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German Pages 52 [62] Year 1866
Ueber die
Grenzen MestMtiscker Xrhrfrrilidt auf Kanzel und Katheder.
Ein Vortrag gehalten aus -er pastoraleonferenz in Neuwied
am 19. Oetober 1865
von
Rudolf Barmann, Lic. theol., Inspector des evangelischen Stifts in Bonn.
Bonn, bei Adolph Marcus. 1865.
Dem Gedächtniß
Philipp Melanthons bei Enthüllung seines Standbildes
auf dem Markte zu Wittenberg
den 31. Oktober 1865.
So steht denn, in Erz gebildet, neben dem heldenmüthigen Luther auf dem Markte zu Wittenberg sein gelehrter Genosse im
Werke der Reformation, Philipp Melanthon, mit dem ausdrucks vollen Antlitz, das von der Klarheit und Schärfe seines Geistes,
von der Milde und Freundlichkeit seines Herzens Zeugniß gibt.
Das Bild, das Lucas Cranach von ihm im Jahre 1560 gemalt
hat, kurz vorher, ehe der sanfte, milde und doch auch heftige, zornmüthige Mann sein Haupt zur Ruhe legte, stellte der evangeli
schen Christenheit in der Abbildung, die auch mit der trefflichen Bio graphie von Carl Schmidt verbunden wurde, schon vor Jahren
den deutschen Gelehrten vor Augen, der den Beruf vom Herrn der Kirche empfangen hatte,
wo nicht die Hälfte, doch ein gut
Stück der reformatorischen Arbeit in Deutschland auf seine Schul
tern zu nehmen.
Ist doch auch das Wort characteristisch, das er
dort in einem aufgeschlagenen Buche dem Beschauer entgegenhält,
ein Wort in griechischen Lettern, von einem Kirchenvater des
vierten Jahrhunderts einst geredet, welches im Jahre 1558 von dem
einundsechzigjährigen Greise, der an der Sprache und dem Geist der Hellenen Harmonie und Maß und Wohllaut gelernt hatte,
mehrfach bewegt wurde *): Nazianzenus. mxv TO xavoQ&ovpevov
*) Corp. Ref. IX, 670. XII, 283. Responsa ad impios articulos Bavaricae inquisitionis art. 22: Et Nazianzenus verecunde loquens de voluntate .... orditur a verbo, vocari et trabt inquit voluntatem, quae non expeotet coactionem, sed luctetur, ut assentiatur promissioni. Donec enim omnino repugnat voluntas, nulla facta est conversio.
6 naqa &eov lori.
vevoDOt *):
es wird
und
de
dedorat.
Alles recht
aber
den inwendigen
bauen und Erhalten
xaXovftevoig
ovrco
xai
gegeben, welche berufen sind
denen
Ungestüm und Umsturz
Totg
Gethane stammt von Gott;
Zug danach
haben.
Der allem
abholde Sinn, der wesentlich zum Auf
geneigte Geist,
gleichwie der energisch und
lebenslang von ihm festgehaltene Gegensatz wider die verschiednen,
den Grund der evangelischen Wahrheit untergrabenden Parteien ist darin treffend gezeichnet.
Mit aller Lebhaftigkeit und allem Feuer
der Jugend ist er einst den Römischen entgegengetreten, die,
statt von Gottes Gnade und Treue sich reich machen zu lassen, ihre eigne Gerechtigkeit durch gute Werke und scholastische Weis
heit aufrichten wollten.
Mannhaft trat er in den Kampf gegen
die schwärmerischen Parteien seiner Zeit ein, die alles Be stehende über den Hausen zu werfen im Sinne hatten.
