Die Relativitätstheorie in der modernen Physik: Vortrag gehalten auf dem 85. Naturforschertag in Wien 9783111494173, 9783111127880


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German Pages 77 [80] Year 1914

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Die Relativitätstheorie in der modernen Physik: Vortrag gehalten auf dem 85. Naturforschertag in Wien
 9783111494173, 9783111127880

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Die Relativitätstheorie in der modernen Physik Vortrag gehalten

auf dem

85. Naturforschertag

in

von

MELCHIOR PALÄGYI Prof. Dr.

Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1914

Wien

Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten.

Vorwort.

D

ie vorliegende Abhandlung ist nur die Vorläuferin eines größeren Werkes, das ich im Laufe des Jahres 1914 fertigzustellen gedenke und in welchem die Grundlinien jenes neuen Weltsystems, dem die moderne Physik zustrebt, dargestellt werden sollen. Vorläufig handelt es sich mir nur um die philosophische und mathematische Läuterung der Fundamentalbegriffe von Zeit, Raum und Bewegung, die dem neuen Weltsystem zugrunde liegen. Ich muß also den kritischen Leser bitten, jene Punkte meiner Abhandlung, wo ich nur Anregungen, nicht aber zugleich auch Ausführungen bieten darf, mit Rücksicht auf den eigentlichen Zweck dieser kleinen Schrift, nicht von einem intoleranten spezialistischen Standpunkt aus beurteilen zu wollen. Gelingt es mir, zu beweisen oder wenigstens eindringlich fühlen zu lassen, daß wir mit den gangbaren Begriffen von Zeit, Raum und Bewegung nicht mehr auskommen können, und daß diese Fundamentalbegriffe von Grund aus umgestaltet werden müssen, damit wir die Theorie der Gravitation und des Lichts, die Mechanik und Elektrodynamik in ein einheitliches mathematisches System eingliedern können, dann hat diese Abhandlung alles geleistet, was sie zu leisten unternimmt. Freilich lasse ich auch schon die neuen Begriffsfassungen von Äther und Materie, sowie ihrer Wechselwirkung durchblicken und nehme manches, was erst in der größeren Arbeit konkretisiert werden kann, vorweg; hoffe jedoch, daß derartige Anregungen nicht verübelt werden, und daß die bloße l*



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Einführung in den Problemkreis der neuen Weltmechanik nicht verwechselt wird mit der spezialisierten Durchführung eines solchen weltmechanischen Systems. Dieses neue System beruht vor allem auf jener Einheitslehre von Raum und Zeit, die ich in meiner Schrift „Neue Theorie des Raumes und der Zeit" im Jahre 1901 entwickelt und erkenntnistheoretisch begründet habe. Sieben Jahrenach dem Erscheinen dieser Schrift verkündete der geniale und leider zu früh verstorbene Mathematiker Hermann M i n k o w s k i in einem berühmt gewordenen Vortrage (1908) verwandte Grundgedanken unter dem Schlagworte „Union von Raum und Zeit". Die enge Verwandtschaft der beiden Einheitstheorien ist dermaßen in die Augen fallend, daß einige Forscher, so der Naturphilosoph Leo G i l b e r t , der Physiker E. G e h r c k e und der Mathematiker V. V a r i c a k, Veranlassung fanden, hierauf hinzuweisen und teilweise auch meine Priorität zu betonen. Tatsächlich legt M i n k o w s k i seinen Untersuchungen dasselbe vierachsige Koordinatensystem zugrunde, das ich durch die Angliederung der Zeit als vierter Achse an das räumliche Achsenkreuz konstruiert und als denknotwendig erwiesen hatte. Trotzdem besteht ein tiefliegender, verborgener Gegensatz zwischen den beiden Einheitstheorien von Raum und Zeit, denn M i n k o w s k i läßt sich durch seinen überschwänglichen Einheitsdrang zu dem mystischen Streben hinreißen, Raum und Zeit in ihrem Sondercharakter „wie Schatten versinken" zu lassen, und den Unterschied der beiden fundamentalen Ordnungsbegriffe womöglich aufzuheben. Dies Streben führt zu schweren logischen Unzuträglichkeiten, so unter anderem zu der unmöglichen Annahme, daß eine dreifach unendliche Mannigfaltigkeit von Zeitströmen bzw. Koordinatensystemen dem System der Physik als g l e i c h b e r e c h t i g t zugrunde gelegt werden kann. Dieser Minkowskische Grundgedanke enthält eigentlich die Aufhebung jeder einheitlichen Naturauffassung und ist der mathematische Ausdruck einer



