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German Pages 373 [383] Year 2008
Die Schmeisser-Affäre
HMRG Historische Mitteilungen Im Auftrage der Ranke-Gesellschaft herausgegeben von Jürgen Elvert und Michael Salewski Band 68
Herbert Elzer
Die Schmeisser-Affäre Herbert Blankenhorn, der „Spiegel“ und die Umtriebe des französischen Geheimdienstes im Nachkriegsdeutschland (1946–1958)
Franz Steiner Verlag 2008
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-515-09117-6
Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen. © 2008 Franz Steiner Verlag, Stuttgart. Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Druck: Printservice Decker & Bokor, München Printed in Germany
INHALTSVERZEICHNIS Vorwort ....................................................................................................................................................9 Einleitung ...............................................................................................................................................11 I.
Geheimdienste in Frankreich und in Deutschland .................................................................17 1) Die französischen Geheimdienste ........................................................................................17 a) Geschichte und Organisation ...........................................................................................17 b) Die „Affaire des Généraux“..............................................................................................20 2) Nachrichtendienste im Saarland und in der Bundesrepublik Deutschland ....................23
II.
Bayern............................................................................................................................................25 1) Die Regierungsbildung im Dezember 1946 ........................................................................25 a) Hinter den Kulissen von München..................................................................................25 b) Christian Jürgen Ziebell .....................................................................................................29 2) Aktendiebstahl in der Staatskanzlei im November 1947...................................................35 a) Der Einbruch und seine Hintergründe............................................................................35 b) Hans-Konrad Schmeisser ..................................................................................................41
III. Pfalz ...............................................................................................................................................44 1) Schmeisser in Landau, Boppard, Ludwigshafen und Saarbrücken (1947-1951)............44 2) Das Agentenehepaar Ziebell und die Nachrichtenfalle der BST .....................................48 3) Operationsgebiet Pfalz ...........................................................................................................50 a) Der pfälzische Separatismus .............................................................................................50 b) Die versuchte Unterwanderung der Schnellpressenfabrik Albert in Frankenthal.....52 c) Komplexe Motive: Nachrichtenbeschaffung, Kontrolle, Gewinnsucht.....................57 IV. Saar.................................................................................................................................................61 1) Schmeisser, Schretzmair und die Bonner Ministerien im Konflikt um die Saar............61 2) Das „Remer-Telegramm“ ......................................................................................................65 a) Die Vorgänge vom Mai 1951............................................................................................65 b) Aufklärungsbemühungen...................................................................................................67 3) Otto Strasser und der französische Geheimdienst.............................................................74 a) Heimkehr via Saar? .............................................................................................................74 b) Der „Bund für Deutschlands Erneuerung“ und seine Bonner Kontakte ..................83 4) Aloys Masloh: Im Dienste Strassers, Stalins, der Sûreté und der Saarregierung..............88 a) Ein Agentenleben ...............................................................................................................88 b) Das „Zentral-Institut für Landesforschung“ in Saarbrücken.......................................94 5) Der betrügerische Bankrott des Saarbrücker Kaufhauses Walter ....................................99 V.
Rheinland ....................................................................................................................................102 1) Herbert Blankenhorn............................................................................................................102 a) Karriere...............................................................................................................................102 b) Im Dritten Reich...............................................................................................................105
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Geheimdienste in Frankreich und in Deutschland
2) Der Angriff des „Spiegel“ auf Blankenhorn vom 9. Juli 1952........................................109 a) „Am Telefon vorsichtig“ .................................................................................................109 b) Die Grundtendenz des „Spiegel“-Artikels und die Verteidigungslinie Blankenhorns .............................................................................................................................................111 3) Dichtung und Wahrheit: Strittige Einzelheiten des „Spiegel“-Artikels .........................118 a) Der „Speidel-Plan“ – Verrat militärischer Geheimnisse? ...........................................118 b) Protokolle des Parlamentarischen Rates – unzulässige Weitergabe vertraulicher Dokumente? ......................................................................................................................119 c) Kooperation gegen den Kommunismus und ihre Bezahlung – Agententätigkeit für Geld und Geschenke? ......................................................................................................120 d) Evakuierung – Privileg oder Notwendigkeit?...............................................................124 e) Wahlkampfspende an die CDU/CSU?..........................................................................127 f) Beeinflussung des Hauptstadtstreits zwischen Bonn und Frankfurt a.M.?..............129 g) Rätsel um Reifferscheidt: Separatist oder Wirtschaftsmann?.....................................134 4) Das Zeitungsprojekt des CDU-Zonensekretariats...........................................................137 VI. Hessen .........................................................................................................................................141 1) Das LfV Wiesbaden 1951/52..............................................................................................141 a) Paul Schmidt und Ziebells Rolle im LfV.......................................................................141 b) Schmeissers Existenzangst (1951) ..................................................................................143 c) Die Vernehmungen Schmeissers und Schretzmairs im November 1951.................145 2) Schmeisser in Paris (Winter 1951/52)................................................................................149 3) Spannungen auf diplomatischer Ebene..............................................................................153 4) Schmeissers Tätigkeit für Schwebbach in Frankfurt a.M. und seine Eigenmächtigkeiten (Frühling/Sommer 1952)..........................................................................................................155 5) Ziebells Instrumentalisierung des LfV Wiesbaden...........................................................159 6) Die Einschaltung des „Spiegel“...........................................................................................163 a) „Falsch wie die Taube“ – der Schlag gegen Hella Hubaleck im „Spiegel“ am 2. Juli 1952.....................................................................................................................................163 b) Schmeissers „Zweckberichte“.........................................................................................166 c) Die Recherchen des Wiesbadener „Spiegel“-Redakteurs Hans-Hermann Mans....169 d) „Kriegsrat“ in Hannover am 5. Juli 1952 ......................................................................173 7) Die hessische Landesregierung in der Defensive .............................................................176 a) Das LfV Wiesbaden im Fokus der Öffentlichkeit .......................................................176 b) Die Entlassung von Paul Schmidt..................................................................................182 8) Im Dickicht der Affären.......................................................................................................187 a) Eklat um den BDJ ............................................................................................................187 b) Die Krüger-Affäre ............................................................................................................190 9) Ziebells Gegenspieler: Friedrich Victor Risse...................................................................192 VII. Bonn ............................................................................................................................................198 1) Ratloses Schweigen – die CDU/CSU und der Fall Schmeisser .....................................198 a) Der Mitwisser: Franz Josef Strauß .................................................................................198 b) Die Zügelung der hessischen CDU ...............................................................................201 2) Die Rolle des SPD-Parteivorstands....................................................................................202 a) Behutsames Auftreten im Juli/August 1952.................................................................202
Die Schmeisser-Affäre
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b) Schumacher, Heine und das Schmeisser-Material........................................................203 c) Ziebell, Heinrich Ritzel und die Saarpolitik der SPD..................................................207 d) Die Version Ziebells über seine Beziehungen zum SPD-Parteivorstand.................211 e) Schmidt und Schuster als „Aufpasser“ des Parteivorstands in Hessen? ..................214 3) Ziebell im Visier der Bundesbehörden ..............................................................................216 a) Informationsaustausch zwischen den Bundesministerien ..........................................216 b) Ziebells Verhaftung in Berlin im Herbst 1952 und die Einbehaltung seines Reisepasses.........................................................................................................................218 4) Der Bottlerplatz unter Verdacht: Inspirierte das BMG den „Spiegel“-Artikel? ..........221 a) Bodens, Mans und das Treffen von Saar-Oppositionellen in Deidesheim am 21. Juni 1952 ............................................................................................................................221 b) Schuldzuweisung an Bodens durch Ziebell und Zweig ..............................................224 c) Die Vernehmung Konrad Adenauers............................................................................227 d) Angriffe auf Bodens aus dem LfV Wiesbaden.............................................................228 e) Die Intervention des Überläufers Georg Schneider....................................................230 f) Ermittlungen der Organisation Gehlen.........................................................................234 g) Oberst Reile .......................................................................................................................237 5) Blankenhorn und die Saar 1952 ..........................................................................................240 VIII.Köln .............................................................................................................................................247 1) Otto John, die Westalliierten und die Saar ........................................................................247 a) Der Vertrauensmann von London und Paris...............................................................247 b) Verweigerte Hilfe: John und die prodeutsche Opposition an der Saar ....................249 2) Das BfV und die Schmeisser-Affäre ..................................................................................253 3) Die Spezialmissionen von Friedrich Riedel.......................................................................256 a) Frankfurt a.M. – gute Ratschläge für Schmeisser.........................................................256 b) München – verbrämte Verhandlungen..........................................................................259 c) Starnberg – Einbruch bei Schmeisser? ..........................................................................261 d) Kein Angebot, kein Einbruch – die Perspektive Riedels............................................264 4) Bemühungen weiterer Nachrichtenhändler im Fall Schmeisser.....................................267 a) Oberst a.D. Wolfgang Müller .........................................................................................267 b) Hanswalter Zech-Nenntwich alias Dr. Nansen ...........................................................268 5) Schmeissers Lage seit August 1952 und die Intervention Risses ...................................271 a) Umworben und „beschützt“ – Schmeisser im Herbst 1952 ......................................271 b) Ein neues Aufgabenfeld: Schmeisser in der Schweiz ..................................................272 c) „Der Fall Schmeisser ohne Schminke“ – Risses Botschaft von 1956 ......................275 d) Der Widar-Verlag und die Rezeption der Broschüre ..................................................278 IX. Im Zangengriff Ziebells: Was steckt hinter dem Artikel „Am Telefon vorsichtig“?.......280 X.
Der Schmeisser-Prozess............................................................................................................290 1) Ein Geflecht von Strafanzeigen – die erste Phase der Prozessgeschichte (1952-1954) 290 2) Im Ermessen der Politik: Aussagegenehmigungen für John und Riedel?.....................296 3) Der kurze Prozess am 26./27. September 1955 ...............................................................300 4) Der Fall Schmeisser im Bundestag (7. Dezember 1955) .................................................308
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Geheimdienste in Frankreich und in Deutschland
5) Juristisches Nachspiel (1955-1958).....................................................................................311 XI. Das Schicksal der Beteiligten nach Ende der Schmeisser-Affäre .......................................315 1) Die Agenten ...........................................................................................................................315 2) Herbert Blankenhorn............................................................................................................317 a) Das deutsch-israelische Wiedergutmachungsabkommen ...........................................317 b) Der Fall Strack...................................................................................................................322 Schlussbetrachtung .............................................................................................................................325 Abkürzungsverzeichnis ......................................................................................................................336 Quellen und Literatur .........................................................................................................................340 Abbildungsverzeichnis .......................................................................................................................373
Die Schmeisser-Affäre
9 VORWORT
Als der Verfasser 1995 im Rahmen seiner Recherchen zur Saarfrage auf Unterlagen zum Fall Schmeisser stieß, reizte es ihn, diese terra incognita zu ergründen. Dem vereinzelten Aktenfund folgten systematische Forschungen. Vor allem die Bestände von Bundesministerien erwiesen sich als äußerst ergiebig. Die jeweiligen Ressortspezialisten im Bundesarchiv Koblenz ließen nichts unversucht, auch vagen Hinweisen auf den Verbleib von Dokumenten nachzugehen. Hier sei stellvertretend Herr Reinhold Bauer für das BMJ genannt. Während manche Dossiers ohne weiteres zugänglich waren, blieben andere einstweilen unter Verschluß. Insbesondere den Bemühungen des für Fragen des Geheimschutzes im Bundesarchiv zuständigen Abteilungsleiters Herrn Dr. Matthias Rest ist es zu verdanken, daß zentrale Akten deklassifiziert wurden. Zwar blieben die Tore des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln verschlossen, doch immerhin wurden einzelne Dokumente zur Auswertung freigegeben. Im Auswärtigen Amt erfuhr der Verfasser ebenfalls wertvolle Unterstützung, für die er den Verantwortlichen mit Nachdruck danken möchte. Insbesondere Herr Knud Piening setzte sich erfolgreich für die Benutzung von VS-Akten ein, die von großer Relevanz waren. Im Archiv der sozialen Demokratie Bonn half Herr Wolfgang Stärcke bei der Lokalisierung äußerst wichtiger Unterlagen. Ergänzende Schriftstücke konnten im Archiv für christlichdemokratische Politik St. Augustin unter Mitwirkung von Herrn Dr. Reinhard Schreiner, im Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden durch Beratung von Herrn Bernward Helfer und im Landesarchiv Saarbrücken dank der Hinweise von Herrn Michael Sander ermittelt werden. Der Printkonzern Koenig & Bauer öffnete bereitwillig sein Firmenarchiv: Die vormalige Schnellpressenfabrik Albert war Ziel einer Geheimdienstoperation geworden. Auch den Mitarbeitern von Pressedokumentation und Bibliothek des Deutschen Bundestages, des Bundespresseamtes, der Universitäts- und Landesbibliothek Bonn sowie der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung sei herzlich gedankt. Für die umfassende technische Bearbeitung der Vorlage ist in erster Linie Herrn Peter Skurewicz, aber auch Herrn Gerrit Krupp große Anerkennung zu zollen. Die Endproduktion wurde vom Steiner-Verlag Stuttgart routiniert gestaltet. Der Ranke-Gesellschaft – insbesondere Herrn Professor Dr. Jürgen Elvert (Köln) – gebührt Dank für die Aufnahme des Buches in ihre wissenschaftliche Reihe. Der „Spiegel“ stellte einige Photos aus seinem reichhaltigen Bildarchiv zur Verfügung, Herr Klaus Altmeyer (Lebach) besorgte freundlicherweise Bilder aus dem Umfeld der Saarpolitik, die Bundesbildstelle ein Porträt Blankenhorns. Andernach, im September 2007
Herbert Elzer
Die Schmeisser-Affäre
11 EINLEITUNG
Als der Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Otto John, am 20. Juli 1954 in OstBerlin aufgetaucht war, schrieb Franz Josef Strauß wenige Tage später an Bundeskanzler Adenauer, er habe in ihm „nie etwas anderes gesehen als den Mitarbeiter des Secret Service“. Schlimmer noch: „Ich bin fest davon überzeugt, daß in allen Ministerien und in allen wichtigen Dienststellen Vertrauensleute östlicher und westlicher Nachrichtendienste sitzen.“ Strauß forderte deshalb eine „genaue Überprüfung aller Geheimnisträger der Bundesregierung und aller Inhaber von Schlüsselpositionen.“ 1 Wie begründet seine Sorgen waren, wird aus dieser Studie hervorgehen. Eine „unterwanderte Republik“ (Hubertus Knabe) bestand schon in der Gründerzeit, bevor die Staatssicherheit der DDR das Ihre dazu beitrug. Obwohl der Kalte Krieg tobte, verliefen die Frontlinien keineswegs ausschließlich entlang der ideologischen Barrieren. Im Laufe der 1950er Jahre bröckelten allmählich die Beziehungen zwischen den Geheimdiensten der Westmächte und der Sowjetunion ab – das geteilte Deutschland wurde „zum eigentlichen Schlachtfeld des Geheimen Krieges“ 2. Wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sah dies anders aus, mochten auch die Gemeinsamkeiten schwinden. Eine bestand jedenfalls fort: das mit größter Kraftanstrengung niedergerungene Deutschland nicht wieder zu einem Faktor werden zu lassen, der den Weltfrieden in Gefahr bringen konnte. Hier die Grenzen zu ziehen, war freilich nicht einfach: Die UdSSR und Frankreich gingen in der Außenpolitik deutlich weiter in ihren Eindämmungsbestrebungen als die Vereinigten Staaten und Großbritannien. Ähnlich verhielt es sich in der Parallelwelt der Geheimdienste. Die staatlichen Strukturen entbehrten in den späten 1940er Jahren mancherorts noch immer der Festigkeit – ganz besonders in Deutschland. In der Mitte Europas strebten die siegreichen Alliierten danach, ihren Einfluß zu stärken. Gewiß: Der ideologische Gegensatz zwischen dem demokratischen Westen und dem kommunistischen Osten überschattete in wachsendem Maße diese Entwicklung. Die auf Integration bedachten Angelsachsen und das scharfe Kontrollen bevorzugende Frankreich waren in der Deutschlandpolitik oft uneins. Frankreich wurde nicht durch einen Ozean vor Deutschland geschützt und sann deshalb auf besondere Sicherheitsvorkehrungen. Territoriale Aspekte spielten für Paris im Unterschied zu Washington und London eine wichtige Rolle. Für unseren Kontext sind die sich in konkreten Aktivitäten verdichtenden föderalistisch-separatistischen Gedankenspiele für bestimmte Regionen von Belang. Rheinstaat, Donauföderation, Eigenständigkeit von Bayern und der Pfalz sowie die wirklich vollzogene Abspaltung der Saar vom übrigen Deutschland lauten die wichtigsten Stichwörter. Diese Themenpalette bot Ansatzpunkte für ein Engagement des französischen Geheimdienstes. Die Nachkriegszeit stand unter eigenen Gesetzen. Wagemutige, talentvolle aber auch skrupellose Personen konnten Großes erreichen. Diese Studie soll nicht abstrakt bleiben, sondern Menschen in außergewöhnlicher Funktion beobachten: Es ist die Geschichte mehrerer französischer Agenten deutscher Nationalität, die sich im Umfeld jener von Frankreich geförderten Bemühungen um eine Zerschlagung oder zumindest Lockerung der staatlichen Einheit Deutschlands bewegten. Ihre Biographien sollen nicht bloß die Ziele des französischen Nachrichtendienstes, sondern auch Macht und Ohnmacht des Einzelnen im unterirdischen Getriebe transparent machen. 1 2
BA, B 136, Bd. 1755, Bl. 72-78, Schreiben von Strauß an Adenauer, 31.7.1954, hier: Bl. 72-76. De Gramont, Der geheime Krieg, S. 473.
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Geheimdienste in Frankreich und in Deutschland
Es geht freilich mitnichten allein um Agenten. Im Mittelpunkt des Buches steht eine Affäre, die für die erste Bundesregierung unter Konrad Adenauer existenzbedrohend hätte werden können. Der Kanzler selbst, vor allem aber sein wichtigster außenpolitischer Berater Herbert Blankenhorn wurden in einem „Spiegel“-Artikel vom 9. Juli 1952 in die Nähe landesverräterischer Umtriebe gerückt. Der auf die säkulare Aussöhnung mit Frankreich fixierte Adenauer und sein Mitarbeiter Blankenhorn – frühere Informanten oder gar Agenten des französischen Geheimdienstes? Die zeitgenössische Presse hütete sich, diese Anschuldigung ungeprüft zu übernehmen. Immerhin wartete der spektakuläre Artikel des „Spiegel“ mit zahlreichen Einzelheiten auf. Die Bewandtnis dieses Artikels und seine Vorgeschichte konnten bis heute nicht aufgehellt werden. Es genügt nicht, sich mit den Details zu befassen, die der „Spiegel“ kolportierte. Obwohl diese Publikation große Aufmerksamkeit erregte, gelang es den Zeitgenossen nicht, Licht in das Dunkel zu bringen. Durch Strafanzeigen wurde die Sache zu einem Justizfall, der mangels Transparenz bald in Vergessenheit geriet. Nach jahrelangen Ermittlungen begann im September 1955 ein Prozeß gegen die Verantwortlichen des „Spiegel“ – um sofort in einem Vergleich zu enden. Das Geheimnis der Schmeisser-Affäre wurde nicht gelüftet. Hatten Adenauer und Blankenhorn tatsächlich ausgangs der 1940er Jahre Verbindungen zum französischen Geheimdienst gepflegt? Wenn ja: War dies anstößig oder normal für jene exzeptionellen Zeitläufte? Es wird sorgfältig zu rekonstruieren sein, was damals geschehen ist. Mindestens ebenso wichtig sind die Hintergründe der „Spiegel“-Veröffentlichung. Sie sind verwickelt und führen in das tiefste Gestrüpp nachrichtendienstlicher Kabalen und parteipolitischer Auseinandersetzungen – aber sie lassen sich ergründen. Eine Voraussetzung für das Verständnis dieser Studie ist elementare Kenntnis der Geheimdienste, die in Frankreich, dem damals „autonomen“ Saarland und in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg bestanden. Unser Thema, aber auch der geringe Bekanntheitsgrad der Organisation des französischen Nachrichtendienstes, läßt eine ausführlichere Darlegung der Verhältnisse in unserem westlichen Nachbarland geboten erscheinen (Kap. I). Dann begeben wir uns nach Bayern, wo 1946/47 Ziebell, Schmeisser und Risse im Kontext der Entnazifizierung ihre Karriere begannen (Kap. II). Anschließend verlagerte sich der Schwerpunkt in die Pfalz (Kap. III). Dort gab es separatistische Tendenzen, die Frankreich diskret förderte, aber auch die Gelegenheit zur Infiltration deutscher Firmen. Ab 1950 konzentrierte sich die Aufmerksamkeit des französischen Geheimdienstes auf die Saar, denn dort bestanden konkrete Aussichten, ein Territorium von Deutschland abzutrennen. Wir werden anhand mehrerer Operationen verfolgen können, wie die Gegner dieser Entwicklung bekämpft wurden: Der prodeutschen Demokratischen Partei Saar dichtete man Beziehungen zur neonazistischen Sozialistischen Reichspartei an (Kap. IV.2), der NaziDissident Otto Strasser sollte zur Kompromittierung des Oppositionsführers Heinrich Schneider nach Saarbrücken gebracht werden (Kap. IV.3). Mit Aloys Masloh agierte neben Ziebell und Schmeisser ein weiterer einschlägiger französischer Agent an der Saar, dessen Laufbahn exakte Rekonstruktion verdient (Kap. IV.4). Sodann betrachten wir die Person Blankenhorns und nehmen unter die Lupe, wie es mit den Vorwürfen bestellt war, die der „Spiegel“ gegen den Ministerialdirektor erhob (Kap. V). Die eigentliche Vorgeschichte des Artikels „Am Telefon vorsichtig“ führt nach Hessen. Im LfV Wiesbaden herrschten unter Paul Schmidt erstaunliche Zustände (Kap. VI.1). Der Doppelagent Ziebell spann von hier aus seine Intrigen gegen die Bundesregierung (Kap. VI.5). Seit Frühling 1952 beteiligte sich der „Spiegel“ über seinen Korrespondenten Hans-Hermann
Die Schmeisser-Affäre
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Mans am verborgenen Gerangel in Hessen um angebliches Belastungsmaterial gegen Blankenhorn (Kap. VI.2-4). Nach einer Attacke gegen die Agentin Hubaleck und ihre Verbindungsleute in deutschen Ministerien (Kap. VI.6) folgte der Schlag gegen Blankenhorn. Das LfV Wiesbaden geriet alsbald unter Beschuß, was die Aufopferung von Paul Schmidt nach sich zog (Kap. VI.7). Während die CDU/CSU dem Treiben eher ratlos zuschaute (Kap. VII.1), fällt die Behutsamkeit der SPD bei dieser Affäre auf. Wieso versuchte die größte Oppositionspartei nicht mit mehr Nachdruck, etwaige Verstrickungen Blankenhorns aufzudecken? Die Gründe liegen in Rivalitäten zwischen der hessischen und der Bonner SPD, in saarpolitischen Kapriolen des Bundestagsabgeordneten Ritzel sowie in der peinlichen Zusammenarbeit des Parteivorstands mit dem übel beleumundeten Ziebell (Kap. VII.2), den die Bundesbehörden längst sorgfältig beobachteten (Kap. VII.3). Adenauer verdächtigte das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (BMG), am „Spiegel“-Artikel zumindest mitschuldig zu sein. Der Gegensatz zwischen Auswärtigem Amt und BMG in der Saarpolitik wurde als Motiv vermutet. Agenten wie Ziebell, Zweig oder Georg Schneider schürten dieses Mißtrauen. Nachforschungen der Organisation Gehlen und des BfV ergaben freilich ein anderes Bild (Kap. VII.4). Im übrigen muß durchaus geprüft werden, ob der französische Geheimdienst in der Lage war, Blankenhorn in bezug auf die Saar zu erpressen (Kap. VII.5). Der Leiter des BfV, Otto John, wußte seit langem Bescheid über die Behauptungen Schmeissers. Er verhielt sich im ersten Halbjahr 1952 dennoch zögerlich (Kap. VIII.1 und 2). Nach Erscheinen des Artikels wurde jedoch der Agent Riedel beauftragt, mit Schmeisser Kontakt aufzunehmen... (Kap. VIII.3). Wie passen diese verschiedenen Handlungsebenen zusammen? Es wird eine klare Interpretation der Bedeutung des „Spiegel“-Artikels unterbreitet (Kap. IX). Danach muß der Schmeisser-Prozeß in seinen wesentlichen Stationen verfolgt werden, dessen juristische Winkelzüge ein Spiegelbild politischer Verschleierungsmanöver darstellen (Kap. X). Der Bundesregierung bot sich dabei mit Friedrich Victor Risse ein Zeuge an, der als Widerpart Schmeissers und Ziebells schon in München und Wiesbaden gewirkt hatte (Kap. II.1b, VI.9). Der CIA-Agent verfaßte 1956 eine antikommunistische Broschüre über den Fall Schmeisser (Kap. VIII.5). Schließlich soll das weitere Schicksal der uns begegneten Agenten kurz beschrieben werden. Zugleich wird gezeigt, wie Blankenhorn mit Blick auf den deutschisraelischen Wiedergutmachungsvertrag – also ebenfalls 1952 – sich hinter den Kulissen zu befremdlichen Handlungsweisen verstieg (Kap. XI). Zweifelsohne ist der Umgang mit Quellen nachrichtendienstlicher Provenienz besonders heikel. Bewußte Irreführungen und Fehlinformationen durch Spione sind auch in schriftlichen Zeugnissen stets möglich – wir werden einige davon ausfindig machen und ihre Zwecke erläutern. Daher müssen Erkenntnisse durch Mehrfachüberlieferung abgesichert oder durch faktische bzw. logisch-argumentative Evidenz bestätigt werden. Wenngleich also beim Genre Geheimdienst außergewöhnliche Vorsicht am Platze ist, darf dies nicht daran hindern, Urteile zu fällen oder Ergebnisse zu formulieren. In den Gefilden des Subversiven ist einiges sicher gar nicht schriftlich fixiert worden, und Originalakten der Nachrichtendienste bleiben gesperrt. Allein, der Vorbehalt des Irrtums besteht bei jeder historischen Einschätzung komplexer Sachverhalte. Der Verfasser glaubt, die weitaus meisten seiner Einsichten hinreichend belegen zu können und nur selten Relativierungen verwenden zu müssen. Als der Autor Mitte der 1990er Jahre auf gänzlich undurchsichtige Materialien über den Spion Schmeisser stieß, entschloß er sich zu dem Versuch, diese geheimnisumwitterten Schilderungen auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Die Recherchen konzentrierten sich auf
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Geheimdienste in Frankreich und in Deutschland
relevante Bundesministerien, deren Bestände tatsächlich Weiterführendes zu bieten hatten. Neben zugänglichen Akten fanden sich unter Geheimschutz fallende Dossiers, für deren Benutzung seinerzeit nicht immer ein geregeltes Verfahren vorlag. 3 Ihre Freigabe konnte mit Unterstützung des Bundesarchivs Koblenz sukzessive erreicht werden. Zwar bleibt der Zugang zu den Archiven französischer Geheimdienste der Forschung für mindestens 60 Jahre verschlossen 4, und er wurde auch für das BfV in Köln 5 und den BND in Pullach 6 verwehrt, doch wichtige Einzeldokumente beider deutschen Geheimdienste flossen in andere Bestände ein. Von besonderem Wert waren die im Bundesarchiv Koblenz gelagerten Akten des Bundeskanzleramt (B 136) und der Bundesministerien des Innern (B 106), der Justiz (B 141) und für gesamtdeutsche Fragen (B 137). Die Geheimakten des BMI werden zu bandweise festgesetzten Zeitpunkten auch ohne Antrag freigegeben, diejenigen des BMG wurden pauschal am 1. Januar 1994 offengelegt. Als Fundgrube erwiesen sich Dossiers der VS-Registratur (B 130) und des „Büro Staatssekretär“ (B 2) im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin. Mit beträchtlichem Erfolg wurde im Archiv der sozialen Demokratie in Bonn nach aussagekräftigen Unterlagen gefahndet. Die „Sammlung Personalia“, der Nachlaß von Fritz Heine und die Akten des Sekretariats Heine beim SPD-Parteivorstand förderten viel Interessantes zutage. Im Archiv für christlich-demokratische Politik in St. Augustin war insonderheit der Nachlaß Otto Lenz von Belang. Ferner ist das Hessische Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden zu nennen. Leider ist die Überlieferung für die 1950er Jahre dürftig, doch ein Ordner der Staatskanzlei entrann dem Reißwolf. Die Akten des hessischen Innenministeriums gingen bei einem Umzug 1968 verloren, diejenigen des LfV fanden erst seit den 1970er Jahren Beachtung beim zuständigen Archiv. 7 Das hessische Justizministerium beherbergt noch Unterlagen; die gesuchten Materialien existieren einer schriftlichen Auskunft zufolge8 offenbar nicht mehr. Ein Firmenarchiv hat ebenfalls einen erklecklichen Beitrag geleistet. Der Printkonzern Koenig & Bauer stellte für seine Frankenthaler Niederlassung Dokumente zur Geschichte der seinerzeitigen Schnellpressenfabrik Albert zur Verfügung, in deren Direktion französische Agenten um 1950 einzudringen trachteten. Außerdem erteilten mehrere Stadtverwaltungen und -archive hilfreiche Auskünfte über den Verbleib von Einzelpersonen anhand von Meldedaten. In der Stiftung Bundeskanzler-Konrad-Adenauer-Haus in Rhöndorf konnten keine relevanten Aktenstücke ermittelt werden. 9 Der Nachlaß von Rudolf Augstein ist für die Forschung noch nicht zugänglich, im „Spiegel-Archiv“ soll sich keinerlei Material befinden 10. Zeitungsberichte stammen aus dem Fundus des Bundespresseamtes und der Pressedokumentation des deutschen Bundestages. 3
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Die Probleme der Freigabe von VS-Akten hat Wolfram Werner beim Rhöndorfer Gespräch von 1992 geschildert (Doering-Manteuffel (Hrsg.), Adenauerzeit, S. 47-49). Seit 2006 zeichnet sich eine Wende zum Besseren ab. Coeuré/Monier/Naud, Retour, S. 138; Forcade, Histoire militaire, S. 56; Jardin, Französischer Nachrichtendienst, S. 117f.; Faligot/Kauffer, Maîtres Espions, S. 492. – „Pierre Jardin“ ist laut Faligot/Kauffer ein Pseudonym für Michel Durafour (Maîtres Espions, S. 367, 530). Insbesondere Mitteilung vom 20.7.2001 über Benutzbarkeit präzise benannter Archivalien. Laut Schreiben der Abt. Archivwesen des BND vom 6.2.2003 können Akten erst nach Übergabe an das Bundesarchiv Koblenz (Bestand B 206) eingesehen werden. Dies ist für das hier behandelte Thema nicht der Fall. Schriftliche Mitteilung vom 30.1.2003 und mündliche Auskunft von Herrn Helfer in Wiesbaden am 10.3.2003. Schreiben des hessischen Justizministeriums vom 26.5.2003. Schriftliche Mitteilung von Herrn Benedikt Praxenthaler (Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus) am 16.5.2006. Schriftliche Mitteilung von Herrn Heinz Egleder („Spiegel“-Archiv) vom 4.9.2006.
Die Schmeisser-Affäre
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Der maßgeblich am Fall Schmeisser beteiligte SPD-Politiker Fritz Heine konnte vor seinem Tod befragt werden, entgegnete aber, er wisse nichts mehr von diesen Dingen. 11 Der einzige noch lebende Zeitzeuge ist der „Spiegel“-Journalist Hans-Hermann Mans (geb. 1923). Ihm wiederum ist bis auf die Namen Schmeisser und Ziebell alles entfallen, und er meint, die damaligen Vorgänge interessierten heute niemanden mehr. 12 Methodisch ist anzumerken, daß eine Anonymisierung von Namen nur vollzogen wird, wenn der Betreffende historisch bedeutungslos war, der Zusammenhang aber einen Schutz der Persönlichkeit ratsam erscheinen läßt. Wer eine gehobene Position bekleidet, ist von zeitgeschichtlichem Rang und somit Objekt der Forschung. Zur Schreibweise: Bei den Personennamen Schmeisser, Strasser, Risse oder Haussleiter stehen „Doppel-s“ und „ß“ in den Quellen nebeneinander. Zwecks Standardisierung wurde die Variante mit dem „Doppels“ gewählt. Eine systematisch-wissenschaftliche Erforschung von Organisation und Wirkungsmechanismen der französischen Geheimdienste hat in den 1990er Jahren an mehreren französischen Universitäten eingesetzt. 13 Sie will sich bewußt von Einzelfallforschung unterscheiden 14, die für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in Frankreich ohnehin mangels Archivzugang noch nicht denkbar ist. Dafür muß die Fokussierung der Untersuchungen auf frühere Zeiten in Kauf genommen werden. So bleibt dies für unsere Zwecke unergiebig. Im Jahre 1956 erschien eine zeitgenössische Kampfbroschüre zum Fall Schmeisser unter den Pseudonymen Max Flemming und Gerd Hover. 15 Ihr wirklicher Autor hieß Friedrich Victor Risse und kam aus dem Agentenmilieu. Die 88seitige Schrift enthält einige wichtige Dokumente, die sich allerdings archivarisch allesamt eruieren lassen. So bemerkenswert manche Schilderungen infolge der intimen Kenntnis des Verfassers sind, so unbefriedigend ist dessen These. Risse will nämlich die Schmeisser-Affäre als Teil einer großangelegten kommunistischen Verschwörung „verkaufen“. Schon seine aktive Zeit war dem Ringen mit dem Bolschewismus gewidmet: Er war berüchtigt als „Kommunistenfresser“. Im Bereich der Nachrichtendienste tummelte sich auch Hans Frederik. Er skizzierte 1971 den Ablauf der Schmeisser-Affäre und nannte dabei Details, die seine Vertrautheit mit den Zusammenhängen verraten. 16 Indessen hält seine Darstellung wissenschaftlichen Kriterien nicht stand. Er befaßt sich mit den Verhältnissen beim hessischen LfV, weniger mit dem Fall Blankenhorn. Frederik häuft Einzelheiten an, denen der „rote Faden“ ermangelt. Er soll Mitarbeiter des MfS gewesen sein und das Buch als Auftragsarbeit angefertigt haben. 17 Die eigentliche Forschung begann mit einem Aufsatz von Michael Hollmann. 18 Er stützt sich auf einige Akten des Bundesarchivs. Hollmann sieht einen tagespolitischen und einen übergreifenden Hintergrund für die Schmeisser-Affäre. Der „Spiegel“ habe Mitte 1952 beabsichtigt, die Ratifizierung der Westverträge im Bundestag zu durchkreuzen. Im weiteren Sinne ging es um eine „Frage der Ehre“, denn das von Schmeisser unterstellte Zusammenwirken Adenauers mit den Alliierten galt in der jungen Bundesrepublik als verpönt. Zum Zeitpunkt des Prozesses sei dieses Kalkül freilich nicht mehr aufgegangen. Hinzu kam der gelungene Gegenstoß des Kanzlers durch Ausnutzung der Umtriebe des hessischen 11 12 13 14 15 16 17 18
Schreiben von Fritz Heine an den Verfasser vom 17.7.2000. Heine starb am 5.5.2002. Schreiben von Hans-Hermann Mans an den Verfasser vom 20.9.2006. Forschungsüberblick bei Forcade, Histoire militaire. Forcade distanziert sich merklich von „journalistischen“ Studien wie von Krop oder Faligot und weist auf den Mangel an Archivmaterial hin, der solche Bücher kennzeichne (ebd., S. 54f.). Flemming bzw. Hover, Fall Schmeisser. Frederik, Ende einer Legende, S. 123-132. Bailey/Kondraschow/Murphy, Front, S. 235; Roewer/Schäfer/Uhl, Lexikon, S. 149f. Näheres zu Frederik bei Knabe, Unterwanderte Republik, S. 115, 120, 157-160, 175-177. Hollmann, Ehre.
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Geheimdienste in Frankreich und in Deutschland
Verfassungsschutzes. So zutreffend diese Überlegungen sind: Die subversiven Hintergründe des Falles werden nicht erörtert. Rüdiger Henkel hat 2001 ein Buch mit Einzelstudien über Spionagefälle vorgelegt. In diesem Rahmen widmet er auch der Schmeisser-Affäre ein Kapitel. Er bietet freilich nur einen Überblick, der an Presseberichten und an der Bundestagsdebatte vom 7. Dezember 1955 orientiert ist. Henkel stellt die richtigen Fragen, doch Antworten kann er nicht präsentieren. Er schließt bezeichnenderweise: „Warum er [Schmeisser, H.E.] einmal so viel Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hat, ist nie geklärt worden.“ 19 Seit 2003 gibt es ein verdienstvolles „Lexikon der Geheimdienste im 20. Jahrhundert“, das unverzichtbares Basiswissen bündelt. Der hier speziell erörterte Fall kann in einem solchen Rahmen natürlich nicht näher behandelt werden. Das Lexikon enthält aber einige allgemeine Angaben zu Schmeisser und Ziebell. 20 Die erste Untersuchung über die Frühgeschichte eines Landesamtes für Verfassungsschutz wurde 2004 von Wolfgang Buschfort über Düsseldorf veröffentlicht 21, einen für uns freilich irrelevanten Schauplatz. Im Herbst 2006 erschien eine Biographie über Blankenhorn von Birgit Ramscheid. Die Autorin konnte jedoch den verwickelten Begebenheiten um Schmeisser verständlicherweise nur oberflächlich nachgehen. 22 Das ist alles, was an Literatur über die Schmeisser-Affäre existiert. Der Forschungsstand ist demzufolge defizitär. Wir werden zwar viele Monographien und Aufsätze heranzuziehen haben, doch stets nur zu Randaspekten geheimdienstlicher oder politischer Art, auf die wir stoßen. Ansonsten dominieren die Quellen. Die Ursachen für diese karge Bilanz liegen auf der Hand. Wolfgang Krieger beklagte einmal die Geheimniskrämerei, die auch von westlichen Staaten um die Nachrichtendienste getrieben werde. Die Tore zu den Archiven blieben in aller Regel verschlossen. „Nur mit List und Geschick gelingt es Fachhistorikern, aus Bruchstücken verläßlicher Informationen ein authentisches Bild zusammenzusetzen. Es ist eine Arbeit, die manchmal eher an die Tonscherbenpuzzle des Archäologen als an die Quelle des Zeithistorikers im Informationszeitalter erinnert.“ 23 Bei anderer Gelegenheit forderte Krieger die deutsche politische Historiographie auf, der Geheimdienstforschung mehr Beachtung zu zollen. 24 Tatsächlich können sich nicht selten zusätzliche Perspektiven eröffnen, welche die klassischen Forschungsgegenstände der Diplomatie- und Politikgeschichte ergänzen. Der in der deutschen Wissenschaft sträflich vernachlässigte französische Nachrichtendienst 25 ist dabei gewiß keine quantité négligeable. Als die Justizakten zum Fall Schmeisser endgültig beiseitegelegt wurden, bedauerte der „SPD-Pressedienst“ den Einstellungsbeschluß des Gerichts: „Er läßt eine Affäre im Nachrichtendschungel Westdeutschlands endgültig untergehen, die nicht nur vom politischen Interesse sondern auch von historischen Gesichtspunkten her eine Aufklärung verdient hätte.“ 26 Diese Monographie soll nach Ablauf etlicher Jahrzehnte eine umfassende Aufklärung leisten.
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Henkel, Was treibt den Spion?, S. 118-132, hier: S. 132. Roewer/Schäfer/Uhl, Lexikon, S. 402, 508. Buschfort, Hüter. Ramscheid, Blankenhorn, S. 182-186. Krieger/Weber, Nutzen, S. 10. Krieger, Bedeutung, S. 10. Es gibt keine einzige Publikation aus deutscher Feder über den modernen französischen Geheimdienst. Selbst in einem breit angelegten Sammelband wie dem von Bernd Florath („Die Ohnmacht der Allmächtigen“) kommt er nicht vor. „SPD-Pressedienst“, 26.11.1957: „Ein Prozeß, der keine Klärung brachte“.
Die Schmeisser-Affäre
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I. GEHEIMDIENSTE IN FRANKREICH UND IN DEUTSCHLAND 1) DIE FRANZÖSISCHEN GEHEIMDIENSTE a) Geschichte und Organisation Die Nachrichtendienste in Frankreich waren traditionell eine Sache des Militärs. 1 Das 1871 zur Beobachtung der deutschen Truppenbewegungen im besetzten Frankreich gegründete Deuxième Bureau 2 – nämlich das Zweite Büro des Kriegsministeriums (seit 1874) – befaßte sich künftig mit militärischer Aufklärung. Der eng mit ihm liierte Service de Renseignements Militaires (SR) hatte in der Zwischenkriegszeit hauptsächlich die Aufgabe, die militärischen Fähigkeiten Deutschlands auszukundschaften. 3 Allerdings lieferte sich der SR in den 1920er Jahren auch „Intelligence“-Schlachten mit der als feindselig betrachteten Sowjetunion. 4 Jede Waffengattung erhielt nun einen eigenen SR. Seit 1936 wurde der SR unter seinem neuen Chef Oberst Louis Rivet dem Generalstab angeschlossen. Rivet sorgte im Mai 1940 für die Vernichtung oder Auslagerung aller Dossiers, die für Deutschland wertvoll hätten sein können. Während des Zweiten Weltkriegs hielt sich im Untergrund ein von patriotischen Kräften getragener Nachrichtendienst unter dem Decknamen „Kléber“, der nicht nur der VichyRegierung, sondern auch den Alliierten Informationen lieferte. 5 Dies war das Verdienst Rivets und des Leiters der Deutschland-Abteilung im Bereich Gegenspionage, Paul Paillole6. Gelang es der deutschen Abwehr, eine der Tarnorganisationen zu entdecken, gründeten Rivet und Paillole flugs eine neue. Kurz nach der Landung der Alliierten in Nordafrika Ende 1942 setzte sich der militärische Geheimdienst unter Paillole nach Algier ab und stellte sich General Giraud zur Verfügung, der im Dezember das französische Oberkommando in Nordafrika nach der Ermordung des wankelmütigen Admiral Darlan übernommen hatte. Unabhängig davon entstand im Juli 1940 bei de Gaulle in London ein weiteres Deuxième Bureau 7 unter André Dewavrin alias „Passy“ 8, das stets auch die politische Ausrichtung de Gaulles vor Augen hatte: Frankreich konnte seinen Status als Weltmacht nur zurückgewinnen, wenn es in voller Unabhängigkeit auftrat. Dieses Bureau Central de Renseignements et d’Action militaire (BCAM) war technisch schwach, fand aber starken Anklang in Frankreich. Dewavrin hatte die geniale Idee, seine Informationen nicht in erster Linie von professionellen Agenten zu beziehen, sondern von jedem Franzosen, der irgendwelche Beobachtungen gemacht hatte. Im November 1943 verlor Giraud den Machtkampf gegen de Gaulle in Algier. Damit endete auch die lähmende Rivalität der beiden Geheimdienste SR und BCAM. Unverzüglich 1
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Zum folgenden bieten einen knappen Überblick: Jardin, Französischer Nachrichtendienst; Knipping, „Réseaux“; Roewer/Schäfer/Uhl, Lexikon, S. 49, 102f., 109f., 116f., 148f., 384, 413f., 426. Durch dieses Lexikon ist folgendes Nachschlagewerk von 1984 bis auf punktuelle Ergänzungen überholt: Payne/Dobson, Who’s who in Espionage. Für generelle Informationen über Strukturen und Organisation der Geheimdienste: Baud, Encyclopédie; Hirschmann, Geheimdienste. – Die grundlegenden Werke zum französischen Geheimdienst werden in den folgenden Anmerkungen zitiert. Deacon, French Secret Service, Kap. 7; Krop, Secrets, S. 8-32; Porch, French Secret Services, S. 24-38. Deacon, French Secret Service, Kap. 12; Krop, Secrets, S. 378-415; Porch, French Secret Services, Chapter Six. Krop, Secrets, Kap. V; Faligot/Krop, DST, Chapitre premier; Porch, French Secret Services, Chapter Five. Deacon, French Secret Service, Kap. 13; Krop, Secrets, S. 425-447; Faligot/Krop, DST, Chapitre II; Porch, French Secret Services, S. 174-176. Zu Paillole: Roewer/Schäfer/Uhl, Lexikon, S. 337. Deacon, French Secret Service, Kap. 14; Porch, French Secret Services, Chapter Eight; Krop, Secrets, S. 434-437. Zu „Passy“: Roewer/Schäfer/Uhl, Lexikon, S. 109.
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Geheimdienste in Frankreich und in Deutschland
verschmolz Jacques Soustelle 9 im Auftrag de Gaulles beide Organisationen unter der Bezeichnung Direction Générale des Services Spéciaux (DGSS) miteinander. 10 Im Herbst 1944 entstand daraus die Direction Générale des Études et Recherches (DGER), unter deren Dach die verschiedenen Waffengattungen ihre eigenen Nachrichtendienste beibehielten.11 Die am 16. November 1944 errichtete Direction de la Surveillance du Territoire (DST) 12 und die 1941 gebildeten Renseignements Généraux (RG) 13 bildeten zusammen die Sûreté Nationale (SN). Die DST war dem Innenminister unterstellt. 14 In der Frühzeit diente die DST insonderheit der Spionageabwehr im Inland und besaß Polizeicharakter. Erster Direktor war Roger Wybot 15 (1913-1997), der eine Dienststelle des Vichy-Regimes in Marseille geleitet und heimlich eine Widerstandsorganisation daraus gemacht hatte. Er mußte 1941 zu de Gaulle nach London flüchten; dieser betraute ihn mit Spionageaufgaben. Wybot amtierte bis Dezember 1958 und war an der Wiedereinsetzung de Gaulles beteiligt. 16 Die RG unter Marc Bergé fanden sich nicht kampflos mit dem Vorrang der DST ab. 17 Sie kümmerten sich um die Beschaffung von Nachrichten im Inland und trachteten seit 1945 danach, ihre Vichy-Ursprünge durch eifrige Jagd nach Kollaborateuren zu überdecken. „Es gibt bei uns zwei Polizeien: die politische Polizei und die Kriminalpolizei. Die Agenten der Kriminalpolizei mischen sich ebensowenig in Angelegenheiten, die der politischen Polizei zugehören, wie umgekehrt.“ 18 Was Honoré de Balzac hier einer seiner Romanfiguren aus den 1820er Jahren in den Mund legt, ließ sich 125 Jahre später nicht mehr so schlicht definieren – denn fortan wetteiferten mehrere französische Geheimdienste untereinander um die Erledigung von delikaten staatspolitischen Aufgaben, die mitnichten klar voneinander abgegrenzt wurden. De Gaulle würdigte die Leistungen der Geheimdienste der Dritten Republik ausdrücklich. Rivet und Paillole schieden allerdings aus. Zahlreiche neue Mitarbeiter traten in die DGER ein, die den Apparat aber unnötig aufblähten. 19 Im Jahre 1946 wurde die DGER umbenannt zum Service de Documentation Extérieure et de Contre-Espionnage (SDECE) und dabei von kommunistischen Kräften der Résistance gesäubert. Nach einem benachbarten Schwimmbad im Pariser Boulevard Mortier bekam der SDECE den Spitznamen La Piscine 20. Dewavrins umfangreiche Entlassungen schufen böses Blut. Der massive Personalabbau stärkte wieder den militärischen Charakter der Nachrichtendienste. Trotz allen Durchgreifens schaffte Dewavrin es nicht, die Zerstrittenheit zwischen rechten und linken Faktionen innerhalb des SDECE zu überwinden. Nach dem Rücktritt de Gaulles im Januar 1946 konnte sich Dewavrin 9 10 11 12
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Zu Soustelle: Ebd., S. 429. Porch, French Secret Services, S. 220-223; Laurent, Renseignement. Vgl. auch Dreyfus, Résistance. Faligot/Krop, La Piscine, S. 25-29; Krop, Secrets, S. 448f., 457-459; Porch, French Secret Services, S. 266f. Faligot/Krop, DST, S. 100-110; Faligot/Kauffer, Maîtres Espions, S. 91-96, 473; Warusfel, ContreEspionnage, S. 41-48, 436f. (Anhang 6); Cécile, Renseignement, S. 31f.; Porch, French Secret Services, S. 267f. Überblick bei Chalet, DST. Cécile, Renseignement, S. 67f. Elgey, République, S. 603. Roewer/Schäfer/Uhl, Lexikon, S. 504. Grundlegend: Bernert, Roger Wybot. Es handelt sich um einen Lebensbericht Wybots, den Bernert lediglich aufbereitet hat. Ebd., Kap. XII und XIII. Faligot/Kauffer, Résistants, S. 120-129; Porch, French Secret Services, S. 268f.; Faligot/Krop, DST, S. 111f. Zum Kampf der RG gegen die französischen Kommunisten: Charpier, Les RG et le Parti communiste. Balzac, Glanz und Elend der Kurtisanen, Erster Teil, S. 152. Deacon, French Secret Service, Kap. 16. Grundlegend: Faligot/Krop, La Piscine. – Der SDECE-Abteilungsleiter und Chef der Verbindungsstelle Washington (April 1951 – Oktober 1963) Thyraud de Vosjoli alias Lamia rechnet in seinen Memoiren mit dem SDECE ab, weil er 1963 im Zuge einer Spionageaffäre zurücktrat und danach im Exil in den USA und in Mexiko lebte, da er angeblich in Frankreich seine Ermordung fürchten mußte. Er wirft dem SDECE nicht nur Brutalität, sondern auch kommunistische Unterwanderung vor (Thyraud de Vosjoli, Lamia, bes. S. 316-318, 327). Ferner: Warusfel, Contre-Espionnage, S. 52-55.
Die Schmeisser-Affäre
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nicht mehr im Amt halten und schied wenige Wochen später aus. Seine Feinde verfolgten ihn mit Korruptionsvorwürfen, die er schließlich zu entkräften vermochte. 21 Ein Autor hat die Konnotationen der Namenswahl „SDECE“ etwas spöttisch kommentiert: „En clair, alors que ‚les autres’ se livraient chez nous à des activités répréhensibles d’espionnage, nous avions le bon goût de n’accomplir chez eux que des actions de ‚documentation’.“ 22 Der verpönte Begriff „Spionage“ werde damit für den eigenen Gebrauch vermieden. Dies ist allerdings bei vielen Geheimdiensten üblich. Im Gegensatz zur Vorkriegszeit unterstand der SDECE – wie seine mit dem Aufstöbern alter Naziagenten in der französischen Besatzungszone Deutschlands betraute Unterabteilung Brigade (oder auch: Bureau de) Documentation (BDoc) 23 – nicht dem Generalstab bzw. dem Kriegsministerium, sondern unmittelbar dem Ministerpräsidenten (ab Januar 1966: dem Verteidigungsminister). 24 Er blieb indessen militärisch geprägt und operierte stets mit Blick auf bewaffnete Auseinandersetzungen. Der Auftrag des Geheimdienstes lautete, alle für Frankreich wichtigen Informationen im Ausland zu sammeln und gegnerische Agenten aufzuspüren. 25 Ein großer Teil der Aktivitäten konzentrierte sich auf die französischen Kolonialgebiete. Der Generaldirektor des SDECE saß in Paris, je einer seiner Stellvertreter in Saigon bzw. Baden-Oos. Der SDECE handelte nach eigenem Gutdünken, weil bis zur Rückkehr de Gaulles 1958 kein Ministerpräsident präzise Anweisungen erteilte. Immerhin existierte der SDECE bis 1982. Die Leitung des SDECE ging 1946 an einen überzeugten Sozialisten namens Henri Ribière 26 über, der einen Linksruck im Geheimdienst auslöste; 27 Kontakte zu internationalen sozialistischen Gruppierungen wurden geknüpft. Dies vertiefte die Konflikte mit den rechtsstehenden Kreisen des SDECE um Ribières Stellvertreter Pierre Fourcaud.28 Die zumeist kurzlebigen Regierungen der IV. Republik waren außerstande, die innere Zerrissenheit des SDECE zu beenden. Indessen bedeutete die Entlassung der kommunistischen Minister aus der französischen Regierung am 6. Mai 1947 im Gefolge eines Generalstreiks auch aus nachrichtendienstlicher Perspektive einen wichtigen, die Arbeit erleichternden Einschnitt. 29 Bis in die 1950er Jahre hinein vermochte der Geheimdienst nur auf militärtechnischem Gebiet gute Leistungen zu vollbringen. Zu dieser Zeit kam der sog. „Service 7“30 unter Marcel Le Roy hinzu, der ausländische Einrichtungen und Personen in Frankreich beobachtete und ausspionierte, um für Frankreich wichtige Nachrichten in Erfahrung zu bringen. Er unterstand dem SDECE, befaßte sich aber vorwiegend mit Übersee-Territorien. Der SDECE richtete in Deutschland sein besonderes Augenmerk auf die Entmilitarisierung, wobei er in begrenztem Maße mit Amerikanern und Briten zusammenarbeitete. Das Militärische Sicherheitsamt 31 (1948-1955) kooperierte eng mit dem SDECE. Die französische Abteilung dieses Amtes wollte die Kontrollmöglichkeiten bezeichnenderweise selbst dann
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Thyraud de Vosjoli, Lamia, S. 143-151; Porch, French Secret Services, S. 271-273; Faligot/Kauffer, Résistants, Chapitre 6; Faligot/Krop, La Piscine, S. 38-41. Cécile, Renseignement, S. 8. Faligot/Krop, La Piscine, S. 42f. Ebd., S. 57f., 300; Thyraud de Vosjoli, Lamia, S. 134. Faligot/Krop, La Piscine, S. 57f. Zu Ribière: Ebd., S. 59f.; Faligot/Kauffer, Maîtres Espions, S. 35f., 420; Thyraud de Vosjoli, Lamia, S. 141143. Ribière berief Thyraud in seinen engeren Beraterstab (ebd., S. 156f.). Faligot/Krop, La Piscine, Chapitre III. Ebd., S. 60-62; Thyraud de Vosjoli, Lamia, S. 142f.; Porch, French Secret Services, S. 269. Angeli/Gillet, La Police, 3e Partie; Villemarest, Sowjetspionage, S. 64-75. Generell zu diesem Vorgang: Loth, Frankreichs Kommunisten. Deacon, French Secret Service, Kap. 17. Glaser, Sicherheitsamt; Jardin, Französischer Nachrichtendienst, S. 111-114.
Geheimdienste in Frankreich und in Deutschland
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noch voll ausschöpfen, als eine deutsche Wiederbewaffnung unausweichlich wurde. 32 Der SDECE warnte in zunehmendem Maße vor einem allzu vertrauten Verhältnis zwischen Bonn und Washington, das Paris zum Nachteil gereiche. Seit 1949 wurde das Themenspektrum ausgeweitet. Besondere Bedeutung erlangte die Überwachung rechtsextremer Kreise. Allgemein achtete man auf die Entwicklung der Demokratie in Deutschland und begutachtete die Zuverlässigkeit der Bundesrepublik. Über politische Aktivitäten im einzelnen ist kaum etwas bekannt. Gehlen zufolge war in späteren Jahren die Zusammenarbeit zwischen BND und SDECE ausgezeichnet. 33 Die Leute des SDECE seien echte Patrioten gewesen. Wie es sich in der Zeit vor 1955 verhielt, sagt er nicht. Immer wichtiger wurde die Beobachtung der Roten Armee und der Vorkommnisse im sowjetischen Einflußbereich, die von Deutschland aus erfolgte. Im Frühjahr 1951 stellte der bisherige Leiter der Sûreté (1946-1951) und neue Generaldirektor des SDECE (1951-1957), Pierre Boursicot 34, in einem (eigentlich geheimen?) 35 Bericht vor, welche Reorganisation vorgesehen sei. 36 Die bislang bestehenden Geheimdienste der verschiedenen Ministerien (Verteidigung, Luftwaffe, Marine, überseeische Territorien) sollten fusioniert werden. Die der DST übertragene Aufgabe, gegnerische Agenten aufzuspüren, sollte künftig der Sûreté zufallen. Der SDECE war nun ohne Einschränkungen für Aufklärung und Information zuständig, also für das Netz französischer Agenten. Die Empörung der DST war natürlich groß. Boursicot traf mit der Aufwertung seiner zivilen Mitarbeiter aber auch eine Entscheidung, die bei dem statusbewußten Militärpersonal des SDECE wenig Beifall fand. Boursicots Reform war eine der gravierendsten Affären in der Geschichte des französischen Geheimdienstes vorausgegangen. b) Die „Affaire des Généraux“ Wer die hier zu erörternden Geheimdienst-Operationen in Deutschland verstehen will, der muß wissen, was unmittelbar zuvor in Frankreich geschah, als SDECE und DST einen Machtkampf austrugen, der sie bis ins Mark erschütterte. Und auch eine im Fall Schmeisser einschlägige Person begegnet uns hier bereits: Ewald Zweig alias Yves Rameau. Von August 1949 bis zum Ende des Jahres 1950 bildete in Frankreich die „GeneralsAffäre“ 37 das alles beherrschende innenpolitische Thema. Es kursierten Behauptungen, der Chef des Generalstabs der Armee, Georges Revers, und General Charles Emmanuel Mast hätten in Indochina Feldzugspläne an die Rebellen unter Ho Chi Minh verraten. Indessen hatte Revers nur den politischen Teil seines Berichts an vietnamesische Freunde weitergeleitet. Darin plädierte er für eine diplomatische Regelung des Indochinaproblems, denn der Vietminh werde bald Hilfe aus China erhalten und dann nicht mehr zu besiegen sein. 38 Die Generäle hatten einen gewissen Roger Peyré als Vertrauensmann, der stets über intime 32 33 34 35 36
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Glaser, Sicherheitsamt, S. 343f. Gehlen, Dienst, S. 293f. Zu Boursicot (1899-1986): Faligot/Kauffer, Maîtres Espions, S. 420; Roewer/Schäfer/Uhl, Lexikon, S. 76. Elgey spricht von einem vertraulichen Bericht Boursicots über die Reform der Geheimdienste, der einer Zeitung zugespielt worden sei (Elgey, République, S. 598f.). „France-Soir“, 14.4.1951: „Des Services de la Sûreté Nationale sont réorganisés sur les Bases du Rapport Boursicot“. Dies ist wohl der von Elgey gemeinte Bericht. Keine Angaben darüber machen Faligot/Krop, La Piscine. Krop, Secrets, S. 460-462; Faligot/Krop, DST, S. 129-138; Faligot/Krop, La Piscine, S. 126-131; Porch, French Secret Services, S. 285-289; Elgey, République, S. 577-611; Villemarest, Sowjetspionage, S. 87-97; Williams, Wars, S. 37-48; Bernert, Roger Wybot, Kap. V und VI; Thyraud de Vosjoli, Lamia, S. 184-210; Angeli/Gillet, La Police, S. 251-258. Werth, Nachbar, S. 324f.
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Vorgänge der französischen Politik im Bilde war. Es stellte sich heraus, daß Peyré einst im Dienste der Gestapo gestanden hatte. Wie gelangte Peyré an derart vertrauliche Informationen? Peyré erwies sich als Agent des SDECE. 39 Mast hatte die Ambition, Hoher Kommissar für Indochina zu werden. Revers unterstützte ihn dabei, um nach dessen Ernennung einen Friedenskurs einzuschlagen. Revers beschuldigte den Chef der DST, Roger Wybot, eine Intrige gegen ihn angezettelt zu haben. Wybot sei über Peyrés Vergangenheit unterrichtet gewesen, ohne ihn gewarnt zu haben. Es gelang Peyré, sich nach Brasilien abzusetzen. Innenminister Jules Moch half möglicherweise dabei, aber auch Ministerpräsident Henri Queuille erweckte den Eindruck, etwas vertuschen zu wollen. Die unverzichtbare Militärhilfe der USA in Indochina ließ weitreichende Enthüllungen inopportun erscheinen. Eine Untersuchungskommission der Assemblée Nationale bemühte sich 1950 mit mäßigem Erfolg, die Fäden zu entwirren. 40 Ein Zeuge namens Ewald Zweig alias Yves Rameau wurde vernommen. Im Zweiten Weltkrieg war er Agent des Deuxième Bureau und hielt sich im Auftrag de Gaulles zumeist in der Schweiz auf. Seit 1945 betätigte er sich journalistisch, u.a. als Pariser Korrespondent der Schweizer Tageszeitung „Die Tat“. Zweig behauptete, Peyré habe zu einer von Heinrich Himmler eingerichteten Organisation gehört, die Mitarbeiter der Gestapo als Widerstandskämpfer maskierte. Der Generaldirektor der Sûreté, Pierre Bertaux, und der ihm unterstehende Wybot hätten Peyré und einen anderen Gestapo-Agenten namens Katz abgeschirmt und für eigene Zwecke benutzt. 41 Katz habe im Auftrag des französischen Geheimdienstes den 1944 nach Spanien geflohenen Kriegsgewinnler Sokolnikow ermordet und ihm Schmuck sowie kompromittierende Dokumente gegen hochgestellte französische Persönlichkeiten geraubt. 42 Am 3. August 1949 wurde an der Côte d’Azure ein Raubüberfall auf ein indisches Fürstenpaar, Prinz Aga Khan und die Begum, verübt. Ein leitender Polizeibeamter beschuldigte Bertaux, die Diebesbande des Berufsverbrechers Paul Lecca gedeckt zu haben. 43 Zweig wußte, wovon er sprach: Er war selbst Gestapo-Agent gewesen, der 1943 in Genf an den Chef des kommunistischen Schwarzsenders der Gruppe „Rote Drei“ 44, den Ungarn Sándor Radó (eigtl. Alexander Radolfi), heranzukommen versuchte. 45 Radó kannte Zweig aus Paris, wohin dieser 1933 als Jude geflohen war. Radó unterhielt dort gemeinsam mit Kurt Rosenfeld die Nachrichtenagentur Inpress. 46 Rosenfeld war mit Zweig verwandt und erzählte, dieser sammle Informationen, um mit Erpressungen Geld zu verdienen. Erst später erfuhr Radó von Zweigs geheimdienstlichen Tätigkeiten für die Sûreté. Nach dem deutschen Einmarsch wechselte Zweig in die Dienste der Gestapo und des Vichy-Geheimdienstes. Radó war aber auf der Hut, als Zweig im August 1943 bei ihm vorsprach. Als die Provokation fehlschlug, informierte Zweig die Schweizer Bundespolizei über den sowjetisch gesteuerten Nachrichtenring, der daraufhin zerschlagen wurde. Radó entdeckte Zweig im November 1944 in Paris und veranlaßte seine Verhaftung. Bezeichnenderweise habe der amerikanische Geheimdienst nach wenigen Tagen seine Entlassung durchgesetzt. 39 40 41 42 43 44 45 46
Faligot/Krop, La Piscine, S. 128-130; Krop, Secrets, S. 461; Porch, French Secret Services, S. 286f.; Thyraud de Vosjoli, Lamia, S. 191, 197-200. „Der Spiegel“, Nr. 19/1951, 9.5., S. 17-25: „Affären: Seid keine Spielverderber“. Bernert, Roger Wybot, S. 260f.; Faligot/Kauffer, Résistants, S. 132f. Knappe Angaben auch bei Frederik, Ende einer Legende, S. 127f. Dazu auch Faligot/Krop, La Piscine, S. 45; Villemarest, Sowjetspionage, S. 90. Vgl. auch Williams, Politics, S. 88, Anm. 30; Villemarest, Sowjetspionage, S. 34; Angeli/Gillet, La Police, S. 247. Ausführlich: Radó, Deckname Dora; The Rote Kapelle, S. 165-226, 334-338. Radó, Deckname Dora, S. 200f., 340-345; von Schramm, Verrat, S. 287-289; Höhne, Krieg, S. 420f.; Heideking, „Schweizer Straßen“, S. 145f.; Roewer/Schäfer/Uhl, Lexikon, S. 365. Zu Inpress: Langkau-Alex, Volksfront, Bd. 1, S. 87 mit Anm. 71.
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Geheimdienste in Frankreich und in Deutschland
Die Historikerin Georgette Elgey hebt hervor, die Affaire des Généraux habe den Niedergang der IV. Republik eingeläutet. 47 Die mangelnde Aufklärung hinterließ den faden Beigeschmack, daß die in Indochina kämpfende Armee von der korrupten politischen Klasse hinterrücks erdolcht worden sei. Zugleich hätten aber auch die Militärs ihren Nimbus eingebüßt, da der Vorwurf des Geheimnisverrats trotz der späteren Rehabilitierung von Revers (1962) nie völlig entkräftet werden konnte. Für unseren Kontext ist eine andere Beobachtung entscheidend: Ein Abgrund klaffte zwischen dem militärischen Geheimdienst (SDECE) und dem politischen Geheimdienst (Sûreté, DST). 48 Die DST scheint versucht zu haben, Moch zu decken, während der SDECE offenbar seine Entfernung betrieb. 49 Fourcaud dürfte die Schlüsselfigur der Affäre gewesen sein: Er hatte als Angehöriger des SDECE Revers nach Indochina begleitet und bezichtigte später Innenminister Moch und Verteidigungsminister Paul Ramadier (beides Sozialisten) der Intrige. Der hinterlistige Fourcaud wollte nach Lesart einiger Historiker die IV. Republik diskreditieren. 50 Zudem handelte Fourcaud hinter dem Rücken des linksgerichteten SDECE-Chefs Ribière. 51 Selbst innerhalb des SDECE bestanden demnach weltanschaulich bedingte Feindschaften. Sicherlich sind auch kommunistische Bestrebungen zur Unterminierung der sich formierenden NATO nicht ganz von der Hand zu weisen. 52 Unzweifelhaft ist: In der französischen Armee wuchs die Verachtung für die classe politique der IV. Republik, die selbst höchste Offiziere schmählich behandelte. 53 Damit ist der Hintergrund freilich nicht ausreichend erhellt. Politische Scharmützel zwischen Sozialisten und katholischen Volksrepublikanern 54 sowie die Absicherung lukrativer Schiebergeschäfte in Indochina dürfen bei der Bewertung nicht unterschätzt werden. 55 Jedenfalls mußten die Hauptbeteiligten in den Nachrichtendiensten büßen: Bertaux, Ribière und Fourcaud wurden 1950/51 entlassen, Wybot zu Beginn der V. Republik 1958. Das tiefe Zerwürfnis zwischen den Nachrichtendiensten kann jedenfalls als sicheres Resultat dieser Geschehnisse konstatiert werden. Kommunistische Infiltration deutete sich zumindest an und war 1952 dem deutschen Verfassungsschutz ebenso geläufig wie die Rivalität zwischen den verschiedenen Diensten in Frankreich. 56 Die DST betätigte sich freilich eher in der Jagd nach KP-Sympathisanten 57, während der SDECE undurchsichtig blieb. Ans Tageslicht kam kommunistischer Einfluß aber erst Ende 1954 in der Affäre Jean Dides 58: Just als der Indochinakrieg tobte und die EVG bzw. die Pariser Verträge verabschiedet werden sollten, richtete sich der Verdacht des Verrats militärischer Geheimnisse gegen höchste Stellen der Republik, nämlich Ministerpräsident Pierre Mendès France, seinen Innenminister François Mitterrand und DST-Chef Wybot. Dies klingt abenteuerlich, und so wird oft angenommen, daß es sich um einen provokatorischen Akt der äußersten Rechten gegen die zu „laue“ Regierung gehandelt haben könnte. Wirklich aufgeklärt wurde auch dieser Skandal niemals. 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58
Elgey, République, S. 577, 604f., 608-610. Vgl. auch Williams, Wars, S. 48. Warusfel, Contre-Espionnage, S. 56-60. Thyraud de Vosjoli spricht vom unerklärten Krieg zwischen SDECE und DST (Lamia, S. 187). Williams, Politics, S. 387f. Elgey, République, S. 594f., 604; Krop, Secrets, 461f.; Porch, French Secret Services, S. 286-288. Ähnlich Thyraud de Vosjoli, Lamia, S. 203f. Deacon, French Secret Service, S. 177f.; Faligot/Krop, DST, S. 135f. Villemarest, Sowjetspionage, S. 96f., betont diesen Aspekt. Kelly, Lost Soldiers, S. 65-70; De la Gorce, French Army, S. 396-398. Williams, Wars, S. 39f., 47f.; Ders., Politics, S. 88f. Despuech, Trafic; Werth, Nachbar, S. 324-331. BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 77-83, [Hofmann, LfV Niedersachsen], Ermittlungsergebnisse im Fall Schmeisser – Der Spiegel, Geheim, [20.10.1952], hier: Bl. 82. Faligot/Krop, DST, S. 145-148; Faligot/Kauffer, Maîtres Espions, S. 95. Stasse, Morale, S. 86-92; Williams, Wars, S. 49-73; Deacon, French Secret Service, S. 181-183; Porch, French Secret Services, S. 289-291; Faligot/Krop, DST, S. 138-143; Faligot/Krop, La Piscine, S. 131-135; Villemarest, Sowjetspionage, S. 106-111; Angeli/Gillet, La Police, S. 331-337, 349-354.
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All diese Unzuträglichkeiten sind im Gedächtnis zu behalten. Darüber hinaus werden wir Ewald Zweig wieder begegnen. Der französische Geheimdienst beeinflußte ferner die Bildung nachrichtendienstlicher Strukturen an der Saar. 2) NACHRICHTENDIENSTE IM SAARLAND UND IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND Bevor wir die Aktivitäten französischer Agenten unter die Lupe nehmen, ist ein Blick auf die Nachrichtendienste im damals „autonomen“, an Frankreich angelehnten Saarland und in der Bundesrepublik Deutschland erforderlich. Im Hohen Kommissariat in Saarbrücken bestand eine Abteilung Service Contrôle mit mehreren Unterabteilungen, darunter die Renseignements Généraux von Roger Laffon. 59 Die zweite, davon unabhängige französische Institution in Saarbrücken für subversive Aktivitäten befand sich außerhalb des Gebäudes der Hohen Kommission in der Heinestraße. Es war die von Serge Fontaine geleitete Brigade de Surveillance Territoire (BST), eine regionale Dienststelle der DST. Frankreich zeigte also massive nachrichtendienstliche Präsenz im Saarland. Die Strukturen des saarländischen Geheimdienstes in der Zeit der „Autonomie“ bis 1955 lassen sich dank der Aufklärung durch die prodeutsche Opposition deutlich bestimmen. Im April 1955 legte Heinrich Schneider dem BMG einen Bericht vor, der Organisation und leitende Personen aufgrund von Insiderinformationen beschrieb. 60 Zum saarländischen Innenministerium – das von dem französischen Staatsangehörigen Edgar Hector geleitet wurde – gehörte eine Politische Polizei. Den Kern des Apparates dieser Politischen Polizei bildete die Abt. P 6 61, welche die Überwachung der Gegner des Saarstaates mit nachrichtendienstlichen Mitteln und den Kontakt zu ausländischen Geheimdiensten zur Aufgabe hatte. Sieben namentlich bekannte saarländische Kriminalinspektoren unter Leitung des französischen Abwehrexperten Edmond Beer waren hauptamtlich tätig und unterhielten ein Netz von Verbindungsleuten quer durch das Saarland. Im Schatten von P 6 standen die Abteilungen IA und IB. Während IA exekutive Funktionen ausübte (Verhöre, Haussuchungen, Festnahmen), sollte die erst im Mai 1954 entstandene IB Nachrichten sammeln. Leiter der Abt. IA war Kriminalrat Paul Leibrock, ein alter Sozialdemokrat, der bei aller Rauheit als anständig galt. Seine wichtigsten Beamten, Herbert Haury und Johann Lay, hatten Beziehungen zu einflußreichen Personen in Bonn. Im Gegensatz zu Leibrock wurde der provisorische Leiter der Abt. IB, Kriminal-Oberassistent Richard Hauck, als ehrgeizig und rücksichtslos geschildert. Bisweilen übernahm auch die Grenzpolizei G 3 unter dem französischen Staatsangehörigen Jacques Becker politische Aufgaben. Die Geheimdienste an der Saar und in Frankreich waren eng miteinander verzahnt. 62 Im Jahre 1956 wurde P 6 infolge der „Wende“ an der Saar aufgelöst. Die prodeutschen Parteien verfügten in allen saarländischen Ministerien über Informanten, da das Regime von einem Großteil der Bevölkerung abgelehnt wurde. Oppositionsführer Heinrich Schneider erfuhr rasch, welche aktuellen Entwicklungen sich anbahnten. Dagegen 59
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LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 514, Schreiben Düx/Busch an Amtsgericht Frankfurt-Höchst, 25.11.1953, hier: S. 8f.; PA/AA, B 2, Bd. 354A, Schreiben Strohms an BMG, 12.10.1951. Zu Laffon: Roewer/Schäfer/Uhl, Lexikon, S. 260. BA, B 137, Bd. 3426, Vermerk Bodens, Vertraulich, 25.4.1955, mit anliegender Aufzeichnung, o.D. (13 Seiten). Dazu auch Schmidt, Saarpolitik, Bd. 1, S. 521-523. Die „Deutsche Saar-Zeitung“ griff Beer im Mai 1953 an: DSZ, Nr. 36, 28.5.1953: „Der Mann von P 6: Monsieur Baer, Leiter der Geheimpolizei im saarländischen Innenministerium“. – Zu einigen Aktivitäten von P 6: Elzer, Die deutsche Wiedervereinigung an der Saar, Teil IV, Kap. II. Vgl. Kap. IV.4.
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Geheimdienste in Frankreich und in Deutschland
verblaßten noch so große Anstrengungen des französischen Geheimdienstes. Schneider benennt selbst zwei Kriminalbeamte von P 6, mit denen er „konspirative“ Treffen hatte. 63 Der in der Bundesrepublik Deutschland für Auslandsaufklärung zuständige Bundesnachrichtendienst (BND) entstand erst 1955. Gleichwohl wurde er nicht aus dem Boden gestampft. Schon 1945 bildete die amerikanische Besatzungsmacht einen neuen, von ihr bezahlten Nachrichtendienst mit deutschen Führungskräften, der in der Tradition der „Abwehr“ von Admiral Canaris stand und nach seinem Leiter „Organisation Gehlen“ genannt wurde. 64 Indessen schlüpften auch ehemalige SD-Leute dort unter. Die Absicht, diese Einrichtung einer späteren deutschen Regierung zu überlassen, bestand von Anfang an. Tatsächlich nahm Arnold Gehlen 1950 Kontakt mit dem Kanzleramt auf, der kontinuierlich fortgeführt wurde und 1955/56 in die Konstituierung des BND mit Sitz in Pullach mündete. 65 Der ehemalige Chef der Abteilung „Fremde Heere Ost“ im Generalstab des Heeres blieb freilich eine umstrittene Persönlichkeit. Bevor die Bundesrepublik Deutschland im Mai 1955 souverän wurde, duldeten die Westalliierten keinen Geheimdienst. Nicht weitergeführt wurde der im Bundeskanzleramt bzw. im Amt Blank angesiedelte Friedrich-Wilhelm-Heinz-Dienst (1950-1955).66 Während Spionageabwehr ein Desiderat blieb, gab es seit dem 7. November 1950 ein Bundesamt für Verfassungsschutz 67 in Köln. Es sollte vor allem auf kommunistische und neonazistische Umtriebe im Innern Obacht geben, die das Grundgesetz gefährden könnten. 68 Auslandsaufklärung wurde offiziell erst seit 1955 vom BND betrieben. Im Dezember 1950 übernahm Otto John (1909-1997) die Leitung des BfV; seine Berufung erfolgte trotz warnender Stimmen. 69 Johns Rolle in der Schmeisser-Affäre wird uns zu beschäftigen haben. Die erste Station der Agentengeschichte liegt jedoch fernab von Bonn und Köln: es war München.
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Schneider, Wunder, S. 391. Gehlen, Aufbau; Ders., Dienst; Roewer/Schäfer/Uhl, Lexikon, S. 68-70, 161f.; Krüger, Gehlen; Halter, Krieg, Kap. I; Jentsch, Agenten, S. 144-156; Nollau, Amt, S. 195-205. Grundlegend: Zolling/Höhne, Pullach intern; Reese, Organisation Gehlen; Müller/Müller, Gegen Freund und Feind, Teil I; Critchfield, Auftrag Pullach; Faligot/Kauffer, Maîtres Espions, S. 75-82. Zur jüngsten Geschichte des BND: Schmidt-Eenboom, Schnüffler; Ulfkotte, Verschlußsache. Walde, ND-Report, S. 60-68; Höhne, Krieg, S. 510f. Müller/Müller, Gegen Freund und Feind, S. 166-227; Meinl, Mahlstrom; Dies., Heinz; Boveri, Verrat, S. 245-250; Walde, ND-Report, S. 68-74; Roewer/Schäfer/Uhl, Lexikon, S. 155, 195; Zolling/Höhne, Pullach intern, S. 238-241. Walde, ND-Report, S. 53-59, 106-113; Höhne, Krieg, S. 508f.; Roewer/Schäfer/Uhl, Lexikon, S. 60-63, 223f.; Schwagerl/Walther, Schutz, S. 65f.; Jentsch, Agenten, S. 135-138; Nollau, Amt, S. 141-149. Allgemein zum BfV: Bundesamt für Verfassungsschutz – Aufgaben, Befugnisse, Grenzen; Borgs-Maciewski, Was jeder. Zur Problematik des Begriffes „Verfassungsschutz“: Schiffers, Verfassungsschutz, S. 16f. Wortlaut des Gesetzes vom 27.11.1950 in: Schwagerl/Walther, Schutz, S. 330f. Vgl. Kap. VIII.1a.
Die Schmeisser-Affäre
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II. BAYERN 1) DIE REGIERUNGSBILDUNG IM DEZEMBER 1946 a) Hinter den Kulissen von München Im Dezember 1946 wurde nach den Landtagswahlen in Bayern ein neuer Regierungschef anstelle des Sozialdemokraten Wilhelm Hoegner gesucht. 1 Als heißer Kandidat der siegreichen CSU galt deren Landesvorsitzender Dr. Josef Müller („Ochsensepp“ 2). Der Leiter des Sonderministeriums für Entnazifizierung („Ministerium für politische Befreiung“) Dr. Anton Pfeiffer (CSU) rechnete sich ebenfalls Chancen aus. Die CSU war damals tief gespalten. Der von Alois Hundhammer geführte klerikal-regionalistische Flügel wollte Müllers Wahl unbedingt durchkreuzen. Die Anhänger des „Ochsensepp“ plädierten für die Beibehaltung der staatlichen Einheit Deutschlands mit einen föderalistischen Aufbau. 3 Gerade hatte die Diskussion über das Amt eines bayerischen Staatspräsidenten zu einer Zerreißprobe geführt.4 Müller war aktiv am Widerstand gegen den Nationalsozialismus beteiligt gewesen, hatte aber auch der deutschen Abwehr angehört und 1932 bis 1934 eine unklare Haltung eingenommen. 5 Das machten sich seine Kontrahenten zunutze. Im übrigen mokierten sich manche in Bayern über die Kontakte, die der „Ochsensepp“ in jener Zeit mit Oberst Tulpanow von der Sowjetischen Militäradministration in Berlin unterhielt. 6 Die amerikanische Militärregierung (OMGUS) wies Anfang Dezember 1946 öffentlich auf die noch nicht geklärte Eingruppierung Müllers nach dem Gesetz zur Befreiung vom Nationalsozialismus hin. 7 Dies wurde so interpretiert, als sei Müller als Ministerpräsident aus amerikanischer Sicht nicht tragbar. Der „Ochsensepp“ widersprach dieser Auslegung am 13. Dezember in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“, und auch die Militärregierung beteuerte, sich nicht in deutsche Belange einmischen zu wollen.8 Am 11. Dezember 1946 wurde vom Generalkläger beim Kassationshof des bayerischen Sonderministeriums, Dr. Thomas Dehler, wahrscheinlich auf Veranlassung von Pfeiffer ein Spruchkammerverfahren gegen Müller eingeleitet. 9 Laut Dehler bestand wegen der vermutlichen Belastung nach Klasse II Beschäftigungsverbot für Müller. Demzufolge hätte er nicht zum Ministerpräsidenten gewählt werden können. Der Leiter der Justizabteilung im Sonderministerium, Ministerialrat Ziebell, widersprach Dehler: Ohne rechtskräftigen Spruchkammerentscheid könne Müller 1
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Dazu ausführlich Fait, Anfänge, Kap. IV; Kritzer, Wilhelm Hoegner, Teil IV, Kap. 2 und 6; Hettler, Josef Müller, S. 274-310; Schlemmer, Aufbruch, S. 168-194; Gelberg, Hans Ehard, S. 37-44; Stelzle, Förderalismus, S. 56-58; Dorondo, Bavaria, S. 48-50; Lanzinner, Sternenbanner, S. 128-132. Zur Herkunft des Spitznamens: Müller, Konsequenz, S. 19-22. Hettler, Josef Müller, S. 311-328, bes. S. 319f. – Grundsätzlich zum Konflikt zwischen Befürwortern und Gegnern einer bayerischen Eigenstaatlichkeit: Stelzle, Förderalismus, bes. S. 165-169. Schlemmer, Aufbruch, S. 128-148; Müller, Konsequenz, S. 333-337. „Süddeutsche Zeitung“ (München), 7.12.1946: „Um die Regierungsbildung in Bayern“, und 10.12.1946: „Dr. Müller und die Regierungsbildung“; „Neue Zeitung“ (München), 15.11.1946: „Diskussion um Dr. Müller“. Von Herwarth, Von Adenauer zu Brandt, S. 38; Schlemmer, Einleitung, S. 5, in: Balcar/Schlemmer (Hrsg.), An der Spitze der CSU. „Süddeutsche Zeitung“, 10.12.1946: „Dr. Müller und die Regierungsbildung“; Sitzung des Landesvorstands der CSU, 10.12.1946, in: Balcar/Schlemmer (Hrsg.), An der Spitze der CSU, Nr. 1, bes. S. 44. Material zum Standpunkt der US-Regierung in: FRUS 1946, Vol. V, S. 695-700. „Süddeutsche Zeitung“, 14.12.1946: „Von der anderen Seite gesehen...“ (auch für das Folgende). Dazu ferner Wengst, Thomas Dehler, S. 92; Hettler, Josef Müller, S. 286-290; Reuter, „Graue Eminenz“, S. 119; Sitzung des Landesvorstands der CSU, 10.12.1946, in: Balcar/Schlemmer (Hrsg.), An der Spitze der CSU, Nr. 1, S. 60f., Anm. 94.
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seine Tätigkeit weiter ausüben, da er über eine einstweilige Genehmigung der Militärregierung verfüge. Ziebell wandte sich folglich gegen den Entschluß seines eigenen Ministeriums. Müller seinerseits erinnerte an seine KZ-Haft und bekundete sein Unverständnis über die Eröffnung eines Spruchkammerverfahrens gegen ihn zum jetzigen Zeitpunkt, denn seine Zugehörigkeit zur Abwehr sei seit langem bekannt. Offensichtlich würden also politische Zwecke damit verfolgt. Schon bei der Tagung des Landesausschusses der CSU am 31. Oktober 1946 10 wurden drei CSU-Politiker beschuldigt, Ziebell aufgesucht zu haben, um ihn zum Vorgehen gegen Müller zu veranlassen. Einer dieser drei, Leonhard Baumeister, gab an, er sei im Auftrag des Bauernverbands im Sonderministerium gewesen. Er räumte dann aber ein, es sei über Müller gesprochen worden – was genau, wollte er partout nicht verraten. Im Plenum des Landesausschusses wurden Rufe laut, ein Parteigericht einzusetzen, was anscheinend unterblieb. Müller dürfte kein Interesse daran gehabt haben – Ziebell war „sein“ Mann. General Clay rief Müller am 14. Dezember 1946 nach Berlin und eröffnete ihm überraschend, weder seiner Wiederwahl zum Landesvorsitzenden der CSU noch seiner etwaigen Berufung zum Ministerpräsidenten stünden Hindernisse im Weg. 11 Die Militärregierung werde nichts unternehmen, bis das Resultat des Spruchkammerverfahrens feststehe. Müller hatte mit General Clay und dem politischen Berater des State Department für Deutschland, Robert Murphy, verabredet, das Amt des Ministerpräsidenten nach einer etwaigen Wahl erst anzutreten, wenn das Verfahren abgeschlossen sei; im Falle eines Schuldspruchs werde er darauf verzichten. 12 Wie Murphy in einem geheimen Zusatz vermerkte, habe Müller den Alliierten im Krieg Nachrichtenmaterial geliefert, was er aber bei der Entnazifizierung nicht zu seiner Verteidigung anführen könne. Allen Dulles vom amerikanischen Geheimdienst OSS 13 habe Murphy bestätigt, mit Müller kooperiert zu haben. Müller wurde auf der Landesversammlung der CSU in Eichstätt am 14./15. Dezember 1946 unter tumultartigen Umständen mit 327 von 428 Stimmen als Parteivorsitzender bestätigt. 14 Obwohl dies als Votum für die Kandidatur zum bayerischen Ministerpräsidenten begriffen wurde, entschied sich die Landtagsfraktion der CSU am 18. Dezember mit 52 gegen 40 Stimmen dafür, Pfeiffer für dieses Amt zu nominieren; sie verband dies aber mit einem persönlichen Treuebekenntnis für Müller in seinem „Kampf um seine politische Ehre“. 15 Die als Koalitionspartner vorgesehene SPD lehnte sowohl Müller als auch Pfeiffer ab. 16 Am 20. Dezember 1946 verzichtete Pfeiffer auf eine Kandidatur, weil ihm die SPD den angeblichen Versuch einer politischen Zusammenarbeit zwischen der Bayerischen Volkspartei und der NSDAP im Jahre 1932 ankreidete. 17 Ein Gespräch zwischen Hundhammer und Müller über 10 11
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Die CSU 1945-1948, Nr. 24, hier: S. 766-768. Vgl. auch Fait, Anfänge, S. 146. „Süddeutsche Zeitung“, 17.12.1946: „Dr. Josef Müller bei General Clay“ und „Wird Dr. Müller Ministerpräsident?“; Schlemmer, Aufbruch, S. 173; Fait, Anfänge, S. 157f.; Müller, Konsequenz, S. 338. Dies beruhte auf einer Initiative von Jakob Kaiser (Hoegner, Außenseiter, S. 280f.; FRUS 1946, Vol V, S. 699). Hoegner datiert dies allerdings auf den 1.12.1946. Tel. Murphies an Außenminister, Secret, No. 2912, 16.12.1946, in: Ebd., S. 699f. Zum OSS: Roewer/Schäfer/Uhl, Lexikon, S. 333. – Die Europa-Union Bayern setzte 1952 einen Untersuchungsausschuß ein, der klären sollte, ob Josef Müller die Westoffensive von 1940 verraten habe (Material in: BA, NL Rheindorf, Bde. 112 und 315. Vgl. auch Felfe, Dienst, S. 123). „Süddeutsche Zeitung“, 17.12.1946: „Koalition oder CSU-Regierung?“. Dazu auch Hettler, Josef Müller, S. 290-294. Protokoll der Sitzung in: Die CSU 1945-1948, Nr. 26. „Süddeutsche Zeitung“, 19.12.1946: „Dr. Pfeiffer von der CSU-Fraktion vorgeschlagen“; Schlemmer, Aufbruch, S. 177f. „Süddeutsche Zeitung“, 19.12.1946: „Dr. Pfeiffer wünscht Koalitions-Regierung“; „Neue Zeitung“, 20.12.1946: „Koalitionskabinett in Stuttgart“. Zur Haltung der SPD: Mehringer, Waldemar von Knoeringen, S. 304-310. „Süddeutsche Zeitung“, 21.12.1946: „Dr. Pfeiffer verzichtet auf Regierungsbildung“; Schlemmer, Aufbruch, S. 179f. Näheres bei Reuter, „Graue Eminenz“, S. 55-60.
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eine personelle Alternative blieb fruchtlos. Müller trat am 21. Dezember im Landtag als CSUBewerber um das höchste Amt in Bayern an. Er erhielt jedoch nicht die angeblich nötige absolute Mehrheit – selbst diese verfassungsrechtliche Interpretation war allerdings heftig umstritten. 18 Daraufhin setzte sich Hans Ehard durch, den der Hundhammer-Flügel ins Rennen schickte. 19 Gerade wegen seiner vermeintlichen Farblosigkeit war Ehard für die in zwei Lager geteilte CSU-Fraktion akzeptabel. Ziebell hatte Mitte Dezember 1946 hinter den Kulissen versucht, die formalen Hindernisse gegen Müllers Kandidatur aus dem Weg zu räumen. Er schlug Pfeiffer und Dehler vor, Müller in einem Blitzverfahren zu entnazifizieren. 20 Noch vor der für den 21. Dezember anberaumten Wahl zum Ministerpräsidenten sollte die Spruchkammer unter dem Vorsitz Ziebells zusammentreten. Als Gegenleistung wollte Ziebell nach der Wahl Müllers Staatssekretär werden. 21 Indessen wurde der Vorschlag abgelehnt, obwohl Dehler wohl aus parteitaktischen Erwägungen bereit war, das Verfahren gegen Müller niederzuschlagen. 22 Ziebell geriet unter Druck, denn Hoegner hatte schon vor Monaten ein Disziplinarverfahren gegen ihn in Gang gesetzt, das dem Vorwurf der Bestechlichkeit nachgehen sollte. Die „Süddeutsche Zeitung“ ergänzte, es werde geprüft, inwiefern Ziebell „sich für schwerbelastete Nazis verwendet habe“. 23 Inzwischen sind die Mängel bei den Spruchkammerverfahren in jener Zeit notorisch, besonders weil überzeugte Nationalsozialisten zu gut davonkamen. 24 In Augsburg wurde probeweise ein Schnellverfahren für Mitläufer durchgeführt, dessen Ergebnis Ziebell Anfang Dezember 1946 gegenüber der Presse rühmend hervorhob. 25 Hundhammer machte bei der Sitzung des Landesausschusses vom 3. Januar 194726 – in der die drohende Spaltung der CSU abgewendet werden konnte 27 – die Enthüllung, er habe am Morgen der Wahl des neuen Ministerpräsidenten einen Anruf von der bayerischen SPD erhalten. Demnach habe Ziebell der SPD im Auftrag Müllers mitgeteilt, dieser erwarte, noch am selben Tag zum Ministerpräsidenten berufen zu werden. Der SPD wurden mehrere Ministerposten angeboten, falls sie weiße Stimmzettel abgäbe. 28 Müller bestritt energisch, am zuständigen Ausschuß der CSU vorbei „Nebenverhandlungen“ mit der SPD geführt zu haben. 29 Da ein Spruchkammerverfahren gegen ihn lief, sei es nur natürlich, wenn er den Rechtsberater des Sonderministeriums – also Ziebell – konsultiert habe. Der Abgeordnete August Haussleiter berichtete, er habe Ziebell damals gesagt, seines Erachtens sollte die SPD in die Opposition gehen, damit diese Rolle nicht der KPD zufiele. Man könne die SPD auf dem laufenden halten und Waldemar von Knoeringen als Ministerialrat in die Staatskanzlei 18 19
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Müller, Konsequenz, S. 340-343. „Neue Zeitung“, 23.12.1946: „Drei-Parteien-Kabinett in Bayern“. Zum Vorgang insgesamt: Schlemmer, Aufbruch, S. 181-186; Hettler, Josef Müller, S. 297-305; Gelberg, Kriegsende, S. 684-687; Hoegner, Außenseiter, S. 284-290. „Die Welt“, 28.12.1946: „Die Regierungsbildung in Bayern“. Der Artikel stützte sich auf einen Beitrag des „Münchener Mittag“. Dazu Hettler, Josef Müller, S. 298f.; Reuter, „Graue Eminenz“, S. 119. – Müller erwähnt Ziebell in seinen Memoiren mit keinem Wort. Dazu auch Hover, Fall Schmeisser, S. 17-19. „Neue Zeitung“, 16.12.1946: „Deutsche Kabinette im Werden“. Vgl. Wengst, Thomas Dehler, S. 93. „Süddeutsche Zeitung“, 28.12.1946: „Amtsenthebung Dr. Ziebells?“ Zu den Vorwürfen gegen Ziebell: BA, B 137, Bd. 16540, Notiz, o.D. „Neue Zeitung“, 22.7.1946: „Hermann Aumer protestiert“, und 15.11.1946: „Debatte um die Säuberung“. Umfassend: Niethammer, Mitläuferfabrik; Kritzer, Wilhelm Hoegner, Teil IV, Kap. 5. „Neue Zeitung“, 6.12.1946: „Augsburger Versuche erfolgreich“; „Süddeutsche Zeitung“, 17.12.1946: „Täglich 550 Sühnebescheide“. Die CSU 1945-1948, Nr. 27, hier: S. 984. Schlemmer, Aufbruch, S. 188-191. AdsD, NL von Knoeringen, Bd. 221, Notiz für von Knoeringen, 21.12.[1946]. Dazu auch Schlemmer, Aufbruch, S. 180 mit Anm. 289; Mehringer, Waldemar von Knoeringen, S. 309; Hoegner, Außenseiter, S. 288; Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 442 mit Anm. 349. Die CSU 1945-1948, S. 988-991 (auch für das Folgende); Hettler, Josef Müller, S. 296f. mit Anm. 447.
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berufen. Das Sonder- und das Flüchtlingsministerium sollten mit einem neutralen Fachmann besetzt werden. Ziebell habe erwidert, er wolle bei der SPD anrufen und deren Meinung dazu einholen. Die SPD habe dieses Angebot abgelehnt. Verhandlungen hätten nicht stattgefunden. Demgegenüber behauptete Heinrich Krehle, der SPD seien mehrere Schlüsselministerien von Müller offeriert worden. Ziebell sei in der SPD schon vorher wegen korrupter Machenschaften „unten durch“ und vom Parteiausschluß bedroht gewesen. Müller beteuerte nochmals vehement, der SPD mitnichten das Wirtschaftsministerium angeboten zu haben. Indessen konnte Barbara Fait nachweisen, daß Müller und Haussleiter nicht die Wahrheit sagten. 30 In einer Kabinettsliste Müllers tauchte Ziebell als Staatssekretär auf.31 Angesichts dieser Zerwürfnisse in der CSU ist es nicht verwunderlich, daß die Ende 1946 gegründete Bayernpartei seit 1947 erstarkte und die extremen Föderalisten der CSU ebenso anzog wie diejenigen, die vom Hauen und Stechen genug hatten. 32 Der neue Sonderminister Alfred Loritz von der Wirtschaftlichen Aufbau-Vereinigung (WAV) sollte den Fall Ziebell aufklären. Bereits nach wenigen Tagen wurde Ziebell von Loritz seines Amtes enthoben. 33 Mitte Januar 1947 schaffte das Sonderministerium das von Ziebell ersonnene Schnellverfahren wegen seiner Unzulänglichkeiten ab. 34 Kurz nach der Krise um Ziebell gab es einen regelrechten Eklat, weil etwa 20 Beamte des Sonderministeriums zurücktraten. Sie lehnten die Absicht des neuen Ministers Loritz ab, die Millionen angeblich in die NSDAP gepreßten Mitläufer als Opfer zu betrachten. 35 Hier soll nicht interessieren, welche Woge der Empörung das Verhalten von Loritz auslöste. Einer der Zurückgetretenen war der Leiter des Dezernates für Großfälle beim Generalkläger, Regierungsrat Friedrich Victor Risse. 36 Mit ihm hat es eine besondere Bewandtnis, wie wir noch sehen werden. Der Bayerische Landtag setzte einen Untersuchungsausschuß ein, der die Vorgänge im Sonderministerium um die beschleunigte Entnazifizierung Josef Müllers aufdecken sollte. 37 Der Untersuchungsausschuß tagte hauptsächlich im Februar/März 1947. Die Ergebnisse trug der SPD-Abgeordnete Josef Kiene am 18. Juli 1947 im Landtag vor. 38 Der Antrag der SPD vom 21. Dezember 1946 lautete, die Einmischung von Angestellten des Sonderministeriums bei der Regierungsbildung zu untersuchen. Der Ausschuß bejahte die Frage, ob Ziebell versucht habe, die SPD-Fraktion für eine Wahl Josef Müllers zum Ministerpräsidenten zu gewinnen. Der Ausschuß fand keine Beweise für eine Anstiftung Ziebells durch Müller und unterstellte, der Leiter der Rechtsabteilung des Sonderministeriums habe aus Ehrgeiz gehandelt. Die einzelnen Vorwürfe gegen Ziebell sind uns geläufig, nämlich der Versuch eines Schnellverfahrens zur Entnazifizierung Müllers und die Einflußnahme auf Dehler in dem Sinne, das Verfahren einzustellen. Damit habe Ziebell seine berufliche Position in unzulässiger Weise eingesetzt. Die Recherchen über den Leiter der Informationsabteilung beim Generalankläger, Risse, – insbesondere im Zusammenhang mit einer anonymen Anzeige gegen Anton Pfeiffer – blieben ergebnislos, obwohl ein dringender Verdacht bestand. Staatssekretär Arthur Höltermann gab 30 31 32 33 34 35 36 37 38
Fait, Anfänge, S. 171-173. Vgl. auch Schlemmer, Aufbruch, S. 180; Hettler, Josef Müller, S. 307f. Fait, Anfänge, S. 168f. Wolf, CSU und Bayernpartei, S. 36-40. Allgemein zur Bayernpartei: Unger, Bayernpartei. „Süddeutsche Zeitung“, 4.1.1947: „Dr. Ziebell seines Amtes enthoben“; Die CSU 1945-1948, S. 1947; Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 446f. „Süddeutsche Zeitung“, 18.1.1947: „Schnellverfahren für Mitläufer eingestellt“. „Süddeutsche Zeitung“, 7.1.1947: „Krise im Sonderministerium“. Zum Verhalten von Loritz als Sonderminister 1946/47: Woller, Loritz-Partei, Kap. III. „Süddeutsche Zeitung“, 4.1.1947: „Neuer Besen bei der Säuberung“; „Telegraf“ (Berlin, SPD), 3.1.1947: „Protest in Bayern“. „Neue Zeitung“, 10.3.1947: „Regierung im Zeugenstand“. Zum Folgenden: Plöhn, Untersuchungsausschüsse, S. 192-195. Dazu auch „Südost-Kurier“, 19.2.1947: „Was geschah bei der Regierungsbildung?“
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in der Öffentlichkeit an, Risse dürfe sich nicht Dezernent nennen, weil er vom Ministerium nur zu Ermittlungen eingesetzt worden sei. Zudem laufe ein Disziplinarverfahren gegen ihn. 39 Dieses Disziplinarverfahren enthielt folgende Anschuldigungen: 40 1) Risse habe im Juli/August 1946 versucht, dem Münchner Hotelpächter D. eine Wohnung abzunehmen, die er für sich selbst beanspruchte; dabei ließ er D. willkürlich verhaften. 2) Fragebogenfälschung: Er habe eine einmonatige Gefängnisstrafe verschwiegen. 3) Während seiner Zeit als Bürgermeister von Bad Kreuznach (April bis Juni 1946) soll Risse Dokumente über eine Veruntreuung von Geldern verschwinden gelassen und seine Position zur Erlangung persönlicher Vorteile genutzt haben. 4) Er habe in München das Spruchkammerverfahren gegen Professor E. ohne Erlaubnis in die Öffentlichkeit getragen. 5) Er sei nicht berechtigt gewesen, den Titel „Regierungsrat“ zu führen. Unter diesen Umständen reichte Risse am 25. November 1946 beim Sonderministerium ein Entlassungsgesuch ein, das er mit Differenzen zwischen ihm und Ministerialrat Hertle begründete. Dehler warf Risse im Untersuchungsausschuß vor, aus eigenem Antrieb eine geheime Akte über Minister Pfeiffer angelegt zu haben. 41 Offenbar wußte Dehler nicht, daß ihm ein amerikanischer Geheimagent gegenübersaß! Loritz erklärte dem Ausschuß, Risse habe versucht, nach seinem Ausscheiden aus dem Sonderministerium Dokumente beiseitezuschaffen. Der Ausschußvorsitzende Carl Hannsjörg Lacherbauer (CSU) erhielt anonyme telefonische und briefliche Warnungen davor, Ziebell zu behelligen, denn dieser verfüge über gute Beziehungen. Im Untersuchungsausschuß konnte aber auch die Integrität Müllers nicht unzweifelhaft dokumentiert werden. 42 b) Christian Jürgen Ziebell Mit Christian Jürgen Ziebell sind wir einem Mann begegnet, der in den nächsten Jahren eine der Schlüsselfiguren der internationalen Spionageszene wurde. 1906 in Treuenbrietzen (Mark Brandenburg) als Sohn eines Berliner Rechtsanwalts geboren, studierte Ziebell nach seinem Abitur 1925 Jura, Staatswissenschaften und Forstwirtschaft. 43 Nach dem Referendarexamen 1930 ging er zum Berliner Kammergericht. 1934 agierte er für wenige Monate bei der Staatsanwaltschaft Berlin, wo er sich nicht bewährte. 44 Danach wurde er Rechtsberater der Deutschen Arbeitsfront. Er erhielt im Oktober 1936 die Zulassung als Anwalt beim Kammergericht Berlin. Seit 1933 gehörte er der Motor-SA bzw. dem Nationalsozialistischen Kraftfahrer-Korps an und war seit Juli 1937 Rechtsreferent der Motor-Brigade Berlin. Im September 1938 verklagten ihn der argentinische Konsul in Berlin und deutsche Juden, weil er diesen Einreisevisa in südamerikanische Länder für hohe Geldbeträge versprochen hatte. Er gab ihnen gestohlene finnische Pässe, die sich als unbrauchbar erwiesen. Ziebell wurde am 19. Oktober 1938 verhaftet und am 21. März 1940 vom Landgericht Berlin wegen Hehlerei zu
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„Süddeutsche Zeitung“, 7.1.1947: „Krise im Sonderministerium“; „Südost-Kurier“, 8.1.1947: „Disziplinarverfahren gegen Risse“. Vgl. auch Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 447, Anm. 394. AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 2468, Betrifft: Friedrich Victor Risse, hier: S. 7-22. „Der Tagesspiegel“ (Berlin), 9.3.1947: „Bayern: Anklagen gegen Dr. Ziebell“. Dazu auch Reuter, „Graue Eminenz“, S. 119. So Plöhn, Untersuchungsausschüsse, S. 195. HHSt, Staatskanzlei, Abt. 502, Bd. 7853, Bericht Schwebbachs, Betr.: Dr. Ziebell, Christian, Friedrich, Jürgen, 16.9.1952. BA, B 136, Bd. 132, Redeentwurf Abichts für Adenauer, 8.10.1955 (auch für das Folgende). Eher vage Angaben: Munzinger-Archiv, 14.1.1956: Jürgen Ziebell.
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einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt. 45 Ein Ehrengerichtsverfahren der Anwaltschaft gegen ihn im Jahre 1940 blieb unvollendet, weil Ziebell freiwillig aus der Anwaltschaft ausschied. Nach dem Krieg verschwieg er seine nationalsozialistische Vergangenheit und wandelte das Strafverfahren von 1938 kurzerhand in eine politisch motivierte Verfolgung um. Auf dieser Basis gelangte er 1946 ins bayerische Sonderministerium, wo er sich als „Doktor“ bezeichnete. Das Landgericht Berlin hatte schon 1940 ermittelt, daß Ziebell nicht berechtigt war, den Doktortitel zu führen. Im Jahre 1945 scheint er in Bad Dürkheim für eine Firma Anton E. gearbeitet und dabei bereits den Decknamen de Laborie benutzt zu haben. 46 Dies ist ein Indiz für frühzeitiges Engagement im französischen Geheimdienst. Ministerialdirektor Erich Schuster vom hessischen Innenministerium bat Schwebbach (Landesamt für Verfassungsschutz) im September 1952 um einen Bericht über Ziebell. 47 Schwebbach mußte sich an Ziebells Angaben halten. 48 Dieser behauptete, die Gestapo habe ihn 1938 wegen Vertretung von Juden und Nazi-Gegnern vor Gericht verhaftet. 1940 auf freien Fuß gesetzt, diente er 1942 bis 1945 bei der Wehrmacht. Bei den Nürnberger Prozessen wirkte er als Verteidiger mit. Er wurde 1933 von einer Hochschule in New York zum Dr. h.c. ernannt aufgrund einer Arbeit über Volksmedizin. Dies alles ist anderweitig nicht belegt und mit Vorsicht zu genießen. Marmann (BMJ) berichtete am 18. Mai 1953 der Oberstaatsanwaltschaft Hannover von der Vorstrafe Ziebells wegen fortgesetzter Hehlerei aus dem Jahre 1940, die seit einem Tilgungsverfahren im Jahre 1952 gelöscht sei. 49 Das Ministerium für politische Befreiung teilte dem Oberstaatsanwalt beim Landgericht Hannover am 23. Juni 1953 auf dessen Anfrage mit, Ziebell sei vom 1. Dezember 1945 bis 31. Dezember 1946 Abteilungsleiter mit der Dienstbezeichnung Ministerialrat beim Bayerischen Staatsministerium für Sonderaufgaben gewesen. 50 Er war nicht im Beamtenverhältnis beschäftigt. Als Angestellter war er später nicht befugt, sich „Ministerialrat a.D.“ zu nennen. Welche Rolle Ziebell nach Kriegsende in München spielte, zeigt ein Bericht aus dem Umkreis des Verfassungsschutzes vom 4. Januar 1953. 51 Er stammt wahrscheinlich von Friedrich Victor Risse, der die Vorgänge aus nächster Nähe miterlebte und später in einer Broschüre unter Pseudonym ganz ähnlich schilderte. 52 Risse nannte sich dabei „Clemens“ und bezeichnete sich als Vertrauensmann der Amerikaner im kommunistisch dominierten Sonderministerium. 53 Er nahm einen „wissentlich gefälscht[en]“ Bericht über Ziebell vom 8. Mai 1952 54 zum Anlaß, Näheres über dessen Münchner Zeit festzuhalten. Dieser arbeitete von November 1945 bis Januar 1947 als Ministerialrat und Leiter der Rechtsabteilung im bayerischen Ministerium für politische Befreiung. Bis zum Sommer 1946 hatte er seine Diensträume in der Prinzregentenstraße, danach im Sonderministerium in der Königinstraße. Es gab bis Mai 1946 außer Ziebell keinen Volljuristen im Entnazifizierungsministerium. Einer 45
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Dazu auch BA, B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 2, Bl. 19-20, Vermerk Grützners, Geheim, 12.10.1955. Demnach wurde Ziebell zwischen 1938 und 1942 auch wegen Bestechung, Unterschlagung und Devisenvergehen angeklagt. BA, B 136, Bd. 241, Schreiben Müllenbachs (Bundesgeschäftsstelle der CDU) an Globke, 25.1.1956. HHSt, Staatskanzlei, Abt. 502, Bd. 7853. Ebd., Bericht Schwebbachs, Betr.: Dr. Ziebell, Christian, Friedrich, Jürgen, 16.9.1952. BA, B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 74, Vermerk Marmanns, 27.5.1953. PA/AA, B 130, Bd. 13795. BA, B 136, Bd. 241, Betr.: Konrad Schmeisser, 4.1.1953, S. 1-12. Hover, Fall Schmeisser, S. 5-11, 14-16. Ebd., S. 7. – Tatsächlich galt Risse als „CIC-Agent“ (Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 447, Anm. 394). Offenbar war Risse 1945/46 aber keineswegs antikommunistisch eingestellt, wie er später behauptete (AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 2468, Betrifft: Friedrich Victor Risse, hier: S. 33). Dazu Kap. VI.6b.
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der Mitarbeiter Ziebells war Hans-Konrad Schmeisser. Die einzelnen Abteilungen unterstanden jeweils dem entsprechenden Zweig der amerikanischen Militärregierung. Das Ermittlungsressort wurde von dem einflußreichen Kommunisten Max Holy geleitet. Dieser war für Kläger und Ermittler bei den bayerischen Spruchkammern zuständig, Ziebell hingegen für Bekanntgabe und Durchführung der Entnazifizierungsgesetze. Der kommunistische Minister Heinrich Schmitt sei nur eine repräsentative Figur gewesen und habe den Kontakt zum Kabinett gehalten. Ziebell führte alle Besprechungen über Entnazifizierungsfragen mit Kollegen aus anderen Ländern oder mit OMGUS, denn der gelernte Buchdrucker Heinrich Schmitt sei dazu außerstande gewesen. Alle juristischen Weisungen an bayerische Behörden zur Entnazifizierung stammten von Ziebell, dem eigentlichen Sonderminister. 55 Schmitt und Holy hätten sich vor allen Dingen nach den Weisungen der KPD gerichtet. In Holys Abteilung arbeitete allerdings Risse, der parteipolitisch ungebunden war, aber wegen seiner Haft im KZ Buchenwald toleriert worden sei. Außer Risse hätten sich dort nur „linientreue Kommunisten“ befunden. Als die amerikanische Militärregierung die Entlassung Schmitts durchsetzte, mußten gleichzeitig sämtliche Mitarbeiter der Ermittlungsabteilung ausscheiden – außer Risse. Schmeisser verblieb in der Rechtsabteilung, denn entgegen seinen Behauptungen im Zweckbericht vom 8. Mai 1952 sei er nie von Schmitt beauftragt worden, die Ermittlungsabteilung zu überwachen. Schmitt habe Risse unmittelbar vor seinem Sturz wegen seines Anti-Kommunismus gefeuert, doch sein Nachfolger Pfeiffer stellte ihn wieder ein. Ziebell nutzte seinen Einfluß, um mit maßgebenden Persönlichkeiten von Politik, Wirtschaft und Hochadel in Verbindung zu kommen. Er bediente sich seiner Kontakte beispielsweise zur Ausstaffierung seiner Villa in der Robert-Koch-Straße in Geiselgasteig mit kostbaren Möbeln, Teppichen und Bildern, die aus einem bayerischen Schloß herrührten. Diese Villa hatte einem Ortsgruppenleiter der NSDAP gehört und war von Ziebell beschlagnahmt worden. Ziebells Einkommen von 1.000 RM monatlich habe nicht für seinen Lebenswandel genügt, zumal auch seine in der Tschechoslowakei geborene Frau hohe Ansprüche stellte. Als der Bürgermeister von Grünwald ihm Schwierigkeiten wegen seines Hauses machte, habe Ziebell dies dank der Bekanntschaft seiner Frau mit einem hohen amerikanischen Offizier tschechischer Herkunft gemeistert. Bei Ziebell hätten ehrliche Geschäftsleute und frühere Offiziere ebenso verkehrt wie zwielichtige Schwarzmarktprofiteure. Manche dieser Männer ließen sich als ehemalige NSDAP- oder SS-Leute von Ziebell beraten. Ziebell verfügte dank seines Einflusses auf Schmitt über glänzende Beziehungen zur KPD, die ihrerseits glaubte, ihn dank präziser Informationen über seine anrüchige Vergangenheit in Berlin in der Hand zu haben. Risse war einmal Zeuge, als ein KP-Funktionär andeutungsweise Details aus dem Vorleben Ziebells ansprach. Zu diesem Zeitpunkt löste sich Ziebell von der KPD, weil die amerikanische Militärregierung sich anschickte, kommunistisch eingestellte Personen aus dem höheren Beamtentum zu entfernen. 56 Die KPD habe auf eine Veröffentlichung der Angaben über Ziebell verzichtet, als dieser versprach, Stillschweigen über kommunistische Machtpositionen in der bayerischen Verwaltung zu bewahren. Ziebell besaß einen guten Draht zu Josef Müller, aber auch zu Philipp Auerbach, Alfred Loritz oder Kronprinz Rupprecht. Ziebell verkehrte zudem mit Max Kolmsperger und seiner Umgebung, die einen separaten bayerischen Staat unter französischer Protektion anstrebten. 55 56
Tendenziell bestätigt von Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 357. Ziebell behauptete in einer Vernehmung am 5.12.1953, Schmeisser habe zunächst völlig im Fahrwasser der KPD geschwommen, während er selbst im Zusammenwirken mit OMGUS den kommunistischen Einfluß im Sonderministerium beseitigt habe (PA/AA, B 130, Bd. 13798).
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Die späteren Turbulenzen um den impulsiven, als Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte seit Oktober 1946 bzw. Präsident des Landesentschädigungsamtes seit November 1949 gefürchteten und manchmal auch gehaßten Juden Philipp Auerbach 57 lassen erahnen, wie brüchig die Rechtsgrundlage der Wiedergutmachung in der Frühzeit war. Auerbachs anfangs enges Verhältnis zur amerikanischen Besatzungsmacht und seine bisweilen umstrittenen Praktiken beim Einsatz für Juden in einem rechtlich nicht definierten Raum schufen ihm Feinde, allen voran Josef Müller. Korruption gab es in seiner Behörde zweifellos, und ein Abteilungsleiter entzog sich der Rechtsprechung durch die Flucht. Auerbach wurde Anfang 1951 wegen Untreue und passiver Bestechung angeklagt und am 14. August 1952 zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Er wählte daraufhin in Verzweiflung den Freitod mit einer Überdosis Schlaftabletten. 58 Was einen fehlbaren, aber im Kern lauteren Menschen wie Auerbach in den Untergang trieb, war für eine Verbrechernatur wie Ziebell ein Jungbrunnen: verantwortliches Handeln in Ausnahmezeiten wie den späten 1940er Jahren. Ziebell schien in die elegante Umgebung von Geiselgasteig zu passen, fuhr Risse fort. Dank der Manieren eines Grandseigneurs imponierte er selbst hochgestellten Persönlichkeiten. Der schlanke Mittvierziger mit fast italienischem Teint wirkte wie ein „Diplomat alter Schule“.59 Man hätte kaum vermutet, daß er einst seine Position als Anwalt beim Berliner Kammergericht aufgeben mußte, um eine fünfzehnmonatige Haftstrafe wegen Hehlerei anzutreten. Zudem ließ Ziebell sich seinerzeit „jede Unterstützung verfolgter Juden mit horrenden Summen vergüten“. 60 Wie kam es zu Ziebells Entlassung durch Loritz im Januar 1947? Risse zufolge waren zum einen der aufwendige Lebensstil und die dubiosen Geldquellen Ziebells aufgefallen. Der neue Sonderminister Pfeiffer hatte einen juristischen Berater mitgebracht, was Ziebell ihm übelgenommen habe. Auch zu den Verhandlungen mit den anderen Ländern wurde Ziebell nicht mehr herangezogen. Als weitere Juristen ins Sonderministerium eintraten, sei sein Einfluß spürbar zurückgegangen. Pfeiffer pflegte auch zu OMGUS eigene Verbindungen. Ziebell habe zum Gegenschlag ausgeholt. Laut Risse redete er Müller im Oktober 1946 ein, er sei altes SPD-Mitglied und habe auch bei den Flüchtlingsverbänden Einfluß. Deshalb könne er Koalitionsverhandlungen führen und ihm den Weg zum Ministerpräsidenten bahnen. Müller sei auf den Vorschlag eingegangen. In Wirklichkeit hätten sowohl die SPD als auch die Vertriebenen Ziebell mit Mißtrauen betrachtet. Pfeiffer habe von den Machenschaften Ziebells erfahren und gehört, dieser wolle im Falle des Erfolgs seiner Bemühungen Justiz- oder Sonderminister, zumindest aber Staatssekretär werden. Pfeiffer strebte seinerseits das Amt des Ministerpräsidenten an und leitete kurz vor den Wahlen ein Entnazifizierungsverfahren gegen Müller ein, weil dieser zur deutschen Abwehr gehört hatte. Er tat dies ungeachtet der Mitwirkung Müllers am 20. Juli. Pfeiffer wußte, daß bis zur Klärung des Falls einige Zeit vergehen mußte. Er habe ferner die Befürworter Müllers aus der Reserve locken wollen. Ziebell sei nervös geworden und habe versucht, Müller in einem Eilverfahren binnen fünf Tagen zu entnazifizieren. Zu diesem Zweck intervenierte er bei den Ermittlungen des 57 58
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Grundlegend zur Biographie Auerbachs: Ludyga, Philipp Auerbach. Zur „Affäre Auerbach“: Ebd., S. 105-131; Goschler, Fall Auerbach; Fröhlich, Philipp Auerbach; Kraushaar, Auerbach-Affäre; Bergmann, Philipp Auerbach; Balcar/Schlemmer (Hrsg.), An der Spitze der CSU, bes. Nr. 51a; „Der Spiegel“, Nr. 7/1951, 14.2., S. 10-12: „Wiedergutmachung: Ermittlung gegen Unbekannt“; „Der Spiegel“, Nr. 19/1951, 9.5., S. 11-13: „Auerbach: Ausgleich und Versöhnung“; „Der Spiegel“, Nr. 27/1952, 2.7., S. 8-10: „Auerbach-Prozeß: Lehm in Töpfers Hand“; „Der Spiegel“, Nr. 34/1952, 20.8., S. 5-8: „Auerbach: Was nie zur Sprache kam“. Die Artikel des „Spiegel“ zeigen, daß auch nach der neuesten, ohnehin nicht voll befriedigenden Studie von Ludyga keineswegs alle Hintergründe der „Auerbach-Affäre“ geklärt sind. Hover, Fall Schmeisser, S. 9. Ebd., S. 16.
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Dezernats für Großfälle und wandte sich an den Generalkläger Thomas Dehler, um ihn zur Einstellung des Verfahrens zu bewegen. Ziebell habe eine angebliche Anordnung des Entnazifizierungsoffiziers der amerikanischen Militärregierung konstruiert, wonach im Falle Müller unverzüglich eine Sonderkammer eingesetzt werden könne, deren Zusammensetzung Ziebell anheimgestellt sei. Risse, inzwischen Leiter des Dezernats für Großfälle, fragte im Einvernehmen mit Dehler bei OMGUS nach und erhielt zur Antwort, General Clay wünsche keinesfalls eine Einmischung in deutsche Angelegenheiten. Eine Sonderkammer für Müller verstieße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung. Die von Ziebell genannte Weisung war Clay nicht geläufig. Aufgrund dieser Stellungnahme lehnte Dehler ein Sonderverfahren gegen Müller ab. Nachdem auch dieses Manöver gescheitert war, habe Ziebell einen Zeugen benannt, der aussagte, Pfeiffer sei im Dritten Reich nach Tunis zur Nachrichtenbeschaffung für die deutsche Abwehr geschickt worden. 61 Infolge dieser Erklärung an Eides Statt wurde auch gegen Pfeiffer ein Entnazifizierungsverfahren eröffnet. Bis zur Kür des bayerischen Ministerpräsidenten ließ sich weder der Fall Müller noch der Fall Pfeiffer erledigen. Pfeiffer ging nach der Wahl Ehards wieder in die bayerische Staatskanzlei zurück, wo er für auswärtige Angelegenheiten Bayerns zuständig war und den Titel eines Staatsministers als Leiter der Staatskanzlei behielt. Ziebell hoffte, unter seinem alten Bekannten Loritz wieder größeren Einfluß zu gewinnen. Doch Pfeiffer setzte die Bildung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses durch, der die Einmischung von Angehörigen des Sonderministeriums bei der Regierungsbildung klären sollte. Der Ausschuß gelangte zu dem Ergebnis, Ziebell sei bestrebt gewesen, Müller zum bayerischen Ministerpräsidenten zu machen. Pfeiffer hatte angeblich nicht versäumt, die Aufmerksamkeit der Amerikaner auf Ziebell zu lenken. Diese seien über seine Konstruktionen in bezug auf die amerikanische Begünstigung einer raschen Entnazifizierung Müllers verärgert gewesen. Bei ihren Ermittlungen gegen Ziebell hätten die Amerikaner festgestellt, daß er sich Titel zulegte, die ihn als Beauftragten von OMGUS erscheinen ließen. 62 Daraufhin erging ein Haftbefehl gegen Ziebell, dem sich dieser durch die Flucht entzog. Freunde aus dem bayerischen Separatismus verhalfen Ziebell zu einer Existenz in Saarbrücken. Diese Erkenntnisse des Verfassungsschutzes stimmen weitgehend mit den Fakten überein. Es besteht daher kein Anlaß, an der Wahrheit der wohl von Risse stammenden Überlieferung zu zweifeln. Ziebells dunkle Geschäfte in Bayern sind einwandfrei erwiesen. Er kooperierte dabei nach Bedarf mit der KPD oder OMGUS. Politische Macht und guter Verdienst standen für ihn an oberster Stelle. Risse übertrieb sicherlich die Makellosigkeit seiner eigenen Person. Wie wir sahen, muß seine Glaubwürdigkeit als begrenzt gelten. Was er über Ziebell berichtete, scheint aber zutreffend zu sein. Ziebell bewarb sich am 15. September 1950 um eine Anstellung beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). 63 Bei der Schilderung seines Werdegangs sprang er von seiner Tätigkeit beim Berliner Kammergericht bis 1935 gleich ins Jahr 1945. Im bayerischen Sonderministerium habe er die kommunistischen Umtriebe bekämpft und den Minister Heinrich Schmitt gestürzt. Seine eigene Entlassung im Dezember 1946 führte er auf Intrigen der Kommunisten zurück. Im Saargebiet sei er journalistisch tätig gewesen. Von nachrichtendienstlichen Aktivitäten ließ er kein Wort verlauten.
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Die Recherchen von Reuter förderten Informationen über eine Tätigkeit Pfeiffers für die Abwehr zutage, ohne den Sachverhalt eindeutig aufklären zu können (Reuter, „Graue Eminenz“, S. 76-84, 118f.). Zum folgenden auch: Hover, Fall Schmeisser, S. 22-24. Vgl. dazu Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 383f. BA, B 141, Bd. 12083.
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Schmeisser soll von der KPD in das Sonderministerium gebracht worden sein, um Ziebell und Risse zu kontrollieren. 64 Nach der Entmachtung der Kommunisten hütete sich Schmeisser davor, die ihm aufgetragene Überwachung fortzusetzen und präsentierte sich lieber als braver Angestellter. 65 Anfang Juli 1946 trat Heinrich Schmitt zurück. 66 Hoegner wollte ihn vom Minister zum Staatssekretär unter Anton Pfeiffer degradieren, weil der CSU als stärkster Kraft in Bayern entsprechendes Gewicht verliehen werden müßte. Schmitt führte die bei der Entnazifizierung aufgetretenen Schwierigkeiten auf Sabotage reaktionärer Kreise zurück, was Hoegner nur teilweise einräumte und unterstrich, die CSU habe sich zur Mitwirkung bereit erklärt. In jenen unüberschaubaren Zeiten scheint Observierung eine bedeutende Rolle gespielt zu haben. Das BMI erkundigte sich am 16. Juni 1951 beim BMJ, ob dort etwas über Ziebell bekannt sei, der sich für den Bundesdienst beworben habe. 67 Am 25. Juni erhielt das BMI leihweise eine Personalakte Ziebells. 68 Das BMI sandte die Dokumente dem BMJ am 7. August mit der Bemerkung zurück, eine Einstellung Ziebells beim BfV komme nicht in Betracht. 69 Ziebells Lebenslauf für das BfV hatte also verdächtige Lücken. Sie sind auf strafrechtliche Verfehlungen und Aktivitäten zugunsten des Nationalsozialismus zurückzuführen. Wie stand es aber mit seinem Verhältnis zur bayerischen KP? Risse hatte dargelegt, wie Ziebell sich eine Zeitlang ausgezeichnet mit den Kommunisten arrangierte. Die KP schilderte auch ihrerseits, wie sie die aufsehenerregenden Ereignisse in Bayern im Jahr 1946 beurteilte. Eine Bestätigung für die Mitwirkung der KPD am Intrigenspiel um das Sonderministerium bietet ein Artikel des SED-Organs „Neues Deutschland“. Die Parteizeitung griff die Affäre am 1. Januar 1947 70 auf und warf den bayerischen Politikern vor, Ziebell beseitigen zu wollen, weil er unbequem geworden sei. Hoegner habe ihn zum Aufpasser des kommunistischen Sonderministers Heinrich Schmitt gemacht. Ziebell habe einen kommunistischen Ministerialrat und dann den Minister selbst ausgeschaltet. Er sei bemüht gewesen, finanzstarke Nationalsozialisten in geeigneter juristischer Form davonkommen zu lassen, wobei er sich die Sozialistenfurcht der Amerikaner zunutze gemacht habe. Dem „Neuen Deutschland“ zufolge besaß Ziebell den Rückhalt Hoegners und Pfeiffers. Das angebliche Disziplinarverfahren gegen ihn sei von Schmitt gefordert, von Hoegner aber verschleppt worden. Lediglich der Fehltritt im Fall Müller habe Ziebell die Unterstützung der Machthaber gekostet, die seine Korruption gedeckt hätten. Die SED wollte vertuschen, wie die bayerische KPD selbst mit Ziebell kooperiert hatte. Als die amerikanische Besatzungsmacht den Kommunisten zu mißtrauen begann, drehte Ziebell sein Fähnlein nach dem Wind und intrigierte gegen Schmitt und seine Getreuen. Hoegner mag dies durchaus begrüßt haben. Ziebells Bestechlichkeit wurde von der bayerischen Staatsregierung aber rasch wahrgenommen und zum Anlaß von Nachforschungen gemacht. Der Einsatz Ziebells für Müller war dann der Auslöser für die Beseitigung dieses gefährlichen Ministerialbeamten.
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Hover, Fall Schmeisser, S. 14. Ebd., S. 17. „Neue Zeitung“, 5.7.1946: „Briefwechsel um Ministerwechsel“. Dazu Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 374f.; Latour/Vogelsang, Okkupation, S. 139-141. BA, B 141, Bd. 12083. Ebd. Diese Personalakte ließ sich nicht ermitteln. Ebd. „Neues Deutschland“, 1.1.1947: „Neuer Skandal im bayerischen Säuberungsministerium“.
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2) AKTENDIEBSTAHL IN DER STAATSKANZLEI IM NOVEMBER 1947 a) Der Einbruch und seine Hintergründe Als der französische Agent Hans-Konrad Schmeisser nach seiner Abschiebung aus Frankreich am 16. Januar 1952 in Kehl vernommen wurde 71, berichtete er eine erstaunliche Geschichte, die er in ähnlicher Form schon im Polizeipräsidium von Wiesbaden am 22. November 1951 geschildert hatte 72: Im November 1947 wollte sich François Durtal vom Deuxième Bureau Unterlagen über die bayerisch-pfälzische Bewegung aus der bayerischen Staatskanzlei beschaffen. Laut Schmeisser hatte eine französische Dienststelle in Österreich den Auftrag zum Aktendiebstahl erteilt. Er behauptete, der Protokollchef der bayerischen Staatskanzlei Hans von Herwarth habe schon früher Beziehungen zum französischen Nachrichtendienst unterhalten, und seine Frau sei nach dem Krieg in Kitzbühel für die französische Abwehr tätig gewesen. Von Herwarth habe den Tip hinsichtlich der Dokumente in der bayerischen Staatskanzlei gegeben. Er erhielt jedoch nicht den Auftrag, die Akten zu entwenden. Dies habe an Kommunikationsproblemen zwischen den französischen Geheimdiensten gelegen, denn die ausführende Stelle in Neustadt a.d.W. hatte mit derjenigen von Herwarths in Österreich nichts zu tun. Schmeissers in München wohnende Freundin Dorothy Schretzmair wurde dazu ausersehen, das Material zu „besorgen“. Nach anfänglichem Sträuben erklärte sie sich dazu bereit. Es gelang Dorothy, aus der Registratur der Staatskanzlei eine Pfalz-Akte zu stehlen. Doch die Geheimdienstleute gaben sich damit nicht zufrieden. Nach Sichtung des Ordners kamen sie zu dem Ergebnis, es müsse noch ein internes Dossier geben, das im Zimmer von Herwarths oder des Leiters der Staatskanzlei Anton Pfeiffer zu suchen sei. Schretzmair wurde genötigt, ihre Aktion weiterzuführen. An einem Novemberabend des Jahres 1947 versteckte sie sich kurz vor Dienstschluß in der Staatskanzlei und ließ sich einschließen. Sie durchsuchte die Zimmer von Herwarths und Pfeiffers und fand die gewünschten Akten. Sie sprang durch ein Fenster und gelangte über einen Hinterhof in die benachbarte Beamtensiedlung. Dort klopfte sie und erzählte, sie sei bei einem Besuch versehentlich eingeschlossen worden. Man öffnete ihr die Tür, und sie gelangte ins Freie. Sie ging in die Veterinärstraße zu dem Photographen M., wo ihre Spießgesellen auf sie warteten. Neben Durtal und drei weiteren Franzosen waren dies auch zwei deutsche Agenten: Dr. Aloys Masloh und Hans-Konrad Schmeisser. Durtal und seine Begleiter hatten ein Photokopiergerät von der Größe eines Teetisches, einen Transformator und Photoapparate nach München mitgebracht. Glücklich mit den entwendeten Akten bei Photograph M. angelangt, schaltete man den Transformator ein, der jedoch solchen Lärm machte, daß man ihn sogleich wieder abstellte. Dorothy Schretzmair übergab die Dossiers und ging dann in die Wohnung ihres Vaters, die gleich darunter lag. Joseph Schretzmair sollte keinen Verdacht schöpfen. Inzwischen wurden die Schriftstücke Blatt für Blatt mit einer Leica photographiert. Die Originalakten sollten in die Staatskanzlei zurückgebracht werden. Allein, dies erwies sich als unmöglich, da Dorothy beim Suchen ein heilloses Durcheinander angerichtet hatte, so daß der Einbruch nicht unentdeckt bleiben konnte. Masloh behielt das Dossier aus der Registratur für sich und nahm aus einem weiteren Ordner mehrere Vorgänge an sich, ohne daß Durtal dies bemerkte. Dann schickte man sich an, die schweren Apparate wieder in die Wagen zu schaffen. Draußen mühten sich die Männer ab, das sperrige Photokopiergerät in einem der Autos zu verstauen. Es wurde in der Tür 71 72
BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 35-42, hier: Bl. 35-36. Ebd., Bd. 240, hier: S. 5-9. Auszugsweiser Abdruck: Hover, Fall Schmeisser, S. 45-48.
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eingeklemmt, und bei dem entstehenden Krach wachte die ganze Straße auf. Einer schrie aus dem Fenster. Durtal leuchtete mit seiner Taschenlampe hinauf und rief etwas in Französisch. Dann hörte man, wie jemand telefonierte. Durtal trieb zur Eile an, denn er vermutete, daß das Überfallkommando der bayerischen Polizei alarmiert wurde. Kaum war die Anstrengung geschafft, ertönte in der Ludwigstraße das Martinshorn. Masloh, Durtal und die anderen Franzosen rasten in den beiden Autos davon, jedes in einer anderen Richtung. Sie wollten sich am Hauptbahnhof treffen. Schmeisser blieb zurück und versteckte die von Masloh und Durtal zurückgelassene RestAkte in einem Ofenrohr. Auch Banderolen von 100 RM-Scheinen lagen noch in der Wohnung von M. und kamen ins gleiche Versteck. Masloh hatte 5.000 RM von Durtal erhalten, Schmeisser 10.000 RM, die er an Dorothy Schretzmair und einen weiteren Mitwirkenden zahlen mußte. Zusammen mit Herr und Frau M. schuf Schmeisser Ordnung. Schon war die Polizei da und drückte auf alle Klingelknöpfe des Hauses. Zehn Mann des Überfallkommandos drangen mit der Waffe im Anschlag in das Gebäude ein. Der Anführer stürmte auf Schmeisser zu und forderte ihn auf, die Schwarzhandelsware herauszurücken. Dieser antwortete scheinbar gleichmütig: Er täusche sich, lediglich ein großer RadioMusikschrank sei von Freunden aus dem Saarland abgeholt worden und habe beim Abtransport Lärm verursacht. Der Polizist nahm Schmeissers Personalien auf und wollte auch wissen, wer die anderen seien. Schmeisser nannte Masloh; die übrigen kenne er nicht. Der Polizist erkundigte sich, wo die gesuchten Autos hingefahren seien. Schmeisser sagte, sie seien wohl am Hauptbahnhof vorbeigefahren. Daraufhin brauste das Überfallkommando sofort in die angegebene Richtung. Schmeisser erfuhr tags darauf von Masloh, was sich weiter abspielte. Die beiden Wagen warteten am Hauptbahnhof auf Schmeisser, der Order hatte, sofort dort hinzukommen, falls er in Schwierigkeiten geriete. Dann wollten die Franzosen ihm beistehen. Die deutsche Polizei hatte damals nicht die Befugnis, Besatzungsangehörige zu kontrollieren. Das Überfallkommando begutachtete die beiden verdächtigen Fahrzeuge. Als die Uniformierten sich näherten, sprang Durtal heraus, zog seine Pistole und schrie, sie sollten verschwinden, dies seien französische Autos. Damit schüchterte er die Beamten ein, die sich sofort entfernten. Daraufhin verließen die beiden PKW München und kehrten mit hohem Tempo in die französische Zone zurück. Diese verblüffende Geschichte entspricht im Kern der Wahrheit, denn sie beruht auf mehreren, teilweise unter Eid vorgenommenen Aussagen. Neben Hans-Konrad Schmeisser erzählte seine Verlobte Dorothy Schretzmair am 15. November 1951 davon. 73 Sie gab ausdrücklich zu, den Aktendiebstahl in der bayerischen Staatskanzlei auf Geheiß von Durtal und Masloh begangen zu haben. Es gibt noch eine Reihe anderer Zeugnisse, die für die Authentizität des Vorgangs bürgen. Beispielsweise hörte Legationsrat Günter Diehl (Auswärtiges Amt) am 29. November 1952 von dem Aktendiebstahl durch den freien Journalisten Ewald Zweig 74, der gelegentlich für den „Spiegel“ arbeitete und in nachrichtendienstlichen Kreisen kein Unbekannter war. Zweig sprach u.a. von der unterlassenen Strafverfolgung des Aktendiebstahls in der bayerischen Staatskanzlei. Die Franzosen hätten sich gehütet, zu intervenieren, denn dies wäre dem Eingeständnis ihrer Schuld gleichgekommen.
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BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 26-28, Protokoll der Vernehmung D. Schretzmairs in Wiesbaden, 15.11.1951, hier: Bl. 26. PA/AA, B 2, Bd. 354A, Aufzeichnung Diehls, 8.12.1952.
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Der SPD-nahe Informationsdienst PPP berichtete am 21. April 195475, in München sei Material beschlagnahmt worden, daß sich auf den Aktendiebstahl von 1947 beziehe. Die Sache sei seit langem bekannt, doch eine Untersuchung der damaligen Vorfälle scheine es nicht gegeben zu haben. Nun werde die Staatsanwaltschaft München eingeschaltet. Unterrichtete Kreise in München rechneten mit Konsequenzen. Es werde angedeutet, politische Stellen hätten bislang erfolgreich eine Nachprüfung des Vorfalls unterbunden. PPP zeigte sich auch über den Ablauf des Aktendiebstahls unterrichtet. Nichtsdestoweniger sagte der bayerische Ministerpräsident Hans Ehard am 2. Dezember 1953 in München anläßlich der Ermittlungen im Fall Schmeisser aus, diese Behauptungen seien nach dem Erscheinen des „Spiegel“-Artikels eingehend überprüft worden. 76 Es konnte nicht festgestellt werden, daß Akten fehlten. Die Schilderung des Aktendiebstahls erscheine sowieso unglaubwürdig. Allein, wer konnte erwarten, nach fünf Jahren noch Spuren des Ereignisses zu finden, wenn offenbar von Anfang an versucht worden war, das Geschehene zu vertuschen? Schmeisser erzählte am 22. November 1951, was mit den Unterlagen passierte, die Masloh heimlich beiseite gelegt hatte. 77 Masloh machte sie gleich mehrfach zu Geld. So erhielt Dieudonnée (Sûreté Neustadt) die Dokumente, aber auch ein Treibstoff-Großhändler in Neustadt a.d.W., der einer pfälzischen Separatistengruppe angehörte. Schmeisser erwähnte, der pfälzische Regierungspräsident Otto Eichenlaub habe ebenfalls zu dieser Gruppe gezählt. Zu den Adressaten zählte ferner der KPD-Mann Otto Niebergall in Mainz. 78 Masloh wurde bei seiner Verkaufsaktion ertappt und von der französischen Abwehr entlassen. Er arbeitete jedoch weiter für Dieudonnée und verlagerte seine Tätigkeit ins Saargebiet. Welches Interesse besaß eine französische Dienststelle an bayerischen Dossiers über die Pfalz? Die französische Deutschlandpolitik war mindestens bis 1947 auf Zerstückelung ausgerichtet und auch in den folgenden Jahren auf einen möglichst starken Föderalismus fixiert; ein deutscher Staatenbund galt als akzeptabel, ein Bundesstaat traf auf erheblichen Widerstand. 79 Der Historiker Peter Jakob Kock hat über die Rolle der Franzosen in Bayern und ihre Ziele Recherchen angestellt, die zu folgendem Ergebnis gelangten: Frankreich sah die Chance, seinen Einfluß in Bayern zu verstärken, wenn die Pfalz wieder bayerisch wurde. 80 Das Streben Bayerns nach Eigenstaatlichkeit konnte dann wirksamer gefördert werden. Bayerische Politiker wiederum hofften auf eine Rückgewinnung der Pfalz mit französischer Hilfe. Die gleichzeitige Unterstützung pfälzischer Separatisten durch französische Kreise stand nicht im Widerspruch dazu, denn dies konnte als Druckmittel dienen. „Um Bayerns Ohr für französische Staatenbundpläne zu gewinnen, wurde die Pfalzfrage gewissermaßen als ‚Tauschgeschäft’ ins Spiel gebracht.“ Die Rückgewinnung der Pfalz durch Bayern wurde zwar erst seit 1948 von maßgeblichen politischen Kräften in München mit Nachdruck betrieben, doch an Aufmerksamkeit für die Pfalz fehlte es schon 1945 nicht. 81 Speerspitze der Agitation wurde der von der bayerischen Staatskanzlei subventionierte „Bund Bayern und Pfalz“. 82 Welche Rolle Frankreich bei diesen Vorgängen spielte, konnte von der Forschung noch nicht geklärt werden. 75 76 77 78 79 80 81 82
PPP-Inf., 21.4.1954: „Aktendiebstahl wird wieder aktuell“. PA/AA, B 130, Bd. 13796. BA, B 136, Bd. 240, hier: S. 5-9. Dazu auch Hover, Fall Schmeisser, S. 26. Elzer, Rheinstaat, Kap. II (mit weiteren Hinweisen). Kock, Weg, S. 126-130. Vgl. auch Hettler, Josef Müller, S. 272-274; Von Herwarth, Von Adenauer zu Brandt, S. 29f., 38-40. Gelberg, Bayerische Pfalzpolitik. Nestler, „Die Pfalz gehört zu Bayern“.
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Generell entwickelte Frankreich enorme Aktivitäten in Bayern.83 So hatte das Münchner Generalkonsulat die Ausstattung einer diplomatischen Vertretung. Der bayerische Föderalismus und die französische Deutschlandpolitik besaßen eine „weitgehend identische Zielsetzung“. Nichtsdestoweniger scheint die Zahl bayerischer Politiker, die sich auf separatistische Bestrebungen mit Frankreich einließen, klein gewesen zu sein. Letzteres wird von Karl-Ulrich Gelberg betont, für den die Beziehungen von Hans Ehard oder Anton Pfeiffer mit Frankreich lediglich dazu dienten, die amerikanische Besatzungsmacht für die föderalistischen Vorstellungen der Staatsregierung geneigter zu machen. 84 Es ist sicherlich richtig, daß die französischen Militärbehörden separatistische Bewegungen nicht blindlings unterstützten. Man hatte aus früheren Erfahrungen gelernt: Solche Gruppierungen waren umso unpopulärer, je enger sie mit der Okkupationsmacht verbunden schienen. 85 Selbstverständlich spielte die Haltung der vor Ort jeweils zuständigen Offiziere in jener unübersichtlichen Zeit eine erhebliche Rolle. Zudem wurde nicht jedes Alpenland- oder Alemannien-Konzept von Kleinstadtbürgermeistern (Bernhard Dietrich aus Singen) oder Archivaren (Otto Feger aus Konstanz) der Förderung für wert gehalten. Dennoch geht es zu weit, daraus zu folgern, man müsse „vom Klischee der französischen Protektion“ separatistischer Kreise in Süd- und Südwestdeutschland Abschied nehmen.86 Carlo Schmid – Sohn einer Französin – sagte in einem Interview, es sei nicht schwer zu erraten, wer solche abstrusen Ideen finanziell gefördert habe. 87 Das Office of Research and Intelligence (ORI) im State Department gelangte offenbar nicht zu tiefschürfenden Erkenntnissen über französische Separationspläne. 88 Jedenfalls traf es am 11. Juni 1946 nur sehr allgemein gehaltene Feststellungen über den Primat französischer Sicherheitsinteressen und die Zurückweisung aller Zentralisierungsbemühungen im wirtschaftlichen und administrativen Bereich. Während die Franzosen generell versuchten, sich soviel wie möglich an Reparationen zu sichern, nähmen sie Rücksicht auf die Wirtschaft in Gebieten, deren Anschluß an Frankreich sie erhofften. Die „National-Zeitung“ brachte am 10. August 1948 einen Korrespondentenbericht aus München. 89 Das rechtsgerichtete Blatt sprach von Kontakten der bayerischen Staatskanzlei mit französischen Kreisen und nannte Anton Pfeiffer eine „undurchsichtige Erscheinung“. Die Staatskanzlei habe einen Draht zu einer sehr komfortablen Villa, in der ein französischer Minister ohne Portefeuille wohne. Dort könne man bei Abendgesellschaften auch Hundhammer begegnen. Es werde mit Parolen wie „Donauföderation“ eine Politik gegen die Einheit Deutschlands getrieben. 90 Bekanntlich streite der in der Staatskanzlei tätige Baron von Herwarth gar nicht ab, daß seine Ehefrau eine französische Agentin sei. Der Baron behaupte, von ihr getrennt zu leben. Risse alias Hover vermutet, von Herwarth sei von Schmeisser/Ziebell bewußt diffamiert worden. 91 Es gab keinen plausiblen Grund, nicht den „Mann an der Quelle“ für den Diebstahl einzusetzen, wenn dieser wirklich ein französischer Agent war. Auch die weitgehende Selbstbezichtigung gab Risse zu denken. Er folgerte: „Mit ihr sollte ein psychologischer Erfolg beim Leser erreicht und das dokumentarische Gewicht erhärtet werden. Der Fall Bayern hatte 83 84 85 86 87 88 89 90 91
Kock, Weg, S. 181-194. Gelberg, Hans Ehard, S. 75-78. Zu den rheinischen Separatisten von 1919 und 1923: Erdmann, Adenauer in der Rheinlandpolitik; Köhler, Adenauer und die rheinische Republik. So Klöckler, Abendland, S. 262, der die Neugliederungskonzepte der genannten Personen untersucht hat. Schmid, Im Parlamentarischen Rat, S. 130. Marquardt-Bigman, Geheimdienst-Analysen, S. 224. „National-Zeitung“, 10.8.1948: „’Wilhelmstraße 75’ – aber in München“. Zu diesen Ideen: Klöckler, Abendland, bes. Kap. III. Hover, Fall Schmeisser, S. 48-50.
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für die Zustände in der Bundesrepublik zu stehen und mußte den Leser in Gegensatz zu Regierung und Westalliierten bringen. Die Person Herwarth wurde eingebaut, um mit dem inzwischen zum Botschafter bestellten Baron gleichzeitig die Bundesregierung zu diffamieren.“ Hans Herwarth von Bittenfeld (1904-1999) war 1927 in den Auswärtigen Dienst getreten.92 Im August 1939 verließ er als Legationssekretär die deutsche Botschaft in Moskau und ging zur Wehrmacht, wo er Offizier wurde. Da er nach den Rassegesetzen „Mischling“ war, konnte er in der Diplomatie nicht weiter avancieren. Er genoß aber bei Hitler einen guten Ruf und soll zum „Ehrenarier“ ernannt worden sein. Anton und Peter Pfeiffer beriefen ihn im November 1945 in die bayerische Staatskanzlei. 93 Zuvor hatte er einige Monate in Wiesbaden für den amerikanischen Geheimdienst OSS gearbeitet. Seine Frau war wegen ihrer Fremdsprachenkenntnisse in der Passierscheinstelle in Kitzbühel tätig. Von Herwarth berichtet zudem, er sei mehrfach in Begleitung eines Offiziers des OSS von Wiesbaden aus dorthin gefahren. Er habe einem Artikel der „Prawda“ vom 12. August 1948 die Anschuldigung entnommen, seine Frau und er seien französische Agenten. 94 Er kommentiert dies gar nicht und scheint es als Kuriosität abtun zu wollen. Der spätere Protokollchef von Kanzleramt und Auswärtigem Amt (1949-1955) war der „Typ des verschwiegenen, routinierten Diplomaten“, „elegant, weltoffen und weltmännisch“.95 Allerdings wollte der hessische SPD-Vorsitzende Willy Knothe im Dezember 1950 wissen, von Herwarth sei mit einem gewissen Schupakow befreundet, der Adjutant von General Andrej Wlassow gewesen sei, also zu jenen russischen Streitkräften gehörte, die von nationalsozialistischer Seite gegen die Rote Armee ins Feld geführt wurden. 96 Vermeintliche Spionage für Frankreich durch das Ehepaar von Herwarth wurde also nicht nur von Schmeisser unterstellt, sondern beruhte auf Gerüchten, die in jener Zeit kursierten. Der Schmeisser-Prozeß vom September 1955 hatte eine kurze Wiederbelebung der Vorwürfe gegen von Herwarth zur Folge. Verschiedene Zeitungen meldeten am 30. September 1955 97 eine Äußerung des prominenten FDP-Politikers Reinhold Maier, der zum Verteidigerstab des „Spiegel“ zählte. Maier sah den Ausgang des Prozesses als „große Blamage für die Betroffenen“ an. Er erwähnte ein vom Gerichtspräsidenten verlesenes Schriftstück, das Frau von Herwarth der Übermittlung von Nachrichten aus der bayerischen Staatskanzlei an den französischen Geheimdienst verdächtigte. Baron von Herwarth sei heute (1955) nichts Geringeres als deutscher Botschafter in London 98! BMJ, Kanzleramt und Auswärtiges Amt erörterten diese Darlegungen. 99 Baron von Herwarth habe der Pressestelle des Auswärtigen Amtes mitgeteilt, derartige Verleumdungen über seine Frau seien schon vor Jahren von der kommunistischen Presse verbreitet worden. Von Herwarth überlege, was man gegen die öffentlichen Äußerungen tun könne. Das Auswärtige Amt ließ im Bulletin eine Erklärung publizieren 100, wonach Reinhold Maier mit seinen Angaben einen falschen Eindruck erweckt habe. Es handele sich nicht um 92
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Döscher, Verschworene Gesellschaft, S. 114-121 (auch für das Folgende); Roewer/Schäfer/Uhl, Lexikon, S. 200. Viele kurze Einzelbeiträge über von Herwarth in der von Wilhelm Reissmüller herausgegebenen Festschrift „Der Diplomat“. Von Herwarth, Von Adenauer zu Brandt, S. 13-17 (auch für das Folgende). Ebd., S. 26. Henkels, Zeitgenossen, S. 103. AdsD, Sammlung Personalia, o. Nr., Otto Strasser, Mappe 1950, Auszug aus Brief Knothes, 18.12.1950. „Abendpost“ (Frankfurt a.M.), 30.9.1955: „Erste Enthüllung im Fall Schmeisser: Botschaftergattin beschuldigt“; „Stuttgarter Nachrichten“, 30.9.1955: „Dr. Maier: ‚Mich hätte man aufgehängt wie Jud Süß’“; „Süddeutsche Zeitung“, 30.9.1955: „Reinhold Maier über den Schmeisser-Prozeß“. Dazu Leupold, „Weder anglophil noch anglophob“, S. 186-189. BA, B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 2, Bl. 4f., Vermerk Grützners, Geheim, 30.9.1955. Bulletin Nr. 186/1955, 4.10., S. 1555: „Falsche Angaben, die jeder Grundlage entbehren“.
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Feststellungen des Gerichts, sondern um eine Aussage Schmeissers vom 22. November 1951. Botschafter von Herwarth und seine Frau bezeichneten diese Behauptungen als „falsch“. Reinhold Maier wandte sich am 1. Oktober 1955 gegen Spekulationen, der Vergleich zwischen Adenauer-Blankenhorn und Schmeisser könnte seine Wurzeln in den Verdächtigungen gegen von Herwarth und seine Frau haben. 101 Maier bezeichnete den Baron als integre Persönlichkeit. Im Laufe des Verfahrens wären die Vorwürfe gegen ihn gewiß zusammengebrochen. Als Andeutungen einer Strafanzeige von Herwarths gegen Schmeisser oder sogar gegen Maier auftauchten, sagte der frühere Ministerpräsident, von Herwarth könne sich ja dem noch bevorstehenden Beleidigungsprozeß gegen Ziebell anschließen. 102 Hinter vorgehaltener Hand hörte man in Bonn, mit einer Anzeige durch von Herwarth werde nicht gerechnet. 103 Anfang Oktober 1955 wies Elisabeth von Herwarth in einem Interview mit dem „Daily Herald“ die im Zusammenhang mit dem Schmeisser-Prozeß gegen sie erhobene Beschuldigung, für den französischen Nachrichtendienst gearbeitet zu haben, zurück. 104 Sie sei in Kitzbühel – also in der französischen Zone in Österreich – lediglich in der Passierscheinstelle der Stadtverwaltung tätig gewesen. Sie habe sich nach besten Kräften bemüht, die „schrecklichen Reisebedingungen“ der Flüchtlinge zu lindern. Allerdings sei sie bei einigen Personen genötigt gewesen, die Papiere von französischen Sicherheitsbehörden prüfen zu lassen. Das sei ihr ganzes Wirken für die Franzosen gewesen; Schmeisser habe sie nie getroffen. In einem Memoirenband ergänzte Hans von Herwarth diese Angaben. 105 Seine Frau sei in Kitzbühel Sachverständige für fremde Völker und Dolmetscherin gewesen. Elisabeth wurde von der CIA verdächtigt, mit einer für Zwangsarbeiter zuständigen SS-Stelle zusammengearbeitet zu haben. „Das stimmte in gewisser Hinsicht.“ Deshalb befand sie sich einige Tage in Haft. Die Fremdarbeiter in Kitzbühel hätten sich jedoch erfolgreich für ihre Freilassung eingesetzt. Diese Darlegungen von Herwarths zeigen immerhin, daß seine Frau Elisabeth mehr als nur eine unbedeutende Angestellte gewesen war. Sie scheint mit Personenrecherchen befaßt gewesen zu sein. Wie weit ihre damit verbundenen Beziehungen zu alliierten Geheimdiensten gingen, muß offen bleiben. Am 4. Oktober 1955 gab es auch im bayerischen Landtag eine Anfrage des FDPAbgeordneten Arthur Heinrich über die Behauptung, Frau von Herwarth habe bis 1949 Nachrichten aus der Staatskanzlei an den französischen Geheimdienst weitergeleitet. 106 Staatssekretär Dr. Albrecht Haas (FDP) antwortete, die Landesregierung habe keine Ermittlungen gegen von Herwarth eingeleitet, weil dies auch die Staatsanwaltschaft München nicht getan habe. Als die Angaben Schmeissers bekannt wurden, habe von Herwarth nicht mehr im Dienste des Freistaates gestanden. Ein Disziplinarverfahren hätte daher nicht eingeleitet werden können. 101
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AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 1313, dpa 56, „Auswärtiges Amt stellt sich vor Herwarth“, 1.10.1955. Dazu auch „Stuttgarter Nachrichten“, 1.10.1955: „Nachklänge zum Schmeisser-Prozeß“; „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 1.10.1955: „Maier zum Schmeisser-Prozeß“. „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 4.10.1955: „Herwarth erwägt Strafantrag“. PPP-Inf., 5.10.1955: „Schmeisser-Nachlese“. „Hamburger Echo“, 6.10.1955: „Ich war keine Spionin“; „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 7.10.1955: „Frau von Herwarth antwortet“; „Der Mittag“ (Düsseldorf), 7.10.1955: „Frau von Herwarth: ‚Lauter Lügen!’“; „Der Spiegel“, Nr. 42/1955, 12.10., S. 50: „Der Spiegel berichtete“. Dazu auch Von Herwarth, Von Adenauer zu Brandt, S. 26, 240f. Von Herwarth, Zwischen Hitler und Stalin, S. 349-354. BA, B 141, Bd. 12083, bundespresseamt 2720 5/10 0920/fr=, ap, g 121 (inland), 4.10.1955. Vgl. auch „Main-Post“ (Würzburg), 5.10.1955: „Im Mittelpunkt: Frau von Herwarth“; „Trierischer Volksfreund“, 5.10.1955: „’Fall Schmeisser’ am 12. Oktober im Bundestag“; „Frankfurter Neue Presse“, 7.10.1955: „Frau von Herwarth antwortet Schmeisser“.
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Tätigkeiten für eine ausländische Behörde waren in der Zeit alliierter Dominanz in Deutschland stets Nährboden für Gerüchte. Die Grenzen zu nachrichtendienstlicher Aktivität waren fließend. Die von Baronin von Herwarth in Kitzbühel veranlaßten Personenkontrollen durch französische Dienststellen sind nicht frei von solchen Implikationen. Der Diplomat von Herwarth wiederum traf sicherlich mitunter Leute, die nicht bloß Politiker oder Militärs waren. Die in Bayern sehr rührigen Franzosen bemühten sich zweifelsohne um Beziehungen zu einflußreichen deutschen Persönlichkeiten. Im Hinblick auf von Herwarth gibt es freilich keinerlei Beweise für weitergehende Schlußfolgerungen oder gar für eine Mitverantwortung am Aktendiebstahl in der bayerischen Staatskanzlei. So könnte die Vermutung von Risse alias Hover zutreffen, wonach mit der Publikation das Ansehen der Bundesrepublik beschädigt werden sollte, für die von Herwarth als prominenter Diplomat tätig war. 107 Es ist nun an der Zeit, sich der Person Schmeissers näher zu widmen. b) Hans-Konrad Schmeisser Schmeisser erzählte bei mehreren Verhören seinen Lebenslauf. 108 Im Jahr 1919 als Sohn des Landgerichtspräsidenten Ernst Schmeisser in Dortmund geboren, siedelte er mit seinen Eltern 1925 nach Stettin über. Dort machte er 1938 Abitur. Bis August 1939 leistete er freiwilligen Arbeitsdienst. Bei Kriegsausbruch wurde er eingezogen, kam zunächst zur Kavallerie nach Stolp, dann zur Artillerie. Er nahm an den Feldzügen gegen Polen und Frankreich teil, erhielt anschließend Studienurlaub in Deutschland und ging für ein Semester nach Königsberg. Er erkrankte und fuhr zu seinen Eltern nach Stettin. Seit 1941 studierte er zunächst in Berlin, dann in Würzburg Medizin und Jura. In Würzburg machte er die Bekanntschaft des wissenschaftlichen Assistenten Dr. Aloys Masloh. Er schloß sich in Würzburg dem studentischen Widerstand bei dem Völkerrechtler Professor Ernst Wolgast an, der für Admiral Canaris geheime Verbindungen in die Schweiz 109 unterhielt. In diesem Zusammenhang ging Schmeisser vorübergehend nach Innsbruck. In Würzburg wurde er wegen defätistischer Äußerungen beim Dreier-Rat der Universität angeklagt. Sein Vater intervenierte, was ihm eine Strafe ersparte. Schmeisser wurde 1944 erneut zur Wehrmacht einberufen, und zwar zu einer Landesschützeneinheit nach Eger. Dank der Hilfe seines Vaters durfte er einen Offizierslehrgang in Bad Kissingen besuchen. Er wurde nach Würzburg versetzt und wegen des früheren Deliktes verhaftet. Bei einem Luftangriff im Februar 1945 kam er frei, begab sich nach Osnabrück und geriet in britische Kriegsgefangenschaft. Schmeisser wurde im Sommer 1945 in Stade aus der Kriegsgefangenschaft entlassen. Er heiratete in Osnabrück Ingeborg H. Aus der Verbindung – die 1946 gelöst wurde – ging eine Tochter hervor. Kurzfristig arbeitete er als Dolmetscher in einem englischen Club und wurde 1946 im bayerischen Ministerium für Sonderaufgaben als Rechtsreferent angestellt. Masloh hatte Schmeisser in Würzburg über den kommunistischen Staatskommissar für politische Säuberung Förtsch den Kontakt mit dessen Genossen Sonderminister Heinrich Schmidt vermittelt, der ihn in sein Ministerium holte. Schmeisser ging darauf ein, weil er angeblich hoffte, seinen im KZ Neubrandenburg einsitzenden Vater freibekommen zu können. Er 107 108
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Hover, Fall Schmeisser, S. 50. PA/AA, B 130, Bd. 13798, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in München, 2.12.1953, hier: S. 1-2; BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 6-12, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Freiburg, 16.1.1952, hier: Bl. 10-12; Ebd., Bd. 240, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Wiesbaden, 22.11.1951, hier: S. 32. Dazu ferner ebd., Bd. 132, Redeentwurf Abichts für Adenauer, 8.10.1955. Zum folgenden auch Hover, Fall Schmeisser, S. 13f., S. 24f. Dazu Fink, Schweiz, S. 93-101. Der Name „Wolgast“ taucht aber nicht auf.
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Bayern - Aktendiebstahl in der Staatskanzlei im November 194
arbeitete in der Rechtsabteilung und wurde Vertrauensmann des Ministers. Ziebell war dort sein Abteilungsleiter. Schmidt errichtete eine Ermittlungsabteilung, die im Grunde eine kommunistisch kontrollierte politische Polizei war. Es kam zu einer Auseinandersetzung zwischen Schmidt und Ziebell, die mit dem Sturz des Ministers endete. Schmeisser war von Schmidt mit der Überwachung Ziebells betraut worden. Er erfuhr Ende 1946 vom Tod seines Vaters in Neubrandenburg, wodurch er „fanatischer Antikommunist“ wurde. Er verließ das Sonderministerium im Dezember 1946, als Ziebell mit Loritz in Konflikt geriet. Im Gefolge dieses Streits mußte auch Schmeisser gehen. Man warf ihm vor, ohne Erlaubnis Protokolle über Beamte des Ministeriums im Rahmen von Ermittlungen der Militärregierung verfaßt zu haben. Erst viel später erfuhr er vom Vorwurf der Bestechung, über den er nie verhört worden sei. In der Münchner Staatskanzlei wußte man 1952 einiges über die früheren Aktivitäten Schmeissers in Bayern. 110 Dieser arbeitete vom 1. April 1946 bis 10. Januar 1947 in der Rechtsabteilung des bayerischen Sonderministeriums. Dann wurde er wegen verschiedener Verfehlungen fristlos entlassen: unberechtigte Führung des Titels „Oberregierungsrat“, unwahre Angaben gegenüber Behörden zum persönlichen Vorteil, Diffamierung des Ministers Pfeiffer gegenüber einem amerikanischen Journalisten als „ungeeignet“. Am 19. April 1948 erstattete das Münchner Polizeipräsidium Strafanzeige gegen Schmeisser. Die Vorwürfe lauteten: passive Bestechung, Begünstigung im Amt, Amtsunterschlagung und unberechtigte Titelführung. Konkret beschuldigte man ihn, Geld von einer Person erhalten zu haben, die unter das Entnazifizierungsgesetz fiel. Es bestehe der Verdacht der Unterschlagung von Belastungsmaterial gegen den Betreffenden. Der sofort ausgestellte Haftbefehl konnte nicht vollstreckt werden, weil Schmeisser weder in München noch in Landau aufzufinden war. Ende April 1948 wurde er in Landau festgenommen, doch aufgrund einer Verfügung der dortigen französischen Militärbehörden wieder freigelassen. Infolge des bayerischen Amnestiegesetzes vom 24. Januar 1948 wurde das Verfahren gegen Schmeisser eingestellt. Schließlich gebe es eine Anzeige in München vom 4. Februar 1948 gegen Schmeisser, Masloh u.a. wegen Spionage für „Rußland“. Was Schmeissers dunkle Machenschaften bei der Entlastung ehemaliger Nationalsozialisten betrifft, so räumte er nur das Faktum ein, ohne Einzelheiten zu verraten. Das war aber unnütz, denn es lag hinreichendes Material gegen ihn vor. Über einen Vorfall berichtete Rechtsanwalt B., der 1946 für die Entnazifizierung eines Münchner Komikers tätig war.111 Eines Tages bekam er den Hinweis, ein Herr im Sonderministerium könne die Entnazifizierung „hintenherum“ durchführen. Akten könne man ändern oder sie verschwinden lassen. Wenig später meldete sich Schmeisser bei dem Anwalt und protzte in einer Unterredung mit seinen guten Beziehungen. Der Anwalt lehnte das offerierte illegale Verfahren ab, woraufhin er nie wieder etwas von Schmeisser hörte. Beim Verhör in Freiburg am 16. Januar 1952 sagte Schmeisser, er sei 1947 durch die Hilfe Ziebells als Justitiar im Wiesbadener Landwirtschaftsministerium angestellt worden. 112 Ziebell arbeitete damals für einen französischen Nachrichtendienst in Metz, was er (Schmeisser) zu dieser Zeit nicht gewußt habe. Schmeisser hatte beim Sonderministerium die Stelle eines Oberregierungsrates bekleidet, ohne diesen Rang allerdings zu besitzen. Er wurde in Wiesbaden als Regierungsrat tituliert, habe sich jedoch nicht als solcher ausgegeben. Er gab 110 111 112
PA/AA, B 2, Bd. 354A, Aktennotiz, 10.4.1952; Ebd., Lebenslauf Schmeissers (bis 1952). Ebd., Schreiben B. an Staatsanwaltschaft Bonn, 23.9.1952; BA, B 136, Bd. 241, Schreiben B. an Blankenhorn, 4.10.1955. Ebd., Bd. 50385, Bl. 5-12, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Freiburg, 16.1.1952, hier: Bl. 6. Dazu ferner: PA/AA, B 130, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in München, 2.12.1953, hier: S. 2-5.
Die Schmeisser-Affäre
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zu, daß er korrekterweise darauf hätte hinweisen und auch auf diese Bezeichnung an seinem Türschild verzichten müssen. Er blieb bis zum 25. Juni 1947 beim hessischen Landwirtschaftsministerium. Professor Wolgast besuchte ihn in Wiesbaden und schlug ihm ein Thema für seine Doktorarbeit vor. Wolgast wollte zur Verwaltungsakademie nach Speyer und legte Schmeisser nahe, ebenfalls dorthin zu gehen. Nicht freiwillig ging Schmeisser bei den Vernehmungen in Freiburg und München auf seine Zeit als „Assessor“ bei Rechtsanwalt T. in Frankfurt a.M. ein, wurde aber dazu aufgefordert. Er sei dort von Regierungsdirektor Rath aus dem Landwirtschaftsministerium vorgeschlagen worden. Tatsächlich war diese Anstellung heikel, weil ihm die erste juristische Staatsprüfung noch fehlte. Er brauchte aber Geld für seinen Lebensunterhalt und wollte gleichzeitig etwas dazulernen. Hätte er seine mangelnde Qualifikation erwähnt, wäre er entlassen worden. Er habe in seinem Lebenslauf wahrheitswidrige Angaben gemacht. T. betraute ihn mit Entnazifizierungsfällen. Es treffe zu, daß er bei T. Vertragsformulare mit Notarstempeln entwendet habe. 113 Er habe dies nicht getan, um seinen Werdegang zu fälschen, sondern aufgrund einer Bitte Maslohs. Dieser benötigte für seine französische Dienststelle eine Entnazifizierungsbescheinigung. Er (Schmeisser) machte sich keine großen Gedanken über diesen Mißbrauch, denn es ging ja zu Lasten der Franzosen. Masloh habe ihm zuvor ein falsches Zeugnis über seine Ernennung zum Referendar überlassen. Deshalb fühlte er sich Masloh verpflichtet. Wolgast war zudem nicht in Speyer, sondern an der Wirtschaftshochschule Nürnberg angestellt worden. In Anbetracht dieser Verwicklungen entschloß sich Schmeisser, Maslohs Vorschlag anzunehmen, in Landau für General Pierre Koenig zu arbeiten. Er meldete sich bei T. ab. Masloh soll Schmeisser mit seinem Wissen über dessen falsche Angaben in Hessen erpreßt haben 114, was er in seiner Münchner Vernehmung andeutete. Untersuchungsrichter Mollenhauer stellte zum Sachverhalt fest: Am 12. September 1947 erhob ein Frankfurter Rechtsanwalt Strafanzeige gegen Schmeisser wegen Urkundenfälschung und unberechtigter Titelführung.115 Er wurde vom Rechtsanwaltsbüro R. und T. nicht nur wegen Unfähigkeit schnell wieder entlassen, sondern auch, weil er sich notarielle Verhandlungsprotokolle angeeignet und mit Stempel versehen hatte. Er wollte sie mutmaßlich in unlauterem Sinne verwenden. Zudem gab er sich als Rechtsanwalt, Regierungsrat, Doktor und Assessor aus. Das Verfahren in Frankfurt wurde aufgrund des Amnestiegesetzes vom 31. Dezember 1949 116 eingestellt. Schmeissers Verlobte Dorothy Schretzmair wurde 1924 in Gundelfingen bei Ulm geboren. 117 Dort lebten sie und ihre Eltern bis 1930, danach bis 1943/44 in Dortmund, ehe sie nach München umzogen. Sie war selbständige Bildhauerein und besuchte 1943 bis 1945 die Kunstakademie in München. Im September 1946 lernte sie Schmeisser kennen, der damals im bayerischen Sonderministerium tätig war. Es war der Beginn eines gemeinsamen Weges voller Abenteuer. Von München führte er zunächst in die Pfalz.
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Diese Vorgänge wurden auch von dpa gemeldet: dpa-Inf. 1322, 22.7.1952. Vgl. „Ruhr-Nachrichten“ (Dortmund, CDU), 21.7.1952: „Hochstapler im Dienst Hessens“. Hover, Fall Schmeisser, S. 25. PA/AA, B 130, Bd. 13795, Vermerk Mollenhauers, 16.11.1953. Wortlaut in: BGBl. 1949, S. 37f. Zum Hintergrund: Frei, Vergangenheitspolitik, S. 29-53. BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 13-17, Protokoll der Vernehmung D. Schretzmairs in Freiburg, 16.1.1952, hier: Bl. 13.
Pfalz - Schmeisser in Landau, Boppard, Ludwigshafen und S b k (194 1951)
44 III.PFALZ
1) SCHMEISSER IN LANDAU, BOPPARD, LUDWIGSHAFEN UND SAARBRÜCKEN (1947-1951) Schmeisser und Dorothy Schretzmair sagten bei ihren Vernehmungen aus 1, Masloh habe Schmeisser 1947 durch einen Trick mit französischen Dienststellen in Landau in Verbindung gebracht, denn er sprach von Mitwirkung an der deutsch-französischen Verständigung. Er habe anfangs nicht gewußt, daß es sich um Beamte der Sûreté handelte. Masloh habe behauptet, er sei für General Koenig in Baden-Baden wissenschaftlich tätig. Er untersuche die historischen Ansprüche Deutschlands und Frankreichs in Grenzgebieten. Schmeisser könne ihm dabei helfen. Er hätte noch genügend Zeit übrig, um seine Ausbildung zu beenden. Zunächst gab Masloh ihm Aufträge, nach einigen Wochen begegnete er Capitaine Robert Laurent. Dieser leitete die Abteilung Renseignements Généraux der Sûreté mit Sitz in Neustadt/Pfalz. Der Leiter der Dienststelle in Landau hieß Colonel Dieudonné. Laurent – der zeitweise der Generaldirektion der Sûreté in Baden-Baden, dann der Sûreté in Saarbrücken unterstellt war – unterhielt nach den Angaben Schmeissers ein ausgedehntes Nachrichtennetz, zu dem etwa die Rotspanien-Kämpferin Isabella Salvados gehörte, die in internationalen Industrieunternehmen als Privatsekretärin arbeitete und dies zu einem lukrativen Nachrichtenhandel nutzte. Schmeissers Berichte gingen an Masloh, der ihm auch sein Geld überreichte, monatlich 300400 DM. Schmeisser hatte vier Sachgebiete: 1) Bestrebungen über eine Vereinigung von Pfalz und Bayern festzustellen. 2) Kontaktaufnahme mit Trägern dieser Idee. 3) Angaben über die Einstellung solcher Kreise in der Pfalz gegenüber Frankreich. 4) Verfolgung der politischen Entwicklung in Rheinland-Pfalz, Rheinhessen und Bayern. Masloh stellte Schmeisser François Durtal vom militärischen Geheimdienst Brigade Documentation (BDoc) vor, der kommunistische Aktivitäten beobachten sollte, besonders wenn sie auf Frankreich übergriffen. Die Dienststelle wurde von Major Jean-Pierre Lenoir geleitet, der seinen Sitz wie Durtal in Neustadt hatte. Laurent war dort als Polizeioffizier der Sûreté mit Zuständigkeit für politische Angelegenheiten Vorgesetzter Maslohs und hatte mit der BDoc nichts zu tun. Eines Tages erschien Durtal und beauftragte Masloh, Material über die bayerisch-pfälzische Bewegung bei der Staatskanzlei in München zu beschaffen. Masloh wollte dafür die Hilfe von Dorothy nutzen, die damals wieder in München wohnte. Seine Freundin sträubte sich zunächst, woraufhin Durtal und Masloh selbst nach München fuhren. Dann beschrieb Schmeisser knapp den uns vertrauten Aktendiebstahl. Schretzmair befand sich seit Frühjahr 1948 in Landau als Sekretärin Schmeissers. Im August 1948 gab es laut Dorothy Ärger wegen der in München erbeuteten Dokumente über eine eventuelle Vereinigung der Länder Rheinland-Pfalz und Bayern, mit denen Masloh Geschäfte zu machen versuchte. Die Organisation flog auf, und Masloh trennte sich von Schmeisser und Schretzmair. Durtal stellte Schmeisser und Dorothy eine beschlagnahmte Villa in Boppard zur Verfügung und beauftragte sie mit der Überwachung sowjetischer Agenten im Rheinland und in Westfalen. Außerdem sollten sie in Beziehungen zu Persönlichkeiten des Parlamentarischen 1
BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 35-42 bzw. Bl. 13-17, Protokoll der Vernehmung Schmeissers bzw. D. Schretzmairs jeweils in Kehl, 16.1.1952; Ebd., Bl. 6-12, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Freiburg, 16.1.1952, hier: Bl. 6-9; Ebd., Bd. 240, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Wiesbaden, 22.11.1951, hier: S. 3f., 18-21; PA/AA, B 130, Bd. 13798, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in München, 2.12.1953, hier: S. 5.
Die Schmeisser-Affäre
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Rates treten. Sie bekamen Ausweispapiere auf den Namen Levacher (René und Schwester). Auf Anweisung Durtals blieb Dorothy mit der Sûreté Neustadt in Kontakt und ließ dort verlauten, Schmeisser sei Journalist in Wiesbaden. Demgegenüber behauptet Risse alias Hover, das Pärchen habe heimlich Quellen der BDoc der Sûreté übergeben. 2 Schmeisser baute ein Netz von Verbindungsleuten auf und betrieb auch eigene Recherchen. Er nannte zehn VLeute namentlich, darunter auch Blankenhorn. Über Ergebnisse dieser Kontakte berichtete Schmeisser dem „Zweiten Büro“ in Neustadt a.d.W. Zudem informierte er auch das von Blankenhorn geleitete Sekretariat Adenauers. Umgekehrt übermittelte dieses ihm Nachrichten. Blankenhorn habe gewußt, daß sie für das Deuxième Bureau bestimmt waren. Im Mai 1949 kam es zum Bruch zwischen Schmeisser und Durtal. Verschiedene Dinge waren mißlungen: 1) Ein V-Mann Blankenhorns sollte in die Ostzone gebracht werden, was durch Verschulden französischer Stellen fehlschlug. 2) Die CDU brauchte dringend finanzielle Mittel für die Bundestagswahlen, und Durtal hatte Hilfe in Aussicht gestellt. Er wurde jedoch von seinen Vorgesetzten im Stich gelassen. 3) Am gravierendsten war der Fall des Hannoveraner Verlegers Eric Uwe Müller-Schwanek („Die Straße“). Das Deuxième Bureau beauftragte Schmeisser, Müller-Schwanek nach Rhens am Rhein zu bringen, wo dieser eine Zeitung „aufziehen“ sollte, die den Zwecken der BDoc diente. Es entwickelte sich reger Kontakt mit Müller-Schwanek. Eines Tages entlarvte der britische Nachrichtendienst MüllerSchwanek als SS-Obergruppenführer und Leiter des SD Pommern mit Namen Erich Müller. 3 Zudem sei er für den SSD der „Sowjetzone“ tätig. Müller-Schwanek entpuppte sich als „Nachrichtenschwindler“, der mit unterschiedlichen Geheimdiensten operierte. Dem Journalisten Georg Schneider zufolge hatte Schmeisser sehr wohl gewußt, daß MüllerSchwanek sowjetische Kontakte besaß und dies sogar nachrichtendienstlich ausgenutzt.4 Als Schmeisser das Geschäft noch lukrativer machen wollte und britische Stellen einschaltete, hätten diese Müller-Schwanek unerwartet „hochgehen“ lassen. Der französische Geheimdienst sei über Schmeissers Doppelspiel erbost gewesen. Schmeisser wurde in Boppard aber auch straffällig. Der rheinland-pfälzische Innenminister Aloys Zimmer präzisierte am 10. Juli 1952, was Schmeisser in der Stadt am Mittelrhein zu verantworten hatte. 5 Er wohnte dort von November 1948 bis Februar 1949 unter dem Falschnamen Dr. René Levacher. Auf diesen Namen lautete ein Presseausweis der französischen Nachrichtenagentur Havas. In dieser Zeit liefen neun Verfahren gegen ihn wegen Betrug und Urkundenfälschung mit einem Gesamtschaden von 7.500 DM. Das von der Polizeiverwaltung Boppard eingeleitete Verfahren mußte am 10. März 1950 an das französische Tribunal in Koblenz übergeben werden. Neben den Münchner „Sünden“ wegen passiver Bestechung und Schwarzhandel hatte Schmeisser auch mit der Staatsanwaltschaft Frankfurt Schwierigkeiten, die ihn der Unterschlagung, versuchten Urkundenfälschung und unberechtigter Titelführung („Dr. Jung“) verdächtigte. Ein Oberstleutnant aus Oberwesel namens Alfred v. O. war einer der von Schmeisser in seiner Bopparder Zeit Geprellten. Er sei um 8.000 DM betrogen worden, teilte er dem Kanzleramt am 14. Juli 1952 mit. 6 Seine in Koblenz erhobene Klage mußte am 3. März 1950 an die französische Justiz weitergeleitet werden. Das französische Gericht in Koblenz ließ es bei einer Zeugenvernehmung bewenden. Der Oberstleutnant wollte wissen, ob auch die Klage des Kanzlers wieder von französischen Justizbehörden übernommen würde. Sollte dies nicht 2 3 4 5 6
Hover, Fall Schmeisser, S. 27-29. Dazu auch „Die Welt“, 18.6.1949: „In Wirklichkeit: Müller“. Demnach wurde die vorläufige Lizenz für die „Straße“ nicht in eine endgültige umgewandelt. PA/AA, B 2, Bd. 354A, Manuskript Georg Schneiders, Geheimagent Schmeisser, hier: S. 5. Ebd., Schreiben Zimmers an Bundeskanzleramt, 10.7.1952. BA, B 136, Bd. 241.
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Pfalz - Schmeisser in Landau, Boppard, Ludwigshafen und S b k (194 1951)
der Fall sein, wolle auch er versuchen, seine Sache vor ein deutsches Gericht zu bringen. Vielleicht könne das Kanzleramt ihm dabei behilflich sein. Angeblich war Frau v. O. frankophil und gab Levacher ein Darlehen zur Gründung eines deutsch-französischen Informationsdienstes. 7 Er kaufte mit dem Geld ein Auto und einen Photoapparat. Der Polizei Boppard zufolge schädigte er Frau von O. um 6.300 DM. 8 Schmeisser verschwand damals spurlos. Die Polizei der rheinischen Kleinstadt zeigte Levacher/Schmeisser am 21. Juli 1949 wegen Anhäufung von Schulden in ortsansässigen Geschäften an. Die französische Militärregierung zog das Verfahren an sich. In einer Aufzeichnung vom 29. Oktober 1952 9 erteilte die Militärbehörde in Tübingen knappe Auskunft über die Betrügereien Schmeissers, der eine Frau v. O. um 7.500 DM geprellt habe. Schmeisser sei ein Gauner („escroc“), der versucht habe, die französische Hohe Kommission durch Vorspiegelung guter politischer Beziehungen in die Irre zu führen. Dieser Bescheid reichte Blankenhorn nicht, der Schmeissers Sündenregister sorgfältig recherchieren ließ. Er bat Innenminister Zimmer am 10. November 1952, die französische Dienststelle um Einsicht in die Akten des Falles O. zu ersuchen. Zimmer erwiderte am 16. April 1953, der französische Sachbearbeiter in Rastatt habe telefonisch beim Justizministerium nachgefragt, zu welchem Zweck die Unterlagen benötigt würden. Vermutlich werde dem Antrag nicht stattgegeben, wenn er (Blankenhorn) als Auftraggeber bekannt würde. Was solle er also tun? Im übrigen läge ein erheblicher Teil der Dokumente in der Sache O. in Kopie bei der deutschen Polizei. Da nichts weiter überliefert ist, nahm Blankenhorn wahrscheinlich diese Anregung auf und begnügte sich mit dem Material, was ohne weiteres herangezogen werden konnte. Die Angelegenheit O. war auch nur von untergeordneter Bedeutung. Die Personalakte Schmeissers aus dem bayerischen Sonderministerium besorgte sich Blankenhorn über die Münchner Staatskanzlei. Andernorts belegt ist ein Besuch Levachers beim Frankfurter Vertreter des Büros für Friedensfragen, Graf Posadowsky-Wehner, am 3. November 1948. 10 Levacher sprach von der Saar über die niederländischen Gebietsansprüche, die Verhältnisse in der SBZ und die Rheinland-Forderungen de Gaulles alle seine Auftraggeber interessierenden Themen an. Posadowsky kannte ihn schon – er hielt ihn wie Blankenhorn für einen Franzosen. Levacher trat in diesem Fall aber nicht als Mann des Geheimdienstes auf, sondern als Sammler von Informationen für die französischen Besatzungsbehörden. Das Büro für Friedensfragen war dafür sicherlich eine geeignete Anlaufstelle. Im übrigen beobachtete Posadowsky eine gewisse Vorsicht gegenüber seinem Besucher. Durtal war über die nachrichtendienstlichen Pannen in Boppard so wütend, daß er Schmeisser und seine Freundin aus der Villa hinauswarf und ihnen nicht einmal noch ausstehende Gelder zahlte. 11 Der Aufforderung, nach Österreich oder Italien zu gehen, kam Schmeisser nicht nach. Das Pärchen reiste über Trier nach Wiesbaden und kam dort bei Familie B. unter. Vater Schretzmair hatte die Polizei eingeschaltet, um seine Tochter zu finden. Dorothy kehrte mit ihm nach München zurück. Schmeisser begab sich nach Neustadt a.d.W. in die Obhut eines anderen französischen Nachrichtendienstes, der rein politisch 7 8 9 10 11
PA/AA, B 2, Bd. 354A, Manuskript Georg Schneiders, Geheimagent Schmeisser, hier: S. 5f. BA, B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 2, Bl. 19-20, Vermerk Grützners, Geheim, 12.10.1955. PA/AA, B 2, Bd. 354A (auch für das Folgende). BA, Z 35, Bd. 226, Aktenvermerk Posadowskys, 5.11.1948. Vgl. Anm. 1. In Kehl sagte Schmeisser am 16.1.1952 aus, Durtal habe ihm und Dorothy im Interesse ihrer Sicherheit befohlen, sofort unterzutauchen (BA, B 136, Bd. 50385, Protokoll der Vernehmung Schmeissers, hier: Bl. 38). Müller-Schwanek soll über umfangreiches Material verfügt haben, das geheime Verbindungen Kurt Schumachers mit Grotewohl dokumentierte (ebd.).
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ausgerichtet war. Einen Monat beherbergte ihn dessen Leiter Laurent, bevor er ihn im August 1949 zur Sûreté in Ludwigshafen unter Declais 12 schickte. Dieser kümmerte sich um politische Fragen, besonders um die Position der Kirchen in der Saarfrage und um rechtsextreme Kreise wie die Bruderschaften oder Strasser. Seine Informationen übermittelte er an die Direktion der Sûreté in Baden-Baden. Im Januar 1950 verließ Dorothy ihre Eltern unter einem Vorwand und gesellte sich wieder zu Schmeisser. Da Dorothy nicht mehr mitmachen wollte, stellte Schmeisser eine Hella Hubaleck ein, die nach ihrer Heirat Bockstedte hieß. Der Luxemburger Louis Knaff – Chefredakteur der „Saarbrücker Zeitung“ – bewog Schmeisser in Ludwigshafen dazu, zusammen mit einem anderen Luxemburger namens Alois Kayser ein Pressebüro zu gründen. Dieser Kayser habe freilich für den tschechoslowakischen Geheimdienst gearbeitet. 13 Kayser bootete Schmeisser aus, indem er den Franzosen erzählte, Schmeisser werde von deutschen Behörden gesucht. Inzwischen machte Schmeisser die Bekanntschaft eines Polizeikommissars Haiblet, der bei der Brigade de Surveillance Territoire (BST) in Saarbrücken arbeitete, die Fontaine leitete. Im März oder Mai 1950 begaben Schmeisser und Schretzmair sich in die saarländische Hauptstadt und wohnten in der Richard-Wagner-Straße. Die dortige BST betätigte sich in Frankreich sowie in den französischen Besatzungszonen von Deutschland und Österreich. Schmeisser arbeitete zwei Monate für diese Organisation. Er suchte langsam Distanz und wandte sich dem Journalismus zu. Schmeisser schrieb für die „Saarbrücker Zeitung“, ab Januar 1951 für die „Saarländische Volkszeitung“, das Parteiorgan von Hoffmanns Christlicher Volkspartei (CVP). Dorothy hatte die Verbindung mit der SVZ über die Frauenreferentin der Saarregierung, Hedwig Behrens, hergestellt. Sie selbst arbeitete beim Frauenfunk von Radio Saarbrücken. Schmeisser reiste nach Spanien und Frankreich. Bei seinem anderthalbmonatigem Aufenthalt in Madrid trat er in Verbindung mit dem Neffen von Canaris, außerdem mit den emigrierten Gebrüdern Lipperheide. Canaris hatte als ehemaliger Abwehrmann Fühlung mit dem spanischen Nachrichtendienst. 14 Schmeisser machte für den saarländischen Rundfunk Tonbandaufnahmen in Spanien und Photos für eine Stuttgarter Illustrierte. Anfang 1951 traf er seinen früheren Münchner Vorgesetzten Ziebell wieder. Dieser stand in Verbindung mit der BST Saarbrücken und dem dortigen französischen Hohen Kommissariat, was jedoch angeblich im Auftrag der SPD erfolgte. Obwohl Ziebell in seiner beeideten Vernehmung durch Landgerichtsrat Mollenhauer am 5. Dezember 1953 15 in mehreren Punkten die Unwahrheit sagte, müssen seine Äußerungen über das Wiedersehen mit Schmeisser geprüft werden: Im November/Dezember 1949 traf er Schmeisser und Masloh in Saarbrücken auf der Straße. Schmeisser lud ihn zu einem Besuch in seiner Ludwigshafener Wohnung ein. Ziebell nahm die Einladung an. Schmeisser erzählte von seiner Tätigkeit für den französischen Nachrichtendienst. Er solle eine deutsche nationale Widerstandsbewegung sammeln. Dies habe nur den Zweck, den Franzosen die Namen ihrer Gegner bekannt zu machen. Er berichtete des näheren über seine Bekanntschaft mit Blankenhorn sowie über den Diebstahl der Pfalz-Akten in der bayerischen Staatskanzlei. Warum Schmeisser das alles sagte, wisse er nicht. Vielleicht wollte er umgekehrt einiges von ihm (Ziebell) erfahren. Schmeissers Dienststelle ließ Ziebell nämlich wegen vermuteter Beziehungen zu den Amerikanern überwachen. Möglicherweise wollte Schmeisser auch prahlen oder sein Mitteilungsbedürfnis befriedigen. Ziebell zweifelte an den Angaben 12 13 14 15
Auch Schreibweise „Declays“. BA, B 136, Bd. 240, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Wiesbaden, 22.11.1951, hier: S. 31f. Zur Tätigkeit der Geheimdienste in Spanien: Faligot/Krop, DST, S. 151-153; Faligot/Krop, La Piscine, S. 77-79. PA/AA, B 130, Bd. 13798.
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Pfalz - Das Agentenehepaar Ziebell und die Nachrichtenfalle d BST
bezüglich Blankenhorns, weil Schmeisser nur ein kleiner Referent gewesen war. Schmeisser hatte tatsächlich den Auftrag, ihn (Ziebell) auszuhorchen, wie sich herausgestellt habe. Schmeisser erstattete Bericht über jede Begegnung und erhielt Weisung, den Kontakt abzubrechen, weil Ziebell viel mehr über Schmeisser erfuhr als umgekehrt. Dies alles habe Schmeisser später eingestanden. Im Frühling 1950 beschuldigte die französische Politische Polizei Ziebell, Staatsgeheimnisse nach Deutschland verraten zu haben. Gemeint waren die Aktivitäten Schmeissers in Boppard. Ziebell entgegnete, er leite überhaupt nichts weiter, und schon gar nicht einen „derartigen Unsinn“ wie die angeblichen Beziehungen zu Blankenhorn. Der Ziebell verhörende stellvertretende Leiter der Politischen Polizei schlug mit der Faust auf den Tisch und verbat sich „faule Ausreden“. Blankenhorn habe monatlich 500-600 DM vom französischen Nachrichtendienst erhalten. Demnach schien Schmeisser doch nicht geschwindelt zu haben. Der Beamte nannte andere Zahlen als Schmeisser und schien sie aus amtlichen Unterlagen zu kennen. Ziebell entging nur knapp und dank der Hilfe von Freunden einer Anklageerhebung. Voraussetzung für diese Hilfe war allerdings die Weitergabe der Blankenhorn-Sache an diejenigen, die Ziebell aus dieser Verlegenheit helfen konnten – zuvor hatte er nichts gesagt. Tatsächlich dürfte Schmeisser seinen alten Bekannten nicht zufällig wiedergetroffen haben. Ziebell stand zwar nicht im Verdacht, für den amerikanischen Geheimdienst zu arbeiten, wohl aber für den sowjetischen. Schmeissers Aktion scheint auch nicht so erfolglos gewesen zu sein, wie Ziebell behauptete. Ziebell erfuhr aber zweifellos von den Kontakten Schmeissers mit Blankenhorn. Die französische Hohe Kommission in Saarbrücken kümmerte sich im übrigen nicht um Ziebells Drähte nach Karlshorst. Die erwähnte Vorsprache bei der Sûreté dürfte stattgefunden haben – doch völlig anders verlaufen sein, als Ziebell schilderte. Dieser war seit 1947 keineswegs müßig gewesen. 2) DAS AGENTENEHEPAAR ZIEBELL UND DIE NACHRICHTENFALLE DER BST Wie war es Ziebell inzwischen ergangen? Ein Bericht aus dem Umkreis des Verfassungsschutzes vom 4. Januar 1953 zeigt, wohin er sich nach seiner Flucht aus Bayern Anfang 1947 wandte. 16 Der Bericht stammt wahrscheinlich von Friedrich Victor Risse. Ziebell gründete demnach binnen drei Wochen in der Saaruferstraße die Firma „Industrieanlagen GmbH. Saarbrücken“. 17 Es habe sich um eine getarnte Niederlassung frankophiler bayerischer Separatisten gehandelt. Die Münchner Vertretung der „Industrieanlagen GmbH.“ übernahm Anton Karl, früher Direktor des Kräutergartens Dachau, einer dem dortigen KZ angegliederten riesigen Anbau- und Forschungseinrichtung für Gewürz- und Heilkräuter 18. Karl soll im Dritten Reich beste Beziehungen zu höchsten Stellen gehabt haben. 19 Die Firma machte einträgliche Devisengeschäfte, bei denen sie ihre Kunden geprellt habe. Josef Müller erteilte Ziebell laut Karl Mitte 1947 den Auftrag, für die Franzosen ein Memorandum zur Ruhrfrage anzufertigen. Ziebell speiste in Saarbrücken im französischen Offizierskasino und vermochte sich üppig mit Lebensmitteln einzudecken. In Scheidt bei Saarbrücken bezog Ziebell wieder einmal eine beschlagnahmte Villa.20 Aus einer anderen Quelle21 verlautet, an der 16 17 18 19 20 21
BA, B 136, Bd. 241, Betr.: Konrad Schmeisser, 4.1.1953, hier: S. 12. Frederik, Ende einer Legende, S. 125. Ludyga, Philipp Auerbach, S. 59. Hover, Fall Schmeisser, S. 10. Dazu auch LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 449, Notiz, o.D. Demnach wohnte Ziebell in Neuscheidt in der Karl-Marx-Straße. Ferner: Hover, Fall Schmeisser, S. 23. BA, B 136, Bd. 241, Schreiben Rechtsanwalt B. an Blankenhorn, 4.10.1955.