Endlich
in seinem Alter hat er sich durch die rabiea theologorum, durch die
bitteren Angriffe
eines Flaciuö und anderer weit über den
ächten Luther hinausgehender Lutheraner von dem Grund
und
Boden nicht verdrängen lassen, auf dem er seiner humanistischen Bildung gemäß von Anfang
an das Gebäude seines christlichen
Glaubens und theologischen Denkens
ein den Menschen
aufgerichtet hatte:
eingebornes Sehnen
nach
dem Lichte,
es gibt einen
Zug des Vaters zum Sohne, Gaben Gottes mancherlei Art, wäh
rend es doch Ein Geist, Ein Gott ist, der da
wirket Alles in
Allen. Seien hiemit einige Hauptzüge in dem geistigen Bild des
*) Gregor. Naz. sagt or. 37, 13 (cd. Paris. 1778 I, 654) bei Gelegenheit des Wortes Christi Matth. 19, 11: J&forcu plv toTg xaXoup,£voig xal Tolg ovtcd vevovölv . . . ^tiel^t) yag eIüi xivtg ol toGoviov fiEyaXocpgovouvTEg btX zoig xaTog&wfj.aGiv, togrs to jlkv Eauroig dMvat, . . didaGxEi rovTOvg 6 Xoyog, otl xal to ßovXea&ai xccXcSg deaat rijg naga ^eov ßoriSefag. cf.' or. 45 c. 7 (I, 850) Tij ngog &eov vevGev &eovftEVOV.
7 Mannes angedeutet!
Seinem Gedächtniß sind die nachfolgenden
Blätter geweiht, nicht blos um der freundschaftlichen Bande und Erinnerungen willen, die mich an die Stätte seines Wirkens, an die Männer knüpfen, welche nach der langen Mühwaltung um die
Herstellung des Standbildes
nun
auch
die Freude haben,
ein
würdiges Denkmal der großen Thaten der Vorzeit mit Augen zu sehen; sondern zugleich um der Sache willen, für die auch Melanthon
einst hat kämpfen und dulden müssen.
Die protestantische Lehr
freiheit auf Kanzel und Katheder war auch damals das vielum
strittene Palladium der evangelischen Kirche.
Nicht minder heiß
ist in unseren Tagen der Kampf wieder entbrannt.
Parteien stehen
noch heute auf dem Kampfplatz.
Jene drei Aufgefordert,
den von mir zu Neuwied gehaltenen und mit durchgängiger Zu stimmung aufgenommenen Vortrag dem Druck zu übergeben, habe ich nicht angestanden, den Wunsch zu erfüllen, welches Schicksal auch den von mir darin aufgestellten Grundsätzen im Urtheil der
entgegengesetzten Parteien zu Theil werden möge.
Bei der, man
darf fast sagen, überworfenen Stellung, in welcher sich vielerwärts die akademischen Theologen auf der einen Seite gegenüber
den Ansprüchen der praktischen Geistlichen, die alles Kritische als zerstörend betrachten, auf der anderen Seite gegenüber dem Ge
rede derer sehen, welche die wahre Wissenschaft in Erbpacht genom men zu haben meinen und der theologischen Zunft vorwerfen, daß
sie ihre Forschungen über das christliche Alterthum sorgfältig als
Zunftgeheimniß
vor den Augen der Laien verberge, sei auch mit
diesem Vortrag ein Zeugniß und Bekenntniß abgegeben, daß der evangelische Glaube und der Geist der Wissenschaft, wie sie im Großen und Ganzen in Luther und Melanthon und den übrigen gesegneten Männern der Reformation lebten, noch nicht erloschen
und ausgestorben sind.
8 Thesen. 1) Die menschliche Freiheit an sich besteht weder in bewußtloser Naturkraft, noch in schrankenloser Willkür, sondern in bewußter Selbstbestimmung, welche alles einzelne Handeln nach allgemeinem gottgeordneten Gesetz von gegebenem Ausgangspunkte aus zu gesetztem Ziele hin auszuführen hat. 2) Die reine Wissenschaft hat ihren Zweck nach ari stotelischer Bestimmung in dem Erkennen um des Erkennens willen. Ihr Erkenntnißobject mag innerhalb des Umfangs der Welt, in Natur und Geschichte liegen, oder das Geheimniß des göttlichen Wesens und Waltens umschließen; ihre Methode mag die empi rische oder die spekulative sein: immer bleibt die Aufgabe der Wissenschaft eine unendliche, und um dieselbe wenigstens annähernd zu lösen, dürfen keine anderen Schranken gezogen werden, als das jedesmalige Erkenntnißobject, „die Bewegung der Sache selbst,"