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(nicht beabsichtigten, unbewußten) absoluten Skepsis. Dieser gegenüber glaube ich in der vorliegenden Abhandlung zeigen zu können, daß die moderne Physik notgedrungen zu jener Einheitslehre von Raum und Zeit zurückgreifen muß, die den disparaten Charakter der beiden Ordnungen aufrecht erhält, wie sie in meiner Schrift von 1901 enthalten ist. Die M i n k o w s k i sehe Theorie wurde eigentümlicherweise durch die Anhänger der E i n s t e i n sehen „Relativitätstheorie" adoptiert, und wird für einen integrierenden Bestandteil der letzteren gehalten. Was diese sogenannte Relativitätstheorie betrifft, so befindet sie sich derzeit in einem krisenhaften Zustande und schwebt in Gefahr, als eine „Modetheorie" betrachtet zu werden, die einige Zeit Sensation erregt und von jugendlich-übereifrigen Forschern umschwärmt wird, um alsbald jener Vergessenheit anheimzufallen, die das Schicksal gewisser revolutionärer, aber unfruchtbarer Theorien ist. Ein hervorragender Physiker, M. A b r a h a m , kennzeichnet diese kritische Lage mit den folgenden scharfen Worten: „An der Klippe der Schwerkraft scheitert also jede Relativitätstheorie, sowohl die spezielle von 1905, wie die allgemeine von 1913. Die relativistischen Ideen sind offenbar nicht weit genug, um einem vollständigen Weltbilde als Rahmen zu dienen. Doch bleibt der Relativitätstheorie das historische Verdienst um die Kritik der Begriffe von Raum und Zeit." („Die neue Mechanik." Scientia, Bd. XV, 1914.) A b r a h a m fügt hinzu, daß diese Sichtung der Zeit- und Raumbegriffe der Relativitätstheorie ein „ehrenvolles Begräbnis" sichert. Die E i n s t e i n sehe Relativitätstheorie leidet an dem fundamentalen und unheilbaren Gebrechen, daß sie die N e w t o n sehe Mechanik überwinden möchte und trotzdem von der unhaltbaren N e w t o n sehen Unterscheidung zwischen relativer und absoluter Bewegung ausgeht. Der große Meister der klassischen Mechanik klagt selbst darüber, daß seine Unterscheidung eine schwierige sei. In Wirklich-



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keit ist sie auch heute noch so dunkel, wie sie vor zweihundert Jahren war, und wird für immer der erwünschte Zankapfel unfruchtbarer „Metaphysiker" und „Antimetaphysiker" bleiben. Viele Physiker glauben auch heute noch, daß die „relative Bewegung" ein physikalischer, die „absolute Bewegung" hingegen ein metaphysischer Begriff sei, wo sie doch beide metaphysischen Charakter im schlechtesten Sinne des Wortes haben, d. h. bloße Scheinbegriffe darstellen, mit denen gar kein bestimmter Sinn verbunden werden kann. Der Nachweis dieser Auffassung bildet den zweiten Hauptpunkt dieser Abhandlung. Ich begnüge mich jedoch nicht mit einer bloß negativen Kritik der genannten Scheinbegriffe, sondern zeige, daß die verunglückte Denkintention, die in ihnen enthalten ist, durch die positiven Begriffe der Sonderund Kollektivbewegung, sowie der Stufenleiter von Kollektivbewegungen ersetzt werden kann. So gelange ich zu einer rein empirischen Deutung der sogenannten „absoluten Bewegung"; sie wird nämlich zum bloßen Zeitstrom, auf den wir jede Sonderbewegung beziehen. Mit der Unterscheidung der relativen von der absoluten Bewegung fällt auch das sogenannte „Relativitätsprinzip"hinweg. Es gibt ein solches Prinzip in der Physik überhaupt nicht, und zwar ebensowenig wie ein Prinzip des „Absolutismus". Das „Relativitätsprinzip" ist durch ein „Kollektivitätsprinzip" zu ersetzen, d. h. durch ein Prinzip, welches den gesetzmäßigen Zusammenhang von Sonder- und Kollektivbewegungen (Systembewegungen) nachweist. Die nähere Ausführung dieses Prinzips bleibt jedoch, wie manches andere, was hier nur angedeutet wird, der oben angekündigten größeren Arbeit vorbehalten. M. Palägyi.