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dubiosen Firma in Saarbrücken sei auch ein kommunistischer Agent beteiligt gewesen, der später verhaftet wurde. Diese Firma habe Pässe, die im französischen Innenministerium gestohlen worden seien, an kommunistische Spione weitergeleitet. Ziebell erhielt einen saarländischen Paß unter dem Namen Georg Ziebel aus Neunkirchen, mit dem er behördlich auffiel, weil er 1949/50 in Ludwigshafen wegen Benutzung gefälschter Freifahrkarten von der dortigen Eisenbahnverwaltung unter die Lupe genommen wurde. 22 Der Bericht Risses 23 enthält auch eine protokollarische Schilderung Hella Hubalecks vom 24. März 1950 über einen Besuch, den Ziebell ihr in Ludwigshafen am gleichen Tag abstattete. Er fuhr in einem Wagen des Hohen Kommissariats an der Saar mit Chauffeur vor. Ziebell fragte Hubaleck bei einem gemeinsamen Einkauf im Economat 24, ob sie mit ihrem Chef BrunnerSchmeisser und ihrem Einkommen zufrieden sei. Als Hubaleck verneinte, erkundigte sich Ziebell, warum sie dann nichts anderes tue. Er fragte ferner, ob Hubaleck die Zeitungsartikel selber schreibe, was diese zum Teil tat. Sie verabredeten ein geheimes Treffen am 31. März. Zu diesem Zeitpunkt sollte Hubalecks Vorgesetzter an der Saar sein. Bei einer Vernehmung durch die BST am 30. März 1950 25 erklärte Hubaleck, Ziebell sei unangemeldet in ihrer Privatwohnung in der Ludwigshafener Stifterstraße erschienen. Er machte ihr folgenden Vorschlag: Sie sollte aus den Privatberichten Schmeissers alles Bemerkenswerte herausschreiben und ihm übergeben; er wolle dies der französischen Boulevardpresse überlassen. Es ging ihm vor allem um die Themen Rechtsparteien, Politik und Wirtschaft. Pro Bericht sollten ihr 4.000-5.000 ffrs. zufließen, die er ihr unmittelbar nach Erhalt gäbe. Als Hubaleck nach den Namen der französischen Zeitungen fragte, wich Ziebell aus und murmelte etwas von „Le Figaro“. Er erwartete drei bis vier Berichte wöchentlich und forderte absolute Geheimhaltung. Brunner nähme ihr sonst wohl das Geld ab. Hubaleck weihte Schmeisser ein, denn der Bericht und das Vernehmungsprotokoll der BST tragen auch seine Unterschrift. Hubaleck arbeitete für die BST, die vermutete, Ziebell wolle die Durchschläge der Berichte für östliche Dienststellen. Deshalb wurde im April 1950 eine Zweckmeldung lanciert. 26 Diese hatte einen Umfang von einer halben Seite und betraf einen vermeintlichen Entschluß Blankenhorns, seine Saarpolitik zu ändern. Es ging um eine angebliche Verbindung zur Hoffmann-Regierung, für die einige Details genannt wurden. Der französische RadioAbhördienst erhielt den Auftrag, in ostzonalen Sendern nach Meldungen dieser Art zu forschen. Tatsächlich erschien wenige Tage später die gesuchte Nachricht. Ziebell wurde von der BST entlassen. Am 9. Oktober 1951 erschien Frau Brunner – also Dorothy Schretzmair – bei Gustav Strohm im Auswärtigen Amt und erzählte ihm, Ziebell sei mit seiner angeblichen Ehefrau nicht verheiratet; 27 diese stamme auch nicht aus Prag. Vielmehr sei sie eine kommunistische Agentin, die ihn unter Druck setze. Sie besitze ein Ausreisevisum für Chile. Hubaleck sagte Bodens am 3. Dezember 1951 28, Ziebells Frau sei gleichzeitig mit ihm aus Saarbrücken verschwunden. Ziebell gestand gegenüber Masloh und Schmeisser ein, daß sie eine sowjetische Agentin sei. Zuvor war sie in eine Nachrichtenfalle getappt, die Schmeisser ihr 22 23 24 25 26 27 28
LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 514, Schreiben Düx und Busch an Amtsgericht Frankfurt-Höchst, 25.11.1953, hier: S. 11. BA, B 136, Bd. 241, Betr.: Konrad Schmeisser, 4.1.1953, hier: S. 13. Es handelt sich um Läden, die für französische Truppen und ihre Familienangehörigen vorbehalten blieben. Nur mit einem besonderen Ausweis konnte dort eingekauft werden. Dazu BDFD III, Nr. 367, hier: S. 978. BA, B 136, Bd. 241, Betr.: Konrad Schmeisser, 4.1.1953, hier: S. 14. Ebd., S. 15-16. BA, B 137, Bd. 16540, und PA/AA, B 2, Bd. 354A, Schreiben Strohms an BMG, 12.10.1951. BA, B 137, Bd. 16540, Vermerk Bodens, Vertraulich, 6.12.1951.
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auftragsgemäß gestellt habe. Solange sie nichts gegen Frankreich unternahm, habe der SDECE sie geduldet. Immerhin gelte sie als maßgebliche Lieferantin westdeutscher Nachrichten für Karlshorst. Laffon habe das Ehepaar Ziebell geführt, während Fontaine der Chef Schmeissers gewesen sei. Masloh sei nun von Laffon in der Umgebung von Ministerpräsident Hoffmann plaziert worden. Schmeisser erklärte bei einer Vernehmung 29, nach Feststellung des Frankenthaler Wirtschaftsprüfers H. verfüge Frau Ziebell über drei Pässe: einen deutschen, einen saarländischen und einen tschechischen. Der BST in Saarbrücken fiel auf, daß Frau Ziebell stets vor Ort war, wenn französische Hafenarbeiter anläßlich amerikanischer Waffenlieferungen an Frankreich streikten. Frau Ziebell wurde als Ostagentin eingeschätzt. Ziebell kam zur Jahreswende 1950/51 mehrfach zu Schmeisser nach Ludwigshafen, um größere Francsbeträge in DM umtauschen zu lassen und diese dann an verschiedene Adressen in Hessen zu übersenden. Als es einmal Schwierigkeiten gab, warf Frau Ziebell Schmeisser bei der nächsten Begegnung in Saarbrücken die unpünktliche Zustellung vor. Ziebell selbst machte einen eher unbeteiligten Eindruck. Der wohl von Risse verfaßte Bericht aus dem Umkreis des Verfassungsschutzes vom 4. Januar 1953 befaßte sich u.a. mit Ziebells Frau, die nach der Flucht ihres Mannes aus Bayern 1947 vergeblich versuchte, das Mobiliar der Villa in Geiselgasteig zu verkaufen.30 Sie folgte ihrem Mann einige Monate später an die Saar. Im Jahre 1953 wohnte sie als Madame de Laborie in Santiago de Chile. Sie hatte etwas von einer „Bardame vom Berliner Kurfürstendamm“ und beeindruckte mit ihrem „katzenhafte[n] Wesen“. 31 Sie sprach Tschechisch, Englisch, Deutsch und Französisch und verstand es, gute Beziehungen zu den Besatzungsmächten zu pflegen. Das BfV wußte im Oktober 1952 von Frau Ziebells Aufenthalt in Chile, der angeblich gewissen Aufkäufen diene und im Auftrag der UdSSR erfolge. 32 Über ähnliche Informationen verfügte der hessische Agent Krüger, dem zufolge sie sich in Santiago als Modeschöpferin tarnte. 33 Die weitere Entfaltung der persönlichen Geschichte von Schmeisser und Ziebell erfordert nun eine nähere Prüfung, was die französischen Agenten in der Pfalz konkret taten. 3) OPERATIONSGEBIET PFALZ a) Der pfälzische Separatismus Im Mai 1945 bildete die amerikanische Militärregierung in Neustadt a.d.W. ein Oberpräsidium unter Hermann Heimerich, das für die Provinz Saarland-Pfalz-Südhessen zuständig sein sollte. 34 Noch im selben Monat kamen die Regierungsbezirke Trier und Koblenz hinzu. Am 1. Juni wurde daraus die neue Verwaltungseinheit „Mittelrhein – Saar“.35 Als der französische General Montsabert am 10. Juli 1945 den so geschaffenen Raum vom amerikanischen General Hugh J. Gaffey übernahm, war Heimerich weiter im Amt. Ende Juli begann die Auflösung von „Mittelrhein – Saar“ durch Übertragung besonderer Kompetenzen auf den ohnehin mit 29 30 31 32 33 34 35
BA, B 136, Bd. 241, Protokoll der Vernehmungen Schmeissers in Starnberg vom 10.-20.10.1952, hier: S. 1f. Ebd., Betr.: Konrad Schmeisser, 4.1.1953, hier: S. 12f. Hover, Fall Schmeisser, S. 23f. BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 77-83, [Hofmann, LfV Niedersachsen], Ermittlungsergebnisse im Fall Schmeisser – Der Spiegel, Geheim, [20.10.1952], hier: Bl. 82. BA, B 106, Bd. 15459, Manuskript von Dr. Horst Krüger, o.D., hier: S. 27. Kratz, Mittelrhein – Saar, S. 13-31; Springorum, Entstehung, S. 62-71; Wünschel, Schicksalsjahre, S. 9-12. Kratz, Mittelrhein – Saar, S. 32-48; Wünschel, Separatismus, S. 35-51; Ders., Schicksalsjahre, S. 12-16.
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Heimerich zerstrittenen Regierungspräsidenten von Saarbrücken, Hans Neureuter. 36 General Pierre Billotte verkündete gleich darauf die Aufhebung von „Mittelrhein – Saar“. Damit waren die Regierungsbezirke Saarbrücken, Trier und Koblenz sowie der Verwaltungsbezirk HessenPfalz in Neustadt jeweils unabhängig voneinander. Aloys Masloh war im Sommer 1946 das Bindeglied zwischen Mouvement pour le Rattachement de la Sarre à la France (MRS) und Mouvement pour le Rattachement de la Palatinat à la France (MRP), hielt sich aber im Hintergrund. 37 In den Jahren 1945 bis 1947 tauchten eine Reihe von separatistischen Bewegungen in der Pfalz auf, die von französischen Stellen diskret gefördert wurden. 38 Sie propagierten die Verbundenheit mit Frankreich als Wahrer der abendländischen Kultur und die nötige Abkehr vom preußischen Militarismus. Dagegen durften sich die traditionellen Parteien nur auf regionaler Ebene betätigen und wurden bei ihren Aktivitäten massiv behindert. 39 Hans-Jürgen Wünschel, der die vorsichtige Unterstützung der Franzosen für den pfälzischen Separatismus geschildert hat, meint hinsichtlich der Separatisten: „Sie paßten offenbar nur zu gut in die Pläne Frankreichs, vom Deutschen Reich losgelöste, selbständige Staaten zu schaffen.“ 40 Bezeichnenderweise bekleideten einige Offiziere führende Positionen in der Militärregierung, die schon 1919 und 1923 den Separatismus im Rheinland und in der Pfalz gefördert hatten. 41 Insbesondere Kaiserslautern und Landau waren Zentren dieser im Volk nur schwach verankerten Bewegung. Als die pfälzischen Separatisten am 26. Mai 1946 eine Kundgebung in Kaiserslautern 42 abhielten, gehörte mit Carl-Felix Koch der Vizepräsident des Oberregierungspräsidiums Hessen-Pfalz zu ihren Rednern. 43 Koch war ein Vertrauensmann der französischen Besatzungsmacht in der deutschen Verwaltung, was in abgeschwächter Form auch auf seinen CDU-nahen Vorgesetzten Otto Eichenlaub zutraf. 44 Die CDU drängte freilich rasch den Einfluß allzu frankophiler Kräfte in ihren Reihen zurück, obwohl gerade die Koblenzer Gruppe um Altmeier und Süsterhenn einen prononciert föderalistischen Kurs verfolgte. 45 Die Militärregierung forderte, der Pfalz im neu gebildeten Land Rheinland-Pfalz eine Sonderstellung zu gewähren. 46 Sie sollte den Status einer „Provinz“ erhalten mit einem eigenen Staatssekretär an der Spitze. Die rheinland-pfälzische Regierung und die im Landtag vertretenen pfälzischen Politiker sträubten sich gegen diese Vorgaben, deren Zweck auf der Hand lag. Die Verfassung von Rheinland-Pfalz vom 18. Mai 1947 enthielt schließlich den geforderten Passus nicht, weil der Widerstand in den Parteien zu stark war. Am 6. November 1947 debattierte der Landtag offen über den pfälzischen Separatismus, der in scharfer Form 36 37 38
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Kratz, Mittelrhein – Saar, S. 65-68; Springorum, Entstehung, S. 93-97, 110-112; Wünschel, Schicksalsjahre, S. 16-22; Altmeyer, Kapitel; Ders., Militärregierung, S. 242-253; Schmidt, Saarpolitik, Bd. 1, S. 165-168. Wünschel, Neoseparatismus, S. 304-306. Ebd., passim; Wünschel, Separatismus, 7. Kap.; Ders., Schicksalsjahre, S. 25-44 (auch für das Folgende). Dagegen verharmlost Kusch die separatistischen Bestrebungen und wirft der SPD vor, sie künstlich hochgespielt zu haben (Kusch, Wiedergründung, S. 120-129). – Bilanz der Forschungen zur pfälzischen Geschichte zwischen 1945 und 1954 in dem 2004 von Nestler/Ziegler herausgegebenen Sammelband „Die Pfalz in der Nachkriegszeit“. Wünschel, Separatismus, S. 70-80. Wünschel, Neoseparatismus, S. 326; Ders., Separatismus, S. 202-205. Das Motiv der Separatisten sei häufig Anbiederung an die Besatzungsmacht gewesen, um den Folgen der Niederlage zu entgehen. Ebd., S. 64-66. Ebd., S. 136-141. Zum Protest der deutschen Parteien: Ebd., S. 189-191. AdsD, SPD-Bezirk Pfalz, Bd. 0317, Horst-Ludwig Graf, „Separatisten, Generale, Pfälzer... Die Geschichte des Separatismus in der Pfalz in der Zeit nach 1945“, in: „Stimme der Pfalz“ 7 (1956), Heft 1, S. 8-9. Diese Zeitschrift war das Organ des „Bundes Bayern und Pfalz“. Dazu Kusch, Wiedergründung, S. 133-135. Zu Koch und Eichenlaub: Wünschel, Separatismus, S. 49, 193-196, 233-235 (Anm. 76f.); Kusch, Wiedergründung, S. 194-196, 202, 205f. Martin, Entstehung, S. 108-120. Wünschel, Separatismus, S. 57-63 (auch für das Folgende).
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verurteilt wurde. Eine von allen Parteien verabschiedete Erklärung bekundete „Entrüstung und Abscheu“ über die „Umtriebe separatistischer Landesverräter“. 47 Als die pfälzische Bevölkerung und die gewählten Politiker ihre Ablehnung des Separatismus zu erkennen gaben, beendete Frankreich im Laufe des Jahres 1947 seine Unterstützung des MRP, und Masloh siedelte von Neustadt a.d.W. nach Saarbrücken über. Bei seinen Vernehmungen im Oktober 1952 in Starnberg 48 berichtete Schmeisser von einem Treffen in Frankfurt a.M. Anfang Juni 1952, an dem auch Masloh teilnahm. Dieser erzählte, er sei 1948 an der Mosel mit dem heutigen Staatssekretär Dr. Otto Lenz49 im Rahmen der Bayern-PfalzAktivitäten zusammengetroffen. Damals habe Lenz „für eine Französisierung der Pfalz im status der Saar“ plädiert und wohl auch Geld dafür gegeben. Schmeisser wußte bereits von Begegnungen zwischen Lenz und Masloh. Einzelheiten kannte Schmeisser nicht; General Koenig soll Masloh für dessen Verdienste um die Förderung frankophiler Verbindungen belobigt haben. Von Ziebell und Schmeisser bedrängt, gestand Masloh angeblich ein, Abmachungen mit Lenz getroffen zu haben, die aber wegen eines Wandels der politischen Konstellation hinfällig geworden seien. Masloh hatte folgende Kontakte in der Pfalz: Regierungspräsident Eichenlaub; ein Benzingroßhändler in Neustadt/Haardt; Redakteur Ostermeier von der „Rheinpfalz“. Auf bayerischer Seite: ein Bankier Lenz und Harry SchulzeWilde aus Oldenburg. Diese Kreise finanzierten Masloh ebenso wie die Franzosen und wünschten eine Regelung der Pfalzfrage im französischen Sinne. Was taten die französischen Agenten in der Pfalz nach dem raschen Zusammenbruch des Separatismus? Über einen Vorgang berichtete der Münchner Rechtsanwalt Otto Funck seinem Rösrather Kollegen Kurt Adenauer. 50 Er habe vor einigen Jahren mit seiner Frau in Saarbrücken eine Fabrik gründen wollen, nachdem die Niederlassungen in Paris und New York im Krieg verlorengegangen seien. Er hatte dabei Schwierigkeiten mit seinem Partner Ernst Stinnes. Ziebell erfuhr davon und suchte ihn im Saarbrücker Hotel Messmer auf. Funck kannte ihn flüchtig aus Berlin und München. Ziebell rühmte sich seiner Beziehungen zur französischen Hohen Kommission und bot seine Hilfe an. Obwohl er auch Josef Müller als Referenz nannte, blieb Funck reserviert. Ziebell ließ sich nicht beirren und ging ein zweites Mal zu Funck. Er nahm ihn mit auf sein Hotelzimmer und zeigte ihm seinen französischen Paß. Er gab zu, französischer Agent zu sein. Kurz darauf erschienen zwei Mitarbeiter des Deuxième Bureau und boten Hilfe beim Aufbau des Unternehmens in Paris an, sofern er zur Zusammenarbeit mit Ziebell bereit wäre. Funck ignorierte die Offerte. Welchen Zweck verfolgte Ziebell? Ein anderer Fall ist überliefert und gibt nähere Aufschlüsse über die Motive. b) Die versuchte Unterwanderung der Schnellpressenfabrik Albert in Frankenthal Die Schnellpressenfabrik Albert & Cie. in Frankenthal ist heute Bestandteil des PrintKonzerns Koenig & Bauer. Im Gefolge der Weltwirtschaftskrise eingangs der 1930er Jahre geriet die Spezialfirma für Rotationsanlagen in einen Kapitalengpaß und mußte umfangreiche 47 48 49 50
Wortlaut in: Wünschel, Schicksalsjahre, S. 90f. Dazu ferner ders., Separatismus, S. 196-199. Dagegen abwiegelnd: Kusch, Wiedergründung, S. 125-128, 208-210. BA, B 136, Bd. 241, Protokoll der Vernehmungen Konrad Schmeissers in Starnberg vom 10.-20.10.1952, hier: S. 34. Zu dessen Person: Zentrum. Tagebuch Lenz, Einleitung; Jahn, Otto Lenz; Buchstab, Staatssekretär. Über Aktivitäten der hier geschilderten Art ist bislang nichts bekannt. BA, B 136, Bd. 241, Schreiben Funcks an Adenauer, 8.12.1955. Kurt Adenauer informierte am 3.1.1956 das Kanzleramt und bezeichnete Funck als „vertrauenswürdig“.
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Bankkredite in Anspruch nehmen, die aber den Konkurs vom März 1935 nicht verhindern konnten. 51 Die Fabrik wurde im April 1934 in eine GmbH. umgewandelt, im Januar 1937 schließlich in eine Aktiengesellschaft. Gauwirtschaftsberater Bösing verwaltete im Auftrag der Gauleitung Pfalz einen erheblichen Teil der Aktien. Generaldirektor Carl Bettendorff hatte die Gauleitung eingeschaltet, um das Werk zu retten. 52 Offenbar gab es keine ideologischen Motive für seine Initiative. Im Mai 1936 erhielt der Betrieb außerdem von der European Banking and Exchange Co. London als Darlehen eine sog. „Sperrmarkanleihe“ in Millionenhöhe. Innerhalb weniger Jahre blühten Albert & Cie. auf. Die Druckmaschinen aus Frankenthal waren begehrt. Die „Stunde Null“ bedeutete auch für das Frankenthaler Werk einen tiefen Einschnitt – nicht bloß wegen schwerer Bombentreffer am Kriegsende. Am 19. November 1945 wurden Albert & Cie. gemäß Gesetz Nr. 52 unter Sequesterverwaltung gestellt, im darauffolgenden Jahr viele hochwertige Anlagen der Fabrik als Reparationsleistung demontiert. Im Januar 1947 setzten die französische Militärbehörden den Präfekten Gaudard als Administrator ein. Aufgrund von „Säuberungsmaßnahmen“ mußte Direktor Bettendorff 1947 ausscheiden. Das rheinland-pfälzische Landesamt für Wiedergutmachung ernannte am 1. Juni 1947 den Franzosen Gustav Kathagen zum Betriebsverwalter. Fabrikdirektor blieb Karl Rheinganz. Gaudard beendete nun seine Tätigkeit. Albert & Cie. galten nach einem Entnazifizierungsurteil vom 28. Juli 1949 53 als „nicht betroffen“. An der Rüstungsproduktion hatte die Firma keinen nennenswerten Anteil besessen und war auch nicht durch besondere Nähe zur NSDAP aufgefallen. Bis 1948 gestaltete sich der Neuaufbau schwierig, doch nach der Währungsreform begann ein enormer Aufschwung des mittelständischen Unternehmens 54, das sich im Zusammenwirken mit der von den Besatzungsbehörden in Baden-Baden eingesetzten OFFICOMEX fast ausschließlich auf den Export seiner hochwertigen Spezialprodukte konzentrierte. Ein Schwerpunkt lag nun bei hydraulischen Anlagen. Trotz des Booms gab es auch Sorgen: In den Jahren 1949 bis 1951 schwebte eine Klage des ehemaligen Vorstandsmitglieds Dr. Richard Ganss gegen die Firma, weil er den Konkurs von 1935 als politisch und weltanschaulich motiviert bezeichnete; die Klage wurde aber abgewiesen. 55 Der Großteil der Aktien an der Schnellpressenfabrik ging vom Treuhänder des Sondervermögens 56, Gauwirtschaftsberater Wilhelm Bösing, auf das Land Rheinland-Pfalz über, der Rest befand sich in Privatbesitz. Der Direktor des Landesamtes für Wiedergutmachung und kontrollierte Vermögen Rheinland-Pfalz, Dr. Brenner, erinnerte sich im Dezember 1952 an den Besuch eines gewissen de Laborie im Herbst 1949. 57 Dieser bot an, die Schnellpressenfabrik Albert in Frankenthal freizugeben und nur noch das Aktienpaket des Landes zu verwalten. Er wollte als Gegenleistung einen ihm genehmen Aufsichtsrat installieren. Das Geld der Firma sollte im Kampf gegen den Bolschewismus eingesetzt werden. De Laborie lockte Brenner mit einem Aufsichtsratsposten und der Generalvertretung der Fabrik. Er bezog sich ausdrücklich auf den französischen Nachrichtendienst. Brenner hielt ihn hin, um Näheres über die Motive zu 51 52 53 54 55 56
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Firmenarchiv Koenig & Bauer, Firmenchronik (auch für das Folgende). Ebd., Säuberungsspruch der Spruchkammer II Neustadt an der Haardt, 28.7.1949. Ebd. Zum Aufschwung in der Nachkriegszeit neben der Firmenchronik: Ebd., Bericht des Wirtschaftsprüfers Dr. Fluch über die Prüfung nach Gesetz Nr. 52, 27.11.1950. Ebd., Beschluß Oberlandesgericht Neustadt an der Haardt, 9.8.1950. Das Landgericht Kaiserslautern prüfte die Eigentumsverhältnisse und gelangte am 5.11.1952 zu dem Ergebnis, Bösing habe das Aktienpaket als Treuhänder für die NSDAP verwaltet. Nach deren Auflösung falle es dem Land Rheinland-Pfalz zu (ebd.). BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 92-94. Adressat war der rheinland-pfälzische Finanzminister Wilhelm Nowack.
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erfahren. Dabei kam heraus, daß de Laborie eigentlich Ziebell hieß und bei der Entnazifizierung in München mitgewirkt hatte, das er wegen Unregelmäßigkeiten fluchtartig verlassen mußte. De Laborie arbeitete mit einem Dr. Pierre Brun(n)er aus Ludwigshafen zusammen. Beide versuchten 1949, den Sequesterverwalter der Schnellpressenfabrik zu beseitigen, und setzten deren leitende Köpfe unter Druck. Sie drohten, ungünstige Nachrichten über die Firma in die Wirtschaftspresse zu lancieren. Offenbar waren sie auf die Frankenthaler Fabrik verfallen, weil die Tochter des ehemaligen Generaldirektors Bettendorff als Sekretärin bei der Sûreté in Neustadt arbeitete. Es kam aber zwischen den Beteiligten zu Unstimmigkeiten. Zudem geriet Brunner in Geldnot, handelte deshalb auf eigene Faust und lieferte Aktenvermerke bei Brenner ab. Brenner erkundigte sich bei französischen Behörden, die de Laborie nicht kannten. Die Sûreté gab keine Antwort. Brenner regelte dann die Angelegenheit mit den Verantwortlichen. Ende 1952 entdeckte er jedoch de Laborie in Wiesbaden. Er fragte das LfV Mainz, das ihm den Aufenthaltsort dieses Mannes bestätigte. Auch Brunner-Schmeisser sei in Wiesbaden. Dies veranlaßte Brenner, seine Unterlagen dem Verfassungsschutz auszuhändigen. Kaesberger (Innenministerium Rheinland-Pfalz) ließ Schmeisser beobachten und stellte dessen Kontakte mit dem LfV Wiesbaden fest. 58 Worin lag der Sinn dieser Operation? Die von Brenner überlieferten Dokumente geben darüber Aufschluß. Sie wurden ihm seinerzeit gegen Bezahlung von Schmeisser übergeben. Es findet sich zunächst eine Aufzeichnung 59 darüber, daß Ziebell alias de Laborie von der Absicht der Bundesregierung erfahren hatte, einen Nachrichtendienst aufzubauen. Dies solle geschehen, indem den Innenministerien der Länder eine politische Polizei angegliedert werde. Ziebell habe französische Stellen davon überzeugt, ein eigenes deutsches Nachrichtensystem aufzubauen. Auf keinen Fall dürfe der französische Hintergrund bekannt werden. Darum solle das notwendige Kapital durch deutsche Industrieunternehmen beschafft werden. Ziebell plane, durch seine Organisation ehemalige Abwehrleute in den von der Bundesregierung zu bildenden Geheimdienst einzuschleusen. Weitgehende Unterstützung erhalte er von der SPD, die allerdings nicht ahne, daß Frankreich dahinterstecke. Viele Länderinnenminister gehörten der SPD an, was die Sache erleichtere. Als erste Geldquelle sei die Schnellpressenfabrik Albert in Frankenthal ausersehen, bei der es jedoch Mißhelligkeiten gebe. Über diese Probleme klärt eine andere Aktennotiz auf. 60 Am 29. Dezember 1949 fand eine Besprechung zwischen dem ehemaligen Direktor Bettendorff, dem Treuhänder 61 Direktor Hirth und Brunner sowie de Laborie statt. Es wurde verabredet, eine Pressekampagne gegen den Sequesterverwalter Kathagen zu lancieren, falls die derzeitig laufenden regulären Bestrebungen u.a. von Brenner und Regierungspräsident Eichenlaub zur Beendigung der Beschlagnahmung erfolglos blieben. Dabei dürfe der Ruf des Werkes nicht untergraben werden. Kathagen sei kein Fachmann und konzentriere das Geschäft zu sehr auf Pumpen; auch seine Aufsicht über die Firma lasse zu wünschen übrig. Gleichzeitig solle in der Schweiz gegen die Finanzierungsgruppe Mühle Wetzikon vorgegangen werden, die der Züricher Rechtsanwalt Locher vertrete. Diese übe großen Einfluß auf den südamerikanischen Markt aus und habe durch Stützgruppen ein Monopol auf Druckmaschinen in den britischen Dominien. Kathagen und Rheinganz sollen Mühle Wetzikon vertraglich das Recht zugesichert haben, 40% der Frankenthaler Produktion auf dem Weltmarkt absetzen zu dürfen, was den 58 59 60 61
PA/AA, B 2, Bd. 354A, Schreiben Kaesbergers an Innenminister [Zimmer], 17.7.1952. BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 95. Ebd., Bl. 96-98, Aktennotiz, [Ende Dezember 1949]. Dies ist dem erwähnten Beschluß des Landgerichts Kaiserslautern vom 5.11.1952 zu entnehmen (Firmenarchiv Koenig & Bauer).
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Interessen der Fabrik trotz der Zahlung von zunächst 500.000 DM an Investitionsgeldern nicht gerecht werde. Damit schirme die Schweizer Gruppe ihren Markt in Südamerika und im britischen Commonwealth ab. Zudem könne sie die Preise diktieren. Laut Bettendorff hätten Kathagen und Rheinganz vermutlich persönliche Vorteile aus dieser geheimen Vereinbarung mit Mühle Wetzikon. Hirth behauptete, Rheinganz habe sich die Rechte für bestimmte Patente gesichert. Es wurde außerdem über einzelne Bankiers in der Schweiz und in England gesprochen, die – in der Nachfolge der britischen Investorengruppe von 1935 – kleinere Anteile an Albert & Cie. besaßen. Der Schweizer Bankier Seligmann war aus diesem Kreis der einzige, der sein Geld nicht aus dem Werk abziehen wolle, weil er auch geschäftlich interessiert sei; deshalb gebe es Streit unter den Finanziers. De Laborie maß diesen Rivalitäten ebensowenig Bedeutung für seine Zwecke bei wie der Übertragung des Kapitals an Mühle Wetzikon, da dies für Albert & Cie. keinen Unterschied mache. Brenner erörterte die von de Laborie und Brunner ausgehenden französischen Bestrebungen am 21. Januar 1950 mit Kathagen und dem Prokuristen Paul Bell. 62 Zunächst sprach Brenner über die rechtlichen Schritte von Ganss. Dieser habe Verbindungen zu französischen Stellen, die mittlerweile einen Vergleich anstrebten und jetzt lediglich 10% der Aktien reklamierten. Brenner legte dar, das ehemalige NSDAP-Vermögen dürfte dem Land Rheinland-Pfalz zufallen und würde dann von ihm verwaltet. Er werde sich auf nichts einlassen und sich nur an Urteile der Wiedergutmachungskammer halten. Brenner wurde zudem über die Reaktion der Schnellpressenfabrik gegenüber einem „denunzierenden Bericht“ orientiert, der in die Hände der „Deutschen Zeitung und Wirtschaftszeitung“ gelangte. Brenner stellte fest, der Inhalt ähnele auffallend den Informationen de Labories. Brenner fragte außerdem nach Hirth und dessen etwaigen Beziehungen zu französischen Kreisen. Im Juni 1950 wurde offenbar ein Versuch unternommen, ein Treffen mit Bettendorff zu arrangieren. 63 Brenner lehnte dies jedoch kategorisch ab. Es ließ sich auch nicht klären, von wem ein Provinzialdirektor den Auftrag erhalten hatte, Überprüfungen bei der Firma Albert & Cie. vorzunehmen. 64 Die Schnellpressenfabrik bemühte sich 1949/50 ferner darum, die inzwischen von den Treuhändern Payne, Hicks Beach & Co. in London wahrgenommenen Kapitalbeteiligungen der Sperrmarkanleihe abzulösen, was Schwierigkeiten bereitete, da die Gläubiger eine Zahlung auf ein Sperrkonto ablehnten und Devisen wünschten. 65 Eine Mitsprache bei der Geschäftsführung stand dem überwiegend in britischen Händen befindlichen Fremdkapital aber nicht zu. Dennoch ging von den Rückzahlungswünschen der Londoner Anwälte in voller Höhe ein gewisser Druck auf Albert & Cie aus. Bemerkenswerterweise bestand in Frankenthal die Absicht, das Kapital nicht selbst zu übernehmen, sondern an einen anderen ausländischen Investor zu transferieren – offensichtlich an Mühle Wetzikon. Im November/Dezember 1950 gelang Albert & Cie. eine Übereinkunft mit Payne, Hicks Beach & Co. auf der Basis einer Teilzahlung. 66
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Ebd., Bericht Bells über Vorsprache bei Dr. Brenner vom Provinzialamt für kontrollierte Vermögen in Neustadt vom 21. Januar 1950, 24.1.1950. Ebd., Aufzeichnung Bells über Besprechung bei Herrn Dr. Brenner vom Provinzialamt in Neustadt vom 17.6.1950, 19.6.1950. Ebd., Schreiben Brenners an Schnellpressenfabrik Albert, 19.7.1950. Ebd., Schreiben Kathagens an Brenner, 30.9.1950. Ebd., Vereinbarung Payne, Hicks Beach & Co. mit Albert & Cie, 10.11. bzw. 4.12.1950.
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Dies ist der Hintergrund für eine Notiz in der „Deutschen Zeitung und Wirtschaftszeitung“ vom 1. Juli 1950. 67 Nach allgemeinen Angaben über die florierende Firma für Spezialdruckmaschinen mit 1100 Beschäftigten wurde über Differenzen bei den Kapitalgebern berichtet. Wegen des Bankrotts von 1935 seien Mittel einer Schweizer und einer englischen Gruppe geflossen; letztere wolle ihr Geld zurück, erstere Einfluß auf die Geschäfte gewinnen. Zudem habe 1935 ein Gauwirtschaftsführer einen großen Teil des Aktienkapitals übernommen, was nach 1945 zu Schwierigkeiten führte. Angeblich versuche Mühle Wetzikon (Zürich), Einfluß auf das Unternehmen zu erlangen. Diese Schweizer Gruppe habe sich demnach in einem Vertrag mit Albert & Cie. den Absatz für einen Teil der Frankenthaler Erzeugnisse gesichert. Die dortige Geschäftsleitung weiche jeder Auskunft darüber aus und deute an, sie könne in diesen Dingen nicht frei handeln. Eine Beendigung der Sequesterverwaltung würde jedenfalls mehr Freiraum schaffen. Im September 1950 wurde der Firmenmitarbeiter Kloos von einer französischen Dienststelle in Neustadt vernommen. 68 Brenner rätselte, welche Bewandtnis dies nun wieder habe. Sofern Bettendorff dahinterstecke, sei zu erwägen, ihm seine Generalvertretung für Italien und Jugoslawien zu entziehen. Im Oktober 1950 sagten sich ein französischer und ein britischer Industrieoffizier zur gemeinsamen Besichtigung des Werks an, was mit Unbehagen zur Kenntnis genommen wurde. 69 In einem Ermittlungsbericht des BfV wurde sogar geargwöhnt, die Agentengruppe versuche, mit Hilfe des Züricher Rechtsanwalts Locher die Aktienmehrheit an dem Frankenthaler Werk einer ausländischen Interessengruppe zuzuschanzen. 70 Am 14. November 1951 unterrichtete G. Vogtländer vom Unterbezirk Frankenthal das SPD-Bezirkssekretariat Neustadt a.d.W. über seine Recherchen zu dem „Mann mit den 3 Namen“. 71 Dieser betrieb ein Europäisches Pressebüro in Ludwigshafen und gehörte auch der dortigen Sûreté an. Er habe den Artikel inspiriert, wonach sein (Vogtländers) Gewährsmann die Firma X in die Schweiz verkauft und sich selbst „fetten Vertrag“ gesichert habe. Der Gewährsmann wurde zweimal aufgefordert, zu einem Fräulein Hubaleck zu kommen, das wichtige Informationen für ihn habe; er ging aber nicht hin. Der fragliche Mann wollte eine Organisation zur Überwachung der deutschen Wirtschaft einrichten, woran der jetzt abgesetzte Direktor beteiligt war. Der Betrieb sollte die nötigen Mittel aufbringen. Es wurde betont, Bonner Regierungskreise und führende Sozialdemokraten würden dabei mitmachen. In München kenne man den Herrn unter dem französischen Namen („L“). Sein (Vogtländers) Gewährsmann habe die Person nie getroffen, sondern sei von ihr bekämpft worden. Vogtländer konnte dies dem Gewährsmann anhand verschiedener Schriftstücke zeigen. Nähere Auskünfte könne ein Dr. Brunner nebst Frau aus Saarbrücken, Richard-Wagner-Str., geben. Beide arbeiteten für den Saarländischen Rundfunk. Sequesterverwalter Kathagen schied am 12. November 1952 aus und übergab den Betrieb Karl Rheinganz als Generaldirektor. 72 Die Besatzungsperiode war nun für Albert & Cie. Vergangenheit. Offensichtlich bestand zwischen dem bei seinem Ausscheiden bereits 74jährigen Kathagen und den deutschen Firmenvertretern ein gutes Verhältnis, das von 67 68 69 70 71 72
„Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung“, 1.7.1950: „Schnellpressen-Frankenthal – Differenzen der Kapitalgeber?“ Firmenarchiv Koenig & Bauer, Aufzeichnung Bells über Besprechung der Herren Kloos und Bell bei Herrn Dr. Brenner am 15.9.1950 in Mainz, 18.9.1950. Ebd., Telefonbericht Rh.M., 2.10.1950. BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 77-83, [Hofmann, LfV Niedersachsen], Ermittlungsergebnisse im Fall Schmeisser – Der Spiegel, Geheim, [20.10.1952], hier: Bl. 79. AdsD, SPD-Bezirk Pfalz, Bd. 0343. Dazu Unterlagen im Firmenarchiv Koenig & Bauer.
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reibungsloser Zusammenarbeit geprägt war. In seinem Abschlußbericht vom November 1952 gab Kathagen zu erkennen, daß es zeitweise Interventionen von Besatzungsstellen gegeben habe, die mit Hilfe Brenners abgewehrt werden konnten. Der Sequesterverwalter sprach sogar von einem „Labyrinth der Angriffe“. 73 c) Komplexe Motive: Nachrichtenbeschaffung, Kontrolle, Gewinnsucht Es fehlen in dem Puzzlespiel zwar einige Bindeglieder; 74 dennoch läßt es sich weitgehend zusammensetzen. Bettendorff war über seine Ausschaltung verärgert, was der französische Geheimdienst von seiner Tochter erfuhr. Da Bettendorff inzwischen wieder als Auslandsbeauftragter für die Firma tätig war, hatte er Einblicke in die strategischen Entscheidungen der Leitung. Dabei scheint es auch sachliche Differenzen mit Rheinganz und Kathagen über geschäftliche Richtungsbeschlüsse gegeben zu haben. Jedenfalls ließ Bettendorf sich von französischen Dienststellen als Instrument bei dem Bestreben verwenden, die Schnellpressenfabrik Albert für gewisse politische Zwecke zu nutzen. Ein Gleiches galt für den ehemaligen Direktor Ganss, dessen Ansprüche als Jude besonderes moralisches Gewicht besaßen. Ein dritter Hebel war die britische Kapitalgruppe, die lediglich finanziell an dem Frankenthaler Werk interessiert war. Der Baseler Bankier Seligmann und die Züricher Investorengruppe Mühle Wetzikon wetteiferten um geschäftliche Vorteile, die sie aus ihren Beziehungen zu Albert & Cie. ziehen wollten. Wir haben in allen diesen Fällen Indizien dafür gefunden, daß Besatzungskreise – vorwiegend französische, aber auch britische – Druck auf die Firmenleiter einschließlich des französischen Sequesterverwalters Kathagen ausübten. In der Berkelmühle bei Landau gab es von 1945 bis 1947 eine Dienststelle der Sûreté unter einem Professor Bourcard, die sich als „Geologische Kommission“ tarnte. 75 Sie konzentrierte sich darauf, Beziehungen zur pfälzischen Industrie zu knüpfen, um den angestrebten Anschluß der Pfalz an Frankreich auf diesem Weg zu erleichtern. Gerade Firmen, die die deutsche Rüstungsproduktion beliefert hatten, zeigten große Beflissenheit, damit Demontagen und Verhaftungen vermieden werden konnten. Tatsächlich beabsichtigte die französische Regierung, in jedem Fall die von ihr beherrschte Zone umfassend ökonomisch auszubeuten, was für den Wiederaufbau des verwüsteten Frankreich unabdingbar erschien. 76 In den frühen 1950er Jahren hatte sich die Zielsetzung der Sûreté naturgemäß gewandelt. Was wollte Ziebell erreichen? Der pfälzische SPD-Politiker Vogtländer sprach im erwähnten Brief offensichtlich von der Schnellpressenfabrik Albert. Der Zweck bestand darin, mit Hilfe von Kapitalgebern aus der Schweiz Einfluß auf deutsche Industrieunternehmen zu gewinnen. Während die Schwerindustrie an der Ruhr dank des „Schuman-Plans“ einer Europäischen Montangemeinschaft überwacht werden konnte, sollten andere wichtige Branchen durch subtilere Methoden wie Kapitalverflechtungen kontrolliert werden. Die Schweiz eignete sich für solche Manöver besonders: Als neutrales Land gewährleistete sie eine gute Tarnung; zudem verfügte sie über ein leistungsfähiges Bankensystem. Politische Erwägungen von französischen Regierungskreisen und finanzielle oder geschäftliche Motive Schweizer Investoren ließen sich gut kombinieren. Allerdings war der Plan in der Praxis nicht so einfach wie in der Theorie: Manche französischen Dienststellen wußten nichts von dem Konzept und 73 74
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Ebd., Bericht des Betriebsverwalters, November 1952. Nach Auskunft des Firmenarchivs von Koenig & Bauer ließen sich keinerlei Materialien über etwaige Bestrebungen von Mühle Wetzikon oder Verbindungen der Firmenleitung zu dieser Schweizer Finanzgruppe ermitteln. Wünschel, Separatismus, S. 66-68. Bossuat, L’Europe, Première Partie; Henke, Aspekte; Abelshauser, Wirtschaft.
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verfolgten deshalb eine andere Linie gegenüber deutschen Unternehmen, und Sequesterverwalter besaßen ebenfalls erheblichen Einfluß auf das von ihnen verwaltete Werk. Offenbar gab es hinter vorgehaltener Hand bei Albert & Cie. Beanstandungen an den Dispositionen von Kathagen oder Rheinganz. Brenner wiederum scheint zwar alliierte Einmischungen abgewehrt zu haben, arbeitete möglicherweise aber auch auf eine baldige Befreiung der Schnellpressenfabrik von der einengenden Sequesterverwaltung hin. Zu diesen grundsätzlichen Schwierigkeiten gesellten sich Unwägbarkeiten wie die Gewinnsucht skrupelloser Elemente der Kategorie Ziebell oder Schmeisser. Zum Verständnis der Zusammenhänge ist außerdem eine dem SPD-Parteivorstand unterbreitete undatierte Notiz über Nachrichtenorganisationen 77 von Bedeutung: Die Bundesrepublik sei von einem Netzwerk solcher Gruppierungen überzogen. Politiker würden gezwungen, „nicht nur diese Informationen zu empfangen“, sondern „diese nach ihren Quellen zu kontrollieren und d.h. wieder eine eigene kleine Nachrichtenorganisation zu organisieren um Spreu vom Weizen zu sondern.“ Diese Verbindungen seien meist offiziöser Natur. „Unter dem Deckmantel ‚Kampf gegen den Bolschewismus’, ‚Gewinnung des kalten Krieges’, arbeiten diese N-Organe in der Weise, daß sie ein Netz von Vertrauensleuten in alle Regierung[en] und Ämter hineinbringen und in Anlehnung von dieser oder jener Partei oder dieser oder jener Besatzungsmacht oder dieser oder jener Interessengruppe oder Ministerium tätig sind und eine eigene Macht werden.“ Es würden „bewußt und planmäßig Vertrauensleute“ in einflußreiche Positionen eingeschleust. „Aufgabe: ‚Hören und sehen, um zu berichten.’“ Im Jahre 1950 bahnte sich die Bildung des westdeutschen Verfassungsschutzes an. Dieses geheimste aller staatlichen Felder zu infiltrieren erschien Ziebell als verlockender Anreiz. Er bekam von seinen Vorgesetzten offenbar Rückendeckung. Ziebell mußte dafür Geld auftreiben und versuchte, seine Position als Angehöriger der französischen Besatzungsmacht auszunutzen. Per Zufall stieß er auf die Schnellpressenfabrik in Frankenthal. Er hatte die Idee, den Sequesterverwalter zu beseitigen, dessen Entscheidungen nicht immer im Sinne der deutschen Firmenleiter und des Landesamtes für Wiedergutmachung zu liegen schienen. Als Gegenleistung für diesen Dienst verlangte er bestimmte Beträge und eine Beteiligung Schweizer Finanziers. Die in der „Deutschen Zeitung und Wirtschaftszeitung“ auftauchende Meldung scheint von Ziebell lanciert worden zu sein. Schmeisser nahm an diesem Plan zunächst teil, handelte dann aber auf eigene Faust. Er befand sich wieder einmal in Geldnot und verschacherte seine Unterlagen an das Landesamt für Wiedergutmachung. Damit konterkarierte er Ziebells Vorhaben, denn Direktor Brenner konnte nun im Einvernehmen mit der Firmenleitung in Frankenthal gegensteuern. Vermutlich gab es eine Reihe von deutschen Industriebetrieben in der französischen Zone, die sich im Visier des französischen Geheimdienstes befanden. Die stets glänzend unterrichtete prodeutsche Opposition in Saarbrücken nannte in diesem Kontext öffentlich neben der Schnellpressenfabrik Albert noch die Süddeutsche Holzverzuckerungs-AG und sprach von Devisengeschäften Ziebells. 78 Der Saarexperte der SPD, Karl Mommer, erfuhr von Schieberhändeln, die Ziebell für den Luxemburger Knaff – den Generaldirektor der „Saarbrücker Zeitung“ – von Frankenthal aus durchführe. 79 Das SPD-Mitglied Direktor Rheinganz von der Schnellpressenfabrik Albert wisse Näheres darüber. Wieviele solcher Vorgänge sich ereigneten, steht dahin. Vielleicht lassen sich weitere Einzelfälle rekonstruieren, das ganze Ausmaß der Operation dürfte niemals zu ergründen sein. 77 78 79
AdsD, NL Heine, Bd. 145. Vgl. auch Zolling/Höhne, Pullach intern, S. 243. DSZ, Nr. 12, 30.5.1952: „Weiß das die Bundesregierung?“ AdsD, NL Mommer, Bd. 13, Betr. Dr. Zybell, o.D.
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Nicht nur der Zugriff auf deutsche Unternehmen war beabsichtigt. Es sollte ein Netz von Vertrauensleuten installiert werden, das alles für die Besatzungsmacht Wissenswerte sofort meldete und schnelle Reaktionen ermöglichte. Es wird sich zeigen, daß nicht nur Frankreich, sondern auch die Vereinigten Staaten und Großbritannien ähnlich vorgingen. Die mißtrauischen Westalliierten unterwanderten planmäßig Behörden und Institutionen der Bundesrepublik Deutschland. Die Sorge vor einem Wiedererwachen des Nationalsozialismus führte die Feder. Insoweit ist dieses Verhalten verständlich, wenngleich Washington, Paris und London ängstlich bemüht waren, ihre Anstrengungen im Verborgenen zu halten. Der Fall Schmeisser dürfte nur die Spitze des Eisbergs darstellen. Man muß nicht so weit gehen, die gesamte innere und äußere Prägung der Bundesrepublik der „große(n) Spinne des Nachrichtenwesens“ zuzuschreiben, mit der die Westmächte heimlich ihre Werte und Ziele den ohnmächtigen Deutschen aufoktroyiert hätten. 80 Allein, Informanten und Kontrolleure gab es gewiß in großer Zahl. Frankreich war die argwöhnischste der drei Westmächte. Die Zielsetzung von Paris lautete nicht bloß, eine Renaissance des Nationalsozialismus zu verhindern, sondern auch die Macht zentraler deutscher Verwaltungsbehörden zu beschneiden. Bekanntlich trachtete der Quai d’Orsay bis zuletzt, das Entstehen der Bundesrepublik zu verhindern. Es gelang lediglich, eine föderalistische Struktur mit bedeutenden Kompetenzen für die Bundesländer durchzusetzen. 81 Lieber hätte man einen deutschen Staatenbund gesehen. Immerhin waren die von der Sowjetunion beherrschten östlichen Teile Deutschlands in einem eigenen Staat organisiert. Frankreich hoffte in der unmittelbaren Nachkriegszeit, das darniederliegende Deutschland als ökonomische Vormacht in Europa beerben zu können. Die Infiltrierung deutscher Firmen bot auch in dieser Hinsicht Chancen: Einheimischen Konkurrenten konnten vertrauliche Meldungen zugespielt werden. Dies schuf Wettbewerbsvorteile. Das Gebaren des französischen Geheimdienstes besaß also eine Komponente, die Industriespionage zu einer gefährlichen Versuchung werden ließ. Zweierlei muß betont werden: 1) Nur bestimmte Teile der französischen Besatzungsverwaltung und des französischen Geheimdienstes beteiligten sich an den ausgedehnten Unterwanderungsmanövern zur Schwächung der deutschen Industrie und zur Eindämmung des politischen Einflusses der Bundesrepublik. Sie gehörten zum Umfeld der gaullistischen Gruppierungen. 2) Wie bei der „Affaire des Généraux“, so sind auch die nachrichtendienstlichen Operationen in Deutschland nicht ohne die lukrativen Schiebergeschäfte zu verstehen. Waren, die im Zuge der Besatzung alliierten Stellen zufielen, wurden nicht selten von gewinnsüchtigen Individuen zur eigenen Bereicherung ins Ausland verfrachtet. Dabei ließen sich beträchtliche Devisengewinne erzielen. Ein Beispiel für Devisenbetrug durch Angehörige der französischen Besatzungsmacht ist der Fall Zoller. 82 Im Jahre 1950 führten einige dieser Männer unter Beteiligung deutscher Firmen eine umfangreiche Schiebung mit Tarnnetzen durch, die bereits bezahlt waren. Diese wurden noch einmal mit deutschen Besatzungsmitteln finanziert. Die Fäden zog der französische Kaufmann Roger Claude Zoller, der die Bundesrepublik um etwa 10 Mio. DM schädigte. Im Oktober und November 1953 sprachen Vertreter des französischen Innenministeriums in Frankfurt a.M. über diese Angelegenheit mit der dortigen Generalstaatsanwaltschaft und der Oberfinanzdirektion. Das Pariser Innenministerium erfuhr von der Sache durch den 80 81 82
Hermann Schäfer, „Die Macht der Geheimdienste“, in: „Rheinisch-Westfälische Nachrichten für Deutschland“ (Düsseldorf), 8.10.1955. Dies war ein Blatt aus dem rechten Spektrum. Wehner, Westalliierten, S. 216-234, 450-490, 518-521; Maelstaf, Que faire de l’Allemagne?, Deuxième Partie. Die Aktenüberlieferung in mehreren Bundesministerien beträgt einige tausend Seiten. Daher beabsichtigt der Verfasser, diesen Fall in einem Aufsatz näher zu rekonstruieren.
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Agenten Ewald Zweig. Etwa 8,3 Mio. DM sollen zur Finanzierung des Naumann-Kreises 83 verwendet worden sein; dabei handelte es sich um einschlägige Nationalsozialisten innerhalb der nordrhein-westfälischen FDP, die im Januar 1953 von der britischen Besatzungsmacht verhaftet wurden. Der Zweck der Förderung habe darin bestanden, einen Putschversuch in Deutschland zu inszenieren. Daraus sollte ein Beweis dafür konstruiert werden, daß man die Bundesrepublik nicht bewaffnen dürfe. Den Hintergrund bilde ein Konflikt zwischen Gaullisten und Radikalsozialisten in Frankreich. Angeblich billigten nicht nur die Generäle Augustin Guilleaume und Jean Ganeval, sondern auch der Hohe Kommissar André FrançoisPoncet diese Geldzuwendung. Die französische Regierung wolle den Fall „ohne Rücksicht auf einen Prestigeverlust der französischen Besatzungsarmee“ in Zusammenarbeit mit deutschen Behörden aufklären. Die Besucher aus Frankreich räumten die Mitwirkung von Angehörigen der französischen Dienststelle in Baden-Baden an den Machenschaften Zollers ein; diese hätten geglaubt, im nationalen Interesse Frankreichs zu handeln. Die ventilierte Kooperation bei der Aufdeckung kam nicht zustande. Ein enormer Ansehensverlust Frankreichs wäre unvermeidlich gewesen, wenn die Öffentlichkeit von den dunklen Geschäften erfahren hätte. Zudem gelten Operationen des Geheimdienstes überall in der Welt als nationale Anliegen, die fremden Regierungen in aller Regel selbst dann nicht mitgeteilt werden, wenn sie fragwürdig oder gar kontraproduktiv sind. Eine Strafverfolgung Zollers und seiner Komplizen erwies sich 1955 als unmöglich, weil die französische Besatzungsmacht dem unter Berufung auf Gesetz Nr. 1384 entgegentrat, das die Angehörigen der Westalliierten in der Bundesrepublik vor Strafverfolgung schützte. Wir stoßen damit an eine neue Dimension von alliierter Einmischung. Ungeachtet der Bereicherungsversuche bestimmter Individuen gab es von Teilen des Geheimdienstes unterstützte Kreise in Frankreich, die den – gerade erst einsetzenden – Höhenflug der Bundesrepublik Deutschland beängstigend fanden und mit dubiosen Methoden stoppen wollten. Dabei war auch die Subventionierung rechtsextremer Kreise nicht tabu. Diese sollten nicht etwa die Macht in Bonn übernehmen, aber imstande sein, Aktionen durchzuführen, die den Ruf der Bundesrepublik nachhaltig beeinträchtigten. Dies läßt sich an verschiedenen Beispielen demonstrieren, zu denen auch der berüchtigte Fall Naumann zählt. Schmeisser hatte indessen sein Arbeitsgebiet verlagert. Mitte 1951 wurde er wieder in einer heiklen politischen Angelegenheit aktiv, und zwar im Zusammenhang mit dem Verbot der Demokratischen Partei Saar (DPS). Worum handelte es sich dabei?
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Zum Fall Naumann: Frei, Vergangenheitspolitik, S. 361-396; Kittel, Legende, S. 241-249; Tauber, Beyond Eagle und Swastika, S. 132-146, 891-901; Jenke, Verschwörung, S. 161-179; Buschfort, Hüter, S. 241-261; Schleimer, Demokratiegründung, S. 16-21, 26-39; Opitz, Faschismus, Bd. 2, S. 37-52; FDP-Bundesvorstand. Sitzungsprotokolle 1949-1954, Einleitung, S. LVIII-LXIX, und passim; Buschke, Presse, Kap. 8; Knütter, Ideologien, S. 37f. Gesetz Nr. 13: Gerichtsbarkeit auf den vorbehaltenen Gebieten, in: Amtsblatt der Hohen Alliierten Kommission, Nr. 6, 9.12.1949, S. 54-58. Art. 1 regelte den Schutz der alliierten Streitkräfte und ihrer Angehörigen vor Strafverfolgung durch deutsche Gerichte.
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IV. SAAR 1) SCHMEISSER, SCHRETZMAIR UND DIE BONNER MINISTERIEN IM KONFLIKT UM DIE SAAR Die Saar hatte sich 1946/47 unter französischem Patronat von Deutschland in völkerrechtlich anfechtbarer Manier abgespalten und war angeblich autonom. 1 In Wirklichkeit besaß Frankreich dominierenden Einfluß. 2 Die bis dahin unbedeutende Demokratische Partei Saar (DPS) erlebte 1950 einen Führungswechsel, bei dem prodeutsch eingestellte Persönlichkeiten die Macht übernahmen. 3 Vorsitzender wurde der Textilkaufmann Richard Becker, die Fäden im Hintergrund zog der Rechtsanwalt Dr. Heinrich Schneider. Adenauer verurteilte die Saarpolitik des Quai d’Orsay und lehnte eine Anerkennung des „Saarstaates“ ab, doch zugleich wollte er die Annäherung zwischen Bonn und Paris nicht durch allzu energisches Auftreten gefährden. Die frankophile Saarregierung unter Ministerpräsident Johannes Hoffmann sah ihre Position gefährdet und verbot die DPS im Mai 1951 mit der Begründung, sie wolle das bis zum Friedensvertrag gültige Statut der Saar vorzeitig ändern. Diese Handlungsweise verstieß gegen demokratische Grundsätze und war auch deshalb anrüchig, weil es überhaupt noch kein Saarstatut gab. Das Saarregime verbreitete die Behauptung, die DPS unterhalte Beziehungen zur neonazistischen Sozialistischen Reichspartei (SRP) 4 von Fritz Dorls, Gerhard Krüger und dem an der Niederschlagung des Aufstands vom 20. Juli 1944 maßgeblich beteiligten Otto Ernst Remer. 5 Rasch stellte sich dies als Verleumdung heraus. Die Bundesregierung protestierte scharf gegen das Vorgehen der Machthaber in Saarbrücken. 6 Der Quai d’Orsay zeigte sich aus sicherheits- und wirtschaftspolitischen Motiven unnachgiebig. Im Unterschied zur Pfalz kehrte an der Saar keine Ruhe ein, weil die Hoffmann-Regierung von Paris massiv unterstützt wurde. Dank des Zulaufs, den die DPS erhielt, geriet die Machtposition des Saarregimes ins Wanken. Die Opposition genoß große Sympathie in der Bevölkerung, hatte jedoch den Apparat des „Saarstaates“ gegen sich – eine ideale Konstellation für Agenten. Der französische Geheimdienst besaß gute Chancen, die sich formierenden prodeutschen Kreise durch Desinformation zu verwirren und deren sich anbahnende Verbindungen nach Bonn zu stören. Am 18. Juni 1950 erhielt der Saarreferent der Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten des Kanzleramtes, Gustav Strohm, Besuch von einem Fräulein Brun(n)er aus Saarbrücken, die sich als Journalistin der „Saarländischen Volkszeitung“ (SVZ) vorstellte. 7 Sie behauptete, im
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Zu den völkerrechtlichen Zusammenhängen: Elzer, Im Dienste, Teil IV, Kap. II und III. Dazu Elzer, Die deutsche Wiedervereinigung an der Saar, bes. Teil I, Kap. 2. Ebd., Teil II, Kap. I.1. Zu Geschichte, Organisation und Ideologie: Büsch/Furth, Rechtsradikalismus; Schmollinger, Sozialistische Reichspartei; Jenke, Verschwörung, S. 73-113; Kittel, Legende, S. 235-241; Buschfort, Hüter, S. 128-150. Allgemein zur Denkweise der Rechten in den 1950er Jahren: Knütter, Ideologien; Schweitzer (Hrsg.), Illusionen. Zu Dorls, Krüger und Remer: Schmollinger, Sozialistische Reichspartei, S. 2275f. mit Anm. 4, 5, 9; Jenke, Verschwörung, S. 67f., 73-78; Tauber, Beyond Eagle und Swastika, S. 81-98. Nachdem die Deutsche Rechtspartei diese drei Männer 1949 ausgeschlossen hatte, konstituierte sie sich 1950 neu als Deutsche Reichspartei (Sowinski, Deutsche Reichspartei, Teil 1, Kap. 1.1). Der harte Kern ehemaliger Nationalsozialisten gründete am 2.10.1949 die SRP (Büsch/Furth, Rechtsradikalismus, S. 17-20), die am 23.10.1952 vom Bundesverfassungsgericht verboten wurde (ebd., S. 183-192; Frei, Vergangenheitspolitik, S. 326-360). Elzer, Die deutsche Wiedervereinigung an der Saar, Teil II, Kap. I.3. PA/AA, B 10, Bd. 479, Bl. 53f., und B 2, Bd. 354A, Aufzeichnung Strohms, 26.6.1950; Ebd., B 130, Bd. 13797, Protokoll der Vernehmung Strohms, 7.8.1952.
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Saar - Schmeisser, Schretzmair und die Bonner Ministerien im flik di S
Auftrag von ORR Paul Luxemburger 8 vom saarländischen Innenministerium zu kommen, der mit der Bundesregierung zusammenarbeiten wolle. Strohm erwiderte, er wolle saarländische Beamte mitnichten in Schwierigkeiten bringen. Danach machte sie Mitteilungen über die Konventionen vom 3. März, in denen die Beziehungen zwischen der Saar und Frankreich geregelt worden waren. 9 Was sie vortrug, war aber längst veröffentlicht. Sie bot an, Kontakte mit elsässischen Autonomisten zu vermitteln, die über wertvolle Nachrichten über die Absichten der französischen Regierung in der Saarfrage verfügten. Strohm entgegnete, er denke nicht daran, mit Leuten zu reden, die aus französischer Perspektive Hochverräter seien. Strohm brach nun die Unterredung ab. „Aus diesen dummdreisten Offerten und aus dem ganzen Verhalten der Person möchte ich schließen, daß es sich um eine bewußte Provokation einer Agentin eines saarländischen Nachrichtendienstes handelt.“ Strohm nahm diesen Vorgang zum Anlaß, am 14. Juli 1950 das Bundesministerium des Innern (BMI) über Brunner zu befragen. 10 Die verdächtige Person mit dem Mädchennamen Schretzmair lebe mit einem Hans-Konrad Schmeisser zusammen, der zuletzt in Ludwigshafen-Mundenheim wohnte und im Mai nach Saarbrücken umgezogen sei. Der angebliche Journalist Schmeisser werde wegen Erpressung gesucht. Der Vorgang beziehe sich auf seine Tätigkeit als Beamter einer Entnazifizierungsbehörde in München. Intern hielt Strohm ergänzend fest, seinem Gewährsmann gegenüber habe Schmeisser gesagt, er stehe unter dem Decknamen Levacher mit Blankenhorn in Verbindung. Er soll im Februar oder März einen Brief an Blankenhorn gerichtet haben. Die Brunner behauptete, sie sei unter dem Namen „Schäfer“ oder „Schneider“ schon bei Blankenhorn gewesen. Schmeisser arbeite für einen französischen Nachrichtendienst, der ein Büro in Saarbrücken unterhalte. Das BMI brachte über Brunner bzw. Schretzmair nichts in Erfahrung. 11 Zu Schmeisser wurden drei Verfahren ermittelt: Die Staatsanwaltschaft Frankfurt a.M. suchte ihn wegen Urkundenfälschung, stellte aber die Ermittlungen am 21. Januar 1950 wegen des Straffreiheitsgesetzes vom 31. Dezember 1949 ein. Aktuell seien noch zwei Fahndungen: wegen passiver Bestechung vom Generalstaatsanwalt München (Zentralstelle zur Bekämpfung von Korruption und Schwarzhandel), datierend vom 26. April 1949, und von der Staatsanwaltschaft Koblenz wegen Betrug und Urkundenfälschung. 12 Was wollte Schmeissers Freundin im Kanzleramt? Nur Verwirrung stiften? Geld herausschlagen? Oder hatte sie konkretere Absichten? Dorothys mißlungene Stippvisite war nur der Vorbote einer größeren Operation, wie sich bald erweisen sollte. Im Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (BMG) gab es es eine West-Abteilung, die sich hauptsächlich mit der Saar befaßte. 13 Sie hatte sich im Laufe des Sommers 1950 gebildet. Ihr Leiter war Ministerialrat Dr. Emil Knoop, ihm unterstellt war Ministerialreferent Wilhelm Bodens. Der politisch aktive Historiker Hubertus Prinz zu Löwenstein sagte Knoop am 18. Mai 1951 14, Heinrich Schneider habe ihm vor einer Woche erzählt, die HoffmannRegierung beziehe Informationen vom BMG, weshalb dem Ministerium gegenüber Vorsicht angezeigt sei. Der Urheber der Indiskretionen werde bei der Poststelle vermutet. Schneider
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Zu Person und Funktion: Elzer, Die deutsche Wiedervereinigung an der Saar, Teil IV, Kap. III.3a mit Anm. 165. Dazu Elzer, Im Dienste, Teil II, Kap. II.3. PA/AA, B 10, Bd. 479, Bl. 54f., Schreiben Dittmanns an BMI, 14.7.1950. Ebd., Bl. 66, Schreiben BMI an Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten, 26.8.1950. Zu den Strafverfahren gegen Schmeisser: Kap. II.2b. Elzer, Die deutsche Wiedervereinigung an der Saar, Teil I, Kap. 1. BA, B 137, Bd. 3410 und Bd. 16539, Aufzeichnung Knoops, 19.5.1951.
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hatte Strohm schon am 6. Mai darüber unterrichtet; 15 dieser ermahnte ihn, kein Wort darüber verlauten zu lassen. Ein gewisser Christian stecke hinter diesen Insinuationen; dabei dürfte es sich um einen Falschnamen handeln. Schneider hatte trotzdem mehreren Personen Mitteilung von dem angeblichen „Leck“ im BMG gemacht, sogar über die DPS hinaus. Strohm meinte, er solle dazu aufgefordert werden, seinen Gewährsmann mitzubringen. Am 30. Mai 1951 weilte Heinrich Schneider in Bonn. Knoop nahm die Gelegenheit wahr, ihn auf die vermeintlichen Indiskretionen durch das BMG anzusprechen. 16 Knoop kritisierte, er hätte einen solchen Verdacht sofort weiterleiten müssen, und erkundigte sich nach seinen Quellen. Schneider erwiderte, er habe vor einigen Monaten davon gehört, doch dem zunächst keine Beachtung geschenkt, da die Hoffmann-Regierung dergleichen öfter ausstreue, um die Opposition zu verunsichern. Erst eine entsprechende Mitteilung durch Rechtsanwalt Ziebell alias Christian – den er „für einen zuverlässigen deutschgesinnten Mann“ halte – machte ihn stutzig. Ziebell besitze keine Praxis in Saarbrücken, sondern führe wohl für deutsche Stellen seit drei Jahren Geheimaufträge durch. Schneider ging davon aus, daß Strohm das BMG unterrichten würde. Er verdächtige niemand Bestimmten im BMG und wisse auch nichts von Telefongesprächen zwischen dem BMG und einer Geheimnummer in Saarbrücken. Knoop konstatierte verärgert, Strohm habe das BMG nicht informiert, sondern die Sache erst eingeräumt, als Löwenstein von den Gerüchten erzählte. Warum dies so war, erhellt aus einer Aufzeichnung Strohms vom Januar 1952: 17 Ziebell alias „Dr. Christiansen“ hatte Richard Becker im Mai 1951 gesagt, Knoop pflege Verbindungen zum französischen Nachrichtendienst. Strohm weigerte sich, dies zu glauben. Daraufhin kam Heinrich Schneider zusammen mit Ziebell ins Auswärtige Amt. Dabei nannte Ziebell als Referenz den Leiter des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Paul Schmidt. Knoop persönlich wurde also verdächtigt. Die Kontaktpersonen aus dem Saargebiet vermieden daher eine Zeitlang, den vermeintlichen Verrat offen anzusprechen. Der Staatssekretär des BMG, Franz Thedieck, wandte sich am 12. Juni 1951 an das Auswärtige Amt mit der Bitte um Auskunft, aus welchen Gründen Strohm das BMG nicht über den brisanten Charakter seines Gesprächs mit Schneider vom 6. Mai orientiert habe. Strohm antwortete am 9. Juli 1951 18, Richard Becker habe ihm am 6. Mai gesagt, ein gewisser Dr. Christian – der für die Saarregierung arbeite – habe behauptet, ein Beamter der französischen Polizei an der Saar erhalte fast täglich telefonische Nachrichten aus dem BMG. Strohm verlangte von Becker den Namen des Polizisten, seine Telefonnummer und weitere Details, wenn er diese Meldung glauben solle. Becker möge erwägen, ob durch diese Angabe nicht Mißtrauen bei der DPS gesät werden solle. Ähnlich sei ein Gespräch mit Schneider am gleichen Tag verlaufen. Indessen gelangten keine weiteren Einzelheiten zu seiner Kenntnis mit Ausnahme der Aufschlüsselung der Identität von „Dr. Christian“, bei dem es sich um einen Berliner Rechtsanwalt namens Dr. Christian Jürgen Ziebell handele, der jetzt für Radio Saarbrücken tätig sei. Damals ahnte niemand, wen man vor sich hatte: einen der wichtigsten französischen Agenten im deutschsprachigen Raum. Schneider täuschte sich bei der Beurteilung von Ziebells Glaubwürdigkeit gründlich. Er hätte besser daran getan, seinen Argwohn nicht vor dem BMG zu verbergen, anstatt ihn Dritten gegenüber offen zu bekunden. Schneider wußte nichts 15
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Ebd., Bd. 16540, Zeittafel zu den Affären Schmeißer – Schmidt – Ziebell – Hubaleck, Geheim, o.D. Demnach weilte Strohm anläßlich einer geplanten, dann aber von der Saarregierung verbotenen Kundgebung der DPS in Saarbrücken und sprach in der Geschäftsstelle der DPS mit Becker und Schneider. Ebd., Bd. 16539 (auch für das Folgende). BA, B 136, Bd. 241, Aufzeichnung Strohms, o.D. Eine Paraphe Blankenhorns trägt das Datum „26.1.“ Aus dem Kontext geht hervor, daß die Aufzeichnung dem Januar 1952 zuzuordnen ist. BA, B 137, Bd. 16539 (auch für das Folgende); PA/AA, B 10, Bd. 481, Bl. 32-33.
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Genaues, plauderte aber recht leichtfertig und setzte damit den Ruf des BMG aufs Spiel, dessen Hilfe er für seine Ambitionen an der Saar doch benötigte. Dieser Fall bedurfte einer schonungslosen Aufklärung. Aber auch Strohms Erklärungen konnten nicht befriedigen: Wenn er dem Ondit keinerlei Überzeugungskraft beimaß, so hätte er es unbefangen Knoop mitteilen können. Er wartete auf zusätzliche Angaben, weil er eben doch im Zweifel war, dies aber später nicht eingestehen wollte. Er verschwieg dem BMG, daß Knoop selbst unter Verdacht gestanden hatte. Im Juni 1951 war dem BMG ein Mann aufgefallen, der bei verschiedenen Stellen aufgetaucht war, die mit der Saarfrage zu tun hatten: Dr. Christian Jürgen Ziebell. 19 Dieser berief sich gerne auf Bundesjustizminister Dehler und den bayerischen Justizminister Josef Müller. Dehler sprach sich jedoch über dessen Person zurückhaltend aus. Ziebell stammte aus Berlin. Nach 1945 war er im Bayerischen Landesamt für Wiedergutmachung tätig, das er „wegen Unregelmäßigkeiten“ verlassen mußte. In Saarbrücken agiere er mit Wissen des französischen und des saarländischen Nachrichtendienstes unter dem Falschnamen de Laboret und tarne sich mit einer Funktion beim Saarländischen Rundfunk. Offenbar laute sein Auftrag, Einfluß auf Institutionen in der Bundesrepublik zu nehmen, die sich mit der Saar befassen. Er habe sich bei der DPS eingeschlichen, indem er einige zutreffende, aber belanglose Informationen gab. Als er Vertrauen erweckt hatte, warnte er die DPS vor dem BMG. Mit Ziebell stand eine Hella Hubaleck in Verbindung, die Strohm und dem für die prodeutsche Opposition tätigen Bendorfer Journalisten Georg Schneider Nachrichten zukommen ließ, von denen ein Teil irreführender Natur war. Ziebell erklärte sich bereit, bei der Aufdeckung der Vorgänge um das „Remer-Telegramm“ zu helfen. Indessen war er nach Auffassung von Bodens „im günstigsten Fall“ Doppelagent. Was ihm gesagt werde, müsse für französische Ohren tauglich sein. Josef Müller und das BfV sollten zusätzlich eingeschaltet werden. Einem saarländischen Vertrauensmann sagte Bodens am 15. September 1951, gegen Ziebell müsse nichts unternommen werden, weil er nun als Agent durchschaut sei. 20 Am 6. Oktober 1951 erschien Strohm unangemeldet am Bottlerplatz und verlangte nach Bodens. 21 In seiner Begleitung befand sich Hella Hubaleck. Diese überreichte die angeblich streng vertrauliche Niederschrift eines Sitzungsberichts der Verwaltungskommission der französisch dominierten Régie des Mines im Saarland vom 29. September 1951 22. Demnach beschwerte sich der französische Hohe Kommissar in Saarbrücken, Gilbert Grandval, über den massiven Rückgang der saarländischen Kohleproduktion, den er auf die von DGB und SPD gesteuerte Wühlarbeit bei den saarländischen Gewerkschaften zurückführte. Dabei gehe es den saarländischen Bergleuten besser als den Kumpels im Ruhrgebiet. Als Gegenmaßnahme verlangte er eine Einschränkung der Kohleausfuhr nach Deutschland. Im übrigen meinte Grandval, auf internationaler Ebene werde der Saar keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt. Dann legte Hubaleck los: Richard Becker werde von der mit ihm befreundeten Frau H. ausgehorcht, die zu Ziebells Leuten gehöre. Hier liege die undichte Stelle bei der DPS, über deren Verlegenheit in der politischen Unterwelt von Saarbrücken große Freude herrsche. Becker und Schneider hätten Ziebell in ganz unbegreiflicher Weise vertraut. Mit Frau H. stecke der Sohn von Maria Lichtenhagen unter einer Decke, die zum Führungskreis der DPS zählte. Rudolf Lichtenhagen und der Ehemann von Frau H. arbeiteten im Verlag der Illustrierten „Tele“, die Hoffmann und Justizminister Heinz Braun (Sozialdemokratische 19 20 21 22
BA, B 137, Bd. 16540, Vermerk Bodens, Vertraulich, 18.6.1951. LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 243, Aufzeichnung Bergweilers, 17.9.1951. BA, B 137, Bd. 16540, Vermerk Bodens, Geheim, 8.10.1951. Ebd.
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Partei des Saarlandes, SPS) gehöre. Obwohl Lichtenhagen der politischen Tätigkeit seiner Mutter ablehnend gegenüberstehe, habe er sie nun doch über Frau H.s Doppelspiel orientiert. 23 Er fürchte aber, seinen Posten bei „Tele“ zu verlieren. Als Frau Lichtenhagen kürzlich in Bonn war, dürfte sie Kaiser informiert haben. Dazu bemerkte Bodens, sie sei nur bei Knoop gewesen und habe ganz allgemein auch gegenüber Richard Becker Zurückhaltung angemahnt, weil dieser zu redselig sei. Hubaleck behauptete, Frau Lichtenhagen habe mit der Saarregierung vereinbart, sie und Ludwig Bruch sollten die DPS führen. Wenn die Partei wieder eine Lizenz habe, werde sie sich bei der Bundesregierung um eine Verbindung zu Hoffmann bemühen. Alles in allem sah Bodens Hubaleck als gut unterrichtet an. Sie verlangte 300 DM für den Mittelsmann, der ihr das Protokoll verschaffte und es nun wieder zurückbringen mußte. Strohm bat um Auszahlung der Summe. Bodens wollte nicht ausschließen, daß Hubaleck geschickt worden sein könnte, um das Durcheinander zu vergrößern. Wahrscheinlicher sei aber ein Zerwürfnis mit Ziebell. Er plädierte dafür, bei aller Vorsicht mit ihr Kontakt zu halten. Knoop hingegen bewertete Hubaleck als unglaubwürdig. Bei Georg Schneider habe sie sich als „Spiegel“-Korrespondentin ausgegeben, was das Nachrichtenmagazin bestritt. 24 Das geheimnisvolle Protokoll biete nicht viel Interessantes. Es sollte sich bald erweisen, daß Hubaleck tatsächlich übergelaufen war. Unterdessen bereiteten subversive Kräfte eine hinterlistige Verleumdung der DPS vor. 2) DAS „REMER-TELEGRAMM“ a) Die Vorgänge vom Mai 1951 Während die Verläßlichkeit des BMG durch subversive Operationen ins Zwielicht gerückt wurde, holte die Saarregierung zum entscheidenden Schlag gegen die unbotmäßige DPS aus. Am 5. Mai 1951 verbot sie eine für Sonntag, den 6. Mai, vorgesehene Großkundgebung der DPS, an der mehrere Bundestagsabgeordnete teilnehmen sollten. 25 Als Begründung wurde angegeben, dadurch werde die öffentliche Ordnung gestört. Hoffmann und der Chef des Informationsamtes, der ehemalige Kommunist Karl Hoppe, kündigten gleichzeitig sensationelle Enthüllungen über die DPS an. 26 Der Ministerpräsident hatte in einer großen Rede am 6. Mai in Wiebelskirchen die DPS angegriffen, weil sie deutschen Nationalismus propagiere und die saarländischen Errungenschaften auf gesetzwidrige Art beseitigen wolle. 27 Die Agenten Ziebell und Matissek hatten im Vorfeld des Verbots dank ihrer damals 23
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Überliefert ist auch ein zeitlich nicht genau einzuordnender – im übrigen gescheiterter – Versuch der Dienststelle Laffon, die Sekretärin von Richard Becker, Liesel D., zu bestechen (ebd., Bd. 3435, Niederschrift über den Versuch des Sûreté-Agenten Richard B., die Sekretärin von Herrn Richard Becker, Frau Liesel D., für Sûreté- und Spitzeldienste zu gewinnen, o.D.). LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 297, Schreiben Jaenes („Der Spiegel“) an Georg Schneider, 20.3.1951. Zu den Einzelheiten: Schmidt, Saarpolitik, Bd. 2, S. 280-282. „Kölnische Rundschau“, 7.5.1951: „Die Saar-Opposition läßt nicht locker“; „Der Spiegel“, Nr. 22/1952, 28.5.: „Fälschung: Sonderbare Art“; DSZ, Nr. 13, 13.6.1952: „Sagt Dr. Heinz Braun die Wahrheit?“; Thilo Bode, „Das kanariengelbe Papier. Ein gefälschtes Telegramm macht saarländische Politik“, in: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 4.6.1951. Auszüge dieses grundlegenden Beitrags in: Schmidt, Saarpolitik, Bd. 2, S. 284-286. SVZ, 7.5.1951: „Nach wie vor zu einem Saargespräch bereit“; „Saarbrücker Zeitung“, 7.5.1951: „Im Dienste der größeren Verständigung“. In einem Memorandum über die Demokratische Partei des Saarlandes, hrsg. von der Regierung des Saarlandes, Saarbrücken o.J. [1951], wurden führende DPS-Politiker als Nazis bezeichnet. In verfassungswidriger Weise wolle die DPS den saarländischen Staat und die Anlehnung an Frankreich beseitigen (Wortlaut in: BA, B 137, Bd. 3400 und Bd. 3456. Abdruck in: Wille und Weg des Saarlandes, Heft 2).
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erfolgreichen Annäherung an Schneider und Becker den Lösungsvorschlag der DPS zur Saarfrage für ihre Auftraggeber zu besorgen. 28 Sie überredeten Schneider, den Text am 5. Mai in der deutschen Presse zu veröffentlichen. Ziebell gab an, über eine ihm als Mitarbeiter des Saarländischen Rundfunks offenstehende Sonderleitung den Wortlaut Paul Schmidt in Wiesbaden durchzugeben, womit man der französischen Zensur entgehe. Tatsächlich händigte Schneider ihm den Text aus. Doch die versprochene Übermittlung an die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ erfolgte nicht. Im Generalsekretariat des Europarats in Straßburg wurde am 7. Mai ein Telegramm 29 verteilt, in dem die neonazistische SRP gegen das Vorgehen der Saarbehörden protestierte, dem ihre Freunde von der DPS zum Opfer gefallen seien. Auf Nachfrage der DPS ließ die SRP notariell eine Erklärung beglaubigen, derzufolge sie dieses Telegramm nicht aufgegeben habe. Bodens machte darauf aufmerksam, in welcher Weise Hoppe am Abend des 5. Mai das Verbot der Kundgebung begründet hatte: Ebenso wie die Bundesregierung das staatsgefährdende Treiben der Partei von Dorls und Remer untersage, habe auch die Saarregierung das Recht, ihren Staat untergrabende Bewegungen zu bekämpfen.30 Wegen dieser Parallele vermutete Bodens in Hoppe den „geistige[n] Urheber dieser Fälschung“.31 Die SVZ zog gleich am 9. Mai vom Leder und füllte die Titelseite mit Tiraden gegen „Das SRPDPS-Gespann“. 32 Das Telegramm der SRP ging übrigens gar nicht im Generalsekretariat des Europarats ein, sondern wurde dort von einer jungen Dame zur Weiterleitung an ausländische Nachrichtenagenturen und Zeitungen abgegeben. Schneider und Becker wollten daraufhin in Straßburg eine Pressekonferenz einberufen, doch sie mußten auf Verlangen der Saarregierung ihre Reisepässe abgeben und erhielten neue mit dem Vermerk: „In Frankreich unerwünscht“. Schließlich wurde die Pressekonferenz von den französischen Behörden verboten. Ein mit dem Prinzen zu Löwenstein befreundeter amerikanischer Student namens Hans Christian Larson konnte jedoch nicht an der Durchreise zum Europarat nach Straßburg gehindert werden und übergab dort eine Protestschrift der DPS gegen die undemokratischen Maßnahmen des Saarregimes. 33 Am 8. Mai 1951 tauchte ein offensichtlich manipuliertes Flugblatt auf, das sich vermeintlich an die „Liebe[n] Parteifreunde der DPS“ richtete. 34 Der anonyme Verfasser fragte um der „Sauberkeit“ in der Partei willen nach angeblichen Verfehlungen Schneiders wie seiner NaziVergangenheit, Vorteilsbeschaffung und Bereicherung. Heinrich Schneider verklagte die saarländischen Abgeordneten der Beratenden Versammlung des Europarats wegen einer Erklärung vom 8. Mai, in der sie führenden Mitgliedern der DPS nationalsozialistische Betätigung unterstellten. 35 Die Parlamentarier beriefen sich auf ihre Immunität, und der Prozeß schleppte sich jahrelang dahin... Im übrigen kursierte zur gleichen Zeit ein ebenfalls 28 29 30
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LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 514, Schreiben Düx/Busch an Amtsgericht Frankfurt-Höchst, 25.11.1953, hier: S. 17f. Wortlaut in: Schmidt, Saarpolitik, Bd. 2, S. 282f. Zu den Einzelheiten: Ebd., S. 282-288; Becker, Entwicklung, S. 294; Schneider, Wunder, S. 299-305; Dingel, Demokratische Partei Saar, S. 772-775. – Vollkommen in die Irre führt es, eine nach dem Verbot der DPS ventilierte Trittbrettaktion der SED – in die auch die SRP einbezogen werden sollte – als Indiz für die Verbindungen der DPS zu Extremisten zu betrachten (so Herrmann, Besitzstand, S. 379-386). Heinen wiederum erklärt, die Episode mit dem Remer-Telegramm sei in der öffentlichen Diskussion bedeutungslos gewesen (Heinen, Saarjahre, S. 231 mit Anm. 72). Dies wurde auch in Straßburg damals gemunkelt: „Trierische Landeszeitung“, 11.5.1951: „Fälschung verleumdet Saar-Opposition“; Hugo Grüssen, „Saarpolitik mit Telegrammfälschungen?“, in: „Mannheimer Morgen“, 11.5.1951. SVZ, 9.5.1951: „Neofaschisten enthüllen die DPS“. Löwenstein, Botschafter, S. 271f. BA, B 137, Bd. 3456. Elzer, Die deutsche Wiedervereinigung an der Saar, Teil IV, Kap. III.2b und c.
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gefälschtes Telegramm, das Dorls an einen polnischen Oberst geschickt haben soll.36 Darin war von einer finanziellen Unterstützung der SRP durch die SED die Rede, die als Gegenleistung Propaganda gegen die Remilitarisierung der Bundesrepublik verlangte. Als Fälscher wurde der SRP-Vorsitzende von Nordrhein-Westfalen, Heinrich Keseberg 37, ermittelt und am 4. September 1951 vom Landgericht Verden an der Aller verurteilt. Obwohl sich die Anschuldigungen gegen die DPS als haltlos erwiesen, erfüllte das „RemerTelegramm“ seinen Zweck: Unter dem Eindruck der vermeintlichen Enthüllungen überwand Hoffmann nicht nur Widerstände im eigenen Kabinett gegen das Verbot der DPS. Vielmehr schrieb ihm der französische Außenminister Schuman am 9. Mai 1951 einen Brief 38, in dem er indirekt sein Einverständnis bekundete 39. b) Aufklärungsbemühungen Am 1. Juni 1951 meldete die prodeutsche Opposition, ein nicht ganz durchsichtiger V-Mann, der mit der Sûreté in Verbindung stehe, habe erzählt, Ziebell sei der Fälscher des „RemerTelegramms“. 40 Dies werde im Umkreis von Radio Saarbrücken behauptet. Wenig später erhielt Strohm in diesem Zusammenhang aus Saarbrücken die Mitteilung 41, es gebe kein klares Bild von dem Leiter des Hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Paul Schmidt. Angeblich soll er Ziebell im Konzentrationslager kennengelernt haben und später Gewerkschaftssekretär in München gewesen sein. Dabei pflegte er außer mit Ziebell auch mit Josef Müller Kontakt. Eine freilich mit Ziebell verfeindete Person charakterisiere diesen als „politische[n] Abenteurer“. Er habe eine Zeitlang unter dem Pseudonym Mathias Reimann (M.R.) für die „Saarbrücker Zeitung“ geschrieben. Auch die in Bad Kreuznach erscheinende oppositionelle „Deutsche Saar-Zeitung“ (DSZ) ging am 30. Mai 1952 auf die Person Ziebells ein und erwähnte dabei die Verbindung zu ORR Schmidt. 42 Thilo Bode, der in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ die Saarregierung kaum verhüllt verdächtigt hatte, für die Telegrammfälschung verantwortlich zu sein 43, legte am 7. Juli 1951 noch einmal nach 44. Er wunderte sich über das Schweigen der Saarbrücker Machthaber zu diesen Vorwürfen. Nun berichtete er von einem Scheck vom 8. Mai über 250.000 ffrs. aus dem Dispositionsfonds Hoffmanns an Karl Hoppe. Außerdem wies Bode auf eine Panne bei einer Pressekonferenz des Generaldirektors von Radio Saarbrücken, Frédéric Billmann, hin. Das gefälschte Telegramm auf gelbem Papier sei damals nur in namentlich adressierten Stücken verteilt worden – nun wurde ein „überzähliges“ Exemplar vorgeführt. Wo das wohl herkomme? Am 7. Mai sei eine Dame der Saarregierung in Straßburg gewesen und habe sich tags darauf die Haare färben lassen, da in der Presse von einer „schwarzhaarigen“ Frau geschrieben wurde, die das Telegramm verteilt habe. Schließlich: Als Fräulein Mandel – die Sekretärin der saarländischen Delegation des Europarats – gefragt wurde, wer ihr die 36 37 38 39 40 41 42 43 44
Material in: BA, B 106, Bd. 15536. Zu Keseberg: Büsch/Furth, Rechtsradikalismus, S. 62; Jenke, Verschwörung, S. 94f. Über die Fälschung sind beide nicht unterrichtet. Wortlaut in: Schmidt, Saarpolitik, Bd. 2, S. 290. „Kölnische Rundschau“, 28.5.1951: „Ließ Schuman sich täuschen?“ PA/AA, B 10, Bd. 481, Bl. 30. Ebd., Bl. 31, [Notizen für] Dr. Strohm, o.D. Übereinstimmend mit: LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 352, Notiz für 42 [?], 19.6.1951. DSZ, Nr. 12, 30.5.1952: „Weiß das die Bundesregierung?“ Vgl. Anm. 26. [Thilo] Bo[de], „Seltsame Sachen“, in: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 7.7.1951. Bode bezog seine Informationen aus dem Umkreis Heinrich Schneiders (LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd 352, Eilmeldung 22, 19.6.1951).
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Umschläge übergeben habe, erwiderte sie: „Das weiß ich nicht. Aber auch wenn ich es wüßte, dürfte ich es nicht sagen.“ Bode fand dies alles „seltsam“. Frau Brunner sagte Strohm am 9. Oktober 1951 45, der Chefredakteur von Radio Saarbrücken Harald Boeckmann habe am 12. Juli in Straßburg Fräulein Mandel getroffen, wobei sich beide gegenseitig versicherten, vom „Remer-Telegramm“ nichts zu wissen. Im übrigen wurde auch die Witwe des saarländischen SPD-Vorsitzenden bis 1935, Max Braun, und Schwägerin von Heinz Braun von der DSZ verdächtigt, jene geheimnisvolle Person gewesen zu sein.46 Die Saarregierung entließ einen Beamten, der Bode angeblich Informationen geliefert hatte. 47 Da eine Schreibmaschine von Radio Saarbrücken und nur von diesem Sender verwendetes gelbes Papier für die Fälschung benutzt wurden, richtete sich der Verdacht gegen Boeckmann. Dieser beantragte am 29. Mai 1951 selbst bei Generaldirektor Billmann eine Untersuchung der Anschuldigung und bat um Beurlaubung bis zur Beendigung des Verfahrens. 48 Billmann erwiderte am gleichen Tag, es sei überflüssig, ihn gleich zu beurlauben. Am 3. März 1952 tauchte Boeckmann im BMG auf und bot an, sein Wissen über die Fälschung preiszugeben, wenn ihm eine Stellung im Bundesgebiet verschafft würde. Er arbeite nicht mehr für Radio Saarbrücken, weil er der Willkür Hoppes bei den Vorgaben für die politische Berichterstattung nicht länger ausgesetzt sein wolle. Die Sûreté-Agenten Ziebell und Masloh seien ihm beim Rundfunk aufgenötigt worden. Er deutete an, Hoppe sei zusammen mit einem französischen Nachrichtendienst für das Telegramm verantwortlich. Bodens machte ihm klar, eine Stellung könne ihm erst verschafft werden, wenn er den Vorwurf entkräftet habe, selbst die Fälschung vorgenommen zu haben. Am 8. April 1952 bezichtigte Boeckmann gegenüber der prodeutschen Opposition Heinz Braun der Urheberschaft; Billmann habe Kenntnis von der Sache gehabt. 49 Boeckmann räumte ein, verschuldet zu sein, aber seine Forderungen an Radio Saarbrücken beliefen sich auf eine höhere Summe. Jedenfalls hatte er kurz nach der Telegrammaffäre viel Geld: Er kaufte sich für 50.000 ffrs. einen Peugeot und hielt eine Gruppe saarländischer Journalisten bei einer Paris-Reise frei. Obendrein beschaffte er sich eine neue Wohnungseinrichtung. 50 Boeckmann wehrte sich gegen den auf ihm lastenden Verdacht der Fälschung des „RemerTelegramms“ mit einer Eidesstattlichen Erklärung vom 20. Mai 1952. 51 Darin gab er an, am Wochenende vom 5. bis 7. Mai 1951 in Saarbrücken gewesen zu sein und seine Schreibmaschine in den Räumen der saarländischen Delegation des Europarats in Straßburg abgestellt zu haben. Er legte kanariengelbe, beschriebene Durchschlagsblätter dazu. Auf dieser Maschine sei das Telegramm nach Ermittlungen der Sûreté gefälscht worden. Billmann habe ihn (Boeckmann) am 17. November 1951 beschuldigt, dem Europarat-Abgeordneten Heinz Braun die Maschine zur Verfügung gestellt zu haben. Wenig später forderte Boeckmann nach eigener Darstellung vergeblich den saarländischen Justizminister Erwin Müller auf, eine Untersuchung anzustrengen, wobei er den Verdacht äußerte, Braun sei der Urheber. Müller sagte ihm im Dezember 1951, für seine Vermutung hätten sich keine Beweise finden lassen. Der „Spiegel“ – der aus dieser Erklärung zitierte – leitete daraus ab, der Fälscher habe die Schreibmaschine an sich genommen und sich das charakteristische gelbe Papier anderweitig 45 46 47 48 49 50 51
BA, B 137, Bd. 16540, Schreiben Strohms an BMG, 12.10.1951. DSZ, Nr. 13, 13.6.1952: „Sagt Dr. Heinz Braun die Wahrheit?“ LA Saarbrücken, Bestand Staatskanzlei, Bd. 891, Schreiben Hermann Zimmers an Hoffmann, 23.7.1951. BA, B 137, Bd. 3438 (auch für das Folgende). LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 394, Notiz, 8.4.1952. Ebd., Notiz „Harald Boeckmann“, o.D. Wortlaut in: BA, B 137, Bde. 3418 und 3438; Schneider, Wunder, nach S. 320 (Faksimile). Teilabdruck in: „Der Spiegel“, Nr. 22/1952, 28.5.: „Fälschung: Sonderbare Art“. Zum gesamten Vorgang auch: DSZ, Nr. 12, 30.5.1952: „Hat Dr. Heinz Braun das Remer-Telegramm gefälscht?“ Dazu ferner Schneider, Wunder, S. 307.
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besorgt, dabei aber das deutsche DIN-A 4-Format übersehen. Die Fälschung erfolgte auf einem Papier mit französischem Handelsformat. Gegen eine Täterschaft Hoppes sprach nach Einschätzung von Heinrich Schneider der größere Nutzen für Brauns SPS: „blieb die Fälschung unentdeckt, so war die DPS als neonazistisch entlarvt. Kam die Sache heraus, so war die Regierung Hoffmann, vor allem die CVP durch die elefantenartige Aufmachung der Sache durch Dorscheid getroffen.“52 Am 30. Mai 1952 schrieb Boeckmann einen Beitrag für die DSZ. 53 Er gab an, die Saarregierung habe beabsichtigt, den Verdacht der Fälschung des „Remer-Telegramms“ auf ihn zu lenken. Er habe aus Angst vor Repressionen zunächst geschwiegen. Als Hoppe Ende 1951 jedoch die Verbreitung von Falschmeldungen verlangte, um einen politisch mißliebigen Streik zu verhindern, habe er seine Demission als Chefredakteur von Radio Saarbrücken eingereicht. 54 Ein Rollkommando der Polizei habe seine Wohnung ohne Durchsuchungsbefehl auf den Kopf gestellt. Er reichte Strafanzeige ein wegen Hausfriedensbruch und Entwendung privater Dinge. Boeckmann hielt im Frühling 1952 Kontakt mit Bodens. 55 Er führte arbeits- und strafrechtliche Auseinandersetzungen mit Radio Saarbrücken wegen ausstehender Gehaltszahlungen und wegen des polizeilichen Vorgehens gegen ihn; er hoffte auf Beistand für seine Arbeitssuche durch das BMG. Auf die von Ziebell lancierte Meldung, Boeckmann sei ein britischer Agent gewesen, reagierte der Betroffene mit einem weiteren Artikel für die DSZ. 56 Es gelang ihm bald darauf, Chefredakteur der „Übersee-Rundschau“ in Hamburg zu werden. 57 Material aus dem Nachlaß von Heinrich Schneider zeigt, daß Boeckmanns Stellvertreter Theo Paul Matissek auf zwei Schultern trug und zumindest auch Kontakte zur DPS pflegte. In einer späteren Niederschrift 58 gab Matissek an, Generaldirektor Billmann sei Mitglied des Deuxième Bureau gewesen und habe ihm über Boeckmann Mitarbeiter für Radio Saarbrücken zugeführt. So verhielt es sich auch Ende 1949 mit Ziebell und Masloh, wobei letzterer nur Agenteninformationen herbeischaffte, mit denen journalistisch nichts anzufangen war. Ziebell lebte laut Matissek in ärmlichen Verhältnissen und zeigte eine „deutsche Gesinnung“. Nach einigen Monaten deutete er seine Beziehungen zu französischen Dienststellen und zu de Gaulle an. Matissek erfuhr von Ziebell Details über beabsichtigte Maßnahmen gegen die DPS und leitete sie an Schneider oder Becker weiter. Er habe damals von einem Verbindungsmann der Französischen Hohen Kommission in Saarbrücken im Sekretariat der DPS gehört. Matissek räumte ein, Ziebell zu viel Vertrauen geschenkt zu haben. Er wurde noch zwei Jahre als „Informationsquelle“ der Franzosen und von P 6 geführt, sei aber nicht aktiv gewesen. Zu Laffon unterhielt Matissek angeblich nur sehr oberflächliche Beziehungen. Die DSZ hatte
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AdsD, NL Mommer, Bd. 10, Box 1, Schreiben Hermann Deutschs [Heinrich Schneiders] an Liebe Freunde, 13.5.1951. – Dorscheid war Chefredakteur der SVZ, des Parteiorgans von Hoffmanns „Christlicher Volkspartei“ (CVP). Zu seiner Person: Elzer, Die deutsche Wiedervereinigung an der Saar, Teil IV, Kap. V.3d. DSZ, Nr. 12, 30.5.1952: „Boeckmann: Nicht über meine Leiche“. Material in: BA, B 137, Bd. 3438. Material in: Ebd. DSZ, Nr. 14, 1.7.1952: „’Boeckmann – ein englischer Agent!’“ BA, B 137, Bd. 3438, Schreiben J 228 [Kresse] an J 230/A 246/R 215 [Knoop/Bodens/Schneider], 6.5.1954. LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 448, „Protokoll von Herrn Mattisek [sic] in Erwiderung und Beantwortung des Briefes, den Herr Dr. Schneider am 8. Mai 1956 im sogenannten Fall Mattisek an Herrn Senator Richard Becker gerichtet hat“, 9.6.1956. Vgl. auch Kap. VI.1b und VII.1a.
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Matissek am 14. August 1953 freilich wegen seiner Tätigkeit für die Sûreté-Dienststelle Laffons attackiert. 59 Bei Radio Saarbrücken sammelten sich also französische Agenten. Matissek mag durch die Wechselfälle des Lebens dorthin verschlagen worden sein, machte dann aber das beste daraus. Wahrscheinlich agierte auch er im nachrichtendienstlichen Sinne 60, sicherte sich aber gleichzeitig durch bestimmte Mitteilungen an die Gegenseite ab. Heinrich Schneider bezog jedenfalls von Matissek Informationen über das „Remer-Telegramm“. Braun wehrte sich am 5. Juni 1952 gegen die Anschuldigung, für die Fälschung verantwortlich zu sein. 61 Anfangs habe er in dem Telegramm einen „üblen Scherz“ vermutet. Die Saarregierung hätte sich keine solche Blöße gegeben, weil die Aufdeckung der Falsifikation nicht zweifelhaft sein konnte. Er selbst wisse überhaupt nichts davon. Billmann habe bestritten, ihn (Braun) als Täter benannt zu haben. Wortreich entrüstete er sich über die „Verleumdungen“ gegen ihn. Das der Saarregierung nahestehende einstige Kampfblatt des MRS „Neue Woche“ sekundierte Braun am 14. Juni 62 mit persönlichen Anschuldigungen gegen Boeckmann, der nicht aus verletztem Ehrgefühl in die Bundesrepublik übergewechselt sei. Vielmehr habe er hohe finanzielle Forderungen gestellt. Boeckmann sei hoffnungslos verschuldet gewesen. Die DSZ nahm dies zum Anlaß, die Angriffe gegen Braun zu verschärfen und neue Details aus seinem ereignisreichen Leben zu veröffentlichen. 63 Braun war als prominenter Verfechter der „Autonomie“ ein geeignetes Objekt für Attacken der prodeutschen Opposition. Im März 1952 hatte die DSZ den weniger bekannten Masloh angegriffen und dabei auch dessen persönliche Beziehungen zu Dorls und Remer ins Spiel gebracht. 64 Der Saarbrücker Agentenkreis konnte sich Rivalitäten an der Spitze der DPS zunutze machen. Heinrich Schneider erinnerte Maria Lichtenhagen am 25. Juni 1952 daran, daß ihr Sohn ihn im Vorjahr mit einem gewissen P. Brunner bekannt gemacht habe, um diesem behilflich zu sein, seine Rechte gegen Radio-Reklame Saarbrücken wahrzunehmen. 65 Brunner hatte Interessantes zu erzählen. Er sei stutzig geworden, als Brunner ihn mit Otto Strasser in Verbindung bringen wollte. Dies lehnte Schneider ab, woraufhin Brunner bald nach Paris verschwand. Dessen wirklicher Name laute Konrad Schmeisser. Es gab juristische Auseinandersetzungen wegen unterlassener Zahlung des Anwalthonorars. Eine große Überraschung für Schneider bedeutete Schmeissers Enthüllung, es habe eine Abmachung zwischen ihm und Frau Lichtenhagens Sohn gegeben. Schneider erklärte mit Nachdruck, das Verfahren gegen Schmeisser durchführen zu wollen, und erbat Stellungnahmen von den beiden Lichtenhagens. Er wies darauf hin, daß diese Aussagen eventuell vor Gericht beeidet werden müßten. Tatsächlich sagte Schmeisser am 16. Januar 1952 in einer Vernehmung aus, Frau Lichtenhagen habe ihn beauftragt, die Vorgänge um das Verbot der DPS aufzuhellen. 66 59
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DSZ, Nr. 41, 14.8.1953: „Saarländer sprechen: Theo Mattisek [sic], Redakteur in französisch-saarländischen Diensten, Kommentator und Nachrichtenredakteur von Radio Saarbrücken, Mitarbeiter von P 6 und der Dienststelle Laffon“. Dies bestätigt die anonyme Aufzeichnung eines Informanten aus P 6 vom 22.7.1953 (LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 695). Darin werden Matissek „engste Beziehungen“ zu P 6 nachgesagt. „Volksstimme“ (SPS), 5.6.1952: „Dr. Braun antwortet dem ‚Spiegel’“. „Neue Woche“ (Saarbrücken), Nr. 24, 14.6.1952: „Ein Fall für viele: Harald Boeckmann und seine ‚journalistische Ehre’“. DSZ, Nr. 13, 13.6.1952: „Sagt Dr. Heinz Braun die Wahrheit?“ Martin Gerber, „Aloys Masloh – der Sammler zur Untat (II): Wer fälschte Remer-Telegramm?“, in: DSZ, Nr. 7, 21.3.1952. Vgl. Kap. 4. BA, B 137, Bd. 16540, Schreiben Schneiders an M. Lichtenhagen, 25.6.1952. BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 5-12 und Bl. 35-42, Protokolle der Vernehmungen Schmeissers in Freiburg und Kehl, 16.1.1952, hier: Bl. 9 bzw. Bl. 40.
Die Schmeisser-Affäre
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Schneider meldete dem BMG Anfang Mai 1952 67, Maria Lichtenhagen erzähle überall, sie wolle eine freie demokratische Partei gründen, damit die alte DPS bei der Landtagswahl zum Zuge komme. Schneider schimpfte über ihre politische Unbedarftheit und bat, an den FDPBundesvorstand heranzutreten, um Lichtenhagen zu bremsen. Sie spielte sicherlich kein falsches Spiel, sondern engagierte sich aus Überzeugung in der DPS. Allein, sie hoffte möglicherweise, die Sackgasse in der Saarfrage überwinden zu können, indem der von Schneider perhorreszierte Johannes Hoffmann einbezogen wurde. Damit näherte sie sich der Gedankenwelt des Bonner Auswärtigen Amtes, das nach Chancen einer gütlichen Einigung in der Saarfrage Ausschau hielt. 68 Nicht nur Blankenhorn verfolgte diese Linie, sondern ansatzweise auch Strohm. Die Gesinnung des jungen Lichtenhagen wurde wohl nicht bloß beruflich durch seine Arbeit für die regierungsnahe Zeitschrift „Tele“ determiniert. Er vermittelte Schneider die Bekanntschaft des Agenten Schmeisser. Schneider hätte in diesem Fall etwas mißtrauischer sein dürfen. Während Heinrich Schneider und Richard Becker schon im Mai 1951 ein Aufenthaltsverbot für Frankreich erhielten, wurde Frau Lichtenhagen erst im Juni 1953 von einer solchen Maßnahme Hectors betroffen. 69 Offenbar hatten die Machthaber gewisse Hoffnungen in sie gesetzt, die sich nicht erfüllten. Schmeisser hatte nun die Aufmerksamkeit des BMG erregt. Strohm übermittelte dem BMG am 8. Oktober 1951, was das BMI über frühere Strafverfahren gegen Schmeisser und seine Umgebung ermittelt habe. 70 Strohm erzählte außerdem, der Geschäftsführer des saarländischen Verbandes versorgungsberechtigter Wehrmachtsangehöriger, Oberst Allert, habe ihm berichtet, Frau Brunner arbeite bei diesem Verband als Sekretärin. Sie sei von einer Frau H. empfohlen worden, die bei der unter Sequester stehenden Röchlingschen Kohlenverkaufsgesellschaft tätig sei und als angesehenes Mitglied katholischer Frauenorganisationen gelte. Allert zufolge besuchte Schmeisser ihn einmal und führte eine politische Unterredung mit ihm. Schmeisser habe die verworrene Parteienlandschaft in der Bundesrepublik bemängelt, die von rechts korrigiert werden müsse. Deshalb liefen Bestrebungen, Otto Strasser nach Deutschland zu holen. Strohm schloß daraus, an der Saar werde weiterhin versucht, prodeutsche Kreise durch konstruierte Verbindungen zur rechten Szene zu kompromittieren. Frau Brunner werde von dem Soldatenverband sofort entlassen. Allert tat dies auch, wobei er sich zur Empörung Dorothys auf Strohm bezog. 71 Oberst Allert wurde im September 1952 ins saarländische Innenministerium berufen, wo er sich nach vertraulichen Angaben um Verteidigungsangelegenheiten kümmern sollte. Sein Vorgesetzter war – Dr. Aloys Masloh. 72 Die Nachrichten der folgenden Jahre zeigen, daß sich enge Beziehungen zwischen Allert und Masloh entwickelten. 73 Hubaleck behauptete am 6. Oktober 1951 74, in Saarbrücken gebe es Beweise dafür, daß die SPD das „Remer-Telegramm“ gefälscht habe, damit die CDU nicht in den Genuß eines politischen Erfolges an der Saar komme, der angeblich in Aussicht stehe. Dem hielt Bodens entgegen, aus Quellen der DPS verlaute, Braun sei der Fälscher. Nur drei Tage nach Hubaleck erschien am 9. Oktober 1951 Frau Brunner erneut bei Strohm, was dieser flugs dem BMG meldete. 75 Der Anlaß für den Besuch war angeblich eine erhoffte Belohnung für die 67 68 69 70 71 72 73 74 75
BA, B 137, Bd. 3436, S 4 [H. Schneider] an P 11 [Rolf Vogel], o.D. [Anfang Mai 1952]. Dazu Elzer, Das Auswärtige Amt und der „neue Kurs“. „Der Spiegel“, Nr. 27/1953, 1.7.: „Personalien: Maria Lichtenhagen“. BA, B 137, Bd. 16540, und PA/AA, B 2, Bd. 354A. Vgl. Kap. II.2b. PA/AA, B 130, Bd. 13797, Protokoll der Vernehmung Strohms, 7.8.1952, hier: S. 4f. LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 394, T 73 [H. Schneider] an U 67 [nicht entschlüsselt], o.D. Material in: BA, B 137, Bd. 3435. Ebd., Bd. 16540. PA/AA, B 2, Bd. 354A, Aufzeichnung [Strohms], 12.10.1951; BA, B 137, Bd. 16540, und PA/AA, B 2, Bd. 354A, Schreiben Strohms an BMG, 12.10.1951; Ebd., B 130, Bd. 13797, Protokolle der Vernehmungen
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Saar - Das „Remer-Telegramm“
Aufklärung der Vorgänge um das „Remer-Telegramm“. Am Ende erhielt sie keine Belohnung von 20.000 DM (wie erträumt), sondern nur 100 DM als Vergütung ihrer Fahrkarte von Saarbrücken nach Bonn und zurück. Strohm nahm an, Schmeisser habe sie geschickt. Brunner behauptete, Boeckmann sei der Fälscher des Telegramms. Ziebell sei einige Tage vor der Übergabe zur Vorbereitung mit dessen Sekretärin M. in Straßburg gewesen. Boeckmann – gewöhnlich knapp bei Kasse – habe Ende April bei einer Reise des saarländischen Journalistenverbandes nach Paris seine volle Brieftasche herumgereicht. Im Juli habe er eine Million Francs erhalten, von denen er sich einen Peugeot und eine neue Wohnungseinrichtung kaufte. Generaldirektor Billmann veranlaßte laut Dorothy Schretzmair die Auszahlung gegen den Widerstand des Finanzdirektors von Radio Saarbrücken. 76 Der Politiker Karl Etienne (SPS) habe Boeckmann angestiftet. Beide stünden in engem Kontakt mit dem Pressechef der SPD, Fritz Heine. Die SPD habe beabsichtigt, Adenauer vorzuwerfen, er arbeite an der Saar mit den gleichen rechtsextremen Elementen zusammen, die er im Bundesgebiet bekämpfe. Strohm verlangte präzisere Informationen von Dorothy. Als er auf den bevorstehenden DPS-Prozeß gegen die saarländischen Europarats-Abgeordneten hinwies, bei dem das Telegramm zur Sprache kommen werde, erwiderte Brunner, der Prozeß werde nie stattfinden. Die Mitwisser würden bestimmt nicht plaudern. Damit sollte sie recht behalten. Strohm hielt ihr vor, wenn ihre Geschichte stimme, hätte die Saarregierung ein Interesse an der Aufklärung. Darauf antwortete sie nur indirekt: Ziebell wäre bereit, für eine gute Stellung im Bundesgebiet die SPD zu entlarven. Über Ziebell erzählte Brunner noch manches andere. Während seiner Zeit als Rechtsanwalt in Berlin habe er Vorschüsse von Juden verlangt, denen er die Beschaffung gefälschter Ausreisepapiere versprochen habe. Er hielt seine Versprechungen aber nicht ein. Später war er im Münchner Entnazifierungsministerium tätig. Dort wurde er belangt wegen Bestechung und Wegschaffen von Akten, doch Justizminister Josef Müller habe das Verfahren niedergeschlagen. „Paulchen“ Schmidt stehe Ziebell sehr nahe. Ziebell habe für Laffon in Saarbrücken gearbeitet, sich indes mit ihm überworfen. Ziebell sei Treuhänder beim Konkurs des Kaufhauses Walter. Brunner skizzierte dann die in Saarbrücken ansässigen französischen Geheimdienste. 77 Strohm erinnerte an vier gezielte Desinformationen seitens der „Gruppe von professionellen Nachrichtenfälschern in Saarbrücken“, deren „Methoden nicht gerade erfindungsreich sind“: 1) Ziebell spielte Richard Becker die Information zu, wonach ein Bonner Ministerium eine Nachrichtenverbindung mit der Sûreté in Saarbrücken unterhalte. 2) Paul Schmidt verbreitete das Gerücht, Georg Schneider sei Kommunist. 3) Ziebell besitze Verbindungen nach München. Von dort aus wurde kolportiert, Löwenstein bereite gemeinsam mit der SPD eine Veröffentlichung vor, die mit Hilfe der Saarfrage den Schuman-Plan zu Fall bringen sollte. 4) Das „Remer-Telegramm“ wurde im Umkreis Ziebells produziert und in Straßburg abgesetzt. Es handele sich in allen Fällen um „eine plumpe und skrupellose Diffamierung von Persönlichkeiten im deutschen Lager.“ Man kenne solche Methoden aus den zwanziger Jahren. Die Fälschung des „Remer-Telegramms“ gleiche auffällig dem gefälschten Tagebuch des angeblichen Freiherrn von Kennel, über das Pfarrer Bungarten in seiner Broschüre berichte 78.
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Strohms, 7.8.1952, 24.11.1952, und 9.2.1954. Zur Verwunderung Thediecks hatte Strohm für seinen Brief keinen Geheimschutz verfügt. Dies entsprach freilich dessen Gepflogenheiten. Diese Details sind auch in einer undatierten Notiz überliefert, die der prodeutschen Opposition vorlag (LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 394, Notiz C III 23, o.D.). Vgl. Kap. I.2. Bungarten, Ich darf nicht schweigen, S. 35. Dazu Zenner, Parteien, S. 161.
Die Schmeisser-Affäre
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Die Schwierigkeit bestand stets darin, bei den Mitteilungen der Agenten Wahres und Falsches zu unterscheiden. Die Behauptung einer Urheberschaft der SPD beim „RemerTelegramm“ ist zu den Legenden zu rechnen. Gerade der angeblich involvierte Karl Etienne gehörte dem prodeutschen Flügel der SPS an und sollte wohl deswegen in Mißkredit gebracht werden. Für den SPD-Parteivorstand hätte kein großer politischer Nutzen in einer solch grob gestrickten Aktion bestanden, deren Enttarnung wahrscheinlich war. Negative Auswirkungen für Adenauer durch einen derartigen Schachzug scheinen weit hergeholt. Fritz Heine war erfahren genug, um vor einem derart riskanten Manöver zurückzuschrecken. Allerdings unterhielt Ziebell Beziehungen zum SPD-Parteivorstand. Allem Anschein nach tat er dies nur, um geheimdienstliche Operationen zu erleichtern und persönliche Gewinne einzustreichen. Die SPD mußte insofern für den zweifelhaften Zuträger büßen, als dieser die Fama verbreitete, die „Baracke“ sei für das „Remer-Telegramm“ verantwortlich. Strohm entwarf ein Schreiben an Carlo Schmid, in dem er über die Beschuldigungen von Schretzmair gegen den SPD-Parteivorstand Auskunft gab. 79 Damit wolle der französische Geheimdienst wohl auf der deutschen Seite Verwirrung stiften. Ob der Brief abgesandt wurde, ist allerdings unklar. Wenige Wochen vor dem „Remer-Telegramm“ kursierte eine gefälschte Pressemitteilung der KPS, in welchem dem Sozialdemokraten Dr. Will angeblich von seiten der DPS nationalsozialistische Aktivitäten vorgeworfen wurden. 80 Will gehörte dem prodeutschen Flügel der SPS an. Als Hauptverdächtiger für die Invektive galt Heinz Braun. Böswillige Gerüchte wurden auch über den mit der Gründung einer Saar-CDU befaßten ehemaligen Zentrumspolitiker Franz Steegmann 81 und den prodeutsch eingestellten Gewerkschaftsvorsitzenden Paul Kutsch82 erfunden. Die wahren Urheber der Fälschung bewegten sich im Umkreis der Saarregierung und des französischen Hohen Kommissariats in Saarbrücken, wobei die für die Manipulation verantwortliche Person im Dunkeln bleibt. Im Juni 1953 gab es Gerüchte, Braun wolle Ziebell an die Saar zurückholen, um ihn als Entlastungszeugen für den Vorgang um das „RemerTelegramm“ zu verwenden. 83 Das angestrebte Verbot der DPS sollte jedenfalls mit Hilfe der konstruierten Verbindung dieser Partei zur SRP besser zu rechtfertigen sein. Dabei ist zu erwägen, daß die Aktion möglicherweise improvisiert war 84, um die Großdemonstration der DPS in letzter Stunde verhindern zu können. Sie wäre ein Fanal gewesen, das den Willen eines erheblichen Teils der saarländischen Bevölkerung zum Ausdruck gebracht hätte. Die unprofessionelle Durchführung der geheimdienstlichen Operation ließe sich mit Hast und Überstürzung erklären. Ob Boeckmann selbst der Fälscher war, ist offen. Bei Radio Saarbrücken arbeiteten genügend Agenten, und manchen aus der saarländischen Delegation bei der Beratenden Versammlung des Europarats war eine solche Tat ebenfalls zuzutrauen. Die Schreibmaschine und das danebenliegende gelbe Papier konnten am fraglichen Wochenende von zahlreichen Personen genutzt werden. Wenn es gelang, die Echtheit des „Remer-Telegramms“ plausibel 79 80 81 82 83 84
PA/AA, B 2, Bd. 354A. DSZ, Nr. 13, 13.6.1952: „Sagt Dr. Heinz Braun die Wahrheit?“ Dazu Elzer, Die deutsche Wiedervereinigung an der Saar, Teil II, Kap. II.2. Näheres ebd., Teil II, Kap. V.1. LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 449, Aufzeichnung „Kehrt Defraudant Ziebell an die Saar zurück?“, 22.6.1953. Ein Informant Schneiders berichtete in einem Rundbrief von einem geheimen Treffen Hoffmanns mit engen Mitarbeitern (darunter Hector und Hoppe) am 6./7.5.1951, bei dem der Plan ausgeheckt worden sei, eine Verbindung zwischen DPS und SRP zu konstruieren. Die CVP-Fraktion sei dann am 8.5. getäuscht worden, um ihr die Zustimmung zum Verbot abzutrotzen (LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 352, Rundschreiben Peters, [Sommer 1951]). Diese Teile des Rundschreibens wurden (von Schneider?) durchgestrichen und mit Fragezeichen versehen.
Saar - Otto Strasser und der französische Geheimdienst
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zu machen, mußte die Verteilung durch in Straßburg akkreditierte Journalisten von Radio Saarbrücken nicht notwendigerweise auffallen. Vor allem sollte Schuman dazu bewogen werden, ein Verbot der DPS gutzuheißen. Dafür erschien das Konstruieren einer Querverbindung zwischen der DPS und der am 6. Mai bei der niedersächsischen Landtagswahl einen Stimmenanteil von 11% verbuchenden SRP geeignet. Falls später die Authentizität des „Remer-Telegramms“ nicht aufrechterhalten werden konnte, so waren die kurzfristigen Effekte jedenfalls erreicht. Vielleicht bestand tatsächlich die Absicht, gegebenenfalls den Verdacht auf einen eher unbekannten Journalisten wie Boeckmann zu lenken, der im Rufe stand, Geld gut gebrauchen zu können. Das BMG schaltete nach all diesen Turbulenzen am 22. Oktober 1951 das BfV ein. 85 Knoop berichtete über den Besuch Hubalecks und ihre Mitteilungen über Ziebell. Auf Anraten Dehlers habe Kaiser im Juni Ziebell empfangen. Ziebell gab damals an, er stehe der SPS nahe und sei mit Paul Schmidt befreundet. Laut Hubaleck führe Ziebell Schmidt als französischen Agenten. Schmidt sei beim BMG bekannt, weil er Georg Schneider beschuldigt habe, Kommunist zu sein. Das BMG bat um Recherchen über Paul Schmidt. Der Leiter des BfV, Otto John, antwortete persönlich am 5. November 1951. 86 Ziebell habe sich beim BfV beworben 87 und gute Chancen besessen. Die Anstellung scheiterte, weil Staatssekretär Hans Ritter von Lex ihn aus Bayern kannte und abriet. Hubalecks Angaben müßten überprüft werden. Dazu wäre es am besten, sie nochmals einzubestellen und in Gegenwart eines Beauftragten des BfV abermals zu verhören. Tatsächlich fand eine solche Besprechung am 27. November unter Einbeziehung von Günter Nollau statt; 88 eine Aufzeichnung darüber existiert offenbar nicht. Im BMG wunderte man sich in den nächsten Monaten über die Säumigkeit des BfV. 89 Nachdem am 22. April 1952 eine Erinnerung erfolgt war, sprach Nollau am 21. Mai am Bottlerplatz vor. Er begnügte sich mit der lakonischen Mitteilung, John lasse ausrichten, zum gegenwärtigen Zeitpunkt könne über den Sachstand nichts gesagt werden. Das BMG werde vom Abschluß der Ermittlungen unterrichtet. Knoop führte Nollau vor Augen, wie sehr es bei der Saar-Opposition befremde, wenn ein in kriminelle Machenschaften um den Konkurs des Kaufhauses Walter verwickelter Mann wie Ziebell im hessischen LfV eine amtliche Tätigkeit entfalten könne. Bodens gab Nollau nähere Hinweise über die Aussagen Hubalecks. Knoop schlug Thedieck vor, mit John über den Komplex Schmeisser-Schmidt zu sprechen. Warum zögerte das BfV und präsentierte sich so wenig kooperativ? Bevor dies geprüft werden kann, müssen die angeschnittenen Themenkomplexe unter die Lupe genommen werden: das Unternehmen „Otto Strasser“, die Begebenheiten um das Kaufhaus Walter und die Verhältnisse beim hessischen Verfassungsschutz. 3) OTTO STRASSER UND DER FRANZÖSISCHE GEHEIMDIENST a) Heimkehr via Saar? Die Gebrüder Strasser sind als Rivalen Hitlers innerhalb der NSDAP notorisch. Der norddeutsche Strasser-Flügel war stärker proletarisch orientiert und aus Haß gegen die 85 86 87 88 89
BA, B 137, Bd. 16540, Schreiben Knoops an John, Geheim, 22.10.1951. Ebd., Schreiben Johns an Dr. Türk, Geheim, 5.11.1951. Zur Bewerbung Ziebells beim BfV: Kap. II.1b. BA, B 137, Bd. 16540, Hs. Notiz Knoops, 28.11.1951. Zu Nollau neben dessen Memoiren: Roewer/Schäfer/Uhl, Lexikon, S. 319. BA, B 137, Bd. 16540, Vermerk Knoops, Geheim, 23.5.1952.
Die Schmeisser-Affäre
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Westmächte als Garanten des „Versailler Systems“ auch zum Zusammengehen mit „Rußland“ bereit. Allein, Hitler gewann den seit 1925 tobenden parteiinternen Machtkampf. 90 Otto Strasser rief am 4. Juli 1930 die „Kampfgemeinschaft revolutionärer Nationalsozialisten“ ins Leben. 91 Er begriff sich als wahrer Sozialist und Nationalist und verbreitete 1930 „14 Thesen der deutschen Revolution“ 92: Die deutsche Revolution „ist sozialistisch – gegen die Tyrannei des Geldes; sie ist völkisch – gegen die Zerstörung der deutschen Seele – alles aber nur um der Nation willen.“ 93 Im Oktober 1931 entstand Strassers „Schwarze Front“. 94 Gregor Strasser hatte Ottos Bruch mit Hitler nicht mitvollzogen. 95 Trotzdem wurde er beim „Röhm-Putsch“ 1934 ermordet 96; Otto Strasser war rechtzeitig ins Ausland geflohen. Er wurde auf Betreiben Hitlers ausgebürgert. Der Publizist und ehemalige Nationalbolschewist Karl O. Paetel würdigt zwar Strassers kompromißlose Gegnerschaft zu Hitler, attestiert ihm aber eine Neigung zu „monomanischer Selbstüberschätzung“. 97 Otto Strasser lebte nach mehrjähriger Irrfahrt quer durch Europa seit April 1941 in Kanada, zumeist in Bridgetown/Neuschottland. 98 In den 1930er Jahren gab es Ableger der „Schwarzen Front“ in Lateinamerika, bei denen Bruno Fricke eine maßgebliche Rolle spielte. 99 Seit 1941 versuchte Strasser mit einer „Frei-Deutschland-Bewegung“ alle Emigrantengruppen zu sammeln. 100 Der Zulauf beschränkte sich jedoch auf die Reste der „Schwarzen Front“ sowie konservative und christliche Gruppen. Infolge seiner nationalsozialistischen Verwurzelung stieß Strasser bei den zahlenmäßig dominanten linken und jüdischen Emigranten auf Ablehnung. Eine Ausnahme bildeten die „Volkssozialisten“ um Max Sievers, Wilhelm Sollmann, Hans Jaeger und Wenzel Jaksch. 101 Im Jahre 1946 publizierte Strasser ein Buch unter dem Titel „Deutschlands Erneuerung“. Zwei Jahre später sammelten sich in seiner alten Heimat die Reste seiner früheren „Schwarzen Front“ und gründeten den „Bund für Deutschlands Erneuerung“ (BDE). 102 Sie propagierten das völkisch-christliche Weltbild Otto Strassers in einer von Berufsständen geprägten
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Dazu Strasser, Hitler und ich; Moreau, Nationalsozialismus, Kap. I; Ders., „Socialisme“ national, S. 485-491; Bartsch, Zwischen drei Stühlen, Kap. 2-4; Schüddekopf, Linke Leute, Kap. 21 und 34; Abendroth, Problem; Gossweiler, Strasser-Legende, der zwar zu Recht Strassers Selbstbeweihräucherung als Todfeind Hitlers kritisiert, aber aus linksextremer Sicht die „Schwarze Front“ zur bloßen „Auffangstelle für ‚hitlermüde Volksgenossen’“ degradiert (S. 37). Moreau, Nationalsozialismus, Kap. II; Kühnl, Linke, Sechster und Siebter Teil. Dort auch Wortlaut der Erklärung „Die Sozialisten verlassen die NSDAP“, 4.7.1930 (Dok. Nr. 5, S. 292-297). Ferner: Dupeux, „Nationalbolschewismus“, S. 393-408; Thoma, Fall Otto Strasser, S. 16-40; Paetel, Versuchung, S. 206-224; Ders., Otto Strasser. Das Strasser-Kapitel von Paetels Buch aus dem Jahre 1965 („Versuchung“) deckt sich weitgehend mit dem Inhalt seines Aufsatzes von 1957. Wortlaut in: Moreau, Nationalsozialismus, Dok. Nr. 1, S. 240-242; Paetel, Versuchung, Anhang X, S. 302305. Ebd., S. 305. Zum Europa-Verständnis Strassers: Schilmar, Europadiskurs, S. 104-110. Moreau, Nationalsozialismus, Kap. III, und Dok. Nr. 5, S. 250f. („Das Manifest der Schwarzen Front“). Kissenkötter, Gregor Strasser, S. 41-48; Stachura, Gregor Strasser, S. 73-81; Moreau, Nationalsozialismus, S. 44f. Strasser, Hitler und ich, Kap. X; Ders., Mein Kampf, S. 75-99. Er spricht von der „deutschen Bartholomäusnacht“. Paetel, Otto Strasser, S. 274. Zu Paetel: Vollnhals, Karl Otto Paetel. Dazu Reed, Prisoner, S. 208-255; Strasser, Exil, S. 163-179. Strassers Autobiographie „Mein Kampf“ (!) bietet im Vergleich zum vorangegangenen Buch „Exil“ nichts Neues und endet 1940. Von zur Mühlen, „Gegen-Führer“. Ebd., S. 148-154; Bartsch, Zwischen drei Stühlen, S. 152-159. Röder, Exilgruppen, S. 63-70. Stöss, Deutsch-Soziale Union, S. 1246-1249; „Der Spiegel“, Nr. 48/1948, 27.11., S. 4f.: „Im Frühjahr kommt Otto. Mit der Hand an den Revolver“. Zum Werdegang Otto Strassers und zu den Rivalitäten unter seinen Anhängern: Ebd., Nr. 36/1949, 1.9., S. 5-8: „Zum ewigen Frieden. Vollendete Charakterbeschreibung“; Strasser, Exil, passim; Tauber, Beyond Eagle und Swastika, S. 109-112, 1028-1031 (Anm. 108-126); Jenke, Verschwörung, S. 269-272; Hiller, Köpfe, S. 143-152.
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Saar - Otto Strasser und der französische Geheimdienst
Gesellschaft. In ihr werde der „Solidarismus“ 103 gepflegt, der die Unfreiheit von Kapitalismus und Kommunismus überwinde. Dies ähnelte in vielem dem Entwurf Gregor Strassers von 1925/26, der von „kleinbürgerlichem Sozialismus“ charakterisiert, auf ein „Großdeutsches Reich“ fixiert und keineswegs frei von rassistischen Elementen war.104 Ein Sachkenner urteilte, Strasser sei „kein Demokrat“, sondern wolle „der anständige Führer“ sein. 105 Der ganz auf Otto Strasser bauende BDE wartete sehnsüchtig auf die angekündigte Rückkehr seines spiritus rector, wozu er sich in seinem „Politischen Aktionsprogramm“ vom 15. Juli 1951 106 ausdrücklich bekannte. Die kanadische Regierung hinderte Strasser freilich an der Ausreise. Er schilderte später seine Ausreisebemühungen seit 1950 längst nicht mit der Ausführlichkeit, die er sich für seine Odysee durch Europa erlaubte. 107 Neben der Stigmatisierung durch die Alliierten und der Widerspenstigkeit der kanadischen Behörden sah er das Hauptproblem in der Weigerung des Bundesinnenministeriums, ihm einen deutschen Paß auszustellen, der als formale Voraussetzung unabdingbar war. Das BMI stufte Strasser als Nationalsozialisten ein und sah in ihm trotz seiner Rivalität mit Hitler eine Gefahr für die junge demokratische Kultur in der Bundesrepublik. Deshalb sollte Strasser die Wiedereinbürgerung verwehrt bleiben. 108 Das Kabinett stärkte dem BMI dabei den Rücken. 109 Die Bundesregierung unterstellte ihm, eine Aufenthaltsberechtigung für Bayern gefälscht zu haben. In seinen Memoiren verschweigt Strasser allerdings die Alternative eines saarländisches Passes und erwähnt die Versuche, über Saarbrücken zurückzukehren, mit keinem Wort. Wie sahen die angedeuteten Pläne einer Rückführung Otto Strassers nach Deutschland via Saar aus? Die SPD erhielt 1952 vertrauliche Informationen über ein entsprechendes Vorhaben Maslohs aus dem Jahr 1951. 110 Damals faßte Masloh den Entschluß, diese Absicht „für sich und seine Auftraggeber in Hessen auszuwerten“. Er ließ die Führer des BDE wissen, er könne Strasser die notwendigen Papiere beschaffen. Masloh wandte sich an Schmeisser, der ihm dabei behilflich sein sollte. Schmeisser erhielt von seiner Dienststelle die Zusage, Strassers Einreise über die Saar nach Deutschland zu ermöglichen, sobald dieser in der Schweiz eingetroffen sei. Es gab rege Korrespondenz, u.a. zwischen Schmeisser alias Brun(n)er und Strasser. Schmeisser erteilte Masloh dann eine positive Antwort. Daraufhin übersandte Strasser eigenhändig unterschriebene Paßphotos und seine Personalien. Die französische Dienststelle zögerte die Sache jedoch hinaus, weil Masloh eine Indiskretion begangen habe. Der Paß könne nicht nach Kanada geschickt, sondern nur in Europa übergeben werden. Laut Masloh erteilten die Schweiz und Italien Durchreisevisa, doch sie machten eine Einreiseerlaubnis von einem Endvisum oder einem deutschen Paß abhängig. Strasser habe darum Masloh angeboten, für die Kosten aufzukommen, wenn er ihm den Paß nach Kanada bringe. Angeblich seien die Amerikaner nicht abgeneigt, Strasser nach Deutschland zurückkehren zu lassen, wenn er zu einem Abkommen mit ihnen bereit sei. Dies gefalle jedoch nur einem Teil 103
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Dazu Bartsch, Zwischen drei Stühlen, S. 160-162, S. 244f. („Manifest des Solidarismus“, 1945). Insgesamt zu Strassers gesellschaftspolitischen Vorstellungen: Dohse, Der Dritte Weg, S. 172-180; Stöss, DeutschSoziale Union, S. 1254-1259; Moreau, „Socialisme“ national, S. 492-498. Kühnl, Programmatik. BA, B 136, Bd. 1746, Bl. 3-13, BPA Inland, Nr. 3/50 – 582, 3.10.1050: Dr. Otto Strasser, Begründer und „Führer“ der „Schwarzen Front“, hier: Bl. 10. Der Verfasser ist Wolfgang Glaesser (BPA). Ebd., Bl. 15. Strasser, Exil, S. 186-191. Eher knapp auch Bartsch, Zwischen drei Stühlen, S. 168-171. BA, B 136, Bd. 1746, Schreiben Lehrs an Kanzleramt, 17.12.1951, Bl. 29-33. Umfangreiches Material dazu in BA, B 106, Bd. 15566. Vgl. auch Buschfort, Hüter, S. 156-167. Kabinettsprotokolle, Bd. 6 (1953), S. 124, 284, 312. AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 2622A, Betr.: Rückkehr Otto Strassers nach Europa, o.D.
Die Schmeisser-Affäre
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des BDE. Andere, insbesondere Waldemar Wadsack, wollten lieber eine Verständigung mit Frankreich. Dabei solle die französische Deutschlandpolitik anerkannt und die Saar praktisch abgetreten werden. Maslohs Intention sei, einen spektakulären Nachrichtencoup zu landen, wenn er und seine Hintermänner mit präzisen Angaben über Zeitpunkt und Form der Rückkehr Strassers berichten könnten. Mit diesem Nachrichtenhandel wolle er Kasse machen, und zwar sowohl in Bonn als auch in Saarbrücken und Paris. Als Vorbereitung lasse er in Frankreich und im Saarland Meldungen verbreiten, gewisse Kreise der Bundesregierung wollten Strasser Ausweispapiere übersenden. Umgekehrt ließ er in Deutschland durchsickern, französische Stellen wollten Strasser die nötigen Dokumente übergeben. Masloh wurde am 9. Februar 1955 im saarländischen Innenministerium über diese Zusammenhänge verhört. 111 Er hatte 1951 in Frankfurt a.M. Besprechungen, die dazu dienten, Schmeisser zur Herausgabe etwaiger Quittungen Blankenhorns zu veranlassen. Trotz verlockender Angebote gebrauchte Schmeisser stets Ausflüchte, obwohl er immer wieder prahlte, er habe Blankenhorn in der Hand. Bei der Frankfurter Unterredung war auch Zweig dabei. Ob er (Masloh) diesem oder Wadsack und Otto Loerbroks sagte, er habe die Quittungen gesehen, wisse er nicht mehr. In Frankfurt wurde mit Freunden Otto Strassers über dessen Rückkehr geredet. Masloh hielt das Vorgehen der Verwaltung gegenüber Strasser für ungerecht und brachte der Bewegung Sympathie entgegen. Dabei wurde diskutiert, ob die Quittungen diesen Zweck fördern könnten. Man glaubte an die Existenz dieser Belege, obwohl niemand sie gesehen hatte. Vielleicht sagte er (Masloh) den Strasser-Anhängern aus taktischen Gründen, er habe sie gesehen. In diesen Tagen suchte er einmal das „Spiegel“-Büro in Frankfurt auf, wo er Dr. Bell – also Ziebell – traf. Er erinnerte sich nicht an Details der Unterhaltung. Masloh ging es angeblich darum, Schmeisser aus den deutsch-französischen Beziehungen auszuschalten. Daher verwandte er die taktischen Äußerungen über die Quittungen, denn er hielt es nicht für angebracht, Schmeisser direkt auf diese Dokumente anzusprechen. Er wollte also feststellen, ob die Quittungen existierten. Schmeisser gab mit seinen journalistischen Verbindungen an, u.a. zum „Spiegel“. Masloh zweifelte daran, hatte er doch gerüchteweise gehört, das BfV beschäftige sich mit Schmeisser. Erst lange nach dem Erscheinen des berüchtigten „Spiegel“-Artikels erfuhr er von einer saarländischen Persönlichkeit aus dem Bereich der Presse – die zu nennen die erforderliche Aussagegenehmigung des Innenministers fehle –, daß dieser von den Quittungen wußte. Zum Schluß bat Masloh zu bedenken, wieviel Zeit inzwischen verstrichen und wie verwickelt die Sache war. Von Zuwendungen französischer Stellen an Blankenhorn sei ihm jedenfalls nie etwas zu Ohren gekommen. Masloh bemühte sich also in Hessen um Erpressungsmaterial gegen Blankenhorn. Quittungen über Geldzahlungen, die Blankenhorn von Schmeisser erhalten hatte, waren natürlich besonders wichtig. Es ging dem Sûreté-Agenten Masloh sicherlich um eine Forcierung der Rückkehr Otto Strassers nach Deutschland, doch die Unterlagen über Blankenhorn ließen sich auch für andere Zwecke verwenden... Der Pressechef der SPD, Fritz Heine, konstatierte am 22. November 1951 112, ein Dr. Hagert sei die treibende Kraft des Unternehmens, Strasser nach Deutschland zurückzubringen. Hagert wolle angeblich die Hälfte des Fahrgeldes aufbringen, das für die Überbringung eines Saarpasses nach Kanada nötig sei. Der französische Agent „Masloch“ sei wie Hagert Mitglied
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PA/AA, B 130, Bd. 13797, und B 2, Bd. 354A. AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 2622A, Aufzeichnung „Der Fall Otto Strasser“, 22.11.1951.
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der Entflechtungskommission der IG Farben. 113 Auch der Wirtschaftsprüfer Wadsack aus München habe seine Hände im Spiel. Der Journalist Theo Paul Matissek erklärte am 23. April 1954 bei einem Verhör in Saarbrücken 114, Schmeisser alias Brunner habe ihm ein Paßbild von Otto Strasser mit persönlicher Unterschrift gezeigt. Schmeisser erzählte, im Einvernehmen mit der BST die Absicht gehabt zu haben, Strasser von Kanada über Genua, die Schweiz und Saarbrücken in die Bundesrepublik einzuschleusen. Der SPD-Parteivorstand bezog sein Wissen aus Erkenntnissen des Verfassungsschutzes, die auch in den Akten des Kanzleramtes nachweisbar sind. Die Kölner Behörde dechiffrierte Einzelstücke der Korrespondenz zwischen „Onkel Oswald“ und „Peter Bruner“, d.h. Otto Strasser und Hans-Konrad Schmeisser. Dorothy Schretzmair übergab diese beiden Briefe dem LfV Wiesbaden bei ihrer Vernehmung am 15. November 1951. 115 Strasser bedankte sich am 22. Oktober 1951 116 bei Schmeisser für einen soeben erhaltenen Brief aus Paris. Sollte es nötig sein, ihm den Paß nach Kanada zu bringen, so müsse es eben gemacht werden. Erfreulicherweise sei Dr. Hagert bereit, einen Teil der Unkosten zu tragen. Strasser empfahl Schmeisser, eng mit Hagert zu kooperieren. In Kanada sei keine Ausreisegenehmigung erforderlich. Einzige Voraussetzung sei das Vorliegen eines deutschen oder saarländischen Passes. In dem zweiten Schreiben teilte Hagert am 5. November 1951 Masloh mit 117, er höre soeben aus Kanada, man könne ohne Paß von Montreal nach Amsterdam fliegen. Es müsse lediglich die amtliche Bestätigung einer Daueraufenthaltsgenehmigung vorliegen. Flugkarte und Visum seien dann erhältlich. Der Passagier müßte also in Amsterdam abgeholt werden. Dort würde ihm persönlich sein Paß ausgehändigt. Sei dies so machbar? Noch fehle jede Nachricht von ihm (Masloh). Jetzt sollte endlich eine Entscheidung getroffen werden! In der Nachschrift wurde hinzugefügt, die Strasser-Bewegung sei auch weiterhin bereit, den Paß durch ihren Kurier nach Kanada zu befördern. Man könnte einen französischen Beauftragten empfangen und ihm die Garantie geben, daß Strasser den Paß erhalte. Der BDE könne auch einen Vertreter nach Saarbrücken senden. Indessen eile die Sache, weil auch andere Gelegenheiten bestünden, Strasser nach Deutschland zu bringen. Schmeisser sagte bei seinen Vernehmungen in Wiesbaden und Starnberg 118, gemeinsam mit Laurent habe Masloh schon früher einen Versuch unternommen, Strasser zurückzuholen und ihn nach Bad Dürkheim in die französische Zone zu bringen. Masloh bat Schmeisser, den für die Rückkehr Strassers nach Europa nötigen Paß zu beschaffen. Wadsack hatte Masloh gesagt, er sei im Bundesinnenministerium gewesen und habe dort Zusicherungen erhalten. Masloh war daran interessiert, Strasser über die Saar zurückzubringen. Strasser selber habe ihn beauftragt, seine Heimreise zu organisieren. Schmeisser wandte sich zunächst an Ziebell, der sich von der Idee „hell begeistert“ zeigte und den Ausweis besorgen wollte. Schmeisser gab 113
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Zur Entflechtung der IG Farben: Reichelt, Erbe, Kap. IV. Zu den Farbwerken Höchst: Ebd., S. 145-156; Lindner, Hoechst, S. 349-375. Hagert wird nicht erwähnt. Später berichtete das BfV, Dr. Werner Hagert sei Leiter der „Zentralstatistik der IG Farben“, also wohl der Farbenwerke in Höchst (BA, B 106, Bd. 200207, Schreiben Radkes an BMI, 26.5.1954, hier: S. 1). Zu Hagerts NS-Vergangenheit: Ray, Annäherung, S. 219, Anm. 22. PA/AA, B 130, Bd. 13797. Diese Aussage gelangte auch zur Kenntnis von Heinrich Schneider (LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 448). BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 26-28, hier: Bl. 27-28. Sie berichtete ebenfalls über den Versuch Maslohs und Schmeissers, mit Hilfe Hagerts eine Rückkehr Strassers nach Deutschland über die Saar zu erreichen. Ebd., Bd. 240; AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 2622A. Ebd.; BA, B 136, Bd. 240. Hagert zeichnete mit „P. Lore“. Ebd., Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Wiesbaden, 22.11.1951, hier: S. 12-16; Ebd., Bd. 241, Protokoll der Vernehmungen Konrad Schmeissers in Starnberg vom 10.-20.10.1952, hier: S. 2-3. Zum folgenden auch Hover, Fall Schmeisser, S. 24f.
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Masloh also eine positive Antwort. Dieser erklärte, Wadsack sei mit der Aktion einverstanden, Fricke (Hannover) hingegen wolle von den Franzosen nichts wissen. Es war vorgesehen, daß Strasser mit den Franzosen vereinbarte, ihnen die Saar zu überlassen, wenn sie ihm bei der Rückkehr nach Deutschland zur Seite stünden. Schmeisser zeigte sich darüber nicht verwundert, denn Strasser habe während seiner Emigration in Prag für die französische Abwehr gearbeitet. Laurent zufolge verfüge die Sûreté über ein Dossier zur Person Strassers und könne es deshalb riskieren, sich mit ihm einzulassen. Ziebell brauchte sechs Paßbilder Strassers und Personalia, was er im Rahmen eines Briefwechsels zwischen Schmeisser und Strasser bekam. Masloh hielt Frankfurt a.M. – also wohl Hagert – ständig auf dem laufenden. Doch dann fuhr Schmeisser von September 1950 bis Anfang 1951 nach Paris. Als er zurückkehrte, traf er zwei führende Vertreter der StrasserBewegung, Dr. Hagert und Loerbroks. Hagert war Personalchef der IG Farben in Höchst. Sie billigten Ziebells Bemühungen zugunsten Strassers ebenso wie diejenigen des SPD-Politikers Adolf Arndt. Ziebells Kontakt mit Paul Schmidt und Heine war ihnen bekannt. Die Unterredung war nötig, weil Masloh die Kosten für die Paß-Angelegenheit auf 10.000-15.000 DM beziffert hatte. Diese hohe Summe machte Hagert und Loerbroks mißtrauisch gegen Masloh. Schmeisser sagte ihnen, Ziebell werde den Paß besorgen. Dies alles kam mit Hilfe einer anderweitigen Verbindung zustande, von der Laurent und Masloh glaubten, es sei eine französische. Wadsack sollte in Saarbrücken mit französischen Bevollmächtigten die Details aushandeln. Schmeisser wollte die nötigen Papiere lieber über seine eigenen Kanäle nach Kanada schleusen als über Masloh. Die Flugkosten sollte Strasser selber tragen. Die Sache verkomplizierte sich durch die Einschaltung eines weiteren französischen Agenten namens E., der die astrologische Wochenzeitschrift „Die Welt von morgen“ herausgab. Masloh ließ wissen, Dorls sei bereit, sich mit Strasser zusammenzutun. Auch der saarländische Innenminister Hector wolle Fühlung mit Strasser aufnehmen, wenn dieser in Saarbrücken gelandet sei. Schmeisser wollte Masloh nicht recht glauben, daß Linkskreise der CDU und Rechtskreise der SPD an einer Kooperation mit Strasser interessiert wären. Laurent bestätigte allerdings, es gebe mit einem wichtigen SPD-Politiker aus Neustadt a.d.W. Kontakte, die in eine solche Richtung wiesen. Masloh zufolge wollte Strasser auf keinen Fall einen Konflikt mit den Sowjets. Angeblich sei ein Beauftragter Moskaus in Kanada gewesen und habe Strasser angeboten, ähnlich wie Gerhart Eisler in der DDR aktiv zu werden – also im Bereich der Propaganda. 119 Strasser sei vorläufig nicht darauf eingegangen, weil er eine dritte Kraft in der Bundesrepublik aufbauen und sich Schritt für Schritt der Macht nähern wolle. Dabei müsse auch berücksichtigt werden, daß die alten Otto-Strasser-Leute und die alten Gregor-Strasser-Leute sich bis vor kurzem heftig befehdet hätten. Masloh erklärte, dies alles bei den Besprechungen der Strasser-Leute selbst erlebt zu haben. Frau Brunner sagte Strohm am 9. Oktober 1951 über Otto Strasser Folgendes: 120 Masloh sei ein Agent Strassers. Er arbeite im Amt für historische Landesforschung an der Seite eines gewissen Treib, der aus dem Umfeld von Gauleiter Josef Bürckel stamme. (Treib war dem Auswärtigen Amt bekannt.) In Frankreich gebe es Kreise, die sich sehr für Strasser interessierten. Im Jahr 1934 seien es Franzosen gewesen, die Strasser von Prag aus nach 119
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Strassers erster Beauftragter Bruno Fricke wollte zunächst eine Flüchtlingspartei unterwandern, später Kontakte mit Ost-Berlin herstellen. Sein Kurs stieß bei den Strasser-Freunden auf erbitterten Widerstand (Tauber, Beyond Eagle und Swastika, S. 184 und S. 1066f., Anm. 136f.). Material zu den Versuchen Frickes, Strasser mit Hilfe östlicher Verbindungen nach Deutschland zurückzubringen, in: AdsD, SPD-PV. Sekretariat Fritz Heine, 2/PVAJ0000549 und 2/PVAJ0000550. BA, B 137, Bd. 16540, Schreiben Strohms an BMG, 12.10.1951.
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Frankreich brachten. Dort hielt er sich längere Zeit auf, ehe er mit französischer Hilfe nach Kanada ausreisen konnte. Strasser weilte zwar im Juni 1934 kurzzeitig in Paris 121, doch Brunner meinte wohl eher die Flucht per Flugzeug aus Prag nach dem deutschen Einmarsch in die Tschechoslowakei im Oktober 1938. Die Gestapo ermordete im Januar 1935 den Techniker Rolf Formis, der in Zahori bei Prag einen Kurzwellensender der „Schwarzen Front“ betrieben hatte. 122 Seit 1934 scheint Strasser verschiedene Aktivitäten im Saargebiet entfaltet zu haben.123 Er soll der französischen Regierung die Bildung eines Freikorps vorgeschlagen haben, das unter seiner Führung mit Waffengewalt den status quo an der Saar verteidigen könnte, bevor es zum Referendum käme. 124 Angeblich sollte ein Putsch inszeniert werden, der Deutschland auf den Plan gerufen und damit wiederum eine Intervention Frankreichs provoziert hätte; der Plan sei jedoch in Paris abgelehnt worden. 125 Alfred Franke-Grieksch, genannt Hildebrand, sagte sich am 14. November 1934 in einem Offenen Brief von Strasser los. 126 Er erwähnte darin den „Landesverrat“, den Strasser an der Saar mit seinem Vorhaben eines Einmarsches beabsichtigt habe, und bezichtigte Strasser der „Anbiederung an Frankreich“. Jedenfalls befürwortete Strasser schon 1931 eine deutsch-französische Verständigung.127 An seinen guten Beziehungen zu namhaften französischen Politikern 128 kann kein Zweifel sein. Strasser lebte bis Dezember 1938 in Paris, als ihm aus politischen Gründen nahegelegt wurde, sich ein anderes Gastland zu suchen. 129 Er übersiedelte in die Schweiz. Im November 1939 verübte Georg Elser auf eigene Faust ein Attentat auf Hitler.130 Die Reichsregierung behauptete freilich, Strasser sei der Auftraggeber. Tatsächlich soll Strasser 1937 nach einer späteren Aussage des Abwehr-Agenten Richard Montag einen Sprengstoffanschlag auf den „Führer“ vorbereitet haben. 131 Hitler verlangte 1939 von der Schweizer Regierung Strassers Auslieferung. Hals über Kopf überquerte Strasser im Auto die französische Grenze, wobei ihm ein sozialdemokratischer Nationalratspolitiker der Schweiz behilflich war. 132 In Paris scheint Strasser mit einflußreichen Leuten gesprochen zu haben. Er erzählt von einer Unterredung mit Innenminister Georges Mandel (der im Juli 1944 ermordet wurde) und dem Kabinettschef von Ministerpräsident Paul Reynaud, Maurice Dejean 133, der nach 1945 zu den wichtigsten Diplomaten des Quai d’Orsay zählte. 134 Der ehemalige Kabinettschef von Georges Clemenceau, Georges Mandel, Innen- und Kolonialminister der späten 1930er Jahre, war ein 121 122 123 124 125
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Strasser, Exil, S. 81f. Howe, Schwarze Propaganda, S. 70f. Von zur Mühlen, „Schlagt Hitler an der Saar!“, S. 158f. Paetel, Otto Strasser, S. 280. AdsD, SPD-PV, Bestand Emigration/Sopade, Mappe 209, „Aufzeichnung über eine Unterhaltung mit dem Genossen Caspari, am Mittwoch, dem 27. Juni 1934“. Dazu von zur Mühlen, „Schlagt Hitler an der Saar!“, S. 159. Wortlaut in: AdsD, SPD-PV, Bestand Emigration/Sopade, Mappe 209. Zu Franke-Grieksch: Tauber, Beyond Eagle und Swastika, S. 122f.; Jenke, Verschwörung, S. 285-287. Dohse, Der Dritte Weg, S. 179 mit Anm. 479. AdsD, Sammlung Personalia, Otto Strasser, o. Nr., Box 1956-1974, Mappe Biographie, Otto für Fritz Heine, Betr.: Otto Strasser, 27.8.1951. Strasser, Exil, S. 99f. Hoch, Attentat. BA, B 106, Bd. 200208, Vernehmungsniederschrift der bayerischen Landpolizei, Geheim, 2.2.1955. Der junge emigrierte Jude Helmuth Hirsch wurde bei der Vorbereitung des Anschlags gefaßt und später enthauptet (AdsD, SPD-PV, Bestand Emigration/Sopade, Mappe 218, Aufzeichnung: „Die Provokation als Waffe. Einige Lehren des Falles Hirsch“; AdsD, Sammlung Personalia, Otto Strasser, o. Nr., Box 19561974, Mappe Biographie, Kurt R. Grossmann, Meine Begegnungen mit Otto Strasser, „Telegraf“-Archiv, o.D., hier: S. 3f.). Strasser, Exil, S. 104; Thoma, Fall Otto Strasser, S. 31f. Zu Dejean: DzD I/5 (1943-45), S. 1443. Strasser, Exil, S. 105-108. Dazu auch BA, B 136, Bd. 1746, Bl. 3-13, BPA Inland, Nr. 3/50 – 582, 3.10.1050, Dr. Otto Strasser, Begründer und „Führer“ der „Schwarzen Front“, hier: Bl. 8-9.
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scharfer Gegner der französischen Appeasement-Politik. 135 Otto Strasser behauptet außerdem in seinen Memoiren, Robert Schuman sei mit seinem Onkel in Metz befreundet gewesen und habe 1939/40 in Paris auch mit ihm selbst in Kontakt gestanden. 136 Von April bis Juni 1940 mußte Strasser wie alle „feindlichen Ausländer“ auf Befehl des Pariser Militärgouverneurs Hering in einem Internierungslager ausharren, ehe er dank seiner politischen Beziehungen freikam und kreuz und quer durch Frankreich floh, um den nationalsozialistischen Häschern zu entgehen. 137 Zu diesem Zeitpunkt drang die Wehrmacht im Eiltempo bis Paris vor. Über Portugal und die Bermudas gelangte Strasser schließlich im April 1941 nach Kanada. 138 Die weitgespannten Verbindungen Otto Strassers aus den 1930er Jahren verbesserten sicherlich seine Chancen, nach Deutschland zurückkehren zu können. Sein persönliches Anliegen wurde dabei auch für andere Zwecke instrumentalisiert, wie beispielsweise im Falle der französischen Saarpolitik. Heinrich Schneider rekapitulierte am 13. Februar 1954 in Vorbereitung auf den SchmeisserProzeß seine Verbindung mit Peter Brunner im Sommer 1951. 139 Dieser gab sich als Mitarbeiter von Radio Saarbrücken aus und bat ihn, einen Honoraranspruch gegen die Firma Radio-Reklame wahrzunehmen. Immer wieder schnitt er politische Fragen an, besonders über die DPS und das „Remer-Telegramm“. Dessen Fälscher saßen ihm zufolge in der Saarregierung und bei Radio Saarbrücken. Auffälligerweise kam Brunner wiederholt auf den in Kanada lebenden Otto Strasser zu sprechen und bot ihm an, eine Verbindung zu diesem herzustellen. Brunner gab zu, Kontakt mit dem französischen Nachrichtendienst zu haben, freilich nur zur Bekämpfung des Bolschewismus. Nachfragen in der Bundesrepublik Deutschland ergaben, daß er mit dem bekannten französischen Agenten Hans-Konrad Schmeisser identisch war. Schneider beendete die Beziehung und verlangte Honorar für seine Tätigkeit als Anwalt. Schmeisser verschwand, ohne die Honorarforderungen Schneiders beglichen zu haben. 140 Als Schneider hörte, daß Schmeisser beim hessischen LfV arbeitete und seine Adresse in Frankfurt ermittelte, schickte er einen amtlichen Zahlungsbefehl. Schmeisser entgegnete in einem Schriftsatz an das Amtsgericht Saarbrücken, er habe Schneider als Gegenleistung für seine Dienste als Anwalt Informationen zukommen lassen. Gleichzeitig gab Schmeisser zu, im Auftrag der Sûreté an Schneider herangetreten zu sein. Hubaleck erzählte dem BMG am 6. Oktober 1951 141, Schmeisser, Ziebell und Masloh betrieben mit Zustimmung Grandvals die Einreise Otto Strassers via Schweiz ins Saargebiet. Dazu stellte Bodens fest, die NSDAP habe in ihren Anfängen französisches Geld erhalten. Schmeisser wolle eine Verbindung zwischen Heinrich Schneider und Otto Strasser herstellen. „Vermutlich will man Otto Strasser an die Saar bringen, um mit ihm die deutschen Oppositionsgruppen zu diffamieren.“ Schneider und Becker durchschauten dieses Manöver und ließen sich nicht darauf ein. 142 Die Gerüchte um eine Rückführung Strassers mit französischer Hilfe waren nicht neu. Schon am 20. Januar 1949 schrieb Heinrich Brüning einem Bekannten, falls französische Stellen dergleichen planten, könne dahinter nur die Absicht stecken, „der Welt zu beweisen, 135 136 137 138 139 140 141 142
Duroselle, Décadence, S. 317f., 347f., 350, 352, 363, 381, 474f., 490; Lacaze, France, S. 445; Jackson, France, S. 320. Strasser, Exil, S. 112. Ebd., S. 108-136. Ebd., S. 136-163. BA, B 137, Bd. 16540. Dieser Entwurf wurde auch dem Untersuchungsrichter vorgelegt (PA/AA, B 130, Bd. 13797). BA, B 137, Bd. 16540, Vermerk Bodens, Vertraulich, 1.7.1952. Ebd. Ebd., Vermerk Bodens, Geheim, 2.1.1952.
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daß der deutsche Nationalismus noch nicht tot ist“. 143 Nach Kriegsende war Außenminister Schuman angeblich behilflich, Strasser eine einjährige Aufenthaltserlaubnis für Frankreich zu beschaffen. 144 Strasser soll 1948 im Besitz eines französischen Visums gewesen sein – so sein Sympathisant Loerbroks aus Frankfurt a.M. 145 Unvorsichtigerweise hätten seine Anhänger voreilige Kundgebungen in der amerikanischen Besatzungszone durchgeführt. Im Bericht einer dänischen Zeitung wird hervorgehoben, Strassers Beziehungen zu de Gaulle und zu französischen Kreisen in Kanada hätten ihm die Erlangung einer Durchreisegenehmigung für Frankreich und die französische Besatzungszone in Deutschland ermöglicht. 146 Es lag für den Nazi-Dissidenten nahe, seine westlichen Kontaktpersonen zur Erreichung desjenigen Zieles einzuspannen, das ihm das wichtigste von allen war: die Heimkehr. Die kanadische Regierung zog jedoch auf Intervention Washingtons und Londons das Visum zurück. 147 Was meinte Bodens mit französischen Geldern für die NSDAP? Brüning deutete in dem genannten Brief an, der französische Geheimdienst habe 1920 den baltendeutschen Flüchtling und späteren NS-Ideologen Alfred Rosenberg zu Hitler geschickt. Dessen Bruder habe für den Geheimdienst gearbeitet. Über Rosenberg sei in den folgenden Jahren die finanzielle Unterstützung aus Paris gelaufen. In seiner berühmten Reichstagsrede vom 25. Februar 1932 hatte Brüning Tumulte verursacht, als er dem ihm Hochverrat unterstellenden Zwischenrufer Rosenberg entgegenschleuderte: „Dagegen wende ich mich, daß ein Mann diesen Vorwurf aussprach, der in dem Augenblick, als ich bis zum letzten Atemzuge im Kriege gekämpft habe, noch nicht entdeckt hatte, welches Vaterland er überhaupt hatte.“ 148 Rosenberg war an seinem wunden Punkt getroffen, reagierte aber erstaunlich defensiv. 149 Brüning läßt in seinen Memoiren erkennen, wie sehr er diese Abrechnung mit dem Ideologen genoß. Er ergänzt, Rosenberg habe sich ausgangs des Ersten Weltkriegs in Paris aufgehalten. 150 Brüning ließ den vorangegangenen Angriff des KPD-Abgeordneten Christian Heuck auf Rosenberg unerwähnt. Heuck hatte fälschlicherweise behauptet, Rosenberg sei 1918 bis 1922 Agent bei Detering in Paris gewesen. Daraufhin mußte die Sitzung des Reichstags unterbrochen werden, denn es drohten Handgreiflichkeiten. 151 In einem Zeitungsbericht aus dem Jahre 1930 wurde Rosenberg bezichtigt, im Ersten Weltkrieg französischer Spion gewesen zu sein. Der Beschuldigte ging gerichtlich gegen das Blatt vor und gewann den Prozeß. 152 Zwar bekundet auch Albert Krebs, Rosenberg sei 1917 von Moskau nach Paris gegangen 153, doch Günter Schubert meint, es habe sich um eine 143
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Schreiben Brünings an A.H. Berning, 20.1.1949, in: Brüning. Briefe 1946-1960, S. 177f. Die „Schwäbische Landeszeitung“ druckte am 29.7.1949 einen Brief Brünings an Pater Bernhard Strasser ab, in dem es hieß: „Es würde mich nicht wundern, wenn er [Otto Strasser, H.E.] einem französischen Agenten in die Falle gegangen wäre. Die Franzosen brauchen einige ‚nationalistische’ Beweisstücke, um Deutschland ihre furchtbaren neuen Bedingungen auflegen zu können“ („Brüning über Strasser“, 29.7.1949). Strasser, Exil, S. 187. AdsD, SPD-PV. Sekretariat Fritz Heine, 2/PVAJ0000550, 00101, Betr.: BDE – Tagung in Hamburg am 8. September bei Werner Dietz, Vertraulich, 13.9.1950. Dazu auch ebd., Sammlung Personalia, o. Nr., Otto Strasser, Box bis 31.8.1951, Mappe bis 31.12.1949, Notiz, 18.1.1949. Alfred Michaelis, „Otto Strasser und der deutsche Nationalbolschewismus“, in: „Ny Tid“ (Dänemark), 2.8.1949. Deutsche Übersetzung in: AdsD, Sammlung Personalia, o. Nr., Otto Strasser, Box 1956-1974, Mappe Biographie. Michaelis glaubte allerdings damals noch, die Proteste von Briten und Amerikanern seien erfolglos geblieben. „Der Sozialdemokrat“, 11.1.1949: „General Clay warnt“; „Die Welt“, 13.1.1949: „Strasser erhält keine Einreise“; Otto Stolz, „Warum Otto Strasser unerwünscht ist“, in: „Neue Zeitung“, 12.3.1949. Reichstagsrede Brünings, 25.2.1934, in: Brüning. Reden, S. 87-126, hier: S. 118. Dazu Hömig, Brüning, S. 511-513. Piper, Alfred Rosenberg, S. 243. Brüning, Memoiren, S. 529. Piper, Alfred Rosenberg, S. 241f. Maser, Frühgeschichte, S. 182 mit Anm. 152; Piper, Alfred Rosenberg, S. 244f. Krebs, Tendenzen, S. 180f.
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Verwechslung mit Alfreds Bruder gehandelt, der in Paris vom Kriegsausbruch 1914 überrascht und in die französische Armee eingereiht worden sei 154. Ernst Piper klärt auf: Alfred Rosenberg hielt sich im April 1914 für drei Wochen zu Besuch bei seiner deutschen Verlobten in ihrem Studienort Paris auf – mehr nicht. 155 Eine Auskunft aus Paris 1931 entlastete Rosenberg im Zuge der damaligen Nachforschungen.156 Alfreds Bruder Eugen Woldemar reiste weit umher in seinem kurzen Leben; er weilte auch in Paris.157 Näheres über ihn ist nicht bekannt. Im Ruhrkampf 1923 verweigerte Hitler die Mitwirkung am nationalen Konsens gegen die französischen und belgischen Besatzer, was ihm von verschiedenen Seiten Vorwürfe einbrachte, mit französischem Geld bestochen worden zu sein. 158 Als Quelle werden der LabourAbgeordnete Georges Morel und Hugo Machhaus genannt, der Anfang 1923 in Bayern an separatistischen Umtrieben mitwirkte, die aus Frankreich Unterstützung erfuhren. Machhaus – immerhin ehemaliger Chefredakteur des „Völkische[n] Beobachter[s]“ – wurde verhaftet und wenig später im Gefängnis erhängt aufgefunden. 159 Der „Präsident“ der „Autonomen Pfalz“, Franz-Joseph Heinz, traf sich angeblich im Auftrag französischer Kreise 1923 in Mannheim mit Hitler, weil er ihn für eine Zusammenarbeit mit den pfälzischen Separatisten gewinnen wollte. 160 Der CSU-Politiker Josef Müller erwähnte ebenfalls einmal coram publico Zahlungen aus Frankreich an Hitler. 161 Wie auch immer: Es gab Kreise in Frankreich, die schon in früheren Zeiten rechtsextreme oder separatistische Kräfte in Deutschland gefördert hatten, um dieses dadurch zu schwächen. Das setzte sich nach dem Zweiten Weltkrieg fort. Indessen bestand auch in der politischen Szene der jungen Bundesrepublik die Neigung, an Strasser als Verkörperung eines „geläuterten“ Nationalsozialismus nicht vorbeigehen zu können. b) Der „Bund für Deutschlands Erneuerung“ und seine Bonner Kontakte Am 15. Juli 1951 tagte in einer Stuttgarter Gaststätte der Freundeskreis von Otto Strasser. Mit dabei war ein V-Mann des BfV, der einen Bericht darüber schrieb. 162 Der BDE wurde unter der Leitung Wadsacks konstituiert. Wadsack sprach über bestehende Kontakte zur Bundesregierung. Tatsächlich kam mittags ein Mr. X, den Masloh als Staatssekretär Lenz identifizierte. Masloh kannte Lenz von früher. Er bemerkte, Lenz sei ursprünglich ein Gegner Adenauers gewesen und habe dem Ochsensepp nahegestanden. 163 Hagert und Loerbroks nahmen ebenfalls an der Zusammenkunft teil. Wir haben Lenz schon im Kontext separatistischer Umtriebe der späten 1940er Jahre angetroffen. Nun unterhielt er anfechtbare Verbindungen zur Strasser-Bewegung. Hubaleck hatte am 3. Dezember 1951 wieder interessante Neuigkeiten für das BMG: 164 Ein Waldemar Wadsack habe Staatssekretär Lenz dafür gewonnen, die Rückkehr Otto Strassers zu 154 155 156 157 158 159 160 161 162 163 164
Schubert, Anfänge, S. 108f. Piper, Alfred Rosenberg, S. 25. Ebd., S. 245. Ebd., S. 22. Eugen Woldemar starb 1929 im Alter von 41 Jahren. Maser, Frühgeschichte, S. 368-372; Schubert, Anfänge, S. 208-211; Görlitz, Geldgeber, S. 44f.; Brüning, Memoiren, S. 98f. Heiden, Adolf Hitler, S. 253f.; Pool, Wegbereiter, S. 285f. Wünschel, Separatismus, S. 66, 239f. (Anm. 9). Rede Josef Müllers am 28.10.1948 in der Zonenausschußsitzung der CDU der britischen Zone in Königswinter, in: Konrad Adenauer und die CDU der britischen Besatzungszone, S. 727. BA, B 106, Bd. 200207, [Bericht, 15.7.1951], Geheim. Zu den engen Beziehungen zwischen Müller und Lenz: Zentrum. Tagebuch Lenz, Einleitung, S. XIf.; Frederik, Ende einer Legende, S. 114. BA, B 137, Bd. 16540, Vermerk Bodens, Vertraulich, 6.12.1951.
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ermöglichen. Lenz benutze den Journalisten Theo Otto Feuchtner als Kontaktperson. Strasser solle seine alte Bewegung mit finanzieller Unterstützung der CDU wiederaufleben lassen und sich verpflichten, nicht mit der SPD zusammenzuarbeiten. François-Poncet habe davon erfahren und Adenauer darauf angesprochen. Dieser dementierte das Vorliegen einer „offizielle[n] Fühlungnahme“ zwischen CDU und BDE. Kurt Schumacher reagierte auf die mit geheimdienstlichen Mitteln in Erfahrung gebrachte Nachricht 165, indem er einen bayerischen SPD-Abgeordneten nach Kanada entsandte 166 und über Fritz Heine Kontakte zum BDE pflegte 167. Wadsack drohte laut Hubaleck, die früheren Verbindungen Reifferscheidts (in Tanger) und Blankenhorns zum französischen Geheimdienst publik zu machen, wenn das Kanzleramt nicht zu seinem Angebot stehe. Blankenhorn habe 1.000 DM monatlich von Schmeisser erhalten. Auch über Ziebells Beteiligung am betrügerischen Bankrott des Kaufhauses Walter in Saarbrücken und über die Agententätigkeit von Ziebells Frau für den sowjetischen Geheimdienst berichtete Hubaleck Dinge, die wir an anderer Stelle als zutreffend erkannt haben bzw. erkennen werden. Bodens rekapitulierte am 2. Januar 1952 die Aktivitäten Wadsacks. 168 Im Dezember 1951 wollte Wadsack mit einem „Spiegel“-Reporter nach Paris reisen, um dort von Schmeisser die Beweisstücke zu erhalten; dieser arbeite derzeit im Büro der Journalistin Geneviève Tabouis. Schmeisser fordere neben Geld einen Posten in Südamerika, den Strasser mit seinen Verbindungen beschaffen könne. Bodens bewertete diese Informationen als glaubwürdig, aber zunächst nicht beweisbar. Dorothy Schretzmair sagte am 16. Januar 1952 in Kehl aus, sie habe ihr Wissen über Schmeisser und Blankenhorn deshalb in Wiesbaden zu Protokoll gegeben, weil Masloh gegenüber Leuten der Strasser-Bewegung davon gesprochen habe und sie sich zur Verteidigung genötigt sah. 169 In Wirklichkeit hatte sie begriffen, daß ihre Kenntnisse in „klingende Münze“ umgesetzt werden konnten. Das hatte sie in Wiesbaden auch deutlich artikuliert: Masloh habe Schmeisser und ihr geraten, zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation entweder zu Blankenhorn zu gehen oder einen Interessenten nach Paris zu locken. 170 Ein solcher Interessent war Wadsack, der nach Wegen suchte, das aus seiner Sicht wortbrüchige Kanzleramt unter Druck zu setzen – ggf. mit einer Erpressung durch das Schmeisser-Material. Der BDE wollte um nahezu jeden Preis Strasser nach Deutschland bringen. In einem der Organisation Gehlen zuzuschreibenden verschlüsselten Ermittlungsbericht vom 10. September 1952 171 hieß es, es gebe widersprüchliche Meldungen über einen Versuch von Ende 1951, dem „Spiegel“ das Schmeisser-Material unter Einschaltung Wadsacks zu verkaufen. Damals hatte eine Quelle von dem Sûreté-Mann Laurent gehört, Schmeisser habe vom „Spiegel“ 20.000 DM verlangt und sei daraufhin in Paris von einem französischen Geheimdienst festgenommen worden. Nun berichte dieselbe Quelle indessen, Wadsack habe
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Heine wurde ein geheimer Zwischenbericht Wadsacks vom 23.7.1951 zugespielt (AdsD, SPD-PV. Sekretariat Fritz Heine, 2/PVAJ0000550). Er informierte über den Stand der Gespräche zwischen Wadsack und Feuchtner. Ebd., 2/PVAJ0000549, Schreiben Willy Thiemes an Heine, 23.1.1952. – Zu den Kontakten Strassers mit Schumacher und Lenz ferner: „Der Spiegel“, Nr. 17/1952, 23.4., S. 5-8: „Strasser: Innere Zwistigkeiten“. Material in: AdsD, SPD-PV. Sekretariat Fritz Heine, 2/PVAJ0000022, 2/PVAJ0000549 und 2/PVAJ0000550. Im Jahre 1956 oder 1957 sprach Wadsack erneut beim SPD-Parteivorstand vor und wollte die 1951 geknüpften Kontakte vertiefen (AdsD, NL Heine, Bd. 146, Bericht für Erich Ollenhauer über den Besuch von Herrn Wadsack, München im Auftrage von Otto Strasser, o.D.). BA, B 137, Bd. 16540, Vermerk Bodens, Geheim, 2.1.1952. BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 13-17, Protokoll der Vernehmung D. Schretzmairs in Kehl, 16.1.1952, hier: Bl. 16-17. Ebd., Bl. 26-28, Protokoll der Vernehmung D. Schretzmairs in Wiesbaden, 15.11.1951, hier: Bl. 28. Ebd., Bd. 241, 40/V an 30, Betr.: „Bremse“ – hier: Fall Schmeisser, hier: S. 4 und S. 9.
Die Schmeisser-Affäre
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vergeblich versucht, durch Masloh die Unterlagen für 100.000 DM von Schmeisser zu erwerben. Wadsack habe einer Quelle erzählt, das Schmeisser-Material bestehe in der Hauptsache aus Quittungen, die Blankenhorn unterschrieben habe. Im Dezember 1951 habe Dorothy Schretzmair es im Auftrag Schmeissers der SPD-Führung erfolglos für 1,5 Mio. DM angeboten. Der Verfasser meinte, Wadsack übertreibe mit der Summe kräftig. Die SPD hätte sich eine solche Gelegenheit aber auch nicht entgehen lassen. Aufschlußreich sei auch Wadsacks Bemerkung, die Ziele von SPD und Strasser-Bewegung stimmten zu 90% überein. Lenz hatte Agentennachrichten über Strasser von Nollau (BfV) gehört. Daraufhin hatte Lenz sich des Journalisten Feuchtner als Mittelsmann zu Wadsack bedient. 172 Die Sache war jedoch mißlungen. Der Chefredakteur von dpa, Fritz Sänger, übersandte Lenz am 29. Oktober 1951 eine Aktennotiz seines Frankfurter Büros. 173 Demzufolge war Wadsack dort am 29. Oktober erschienen und hatte von Verhandlungen mit dem Kanzleramt über eine Rückkehr Otto Strassers erzählt. Nun verleugne das Kanzleramt diese Kontakte. Wadsack drohte mit der Veröffentlichung von einschlägigem Material. Nur zwei Tage später erschien in einem Presseorgan der Rechten ein Enthüllungsbericht. 174 An den Meldungen über intensive Bemühungen führender Männer der Strasser-Bewegung in Deutschland bei Otto Lenz und Kurt Schumacher ist nach Aktenlage kein Zweifel mehr möglich. 175 Lenz scheint auch in der Folgezeit an Bestrebungen beteiligt gewesen zu sein, eine gemäßigte katholische Rechtspartei zu gründen, um den Neonazisten im Umkreis der SRP den Boden zu entziehen. 176 Diese Pläne waren für die Bundesregierung nicht ungefährlich. Adenauers Trennung von Lenz nach den Wahlen vom 6. September 1953 dürfte nicht zuletzt auf die Untergrundaktivitäten seines Staatssekretärs zurückzuführen sein. 177 Der Streit um die Errichtung eines „Informationsministeriums“ und um eine Umbildung des Kabinetts 178 war also nicht der alleinige Grund. Blankenhorn bat Bodens am 13. Dezember 1951 zu sich, um dessen Wissensstand im Fall Schmeisser zu erkunden. 179 Dabei kam er auch auf Strasser zu sprechen. Nach Gesprächen mit Lenz und Globke habe er (Blankenhorn) seine französischen Verbindungen mobilisiert, damit Wadsack nicht nach Paris reise und Schmeisser an einer Veröffentlichung gehindert werde. Der befreundete Diplomat Cheysson sagte ihm jede Unterstützung zu. In einer Besprechung zwischen Lenz, Globke und Blankenhorn im Januar 1952 wurde die Drohung Wadsacks sorgenvoll zur Kenntnis genommen und im Kabinett am 8. Januar die
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Material in: ACDP, NL Lenz, I-172-62 K II/8. BA, B 136, Bd. 1746, Bl. 27 bzw. Bl. 28; AdsD, SPD-PV. Sekretariat Fritz Heine, 2/PVAJ0000550, PPP-Inf. 173/51, Wadsack/Strasser contra Lenz, 22.11.1951. Erwin K. Hornauer, „Otto Strasser sollte Bonn retten. Bundeskanzleramt suchte Verbindung zur ‚Schwarzen Front’“, in: „Deutsche Woche“, Nr. 21/1951, 31.10. Dazu auch ein Bericht aus Geheimdienstkreisen vom Oktober 1951 (AdsD, SPD-PV. Sekretariat Fritz Heine, 2/PVAJ0000549, 001692, Betr.: Strasser-Bewegung, [Oktober 1951]). – Angaben zu den Gefolgsleuten von Strasser: AdsD, Sammlung Personalia, o. Nr., Otto Strasser, Box 1956-1974, Mappe Biographie, „Dr. Otto Strasser – der Politiker, seine Konzeption, seine Gefolgschaft. In der Form einer Materialzusammenstellung behandelt für Herrn W. Nieke (‚Telegraf’ – Berlin)“, hier: bes. S. 16-19. AdsD, NL von Knoeringen, Bd. 445, Aufzeichnung „Otto Strasser. Hintergründe und seine nächsten Absichten“, o.D. [1953]. So auch Prittie, Konrad Adenauer, S. 302. Jahn, Otto Lenz, S. 246-257; Zentrum. Tagebuch Lenz, Einleitung, S. XVIf. Dazu Schwarz, Adenauer, Bd. 2, S. 25-31, 117-120; Walker, Presse- und Informationsamt, S. 276-280; Buchstab, Otto Lenz. S. 347-350. BA, B 137, Bd. 16540, Vermerk Bodens, Geheim, 2.1.1952.
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Saar - Otto Strasser und der französische Geheimdienst
Einbürgerung Strassers mit Blick darauf vorsichtshalber offengelassen, wie Globke dem BMI vertraulich sagte. 180 Georg Schneider meinte, das Plaudern von Hella Hubaleck habe die Strasser-Aktion durchkreuzt. 181 Hinzu gekommen sei das Mißtrauen der involvierten Geheimdienste gegenüber Schmeisser. Zu erwähnen sind aber auch die Winkelzüge von Masloh und Ziebell, die uns noch beschäftigen werden. Eine derart riskante Operation bedarf zuverlässiger Agenten. Dieses Prädikat verdiente keiner der uns begegneten Figuren. Im Januar 1952 verlautete aus Geheimdienstkreisen 182, Wadsack werde nun versuchen, Strassers Rückkehr mit einer Klage beim Bundesverfassungsgericht durchzusetzen. Ein saarländischer Industrieller namens Hermann Benkert 183 wolle dies finanzieren. Kurt Sprengel aus Wildeshausen, der zum engsten Führungszirkel des BDE zählte, sagte, wenn der Rechtsweg scheitere, werde Strasser über die DDR oder über das Saarland einreisen. „Im Saargebiet habe er zudem direkte Verbindungen zu dem Ministerpräsidenten Hoffmann. Ein Herr Masslow, der wie Benkert alter Freund Strassers wäre, sei hoher Beamter im Wirtschaftsministerium des Saarlandes. Wie in der DDR so sei auch hier eine Einreise und Einbürgerung bereits vorbereitet.“ Strasser verfechte eine gesamtdeutsche Konzeption, so daß es letztlich nicht entscheidend sei, wo er unterkomme. Trotzdem hätte er es vorgezogen, von der Bundesrepublik aus zu operieren. Was Hoffmann betrifft, so war er während seines Exils in Brasilien Mitarbeiter des Landesleiters der von Strasser initiierten „Frei-DeutschlandBewegung“, Joachim Hütter. 184 Die Saar-Option blieb für Strasser noch eine Weile bestehen. Herbert Schaffarczyk hielt für die Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes am 11. März 1953 fest185, ihm sei von alliierter Seite mitgeteilt worden, im Saarland werde beabsichtigt, Strasser einen saarländischen Paß auszustellen. Dahinter steckten Innenminister Hector und Masloh. Dieser Paß käme einem französischen gleich. Strasser könnte damit in Europa umherreisen und auch in die Bundesrepublik gelangen. Offenbar werde von gaullistischer Seite versucht, Strasser vor den Bundestagswahlen nach Deutschland zu bringen, um auf neonazistische Umtriebe hinweisen zu können. An den Grenzübergangsstellen zur Saar könnte Strasser aufgehalten werden. Da er möglicherweise einen Paß unter falschem Namen bekomme, solle die deutsche Diplomatische Vertretung in Ottawa Lichtbilder und Fingerabdrücke beschaffen. Über die Nachrichtenagentur United Press gelangten diese Informationen in die Öffentlichkeit. 186 Demnach würde versucht, Strasser mit Hilfe französischer Behörden einen saarländischen Paß zu verschaffen. Die Regierungen in Paris und Saarbrücken bestritten dies freilich. 187 Im Oktober 1953 dementierte der Quai d’Orsay zudem, Otto Strasser eine Aufenthaltsgenehmigung für Frankreich erteilt zu haben. 188 180
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Kabinettsprotokolle, Bd. 5 (1952), S. 36; BA, B 106, Bd. 73205, Vermerke Dlugoschs und Klebergs vom 8. bzw. 31.1.1952. Zur Besprechung zwischen Blankenhorn, Globke und Lenz: BA, B 136, Bd. 241, Notiz Blankenhorns, 21.1.1952. PA/AA, B 2, Bd. 354A, Manuskript Georg Schneiders, Geheimagent Schmeisser, hier: S. 7-8. AdsD, SPD-PV. Sekretariat Fritz Heine, 2/PVAJ0000549, 002098, Betr.: Otto-Strasser-Kreis – Deutsche Freiheitspartei (DFP), 25.1.1952. Zu Benkert: BA, B 106, Bd. 202231, difo, 28.1.1953: „Kommt Strasser nach Deutschland?“; AdsD, Sammlung Personalia, o. Nr., Otto Strasser, Box 1.9.1951-31.12.1952, Mappe 1.9.1951-31.12.1951, Schreiben Benkerts an Sprengel, 7.9.1951. Von zur Mühlen, „Gegen-Führer“, S. 151. Im „Biographische[n] Handbuch der deutschsprachigen Emigration“ wird nur ein Helmut Hütter erwähnt, der in Brasilien führender Vertreter des Service National Autrichien war und eng mit der Frei-Deutschland-Bewegung zusammenarbeitete (Bd. 1, S. 318). ACDP, NL Lenz, I-172-58/3 K I/3, Aufzeichnung Schaffarczyks für Mosler, 11.3.1953. BA, B 106, Bd. 15567, up 90 inland, 12.3.1953. AdsD, Sammlung Personalia, o. Nr., Otto Strasser, Box 1953-1955, Mappe 1.1.1953-31.12.1954, dpa-Inf. 394, 13.3.1953. BA, B 106, Bd. 15566, Bericht Dankworts (Ottawa) an AA, Nr. 1285, 28.10.1953.
Die Schmeisser-Affäre
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Woran Strassers Heimkehr über das Saarland scheiterte, läßt sich nur vermuten. Das BMI entwickelte rege Aktivitäten, um die Hilfe der Westalliierten bei der Verhinderung einer Ausreise Strassers aus Kanada zu sichern. 189 Mehrfach gelang es mit diplomatischen Interventionen, ihm Schiffspassagen, Flugtickets oder Visa in letzter Minute vorzuenthalten. 190 Strasser war eine umstrittene Person, an der sich die Geister schieden – auch in Paris und Saarbrücken. Nicht nur in der französischen Politik, sondern selbst im Bereich der Geheimdienste dürfte es Leute gegeben haben, denen die Angelegenheit zu heikel erschien. Zudem hatte Blankenhorn über Cheysson die französische Regierung eingeschaltet, die unverzüglich handelte. Reiste Strasser über die Saar nach Deutschland zurück, so wußte ganz Europa um den Beistand, den Frankreich dabei zwangsläufig leisten mußte. Immerhin kämpfte Strasser ein Jahrzehnt lang an Hitlers Seite und vertrat eine Konzeption, die ebenfalls völkisch ausgerichtet war. Einen solchen Mann in aller Heimlichkeit zu fördern, mochte unter gewissen Umständen tunlich sein, eine offene Begünstigung seiner Bestrebungen konnte aber den Nimbus der Regierungen in Paris und Saarbrücken beeinträchtigen. Innerhalb des BDE gab es geteilte Meinungen darüber, ob man ein Arrangement mit der französischen Regierung treffen sollte. Zeitweilig bestanden Kontakte zum Kanzleramt und zum SPD-Parteivorstand, die Strasser zweifelsohne gegenüber der Saar-Variante präferierte. Darüber hinaus ist auf die bekannte Geschäftstüchtigkeit von Masloh, Ziebell und Schmeisser hinzuweisen, die einige führende Köpfe in den Nachrichtendiensten dazu bewogen haben dürfte, das Wagnis einer Kompromittierung durch Strasser zu scheuen. Das gefälschte „Remer-Telegramm“ hatte ferner soviel Staub aufgewirbelt, daß die Verantwortlichen das hohe Risiko dieser nachrichtendienstlichen Operation scheuten. Es hatte sich eine andere Möglichkeit eröffnet: Das Material Schmeissers über Blankenhorn und die Unternehmungen des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz boten neue Ansätze... Schmeisser sagte im Zuge der gerichtlichen Voruntersuchung über den Fall Blankenhorn aus, Otto Strasser habe Verbindungen zum französischen Geheimdienst unterhalten. Strassers Saar-Beauftragter Masloh habe Schmeisser um Beschaffung französischer Papiere gebeten. 191 Strasser reagierte darauf mit einer Klage. Er behauptete, niemals in irgendeiner Form Kontakt mit Schmeisser gehabt zu haben. Es kam zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung zwischen Schmeisser und Otto Strasser, die Anfang August 1956 mit einem Vergleich endete.192 Schmeisser erklärte, Strasser nicht gekannt zu haben. Die umstrittene Angabe, wonach Strasser einen französischen Paß besitze, stamme von Ziebell, der den „Spiegel“ ohne Wissen Schmeissers davon unterrichtet habe. Jede der streitenden Parteien mußte ihre Kosten selbst tragen. Strasser ging nun gegen Ziebell juristisch vor. 193 Otto Strasser erzwang seine Heimkehr in die Bundesrepublik Deutschland auf dem Rechtsweg. Nachdem das BMI seiner Auffassung nach seinen Antrag auf Wiedereinbürgerung von 1950 verschleppt hatte, reichte er am 12. Januar 1952 Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. 194 Das Landesverwaltungsgericht Köln bejahte am 6. Mai 1953 einen Anspruch Strassers auf Wiedereinbürgerung. Die vom BMI eingelegte Berufung wurde
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Material in: Ebd., Bd. 202231. „Der Spiegel“, Nr. 17/1952, 23.4., S. 5-8: „Strasser: Innere Zwistigkeiten“. „Politik und Wirtschaft“, 11.11.1955: „Neue Schmeisser-Affäre“; „Schwäbische Landeszeitung“, 6.10.1956: „Otto Strasser ins Saargebiet“. BA, B 106, Bd. 15567, Presse- und Informationsspiegel des BfV, Vertrauliche Briefe vom 6.8., 7.8.1956; „Politik und Wirtschaft“, 20.7.1956. „Politik und Wirtschaft“, 10.8.1956. BA, B 106, Bd. 202231, Verfassungsbeschwerde von Rechtsanwalt Jacoby an das Bundesverfassungsgericht, 12.1.1952.
Saar - Aloys Masloh: Im Dienste Strassers, Stalins, der Sûreté dd S i
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am 23. Februar 1954 vom Oberverwaltungsgericht Münster und am 19. November 1954 vom Bundesverwaltungsgericht abgewiesen. 195 Strasser gründete im Juni 1956 in Miltenberg am Main die Deutsch-Soziale Union, die bis zu ihrer Auflösung 1962 von ständigen internen Querelen gelähmt wurde. 196 Im Kontext der Schmeisser-Affäre spielt dies keine Rolle mehr, so daß wir Strassers Schicksal nicht weiter verfolgen müssen. Seine Befürwortung der bewaffneten Neutralität eines wiedervereinigten Deutschlands 197 fand nicht den von ihm erhofften Anklang. Strassers Kurs führte ihn entgegen seinen Erwartungen in die politische Bedeutungslosigkeit. 198 Einer der von uns behandelten Agenten gehörte zu seinem Freundeskreis. 4) ALOYS MASLOH: IM DIENSTE STRASSERS, STALINS, DER SÛRETÉ UND DER SAARREGIERUNG a) Ein Agentenleben Der Saarländer Aloys Masloh ist nicht minder interessant als Schmeisser und Ziebell. Es gibt diverse Quellen, aus denen sich ein recht genaues Bild über Person und Tätigkeit Maslohs gewinnen läßt. Aloys Masloh wurde 1912 als eines von vier Kindern des gleichnamigen Postinspektors in Diefflen bei Dillingen geboren. 199 Nach dem Abitur in Saarlouis im Jahre 1933 studierte er Rechtswissenschaften, zunächst in München (Sommersemester 1933), danach für acht Semester in Köln bis zur Exmatrikulation am 6. Juli 1938. Im April 1938 bestand er das Referendarexamen am Oberlandesgericht Köln mit „gut“. Nebenbei absolvierte er noch eine Ausbildung bei einer Industrie- und Handelskammer. Der sportliche Mann mit dem Menjou-Bärtchen promovierte aber nicht 1938 bei Prof. Spahn in Köln, wie das BMG festhielt. Vielmehr zeigt die Promotionsakte, daß die Professoren Planitz (Privatrecht) und Lehmann als Berichterstatter auftraten. Masloh meldete sich am 2. März 1939 zur Promotion und reichte eine Dissertation über die Rechtsnatur einer Aktiengesellschaft ein. In seinem Gutachten würdigte Planitz besonders das innovative methodische Vorgehen Maslohs und bewertete die Arbeit mit „sehr gut“, Lehmann schloß sich dem an. Auch die mündliche Prüfung am 28. April 1939 wurde mit dem Gesamtprädikat „sehr gut“ beendet. Masloh soll sich nach Informationen des BMG am „Kölner Kreis“ beteiligt haben. Was ist darunter zu verstehen? Es handelt sich um eine Widerstandsgruppe engagierter Katholiken mit dem Kettelerhaus in Köln als Zentrum. 200 Dort gab es seit Januar 1934 einen regelmäßig zusammenkommenden Gesprächskreis, der etwa Nikolaus Groß, Bernhard Letterhaus, Präses Otto Müller, Joseph Joos, Johannes Albers oder Karl Arnold umfaßte. Die Historikerin Vera Bücker nennt den Namen „Masloh“ nicht; der Teilnehmerkreis ist aber nicht völlig 195
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Gerichtsurteile in: BA, B 136, Bd. 1746; BA, B 106, Bd. 15566. Abdruck des Urteils vom 19.11.1954 in: Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, Bd. 1, Nr. 80, S. 234-239. Dazu auch Strasser, Exil, S. 188192; Reed, Prisoner, S. 249-255. Strasser bemühte sich erfolglos um Leistungen nach dem Gesetz über eine Wiedergutmachung (Thoma, Fall Otto Strasser, S. 40-63). Stöss, Deutsch-Soziale Union, S. 1249-1254; Jenke, Verschwörung, S. 272-276; Bartsch, Zwischen drei Stühlen, S. 177-181; Dohse, Der Dritte Weg, S. 187-190. Material in: BA, B 106, Bd. 15567. Dazu Dohse, Der Dritte Weg, S. 180-194. Näheres bei Bartsch, Zwischen drei Stühlen, S. 171-190. BA, B 137, Bd. 3439, Karteiunterlagen über Masloh, o.D., und Vermerk Bodens, 22.10.1951; Universitätsarchiv Köln, Karteikarte Aloys Masloh; Ebd., Promotionsakten, Zug 42, Nr. 3253: L – Ma vom 1.1.1937 bis 1.1.1943, Lebenslauf Maslohs, o.D. – Bisweilen begegnet auch die Schreibweise „Alois“ statt „Aloys“. Zum „Kölner Kreis“: Bücker, Kölner Kreis; Dies., Nikolaus Groß, S. 184f.