das Gesetz der Objektivität mit sich bringt. Die jedem individu ellen Erkennen von Natur anhaftende Subjektivität des Denkens einerseits, die bei der Theilung der wissenschaftlichen Arbeit un umgängliche Beschränktheit des Wissens andererseits lassen sich durch das gewissenhafte Zusammenwirken vieler Forscher, durch engen Anschluß an den Entwicklungsgang der Wissenschaft mehr und mehr überwinden. Kein besonnener Forscher wird, auch wo er sich bewußt ist, neue Bahnen zu brechen, die Grenze zwischen anerkannter Wahrheit und hypothetischer Meinung vergessen. Freie Bewegung innerhalb des abgegrenzten Kreises der Forschung, freier Austausch mit den benachbarten Gebieten der Wissenschaft
ist die Lebensbedingung akademischer. Institutionen. 3) Die Freiheit in Christo wurzelt in dem Glauben an die erlösende und heiligende Gnade Gottes, der den Sünder dem Bann der Sünde und dem Elend des Todes enthebt und dem Kinde Gottes, statt ihm ein von Außen zwingendes Gesetz
9 aufzulegen, das von Innen treibende Gesetz Christi als unverrück
bare Norm seiner herrlichen Freiheit in das Herz schreibt. 4) Die altkatholisch e Kirche hat den schweren Kampf mit ebionitischen und doketischen, manichäischen und pelagianischen Verfälschungen der christlichen Wahrheit siegreich bestanden. Neben dem wechselnd gestalteten Taufbekenntniß und dem lange schwankend gelassenen Schriftkanon dienten ihr aber als Maßstäbe für die Rechtgläubigkeit die Entscheidungen der Provinzialsynoden und ökumenischen Concile, welche über psychologische und metaphysische Probleme in Form der Satzung getroffen wurden, oft ein Werk weltlicher und geistlicher Politik, immer mit dem Anspruch: „Es gefiel dem heiligen Geiste und uns." 5) Die kirchlichen Gewaltherrscher des Mittelalters haben eine harte Tyrannei über die Gewissen verhängt. Aber doch haben sie niemals die freie Bewegung der scholastischen Skepsis hemmen, noch die innerliche Gluth der Mystik dämpfen können. Der Bolkspredigt war es nnverwehrt, das Eine, was noth thut, zu predigen. Auf den Lehrstühlen durfte die aus dem classischen Alterthum sich verjüngende Wissenschaft sich regen, auf den Kan zeln die augustinisch-biblische Richtung ihre Predigt anheben. Aber bis heute krankt die katholische Wissenschaft an dem Grundschaden, daß sie verbunden ist, die ein für alle Mal unabänderlich festge stellten, nicht immer aus wissenschaftlichen Gründen getroffenen Satzungen der Hierarchie mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit ledig lich zu bestätigen. 6) Die Freiheit, mit der unö Christus befreit hat, ist der Lebensodem der ev a ngelischen Reformation. Davon geben die reformatorischen Bekenntnisse und die Entwicklung der evan gelischen Kirche lautes und klares Zeugniß. 7) Die Lehre der evangelischen Kirche, wie sie unter Mit wirkung der theologischen Wissenschaft zu Stande gekommen ist und noch zu Stande kommt, hat ihre lebendige Vertretung zunächst im
10 Lehrstande, auf Kanzeln und Kathedern, in hohen und niederen Schulen.
Aber jedes Glied der Gemeinde hat Fug und Recht,
an seinem Theil zum Fortschritt in der Erkenntniß der Herrlichkeit
Jesu Christi zu helfen.
Solches Recht ist auch jedem Gliede des
Lehrstandes unverkürzt zu gewähren: indeß je nach dem Berufskreis
bemißt sich das Recht, wie weit der einzelne Lehrer in der Grenz
bestimmung zwischen demjenigen, was in der evangelischen Lehr tradition als Feststehendes, und demjenigen, was als Bewegliches gilt, gehen darf.
8) Um Abweichungen von dem Geist der evangelischen Kir
chengemeinschaft zu beurtheilen, haben die protestantischen Be kenntnißschriften ihrer Substanz nach als Maßstab zu dienen.
9) Eben diese Substanz
umfaßt die Grundthatsachen
und
Grundwahrheiten des Christenthums überhaupt, wie dieselben durch
die heilige Schrift bezeugt sind.
Ueber den historischen Ent
wicklungsgang der Offenbarungen Gottes im Alten und Neuen
Testamente, soweit derselbe durch wissenschaftliche Untersuchung in
immer helleres Licht zu setzen ist, haben die evangelischen Symbole nur
in
nirgend
den großen Grundzügen feste Bestimmungen
getroffen;
aber haben sie über die schwierigen literar- historischen,
geschichtlichen
und
metaphysischen
Probleme
eine
abschließende
Schulformel als gebieterische Satzung sanctionirt.