Obwohl die moderne „Relativitätstheorie" derzeit noch mit großen Unklarheiten behaftet ist, geht sie, meiner Auffassung nach, doch einer großen Zukunft entgegen, weil sie trotz des dichtmaschigen Netzes von logischen Widersprüchen, in das sie sich bisher verstrickt hat, mit einer seltenen wissenschaftlichen Hartnäckigkeit das höchste Ziel der physikalischen Forschung, d a s e i n h e i t l i c h e Erfassen aller Klassen von p h y s i k a l i s c h e n Ers c h e i n u n g e n , zu verwirklichen sucht. Sie will die Gegensätze zwischen der Physik der Materie und der Physik der Äthers (Mechanik einerseits und Elektrodynamik anderseits) an ihrer tiefsten Wurzel fassen und zu einer möglichst gründlichen Versöhnung bringen. Die Energie und Tiefe dieses Einheitsdranges kommt vornehmlich darin zum Vorschein, daß sie zu einer überraschenden R e f o r m u n s e r e r R a u m - u n d Z e i t b e g r i f f e geführt hat. Es hat bisher noch niemals eine physikalische Theorie gegeben, welche die Umgestaltung unserer Begriffe von Zeit und Raum gefordert hätte: die Relativitätstheorie aber stellt das kategorische Postulat auf, uns von stark eingewurzelten, üblen Denkgewohnheiten in Bezug auf Zeit und Raum zu befreien, falls uns ernstlich daran gelegen ist, die Lehren der Mechanik und Elektrodynamik, die Theorien der Bewegung und der Strahlung in wahre Einstimmigkeit zu setzen. Hierauf beruht die große physikalische und philosophische Bedeutung jener Revolutionierung der Zeit- und Raumbegriffe, die von E i n s t e i n (im Jahre 1905) und M i n k o w s k i (im Jahre 1908) ausgegangen ist.