Die Schmeisser-Affäre
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überschaubar. Masloh paßt schwerlich in die illustre Runde honoriger Männer und Frauen. Der genannte Kölner Geschichts- und Zeitungswissenschaftler Martin Spahn (1875-1945) stand diesem Zirkel fern. Spahn – der in der Philosophischen Fakultät stets ein Außenseiter blieb – sympathisierte zumindest anfangs mit der NSDAP und gründete in Köln ein Institut für Raumforschung. 201 Masloh erwähnt in seinem 1939 angefertigten Lebenslauf 202 wirklich mehrere Aufgaben, die er im Zusammenhang mit dem Institut für Raumforschung übernahm. Insofern dürfte er Verbindungen zu Spahn gepflegt haben. Aufschlußreich sind Lebensläufe, die Masloh in den 1930er Jahren verfaßte. 203 Darin gab er an, er habe sich emsig am „Ringen des aufsteigenden Nationalsozialismus um die deutsche Seele“ beteiligt. Masloh gehörte seit 1929/30 dem Stahlhelm an der Saar sowie der HJ an. Seit 1930 agierte er als Redner der NSDAP im Saargebiet. Er nannte diverse Ämter, die er als Student an der Universität Köln innehatte: stellvertretender Leiter der Fachschaft Jura, Mitarbeiter der Hochschulgruppenführung des Nationalsozialistischen Deutschen StudentenBundes, Fachschaftsleiter der Deutschen Studentenschaft Köln, Hauptamtsleiter für Wissenschaft, stellvertretender Reichshauptamtsleiter in der Reichsführung der deutschen Studentenschaft, Verbindungsreferent der Außenstelle West der Reichsjugendführung und der Gauwaltung der Deutschen Arbeitsfront Köln/Aachen zur Studentenschaft. Ende der 1930er Jahre trat er als stellvertretender Gaugruppenleiter der Jungjuristen für den Gau Koblenz/Trier und Gebietsdisziplinarsachbearbeiter für die „Westmark“ bei der HJ hervor. Schmeisser sagte bei seiner Vernehmung am 22. November 1951 in Wiesbaden 204, er habe Masloh im Wintersemester 1941/42 an der Universität Würzburg kennengelernt. An der dortigen Julius-Maximilians-Universität hatte übrigens schon Otto Strasser 1920 über Zuckerrüben promoviert. 205 Masloh war wissenschaftlicher Assistent bei dem Völkerrechtler Prof. Ernst Wolgast. In engeren Kontakt mit Masloh kam Schmeisser durch seine Bekanntschaft mit drei bulgarischen Juristen, die bei Wolgast promovieren wollten. 206 Laut Schmeisser zählte Masloh in seiner Kölner Zeit zu den Gründern und Führungspersonen des Reichsstudentenbundes. Der NSDAP trat er 1937 bei. Zuvor hatte er dem Jugendkreis um Gregor Strasser angehört. Im Krieg zur Marine einberufen, erkrankte Masloh an Tuberkulose und wurde mit Hilfe des Reichsstudentenbundes zur Kriegsmarine-Bildungsinspektion Berlin versetzt und dort mit wissenschaftlichen Aufgaben betraut. Dabei kam er mit Wolgast in Berührung und gewann dessen Vertrauen. Wolgast pflegte Verbindungen mit Admiral Canaris, reiste für diesen häufig in die Schweiz und baute in Würzburg eine Widerstandsgruppe auf, der sich angeblich auch Schmeisser anschloß. Masloh tat aber nichts, was ihm hätte gefährlich werden können. Dies änderte sich erst zum Jahreswechsel 1944/45. Er fuhr nach Italien und besorgte dort Waffen, die er im Würzburger Institut versteckte. Auf erstaunte Fragen erwiderte er, er rechne mit einem Bürgerkrieg in Deutschland. Als Schmeisser 1946 aus der britischen Kriegsgefangenschaft in Stade nach Würzburg zurückkehrte, traf er Masloh im nahegelegenen Kloster Volkertsheim wieder, wo sein Bruder als Bäckermeister arbeitete. Die Kriegsgefangenschaft war ihm erspart geblieben. Masloh beteiligte sich in Würzburg an der Gründung der CSU. Er fuhr mehrfach zu Schmeisser nach 201 202 203 204 205 206
Golczewski, Kölner Universitätslehrer, S. 338-349; Clemens, Martin Spahn, Dritter Teil. Clemens urteilt über den Rechtskatholiken Spahn weniger scharf als Golczewski. Universitätsarchiv Köln, Promotionsakten, Zug 42, Nr. 3253: L – Ma vom 1.1.1937 bis 1.1.1943, Lebenslauf Maslohs, o.D. Ebd.; BA, B 137, Bd. 3439, Lebenslauf Maslohs, o.D. BA, B 136, Bd. 240, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Wiesbaden, 22.11.1951, hier: S. 1-4, 10. Zum folgenden auch Hover, Fall Schmeisser, S. 24-26. Strasser, Mein Kampf, S. 20; Moreau, Nationalsozialismus, S. 17 mit Anm. 15, S. 203. Dazu auch Frederik, Ende einer Legende, S. 126.
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Saar - Aloys Masloh: Im Dienste Strassers, Stalins, der Sûreté dd S i
München. Ende 1946 übersiedelte Masloh zu seiner Schwester nach Landau, da er Würzburg wegen „geschäftlicher Manipulationen“ verlassen mußte. Wir wissen bereits, daß Landau eine Hochburg des pfälzischen Separatismus war. Masloh suchte in der ersten Jahreshälfte 1947 Schmeisser in Wiesbaden auf, wo dieser in der Rechtsabteilung des hessischen Landwirtschaftsministeriums arbeitete. Masloh bot ihm eine Stellung in Landau an. Es gehe dabei um wichtige politische Angelegenheiten zwischen Deutschland und Frankreich. Schmeisser ließ sich zunächst nicht darauf ein. Im August 1947 wandte Masloh jedoch einen Trick an und suggerierte ihm, seiner Sicherheit zuliebe müsse er in die französische Zone nach Landau kommen. Dort lebte Schmeisser einige Wochen auf Maslohs Kosten. Dann brachte er ihn zu Dieudonnée, dem Leiter der pfälzischen Sûreté in Neustadt, für den er in der nächsten Zeit arbeitete. Schmeisser stellte fest, daß Masloh enge Kontakte zur Landauer KP und zu Otto Niebergall unterhielt. 207 Material, das Masloh über Dieudonnée erhielt, verwertete er nach eigenem Ermessen. Schmeisser mußte Masloh eine Kopie seiner Berichte an Laurent übergeben, der ihm sagte, er wolle prüfen, ob die Informationen für die Franzosen geeignet seien. Einmal behauptete Masloh, seine Ausarbeitungen gingen nach Berlin, wo sie in der „Weltbühne“ veröffentlicht werden sollten. Er kenne nämlich Maud von Ossietzky, also die Witwe des Friedensnobelpreisträgers von 1935, die 1946 die „Weltbühne“ neu gegründet hatte. 208 Schmeisser sah jedoch nie einen Artikel Maslohs in der „Weltbühne“. Masloh hatte ferner Beziehungen zu einer Irene M. aus Ludwigshafen-Mundenheim, deren Vater kommunistischer Funktionär war. Masloh rechtfertigte dies gegenüber dem französischen Geheimdienst mit der Chance, Nachrichten zu erhalten. Dazu paßte freilich seine mehrfach geäußerte Weigerung nicht, Informationen über die Sowjetunion und ihren Einflußbereich zu liefern. Er dehnte seine Bemühungen im Benehmen mit Dieudonné ins Saargebiet aus; zu seinem Bekanntenkreis zählte auch der führende KPS-Politiker Fritz Nickolay. Schmeisser betont generell Maslohs Drähte zur Kominform. Am 19. Juni 1955 versuchte die prodeutsche Opposition an der Saar, Näheres über Maslohs akademische Laufbahn in Erfahrung zu bringen. 209 Zweierlei sollte vom BMG nachgeprüft werden: 1) Hatte Masloh an der Universität Köln promoviert? 2) Sei er Assessor bei der Marine geworden? Der Dekan der Juristischen Fakultät der Universität Köln, Prof. Kegel, meldete am 30. Juni 1955 die uns schon geläufige Tatsache, daß Masloh 1939 eine rechtswissenschaftliche Dissertation geschrieben hatte, die mit „sehr gut“ bewertet wurde. Dagegen verlief die zweite Anfrage negativ: Das Bundesjustizministerium konnte in den Registern der Jahre 1935 bis 1940 keine große juristische Staatsprüfung Maslohs aufspüren. Das Bundesverteidigungsministerium berichtete, es sei bei der Marine gar nicht möglich gewesen, das Assessorexamen abzulegen. Masloh sei niemals Jurist bei der Marine gewesen. Maslohs Dienststelle antwortete am 10. August 1955 auf eine Erkundigung der DPS-Zeitung „Deutsche Saar“, Masloh sei kein Assessor und habe dies auch nie behauptet. Er sei aber 1942 Regierungsrat bei der Kriegsmarine geworden. Nun wollte Schneider nachprüfen lassen, ob dies stimme. Das Bundesverteidigungsministerium erwiderte am 14. Oktober 1955 auf eine Anfrage Knoops, Masloh sei kein Beamter des höheren Verwaltungsdienstes gewesen. Es könne nicht ausgeschlossen werden, daß er ein sog. Reserve-Beamter war; darüber gebe es
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Auch Frederik gibt an, Masloh habe schon im Krieg für die Sowjetunion gearbeitet (ebd., S. 126f.). Dazu Madrasch-Groschopp, Weltbühne, S. 456-466. Dort heißt es, Maud von Ossietzky sei zu Anfang einem Betrüger aufgesessen (ebd., S. 457). BA, B 137, Bd. 3439 (auch für das Folgende).
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keine Listen. Aus Maslohs Promotionsakte erhellt lediglich, daß er seit August 1938 eine siebenmonatige Ausbildung beim Amtsgericht Koblenz-Ehrenbreitstein ableistete. 210 Über Maslohs Aktivitäten in Würzburg ist nichts Näheres bekannt. An der JuliusMaximilians-Universität gibt es keine Unterlagen über ihn. Für Prof. Wolgast – der seit 1934 Völkerrecht in Würzburg lehrte – liegt zwar eine Personalakte vor, doch enthält diese nichts über politische Betätigung im Dritten Reich, was kaum überraschen kann.211 In gleichem Maße leuchtet ein, warum Masloh seine Beziehungen zu Gregor und Otto Strasser der Universität Köln verschwieg. Masloh soll nach dem Krieg kurzzeitig Dozent an der Universität Saarbrücken gewesen und dann ausgewiesen worden sein – nach Annahme des BMG: zum Schein. 212 Er habe in Saarbrücken mit de Gaulles Vertreter Erich Rupnow 213 in Verbindung gestanden und ausgedehnte Kontakte in die SBZ besessen. Regierungsrat Gustav Wolff von Archiv und Bibliothek des BPA konnte Strohm am 21. Dezember 1951 Weiteres über Masloh mitteilen.214 Als Wolff 1945/46 Bürgermeister in Landau war, wohnte Masloh in seiner Nähe und war bezahlter Mitarbeiter der Sûreté. Die Miete für sein Büro erschien unter der Rubrik „Besatzungskosten“. Masloh ließ sich Jakob Kaiser vorstellen, als dieser in Landau auf einer CDU-Veranstaltung sprach. Kaiser habe ihm (Wolff) später erzählt, Masloh habe sich als Beauftragter de Gaulles ausgegeben und eine Unterredung zwischen ihm und Vertretern des Generals vermitteln wollen. In Landau sei Masloh wegen seiner Agentenverbindungen gefürchtet gewesen. Dabei habe es stets den begründeten Verdacht gegeben, er handele auch im Auftrag der KPD. Der Anlaß dieser Mitteilung Wolffs dürfte ein Brief Maslohs an das BPA vom 16. November 1951 gewesen sein, in dem er Material über Rechtsfragen der Saargruben im Namen des Amts für Landesforschung in Saarbrücken erbat. 215 Strohm orientierte das BMG über die Aktivitäten Maslohs in Landau, verzichtete aber darauf, die Begegnung mit Kaiser zu erwähnen. 216 Wolff wurde übrigens von Schmeisser in einer seiner Vernehmungen als Mitglied der pfälzischen Separatistenorganisation und der Sûrete bezeichnet! 217 Das Gegenteil trifft zu: Der CDU-Politiker gehörte zu den Organisatoren des Widerstandes gegen die Kräfte der Abspaltung. 218 Ein Redakteur der „Rheinpfalz“ namens Hans Ostermaier teilte Adenauer in einem devoten Schreiben am 14. Juli 1952 mit 219, Schmeisser, Masloh und eine Münchnerin hätten etwa 1950 in Landau gewohnt. Sie bezeichneten sich als Regierungsräte und spielten „dunkle Rollen“. Masloh gab vor, „in deutschbewußtem Sinne tätiger französischer Geheimagent“ zu sein, während Schmeisser dies für seine Person bestritt. Schmeisser galt zudem als „Hochstapler“. Er war mit der Tochter des Landauer Geschäftsmanns B. verlobt, verschwand jedoch eines Tages, als ihm der Boden zu heiß wurde. Demnach hatten kriminelle Machenschaften 210 211 212 213
214 215 216 217 218 219
Universitätsarchiv Köln, Promotionsakten, Zug 42, Nr. 3253: L – Ma vom 1.1.1937 bis 1.1.1943, Dienstbescheinigung des Oberamtsrichters Ehrenbreitstein, 2.3.1939. Freundliche Auskunft von Marcus Sporn M.A. (Universitätsarchiv Würzburg), 9.3.2006. Darüber scheint auch in der Forschung nichts bekannt zu sein. BA, B 137, Bd. 3439, Karteiunterlagen über Masloh, o.D. Masloh galt als Verbindungsmann zu Rupnow und Loerbroks in Frankfurt a.M., wobei Rupnow Nähe zur KPD nachgesagt wurde (AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 2578A, Liste der Personen, die seit Bestehen der D[eutschen] S[ozialen]P[artei] mit ihr in Verbindung standen, o.D.). PA/AA, B 10, Bd. 481, Bl. 253. Ebd., Bl. 254. Ebd., Bd. 482, Bl. 2, Schreiben Strohms an BMG, 3.1.1952. BA, B 136, Bd. 240, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Wiesbaden, 22.11.1951, hier: S. 19. Wünschel, Separatismus, S. 72, 75, 79, 121, 187-191; Ders., Schicksalsjahre, S. 40; Die Unionsparteien 19461950, S. 787. BA, B 136, Bd. 241.
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Schmeissers Anteil an seiner angeblich „dienstlich“ begründeten Übersiedlung nach Saarbrücken. Im Juni 1949 erschien Masloh im Stuttgarter Büro für Friedensfragen und mokierte sich über die französische Saarpolitik. 220 Er gab an, in engen Beziehungen mit gaullistischen Kreisen zu stehen. Er sei Verbindungsmann von de Gaulles außenpolitischem Berater André Noël 221 zu rechten Gruppen in Deutschland. Masloh berief sich gegenüber dem damals im Büro für Friedensfragen arbeitenden späteren SPD-Bundestagsabgeordneten Karl Mommer auf den Chefredakteur des Mainzer SPD-Blatts „Die Freiheit“, Günter Markscheffel. Mommer fertigte auch selbst eine Aufzeichnung über sein Gespräch mit Masloh an. 222 Masloh berichtete ausführlich über die Vorbereitung eines Treffens zwischen gaullistischen Politikern und deutschen Persönlichkeiten, die ihm übertragen worden sei. Er wolle auch einen Vertreter des Friedensbüros hinzubitten. Mommer erwiderte, dies müsse er zunächst mit Fritz Eberhard – dem Leiter des Friedensbüros – erörtern. Danach wurde besonders über das Land Rheinland-Pfalz gesprochen, das die Franzosen laut Masloh unbedingt zu erhalten wünschten. Der Besucher behauptete, Ministerpräsident Altmeier gut zu kennen. Er hielt ein energisches Verfechten des deutschen Standpunkts gegenüber Frankreich für erforderlich. Mommer erschien es angezeigt, sich über ihn zu erkundigen. Masloh führte am 5. November 1949 in ähnlicher Form CDU-Politiker in die Irre, indem er über die Dominanz der Franzosen an der Saar schimpfte. 223 Seit 1947 beteiligte sich Masloh an der zum rechten Spektrum zählenden „Sammlung zur Tat“. Dieser lockere Zusammenschluß hatte in Villingen eine Lizenz erhalten und bezog Geld aus französischen Quellen. 224 Über Werner Kempe (Konstanz) besaß die Strasser-Bewegung einen guten Draht zu französischen Ämtern. 225 Die „Sammlung“ plädierte vage für eine Überwindung von Kapitalismus und Kommunismus und vor allem der „Zinsknechtschaft“. 226 Zu ihr bekannten sich auch einige von Strassers Öffnung zum Christentum und Distanzierung vom Sozialismus enttäuschte frühere Anhänger wie Hans Bauer und Peter Thoma. Masloh gab sich als Privatgelehrter und Regierungsrat aus Neustadt a.d.W. aus. Er versuchte, eine Verbindung zwischen Fritz Dorls und August Haussleiter 227 einerseits und de Gaulles Rassemblement du Peuple Français (RPF) andererseits zustandezubringen. Er traf sich auch mit dem Korrespondenten der Ost-Berliner Nachrichtenagentur ADN in Bonn, W.K. Gerst. Schmeisser zufolge partizipierte Masloh an mehreren Parteigründungen rechtsextremer Kreise, darunter auch die neonazistische SRP von Dorls. 228 Aus anderer Quelle verlautet, Masloh habe der SRP zeitweilig sehr nahe gestanden und 1951 dem „Stahlhelm“ französisches Geld verschafft. 229 Er verkehrte in Saarbrücken mit Rechtsanwalt Kozminski, der Beauftragter der Kominform gewesen sei – so Schmeisser. Schmeisser wies ferner auf die Kontakte Maslohs zu dem ehemaligen SD-Chef von Pommern und kommunistischen Agenten Müller-Schwanek 220 221 222 223 224 225
226 227 228 229
PA/AA, B 10, Bd. 482, Bl. 36, Vermerk Strohms, 16.1.1952. Noël war Mitglied des Cinquième Bureau und später für die französische Militärregierung in Deutschland tätig (Hüser, „Doppelte Deutschlandpolitik“, S. 446, Anm. 10). BA, B 137, Bd. 3439, Aktenvermerk Mommers, 29.10.[1947]. ACDP, NL Dörpinghaus, I-009-016/7, Aktennotiz, 9.11.1949. BA, B 137, Bd. 3439, Vermerk Bodens, 22.10.1951; „Der Spiegel“, Nr. 12/1949, 19.3., S. 4f.: „Unser Wille ist die Tat“. Dazu Stöss, Deutsch-Soziale Union, S. 1259-1263. AdsD, Sammlung Personalia, o. Nr., Otto Strasser, Box 1956-1974, Mappe Biographie, „Dr. Otto Strasser – der Politiker, seine Konzeption, seine Gefolgschaft. In der Form einer Materialzusammenstellung behandelt für Herrn W. Nieke (‚Telegraf’ – Berlin)“, hier: S. 17. Tauber, Beyond Eagle und Swastika, S. 112-116, 1031f. (Anm. 127-146). Zu Haussleiter und seiner „Deutsche[n] Gemeinschaft“: Jenke, Verschwörung, S. 261-264. BA, B 136, Bd. 240, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Wiesbaden, 22.11.1951, hier: S. 10f. AdsD, Sammlung Personalia, o. Nr., Otto Strasser, Box 1956-1974, Mappe Biographie, „Dr. Otto Strasser – der Politiker, seine Konzeption, seine Gefolgschaft. In der Form einer Materialzusammenstellung behandelt für Herrn W. Nieke (‚Telegraf’ – Berlin)“, hier: S. 30.
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hin. 230 Masloh habe Konrad Adenauer zu suggerieren versucht, er könne eine Begegnung mit General de Gaulle vermitteln. Rechtzeitig sei durchgesickert, daß Masloh nur eine unbedeutende Figur aus dem Umfeld de Gaulles kannte. Der sowjetische Agent Radó berichtet von der Kooperation seiner Gruppe in Bern mit einem Vertreter des Nachrichtendienstes von de Gaulle während des Krieges. 231 Am 6. Juni 1949 trafen sich einem Zeitungsbericht zufolge schillernde Figuren in Worms, die sich der „Sammlung zur Tat“ zugehörig fühlten. 232 Ein ehemaliger Sozialdemokrat namens Karl Steinfeld aus Villingen hatte Exponenten aller möglichen Gruppen zusammengebracht. Im März 1949 gelang es ihm, für die „Sammlung zur Tat“ eine Lizenz der französischen Besatzungsmacht zu erhalten. Beim ersten Treffen in Worms begegnete man der alten Garde von Otto Strasser, Sozialisten aller Schattierungen, Kommunisten und „Haudegen“ der politischen Rechten. Was die „Sammlung zur Tat“ eigentlich wollte, verriet sie dem hineinschnuppernden Journalisten nicht. Interessanter waren Gespräche am Rande. An einem Tisch saß das Vorstandsmitglied der Deutschen Union für Nordrhein-Westfalen, Dr. Fritz Dorls, bei einem Regierungsrat aus Neustadt a.d.W. und Privatgelehrten namens Dr. Alo Masloh. Dorls beabsichtige, eine Liste für die Bundestagswahlen zusammenzustellen, auf der etwa der frühere Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht, August Haussleiter und Joachim von Ostau stehen sollten. Letzterer sei bekannt für seine Versuche, in der britischen Zone rechtsextreme Parteien zu gründen. Dorls und Masloh unterhielten sich über einen Zentralrat de Gaulles in Paris, dessen Vertrauter Botschafter Noël die „Deutschlandabteilung“ leiten solle. Um dies zu erreichen, wollte man eine deutsch-französische Zusammenarbeit in wirtschaftlichen Fragen über den Rhein-Ruhr-Club bewirken. In anderen Unterhaltungen wurde die französische Unterstützung für die „Sammlung zur Tat“ erörtert oder über Fusionsmöglichkeiten einzelner Gruppen nachgedacht. Der Zweck dieser und anderer Zusammenkünfte lag darin, eine gemeinsame Plattform verschiedener Kräfte der deutschen Rechten unter maßgeblicher Beteiligung von StrasserAnhängern und wahrscheinlich mit Hilfe gaullistischer Gelder zu finden. 233 Ein Jahr später erinnerte der „Spiegel“ an ein Villinger Treffen der „Sammlung zur Tat“. 234 Er zog dabei eine direkte Linie zur Strasser-Bewegung und erwähnte die positive Einstellung der französischen Besatzungsbehörden zu dieser Gruppierung. Otto Strasser äußere sich wohlwollend über de Gaulle, den er an der Spitze der europäischen Armeen sehen wolle, und dessen RPF ihm gerade deswegen nachahmenswert erschien, weil es keine klassische Partei sei. Strassers Bruder, der Dominikanerpater Bernhard, reise zwischen Europa und den USA hin und her und führe Unterredungen in Paris über Ottos Anspruch auf Wiedereinbürgerung. Auch de Gaulles früherer Weggefährte, der einstige Hohe Kommissar von Indochina Admiral Georges Thierry d’Argenlieu lebe inzwischen in einem Kloster der Dominikaner... Strohm übersandte den Artikel der „Stuttgarter Nachrichten“ über das Wormser Treffen am 23. Oktober 1951 an Bodens und berichtete über den etwa zur gleichen Zeit erfolgten Besuch Maslohs im Büro für Friedensfragen. 235 Masloh habe sich abfällig über die Saarregierung und die französische Saarpolitik geäußert. Er rühmte sich enger Kontakte zum Umfeld de Gaulles und zur rechten Szene in Deutschland. Er habe auf Mommer keinen vertrauenerweckenden Eindruck gemacht und sei distanziert behandelt worden. Später erzählte der angesehene christliche Saar-Politiker Bartholomäus Koßmann, Masloh habe sich ihm gegenüber auf seine 230 231 232 233 234 235
Vgl. Kap. V.4. Radó, Deckname Dora, S. 169f. „Stuttgarter Nachrichten“, 8.6.1949: „Zwergpolitik in der Nibelungenstadt“. „Rhein-Echo“, 21.7.1949: „Strasser läßt zum Sammeln blasen“. „Der Spiegel“, Nr. 50/1950, 13.12., S. 15f.: „Schwarze Front: Erst im dritten Rang“. BA, B 137, Bd. 3439, Schreiben Strohms an BMG, 23.10.1951.
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Verbindung zum Büro für Friedensfragen berufen. Koßmann brachte in Erfahrung, daß Masloh ihn bei der Sûreté denunziert hatte. Strohm erinnerte ferner an seine Mitteilung vom 12. Oktober 1951, wonach Masloh zu jenem Kreis gehöre, der der prodeutschen Opposition Beziehungen zu Otto Strasser „andichten“ wolle. Masloh gelte auch als Korrespondent des „Volkswirt“, der von Dr. Franz Reuter herausgegeben werde, einem früheren Mitarbeiter Hjalmar Schachts. Masloh sei allem Anschein nach ein „agent provocateur“. Masloh wurde von dpa im Zusammenhang mit einer Tagung von Strasser-Anhängern als „Verbindungsmann verschiedener westdeutscher Soldatenorganisationen zu französischen Soldatenbünden“ bezeichnet. 236 Tatsächlich: Am 22. März 1952 erschien der Vorsitzende des saarländischen Soldatenbundes, Allert, im Auswärtigen Amt. 237 Masloh habe Allert gegenüber bestätigt, Agent der Sûreté zu sein. Er „mache das aber nur, um dadurch Gutes zu tun.“ b) Das „Zentral-Institut für Landesforschung“ in Saarbrücken Heinrich Schneider bemühte sich am 13. Januar 1952, genaue Angaben über die geheimdienstlichen Aktivitäten Maslohs seit 1950 zu erhalten. 238 Infolge der Heirat Maslohs mit einer Cousine Hectors (Claire geb. Arweiler) werde Masloh möglicherweise Nachfolger von Karl Hoppe oder Albert Dorscheid, also Leiter des Informationsamts der Saarregierung oder Chefredakteur der SVZ. Bodens schlug vor, das Material über Masloh zu veröffentlichen. Das BMG besaß eine Zusammenstellung der Karteiunterlagen über Masloh in tabellarischer Form. 239 Masloh unternahm im Januar/Februar 1952 ein Störmanöver gegen die geplante Konstituierung einer prodeutschen Saar-CDU. Nach Informationen des BPA 240 gründete er eine Saar-Heimatpartei mit einigen namhaften SS- und NSDAP-Leuten. Man wolle damit ein Argument gegen die Zulassung der Saar-CDU schaffen: Die Saarregierung wolle Verbindungen zwischen „neofaschistischen Gruppen“ und prodeutschen Parteien konstruieren, um so jede Lizenzierung verhindern zu können. Dabei waren an dem Vorhaben auch prodeutsch gesinnte Leute wie der Ingenieur A.C.L. Hoffmann beteiligt, der Mommer in einer Unterredung versicherte, die Partei werde sich langsam auf Deutschland zubewegen, selbst wenn Maslohs entsprechende Beteuerungen unaufrichtig gewesen sein sollten. 241 Der dem BMG als zuverlässig bekannte Heinrich Bieg erschien am 29. Februar 1952 in Gesellschaft eines gewissen Gerhardts am Bottlerplatz. Gerhardts war Mitarbeiter des „Landesinstitut[s] für Zentralforschung“, das aus dem Reptilienfonds von Hoffmann unterhalten werde. Man wolle eine Heimatpartei gründen, die eine echte Autonomie anstrebe. Es nähmen daran deutschgesinnte Persönlichkeiten teil, von denen Gerhards einige nannte. Masloh wolle sich wegen der gegen ihn gerichteten Verdächtigungen im Hintergrund halten. Bodens war davon überzeugt, daß Gerhards gemeinsame Sache mit Masloh machte und die Parteigründung von der Saarregierung lanciert werde. Die Taktik Maslohs lautete also, patriotisch denkende Saarländer vorzuschieben, um die Heimatpartei in Bonn salonfähig zu machen. Er wollte glauben machen, diese Partei werde 236 237 238 239 240 241
AdsD, SPD-PV. Sekretariat Fritz Heine, 2/PVAJ0000549, dpa-Inf. 1280, 6.9.1951, sowie dpa-Inf. 1233, 28.8.1951. PA/AA, B 10, Bd. 482, Bl. 104, Aufzeichnung Lebsanfts, 22.3.1952. BA, B 137, Bd. 3439, Schreiben von S 4 [H. Schneider] an R 2 und 3 [wohl Mitarbeiter des BMG], 13.1.1952. Dazu auch LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 352, S 4, Notizen, 27.12.1951, hier: S. 5. BA, B 137, Bd. 3439, Abhandlung Nr. 5013. Ebd., Bundespressinf. Nr. 274, 13.2.1952. Zu den subversiven Operationen gegen die Gründung einer SaarCDU: Elzer, Die deutsche Wiedervereinigung an der Saar, Teil II, Kap. II.2. AdsD, NL Mommer, Bd. 13, Aktennotiz Mommers, o.D. [April 1952].
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behutsam operieren und schrittweise die Annäherung an die Bundesregierung suchen. Ferner befanden sich einige dezidierte Nationalsozialisten in diesem Kreis, mit deren Vergangenheit im geeigneten Moment die im Gründungsprozeß befindlichen prodeutschen Gruppierungen pauschal belastet werden sollten. Diese Unterwanderung erinnerte an das DPS-Verbot vom Mai 1951. Im Herbst 1952 wurde anläßlich der saarländischen Landtagswahlen ein ähnliches Manöver mit der Demokratischen Volkspartei versucht. 242 Der Saarbrücker Agentenkreis baute auf die anhaltende Furcht in Europa vor einem Wiederaufflammen des Nationalsozialismus. Prodeutsche Parteien an der Saar sollten nicht geduldet werden, weil sie das autokratische Saarregime in Gefahr brachten. Bodens hielt am 22. Oktober 1951 fest, Masloh wirke seit einigen Monaten im Informationsamt der Saarregierung an der Seite der SS-Leute Rösner und Treib sowie des Goebbels-Agitators Karl Kuhlmann. 243 Sie agierten unter der Tarnung eines „ZentralInstitut[s] für Landesforschung“ 244. Ihre wahre Aufgabe bestehe darin, die „schlimmen“ Folgen einer Rückgliederung der Saar an Deutschland zu beschwören. Masloh schreibe Bundesministerien an, die er um Material für angeblich wissenschaftliche Untersuchungen bitte. Er trete für die Rückkehr Otto Strassers in die Bundesrepublik via Saar ein und pflege Kontakt mit Waldemar Wadsack. Masloh solle „einer der ersten Vertrauensleute Hoffmanns“ sein. Er versuchte zeitweilig selbst, in den Parteiapparat der DPS einzudringen. 245 Ferner spielte er im Februar 1952 eine Vertrauensperson an Heinrich Schneider heran. 246 Diese Frau F. war die Freundin von Direktor O. vom Reisebüro Sarag, der Schneider bereits 1950 eine Unterredung mit Masloh hatte vermitteln wollen. Frau F. nahm ihre Ehescheidung zum Anlaß, mit Schneider als ihrem Anwalt politische Gespräche zu führen. Dabei behauptete sie, einem Kreis von Persönlichkeiten anzugehören, der für die deutsch-französische Zusammenarbeit eintrete. Immer wieder wandte Masloh sich an Prominente in der Bundesrepublik, um seine Einflußmöglichkeiten auszuweiten. So schrieb er Hallstein am 9. Oktober 1951 an und erbat eine Darstellung über die Einordnung des Saarlandes in den Europarat. Er arbeite als Privatgelehrter und Leiter des unabhängigen „Zentralinstitut[s] für Landesforschung“ an einer Studie über dieses Thema. 247 Im Januar 1952 schickte Masloh einen Neujahrsglückwunsch an Bundesminister Jakob Kaiser, den dieser eigentlich beantworten wollte. Dies unterblieb, als Knoop ihn über den Hintergrund aufklärte und dabei erwähnte, Hallstein habe dessen Brief ebenfalls ohne Erwiderung gelassen. Masloh tauchte am 13. Juni 1952 persönlich im „Institut zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten“ in Frankfurt a.M. auf, das vom ehemaligen Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, Theodor Steltzer, geleitet wurde. Masloh sagte einem Mitarbeiter, sein Zentralinstitut werde aufgelöst, weil er es ablehne, im kommenden Landtagswahlkampf Propaganda für die Saarregierung zu treiben. Er wolle mit dem Frankfurter Institut in Verbindung bleiben und „gleichsam unser Beobachter in Angelegenheiten der Saar“ werden. Dafür wolle er lediglich seine Unkosten ersetzt haben. Er sei im Begriff, eine Gesellschaft für europäische Rechts-, Wirtschafts- und Sozialpolitik zu gründen, die die Arbeit seines Zentralinstituts fortführen, aber nicht mehr von den Mitteln der Saarregierung abhängig sein 242 243 244
245 246 247
Dazu Elzer, Im Dienste, Teil II, Kap. XVII.1. BA, B 137, Bd. 3439. Nähere Informationen über Studien, denen sich das „Zentralinstitut“ widmete, in: Ebd., Schreiben von S 4 [H. Schneider] an R 2 und 3 [Mitarbeiter des BMG], 18.1.1952; LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 352, S 4, Notizen, 27.12.1951, hier: S. 1. Ebd., Information, Nicht zur Veröffentlichung, 19.6.1951. Material in: Ebd., Bd. 394. BA, B 137, Bd. 3439 (auch für das Folgende).
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solle. Masloh hatte sich bereits im März an Steltzer mit der Bitte um wissenschaftliche Unterstützung gewandt, woraufhin dieser am 7. April Jakob Kaiser erbost schrieb, es liege ein Fall von „Wirtschafts- und Werkspionage“ vor. Schon am 9. Mai 1952 hatte das BMG nicht nur Prof. Steltzer, sondern alle obersten Bundesbehörden vor den Anfragen des Zentralinstituts gewarnt, wobei es speziell auf die Person Maslohs hinwies. Im Juni 1952 wurde das Institut nach einjährigem Bestehen wieder aufgelöst. 248 Masloh übernahm nun eine gehobene Position im saarländischen Innenministerium. Bezeichnenderweise war er für die Zulassung der prodeutschen Parteien an der Saar zuständig, die im Jahre 1952 vergeblich ihre Anträge stellten. 249 Einen Monat später hieß es, er solle zum Kriminaldirektor ernannt werden. 250 Er arbeitete Entwürfe von „Maulkorbgesetzen“ aus, denen zufolge der „Mißbrauch“ von Meinungsfreiheit mit Gefängnis geahndet werden sollte. 251 Als Referent im Innenministerium gelang es ihm angeblich des öfteren, Meldungen Hectors in diplomatische Berichte aus Bonn und Paris einzuflicken, die über Saarbrücken liefen. 252 Die DSZ griff Masloh im Frühling 1952 öffentlich an. In einer zweiteiligen Reihe wurde er als „Sammler zur Untat“ mit aller Härte von Martin Gerber attackiert. Dabei fiel der erste Beitrag 253 etwas plump aus, da er sich nicht auf Dokumente stützte. 254 Masloh habe sich dem Spitzeltum verschrieben und scheue nicht einmal davor zurück, „mit raffinierten Intrigen staatsgefährliche Elemente zur Gründung und Belebung extremistischer Bewegungen zu veranlassen, um damit die politische Unreife des eigenen Volkes weisungsgemäß zu deklarieren.“ Alo Masloh aus Saarlouis hatte in der NS-Studentenschaft, HJ und DAF einflußreiche Positionen. Der strebsame Kölner Student war enttäuscht über die geringe Würdigung seiner Verdienste um die Rückkehr der Saar 1935 und seiner tiefen nationalsozialistischen Überzeugung. Sein „Hang zur Heimlichtuerei“ war unübersehbar. Er wollte Beziehungen zum SD und zur Sûreté haben, die er im Interesse der deutschen Sache unterwanderte. Masloh gab seinen Vornamen Alois auf 255, weil der zu sehr nach einem katholischen Heiligen klang anstatt nach Blut und Boden. Nach 1945 entwickelte Masloh unter den Augen der französischen Besatzungsbehörden rege Kontake zu rechtsextremen Gruppierungen. Er schimpfte auf die Franzosen und ihre Geschöpfe an der Saar. Dieser Sûreté-Offizier heiratete in Hectors Familie hinein und genoß Hoffmanns Vertrauen. Nach diesem mit einigen Kraftausdrücken gewürzten Rundumschlag ging es im zweiten Artikel Gerbers 256 ausschließlich um die Nachkriegszeit: Masloh wechsle häufig seine Maske. So behaupte er, wegen seiner deutschen Gesinnung und einer Verhöhnung Hoffmanns aus dem Saargebiet ausgewiesen worden zu sein. Später tauchte er beim Saarländischen Rundfunk wieder auf, ohne dort journalistische Arbeit zu verrichten. Er tummle sich im Umfeld de Gaulles und bezeichne sich als dessen Kontaktmann. Selbst im Deutschen Büro für Friedensfragen sprach er vor. In der rechten Szene kenne er sich bestens aus und habe an den Treffen der „Sammlung zur Tat“ teilgenommen. Masloh intrigierte beim „Remer-Telegramm“ und hatte bei der beabsichtigten Rückführung Otto Strassers nach Deutschland über die Saar 248 249 250 251 252 253 254 255 256
DSZ, Nr. 13, 13.6.1952: „’Zentralinstitut für Landesforschung’ aufgelöst“. DSZ, Nr. 18, 31.8.1952: „Sûreté-Agent Massloh [sic] zuständig für die Parteizulassung“. DSZ, Nr. 20, 30.9.1952: „Sûreté-Agent wird Kriminaldirektor in Saarbrücken“. BA, B 137, Bd. 3436, Z 43 [H. Schneider] an 70/54 [Perkuhn/Thierfelder], o.D. So die anonyme Aufzeichnung eines Informanten von P 6 vom 21.7.1953 über „Abteilungen des Innenministeriums“ (LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 695). Manuskript in: BA, B 137, Bd. 3439. LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 352, [Aufzeichnung, 6.3.1952, hier: S. 3f.]. Tatsächlich stellte er seinen Promotionsantrag in Köln als „Alo Masloh“. Martin Gerber, „Aloys Masloh – der Sammler zur Untat (II): Wer fälschte Remer-Telegramm?“, in: DSZ, Nr. 7, 21.3.1952.
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seine Finger im Spiel. Danach machten ihn die Franzosen zum „trojanischen Pferd“ im „saarländischen Regierungsstall“. Er leite ein undurchsichtiges „Institut für Landesforschung“, das aus Hoffmanns Geheimfonds alimentiert werde. Es behellige alle möglichen Behörden in der Bundesrepublik mit seinen Anfragen zu irgendwelchen Strukturuntersuchungen. Niemand antworte, da sich herumgesprochen habe, wer dahinterstecke. Im Saarland dürfe der mit einer Cousine Hectors verheiratete Masloh die Akten aller Ministerien benutzen. Zuletzt wollte er eine „Saar-Heimatpartei“ aufziehen. Gerber stützte sich nun auf uns bekannte Aktenstücke aus diversen deutschen Behörden. Er wiederholte zwar manches schon in der vorherigen Ausgabe Gesagte, war aber nun präziser und damit wirkungsvoller. Die meisten Behauptungen waren zutreffend und entlarvten Maslohs subversive Tätigkeit nachhaltig. Die Wortwahl enthielt Schärfen und auch Beleidigungen, dennoch konnte Masloh in Anbetracht der dem Verfasser offensichtlich zur Verfügung stehenden Dokumente kaum mit Aussicht auf Erfolg juristische Schritte einleiten. Als Agent der Sûreté hatte Aloys Masloh erheblich an Bedeutung eingebüßt. Im Juni 1956 erfuhr das Kanzleramt von Geheimgesprächen zwischen Repräsentanten von CVP und SED in Ost-Berlin. 257 Bereits im Mai hatten Prof. Matthias Goergen und das Vorstandsmitglied Schlemmer Unterredungen mit Mitgliedern des Zentralkomitees der SED geführt, die von Aloys Masloh vermittelt worden waren. Es wurde verabredet, sich gemeinsam zu bemühen, „eine Vereinigung des Saargebietes mit der BRD zu verzögern und möglichst überhaupt zu verhindern.“ Am 4. Juni 1956 setzten Masloh, Schlemmer und Hoffmanns Schwiegersohn Erhard Linsenmeier die Gespräche mit der SED fort. 258 Die Delegation von der Saar war zuvor in Paris gewesen, wo man über die Torpedierung der in Luxemburg laufenden Verhandlungen gesprochen habe. Der dort erzielte Durchbruch habe alle überrascht. Die französische Regierung hatte inzwischen ein größeres Interesse daran, den Saarstreit mit Bonn gütlich zu regeln, als ihn noch weiter zu verlängern. Maslohs schillernde Karriere ist nicht untypisch für Agenten jener Zeit. Überzeugter Nationalsozialist mit Hang zum Okkulten, tauchte er früh ins subversive Milieu ein. Er betonte eher den „Sozialismus“ als das „Nationale“ und schlug sich deswegen nicht zufällig an die Seite der Strasser-Brüder. Otto Strasser besaß gute Kontakte nach Frankreich und lebte dort zeitweise im Exil. Ob Masloh ihn durch seine Verbindungen zur Sûreté dabei unterstützte, muß offen bleiben. Die von Strasser propagierten völkischen Ideen gepaart mit einer tendenziell planwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung wurden auch von Masloh vertreten. Diese Richtung hatte auch keine unüberwindliche Scheu vor Kontakten zur Sowjetunion. Masloh besaß durchaus Überzeugungen, die er freilich mit persönlichen Interessen verquickte. Er förderte die französischen Bestrebungen zur Abtrennung der Pfalz und des Saargebiets von Deutschland, beteuerte freilich, die deutsch-französische Aussöhnung dabei vor Augen gehabt zu haben. Es mag sein, daß er glaubte, bei Befriedigung der ausgedehnten Sicherheitswünsche Frankreichs durch territoriale Einbußen Deutschlands diesem Ziel näherzukommen. Masloh kannte keine Skrupel. Stets auf der Suche nach guten Geschäften, war er ein Nachrichtenhändler, der Informationen an alle Seiten verkaufte. Nachdem in der Pfalz die Sache des Separatismus verloren war, etablierte er sich an der Saar. Offenbar stand er auf vertrautem Fuß mit Hoffmann und Hector, in dessen Familie er heiratete. Die eigentliche Aufgabe des von Masloh geleiteten „Landesinstitut[s] für Zentralforschung“ bestand darin, die Festigung des Saarregimes mit subversiven Aktivitäten zu fördern. Dabei half ihm eine kleine Gruppe dezidierter Ex-Nationalsozialisten, die wenig Hemmungen 257 258
ACDP, NL Globke, I-070-023/3, Aufzeichnung, Geheim, 8.6.1956. Ebd., Aufzeichnung, Geheim, 11.6.1956.
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Saar - Aloys Masloh: Im Dienste Strassers, Stalins, der Sûreté dd S i
besaßen. Da diese Besetzung sich herumsprach, verweigerten renommierte Institutionen jede Zusammenarbeit. In der Folgezeit bekleidete Masloh einen hohen Rang im saarländischen Innenministerium. Er trachtete mit allen Mitteln, den Saarstaat zu stabilisieren. Was davon in die Akten gelangte, ist zweifellos nur ein Ausschnitt aus dem Spektrum seiner Handlungen. Ruchbar wurden seine Beteiligung am „Remer-Telegramm“ und an der Errichtung einer von alten Nationalsozialisten dominierten „Saar-Heimatpartei“. Er beabsichtigte dabei, die für das Saarregime gefährlichen Parteigründungen der prodeutschen Opposition zu diskreditieren. Wenn die DPS mit der SRP oder Otto Strasser in Verbindung gebracht werden konnte und die Bildung einer Saar-CDU durch eine gleichzeitig entstehende, braun angehauchte „SaarHeimatpartei“ überschattet wurde, so ließen sich Verbotsmaßnahmen der Saarregierung im Ausland besser rechtfertigen. Masloh gehörte zwar selbst zum Freundeskreis von Strasser, doch Widersprüche sind für einen Mann seines Schlages charakteristisch. Zudem ließen sich hier unterschiedliche Zwecke gut kombinieren: Heinrich Schneider geriete in Mißkredit, falls er mit Otto Strasser kooperierte. Dieser wiederum wollte unbedingt nach Deutschland, um dort seine politischen Ambitionen auszuüben. Warum sollte dies nicht durch eine Anreise über Saarbrücken erfolgen? Masloh war eine gefährliche Figur. Die DSZ wollte ihn vermutlich in Absprache mit dem BMG durch eine frontale Attacke ausschalten und enthüllte alles, was sie über ihn wußte. Damit dürfte sie in der Tat seine Effizienz beeinträchtigt haben, denn ein Agent ist nicht mehr viel wert, wenn er vom Scheinwerferlicht angestrahlt wird. Wirklich ist seit 1953 sein Stern verblaßt. Nach der „Wende“ an der Saar schlug er sich mühsam durch, denn die Konjunktur für Spione war vorüber. Am 27. Oktober 1956 wurde in Luxemburg ein deutsch-französisches Abkommen 259 geschlossen, das die politische Rückgliederung der Saar an (West-)Deutschland zum 1. Januar 1957 vorsah, wofür Paris zahlreiche finanziell und wirtschaftlich lukrative Konzessionen aushandelte. Laffon versicherte dem Saarbrücker Journalisten Paul Kaps im Oktober 1957, seit der Volksabstimmung vom 23. Oktober 1955 befaßten sich französische Dienststellen nicht mehr mit saarländischen Persönlichkeiten. 260 Er gab zu verstehen, nachrichtendienstliche Aktivitäten seien eingestellt worden. Die Abwendung der Saar von Frankreich wurde in Paris glücklicherweise akzeptiert und als Chance für gute deutsch-französische Beziehungen begriffen, die zumindest von einem als schwere Hypothek zu bewertenden Territorialkonflikt befreit waren. Doch wir haben auf erfreulichere Zeiten vorausgeschaut: Ziebell hatte derweil einen Coup gelandet, der krimineller Natur war.
259 260
Wortlaut in: BGBl. 1956, Teil II, S. 1593-1638. Auszug in: BDFD I, Nr. 207. Grundlegend: Lappenküper, Deutsch-französische Beziehungen, Kap. IV.3. LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 297, Paul Kaps, Notiz für Herrn Dr. Schneider, 25.10.1957.
Die Schmeisser-Affäre
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5) DER BETRÜGERISCHE BANKROTT DES SAARBRÜCKER KAUFHAUSES WALTER Im Mai 1952 lief in Saarbrücken ein Konkursverfahren gegen den Textilkaufmann Wilhelm Walter. Er stammte aus Oberhausen und war 1937 in Essen wegen betrügerischen Bankrotts zu 15 Monaten Gefängnis verurteilt worden. 261 Sein Vater besaß in Oberhausen ein Konfektionshaus, das ebenfalls schon einmal pleite gegangen war. Er schuf 1936 in Essen die Walter GmbH. und setzte seinen Sohn Wilhelm als Geschäftsführer ein. Die Warenbestände wurden zwischen Oberhausen und Essen hin- und hergeschoben und rechtzeitig vor dem Doppelkonkurs an Dritte verkauft. Herta Walter gründete 1946 in Saarbrücken gegen den Widerstand der Handelskammer ein Modegeschäft, für dessen Geschäftsführung ihr Mann eine Generalvollmacht erhielt. Die Umsätze waren Ende der 1940er Jahre relativ hoch, freilich mit enormem Reklameaufwand verbunden. Mit der Einheitsgewerkschaft wurde ein undurchsichtiges Kompensationsgeschäft „Kohle gegen Anzüge“ abgeschlossen. 262 Nach dem gleichen Muster wie im Ruhrgebiet errichtete Walter in Neunkirchen eine Dépendance und als Dachgesellschaft eine Walter GmbH., die nie wirklich über das auf dem Papier stehende Kapital verfügte. Bank und Finanzamt erhielten unterschiedliche Bilanzen und gefälschte Inventurlisten. Unter anderem die Prokuristen und der Kassierer der Firma halfen dabei mehr oder weniger freiwillig mit. Zum Jahresende 1950 konnte man überhaupt keine Bilanz mehr erstellen und ließ die Belege ungebucht. Die Bauvorhaben der Walter GmbH. wuchsen der Firmenleitung über den Kopf und veranlaßten sie zu Bilanzfälschungen und Kreditbetrug. 263 Ein Bankdarlehen für den Grundstückskauf wurde mit unrichtigen Angaben erschwindelt. 264 Die Bauunternehmen arbeiteten noch weiter, als Walter längst wußte, daß er nicht mehr liquide war. Nichtsdestoweniger richtete er in Sulzbach eine Kleiderbetriebswerkstätte ein. Ungeachtet der desolaten Situation im Winter 1950/51 investierten Wilhelm und Herta Walter einen riesigen Betrag für die neue Sommerkollektion. Das Ehepaar schwelgte im Luxus und gab Unsummen für Reisen, Kleider, Schmuck sowie den Kauf einer Villa aus. 265 Der Kraftfahrer von Walter schmuggelte nach eigener Aussage Geldbeträge über die Grenze. 266 Im Juli 1951 kam es zur Zahlungsunfähigkeit, weil die Geduld des Finanzamtes erschöpft war. Am 5. Juli 1951 tauchte Ziebell als Bevollmächtigter der französischen Textilfirma Aubert bei einer Gläubigerversammlung auf. 267 Er wurde in den Gläubigerausschuß aufgenommen und erhielt gemeinsam mit dem Vergleichsverwalter die Vollmacht, die Geschäftsvorgänge bis zum Gerichtsbeschluß über den Vergleichsantrag zu überwachen. Ziebell prahlte mit seinen politischen Beziehungen in Bonn und Paris und versprach, die Firma mit einem großen Kredit zu retten. Dafür beanspruchte er Reisekosten-Vorschüsse und ein Darlehen aus der Tageskasse, die eigentlich von der Bank kontrolliert werden sollte. Erst später kam Ziebells zweifelhafte Vergangenheit ans Licht – ein „Hochstapler (...) mit politischen Beziehungen“, wie die „Saarbrücker Zeitung“ urteilte. Bereitwillig ging Walter auf Ziebells Idee ein, die Neunkircher Niederlassung in einem Scheingeschäft einem anderen dubiosen Kaufmann zu veräußern und sie so dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen. Ziebell selbst gelang es, 2,7
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„Saarbrücker Zeitung“, 13.5.1952: „Prozeß gegen Ehepaar Walter hat begonnen“ (auch für das Folgende). „Saarbrücker Zeitung“, 14.5.1952: „Millionengeschäft auf Kosten der Bergleute“. SVZ, 14.5.1952: „Der 2. Tag im Walter-Pleiteprozeß“. „Saarbrücker Zeitung“, 14.5.1952: „Millionengeschäft auf Kosten der Bergleute“. SVZ, 13.5.1952: „Die Walter-Pleite vor Gericht“. „Saarbrücker Zeitung“, 16.5.1952: „80 Millionen Franken ungedeckte Schulden“. „Saarbrücker Zeitung“, 15.5.1952: „Beauftragter der Gläubiger ein Hochstapler“; SVZ, 15.5.1952: „Der 3. Tag im Walter-Pleiteprozeß“.
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Saar - Der betrügerische Bankrott des Saarbrücker fh l
Mio. ffrs. aus der Konkursmasse an sich zu nehmen und dann zu flüchten. Die Geprellten beteuerten, sie hätten ihm aus Arglosigkeit Geld ausgehändigt. Die Saarbrücker Staatsanwaltschaft beantragte 3 Jahre Gefängnis für Wilhelm Walter und 14 Monate Gefängnis für Herta Walter. 268 Der Staatsanwalt sah „sträflichen wirtschaftlichen Leichtsinn“ am Werk und hielt Wilhelm Walter nicht für eine „Verbrechernatur“. Die Verteidigung plädierte für beide Eheleute auf Freispruch, da eine betrügerische Absicht nicht nachweisbar sei und der Konkurs hätte abgewendet werden können. 269 Die Kostenexplosion beim Neubau in Saarbrücken sei auf die Verzögerung wegen der langen Verhandlungen mit der Stadt und wegen der ungünstigen Witterung zurückzuführen. Wilhelm und Herta Walter seien ihrer „Großmannssucht“ zum Opfer gefallen. Tatsächlich hielt das Gericht den Betrugsvorwurf für nicht erwiesen, sondern nur „übermäßige[n] Aufwand“. 270 Walter profitierte zudem davon, daß seine Frau offizielle Besitzerin des Geschäfts war, und kam „wegen Beihilfe zu einfachem Bankrott“ mit einem Jahr Gefängnis davon, Herta Walter gar mit 6 Monaten. Die Kohle-Anzug-Vereinbarung mit der Einheitsgewerkschaft habe sich nicht mehr aufklären lassen. Für die Verschiebung von Vermögenswerten ins Ausland gebe es keine Beweise. Die Neubaupläne gehörten zum übertriebenen Aufwand. Die Falschbuchungen seien nicht strafbar, da ein Überblick trotzdem gewonnen werden konnte. Die Inventurlisten seien nicht gefälscht, sondern „berichtigt“ worden. Gewinnentnahmen aus dem Neunkircher Betrieb hätten offenbar nicht einem Konkursbetrug gedient. Die zu niedrigen Angaben von Herta Walter beim Offenbarungseid beruhten auf Unkenntnis. Wilhelm Walter sei lediglich ein „unglücklicher Spekulant und Phantast“. Der Kassierer, der Ziebell ohne weiteres 2 Mio. ffrs. ausgehändigt hatte 271, wurde freigesprochen, denn Ziebell habe „namhafte Wirtschaftler, Politiker und Juristen“ düpiert. Selbst die französisch kontrollierte „Saarbrücker Zeitung“ wunderte sich über einen „an Überraschungen nicht armen Prozeß“. 272 Die Beweislast gegen das Ehepaar Walter war erdrückend. Nicht nur die angeführten Einzelheiten, sondern auch die einschlägige Vorstrafe Walters belegte den zielbewußt ausgeführten Millionenbetrug. Weshalb gab sich die Staatsanwaltschaft beim Plädoyer plötzlich so dezent? Walters Aktivitäten hatten offenkundig einen kriminellen Einschlag – und trotzdem sprach die Anklage nur von einem „Phantast[en]“. Das Urteil erscheint als äußerst gnädig, um das Wort „Rechtsbeugung“ zu vermeiden. Wieso blieben die skrupellosen Verhaltensweisen von Wilhelm Walter zum Schaden saarländischer Unternehmer, Banken und Steuerzahler ohne angemessene Ahndung? Ein Artikel der DSZ vom 30. Mai 1952 273 läßt erahnen, was hinter den Kulissen geschehen war. Das milde Urteil für die Verantwortlichen eines Bankrotts, der die Steuerzahler an der Saar 120 Mio. ffrs. (etwa 1,5 Mio. DM) kostete, habe allgemein verblüfft. Trotz Kenntnis der Vorgänge im Ruhrgebiet von 1936/37 erhielt Herta Walter durch die Protektion eines führenden Beamten des französischen Hohen Kommissariats namens Alphonse Rieth eine Konzession zum Betrieb eines Konfektionsgeschäfts; die Einwände der IHK Saarbrücken wegen der Vorstrafe Walters seien unberücksichtigt geblieben. Rieth sei Sequesterverwalter der gesamten ehemaligen Arbeiterversicherungen gewesen und habe enge Beziehungen zum 268 269 270 271 272 273
„Saarbrücker Zeitung“, 17.5.1952: „Drei Jahre Gefängnis für Walter beantragt“; SVZ, 17.5.1952: „Der 5. Tag im Walter-Pleiteprozeß“. „Saarbrücker Zeitung“, 19.5.1952: „Die Verteidiger beantragen Freispruch“; SVZ, 19.5.1952: „6. Tag des Walter-Prozesses“. „Saarbrücker Zeitung“, 24.5.1952: „Ein Jahr Gefängnis für Wilhelm Walter“; SVZ, 24.5.1952: „Das Urteil im Walter-Pleiteprozeß“. „Saarbrücker Zeitung“, 16.5.1952: „80 Millionen Franken ungedeckte Schulden“. „Saarbrücker Zeitung“, 24.5.1952: „Ein Jahr Gefängnis für Wilhelm Walter“. DSZ, Nr. 12, 30.5.1952: „Weiß das die Bundesregierung?“. Auszug in: „Essener Allgemeine Zeitung“, 3.7.1952: „Skandale um das Amt Grandvals“.
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„separatistisch“ gesinnten Gewerkschaftsvorsitzenden Heinrich Wacker unterhalten. Rieth habe 1949 eine Steuerprüfung bei dem Textilkaufhaus verhindert und Kredite in Höhe von 40 Mio. ffrs. besorgt, die der nicht in bestem Ruf stehende Walter sonst nie erhalten hätte. Ihm selbst sei aus der Firma eine halbe Million Francs zugeflossen. Der Bankrott wurde mit allen möglichen Tricks hinausgezögert, die Schuld auf das ungeduldige Finanzamt abgewälzt. Rieth wurde nach dem Gerichtsverfahren aus Saarbrücken abberufen. Bei einem Treffen der saarländischen und französischen Gläubiger habe große Empörung über Walter geherrscht. In dieser Lage sei Ziebell aufgetaucht und habe neue Hoffnungen geweckt, weil er mit seinen angeblichen Verbindungen alle beeindruckte. Beim anschließenden rauschenden Fest in Walters Villa konnte umso ausgelassener gefeiert werden, als Ziebell vom Hohen Kommissariat in den Gläubigerausschuß lanciert worden sei. Walter sollte bei dem Vergleichsverfahren beschützt werden. Allein, Ziebell erkannte die Chance zu einer lukrativen Unterschlagung. Die DSZ skizzierte dann Ziebells Lebensweg und seine Zusammenarbeit mit dem SûretéAgenten Schmeisser in Frankfurt a.M. sowie mit Paul Schmidt in Wiesbaden. Deren nachrichtendienstliche Aktivitäten zugunsten Frankreichs in der Saarfrage gingen unvermindert weiter. Wie lange wolle die Bundesregierung diesem Treiben noch zuschauen? Bereits im Juni 1951 hatte Schneider von einem V-Mann die Nachricht erhalten, der Sozialreferent im französischen Hohen Kommissariat in Saarbrücken, Administrator Alphonse Rieth, sei plötzlich entlassen und nun auch des Landes verwiesen worden. 274 Rieth sei bei Gewerkschaftsfragen die Schlüsselfigur der Hohen Kommission gewesen. Er gelte als „übler Geschäftemacher“, der Beteiligungen an verschiedenen Kaufhäusern erworben habe. Offenbar habe man einem Skandal zuvorkommen wollen. Hubaleck erzählte Bodens am 3. Dezember 1951 275, beim Konkurs des Saarbrücker Kaufhauses Walter habe Ziebell im Einverständnis mit Angehörigen der Familie Walter Unterschlagungen begangen und sei mit 1 Mio. Francs geflohen. Saarländische und französische Gerichte hätten Haftbefehl gegen ihn erlassen. Er sei im LfV Wiesbaden bei ORR Schmidt. Ziebell war augenscheinlich vom Hohen Kommissariat in Saarbrücken beauftragt worden, unliebsame Enthüllungen in dem Gerichtsverfahren zu verhindern. Rieth hatte den Kaufmann Walter protegiert, obwohl er dessen kriminelle Vergangenheit kannte. Offenbar handelte es sich um Machenschaften, die der persönlichen Bereicherung dienten. Politische Hintergründe sind nur insofern zu erkennen, als ein einzelner Beamter sein Amt mißbrauchte und die alliierte Behörde den Vorfall zu vertuschen trachtete, damit das Ansehen der Besatzungsmacht nicht darunter litt. An die betrogenen Kaufleute und Handwerker – darunter auch Franzosen – scheint man nicht gedacht zu haben. Ziebell sollte einen Skandal vereiteln, der in diesem Prozeß für die französische Hohe Kommission zu befürchten war, und zugleich ihre finanziellen Interessen wahrnehmen. In diesem Punkt kannte Ziebell jedoch nur sich selbst: Offenbar auf eigene Faust oder im Zusammenspiel mit Walter sicherte er sich einen Teil des in die Konkursmasse eingebrachten Vermögens und verschwand aus dem Saarland. Er besaß eine Rückzugsbasis: Hessen. Von dort aus startete er eine Operation von höchster politischer Brisanz. Sie zielte auf Adenauers engsten Vertrauten: Herbert Blankenhorn.
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LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 352, An 22 [?], 16.6.1951. Schneider bezweifelte aber, daß Rieth wirklich entlassen worden sei. BA, B 137, Bd. 16540, Vermerk Bodens, Vertraulich, 6.12.1951.
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V. RHEINLAND 1) HERBERT BLANKENHORN a) Karriere Von 1948 bis Mitte der 1950er Jahre stand niemand Konrad Adenauer politisch näher als Herbert Blankenhorn (1904-1991). Seine Vorfahren stammten aus Müllheim im badischen Markgräflerland, unweit der französischen Grenze, wo sie als Bauern und Weinhändler in gesicherten Verhältnissen lebten. 1 Sein Großvater Adolph Blankenhorn avancierte zum Präsidenten des Deutschen Weinbauverbandes. Herberts Vater Erich Blankenhorn war Generalstabsoffizier und wurde in Mülhausen/Elsaß stationiert; dort gründete er seine Familie. Nach dem Ersten Weltkrieg half er beim Aufbau der badischen Schutzpolizei in Karlsruhe. Im Jahre 1933 wurde er abgesetzt. Die Mutter Klara war mit dem Diplomaten Hans Dieckhoff verwandt, der 1937 Botschafter in Washington wurde. Sie übertrug ihre Liebe zur französischen Sprache, Kultur und Mentalität auf ihren Sohn Herbert. Blankenhorn trat nach dem Studium der Rechtswissenschaft in Heidelberg und München sowie an der London School of Economics im Alter von 25 Jahren als Attaché ins Auswärtige Amt ein, was er der Schulfreundschaft mit Wolfgang Stresemann verdankte. Der liberale Badener stand der Machtergreifung Hitlers wie sein Vater ablehnend gegenüber. „Aber man muß leben, und so schlängelt er sich durch.“ 2 Zunächst drei Jahre in Athen eingesetzt, war Blankenhorn zwischen 1935 und 1939 in Washington tätig, anschließend kurzzeitig in Helsinki und in der Berliner Zentrale. Durch Gelenkrheumatismus wehrunfähig 3, wurde er von Mai 1940 bis 1943 in der Gesandtschaft Bern plaziert, danach bis 1945 im Protokoll des Auswärtigen Amtes. Von März 1946 bis April 1948 war er Stellvertretender Generalsekretär des Zonenbeirats in Hamburg. Ende März/Anfang April 1948 löste Blankenhorn auf Anregung Adenauers Josef Löns als Geschäftsführer des Zonensekretariats der CDU in Köln ab. 4 Seit September 1948 Persönlicher Referent des Vorsitzenden des Parlamentarischen Rats, Konrad Adenauer, konnte Blankenhorn die ihm in Köln zugefallenen Aufgaben nicht mehr in vollem Umfang erfüllen, schied aber erst nach der Bundestagswahl vom August 1949 als Generalsekretär aus.5 Blankenhorn leitete 1949/50 als Ministerialdirektor (seit 8. Juli 1950) die Verbindungsstelle zur Alliierten Hohen Kommission (AHK) im Bundeskanzleramt, 1950-1951 die Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten. 6 Als im März 1951 das Auswärtige Amt neu begründet wurde, übernahm er bis 1955 die Leitung der Politischen Abteilung. Dann war er bis 1958 Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei der NATO in Paris, von 1958-1963 1
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Ramscheid, Blankenhorn, Kap. II und III; Schwarz, Adenauer, Bd. 1, S. 567-569; Baring, Außenpolitik, S. 42-44; Blankenhorn, Verständnis, S. 30-41. Zur diplomatischen Laufbahn: Verhandlungen BT, Anlagen zu den Sten. Ber., WP I, Bd. 18, DS 3465, hier: S. 6-8; Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes, Bd. 1, S. 173-175. Schwarz, Adenauer, Bd. 1, S. 568. Er ging in Bern mühsam an Stöcken, so daß seine spätere vollständige Heilung kaum vorstellbar erschien („Schwäbisches Tageblatt“, 23.9.1949: „Herbert Blankenhorn. Organisator des Auswärtigen Dienstes“). Dazu Ramscheid, Blankenhorn, S. 48f. Köhler, Adenauer, Bd. 1, S. 468f.; Heitzer, CDU, S. 436; Blankenhorn, Verständnis. S. 51. Zur Tätigkeit in Köln: Ramscheid, Blankenhorn, S. 94-100. Heitzer, CDU, S. 436-444. Zur Tätigkeit in Bonn beim Parlamentarischen Rat: Ramscheid, Blankenhorn, S. 100-116. BDFD IV, S. 223.
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deutscher Botschafter bei der Französischen Republik und anschließend für zwei Jahre in analoger Funktion in Rom und von 1965 bis 1970 in London. Ein Wolfgang Fleischer stattete Blankenhorn im Juni 1948 einen Besuch ab. 7 Er berichtete, Blankenhorn sei überzeugter Anhänger einer europäischen Föderation. Er dürfte allerdings die „Zählebigkeit“ des Nationalismus unterschätzen. Blankenhorn hoffe, die Ruhrkontrolle könne auf alle europäischen Schlüsselindustrien ausgeweitet werden. Er glaube nicht an einen verschärften Ost-West-Gegensatz, sondern rechne mit einer Abgrenzung von Einflußsphären. Jedenfalls kann Blankenhorn als überzeugter Verfechter der deutsch-französischen Annäherung und der europäischen Integration gelten. 8 Der „common sense“ der Engländer imponierte ihm besonders. Das impulsive Naturell Blankenhorns mit seiner „quecksilbrigen Quirligkeit“ 9 paßte eigentlich nicht dazu. Seit Mitte 1953 plädierte Blankenhorn für größere Beweglichkeit in der Deutschland- und Verteidigungspolitik.10 Henning Köhler nennt Blankenhorn gar „den außenpolitischen Chefdenker der fünfziger Jahre“. 11 Adenauer und Blankenhorn verloren allmählich die einstmals enge Bindung zueinander. Den Elysée-Vertrag vom 22. Januar 1963 verurteilte Blankenhorn in aller Schärfe, weil die Freundschaft mit Frankreich durch die Verstimmung der Angelsachsen und vieler europäischer Nachbarn zu teuer erkauft sei. 12 Schon in seiner Glanzheit mußte Blankenhorn um seinen maßgeblichen Einfluß auf Adenauer 13 bangen. In einer Notiz für den SPD-Parteivorstand vom 17. Dezember 1950 wurde die Rivalität zwischen Hans Globke 14 und Blankenhorn um die Gunst Adenauers beschrieben. 15 Laut Ministerialrat Franz May – einem Intimus von Globke – mißtraute Blankenhorn Globke von Anfang an. Dabei spiele eine Rolle, daß sie unterschiedlichen studentischen Korporationen angehört hätten. Blankenhorn ziehe bei verschiedenen Angriffen gegen Globke heimlich die Fäden, so bei dessen personellen Fehlentscheidungen, auf die Blankenhorn den Kanzler hingewiesen habe. Obwohl Blankenhorn von Hallstein unterstützt werde, besitze Globke dank einflußreicher Freunde in der CDU/CSU-Fraktion eine starke Stellung. Globke habe davon abgesehen, Blankenhorn aus dem Hinterhalt anzugreifen. Blankenhorn war die Schlüsselfigur bei der Bildung des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik zwischen 1949 und 1951.16 Die Wiedereinstellung vieler ehemaliger Diplomaten wurde 1951/52 zum Gegenstand scharfer publizistischer Angriffe, die besonders von dem Journalisten Michael Mansfeld in der „Frankfurter Rundschau“ inszeniert wurden. 17 Er beschuldigte Blankenhorn, die „alte Garde“ wieder ins Auswärtige Amt geholt zu haben. 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
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AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 5730, Schreiben Fleischers (Blans) an Walter, 23.6.1948. Ramscheid, Blankenhorn, S. 139f., 151f.; Schwarz, Adenauer, Bd. 1, S. 569. Thomas, Deutschland, England, S. 183. Ramscheid, Blankenhorn, S. 205-224; Schwarz, Adenauer, Bd. 2, S. 85-90, 320-327, 370-375, 381. Köhler, Adenauer, Bd. 2, S. 397. Ramscheid, Blankenhorn, S. 353-358; Schwarz, Adenauer, Bd. 2, S. 822f. Von Eckardt, Leben, S. 169f. Drenker sieht ihn als eine Art „Privatsekretär“ Adenauers (Drenker, Diplomaten, S. 56). Zu Globke: Gotto (Hrsg.), Staatssekretär; Schwarz, Adenauer, Bd. 1, S. 658-661; Lommatzsch, Globke; Herz/Boumann, „Fall Globke“. AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 5730. Dazu auch Ramscheid, Blankenhorn, S. 130f. „Der Spiegel“, Nr. 46/1949, 10.11.: „Wie im Altreich. Höchst weise“. Dazu Schwarz, Adenauer, Bd. 1, S. 664-666; Baring, Außenpolitik, Bd. 1, S. 38-52; Hoffmann, Bundesministerien, S. 139f.; Ramscheid, Blankenhorn, S. 117-134, 170-182; Döscher, Verschworene Gesellschaft, Kap. II; Kittel, Legende, S. 124139; Müller, Relaunching, S. 29-36; Brochhagen, Nach Nürnberg, S. 191-195; Haas, Beitrag, Kap. II; Drenker, Diplomaten, S. 39-61; Tauber, Beyond Eagle und Swastika, S. 950-956. Dazu ausführlich Döscher, Verschworene Gesellschaft, passim. Vollständiger Wiederabdruck der Artikelserie Mansfelds ebd., S. 156-165. Wenig veränderte Neuausgabe von Döschers Buch jetzt unter dem Titel „Seilschaften“. Ferner: Gäbler, Andere Zeitung, S. 158-164. – Kritisch auch der Emigrant Tetens, New Germany, passim. Zu Blankenhorn: S. 44, 46.
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Der Untersuchungsausschuß des Bundestages über nationalsozialistische Verstrickungen übernommener Diplomaten des Dritten Reiches reduzierte dies freilich auf eine Art Beratschlagung in letzter Instanz beim Kanzler. 18 Mansfeld hat seine Kritik an der Neubildung des Auswärtigen Amtes in einem historischen Roman verfremdet, in dem der fiktive Diplomat Robert von Lenwitz unselige Kontinuitäten über die Regime hinweg erlebt. 19 Dabei ist das von Mansfeld oft zitierte „silberne Paulchen“ eindeutig als Blankenhorn zu identifizieren. Der „liebenswürdige Parteigenosse“ wird als opportunistischer Ehrgeizling beschrieben.20 Bei aller Polemik ist das Insiderwissen Mansfelds unübersehbar. Blankenhorn glaubte beim Neuaufbau des Auswärtigen Amtes auf die Erfahrung bewährter Beamter nicht verzichten zu können, was selbst Kurt Georg Kiesinger mit der Sorge erfüllte, ob Blankenhorn imstande sei, sich „dem Sog der Clique aus dem ehemaligen AA“ zu entziehen. 21 Zu den Begünstigten gehörte Anton Pfeiffer, den Blankenhorn im September 1949 vergeblich als Staatssekretär für das künftige Auswärtige Amt empfahl. 22 Blankenhorn pflegte auch mit Hans Herwarth von Bittenfeld enge Beziehungen, der im Herbst 1949 die Münchner Staatskanzlei verließ, um Protokollchef in Bonn zu werden. 23 In personalpolitischen Entscheidungen des Auswärtigen Amtes übte Blankenhorn entscheidenden Einfluß auf Adenauer aus, was auch Wilhelm Haas zu spüren bekam, der als Personalchef wegen unterschiedlicher Beurteilung einiger Kandidaten gehen mußte.24 Haas schildert seine Entlassung als Personalchef des Auswärtigen Amtes folgendermaßen: 25 Blankenhorn – mit dem er gut zurechtgekommen sei – forderte ihn eines Tages auf, er solle auf Wunsch Adenauers zwei bestimmte Herren einstellen. Einen dieser beiden CDU-Politiker habe Blankenhorn selbst kurz zuvor als unfähig bezeichnet. Haas verlangte eine schriftliche Weisung. Blankenhorn lehnte ab und schalt ihn, er verstehe „die innenpolitischen Bedürfnisse des Bundeskanzlers nicht“. Zwei Tage später wurde ihm die Leitung der Personalabteilung entzogen. Haas glaubte, die Gegner seiner personalpolitischen Praxis hätten dies nur als Vorwand für seine Beseitigung genommen. Sicherlich gab es so etwas wie „Korpsgeist“ unter den einstigen Diplomaten der Wilhelmstraße, die die Rückkehr ins Auswärtige Amt geschafft hatten. Der nicht zu diesem Kreis gehörende Generalkonsul in Basel, Theophil Kaufmann, legte Adenauer einen Immediat-Bericht vor, in dem er sich mit dieser Mentalität auseinandersetzte. 26 Nach der Abberufung von Haas als Personalchef sei eine Vielzahl von Männern ins Auswärtige Amt gelangt, die dort schon unter Joachim von Ribbentrop arbeiteten. Sammelbecken für die Berufungen waren das Evangelische Hilfswerk und das Büro für Friedensfragen in Stuttgart – zu ergänzen wäre: die bayerische Staatskanzlei. Kaufmann wies auf die homosexuellen Neigungen verschiedener Personen hin. 27 Adenauer habe sich bei Blankenhorn eines Tages erkundigt, um wie viele Leute es sich handele. Dieser rechnete mit einem Dutzend. Als ein Herr von E. konkret erwähnt wurde, habe der Kanzler trocken erwidert: „Bei mir hat er es 18
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Verhandlungen BT, Anlagen zu den Sten. Ber., WP I, Bd. 18, DS 3465, hier: S. 8. – Im WilhelmstraßenProzeß (November 1947 – April 1949) wurden nur wenige Diplomaten des Auswärtigen Amtes angeklagt (Blasius, Wilhelmstraßen-Prozeß). Mansfeld, Bonn. Dazu Drenker, Diplomaten, S. 59f. Mansfeld, Bonn, S. 74f., 306, 375. Dies soll vom Spitznamen „Goldenes Herbertchen“ herrühren („Der Spiegel“, Nr. 3/1968, 15.1., S. 23-24, hier: S. 23). Dazu auch Ramscheid, Blankenhorn, S. 89f., Anm. 67. Zit. nach Döscher, Verschworene Gesellschaft, S. 81. Ebd., S. 82f., 85-87; Reuter, „Graue Eminenz“, S. 207-211. Pfeiffer wurde 1950 Generalkonsul in Brüssel (ebd., S. 214-220). Döscher, Verschworene Gesellschaft, S. 119-121. – Zu von Herwarth: Kap. II.2a. Döscher, Verschworene Gesellschaft, S. 196f. Haas, Beitrag, S. 61f.; Ramscheid, Blankenhorn, S. 146f. Döscher, Verschworene Gesellschaft, S. 211-213. Dazu auch ebd., S. 213f.; Drenker, Diplomaten, S. 124.
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noch nicht versucht.“ Hallstein hatte das Amt Kaufmann zufolge in organisatorischer Hinsicht nicht im Griff. Im Jahre 1951 kam es im Zuge der Neuverteilung von Positionen durch die Gründung des Auswärtigen Amtes auch zu Unstimmigkeiten zwischen Hallstein und Blankenhorn, weil letzterer eine Überordnung Hallsteins ablehnte. 28 Otto Lenz als Staatssekretär im Bundeskanzleramt und Franz Mai als Persönlicher Referent des Kanzlers hätten Positionen inne, die auch für Blankenhorn in Betracht gekommen wären. So werde erwogen, ihn ins Ausland zu entsenden. Er wolle am liebsten in die USA. Blankenhorns erfolgreicher Werdegang wurde also 1951 von Unzuträglichkeiten bei der Konstituierung des neuen Auswärtigen Amtes beeinträchtigt. Dabei geriet auch seine eigene Vergangenheit ins Visier. b) Im Dritten Reich Herbert Blankenhorn hatte die diplomatische Laufbahn eingeschlagen. Wie verhielt er sich gegenüber dem Nationalsozialismus? Treffen die vagen Angaben seiner Sympathie für die Männer des 20. Juli zu? Noch eingangs der 1980er Jahre glaubte Hans-Adolf Jacobsen, Blankenhorn in die Reihe derjenigen Angehörigen der alten Wilhelmstraße einordnen zu können, die „in begrenzterem Umfang“ konspirativ gegen das Dritte Reich vorgegangen seien. 29 Indessen gibt es verschiedene Quellen über Blankenhorns Verhalten im Dritten Reich, die seine Rolle weniger positiv erscheinen lassen. Blankenhorns Mitgliedschaft in der NSDAP (seit 1. Dezember 1938) ließ Adenauer davor zurückschrecken, ihn zum Staatssekretär des Auswärtigen Amtes zu machen, denn die Öffentlichkeit mochte daran Anstoß nehmen. 30 Der genannte Untersuchungsausschuß des Bundestages machte gegen Blankenhorns Weiterverwendung im Dienst keinerlei Bedenken geltend. Seine Zugehörigkeit zur NSDAP wurde als „rein formal“ bewertet, etwaige Verfehlungen während seiner diplomatischen Laufbahn in der NS-Zeit konnten nicht ermittelt werden. Er wurde gar als eine der „treibenden Kräfte“ des 20. Juli bewertet.31 Eugen Gerstenmaier erinnerte sich Jahrzehnte später in einem der „Rhöndorfer Gespräche“ an eine Unterhaltung mit Blankenhorn im Jahre 1942 in Bern über Möglichkeiten, Hitler zu beseitigen. 32 In der Schweiz habe er auch Verbindungen zu den Briten geknüpft. Die amerikanische Non-Sectarian Anti-Nazi League erhob schwere Anschuldigungen gegen Blankenhorn. 33 Sie nahm Blankenhorn unter Bezug auf ein 1940 veröffentlichtes Weißbuch des Repräsentantenhauses über „unamerikanische Umtriebe“ und auf Publikationen des Justizministeriums bei den Prozessen gegen die Nazi-Agenten Manfred Zapp und Günter 28
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AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 5730, Dimitag-Informationen, Nr. 100/51: „Auswärtiges Amt“, Streng Vertraulich, 2.8.1951. Zu den Eifersüchteleien im engsten Umfeld Adenauers: Ramscheid, Blankenhorn, S. 127-131. Jacobsen, Rolle, S. 195. Ähnlich schon Seabury, Wilhelmstraße, S. 211. Schwarz, Adenauer, Bd. 1, S. 664. Blankenhorn bewarb sich schon 1934 um die Mitgliedschaft, die ihm jedoch wegen Zweifeln an seiner nationalsozialistischen Gesinnung verwehrt wurde (Ramscheid, Blankenhorn, S. 39f.). Verhandlungen BT, Anlagen zu den Sten. Ber., WP I, Bd. 18, DS 3465, hier: S. 6-8. Blankenhorn wirkte bei den Vorgängen des 20. Juli nicht mit (Ramscheid, Blankenhorn, S. 73-76, 178f.). Bei der Entnazifizierung 1946 kam die britische Militärregierung im Fall Blankenhorn zu einem allzu positiven Ergebnis (ebd., S. 92). Morsey (Hrsg.), Adenauer und die Gründung, S. 41. Dazu Ramscheid, Blankenhorn, S. 60. AdsD, SPD-PV. Sekretariat Fritz Heine, 2/PVAJ0000084, News from the Non-Sectarian Anti-Nazi League to Champion Human Rights: „Der Gehilfe Adenauers, ein früherer Nazi-Agent aus den USA”. Dazu auch Ramscheid, Blankenhorn, S. 46 mit Anm. 89, S. 176f., und S. 195, Anm. 164, die die Anschuldigungen nicht entkräften kann.
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Rheinland - Herbert Blankenhorn
Tonn ins Visier. 1935 bis 1939 war er Sekretär an der Deutschen Botschaft in Washington gewesen. Zapp und Tonn leiteten in den USA den von den Nationalsozialisten geförderten Transocean-Nachrichtendienst. 34 Ihre Propaganda sollte Sympathie für Hitler-Deutschland in den USA wecken und den Antisemitismus fördern. Zapp und Tonn wurden ausgewiesen. Der Non-Sectarian Anti-Nazi League zufolge gab es eine Reihe von Briefen Blankenhorns, die bewiesen, daß er Transocean nach Kräften unterstützt habe, was ihn im übrigen nach 1945 nicht davon abhielt, seinen mit dem Nationalsozialismus sympathisierenden Onkel Botschafter Dieckhoff zur eigenen Reinwaschung zu tadeln. 35 Einer anderen Überlieferung zufolge soll Blankenhorn 1941 einen Bericht verfaßt haben, der sich lobend über die östlichen Ghettos äußerte. 36 Am 13. August 1952 erschien im SPD-nahen „Parlamentarisch-Politische[n] Pressedienst“ (PPP) eine weitere Attacke gegen Blankenhorn. 37 Dessen Besuch bei Adenauer auf dem Bürgenstock dürfte in der Schweiz keine Freude ausgelöst haben. Der Schweizer Bundesrat habe ihn nämlich im Dritten Reich als Nazi-Aktivist aus der Schweiz ausgewiesen. Wahrscheinlich stehe sein Name bei den schweizerischen Konsulaten auf der schwarzen Liste derer, denen kein Visum erteilt werden solle. Werner Krueger (BPA) sprach daraufhin auf Wunsch Blankenhorns mit dem verantwortlichen Redakteur des PPP, Meier.38 Dieser wollte das Material noch einmal überprüfen und Krueger über das Ergebnis unterrichten. Er stütze sich vor allem auf Schweizer Zeitungsberichte, die schon länger zurücklägen. Er sei selbstverständlich zum Abdruck einer Berichtigung bereit, wenn sich seine Informationen als falsch erweisen sollten. Im Kanzleramt wurde am 30. August vermerkt, Blankenhorn habe sich zu der Empfehlung, Strafantrag gegen den PPP zu stellen, bislang nicht geäußert. Der Gesandte der Bundesrepublik in Bern, Friedrich Holzapfel, machte Blankenhorn am 23. August 1952 auf negative Angaben über seine Person aufmerksam, die derzeit in der Schweiz auftauchten. 39 Dabei zitierte er aus einem Brief des Universitätsprofessors Reiners an ihn. Reiners bezeichne Blankenhorn als „eine[n] der schärfsten Nazisten“. Es mache zudem die Behauptung die Runde, der Name Blankenhorn stehe auf einer Liste der in der Schweiz unerwünschten Personen. Er (Holzapfel) wolle ihm dies privat mitteilen, habe aber selbstverständlich keine diplomatischen Schritte unternommen. Blankenhorn erwiderte am 25. August 40, er kenne Reiners nur oberflächlich. Dieser habe zu den entschiedenen Anhängern eines Europas unter deutscher Führung gehört, was sich auch in seinen Publikationen niederschlug. Reiners dürfte auch nicht wissen, daß er (Blankenhorn) seit 1940 am Widerstand beteiligt gewesen sei. Er wolle aber wegen dessen Alter nicht mit ihm diskutieren. Er sei keineswegs in der Schweiz unerwünscht, wie die Fama behaupte. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe er die Schweiz oft bereist und vor kurzem ein Dauervisum erhalten. In der Züricher Kantonalregierung intrigierten sozialistische Kreise gegen ihn. Der schweizerische Gesandte Albert Huber habe nach Rücksprache mit dem Eidgenössischen Politischen
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Zur Nachrichtenagentur Transocean: Klee, Transocean; Uzulis, Nachrichtenagenturen, S. 217-229. Ramscheid, Blankenhorn, S. 42f. Unterlagen zu den Kontakten Blankenhorns mit Transocean in: AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 5730. Zu Dieckhoff: Gassert, Amerika, S. 252f. Transocean bleibt bei Gassert unerwähnt. BA, NL Löwenstein, Bd. 184, Löwenstein, Interner Bericht an die Redaktion der „Zeit“, 8.2.1952. Anders Ramscheid, Blankenhorn, S. 55. PPP, 13.8.1952: „Blankenhorn“. BA, B 136, Bd. 241 (auch für das Folgende). PA/AA, B 2, Bd. 116, Bl. 73. Ebd., Bl. 71-72. Ramscheid, Blankenhorn, S. 204, Anm. 215, zitiert den Brief, nicht aber die Episode mit Reiners.
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Department versichert, die Züricher Kantonalregierung habe inzwischen ihre Haltung revidiert. Am 21. Oktober 1952 nahm Michael Mansfeld in der „Frankfurter Rundschau“ abermals die Personalpolitik des Auswärtigen Amtes aufs Korn. 41 Zu den neuen Vorwürfen gehörte auch die Behauptung, einige (namentlich genannte) deutsche Diplomaten, „ja selbst Dr. Blankenhorn, wurden auf Beschluß des schweizerischen Bundesrates einst als Naziaktivisten ausgewiesen und werden heute noch als Landesverwiesene im eidgenössischen Polizeianzeiger geführt.“ Diese Aussage war offenbar nicht sorgfältig recherchiert. Die Schweizer Gesandtschaft erwiderte nämlich am 23. Oktober 1952 auf eine Anfrage Blankenhorns, er werde nicht als Landesverwiesener im schweizerischen Polizeianzeiger geführt. 42 Wie Birgit Ramscheid schildert, gab es ein Verwirrspiel in der Schweiz um die Weiterführung Blankenhorns auf einer „Schwarzen Liste“, von der er im Juli 1952 aus diplomatischer Rücksicht getilgt wurde, nachdem ihm 1947 tatsächlich die Einreise verweigert worden war. 43 Die „Rheinisch-Westfälischen Nachrichten“ meldeten am 19. November 1955, nach einer vorliegenden Information sei Blankenhorn im Dritten Reich Leiter eines internationalen Verlages in Locarno gewesen und habe im Auftrag von Goebbels ausländische Zeitungen gekauft oder durch Subventionen beeinflußt. 44 Richtig ist, daß Blankenhorn die Gesinnung schweizerischer Buchhandlungen einschließlich etwaiger jüdischer Wurzeln von einem Alfred Rütschi recherchieren ließ. 45 Manches wurde also geraunt über Blankenhorns Rolle im Dritten Reich. Völlig einwandfrei dürfte sie trotz seiner Verbindungen zum Widerstand nicht gewesen zu sein. Er überschritt aus Opportunismus bisweilen die Grenze vertretbarer Kompromisse mit dem sicher ungeliebten Regime. Bemerkenswerte Hinweise existieren aber auch für die unmittelbare Nachkriegszeit. Über Blankenhorns Verhalten nach 1945 kursierte 1952 ein nicht näher gekennzeichnetes Dokument „Nur zur persönlichen Information“ 46. Blankenhorn sei im April 1945 beauftragt worden, die in Baden und Württemberg ausgelagerten Akten des Auswärtigen Amtes zu vernichten. Dabei habe er eine Liste von SD-Vertretern im Auswärtigen Amt entdeckt, die er „bei der Neuaufstellung des Bonner AA für sich persönlich auswertete.“ Er habe die Akten nicht vernichtet, sondern den Amerikanern übergeben. 47 Die meisten Archivalia des Auswärtigen Amtes waren seit 1943 auf Initiative des Archivleiters Johannes Ullrich an 41 42
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Michael Mansfeld, „Wie man am besten Heimliches entdeckt... in der Personalpolitik des Bonner Auswärtigen Amtes“, in: „Frankfurter Rundschau“, 21.10.1952. PA/AA, B 2, Bd. 116, Bl. 61. Der Chefredakteur der „Frankfurter Rundschau“, Karl Gerold, antwortete am 9.11.1952 zwar in höflichem Ton auf die Forderung eines Dementis, warnte aber davor, auf einer Richtigstellung in bezug auf die Angaben über Ausweisungen zu beharren. Er beabsichtige nicht, einen neuen Pressekrieg darüber zu führen (ebd., Bl. 59). Dazu auch Ramscheid, Blankenhorn, S. 203f. mit Anm. 215. Ebd., S. 58f., Anm. 147, und S. 104f., Anm. 165. AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 5730. Der SPD lagen außerdem Abschriften eines Schriftwechsels vor, den Blankenhorn während seiner Zeit als Gesandtschaftsrat in Bern 1941/42 mit dem Ortsgruppenleiter der illegalen NSDAP in Zürich geführt hatte. In einem Kommentar aus dem Jahre 1958 wurde dazu festgestellt, inhaltlich gebe die Korrespondenz zwar wenig Aufschlüsse. Es sei aber für einen Diplomaten auch in jener Zeit ungewöhnlich, statt „Herr“ die Anrede „Parteigenosse“ zu gebrauchen (AdsD, SPD-PV, Bestand Emigration/Sopade, Mappe 150). Ramscheid, Blankenhorn, S. 59. PA/AA, B 2, Bd. 116, Bl. 16-19; BA, NL Blücher, Bd. 98, Bl. 69-70; Ebd., Bd. 141, Bl. 12-13, „LewyKonsortium und Israelverhandlungen“, Streng Vertraulich, o.D. Zu den Bemühungen von Briten und Amerikanern um die Sicherung deutschen Archivguts 1945: KaiserLahme, Archivpolitik. Zu den Akten des Auswärtigen Amtes: Ebd., Sp. 408. Insgesamt zur Beschlagnahme 1945 und späteren Rückführung deutscher Akten: Eckert, Kampf; Henke, Schicksal. – Blankenhorn soll bei Eisenach von amerikanischen Truppen verhaftet worden sein (Mensing, Tagebuch McCloys, S. 86f.).
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verschiedenen Orten im Harz ausgelagert worden und fielen 1945 Amerikanern und Russen in die Hände. 48 Von einer Mitwirkung Blankenhorns bei den begrenzten Vernichtungsaktionen vom April 1945 ist bislang nichts bekannt. Blankenhorn wurde dem Rundschreiben zufolge in Paris verhört, und zwar von Donald Heas, einem späteren Sekretär von General Eisenhowers politischem Berater Robert Murphy, den er aus seiner Washingtoner Zeit kannte. Heas überstellte Blankenhorn dem CIC-Colonel Noacks 49, der bis 1951 im Stab des stellvertretenden amerikanischen Hohen Kommissars Benjamin Buttenwieser arbeitete. Von dort gelangte er zu den Engländern, die von den amerikanischen Kollegen über ihn unterrichtet wurden. Im Internierungslager Recklinghausen erhielt Blankenhorn eine formelle Entlassungsbescheinigung. Eine interne Mitteilung für die SPD-Spitze vom 31. Mai 1952 schilderte Blankenhorns Verhalten in diesem Internierungslager. 50 Zeugen behaupteten, Blankenhorn habe nach 14tägiger Haft dem amerikanischen Heeresnachrichtendienst CIC angeboten, ihm bestimmte Dienste zu leisten, wenn er dafür vorzeitig entlassen werde. Dies sei dann auch geschehen. Adenauer besitze Unterlagen darüber. In dem genannten Dokument „Nur zur persönlichen Information“ hieß es weiter: Blankenhorn kam nach Bad Salzuflen zu Major Michael Thomas, einem gebürtigen Deutschen, der eigentlich Ulrich Holländer hieß und der Sohn eines Berliner Schriftstellers jüdischer Herkunft war. 51 Thomas wurde 1946 britischer Verbindungsoffizier beim Zonenbeirat in Hamburg. Im Krieg war Thomas Überwachungsoffizier in Milton Bryan/Betford, der Zentralstelle von britischen Schwarzsendern. 52 Über Thomas lernte Blankenhorn Kajus Köster kennen, der ihn im Zonenbeirat unterbrachte, wo er für die Organisation des Kanzleibetriebes und die Kontakte zu den britischen Besatzungsbehörden zuständig war. 53 Darüber wunderte sich der ehemalige deutsche Diplomat Wolfgang Gans Edler Herr zu Putlitz, der britischer Agent gewesen und 1952 in die DDR übergesiedelt war: Blankenhorn sei „bis zum bitteren Ende ein treuer Diener des Naziregimes“ gewesen. 54 Mitten in diese halblaut geführte Debatte um Herbert Blankenhorns Vergangenheit platzte die Schmeisser-Affäre.
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Kröger/Thimme, Das Politische Archiv, bes. S. 251-264; Eckert, Kampf, S. 76-92, 160-167; Kaiser-Lahme, Archivpolitik, Sp. 408. Ramscheid konnte das Protokoll eines Verhörs ermitteln, das der OSS in Paris mit Blankenhorn führte. Interessant ist die Schärfe, mit der Außenminister Edward R. Stettinius Blankenhorn beurteilte. Dies lag wohl doch nicht nur am damaligen unzureichenden Kenntnisstand über seine Kontakte zu Widerstandskreisen (Ramscheid, Blankenhorn, S. 77-84). Zum amerikanischen Geheimdienst CIC: Roewer/Schäfer/Uhl, Lexikon, S. 93. Zum OSS: Kap. II, Anm. 13. AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 5730, Aufzeichnung „Blankenhorn“, 31.5.1952. – Gerhard Schröder notierte im Juli 1947, Blankenhorn habe ausgezeichnete Verbindungen zum britischen Geheimdienst (Ramscheid, Blankenhorn, S. 94, Anm. 95). Kindt-Kiefer behauptete das Gleiche (Zentrum. Tagebuch Lenz, S. 39, 20.2.1951). Schwarz, Adenauer, Bd. 1, S. 475. Vgl. dazu Kap. VIII.4b. Zonenbeirat 1946-1948, S. XXXIV. Dazu auch Drenker, Diplomaten, S. 55; Ramscheid, Blankenhorn, S. 86f. mit Anm. 52, die Bad Salzuflen nicht erwähnt. Putlitz, Unterwegs, S. 344. Zu Putlitz, der wegen seiner Homosexualität in den britischen Geheimdienst gepreßt worden sein soll: Mansfeld, Bonn, S. 305f.; Roewer/Schäfer/Uhl, Lexikon, S. 361f.; Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes, Bd. 2, S. 8f.
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2) DER ANGRIFF DES „SPIEGEL“ AUF BLANKENHORN VOM 9. JULI 1952 a) „Am Telefon vorsichtig“ Die deutsche Öffentlichkeit wurde am 9. Juli 1952 durch einen Artikel im „Spiegel“ aufgerüttelt, der den Titel „Am Telefon vorsichtig“ trug.55 Was wurde darin behauptet? Schmeisser war laut „Spiegel“ in den Jahren 1948/49 Agent des SDECE, der dem französischen Ministerpräsidenten direkt unterstand. Anfang Juli 1952 sei Schmeisser in Bonn gesichtet worden. Prompt vermute man, er könne Vereinbarungen mit einigen Politikern getroffen haben, um frühere Vorkommnisse zu bemänteln. Hans-Konrad Schmeisser alias René Levacher – Sohn des 1945 im KZ Neubrandenburg ermordeten Landgerichtspräsidenten von Stettin – schaffte es, durch „Intelligenz und Verhandlungskunst“ an die Spitze des französischen Agentenapparates in Deutschland zu rücken. Nach vierjähriger Tätigkeit nutzte Schmeisser vor einem halben Jahr die ihm von deutschen Stellen gebotene Chance, in Frankfurt a.M. Journalist zu werden. Trotzdem verbreiteten einige Leute in Bonn die Behauptung, er diene noch immer der anderen Seite. Gar mancher fürchte, Schmeisser wolle Memoiren schreiben. Der interessanteste Teil von Schmeissers Wirken begann mit seiner Versetzung nach Boppard 1948. Dort baute er ein Agentennetz auf. Mit einigen Prominenten verkehrte er persönlich: mit Adolph Reifferscheidt, damals Wirtschaftsreferent der CDU-Zonenleitung in Köln, mit Herbert Blankenhorn, ebendort Generalsekretär, und mit Konrad Adenauer, dem CDU-Vorsitzenden der britischen Zone. Reifferscheidt befürwortete einen linksrheinischen Staat mit Wirtschaftsanschluß an Frankreich wie das Saarland und bat Schmeisser, er möge ihm Unterstützung in Paris verschaffen. Reifferscheidt überreichte Schmeisser eine Liste mit Persönlichkeiten, die die Abtrennung des Rheinlands guthießen. Diese Liste deponierte Schmeisser in der Schweiz und informierte selbstverständlich auch Paris darüber. Reifferscheidt ließ Flugschriften für mehr als 1.000 DM drucken. Seine Idee kam jedoch zu spät, weil die französische Regierung das Projekt als nicht mehr durchsetzbar betrachtete. Reifferscheidt führte Schmeisser im Gebäude der Zonenleitung der CDU bei Blankenhorn ein, denn dieser und Adenauer waren an engen Kontakten mit Frankreich interessiert. Schmeisser sprach als offizieller Beauftragter des französischen Nachrichtendienstes mit Blankenhorn, der die Entscheidung über eine konkrete Zusammenarbeit jedoch Adenauer überließ. Schmeisser führte tatsächlich ein Vier-Augen-Gespräch mit dem Zonenvorsitzenden, woraufhin dieser Blankenhorn instruierte, Schmeisser alle gewünschten Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Künftig liefen die Kontakte vorsichtshalber über Blankenhorn, doch mit dem ausdrücklichen Einverständnis Adenauers. Schmeisser und Blankenhorn trafen sich nunmehr einmal wöchentlich, häufig abends in der Privatwohnung des CDU-Generalsekretärs. Als der Parlamentarische Rat bestand, fanden die Begegnungen auch im jetzigen Bundeshaus, in einem Restaurant oder in Schmeissers Bopparder Wohnung statt. Blankenhorn erstattete jeweils Bericht über die von seinem Gesprächspartner aufgeworfenen Fragen. Er überreichte eine Liste mit Namen von Personen, die für eine Kooperation mit Frankreich aufgeschlossen sein könnten. Blankenhorn orientierte Schmeisser über Adenauers innen- und außenpolitische Absichten, besonders über die erhoffte Zusammenarbeit mit Frankreich. Hinzu kamen Details über namhafte Politiker wie Adolf Süsterhenn, Anton 55
„Der Spiegel“, Nr. 28/1952, 9.7., S. 5-7: „Geheimnisse: Am Telefon vorsichtig“.
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Pfeiffer, Josef Müller oder Kurt Schumacher und antikommunistische Aktivitäten. Am Telefon sollte Schmeisser vorsichtig sein, weil Blankenhorn ein Abhören durch den britischen Intelligence Service argwöhnte. Es handelte sich stets um „geheimstes Material“. Ferner erzählte Blankenhorn von einem „Speidel-Plan“, der die Verteidigung Westdeutschlands östlich des Rheins zum Gegenstand hatte. Schmeissers Sekretärin durfte dies allerdings ausnahmsweise nicht mitstenographieren. Geradezu stoßweise übersandte Blankenhorn Kurzprotokolle des Parlamentarischen Rates mit der Post. Er und Adenauer versicherten, Deutschland sei zu Vorleistungen an Frankreich verpflichtet. Schmeisser gab Blankenhorn Geld sowie Lebensmittel aus französischen Beständen. Die Summe betrug monatlich mindestens 150 DM und wurde mit der Beschaffung von Material über kommunistische Umtriebe und der Erhaltung eines Büros zu diesem Zweck begründet. Im Herbst 1948 bat Blankenhorn, ihm bei einer Reise nach Paris zu „diplomatischen Verhandlungen“ behilflich zu sein, denn es gebe Schwierigkeiten bei den Formalitäten. Schmeisser sorgte dafür, daß ein Offizier des Geheimdienstes Blankenhorn von Neustadt an der Weinstraße aus mit einem französischen Wagen „schwarz“ über die Grenze brachte. Von dort aus konnte er kostenlos die Eisenbahn benutzen. Die französische Dienststelle ließ Adenauer und Blankenhorn das Angebot unterbreiten, sie „als Gegenleistung für ihre Dienste“ 48 Stunden vor einem sowjetischen Einmarsch mit ihren engsten Angehörigen nach Spanien in Sicherheit zu bringen. Der Geheimdienst hoffte, die Deutschen mit Hilfe Adenauers per Rundfunk zum Widerstand aufrufen zu können. Zudem könnte er eine Exilregierung bilden. Schmeisser sollte zu diesem Zweck die Personalien von Adenauer und Blankenhorn und von einigen engen Verwandten aufnehmen sowie einen Treffpunkt für den Ernstfall verabreden. Die beiden Politiker akzeptierten den Vorschlag, Adenauer freilich mit der Maßgabe, seine sämtlichen Verwandten zu evakuieren. Dies ging den Pariser Stellen zu weit, denn sie könnten keinen ganzen Omnibus zur Verfügung stellen. Im Vorfeld der Bundestagswahl 1949 brachte Blankenhorn die finanzielle Misere der CDU zur Sprache. Es werde 1 Mio. DM benötigt, doch erhalten habe man bisher nur 200.000 DM. Ließe sich nicht von französischer Seite über Außenhandelsfirmen der fehlende Betrag ergänzen? Es liege doch auch im Pariser Interesse, daß Adenauer die Regierung bilden könnte. Der SDECE sagte zu. Ob die Sache verwirklicht wurde, wußte Schmeisser nicht, weil er zu dieser Zeit ausschied. Die Erlebnisse Schmeissers wurden bei Vernehmungen in Kehl, Offenburg und Wiesbaden amtlich zu Protokoll gegeben und seien daher ernst zu nehmen. Es gebe Dokumente unter Verschluß, und bisher sei niemand gegen Schmeissers Behauptungen vorgegangen. Eine Klärung der Dinge wäre im Sinne der deutschen Öffentlichkeit. Der Kommentar des „Spiegel“, Schmeissers Erklärungen stünden unwidersprochen da, verlor seine Richtigkeit, bevor die Druckerschwärze erkaltete. Noch am Dienstag, dem 8. Juli 1952, erstattete Adenauer Strafanzeige und bewog die Bonner Staatsanwaltschaft, die gesamte Auflage der „Spiegel“-Nummer zu beschlagnahmen. 56 Damals kam der „Spiegel“ mittwochs in die Kioske. Es setzten Ermittlungen ein, bei denen es zu zahlreichen Vernehmungen kam, die von den Staatsanwaltschaften in Bonn und Hannover durchgeführt wurden. Die juristischen Kapriolen des Schmeisser-Prozesses werden uns noch beschäftigen. 57
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Köhler, Rudolf Augstein, S. 102f., 110. Zum Justizverfahren: Kap. X.
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Der Bericht des „Spiegel“ beruhte auf dem Auszug eines Vernehmungsprotokolls, das am 22. November 1951 in Wiesbaden erstellt worden war. 58 Schmeisser gab bei seinem Verhör auch seine übrigen Verbindungsleute preis und erzählte von den Hintergründen. Mit wenigen Ausnahmen stand alles im „Spiegel“. Zu ergänzen sind nur einige Details: Schmeisser begegnete auch dem Kommunisten Max Reimann, doch die Kominform wollte offenbar keinen direkten Draht zum Deuxième Bureau. Für die mit Blankenhorn besprochenen Themen verwies Schmeisser auf ein Notizbuch seiner Sekretärin, das er in Wiesbaden aushändigte. Unerwähnt blieb ferner Blankenhorns Anspielung auf einen prominenten CDU-Politiker in Hannover, der sich mit der „Ostzone“ eingelassen habe – gemeint war Günter Gereke 59. Vorerst gilt es, die im „Spiegel“ angeschnittenen Themen nicht zuletzt mit Hilfe von Aussagen bei Verhören seitens der ermittelnden Staatsanwaltschaften in Bonn und Hannover unter die Lupe zu nehmen. b) Die Grundtendenz des „Spiegel“-Artikels und die Verteidigungslinie Blankenhorns Zunächst soll geklärt werden, welche Gesamttendenz der Beitrag des „Spiegel“ verfolgte und wie die einzelnen Anschuldigungen zu bewerten sind. Adenauer stand in den ersten Nachkriegsjahren in dem Ruf, gute Beziehungen nach Frankreich zu unterhalten. Ob dies eher taktisch bedingt war oder die Bereitschaft einschloß, einen Rheinstaat ins Leben zu rufen, ist bis heute strittig. 60 Adenauers Entlassung als Kölner Oberbürgermeister durch Geoffrey Barraclough mochte vor allem auf vermeintliche Unfähigkeit bei der Trümmerräumung beruhen, doch dieser warf ihm auch „politische Intrigen“ vor. Dem britischen General mißfielen gewisse Kontakte Adenauers mit Franzosen 61, darunter auch General Pierre Billotte, dem de Gaulle nahestehenden Militärgouverneur von Rheinland-Hessen-Nassau 62. Ein Rheinstaat gehörte jedenfalls zum Kalkül des langjährigen Kölner Oberbürgermeisters. Adenauer galt im Foreign Office als antibritisch gesinnt, und besonders die damals tonangebende Labour Party sah in ihm einen Reaktionär. 63 Es soll 1945/46 ein Netzwerk des SDECE in Deutschland bestanden haben mit der Bezeichnung „Der Geist“ (Le Fantôme), dessen nähere Beschaffenheit noch unbekannt ist. Jacques Locquin – der angebliche Leiter – erklärte später, es habe den Auftrag gegeben, „de prendre tous les contacts nécessaires en toutes zones avec les personnalités allemandes susceptibles d’être intéressées par des relations avec nous.“64 In diesem Kontext sei auch Befehl zur Kontaktaufnahme mit Konrad Adenauer erteilt worden. Im Jahre 1948/48 bestand zwischen Adenauer und de Gaulle ein indirekter Draht über den Freiherrn Kurt von Lersner. 65
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PA/AA, B 130, Bd. 13798, BA, B 136, Bd. 240, und B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 15ff., Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Wiesbaden, 22.11.1951, hier: S. 21-29. Dazu Kap. VI.1c. Vgl. Anm. 84. Zu den damaligen Kontakten Adenauers mit Franzosen im Hinblick auf einen Rheinstaat: Schwarz, Adenauer, Bd. 1, S. 452-466; Küsters, Konrad Adenauer, S. 65f.; Küsters/Mensing (Hrsg.), Kriegsende, Einleitung, hier: S. 23-37, und Nr. 14, 17, 21, 23, 24, 25, 27, 28, 30; Küsters/Mensing, Konrad Adenauer, S. 293-300; Mensing, „Fama“; Arnal, Conrad Adenauer, bes. S. 69-76. Andere Akzentuierung bei Köhler, Adenauer, Bd. 1, S. 333-353. Thomas, Deutschland, England, S. 136-139. Billotte, Temps, S. 384-390. Heitzer, CDU, S. 710-740. Krop, Secrets, S. 526f.; vgl. auch ebd., S. 726-736. Köhler, Adenauer, Bd. 2, S. 52f.
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In Anbetracht der Tatsache, daß Paris eine nachhaltige Schwächung Deutschlands anstrebte und auch de Gaulles Nachfolger kein einheitliches Reich mehr hinzunehmen gedachten 66, bestand in der sich formierenden Bundesrepublik trotz aller Verständigungsbereitschaft Mißtrauen gegen den westlichen Nachbarn. Das rigorose Auftreten der Okkupanten in der französischen Zone 67 verstärkte die traditionelle Skepsis. Da die deutsche Wiedervereinigung zu Beginn der 1950er Jahren noch eine konkrete Hoffnung darstellte, blieb ein zu enges Verhältnis zu Frankreich gewissen Verdächtigungen ausgesetzt. In der politischen Tagesaktualität war ständig zu spüren, wie wenig Spielraum Paris dem strikt zu kontrollierenden westdeutschen Teilstaat zubilligte. 68 Wer sich also mit dem französischen Geheimdienst einließ, mußte mit dem Argwohn der Zeitgenossen rechnen. Die Einsicht, Vorleistungen der Bundesrepublik an Frankreich seien nötig, mißfiel sicherlich vielen. Adenauer schätzte das transelbische Deutschland nicht besonders und maß der Wiedervereinigung keinen derart großen Stellenwert bei wie SPD und FDP – so jedenfalls lautete eine verbreitete Ansicht. 69 Die Bedrohung des Westens durch die kommunistische Sowjetunion verlieh Adenauers Primat der europäischen Integration freilich hohe Plausibilität. 70 Neutralismus schien in der Bundesrepublik nicht mehrheitsfähig. Rudolf Augstein war einer der schärfsten Kritiker der Deutschlandpolitik Adenauers. Er warf dem Kanzler vor, der Westintegration den Vorzug zu geben und wegen seiner antipreußischen Ressentiments die Wiedervereinigung nicht ernsthaft anzustreben. 71 Deshalb habe Adenauer sich bietende Chancen wie die Stalin-Note vom März 1952 gar nicht erst ausgelotet. HansPeter Schwarz sieht hinter der Maske des „Frechdachs“, die Augstein sich zugelegt habe, einen Nationalisten reinsten Wassers, der antifranzösisch eingestellt gewesen sei: „Mit Augstein meldet sich, wenngleich schlau getarnt, nochmals das alte, 1945 überwältigte Deutschland zu Wort“. 72 Die zeitgenössische Konfrontation von Kanzler und Publizist braucht hier nicht analysiert zu werden. Augstein war ein glühender Patriot, der sich mit seiner Scharfzüngigkeit bisweilen verstieg – doch sicher ein Liberaler und kein unbelehrbarer großdeutscher Reichsschwärmer. Ebensowenig kann Adenauer im Stile Augsteins zum „Rheinbund-Politiker“ degradiert werden, aber die Staatsräson der Bundesrepublik und die Einigung Europas rangierten bei ihm gewiß weit vor dem Wohle Gesamtdeutschlands. Diese unterschiedlichen Akzentsetzungen konnten bisweilen zu heftigen Zusammenstößen führen und schlugen sich u.a. in der Saarfrage nieder. Adenauers Pragmatismus in diesem Punkt war jedenfalls anfechtbarer als seine Intransigenz gegenüber der Sowjetunion. Der „Spiegel“ hat auch beim Saarproblem einen nationalen Kurs propagiert, der sich 1955 bezahlt machte. 73 Demgegenüber setzte Adenauer eher auf eine „Europäisierung“ der Saar, die sich als nicht praktikabel erwies; er bevorzugte für die Saar einen lavierenden Kurs, mit dem er sich alle Optionen offenhalten wollte. Tendenziell setzte er jedoch auf das falsche Pferd.74 Augstein hatte sich energisch gegen die Westverträge vom 26. und 27. Mai 1952 gewandt, deren Gegenstand die Bildung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) bzw. die 66 67 68 69 70 71
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Elzer, Rheinstaat, Kap. II. – Vgl. auch oben Kap. II.2a. Koop, Besetzt. Grundlegend: Lappenküper, Deutsch-französische Beziehungen. Dazu etwa Zitelmann, Adenauers Gegner. Schwarz, Adenauers Wiedervereinigungspolitik; Ders., Adenauer und Europa. Doler, Rudolf Augstein, bes. S. 197-203; Brawand, Spiegel-Story, S. 163-168. – Zur Arbeitsweise und Wirkung des „Spiegel“: Kuby, Spiegel; Just, Spiegel. Zur Entstehungsgeschichte und zu den ersten Jahren: Brawand, Spiegel-Story. Schwarz, Anmerkungen, S. 122f. Cahn, Réflexions. Dazu Elzer, Adenauer und die Saarfrage; Ders., Im Dienste, bes. Teil V.
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(eingeschränkte) Souveränität der Bundesrepublik Deutschland war. Augstein sah in ihnen eine Verfestigung der Teilung Deutschlands. 75 Just am 9. Juli begann im Bundestag die erste Lesung der Verträge. Natürlich wollte der Verleger mit der zeitlichen Koinzidenz zwischen der Debatte über die Ratifizierung der Westverträge und der Publikation des SchmeisserArtikels einen politischen Effekt erzielen. 76 Rechtsstehende Kräfte in Frankreich waren daran interessiert, die Ratifizierung der EVG in der Bundesrepublik Deutschland zu erschweren. Dazu trug der Artikel gewiß bei. Dies mochte insgeheim auch Augstein vorschweben. Das französische Außenministerium führte den „Spiegel“-Artikel prompt auf innenpolitische Schachzüge zurück, mit denen die Ratifizierungsdebatte der Westverträge beeinflußt werden solle. 77 Indessen war dies lediglich ein Nebenschauplatz. Der über den „Spiegel“ erboste Adenauer beschimpfte das Magazin im „Teegespräch“ vom 11. Juli 1952 geradezu unflätig.78 Die Berichterstattung des „Spiegel“ über wirkliche oder vermeintliche Skandale und seine Kritik an der angeblich die Wiedervereinigung vernachlässigenden, frankophil geprägten Politik der Bundesregierung war Adenauer längst ein Dorn im Auge. Gerhard Milner, Pressereferent des BMI, warf Augstein in einem Leserbrief an den „Spiegel“ Ankauf von „schmutzige(m) Agentenmaterial“ und Effekthascherei vor. Augstein konterte, der „Spiegel“ habe kein Geld für die Schmeisser-Unterlagen bezahlt. Die Publikation sei sofort nach Prüfung erfolgt und stehe nicht in Zusammenhang mit anderen politischen Geschehnissen. 79 Tatsächlich muß umgehend hervorgehoben werden, daß die politischen Rahmenbedingungen zwar zur Verbitterung der Bundesregierung über den „Spiegel“ im allgemeinen erheblich beigetragen haben, doch nicht den Kern des Falles Schmeisser berühren. Die Enthüllung der früheren Beziehungen zwischen Schmeisser und Blankenhorn hatte andere Hintergründe als die EVG und die Souveränität der Bundesrepublik. Gleichwohl: Augstein unterstellte Adenauer, eine „rheinische Republik“ anzustreben. Die vermeintliche Frankophilie Adenauers und seine Politik der europäischen Integration sowie der Stabilisierung der Bundesrepublik hatten einiges zu tun mit einzelnen Vorwürfen, die der „Spiegel“ am 9. Juli abdruckte. Der Einstieg des Artikels deutete prompt an, Schmeisser sei in Bonn gewesen, um über Bedingungen zu verhandeln, unter denen er sein für manche Politiker kompromittierendes Wissen der Öffentlichkeit vorenthalten wolle. Der Schreiber wartete dann mit Namen auf: Reifferscheidt, Blankenhorn und – Adenauer. Danach blieb der Kanzler aber im Schatten, denn Schmeisser wußte über Reifferscheidt und Blankenhorn mehr zu erzählen. Unbeschadet der Einzelheiten war jedenfalls unübersehbar, daß die beiden Genannten sich mit großem Eifer in die Zusammenarbeit mit dem Vertreter des französischen Geheimdienstes stürzten. Der „Spiegel“ ging auf verschiedene Dinge konkret ein. Im Falle Reifferscheidts wurde unverhüllt von „Separatismus“ gesprochen, im Falle Blankenhorns die Beflissenheit unterstrichen, mit der dieser den Anliegen des französischen Beauftragten willfuhr. Adenauer erschien als derjenige, der diese Kontakte mit Wohlwollen tolerierte, aber zu seinem Schutz nicht direkt damit behelligt wurde. Schmeisser ließ sich am 18. Dezember 1952 bei seiner Vernehmung in Gräfelfing dazu folgendermaßen aus: 80 Blankenhorns Interessen lagen auf politischem Gebiet. Man sprach 75 76 77 78 79 80
Jens Daniel, „Der Demokratie eine Chance“, in: „Der Spiegel“, Nr. 21/1952, 21.5., S. 3-6. Vgl. auch Greiwe, Augstein, S. 40-42. Köhler, Rudolf Augstein, S. 102f., 107. „Le Monde“, 10.7.1952: „L’Hebdomadaire allemand ‘Der Spiegel’ est saisi à Bonn“. Teegespräche 1950-1954, Nr. 33, hier: S. 322-324. Dazu Koch, Konrad Adenauer, S. 422f. „Der Spiegel“, Nr. 31/1952, 30.7., S. 34: „Briefe“. PA/AA, B 130, Bd. 13798, und B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 97-99, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Gräfelfing, 18.12.1952.
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deshalb sowohl über nachrichtendienstliche als auch über politische Fragen. Die von Blankenhorn bestrittene volle Zustimmung Adenauers wurde laut Schmeisser seinerzeit immer wieder von Blankenhorn beteuert. Dieser habe ihm Unterlagen u.a. von vertraulichen Sitzungen politischer Parteien überreicht. Der „Spiegel“ besitze zwei derartige Berichte. Die Mitteilungen Blankenhorns betrachtete er als Berichterstattung. Die Liste von 10-12 Namen bezog sich auf Personen, die an verantwortlicher Stelle in französischem Sinne aktiv sein würden. Unter „internen Vorgängen“ verstand Schmeisser Folgendes: 81 Blankenhorn wollte beispielsweise wissen, was Frankreich von Josef Gockeln oder Adolf Süsterhenn als etwaigem Nachfolger Adenauers hielte. 82 Drastisch soll sich Adenauer über Josef Müller geäußert haben, den er „mit einem im Misthaufen grunzenden Schwein“ verglichen habe. 83 Blankenhorn erzählte aus eigenem Antrieb von den Beziehungen Günter Gerekes 84 zum Osten. Ähnliches gelte für Schumachers Kontakte mit den Engländern und mit der SED. Er berichtete zudem über Besuche von Politikern aus der Ostzone. Blankenhorn legte seine Vorstellungen über die künftige Besetzung des Auswärtigen Amtes offen und sagte, bestimmte Leute würden nicht berücksichtigt. Blankenhorn wurde als V-Mann Schmeissers stilisiert. Angeblich erfüllte er eilfertig alle Wünsche des Agenten, egal ob Material oder Auskünfte erbeten wurden. Der umfassende Charakter dieser „Berichterstattung“ wird betont. Die Geheimhaltung vor den Briten – „Am Telefon vorsichtig“ – weckte Assoziationen an Adenauers Entlassung durch Barraclough und ließ der Phantasie der Leser die Zügel schießen. Mit welcher Selbstverständlichkeit nahm Blankenhorn „Geschenke“ an! Der Geschäftsführer der CDU fand zudem offenbar nichts dabei, wenn er den Vermittler für Geldbeträge spielte, die nachrichtendienstlichen Zwecken zugute kamen und der Bekämpfung des Kommunismus dienten. Was im Parlamentarischen Rat geschah, meldete Blankenhorn lückenlos den einheitsfeindlichen Franzosen: „geradezu stoßweise“ erhielten sie Protokolle. Wenn die Rote Armee einmarschierte, brauchten Adenauer und Blankenhorn nicht um ihr Leben zu fürchten, denn sie sollten rechtzeitig ins Ausland gebracht werden. Adenauer wollte gleich seine ganze Verwandtschaft evakuieren lassen! Die Bundesbürger hingegen mußten die Willkür der kommunistischen Eroberer erdulden. Wollte Blankenhorn nach Paris, halfen ihm seine französischen Freunde ohne Säumen, denn damals waren Reisen mit erheblichen Schwierigkeiten befrachtet. Die knapp zugunsten der CDU/CSU ausgegangene Bundestagswahl wurde vielleicht durch französisches Geld entschieden. Diese mehrfach eingestreuten versteckten Spitzen besaßen zweifelsohne eine stark abwertende Tendenz. All dies sollte sich durch Protokolle beweisen lassen. Die Betroffenen wurden ziemlich unverhüllt zur Rechtfertigung aufgerufen. 81 82 83 84
PA/AA, B 130, Bd. 13798, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Gräfelfing, 9.10.1952, hier: S. 4f. So Schmeisser auch bei der Vernehmung in Kehl am 16.1.1952 (BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 35-42, hier: Bl. 37) und Dorothy Schretzmair am 3.12.1953 in der Voruntersuchung (PA/AA, B 130, Bd. 13796). Ähnlich Dorothy Schretzmair am 3.12.1953 in der Voruntersuchung (ebd.). Zur negativen Haltung Adenauers gegenüber Müller: Schwarz, Adenauer, Bd. 1, S. 610. Vgl. auch Müller, Konsequenz, S. 352f. Günter Gereke (1893-1970) opponierte in der DNVP gegen Alfred Hugenbergs Anti-Weimar Kurs. Unter Reichskanzler Schleicher und kurzzeitig auch unter Hitler war er Reichskommissar für Wiederbeschäftigung. Im Jahre 1946 kam er in britischer Uniform aus der SBZ nach Niedersachsen. Dort avancierte er wie zuvor in Sachsen-Anhalt (!) zum Innenminister und im August 1948 zum Landesvorsitzenden der CDU. Er forderte 1949/50 vehement eine große Koalition und den Vorrang für die deutsche Wiedervereinigung; daraufhin überwarf er sich mit Adenauer. Als Gereke Anfang 1950 eigenmächtig in die SBZ fuhr und sich mit Ulbricht traf, wurde er im Juni nach einem Parteiausschlußverfahren aus der CDU geworfen und verlor auch sein Amt als Landwirtschaftsminister von Niedersachsen. Im Jahre 1952 setzte er sich in die DDR ab (Heitzer, CDU, S. 289f.; Becker, CDU und CSU, S. 147; Tauber, Beyond Eagle and Swastika, S. 182-185, S. 1065f. und 1069f., Anm. 130-133, 144; Stöss, Deutsch-Soziale Union, S. 1266f. mit Anm. 71; Roewer/Schäfer/Uhl, Lexikon, S. 165; Knabe, Unterwanderte Republik, S. 56; Wolf, Spionagechef, S. 97f.).
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In einer besonders für Hallstein und Adenauer bestimmten „Dienstliche[n] Erklärung“ vom 29. Juli 1952 85 erinnerte Blankenhorn nachdrücklich an die spezifischen Zeitumstände von 1948/49: das Fehlen einer Bundesregierung und die dadurch bedingten Kontakte zonaler Stellen und Parteibüros zu Verbindungsstäben der Alliierten. Des weiteren müßten die außenpolitischen Spannungen im Zusammenhang mit der Blockade Berlins bedacht werden. Blankenhorn wollte also unmißverständlich zum Ausdruck bringen, wie die unbestreitbaren Unterredungen mit einem französischen Verbindungsmann zu bewerten seien, nämlich als praktische Notwendigkeit in einer Zeitspanne, die nicht mit den Maßstäben politischer und diplomatischer Normalität gemessen werden konnte. Am 9. Dezember 1952 sagte Blankenhorn in seiner Dienststelle detailliert gegenüber dem Bonner Staatsanwalt Henke aus. 86 Als Levacher sich im Sommer 1948 bei ihm vorstellte, habe er ihn für einen Lothringer oder Elsässer gehalten, zumal er sich entsprechend auswies. Erst anderthalb Jahre später habe er erfahren, daß Levacher in Wirklichkeit Schmeisser hieß. Die insinuierten Vertuschungsversuche der Bundesregierung („kühnste Kombinationen“) seien reine Erfindung. Schmeisser sei – im nachhinein betrachtet – lediglich ein untergeordneter Spitzel gewesen. Deshalb könne von einem Agentennetz überhaupt keine Rede sein! Mindestens bis zur Jahreswende 1951/52 sei Schmeisser als Agent in Saarbrücken tätig gewesen; möglicherweise arbeitete er damals schon für das LfV Hessen. Im Oktober 1951 sei Dorothy Schretzmair bei Strohm aufgetaucht und habe Angebote gemacht, die sie mit Drohungen verband. Daraufhin wurde das BfV eingeschaltet. Dieses wandte sich dann an das hessische LfV. Ansonsten habe die Bundesregierung nichts unternommen, auch nicht in Wiesbaden. Bei Adenauer sei Schmeisser nur einmal zu einer allgemeinen Unterhaltung gewesen. Natürlich übertreibe Schmeisser mit der Behauptung, alle der CDU verfügbaren Materialien erhalten zu haben! Der beiderseitige Kontakt sei durch Blankenhorns Stellung als Generalsekretär bedingt gewesen, nicht etwa durch eine Vollmacht Adenauers. Im übrigen sei nie von Adenauers voller Zustimmung die Rede gewesen. Schmeisser kam alle 10 bis 14 Tage in die Geschäftsstelle, „überfiel“ ihn auch „spät nachts“ in seiner Privatwohnung und nahm am Abendessen teil. Ein einziges Mal reiste er (Blankenhorn) nach Boppard, um auf die mangelhafte Vorbereitung der Westalliierten gegen einen sowjetischen Angriff hinzuweisen. Man unterhielt sich zwar über alles mögliche, doch „Berichterstattung“ könne man dies nicht nennen. Dabei fielen auch Namen von Leuten, denen ein besonderes Interesse an der deutsch-französischen Verständigung zuzutrauen sei. Konkrete innen- und außenpolitische Pläne der CDU habe er mit Schmeisser nicht erörtert. Angaben zu den erwähnten Personen konnte er (Blankenhorn) damals kaum machen, denn er kannte sie nur wenig. Niemals habe er Schmeisser geheimes Material gegeben! Was Blankenhorn dem Gericht natürlich nicht sagte, war, daß er selbst bei Kriegsende eine Aufteilung Deutschlands regelrecht herbeisehnte.87 Im Jahr 1948 tagten in Paris die Nouvelles Equipes Internationales. Da er (Blankenhorn) für diese Reise ein Visum benötigte, bat er Schmeisser um dessen Beschaffung. Es ging also keineswegs um diplomatische Verhandlungen, und es gab nichts zu verheimlichen. Schmeissers Vorgesetzter Durtal stellte einen Wagen zur Verfügung, der Blankenhorn über Pirmasens nach Saarbrücken brachte. Dann fuhr er mit der Eisenbahn nach Paris. Schmeisser hatte einen Freifahrtschein der Militärregierung besorgt.
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BA, B 136, Bd. 241; PA/AA, B 2, Bd. 354A. PA/AA, B 130, Bd. 13796, und B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 96ff. Tagebücher von Marie Wassiltschikow, 28.1.1944 (zit. nach Ramscheid, Blankenhorn, S. 72).
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Schmeisser nahm am 18. Dezember 1952 bei einer Vernehmung in Gräfelfing durch den Bonner Staatsanwalt Henke dazu Stellung. 88 Er beharre darauf, durch Reifferscheidt bei Blankenhorn eingeführt worden zu sein. Zudem habe er sich durchaus als Mitglied des französischen Nachrichtendienstes unter dem Namen Levacher zu erkennen gegeben. Die „kühnsten Kombinationen“ stammten von Mans, nicht von ihm (Schmeisser). Darauf verwies er ausweichend auch bei einem anderen Punkt: Blankenhorn hatte ausgesagt, Schmeisser sei Ende 1951 durchaus noch für den französischen Geheimdienst tätig gewesen; ferner hatte Blankenhorn das BfV zu diesem Zeitpunkt gebeten, Schmeisser zu beobachten, nachdem Schretzmair bei Strohm aufgetaucht war. Blankenhorn sagte aus, die Bundesregierung sei nicht bei der hessischen Landesregierung vorstellig geworden. Hinsichtlich der Abwehr kommunistischer Bestrebungen hatte er durchaus eine führende Position inne und auch ein Agentennetz aufgebaut. Niemals behauptete er, zur Spitze des französischen Agentenapparates zu gehören! Niemals nannte er Adenauer, Blankenhorn oder Reifferscheidt seine Agenten! Es gab eine Zusammenarbeit „auf nachrichtlichem und allgemein politische[m] Gebiet“. Die Formulierungen in den Protokollen lägen nicht in seiner Verantwortung. Was Blankenhorn über die Beobachtung kommunistischer Umtriebe sage, treffe im wesentlichen zu. Der genaue Anlaß von Blankenhorns Reise nach Paris war Schmeisser nicht mehr in Erinnerung, aber dieser wollte jedenfalls unbeobachtet fahren und sich mit Leuten treffen, die er von früher kannte. Blankenhorn sei insofern „schwarz“ über die Grenze gefahren, als er zweifellos keine Papiere besaß, die ihn bei Pirmasens zum Grenzübertritt berechtigten. Indessen gibt es substantielle Hinweise darauf, daß Blankenhorn im Dezember 1948 in Paris hochrangige Gesprächspartner hatte. 89 Die Abfassung des Artikels bzw. der ihm zugrundeliegenden Niederschrift bei der Besprechung zwischen ihm (Schmeisser), Mans und Ziebell sei allein Sache von Mans. In Schmeissers Verantwortung fielen lediglich die Fakten. In seiner Münchner Vernehmung vom 2. Dezember 1953 machte Schmeisser aufschlußreiche zusätzliche Angaben. 90 Er habe Blankenhorn gleich gesagt, er käme vom französischen Nachrichtendienst. Blankenhorn hatte ja bereits einen Verbindungsmann bei der französischen Militärregierung, der ein gutes Verhältnis zu ihm pflegte. Gemeint ist wahrscheinlich Jean Laloy 91, den Hans-Peter Schwarz Blankenhorns „alten Gefährten“ 92 nennt. Blankenhorn habe bei ihren Unterredungen stets betont, in Übereinstimmung mit Adenauer zu handeln, und um Geheimhaltung gebeten. Dabei erinnerte Blankenhorn daran, daß man sich auf dem Besatzungsgebiet von Briten bzw. Belgiern befinde. Dokumente, die sich nicht auf kommunistische Umtriebe bezogen – wie etwa das Protokoll einer internen Versammlung der IG Bergbau – seien über Durtal an geeignete französische Dienststellen weitergeleitet worden. Blankenhorn habe Schmeisser einmal eine Liste von 6-8 Leuten übergeben, die zu einer Zusammenarbeit mit Frankreich bereit wären, und die Absicht zu Vorleistungen an Frankreich bekundet; 93 das sei der Zweck mancher Mitteilungen. Schriftliche
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PA/AA, B 130, Bd. 13798, und B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 97-99, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Gräfelfing, 18.12.1952. Der Parlamentarische Rat, Bd. 8, S. XXXIV mit Anm. 204. PA/AA, B 130, Bd. 13798, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in München, 2.12.1953, hier: S. 7-10. Laloy, Konrad Adenauer, S. 603. Laloy und François de Laboulaye waren mit der Pflege von Kontakten zum Parlamentarischen Rat beauftragt. Dazu auch Der Parlamentarische Rat, Bd. 8, S. XVI-XIX; Weber, Carlo Schmid, S. 325; BDFD IV, S. 252. Ramscheid, Blankenhorn, S. 136, unterschätzt Blankenhorns gute Verbindungen zu französischen Diplomaten. Schwarz, Adenauer, Bd. 2, S. 440. So auch am 22.11.1951 in Wiesbaden (BA, B 136, Bd. 240, Protokoll der Vernehmung Schmeissers, hier: S. 28).
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Unterlagen erhielt Schmeisser nur in bezug auf den Parlamentarischen Rat und die kommunistischen Umtriebe. Schmeisser gab bei anderer Gelegenheit an, er habe den Weg zu Adenauers erster Begegnung mit Robert Schuman gebahnt. 94 Bekanntlich trafen sich Schuman und Adenauer im Oktober 1948 in Bassenheim bei Koblenz. 95 Der Quai d’Orsay habe positiv auf einen entsprechenden Vorschlag Blankenhorns reagiert. Es ist freilich zweifelhaft, ob Adenauer wirklich durch Fürsprache Schmeissers mit Bidault und Schuman zusammentraf. Er hatte damals einen aus dem Saargebiet stammenden Freund namens Johann Jakob Kindt-Kiefer 96, der in der Schweiz wohnte. Nach Aussage des SPD-Bundestagsabgeordneten Heinrich Ritzel war es dieser einflußreiche Industrielle, der die sich im „Genfer Kreis“ verdichtenden Kontakte knüpfte. 97 Kindt-Kiefer – 1945 Gründer der Christlichen Nothilfe – soll in jener Zeit des Mangels Adenauer in der grenznahen Stadt Weil am Rhein viele Lebensmittel übergeben haben. Das klingt vertraut... Kindt-Kiefer überwarf sich später mit Adenauer nach einer gescheiterten Vermittlungsaktion im Saarland im September 1955. 98 Er war 1957 sogar bereit, der SPD im Wahlkampf zu helfen. Laut Kindt-Kiefer schlug Adenauer 1949 Bidault als Wahlhilfe für die CDU vor, Frankreich möge verhindern, daß das sozialdemokratisch geprägte West-Berlin ein Bundesland werde. 99 Felix von Eckardt gab in einer Pressekonferenz vom 11. November 1959 recht gewundene Erklärungen zu dieser publik gewordenen Behauptung ab. 100 Ein strafrechtliches Vorgehen gegen den einstmals für die deutsch-französische Verständigung verdienstvollen Kindt-Kiefer sei keineswegs beabsichtigt. Schmeissers Darlegungen wohnt eine defensive Grundtendenz inne. Er verteidigte die Kernaussagen von „Am Telefon vorsichtig“, legte es aber nicht auf reißerische Thesen an. Blankenhorn erinnerte mit Recht an zeitspezifische Umstände von 1948/49: die große Sorgen bereitende Blockade Berlins durch die Sowjetunion und das Fehlen einer deutschen Zentralregierung, wodurch informelle Kanäle für den Verkehr mit den Alliierten benutzt werden mußten. Blankenhorn räumte ein, daß die von Schmeisser erwähnten Themen angesprochen worden waren. Seine Strategie bestand darin, den praktizierten Meinungsaustausch als unverbindliche Vorbereitung des später in die Wege geleiteten deutschfranzösischen Rapprochement hinzustellen. Was die zu vermutende öffentliche Wirkung anbetrifft, so barg Blankenhorns Vorhaben ein unübersehbares Risiko in sich: Indem er sowohl das Stattfinden der Gespräche als auch die Erörterung der genannten Inhalte konzedierte, bescheinigte er Schmeisser eine gewisse Glaubwürdigkeit. Das Publikum erfuhr: Was Schmeisser behauptete, hatte sich so ähnlich ereignet. Gewiß, bei den Einzelheiten bestritt Blankenhorn manches. Dies war auch beileibe nicht unwichtig. Indessen mochte der Eindruck entstehen, der Streit um Details und um die Verbindlichkeit der Äußerungen sei ein solcher „um des Kaisers Bart“. Schlagwörter wie „Separatismus“, „deutsche Vorleistungen“ 94 95
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BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 13-17, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Freiburg, 16.1.1952, hier: Bl. 15. Schreiben Adenauers an Schuman, Anfang Januar 1950, in: Adenauer. Briefe 1949-1951, Nr. 168, hier: S. 155; Adenauer, Erinnerungen 1950-1953, S. 12; vgl. auch Köhler, Adenauer, Bd. 2, S. 39f.; Lappenküper, Deutsch-französische Beziehungen, S. 317 mit Anm. 7. Zu Kindt-Kiefer und seinem Verhältnis zu Adenauer: Jungnickel, Kabale. Jungnickel war in den 1950er Jahren ein Journalist, der sich im Umfeld neutralistischer Gruppierungen bewegte. In seinem methodisch unbefriedigenden Buch benutzt er interessante Quellen, ist allerdings ein scharfer Kritiker Adenauers. AdsD, NL Heine, Bd. 146, und NL Ritzel, Bd. 1195, Schreiben Ritzels an Heine, 18.3.1957. Weiteres Material dazu in: NL Ritzel, Bd. 238. Zum Genfer Kreis: Gehler, Begegnungsort. Zur Rolle Kindt-Kiefers: Ebd., S. 644-647; Schmitz, Westdeutschland, S. 363f., 372; Jungnickel, Kabale, S. 400f. Dazu Elzer, Im Dienste, Teil III, Kap. VII.1b. AdsD, NL Heine, Bd. 146, Aktennotiz Kindt-Kiefers, 27.8.1957. Eine ähnliche Äußerung Blankenhorns über West-Berlin ist belegt (Ramscheid, Blankenhorn, S. 137). Auszug in: BA, B 137, Bd. 3436.
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und „Weitergabe vertraulicher Informationen“ blieben im Gedächtnis haften. Blankenhorn hatte in dieser Angelegenheit schlechte Karten. Sein langes Zögern und Schweigen verbesserte seine Chancen nicht gerade. Doch prüfen wir nun die Details! 3) DICHTUNG UND WAHRHEIT: STRITTIGE EINZELHEITEN DES „SPIEGEL“-ARTIKELS a) Der „Speidel-Plan“ – Verrat militärischer Geheimnisse? Der „Speidel-Plan“ war laut Schmeisser ein mehrseitiges, mit Schreibmaschine erstelltes Gutachten, das Blankenhorn ihm vorlas. 101 In diesem Fall bat er Schretzmair ausdrücklich darum, keine Notizen zu machen. Der Plan sah vor, die Verteidigung des Westens nicht am Rhein – wie damals von des Westmächten vorgesehen 102 –, sondern in den Gebirgen vorzunehmen. Am 9. Dezember 1952 beteuerte Blankenhorn 103, ein „Speidel-Plan“ existiere nicht. Über die Verteidigung Westdeutschlands im allgemeinen möge geredet worden sei, doch ohne jede Geheimniskrämerei. Schmeisser erwiderte am 18. Dezember 1952104, er wolle die Ausführungen Speidels weiterhin als „Plan“ bezeichnen, zumal darin auch von Partisanenverbänden die Rede gewesen sei. Hans Speidel besaß beste Verbindungen nach Frankreich, seit er dort von 1933 bis 1935 als Militärattaché tätig gewesen war. 105 Dies machte ihn als Gesprächspartner für Adenauer interessant. Adenauer sagte dazu am 17. Mai 1954 Folgendes: 106 Er habe General Speidel bis 1948 nicht gekannt. Speidel suchte ihn auf, als er beim Generalsekretär des Parlamentarischen Rats, Köster, zu Besuch weilte. Seine (Adenauers) Absicht sei gewesen, mit Speidel über die Verhältnisse in der sowjetischen Besatzungszone zu sprechen. Auf seinen Wunsch habe der General eine kurze Aufzeichnung über eine etwaige militärische Konfrontation zwischen der UdSSR und den Westmächten verfaßt. Ob Blankenhorn dieses Schriftstück an Levacher weiterleitete, sei ihm nicht bekannt. Er könne auch nichts über den Verbleib sagen. Speidel behauptete in Vernehmungen am 30. August 1952 und am 15. Februar 1954, bei dem angeblichen „Speidel-Plan“ handele es sich nur um hingeworfene Notizen. 107 In seinen Memoiren beschrieb er später, worum es ging. 108 Im Frühling 1948 wurde Speidel von der bayerischen und der württembergisch-hohenzollerischen Regierung unabhängig voneinander um ein Memorandum über die Sicherheitslage in Westeuropa ersucht. Er erstellte zwei verschiedene Dokumente, in denen ein deutscher Verteidigungsbeitrag nur am Rande erwähnt wurde. In der knappen Aufzeichnung für München trat er für ein europäisches Oberkommando ein und für deutsche Gleichberechtigung bei den Verteidigungsanstrengungen. Umfangreicher fiel sein Gutachten für Tübingen aus. Speidel betrachtete Mitteleuropa nur als untergeordneten Schauplatz einer amerikanisch-sowjetischen Auseinandersetzung. Er beschwor die Stärke der Roten Armee, forderte aber nur indirekt durch Berufung auf den amerikanischen Publizisten Robert Ingrim deutsche Landstreitkräfte. 101 102 103 104 105 106 107 108
PA/AA, B 130, Bd. 13798, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in München, 2.12.1953, hier: S. 9; Ebd., Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Gräfelfing, 9.10.1952, hier: S. 4. Greiner, Planungen, Kap. IV. PA/AA, B 130, Bd. 13796, und B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 96ff. PA/AA, B 130, Bd. 13798, und B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 97-99, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Gräfelfing, 18.12.1952. Schwarz, Adenauer, Bd. 1, S. 754f.; Ramscheid, Blankenhorn, S. 106, 153. BA, B 136, Bd. 241. PA/AA, B 130, Bd. 13797. Speidel, Aus unserer Zeit, S. 248-255. Vgl. auch Schwarz, Adenauer, Bd. 1, S. 731f. Mansfeld schreibt in seinem historischen Roman mit viel Phantasie, Speidels Ausarbeitung sei Grundlage des Pleven-Plans vom Herbst 1950 für eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft gewesen (Mansfeld, Bonn, S. 302).
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Anfang Dezember 1948 vermittelte Speidels alter Ordonnanzoffizier Rolf Pauls auf Wunsch Adenauers eine Besprechung mit ihm, die am 14. Dezember stattfand. In dem sachlichen Gespräch erweckte Adenauer nicht den Eindruck, in militärischen Dingen beschlagen zu sein. „Gegen Ende der Unterredung schien er außerordentlich interessiert und bat mich, die vorgetragenen Gedanken in einem Aide-Mémoire niederzulegen, was ich an Ort und Stelle mit Herbert Blankenhorn zusammen ausführte.“ Dabei wurde das frühere Memorandum aktualisiert. Blankenhorn trat Adenauer gegenüber für die darin enthaltenen Gedanken ein. Speidel bezog sich „diesmal stärker auf die Bedrohung speziell Westdeutschlands“. Die Alliierten wollten ihre Verteidigung nicht mehr an den Pyrenäen, sondern am Rhein aufbauen. Speidel sah darin Gefahren und meinte, der Rhein könne nur gehalten werden, sofern „einheitliche deutsche Sicherungsverbände im Rahmen einer europäischen Armee“ gebildet würden. Er verlangte moderne Bewaffnung und verwies darauf, wie sehr dies zu einer politischen Einigung Europas beitragen könnte. Adenauer nahm die Denkschrift kommentarlos in Empfang. Diese Schilderung beweist, daß Schmeissers Angaben in diesem Punkt richtig sind. Warum Speidel gegenüber den Justizbehörden von „hingeworfenen Notizen“ sprach, bleibt rätselhaft. Am 11. Mai 1953 trafen in der Hamburger Redaktion des „Spiegel“ Schmeisser, Schretzmair, Mans, Volkmar, Jaene und Augstein zusammen. 109 Zum „Speidel-Plan“ hieß es dabei, der General bestreite, Blankenhorn Einsicht in den Plan gegeben zu haben. Die Redakteure des „Spiegel“ glaubten, im Prozeß werde Speidel „mehr zugeben“. Rechtsanwalt Josef Augstein wies am 30. Mai 1953 darauf hin, daß zu gegebener Zeit vielleicht präzisiert werden müßte, wo der Unterschied zwischen „schriftlich niedergelegten Gedankengängen“ und einem „Plan“ liege. 110 Im Prozeß hätte Speidel tatsächlich Farbe bekennen müssen. Hatte jemand Speidel nahegelegt, das ausgearbeitete und Schmeisser vorgelesene Schriftstück herunterzuspielen? Natürlich hatte er das Exposé nicht gründlich reflektiert, aber es war eine zusammenhängende Darstellung mit klaren Aussagen. Blankenhorns Angaben zu diesem Aspekt müssen jedenfalls als unzutreffend bezeichnet werden: Die Konzeption des Generals mochte auf spontanen Formulierungen fußen, beruhte aber auf langfristig angestellten Überlegungen. Eine unverbindliche Improvisation lag keinesfalls vor. Blankenhorn hatte von einem solchen Eingeständnis zweierlei zu fürchten, sieht man einmal von der Opportunität des Durchsickerns frühzeitiger Gedankenspiele über deutsche Wehrhaftigkeit ab: 1) Die Mitteilung militärischer Überlegungen deutscher Generale an einen undurchsichtigen Beauftragten der französischen Besatzungsmacht. 2) Eine Bestätigung der Richtigkeit hätte die Glaubwürdigkeit Schmeissers gestärkt. Blankenhorn hatte sich in diesem Punkt vergaloppiert und mußte seine Erörterung in der Öffentlichkeit vermeiden.
b) Protokolle des Parlamentarischen Rates – unzulässige Weitergabe vertraulicher Dokumente? Schmeisser machte am 9. Oktober 1952 in Gräfelfing nähere Angaben über die Dokumente des Parlamentarischen Rates, die er von Blankenhorn bekam, und die Art und Weise ihrer Übermittlung. 111 Es habe sich um Kurzprotokolle der Fachausschüsse gehandelt sowie um vertrauliche Pressedienste, die für die Abgeordneten bestimmt waren. Wenn im Wiesbadener 109 110 111
BA, B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 107-110, Betrifft: Besuch bei Konrad Schmeisser am 14. und 15. Mai 1953 in München, Geheim, hier: Bl. 108. BA, B 141, Bd. 12083, Schreiben Josef Augsteins an Landgericht Hannover, 30.5.1953, hier: S. 27. PA/AA, B 130, Bd. 13798, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Gräfelfing, 9.10.1952, hier: S. 3f.
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Protokoll vom 22. November 1951 allerdings von „Kabinettsbeschlüssen“ die Rede sei, so liege ein ihm nicht erklärliches Versehen vor. Es gebe darin auch noch weitere kleine Fehler. Blankenhorn bestätigte am 9. Dezember 1952112, daß Schmeisser die Kurzprotokolle des Parlamentarischen Rates von ihm erhalten habe; diese gingen ohnehin an die Militärregierungen, viele Dienststellen, die Presse und einzelne Persönlichkeiten. Schmeisser war als „Mitglied der französischen Militärregierung“ legitimiert. Der in diesem Zusammenhang gebrauchte Begriff „Vorleistungspflicht“ führe in die Irre. Kurt Wernicke, Regierungsdirektor beim Deutschen Bundestag, äußerte sich am 27. April 1954 über die Zulässigkeit der Übergabe von Kurzprotokollen des Parlamentarischen Rates durch Blankenhorn an französische Dienststellen. 113 Die 59 Sitzungen des Hauptausschusses waren öffentlich. Dies galt nicht für die Sitzungen der Fachausschüsse, deren Kurzprotokolle jedoch in großem Umfang verteilt wurden. Durch den Ausschluß der Öffentlichkeit sollte lediglich eine freie Diskussion ermöglicht werden. Die Kurzprotokolle enthielten nichts Geheimes. Blankenhorn hatte als Vertrauensmann Adenauers Zugriff auf das gesamte Material, das Wernickes Erinnerung nach sogar offiziell durch dessen Hände lief. Die Kurzprotokolle gingen an alle im Parlamentarischen Rat vertretenen Fraktionen und alle Abgeordneten. Zum Verteiler gehörten auch die alliierten Militärbehörden, so daß sich ein französischer Nachrichtendienst darum nicht zu bemühen brauchte. Ein „ehrenrühriger Vorwurf“ lasse sich also aus der Abgabe der Protokolle nicht ableiten. Dieser Einschätzung ist nichts hinzuzufügen. Der Aspekt kann als belanglos bezeichnet werden. Rechtsanwalt Josef Augstein bewertete die Weitergabe von geheimem Material an die Besatzungsmacht Frankreich so: „Was Blankenhorn tat, war somit rechtlich und moralisch zulässig, wenn auch evt. politisch unfair und unzweckmäßig.“ 114 Blankenhorn erblickte darin im Gegenteil einen wohlfeilen Service, den er französischen Institutionen leistete.
c) Kooperation gegen den Kommunismus und ihre Bezahlung – Agententätigkeit für Geld und Geschenke? Dorothy Schretzmair sagte am 16. Januar 1952 in Kehl und am 3. Dezember 1953 in der Voruntersuchung unter Eid Folgendes aus: 115 Es bestand über Schmeisser und Blankenhorn eine Verbindung zwischen der BDoc und dem „Dienst der CDU (...), der sich gegen östliche Einflüsse wandte“. Ein gewisser Ruppert aus Gelsenkirchen lieferte Blankenhorn Material über Ostagenten im Ruhrgebiet. Ruppert erhielt sein Geld über Schmeisser von Blankenhorn, weil er eine Bezahlung durch die Franzosen ablehnte. Blankenhorn mußte dafür keine Quittungen ausstellen. 116 Im Auftrag Durtals beschäftigte Schmeisser in Boppard mehrere Agenten, von denen Schretzmair einige namentlich nennen konnte. Dorothy schrieb nicht nur Berichte, sondern prüfte auch manchmal bei Reisen an die Ruhr nach, ob die Angaben
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Ebd., Bd. 13796, und B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 96ff. PA/AA, B 130, Bd. 13797. BA, B 141, Bd. 12083, Schreiben Josef Augsteins an Landgericht Hannover, 30.5.1953, hier: S. 15. BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 13-17, Protokoll der Vernehmung Dorothy Schretzmairs in Kehl, 16.1.1952, hier: Bl. 14-15; PA/AA, B 130, Bd. 13796, Protokoll der Vernehmung Dorothy Schretzmairs in München, 3.12.1953, hier: S. 15. So auch Schmeisser bei einer Vernehmung in München (PA/AA, B 130, Bd. 13798, Protokoll der Vernehmung Schmeissers, 2.12.1953, hier: S. 9). Er selbst habe bei der Abrechnung mit Durtal schriftlich auf die Verwendung dieser Mittel hingewiesen.
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stimmten. Bei einer anderen Vernehmung nannte sie einen Betrag von 150 bis 300 DM monatlich, den Blankenhorn für das Material von Ruppert erhalten habe. 117 Dr. Arthur Ruppert (1893-1972) trat im übrigen in der Frühzeit der CDU mehrfach in Erscheinung und wurde bei Tagungen des Zonenausschusses als „Pressereferent“ mit Wohnsitz in Hamburg bzw. Gelsenkirchen (ab August 1946) und schließlich Köln (ab April 1947) geführt. 118 Die SPD erfuhr 1953 von einem Mann, der in einer regierungsnahen „Tarnorganisation“ tätig sei. Er solle wohl als Zeuge den Erhalt von Geldern bestätigen, wodurch Blankenhorn „von dem Odium befreit würde, der ‚letzte Empfänger’ gewesen zu sein.“ 119 Am 10. Februar 1954 wurde der Journalist Dr. Arthur Ruppert in Bonn vernommen. 120 Er war 1947/48 Leiter einer antikommunistischen Organisation. Ruppert handelte weder im Auftrag des Staates noch einer Partei, sondern aus Überzeugung. Die nötigen Gelder erhielt er von verschiedenen Seiten. Adenauer war über Rupperts Tätigkeit unterrichtet. Die Zonenleitung der CDU bekam von ihm Material über kommunistische Aktivitäten. Die CDU trug zu seiner Finanzierung bei. Er erhielt die Gelder von Blankenhorn. Es handelte sich um Beträge von 150 bis 300 DM, die in „unregelmäßigen Zeitabständen“, aber doch alle vier bis fünf Wochen flossen. Ruppert sprach mit Blankenhorn nicht darüber, woher das Geld kam und zu wem das Material ging. Ruppert merkte nichtsdestoweniger, für wen die Unterlagen bestimmt waren: für die französische Besatzungsmacht. Er vermutete, daß auch das Geld aus französischer Quelle stammte. Am 9. Dezember 1952 erläuterte Blankenhorn die Hintergründe: 121 Infolge der Berliner Blockade war Schmeisser besonders daran gelegen, Näheres über die Absichten der UdSSR zu erfahren. Es ging um sowjetische Agenten und kommunistische Parteiorgane in Westdeutschland. Entsprechende Verbindungen der CDU kämen ihm sehr gelegen. Blankenhorn sagte ihm – wie auch Vertretern anderer Militärregierungen – seine Hilfe zu. Da es keine deutschen Verfassungsschutzorgane gab, schienen die Parteibüros geeignet, Nachrichtenmaterial im Interesse der Bevölkerung einzusetzen. Die CDU verfügte über Vertrauensmänner in allen Zonen. Hinzu kamen das Fehlen einer zentralen deutschen Regierungsgewalt und die Auskunftspflicht von Landes- und Parteidienststellen gegenüber den Alliierten, die dafür spezielle Verbindungsoffiziere besaßen. Bei den Geldzahlungen spielte er (Blankenhorn) nur den Vermittler. Das von Schmeisser gewünschte Material über kommunistische Bestrebungen ließ sich über einen Vertrauensmann der CDU, Dr. Arthur Ruppert aus Gelsenkirchen, beschaffen. Blankenhorn leitete die monatlichen Beträge an Ruppert weiter. Schmeisser bemerkte am 18. Dezember 1952 bei einer Vernehmung in Gräfelfing 122, er erinnere sich nicht mehr an den Anlaß von Blankenhorns Besuch in Boppard. Ob Blankenhorn die Gelder weitergeleitet habe, könne er nicht sagen; Ruppert sei er nie begegnet. 117 118
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BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 26-28, Protokoll der Vernehmung D. Schretzmairs in Wiesbaden, 15.11.1951, hier: Bl. 26. Konrad Adenauer und die CDU der britischen Besatzungszone, S. 118, 124, 140, 142, 144, 162, 184, 214, 247, 305, 324, 458, 479; Heitzer, CDU, S. 124f., 352. Ruppert nahm auch an der zweiten Sitzung des Zonenverbindungsausschusses der CDU in Frankfurt a.M. am 12.4.1946 teil (Die Unionsparteien 1946-1950, Nr. 2). Knappe Angaben zur Person ebd., S. 781. PPP-Inf. 78/1953, 15.7.: „Spiegel-Prozeß“. PA/AA, B 130, Bd. 13797. – Rupperts Tätigkeit ist mit dem Ostbüro der SPD zu vergleichen. Dieses hat jedoch offenbar keine Kontakte mit dem französischen Geheimdienst unterhalten und nur lockere Beziehungen mit dem britischen und dem amerikanischen Nachrichtendienst gepflegt (Buschfort, Ostbüro, S. 57-64, bes. S. 63). PA/AA, B 130, Bd. 13796, und B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 96ff. PA/AA, B 130, Bd. 13798, und B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 97-99, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Gräfelfing, 18.12.1952.
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Schmeisser hatte am 22. November 1951 in Wiesbaden ausgesagt, Blankenhorn habe einen bestimmten Grund dafür gehabt, eine direkte Verbindung zwischen Ruppert und ihm (Schmeisser) zu vermeiden. 123 Dieser sollte glauben, sein Material komme ausschließlich der CDU zugute. Realiter gingen die Berichte im Original an Schmeisser. Schmeisser erläuterte am 9. Oktober 1952 124, Blankenhorn habe 150 DM monatlich gefordert, die er für ein Spezialbüro zur Beschaffung des gewünschten Materials über kommunistische Aktivitäten benötigte. Die Zonenleitung der CDU dürfe dies nicht offiziell betreiben. Schmeisser sollte auch keinen direkten Kontakt mit den Verbindungsleuten haben. Es waren ferner Reisekosten und Spesen für Informanten zu zahlen, die in die Ostzone fahren mußten. Schmeisser ging auch auf die Genuß- und Lebensmittel ein, die Blankenhorn von ihm erhielt. Schretzmair kaufte die Waren – von Cognac über Obst und Gemüse bis hin zu Fleisch und Wurst – beim französischen Magazin in Boppard. Eine ausdrückliche Bitte äußerte Blankenhorn in dieser Hinsicht nur für das Backen zu Weihnachten. Direkte Gegenleistungen erfolgten nicht; es ging nur um gute Stimmung. Dorothy schilderte am 3. Dezember 1953 125, sie habe Blankenhorn Lebensmittel gebracht, die teilweise auf seinen Wunsch gekauft wurden: Schokolade, Apfelsinen, Olivenöl, Tabakwaren, Alkohol. Die Krankenschwester Brunhilde P. sagte am 23. November 1953 aus, Frau Blankenhorn sei 1948/49 wegen Kinderlähmung im Heidberg-Krankenhaus in Hamburg gewesen. Obwohl P. sie nur gelegentlich vertretungsweise pflegte, fiel ihr die für damalige Verhältnisse außerordentlich gute Versorgung auf. Frau Blankenhorn erhielt Pakete mit Lebensmitteln und Wäsche. In der Weihnachtszeit bereitete Blankenhorn seiner Frau auf einem elektrischen Gerät Pfannkuchen zu und gab auch den Schwestern davon ab. Blankenhorn urteilte am 9. Dezember 1952 126, die angeblich „laufende“ Versorgung mit Lebensmitteln aus französischen Beständen sei nichts anderes gewesen als ein gelegentliches Sich-Revanchieren für die Teilnahme am Abendessen. Schmeisser brachte als kleine Aufmerksamkeiten Schokolade, Öl, Südfrüchte oder eine Flasche Cognac mit. Schmeisser nahm am 18. Dezember 1952 dazu Stellung. 127 Das Mitbringen von Lebensmitteln wollte Schmeisser nicht durch die Vokabel „revanchieren“ erklären. Zum Abendessen war Schmeisser einmal bei Blankenhorn, Tee trank er öfter dort. Adenauer meinte zu diesem Komplex am 17. Mai 1954128, er habe erst im Laufe des Strafverfahrens von dem Vorwurf gehört, Blankenhorn habe Geld und „Zuwendungen in größerem Umfang von einem französischen Agenten“ erhalten. Dies wäre von ihm entschieden mißbilligt worden. Blankenhorn erzählte ihm später, Levacher habe ihn mehrfach in seiner Wohnung aufgesucht und „Kleinigkeiten für seine Kinder mitgebracht“. Er habe ihm gegenüber bestritten, andere Dinge von Levacher bekommen zu haben. Jedenfalls könne er sich nicht erinnern, ob Blankenhorn Beträge zur Deckung seiner Unkosten für das Material über kommunistische Umtriebe erhalten habe. Überliefert sind einige Telegramme und kurze Briefe, die Blankenhorn und Levacher 1948/49 wechselten. So bat Blankenhorn ihn am 29. Januar 1949 in einem Schreiben, dessen Tonfall von persönlicher Nähe zeugt – „Lieber Herr Levacher!“, „Mit besten Grüßen“ – für einen bestimmten Herrn eine Rückflugkarte nach Berlin zu senden. 129 Für seine eigene Reise 123 124 125 126 127 128 129
BA, B 136, Bd. 240, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Wiesbaden, 22.11.1951, hier: S. 27f. PA/AA, B 130, Bd. 13798, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Gräfelfing, 9.10.1952, hier: S. 6. Ebd., Bd. 13796 (auch für das Folgende). Ebd. und BA, B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 96ff. PA/AA, B 130, Bd. 13798, und B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 97-99, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Gräfelfing, 18.12.1952. BA, B 136, Bd. 241. BA, NL Blankenhorn, Bd. 239, Bl. 191.
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nach Paris ersuchte Blankenhorn Levacher telegraphisch, „notwendige Mittel bereits Donnerstag Fräulein Zimmermann in Bonn [zu] überbringen“. 130 Ein anonymer Einsender beantragte am 30. Dezember 1953 beim Bundesdisziplinaranwalt in Frankfurt a.M. die Einleitung eines Disziplinarverfahrens außerhalb des Auswärtigen Amtes gegen Blankenhorn wegen Vorteilsnahme, wobei er sich auf die Angaben des „Spiegel“Artikels stützte. 131 Bundesdisziplinaranwalt Dr. Franke griff dies auf, mußte sich aber vom BMI sagen lassen, anonyme Anzeigen dieser Art gehörten in den Papierkorb. 132 Franke unterbreitete die Sache dennoch dem Auswärtigen Amt, das ihm den Bescheid erteilte, Blankenhorn sei zur fraglichen Zeit Angestellter gewesen, und zwar zunächst des Zonenausschusses der CDU, dann des Parlamentarischen Rates. Bundesbeamte habe es damals gar nicht gegeben, folglich fehle die Rechtsgrundlage für ein Disziplinarverfahren. Franke nahm dies einstweilen zur Kenntnis und setzte seine Untersuchung bis zur Beendigung des schwebenden Strafverfahrens aus. 133 Die Angelegenheit wurde nicht mehr weiterverfolgt. Indessen hatte die Episode mit den französischen Lebensmitteln eine weitere wohl nicht einkalkulierte Konsequenz: Das Bundesministerium der Finanzen forderte am 5. August 1953 die Oberfinanzdirektion Köln auf, Ermittlungen gegen Schmeisser wegen des Verdachts einzuleiten, „aus dem französischen Magazin Waren ohne Entrichtung der deutschen Abgaben“ bezogen zu haben. 134 Sofern diese Waren an Dritte weitergegeben wurden, hätten diese sich ggf. der „Steuerhehlerei“ schuldig gemacht. Daraufhin wurde Schmeisser am 4. September 1953 von der Zollfahndungsstelle München vorgeladen. Er berichtete über seine Geschenke an Blankenhorn. Cognac und Zigarren habe er vom SDECE für Blankenhorn erhalten, während Orangen, Olivenöl, Fleischkonserven, Schokolade etc. beim Economat beschafft wurden. Blankenhorn habe alles unentgeltlich erhalten. Über die Mengen konnte Schmeisser nichts Genaues sagen, denn er habe Blankenhorn stets irgendwelche Kleinigkeiten mitgebracht. Da offzielle französische Stellen dahinterstanden, sei er nicht von Zollschuld ausgegangen. Am 22. September 1953 erschien Dorothy Schretzmair vor der Zollfahndungsstelle. Zum Ablauf sagte sie, je nach Vorrat und nach etwaigen Wünschen Blankenhorns habe sie von ihrer Dienststelle einen bestimmten Betrag in Francs angefordert und dann im Economat eingekauft. Sie berichtete Einzelheiten über die Waren, hatte aber keinen Gesamtüberblick mehr. Die Zusammenarbeit zwischen Levacher und Ruppert lief über Blankenhorn und hatte einen dezidiert nachrichtendienstlichen Charakter. Dies wußte Blankenhorn natürlich sehr genau, hegte später aber große Befürchtungen, ob ihm dies nicht zu seinen Lasten als „Kollaboration“ ausgelegt würde. Er trachtete daher, die Sache zu bagatellisieren. Dies resultierte auch aus der Tatsache, daß Blankenhorn dem vermeintlichen Franzosen alles berichtete, was er für interessant hielt. Er war also durchaus ein V-Mann des französischen Geheimdienstes. Was die Bezahlung anging, so dürfte Ruppert sämtliche Beträge erhalten haben. Bei den Lebensmitteln stellte sich dies anders dar: Es handelte sich nicht um bloße Gesten der Höflichkeit, sondern quasi „erwartete“ Gaben, bei denen Blankenhorn mitunter konkrete Wünsche geäußert zu haben scheint. Er nutzte seine Beziehungen, um sich und seiner Familie Luxusgüter zu besorgen. Im Kontext einer Zusammenarbeit mit dem französischen Geheimdienst bedeutete dies nicht bloß ein moralisch fragwürdiges Verfahren, 130 131 132 133 134
Ebd., Bl. 192. BA, B 106, Bd. 18552, Bl. 95, Schreiben eines „Mißtrauische[n]“ an Bundesdisziplinaranwalt, 30.12.1953. Ebd., Bl. 94, Schreiben Bundesdisziplinaranwalt an BMI, 5.1.1954. Ebd., Bl. 97, Schreiben Bundesdisziplinaranwalt an BMI, 7.12.1954. PA/AA, B 130, Bd. 13799 (auch für das Folgende).
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sondern implizierte die Gefahr der Erpreßbarkeit. Adenauer tat so, als habe er von den konkreten Verbindungen zwischen Blankenhorn und Levacher nichts gewußt. Seine Kenntnis der Kooperation zur Bekämpfung des Kommunismus konnte er nicht leugnen. Adenauer wollte seinerzeit manches nicht so genau wissen, was zwischen Blankenhorn und Levacher ablief...
d) Evakuierung – Privileg oder Notwendigkeit? Am 9. Dezember 1952 beteuerte Blankenhorn 135, die Behauptung Schmeissers, als Gegenleistung für Dienste sei angeboten worden, Adenauer und ihn vor einem sowjetischen Einmarsch in Sicherheit zu bringen, sei gelogen. Niemals habe man über einen Treffpunkt für diesen Zweck verhandelt. Gewiß gab es in alliierten Kreisen damals Überlegungen, prominente deutsche Politiker vor anrückenden sowjetischen Truppen in Sicherheit zu bringen. Es sei ein britischer Verbindungsoffizier gewesen, der ihm (Blankenhorn) im Juli 1948 anbot, ihn ggf. zu evakuieren. Er lehnte ab, weil er meinte, man müsse in einer solchen Situation auf seinem Posten ausharren. Schmeisser wußte von diesen Plänen und mag sie auch erwähnt haben, doch er (Blankenhorn) habe ihm seine Meinung dazu mitgeteilt. Laut Blankenhorns „Dienstliche[r] Erklärung“ vom 29. Juli 1952 136 schlug ihm der britische Verbindungsoffizier Michael Thomas etwa im Juli 1948 vor, ihn im Falle einer sowjetischen Invasion außer Landes zu bringen. Thomas sei bereit, dies zu beeiden. Blankenhorn lehnte damals den Vorschlag ab. Levacher habe kein entsprechendes Angebot unterbreitet; sie hätten höchstens im allgemeinen über Evakuierungen deutscher Politiker gesprochen. Levacher wollte sich nach Meinung Blankenhorns wohl bei seinen Vorgesetzten großtun. Michael Thomas sagte im Juli 1952 einem Informanten des SPD-Parteivorstands 137, Blankenhorn habe das Angebot ausgeschlagen, „auf einer Liste bevorzugter Personen zu erscheinen, denen evtl. geholfen werden soll, wenn etwas passiert.“ Er (Thomas) habe Augstein mitgeteilt, das in seinem Besitz befindliche Schmeisser-Material sei inhaltlich nicht zutreffend. Allerdings muß das freundschaftliche Verhältnis zwischen Thomas und Blankenhorn 138 bedacht werden. Schmeisser nahm am 18. Dezember 1952 bei einer Vernehmung in Gräfelfing durch den Bonner Staatsanwalt Henke dazu Stellung. 139 Hinsichtlich der Evakuierung blieb er bei den Darlegungen, wie sie im „Spiegel“ standen. Blankenhorn mußte diesbezüglich dem britischen Verbindungsoffizier absagen, weil er Schmeisser zugesagt hatte. Anläßlich eines gemeinsamen Bootsausflugs von Bingen nach Koblenz unterhielten sich der französische Hohe Kommissar François-Poncet und Blankenhorn am 16. Juli 1950 über die Folgen eines sowjetischen Einmarsches in Westdeutschland.140 Beide standen unter dem Eindruck des nordkoreanischen Überfalls auf Südkorea am 22. Juni, der in Mitteleuropa die schlimmsten Befürchtungen geweckt hatte. François-Poncet meinte, die Bundesregierung müßte der Hohen Kommission ins Ausland folgen. Eine Entscheidung über ein mögliches 135 136 137 138 139 140
Ebd., Bd. 13796, und B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 96ff. BA, B 136, Bd. 241; PA/AA, B 2, Bd. 354A. AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 2622A, Auszug aus Brief von Scholz, 15.7.1952. Vgl. auch Heitzer, CDU, S. 736f., Anm. 455. Thomas, Deutschland, England, S. 182f. PA/AA, B 130, Bd. 13798, und B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 97-99, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Gräfelfing, 18.12.1952. BA, NL Blankenhorn, Bd. 5, Bl. 54-56, Aufzeichnung [Blankenhorns], 17.7.1950, hier: Bl. 55. Abdruck in: DzD II/3 (1950), Nr. 345; AAPD 1949/50, Nr. 92.
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Exil sei noch nicht getroffen worden; in Betracht käme Kanada. Blankenhorn wehrte ab: Kanada liege zu weit weg. Er schlug vor, zunächst nach Südwestdeutschland auszuweichen, falls nötig dann nach Spanien oder Nordafrika. Zwei Tage später unterrichtete Blankenhorn den amerikanischen General George P. Hays über den Meinungsaustausch mit FrançoisPoncet zum Thema Exilregierung. 141 Hays signalisierte durch Mienenspiel Zustimmung zur Einschätzung Blankenhorns. Am 20. Juli 1950 erwähnte Blankenhorn bei einem Essen mit dem französischen Diplomaten Bernard Clappier noch einmal eine „Verlegung der Bundesregierung nach Nordafrika“. 142 Adenauer selbst hatte im August 1948 bei dem amerikanischen Generalkonsul Altaffer sondiert, wie es bei einem Krieg um seine persönliche Sicherheit bestellt sei. 143 Dorothy Schretzmair gab an, Blankenhorn habe sich bei Schmeisser erkundigt, ob er und Adenauer bei Gefahr evakuiert werden könnten. 144 Er erhielt eine entsprechende Zusage, die sich auch auf einige Familienangehörige erstreckte. Durtal meinte in Gegenwart Dorothys, einen ganzen Omnibus könne man Adenauer aber nicht zur Verfügung stellen. Als Ziel wurde Spanien genannt. Adenauer bemerkte am 17. Mai 1954 dazu, ein Angebot des Agenten, ihm bei einer Zuspitzung der Lage die Flucht nach Spanien zu ermöglichen, sei ihm nicht unterbreitet worden; Levacher wäre kaum der Mann dazu gewesen. 145 Augstein war bei dieser Vernehmung zugegen. Er erinnerte sich später daran, Adenauer habe auf seine Frage, was es mit seinem etwaigen Exil auf sich habe, geantwortet, er würde sich bei einem Einrücken der Roten Armee vergiften. 146 Der Rechtsextremist Remer war im November 1951 übrigens zu vier Monaten Gefängnis verurteilt worden, weil er behauptet hatte, Mitglieder der Bundesregierung hätten für den Kriegsfall bereits Ausweichquartiere in London belegt. 147 Rechtsanwalt Josef Augstein vertrat generell die Meinung, der Vorgang an sich sei in keiner Weise ehrenrührig. 148 Selbstverständlich müsse eine deutsche Regierung bei einem sowjetischen Einmarsch außer Landes gehen. Der Bundesgerichtshof (BGH) habe dies in einem Urteil vom 5. März 1953 bestätigt. Wenn Blankenhorn sage, er wolle unbedingt auf seinem Posten ausharren, so sei dies wohl opportunistischen Erwägungen entsprungen. Rechtsanwalt Hans Dahs korrigierte diese Einschätzung: 149 Der BGH betone, es komme auf den Einzelfall an. Hier liege in den Umständen ein „Unwerturteil“: Adenauer wolle seine gesamte Familie mitnehmen, was auf Flucht oder gar Feigheit hindeute. Die im „Spiegel“-Artikel angedeutete Verlegung der Bundesregierung ins Ausland wegen Kriegsgefahr hatte Auswirkungen auf ein anderes Strafverfahren. Am 18. Oktober 1955 berichtete die zum Berliner „Telegraf“ gehörende „BZ am Abend“ über den Fall Wolfgang Müller. 150 Müller habe vor fünf Jahren an einer geschlossenen Gesprächsrunde über einen Artikel des Chefkorrespondenten der amerikanischen Hearst-Presse, Karl von Wiegand, 141 142 143 144
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BA, NL Blankenhorn, Bd. 5, Bl. 57-64, Aufzeichnung [Blankenhorns], 17.7.1950, hier: Bl. 58-59. Ebd., Bd. 4, Bl. 220-221, Tagebuchnotiz [Blankenhorns], 20.7.1950, hier: Bl. 220. Dazu auch Höfner, Aufrüstung, S. 214, und Köhler, Adenauer, Bd. 2, S. 72f. Ebd., S. 66. BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 26-28, Protokoll der Vernehmung D. Schretzmairs in Wiesbaden, 15.11.1951, hier: Bl. 27; PA/AA, B 130, Bd. 13796, Protokoll der Vernehmung D. Schretzmairs in München, 3.12.1953, hier: S. 15. BA, B 136, Bd. 241. Augstein, Begegnungen, S. 37f. Jenke, Verschwörung, S. 76f.; Frei, Vergangenheitspolitik, S. 332. BA, B 141, Bd. 12083, Schreiben Josef Augsteins an Landgericht Hannover, 30.5.1953, hier: S. 34-37. Ebd., Aktennotiz [Dahs]: Stellungnahme zu den presserechtlichen Ausführungen im Schriftsatz Dr. Augsteins, 22.7.1953, hier: S. 9f. „BZ am Abend“, 18.10.1955: „Neues Licht im Spionage-Skandal“. Ferner: „Bild-Zeitung“, 18.10.1955: „Der merkwürdige Fall Müller“.
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teilgenommen. In diesem Artikel hatte von Wiegand behauptet, er besitze sichere Nachrichten über Fluchtpläne der Adenauer-Regierung. Die Bundesregierung dementierte diese Angaben und strengte ein Gerichtsverfahren an. Müller wurde am 7. Oktober 1952 in Braunschweig der Prozeß gemacht. Er hatte inzwischen von den Mitteilungen Schmeissers erfahren und forderte dessen Ladung als Zeugen. Das Gericht lehnte dies ab und verurteilte Müller wegen übler Nachrede zu fünf Monaten Gefängnis. Man wollte nach Meinung der „BZ am Abend“ ein Exempel statuieren. Doch Müller strengte eine Revision an – und wurde rehabilitiert! Die „BZ am Abend“ wunderte sich über diesen plötzlichen Gesinnungswandel. Im Jahre 1955 trat der BGH gegen Müller in Erscheinung. Jetzt erfolgte eine Vorladung Schmeissers. Es gehe offensichtlich darum, von Adenauers „Spionageskandal“ abzulenken. Müller solle mundtot gemacht werden. Obwohl er 1952 für geistig beweglich befunden wurde, werde er nun auf seinen Geisteszustand untersucht. Man dürfe auf Schmeissers Aussagen gespannt sein – wenngleich er gewiß vorher in Bonn „bearbeitet“ werde. Bereits am 19. Oktober 1955 meldete die „BZ am Abend“ die Vertagung des MüllerProzesses. 151 Die Akten befänden sich noch in Hannover, wo sie im Schmeisser-Verfahren benötigt würden. Das Blatt legte indes in der gleichen Ausgabe nach:152 Nunmehr wurden Aussagen eines Mitglieds des SPD-Parteivorstands in West-Berlin, des früheren Senators Otto Bach, wiedergegeben. Bach habe auf einer internen SPD-Versammlung gesagt, Adenauers Beziehungen zum französischen Geheimdienst an sich seien in Anbetracht der Zeitumstände nicht zu beanstanden. Allein, er habe „zuverlässige Informationen“ darüber, daß Adenauer bis zum Frühling 1949 von französischer Seite Geld für die Vorbereitung der Abtrennung des linken Rheinufers und weiterer Gebiete der französischen Besatzungszone von Deutschland erhielt. Lediglich die Intervention der Vereinigten Staaten habe den Erfolg dieser Pläne verhindert. Was Wolfgang Müller betrifft, so war die Schilderung der „BZ am Abend“ sehr lückenhaft. Müller hatte am 29. Juli 1951 in einer Versammlung der Frei-Sozialen Union Adenauer als „großen Betrüger“ bezeichnet. 153 Die Verlesung einer Pressemeldung über eine Flucht Adenauers ins Ausland erfolgte im November 1950. Aufgrund einer Anzeige des Kanzlers wurde Müller am 7. Oktober 1952 zu der erwähnten Gefängnisstrafe verurteilt. Auf seine erfolgreiche Revision hin erhielt Müller am 3. März 1953 in dem vom Landgericht Braunschweig neu aufgerollten Beleidigungsverfahren eine Geldstrafe von 300 DM. Der BGH gab einer Beschwerde Müllers am 22. September 1953 statt, wobei er die unterbliebene Anhörung Schmeissers als Versäumnis einstufte. 154 Die etwaige Evakuierung der Bundesregierung nach Spanien sei ein wichtiger Aspekt gewesen, der hätte nachgeprüft werden müssen. Dieser Beschluß war rechtskräftig, wurde allerdings wegen des Straffreiheitsgesetzes vom 17. Juli 1954 155 nicht mehr vollstreckt. Es traf zu, daß der Termin im Oktober 1955 wegen des Gebrauchs der Akten im Schmeisser-Prozeß verschoben wurde. Bis dahin hatte die Revision infolge gesundheitlicher Probleme Müllers hinausgeschoben werden müssen. Sein Anwalt argumentierte am 2. Januar 1956, die Sache solle nun zu Ende geführt werden, zumal der Schmeisser-Prozeß noch lange weitergehe. Es sei fraglich, ob das Sich-Absetzen einer Regierung ins Ausland etwas Ehrenrühriges sei. Das in der Versammlung 151
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„BZ am Abend“, 19.10.1955: „Prozeß gegen W. Müller vertagt“; „General-Anzeiger“ (Bonn), 19.10.1955: „Schmeisser-Prozeß neu aufgelegt“; „Hamburger Abendblatt“, 19.10.1955: „Ziebell-Verfahren geht weiter“; „Nürnberger Nachrichten“, 19.10.1955: „Schmeisser soll als Zeuge aussagen“. „BZ am Abend“, 19.10.1955: „Neue Enthüllungen im Schmeißer-Skandal“. Material zum Fall Müller in: BA, B 136, Bd. 240. Erstaunlicherweise ließ sich dieses Urteil bei den gedruckten „Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen“ nicht ermitteln. Dazu Frei, Vergangenheitspolitik, S. 100-131.
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vom 9. November 1950 erörterte „Extrablatt“ sei zudem nicht gedruckt worden. Sollte trotz dieser Umstände das Verfahren durchgeführt werden, müßten Schmeisser und Schretzmair als Zeugen geladen werden. Bereits am 10. Januar 1956 wurde das Verfahren unter Hinweis auf das Amnestiegesetz vom 17. Juli 1954 eingestellt. Das Thema Exilregierung war keineswegs verpönt gewesen. Blankenhorn hatte es freimütig mit Vertretern der britischen und französischen Besatzungsmacht besprochen. Tatsächlich kann es als unverfänglich bezeichnet werden: Es mochte unter Umständen ratsam sein, bei neuen kriegerischen Verwicklungen eine vom Volk legitimierte deutsche Exilregierung zu konstituieren. Wieso bestritt Blankenhorn so vehement jede Bereitschaft, sich darauf einzulassen? Dies lag wohl an dem Beigeschmack des geheimen Einverständnisses mit den Westmächten, den Blankenhorn scheute. Er wollte die ihm unterstellte Nähe zu den Franzosen ableugnen und konnte daher nicht einräumen, sich mit ihnen über einen geeigneten Ort für eine Exilregierung unterhalten zu haben. Realiter waren die Namen Spanien und Nordafrika als Zuflucht gefallen, was weniger für die Sache selbst gravierend ist als für die allgemeine Glaubwürdigkeit, die Blankenhorn für sich in Anspruch nahm. Der Fall Müller zeigt darüber hinaus, daß die Bundesregierung es damals für Infamie hielt, wenn ihr die Neigung zu einer „Flucht“ ins befreundete Ausland unterstellt wurde. e) Wahlkampfspende an die CDU/CSU? Schmeisser sagte am 9. Oktober 1952, Blankenhorn habe über die schlechte Kassenlage der CDU für den Bundestagswahlkampf 1949 geklagt. 156 Von der erforderlichen Summe in Höhe von 1 Mio. DM seien erst 200.000 DM gewährleistet. Es wäre im Sinne Frankreichs, wenn Adenauer Bundeskanzler würde. Deshalb habe Blankenhorn ihn (Schmeisser) gebeten, den Versuch zu machen, die restlichen Mittel in Paris aufzutreiben. Tatsächlich sei die vorgesetzte Dienststelle Schmeissers grundsätzlich einverstanden gewesen. Was daraus wurde, wußte Schmeisser nicht, weil er wegen der Affäre Müller-Schwanek ausschied. Am 9. Dezember 1952 teilte Blankenhorn dem Bonner Staatsanwalt zu diesem Punkt mit, er habe niemals Schmeisser gebeten, der CDU für den Wahlkampf fehlende Gelder zu beschaffen. 157 Alle Parteien seien in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Dies war auf die Währungsreform und auf unzureichende Mitgliederbeiträge zurückzuführen. Man teilte diesen Sachverhalt den Militärregierungen mit und verständigte sich auf begrenzte Kredite seitens der Landesregierungen. Mit Schmeisser habe er höchstens unverbindlich darüber gesprochen. Schmeisser nahm am 18. Dezember 1952 bei einer Vernehmung in Gräfelfing durch den Bonner Staatsanwalt Henke dazu Stellung. 158 Auch die Wahlkampfgelder für die CDU wurden in konkreter Form erörtert. Bei der Summe von 1 Mio. DM wolle er sich nicht genau festlegen. Hellhörig wurde bei diesem Punkt auch die französische Linkspresse, die wissen wollte, was französische Agenten bei der Bundestagswahl 1949 getan hatten.159 Dorothy Schretzmair gab dazu am 16. Januar 1952 eine klare Stellungnahme ab: Die CDU brauchte dringend finanzielle Mittel für die Bundestagswahlen, und Durtal hatte Blankenhorn Hilfe in Aussicht gestellt. Er wurde jedoch von seinen Vorgesetzten im Stich gelassen. 160 Zwei 156 157 158 159 160
PA/AA, B 130, Bd. 13798, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Gräfelfing, 9.10.1952, hier: S. 6f. Ebd., Bd. 13796, Protokoll der Vernehmung Blankenhorns in Bonn, 9.12.1952, hier: S. 10f. PA/AA, B 130, Bd. 13798, und B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 97-99, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Gräfelfing, 18.12.1952. „L’Observateur“, 24.7.1952: „L’Affaire du Spiegel“. BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 13-17, Protokoll der Vernehmung D. Schretzmairs in Kehl, 16.1.1952, hier: Bl. 15.
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Monate zuvor hatte sie in Wiesbaden ausgesagt, Blankenhorn habe ungefähr im Mai 1949 2-3 Mio. DM erbeten. 161 Das Ergebnis sei ihr nicht bekannt, da Schmeisser die Dienststelle von Durtal zu diesem Zeitpunkt verließ. Dorothy sagte dies auch unter Eid bei der Voruntersuchung am 3. Dezember 1953 aus, ohne eine Zahl zu nennen. 162 Konrad Adenauer wußte am 17. Mai 1954 nichts von französischen Geldspenden an die CDU im Wahlkampf 1949 zu berichten. 163 Er hätte dies selbstverständlich abgelehnt. Bruno Dörpinghaus gab am 9. Februar 1954 über die Finanzen der CDU Ende der 1940er Jahre Auskunft. 164 Er war von 1947 bis 1951 Generalsekretär der Arbeitsgemeinschaft der CDU/CSU in Frankfurt a.M. Dabei war er auch mit den finanziellen Vorbereitungen für die Bundestagswahl 1949 betraut. Es gab Konten in Frankfurt und Köln, über die nur er verfügen durfte. Auf diese Konten gingen keinerlei Gelder von französischer Seite ein. Selbst verdeckt erfolgende Zahlungen wären ihm aufgefallen. Allerdings hatten auch die Landesverbände der CDU Konten, in die er keinen Einblick besaß. Ausländische Gelder wären aber sicherlich ihm zugeflossen. Er sprach seinerzeit mehrfach mit Blankenhorn über die Finanzen. Alle Parteien hatten damals Probleme. Blankenhorn habe nie ein Wort von Mitteln französischen Ursprungs gesagt. Das hätte er gewiß getan, wenn diese Unterstützung tatsächlich erfolgt wäre, zumal es sich angeblich um eine hohe Summe handelte. Im Wahlkampf gingen rund 1 Mio. DM an Spenden ein. Udo Wengst hat die Wahlkampffinanzierung der CDU 1949 erforscht. 165 Er weiß nichts zu berichten über Gelder aus französischen Quellen. Allerdings hat er die Entwicklung erst seit März 1949 exakt rekonstruiert und vermutlich für die frühere Zeit keine Unterlagen finden können. Jedenfalls war die angespannte Finanzlage der Union ein wirkliches Problem, das schließlich durch Spenden aus der Industrie einigermaßen gelöst werden konnte. Das Unrechtsbewußtsein stand offenbar im Schatten der Bewältigung finanzieller Engpässe, wie die Empfehlung eines Landesvorsitzenden zur Anfertigung „fingierte[r] Annoncenquittungen“166 belegt. Immerhin wollte sich Adenauer noch am 19. Mai 1949 keineswegs nur auf Zahlungen aus der Wirtschaft verlassen und beklagte am 2. Juni den Fehlschlag aller Bestrebungen, große Beträge zu beschaffen. Blankenhorn hat mit Schmeisser die prekäre Finanzlage der CDU erörtert. Vieles spricht dafür, daß er „Levacher“ um Prüfung bat, ob Paris helfen könne. Adenauers spätere Äußerung vor einem Parteigremium könnte auf die leeren Parteikassen anspielen. Einen schriftlichen Beleg für ein solches Ansinnen zu erwarten, wäre naiv. Sollte ein derartiges Dokument in falsche Hände geraten, würde die CDU als Bittsteller bei der französischen Besatzungsmacht angeprangert. Aktenkundig wäre diese Sache also gewiß nicht geworden. Hellhörig macht ferner das Stichwort „Außenhandelsfirmen“ im Artikel vom 9. Juli 1952. Wir haben am Beispiel der Frankenthaler Schnellpressenfabrik dokumentiert, wie diese Vorgänge zur Kapitalbeschaffung abliefen. Gelder aus der Industrie könnten also in einzelnen Fällen durch französische Intervention beschafft worden sein. Direkte Subventionen aus Paris 161
162 163 164 165
166
Ebd., Bl. 26-28, Protokoll der Vernehmung D. Schretzmairs in Wiesbaden, 15.11.1951, hier: Bl. 27. Schmeisser nannte in der Vernehmung vom 22.11.1951 ebenfalls eine Summe von 2-3 Mio. DM (BA, B 136, Bd. 240, hier: S. 28). PA/AA, B 130, Bd. 13796, Protokoll der Vernehmung Dorothy Schretzmairs in München, 3.12.1953, hier: S. 15. BA, B 136, Bd. 241. PA/AA, B 130, Bd. 13797. Wengst, CDU/CSU, S. 47-50. Näheres zur Finanzlage der CDU in der britischen Zone ausgangs der 1940er Jahre bei Heitzer, CDU, S. 328-337, 461-469. – Rechtsanwalt Augstein warf der Staatsanwaltschaft Hannover vor, über die Hintergründe einer etwaigen französischen Wahlkampfspende nicht recherchiert zu haben (BA, B 141, Bd. 12083, Schreiben Josef Augsteins an Landgericht Hannover, 30.5.1953, hier: S. 32f.). Wengst, CDU/CSU, S. 47.
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scheint es nicht gegeben zu haben. Ob das plötzliche „Abtauchen“ des Verbindungsmannes Levacher oder politische Erwägungen dafür verantwortlich sind, ist nicht zu entscheiden. f) Beeinflussung des Hauptstadtstreits zwischen Bonn und Frankfurt a.M.? Bonn oder Frankfurt a.M. – so lautete 1949 im wesentlichen die Alternative für die provisorische Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland. Konrad Adenauer trat 1948/49 entschieden für Bonn ein. 167 Es handelte sich in seiner Perspektive um eine Wahl, die ein klares Signal der Westorientierung des neuen deutschen Staates gäbe. Zu den Gründen Adenauers, für Bonn zu plädieren, gehörte angeblich auch, fortbestehenden Ambitionen gewisser Kreise in Frankreich hinsichtlich des Rheinlandes durch die Option zugunsten einer linksrheinischen Stadt den Boden zu entziehen. 168 Eine direkte Aussage Schmeissers zum Bonn-Frankfurt-Konflikt ist in dem „Spiegel“-Beitrag nicht erhalten. Offenbar hat es keine konkreten Erörterungen über dieses Problem gegeben. Das lag wohl vor allem an den zeitlichen Zusammenhängen: Erst am 3. November 1949 fand im Bundestag die entscheidende Abstimmung über den Sitz der Bundesbehörden statt. Zu diesem Zeitpunkt war die Verbindung zwischen Blankenhorn und Schmeisser abgerissen. Dorothy Schretzmair bemerkte indessen am 3. Dezember 1953 in der Voruntersuchung, Blankenhorn habe Schmeisser um Klärung gebeten, was die Franzosen zu Bonn als Bundeshauptstadt meinten. 169 Blankenhorn sagte angeblich zu Schmeisser, man werde Mittel und Wege finden, das im Hinblick auf Frankreich günstig gelegene Bonn durchzusetzen.170 Es lohnt daher, den von allerlei Gerüchten begleiteten Streit um das neue Zentrum des Provisoriums Bundesrepublik in unsere Betrachtungen einzubeziehen. Hermann Wandersleb, der Leiter der Landeskanzlei von Nordrhein-Westfalen und Organisator des Feldzugs für Bonn, berichtet von seinen Gesprächen mit Vertretern der britischen und französischen Besatzungsmacht im Mai 1949, in denen diese ihre Bevorzugung Bonns deutlich machten. 171 Dies spiegelte sich auch im Entgegenkommen bei der Räumung der Stadt von Besatzungstruppen wider. 172 Die vorläufige Abstimmung im Parlamentarischen Rat am 10. Mai 1949 mit einem Resultat von 33 zu 29 für Bonn war erst nach einem spektakulären Nachrichtencoup zustande gekommen. Eigentlich hatten die CSU und einige Abgeordnete der CDU für Frankfurt votieren wollen – doch eine Meldung über parteipolitisch zugespitzte Äußerungen Schumachers schweißte die Fraktion zusammen. 173 Blankenhorn unterhielt sich im Oktober 1949 mit dem amerikanischen Diplomaten James Riddleberger über die Einstellung der AHK zur Hauptstadtfrage. 174 Dabei gab Blankenhorn zu verstehen, Adenauer fühle sich stark genug, im Bundestag eine Mehrheit für Bonn zu bekommen. Die AHK wollte sich öffentlich nicht festlegen. Am 3. November 1949 entschied der Bundestag mit 200 gegen 176 Stimmen bei 3 Enthaltungen und 11 ungültigen Stimmen 167
168 169 170 171 172 173 174
Dreher, Kampf, bes. Kap. III-VI; Wandersleb, Berufung Bonns, S. 312f.; Schumacher-Hellmold, Bonn; Otto, Ausgerechnet Bonn..., Kap. 9; Müller-List, Bonn, S. 646-663; Höroldt, Bundeshauptstadt; Blankenhorn, Verständnis, S. 70f.; Köhler, Adenauer, Bd. 1, S. 484-497; Schwarz, Adenauer, Bd. 1, S. 582586, 599f. Pommerin, Von Berlin nach Bonn, S. 118f.; vgl. auch ebd., S. 121f. PA/AA, B 130, Bd. 13796, Protokoll der Vernehmung Dorothy Schretzmairs in München, 3.12.1953, hier: S. 15. Ebd., Bd. 13798, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Gräfelfing, 9.10.1952, hier: S. 5. Wandersleb, Berufung Bonns, S. 318-321. Dreher, Kampf, S. 63-68, 152-154, 159f., 182-187. Ebd., Kap. VII-IX. Pommerin, Von Berlin nach Bonn, S. 190-192.