10) Bei schreiender Verletzung der protestantischen Kirchenlehre,
von welcher Seite dieselbe auch ausgehe, hat,
sofern es sich um einen Pfarrer handelt, zunächst die Ortsgemeinde,
dann aber auch der synodale Verband oder die kirchliche Behörde
die Initiative zur Untersuchung zu hohen
oder niederen Schulen
ergreifen.
Bei- Lehrern an
mag der Staat das Seine thun.
Nirgend aber sollte ein Urtheil ohne gewissenhafte Prüfung des
concreten Falles, nirgend ohne Mitwirkung der Sachverständigen
gefällt werden.
Hochverehrte Versammlung!
Unsere Frühjahrsconferenz hat sich schon am 20. April die ses Jahres mit dem mir gestellten Thema beschäftigt, aus Anlaß des Wortes Pauli: die Erkenntniß blähet, aber die Liebe erbaut. Noch entsinne ich mich lebhaft zweier Zeugnisse, des einen aus dem Munde meines verehrten College» Schlottmann, der uns die Würde und den Ernst der Wissenschaft einschärfte, des anderen aus dem Munde des Herrn Consistorialraths Ball, der uns die Principien eines weislich, je nach den besonderen Fällen einzurich tenden kirchenregimentlichen Verfahrens darlegte. Seitdem hat dasselbe Thema auf der Tagesordnung des ersten Protestantenta ges gestanden. Oberhofprediger Schwarz aus Gotha hat in der Eisenacher Nicolaikirche am 8. Juni, wie der herausgegebene Be richt besagt, unter gespannter Aufmerksamkeit darüber geredet, und eine Debatte entspann sich, die vielleicht mehr als jede andere dazu geeignet war, den Geist und die inneren Motive, von welchen dieser erste Protestantentag getragen war, vor Allem aber auch die unendliche Verschiedenheit der Elemente, die er in sich aufzu nehmen und zu vertragen weiß, erkennen zu lassen. 'Zu diesen verschiedenartigen Elementen gehörten nicht bloß Baumgarten, der sich bewußt war, den äußersten Gegenpol zum Referenten in seiner theologischen Ueberzeugung' zu bilden, nicht bloß Peter sen, der gothaische Generalsuperintendent, der statt der freien Forschung in der Schrift und über dieSchrist, wie Schwarz sie gefordert hatte, auch eine gewissenhafte Forschung zu seinem Postulat gemacht hat; nicht blos diese mehr rechts stehenden Theo logen gaben ihre abweichende Meinung kund, sondern selbst Krause hat gleich in der Debatte und nachher nochmals in der Protestan tischen Kirchenzeitung sich beschwert, daß solche tiefgreifende, prin zipielle Frage vom Referenten so wenig erschöpfend behandelt sei.
12 Er wird auf dem nächsten Protestantentag selbst über die Lehrord nung verhandeln.
Auch der Allianztag in Amsterdam hat die Be
kenntnißfrage auf seine Tagesordnung für das nächste Jahr gesetzt.
Jeden
von unS, verehrte Herren
Gefühl beherrschen,
auch ohne
und
Brüder, wird das
daß ich es ausdrücklich sage, daß
wir vor einer der schwierigsten und verwickeltsten Fragen für Theorie und Praxis stehen, eben vor dem, was man eine brennende Frage
deS Tages, eine brennende Frage unseres gegenwärtigen Zeitalters mit Recht nennen darf.
Es ist keine der christlichen Confessionen,
kein katholisches, kein evangelisches Land und Volk, wo nicht eben diese Frage über die Freiheit des Bekenntnisses und des Cultus,
über das Recht, die im eignen Geist erzeugten Lehren auch auf Kanzel und Katheder vorzutragen, ventilirt würde. Zu der Lehrfreiheit, deren die Waldenser sich in Italien
erfreuen, bildet der aus seinem spanischen Vaterland verbannte Matamoros eine dunkle Folie.
In Frankreich hatte
Renan
der Katholik, noch ehe er sein Leben Jesu herausgab, schon durch
seine Antrittsvorlesung bett Lehrstuhl für scherzt.
syrische Sprache ver
Die Protestanten Colani in Straßburg, Coquerel jun.
in Paris haben nur unter heftigem Widerspruch Kanzel und Ka theder besteigen dürfen.