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Auf wesentlich anderem Wege, von erkenntnistheoretischen und synthetisch-geometrischen Untersuchungen ausgehend, bin ich schon früher als die beiden genannten Forscher, nämlich im Jahre 1901, zu einer Umgestaltung der Zeit- und Raumbegriffe gelangt, die ich in meiner bei Engelmann (1901) erschienenen Schrift „Neue Theorie des Raumes und der Zeit" ausführlich darlegte. Obwohl ich mich sonst nicht gerne zitiere, sei es mir diesmal gestattet die ersten Zeilen der soeben genannten Arbeit zu reproduzieren: „Ich erlaube mir im folgenden eine E i n h e i t s l e h r e v o n R a u m u n d Z e i t z u e n t w i c k e l n , die sich von den herrschenden Anschauungen über Raum und Zeit wesentlich unterscheidet, und die mir aus einer Verbindung von erkenntnistheoretischen und geometrischen Betrachtungen erwachsen ist." Ich hegte nämlich schon damals die Überzeugung, daß man niemals werde zu einer einheitlichen Theorie alles physikalischen Geschehens durchdringen können, wenn es nicht gelingt, die alte konventionelle Auffassung von der Zusammenhanglosigkeit der räumlichen und zeitlichen Ordnung zu überwinden. Die neue Lehre von Zeit und Raum sollte mir also bloß als Mittel dienen, um später den eigentlichen Zweck: die Begründung einer Einheitslehre der ätherischen und materiellen Vorgänge in der Physik, verwirklichen zu können. Ich drückte dies in meiner genannten Schrift so aus, daß ich die Theorie von Zeit und Raumals „ a l l g e m e i n e Erscteinungslehre" und als das eigentliche Fundament nicht nur der Physik im engeren Sinne, sondern aller Naturwissenschaften überhaupt hinstellte. Wie sehr war ich nun überrascht, als mir (leider nur allzuspät!) der mit Recht berühmt gewordene Vortrag M i n k o w s k i s über Raum und Zeit in die Hände kam, und ich gleich in den ersten Zeilen den Ausruf des genialen Mathematikers las: „ V o n S t u n d a n s o l l e n R a u m f ü r s i c h u n d Z e i t f ü r s i c h v ö l l i g zu S c h a t -



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ten h e r a b s i n k e n und nur noch eine Art Union der beiden soll Selbständigkeit b e w a h r e n." . . . . Unsere Tendenzen schienen mir so sehr übereinzustimmen, daß mir anfangs ganz unheimlich zumute war, weil ich den lebhaften Eindruck gewann, daß M i n k o w s k i meine sieben Jahre früher erschienene Abhandlung über Raum und Zeit gekannt haben mußte. In dem Maße aber, als ich mich in seine Ausführungen hineinlas, kam mir die Wahrheit des alten Erfahrungssatzes zum Bewußtsein: si duo faciunt idem, non est idem. Eigentlich enthielt schon der Ausdruck M i n k o w s k i s , daß Zeit und Raum „völlig zu Schatten herabsinken" sollen, etwas Beunruhigendes für meine Denkweise, und meine Unruhe steigerte sich um so mehr, als der tiefsinnige und etwas mystisch veranlagte Mathematiker wirklich Ernst damit machte, den völlig disparaten Charakter von Zeit und Raum zu verwischen, ihre Selbständigkeit einander gegenüber aufzuheben, und sie beide in der Union eines neuen „RaumZeit"-Begriffes untergehn zu lassen. Das war nämlich durchaus nicht mehr jene Einheitslehre von Zeit und Raum, die ich in meiner genannten Schrift als ein logisches Postulat des menschlichen Verstandes zu erweisen suchte. Meiner Auffassung nach muß der s e l b s t ä n d i g e und p o l a r v e r s c h i e d e n e Charakter von Zeit und Raum um so schärfer betont werden, je mehr wir uns gedrängt fühlen, sie beide zu einer einheitlichen Doppelordnung der Erscheinungswelt synthetisch zusammenzufassen. Denn nur die polare Verschiedenheit von Zeit und Raum nötigt unseren Verstand, sie als unbedingt zusammengehörig zu betrachten: so etwa, wie nur die polaren Unterschiede zwischen den beiden Geschlechtern uns zwingen, die männlichen und weiblichen Charaktere als einander wechselseitig bedingend zu erkennen. Wer aber Raum und Zeit zu unterschiedslosen Schatten herabsinken läßt, der kommt unvermerkt dahin, die beiden Ordnungsbegriffe miteinander zu verwechseln, d. h. zwei