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zugunsten von Bonn. 175 Die CDU/CSU-Fraktion hatte eine geheime Abstimmung beantragt, was mit äußerst knapper Mehrheit gebilligt wurde. Diese Tatsache gab natürlich manchem Beobachter zu denken. Die Bayernpartei (BP) war 1949/50 einer heftigen Zerreißprobe ausgesetzt, da sie aus zwei Flügeln bestand: der eine war gemäßigt, konservativ, christlich und monarchistisch, der andere radikal und bäuerisch-separatistisch. 176 Zu letzterem gehörte der Parteivorsitzende Dr. Joseph Baumgartner, der erstere gruppierte sich um die Bundestagsabgeordneten Anton Donhauser (1913-1987), Hermann Aumer (1915-1955) und Anton Freiherr von Aretin (1918-1981). Neben finanziellen Streitigkeiten und Postenschacher trennte besonders die Frage einer Annäherung an die CSU die beiden Lager. Die Gruppe um Donhauser war zu einer Verständigung mit der CSU bereit. In einem mit Dokumenten unterfütterten Artikel vom 27. September 1950177 präsentierte der „Spiegel“ Informationen über Zahlungen an Politiker verschiedener Parteien im Zusammenhang mit der Abstimmung über die Hauptstadt. Im Blickpunkt stand die über 17 Abgeordnete verfügende BP, die eigentlich beschlossen hatte, für Frankfurt am Main zu votieren. Die Gelder seien über Donhauser gelaufen. Die Summe wurde auf 2 Mio. DM beziffert. Zudem sei von industrieller Seite für ein Ja oder Nein bei der Behandlung konkreter Sachfragen im Bundestag gezahlt worden. Bundesfinanzminister Fritz Schäffer sprach in einer Versammlung in Passau davon, die Hälfte der Fraktionsmitglieder der BP sei umgefallen und habe für Bonn votiert. 178 Blankenhorn notierte in seinem Tagebuch für den 3. November 1949 – das Datum der Abstimmung im Bundestag über die Wahl der provisorischen Hauptstadt –, es hätten Verhandlungen mit BP, Zentrum und Wirtschaftlicher AufbauVereinigung (WAV) stattgefunden. 179 Der BP-Vorsitzende Baumgartner versuchte laut „Spiegel“ am 12. Februar 1950 in einem Rundschreiben von allen Abgeordneten seiner Partei eine Erklärung zu erhalten, wonach sie für Frankfurt eingetreten seien. Indessen gaben acht Parlamentarier darauf keine Antwort. Aumer wurde am 26. Juni 1950 aus der BP ausgeschlossen, Donhauser verließ sie freiwillig. Der Direktor der Bayerischen Staatsbank, der CSU-Politiker Franz Elsen, bat am 10. Mai 1950 den Münchner Staatsrat Ernst Rattenhuber um Prüfung, ob der BP anläßlich der Bundestagswahl 100.000 DM von der IHK Nürnberg zugeflossen seien. 180 Diese Angabe stamme von einem Mitglied des Landesvorstands der BP. Rattenhuber schaltete Schäffer ein, dieser wiederum den für ein Konsortium der Industrie tätigen August Heinrichsbauer, der am 31. Mai die Richtigkeit bekräftigte. 181 Donhausers Wahlschulden wurden nach Fürsprache Schäffers von Industriellen beglichen. 182 Bei der Vermittlung der Gelder fiel auch der Name
175 176
177 178 179 180 181 182
Verhandlungen BT, Sten. Ber., Bd. 1, S. 341-343. Dazu Dreher, Kampf, Kap. XV; Vogt, „Der Herr Minister...“, S. 116-121; Otto, Ausgerechnet Bonn..., S. 102-109. BA, NL Schäffer, Bd. 27, Bl. 206-208, Anonymer Bericht an Schäffer, Eingang 2.5.1950. Der Verfasser ist wahrscheinlich Hans Limmer. Die Akte enthält weiteres Material über die Konflikte in der BP und ihr Verhältnis zur CSU. – Zu den Hintergründen: Unger, Bayernpartei, S. 128-133, 156-161; Wolf, CSU und Bayernpartei, S. 160-166; Lanzinner, Sternenbanner, S. 362-369. Zur Affäre Kozminski, einem Scheingeschäft zum Aufkauf der Landeszeitung der BP: „Der Spiegel“, Nr. 51/1950, 20.12., S. 15f.: „Spiegel-Ausschuß“. „Der Spiegel“, Nr. 39/1950, 27.9., S. 5-7: „Bundeshauptstadt: Klug sein und mundhalten“. Vgl. Brawand, Spiegel-Story, S. 157-159. Dazu auch Unger, Bayernpartei, S. 259, Anm. 36. BA, NL Blankenhorn, Bd. 1b, Bl. 59, Tagebuchnotiz, 3.11.1949. BA, NL Schäffer, Bd. 27, Bl. 168f. Ebd., Bl. 167, 169, 171. Zu Heinrichsbauer: Tauber, Beyond Eagle und Swastika, S. 1038f., Anm. 29; Mansfeld, Bonn, S. 392f. Unger, Bayernpartei, S. 131; Balcar/Schlemmer (Hrsg.), An der Spitze der CSU, S. 266f., Anm. 7, und S. 275, Anm. 7.
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eines engen Vertrauten Adenauers, des Kölner Bankiers Robert Pferdmenges. 183 Ferner gab es im Herbst 1949 Gerüchte über erhebliche Zuwendungen aus Frankreich an die BP. 184 Wie es 1950 in der BP zuging, meldete der Sekretär des Bundestagsabgeordneten Elimar Baron Fürstenberg, Hans Limmer, am 31. Juli 1950 Bundesfinanzminister Schäffer. 185 Limmer war offenbar als „Maulwurf“ der CSU bei der BP eingeschleust worden. Seine drastische Ausdrucksweise („Geistesstörung innerhalb der BP-Fraktion Bonn“, „korrupte[r] Haufen“) bestätigt nur seine inhaltlichen Einlassungen. Er riet, die BP finanziell auszutrocknen, indem ihr keine Gelder aus der Wirtschaft mehr zugute kommen sollten, und die BP mit allen Mitteln zu bekämpfen. Er selbst wollte nicht länger den Sekretär des BP-Abgeordneten Freiherr von Fürstenberg „spielen“ und bat um eine Anstellung. Fürstenberg selbst verließ die BP im November 1950 und trat im Januar 1951 der CSU bei. 186 Aumer informierte Schäffer am 15. September 1950 vertraulich 187, ein Frankfurter Industrieller habe Loritz 30.000 DM bieten wollen, wenn er für Frankfurt stimme. Er wurde darüber unterrichtet, daß Loritz ohnehin Frankfurt favorisiere. Aumer unterstrich, die bayerische Industrie wolle der BP kein Geld mehr zur Verfügung stellen, weil sie separatistisch sei und ihn (Schäffer) harsch attackiere. Aumer hatte übrigens 1945/46 das Amt eines Staatskommissars für Wiedergutmachung und politisch Verfolgte in Bayern bekleidet, von dem er auf Druck der amerikanischen Militärregierung entbunden wurde. 188 Sein Nachfolger wurde Philipp Auerbach. Ein Generalmajor verklagte Aumer wegen Diebstahls von Wert- und Gebrauchsgegenständen im Jahre 1945. 189 Nach Ablegung eines Eides wurde Aumer freigesprochen. Er soll enge Beziehungen zu französischen Stellen gepflegt haben. Seine parlamentarische Immunität wurde 1952 wegen Unterschlagungen und diverser anderer Vorwürfe aufgehoben. 1954 zahlte Aumer dem Generalmajor in einem Vergleich 4.000 DM, im April 1955 wurde er wegen Meineid zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.190 Loritz wiederum soll für westliche Geheimdienste tätig gewesen sein.191 Der eingesetzte Untersuchungsausschuß des Bundestages entdeckte zwar keine Beweise für eine Bestechung, empfahl aber drei Abgeordneten der BP (Aumer, von Aretin und Ludwig Volkholz 192) und einem der WAV (Wilhelm Schmidt 193), aufgrund gewisser Widersprüche ihr Mandat niederzulegen. 194 Der Betrag von 2 Mio. DM wurde angezweifelt, während Zahlungen 183
184 185 186 187 188 189 190 191 192
193 194
„Der Spiegel“, Nr. 5/1954, 27.1., S. 9-18: „Pferdmenges: Geld aus dem Fenster“, hier: S. 14-16. Vgl. auch Unger, Bayernpartei, S. 131. Pferdmenges bestritt nicht, bei der Bundestagswahl Geldsammler für die Parteien gewesen zu sein. Er dementierte hingegen jede Beteiligung an einer Bestechung für einen bestimmten Zweck. AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 2578, Notiz, September 1949. BA, NL Schäffer, Bd. 27, Bl. 113-114. – Zur Rolle Schäffers: Henzler, Fritz Schäffer, S. 313-316, 373-377. CDU/CSU-Fraktion BT. Sitzungsprotokolle 1949-1953, S. CVIII. BA, NL Schäffer, Bd. 27, Bl. 111-112. M.d.B. Volksvertretung im Wiederaufbau, S. 15; Biographisches Handbuch BT, S. 26; Ludyga, Philipp Auerbach, S. 42, 44. „Der Spiegel“, Nr. 42/1950, 18.10., S. 11-14: „Aumer: Silberne Löffel“. „Der Spiegel“, Nr. 17/1955, 20.4., S. 46: „Der Spiegel berichtete...“. AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 2578A, 004163, Betr.: Ehem. SRP – WAV – Besprechungen in Wilhelmshaven, 10.7.1953. Relativierend: Woller, Loritz-Partei, S. 26. Ludwig Volkholz (1919-1994) wurde 1953 aus der BP ausgeschlossen und 1967 nach einem Gastspiel in der FDP wieder aufgenommen. Im Jahre 1954 wurde er in einem Meineidsprozeß zu einer zehnmonatigen Gefängnisstrafe mit Verlust seiner Pensionsansprüche verurteilt. Er kämpfte lange um seine Rehabilitierung und wurde 1991 begnadigt (M.d.B. Volksvertretung im Wiederaufbau, S. 440; Biographisches Handbuch BT, S. 904f.; Minzel, Bayernpartei, S. 403f., Anm. 17). Wilhelm Schmidt (1888-1962) war langjähriger Funktionär des Bauernverbandes (M.d.B. Volksvertretung im Wiederaufbau, S. 370; Biographisches Handbuch BT, S. 761). Verhandlungen BT, Anlagen zu den Sten. Ber., WP I, Bd. 11, DS 2274; „Der Spiegel“, Nr. 21/1951, 23.5., S. 5: „Spiegel-Ausschuß: Unter die Nase reiben“; „Der Spiegel“, Nr. 24/1951, 13.6., S. 7: „SpiegelAusschuß: Gesetze eingebracht“. Dazu Pommerin, Von Berlin nach Bonn, S. 197; Wolf, CSU und Bayernpartei, S. 161-164; Unger, Bayernpartei, S. 130f.; Minzel, Bayernpartei, S. 452; Köhler, Adenauer, Bd.
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der Industrie an Mitglieder der BP als bewiesen galten. 195 Ihr konkreter Zweck ließ sich nicht feststellen. Wer die Protokolle des Untersuchungsausschusses196 liest, wird kaum noch daran zweifeln, daß die Entscheidung zugunsten Bonns auch mit Schmiergeldern ermöglicht wurde. Heinrichsbauer konnte sich partout nicht mehr erinnern, welchen Politikern er im Kontext der Bundestagswahl Geld gegeben hatte. Quittungen seien manchmal ausgestellt, später aber vernichtet worden. Aus welchem Fonds die Zahlungen stammten, vermochte er nicht mehr zu sagen. Ein Vertreter der Mineralölwirtschaft erklärte, Aumer habe 21.500 DM erhalten, an die keine Bedingungen geknüpft worden seien. Donhauser ging laut Zeugenaussagen zu mehreren Abgeordneten und teilte ihnen mit, für die BP sei die Wahl der Hauptstadt keine weltanschauliche Frage, und wer für Bonn stimme, könne Geld dafür bekommen. Fritz Schäffer mußte einräumen, daß Donhauser 40.000 DM zur Tilgung seiner Wahlschulden aus einem Wahlfonds erhalten habe, der für eine „Gruppe von Parteien“ bestimmt gewesen sei. Schmidt behauptete, er habe nur Spaß gemacht, als er von einer Liste sprach, auf der die mit Geld für Bonn gewonnenen Personen standen. 197 Nach einer ausführlichen Debatte im Bundestag am 7. Juni 1951 198 stimmte das Plenum tags darauf einzeln darüber ab, welchen Abgeordneten empfohlen werden sollte, ihr Mandat niederzulegen. Die vier vom Ausschuß „nominierten“ Parlamentarier verfielen dem Ostrakismos – was keiner von ihnen beherzigte. Weitere Ächtungsvorschläge – darunter auch der von der KPD genannte Fritz Schäffer – wurden abgelehnt. 199 Adenauer selbst versicherte von Brentano am 6. Oktober 1950, niemals in irgendeiner Weise auf Abgeordnete eingewirkt zu haben, um ein Votum für Bonn oder Frankfurt a.M. zu erreichen. 200 Zwei der Schlüsselfiguren dieser mysteriösen Angelegenheit, Anton Donhauser und Anton von Aretin, fielen in den folgenden Jahren besonders auf. Donhauser stieß 1952 zur CSU, der er schon von 1945 bis 1947 angehört hatte. Seine politische Laufbahn wurde 1955 durch ein Strafverfahren wegen Unterschlagung, Betrug und Bestechung mit einem Schuldspruch jäh gebremst. 201 Er hatte infolge anhaltender Zahlungsengpässe riskante Geschäftsprojekte um eine leerstehende sudetendeutsche Samtfabrik und ein Röhrenwerk in Kempten verfolgt.202 Dabei geriet er an einen unseriösen Bankier aus der Stadt im Allgäu, der rasch per Haftbefehl gesucht wurde. Den daraus erwachsenen neuen Schwierigkeiten versuchte Donhauser durch die Bestechung eines Richters zu entgehen. Im Oktober 1955 hob der Bundestag die Immunität des CSU-Abgeordneten auf. Donhausers Kraftfahrer Lemmer betrieb im Februar 1955 mit Einwilligung seines Chefs ein spekulatives Interzonengeschäft um Dosenfleisch mit DDR-Behörden. 203 Als Lemmer in OstBerlin verhandelte, wurde er plötzlich zu Erich Mielke geführt. Dieser sagte Lemmer unverblümt, er kenne doch im Bundestag prominente Leute, deren Privatleben, deren
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1, S. 496f.; Dreher, Kampf, S. 174-176; Bickerich, Strauß, S. 48f. – Von Aretin blieb im Unterschied zu Donhauser und Aumer in der BP, bis sie ihn 1952 ausschloß (M.d.B. Volksvertretung im Wiederaufbau, S. 12; Biographisches Handbuch BT, S. 18). Unger, Bayernpartei, S. 130. Einige sind im „Spiegel“ abgedruckt. Am wichtigsten: „Der Spiegel“, Nr. 42/1950, 18.10., S. 5-11: „SpiegelAusschuß: Aus den Protokollen“; „Der Spiegel“, Nr. 44/1950, 1.11., S. 15-17: „Spiegel-Ausschuß“; „Der Spiegel“, Nr. 24/1951, 13.6., S. 6-8: „Der Bonner Spiegel-Ausschuß“. „Der Spiegel“, Nr. 43/1950, 25.10., S. 5: „Spaß: Aus purer Dummheit“. Verhandlungen BT, Sten. Ber., Bd. 8, S. 5897-5942. Ebd., S. 5961-5964. – Die KPD betrieb noch 1953 Propaganda mit diesem Vorgang (BA, NL Blücher, Bd. 117, Bl. 125-131, Radio Ost-Berlin II, 1.3.1953, 13 Uhr, hier: Bl. 129-131). Adenauer. Briefe 1949-1951, Nr. 324. Wolf, CSU und Bayernpartei, S. 288f., Anm. 529; Balcar/Schlemmer (Hrsg.), An der Spitze der CSU, S. 211, Anm. 42. – Schon im Juli 1948 war er wegen übler Nachrede gegen Josef Müller zu einer Geldstrafe verurteilt worden (Balcar/Schlemmer (Hrsg.), An der Spitze der CSU, S. 155, Anm. 11). „Der Spiegel“, Nr. 48/1955, 23.11., S. 21-26: „Bayern: Ich verstehe schlecht“. „Der Spiegel“, Nr. 53/1955, 28.12., S. 11-13: „Abgeordneten-Geschäfte: Lemmer unterschrieb“.
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Schulden... Lemmer unterzeichnete eine Verpflichtungserklärung, was er bald bereute. Donhauser erfuhr davon und unterrichtete sofort BMI und Bundeskriminalamt. Ob der Schluß des „Spiegel“-Artikels so zutrifft, darf bezweifelt werden. Im Jahre 1959 wurde der von ständigen Geldnöten geplagte Donhauser ebenso wie der frühere Schatzmeister der BP, Dr. Eduard Maier, dank des Überläufers Max Heim als Spitzel des MfS enttarnt, wenngleich er ein „kleiner Fisch“ war. 204 Von Aretin war einer der Angeklagten im großen Traunsteiner Weinschieber-Prozeß von 1956/57. 205 Er half in den Jahren 1948/49 den Weingroßhändlern Hans von Gelmini (München) und August Eutermoser (Rosenheim) bei der Erlangung italienischer Importlizenzen. Dabei wurde Südtiroler Wein als Geschenksendung für die CSU bzw. für ein Benediktinerkloster in Niederbayern deklariert. Zudem nutzte von Aretin diese lukrativen Devisengeschäfte, um das Vermögen seiner Mutter illegal in die Bundesrepublik zu transferieren. Der Gewinn von Aretins soll bei mindestens einer halben Million DM gelegen haben. Der Bundestag hob am 27. März 1952 auf Antrag der Staatsanwaltschaft München die parlamentarische Immunität von Aretins auf. Das Urteil des Gerichts vom Februar 1957 lautete: 27 Monate Gefängnis für Eutermoser, 18 Monate für von Gelmini, 7 Monate für von Aretin, der zusätzlich eine Geldbuße von 9.000 DM und eine Wertersatzstrafe von 30.583 DM tragen mußte. 206 Nicht allein die Person von Aretins erinnert an die Zusammenhänge mit dem Fall Schmeisser-Blankenhorn. In Traunstein stellte sich außerdem heraus, daß Josef Plonner – der 1946 bis 1949 in der Landesgeschäftsstelle der CSU tätig gewesen war – mit Hilfe dieser als Wirtschaftskriminalität zu bewertenden Devisenmanipulationen die finanziellen Nöte der Partei in der Zeit unmittelbar nach der Währungsreform meistern wollte. 207 Er behauptete vor Gericht, Haussleiter, Josef Müller und Franz Josef Strauß seien über diese Dinge unterrichtet gewesen. Plonner wurde für vermindert zurechnungsfähig erklärt, und im Dezember 1954 verschwanden zentrale Akten unter ungeklärten Umständen aus dem bayerischen Landwirtschaftsministerium. 208 Wenn es schon die größeren Parteien mit der politischen Moral in den Aufbaujahren nicht immer so genau nahmen, ist es gar nicht mehr so verwunderlich, wie die BP in dieser Zeit auftrat. Die BP befand sich 1949/50 in einem Zustand, der ihre Auflösung anzukündigen schien. Innerlich zerrissen vom Richtungsstreit pro oder contra Annäherung an die CSU, erhöhten persönliche Feindschaften die Explosivität der Lage. Durch den Bundestagswahlkampf finanziell in der Bredouille, suchte die BP nach Mitteln, dem Kollaps zu entkommen. Dabei wurde sie abhängig von Spenden aus der bayerischen Industrie, die ohne Einwilligung des die gemäßigten Kräfte der BP umwerbenden Bundesfinanzministers Schäffer nicht geflossen wären. Hier spielt wiederum der Geldbedarf der Union für die Bundestagswahl 1949 eine Rolle, der zwischen Blankenhorn und Schmeisser erörtert worden war. In der Politik wird der Grundsatz do ut des gepflegt. Schon bei der dramatischen Kanzlerwahl im Bundestag vom 15. September wog eine für Adenauer abgegebene Stimme
204
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BA, B 106, Bd. 200261, Schreiben Bundeskriminalamt an Toyka (BMI), [24.6.1959]. Dazu Henkel, Was treibt den Spion?, S. 288f.; M.d.B. Volksvertretung im Wiederaufbau, S. 77; Biographisches Handbuch BT, S. 153f. Material in: BA, B 126, Bd. 45; Ergänzend: Balcar/Schlemmer (Hrsg.), An der Spitze der CSU, S. 345, Anm. 87 und 90. „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 13.2.1957: „’Geschenksendungen’ mit Schweigegeldern“. „Frankfurter Rundschau“, 19.10.1956: „Millionenschiebung mit Südtiroler Wein vor Gericht“. Zur Rolle Plonners auch „Der Spiegel“, Nr. 16/1955, 13.4., S. 18-25: „Bayern: Wer ist schuldig?“ Zur Person: Balcar/Schlemmer (Hrsg.), An der Spitze der CSU, S. 616. „Die Welt“, 4.12.1956: „Paragraph 51,2 für den Hauptangeklagten“.
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aus der BP schwer. 209 Es lag nahe, ein bestimmtes Votum im schwelenden Hauptstadtstreit als politischen Preis für Zahlungen an die BP zu nutzen. Aumer, Donhauser, von Aretin und einige andere Politiker der BP durften als korrupt angesehen werden. Der Untersuchungsausschuß stellte fest, gewisse Summen seien gezahlt worden, und ging soweit, einigen Betroffenen Mandatsverzicht zu empfehlen. Blankenhorns Unterredungen mit BPVertretern und die Einschaltung von Finanzleuten wie Pferdmenges oder Heinrichsbauer zum Zeitpunkt der Abstimmung im Bundestag nähren den Argwohn, es sei Bestechung im Spiel gewesen. Die BP hatte zuvor Frankfurt bevorzugt, und nun votierten mehrere Parlamentarier überraschend für Bonn! Der Befund läßt sich auf folgende Formel bringen: Die BP hatte 1949/50 durch das machtpolitische Patt zwischen Rechts und Links eine Schlüsselstellung inne; bei der Bundestagswahl und den damit verknüpften Weichenstellungen war sie das Zünglein an der Waage. Blankenhorn und andere Unionspolitiker haben die labile finanzielle Situation der BP offensichtlich ausgenutzt, um Teile der Partei mit nicht immer sauberen Mitteln für die eigenen Ziele zu gewinnen. g) Rätsel um Reifferscheidt: Separatist oder Wirtschaftsmann? Am 2. Dezember 1953 sagte Schmeisser aus, Durtal habe gehofft, über die ostzonale CDU Informationen zu kommunistischen Umtrieben zu erhalten. 210 Durtal hatte von einem antikommunistischen Nachrichtendienst der CDU gehört und wollte mit ihm Verbindung aufnehmen. Schmeisser wandte sich deshalb auf Empfehlung Durtals an Reifferscheidt. Schmeisser führte sich bei Reifferscheidt unter dem Decknamen Levacher als Journalist ein. Er bat um ein Interview über deutsch-französische Wirtschaftsbeziehungen. Reifferscheidt entwickelte die Idee einer Deutsch-Französischen Handelskammer. Im Laufe des Gesprächs sagte Levacher ihm, er käme vom Deuxième Bureau und wolle mit Hilfe der CDU Material über kommunistische Aktivitäten in der Ostzone erhalten. Reifferscheidt vermittelte ihn daraufhin an Blankenhorn. Reifferscheidt habe zu den Befürwortern einer Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich gehört. Wenn Berlin wieder Hauptstadt würde, müßte die rheinische Industrie viel Geld für den Aufbau des ausgeplünderten deutschen Ostens aufbringen. Im Westen könne man dagegen gute Geschäfte machen. Reifferscheidt übergab Levacher eine Liste von 14-15 gleichgesinnten Industriellen. Schmeisser erklärte in der Vernehmung, die genannte Liste sei nie in die Schweiz gelangt, wie er im französischen Innenministerium ausgesagt habe. Damit habe er lediglich seine Entlassung aus der Haft erreichen wollen. Reifferscheidt wollte mit Levacher in Verbindung bleiben, um mit ihm gelegentlich über diese Zusammenhänge zu reden. Er solle Blankenhorn nichts davon sagen, damit Adenauer nichts erführe; dieser wolle nichts davon hören, habe aber Verständnis dafür. Reifferscheidt habe auch von einer Flugschrift gesprochen, in der er die Bevölkerung über seine Abspaltungsideen unterrichten wollte. Später habe er ihm (Levacher) unterstellt, ihn auf den Unkosten sitzengelassen zu haben. Der Generalkonsul der Bundesrepublik in Montreal Adolph Reifferscheidt erstellte am 16. Januar 1952 eine Erklärung, weil Blankenhorn ihm mitgeteilt hatte, Schmeisser plane eine Publikation über seine Kontakte zum ehemaligen Zonensekretariat der nordrhein-
209 210
Schwarz, Adenauer, Bd. 1, S. 630; Köhler, Adenauer, Bd. 1, S. 528f.; Lanzinner, Sternenbanner, S. 367; Henzler, Fritz Schäffer, S. 373. PA/AA, B 130, Bd. 13798, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in München, 2.12.1953, hier: S. 5-7, 910.
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westfälischen CDU in Köln-Marienburg. 211 Er berichtete, er habe als Wirtschaftsreferent des Zonensekretariats Levacher einmal empfangen, als weder Adenauer noch Blankenhorn erreichbar waren. Nach diesem Treffen am 12. Mai 1948 kam es noch zu drei oder vier weiteren, bei denen auch Schmeissers Sekretärin – die er manchmal auch seine Frau nannte – anwesend war. Reifferscheidt unterrichtete Levacher über seine wirtschaftspolitischen Ansichten. Dieser wiederum schilderte seine Förderung des antikommunistischen Widerstandes auf dem Balkan. Damals bereitete Reifferscheidt eine Deutsch-BelgischLuxemburgische Handelskammer vor, wollte aber auch eine Deutsch-Französische Handelskammer in Köln ins Leben rufen. Levacher behauptete, ihm dabei behilflich sein zu können. Daraufhin erhielt er ein Exposé über dieses Projekt. Anderweitige Informationen habe Levacher nicht von ihm bekommen. Mitte 1949 habe Levacher ihn wegen eines Zeitungsprojektes nochmals aufgesucht. Danach sah er Schmeisser nie wieder. Er sei bereit, einen Eid zu schwören, daß er niemals Geld oder Sachleistungen von Schmeisser bezogen habe. Am 9. Dezember 1952 sagte Blankenhorn aus 212, Schmeisser habe mit Reifferscheidt wohl lediglich über Handelskammern gesprochen. Die in der Schweiz liegende Liste von Persönlichkeiten, die für eine Abtrennung des Rheinlands plädierten, dürfte mit diesen Handelskammern zu tun haben. Alles andere seien „völlige Hirngespinste“. Von Separatismus wisse er jedenfalls nichts. Schmeisser widersprach am 18. Dezember 1952 bei einer Vernehmung in Gräfelfing. 213 In bezug auf Reifferscheidt wollte Schmeisser keine Abstriche machen. Bei der Liste einflußreicher Persönlichkeiten ging es keineswegs nur um eine deutschfranzösische Handelskammer, denn dies wäre für ihn uninteressant gewesen. Schließlich erklärte Dorothy am 3. Dezember 1953 214, sie habe im März/April 1949 einmal mit Reifferscheidt gesprochen. Sie sollte ihn fragen, ob Levacher ihn aufsuchen dürfe, denn die Verbindung zwischen ihnen war zu diesem Zeitpunkt abgerissen. Reifferscheidt zeigte sich verärgert, weil die Franzosen ihm seine Auslagen für Propagandamaterial nicht vergütet hatten. Schretzmair wurde daher von ihm angefahren, Levacher habe ihn sitzen lassen. Er habe viel Geld dafür ausgegeben. Dorothy erwiderte, Levacher könne nichts dafür; dies sei von den Franzosen entschieden worden, die kein Interesse mehr an seinen Plänen gehabt hätten. Was für Gedanken machte sich Risse alias Hover zu Reifferscheidt? 215 Seines Erachtens pflegte Reifferscheidt Beziehungen zu Industriellen in den Nachbarländern aufgrund seiner Position in der Handelskammer. Dies war berufsbedingt eine Notwendigkeit. Reifferscheidt hatte einen Mittler wie Levacher nicht nötig. Um die negative Beleuchtung Adenauers zu verstärken, ließ Schmeisser beim Vorgang Reifferscheidt einige erklärende Elemente weg und akzentuierte dafür „Bruchstücke mit färbenden Attributen“. Reifferscheidt wurde am 4. Dezember 1953 in Frankfurt a.M. vernommen. 216 Levacher habe sich als Journalist vorgestellt, der mit ihm über Währungsfragen sprechen wollte. Im Laufe der Unterredung gab er sich als Angehöriger des französischen Nachrichtendienstes zu erkennen. Reifferscheidt erblickte darin keinen Makel, sondern eine willkommene Gelegenheit, deutsche 211 212 213 214
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PA/AA, B 2, Bd. 354A; BA, B 136, Bd. 241. PA/AA, B 130, Bd. 13796, und B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 96ff., Protokoll der Vernehmung Blankenhorns in Bonn, 9.12.1952, hier: S. 3. PA/AA, B 130, Bd. 13798, und B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 97-99, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Gräfelfing, 18.12.1952, hier: S. 1f. PA/AA, B 130, Bd. 13796, Protokoll der Vernehmung Dorothy Schretzmairs in München, 3.12.1953, hier: S. 16. Dorothy betonte die separatistischen Pläne Reifferscheidts auch bei einer Vernehmung in Wiesbaden am 15.11.1951 (BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 26-28, hier: Bl. 27). Hover, Fall Schmeisser, S. 51f. PA/AA, B 130, Bd. 13796.
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Ansichten weiterzugeben. Er bejahte Levachers Frage, ob er bei Adenauer auf Verständnis rechnen könne, denn diesem läge die deutsch-französische Einigung am Herzen. Er (Levacher) müsse größere Geldbeträge an antikommunistische Widerstandskreise weiterleiten; Reifferscheidt fand dies „aufschneiderig“. Er konnte sich nicht erinnern, ob in diesem Kontext von Material der CDU die Rede war. Als er mit Adenauer über Levacher sprach, sagte er jenem, er halte Levacher nicht für eine bedeutende Person, doch man sollte mit ihm reden. Ob er Adenauer und Blankenhorn gegenüber erwähnte, daß Levacher zum französischen Geheimdienst und nicht nur zur Militärregierung zähle, wisse er nicht mehr genau – vermutlich schon. Über seine Dienststelle hatte Schmeisser keine Auskunft erteilt. Reifferscheidt unterstrich, er habe mitnichten einen Plan zur Abtrennung des linken Rheinufers propagiert, sondern nur von einer künftigen europäischen Wirtschaftsunion gesprochen, die die Bedeutung von Landesgrenzen drastisch reduzieren würde. Das könnte Levacher mißverstanden haben. Dieser erwies sich nicht als ökonomischer Experte. Die Behauptung, er (Reifferscheidt) habe ein Flugblatt drucken wollen, in dem die Abspaltung des linksrheinischen Gebietes befürwortet werden sollte, sei erfunden. Er habe mit keinem Druckereibesitzer auch nur Vorgespräche geführt, und kein Druckereibesitzer werde sich finden lassen, der Schmeissers Angaben stützen könne. Überhaupt: Meine Schmeisser Druckkosten von 1.000 RM oder 1.000 DM? 1.000 RM wären zu wenig gewesen, um etliche Flugblätter zu drucken, 1.000 DM hätte Reifferscheidt kaum besitzen können. Daher stimme es auch nicht, daß er Schmeisser vorgeworfen haben soll, dieser habe ihm Auslagen für die Vorbereitung des Flugblatts nicht ersetzt. An sein Versprechen, in Paris die Gründung einer deutsch-französischen Handelskammer zu unterstützen, erinnerte Reifferscheidt Levacher immer wieder. Die Aussagen Reifferscheidts entlarven eine ohnehin unglaubwürdige Angabe Blankenhorns als Lüge. Dieser wollte nämlich plausibel machen, er habe nicht bemerkt, es mit einem Agenten des französischen Geheimdienstes zu tun zu haben. Reifferscheidt sagte ausdrücklich, Levacher habe sich als Mann des Nachrichtendienstes bezeichnet. Als der hellhörig gewordene Untersuchungsrichter nachfragte, ob er (Reifferscheidt) dieses wichtige Detail Blankenhorn und Adenauer mitgeteilt habe, wurde dieser stutzig – er begriff, etwas Anstößiges gesagt zu haben. Die Unvorsichtigkeit ließ sich nicht mehr aus der Welt schaffen, sondern lediglich durch eine relativierende Floskel abschwächen. Adenauer bestätigte am 17. Mai 1954, daß Blankenhorn Levacher als Agenten des französischen Nachrichtendienstes eingeführt habe. 217 Dies sagte Adenauer auch am 1. Oktober 1955 im Parteiausschuß der CDU explizit. 218 Es ist also nicht mehr zu bezweifeln, daß auch Blankenhorn und Adenauer wußten, welche Funktion Levacher ausübte. Rechtsanwalt Josef Augstein zeigte sich in einem Schriftsatz vom 30. Mai 1953 erstaunt, warum Reifferscheidt die Annahme, er habe 1948 einen unabhängigen Rheinstaat anvisiert, als Kränkung empfinde. 219 Damals seien solche Bestrebungen verbreitet gewesen. Dahs meinte, diese Sichtweise gehe über die angebliche Benutzung französischer Gelder und die Mitwirkung französischer Agenten hinweg, durch die eindeutig eine negative Konnotation entstehe. 220 Wie verhält es sich nun mit „separatistischen“ Aktivitäten Reifferscheidts? Dazu müssen ergänzend weitere Verhöre aus dem Schmeisser-Prozeß einbezogen werden. Mehrere 217 218 219 220
BA, B 136, Bd. 241. ACDP, VII-001-020/5, Sitzung des Bundesparteiausschusses, 1.10.1955, Anlage: Ausführungen Adenauers unter TOP „Verschiedenes“ zum Fall Schmeisser. BA, B 141, Bd. 12083, Schreiben Josef Augsteins an Landgericht Hannover, 30.5.1953, hier: S. 37-40. Ebd., Aktennotiz [Dahs]: Stellungnahme zu den presserechtlichen Ausführungen im Schriftsatz Dr. Augsteins, 22.7.1953, hier: S. 10.
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Personen wurden befragt, ob sie etwas über Reifferscheidts Ansichten zum Rheinland wüßten. Ernst Vogt – wie Reifferscheidt ein Gegner des Nationalsozialismus – sagte am 8. Februar 1954, Reifferscheidt habe ihm gegenüber eine Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich befürwortet. 221 Der Gewerkschaftler Victor Agartz bescheinigte Reifferscheidt eine frankophile Tendenz, wußte aber nichts Genaues. Reifferscheidt war also an einer Verbesserung der deutsch-französischen Beziehungen im allgemeinen und an einer Deutsch-Französischen Handelskammer im besonderen interessiert. Es gibt keine eindeutigen Beweise für seine Begünstigung eines Rheinstaates, den namentlich de Gaulle propagierte. Wohl aber existieren gewichtige Indizien, die eine solche These stützen. Was das in diesem Sinne ausgerichtete Flugblatt angeht, so sind nicht nur die Erklärungen Schmeissers darüber ziemlich konkret. Mehr noch, Dorothy erwähnt im Rahmen ihrer Aussagen einen Besuch bei Reifferscheidt, in dem dieser sich erzürnt zeigte, weil Levacher ihm seine Unkosten nicht vergütet habe, obwohl er die Mittel in Frankreich beschaffen wollte. Da auch diese Zeugin keine absolute Glaubwürdigkeit verdient, ist hinter die Sache ein Fragezeichen zu setzen. Entgegen den Wertungen Risses darf durchaus angenommen werden, daß Levacher den Eindruck vermittelte, in Paris Gelder auftreiben zu können. Die Tendenz spricht jedenfalls für eine Förderung separatistischer Pläne Frankreichs durch Reifferscheidt. Schmeissers Liste mit frankophilen Persönlichkeiten dürfte mitnichten auf einer Erfindung beruhen. Die Namen Reifferscheidt und Adenauer standen mit Sicherheit darauf. Der französische Geheimdienst suchte nach geeigneten Ansprechpartnern, und Adenauers Drähte zu französischen Verbindungsleuten sind erwiesen. Rheinstaatsideen in Anlehnung an die Vorstellungen de Gaulles blieben nicht tabu, doch dürfte sich die Neigung dafür seit 1945 Jahr für Jahr abgeschwächt haben. Bedeutende Köpfe der Bundesrepublik Deutschland hatten 1952 das Problem, mit Velleitäten konfrontiert zu werden, die beileibe nicht mehr in die damalige politische Landschaft paßten. Sie wurden Ende der 1940er Jahre auch über vorsichtig betriebene Zeitungsprojekte im Ausland verfolgt. 4) DAS ZEITUNGSPROJEKT DES CDU-ZONENSEKRETARIATS In den Jahren 1948-1950 bereitete die Werbung für eigene Ziele in der Öffentlichkeit noch beträchtliche Schwierigkeiten, zumal die Nachrichtenagenturen der Alliierten dominierten. 222 Hinzu kam Adenauers schlechtes Verhältnis zu Fritz Sänger, dem Chefredakteur des Deutschen Pressedienstes und der Deutschen Presse-Agentur (dpa). 223 Deutsche Zeitungen erfreuten sich international keiner großen Beachtung, die parteinahe Presse operierte für Adenauers Geschmack zu unabhängig und die Berichterstattung in der amerikanischen Presse erschien ihm oberflächlich. Er griff in der Frühzeit oft zum Mittel eines Zeitungsinterviews224, um sich Gehör zu verschaffen. Die Situation war also unbefriedigend. Von public relations im modernen Sinne konnte noch keine Rede sein. 225 Schmeisser und Schretzmair erzählten in ihren Vernehmungen vom Zeitungsprojekt des Verlegers Eric Uwe Müller-Schwanek („Die Straße“). 226 Dieser prominente Nationalsozialist 221 222 223 224 225 226
PA/AA, B 130, Bd. 13797 (auch für das Folgende). Dazu etwa Hoffmann, Adenauer: „Vorsicht und keine Indiskretionen!“, bes. S. 25-54, 175-188. Sänger, Fäden, S. 154-161; Walker, Presse- und Informationsamt, S. 212-220. Hoffmann, Adenauer: „Vorsicht und keine Indiskretionen!“, S. 77-103; Küsters, Konrad Adenauer, die Presse, S. 23, 25f. – Knappe Hinweise zur Presseproblematik bei Ramscheid, Blankenhorn, S. 96. Insgesamt zur Pressepolitik Adenauers neben den in Anm. 224 genannten Werken: von Hase (Hrsg.), Konrad Adenauer; Münkel, Medienpolitik, S. 298-307. Vgl. Kap. III.1.
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arbeitete inzwischen für östliche Geheimdienste und galt in London als persona non grata. Trotzdem verfolgte Schmeisser seine Pläne mit diesem gefährlichen Mann. Der britische Nachrichtendienst ließ in der Öffentlichkeit durchsickern, wer Müller-Schwanek wirklich war. Schmeisser zog sich daraufhin den Ärger seiner Vorgesetzten zu. Ende Mai/Anfang Juni 1949 erschien Levacher in der Deutsch-Belgisch-Luxemburgischen Kammer, wo Reifferscheidt inzwischen arbeitete. 227 Der Besuchter regte Reifferscheidt gegenüber die Gründung einer großen Tageszeitung an, die französisch orientiert sein sollte. Dafür hatte er ein Konzept ersonnen, das er (Reifferscheidt) an finanzkräftige Kreise weitergeben sollte. Die maßgebende Person der neuen Zeitung sollte ein gewisser MüllerSchwanek sein, ein früherer U-Boot-Kommandant mit antibritischer Gesinnung. Angeblich ließe sich viel Geld dabei verdienen. Er (Reifferscheidt) habe kühl erwidert, er glaube nicht, in dieser Sache etwas tun zu können. Kaesberger (Innenministerium Rheinland-Pfalz) stand 1952 mit Müller-Schwanek in Verbindung und erfuhr einiges von ihm. 228 Schmeisser habe in Boppard mit zahlreichen Politikern Kontakte unterhalten, darunter Friedrich Holzapfel, Heinrich Böx, Hasso von Etzdorf, Hans Globke, Peter Pfeiffer und Adolph Reifferscheidt. Laut Schmeisser habe Blankenhorn ihm im Auftrag Adenauers alle Informationen gegeben, die er über Großbritannien, die USA und den Osten erhalten habe. Sie hätten Schmeisser versprochen, „eine frankophile Bundesregierung“ zu bilden und ihn über alle ihre Maßnahmen zu unterrichten. Müller-Schwanek habe selbst gesehen, wie Levacher Lebensmittelpakete zu Blankenhorns Privatwohnung gebracht habe. Kaesberger lag im Original ein Schreiben Levachers an Müller-Schwanek vom 21. Mai 1949 vor, das lautete: „Es scheint dort zu klappen!“ Adenauer erwarte sie beide am 30. oder 31. Mai in Bonn. 229 Vermutlich bezog sich dies auf das Zeitungsprojekt von Müller-Schwanek. Tauber zufolge behauptete MüllerSchwanek 1952, Verbindungsmann des CDU-Politikers Admiral Günther Schubert zum rechtsstehenden französischen Blatt „Rivarol“ zu sein. 230 Schubert habe Kontakte zur rechten Szene in Deutschland gepflegt. Gäbe es nur diese dürren Belege, ließe sich nicht behaupten, Adenauer und das Zonensekretariat der CDU in Köln hätten die Gründung einer Zeitung betrieben, die bei der ventilierten Annäherung an Frankreich hilfreich sein sollte. Andere Quellen erlauben aber eine Vertiefung. Im November 1949 verkündeten mehrere Pariser Zeitungen, Adenauer plane, ein Agentennetz in Frankreich aufzubauen. 231 Worum ging es? Walter Klein 232 aus Neuwied war Anfang der 1930er Jahre KP-Chef in der Deichstadt gewesen. Infolge der Machtergreifung Hitlers emigrierte er nach Frankreich. Im Krieg wandelte er seine Einstellung und wurde als SS-Sturmbannführer Mitarbeiter des Reichssicherheitshauptamtes. Ein ehemaliger Beamter der Gestapo beschuldigte ihn 1952, seine Position als Agent des SD in Frankreich zu Raubzügen genutzt zu haben. 233 Klein baute in Paris ein Firmenimperium auf. Er verbüßte von 1945 bis 1948 eine Gefängnisstrafe als Kriegsverbrecher. Zu dieser Zeit kam er auf die Idee, in der Schweiz und in Frankreich Zeitungen zu gründen und sie deutschen Interessen dienstbar zu machen. Gemeinsam mit seinem Bruder Otto packte er die Sache im Juni 1949 227 228 229 230 231 232 233
PA/AA, B 2, Bd. 354A, und BA, B 136, Bd. 241, Erklärung Reifferscheidts, 16.1.1952. PA/AA, B 2, Bd. 354A, Schreiben Kaesbergers an Minister [Zimmer], 17.7.1952. Ebd., Schreiben Levachers an Müller-Schwanek, 21.5.1949. Tauber, Beyond Eagle und Swastika, S. 1154, Anm. 178. „Der Spiegel“, Nr. 12/1952, 19.3., S. 5-10: „Agenten: Ein Stein vom Herzen“. Dazu auch John, Bild, S. 409f. Einige Angaben zu Klein bei Tauber, Beyond Eagle und Swastika, S. 1086, Anm. 12. BA, B 106, Bd. 15532, Schreiben Schröders an Innenminister Niedersachsen, 7.2.1952.
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an. Otto Klein suchte den Nachfolger von Blankenhorn als Generalsekretär des CDUZonensekretariats in Köln-Marienburg, Erich Schmalz 234, auf. Die Gebrüder Klein konnten dank ihrer Verbindungen in die Schweiz einen konkreten Vorschlag für ein Blatt namens „Fribourg Matin“ machen. Als Gegenleistung wollten sie bevorzugte Lizenzen für Importe aus Frankreich haben. Schmalz holte das Einverständnis des Wirtschaftsreferenten Reifferscheidt und des CDU-Zonenvorsitzenden Adenauer ein. Adenauer stellte aber die Bedingung, sich erst eine Nummer der Zeitung ansehen zu wollen. Unmittelbar nach Bildung der ersten Bundesregierung wurde das BMWi eingebunden, und Walter Klein sowie der Geschäftsführer des Textilverbandes Rheinland, Eisenbach, verhandelten mit verschiedenen Beamten wie von Vollrath von Maltzan, Rolf Lahr und Hans Strack über die Vergünstigungen. Besonders mit dem kurzzeitigen Regierungssprecher Heinrich Böx pflegte Klein engen Kontakt. Das weit gediehene Zeitungsprojekt sickerte im November 1949 in Paris durch und verursachte Aufregung in der französischen Presse. Klein mußte seine Pläne ändern und wollte nun die Pariser Zeitschrift „Réalisme“ aufkaufen. Im Januar 1950 soll Erhard persönlich Klein empfangen und ihm die Lizenzen zugesichert haben. Doch die Bundesregierung rührte sich nicht mehr. Erich Schmalz (geb. 1914) war seit September 1951 Vorsitzender der „Ersten Legion“ 235, eines sehr umstrittenen, elitären Kampfbundes gegen Marxismus und Nihilismus sowie für ein christliches Abendland; Schmalz schimpfte auf das versteinerte Parteienwesen, doch manche erblickten in der „Ersten Legion“ ein unionsnahes Sammelbecken im rechten Spektrum. Auch Heinrich Böx gehörte zum Vorstand. Schmalz wurde 1956 wegen Betrugs gerichtlich verurteilt. 236 Ob die Pressepläne des Zonensekretariats irgend etwas damit zu tun haben, ist unklar. Immerhin liegt die geistige Nähe zu den gewagten publizistischen Unternehmungen von Otto Lenz im Umfeld rechtsgerichteter Gruppierungen 237 auf der Hand. Am 17. Januar 1951 trat Walter Klein in die neonazistische SRP ein. Dies tat seinen französischen Beziehungen keinen Abbruch: Am 15. März 1951 wurde er Bürochef der Sûreté in Mainz, die ihn freilich im Juni wieder entließ, weil er Bundesinnenminister Lehr harsch kritisiert hatte. Lehr hatte die SRP der Zusammenarbeit mit Stellen in der „Sowjetzone“ bezichtigt. Am 30. November 1951 erging Haftbefehl gegen Klein wegen Verbindungen mit Karlshorst. Klein wurde am 24. Januar 1952 in Koblenz vom Chef der Sicherungsgruppe Bonn der Kriminalpolizei, vom Leiter des LfV Rheinland-Pfalz und von einem Sûreté-Offizier verhört. Klein steckte laut „Spiegel“ ganze Aktenordner in die Tasche des französischen Beamten, ohne daß die deutschen Repräsentanten etwas dagegen einwenden konnten. Da zu wenig Unterlagen zur Verfügung standen, mußte Walter Klein am 16. Februar 1952 wieder auf freien Fuß gesetzt werden. Dieser Bericht des „Spiegel“ ist sehr konkret abgefaßt und wird tatsächlich in weiten Teilen durch Akten des BMI bestätigt. Oberbundesanwalt Carl Wiechmann schilderte den – hier nur grob skizzierten – Ablauf in einem Bericht an Justizminister Dehler vom 22. Februar 1952 238 auffallend ähnlich. Allerdings gilt dies nur für den Teil des Artikels, der die subversiven Aktivitäten ab 1951 betrifft. Von dem Presseprojekt Kleins und den Kontakten zur CDU234
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Erich Schmalz ist für die Jahre 1947-1951 als Mitarbeiter des Zonensekretariats der CDU in Köln belegt (Konrad Adenauer und die CDU der britischen Besatzungszone, S. 287, 306, 485, 519, 538, 714, 761, 775; Heitzer, CDU, S. 427, 433, 437, 440-442, 444). Dazu Tauber, Beyond Eagle und Swastika, S. 1134f., Anm. 67; Hirsch, Rechts, S. 205f. Die Unionsparteien 1946-1950, S. 782. Vgl. Kap. IV.3b. BA, B 106, Bd. 15531, Schreiben Wiechmanns an Dehler, Geheim, 22.2.1952. Dazu auch Schreiben Johns an BMI, Geheim, 6.8.1951, und Schreiben Wiechmanns an Dehler, Geheim, 5.12.1951 (ebd.). Weiteres Material in Bd. 15532.
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Rheinland - Das Zeitungsprojekt des CDU-Zonensekretariats
Zonenleitung bzw. zur Bundesregierung im Zeitraum 1949/50 ist mit keinem Wort die Rede. Auch die mysteriöse Aktenübergabe an die Sûreté im Büro des Koblenzer Anwalts bleibt unerwähnt. Vielmehr wird angegeben, Klein habe die wichtigsten Dossiers vorab beiseite geschafft. Die Beziehungen Kleins zur Sûreté werden aber ebenso bestätigt wie seine Aktivitäten für die SRP als Bezirksleiter Rheinland-Nord. Eine Tätigkeit zugunsten östlicher Geheimdienste hielt der Oberbundesanwalt nicht für nachweisbar und verfügte deshalb die Freilassung Kleins. Am 8. August 1952 wurde das Verfahren endgültig eingestellt. 239 Im Februar 1953 wurde ein Erpressungsversuch gegen die Bundesregierung in dieser Sache unternommen. Der wegen Devisenbetrugs im Fall Zoller 240 gerichtlich bedrängte Kaufmann und Ex-Diplomat Günter Hoffmann-Günther erschien am 26. Februar 1953 im Kanzleramt bei Alexander Böker, der von Blankenhorn die Weisung erhalten hatte, ihn kommentarlos anzuhören. 241 Hoffmann-Günther erklärte, es wäre auch für die Bundesregierung peinlich, wenn es zu einem Prozeß gegen ihn käme. Adenauer habe im Sommer 1950 den Syndikus eines Textilverbandes namens Eisenbach aus Koblenz zu ihm gesandt, der ihn zu einem Devisenvergehen überreden wollte. Eisenbach habe sich ferner auf Erhard und Staatssekretär Eduard Schalfejew berufen. Durch Kompensationsgeschäfte auf dem Textilsektor wollte man Devisen beschaffen, mit denen der Bundeskanzler eine Beeinflussung der französischen Presse habe erreichen wollen. Hoffmann-Günther lehnte das Angebot angeblich ab. Als sein Anwalt Ministerpräsident Zinn davon erzählte, sei dessen Eifer bei der Strafverfolgung gegen ihn noch gewachsen. Anfang 1952 sei nochmals ein Beauftragter Adenauers namens von Wilmsdorf wegen einer anderen Angelegenheit bei ihm erschienen. Obwohl Globke am 3. März 1953 dazu notierte, Adenauer zufolge seien diese Behauptungen frei erfunden, dürfte die Wahrheit anders aussehen. Wir wissen bereits, daß die Zonenleitung der CDU in Köln nach Publikationsmöglichkeiten Ausschau hielt und dabei mit MüllerSchwanek und Klein durchaus fragwürdige Personen eingespannt hatte. Eisenbach war tatsächlich im Falle Klein in Erscheinung getreten. Adenauer hatte stets andere Leute vorgeschoben, doch im Hintergrund die Fäden gezogen. Was Hoffmann-Günther vortrug, war für den Kanzler nicht ungefährlich, denn dessen ungesetzliche Devisengeschäfte durften in der Öffentlichkeit nicht in einem Atemzug genannt werden mit den Presseplänen Adenauers von 1949/50. Bezeichnenderweise wurde Hoffmann-Günther empfangen, da man hören wollte, was er in der Hand hatte. Gerade im Hinblick auf die Schmeisser-Affäre war es aus Bonner Sicht bedenklich, daß Zinn von diesen Dingen erfahren hatte – denn der Ministerpräsident von Hessen galt als wichtigster Kontrahent. In „Am Telefon vorsichtig“ blieb dieser Vorgang unerwähnt. Er taucht lediglich bei den Verhören der Beteiligten auf. Er zeigt eindringlich, welch delikate Fragen Blankenhorn mit Levacher zu erörtern pflegte. Erst die Einbettung des Artikels in die zugrundeliegenden Zusammenhänge erlaubt aber ein abgewogenes Urteil. Dafür muß erneut der Schauplatz gewechselt werden: von Nordrhein-Westfalen nach Hessen.
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Ebd., Bd. 15531, Schreiben Wiechmanns an Dehler, Geheim, 8.8.1952. Vgl. Kap. III.2c. BA, B 136, Bd. 3175, Aufzeichnung Bökers, Streng Geheim, 26.2.1953.
Die Schmeisser-Affäre
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VI. HESSEN 1) DAS LFV WIESBADEN 1951/52 a) Paul Schmidt und Ziebells Rolle im LfV Das frühe Hessen war eine Hochburg der SPD. 1 Bei der Landtagswahl vom 19. November 1950 gelang es der SPD, die absolute Mehrheit der Mandate zu gewinnen, obwohl der Stimmenanteil lediglich 44,6% betrug. Georg-August Zinn führte eine Alleinregierung der SPD und löste seinen Parteifreund Christian Stock als Ministerpräsident ab, der an der Spitze einer Koalition mit der CDU gestanden hatte. Schmeisser hatte schon 1947 in Hessen seine Visitenkarte abgegeben. 2 Er war im hessischen Landwirtschaftsministerium und bei Rechtsanwalt T. tätig gewesen, wo er sich wieder Betrügereien zuschulden kommen ließ. Deshalb blieb sein damaliger Aufenthalt ein kurzes Gastspiel. Ziebell befand sich seit seiner Flucht aus dem Saarland im Herbst 1951 im LfV Wiesbaden, das am 19. Juli per Gesetz geschaffen worden war3; einige Wochen später folgte Schmeisser seinem Ruf dorthin. Auf diese Behörde und ihren Leiter Oberregierungsrat Paul Schmidt soll ein näherer Blick geworfen werden. Paul Schmidt wurde am 1. März 1892 in Bendorf bei Neuwied geboren. 4 Nach einer Ausbildung zum Schlosser mußte er bald seinen Beruf aufgeben, da er an Tuberkulose erkrankte. Er wirkte als Journalist sowie seit 1919 als Lehrer an einer Schule in Zeilsheim bei Frankfurt a.M. Von 1919 bis 1929 war er SPD-Stadtverordneter in Höchst und danach in Frankfurt, mehrere Jahre lang sogar Vorsitzender der Stadtratsfraktion. Im Jahre 1933 wurde er aus politischen Gründen in den Ruhestand versetzt und wiederholt in „Schutzhaft“ genommen. Er arbeitete 1934/35 als Journalist, bis ihn der Berliner „Volksgerichtshof“ wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu anderthalb Jahren Gefängnis verurteilte. Die Gestapo untersagte ihm 1937 jeden Aufenthalt in Hessen, im Rheinland und in Westfalen. Er ging nach Bad Wiessee am Tegernsee und blieb bis 1940 arbeitslos. Von 1940 bis 1943 war er Einkaufsleiter eines Münchner Radiobetriebs. Als dieser seinen Standort wechselte, verlor er erneut seine Stelle. Im Jahre 1945 wurde er von den Amerikanern zum Bürgermeister von Bad Wiessee erhoben. Das BMG ermittelte beim Amtsgericht Miesbach eine zweimonatige Untersuchungshaft gegen Schmidt aus dem Jahre 1946 wegen des Verdachts auf Schwarzhandel mit Zigaretten. 5 Laut Risse alias Hover revanchierten sich die Kommunisten auf diese Art wegen seines Kampfes gegen ihre Intrigen. 6 „Clemens“ (also Risse) habe beim CIC die Freilassung von Schmidt durchgesetzt. Dann halfen der hessische Ministerpräsident Christian Stock und der SPD-Landesvorsitzende Willy Knothe dem in Bedrängnis geratenen Schmidt. 7 Stock berief ihn als Berater in die hessische Staatskanzlei. Hier geriet er in Konflikt
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Mühlhausen, Hessen 1945-1950, S. 74-92; Hennig, „Ohne Zellenleiter“. Vgl. Kap. II.2b. Walde, ND-Report, S. 126f. AdsD, NL Ritzel, Bd. 1500, Werdegang: Paul Schmidt, o.D.; Interview mit Schmidts Tochter Lotte, in: Oppenheimer, Leben, S. 8-15; Dertinger/von Trott, Johanna Kirchner, S. 69. Knappe Angaben bei Frederik, Ende einer Legende, S. 123. Keinerlei Informationen über das LfV Wiesbaden für diese frühe Zeit hingegen bei Roewer/Schäfer/Uhl, Lexikon, S. 480. BA, B 137, Bd. 3431, Vermerk Knoops, 9.10.1952. Hover, Fall Schmeisser, S. 11f. Ebd., S. 20-22.
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mit deren Leiter, Prof. Hermann Brill, dem er Beziehungen zur Sowjetzone unterstellte. 8 Schmidt fiel angeblich auf kommunistisches „Spielmaterial“ herein, das Knothe zu Unrecht eine Zusammenarbeit mit der KPD anlastete. Lediglich das Wohlwollen der amerikanischen Militärregierung in Hessen sicherte Schmidt danach sein politisches Überleben. Er übernahm das hessische LfV, ohne tiefere Kenntnisse vom Nachrichtenwesen zu besitzen. Nach dem Urteil von Frederik hatte er kein Gespür für Personalia. 9 Die alliierten Mächte konnten deshalb in seinem Amt ihre Vertrauensleute plazieren. Paul Schmidt antwortete am 20. Mai 1951 auf eine Anfrage des Auswärtigen Amtes, Ziebell sei „stark politisch interessiert“ und arbeite im Saargebiet „ausschließlich für die deutsche Sache“. 10 Schmidt erklärte am 16. Dezember 1952 bei einer Vernehmung in Wiesbaden 11, er habe Ziebell von seiner Tätigkeit im bayerischen Entnazifizierungsministerium her gekannt. Er war ein „unbedingter Gegner kommunistischer Bestrebungen“. Daher verpflichtete Schmidt ihn im November 1951 als Agenten, nicht aber als Beamten oder Angestellten des LfV. Auf Ziebells Empfehlung wurde auch Schmeisser zur gleichen Zeit als Agent eingesetzt. Schmeisser stand im Ruf, „auf höchster Ebene“ verwendbar zu sein. Wenn er für die Gegenseite arbeitete, konnte er gefährlich werden. Persönlich lernte Schmidt sowohl Schmeisser als auch Schretzmair erst im September 1952 kennen, als er ihnen erklärte, die Beziehungen müßten wegen des „Spiegel“-Artikels abgebrochen werden. Schretzmair habe keinerlei Berechtigung gehabt, ihn Strohm gegenüber vertraulich als „Paulchen Schmidt“ zu bezeichnen. Am 26. Januar 1954 wurde Regierungsrat Walter Schwebbach aus dem LfV Hessen in Wiesbaden im Schmeisser-Verfahren vernommen. 12 Ziebell tauchte demnach im Herbst 1951 als persönlicher Bekannter von Schmidt in Wiesbaden auf. Schwebbach wußte nicht, wie er zum Amt stand, nahm aber an, er sei für die Interessen des LfV tätig. Schmidt sagte Schwebbach, durch die Vermittlung Ziebells würde ein Mann kommen, der die gewünschten Auskünfte über die Saar geben könne. Zu jener Zeit wollte das LfV Einblick gewinnen in Beziehungen zwischen Saarkreisen und extremen politischen Kräften in Hessen. Ministerialdirektor Erich Schuster vom hessischen Innenministerium bat Schwebbach im September 1952 in seiner Eigenschaft als Vertreter des erkrankten Schmidt um einen Bericht über Ziebell. 13 Schwebbach erklärte, Ziebell im November 1951 kennengelernt zu haben. 14 Er war ein Bekannter von Paul Schmidt. In Gesprächen ließ er durchblicken, daß sein vorrangiges Interesse der Saar galt. Schwebbach widmete diesem Thema keine Aufmerksamkeit, womit er wohl die internen Verhältnisse im Saarland meinte. Ziebell erwähnte hohe Parteifunktionäre der SPD, woraus Schwebbach folgerte, er sei für die SPD als Beobachter in der Saarfrage tätig. Erst nach dem Erscheinen des „Spiegel“-Artikels stellte er fest, daß Ziebell nicht für den Parteivorstand der SPD operierte, sondern für den SPSVorsitzenden Richard Kirn. Schwebbach sollte mit Ziebell einigen Verdruß erleben – und das lag nicht zuletzt an einer anderen Person, die Ziebell herbeirief: Hans-Konrad Schmeisser.
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Zu Brill: Overesch, Hermann Brill; Bouvier, Ausgeschaltet!, S. 43f. Die Monographie von Overesch reicht nur bis 1946. Brill kämpfte als sozialdemokratischer Regierungspräsident von Thüringen erfolglos gegen die Machtansprüche der KPD und die Verschmelzung von SPD und KPD zur SED. Er verließ Thüringen Anfang 1946 und ging nach Hessen. Brill galt als schwierige Persönlichkeit. Seine Tätigkeit in Hessen ist noch weitgehend unerforscht. Dazu Mühlhausen, Hessen 1945-1950, bes. S. 279. Frederik, Ende einer Legende, S. 123f. PA/AA, B 10, Bd. 480, Bl. 320. PA/AA, B 130, Bd. 13796. Ebd. HHSt, Staatskanzlei, Abt. 502, Bd. 7853. Ebd., Bericht Schwebbachs, Betr.: Dr. Ziebell, Christian, Friedrich, Jürgen, 16.9.1952.
Die Schmeisser-Affäre
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b) Schmeissers Existenzangst (1951) Schmeisser dachte seit langem über die früheren Kontakte mit dem ins Kanzleramt eingezogenen Herbert Blankenhorn nach. Konnte man nicht Profit daraus schlagen? Im Jahre 1950 erfuhr seine damalige Mitarbeiterin Helene („Hella“) Hubaleck davon. Die inzwischen verheiratete, 30jährige Hella Bockstedte wurde am 26. April 1954 in Kempenich/Eifel verhört, wo sie sich besuchsweise aufhielt. 15 Sie arbeitete von Oktober 1949 bis April 1950 als Sekretärin bei Schmeisser in Ludwigshafen, wo auch Dorothy Schretzmair tätig war. Schmeisser nannte sich als französischer Agent damals Brun(n)er. Die Vorgänge, die im Artikel „Am Telefon vorsichtig“ angegeben sind, kannte sie nicht aus eigener Anschauung. Anfang 1950 diktierte Schmeisser ihr in Ludwigshafen einen Brief an Blankenhorn, der so gehalten war, als komme er aus der Schweiz. Darin teilte Schmeisser dem „lieben Herrn Blankenhorn“ mit, er sei in Frankreich gewesen und halte sich nun in der Schweiz auf. Er würde gern die früheren Beziehungen wiederaufleben lassen. Er unterzeichnete als „René Levacher“. Als Schmeisser die Verwunderung von Hubaleck bemerkte, sagte er ihr, er habe damals unter diesem Namen in Boppard für den französischen Nachrichtendienst gearbeitet und dabei Kontakt mit Blankenhorn gehabt. Er erzählte dann ungefähr die Dinge, die später im „Spiegel“ standen. Prinzipiell hatte Schmeisser das „Herz auf der Zunge“. Er neigte dazu, Dinge aufzubauschen, die allerdings einen wahren Kern besaßen. Jedenfalls nahm Schretzmair den erwähnten Brief und eine Mappe voller Unterlagen mit in die Schweiz. Was sie dort zu tun hatte und ob sie den Brief von dort abgeschickt habe, wußte Bockstedte nicht. Sie sollte nach Winterthur und Zürich zu einem Rechtsanwalt Locher fahren. Was bei der Reise herauskam, erfuhr Bockstedte nicht. Es fiel ihr auf, daß Schmeisser und Schretzmair allein darüber berieten. Wir wissen hingegen, was Dorothy bei Locher zu suchen hatte: Es ging um die Ränke, die gegen die Frankenthaler Schnellpressenfabrik Albert geschmiedet wurden. Hubaleck lernte Ziebell in Ludwigshafen kennen. Schmeisser hatte damals ein freundschaftliches Verhältnis mit ihm. In Saarbrücken verschlechterten sich ihre Beziehungen. Schmeisser ging im April/Mai 1950 dorthin, und Hella bildete sich ihr Urteil bei gelegentlichen Besuchen. Nach dem Erscheinen des „Spiegel“-Artikels begegnete sie Ziebell in Wiesbaden und Schmeisser in Frankfurt a.M. Jeder beschuldigte den anderen, den Beitrag lanciert zu haben. Das Bild, das Hella Hubaleck von Schmeisser zeichnete, ließ ihn zwar als Aufschneider erscheinen, doch seine Kontakte zu Blankenhorn waren unzweifelhaft echt. Schmeisser versuchte Anfang 1950, die Beziehungen wiederaufleben zu lassen und benutzte dazu den Trick mit seinem vermeintlichen Aufenthalt in der Schweiz. Blankenhorn hatte Karriere gemacht, was Schmeisser gewisse Verdienstmöglichkeiten suggerierte. Masloh wurde am 10. Mai 1954 vom Amtsgericht Saarbrücken für den Schmeisser-Prozeß vernommen. 16 Weder die Staatsanwaltschaft Hannover noch die Angeklagten waren bei dieser eidesstattlichen Vernehmung präsent. Entsprechend war das Ergebnis, denn seine Aussagen blieben vage und dubios. Schmeisser erzählte erst 1951 eher zufällig von Blankenhorn. Masloh erinnerte sich nicht mehr an Einzelheiten und verwies auf Kapitän Robert Laurent (MontignyMetz), der zu einer Zeugenaussage in Saarbrücken bereit sei. Masloh behauptete, er habe sich früh von Schmeisser getrennt, weil dieser für den französischen Geheimdienst arbeitete. Dies paßte nicht zu seinem Wirken für die deutsch-französische Verständigung als saarländischer Regierungsrat. Als Schmeisser in Boppard unter dem Namen René Levacher nachrichten15 16
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dienstlich tätig war, unterhielt Masloh keine Beziehungen mehr zu ihm, denn vorher habe es Spannungen zwischen ihnen gegeben. Später erzählte Schmeisser freimütig von seinem guten Verhältnis mit Blankenhorn, was Masloh aber mit Skepsis aufnahm. Schmeisser sagte niemals, er besitze geheimes Material über die Absichten Adenauers. Er sei imstande, Blankenhorn zu belasten und wollte dazu Kontakt mit politischen Gegnern Adenauers aufnehmen. Als Schmeisser sich entsprechende Gelegenheiten boten, nahm er sie jedoch nicht wahr. Generell müßten Angaben Schmeissers mit Vorsicht betrachtet werden. Selbst seine französischen Auftraggeber mißtrauten ihm. Am 23. April 1954 vernahm ein Saarbrücker Richter den Journalisten Matissek (37) 17, der wesentlich redseliger auftrat. Matissek kannte Schmeisser seit der Jahreswende 1950/51. Damals wurde er auf einer Journalistenversammlung vom Direktor der AFP, Lucien Ehringer, eingeführt. Er zeigte Visitenkarten vor, auf denen stand: „P. Brunner, Korrespondent d’Agence France Press“. Er wurde als Dr. Brunner bezeichnet und erklärte auf Nachfrage, seine Dissertation bei Masloh in Würzburg geschrieben zu haben. Er lieferte der „Saarbrücker Zeitung“ Artikel als „P.B.“. Er bzw. seine angebliche Frau waren zudem bei „Radio-Reklame“ Saarbrücken beschäftigt. Im Spätherbst 1951, kurz bevor Brunner nach Paris ging, suchte er Matissek in dessen Dienstzimmer bei Radio Saarbrücken auf. Brunner präsentierte sich völlig aufgelöst und weinte sogar: Er sei materiell und seelisch am Ende. Niemand wolle noch etwas von ihm wissen, auch die Franzosen nicht mehr. Er bat Matissek um Rat. Irgendwo in der Bundesrepublik wolle er als Journalist für 400 DM monatlich arbeiten. Falls man ihm von deutscher Seite nicht helfe, wolle er Material benutzen, über das er verfüge. Er behauptete, die Wahl von Bundespräsident Heuss und von Bonn als Bundeshauptstadt durch französische Mittel beeinflußt zu haben. Blankenhorn habe „aus seiner Hand gefressen“. Dieser soll ihm von militärischen Geheimplänen berichtet haben, die Schmeisser zur DST nach Paris weiterleitete. Er habe auch gegen Adenauer Druckmittel. Brunner sagte, seine Dokumente lägen im Ausland an einem sicheren Ort. Matissek entgegnete, ohne diese Unterlagen sei das Ganze journalistisch nicht verwertbar. Schmeisser gab an, für die BST in der Bundesrepublik tätig gewesen zu sein und mit der Saarbrücker Zweigstelle in Verbindung zu stehen. Brunner erzählte auch von den Vorgängen um Otto Strasser. Matissek fragte ihn nach seinem richtigen Namen, denn es gehe das Gerücht, er heiße gar nicht Brunner. Er erwiderte, sein richtiger Name laute Paul Schmeisser. Er stamme aus gutem Hause. Sein Vater war Landgerichtspräsident und starb in einem ostzonalen KZ. Schmeissers Lage war 1951 nicht rosig, wie er Matissek gebeichtet hatte; seine früheren Beziehungen zu Blankenhorn konnten ein Rettungsanker sein... Schmeisser und Ziebell hatten sich Mitte 1951 im Saarland wiedergetroffen, als der Fall Strasser und das „RemerTelegramm“ sie gemeinsam beschäftigten. 18 Ziebell versprach, ihm behilflich zu sein, mit seinem bisherigen Leben zu brechen, und ebnete ihm den Weg nach Wiesbaden zu Paul Schmidt. In der Angelegenheit Blankenhorn riet Ziebell ihm, sich von zuständigen Stellen in Deutschland verhören zu lassen.
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Ebd. Diese Aussage gelangte auch zur Kenntnis von Heinrich Schneider (LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 448). BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 5-12, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Freiburg, 16.1.1952, hier: Bl. 9; Ebd., Bl. 37-42, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Kehl, 16.1.1952, hier: Bl. 40.
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c) Die Vernehmungen Schmeissers und Schretzmairs im November 1951 Schmeisser schilderte in mehreren Vernehmungen, er habe im September 1951 in Saarbrücken mit Ziebell gesprochen. 19 Wenn er (Schmeisser) eine Position haben wolle, müsse er mit seinen gesamten Unterlagen zu ihm nach „Deutschland“ – also: nach Hessen – kommen. Dabei erwähnte Ziebell auch den Fall Blankenhorn. In Paris erreichte Schmeisser die Nachricht Ziebells, es sei alles vorbereitet; Dorothy solle zur Aussage nach Frankfurt a.M. reisen. Dorothy fuhr von Paris über Saarbrücken nach Frankfurt, wo sie mit Ziebell zusammentraf. Von dort aus begaben sie sich gemeinsam nach Wiesbaden. Schretzmair übernachtete in einem Hotel. Am nächsten Morgen erschien Ziebell dort gemeinsam mit dem SPD-Funktionär Zacharias 20 bei ihr. Nachdem Dorothy das Wesentliche über Blankenhorn gesagt hatte, fuhr Ziebell mit ihr zum Wiesbadener Polizeipräsidium. Dort vernahm Kriminalkommissar von Seidlitz sie im Beisein seines Sekretärs Sch., Ziebells und Zacharias’. Das Protokoll vom 15. November 1951 21 wurde durch von Seidlitz „in der Eigenschaft als Exekutiv-Beamter gegengezeichnet“. Es enthielt einen knappen Abriß von Schmeissers Tätigkeit seit 1946 inklusive des Falles Blankenhorn. Schretzmair kehrte nach Paris zurück und sagte Schmeisser, in einer Woche solle er seine Aussagen machen. Ziebell wolle ihn an der Grenzstation Bruchmülbach abholen. So geschah es. Ziebell zeigte dem deutschen Zoll ein Stück Papier vor. Vor dem Bahnhof wartete Schwebbach in einem Auto. Ziebell stellte ihn als „Schulz“ vor. Schwebbach meinte damals, es würde für Schmeisser nicht leicht sein, von Paris nach Wiesbaden zu gelangen, weil der französische Geheimdienst ihn gewiß überwachte. 22 Schwebbach fuhr beide zu einem Hotel in Wiesbaden und trennte sich dann von ihnen. Ziebell gab Schmeisser Spesengeld. Tags darauf kam Ziebell mit der Sekretärin von ORR Schmidt ins Hotel. Es wurde ein Protokoll von etwa 60 Seiten erstellt, das Schmeissers Aktivitäten für den französischen Nachrichtendienst behandelte. Dieser Vorgang erstreckte sich über mehrere Tage und wurde teilweise auch im LfV durchgeführt. Nach Fertigstellung fuhr man ins Polizeipräsidium, wo Sch. die Beglaubigung vornahm. Sch. ließ nicht zu, daß Schmeisser das Schriftstück noch einmal durchlas und wies auch nicht auf die Bedeutung der Unterschrift hin. Schmeisser händigte ferner Notizbücher und andere Schriftstücke aus. 23 Kriminalkommissar Hans-Robert von Seidlitz sagte am 25. Januar 1954 über die Verhöre im Wiesbadener Polizeipräsidium aus. 24 Sein Sachgebiet umfaßte damals auch politische Angelegenheiten. Dabei wurde erforderlichenfalls dem LfV Amtshilfe geleistet. Mitte November 1951 rief Schmidt an und bat um die Vernehmung einer gewissen Dorothy Schretzmair. Von Seidlitz fertigte zwar das Protokoll an, doch die Vernehmung leitete der ihm bis dahin fremde Ziebell, weil der Kommissar von dem Fall keine Kenntnis hatte. Ziebell und 19
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Für das Folgende: Ebd., Bd. 241, Protokoll der Vernehmungen Schmeissers in Starnberg vom 10.20.10.1952, hier: S. 4-6; Ebd., Bd. 50385, Bl. 35-42, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Kehl, 16.1.1952, hier: Bl. 41-42; PA/AA, B 130, Bd. 13798, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in München, 2.12.1953, hier: S. 10f. Dies war ein Deckname. In Wirklichkeit handelte es sich um den Fraktionsgeschäftsführer der hessischen CDU, Günter Urban (ebd., Protokoll der Vernehmung von Mans, 7.12.1953, hier: S. 10). Zu Urban: Mühlhausen, Hessen 1945-1950, S. 441. PA/AA, B 130, Bd. 13796, und BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 26-28, Protokoll der Vernehmung Schretzmairs in Wiesbaden, 15.11.1951. PA/AA, B 130, Bd. 13796, Protokoll der Vernehmung Schwebbachs, 26.1.1954, hier: S. 4f. Ebd., Bd. 13798, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Gräfelfing, 9.10.1952, hier: S. 1f. Ebd., Bd. 13796.
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Schretzmair waren in Begleitung von Regierungsrat Urban erschienen. Von Seidlitz begnügte sich mit Zwischenfragen. Ziebell nahm das kurze Protokoll und die beiden Durchschriften an sich. Damit war die Sache für von Seidlitz erledigt. Allerdings wurde angekündigt, in einer Woche solle Schmeisser vernommen werden. Von Seidlitz ging zum stellvertretenden Polizeipräsidenten Miszczuk und berichtete ihm von den Aussagen Dorothys. Nach telefonischer Anmeldung kam Ziebell tatsächlich zum genannten Zeitpunkt mit Schmeisser ins Polizeipräsidium. Mit dem erneut knapp gefaßten Protokoll wurde ebenso verfahren wie beim ersten Mal. Den darin enthaltenen Behauptungen maß von Seidlitz wenig Wert bei. Als von Seidlitz zur dritten Vernehmung ging, sagte ihm Inspektor Sch., das LfV habe die Protokollierung bereits durch ihn in die Wege geleitet. Von Seidlitz hatte Sch. zuvor gebeten, ihn im Falle seiner Abwesenheit bei der Ergänzung eines Protokolls des LfV zu vertreten. Sch. hatte nur ein fertiges, umfangreiches Protokoll unterschrieben, das ihm vorgelegt worden war. Er wußte gar nicht, was darin stand. Von Seidlitz suchte Miszczuk auf, der seinerseits Schmidt anrief und beklagte, man fühle sich überfahren. Das große Protokoll wurde daraufhin von Seidlitz und Miszczuk für einen Tag überlassen. 25 Darin war u.a. von Blankenhorns Beziehungen zu Schmeisser die Rede. Mündlich unterrichtet über den Inhalt wurden Sch. und Polizeipräsident Becker. Seitdem hatte von Seidlitz mit der Sache nichts mehr zu tun, abgesehen von einem kurzen Besuch von Dorothy Schretzmair. Dies war etwa zur Zeit der Veröffentlichung im „Spiegel“. Was sie wollte, wußte er nicht mehr. Kriminalinspektor Johann Sch. ergänzte diese Aussagen am 26. Januar 1954. 26 In dem Dienstzimmer, das er gemeinsam mit von Seidlitz benutzte, erlebte er die Vernehmung von Schretzmair mit. Einige Zeit später wurde von Seidlitz vom LfV angerufen. Er sagte Sch. danach, eine Vernehmung sei niedergeschrieben worden und solle noch in amtliche Form gekleidet werden. Da von Seidlitz weggehen wollte, bat er Sch., das zu übernehmen. Sch. dachte zunächst, von Seidlitz sei an der Vernehmung im LfV beteiligt gewesen und nur eine formale Ergänzung sei nötig. Als Ziebell und Schmeisser kamen und von Seidlitz nicht antrafen, wandten sie sich an Sch. Ziebell legte ihm ein Protokoll von etwa 25 Seiten mit 2 oder 3 Durchschriften vor, das Sch. gar nicht durchlas. Die nötigen Formalitäten wurden erledigt. Schmeisser unterschrieb das Protokoll und Sch. zeichnete gegen (auch auf den Kopien). Sch. bat Ziebell, ihm eine Durchschrift zu überlassen, doch dieser lehnte das mit der Begründung ab, alle Exemplare müßten zurück zum LfV. Sch. wußte, daß dies auch bei der durch von Seidlitz vor einigen Tagen vorgenommenen Vernehmung so gehandhabt worden war; daher fügte er sich. Als von Seidlitz zurückkehrte, sagte Sch. zu ihm, dieses Verfahren erscheine nicht korrekt, denn die Kriminalpolizei bleibe ohne Akten und gebe nur ihre Unterschrift her. Von Seidlitz ging daraufhin zu Miszczuk. Sch. erfuhr später, in dem Dokument seien Angriffe gegen hochstehende Personen der Bundesrepublik enthalten. Näheres zur Sache wisse er nicht, wies aber auf die regelmäßige Zusammenarbeit seines Kommissariats mit dem LfV hin. Paul Schmidt bezog am 16. Dezember 1952 in Wiesbaden gegenüber dem Bonner Staatsanwalt Henke Position. 27 Schmeissers Beschäftigung zielte laut Schmidt zunächst darauf ab, den Wahrheitsgehalt der Behauptungen zu ergründen, mit denen er sich eingeführt hatte. Ziebell ordnete Schmeissers Vernehmung durch die Kriminalpolizei Wiesbaden am 22. November 1951 28 an. Dies sollte Aufschluß über die Vergangenheit Schmeissers geben. 25 26 27 28
In einem Aktenvermerk des Wiesbadener Polizeipräsidiums vom 3.1.1952 werden die Abläufe ähnlich geschildert (BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 18). PA/AA, B 130, Bd. 13796. Ebd. BA, B 136, Bd. 240, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Wiesbaden, 22.11.1951. Auszugsweiser Abdruck: Hover, Fall Schmeisser, S. 45-56.
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Schmidt unternahm in der Folgezeit nichts, weil die Wahrheit dieser Angaben noch fraglich war. Er wies John zur Jahreswende 1951/52 auf die Mitteilungen Schmeissers hin. Zudem war er von April bis Oktober 1952 wegen Krankheit nicht im Dienst. Er wisse nichts von den Drohungen Schretzmairs gegenüber Strohm am 9. Oktober 1951. Offenbar fertigte Ziebell auf eigene Faust Abschriften von den Vernehmungen Schmeissers und Schretzmairs vom 15. bzw. 22. November 1951 und übergab sie dem Journalisten Mans. Dies sei allerdings noch heute eine bloße Vermutung. Jedenfalls brach Schmidt nach dem Erscheinen des Beitrags im „Spiegel“ angeblich die Beziehungen zu Ziebell und Schmeisser ab. Mans zog vor Abfassung des Artikels keinerlei Erkundigungen im LfV Wiesbaden ein. Am 1. Dezember 1953 ergänzte Paul Schmidt beim Verhör durch Mollenhauer seine früheren Aussagen. 29 Die Beziehung zu Ziebell sei nicht freundschaftlicher Natur gewesen. Er wußte nichts über ihn, was zu Bedenken Anlaß gegeben hätte. Er hatte schon einiges über Schmeissers Agententätigkeit im Saargebiet gehört. Es war ihm freilich unklar, ob er für die Saarregierung oder für einen französischen Nachrichtendienst wirkte. Schmeisser galt als geschickt und wollte angeblich sein Agentennetz auch in Hessen aufziehen. Als Ziebell vorschlug, Schmeisser für das LfV Hessen zu gewinnen, stimmte er (Schmidt) zu. Auf diese Weise konnte vielleicht einiges über in Hessen operierende Spione in Erfahrung gebracht werden. Schmeisser hielt sich Ende 1951 in Paris auf und übte seinen Beruf derzeit nicht aus. Ziebell berichtete Schmidt nicht über den Komplex Blankenhorn und die Bopparder Zeit Schmeissers. Schmidt hielt die Vernehmung Schmeissers und Schretzmairs in Wiesbaden für zweckmäßig. Schmeisser habe dies Ziebell angeboten. Die Polizei übernahm gewöhnlich die Vernehmungen, die das LfV für notwendig hielt, weil dessen Befugnis dazu zweifelhaft blieb. Ziebell dürfte bei den Befragungen im Wiesbadener Polizeipräsidium zugegen gewesen sein. Schmidt las die Protokolle durch und ließ sie im Amtszimmer, teilweise auch im Vorzimmer verwahren. Die Behauptungen bezüglich Blankenhorns habe er nur zur Notiz genommen. Mit derart brisanten Angaben von Agenten müsse man vorsichtig umgehen. Den Aktendiebstahl in der bayerischen Staatskanzlei habe er allerdings dem bayerischen Innenministerium mitgeteilt. Die vom hessischen Innenminister Heinrich Zinnkann erstellte Aussagegenehmigung erlaube ihm nicht, die Frage zu beantworten, ob er noch anderen Personen Kenntnis von diesen Dingen gegeben habe. Anfang 1952 unterhielt Schmidt sich in Köln mit Otto John über Schmeisser. John erkundigte sich, welches Material Schmidt darüber besitze. Er entgegnete, über verschiedene Dokumente zu verfügen, doch er hoffe, noch weitere zu erhalten; John möge sich gedulden. Nach dem Verhältnis zwischen Schmeisser und Blankenhorn fragte John nicht. Schmidt übergab ihm die Wiesbadener Protokolle nicht. John erhielt sie wohl später vom Innenminister. Schmidt gab an, er hätte versucht, eine Veröffentlichung zu verhindern, wenn er davon erfahren hätte, weil es keine Beweise gab. Im November und Dezember 1952 war Schmidt nach langer Krankheit wieder im Dienst, wurde aber mit der Angelegenheit nicht mehr befaßt. Zinnkanns Nachfolger Heinrich Schneider machte sich in einem Brief an Heine vom 10. Oktober 1955 30 die Perspektive Schmidts zu eigen. Schmidt habe seinerzeit versucht, weitere Aktivitäten Schmeissers für die französische Spionage durch eine „Generalbeichte“ unmöglich zu machen. Außerdem wollte er einiges über die Ziele und Methoden der Franzosen erfahren. Entsprechend verärgert reagierten die Franzosen, wie die Mißhandlung Schmeissers in Paris zeige. Schmidt unterrichtete John durchaus von der Existenz der Wiesbadener Protokolle. John scheine deren Herausgabe nicht energisch verlangt zu haben: Er hätte sie jederzeit über 29 30
PA/AA, B 130, Bd. 13796. AdsD, NL Heine, Bd. 147. Heinrich Schneider (Hessen) ist nicht identisch mit seinem Namensvetter aus dem Saarland.
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den hessischen Innenminister erhalten können. Angeblich wollte John nicht unkollegial handeln. Schmidt fürchtete, die persönliche Integrität Adenauers könnte durch die zweifelhaften Angaben eines ausländischen Agenten ungebührlich beeinträchtigt werden. Deshalb sollte Schmeissers Glaubwürdigkeit zunächst überprüft werden. Es ging dabei also nicht um die sachlichen Aussagen Schmeissers. Schneider beurteilte dieses Verhalten Schmidts als korrekt. Die Behauptung, Schmidt habe 5.000 DM von John für die Herausgabe der Dokumente verlangt, sei absurd. Im April 1956 erklärte Innenminister Schneider, für die Mißgriffe des LfV Wiesbaden im Fall Schmeisser sei allein Paul Schmidt verantwortlich. 31 Selbst diesem könne eigentlich nur vorgeworfen werden, über Schmeissers „Generalbeichte nicht sofort den dienstaufsichtsführenden Innenminister unterrichtet“ zu haben. Immerhin sei Schmidt deswegen von seiner Aufgabe entbunden und in den vorzeitigen Ruhestand versetzt worden. Der im Dienste des LfV Wiesbaden tätige Agent Dr. Horst Krüger stellte in einer Aufzeichnung fest, Ziebell habe nicht zum Amt gehört, sondern sei ein V-Mann von Schmidt gewesen. 32 Schmidt duzte sich mit ihm „und hielt ihn für sein bestes Pferd im Stall“, ohne dessen Unzuverlässigkeit zu durchschauen. Schmeisser war Ziebells „Unter-V-Mann“. Krüger – der im Januar 1952 seinen Dienst beim LfV antrat – traf Schmeisser bei seinem ersten Auftrag, der Observierung einer Tagung der Soldatenbünde am 3. Februar 1952. Schmidt hatte ihn als „Meisterspion“ angekündigt. Eines Tages hatte Krüger einen Zusammenstoß mit Ziebell, weil er ihn beim Aktenlesen in seinem (Krügers) Büro ertappte. 33 Als die Affäre um Blankenhorn die Gazetten füllte, blieb Schmidt trotz aller Bitten in Bad Wiessee. Erst Ende August 1952 unterrichtete er Krüger über die Hintergründe.34 Dieser glaubte ihm, daß er keine Verbindung zu den Franzosen unterhielt, wie etwa die DSZ behauptet hatte. Schmidt sei ein „guter Deutscher“ gewesen, der aber den Konfrontationskurs Schumachers für falsch hielt. Frankreich habe international eine starke Stellung für seine Saarpolitik besessen und mußte daher auf subtile Weise überspielt werden. Schmidt befand sich dabei im Einklang mit dem Vorsitzenden der SPS, Richard Kirn. Er habe sein eigenes Nachrichtennetz an der Saar aufgebaut. Schmidt beging den „unverzeihliche[n] Fehler“, Ziebell mit der Leitung dieses Unternehmens zu betrauen. Er hätte wissen müssen, daß dieser französischer Agent gewesen war. Zudem verfügte Schmidt über eine geringe Menschenkenntnis. Risse alias Hover bietet eine zusätzliche Perspektive an. 35 Schmidt habe bei seinen antikommunistischen Bestrebungen bedauerlicherweise die Hilfe von Risse alias Clemens nach einer gewissen Zeit verschmäht. Er habe sich in Ziebell fundamental getäuscht, indem er ihn beauftragte, die kommunistischen Aktivitäten in der französischen Zone zu überwachen. Schmidt stimmte zu, Schmeisser heranzuziehen und ihn mit einer Mission nach Paris zu entsenden; damit überschritt Schmidt seine Befugnisse. Ziebell operierte ferner mit Ewald Zweig, der mit John in Verbindung stand, sowie mit Helene Radó, der Ehefrau des Chefs der im Krieg bekannt gewordenen kommunistischen Spionagegruppe „Rote Drei“. Die „Kommune“ wollte einen Schlag gegen die Bundesregierung führen. Deshalb mußte Schmeisser alles aussagen, was er zu seinem Verhältnis mit Blankenhorn wußte. Die Bundesregierung würde den Urheber der gegen sie gerichteten Intrige in Schmidt sehen. Zum Ärger Ziebells nahm Schmidt das Vernehmungsprotokoll Schmeissers unter Verschluß, statt
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BA, B 106, Bd. 63051, Schreiben Innenminister Hessen an Innenminister Saarland, 26.4.1956. Ebd., Bd. 15459, Manuskript von Dr. Horst Krüger, o.D., hier: S. 27-29. Ebd., S. 38f. Ebd., S. 61-65. Hover, Fall Schmeisser, S. 37-42.
Die Schmeisser-Affäre
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es sofort zu gebrauchen. Als Schmidt schwer erkrankte, nutzte Ziebell die Gelegenheit, das Aktenstück aus dem Panzerschrank zu entwenden. Falls dies zutrifft, vertuschte Ziebell diesen Diebstahl im übrigen bei seiner eigenen Vernehmung, wo er aussagte, er habe ein Exemplar sofort behalten. Jedenfalls trauten die Verantwortlichen und Sachkenner in Hessen Ziebell jede Schlechtigkeit zu, während sie Paul Schmidt in Schutz nahmen. Um diesen partiell erstaunlichen Bewertungen auf den Grund gehen zu können, müssen wir zunächst Schmeissers Erlebnisse in Paris verfolgen. 2) SCHMEISSER IN PARIS (WINTER 1951/52) Wie Dorothy Schretzmair am 16. Januar 1952 in Kehl aussagte 36, bekam Schmeisser über Ziebell eine Anstellung als Volontär bei der SPD-nahen „Volksstimme“ (Frankfurt), was ihm ermöglichte, als Korrespondent ins Ausland zu gehen. Ziebell gab Schmeisser 700 DM monatlich für seine Unkosten und als Honorar. 37 Auf dieser Grundlage fuhren er und Dorothy im Oktober 1951 nach Paris. Was hatte es mit diesem Korrespondentenvertrag auf sich? Nach Feststellungen von dpa wußte die Redaktion der „Volksstimme“ nichts davon. 38 Der Presseausweis sei vom kaufmännischen Leiter Alex S. unterzeichnet worden. Schmeisser habe diesem im Dezember 1951 angeboten, Reportagen von der Saar zu besorgen. S. habe aus Hilfsbereitschaft den Presseausweis ausgestellt, ohne die Redaktion zu unterrichten. Schmeisser habe keinen einzigen Beitrag geliefert, wie der Honorarkartei zu entnehmen sei. Schmeisser behauptete bei seinem Verhör in Freiburg, ohne Auftrag nach Paris gefahren zu sein; die Entwicklung in der Saarpolitik habe dies erforderlich gemacht. 39 Er besaß angeblich eine Empfehlung des Chefredakteurs von Radio Stuttgart, Hanns Küffner, an den Pariser Rundfunkkommentator Fred Simson. 40 Aus Sicht Schmeissers mochte seine merkwürdige Kooperation mit Frau Lichtenhagen (DPS) ein Grund dafür sein, das Saargebiet zu verlassen. Die Saarregierung und das französische Hohe Kommissariat in Saarbrücken seien hellhörig geworden, während die BST wenig interessiert schien. Eine ausführliche Schilderung des Ablaufs gab Schmeisser bei den Verhören vom Oktober 1952. 41 Ziebell beauftragte Schmeisser, im Pariser Innenministerium Nachforschungen über Staatsrat Willi Apel 42 (SPD) anzustellen. Dieser sei nach Frankreich emigriert, fiel 1940 aber den deutschen Truppen in die Hände. Er sei im Auftrag der Gestapo nach Frankreich zurückgegangen 43 und habe sich dort für die Organisation Todt betätigt. Schmeisser fragte im französischen Innenministerium nach Apel. Der ihm aus Saarbrücken bekannte Leiter der Amerika-Abteilung, Haiblet, erkundigte sich mißtrauisch, für wen diese Information bestimmt sei. Schmeisser erwiderte, Ziebell wolle dies im Auftrag des Parteivorstands der SPD herausfinden. In dieser Zeit pendelte Schmeisser mehrmals zwischen Paris und Wiesbaden hin und her. Ziebell kam stets dafür auf und regelte auch den Grenzverkehr. Ende Dezember 1951 wurde Schmeisser im Pariser Innenministerium von dem früheren Chef der Sûreté Neustadt, Declais, verhört, der inzwischen Leiter der DST Baden-Baden geworden und extra 36 37 38 39 40 41
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BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 13-17, Protokoll der Vernehmung D. Schretzmairs, 16.1.1952, hier: Bl. 16. Ebd., Bd. 241, Protokoll der Vernehmungen Schmeissers in Starnberg vom 10.-20.10.1952, hier: S. 7. AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 2622A, dpa-Inf. 1310, 19.7.1952. BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 5-12, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Freiburg, 16.1.1952, hier: Bl. 9. Ebd., Bl. 35-42, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Kehl, 16.1.1952, hier: Bl. 40-41. Ebd., Bd. 241, Protokoll der Vernehmungen Schmeissers in Starnberg vom 10.-20.10.1952, hier: S. 7f. Ergänzend: Ebd., Bd. 50385, Bl. 35-42, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Kehl, 16.1.1952, hier: Bl. 41-42. In der Vorlage: „Appel“. Näheres zu dessen Person in Kap. 4. BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 35-42, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Kehl, 16.1.1952, hier: Bl. 41.
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Hessen - Schmeisser in Paris (Winter 1951/52)
zu diesem Zweck nach Paris gereist war. 44 Der stellvertretende Direktor der Sûreté in der französischen Zone, Toussaint, und der Hohe Kommissar François-Poncet hatten den Auftrag dazu erteilt. Es ging dabei ausschließlich um Blankenhorn. 45 Schmeisser sollte verraten, was er ausgeplaudert hatte und mit wem er darüber gesprochen habe. Schmeisser erwiderte, er habe sich nur gegen die Anschuldigungen Maslohs verteidigt. Bei der StrasserAktion sei Masloh der Initiator gewesen. Anfang Januar 1952 wurde Schmeisser in Paris auf Geheiß des französischen Innenministeriums verhaftet. 46 Man warf ihm vor, im Auftrag des hessischen LfV die deutsche Gesandtschaft und die deutschen Vertreter bei der UNESCO im Hinblick auf Verbindungen zu französischen Stellen zu bespitzeln. Den breitesten Raum nahmen indes Schmeissers Beziehungen zu Ziebell und zum hessischen LfV ein. Auch Strasser kam zur Sprache. Der Haftbefehl war vom Leiter der Deutschland-Abteilung des französischen Innenministeriums, Fontaine, erwirkt worden. Dieser war früher Chef der BST in Saarbrücken gewesen und hatte Ziebells Tätigkeit für den Osten entdeckt. Im übrigen fand man nichts zu einem Staatsrat Willi Apel, wohl aber zu einem Polizeioffizier mit diesem Namen. Schmeisser berichtete dann ausführlich über seine Verhöre am 14. und 15. Januar 1952 durch die Franzosen. Inspektor Eclair von der Deutschland-Abteilung des Innenministeriums forderte sofort in rauhem Ton die Auslieferung seines Reisepasses. Dann ging Eclair zur Sache. Er nahm Schmeisser die Brille ab, packte ihn, schüttelte ihn kräftig und schrie: „Wann hast Du verdammtes Schwein den letzten Brief von Ziebell bekommen?“ Schmeisser antwortete, zu Jahresbeginn sei eine Neujahrskarte eingetroffen. Eclair gab ihm „Püffe“ und bezeichnete ihn als Lügner. Er fuhr wenig später mit Schmeisser zu dessen Wohnung, um die Karte an sich zu nehmen. Darauf stand, Schmeisser möge am 25. Januar nach Wiesbaden kommen. Bei der gründlichen Durchsuchung wurden zahlreiche Materialien beschlagnahmt: alles, was auf französische Dienststellen Bezug hatte, Aufzeichnungen über Spanien47, Privatbriefe und seine Dienstpistole. Man fand auch den Vertrag mit der „Volksstimme“, den Ziebell unterzeichnet hatte. Den Presseausweis hatte der Verlagsleiter unterschrieben. Schwebbach nahm ihn später an sich, damit der Verlagsleiter keine Schwierigkeiten bekäme. Kaum zurück im Büro, fragte Eclair gleich wieder unter Gewaltanwendung nach der Bewandtnis der Vorladung nach Wiesbaden. Schmeisser entgegnete, er habe selbst keine Ahnung. Eclair erkundigte sich weiter nach dem Brief Schmeissers, der auf der Karte erwähnt wurde. Schmeisser erzählte, er sei über den Jahreswechsel privat bei alten Bekannten in Wiesbaden gewesen und habe sich bei dieser Gelegenheit nach seinem endgültigen Zeitungsvertrag erkundigt. Der richtige Ansprechpartner war aber nicht da, weshalb Schmeisser ihm einen Brief schrieb. Er gab auch an, neben seiner journalistischen Tätigkeit an der Sorbonne studiert zu haben. Seine Mutter zahlte ihm einen Unterhaltszuschuß, was wohl kaum der Fall gewesen wäre, wenn er wirklich für das hessische LfV gearbeitet hätte. Nun wurde bei Schmeisser eine Leibesvisitation vorgenommen. Schließlich protokollierte man nach mehreren Rückfragen über seine „Aufträge“ Schmeissers Verneinung. Fontaine stieß hinzu und begann, nach den Absichten Ziebells und seinem Wirken für den hessischen Verfassungsschutz zu fragen. Schmeisser sagte, er wisse nur, daß Ziebell ORR Schmidt seit langem kenne; hauptsächlich dürfte Ziebell SPD-Politiker sein. Fontaine forderte ihn auf, keine alten Geschichten aufzuwärmen. Wolle Ziebell vielleicht Schmeisser demnächst 44 45 46
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Ebd. Ebd., Bl. 5-12, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Freiburg, 16.1.1952, hier: Bl. 10. Ebd., Bd. 241, und BA, B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 2, Bl. 26-50, Protokoll der Vernehmungen Schmeissers in Starnberg vom 10.-20.10.1952, hier: S. 8-22. Zusammenfassend dazu: BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 35-42, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Kehl, 16.1.1952, hier: Bl. 42. Dort führte die DST Operationen gegen die KP durch (vgl. Kap. III.1 mit Anm. 14).
Die Schmeisser-Affäre
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beauftragen, deutsches Botschaftspersonal zu kontrollieren? Fontaine gefiel die negative Antwort Schmeissers nicht. Er warnte ihn davor, die Unwahrheit zu sagen. Nach kurzer Pause kam Eclair mit einem von Fontaine unterzeichneten Haftbefehl zurück. Als Schmeisser nach der Begründung fragte, entgegnete Eclair, er habe gelogen und solle eine Nacht darüber nachdenken. Komme ihm auch dann keine bessere Einsicht, werde man ihn für Monate an Orten festhalten, die ihm das Leugnen austrieben. Die Polizeiwache des Innenministeriums geleitete Schmeisser in den Keller, wo er in einem schmutzigen Raum eingesperrt und schwer bewacht wurde. Es herrschte dort grelle Beleuchtung, und die Luft war feucht und dumpf. In gewissen Abständen erschien ein Polizist, der ihn am Schlaf hindern sollte. Am 15. Januar gegen 7.30 Uhr holte ihn ein anderer Beamter zum Verhör ab, der sich als Offizier des Deuxième Bureau und Verbindungsmann zwischen Polizei und militärischem Nachrichtendienst ausgab. Der Mann sagte, er habe von Dorothy gehört, daß Schmeisser Bescheid wisse über kommunistische Agententätigkeit von Isabel Salvado, Laurent, Haiblet und DST-Direktor Wybot. Schmeisser – der infolge der modrigen Kellerluft starke Atembeschwerden hatte – teilte ihm mit, er besitze kein Material darüber. Der Offizier versicherte, man habe bereits Angaben über Personen, doch bedürfe es noch konkreter Dokumente. Derzeit sei der Nachrichtendienst der Polizei noch stärker als der des Militärs. Seine Dienststelle habe nichts gegen Ziebell. Man wolle auch um ihn (Schmeisser) keinen Skandal und habe deswegen gegen den Wunsch der DST seine Ausweisung durchgesetzt. Die DST wollte ihn längerfristig unter Verschluß nehmen. In etwa einem Jahr werde Schmeisser dankbar für die Ausweisung sein; dies könne er derzeit nicht näher ausführen. Für kurze Zeit zurück in seinem Verließ, wurde Schmeisser erneut von Eclair abgeholt. Dieser stieß ihn laut schimpfend die Treppe hinauf zu Haiblet. Vorher gab Eclair ihm einen tüchtigen Schlag in den Magen und trat ihn in den Rücken. Er drohte: Wenn man ihn (Schmeisser) jetzt aus den Fenster würfe, könne man dies mühelos als Selbstmord hinstellen. Während die Mißhandlungen andauerten, betrat Haiblet das Zimmer. Dieser packte Schmeisser und schleuderte ihn auf ein Sofa. Unablässig schlagend, fragten die Franzosen nach Schmeissers Auftrag und seinen Kontaktleuten, nach seinen Gesprächen in Wiesbaden und warum er eigenmächtig von Saarbrücken nach Paris gegangen sei. Schmeisser sollte zugeben, mindestens seit 1950 für deutsche Stellen gearbeitet zu haben. Haiblet und Eclair wurden noch rabiater, als die Rede auf Isabel und Laurent kam. Sie wollten wissen, was der Beamte des Deuxième Bureau gefragt habe. Schmeissers ausweichende Antwort erhöhte ihre Aggressivität. Schmeisser – der weder Namen noch konkrete Aufträge nannte – sagte im Hinblick auf Ziebell, 1950 habe er mit diesem im Rahmen der BST zusammengearbeitet. Endlich gaben die Beamten ihre Bemühungen auf und steckten Schmeisser in den Keller. Später kam der Mann von der militärischen Abwehr wieder, um Schmeisser „fotographieren und daktyloskopieren“ zu lassen. Schmeisser beschwerte sich bei ihm über die „GPU-Methoden“ der Polizei. Daran sei nichts zu ändern, erhielt er zur Antwort, denn bei einer Beschwerde seines Dienstes darüber würde es noch ärger. Wieder einige Zeit später mußte Schmeisser ein Protokoll unterschreiben, das ihm nicht vorgelesen wurde. Die Beamten nahmen keinerlei Rücksicht auf seine unvollkommene Kenntnis der französischen Sprache und teilten ihm seine Überstellung nach Deutschland noch am selben Abend mit. Ein letztes Angebot Eclairs, alles zu stoppen, wenn Schmeisser seine Arbeit für den deutschen Verfassungsschutz gegen Frankreich wahrheitsgetreu berichte, wurde trotz mehrfacher Nachfrage von Schmeisser abgelehnt. Er ließ sich nicht von dem Hinweis beeindrucken, der französische Geheimdienst werde dafür
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Hessen - Schmeisser in Paris (Winter 1951/52)
sorgen, daß das Verfahren in Koblenz 48 für ihn nicht glimpflich ausginge und er in Deutschland viele Scherereien hätte. Endlich ließ die DST von ihm ab. Angehörige des militärischen Dienstes beförderten ihn zur Präfektur, wo die Papiere für seine Ausweisung angefertigt wurden. Seine Privatsachen wurden von seiner Wohnung ins Innenministerium gebracht. Er blieb im Keller, bis gegen 21 Uhr sein Zug nach Straßburg ging. Schmeisser, Schretzmair und ein Beamter – der sich Notizen über die Gewaltanwendung gegen Schmeisser machte – trafen am 15. Januar gegen 5 Uhr morgens in Straßburg ein; von dort aus wurde das Pärchen nach Kehl gefahren. Hier mußte Schmeisser einen Fragebogen über die Gründe seiner Ausweisung ausfüllen und 2 Lichtbilder abgeben. Danach fuhren zwei deutsche Kriminalbeamte mit Schmeisser und Dorothy in den deutschen Teil Kehls. 49 Eine amtsärztliche Untersuchung ergab Platzwunden und eine Bronchitis; außerdem mußte ihm ein Zahn gezogen werden. Die Polizeidirektion Freiburg verfügte Schmeissers Verhaftung. Um 16 Uhr verhörten zwei aus Freiburg nach Kehl angereiste Beamte ihn und Dorothy getrennt. Schmeisser gab eine Skizze seines Lebenslaufes und berichtete knapp über die Zeit in Boppard. Er durfte dann einige Stunden in einer Zelle schlafen. Um 22 Uhr folgte eine zweite Vernehmung, bei der er zu den Aussagen von Dorothy Stellung nehmen mußte. Der tonangebende der beiden Beamten, ein gewisser Riedel 50, ermunterte Schmeisser zur Offenheit und gab an, zu einer Spezialeinheit zu gehören. Schmeisser wurde ausgiebig über die Ereignisse im Zusammenhang mit den Franzosen seit 1947 befragt. Da er merkte, daß Dorothy viel geplaudert hatte, mußte auch er in umfangreichem Maße aussagen. Am nächsten Morgen wurde Schmeisser in das Offenburger Gerichtsgefängnis eingeliefert. Riedel empfahl ihm, der Staatsanwaltschaft nicht alles zu erzählen; er würde ihn bald aus Offenburg herausholen. Schmeisser hatte längst begriffen, es mit einem Mann aus dem Bereich des Nachrichtendienstes zu tun zu haben. Er bezeichnete Masloh als Triebfeder der Vorgänge. Masloh und Durtal hätten Dorothy unter schweren Druck gesetzt, um sie zum Aktendiebstahl in der bayerischen Staatskanzlei zu veranlassen. Die Frage, ob das hessische LfV Fehler gemacht habe, verneinte Schmeisser und meinte, er wäre sonst wohl nicht lebend aus Paris herausgekommen. Ziebell werde von den Franzosen mit Mißtrauen betrachtet; man hatte Schmeisser untersagt, Beziehungen zu ihm zu pflegen. Riedel lobte Schmeisser abschließend für seine ausführlichen und ehrlichen Darlegungen. Zwei Tage blieb Schmeisser im Gefängnis von Offenburg – und wurde dann neuerlich der Sûreté überstellt. Ein gewisser Declais fragte, was er Riedel erzählt habe. Er wußte sogar, wie lange das Gespräch in Kehl gedauert hatte. Schretzmair war allerdings schon abgereist. Schmeisser behauptete, er habe nur über die beim Tribunal in Koblenz anstehenden Dinge gesprochen. Auf eine Frage von Declais erwiderte Schmeisser, er wolle nun als Journalist bei der „Volksstimme“ in Frankfurt arbeiten. Declais untersagte ihm jede nachrichtendienstliche Tätigkeit für mindestens ein halbes Jahr. Um 14 Uhr konnte Schmeisser den Zug nach Mainz besteigen. Er beabsichtige, nun wieder nach Frankfurt und Wiesbaden zu gehen. Dorothy werde bei ihm bleiben oder zu ihren Eltern fahren. Beim Verhör in Freiburg am 16. Januar 1952 beantwortete Schmeisser widerwillig einige unangenehme Fragen: 51 Er wisse, daß die Staatsanwaltschaften Koblenz und München nach ihm fahndeten. Er glaube, beides sei von Wiesbaden aus geregelt worden. Demnach werde in 48 49 50 51
Dort ging es um seine Betrügereien während der Zeit seines Aufenthaltes in Boppard (vgl. Kap. III.1). Kehl war von Frankreich beschlagnahmt worden. Erst 1953 wurde es vollständig von den einquartierten Franzosen geräumt. In der Vorlage: „Riederer“. BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 5-12, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Freiburg, 16.1.1952, hier: Bl. 10.
Die Schmeisser-Affäre
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München nur seine Adresse benötigt. Das Verfahren in Koblenz wurde im Januar 1952 erledigt. Schretzmair sei vor einem Jahr vom französischen Tribunal in Koblenz vernommen worden. Dorothy Schretzmair bestätigte am 16. Januar 1952 in Kehl 52 diesen Ablauf der Ereignisse, wie Schmeisser ihn geschildert hatte. Am 14. Januar wurde Dorothy in Paris – wo sie als Gouvernante arbeitete – zum Nachrichtendienst einbestellt und über ihre Aussagen in Wiesbaden befragt. Sie habe erklärt, es sei ihr in Wiesbaden darum gegangen, Angaben Maslohs gegenüber Mitgliedern der Strasser-Bewegung betreffs Schmeissers und ihrer Tätigkeit richtigzustellen. Sie beteuerte vergeblich, nicht über französische Dienststellen gesprochen zu haben. Beim Kehler Verhör gab sie zu Protokoll, Schmeisser sei in Wiesbaden gebeten worden, sein Augenmerk darauf zu richten, welche Personen kommunistische Sympathien hätten. Auch Beamte der DST wie Wybot (Paris) und Haiblet 53 (Saarbrücken) stünden in diesem Verdacht. In einem anderen Verhör sagte Schretzmair, Masloh habe Schmeisser geraten, direkt mit Blankenhorn in Verbindung zu treten. 54 Als Schmeisser und Dorothy erklärten, sich lieber an die SPD wenden zu wollen, riet Masloh, einen etwaigen Interessenten nach Paris zu locken. Damit meinte er Wadsack, den Beauftragten von Otto Strasser. Dessen Mission in die französische Hauptstadt wurde jedoch vereitelt. Die Ursache dafür lag in den diplomatischen Aktivitäten, die die französische Regierung auf Bitten Blankenhorns entwickelte. 3) SPANNUNGEN AUF DIPLOMATISCHER EBENE Blankenhorn bat Wilhelm Bodens (BMG) am 13. Dezember 1951 zu sich, um dessen Wissensstand zu erkunden.55 Dabei erklärte er, Schmeisser und Schretzmair unter dem Namen Levacher (und Frau) zu kennen. Er arbeitete mit ihnen zusammen, als er für die CDU tätig war. Er habe Schmeisser als französischen Verbindungsoffizier betrachtet. „Ich bin tatsächlich auf den Kerl hereingefallen.“ Zweifellos könnten Schmeisser und Schretzmair einen Skandal hervorrufen! Letztere tauchte vor wenigen Wochen sogar im Kanzleramt auf. Nach Gesprächen mit Lenz und Globke mobilisierte er (Blankenhorn) seine französischen Verbindungen, damit Schmeisser an einer Veröffentlichung gehindert werde. Der befreundete Diplomat Claude Cheysson sagte ihm jede Unterstützung zu. Bodens fragte Blankenhorn nicht, ob er die Gelder angenommen habe. Dieser bestritt es von sich aus nicht. Der Ministerialreferent sah einen großen öffentlichen Wirbel voraus, wenn es zu einer Publikation käme. Er beurteilte es als höchst bedauerlich, daß eine dem Kanzler so nahestehende Person wie Blankenhorn „sich in dieser Angelegenheit der Hilfe des Exponenten des Nachrichtendienstes des Quai d’Orsay bedienen muß, um seine Verbindung zu fragwürdigen Agenten des französischen Dienstes zu vertuschen. Daß kein Nachrichtendienst der Welt sich eine solche Gelegenheit entgehen läßt, ist selbstverständlich.“ Natürlich würde auch eine Oppositionspartei eine solche Chance beim Schopf ergreifen, um politisches Kapital daraus zu schlagen.
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Ebd., Bl. 13-17, Protokoll der Vernehmung D. Schretzmairs in Kehl, 16.1.1952, hier: Bl. 16-17. In der Vorlage: „Vibeau“ und „Heblay“. BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 26-28, Protokoll der Vernehmung D. Schretzmairs in Wiesbaden, 15.11.1951, hier: Bl. 28. BA, B 137, Bd. 16540, Vermerk Bodens, Geheim, 2.1.1952.
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Hessen - Spannungen auf diplomatischer Ebene
Cheysson sprach am 2. Januar 1952 bei Staatssekretär Globke vor. 56 Seine Version der Schmeisser-Geschichte lautete folgendermaßen: Bei einem Verhör in Paris gestanden Schmeisser und Frau Bruner, gleichzeitig für den französischen und den hessischen Nachrichtendienst tätig zu sein. Paul Schmidt habe Schmeisser als Repräsentant der Frankfurter „Volksstimme“ getarnt und beauftragt, die Deutschen in Paris zu überwachen. Daraufhin wurden Schmeisser und Bruner verhaftet. In 8-10 Tagen sollten sie nach Deutschland ausgewiesen werden; der genaue Ort werde mitgeteilt. Schmeisser sagte aus, Schmidt habe ihn eingehend über seine Zeit als französischer Verbindungsmann zu deutschen Parteien befragt, besonders zur CDU in Köln. Schmidt wollte wohl Material gegen die CDU und gegen Blankenhorn in die Hand bekommen. Cheysson bezeichnete Schmeisser als ein „übel beleumundetes Subjekt“, das von einem Münchner Gericht wegen eines Einbruchs im Jahre 1947 gesucht werde. François-Poncet und die französischen Behörden seien befremdet über die Operationen eines deutschen Nachrichtendienstes in Paris. Offenbar würden keineswegs nur Deutsche im Ausland überwacht... Der Hohe Kommissar bitte um Unterrichtung des Bundeskanzlers. Der französische Diplomat beschrieb als gesicherte Tatsachen, was laut Schmeisser ihm nur in den Mund gelegt wurde. Paris war darauf erpicht, Schmeisser zum Agenten des LfV Wiesbaden zu stempeln. Dieser hatte gute Gründe, das zu leugnen, und dürfte es tatsächlich vehement bestritten haben. Blankenhorn informierte am 11. Januar 1952 den Bundeskanzler. 57 Er berichtete von dem französischen „Verbindungsoffizier“ Levacher, der von Sommer 1948 bis Sommer 1949 in Köln Kontakt mit ihm gepflegt habe. Insbesondere habe er sich für kommunistische Aktivitäten interessiert. Erst vor wenigen Wochen habe er (Blankenhorn) die wahre Identität von Levacher erfahren. Die französische Hohe Kommission orientierte ihn über die nachrichtendienstliche Tätigkeit Schmeissers in Paris für das LfV Wiesbaden. Dieses Amt erfuhr von Schmeisser dessen frühere Zusammenarbeit mit dem Kölner Zonensekretariat der CDU und erhielt Material darüber. Levacher soll ausgesagt haben, er (Blankenhorn) habe monatlich 1.000 DM von ihm bekommen. Dies sei eine Verleumdung, gegen die er auch strafrechtlich vorzugehen bereit sei. Cheysson zufolge wolle sich die französische Hohe Kommission über Schmeissers Unternehmungen in Paris offiziell beschweren. Am 28. Januar 1952 übermittelte François-Poncet tatsächlich eine Note an den Kanzler. 58 Er unterrichtete ihn über die Ausweisung Schmeissers und Schretzmairs am 16. Januar. Sie hätten ausgesagt, von einem deutschen Nachrichtendienst nach Frankreich geschickt worden zu sein. Ihr Vorgesetzter sei der Leiter des LfV Hessen, Paul Schmidt. Schmeisser habe sich mit einem Korrespondentenstatus für die Frankfurter „Volksstimme“ getarnt. Es erscheine ebenso erstaunlich wie bedauerlich, daß das „Bureau de la Protection de la Constitution“ kurz nach seiner Lizenzierung durch die Alliierten bereits versuche, ein Informationsnetz in Frankreich aufzubauen. Eine solche Mission sei für das Bundesamt für Verfassungsschutz nicht vorgesehen gewesen. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Bezeichnungen, die François-Poncet gebrauchte. Zunächst wurde korrekterweise das LfV Hessen genannt, dann die Verantwortung allgemein dem deutschen Verfassungsschutz angelastet, schließlich das BfV in Haftung genommen. Der Hohe Kommissar wußte genau, daß die Landesämter in eigener Regie handelten und nur eine 56 57 58
BA, B 106, Bd. 202114; B 136, Bd. 50385, Bl. 109-110; PA/AA, B 2, Bd. 354A, Vermerk Globkes, Geheim, 2.1.1952. BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 1-3, und PA/AA, B 2, Bd. 354A, Blankenhorn, Aufzeichnung über den französischen Agenten Schmeisser alias Levacher, Geheim, 11.1.1952. Wortlaut in: BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 46; PA/AA, B 2, Bd. 354A.
Die Schmeisser-Affäre
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lockere Kooperation mit dem BfV bestand. Indessen wollte die französische Seite die Gelegenheit nutzen, die nachrichtendienstliche Tätigkeit in der Bundesrepublik ganz auf den Osten auszurichten. Die deutschen Verfassungsschutzämter waren von französischen Agenten unterwandert, die der Hohe Kommissar zu decken trachtete. François-Poncet war nicht unbedingt persönlich mit den Angelegenheiten von SDECE und DST befaßt, aber er wußte fraglos von deren Existenz. Obwohl Ziebell bei den Vernehmungen Schmeissers in Paris im Mittelpunkt stand, kam er in der Note nicht vor. Statt dessen wurde Paul Schmidt genannt. Falls ein Bauernopfer notwendig wurde, erschien Schmidt als geringerer Verlust, denn er schirmte Ziebell lediglich ab und besaß nachrichtendienstlich keinen besonderen Wert. François-Poncet mußte Schmidt erwähnen, um den Eindruck zu verwischen, hier hätten französische Agenten ihre Finger im Spiel. Schmeisser und Schretzmair wurden als deutsche Spione hingestellt. Ob der Hohe Kommissar über die wahren Hintergründe vollständig im Bilde war, ist offen. Jedenfalls mußte französischerseits Empörung über die Umtriebe des deutschen Verfassungsschutzes demonstriert werden, damit die Kommunikationslinien zwischen Saarbrücken und Wiesbaden im Dunkeln blieben. Die französische Hohe Kommission in Bonn bestritt übrigens Mitte Juli 1952 gegenüber der „Frankfurter Rundschau“ die Existenz einer Protestnote, von der in Bonner Regierungskreisen gesprochen worden war. 59 François-Poncet habe nicht die Aufgabe, in Paris weilende deutsche Staatsbürger dahingehend zu überprüfen, ob sie Agenten seien, und sich gar darüber zu beschweren. Dieses Verhalten vermittelt den Eindruck, die zuständigen Diplomaten seien sich der Gratwanderung bewußt gewesen, auf die sie sich eingelassen hatten. Inzwischen wurde der Verursacher dieser Aufregung in Hessen anderweitig eingesetzt. 4) SCHMEISSERS TÄTIGKEIT FÜR SCHWEBBACH IN FRANKFURT A.M. UND SEINE EIGENMÄCHTIGKEITEN (FRÜHLING/SOMMER 1952) Wie ging es mit Schmeisser weiter? Auch darüber berichtete er im Oktober 1952 in Starnberg. 60 Ziebell schlug Schmeisser vor, in Kassel oder im Ruhrgebiet für die Kominform tätig zu werden. Als Schmeisser dies zurückwies, wurde er im März 1952 Schwebbach in Frankfurt a.M. zugeteilt. Ziebell – der weiterhin im hessischen LfV saß – verhalf ihm zu finanziellen Mitteln. Bei Schwebbach hatte Schmeisser ganz neue Aufgaben zu übernehmen. Schwebbach wußte auch nichts über seine früheren Aktivitäten für den französischen Nachrichtendienst. Er erkundigte sich mehrfach danach, allerdings nicht über Blankenhorn. Schwebbach erklärte bei einer Vernehmung, Schmeisser habe gute Arbeit geleistet.61 Später hatte Schwebbach eine Auseinandersetzung mit Schmeisser, weil er hörte, daß dieser noch mit Ziebell in Verbindung stand. Schwebbach sagte, jetzt unterstehe er ihm. Schwebbach bewertete das Verhältnis Schmeisser-Ziebell als undurchsichtig und teilte Schmeisser deshalb mit, er sei nicht mehr tragbar für ihn. Nach der Publikation im „Spiegel“ war natürlich eine Weiterbeschäftigung nicht mehr möglich. Schmeisser klagte einmal darüber, er sei bei dem Artikel sozusagen überfahren worden. Jetzt werde er reden. Danach sah Schwebbach ihn allerdings nicht wieder. Er wußte nichts davon, daß Schmeisser noch eine Zeitlang vom LfV bezahlt worden sei. 59
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Fried Wesemann, „Mysteriöser Aktendiebstahl in einer Staatskanzlei“, in: „Frankfurter Rundschau“, 18.7.1952. Einzelheiten über die Note enthielt ein Beitrag der „Frankfurter Neuen Presse“ vom 17.7.1952 („Hessisches Verfassungsschutzamt sammelt Material über Dr. Adenauer“). BA, B 136, Bd. 241, und BA, B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 2, Bl. 26-50, Protokoll der Vernehmungen Konrad Schmeissers in Starnberg vom 10.-20.10.1952, hier: S. 22-35. PA/AA, B 130, Bd. 13796, Protokoll der Vernehmung Schwebbachs in Wiesbaden, 26.1.1954.
Hessen - Schmeissers Tätigkeit für Schwebbach in Frankfurt M d i i h i k i (F hli /S 1952)
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In Starnberg erläuterte Schmeisser, Ziebells Aufgaben beim hessischen LfV hätten in der Bearbeitung von französisch-saarländischen Angelegenheiten, von Kominform, SRP und „SSachen“ bestanden. Ziebell sagte einmal, er mache alles, was das Amt offiziell nicht tun könne. Bei einem Treffen in der Redaktion des „Spiegel“ formulierte Ziebell, Schmidt habe ihm „sein Amt zur Verfügung gestellt“. Er (Schmeisser) sei am 12. April 1952 in Frankfurt a.M. Hella Hubaleck begegnet, die bereit war, über ihre französischen Verbindungen zur Bundesregierung auszusagen. Als Schwebbach das erfuhr, beauftragte er Schmeisser, Hubaleck im Polizeipräsidium Wiesbaden gemeinsam mit von Seidlitz zu vernehmen. Paul Schmidt meine nämlich, er kenne Hubaleck gut genug, um Wahrheit und Dichtung bei ihr zu unterscheiden. Ziebell seinerseits wollte Hubaleck selbst noch einmal verhören. So kam es zu einem Termin mit Hubaleck bei von Seidlitz, der nur protokollierte. Schwebbach platzte herein und winkte Schmeisser, mit ihm hinauszugehen. Er war blaß und nervös. Er schalt Schmeisser, weil er Ziebell unterrichtet hatte. Schmeisser erwiderte, dies sei von seiten des Amtes geschehen. Schwebbach zeigte sich wütend darüber. Er könne ohnehin nicht begreifen, weshalb Schmidt Ziebell in eine derartige Position bringe. Dabei sei Ziebell keine Amtsperson, sondern lediglich der Freund Schmidts. Er werde Schmidt sagen, daß er sich nicht länger von Ziebell in seine Sachen hineinreden lasse. Schmeisser solle das Hubaleck-Protokoll am nächsten Tag ihm (Schwebbach) aushändigen, nicht aber Ziebell. Von Seidlitz erklärte auf eine entsprechende Frage Schmeissers, bislang hätten sich Schmidt, Ziebell und Schwebbach gut vertragen; in interne Machtkämpfe wolle er nicht eingreifen. Er habe mit Schmidt vereinbart, daß Ziebell einen Durchschlag des Protokolls bekomme, und werde sich daran halten. Er (Schmeisser) brauche ja nichts davon zu wissen. Kurz darauf kam Ziebell, und von Seidlitz unterhielt sich allein mit ihm. Dann schritt Ziebell zu einem Verhör von Hubaleck, für das er eine Schreibkraft mitgebracht hatte. Schmeisser und von Seidlitz verließen das Polizeipräsidium, während Ziebell über den Dienstschluß hinaus mit Hubaleck dort blieb. Am folgenden Tag übergab Schmeisser sein Protokoll an Schwebbach. Dieser wußte bereits von Ziebells Treffen mit Hubaleck und beauftragte Schmeisser, mit ihr ein Gespräch in Heidelberg zu vereinbaren, das er führen wolle. Nachmittags sagte Ziebell zu Schmeisser, er habe mit „Paul“ besprochen, daß aus dem Heidelberg-Plan nichts würde; er selbst wolle mit Hubaleck in Wiesbaden ein weiteres Protokoll aufnehmen. Einige Tage später räumte Schwebbach ein, der Fall Hubaleck sei ihm aus der Hand genommen worden. Ziebell erzählte von einem heftigen Zusammenstoß mit Schwebbach. Dieses Verwirrspiel irritierte Hubaleck, die nicht mehr erschien, sondern zum BMG ging und Bodens von den Wiesbadener Vernehmungen berichtete. Sie hatte Bodens über Strohm kennengelernt, dessen Bekanntschaft sie wiederum im Zuge ihrer Verbindungen zu französischen Stellen gemacht hatte. Schwebbach mochte sich nicht über Schmidt und Ziebell beruhigen. Er verlangte von Schmeisser, einen Bericht über beide vorzulegen. Dies behagte Schmeisser nicht. Er verständigte Ziebell, der sich mit Schmidt beriet. Ziebell schrieb daraufhin den Bericht selbst. 62 Schwebbach zeigte sich nach der Lektüre mit dem Inhalt unzufrieden. Er und Ewald Zweig wollten Masloh im Juni 1952 zur Vernehmung nach Frankfurt holen. Paul Schmidt wollte Ziebell dessen Vernehmung überlassen, sofern Masloh den Auftrag haben sollte, Ziebell „anzulaufen“. Nach Ziebells Meinung würde Schwebbach angesichts seiner Unkenntnis über die Saar bei Masloh alles verderben. Schwebbach sollte auch über ihn (Schmeisser) so wenig wie möglich erfahren, damit er „das große politische Spiel Blankenhorn“ nicht störe. Masloh hingegen war durch seine französischen Kontakte 62
Zum Inhalt: Kap. 5b.
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darüber unterrichtet. Auch Schmeisser selber war daran interessiert, daß nur wenige Leute über den Fall Blankenhorn etwas wußten. Am 29. Mai 1952 kam Ziebell und sagte, Masloh befinde sich im Frankfurter Lokal „Hauptwache“. Schmeisser solle dort hingehen, ihm aber nicht den Grund nennen. Masloh und Zweig – die sich seit längerem kannten – saßen in der genannten Gaststätte. Schmeisser verabredete sofort ein weiteres Treffen mit Masloh unter vier Augen in der Gaststätte „Schwille“. Zweig war redselig, denn er hatte viel mit Schmeisser zu besprechen. Er wollte Interna aus dem französischen Innenministerium wissen, damit ein französischer Freund von ihm den jetzigen Leiter der DST ersetzen könne. Schmeisser merkte für das Protokoll an, Zweig sei mit Wybot und dem früheren Leiter des SDECE, Bertaux 63, verfeindet. 64 Zweig wolle Wybot durch den Abwehrchef der Luftwaffe, Marc Bergé 65, ersetzen. Zweig hatte keine Ahnung von Schmeissers Tätigkeit für das hessische LfV. Er plauderte über seine regen Kontakte zu Frau Radó 66. Sie sei Chefin der „Roten Kapelle“ 67 gewesen. Schmeisser und Masloh unterhielten sich später allein im Café „Schwille“. Masloh zeigte sich sehr aufgeschlossen, als Schmeisser sagte, er arbeite für die Amerikaner. Diese hätten großes Interesse an der Saar und wollten Masloh für besondere Aufgaben verwenden. Als Voraussetzung müsse er den Amerikanern allerdings interne Vorgänge im Saargebiet mitteilen. Masloh war gewillt, sich darauf einzulassen. Plötzlich tauchte Schwebbach auf, rief Schmeisser auf die Straße und schimpfte über die eigenmächtige Verabredung. Er wolle sich bei Schmidt beschweren. Ziebell war unbeeindruckt von Schwebbachs Zorn und sagte Schmeisser, er werde das schon mit „Paul“ regeln. Schmeisser sollte das „amerikanische Spiel“ mit Masloh vorantreiben. Ziebell wollte einen Mitarbeiter des LfV ausfindig machen, der ein amerikanisches Aussehen habe. Ziebell beabsichtigte also, durch ein solches Manöver Masloh Informationen über die Saarpolitik zu entlocken. Ein Beamter des LfV, Hans Hermann K., sollte sich als amerikanischer Mittelsmann ausgeben und für alle Entscheidungen auf seinen „Boss“ im Hintergrund verweisen, also Ziebell. Masloh verspätete sich und brachte den Strasser-Freund Hagert mit. K. wurde unter einem Pseudonym vorgestellt und fingierte gebrochenes Deutsch. Sein in der Tasche verstecktes Tonbandgerät zeichnete das Gespräch wegen eines technischen Defekts nicht auf. Als K. sich kurz entfernte, bemerkte Masloh, er müßte Näheres wissen über die Pläne der Amerikaner. Er sei bereit, an einer Umbildung der Saarregierung zu partizipieren. K. hatte keine Ahnung von der Saar und blieb ziemlich schweigsam. Er ließ durchblicken, er sei nur als „Beobachter des ‚Boss’“ präsent. Hagert brachte wieder Strasser ins Spiel. Er hoffte offenbar, die Amerikaner für ihn erwärmen zu können. Schließlich wurde ein weiteres Gespräch in Wiesbaden vereinbart, zu dem Masloh Material mitbringen sollte. Eine Woche später telefonierte Hagert mit Schmeisser. Dieser lehnte es freilich ab, nach Mainz zu fahren, um Masloh am Hauptbahnhof zu empfangen. So wich man wieder in die einstige amerikanische Zone nach Wiesbaden aus und unterhielt sich in einem Hotelzimmer. Masloh hatte nur Dokumente über seine saarländische Heimatpartei 68 dabei. K. ging nach kurzer Zeit unter dem Vorwand, noch anderes zu tun zu haben; er fürchtete Probleme wegen seiner fehlenden Sachkenntnis. Masloh wollte die Personalvorstellungen der Amerikaner für 63 64 65 66 67 68
In der Vorlage: „Barteaux“. Diese Angabe traf zu (vgl. Kap. I.1b). Zu Bergé: Faligot/Krop, DST, S. 111f. Es handelt sich um die deutsche Kommunistin Helene Jansen aus Berlin (Radó, Kennwort Dora, bes. S. 5964). Vgl. dazu Kap. I.1b. Zur Roten Kapelle u.a.: Höhne, Kennwort; The Rote Kapelle. Gemeint ist wohl eher die „Rote Drei“, die sowjetische Schwarzfunkgruppe in der Schweiz. Vgl. Kap. IV.4b.
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die Saarregierung wissen. Also ging Schmeisser zu Ziebell, der ganz in der Nähe wartete und von K. bei dessen Weggang alarmiert worden war. Ziebell überreichte ihm eine handgeschriebene Ministerliste, die Schmeisser sogleich an Masloh weitergab. Dieser war als Innenminister vorgesehen. Ziebell wollte den Eifer Maslohs dadurch anstacheln. Ministerpräsident sollte Kossmann werden. Auch Kirn und Welsch wurden genannt; letzterer sei „in der Hand von Ziebell“. Masloh lobte den Weitblick, der dieser Liste zugrundeliege. Als er die Rede auf Finanzielles brachte, ließ Schmeisser sich nicht darauf ein. Schmeisser ging dann ins Lokal „Christopholi“, das Ziebell inzwischen verlassen hatte. Der dortige Barmixer war früher Dolmetscher für den französischen Nachrichtendienst in Koblenz gewesen. Schon Ende 1951 hatte der Barmixer Schmeisser gesagt, er wolle ihm gerne helfen, wenn es einmal nötig sein sollte. An diesem Abend nun spendierte der Barmixer mehrere Cognacs. Ziebell kam und begleitete Schmeisser ein Stück auf dem Weg zum Bahnhof, wo Schmeisser sich mit Hagert zur gemeinsamen Rückfahrt nach Frankfurt verabredet hatte. Kurz vor dem Bahnhof deutete Schmeisser in der menschenleeren Straße auf einen französischen Citroën, der unvorschriftsmäßig hielt. Ziebell verabschiedete sich. Kaum war er verschwunden, raste der Citroën – halb über den Bürgersteig fahrend – auf Schmeisser zu. Schmeisser sah vier Männer, von denen einer die Wagentür halb geöffnet hatte. Schmeisser rannte im Zickzack zwischen den Bäumen zum Bahnhofsvorplatz, der einigermaßen belebt war. Das Auto brauste mit hohem Tempo Richtung Mainz davon. In einem der Insassen glaubte Schmeisser einen Sûreté-Beamten namens G. erkannt zu haben. Da Schmeisser nicht wie erwartet die Bahnhofstraße entlanggegangen war, mußte der Citroën vorschriftswidrig fahren und fiel Schmeisser deshalb frühzeitig auf. Hagert kam erst unmittelbar vor Abfahrt des Zuges. Als er nach der Ursache für Schmeissers Blässe forschte, erzählte dieser sein Erlebnis. Hagert schien wenig erstaunt und ging nicht näher darauf ein. Immerhin bot er Schmeisser in Frankfurt an, ihn vorsichtshalber zu seiner Wohnung zu begleiten. Schmeisser lehnte dies ab. Schmeisser erzählte Ziebell, Zweig und dem LfV von dem Zwischenfall. Etwa eine Woche später beklagte sich Hagert bei Schmeisser im Rahmen einer Gesprächsrunde in Frankfurt, daß er ihn mit dem Entführungsversuch in Verbindung gebracht habe. Bis zu diesem Treffen kannten Masloh und Zweig Ziebell nur unter dem Namen Bell als Mitarbeiter des „Spiegel“, weil Mans ihn so eingeführt hatte. Masloh war mit Hilfe von Zweig zur Frankfurter Redaktion des „Spiegel“ gegangen. Er wollte regelmäßig Material über die Saar liefern. Mans wollte Ziebell alias Bell als Kenner der Saarfrage in seinen Verhandlungen mit Masloh dabeihaben. Masloh hatte über Zweig auch zum LfV Kontakt aufgenommen, und zwar zu Schwebbach. In der Frankfurter Gaststätte „Hauptwache“ trafen Schmeisser, Hagert, Loerbroks, Zweig, Masloh, Ziebell und Mans zusammen. Ziebell führte die Regie. Masloh mußte von seinen separatistischen Aktivitäten in der Pfalz Ende der 1940er Jahre berichten. 69 Masloh fragte Schmeisser in der „Hauptwache“, was nun mit den Amerikanern sei. Die beiden gingen gemeinsam mit Hagert zur Gaststätte „Kranzler“. Masloh verlangte eine hohe Summe für seine Bemühungen. Schmeisser hielt Rücksprache mit Ziebell, der ihm sagte, er solle alles abblasen, denn mit Masloh könne es angesichts seiner finanziellen Vorstellungen nicht vorangehen. Schmeisser teilte Masloh dies mit. Ziebell untersagte Schmeisser, mit Schmidt über diese amerikanische Episode zu sprechen. In der Wohnung einer Sekretärin des LfV wurde ein Protokoll darüber abgefaßt, das Ziebell an sich nahm.
69
Vgl. Kap. III.1 und 3a.
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5) ZIEBELLS INSTRUMENTALISIERUNG DES LFV WIESBADEN Wie lassen sich diese Vorgänge erklären? Das hessische LfV wurde von Doppelagenten beherrscht. Der gesundheitlich angeschlagene Paul Schmidt war eine Marionette Ziebells, der keine offizielle Position im LfV bekleidete und dennoch das Amt dominierte. Ziebell operierte im Auftrag des französischen Geheimdienstes und belieferte wohl auch sowjetische Dienststellen. Schmidt deckte Ziebell, so oft dies nötig war. Offenbar arbeitete Schmidt schon vorher für den SDECE. Die Fäden für subversive Aktivitäten in der Saarpolitik liefen in Wiesbaden zusammen. Ziebell mußte sich von Saarbrücken absetzen, weil er unlautere Geschäfte beim Prozeß um den betrügerischen Bankrott des Kaufhauses Walter gemacht hatte. Er sollte eigentlich die Interessen der französischen Hohen Kommission in Saarbrücken bei diesem Verfahren wahrnehmen, doch eine Chance zur Bereicherung läßt sich eine solche Person niemals entgehen. Unklar bleibt, inwieweit er sich dabei mit Grandvals Behörde überwarf. Sicherlich wollten Teile der Hohen Kommission nichts mehr von ihm wissen. Allein, Ziebell war für den französischen Geheimdienst ein wichtiger Mann; ein völliger Bruch scheint nicht erfolgt zu sein. Schmeisser erzählte Ziebell von seinen Beziehungen zu Blankenhorn. Dieser erkannte sofort deren Tragweite. Als Schmeisser versuchte, auf eigene Faust mit dem SPD-Parteivorstand ins Geschäft zu kommen, demonstrierte Ziebell seine Überlegenheit. Schmeisser resignierte und überließ Ziebell die Regie. Er selbst wollte doch nur einen einträglichen Posten, um seinen Lebensunterhalt zu sichern! Schmeisser gab seine Tätigkeit für wechselnde französische Geheimdienste erst einmal auf und geriet in Abhängigkeit von Ziebell. Dieser stattete ihn mit einem Journalistenstatus aus und führte ihn im hessischen LfV ein. Schmidt war selbstverständlich einverstanden und übernahm Schmeisser ungeprüft. Ziebell schickte Schmeisser zunächst als „Auslandskorrespondent“ nach Paris. Worin lag der Sinn dieser riskanten Aktion? Immerhin war er gleichsam an der Saar desertiert. Der französische Geheimdienst mochte ihn aufspüren und unangenehme Fragen stellen. Damit nicht genug: Ziebell entsandte Schmeisser in die Höhle des Löwen, also ins französische Innenministerium. Er sollte eine Erkundigung einziehen. Zudem mußten er und Dorothy Schretzmair mehrfach zwischen Paris und Wiesbaden hin- und herpendeln. Schmeisser lief in eine Falle, die Ziebell ihm gestellt hatte. Sofort nahm ihn die DST „in die Mangel“. Möglicherweise dachte Schmeisser, Ziebell sei in Paris gut gelitten und deshalb könne ihm nichts passieren. Indessen war die Anfrage über Willi Apel keineswegs beliebiger Natur. Es handelte sich um Staatsrat Wilhelm Apel (1905-1969). 70 Der Bezirksvorsitzende der SPD in Frankfurt-Höchst und Stadtrat in Frankfurt emigrierte 1933. Von 1948 bis 1949 war Apel hessischer Bevollmächtigter bei der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, von 1949 bis 1963 Vertreter der hessischen Landesregierung in Bonn beim Bund. Apel gehörte bis Dezember 1935 zur Leitung einer „Beratungsstelle für Saarflüchtlinge“ im lothringischen Forbach. 71 Dann trat er gemeinsam mit Luise Sassnick zurück. Anlaß waren Auseinandersetzungen mit Emil Kirschmann und Max Braun, denen Apel Machtgier und Unterschlagungen vorwarf. Im Gegenzug behaupteten die Angeschuldigten und eine gewisse Johanna Kirchner, Walter 70 71
M.d.B. Volksvertretung im Wiederaufbau, S. 102f. Material in: AdsD, SPD-PV. Bestand Emigration/Sopade, Mappe 112, Unterlagen zu Walter Sassnick. Zur Beratungsstelle und zum Office Sarrois: Von zur Mühlen, „Schlagt Hitler an der Saar!“, S. 250-254; Paul, Max Braun, S. 107-122; Dertinger/von Trott, Johanna Kirchner, S. 125-150; Redmer, Wer draußen steht, S. 97106. Zur deutschen Emigration in Frankreich: Langkau-Alex, Volksfront, Bd. 1, bes. S. 41-58, 66; Franke, Paris; Meyer, Keiner will sie haben, S. 32-43, 110-115.
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Sassnick und Apel hätten sich mit der Gestapo eingelassen. Sassnick – später Bundestagsabgeordnete der SPD und Chefredakteur der „Nürnberger Nachrichten“ – zählte zum rechten Parteiflügel. 72 Alle waren bewährte Sozialisten, die dann aber bei Sopade – dem Parteivorstand der SPD im Exil – unflätig übereinander herzogen. Die Beratungsstelle wurde im April 1936 auf Druck der französischen Regierung aufgelöst; an ihre Stelle trat ein Office Sarrois, das von Paris kontrolliert und von Max Braun geleitet wurde, der in Frankreich privilegiert und eine schwierige Persönlichkeit war. Wo liegt der Zusammenhang mit der Schmeisser-Recherche über Apel in Paris? Johanna Kirchner hieß eine Zeitlang Schmidt. 73 Sie war die erste Ehefrau von Paul Schmidt. Indessen blieb dies eine kurze Episode: Nach der Trennung von Kurt Kirchner heiratete sie Schmidt 1925, doch nach einem Jahr zog sie aus der gemeinsamen Wohnung aus; Schmidt wird als „Frauenliebling“ und „Aufschneider“ geschildert. 74 Wie dieser stammte sie aus Frankfurt a.M. und engagierte sich in der SPD, wobei sie dezidiert für ein Zusammengehen mit der KPD plädierte. Im Jahre 1942 wurde sie in Aix-les-Bains verhaftet und an die deutschen Behörden ausgeliefert. Johanna Kirchner starb am 9. Juni 1944 durch die Hand des Henkers in Plötzensee. Apel und Schmidt kannten sich zwangsläufig, denn beide agierten als SPDFunktionäre in Frankfurt-Höchst. Es leuchtet also ein, warum Ziebell – wohl auf Anregung Schmidts – in Paris Näheres über Apel in Erfahrung bringen wollte. Dessenungeachtet war diese Erkundigung bei der DST ein Wagnis. Bevor Ziebell aus dem Fall Blankenhorn Kapital schlagen konnte, mußte er Sicherheitsvorkehrungen treffen. Das BfV war das geringste Problem: Es hatte sich bislang nicht mit Schmeisser befaßt, und Otto John war den Westmächten gewogen... Diese Erwartung sollte nicht trügen. Wie stand es mit der Bundesregierung? Adenauer und Blankenhorn würden ihren Apparat in Bewegung setzen, wenn die früheren Beziehungen zum französischen Nachrichtendienst ihnen Schwierigkeiten zu machen drohten. Dagegen mußte Ziebell sich wappnen. Gleichzeitig galt es, das hessische LfV mit seinen Doppelagenten nicht „auffliegen“ zu lassen. Schmeisser würde also dem französischen Innenministerium auffallen. Er sollte in den Verdacht geraten, für das hessische LfV zu spionieren. Es störte Ziebell wenig, daß Schmeisser in eine brenzlige Situation geriet. Zumindest Teile des Geheimdienstes kannten die bestehenden Drähte nach Wiesbaden. Von dort drohte französischen Interessen keine Gefahr. Vielmehr mußte diese von Ziebell und Schmidt gehaltene Bastion verteidigt werden. Ziebell dürfte vorausgesehen haben, daß Schmeisser im französischen Innenministerium nicht schutzlos sein würde. Die ohnehin untereinander rivalisierenden Geheimdienste behandelten ihn tatsächlich sehr unterschiedlich. Er kam zwar nicht ungeschoren davon, doch eine längerfristige Haft blieb ihm erspart. Wirklich hatte Blankenhorn im Dezember 1951 seine französischen Bekannten um Hilfe gebeten, als Schretzmair ihn im Auswärtigen Amt aufschreckte. Nun recherchierte die französische Regierung – und just zu diesem Zeitpunkt mußte Schmeisser auf Geheiß Ziebells Erkundigungen im Pariser Innenministerium in einer eher zweitrangigen Personalfrage einziehen. Prompt protestierte der wahrscheinlich ahnungslose Quai d’Orsay in Bonn gegen 72
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Zu Sassnick (1895-1955): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration, Bd. 1, S. 636. Zu Kirschmann (1888-1949): Redmer, Wer draußen steht. Die Biographie enthält nur eine vage Anspielung auf die Auseinandersetzungen in der Beratungsstelle (S. 103). Zu ihrer Biographie: Dertinger/von Trott, Johanna Kirchner; Oppenheimer, Leben; Johanna Kirchner, geboren 1889, hingerichtet 1944; Hannig, Erinnern, S. 5-21; Schneider, Saarpolitik, S. 516 mit Anm. 185. Ferner: BA, B 137, Bd. 3431, Schreiben Dittlers (DSB) an BMG, 4.8.1952; LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 514, Schreiben Düx/Busch an Amtsgericht Frankfurt-Höchst, 25.11.1953, hier: S. 27. Dertinger/von Trott, Johanna Kirchner, S. 69; Harth, Johanna Kirchner, S. 25.
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Spionage des LfV Hessen in Paris. Ziebells Rechnung ging auf: Die Doppelagenten in Wiesbaden wurden durch diese ferngesteuerte diplomatische Demarche entlastet, weil die Bundesregierung niemals argwöhnen konnte, Frankreich protestiere förmlich gegen ein Amt, in dem es selbst über entscheidenden Einfluß verfügte. Zugleich erhöhte dieser Vorgang den Druck auf Blankenhorn, was die beabsichtigte Operation begünstigte. Worin diese bestand, werden wir später sehen. Schmeisser und Dorothy Schretzmair gaben derweil in den Wiesbadener Vernehmungen nahezu ihr gesamtes Agentenwissen preis. Besonders wichtig waren die Ereignisse um Blankenhorn, die ja den Anlaß dieser Maßnahme darstellten. Ziebell sorgte mit Hilfe von Paul Schmidt für eine amtliche Beglaubigung der Protokolle durch das Wiesbadener Polizeipräsidium. Im Zuge der Amtshilfe für das LfV schien dies leicht zu rechtfertigen. Inspektor Sch. kümmerte sich wirklich nur um die Formalitäten und zeigte sich am Inhalt desinteressiert. Kommissar von Seidlitz bekam freilich mehr mit von den Zusammenhängen. Die Angaben über hochgestellte politische Persönlichkeiten erstaunten ihn ebenso wie die Verfahrensweise. Das Polizeipräsidium durfte nämlich keinen Durchschlag für seine Akten behalten. Von Seidlitz schaltete darum seine Vorgesetzten ein. Auf deren Intervention wurde ihnen kurzzeitige Einsicht in ein Protokoll gewährt. Offenbar gab sich das Polizeipräsidium damit zufrieden, obwohl die politische Brisanz der Aussagen unverkennbar war. Die Dokumente enthielten vieles über die Unternehmungen des SDECE. Ziebell besaß damit eine Waffe, falls ihm sein Verhalten beim Walter-Konkurs nachgetragen wurde. Mehr noch: Schon einmal hatte der französische Geheimdienst ihm einen Streich gespielt, als er für Karlshorst spionierte. Die DST entließ ihn, weil er bei seinem Wirken für östliche Auftraggeber zu weit gegangen war. Das sollte ihm nicht noch einmal widerfahren! Ein solcher Mann mußte sich nach allen Seiten absichern, denn Loyalität durfte er nirgendwo erwarten. Er selbst ignorierte Moralbegriffe ohnehin. Schwebbach kam Ziebell in die Quere. Er wußte zu wenig über diesen geheimnisvollen Mann, um seine Tätigkeit klar einstufen zu können. Mißtrauisch beobachtete er die Winkelzüge des Freundes von Paul Schmidt. Im März 1952 wurde Schmeisser in den Zuständigkeitsbereich Schwebbachs in Frankfurt a.M. verlegt. Das lag ganz gewiß nicht daran, daß Schmeisser dort wohnte. Es diente vielmehr als Tarnung. Allerdings scheint sich auch Schwebbach mit der Saar befaßt zu haben, ohne ein intimer Kenner der Saarfrage gewesen zu sein. An der Integrität Schwebbachs zu zweifeln besteht kein Anlaß. Zur Riege der Doppelagenten zählte er nicht. Er untersuchte Verbindungen zwischen bestimmten Kreisen an der Saar und Rechtsextremisten in Hessen. Dies dürfte sich auf die Strasser-Bewegung beziehen, die im Rhein-Main-Raum Stützpunkte besaß und über Masloh mit der Saarregierung in Kontakt stand. Schwebbach störte permanent die Kreise von Ziebell und Masloh, obwohl er die Zusammenhänge nur andeutungsweise durchschaute. Als Schwebbach die Fortdauer der Verbindung zwischen Schmeisser und Ziebell bemerkte, geriet er in Wut. Sie entzündete sich an der Vernehmung von Hella Hubaleck, die Schmeisser „zufällig“ traf. Schwebbach wollte feststellen, was sie über die Saar-Aktivitäten des französischen Geheimdienstes wußte. Schmeisser ahnte Schlimmes und verständigte Ziebell, der mit Hilfe von Paul Schmidt unerwünschtes Geplauder Hubalecks bei Schwebbach vereitelte. Wahrscheinlich suchte Schmeisser Hubaleck gezielt auf, da der Überläufer Georg Schneider 75 der Sûreté ihr Doppelspiel verraten hatte. Ziebell und Schmeisser vermittelten ihr den Eindruck, ihre Auskünfte dienten der Zerschlagung des französischen Spionagerings. In Wirklichkeit hatte Ziebell anderes im Sinn: Er konnte seine Position gegenüber dem 75
Vgl. Kap. VII.4e.
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Hessen - Ziebells Instrumentalisierung des LfV Wiesbaden
französischen Geheimdienst wieder festigen, wenn er die „Verräterin“ Hella Hubaleck entschärfte. Allerdings hatte dieses Vorgehen fatale Auswirkungen: Schwebbachs Zorn auf Ziebell eskalierte, und die verstörte Hubaleck lief ins BMG und gab dort auch ihre letzten Kenntnisse preis. Schmeisser konnte Schwebbach durch einen gefärbten Zweckbericht über Ziebell nicht beschwichtigen, den er mit Wissen des Betroffenen für Schwebbach anfertigte. Aus Sicht der Agenten war Schwebbach das geringere Problem. Doch bleiben wir vorerst in Wiesbaden. Die Besuche Maslohs in Hessen im Frühling 1952 sind schwerer zu beurteilen. Ziebell stimmte sich vermutlich mit ihm darüber ab, wie die Angelegenheit Schmeisser-Blankenhorn geregelt werden sollte. Masloh war freilich nicht nur Sûreté-Agent, sondern auch für die politische Polizei P 6 von Ministerpräsident Hoffmann aktiv. Seit März 1952 diskutierten Bundeskanzler Adenauer und Außenminister Schuman über eine „Europäisierung“ der Saar. Dies sollte eine Kompromißlösung sein, bei der Frankreich aber erheblichen Einfluß an der Saar behielte. Bisweilen war dabei auch von amerikanischer Vermittlung die Rede. 76 Ziebell suggerierte Interesse der Vereinigten Staaten an der Saar und zog dafür eine regelrechte Komödie mit einem „Scheinamerikaner“ auf. Bis zu einem gewissen Grad mochte dies ein Ablenkungsmanöver sein, das für den stets mißtrauischen Schwebbach bestimmt war. Das ist aber gewiß nicht die alleinige Erklärung. Ziebell schmeichelte Masloh, indem er ihn zum Innenminister einer neuen Regierung „ernannte“. Ziebells Kandidat für den Posten des Ministerpräsidenten, Bartholomäus Koßmann, war zu diesem Zeitpunkt todkrank und starb am 9. August 1952. 77 Wollte man für dieses Amt eine Marionette? Plausibler ist die Vermutung, daß Hoffmann lediglich unter Druck gesetzt werden sollte: Der französischen Rechten paßte eine „Europäisierung“ nicht, weil sie die französische Dominanz an der Saar um kein Iota verringert sehen wollte. 78 Die „Betonfraktion“ in Paris signalisierte Hoffmann, er werde der Verlierer sein, wenn er die „Europäisierung“ nicht torpediere. Der SPS-Vorsitzende Richard Kirn pflegte gute Beziehungen zu Frankreich, der Direktor der Arbeitsverwaltung Heinrich Welsch hielt sich politisch eher zurück 79. Kirn stand außerdem in Verbindung mit Ziebell. 80 Dieser beabsichtigte daher eventuell, die Macht der CVP von Ministerpräsident Hoffmann zu beeinträchtigen, indem er dessen Vertrauten Masloh umgarnte. Kirns SPS sollte davon profitieren. Die seit 1946 an der Saar zumeist amtierende große Koalition aus CVP und SPS war im April 1951 zerbrochen und konnte erst im Dezember 1952 wiederhergestellt werden. 81 Dies dürfte ebenfalls eine Zielsetzung von Ziebell gewesen sein, denn beide Parteien galten als profranzösisch. Indessen waren nicht nur politische Aspekte im Spiel: Masloh erkundigte sich eifrig nach finanziellen Auswirkungen. Er wollte also „Schmiergeld“. Die geschilderten konspirativen Treffen in Frankfurt drehten sich ferner um eine Rückkehr von Otto Strasser nach Deutschland. Dies lag an der Anwesenheit Hagerts und Maslohs, die bekanntlich zu den Sympathisanten des BDE gehörten. Für Ziebell war diese Sache freilich überholt. Er lenkte die Gespräche gemeinsam mit Zweig auf einige Führungsköpfe der französischen Geheimdienste. Es wurde von Querverbindungen zum sowjetischen Nachrichtendienst gemunkelt. Im Falle von Zweig dürften zudem persönliche Animositäten
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Kerkhoff, Großbritannien, S. 160-165. Bost, Bartholomäus Koßmann, S. 328f. Vgl. etwa den Artikel des gaullistischen Senators Debré „Coup d’essai allemand sur la Sarre?“, in: „Carrefour“, 6.2.1952. Auszugsweiser Abdruck: BDFD III, Nr. 75. Dazu Lappenküper, Deutschfranzösische Beziehungen, S. 351f., 362f. Zu Welsch: Elzer, Die deutsche Wiedervereinigung an der Saar, Teil II, Kap. I.5. Vgl. Kap. VII.2c. Schmidt, Saarpolitik, Bd. 2, S. 329f. und S. 480f.
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im Spiel gewesen sein. Wir haben schon früher auf seine Verwicklung in die „Generalsaffäre“ in Frankreich verwiesen. Wo Masloh sich befand, war die Sûreté nicht weit. Schmeisser hatte bei seiner Abschiebung aus Frankreich eine scharfe Warnung bekommen, ein Jahr lang nachrichtendienstlich Zurückhaltung zu üben. Nun beteiligte er sich in Hessen an Zusammenkünften von Leuten, die sich subversiv betätigten. Ferner dachten manche in Paris, Schmeisser treibe ein falsches Spiel und sei jetzt für die deutsche Seite tätig. Die DST fürchtete, Schmeisser könnte sein Wissen über antisowjetische Aktivitäten verraten; der sie befehdende SDECE wollte dagegen die Episode Levacher–Blankenhorn politisch nutzen. Zu erinnern ist ferner an die Einbeziehung von Zweig in die Pläne des ohnehin auch für manche Franzosen schwer durchschaubaren Ziebell: Zweig hatte in Frankreich für Furore gesorgt und galt als Feind Wybots. So argwöhnte die DST, es werde eine Erpressung geplant. Der Entführungsversuch in Wiesbaden kann also durchaus stattgefunden haben. Nicht alle Beamte des französischen Innenministeriums wollten Schmeisser seinerzeit ausweisen. Mehr noch: Was er über Untergrundbestrebungen der KP wußte, alarmierte deren Vertrauensleute in beiden Geheimdiensten. So befand sich Schmeisser nicht in einer beneidenswerten Lage. Ihm drohte das Schicksal, zwischen den Mühlsteinen der Geheimdienste zermalmt zu werden. Er wußte zuviel... In Hessen braute sich ein Gewitter zusammen, das auch deshalb verheerend werden konnte, weil Ziebell sich jetzt anschickte, seine Verbindungen zum Wiesbadener Korrespondenten des „Spiegel“ zu nutzen. 6) DIE EINSCHALTUNG DES „SPIEGEL“ a) „Falsch wie die Taube“ – der Schlag gegen Hella Hubaleck im „Spiegel“ am 2. Juli 1952 Am 2. Juli 1952 publizierte der „Spiegel“ einen Beitrag mit dem Titel „Falsch wie die Taube“. 82 Ihr Gegenstand war die französische Agentin Hella Hubaleck, die mit ihrer präzisen Anschrift in Ludwigshafen-Mundenheim und unter ihrem angeheirateten Namen Bockstedte entlarvt wurde. Im BMG glaube man, sie sei eine rachsüchtige Agentin, die ausgeschaltet wurde. In Wahrheit erweise sie sich als äußerst aktiv. Hubalecks Informationen landeten häufig beim saarländischen Ministerpräsidenten Hoffmann, dessen Innenminister Hector ein alter Nachrichten-Mann sei. In ihrem Falle müsse man fragen, ob sie – wie andere westliche Spione in der Bundesrepublik – unter „gesetzlichem Naturschutz“ stehen könne, da sie zum Schaden eines rechtmäßig deutschen Gebietes arbeite. Hubaleck war „Blitzmädchen“ bei einem deutschen Nachtjägergeschwader in Eindhoven. Im Herbst 1949 wurde sie im Ludwigshafener Kabarett „Libelle“ von einem französischen Nachrichtendienst angeworben. Es handelte sich um die BST, die die politische Abwehr an der Saar besorgte. Der Amtsleiter Fontaine und sein Stellvertreter Haiblet seien inzwischen bei der politischen Abwehrzentrale im französischen Innenministerium (DST) in Paris. Der erste Auftrag an Hubaleck lautete, bei der protestantischen Kirchenführung und im Bistum Speyer auszuloten, wie man zur Saar und zum Südweststaat stand. Sie wurde als Korrespondentin der „Saarbrücker Zeitung“ getarnt. Im süddeutschen Raum kundschaftete sie zahlreiche Parteien aus, besonders Rechtsgruppen. Enge Beziehungen unterhielt sie mit Karl Feitenhansl
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„Der Spiegel“, Nr. 27/1952, 2.7., S. 6-8: „Agenten: Falsch wie die Taube“.
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(Vaterländische Union) und Waldemar Wadsack (Strasser-Bewegung). August Haussleiter (Deutsche Gemeinschaft) mißtraute ihr und zeigte sie wegen Aktendiebstahls an. Die langlebigste Verbindung pflegte Hubaleck mit Gustav Strohm. Seit Ende 1949 suchte sie ihn im Büro für Friedensfragen in Stuttgart auf und setzte die Beziehung fort, als Strohm Anfang 1950 in die Dienststelle des Kanzleramtes für Auswärtige Angelegenheiten ging. Sie klagte darüber, ihre Artikel für die „Saarbrücker Zeitung“ würden immer im französischen Sinne umgeschrieben – genau dies zu erzählen war ihr Auftrag. Strohm erlag ihrem Charme und wollte sie als Informationsquelle nutzen. Fontaine und Haiblet versorgten Hubaleck mit frisierten Dokumenten, sog. Spielmaterial, das sie Strohm übergab. Es handelte sich um Unterlagen über Verhandlungen, die die Saar-Konventionen betrafen. Hubaleck errang damit Strohms Vertrauen – und mißbrauchte es. Als sie kurze Zeit später Strohms Stuttgarter Büro verlassen fand, entwendete sie ein geheimes Memorandum über die Saarfrage. Die BST spielte Strohm auf Vorschlag Hubalecks Texte der Konventionen in die Hände, doch die wichtigen Quellen waren nicht darunter. Hubaleck kassierte dafür von Strohm 300 DM, aber dieser wünschte auch die geheimen Zusatzabkommen zu erhalten, aus denen die absolute Machtstellung Frankreichs erst richtig hervorgehe. Hier winkten Fontaine und Haiblet ab. Für den Schriftverkehr hatte Hubaleck mit Strohm ein bestimmtes Prozedere vereinbart. Im April 1950 wechselte die „falsche Taube“ zu einem anderen französischen Geheimdienst, der aktiv operierte. Ihr Chef hieß Capitaine Robert Laurent und saß in der französischen Hohen Kommission in Saarbrücken. Von nun an bekam Hella ein festes Gehalt und Reisespesen. Laurent hatte die Idee, Hubaleck zum Kurier zwischen Strohm und der DPS aufzubauen. Diese tat wie ihr geheißen und hatte bald Erfolg. Rasch konnte sie dem Hohen Kommissariat erste Dokumente von der DPS präsentieren. Wenig später wurde die DPS unter dem Vorwand verboten, sie unterhalte Kontakte mit der rechtsextremen SRP. Strohm empfahl die Agentin derweil dem BMG, wo in der Westabteilung insbesondere Bodens als alter Abwehr-Mann sich ihrer annahm. Hubaleck hatte nun auch den Auftrag, falsche Nachrichten in Bonn unterzubringen. So wurde über Richard Becker kolportiert, er habe auf Umwegen die Interna der Partei an das Hohe Kommissariat übermittelt. Es gelang aber nicht, Zwist in der DPS zu erzeugen. In Bonn wurde Hubaleck nun durchschaut. Man setzte sie aber nicht vor die Tür, weil Laurent sie im Januar 1952 plötzlich im Stich ließ. Bodens hatte Erbarmen mit ihr, sei sie doch ein weiches Geschöpf. Im Mai wollte Laurent sie zurückhaben. Am Bottlerplatz glaube man dennoch nicht, daß Hella wieder zu den Franzosen gehen werde. Bemerkenswerterweise existierte wirklich ein geheimes Abkommen über die Zusammenarbeit zwischen der saarländischen Polizei und der Sûreté 83 vom 3. März 1950. Darin wurden enge Kooperation und Nachrichtenaustausch vereinbart. Die saarländische Polizei mußte die Sûreté umfassend unterstützen, besonders wenn es um Straftaten gegen die äußere Sicherheit Frankreichs oder französische Truppen bzw. Polizei an der Saar ging. Höhere Polizeibeamte sollten von der Saarregierung erst nach Konsultierung des französischen Repräsentanten ernannt werden. Das Auswärtige Amt urteilte am 10. August 1952: „Frankreich unterhält dort [an der Saar, H.E.] ein aus französischen und saarländischen Elementen unzertrennlich verwobenes System polizeilicher Überwachung.“84 Die zentrale Stütze sei der aus Saarlouis stammende Innenminister Hector, der französischer Staatsbürger sei und auch französisch fühle. 83 84
Wortlaut in deutscher Übersetzung in: PA/AA, B 10, Bd. 474, Bl. 189-190; BA, B 137, Bd. 3454. Abdruck in: Hoffmeister, Wer regiert die Saar?, Anhang 9, S. 60. PA/AA, B 17, Bd. 152, Bl. 189, Aufzeichnung „Französische Polizei im Saargebiet“, 10.8.1952. Vgl. auch Hoffmeister, Wer regiert die Saar?, S. 15.
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Waren sie nicht naiv, diese Bonner Saar-Beamten? Obwohl Hubalecks Durchtriebenheit offenkundig war, wurde sie bemitleidet! Der „Spiegel“-Artikel erweckte nicht zufällig diesen Eindruck. Strohm und Bodens sollten diskreditiert werden. Das Gleiche galt natürlich für Hella Hubaleck, die übergelaufen war, ihre Geheimnisse bei Strohm und Bodens ausgeplaudert hatte. Die Rückführung Strassers und das „Remer-Telegramm“ sowie die Verhältnisse im LfV Wiesbaden wurden durch ihre Informationen konterkariert bzw. aufgedeckt. Nun sollte sie ausgeschaltet werden. Westliche Geheimdienste erledigten dies glücklicherweise nicht auf blutige Weise, sondern mit feineren Methoden. Rufmord war es allemal, wenngleich mit Hubaleck sicherlich kein Waisenkind davon betroffen wurde. Sie sollte als Vertrauensperson des französischen Geheimdienstes erscheinen, die im deutschen Sinne tätige Doppelagenten wie Ziebell, Schmidt und Schmeisser verleumdete und das Verhältnis zwischen der DPS und deutschen Behörden störte. Der Aktendiebstahl in der bayerischen Staatskanzlei wurde ihr angelastet anstatt Dorothy Schretzmair. Am 20. Oktober 1952 legte das BfV einen Zwischenbericht in der Schmeisser-Affäre vor, in dem der Leiter des LfV Niedersachsen, Hofmann, zu ähnlichen Ergebnissen gelangte. 85 Strohm seinerseits vertrat die Auffassung, der Beitrag „Falsch wie die Taube“ solle ihn „politisch (...) diffamieren“. 86 Und es gibt noch einen aufschlußreichen Fingerzeig: Strasser bedankte sich am 22. Oktober 1951 bei Schmeisser für einen soeben erhaltenen Brief aus Paris. 87 Die Sache mit seiner Sekretärin Hella Hubaleck sei auch ihm unangenehm. Diese Bemerkung Strassers über Hubaleck liefert ein weiteres Indiz für den Übertritt der Agentin auf die deutsche Seite. Hubaleck wußte genug, um der Rückkehr Strassers nach Deutschland Schwierigkeiten bereiten zu können. Dem französischen Geheimdienst drohte ein erheblicher Schaden durch diesen Vorfall, was Gegenzüge erforderlich machte. Glaubt man einem Bericht unter Pseudonym über die Spionageverhältnisse an der Saar 88, trug sich die Sache sogar noch krasser zu. Die saarländische politische Polizei habe unbedingt die Identität eines höheren Beamten enttarnen wollen89, der eine Nachrichtenagentur in Deutschland mit Insiderangaben versorgte. Der Agent „Corona“ sei beauftragt worden, den Informanten zu ermitteln. In Wirklichkeit sei „Corona“ aber ein Anhänger der prodeutschen Opposition gewesen und habe sich nur zum Schein für den französischen und saarländischen Geheimdienst betätigt. Die Person organisierte einen „Spiegelbetrieb“ und ließ der Abwehrstelle in Saarbrücken „Spielmaterial“ zukommen, das von deutscher Seite präpariert war. So konnten die Verbindungslinien der Sûreté in Westdeutschland, ganz besonders in Hessen, aufgedeckt werden. Es spricht einiges dafür, daß es sich bei „Corona“ um Hella Hubaleck handelte. Die Enttarnung des französischen Spionagenetzes in Hessen ist jedenfalls dieser Frau zu verdanken. Die Nachrichtenagentur könnte der SND von Georg Schneider gewesen sein. Tatsächlich fällt auf, daß die Entlarvung Hubalecks zum selben Zeitpunkt erfolgte, an dem Georg Schneider nachweislich von der Sûreté bestochen wurde und seinerseits die Seiten wechselte. 90 Der Überläufer gab sein gesamtes Wissen preis und dürfte auch Hubaleck verraten haben. 85 86 87 88 89 90
BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 77-83, bes. Bl. 82. PA/AA, B 130, Bd. 13797, Protokoll der Vernehmung Strohms, 9.2.1954. BA, B 136, Bd. 240; AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 2622A. AdsD, SPD-PV. Sekretariat Fritz Heine, 2/PVAJ0000112, Bericht Heinz Moos (Wuppeusel), 19.10.1919 [sic]. Es könnte sich um Hans Dratwa (Deckname: Chanteclaire) handeln, der im saarländischen Arbeitsministerium tätig war (Elzer, Die deutsche Wiedervereinigung an der Saar, Teil IV, Kap. II.6). Vgl. Kap. VII.4e. – Dafür spricht auch die Warnung, die Hubaleck drei Tage vor Dorothy Schretzmairs erstem Besuch bei Strohm im Juni 1950 diesem zukommen ließ (BA, Z 35, Bd. 238, Bl. 76).
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Hubaleck könnte von der Organisation Gehlen an die französischen Agenten „herangespielt“ worden sein. Indessen ist auch ein persönliches Motiv nicht auszuschließen, weil Löwenstein andeutet, sie habe aus Eifersucht gegen Dorothy Schretzmair gehandelt, der Schmeisser den Vorzug gegeben habe. 91 Ein weiterer Zweck der Enthüllungen über Hubaleck lag darin, Informationskanäle des französischen Geheimdienstes zu vertuschen. Dies gilt für Frau H. in Saarbrücken, die Richard Becker aushorchte und manipulierte, für Maslohs Strasser-Aktivitäten und für Paul Schmidt in Wiesbaden, aber auch für Otto John, der der französischen Hohen Kommission an der Saar Dokumente aushändigte und französische Agenten abschirmte. Die Intentionen von „Falsch wie die Taube“ sind also klar. Die Irreführung wurde aber schon im Vorfeld durch „Zweckberichte“ auf das Niveau eines dokumentierten Sachverhalts gebracht. b) Schmeissers „Zweckberichte“ Anspielungen auf reale Dinge gehören zum Handwerkszeug der Agenten; damit steigern sie ihre Überzeugungskraft. Wie in subversiven Kreisen zur Deckung operiert wird, zeigen zwei „Zweckberichte“ Schmeissers über Hubaleck und Ziebell. Im Rechtsstreit mit Heinrich Schneider wegen dessen Hilfe als Rechtsanwalt gegen „Radio-Reklame“ Saarbrücken verfaßte Schmeisser am 16. Juni 1952 einen Schriftsatz, der höchst aufschlußreich ist. 92 Er begründete darin im einzelnen, weshalb keine Honorarvereinbarung mit Schneider bestanden habe. Dazu ging er zunächst auf Hella Hubaleck ein, die als bezahlte Agentin vom französischen Nachrichtendienst beauftragt worden sei, den Verdacht der Urheberschaft des „RemerTelegramms“ auf Unbeteiligte zu lenken. Seit 1949 in Saarangelegenheiten aktiv, pflegte sie insbesondere Kontakt zur DPS. Ihr Chef, Capitain Robert Laurent, wies sie an, in der DPS zu verbreiten, daß die Idee für die Fälschung von Ziebell stamme und er den Plan gemeinsam mit dem Chefredakteur von Radio Saarbrücken, Harald Boeckmann, durchgeführt habe. Schneider und Frau Lichtenhagen erfuhren auf diesem Wege davon. Hubaleck – die ihm von früherer gemeinsamer Agententätigkeit her bekannt war – erzählte dies Schmeisser, der es sofort an seine Dienststelle, die BST in Saarbrücken, weitergab. Dort wußte man, daß Ziebell nichts mit der Sache zu tun hatte, wollte ihn aber erledigen, weil er seit Jahren gegen französische Saarinteressen arbeite. Bisher habe man ihn aber weder ausschalten noch überführen können. Für die BST bot sich nun die Chance, Ziebell „kaltzustellen“. Deshalb wurde Schmeisser instruiert, gleichfalls Verbindung zur Spitze der DPS aufzunehmen, um die Aktion gegen Ziebell zu unterstützen. Schmeisser tat dies und veranlaßte Hubaleck, ihn mit dem Sohn von Frau Lichtenhagen zusammenzubringen. Schmeisser habe diesem dann auch seinerseits erzählt, Ziebell sei der Schuldige. Aufgrund dieser Mitteilung ließ Richard Becker eine Geldsumme für Hubaleck anweisen, der man jetzt glaubte. Nunmehr erklärte sich Schneider bereit, Schmeissers Belange gegen Radio-Reklame Saarbrücken wahrzunehmen. Es war vereinbart, dies als Gegenleistung für Informationen zu betrachten. Ein erstes Treffen zwischen Schmeisser und Schneider fand durch Vermittlung Lichtenhagens in der zweiten Junihälfte 1951 statt. Bei diesem und den weiteren Gesprächen ging es weniger um den genannten Rechtsstreit. Schneider tat jeweils nach außen hin so, als handele es sich um eine berufliche Besprechung, die in seinem Büro ablief. Schmeisser sollte mit Ausnutzung seiner Möglichkeiten bei der BST 91 92
BA, NL Löwenstein, Bd. 184, Löwenstein, Interner Bericht an die Redaktion der „Zeit“, 8.2.1952. BA, B 137, Bd. 16540, Schreiben Schmeissers an Amtsgericht Saarbrücken, 16.6.1952. Zum sachlichen Kontext: Kap. IV.2b.
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folgendes tun: 1) Ermittlungen über das „Remer-Telegramm“ anstellen; 2) die Geldquellen Boeckmanns erkunden; 3) die Kontakte von Josef Müller bei seiner jüngsten Reise nach Metz feststellen, besonders eine etwaige Begegnung mit Ziebell, der ein alter Freund Müllers war; 4) Näheres über einen Besuch eines prominenten SPD-Politikers an der Saar mit Blick auf diese Angelegenheit herausfinden; 5) Ziebell war über das französische Hohe Kommissariat in den Gläubigerausschuß für das Kaufhaus Walter gelangt. Schneider wünschte Details darüber zu hören. Schmeisser erzählte ihm, was die BST zu verbreiten wünschte. In bezug auf den Kaufhausbankrott wollte die BST, daß Schneider die falsche Angabe über französische Einflüsse abkaufte, die Ziebell die Mitwirkung ermöglicht hätten. Man meinte, eine Beseitigung Ziebells gelinge eher, wenn die DPS in der Bundesrepublik dessen Ruf ruiniere, als auf das präparierte Material der Hubaleck zu vertrauen. Im August 1951 traf Schmeisser nach eigenen Angaben auf Drängen Schneiders mit Ziebell zusammen. Ziebell war früher in einer deutschen Behörde sein Chef gewesen, doch Schmeissers Eintritt in den französischen Geheimdienst habe sie entzweit. Ziebell bot ihm bei dieser Unterredung an, ihm beim Ausstieg aus der BST behilflich zu sein. Schmeisser sollte sich nur noch mit unpolitischen Dingen beschäftigen. Tatsächlich akzeptierte er und ließ seine Verbindung zur BST einschlafen. Künftig berichtete er auch Schneider nur echte Tatsachen, die diesem aber nicht paßten. Da Schneider kein Interesse mehr zeigte, wurde die Verbindung Ende September 1951 beendet. Am 25. September forderte Schneider plötzlich Honorar. Schmeisser beschwerte sich bei Lichtenhagen darüber, der ihm recht gab. Lichtenhagen schimpfte über Schneider, der Meldungen an französische Stellen weitergebe und Unterstützungsgelder zweckentfremdet verwende. Führende Mitglieder der DPS, darunter seine Mutter, hätten sich von Schneider distanziert. Schneider habe gewußt, daß die Informationen, die er verlangte und bekam, von der BST herrührten. Er konnte nicht erwarten, Material zu erhalten, mit dem französischen Interessen Schaden zugefügt werde. Damit seien die Honorarforderungen, die Schneider stelle, mehr als nur wettgemacht. Unaufgefordert orientierte Schmeisser das Gericht über Einzelheiten seiner nachrichtendienstlichen Tätigkeit. Warum er dies tat, liegt auf der Hand: Dieser Bericht war auf eine Irreführung angelegt. Da versierte Agenten bei solchen Aufträgen tatsächlich auch zutreffende und mitunter brisante Details mit Zustimmung ihrer Dienststelle verraten, ist ein solches Manöver oft schwer zu durchschauen. Die Glaubwürdigkeit der Angaben erscheint dadurch nicht unbeträchtlich. Es handelte sich nichtsdestoweniger um einen Zweckbericht, der zur Deckung Ziebells bestimmt war. Auch Bodens gelangte zu diesem Schluß, wobei er daran erinnerte, daß im Umkreis der hessischen Landesregierung „Entlastungsmaterial für Oberregierungsrat Schmidt, Ziebell und Schmeisser systematisch angelegt wird“.93 Alle Schuld wurde auf Hubaleck abgewälzt, gleichzeitig Ziebell zum heimlichen Anwalt deutscher Interessen stilisiert, den der französische Geheimdienst schon lange beseitigen wolle und deshalb nun in ein schlechtes Licht rücke. Realiter arbeitete Schmeisser in Saarbrücken gar nicht für die BST, sondern für das Deuxième Bureau. Ziebell war für die BST tätig. Diese Aufzeichnung Schmeissers dürfte eine der Grundlagen von „Falsch wie die Taube“ sein. Die Vorlage in einem Gerichtsverfahren mochte dazu beitragen, den Journalisten Mans von der Richtigkeit zu überzeugen. Ein weiteres Dokument belegt, welche Anstrengungen unternommen wurden, die „Verräterin“ Hubaleck unglaubwürdig zu machen und Ziebell reinzuwaschen. Schmeisser 93
BA, B 137, Bd. 16540, Vermerk Bodens, 1.7.1952.
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berichtete auf Anweisung des Leiters der Außenstelle Frankfurt des hessischen LfV, Schwebbach, am 8. Mai 1952, was er von Ziebells Tätigkeit in Bayern wußte. 94 Er habe Ziebell im April 1946 kennengelernt, als er Referent in der Rechtsabteilung des bayerischen Sonderministeriums wurde. Über dessen Vergangenheit habe er (Schmeisser) nichts gewußt. Der Minister Heinrich Schmitt sagte ihm allerdings, die KPD besitze eine Akte über Ziebell. Sie habe nach einer Handhabe gesucht, Ziebell aus dem Amt zu drängen. Die Unterlagen gaben wenig dafür her. Schmitt fragte ihn (Schmeisser) angeblich, was gegen Ziebell zu machen sei. Er sei ebenso ratlos gewesen wie der Rechtsberater der KPD in Bayern, Dr. Alfred Kroth. Ziebell sei antifaschistisch gesinnt gewesen. Die KPD wußte von der Freundschaft zwischen Ziebell und Paul Schmidt, dem von den Amerikanern eingesetzten Bürgermeister von Bad Wiessee. Seit August 1947 habe Ziebell beabsichtigt, Regierungskreise und Gaullisten in Frankreich dazu zu bewegen, süddeutsche Politiker auszuschalten, die mit französischer Hilfe Länder und Gebiete von Deutschland abtrennen wollten. Weiterhin sollte Frankreich auf eine zu extreme Föderalisierung eines etwaigen deutschen Weststaates verzichten. Ziebell trachtete sogar, zu einer Atmosphäre beizutragen, die eine Unterstützung Frankreichs für deutsche Bestrebungen zur Rückgewinnung seiner Ostgrenze ermöglichte. Ziebell begab sich im September 1947 zur Erfüllung dieser Aufgaben nach Frankreich und an die Saar. Er (Schmeisser) mußte Ziebell im bayerischen Sonderministerium beobachten. Es gelang diesem, Schmitt zu stürzen. Die KPD revanchierte sich Ende 1946, indem sie Ziebell zu Fall brachte. Ziebell unterhielt in seiner Amtszeit laut Schmeisser hervorragende Beziehungen zu OMGUS. Als er 1949 Ziebell in Saarbrücken traf, erzählte er seinem Vorgesetzten von dessen gutem Draht zu den Amerikanern. Anfang 1950 befahl die französische Dienststelle, er (Schmeisser) solle seine Kontakte zu Ziebell abbrechen, denn man traue ihm nicht. In BadenBaden hatte man Negatives über Ziebells Münchner Zeit erfahren und erwog deshalb seine Ausweisung aus der französischen Zone und aus dem Saarland. Bei der Überwachung Ziebells wurden seine häufigen Reisen zu Paul Schmidt nach Hessen festgestellt. Laurent befahl im Frühjahr 1951 der Agentin Hella Hubaleck, Ziebell und Schmidt in der Bundesrepublik unmöglich zu machen. Hubaleck erzählte Schmeisser davon. Sie sollte ihn und Ziebell bei Strohm und der DPS als französische Agenten denunzieren. Ziebell komme nämlich Laurent dauernd in die Quere. Später habe Hubaleck zu ihm (Schmeisser) gesagt, weder Strohm noch die DPS hätten bei ihren Angaben Verdacht geschöpft. Da Schmeisser inzwischen aus dem französischen Geheimdienst ausgetreten war, informierte er Ziebell auf indirektem Wege über die gegen ihn laufende Intrige. Der hessische Verfassungsschutz wußte Näheres über die Genesis dieses Berichtes.95 Schmeisser erhielt Anfang Mai 1952 von Schwebbach den Auftrag, eine Aufzeichnung über Ziebell vorzulegen, vor allem über seine Arbeit im bayerischen Sonderministerium und seine Beziehungen zu Paul Schmidt. Schmeisser informierte Ziebell darüber, da er Angst davor hatte, diesen Auftrag ohne Wissen Ziebells und Schmidts auszuführen. Ziebell verabredete mit Schmeisser, selbst den Bericht zu schreiben. Schmeisser sollte sich gegenüber Schwebbach aber den Anschein geben, ihn persönlich verfaßt zu haben. So konnte Schmeisser in einem weiteren Dokument Ziebell behilflich sein und auch Paul Schmidt abschirmen. In Wahrheit hatte Ziebell 1946 partiell mit der KPD kooperiert und die französische Politik der Abspaltung deutscher Territorien im Untergrund gefördert. Dieses Schriftstück bot Schutz
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BA, B 136, Bd. 241; HHSt, Staatskanzlei, Abt. 502, Bd. 7853. BA, B 136, Bd. 241, Betr.: Konrad Schmeisser, 2.1.1953; HHSt, Staatskanzlei, Abt. 502, Bd. 7853, Betr.: Zweckbericht über Jürgen Ziebell und Paul Schmidt, 27.10.1952.
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gegen Kritiker innerhalb des LfV Hessen, aber auch zusätzliche Nahrung für die Kampagne gegen Hubaleck, die über den Wiesbadener Journalisten Mans laufen sollte. Es gibt keinen Zweifel an dem Befund des LfV Wiesbaden, Ziebell habe Schmeissers Bericht über ihn eigenhändig verfaßt. Ziebell erzählte nämlich bei seiner Vernehmung durch Mollenhauer am 5. Dezember 1953 eine ähnlich konstruierte Geschichte: 96 In München besiegte er die Kommunisten, an der Saar bekämpfte er als deutscher Patriot die Separatisten, und den französischen Agenten Schmeisser horchte er aus und legte ihn lahm. Ziebell stand unter ständiger Beobachtung durch den amerikanischen Geheimdienst, was ihm offenbar nicht hinreichend klar war. Wer ihn überwachte, ist uns längst vertraut: Friedrich-Victor Risse. Niemand außer ihm vermochte die Manöver des durchtriebenen Ziebell zu entlarven. Nun bleibt noch die Rekonstruktion der unmittelbaren Entstehungsgeschichte von „Falsch wie die Taube“, die übergeht in die Genesis des sieben Tage später publizierten Artikels „Am Telefon vorsichtig“. c) Die Recherchen des Wiesbadener „Spiegel“-Redakteurs Hans-Hermann Mans Am 10. Dezember 1952 und 7. Dezember 1953 machte Hans-Hermann Mans bei Verhören in Hannover detaillierte Angaben. 97 Er sagte den Justizbeamten, er habe den Beitrag „Am Telefon vorsichtig“ verfaßt. Er beschrieb seinen Arbeitsbezirk als Korrespondent für Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland. Obwohl seine Berichte mitunter „heiße Eisen“ waren, habe der „Spiegel“ nie Schwierigkeiten bekommen. Man konnte sich auf die Gründlichkeit seiner Recherchen verlassen. Im Februar/März 1952 erhielt er von der Redaktion das Manuskript eines Artikels über Richard Becker 98, das er mit Hilfe seiner Verbindungen zur DSZ und zum DSB überprüfen sollte. Dieser Beitrag im „Spiegel“ erzürnte die prodeutsche Opposition und provozierte den Vorwurf, der „Spiegel“ sei auf ein französisches Agentenmanöver hereingefallen. 99 Es stellte sich heraus, daß der Überläufer Georg Schneider den Beitrag in das Nachrichtenmagazin lanciert hatte. 100 Ein Angehöriger des Verfassungsschutzes empfahl Mans, sich an Ziebell zu wenden, der die Saar gut kenne. Ziebell wiederum erwähnte Schmeisser. Dieser sollte bei Recherchen gegen Johannes Hoffmann eingesetzt werden. Ganz nebenbei schlug Ziebell ein Protokoll auf, welches zeige, daß Schmeisser als französischer Agent in Boppard Beziehungen zu Blankenhorn unterhalten habe. Ziebell brach das Thema ab, indem er bemerkte, die Sache sei noch nicht reif. Im Juni 1952 faßte Mans den Entschluß, über den Fall Blankenhorn zu schreiben. Inzwischen bereitete Mans den Beitrag „Falsch wie die Taube“ vor. Ziebell übergab ihm aus diesem Anlaß Material des LfV Wiesbaden. Was es genau war, habe er nicht mehr in Erinnerung. Es gehörten Vernehmungsprotokolle von Schmeisser und Hubaleck dazu. Tatsächlich finden sich in Schretzmairs und Schmeissers „Beichten“ vom 15. und 22. November 1951 einige der Behauptungen über das Doppelspiel der Hubaleck zugunsten des
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PA/AA, B 130, Bd. 13798. Ebd. Er sagte am 10.12.1952 in relativ knapper Form gegenüber dem Bonner Staatsanwalt Henke aus und am 7.12.1953 gegenüber Landgerichtsrat Mollenhauer (Hannover). „Der Spiegel“, Nr. 19/1952, 7.5., S. 11: „Saar: Mein großer Bruder Richard“. Der Beitrag besaß einen kritischen Tenor gegenüber dem Vorsitzenden der DPS, Richard Becker. DSZ, Nr. 11, 16.5.1952: „Der ‚Spiegel’ im Dienste der Saarregierung?“ DSZ, Nr. 20, 30.9.1952: „Hoffmanns Kalter Krieg gegen die Bundesregierung“.
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französischen Geheimdienstes wieder, die bei „Falsch wie die Taube“ verwertet wurden. 101 Schmeisser hatte sogar Strohm bezichtigt, über den ebenfalls beim Büro für Friedensfragen tätigen Grafen Posadowsky-Wehner Ostkontakte zu unterhalten. Der angebliche Diebstahl eines Dokuments bei Strohm ist allerdings nicht in den Vorlagen zu entdecken. Mans wollte Klarheit darüber, ob die Angaben Schmeissers über Hubaleck nicht aus Kreisen französischer Agenten stammten. Auf Empfehlung des Chefredakteurs der DSZ, Hermann Kresse, suchte er Bodens auf, der gegen die Hubaleck-Veröffentlichung war, weil er glaubte, Hubaleck arbeite für die deutsche Seite. Bodens bezeichnete Paul Schmidt, Ziebell und Schmeisser als französische Agenten. Um dem gerecht zu werden, wurde verabredet, diese Ansicht von Bodens ohne Namensnennung der vermeintlichen Agenten in den HubaleckArtikel einzubauen. Mans sagte Bodens, er werde in Kürze den Fall Blankenhorn bringen. Er erwähnte Schmeisser im Zusammenhang mit Hubaleck nicht, um ihn nicht als Informanten zu diskreditieren. Bodens versprach, den Beweis zu führen, daß Schmidt, Ziebell und Schmeisser für die Franzosen wirkten, doch wochenlang geschah trotz ständigen Drängens nichts. Der Beweis sei noch heute nicht erbracht. Mans betrachtete Ziebell als Angestellten des LfV Wiesbaden. Mans erwog, Blankenhorn aufzusuchen, doch er rechnete nicht damit, daß dieser etwas sagen würde. Heinrich Schneider nannte ihm Schmeissers Adresse. Er sprach dann mit Schmeisser zunächst über Hubaleck. Schmeisser machte einen guten Eindruck auf Mans und schien zum Thema Hubaleck die Wahrheit zu sagen. Er wußte von Ziebell, daß Schmeisser jetzt nicht mehr französischer Agent war, sondern für das LfV Hessen arbeitete. Mans überlegte, ob er Masloh oder Blankenhorn als nächstes behandeln sollte. In der DSZ war ein Artikel erschienen, in dem Schmidt als französischer Agent hingestellt wurde. Er legte diesen Beitrag im Bundeshaus Politikern der SPD vor. Ollenhauers persönlicher Referent erklärte, das sei Unsinn. Heines Stellvertreter (also W. Peters) bestätigte anschließend diese Einschätzung. In bezug auf Schmeisser und Ziebell meinte Peters – diesen Namen nannte Mans freilich nicht –, man könne Schmidt vertrauen und folglich auch seinen Mitarbeitern. Peters fragte Mans, ob er über die Blankenhorn-Sache unterrichtet wäre. Als Mans bejahte, forderte Peters ihn auf, noch einmal wiederzukommen. Später erwähnte Ziebell einmal Mans gegenüber, Schmeisser führe nach Bonn, verriet jedoch nicht den Grund. Mans meinte, er würde vielleicht den SPD-Parteivorstand aufsuchen. Jedenfalls wurde die Sache akut. Laut Aussage Schmeissers 102 erschien Schwebbach am 1. oder 2. Juli 1952 in seiner Privatwohnung und sagte ihm, sie beide und Dorothy würden am nächsten Tag zum Parteivorstand der SPD fahren, um dort Aussagen zu machen. Ziebell hatte ihm (Schmeisser) unter dem Siegel der Verschwiegenheit bereits einige Tage vorher eine entsprechende Ankündigung gemacht. Schmeisser solle darauf achten, ihn und Schmidt ins rechte Licht zu setzen. Beide könnten dann beruflich avancieren, was wiederum Schmeisser zugute käme. Gleich nach dem Gespräch in Bonn sollte Schmeisser Ziebell anrufen. Dann käme Mans, eventuell auch Ziebell, sogleich nach Bonn. Schmeisser sollte bei der SPD nichts über Ziebells Verbindungen nach Frankreich sagen, weil nur wenige Leute eingeweiht seien. Er solle dort auch nicht mit Schretzmair reden, da mit Tonbandaufzeichnungen gerechnet werden müsse. Als er (Schmeisser) am Abend des 2. oder 3. Juli nach Hause kam, richteten seine Hausleute ihm von Schwebbach aus, die Fahrt sei gestrichen. Schmeisser fragte Schwebbach nicht nach
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BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 26-28, Protokoll der Vernehmung D. Schretzmairs in Wiesbaden, 15.11.1951, hier: Bl. 27; BA, B 136, Bd. 240, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Wiesbaden, 22.11.1951, hier: S. 20f. Ebd., Bd. 241, Protokoll der Vernehmungen Schmeissers in Starnberg vom 10.-20.10.1952, hier: S. 35-37.
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den Gründen, denn seit den Vorfällen um Hubaleck und Masloh war das Verhältnis zwischen ihnen nicht berauschend. Ziebell ließ sich kurzfristig nicht erreichen. Schwebbachs Erinnerung zufolge 103 erhielt er einige Tage vor dem „Spiegel“-Artikel in Frankfurt einen Anruf aus dem LfV (vielleicht sogar von Schmidt persönlich), in dem er gebeten wurde, bei seiner Fahrt zum BfV nach Köln am 3. Juli Schmeisser und Schretzmair mitzunehmen, die nach Bonn wollten. Dort sollten sie sich mit führenden Politikern der SPD treffen. Es wurde aber telefonisch wieder abgesagt, und Schwebbach fuhr allein nach Köln. Dorothy meinte sich später zu entsinnen, Ziebell habe sie ersucht, bei der SPD in Bonn über den Komplex Blankenhorn auszusagen. 104 Damit niemand dem „Spiegel“ zuvorkäme, nahm Mans – wie er selbst einräumte – die Sache nun in Angriff. 105 Ziebell habe ihn nie bedrängt, an die Öffentlichkeit zu treten. Als Mans sagte, er wolle nun handeln, war Ziebell einverstanden und gab ihm das Material aus dem LfV Wiesbaden. Das Protokoll war ein Original, auf dessen Grundlage Mans den Artikel teilweise entwarf. Ziebell unterrichtete Schmeisser, und dieser rief Mans an. Mans, Ziebell, Schmeisser und Schretzmair trafen sich am 4. Juli 1952 in Schmeissers Wohnung im Frankfurter Sandweg. Ziebell sagte Schmeisser, nun werde der Fall Blankenhorn publiziert, und zeigte ihm Artikelentwurf und Protokoll. Schmeisser wehrte sich gegen die Veröffentlichung. Er sagte, wenn sein Name in der Presse stehe, könne er nicht mehr als deutscher Agent operieren. Ziebell entgegnete aufgrund der anhaltenden Bedenken Schmeissers, er (Ziebell) solle Nachfolger von Ministerialdirektor Schuster im hessischen Innenministerium und Paul Schmidt Leiter des BfV werden. 106 Sinngemäß argumentierte Ziebell laut Schmeisser, durch die Publikation wolle er bei der SPD „gutes Wetter“ machen. Er würde ein Beamtenverhältnis erreichen, wenn er Zinn einen Brief zeige, der im Besitz des früheren Reichskanzlers Brüning sei. Zinn habe nämlich die Ausweisung Brünings in die Schweiz veranlaßt. Jedenfalls würden er (Ziebell) und Paul Schmidt an Schmeisser denken, wenn sie die angestrebten Positionen hätten. Wie Mans aussagte, wies Ziebell auf die Wehrdebatte des Bundestags in der nächsten Woche hin. Paul Schmidt sei mit der Veröffentlichung einverstanden, und der SPD-Parteivorstand werde gleichzeitig die Sache publik machen. Möglicherweise habe er (Mans) deshalb zu Schmeisser gesagt, es solle ein Artikel über ihn im „Wiesbadener Tageblatt“ erscheinen, in dem behauptet werde, er arbeite weiterhin für den französischen Geheimdienst. Daraufhin fügte sich Schmeisser und ging den Beitrag Punkt für Punkt mit Mans durch. Sowohl Schmeisser als auch Schretzmair bekräftigten die Wahrheit der angegebenen Details. Einige weitere Punkte ließ Mans weg, weil Schmeisser sich nicht mehr genau genug daran erinnern konnte. Bei den Geldforderungen Blankenhorns für den Wahlkampf der CDU 1949 stritten Schmeisser und Schretzmair über die Höhe der Summe, nicht über die Tatsache. In dem amtlichen Protokoll wurde übrigens ein noch höherer Betrag genannt. Den ganzen Tag über erörterte man die Einzelheiten des Artikels sorgfältig. Nur der letzte Absatz wurde vom „Spiegel“-Redakteur Jaene ergänzt, und auch für das Bild Blankenhorns stritt Mans jede Verantwortung ab. Mans hielt sich bei der Abfassung eng an das Wiesbadener Protokoll, wie Schmeisser später erklärte. Nach der Fertigstellung ließ Ziebell Mans alles noch einmal abschreiben, und er (Schmeisser) mußte unterzeichnen, denn diese Fassung sei für den 103 104 105 106
PA/AA, B 130, Bd. 13796, Protokoll der Vernehmung Schwebbachs in Wiesbaden, 26.1.1954, hier: S. 5f.; Ebd., Bd. 13798, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in München, 2.12.1953, hier: S. 12. Ebd., Bd. 13796, Protokoll der Vernehmung Dorothy Schretzmairs in München, 3.12.1953, hier: S. 16. Ebd., Bd. 13798, Protokoll der Vernehmung von Mans, 7.12.1953, hier: S. 6-9 (auch für das Folgende). Ebd., Protokoll der Vernehmung Schmeissers in München, 2.12.1953, hier: S. 12f. Ansonsten schilderte er die Ereignisse ebenso wie Mans.