In England hat die Bewegung, welche
die Essays and Reviews, sowie Bischof Colenso angefacht hat ten, durch das Endurtheil des Gerichtshofs gleiche Freiheit und
Toleranz erhalten, wie die Tractarians, die Puseyiten derselbe» schon längst sich erfreuten.
somit das sonst so scharf
Während die established church angezogene Band der 39 Artikel hie
und da lockert, sehen wir unter den Dissenters die eigenthümliche
Erscheinung, daß ein Mann wie Davidson von seinem Lehramt zurückzutreten gezwungen ward, weil seine Einleitung ins A. T. Anstoß erregte.
Wohl verwahrt mag uns unter den nordischen
Kirchen die schwedische erscheinen,
wenn es wahr ist, daß der
Uebersetzer von Baur's Abhandlung über das 4. Evangelium schon als straffällig gilt.
Um so offener stehen dem wüsten Treiben
der heutigen negativen Freigeister
die Thore der Schweiz und.
der Niederlande, wie hinreichend bekannt ist.
13 Halten wir Rundschau in unserem deutschen Vaterlande, sehen wir ab von dem Index der römischen Kirche, auf dem wir
Frohschammer's undPichler's und fast auch Döllinger'S
Namen gewahren könnten; aus dem Großherzogthum Meklenburg
tritt unS vor allen Baumgarten als Märtyrer für das Wort in das deutsche Volk hiuein-
von der Freiheit entgegen, welches
zurufen ihm
durch
himmlische Offenbarung gewiß war.
Weder
das Göttinger noch das Greifswalder Gutachten, weder Delitzsch
noch Hofmann, die lutherischen Brüder, haben ihn vor Amts entsetzung wegen fundamentaler, im Einzelnen nicht gerade nach weisbarer Häresie schützen können *). Im Königreich Baiern: Hofmann
selbst sah sich genö
thigt vier Schutzschriften für das Recht, alte Wahrheiten in neuer
Form zu lehren, gegen Kliefoth's
die Anschuldigungen Philippi's und
zu erlassen, als ob er in der Lehre von der Ver
söhnung und von der Schrift sich bedenklicher Irrthümer schuldig mache.
Noch neulich
hat ihn Kliefoth als einen politischen
Theologen gebrandmarkt, von dem man sich noch kräftigerer Irr thümer versehen könne, als Schenkel hege.
Gleiches erfuhr im
Königreich Würtemberg Beck vor Jahren durch Liebetrut und Hengstenberg's Kirchenzcitung; seine abstracte Biblicität, seine Mißachtung kirchlicher
Anstalten, seine Lehre vom Gerechtmachen
bildeten die Angriffspunkte. Im Königreich Sachsen hat K ah nis
wegen seiner Dogmatik in Hengst en berg's Vorwort lesen müs sen, daß
er im Abfall vom Christenthum begriffen sei, und er
beschwert sich im zweiten fast durchgängig trefflich gearbeiteten Theil
seiner Dogmatik über D ieckhoff's Streitartikel als eben so un würdig wie ungeschickt; es behagt ihm auch nicht, daß Delitzsch ähnlich wie in der Baumgarten'schen Sache sich stellte, mit seiner
Brochüre: „Für und wider Kahnis."
Es sind meist lutherische
Länder unter den deutschen Mittelstaaten, welche diesen Kampf über
Orthodoxie und Heterodoxie gerade bei gefeierten Theologie haben entbrennen sehen.
Lehrern der
Nicht anders erging es bei
*) Vgl. Zisch, für Prot. u. Kirche 1865. Ott.
14 in Preußen,
dem Gezänk der Altlutheraner
oder noch schlimmer.
Am lautesten aber tönte das Kampfgeschrei allerncuestens auf altreformirtem Boden im Großherzogthum Baden,
seit Schenkel
sich gedrungen fühlte sein Charakterbild Jesu als Heilmittel gegen Renan'sches und Straußisches Gift
bieten.
dem deutschen Volke darzu
Nicht blos innerhalb der badischen Grenzen, weit bis nach
Schlesien, Pommern und Preußen tönte der Ruf der Entrüstung
über die neue Apostasie, über den Greuel der Verwüstung an hei mit eben
liger Stätte, und
Schenkel und seinen
solcher groben Münze
ist dann von
Vertheidigern wiedergezahlt;
Ewald in
seinem neuesten biblischen Jahrbuch redet von der Meute, die wi der seinen Freund losgelassen sei,
nacher Rede
und Schwarz
von den Pastorenfreischaaren,
in seiner eise-
die mit ihren Bann
bullen ernste wissenschaftliche Kämpfe entscheiden zu können meinen.