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grundverschiedene begriffliche Inhalte miteinander zu identifizieren, was offenbar einen logischen Widerspruch involviert. Tatsächlich glaube ich, den strikten mathematischen Beweis erbringen zu können, daß die Μ i η k ο w s k i sehe, wie auch die E i n s t e i n sehe Auffassung vom Zusammenhange der zeitlichen und räumlichen Ordnung an einem inneren Widerspruche leidet, wodurch dann die Quelle aller Paradoxien und Widersprüche aufgedeckt sein wird, mit denen die moderne Relativitätstheorie behaftet erscheint. Diese kritische Stellungnahme ist uns aber durchaus nicht Zweck, sondern bloß ein (leider unvermeidliches) Mittel, um die positive Grundlage für eine w i d e r s p r u c h s f r e i e R e l a t i v i t ä t s t h e o r i e 1 ) zu gewinnen, welche tatsächlich die optischen und elektrodynamischen Erscheinungen einerseits, sowie die mechanischen anderseits zu einem einheitlichen Lehrgebäude zusammenfaßt, und dadurch zur Überwindung, bzw. Umgestaltung der N e w t o n sehen Mechanik, folglich zu einer neuen Gravitationstheorie und zu jenem neuen „Weltsystem" hinführt, zu welchem die ganze moderne naturwissenschaftliche Bewegung offensichtlich hindrängt. Bevor wir jedoch zu diesen schwierigen Untersuchungen übergehen, möchte ich einige höchst einfache Bemerkungen über den Zusammenhang von Zeit und Raum vorausschicken, die aber den Vorteil bieten, auch den mathematisch weniger geschulten Physiker oder Philosophen in die Mysterien der Relativitätstheorie einzuführen. Ich muß um eine nachsichtige Beurteilung dieser ä u ß e r s t e l e m e n t a r e n Die durch E i n s t e i n eingeführte Benennung: „Relativitätstheorie" ist zwar höchst unglücklich gewählt; wir behalten sie aber bei, wie irgendeinen beliebigen Eigennamen, den man nicht abändern mag, weil man sich an ihn gewöhnt hat. Relativitätstheorie bedeutet uns immer nur so viel als: das neue Weltsystem, das aus der Einheitslehre von Raum und Zeit und aus der Vereinheitlichung von Mechanik und Elektrodynamik entspringt.



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Untersuchungen bitten, da gerade die dünkelhafte Vernachlässigung derselben zu der bedauerlichen Begriffsverwirrung in der Relativitätstheorie geführt hat. 1. Schon in meiner Abhandlung über Raum und Zeit habe ich auseinandergesetzt, daß unsere gewöhnlichen Begriffe vom Z u s a m m e n h a n g der räumlichen und zeitlichen Ordnung höchst vage und unzulängliche sind. Fragt man jemanden, welcher Zusammenhang zwischen Raum und Zeit bestehe, so erhält man gewöhnlich zur Antwort, daß dies selbständige und voneinander v ö l l i g u n a b h ä n g i g e B e g r i f f e seien. Es ist auch gar nicht leicht, gegen diese fundamentale Verirrung des menschlichen Verstandes anzukämpfen. Da wir nämlich z w e i W o r t e für Zeit und Raum geprägt haben und wir dieselben in unseren sprachlichen Sätzen unabhängig voneinander verwenden, so entsteht tatsächlich der täuschende Schein, als ob die beiden begrifflichen Inhalte völlig unabhängig voneinander konstituiert wären. Wir haben demzufolge die üble Denkgewohnheit angenommen, das natürliche Band zwischen dem Raumund dem Zeitbegriff zu zerreißen: wir haben gleichsam die Nervenfäden durchschnitten, welche die beiden Begriffe miteinander verbinden, so daß unser Denken über Raum und Zeit mit einer Art von Ataxie behaftet ist. Wir müssen also im folgenden den Beweis zu führen versuchen, daß ein wissenschaftlicher Begriff vom Räume nicht ausgebildet werden kann, wenn wir uns dabei nicht der Hilfe des Zeitbegriffes bedienen, und daß umgekehrt auch kein logisch ausgebildeter Zeitbegriff zustande kommen kann, wenn wir uns dabei nicht auf den Raumbegriff stützen. Kurz, die wohl konstituierten Begriffe von Raum und Zeit bedingen einander gegenseitig: sie sind k o r r e l a t i v e B e g r i f f e . Auch M i n k o w s k i bemerkt einmal: „Gegenstand unserer Wahrnehmung sind immer nur Orte und Zeiten verbunden.