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„Spiegel“ bestimmt. Das Protokoll selbst steckte Ziebell wieder ein, da er es ins LfV zurückbringen müsse. 107 Der Zweck des Artikels lautete nach Darstellung von Mans, Blankenhorn aus der deutschen Saarpolitik auszuschalten. Durch seine früheren Kontakte konnte er sich vielleicht zu wenig von den französischen Interessen distanzieren. Mans rechnete nicht mit einem gerichtlichen Vorgehen Blankenhorns und Reifferscheidts gegen ihn, weil seiner Ansicht nach die Angaben zuträfen. Wenn sie nicht stimmten, würden sie sich angegriffen fühlen. Jaene war schon vorher im allgemeinen orientiert worden, ließ Mans aber freie Hand. Übrigens erhielten Schmeisser, Ziebell und Schretzmair für ihre Informationen keinen Pfennig. Sie erhoben auch keinerlei Forderungen, was ihre Glaubwürdigkeit für Mans erhöhte. Möglicherweise habe er (Mans) zu Schmeisser gesagt, wenn die Sache gut verlaufe, könnte er eventuell bestimmte Aufträge vom „Spiegel“ erhalten. Blankenhorn dürfte schon vor dem Erscheinen des Artikels von der Angelegenheit gehört haben. Mans wußte von Ziebell, daß Paul Schmidt die Sache mit John erörtert hatte; dieser dürfte das Kanzleramt unterrichtet haben. Ferner hatte Dorothy Schretzmair ihm erzählt, sie habe Strohm aufgesucht und mit ihm über die Beziehungen Blankenhorns zu Schmeisser gesprochen. Die Freiburger Vernehmungen wurden laut Ziebell dem BfV mitgeteilt. Bei dem Verhör der Schretzmair in Wiesbaden war ein gewisser Urban anwesend, der den Decknamen Zacharias führte und Fraktionssekretär der CDU im hessischen Landtag gewesen war. Dieser hatte bestimmt die CDU in Köln informiert. Schneider, Bodens und Kresse hatten Mans gesagt, die Sache sei in Bonn bekannt und schon im Kabinett erörtert worden. Diese Umstände bestärkten Mans in seinem Entschluß, den Artikel zu publizieren. Adenauer und Blankenhorn rührten sich nicht, was die Vermutung nährte, die Angaben Schmeissers träfen zu. Im Interesse der deutschen Sache an der Saar wollte Mans die Öffentlichkeit unterrichten. Schmeissers Widerstreben vom 4. Juli beruhte nicht auf Skrupelhaftigkeit; die Überrumplung bezog sich nur auf den Zeitpunkt, denn eine dem Artikel zugrundeliegende Niederschrift Schmeissers vom 24. Juni 1952 108 hatte der Vorbereitung der Veröffentlichung gedient. Im letzten Moment erschreckte Schmeisser vielleicht vor der Kühnheit des Schrittes, den Ziebell ihm abverlangte. Am 4. Dezember 1953 wurde Ewald Zweig in Frankfurt a.M. von Mollenhauer vernommen. 109 Der 54jährige Journalist erzählte zunächst von einem Treffen von StrasserAnhängern im November 1951 in Frankfurt. Der ihm bekannte Masloh sagte ihm damals, ein gewisser Schmeisser wisse einiges über Blankenhorn und habe sogar Quittungen über Gelder, die dieser vom französischen Geheimdienst erhalten habe. Masloh meinte, diese Dokumente könnten die Bundesregierung dazu bewegen, Otto Strasser die Rückkehr nach Deutschland zu gestatten. Zweig unterhielt sich später mit Mans darüber. Er gab Mans Lichtbilder von Schmeisser und Dorothy, die Masloh ihm überlassen hatte. Etwa im Mai 1952 verabredete sich Zweig mit Masloh in einer Frankfurter Weinstube. Der Zweck dieses Gespräches war, ihn zu unterrichten, daß ein Artikel im „Spiegel“ über ihn erscheinen sollte. Zuvor sollte er vor der Redaktion Gelegenheit zur Rechtfertigung erhalten. Angeblich zufällig tauchte Schmeisser auf, der Zweig vorgestellt wurde. Zweig ging mit Masloh dann in die Geschäftsstelle des „Spiegel“, wo Mans ihn mit einem Dr. Bell bekanntmachte. Man sprach über gewisse Vorgänge an der Saar, über die Dr. Bell im Bilde war. Zweig traf Dr. Bell noch mehrfach. Es dürfte sich um Ziebell gehandelt haben.
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Ebd., Bd. 13796, Protokoll der Vernehmung Dorothy Schretzmairs in München, 3.12.1953, hier: S. 17. Wortlaut in: Ebd., Bd. 13798. Ebd., Bd. 13796.
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Mans sagte Zweig im Mai 1952, die Referenten des BMG Bodens und Kresse hätten versucht, ihn dazu bewegen, einen Artikel über Paul Schmidt zu schreiben, der französischer Agent sei. Unterlagen dazu wurden Mans zugesagt. Mans solle über Hubaleck mit Schmeisser in Verbindung treten, der Material zu Blankenhorn und Reifferscheidt beschaffen könne, das deren Beziehungen zum französischen Nachrichtendienst belege. Mans verriet Bodens und Kresse nicht, daß er Schmeisser schon kannte. Zweig erfuhr erst sonntags, schon am nächsten Dienstag werde der Schmeisser-Artikel im „Spiegel“ stehen. Im Mai 1952 wurde nämlich von einer solchen Publikation gesprochen, und zwar zwischen Mans, Dr. Bell, Schmeisser und Zweig. Das geschah aber in unverbindlicher Form. Zweig sagte einmal zu Mans, er würde von einem Artikel über den BlankenhornKomplex abraten, denn Schmeisser sei kein geeigneter Kronzeuge. Mans erklärte Zweig an dem erwähnten Sonntag, er sei absichtlich nicht informiert worden, weil man wußte, daß er das Erscheinen des Beitrags verhindern wollte. Jetzt sei er schon im Druck. Später bekam Zweig mit, wie Mans Ziebell vorwarf, ihn falsch unterrichtet zu haben. Ziebell habe ihm mitgeteilt, der SPD-Vorstand wolle auf jeden Fall die Fraktion veranlassen, bei der SaarDebatte des Bundestags kurz vor Erscheinen des Artikels den Blankenhorn-Komplex zur Sprache zu bringen. Angeblich wollte der SPD-Vorstand Schmeisser empfangen. Ziebell habe dies alles erfunden, entrüstete sich Mans. Dadurch sei Mans veranlaßt worden, den Artikel rasch zu publizieren, damit er seinen Neuigkeitswert behalte. Ziebell habe außerdem behauptet, Zinn und Zinnkann würden die Veröffentlichung begrüßen und unterstützen. Auch dies stimme nicht. Zweig nahm an, daß Mans die inhaltlichen Angaben Schmeissers für wahr hielt. Mans prüfte ihn des öfteren hinsichtlich seiner Sachkenntnis; er erkundigte sich beispielsweise, wo Blankenhorns Büro sei. Schmeisser habe immer die passende Antwort parat gehabt. Zweig vermutete, Mans und der „Spiegel“ hätten den Beitrag aus Sensationsstreben gebracht. Zweig fragte Mans indirekt, ob Schmeisser Geld vom „Spiegel“ erhalten habe. Mans bestritt dies. Schmeisser bekomme Geld vom LfV Wiesbaden und für Übersetzungsaufträge. Einmal beschuldigte Schmeisser Ziebell, ihn gegen seinen Willen in die Sache hineingezogen zu haben, was Ziebell zurückwies. Insgesamt meinte Zweig, Ziebell sei die treibende Kraft bei der Publikation gewesen, insbesondere im Hinblick auf den Zeitpunkt. Zweig behauptete verblüffenderweise, Ziebell und Masloh hätten sich nicht gekannt. Dies kann als ausgeschlossen betrachtet werden. Es ist nur scheinbar eine Kleinigkeit, denn die beiden herausragenden französischen Agenten an der Saar verfolgten ein gemeinsames Ziel: Mans von einem Artikel über Masloh und Schmidt abzubringen, von dem gefährliche Enthüllungen zu erwarten waren. Ziebell lenkte Mans unmerklich auf den Themenkomplex Blankenhorn hin, der wegen seiner Explosivität für den Journalisten einen besonderen Reiz besaß. Ziebell war geschickt genug, nicht aufdringlich zu wirken, sondern Gleichgültigkeit zu demonstrieren. Der Trick mit der abgesagten Fahrt Schmeissers nach Bonn zum SPDParteivorstand gab den Ausschlag: Mans wollte das Risiko einer Verzögerung nicht eingehen und machte sich ans Werk. d) „Kriegsrat“ in Hannover am 5. Juli 1952 Rudolf Augstein und Hans-Dietrich Jaene (29) berichteten bei ihren Vernehmungen am 15. Januar und 12. Dezember 1953 zunächst, wie die Verantwortung der beteiligten Journalisten
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bei der Schmeisser-Blankenhorn-Angelegenheit lag. 110 Jaene war von Anfang an Mitarbeiter beim „Spiegel“, für dessen Deutschlandteil er seit etwa 1950/51 verantwortlich zeichnete. Zu einem Gerichtsverfahren sei es bislang nicht gekommen. Augstein erklärte, er habe die „geistige Oberleitung“ der Zeitung, kümmere sich aber nicht um Einzelheiten. Die Haftung für die einzelnen Veröffentlichungen liege bei den im Impressum genannten verantwortlichen Redakteuren. Was die Themen betreffe, so würden sie entweder von den Korrespondenten vorgeschlagen, oder Jaene bitte seinerseits den in Frage kommenden Vertreter des „Spiegel“, sich einer Sache zu widmen. Manuskripte der „Spiegel“-Reporter würden von ihm überarbeitet und dann ggf. dem Journalisten nochmals zur Überprüfung zugesandt. Bis zum Erscheinen von „Am Telefon vorsichtig“ war Augstein nur „informatorisch“ unterrichtet. Jaene sagte ihm, Mans beschäftige sich mit einer Sache, die sich um Blankenhorn drehe. Augstein glaubte, es ginge um die Saarfrage. Mans war über einen längeren Zeitraum ausschließlich damit befaßt. Er galt als besonders gründlich arbeitender Journalist. Augstein und Jaene mischten sich nicht in die Recherchen ein; der Herausgeber drängte aber möglicherweise darauf, bald zu entscheiden, ob es einen Artikel geben solle. Als Jaene das Manuskript von „Am Telefon vorsichtig“ Augstein zeigte, zweifelte dieser nicht an der Brisanz. Sie riefen deshalb Mans nach Hannover und wiesen ihn darauf hin, die Behauptungen müßten stimmen, wenn der Artikel erscheinen solle. Sicherheitshalber sollte der Rechtsbeistand der Redaktion, Rechtsanwalt Josef Augstein, befragt werden. Mans hatte auf eigene Faust111 seinen Gewährsmann Ziebell mitgebracht. Er orientierte zunächst Jaene allein. Dabei wurde deutlich, daß Schmeisser seine Behauptungen über Blankenhorn bei mehreren Dienststellen zu Protokoll gegeben hatte. Die Zusammenarbeit beinhaltete nachrichtendienstliche Kooperation, die „den normalen dienstlich notwendigen Verkehr bei weitem überschritt.“ Rechtsanwalt Josef Augstein wurde am 11. November 1953 von Mollenhauer verhört. 112 Wahrscheinlich am 5. Juli 1952 wurde Augstein in seiner Wohnung von seinem Bruder Rudolf, Jaene, Mans und Ziebell aufgesucht. Rudolf Augstein brachte den Korrekturbogen von „Am Telefon vorsichtig“ mit und bat Josef, ihn auf strafrechtlich relevante Passagen zu begutachten. Er (Josef Augstein) sei nicht darauf vorbereitet worden und habe von dem Thema keine Ahnung gehabt. Er meinte, wenn für einige der aufgestellten Behauptungen keine Beweise erbracht werden könnten, drohten Konsequenzen. Rudolf Augstein forderte seinen Bruder auf, das zu prüfen. Für die nötigen Unterlagen wurde er an Ziebell verwiesen, der ihm ebenso wie Mans bis dahin unbekannt war. Josef Augstein fragte Ziebell, wer er denn sei. Dieser erwiderte, er sei Rechtsanwalt beim Berliner Kammergericht gewesen. Augstein testete dies durch spezielle Fragen, die Ziebell ebenso beantworten konnte wie er über juristische Aspekte Bescheid wußte. Ziebell antwortete stets „wie aus der Pistole geschossen“ (Jaene). Ziebell belegte ferner durch einen Ausweis, Ministerialrat in München gewesen zu sein. Es ließ sich also über die Person nichts Negatives feststellen. Ziebell sagte noch, er sei jetzt beim hessischen LfV angestellt. Rudolf Augstein zufolge erklärte Ziebell, er sei aus außenpolitischen Rücksichten Privatmann, übe aber amtliche Funktionen aus. Rechtsanwalt Augstein glaubte, Ziebell habe auch Akten des LfV bei sich geführt. Der Leiter des Amtes, 110 111 112
Ebd., Bd. 13798. Beide sagten am 15.1.1953 in knapper Form gegenüber dem Bonner Staatsanwalt Henke aus und am 12.12.1953 gegenüber Landgerichtsrat Mollenhauer. Ebd., Protokoll der Vernehmung von Mans, 7.12.1953, hier: S. 9. Ebd., Bd. 13796. Dazu auch seine Ausführungen in einer Prozeßschrift (BA, B 141, Bd. 12083, Schreiben Josef Augsteins an Landgericht Hannover, 30.5.1953, hier: S. 2-5). – Rudolf Augstein schilderte das Gespräch ohne wesentliche Abweichungen (vgl. Anm. 110). – Ziebell gab am 8.12.1953 in Wiesbaden an, der Fall Blankenhorn mache nur 10% des Schmeisser-Protokolls aus. Schmeisser bezichtige sich selbst des Aktendiebstahls in der bayerischen Staatskanzlei. Das machte die Aussagen nach Ziebells Meinung glaubwürdig (PA/AA, B 130, Bd. 13798, hier: S. 4).
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Paul Schmidt, sei sein „Duzfreund“. Wie Mans bestätigte, kannte Ziebell auch Zinn und Zinnkann. Laut Rudolf Augstein erklärte Ziebell, der hessische Ministerpräsident und sein Innenminister erachteten das Blankenhorn-Material für tragfähig. Zur Sache berichtete Ziebell von der Vernehmung Schmeissers durch ihn selbst für das LfV Wiesbaden. Das Protokoll liege in einem Tresor des LfV. Adenauer und Blankenhorn wüßten davon und seien an dem Protokoll interessiert. Über John sei vergeblich versucht worden, das Protokoll in die Hand zu bekommen. Die Parteispitze der SPD und das BMG seien darüber unterrichtet. Es gebe Zeugen, die die Wahrheit der Aussagen beweisen könnten. Josef Augstein konfrontierte Ziebell dann mit einzelnen Behauptungen; dieser beteuerte stets, sie beweisen zu können. Für den Fall Blankenhorn kamen nur Schmeisser und Schretzmair als Zeugen in Frage. Augstein meinte, eine Agententätigkeit mache einen Menschen nicht zwangsläufig unglaubwürdig. Er fragte Ziebell, ob Schmeisser und Schretzmair vertrauenswürdig wären. Ziebell und Mans bejahten diese Frage. Als der Rechtsanwalt sich erkundigte, warum Schmeisser nicht mitgekommen sei, erhielt er zur Antwort, dieser wolle das Erscheinen des Artikels gar nicht. Er fürchte nämlich „Schwierigkeiten für seine Person“. All dies zerstreute Augsteins Zweifel an Schmeisser. Ziebell übergab schließlich das Protokoll einer Vernehmung Schmeissers in Wiesbaden. Josef Augstein las es durch und fand die Angaben wieder, die im konzipierten Artikel auftauchten. Es handelte sich also um Aussagen, die auf einem amtlichen Schriftstück beruhten. Bei der damaligen Besprechung dürften laut Jaene alle davon überzeugt gewesen sein, ein amtliches Protokoll mit Aussagen Schmeissers vor sich zu haben. Augstein urteilte, strafrechtlich bestünden keine Bedenken gegen eine Publikation des Artikels. Er erklärte Ziebell, dieser müsse für die Behauptungen gerade stehen und sie als Zeuge bestätigen. Dazu war er bereit. Ziebell schien großes Interesse am Erscheinen des Beitrags zu haben, der unterblieben wäre, wenn Augstein die leisesten Zweifel gekommen wären. Über eine Bezahlung an Schmeisser wurde nicht gesprochen. Josef Augstein glaubte, dies sei nicht der Fall, weil eine amtliche Vernehmung zugrunde lag. Ähnliches galt nach seiner Meinung für Ziebell. Die anderen Anwesenden kannten das Protokoll übrigens schon vorher. Laut Rudolf Augstein wurden die Unterschriften begutachtet, denn mit Abschriften wollte der Verleger sich nicht zufriedengeben. Josef Augstein verglich dann die Angaben im Protokoll mit denen in dem Artikelentwurf und konstatierte deren Übereinstimmung. Ziebell sagte Josef Augstein nicht, daß ihm ein privates Protokoll präsentiert wurde, das Schmeisser ihm „als Politiker“ gegeben habe. Wie Rudolf Augstein sich erinnerte, hatte Ziebell während des 2,5 Stunden dauernden Gesprächs keinerlei Bedenken erkennen lassen. Mans hatte allerdings berichtet, in den vorangehenden Wochen habe Ziebell aus politischen Erwägungen von einer Veröffentlichung abgeraten. Als die Besucher gingen, wandte Jaene sich nochmals um und vergewisserte sich, ob man den Beitrag bringen könne. Josef Augstein bekräftigte dies. Er sei zu dem Schluß gekommen, auch gegen die Form lasse sich nichts einwenden, wenn der Inhalt zutreffe. Die Veröffentlichung eines Bildes von Blankenhorn wurde dem Rechtsanwalt nicht mitgeteilt. Jaene glaubte, Schmeissers Behauptungen stimmten. Er begründete dies folgendermaßen: Das BfV bemühte sich, die Protokolle zu bekommen. Die Angaben Schmeissers waren mithin schon eine Zeitlang bekannt, ohne daß etwas geschehen war. Nun hatte auch die Öffentlichkeit einen Anspruch darauf, von diesen Dingen zu erfahren, zumal sie in politischen Gesprächen kursierten. Das BMG versuchte angeblich, Blankenhorn auszuschalten. Das würde man wohl kaum wagen, wenn die Vorwürfe nicht zuträfen. Die vom BMG artikulierte Überzeugung, Blankenhorn könne wegen seiner Bindungen an Frankreich die deutschen SaarInteressen nicht adäquat wahrnehmen, war laut Jaene ein wichtiges Motiv für die Publikation.
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Deshalb fügte Jaene den letzten Absatz des „Spiegel“-Artikels hinzu, in dem er eine Aufklärung der Hintergründe anmahnte. Journalistische Motive für die Veröffentlichung könnten natürlich auch nicht geleugnet werden. Dies alles wurde in der Besprechung diskutiert. Der „Spiegel“ habe bewußt auf eine höhere Auflage als die übliche verzichtet, um sich nicht dem Vorwurf geschäftlicher Gründe auszusetzen. Noch heute halte er die „nicht gerade zahme Form“ des Artikels für in Ordnung. Daher sei auch das Bild Blankenhorns mit der Zeile „zu Vorleistungen verpflichtet“ berechtigt – zumal der Text in dem Beitrag wörtlich erscheine. Schmeisser und Ziebell erhielten seines Wissens keinerlei Honorar. In Hessen vorbereitet, in Hannover ausgeführt – so begann die Schmeisser-Affäre. Hatten Ministerpräsident Zinn, Innenminister Zinnkann und LfV-Chef Schmidt überhaupt eine Ahnung, was sich in ihrem unmittelbaren Umfeld ereignete? 7) DIE HESSISCHE LANDESREGIERUNG IN DER DEFENSIVE a) Das LfV Wiesbaden im Fokus der Öffentlichkeit In den ersten Tagen nach Erscheinen des „Spiegel“-Artikels wußte die deutsche Presse nicht, was sie von der Sache halten sollte. Vorsichtshalber sprach man nur in aller Knappheit von den Strafanzeigen Adenauers und Blankenhorns oder dem Aufklärungsbedarf. Mitte Juli 1952 sickerte durch, daß das LfV Hessen über einschlägiges Material verfügt habe. 113 Nun gab es endlich eine konkrete Spur für die Medien, die weiterverfolgt werden konnte. Richard Tüngel attackierte das LfV Wiesbaden am 17. Juli 1952 in der „Zeit“. 114 Das LfV habe von einem zwielichtigen Agenten insgeheim Material gegen die Bundesregierung bekommen, wovon der Parteivorstand der SPD Kenntnis erhielt. Tüngel appellierte an den hessischen Landtag, dieses unglaubliche Gebaren aufzuklären. Die CDU-nahe Presse griff den Vorwurf auf, Wiesbaden hätte Bonn über die dubiosen Unterlagen unterrichten müssen. 115 Dies beruhte auf den Vereinbarungen einer Journalistenrunde bei Felix von Eckardt im BPA am 11. Juli. 116 Unerwartet heftig brandmarkte die „Welt“ am 26. Juli 1952 den Artikel im „Spiegel“.117 Offensichtlich sei er darauf angelegt, in Verbindung mit „aus dem Finger gesogen[en]“ Saarmeldungen 118 der Bundesregierung politisch zu schaden. Er enthalte „heimtückische Anspielungen“ und sei „verbrecherisch“, wenn nicht die Vorwürfe restlos bewiesen werden könnten. Ansonsten läge ein „verabscheuungswürdiger Anschlag“ gegen die vom Kanzler repräsentierte Demokratie vor. Diese harsche Wortwahl rief Rudolf Augstein auf den Plan, der am 30. Juli in der „Welt“ Raum für eine Entgegnung erhielt. 119 Wie urteile der Verfasser denn, wenn die Beschuldigungen zuträfen? Wäre dies nicht erst recht „verbrecherisch“? Die Annahme, der „Spiegel“ habe sich nur auf den undefinierbaren Schmeisser verlassen, sei irrig. Es gebe vielmehr „amtliche Rückendeckung“. Seit Anfang 1952 kenne Blankenhorn über John die gegen ihn erhobenen Vorwürfe, ohne daß er bislang etwas zu ihrer Entkräftung getan 113 114 115 116 117
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„Frankfurter Neue Presse“, 17.7.1952: „Hessisches Verfassungsschutzamt sammelt Material über Dr. Adenauer“; „Kasseler Zeitung“, 18.7.1952: „Material gegen Adenauer aus Hessen“. Richard Tüngel, „Verfassungsschutz – für wen?“, in: „Die Zeit“, 17.7.1952. „Westfälische Nachrichten“ (CDU), 19.7.1952: „Wer schützt wen?“ BA, NL Blankenhorn, Bd. 13, Bl. 93, Tagebuchaufzeichnung Blankenhorns, 11.7.1952. „Die Welt“, 26.7.1952: „Schmeisser und die Demokratie“. Dpa-Chefredakteur Fritz Sänger protestierte am 29.7.1952 bei Adalbert Worliczek („Die Welt“) gegen die Einseitigkeit dieses Artikels, was dieser am 5.8. als Angriff auf seine Bejahung der Außenpolitik Adenauers interpretierte. Sänger wies am 14.8. die ihm unterstellten parteipolitischen Motive zurück; es gehe um die Aufklärung gravierender Behauptungen (Material in: AdsD, NL Sänger, Bd. 1). „Der Spiegel“, Nr. 28/1952, 9.7., S. 5: „General-Vertrag: Kaufpreis Saar“. Rudolf Augstein, „Zum Fall Schmeisser“, in: „Die Welt“, 30.7.1952.
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habe. Nach dem Erscheinen des Artikels hätte er in einer Pressekonferenz die Dinge zurechtrücken können – er verzichtete darauf. Die „Welt“ hätte besser daran getan, für die Pressefreiheit zu kämpfen, die dem „Spiegel“ vorenthalten worden sei. In ihrer Erwiderung vom 2. August beschäftigte sich die „Welt“ hauptsächlich mit dem Streit um die Angaben zu einem Quasi-Diktat der drei Westmächte über eine endgültige „Europäisierung“ der Saar, die der „Spiegel“ angeblich erfunden hatte. 120 Tatsächlich erwies sich diese Nachricht als „Ente“. Zum Fall Schmeisser bemerkte die „Welt“, falls wirklich eine Behörde mit dem „Spiegel“ eine Kampagne gegen die Bundesregierung geführt habe, so wäre dies ein „Skandal“. Die Beschlagnahmung von Presseorganen sei in der Tat ein Holzweg, weil nur Märtyrer geschaffen würden. Dieser Konflikt zwischen „Welt“ und „Spiegel“ stellte eine Ausnahme dar, denn überwiegend richteten sich die Blicke auf Hessen. Ministerpräsident Zinn erklärte etwas vorschnell, sein Kabinett habe von der Sache erst durch den Artikel im „Spiegel“ erfahren. 121 Die hessische Landesregierung ließ die ihr nahestehende „Frankfurter Rundschau“ am 17. Juli 1952 wissen, „aus politisch durchsichtigen Gründen“ werde der Eindruck erweckt, das LfV habe Dokumente gegen Adenauer gesammelt. 122 Überdies sei das Schmeisser-Material nicht durch gezielte Maßnahmen, sondern im Zuge von Routinearbeit dem LfV in die Hände gefallen. Die Unterlagen seien schon vor Monaten einer Reihe von Personen bekannt gewesen und bei Zeitungen und Zeitschriften feilgeboten worden. Zinnkann beteuerte, die Veröffentlichung im „Spiegel“ habe das hessische Kabinett überrascht. Die „Frankfurter Rundschau“ sekundierte der Landesregierung in einem Kommentar. 123 Offensichtlich solle das „rote“ Hessen diffamiert werden. Die Beschlagnahmung des „Spiegel“ bedeute eine Gefährdung der Pressefreiheit. Mitte Juli 1952 ließ der Leiter des BfV, Otto John, öffentlich klarstellen, die Behauptung des „Spiegel“, von seiten der Bundesregierung sei nichts geschehen, treffe nicht zu. 124 Als er (John) Anfang des Jahres von den Stellungnahmen Schmeissers beim LfV Wiesbaden hörte, habe er ORR Schmidt telefonisch um die Übersendung des Materials gebeten. Jedes LfV habe die gesetzliche Verpflichtung, bei Erkenntnissen in Bundesangelegenheiten das BfV zu informieren. Schmidt sei mehrfach ausgewichen, weil man angeblich noch kein klares Bild habe. Schließlich wurde vom BfV eine Frist bis Ostern 1952 gesetzt. Dann erkrankte Schmidt. Nun werde der Bund erneut auf eine Übergabe drängen. Bonner Regierungskreise lancierten ferner die Meldung, Schmeisser sei in Paris für das LfV tätig gewesen und deshalb aus Frankreich ausgewiesen worden. Schmeisser habe monatlich 400 DM vom LfV erhalten. Am 8. Dezember 1953 sagte Ministerpräsident Georg August Zinn in der hessischen Staatskanzlei in Anwesenheit von Untersuchungsrichter Mollenhauer aus. 125 Die im November 1951 in Wiesbaden angefertigten Protokolle seien ihm, seinem Innenminister Zinnkann und dessen Ministerialdirektor Schuster erst nach dem „Spiegel“-Artikel bekannt geworden. In der Presse wurde damals behauptet, das LfV habe Material gegen Adenauer und Blankenhorn gesammelt. Schuster forschte nach und fand die beiden Protokolle beim LfV. Schmidt war längerfristig krank und weilte in Bad Wiessee. Er (Zinn) ließ ihn nach Wiesbaden rufen. Schmidt bestritt, mit der Publikation etwas zu tun zu haben. Zinn warf ihm vor, weder 120 121 122 123 124
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„Die Welt“, 2.8.1952: „Und er hat doch gesogen“. „Badische Zeitung“, 18.7.1952: „Ein zweifelhafter Agent“. Fried Wesemann, „Mysteriöser Aktendiebstahl in einer Staatskanzlei“, in: „Frankfurter Rundschau“, 18.7.1952. Ludwig Steinkohl, „Schmeisser und die Pressefreiheit“, in: „Frankfurter Rundschau“, 22.7.1952. „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 17.7.1952: „Bonn wollte das Material Schmeissers haben“; „Frankfurter Neue Presse“, 17.7.1952: „Hessisches Verfassungsschutzamt sammelt Material über Dr. Adenauer“; „Mainzer Allgemeine Zeitung“, 17.7.1952: „Dr. John reist nach Wiesbaden“. PA/AA, B 130, Bd. 13796.
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ihn noch Zinnkann über die Anschuldigungen gegen den Kanzler informiert zu haben. Schmidt entschuldigte sich mit dienstlicher Überbeanspruchung Zinnkanns, seiner eigenen Krankheit sowie Zinns Erkrankung. Tatsächlich hatte Zinn bis Juli 1952 ein halbes Jahr lang mit einer Venenentzündung und einer Embolie zu tun. Es gebe noch ein weiteres Protokoll Schmeissers, das wahrscheinlich auch in Wiesbaden erstellt wurde und vom 15. Dezember 1951 datiere. 126 Darin stünden vor allem kritische Bemerkungen über führende SPD-Politiker. Dieses Dokument übergab Schmidt zur Jahreswende 1951/52 dem Ministerpräsidenten und sprach bei ihm vor. Zinn glaubte, Schmidt wolle eine Beförderung erreichen. Er habe das Protokoll nur durchgeblättert und den offenkundig unsinnigen Behauptungen keine Bedeutung beigemessen. Zu Blankenhorn sei ihm nichts aufgefallen. Einem ihm jetzt vorliegenden Exemplar entnehme er allerdings, daß an einer Stelle eine Zahlung von 300 DM an Blankenhorn erwähnt werde. Er habe das Schriftstück zuhause in seinem Schreibtisch aufbewahrt. Das Schmeisser-Protokoll vom 22. November 1951 erhielt Zinn tatsächlich erst am 24. Juli 1952 von Ministerialdirektor Schuster. 127 Zinn und Zinnkann trafen sich am 18. Juli in Bonn mit John. 128 Nach der Unterredung sagten die Vertreter der hessischen Landesregierung, Schmidt habe John durchaus von dem Schmeisser-Material berichtet. Er habe es freilich diesem nicht übersandt, weil er es für unbedeutend erachtete. John hätte gut daran getan, sich an die hessische Landesregierung zu wenden. Er habe erklärt, aus kollegialer Rücksicht auf den erkrankten Schmidt keine förmlichen Schritte für den Erhalt der Unterlagen eingeleitet zu haben. Dies erscheine unverständlich. Im übrigen bezögen sich die Unterlagen auch auf SPD-Politiker; ihre Unerheblichkeit sei evident gewesen. Zinnkann kritisierte, die Bundesregierung hätte ihn schon vor Monaten über die Anschuldigungen von französischer Seite gegen das LfV Wiesbaden informieren müssen. Zinnkann gab bei seiner Vernehmung vom 8. Dezember 1953 129 an, Ende Juni oder Anfang Juli 1952 durch einen Telefonanruf Johns erstmals von den Wiesbadener Protokollen erfahren zu haben. Er schilderte dann die Besprechung in den Bonner Räumen der hessischen Landesvertretung. Zinnkann sorgte dafür, daß John alle Protokolle bekam. John erzählte, François-Poncet habe sich im Januar 1952 über die Agententätigkeit Schmeissers für das hessische LfV in Paris beschwert. Auf Bitten von Zinnkann schickte John am 24. Juli 1952 eine Abschrift dieses Protests. Die hessische Landesregierung war erstaunt, daß niemand sie von diesem Schritt des französischen Hohen Kommissars unterrichtet hatte. Die Verhaftung und Ausweisung Schmeissers ging daraus hervor. Carlo Schmid sagte Zinn, Blankenhorn habe ihn wegen irgendwelcher Gerüchte über Behauptungen wie im „Spiegel“-Artikel aufgesucht. Schmid erklärte ihm, er gebe nichts auf derartigen Tratsch. Nach dem Gespräch mit John wurde Paul Schmidt in Wiesbaden gefragt, weshalb er sich mit Schmeisser eingelassen habe und was dieser in Paris suchte. 130 Schmidt erwiderte, er habe Schmeisser als französischen Agenten „ausbrennen“ wollen. Die umfangreichen Vernehmungen sollten gewährleisten, daß Schmeisser nicht mehr für französische 126 127 128
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Dieses Dokument ist verschollen, was auf den Totalverlust der Akten des hessischen Innenministeriums zurückzuführen sein dürfte. Es wurde offenbar nicht an andere Behörden oder Institutionen weitergegeben. HHSt, Staatskanzlei, Abt. 502, Bd. 7853. PA/AA, B 130, Bd. 13796, Protokoll der Vernehmung Zinns, 8.12.1953, hier: S. 3f.; „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 18.7.1952: „’Hessen sammelte kein Material’“; Fried Wesemann, „Mysteriöser Aktendiebstahl in einer Staatskanzlei“, in: „Frankfurter Rundschau“, 18.7.1952; „Hamburger Echo“ (SPD), 18.7.1952: „Fall Schmeisser schlägt hohe Wellen“. PA/AA, B 130, Bd. 13796, Protokoll der Vernehmung Zinnkanns, 8.12.1953. Er bestätigte die Schilderung des Ministerpräsidenten. Ebd., Protokoll der Vernehmung Zinns, 8.12.1953, hier: S. 5.
Die Schmeisser-Affäre
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Geheimdienste aktiv werden konnte. Schmidt wollte ferner von Schmeisser etwas über die Verhältnisse an der Saar und die Absichten der Franzosen erfahren. Zinn bat John, zu prüfen, ob Schmidt die Veröffentlichung angeregt oder davon gewußt habe. Die Überprüfung wurde dem niedersächsischen LfV übertragen. Otto John reiste am 21. Juli nach Wiesbaden und holte sich dort die Akten zum Fall Schmeisser ab. 131 Er bekundete gegenüber Zinnkann und Schuster, nach seiner Einschätzung fuße die Veröffentlichung im „Spiegel“ nicht auf dem Material des LfV. Es wurde laut Pressemeldungen versäumt, der hessischen Landesregierung eine Protestnote von FrançoisPoncet zur Kenntnis zu bringen. Dies werde nun nachgeholt. Paul Bourdin bezweifelte in der „Zeit“ ziemlich unverhüllt die Richtigkeit der abwiegelnden Äußerungen von Zinn und Zinnkann. 132 Die „Zeit“ bekundete auch in der Folge ihre Verwunderung über einige Stimmen aus dem Umkreis der hessischen Landesregierung.133 Die Klage des LfV, seine geheimen Verbindungen seien der Öffentlichkeit preisgegeben worden, gehe am Kern der Dinge vorbei. Auch Insinuationen, wonach ein Bonner Ministerium hinter den Angriffen auf Blankenhorn stünde, erregten Verwirrung. Ludwig Vaupel, ein Kasseler Mitarbeiter des süddeutschen Korrespondenten der „Zeit“, Hubertus Prinz zu Löwenstein, wies in einem „offenen Brief“ an Schmidt auf die in der „Zeit“ wiedergegebenen Angriffe der DSZ vom 30. Mai 1952 134 gegen ihn hin. 135 Löwenstein hatte im Februar 1952 von den Vorgängen um Blankenhorn und Schmeisser erfahren. Seine Quellen waren das BMG und das Büro von Staatssekretär Lenz. 136 Laffon telefonierte nach Erkenntnissen Heinrich Schneiders vom März 1952 regelmäßig mit Wiesbaden. 137 Noch im Oktober 1952 hielt die prodeutsche Opposition in einer verschlüsselten Nachricht fest, auf der Telefonliste des Hohen Kommissariats in Saarbrücken seien Gespräche zwischen Frankfurt a.M. und Saarbrücken festgestellt worden. 138 In Frankfurt habe es sich um den Wirtschaftsprüfer Wagner gehandelt, bei dem Ziebell sich eine Zeitlang aufhielt. 139 Wagner vertrete eine Gruppe von Grundstücksgläubigern im Walter-Prozeß. Offenbar mischte Ziebell also aus der Ferne weiter mit. Die Telefonverbindungen erfolgten über ein spezielles französisches Militärnetz, das sowohl aus direkten Leitungen bestehe als auch über örtliche französische Dienststellen auf deutsche Amtsnetze übertragen werden könne. Ziebell und Schmidt konnten durch Vermittlung von Baden-Baden fernmündliche Gespräche zwischen den französischen Militärbehörden in Wiesbaden und Saarbrücken führen. Deutsche Fernämter bekamen davon nichts mit. Vaupels Brief nötigte Zinnkann zu einer Antwort. Kleinlaut verkündete er am 5. August 1952, Schmidt erhole sich noch von den Folgen einer schweren Operation. 140 Nach seiner Genesung werde zu prüfen sein, ob und welche Maßnahmen gegen ihn ergriffen werden 131 132 133 134 135 136 137 138 139 140
„Frankfurter Rundschau“, 22.7.1952: „John holt Schmeisser-Akten ab“; „Frankfurter Neue Presse“, 23.7.1952: „Schmeisser-Unterlagen übergeben“. Paul Bourdin, „Politik im Sumpf“, in: „Die Zeit“, 24.7.1952. Auf Widersprüche zwischen den Aussagen hessischer Politiker verwies auch „Der Kurier“ (Berlin), 21.7.1952: „’Spiegel’-Artikel mit Rückendeckung?“ T[ün]g[e]l, „Haltet den Dieb“, in: „Die Zeit“, 14.8.1952. DSZ, Nr. 12, 30.5.1952: „Weiß das die Bundesregierung?“ Vgl. Kap. IV.5. P.H. Wolf, „Warum schwieg Bonn?“, in: „Die Zeit“, 31.7.1952 (Leserbrief); Herbert Schildener, „Ach, lieber Herr Schmidt!“, in: „Kasseler Post“, 5.8.1952. BA, NL Löwenstein, Bd. 184, Löwenstein, Interner Bericht an die Redaktion der „Zeit“, 8.2.1952. LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 352, [Aufzeichnung, 6.3.1952], hier: S. 5. Dazu auch DSZ, Nr. 12, 30.5.1952: „Weiß das die Bundesregierung?“ BA, B 137, Bd. 16540, T 64 [Kresse] an Z 30 [Knoop], 13.10.1952. Der SPD lag schon am 30.5.1952 eine entsprechende Notiz vor (AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 2622A). LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 514, Schreiben Düx und Busch an Amtsgericht Frankfurt-Höchst, 25.11.1953, hier: S. 12f. (auch für das Folgende). BA, B 137, Bd. 16540, dpa-Inf. 1390, 5.8.1952; „Hessische Nachrichten“ (Kassel), 6.8.1952: „Zinnkann antwortet auf Brief Vaupels zum ‚Fall Schmeisser’“.
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Hessen - Die hessische Landesregierung in der Defensive
müßten. Im übrigen gab er an, die Bundesregierung scheine längst Kenntnis gehabt zu haben vom Material Schmeissers. Ein diplomatischer Protest François-Poncets vom 28. Januar gegen Aktivitäten des LfV Wiesbaden in Paris wurde der hessischen Landesregierung nicht mitgeteilt. Wäre das geschehen, hätte er (Zinnkann) Schmeisser ausschalten können. John habe ihn erst nach dem „Spiegel“-Artikel über die im hessischen LfV liegenden Niederschriften unterrichtet. Auf Druck der hessischen FDP mußte Zinnkann am 12. August zu einer Pressekonferenz einladen, bei der er nicht umhin kam, die Problematik detaillierter zu behandeln.141 Zinnkann behauptete, das LfV habe Schmeisser nicht beauftragt, Material gegen Adenauer oder Blankenhorn zu sammeln. Als Schmeisser Mitte November 1951 an das LfV herantrat, habe Schmidt ihn zusammen mit Regierungsrat Urban zum Wiesbadener Polizeipräsidium geschickt, um ein Protokoll aufzunehmen. Dies spreche gegen parteipolitische Absichten. Das Protokoll enthalte wirre Aussagen. Schmidt habe versäumt, es an das BfV weiterzuleiten. Schmidt bestreite entschieden, daß der „Spiegel“-Artikel auf Unterlagen beruhe, die aus dem LfV stammten. Zinnkann fuhr fort, Schmeisser sei nach seiner Ausweisung aus Frankreich in Offenburg und Kehl verhört worden, bevor er nach Wiesbaden kam. Vermutlich hätten die Dienststellen in Südbaden ebenfalls versäumt, die Bundesregierung zu unterrichten. Falls dies doch geschehen sein sollte, müsse gefragt werden, warum die Bundesregierung nichts getan habe. Im übrigen seien Angaben über Verbindungen zwischen Saarbrücker Behörden und dem LfV Wiesbaden aus der Luft gegriffen. Seit Dezember 1951 seien keine Telefonate mit Saarbrücken mehr geführt worden. Schmidt gehe wegen solcher Unterstellungen strafrechtlich gegen die DSZ vor. Er bestreite, Schmeisser für seine Tätigkeit in Paris besoldet zu haben. Allerdings sei Schmeisser nach seiner Rückkehr mit anderen Aufträgen betraut worden. Diese Erklärungen befriedigten die „Welt“ überhaupt nicht. Nachdem sie anfangs dem „Spiegel“ Sensationsgier unterstellt hatte, attackierte sie nun Zinnkann: 142 Es stehe fest, daß französische Agenten im LfV Wiesbaden ihr Unwesen getrieben hätten. Den undefinierbaren Schmeisser habe man eingestellt, anstatt ihn bestenfalls auszuhorchen. Wie komme Schmidt dazu, eine protokollarische Aufnahme der Beziehungen anzuordnen, die Schmeisser früher mit Blankenhorn gepflegt habe? Dies müsse doch einen Zweck gehabt haben. Und auf welche Weise sei das Dokument aus dem Wiesbadener Panzerschrank in die Redaktion des „Spiegel“ gelangt? Tatsächlich waren unter der Verantwortung Zinnkanns Dinge geschehen, die höchst merkwürdig erschienen. Zu allem Überfluß hatte er in der ersten Aufregung das LfV Wiesbaden in einer Weise verteidigt, die rasch von der Wirklichkeit eingeholt worden war. Der Innenminister trat freilich alles andere als zerknirscht auf und trachtete, der Bundesregierung den „Schwarzen Peter“ zu übergeben. Sein Glück war, daß Adenauer und Blankenhorn Anlaß hatten, keine schonungslose Aufklärung zu betreiben. Zinnkann mochte darauf gehofft haben, als er sich in der Öffentlichkeit äußerst forsch gebärdete. Immerhin: Der Frankfurter Rechtsanwalt Erich Schmidt-Leichner stellte im Auftrag von Paul Schmidt am 8. September 1952 in Frankfurt Strafantrag gegen die DSZ 143 und am 23.
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„Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 13.8.1952: „’Schmeisser nicht in hessischen Diensten’“; „Frankfurter Neue Presse“, 13.8.1952: „Hessen hat Schmeisser nicht beauftragt“; „Wiesbadener Kurier“, 13.8.1952: „Kein Hessen-Auftrag an Schmeisser gegen Bonn“; „Frankfurter Rundschau“, 13.8.1952: „Zinnkann zum Fall Schmeisser“; „Die Welt“, 13.8.1952: „Protokoll im Panzerschrank“. „Die Welt“, 14.8.1952: „Schmeisser und der Verfassungsschutz“. BA, B 141, Bd. AZ 4023 E (1), Bl. 91-94, Schreiben Schmidt-Leichners an Amtsgericht Frankfurt-Höchst: Privatklage Paul Schmidt gegen Karl-Heinz Franke, 8.9.1952.
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September gegen Vaupel 144 wegen Verleumdung. Schmidt werde als Agent der Franzosen hingestellt. Löwenstein bat daraufhin den Chefredakteur der DSZ, Hermann Kresse, an Heinrich Schneider mit der Bitte heranzutreten, seinem Mitarbeiter Vaupel das versprochene Material gegen ORR Schmidt zur Verfügung zu stellen. 145 Die Anwälte Kresses, Hans Düx und Alfred Busch aus Bad Kreuznach, wunderten sich am 15. November 1952 über das Ausbleiben einer Offizialklage, zumal ihr Mandant eine Rücknahme der Vorwürfe gegen Schmidt ausdrücklich abgelehnt habe. 146 Düx und Busch vermuteten, Schmidt wolle die von Kresse geforderte Eidesleistung vermeiden, die bei einer Offizialklage unausweichlich gewesen wäre. Bei einem privatrechtlichen Verfahren sei Schmidt hingegen Partei und müsse nicht schwören. Alles hänge nun davon ab, ob die zuständige Staatsanwaltschaft in Bad Kreuznach das öffentliche Interesse an einem Offizialverfahren bejahe. Die Anwälte hatten das Justizministerium Rheinland-Pfalz gebeten, die Übernahme einer Offizialklage durch den Oberstaatsanwalt in Bad Kreuznach in die Wege zu leiten, doch aus Mainz kam am 27. Oktober 1952 ein ablehnender Bescheid: Die Erwägungen seien justizfremd; eine solche Maßnahme über Landesgrenzen hinweg wäre spektakulär und zwänge dem Kläger ein bestimmtes Prozedere auf. 147 Das BMG half Kresse, weil es sich davon eine Aufdeckung von Querverbindungen zum Fall Schmeisser versprach. 148 Es gelang, nach der Weigerung aus Mainz das BMJ zu mobilisieren. Minister Dehler beauftragte Regierungsrat Thier, sich um die Umwandlung der Privat- in eine Offizialklage zu kümmern 149, da die prodeutsche Opposition sich davon einen Meineidsprozeß gegen Schmidt erhoffe. Die langwierige Erkrankung Schmidts verzögerte die Sache. Das Amtsgericht Frankfurt-Höchst beschloß am 22. Juni 1953, die Verfahren gegen Kresse und gegen Vaupel gleichzeitig zu behandeln. 150 Düx und Busch reichten am 25. November 1953 einen ausführlichen Schriftsatz 151 ein, der detaillierte Angaben über die Beteiligung Schmidts am französischen Spionagenetz enthielt. Indessen kam es nie zu einer Verhandlung, denn nach dem Amnestiegesetz vom 17. Juli 1954 schlug das Gericht in Höchst am 11. August 1954 die Sache nieder und verfügte, die außergerichtlichen Kosten würden gegeneinander aufgehoben. 152 Düx und Busch warteten auf Reaktionen der Gegenpartei, die aber ausblieben. So kommentierten die Bad Kreuznacher Anwälte am 14. September 1955 kopfschüttelnd: „Daß Schmidt nicht das Feststellungsverfahren eingeleitet hat, ist für ihn ein sehr böses Zeichen.“ Er habe sich nicht einmal gegen die Kostenverteilung gewehrt. Kresse erhielt seine Auslagen für die Anwälte in Höhe von 289.12 DM am 8. Oktober 1955 vom BMG erstattet.
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HHSt, Staatskanzlei, Abt. 502, Bd. 7853, Schreiben Schmidt-Leichners an Paul Schmidt, 23.9.1952; BA, B 137, Bd. 16540, Schreiben Schmidt-Leichners an Vaupel, 23.9.1952. Weiteres Material in: BA, NL Löwenstein, Bd. 89. BA, B 137, Bd. 16540, Schreiben Löwensteins an Kresse, 12.10.1952. LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 514, Schreiben Düx und Busch an Dehler, 15.11.1952. Prozeßunterlagen in: BA, B 137, Bd. 3431; LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 514. BA, B 137, Bd. 3431, Vermerk Knoops, 30.9.1952. Ebd., Vermerk Bodens, 31.1.1953. Ebd., Schreiben Düx und Busch an Kresse, 1.7.1953. Wortlaut in: LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 514. Urteil in: BA, B 137, Bd. 3431 (auch für das Folgende).
Hessen - Die hessische Landesregierung in der Defensive
182 b) Die Entlassung von Paul Schmidt
Doch zurück zu den Folgen der Schmeisser-Affäre in Hessen im Jahre 1952! Bei den Vernehmungen in Starnberg vom Oktober 1952 153 erklärte Schmeisser, Ziebell habe dem „Spiegel“ plausibel gemacht, der SPD-Parteivorstand werde mit dem Material über Blankenhorn an die Öffentlichkeit gehen. Vermutlich hoffte Ziebell auf die Anerkennung der SPD-Spitze und die Stelle eines Ministerialdirektors in Wiesbaden anstelle von Schuster; Paul Schmidt sollte bestimmt John beerben. Um hessischer Beamter zu werden, brauchte Ziebell die Zustimmung Zinns. Als Ministerpräsident Zinn später behauptete, das BlankenhornMaterial stamme nicht aus dem LfV Hessen, kopierte Mans Protokolle und Aktendeckel des LfV. Ziebell versuchte, ein Druckmittel gegen Zinn zu bekommen. Mit Hilfe von Zweig, Ritzel und dem früheren Polizeipräsidenten von Frankfurt, Klapproth, wollte er von Brüning ein Schriftstück erhalten. Daraus gehe hervor, daß Zinn die Ausweisung Brünings aus der Schweiz im Dritten Reich auf zivilrechtlichem Wege betrieben habe. Die Bemühungen seien aber bis heute noch nicht abgeschlossen. In diesem Rahmen fand ein von Zweig arrangiertes Treffen zwischen Ziebell und Ritzel in Michelstadt statt 154; auch Veit Harlan war daran beteiligt. Ziebell wollte sich also in jeder Richtung absichern. Wie manch andere in diesem unerquicklichen Fall, befand sich auch Zinn in keiner beneidenswerten Lage. Otto John beschwerte sich in einem langen Schreiben an Schuster vom 1. Dezember 1952 darüber, daß Paul Schmidt wieder die Leitung des LfV übernommen habe. 155 Bei einer Besprechung in der Staatskanzlei am 30. September habe Ministerpräsident Zinn zugesichert, Schmidt werde vor Klärung der Dinge nicht wieder in sein Amt zurückkehren. John hielt eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Schmidt nicht für möglich, solange nicht dessen Verhältnis zu Ziebell aufgeklärt sei. John erinnerte an den gegen ihn erhobenen Vorwurf der hessischen Landesregierung, Schmidt zu nachsichtig behandelt zu haben. François-Poncet habe in seiner Note vom 28. Januar 1952 das BfV eines Verstoßes gegen die mit den Alliierten vereinbarten Grundsätze geziehen. Rein formal stimme das gewiß nicht, denn das BfV könne für diesen Vorfall nicht verantwortlich gemacht werden, der den Hohen Kommissar zu Recht empört habe. Er (John) habe diese Note erst am 15. März zu Gesicht bekommen. 156 Schmidt habe 5.000 DM zur Unterstützung seiner Recherchen erbeten, anstatt das Material zu übersenden. Er ließ sich darauf nicht ein und setzte eine letzte Frist bis Ostern, doch Schmidt erwiderte ungerührt, er habe seine Vorgesetzten in Wiesbaden unterrichtet. John ereiferte sich dann über Ziebells Stellung im LfV, die Schmidt ihm ermöglicht und damit auch Gelegenheit gegeben habe, sich Unterlagen im Fall Blankenhorn anzueignen. Bei einer Aussprache in Siegburg am 27. August habe Schmidt den Namen Ziebell nicht einmal erwähnt. Dies wisse die hessische Landesregierung seit dem 30. September. Schmidt habe angeblich auch Zinn und Zinnkann gegenüber die Rolle Ziebells verschwiegen. Das Zerwürfnis mit Schmidt erscheine gerade wegen der Bedeutung des Raumes Frankfurt für den Verfassungsschutz gravierend. Zinn erinnerte sich später daran, daß John Ende 1952 der hessischen Landesregierung mitgeteilt habe, ein gewisser Ziebell sei in die Veröffentlichung verwickelt. 157 Schmidt habe 153 154 155
156 157
BA, B 136, Bd. 241, Protokoll der Vernehmungen Schmeissers in Starnberg vom 10.-20.10.1952, hier: S. 38f. Vgl. Kap. VII.2c. BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 85-88. – Schmidt rächte sich dafür nach dem Übertritt Johns in den Osten, indem er bei einer Vernehmung durch den Oberbundesanwalt am 25.8.1954 andeutete, John habe Alkoholprobleme gehabt und sei mit der Führung des BfV überfordert gewesen (BA, B 106, Bd. 202119). Tatsächlich übersandte Globke diese Note erst am 13.3.1952 an John (BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 47). PA/AA, B 130, Bd. 13796, Protokoll der Vernehmung Zinns, 8.12.1953, hier: S. 5; „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 18.7.1952: „’Hessen sammelte kein Material’“; Fried Wesemann, „Mysteriöser Aktendiebstahl in
Die Schmeisser-Affäre
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enge Beziehungen mit ihm unterhalten. Schmidt wurde danach gefragt und erwiderte, Ziebell seit Jahren zu kennen; er sei von ihm getäuscht worden. Alle Fehlentwicklungen also nur Ergebnis eines tragischen Irrtums von Paul Schmidt? Jedenfalls läßt sich noch ein weiteres verdecktes Informationsnetz mit hessisch-saarländischem Zuschnitt lokalisieren. Im Jahre 1950 hatte der Saarexperte der SPD, Karl Mommer, erfahren, daß die Agentengruppe um Ziebell Verbindungen mit einer „Gesellschaft zur Förderung des guten Jugendbuches“ in Frankfurt a.M. pflege. 158 Der Draht laufe über einen von Willi Reichelt betriebenen Buchladen im Hauptbahnhof. Reichelt bringe die antideutschen Manuskripte des in Bonn akkreditierten saarländischen Radiojournalisten Karl Grampp nach Saarbrücken. Grampp brüste sich damit, Erich Ollenhauer nahezustehen. Mit Hans Reichel (nicht Willi Reichelt) ist ein weiteres wichtiges Glied im französischsaarländischen Spionagenetz genannt. Reichel (1898-1965) aus dem saarländischen Grenzort Perl erschien am 14. November 1951 im BMG und bekannte sich dort ironisch zu seiner Agententätigkeit, über die dem Ministerium am Bonner Bottlerplatz ja Berichte vorlägen. 159 Reichel versuchte, für Ministerpräsident Hoffmann eine Lanze zu brechen, dessen aufrichtigen Katholizismus er rühmend hervorhob. Er wohne seit 1945 in Königstein/Taunus und engagiere sich in einer Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des guten Jugendschrifttums. Er sei von Hoffmann beauftragt worden, in der Bundesrepublik für die Saarregierung zu werben. Reichel verwies auf CDU-Politiker wie Adolf Süsterhenn und den Journalisten PaulWilhelm Wenger vom „Rheinischen Merkur“, ferner auf Josef Müller und neuerdings sogar Franz Josef Strauß von der CSU. Er habe den Draht Hoffmanns zur CSU über Dr. Limmer hergestellt. (Limmer ist uns als Spitzel der CSU in der Bayernpartei im Jahre 1950 begegnet.)160 Auch Gustav Strohm vom Auswärtigen Amt pflege Kontakte zu saarländischen Regierungsvertretern wie Welsch und Schlehofer, während Jakob Kaiser sich leider völlig abweisend verhalte. Diese Nachrichten erwiesen sich allesamt als zutreffend. 161 Reichel hatte nach Feststellungen von Bodens für den Verlag der Steyler Missionsgesellschaft sowie in Mönchengladbach für den ehemaligen Volksverein gearbeitet. Daher kannte ihn der Bischof von Aachen und beurteilte ihn als „labilen Charakter“ und „wendigen Geschäftemacher“. Reichel war bereits im Dezember 1931 Mitglied der NSDAP geworden und hatte sich bei der Ortsgruppe im saarländischen Lebach hervorgetan. Auf Bodens wirkte er „primitiv, aufschneiderisch und ungebildet“. Reichels Buchhandlung in Frankfurt scheint eine Tarnung gewesen zu sein, denn er wurde von der Saarregierung bezahlt. Angeblich fiel er im Laufe des Jahres 1952 bei Hoffmann in Ungnade, weil seine Bemühungen erfolglos geblieben seien. Reichel wurde seit Dezember 1952 von der bischöflichen „Trierischen Landeszeitung“ als Werber im Saargebiet benutzt. 162 Verlagsleiter Dr. Funk ignorierte die Warnung des BMG vor ihm, da er Reichel seit seiner Kindheit kenne und von dessen Bruch mit Hoffmann überzeugt sei. Indessen verkaufte Reichel im Februar 1953 die Frankfurter Bahnhofsbuchhandlung und erhielt auf Betreiben Hoffmanns eine Position beim Saarländischen Rundfunk. 163 Die „Trierische Landeszeitung“
158 159 160 161
162 163
einer Staatskanzlei“, in: „Frankfurter Rundschau“, 18.7.1952; „Hamburger Echo“ (SPD), 18.7.1952: „Fall Schmeisser schlägt hohe Wellen“. AdsD, NL Mommer, Bd. 13, Betr. Dr. Zybell, o.D. BA, B 137, Bd. 3508, Vermerk Bodens, 26.11.1951. Vgl. Kap. V.3f. Näheres in: BA, B 137, Bd. 3508, Vermerk Bodens, 28.11.1951. In dieser Akte weiteres Material. Zu den geheimen Aktivitäten Süsterhenns und Wengers: Elzer, Initiative; Ders., Das Auswärtige Amt und der „neue Kurs“, bes. S. 169-174. Zu den Kontakten der CSU mit Hoffmann: Ders., Im Dienste, Teil II, Kap. XIV.4 und XV.4. BA, B 137, Bd. 3508, Vermerk Bodens, 2.3.1953. LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 243, Informationen für 64 [Kresse], 26.2.1953.
184
Hessen - Die hessische Landesregierung in der Defensive
entließ ihn nach wenigen Monaten, da er dem kaufmännischen Direktor Rosar mit einer Anzeige drohte, weil dieser ihn als Devisen-Ausländer in DM bezahlt hatte. 164 Reichel blieb mit Verlagsprojekten im katholischen Spektrum und Plänen zu einem für die Abspaltung der Saar von Deutschland eintretenden Saarländischen Bürgerblock bis 1955 aktiv und galt weiterhin als Agent des Saarregimes. Im Referendumswahlkampf vom Oktober 1955 propagierte er in einem scharfzüngigen „Saar-Expreß“ das Ja zum Saarstatut, später gab er eine die Rückkehr der Saar zu Deutschland verunglimpfende „Saarlandbrille“ heraus. Reichel in Frankfurt a.M. – das war keine beliebige Plazierung für einen Beauftragten Hoffmanns. Das engmaschige Nachrichtennetz im Rhein-Main-Raum garantierte eine gute Kommunikation. Am 17. September 1952 hielt Fritz Bartsch (hessische Staatskanzlei) Mitteilungen fest, die Ministerialrat a.D. Engler in seinem und Schusters Beisein gemacht hatte. 165 Engler hatte mit Zustimmung der hessischen Landesregierung für den amerikanischen Geheimdienst gearbeitet. Eines Tages wurde ihm vorgeworfen, von ihm gegebene Informationen seien auch nach Karlshorst gelangt. Außer ihm (Engler) kannte nur Paul Schmidt diese Nachrichten; folglich wurde er mißtrauisch. Engler stellte Ermittlungen in der Ostzone an, die seinen Verdacht bestätigten. Im Juli 1950 konfrontierte er Schmidt über einen Mittelsmann mit diesen Vorwürfen. Seitdem fand kein Gespräch mehr zwischen ihnen statt. Zinn notierte am 17. September 1952 dazu, Schuster wolle die Angelegenheit mit Zinnkann besprechen, sobald dieser zurückgekehrt sei, damit sie restlos aufgeklärt werde. In der Tat existiert ein starkes Indiz dafür, daß die Bekundungen Risses und Frederiks, wonach Schmidt Antikommunist gewesen sei, falsch sind. Schmidts Tochter Lotte sagte 1974 in einem Interview 166, ihr Vater habe sich als Mitbegründer der Frankfurter SPD am Kriegsende 1945 für eine geeinte sozialistische Arbeiterpartei eingesetzt und einen schweren Stand gehabt, weil er Schumachers Distanzierung von der KPD ablehnte. Engler hätte die Verpflichtung gehabt, die Landesregierung über seinen Spionageverdacht gegen Schmidt zu unterrichten. Es war mehr als eine Fahrlässigkeit, dies unterlassen zu haben. Immerhin leitete Schmidt das LfV! Engler war allerdings 1950 auf Betreiben von Wirtschaftsminister Albert Wagner entlassen worden, weil ihm eine Laufbahnfälschung und die unberechtigte Führung eines Doktortitels angelastet wurden.167 Dessenungeachtet nahm der 1. Vorsitzende der Internationalen Liga für Menschenrechte Engler in Schutz, denn dessen Haltung im Dritten Reich sei einwandfrei gewesen. Gleichzeitig attackierte der Vorsitzende Minister Wagner scharf. Sein Name lautete – Ewald Zweig. Da Engler wie Zweig für die CIA arbeitete, ist der Zorn nachvollziehbar. Die Verhältnisse in Hessen waren seltsam, und Agententätigkeit scheint dort eine läßliche Sünde gewesen zu sein. Jeder wußte um alliierte Einflüsse in den Ministerien und niemand lehnte sich dagegen auf. Selbst im Falle der DDR bzw. der UdSSR war Toleranz offenbar nicht ungewöhnlich. Ziehen wir Bilanz zur Person von Paul Schmidt! Er sagte im Untersuchungsverfahren schwerlich die Wahrheit. Er muß seit der gemeinsamen Zeit in München über die zahlreichen Indizien für eine Agententätigkeit Ziebells zugunsten östlicher Geheimdienste Bescheid 164 165 166
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BA, B 137, Bd. 3508, Schreiben Knoops an Landrat Schaefgen (Trier), 21.10.1953. HHSt, Staatskanzlei, Abt. 502, Bd. 7853, Aktennotiz von Bartsch, 17.9.1952. Interview mit Schmidts Tochter Lotte, in: Oppenheimer, Leben, S. 8-15, hier: S. 10. Rätselhaft ist die Bemerkung von Lotte Schmidt, ihr Vater sei im November 1945 verstorben. Da sie zudem dessen Vornamen nicht nennt und den Nachnamen mit „Sch.“ abkürzt, scheint eine bewußte Verdunklung vorzuliegen. Wußte sie von dessen späterer dubioser Rolle im nachrichtendienstlichen Bereich? Jedenfalls ist eine Verwechslung ausgeschlossen. „Offenbach-Post“, 14.7.1950: „Scharfe Angriffe gegen Minister Wagner“.
Die Schmeisser-Affäre
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gewußt haben. Ebensowenig ist glaubhaft, daß er dessen kriminelle Neigungen gänzlich übersehen haben soll. Ziebell wollte sich zum Anwalt deutscher Interessen an der Saar stilisieren; Schmidt half ihm dabei. Er redete sich im Verhör wieder damit heraus, Ziebell sei deutscher Agent gewesen und habe daher etwa bei den Vernehmungen im Wiesbadener Polizeipräsidium seine Hilfe erhalten. Es kann schwerlich angenommen werden, er sei diesbezüglichen Vorspiegelungen Ziebells zum Opfer gefallen. Das spätere Abrücken Schmidts von ihm ist unglaubwürdig und nur der Vielzahl der nicht abzustreitenden Fakten zu verdanken. Er ließ ihm im LfV seit seinem Eintreffen Mitte 1951 freie Hand; mit Schmidts späterer Krankheit hatte dies nichts zu tun. Paul Schmidt besaß eine sozialdemokratische Grundgesinnung, aber Affinitäten zur KPD. Oft hatten Sozialisten und Kommunisten Seite an Seite gegen die NS-Diktatur gekämpft. Weder Schmidt noch seine von den Nazis ermordete Ehefrau Johanna Kirchner wollte die Einheit der Arbeiterklasse als sekundäres Ziel betrachten, wie manch andere in der SPD es mit gutem Grund taten. Die Lebensläufe von Schmidt und Kirchner waren zu sehr vom Duell zwischen „links“ und „rechts“ determiniert. Vielleicht hat Schmidt sich vorgenommen, alles zu tun, damit seine Gattin nicht umsonst gestorben war; allerdings ist dies in Anbetracht der Kurzlebigkeit dieser Beziehung nur eine Vermutung. Der Haß gegen weite Teile der deutschen Gesellschaft saß jedenfalls zu tief, um Spionage für ausländische Geheimdienste im vermeintlichen Interesse des Friedens nicht zur gefährlichen Verlockung werden zu lassen. Die saarpolitischen Aktivitäten des LfV Hessen werden von niemandem geleugnet. Wie kam aber ein LfV in Hessen dazu, sich um die Saar zu kümmern, die ganz offensichtlich für regionale Belange irrelevant war? Es liegt nahe, eine Inspirierung von ganz anderer Seite – also von Frankreich – anzunehmen. Wiesbaden lag in der ehemaligen amerikanischen Zone und war eine unauffällige Kontaktstation für französische Saar-Agenten. Es besaß zudem den Vorzug geographischer Nähe zu Mainz, das sich im französischen Einflußgebiet befand. Rechtsanwalt Heinrich Schneider konnte den Nachweis telefonischer Verbindungen zwischen der Hohen Kommission in Saarbrücken und dem LfV Wiesbaden führen. Diese dienten ganz offenkundig der Koordinierung subversiver Operationen gegen deutsche Interessen an der Saar. Als Ziebell in den betrügerischen Bankrott des Kaufhauses Walter verwickelt wurde, verweigerte das Amtsgericht Wiesbaden wohl nach Intervention des LfV eine Auslieferung. Schmidt gewährte Ziebell eine Rückzugsbasis in seinem Amt und ermöglichte ihm die Fortführung seiner Tätigkeit. Schmidt wußte durchaus, was Ziebell unternahm: Er stellte auf Wunsch Ziebells Schmeisser ein. Er erhob zudem keinerlei Einwände gegen dessen Entsendung nach Paris, mit der das LfV seine Befugnisse überschritt. Der Befragung Schmeissers im Wiesbadener Polizeipräsidium hatte Schmidt ausdrücklich zugestimmt, den Inhalt der Protokolle kannte er sehr wohl. Als John ihre Übersendung verlangte, zögerte er dies mit fadenscheinigen Argumenten hinaus, um Ziebell die Verwertung dieser Dokumente zu ermöglichen. Die in Vorbereitung befindliche Aktion gegen Blankenhorn sollte nicht gefährdet werden. Das Argument, weitere Recherchen seien notwendig, bildete lediglich einen Vorwand. Diese Ermittlungen – die Schmidt ohnehin nicht durchführte – wären von einer Weitergabe der Dokumente an das BfV nicht beeinträchtigt worden. Auf die von den prodeutschen Parteien an der Saar gegen ihn in die DSZ lancierten Anschuldigungen reagierte er erst spät mit juristischen Schritten; sie wirkten halbherzig und wurden nicht konsequent zu Ende geführt. Ganz offenkundig hatte er Weisung erhalten, rechtlich gegen die Kritik der saarländischen Opposition vorzugehen. Die Position, die Ziebell im LfV überlassen wurde, kann nur als befremdlich bezeichnet werden. Dies war keine persönliche Gefälligkeit. In einem LfV eine übel beleumundete
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Hessen - Die hessische Landesregierung in der Defensive
fremde Person nach Gutdünken mit dem Anstrich von Amtlichkeit walten zu lassen, ist geradzu hanebüchen. Wer ein LfV führt, muß dies in dem Bewußtsein tun, eine delikate Mission zu erfüllen, die ein Höchstmaß an Vorsicht und Diskretion erfordert. Die DSZ warnte die SPD-Spitze nach ihrem Frontalangriff auf die hessisch-saarländische Kamarilla vom Mai 1952 im August ausdrücklich vor Paul Schmidt, der ein „faules Ei“ sei. 168 Wie wir ermittelten, existierte tatsächlich eine persönliche Verbindung des Frankfurters Schmidt zur Saar: über seine zeitweilige Ehefrau Johanna Kirchner, die Saarflüchtlingen geholfen hatte. Das nationalsozialistisch regierte Saarland der späten 1930er Jahren vor Augen, förderte Schmidt die auf „Autonomie“ fixierte französische Saarpolitik. Man kann nachempfinden, wieso er alle Aktivitäten zu konterkarieren trachtete, die auf eine Rückgliederung der Saar in einen deutschen Nationalstaat abzielten. Gleichwohl bleibt ein fundamentaler Unterschied zwischen der deutschen Außenpolitik vor und derjenigen nach 1945, den Emigranten häufig ignorieren wollten. So gilt auch für Schmidt: Er förderte nolens volens eine national ausgerichtete französische Machtpolitik und kümmerte sich nicht um das Selbstbestimmungsrecht der saarländischen Bevölkerung. Es liegt nahe, folgende Aufgabenverteilung im LfV Wiesbaden zu vermuten: Ziebell führte nachrichtendienstliche Operationen durch, Schmidt schirmte ihn ab. Die Aufträge erteilten der französische und eventuell auch der sowjetische Geheimdienst. Für uns ist wichtig: Schmidt und Ziebell arbeiteten allem Anschein nach als französische Agenten zusammen. Selbst wenn Schmidt kein Doppelagent gewesen sein sollte – was indes wenig plausibel erscheint –, konnte er unmöglich Leiter des LfV bleiben. Schmidt wurde dann allerdings zum Bauernopfer, das der zuständige Innenminister gern erbrachte, um den eigenen Hals aus der Schlinge zu ziehen. Schuster unterstellte Schmidt am 20. Mai 1953 in einem Schreiben an Zinn eine Lüge, wenn er Ziebell unberechtigten Zugriff auf die Schmeisser-Unterlagen und eigenmächtige Kontaktaufnahme mit dem „Spiegel“ vorwarf. 169 Allein, Schuster war undurchsichtig und mochte es für vorteilhaft ansehen, nunmehr den in Ungnade gefallenen Schmidt zu belasten. Das Verschweigen der Protokolle und die Beziehungen zu Ziebell bewogen die hessische Landesregierung, Schmidt zum Ausscheiden aus dem Amt zu veranlassen. 170 Da Schmidt sehr krank war, gestaltete sich dies ohne Schwierigkeiten. Ende Januar 1953 wurde Schmidt aus gesundheitlichen Gründen von seinen Pflichten entbunden und Arno Maneck zum kommissarischen Leiter des LfV Wiesbaden bestellt. 171 Zinn und Zinnkann hatten keinen erkennbaren Anteil an den Intrigen, die im LfV Hessen geschmiedet wurden. Was ihnen angelastet werden muß, ist mangelnde Sorgfalt bei der Auswahl von Personen für verantwortungsvolle Posten und nachlässige Beaufsichtigung. Die Aktivitäten des LfV kümmerten den zuständigen Innenminister wenig. Er überließ diese Dinge seinem Ministerialdirektor Schuster, der eine zwielichtige Vergangenheit besaß und sich stets mit mehr oder minder deutlich artikulierten Vorwürfen auseinandersetzen mußte, die sein Verhältnis zur SED betrafen. Die Umtriebe französischer Agenten beim hessischen LfV blieben Zinn und Zinnkann verborgen und wurden von anderen Entscheidungsträgern nicht beachtet. Gerade wegen ihrer Nonchalance bei der Dienstaufsicht waren der Ministerpräsident und sein Innenminister nicht gut beraten, als sie nach dem „Spiegel“-Artikel sogleich das LfV in Schutz nahmen. Sie hätten sich erst gründlich informieren sollen, denn die Zeitungen 168 169 170 171
DSZ, Nr. 18, 30./31.8.1952: „Kirn trifft Defraudant Ziebell“. HHSt, Staatskanzlei, Abt. 502, Bd. 7853. PA/AA, B 130, Bd. 13796, Protokoll der Vernehmung Zinns in Wiesbaden, 8.12.1953, hier: S. 5. BA, B 106, Bd. 63037, Innenminister Hessen an BMI, 30.1.1953; „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 3.2.1953: „Neuer Leiter des hessischen Amtes für Verfassungsschutz“.
Die Schmeisser-Affäre
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prangerten die indiskutablen Zustände bei dieser Behörde und das Sammeln von fragwürdigem Material gegen die Bundesregierung mit einiger Schärfe an. Zinnkann suchte sein Heil in der Offensive, indem er Johns zögerliches Gebaren und die geringe Kooperationsbereitschaft der Bundesregierung tadelte. Dies mochte zutreffen, änderte aber nichts an den Unzuträglichkeiten in Hessen. Zinnkanns Rücktritt wäre gewiß die richtige Konsequenz gewesen. 8) IM DICKICHT DER AFFÄREN a) Eklat um den BDJ Der Fall Schmeisser war beileibe nicht das einzig spektakuläre Ereignis im Hessen der Jahre 1952 und 1953. Schon wenige Monate nach dem Artikel im „Spiegel“ überschlugen sich erneut die Ereignisse. Diesmal wurde die Lawine von Ministerpräsident Zinn losgetreten. Am 8. Oktober 1952 erregte eine Regierungserklärung Zinns im hessischen Landtag bundesweites Aufsehen. 172 Er verkündete, am 13. September sei durch Hinweise des LfV Hessen eine Partisanenorganisation ausgehoben worden, die bei einem Vormarsch der Roten Armee Operationen im Hinterland durchführen und „unzuverlässige“ Politiker von KPD und SPD liquidieren wolle. Dieser sogenannte „Technische Dienst“ des Bundes Deutscher Jugend (BDJ) habe sich mit amerikanischen Geldmitteln in Waldmichelbach im Odenwald auf diese Tätigkeit vorbereitet. Am 2. Oktober sei er (Zinn) von einem Vertreter der Amerikanischen Hohen Kommission darüber unterrichtet worden, daß im Mai die Auflösung dieser Organisation beschlossen und ihre Abwicklung eingeleitet wurde. Eine deutsch-amerikanische Untersuchungskommission solle die Vorgänge aufklären. Adenauer war von Zinn am 3. Oktober mündlich und am 7. Oktober schriftlich über sein Vorgehen gegen den BDJ unterrichtet worden. 173 Zinn sprach dabei von „verbrecherische[n] Elementen“. In den folgenden Wochen berichtete die regierungsnahe „Frankfurter Rundschau“ ununterbrochen über den BDJ und seine finsteren Ränke. 174 Der Bundestag debattierte am 23. Oktober 1952 über den BDJ.175 Dabei erwies sich, daß die Bundesregierung und die hessische Landesregierung über Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung für den Kriegsfall einschließlich der Ausbildung von jungen Deutschen an Waffen seit langem unterrichtet waren, aber nicht an Partisanentätigkeit gedacht hatten. Diese wurde einhellig abgelehnt. Innenminister Robert Lehr wollte freilich von einer Ächtung des BDJ nichts wissen, der im Kampf gegen den Kommunismus ein wichtiger Verbündeter sei und sich zum Grundgesetz bekenne. 176 Die Enthüllungen Zinns seien verfrüht gewesen und 172
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Wortlaut in: Dudek/Jaschke, Entstehung, Bd. 2, Dok. Nr. 67, S. 181-186. Dazu „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 9.10.1952: „Eine Geheimorganisation ausgehoben“; „Die Welt“, 9.10.1952: „Ministerpräsident Zinn: BDJ-‚Partisanen’ wurden ausgehoben“; „Der Spiegel“, Nr. 42/1952, 15.10., S. 6-8: „Partisanen: Alles für Deutschland“. Ferner: Rede Zinns im Bundestag, 23.10.1952, in: Verhandlungen BT, Sten. Ber., Bd. 13, S. 10811-10815; Dudek/Jaschke, Entstehung, Bd. 1, S. 356-388, und Bd. 2, Dok. Nr. 61-70; Müller, Gladio, Teil II; Goebel, Gladio, S. 64-76; von Glahn, Patriot; Kraushaar, Protest-Chronik, Bd. 1, S. 661-664; Buschke, Presse, Kap. 7; Hirsch, Rechts, S. 202-205; Walde, ND-Report, S. 58; Hagen, Krieg, S. 86-88; John, Zweimal, S. 239-243. BA, B 136, Bd. 4430, unpag., Schreiben Zinns an Adenauer, 7.10.1952; Reden Adenauers und Zinns im Bundestag, 23.10.1952, in: Verhandlungen BT, Sten. Ber., Bd 13, hier: S. 10810f. Dazu mit positivem Tenor: Buschke, Presse, S. 221-227. Zur „Frankfurter Rundschau“: Gäbler, Andere Zeitung. Verhandlungen BT, Sten. Ber., Bd 13, S. 10799-10834. Dazu „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 25.10.1952: „Das Wort hat jetzt das Gericht“ und „Lehr antwortet seinen Kritikern“. Verhandlungen BT, Sten. Ber., Bd. 13, S. 10804-10810.
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hätten zu unnötigen Irritationen in der Öffentlichkeit geführt. 177 Lehr verurteilte nur die Bestrebungen des „Technischen Dienstes“. Die SPD wollte von dieser Differenzierung nichts hören. Die „Liquidationslisten“ existierten, beschränkten sich aber laut Lehr auf Mitglieder der äußersten Rechten und Linken und waren mit einer „Personenkartei“ vermischt worden. Zinn konterte die Vorwürfe, indem er der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ankreidete, die Festgenommenen ohne sorgfältige Prüfung wieder auf freien Fuß gesetzt zu haben. 178 Die hessische Landesregierung habe der amerikanischen Hohen Kommission deshalb Einsicht in beschlagnahmte Dokumente verweigert, weil unter deren Verantwortung andere Teile der Unterlagen verschwunden waren. Otto John sei am 13. September in Wiesbaden gewesen, als der Schlag gegen den „Technische[n] Dienst“ erfolgte, und habe dem Schritt zugestimmt.179 Die inhaftierten Mitglieder des BDJ wurden am 12. November freigelassen, da der Bundesgerichtshof weder ein Mordkomplott noch Geheimbündelei für beweisbar hielt. 180 Kurz darauf wurde der gemischte Untersuchungsausschuß aufgelöst, denn Washington wollte keine amerikanischen Staatsbürger vernehmen lassen, und die hessische Landesregierung zögerte mit der Übergabe des ihr vorliegenden Materials. 181 Ein erstaunlich mildes und nichtssagendes Kommuniqué beendete am 18. November die Existenz dieses „hessischamerikanischen“ Ausschusses, bevor er mit seiner Arbeit richtig begonnen hatte. 182 Der BDJ wurde am 7. Januar 1953 vom hessischen Innenminister verboten. 183 Einige andere Bundesländer folgten diesem Schritt. 184 Die Frankfurter Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen gegen Führungspersonen des BDJ ein wegen des Verdachts der Bildung einer gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik gerichteten Vereinigung.185 Im April 1953 veröffentlichte die hessische Landesregierung ein Graubuch über den BDJ, in dem sie dessen Verbindungen zu staatlichen Stellen mit Dokumenten belegte. 186 Ein Untersuchungsausschuß des Bundestages gelangte am 1. Juli 1953 zu dem Ergebnis, die zuständigen Behörden hätten sich lange täuschen lassen und zu spät gehandelt. Die ursprünglich idealistische Organisation habe nämlich eine Entwicklung genommen, die für den inneren Frieden in Deutschland nicht unbedenklich gewesen sei. 187 Die Person des BDJVorsitzenden Paul Lüth geriet ebenfalls unter Beschuß. 188 Er hatte von 1945 bis 1947 der KPD angehört. Lüth war nach dem Krieg vom Gesundheitsamt in Groß-Gerau entlassen worden, weil er nur Medizinstudent war, sich aber als Arzt ausgegeben hatte. Das Betrugsverfahren gegen ihn wurde aufgrund einer Amnestie eingestellt.
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Justizminister Dehler nannte Zinns Vorpreschen „ungeschickt“ (ebd., S. 10815). Rede Zinns im Bundestag, 23.10.1952, in: Ebd., S. 10811-10813. John, Zweimal, S. 240f.; BA, B 136, Bd. 4430, Schreiben Zinns an Lehr, 16.10.1952. „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 14.11.1952: „Die letzten ‚Partisanen’ entlassen“. „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 17.11.1952: „Gescheitert. Der deutsch-amerikanische Partisanenausschuß“ und 18.11.1952: „Mußte die Untersuchung scheitern?“; „Die Welt“, 19.11.1952: „BDJUntersuchung suspendiert“; „Der Spiegel“, Nr. 49/1952, 3.12., S. 6-9: „Partisanen: Im Ernstfall froh“. Wortlaut in: Dudek/Jaschke, Entstehung, Bd. 1, S. 381; „Frankfurter Rundschau“, 20.11.1952: „Deutschamerikanische Erklärung zur Partisanen-Affäre“. BA, B 136, Bd. 4430, Schreiben des hessischen Innenministers an die Regierungspräsidenten, 7.1.1953. Vgl. „Frankfurter Rundschau“, 10./11.1.1953: „BDJ in Hessen verboten“. – Das Ostbüro der SPD half der hessischen Landesregierung mit Material (Buschfort, Ostbüro, S. 90). „Frankfurter Rundschau“, 14.1.1953: „BDJ in Niedersachsen verboten“. Dazu Dudek/Jaschke, Entstehung, Bd. 1, S. 382f. „Frankfurter Rundschau“, 15.1.1953: „Staatsanwaltschaft läßt BDJ-Führer überprüfen“. Aus der Sicht eines der Betroffenen: Paul Lüth, „Demokratie im Abbau. Die Praktiken des totalen Staates am Beispiel Hessen“, in: „Rheinischer Merkur“, 10.7.1953. „Neue Zeitung“, 30.4.1953: „Hessisches Innenministerium veröffentlicht Graubuch über BDJ“. Verhandlungen BT, WP I, Anlagen zu den Sten. Ber., Bd. 25, DS 4644. Dazu „Frankfurter Rundschau“, 20.7.1953: „Untersuchungsergebnisse über Vorgänge um den BDJ“. Zur Person Lüths: Müller, Gladio, S. 83-88; BA, B 106, Bd. 63056, Vermerk BMI, 18.11.1954.
Die Schmeisser-Affäre
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Bald war die Sache vergessen; im Ermittlungsbericht des Oberbundesanwalts vom September 1955 konnte kein rechtswidriges Verhalten des BDJ festgestellt werden, weil die amerikanische Besatzungsmacht die Ausbildung unter dem Eindruck des Koreakrieges gebilligt habe. 189 Verblüffenderweise scheint auch in dieser Sache Ziebell seine Finger im Spiel gehabt zu haben. Als Ziebell das Schmeisser-Protokoll aus dem Panzerschrank des LfV Wiesbaden entwendete, fielen ihm laut Hover weitere Unterlagen in die Hände. 190 Sie betrafen die antikommunistische Kampforganisation BDJ. Dessen Mitglieder wurden unter amerikanischer Aufsicht militärisch ausgebildet, um Putschversuche des Ostens zu vereiteln. Dabei fand sich auch eine Liste von verdächtigen Personen, die Ziebell kurzerhand in eine Liquidierungsliste umwandelte. Dieses brisante Material gab Ziebell dem Pressechef der Staatskanzlei, Bartsch, einem alten Widersacher von Schmidt. So konnte Ministerpräsident Zinn – Hover zufolge – die spektakuläre Enthüllung über eine militante Untergrundorganisation machen. Angesichts des öffentlichen Wirbels gestand die Regierung der Vereinigten Staaten zu, den BDJ aufzulösen – für Hover ein Triumph des Kommunismus. Schmidt wurde zum „Prügelknaben“, während Ziebell die Gunst der Stunde nutzte und das Schmeisser-Protokoll dem „Spiegel“-Journalisten Mans anbot... Hans Frederik, Journalist mit „KGB-Lizenz“, schildert diesen Vorgang auffallend ähnlich. 191 Ziebell habe die Proskriptionsliste der hessischen Staatskanzlei in die Hände gespielt, die dann aus parteipolitischen Erwägungen einen Eklat hervorrief. Verschiedene Nachrichtendienste hätten den in Hessen tonangebenden Amerikanern einen Streich spielen wollen, allen voran der sowjetische. Immerhin soll nach einer Fritz Heine zugegangenen Information 192 irgendwann im Laufe des Jahres 1952 von Paul Schmidt ein Schlag gegen den BDJ abgelehnt worden sein, weil er von der Führung wichtige Nachrichten erhalte. Als Schmidt sich in Bad Wiessee auskurierte, war die Bahn frei. Zu Jahresbeginn 1953 gab es noch einen weiteren bezeichnenden Vorfall: In mehreren Zeitungen wurde der Leiter des mit politischen Fragen betrauten 12. Kommissariats im Polizeipräsidium Frankfurt, Johann Roß, angegriffen. 193 Der Vorwurf lautete, er habe Geheimnisverrat betrieben und Spitzeldienste für die SPD und eine Gewerkschaft geleistet. Der Journalist Paul Kurbjuhn, laut „Frankfurter Rundschau“ ehemaliger Obersturmführer der SS, stützte sich bei seinen Anschuldigungen auf Angaben des früheren Kriminalsekretärs S., der von einer Kartei über die politischen Gegner der SPD sprach. Die regierungsfreundliche „Rundschau“ rückte S. freilich in die Nähe des BDJ. 194 Tatsächlich wurde S. im Zuge der Aktion gegen den BDJ inhaftiert, obwohl er dienstlich beauftragt gewesen sein soll, den BDJ auszuspionieren. Innenminister Zinnkann wies die Kritik an Roß am 15. Januar 1953 im Landtag zurück. 195 Die Kartei enthalte Informationen über Feinde der Demokratie. 196 Die „Rundschau“ ließ in ihren Bericht unerwähnt, daß Kriminalrat Roß laut Zinnkann eingeräumt 189 190 191 192 193
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BA, B 136, Bd. 4430, o.P., Schreiben BMG an Kanzleramt, 29.9.1955. Dazu auch Müller, Gladio, S. 139f. Hover, Fall Schmeisser, S. 43f. Frederik, Ende einer Legende, S. 122, 129, 131f. AdsD, SPD-PV. Bestand Ollenhauer, Bd. 458, Vermerk Heines, Einige Informationen, 16.1.1953. „Kasseler Post“, 8.1.1953: „Geheime Polizeizentrale leistet Spitzeldienste für SPD und DGB“; „Frankfurter Abendpost“, 9.1.1953: „Was ist wahr an der ‚neuen Gestapo’?“; „Rheinischer Merkur“, 16.1.1953: „SPD und ‚Neue Gestapo’. Wie im roten Lande Hessen gegen Bonn gearbeitet wird“. Dazu BA, B 136, Bd. 4430, Erklärung des ausgeschiedenen Kriminalsekretärs Helmut S. bei der Staatsanwaltschaft des Landgerichts Frankfurt a.M., 22.11.1951. „Frankfurter Rundschau“, 10./11.1.1953: „Kriminalrat Roß beantragt Verfahren gegen sich selbst“ und Karl Gerold, „Hessen greift zu“. Paul Lüth, „Polizeiskandal und kein Ende“, in: „Rheinischer Merkur“, 29.5.1953. Der Verfasser war Vorsitzender des BDJ gewesen. „Frankfurter Rundschau“, 15.1.1953: „Zinnkann entkräftet Vorwürfe gegen die Frankfurter Kripo“.
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habe, Nachrichten an den SPD-Parteivorstand übermittelt zu haben, bei denen es zumeist um kommunistische Tarnorganisationen gegangen sei. 197 Geheime Vorgänge seien davon nicht betroffen gewesen. Schließlich lief im Januar 1953 ein aufsehenerregendes Verfahren wegen Landesverrat gegen Anna Maria Knuth als Hauptangeklagte des sog. „Frankfurter Spionagerings“. 198 Auf der Anklagebank saßen auch ehemalige Mitarbeiter des Frankfurter Polizeipräsidiums... Just zu diesem Zeitpunkt setzte ein weiterer Skandal ein, von dem das LfV Wiesbaden erneut zentral betroffen war. b) Die Krüger-Affäre Die sog. Krüger-Affäre barg wiederum erheblichen Sprengstoff in sich; sie kann hier nur kurz skizziert werden. 199 Im Januar 1953 wurde der Referent Dr. Horst Krüger nach einjähriger Tätigkeit vom LfV entlassen. Bei einem anschließenden Gerichtsverfahren gegen ihn in Wiesbaden gab er an, die ihm zur Last gelegten homosexuellen Beziehungen zu einem minderjährigen Strichjungen in dienstlicher Funktion gepflegt zu haben. Er habe den Jugendlichen als V-Mann im Agentenmilieu eingesetzt, das sich nicht selten in homosexuellen Kreisen etabliere. Krüger war bereits einschlägig vorbestraft und wurde nun zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Als Reaktion auf die Anklage verfaßte Krüger eine Aufzeichnung 200, in der er sein Wissen über die Aktivitäten des LfV preisgab. Soweit es den Fall Schmeisser betrifft, haben wir daraus zitiert. Krüger erhob gegen Ministerialdirektor Schuster die Anschuldigung, Spionage für die Sowjetunion zu treiben. Er berief sich dabei auf Paul Schmidt, der ihm dies gesagt habe. Zudem sei der SPD-Parteivorstand vertraulich mit Informationen aus dem LfV versorgt worden. Der Streit zwischen Schuster und Krüger wurde 1956 (!) außergerichtlich beigelegt. Die hessische FDP hatte Schuster im August 1949 attackiert, weil er bis 1948 SEDOberbürgermeister von Bautzen gewesen sei. Er bestritt aber, dieses Amt je ausgeübt zu haben, da die Kommunisten es verhindert hätten. Er sei nur formal bis zu seinem Weggang aus der Ostzone 1948 Mitglied der SED gewesen. Seine Verhaftung habe unmittelbar bevorgestanden. 201 Erich Schuster informierte Zinn am 2. August 1956 über die Broschüre von Gerd Hover zum Fall Schmeisser. 202 In bezug auf ihn (Schuster) werde fälschlicherweise behauptet, Brill habe ihn ins Innenministerium eingeschleust. In Wirklichkeit sei er mit Brill 14 Tage nach seinem Dienstantritt dort zum erstenmal zusammengetroffen. Er sei im Sommer 1948 stellvertretender Vorsitzender der Rechtsanwaltskammer in Sachsen geworden, doch wegen seines Parteiausschlusses erhob die SED dagegen Einspruch. Im August 1948 habe er die Sowjetzone verlassen. Schuster bestritt dann, es auf eine vom LfV benutzte Villa in der Lessingstraße abgesehen zu haben und deshalb gegen Paul Schmidt gewesen zu sein. In einer Aktennotiz des SPD-Parteivorstands vom 18. Dezember 1953203 ging es um einen Bericht über Schuster, der vermutlich vom Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen in 197 198
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„Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 15.1.1953: „Vertrauensvotum für Zinn“. „Neue Zeitung“, 30.1.1953: „Staatsanwalt beantragt im Spionageprozeß hohe Zuchthaus- und Gefängnisstrafen“. Zum Fall Knuth: Hagen, Krieg, S. 201-220; Wehner, geheim, S. 269-296; Roewer/Schäfer/Uhl, Lexikon, S. 241. Der Verfasser wird eine separate Publikation darüber vorlegen. Auf Einzelhinweise wird hier verzichtet. Material u.a. in: BA, B 106, Bd. 15459; AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 1693B. BA, B 106, Bd. 15459, Manuskript von Dr. Horst Krüger, o.D. Material in: AdsD, SPD-PV. Sekretariat Fritz Heine, 2/PVAJ0000649. HHSt, Staatskanzlei, Abt. 502, Bd. 7853. Zur Broschüre und ihrem Hintergrund: Kap. VIII.5c. AdsD, NL Heine, Bd. 146.
Die Schmeisser-Affäre
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Berlin stammte. Zinnkann gegenüber wurde klargestellt, daß der Parteivorstand von den Ermittlungen Schmidts und Krügers gegen Schuster nichts gewußt habe. Von einer Auftragserteilung könne erst recht keine Rede sein. Man wolle Schuster den Bericht übergeben, der nicht ernstzunehmen sei. Es bedürfe jedoch eines Vertrauensverhältnisses auf Gegenseitigkeit. Noch immer werde dem Parteivorstand ungeachtet mehrfacher Bitten der Schmeisser-Bericht mit Angaben über eine Gesamtdeutsche Regierung und über Ollenhauer vorenthalten! 204 Zinnkann sagte zu, mit Zinn darüber zu sprechen. Als Schuster der erwähnte Berliner Bericht ausgehändigt wurde, bemerkte dieser, derartige Vorwürfe seien schon früher gegen ihn verbreitet worden. Der süddeutsche Korrespondent der „Zeit“, Hubertus Prinz zu Löwenstein, erwähnte am 12. Oktober 1952, Paul Schmidt habe einem Mitarbeiter der „Zeit“ gegenüber Erich Schuster beschuldigt, ein SED-Mann zu sein. 205 Löwenstein wollte freilich ein Ablenkungsmanöver Schmidts nicht ausschließen. Der US-Agent Risse erhob in seiner Broschüre von 1956 unter dem Pseudonym Hover ähnliche Vorwürfe gegen Schuster, der von Brill in das hessische Innenministerium eingeschleust worden sei. 206 Ein Beweis für solche Behauptungen müßte erst erbracht werden. Der Chefredakteur der „Frankfurter Rundschau“, Karl Gerold, würdigte am 14. November 1953 das gründliche Aufräumen der hessischen Landesregierung im LfV als „staatspolitisches Verdienst“. 207 Er sparte dabei nicht mit Kritik an den Verhältnissen im Amt zur Zeit von Paul Schmidt, der „unsichere Elemente (...) bis in die asoziale Sphäre angestellt“ habe. Zudem habe er der SPD spezielle Informationen über Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Hessen zukommen lassen. Der Pressechef des SPD-Parteivorstands, Fritz Heine, habe dabei keine gute Figur gemacht. Gerold lobte die Landesregierung, die beim Ausmisten des Augiasstalles parteipolitische Erwägungen zurückgestellt habe. Die FDP wollte das LfV unter Hinweis auf die Affären Schmeisser und Krüger sowie die Bespitzelung von Max Becker und August Martin Euler 208 ganz abschaffen, worüber der Landtag zu befinden hatte. Die „Rundschau“ lobte deswegen vorab den Reformeifer der Landesregierung, womit das Auflösungsbegehren der FDP abgeschwächt wurde. Zugleich war in der Presse gerade wieder Kritik an der Landesregierung wegen der Krüger-Affäre aufgebrandet: „Wer schützt uns vor dem hessischen Verfassungsschutz?“, fragte der scharfzüngige „Rheinische Merkur“ maliziös. 209 Dies entlockte dem regierungsnahen Frankfurter Blatt eine wenig überzeugende Apologie. Der abgehalfterte Schmidt konnte ohne Bedenken attackiert werden. Die Kritik an Fritz Heine dürfte auf Rivalitäten zwischen dem Bonner Parteivorstand um Erich Ollenhauer und der hessischen SPD-Spitze um Zinn zurückzuführen sein. Am 16. Dezember 1953 wies der hessische Landtag mit den Stimmen von SPD und BHE den Antrag der FDP 210 ab, das bestehende LfV aufzulösen. 211 FDP und CDU wollten eine 204 205 206 207 208 209 210 211
Dieser Bericht ist bis heute nicht auffindbar. Vgl. auch Anm. 126. BA, B 137, Bd. 16540, Schreiben Löwensteins an Kresse, 12.10.1952, hier: Nachschrift. Hover, Fall Schmeisser, S. 60. Karl Gerold, „Reiner Tisch in Wiesbaden. Hessische Regierung und Fall Verfassungsschutzamt“, in: „Frankfurter Rundschau“, 14.11.1953. Euler scheint vom LfV Wiesbaden 1952 observiert worden zu sein, weil er Kontakte zum BDJ unterhielt (Material in: AdsD, NL Heine, Bd. 146). „Rheinischer Merkur“, 13.11.1953: „Gefährliche Geduld. Wer schützt uns vor dem hessischen Verfassungsschutz?“ Hessischer Landtag, II. WP, DS Abt. I, Bd. 3, Nr. 822: Initiativ-Antrag der Fraktion der FDP bestreffend den Entwurf eines Gesetzes über die Auflösung des Landesamtes für Verfassungsschutz. Ebd., DS Abt. III, Bd. 3, S. 2332-2346; „Frankfurter Rundschau“, 17.12.1953: „Hessisches Verfassungsschutzamt wird nicht aufgelöst“; „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 17.12.1953: „Debatte über
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Hessen - Ziebells Gegenspieler: Friedrich Victor Risse
Überweisung in den Ausschuß erreichen, um die aufgetretenen Mißstände dort klären zu können. Zinnkann sagte im Plenum, die Fehlentwicklungen seien erkannt und beseitigt worden. Klar ist: die hessische Landesregierung hatte 1952/53 den regionalen Verfassungsschutz nicht im Griff. Sicherlich gab es in diesen Jahren überall Schwierigkeiten mit eingeschmuggelten Agenten und Verbindungsleuten der Alliierten, deren Loyalität zuvörderst ihrem auswärtigem Auftraggeber gehörte. Die Zustände in Wiesbaden spotteten aber jeder Beschreibung. Als Zinn im Oktober 1952 die Partisanen des BDJ effektvoll angriff, wollte er vor allem ablenken von den überhand nehmenden Affären in seinem Bundesland. 212 Inzwischen wurde zwar festgestellt, daß der stramm antikommunistische BDJ als Vorläufer zu einem geheimen paramilitärischen Netzwerk der NATO namens „Gladio“ gehörte. 213 Nichtsdestoweniger wurde der Fall BDJ von der hessischen Landesregierung aufgebauscht, denn die Bereinigung der Mißstände hatte bereits begonnen. Aber auch in dieser Sache gab es offensichtlich eine Fremdsteuerung: Der allgegenwärtige Ziebell scheint die Unterlagen in die Hände der Staatskanzlei lanciert zu haben, um den in Hessen tonangebenden amerikanischen Geheimdienst zu schwächen. Der BDJ wurde bekanntlich von der CIA gefördert. Ziebells Intrige lag im Interesse sowjetischer und französischer Kräfte, die um ihren jeweiligen Einfluß in Wiesbaden rangen. Das mißfiel einem dezidierten Antikommunisten, der Ziebell schon in München kennengelernt hatte: Friedrich-Victor Risse. 9) ZIEBELLS GEGENSPIELER: FRIEDRICH VICTOR RISSE Was in Hessen vorging, wurde aus nächster Nähe von einer anderen Person beobachtet, die sich in der Agentenszene bestens auskannte. Am 24. Juli 1952 traf im Kanzleramt eine mit „Amicus“ unterzeichnete Aufzeichnung ein, die über die Hintergründe der Schmeisser-Affäre in Hessen berichtete. 214 Die Machtverhältnisse dort seien folgende: Das hessische Innenministerium übe maßgeblichen Einfluß auf das LfV Wiesbaden aus. Die entscheidende Figur sei nicht der unbedeutende Minister Zinnkann, sondern Ministerialdirektor Erich Schuster. Dieser aus Bautzen stammende Mann wolle erreichen, daß der Weg der SPD nach Bonn über Wiesbaden führe. Alle nachrichtendienstlichen Informationen liefen bei Schuster zusammen, der sie fraglos zur SPD-Parteizentrale nach Bonn weiterleite. Schuster orientiere sich auch über SPD-Politiker, um gegen Kritiker in den eigenen Reihen gewappnet zu sein. Der Leiter des LfV, ORR Schmidt, sei ein „kranker Schwächling“ und ein „Dummkopf“, der Schuster nicht gewachsen sei. Die CDU in Hessen schweige zu alldem. Sie müßte die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses verlangen, der zu klären hätte, wer Schmeisser den Auftrag gab (und ihn dafür bezahlte), im Ausland Material gegen den Kanzler zu sammeln. Dies sei im übrigen eine Überschreitung der Kompetenzen eines LfV. Eine Unterkommission müßte die gesamten Umtriebe Schusters prüfen. Zinn dürfte die Sache
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das Verfassungsschutzamt“; „Wiesbadener Kurier“, 17.12.1953: „Landtag lehnt Reform im Verfassungsschutz ab“. Für Dudek/Jaschke ging es hingegen der SPD um volle Aufklärung, der CDU/CSU und der FDP um Verschleierung der Zusammenhänge, da diese Parteien dem antikommunistischen Kampf des BDJ mit Sympathie gegenübergestanden hätten (Dudek/Jaschke, Entstehung, Bd. 1, S. 381f.). Ähnliche Sicht bei Buschke, Presse, S. 214f., 238-241. Dazu mit dramatisierender Tendenz: Mecklenburg (Hrsg.), Gladio, bes. dessen einleitender Essay; Müller, Gladio, Teil II. Müller zufolge ging Zinn in die Öffentlichkeit, damit ihm niemand „Verdunklung“ vorwerfen könne (ebd., S. 144f.). Zur Aufdeckung von „Gladio“ im November 1990: „Der Spiegel“, Nr. 47/1990, 19.11., S. 18-21, und zum BDJ Nr. 48/1990, 26.11., S. 73. BA, B 136, Bd. 241.
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unangenehm sein, sonst wäre er nicht sofort mit seinem „ahnungslosen Innenminister“ nach Bonn gefahren. Gerade im Hinblick auf die nächste Bundestagswahl müßte im roten Hessen im genannten Sinne vorgegangen werden. Mit einiger Wahrscheinlichkeit handelte es sich bei „Amicus“ um Friedrich Victor Risse. Wer war dieser Mann, der uns schon in Bayern begegnet ist? Friedrich Victor Risse wurde 1904 als Sohn des Kapellmeisters Adam Franz Friedrich Risse und seiner Frau Henriette geb. Behnen in Saarbrücken geboren und wuchs dort auch auf. 215 Er machte etwa 1918/19 die Bekanntschaft des Oxforder Professors Samuel Darwin-Fox, eines Großneffen von Charles Darwin. Dieser arbeitete in den 1920er Jahren als Publizist und britischer Agent in Berlin. Darwin-Fox vermittelte Risse die Bekanntschaft von Regierungsrat Dr. Bernhard Weiss, dem Leiter des Referates für den Schutz der Republik im Auswärtigen Amt. Von 1923 bis 1925 war er dort in der Nachrichtensammlung als Volontär beschäftigt. Anschließend reiste Risse gemeinsam mit Darwin-Fox zur Beschaffung von Informationen durch Europa. 1928 zog er wieder an die Saar und arbeitete für Kommissar Lenhard in der „politische(n) Fahndung“ der Saarbehörden. Was tat er dort? Risse leitete die Bezirksstelle Hostenbach der separatistisch orientierten Saarländischen Wirtschaftsvereinigung (SWV), an deren Spitze mit Edgar Hector der prominenteste Verfechter der frankophilen Kräfte stand. 216 Risse war unzufrieden mit der Zielsetzung des SWV, nach der Übergangsphase eines unabhängigen Saarlandes die Region Frankreich anzugliedern. Im Juni/Juli 1934 schieden Risse und einige Gesinnungsgenossen aus dem SWV aus und gründeten einen „Saarländischen Bürgerblock“. 217 Er propagierte einen eigenen Saarstaat, blieb aber ohne großen Anhang. Die Parteivorsitzenden Hans Hoffmann und Victor Risse sollen dabei auch Kontakte zur Gestapo unterhalten haben. 218 Risse soll Propagandaleiter der Status-quo-Bewegung gewesen sein, die eine Rückgliederung der Saar an Hitler-Deutschland vereiteln wollte. Risse emigrierte 1935 nach Frankreich und ging bis September 1940 zur Fremdenlegion. Als er von Marokko nach Deutschland zurückkehrte, wurde ein Hochverratsverfahren gegen ihn eingeleitet, das ergebnislos blieb. Die Gestapo nahm ihn in Schutzhaft. Risse kam ins Arbeitslager Kislau bei Bruchsal. Als er Ende Juli 1941 freigelassen wurde, sollte er in Verbindung mit der deutschen Abwehr treten. Statt dessen nahm er die Stelle eines Geschäftsführers des Winzervereins Niederhausen an der Nahe an. Er ließ sich dabei Veruntreuungen zuschulden kommen. Ein Gleiches passierte bei der Weinfirma E. in Windesheim, wo er als Beauftragter des nationalsozialistisch dominierten Weinbauwirtschaftsverbandes auftrat. 219 Risse wohnte von 1942 bis 1945 unter verschiedenen Adressen in Bad Kreuznach, wohin seine Eltern von Saarbrücken übergesiedelt waren. 220 Im April 1942 heiratete Risse eine Niederländerin. Er wurde im Mai 1942 zur Wehrmacht eingezogen und nach Kaiserslautern beordert, Ende des Jahres aber wieder entlassen. Gerade erst Buchhalter bei einer zur IG Farben gehörenden Firma in Stromberg/Hunsrück geworden, geriet er im April 1943 in Koblenz erneut in die Fänge der Gestapo. Man warf ihm vor, gegen die Interessen des Deutschen Reiches zu wirken. Im August 1943 brachte man ihn in das Konzentrationslager Buchenwald. Nach dem Zeugnis von Mithäftlingen soll sein Verhalten 215
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AdsD, NL Knothe, 1/WKAE000007, Lebenslauf Risses, 11.9.1950; Ebd., Sammlung Personalia, Bd. 2468, Betrifft: Friedrich Victor Risse; Stadtarchiv Bad Kreuznach, Meldebogen „Risse, Friedrich Viktor“. Knappe Angaben bei Frederik, Ende einer Legende, S. 124. – Während Risses eigene Schilderung naturgemäß mit Vorsicht zu genießen ist, beruht das Aktenstück aus der „Sammlung Personalia“ auf amtlichen Dokumenten aus München und Bad Kreuznach. Lempert, „Das Saarland den Saarländern!“, S. 304. Ebd., S. 314f. Ebd., S. 329f., 340-342. AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 2468, Betrifft: Friedrich Victor Risse, hier: S. 13-16, 23f., 27. Stadtarchiv Bad Kreuznach, Meldebogen „Risse, Friedrich Viktor“.
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dort tadellos gewesen sein. Nichtsdestoweniger gibt es verschiedene Aussagen, die ihm Beziehungen zur Gestapo unterstellen.221 Seine Ehe wurde Risse zufolge im August 1944 wegen der nicht vorhersehbaren Inhaftierung annulliert. 222 Die US-Armee befreite ihn 1945 in Buchenwald. Im April 1945 kehrte er nach Bad Kreuznach zurück und wurde vom CIC und dem Stadtkommandanten zum kommissarischen Bürgermeister berufen. 223 Dieses Amt behielt er nur bis zum 6. Juni. Der örtliche CIC setzte ihn am 5. Juli 1945 als Leiter einer „Politischen Erforschungs-Polizei“ ein. Er avancierte zum „Regierungsrat“. Die französische Sûreté gab ihm eine analoge Stellung, nachdem amerikanische Besatzungstruppen von französischen abgelöst worden waren. Er zerstritt sich aber seiner eigenen Schilderung zufolge mit Separatisten, die ihn als Kriegsverbrecher denunzierten und ihm vorwarfen, im KZ ausländische Mithäftlinge mißhandelt zu haben. Jedenfalls wurde er am 4. August von der französischen Militärregierung verhaftet und erst am 24. Januar 1946 wieder auf freien Fuß gesetzt. General Ganeval und weitere ehemalige Gefangene aus Buchenwald hätten die Anschuldigungen gegen ihn als Lügen entlarvt. Risse erhielt das Angebot, für das Deuxième Bureau zu arbeiten. Er floh statt dessen im Januar 1946 in die amerikanische Zone 224 und meldete sich beim CIC Bad Nauheim, dessen Chef früher in Bad Kreuznach gewesen war. Er wurde zum Hauptquartier des CIC nach München geschickt und arbeitete nun für die Militärregierung in Bayern. Am 1. April 1946 erhielt Risse eine Position im bayerischen Sonderministerium und leitete das Dezernat für Großfälle. Nach der Amtsübernahme durch Alfred Loritz schied Risse im Januar 1947 aus dem Sonderministerium aus. Er behielt bis 1949 Kontakt zu amerikanischen Dienststellen. Risse charakterisierte sich selbst als „Spezialisten im Abwehrkampf gegen den Bolschewismus“. 225 Ungeachtet seiner Tätigkeit für ausländische Geheimdienste habe ihm stets daran gelegen, die deutschen Interessen zu fördern. Paul Schmidt vergalt Risse seinen früheren Beistand, indem er ihn nach Hessen rief. 226 Dort setzte „Clemens“ seine Mission fort – die Zerstörung des „weltumspannenden Agentennetzes“ der „Kommune“.227 Schmidt unterschätzte zwar Risses Meinung nach die Bedeutung dieses „Apparates“, half ihm aber nach Kräften. Es existiert ferner ein Bericht des Polizeiamts Bad Kreuznach über Risse vom 31. Mai 1955 228, der die genannten Angaben für seine dortige Zeit bestätigt. Er sei als Bürgermeister überheblich aufgetreten, habe zwielichtige Elemente beschäftigt und seine Wohnung mit wertvollen Möbeln ehemaliger Nationalsozialisten ausstaffiert. Risse versetzte Stadtverwaltung und Bevölkerung „in eine wahre Angstpsychose“. Risse entließ mehrere städtische Angestellte, die später vor Gericht gegen den vermeintlichen Willkürakt des kommissarischen
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AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 2468, Betrifft: Friedrich Victor Risse, hier: S. 22-25; Ebd., Notiz, Betr.: 260, 13.9.1952. Glaubwürdiger ist als Anlaß der Trennung, daß er seiner Frau „gewerbsmäßige Unzucht“ unterstellte und ihre Verhaftung verlangte (ebd., Betrifft: Friedrich Victor Risse, hier: S. 19). „Öffentlicher Anzeiger“ Bad Kreuznach, 26.4.1945 (Sonderausgabe): „Der neue Bürgermeister in Bad Kreuznach“. Wiederabdruck in der Ausgabe vom 11.8.1982 (freundliche Auskunft von Frau BlumGabelmann, Stadtarchiv Bad Kreuznach, 16.8.2006). Er galt in Bad Kreuznach seit dem 15.8.1945 als „ohne Abm[eldung] verzogen“ und war seit 5.12.1946 unter einer Adresse in München bekannt (Stadtarchiv Bad Kreuznach, Meldebogen „Risse, Friedrich Viktor“). AdsD, NL Knothe, 1/WKAE000007. Hover, Fall Schmeisser, S. 26f. Dies bestätigt Frederik, Ende einer Legende, S. 124. Hover, Fall Schmeisser, S. 31-35. HHSt, Staatskanzlei, Abt. 502, Bd. 7853, und BA, NL Brill, Bd. 48. Ein in der Osterausgabe (4. bis 6. April) des Jahres 1953 im „Öffentliche[n] Anzeiger“ Bad Kreuznach erschienener Erinnerungsbericht eines Zeitzeugen (Carl Adolph, „Nach 1945. Erinnerungen aus jenen Tagen“) bestätigt das schroffe und herrische Gebaren Risses und dessen plötzliches Verschwinden aus der von ihm requirierten Villa (freundliche Mitteilung von Frau Blum-Gabelmann, Stadtarchiv Bad Kreuznach, 11.8.2006).
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Bürgermeisters vorgingen. 229 Nach wenigen Monaten löste der amerikanische Stadtkommandant das Büro seiner „Informationspolizei“ auf, beschlagnahmte die Akten und stellte Risse unter Hausarrest. Als die französischen Besatzungstruppen im Juli 1945 die Amerikaner ablösten, erhielt Risse dank seiner früheren Zugehörigkeit zur Fremdenlegion seine alte „Informations“-Aufgabe zurück, die er nun mit mehreren Angestellten von seiner Wohnung aus betrieb. Am 8. August wurden er und seine geschiedene Frau von den Franzosen verhaftet, weil er angeblich als Capo-Mann im Konzentrationslager für die Erschießung französischer Häftlinge verantwortlich gewesen war. Anfang 1946 ließ man ihn zwar laufen, er sollte sich aber täglich melden. Risse ergriff sofort die Flucht. Seit dem 15. Februar 1946 war Risse in der Münchner Pliganserstraße gemeldet, ab Dezember in Geiselgasteig 230, wo sich bekanntlich Ziebell eine Villa aneignete. Im Dezember 1946 tauchte der bayerische Staatsanwalt Wieland in Bad Kreuznach auf, um sich über Risse zu erkundigen. 231 Dieser war nämlich mittlerweile im bayerischen Sonderministerium tätig. Außerdem ermittelte die Staatsanwaltschaft Koblenz gegen Risse u.a. wegen Freiheitsberaubung und Diebstahl. Bei einer Haussuchung im Januar 1947 fand die bayerische Polizei Akten und Stempel des Sonderministeriums.232 Erstaunlicherweise betätigte er sich in der Folge für die CSU in der Nachrichtenbeschaffung, wurde aber rasch gefeuert, weil er zuviel auf „Gesellschaftsklatsch“ gab. 233 Im Jahre 1948 verbüßte Risse in München eine sechsmonatige Gefängnisstrafe wegen Schwarzhandel. 234 Dagegen gelang es 1949 nicht, ihn des Rauschgiftschmuggels zu überführen. In Geiselgasteig wohnte Risse nominell bis zum Februar 1954, um nach kurzem Zwischenspiel in der Siegmundstraße für einige Monate unbekannt zu verziehen. 235 Schon im Juni kam er nach München zurück, logierte fünf Monate in der Liebherrstraße, dann ab November 1954 offenbar bis zu seinem Tode am 7. Juni 1973 in der Gewürzmühlstraße, die im Herzen der bayerischen Hauptstadt liegt. Die Quellen differieren nur in Nuancen. Sie bieten ein klares Bild: Risse war eine robuste Person, der ideologisch dem Nationalsozialismus wenig abgewinnen konnte, da er eher für Frankreich Sympathien hegte. Der eigene Vorteil blieb für ihn freilich von maßgeblicher Bedeutung. Als die Franzosen auf Gesetzesübertretungen Risses aufmerksam wurden, wechselte er ins Lager der Amerikaner. Dies kam ihm insofern entgegen, als er sich zum „Kommunistenfresser“ entwickelt hatte und mit dieser Einstellung eher bei CIC oder CIA als beim französischen Geheimdienst reüssieren konnte. Wir haben früher festgestellt, wie er im bayerischen Sonderministerium für Entnazifizierung unter den KP-Mitgliedern „aufräumte“. Eine Beurteilung aus Geheimdienstkreisen fällt eindeutig aus: „Er ist Nachrichtenschwindler und völlig unglaubwürdig.“ 236 Das gilt beileibe nicht nur für Risse. Der oben genannte Lebenslauf Risses diente zur Bewerbung beim Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln. 237 Risse ließ sich am 16. September 1950 gegenüber dem hessischen SPD-Vorsitzenden Willy Knothe des näheren darüber aus. 238 Die Übersendung an Ministerialrat Rudolf Merz erfolgte nach einer Aufforderung von Paul Schmidt. Merz hatte 229
230 231 232 233 234 235 236 237 238
R[ichard] W[alter], „Bad Kreuznachs erster OB nach dem Krieg hieß Viktor Risse“, in: „Öffentlicher Anzeiger“, 11.8.1982 (freundliche Mitteilung von Frau Blum-Gabelmann, Stadtarchiv Bad Kreuznach, 16.8.2006). Freundliche Auskunft von Herrn Archivamtsrat Anton Löffelmeier, Stadtarchiv München, 23.8.2006. Vgl. den in Anm. 228 zitierten Bericht des Polizeiamts Bad Kreuznach. AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 2468, Betrifft: Friedrich Victor Risse, hier: S. 32. Ebd., Notiz, Betr.: 260, 13.9.1952. Ebd., Betrifft: Friedrich Victor Risse, S. 31. Vgl. Anm. 230 (auch für das Folgende). AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 2468, Notiz, Betr.: 260, 10.9.1952. AdsD, NL Knothe, 1/WKAE000007, Schreiben Risses an Merz, 11.9.1950. Ebd. (auch für das Folgende).
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Risse inzwischen angerufen und ihm gesagt, der Lebenslauf sei dürftig, und es fehlten Belege. Risse war völlig entsetzt über diese Aussage und schimpfte über die Ahnungslosigkeit von Merz, denn ein Mann des Nachrichtendienstes könne doch seine Quellen oder die Namen seiner Auftraggeber nicht nennen. Ein sowjetischer Spitzel könnte längst in Köln sitzen. Schon das offene Schreiben an Merz verstoße gegen alle Regeln und geschehe nur im Vertrauen auf „Paul“. Mit solchen Methoden werde das BfV ohnehin keine professionellen Nachrichtendienstler finden. Bürokratische Formalitäten eigneten sich nicht für diesen Bereich. Man sollte lieber Bewerber probeweise arbeiten lassen. Risse teilte dem „lieben Willy“ mit, er habe bewußt verschwiegen, daß höchste Stellen in Washington ihn unter die Lupe genommen hätten, desgleichen die bayerische politische Polizei und ein Landtagsausschuß in München infolge der Vorgänge um die Wahl des bayerischen Ministerpräsidenten. Er verstand ohnehin nicht, warum Schmidt ihn nach Bonn abschieben wolle, anstatt ihn in Hessen zum Wohle der SPD arbeiten zu lassen. Am 27. September 1950 wandte Risse sich erneut an Knothe. Er begrüßte die Absicht, die Sache mit Schumacher („Kurt“) zu besprechen. Inzwischen hatte Risse in Erfahrung gebracht, daß Merz 239 ein „verknöcherter Beamter“ sei, dem jede nachrichtendienstliche Praxis fehle. „Paul“ habe offenbar eine „Niete“ im Kölner Amt plaziert. Die SPD dürfte von Merz nicht die erhofften Informationen erhalten. Risse kritisierte Schmidt ferner, weil er seine persönliche Situation in Hessen falsch dargestellt habe. Er habe nicht gesagt, daß er „dem langsamen und ängstlichen Innenminister Zinnkann“ unterstellt sei. Just bei diesem wollte Risse 1947 einen Nachrichtendienst aufbauen, doch Zinnkann habe aus Furcht vor der KPD gekniffen. Risse klagte, die SPD scheine hauptsächlich aus Postenjägern zu bestehen, bei denen Könner nichts zählten. Wenn Schmidt und Zinnkann eine kasernierte Schutzpolizei bekämen, wären sie völlig überfordert. Die KPD erwäge inzwischen, ihr Hauptquartier von Düsseldorf nach Wiesbaden zu verlegen. Risse regte an, mit ihm (Knothe) zusammen den Laden in Hessen „auf Vordermann zu bringen“ und die SPD-Hochburg zu halten. Die Arbeit als Landesvorsitzender wäre mit gutem nachrichtendienstlichen Hintergrund einfacher. Schließlich bat er Knothe um ein Gutachten an das BfV über seine Person, weil er ihn als Referenz angegeben habe. Offenbar wurde Risse „freier Mitarbeiter“ des BfV. 240 In der Rückschau meinte er, Schmidt habe seinen Kampf gegen die „Kommune“ künftig allein ausfechten und ihn deshalb aus Hessen entfernen wollen. Die französischen und sowjetischen Nachrichtendienste in Wiesbaden agierten eifrig gegen die „Kommunistenhatz“ (Hans Frederik). Dazu gehörte die Einschleusung des Doppelagenten Ziebell. John wiederum habe beabsichtigt, „Clemens“ zu bremsen, weil ihm dessen Antikommunismus mißfiel. 241 Er übernahm ihn deshalb ins BfV, wo seine Informationen über die „Kommune“ wenig Berücksichtigung fanden. Risse wurde ferner angeblich auf die Organisation Gehlen angesetzt 242, mit der John verfeindet war. John soll aber auch Schmeisser und Zweig zu Mitarbeitern des BfV gemacht haben. Schmeisser und Risse hätten Gehlens Privathaus am Starnberger See beobachtet und photographiert. Warum also trachtete Schmidt, Risse in Wiesbaden aus dem Weg zu räumen? Sicherlich nicht bloß, weil der erfahrene Agent ihn im Ringen mit der „Kommune“ bevormundete. Ziebell hatte Risse in München erlebt und sah in ihm einen gefährlichen Gegenspieler. Der 239 240 241 242
Zu Rudolf Merz: Roewer/Schäfer/Uhl, Lexikon, S. 294. Merz leitete 1950-1957 die Abt. III (Auswertung) des BfV. Er galt als „Vertrauensmann der SPD“ (Walde, ND-Report, S. 55). Hover, Fall Schmeisser, S. 35-37; Frederik, Ende einer Legende, S. 124f. Ebd., S. 129f. Dies bestätigte der KGB-Oberst Vladimir Karpow am 10.6.1969 im Gespräch mit Frederik (ebd., S. 545f.). Frederik schrieb aber im Auftrag des KGB. Seine Angaben bedürfen also stets einer Gegenüberlieferung, die hier fehlt. – Zur Feindschaft zwischen Gehlen und John: Kap. I.2.
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französische Geheimdienst wollte seine Bastion im LfV Wiesbaden konsolidieren, wobei Risse gerade im amerikanisch dominierten Hessen störte. Ziebell dürfte Paul Schmidt nahegelegt haben, Risse in Köln zu plazieren. Dort wollten die Geheimdienste der Alliierten ohnehin Repräsentanten einschleusen. Deshalb konnten sich auch CIC bzw. CIA mit einer solchen Rolle Risses abfinden. Ministerpräsident Zinn zog seine eigenen Folgerungen aus dem Fall Schmeisser und den Holprigkeiten seines Wiesbadener LfV. In einem Referat zum Thema „Verfassungsschutz“ in München am 6. Februar 1954 erklärte Zinn, das BfV sollte unabhängige Ermittlungen nur in besonderen Fällen durchführen, in der Regel dies aber den Landesämtern überlassen. 243 Unbedingt müsse das BfV vor eigenen Recherchen die Zustimmung des jeweiligen LfV einholen. Was in Hessen geschehen sei, dürfe sich nicht wiederholen: Das BfV habe gegen einen hohen Ministerialbeamten – also offenbar Erich Schuster – Material gesammelt, ohne den Dienstvorgesetzten – demzufolge Innenminister Zinnkann – davon zu unterrichten. Statt dessen sei der Vertreter einer politischen Partei (Heine?) persönlich informiert worden. „Denunziationen und Schnüffeleien“ dieser Art seien unerträglich. Anstatt die dubiosen Praktiken des LfV zu kritisieren, konzentrierte sich Zinn auf Otto John. Nichtsdestoweniger konnten die Bespitzelungsvorwürfe mit größerem Recht gegen das LfV Wiesbaden gerichtet werden. Ganz abgesehen vom Fall Schmeisser – Schmidt und Krüger hatten gegen Schuster ermittelt, nicht das BfV. Die Zustände im LfV Wiesbaden unter Paul Schmidt fielen in die Verantwortung der hessischen Landesregierung. Insofern zeugt Zinns forsche Sprache mitten im Dickicht peinlicher Affären von einiger Chuzpe. Allein, auch Bonner Institutionen und Persönlichkeiten waren neben dem „Spiegel“ und dem Agentenkreis in die Vorgeschichte von „Am Telefon vorsichtig“ verwickelt: der SPDParteivorstand, das BMG – und am Rande auch der stets wache Franz Josef Strauß.
243
BA, B 106, Bd. 63040, „Allgemeine Fragen des Verfassungsschutzes. Referat von Ministerpräsident Zinn in München“, 6.2.1954, hier: S. 12.
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VII.
BONN
1) RATLOSES SCHWEIGEN – DIE CDU/CSU UND DER FALL SCHMEISSER a) Der Mitwisser: Franz Josef Strauß In Bonn verbreitete sich rasch die Auffassung, an der Blankenhorn-Sache müsse etwas „dran“ sein. 1 Otto Lenz kommentierte den Vorgang am 8. Juli 1952 so: „Ich bin gespannt, wie die Sache ausgeht, da Blankenhorn nicht in Abrede stellen kann, daß er früher Beziehungen zu Schmeisser gehabt hat.“ 2 Ein gewisser „Severus“ informierte Lenz am 14. Juli 1952 auf einer Postkarte 3, der „Spiegel“ plane weitere gegen Blankenhorn gerichtete Veröffentlichungen. Das Magazin besitze Originalunterlagen und -quittungen von Blankenhorn über von Schmeisser empfangene Monatsgelder; darunter befänden sich geheime Kurzprotokolle des Parlamentarischen Rates. Jetzt könne die CDU sich noch von der Affäre distanzieren, aber bald werde es zu spät sein. Augstein ziele nicht auf Adenauer. Blankenhorn erinnerte in seiner „Dienstliche[n] Erklärung“ vom 29. Juli 1952 4 an die Befürchtung der Westalliierten im Jahre 1948, die Rote Armee könnte einen Vorstoß nach Westdeutschland unternehmen. In diesem Kontext habe er sich verpflichtet gefühlt, Levacher – den er für einen „französischen Verbindungsmann“ hielt – mit Material über kommunistische Umtriebe in Nordrhein-Westfalen und in der Sowjetzone zu versorgen. Was die Geldbeträge angehe, so fielen ihm nur zwei ein: 1) Etwa 900 DM, die für eine Entsendung von zwei Personen in die Ostzone vorgesehen waren. Der Plan wurde nicht ausgeführt, und Levacher erhielt die Summe zurück. Er mußte versprechen, den Beleg zu vernichten. 2) Ein weiterer Betrag von 400-500 DM war für Ruppert bestimmt; auch hier wurde eine Quittung ausgestellt. Ruppert sollte mit dem Geld Nachrichtenquellen über kommunistische Aktivitäten erschließen. Die Angaben Schmeissers über Wahlkampfgelder an die CDU seien frei erfunden. Die Engpässe der Parteien wurden schließlich durch Kredite der Landesregierungen überbrückt. Auch diese Thematik habe er mit Levacher nur en passant erörtert. Wenn Levacher gelegentlich in Blankenhorns Kölner Wohnung kam, brachte er Lebensmittel mit. Das erschien Blankenhorn nicht anstößig. Selbst innerhalb des Auswärtigen Amtes schreckte Blankenhorn also vor Dementis und Halbwahrheiten nicht zurück: Natürlich war Levacher ein Agent, nicht bloß ein „Verbindungsmann“ gewesen; erstaunlich ist ferner die falsche Angabe über das Ausmaß der Geldzahlungen Levachers für Ruppert. Lenz hielt am 28. Juli 1952 für den Kanzler fest, er habe mit Strauß vertraulich über Blankenhorn gesprochen. 5 Strauß sagte, der Verbindungsmann des „Spiegel“ namens Severus habe ihm die Photokopie einer Quittung gezeigt, die auf 200 DM lautete und von Blankenhorn unterzeichnet war. Nach Rücksprache mit Globke erkundigte sich Lenz ferner bei von Brentano. Blankenhorn hatte diesem gegenüber nur von einer Zahlung gesprochen, die 800 oder 900 DM betragen habe. Dieses Geld habe er zurückgegeben, als sich der Aufklärungsbesuch in Berlin zerschlug. Auch Strauß meinte, der „Spiegel“ trete offenbar an 1 2 3 4 5
John, Bild, S. 410. Antonius John war in Bonn Wirtschaftsjournalist und schrieb für das „Handelsblatt“ und den „Rheinischen Merkur“. Zentrum. Tagebuch Lenz, S. 389. BA, B 136, Bd. 241. Ebd.; PA/AA, B 2, Bd. 354A. BA, B 136, Bd. 241.
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Politiker heran und zeige ihnen belastendes Material. Erst vorgestern habe der SPDPressedienst ihn (Adenauer) und Blankenhorn scharf attackiert. Woher bezog Strauß sein Wissen? Der Hannoveraner Untersuchungsrichter Mollenhauer bat am 27. Februar 1954 das Amtsgericht Saarbrücken, Theo Matissek und Alois Masloh zu vernehmen. 6 Es sollte nach ihren Kenntnissen über den Fall Schmeisser-Blankenhorn gefragt werden. Treffe es zu, daß Politiker der CDU/CSU im Herbst 1951 mit dem Wunsch an sie herangetreten seien, eine Verbindung zu Schmeisser zu vermitteln? Ziebell hatte am 5. Dezember 1953 erwähnt, Matissek habe über seine und Schmeissers Aktivitäten Bescheid gewußt.7 Daraufhin verhörte der Saarbrücker Amtsgerichtsrat Wolff am 10. Mai 1954 Masloh. 8 Was den angeblichen Wunsch eines CDU/CSU-Politikers nach März 1951 betreffe, Schmeisser zu sprechen, so zweifelte Masloh daran. Dieser Zeuge hielt sich zurück. Die andere genannte Person zeigte sich auskunftsfreudiger. Am 23. April 1954 vernahm Wolff in Saarbrücken den Journalisten Theo Paul Matissek 9 (37). 10 Mollenhauer war im „autonomen“ Saarland nicht präsent. Wir wissen bereits, daß Schmeisser in depressiver Stimmung Matissek von seinen früheren Beziehungen zu Blankenhorn erzählt hatte. 11 Matissek hielt einen Teil dieser Behauptungen für glaubhaft. Er suchte deshalb anläßlich eines Besuches in Bonn im November 1951 einen führenden CSUPolitiker auf, der mittlerweile Minister sei. Er berichtete diesem von den angeblichen Kontakten Blankenhorns zu Schmeisser. Den Namen des Mannes wolle er nicht nennen. Es sei aber kein Politiker mit dem Ansinnen an ihn herangetreten, Verbindung mit Schmeisser in dieser Sache aufzunehmen. Matissek wurde am 9. Februar 1955 abermals von Amtsgerichtsrat Wolff befragt. 12 Diesmal nahmen Rechtsanwalt Prof. Dahs und die Gebrüder Augstein an dem Verhör teil, das in Homburg stattfand. Dabei wurde sofort über jenen CSU-Politiker gesprochen, den Matissek beim letzten Mal erwähnt hatte. Matissek gab an, diesem Mann von Schmeissers labilem Zustand berichtet zu haben. Wenn ihm ein vernünftiges Angebot gemacht werde, ginge er gewiß darauf ein. Matissek wurde nicht beauftragt, den Kontakt mit Schmeisser herzustellen. Der CSU-Politiker meinte, ein Angehöriger der deutschen Gesandtschaft in Paris solle das übernehmen. Matissek hatte den Eindruck, sein Gesprächspartner habe schon gewußt, daß Blankenhorn die Gefahr eines Skandals drohe. Ob dies nun wegen der Gelder aus dem Ausland oder wegen des Verrats militärischer Geheimnisse sein sollte, wußte Matissek nicht. Jedenfalls schienen dem Mann Blankenhorns Beziehungen nach Frankreich bekannt zu sein. Bei Gesprächen mit „Bundestagskreisen“ gewann Matissek den Eindruck, manch einem sei diese Angelegenheit zu Ohren gekommen. Es habe offenbar noch andere Primärquellen als Schmeisser gegeben. Alles schien einen „sehr realen Kern“ zu haben. Strohm warnte am 10. Dezember 1951 das deutsche Generalkonsulat in Paris vor Schmeisser. Falls er auftauche, solle man ihm gegenüber „vorsichtige Zurückhaltung“ beobachten. 13
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PA/AA, B 130, Bd. 13795. Ebd., Bd. 13798, Protokoll der Vernehmung Ziebells in München, 5.12.1953, hier: S. 4. Ebd., Bd. 13797. Nach den Personalnotizen des BMG wurde Matissek 1916 in Pudlau/Sudetenland geboren. Seit März 1948 war er beim Saarländischen Rundfunk tätig. Das Berlin Document Center konnte am 24.3.1955 keine Mitgliedschaft Matisseks in nationalsozialistischen Organisationen feststellen (BA, B 137, Bd. 3436). PA/AA, B 130, Bd. 13797. Diese Aussage gelangte auch zur Kenntnis von Heinrich Schneider (LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 448). Vgl. Kap. VI.1b. PA/AA, B 2, Bd. 354A, und B 130, Bd. 13797. PA/AA, B 2, Bd. 354A.
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Material aus dem Nachlaß von Heinrich Schneider zeigt, daß Matissek auf zwei Schultern trug und zumindest auch Kontakte zur DPS pflegte. 14 Boeckmann teilte einmal mit, der Journalist Theo Matissek sei sein Stellvertreter gewesen und habe auf den frankophil geprägten Inhalt mancher Sendungen „wesentlichen Einfluß“ genommen. 15 Anläßlich eines von Matissek verfaßten Artikels im Berner „Bund“ 16 wurde er von Schneider kritisiert und fertigte eine Niederschrift an, in der er auch auf die Schmeisser-Affäre einging.17 Matissek erwähnte darin seine schweren Kriegsverletzungen und seine Lungenkrankheit. Er sei im KZ gewesen, später für kurze Zeit in der SS und deshalb von den Amerikanern im österreichischen Linz interniert worden, wo er dann journalistisch arbeitete. An die Saar gelangte er angeblich nur durch Zufall; er habe stets versucht, seine Unabhängigkeit zu wahren. Masloh habe nur Agenteninformationen herbeigeschafft, mit denen journalistisch nichts anzufangen war. Ziebell deutete nach einigen Monaten seine Beziehungen zu französischen Dienststellen und zu de Gaulle an. Er (Matissek) wurde noch zwei Jahre als „Informationsquelle“ der Franzosen und von P 6 geführt, sei aber nicht aktiv gewesen. Wenn er sich recht entsinne, habe er den Agenten Schmeisser „zum Platzen gebracht“. Dahs berichtete Blankenhorn und Reifferscheidt am 14. Februar 1955 über die Umstände der Befragungen von Masloh und Matissek. 18 Nach den ersten richterlichen Vernehmungen am 9. Februar 1955 sollte Masloh vereidigt werden. Er erschien jedoch nicht. Auf einen Telefonanruf in seinem Dienstzimmer im Innenministerium hin erklärte er, keine Vorladung erhalten zu haben. Es fehle ihm gegenwärtig die Zeit, den Eid zu leisten. Masloh wurde im Innenministerium aufgesucht. Es bedurfte einiger Überredungskunst, ihn zu einer weiteren Aussage zu bewegen, da er zeitlich sehr in Bedrängnis sei. Schließlich gab er nach und leistete dann auch seinen Eid. Nach Auffassung von Dahs bestätigte Masloh, wie haltlos die Behauptungen des „Spiegel“ seien. Beide Prozeßparteien beantragten daraufhin, auch Matissek nochmals zu verhören, damit ihm Fragen gestellt werden könnten. Matissek weilte in der Lungenheilanstalt Homburg. Als er telefonisch eingewilligt hatte, fuhr die Gerichtsdelegation nach Homburg. Sollte der „maßgebliche CSU-Politiker“ und Bundesminister tatsächlich „unabhängig von Schmeisser etwas von ‚Zuwendungen der Franzosen’ gewußt“ haben, wäre dies ein wesentlicher Gesichtspunkt. Der Prozeßbeauftragte des „Spiegel“ sei über die Aussagen Matisseks sehr erfreut gewesen. Eine direkte Beteiligung Matisseks an den hier interessierenden Vorgängen ist nicht anzunehmen. Schmeisser erzählte ihm aber davon, weil er wieder einmal in einer Notlage steckte und depressiv war. Was Matisseks Rolle angeht, so ist sein Hinweis auf einen CSUPolitiker am wichtigsten. Ganz offensichtlich handelte es sich um Franz Josef Strauß, der daraufhin im stillen Gerangel um die Zukunft Blankenhorns kräftig mitmischte. Unter Zugzwang stand hingegen die hessische CDU, die hilflos im Nebel stocherte.
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Die prodeutsche Opposition war sich dessen bewußt und mißtraute Matissek (LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 448, 43 [H. Schneider], Eilnotiz für 64 [Kresse] und 70 [Perkuhn], o.D., sowie Aktenvermerk Abels, 24.9.1952). Vgl. auch Kap. IV.2b und VI.1b. LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 394, undatierte Notiz. „Der Bund“, 11.4.1956, Morgenausgabe: „Eine neue Saarpartei?“ LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 448, „Protokoll von Herrn Mattisek [sic] in Erwiderung und Beantwortung des Briefes, den Herr Dr. Schneider am 8. Mai 1956 im sogenannten Fall Mattisek an Herrn Senator Richard Becker gerichtet hat“, 9.6.1956. PA/AA, B 2, Bd. 354A.
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b) Die Zügelung der hessischen CDU Die CDU/CSU-Fraktion im hessischen Landtag 19 artikulierte keineswegs lautstark ihre Empörung über die Rolle, die das Land Hessen in der Schmeisser-Affäre spielte. Fraktionschef Erich Großkopf bat das Kanzleramt am 18. Juli 1952 um Material, weil er nach den Sommerferien im hessischen Landtag eine Aussprache zum Thema Schmeisser herbeiführen wolle. 20 Statt dessen schrieben Karl Kanka und Großkopf im Auftrag der Fraktion am 3. September 1952 „persönlich und vertraulich“ an Zinn. 21 Man wolle vorerst davon absehen, einen Untersuchungsausschuß zu fordern, denn die im Verborgenen zu leistende Arbeit des LfV könnte dadurch gefährdet werden. Allerdings müsse die CDUFraktion einige Fragen aufwerfen. Diese Fragen bezogen sich auf den Kenntnisstand der Landesregierung vor dem „Spiegel“-Artikel in bezug auf Schmeisser und Ziebell sowie auf die Bewertung des Verhaltens des LfV. Blankenhorn nahm die Bitte Großkopfs zum Anlaß, um am 22. August dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Heinrich von Brentano mitzuteilen, er halte den Zeitpunkt der Initiative nicht für glücklich. 22 Das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft sollte abgewartet werden – „sonst verwirren sich die Dinge“. Von Brentano ließ Blankenhorn am 4. September wissen, die Wiesbadener CDU-Fraktion wolle den Fall Schmeisser im hessischen Landtag zur Sprache bringen. Ihm leuchte die Notwendigkeit ein, von der hessischen Regierung Aufklärung über die Vorgänge im LfV Wiesbaden zu verlangen. Zudem planten die FDP und Zinnkann selbst ohnehin eine Behandlung des Themas im Landtag. Es erscheine daher ratsam, Großkopf über die Zusammenhänge zu unterrichten. Die FDPFraktion im hessischen Landtag beantragte am 29. August 1952 die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses 23, doch die Union wollte das Gerichtsverfahren abwarten und nur die personelle Zusammensetzung der Behörde durchleuchten; die im Landtag vertretenen Parteien verständigten sich darauf, einstweilen im Hauptausschuß einen Bericht der Landesregierung zu erbitten. 24 Von Brentanos Intervention in seiner hessischen Heimat fruchtete nichts. Großkopf wandte sich am 22. September an Adenauer. 25 Er erinnerte an seine Bitte, ihm Unterlagen für eine parlamentarische Erörterung zur Verfügung zu stellen. Ohne eindeutige Schriftstücke könne man nicht wirkungsvoll auftreten. Blankenhorn habe telefonisch zugesagt, eine gerichtliche Klärung werde im Dezember erfolgen. Dies erscheine völlig „irreal“. Globke erwiderte am 25. September, nach Auffassung des Kanzlers müsse zunächst die rechtliche Aufarbeitung abgewartet werden. „Nur das gerichtliche Verfahren bietet die Möglichkeit einer objektiven Klarstellung und richterlichen Würdigung.“ Auf dieser Basis könne das Thema wirkungsvoller im Landtag behandelt werden. Die dadurch erfolgende Verzögerung müsse in Kauf genommen werden. Die hessische CDU war damit zur Untätigkeit verdammt. Erst am 6. Oktober 1955 griff Großkopf den Fall Schmeisser in einem Einschreibebrief an Adenauer wieder auf. Die hessische Landesregierung habe damals eine offizielle Regierungserklärung vermieden. Ministerpräsident Zinn teilte seinerzeit in einer vertraulichen Besprechung mit, das Protokoll 19 20
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Zur Frühzeit der hessischen CDU: Rüschenschmidt, Gründung; Frommelt, Mitregieren-Wollen. ACDP, NL Globke, I-070-008/2. – Erich Großkopf war von 1952 bis 1966 Fraktionsvorsitzender der CDU im hessischen Landtag. Fast im gleichen Zeitraum war Wilhelm Fay Parteivorsitzender in Hessen (Frommelt, Mitregieren-Wollen, S. 39). HHSt, Staatskanzlei, Abt. 502, Bd. 7853. PA/AA, B 2, Bd. 354A (auch für das Folgende). „Neue Zeitung“, 29.8.1952, „Notiz: FDP beantragt Überprüfung des Verfassungsschutzamtes“. „Frankfurter Neue Presse“, 4.9.1952, „Landesregierung soll über Verfassungsschutzamt berichten“. ACDP, NL Globke, I-070-008/2 (auch für das Folgende).
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sei ein „Agentenelaborat“, in dem auch sozialdemokratische Politiker angegriffen würden. Leider müsse er (Großkopf) feststellen, daß Blankenhorn entgegen seiner Zusage niemals auf die Angelegenheit zurückgekommen sei. Anläßlich der Großen Anfrage der SPDBundestagsfraktion 26 wolle er sich erkundigen, ob nicht auch im hessischen Landtag etwas geschehen sollte. Nicht zuletzt wäre zu klären, ob tatsächlich auch Sozialdemokraten in dem Protokoll erwähnt würden. Globke erwiderte am 20. Oktober 27, eine Anfrage im hessischen Landtag sei in der Tat zu erwägen. Allerdings sollte die Bundestagsdebatte abgewartet und dann je nach Ausgang darüber entschieden werden. Wirklich seien auch Sozialdemokraten involviert. Sollte noch Material in Hessen vorliegen, wäre er für baldige Übersendung dankbar. Nach der Bundestagsdebatte Mitte Dezember 1955 geschah von seiten des Kanzlers nichts. Großkopf wurde am 17. Februar und 11. April 1956 daher nochmals bei Adenauer vorstellig. Globke schickte ihm daraufhin am 16. Mai Presseberichte und Auszüge des SchmeisserProtokolls zu; er räumte ein, es sei nicht sehr ergiebig. Im Bundestag wurde auf eine Aussprache verzichtet. Zudem schwebe das Verfahren noch; es erscheine ratsam, das Ergebnis abzuwarten. Nun verstand Großkopf endgültig: Adenauer wünschte keine Parlamentsdebatten über die Schmeisser-Affäre. Großkopf hatte geglaubt, die sozialdemokratische Landesregierung in die Enge treiben zu können. Er dürfte nun begriffen haben, wie unerfreulich dieses Thema auch für die Bundesregierung war. Globke, von Brentano und Blankenhorn hatten eine Initiative der hessischen CDU so lange hinausschieben können, bis der Fall Schmeisser zu den Akten gelegt war. Doch was tat die in Bonn sonst stets scharfzüngige SPD? 2) DIE ROLLE DES SPD-PARTEIVORSTANDS a) Behutsames Auftreten im Juli/August 1952 Blankenhorn stellte in einer Notiz für Adenauer vom 11. Juli 1952 28 fest, die SPD habe den Angriff im „Spiegel“ nach Angaben aus glaubwürdiger Quelle nicht veranlaßt. Deshalb sollten entsprechende Andeutungen an die Presse vorerst unterbleiben. Carlo Schmid habe ihm gegenüber seinen Abscheu über den Beitrag des „Spiegel“ artikuliert. Die SPD schwieg lange zu den Enthüllungen. Im parteinahen, eher zur internen Information gedachten PPP wurde zwar am 23. Juli formuliert, die Beschuldigungen gegen Blankenhorn seien beispiellos und bedürften gründlicher Überprüfung. 29 Träfen sie zu, müßte Blankenhorn seine Ämter niederlegen. Infolge der engen Bindung Blankenhorns an Adenauer könnte dieser dann nicht Kanzler bleiben. Dies wurde in einer hektographierten Erklärung verbreitet. 30 Nach außen hin gebärdete sich die SPD gleichwohl eher zahm. In der CDU-nahen Presse wurde dennoch im Gegenzug die in Hessen betriebene „Giftmischerei“ angeprangert und eine Verwicklung des SPD-Parteivorstandes angedeutet. 31
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Vgl. Kap. X.4. ACDP, NL Globke, I-070-008/2 (auch für das Folgende). PA/AA, B 2, Bd. 354A. PPP, Nr. 6, 23.7.1952: „Blankenhorn-Affäre verlangt Klärung“. „Lübecker Freie Presse“ (SPD), 24.7.1952: „Blankenhorn-Affäre verlangt Klärung“; „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 25.7.1952, „Aufklärung gefordert“. „Rheinischer Merkur“ (Koblenz), 25.7.1952: „Selbstschutz gegen Giftmischerei“; „Aachener Volkszeitung“ (CDU), 24.7.1952: „SPD rennt offene Türen ein“.
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Am 13. August 1952 gab die SPD eine weitere Presseerklärung über den Fall Blankenhorn heraus. 32 Sie trug die Überschrift: „Noch immer Schweigen um die Schmeisser-Affäre“. Die SPD kritisierte die Zurückhaltung der Bundesregierung, vermisse man doch eine Klarstellung der gegen Blankenhorn erhobenen Vorwürfe. Insbesondere die Millionenspende an die CDU für den Bundestagswahlkampf 1949 dürfe nicht unkommentiert bleiben. Es entstehe allmählich der Eindruck, daß einiges vertuscht werden solle. Die SPD frage: 1) Stimmt das Gerücht, wonach Kabinettsmitglieder schon vor dem Erscheinen des „Spiegel“-Artikels über die Vorgänge im Bilde waren? 2) Unterließ Blankenhorn in Kenntnis der Vorwürfe Schmeissers vor der Veröffentlichung eine Privatklage zur Klärung der Angelegenheit? 3) Wurde das Material tatsächlich schon im Winter 1951/52 dem Auswärtigen Amt angeboten? Der Parteivorstand der CDU/CSU und das BPA erwiderten, eine Millionenspende von Frankreich sei nicht erbeten worden. Alles andere werde in dem Prozeß aufzuhellen sein, dem nicht vorgegriffen werden dürfe. 33 Lenz vertraute seinem Tagebuch an, der Vorwurf der SPD sei zutreffend: Blankenhorn kannte die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen seit langem, ohne etwas zu unternehmen. 34 Als der SPD-Abgeordnete Heinrich Ritzel auf eine Behandlung der Sache im Bundestag drängte, bremste ihn Wilhelm Mellies namens des Fraktionsvorstands mit dem Argument, man habe noch keinen hinreichenden Überblick. 35 Tatsächlich mußte der SPD-Parteivorstand in dieser Affäre einiges gut überlegen... b) Schumacher, Heine und das Schmeisser-Material Rechtsanwalt Josef Augstein unterstellte in einer Prozeßschrift vom 30. Mai 1953, der Pressechef der SPD, Fritz Heine, habe das Schmeisser-Material besessen und Schumacher sei noch unschlüssig gewesen, wie er es am besten einsetzen solle. 36 Von Ziebells Beziehungen zur „Baracke“ war schon mehrfach die Rede. Was wußte der Bonner SPD-Parteivorstand von den Vorgängen um Blankenhorn? Bei Vernehmungen im Oktober 1952 in Starnberg 37 sagte Schmeisser, er sei nicht frei von Bedenken hinsichtlich Ziebells gewesen, als dieser ihm Mitte 1951 seine Hilfe angeboten habe. Er beauftragte deshalb Dorothy Schretzmair, bei ihrer Fahrt nach Bonn im Juni/Juli 1951 wegen des „Remer-Telegramms“ 38 zu Heine zu gehen und mit ihm über Blankenhorn zu reden. Dies tat sie dann auch unter dem Pseudonym Bruner. Ziebell besaß selbst Kontakt zu Heine und mochte beabsichtigen, seinerseits mit ihm Geschäfte bezüglich der BlankenhornSache zu machen. Schretzmair nannte den Namen Blankenhorn nicht, sondern sagte Heine, eine hochgestellte Persönlichkeit pflege Beziehungen zum französischen Geheimdienst. Heine zeigte sich sehr interessiert und bat Schretzmair, mit den rheinland-pfälzischen SPD-Politikern Hans Schulz (Neustadt a.d.W.) und Eugen Hertel (Kaiserslautern) zu sprechen. Nur drei Tage später erwies sich bei einem Zusammentreffen mit Ziebell, daß dieser schon über Dorothys Besuch bei Heine im Bilde war. Schmeisser und Schretzmair entschlossen sich daher, auf 32
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BA, B 136, Bd. 241. Dazu „Telegraf“, 14.8.1952: „Wahlgelder aus Pariser Fonds?“; „Westfälische Rundschau“ (Dortmund), 14.8.1952: „Was geklärt werden muß“; „Die Freiheit“ (Mainz), 15.8.1952: „Finanzierte Frankreichs Geheimdienst Wahlkampf der CDU?“. „Aachener Volkszeitung“ (CDU), 15.8.1952: „An Schmeisser-Artikel ‚kein wahres Wort’“; „Neue Zeitung“, 15.8.1952: „Bundespresseamt antwortet der SPD“. Zentrum. Tagebuch Lenz, S. 409 (Eintrag vom 14.8.1952). AdsD, NL Ritzel, Bd. 1499, Schreiben Mellies an Ritzel, 10.9.1952. BA, B 141, Bd. 12083, Schreiben Josef Augsteins an Landgericht Hannover, 30.5.1953, hier: S. 20-22. BA, B 136, Bd. 241, Protokoll der Vernehmungen Konrad Schmeissers in Starnberg vom 10.-20.10.1952, hier: S. 4. Vgl. Kap. IV.2b.
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eigenständiges Handeln zu verzichten und den Weg über Ziebell zu beschreiten. Ziebell erwähnte, er sei schon seit Jahren im Auftrag des SPD-Parteivorstands – allerdings nicht Heines – an der Saar tätig. Wir werden in Kürze ergründen, was es damit auf sich hatte. Fritz Heine wurde am 27. April 1954 von Landgerichtsrat Mollenhauer verhört und berichtete Folgendes: 39 Gegen Ende des Jahres 1951 erschien bei ihm im Büro des Parteivorstands der SPD eine kleine und eher unscheinbare Frau namens Brunner. Vermutlich war es Dorothy Schretzmair. Sie deutete an, Material zu besitzen, das Aufschluß gebe über Beziehungen einer Adenauer nahestehenden Führungspersönlichkeit der CDU zum französischen Geheimdienst. Dies gehe in die Zeit des Parlamentarischen Rates zurück. Sie habe die Unterlagen im Auswärtigen Amt einem Herrn angeboten, der mit den genannten Persönlichkeiten der CDU nicht ganz einig sei. Dieser Herr habe das Angebot abgelehnt. Heine schloß aus dem Gesagten, daß Blankenhorn gemeint war, obwohl sie den Namen nicht nannte. Sie verlangte für die Dokumente einen erheblichen Preis. Sie müsse wieder zurück nach Saarbrücken; ihr Vertrauensmann – der Name Schmeisser fiel nicht – wolle ins Ausland und benötige 9.000-10.000 DM. Heine lehnte dieses Ansinnen ab. Er wollte ihr die Rückfahrt nach Saarbrücken bezahlen, wenn sie ihm das Material übergäbe oder zuschickte. Brunner ging, und Heine hörte nichts mehr von ihr. Heine unterrichtete Schumacher und Ollenhauer, die den Vorfall lediglich zur Kenntnis nahmen. Etwa Anfang 1952 meldete Paul Schmidt dem Parteivorstand – so Heine weiter –, ein gewisser Schmeisser habe Erklärungen über angebliche Beziehungen zu Blankenhorn in der Zeit des Parlamentarischen Rates abgegeben, als er französischer Agent war. Schmidt überreichte eine unvollständige Abschrift des in Wiesbaden aufgenommenen Protokolls, die darauf Bezug nahm. Der Parteivorstand wußte zu diesem Zeitpunkt, daß der bayerische Ministerpräsident Hans Ehard Adenauer über die Enthüllungen Schmeissers informiert hatte. Dies hatte Schumacher wohl aus Bayern erfahren. Jedenfalls zeigte sich Schumacher an den von Schmidt eingehändigten Protokoll-Abschriften sehr interessiert. Schumacher schien abwarten zu wollen, was die von Schmeissers Angaben Betroffenen unternähmen. Er war aber entschlossen, die Sache nicht auf sich beruhen zu lassen, ohne seine Absichten zu verraten. Zumindest schien er mit Adenauer darüber reden zu wollen. Möglicherweise wollte er den Fall auch im Bundestag erörtern. Im Februar/März 1952 wurde in Bonner Journalistenkreisen eifrig über die Sache getuschelt. Man trat auch an ihn (Heine) heran, doch er gab keine Auskunft. Im März 1952 meldete sich ein persönlicher Bekannter aus Hamburg, dessen Name Heine nicht angeben wollte. Er wußte von der Schmeisser-Blankenhorn-Affäre und kannte auch Blankenhorn selbst. Offenbar wollte er die Mißhelligkeiten ohne Aufsehen beilegen und meinte, der Ministerialdirektor sei immer loyal gegenüber der SPD gewesen. Er plädierte für eine Aussprache zwischen Adenauer und Schumacher oder einen „gemeinsamen Untersuchungsausschuß“. Heine fertigte eine Aufzeichnung über diese Unterredung an und legte sie Schumacher vor. Dieser sagte, man solle die Sache im Auge behalten. Einige Zeit später kam Mans zu Heine und erkundigte sich nach Unterlagen über die Angaben Schmeissers. Heine wies ihn ab, ersah jedoch daraus, wie intensiv der „Spiegel“ sich um diese Angelegenheit bemühte. Eine Veröffentlichung lag förmlich in der Luft. Kurz vor der Publikation schlug Paul Schmidt dem Parteivorstand vor, Schmeisser und Schretzmair in Bonn selbst anzuhören. Doch das wurde abgelehnt, weil man mit ihnen nichts zu tun haben wollte. Dann kam der Artikel, an dem der SPD-Parteivorstand laut Heine keinen Anteil hatte. Was den Inhalt der Behauptungen Schmeissers anging, so konnte die SPD dies nicht 39
PA/AA, B 130, Bd. 13797.
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nachprüfen und wollte es den Betroffenen überlassen, für eine Klarstellung zu sorgen. Immerhin waren die Angaben sehr detailliert, und eine Zeitlang geschah nichts zu ihrer Widerlegung. Der Bekannte aus Hamburg hatte ebenfalls den Eindruck hervorgerufen, es handele sich nicht um reine Erfindung. So glaubte der SPD-Parteivorstand, es müsse etwas Wahres daran sein. Ob Heine von dem geheimnisvollen Besucher vom März 1952 gesprochen hätte, wenn Rechtsanwalt Josef Augstein nicht in seinem Schriftsatz vom 30. Mai 1953 darauf eingegangen wäre? Die von Heine erwähnte Aufzeichnung für Schumacher vom 20. März 1952 ist von erheblicher Bedeutung. 40 Der Journalist Curt Bley (1910-1961) 41 – in den 1940er Jahren Sachbearbeiter des Auswärtigen Amtes für Rundfunkfragen – suchte Heine am 17. März auf. Er wußte, daß der SPD-Parteivorstand das Schmeisser-Material über Blankenhorn besaß und hatte Kenntnis von dessen Inhalt. Bley meinte, etwa 8-10 Personen wüßten darüber Bescheid. Er versuchte immer wieder, Heine zu entlocken, was er mit den Unterlagen anfangen wolle. Bley trachtete, Heine auf alle mögliche Arten dazu zu bewegen, die Dokumente nicht zu verwenden. Beispielsweise warnte er vor etwaigen Gegenangriffen, charakterisierte Schmeisser als „übles Subjekt“ – was Heine nicht bestritt –, deutete Folgen für Ministerpräsident Zinn an oder befürchtete Schäden für die Demokratie in der Bundesrepublik. Bley schien peinlich berührt, als Heine den Verdacht äußerte, Blankenhorn habe ihn vorgeschickt; er bestritt dies. Jedenfalls stehe Blankenhorn „unter außerordentlichem Druck“ und habe die Hilfe Karl Arnolds erbeten, der wiederum indirekt an Bley herangetreten sein dürfte. Bley nannte einige interessante Einzelheiten: Blankenhorn habe einen „kleinen braunen Fleck“ als Parteigenosse von 1938, sei aber nie ein richtiger „Nazi“ gewesen. Am Aufstand vom 20. Juli habe er nicht teilgenommen, doch dies habe man abgehakt. Der Kontakt mit Schmeisser als Generalsekretär der CDU sei nicht zu leugnen. Bley argumentierte, Blankenhorn habe für eine Große Koalition plädiert. Er (Bley) habe 1945/46 dessen Eintritt in die SPD mit dem Argument verhindert, er könne dort viel langsamer Karriere machen. Bley sagte, wenn die SPD das Schmeisser-Material verwerte, stehe Aussage gegen Aussage. Dem Agenten Schmeisser würde man weniger Glauben schenken als dem Diplomaten Blankenhorn. Trotzdem werde Blankenhorn als Politiker erledigt sein. Wer einmal auf solche Weise in die Schlagzeilen gerate, könne im Auswärtigen Dienst nicht mehr reüssieren. Heine müsse sich dies vor Augen führen. Wie wäre es, wenn das BfV die Sache prüfte? Heine erwiderte, Verfassungsschutzämter taugten nicht als Untersuchungsorgane. Intern merkte er an, das BfV bemühe sich seit Wochen, die Dokumente von der SPD zu erhalten. Es bleibe unerfindlich, wie Bley annehmen könne, die SPD werde nun plötzlich eine solche Dummheit machen. Als nächstes regte Bley an, einen „ganz ganz vertraulichen Ehrenausschuß“ zu berufen, einen parlamentarischen Ausschuß oder ähnliches. Vielleicht wäre auch ein Gespräch zwischen Schumacher und Adenauer nützlich. Heine wies alle Vorschläge Bleys zurück. Wer Schaden für die Demokratie fürchte, hätte sich dies vor den Schmutzkampagnen und Verleumdungen gegen Kurt Schumacher überlegen sollen. Das BfV habe Agenten zu den Kommunisten geschickt, um Unterlagen über Schumacher zu bekommen. Unter diesen Umständen könne die SPD nicht vor Edelmut triefen. Im übrigen eile die Angelegenheit nicht. Es gehe nicht um die Person Blankenhorns, sondern um das „Adenauer’sche System“ und den Kanzler selbst, der ebenfalls belastet werde. Heine erinnerte an den Dokumentendiebstahl im Kanzleramt. Statt mit Schumacher zu reden,
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AdsD, NL Heine, Bd. 145. Vgl. auch Ramscheid, Blankenhorn, S. 184; Mansfeld, Bonn, S. 231. Zur Person: Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes, Bd. 1, S. 178.
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habe Adenauer den Oberstaatsanwalt eingeschaltet. Heine sagte schließlich, er könne sowieso nicht alleine darüber entscheiden. Bley wollte in drei Wochen auf die Frage zurückkommen. Was meinte Heine mit dem Dokumentendiebstahl? Im September 1951 war ein Amtsbote des Bundestages namens Johannes Kaiser verhaftet worden, weil er heimlich zusätzliche Kopien der Kabinettsprotokolle angefertigt hatte. 42 Mit Hilfe des Kaufmanns Paul Siegel – einem Kreistagsabgeordneten der SPD – und des Vertreters August Aguntius übergab er die Dokumente an den SPD-Parteivorstand und verkaufte sie zudem für 600 DM monatlich an eine Sûreté-Stelle in Mainz. Die SPD und besonders ihr direkt betroffener Vorsitzender Kurt Schumacher rückten in dieser Sache in ein schlechtes Licht. Sie bestritten vor allem den Geheim-Charakter der Kabinettsprotokolle. Die Erbitterung auf beiden Seiten war groß. Am 21. Januar 1952 wurden die drei Beschuldigten vom Landgericht Bonn wegen Diebstahl, Bestechung und Hehlerei zu Gefängnis- und Zuchthausstrafen von anderthalb bis zwei Jahren verurteilt. 43 Der Bundestag hatte am 11. Oktober 1951 einen Untersuchungsausschuß eingesetzt, der nicht nur den Dokumentendiebstahl, sondern auch den für die Bundesregierung unangenehmen Fall Platow einbeziehen sollte. 44 Der private Informationsdienst von Dr. Robert Platow hatte in unzulässiger Weise Nachrichten aus dem Bundeswirtschaftsministerium erhalten. 45 Adenauer erzählte den Alliierten Hohen Kommissaren am 1. Oktober 1951 von dem Dokumentendiebstahl im Kanzleramt, in den der französische Geheimdienst verwickelt zu sein schien. Der französische Hohe Kommissar François-Poncet kommentierte dies in bezeichnender Weise: „Im übrigen würde er sich nicht wundern, wenn der französische Geheimdienst jede sich ihm bietende Gelegenheit benutze. Derartige Geheimdienste handelten völlig auf eigene Faust. Die französische Hohe Kommission sei in der Regel über seine Tätigkeit nicht unterrichtet.“ 46 Wie stand es um Blankenhorns Verhältnis zur SPD in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre? Im Herbst 1949 gab es immerhin zahlreiche Unterredungen zwischen Blankenhorn und Carlo Schmid. 47 Als Schumacher die Konzessionen Adenauers an Frankreich in der Ruhrpolitik harsch kritisierte, erklärte Blankenhorn dem deprimiert wirkenden Schmid, dieses Gebaren gefährde die Bemühungen um eine gemeinsame Linie in der Außenpolitik. 48 Bis zur Koalitionsbildung Ende 1949 waren die Beziehungen zwischen CDU und SPD längst nicht immer gespannt, was vor dem Hintergrund späterer Konflikte leicht vergessen wird. Die SPDSpitze zeigte sich jedenfalls von der früheren Aufgeschlossenheit Blankenhorns im Jahre 1952 nicht mehr beeindruckt. Blankenhorn ließ den Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Heinrich von Brentano am 29. April 1952 streng vertraulich wissen, das Schmeisser-Material befinde sich weiterhin in den Händen von Fritz Heine. 49 Dieser habe es bislang nicht vermocht, eine Entscheidung Schumachers darüber zu erwirken, ob er es verwenden solle. Diese Informationen stammten von Curt Bley. Heine wolle voraussichtlich am 1. Mai mit 42
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Kabinettsprotokolle, Bd. 4 (1951), S. 671f. mit Anm. 9f., und Bd. 5 (1952), S. 72, Anm. 43. Dazu etwa „General-Anzeiger“ (Bonn), 4.10.1951: „Sturm um Dokumenten-Diebe“; „Nürnberger Nachrichten“, 5.10.1951: „Seit 1949 Protokolle gestohlen“. Material in: AdsD, NL Heine, Bd. 145. „General-Anzeiger“ (Bonn), 22.1.1952: „Urteilsspruch im Bonner Dokumenten-Prozeß“; „Die Welt“, 22.1.1952: „Zuchthausstrafen im Dokumenten-Prozeß“; „Kölnische Rundschau“, 23.1.1952: „Eine schlechte Sache“. „Neue Zeitung“, 12.10.1951: „Plenum will Diebstahls-Affäre und Fall Platow untersuchen“. Kabinettsprotokolle, Bd. 5 (1952), S. 72, Anm. 44, und S. 215f. Adenauer und die Hohen Kommissare 1949-1951, Nr. 27 (1.10.1951), hier: S. 391f. Weber, Carlo Schmid, S. 407, 419; Ramscheid, Blankenhorn, S. 142f. Ramscheid bezweifelt eher ein Kokettieren Blankenhorns mit der SPD (ebd., S. 89f.). BA, NL Blankenhorn, Bd. 1b, Bl. 164, Tagebuchnotiz, 12.11.1949. PA/AA, B 2, Bd. 354A.
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Ollenhauer über das Thema sprechen. Möglicherweise könnten diese Angaben für ihn (von Brentano) von Nutzen sein, falls er mit Ollenhauer darüber reden wolle. Tatsächlich lassen sich die Wiesbadener Vernehmungsprotokolle nebst anderen Dokumenten noch heute im Archiv der sozialen Demokratie nachweisen. 50 Wie wir wissen, hatte Paul Schmidt sie übersandt. Heine bedurfte der kostspieligen Offerte von Dorothy Schretzmair nicht. Heine sagte Mollenhauer nichts zum Verhältnis zwischen Ziebell und dem SPDParteivorstand. Er hatte gute Gründe dafür. c) Ziebell, Heinrich Ritzel und die Saarpolitik der SPD Ziebells Verbindungen zur SPD datieren schon aus seiner Zeit in Bayern. Ziebell scheint gegenüber der SPD stets seine Zugehörigkeit zum französischen Geheimdienst vertuscht zu haben. Der Parteivorstand wußte hingegen um seine vielfältigen Verbindungen im Halbdunkel der jungen Bundesrepublik. Die SPD wollte sich Zugang zu Informationsquellen im Agentenmilieu verschaffen, ohne die Gefahr zu erkennen, in landesverräterische Ränke hineinzugeraten. Wir haben bereits gesehen, daß die „Baracke“ 1950 hoffte, nicht zuletzt durch Ziebell Einfluß auf den zu gründenden deutschen Nachrichtendienst zu gewinnen.51 Doch auch für die Saarpolitik der SPD wurde Ziebell unversehens zu einem besonderen Faktor... Der Saar-Experte der SPD, Karl Mommer, hatte schon 1950 gehört, daß Ziebell einen Kontakt zwischen dem SPS-Vorsitzenden Kirn und einem führenden SPD-Politiker vermittelt habe. 52 Als Ergebnis dieser Unterredung sei eine Distanzierung der SPD vom prodeutschen Flügel der SPS um Kurt Conrad beschlossen worden. Statt dessen solle eine Annäherung an Kirn angestrebt werden. Ziebell berufe sich auf seine guten Beziehungen zum Leiter des LfV Hessen, Paul Schmidt. Der Informant hielt fest, Ziebell gehörte zum Kreis um Laffon. Er nannte auch Masloh, Schmeisser und Hubaleck, wenngleich mit verballhornten Namen. Ziebell gelang es offenbar, Fritz Heine mit Hilfe Schmidts davon zu überzeugen, daß eine Einigung der SPD mit Kirn möglich wäre. 53 Heine merkte nicht, was beabsichtigt war: die prodeutsch eingestellten Kreise der SPS um Kurt Conrad und Friedrich Regitz zu isolieren. Delegationen von SPD und SPS trafen sich am 22. April 1951 in Saarbrücken. 54 Die von Fritz Heine geführte Gruppe von SPD-Vertretern trat energisch auf und verlangte die Abkehr von der Politik der Separation sowie ein Ende der Ausweisungen. An der Saar bestehe „eine Atmosphäre der Angst“. Die Sûreté agiere nach wie vor im Saarland. Ernst Kunkel (SPS) wies die Anschuldigungen zurück und wollte den eingeschlagenen Kurs der „Autonomie“ fortführen. Die SPS mußte feststellen, daß die SPD keine offiziellen Beziehungen zu ihr aufzunehmen beabsichtigte. Das Treffen mündete daher im völligen Dissens. Im März 1952 spaltete sich die Deutsche Sozialdemokratische Partei (DSP) von der regimetreuen SPS ab. 55 Diese Entwicklung gab auch einigen Sozialdemokraten in Bonn zu denken, während die offizielle Linie der Partei lautete, der DSP den Rücken zu stärken. Der Haushaltsexperte der Bundestagsfraktion, Heinrich Ritzel, der aus dem hessischen Michelstadt 50 51 52 53
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AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 2622A. Vgl. Kap. III.3c. AdsD, NL Mommer, Bd. 13, Betr. Dr. Zybell, o.D. LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 514, Schreiben Düx/Busch an Amtsgericht Frankfurt-Höchst, 25.11.1953, hier: S. 23; „Der Hessenspiegel“, 5.10.1955, zit. nach: „Schnell-Informationen“ (BPA), 6.10.1955. AdsD, Bestand Kunkel/SPS, Bd. 12, Niederschrift über die Besprechung mit der deutschen Delegation am Sonntag, den 22. April 1951 – abends 18.00 Uhr in Saarbrücken. Dazu Elzer, Die deutsche Wiedervereinigung an der Saar, Teil II, Kap. III.1.
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im Taunus stammte und durch seine Tätigkeit für die Völkerbundsregierung an der Saar von 1933 bis 1935 geprägt war 56, stand dem Kurs seiner Partei in der Saarfrage kritisch gegenüber, ohne das Regime in Saarbrücken gutzuheißen. Ritzel hatte während des Krieges im Schweizer Exil dem sowjetischen Agenten Radó Nachrichten geliefert.57 Überraschenderweise bewegte sich auch das Auswärtige Amt auf dieselbe Gruppe von SPSPolitikern zu. Der neue Referatsleiter Rudolf Thierfelder orientierte Knoop (BMG) am 16. April 1952 über eine Begegnung mit Kirn, Kunkel und Peter Zimmer, die er auf deren Wunsch nach einer entsprechenden Entscheidung des Kanzlers am 20. März aufgesucht habe. 58 Dieses Treffen habe ungünstige Folgen gezeitigt, denn Kirn habe auf einer Vorstandssitzung der SPS am 9. April den prodeutsch gesinnten Flügel der Partei auszumanövrieren versucht, indem er auf seine Kontakte mit dem Auswärtigen Amt hinwies. Dies sei ihm (Thierfelder) kürzlich von Hans-Peter Will, dem Leiter der saarländischen Preiskontrolle, mitgeteilt worden. Daraufhin habe er Will gestattet, zu erklären, daß bei der Unterredung keine Einigung erzielt wurde, sondern vielmehr eine „frostige Atmosphäre“ geherrscht habe. Der Legationsrat ließ durchblicken, er habe contre coeur mit den regimetreuen SPS-Politikern gesprochen. Aus dem Fehlschlag des Unternehmens und der machtpolitischen Verwertung gegen die Kritiker an der Saar machte er kein Hehl. Thierfelder dürfte nach dieser Erfahrung die Linie des BMG bevorzugt haben, den patriotischen Flügel der saarländischen Sozialdemokraten zu fördern, der sich just im März/April 1952 vom profranzösischen Kurs der Parteispitze lossagte. Am 30. August 1952 fanden in Frankfurt am Main und Michelbach Besprechungen zwischen Kirn und Kunkel auf der einen Seite und Ritzel, Ziebell und Zweig auf der anderen Seite statt. 59 Diese Besetzung erscheint mehr als befremdlich: Ritzel befand sich in Gesellschaft von zwei französischen Agenten! Die SPS-Politiker hörten denn auch bald kritische Töne gegenüber der Richtung des SPD-Parteivorstands. Ritzel und seine Begleiter meinten, lautstarker Protest gegen die Zustände im Saarland führe entweder geradewegs zu einer Europäisierung der Saar oder zu einer Niederlage der prodeutschen Parteien bei den saarländischen Landtagswahlen. Ritzel wollte zudem das endgültige Auseinanderbrechen der saarländischen Sozialdemokraten vermeiden. Kunkel griff dies auf und bezichtigte die Abweichler der DSP persönlicher Motive. Die Teilnehmer klagten über das BMG, das sich mit französischen Agenten wie Heinrich Schneider (!) umgebe. Ziebell trat für eine Einstellung aller Angriffe der SPD auf die SPS ein; man müsse sich auf den innersaarländischen Wahlkampf gegen Hoffmanns CVP konzentrieren. Ritzel zeigte dafür Verständnis, forderte aber die SPS zur Befürwortung der Zulassung prodeutscher Parteien und zur Wiederaufnahme der Abtrünnigen auf. Kunkel gab zu verstehen, daß er eine Lizenzierung der DSP für wenig hilfreich erachte und ein Fallenlassen dieser Gruppe durch die SPD wünsche. In puncto „Europäisierung“ der Saar sah er bessere Chancen als Ritzel. Kirn und Kunkel lehnten eine Rückgliederung des Saarlands an Deutschland ab. Frankreich sollte zu Konzessionen bei der Gestaltung der bestehenden Wirtschaftsunion mit der Saar bewogen werden.
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Zum Lebenslauf Ritzels (1893-1971): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration, Bd. 1, S. 605f.; Schneider, Saarpolitik, S. 495, Anm. 90. Radó, Deckname Dora, S. 120. BA, B 137, Bd. 3413, Vermerk Knoops, 16.4.1952. Thierfelder stellte dem BMG seine Aufzeichnung über die Unterredung zur Verfügung, aus der die Intransigenz seiner Gesprächspartner erhellt (ebd.). Näheres bei Elzer, Die deutsche Wiedervereinigung an der Saar, Teil II, Kap. III.1. AdsD, Bestand Kunkel/SPS, Bd. 12, „Niederschrift über die Besprechung am Samstag, den 30. August 1952 in Frankfurt und Michelbach im Taunus“.
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Kunkel bezeichnete Ritzel hinterher intern als „völlige[n] Opportunist[en]“; Ziebell sei sowohl für die deutsche Gegenspionage als auch für die Sûreté tätig. Zweig erscheine mysteriös; er solle Ollenhauer und Heine nahestehen, weil er ihnen während ihres Aufenthalts in Frankreich das Leben gerettet habe. 60 Kunkel glaubte, alle drei wollten eine Heimkehr der Saar zu Deutschland und betrachteten die „Europäisierung“ als Gefahr, die durch das nationalistische Getöse von Heinrich Schneider verursacht sei; dieser werde ihrer Auffassung nach vom französischen Geheimdienst dafür bezahlt. Die drei Männer rechneten bei einer Volksabstimmung an der Saar mit 90% Zustimmung für Europa und bei einer Landtagswahl höchstens mit 25% für die drei prodeutschen Parteien. Deshalb wollten sie eine Einigung über die Saar durchkreuzen und die Sache vertagen. Die Absplitterungen von den Parteien an der Saar störten dabei ihr Kalkül. Sie wollten sich später lieber mit den etablierten Parteien verständigen. Im August 1952 behauptete die in Bad Kreuznach erscheinende oppositionelle DSZ, Ziebell agiere im Benehmen mit dem SPS-Vorsitzenden Richard Kirn. 61 Wieder einmal erwiesen sich die Informationsquellen der prodeutschen Gruppierungen als erstklassig. Der „Spiegel“ hatte Anfang August von einer Tendenz Kirns gesprochen, sich unauffällig von Frankreich zu lösen und den Konflikt mit Hoffmanns CVP zu suchen. 62 Indessen stünde der Kreis um Heinrich Schneider diesen Ankündigungen skeptisch gegenüber. Ende November 1952 wurde im Rahmen eines großen Saar-Artikels im „Spiegel“ auch jene Zusammenkunft Ritzels mit den Repräsentanten der SPS enthüllt. 63 Deren Zweck sei angeblich gewesen, der SPS alle prodeutschen Stimmen bei den Landtagswahlen im Herbst 1952 zukommen zu lassen. Die SPS hätte dann die Mehrheit und könnte für die Rückkehr der Saar zu Deutschland sorgen. „Aber die deutschen SPD-Führer ließen sich auf das halsbrecherische Kirn-Experiment nicht ein.“ Sie taten gut daran: Die Blamage wäre nicht ausgeblieben. Einem Darmstädter Journalisten schrieb Ritzel am 2. Dezember 1952 64, er sei seit langem mit Kirn befreundet und habe ihn kürzlich getroffen. Wenn die SPD Kirn nicht mit dem Separatismus-Vorwurf stigmatisiert hätte, wäre mit ihm durchaus über eine Zulassung der prodeutschen Parteien und die staatsrechtliche Auffassung der Bundesregierung zu reden gewesen. Ritzel blieb ein Rufer in der Wüste: SPD und SPS befehdeten sich mit größter Härte. Im April 1953 veröffentlichte Justizminister Heinz Braun (SPS) in saarländischen Zeitungen einen Briefwechsel mit Ritzel über einen saarländischen Flüchtling, den Braun verunglimpfte. 65 Die prodeutsche Opposition wies Mommer am 2. September 1953 darauf hin, Beziehungen dieser Art würden von der Saarregierung nur für ihre Zwecke ausgenutzt. Es werde empfohlen, in der SPD als einheitliche Linie durchzusetzen, nicht mit offiziellen Stellen des Saarregimes zu verkehren. Mommer hatte schon am 6. Februar 1953 dem SPDParteivorstand geraten, einmal über Ritzel zu reden, den Heinz Braun „seinen Freund“ nenne. 66 Ritzel unterhielt dessenungeachtet weiterhin Kontakte mit dem Agenten Ewald Zweig, den seiner Aussage zufolge Zinn und Heine kannten. 67 Am 9. Juli 1955 trafen sich Kirn, Kunkel,
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Heine verhalf 1940/41 Ollenhauer und vielen anderen Sozialdemokraten zur Flucht aus Frankreich (Seebacher-Brandt, Ollenhauer, S. 207-230; Redmer, Wer draußen steht, S. 126-140; Appelius, Heine, S. 169-190). Ob Zweig dabei mitgewirkt hat, ist bislang nicht bekannt. DSZ, Nr. 18, 30./31.8.1952: „Kirn trifft Defraudant Ziebell“. „Der Spiegel“, Nr. 32/1952, 6.8., S. 5f.: „Saar: Wenn jetzt nichts geschieht“. „Der Spiegel“, Nr. 48/1952, 26.11., S. 9-14: „Saar: Bezahlt ist bezahlt“, hier: S. 13f. AdsD, NL Ritzel, Bd. 45, Schreiben Ritzels an Reinowski, 2.12.1952. Näheres bei Elzer, Die deutsche Wiedervereinigung an der Saar, Teil IV, Kap. IV.3c. AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 3597, Schreiben Mommers an Heine, 6.2.1953. AdsD, NL Ritzel, Bd. 235, Notizen Ritzels für Zinn und Heine, 15.6.1954.
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Bonn - Die Rolle des SPD-Parteivorstands
Zweig und Ritzel in Frankfurt am Main. 68 Ritzel räumte ein, bei der derzeitigen Zusammensetzung des Parteivorstands der SPD ließe sich der Konflikt mit der SPS nicht bereinigen. Vor Ritzels Eintreffen erzählte Zweig, Ritzel habe einen heftigen Zusammenstoß mit Ollenhauer und Heine gehabt, die sich unzweideutig auf die Seite des „Hardliners“ Mommer geschlagen hätten. Kirn und Kunkel zeigten sich ohnehin an einer Verständigung mit der von Bonn protegierten DSP zu diesem Zeitpunkt wenig interessiert, weil sie noch nicht ahnten, wie die Stimmung an der Saar sich gegen das „Europäische Statut“ wenden würde. Zweig ging so weit, Geld der SPS für eine Aktion gegen die SPD zu erbitten, doch darauf ließen sich seine Gesprächspartner nicht ein. Zweig versuchte im Referendumswahlkampf an der Saar im September 1955 vergeblich, Ritzel zu einer Intervention zu bewegen. 69 Dieser wollte sich nicht weiter exponieren. Ritzels Motive müssen von denjenigen Ziebells und Zweigs strikt unterschieden werden. Der Bundestagsabgeordnete aus Michelstadt kalkulierte gewiß ungefähr so, wie Kunkel mutmaßte. Er wollte keine direkte Konfrontation zwischen SPD und SPS, sondern eine Annäherung in kleinen Schritten. Zudem war er weniger auf die Rückgliederung der Saar fixiert als Ollenhauer, Heine oder Mommer. Er wähnte die Parteiinteressen durch das NebeneinanderBestehen von zwei sozialdemokratischen Gruppierungen an der Saar beeinträchtigt. Ritzels Bemühungen waren vielleicht gut gemeint, doch er setzte auf das „falsche Pferd“, und in der Wahl seiner Helfer hatte er eine unglückliche Hand. In diesem Punkt muß aber eine Mitschuld anderer Vertreter des Parteivorstands zugrundegelegt werden. Allein, es gibt noch einen anderen Hintergrund für Ritzels Extratouren. Dem engsten Kreis des SPD-Parteivorstands lagen zwei Notizen vor mit schwerwiegenden Anschuldigungen gegen Ritzel. 70 Zum einen wurden ihm enge Beziehungen zum rechtsextremen Politiker Alfred Loritz und dessen WAV nachgesagt, ja sogar zum SRP-Mann Dorls. Zum anderen soll Ritzel mit Ostblockstaaten Schiebergeschäfte über eine Import-Export-Agentur sowie illegale Transaktionen mit Hilfe einer Tarnfirma in Basel namens „Wirtschafts- und Sozialhilfe Europa“ getätigt haben. Die Angaben sind so konkret, daß sie im Kern zutreffen dürften. Wir erinnern uns: Ziebell wickelte über die Schweiz fingierte Ausfuhrgeschäfte ab, für die er exportorientierte mittelständische Firmen in der Bundesrepublik Deutschland wie die Schnellpressenfabrik Albert & Cie. in Frankenthal zu mißbrauchen versuchte. Rührte die gute Bekanntschaft zwschen Ritzel und Ziebell etwa aus gemeinsamen Geschäftsinteressen? Ziebell und Zweig hatten politisch indes völlig anderes im Sinn. Die prodeutschen Parteien wurden in Paris als Bedrohung der französischen Machtstellung an der Saar bewertet. Der Quai d’Orsay lehnte deren Zulassung konsequent ab. Ziebell wollte einen Keil zwischen SPD und DSP treiben sowie Mißtrauen zwischen Bonner Parteien bzw. Ministerien und den saarländischen Oppositionellen schüren – das hatte er bekanntlich schon 1950/51 getan. Damals wurde Knoop (BMG) zum Verräter stilisiert, diesmal gar Heinrich Schneider. Ritzel kannte Ziebell und Zweig, aber sie waren auch Ollenhauer und Heine nicht unvertraut. Zweig wurde in einer Notiz Heines vom 25. September 1950 zwar als Mitarbeiter des Deuxième Bureau bezeichnet, aber auch als „glühender Anti-Nazi (Jude)“.71 Demzufolge wußte der SPDParteivorstand nichts von der Tätigkeit Zweigs für die Gestapo. Ziebell dachte nicht daran, für „deutsche Interessen“ zu arbeiten. Dies war vielmehr das Visier, hinter dem er sein wahres Gesicht verbarg. Der SPD-Parteivorstand scheint partiell 68 69 70 71
AdsD, Bestand Kunkel/SPS, Bd. 50, „Niederschrift über eine Besprechung, die am Samstag, dem 9. Juli 1955 in Frankfurt am Main, Kettenhofweg 12, stattfand“. Material in: AdsD, NL Ritzel, Bd. 239. AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 2470B, Mappe bis 31.12.1959. Ebd., Bd. 3557, Notiz Heines, 25.9.1950.
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darauf hereingefallen zu sein; nur bei dem unbeirrbaren Karl Mommer gibt es keine Anzeichen dafür. Nicht bloß Ritzel mochte Ziebells Fürsprecher sein: der in der „Baracke“ angesehene Paul Schmidt verteidigte ihn rückhaltlos. So gab man „grünes Licht“ für eine Sondierung, die von der SPS lediglich zur Förderung der eigenen Machtposition an der Saar mitgemacht wurde. Ziebell wiederum zog die für ihn typischen Verwirrspiele auf. Wenige Wochen nach „Am Telefon vorsichtig“ konzentrierte sich Ziebell auf das sozialdemokratische Spektrum, in dem er selbst tätig werden konnte. Die Bundesregierung drängte bei den Saarverhandlungen mit dem Quai d’Orsay auf die Lizenzierung der verbotenen Parteien. Zumindest die unbeugsamen Kräfte in Paris wollten dies mit aller Macht durchkreuzen. Ziebell strebte eine Einigung zwischen Kirn und Ritzel an, die der DSP den Bonner Wind aus den Segeln nehmen sollte. Es liegt auf der Hand, daß auch der Angriff im „Spiegel“ auf Blankenhorn als einen der deutschen Verhandlungsführer in diesem Kontext zu sehen ist. Die Rolle Ziebells bedarf aber noch der Präzisierung. d) Die Version Ziebells über seine Beziehungen zum SPD-Parteivorstand Ziebell sagte vom 5. bis 7. Dezember 1953 in Frankfurt a.M. aus. 72 Er habe im Sommer 1950 dem ihm befreundeten ORR Paul Schmidt von den Verstrickungen Blankenhorns erzählt. Schmidt und Ziebell kannten sich seit 1945. Schmidt war in der „sozialistischen Abwehr“ tätig gewesen und wußte über die Organisation der Kommunisten gut Bescheid. Seit Mitte 1950 arbeitete Ziebell nach eigener Aussage auf einen Bruch der Koalition von CVP und SPS und die Ersetzung der Hoffmann-Regierung durch prodeutsche Kräfte hin. Das erste Ziel erreichte er im Frühling 1951. Für das zweite hatte er bereits die prinzipielle Zustimmung Kirns, benötigte aber Unterstützung durch die SPD. Er bat deshalb Schmidt, nach Saarbrücken zu kommen. Dort einigte man sich schnell, doch Kurt Schumacher mußte sein Einverständnis erteilen und die Einstellung der Attacken gegen Kirn anordnen. Schmidt verhandelte darüber mit dem SPD-Parteivorstand. Er fragte Ziebell, ob er nicht für die SPD die Quittungen Blankenhorns besorgen könne. Ziebell erwiderte, Schmeisser dürfte solche nie besessen habe, ja ihre Existenz sei zweifelhaft. Schmidt entgegnete, in Deutschland würden solche Quittungen angeboten, aber nicht von Schmeisser, sondern von Masloh. Ziebell sagte, er könnte Schmeisser vielleicht zu einer „Generalbeichte“ bewegen, wolle er doch seine „Memoiren“ verkaufen – für Geld oder eine „bürgerliche Existenz“. Sie einigten sich darauf, einen entsprechenden Versuch zu unternehmen. Schmeisser und Dorothy waren aber nach Paris umgezogen. Schmidt bat Ziebell, Schmeissers Adresse herauszubekommen und eine Abmachung mit ihm zu treffen; dem SPD-Parteivorstand liege viel daran. Offenbar hing auch das Gelingen der Absprachen mit Kirn in hohem Maße davon ab. Ziebell traf Schmeisser erst im November 1951 wieder. Schretzmair suchte Ziebell aus eigenem Antrieb auf. Sie sprachen über die „Memoiren“. Ziebell meinte, eine Zeitung hätte vielleicht Interesse daran und böte ihm dafür einen Korrespondentenposten in Paris an. Als Gehalt schwebten Dorothy 40.000 Francs im Monat vor. Am 14. November kam sie vereinbarungsgemäß von Stuttgart nach Frankfurt, von wo aus Ziebell mit ihr nach Wiesbaden fuhr. Gemeinsam gingen sie ihre Aussage durch und verglichen sie mit der Niederschrift, die in Saarbrücken zwischen August und der Abreise Schmeissers entstanden war. Schmeisser hatte auch eine Reihe von Eidesstattlichen Erklärungen formuliert. Am 15.
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PA/AA, B 130, Bd. 13798.