Auch unsere preußischen Universitäten sind von den über die Ufer
gehenden Fluthen dieser Bewegung nicht verschont geblieben. Nicht blos Hanne in Greifswald, nicht blos der Hauptredner des Al tenburger Kirchentags, das A. T:
vertreten,
auch seine Collegen, die in Halle
sondern
es in einem aus Westphalen stam
haben
menden Schriftstück von dortigen Pastoren sich sen,
daß Niemand
an der
sagen lassen müs
höllischen Universität das A. T. als
Offenbarung Gottes behandele, außer wenn Tholuck einmal die Und das wird gesagt angesichts des Psalmen-
Psalmen auslege. commeutars von
Hupseld,
der ein Stolz und Ruhm unserer
exegetischen Literatur ist, ein Werk gewissenhafter Erforschung der sprachlichen Erscheinungen
nicht blos,
sondern
auch der
realen
religiösen Begriffe, um die es sich handelt. Wir stehen, hochverehrte Herren, vor einer brennenden Frage des Tages;
wir
empfinden die schwere Krisis, in welcher unser
Zeitalter wie zwischen Tod und Leben ringt:
und
es könnte uns
wohl bange werden,
wenn wir über alle diese einzelnen Fälle zu
Gericht sitzen sollten,
oder wenn auch nur eine einzige von diesen
hervorragenden Anklagen dazu gesagt würde:
auf Heterodoxie uns unterbreitet und
Nun, richte du! sprich ein gerechtes Urtheil!
sag', wo liegt die Schuld,
wenn
der Verklagte die Grenzen
der
15 protestantischen
Lehrfreiheit überschritten hat:
bei ihm oder bei
seiner Umgebung ? in seinem guten oder in seinem bösen Dämon? bediente er sich seines reformatorischen Rechtes oder aber verdient
er den über ihn verhängten Bann? Wir werden aus dem vielverschlungenen Gewirr nicht anders
herauskommen, als dadurch, daß wir für diese unendlich schwierige Frage dort ihre Lösung suchen, wo ihre Heimath
schaft ist. Frage
Unstreitig
ist eS eine Frage des Kirchenrechtes, eine
der praktischen Theologie.
theilen sich
in
in der Wissen
die Behandlung
Jurisprudenz
und
Theologie
derselben; das wissenschaftliche
Heimathsgebiet derselben ist auch ein Grenzgebiet, und wir wollen
nicht darüber streiten, ob Recht und Pflicht zur Behandlung der
selben beim Juristen oder betreffende Paragraph
beim Theologen
größer
seien.
Der
in Richters Kirchenrecht verzeichnet die
Literatur der neueren Zeit *) und zieht im Grunde genommen die Summe dessen, was über die protestantische Lehrordnung aus der so denkwürdigen Berliner Generalsynode von 1846 verhandelt ist.
Schleiermach er's Praktische Theologie S. 651 ff.,—um auch hier mit Einer Anführung mich zu begnügen, von Ni tzsch haben wir den
kirchenregimentlichen Theil noch zu erwarten — hält als Palladium
der evangelischen Kirche die akademische Lehrfreiheit hoch empor: so wie
die akademische Lehrfreiheit aufgehoben sei, werde
auch die Entwicklung des Lehrbegriffs gehemmt und werden wir in
Buchstaben gezwängt.
Er bestimmt jedoch auch die innere Grenze
dieser Freiheit: „es seien in der evangelischen Kirche Veränderungen des Lehrbegriffs nur zulässig, sofern Veränderungen im Schriftver
ständniß seien; das Anknüpfen an die Schrift sei das Princip." Ist es demnach eine Frage des Kirchenrechts und der prak tischen Theologie, die Uns beschäftigt: so bringt die Strenge wis
senschaftlicher Lösung doch mit sich, feste und bestimmte Begriffe voranzustellen, um die Grenzlinien der protestantischen Lehrfreiheit
zu bestimmen.