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Es hat niemand einen Ort anders bemerkt als zu einer Zeit, eine Zeit anders als an einem Orte." Er scheint also in seiner Unionslehre den korrelativen Charakter von Zeit und Raum für einen Augenblick ins Auge gefaßt zu haben, nur hat er die Konsequenzen dieses Gedankens — wie wir uns alsbald überzeugen werden — zu ziehen unterlassen. Tatsächlich kann der Raumbegriff ohne Hilfe des Zeitbegriffes nicht ausgebildet werden. Es gehört ζ. B. zum Wesen des Raumes, daß seine Teile oder Gebiete als g l e i c h z e i t i g bestehend gedacht werden müssen. Würde jemand die verschiedenen beliebig großen oder beliebig kleinen Gebiete des Raumes nicht als gleichzeitig bestehend anerkennen wollen, so müßte er den RaumbegrifF überhaupt aufgeben. Wer also das A x i o m d e r G l e i c h z e i t i g k e i t aller Raumgebiete wirklich beherzigt, der sieht auch sofort ein, daß ein klarer Raumbegriff ohne die Mithilfe des Gleichzeitigkeitsbegriffes nicht zustande kommen kann. Auch erkennt er es in einem, welch überaus wichtige Rolle der Begriff des Z e i t p u n k t e s bei der logischen Konstituierung des Raumbegriffes spielt. Man benutzt nämlich einen beliebigen Zeitpunkt dazu, um alle Gebiete des Raumes durch ihn synthetisch zu einem Raumganzen zusammenzufassen. Würde es jemandem an dem Begriff des Zeitpunktes mangeln, so wäre er unfähig, alle Gebiete des Raumes als in diesem Momente zugleich bestehend zu erfassen, was zur Folge hätte, daß sein Raumbegriff zerfallen und sich völlig auflösen müßte. (Inter Parenthesin sei schon jetzt bemerkt, daß im Sinne der berühmt gewordenen E i n s t e i n sehen Zeittheorie ein Begriff der Gleichzeitigkeit in seiner Allgemeinheit überhaupt nicht existiert, oder richtiger überhaupt keinen Sinn hat. Falls dies besagen soll, daß es keinen Sinn hat, die verschiedenen Raumgebiete als gleichzeitig bestehend zu denken, dann würde freilich die E i n s t e i n sehe Zeittheorie die Vernichtung des Raumbegriffes und damit auch aller menschlichen Erkenntnis überhaupt zur notwen-



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digen Folge haben. Wir kommen übrigens auf diese heikle Angelegenheit noch zurück, und möchten hier nur betonen, daß man den Zeitbegriff nicht umgestalten kann, ohne den Raumbegriff in die stärkste Mitleidenschaft zu ziehen.) Man könnte gegen meinen obigen Gedankengang folgenden Einwand erheben. Daß der Raumbegriff ohne Hilfe des Gleichzeitigkeitsbegriffes nicht ausgebildet werden kann, sei eine Selbstverständlichkeit, ja sogar eine Tautologie, da man unter der räumlichen Ordnung eben nichts anderes als die Ordnung alles gleichzeitig Existierenden verstehe. Will uns also jemand vordemonstrieren, daß der Raumbegriff durch den Zeitbegriff bedingt ist, dann muß er uns zeigen, daß ein wissenschaftlicher Begriff vom Räume ohne Hilfe des U n g l e i c h z e i t i g k e i t s b e g r i f f e s nicht gewonnen werden kann. Diese Forderung ist völlig berechtigt, und wir wollen ihr sogleich Genüge leisten. Tatsächlich ist es eine Grundeigenschaft des Raumes, und muß als die Vorbedingung aller geometrischen, wie auch aller physikalischen Erkenntnis betrachtet werden, daß der Raum i m V e r l a u f e d e r Z e i t stets sich selbst kongruent bleibt. Dieses A x i o m v o n d e r R a u m e r h a l t u n g in der Zeit spielt in der Geometrie eine eben so fundamentale Rolle, wie das Prinzip der Energieerhaltung in der Physik. Allerdings können wir auch solche Raumarten ersinnen, welche im Verlaufe der Zeit n i c h t kongruent mit sich selbst bleiben, also dem Axiom der Raumerhaltung in der Zeit nicht unterworfen sind, aber um solche Raumarten erfinden zu können, muß der menschliche Geist vorerst durch ungezählte Jahrtausende hindurch den Begriff eines e m p i r i s c h e n Raumes erfassen lernen, der dem Erhaltungsprinzipe folgt. Was mit dieser Raumerhaltung gemeint ist, vermag sich jedermann leicht selbst zu sagen: es handelt sich darum, daß eine beliebige Figur, die man in den Raum verzeichnet denkt, im Verlaufe der Zeit mit sich