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Bonn - Die Rolle des SPD-Parteivorstands
November diktierte Ziebell bei der Wiesbadener Polizei von Seidlitz das Protokoll, das Schretzmair dann unterschrieb. Ziebell behauptete, niemals Agent des hessischen LfV gewesen zu sein. Er hielt sich lediglich in einem Raum des LfV auf, weil er nicht nach Saarbrücken zurückkehren konnte. Dort bearbeitete er seine eigenen Saarangelegenheiten. Sollte Paul Schmidt gesagt haben, er (Ziebell) sei Agent des hessischen LfV gewesen, so tat er dies aus „verwaltungsinternen Gründen“ gegenüber seiner vorgesetzten Dienststelle. Ziebell erhielt auch kein Geld vom LfV. Er bekam gelegentlich Beträge, die er weiterleiten sollte, dürfe aber nicht sagen, an wen. Die Wiesbadener Protokolle Schmeissers und Schretzmairs erhielt Schmidt nicht als Leiter des LfV, sondern als „prominenter Sozialist“. Ziebell wurde gefragt, wieso private Erklärungen in amtliche Form gebracht wurden. Er sagte dazu Folgendes: Der SPD-Bundesvorstand habe 1950 gewünscht, den im Wahlkampf erfolgreichen Ministerpräsidenten Stock durch Zinn zu ersetzen. Die hessische Regierung mußte von jetzt an tun, was der Parteivorstand anordnete. Nunmehr drängte der Parteivorstand auf ein amtliches Protokoll, und so bewegte sich dies im Rahmen der Gepflogenheiten. Ziebell hatte zuvor mit Schmidt überlegt, in welcher Weise Schretzmair ihre Erklärungen abgeben sollte. Schmidt plädierte für ein Protokoll durch das Polizeipräsidium Wiesbaden. Er wollte von Seidlitz verständigen. Als Ziebell mit Schretzmair zum Polizeipräsidium fuhr, schien von Seidlitz unterrichtet. Jedenfalls forderte er keine Erklärungen. Ziebell gefiel die polizeiliche Vernehmung nicht, da er fürchtete, Schretzmair werde dann nicht aussagen. Tatsächlich mußte er ihr versprechen, das Protokoll nicht bei der Polizei zu lassen. Sie befürchtete Folgen aus der Selbstbezichtigung in der Affäre um den Dokumentendiebstahl in der bayerischen Staatskanzlei. Ziebell verabredete im November 1951 mit Dorothy, daß Schmeisser selbst in der Bundesrepublik seine Erklärungen abgeben solle. Ziebell zerstreute Befürchtungen, dieser solle nach Deutschland gelockt werden, um ihn zu verhaften. Ziebell und Schmeisser fertigten das Protokoll vom 22. November 1951 in mehreren Exemplaren an, die Schmeisser alle unterschrieb. Ziebell behielt eines selbst, die übrigen drei gab er Paul Schmidt. Zuvor wurden sie durch die Unterschrift von Kriminalinspektor Sch. im Wiesbadener Polizeipräsidium in amtliche Form gebracht. Ziebell gab Schmeisser einen Vertrag, wonach er für mehrere Zeitungen als Korrespondent in Paris tätig werden sollte. Sylvester 1951 äußerte Schmeisser jedoch den Wunsch, in Deutschland zu arbeiten, weil er wegen eines Vorfalls in Frankreich dort nicht bleiben wollte. Paul Schmidt informierte den SPD-Parteivorstand über die Erklärungen Schmeissers. Schretzmair war bereits bei Heine gewesen und hatte die Unterlagen für 10.000 DM angeboten. Heine bat Schmidt aber, sie über seine Verbindungen zu beschaffen. Ziebell schärfte Schmidt ein, eine Verwendung der „Memoiren“ dürfe nur mit seiner (Ziebells) Einwilligung stattfinden. Der SPD-Parteivorstand fand sich mit dieser Sperrung ab, fragte aber im Frühling 1952 mindestens einmal nach, ob sie aufgehoben sei. Ziebell filterte aus den Erklärungen Schmeissers diejenigen heraus, die sich auf den Osten bezogen und von daher in das Aufgabengebiet des LfV fielen. Im übrigen kam das Schmeisser-Protokoll nicht in den Geschäftsgang des LfV. Im Januar 1952 wurde Schmeisser aus Frankreich ausgewiesen. Ziebell bat Schmidt, ihm eine Arbeit zu besorgen. Schmeisser hatte freilich in Paris keine journalistische Tätigkeit ausgeübt, obwohl Ziebell ihn zum Schreiben aufgefordert hatte. Schmidt vermochte ihn daher nicht als Journalist unterzubringen. Ziebell wollte Schmeisser vor einem „Rückfall“ bewahren. Schmidt sagte Ziebell, er könne Schmeisser als Agent des hessischen LfV beschäftigen. Er solle in Frankfurt Aufträge übernehmen, die nichts mit seinen früheren Sachen zu tun hätten. Im Rahmen dieses Dienstes könne Schmeisser auch für Ziebells Saaraktionen tätig sein. Es gab dann aber eine
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Überschneidung, weil Schmeisser in Frankfurt zufällig Hella Hubaleck begegnete. Sein Frankfurter Vorgesetzter forderte ihn auf, aus Hubaleck möglichst viel herauszuholen. Als Ziebell davon hörte, protestierte er gegen die Einmischung des hessischen LfV in „meinen Saarsachen“ durch Heranziehung einer für die französisch-saarländische Seite arbeitenden Agentin. Schmidt entschied, dies sei besser Ziebell zu überlassen. Im ersten Quartal 1952 erfuhr Ziebell, die Gegenseite bereite eine Pressekampagne gegen ihn und Paul Schmidt vor, in die sie auch den „Spiegel“ einbinden wollte. Ziebell wollte daher Kontakt mit dem „Spiegel“ aufnehmen. Mans fragte zufälligerweise einen gemeinsamen Bekannten nach einem Experten für die Verhältnisse an der Saar. Der Bekannte vermittelte ein Treffen zwischen Mans und Ziebell. Als sie über die Saar sprachen, erwähnte Mans die Geschichte über eine Rückkehr Strassers, worüber Ziebell lachte. Er machte Mans klar, Strasser habe keine Einreisepapiere für Deutschland, Frankreich oder die Saar erhalten. Mans widersprach, denn zwei Personen seien im Begriff, Strasser diese Papiere zu besorgen. Er zeigte Photos von Schmeisser und Schretzmair. Mans erwähnte Masloh, der ihm von Zweig – den Ziebell damals nicht kannte – zugeführt werden sollte. Er berichtete über Maslohs Verbindung zu Schmeisser und die Blankenhorn-Sache. Ziebell brachte ihn davon ab und stellte ihm aktuelleres Material in Aussicht: eine Story über Masloh, den Leiter des saarländischen Nachrichtendienstes. Mans nahm Zweigs Vorschlag an, Masloh nach Frankfurt zu bringen. Der „Spiegel“ stellte die nötigen Gelder zur Verfügung, als Mans darum ersuchte. Ziebell sollte an der Zusammenkunft als Angehöriger des „Spiegel“ mitwirken. Er bat Schmeisser, scheinbar zufällig am Treffpunkt von Zweig und Masloh zu erscheinen. Als die beiden kamen, waren sie über die Begegnung mit Schmeisser „erschüttert“. Sie sagten Ziebell, Schmeisser sei ihnen bestimmt nicht zufällig über den Weg gelaufen. Schmeisser sei der Mann, über den Zweig dem „Spiegel“ Informationen gegeben habe, die von Masloh stammten. Beide erzählten, wie sie versucht hätten, sich der Quittungen Blankenhorns bei Schmeisser zu bemächtigen. Allein, Schmeisser sei zuvor nach Paris übergesiedelt. Was würde der „Spiegel“ für solche Quittungen bezahlen? Doch Ziebell ging zu den Themen über, die der eigentliche Anlaß des Treffens waren. Mans unterrichtete den „Spiegel“ über die Aktion. Der „Spiegel“ wünschte einen Artikel über Blankenhorn statt über Masloh, wovon Ziebell Mans jedoch angeblich abriet. Wie ist dies alles zu bewerten? Paul Schmidt galt beim SPD-Parteivorstand als absolut vertrauenswürdig. Er hatte Ziebell eingeführt und dabei auch dessen Märchen von seinen nachrichtendienstlichen Aktivitäten zugunsten Deutschlands an der Saar wiedergegeben. Als die DSZ Schmidt, Ziebell und Schmeisser attackierte, glaubten deshalb die „Eingeweihten“ im SPD-Parteivorstand, verdeckte Operationen im deutschen Interesse würden nicht durchschaut. Einige Leute täuschten sich über Paul Schmidt und schenkten daraufhin Ziebell gänzlich unangemessenes Vertrauen. Wir sahen bereits, was Ziebells Handlungen im sozialdemokratischen Umfeld an der Saar wirklich bezweckten: die Einschüchterung der prodeutschen Kreise um Regitz und Conrad. Der SPD-Parteivorstand wünschte hingegen eine Versöhnung der verfeindeten Sozialdemokraten an der Saar unter dem Banner der stufenweisen Rückkehr der Saar zu Deutschland. Schumacher und Ollenhauer wollten auf Anraten Ritzels zumindest eine solche Option nicht ganz ausschließen. Ziebell und Kirn dachten nicht ernsthaft daran, sondern wollten die „Parteischädlinge“ zerschmettern. Als Ollenhauer und Heine dies erkannten, wurde die Bekämpfung der SPS weitergeführt. Zudem bestand in der „Baracke“ große Hoffnung, die Bundesregierung durch den Fall Blankenhorn in Bedrängnis zu bringen. Ziebell besaß mit den Wiesbadener Protokollen einen Köder für den Bonner SPD-Vorstand. Schmidt gab Heine davon Kenntnis, und dieser „biß an“. Ziebell wollte die SPD-Spitze mit Hilfe der Blankenhorn-Affäre dazu anspornen, seine
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Bonn - Die Rolle des SPD-Parteivorstands
französisch eingefärbten Saarpläne gutzuheißen. Dies wirkte durchaus: Heine ließ Ritzel gewähren, wenngleich der SPD-Vorstand sich hütete, den von Schumacher und Ollenhauer skeptisch betrachteten Versuch einer Versöhnung zwischen SPD und SPS offiziell aufzugreifen. Trotzdem besaß Ziebell ein Druckmittel, denn die geheimen Unterredungen Ritzels mit der SPS-Spitze in seinem Beisein konnten der nach außen hin eine resolute Saarpolitik betreibenden SPD erheblichen Schaden zufügen, wenn sie durchsickerten. Paul Schmidt hatte entscheidend dazu beigetragen, Ziebells Anregungen in der „Baracke“ salonfähig zu machen. Die Achtung, die Schmidt dort genoß, kam freilich nicht von ungefähr... e) Schmidt und Schuster als „Aufpasser“ des Parteivorstands in Hessen? Paul Schmidt hatte eine sozialdemokratische Bilderbuchkarriere hinter sich, wie wir schon wissen. 73 Sie verschaffte ihm starke Rückendeckung beim SPD-Parteivorstand. So scheint Schmidt auf der Basis dieses Vertrauens eine besondere Aufgabe für sein Wirken in Hessen erhalten zu haben. Schmidt, Erich Schuster und der Regierungsrat im hessischen Innenministerium und spätere Landrat von Wetzlar Hans Günther Weber versorgten den SPD-Parteivorstand bis 1953 regelmäßig mit Material des hessischen LfV über die rechte und linke Szene. 74 Der französische Geheimdienst oder die Fälle Schmeisser und Krüger wurden niemals thematisiert – oder die Akten „gesäubert“. Es hat den Anschein, als seien Schmidt und Schuster Vertrauensleute des Parteivorstands in Wiesbaden gewesen. Mans hatte im übrigen nur Kopfschütteln in der „Baracke“ hervorgerufen, als er bei seinen SchmeisserRecherchen nach der Zuverlässigkeit von Schmidt fragte und den Agentenvorwurf dabei erwähnte. 75 Ministerpräsident Georg-August Zinn kann durchaus als Rivale des Parteivorsitzenden Erich Ollenhauer bezeichnet werden. Sowohl 1953 als auch 1957 gab es in Hessen Bestrebungen, Zinn anstelle von Ollenhauer gegen Adenauer ins Rennen um das Kanzleramt zu schicken. 76 Dieser Ehrgeiz drang aber kaum über die hessischen Landesgrenzen hinaus, denn Ollenhauer galt in beiden Wahlen als unangefochtener Spitzenkandidat der SPD. 77 Im Jahre 1957 wurde eine für unseren Kontext nicht unwichtige Information bekannt: 1953 sei das Mißtrauen zwischen dem Bonner Parteivorstand und der engsten Umgebung des hessischen Ministerpräsidenten groß gewesen. Seinerzeit kursierte das Gerücht, das hessische LfV bespitzele im Auftrag des Parteivorstands die Landesregierung. 78 Auch das Kanzleramt erfuhr durch eine streng vertrauliche Notiz 79 von den Rivalitäten zwischen Ollenhauer und Zinn: Das SPD-Vorstandsmitglied Wilhelm Mellies habe die Vorfälle um das LfV Wiesbaden als „äußerst peinliche Geschichte“ bezeichnet. Heine soll Krüger – der eigentlich Pifke heiße – dazu bewogen haben, ihn regelmäßig mit Informationen über politische Gegner und Funktionäre der SPD zu versorgen. Zinnkann habe Krüger unverzüglich entlassen, als er davon erfuhr. Mellies habe eine sorgfältige Prüfung angekündigt.
73 74 75 76 77 78 79
Vgl. Kap. VI.1a. Material in: AdsD, SPD-PV. Sekretariat Fritz Heine, 2/PVAJ0000084, 2/PVAJ0000649 bzw. 2/PVAJ0000652. Vgl. Kap. VI.5c. Material in: AdsD, NL Heine, Bd. 251. Hinweis für 1957 bei Appelius, Heine, S. 290f. Dazu Klotzbach, Weg, S. 281-292 bzw. S. 388-401. „Bonner Hefte“, 19.6.1957: „Kritische Monate für Erich Ollenhauer“. ACDP, NL Globke, I-070-013/1, Aufzeichnung, Streng Vertraulich, o.D.
Die Schmeisser-Affäre
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Erinnern wir uns des weiteren an die Ermordung von Paul Schmidts Ehefrau Johanna Kirchner in Plötzensee. Dies schuf hohes moralisches Ansehen, durch das Schmidt gegen Verdächtigungen gefeit war. Über die Nähe zur KPD im Jahre 1945 scheint man in der „Baracke“ hinweggesehen zu haben. Schmidt litt an Tuberkulose, was ihn geradezu zum Versorgungsfall machte. Ein gewisses Verantwortungsgefühl des Parteivorstands trug vielleicht dazu bei, Schmidt noch einige Jahre in guter Stellung beschäftigen zu wollen. Keine mildernden Umstände gibt es aber für seine Wahl zum Leiter eines Verfassungsschutzamtes. Dies alles macht verständlich, warum der Parteivorstand Schuster und Schmidt für zuverlässig erklärte und Ziebell unter Berufung auf Schmidt und Ritzel ein offenes Ohr fand. Schon im Oktober 1952 hatte der Landesverband Bayern der SPD auf eine Frage von Heines Mitarbeiter Siegfried Ortloff nach Ziebell verwundert festgestellt, es sei doch kaum denkbar, daß dem Parteivorstand die Tätigkeit Ziebells bei Paul Schmidt verborgen geblieben sein könnte. 80 Am 6. Oktober 1955 wurde dem SPD-Parteivorstand mitgeteilt81, der hessische Verfassungsschutz habe Schmeisser laut Ziebell zu seiner Niederschrift gezwungen und dabei auf Anweisung Schumachers gehandelt. Die Protokollabschriften seien zum Parteivorstand gegangen und sollten „für den rechten Augenblick aufgehoben werden“. Natürlich war diese Nachricht tendenziös, denn Ziebell handelte in Wiesbaden nach eigener Regie. Indessen klang Ziebells Version plausibel. Deshalb fürchtete Heine Meldungen dieser Art. Es ließ sich nicht leugnen, daß man in der Saarfrage eine vorsichtige Kooperation mit Ziebell betrieben hatte. Schlimmer aber: Ziebell hatte Spuren gelegt, die die Staatsanwaltschaft im Fall Schmeisser zum SPD-Parteivorstand führten. Schmidt übersandte Anfang 1952 einen Teil der Schmeisser-Protokolle, was Heine zugeben mußte. Ferner erweckte Ziebell den Eindruck, Schmeisser und Schretzmair seien im Juni 1952 vom SPD-Parteivorstand nach Bonn eingeladen worden. Schmidt hatte dabei mitgewirkt, denn auf ihn pflegte man in der „Baracke“ zu hören. Im letzten Moment sagte Heine die Vorsprache des Pärchens ab. Er dürfte das Risiko erkannt haben, das er damit auf sich geladen hätte. Während Zinn und Zinnkann aufgrund ihrer mangelnden Kontrolle über das LfV Wiesbaden jede Publizität fürchten mußten, hatte der SPD-Parteivorstand andere Gründe, das Licht der Öffentlichkeit zu scheuen. Der gravierendste war gewiß nicht die Saar-Sondierung zum Thema „Einheit der Sozialisten“, die sich notfalls aus Parteiräson rechtfertigen ließ. Weitaus stärker ins Gewicht fiel die Zusammenarbeit mit einem notorischen Agenten wie Ziebell, dessen kriminelle Energie aktenkundig war. Der Vorwurf, mit Hilfe Ziebells ein Komplott gegen die Bundesregierung geschmiedet zu haben, das im Wahlkampf 1953 zur Entfaltung kommen sollte, konnte nicht ausbleiben. Dies hätte Heine kaum entkräften können – zumal er wirklich mit solchen Gedanken spielte. Fast ebenso schwer wog der Ärger, den sich Ollenhauer in Hessen eingehandelt hätte. Mochte Zinn um seine „Beobachtung“ durch Schmidt oder gar Schuster im Auftrag Heines wissen – drang dies nach außen, drohte der SPD ein handfester Skandal. Schmidt wurde großes Vertrauen geschenkt; allein, seine kommunistischen Neigungen und seine Kritik an Schumachers Kurs hätten als Warnung dienen sollen. Schmidt ließ sich mit mehreren Geheimdiensten ein, und die SPD-Spitze sah ungerührt oder ungläubig zu. Bedenkt man die umrätselten Ostkontakte sowohl Schmidts als auch Schusters, bedarf es keiner großen Phantasie, um sich die Folgen grundlegender Enthüllungen auszumalen. Dabei ist auch an die mehrfach erwähnten Gerüchte über ein (verschwundenes) weiteres Protokoll Schmeissers mit Informationen über Interna der SPD, 80 81
AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 3528D, Auszug eines Schreibens des SPD-Landesverbands Bayern, 20.10.1952. AdsD, NL Heine, Bd. 146, Aufzeichnung, 6.10.1955.
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besonders zu geheimen Verbindungen mit der SED, zu erinnern. Demnach ist völlig klar, warum die SPD in der Schmeisser-Affäre behutsam blieb und an einer restlosen Aufklärung keinerlei Interesse besaß. Dies galt erst recht in Anbetracht der großen Aufmerksamkeit, die Ziebell inzwischen von seiten mehrerer Bundesministerien gewidmet wurde. 3) ZIEBELL IM VISIER DER BUNDESBEHÖRDEN a) Informationsaustausch zwischen den Bundesministerien Die Vorgänge um das Saarbrücker Kaufhaus Walter 82 sorgten nur im Saarland für Aufregung. Der Deutsche Saarbund (DSB) informierte daher das Auswärtige Amt am 26. November 1951 83, daß Ziebell am 14. November wegen Beteiligung an kriminellen Handlungen im Konkursverfahren gegen das Kaufhaus Walter verhaftet werden sollte. Er dürfte nach Frankfurt a.M. geflüchtet sein. Ein Strafverfahren wäre ein guter Weg, Ziebell unschädlich zu machen. Sowohl das Auswärtige Amt als auch das BMG hatten Ziebell zu diesem Zeitpunkt längst durchschaut, nachdem dessen Manöver an der Saar bis Sommer 1951 bei der prodeutschen Opposition und bei den Bonner Ministerien für beträchtliche Verwirrung gesorgt hatten. 84 Am 6. Oktober 1951 erfuhr Ministerialreferent Wilhelm Bodens (BMG) Näheres über Paul Schmidt. 85 Die Doppelagentin Hella Hubaleck erzählte ihm, der für Laffon in Saarbrücken arbeitende Ziebell führe Schmidt als französischen Agenten mit regelmäßiger Besoldung. Dafür liefere er Informationen über SPD und Gewerkschaften. Am 22. November 1951 wiederholte Hubaleck diese Anschuldigungen in Gegenwart eines Vertreters des BfV. Bodens benachrichtigte das BfV auch darüber, daß Ziebell im Saargebiet wegen Unterschlagung mit Haftbefehl gesucht werde und sich nach Wiesbaden abgesetzt habe. Dort stehe er unter dem Schutz von Schmidt und sei Mitarbeiter des LfV geworden. Rechtsanwalt Heinrich Schneider orientierte am 26. Dezember 1951 Staatssekretär Thedieck (BMG) über Ziebell. 86 Die in Saarbrücken ausgestreuten Gerüchte, Knoop halte telefonische Verbindung mit dem dortigen Hohen Kommissariat, stammten von dem früheren Rechtsanwalt Jürgen Ziebell, einem Mann mit bewegter Vergangenheit. Er arbeite für das französische Hohe Kommissariat. Schneider schilderte dann dessen Mitwirkung am betrügerischen Bankrott des Kaufhauses Walter. Per Haftbefehl gesucht, setzte er sich nach Wiesbaden ab, wo ihn ORR Schmidt unter seinen Schutz nahm. Eine Verhaftung mißlang; im Gegenzug wurde Strafanzeige gegen den Konkursverwalter in Saarbrücken erstattet. Es werde der Versuch unternommen, aus der kriminellen Sache eine politische zu konstruieren: Ziebell werde wegen seiner „deutschen Haltung“ verfolgt. Dies sei völlig falsch, denn das Hohe Kommissariat habe Ziebell in die Angelegenheit eingeschaltet. Es gehe nicht an, daß ein solches Subjekt im Bundesgebiet Unterschlupf finde. Er melde dies nicht zuletzt, weil ihm seinerzeit vorgeworfen wurde, das BMG nicht über die Vorwürfe wegen Indiskretionen unterrichtet zu haben. Heinrich Schneider fügte einen Beschluß des Amtsgerichts Wiesbaden vom 14. Dezember 1951 bei, demzufolge der Antrag des Landgerichts Saarbrücken auf Verhaftung Ziebells 82 83 84 85 86
Vgl. Kap. IV.5. PA/AA, B 10, Bd. 481, Bl. 187f., S 4 [Heinrich Schneider], Notiz, o.D. Vgl. Kap. IV.1. BA, B 137, Bd. 16540, Vermerk Bodens, Geheim, 8.10.1951. LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 142, und BA, B 137, Bd. 16540. Thedieck gab Nollau am 29.12.1951 davon Kenntnis (ebd.).
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abgelehnt wurde. 87 Dafür wurde neben unzureichendem Beweismaterial auch die deutsche Staatsangehörigkeit Ziebells angeführt: Obwohl das Saarland rechtlich einen Teil Deutschlands bilde, müsse es aufgrund der faktischen Gegebenheiten als Ausland angesehen werden. Das BMG hatte Mißtrauen gegen das LfV Wiesbaden gefaßt und beriet nun auch mit dem Auswärtigen Amt darüber. Knoop ließ Strohm am 25. Januar 1952 wissen 88, in der Staatskanzlei von Rheinland-Pfalz habe Regierungsrat Fritz Duppré ihm am 8. Dezember 1950 gesagt, er müsse vor Georg Schneider auf der Hut sein, da dieser eventuell Kommunist sei. Er bezog sich auf Paul Schmidt, der aus Bendorf stammte, wo G. Schneider jetzt wohnte. Laut Schmidt könne G. Schneider nur deshalb unbehelligt seinen „Saarländischen Nachrichtendienst“ betreiben, weil er gute Beziehungen zu einem kommunistisch gesinnten Beamten des französischen Landeskommissariats unterhalte. Eine von Bodens veranlaßte Überprüfung dieser Angaben durch das BfV erbrachte keinerlei Erhärtung der Verdächtigungen. Vielleicht wollte Schmidt den unbequemen Georg Schneider wirklich in Mißkredit bringen. Indessen erwiesen sich seine Angaben nicht als völlig aus der Luft gegriffen. Als es im Frühling 1952 zu einem Zerwürfnis zwischen Georg Schneider und der DPS-Spitze kam, ließ der Bendorfer Journalist sich erstaunlich rasch von der Sûreté abwerben. Interpol Saarbrücken ersuchte den Wiesbadener Polizeikommissar von Seidlitz im April/Mai 1952, Ziebell wegen der Affäre um das Kaufhaus Walter zu inhaftieren und auszuliefern. 89 Laut Schmeisser bat ORR Schmidt von Seidlitz, den Aufenthaltsort Ziebells zu verschweigen. Der Kommissar habe nachgegeben, weil er das enge Verhältnis zwischen Schmidt und Ziebell kannte. Bundesjustizminister Dehler wurde auf Ziebell aufmerksam und erinnerte sich am 10. April 1952 an dessen Rolle im Münchner Sonderministerium. 90 Nun gelte er „als Spitzel der Französlinge an der Saar“ und arbeite offenbar mit ORR Schmidt im LfV Wiesbaden zusammen. Das Landgericht Saarbrücken habe einen Haftbefehl gegen Ziebell erlassen, eventuell auch einen Auslieferungsantrag. Dehler ordnete Erkundigungen beim BfV an. Am 19. Juli verabredete Grützner (BMJ) mit Vizepräsident Albert Radke, daß dieser sich um die Sache kümmern werde. Schon am 22. Juli übersandte Nollau dem BMJ ein Bewerbungsschreiben Ziebells für das BfV vom September 1950 und den DSZ-Artikel vom 30. Mai 1952. Der „Spiegel“-Artikel vom 9. Juli hatte die Lethargie des BfV hinweggefegt. Thedieck machte Dehler am 21. August 1952 den Beschluß des Amtsgerichts Wiesbaden vom 14. Dezember 1951 zugänglich und wies auf die mit der deutschen Rechtsauffassung91 unvereinbare Argumentation des Gerichts hin. Ziebell habe im Frühjahr 1951 unter Berufung auf seine Freundschaft mit ORR Schmidt eine Unterredung mit Jakob Kaiser führen können. 92 Knoop hatte am 19. August 1952 einen Meinungsaustausch mit Klaus Meyer (BMJ), der die Kritik an dem völkerrechtlich fragwürdigen Beschluß des Amtsgerichts Wiesbaden teilte und eine Vorsprache beim hessischen Justizministerium in Aussicht stellte. 93 Die Bundesregierung ging von der Zugehörigkeit der Saar zu Deutschland in den Grenzen von 87 88 89 90 91 92 93
Ebd.; BA, B 141, Bd. 12083. BA, B 137, Bd. 16540; BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 43-44. BA, B 136, Bd. 241, Protokoll der Vernehmungen Konrad Schmeissers in Starnberg vom 10.-20.10.1952, hier: S. 1. BA, B 141, Bd. 12083 (auch für das Folgende). Zur völkerrechtlichen Argumentation der Bundesregierung in der Saarfrage: Elzer, Im Dienste, Teil IV, Kap. III. Unterlagen über ein solches Gespräch konnten nicht ermittelt werden. BA, B 141, Bd. 12083, Vermerk Meyers, 23.8.1952.
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1937 aus, wobei die Bundesrepublik Deutschland rechtstheoretisch als identisch mit dem Deutschen Reich betrachtet wurde, obwohl dies für den territorialen Umfang nicht uneingeschränkt zutraf. 94 Dehler nahm dies zum Anlaß, am 30. August 1952 seinen Amtskollegen aus Hessen unter Hinweis auf sein Schreiben vom 5. August darauf aufmerksam zu machen, daß die Stellungnahme des Gerichts in sich widersprüchlich sei. 95 Georg August Zinn – der die Ämter des Ministerpräsidenten und des Justizministers in seiner Person vereint hatte – wurde daraufhin beim Wiesbadener Landgerichtspräsidenten vorstellig und verfaßte einen Runderlaß über den völkerrechtlichen Standpunkt der Bundesregierung an die hessischen Oberstaatsanwälte. 96 Das BMJ erkundigte sich am 21. November nach den Ergebnissen dieser Intervention. Das hessische Justizministerium ließ am 2. Dezember wissen, weitere Maßnahmen seien nicht getroffen worden und Akten über den Fall lägen nicht vor. Am 17. September 1952 stellte John auf Bitten Grützners fünf Akten bayerischer Behörden über Ziebell zur Verfügung, die er vom LfV Bayern erhalten hatte. Am 25. September ließ das BfV die Dossiers durch einen Boten wieder abholen. John bat Grützner bei einem Treffen am 1. Oktober 1952, eine Überstellung Ziebells an die saarländischen Behörden hinauszuzögern, bis die Ermittlungen des BfV beendet seien. Der Bonner Oberstaatsanwalt Drügh solle mit einer Vernehmung Ziebells ebenfalls noch warten. b) Ziebells Verhaftung in Berlin im Herbst 1952 und die Einbehaltung seines Reisepasses Als Ziebell auch in Hessen der Boden zu heiß wurde, siedelte er im Laufe des Jahres 1952 in seine alte Heimat über: nach Berlin. Dort hatte er sogleich Unannehmlichkeiten: Der Berliner Kriminalassistent Kurt Klang ließ Ziebell am 31. Oktober 1952 auf dem Flughafen Tempelhof infolge einer Anzeige der Staatsanwaltschaft Saarbrücken verhaften und verhörte ihn danach ausgiebig im Polizeipräsidium. 97 Ziebell erzählte ihm, er arbeite seit langem mit Paul Schmidt an der Aufklärung gewisser politischer Zusammenhänge im Kontext der Saarfrage. Er deutete einen parteipolitischen Hintergrund an. Sie wollten feststellen, ob Adenauer seine Zusage ernst meine, die Saarfrage im französischen Sinne zu bereinigen. Er habe einen französischen Spionagering in Hessen ausfindig gemacht und eines seiner Mitglieder – Schmeisser – zur DST nach Paris geschickt, um die dortigen Intentionen zu erforschen. Dieses Unternehmen sei fehlgeschlagen. Die Agentin Schretzmair habe er in Wiesbaden umgedreht und dort vernehmen lassen. Was den Haftbefehl der Staatsanwaltschaft Saarbrücken betreffe, so habe man ihm dessen Aufhebung zugesagt, wenn er den ebenfalls für die deutschen Interessen tätigen Rechtsanwalt Heinrich Schneider belaste. Das habe er abgelehnt. Ziebell zeigte sich erfreut, daß Klangs Vorgesetzter der SPD angehöre, denn so könne er Deckung erhalten. Klang entnahm den Unterlagen Ziebells, daß dessen Mutter in Starnberg im gleichen Haus wie Schmeisser und seine Freundin wohnte. Es fand sich ferner u.a. eine Visitenkarte des SPD-Bundestagsabgeordneten Heinrich Ritzel. Außerdem gab es Postanweisungen vom August und September 1952 für Zahlungen an Paul Walter in Oberhausen über 300 DM und 150 DM. Ziebell pflege Verbindung mit einem Rechtsanwalt, der Personen verteidige, die wegen Menschenraubs zugunsten des Ostens angeklagt würden.
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Dazu Elzer, Im Dienste, Teil IV, Kap. I. BA, B 141, Bd. 12083; BA, B 137, Bd. 16540. BA, B 141, Bd. 12083 (auch für das Folgende). BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 29-31, Freiburg-Südwest, Betr.: Affäre Schmeisser, Geheim, 3.11.1952.
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Was Ziebell nicht wußte: Klang gehörte der FDP an, nicht der in West-Berlin damals dominierenden SPD. Klang schilderte Blankenhorn am 15. Februar 1954 sein Wissen über Ziebell. 98 Der mit politischen Straftaten befaßte Beamte hatte vom Abteilungsleiter Hardtke im Berliner LfV sowie von einem Bekannten bei der FDP gehört, Ziebell werde in Kürze in Tempelhof erwartet. Adenauer habe die Organisation Gehlen beauftragt, dessen Aktivitäten zu beobachten. Dies bestätigte auch deren Mitarbeiter Wolfgang Höher. Klang ließ Ziebell nach dessen Eintreffen durch die Flughafenpolizei verhaften. Gemeinsam mit Hardtke studierte er seine Papiere. Da der Haftbefehl des Amtsgerichts Saarbrücken gegen Ziebell von einem bundesdeutschen Gericht wieder aufgehoben wurde, mußte er entlassen werden. Der Bitte, ihm einen Reisepaß für Südamerika zu beschaffen, wurde entsprochen. Später übergab Ziebell den Durchschlag einer polizeilichen Vernehmung Schmeissers, der über den Berliner FDP-Sicherheitsexperten zur Organisation Gehlen nach Karlsruhe gelangte. Ziebell berichtete von seinen Ermittlungen im Auftrag des hessischen LfV. Höher photographierte das Wiesbadener Vernehmungsprotokoll und schaffte es nach Karlsruhe. Klang zog es vor, die Unterlagen nicht in die Hände von Sozialdemokraten gelangen zu lassen. Strafbare Handlungen Ziebells hätten nicht vorgelegen, so daß die dienstlichen Aktivitäten streng genommen nicht Rechtens waren. Danach wurde von seiten der Berliner SPD zunächst die Versetzung und anschließend die Entlassung des überzeugten FDP-Mannes Klang betrieben. Er reichte tatsächlich seinen Abschied ein, erlangte aber die von ihm erhoffte Arbeitsstelle nicht. Es sei in Berlin nicht von Vorteil, im Interesse der Bundesregierung zu agieren. Klang bat Blankenhorn, ihm bei der Suche nach einer neuen beruflichen Tätigkeit behilflich zu sein. Blankenhorn hatte wenige Tage zuvor einen Vertreter der Berliner Dienststelle namens Erlewein in die Privatwohnung von Klang geschickt. 99 Dieser erzählte dabei ähnliches. Klang hatte hinter dem Rücken des Berliner Polizeipräsidenten gegen Ziebell ermittelt und dabei einen inoffiziellen Auftrag erhalten, der wohl von der Organisation Gehlen kam. Erlewein meinte, man könnte Klang durch eine Empfehlung an den Berliner FDP-Vorsitzenden CarlHubert Schwennicke helfen. Die ganze Affäre wurde noch pikanter durch die Einbindung des Doppelagenten Höher, der im Februar 1953 vom MfS abgezogen wurde. 100 In Saarbrücken lagen Informationen vor, die Ziebells insgesamt gefärbte Tempelhofer Aussage in einem Punkt bestätigen: An der Saar wurde erwogen, seine Rückkehr zu ermöglichen, da man ihn gut gebrauchen konnte. 101 Ein Gericht in Berlin-Charlottenburg habe angefragt, ob die Staatsanwaltschaft Saarbrücken eine Auslieferung Ziebells wünsche. Da Ziebell im Besitz eines saarländischen Passes war, bot dies rechtlich keine Schwierigkeiten. Die Saarregierung habe Einfluß genommen und erwirkt, daß auf die Auslieferung Ziebells verzichtet werden solle. Dazu wurde behauptet, Ziebell sei nicht saarländischer Staatsbürger. Ziebell habe der Saarregierung mitgeteilt, er könne ihr Material über die Rolle von Heinrich Schneider im Konkursfall Walter aushändigen. Diese Angaben würden mit Skepsis betrachtet, denn man wisse, was für ein Verbrecher Ziebell sei. Ziebell glaubte also bei seinem Verhör in Berlin, seine Aussagen gelangten zur Kenntnis wichtiger SPD-Politiker. Deshalb modifizierte er seine Geschichte ein wenig: Mit seinem verborgenen Taktieren an der Saar wolle er feststellen, wie weit Adenauer den Franzosen entgegenzukommen bereit sei. Was Ziebell nicht wußte: In Wirklichkeit beruhte die kurzfristige Verhaftung auf einer Initiative im Umfeld der Bundesregierung. BfV und 98 99 100 101
PA/AA, B 2, Bd. 354A. Ebd., Aufzeichnung Erleweins, 11.2.1954. Vgl. Kap. VII.4f. BA, B 137, Bd. 3437, 43 [Heinrich Schneider], Notiz, o.D. [Ende 1952].
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Organisation Gehlen strebten nach Aufklärung der Hintergründe im Fall Schmeisser. Blankenhorn schaltete sich direkt ein und dürfte daher auch die Geheimdienste in Bewegung gesetzt haben. Er wußte nun, wie wichtig Ziebell als Kronzeuge gegen die SPD und die hessische Landesregierung werden konnte. Er durfte keinesfalls entkommen. Das BfV unterrichtete das BMJ am 21. November 1952, Ziebell sei Anfang des Monats in Berlin verhaftet worden. 102 Er berief sich auf seine Position im LfV Hessen und wurde tags darauf wieder freigelassen. Ziebell erhielt am 13. November in Berlin einen Paß. Damit ging er in Bonn sowohl zur chilenischen als auch zur schwedischen Gesandtschaft und beantragte ein Visum. Alliierte Stellen setzten ihn jedoch auf eine Vormerkliste, was eine Sperrung für Auslandsreisen impliziere. Sie versuchten ferner, Ziebells Paß einzuziehen. Dieser liege aber noch in der chilenischen Vertretung, die zugesichert habe, das BfV zu benachrichtigen, sobald das Visum genehmigt sei. Deutsche Behörden dürften den Paß nur konfiszieren, sofern ein Strafverfahren gegen Ziebell laufe. Dieser sei dringend verdächtig, im LfV Hessen eigenmächtig Unterlagen über Schmeisser an sich genommen zu haben („Gewahrsamsbruch“). Das BfV wollte Blankenhorn wegen dieses Tatbestandes zu einer Strafanzeige gegen Ziebell bewegen. Das BMJ meine jedoch, Blankenhorn würde sich damit zu sehr exponieren. Die Staatsanwaltschaft Hannover könne im Zuge ihrer Ermittlungen gegen Schmeisser ohne weiteres Anzeige gegen Ziebell erstatten. Grützner selbst bevorzugte eine Festnahme Ziebells aufgrund des in Saarbrücken ergangenen Haftbefehls. Vor der Überstellung könnte er dann zum Fall Schmeisser vernommen werden. Kurt Breull (BMI) rief am 14. November 1952 im Kanzleramt an 103 und fragte, ob die drohende Ausreise Ziebells nach Schweden unterbunden werden solle. Dies ließe sich aus Beweissicherungsgründen rechtfertigen. Die schwedische Gesandtschaft sei bereit, die Entscheidung über das beantragte Visum etwas hinauszuzögern. Das BMJ brauchte nichts weiter zu tun, denn am 27. November 1952 teilten das BfV und der Bonner Staatsanwalt Schröder mit, Ziebell sei wegen Gewahrsamsbruch angeklagt und der Paß beschlagnahmt worden. 104 Der Zuständigkeit halber ging Anfang 1953 auch das Verfahren gegen Ziebell an die Oberstaatsanwaltschaft in Hannover. 105 Das hessische Innenministerium sah am 27. April 1954 keine Handhabe, Ziebell noch länger die Rückgabe seines Passes zu verweigern. 106 Die Oberstaatsanwaltschaft Hannover habe keine Anhaltspunkte für Fluchtgefahr. Sollte das BfV weiterhin entsprechende Besorgnisse hegen, werde um Mitteilung gebeten. Das BMI erkundigte sich am 31. Juli 1954 nach etwaigen Einwänden des BMJ, nachdem das BfV sein Einverständnis erklärt hatte. Ernst Kanter (BMJ) wies am 19. August lediglich auf mögliche Bedenken der Justizbehörden in Hannover hin, die jedoch schon geklärt worden waren. Nun intervenierte das Kanzleramt. Es ließ das BMI wissen, die vermutete nachrichtendienstliche Tätigkeit Ziebells erscheine von hinlänglicher Bedeutung, um eine Aushändigung des Passes vor Beendigung des Strafverfahrens zu verweigern. 107 Diesen Standpunkt hielt das Kanzleramt auch am 30. November 1955 aufrecht. 108 Erst nach Ablauf der juristischen Auseinandersetzungen nahm das Kanzleramt im Februar 1958 seine Vorbehalte zurück. 109 So wertvoll Ziebell für Blankenhorn als Druckmittel
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BA, B 141, Bd. 12083, Vermerk Grützners, Geheim, 21.11.1952. PA/AA, B 2, Bd. 354A, Merfeld, Notiz für Herrn MD Blankenhorn, 14.11.1952. BA, B 141, Bd. 12083, Vermerk Kanters, 27.11.1952. Vgl. Kap. X.1. BA, B 141, Bd. 12083 (auch für das Folgende). BA, B 136, Bd. 1756, Bl. 7-9, Vermerke Grundschöttels und Gumbels, 12.8. und 13.10.1954. Ebd., Bl. 13, Schreiben Abichts an BMI, 30.11.1955. Ebd., Bl. 12, Schreiben BMI an StS Kanzleramt, 7.2.1958.
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gegen die SPD war – für das BMG stellten seine Intrigen vom Sommer 1952 eine starke Bedrohung dar.
4) DER BOTTLERPLATZ UNTER VERDACHT: INSPIRIERTE DAS BMG DEN „SPIEGEL“ARTIKEL? a) Bodens, Mans und das Treffen von Saar-Oppositionellen in Deidesheim am 21. Juni 1952 Am 21. Juni 1952 fand aus Anlaß des Ludwigshafener Endspiels um die deutsche Fußballmeisterschaft zwischen dem VfB Stuttgart und dem 1. FC Saarbrücken (3:2) im pfälzischen Deidesheim ein Treffen von Politikern der DPS und der DSP sowie Repräsentanten des DSB statt. Hans-Hermann Mans erklärte bei späteren Vernehmungen 110, zunächst Heinrich Schneider, später Bodens und Kresse hätten ihn dort auf die BlankenhornSchmeisser-Angelegenheit angesprochen und dargelegt, Blankenhorn zeige deswegen zuviel Nachgiebigkeit gegenüber Frankreich hinsichtlich der Saar. Bis zu dieser Zusammenkunft in Deidesheim hatte Mans nur vage Kenntnisse von der Geschichte um Blankenhorn, die er Zweig, Masloh und Ziebell verdankte. Laut Ziebell würde Nachrichtenmaterial von Bonn nach Saarbrücken geleitet. Demgegenüber behaupteten Bodens und Kresse, Paul Schmidt, Ziebell und Schmeisser seien französische Agenten. Sie rieten Mans in Deidesheim, sich über Hubaleck mit Schmeisser in Verbindung zu setzen und dann einen Artikel über die Affäre Blankenhorn zu verfassen. Mans meinte, es werde nicht einfach sein, Adenauer herauszuhalten. Es herrschte Einvernehmen, ihn soweit wie möglich zu schonen. Ziebell galt damals als Angestellter des hessischen LfV. Mit Heinrich Schneider hatte Mans schon einmal in Landstuhl über Blankenhorn gesprochen. Mans beschloß, einen Artikel zu verfassen, weil er meinte, in der Saarfrage Verantwortung tragende Politiker müßten „frei von Bindungen zu Frankreich sein“. Die Öffentlichkeit sollte jedenfalls darüber orientiert werden. Bodens hatte im Jahre 1951 genug über die Agentengruppe Schmeisser – Ziebell – Masloh erfahren, um als Insider bezeichnet werden zu können. Was sich im Umkreis des LfV Wiesbaden im einzelnen ereignet hatte, wußte er hingegen nicht. Bodens sagte am 4. Oktober 1952 aus 111, Besprechungen mit Mans habe er am 9. und 28. Juni in Bonn sowie am 21. Juni in Deidesheim gehabt. In Deidesheim seien Zeugen dabeigewesen, nämlich Heinrich Schneider, Kresse und Amtsrat Spicale (BMG). Er (Bodens) bestreite, bei einem dieser Gespräche den fraglichen „Spiegel“-Artikel angeregt zu haben. Der erste Beitrag über Hubaleck sei damals noch nicht geschrieben gewesen. Es stimme nicht, daß er Mans geraten habe, über Hubaleck an Schmeisser heranzutreten. Er habe über die engen Verbindungen von Mans mit Schmeisser Bescheid gewußt. Für die Unterredungen zwischen Bodens und Mans gibt es weitere Dokumente. Am 9. Juni 1952 tauchte Mans in der Auermühle auf, dem Sitz der Saarabteilung des BMG in Graurheindorf bei Bonn. 112 Bodens kannte ihn bis dahin nicht persönlich, wußte aber von Richard Becker und Heinrich Schneider, daß Mans einmal die Veröffentlichung von abwertenden Materialien über die DPS, die an den „Spiegel“ lanciert worden waren, verhindert hatte. Mans berief sich auf seine Bekanntschaft mit Kresse und dessen Bad 110 111 112
PA/AA, B 130, Bd. 13798, Protokolle der Vernehmungen von Mans am 10.12.1952 in Hannover und am 7.12.1953 in Wiesbaden. BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 71-72, Vernehmungsniederschrift von Bodens in Bonn, Geheim, 4.10.1952. BA, B 137, Bd. 16540, Vermerk Bodens, Geheim, 31.7.1952 (auch für das Folgende).
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Kreuznacher Verleger Karl Ferdinand Harrach. Er verfolge die Absicht, die Sûreté-Agenten an der Saar zu entlarven. Die Haltung des „Spiegel“ in der Saarfrage sei eindeutig zugunsten einer Rückkehr des Saargebiets zu Deutschland. Sein erster Schlag ziele gegen Hella Hubaleck, über die der „Spiegel“ in seinem Archiv umfangreiches Material besitze. In seinem Bericht solle auch das BMG vorkommen. Wie Bodens feststellte, kannte Mans die Namen der einschlägigen Agenten. Gut unterrichtet zeigte er sich ferner über DSZ, DSB und DPS. Das hessische LfV und ORR Schmidt sparte Mans ebenfalls nicht aus. Offenbar war er nicht nur mit den Personen vertraut, sondern auch mit den Wiesbadener Verhören. Mans sprach angeblich beim SPD-Parteivorstand mit Peters, dem Stellvertreter Heines, für den die Schmeisser-Affäre kein Geheimnis war. Der Journalist wies Peters auf die Blöße hin, die sich die SPD durch das LfV Hessen in dieser Sache gebe. Peters blieb ruhig: Die Bundesleitung kenne die Zusammenhänge, Schmidt stehe in ihrer Gunst, und eine Publikation könne die SPD nicht schrecken. Das bittere Erwachen für die SPD sollte noch folgen! Bodens fuhr fort, sein Gespräch mit Mans habe sich auf die Umstände beschränkt, mit denen sich dieser vertraut zeigte. Die Rollen von Blankenhorn und Schmidt wurden nicht vertieft. Bodens empfahl Mans, die Agenten selbst aufzusuchen. Er verdächtigte ihn offen, in deren Fahrwasser zu schwimmen. Hubaleck wolle er wohl zur „großen Mata Hari“ stilisieren. Knoops angebliche Verbindung mit Saarbrücker Stellen sei nichts als eine der vielen Enten Ziebells. Im übrigen erklärte Bodens, keine Spione jagen zu wollen und das komplizierte Geflecht ebensowenig zu durchschauen wie irgend jemand sonst. Der Ministerialreferent wollte herausfinden, was der „Spiegel“ aus den Enthüllungen Hubalecks zu machen beabsichtigte, denn die Zielrichtung gehe anscheinend gegen das BMG. Kresse, Schneider und Harrach bestätigten später die Zuverlässigkeit von Mans, der der FDP zumindest nahestehe und sich bei aller Eigenwilligkeit bemühe, der deutschen Sache an der Saar zu dienen. Er (Bodens) und Mans gehörten zu den Teilnehmern des Treffens in Deidesheim; Kresse hatte Mans mitgebracht. Richard Becker und Heinrich Schneider hießen ihn freundlich willkommen. Angelegenheiten der Parteien bzw. des DSB wurden allerdings in Abwesenheit von Mans besprochen. In seinem Beisein kam die Agentenstory zur Sprache. Neuigkeiten gab es dabei laut Bodens nicht. Mans hatte unverkennbar ständige Verbindung mit Schmeisser, Ziebell und Masloh, die er allesamt als Lügner abqualifizierte. Er erwähnte auch den für den „Spiegel“ arbeitenden Frankfurter Journalisten Zweig, der im Rufe stehe, für den französischen und den amerikanischen Nachrichtendienst tätig zu sein. Tags darauf verteilte Mans an der Seite Schneiders und Kresses beim Ludwigshafener Endspiel eifrig schwarz-rotgoldene Fähnchen mit der Aufschrift „Deutsch ist die Saar“. Am 28. Juni erschien Mans nochmals in der Auermühle. Er könne nun die Veröffentlichung im „Spiegel“ nicht länger aufschieben, wie er noch in Deidesheim in Aussicht gestellt hatte. Mans versicherte Bodens, das BMG habe nichts zu befürchten, weil er sich von der Haltlosigkeit der ausgestreuten Meldungen überzeugt habe. Er beteuerte seinen ehrlichen Willen in der Saarfrage. Bodens hielt ihm unbeirrbar entgegen, die Hubaleck-Affäre zu sehr aus der Perspektive Schmeissers und Ziebells zu betrachten. Bodens fuhr bei der Vernehmung vom 4. Oktober 1952 fort, es sei überhaupt keine Rede davon gewesen, Belastungsmaterial gegen Blankenhorn zu sammeln. Allerdings sei das Gerücht erwähnt worden, wonach Blankenhorn früher Kontakte zur Sûreté besaß. Er (Bodens) habe die Saarpolitik Blankenhorns mitnichten als ein „Unheil“ bezeichnet oder auch nur entsprechende Andeutungen gemacht. Als Mans „anzügliche Fragen“ zu Blankenhorn und Paul Schmidt stellte, habe er dazu keine Position bezogen. Schmeisser und Ziebell kenne er als französische Agenten. Bodens warf Mans vor, die Dinge „durch die Brille der Sûreté“ zu betrachten. Dies sei vor Zeugen in Deidesheim geschehen. Über Adenauer wurde gar nicht
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gesprochen. Bodens ergänzte auf Nachfrage, er habe gewußt, daß Schmeisser Belastungsmaterial gegen Blankenhorn besaß. Mans war darüber orientiert. Er selber habe jedoch nicht auf diese Dokumente hingewiesen. Ein weiterer Mitarbeiter des BMG, Herbert Spicale, wurde ebenfalls am 4. Oktober 1952 vernommen. 113 Im Deidesheimer Ratskeller seien am 21. Juni bis 20 Uhr politische Angelegenheiten erörtert worden, bevor eine gesellige Runde zusammenkam. Dabei waren Bodens, Schneider, Kresse, Mans und einige Herren der DSP. Spicale selbst war bis etwa 21 Uhr anwesend. In dieser Zeit habe Bodens nichts von dem gesagt, was ihm unterstellt wurde: Er regte weder den „Spiegel“-Artikel an noch riet er Mans, sich an Schmeisser heranzumachen, um von ihm Belastungsmaterial gegen Blankenhorn zu bekommen. Auf Nachfrage fügte Spicale hinzu, er habe nicht gehört, daß Bodens Blankenhorn als „Unheil für die deutsche Sache an der Saar“ bezeichnet habe. Bodens sei vielmehr „sehr zurückhaltend“ gewesen. Mans habe wiederholt versucht, die Namen Schmidt, Ziebell und Schmeisser in die Diskussion zu bringen und sie als deutsche Patrioten hinzustellen. Offenbar wollte er eine Meinungsäußerung von Bodens provozieren. Bodens habe jedoch stets bemerkt, er wolle mit all dem nichts zu tun haben. Er (Mans) sehe alles mit französischen Augen. Bodens schien die Zwielichtigkeit von Mans erkannt zu haben. Spicale bekräftigte, die dienstliche Erklärung von Bodens scheine ihm zutreffend zu sein. Als Spicale um 21 Uhr wegging, war die Runde von 10 Personen in aufgeräumter Stimmung und dürfte keine politischen Fragen mehr erörtert haben. Er habe Mans die ganze Zeit mißtrauisch beobachtet, zumal er alle anderen kannte. Er kam ihm undurchsichtig vor. Deswegen setzte sich Spicale dazu, wenn Mans Schneider und Becker beiseite nahm. Bergweiler (Saar-CDU) habe dies mitbekommen und ihm gesagt, er solle aufpassen, daß Mans in solchen Gesprächen nicht zuviel erfahre. Tatsächlich lenkte Spicale mehrfach bewußt vom Thema ab. Bodens sollte am 22. Oktober 1953 im Zuge des Schmeisser-Prozesses vernommen werden und bat das BMG am 29. September um Direktiven, sofern ihm die Aussagegenehmigung erteilt werde. 114 Seine Angaben könnten sowohl für die Staatsanwaltschaft als auch für die Verteidigung wichtig sein. Der Hubaleck-Komplex und der Zeitpunkt des Bekanntwerdens einschlägiger Gerüchte dürften thematisiert werden, zudem die Behauptung von Mans, er (Bodens) sei einer der Initiatoren des „Spiegel“-Artikels. Seine Sicht der Dinge sei unverändert, daß Schmeisser und Ziebell in französischem Auftrag für Verwirrung in der Saarfrage sorgen und das Ansehen der Bundesrepublik herabsetzen sollten. Knoop befürwortete am 29. September eine Aussagegenehmigung, weil eine Beeinträchtigung der Erfüllung öffentlicher Aufgaben kaum zu befürchten sei. Zudem sei das Verfahren auf Antrag Adenauers eingeleitet worden. Aus prozessualen Gründen verzögerte sich die Vernehmung. Bodens schlug am 19. Januar 1954 selbst Antworten auf mutmaßliche Fragen vor. Wenn das Gericht nach dem Zeitpunkt frage, zu dem er von den Behauptungen Schmeissers erfahren habe, wolle er den Oktober 1951 nennen und als Quelle Hella Hubaleck angeben. Die in Wiesbaden und Freiburg angefertigten Protokolle mit Schmeisser habe er nicht gekannt (falls man sich danach erkundige). Sollte man seine Ansicht über die Glaubwürdigkeit der Aussagen Schmeissers hören wollen, so werde er erwidern, es seien Agentenmeldungen im Interesse des französischen Geheimdienstes und zum Schaden der deutschen Saararbeit; er halte sie für unwahr. Sofern das Gericht die Frage stelle, ob ihm an einer Publikation der Vorwürfe Schmeissers gelegen gewesen sei, werde er dies dementieren. Falls es nachbohre, ob er wegen einer etwaigen Veröffentlichung mit Mans und Schmeisser in Verbindung getreten sei, so 113 114
BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 73-75, Vernehmungsniederschrift Spicales in Bonn, Geheim, 4.10.1952. BA, B 137, Bd. 16540 (auch für das Folgende).
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wolle er dies bestreiten. Mans habe sich freilich an ihn gewandt, während Schmeisser ihm persönlich unbekannt sei. Die Vernehmung erfolgte am 10. Februar 1954 in Bonn. 115 Bodens verzichtete also auf jede Kritik an Blankenhorns früheren Beziehungen zu Schmeisser und konzentrierte sich auf die subversiven Motive, die er Ziebell und seinen Verbündeten zuschrieb. Heinrich Schneider stellte am 13. Februar 1954 die Vorgänge in Deidesheim so dar: 116 Er verlieh damals seinem Ärger über die Schmeisser-Angelegenheit Ausdruck und gab wohl auch dessen Frankfurter Adresse preis. Er sagte zu Mans, Schmeisser und Ziebell arbeiteten trotz ihrer Entlarvung für das LfV Wiesbaden. Mans berichtete ihm später, er habe Kontakt zu Schmeisser und Ziebell aufgenommen. Mans habe ihn einmal wissen lassen, beide seien ihm schon früher bekannt gewesen. Laut Mans habe Ziebell Indiskretionen über Deidesheim in der Frankfurter „Abendpost“ veranlaßt. „Bei der Besprechung in Deidesheim war außer Herrn Mans keiner der mir bekannten französischen Agenten anwesend.“ Schneider ergänzte am 24. April 1954 117, er habe eine öffentliche Erörterung des früheren Verhältnisses von Blankenhorn zu Schmeisser „im Interesse der Saarpolitik“ für „wünschenswert“ gehalten. Blankenhorn könnte unter diesen Umständen die deutschen Belange an der Saar nicht „mit der erforderlichen Ungebundenheit“ vertreten. Diese Überlegung kam auch beim Deidesheimer Treffen zum Ausdruck. Mans konnte daraus folgern, an den Behauptungen Schmeissers sei etwas Wahres und eine Behandlung in der Presse werde gewünscht. Das Landgericht Hannover bemühte sich im September 1953 um eine Vernehmung Kresses, was auf dem Umweg über das BfV mit Hilfe des BMG ermöglicht werden konnte. 118 Am 27. Januar 1954 sagte Hermann Kresse in Bad Kreuznach aus. 119 Der Chefredakteur der DSZ erklärte, vor dem „Spiegel“-Artikel von den Angeklagten nur Mans gekannt zu haben. In Deidesheim kamen auch die Kontakte zwischen Ziebell/Schmeisser und Wiesbaden zur Sprache. Mans erzählte, er kenne beide und erhalte Informationen von ihnen, wobei er sich geheimnisvoll gebärdete. Über Adenauer und Blankenhorn wurde laut Kresse lediglich in allgemeinpolitischer Hinsicht gesprochen, nicht im Zusammenhang mit Schmeisser. Weder Bodens noch Schneider noch er selbst legten also Mans nahe, im „Spiegel“ über Agentenverbindungen dieser beiden Politiker zu schreiben, um Blankenhorn aus der Saarpolitik zu entfernen. Diese Version sei völlig falsch. Mans wurde lediglich gebeten, bei der Aufklärung der Verbindungen zwischen Saarbrücken und Wiesbaden behilflich zu sein. Was beim hessischen LfV genau abgelaufen war, entzog sich seiner Kenntnis. Kresse wußte freilich nicht, ob Bodens oder Schneider von den angeblichen Beziehungen Blankenhorns zu Schmeisser unterrichtet waren. Später gewann Kresse den Eindruck, Bodens und Schneider seien von dem „Spiegel“-Artikel ebenso überrascht worden wie er. Es erhoben sich aber auch ganz andere Stimmen. b) Schuldzuweisung an Bodens durch Ziebell und Zweig Nach einer Vorladung zur Kriminalpolizei Wiesbaden gab Mans am 4. September 1952 dort folgende Erklärung ab: 120 Dorothy Schretzmair habe den Artikel nicht „initiiert“. Der 115 116 117 118 119 120
PA/AA, B 130, Bd. 13797. BA, B 137, Bd. 16540. Dieser Entwurf wurde auch dem Untersuchungsrichter vorgelegt (PA/AA, B 130, Bd. 13797). Ebd. Material in: BA, B 137, Bd. 16540. PA/AA, B 130, Bd. 13797. BA, B 136, Bd. 241, und BA, B 141, Bd. AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 75.
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eigentliche Anstoß kam von Bodens und Kresse. Sie sagten ihm, er solle über Hella Hubaleck an Schmeisser herankommen und von diesem das Material über Blankenhorn erwerben. Was genau in diesen Dokumenten stand, wußten weder Bodens und Kresse noch er selbst (Mans). Diese beiden Männer, aber auch prodeutsche Saar-Politiker, hatten mehrfach erwähnt, wie unheilvoll die „angeblich hinhaltende Saarpolitik“ Blankenhorns sei. Mans maß diesen Ansichten erhebliche Bedeutung bei, zumal ein für die Saarfrage kompetenter Bundesbeamter sie vertrat. Alle waren sich einig, den Kanzler möglichst aus der Sache herauszuhalten. Georg Schneider teilte Bodens am 19. September 1952 mit, Mans habe in Deidesheim heimlich Aufnahmen mit einer Kleinkamera gemacht. 121 Da später tatsächlich versucht wurde, neben der lancierten Meldung über das Treffen ein Bild zu verbreiten, bedeute dies das Eingeständnis eines engen Einvernehmens zwischen Mans und dem LfV Wiesbaden. Ziebell erklärte am 8. Dezember 1953 122, Mans habe sich im Auftrag des „Spiegel“ mit der Saar beschäftigt und Kontakte zum BMG, zum DSB und zur DPS geknüpft. Er hielt ihn (Ziebell) darüber auf dem laufenden. Bodens wollte Mans dazu bewegen, über die angeblichen französischen Agenten Schmidt und Ziebell einen Bericht im „Spiegel“ zu veröffentlichen und stellte Mans Material in Aussicht. Ziebell sagte Mans, er solle auf der Herausgabe bestehen, doch es geschah nie. Kresse und Schneider unternahmen ähnliche Versuche. In Deidesheim gelang es den dreien, Mans zu dem Artikel über Blankenhorn zu überreden, wie Ziebell nach dessen Rückkehr erfuhr. Bodens empfahl Mans, über Hubaleck an Schmeisser heranzukommen, damit er von diesem eine „authentische Darstellung“ erhalte. Als Motiv für ihre Anregung nannten Bodens und Kresse, dies hänge mit den Zuständen im Auswärtigen Amt zusammen. Nachdem der ordentliche Saarreferent Strohm weggegangen sei, habe man Thierfelder nur pro forma zu seinem Nachfolger gemacht. In Wahrheit bearbeite Blankenhorn die Saarfrage, doch er übe sich im Nichtstun. Sein Sturz sei daher sehr wichtig. Mans warf ein, es geriete dann aber auch Adenauer in die Schußlinie. Bodens entgegnete, das sei nicht beabsichtigt. Kresse schlug vor, Adenauer in dem Beitrag möglichst beiseitezulassen und nicht im Rahmen der Verhandlungen zwischen Schmeisser und Blankenhorn zu nennen. Dieser Ausweg gefiel Bodens. Mans willigte nun ein. Er wollte alle Informationen berücksichtigen und bat auch Ziebell um Mitwirkung, damit Übertreibungen vermieden würden. Paul Schmidt hatte ihn zuvor gebeten, Schmeisser auszurichten, er müsse demnächst zum Parteivorstand der SPD nach Bonn reisen. Schmeisser wurde über den Termin unterrichtet und sollte vielleicht auch Dorothy mitbringen. Mans wiederum erfuhr von seiner Redaktion, die SPD wolle im Bundestag anläßlich der Debatte über die EVG den Fall Blankenhorn zur Sprache bringen. Der „Spiegel“ meldete am 6. August, im BMG werde die Auffassung vertreten, daß Blankenhorn die Belange der Saar „allzu stiefmütterlich“ vertrete. 123 Rechtsanwalt Josef Augstein unterstellte in einem Schriftsatz vom 30. Mai 1953 ein Interesse des BMG an der Entfernung Blankenhorns aus der Saarpolitik. 124 Einstweilen hielt sich das Magazin an die Auslegung, die sein Informant Ziebell propagierte. Damit nicht genug: Am 17. Juli 1952 gab Ewald Zweig in Starnberg eine Eidesstattliche Erklärung ab. 125 Ihr Gegenstand war die Behauptung, der „Spiegel“-Artikel sei auf Veranlassung von Bodens und Kresse erschienen. Sie rieten Mans, sich über Hubaleck mit Schmeisser in Verbindung zu setzen. Als Mans sagte, der Bundeskanzler geriete ebenfalls ins 121 122 123 124 125
BA, B 137, Bd. 16540, Vermerk Bodens, Vertraulich, 22.9.1952. PA/AA, B 130, Bd. 13798. Dazu auch BA, B 136, Bd. 241, Aufzeichnung Ziebells, o.D. „Der Spiegel“, Nr. 32/1952, 6.8., S. 5f.: „Saar: Wenn jetzt nichts geschieht“. BA, B 141, Bd. 12083, Schreiben Josef Augsteins an Landgericht Hannover, 30.5.1953, hier: S. 18-20. BA, B 136, Bd. 241.
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Zwielicht, zeigte sich Bodens davon ungerührt und bemerkte nur, die Anschuldigungen gegen Adenauer ließen sich ja abschwächen. Die Abschrift dieser Eidesstattlichen Erklärung enthält den zusätzlichen Hinweis, die Vorgänge hätten sich am 21. Juni in Deidesheim abgespielt. Thedieck übersandte Lenz am 4. August 1952 einen – uns bekannten – Vermerk Bodens vom 31. Juli, der seine Rolle im Fall Blankenhorn behandelte. 126 Was Zweig angehe, so habe Bodens nachdrücklich versichert, diesen Mann nie getroffen zu haben. Der Staatssekretär wollte seinen Referenten gegenüber dem Kanzleramt in Schutz nehmen. Tatsächlich gibt das Verhalten von Zweig zu denken. Was bezweckte diese Eidesstattliche Erklärung? Ritzel schrieb Ewald Zweig eine wichtige Rolle bei der „Spiegel“-Publikation zu. 127 Zweig sei ein Verwandter des verstorbenen Schriftstellers Stefan Zweig und ein Neffe des Volkskammer-Abgeordneten Arno Zweig. Tatsächlich hatte Ewald Zweig seine Finger im Spiel, doch Ritzel überschätzte seine Bedeutung. Er ahnte hingegen, daß persönliche Interessen Schmeissers nicht der eigentliche Auslöser des Artikels waren. Obwohl Ritzel ostzonale oder französische Kreise mit Stoßrichtung auf Adenauer als denkbare Anstifter nannte, machte er für den Beitrag auch eine Gegnerschaft Schmeissers zu Masloh und eine Abwendung von seiner Zeit als französischer Agent verantwortlich. Dies war die Finte, die in beiden „Spiegel“-Artikeln angelegt war; auch Ritzel fiel auf sie herein. Zweig suchte am 26. November 1952 Legationsrat Diehl (Auswärtiges Amt) auf.128 Zweig gab an, er habe für den „Spiegel“ eine Geschichte über Otto Strassers Bemühungen zur Einreise in die Bundesrepublik schreiben wollen und sei dabei auf Schmeisser gestoßen, der im Auftrag des französischen Geheimdienstes an Strasser heranzukommen versuchte. Schmeissers Manöver sei rechtzeitig aufgedeckt worden. Er (Zweig) befaßte sich dann näher mit Schmeisser und lieferte der Redaktion Material über ihn. Er habe sich über den Artikel vom 9. Juli 1952 geärgert, weil es dabei nicht um Schmeisser, sondern um Blankenhorn und Adenauer gegangen sei. Zweig glaubte nicht an eine direkte Verwicklung des LfV Hessen. Paul Schmidt habe Schmeisser benutzt, um französische und saarländische Agentennetze zu zerschlagen und Schmeisser selbst als Agent unmöglich zu machen. Der „Spiegel“ habe sich das Dokument im LfV Hessen auf ungesetzliche Weise beschafft; jemand habe dort eine zusätzliche Kopie gemacht. Der „Spiegel“ werde im Prozeß schwerlich auf das Dokument zurückgreifen, weil er sonst dessen Herkunft erklären müßte. Augstein und sein Rechtsanwalt seien kurz vor der Publikation nach Wiesbaden gefahren, um mit Schmeisser und Ziebell über den Artikel zu reden. Schmeissers Sekretärin habe mehrfach vergeblich versucht, der SPD das Material zu verkaufen. Weniger korrekt sei das BMG gewesen, das unabhängig von Schmeisser versucht habe, das Material dem „Spiegel“ zuzuschieben. Die Kritik am Bundeskanzler wollte man nur etwas abschwächen. Zweig war wütend, weil Schmeisser ihm beim „Spiegel“ als ein Redakteur namens Bell vorgestellt wurde. Er machte Anspielungen, kommunistische Kreise hätten bei dem Artikel die Finger im Spiel. Aber auch andere Dinge irritierten Zweig: ein Übersetzungsauftrag der Europäischen Bewegung an Schmeisser für 1.500 DM, nicht minder die unterlassene Strafverfolgung des Aktendiebstahls in der bayerischen Staatskanzlei. In einem Telefongespräch, das Bodens am 26. Januar 1954 mit dem Verwaltungsdirektor der „Frankfurter Neuen Presse“, Walter Reckmann, führte, kam die Rede eher beiläufig auf Ewald Zweig. 129 Reckmann war verblüfft, als Bodens ihm sagte, er kenne diesen Mann nicht. Zweig hatte nämlich behauptet, in der vorangegangenen Woche mit Bodens eine Unterredung 126 127 128 129
BA, B 137, Bd. 16540. AdsD, NL Ritzel, Bd. 1499, Hs. Aufzeichnung „Fall ‘Schmeisser’, Hans Konrad“, 15.6.1952 [recte: 15.7.]. PA/AA, B 2, Bd. 354A, Aufzeichnung Diehls, 8.12.1952. BA, B 137, Bd. 3437, Vermerk Bodens, 27.1.1954.
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geführt zu haben. Reckmann und Bodens verabredeten ein Treffen am 29. Januar. Bodens hielt intern fest, Zweig habe im Rahmen der Schmeisser-Affäre schon einmal angegeben, mit ihm gesprochen zu haben. Reckmann konnte am 29. Januar indes keine präzisen Informationen über Zweig bieten. 130 Zweig hatte über eine persönliche Affäre des Chefredakteurs Marcel Schulte berichtet, die auch dem BMG zu Ohren gekommen war; sie war nämlich nicht ohne Bezug zur Saarfrage. Bodens mischte sich aber nicht in die internen Zwistigkeiten bei der „Frankfurter Neuen Presse“ ein, obwohl Schulte Beziehungen zur Saarregierung nachgesagt wurden. Am 11. Februar 1954 trafen sich Reckmann, Bodens, Heinrich Schneider und Kresse in Koblenz. Dabei stellte sich heraus, daß Zweig Reisen nach Bonn und Saarbrücken vorgetäuscht hatte. Zweig hatte auch den Mitherausgeber Hugo Stenzel aufgesucht – mit dem Reckmann sich überworfen hatte –, um „klingende Münze“ aus dem Fall Schulte zu schlagen. In unserem Zusammenhang interessiert nur, daß Zweig eine unglaubwürdige, von Habgier getriebene Gestalt war; Intrigen lagen ihm im Blut. Seine Eidesstattliche Erklärung erfolgte offensichtlich im Auftrag einer Institution, der daran gelegen war. Was er Diehl erzählte, sollte die Überzeugungskraft des französischen Agentenkreises stärken und das BMG belasten. Dabei nahm er die Pose eines Mannes an, der der Bundesregierung behilflich sein wolle. Der ehemalige Gestapo-Spitzel beherrschte Posen. Konrad Adenauer war im übrigen Manns genug, sich selbst zu wehren... c) Die Vernehmung Konrad Adenauers Konrad Adenauer wurde am 17. Mai 1954 vom Untersuchungsrichter beim Landgericht Hannover im Palais Schaumburg verhört. 131 Er gab folgende zusammenhängende Schilderung: Zu seiner Zeit als Vorsitzender der CDU in der britischen Zone war Blankenhorn Generalsekretär. Sein Büro befand sich in Köln-Marienburg. Dieser meldete ihm eines Tages, ein Agent des französischen Nachrichtendienstes namens Levacher 132 aus Speyer wolle Auskünfte von ihm über „das Verhältnis zu Sowjetrußland“. Da Vertreter westlicher Nachrichtendienste öfter Kontakt zu politischen Parteien suchten, habe er nichts Anstößiges darin gesehen. Eine Frage Blankenhorns, ob er selbst einmal mit Levacher sprechen wolle, habe er bejaht, weil eine Ablehnung den deutschen Interessen abträglich gewesen wäre. Er (Adenauer) führte dann ein belangloses Gespräch, an dessen Inhalt er sich nicht mehr erinnere. Es dürfte um die sowjetische Blockade Berlins gegangen sein. Levacher schien eine untergeordnete Stelle einzunehmen. Daher habe er sich nicht weiter um diesen Mann gekümmert. Er wisse nicht, ob Blankenhorn Kontakt zu Levacher hielt. Adenauer ging dann auf die Details der Angaben Schmeissers im „Spiegel“ ein. Die Ausweisung Schmeissers aus Frankreich im Januar 1952 sei ihm bekannt geworden, ebenso dessen Vernehmung durch das hessische LfV und das Bemühen des BfV, dieses Protokoll zu erhalten. Ihn selbst habe dabei vor allem das Verhältnis zwischen den beiden Ämtern interessiert. Er könne dies alles zeitlich nicht einordnen. Blankenhorn habe ihm erzählt, Schmeisser erhebe ehrenrührige Vorwürfe gegen ihn. Deshalb habe er (Adenauer) auf Klärung gedrängt; insbesondere sollten die verfänglichen Unterlagen beschafft werden. Er dürfte mit Globke und Blankenhorn über diese Dinge gesprochen haben. Seiner Erinnerung 130 131 132
Ebd., Hs. Vermerk Bodens, 2.4.1954 (auch für das Folgende). BA, B 136, Bd. 241; PA/AA, B 130, Bd. 13797. Das Kabinett hatte ihm am 28.4.1954 die Aussagegenehmigung erteilt (Kabinettsprotokolle, Bd. 7 [1954], S. 182). In der Vorlage: „Levacheur“.
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nach stamme die Angabe über die despektierlichen Anschuldigungen gegen Blankenhorn von Ministerpräsident Ehard, dessen Verfassungsschutzamt davon erfahren hatte. Ehard sagte am 2. Dezember 1953 in München aus, er habe einmal gehört, daß Schmeisser Behauptungen über Blankenhorn aufgestellt habe. 133 Er konnte die Richtigkeit dieser Angaben nicht überprüfen. Anläßlich eines Besuches in Bonn erzählte er Adenauer davon. Dies sei in der ersten Hälfte des Jahres 1952 gewesen. Adenauer fuhr fort: Im Kabinett dürfte niemals über Schmeisser gesprochen worden sein, vielleicht jedoch über die Reibereien zwischen des Verfassungsschutzämtern. Mit Einzelheiten über all dies könne er (Adenauer) nicht dienen. Er und Blankenhorn hätten sich jedenfalls für eine restlose Aufklärung eingesetzt. Etwaige größere Zuwendungen an Blankenhorn von einem französischen Agenten hätte er mißbilligt. Über die einzelnen Maßnahmen zur Aufdeckung des Sachverhalts wisse er nicht Bescheid, denn er habe nur „die Direktive zur restlosen Aufklärung gegeben“. Adenauer äußerte sich wenig konkret. Er erweckte den Eindruck, die „belanglosen“ Details des Verkehrs mit Schmeisser vergessen zu haben. Wer wollte ihm das Gegenteil beweisen? Indessen ist es unwahrscheinlich, daß Blankenhorn ihn über die mit Schmeisser erörterten Themen nicht informierte. Die Kontakte liefen bewußt an Adenauer persönlich vorbei, denn dieser konnte das Risiko einer solchen Beziehung nicht eingehen. Schmeissers Zahlungen an Blankenhorn zwecks Förderung der antikommunistischen Kommunikationslinien über Ruppert sind Adenauer schwerlich verborgen geblieben. Adenauer bestätigte, von Schmeissers Zugehörigkeit zum französischen Nachrichtendienst gewußt zu haben. Damit ist Blankenhorn eindeutig überführt: er sagte in diesem Punkt die Unwahrheit. Überhaupt ist Adenauers Darlegungen eine vorsichtige Distanzierung von Blankenhorn anzumerken. Er kritisierte ihn nicht direkt, sondern in hypothetischer Form: Sollte der Generalsekretär dies oder jenes getan haben, hätte er dies getadelt. Er (Adenauer) wisse freilich nichts davon... Mittlerweile nahm der Druck auf Wilhelm Bodens weiter zu. d) Angriffe auf Bodens aus dem LfV Wiesbaden Der unter Beschuß geratene Wilhelm Bodens traf sich am 13. August 1952 mit Werner Bennecke, dem Direktor des „Nassauer Boten“.134 Dieser erzählte, die der CDU nahestehenden hessischen Blätter hätten sich jetzt zusammengeschlossen, um der SPDLandesregierung besser Widerstand leisten zu können. Neben dem „Nassauer Boten“ handele es sich um die „Kasseler Post“, die „Fuldaer Zeitung“ und den „Giessener Anzeiger“. Vom Fall Schmeisser verspreche man sich einiges. Bennecke meinte, die Landesregierung in Wiesbaden habe diese Sache planmäßig gegen die Bundesregierung inszeniert – sie könnte aber zum Bumerang werden. Schmeissers Agententätigkeit für das LfV liege auf der Hand. Benneckes Vertreter in Wiesbaden, Kurbjun, konzentriere sich derzeit auf diesen Fall. Kurbjun habe am 8. August vertraulich berichtet, das LfV habe angeblich erfahren, daß Bodens für etwa 9.000 DM das Schmeisser-Material angekauft und im „Spiegel“ untergebracht habe. Zinnkann sei bereits entschlossen, Schmidt fallenzulassen. Das Wiesbadener Polizeipräsidium habe in Abwesenheit des Polizeipräsidenten dem LfV Amtshilfe geleistet, indem es ein Protokoll mit Schmeisser aufsetzte. Was über Bodens gesagt werde, treffe nach Auffassung Kurbjuns nicht zu; darauf lasse sich ein Gegenschlag aufbauen. Er habe die Vollmacht dazu bekommen, doch seine Quelle dürfe er keinesfalls nennen. 133 134
PA/AA, B 130, Bd. 13796. BA, B 137, Bd. 16540, Vermerk Bodens, Geheim, 14.8.1952.
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Bodens bat, Kurbjun solle sich als Zeuge zur Verfügung stellen. Bennecke hatte dies vorausschauend mit Kurbjun erörtert, doch dieser fürchte schweren Schaden für die Oppositionszeitungen in Hessen. Sein Informant aus dem hessischen Innenministerium gehöre der SPD nicht an. Bennecke verwies darauf, die verleumderische Meldung über ihn (Bodens) sei von keiner Zeitung in Hessen aufgegriffen worden – was belege, wie groß das Mißtrauen gegenüber dem LfV sei. Aus vielen Leserbriefen sei erkennbar, welche Empörung darüber herrsche, daß die hessische Landesregierung französische Agenten decke. Er erwäge die Anfertigung biographischer Skizzen von Schmidt, Schmeisser und Ziebell, die dann in den CDU-nahen Presseorganen Hessens erscheinen sollten. Damit würden sowohl die subversiven Kräfte ausgeschaltet als auch bestimmte Regierungsmitglieder diskreditiert, die sich in erster Linie als Parteifunktionäre betrachteten. Mittlerweile sei es ein offenes Geheimnis, daß Schmidt, Schmeisser und Ziebell Mitarbeiter von Philipp Auerbach waren, die mit dem Gesetz in Konflikt kamen. Bodens riet davon ab, den von Bennecke genannten Zeitungen das vorliegende Material über Schmeisser und Ziebell direkt zu liefern. Eine andere Frage sei, ob nicht der DSB sein Wissen dorthin weiterleiten könne. Zunächst bleibe abzuwarten, ob Schmidt die angedrohte Klage gegen die DSZ erheben werde. Thedieck brachte die über Bodens ruchbar gewordene Behauptung am 11. August Ministerialrat Karl Gumbel (Kanzleramt) zur Kenntnis. 135 Am 27. August 1952 wandte sich der Chefredakteur der „Kasseler Post“, Herbert Schildener, an Bundesinnenminister Robert Lehr. 136 Er gab wieder, was der Wiesbadener Korrespondent des Blattes vertraulich gemeldet hatte: Krüger, dem Pressereferenten des hessischen LfV, zufolge erwarb Bodens das Schmeisser-Material für 9.000 DM und lancierte es in den „Spiegel“. Schmeisser soll eine Zeitlang in der Wiesbadener Wohnung des „Spiegel“Korrespondenten Mans gelebt haben. Mans dürfte also die Unterlagen direkt von Schmeisser erhalten haben. Er sehe die Dinge so: Paul Schmidt bewahrte die Akten in seinem Panzerschrank auf, um sie kurz vor den Wahlen zu verwenden. Unabhängig davon verkaufte Schmeisser aus finanziellen Gründen sein Material dem „Spiegel“, womit er der SPD den „Knüller“ verdarb. Seines Erachtens habe die hessische Staatskanzlei davon gewußt. „Zinnkann wollte Schmidt abschießen, ist aber nach einer Unterredung mit Zinn knieweich geworden.“ Dann kam der Korrespondent auf das BMG zurück: Im Februar habe er gehört, daß die Saarabteilung im Besitz von Quittungen sei, mit denen Blankenhorn den Empfang von Geldern durch Schmeisser bestätigt haben soll. Er habe sofort Blankenhorn verständigt, der entgegnete, es handele sich um Fälschungen. Die Verwicklung von Bodens sei jedenfalls kaum zu bezweifeln. Schildener erwähnte dann eine Verlautbarung aus Saarbrücken, wonach dort Quellen vorlägen, die eine Finanzierung der DSZ durch das BMG belegten. Wie könne solches Material aus dem BMG herausgelangen? Lehr übersandte diesen Brief am 30. August dem Kanzler. Er charakterisierte die „Kasseler Post“ als einziges nennenswertes CDU-Blatt im Raum Kassel. Verleger Wilhelm Batz und Schildener – der der FDP angehöre – seien „sehr gute Leute“. Er habe kürzlich mit diesen Herren konferiert; dabei kam auch auf Schmeisser die Rede. Auf diese Weise erkläre sich die Zuschrift. Ziebell und Zweig erhielten also für ihre Ränke Schützenhilfe aus dem LfV Wiesbaden. Der wenig vertrauenerweckende, von Paul Schmidt eingenommene und im Januar 1953 gefeuerte Krüger insinuierte bestimmten Pressevertretern, Bodens habe gegen Blankenhorn eine Kabale 135 136
Ebd., Hs. Notiz Thediecks, 11.8.1952. BA, B 136, Bd. 241 (auch für das Folgende).
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inszeniert. Die Legende über ein Leck im BMG wurde gleichfalls aufgewärmt; indessen gelangten die erwähnten Schriftstücke über die Postzensur der Sûreté in die Hände der Saarregierung 137 oder durch die Hochverräter Georg Schneider und Hans Schubert 138. Schmeisser gab bei den Vernehmungen in Starnberg 139 weitere brisante Dinge preis: Ziebell suchte Mans des öfteren auf und nötigte ihn „zum Teil unter handfesten Drohungen“, die Verantwortung für die Veröffentlichung des Artikels auf das BMG zu schieben. Ziebell deutete an, er würde ggf. aussagen, Mans habe ihn zur Herausgabe des Protokolls erpreßt. Mans nahm dies nicht ernst. Daraufhin rief Ziebell am 11. Juli bei der Frankfurter „Abendpost“ an. Er erzählte der Redaktion unter Wahrung seiner Anonymität von der Zusammenkunft in Deidesheim am 21. Juni zum Thema Saar. 140 Die Saarpolitik der Bundesregierung im allgemeinen und die Rolle Blankenhorns im besonderen sei kritisiert worden. Man habe dem „Spiegel“ Material über Blankenhorn zugeleitet, damit dessen frühere Kooperation mit dem französischen Geheimdienst bekannt würde. Mans war laut Schmeisser wütend darüber, und es gab einen heftigen Streit. Heinrich Schneider nutzte Mitte November 1953 die Gelegenheit eines zufälligen Zusammentreffens, um Mans über die Notiz in der „Abendpost“ nach dem Deidesheimer Gespräch zu befragen. 141 Mans räumte ein, Schmeisser und Ziebell schon früher gekannt zu haben. Er lachte dabei und meinte, man könne nicht immer alles erzählen. Er sei nach Deidesheim Ziebell begegnet und habe mit ihm darüber geredet. Ziebell war ja nicht in Deidesheim und wußte nichts davon. Nach der Veröffentlichung im „Spiegel“ trat Ziebell an Mans heran und ersuchte ihn, die „Abendpost“ anzurufen, um Deidesheim als falsche Spur in die Welt zu setzen. Als Mans ablehnte, rief Ziebell selbst an. Mans sagte, das sei ihm peinlich gewesen, weil er der prodeutschen Opposition Vertraulichkeit zugesichert habe. Darum habe er bei der „Abendpost“ versucht, die Publikation der Notiz zu verhindern – doch vergeblich. Am 12. Juli 1952 veröffentlichte der DSB eine Erklärung, in der er die Unterstellung zurückwies, der DSB habe ergänzend zu Schmeisser Material für die Publikation des „Spiegel“ geliefert. 142 Der DSB reagierte dabei auf den Artikel der „Abendpost“. Der DSB stellte klar, das Treffen von Deidesheim sei privater Natur gewesen und habe dem Zweck gedient, gemeinsam zum Endspiel um die deutsche Fußballmeisterschaft nach Ludwigshafen zu fahren. Was Schmeissers im „Spiegel“ nachzulesende Thesen angehe, so wisse der DSB nichts darüber. Der nächste Schachzug des französischen Geheimdienstes folgte rasch. e) Die Intervention des Überläufers Georg Schneider Im Januar 1952 trat der erste Chefredakteur der im Dezember 1951 gegründeten „Deutschen Saar-Zeitung“ (DSZ), Georg Schneider, nach seiner Entmachtung zurück. Er nahm diesen Vorgang zum Anlaß, sich von der Sûreté abwerben zu lassen. 143 Er tauchte am 7. August 1952 im BMG auf, wo Bodens im Beisein eines Mitarbeiters den einstigen Vertrauensmann der
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Dazu Elzer, Die deutsche Wiedervereinigung an der Saar, Teil II, Kap. VIII.5, und Teil IV, Kap. II.3b. Zum Fall Schubert: Ebd., Teil IV, Kap. II.2. BA, B 136, Bd. 241, Protokoll der Vernehmungen Konrad Schmeissers in Starnberg vom 10.-20.10.1952, hier: S. 38f. „Abendpost“ (Frankfurt a.M.), 11.7.1952: „Mysteriöser Anrufer bietet Enthüllungen über den Geheimagenten an“. LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 243, T 73 [Heinrich Schneider] an C 96 [Bodens], 20.11.1953. BA, B 137, Bd. 16540, dpa-Inf. 1271, 12.7.1952. Näheres bei Elzer, Die deutsche Wiedervereinigung an der Saar, Teil II, Kap. VII. 1 und Kap. VI, Anm. 460.
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prodeutschen Opposition an der Saar empfing. 144 G. Schneider behauptete, er wolle ihn (Bodens) warnen, weil es früher ein gutes Verhältnis zwischen ihnen gegeben habe. Wichtige Leute der SPD gäben vor, Bodens habe dem „Spiegel“ das Schmeisser-Material geliefert. Der Gewährsmann für diese Angabe sei ein Dr. Bell, der in Deidesheim gewesen sei. Von der dortigen Zusammenkunft gebe es ein Photo mit Heinrich Schneider und Bodens. Dieser bestritt die Glaubwürdigkeit seiner Angaben und erinnerte G. Schneider daran, ihm schon früher jede Unterstützung verweigert zu haben, als er die Affäre im „Spiegel“ plazieren wollte. G. Schneider glaubte ihm jedoch nicht, weil Bodens stets vor den Freunden an der Saar von Agentenstorys gewußt und etwa Maslohs Institut habe auffliegen lassen. Jetzt habe Bodens begreiflicherweise von der DSZ genug gehabt und den „Spiegel“ ausgesucht. Schmeisser, Ziebell und Masloh wüßten genau, daß Bodens die treibende Kraft gegen sie gewesen sei. Bodens entgegnete, kein seriöser Journalist nehme ihm solche Unterstellungen ab. G. Schneider beharrte: Nicht die Person Bodens sei entscheidend, sondern das BMG – dessen Minister Jakob Kaiser die Saarpolitik Adenauers ablehne – und die SPD als Opposition. Beide könnten ein Interesse an der Publikation haben. Bodens wäre also nur derjenige gewesen, der den Auftrag seines Ministers ausführte. Die SPD müsse mit ihrem Wissen nicht unbedingt an die Öffentlichkeit gehen, sondern könnte auch Blankenhorn über Mittelsmänner unterrichten, um so Unfrieden zwischen Kanzleramt und BMG zu stiften. Laut G. Schneider war Schmeisser als Agent notorisch, ebenso seine Verbindung zu ORR Schmidt, die für die SPD belastend sei. Deswegen liege ihr daran, den Verdacht auf andere abzulenken. Das Schmeisser-Material befinde sich seit Monaten in der Hand der SPD. Man sage, der Schuß sei zu früh losgegangen, denn die Dokumente sollten für die Bundestagswahl 1953 verwendet werden. Die ganze Angelegenheit sei der Parteispitze inzwischen unangenehm; speziell Mommer distanziere sich davon. G. Schneider konnte nicht genau sagen, ob die SPD wirklich publik machen wolle, Bodens sei der Urheber des Schmeisser-Artikels. Er teile Bodens jedoch in strengster Vertraulichkeit mit, die SPD habe ihn wegen seiner früheren Kontakte zum BMG beauftragt, Gerüchte auszustreuen. Er beabsichtige eine Publikation zum Fall Schmeisser, aber noch nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Bislang habe er der SPD keinerlei Quellen übergeben, die er im Zusammenhang mit dem DSB erhalten habe. Einzig die Gerber-Aufzeichnungen 145 – vages Belastungsmaterial gegen Mitglieder der Saarregierung – habe er Heine überreicht. G. Schneider wollte Bodens auf dem laufenden halten; umgekehrt solle er an ihn als Journalisten denken, wenn die Herkunft des Schmeisser-Materials geklärt sei. Mitglied der SPD sei er nicht, unterhalte freilich gute Beziehungen zu deren Pressestelle. Bodens reflektierte über diese Informationen: G. Schneider wolle vielleicht provozieren, dürfte aber im wesentlichen die Wahrheit gesagt haben. Die erwähnten Gerüchte stammten wahrscheinlich von Ziebell, der wohl der spiritus rector der in Wiesbaden geschmiedeten Ränke zu sein scheine. Er und Schmeisser sagten Hubaleck bei einer Vernehmung im hessischen LfV, ihre künftige Mitarbeit bei ihnen sei keineswegs aussichtslos, denn sie stünden unter dem Schutz der SPD, die die kommenden Wahlen gewinnen werde. Dann würden ihre Gegner in Bonn entfernt, namentlich Bodens und Knoop. Nach der Veröffentlichung im „Spiegel“ erwiderte Ziebell auf eine Beschwerde Hubalecks, sie solle zu ihren Freunden im BMG gehen, die dafür verantwortlich seien. Er (Ziebell) sei mit Mans in Deidesheim gewesen – unter dem Pseudonym Dr. Bell.
144 145
BA, B 137, Bd. 16540, und B 136, Bd. 50385, Bl. 49-52, Vermerk Bodens, 8.8.1952. Material in: BA, B 137, Bd. 3409.
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Folgendes war in Bodens Sicht zu klären: 1) Wie gelangten die Schmeisser-Unterlagen des BMG an französische Stellen in Baden-Baden? 2) Wer kannte die Vernehmungsprotokolle Schmeissers in Freiburg und Wiesbaden? 3) Was für Berichte erstellten Schmeisser und Ziebell für das LfV Wiesbaden und was taten sie dort? – Er wolle noch anmerken: Persönlich sei ihm bekannt, daß die Organisation Gehlen im Bilde sein könnte; er rate, sie von seiten des Kanzleramtes zu konsultieren. Thedieck händigte am 16. August 1952 Gumbel (Kanzleramt) eine Kopie dieses Vermerks aus. Ob Bodens den Ausführungen von Georg Schneider wenige Wochen später noch immer eine begrenzte Glaubwürdigkeit zugebilligt hätte, darf bezweifelt werden. Anfang September erfuhr das BMG aus Saarbrücken, welches Ausmaß der Hochverrat des einstigen Vertrauensmannes hatte. 146 Georg Schneider hatte in einer 106 Seiten umfassenden Ausarbeitung 147 sein gesamtes Wissen über die prodeutsche Opposition an die Sûreté verraten und dabei auch alle ihm bekannten Informanten enttarnt. Durch einen hohen Beamten des saarländischen Innenministeriums gelangte diese Schrift in den Besitz Heinrich Schneiders. Wie groß das Ausmaß des Schadens war, läßt sich daraus ableiten, daß Staatssekretär Thedieck sofort BMJ und Kanzleramt einschaltete, um G. Schneider wegen Landesverrat den Prozeß zu machen. Zunächst galt es, Schneider in Sicherheit zu wiegen, weil dieser noch erhebliches Material in Bendorf haben dürfte, das nicht ins Saargebiet gelangen sollte. Bodens bestellte den Abtrünnigen in die Auermühle, damit dieser keinen Argwohn schöpfte. Bei dem Gespräch, das sich am 19. September 1952 zwischen Georg Schneider und Bodens entspann, wurde auch die Schmeisser-Affäre aufs neue erwähnt. 148 Der Besucher erklärte, einen Artikel vorzubereiten, der im Hamburger „Stern“ oder in der Düsseldorfer „ABZ“ erscheinen sollte. Schneider las Bodens seinen Entwurf 149 vor, aus dem dieser ableitete, daß manche Einzelheiten nur dem „Wiesbadener Agentenkreis“ entstammen könnten. Der Beitrag verfolge die Tendenz, Schmeissers Wandlung vom französischen Spion zum patriotischen Helfer des LfV Wiesbaden aufzuzeigen. Neu sei die angebliche Anweisung Schmidts an Schmeisser, in Paris die deutschfeindlichen Auftraggeber von Madame Tabouis zu ermitteln. Bodens verhehlte Georg Schneider nicht, wie erstaunt er über den Tenor seiner Darstellung war. Noch im Februar 1952 sei man sich einig gewesen, daß es sich bei Schmeissers „Bekehrung“ um einen Agententrick handele, der insbesondere Schmidt exkulpieren sollte. Bodens gab sich entrüstet, wie Mans und er auf solche Kerle hereinfallen könnten. Er riet von einer Publikation ab, solange die Hintergründe ungeklärt seien. Georg Schneider präsentierte sich „verblüfft und verwirrt“. Er räumte ein, die Meldungen über eine Beteiligung von Bodens an dem „Spiegel“-Artikel seien nicht in Bonn, sondern im hessischen LfV verbreitet worden. Schneider schnitt noch weitere Themen an, insbesondere die Möglichkeit eines Generalstreiks an der Saar, die er mit dem Gewerkschaftsvorsitzenden Paul Kutsch besprochen habe. Ein führender Politiker der SPS gelte als Mann der Sûreté. Beim Abschied unterhielten sich Schneider und Bodens lachend über Gerüchte, wonach ersterer der Saarregierung Material beschafft habe. Bodens dürfte sich innerlich nur mühsam im Zaum gehalten haben. Aus seiner Sicht kam der Überläufer im Auftrag der Sûreté, um einen prodeutsch gesinnten Sozialdemokraten ins Zwielicht zu rücken sowie die gefährliche Idee eines Generalstreiks zu propagieren. Schließlich sollte Bodens ausgehorcht werden, was er über die Zusammenhänge im Fall 146 147 148 149
BA, B 137, Bd. 16540, Vermerk Knoops, Geheim [ab 1957: Vertraulich], 13.9.1952 (auch für das Folgende). Wortlaut in: Ebd. Ebd., Vermerk Bodens, Geheim [ab 1957: Vertraulich], 22.9.1952. PA/AA, B 2, Bd. 354A, Manuskript Georg Schneiders, Geheimagent Schmeisser. Vermutlich handelte es sich um diesen Text.
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Schmeisser wußte. Hatte Schneider im August noch gesagt, die Anwürfe gegen Bodens rührten vom SPD-Parteivorstand her, so entschlüpfte ihm nun die Bemerkung, sie gingen von Wiesbaden aus. Bodens regte an, Georg Schneider irreführende Nachrichten zuzuspielen, solange er nicht strafrechtlich bekämpft werden könne. Die Hoffnung auf ein Verfahren wegen Landesverrat gegen Georg Schneider sollte sich nicht erfüllen. Am 12. September 1952 sprach Knoop im BfV mit John, Nollau und Radke über die Angelegenheit. 150 Diese meinten, vor einem juristischen Schritt müsse in dieser bedeutsamen Sache die Ansicht des Kanzlers eingeholt werden. Das BfV wollte an Adenauer erst dann herantreten, wenn genügend Klarheit über eine spätere Verurteilung Schneiders bestehe. Knoop verwies auf Eilbedürftigkeit infolge der Vorbereitungen des Beschuldigten, seinen Wohnsitz an die Saar zu verlegen. Thedieck wurde nun selbst bei Globke vorstellig und überreichte ihm am 18. September ein Exemplar der Denkschrift von G. Schneider mit der Bitte, den Kanzler zu konsultieren. 151 Globke übermittelte am 23. September die Entscheidung Adenauers: Eine strafrechtliche Ahndung solle wegen drohender politischer Auswirkungen unterbleiben. Trotzdem wurde der Oberbundesanwalt von privater Seite eingeschaltet. Im Jahre 1955 sollte Georg Schneider der Prozeß gemacht werden. Dies scheiterte daran, daß das Auswärtige Amt seinen Beamten die Aussagegenehmigung verweigerte. 152 Die Ablehnung des Kanzlers beruhte schwerlich auf der Befürchtung, das Verfahren könne mit einem Freispruch Schneiders enden. Er glaubte vielmehr, der Fall berge das Risiko deutsch-französischer Spannungen in sich. Eine derartige Sorge trieb Adenauer nicht selten um. Die Erklärung genügt aber hier nicht. Das Kanzleramt wußte zu diesem Zeitpunkt nicht präzise, was der französische Geheimdienst vor allem gegen Blankenhorn in der Hand hatte. Sofern nun ein Sûreté-Agent von der Bundesregierung vor Gericht gestellt wurde, wuchs die Gefahr weiterer Enthüllungen, die nicht nur den Ministerialdirektor in größte Bedrängnis gebracht hätten. Das BfV wiederum legte einmal mehr wenig Eifer an den Tag, als es gegen westliche Agenten ging. John bremste in dieser Hinsicht stets, aber auch Nollau und Radke bekundeten kaum Interesse. Die Sicherung von Beweismaterial gegen Georg Schneider hätte rasches Zupacken erfordert, das von Leuten des Nachrichtendienstes eigentlich erwartet werden darf. Statt dessen zeigte sich das BfV sehr bedenklich und wollte an Adenauer erst herantreten, wenn die Quellen nicht mehr den geringsten Zweifel an der Schuld Schneiders ließen. Dieses Verhalten legt den Schluß nahe, daß der Spitze des BfV eine Aufklärung nicht erwünscht schien. Thedieck scheint das Verhalten Johns ähnlich beurteilt zu haben, denn er ignorierte die Auffassung des BfV und ging sofort zu Globke. Georg Schneider entwarf tatsächlich einen journalistischen Bericht über den Fall Schmeisser und schickte ihn am 8. Oktober 1952 Blankenhorn zu. 153 Er fragte Blankenhorn, ob er vielleicht einige Aspekte aus seiner Sicht ergänzen könne und erbat eine Unterredung. Georg Schneider kannte die Angelegenheit recht genau, wie aus seiner ziemlich dichten, wenngleich mit seiner Phantasie angereicherten Darstellung der „Karriere“ Schmeissers hervorgeht. Blankenhorn zog es vor, ihm nicht zu antworten. Die SPD hatte also mitnichten versucht, Bodens als Urheber des „Spiegel“-Artikels anzuschwärzen. Georg Schneider hatte von der Sûreté den Auftrag erhalten, die diversen Zersetzungsmanöver der Agenten Ziebell, Zweig und Schmidt zu stützen. Neben der Bekämpfung des BMG konnte eventuell ein Zwist zwischen Bodens und dem SPD150 151 152 153
BA, B 137, Bd. 16540, Vermerk Knoops, Geheim [ab 1957: Vertraulich], 13.9.1952. Ebd., Hs. Vermerk Knoops, 23.9.1952 (auch für das Folgende). Material in: Ebd.; PA/AA, B 130, Bd. 3232. Vgl. Anm. 149.
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Parteivorstand erreicht werden. Die Sûreté wußte in diesem Augenblick noch nichts von der Enttarnung Schneiders als Verräter. Ein Detail fällt auf: Angeblich war Ziebell unter dem Pseudonym Dr. Bell in Deidesheim dabeigewesen. Dies ist anderweitig nicht überliefert. Gerade in der dortigen intimen Runde wäre die Anwesenheit eines Außenstehenden bemerkt worden. Schon Mans wurde bekanntlich mit Argwohn beobachtet. So dürfte Dr. Bell sich höchstens in der Stadt Deidesheim aufgehalten haben, ohne am Tagungsort aufzutauchen. Ziebell, Schmeisser, Zweig, Georg Schneider gegen Bodens, Spicale, Kresse, Heinrich Schneider – wer hat recht? Die vier erstgenannten tummelten sich allesamt mehr oder minder in der Agentenszene. Über die Durchtriebenheit von Ziebell, Schmeisser und Zweig braucht kein Wort mehr verloren zu werden. Bodens und H. Schneider besaßen ein sachliches Interesse daran, Blankenhorn aus der deutschen Saarpolitik auszuschalten, Spicale würde seinem Amtskollegen Bodens wohl kaum in den Rücken fallen. Zweifelsohne sind in Deidesheim kritische Anspielungen auf die Rolle Blankenhorns in der Schmeisser-Affäre gerade im Hinblick auf die Saarfrage gemacht worden. Auch Löwenstein hatte Anfang 1952 durch das BMG von den Verstrickungen Blankenhorns erfahren und daraus gefolgert: „Je schneller er [Blankenhorn, H.E.] verschwindet, desto besser für ihn und für die deutsche Sache.“ 154 Er riet deshalb seinem Chefredakteur Richard Tüngel, ein Leitartikel in der „Zeit“ könnte sich auf gewisse Meldungen über Blankenhorn beziehen und nahelegen, diesen durch einen Botschafterposten aus der Schußlinie zu nehmen. Die „Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung“ vom 6. August 1952155 schilderte kritische Stimmen im Saargebiet zur Person Blankenhorns. Dieses Blatt wurde mitunter vom BMG inspiriert... Nichtsdestoweniger: Bodens wußte durch sein vorangegangenes Gespräch mit Mans von dessen Beziehungen zu Ziebell und Schmeisser. Er verfügte als Abwehrmann im Zweiten Weltkrieg über nachrichtendienstliche Erfahrungen. H. Schneider wiederum war durch seine Erlebnisse mit Schmeisser in Saarbrücken gewarnt. Deshalb ist es kaum plausibel, daß die Vertreter des BMG Mans ungeschützt zu einem Artikel mit Stoßrichtung Blankenhorn aufgefordert haben sollen. Darauf lauerten Ziebell und Zweig. Sie spähten nach günstigen Ansatzpunkten für den geplanten Schlag gegen das BMG, das die Kreise der französischen Saarpolitik empfindlich störte. Demgegenüber fielen im Umfeld Heinrich Schneiders sicherlich deutlichere Worte über die zweifelhafte Verläßlichkeit Blankenhorns. Ziebell konnte daraus Honig saugen. Es gelang ihm einmal mehr, in Bonn Mißtrauen zu säen. Doch die Bundesregierung machte nun Gebrauch von ihren nachrichtendienstlichen Möglichkeiten. f) Ermittlungen der Organisation Gehlen In aller Stille beschäftigte sich eine weitere nachrichtendienstliche Institution mit dem Fall Schmeisser: die Organisation Gehlen. Was sie im Detail herausfand, ist einem verschlüsselten Ermittlungsbericht vom 10. September 1952 zu entnehmen. 156 Demnach wurde inzwischen festgestellt, daß die SPD dank des hessischen Innenministeriums schon vor dem „Spiegel“Artikel über den Fall Schmeisser im Bilde war. Schmeissers Aktion „scheint vorerst noch isoliert dazustehen.“ Es werde aber immer plausibler, daß die SPD ihn beauftragt haben könnte, an den „Spiegel“ heranzutreten. Im einzelnen seien dabei verschiedene Schritte erkennbar: Kriminalkommissar von Seidlitz (Wiesbaden) erzählte einer Quelle, er habe 154 155 156
BA, NL Löwenstein, Bd. 184, Löwenstein, Interner Bericht an die Redaktion der „Zeit“, 8.2.1952. Richard Thilenius, „Die Saar und die Sûreté“, in: „Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung“, 6.8.1952. Näheres zu diesem Artikel in Kap. 5. BA, B 136, Bd. 241, 40/V an 30, Betr.: „Bremse“ – hier: Fall Schmeisser.
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Schmeisser auf Bitten des LfV Hessen im November 1951 verhört. Das dortige Innenministerium habe die Vernehmung der Bockstedte im April 1952 angeordnet. Von Seidlitz wisse sicherlich noch mehr, sei aber aus Sorge um seine Position sehr vorsichtig. Aus einer anderen Quelle im Umkreis des „Spiegel“ verlaute, im Prozeß werde Verschiedenes zutage treten: 1) Das LfV Hessen besaß die verfänglichen Dokumente schon eine ganze Weile. 2) Diese Behörde zeigte sich an dem Belastungsmaterial sehr interessiert. 3) Es bestand zumindest enges Einvernehmen mit dem Parteivorstand der SPD. Ein Mitarbeiter des „Spiegel“ bestätigte, Mans habe die Unterlagen direkt von Schmeisser erhalten. Eine Bezahlung sei nicht erfolgt. Allein, Schmeisser bekomme seitdem sein „Monatsfixum“ von 450 DM – das ihm das LfV Hessen gezahlt habe – nunmehr vom „Spiegel“. Damit solle er wohl bis zum Ende des Prozesses „bei Stimmung“ gehalten werden. Nach wie vor bleibe ungeklärt, ob Schmeisser aus eigenem Antrieb, mit Billigung des SPDParteivorstands oder gar in dessen Auftrag gehandelt habe. Ein selbständiges Vorgehen Schmeissers erscheine unwahrscheinlich, denn er habe bisher stärkeren Persönlichkeiten wie Ziebell als „Werkzeug“ gedient. Der erwähnte Mitarbeiter des „Spiegel“ konnte selbst keinen Einblick in die SchmeisserDokumente nehmen. Er wolle jedoch wissen, es handele sich um Originalbriefe, Vernehmungsprotokolle und Eidesstattliche Versicherungen, insgesamt „hieb- und stichfest[es]“ Material. Die SPD habe vor dem „Spiegel“-Artikel versucht, auf Distanz zu Schmeisser zu gehen. Heine soll dem „Spiegel“ sein Befremden über die Absicht bekundet haben, den Beitrag zu publizieren. Zinn und Zinnkann erklärten, darin würden auch Sozialdemokraten angegangen. Im Vorstand der SPD Hessen-Süd wurde versucht, die Erkenntnis nicht nach außen dringen zu lassen, daß Schmeisser für die SPD tätig gewesen sei. Auffällig war ferner das Bemühen von seiten der SPD, das BMG zum Urheber des Artikels zu stempeln. Georg Schneider informierte Bodens darüber, die SPD wolle ihn beim Kanzleramt als Auftraggeber hinstellen, damit sie einen „Sündenbock“ habe. Schneiders Mitteilung resultiere daraus, daß Bodens ihn früher korrekt behandelt habe. Zudem genieße Bodens bei der SPD einen guten Ruf, weshalb sie ihm helfen wolle, wenn Adenauer ihn hinauswerfe. Bodens habe von dem Limburger Verlagsdirektor Werner Bennecke erfahren, das LfV Hessen verbreite das Gerücht, er habe die Dokumente Schmeissers für 9.000 DM gekauft und über einen norddeutschen Verlag dem „Spiegel“ zugespielt. F.J. Strauß erzählte Bodens, Adenauer habe auf dem Bürgenstock gesagt, Bodens sei der Verfasser des „Spiegel“-Artikels. Knoop berichtete einer Quelle, Staatssekretär Lenz habe Jakob Kaiser am 28. August über diese Anschuldigung gegen Bodens orientiert. Der „Spiegel“-Mitarbeiter äußerte, das BMG sei vor der Publizierung des Artikels unterrichtet gewesen; dies gelte auch für Kaiser. Der Verfasser mutmaßte, damit sei sicher der Besuch von Mans bei Bodens gemeint. Bodens solle in vorsichtiger Form danach gefragt werden. Knoop bemerkte, die SPD wolle Bodens zum „Sündenbock“ machen; sie sei bestrebt, Zwietracht zwischen Adenauer und Kaiser zu säen, wobei sie an die Kontroverse um die Saar anknüpfen könne. Eine andere Quelle sei ein früherer „Spiegel“-Redakteur mit guten Verbindungen zum SPDParteivorstand. Dieser schildere den Hergang der Schmeisser-Affäre folgendermaßen: Im Frühjahr 1952 sei bei einem Treffen in Deidesheim zwischen einem Vertreter des BMG (also Bodens), einem saarländischen Oppositionellen und Mans der Sturz Strohms bedauert und dessen Nachfolger kritisiert worden; dieser werde jedoch von Blankenhorn gestützt. Deshalb sollte mit dem Mans vorliegenden Schmeisser-Material eine Attacke gegen Blankenhorn geritten werden. Mans sei an Schmeisser herangetreten, der nicht begeistert war und die Einschaltung Ziebells verlangte.
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Dieser Sicht stehe diejenige von Bodens entgegen. Demzufolge habe Bodens das Erscheinen der Beiträge über Bockstedte bzw. über Blankenhorn verhindern wollen. Die vorstehende Quelle beruhe zweifellos auf den Gerüchten, die die SPD lanciert habe. Schließlich sei auf den Verdacht von Strauß im Gespräch mit Bodens hinzuweisen, wonach John und Paul Schmidt verabredet haben könnten, ihr Wissen zu verschweigen und die Schuld auf Bodens abzuwälzen. Eine Quelle aus dem Umfeld der SPD lasse verlauten, in der Partei amüsierten sich einige über Pressemeldungen, denen zufolge John in Wiesbaden das einwandfreie Verhalten der hessischen Landesregierung im Umgang mit dem Schmeisser-Material festgestellt habe. Zinn und Zinnkann seien irregeführt worden und hätten daraufhin falsche Presseerklärungen abgegeben. Urheber der Täuschung sei Paul Schmidt, der in seinem Amt krankhaften Ehrgeiz entwickelt habe. Eine Verwicklung von Ministerialdirektor Schuster könne ebenfalls als wahrscheinlich gelten, doch dieser habe aus Opportunismus eine Kehrtwende vollzogen. Schmidt halte sich weiterhin als Rekonvaleszent in Bad Wiessee auf, wo Schuster ihn mehrfach aufgesucht habe, um ihn zu einem Ausscheiden „krankheitshalber“ zu bewegen. Er solle auch deswegen ruhiggestellt werden, weil er früher Sittlichkeitsdelikte begangen habe. Nun zum französischen Nachrichtendienst. Von Seidlitz erhielt zwei Tage nach der Vernehmung Schmeissers einen Anruf des französischen Hohen Kommissariats in Saarbrücken. Er wurde gefragt, aus welchem Grund Schmeisser im Wiesbadener Polizeipräsidium gewesen sei. Wenige Tage darauf tauchte ein Beamter des französischen Konsulats in Frankfurt bei ihm mit derselben Frage auf. Er antwortete jeweils, der Anlaß sei ihm unbekannt. Die Quelle aus dem Umkreis des „Spiegel“ berichte, im August seien zwei Franzosen in der Redaktion gewesen. Deren Behauptung, sie reisten als Journalisten zu den Olympischen Spielen nach Helsinki, erschien dubios, weil diese Veranstaltung sich dem Ende näherte. Die beiden hätten sich nach der Schmeisser-Affäre erkundigt. Aus München sei zu hören, Schmeisser habe dort gute Kontakte mit französischen Stellen und wolle eventuell vor Prozeßbeginn mit deren Hilfe Deutschland verlassen. Vollkommen im Dunklen bleibe, ob Schmeisser von den Franzosen „abgeschaltet“ sei. Es könne ebensogut sein, daß Tarnmanöver der Franzosen vorlägen, um eine Nichtbeteiligung an dieser Angelegenheit zu dokumentieren. Was Ziebell betreffe, so habe der mit ihm befreundete Schmidt ihn im April 1952 bei von Seidlitz angemeldet, wo er sich als Ministerialrat vorstellte. Als der Artikel über Bockstedte erschien, stellte von Seidlitz bei einer zufälligen Begegnung Ziebell zur Rede. Dieser beteuerte seine Unschuld daran, mied von Seidlitz aber künftig. Ziebells Sekretärin – angeblich eine Amerikanerin namens „Bee“ – sei eine deutsche Offizierswitwe, die für das LfV Hessen arbeite. Insgesamt war der Bericht der Organisation Gehlen etwas verworren. Man hatte viele richtige Erkenntnisse, wußte sie aber nicht immer exakt einzuordnen – das läßt sich in der expost-Betrachtung allerdings auch wohlfeil konstatieren. Bodens Rolle wurde nicht unbedingt negativ bewertet, aber eine Festlegung gab es mitnichten. Das Engagement des SPDParteivorstands wurde etwas überschätzt, Georg Schneiders Hochverrat schien dem Verfasser nicht geläufig. Die Umtriebe des LfV Wiesbaden wurden durchschaut, während die Rolle Ziebells unterbelichtet blieb. Nur wenige, eher unwichtige Details sind uns noch nicht begegnet; sie stammten aus der Quelle im Umkreis des „Spiegel“ und – direkt oder indirekt – von Franz Josef Strauß. Eine konkrete Analyse des Falles wurde von der Organisation Gehlen nicht geliefert. Sie wies auf die bestehenden Spuren hin, ohne ein Gesamtbild zeichnen zu können.
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g) Oberst Reile Zwei Tage nach Ausfertigung des großen Schmeisser-Berichts durch die Organisation Gehlen, am 12. September 1952, erhielt Bodens Besuch von Oberst Oscar Reile – einem Mitarbeiter der Organisation Gehlen. 157 Bodens zufolge kannte Adenauer Reile, da dieser einem Familienmitglied des Kanzlers im Krieg behilflich war. Nun erzählte Reile von den Nachforschungen der Organisation Gehlen über das hessische LfV. Arnold Gehlen persönlich habe Adenauer im August auf dem Bürgenstock seine Erkenntnisse mitgeteilt. Der Kanzler war bereits informiert über Gerüchte, wonach das BMG für die Veröffentlichung im „Spiegel“ verantwortlich sei. Demgegenüber legte Gehlen dar, der französische Geheimdienst habe die Publikation vorbereitet und im gegebenen Moment lanciert. Der Verfasser Mans sei französischer Agent, was erst kürzlich ermittelt werden konnte. Die Schriftleitung des „Spiegel“ dürfte nichts davon ahnen. Die Fäden der Schmeisser-Affäre würden in der französischen Botschaft in Saarbrücken gezogen. Bodens fand nun auch die Vorgänge von Deidesheim verständlich. Obwohl Heinrich Schneider u.a. sich für Mans verbürgten, besitze dieser den Auftrag, „das Ansehen der Bundesregierung zu erschüttern und auch noch den Übergang der Agenten aus französischen zu deutschen Diensten glaubhaft zu machen.“ Auf den ersten Blick erscheine nicht nachvollziehbar, weshalb französische Stellen den Beitrag im „Spiegel“ untergebracht hätten. Reile zufolge läge die Erklärung dafür in dem Renommee des Bundeskanzlers, das manche französischen Politiker mit Besorgnis erfülle. Das Ansehen Adenauers sollte also beeinträchtigt werden. 158 In einer anonymen Zuschrift eines Deutschen, der angeblich in Paris in leitender Position tätig war, wurde das Kanzleramt am 21. Oktober 1955 vor einer bestimmten Stelle in Paris gewarnt. 159 Dort habe man anfangs geglaubt, Adenauer sei prädestiniert für ein enges deutsch-französisches Verhältnis. Jetzt bestehe große Enttäuschung, weil der Kanzler sich viel stärker an die Vereinigten Staaten anlehne. Die Schmeisser-Publikation gehöre zu den Ränken, die diese Stelle geschmiedet habe. Reile erläuterte Bodens am 12. September 1952 ferner, die Organisation Gehlen wolle der Sache trotz Zweifeln an ihrer Zuständigkeit nachgehen, „weil sie von diesem Ansatzpunkt aus die Gruppe jener französischen Agenten feststellen will, die in der Verwaltung, in der Presse oder in der Wirtschaft auf Schlüsselstellungen sitzen.“ Mehr noch: Die gewonnenen Erkenntnisse würden bedenkenlos sowjetischen Nachrichtendiensten als Austauschmaterial überlassen. Was das hessische LfV betreffe, so gebe es bei mehreren Personen klare Hinweise auf Verbindungen in die Sowjetunion. Reile wußte noch über andere Dinge zu berichten; Bodens folgerte, die Organisation Gehlen könnte in der Saarfrage eine große Hilfe werden. Reile hatte indessen wohl auch die Absicht, den Kenntnisstand von Bodens herauszufinden. Er dürfte freilich mit einer positiven Grundeinstellung zum Bottlerplatz gegangen sein und seinem früheren Untergebenen eine Intrige gegen Blankenhorn nicht zugetraut haben. Der oben vorgestellte Bericht vom 10. September spiegelt zudem nicht das vollständige Wissen der Organisation Gehlen wider. Der ehemalige General hatte bei Adenauer ein gutes Wort für Bodens eingelegt und mündlich den französischen Geheimdienst der Urheberschaft am „Spiegel“-Beitrag geziehen – das durfte man aber wegen nicht bestehender Zuständigkeit keinesfalls zu Papier bringen. Im übrigen war Adenauer Ende August auf dem Bürgenstock in schlechter Stimmung, weil Lenz, Strauß und Heinrich Krone ihn dazu überreden wollten, das
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BA, B 137, Bd. 16540, Vermerk Bodens, Geheim, 22.9.1952. So auch Frederik, Ende einer Legende, S. 130. BA, B 136, Bd. 241.
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Außenministerium von Brentano zu übergeben; Blankenhorn wurde von ihnen ebenfalls kritisiert. 160 Bodens kannte Reile aus dem Krieg, denn dieser war sein Kommandeur als Leiter der Frontaufklärung West gewesen. 161 Oscar Reile leitete von 1935 bis 1944 das Referat III F (Gegenspionage) der Abwehrleitstelle Frankreich. Die militärische Abwehr wurde 1944 aufgelöst und teilweise in das Reichssicherheitshauptamt eingegliedert. Unmittelbar nach dem Krieg übernahm die Organisation Gehlen eine Reihe ehemaliger Mitarbeiter der Abwehr. Reile stand an der Spitze der Abt. Gegenspionage der sog. Generalvertretung L in Karlsruhe, die u.a. im Saarland die Aufklärung subversiver französischer Operationen betrieb. 162 Im November/Dezember 1953 führte die DDR mit viel Brimborium einen Prozeß gegen angebliche Spione der Organisation Gehlen durch. In diesem Zusammenhang wurde als Zeuge ein ehemaliger Angehöriger dieses Nachrichtendiensts namens Wolfgang Höher präsentiert. Er war im Februar 1953 zum Schein nach Ost-Berlin entführt worden, obwohl er längst für das MfS tätig war. 163 Das SED-Organ „Neues Deutschland“ druckte ein Protokoll mit Aussagen Höhers ab, in dem dieser u.a. erklärte, die Organisation Gehlen betreibe intensive Aufklärungsarbeit an der Saar. 164 Sie diene zur Erkundung französischer Absichten und „zur Zersetzung der französischen und profranzösischen Kräfte mit dem Ziel, das Saarproblem im positiven Sinne für Deutschland zu entscheiden.“ Gehlen behauptet allerdings, Höher sei ein unbedeutender Agent gewesen, den der SSD „umgedreht“ habe; er sei völlig unglaubwürdig. 165 Unbeschadet propagandistischer Absichten des SED-Blatts: Die Auskünfte, die Bodens von Reile erhielt, deuten tatsächlich auf eine Präsenz der Organisation Gehlen in Frankreich und an der Saar hin. Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, daß dieser Nachrichtendienst bis 1955 ein amerikanischer war. Ob spezifisch deutsche Ziele schon 1953 verfolgt wurden, ist aufgrund der Unzugänglichkeit des Archivs in Pullach nicht zu entscheiden, hat aber die Wahrscheinlichkeit für sich. Erwähnt werden soll schließlich Richard Christmann-Krüger, den Bodens aus seiner Tätigkeit für die Abwehr im Zweiten Weltkrieg kannte. In den Jahren 1954/55 führte Christmann im Saargebiet unter der Tarnung eines Industrievertreters Recherchen für das BMG durch und war am Materialschmuggel über den „Seidenen Vorhang“ beteiligt. 166 Christmann handelte im Benehmen mit der Organisation Gehlen. Der französische Historiker Roger Faligot hat eine Lebensgeschichte von Christmann verfaßt, die u.a. auf Interviews fußt. Er neigt allerdings zur Dramatisierung und unterstellt der „Guérilla en Sarre“ Gewaltbereitschaft. 167 160 161
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Zentrum. Tagebuch Lenz, S. 410-413; Strauß, Erinnerungen, S. 201f. Dazu Köhler, Adenauer, Bd. 2, S. 233f.; Ramscheid, Blankenhorn, S. 179f. Reile, Westfront, bes. S. 19-23; Buchheit, Geheimdienst, S. 67, 175, 179, 429-437; Leverkühn, Nachrichtendienst, Kap. IV; Roewer/Schäfer/Uhl, Lexikon, S. 371. Zu Reiles Tätigkeit in Frankreich aus französischer Sicht: Krop, Secrets, S. 398f., 444-446. Allgemein zur militärischen Abwehr: Kahn, Hitler’s Spies; Leverkühn, Nachrichtendienst, S. 10-16. Felfe, Dienst, S. 160-162. In diesem Punkt dürften die Mitteilungen des Sowjetagenten Felfe zutreffend sein. – Die Akten des BND zu diesem Themenkomplex sind nicht zugänglich, sofern sie überhaupt noch existieren. Müller/Müller, Gegen Freund und Feind, S. 144f.; Fricke, „Schläge“, S. 123f.; Roewer/Schäfer/Uhl, Lexikon, S. 207. „Neues Deutschland“, 27.11.1953: „Spionage-Organisation Gehlen greift in innere Angelegenheiten Frankreichs ein“. Vgl. auch Fricke, „Schläge“, S. 121f. Gehlen, Dienst, S. 195f.; Ders., Aufbau, S. 190f. Elzer, Die deutsche Wiedervereinigung an der Saar, Teil IV, Kap. II.6. Faligot, Markus, Espion allemand, S. 145-160. Knapp: Faligot/Krop, DST, S. 154f. Interessant ist auch, daß Christmann seit 1956 als Verbindungsmann der Organisation Gehlen zur algerischen Befreiungsbewegung im Maghreb tätig war (Faligot, Markus, Espion allemand, S. 161-178; Faligot/Kauffer, Maîtres Espions, S. 135-139).
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Staatssekretär Thedieck teilte die von Reile übermittelten Erkenntnisse am 2. Oktober 1952 dem BfV mit. 168 Die Veröffentlichungen des „Spiegel“ in diesem Bereich seien also ohne Wissen der Schriftleitung „von französischer Seite dirigiert“ worden. Nun würden auch die Vorgänge von Deidesheim verständlich. Mans habe dort erklärt, die französischen Agenten entlarven zu wollen. Die Linie des „Spiegel“ sei der Kampf gegen das Saarregime und für die Rückkehr der Saar zu Deutschland. Mans wolle in Wirklichkeit das Ansehen der Bundesrepublik untergraben und den Übertritt französischer Spione in deutsche Nachrichtendienste plausibel machen. Dabei hatten sich früher der Verleger Harrach, der Chefredakteur der DSZ Hermann Kresse und Heinrich Schneider für die Zuverlässigkeit von Mans verbürgt. Für das Verhalten von Mans gibt es zwei denkbare Erklärungen: Entweder wurde er von Ziebell und Schmeisser hinters Licht geführt, oder er war selbst Agent des französischen Geheimdienstes. Generell zeigte Mans Sympathie für die prodeutschen Kreise an der Saar und unterstützte sie nach Kräften. Gäbe es nicht die klare Aussage von Reile, spräche wenig dafür, ihn als Spitzel einzustufen. Die Organisation Gehlen hatte eine bis heute nicht enttarnte Quelle beim „Spiegel“, die Mans offenbar im Auge behielt. Bedenklich stimmen Mans’ Ausführungen bei der Kriminalpolizei Wiesbaden vom 4. September 1952, denn er belastete Bodens erheblich. Obwohl er tendenziell gewiß nichts Falsches sagte, spitzte er doch erkennbar zu und schadete Bodens damit; das konnte ihm schwerlich entgehen. Ein Doppelspiel kann also nicht ausgeschlossen werden. Immerhin hat Mans 1954/55 der prodeutschen Opposition an der Saar allem Anschein nach geholfen. 169 Deswegen ist es durchaus möglich, daß er Opfer der erprobten Verführungskünste von Ziebell wurde, dessen Scheinheiligkeit alle Grenzen sprengte. Mans ließ sich einreden, der deutschen Sache an der Saar zu dienen, wenn er die Artikel über Hubaleck und Blankenhorn im „Spiegel“ publizierte. Unmerklich führte ihn Ziebell am Leitseil. Entgegen allen Warnungen von Bodens schrieb Mans „Falsch wie die Taube“. Damit machte er Strohm und Bodens nolens volens lächerlich. Hätte er dies nicht bemerken müssen? Den zweiten Beitrag über Blankenhorn fädelte Ziebell besonders raffiniert ein: Er veranlaßte zum Schein eine Fahrt von Schmeisser und Schretzmair zum SPD-Parteivorstand nach Bonn und sorgte dafür, daß Mans davon erfuhr. Dieser fürchtete um seine journalistischen Lorbeeren und schlug aus eigenem Antrieb eine sofortige Veröffentlichung über Blankenhorn vor; Ziebell konnte den Gleichgültigen spielen. Mans erwies sich als Wachs in seinen Händen. Welche Variante auch zutrifft: Hinter der Publikation stand der französische Geheimdienst. Adenauer mußte aufgrund der ihm zugegangenen Mitteilungen Bodens zunächst verdächtigen, den „Spiegel“-Artikel lanciert zu haben, um Blankenhorn aus den SaarVerhandlungen zu entfernen. Gehlen gelang es nicht, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Er bezeichnete Bodens in einem Schreiben an Kaiser vom 31. Oktober 1952 als dringend verdächtig, für den Beitrag des „Spiegel“ mitverantwortlich zu sein.170 Der Kanzler fügte eine Aufzeichnung bei 171, in der auf die Eidesstattlichen Vernehmungen von Zweig und Mans Bezug genommen wurde. Bodens wußte seit einem halben Jahr von den Vorwürfen Schmeissers gegen Blankenhorn und habe selbst eingeräumt, in Deidesheim sei darüber gesprochen worden. 168 169 170 171
BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 68-69, Geheim. Material u.a. in: BA, B 137, Bd. 3436. BA, NL Kaiser, Bd. 89, Bl. 137-138, Schreiben Adenauers an Kaiser, Geheim, 31.10.1952. Ebd., Bl. 135-136, Aufzeichnung, Geheim, o.D.
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Ein Bericht des vom BfV mit Recherchen beauftragten Leiters des LfV Niedersachsen 172 hätte Adenauer im Hinblick auf Bodens eigentlich besänftigten sollen. Der „Spiegel“ verbreite eine ähnliche Version wie Ziebell über die Urheberschaft des Beitrags „Am Telefon vorsichtig“, urteilte Hofmann. Damit solle der Informant gedeckt werden. Ziebell habe der Redaktion schon mehrmals Saarmaterial geliefert. Er erhielt dafür kein Honorar, was für fremde Auftraggeber spreche. Bodens wurde folglich nicht als der Schuldige angesehen. Globke hielt Bodens infolge dieser Erkenntnisse des BfV über Ziebell für „entlastet“.173 Doch wie verhielt es sich mit den kaum verhohlenen Anschuldigungen gegen Blankenhorn, die deutschen Interessen an der Saar nicht gebührend wahrzunehmen? 5) BLANKENHORN UND DIE SAAR 1952 Gibt es Indizien für eine Erpreßbarkeit Blankenhorns in der Saarfrage? Im Jahre 1952 sind drei Vorgänge auffällig. Ende Januar 1952 vergiftete die Ernennung des Hohen Kommissars in Saarbrücken, Grandval, zum Botschafter erneut die deutsch-französischen Beziehungen. 174 Auf beiden Seiten wuchs die Entschlossenheit, die ewigen Spannungen wegen der Saar zu überwinden; zudem hörte Außenminister Schuman von bröckelnder Zustimmung im Ausland für die restriktive französische Saarpolitik. Allerdings wollte der Quai d’Orsay unbedingt die französisch-saarländische Wirtschaftsunion erhalten und die Autonomie der Saar – also die Abspaltung von Deutschland – verewigen. Blankenhorn sprach Anfang Februar 1952 mit dem französischen Botschaftsrat Claude Cheysson über eine definitive europäische Regelung der Saarfrage, bei der Saarbrücken zum Sitz europäischer Institutionen werden sollte. 175 Laut Blankenhorns Aufzeichnung war er sich mit seinem Besucher über die Notwendigkeit einer angelsächsischen Initiative und den rein informatorischen Charakter des Gesprächs einig. Die Anregung kam zwar von französischer Seite – und war schon Anfang Januar an Adenauer herangetragen worden 176 –, doch eine formelle Initiative wollte angesichts des Pressewirbels um Grandval niemand ergreifen. Blankenhorn sagte am 6. Februar dem Hohen Kommissar in Bonn, André François-Poncet, und seinem Stellvertreter Armand Bérard, Adenauer wolle verkünden, die französische Regierung sei zu einer definitiven Regelung der Saarfrage vor dem Friedensvertrag im Benehmen mit der Bundesregierung bereit. Sie erwiderten, ihre Regierung wünsche keinesfalls, daß der Kanzler öffentlich von deutsch-französischen Verhandlungen über eine „Europäisierung“ der Saar spreche oder gar von einer französischen Anregung. 177 Zudem erinnerten sie an die Bedingungen, nämlich Unwiderruflichkeit und Fortbestand der französisch-saarländischen Wirtschaftsunion sowie der Autonomie des Saarlands. Blankenhorn schrieb Bérard am 8. Februar, eine „offiziöse Demarche“ des Kanzlers sei
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BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 77-83, [Hofmann, LfV Niedersachsen], Ermittlungsergebnisse im Fall Schmeisser – Der Spiegel, Geheim, [20.10.1952], hier: Bl. 81. BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 76, Hs. Vermerk Globkes, 14.11.1952. Näheres bei Lappenküper, Deutsch-französische Beziehungen, S. 348-355; Elzer, Im Dienste, Teil II, Kap. VII.1 und 2. PA/AA, B 17, Bd. 128, Bl. 64-65, und BA, NL Blankenhorn, Bd. 9b, Bl. 211-212, Aufzeichnung Blankenhorns, 3.2.1952; Kabinettsprotokolle, Bd. 5 (1952), S. 90-93; BDFD I, Nr. 85; Zentrum. Tagebuch Lenz, S. 248 (Eintrag vom 6.2.). Dazu Lappenküper, Deutsch-französische Beziehungen, S. 352-355, und generell Kap. III.3.2 und 3.3. Zentrum. Tagebuch Lenz, S. 209 (Eintrag vom 8.1.1952). PA/AA, B 17, Bd. 128, Bl. 79-80, Aufzeichnung Blankenhorns, Geheim, 6.2.1952.
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mitnichten erfolgt, wie Bérard es in einer Erklärung vom 5. Februar 178 formuliert hatte. 179 Gemeinsam mit Cheysson habe er vielmehr eine britisch-amerikanische Aktion befürwortet. Beide Seiten hatten Angst vor öffentlicher Entrüstung. Bérard erteilte Blankenhorn am 12. Februar eine unwirsche Antwort 180, die für unseren Kontext aufschlußreich ist. Sofern ein Mißverständnis vorliege, trage nicht die französische Seite die Schuld daran. „Als sich M. François-Poncet damit einverstanden erklärte, daß M. Cheysson Sie aufsucht, glaubte dieser, nachdem Sie ihn in der letzten Zeit wiederholt um seinen Besuch gebeten hatten, einer neuen Bitte Ihrerseits zu entsprechen. Er war nicht beauftragt, sich mit Ihnen über die Saarfrage zu unterhalten.“ Da Blankenhorn während des Gesprächs mit Adenauer telefonierte, habe Cheysson gedacht, dieser habe seinen Vorschlag gebilligt und das Außenministerium damit befaßt. Jedenfalls sei der Vorfall in Paris nur einem ganz kleinen Kreis von Personen bekannt geworden. Die Anspielung auf den Fall Schmeisser ist unübersehbar. Im Januar 1952 nahm Blankenhorn die Hilfe Cheyssons in Anspruch, um die Intrigen des französischen Geheimdienstes gegen ihn einzudämmen. 181 Blankenhorns Aufzeichnung der Unterredung vom 3. Februar ist unvereinbar mit der Behauptung Bérards, das Thema Saar sei zur Überraschung Cheyssons angeschnitten worden. Bérard vermittelte in verbrämter Form eine gleichwohl unüberhörbare Botschaft: Wenn Cheysson behilflich sei, eine für Blankenhorn mißliche Angelegenheit zu entschärfen, sei eine Gegenleistung angezeigt. Diese mochte darin bestehen, eine deutsche Initiative zur „Europäisierung“ der Saar zu ergreifen, da Blankenhorn die Mittel besaß, den Kanzler dazu zu bewegen. Der Ministerialdirektor hatte dies aber nicht getan, sondern die Zurückhaltung der Bundesregierung untermauert – nun spürte er den Stich. Unter diesen Umständen klang die Bemerkung, der „Vorfall“ sei am Quai d’Orsay nur wenigen Leuten bekannt geworden, wie eine versteckte Drohung: Dies konnte sich sowohl auf die Episode um die Saar als auch auf die Schmeisser-Affäre beziehen. Blankenhorn begriff zweifelsohne die Doppeldeutigkeit der Ausführungen Bérards. Er dürfte sie in Erwägung gezogen haben. Im April 1952 hieß es bei der prodeutschen Opposition, Adenauer werde „über die Saar nur in homöopathischen Dosen unterrichtet (...), da Blankenhorn nichts durchlasse.“ 182 Als zweites ist die Suspendierung des Saar-Referenten des Auswärtigen Amtes, Gustav Strohm, im März 1952 zu nennen. Die prodeutsche Opposition wurde nicht nur deshalb stutzig, weil aus dem Umfeld Grandvals durchsickerte, der für Frankreich unbequeme Strohm sei „im vorgesehenen Augenblick“ abgeschossen worden. 183 Mitte März führte er ein Informationsgespräch mit dem up-Korrespondenten Rüdiger von Wechmar, das ordnungsgemäß über die Presseabteilung des Auswärtigen Amtes vermittelt worden war.184 Zudem hatte Blankenhorn kurz zuvor Strohm gebeten, den Bonner Vertreter von ap zu empfangen, obwohl nach einer Weisung nur Abteilungsleiter Interviews geben sollten. Hintergrundgespräche dieser Art wurden üblicherweise vertraulich behandelt. Von Wechmar publizierte hingegen – eingestandermaßen entgegen den Gepflogenheiten – mehrere 178 179 180 181 182 183 184
Ebd., Bl. 73, Erklärung Bérards, Geheim, 5.2.1952. Ebd., Bl. 82-83, Schreiben Blankenhorns an Bérard, 8.2.1952. PA/AA, B 10, Bd. 478, Bl. 206-207, Schreiben Bérards an Blankenhorn, 12.2.1952. Vgl. Kap. VI.3. LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 352, Information von S 1 [Richard Becker] an D 8 [?], 9.4.1952. Ebd., Bd. 449, Aufzeichnung „Worüber man bei Grandval spricht. Eine Anfrage an die Bundesregierung über seltsame Sachen“, o.D. Zu den Details: PA/AA, Personalakte Gustav Strohm, Bd. 58365, bes. Ermittlungsbericht Moslers, 22.6.1952. Dazu auch Schneider, Wunder, S. 209f.; Freymond, Saar, S. 127f.; Adenauer – Heuss. Unter vier Augen, Nr. 14 (24.3.1952), hier: S. 85.
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Meldungen unter Hinweis auf ein deutsches Delegationsmitglied bei der bevorstehenden Pariser Konferenz als Quelle. 185 Angeblich habe Strohm über Adenauers Absichten in Paris gesprochen. Der Diplomat beharrte hingegen darauf, theoretisch die verschiedenen Entwicklungsmöglichkeiten dargelegt zu haben. Tatsächlich lag die Marschroute des Kanzlers zu diesem Zeitpunkt noch nicht fest. Es folgte ein Protest von François-Poncet, und Adenauer distanzierte sich von den Äußerungen Strohms. 186 Der Vorsitzende der Bundespressekonferenz, Karl Lohmann, erklärte im Untersuchungsverfahren gegen Strohm, nach Ansicht seiner Kollegen sei Vertretern ausländischer Nachrichtenagenturen „mit einer gewissen Zurückhaltung zu begegnen“, weil „diese Kollegen sich den mit den deutschen politischen Interessen oft unvereinbaren Anforderungen ihrer Agenturen nicht entziehen können.“ 187 Strohm wurde wegen seiner „Indiskretion“ vom Auswärtigen Amt suspendiert, mußte später aber weitgehend rehabilitiert werden. Seine Betätigung in der Saarpolitik war freilich zu Ende. Lief Strohm in eine Falle? Entsprechende Gerüchte machten in Bonn die Runde. 188 In Paris sollte erstmals konkret über eine „Europäisierung“ der Saar verhandelt werden. Strohm hatte Vorbehalte gegen dieses Konzept und galt dem Kanzler wegen seiner Mitgliedschaft in der SPD ohnehin als suspekt. 189 Dem Quai d’Orsay war an einem Wechsel des Saarreferenten gelegen, denn Strohm stand im Ruf, als alter Diplomat der Wilhelmstraße ein intimer Sachkenner und hartnäckiger Verfechter deutscher Interessen zu sein. 190 Bis dato waren Interviews nur für Abteilungsleiter möglich. Ausgerechnet vor dieser wichtigen Konferenz forderte Blankenhorn seinen Saarreferenten ausdrücklich auf, einen ausländischen Korrespondenten zu empfangen. Mußte es nicht klar sein, wie prekär dies in jenem Moment war? Mit von Wechmar suchte Strohm ein Deutscher auf, den er bis dahin nicht kannte. Das Pressereferat des Auswärtigen Amtes hatte von Wechmar als zuverlässig hingestellt. Strohm nahm an, von Wechmar wolle Hintergrundinformationen, die er diskret behandele. Allein, dieser gab Meldungen heraus, die inhaltlich fragwürdig waren und außerdem die Quelle erkennen ließen. Das konnte schwerlich ein Zufall sein. Blankenhorn rückt jedenfalls mit seiner Empfehlung an Strohm, den Repräsentanten einer ausländischen Nachrichtenagentur zu empfangen, ins Zwielicht. François-Poncet hatte ihn am 12. März unter Druck gesetzt, als er ihn in Gegenwart Adenauers beschuldigte, für die prodeutsche Propaganda an der Saar verantwortlich zu sein, wogegen sich der Ministerialdirektor mit aller Vehemenz wehrte. 191 Karl Mommer warf prompt der Bundesregierung vor, auf einen Wink aus Paris hin Strohm ausgeschaltet zu haben. 192 Es war vielleicht sogar mehr als ein „personalpolitisches Signal“ an Paris 193. Am 13. Februar 1954 entwarf Heinrich Schneider vorsorglich eine Aussage für den Schmeisser-Prozeß. 194 Schmeisser erzählte einiges über seine frühere Zusammenarbeit mit Blankenhorn, von dem er Quittungen besitze. Ende 1951 oder Anfang 1952 habe er (Schneider) mit Knoop und Bodens darüber gesprochen, was sich später mehrfach 185 186 187 188 189 190 191 192 193 194
Von Wechmar, Akteur, S. 139. Rapports Mensuels d’André François-Poncet, S. 665f. (Bericht vom 31.3.1952). PA/AA, Personalakte Gustav Strohm, Bd. 58365, Vermerk Moslers, 13.5.1952. BA, B 137, Bd. 3890, Aufzeichnung Knoops, Betr.: Dr. Gustav Strohm, [Dezember 1969]. Adenauer – Heuss. Unter vier Augen, Nr. 14 (24.3.1952), hier: S. 85. AMAE, Série Europe 1944-1960, Sous-Série Sarre, Bd. 250, Bl. 3-4, Tel. François-Poncets an Quai d’Orsay, No. 2360/65, 17.3.1952; Bérard, Ambassadeur, S. 393. AMAE, Série Europe 1944-1960, Sous-Série Sarre, Bd. 249, Bl. 288-290, Tel. François-Poncets an Quai d’Orsay, No. 2205/II, 12.3.1952. Verhandlungen BT, Sten. Ber., Bd. 11, S. 8821 (23.4.1952). Schwarz, Adenauer, Bd. 2, S. 24. BA, B 137, Bd. 16540. Dieser Entwurf wurde auch dem Untersuchungsrichter vorgelegt (PA/AA, B 130, Bd. 13797).
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wiederholte – ohne klare Erkenntnisse und ohne Konsequenzen. Im März 1952 stimmte Adenauer unter Vorbehalt einer „Europäisierung“ der Saar zu und entließ den bewährten Saar-Referenten des Auswärtigen Amtes, Gustav Strohm. Es gab Informationen darüber, daß François-Poncet über Blankenhorn diese Wende herbeigeführt habe. Diese Vorgänge hätten große Betroffenheit bei der prodeutschen Opposition an der Saar ausgelöst. Wer die Thesen Schmeissers las, glaubte die Ursache für den Kurswechsel zu kennen. Heinrich Schneider vertraute dem Prinzen zu Löwenstein am 24. Juli 1952 an, wie er den Fall Schmeisser beurteilte. 195 Schmeisser und Ziebell seien vom französischen Geheimdienst an die prodeutsche Opposition herangespielt worden, um manipulierte Nachrichten zu verbreiten. Paul Schmidt in Wiesbaden stand schon seit längerem mit der Dienststelle Laffon in Verbindung. Als der Boden für die beiden Agenten in Saarbrücken zu heiß wurde, beorderte man sie ins LfV Wiesbaden. Die Bundesregierung wußte seit geraumer Zeit von den Aufzeichnungen Schmeissers über seine früheren Beziehungen zu Blankenhorn. Ihr Schweigen habe dem französischen Geheimdienst mißfallen. So wurde der Artikel in den „Spiegel“ lanciert, denn bestimmte Kräfte in Paris wollten „mit diesem Schlager die Saarpolitik der Bundesregierung beeinflussen“. Absichtlich wurde das eigentliche Kernproblem – die Saar – in dem Beitrag ausgespart. Die Franzosen besäßen Blankenhorns Quittungen über die Geldzahlungen. Schmeisser habe sie ihm (Schneider) gegenüber ausdrücklich erwähnt. Blankenhorn könne also in der Saarpolitik jederzeit erpreßt werden. Am 6. August 1952 erschien in der „Deutschen Zeitung und Wirtschaftszeitung“ ein bemerkenswerter Artikel von Richard Thilenius. 196 Darin wurden Ansichten vertreten, denen der Autor bei seinem Besuch in Saarbrücken begegnet war. Das Unbehagen der prodeutschen Opposition über die Verhandlungen in bezug auf eine „Europäisierung“ der Saar war unverkennbar. Namentlich wurde die Schlüsselrolle Blankenhorns kritisiert. Aufgrund der Schmeisser-Publikation sei zu vermuten, daß Blankenhorn den Franzosen nicht mit der „wünschenswerten Unbefangenheit“ entgegentreten könne. Es werde in Saarbrücken befürchtet, Schmeisser arbeite trotz seiner Tätigkeit für den hessischen Verfassungsschutz gleichzeitig weiter für den französischen Geheimdienst. Die Protokolle von Offenburg und Freiburg könnten auf französischen Wunsch erfolgt sein. Man halte eine Verbindung zur Saarfrage für wahrscheinlich, zumal Schmeisser und Ziebell in Saarbrücken tätig waren. Zudem erinnere man an die von der DSZ am 30. Mai geschilderten möglichen Kontakte zwischen ORR Schmidt und der französischen Sûreté, die niemand in Hessen bislang dementiert habe. Nun zum dritten Punkt: Im Herbst 1952 sollten an der Saar Landtagswahlen stattfinden, bei denen die drei prodeutschen Parteien nicht zugelassen wurden. Eine Lizenz erhielt hingegen die Demokratische Volkspartei (DV) von Erich Schwertner. 197 Heinrich Schneider vermutete damals, sie sei von Hoffmann als Alibi für freie Wahlen gedacht, zumal einige zwielichtige Personen mitwirkten und Gerüchte über Geldzahlungen der Mission diplomatique nicht verstummen wollten. Schwertner und andere maßgebliche Personen waren freilich Patrioten, und die DV verständigte sich später mit Schneiders DPS. Im November 1952 wurde aber darüber gestritten, ob die DV bei den Landtagswahlen kandidieren sollte. Die Bundesregierung gab die Parole „weiße Wahlen“ aus, empfahl also den Saarländern ein Durchstreichen der Stimmzettel.
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LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 243, Schreiben H. Schneiders an Löwenstein, 24.7.1952. Richard Thilenius, „Die Saar und die Sûreté“, in: „Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung“, 6.8.1952. Zu diesen Zusammenhängen: Elzer, Im Dienste, Teil II, Kap. XVII.1a und d.
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Schwertner unterhielt sich am 18. November 1952 mit Staatssekretär Thedieck (BMG) und Regierungssprecher Felix von Eckardt. 198 Sollte es gewünscht werden, werde er die Kandidaten der DV für die Wahl zurückziehen, erklärte Schwertner. Kaiser beriet mit Adenauer darüber, der die Auffassung vertrat, die Losung „weiße Wahlen“ könne nun nicht mehr revidiert werden. Es wurde beschlossen, einen Kurier mit entsprechender Nachricht zu Schwertner zu schicken. Am 20. November trug Knoop dem christdemokratischen Journalisten Albert Pfeiffer auf, Schwertner unter Hinweis auf sein Gespräch mit von Eckardt zu ersuchen, die DV aus dem Rennen zu nehmen. Am 22. November 1952 stöberte Pfeiffer den Gesuchten in einem kleinen Büro in Saarbrücken auf, wie er Knoop später berichtete. Als Pfeiffer ihn aufforderte, sein Versprechen wahrzumachen, berief sich der DV-Vorsitzende auf einen gegenteiligen Vorstandsbeschluß vom Vorabend. Demzufolge kämen die Stimmen der DV Hoffmann zugute. Trotzdem wollte der Architekt überlegen, infolge der Mitteilung aus Bonn in letzter Stunde alles abzublasen. Am 30. November 1952 stand die DV auf den Wahlzetteln – doch nur 2,5% der abgegebenen Stimmen entfielen auf die Liste Schwertners.199 Als Schwertners Mitarbeiter Klaus Altmeyer am 4. Dezember 1952 bei Knoop vorsprach, bekam er die Wut des BMG über die Entscheidung Schwertners zu spüren. Altmeyer zeigte sich über die frühere Zusage Schwertners und die Mission Pfeiffers nicht unterrichtet. Er beteuerte freilich, Blankenhorn habe Schwertner ausdrücklich ermutigt, sich zur Wahl zu stellen. Wann dies geschehen sein soll, vermochte Altmeyer nicht präzise zu sagen. Thedieck fragte Blankenhorn am 6. Dezember 1952, ob die Angaben aus dem Umkreis der DV zuträfen. Blankenhorn bestritt entschieden, sich in diesem Sinne artikuliert zu haben. Das BMG blieb freilich am Ball. Helmut Bergweiler (Saar-CDU) teilte am 19. Dezember mit, Schwertner habe am 26. November nach einer Kundgebung seiner Partei in Saarbrücken zu ihm, Friedel Regitz und Oskar Detemple (beide DSP) gesagt, der Kurier der Bundesregierung habe ihm am 22. November von Blankenhorn ausgerichtet, er möge seine Kandidatur aufrechterhalten. Knoop zufolge könne damit nur Pfeiffer gemeint sein. Thierfelder erklärte auf Anfrage, das Auswärtige Amt habe keinen eigenen Boten nach Saarbrücken entsandt. Knoop telefonierte daraufhin mit Pfeiffer, der behauptete, den Namen Blankenhorn in Saarbrücken nicht in den Mund genommen zu haben. Er (Pfeiffer) habe lediglich ausgerichtet, was ihm das BMG aufgetragen habe. Wer war der geheimnisvolle „zweite“ Kurier an Schwertner? Knoop hielt am 1. Juli 1953 fest, Schwertner habe Bodens erstmals gesagt, der Journalist Willfried Parge sei damals zu ihm gekommen und habe sich als Vertrauensmann von Adenauer und Lenz bezeichnet. Er teilte angeblich mit, die drei nicht zugelassenen Parteien würden in Bonn abgeschrieben; er solle sich deshalb an der Wahl beteiligen. Überliefert ist ferner ein zweiter Besuch Parges bei Schwertner im August 1953. Dazu muß man Folgendes wissen: Parge unterhielt mit dem „Deutschen Informationsdienst“ ein Nachrichtenmagazin und stand der CDU/CSU nahe. 200 Des weiteren ist erwiesen, daß er mit der Sûreté zusammenarbeitete. Wurde er also vom Hohen Kommissariat in Saarbrücken oder von der DST geschickt? Dies ist unwahrscheinlich, denn das Risiko, einen deutschen Journalisten für einen so heiklen Auftrag zu verwenden, war zu hoch. Parge war kein Agent, sondern lancierte Nachrichten in seinem Informationsdienst. Hat Parge also im Auftrag des Kanzlers oder seiner Berater Lenz und Blankenhorn ausgerichtet, Schwertner solle kandidieren? Blankenhorn und Lenz glaubten fest an die Richtigkeit der Politik einer „Europäisierung“ der Saar. Im Umfeld Adenauers bereute man zu diesem Zeitpunkt längst, dem Drängen des BMG gefolgt zu sein und die Parole „weiß“ 198 199 200
BA, B 137, Bd. 16539 (auch für das Folgende). Zum Wahlergebnis der DV vom 30.11.1952: Schmidt, Saarpolitik, Bd. 1, S. 477. Zu Parge: Elzer, Die deutsche Wiedervereinigung an der Saar, Teil II, Kap. II.2.
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ausgegeben zu haben. Eine allzu hohe Zahl an ungültigen Stimmen bei den Landtagswahlen hätte DPS, Saar-CDU und DSP gestärkt und ihren Widerstand gegen die „Europäisierung“ angefacht. Blankenhorn mochte zu der Überzeugung gelangt sein, eine Aufspaltung der prodeutschen Kräfte in DV-Stimmen und in Nichtwähler liege im wahren Interesse der deutschen Politik. Die drei oppositionellen Parteien hätten die „Europäisierung“ verhindert, wenn ihr Aufruf ein überwältigendes Echo finden sollte. Umgekehrt durfte es auch keine zu hohe Zahl an gültigen Stimmen geben, weil der Bundestag einen gegenteiligen Appell an die Saarbevölkerung gerichtet hatte. Das Auswärtige Amt bezahlte im Sommer 1953 35.000 DM an den durch sein politisches Engagement verschuldeten Schwertner: der Mann sollte nicht alles erzählen, was er wußte. Eine Verstrickung von Adenauer persönlich in die Geheimaktion ist nicht auszuschließen. Ganz gewiß existiert dafür aber kein schriftlicher Nachweis. Nicht undenkbar erscheint aber auch ein diskreter Wunsch von französischer Seite, der Blankenhorn zur Kenntnis gegeben wurde. Paris wollte à tout prix verhindern, daß die umstrittenen Landtagswahlen zu einem Plebiszit für die Rückkehr der Saar zu Deutschland wurden. Solange es keinen konkreten Anhaltspunkt dafür gibt, muß indessen von einer Initiative des Kanzleramtes als plausibelster Erklärung ausgegangen werden. Blankenhorn und Lenz hatten jedenfalls keine Scheu vor Operationen im Halbdunkel. Wir können bilanzieren: Infolge der Schmeisser-Affäre befand sich Blankenhorn in einer gewissen Abhängigkeit vom französischen Geheimdienst. Er wurde damit zwar nicht zum Landesverräter, mußte aber ein gewisses Entgegenkommen demonstrieren. Was französische Diplomaten mündlich äußerten, bleibt Spekulation. Indessen gebrauchte Bérard am 12. Februar 1952 Formulierungen, mit denen ein sanfter Druck auf den Ministerialdirektor ausgeübt wurde. Wer eine leitende politische Stellung innehat, darf nicht vom Wohlwollen anderer Länder abhängen. Gewiß, Cheysson pflegte gute persönliche Kontakte zu Blankenhorn. Die französische Diplomatie verfolgte jedoch ihre eigenen Ziele in der Saarpolitik und verschmähte es keinesfalls, ihr Wissen um die Verlegenheit Blankenhorns im nationalen Interesse Frankreichs auszunutzen. Es gab nicht unbedingt direkte Forderungen an Blankenhorn, sondern eher eine Erwartungshaltung. Blankenhorn hatte sich 1948/49 in bedenklicher Weise mit dem französischen Geheimdienst eingelassen und fürchtete jetzt, durch Enthüllungen seine Karriere aufs Spiel zu setzen. Die Schere im Kopf wie bei indirekter Zensur wirkte sich nun auf politische Aktivitäten in der Saarfrage aus. Frankreich lag mitnichten daran, einen solchen Mann zu stürzen. Freilich sollte er zumindest in dezenter Form demonstrieren, wieviel Verständnis er für die französische Saarpolitik aufbrachte. Blankenhorn dürfte durch sein auffälliges Verhalten bei der Suspendierung Strohms im März 1952 einen Beweis seiner Konzilianz geliefert haben. Zweifelsohne beging Blankenhorn keinen „Hochverrat“. Er sah eine „Europäisierung“ der Saar auch aus der Perspektive der Bundesregierung als sinnvoll an und erblickte darin ein hinreichendes Motiv, den auf Rückgliederung fixierten prodeutschen Parteien in die Parade zu fahren. Sein Taktieren gegenüber der DV im November 1952 kann in diesem Sinne bewertet werden. Dagegen scheint im Falle der Ausschaltung Strohms ein diskreter Wunsch des französischen Hohen Kommissariats nicht ohne Bedeutung gewesen zu sein. Blankenhorn kannte Strohm seit langem und kam mit ihm zurecht. Der Quai d’Orsay betrachtete Strohm hingegen mit größter Abneigung und Feindseligkeit. Für die deutsche Saarpolitik war Blankenhorn unter den gegebenen Umständen nicht mehr der richtige Mann. Frankreich würde Zugeständnisse von ihm erhoffen; es war für den Ministerialdirektor nicht einfach, mit dieser Lage zurechtzukommen. Hartnäckig vertrat der Quai d’Orsay in den folgenden Jahren seine Marschroute, eine „Europäisierung“ der Saar nur zu seinen Bedingungen durchzuführen, d.h. als Verstetigung der französischen Präponderanz
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und der Abtrennung des Saargebietes von Deutschland. Wirklich stand eine Einigung mehrfach dicht bevor – und zwar zu Konditionen, die den Pariser Ambitionen nahekamen. Blankenhorn hatte maßgeblichen Anteil daran. Hier sei nur noch auf seine Gespräche mit dem französischen Diplomaten Jean-Marie Soutou am 16. Oktober 1954 hingewiesen, bei denen er dem Standpunkt des Quai d’Orsay im Vorfeld der Pariser Konferenz in bedenklichem Ausmaß entgegenkam. 201 Das Saar-Abkommen vom 23. Oktober 1954 fiel nach überwiegender Einschätzung der Zeitgenossen eher zugunsten Frankreichs aus, und die Entwicklung des Jahres 1955 bis hin zur Ablehnung des Saar-Statuts im Referendum vom 23. Oktober 1955 überraschte alle Beteiligten. Nicht bloß in Bonn weckte die Schmeisser-Affäre große Aufmerksamkeit – auch beim BfV in Köln löste sie Aktivitäten aus.
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Elzer, Adenauer und die Saarfrage, S. 672-674.
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VIII. KÖLN 1) OTTO JOHN, DIE WESTALLIIERTEN UND DIE SAAR a) Der Vertrauensmann von London und Paris Der Leiter des BfV, Otto John, hatte viele Kritiker. Er bewies zwar als Widerstandskämpfer eine untadelige Gesinnung im Dritten Reich, war aber nach seiner Flucht auch nachrichtendienstlich und propagandistisch für Großbritannien tätig gewesen 1. Dies zog ihm das Mißtrauen einflußreicher Kreise in der Bundesrepublik zu 2, Bundeskanzler Adenauer eingeschlossen 3. Innenminister Gerhard Schröder betonte nach Johns Verschwinden, die Londoner Verbindungen früherer Tage erklärten gewiß einiges. 4 Mit Albert Radke kam der Vizepräsident des BfV (bis 1964) aus der ehemaligen Abwehr; er scheint dem mit John verfeindeten Gehlen nahegestanden zu haben. 5 Die Ablösung des labilen, mit seinem Amt überfordert wirkenden Mannes schien Mitte 1954 nur noch eine Frage der Zeit. Am 20. Juli 1954 begab sich Otto John wahrscheinlich freiwillig nach Ost-Berlin. 6 Die Zusammenhänge lassen eine spontane Aktion plausibel erscheinen, wenngleich John über Wolfgang Wohlgemuth schon seit einiger Zeit einen Draht zum KGB unterhielt. Eine Tätigkeit für einen östlichen Geheimdienst wie im Falle des CDUBundestagsabgeordneten Karlfranz Schmitt-Wittmack 7 einen Monat später dürfte nicht vorgelegen haben. Die Motive für Johns wohl nicht reiflich überlegten Schritt waren der von ihm als gefährlich eingeschätzte Rechtsextremismus in der Bundesrepublik und die Sorge vor einer Verfestigung der Spaltung Deutschlands durch die Politik der Westintegration von Konrad Adenauer. 8 Seine Qualifikation als Leiter des BfV wurde von vielen angezweifelt, so daß er mit seiner baldigen Entlassung gerechnet hatte. 9 Eine Entführung in den Ostsektor Berlins – auf die John später pochte 10 – ist wenig wahrscheinlich, obwohl Markus Wolf ihm in seinen Erinnerungen sekundiert 11. In Ost-Berlin ließ er sich in die Propaganda der DDR gegen das „nazistisch verseuchte“ Westdeutschland einspannen. 12 Im Dezember 1955 kehrte John in die Bundesrepublik zurück und wurde wegen Landesverrat zu vier Jahren Zuchthaus 1
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Bailey/Kondraschow/Murphy, Front, S. 239f.; „Der Spiegel“, Nr. 44/1962, 31.10., S. 41-49: „Sefton Delmer: Der Chef vom Chef“, hier: S. 49. – Zu Otto John: Stöver, John; Hagen, Krieg, S. 74-112; Boveri, Verrat, S. 259-266; Halter, Krieg, Kap. II. Memoiren: John, Zweimal. Auftragsarbeit des KGB: Frederik, Ende einer Legende. Walde, ND-Report, S. 55f. John, Zweimal, S. 232f., 240; Schreiben Adenauers an Innenminister Schröder, 29.7.1954, in: Schiffers, Verfassungsschutz, Nr. 4A. Ebd., Nr. 1, hier: S. 134f., 141. Zum Verhalten Schröders: Oppelland, Gerhard Schröder, S. 271-292. Walde, ND-Report, S. 55, 60; Felfe, Dienst, S. 176f. Felfes Memoiren waren ein „Gemeinschaftsprodukt von KGB und MfS“ (Bailey/Kondraschow/Murphy, Front, S. 342). – Zur Rivalität zwischen John und Gehlen: John, Zweimal, S. 243, 265, 278f.; Zolling/Höhne, Pullach intern, S. 243f. „Der Spiegel“, Nr. 50/1995, 11.12., S. 78-84: „Geheimdienste: ‚Selten so jelacht’“; Stöver, Fall Otto John; Bailey/Kondraschow/Murphy, Front, S. 233-251; Müller/Müller, Gegen Freund und Feind, S. 149-159; Hagen, Krieg, S. 93-112; Roewer/Schäfer/Uhl, Lexikon, S. 223f.; Schiffers, Verfassungsschutz, S. 5f., 55-60, 77-81 (Chronologie) und Dokumente; Nollau, Amt, S. 150-160; Felfe, Dienst, S. 179-183. Henkel, Was treibt den Spion?, S. 285-288. Material in: BA, B 106, Bd. 15790. Stöver, Fall Otto John, S. 112, 119f. Diese Motive werden in seinen Memoiren verständlicherweise nur indirekt erkennbar (John, Zweimal, S. 236-258). Schiffers, Verfassungsschutz, Nr. 1, hier: S. 113, 119-126. John, Zweimal, bes. S. 259-272. Wolf, Spionagechef, S. 101-104. Zu Wolf: Villemarest, Coup d’État. Brochhagen, Nach Nürnberg, S. 216-222.
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Köln - Otto John, die Westalliierten und die Saar
verurteilt. 13 Allein, diese einschneidenden Ereignisse trugen sich erst nach der SchmeisserAffäre zu und hatten nur noch Relevanz für die juristische Aufarbeitung. Im Jahre 1950 beschuldigten mehrere hohe Offiziere John, für den britischen Geheimdienst in deutschen Gefangenenlagern sowie für die britische Anklage in den Nürnberger Prozessen und im Manstein-Prozeß tätig gewesen zu sein.14 Dazu nahm John am 6. März 1951 Stellung.15 Er bestritt, je für einen alliierten Geheimdienst tätig gewesen zu sein.16 Beim „screening“ in den Lagern sei es lediglich darum gegangen, „Antinazis“ zu identifizieren, um ihre Repatriierung zu beschleunigen. 17 An den Nürnberger Prozessen habe er nur aus wissenschaftlichem Interesse am Nationalsozialismus teilgenommen und im Falle Manstein sowohl der Anklage als auch der Verteidigung als Rechtsberater gedient.18 Für Johns Auftreten in den Gefangenenlagern gibt es einige Zeugnisse, die ihm Fairneß attestieren. 19 Paul Leverkühn stellte im Herbst 195420 fest, John sei in den Lagern und bei den Gerichtsverfahren häufig in Uniform erschienen; er habe für das britische Kriegsministerium gearbeitet. Seine Behauptung, im Manstein-Prozeß auch für die Verteidigung tätig gewesen zu sein, sei schwerlich zutreffend. John habe an wachsenden Einfluß der alten Nationalsozialisten in der Bundesrepublik geglaubt und die gegen ihn gerichtete Kritik immer schlechter verkraftet. John war zunächst kommissarisch mit der Leitung des BfV betraut worden und erst mit Wirkung vom 13. November 1951 fest angestellt.21 Im Jahre 1953 attackierte ihn die „Zeit“ besonders wegen der „Vulkan-Affäre“ 22, woraufhin dieser am 14. Mai 1953 einen Leserbrief schrieb. 23 Darin betonte er, der „Vulkan“ sei ein sowjetischer Spionagering. Im April 1953 waren einige im Osthandel aktive Unternehmer verhaftet worden, wobei die Anschuldigung der Industriespionage, aber auch der Bildung eines Nachrichtennetzes, nicht in allen Fällen zutraf. Bei den Ermittlungen des Bundeskriminalamtes über das Verschwinden Johns aus WestBerlin am 20. Juli 1954 konzentrierten sich die Fahnder verständlicherweise auf etwaige Verbindungen zu östlichen Geheimdiensten. Die einschlägigen Dossiers des BMI enthalten lediglich eine Spur, die nach Frankreich führt. Johns Ehefrau Lucie erzählte bei ihrer Vernehmung durch den Bundesgerichtshof in Köln am 28. Juli 1954 von den Kontakten ihres Mannes zu einem in Paris lebenden Elsässer namens Eduard Walz. 24 Im Rahmen seiner Aussagen zum Übertritt Johns in den Ostsektor von Berlin erklärte Vizepräsident Radke, er
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Bailey/Kondraschow/Murphy, Front, S. 251-255; John, Zweimal, S. 331-347. Material in: BA, B 106, Bd. 63054. Dazu auch Stenographischer Bericht über Sitzung des Ausschusses zum Schutz der Verfassung, 27.7.1954, in: Schiffers, Verfassungsschutz, Nr. 1, hier: S. 97f., 106-108. Vgl. John, Zweimal, S. 233. Wortlaut in: BA, B 106, Bd. 63054. Vgl. dagegen Appelius, Heine, S. 247; Frederik, Ende einer Legende, S. 72-76. Dazu auch John, Zweimal, S. 206-212. Ebd., S. 216-219. Zum Manstein-Prozeß: Brochhagen, Nach Nürnberg, S. 27-31. Zu Johns Rolle: Stöver, John, S. 168. Material in: BA, B 106, Bd. 15490. BA, B 106, Bd. 63056, Leverkühn, Notiz zur Sache John, 11.9.1954. Stenographischer Bericht über Sitzung des Ausschusses zum Schutz der Verfassung, 27.7.1954, in: Schiffers, Verfassungsschutz, Nr. 1, hier: S. 108 (Mitteilung von Bundesinnenminister Schröder). Richard Tüngel, „Die Aktion Vulkan“, in: „Die Zeit“, 16.4.1953; Ders., „Vulkan-Fieber“, 30.4.1953, in: „Die Zeit“, 30.4.1953. – Zu den Details: Verhandlungen BT, Sten. Ber., Bd. 20, S. 1641-1666 (Debatte vom 24.6.1954). „Der Kölner Vulkan. Ein Brief und eine Antwort“, in: „Die Zeit“, 14.5.1953. Material in: BA, B 106, Bd. 71854. Dazu auch John, Zweimal, S. 247-249; Villemarest, Coup d’État, S. 296-299. BA, B 106, Bd. 63053, Protokoll der Vernehmung Lucie Johns in Köln beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes für den Bezirk Nordrhein-Westfalen, 28. und 30.7.1954, hier: S. 13-16.
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habe häufig bei John dagegen protestiert, daß dieser dienstliche Unterredungen innerhalb oder außerhalb des Amtes ohne Zeugen führte. 25 Am 7. Juli 1954 erhielt Otto John in Abwesenheit seiner Frau Besuch vom Ehepaar Walz, über den Lucie John später durch ihre im Hause lebende Gesangsschülerin Maria Breidenbach unterrichtet wurde. 26 Walz stehe seit anderthalb Jahren in Kontakt mit John und habe ihn erstmals im April 1953 privat besucht. Damals erklärte Walz, er sei Hypnotiseur und seine rothaarige Frau – eine Französin – sei sein Medium. Ansonsten bot Walz seine besonderen Kenntnisse auf politischem Gebiet an. Wenige Tage später kam das Ehepaar Walz nochmals zu einem Privatbesuch. Dabei saßen die beiden Frauen allein. Frau Walz wollte Lucie John unbedingt dazu animieren, an spiritistischen Sitzungen teilzunehmen, was diese entschieden ablehnte und den lästigen Gast schließlich sitzen ließ. Frau John wußte von regelmäßigen Briefen, die Walz an ihren Mann richtete. Walz flirtete am 7. Juli 1954 mit Maria Breidenbach. Deren Schwester berichtete, sie habe nachts laute Musik gehört. Walz und John hätten getanzt und gesungen. Tagsüber habe John hingegen apathisch gewirkt. Hinterher stritt er gegenüber Breidenbach ab, vergnügt und lautstark gewesen zu sein. Lucie John leitete aus all dem ab, ihr Mann sei von dem ihr wenig Vertrauen einflößenden Walz unter Drogen gesetzt worden. Später meinte das BfV, John habe zwar von Walz politische Informationen erhalten, doch sei dieses Verhältnis persönlicher Natur gewesen; offensichtlich könne man Walz nicht als VMann bezeichnen. 27 Dagegen sagte ein KGB-Offizier 1969, Walz habe John Material über ehemalige Nazis in Frankreich geliefert, u.a. über Otto Abetz, was inzwischen von den Forschungen Stövers bestätigt wurde. 28 Insbesondere 1954/55 entfaltete Walz erhebliche Bemühungen, mit deutschen Parlamentariern in Verbindung zu kommen, denen er seine ausgezeichneten politischen Beziehungen zugute kommen lassen wollte. Dies gilt etwa für den aufstrebenden Sozialdemokraten Fritz Erler, dem der ehemalige Lektor für deutsche Sprache an der Sorbonne und Angehörige der Presseabteilung des Quai d’Orsay sein persönliches Verhältnis zu Ministerpräsident Pierre Mendès France und zu führenden Vertretern der französischen Sozialisten schilderte. 29 Ganz aus der Luft gegriffen waren diese Angaben nicht, doch in jedem Fall übertrieben, wie Erler im Laufe der Zeit merkte. Es ist nicht auszuschließen, daß Walz im Auftrag eines französischen Nachrichtendienstes an deutsche Politiker herantrat. b) Verweigerte Hilfe: John und die prodeutsche Opposition an der Saar Im September 1951 bewarb Ziebell sich vergeblich um eine Anstellung beim BfV. 30 John wußte persönlich davon. Ebenfalls im Herbst 1951 schaltete das BMG John ein, damit den Aussagen Hubalecks nachgegangen werden könne. 31 Selbst auf Nachfrage erhielt das BMG 25 26 27 28
29 30 31
Ebd., Protokoll der Vernehmung Albert Radkes beim Oberbundesanwalt am Bundesgerichtshof in Köln, 30.7.1954, hier: S. 5. Breidenbach bestätigte die Darstellung von Lucie John (ebd., Protokoll der Vernehmung Maria Breidenbachs, 5.8.1954, hier: S. 2-3). Ebd., Bd. 202278, Schreiben Bessel-Lorcks (BfV) an Bundesgerichtshof, 6.7.1956, hier: S. 3f. Tonbandaufnahme eines Gesprächs zwischen dem KGB-Oberst Vladimir Karpow und Hans Frederik am 23./24.11.1969 in Moskau, in: Frederik, Ende einer Legende, S. 595; Stöver, Fall Otto John, S. 135f. Der Name „Walz“ bleibt zwar bewußt ungenannt, doch ist der Bezug eindeutig. Material in: AdsD, NL Erler, Bd. 170. Ein anderes Beispiel ist der FDP-Politiker Max Becker (AdL, NL Becker, Bd. 31). Vgl. Kap. II.1b und Kap. IV.2b. Vgl. Kap. IV.2b.
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Köln - Otto John, die Westalliierten und die Saar
keine Antwort aus Köln. Das BfV begnügte sich vielmehr damit, im Mai 1952 die Fortdauer von Ermittlungen zu bestätigen. Am 2. August 1954 erschien nach einer Vorladung Helmut Bergweiler bei der Landeskriminalpolizei Mainz. 32 Bergweiler war Finanzassessor bei der Saarregierung in Saarbrücken, ehe er im September 1951 wegen Kontakten zu Auswärtigem Amt und BMG entlassen wurde. 33 Seit Mai 1954 arbeitete er als Regierungsrat beim Wirtschaftsministerium von Rheinland-Pfalz. Er erfuhr im Jahre 1951 von den Aktivitäten Schmeissers an der Saar und hörte durch einen Rundfunkkommentator von Radio Saarbrücken auch vom Fall Blankenhorn. Er habe Thedieck eine Niederschrift dazu übergeben. Auch in Gesprächen mit Globke, Lenz und Ritter von Lex wurde das Thema angesprochen. Was allerdings Bodens mit Schmeisser zu tun haben solle, sei ihm unerfindlich. Einschlägig sei auch der Name Ziebell. Dieser Agent wurde per Haftbefehl im Zusammenhang mit dem Konkurs des Kaufhauses Walter gesucht. Die Vollstreckung scheiterte am Widerstand von Paul Schmidt. Ziebell ging dann nach Berlin. 34 Wenn Wohlgemuth in einem Schreiben von einem Rechtsanwalt Z. spreche, dürfte Ziebell gemeint sein. Ziebell unterhielt nämlich in Saarbrücken enge Beziehungen mit Heinz Braun, der ebenso wie Otto John als deutscher Emigrant für den britischen Nachrichtendienst gearbeitet haben soll. Verbindungsmann zwischen Braun und Politikern in der Bundesrepublik könnte Georg Schneider gewesen sein, der erste Chefredakteur der DSZ, dem einwandfrei Hochverrat unter Denunzierung führender Köpfe der prodeutschen Opposition nachgewiesen werden konnte. Das SPD-Mitglied Schneider habe den besonderen Schutz von Fritz Heine genossen. Schneider kam später beim „Rheinischen Merkur“ unter, der der prodeutschen Opposition an der Saar ablehnend gegenüberstand. Ritter von Lex vermittelte Bergweiler 1952 mehrfach Gespräche mit Otto John. 35 Beim erstenmal ging es um die Agententätigkeit Maslohs in der Bundesrepublik. Immer wieder habe er (Bergweiler) versucht, John auf die Operationen der Sûreté in der Bundesrepublik aufmerksam zu machen – vergeblich. Er selbst sei wegen seiner Tätigkeit in der Saarfrage innerhalb und außerhalb des Saargebietes von französischen Agenten observiert worden. Um sich wenigstens in der Bundesrepublik zu schützen, habe er Ritter von Lex um ein neues Nummernschild für seinen in Saarbrücken zugelassenen Wagen, einen besonderen Paß und eine Minoxkamera gebeten. Der Staatssekretär genehmigte dies, doch das BfV lehnte es ab „mit der Begründung, daß seine Arbeit gegen den Osten, nicht aber gegen den Westen gerichtet sei.“ Später wurde bekannt, daß John ein von der Saaropposition beschafftes Dokument „unverzüglich an den französischen Nachrichtendienst in Baden-Baden weiterleitete.“ Daraufhin brachen die prodeutschen Parteien jede Verbindung zum BfV ab. Mehrere Informanten in saarländischen Behörden klagten, sie seien über deutsche Stellen vom französischen Geheimdienst enttarnt worden. Bergweiler hatte mit Ritter von Lex eine Unterredung über die Haltung Johns, doch er machte sich keine Illusionen: John schien damals „über jeden Verdacht erhaben“. Die prodeutsche Opposition war darüber erbittert, zumal französische Staatsangehörige wie Innenminister Hector und Justizminister Braun unbehelligt ihr Agentennetz mit der Sûreté spinnen konnten.
32 33 34 35
BA, B 137, Bd. 16540, Protokoll der Vernehmung Bergweilers, Geheim, 2.8.1954. Zu Person und Tätigkeit Bergweilers: Elzer, Die deutsche Wiedervereinigung an der Saar, Teil II, Kap. I und Teil IV, Kap. V.1a. Vgl. Kap. VII.3a und b; Hover, Fall Schmeisser, S. 61. Darüber hinaus erhielt Bergweiler am 8.1.1952 ein Empfehlungsschreiben Knoops an Nollau (BA, B 137, Bd. 16540).
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Rechtsanwalt Heinrich Schneider verdächtigte John am 24. Juli 1952, Saarunterlagen der Bundesregierung an die Sûreté weitergeleitet zu haben. 36 Er richtete am 25. Juli 1954 in einem Schreiben an Justizminister Dehler heftige Vorwürfe an die Adresse Johns. 37 Schneider sprach von Akten des BMG, die über das BfV an die Sûreté gelangten, und von der gegenseitigen Unterstützung alliierter Nachrichtendienste bei der Personenüberwachung, von der auch oppositionelle Saarländer betroffen seien. Ziebell habe enge Verbindung mit John gepflegt und auch für Frankreich und die Sowjetunion gearbeitet. Er (Schneider) habe vor kurzem erfahren, daß Edmond Beer von P 6 (saarländische Politische Polizei) regelmäßige Informationen aus dem BfV erhalte. Das BMG hörte vor einigen Wochen, die Kölner Behörde bemühe sich um Feststellung von Namen der Mitarbeiter der DSZ und des DSB. Man beschied Schneider in Bonn, gegen John sei nichts auszurichten, zumal er wegen seiner Homosexualität 38 von der Gegenseite erpreßt werde. Unbeschadet einiger Übertreibungen wie der nicht belegten näheren Verbindung zwischen John und Ziebell – Heinrich Schneiders Ausführungen hatten einen wahren Kern. Beer scheint auch Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes gewesen zu sein, bevor er 1944 zur Sûreté wechselte. 39 Im Juni 1954 hörte die prodeutsche Opposition durch einen V-Mann in der Umgebung Beers, dieser unterhalte enge Beziehungen zum BfV. Selbst nach dem Ausscheiden Johns scheinen diese Kontakte Beers nicht abgerissen zu sein. Beer erzählte im April 1955 einem Angehörigen des Bundeskriminalamtes, John sei „Vertreter der internationalen Illegalität, die unter allen Umständen die Rückkehr nationalsozialistischer und selbst konservativer Kräfte verhindern wolle“. 40 Ganz offensichtlich blieb unter den ehemaligen deutschen Agenten oder Propagandisten des Secret Service ein Netz von Verbindungen bestehen. Diverse Einzelvorgänge geben zu denken. Im Herbst 1950 bekam das BfV von Fritz Dorls einen vertraulichen Bericht über die „Rote Kapelle“. Wenig später lag das Dokument in Kopie beim Deuxième Bureau und wurde von dort aus in Nachrichtenkreisen weiter angeboten. Dorls hörte von Walter Klein davon. 41 Stutzig macht ferner Johns mangelnder Eifer beim angestrebten Hochverratsverfahren gegen den Saar-Überläufer Georg Schneider. 42 Die prodeutsche Opposition an der Saar stellte im Februar 1953 fest43, Material des amerikanischen Geheimdienstes CIC sei der Saarregierung überlassen und im Prozeß gegen die DPS verwendet worden. Die Unterlagen kämen entweder aus dem BfV oder aus dem LfV Wiesbaden. Im Juli 1953 wollte das BMG vom BfV Auskunft über verschiedene Saarländer. 44 Es erhielt jedoch den Bescheid, Mitteilungen über Vorgänge im Saarland durch alliierte Stellen wie die Zentralkartei in Berlin könnten nur mit Zustimmung der französischen Hohen Kommission erfolgen. Damit war dieser Weg versperrt.
36 37 38
39 40 41 42 43 44
LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 243, Schreiben H. Schneiders an Löwenstein, 24.7.1952. AdsD, NL Mommer, Bd. 13. Für Vorwürfe wie „Homosexualität“ oder „großer Alkoholkonsum“ konnten in den Untersuchungen des Bundeskriminalamtes keine ausreichenden Belege gefunden werden (Schiffers, Verfassungsschutz, Nr. 1, hier: S. 138-143). Dies deckt sich cum grano salis mit den Beobachtungen des Verfassers. BA, B 137, Bd. 3435, Vermerk Bodens, 5.5.1954 (auch für das Folgende). Vgl. auch Schmidt, Saarpolitik, Bd. 1, S. 522. BA, B 137, Bd. 3435, R 44 [Bodens] an R 49 [H. Schneider], 15.4.1955. AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 2578, „Vertraulich! Quellenschutz! Delegiertentag der SRP am 7. und 8. Juli 1951 in Westercelle“. Vgl. Kap. VII.4e. LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 243, Informationen für 64 [Kresse], 26.2.1953. BA, B 137, Bd. 3435, Schreiben Perkuhns (BMG) an BfV, 17.7.1953, mit hs. Vermerk Perkuhns, 24.7.[1953].
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Der süddeutsche Korrespondent der „Zeit“, Freiherr Volkmar von Zühlsdorff, veröffentlichte am 12. August 1954 eine Notiz zum Thema John und die Saar. 45 Die Saarländer seien erleichtert über den Abgang von John, denn schon vor zwei Jahren seien Photokopien wichtiger Akten aus dem BMG nach Saarbrücken gelangt. John habe sie angefordert und an die Alliierten weitergeleitet. Obwohl John wußte, daß Frankreich die Saar von Deutschland abspalten wollte, arbeitete er nach Überzeugung der saarländischen Opposition mit der Sûreté zusammen. In Prozessen gegen Widersacher des Saarregimes wurde Agentenmaterial verwendet, das von der Sûreté stamme. Ob John stets in eigener Person aktiv war, sei ungewiß, da er den Leiter von P 6, Edmond Beer, unter der Decknummer 90 als Mitarbeiter führte. Bodens nahm am 12. August 1954 zu diesem Bericht Stellung, nachdem er schon am 31. Juli über das Thema reflektiert hatte. 46 Gemeint sei das Dokument der französischen Saargrubenverwaltung, das Hella Hubaleck im Oktober 1951 ins BMG mitbrachte. 47 Regierungsrat Pietsch vom BfV erhielt damals ein Exemplar. Seit Oktober 1951 hätten die Mitteilungen von Hubaleck die Spionageoperationen an der Saar enthüllt und das Agentennetz damit unbrauchbar gemacht. Auch von der Blankenhorn-Sache berichtete sie. Im Januar 1952 48 meldete Hubaleck, sie müsse aus der französischen in die amerikanische Zone überwechseln, da ihr Gewährsmann bei der Sûreté in Baden-Baden einen Durchschlag des Schriftstücks aus dem BMG dort habe liegen sehen. Auch der Gewährsmann fürchte nun um seine Sicherheit. Wenige Wochen später berichtete Heinrich Schneider, bei der Sûreté in Saarbrücken befinde sich ein Dokument über die Régie des Mines aus dem BMG „mit Angaben über die Personen, die diese Unterlagen beschafft hätten“. Dann kamen am 19. Februar 1952 mysteriöse Telefonanrufe: 49 Ein Anrufer bei Fred Sagner (BMG) behauptete vermeintlich im Auftrag von Schneider, das BMG sei auf ein fingiertes Protokoll hereingefallen. Es sei Hubaleck in die Hände gespielt worden, um ihre Loyalität zu testen. Am selben Abend rief angeblich Sagner bei Schneider an und teilte Ähnliches mit. Beide Telefonate wurden laut Schneider vom Französischen Hohen Kommissariat in Saarbrücken aus geführt. Offensichtlich lag der französischen Seite an der Diffamierung Hubalecks und der Entwertung des Protokolls. Schneider und das BMG überlegten gemeinsam, wo die durchlässige Stelle liegen könnte. Der Verdacht richtete sich gegen das BfV. Der Sachbearbeiter des BfV, Pietsch, berichtete daraufhin, Otto John kümmere sich inzwischen selbst um den Fall. Pietsch erwiderte vertraulich, „daß die Übermittlung des Sitzungsberichts von Köln nach Baden-Baden auf Grund der guten Beziehungen Dr. Johns zu den französischen Liaison-Offizieren wohl möglich gewesen sei.“ Zühlsdorff wiederum dürfte vom Prinzen zu Löwenstein unterrichtet worden sein, der engen Kontakt mit der prodeutschen Opposition pflege. Die in Prozessen verwendeten Agentenmaterialien seien die gegen die DPS benutzten Mitteilungen Georg Schneiders. John habe sie keineswegs angefordert. Zumindest wahrscheinlich sei die Weiterleitung durch John an die Alliierten. Es gebe verschiedene Berichte über eine Kooperation zwischen Beer und John. Von diesem Zeitpunkt an gab das BfV keine Antwort mehr auf Anfragen des BMG in der Schmeisser-Affäre, erklärte Bodens. Ziebell floh vor einem Haftbefehl wegen des Konkurses von Walter nach Wiesbaden, Schmeisser ging nach Paris, wo er sein Material unterzubringen versuchte, um sich mit dem Erlös eine Existenz in Argentinien aufzubauen. Er wurde 45 46 47 48 49
V[on] Z[ühlsdorff], „P 6 und 90“, in: „Die Zeit“, 12.8.1954. BA, B 137, Bd. 16540. Vgl. Kap. IV.1. Am 12.8.1954 schrieb Bodens, es sei im November 1951 gewesen. BA, B 137, Bd. 16540, Vermerk Knoops, 22.2.1952.
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unerwartet aus Frankreich ausgewiesen, was das BfV erfuhr. Hubaleck berichtete dem BMG über das Auftreten der Agenten beim LfV Wiesbaden, woran das BfV kein Interesse zeigte. H. Schneider hörte vom diplomatischen Schritt Frankreichs bei der Bundesregierung wegen der Spionagetätigkeit des LfV in Paris. „Der Zweck dieses alten Abwehrmanövers war klar“, kommentierte Bodens, womit er die Vertuschung der französischen Geheimdienstaktivitäten meinte. Das BMG habe auf die seit Oktober 1951 häufig vorgetragenen Beschwerden der prodeutschen Opposition in Saarbrücken immer wieder erwidert, man tue alles, um die zuständigen Stellen zu unterrichten. Das BfV und das hessische LfV hatten durch den Fall Schmeisser jeden Kredit bei den prodeutschen Parteien verspielt. Im April 1956 verdächtigte Heinrich Schneider beide Ämter erneut der Bespitzelung eines saarländischen Politikers und äußerte seine Vorwürfe auf dem Würzburger FDP-Parteitag. Die Ermittlungen von BMI, BfV und LfV Wiesbaden förderten aber nichts Konkretes zutage. 50 John scheint die Auffassung vertreten zu haben, der deutsche Nachrichtendienst solle ausschließlich Interessen des gesamten Westens verfechten. Er unterstreicht in seinen Memoiren, wie sehr er sich Angelsachsen und Franzosen verbunden fühlte. 51 Nun lag die primäre Funktion seines Amtes zweifelsohne darin, die Verfassung zu schützen. Spionageabwehr sollte de facto nur gegen den Osten getrieben werden, Auslandsaufklärung gar nicht. In der Tat hatte die AHK in Gesetz Nr. 62 vom 30. August 1951 52 Strafandrohungen der Bundesregierung wegen Hochverrat für Auskünfte an Besatzungsmächte in dieser Pauschalität verworfen. 53 Das von der Bundesregierung vorbereitete, am gleichen Tag verkündete Strafrechtsänderungsgesetz 54 erschien Angelsachsen und Franzosen auch dann noch nicht befriedigend, als das BMJ der AHK anbot, dem Oberbundesanwalt in einer Anweisung darzulegen, daß loyale Zusammenarbeit mit den Westmächten nicht unter das Gesetz fiele. Der Bundestag protestierte einmütig gegen Gesetz Nr. 62, das im Truppenvertrag vom 26. Mai 1952 aufgehoben wurde. 55 Paris und London betrachteten gewiß nicht bloß „westliche“, sondern auch nationale Anliegen als zentrale Aufgaben ihrer Geheimdienste. Der jungen Bundesrepublik wollte man diese Differenzierung vorläufig nicht zugestehen, zumal sie weiterhin unter alliierter Kuratel stand. In der Saarfrage beispielsweise befanden sich die Bundesregierung und der Quai d’Orsay sogar auf Konfrontationskurs. John war indessen auf die Gefahr eines Wiederauflebens des Nationalsozialismus fixiert. Paradoxerweise verband er dies mit einer dezidiert gesamtdeutschen Gesinnung: Im Einklang mit dem rechten Spektrum lehnte er Adenauers Politik der Westintegration ab. Wie verhielt John sich konkret im Jahr der Schmeisser-Affäre? 2) DAS BFV UND DIE SCHMEISSER-AFFÄRE Die Vernehmungen Schmeissers und Schretzmairs in Kehl und Freiburg am 15./16. Januar 1952 führte ein gewisser Riedel durch. 56 Unmittelbar vor Beginn des Schmeisser-Prozesses wurde Riedel am 11. August 1955 in Köln vom Präsidenten des BfV, Generalstaatsanwalt
50 51 52 53 54 55 56
Material in: BA, B 106, Bd. 63051. John, Zweimal, S. 228f., 245. Wortlaut in: Schiffers, Bürgerfreiheit, S. 361f. Walde, ND-Report, S. 51f. Wortlaut in: Schiffers, Bürgerfreiheit, S. 347-361. Näheres ebd., S. 151-154, 225-239. Vgl. Kap. VI.2.
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Hubert Schrübbers, und vom Vizepräsidenten Albert Radke verhört. 57 Als er Ende 1951 oder Anfang 1952 im BfV zu tun hatte, machte ihn John darauf aufmerksam, daß die Franzosen am folgenden Tag einen gewissen Schmeisser und seine Braut wegen Unterschlagungen über die Grenze nach Kehl abschieben würden. Er solle hören, was dahinterstecke. Riedel – der bis Ende März 1952 die südbadische Verfassungsschutzstelle leitete und nach deren Abwicklung ins BfV wechselte – faßte dies als dienstliches Ersuchen auf und veranlaßte die Freiburger Kriminalpolizei, Schmeisser bis zu seinem Eintreffen festzuhalten. Dann vernahm er Schmeisser in Gegenwart eines Kriminalbeamten. Anschließend wurde Schmeisser der Staatsanwaltschaft Offenburg überstellt. Riedel erstattete John tags darauf in Köln Bericht. 58 Radke fragte, ob wirklich John diese Recherchen veranlaßt habe, denn das BfV befaßte sich erst nach dem „Spiegel“-Artikel mit Schmeisser. Riedel blieb aber bei seiner Darstellung. Nach seinem Eindruck kannte John die Hintergründe des Falles nicht. Wahrscheinlich wurde dessen Aufmerksamkeit geweckt, weil die Franzosen ihn auf die Überstellung dieses Mannes hinwiesen und damit seine Neugier erregten. Schmeisser sprach in Kehl über seine Kontakte mit Adenauer, Blankenhorn u.a. und war deshalb eine interessante Person. John bekam von Riedel mit Sicherheit die Vernehmungsunterlagen und wußte folglich seitdem von den früheren Beziehungen zwischen Schmeisser und Blankenhorn. Ziebell war ihm infolge seiner Bewerbung für das BfV ein Begriff. Paul Schmidt unterhielt sich nach eigenem Bekunden Anfang 1952 mit John über Schmeisser. 59 John hatte dann aber erstaunlich viel Geduld mit Schmidt, als dieser das Wiesbadener Schmeisser-Protokoll nicht übersandte und angeblich 5.000 DM für Recherchen erbat. 60 Dies führte im Juli 1952 zu Irritationen mit der hessischen Landesregierung, die John zu große Duldsamkeit vorwarf. 61 Zinn bat John, die Rolle Schmidts bei diesen Ereignissen zu ergründen. Am 15. Juli erörterten John, Blankenhorn, von Eckardt und eine Anzahl Journalisten die Schmeisser-Affäre und die Rolle des LfV Wiesbaden. 62 Otto John betonte in einem Schreiben an Schuster vom 1. Dezember 1952 63, eine Vertrauensgrundlage mit Schmidt sei nicht mehr gegeben. John führte aus, er habe seinerzeit infolge der schweren Erkrankung von Schmidt seinen Regierungsdirektor Merz damit betraut, Rücksprache mit der hessischen Landesregierung zu nehmen. Diese Aufklärung sei dadurch verhindert worden, daß Schmeisser, Ziebell und Schretzmair seit dem „Spiegel“-Artikel von den Nachforschungen des BfV wußten. Spätestens seit Januar 1952 kannte John den Komplex Schmeisser – Blankenhorn und die Verwicklung des LfV Wiesbaden. Nichtsdestoweniger tat er monatelang nichts Entscheidendes, um die brisanten Unterlagen zu erhalten. Im Gegenteil: Die Informationen des BMG über Hubalecks Enthüllungen der subversiven Aktivitäten in Hessen und im Saarland wurden dilatorisch behandelt oder gar der Sûreté verraten. Offensichtlich wollte John die geheimdienstliche Tätigkeit decken, die von französischer Seite betrieben wurde. Johns eigene Darlegungen über sein langes Zögern sind alles andere als schlüssig: Er setzte Schmidt eine Frist bis Ostern und will dann den Abteilungsleiter Merz zu Kontakten mit der Landesregierung in Wiesbaden instruiert haben. Warum dies nicht funktioniert haben soll, ist völlig rätselhaft. Der Artikel „Am Telefon vorsichtig“ erschien erst im Juli, und ob Ziebell und 57 58 59 60 61 62 63
BA, B 106, Bd. 202114; BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 113-117. BA, B 106, Bd. 71926, Vermerk BfV: Anlaß für Präsident des BfV Dr. John, sich mit Schmeisser zu befassen, 10.10.1955. Vgl. Kap. VI.1c. Vgl. ebd. Vgl. Kap. VI.7. BA, NL Blankenhorn, Bd. 13, Bl. 101-102, Tagebuchaufzeichnung Blankenhorns, 15.7.1952, hier: Bl. 101. BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 85-88, Schreiben Johns an Schuster, Geheim, 1.12.1952. Dazu auch Kap. VI.7b.
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Schmeisser von einer Einschaltung des BfV Kenntnis hatten, ist für Konsultationen zwischen BfV und hessischer Landesregierung irrelevant. John vertuschte, was Merz herausfand. Er wußte in Wirklichkeit längst Bescheid über die dunkle Rolle von Ziebell und die Fragwürdigkeit von Paul Schmidt. Diese Folgerung ist auch deshalb unabweislich, weil die DSZ bekanntlich bereits im Mai 1952 über die Verwerfungen im LfV Wiesbaden berichtet hatte – John rührte sich noch immer nicht. Das heißt nicht, John habe den Angriff auf Blankenhorn unterstützt. Er half vielmehr SDECE und DST bei ihren Vorhaben an der Saar, ohne sich um Details zu kümmern. Zudem wollte Blankenhorn anscheinend jedes Aufsehen vermeiden und legte Wert auf äußerste Diskretion. Unter diesen Umständen konnte John bei Schmidt nicht energisch vorsprechen, sondern verlegte sich aufs Bitten. Das BfV als Institution befaßte sich erst ab Juli 1952 mit dem Fall Schmeisser. Hofmann vom LfV Niedersachsen mochte bei seinem Bericht über den Fall Schmeisser vom 20. Oktober 1952 auch eine Auftragserteilung durch Moskau nicht ausschließen. 64 Dabei wäre an die Bundestagsdebatte über die Westverträge zu denken, die zum Zeitpunkt des Erscheinens von „Am Telefon vorsichtig“ begann. Aus Sicht der Sowjetunion kam die Enthüllung über Blankenhorn nicht ungelegen, und Ziebell mag durchaus in Karlshorst zu seiner Aktion ermutigt worden sein. Zudem wurde am 8. Juli 1952 der Rechtsanwalt Dr. Walter Linse im Auftrag des Staatssicherheitsdienstes der DDR in Berlin von Berufsverbrechern entführt. 65 Mehrere zehntausend Menschen protestierten am 10. Juli bei einer Kundgebung mit dem Regierenden Bürgermeister Fritz Reuter gegen den in die Verantwortung des SED-Regimes fallenden Gewaltakt. 66 Linse wurde im Dezember 1953 in Moskau hingerichtet. Der spektakuläre „Spiegel“-Artikel mochte von den negativen Schlagzeilen ablenken, die diese Untat den kommunistischen Diktaturen bescherte. Insgesamt können diese Erwägungen nur als zusätzliche Motive für eine Operation betrachtet werden, deren Schwerpunkt im Westen lag. In der Rückschau vom 3. November 1955 folgerte Toyka (BMI) aus dem Schreiben Johns vom 1. Dezember 1952 gleichwohl, BfV und Bundesregierung hätten nicht beabsichtigt, irgend etwas zu verschleiern. 67 John habe eine Zusammenarbeit mit Schmidt „scharf abgelehnt“ und versucht, vor der Publikation das Material zu erhalten. Wie wir gerade sahen, ist diese Beobachtung nicht zwingend. Der Brief Johns vom 1. Dezember 1952 diente der Exkulpation und täuscht darüber hinweg, wie wenig gegen die Machenschaften Schmidts und Ziebells unternommen wurde. Insbesondere die Aussage Bergweilers belegt das Selbstverständnis von John, gegen die Westalliierten keine Hand zu rühren, selbst wenn deren Aktivitäten deutsche Interessen zu verletzen drohten. John hatte gute Kontakte mit Beer von P 6. Reminiszenzen aus der Londoner Zeit dürften ein übriges getan haben. Der saarländische Justizminister Heinz Braun hatte dort ebenfalls für den Secret Service gearbeitet. John kannte die Drähte zwischen dem LfV Wiesbaden und dem französischen Geheimdienst. Er schützte sie, anstatt sie zu kappen, wie es seine Pflicht gewesen wäre. Er attackierte Schmidt erst im Dezember 1952, denn zu diesem Zeitpunkt war dessen Position erschüttert; Schmidt hatte seinen Wert für ausländische Geheimdienste eingebüßt. Seine Beseitigung erlaubte es, andere Spuren zu verwischen. Im Herbst 1952 wollte Blankenhorn indessen dem Treiben nicht mehr untätig zusehen...
64 65 66 67
BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 77-83, Geheim, hier: Bl. 82. Mampel, Entführungsfall Linse. Ebd., S. 21-23. BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 124.
Köln - Die Spezialmissionen von Friedrich Riedel
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3) DIE SPEZIALMISSIONEN VON FRIEDRICH RIEDEL a) Frankfurt a.M. – gute Ratschläge für Schmeisser Dorothy Schretzmair hinterlegte am 14. August 1952 eine notariell beglaubigte Eidesstattliche Versicherung. 68 Sie erzählte darin Folgendes: Der ihr bekannte Riedel erschien am 25. Juli in Schmeissers Frankfurter Wohnung „Am Sandweg“, wo Dorothy sich besuchsweise aufhielt. Schmeisser verabredete mit Riedel einen Treffpunkt im Restaurant „Hauptwache“. Dorothy begleitete ihren Freund dorthin. Riedel behauptete, zufällig in Frankfurt zu sein. Er erhob sodann Vorwürfe gegen Schmeisser wegen des „Spiegel“-Artikels. Das Geld, das er dafür erhalten habe, werde nicht reichen, ihn vor dem Zorn Adenauers zu schützen. Schmeisser konterte, er habe noch keinen Pfennig bekommen, und finanzielle Beweggründe hätten ihn nicht geleitet. Riedel wollte den Wahrheitsgehalt der Angaben Schmeissers gar nicht bezweifeln; es sei indes bitter, daß sie in die Öffentlichkeit gelangten. Schmeisser fragte Riedel, wie er aus der mißlichen Lage herauskommen könnte. Riedel riet ihm, einen Einschreibebrief an das französische Innenministerium mit der Bitte um eine Aussagegenehmigung zu richten. Nach 14 Tagen sollte er dies wiederholen, wenn keine Antwort erfolgte. Danach solle er eine analoge Bitte an das Kanzleramt richten, das bestimmt keinerlei Erlaubnis erteilen werde. Im Gerichtsverfahren könne Schmeisser dann belegen, daß er über bestimmte Dinge wegen fehlender Aussagegenehmigung nicht sprechen dürfe. Darunter fielen etwa die monatlichen Geldzahlungen. Die Lebensmittelsendungen könne er als private Freundlichkeit gegenüber Blankenhorn deklarieren. Schmeisser erkundigte sich, welche Gegenleistung er erwarten dürfe. Riedel meinte, über eine Position in Baden ließe sich reden. Er habe schon in Kehl ein Angebot an Schmeisser erwogen, ihn in seinem Landesamt anzustellen, doch er wollte nicht mit dem LfV Hessen „kollidieren“. Schmeisser erklärte, er wolle überhaupt nicht mehr im Verfassungsschutz tätig sein. Riedel versprach, sein Bestes zu tun. Riedel übernahm sämtliche Rechnungen in dem Lokal, die sich auf etwa 50 DM summierten. Er besaß Zigaretten mit französischer Banderole. Angeblich besorgte ihm ein Freund diese Marke sowie Wein aus dem Economat. Die Franzosen seien überhaupt nicht so schlimm, meinte Riedel, als Schmeisser sich scheute, die französische Zone aufzusuchen. Riedel erwähnte, er kenne Blankenhorns Vater, einen ehemaligen Oberst, der jetzt ein kleines Gut in Baden bewirtschafte. Schmeisser erkundigte sich, woher Riedel seine Frankfurter Adresse wußte. Dieser sagte, er habe sie damals in Kehl erfahren. Dorothy kommentierte, Riedel sei verlegen geworden, als ihm entgegengehalten wurde, Schmeisser habe seinerzeit noch nicht gewußt, wo er wohnen würde. Auf dem Weg zum Bahnhof erblickte Riedel einen Mercedes 300 und bemerkte, den könnten Schmeisser und Dorothy besitzen, wenn sie klüger gewesen wären. Schon zu Beginn des Gesprächs hatte Riedel gesagt, manchmal sei es besser, selbst dann zu schweigen, wenn man im Recht sei. Die Leute „da oben“ seien mächtiger. Riedel fragte auch, ob Schmeisser vor Gericht ein Papier mit der Unterschrift Blankenhorns vorlegen könne, was als Beweis erforderlich wäre. Schmeisser erwiderte, Blankenhorn werde wohl keinen Meineid schwören. Riedel erwiderte, dieser werde in jedem Fall alles abstreiten. Riedels Aussagen geben aber auch in anderer Hinsicht Aufschluß: Er ist Verfasser einer nicht signierten, in Köln angefertigten Aufzeichnung über den Fall Schmeisser vom 25. Juli 68
Wortlaut in: PA/AA, B 130, Bd. 13796.
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1952. 69 Dies ergibt sich eindeutig daraus, daß er zunächst über die Ergebnisse seines Gespräches mit Schmeisser und Dorothy Schretzmair am 25. Juli berichtete. Er wollte also das Pärchen aushorchen und machte sich seine Begegnung mit ihm vom Januar 1952 zunutze. Was hielt Riedel in seinem Bericht fest? Ziebell hatte dem „Spiegel“ schon im Mai 1952 Material übergeben, das im Archiv des Magazins verwahrt wurde. Ziebell informierte auch die SPD über den Fall. Diese beabsichtigte, die Schmeisser-Affäre im Zusammenhang mit der Saarfrage im Bundestag vorzubringen, um dem Kanzler einen Schlag zu versetzen. Als der „Spiegel“ dies erfuhr, veröffentlichte er das ihm vorliegende Material. Eine dritte Quelle, die die Publikation begünstigte, war das BMG. Bodens verdächtigte Blankenhorn, in der Saarfrage ein „falsches Spiel“ zu treiben. Sein Vorgesetzter Knoop 70 teilte die Einschätzung des Ministerialreferenten. Das BMG kannte die Hintergründe schon seit längerem. Der „Spiegel“ trat vermutlich über seinen Vertreter in Frankfurt, Mans, an Schmeisser heran. Dieser war gegen eine Veröffentlichung – das sagte er jedenfalls Riedel – machte aber mit, um „Schlimmeres zu verhüten“. So setzten sich Mans, Schmeisser und Ziebell zusammen, und der „Spiegel“-Journalist entwarf den „Tatsachenbericht“, dem das von Ziebell mitgebrachte Wiesbadener Vernehmungsprotokoll zugrundegelegt wurde. Schmeisser unterschrieb schließlich, was gemeinsam aufgesetzt worden war. Es wurden 25 Photokopien angefertigt und an verschiedene Orte verteilt. Schmeisser bekam kein Geld für seinen „Tatsachenbericht“. Ziebell sei die treibende Kraft bei der Veröffentlichung gewesen, von der er den Sturz Adenauers erhofft habe. Ziebell wollte dann Ministerialdirektor werden und Schmeisser ebenfalls im Staatsdienst unterbringen. Damit brach er Schmeissers Widerstand, weil dieser von einer gesicherten Stellung träumte. Ziebell handelte ohne Wissen von Paul Schmidt. Auch Masloh hatte seine Finger im Spiel. Dieser verbreitete das falsche Gerücht, Schmeisser besitze Quittungen Blankenhorns für Geldbeträge, die Schmeisser alias Levacher ihm gezahlt habe. Masloh sei mit Schmeisser verfeindet und habe verschiedene Bundesbehörden über dessen Verbindung mit dem französischen Nachrichtendienst informiert. Dies geschah etwa in Deidesheim, wo Bodens und Masloh präsent waren. Masloh erhoffte sich nach Überzeugung Schmeissers Geld von seinen Behauptungen über Quittungen. Nach Erscheinen des „Spiegel“-Artikels suchten Augstein und sein Bruder Schmeisser auf. Sie wollten sich ohne Zweifel von der Qualität des Materials überzeugen. Riedel folgerte an dieser Stelle, Schmeisser sei im Besitz einer Korrespondenz mit Blankenhorn, aus der hervorgehe, daß dieser Präsente erhalten habe. Zudem dürfte das seinerzeit bestehende Vertrauensverhältnis evident werden. Trotz des Fehlens von Quittungen existiere also Belastungsmaterial gegen Blankenhorn. Schmeisser und Schretzmair zeigten große Zuversicht, dem Gericht Beweise vorzulegen zu können. Sie glaubten nicht an einen Meineid Blankenhorns. Angeblich habe Schmeisser einen französischen Beamten dazu gebracht, vor Zeugen die Richtigkeit seiner Beziehungen zu Blankenhorn zu bestätigen; dieser Person drohe allerdings dafür strenge Bestrafung durch die französischen Behörden. Vor etwa einem Monat sei ein Agent des CIC in französischem Auftrag bei Schmeisser in Frankfurt gewesen und habe sich erkundigt, ob er in Paris für deutsche Stellen spioniert habe. Bis heute liege Schmeisser kein Strafantrag Blankenhorns oder Reifferscheidts vor, gegen den er „genügend Beweise“ habe. Er verfüge über eine Liste von Industriellen, die Reifferscheidts Bemühungen um eine Abtrennung des Rheinlands unterstützt hätten.
69 70
BA, B 136, Bd. 241. In der Vorlage: „Kopp“.
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Das Verhältnis zwischen Schmeisser und Ziebell sei gespannt. Schmeisser bemerkte, Nachforschungen über Ziebells Vergangenheit wären lohnend. Er könne ihn völlig erledigen. Ziebell stehe noch immer im Sold des französischen Nachrichtendienstes. Er habe verlangt, bei dem Artikel dürfe sein Name keinesfalls erwähnt werden. Schmeisser gab an, vom LfV Hessen weiterhin 650 DM monatlich zu erhalten. Schretzmair war vor etwa einem Jahr in Bonn und wollte Blankenhorn bitten, für Schmeisser „eine Anstellung bei einer Bundesbehörde zu verschaffen“. Sie sei wegen Zeitmangel von Blankenhorn an Strohm verwiesen worden, der sie nach einem langen Telefonat mit dem Ministerialdirektor „abgewimmelt“ habe. Riedel entnahm dem Gespräch, daß Schmeisser alle Unterlagen seiner Geliebten in München anvertraut habe. Schretzmair werde nach längerem Aufenthalt in Frankfurt nach München zurückfahren. Auch Schmeisser werde in Kürze zu einem Urlaub nach Bayern aufbrechen. Riedel urteilte, Schmeisser habe in vielem die Wahrheit gesagt. Der Artikel lag nicht in seinem Interesse, denn er wurde „in ein sehr zweifelhaftes Licht“ gerückt. Er wolle unbedingt eine gesicherte Position. Ziebell habe dies ausgenutzt. Als Schmeisser aus Frankreich nach Wiesbaden zurückkam und nicht mehr für das LfV Hessen arbeiten wollte, fragte ihn Ziebell, wovon er denn leben wolle. Wohl oder übel arbeitete Schmeisser daher wieder für Ziebell. In dem Intrigenspiel gebe es zwei durchlaufende Linien: Ziebell – Hubaleck – Bodens – Knoop – Masloh und Ziebell – Schmeisser – Schretzmair. Aber das vielleicht wichtigste Glied der Kette fehle: der Auftraggeber Ziebells, „wahrscheinlich innerhalb der SPD“. Es könne ausgeschlossen werden, daß Ziebell selbst „die strategische Oberleitung“ der „Hetzkampagne“ gegen den Kanzler in den Händen halte. Merkwürdigerweise pflegten einige dieser Personen noch Kontakt zum französischen Geheimdienst, obwohl der Angriff auf Adenauer gegen dessen „francophile Politik“ ziele. Möglicherweise würden französische Sozialisten sich über den Erfolg dieser Operation freuen. Die Unterredung vom 25. Juli 1952 brachte dem BfV wichtige Erkenntnisse, leitete es aber auch auf falsche Fährten. Während Schmeisser und Dorothy die Vorgeschichte von „Am Telefon vorsichtig“ und auch das Verhältnis Levacher–Blankenhorn zutreffend schilderten, trachteten sie Riedel davon zu überzeugen, zwischen Ziebell und Schmeisser habe es einen nur mühsam übertünchten Bruch gegeben. Wir konnten demgegenüber feststellen, daß Schmeisser weitgehend den Regieanweisungen Ziebells folgte, nachdem er erkannt hatte, wie schwierig es war, ohne dessen Hilfe Nutzen aus dem Blankenhorn-Material zu ziehen. Ein Abrücken Schmeissers vom französischen Geheimdienst lag in dieser Eindeutigkeit nicht vor. Gewiß fehlte es in dieser Zeit an offiziellen Bindungen an die Sûreté. Da Schmeisser sich Ziebell im Herbst 1951 geradezu unterworfen hatte, bestand indirekt weiterhin französische Einflußnahme auf die Tätigkeit Schmeissers. Der Sûreté gelang eine Irreführung: Riedel glaubte an dunkle Aufträge durch BMG und SPD-Parteivorstand, mit denen anderweitige Spuren verwischt werden sollten. Schmeisser interessierte sich in erster Linie für eine gesicherte Existenz. Dies hatte Riedel durchschaut und deshalb erwogen, ihm ein Angebot zu machen. Es kam ihm zu Ohren, wo die für Blankenhorn verfänglichen Dokumente zu finden sein sollten: im Umfeld von Dorothy Schretzmair, also im Großraum München. Schmeisser hielt sich nun ebenfalls dort auf. Allein, der Agent Schmeisser war für Paris keineswegs „verbrannt“, sondern nach wie vor ein Trumpf im Ärmel. Riedel unterschätzte das Risiko, das einem „Kuhhandel“ mit Schmeisser innewohnte.
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b) München – verbrämte Verhandlungen Am 16. August 1952 führte Riedel ein zweites Gespräch mit Schmeisser, diesmal in München. 71 Es fand in einem Café statt und zog sich mit wechselnden Gesprächspartnern über einen ganzen Tag hin. Es gelang nie, Dorothy Schretzmair ohne Zeugen zu sprechen. Außer ihr und Schmeisser waren zeitweise ihre Mutter und Werner Volkmar anwesend. Schmeisser hatte den Münchner Vertreter des „Spiegel“ unter anderem Namen eingeführt, doch die junge Schretzmair plauderte aus, um wen es sich handelte. Riedel hatte den Eindruck, daß Schmeisser als Konsequenz aus der Unterredung in Frankfurt Instruktionen vom LfV Wiesbaden bekommen hatte. Er versuchte immer wieder, eine angebliche „Frankfurter Abmachung“ ins Spiel zu bringen, und betonte seine Bereitschaft zu einer „eleganten Lösung“. Riedel bestritt jede Vereinbarung. Volkmar mimte den Unbeteiligten und schien lustlos durch die Gegend zu schauen. Inhaltlich berichtete Schmeisser von der zweimaligen Vorladung durch den Bonner Staatsanwalt Schröder in der Angelegenheit Blankenhorn, die er jedesmal aus Kostengründen abgelehnt habe: einmal als Zeuge, dann zu einer Besprechung. Schmeisser bezeichnete dies als ungeschickte Bonner Machenschaften. Was Paul Schmidt betreffe, so habe sich das Blatt gewendet und er bekomme seinen Posten wahrscheinlich zurück. Schmidt fühle sich von Ziebell in der „Spiegel“-Sache hintergangen und habe ihn entlassen. Ziebell sei nun völlig mittellos. Als Riedel einwarf, Schmidt habe doch das Wiesbadener Protokoll gekannt und sei also informiert gewesen, lächelte Schmeisser nur. Schmeisser erzählte von Ziebells Beziehungen zu Josef Müller und zu dem Sûreté-Beamten Haiblet sowie dem Leiter der BST Saarbrücken, Fontaine. Dorothy erwähnte vor Schmeissers Eintreffen, dieser sei Paul Schmidt noch nie begegnet. Als Schmeisser von seiner „eleganten Lösung“ redete, gab er an, der „Spiegel“ verfüge nicht über alles Material von ihm (Volkmar war gerade abwesend). Das Wichtigste liege noch bei einem Verwandten seiner Geliebten im Kanton Schaffhausen. Dazu gehöre eine Liste mit Personen, die für eine Abtretung deutscher Gebiete an Frankreich eintraten, u.a. den Ministerialrat im BMI Walter Bargatzky. „Im übrigen wäre es so, daß nur er allein den Dingen durch seine Aussagen vor Gericht die rechte Wirksamkeit verleihen könne, sei es im abschwächende[n] oder aber im gegenteilige[n] Sinne!“ Der Bund habe ganz sicher Möglichkeiten, ihn ein Jahr ins Ausland gehen zu lassen. Riedel wehrte dies bekanntlich für seine Person konsequent ab. In Anspielung auf Riedels Beziehungen zum badischen Staatspräsidenten Leo Wohleb erwähnte Schmeisser, er hätte auch nichts gegen Portugal – dorthin ging Wohleb 1952 als deutscher Gesandter. Angeblich besaß Schmeisser einen FünfJahres-Vertrag mit dem „Spiegel“, der endgültig erst nach der Gerichtsverhandlung geregelt würde – falls Bonn es nicht vorzöge, den Prozeß im Sande verlaufen zu lassen... Schmeisser erklärte, unabhängig von seinem Fall hätten frühere Beamte des Auswärtigen Amtes notarielle Aussagen gegen Blankenhorn gemacht, die diesen schwer belasteten. Auf deren anonyme Anzeige hin sei ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Schmeisser behauptete, in Frankfurt sorge Paul Schmidt für seine Abschirmung, ansonsten übernehme dies der „Spiegel“. Was schloß Riedel aus der zerfahrenen Unterhaltung? Schmeisser und Schretzmair hatten offenbar strenge Anweisung erhalten, mit niemandem ohne Zeugen zu sprechen. Schmeisser 71
BA, B 136, Bd. 241, Aufzeichnung [Riedels], 18.8.1952.
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scheine jetzt viel Geld zu haben. Dieser bemerkte einmal, von Wiesbaden bekomme er nichts mehr, was zweifelhaft sei. Riedel glaubte nicht an Schmeissers Willen zu einer „eleganten Lösung“. Volkmars Anwesenheit beweise das Gegenteil. Vielleicht kalkuliere man, wenn die andere Seite sich darauf einließe, hätte sie in der Beweisführung um so schlechtere Karten. Richtig erschien ihm Schmeissers Angabe, nicht die Dokumente, sondern seine Darstellung werde den Ausschlag geben. Im übrigen besitze laut Schmeisser das SPD-Vorstandsmitglied Heine Photokopien des Materials. Augstein sei nach Schmeissers Meinung zu einer Einigung auf solider Grundlage bereit. Riedel wußte nicht, was davon zu halten sei: entweder solle die Schwäche des Gegners bloßgestellt werden, oder der „Spiegel“ bezweifele selbst, ob seine Unterlagen stichhaltig genug seien. Jedenfalls fühlten Schmeisser und Dorothy sich unwohl in ihrer Haut. Am 1. Dezember 1953 wurde der süddeutsche Korrespondent des „Spiegel“, Werner Volkmar, in München von Mollenhauer verhört. 72 Er hatte nach eigener Aussage an der Vorgeschichte des Schmeisser-Artikels keinen Anteil. Danach wurde er allerdings vom Verlag unterrichtet und gebeten, Verbindung mit Schmeisser aufzunehmen. Er fuhr mit Jaene zu Schmeisser nach Gräfelfing. Dabei wurde verabredet, Schmeisser solle ihn unterrichten, wenn etwas vorfalle. Es kam in München mehrfach zu kurzen Begegnungen zwischen Volkmar und Schmeisser, bei denen die Zusammenhänge des Falles aber nicht im einzelnen erörtert wurden. Schmeisser betonte jedenfalls, die im Artikel erwähnten Angaben seien wahr. Einmal erzählte Schmeisser, der Leiter des LfV Freiburg, Riedel, habe ihn in Frankfurt aufgesucht. Dieser habe ihn seinerzeit in Kehl vernommen. Schmeisser berichtete Näheres darüber, weil Volkmar ihn und Dorothy zu einem Notar begleiten sollte. Dort wurden Eidesstattliche Erklärungen über den Besuch Riedels in Frankfurt a.M. aufgenommen. Dies war wohl als vorsorgliche Maßnahme oder Gedächtnisstütze gedacht. Am 16. August 1952 rief Schmeisser Volkmar an und sagte, Riedel sei in München. Er habe bereits Dorothy und ihre Eltern verständigt. Man wolle sich im Café Luitpold treffen. Als Volkmar hinzukam, wurde er Riedel unter dem Namen „Werner“ vorgestellt. Riedel schien indes zu ahnen, wen er vor sich hatte. Er erzählte von einem ihm bekannten Ehepaar aus Hamburg, das dort einen kunstgewerblichen Laden eröffnen wolle. Dorothy – eine Bildhauerin – könnte in diesem Geschäft eine gute Stellung finden und vielleicht 1.000 DM monatlich verdienen. Deswegen habe er in München Station gemacht. Dorothy war an dem Angebot interessiert. Ansonsten sagte Riedel zu Schmeisser, die Veröffentlichung im „Spiegel“ sei unklug gewesen; er solle dies ausbügeln und sich mit der Bundesregierung einigen. Er kenne Blankenhorn und dessen Vater persönlich, stammten sie doch aus Baden. Schmeisser fragte Riedel, ob er denn – wie in Frankfurt angedeutet – etwas für ihn tun könne. Volkmar hatte zuvor mit Schmeisser verabredet, daß letzterer die Geschehnisse von Frankfurt ansprechen sollte, damit Volkmar sie als eventueller Zeuge bestätigen könne. So fuhr Schmeisser fort, Riedel habe ihm doch in Frankfurt nahegelegt, seine Loyalität zur Bundesregierung zu beweisen. Riedel schränkte sofort ein, es habe sich um einen persönlichen Rat gehandelt. Auf eine Frage Schmeissers bekräftigte Riedel, er halte es weiterhin für richtig, wenn Schmeisser einen Einschreibebrief an das französische Innenministerium zur Erteilung einer Aussagegenehmigung schreibe. Ebenso mußte Riedel wiederholen, er fände es in Ordnung, falls Schmeisser sich bei Nichterhalt einer Antwort aus Frankreich an das Kanzleramt wendete. Schmeisser brachte auf die gleiche Weise weitere Aspekte ans Tageslicht, die in der hessischen Metropole angeschnitten worden waren. Blankenhorn würde sich nach Meinung Riedels wehren. Bedächtiger reagierte Riedel, als Schmeisser sagte, er habe ihm in 72
PA/AA, B 130, Bd. 13796.
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Frankfurt zugestanden, daß der Artikel im wesentlichen zutreffe, wie er aus dem Kehler Protokoll wisse. Riedel wurde zusehends vorsichtiger. Volkmar hatte den Eindruck, Riedel bestätige alles, was Schmeisser in der Eidesstattlichen Erklärung niedergelegt habe, betone aber seine rein menschlichen Motive. Beim Mittagessen bemerkte Riedel, er habe bessere Beziehungen zur badischen Regierung als zu Bonn und neige politisch zum Zentrum. Schmeisser fragte Riedel, was er denn von einer Schwenkung hätte. Dieser erwiderte, er könnte bei Wohleb vielleicht etwas für ihn tun. Schmeisser sagte, er wolle seine Agententätigkeit aufgeben. Nachmittags verließ er (Volkmar) die Runde, weil er anderweitig zu tun hatte. Er traf nachts um 1 Uhr Schmeisser, Schretzmair und ihre Mutter wie verabredet in einem Restaurant. Dabei erfuhr er, Riedel sei bis abends geblieben und habe unter starkem Alkoholeinfluß gestanden. Riedel habe Schmeisser schließlich angeboten, ihn bei der deutschen Vertretung in Portugal als Referenten unterzubringen. Dorothy Schretzmair und Hans-Konrad Schmeisser gaben am 20. August 1952 jeweils getrennt eine Eidestattliche Versicherung über dieses Treffen zu Protokoll. 73 Dorothy berichtete über Riedels Vorschlag, sie in einem Hamburger Kunstgewerbegeschäft unterzubringen. Schmeisser und Volkmar stießen hinzu, weil Dorothy beide benachrichtigt hatte. Riedel tadelte Dorothy bei passender Gelegenheit, Schmeisser hinzugebeten zu haben. Man wechselte mehrfach das Restaurant. Riedel war abends angetrunken, sprach nun oft französisch und pries Frankreich in den höchsten Tönen. Da er alle Zechen bezahlte, kostete der Tag ihn etwa 100 DM. Schmeisser wiederum rekapitulierte das Angebot Riedels, ihn bei der deutschen Gesandtschaft in Portugal unterzubringen. Riedels Argwohn schien demnach nicht unbegründet: Das Agentenpärchen dokumentierte nach jedem Treffen flugs den Inhalt der vertraulichen Gespräche, um zu gegebener Zeit Nutzen daraus ziehen zu können. Der scheinbar unbeteiligte Werner Volkmar war niemand anderes als der süddeutsche Korrespondent des „Spiegel“, der als Zeuge für bindende Zusagen Riedels an Schmeisser und Schretzmair herbeizitiert wurde. Der BfV-Agent witterte freilich die Falle und blieb vorsichtig. Trotzdem stellte Riedel seine Bemühungen keineswegs ein – im Gegenteil! c) Starnberg – Einbruch bei Schmeisser? Josef („Sepp“) Schretzmair schrieb Adenauer am 29. September 1952 einen Brief.74 Wortreich beklagte er, seine Tochter sei in den Klauen dieses „Gauners“ Schmeisser und komme nicht von ihm los. Schmeisser sei „feige“ und schicke Dorothy immer vor, wenn es ihm selbst zu gefährlich scheine. Alle Schreierei sei umsonst, denn er scheine ein Druckmittel gegen Dorothy zu haben: Nach jedem Krach beuge sie sich letzten Endes immer. Josef Schretzmair wußte seit zwei Jahren, daß Schmeisser von der Polizei gesucht werde, aber er lande einfach nicht hinter Schloß und Riegel. Wenn er seine Tochter zurückgeholt habe, sei Schmeisser wieder aufgetaucht. So habe er sich zum Schein mit Schmeisser vertragen und ihn in seine Wohnung aufgenommen, ihn dann aber wieder vor die Tür gesetzt. In dieser Zeit habe er bemerkt, wie Schmeisser Geld von der SPD erhalten habe. Schmeisser sprach selbst von 650 DM monatlich. Dann aber wollte die SPD nicht mehr bezahlen. Ein in Bad Wiessee lebender Mann – also wohl ORR Schmidt – habe dies zurückgewiesen. Ein gewisser Ziebell rief auch 73 74
Ebd., Eidesstattliche Erklärung D. Schretzmairs, 20.8.1952; Ebd., Bd. 13798, Eidesstattliche Erklärung Schmeissers, 20.8.1952. BA, B 136, Bd. 241.
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einmal in dieser Sache an. Schmeisser drohe der SPD jetzt mit einer Publikation im „Spiegel“ oder in der „Quick“. Dorothy sei derzeit wieder mit ihm zusammen, vermutlich in Hannover. Er glaube, die für den Kanzler relevanten Unterlagen mit Hilfe seiner Tochter bekommen zu können, und würde sie ihm sofort unbesehen aushändigen, damit Schmeisser Ruhe gebe und man ihn loswerde. Dabei bitte er Adenauer lediglich, seine Familie nicht zu schädigen. Es gehe ihm beruflich schlecht. Allein der Freistaat Bayern schulde ihm seit zwei Jahren 10.000 DM. „Wenn Sie einen Vertrauensmann zu mir schicken in Zivil, bin ich gerne bereit, jede gewünschte Auskunft zu geben.“ Riedel klingelte am 28. Oktober 1952 bei Josef Schretzmair in der Münchner Veterinärstraße und zeigte den Brief vor, den dieser an Adenauer geschrieben hatte. 75 Für den Zeitablauf ist Folgendes bemerkenswert: Schretzmairs Brief an Adenauer wurde am 23. Oktober John übersandt. Bereits fünf Tage später tauchte Riedel in der Münchner Veterinärstraße auf. 76 Mit diesem Brief wollte Schretzmair nach eigener Aussage verhindern, daß Dorothy im Zusammenhang mit dem „Spiegel“-Artikel in ein Gerichtsverfahren verwickelt würde. Riedel sagte Vater Josef Schretzmair und dem 15jährigen Sohn Max zunächst, wenn sie ihm behilflich seien, wäre dies für Dorothy von großem Wert; ansonsten hätte sie erhebliche Nachteile zu erwarten. Max nannte Riedel die Adresse von Schmeisser in Starnberg. Riedel fragte Max nach Schmeissers Tätigkeit im bayerischen Sonderministerium, dann über dessen Beziehungen zu Ziebell und Mans. Max sagte ihm, Ziebell habe Schmeisser beauftragt, mit Volkmar zu Paul Schmidt nach Bad Wiessee zu fahren, um dort das Finanzielle zu regeln. Riedel schrieb alles genau auf. Riedel bedrängte Max massiv und wollte von ihm wissen, wann er seiner Schwester von dem Schreiben an den Kanzler erzählt habe. Er ließ erst davon ab, als Vater Schretzmair die Abschrift hervorholte. Danach ging Riedel mit Max in ein Café, spendierte ein Mittagessen und gab ihm 10 DM. Er bat Max, die Namen der Notare in Erfahrung zu bringen, bei denen die Eidesstattliche Erklärung über das Frankfurter Treffen abgegeben wurde. Riedel fragte Max ferner, wie der Mann aus Bonn geheißen habe, der infolge des Briefes Schmeisser aufgesucht habe. Dieser Brief sei im übrigen eine gute Maßnahme gewesen. Max wußte weder, wer die fragliche Person war, noch bei welchem Notar Schmeisser Eidesstattliche Erklärungen abgegeben hatte. Max antwortete, er wolle dies seiner Schwester entlocken. Außerdem verlangte Riedel, der Junge solle ständigen Kontakt mit Schmeisser und Dorothy in Starnberg halten. Max hatte nichts dagegen; er müsse freilich seinen Vater informieren. Riedel sagte, Dorothy werde von Schmeisser nur als Werkzeug benutzt. Er erkundigte sich bei Max, wovon Schmeisser und Dorothy lebten. Dieser erwiderte, seines Wissens zahle der „Spiegel“ ihnen 650 DM monatlich. 77 Riedel schimpfte über die Art, wie Schmeisser sein Geld verdiene, während ehrliche Leute viel weniger bekämen. Vermutlich erhalte der Vermieter in Starnberg von Schmeisser und Dorothy eine so hohe Miete, weil er wisse, daß sie nicht verheiratet seien. Nunmehr fuhren beide mit einem Taxi nach Starnberg zum Hotel „Seehof“, wo Riedel wohnte. Er sagte zu Max, wenn bei Schmeisser niemand zuhause sei, solle er in den Akten nachschauen und alles aufschreiben, was er bemerkenswert finde. Er möge ihn dann im 75
76 77
HHSt, Staatskanzlei, Abt. 502, Bd. 7853, Aufzeichnung von Dorothy und Max Schretzmair, Betrifft: Affäre Schmeisser, 2.11.1952. Abdruck in: Hover, Fall Schmeisser, S. 79-84. Dazu ferner: PA/AA, B 130, Bd. 13796, Protokoll der Vernehmung Max Schretzmairs, 1.12.1953; Ebd., Protokoll der Vernehmung Josef Schretzmairs, 1.12.1953. BA, B 106, Bd. 71926, Vermerk BfV: Anlaß für Präsident des BfV Dr. John, sich mit Schmeisser zu befassen, 10.10.1955. In einer anonymen Zuschrift an das Kanzleramt vom August 1954 wurde behauptet, der „Spiegel“ zahle Schmeisser über Volkmar einen monatlichen Zuschuß. Im April 1954 sei er gestrichen, doch auf Vorsprache von Dorothy in Hamburg nur gekürzt worden (BA, B 136, Bd. 241).
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„Seehof“ anrufen, weil er an der Suche teilnehmen wolle. Sofern Schmeisser oder seine Schwester ihn zum Bahnhof führe, solle er zum Schein in den Zug einsteigen, aber nur bis zur nächsten Station, wo er ihn mit dem Wagen abholen werde. Max traf das Pärchen aber an. Es gelang ihm tatsächlich, die Namen des Notars und des Bonner Staatsanwalts herauszubekommen (Baader bzw. Schröder). Danach ging er zurück in den „Seehof“, wo Riedel völlig verändert schien. Seine schlechte Laune verflog sofort, als Max ihm die Namen nannte. Gegen 20.30 Uhr kamen beide wieder in München an; Riedel hatte 40 DM für das Taxi zu bezahlen. In der Veterinärstraße setzten sie in Anwesenheit Josef Schretzmairs die Unterredung fort. Riedel ließ sich die Namen wiederholen, erkundigte sich nach dem Fahrzeug Schmeissers und wollte die genaue Lage der Wohnung wissen, ganz besonders den Aufbewahrungsort von dessen Akten; er machte sich eine Skizze. Ferner fragte er nach den Nachbarn. Max erzählte ihm, der Haustürschlüssel liege auf einer Fensterbank, wenn Schmeisser und Dorothy nicht daheim seien. Riedel machte kein Hehl daraus, daß er die Unterlagen sofort in seinen Besitz bringen wollte. Max hatte die Idee, Schmeisser und Dorothy telefonisch nach München zu locken, indem man ihnen vorgaukelte, Vertreter des „Spiegel“ wollten mit ihm sprechen. Max hätte dann freie Bahn und könnte die Akten an sich nehmen. Josef Schretzmair war aber noch unschlüssig und hielt „die Sache [für] nicht ganz sauber“. Riedel erwog, mit Josef Schretzmair zur Polizei Starnberg zu fahren und dort Anzeige gegen Schmeisser zu erstatten, weil dieser in wilder Ehe lebe und im Ort nicht gemeldet sei. Gemeinsam mit der Polizei sollte man in die Wohnung gehen und die Dokumente an sich bringen. Schretzmair wollte aber nichts überstürzen und hatte zudem Angst, sich Schmeisser gegenüber nicht beherrschen zu können. Max begleitete Riedel zur Straßenbahn, was dieser zu der Bemerkung nutzte, am Wochenende würden sie ihr Vorhaben ausführen. Riedel erinnerte den unsicher gewordenen Jungen an den Diebstahl, den seine Schwester in der Staatskanzlei begangen habe. Als Max von seinem Vater nach seinem Verbleib gefragt wurde, erzählte er, er sei mit Riedel auf dessen Kosten in Starnberg gewesen. Tatsächlich fuhr Max übers Wochenende nach Starnberg. Sonntags gestand er jedoch Schmeisser, was vorgefallen war. Die Sache war ihm unheimlich geworden. Außerdem bezweifelte er inzwischen, ob Riedel wirklich seiner Schwester schaden könne. Schmeisser und Dorothy informierten sofort Volkmar. Max erzählte hingegen seinem Vater, er habe nichts herausbekommen. Montags kam Riedel wieder in die Veterinärstraße. Der alte Schretzmair erwähnte nun sein angeblich ausstehendes Architektenhonorar, das der Freistaat Bayern ihm schulde. Riedel notierte sich das und gab sich laut Josef Schretzmair den Anschein, behilflich sein zu können. Riedel teilte Josef Schretzmair mit, Dorothy habe aus der bayerischen Staatskanzlei Akten entwendet. Davon wußte Vater Schretzmair nichts. Riedel deutete etwaige Konsequenzen daraus an. Schretzmair glaubte nicht so recht daran, weil seine Tochter dafür bestimmt bestraft worden wäre. Dann gelang es Riedel, unter vier Augen mit Max zu reden. Dieser verschwieg ihm das Ausplaudern seines Besuches. Riedel drängte Max erneut, Schmeisser und Dorothy wegzulocken und die Wohnung dann zu durchstöbern. Er bot ihm dafür Geld, und zwar schließlich 30 DM. Max antwortete, er wolle sich weiter bemühen. Er erhielt nochmals ein Mittagessen und die 30 DM. Inzwischen verlangte Riedel nicht mehr die Entwendung der Unterlagen. Max sollte lediglich das Wichtigste herausschreiben. Danach kam Riedel nie wieder. Max Schretzmair waren also Bedenken gekommen. Er beichtete seiner Schwester, was er von Riedel wußte. Damit war Riedels Versuch vereitelt, sich in den Besitz der Unterlagen zu setzen. Die Abenteuerlust des Jungen und die Wut von Josef Schretzmair über den Verführer seiner Tochter mögen dazu beigetragen haben, den Wünschen des Unbekannten in weitem
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Maße zu entsprechen. Plötzlich bekamen sie „kalte Füße“. Immerhin bekundete Riedel unmißverständlich seinen Willen, die Akten an sich zu bringen. Sein forsches Vorgehen machte die Schretzmairs im nachhinein stutzig: Wer war dieser Mann? Hatte er vielleicht materielle Interessen? Wollte er mit einem Erpressungsmanöver Geld herausschlagen? Dorothy wurde informiert und lief sofort zu Schmeisser. Dieser sah es als den sichersten Weg an, schriftlich zu fixieren, wie Riedel vorgegangen war. Volkmar erzählte bei seiner Vernehmung vom 1. Dezember 1953 78, am 2. November 1952 habe ein Zettel an seiner Haustür gehangen. Schmeisser teilte ihm mit, er solle schnell zu ihm nach Starnberg kommen, denn Riedel setze seit einer Woche in München verschiedene Leute unter Druck. Volkmar griff zum Telefon und erfuhr von Schmeisser, daß Riedel sich mit Max Schretzmair getroffen habe. Wenig später brachte Schmeisser Max mit zu Volkmars Wohnung. Max erzählte dann die bekannte Story. Was Werner Volkmar betrifft, so überwarf er sich wenig später mit dem „Spiegel“ und wurde fristlos entlassen. Er soll Erpressungsmanöver unternommen haben. 79 Dorothy Schretzmair und ihr Bruder Max erstellten also am 2. November 1952 auf Anraten Schmeissers eine Aufzeichnung 80 über diesen Vorfall. Die Beteiligten schrieben in holprigem Deutsch ihre Erlebnisse auf. Doch es kam fachkundige Anleitung; mit Volkmar begnügte man sich nicht. Der hinzugezogene Mann war ein Vertrauter Schmeissers, der sich mit Vernehmungen im Bereich der Geheimdienste auskannte. Das Protokoll ist nämlich durch einige formale Merkmale deutlich von einer beliebigen Aufzeichnung zu unterscheiden. Mit diesem Papier hatte man eine Waffe gegen Riedel in der Hand. Sollte er wieder auftauchen oder einen Diebstahl versuchen, war ein Druckmittel vorhanden, ihn abzuschrecken oder der Polizei auszuliefern. Gewiß barg dies für Agenten immer ein Risiko, doch Schmeisser hatte genügend Tricks auf Lager, um sich aus einer Klemme befreien zu können. Wer aber war Schmeissers Vertrauter? d) Kein Angebot, kein Einbruch – die Perspektive Riedels Friedrich Riedel wurde am 17. Dezember 1952 vom Freiburger Oberstaatsanwalt in seiner Wohnung vernommen. 81 Was sagte Riedel aus? Am 25. Juli 1952 suchte er Schmeisser und Dorothy Schretzmair in Frankfurt a.M. und am 16. August in München aus dienstlichen Gründen auf. In Frankfurt sprach man über den „Spiegel“-Artikel. Keinesfalls habe er versucht, Schmeisser zu einer Abschwächung seiner Angaben zu bewegen. Vielmehr habe er Schmeisser gesagt, infolge der Veröffentlichung seines Namens käme er für eine nachrichtendienstliche Tätigkeit nicht mehr in Betracht, die er ansonsten erwogen hätte. In München – wo auch der „Spiegel“-Reporter Werner Volkmar anwesend war – erzählte ihm Dorothy, wie schlecht es ihr ginge. Er schlug ihr „aus reiner Gutmütigkeit“ vor, sie in einem Kunstgewerbegeschäft in Hamburg als Verkäuferin unterzubringen; beruflich war sie nämlich Bildhauerin. Als Schmeisser sich erkundigte, ob er keine Chance sähe, ihn im Ausland zu beschäftigen, erwiderte er lediglich: Hätte er damals für Südbaden gearbeitet, so wäre es denkbar gewesen, ihn im Umkreis von Leo Wohleb in Lissabon unterzubringen. Schmeisser 78 79 80 81
PA/AA, B 130, Bd. 13796. ACDP, NL Globke, I-070-060/1, Aufzeichnung, 24.9.1961. HHSt, Staatskanzlei, Abt. 502, Bd. 7853, Aufzeichnung von Dorothy und Max Schretzmair, Betrifft: Affäre Schmeisser, 2.11.1952. PA/AA, B 130, Bd. 13796, BA, B 106, Bd. 202114, und B 136, Bd. 50385, Bl. 111-112, Protokoll der Vernehmung Riedels, Geheim, 17.12.1952.
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bemühte sich, ihn (Riedel) in die Rolle eines Unterhändlers für Bonner Regierungsstellen zu drängen, wogegen er protestierte. Riedel erklärte am 11. August 1955 in Köln bei seiner Vernehmung durch Schrübbers und Radke 82, nach dem Erscheinen des Beitrags im „Spiegel“ habe er den Auftrag erhalten, festzustellen, ob Schmeisser wirklich belastendes Material über Blankenhorn besitze. John wollte lediglich wissen, ob der Agent lüge oder nicht. Schrübbers meinte, gewisse Leute könnten den Verdacht hegen, Riedel habe bei diesen Nachforschungen noch andere Motive verfolgt. Doch Riedel blieb unbeirrbar: John ließ nicht einmal andeutungsweise andere Beweggründe erkennen als den genannten, insistierte er. Daraufhin fragte Schrübbers, was Riedel auf Schmeissers Anschuldigung entgegne, er habe Zusicherungen erhalten, sofern er seine Vorwürfe gegen Blankenhorn zurücknähme. Riedel bestritt dies kategorisch und erwähnte nur die bereits wiedergegebene berufliche Offerte an Dorothy, bei der Schmeisser gar nicht anwesend gewesen sei. Auch die Äußerung über eine nachrichtendienstliche Tätigkeit Schmeissers für das LfV Südbaden wiederholte er; dies sei rein hypothetisch gewesen. Es könne keine Rede von einer Gegenleistung sein. Riedel reiste zum zweitenmal nach München, und zwar zu Dorothys Eltern. Anlaß für diesen Auftrag Johns war Schretzmairs Brief an Adenauer. Josef Schretzmair habe darin angeboten, Schmeisser unschädlich zu machen. Dennoch sollte er erneut nur feststellen, ob Schretzmair im Besitz von Unterlagen Schmeissers sei. Schretzmair unterrichtete ihn aber unvollständig. Er hörte von dem 15jährigen Bruder Dorothys, daß Josef Schretzmair entgegen seinen Behauptungen die Adresse Dorothys wußte. Nunmehr fuhr er mit Max nach Starnberg, da der Junge ihm die Akten besorgen wollte. Dies schlug indes fehl, weil Max nicht an die Papiere herankam. Daraufhin erstattete er ihm nur noch seine Auslagen. Im Winter 1952/53 reiste er gemeinsam mit einem Staatsanwalt der Bundesanwaltschaft abermals nach München und ließ eine Haussuchung durchführen – es wird nicht deutlich, ob dies auch bei Schretzmair geschah. Die Dokumente hätten sich dabei als belanglos herausgestellt. Schrübbers ließ nicht locker: Habe Riedel Schmeisser oder Schretzmair empfohlen, Blankenhorn nicht zu belasten? Dazu habe kein Anlaß bestanden, replizierte Riedel. Solange er nicht wußte, ob Schmeisser über einschlägige Unterlagen verfügte, hätte ein Angebot an diesen keinen Sinn ergeben. Riedel ergänzte auf Nachfrage, im LfV Freiburg existiere keine Akte zu diesem Fall; er habe dies bewußt vermieden. Es sei eine Bundesangelegenheit, und nur in Köln gebe es Dossiers darüber. Blankenhorn sagte am 9. Dezember 1952 gegenüber dem Bonner Staatsanwalt Henke aus 83, er bezweifele die Wahrheit der Angaben Schmeissers über Riedels Besuche bei ihm und Dorothy Schretzmair. Jedenfalls habe Riedel nicht im Auftrag von Adenauer oder ihm (Blankenhorn) gehandelt. Er kenne Riedel nicht. Natürlich habe er auch nichts von einem Vorschlag Riedels an Schretzmair gewußt, ihr eine Stelle als Geschäftsführerin in Hamburg zu besorgen. Blankenhorn hörte von den im Umlauf befindlichen Gerüchten über seine früheren Kontakte zu Levacher gegen Jahresende 1951. Schmeissers Verhöre in Wiesbaden und Freiburg seien ihm (Blankenhorn) erst viel später bekannt geworden. Das Protokoll von Wiesbaden habe er im September 1952 über Otto John bekommen. Das BfV führte sorgfältige Nachforschungen darüber durch. Er selbst behielt sich eine Strafanzeige vor. Es sollte ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß eingerichtet werden, der zu klären gehabt hätte, inwieweit das LfV Wiesbaden verleumderische Angriffe auf den Bundeskanzler und ihn
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BA, B 106, Bd. 202114, und B 136, Bd. 50385, Bl. 113-117. PA/AA, B 130, Bd. 13796, und BA, B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 96ff., Protokoll der Vernehmung Blankenhorns in Bonn, hier: S. 12.
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Köln - Die Spezialmissionen von Friedrich Riedel
vorbereitet habe. Aufgrund des Ermittlungsverfahrens gegen Schmeisser wurde dies alles zurückgestellt. Schmeisser nahm am 18. Dezember bei einer Vernehmung in Gräfelfing durch den Bonner Staatsanwalt Henke dazu Stellung. 84 Zu den Besuchen von Riedel bei ihm in Frankfurt a.M. und München halte er seine Darstellung ungeachtet der gegenteiligen Schilderung Riedels aufrecht. Riedel stiftete Max Schretzmair im November 1952 zum Einbruch bei Schmeisser an, um die Akten in Besitz zu nehmen. Schmeisser hätte eine unzweideutige Offerte Riedels für einen attraktiven Posten in jedem Kontinent dieser Erde spornstreichs akzeptiert. Er wartete aber vergebens. Riedel sparte nicht mit Andeutungen oder Ratschlägen, doch er ließ sich nicht festnageln. Im Grunde lagen die beiden Parteien nicht weit auseinander: Schmeisser bot an, vor Gericht so aufzutreten, daß Blankenhorn keine Verstöße gegen politische Redlichkeit oder moralische Anständigkeit zur Last gelegt werden konnten; die einzelnen Sachthemen enthielten fraglos Spielraum für mehr oder minder wohlwollende Varianten. Dafür wünschte Schmeisser aber die Garantie einer einträglichen Funktion zur Absicherung seiner Zukunft. Da Riedel hierfür nicht autorisiert war, blieb alles vage. Als Riedel im August 1952 nach München reiste, versuchte Schmeisser ihm verfängliche Formulierungen zu entlocken, für die er verläßliche Zeugen herbeigerufen hatte. Eine derart plumpe Finte konnte nur schiefgehen. Riedel war kein Stümper und wußte genau, was Schmeisser mit seiner wiederholten Rückgriffen auf ihre Unterredung in Frankfurt bezweckte. Schmeisser dachte stets auch an die zweite Chance, die ihm Riedels Beharrlichkeit eröffnete: Belastungsmaterial gegen Blankenhorn zu sammeln. Gelang es, Riedels bemerkenswerte Initiativen vor Gericht nachzuweisen, dann würde die Öffentlichkeit den Auftraggeber in Blankenhorn sehen, mochte John auch nominell die Verantwortung tragen. So ließ sich der Beleidigungsprozeß gegen Blankenhorn gewinnen. Viel lieber wäre es Schmeisser gewesen, wenn ihm weiterer Ärger mit der Bundesregierung erspart würde. Alles, was er gegen Blankenhorn in die Hand bekam, war hilfreich; dieser sähe vielleicht doch noch ein, daß eine gütliche Einigung mit Schmeisser vorteilhafter wäre... Die erste Priorität für Riedel lag darin, Genaueres über die Beschaffenheit der Unterlagen Schmeissers herauszufinden. Er war nicht befugt, Schmeisser konkrete Angebote zu machen, solange darüber keine präzisen Informationen bestanden. Immerhin war es nicht ohne Risiko, Schmeisser eine Anstellung zu besorgen, mochte doch mancher sich wundern, wer dies ermöglicht habe. Riedel besaß diesbezüglich eine klare Anweisung, zumal er dann später guten Gewissens behaupten konnte, mit Schmeisser nur theoretisch über Auswege gesprochen zu haben. In anderer Hinsicht war seine Mission jedoch von weniger Zurückhaltung geprägt: Die Papiere Schmeissers sollte er unter allen Umständen in die Hände bekommen oder zumindest begutachten. Als Josef Schretzmair seinen Brief an Adenauer geschrieben hatte, besaß Riedel einen Ansatzpunkt. Er fuhr zu dessen Privatwohnung und ließ nichts unversucht, um mit Hilfe der Familie Einblick in das Schmeisser-Material zu erlangen. Dabei schloß er weder einen Diebstahl noch eine polizeiliche Aktion aus. Es ist bezeichnend, wie penetrant Riedel auf den 15jährigen Max einredete. Letzten Endes blieb alles vergeblich, und er mußte mit polizeilicher Unterstützung eine Haussuchung bei Schmeisser vornehmen. Immerhin scheint dies geräuschlos vonstatten gegangen zu sein, denn mehr als die spätere Aussage Riedels ist dazu nicht überliefert.
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PA/AA, B 130, Bd. 13798, und BA, B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 97-99, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Gräfelfing, 18.12.1952, hier: S. 3.
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Otto John war Riedels Vorgesetzter und wurde von diesem als Auftraggeber genannt. Hinter der Operation dürfte freilich Herbert Blankenhorn gestanden haben, mochte er dies auch energisch in Abrede stellen. Ein bedeutsames Motiv lag gerade in der von Blankenhorn selbst beschriebenen Ungewißheit über den Inhalt der Wiesbadener Protokolle und etwaiger weiterer Unterlagen Schmeissers. Einer internen Mitteilung für die SPD-Spitze vom 31. Mai 1952 zufolge hatte Blankenhorn im Dritten Reich nachweislich eine Zeitlang in Lissabon gewohnt. 85 Er könnte dort mit John in Berührung gekommen sein. Blankenhorn hatte eingestandenermaßen das BfV eingeschaltet. Der von ihm zur SPD geschickte Curt Bley war auch mit John persönlich bekannt. 86 Zudem erklärten mehrere Beteiligte, Riedel habe erwähnt, Blankenhorns Vater begegnet zu sein. Tatsächlich lebte dieser in Baden und war im Polizeidienst aktiv gewesen. Eine direkte Einmischung Blankenhorns ist demnach wahrscheinlich. Riedel wurde gewiß eingeschärft, über diesen Aspekt völliges Stillschweigen zu bewahren. Der Habitus des Unschuldigen, den Blankenhorn in seiner Vernehmung vom 9. Dezember mit Ausfällen gegen das LfV Wiesbaden kombinierte, war jedenfalls deplaziert. Weitere Nachrichtenhändler hatten ihre Finger im Spiel – was Chancen und Risiken enthielt. 4) BEMÜHUNGEN WEITERER NACHRICHTENHÄNDLER IM FALL SCHMEISSER a) Oberst a.D. Wolfgang Müller Peter Lütsches, Herausgeber der Wochenzeitung „Das freie Wort“, informierte Rechtsanwalt Prof. Dahs am 14. November 1953, er habe vertrauliche Mitteilungen über die Absicht des „Spiegel“ erhalten, einen weiteren Beitrag zur Affäre Schmeisser-Blankenhorn zu publizieren. 87 Sein Mitarbeiter Oberst a.D. Wolfgang Müller halte es für möglich, in Saarbrücken belastendes Material über Schmeisser zu besorgen. Lütsches legte Dahs nahe, sich an Müller zu wenden, dessen Anschrift in Düsseldorf er nannte. Er selbst könne unauffällig nach Saarbrücken reisen, weil er Johannes Hoffmann gut kenne. Tatsächlich meldete der SPD-nahe Pressedienst PPP am 11. Juni 195488, die Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise habe für Recherchen Müllers in Sachen Schmeisser an der Saar Spesen gezahlt. Es gehe dabei um eine Entnazifizierungsangelegenheit, die ihren Ursprung in Rheinland-Pfalz genommen habe. Müller habe Blankenhorn über seine erfolgreiche Mission berichtet. Der Ministerialdirektor sehe dem Schmeisser-Prozeß gelassen entgegen. Eine andere Information bestätigt, daß der dem „Bund der Verfolgten des Naziregimes“ angehörende Wolfgang Müller besondere Beziehungen zu Okkupationsbehörden besaß und deren Hilfe durch Mittelsmänner in Anspruch nahm. 89 An der Saar wußten Oppositionskreise schon im Februar 1953 von Müllers häufigen Aufenthalten in Saarbrücken und seinen Verbindungen zu Hoffmann. 90 Er soll zum Freundeskreis von Otto Strasser gehört und den Spitznamen „Vorschriften-Müller“ getragen haben. 91 Globke wechselte 1957 mit Müller einen 85 86 87 88 89 90 91
AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 5730, Aufzeichnung „Blankenhorn“, 31.5.1952. John, Zweimal, S. 59. PA/AA, B 2, Bd. 354A. PPP-Inf., 11.6.1954: „Blankenhorn – Schmeisser“. AdsD, NL Heine, Bd. 145, Notiz „Nachrichtenorganisation“, o.D. LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 243, Informationen für 64 [Kresse], 26.2.1953. AdsD, Sammlung Personalia, o. Nr., Otto Strasser, Box 1956-1974, Mappe Biographie, „Dr. Otto Strasser – der Politiker, seine Konzeption, seine Gefolgschaft. In der Form einer Materialzusammenstellung behandelt für Herrn W. Nieke (‚Telegraf’ – Berlin)“, hier: S. 6.
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Köln - Bemühungen weiterer Nachrichtenhändler im Fall S h i
vertraulich-freundlichen Neujahrsgruß. 92 War das Berechnung? Im Juli 1957 erwähnte Fabian von Schlabrendorff im Gespräch mit Globke 93, die USA hätten dafür gesorgt, daß ein Verfahren von Oberbundesanwalt Max Güde gegen Müller wegen verräterischer nachrichtendienstlicher Tätigkeit eingestellt wurde. Güde zufolge trage Müller „auf 1000 Schultern“. Blankenhorn bediente sich offenbar auch des Nachrichtenhändlers Müller, um seine Situation im Fall Schmeisser zu verbessern. Wir wissen ohnehin, wie sehr er sich gefährdet wähnte. Kurzfristig kam ein Name hinzu, der alles andere als einen guten Klang besaß: ZechNenntwich. b) Hanswalter Zech-Nenntwich alias Dr. Nansen Am 24. September 1952 wurde ein gewisser Hanswalter Zech-Nenntwich von einem „Politischen Sonderdienst“ (PSD) der Kölner Polizei verhaftet. 94 Der Bonner Oberstaatsanwalt und die Behörden des Landes Nordrhein-Westfalen wußten nichts darüber. Zech-Nenntwich wurde offiziell aufgrund eines privaten Streits95 festgenommen. Der offenbar mit dem BfV kooperierende PSD befragte Zech-Nenntwich jedoch nur nach politischen Angelegenheiten. Er blieb wochenlang inhaftiert, ohne einem Richter vorgeführt zu werden. Auch einen Rechtsanwalt durfte er nicht sofort einschalten. Zech-Nenntwich unternahm im Gefängnis zwei Selbstmordversuche. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung in Bonn-Mehlem wurde der Durchschlag eines Briefes an Ulbricht mit verlockenden Offerten gefunden. Nach einer anderen Version erfolgte die Festsetzung, weil die Antwort Ulbrichts abgefangen wurde. Angeblich fand man Unterlagen über den Prozeß gegen Bankdirektor Anton Brüning aus dem Jahre 1934, bei dem es um ein Spekulationsgeschäft ging, an dem der damalige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer beteiligt war. Brüning mußte seinerzeit für sieben Jahre ins Gefängnis. 96 Weitere Briefe betrafen Blankenhorn. Dieser soll Zech-Nenntwich in den späten 1940er Jahren beim französischen Geheimdienst in Baden-Baden empfohlen und auf seine Beziehungen zu diesem Mann verwiesen haben. Zech-Nenntwich habe beabsichtigt, diese Schriftstücke dem „Spiegel“ anzubieten. Er erhielt nur einen Teil seiner Unterlagen zurück. Sieben Wochen nach seiner Verhaftung teilte ihm der Oberbundesanwalt mit, gegen ihn werde ein Verfahren wegen Geheimnisverrat eingeleitet. Am 5. Dezember 1952 wurde ZechNenntwich freigelassen. Wer war Zech-Nenntwich? Es handelte sich um einen ehemaligen Obersturmführer der SSTotenkopfstandarte „Ostmark“, der 1964 wegen Beteiligung am Judenmord in Polen zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Er entfloh jedoch nach Ägypten. Nach wenigen Monaten
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ACDP, NL Globke, I-070-023/1. Ebd., I-070-059/5, Tonbandniederschrift einer Besprechung Globkes mit Schlabrendorff, 2.7.1957, hier: S. 7. AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 3522A, UNDO-Pressedienst, 14.10.1952; PPP-Informationsbrief, 31.10.1952, 24.11.1952, 9.12.1952; Material Dieter Guett, Betr.: Verhaftung Hanswalter Zech-Nenntwich, o.D. [1952]; Schreiben Zech-Nenntwichs an Wolfgang [von Putlitz?], 29.9.1952. – Ist vielleicht die Bonner Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamtes gemeint? (vgl. Walde, ND-Report, S. 129f.). Im Jahr 1952 hatte Zech-Nenntwich einen Mietstreit und erheblichen Ärger wegen des versuchten Verkaufs von minderwertigen Zünduhren („Der Spiegel“, Nr. 4/1964, 22.1., S. 30-31: „Zech-Nenntwich: Weiber in die Sümpfe“). Zech-Nenntwich wurde am 5.12.1952 vom Schöffengericht Geldern wegen Körperverletzung und Beleidigung zu 5 Wochen Gefängnis verurteilt (Justiz und NS-Verbrechen, Bd. XX, Nr. 570, S. 33). Kontroverse Schilderung der Zusammenhänge bei Schwarz, Adenauer, Bd. 1, S. 380-382, 386f., und Köhler, Adenauer, Bd. 1, S. 291-293.
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stellte er sich den deutschen Behörden. 97 Er war 1942 nach einem Brillantendiebstahl in Bordeaux von einem SS-Gericht zum Tode verurteilt worden, entkam jedoch seinen Häschern. Dem „Spiegel“ erzählte er 1950 vom ersten Teil dieser Geschichte nichts, dafür umso detaillierter von seiner Flucht aus dem Gestapo-Gefängnis Warschau nach Schweden; er hatte sich der Gehorsamsverweigerung schuldig gemacht. 98 Sefton Delmer bestätigt die Zusammenarbeit Zech-Nenntwichs mit der polnischen Untergrundbewegung. 99 Dieser erhielt in Schweden ein Angebot aus London und wurde 1944 Agent der britischen Abwehr. 100 Er beteiligte sich an Delmers „schwarzer Propaganda“, die die Zersetzung des deutschen Volkes ohne Rücksicht auf die Gesinnung des einzelnen und unter Einsatz aller denkbaren Mittel betrieb. 101 Dies unterschied sich fundamental von den seriösen Deutschland-Berichten der BBC oder dem „Sender der Europäischen Revolution“ der sozialdemokratischen Emigranten Fritz Eberhard und Waldemar von Knoeringen. 102 Bekannt wurden vor allem die Schwarzsender „Gustav Siegfried Eins“ und „Soldatensender Calais“. Zech-Nenntwich war Sprecher der Spezialabteilung Milton Bryan, die einen geheimen Kurzwellensender der Waffen-SS an der Ostfront fingierte. 103 Der Renegat gewährleistete dabei größtmögliche Authentizität. Durch Vorspiegelung falscher Tatsachen gelang es Zech-Nenntwich alias Dr. Sven Joachim Nansen nach Kriegsende, mit Unterstützung von Angehörigen der britischen Militärregierung in die engste Umgebung der nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Rudolf Amelunxen und Karl Arnold vorzudringen. 104 Im Jahre 1948 flog der Schwindel um seine Identität auf. Zech-Nenntwich trug Arnold nach, ihn gnadenlos gefeuert zu haben. Er scheint im britischen Geheimdienst verbreitet zu haben, Herbert Blankenhorn, Gerhard Schröder und Renatus Stier tom Moehlen – ein enger Vertrauter des Bremer Bürgermeisters Wilhelm Kaisen – schmiedeten ein neonazistisches Komplott. 105 Der Agent blieb in engem Kontakt mit Walter Menzel, während Arnolds Persönlicher Referent Gerhard Schröder es schaffte, ihn in Nordrhein-Westfalen zu diskreditieren. Zech-Nenntwich präsentierte sich 1950 gegenüber dem „Spiegel“ als guter Patriot und riet dringend, die von britischer Seite eingeschleusten „Elemente, die den Bestrebungen einer fremden Macht Vorschub leisten, aus dem öffentlichen Leben auszuschalten.“ 106 Diese Personen seien zuvor sorgfältig in ein 97
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„Der Spiegel“, Nr. 19/1964, 6.5., S. 33f.: „Zech-Nenntwich: Engel und Abgott“; „Der Spiegel“, Nr. 20/1964, 13.5., S. 134: „Hans-Walter Zech-Nenntwich“; „Der Spiegel“, Nr. 21/1964, 20.5., S. 50f.: „ZechNenntwich: Blitz aus Braunschweig“; „Der Spiegel“, Nr. 47/1964, 18.11., S. 38-40: „Zech-Nenntwich: Alle Hüte gezogen“; „Der Spiegel“, Nr. 5/1965, 27.1., S. 30: „Fluchthelfer: Alte Kameraden“; „Die Welt“, 8.9.1965: „Zech-Nenntwichs Revision verworfen“. – Wortlaut des Urteils vom 20.4.1964 in: Justiz und NSVerbrechen, Bd. XX, Nr. 570. „Der Spiegel“, Nr. 8/1950, 23.2., S. 8-10: „Abwehr: Bereit für geringes Entgelt“; „Der Spiegel“, Nr. 4/1964, 22.1., S. 30-31: „Zech-Nenntwich: Weiber in die Sümpfe“. Delmer, Die Deutschen und ich, S. 598f.; Frederik, Ende einer Legende, S. 76f. Auf Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden. – Zum Engagement beim britischen Geheimdienst: Howe, Schwarze Propaganda, S. 261f.; Thomas, Deutschland, England, S. 228f. Grundlegend: Howe, Schwarze Propaganda; Delmer, Die Deutschen und ich, bes. Kap. 41 und 46; Pütter, Emigranten, S. 120-137; Kern, Verrat, S. 121-147; Mehringer, Waldemar von Knoeringen, S. 220f.; Frederik, Ende einer Legende, S. 63-78; „Der Spiegel“, Nr. 37/1954, 8.9., S. 16-22: „Sefton Delmer: Schwarze Propaganda“; „Der Spiegel“, Nr. 44/1962, 31.10., S. 41-49: „Sefton Delmer: Der Chef vom Chef“. Röder, Exilgruppen, S. 176-189; Pütter, Emigranten, S. 113-120; Mehringer, Waldemar von Knoeringen, Kap. II.7. Zur BBC: Wittek, Ätherkrieg. Delmer, Die Deutschen und ich, S. 596-600; John, Zweimal, S. 194. AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 3522A, Vertraulich 003665, o.D.; Frederik, Ende einer Legende, S. 77, der betont, Zech-Nenntwich sei „die Aufstiegsleiter für Dr. Gerhard Schröder“ gewesen. In Wahrheit hat Schröder Zech-Nenntwich ausgeschaltet (Oppelland, Gerhard Schröder, S. 157f.). Thomas, Deutschland, England, S. 228f. – Zum damaligen Intrigengeflecht um Zech-Nenntwich in der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen: „Der Spiegel“, Nr. 30/1959, 22.7., S. 16-25: „Diadochen: Der Mitschreiber“, hier: S. 22. „Der Spiegel“, Nr. 8/1950, 23.2., S. 8-10: „Abwehr: Bereit für geringes Entgelt“.
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Abhängigkeitsverhältnis von Whitehall gebracht worden. Offenbar bezog Zech-Nenntwich diese gewiß nicht abwegigen Erkenntnisse mitnichten auf sich selbst, obwohl er einer der ersten Adressaten dieser Warnung hätte sein müssen. Am 18. Juni 1950 fanden Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen statt. Karl Arnold wollte wieder eine Koalition mit der SPD bilden, sein innerparteilicher Widersacher Konrad Adenauer lehnte dies aus bundespolitischen Gründen entschieden ab. 107 Seit Jahresbeginn 1950 kursierten Gerüchte über einschlägige Photos von Bordellbesuchen Arnolds.108 Seine Nominierung zum Ministerpräsidenten stand auf des Messers Schneide. Der Nachfolger Blankenhorns als Generalsekretär des CDU-Zonensekretariats in Köln, Erich Schmalz, kolportierte die ominösen Nachrichten über Arnold. 109 Das Material stammte angeblich von Hanswalter Zech-Nenntwich. Schmalz ist uns bereits im Kontext der zwielichtigen „Ersten Legion“ begegnet. Am 4. Januar 1950 lud Adenauer Zech-Nenntwich für den 9. Januar zu einem Treffen nach Rhöndorf ein. 110 Der Besucher berichtete in jedem Fall über seine geheimdienstliche Tätigkeit für Großbritannien während des Krieges und erwähnte dabei, daß Fritz Heine 111 und Arnolds Vertrauter Carl Spiecker 112 sowie Max und Heinz Braun 113 und Otto John 114 im Propagandaapparat von Sefton Delmer mitgewirkt hatten. 115 Er wolle nicht länger schweigen und verfüge über genügend Material. Delmer hatte den angeblich „reuigen“ SS-Mann von Milton Bryan ferngehalten, wofür dieser sich rächte, indem er die dort tätig gewesenen deutschen Antifaschisten anschwärzte. Delmer stufte Zech-Nenntwich als Opportunisten ein. 116 Ob die anrüchigen Photos mit Arnold zur Sprache kamen, ist nicht überliefert. Jedenfalls erfuhr Jakob Kaiser am 1. Juli 1950, Adenauer nehme die Dienste von ZechNenntwich gelegentlich in Anspruch. 117 Dies ist frappierend, denn der Kanzler mußte wissen, mit wem er sich da einließ.
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Hüwel, Karl Arnold, S. 205-209, 224-235. Ebd., S. 216-222 (auch für das Folgende); AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 3522A, Vertraulich 003665, o.D. Hüwel, Karl Arnold, S. 219-222. Zu Schmalz ferner: Kap. V.4. Faksimile der Einladung in: „Der Stern“, 24.5.1964: „Frauen, Geld und alte Kameraden“. Zech-Nenntwich hatte Adenauer am 30.12.1949 um eine Unterredung gebeten und erhielt von Adenauer am 4.1.1950 eine Einladung für den 9.1. (Material in: AdsD, NL Heine, Bd. 145). Dazu auch „Der Spiegel“, Nr. 8/1950, 23.2., S. 8-10: „Abwehr: Bereit für geringes Entgelt“; Delmer, Die Deutschen und ich, S. 600; Frederik, Ende einer Legende, S. 77. Appelius, Heine, S. 241-243, 245-247. Auch Schmeisser erwähnte bei seiner Vernehmung in Kehl am 16.1.1952 Carl Spiecker, den er als V-Mann Maslohs bezeichnete (BA, B 136, Bd. 50385, hier: Bl. 36). Zur Person: Düwell, Carl Spiecker; Roewer/Schäfer/Uhl, Lexikon, S. 434. Spiecker war im März 1949 vom Zentrum zur CDU übergetreten (Heitzer, CDU, S. 646-650). – Spieckers Schwarzsender „Hier spricht Deutschland...“ besaß aber ein weit höheres Niveau als Delmers Propaganda. Er wollte die Deutschen davon überzeugen, daß ein echter Patriot kein Nazi sein könne (Pütter, Emigranten, S. 110-112). Max Braun war ein prominenter saarländischer Sozialdemokrat, der 1945 kurz vor der geplanten Rückkehr aus dem britischen Exil starb. Zech-Nenntwich deutete an, sein Bruder Heinz habe dabei seine Finger im Spiel gehabt. Heinz Braun wurde in Saarbrücken Generalstaatsanwalt und später saarländischer Justizminister. Er war einer der entschiedensten Vertreter einer Abspaltung der Saar von Deutschland (Elzer, Die deutsche Wiedervereinigung an der Saar, Teil IV, Kap. V.3a.). Zur Mitwirkung von Max Braun an Delmers „schwarzer Propaganda“: Delmer, Die Deutschen und ich, S. 457f.; Paul, Max Braun, S. 203206; Röder, Exilgruppen, S. 188. John, Zweimal, S. 189-199. – Ferner gehörten der Porzellanfabrikant Philipp Rosenthal und der DDRPropagandist Karl-Eduard von Schnitzler zum Team Delmers. AdsD, NL Heine, Bd. 145, Schreiben Zech-Nenntwichs an Adenauer, 13.1.1950. Zech schrieb auf S. 9 seines 12seitigen Schreibens: „Zum Abschluß meines Briefes möchte ich, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, nochmals auf Ihre Fragen bezüglich der Herren Arnold, Dr. Spiecker und Dr. Menzel eingehen.“ Er sagte aber nichts Näheres über Arnold. Delmer, Die Deutschen und ich, S. 600. BA, NL Kaiser, Bd. 89, Bl. 88. Dazu auch Hüwel, Karl Arnold, S. 220.
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Nachrichtenhändler wie Zech-Nenntwich konnten sehr wohl über Unterlagen verfügen, die Blankenhorns Verbindungen zum französischen Geheimdienst untermauerten. Jedenfalls fällt das rechtsstaatlich bedenklich anmutende Verfahren gegen Zech-Nenntwich im Herbst 1952 auf. Ohne Unterrichtung des zuständigen Staatsanwalts griff eine Sondereinheit zu und durchforstete die Wohnräume von Zech-Nenntwich mit äußerster Gründlichkeit. Wenn es dem „Spiegel“ gelang, ergänzendes Material über nachrichtendienstliche Tätigkeit Blankenhorns als Generalsekretär der CDU zu erlangen, war dies der Todesstoß für die Karriere des Ministerialdirektors. Auf Adenauer selbst konnte zudem mehr als nur ein Schatten fallen. Der Coup der Staatsmacht war offenbar erfolgreich, denn Zech-Nenntwich trat in der Schmeisser-Affäre nicht mehr in Erscheinung. Nachdem er für seine Schandtaten in Polen zur Rechenschaft gezogen worden war und vier Jahre Haft verbüßt hatte, war seine kriminelle Energie keineswegs erschöpft. Im Jahre 1968 aus dem Gefängnis entlassen, ergaunerte er sich von der exzentrischen Witwe Florentine C. eine Zylinderschleiferei in Andernach und kam im selben Jahr erneut ins Zuchthaus. 118 Schmeisser seinerseits erlebte nach dem „Spiegel“-Artikel eine Gratwanderung zwischen Profit und Ruin. 5) SCHMEISSERS LAGE SEIT AUGUST 1952 UND DIE INTERVENTION RISSES a) Umworben und „beschützt“ – Schmeisser im Herbst 1952 Schmeisser ging in seinen Starnberger Vernehmungen vom 10. bis 20. Oktober 1952 auch auf die Entwicklung der vergangenen Wochen ein. 119 Nach den Streitigkeiten um Hubaleck und Masloh bekam er sein Gehalt von 650 DM nicht mehr von Schwebbach, sondern von Ziebell. Es waren ordnungsgemäße Amtsquittungen der Kassenstelle. Als der Artikel erschienen war, wurden die Zahlungen zwar in der gleichen Weise abgewickelt, doch wieder über Schwebbach. Eines Tages sagte Schwebbach, offiziell dürfe Schmeisser nicht mehr für das LfV tätig sein, denn Zinnkann und Schmidt hätten dies verabredet. Die Zahlungen wurden aber fortgesetzt. Schwebbach teilte ihm Anfang August 1952 mit, er habe gegen Urban durchgesetzt, daß Schmeisser weiter bezahlt werde, freilich unter einem anderen Titel. In Zukunft solle das Geld postlagernd nach München unter dem Namen A. Berger transferiert werden. Schmeisser war nämlich in die bayerische Hauptstadt übergesiedelt. Am 16. August 1952 war die Summe noch nicht eingetroffen. Schmeisser rief daher Schwebbach an, der gleich fragte, ob er wirklich von Blankenhorn unterschriebene Quittungen besitze. Damit verblüffte er Schmeisser, der nicht antwortete. Schwebbach erklärte, er müsse erst mit Schmidt über die Vergütung reden; dieser kehre am Wochenende nach Wiesbaden zurück. Nach ein paar Tagen rief Schmeisser erneut Schwebbach an, der nach Auskunft seiner Frau verreist war. Zweig meldete sich jedoch und gab an, in Frankfurt läge Geld für ihn. Schmeisser lehnte es sowohl ab, nach Frankfurt zu fahren, als auch ein Arrangement mit ihm zu treffen. Dies erregte Zweigs Zorn. Schmeisser erhielt kein Geld mehr, und Zweig erfand Anschuldigungen gegen ihn. Im Lokal „Schießstätte“ in Starnberg kam es zu einer Begegnung zwischen Jaene und Paul Schmidt. Es ging um die weitere Behandlung der Blankenhorn-Sache. Schmidt verpflichtete sich zu diskreter Bezahlung an ihn (Schmeisser). Beim „Spiegel“ herrschte daher Verwunderung, als man hörte, daß Schmidt die Verabredung mißachtete. Das Magazin selbst 118 119
„Die Welt“, 19.6.1968: „Zech-Nenntwich zu Zuchthaus verurteilt“. BA, B 136, Bd. 241, Protokoll der Vernehmungen Konrad Schmeissers in Starnberg vom 10.-20.10.1952, hier: S. 39-43.
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wollte im Prozeß aussagen können, Schmeisser nicht bezahlt zu haben. Mans hatte absprachegemäß gegenüber Staatsanwalt Schröder in Bonn erklärt, er habe die Unterlagen für den Artikel von Schmeisser erhalten. Schmeisser seinerseits sagte Schröder, Mans sei bereits zuvor über die Details unterrichtet gewesen – freilich ohne zu erwähnen, daß Mans das große Protokoll neben der Schreibmaschine liegen hatte. Mitte September 1952 fuhr Schmeisser zu Schmidt an den Tegernsee, um nach seinem Geld zu fragen. Schmidt tat anfangs, als kenne er Schmeisser nicht. Um davonzukommen, behauptete er, Ziebell habe auch ihn betrogen. Er habe nicht gewußt, daß das SchmeisserProtokoll größtenteils in der Karlstraße – also im Polizeipräsidium Wiesbaden – angefertigt wurde. Es sei wohl eher eine Aufnahme als ein Protokoll. Schmidt wurde ausfällig und verfiel in Selbstmitleid, als er von der Vernehmung durch von Seidlitz erfuhr. Er beschwor Schmeisser, keine Dummheiten zu machen wie andere Leute. Er habe niemals jemanden im Stich gelassen. Draußen im Wagen wartete Volkmar. Schmidt sagte diesem, er wolle mit Augstein über den Umgang mit ihm (Schmeisser) sprechen. Doch Augstein wollte kein weiteres Treffen mit Schmidt. Dieser erklärte Schmeisser mit Bezug auf das Arrangement in der „Schießstätte“, im Nachrichtendienst würden nun einmal Vereinbarungen schnell wieder umgeworfen. Schmeisser teilte Augstein diese merkwürdige Ansicht mit. Weitere Verbindungen gaben Schmeisser zu denken. Zweig wurde mehrfach von Veit Harlan im Auto zu John gebracht. Zweig kümmere sich um die Finanzierung von Harlans Filmen. 120 Einmal behauptete er, er habe das Drehbuch geschrieben. Hella Hubaleck tauche des öfteren in der hessischen Staatskanzlei auf. Schmeisser erwähnte dann auch die Besuche Riedels bei ihm und dessen Angebote an ihn und Schretzmair. In dem von Staatsanwalt Schröder vorgelegten Protokoll hätten die Namen Rupperts und der Sekretärin Z. ebenso weggelassen werden sollen wie der Aktendiebstahl in München, denn Blankenhorn könne diese Zeugen so vorbereiten, daß sie unbrauchbar würden. Schmeisser konnte es nicht lassen: das Jagen nach Neuigkeiten lag ihm im Blut. Die Querverbindungen zwischen John, Zweig und Harlan fand er bemerkenswert. Schmeissers Hauptsorge blieb indes immer die gleiche: Geld zum Überleben. Das LfV Wiesbaden bezahlte ihn trotz seiner erzwungenen Untätigkeit vorerst weiter, doch es wollte den nun zur Belastung gewordenen Agenten bald loswerden. Der „Spiegel“ besaß ein Interesse daran, den künftigen Prozeßpartner vor dem Untergang zu retten. Deshalb mußte er Schmeisser helfen. Augstein und Jaene scheinen eine Verabredung mit Paul Schmidt angestrebt zu haben. Der „Spiegel“ hätte wohl einen Teil von Schmeissers Gehalt übernommen, wenn er dafür nicht in Erscheinung treten mußte. Diese Absprache wurde von Schmidt offenbar gebrochen. Nach verschiedenen Aussagen der Familie Schretzmair dürfte der „Spiegel“ in der Folgezeit Schmeisser finanziell beigestanden haben – in diskreter Form. Dann fand Schmeisser eine neue Geldquelle. b) Ein neues Aufgabenfeld: Schmeisser in der Schweiz Der bayerische SPD-Politiker Heinz Göhler orientierte Heine am 4. Februar 1953 121 über einen Besuch Schmeissers bei Josef Müller in München am 17. Januar. Das Thema sei die Gründung einer Sammlungsbewegung mit Hilfe französischer Gelder gewesen. Der Verbindungsmann sitze in Konstanz. Im März 1953 scheint in französischen Agentenkreisen 120 121
Zu den Auseinandersetzungen um Harlans teilweise antisemitische Filme: Kittel, Legende, S. 233f. AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 2622A.
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eine Aktion gegen von Herwarth und Blankenhorn geplant worden zu sein, die sich auf den „Verbrauch bedeutender Sperrmarkbeträge“ bezog. 122 Ein Bericht aus Geheimdienst-Kreisen 123 beschreibt präzise ein Treffen zwischen Schmeisser und Josef Müller am 31. Januar 1953 in dessen Wohnung. Es ging um die Neugründung einer politischen Organisation. Die Gelder sollten aus der Schweiz stammen. Der Mittelsmann aus Konstanz wolle sich nach der Konstituierung einschalten. Dorothy Schretzmair solle demnächst für einige Zeit in die Schweiz reisen. Schmeisser nannte eine Reihe von Personen, die einschlägig als französische Agenten bekannt seien. Allem Anschein nach sei Schmeisser nur für einige Monate in den Hintergrund getreten, wirke nun aber wieder für den SDECE oder die DST. Schon 1946 besaß Schmeisser über Ziebell gute Kontakte zu Josef Müller. Der Ochsensepp hatte sich im Juni 1951 nach einem geheimen Besuch in Saarbrücken von der prodeutschen Opposition abgewandt und auf einer Landesversammlung der CSU heftig mit Franz Josef Strauß über den künftigen Kurs in der Saarfrage gestritten. 124 Besonders verärgert waren die patriotischen Kreise an der Saar über Müllers Zusammentreffen mit Laffon, dem Chef von Renseignement Généraux. 125 Am 5. Mai 1953 bestätigte der unbekannte Nachrichtendienst die erneute geheimdienstliche Betätigung Schmeissers. 126 Eine Unterredung vom 18. April habe dies eindeutig gezeigt. Schmeisser sei keineswegs infolge der Wiesbadener Vorkommnisse ausgeschaltet worden. Er verfüge über Geld: In Starnberg habe er sich in einem Gasthaus einquartiert und sich ein gut erhaltenes Mercedes Cabriolet angeschafft. Er sei Ende April für eine Woche in die Schweiz gereist und habe einen Sekretär mitgenommen. Er habe dort auch geschäftlich zu tun. Mit Hilfe eines Bekannten namens Duttweiler wolle er 50 Mio. Schweizer Franken für die BayerWerke aufbringen. Angeblich kassiere er 1,5% Provision. Schmeisser verriet nicht, wer ihn beauftragte, Mittel für Bayer zu besorgen. Anläßlich eines Treffens von Schmeisser, Schretzmair und Vertretern des „Spiegel“ am 11. Mai 1953 in dessen Hamburger Redaktion konnte der deutsche Verfassungsschutz auch über die Vorgänge in der Schweiz neue Erkenntnisse gewinnen. 127 Dorothy war von Volkmar in Zürich abgeholt worden und wurde nach der Besprechung von ihm wieder dorthin zurückgebracht. Schmeisser habe mit Gottfried Duttweiler in der Schweiz Verabredungen getroffen. Dieser wolle inzwischen nicht mehr eine politische Organisation, sondern eine „Wirtschafts-Interessengruppe“ aufziehen. Ökonomen, Presseleute und Künstler sollen ungeachtet ihrer Parteizugehörigkeiten in ihrem Bereich Einflußgruppen bilden. Dank erheblicher Geldmittel solle dann auf die deutsche Politik eingewirkt werden. Die Finanziers in der Schweiz wollten dies steuern. Ihre Absicht sei, durch politische Partizipation gute Geschäfte zu machen. Ähnliche Versuche unternehme die Gruppe in Nordafrika und in Ägypten. Schmeisser erwähnte, für den Start der Aktion 50.000 Schweizer Franken erhalten zu haben. Er (also die Quelle) solle selbst mit in die Schweiz kommen und dort eine 10tägige Vortragsreise unternehmen. Bei der Besprechung in Hamburg hatte Schmeisser beteuert, keinerlei Beziehungen mehr zum SDECE zu pflegen. Dieser habe das Münchner Detektivbüro Jenuwein mit seiner 122 123 124 125 126 127
Ebd., Bd. 1313 und Bd. 5731, 003689, Betr.: Detektivbüro Fritz Jenuwein und Auftrag der BST, 4.3.1953. Ebd., Bd. 2622A, 003669, Betrifft: Dr. Josef Müller, hier: Zusammenkunft mit dem französischen Agenten Konrad Schmeisser, 6.2.1953. LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 352, 39 an 22 [?], 26.6.1951. Ebd., Bd. 352, Lagebericht, 3.7.1951, hier: S. 2f. Dazu auch AdsD, NL Mommer, Bd. 10, Box 1, Schreiben von Hermann Deutsch [Heinrich Schneider] an Liebe Freunde, o.D. AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 2622A. Ebd., 003987, Betr.: Bericht über eine Aussprache zum Prozeß Spiegel/Blankenhorn, 27.5.1953. Zum Thema Schmeisser-Prozeß wurden natürlich auch Feststellungen getroffen (vgl. Kap. X.1).
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Beobachtung beauftragt. 128 Dieses Detektivbüro stand im Ruf, Überwachungsaufträge für den französischen Nachrichtendienst auszuführen. Als Verbindungsperson gelte eine Arztwitwe namens Blümlein, die in St. Ingbert wohne und mit Frau Ziebell zusammengearbeitet habe. 129 Blümlein hatte sich im März 1953 in der Nähe von Starnberg aufgehalten. 130 Im Gasthaus H. traf sie einen Herrn Schilling und übergab ihm einen Bericht über Schmeisser. Tatsächlich hat dieser Peter Schilling Ende 1952 in einem ausführlichen Schriftstück über seine Agententätigkeit für den französischen Geheimdienst in der Saarfrage gemeinsam mit Maria Theresia Blümlein Auskunft erteilt. 131 Schilling hatte u.a. den Auftrag, die Verbindungen von Ziebell, Schmeisser und Zweig mit Mans zu ergründen. Bodens argwöhnte am 27. März 1953 freilich, Mans habe das Dokument frisiert, um sich selbst von Anschuldigungen reinzuwaschen. 132 Er empfahl Kresse, Mans mit größter Vorsicht zu begegnen. Bodens verdächtigte Mans am 27. Januar 1954, Äußerungen Heinrich Schneiders über den Chefredakteur der „Frankfurter Neuen Presse“ dem BMG unterschoben zu haben. Am 10. November 1953 meldete Schneider, Schilling – der aus Eltville stamme – dürfte weiterhin in französischen Diensten stehen. Die geschiedene Frau Blümlein aus Mainz sei seine „Partnerin“. Sie verfüge über viel Geld und eine gute Garderobe. Diese Agentin gebe sich als Journalistin aus; sie wohne in Wadgassen. Ebenfalls in Wadgassen lebe ein gewisser Hermann Wald. Dieser sei jetzt in Düsseldorf ansässig, und zwar in derselben Straße wie der Agent Wolfgang Müller vom „Freien Wort“. Wahrscheinlich verhielt es sich folgendermaßen: Blümlein stand in Kontakt mit Schmeisser, weil dieser wieder für einen französischen Geheimdienst tätig war. Das Muster des beschriebenen Falles erinnert an die Vorkommnisse um die Frankenthaler Schnellpressenfabrik Albert einige Jahre zuvor: Unter Ausnutzung des Status als Angehöriger der Alliierten verschaffte Schmeisser sich Zutritt zu einem Industriewerk. Nicht bloß Riedel (BfV) und Risse (CIA) tummelten sich in der Nähe von Schmeisser, sondern auch der SDECE blieb präsent. Paul Schmidt scheute vielleicht deshalb vor dem ventilierten Arrangement mit Augstein zurück, weil er den „Agententourismus“ am Starnberger See wahrnahm. Der SDECE vertiefte 1953 allem Anschein nach die Beziehungen zu Schmeisser wieder, was nicht nur den über die Schweiz laufenden Operationen geschuldet war, sondern auch Schmeissers Domestizierung im zu erwartenden Prozeß förderlich erschien. Unterdessen erfuhren andere Leute von den Starnberger Aufzeichnungen Schmeissers und der Regie, die ein uns wohlvertrauter Nachrichtenhändler dabei geführt hatte.
128 129 130 131
132
BA, B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 107-110, Geheim, Betrifft: Besuch bei Konrad Schmeisser am 14. und 15. Mai 1953 in München, hier: Bl. 110. AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 1313, 003689, Betr.: Detektivbüro Fritz Jenuwein und Auftrag der BST, 4.3.1953. Ebd., Bd. 2622A, 003871, [Notiz], 9.4.1953. LA Saarbrücken, NL Schneider, Bd. 449, Peter Schilling, Bericht über meine Tätigkeit vom 15.11. bis heute, 11.12.1952. Dieser Bericht wurde dem „Spiegel“-Reporter Mans zugespielt. Schneider verdächtigte Schilling aber, weiter für Laffon und P 6 zu arbeiten (ebd., Notiz „Peter Schilling“ und 43 [H. Schneider] an 64 [Kresse], o.D.). Laut Schilling wohnte Blümlein in Wadgassen/Saar. Schilling hatte in Ambach am Starnberger See in einem anthroposophischen Kinderheim gearbeitet. Er wollte sich mit der Übergabe seines Berichts wohl auch nach der deutschen Seite absichern, denn er behauptete, die französischen Absichten nur widerwillig und halbherzig auszuführen. BA, B 137, Bd. 3437 (auch für das Folgende).
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c) „Der Fall Schmeisser ohne Schminke“ – Risses Botschaft von 1956 Der im Herbst 1952 zu Rate gezogene Vertraute Schmeissers war niemand anderes als Friedrich Victor Risse alias Clemens. 133 Sie hatten sich im September zufällig in München wiedergetroffen. Schmeisser schüttete ihm sein Herz aus. Er fürchtete insbesondere die Rache der Amerikaner wegen der BDJ-Sache. Hier konnte Risse vielleicht behilflich sein... Er sagte zu, verlangte aber eine „Generalbeichte“ – die Vernehmungen in Starnberg vom 10. bis 20. Oktober 1952 134 waren das Ergebnis: ausführliche Schilderungen der Kontakte des französischen Geheimdienstes mit Strasser, des Aufenthalts von Schmeisser in Paris zur Jahreswende 1951/52 und der Besuche Maslohs in Hessen im Frühsommer 1952. Zudem wird Frau Ziebell als kommunistischer Agentin einige Aufmerksamkeit gewidmet. Diese Schwerpunkte können kaum überraschen, denn Risse war der Initiator dieser Aussagen. Ihm lag daran, die kommunistische Betätigung des Ehepaars Ziebell herauszustellen. Die minuziöse Schilderung von Ziebells Masche, Masloh in Frankfurt a.M. mit angeblichen „Amerikanern“ über Saar-Vorhaben reden zu lassen, mochte darauf gemünzt sein, die CIA gegen Ziebell einzunehmen. Neben der für Risse typischen Stoßrichtung gegen Ziebell fällt die genaue Beschreibung der Gewaltanwendung gegen Schmeisser durch die DST in Paris auf. Dies mochte den Zweck haben, den französischen Geheimdienst unter Druck setzen zu können, falls dieser sich wiederum an einer für die Vereinigten Staaten mißlichen Aktion wie der Entlarvung des BDJ im Herbst 1952 beteiligen sollte. Für die Forschung sind die vielen Sachinformationen, die diese ausführliche Quelle zur Aufhellung der Schmeisser-Affäre beisteuert, von großem Wert. „Clemens“ verhörte Schmeisser und Schretzmair in Anwesenheit eines bayerischen SPDFunktionärs. Tatsächlich erfuhr die SPD von dunklen Geschehnissen in München und Starnberg, wobei die Vokabel „Einbruch“ nicht gescheut wurde und das Angebot eines Arbeitsverhältnisses für Schmeisser zur Sprache kam. 135 Am 2. November 1952 rief Schmeisser Risse an. 136 Er sagte, er wolle eine wichtige Ergänzung zum Blankenhorn-Komplex vornehmen. Nun erzählten Dorothy und Max die lange Geschichte von dem geheimnisvollen Besucher... Risse alias Clemens besaß die Starnberger Niederschrift nebst anderen Dokumenten; anderthalb Jahre später stieß ihm etwas zu, wie es in „Hovers“ Broschüre von 1956 heißt. 137 Er hatte versucht, sein Wissen dem Staat zur Verfügung zu stellen. Im Januar 1954 entstand ein geeigneter Kontakt, doch die Verhandlungen verliefen nicht nach dem Geschmack Risses. Die Partner wollten ihm das einschlägige Material nämlich abkaufen. Doch Risses Anliegen bestand darin, es zum Nutzen der Bundesrepublik Deutschland zu verwenden. Inzwischen hatten auch andere Geheimdienste erfahren, daß Risse über wichtige Dokumente zur Schmeisser-Affäre verfügte. Ein gewisser Neumeier trat angeblich im Auftrag des bayerischen Innenministers an ihn heran. Über einen SPD-Funktionär erkundigte sich Risse, wer dieser Neumeier sei. Tatsächlich war er im bayerischen Innenministerium unbekannt. Risse fürchtete, ein kommunistischer Auftraggeber stecke dahinter. Er wollte Neumeier auf die Schliche kommen und wahrte daher den Kontakt. Allein, am 3. März 1954 wurde Risse in München von der Landpolizei verhaftet. Bei einer Hausdurchsuchung wurden seine 133 134 135 136 137
Hover, Fall Schmeisser, S. 61f. BA, B 136, Bd. 241, Protokoll der Vernehmungen Konrad Schmeissers in Starnberg vom 10.-20.10.1952. Auszugsweiser Abdruck in: Hover, Fall Schmeisser, S. 62-78. PPP-Inf. 136/52, 1.12.1952: „Angebot an Schmeisser“. Hover, Fall Schmeisser, S. 79. Ebd., S. 84f.
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Unterlagen beschlagnahmt. 138 Alle rechtlichen Schritte blieben wirkungslos. Risse wurde nicht einmal verhört. Ganz plötzlich, am 24. April, ließ man ihn frei. Er erhielt seine Akten zurück. „Eine hinter den Kulissen der Bundesrepublik wirkende Macht hatte durch die Inszenierung einer Verhaftung Zeit genug gefunden, um in Ruhe die Akten des Regierungsrates photokopieren zu können.“ Tatsächlich enthält die Broschüre mehrere Dokumente, die für das Verständnis der Schmeisser-Affäre von zentraler Bedeutung sind und später in Geheimarchiven von Bundesministerien streng unter Verschluß gehalten wurden – sofern sie sie überhaupt besaßen. Zeitgenössisch mangelte es demzufolge nicht an potentiellen Interessenten, die gerne Einblick in das Privatarchiv von Risse genommen hätten. Doch sehen wir uns näher an, wie sich Risses antikommunistische Einstellung bei seiner Bewertung des Artikels „Am Telefon vorsichtig“ niederschlug! Die dortige Schilderung sei ein „Gewebe aus konstruierten Zusammenhängen und halber Wahrheit“, ein „Meisterstück der Schwarzkunst“.139 Es ging den Verantwortlichen offenbar nicht um sachliche Erkenntnisse, sondern um propagandistische Effekte. Als ob der 70jährige Adenauer drei Stunden lang mit dem 30jährigen französischen Leutnant gesprochen hätte – und gleich bei der ersten Begegnung! Levacher bat gewiß, ihm Parteiinformationen zu überlassen. Dies konnte damals dem Vertreter einer Besatzungsmacht nicht abgeschlagen werden. Da eine Partei viel Gedrucktes produziert, erhielt Levacher sicher auch viel Material. Doch die laufende Übermittlung von Kabinettsbeschlüssen durch die Sekretärin? Diese Formulierung erwecke den Eindruck, Adenauer und Blankenhorn hätten ihr Amt mißbraucht und Agentendienste geleistet. Der Begriff „Kabinett“ war überhaupt unangebracht, denn es gab damals nur Landesregierungen, mit denen beide nichts zu tun hatten. Zwecks Verunglimpfung wurden also „halbe Wahrheiten der Vergangenheit auf das Geleise der Gegenwart geschoben“. Natürlich waren die Alliierten am zu schaffenden Grundgesetz sehr interessiert. Für die Franzosen lag Boppard am nächsten an Köln; deshalb machten sie Schmeisser zu ihrem „Briefträger“. „Geheimaufträge“ existierten nicht. Es gab im damaligen Deutschland sowieso keine „Geheimnisse von politischer Bedeutung“. Entschieden wurde von den Militärregierungen. Die Bekämpfung des Kommunismus konnte also nur durch die Alliierten erfolgen; Blankenhorns Mitwirkung daran sei nicht überraschend. Es zielte gewiß auf den späteren Bundeskanzler, als ihm unterstellt wurde, er wolle sein Volk im Kriegsfall im Stich lassen. Absurd war, daß Adenauer 2-3 Mio. DM gefordert haben soll: Er hatte zu gute Verbindungen zur Industrie und zu Bankiers, um dies nötig zu haben. Als Verrat an Deutschland sollte die Enthüllung militärischer Überlegungen herhalten. Dabei existierte weder ein deutscher Staat noch eine deutsche Armee! Wenn General Speidel Aufmarschpläne erstellte, tat er dies als Privatmann – oder zur Beratung der Alliierten. Ersteres wäre gleichgültig, letzteres ginge nur unter Einbeziehung alliierter Stäbe. Einen deutschen Aufmarschplan gegen den Osten konnte es gewiß nicht geben! Man wollte Wasser auf die Mühlen der kommunistischen Propaganda leiten. Diese Bewertung muß als tendenziös angesehen werden. „Kommunistische Propaganda“ war dies alles nur in der Phantasie Risses. Zweifelsohne war der Artikel so aufgebaut, daß ein schlechtes Licht auf Adenauer und Blankenhorn geworfen wurde. Dies haben wir ebenso festgestellt wie die begrenzte Tragweite einiger sachlicher Aspekte. Trotzdem betrieb Risse pure Apologie, denn Blankenhorn hatte eben doch nachrichtendienstliche Zusammenarbeit 138 139
Bestätigt durch Artikel im „8-Uhr-Blatt“ (Nürnberg), 15.3.1954: „Bayerischer Regierungsrat unter dem Verdacht des Landesverrats verhaftet“. Hover, Fall Schmeisser, S. 56-59.
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mit einem französischen Agenten gepflegt und dabei alle möglichen Informationen weitergegeben, ohne weiter über ihre Relevanz nachzudenken. Auch Korruption scheint vorgelegen zu haben. Warum nahm der ehemalige Sozialdemokrat Risse derart eindeutig Partei für die Bundesregierung? Die Antwort liegt auf der Hand: Risse war verbittert über die seines Erachtens zu weiche Haltung der SPD gegenüber dem Sowjetsystem. Die SPD hatte sich aus seiner Sicht an Ziebells Verschwörung gegen den freien Westen beteiligt, weshalb Risse sie gnadenlos abkanzelte und Blankenhorn in der Angelegenheit Schmeisser nach Kräften beistehen wollte. Nebenbei hoffte er vielleicht auf eine kleine Belohnung... Risse alias Clemens erzählte seine Geschichte einem Journalisten.140 Dieser war tief beeindruckt von der „Agenten-Story“. Risse erwiderte dramatisch: Es handele sich nur um einen „Ausschnitt aus einer riesenhaften Verschwörung des Kommunismus“. Risse verwies darauf, wie unterschiedlich die Protokolle Schmeissers ausgefallen waren: Einmal, nämlich in Starnberg, konnte er unbeeinflußt aussagen, wobei das planmäßigen Vorgehen Ziebells auf Geheiß einer östlichen Macht deutlich wurde. Der Journalist fragte, warum das im März 1954 bei ihm konfiszierte Material nicht für den Schmeisser-Prozeß herangezogen wurde. Risse entgegnete, er begehe einen Denkfehler. Ziebells Kniff bestehe darin, daß die Kläger nicht als hohe Staatsbeamte auftreten könnten, sondern als Privatleute. Deshalb konnte selbst ein Konrad Adenauer keine Weisungen an staatliche Institutionen erteilen. Der Journalist begriff, welch falsche Maßstäbe die Öffentlichkeit setzte: Sie hielt die Bundesregierung für belastet, nicht etwa einzelne Privatpersonen. Der sogenannte Fall Schmeisser war laut Risse ein „Lehrbeispiel für die praktische Anwendung der kommunistischen Methode zur Erschütterung eines nichtkommunistischen Staatsgefüges“. Dabei machten sich die Kommunisten das Recht auf freie Meinungsäußerung in den westlichen Ländern zunutze. Sie infiltrierten alle möglichen oppositionellen Organisationen, die eigentlich nur Verbesserungen innerhalb des Systems anstrebten. Der demokratische Staat komme mit diesen neuen Methoden nicht zurecht. Daran werde sich nichts ändern, solange es den Kommunisten nicht verwehrt werde, sich bestimmter Freiheiten zu eigenen Zwecken zu bedienen. Unterwanderung der Bundesrepublik durch Repräsentanten der Alliierten – nicht nur sowjetischer Provenienz – gab es zu Beginn der 1950er Jahre gewiß in erheblichem Umfang. Wenn Risse freilich schreibt, selbst Adenauer habe im Fall Schmeisser nur als „Privatperson“ auftreten können, so ist dies in Anbetracht der breiten Einbindung von Ministerien eine abwegige Behauptung. Welche Kreise im Frühjahr 1954 von Risse kontaktiert wurden, ist nicht schwer zu erraten. Aus der Überlieferung eines späteren Kontakts geht hervor, daß es sich um das Kanzleramt bzw. Blankenhorns Anwalt Prof. Dahs handelte. 141 Zweifelsohne ist die Broschüre „Hovers“ von 1956 jene ausführliche Schilderung der Schmeisser-Affäre, die Risse im Herbst 1955 ankündigte.
140 141
Hover, Fall Schmeisser, S. 85-88. Vgl. Kap. X.5.
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d) Der Widar-Verlag und die Rezeption der Broschüre Erich Schuster informierte Zinn am 2. August 1956 über Risse und den Widar-Verlag. 142 Der in der Broschüre auftauchende Regierungsrat Clemens sei nach Meinung von Schwebbach (LfV Wiesbaden) niemand anders als Risse. Die Ausführungen über Personen aus Hessen dürften auf Paul Schmidt zurückgehen. Schuster wies dann Vorwürfe wegen seiner vermeintlichen Betätigung in der SED zurück. Er habe mit Fritz Heine schon über die Broschüre gesprochen. Für eine Unterredung mit ihm (Zinn) stehe er gern zur Verfügung. Der Besitzer des Widar-Verlages, Guido Röder, stammte aus Berlin-Lichterfelde (Jahrgang 1887). 143 Der Verlag bestehe schon seit 1919 und drucke völkische und antikommunistische Schriften. Roeder arbeitete Ende der 1920er Jahre beim „Völkischen Beobachter“ mit, überwarf sich aber 1934 mit Hitler und Himmler. Der Verlag wurde geschlossen. Infolge regimekritischer Äußerungen verhaftete die Gestapo Röder 1942 und brachte ihn ins Konzentrationslager Dachau. Röder gelte als „freinational“, nicht als nationalsozialistisch. Als Röder 1950 nach Oberreute/Allgäu zog, baute er den Widar-Verlag wieder auf. Im Jahr 1955 siedelte er nach Oberammergau über. Seitdem bewege er sich finanziell stets im kritischen Bereich. In politischen Organisationen trete er nicht in Erscheinung. Röder sei ein erbitterter Gegner des Kommunismus, aber auch des Katholizismus und des Zionismus. Obwohl Röder als kühl rechnender Geschäftsmann gelte, sei er in seinen Ideen ein Phantast. Schuster hatte am 23. August 1956 weitere Informationen für den Ministerpräsidenten. 144 Er bestätigte, daß Risse hinter der Publikation stecke. Sie werde in München im Selbstverlag „Alarm“ von einem Max Flemming 145 herausgegeben. Paul Schmidt habe „engstens“ mit Risse zusammengearbeitet, der eine Zeitlang V-Mann des LfV war. 146 Schmidts Nachfolger Maneck verbot jede weitere Verbindung zu Risse. Das BfV verfügte am 30. Juni 1956 über ähnliche Erkenntnisse zu Röder. 147 Laut BfV handelte es sich bei „Alarm“ um eine antikommunistische Zeitschrift. Es gebe gerichtliche Auseinandersetzungen infolge der Beschlagnahmung einer antisemitischen Broschüre. 148 Der Widar-Verlag leitete den Band über Schmeisser Adenauer und dem Bundeskanzleramt zu.149 Günther Abicht stellte am 30. August 1956 fest150, das darin enthaltene Material sei teilweise weder dem Kanzleramt noch dem BMJ bekannt. Die Tendenz sei der Bundesregierung günstig. Anfang der 1960er Jahre konzentrierte sich Risses „Alarm“-Verlag auf die Förderung der algerischen Nationalbewegung und auf Probleme Afrikas. 151 Fritz Heines Mitarbeiter W. Peters nahm am 16. August 1956 die Broschüre von Hover unter die Lupe. 152 Obwohl sie dem neonazistischen und antisemitischen Verlag Guido Röder 142 143 144
145 146 147 148 149 150 151 152
HHSt, Staatskanzlei, Abt. 502, Bd. 7853. Vgl. dazu auch Kap. VI.8b. HHSt, Staatskanzlei, Abt. 502, Bd. 7853, Betr.: Widar-Verlag Guido Röder, 13.7.1956. Dazu auch Tauber, Beyond Eagle und Swastika, S. 588f.; Jenke, Verschwörung, S. 392f. HHSt, Staatskanzlei, Abt. 502, Bd. 7853. Gleichzeitig erhielt Prof. Brill eine analoge Mitteilung Schusters, die er am 17.9. mit der Empfehlung beantwortete, in bezug auf Schmidt nicht zu unternehmen (BA, NL Brill, Bd. 48). Tatsächling erschien die Broschüre in zwei Varianten: einmal von Gerd Hover im Widar-Verlag, sodann von Max Flemming im Alarm-Verlag. AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 2468, Betrifft: Friedrich Victor Risse, hier: S. 33; Ebd., Notiz Betr.: 260, 10.9.1952. BA, B 136, Bd. 1741, Bl. 91, Auszug aus Bericht BfV, 30.6.1956, Widar-Verlag, Guido Röder, Oberammergau. Am 25.10.1956 wurde in der Fragestunde des Bundestages über die Strafverfolgung gegen den Widar-Verlag wegen eines antisemitischen Pamphlets gesprochen (Verhandlungen BT, Sten. Ber., Bd. 32, S. 9159f.). BA, B 136, Bd. 1741, Bl. 137, Vermerk Hohmanns, 4.7.1956. Ebd., Bd. 241. Material in: AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 2468, Ordner Friedrich Victor Risse. Ebd., Bd. 2622A.
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in Oberammergau entstamme, sei sie eine „einzigartige Rechtfertigung“ des Verhaltens von Adenauer, Blankenhorn, Reifferscheidt und von Herwarth. Hover versuche, die „Unglaubwürdigkeit“ der Behauptungen Schmeissers zu belegen. Die Vorgeschichte von Schmeisser und Ziebell werde detailliert und mit präzisen Kenntnissen dargelegt. Regierungsrat Clemens dürfte Risse sein. Risse habe das Material für die Broschüre geliefert. Es solle plausibel gemacht werden, daß der Fall Schmeisser „eine Großaktion des sowjetischen Nachrichten- und Agentenapparates“ darstelle. Es werde eine Querverbindung zu den Liquidationslisten des BDJ hergestellt, deren Publizierung ebenfalls einer sowjetischen Initiative entsprungen sei. Ziebell und Paul Schmidt seien bewußt oder unbewußt Handlanger Moskaus gewesen. Durch diese Schilderung werde das Ansehen der SPD beschädigt. Der SPD-Funktionär, der gemeinsam mit Clemens das Starnberger Protokoll aufsetzte, dürfte Heinz Göhler sein. Kontakte des SPD-Parteivorstands mit Schretzmair, Ziebell und Schmeisser würden auffällig betont. Dies gelte auch für Konflikte in Hessen zwischen Schmidt, Brill und Schuster. Der Darstellung seien enge Beziehungen zwischen Clemens und Schmidt zu entnehmen. Die SPD Hessen und der Parteivorstand in Bonn schwiegen nach außen hin auch über Hovers Elaborat. Große Beachtung würde diese Schrift nicht erfahren, und die Sachverhalte eigneten sich nicht für eine Vertiefung. So ballten Zinnkann und Heine die Faust in der Tasche und taten das Klügste: sie rührten sich nicht. Eine Frage ist noch zu prüfen: Wieso trat der dezidierte Antikommunist Risse alias Hover in seiner Broschüre so nachdrücklich für Schmidt ein, der nur seiner Gutherzigkeit zum Opfer gefallen sei? Es gibt dafür plausible Erklärungen: 1) Zwischen Risse und Schmidt bestand ein gutes persönliches Einvernehmen. 2) Risse hatte 1935 für die status-quo-Front an der Saar gearbeitet. Deshalb könnte er für Schmidts Begünstigung der französischen Saarpolitik Verständnis gehabt haben. 3) Beide unterhielten Beziehungen zur amerikanischen Besatzungsmacht. Risse war 1945 Bürgermeister in Bad Kreuznach, Schmidt in Bad Wiessee – jeweils auf Veranlassung von US-Militärbehörden. Sachlich bestand daher kein Anlaß, Schmidt zu desavouieren. 4) Zudem hatten beide eine sozialdemokratische Grundüberzeugung. Erst Mitte der 1950er Jahre schwenkte Risse auf die Seite der Bundesregierung um, wobei sich seine Anschauungen immer stärker nach rechts bewegten. Der vom KGB bezahlte und gesteuerte Buchautor Hans Frederik charakterisiert Schmidt ähnlich: Dieser habe sich täuschen lassen und den Provokateuren Ziebell, Schmeisser und Zweig vertraut. 153 Diese Bewertung ist vor allem ein Indiz für die bestenfalls marginale Rolle östlicher Geheimdienste in der Schmeisser-Affäre. Nun sind alle Hintergründe des Artikels „Am Telefon vorsichtig“ erörtert worden. Wir können somit zu einer gut abgesicherten Interpretation übergehen.
153
Frederik, Ende einer Legende, S. 128.
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Im Zangengriff Ziebells: Was steckt hinter dem Artikel „Am T l f i h i “? S h i i A 1952 d
IX. IM ZANGENGRIFF ZIEBELLS: WAS STECKT HINTER DEM ARTIKEL „AM TELEFON VORSICHTIG“? Christian-Jürgen Ziebell war wahrscheinlich schon seit 1947 für das französische Hohe Kommissariat in Saarbrücken in der „Aufklärung“ tätig. Dort befand sich eine Niederlassung der Sûreté unter Laffon, und der Auslandsgeheimdienst SDECE agierte versteckt im gleichen Umfeld. Demgegenüber operierte Schmeisser für die Dienststelle der BST unter Fontaine in Saarbrücken, die sich hauptsächlich mit der Eindämmung des Kommunismus befaßte. Ziebell hatte mit allen diesen Organisationen zu tun, in erster Linie mit Laffon. Indessen lassen sich die Zuständigkeiten nicht genau abgrenzen, und die Saarfrage beschäftigte jeden dieser Nachrichtendienste in mehr oder weniger großem Umfang. Ziebell fiel der BST zur Jahreswende 1949/50 durch seine Drähte nach Karlshorst und möglicherweise einen Diebstahl von Pässen aus dem Pariser Innenministerium auf. Als er im März 1950 Schmeissers Mitarbeiterin Hubaleck zu bestechen versuchte, war das Maß voll. Fontaine setzte Schmeisser auf Ziebell an. Schmeisser erzählte Ziebell von seinen früheren Kontakten mit Blankenhorn und spielte ihm die gefälschte Nachricht zu, Blankenhorn plane eine Änderung der Bonner Saarpolitik. Die Meldung wurde kurz darauf in der DDR verbreitet. Fontaine zitierte Ziebell in sein Büro, beschuldigte ihn und seine Frau der Spionage für die Sowjetunion und warf ihn aus der BST hinaus. In Anbetracht der gespannten Beziehungen zwischen den verschiedenen französischen Diensten bedeutete dies mitnichten das Ende seines Wirkens im französischen Hohen Kommissariat. Hans-Konrad Schmeisser befand sich im Sommer 1951 in einer verzweifelten Lage. Sein gelegentliches Wirken für Presse und Rundfunk an der Saar konnte die (vorübergehend) abgerissene Verbindung zum französischen Geheimdienst nicht ersetzen. Wie Ziebell hatte er den Auftraggeber mehrfach gewechselt und dabei die Eifersüchteleien zwischen SDECE und BST für eigene Zwecke ausgenutzt. Die dem SDECE zuzurechnende BDoc unter Durtal feuerte ihn 1949 aufgrund seines Doppelspiels. Schmeisser war ohnehin mit seinem unsteten Agentenleben unzufrieden und träumte von einem gutsituierten bürgerlichen Dasein. So kam ihm der Gedanke, aus seinen früheren Beziehungen zum Leiter des CDU-Zonensekretariats in Köln, Herbert Blankenhorn, Kapital zu schlagen. Im Sommer 1951 schickte Schmeisser seine Verlobte Dorothy Schretzmair zum SPD-Parteivorstand nach Bonn. Fritz Heine bekundete zwar Interesse an dem angebotenen Material, wollte aber die exorbitanten Geldforderungen Schmeissers nicht erfüllen. Auch im Auswärtigen Amt erhielt Dorothy im Oktober 1951 eine Abfuhr. Sie wollte Strohm plausibel machen, Heine habe die Fälschung des „Remer-Telegramms“ in Auftrag gegeben, damit Adenauers Saarpolitik ein Fiasko erlitt. Zugleich wurden prodeutsch eingestellte saarländische Sozialdemokraten verleumdet. In bewährter Weise versuchte Schmeisser, die potentiellen Förderer der Saar-Opposition in Bonn zu desinformieren. Dahinter steckte der französische Geheimdienst mit seiner Konzeption, die prodeutschen Kräfte an der Saar zu zersetzen und ihre Beziehungen zur Bundesregierung zu stören. Das Saarland sollte dauerhaft von Deutschland abgespalten werden. Die Missionen von Dorothy Schretzmair – die schon im Juni 1950 in der Koblenzer Straße aufgetaucht war – waren nicht ohne Zutun des SDECE oder der Sûreté erfolgt, wenngleich das persönliche Kalkül des Agentenpärchens unstrittig ist. Dank seiner guten Kontakte zur „Baracke“ erfuhr Ziebell von der Offerte an die SPD und sprach Schmeisser auf die Vorgänge von 1948/49 an. Der ratlose Spion sah keine andere Chance, als sich der Regie Ziebells zu unterwerfen.
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Die wichtigste Aufgabe Ziebells bestand darin, die mit der Saar befaßten deutschen Institutionen und die saarländischen Oppositionsgruppen durch gut getarnte Falschinformationen zu verwirren und Streit zwischen ihnen zu säen. Die DPS schickte sich an, mit ihrer prodeutschen Ausrichtung breite Unterstützung im Saarland zu finden. Das Saarregime geriet ins Wanken. Dies führte auch im subversiven Milieu zu hektischer Betriebsamkeit. Der Kreis um Ziebell und Schmeisser streute das Gerücht aus, im BMG gäbe es ein „Leck“; die DPS sollte durch konstruierte Beziehungen zur SRP („Remer-Telegramm“) und zu Otto Strasser diffamiert werden. Dabei profitierten die Agenten von der anfänglichen Leichtgläubigkeit Heinrich Schneiders und dem Ehrgeiz der DPS-Politikerin Maria Lichtenhagen. Allein, Schneiders eigenes Informantensystem brachte bald die Wahrheit ans Licht, wenngleich es nie gelang, die Verantwortung Hoppes oder Brauns für das „RemerTelegramm“ nachzuweisen. Ziebell mußte im Herbst 1951 wegen seiner Beteiligung am betrügerischen Bankrott des Kaufhauses Walter aus Saarbrücken fliehen. Obwohl das Hohe Kommissariat ihn in diese Angelegenheit eingeschaltet hatte, um einen Beamten zu decken, nutzte Ziebell die Chance zur persönlichen Bereicherung. Er etablierte sich bei seinem alten Freund Paul Schmidt, dem Leiter des LfV Wiesbaden. Wie Ziebell dürfte Schmidt im Solde des SDECE gestanden haben. Er schützte Ziebell vor den Nachstellungen der saarländischen Justiz und überließ ihm ein Zimmer in seinem Amt. Von dort aus versuchte Ziebell, den französischen Agentenapparat an der Saar zu stabilisieren. Er benötigte den Beistand Schmeissers, den er nach Wiesbaden rief. Schmidt und Ziebell gaben sich den Anschein, die hessischsaarländischen Nachrichtenlinien zugunsten Frankreichs kappen zu wollen. Immer wieder trachteten Schmidt und Schmeisser, Ziebell durch gefärbte Darstellungen zum großen deutschen Patrioten und Agentenjäger zu stilisieren. Schwebbach, ein leitender Mitarbeiter des LfV, wurde durch einen gefälschten Bericht über Ziebells Werdegang abgelenkt. Er blieb aber wachsam, weil ihm der Sonderstatus Ziebells im LfV mißfiel. Schmeisser erzählte einem deutschen Gericht unaufgefordert lange Geschichten, in denen Ziebell als Erzfeind der Sûreté apostrophiert wurde. In Wiesbaden konnte Ziebell seine Absichten im Fall Blankenhorn in Ruhe ausführen. Ziebell schickte Schmeisser und Dorothy im Winter 1951/52 nach Paris. Dort war das Pärchen vor dem Einfluß der Bundesregierung und des SPD-Parteivorstands sicher; in Bonn sickerte nämlich durch, daß Blankenhorn eine nachrichtendienstliche „Altlast“ zu schaffen machte. Blankenhorn und Heine sollten nach ihrer ersten Abweisung Dorothys ins Grübeln geraten, da am Schmeisser-Material gewiß noch andere Gefallen fänden. Wadsack und die Strasser-Bewegung standen dabei an vorderster Front. Masloh engagierte sich stark in dieser Richtung und trieb Schmeisser in die Enge, indem er Gerüchte über Quittungen Blankenhorns verbreitete. Masloh tauchte in Hessen auf, wo einer der Schwerpunkte des BDE lag. Ziebell hatte freilich andere Pläne und benutzte den BDE nur, um Unruhe und Unbehagen in den Schaltzentralen der provisorischen Hauptstadt zu schüren. Ziebell beorderte Schmeisser und seine Verlobte jeweils einzeln zu Vernehmungen von Paris nach Wiesbaden, in denen diese umfassend über ihre Agententätigkeit aussagten. Was wollte Ziebell damit erreichen? Bei der Saarbrücker BST war er infolge seiner Spitzeldienste für Karlshorst in Ungnade gefallen. An der Figur Ziebells werden die tiefgreifenden Gegensätze zwischen DST/BST/Sûreté einerseits und dem Auslandsgeheimdienst SDECE mit der BDoc andererseits transparent. Nach seinen Eskapaden in Saarbrücken mußte er sich gegenüber dem französischen Nachrichtendienst absichern. Den SDECE kümmerte der Betrugsfall Walter zwar nicht, das französische Hohe Kommissariat in Saarbrücken und die BST fühlten
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sich aber düpiert. Ziebell mußte also imstande sein, die BST in Schach zu halten. Schmeissers Wiesbadener Darstellung richtete sich in auffälliger Weise gegen die „gewalttätige“ DST, während der SDECE geschont wurde. Dies war gewiß kein Zufall. Schmeissers Aufklärung kommunistischer Aktivitäten gehört offenbar zu den erfolgreichen Anstrengungen der von Serge Fontaine geleiteten BST Saarbrücken, die KP zu infiltrieren. 1 Zwar waren auch DST und BST mitnichten über jeden Verdacht kommunistischer Unterwanderung erhaben, doch vor allem der SDECE hatte wenig Scheu vor Kooperation mit Moskau. Der Haß zwischen DST und SDECE saß tief, wenngleich in der Saarfrage eine gemeinsame Linie verfolgt wurde, die auf Festigung der französischen Vorherrschaft gerichtet war. Die Sûreté Saarbrücken bekämpfte vor Ort die prodeutschen Parteien, während der SDECE eher die außenpolitischen Weichenstellungen im Visier hatte. Das LfV Wiesbaden überschritt seine Befugnisse, indem es einen Agenten nach Frankreich schickte. Ziebell betraute Schmeisser mit einer Personenrecherche bei der DST. Damit war gewährleistet, daß der französische Geheimdienst mißtrauisch wurde. Der Arglose geriet in den Verdacht, für das LfV Wiesbaden zu spionieren. Die DST verhörte Schmeisser mit rüden Methoden, der SDECE schützte ihn demgegenüber. Die Bundesregierung hatte mittlerweile tatsächlich einen französischen Diplomaten diskret gebeten, Schmeisser in Paris zu beobachten und an einer Publikation zu hindern. Indem Ziebell den Eindruck erweckte, Schmeisser sei für das hessische LfV tätig, immunisierte er den SDECE gegen Vorwürfe der Bundesregierung. Statt einer Aufdeckung des französischen Nachrichtennetzes in Hessen mußte der Kanzler sich für das vermeintliche Treiben eines „deutschen“ LfV rechtfertigen. Ziebell besaß damit eine Waffe gegen die Bundesregierung, die inzwischen auf Schmeisser aufmerksam geworden war. So konnte der französische Hohe Kommissar François-Poncet mit dem Anschein der Berechtigung einen diplomatischen Protest bei Adenauer vortragen. Inwieweit die französische Hohe Kommission in Bonn in das Kalkül Ziebells eingeweiht war, muß offen bleiben. Derweil träumte Fritz Heine vom großen Propagandacoup gegen den Kanzler. Wenn Adenauer und Blankenhorn als Erfüllungsgehilfen des französischen Geheimdienstes präsentiert werden konnten, mochte dies den ersehnten Machtwechsel in Bonn ermöglichen. Heine besaß mit Paul Schmidt und Ministerialdirektor Schuster vom hessischen Innenministerium Informanten in Wiesbaden. Schumacher und Ollenhauer mißtrauten nämlich Ministerpräsident Zinn. Tatsächlich verschaffte Schmidt der „Baracke“ das gewünschte Material über Blankenhorn – die Wiesbadener Protokolle. Schumacher entschied jedoch, vorerst abzuwarten. Heine wußte durchaus von Ziebells Aufenthalt im LfV Wiesbaden. Er glaubte der Version, die Schmidt und Ziebell ihm erzählten: Das an der Saar bestehende Netz französischer Agenten sollte zerschlagen werden. Heine ahnte nicht, daß gerade Ziebell dieses Gespinst leitete und Schmidt ihm Rückendeckung bot. Schlimmer noch: Der SPDBundestagsabgeordnete Ritzel führte mit dem Wissen des Parteivorstands geheime Gespräche mit der SPS, wobei er ausgerechnet mit Ziebell und einem weiteren französischen Agenten namens Zweig kooperierte. Im Saarland spaltete sich im Frühling 1952 die prodeutsche DSP von den regimetreuen Sozialdemokraten ab. Schumacher, Ollenhauer und Heine favorisierten zwar die Linie ihres Saar-Experten Karl Mommer, die für die Anlehnung an Frankreich plädierende SPS erbarmungslos zu attackieren und ganz auf die DSP zu setzen, wollten aber einen alternativen Kurs nicht völlig außer Betracht lassen. So erlaubten sie Ritzel, heimlich mit Kirn und Kunkel zu verhandeln. Die SPS-Spitze wollte die Gelegenheit nutzen, die abtrünnige 1
Faligot/Krop, DST, S. 155-157.
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DSP zu vernichten. Kirn dachte nicht daran, mittelfristig eine Politik der Wiedervereinigung zu betreiben. Entsprechende Hoffnungen des auf die „sozialistische Einheit“ fixierten Ritzel waren illusionär. Ziebells Saar-Kalkül besaß auch eine parteipolitische Seite. Er bemühte sich um Stärkung der SPS zulasten der CVP, obwohl beide für die Abspaltung der Saar von Deutschland eintraten. Ziebell war seit jeher Sozialdemokrat – was für die SPD noch peinlich werden sollte – und hatte einen guten Draht zu Kirn und Braun. Mit CVP-Politikern verkehrte er hingegen nicht. Dieses Feld beackerte sein Kollege und Rivale Aloys Masloh. Von daher wird verständlich, warum Ziebell den Spionagechef Hoffmanns im Frühling 1952 nach Frankfurt a.M. lockte und mit erfundenen Informationen über amerikanische Saar-Pläne versorgte. Desorientierung war traditionell die beliebteste Methode Ziebells. Er wollte im Saarland Karriere machen und konnte dies nur unter Patronage der SPS. Schmeissers Wiesbadener Bericht über den Aktendiebstahl in der bayerischen Staatskanzlei ließ Masloh in besonders ungünstigem Licht erscheinen: Er ermunterte Schmeisser nicht bloß zu dem Delikt, sondern entzog Durtal überdies einen Teil der erbeuteten Akten, um sie anderweitig zu verkaufen. So gehorchten die beiden herausragenden französischen Agenten an der Saar unterschiedlichen Herrn; sie repräsentierten die sich trotz mancher Gemeinsamkeiten befehdenden Geheimdienste SDECE und DST/Sûreté. Letztere dürften für den Versuch einer Entführung Schmeissers in Wiesbaden im Mai 1952 verantwortlich sein, denn der SDECE brauchte den Agenten noch für seine Operation gegen Blankenhorn. Die DST hatte hingegen von Geständnissen Schmeissers unliebsame Enthüllungen zu erwarten. Ziebell trachtete also, im Sinne der französischen Saarpolitik die schon 1950/51 praktizierte Strategie der Verwirrung aller „national“ eingestellten Kräfte in der Bundesrepublik fortzuführen. Dies beschränkte sich mitnichten auf das sozialistische Lager. Es ging vielmehr um die „große Politik“... Zur gleichen Zeit verhandelten die Bundesregierung und die französische Regierung um eine „Europäisierung“ der Saar. Die Vorstellungen darüber waren sehr unterschiedlich: Paris wollte seine dominierende Machtposition im Saarland durch Beibehaltung der Wirtschaftsunion und des Verbots prodeutscher Parteien konsolidieren, Bonn hingegen den deutschen Einfluß erweitern und demokratische Verhältnisse schaffen. Blankenhorn galt als energischer Befürworter der „Europäisierung“. Als der Quai d’Orsay spätestens im Januar 1952 von den früheren Geheimdienstkontakten Blankenhorns mit Schmeisser hörte, lag eine diskrete Ausnutzung für außenpolitische Zwecke nahe. Cheysson sagte Blankenhorn zu, ihm bei der Bewältigung seiner Probleme Beistand zu leisten. Zugleich gab er dezent zu verstehen, eine deutsche Initiative bei der „Europäisierung“ der Saar fände in Paris positiven Widerhall. Blankenhorn ließ sich darauf aber nicht ein, was der Diplomat Bérard in zweideutigen Worten tadelte. Im März 1952 scheint Blankenhorn bei der Entlassung des von Frankreich angefeindeten Saarreferenten des Auswärtigen Amtes, Gustav Strohm, eine zwielichtige Rolle gespielt zu haben. Zudem spricht manches dafür, daß Blankenhorn im November 1952 durch eine Ermutigung der DV zur Kandidatur bei den saarländischen Landtagswahlen eine Schwächung der prodeutschen Parteien intendierte, die eine „Europäisierung“ ablehnten. Gleichwohl erwiesen sich die Unterredungen zwischen der französischen Regierung und der Bundesregierung über eine „Europäisierung“ der Saar als kompliziert. In beiden Ländern drängte die öffentliche Meinung auf eine Durchsetzung der eigenen Vorstellungen: einen „autonomen“ Saarstaat bzw. eine Rückgliederung an Deutschland. Im März 1952 schienen Adenauer und Schuman kurz vor einer Einigung zu stehen, doch die jeweilige Empörung der Presse über Konzessionen machte alles zunichte. Die Pariser Konferenz vom März 1952 und ihr Echo demonstrierten, daß eine Verständigung über die Saar möglich, doch äußerst
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schwierig sein würde. Zumindest einige einflußreiche Beamte des französischen Außenministeriums und rechtsstehende Kräfte des Geheimdienstes waren entschlossen, die Saar nicht preiszugeben. Ohne ein unwiderrufliches „Europäisches Statut“, die Fortdauer der französisch-saarländischen Wirtschaftsunion und eine Ächtung der prodeutschen Parteien sollte keine Vereinbarung mit der Bundesregierung zustande kommen. Es galt also, Adenauer und das Auswärtige Amt zu veranlassen, sich in die vermeintliche Notwendigkeit eines derartigen Abkommens zu schicken und es der widerstrebenden deutschen Öffentlichkeit schmackhaft zu machen. Nicht zu vergessen: Die Saarfrage wurde als Hebel benutzt, um die von einem Großteil der classe politique in Frankreich verabscheute deutsche Wiederbewaffnung im Rahmen der EVG zu vereiteln. 2 Dieser Motivstrang besaß eine besonders radikale Variante: Extreme Nationalisten in Frankreich mißgönnten Adenauer den internationalen Respekt, den er sich erworben hatte, und scheuten Verunglimpfungen nicht. Germanophobe Kreise in den Salons von Paris wünschten keine deutsch-französische Verständigung, sondern pflegten die „Erbfeindschaft“ und zogen die Sowjetunion als Partner vor. In gewisser Abstufung galt das auch für Teile des französischen Außenministeriums. Maßgebliche Beamte des Quai d’Orsay wie der Generalsekretär Alexandre Parodi oder der Botschafter in London, René Massigli, tendierten zu einem neutralen Gesamtdeutschland auf der Basis eines Arrangements mit der UdSSR. 3 Im August 1952 sollten weitere Saarverhandlungen stattfinden. Strohm war als „Störfaktor“ beseitigt, und Blankenhorn konnte jetzt nach Gutdünken handeln. Der neue Saarreferent Thierfelder richtete sich strikt nach den Vorgaben des Ministerialdirektors. Allein, Blankenhorn vertrat naturgemäß den deutschen Standpunkt in der Saarfrage, der bei größtmöglicher Konzilianz von Gleichberechtigung der Bundesrepublik und Frankreichs im Saarland ausging. Dies genügte dem Quai d’Orsay nicht, weil die französische Präponderanz an der Saar aus sicherheitspolitischen und ökonomischen Erwägungen ein zentrales Ziel der Pariser Außenpolitik darstellte. Dabei reichte die Spannweite von lockerer Dominanz im Zeichen einer „Europäisierung“ in gemäßigten Kreisen bis zum Beharren auf staatlicher Eigenständigkeit als „zweites Luxemburg“ bei den Gaullisten. Für Ziebell lief keineswegs alles nach Plan. Seit Oktober 1951 plauderte die Doppelagentin Hella Hubaleck im Auswärtigen Amt und im BMG über die verborgenen nachrichtendienstlichen Aktivitäten Frankreichs. Infolge der guten Kontakte der französischen Hohen Kommission in Saarbrücken zu Otto John und des Verrats von Georg Schneider konnte dies in Erfahrung gebracht werden. Allein, das Projekt einer Heimkehr Otto Strassers über die Saar zur Diskreditierung der prodeutschen Opposition war durch Hubalecks Angaben bereits gescheitert. Sie schilderte zudem die Beziehungen der französischen Agenten an der Saar zum LfV Wiesbaden. Am 30. Mai 1952 versetzte die DSZ Ziebell einen heftigen Schlag: Sie publizierte seine Intrigen und die Hintergründe der subversiven Operationen. Kein Zweifel: Das für saarpolitische Belange eingerichtete Agentennetz drohte zerrissen zu werden. Ziebell nahm nun Kontakt auf zum Südwest-Korrespondenten des „Spiegel“, Mans. Diesem erzählte er von seinen Bestrebungen, die französischen Spitzel zu enttarnen – sofern Mans nicht selbst für den französischen Geheimdienst arbeitete, wie die Organisation Gehlen behauptete. Ziebell bewog Mans, einen Artikel über Hubaleck zu verfassen – „Falsch wie die Taube“. Darin gaben Strohm und Bodens eine schlechte Figur ab, denn sie ließen sich angeblich von der französischen „Mata Hari“ hereinlegen. Dieser Beitrag vom 2. Juli sollte die Aufmerksamkeit von 2 3
Lappenküper, Deutsch-französische Beziehungen, S. 365, 393-401, 411, 413f., 417, 421f. Ebd., S. 186-221. Vgl. auch Ulrich-Pier, Antifédéralistes et Fédéralistes. Allgemein zum Einfluß der UdSSR auf die Politik der IV. Republik: Wolton, France sous Influence, Kap. 1-5.
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der Agentengruppe Ziebell – Masloh ablenken, die am 30. Mai in der DSZ frontal angegriffen worden war. Ziebell konnte infolge des teilweise übereinstimmenden Anliegens in der Saarpolitik nicht dulden, daß sein interner Gegenspieler Masloh ausgeschaltet wurde, was zwei Artikel der DSZ im März in die Wege geleitet hatten. Ziebell hatte die Materialien über den Fall Blankenhorn in der Hinterhand und wollte sie im Frühjahr 1952 nach Bedarf verwenden: Er wußte, daß Blankenhorn sich in großer Sorge vor einer Publikation befand und dies bei den anberaumten Verhandlungen über eine „Europäisierung“ der Saar bestimmt nicht vergessen würde. Allein, auch das BMG und die prodeutsche Opposition hatten davon erfahren und fürchteten die Erpreßbarkeit Blankenhorns. In der DSZ wurde deshalb ein Beitrag über den Agentenkreis veröffentlicht. Zudem mobilisierte man über den befreundeten Journalisten Mans den „Spiegel“. Das BMG und Heinrich Schneider planten, die Spione durch Publikationen lahmzulegen, während eine Entmachtung Blankenhorns nur schwer bewerkstelligt werden konnte; zumindest das BMG schreckte vor diesem Wagnis zurück. Zwischen Ziebell und seinen Widersachern in Bonn und Saarbrücken entstand ein regelrechter Wettbewerb um die Deutungshoheit im „Spiegel“. Beide Seiten standen mit Mans in Verbindung, der sich in einer komfortablen Lage befand. Der ehrgeizige Journalist hörte, daß Ziebell beabsichtigte, Schmeisser und Schretzmair zum SPD-Parteivorstand zu schicken. Die SPD hätte daraufhin bei der Debatte über die Westverträge im Bundestag die Sache publik machen können. Mans reagierte, wie Ziebell es erwartet hatte: Er wollte den Knüller sofort in den „Spiegel“ bringen, damit niemand ihm zuvorkäme. Der Fall Blankenhorn schien attraktiver als eine Spionagegeschichte über Ziebell, dessen Rolle kontrovers beurteilt wurde. Zudem konnte ein Sturz des undurchsichtigen Ministerialdirektors der „deutschen Sache“ an der Saar von Nutzen sein. So sprach alles für die Publikation über die Beziehungen Blankenhorns mit Levacher. Ziebell hatte vom SDECE den Auftrag erhalten, Blankenhorn mit einer Publikation unter Druck zu setzen. Deren Tenor sollte Blankenhorn einschüchtern, ohne seine Position im Auswärtigen Amt zu erschüttern. Die Angaben im „Spiegel“ verrieten enge Zusammenarbeit zwischen ihm und Schmeisser, waren aber nur teilweise ehrenrührig. Ihre Aufklärung würde einige Zeit kosten. Blankenhorn sollte begreifen: Die Agenten konnten ihn vernichten, wenn er Zugeständnisse in den Saarverhandlungen unterließ. Anspielungen auf aussagekräftige Unterlagen vermehrten die Sorgen des Ministerialdirektors. Die Saarfrage und die Westverträge wurden im „Spiegel“-Artikel ausgespart; dies wäre kontraproduktiv gewesen. Nun vermutete jedermann, antifranzösische Kräfte steckten hinter der Veröffentlichung; der „Spiegel“ galt nicht gerade als frankophil. Deshalb konnte niemand annehmen, der SDECE sei der Initiator. Selbst Augstein wurde hinters Licht geführt. Der Verleger wollte mit dem Artikel Adenauers dezidierten Westkurs erschweren, ohne selbst in die eigentliche Intrige verwickelt zu sein. Der Kanzler würde alle Hebel in Bewegung setzen, um den Schuldigen für den Zeitschriftenbeitrag vom 9. Juli zu ermitteln. Ziebell mußte eine Spur legen, die von ihm wegführte. Auswärtiges Amt und BMG standen seit dem Artikel „Falsch wie die Taube“ in der Kritik. Blankenhorn wurde darin mit keiner Silbe erwähnt. Strohm war inzwischen abgesetzt worden, Bodens befand sich noch auf seinem Posten im BMG. Aufmerksamen Beobachtern konnte der Zusammenhang zwischen den beiden „Spiegel“-Artikeln nicht entgehen. Deshalb mußte Ziebell das von Adenauer ohnehin schlecht gelittene BMG in Verruf bringen. Das BMG ließ der prodeutschen Opposition an der Saar seit Jahren substantielle Unterstützung zukommen. Alle Anstrengungen von französischer Seite, das Engagement des BMG in der Saarfrage zu bremsen, waren ohne nachhaltige Wirkung geblieben. Die
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Publikation im „Spiegel“ bot eine neue Chance. Mans tauchte am Bottlerplatz auf. Bodens warnte ihn davor, sich die Perspektive Ziebells zu eigen zu machen. Bei einer Besprechung in Deidesheim erfuhr Mans, daß insbesondere Heinrich Schneider jedes Vertrauen zu Blankenhorn verloren hatte; Bodens dürfte behutsamer aufgetreten sein, diese Meinung aber geteilt haben. Ziebell orientierte die Frankfurter „Abendpost“ über das Treffen von Deidesheim und die Kritik an Blankenhorn. Sein Agentenkollege Zweig bekräftigte eidesstattlich, Bodens habe den Artikel „Am Telefon vorsichtig“ inspiriert. Aus dem LfV Wiesbaden verlautete ähnliches, und auch die Aussage von Mans deutete in diese Richtung. Zugleich sollte der Zorn Blankenhorns und des BMG auf die SPD abgelenkt werden. Der Überläufer Georg Schneider redete Bodens ein, die SPD habe ihn zum Sündenbock erkoren, um die eigene Verwicklung zu vertuschen. Ziebell veranlaßte Schmeisser wenige Tage vor „Am Telefon vorsichtig“, dem SPD-Parteivorstand einen Besuch abzustatten. Heine schien zunächst einverstanden, blies die Sache aber in letzter Minute ab. Er dürfte begriffen haben, wie groß die Gefahr einer Kompromittierung war. Die SPD hatte sich schon viel zu sehr mit Ziebell und Schmeisser eingelassen. Ob Zinn und Zinnkann ahnungslos waren, was im LfV Wiesbaden geschah, ist nicht sicher zu entscheiden. Sie hatten ein schlechtes Verhältnis zum SPD-Parteivorstand, der sie durch Schuster und Schmidt bespitzeln ließ. Die Kommunikation zwischen Zinn und der „Baracke“ dürfte schleppend verlaufen sein. Ein konkreter Anhaltspunkt für eine Mitwisserschaft Zinns ist das nicht auffindbare Protokoll Schmeissers vom 15. Dezember 1951, das anscheinend Informationen über den Bonner Parteivorstand enthielt. Zinn räumte ein, es von Schmidt bekommen zu haben. Spielte Schmidt also im französischen Interesse Zinn und Schumacher gegeneinander aus? Inwiefern zogen die SPD in Wiesbaden und in Bonn bei der Sammlung von Angaben über Blankenhorns Vergangenheit an einem Strang? Unzweifelhaft ist jedenfalls die strategische Planung eines Vorstoßes gegen Blankenhorn durch Heine, der sich weniger um die Saar kümmerte als um die vernichtenden Folgen für die Regierung Adenauer. Zinn und Zinnkann trugen die politische Verantwortung für die Zustände im LfV Wiesbaden; mit der Entlassung Schmidts hätte es eigentlich nicht sein Bewenden haben dürfen. Der Wirbel um den BDJ mutet als Ablenkungsmanöver der hessischen Landesregierung vom eigenen Versagen an. Das BfV und die Organisation Gehlen stellten unabhängig voneinander fest, daß der französische Geheimdienst spiritus rector der Affäre war. Damit ließen sich zwar noch nicht alle Einzelheiten erklären; allein, in der Retrospektive ist die Absicht erkennbar, das BMG anzuprangern. Otto John deckte die Aktivitäten des französischen Geheimdienstes, ohne sich in den konkreten Ablauf einzumischen. Er ließ die französischen Agenten monatelang unbehelligt, obwohl er über ihr Treiben im Bilde war. Dies erlaubte Ziebell, unter dem doppelten „Feuerschutz“ von Schmidt und John seinen Plan auszuführen. Das BfV beauftragte im Sommer 1952 aber den Leiter des LfV Niedersachsen mit einer Prüfung des Falls, wobei John wohl objektive Recherchen nicht mehr verhindern konnte. Die Organisation Gehlen scheint ohnehin in aller Stille ein Informantensystem an der Saar errichtet zu haben. Mit Oberst Reile war ein guter Bekannter von Bodens daran beteiligt. Gehlen orientierte Adenauer über die Zersetzungsmaßnahmen des französischen Geheimdienstes. Hella Hubaleck – die das Wiesbadener Agentennetz enttarnt hatte – könnte im Auftrag der Organisation Gehlen gehandelt haben. Jedenfalls sorgten die deutschen Nachrichtendienste für das Fehlschlagen der Intentionen Ziebells: Die Bundesregierung erfuhr, daß weder die SPD noch das BMG bei der Publikation gegen Blankenhorn die Feder geführt hatte. Mommer ließ eine Anbiederung der SPD an die SPS nicht zu, das BMG förderte auch weiterhin die Tätigkeit der prodeutschen Opposition.
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Ziebells Zangengriff sah also folgendermaßen aus: Blankenhorns Karriere war durch weitere Enthüllungen gefährdet, was ihn zu Konzessionen in der Saarfrage bewegen sollte; die Bundesregierung wurde durch den diplomatischen Protest Frankreichs gegen Spionageaufträge Schmeissers in Paris eingeschüchtert; der SPD-Parteivorstand hatte sich mit Schmeisser/Ziebell in anstößiger Form eingelassen und obendrein die hessischen Genossen ausgerechnet durch Doppelagenten überwacht; Zinn und Zinnkann versagten bei der Aufsicht des LfV Wiesbaden, sofern sie nicht Mitwisser der Intrige gegen das Kanzleramt waren; das BMG mußte wegen seiner kaum verhohlenen Skepsis über Blankenhorns Integrität auf der Hut sein; Otto John hatte Paul Schmidt in Sachen Schmeisser gewähren lassen und war der prodeutschen Opposition in den Rücken gefallen; der französische Geheimdienst mußte Ziebell einen Coup de main wie beim betrügerischen Bankrott des Kaufhauses Walter nachsehen, weil Schmeisser in Wiesbaden sein Wissen über SDECE und DST schriftlich fixiert hatte. Ziebells politische Absichten scheiterten trotz seiner genannten Trümpfe, weil die gegnerischen Nachrichtendienste und die Kontaktleute Heinrich Schneiders an der Saar letzten Endes die stärkeren Bataillone besaßen. Außerdem fiel er seiner eigenen kriminellen Energie zum Opfer, indem er sein Spiel durch krumme Geschäfte überreizte. In der Saarfrage erlitt Ziebell Schiffbruch, doch die Affäre hatte damit nichts von ihrer Virulenz verloren... Herbert Blankenhorn hatte 1948/49 im Auftrag Adenauers politisch und nachrichtendienstlich mit dem französischen Agenten Schmeisser alias Levacher zusammengearbeitet. Mag die grundsätzliche Notwendigkeit einleuchten, so gilt dies mitnichten für einzelne Vorgänge, bei denen Blankenhorn Moral und Anstand vergaß. Während der Berlin-Krise Informationen über kommunistische Umtriebe auszutauschen, war über jede Kritik erhaben. Dies mag der vorwaltende Zweck der Begegnungen mit Levacher gewesen sein. Blankenhorn mußte dabei freilich nachrichtendienstliche Verbindungen knüpfen, die Politikern stets schlecht zu Gesicht stehen. Sein Kontaktmann Ruppert kann nicht als flüchtiger Bekannter hingestellt werden, denn er half Blankenhorn noch 1953. Dieser hatte möglicherweise schon mit dem britischen und amerikanischen Geheimdienst kooperiert, bevor er Levacher kennenlernte. Der Sumpf des Subversiven war ihm kein unvertrautes Geläuf. Unter seiner Leitung scheint das Zonensekretariat der CDU Chancen für ein publizistisches Projekt ausgelotet zu haben, mit dem eine deutsch-französische Annäherung vorangebracht werden sollte. Es war 1948-1950 sehr schwierig, sich der Presse für die Unterstützung politischer Ziele zu bedienen. Zudem vertrat der erste Bundeskanzler dezidierte Ansichten: „Adenauer wollte die Presse für sich gewinnen, sie kontrollieren, ja vielleicht sogar beherrschen.“ 4 Die deutsch-französische Verständigung erschien ihm auch auf dem Zeitungssektor ein Experiment wert zu sein. Blankenhorn hatte die gewiß undankbare Aufgabe, Abhilfe zu ersinnen. Dabei schreckte er vor üblen Gestalten nicht zurück, wenn sie Perspektiven eröffneten. Blankenhorn hatte keine Berührungsängste mit ehemaligen SDLeuten wie Müller-Schwanek, Walter Klein und Zech-Nenntwich, zumal manche von ihnen inzwischen für westliche Geheimdienste tätig waren. Diese Sondierungen liefen teilweise über Levacher. Eine höchst unglückliche Figur machte Blankenhorn bei seinen Aussagen über Lebensmittel, die Levacher ihm schenkte; sie gingen über „kleine Aufmerksamkeiten“ deutlich hinaus. Der Generalsekretär der CDU der britischen Zone verschaffte sich Privilegien und geriet bei den Ermittlungen infolge seiner Verharmlosungsbestrebungen in den Verdacht der Korruption. 4
Küsters, Konrad Adenauer, die Presse, S. 19.
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Im Zangengriff Ziebells: Was steckt hinter dem Artikel „Am T l f i h i “? S h i i A 1952 d
Die Gelder, die er von Levacher erhielt, waren angeblich nur für Ruppert bestimmt. Weshalb äußerte er sich dann widersprüchlich über deren Umfang und sorgte sich um kursierende Quittungen? Finanziell befanden sich die deutschen Parteien vor dem ersten Bundestagswahlkampf in der Bredouille. Bei den Wahlkampfgeldern von 1949 ließen sich die Anschuldigungen gegen Blankenhorn weder erhärten noch widerlegen: Er soll französische Spenden für die CDU erbeten haben, woran sich implizit die Vorgänge bei der Entscheidung über die Bundeshauptstadt anschlossen. Es war seinerzeit ein offenes Geheimnis, daß Abgeordnete von BP und WAV bestochen wurden, woran Blankenhorn partizipiert haben soll. Wir haben verfolgt, wie gerade die in Betracht kommenden Parlamentarier in den nächsten Jahren auf schiefe Bahnen gerieten. Die äußerst knapp ausgefallene Wahl Adenauers zum Bundeskanzler im Parlament wurde ebenfalls von Gerüchten umrankt. Für Paris waren direkte Subventionen gewiß riskant, doch der Umweg von Zahlungen über französisch kontrollierte deutsche Außenhandelsfirmen – von denen in „Am Telefon vorsichtig“ gesprochen wurde! – bot eine bequeme Alternative. Wir konnten feststellen, wie die Agentengruppe Ziebell–Schmeisser die Schnellpressenfabrik Albert in Frankenthal zu penetrieren strebte. Die ersten großen Entscheidungen der Bundesrepublik im Herbst 1949 sind vom Ludergeruch der Käuflichkeit umweht. Blankenhorn bestritt die Übermittlung eines Feldzugsplans an Levacher. Er spielte im Einklang mit General Speidel eine schriftlich niedergelegte Aufzeichnung in unangemessener Weise herunter. Offenbar erschien es 1952 peinlich, wenn 1948 militärische Vorstellungen deutscher Offiziere an Frankreich weitergeleitet worden waren – an ein Land, das sich mit der deutschen Wiederbewaffnung schwertat. Ebenso unangenehm mutete Blankenhorn das Thema Exil an. Prinzipiell konnte an der Verlagerung der Bundesregierung ins Ausland bei einem feindlichen Vorstoß nichts ausgesetzt werden, doch entsprechende Behauptungen von Privatpersonen wurden mehrfach juristisch geahndet. Dabei sind Beratungen Adenauers und Blankenhorns mit Vertretern der westlichen Besatzungsmächte unleugbar, und keineswegs in allen Fällen endeten sie mit der Zurückweisung von Vorschlägen. So hat Levachers Angabe über eine französische Evakuierungsofferte und ihre tendenziell positive Aufnahme die Wahrscheinlichkeit für sich. Der Informationsfluß zwischen Blankenhorn und Levacher scheint zudem beträchtlich gewesen und vor Interna der Parteien und gesellschaftlichen Organisationen nicht haltgemacht zu haben. Levacher erleichterte Blankenhorn gerne eine damals nicht einfach zu organisierende, politisch bedingte Reise nach Paris. Wieso taten französische Regierungskreise dies alles? Sofort taucht das Schreckgespenst der Zerstückelungspolitik auf. Gewiß, Reifferscheidt mußte einige Fragen gewärtigen, die unangenehm hätten werden können. Der Anschein von Aktivitäten zugunsten der französischen Rheinpolitik war jedenfalls beim damaligen Wirtschaftsreferenten des Zonensekretariats vorhanden. In jener Zeit nahm Frankreich vom Traum einer Parzellierung Deutschlands allmählich Abschied, visierte aber weiterhin die größtmögliche Schwächung des Nachbarlandes an. Die Liste des französischen Geheimdienstes mit profranzösisch gesinnten Persönlichkeiten in Deutschland dürfte kein bloßes Phantasieprodukt gewesen sein. Für den Leser des „Spiegel“-Artikels lag die Vermutung nahe, das Zonensekretariat der CDU habe sich bei der Besatzungsmacht anbiedern wollen. Die freundliche Haltung Adenauers gegenüber Frankreich war ebenso notorisch wie seine Bereitschaft zu Vorleistungen, um eine Versöhnung zustande zu bringen – allerdings zunächst nur zwischen Westdeutschland und der Grande Nation. Im Prinzip hatte Schmeisser die Wahrheit gesagt, was Blankenhorn nicht leugnen konnte. Dies allein schadete bereits Blankenhorns Ansehen, weil er zu einer Zeit mit Frankreich
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politisch und nachrichtendienstlich verkehrt hatte, in der die Intentionen von Paris zwischen Verständigungswillen und Aufteilungswünschen schwankten. Das Ausmaß dieser Zusammenarbeit mußte bedenklich stimmen. Levacher als „untergeordneten Spitzel“ abzutun, konnte angesichts eines umfassenden Meinungsaustauschs keinen Glauben finden. Zudem hatte Blankenhorn gelogen, als er beteuerte, in Levacher keinen Mann des Geheimdienstes vermutet zu haben. Erwiesenermaßen sandte er den Journalisten Curt Bley zu Heine, um eine gütliche Einigung mit dem SPD-Parteivorstand zu erreichen. Wer Bleys beinah flehentliche Töne im Ohr hat, Fairneß walten zu lassen, wird die Missionen des BfV-Agenten Friedrich Riedel nicht bloß auf eine Initiative von Otto John zurückführen. Abermals zeugt nicht nur die Plausibilität gegen Blankenhorn, sondern auch konkrete Indizien aus den Vernehmungsprotokollen fallen ins Gewicht: Riedel dürfte die Familie Blankenhorn gekannt haben, und seine Angebote an Schmeisser und Schretzmair resultierten schwerlich aus seiner Gutmütigkeit. Adenauer selbst machte sich die Hände nicht schmutzig. Dennoch sind wir vereinzelt auf Belege für seine Mitwisserschaft gestoßen. Ernsthafte Zweifel daran können ohnehin nicht bestehen, wenngleich über seine Billigung der Methoden Blankenhorns kein Urteil gefällt werden kann. Trotz der Pointiertheit des „Spiegel“-Artikels und der damit einhergehenden Insinuationen über den „Rheinbund“-Politiker Adenauer hatte das Schmeisser-Manuskript inhaltlich Substanz genug, um Blankenhorns Karriere zu zerstören. Dessen Verhalten beweist, wie sehr ihm diese Gefahr einleuchtete. Ziebell wußte umfassend Bescheid. Im Herbst 1952 bestand immerhin noch Aussicht, die Regierung Adenauer zu diskreditieren. Inzwischen wehrten sich der Kanzler und sein Adlatus mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln. Doch wie die gerichtlichen Auseinandersetzungen verlaufen würden, konnte niemand prognostizieren.
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X. DER SCHMEISSER-PROZESS 1) EIN GEFLECHT VON STRAFANZEIGEN – DIE ERSTE PHASE DER PROZESSGESCHICHTE (1952-1954) Am Abend des 8. Juli 1952 erstattete Adenauer Strafanzeige gegen Schmeisser, den ungenannten Verfasser des Artikels „Am Telefon vorsichtig“ und den Herausgeber des „Spiegel“.1 In dem Beitrag vom 9. Juli – der ihm am 8. Juli bekanntgeworden sei – würden Behauptungen aufgestellt, die „Verleumdungen“ darstellten: Adenauer und Blankenhorn hätten 1948/49 in Verbindung mit dem französischen Agenten Schmeisser alias Levacher gestanden und diesem geheimstes Material überlassen; Blankenhorn habe im Auftrag Adenauers gehandelt und als Gegenleistung Geld und sonstige Zuwendungen erhalten; Levacher und Blankenhorn hätten über eine Evakuierung Adenauers und seiner Familie nach Spanien im Fall eines sowjetischen Einmarsches verhandelt; der französische Nachrichtendienst sei gebeten worden, der CDU für den Wahlkampf eine größere Geldsumme zukommen zu lassen. Adenauer ließ ferner erklären, die Angaben Schmeissers seien „von A bis Z erlogen“. 2 Globke übersandte die Strafanzeige am gleichen Tag dem Oberstaatsanwalt in Bonn mit der Bitte um sofortige Beschlagnahmung des „Spiegel“ Nr. 28 vom Mittwoch, dem 9. Juli.3 Dieses Vorgehen war zwischen Kanzleramt und BMJ am Nachmittag des 8. Juli verabredet worden. 4 Auch die Staatsanwaltschaft Bonn wurde vorab von der geplanten Strafanzeige unterrichtet, die abends zwischen 19 und 20 Uhr Staatsanwalt Schröder zugeleitet wurde. Dieser erwirkte beim Amtsgericht Bonn eine sofortige Beschlagnahmung der neuen Ausgabe des „Spiegel“. Oberstaatsanwalt Franz Drügh ließ das BMJ am 10. Juli wissen, Augstein habe Beschwerde gegen die Beschlagnahmung eingelegt. 5 Gemeinsam mit seinem Rechtsanwalt habe er der Staatsanwaltschaft Bonn mitgeteilt, die Behauptungen Schmeissers seien belegbar. In WestBerlin sei keine Beschlagnahmung erfolgt. Das Verfahren werde zuständigkeitshalber an die Staatsanwaltschaft Hannover abgegeben. Augstein beschwerte sich in der nächsten Ausgabe des „Spiegel“ über eine derart uferlose Konfiszierungsaktion auf einen bloßen Verdacht hin. 6 Dieses Unbehagen wurde von manchen Presseorganen geteilt. 7 Der „Spiegel“ erhob am 26. August 1952 Verfassungsklage gegen die Beschlagnahmung 8, nachdem das Landgericht Bonn am 30. Juli die Beschwerde verworfen hatte. Auf 27 Seiten legte Rechtsanwalt Augstein sowohl die allgemeinen Bedenken gegen die Beschlagnahmung von Presseerzeugnissen als auch die speziellen Einwände im konkreten Fall dar. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit werde verletzt. Gerade über hochgestellte Persönlichkeiten müsse im Interesse einer Informierung der Öffentlichkeit berichtet werden können, ohne daß dies durch einfache Intervention unterbunden werden dürfe. Der Vorwurf des Kanzlers, der 1
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Wortlaut in: BA, B 136, Bd. 241; Faksimile in: „Der Spiegel”, Nr. 51/1955, 14.12., S. 14, und in: Henkel, Was treibt den Spion?, S. 119. Diese Meldung erschien in allen deutschen Tageszeitungen. Dazu auch BA, NL Blankenhorn, Bd. 13, Bl. 85, Tagebuchaufzeichnung Blankenhorns, 8.7.1952. „Abendpost“ (Frankfurt), 8.7.1952: „Adenauer: Behauptungen des Geheimagenten von A bis Z erlogen“; „Stuttgarter Zeitung“, 9.7.1952: „Adenauer verklagt den ‚Spiegel’“. BA, B 136, Bd. 241; BA, B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 1. Ebd., Bl. 5, Vermerk Grützners, 10.7.1952. Ebd., Bl. 7-8, Vermerk Grützners, 10.7.1952. „Der Spiegel“, Nr. 29/1952, 16.7., S. 4: Augstein an Spiegelleser. „Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung“, 26.7.1952, „Sprengstoff“. Wortlaut in: BA, B 136, Bd. 242. Augstein hatte Rat bei den Verfassungsrechtlern Carl Schmitt und Herbert Krüger eingeholt (Lutz Hachmeister/Stefan Krings, „Rudolf Augstein rief Carl Schmitt zu Hilfe“, in: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 23.8.2007).
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Artikel sei unwahr, werde ohne weiteres als zutreffend betrachtet, obwohl dies mitnichten erwiesen sei. Das Wort Adenauers werde höher gewichtet als das Augsteins, der den Beitrag als wahr bezeichne. Damit werde das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes verletzt. Die Beschlagnahmung einer kompletten Auflage sei gravierend und könne die Existenz einer Zeitschrift bedrohen. Zudem sei das Amtsgericht Bonn nicht zuständig, sondern das Landgericht Hannover. Maßgeblich müsse der Erscheinungsort der Zeitschrift sein. Mitte Juli 1952 stellte eine Privatperson aus Nordrhein-Westfalen mit dem Decknamen „Justus“ Strafanzeige gegen Adenauer und Blankenhorn wegen Landesverrat und passiver Bestechung sowie gegen Schmeisser wegen aktiver Bestechung.9 Nach Ansicht des BMJ werde das Beleidigungsverfahren gegen Schmeisser deshalb wohl ausgesetzt, bis die diesbezüglichen Ermittlungen abgeschlossen seien. Das BMJ rechnete im übrigen damit, daß das Landgericht in Bonn die Zuständigkeit des Bonner Amtsgerichts für die Beschlagnahmung bestätigen werde. Diese Einschätzung erwies sich noch am gleichen Tag als zutreffend. 10 Der Anonymus „Clemens Sapiens“ richtete eine Strafanzeige wegen Bestechung am 24. Juli auch an den Generalstaatsanwalt in Frankfurt a.M. 11 Blankenhorn beauftragte Prof. Hans Dahs mit der Wahrnehmung seiner Rechte, der in dieser Funktion am 10. Juli 1952 ohne Nennung von Details aus dem Artikel Strafantrag stellte wegen „Beleidigung und Verleumdung“.12 Blankenhorn wies den Bonner Oberstaatsanwalt am 3. August als Ergänzung zu seiner Anzeige auf die Vorsprache von Dorothy Schretzmair bei Strohm im Oktober 1951 hin. 13 Damals habe sie versucht, Unterlagen über das „Remer-Telegramm“ zu verkaufen. Nach ihrem Hinauswurf stieß sie Drohungen gegen Strohm und Blankenhorn aus. Offenbar habe sie damit den Artikel im „Spiegel“ gemeint. Auf dieser Grundlage leitete die Staatsanwaltschaft ein weiteres Verfahren gegen Schretzmair wegen Erpressung und gegen Schmeisser wegen Anstiftung zu dieser Straftat ein. 14 Am 14. Juli 1952 erhob Dahs auch für Reifferscheidt Anklage gegen Schmeisser und die Verantwortlichen des „Spiegel“ wegen Beleidigung und Verleumdung.15 Schließlich wurde die Klage am 9. Dezember 1952 auf Ziebell ausgedehnt. 16 Das juristische Prozedere wurde infolge dieser Häufung von Klagen bald unübersichtlich. Auf Weisung des Justizministeriums von Nordrhein-Westfalen und des Generalstaatsanwalts in Köln mußte die Staatsanwaltschaft Bonn im August 1952 das Verfahren gegen Schmeisser wegen Beleidigung zuständigkeitshalber an die Oberstaatsanwaltschaft Hannover abgeben. 17 Am 21. August 1952 ließ diese den Bundes- und den Landesjustizminister sowie den Generalstaatsanwalt wissen, der Bonner Oberstaatsanwalt habe gegen Blankenhorn eine Untersuchung wegen passiver Bestechung eingeleitet.18 Eigene Ermittlungen würden zurückgestellt, bis die Staatsanwaltschaft Bonn diesen Punkt geklärt habe. Das inzwischen gegen Blankenhorn eingeleitete Verfahren wegen Geheimnisverrat und das weitere Verfahren gegen Schretzmair und Schmeisser wegen versuchter Erpressung sollten aber in Bonn stattfinden. Dabei könne die Sache aus rechtlichen Gründen in Hannover erst nach Abschluß 9 10 11 12 13 14 15 16 17
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BA, B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 9 RS, Vermerk Grützners, 18.7.1952. Ebd., Bl. 39-43, Beschluß Landgericht Bonn, 18.7.1952. Ebd., Bl. 12. BA, B 136, Bd. 241. PA/AA, B 2, Bd. 354A, und BA, B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 44-45, Schreiben Blankenhorns an Oberstaatsanwalt Landgericht Bonn, 3.8.1952. Vgl. Kap. IV.2b. BA, BA, B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 46, Vermerk Meyers, Geheim, 15.8.1952. BA, B 136, Bd. 241. Ebd. BA, B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 23-24, Vermerk Meyers, Geheim, 8.8.1952; Ebd., Bl. 25-26, und B 136, Bd. 50385, Bl. 56, Schreiben von Strauß (BMJ) an Lenz, Geheim, 9.8.1952; Ebd., Bd. 241, Schreiben Oberstaatsanwaltschaft Hannover an Bundeskanzleramt, 21.8.1952. Ebd.
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der Ermittlungen in Bonn weiterverfolgt werden. Die Bonner Staatsanwaltschaft wolle umfassend recherchieren. Infolge dieser Umstände riet das BMJ dem Kanzleramt, den Dingen ihren Lauf zu lassen, nachdem die Verhinderung der Abgabe an Hannover mißlungen sei. Die SPD erfuhr in dieser Zeit mehrfach von angeblichen Überlegungen im Auswärtigen Amt, den Ausgang des Falles Schmeisser zu beeinflussen. Im August 1952 wollten Regierungskreise demnach einen nicht berechenbaren Richter durch eine Beförderung aus dem Weg schaffen, im Oktober erwogen manche Verantwortliche die Bereinigung der Sache durch einen internen Disziplinarausschuß des Auswärtigen Amtes. 19 Gleichzeitig hörte die SPD von Verschleppungsabsichten und von etwaigen „sensationelle[n] Wendungen“. 20 Die SPD beobachtete den Gang der Ermittlungen weiter mit Sorgfalt und sah auch im Juni 1953 noch Verzögerungsbemühungen. 21 Die Justiz arbeite aber kontinuierlich weiter. Blankenhorn habe in einer Vernehmung die Angaben Schmeissers „im großen und ganzen bestätigt“. Es rumorte jedoch auch in der CDU/CSU. Nun waren Stimmen zu vernehmen, die Blankenhorns überproportionalen Einfluß auf den Kanzler beklagten. Blankenhorn bewerte dies als „puren Neid“. 22 Am 7. August 1952 vernahm Staatsanwalt Schröder in Bonn Gustav Strohm, der Dorothy Schretzmairs Vorsprache vom 18. Juni 1950 schilderte. 23 Er habe der „schmuddeligen“ Dame klargemacht, sie möge sich nicht mehr blicken lassen. Strohm unterstellte ihr provokatorische Absichten. Wenige Wochen später ließ Strohm sie erst gar nicht mehr in sein Zimmer, hatte er doch inzwischen festgestellt, wer sie wirklich war. Am 9. Oktober 1951 empfing Strohm die unerwünschte Besucherin auf Bitten Blankenhorns doch noch einmal 24, lehnte aber ihr Angebot ab, für 20.000 DM Material über die Hintergründe des „Remer-Telegramms“ zu liefern. Sie stieß daraufhin Drohungen aus. Staatsanwalt Schröder verhörte Strohm am 24. November 1952 abermals, ohne daß sich Neues ergab. Strohm erfuhr freilich, der Vorwurf der Erpressung lasse sich nicht aufrechterhalten, weil den Ermittlungen zufolge die Artikel im „Spiegel“ nicht von Schretzmair veranlaßt worden seien. Die Einstellung dieses Verfahrens erfolgte Anfang November 1952; damit war der Weg frei für gerichtliche Untersuchungen aufgrund der in Hannover anhängigen Beleidigungsklage. 25 Die Recherchen gegen Blankenhorn wegen Geheimnisverrat standen schon Ende August vor dem Abschluß. 26 Staatsanwalt Schröder nannte Dahs die Gründe: 27 Es gebe keine Unterlagen, welche die gegen Blankenhorn erhobenen Anschuldigungen erhärteten. Des weiteren erscheine die Glaubwürdigkeit Schmeissers zweifelhaft. Der Vorwurf des Landesverrats sei nach der Rechtslage von 1948/49 ohnehin unzulässig. Die in Betracht kommenden Schriftstücke seien zudem nicht geheim gewesen. Oberstaatsanwalt Drügh besann sich jedoch eines anderen: Er wollte das Verfahren noch fortsetzen, um Schmeisser in Frankfurt a.M. durch das dortige Amtsgericht vernehmen lassen zu können. 28 Schretzmair habe Schmeisser inzwischen geheiratet, so daß dieser als Ehegatte nicht in einer Untersuchung gegen seine Frau aussagen müsse. 29 Anfang November 1952 hieß es hingegen, beide 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29
AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 2622A und Bd. 5731, Auszüge aus Schreiben von Alfred Schulze vom 25.8. und 1.10.1952. PPP Inf. 103/52, 12.9.1952: „Sache Schmeisser“. PPP Inf., 12.6.1953: „Spiegel – Blankenhorn“. AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 5730, Bonner Informationsbriefe, Nr. 89/52, 8.9.1952. PA/AA, B 130, Bd. 13797. Vgl. Kap. IV.1. Vgl. Kap. IV.2b. „Frankfurter Rundschau“, 5.11.1952: „Klarstellung zum Blankenhorn-Prozeß“; „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 5.11.1952: „Die Verfahren gegen Schmeisser“. BA, B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 54 und 55, Vermerke Meyers, Geheim, 22. und 26.8.1952. PA/AA, B 2, Bd. 354A, Schreiben Dahs an Blankenhorn, 16.9.1953. BA, B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 74, Vermerk Grützners, Geheim, 3.10.1952. „Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung“, 1.10.1952, „Die Affäre Schmeisser“.
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bestritten, miteinander verheiratet zu sein. 30 Dorothy leugne, Strohm gegenüber erpresserische Absichten verfolgt zu haben. Wenn sich nichts Konkretes ergebe, würden die Akten nach Hannover weitergeleitet und die Angelegenheit dort weiterverfolgt. Jetzt beendete Drügh die Untersuchung gegen Blankenhorn wegen Landesverrat. Schmeisser wurde am 9. Oktober 1952 zur Landpolizei Gräfelfing vorgeladen, denn er wohnte inzwischen in Starnberg. 31 Er berichtete dem Bonner Staatsanwalt Schröder summarisch über seine Karriere seit 1948, als er dem BDoc beitrat und kommunistische Aktivitäten überwachte. Er erwähnte seine Kontaktaufnahme mit Blankenhorn und bekräftigte die im „Spiegel“ wiedergegebenen Aussagen. Das zweite Verfahren gegen Blankenhorn wegen passiver Bestechung wurde von der Bonner Staatsanwaltschaft am 28. Oktober 1952 eingestellt. 32 Die Unterschriften unter den Anzeigen hatten sich zudem als gefälscht erwiesen. Nach Informationen der SPD hatte das Auswärtige Amt der Staatsanwaltschaft ein Gutachten vorgelegt, wonach Blankenhorn nicht mehr Beamter des Zonenbeirats gewesen sei, als er von Schmeisser Geschenke annahm. 33 Die SPD hielt dem entgegen, Blankenhorn sei nach alliiertem Recht Wartestandsbeamter gewesen, dessen Übernahme in eine Bundesbehörde vorgesehen gewesen sei. Demzufolge müsse seine vorübergehende Tätigkeit als Generalsekretär der CDU in der britischen Zone relativiert werden. Ein der Organisation Gehlen zuzuschreibender verschlüsselter Ermittlungsbericht vom 10. September 1952 konstatierte, beim „Spiegel“ herrsche Optimismus über den Ausgang des Prozesses. 34 Dies beruhe auf der Qualität des Beweismaterials und dem Wert der Zeugen. Ferner betrachte das Magazin den Vorgang der Beschlagnahmung als formaljuristisch fragwürdig. Man verweise u.a. darauf, der Artikel sei als „Anfrage“ stilisiert worden. Zudem betone der „Spiegel“, das LfV Hessen und das BMG seien im Vorfeld der Publikation unterrichtet gewesen. Am 18. April 1953 beantragte die Oberstaatsanwaltschaft Hannover auf der Grundlage der durchgeführten Vernehmungen die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen Schmeisser, Ziebell, Mans, Jaene und Augstein. 35 Am 11. Mai 1953 trafen in der Hamburger Redaktion des „Spiegel“ Schmeisser, Schretzmair, Mans, Volkmar, Jaene und Augstein zusammen. 36 Ziebell war nicht erschienen, sondern zu einer Begegnung mit Josef Müller nach München geflogen. Beim „Spiegel“ wurde über die Vorladung von Zeugen durch die Staatsanwaltschaft Hannover gesprochen. Rudolf Augstein meinte, der Prozeß werde nicht vor den Bundestagswahlen stattfinden. Die Vorlage der Anklageschrift solle nur demonstrieren, daß alles seinen geregelten Gang nehme. Die anwesenden Rechtsanwälte beurteilten die Sachlage als günstig für Schmeisser. Man unterhielt sich über die Aussagen in den Vernehmungen. Paul Schmidt habe angeblich das Blankenhorn-Material in die Schublade gelegt, um zunächst die Seriosität Schmeissers festzustellen. Blankenhorn habe die ihn betreffenden Angaben Schmeissers weitgehend bestätigt; allerdings wolle er Schmeisser für einen Elsässer gehalten und seinen Aussagen einen anderen Sinn gegeben haben. Schmeisser warf Riedel einen Einbruchsversuch 30 31 32 33 34 35 36
BA, B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 77, Vermerk Grützners, Geheim, 5.11.1952. PA/AA, B 130, Bd. 13798, Protokoll der Vernehmung Schmeissers in Gräfelfing, 9.10.1952, hier: S. 1-3. BA, B 136, Bd. 241, und B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 105, Schreiben Landwehrs an BMJ, 27.2.1953. Dazu „Neue Zeitung“, 6.11.1952: „Ermittlungsverfahren gegen Blankenhorn eingestellt“. PPP Inf., 9.9.1955: „Schmeisser-Prozeß“. Die SPD erfuhr also drei Jahre später von diesen Zusammenhängen. BA, B 136, Bd. 241, 40/V an 30, Betr.: „Bremse“ – hier: Fall Schmeisser, hier: S. 12. Wortlaut in: BA, B 136, Bd. 241; BA, B 106, Bd. 202114. AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 2622A, 003987, Betr.: Bericht über eine Aussprache zum Prozeß Spiegel/Blankenhorn, 27.5.1953; BA, B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 107-110, Geheim, Betrifft: Besuch bei Konrad Schmeisser am 14. und 15. Mai 1953 in München.
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vor. Hinsichtlich Reifferscheidts sei Schmeisser in Beweisnot. Die von der Staatsanwaltschaft verlangten Nachweise für separatistische Bestrebungen Reifferscheidts – die dieser abstreite – befänden sich beim französischen Geheimdienst, der sie nicht herausgebe. In seiner Zeit in Boppard habe Schmeisser diese Dokumente eingesehen. Mans wiederum müsse überlegen, wie er mit den „journalistische[n] Schleifen“ klarkomme, die er in den Artikel eingebaut habe. Josef Augstein solle beeiden, daß Ziebell sich bei der „Spiegel“-Redaktion als Vertreter von Paul Schmidt ausgab und dieser selbst mit dem „Spiegel“ über den Fall Blankenhorn verhandelt habe. Ziebell leugne, in amtlicher Eigenschaft ein Protokoll mit Schmeisser aufgenommen zu haben. Von Seidlitz solle das aber bezeugen. Heine wiederum könne berichten, wie Schmidt ihn schon eine Zeitlang vor dem „Spiegel“-Artikel über die Sache unterrichtet habe. Die Staatsanwaltschaft werfe dem „Spiegel“ mangelnde Sorgfalt vor. Otto John und sein Stellvertreter Radke übergaben diesen Vermerk des BfV über das Treffen beim „Spiegel“ am 23. Mai 1953 Grützner (BMJ). 37 Dahs solle Einsicht nehmen können, während man Blankenhorn das Dokument nicht zeigen wollte, um seine Unbefangenheit nicht zu beeinträchtigen. Schmeisser und Schretzmair hätten ihre Heirat trotz der Geburt eines Kindes verschoben, weil man erwarte, daß Dorothys Aussagen größere Glaubwürdigkeit besäßen, wenn sie nicht seine Gattin sei. Was Riedel betreffe, so habe Staatsanwalt Schröder ihn gebeten, ihm Schmeissers Haus in der Nähe von München zu zeigen. Riedel tat dies und wohnte auch einer Vernehmung bei der zuständigen Kriminalpolizei bei. Das hessische Innenministerium behaupte, erst nach dem „Spiegel“Artikel von der Sache erfahren zu haben. Dazu könne man Schuster als Zeuge laden. Blankenhorn war auf die Informationen des BfV nicht angewiesen. Er hatte selbst eine Bespitzelung des „Spiegel“ veranlaßt und wußte über die Besprechung Bescheid. Der uns bereits bekannte Arthur Ruppert ließ Blankenhorn in einer undatierten Notiz 38 wissen, ein Mitarbeiter von ihm habe gegen das in die Schmeisser-Affäre verwickelte Frankfurter Büro die Steuerfahndung eingesetzt. In Hamburg wurden Gespräche mit „Spiegel“-Leuten geführt, die sich alle als loyal erwiesen. Bei der Beschattung hätten sich interessante Verbindungen des „Spiegel“ gezeigt. Die beiden unterschiedlichen Quellen zum Hamburger Treffen vom 11. Mai 1953 werden also verständlich: Das BfV und der CDU-nahe Nachrichtenapparat Rupperts sind die mutmaßlichen Urheber der Belauschungsaktion. Ruppert – selbst im Kontext der Schmeisser-Affäre genannt – wurde demzufolge eingesetzt, um mit nachrichtendienstlichen Mitteln dem „Spiegel“ zu Leibe zu rücken. Rechtsanwalt Oscar Bode verlangte am 30. Mai 1953 39 für seinen Mandanten Schmeisser eine dem Hauptverfahren vorangehende Voruntersuchung, weil die Tätigkeit für den französischen Geheimdienst nicht strafbar sei. Schmeisser sei gegen die Veröffentlichung gewesen. Rechtsanwalt Josef Augstein – der die Beschuldigten des „Spiegel“ vertrat – legte ebenfalls am 30. Mai 1953 einen Schriftsatz vor, in dem er argumentierte, Jaene und Rudolf Augstein hätten an dem Artikel von Mans nicht direkt mitgewirkt und seien ihrer Verantwortung als Chefredakteur bzw. Herausgeber in ausreichendem Maße gerecht geworden. Das Hauptverfahren gegen sie solle deshalb nicht eröffnet werden. Im Falle Mans beantragte er die Durchführung einer Voruntersuchung. Dabei ging der Anwalt auf zahlreiche Details der Angaben Schmeissers ein, die von den bisherigen Verhören und Recherchen nicht geklärt worden waren. Er bat sogar, die Sûreté-Offiziere Laurent und Durtal trotz aller Schwierigkeiten von einem französischen Richter befragen zu lassen. Dahs teilte intern die
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Ebd., Bl. 74, Vermerk Grützners, Geheim, 23.5.1953. PA/AA, B 2, Bd. 354A. Wortlaut in: BA, B 141, Bd. 12083 (auch für das Folgende).
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Auffassung, daß die Anklage gegen Rudolf Augstein auf schwachen Füßen stehe. 40 Manche Zuspitzungen in dem Artikel zeugten freilich gegen die verharmlosende Sicht von Rechtsanwalt Augstein. Das Landgericht Hannover war zu voreilig, als es Anfang Juli 1953 den Prozeßtermin mit Ende August oder Anfang September angab. 41 Vor den Bundestagswahlen am 6. September sollte dieses Verfahren aus Sicht der Bundesregierung gewiß nicht durchgeführt werden. Das Landgericht folgte am 3. September 1953 einem Antrag des Oberstaatsanwalts und datierte das Hauptverfahren auf den 21. bis 24. Oktober. 42 Das Oberlandesgericht Celle hob diesen Beschluß auf einen Einspruch der Beschuldigten hin auf und ordnete am 8. Oktober eine Voruntersuchung an. 43 Es bestehe noch in vielen Punkten Klärungsbedarf; Recherchen und weitere Zeugenbefragungen seien erforderlich. Die für den 21. Oktober anberaumte erste Verhandlung entfiel. 44 Bei einer Voruntersuchung wird die Staatsanwaltschaft ausgeschaltet, denn ein Untersuchungsrichter leitet die Recherchen und hat die Möglichkeit zu eidlichen Vernehmungen. 45 Ein solches Verfahren wird nur selten gewählt, und zwar bei verwickelten und heiklen Angelegenheiten. Zwei Ergebnisse waren im konkreten Fall denkbar: die Einleitung der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Hannover oder die Einstellung des Verfahrens aus formaljuristischen Gründen. Eine Voruntersuchung war gleichbedeutend mit einer zeitlichen Streckung. Schon in seinem Schriftsatz vom 30. Mai 1953 zeigte Josef Augstein auf, wo die Achillesfersen von Blankenhorn lagen. In Bonn hätten schon vor Erscheinen des Artikels „die Spatzen (...) von den Dächern“ gepfiffen, daß Material über frühere Verbindungen Blankenhorns zum französischen Geheimdienst existiere. Die fraglichen Protokolle waren Ministerien und der hessischen Landesregierung bekannt. Trotzdem hätten weder Adenauer noch Blankenhorn etwas unternommen. Später brachte Blankenhorn den Journalisten, der die Angaben Schmeissers referierte, vor den „Kadi“ und bevorzugte einen in aller Stille arbeitenden parlamentarischen Untersuchungsausschuß. Blankenhorn bestreite lediglich in einigen Details die Angaben Schmeissers, nicht aber den Kontakt an sich. Er räume die Geldzahlungen Schmeissers ein, verharmlose aber ihre Ausmaße. Ebenso taktiere er bei den Lebensmitteln aus französischen Lagern. Manche Vorgänge – wie das Exil in Spanien – seien gar nicht ehrabschneidend. Werde das Strafverfahren etwa nur betrieben, weil der Bundeskanzler es in Gang gesetzt habe? Schließlich wurden die verfänglichen Angebote Riedels an Schmeisser und Schretzmair erwähnt. Dahs gab also wohl nicht zufällig am 16. September 1953 Blankenhorn zu bedenken, ob das Verfahren wirklich durchgeführt werden solle. 46 Selbst bei einer Verurteilung der Angeklagten bekäme eine mißgünstig gestimmte Presse genügend Stoff in die Hand, um die „öffentliche Meinung [zu] vergiften“. An die Folgen eines Freispruchs des einen oder anderen Angeklagten wolle er gar nicht denken. Deshalb sei zu erwägen, nach Beendigung des Wahlkampfes die Strafanträge zurückzuziehen. Dabei ließe sich gewiß das in Vorbereitung befindliche Amnestiegesetz nutzen, denn mit großer Wahrscheinlichkeit fielen die im Schmeisser-Prozeß 40 41 42 43 44 45 46
Ebd., Aktennotiz [Dahs]: Stellungnahme zu den presserechtlichen Ausführungen im Schriftsatz Dr. Augsteins, 22.7.1953. „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 4.7.1953: „Der ‚Spiegel’-Prozeß doch vor den Wahlen?“ BA, B 136, Bd. 241; BA, B 141, Bd. 12083. Dazu „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 10.9.1953: „Jetzt Spiegel-Prozeß“; „General-Anzeiger“ (Bonn), 10.9.1953: „Schmeisser-Prozeß beginnt“. BA, B 136, Bd. 241. Dazu auch „Frankfurter Neue Presse“, 13.10.1953: „Schmeisser-Prozeß vertagt“; „Hamburger Echo“ (SPD), 13.10.1953: „’Spiegel’-Prozeß wieder vertagt“. BA, B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 119, Schreiben Landwehrs an BMJ, 20.10.1953. „Schwäbische Landeszeitung/Augsburger Zeitung“, 4.8.1954: „Entscheidung in der Schmeisser-Affäre“. PA/AA, B 2, Bd. 354A, Schreiben Dahs an Blankenhorn, 16.9.1953.
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anstehenden Delikte unter die Amnestie. 47 Dabei käme das Verfahren gleichsam von selbst zum Erliegen. Unter diesem Gesichtspunkt sei die baldige Durchführung der Hauptverhandlung nicht unbedingt erstrebenswert. Bei einer Rücknahme des Strafantrags müsse natürlich die Begründung gut durchdacht sein, etwa in bezug auf die bevorstehende Amnestie. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ spekulierte jedenfalls am 26. September 1953, außer bei Schmeisser laute die Anklage nur auf „üble Nachrede“, was durchaus unter die ventilierte Amnestie fallen könnte. 48 Dies zerschlug sich, weil das Straffreiheitsgesetz vom 17. Juli 1954 den zeitlichen Rahmen für eine zu erwartende Haftdauer auf drei Monate begrenzte. 49 Der zuständige Landgerichtsdirektor Mollenhauer entwickelte seit Oktober 1953 umfangreiche Aktivitäten und verhörte eine große Zahl von Personen, wobei er quer durch Deutschland reiste. Wir haben bei der Rekonstruktion des Sachverhalts von diesen ausgiebigen Recherchen profitiert. Mollenhauer wagte sich aber auch an heiße Eisen: So befragte er Adenauer am 17. Mai 1954 50 und ersuchte am 12. Juni 1954 das belgische und das französische Außenministerium um Rechtshilfe für die Vernehmung von Laurent, Lenoir und Durtal. 51 Brüssel erklärte in einer Verbalnote vom 21. September 1954 zum Wunsch einer Zeugenvernehmung in Antwerpen, der Auslieferungsvertrag von 1874 beziehe sich nicht auf politische Fälle, Paris teilte in einer Verbalnote vom 30. Dezember 1954 mit, eine Erfüllung des Ersuchens sei nicht mit der gängigen Verwaltungsübung vereinbar. 2) IM ERMESSEN DER POLITIK: AUSSAGEGENEHMIGUNGEN FÜR JOHN UND RIEDEL? Kompliziert sollte die beabsichtigte Einbeziehung von Otto John in den Prozeß werden. Am 23. September 1953 bat die Oberstaatsanwaltschaft Hannover das BMI, John eine Aussagegenehmigung für den Schmeisser-Prozeß zu erteilen. 52 John ließ das BMI am 10. Oktober wissen, als Zeuge würde er in der Hauptverhandlung über Methoden der Nachrichtenbeschaffung durch das BfV Auskunft geben müssen. Er bitte daher, die Aussagegenehmigung nicht zu gewähren. Obwohl Globke für das Kanzleramt grünes Licht gegeben hatte, wies das BMI daraufhin am 10. Oktober 1953 den Antrag des Oberstaatsanwalts mit der Begründung ab, durch das Ansinnen würden die Aufgaben des Verfassungsschutzes erschwert. Das letzte Wort war das nicht unbedingt, denn eine Besprechung zwischen Grützner (BMJ), Dahs und Vertretern von Kanzleramt und BfV am 24. Oktober brachte noch keine endgültige Entscheidung.53 Allerdings gab es eine klare Tendenz zur Verweigerung einer Aussagegenehmigung.54 Rechtsanwalt Dahs erfuhr ferner von der Maßnahme, Ziebell seinen Paß zu entziehen, damit er nicht entfliehen konnte.55 Das BfV orientierte Dahs über ein Gespräch zwischen John und Globke vom Vortag, in dem eine Erledigung der Sache durch „Abgabe einer Ehrenerklärung“ seitens des „Spiegel“ erörtert 47 48 49 50 51 52 53 54 55
Auffälligerweise erfuhr die SPD von dieser Erwägung („Frankfurter Rundschau“, 18.9.1953: „Ressortbesprechungen über Amnestie beginnen am Freitag“). „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 26.9.1953: „Waren die Äußerungen schon bekannt?“ „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 6.9.1955: „Der Schmeisser-Prozeß am 26. September“. – Vgl. Kap. V, Anm. 155. Vgl. Kap. VII.4c. PA/AA, B 130, Bd. 13799, Aufz. Abt. 5, Vertraulich, 7.1.1955 (auch für das Folgende). BA, B 106, Bd. 202114 (auch für das Folgende). BA, B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 18, Vermerk Grützners, Geheim, 20.10.1953, mit hs. Vermerk Grützners, 29.10.1953. PA/AA, B 2, Bd. 354A, Schreiben Dahs an Blankenhorn, 24.10.1953. Vgl. Kap. VII.3b.
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worden war. Dahs erwähnte das kommende Straffreiheitsgesetz und bemerkte, ein Antrag auf Zurücknahme der Strafanzeige würde durch eine entsprechende Anregung der Staatsanwaltschaft erleichtert. Das Landgericht Hannover fand sich keineswegs damit ab, auf John als Zeugen verzichten zu sollen. Mollenhauer ersuchte das BMI am 31. Dezember 1953 erneut um eine Aussagegenehmigung für John und präzisierte diesmal die zu stellenden Fragen. 56 Diese lauteten: Habe John von den Verhören Schmeissers durch das hessische und badische LfV vor dem Erscheinen des „Spiegel“-Artikels gewußt? Bemühte er sich darum, diese Protokolle zu erhalten, und wann gelang ihm dies? Informierte John Adenauer, Blankenhorn und Reifferscheidt über die Anschuldigungen und wurden Maßnahmen ergriffen? Sei Riedel auf Anweisung des BfV an Schmeisser und Schretzmair herangetreten und – wenn ja – aus welchen Gründen? Gleichzeitig unterbreitete Mollenhauer John die Bitte, eine Aussagegenehmigung für Riedel zu erteilen. 57 Die Fragen bezogen sich diesmal auf das Zustandekommen der Vernehmung vom 16. Januar 1952 und die konkreten Umstände der Besuche Riedels bei Schmeisser und Schretzmair. Dabei erkundigte sich der Richter konkret nach einem etwaigen Bestreben Riedels, Schmeisser von belastenden Aussagen gegen Blankenhorn abzubringen. Ebenso unangenehm für Riedel mochte die Frage sein, ob er geplant habe, mit Hilfe der Familie Schretzmair in den Besitz der Unterlagen Schmeissers zu gelangen. John erfuhr in diesem Kontext von der Intention, auch ihn zu verhören. Staatssekretär Ritter von Lex (BMI) beauftragte Ministerialdirektor Hans Egidi am 9. Februar 1954, mit Globke darüber zu sprechen. Das Ergebnis war eindeutig: Globke lege Wert darauf, daß dem Anliegen Mollenhauers in bezug auf John und Riedel nicht zugestimmt werde. 58 John hatte selbst am 18. Januar erneut in negativem Sinne Position bezogen. 59 Er betonte dabei die Folgen für Riedel, der gegenwärtig in einer geheimen Operation tätig sei und keiner Gefährdung ausgesetzt werden dürfe. So wurde Mollenhauer am 11. Februar 1954 abermals ein abschlägiger Bescheid erteilt, bei dem sich Lex lediglich auf die Begründung vom 10. Oktober 1953 berief. Es reicht schwerlich aus, grundsätzliche Erwägungen über die Abschirmung der Arbeit des BfV für die Ablehnung verantwortlich zu machen. Johns zögerliches Verhalten gegenüber Schmidt hätte in der Öffentlichkeit einen ebenso schlechten Eindruck hinterlassen wie die Passivität Blankenhorns, der seit mehr als einem halben Jahr von dem Schmeisser-Material wußte. Die Besuche Riedels bei Schmeisser und seiner Verlobten durften erst recht nicht ruchbar werden. Riedels aktuelle Verwendung in geheimer Mission war dabei ein geeigneter Vorwand, ihn nicht vor Gericht erscheinen zu lassen. Unmittelbar vor dem Beginn des Strafverfahrens gegen Schmeisser wurde Oberstaatsanwalt Landwehr noch einmal beim BMI vorstellig. Er erkundigte sich am 23. August 1955 60, ob dem in der DDR weilenden John nunmehr eine Aussagegenehmigung erteilt werden könne. Das Gericht beabsichtige, John gegen Zusicherung freien Geleits als Zeugen zu laden. Landwehr machte auf die Möglichkeit aufmerksam, bei Gefährdung der Sicherheit des Staates die Öffentlichkeit für einen Teil der Verhandlung auszuschließen. Schrübbers reflektierte am 31. August 1955 über das Für und Wider einer Aussagegenehmigung für Riedel. 61 Wegen bestehender Unklarheiten über die Rolle Riedels habe er ihn selbst vernommen. Warum sich John im Januar 1952 mit Schmeisser befaßt habe, 56 57 58 59 60 61
BA, B 106, Bd. 202114. Ebd. und B 136, Bd. 50385, Bl. 107-108. BA, B 106, Bd. 202114, Schreiben Egidis an Lex, 11.2.1954. Ebd., Bd. 202114 (auch für das Folgende). Ebd. Am 7.7.1955 hatte Landwehr eine analoge Bitte an Schrübbers gerichtet (ebd.). Ebd., Schreiben Schrübbers an BMI/Kanzleramt, Geheim, 31.8.1955.