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selbst kongruent bleibt, daß also ζ. B. die Entfernung zweier fixer Raumpunkte α und b im Verlaufe der Zeit stets die gleiche bleibt, oder ein fixer Winkel Α Ο Β im Zeitstrome nicht zu einem anderen Winkel wird usw. usw. Statt zu sagen, daß beliebige räumliche Gebilde sich im Zeitstrome unverändert erhalten, sagt man kürzer, daß der Raum sich im Zeitstrome unverändert erhält. Dieses Axiom der Raumerhaltung liegt allen unseren Raumanschauungen zugrunde, auch wenn wir uns von demselben keine Rechenschaft ablegen. Ganz unwillkürlich nehmen wir an, daß ζ. B. die Raumstrecke a b im Verlaufe der Zeit sich gleich bleibt, denn würden wir dies nicht annehmen, so käme es niemals zu einem Messen, ja auch zu keinem Schätzen von E n t fernungen, und wir wären überhaupt unfähig, die Vorstellung von b e s t i m m t e n (sich selbst gleich bleibenden) Figuren zu gewinnen, was zur Folge hätte, daß unser Raumbegriff sich auflösen müßte, oder richtiger gar nicht zustande kommen könnte. Wenn wir uns also über den eigentlichen Inhalt unseres Raumbegriffes Rechenschaft ablegen wollen, so sind wir logisch genötigt, ihn auf den Zeitstrom bezogen, oder richtiger in den Zeitstrom eingeschaltet zu denken, weil uns sonst der Grundcharakter des Raumes, seine Erhaltung im Zeitstrome, nicht zum Bewußtsein kommen könnte. Qu. e. d. Die Einfügung des Raumes in den Zeitstrom bildet das Fundament jener Einheitslehre, die ich in meiner Abhandlung über Raum und Zeit auseinandergesetzt habe. Im Sinne dieser Theorie kann man m e t a p h o r i s c h sagen, daß der Raum mit dem Zeitstrom mitfließe. Wem aber diese Metapher nicht zusagt, kann den bildlichen Ausdruck gebrauchen, daß der Raum sich im Verlaufe der Zeit ohne Unterlaß erneut, freilich in solcher Weise, daß er immer kongruent mit sich selbst bleibt. Falls aber jemandem solche bildliche Ausdrücke überhaupt nicht genehm sind, der bleibe einfach bei dem Raumerhaltungsaxiome stehen. Allerdings muß er dann den Sinn dieses Axioms mit möglichster Strenge zu fassen suchen.

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Zu diesem Zwecke wird er gezwungen sein, den aufeinander folgenden Zeitpunkten tQ, tx, f2, t3... die aufeinander folgenden Räume /?„, Ru R2, R3... zuzuordnen. Denn nur dann vermag er den Inhalt des Erhaltungsaxioms präzis zu formulieren, und zwar in folgender Weise: Nimmt man im Räume R0 ein beliebiges Raumgebilde G0 an, so entsprechen ihm in den folgenden Räumen die Gebilde Gu Gz, Gz..., die sämtlich miteinander kongruent sind: G 0 ^ G 1 ^ G S