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bleibe im dunkeln. Vermutlich war die Vorsprache Cheyssons im Kanzleramt am 2. Januar 1952 die Ursache. Der französische Diplomat klagte damals über das Treiben Schmeissers in Frankreich. Dieser erste Auftrag von John an Riedel stand also „schon aus zeitlichen Gründen in keinem Zusammenhang“ mit dem „Spiegel“-Artikel. Auch die Motive der späteren Reisen Riedels zu Schmeisser ließen sich nicht exakt ergründen. Laut Riedel wollte John nur wissen, inwiefern die Behauptungen Schmeissers auf Wahrheit beruhten. Riedel sei inzwischen nicht mehr für das BfV tätig, so daß die damaligen Gründe für die Verweigerung einer Aussagegenehmigung entfallen seien. Allerdings liefen einige nachrichtendienstliche Operationen weiter, deren Gelingen durch einen öffentlichen Auftritt Riedels gefährdet würde. Die Riedel seinerzeit von John erteilten Aufträge erschienen Schrübbers nicht anstößig. Indessen sei Riedels Vorgehensweise bedenklich, da er mit Hilfe von Josef Schretzmair und dessen Sohn Max in den Besitz der Unterlagen Schmeissers zu gelangen versuchte. Dies lege trotz allem den Entschluß nahe, die Aussagegenehmigung erneut nicht zu erteilen. Zudem sei der Vorgang für den Ausgang der Strafsache nur mittelbar von Bedeutung. Freilich müsse mit Schutzbehauptungen Schmeissers gerechnet werden, die allein Riedel widerlegen könnte. Geschähe dies nicht, hätte die Presse Material für eine kritische Berichterstattung. Unter Abwägung aller Umstände neige er dazu, dem Ersuchen des Gerichts stattzugeben, wolle aber die Ansicht der beteiligten Ministerien hören. Dieses Schreiben scheint im BMI nicht ohne Wirkung geblieben zu sein. Dort war am 1. September 1955 bereits der Entwurf eines ablehnenden Bescheids verfaßt worden.62 Das BMI setzte sich am 7. September mit Globke in Verbindung und verabredete eine Ressortbesprechung. Derweil nahm das BfV abermals Kontakt mit Riedel auf. Dieser teilte in einem Schreiben an Schrübbers vom 31. August mit, er sei gerne bereit, Aussagen zur Sache zu machen. Er könne jedoch nicht zu seiner Person sprechen. Riedel betrieb unter seinem Klarnamen ein Geschäft in einem Ort bei Sinsheim und fürchtete um seine neue berufliche Existenz, wenn seine Identität gelüftet würde. Der Sachbearbeiter im BMI, Rudolf von Schönfeld, legte am 8. September 1955 dar, Rechtsanwalt Dahs werde beim Studium der Akten prüfen, ob Aussagegenehmigungen aus prozessualen Gründen zweckmäßig erschienen. Eventuell könne es auch vom Verlauf des Prozesses abhängig gemacht werden. Riedel sei schnell erreichbar. Ob John bei kurzfristiger Ladung erscheine, wisse niemand. Inwiefern eine Vertagung des Verfahrens wegen einer Wartefrist für John nachteilig wäre, könne er nicht beurteilen. Der gerade gemeinsam mit Adenauer aus Moskau zurückgekehrte Globke zeigte sich am 17. September nicht für diesen Gegenstand aufgelegt. Von Schönfeld mußte konstatieren, Globke habe gegen die Ladung Riedels keine Einwände und lehne einen Vortrag seitens des BMI ab. Der entscheidende Punkt sei jedoch die Einbeziehung von John. Das BfV habe Riedel noch keine Aussagegenehmigung erteilt, sondern warte auf eine Weisung des BMI. Immerhin gelang es, Gumbel (Kanzleramt) zu erreichen, der Globke Vortrag halten wolle. Abicht (Kanzleramt) stellte Mitte September 1955 fest, das BMI habe Bedenken gegen eine Aussagegenehmigung für Riedel, weil John als Zeuge vernommen werden solle. Laut Abicht habe das BfV „kalte Füße“ bekommen. 63 Globke erteilte jedenfalls am 19. September 1955 sein Einverständnis mit einer Aussagegenehmigung für Riedel durch das BfV, sofern eine Beschränkung auf die Fragen des Landgerichts Hannover gewährleistet sei und der Klarname von Riedel ungenannt bleibe bzw. die Öffentlichkeit ausgeschlossen werde. 64
62 63 64
Ebd. (auch für das Folgende). BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 118, Vermerk Abichts, 17.9.1955. Ebd., Bl. 119, Schreiben Globkes an Bargatzky (BMI), Geheim, 19.9.1955.
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Oberstaatsanwalt Landwehr berichtete von Schönfeld (BMI) am 19. September von Kontakten zwischen Rechtsanwalt Augstein und Otto John. 65 Näheres sei nicht bekannt. Das Landgericht rechne nicht ernsthaft mit einer Aussagegenehmigung für John, wollte aber im Vorfeld schon klären, ob das BMI dies überhaupt in Erwägung zöge. Von Schönfeld und Landwehr tauschten sich über prozessuale Aspekte aus. Mit der Entscheidung Globkes waren die Würfel noch nicht gefallen. Am 20. September ließ der um Prüfung des Sachverhalts gebetene Rechtsanwalt Dahs wissen, Riedel werde nicht nur durch die Familie Schretzmair „stark belastet“. Selbst wenn er persönlich aussage, werde das Gericht wohl annehmen, er habe Schmeisser und Dorothy zugunsten Blankenhorns beeinflussen wollen. Riedel würde ins Kreuzverhör genommen „und dabei sicher keine gute Figur machen“. Dem BfV drohe ein Imageschaden, auch wenn es den Anschein habe, daß Riedel auf eigene Initiative gehandelt habe. Dahs plädierte dafür, Riedel keine Aussagegenehmigung zu erteilen. Was John betreffe, so befinde man sich über seine Haltung im ungewissen. Seine Beteiligung am Verfahren berge jedenfalls Risiken, die besser vermieden würden. Eine zeitliche Verzögerung wäre bei einer Ladung Johns ebenfalls zu befürchten. Von Schönfeld versuchte noch am gleichen Tag, im Meinungsdschungel über den Zeugen Riedel Durchblick zu gewinnen. Kanzleramt und BfV befürworteten ein Erscheinen Riedels in Hannover. Das BMI sei nicht grundsätzlich dagegen, gebe jedoch zu bedenken, daß eine Befragung Johns die Folge sein könnte – diese aber sollte verhindert werden. Dahs wolle Riedel nicht am Prozeß beteiligen. Erst am 23. September könne Dahs mit Blankenhorn darüber reden. Falls Blankenhorn der Auffassung von Dahs beipflichte, rate er (von Schönfeld) dazu, die Aussagegenehmigung nicht zu gewähren. Aufs Papier geworfene Notizen in den Akten des BMI zeigen in bezug auf John mehrere Befürchtungen: die Eventualität einer „Propagandaaktion“ des Überläufers in die DDR; „hat er Auftrag gegeben, Sache zu vertuschen oder Zeugen zu beeinflussen?“ und „Hat John aus eigenem Interesse Material beschafft?“ Unter diesen Umständen kam Dahs’ telefonische Mitteilung an das BMI vom 23. September nicht überraschend, Blankenhorn sei an der Vernehmung von Riedel und John „nicht interessiert“. Daraufhin erklärte Globke auf Befragen seine Zustimmung, den beiden Personen keine Aussageerlaubnis zu erteilen. Die Oberstaatsanwaltschaft Hannover und das BfV wurden umgehend von dieser Entscheidung unterrichtet – nicht aber über die Gründe. Auch ein Jahr später, am 1. August 1956, wollte das BMI anläßlich des scheinbar bevorstehenden Revisionsverfahrens von der Entwicklung des Prozesses abhängig machen, ob Riedel und der inzwischen wieder in die Bundesrepublik zurückgekehrte John aussagen sollten oder nicht. Exekutive und Jurisdiktion waren in diesem besonderen Falle in nicht unbedenklicher Weise verzahnt. Die Aussagegenehmigung für Riedel und John wurde nicht in erster Linie nach der Rechtslage und grundsätzlichen Sicherheitserwägungen für die Arbeit des Verfassungsschutzes entschieden, sondern nach Opportunität zugunsten einer Prozeßpartei, die zum Umfeld der Bundesregierung gehörte. Die inhaltlichen Streitigkeiten bezogen sich aber auf Vorgänge, die vor der Übernahme von Regierungsämtern durch Adenauer und Blankenhorn lagen. Dabei gab es besonders im Falle Blankenhorn Anhaltspunkte für Verfehlungen, die den Ministerien nicht verborgen blieben. Die Apparate der Bundesbehörden wurden damit bis zu einem gewissen Grad für Zwecke von Einzelpersonen eingesetzt, die von amtlichen Pflichten hätten unterschieden werden müssen. Mochte also die Verweigerung einer Aussagegenehmigung für Riedel und John 1952/53 noch nachvollziehbar sein, so war sie es 1955 zweifellos nicht mehr. 65
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Das Verwirrspiel um eine Ladung dieser Zeugen im September 1955 verrät deutlich die Unsicherheit der beteiligten Ministerien und die prekäre Lage, in die sie durch einige fragwürdige Verhaltensweisen Blankenhorns geraten waren. Was Otto John betrifft, so müssen die besonderen Umstände sicherlich bedacht werden. John befand sich in der DDR und ließ sich für kommunistische Propaganda einspannen. Voraussichtlich würde er den Schmeisser-Prozeß ebenfalls für solche Zwecke mißbrauchen. Diese Besorgnisse waren nicht von der Hand zu weisen. Am 2. Oktober 1955 verlautete prompt aus Ost-Berlin, John wäre bei Zusicherung freien Geleits nach Hannover gefahren und hätte einiges zu der Sache sagen können. Vermutlich wären die Angeklagten freigesprochen worden. 66 Tags darauf legte John nach und forderte Adenauer zum Rücktritt auf. 67 Adenauer sei durch das Wiesbadener Protokoll vom 22. November 1951 schwer belastet. Indessen blieb Johns Verhalten im Jahre 1952 bei dieser speziellen Angelegenheit undurchsichtig. Welche Motive seinem damaligen Handeln zugrundelagen, konnte niemand sagen. Jedenfalls stand zu befürchten, daß er das Ansehen des BfV durch einen öffentlichen Auftritt in Hannover beflecken und Blankenhorn gezielt angreifen könnte. Das BMI und Dahs wollten ein derartiges Wagnis nicht eingehen. Globke erschien hingegen eher gleichgültig. Aufgeschreckt von einem Artikel im Bonner „General-Anzeiger“ 68, erfuhr Abicht am 27. September 1955 aus dem BMI, Dahs und Blankenhorn hätten Bedenken gegen einen Auftritt von Riedel gehabt. 69 Globke habe sich mit Ritter von Lex darüber verständigt, die Aussagegenehmigung zu verweigern. Ein Prozeßbeobachter des BMI sei in Hannover und melde, falls eine Vorladung Riedels opportun erscheine. Noch während der Abfassung des Vermerks traf die Nachricht von der Einigung zwischen Klägern und Beklagten ein, die Abicht zu überraschen schien. Das Zittern um John und Riedel zählte gewiß zu den Gründen, die für die erstaunliche Erledigung des Falles zu Buche schlugen. 3) DER KURZE PROZESS AM 26./27. SEPTEMBER 1955 Mitunter wurde in der Presse an die in der Schwebe befindliche Angelegenheit erinnert. So monierten im Dezember 1954 „Schwarzwälder Bote“ 70 und „Flensburger Tageblatt“ 71 in einem aus gleicher Feder stammenden Beitrag, was alles geschehen sei, während die Voruntersuchung weiter andauere. In Hannover seien sowohl der mit der Sache betraute Landgerichtsdirektor als auch dreimal die Staatsanwälte ausgetauscht worden. Der „Spiegel“ zog inzwischen von Hannover nach Hamburg, und einer der Hauptzeugen, Otto John, trat in den Osten über. Immerhin meinten Juristen, trotz Amnestie müsse der Fall vorangetrieben werden. Tatsächlich wurde Landgerichtsdirektor Mollenhauer angeblich wegen einer anderen Sache zum Amtsgerichtsrat herabgestuft und mußte die Zuständigkeit für den Fall Schmeisser abgeben. 72 66 67 68 69 70 71 72
„Hannoversche Allgemeine Zeitung“, 3.10.1955: „Schmeisser-Prozeß kommt vor den Bundestag“; „Der Kurier“ (Berlin), 3.10.1955: „Parlamentarisches Nachspiel zum Schmeisser-Prozeß“. „Trierischer Volksfreund“, 4.10.1955: „Auch John zum Fall Schmeisser“; „Frankfurter Rundschau“, 5.10.1955: „John bestätigt ‚Spiegel’-Material“. „General-Anzeiger“ (Bonn), 27.9.1955: „Die Abenteuer des Herrn Schmeisser“. BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 120, Vermerk Abichts, 27.9.1955. „Schwarzwäder Bote“ (Oberndorf), 15.12.1954: „Agent Schmeisser doch vor Gericht“. „Flensburger Tageblatt“, 11.12.1954: „Die vertagte Agenten-Affäre“. „Westdeutsches Tageblatt“ (Dortmund), 30.6.1955: „Nach dreijähriger Vorbereitung: Adenauer contra Schmeisser“.
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Das BMJ unterrichtete das Kanzleramt am 28. Juli 195573 darüber, daß die Voruntersuchung am 23. April abgeschlossen und am 20. Juni das Hauptverfahren gegen Schmeisser u.a. vom Landgericht Hannover eröffnet wurde. Immerhin meldeten zahlreiche Zeitungen am 29. Juni das Ergebnis der Voruntersuchung. 74 Anfang September 1955 wurde der Termin des Verfahrens publik 75, was das öffentliche Interesse an der mysteriösen „Altlast“ sofort anstachelte. Die SPD versuchte, eine Verbindung zum Referendumswahlkampf an der Saar herzustellen, wo am 23. Oktober ein „Europäisches Statut“ zur Abstimmung stand, das die Abspaltung von Deutschland verlängert hätte. Im vertraulichen Dienst der Partei wurde behauptet 76, Heinrich Schneider habe in engstem Kreis erklärt, es sei wünschenswert, wenn Blankenhorns Verbindungen mit dem französischen Geheimdienst ans Licht kämen. Blankenhorn sei für eine Saarpolitik im deutschen Sinne gewiß nicht der rechte Mann. Schneider ließ im liberalen Pressedienst fdk diese Angaben dementieren. 77 Es bestünde keinerlei Zusammenhang zwischen der Saar und dem Fall Schmeisser. Die DPS denke nicht daran, sich in einen Gegensatz zur Bundesregierung bringen zu lassen. Die Saar war inzwischen zu einem Nebenschauplatz der Schmeisser-Affäre herabgesunken, denn die politische Entwicklung hatte die einstigen Querverbindungen gleichsam hinweggefegt. Der „SPD-Pressedienst“ verzichtete folgerichtig in seinem ProzeßVorbericht auf das Thema Saar und formulierte kühn, es handele sich um den „größten politischen Skandal der Nachkriegszeit“, wenn die Anschuldigungen auch nur teilweise zuträfen. 78 Am 26. September 1955 begann der Prozeß im gut gefüllten Schwurgerichtssaal des Landgerichts Hannover unter der Leitung von Landgerichtsdirektor Raatz. 79 Die Spannung unter den Zuhörern läßt sich angesichts der Liste prominenter Zeugen unschwer nachempfinden. Allgemein wurde gerätselt, ob Otto John gegen Zusicherung freien Geleits erscheinen werde, wie Rechtsanwalt Augstein beantragt habe.80 Raatz erklärte am Ende des ersten Verhandlungstages, die Bundesregierung habe die Aussagegenehmigung für John und Riedel nicht erteilt. Das Gericht beabsichtigte sogar, externe Zeugenvernehmungen in Bad Wiessee, München und Zweibrücken vorzunehmen. Ein Urteil sollte frühestens am 15. Oktober ergehen. Rudolf Augstein hatte neben seinem Bruder Josef und dem ehemaligen Zentrumspolitiker Bernhard Reismann noch einen dritten, hochrangigen Anwalt engagiert: den früheren Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Reinhold Maier (FDP). Er hatte sich bekanntlich bei den Westverträgen von 1952 als Kritiker hervorgetan. 81 Adenauer sollte nicht geladen werden; eine protokollarische Aussage wurde als hinlänglich befunden. 73 74 75 76 77 78 79
80 81
BA, B 136, Bd. 241, Schreiben Kleinknechts (BMJ) an Kanzleramt, 28.7.1955. Weiteres Material in: BA, B 141, Bd. 12083. Zum Beispiel: „Süddeutsche Zeitung“, 29.6.1955: „’Spiegel’-Redakteure angeklagt“; „Kölnische Rundschau“, 29.6.1955: „Hauptverfahren gegen Schmeisser“. „Die Welt“, 6.9.1955: „Jetzt Schmeisser-Prozeß“; „Weser-Kurier“, 6.9.1955: „Blankenhorn ist Zeuge“; „Flensburger Tageblatt“, 8.9.1955: „Bonner Prominenz im Zeugenstand“. PPP-Inf., 7.9.1955: „Die Saar und Schmeisser“. fdk, 13.9.1955: „Saar und Schmeisser-Prozeß“. „SPD-Pressedienst“, 23.9.1955: „Hat Schmeisser Beweise?“ Die Zahl der Artikel über die Ereignisse des ersten Tages ist Legion. Sie geben oft auch die Atmosphäre wieder, die im Gerichtssaal herrschte. Einige Beispiele: „Die Welt“, 27.9.1955: „9 Uhr: Verfahren gegen Schmeisser“; „Süddeutsche Zeitung“, 26.9.1955: „Zeuge Adenauer braucht nicht zu erscheinen“; „Abendpost“ (Frankfurt a.M.), 27.9.1955: „Ex-Agent Schmeisser deckt die Karten auf“; „Düsseldorfer Nachrichten“, 27.9.1955: „Die Abenteuer des Herrn Schmeisser“; „Nürnberger Nachrichten“, 27.9.1955: „Diebstahl in der Staatskanzlei“; Josef Schmidt, „Der größte politische Prozeß Nachkriegsdeutschlands“, in: „Stuttgarter Nachrichten“, 27.9.1955. „Kölnische Rundschau“, 25.9.1955: „Bonns Spitzen erscheinen im Zeugenstand“; „Abendpost“ (Frankfurt a.M.), 26.9.1955: „Freies Geleit für Otto John zum Schmeisser-Prozeß?“ Matz, Reinhold Maier, S. 404-421.
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Am ersten Tag wurden vor allem die Formalia erledigt. Dabei mußte das Verfahren gegen Ziebell abgetrennt werden, weil dessen Anwalt Christian Oestmann einen Formfehler bei der Zustellung des Eröffnungsbeschlusses gerügt hatte. 82 Infolge dieses Versehens konnte Ziebell den Anwalt erst spät betrauen; das Gericht mußte Oestmanns Beschwerde akzeptieren, die Vorbereitungszeit sei zu kurz gewesen. Schmeissers Verteidiger Kurt Ziegler wollte eine Aussetzung des Verfahrens gegen seinen Mandanten erreichen, weil der Eröffnungsbeschluß nicht im einzelnen darlege, was Schmeisser vorgeworfen werde. Damit kam Ziegler aber nicht durch. Augstein benannte zusätzliche Zeugen für den gegen Reifferscheidt erhobenen Vorwurf des Separatismus 83 und die Exilpläne der Bundesregierung 84. Schmeisser erzählte sein Leben als Agent, das uns des näheren vertraut ist. Er erwähnte die Anwerbung durch Masloh für den französischen Geheimdienst, den Aktendiebstahl in der bayerischen Staatskanzlei, die Tätigkeit in Boppard bis zur mißglückten Kooperation mit dem Doppelagenten MüllerSchwanek, die Enttarnung der Verbindungen Ziebells zu Karlshorst, seinen (Schmeissers) angeblichen Ausstieg aus seinem Gewerbe mit Hilfe des inzwischen für das LfV Wiesbaden arbeitenden Ziebell, die Grobheit der mißtrauisch gewordenen Franzosen in Paris. Das alles war für die anwesenden Pressekorrespondenten schon aufregend – wie sollte es erst werden, wenn die Verbindungen zu Blankenhorn angesprochen wurden! Am 27. September sollte das Verfahren um 8 Uhr fortgesetzt werden. 85 Schmeissers Verteidiger bat um eine kurze Verschiebung wegen Unwohlseins seines Mandanten. Stundenlange Korridorgespräche zwischen den Prozeßparteien folgten, bei denen sie sich vom Drängen des Gerichts auf Rückkehr in den Tagungssaal nicht beirren ließen. Gegen 12.30 Uhr wurde die Verhandlung wiederaufgenommen. Rechtsanwalt Ziegler verlas eine Erklärung Schmeissers, wonach er bei seinen im „Spiegel“ vom 9. Juli 1952 wiedergegebenen Aussagen „nicht in beleidigender Absicht gehandelt“ habe. „Soweit in meinen Aussagen ein Vorwurf ehrenrührigen oder pflichtwidrigen Verhaltens gegen die Genannten enthalten ist, halte ich diesen nicht aufrecht.“ Augstein, Jaene und Mans autorisierten eine Versicherung, gegen Adenauer, Blankenhorn und Reifferscheidt „den Vorwurf pflichtwidrigen oder ehrenrührigen Verhaltens nicht [zu] erheben“. Schmeisser war bereit, die Kosten des Verfahrens zu tragen. Dahs erwiderte, die Strafanträge würden zurückgezogen. Adenauer habe ihn telefonisch dazu bevollmächtigt unter der Bedingung, daß Schmeisser sich zur Übernahme sämtlicher Kosten bereit finden müßte. Während Reifferscheidt den Pressevertretern in Hannover sagte, Ziegler habe den Kompromiß ins Gespräch gebracht, bestritt Schmeissers Anwalt dies ausdrücklich. Wie die „Süddeutsche Zeitung“ erfuhr, waren Dahs und Ziegler die „Väter“ des Kompromisses und mußten Josef Augstein überreden, einer gütlichen Verständigung beizupflichten. 86 Mans und 82 83 84
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BA, B 136, Bd. 241, Protokoll der Öffentlichen Sitzung der 2. Großen Strafkammer des Landgerichts Hannover am 26. und 27.9.1955. Ein Wolfgang Oelze aus Spandau wurde dafür geladen. Er kannte Reifferscheidt angeblich aus der Zeit gemeinsamer Kriegsgefangenschaft in England (PPP-Inf., 26.9.1955: „Schröder: John darf nicht aussagen“). Der ehemalige 2. Vorsitzende des antikommunistischen „Volksbundes für Frieden und Freiheit“, Dr. Eberhard Taubert, sollte bestätigen, daß Pläne zur Rettung führender deutscher Politiker nach Casablanca für den Fall einer sowjetischen Invasion existierten („Bonner Rundschau“, 25.9.1955: „Bonns Spitzen erscheinen im Zeugenstand“; PPP-Inf., 28.9.1955: „Flucht“). Protokoll der Sitzung vom 27.9.1955 in: „Der Spiegel“, Nr. 41/1955, 5.10, S. 15-17. Zum zweiten Prozeßtag u.a.: „Abendpost“ (Frankfurt a.M.), 28.9.1955: „Schmeisser-Prozeß geplatzt – Adenauer zog Klage zurück“; Rolf Seufert, „Schmeisser-Prozeß wurde überraschend abgebrochen“, in: „Die Welt“, 28.9.1955; Karl-Heinz Kallenbach, „Schmeisser-Prozeß – Kaum begonnen, schon beendet“, in: „Bonner Rundschau“, 28.9.1955; „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 28.9.1955: „Unerwartete Wendung im Schmeisser-Prozeß“; „Hannoversche Allgemeine Zeitung“, 28.9.1955: „Schmeisser-Prozeß eingestellt“; Rudolf Rohlinger, „Als Schmeisser ‚unpäßlich’ war...“, in: „Kölner Stadt-Anzeiger“, 28.9.1955. Josef Schmidt, „So wurde der Schmeisser-Prozeß erledigt“, in: „Süddeutsche Zeitung“, 29.9.1955; „Mainzer Allgemeine Zeitung“, 29.9.1955: „Wer beantragte den Vergleich?“
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Jaene sträubten sich. Schon schwirrten Gerüchte über Riedels heikle Unternehmungen mit Max Schretzmair umher 87, was die Unruhe der Kläger sicherlich vermehrte. Rudolf Augstein schilderte im „Spiegel“ 88, Schmeisser sei von der öffentlichen Verlesung seiner Agentenkarriere am 26. September entnervt gewesen. Ziegler und Dahs hätten schon in der darauffolgenden Nacht verhandelt. Am Morgen des 27. September beschwor Ziegler die „Spiegel“-Vertreter, sich einer gütlichen Einigung nicht zu verweigern. Schmeisser befinde sich in schlechtem Zustand. Außerdem befürchte er, sein Jurastudium würde selbst bei einem Freispruch zunichte gemacht. Jaene sei aber strikt gegen den Kompromiß gewesen. Reinhold Maier wurde herbeigerufen und sagte, es gebe bestimmte Formulierungen für die Zurücknahme falscher Behauptungen, die man hier vermieden habe. 89 Dies gab den Ausschlag. Maier vermochte kaum zu verbergen, wie ihn das Taktieren aller Seiten und die ständigen Unterbrechungen der Sitzung abstießen. Kopfschüttelnd verließ er das Gerichtsgebäude und fuhr nach Hause. Er wähnte die Bundesregierung blamiert und nahm lediglich von Herwarth in Schutz, dessen Name im Kontext des Dokumentendiebstahls in der bayerischen Staatskanzlei erwähnt worden war 90. In einem Zeitungsbeitrag 91 bemängelte Maier, durch den Entzug der Aussagegenehmigung für wichtige Zeugen sei „das Prinzip der Waffengleicheit zwischen Regierung und Presse“ verletzt. Staatliche Stellen beabsichtigten, sich der öffentlichen Meinung „zu bemächtigen, sie (zu) dirigieren“. Dem müsse man entgegentreten: „Die öffentliche Meinung ist kein Spielzeug. Ihr verfassungsmäßiger Schutz, ihr natürliches Funktionieren ist eine Voraussetzung für eine Dauerzugehörigkeit zu der westlichen Staatenwelt.“ Dies gelte gerade mit Blick auf die gelenkte Propaganda des Ostens. Wer geglaubt hatte, nun sei die Einigung komplett, wurde rasch eines Besseren belehrt. Die Staatsanwaltschaft besaß zwar bei diesem Antragsdelikt keine Handhabe, kraft eigener Initiative den Prozeß fortzuführen. Sie weigerte sich aber, alle Kosten Schmeisser aufzubürden, weil dieser sie schwerlich tragen könne und die Staatskasse in Haftung genommen würde. Beide Parteien waren bestrebt, diese Bedenken zu zerstreuen: Die Anklagevertretung meinte, die Auslagen der Zeugen würden nicht zu den Gerichtskosten von 2.100 DM addiert; die Verteidigung zeigte sich empört über die Einschätzung, Schmeisser könne diese begrenzte Summe nicht aufbringen. Das Landgericht Hannover hatte jahrelang mit enormem Rechercheaufwand ermittelt und wollte die plötzlich auf Harmonie erpichten Beteiligten nicht so einfach davonkommen lassen. Das Auswärtige Amt würde laut Dahs sogar die Flugkosten für Gustav Strohm begleichen, der gerade aus Pretoria angereist war, wo er den Posten eines Botschafters bekleidete – immerhin 4.000 DM. Als eine Nachfrage im Auswärtigen Amt zu einem negativen Bescheid führte, wischte Dahs dies beiseite. Kein Zweifel: Die Amtsspitze würde schon dafür sorgen! Sosehr sich Dahs, Ziegler und Josef Augstein wanden – einen Schlußstrich unter die Sache erreichten sie nicht. Der Vorsitzende Raatz mußte zwar widerstrebend das Verfahren einstellen 92, doch die Staatsanwaltschaft war entschlossen, Revision einzulegen. 87
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Der Pressedienst „Real“ aus Hamburg berichtete erstaunlich detailliert darüber. Darauf stützten sich dann mehrere Zeitungen: „Abendpost“ (Frankfurt), 1.10.1955: „Schmeisser-Lawine rollt weiter...“; „Hessische Nachrichten“ (Kassel), 1.10.1955: „Immer noch Schmeisser-Prozeß“; „Nürnberger Nachrichten“, 1.10.1955: „Schmeisser-Prozeß ... große Blamage“; „Kasseler Zeitung“, 7.10.1955: „Schmeisser-Akten sollten gestohlen werden“. „Der Spiegel“, Nr. 41/1955, 5.10., S. 11-13: Augstein an Spiegelleser. PPP, 27.9.1955: „Student Schmeisser kann vorerst nicht zahlen“; „Hamburger Echo“ (SPD), „Etwas faul im ‚Staate Dänemark’?“ Vgl. Kap. II.2a. Reinhold Maier, „Die Lehre von Hannover“, in: „Stuttgarter Zeitung“, 29.9.1955. BA, B 136, Bd. 241, und B 141, Bd. 12083, Urteil Landgericht Hannover, 27.9.1955.
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In der Presse gab es einen Aufschrei über das jähe Ende des Schmeisser-Prozesses. 93 Apologetische Stellungnahmen oder Verständnis für das Niederschlagen des Prozesses sucht man selbst in CDU-nahen Blättern vergebens: Die sang- und klanglose Erledigung nach dem Getöse von 1952 hinterließ nach einhelliger Meinung einen üblen Beigeschmack. 94 Hans Baumgarten, Mitherausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, verlangte einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß 95, was alsbald von einzelnen Politikern aufgegriffen wurde 96. Immerhin waren öffentlich erhobene schwere Anschuldigungen gegen führende Persönlichkeiten der Bundesrepublik Deutschland ohne die nötige Aufklärung geblieben. Die ausländische Presse zeigte sich zwar vorsichtig, wirkte aber irritiert über den spektakulären Ausgang. 97 Die DDR-Blätter sahen den Fall als „gefundenes Fressen“, konnten sie doch jetzt wieder über den „Vaterlandsverräter“ Adenauer herziehen. 98 Eine ganz andere Vermutung artikulierte Peter Konradin im SPD-Blatt „Hannoversche Presse“.99 Er glaubte, der französische Geheimdienst habe Adenauer gebeten, weitere Enthüllungen zu unterbinden, weil seine Aktivitäten im Nachkriegsdeutschland bloßgestellt zu werden drohten. SPD-Pressechef Fritz Heine erklärte, die Einstellung des Verfahrens diene nicht der Wahrheitsfindung, auf die die Öffentlichkeit Anspruch habe. 100 Der „SPD-Pressedienst“ sprach von „lahmen und verklausulierten Erklärungen Schmeissers, durch die die Beschuldigungen gegen Adenauer und Blankenhorn nicht entkräftet würden. 101 Die der SPD nahestehenden Zeitungen brandmarkten die mutmaßliche Drückebergerei des Kanzlers.102 Sie hofften möglicherweise, in der bevorstehenden Bundestagsdebatte werde die SPD Honig daraus saugen – sie sollten sich täuschen... Ministerpräsident Zinn wiederum erklärte, die hessische Landesregierung habe lediglich für den Prozeß in Hannover eine Vernehmung von ihm und Zinnkann zurückgewiesen. 103 Sie seien im Laufe der Untersuchung schon verhört worden und sollten lediglich wegen eines Verfahrensfehlers abermals vernommen werden. Der „Hessenspiegel“ wollte in Erfahrung gebracht haben, daß Zinn maßgeblich verantwortlich sei für das Abrücken der SPD vom Gedanken eines Untersuchungsausschusses. 104 Zinn fürchtete zweifellos eine nähere
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„General-Anzeiger“ (Bonn), 28.9.1955: „Ein erstaunlicher Prozeß“; „Hamburger Anzeiger“, 28.9.1955: „Warum nicht reines Haus?“; Helmut Berndt, „Ein Eisberg-Prozeß“, in: „Hessische Nachrichten“ (Kassel), 28.9.1955; „Der Mittag“ (Düsseldorf), 28.9.1955: „Unrühmlich“; Fritz Hirschner, „Die Sensation von Hannover“, in: „Rhein-Zeitung“ (Koblenz), 28.9.1955. Marcel Schulte, „Die Schmeissers“, in: „Frankfurter Neue Presse“, 28.9.1955; „Deutsches Volksblatt“ (Stuttgart), 28.9.1955: „Späte Einsicht“; „Rheinischer Merkur“ (Koblenz), 7.10.1955: „Ein unbefriedigender Vergleich“. Hans Baumgarten, „Prozeß, zu kurz gemacht“ in: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 29.9.1955. „Stuttgarter Zeitung“, 1.10.1955: „Nachspiel des Schmeisser-Prozesses im Bundestag?“; „Neue RheinZeitung“ (Köln), 1.10.1955: „Aufsehen in Bonn: Fall Schmeisser zieht Kreise“. Stéphane Roussel, „Au Procès en Diffamation intenté au Directeur d’une Revue: Adenauer retire sa plainte“, in: „France-soir“, 28.9.1955; „Manchester Guardian“, 28.9.1955: „Dr Adenauer withdraws Plaint. Curiosities of the Schmeisser Case“; „The Times“, 28.9.1955: „German Libel Suit settled“; „Neue Zürcher Zeitung“, 29.9.1955: „Vergleich im Presseprozeß von Hannover“; „Schweizer National-Zeitung“, 29.9.1955, Morgenausgabe: „Ein sonderbarer Prozeß mit sonderbarem Ende“; „Die Tat“ (Zürich), 29.9.1955: „Bonn zog es vor, die ‚Spiegel’-Behauptungen nicht gerichtlich abklären zu lassen“; „Der Bund“ (Bern), 1.10.1955: „Seltsames Ende eines jahrelang vorbereiteten Prozesses“. „Neues Deutschland“, 28.9.1955: „Was Adenauer nicht widerlegen kann“, und 29.9.1955: „Der Sumpf“; „Märkische Volksstimme“, 29.9.1955: „Der Mann, der sein Vaterland verriet“. Peter Konradin, „Wie ein Gott aus der Maschine“, in: „Hannoversche Presse“, 1.10.1955. PPP-Inf., 27.9.1955: „Öffentlichkeit hat Recht auf Klarheit“. „SPD-Pressedienst“, 28.9.1955: „Die Klärung blieb aus“. „Hamburger Echo“, 28.9.1955: „Ohne Urteil“; „Neue Rhein-Zeitung“ (Köln), 28.9.1955: „Die Wahrheit blieb verborgen“; „Telegraf“ (Berlin), 28.9.1955: „Unrühmliches Ende“. dpa-Inf. 1381, 4.10.1955. „Der Hessenspiegel“, 5.10.1955, zit nach: „Schnell-Information“ (BPA), 6.10.1955.
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Beleuchtung der Zustände im LfV Wiesbaden. Der „Vorwärts“ tat allerdings so, als würde ein Untersuchungsausschuß nur eine weitere Verschleppung implizieren. 105 Auch der bayerische Landtagspräsident und frühere Ministerpräsident Ehard sah sich zu einer Stellungnahme veranlaßt. 106 Zu seiner Amtszeit sei von einem Aktendiebstahl nichts zu merken gewesen, und von Herwarth habe mit solchen Dingen ganz gewiß nichts zu tun gehabt. Alle irgendwie beim Fall Schmeisser involvierten Politiker schienen Klarstellungen für nötig zu halten, mochte es um Details gehen! Regierungssprecher Edmund Forschbach bekam am 30. September die Mißstimmung der deutschen Presse im Berliner Hotel Kempinsky zu spüren, wo er mit Vertretern der Medien zusammentraf. 107 Forschbach erwiderte auf kritische Bemerkungen, Blankenhorn sei von den Angeklagten geradezu bestürmt worden, dem Vergleich zuzustimmen. Schmeisser habe das Aufkommen einiger Fragen befürchtet und vor einer Gefängnisstrafe gezittert. Näheres wollte Forschbach dazu nicht sagen. Weitere Erklärungen der Bundesregierung seien nicht zu erwarten. Die Journalisten rieten Forschbach dringend, noch eine offizielle Verlautbarung der Bundesregierung herauszugeben. 108 Für künftige politische Auseinandersetzungen werde ansonsten ein unliebsames Beispiel gegeben; natürlich sei auch die Wirkung in der „Sowjetzone“ negativ. Besonders Blankenhorn und Reifferscheidt wurden kritisiert. Am 3. Oktober trat Forschbach wirklich vor die Presse und trachtete, die allgemeine Erregung über den Schmeisser-Prozeß zu beschwichtigen. 109 Es gebe ja noch das Verfahren gegen Ziebell, in dem alles aufs Tapet gebracht werde. Forschbach bekräftigte, die Bundesregierung übernehme keinerlei Kosten, die in diesem Verfahren angefallen seien. Zu etwaigem freien Geleit für John wollte er sich nicht festlegen. Das Kabinett habe sich mit der Anfrage der SPD zum Prozeß noch nicht befaßt. Was die Kosten anging, so entgegnete die SPD-Bundestagsfraktion postwendend, es handele sich insonderheit um die horrenden Anwaltshonorare, mitnichten um die 2.100 DM Gerichtsauslagen. 110 Gleichzeitig ließen der Bundesregierung nahestehende Kreise durchsickern, Dahs habe für den Ziebell-Prozeß Schmeisser und die „Spiegel“-Journalisten als Zeugen mobilisieren wollen und sie dafür zunächst von der Anklagebank herunterholen müssen. 111 Die regierungsnahe Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise (ADK) steuerte diese Nachrichtenkampagne. 112 So raffiniert dies klang – es war eine Nebelkerze. Sie verfehlte gleichwohl ihren Eindruck auf die SPD nicht. Gelang es Dahs nämlich, das LfV Hessen in den Fokus zu rücken, mußte die SPD in Bonn und Wiesbaden höchst unangenehme Enthüllungen gewärtigen. So konnte die Meldung des Bulletins vom 19. Oktober 113, der Kanzler lege Wert auf die Durchführung des Verfahrens gegen Ziebell, in der „Baracke“ als Drohung verstanden werden. Die Gegenwehr im „SPD-Pressedienst“ vom 19. Oktober klang eher wie das Pfeifen im Walde: Anstatt die 105 106 107 108 109
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W. Peters, „Sagte Schmeisser die Wahrheit?“, in: „Vorwärts“, 7.10.1955. „Die Rheinpfalz“, 4.10.1955: „Ehepaar Herwarth wird klagen“. AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 2622A, Abschrift, o.D.; PPP-Inf., 5.10.1955: „Schmeisser-Nachlese“. Dazu riet auch der „Münchner Merkur“ am 1.10.1955 („Unverständliches Schweigen“). Wortlaut in: BPA, Bestand Pressekonferenzen (F 30), Bd. Juli – Dezember 1955. Dazu „Rhein-Zeitung“ (Koblenz), 4.10.1955: „Bundesregierung zu Schmeisser-Prozeß“; „Allgemeine Zeitung/Neuer Mainzer Anzeiger“, 4.10.1955: „Der Fall Schmeisser noch nicht beigelegt“; „Badisches Tagblatt“ (Baden-Baden), 4.10.1955: „SPD-Schmeisser-Anfrage und Kabinett“; „Frankfurter Rundschau“, 4.10.1955: „Fall Schmeisser kommt vor das Kabinett“. „Freie Presse“ (Bielefeld), 4.10.1955: „Wer zahlt für Schmeisser?“; „General-Anzeiger“ (Bonn), 4.10.1955: „Wer bezahlt die Prozeßkosten?“ „Flensburger Tageblatt“, 4.10.1955: „Jetzt Schmeisser als Zeuge?“; „Mannheimer Morgen“, 4.10.1955: „’Schmeisser-Prozeß’ in neuer Auflage?“; „Hannoversche Allgemeine Zeitung“, 15.10.1955: „Schmeisser Zeuge im Ziebell-Verfahren“; „Deutscher Informationsdienst“, Nr. 510, 18.10.1955: „Der Fall Schmeisser“. ADK, Politische Informationen, Jahrgang 2 (1955), Nr. 81/1955, 13.10.: Der Fall Schmeisser. Bulletin 1955, Nr. 197 vom 19.10., S. 1644: „Zum Fall Schmeisser“.
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Vorwürfe Schmeissers zu entkräften, wolle die Bundesregierung die „Randfigur“ Ziebell ins Rampenlicht zerren, was ein „peinliches Ablenkungsmanöver“ sei.114 Augstein, Jaene und Mans hielten der von der ADK verbreiteten Perspektive eine „Erklärung in eigener Sache“ entgegen. 115 Dahs habe Ziebells Anwalt eine vergleichbare Erledigung in Aussicht gestellt, wenn dieser ähnlich verständigungsbereit wäre. Adenauer habe zudem gegen Ziebell keinen Strafantrag gestellt. Dahs hatte wirklich mit Ziebells Anwalt vereinbart, auch das Verfahren gegen Ziebell nach einer Rücknahme seiner Behauptungen einzustellen. 116 Anfang Oktober 1955 sah Dahs freilich wegen der geänderten Sachlage durch die „Große Anfrage“ der SPD keine Handhabe mehr dafür. Das Bulletin konterte die Erklärung des „Spiegel“ am 26. Oktober 117 mit dem Argument, Ziebell habe zu den Verfassern des Artikels „Am Telefon vorsichtig“ gehört, weil er das Material geliefert habe. Im übrigen bezögen sich die Strafanträge der Nebenkläger auch auf Ziebell. Der „Spiegel“ akzeptierte diese Argumentation nicht. 118 Ziebell sei weder der Verfasser des Artikels noch trage er journalistische Verantwortung. Von der Strafanzeige der Nebenkläger gegen Ziebell vom 9. Dezember 1952 hatte Augstein offenbar nichts gehört. Aus diesem Verwirrspiel schloß die „Welt“ resigniert, letztendlich werde wohl niemand mehr wissen, wer wem welche Vorwürfe gemacht habe. 119 Rechtfertigungsdruck spürte aber auch der „Spiegel“ 120, der vor dem Prozeß so großen Optimismus bekundet hatte. Schmeisser und Jaene verfaßten am 10. Oktober 1955 den Text einer Gegendarstellung im „Kölner Stadt-Anzeiger“ 121, weil dieser berichtet hatte, die im „Spiegel“ enthaltenen Vorwürfe würden von Schmeisser nicht aufrechterhalten 122. Die Zurücknahme habe sich nur auf etwaige ehrenrührige Anschuldigungen bezogen. Das Kanzleramt bat das BMJ um Prüfung, ob die abgedruckte „Berichtigung“ eine Erneuerung der früheren Beleidigungen darstelle und strafrechtlich geahndet werden solle. 123 Grützner und Karl Lackner sahen dafür keine Basis. Tatsächlich habe Schmeisser im Prozeß gewisse Einschränkungen gemacht, die er nun akzentuiere. Augstein berief sich nach außen hin auf die Sorgen Schmeissers, sein Leben würde ruiniert, wenn alle seine „kleinen Verfehlungen“ ans Licht kämen. 124 Der Verlagschef verstand Schmeisser gut. Er meinte, die Veröffentlichung habe der „Spiegel“ vorgenommen; folglich gehöre er vor Gericht, mitnichten Schmeisser, der das alles nicht gewollt habe. Für Augstein ging es um das Prestige seiner Zeitschrift, nicht um mehr oder weniger hohe Kosten. Deshalb verdroß ihn die Hartnäckigkeit des Landgerichts. Augstein verwies auf die seit drei Jahren in Karlsruhe anhängige Verfassungsklage wegen der Rechtmäßigkeit der Beschlagnahmung vom Juli 1952. Die Beeinträchtigung der Pressefreiheit sei der springende Punkt. Zudem strebe der „Spiegel“ nicht so sehr danach, vor Gericht Recht zu bekommen – sondern nach der Wahrheit. Eine Beleidigung der Bundesregierung habe niemand im Sinn gehabt. Augsteins Erklärungen waren nicht ganz überzeugend. Sein Eintreten für die Pressefreiheit in Ehren, doch es stand nicht nur dieses hohe Gut auf dem Spiel, sondern das Renommee des 114 115 116 117 118 119 120
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„SPD-Pressedienst“, 19.10.1955: „Ablenkungsmanöver im Fall Blankenhorn-Schmeisser“. „Der Spiegel“, Nr. 43/1955, 19.10., S. 9: „Erklärung in eigener Sache“. BA, B 136, Bd. 241, Schreiben Dahs an Globke, 3.10.1955. Bulletin 1955, Nr. 202 vom 26.10., S. 1686. „Der Spiegel“, Nr. 44/1955, 26.10., S. 11: „Schmeisser“. Hellmuth Brennecke, „Was wird aus der Akte Ziebell?“, in: „Die Welt“, 26.10.1955. Die abgedruckten Leserbriefe zeigen, daß der „Spiegel“ zwar viel Zuspruch erhielt, aber auch Kritik für seine Einigung mit der Gegenpartei einstecken mußte (z.B. „Der Spiegel“, Nr. 43/1955, 19.10., S. 3f., oder Nr. 44/1955, 26.10., S. 7f.). „Kölner Stadt-Anzeiger“, 10.10.1955: „Sensation um Schmeisser“. „Kölner Stadt-Anzeiger“, 28.9.1955: „’Schmeisser und andere’“ BA, B 141, Bd. 12083, Vermerke Grützners und Lackners, 13.10.1955. „Der Spiegel“, Nr. 41/1955, 5.10., S. 11-13: Augstein an Spiegelleser.
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„Spiegel“. Seine Informanten hatten beileibe keine weiße Weste, was den Ausgang des Verfahrens eben doch riskant erscheinen ließ. Eine Klärung des Sachverhalts hätte jedenfalls die Durchführung des Prozesses erfordert. Die inhaltlichen Aussagen von „Am Telefon vorsichtig“ boten aber erheblichen Interpretationsfreiraum. Um welche konkreten Zwecke es sich 1952 gehandelt hatte, war 1955 ohnehin kaum noch relevant. Für die Zukunft aller Beteiligten bedeutete dieser Prozeß ein Wagnis, denn Schwachpunkte gab es überall. So einigte man sich vorsorglich. Schmeisser wiederum ließ in seinem Studienort Erlangen wissen, er wolle ein oder zwei Semester in der Schweiz verbringen, denn der ganze Trubel habe an seinen Nerven gezehrt. 125 Im Ausland könne er frei von Anfeindungen studieren; danach wolle er als Anwalt für die Industrie tätig werden. Allein, bekanntlich zog ihn die Schweiz nicht bloß wegen des Alpenpanoramas an... Im übrigen blieb er doch in Erlangen, wich aber einer Podiumsdiskussion des ASTA aus und begnügte sich mit einer brieflichen Darstellung seines Lebens. 126 Der PPP deutete am 28. September 1955 behutsam an, es werde in Bonn gemunkelt, Schmeisser bleibe keineswegs allein auf den Prozeßkosten sitzen. 127 Bald raunten viele in Bonn, die Niederschlagung des Verfahrens sei auf Betreiben von Blankenhorn erfolgt, der seine politische Karriere gefährdet wähnte. 128 Selbst Adenauer soll in kleinem Kreis zugegeben haben, sein damaliges Verhalten gegenüber französischen Dienststellen erscheine ihm inzwischen nicht mehr ganz richtig. Am 24. Oktober folgte eine unverblümte Attacke des PPP: „Schmeisser soll für den Abschluß des Vergleichs in Hannover 50.000 DM erhalten haben“. Dies sei mit Hilfe der Sekretärin Blankenhorns erfolgt. 129 Näheres über diese Verdächtigungen wurde niemals bekannt. Der „Spiegel“ erwog, Schadenersatzforderungen wegen der 40.000 bis 50.000 beschlagnahmten Exemplare der Nummer 28/1952 anzumelden. 130 Dahs stellte umgehend öffentlich klar, Rechtsanwalt Augstein habe ihm bestätigt, eine solche Äußerung nicht gemacht zu haben; dies hätte auch dem Geiste der Vereinbarungen zwischen Adenauer/Blankenhorn und dem „Spiegel“ widersprochen. 131 Josef Augstein dementierte dies jedoch und ergänzte, es sei noch zu prüfen, ob der „Spiegel“ Schadenersatz verlangen werde. 132 Der Hannoveraner Oberstaatsanwalt Landwehr legte am 29. September Revision gegen das Urteil beim Bundesgerichtshof ein, wobei er sich auf die Konditionierung des Einverständnisses von Adenauer berief; die Staatsanwaltschaft wollte die verlangte Zuteilung sämtlicher Kosten an Schmeisser nicht hinnehmen. 133 Vier Wochen später schickte Landwehr seine Begründung nach Berlin. 134 Es sollten wieder Monate vergehen, ehe der Bundesgerichtshof eine Entscheidung fällte. 125 126 127 128 129 130 131 132 133
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dpa-Inf. 1429, 17.10.1955. „Abendpost“ (Frankfurt), 8.11.1955: „Statt Schmeisser kam ein offener Brief“. PPP-Inf., 28.9.1955: „Wer bezahlt?“ PPP-Inf., 19.10.1955: „Zweifel“. PPP-Inf., 24.10.1955: „Sekretärin“. Karl-Heinz Kallenbach, „Der Schmeisser-Prozeß wird noch Folgen haben“, in: „Die Rheinpfalz“ (Ludwigshafen), 29.9.1955. „Bonner Rundschau“, 30.9.1955: „Keine Schadenersatzforderung des ‚Spiegels’“. „Hamburger Echo“, 1.10.1955: „’Spiegel’: Kein Verzicht“. BA, B 141, Bd. 12083, Schreiben Landwehrs an Grützner/Kleinknecht (BMJ), 28.9.1955. Dazu „Hannoversche Allgemeine Zeitung“, 30.9.1955: „Revision im Schmeisser-Prozeß“; „Bonner Rundschau“, 30.9.1955: „Schmeisser-Prozeß geht nach Karlsruhe“; „Bremer Nachrichten“, 30.9.1955: „Revision im Schmeisser-Prozeß“. BA, B 141, Bd. 12083, Wortlaut der Revisionsanträge des Oberstaatsanwalts vom 22.10.1955. Dazu „General-Anzeiger“ (Bonn), 31.10.1955: „Schmeisser-Akten nach Berlin“; „Frankfurter Neue Presse“,
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4) DER FALL SCHMEISSER IM BUNDESTAG (7. DEZEMBER 1955) Das Brodeln in der deutschen Öffentlichkeit zwang die SPD zum Handeln. Am 3. Oktober 1955 legte die SPD eine „Große Anfrage“ über den Fall Schmeisser vor.135 Ihr Inhalt stand in allen Zeitungen der Bundesrepublik. Als Ausgangspunkt nahm die SPD das abrupte Ende des Strafverfahrens gegen Schmeisser. Die erste Frage lautete, ob sich die Bundesregierung über den Vertrauensverlust im klaren sei, den die Rücknahme der Strafanträge hervorgerufen habe. Zweitens wurde nach Motiven Adenauers, Blankenhorns und Reifferscheidts gefragt, sich auf einen Vergleich mit den früheren ausländischen Agenten einzulassen. Als drittes wollte die SPD wissen, warum die Strafanträge vor Klärung der wahren Hintergründe zurückgezogen worden seien. Welche Behauptungen von Schmeisser und vom „Spiegel“ zurückgenommen würden, sei nicht erkennbar. Viertens erkundigte sich die Opposition, weshalb die Kläger auf die eindeutige Feststellung der Wahrheit durch ein Gerichtsurteil verzichtet hätten. Fünftens: Was geschehe mit den Gerichtskosten? Sechstens erkundigte sich die SPD, aus welchem Anlaß die Bundesregierung die künftige Verbreitung der 60.000 Exemplare des „Spiegel“ vom 9. Juli 1952 rechtlich nicht habe unterbinden lassen. Reinhold Maier gehörte zu den wenigen, die eine Erörterung des Falles Schmeisser im Bundestag für „verfrüht“ erachteten. 136 Er verwies auf die ausstehende Revision in der Kostenfrage und den Prozeß gegen Ziebell wegen übler Nachrede; in ein schwebendes Verfahren sollte sich die Politik nicht einmischen. Ursprünglich wollte Adenauer schon am 12. Oktober eine Bundestagsdebatte zum Fall Schmeisser führen und selbst das Wort ergreifen. 137 Diese Ankündigung wurde in Bonn gleichwohl bezweifelt; manche meinten, das ausstehende Ziebell-Verfahren werde als Argument benutzt, die Debatte zu durchkreuzen oder die Antworten knapp zu halten. 138 Adenauer äußerte sich am 1. Oktober 1955 im Parteiausschuß der CDU über den Fall Schmeisser. 139 Er betonte, Ziebell sei der wirkliche Drahtzieher. Das Verfahren gegen ihn sei das eigentlich bedeutsame; es wurde wegen eines Formfehlers vom Schmeisser-Prozeß abgetrennt. Was diesen betreffe, so habe die Bundesregierung nichts davon zu fürchten, aber der wochenlange Presselärm um diese schmutzigen Dinge hätte den feindlich gesinnten Gazetten Stoff zu ausgedehnter Berichterstattung geboten. Er habe Levacher einmal getroffen, wobei nichts Wichtiges erörtert worden sei. Es sei eine „blanke Unwahrheit“, wenn Schmeisser behaupte, die CDU habe Wahlkampfgelder von französischer Seite erbeten. Im Kabinett zeigte sich der Kanzler am 6. Oktober 1955140 entrüstet über den Widerhall des Prozesses in der deutschen Presse – es werde Schmeisser mehr Glauben geschenkt als ihm und Blankenhorn. Er habe dem Bundestagspräsidenten mitgeteilt, er wolle die Anfrage der
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1.11.1955: „Gründe für die Revision im Schmeisser-Prozeß“; „Bremer Nachrichten“, 1.11.1955: „Schmeisser-Akten jetzt in Berlin“. Verhandlungen BT, WP II, Anlagen zu den Sten. Ber., Bd. 37, DS 1733. „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 4.10.1955: „Herwarth erwägt Strafantrag“; „Stuttgarter Nachrichten“, 4.10.1955: „Strafantrag Herwarths angekündigt“; „Süd-Kurier“ (Konstanz), 4.10.1955: „Wer zahlt die Kosten im Schmeisser-Prozeß?“ „Telegraf“ (Berlin), 5.10.1955: „Adenauer antwortet selbst“; „Nürnberger Nachrichten“, 5.10.1955: „Schmeisser-Debatte: 12. Oktober“. PPP-Inf., 5.10.1955: „Schmeisser-Nachlese“; „Rhein-Neckar-Zeitung“ (Heidelberg), 5.10.1955: „Schmeisser-Prozeß im Bundestag“. ACDP, VII-001-020/5, und BA, B 136, Bd. 241, Sitzung des Bundesparteiausschusses, 1.10.1955, Anlage: Ausführungen Adenauers unter TOP „Verschiedenes“ zum Fall Schmeisser. Kabinettsprotokolle, Bd. 8 (1955), S. 547. Schon am 28.9. hatte der Ministerrat über den Ausgang des Prozesses gesprochen. Details wurden im Protokoll nicht festgehalten (ebd., S. 538).
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SPD bald beantworten. Am 11. Oktober wurde die Aussprache im Parlament wegen einer Erkrankung des Kanzlers von der Tagesordnung abgesetzt 141, wie Vizekanzler Blücher am 10. Oktober im Namen des Kanzlers gebeten hatte 142. Da Adenauer Ende Oktober noch nicht genesen war, gab es mit dem Einverständnis der SPD eine weitere Verschiebung. 143 Am 30. November kam es zu der Verabredung, den Termin 7. Dezember zu wählen. 144 Das Kanzleramt bereitete die Beantwortung dieser Anfrage sorgfältig vor. Insgesamt wurden vier Entwürfe ausgearbeitet und in Besprechungen erörtert. 145 Schließlich entschied man sich für eine knapper gefaßte Darlegung, bei der die Werdegänge Schmeissers und Ziebells beträchtlich gekürzt wurden. Für vorhersehbare Fragen aus dem Plenum wurden Antwortentwürfe konzipiert. 146 Maßgeblichen Einfluß auf die Änderungen hatte das BMJ. Dort trug Staatssekretär Walter Strauß zwei Einwände vor: 1) Indem der Entwurf sich zunächst ausführlich mit den Personen von Schmeisser und Ziebell befasse, mißachte er ein zentrales Gebot in Strafprozessen: Wer sich zuerst über die Personalia der Gegenseite auslasse, erwecke den Eindruck der Schwäche. 2) Das BMJ kritisierte darüber hinaus, es sei „gefährlich“, den Kanzler derart ausgiebig über Subjekte wie Schmeisser und Ziebell reden zu lassen. 147 Dies waren überzeugende Aspekte, die von Globke berücksichtigt wurden. 148 Auch das BMI rüstete sich am 11. Oktober für Fragen im Bundestag, die sein Ressort betrafen.149 Am 6. Oktober 1955 wurde dem SPD-Parteivorstand vertraulich mitgeteilt, Globke beabsichtige, aus dem Fall Ziebell-Schmeisser einen „Propagandaschlager gegen die SPD“ zu machen. 150 Ziebell habe ausgesagt, der SPD-Parteivorstand sei für die Wiesbadener Niederschriften verantwortlich. Schmidt habe von John 5.000 DM für die Unterlagen zur eigenen Verwendung haben wollen; John habe das abgelehnt. Adenauers Bereitschaft, bereits am 12. Oktober im Bundestag Rede und Antwort zu stehen, sei aufschlußreich. Tatsächlich hatte das Kanzleramt am 11. Oktober 1955 aus der SPD-Fraktion erfahren 151, Adolf Arndt wolle auf den Eiertanz einer Schmeisser-Rede im Bundestag verzichten. Der damit beauftragte Abgeordnete Heinz Kühn überlegte im Vorfeld sorgfältig, wie er die Sache anfassen sollte, um eine Entgegnung der Bundesregierung zu vermeiden, die das hessische LfV ins Spiel brächte. Er wolle deshalb mehr moralisch als juristisch argumentieren, obwohl er auch auf diesem Feld nicht glaubte, die Regierung in Bedrängnis bringen zu können. Unmittelbar vor der Debatte vom 7. Dezember verlautete von dem „Maulwurf“ 152, die SPD habe sich darauf verständigt, Kühn solle rhetorisch glänzen, inhaltlich aber vage bleiben. Die „Sauberkeit“ des politischen Lebens werde im Zentrum seiner Rede stehen. Man wolle die CDU umso weniger reizen, als die langjährige Mitgliedschaft Schmeissers in der SPD bekannt geworden sei. Carlo Schmid und Arndt sollten für den Fall einer von der CDU herbeigeführten Zuspitzung bereitstehen. Das peinliche Faktum der Parteizugehörigkeit 141
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„General-Anzeiger“ (Bonn), 11.10.1955: „Schmeisser-Debatte soll verschoben werden“; „Kölner StadtAnzeiger“, 11.10.1955: „Kanzler will auf Schmeisser-Anfrage selbst antworten“; „Rheinische Post“ (Düsseldorf), 11.10.1955: „Schmeisser-Erklärung verschoben“. BA, B 136, Bd. 132. „Münchner Merkur“, 26.10.1955: „Schmeisser-Debatte erneut verschoben“; „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 26.10.1955: „Die Schmeisser-Debatte später“. „Die Welt“, 30.11.1955: „Jetzt Schmeisser-Debatte“; „Tagesspiegel“ (Berlin), 30.11.1955: „Adenauer beantwortet Schmeisser-Anfrage“. Material in: BA, B 136, Bd. 132. Ebd., Vermerk Bargatzkys (Abteilungsleiter VI im BMI), Betr.: Fall Schmeisser, 10.10.1955. BA, B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 2, Bl. 53-54, Vermerk Grützners, Geheim, 22.10.1955. Ebd., Bl. 55, Vermerk Maasens, 28.10.1955. Material in: BA, B 106, Bd. 71926. AdsD, NL Heine, Bd. 146, Aufzeichnung, 6.10.1955. BA, B 136, Bd. 241, Betrifft: Schmeisser-Prozess im Bundestag, 11.10.1955. Ebd., Betrifft: SPD und Schmeisser-Debatte, 7.12.1955.
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Der Schmeisser-Prozess - Der Fall Schmeisser im Bundestag ( D b 1955)
Schmeissers wurde dem SPD-Parteivorstand erst am 6. Dezember durch einen Zufall bekannt. 153 Der Vorbericht im „SPD-Pressedienst“ vom 6. Dezember 1955 154 gab die Tonart schon vor, die tags darauf von der SPD angeschlagen wurde: Sanftmut! Kühn begründete am 7. Dezember die „Große Anfrage“ 155 und gerierte sich dabei so maßvoll, wie der Spitzel es prophezeit hatte. Seine Partei verfolge keinerlei propagandistische Absichten und sei geneigt, das Amt des Bundeskanzlers vor Schaden zu bewahren. Keinesfalls wolle sich die SPD mit den „Giftblüten“ aus dem Sumpf des Agentenwesens einlassen und mache sich die Behauptungen Schmeissers nicht zu eigen. Lediglich das abrupte Ende des Prozesses bedürfe der Aufklärung, da die Öffentlichkeit darüber bestürzt sei. Er stellte dann die Fragen der SPD mit Erläuterungen vor und konzentrierte sich ganz auf den Prozeß. Der Spionagefall an sich blieb unerörtert. Kühn appellierte an alle Demokraten, das Vertrauen der Menschen in die staatlichen Institutionen zu schützen. Kühn schlich wie die sprichwörtliche Katze um den heißen Brei herum. Geradezu ängstlich wurde jeder Vorwurf an die Adresse der Bundesregierung vermieden. Es klang plausibel, die Glaubwürdigkeit zentraler Institutionen der Bundesrepublik Deutschland ohne Ansehen der Parteizugehörigkeit zu verteidigen. Allein, ganz so nobel waren die Motive der SPD nicht. Wer die Zusammenhänge kannte, wußte um bedenkliche Verstrickungen führender Sozialdemokraten, die nicht publik werden sollten. Insgeheim wurde der CDU/CSU ein „Gentlemen’s Agreement“ angeboten: Keiner attackiere die Schwachpunkte des anderen beim Fall Schmeisser! Schon die Wahl des damals unbekannten Heinz Kühn zum Sprecher signalisierte, daß die SPD die Angelegenheit nicht allzu hoch hängen wollte. Adenauer bemerkte das natürlich. In seiner Antwort 156 überrumpelte er die Opposition zunächst mit dem Hinweis, wenn die SPD ihm einen Brief geschrieben hätte, müßte das peinliche Thema nicht vor aller Öffentlichkeit behandelt werden. Er griff dann einige launige Bemerkungen Kühns über sachfremde Aspekte auf, womit beide Redner einen Teil der Zeit ausfüllten. Er schilderte die Entwicklung der Strafverfahren und betonte, Ziebell sei die eigentliche Schlüsselfigur. Der Prozeß gegen ihn schwebe noch. Schmeisser und der „Spiegel“ erklärten zu Prozeßbeginn, beleidigende Absichten hätten ihnen fern gelegen. Das habe er akzeptiert unter der Voraussetzung der Kostenübernahme. Die verfahrenstechnischen Fragen standen im Mittelpunkt seiner Rede. Adenauer beschäftigte sich dann kurz mit den einzelnen Vorwürfen, die der „Spiegel“ am 9. Juli 1952 erhoben hatte. Er leugnete die Kontakte zwischen Blankenhorn und Schmeisser nicht, sah darin aber für die damalige Zeit nichts Außergewöhnliches. Dies gelte auch für die Bezahlung von Material im Kampf gegen den Kommunismus. Was sei im übrigen dabei, wenn Schmeisser Blankenhorn einige Süßigkeiten als Dank für seine Bewirtung mitgebracht habe? Ansonsten handele es sich um „verleumderische Behauptungen“. Der Kanzler befaßte sich im folgenden knapp mit dem Werdegang Schmeissers und Ziebells, deren Zwielichtigkeit seinen Zuhörern nicht verborgen bleiben konnte. Er vergaß nicht das hessische LfV zu nennen, bei dem sie gearbeitet hätten. Seine Anspielungen auf die Bedeutung Ziebells und die Verwicklung des LfV Wiesbaden konnte man als leise Drohung verstehen, konkreter zu werden, falls die SPD weiter in der Wunde „Blankenhorn“ zu bohren gedachte. Als Adenauer den Akzent auf die Person Ziebells verlagerte, mißfiel dies der SPD ersichtlich. 153 154 155 156
Ebd., Betrifft: Schmeisser-Debatte, 10.12.1955. „SPD-Pressedienst“, 6.12.1955: „Im Interesse der Demokratie“. Verhandlungen BT, Sten. Ber., Bd. 27, S. 6202-6204. Wiederabdruck der Debatte mit kommentierenden Bemerkungen in: „Der Spiegel“, Nr. 51/1955, 14.12., S. 11-16: „Schmeisser-Debatte: Ziebell nach vorn“. Verhandlungen BT, Sten. Ber., Bd. 27, S. 6204-6208.
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Kurz darauf beschloß der Parteivorstand, Schmeisser rasch aus der SPD auszuschließen und mit Ziebell analog zu verfahren, falls er tatsächlich Mitglied in Hessen sein sollte. 157 Heines Mitarbeiter Ortloff hatte bereits am 17. Juli 1952 von Zinnkann erfahren, daß Ziebell bei internen Parteistreitigkeiten der SPD in Hessen mitmischte. 158 Der „SPD-Pressedienst“ wollte die Erklärung Adenauers im nachhinein als „unbefriedigend“ bewerten. 159 Gerade dann hätte es doch eine Debatte geben müssen! Das erneut bemühte Argument, es sei der SPD in dieser unappetitlichen Sache nicht um Propaganda zu tun, war für eine politische Partei nun wirklich zu bieder. Prinzipiell hatte die SPD mit der ganz auf den Prozeß fixierten „Großen Anfrage“ eine Steilvorlage gegeben, die der Kanzler gerne aufnahm. Es war schon erstaunlich: Vor wenigen Wochen hatte fast die gesamte deutsche Presse das abrupte Ende des Schmeisser-Prozesses gebrandmarkt und Vertuschung geargwöhnt. Und was geschah nun? Eine handzahme SPD vermied jeden Vorwurf an Adenauer und erweckte den Eindruck bloßer Pflichterfüllung. Der Kanzler legte eine erstaunliche Chuzpe an den Tag und drängte die brave Opposition gar in die Defensive. Als er geendet hatte, erhob kein Redner die Hand zu einem weiteren Beitrag. Die Debatte war vorbei. Ein Ruhmesblatt der deutschen Parlamentsgeschichte stellt sie schwerlich dar. Der harmonische Ablauf dieser Bundestagssitzung entging den Beobachtern nicht. Manche wunderten sich über das Erscheinungsbild der SPD und ahnten, die SPD habe in dieser Sache einiges zu verbergen. 160 Inzwischen schien ein Großteil der Zeitungen sich damit abgefunden zu haben, daß die Schmeisser-Affäre unaufgeklärt bleiben würde, oder gab sich gleichmütig in Anbetracht dieser Episode aus der versunkenen Besatzungszeit. 161 Die salbungsvolle Suada Kühns mochte zu dieser Stimmung beigetragen haben. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ wollte sich aber mit der verbreiteten Schlußstrich-Mentalität nicht anfreunden. Unter Anspielung auf den Aufwand, den alle Seiten jahrelang getrieben hatten, fand sie die Aufarbeitung im Parlament jämmerlich und nannte sie „ein recht ärmliches Leichenbegängnis“. 162 Augstein spottete über den Geist, der bei dieser Parlamentssitzung waltete, ärgerte sich freilich über die Stigmatisierung Ziebells. 163 Obwohl seinerzeit vereinbart worden sei, Ziebell eine ähnliche Einigung anzubieten, werde er nun zum „eigentlichen Drahtzieher“ stilisiert. Könne man in der Bundesrepublik eine Affäre nicht „mit Anstand zu Ende bringen“? Dabei war sie noch gar nicht zu Ende. 5) JURISTISCHES NACHSPIEL (1955-1958) Im Jahre 1955 demonstrierte Risse eine ganz andere Gesinnung als 1950, sieht man von der Fortdauer seines Antikommunismus ab. Am 28. September 1955 wandte sich Risse anläßlich 157 158 159 160
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BA, B 136, Bd. 241, Betrifft: PV-Sitzung vom 16. Dezember 1955, 21.12.1955. AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 3528D, Ortloff, Aktennotiz für Heine, 17.7.1952. „SPD-Pressedienst“, 8.12.1955: „Unbefriedigend“. „Abendpost“ (Frankfurt), 8.12.1955: „Kanzler-Wink mit dem Zaunpfahl: ‚Ziebell ist die Hauptperson’“; „Hamburger Anzeiger“, 8.12.1955: „Schmeisser – Ziebell“; „Stuttgarter Zeitung“, 8.12.1955: „Vieles bleibt dunkel“; „Westdeutsches Tageblatt“ (Dortmund), 10.12.1955: „Schmeisser und kein Ende“. „General-Anzeiger“ (Bonn), 8.12.1955: „Zu den Akten“; „Kieler Nachrichten“, 8.12.1955: „Der Fall Schmeisser“; „Kölnische Rundschau“, 8.12.1955: „Keine Wortmeldung“; Heinz Winkler, „’Fall Schmeisser’ erledigt?“, in: „Rhein-Neckar-Zeitung“, 8.12.1955; Gerd Schrörs, „Eine Stunde war genug für Schmeisser“, in: „Trierischer Volksfreund“, 8.12.1955; „Die Welt“, 8.12.1955: „Schmeisser“. „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 9.12.1955: „Leichenbegängnis“. Die „Süddeutsche Zeitung“ sprach spöttisch von „Adventfrieden“(„Süddeutsche Zeitung“, 8.12.1955: „Der ‚uninteressante’ Herr Schmeisser“). „Der Spiegel“, Nr. 51/1955, 14.12., S. 8: Augstein an Spiegelleser.
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des soeben „geplatzten“ Schmeisser-Prozesses brieflich an Globke. 164 Er wollte sich in Erinnerung bringen. Vor einiger Zeit habe er Dr. Martin ein Exposé über den Fall Schmeisser zur Weiterleitung an ihn (Globke) übergeben. Die vorgesehene Hilfestellung für den Prozeß habe sich durch dessen „glücklichen Ausgang“ erledigt. Dr. Martin habe wissen lassen, Dahs wolle auf ihn (Risse) zurückgreifen. Da er vergeblich auf Nachricht gewartet habe, richtete er am 26. September um 21 Uhr ein Telegramm an Dahs mit der Frage, ob er zum Prozeß nach Hannover reisen solle. Risse wies auf sein Exposé hin. Sofern Globke es verwenden wolle, stehe er jederzeit zur Verfügung. Er könne auf Wunsch auch eine präzise Darstellung der politischen Hintergründe und der Vorgeschichte des Falles Schmeisser anfertigen. Dr. Martin hatte Risse auf einer Postkarte vom 21. September aus Bonn mitgeteilt, der Prozeß finde statt und Risses Teilnahme sei erwünscht. Er werde kurzfristig benachrichtigt, wann er aufbrechen solle. Der Prozeß dürfte mindestens drei Wochen dauern. In seinem „Politische[n] Exposé“ legte Risse dar, es handele sich um einen „Staatsstreich gegen die Bundesregierung“. Zum größten Teil habe die SPD Regie geführt. Die Intrige sei insbesondere über die hessische SPD gelaufen, und zwar mit Unterstützung des BMG „und sonstiger mißbrauchter Beamter“. Zu klären wäre, wodurch es Ziebell gelang, eine führende Position im hessischen LfV zu erringen. Welche Rolle spielte dabei Ministerialdirektor Schuster, der die Aufsicht über das LfV führte? Es erscheine bemerkenswert, daß ein Mann wie Ziebell einen solchen Posten bekleiden konnte. Auch das Verhalten von Otto John müsse geprüft werden. Wer gab Zinn die Unterlagen über den BDJ mit ihren falschen Angaben? Untersuche man diese Aspekte, stoße man auf Fäden, die nach Paris und Moskau liefen. Deshalb sollten einige personelle Umbesetzungen ins Auge gefaßt werden. Nicht zuletzt müßte man den Nachweis versuchen, daß der SPD-Parteivorstand die Bundesregierung auf diesem Weg stürzen wollte. Risse hatte seine engen Beziehungen zum verstorbenen Willy Knothe oder seine eigenen Bindungen an die SPD offenbar verdrängt. Der verblüffende Ausgang des Verfahrens in Hannover beraubte Risse seiner Rolle, die er sich vorgenommen haben dürfte: Geriet die Bundesregierung nämlich in die Bredouille, konnte er ein wichtiger Entlastungszeuge werden, dessen Dienste entsprechend zu würdigen waren. Er ging deshalb in die Offensive und bot dem Kanzleramt sein Wissen zur propagandistischen Verwendung an. Dort brauchte man den undurchsichtigen und möglicherweise kostspieligen Helfer aber nicht mehr. Abicht erklärte Risse nämlich in einem distanziert gehaltenen Schreiben vom 21. Oktober 1955, die Publizierung eines Exposés sei unnötig. Die von Risse benannte Kontaktperson, Dr. Martin, sei Globke unbekannt. Dieses Dementi ist freilich anfechtbar, denn ähnlich wie 1951 im Falle Lenz-Strasser konnte das Kanzleramt Verbindungen dieser Art nicht offen einräumen. So publizierte Risse alias Hover 1956 eine ausführliche Schilderung der Schmeisser-Affäre in der uns vertrauten Broschüre. 165 Weitere juristische Verwicklungen blieben dennoch nicht aus. Sie sind freilich eher von rechtsgeschichtlichem Interesse und sollen daher nur kurz zusammengefaßt werden. 166 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hob das Urteil des Landgerichts Hannover am 28. März 1956 wegen formaler Rechtsirrtümer auf. 167 Zur allgemeinen Verblüffung begründete der Bun-
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BA, B 136, Bd. 132 (auch für das Folgende). Vgl. Kap. VIII.5c. Dazu auch Tauber, Beyond Eagle und Swastika, S. 569f., 1245 (Anm. 450). Umfangreiches Material in: BA, B 136, Bd. 241 und Bd. 242; BA, B 141, Bd. 12083, und ebd., AZ 4023 E (1), Bd. 2, Bl. 65-73. Wortlaut in: BA, B 136, Bd. 241, B 106, Bd. 71926 und Bd. 202114, und B 141, Bd. 12083. Abdruck in: Entscheidungen des Bundesgerichtshofes, Bd. 9, Nr. 43, S. 149-160. Dazu „Der Tagesspiegel“ (Berlin), 29.3.1956: „Schmeisser-Prozeß wird neu aufgerollt“; „Der Mittag“ (Düsseldorf), 29.3.1956: „Schmeisser-
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desgerichtshof dies damit, daß Dahs die ihm von Adenauer erteilten Vollmachten überschritten habe, da er zunächst von einer bedingungslosen Rücknahme der Strafanträge gesprochen und dies erst später korrigiert habe. Augstein spottete auf seiner „Spiegel“-Seite: „Bei Gott und den deutschen Richtern ist kein Ding unmöglich“; genüßlich zerpflückte er diese eigenwillige Entscheidung. 168 Was Augstein unerwähnt ließ: Er legte Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe ein 169, die am 2. Oktober 1956 als offensichtlich unbegründet verworfen wurde 170. Das sich in der Folgezeit entwickelnde prozessuale Hin und Her um die Verteilung der Kosten, den Verbleib der Nebenkläger Blankenhorn und Reifferscheidt im Verfahren und die Rechtsgültigkeit der damaligen Rücknahmeerklärung des Strafantrags durch Dahs wurde immer undurchsichtiger. Inzwischen war Augstein der Sache überdrüssig, weil Schmeisser und Ziebell als dubiose Persönlichkeiten notorisch waren und das formaljuristische Gerangel die Auslagen in die Höhe trieb. Eine Aufklärung der Hintergründe erschien nach der Verständigung vom 27. September 1955 fast undenkbar. Dahs spürte die Schwäche des Gegners und wollte eine inhaltliche Rücknahme der Behauptungen Schmeissers erreichen. Doch auch Dahs hatte Probleme, etwa mit der Unlust Reifferscheidts, die Sache fortzusetzen und eigene Reisekosten zu tragen sowie Honorarforderungen von Dahs zu erfüllen. Er habe die Anzeige auf eine dienstliche Anweisung hin erstattet. 171 Nach intensiven Verhandlungen zwischen den Anwälten und dem bemerkenswerten Zugeständnis Augsteins, auch die Honorare von Dahs zu übernehmen (lediglich Blankenhorn verzichtete auf Erstattung seiner Auslagen), gelang im Herbst 1957 eine Einigung. Dazu gehörte das Bemühen um geringe Publizität. Inhaltlich wurde der Fall nicht neu aufgerollt. Im Urteil vom 14. November 1957 172 stützte sich die 3. Strafkammer des Landgerichts Hannover – der jetzt Landgerichtsdirektor Dr. Lieder vorsaß – auf die Vereinbarungen der Prozeßparteien. Die vom Bundesgerichtshof gerügte Kostenübernahme für das gesamte Verfahren durch Schmeisser wurde insofern geändert, als auch die Angeklagten Mans, Jaene und Augstein ihren Anteil selbst zu begleichen hatten. Nichtsdestoweniger überwies das Kanzleramt im Mai 1958 noch 12.000 DM an Dahs. 173 Die Einstellung des Schmeisser-Prozesses wurde in zahlreichen Presseorganen gemeldet 174, doch nur wenige knüpften tendenziell kritische Kommentare an den längst in Vergessenheit geratenen Fall 175. Die SPD vergoß vorsichtshalber Krokodilstränen über die bedauerlicherweise ausgebliebene Aufklärung der Schmeisser-Affäre. 176 Die abgetrennte Klage gegen Ziebell wurde ebenfalls in den „Deal“ einbezogen. 177 Ziebell gab eine Erklärung ab, in der er seine „ehrenrührigen“ Anschuldigungen zurücknahm und sie auf falsche Angaben anderer Personen zurückführte. Der Wortlaut sollte nur dann publiziert
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Prozeß in neuer Auflage“; „Westdeutsche Allgemeine“ (Essen), 29.3.1956: „Schmeisser-Prozeß muß neu verhandelt werden“. „Der Spiegel“, Nr. 14/1956, 4.4., S. 11: Augstein an Spiegelleser. „Wiesbadener Kurier“, 15.8.1956: „Schmeisser-Affäre erlebt unerwünschte Urständ“. „Kölnische Rundschau“, 26.10.1956: „Spiegelklage verworfen“. BA, B 136, Bd. 50385, Bl. 132-136, Bericht Reifferscheidts an AA, Nr. 118/57 VS-Vertr., 19.2.1957, mit Anlage: „Betr.: Prozeß gegen Schmeisser u.a.“. Wortlaut in: BA, B 136, Bd. 242; BA, B 141, Bd. 12083. BA, B 136, Bd. 242, Hs. Notiz, 17.5.1958. „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 26.11.1957: „Der Schmeißer-Prozeß eingestellt“; „Die Welt“, 26.11.1957: „’Schmeißer-Prozeß’ eingestellt“; „Hannoversche Allgemeine Zeitung“, 26.11.1957: „’Schmeißer-Prozeß’ eingestellt“; Karl-Heinz Kallenbach, „Die Agentenberichte stimmten nicht“, in: „Bremer Nachrichten“, 26.11.1957. „Der Mittag“ (Düsseldorf), 26.11.1957: „Schmeißer-Prozeß blieb ungeklärt“; „Rhein-Zeitung“ (Koblenz), 27.11.1957: „Das ‚Schmeisser’-Ende“. „SPD-Pressedienst“, 26.11.1957: „Ein Prozeß, der keine Klärung brachte“. Etwas dezidierter: „Vorwärts“, 29.11.1957: „Affäre Adenauer-Schmeisser wird nicht aufgeklärt“. Material in: BA, B 136, Bd. 242.
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werden, falls politische Gründe dies erforderlich machten. Ziebell mußte die Gerichtsauslagen übernehmen, soweit Schmeisser und die Redakteure des „Spiegel“ sie nicht zu tragen hatten. Dafür zog Adenauer seinen Strafantrag zurück. Das über diese Vereinbarung orientierte Landgericht Hannover fällte am 28. Dezember 1957 durch seine 3. Strafkammer einen Beschluß, der die Absprache sanktionierte. 178 Das Kanzleramt hatte sogar erwogen, mit der Gegenseite zu verabreden, die Anzeige gegen Ziebell wegen eines Formfehlers „stillschweigend“ ohne Gerichtsurteil aus der Welt zu schaffen. Dagegen hatte sich das Landgericht Hannover gesträubt. Die Aufmerksamkeit der Presse war inzwischen gering 179, wenngleich die SPD es für inopportun hielt, gänzlich darüber hinwegzugehen 180. Am 12. Februar 1958 mußte im Bundestag eine Anfrage des FDP-Abgeordneten Ewald Bucher beantwortet werden. 181 Dabei zitierte Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard – der Adenauer vertrat – den Wortlaut der Ehrenerklärung Ziebells, nach dem der Fragesteller sich ausdrücklich erkundigt hatte. Bucher ließ durchblicken, daß die bloße Zurücknahme ohne Klärung der sachlichen Zusammenhänge unzureichend erscheine, doch Erhard entgegnete, Ziebell habe einen klaren Widerruf ausgesprochen. Das Kanzleramt sah die wörtliche Wiedergabe als unumgänglich an und berief sich auf die seinerzeit beschworenen „politischen Notwendigkeiten“, obwohl Rechtsanwalt Augstein die kritische Einstellung seines Bruders zu diesem Schritt schon im Vorfeld nicht verhehlt hatte. Daraufhin weigerte sich der Verleger, die Verfassungsbeschwerde von 1952 gegen die Beschlagnahmung des „Spiegel“ zurückzunehmen. Was war daraus geworden? Eine Gesprächsrunde beim „Spiegel“ von Redakteuren, Prozeßbeteiligten und Rechtsanwälten hatte am 11. Mai 1953 beschlossen, die Verfassungsklage zu beschleunigen. 182 Man berief sich dabei auch auf die Stellungnahme des Verfassungsrichters Günther Willms. Dies veranlaßte Grützner, in Karlsruhe nachzufragen. 183 Willms bestritt, mit einem Vertreter des „Spiegel“ gesprochen zu haben. Eine Terminangabe habe der „Spiegel“ gewiß nicht bekommen. Willms meinte vertraulich, es sei zweifelhaft, ob es überhaupt zu einer Verhandlung käme. Tatsächlich blieb die Klage beim Bundesverfassungsgericht liegen. Sie wurde im Herbst 1957 Bestandteil der Einigung zwischen den Prozeßparteien und sollte zurückgenommen werden. 184 Augstein drohte wegen der Bekanntgabe des Wortlauts der Ehrenerklärung Ziebells im März 1958 mit der Fortführung des Verfahrens, doch es scheint nicht dazu gekommen zu sein. Das Kanzleramt holte den unerledigten Vorgang bis Juli 1959 noch mehrmals aus dem Regal, ehe die Akte in den Aufbewahrungsschrank wanderte. 185 Die 1952 eingereichte Verfassungsbeschwerde wurde in Karlsruhe nicht behandelt. Die Schmeisser-Affäre war nun auch juristisch überwunden.
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Wortlaut in: Ebd.; BA, B 141, Bd. 12083. „Hannoversche Allgemeine Zeitung“, 7.1.1958: „Schmeisser-Prozeß zu den Akten“; „Stuttgarter Zeitung“, 8.1.1958: „Schmeisser-Prozeß beendet“. Die SPD beanstandete in ihrem internen Nachrichtendienst PPP die Geheimhaltung der Ehrenerklärung (PPP, 8.1.1958: „Ehrenerklärung vorerst geheim“; PPP, 15.1.1958: „Geheim-Ehre des Bundeskanzlers“). Im „SPD-Pressedienst“ vom 7.1.1958 wurde unter dem Titel „Die Geschichte eines Prozesses, der nicht stattfand“ lediglich der Verlauf der Schmeisser-Affäre anhand von Zeitungsmeldungen rekonstruiert. Verhandlungen BT, Sten. Ber., Bd. 39, S. 427f. BA, B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 107-110, Geheim, Betrifft: Besuch bei Konrad Schmeisser am 14. und 15. Mai 1953 in München, hier: Bl. 109-110. Ebd., Bl. 115, Vermerk Grützners, Vertraulich, 10.6.1953. Material in: BA, B 136, Bd. 242. Ebd., Hs. Wiedervorlagenotizen vom 26.2., 9.3. und 2.7.1959.
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XI. DAS SCHICKSAL DER BETEILIGTEN NACH ENDE DER SCHMEISSER-AFFÄRE 1) DIE AGENTEN Ziebell versuchte Anfang 1955 einen neuen Betrug. Er wollte den Besitzer einer pharmazeutischen Fabrik in Bissendorf bei Hannover durch Versprechungen einer Umsatzverdoppelung zu einer Geschäftspartnerschaft und zu einer Grundstücksspekulation überreden, zu der er selbst nur einen kleinen Betrag beizusteuern gedachte. Der Fabrikbesitzer bemerkte die Falle noch rechtzeitig und informierte am 8. Dezember 1955 das Kanzleramt über die Angelegenheit, weil er von Ziebells Verwicklung in den Schmeisser-Prozeß erfuhr. 1 Im Juni 1964 begann ein großer Betrugsprozeß vor dem Landgericht Karlsruhe. 2 Dabei wurde über die Delikte verhandelt, die Ziebell nach dem vermutlichen Ende seiner „Spionagelaufbahn“ begangen hatte: Er erwarb im Herbst 1955 eine Feinkostfirma im badischen Ettlingen. In den folgenden Jahren baute er in Verbindung damit drei Gesellschaften auf, in denen er Vertrauensleute plazierte. Er soll aus dem Gesellschaftsvermögen mindestens 100.000 DM entnommen und zudem für seine privaten Steuern Vorteile aus dem Gesamtkapital abgeschöpft haben. Durch eine verschleierte Buchführung tarnte er diese Praktiken. Im Sommer 1961 ging sein Konzern pleite. Bei dem Konkurs war für die Gläubiger nichts zu holen, da Ziebell rechtzeitig die vorhandenen Mittel jedem Zugriff entzogen hatte. Trotz des Bankrotts kaufte er weiter Waren und veräußerte sie. Der Schuldenstand belief sich schließlich auf 3,9 Mio. DM, von denen nur ein Bruchteil durch Liquidierung von Effekten beglichen werden konnte. Schon seit Februar 1962 saß Ziebell in Untersuchungshaft. Im gleichen Prozeß ging es um unberechtigte Führung des Doktortitels. 3 Ziebell gab an, eine amerikanische Universität habe ihn zum Doktor h.c. ernannt. Insgesamt enthielt die Anklageschrift 41 Punkte. Im Landgericht Karlsruhe wurde Mitte Juli 1964 ein Schreiben des hessischen Innenministers verlesen, in dem Ziebell als bezahlter V-Mann des LfV Hessen in den Jahren 1951/52 bezeichnet wurde. 4 Ziebell wehrte sich vehement dagegen: Er sei kein V-Mann des LfV gewesen, sondern habe lediglich gute Beziehungen zu gewissen Personen dieses Amtes unterhalten. Geldzahlungen habe er an Schmeisser weitergegeben. Ziebell sagte hier die Wahrheit: Seine Rolle beim LfV Wiesbaden war die eines „Freundes“ von Paul Schmidt, der ihm alle Freiheiten gewährte. Ende Juli 1964 verurteilte das Landgericht Karlsruhe Ziebell zu einer Zuchthausstrafe von fünfeinhalb Jahren u.a. wegen Betrug und betrügerischem Bankrott. 5 Während der Untersuchungshaft traf Ziebell den überführten „Maulwurf“ des KGB beim BND, Heinz Felfe6. Felfes Verrat war der schwerwiegenste in der Geschichte des deutschen Nachrichtenwesens, denn er enttarnte viele Informanten des BND in Osteuropa. Ziebell half Felfe, chiffrierte Briefe aus dem Karlsruher Gefängnis an Deckadressen des KGB in der Bundesrepublik zu
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BA, B 136, Bd. 241, Schreiben von H.K an Kanzleramt, 8.12.1955, mit Anlage. „Stuttgarter Zeitung“, 5.6.1964: „Es geht um 3 Millionen Mark“. Vgl. Kap. II.1b. „Stuttgarter Zeitung“, 15.7.1964: „Ziebell ist V-Mann gewesen“. „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 31.7.1964: „Ziebell ins Zuchthaus“. Zu Felfe: Henkel, Was treibt den Spion?, S. 197-214; Wagner, SS-Männer; Zolling/Höhne, Pullach intern, Kap. 13; Bailey/Kondraschow/Murphy, Front, S. 336-349; Höhne, Krieg, S. 546-549; Hagen, Krieg, S. 5573; Jentsch, Agenten, S. 159-164; Roewer/Schäfer/Uhl, Lexikon, S. 139. Autobiographie: Felfe, Dienst. Insgesamt zu den Auslandsoperationen des KGB im Kalten Krieg: Gordiewski/Andrew, KGB, Kap. 10.
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senden. 7 Sie planten gemeinsam ihre Flucht, die aber mißlang. Danach verliert sich Ziebells Spur. Was wurde aus Hans-Konrad Schmeisser? Im Unterschied zu Ziebell bemühte er sich ernsthaft, seine kriminelle Vergangenheit zu überwinden. Er bestand 1957 an der Universität Erlangen das juristische Examen und promovierte 1959 zum Doktor der Rechte mit einer Arbeit über „Die Monopolstellung des Fernsehens im Rahmen der Daseinsvorsorge des Staates mit Rechtsvergleichen zu den europäischen Nachbarländern“. 8 Schmeisser starb am 31. Januar 1966 im Alter von 47 Jahren in Pinneberg. 9 Paul Schmidt verzehrte ungestört seine Pension, wechselte aber mehrfach seinen Altersruhesitz: Er behielt seine Wohnung in Bad Wiessee auch während seiner Tätigkeit in Hessen und ließ sich nach deren Beendigung 1953 dort nieder. Im Jahre 1969 verzog er nach Geretsried. 10 Dort blieb er nicht lange, denn er starb am 22. März 1973 in Wolfratshausen bei München. 11 Fast gleichzeitig, am 7. Juni 1973, machte sein alter Freund Friedrich Victor Risse in München seinen letzten Atemzug. 12 Er führte dort die Berufsbezeichnung „Journalist und Verleger“. Im von ihm betriebenen „Alarm“-Verlag in der Münchner Gewürzmühlstraße hatte er dem gewählten Namen alle Ehre gemacht. 13 Inzwischen spürte er besonders den kommunistischen Einflüssen in Algerien und in Afrika allgemein nach. Ewald Nathan Zweig spann auch später wieder Intrigen. Wohl anläßlich der „Affaire des Généraux“ siedelte der 1899 geborene Berliner im Juli 1950 von Paris nach Frankfurt a.M. über, um in der dortigen Spionageszene mitzumischen. 14 Er lebte bis Oktober 1961 in der Mainmetropole (Mendelssohnstraße bzw. ab 1954 Kettenhofweg) und wanderte dann nach München ab. Sein neues Betätigungsfeld lag an der Isar: Als Ende der 1950er Jahre in München die Konzessionen für bayerische Spielbanken für Aufregung sorgten, wußte Zweig nicht bloß als Journalist der „Abendzeitung“ gut darüber Bescheid. Vielmehr war er befreundet mit dem CSU-Politiker Friedrich Zimmermann und beteiligte sich an Hintertreppenaktionen im Kontext eines Meineidsverfahrens gegen den BP-Vorsitzenden Baumgartner. 15 Bald darauf wirkte er bei der „Fibag“-Affäre mit, die sich um Korruption bei Kasernenbauten für US-Truppen drehte. Offenbar denunzierte er seinen Chefredakteur Hans Kapfinger (Zeitschrift „aktuell“) beim Bundesverteidigungsministerium, was dieser erfuhr und den Ränkeschmied entließ. 16 In München hatte Zweig schon seit dem 1. April 1958 einen Wohnsitz in der Kunigundenstraße, ehe er am 15. November 1960 in die Königinstraße verzog. Dort starb er am 8. Oktober 1967. 17 An Aloys Masloh erinnerte sich das BMG noch einmal im Jahr 1968. 18 Es blickte auf dessen frühere Aktivitäten zurück. Was tat er seit 1954? Er war zum damaligen Zeitpunkt Oberverwaltungsrat bei der Arbeitskammer, die er 1951 mitbegründet hatte und für die er 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
Hagen, Krieg, S. 56-59; Henkel, Was treibt den Spion?, S. 209. Hagen weiß freilich nicht, daß Ziebell weit mehr war als ein „Mayonnaisefabrikant“. „Zeitungs-Verlag und Zeitschriften-Verlag“, 1.4.1958: „Doktorarbeit über die umstrittene Monopolstellung des Rundfunks“. Munzinger-Archiv, 2.7.1966: „Hans-Konrad Schmeisser“. Freundliche Auskunft der Gemeindeverwaltung Bad Wiessee am 28.3.2006. Freundliche Auskunft der Friedhofsverwaltung Geretsried am 13.4.2006 nach Vermittlung der Gemeindearchivarin, Frau Claudia Goetz. Freundliche Auskunft von Herrn Archivamtsrat Anton Löffelmeier, Stadtarchiv München, am 23.8.2006. Material in: AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 2468. Freundliche Auskunft von Herrn Rainer M. Orell, Bürgeramt Frankfurt a.M., am 31.10.2006 (auch für das Folgende). „Der Spiegel“, Nr. 6/1960, 3.2., S. 32-34: „Bayern: Weiße Manschetten“. AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 3557, PPP, 19. und 21.2.1962. Freundliche Auskunft von Herrn Archivamtsrat Anton Löffelmeier, Stadtarchiv München, am 15.11.2006. BA, B 137, Bd. 3439, Vermerk, 23.1.1968.
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1955 bis 1958 Schulungskurse durchführte. Nach der Rückgliederung der Saar trat er aus politischen Gründen auf eigenen Wunsch in den Ruhestand. Er wurde Geschäftsführer der Verbraucherzentrale des Saarlandes. 1968 schlug er vor, den Lebenszuschnitt west- und ostdeutscher Familien zu vergleichen und die DDR zu einer geplanten Ausstellung nach Saarbrücken einzuladen. Da das BMG von den früheren Ostkontakten Maslohs wußte, schaltete es die Vertretung des Saarlandes beim Bund ein. Diese riet, das BfV zu konsultieren. Die Akten verraten nicht, ob das geschah. Masloh starb am 23. Januar 1992. In einer Erinnerungsanzeige der „Saarbrücker Zeitung“ vom 23. Januar 1997 19 wurde er gar als „Kabinettschef des Innenministers des Saarlandes“ tituliert. Über Herbert Blankenhorn ist naturgemäß weit mehr bekannt als über die Männer im Halbdunkel. 2) HERBERT BLANKENHORN a) Das deutsch-israelische Wiedergutmachungsabkommen Die diplomatische Karriere von Herbert Blankenhorn ging weiter und führte ihn als Botschafter nach Paris, London und Rom. 20 Dies verblüfft insofern, als neben der SchmeisserAffäre noch ein zweiter Skandal seinen Ruf beeinträchtigte: der im „Schilumim“ (Entschädigungszahlungen an Israel) wurzelnde Fall Strack. Die Zusammenhänge sollen kurz skizziert werden. 21 Am 10. September 1952 wurde in Luxemburg das deutsch-israelische Wiedergutmachungsabkommen unterzeichnet. 22 Blankenhorn hatte durch ein Gespräch mit dem israelischen Unterhändler Noah Barou in London im März 1951 auf Anordnung Adenauers den ersten Schritt getan. 23 Es mußten jedoch zahlreiche Hindernisse aus dem Weg geräumt werden, allen voran der Widerstand von Finanzminister Fritz Schäffer und Franz Josef Strauß, die exorbitante Belastungen des damals noch überschaubaren Bundeshaushalts argwöhnten. Außenpolitisch drohte eine Verschlechterung des Verhältnisses zur arabischen Welt, die mit Israel verfeindet war; dies konnte für den Handel zwischen der Bundesrepublik und der Levante gravierende Auswirkungen haben. 24 Nichtsdestoweniger darf das Luxemburger Abkommen als eine der großen Leistungen Adenauers und als Meilenstein auf dem dornigen Weg der Aussöhnung zwischen den Juden und dem deutschen Volk schon wenige Jahre nach dem Holocaust gelten. 25 Ein gewisser August Hoppe aus Köln-Lindenthal versorgte den ihm persönlich bekannten Vizekanzler Franz Blücher am 19. Dezember 1952 mit Informationen aus arabischen Kreisen 19
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Freundliche Mitteilung von Herrn Klaus Altmeyer (Lebach) am 13.4.2007. Neben diesem Beitrag der „Saarbrücker Zeitung“ verweist er auch auf einen Nachruf der Arbeitskammer in der Ausgabe vom 29.1.1992. Masloh wurde als „Verlagsdirektor“ bezeichnet, da er eine Zeitschrift über die Ausstellung „Welt der Familie“ herausgab. Vgl. Kap. V.1a. Der Verfasser bereitet eine ausführliche Studie über die Affäre Strack-Hertslet vor. Dazu u.a. Hansen, Schatten, Kap. B; Jelinek, Deutschland und Israel, Kap. V und VI; Weingardt, Deutsche Israel- und Nahostpolitik, S. 72-105; von Jena, Versöhnung; Sagi, Wiedergutmachung; Theis, Wiedergutmachung; Goschler, Wiedergutmachung, Kap. IV; Pawlita, „Wiedergutmachung“, S. 269-289; Goldmann, Leben, Kap. 18; Shinnar, Bericht, S. 20-69; Blankenhorn, Verständnis, S. 138-142. Bilanz der Wiedergutmachungsleistungen insgesamt: Hockerts, Wiedergutmachung. Sagi, Wiedergutmachung, S. 74; Theis, Wiedergutmachung, S. 125. Berggötz, Nahostpolitik, Kap. A.III; Hansen, Schatten, S. 289-328; Jelinek, Deutschland und Israel, Kap. VI; Theis, Wiedergutmachung, S. 236-240. Goldmann, Leben, S. 386f., 417-425; Shinnar, Bericht; Küsters (Hrsg.), Adenauer, Israel und das Judentum.
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über die Rolle Blankenhorns bei diesem Vertrag. 26 Der syrische Gesandtschaftsrat in Bonn, Mamoun Hamui, berichtete vom Verlauf eines Gespräches zwischen Hallstein und dem amerikanischen Hohen Kommissar Walter J. Donnelly, in dem letzterer sich sehr zurückhaltend gezeigt habe. 27 Arabische Beobachter folgerten, es gebe keinerlei offiziellen Druck der USRegierung auf Bonn, ein Abkommen mit Israel zu schließen. Nach arabischer Auffassung wären die Vereinigten Staaten sehr daran interessiert, den Konflikt zwischen Bonn und der jede Stärkung Israels bekämpfenden arabischen Welt zu entschärfen, um diese Länder nicht in die Arme der Sowjetunion zu treiben. Aus anderer Quelle wußte Hoppe, daß die Nahost-Experten des Auswärtigen Amtes eine Verzögerung der Ratifizierung des Wiedergutmachungsabkommens mit Israel begrüßten, doch wegen des gegenteiligen Wunsches von Hallstein und Blankenhorn schwiegen. 28 Adenauer schwanke, weil die deutsche Industrie um ihre Handelsbeziehungen zum Nahen Osten fürchte. In einem ebenfalls von Hoppe weitergeleiteten Rundschreiben „Nur zur persönlichen Information“ 29 von 1952 ging es um vermeintliche Ränke Blankenhorns beim Israel-Vertrag. Es behandelte besonders Bemühungen des Bankenkonsortiums von Gerhard Lewy, mit der Abwicklung der Wiedergutmachungsleistungen an Israel beauftragt zu werden. Lewy kannte Blankenhorn aus Hamburg und glaubte, dieser sei beeinflußbar. Im Sommer 1951 sei er an Blankenhorn wegen der Wiedergutmachungsleistungen herangetreten. Lewy sei lediglich Strohmann gewesen; im Hintergrund stand das Bankhaus Hardy in London. Lewy kümmerte sich um die Kontakte zum Auswärtigen Amt. Er unterzeichnete als Direktor der Gesellschaft zur Förderung des Außenhandels vom Bankhaus Hardy ausgehende Anweisungen über je 25.000 DM an Blankenhorn und dessen Persönlichen Referenten Alexander Böker am 18. Dezember 1951. Böker habe in einem nicht protokollierten Gespräch bei den Haager Verhandlungen darauf beharrt, private Konsortien einzuschalten, und zwar speziell Lewy. Es existiere ein Briefwechsel darüber zwischen Böker und Lewy. Blankenhorn habe mehrfach ohne ersichtlichen Grund gegenüber Persönlichkeiten wie Carlo Schmid abgestritten, Beziehungen zu Lewy zu unterhalten. Dabei stand bis zum 1. Juli 1951 in seinem Büro ein Bild Lewys. 30 Vollrath Freiherr von Maltzan (BMWi) verweise Leute, die sich nach der Handhabung der Zahlungen an Israel erkundigten, an Blankenhorn – obwohl dieser dienstlich nichts mehr damit zu tun habe. Von Maltzan zog sich zurück, als er erfuhr, daß Lewy beim BMWi keinen einwandfreien Leumund besitze. Am 22. März 1952 erklärte Erhard bei einer Referentenbesprechung, das Konsortium Lewy sei nicht mehr tragbar. Barou vom Bankhaus Lewy und israelische Kreise setzten durch, daß Heinz Trützschler von Falkenstein Nachfolger des stellvertretenden Verhandlungsführers Otto Küster wurde. Laut Barou sei Trützschler von Blankenhorn gewonnen worden und wolle zudem mit Hilfe des Vertrags die Kritik an seiner Rolle im Dritten Reich zum Schweigen bringen. 31 Es gelang Trützschler und Böker nicht, die Betrauung eines israelischen Regierungskonsortiums mit der Abwicklung der Zahlungen zu verhindern.
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BA, NL Blücher, Bd. 98, Bl. 62; Ebd., Bd. 141, Bl. 5. Ebd., Bl. 6-8, und Bd. 98, Bl. 63-65, Aufzeichnung „Israel-Reparationen“, Streng Vertraulich, 19.12.1952. Ebd., Bl. 66-68, und Bd. 141, Bl. 9-11, Anlage 1), Streng Vertraulich, 19.12.1952. Berggötz betont hingegen die Bemühungen Blankenhorns um Ausgewogenheit in der Politik gegenüber Israel und den arabischen Ländern (Berggötz, Nahostpolitik, S. 68f.). BA, NL Blücher, Bd. 98, Bl. 69-70. Vgl. auch Kap. V.1b mit Anm. 46. Anspielungen auf die geschäftlichen Ambitionen Lewys beim Israel-Vertrag auch in Mansfelds historischem Roman (Mansfeld, Bonn, S. 386-389, 395). Zu Lewy ferner: Jelinek, Deutschland und Israel, S. 72f., 174; Hansen, Schatten, S. 58f. Dazu auch Jelinek, Deutschland und Israel, S. 224f.
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August Hoppe hielt am 9. Januar 1953 fest, was ihm Hamui ergänzend mitgeteilt hatte: 32 Nach Erkenntnissen arabischer Regierungen sei das deutsch-israelische Abkommen zwischen Blankenhorn und Lewy ausgehandelt worden. Dabei dürften im Falle Blankenhorns Bestechung und der Druck jüdischer Organisationen wegen seiner Tätigkeit im Dritten Reich eine Rolle gespielt haben. Blankenhorn habe den amerikanischen Hohen Kommissar John McCloy gebeten, Adenauer zu sagen, eine Entschädigung an die Juden sei wünschenswert. 33 Der Kanzler habe dies nicht als private Meinungsäußerung McCloys, sondern als Willensbekundung der US-Regierung aufgefaßt. Das State Department bestritt aber jede Intervention. Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Nahum Goldmann, schlug jedenfalls am 10. Juni 1952 durch dezidiertes Auftreten gegenüber Adenauer zusätzlich eine halbe Milliarde DM heraus. 34 In der deutschen Presse wurde laut Hamui die Meldung lanciert, die ägyptische Regierung habe Bonn zu Wirtschaftsgesprächen eingeladen. Dies sei vermutlich eine „Zweckmeldung des Blankenhorn-Kreises“, denn in Wirklichkeit drohe ein Boykott des deutschen Handels durch die arabischen Staaten. Man wolle den Eindruck erwecken, im arabischen Raum werde der deutsch-israelische Vertrag schließlich hingenommen. Sogar ein Abbruch der diplomatischen Beziehungen sei möglich. Blankenhorn war zweifellos eine treibende Kraft bei der Wiedergutmachung an Israel.35 Bankier Lewy verfügte nachweislich über persönliche Beziehungen zu ihm. So besuchte er Blankenhorn am 30. November 1949 und lud ihn zu seiner Geburtstagsfeier mit interessanten Gästen aus Politik und Wirtschaft ein. 36 Lewy war es auch, der im März 1950 auf Bitten Barous der Bundesregierung die Bedingungen für deutsch-israelische Verhandlungen unterbreitet hatte. 37 Blankenhorn bat den Präsidenten des BfV Otto John am 9. Dezember 1952 38, etwas gegen die Verleumdungen zu unternehmen, die über ihn kursierten. Ursprünglich war es der in Buenos Aires erscheinende „Weg“, der Bestechungsvorwürfe im Zusammenhang mit der Wiedergutmachung an Israel gegen ihn erhob. Danach habe Fritz Sängers dpa-Dienst (rot) die Anschuldigungen verbreitet. Nach vertraulichen Informationen stelle ein Journalist namens Dieter Gütt hinter den Kulissen im Auftrag Sängers Nachforschungen an. Dieser sei soeben bei Robert Kempner – dem Chefankläger des „Nürnberger Prozesses“ – gewesen und habe erklärt, Blankenhorn „fertigmachen“ zu wollen. Böker hielt am gleichen Tag fest, er habe zuverlässige Mitteilungen darüber erhalten, daß Sänger den Journalisten Gütt mit Recherchen über Blankenhorn betraut habe. 39 Er kümmere sich besonders um den Fall Schmeisser und die Korruption in Sachen Israel-Vertrag. Sänger distanzierte sich zwar am 9. Dezember 1952 in einem Brief an Felix von Eckardt von Gütt. Er gab aber in einer internen Notiz vom 18. August zu, Gütt mit jemand anderem verwechselt und deshalb eine Information von diesem verbreitet zu haben. 40 Albert Radke, der
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BA, NL Blücher, Bd. 102, Bl. 132-133, Aktennotiz Hoppes, 9.1.1953. Vgl. auch Jelinek, Deutschland und Israel, S. 175, 219. Dazu Goschler, Wiedergutmachung, S. 279f. Ebd., S. 276f.; Schwarz, Adenauer, Bd. 1, S. 902f.; von Jena, Versöhnung, S. 476; Goldmann, Leben, S. 398403. Goschler, Wiedergutmachung, S. 264. Ausführlich: Ramscheid, Blankenhorn, S. 189-200. BA, NL Blankenhorn, Bd. 2, Bl. 188, Tagebuchnotiz, 30.11.1949. Von Jena, Versöhnung, S. 461f. PA/AA, B 2, Bd. 116, Bl. 34-35. Dazu auch Ramscheid, Blankenhorn, S. 201. PA/AA, B 2, Bd. 116, Bl. 36. AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 3811.
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Vizepräsident des BfV, teilte Blankenhorn am 5. Februar 1953 mit 41, hinter den Verleumdungen steckten auch neofaschistische Kräfte. Die Ermittlungen liefen noch. Blankenhorn schrieb John am 6. März 1953 42, er habe Regierungsrat Josef Merfels nach Belgrad zu Hans Kroll geschickt. Er sollte mit dem diplomatischen Vertreter der Bundesrepublik in Jugoslawien über die von diesem erwähnten Unterlagen in der Israel-Frage sprechen. Das Ergebnis sei mager. Kroll lehne es ab, seinen Mittelsmann zu nennen. Es bleibe offen, von wem das in FDP-Kreisen zirkulierende Rundschreiben zum Lewy-Konsortium stamme. Was brachte Merfels in Erfahrung? 43 Die darin enthaltenen Informationen kämen aus der unmittelbaren Umgebung Blankenhorns. Es gebe drei Gruppen, die dahintersteckten: In erster Linie FDP-Politiker, nämlich Ernst Achenbach, Schmitz, Rahn u.a., des weiteren Bankiers wie Hermann Abs und Fritz Andre, schließlich eine Gruppe bayerischer Abgeordneter um Franz Josef Strauß. Abs soll gegenüber den FDP-Politikern gesagt haben, Blankenhorn habe eingeräumt, Geld erhalten zu haben; es sei aber für die CDU gewesen, nicht für ihn persönlich. Die Motive seien bei den drei Gruppen unterschiedlich. Es gebe Gegner des Vertrages mit Israel, die Blankenhorn vorwürfen, den Kanzler zu dem Vertrag überredet zu haben. So höre man es von den Bankiers. Die FDP-Politiker ließen sich hingegen von ihrer Ablehnung der Außenpolitik Adenauers leiten. Sie behaupteten, in der Umgebung des Kanzlers befänden sich Leute, die für den britischen oder den französischen Geheimdienst arbeiteten. Die Kritik entzünde sich nicht zuletzt an Otto John, „der Geheime Reichssachen nach England verbracht habe und der s.Zt. von Hoare 44 an den britischen Geheimdienst herangebracht worden sei“. Was Strauß bezwecke, sei nicht bekannt. Kroll riet ferner, sich mit Gehlen gut zu stellen. In einem Geheimdienstbericht vom 5. Mai 1953 45 wurde ausgeführt, ein Großkaufmann aus Bonn-Beuel habe mit Hilfe von Franz Josef Strauß Handelslizenzen für Ägypten zu erhalten versucht. Adenauer habe eine entsprechende Bitte von Strauß mit der Begründung abgelehnt, jener Beueler Geschäftsmann Joachim Hertslet 46 sei ein Landesverräter, da dieser sich Hallstein zufolge in Kairo abfällig über die Bundesregierung geäußert habe. Hertslet sagte Strauß daraufhin, er besitze Beweise dafür, daß der Präsident des jüdischen Weltkongresses, Nahum Goldmann, einen jüdischen Bankier Lewy angewiesen habe, Blankenhorn 25.000 DM gutzuschreiben. Er solle dafür die vereinbarte Form des Wiedergutmachungsabkommens mit Israel durchsetzen, gegen die Wirtschaftsminister Erhard und sein Ministerialrat Strack kämpften. Der „Spiegel“-Redakteur Volkmar habe durch bestimmte Beziehungen davon erfahren. Tatsächlich stand im „Spiegel“ zu lesen, Blankenhorn hätte Strack nicht so rauh behandelt, wenn dieser nicht Lewys Geschäften in die Quere gekommen wäre. 47 Blankenhorn und Lewy seien über die Abwicklung des Wiedergutmachungsvertrags gleicher Meinung gewesen. 41 42 43 44 45 46
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PA/AA, B 2, Bd. 116, Bl. 13. Ebd., Bl. 8. Ebd., Bl. 9-10, Aufzeichnung Merfels, 5.3.1953. Dazu auch Ramscheid, Blankenhorn, S. 202. Sir Samuel Hoare war 1934/35 britischer Außenminister, danach Erster Lord der Admiralität und im Zweiten Weltkrieg Botschafter in Madrid. AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 5730 und Bd. 5731, 003922, Betr.: Herbert Blankenhorn/Konrad Schmeisser, 5.5.1953. Hertslet verfügte über gute Kontakte in arabischen Ländern. Er soll dort zum Boykott deutscher Firmen wegen des Wiedergutmachungsabkommens mit Israel aufgerufen haben. Das BfV befaßte sich in den folgenden Jahren mehrfach mit Hertslet, der seinerseits strafrechtliche Schritte gegen hohe Bundesbeamte wegen Verleumdung einleitete. Auf Details kann hier nicht eingegangen werden. Einige Hinweise in: Kabinettsprotokolle, Bd. 11 (1958), S. 121, Anm. 58; Jelinek, Deutschland und Israel, S. 219f., 226f., 229f. „Der Spiegel“, Nr. 16/1953, 15.4., S. 8-9: „Nach Ägypten abgereist“.
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Heinz Göhler vom SPD-Landesverband Bayern berichtete am 20. April 1953 48, der von präzisen Detailkenntnissen charakterisierte „Spiegel“-Artikel „Nach Ägypten abgereist“ 49 beruhe auf Mitteilungen von Staatssekretär Walter Strauß aus dem BMF. Dieser pflege Verbindungen zu Nachrichtenleuten, darunter auch Ziebell. In dem Beitrag wurde Strack mit Wohlwollen beurteilt. Augstein sagte in einer Gesprächsrunde beim „Spiegel“ am 11. Mai 1953, man wolle „in der Sache der Bestechung von Blankenhorn durch israelische Stellen“ etwas unternehmen. 50 Er fürchtete, eine andere Zeitung könnte dem „Spiegel“ zuvorkommen, und mahnte darum Verschwiegenheit an. Harsche Töne gegen Blankenhorn enthielt beispielsweise das reißerisch aufgemachte, in Paris und Den Haag erscheinende Nachrichtenmagazin „La vie internationale et diplomatique“. 51 Der Autor Henry Riolle behauptete, Blankenhorn werde von seinen Freunden wegen seiner „Frauen- und Korruptionsaffären ‚Faruk’“ genannt. Riolle berichtete im Juni 1953 in seiner Nachrichtenkorrespondenz, in Bonn kursiere, Blankenhorn solle „im Interesse der Restaurierung des Ribbentrop-Dienstes eine Milliarde DM mehr an den Staat Israel bewilligt (...) haben, als dieser erwartet hatte.“ 52 Goldmann sei dadurch bewogen worden, die „Weltaufklärungs-Kampagne“ über eine Beteiligung deutscher Diplomaten an der „Endlösung der Judenfrage“ einzustellen. Blankenhorn habe auch selbst zu den Betroffenen gehört. Riolle erwähnte zudem Blankenhorns Verwicklungen mit Schmeisser. Es gebe in Washington ein umfangreiches Dossier über dessen frühere Tätigkeit für Ribbentrop. Fritz Heine hörte von Franz Josef Strauß vertraulich Details über die Rolle Blankenhorns bei den Vereinbarungen über die Entschädigungszahlungen an Israel. 53 Strauß erwähnte die Meldung einer saudi-arabischen Zeitung, Blankenhorn und sein Persönlicher Referent Böker hätten je 25.000 DM erhalten. Lewy habe die Verhandlungen maßgeblich beeinflußt. Lewy sei Gegenspieler eines Beamten des Wirtschaftsministeriums54 namens Strack, der eher zur arabischen Seite neige. Strack sei inzwischen von der Abteilung Vorderer Orient zur Abteilung Ferner Osten versetzt worden. Strauß sprach dann über Hertslet, der bei der Bundesregierung in Verruf geraten und Staatssekretär Theodor Sonnemann vom Landwirtschaftsministerium angezeigt habe, weil dieser ihm Landesverrat nachsagte. 55 In der Sache trete Strauß dafür ein, zunächst die Individualwiedergutmachung zu regeln und erst später mit dem Staate Israel eine Vereinbarung zu treffen. Ansonsten wäre die finanzielle Belastung für die Bundesrepublik zu hoch.
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AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 5731, Schreiben Göhlers an Heine, 20.4.1953. Vgl. Anm. 47. BA, B 141, AZ 4023 E (1), Bd. 1, Bl. 107-110, Geheim, Betrifft: Besuch bei Konrad Schmeisser am 14. und 15. Mai 1953 in München, hier: Bl. 110. Henry Riolle, „Kriminalaffären im Auswärtigen Amt in Bonn“, in: „La Vie internationale et diplomatique“, 6.8.1952. Henry Riolle, „Einsturz im Bonner Außenministerium“, in: „La Vie internationale et diplomatique“, 17.6.1953. AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 5731, „Von Heine“, Streng Vertraulich, 3.2.1953. Dazu auch Mansfeld, Bonn, S. 414f. In der Vorlage fälschlich: „des Auswärtigen Amtes“. Sonnemann berief sich auf Weisungen und begründete den Vorwurf des Landesverrats mit Hertslets Kritik am deutsch-israelischen Vertrag. Er wurde am 4.1.1954 erstinstanzlich zu einer Geldstrafe von 1.500 DM verurteilt („Der Spiegel“, Nr. 3/1954, 13.1., S. 9f.: „Staatssekretäre: Siebenfach bestraft“). Die gerichtlichen Auseinandersetzungen um Hertslet gingen bis 1973 weiter (Kabinettsprotokolle, Bd. 10, 1957, S. 291f. mit Anm. 27). Falsche Darstellung bei Hansen, Schatten, S. 318.
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322 b) Der Fall Strack
Oskar Kunz von Kauffungen, Redakteur der „Saarbrücker Zeitung“, attackierte Blankenhorn am 11. Februar 1953. 56 Nicht zuletzt durch die Schmeisser-Affäre sei Blankenhorn in der Gunst Adenauers stark gesunken. Jetzt habe auch dieser die braune Vergangenheit Blankenhorns und einiger von ihm ins Amt geschleuster Diplomaten entdeckt. Die „einstige Vetternwirtschaft des Büros Ribbentrop und der nationalsozialistischen Wilhelmstraße“ sei trotz der Aufregung in der Öffentlichkeit im wesentlichen geblieben. Man zweifele, ob Blankenhorn nach seiner Kur in Bad Neuenahr ins Auswärtige Amt zurückkehren werde. London wolle ihn allerdings nicht als deutschen Gesandten akzeptieren. Wie verlaute, solle auch Blankenhorns Adlatus Böker beseitigt werden. Tatsächlich ließ sich Blankenhorn sich Anfang 1953 wegen eines wohl von Depressionen mitverursachten Magengeschwürs in einem Bad Neuenahrer Krankenhaus behandeln und war in London für die Nachfolge von Hans Schlange-Schöningen im Gespräch. 57 Angeblich hatte sich sein Verhältnis zu Adenauer durch die Schmeisser-Affäre getrübt. Dies wäre durchaus verständlich gewesen. Inwieweit die Gerüchte über Blankenhorns Mauscheleien mit Lewy den Kanzler beeinflußten, sei dahingestellt. Immerhin festigte sich bei den Insidern der Szenerie in Bonn der Eindruck, es mit einer nicht unbestechlichen Person zu tun zu haben. Allein, Blankenhorn stabilisierte seine Position bei Adenauer wieder. Er soll im September 1953 die Ernennung von Brentanos zum Außenminister in letzter Minute vereitelt haben. 58 Im Oktober 1953 wurde gemunkelt, er werde nun eventuell doch Staatssekretär des Auswärtigen Amtes. Vor wenigen Monaten habe man ihn schon abgeschrieben. 59 Im April 1955 hieß es, Blankenhorn wolle möglichst schnell Botschafter bei der NATO werden, um seine Abhängigkeit von Adenauer zu lockern. 60 Heinrich von Brentano – der im Juni 1955 Außenminister wurde – kannte Blankenhorn jedenfalls lange genug, um diesen Mann mit Reserve zu betrachten. 61 Blankenhorn erwuchs aus dieser Angelegenheit gleichwohl ein weiteres Problem: sein bereits angedeuteter Streit mit Ministerialrat Hans Strack (1899-1987) aus dem BMWi anläßlich des Vertrages mit Israel spitzte sich zu, weil Blankenhorn massiv gegen Strack vorging. Strack vertrat 1952 die Auffassung, die Bundesrepublik müsse die wirtschaftlichen Chancen im arabischen Raum nutzen und den Wiedergutmachungsvertrag mit Israel hinausschieben. 62 Seine erfolgreichen Bemühungen um Kontakte in der Levante kollidierten mit den Bestrebungen Blankenhorns, der kaum verhüllte Drohungen gegen seinen alten 56 57 58 59 60 61 62
Kvk, „Frische Brise in Bonn?“, in: „Saarbrücker Zeitung“, 11.2.1953. AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 5731, „Politik und Wirtschaft“, 24.1.1953; Ramscheid, Blankenhorn, S. 206f. Drenker, Diplomaten, S. 120. AdsD, Sammlung Personalia, Bd. 5730, Mitteilungsblätter Dr. Schmitt, Detmold, Schließfach 103, 23.10.1953. Ebd., Th., Vertraulich, 29.4.1955. Vgl. Ramscheid, Blankenhorn, S. 243f., 314f. Für das Folgende: „Die Welt“, 9.5.1958: „Anklage gegen Hallstein erhoben“; „Der Spiegel“, Nr. 23/1958, 4.6., S. 16-18: „Fall Strack: Ausdruck des Bedauerns“; „Der Spiegel“, Nr. 41/1958, 8.10., S. 17-19: „StrackAffäre: Türkische Spiele“; „Die Welt“, 24.10.1958: „Hallstein, Blankenhorn und Maltzan im März vor Gericht“; „Der Spiegel“, Nr. 11/1959, 11.3., S. 18-20: „AA-Prozeß: Leichtfertig oder vorsätzlich?“; „Der Spiegel“, Nr. 12/1959, 18.3., S. 15-21: „AA-Prozeß: Unangenehm“; „Der Spiegel“, Nr. 13/1959, 25.3., S. 17-21: „AA-Prozeß: Auf Motiv-Suche“; „Der Spiegel“, Nr. 14/1959, 1.4., S. 16: „AA-Prozeß: Das verkannte Amt“; „Der Spiegel“, Nr. 17/1959, 22.4., S. 19-20: „AA-Prozeß: Die Galal-Vorstellung“; „Der Spiegel“, Nr. 18/1959, 29.4., S. 17-20: „AA-Prozeß: Die langen Schatten“. Die „Welt“ berichtete im März/April 1959 ausführlich von jedem Verhandlungstag des Strack-Prozesses. Ferner: Kabinettsprotokolle, Bd. 11 (1958), S. 231f. mit Anm. 1 und 3; Ebd., Bd. 12 (1959), S. 127 mit Anm. 21f., S. 172 mit Anm. 1, S. 240 mit Anm. 10; Berggötz, Nahostpolitik, S. 81; Hansen, Schatten, S. 292, 318f.; Drenker, Diplomaten, S. 56f.
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Diplomatenkollegen ausgestoßen haben soll. Stracks Bekanntschaft mit dem NahostGroßkaufmann Hertslet tat ein übriges. Die Ratifizierung des Israel-Abkommens schien gefährdet. Der Pressereferent des ägyptischen Generalkonsulats in Frankfurt a.M., Kamal Eldin Galal, hatte von Gerüchten gehört, wonach Strack im Oktober 1952 Bestechungsgelder für ein Geschäft gefordert habe. Hallstein und Blankenhorn bewogen trotz der eher vagen Informationen Wirtschaftsminister Erhard, eine Untersuchung gegen Strack einzuleiten. Der Ägypter hatte auf Wunsch Blankenhorns eine Aufzeichnung über den Vorfall angefertigt. Unabhängig davon übermittelte der gerade vom BMWi zum Auswärtigen Amt übergewechselte von Maltzan im Januar 1953 seinem bisherigen Minister die nachdrückliche Bitte seiner neuen Behörde, Strack von der Leitung des Referats Vorderer Orient zu entbinden. Dies beruhe auf einer Anregung der türkischen Regierung – was sich als unwahr herausstellte. Die Untersuchung der Korruptionsvorwürfe endete mit der völligen Rehabilitierung Stracks. Im Dezember 1953 verklagte er Hallstein, Blankenhorn und von Maltzan wegen falscher Anschuldigung und übler Nachrede. Das Auswärtige Amt strebte eine gütliche Einigung mit Strack an, dem ein Botschafterposten angeboten wurde. Man bestritt freilich, dies sei mit der Bedingung verknüpft worden, die Anklage fallenzulassen. Strack ließ sich nicht darauf ein. Verblüffenderweise kam es angeblich wegen schwieriger Ermittlungen erst im März 1959 zum Prozeß. Im Oktober 1958 hatten Außenminister von Brentano und Ministerialdirektor Karl Heinrich Knappstein intern ihre Bedenken gegen eine Übernahme der Geschäfte in Paris durch Blankenhorn als neuem Botschafter bei der Französischen Republik vor dem Urteilsspruch des Gerichts erkennen lassen. 63 Adenauer schien jedoch entschlossen, sich darüber hinwegzusetzen. In der großen Justizdebatte des Bundestages vom 22. Januar 1959 64 mußte die Bundesregierung wegen ihres Verhaltens im Fall Strack heftige Kritik einstecken. Besonders die Nichterteilung von Aussagegenehmigungen wurde prinzipiell in Frage gestellt. Adenauer erklärte die Einleitung einer Untersuchung gegen Strack zum „innerdienstlichen Vorgang“, bei dem Hallstein, Blankenhorn und von Maltzan „pflichtgemäß gehandelt“ hätten. 65 Gustav Heinemann nahm die Nonchalance, mit der der Kanzler die gegen Hallstein und Blankenhorn bestehende Anklage heruntergespielt und in ein schwebendes Verfahren eingegriffen hatte, zum Anlaß, die allgemeine Empörung über den schnöden Umgang mit Strack zu artikulieren. 66 Der Journalist Joachim Besser nannte das Auftreten der Bundesregierung „beschämend“. Adenauer habe argumentiert, Hallstein und Blankenhorn seien unersetzlich. „Das hieß: die politischen Erfordernisse haben Vorrang vor dem Recht“. Besser bescheinigte der SPD, in dieser Debatte dokumentiert zu haben, daß „der moderne Staat (...) Verstöße gegen das Recht durch Vertuschen und Beschönigen selbst regelt“.67 Der Strack-Prozeß wurde im März/April 1959 mit großem Aufwand vor dem Landgericht Bonn durchgeführt. Blankenhorn räumte ein, niemals gerichtlich gegen die seinerzeitige Behauptung vorgegangen zu sein, er habe 100.000 DM Bestechungsgelder von jüdischer Seite für die CDU erhalten. Heinrich von Brentano hatte dies im Dezember 1957 nach einer Anfrage der SPD im Bundestag dementiert. 68 Laut einem Zeugnis von Erich Mende bestätigte Adenauer als Gast einer Fraktionssitzung der FDP am 17. März 1953 die Zahlung von
63 64 65 66 67 68
AdsD, NL Heine, Bd. 248, Aufzeichnung Sängers, Betr.: Botschafter Blankenhorn, Streng Vertraulich, 31.10.1958. Dazu Ramscheid, Blankenhorn, S. 316-318. Verhandlungen BT, Sten. Ber., Bd. 42, S. 3047-3123. Ebd., S. 3097f. Ebd., S. 3110-3113. Joachim Besser, „Brentano traf ins eigene Tor“, in: „Die Welt“, 24.1.1959. „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 7.1.1958: „Kein Geld an Blankenhorn“.
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100.000 DM, bestritt aber, daß Blankenhorn oder Böker sie in Empfang genommen hätten. 69 Franz Josef Strauß gab vor Gericht zu, 1953 eine Vermittlung zwischen Blankenhorn und Strack versucht zu haben, wollte aber von protokollierten Formulierungen nichts hören, denen zufolge er den Ministerialdirektor einer Intrige gegen Strack bezichtigt hatte. Nachdem Galal einen unglaubwürdigen Eindruck hinterlassen hatte und Blankenhorn Widersprüche nachgewiesen werden konnten 70, lag ein Schuldspruch nahe. Dieser erfolgte am 21. April 1959 und lautete vier Monate Gefängnis für Blankenhorn mit Bewährung; Hallstein wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen. 71 Es blieb dem Gericht unbegreiflich, wie das Auswärtige Amt auf der Grundlage von Gerüchten derart massive Vorwürfe gegen Strack beim BMWi erheben konnte; politische Motive im Zusammenhang mit dem IsraelAbkommen lagen auf der Hand. Blankenhorns politische Karriere schien beendet. Sein Anwalt Prof. Dahs legte Revision ein, er selbst nahm einen längeren Urlaub. Der Bundesgerichtshof sprach Blankenhorn am 13. April 1960 frei, weil die Weiterleitung von Verdächtigungen zur Prüfung an sich keinerlei strafrechtliche Relevanz habe. 72 Das Landgericht Bonn mußte sich vorwerfen lassen, weitreichende Interpretationen vorgenommen zu haben, die auf Mußmaßungen beruhten. Die Anfänge der Auseinandersetzung mit Strack überschnitten sich mit der heißen Phase der Schmeisser-Affäre. Blankenhorn geriet Ende 1952 in die Bredouille, war daran aber selbst schuld. Es gab Meldungen, wonach er Schmiergeld zur Durchsetzung des Israel-Abkommens angenommen hatte, das innenpolitisch umstritten war. Dies hielt ihn nicht davon ab, im Bunde mit Hallstein seinen politischen Gegenspieler im BMWi Strack ungerührt der Korruption zu verdächtigen. Grundlage waren vage Andeutungen eines Ägypters, die unter anderen Umständen niemals Anlaß hätten sein können, einen honorigen Beamten derartig zu drangsalieren. Als sich Stracks Unschuld erwiesen hatte, tat Blankenhorn nichts zu seiner Rehabilitierung. Erst die Strafanzeige des Betroffenen bewog die Spitze des Auswärtigen Amtes dazu, Strack mit dem Angebot eines Botschafterpostens zu besänftigen. Die wirklichen Zahlungen im Kontext des Wiedergutmachungsvertrages scheinen über Blankenhorn gelaufen zu sein – hierfür liegen starke Indizien vor. Insofern ist das Handeln des Ministerialdirektors gegen Strack als besonders verwerflich einzustufen. Er schaffte es wie im Fall Schmeisser, den Prozeß zu verschleppen. Das Landgericht Bonn ließ ihn aber nicht leichten Kaufs davonkommen. Die durchaus angemessene Strafe gegen ihn ist trotz des Freispruchs „zweiter Klasse“ für Hallstein ein Glanzpunkt der bundesdeutschen Justizgeschichte. Die Aufhebung des Urteils durch den BGH gehört sicher nicht dazu, obwohl nicht voreilig auf einen Akt politischer Gefälligkeit geschlossen werden sollte. Blankenhorn blieb jedenfalls der deutschen Diplomatie noch eine Reihe von Jahren erhalten.
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„Der Spiegel“, Nr. 13/1959, 25.3., S. 17-21: „AA-Prozeß: Auf Motiv-Suche“, hier: S. 18-20. Joachim Besser, „Aussage Galals brachte nur ein Scheinfeuer in den Strack-Prozeß“, in: „Die Welt“, 16.4.1959; Joachim Besser, „Galal war kein Kronzeuge im Strack-Prozeß“, in: „Die Welt“, 17.4.1959. „Süddeutsche Zeitung“, 23.4.1959: „Vier Monate Gefängnis für Blankenhorn – Hallstein mangels Beweisen freigesprochen“; „Die Welt“, 23.4.1959: „Betroffenheit in Bonn über die Verurteilung von Blankenhorn“; Paul-Wilhelm Wenger, „Freispruch für Hallstein“, in: „Rheinischer Merkur“, 24.4.1959. Wortlaut in: Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen, Bd. 14, Nr. 51, S. 240-258. Vgl. auch Kabinettsprotokolle, Bd. 13 (1960), S. 180 mit Anm. 18.
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SCHLUSSBETRACHTUNG Die Schmeisser-Affäre läßt sich unter fünf verschiedenen Gesichtspunkten betrachten: 1) Sie war eine Operation des französischen Geheimdienstes im Kontext der Deutschland- und Saarpolitik. 2) Die persönlichen Interessen der Agenten fielen dabei stark ins Gewicht. 3) Die auf Verständigung mit Frankreich ausgerichtete Politik Adenauers war in der Frühzeit eine Gratwanderung, wie der Artikel des „Spiegel“ zeigte. 4) Die Schmeisser-Affäre warf das Problem des Stellenwerts von Moral in der Politik auf. 5) Die Macht der Westalliierten in der jungen Bundesrepublik Deutschland war oft unsichtbar, aber sehr ausgeprägt. Geheimdienste: Die Schwächung und Kontrolle Deutschlands war ein gemeinsames Ziel aller französischen Geheimdienste. Sie hielten nicht Schritt mit der Politik in Paris, die seit 1948 allmählich ihr Feindbild milderte. Vielleicht mußten die im Verborgenen wirkenden Kräfte aber auch größeres Mißtrauen zeigen und weniger Rücksicht auf Wünsche der Angelsachsen nehmen. Im französischen Geheimdienst blieb die alte Frontstellung gegen Deutschland bis Mitte der 1950er Jahre hin konstant, aber die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus gewann zunehmend an Boden. Zwischen DST/Sûreté und SDECE tobte ein heftiger Machtkampf, der längst nicht nur auf die deutliche Akzentuierung der antisowjetischen Stoßrichtung der DST reduziert werden kann. Die dahinter steckenden persönlichen Konflikte, Kompetenzgerangel und parteipolitischen Scharmützel brauchen hier nicht vertieft zu werden. Einzig die lukrativen Schiebergeschäfte, die von „schwarzen Schafen“ in den Geheimdiensten oder Besatzungsbehörden eingefädelt wurden, sind uns am Rande begegnet. Dies alles soll freilich nicht darüber hinwegtäuschen, daß Aufklärung sowie das Sammeln von Informationen wie bei jedem Geheimdienst im Blickpunkt standen und als legitim anzusehen sind. Dies gilt nicht uneingeschränkt für die Bemühungen, Einfluß auf deutsche Industriebetriebe zu gewinnen. So konnte Kontrolle ausgeübt, aber auch eine in späteren Jahren verbreitete Unart zur gefährlichen Versuchung werden: wissenschaftliches Know-How auszuspionieren und an einheimische Firmen weiterzugeben. Bekanntlich war die deutsche Wirtschaft eine Kraftquelle, die de Gaulle 1945 für Frankreich zu reklamieren trachtete. Extreme Elemente des französischen Geheimdienstes hatten seit jeher keine Scheu vor einer Förderung der deutschen Rechten. Reichskanzler Brüning warf dem NS-Ideologen Alfred Rosenberg 1932 kaum verhüllt Beziehungen zum französischen Geheimdienst vor, und Hitlers Stillhalten im Ruhrkampf 1923 ließ manche nicht ohne Anhaltspunkte glauben, er habe französische Gelder erhalten. Die Unterstützung der rheinischen Separatisten durch Frankreich 1919 und 1923 ist dokumentiert, und Otto Strasser erfreute sich spätestens seit den 1930er Jahren diskreten Beistands durch einflußreiche Männer in Paris. Im Jahre 1934 bot er der französischen Regierung sogar einen „Staatsstreich“ im Saargebiet an, um dessen „Heimkehr ins Reich“ zu vereiteln. Diese Beziehungen wollte Strasser seit 1948 für seine Rückkehr aus Kanada nach Deutschland ausnutzen, doch ungeachtet der Unterstützung auf stillen Pfaden ging Paris nicht so weit, sich öffentlich zu ihm zu bekennen. Unselige Traditionen wurden indessen fortgeführt, so etwa durch die Lizenzierung und Begünstigung der „Sammlung zur Tat“ in der französischen Besatzungszone, in der sich einschlägige Rechtsextremisten wie Dorls tummelten. Von hier aus war es nur noch ein Schritt bis zur Subventionierung des „Naumann-Kreises“. Eine Destabilisierung der Bundesrepublik erschien
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einigen Personen der französischen Rechten noch in den 1950er Jahren als erstrebenswertes Ziel. Im Zweiten Weltkrieg hatten französische und sowjetische Geheimdienste einander geholfen. Diese Drähte überstanden auch die Zäsur des Jahres 1945 – mit Männern und Frauen „tous azimuts“ 1 (nach allen Seiten offen), in der Diktion des französischen Geheimdienstes zu sprechen. Ziebell lieferte Nachrichten in den Osten, ohne daß der Auslandsgeheimdienst SDECE daran Anstoß nahm. Die DST legte hier strengere Maßstäbe an und trennte sich von Ziebell, als er und seine Frau zu offensiv vorgingen. Ergrimmt über das Abwerben Schmeissers durch Ziebell im Herbst 1951, unterzog die DST Schmeisser in Paris einem strengen Verhör. Die DST fürchtete, die Wiesbadener Vernehmungen Schmeissers könnten vom SDECE im Ringen um die Vormachtstellung unter den französischen Geheimdiensten mißbraucht werden. Eine sachliche Verständigung unterblieb. Der SDECE wollte Blankenhorn mit Hilfe der Unterlagen Schmeissers unter Druck setzen, um seine Nachgiebigkeit in der Saarfrage anzustacheln. Die Publikation im „Spiegel“ wurde veranlaßt, weil die ersten Verhandlungen über eine „Europäisierung“ der Saar gescheitert waren und Blankenhorn bei den Gesprächen im August 1952 einer Fortdauer der französischsaarländischen Wirtschaftsunion und einem unbefristeten Statut zustimmen sollte. Die Bundesregierung ließ sich darauf allerdings nicht ein. Teile des SDECE beabsichtigten darüber hinaus, die internationale Reputation von Bundeskanzler Adenauer zu beeinträchtigen, weil dieser den blassen Regierungen der IV. Republik den Rang ablief. Gaullistische Kreise hofften ferner auf negative Folgen für die Ratifizierung der Westverträge im Bundestag. Von alldem scheint die DST wenig gewußt zu haben. Insgesamt hemmte die Uneinigkeit zwischen den französischen Geheimdiensten deren Effektivität bei Auslandsoperationen im Saarland oder in der Bundesrepublik nicht unbeträchtlich, zumal die Zuständigkeiten nicht scharf genug voneinander abgegrenzt waren. Wie ist die Rolle des deutschen Verfassungsschutzes bei diesen Vorgängen zu bewerten? Das BfV blickte ausschließlich nach Osten, da es im Westen „nur Freunde“ gab. John lehnte jede Unterscheidung zwischen deutschen und französischen oder britischen Interessen ab – „Westernisierung“ pur. Er schirmte Vertreter westlicher Nachrichtendienste ab, die eben auch aus dem jeweiligen nationalen Blickwinkel heraus die Bundesrepublik Deutschland überwachten, beeinflußten und – in seltenen Fällen – ihr bewußt Schaden zufügten. Am Beispiel der Saarfrage ließ sich feststellen, wie John die prodeutschen Parteien von Informationen abschnitt und die im französischen Auftrag handelnden Agenten deckte. Er glaubte anscheinend, in der prodeutschen Opposition seien unverbesserliche Nationalisten und Revanchisten am Werk. Zugleich tadelte er Adenauer insgeheim für seine unzulänglichen Bemühungen um eine Wiedervereinigung. Seit Herbst 1952 half das BfV Blankenhorn dabei, das Pulverfaß „Schmeisser“ zu entschärfen. Es stellte einen verfänglichen Kontakt zu Schmeisser her und ließ den „Spiegel“ belauschen. Otto John war labil und sprunghaft; sein Übertritt in die DDR am 20. Juli 1954 geschah spontan. Als Hochverrat kann man diesen Schritt nicht bezeichnen – viel eher trifft dieser Ausdruck für sein Verhalten gegenüber den französischen Ambitionen auf eine dauerhafte Abspaltung der Saar von Deutschland zu. Diese Unzulänglichkeiten erkennend, baute die Organisation Gehlen ein Agentennetz im Westen auf, dessen Mitglieder nicht zuletzt die französische Saarpolitik beobachteten und ggf. zu konterkarieren trachteten. Die Informationen Reiles für Bodens, die Geständnisse des Doppelagenten Höher und die Beschattungsaufträge an Christmann-Krüger durch das BMG sowie die Erfolge des 1
Villemarest, Sowjetspionage, S. 9, 246.
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mutmaßlichen „Maulwurfs“ Hella Hubaleck beweisen hinreichend die Existenz einer solchen Gruppe. Sie bestand neben dem breit gefächerten, geheimen V-Mann-System von Heinrich Schneider, das unabhängig davon installiert wurde und dank der Unpopularität des Saarregimes prosperierte. Agenten: Die Hauptpersonen waren allesamt robuste Männer mit wenig Skrupeln. Die treibende Kraft der Schmeisser-Affäre, CHRISTIAN JÜRGEN ZIEBELL, muß in hohem Maße über die Fähigkeit verfügt haben, den Menschen Sand in die Augen zu streuen. Ziebell besaß anscheinend betörenden Charme, mit dem er seine Gewissenlosigkeit tarnte. Verheiratet (oder liiert) mit einer sowjetischen Agentin, überlegte er stets, wie er aus seiner Tätigkeit größtmöglichen Vorteil für sich selbst ziehen konnte. Als Rechtsberater im bayerischen Sonderministerium für Entnazifizierung 1945/46 bezog er neben seinem Gehalt Bestechungsgelder von ehemaligen Nationalsozialisten, denen er einen „Persilschein“ verschaffen konnte. Die Beziehungen, die ihm sein Amt erlaubte, brachten ihn frühzeitig in Berührung mit dem französischen Geheimdienst, der in Bayern intensiv um Stärkung föderalistischer Kräfte bemüht war. Dies kam Ziebell zugute, als sein riskantes Spiel bei der versuchten Entnazifizierung Josef Müllers im Schnelldurchgang scheiterte. Statt Staatssekretär unter einem Ministerpräsidenten Müller zu werden, mußte Ziebell fliehen. Ziebell siedelte ins französisch kontrollierte Saarland über. In den Jahren 1950/51 unterwanderte Ziebell im Auftrag der Sûreté die zunehmend erstarkende DPS, die für eine Rückgliederung der Saar an Deutschland plädierte. Er tat sein Bestes, um deren Verhältnis zum BMG zu belasten, das die DPS finanziell förderte. Er gewann Zugang zu Heinrich Schneider und suggerierte ihm, im BMG gebe es eine „undichte Stelle“. Dies wirkte nur kurzfristig, und auch die Fälschung des „Remer-Telegramms“ oder die angestrebte Kontaktaufnahme zwischen Schneider und Otto Strasser brachten nicht den gewünschten Erfolg: die DPS als neonazistisch zu brandmarken. Ziebell und Schmeisser versuchten, die Schnellpressenfabrik Albert in Frankenthal zu infiltrieren, um eine Geldquelle für private und politische Zwecke zu erschließen. Gerade in der von Frankreich dezent umworbenen Pfalz wog französischer Einfluß in deutschen Unternehmen besonders schwer. Die Firma wußte sich jedoch zu wehren. Ziebell dürfte an der Saar nicht ganz zufrieden gewesen sein. Er bewegte sich zwar im Umfeld Grandvals, doch zur regierenden CVP fand der SPD-nahe Ziebell keinen Zugang. Nachdem sich die BST Saarbrücken wegen seiner aktiven Tätigkeit für den sowjetischen Geheimdienst von ihm distanziert hatte, verprellte er Mitte 1951 auch das Hohe Kommissariat: Den Auftrag, einen in den betrügerischen Bankrott des Kaufhauses Walter involvierten französischen Beamten zu schützen, nutzte er zur persönlichen Bereicherung. Ziebell flüchtete nach Wiesbaden, wo sein alter Freund Paul Schmidt das LfV leitete. Ziebell konnte dort nach Belieben schalten. Er bemühte sich, die französisch-saarländischen Nachrichtenlinien von der hessischen Rückzugsbasis aus zu stabilisieren. Vor allem die Enthüllungen der Doppelagentin Hella Hubaleck bedrohten dieses Netzwerk. Die Operation Blankenhorn bedeutete den Versuch, diese Verbindungen durch Ausschaltung der gefährlichsten Gegner – Strohm, Bodens und Hubaleck – zu retten. Gleichzeitig wollte Ziebell im Auftrag des SDECE Blankenhorn mit der Publikation einschüchtern. Das politische Kalkül des französischen Geheimdienstes zur Festigung der eigenen Dominanz an der Saar ging mit persönlichen Ambitionen Ziebells einher. Er pflegte seine Kontakte zur SPS und harrte der Gelegenheit, diese Partei in die Spitzenposition an der Saar zu bringen. Tatsächlich gelang es Ziebell, mit Hilfe seines Agentenkollegen Zweig den SPD-Bundestagsabgeordneten Heinrich Ritzel unter Duldung des Parteivorstandes für Gespräche mit der Führung der SPS
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zu gewinnen. Diese Aktion lag im Interesse der Sûrete: Die prodeutschen Sozialdemokraten sollten geschwächt werden, die soeben die DSP gegründet hatten. Ziebell rechnete auf die Dankbarkeit Kirns, falls alles gelang. Die deutschen Geheimdienste und Heinrich Schneider durchkreuzten freilich seine Pläne. HANS-KONRAD SCHMEISSER war ein Konjunkturritter, der sich dorthin orientierte, wo mit möglichst geringer Anstrengung Geld zu verdienen war. Die Nachkriegszeit erforderte Improvisationskunst, senkte die Hemmschwelle für Gesetzesübertretungen und bot gewissenlosen Leuten gute Perspektiven. Schmeisser scheint zu strategischem Denken nicht imstande gewesen zu sein. Mit feigem Naturell ausgestattet, aber für alle Hintertreppenaktionen offen, sagte er auf Kommando die Wahrheit oder log bis ins letzte Detail. Im Falle Blankenhorn dürfte er weitgehend tatsachengetreu berichtet haben. Wenn Ziebell ihn aufforderte, seinen deutschen Patriotismus zu rühmen, ging ihm dies leicht von der Zunge. Gewisse Aversionen gegen die Sowjetunion konnten ihn nicht davon abhalten, ggf. deren Agenten zu unterstützen. Er führte Aufträge aus, ohne nach deren Bewandtnis zu fragen – keine Schwierigkeit für eine Person, der jede Überzeugung fehlte. Kleine Gaunereien waren sein Markenzeichen. Er kam damit nicht weit. Bedeutendere Köpfe erpreßten ihn, da stets irgendeine Polizeistation nach ihm fahndete. Der Geheimdienst verhieß nur denjenigen glänzende Aussichten, die klug und vorausschauend agieren konnten. Hier lag ein fundamenter Unterschied zwischen Ziebell und Schmeisser: Jener kalkulierte langfristig und hatte viele Eisen im Feuer, dieser wartete auf Befehle, die er mit Bauernschläue und Routine ausführte, ohne Zusammenhänge und Folgen rational zu durchdringen. Schmeisser hatte einen begrenzten Horizont und war ein ideales Werkzeug. Sobald freilich ein Auftrag erfüllt war, mußte er hoffen, über geknüpfte Kontakte einen anderen zu erlangen. Wenn das nicht funktionierte, stand er in kurzer Zeit am Rande des Ruins. Seine Taten sind ohne Aussagekraft, doch sein konturenloser Charakter spricht eine beredte Sprache. Ende der 1950er Jahre scheint er sich gewandelt zu haben, denn er promovierte und stabilisierte sich offenbar – ein kleines Wunder! Mit ALOYS MASLOH besaß Ziebell einen Konkurrenten, der nicht nur in der Sûreté verankert war, sondern auch mit Hoffmann und Hector auf vertrautem Fuß stand. Schon in den 1930er Jahren trotz seiner Betätigung im NS-Studentenbund für die Sûreté aktiv, war Masloh nach 1945 der Protagonist einer Unterstützung separatistischer Bestrebungen in der Pfalz und an der Saar durch den französischen Geheimdienst. Zum Freundeskreis Strassers gehörend, partizipierte er ausgangs der 1940er Jahre an vielen Treffen der rechten Szene wie etwa im Juni 1949 in Worms im Rahmen der „Sammlung zur Tat“. Zu allem Überfluß pflegte er auch Beziehungen zur Sowjetunion. Er rekrutierte den ihm von der Universität Würzburg her bekannten Schmeisser für den Nachrichtendienst. Masloh war entscheidend am Aktendiebstahl in der bayerischen Staatskanzlei beteiligt, den Dorothy Schretzmair im November 1947 durchführte. Als der Separatismus in der Pfalz 1948 zusammenbrach, ging Masloh ins Saargebiet. Hier avancierte er zur Schlüsselfigur des saarländischen Geheimdienstes neben Edmond Beer von P 6. Er bekleidete eine hohe Position im saarländischen Innenministerium. Die Achse Hector-Masloh war in der CVP das Pendant zur Achse Kirn-Ziebell in der SPS. Insofern bestand zwischen Masloh und Ziebell eine Gegnerschaft, die bisweilen aufblitzte. Beide waren geld- und machtgierig, wobei sie das gemeinsame Ziel der Abtrennung der Saar von Deutschland allerdings nicht aus den Augen verloren. Die Bastion Maslohs war die Sûreté, während Ziebell sich auf den SDECE stützte. Unter Maslohs Federführung erfolgte der Versuch, Otto Strasser über die Saar in die Bundesrepublik einreisen zu lassen. Maslohs Absicht, Heinrich Schneider mit Strasser zusammenzuführen und so politisch zu belasten, scheiterte insbesondere wegen der Aussagen Hubalecks im BMG. Die Strasser-Bewegung kam
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in Paris nicht mehr an Schmeisser heran, weil Blankenhorn den Diplomaten Cheysson um Beistand ersucht hatte und der französische Geheimdienst ihn daraufhin abschottete. Masloh gab nicht auf und fuhr 1952 mehrfach nach Wiesbaden, wo Ziebell inzwischen das Kommando im LfV übernommen hatte. Dort wurde Masloh ein angeblicher Amerikaner präsentiert, der behauptete, auf höheren Befehl mit ihm Pläne für die Saar diskutieren zu wollen. Masloh sollte abgelenkt werden, um das Vorhaben des SDECE im Fall Blankenhorn nicht zu stören. Zu Recht fürchtete Ziebell, wo Masloh sich aufhalte, sei die Sûreté nicht fern. Schmeisser entging in Wiesbaden nur knapp einem Entführungsversuch der „Konkurrenz“. Der prodeutschen Opposition gelang es durch Zeitungsartikel in der DSZ, Masloh als subversive Kraft lahmzulegen; er beschränkte sich künftig auf bürokratische Arbeiten im saarländischen Innenministerium. PAUL SCHMIDT war eigentlich kein Agent. Er leitete aber das LfV Wiesbaden, woraus seine bedeutsame Rolle in der Schmeisser-Affäre erwuchs. Er dürfte für den französischen Geheimdienst gearbeitet haben, denn Heinrich Schneider wies Telefonverbindungen zwischen Wiesbaden und dem französischen Hohen Kommissariat in Saarbrücken nach. Als Ziebell die Saar verlassen mußte, gewährte ihm Schmidt Unterschlupf, schirmte ihn ab und ließ ihm freie Hand. Das LfV Wiesbaden war Auffangstation und Operationsbasis des SDECE. Schmidt galt zudem als Vertrauensmann der CIA. Gemunkelt wurde von Drähten Schmidts und Schusters in die DDR. Ein aufrechter Beamter wie Schwebbach kam nicht an gegen diese Kamarilla. Die zahlreichen Affären um das LfV Wiesbaden resultierten teilweise aus Schmidts Führungsschwäche, teilweise aus seiner mehrfach gespaltenen Loyalität. Schmidts Haltung erklärt sich aus seiner Ehe mit Johanna Kirchner, die als Widerstandskämpferin im Saargebiet aktiv gewesen war und 1944 von den Nationalsozialisten hingerichtet wurde. Die hessische Landesregierung versagte völlig bei der Aufsicht des LfV. In der Umgebung Schmidts bewegte sich EWALD ZWEIG, ein Hans-Dampf-in-allen-Gassen. Als Jude flüchtete er 1933 aus Deutschland, dann trat er in die Gestapo ein, ließ in der Schweiz die „Rote Drei“ auffliegen, bezichtigte in der Affaire des Généraux DST-Chef Wybot der Spionage für die Sowjetunion, wirbelte 1959/60 in Bayern im Rahmen des Skandals um die Spielbanken die politische Szene durcheinander. Er tat bereitwillig, was immer der amerikanische oder französische Geheimdienst von ihm verlangten. Dies gilt auch für die Intrige des SDECE gegen Bodens, den Zweig per Eidesstattlicher Erklärung zum Initiator des Artikels „Am Telefon vorsichtig“ stempelte. Der „Spiegel“-Reporter Mans schloß sich dieser unrichtigen Aussage zwar an, aber sein Verhalten entzieht sich trotz Spionageverdacht einem eindeutigen Urteil. FRIEDRICH-VICTOR RISSE war wie Ziebell eine typische Erscheinung der Nachkriegszeit. Er war ein Gegner des Nationalsozialismus, was ihn aber nicht gegen Betrügereien feite. Trotz seiner Sympathien für Frankreich führte sein Weg in den amerikanischen Geheimdienst. Mit den Weihen der amerikanischen Besatzungsmacht Bürgermeister von Bad Kreuznach geworden, erwies sich der Ungebärdige rasch als Fehlbesetzung. Risse fand 1946 einen Posten im bayerischen Entnazifizierungsministerium. Er entwickelte sich zum „Kommunistenfresser“. Ziebell verkörperte für Risse einen Bannerträger des Bolschewismus. Er verlor Ziebell weder in München noch in Saarbrücken oder in Wiesbaden aus den Augen, weil er dessen kommunistische Wühlarbeit zu bekämpfen entschlossen war. Er mischte sich als ehemaliger Agitator der status-quo-Bewegung an der Saar nicht in die französischen Saarpläne ein und ließ Ziebell diesbezüglich gewähren. Bezeichnenderweise gehörte er zeitweise zum Mitarbeiterstab des LfV Wiesbaden und des BfV. Erst verstohlen, dann offen bot er der Bundesregierung seine Hilfe im Schmeisser-Prozeß an. Er wollte die Ränke der „Kommune“ durchkreuzen, die er allenthalben am Werk sah. Seine Broschüre von 1956 unter dem Pseudonym Hover offen-
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barte sein breites Wissen über die Ereignisse, aber auch seine Selbstüberschätzung und die antikommunistische Manie. Adenauer, Blankenhorn und Frankreich: Seit Kriegsende trat Adenauer für eine europäische Integration ein und sah in einem engen deutsch-französischen Verhältnis eine unabdingbare Voraussetzung dafür. Vor Konstituierung der Bundesrepublik mußten gute Beziehungen zu den Westalliierten angebahnt und die alltäglichen Probleme mit deren Hilfe bewältigt werden. Blankenhorn ist daher der Kontakt mit Beamten der französischen Militärregierung 1948/49 in seiner Eigenschaft als Generalsekretär des Kölner CDU-Zonensekretariats nicht vorzuwerfen. Bei Levacher handelte es sich aber um einen Vertreter des Geheimdienstes. Hier mußte Blankenhorn zumindest Vorsicht walten lassen. Mitten in der Berlin-Krise durfte Aufklärung gegen die Sowjetunion als legitim erachtet werden. Die Weitergabe eines Feldzugsplans von Speidel mag akzeptabel gewesen sein, die Erörterung über eine Exilregierung bei einer Invasion der Roten Armee allemal. Indessen stritt Blankenhorn später jede Evakuierungswilligkeit ab, was als widerlegt gelten kann. Das militärische Konzept von General Speidel wurde zu einer Skizze degradiert, weil es anstößig sein mochte, das mittlerweile die deutsche Wiederbewaffnung erschwerende Frankreich in dieser Unverblümtheit unterrichtet zu haben. Blankenhorn leugnete sogar, die wahre Funktion Schmeissers seinerzeit durchschaut zu haben. Das war eine Lüge, die seine Glaubwürdigkeit beeinträchtigte. Die Annahme von Lebensmitteln und Geschenken kann als Korruption gelten, denn der Umfang überstieg bei weitem, was unter „Gefälligkeit“ subsumiert werden mag. Die Geldzahlungen Levachers sollen nur an Ruppert gegangen und für Nachrichten aus der SBZ oder der kommunistischen Szene im Ruhrgebiet bestimmt gewesen sein. Blankenhorn verwickelte sich auch diesbezüglich in Widersprüche, wenn es um Einzelheiten ging. Das vermeintliche Kungeln mit dem „Erbfeind“ Frankreich bescherte Blankenhorn negative Schlagzeilen. Der „Spiegel“ insinuierte maliziös, Blankenhorn habe alle gewünschten Informationen geliefert. Die Übergabe von Material an einen Vertreter der Besatzungsmacht war juristisch nicht grundsätzlich zu beanstanden. Leicht zugängliche Protokolle mochte man aushändigen dürfen, aber bei internen Vorgängen der deutschen Innenpolitik erschien Blankenhorns Verhalten anfechtbar. Reiseprivilegien und Kontaktanbahnungen waren für Politiker in jener problematischen Zeit dagegen nützlich und sollten nicht vorschnell verurteilt werden. In Anbetracht der damaligen Ambitionen Frankreichs, einen deutschen Zentralstaat zu verhindern oder wenigstens zu schwächen, mutete diese enge Zusammenarbeit dennoch befremdlich an. Die von Schmeisser erwähnte Liste frankophiler Persönlichkeiten ließ böse Zungen von „Kollaboration“ sprechen, wenngleich eine mildere Interpretation möglich erschien. Mit welchem Recht beanspruchte der französische Geheimdienst Mitteilungen über die deutsche Innenpolitik? Reifferscheidts Rheinstaat-Velleitäten verstärkten die „unerfreuliche“ Auslegung. Die Bundesregierung fürchtete nach den Enthüllungen um ihr Ansehen im Inland. Adenauer setzte nach seiner Wahl zum Bundeskanzler auf eine Annäherung an Frankreich und die Integration Europas bei gleichzeitiger Parteinahme für den Westen gegen die Phalanx der kommunistischen Länder. Er tat also, was er seit langem angekündigt hatte. Diese die Wiedervereinigung Deutschlands zumindest hinausschiebende Konzeption traf zunächst auf erheblichen Widerstand in der Bundesrepublik, wozu auch der „Spiegel“ zu rechnen ist. Adenauer ließ laut Augstein das Banner des „Rheinbunds“ flattern. Zusammenarbeit in neuem Geiste zwischen Deutschland und Frankreich verdiente Beifall – nicht aber beflissene Unterwerfung oder gar ein Kotau...
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Eigentlich schien 1948/49 ein Rheinstaat unter französischer Patronage überholt, obwohl die Revanche der Idee des Rapprochement noch immer trotzte. Jedenfalls konnte ein westdeutscher Teilstaat stark von Frankreich beeinflußt werden. Manche der Informationen Blankenhorns für einen Repräsentanten des die Zerstückelung Deutschlands ventilierenden französischen Geheimdienstes ließen sich mühelos in die Nähe des Landesverrats rücken. Blankenhorn machte Levacher klar, wieviel Wert eine Bundesregierung unter Konrad Adenauer auf ein enges Einvernehmen mit Paris legen würde. Er signalisierte dabei Entgegenkommen und Verständnis für die Notwendigkeit von Vorleistungen. Wer die verschiedenen Äußerungen im Zuge der Schmeisser-Affäre und die tatsächliche Außenpolitik Adenauers vergleicht, der wird keine substantiellen Widersprüche entdecken. Sollte Blankenhorn wirklich französische Hilfsgelder für die CDU im Bundestagswahlkampf erhalten haben – was trotz einiger Indizien unbewiesen bleibt –, hätte dies freilich die Grenzen des Vertretbaren überschritten. Dies wäre unlauter gewesen und hätte die Bundesregierung erpreßbar gemacht. Ohnehin gab es eine Reihe von Leistungen Levachers, die eine Dankesschuld Blankenhorns implizierten. Blankenhorn im Auswärtigen Amt die Verantwortung für die Saar zu übertragen, deren Schicksal Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland entzweite, muß als äußerst problematisch angesehen werden, sofern man mit der Elle gesamtdeutscher Interessen mißt. Eine rein „bundesrepublikanische“ Staatsräson konnte hinsichtlich der Saar zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen, doch Blankenhorns Beziehungen zu Levacher waren auch dann als Belastung zu begreifen. Adenauers Frankreichpolitik festigte sich 1952 allmählich, blieb aber ein Balanceakt am Rande des Abgrunds. Das gegenseitige Mißtrauen war groß, und die Franzosen konnten verständlicherweise die Schrecken des NS-Regimes nach dessen Niederwerfung nicht einfach abschütteln. Umgekehrt litten die Deutschen unter der Kontrollwut und Hartleibigkeit der französischen Außenpolitik. Die Annäherung blieb ein zartes Pflänzchen. Der „Spiegel“Artikel vom 9. Juli 1952 gefährdete die Realisierung der auch für die deutsch-französischen Beziehungen wegweisenden Westverträge. Adenauer wollte nicht daran erinnert werden, wie weit er und seine Mitarbeiter 1948/49 Frankreich entgegengekommen waren. Er hatte damals einiges riskiert, um das Wohlwollen von Paris zu erlangen. Wäre seine Politik der deutschfranzösischen Freundschaft weniger erfolgreich gewesen, so hätte die vom „Spiegel“ 1952 nahegelegte „böswillige“ Interpretation wesentlich mehr Resonanz gefunden, als schließlich der Fall war. Und bekanntlich hat derjenige Staatsmann Recht, dessen Handeln vor der Geschichte Bestand hat und mit Moralvorstellungen zumindest im großen und ganzen kompatibel ist. Politik und Moral: Indessen ist keineswegs klar, ob Blankenhorns Umgang mit Levacher moralisch gesehen noch vertretbar war. Zweifelsohne darf die Meßlatte für das erste Jahrfünft nach Kriegsende nicht zu hoch gelegt werden. Wer die aus den Fugen geratene deutsche Gesellschaft neu zu organisieren und wieder aufzubauen trachtete, der brauchte Spielraum und verdiente Respekt. Adenauer und Blankenhorn wollten den Nationalismus überwinden und einem neuen europäisch-föderalistisches Denken mit christlicher Inspiration zum Durchbruch verhelfen. Dies hat sich durchaus als richtig erwiesen, wenngleich Abstriche und Korrekturen vonnöten waren und sind. Die deutsch-französische Verständigung war dafür unverzichtbar. Um sie zu bewerkstelligen, mußte viel getan und auch gewagt werden. Dabei konnte man über das Ziel hinausschießen, wie die Schmeisser-Affäre lehrt. Blankenhorn sagte dem Vertreter des französischen Geheimdienstes zuviel. Die Vernehmungen haben bewiesen, wie offenherzig der Generalsekretär plauderte und parteipolitische Zwecke damit verfolgte. Seine Mitteilungen erfolgten jedenfalls nicht nur im
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deutschen Interesse, sondern auch im Sinne der Union mit Zielrichtung gegen andere Parteien. Gewiß, die SPD von Kurt Schumacher hätte keinen derart frankreichfreundlichen Kurs verfolgt, wenn sie die Bundestagswahl vom 14. August 1949 gewonnen hätte. Aber es war eine demokratische Partei voll honoriger Männer und Frauen, die lediglich eine andere Marschroute einschlagen wollte. Folglich darf kritisiert werden, wenn ein CDU-Politiker einer Besatzungsmacht intime Kenntnisse über Vorgänge bei anderen demokratischen Parteien vermittelt. Ein Gleiches gilt für Angaben über Kontrahenten in der CDU/CSU, die nicht auf der Linie Adenauers lagen. Diese Grenzen scheint Blankenhorn bisweilen überschritten zu haben. Es gibt Hinweise auf finanzielle Subventionen Frankreichs an die CDU im Wahlkampf, aber auch bei erstrangigen politischen Einzelfragen im Bundestag wie der Entscheidung für Bonn als provisorische Hauptstadt oder der Wahl Adenauers zum Bundeskanzler. Wären sie zutreffend, müßte der Stab über Adenauer und/oder Blankenhorn gebrochen werden. Eine solche Folgerung lassen unsere Recherchen indessen nicht zu. Trotzdem muß festgehalten werden, daß Bestechungen von Bundestagsabgeordneten mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgt sind. Blankenhorns Gebaren ist nicht dazu angetan, ihn für unschuldig zu halten. Blankenhorn hat jedenfalls die Grenzen des Anstands überschritten: Er ließ sich von Schmeisser regelmäßig mit Geschenken eindecken, die seinen Lebensstandard verbesserten. Zudem war er in den Vernehmungen bemüht, alles Mißliebige zu vertuschen. Die Angebote des BfV-Agenten Riedel an Schmeisser und die Vermittlungsmission von Bley sind ebenso vielsagend wie die Handhabung des Gerichtsverfahrens. Die Beleidigungsklagen Adenauers, Blankenhorns u.a. gegen Schmeisser und den „Spiegel“ führten zu umfangreichen, zeitaufwendigen Vernehmungen. Das Taktieren der Prozeßparteien hatte ebenfalls Anteil an der Verzögerung des Verfahrens, das erst am 26./27. September 1955 zustande kam. Bis zur letzten Stunde hatten die zuständigen Bundesministerien überlegt, ob Riedel eine Aussagegenehmigung erhalten sollte. Blankenhorn entschloß sich letzten Endes, sie zu verweigern, da man im Kreuzverhör unliebsame Enthüllungen über Riedels Missionen bei Familie Schretzmair befürchtete. Dabei gaben die Interessen der Betroffenen den Ausschlag, nicht die rechtliche Würdigung. Zur allgemeinen Verblüffung endete der Prozeß schon am zweiten Tag mit einem Vergleich. Schmeisser zog seine Äußerungen zurück, soweit sie entgegen seiner Absicht als Ehrverletzung aufgefaßt worden seien. Alle Kosten wurden ihm aufgebürdet, was Gerüchte nährte, er habe von Blankenhorn eine stattliche Summe Schweigegeld bekommen. Der „Spiegel“ war nicht minder glücklich als die Bundesregierung, den lästig und kostspielig gewordenen Fall los zu sein. Allein, die Staatsanwaltschaft konterkarierte dieses Kalkül und legte Revision gegen die Kostenentscheidung ein. Sie erhielt Recht beim BGH, der aus formalen Gründen ein Wiederaufrollen des Prozesses anordnete. Adenauer hatte in einer von der SPD sehr zahm geführten Bundestagsdebatte am 7. Dezember 1955 versprochen, die inhaltlichen Aspekte würden beim schwebenden Verfahren gegen Ziebell geklärt. Nachdem erneut zwei Jahre verstrichen waren, regelten der „Spiegel“, Ziebell, Schmeisser und die Bundesregierung die Sache einvernehmlich und hüteten sich, der Presse mehr als die nötigsten Informationen zuteil werden zu lassen. Inzwischen wollten alle darin verwickelten Parteien nur noch eines: ein Ende ohne Schrecken. Das Landgericht Hannover sanktionierte am 14. November und 28. Dezember 1957 resignierend die internen Vereinbarungen der Kontrahenten über Kostenverteilung und Klagerücknahme. Blankenhorn hatte herausgefunden, daß Schmeisser keine Unterlagen besaß, die ihn vernichten konnten. Demnach wollte er den Prozeß so gestalten, daß der Anschein des Unrechts auf der Gegenseite lastete. Allerdings durfte es nicht zu einer Verhandlung mit
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präzisen Zeugenaussagen kommen. Ob Riedel vorgeladen werden sollte, wurde unter dem Blickwinkel der Opportunität entschieden. So war das ganze Verfahren eine Farce. Selbst ein „durchaus mächtige[s] Magazin“ wie der „Spiegel“ hatte es nicht vermocht, ins Zwielicht gerückte höchste Stellen der Bundesrepublik Deutschland zu „säubern“.2 Neuere Forschungen haben gezeigt, daß der „Spiegel“ in der Wolle gefärbte Nationalsozialisten wie Horst Mahnke und Georg Wolff beschäftigte. 3 Enge Beziehungen zur Organisation Gehlen taten ein übriges, hervorragende Quellen für investigativen Journalismus zu erschließen. Dies kostete einen moralischen Preis, den Augstein offenbar zu entrichten bereit war. Allerdings sollte man nicht übertreiben: 4 Der „Spiegel“ war keineswegs nationalsozialistisch verseucht, und Folgerungen im Hinblick auf den dezidierten Patriotismus Augsteins sollten nicht leichtfertig gezogen werden. Schon in den 1950er Jahren leistete der „Spiegel“ wertvolle Aufklärungsarbeit, die freilich von mangelnden Berührungsängsten mit Nationalsozialisten profitierte. Hinzuzufügen wäre: mit obskuren Gestalten aus der Agentenszene. Der Blick in den nicht fleckenlosen „Spiegel“ darf keineswegs ablenken vom „Sündenregister“ des hohen Staatsbeamten Blankenhorn. Beim deutsch-israelischen Wiedergutmachungsvertrag von 1952 lastete ein Korruptionsverdacht auf Blankenhorn, der dem Bankier Lewy offenbar bei der Ausführung der deutschen Leistungen eine Vorzugsstellung einräumen wollte. Blankenhorn ging in die Offensive: Hans Strack, ein Beamter des BMWi, warnte vor den Folgen des Abkommens für die Beziehungen zu arabischen Staaten und sah sich plötzlich von Blankenhorn der Vorteilsnahme bezichtigt. Nach jahrelangen juristischen Auseinandersetzungen wurde Blankenhorn in erster Instanz wegen falscher Anschuldigungen zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, bevor der Bundesgerichtshof ihn im Revisionsverfahren freisprach. Adenauer und Blankenhorn bemühten sich im Laufe des Jahres 1949 um die Schaffung eines deutschfreundlichen Presseorgans im Ausland. In der Wahl ihrer Partner waren beide nicht zimperlich: Die Gebrüder Klein hatten manches auf dem Kerbholz, und eine Gewährung von Importlizenzen als Gegenleistung für ein Sprachrohr in Frankreich oder in der Schweiz besaß einen gewissen Beigeschmack. Über Schmeisser scheint ein Kontakt mit Müller-Schwanek hergestellt worden zu sein, der nicht bloß ein SD-Mann, sondern ein sowjetischer Agent war. Bei seinem Presseprojekt überschritt Adenauer bisweilen das Maß des Erträglichen... Wie resolut er auftreten konnte, zeigt ferner seine Verbindung mit dem Kriegsverbrecher und britischen Agenten Zech-Nenntwich; in diesem erblickte Adenauer einen Verbündeten gegen Ministerpräsident Karl Arnold im Ringen um den künftigen Kurs der Union. Der SPD-Parteivorstand ließ sich von Fritz Heine in eine schmutzige Operation hineinziehen. Man sammelte Material gegen Blankenhorn, ohne sich an dem üblen Charakter der Zuträger zu stören. Heine dachte mitnichten an politische Sauberkeit, sondern an die nächste Bundestagswahl. Die Schlammschlacht schreckte ihn nicht. Ebensowenig Skrupel empfand er bei der Überwachung der hessischen SPD-Führung. Heine hatte bei Sefton Delmer verlernt, daß Politik auch der Moral bedarf. So ist es kein Zufall, wenn Heine sich von Ziebell täuschen ließ und dessen Verläßlichkeit falsch einschätzte. Indessen heiligte der Zweck nicht die Mittel, wie der Pressechef der SPD erfahren mußte. Heine saß Doppelagenten auf, die ihn narrten. Schumacher und Ollenhauer hielten sich wie Adenauer abseits, doch auch sie wußten Bescheid über die Intrige gegen Blankenhorn und lehnten sich gewiß nicht dagegen auf. In Hessen fanden Zinn und Zinnkann nichts dabei, die Gefahren durch den BDJ 2 3 4
Just, Spiegel, S. 175. Hachmeister, Gegnerforscher, S. 316-336; Buschke, Presse, S. 109-114, 368f. Dies tut Fischler in seinem Beitrag „Spengler, Spiegel, Augstein“, der das Magazin als „Trojanisches Pferd voller antidemokratischer Gedanken, Entschlüsse und Haltungen“ bezeichnet (S. 40) und besonders die Parteien- und Parlamentsschelte Augsteins scharf verurteilt.
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aufzubauschen, um von ihrem völligen Versagen bei der Kontrolle des LfV abzulenken. Das Wohl der Partei, vor allem aber die eigene Karriere waren wichtiger als die Folgen für Hessen und die Bundesrepublik. Lieber nahm man einen Streit mit der amerikanischen Besatzungsmacht in Kauf, der leicht vermeidbar gewesen wäre. Die heimliche Mitsprache der Besatzungsmächte in der hessischen Politik durch Vertrauensmänner irritierte die Landesregierung dagegen überhaupt nicht. Dies alles erlaubt nicht, die politische Klasse der frühen Bundesrepublik undifferenziert zu verdammen. Gelegentlich bedarf es einer gewissen Robustheit; mit Samthandschuhen ist noch niemand Kanzler oder Ministerpräsident geworden. Zudem haben wir Extremfälle untersucht, die nicht als repräsentativ für das Handeln insgesamt betrachtet werden dürfen. Dennoch muß gesagt werden, daß Politik und Moral in der Nachkriegszeit des öfteren inkommensurabel schienen. Dies lag an der Abstumpfung, die der Zweite Weltkrieg hervorgerufen hatte, aber auch am Charakter einzelner Männer. Offenbar schafften es diejenigen Köpfe, die völlig integer waren, nicht immer bis in höchste Staats- oder Parteiämter. Es hilft nichts, dies zeitübergreifend als Grundübel der Politik zu beklagen. Der Historiker muß auf den Einzelfall hinweisen, der Gegenstand seiner Recherchen gewesen ist. Blankenhorn muß als bestechlich angesehen werden. Die Kampagne gegen Strack zeigt ihn darüber hinaus als hemmungslos und machiavellistisch. Seine nicht bloß taktische Flexibilität beschrieb der deutsche Diplomat Josef Jansen 1958 so: „Aber vieles von seiner Wirkung ist Mache, Wind. (...) Er hat keinen festen Stand. Er paßt sich täglich an.“ 5 Es spricht nicht für Konrad Adenauer, einen solchen Mann jahrelang zum engsten Vertrauten gehabt zu haben. Adenauer versteckte sich zumeist hinter Blankenhorn, dürfte aber dessen Unternehmungen weitgehend zugestimmt haben. Dies ist ein Makel. Einige Spitzenpolitiker der SPD, allen voran Fritz Heine, wühlten ebenfalls allzu tief im Morast. Verdienstvolle Männer der „ersten Stunde“ haben insgeheim Dinge getan, die durch das Raster der Redlichkeit fallen. Dies schmälert nicht ihre politische Gesamtleistung, wohl aber ihren Sympathiebonus und ihre Vorbildfunktion. Die Bewertung nicht nur ihrer menschlichen Qualitäten muß mehr oder minder überdacht werden. Für Blankenhorn kann die Diagnose nur düster ausfallen: sein Rücktritt wäre trotz seiner Fähigkeiten für die Bundesrepublik Deutschland die bessere Lösung gewesen. Verborgene Macht der Westalliierten: Wir haben in der Einleitung eine Warnung von Franz Josef Strauß zitiert, die sich gegen die Infiltration durch Beauftragte westlicher Geheimdienste richtete. Einige Emigranten mögen daran beteiligt oder gar bewußt darauf vorbereitet worden sein; indessen hatten die Besatzungsmächte vielfältige Zuträger. Diese verfolgten nicht bloß etwaige Regungen der nationalsozialistischen Hydra aufmerksam – sie meldeten alles, was für Paris, Washington oder London von Belang schien. Unsere Studie hat Anschauungsunterricht für diese Form der Kontrolle geliefert, die die Bundesrepublik Deutschland – bei allem Verständnis – sich auch von Freunden nicht gefallen lassen konnte. In London arbeiteten manche deutschen Emigranten im Krieg für den britischen Geheimdienst und die Propagandasender von Sefton Delmer; diese Leute tauchten später auf dem Kontinent wieder auf. Johns großes Wohlwollen für die westlichen Nachrichtendienste hat viel damit zu tun. Der Leiter von P 6, Edmond Beer, war anscheinend ebenfalls in London in diesem Metier aktiv gewesen. Heinz Braun, der rührige saarländische Justizminister, gehörte ebenso zum Team Delmers wie Fritz Heine. Dies gilt gleichermaßen für den ehemaligen SDMann Zech-Nenntwich, der nach 1945 an die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen 5
Tagebucheintrag Jansens, 16.12.1958, zit. nach Ramscheid, Blankenhorn , S. 319.
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herangespielt wurde und Adenauer in seinem Machtkampf gegen Karl Arnold beigestanden haben dürfte. Natürlich sollte diese Beobachtung nicht überschätzt werden: Keine GeheimLoge von London-Exilianten gab in der Bundesrepublik den Ton an. Immerhin existierten zwischen vielen dieser Leute persönliche Drähte, und manche blieben auf der Gehaltsliste des Secret Service. In politischen Kreisen der jungen Bundesrepublik entstanden zahlreiche Nachrichtennetze, bei denen niemand sagen konnte, inwieweit einer der Alliierten dahintersteckte. Die Presselandschaft im Deutschland des Jahres 1950 entfaltete sich erst. Das Sammeln von relevanten Informationen konnte einem Politiker einen entscheidenden Vorsprung vor seinem Rivalen sichern. Wer sich diesem System verweigerte, blieb auf der Strecke. Wir haben verfolgt, wie Ziebell 1950 in der Pfalz Nachrichtenverbindungen zu knüpfen versuchte. Die SPD hatte ihn anscheinend dazu beauftragt, ahnte aber nicht, wer sich hinter ihm verbarg: der französische Geheimdienst. Gerade im Vorfeld der Errichtung des BfV war dieses Thema besonders brisant. Kein Zweifel: Die Alliierten taten viel, um V-Leute beim BfV einzuschleusen. Ziebell bewarb sich und wurde eher zufällig abgewiesen, Risse und Zweig hatten Erfolg. Das BfV stand also zu Anfang in erheblichem Maße unter dem Einfluß der Westmächte. Erst die 1955 erreichte weitgehende Souveränität schuf gesetzgeberische Möglichkeiten, gegen Spitzel oder gar Hochverräter auch dann vorzugehen, wenn es nichtkommunistische Länder betraf. Die Alliierte Hohe Kommission hatte dies bis dahin unterbunden. Darüber hinaus saßen in vielen Behörden Informanten ausländischer Mächte, die weitgehend „gesichtslos“ blieben – was zählte, war das „System“. Der Fall John wurde hingegen zum weithin sichtbaren Fanal – Strauß übertrieb bei seinem eingangs zitierten Kassandraruf mitnichten. Voller Sarkasmus beschreibt Mansfeld dies so: Blankenhorns „jahrelange Arbeit für den französischen Geheimdienst nach dem Kriege konnte man keineswegs Landesverrat nennen, waren doch die Alliierten die obersten Dienstherren.“ 6 Seit Mai 1955 durfte die Bundesrepublik Deutschland in ihren Behörden die Kandidaten für wichtige Ämter durchleuchten. Vielfach ließ sich durchaus erkennen, wer infolge seiner Biographie für eine bestimmte Position nicht geeignet war. Die Zahl der V-Leute der Alliierten dürfte Jahr für Jahr niedriger geworden sein. Dafür setzte eine weit bedrohlichere Unterwanderung ein, die von Ost-Berlin gesteuert wurde. Frankreich hatte den größten Anteil am Strom der Zuträger besessen. Das resultierte nicht zuletzt aus der unmittelbaren Nachbarschaft zu Deutschland und den damit verbundenen Territorialkonflikten. Ein Schwerpunkt der Arbeit des französischen Geheimdienstes lag in der Saarfrage. Lange Zeit versuchte Frankreich, diesen Cordon sanitaire gegen Deutschland in der Hand zu behalten. Politische Ziele wurden auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln verfolgt. Der Aufwand war beträchtlich, das Ergebnis ernüchternd: Die Saarbevölkerung votierte im Referendum vom 23. Oktober 1955 mit 67,7 Prozent implizit für die Rückgliederung an Deutschland. Gerade dies sollte zu einer bedeutsamen Voraussetzung für die deutsch-französische Versöhnung werden. Ein Geheimdienst ist besonders leistungsfähig, wenn die Zielrichtung seiner Tätigkeit mit dem Mehrheitswillen der Bevölkerung korrespondiert. Agentenmanöver können auf Dauer nicht reüssieren, sofern die Volksstimmung in eine entgegengesetzte Richtung weist. Wer nackte Gewalt verschmäht, sollte auch den Geheimdienst für wichtigere Zwecke einsetzen: die Aufklärung elementarer Gefahren für das Wohlergehen der eigenen Bevölkerung. Dies ist immerhin ein tröstlicher Befund unserer Studie. 6
Mansfeld, Bonn, S. 306.
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AdsD
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AHK
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AP/ap
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ASTA
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BA
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BPA
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QUELLEN UND LITERATUR ARCHIVALIA Archiv für Christlich-Demokratische Politik St. Augustin (ACDP) Bundesparteiausschuß (VII): 001-020/5 NL Bruno Dörpinghaus (I-009): 016/7 NL Hans Globke (I-070): 008/2, 013/1, 023/1, 023/3, 059/5, 060/1 NL Otto Lenz (I-172): 58/2 K I/2, 58/3 K I/3, 62 K II/8 Archiv des deutschen Liberalismus Gummersbach-Niederseßmar (AdL) N 11 Max Becker: Bd. 31 Archiv des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Berlin (BPA) Bestand F 20: Nachrichtenspiegel I-III Bestand F 24: Schnell-Informationen Bestand F 25: Pressemitteilungen Bestand F 30: Pressekonferenzen Presseausschnittsarchiv Schmeisser Archiv der sozialen Demokratie Bonn (AdsD) Die Bestände werden nach und nach digitalisiert. Soweit dies schon geschehen ist, werden die neuen Nummern angegeben. SPD-Parteivorstand. Sekretariat Fritz Heine (2/PVAJ): 0000022, 0000084, 0000112, 0000549, 0000550, 0000649, 0000652 SPD-Parteivorstand. Bestand Erich Ollenhauer: Bd. 458 SPD-Parteivorstand. Bestand Emigration/Sopade: Mappen 112, 150, 209, 218 SPD-Bezirk Pfalz, Bde. 0317, 0343 Bestand SPS/Ernst Kunkel: Bde. 12, 50 Sammlung Personalia: Bde. 1313: Herw; 1693B: Krüger, Hasso – Krüger, H.; 2468: Riss – Risz; 2470B: Heinrich Ritzel, Mappe bis 31.12.1959; 2578: Fritz Dorls 1949-1951; 2578A: Fritz Dorls 1952-1964; 2622A: Hans-Konrad Schmeisser; 3522A: Zech-Nenntwich; 3528D: Zie – Ziegel; 3557: Zweig, E.-Z. – Zwez; 3597: Goebbels-Goeck; 3811: Dieter Gütt; 5730: Blankenhorn; 5731: Herbert Blankenhorn;
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o. Nr., Otto Strasser, Box 1: bis 31.8.1951, Mappen bis 31.12.1949, 1950 und 1.1.195131.8.1951; o. Nr., Otto Strasser, Box 2: 1.9.1951 – 31.12.1952, Mappen 1.9.1951-31.12.1951 und 1952; o. Nr., Otto Strasser, Box 3: 1.1.1953 – 31.12.1955, Mappen 1.1.1953-31.12.1954 und 1955; o. Nr., Otto Strasser, Box 4: 1.1.1956 – 30.8.1974 und Bio, Mappen 1956-1974 und Biographie NL Fritz Erler: Bd. 170 NL Fritz Heine: Bde. 145-147, 248, 251 NL Waldemar von Knoeringen: Bde. 221, 445 NL Willy Knothe: 1/WKAE000007 NL Karl Mommer: Bde. 10 Box 1, 13 NL Heinrich Ritzel: Bde. 45, 235, 238, 239, 1195, 1499, 1500 NL Fritz Sänger: Bd. 1 Archives du Ministère des Affaires Étrangères Paris (AMAE) Série Europe 1944-1960, Sous-Série Sarre, Bde. 249, 250 [alte Numerierung: Série Europe 1949-1955, Sous-Série Sarre, Bde. 168, 169] Bundesarchiv Koblenz (BA) B 106 Bundesministerium des Innern: Bde. 15459, 15490, 15531, 15532, 15536, 15566, 15567, 15790, 18552, 63037, 63040, 63051, 63053, 63054, 63056, 71854, 71926, 73205, 200207, 200208, 200261, 202114, 202119, 202231, 202278 B 126 Bundesministerium der Finanzen: Bd. 45 B 136 Bundeskanzleramt: Bde. 132, 240-242, 1741, 1746, 1755, 1756, 3175, 4430, 50385 B 137 Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen/innerdeutsche Beziehungen (ab 1969): Bde. 3400, 3409, 3410, 3413, 3418, 3426, 3431, 3435-3439, 3454, 3456, 3508, 16539, 16540 B 141 Bundesministerium der Justiz: Bde. 12083, AZ 4023 E (1), Bd. 1 und Bd. 2 [BandNummern dieser bisherigen VS-Bände noch nicht vergeben] N Herbert Blankenhorn (1351): Bde. 1b, 2, 4, 5, 9b, 13, 239 N Franz Blücher (1080): Bde. 98, 102, 117, 141 N Hermann Brill (1086): Bd. 48 N Jakob Kaiser (1018): Bd. 89 N Hubertus Prinz zu Löwenstein (1222): Bde. 89, 184 N Kurt Rheindorf (1263): Bde. 112, 315 N Fritz Schäffer (1168): Bd. 27 Z 35 Büro für Friedensfragen: Bde. 226, 238 Firmenarchiv Koenig & Bauer Frankenthal Firmenchronik Diverse Dokumente Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HHSt) Staatskanzlei: Abt. 502, Bd. 7853 Landesarchiv Saarbrücken (LA) Staatskanzlei: Bd. 891 NL Heinrich Schneider: Bde. 142, 243, 297, 352, 394, 448, 449, 514, 695
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Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Berlin (PA/AA) B 2 (Büro StS): Bde. 116, 354A B 10 (Abt. 2): Bde. 474, 478-482 B 17 (Materialsammlung Blankenhorn): Bde. 128, 152 B 130 (VS-Registratur): Bde. 13795-13799 Personalakte Gustav Strohm: Bd. 58365 Pressedokumentation des Deutschen Bundestages Deutsche Saar-Zeitung (DSZ), Bad Kreuznach Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung, Stuttgart Frankfurter Allgemeine Zeitung Frankfurter Rundschau Neue Zeitung, München Rheinischer Merkur, Koblenz Saarbrücker Zeitung Saarländische Volkszeitung (SVZ), Saarbrücken Der Spiegel, Hannover/Hamburg Süddeutsche Zeitung, München Die Welt, Hamburg Die Zeit, Hamburg Stadtarchiv Bad Kreuznach Meldebogen „Risse, Friedrich Viktor“ Universitätsarchiv Köln Karteikarte Aloys Masloh Promotionsakten: Zug 42, Nr. 3253: L – Ma vom 1.1.1937 bis 1.1.1943 Mündliche oder schriftliche Auskünfte Klaus Altmeyer (Lebach/Saar), 13.4.2007 Bürgeramt Frankfurt a.M., Herr Rainer M. Orell, 31.10.2006 Friedhofsverwaltung Geretsried über Gemeindearchivarin Frau Claudia Goetz, 13.4.2006 Gemeindeverwaltung Bad Wiessee, 28.3.2006 Stadtarchiv Bad Kreuznach, Frau Blum-Gabelmann M.A., 11.8.2006, 16.8.2006 Stadtarchiv München, Herr Archivamtsrat Anton Löffelmeier, 23.8.2006, 15.11.2006 Universitätsarchiv Würzburg, Herr Marcus Sporn M.A., 9.3.2006
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ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abb. 1, 3-7, 10: Bildarchiv des „Spiegel“ Abb. 2: Bundesbildstelle Abb. 8 und 9: Privatarchiv Klaus Altmeyer (Lebach)
Abb. 1: Hans-Konrad Schmeisser, Agent des französischen Geheimdienstes
Abb. 2: Herbert Blankenhorn, Vertrauter Adenauers und Ministerialdirektor im Auswärtigen Amt
Abb. 3: Otto Lenz (CDU), Staatssekretär im Kanzleramt 1951–1953
Abb. 4: Heinrich Ritzel (MdB/SPD)
Abb. 5: Fritz Heine, Pressechef der SPD
Abb. 6: Ewald Zweig, Agent des SDECE und der CIA
Abb. 7: Walter Klein, ehemaliger Gestapo-Agent, später SRP
Abb. 8: Wilhelm Bodens, Ministerialreferent im BMG
Abb. 9: Der saarländische Oppositionsführer Heinrich Schneider (rechts) im Gespräch mit Hubert Ney (Vorsitzender Saar-CDU) und Fritz Schuster (DPS)
Abb. 10: Rudolf Augstein (rechts) beim Schmeisser-Prozeß am 26.9.1955 mit seinen Anwälten Reinhold Maier (Mitte) und Josef Augstein. Maier war 1951–1954 Ministerpräsident von Württemberg-Baden bzw. Baden-Württemberg