Eben darum hob ich
die zehn von mir gestellten
*) Mejer, Institutionen des gemeinen deutschen KRechtS. 2. Anfl.
Gött. 856. S. 277. 451 ff.
16 Thesen mit dem Begriff der Freiheit an sich und mit der Freiheit der Wissenschaft
und akademischer Insti
tutionen überhaupt an; daran fügte
ich in der 3—6. These
den Begriff der christlichen Freiheit und wie es mit dersel ben in Bezug auf die Lehre
Es ist nicht
bisher gehalten ist.
meine Absicht eine philosophische oder dogmatische Diskussion über den Begriff der Freiheit
schichtliche Anschauungen
oder mit
eine
historische Debatte über ge Thesen
diesen
hervorzurufen; nur
dies wollte ich mir selbst deutlich machen, daß, was uns als bren nende Tagesfrage
erscheint, auch
und oft lichterloh aufflammte,
in
alten Zeiten schon brannte
ganze Völker und Confessionen in
Bewegung setzte und von einander auf ewig schied.
Der prakti
sche Schwerpunkt liegt aber sicher in den vier letzten Thesen, die uns das Lehramt in der evangelischen Kirche vor Augen stellen,
wie eS das untrügliche Wort Gottes lauter und rein zu verwalten hat, im Einklang mit der h. Schrift und der evangelischen Lehr
tradition. I.
Die erste These bringt uns den Begriff der menschlichen Freiheit an
sich in Erinnerung, zweierlei Verneinung stellt
sie auf, die eine gegenüber dem Materialismus, die andere gegen über einem überspannten Idealismus.
Die menschliche
Freiheit ist nicht eine bewußtlose Na-
turkraft, wie etwa der Engländer Buckle aus den sich Woche
für Woche gleichbleibenden statistischen
Daten über die Zahl der
Heirathen, Selbstmorde, Kindcrmorde in London folgern wollte,
daß die
freien Ursachen
welches der Naturforscher
wägt oder
Naturgesetz
sucht und befolgt,
blind gehorchen,
wenn er die Atome
die Sonnenfinsternisse voraus berechnet.
uns deß freuen, daß sen
demselben
Wie dürfe»
ein deutscher Geschichtsforscher wie Drop
solcher Theorie in
SybelS historischer Zeitschrift
entgegen
getreten ist *): „Mag die Statistik immerhin zeigen, daß in dem
*) 1863. S. 9.
16 Thesen mit dem Begriff der Freiheit an sich und mit der Freiheit der Wissenschaft
und akademischer Insti
tutionen überhaupt an; daran fügte
ich in der 3—6. These
den Begriff der christlichen Freiheit und wie es mit dersel ben in Bezug auf die Lehre
Es ist nicht
bisher gehalten ist.
meine Absicht eine philosophische oder dogmatische Diskussion über den Begriff der Freiheit
schichtliche Anschauungen
oder mit
eine
historische Debatte über ge Thesen
diesen
hervorzurufen; nur
dies wollte ich mir selbst deutlich machen, daß, was uns als bren nende Tagesfrage
erscheint, auch
und oft lichterloh aufflammte,
in
alten Zeiten schon brannte
ganze Völker und Confessionen in
Bewegung setzte und von einander auf ewig schied.
Der prakti
sche Schwerpunkt liegt aber sicher in den vier letzten Thesen, die uns das Lehramt in der evangelischen Kirche vor Augen stellen,
wie eS das untrügliche Wort Gottes lauter und rein zu verwalten hat, im Einklang mit der h. Schrift und der evangelischen Lehr
tradition. I.
Die erste These bringt uns den Begriff der menschlichen Freiheit an
sich in Erinnerung, zweierlei Verneinung stellt
sie auf, die eine gegenüber dem Materialismus, die andere gegen über einem überspannten Idealismus.
Die menschliche
Freiheit ist nicht eine bewußtlose Na-
turkraft, wie etwa der Engländer Buckle aus den sich Woche
für Woche gleichbleibenden statistischen
Daten über die Zahl der
Heirathen, Selbstmorde, Kindcrmorde in London folgern wollte,
daß die
freien Ursachen
welches der Naturforscher
wägt oder
Naturgesetz
sucht und befolgt,
blind gehorchen,
wenn er die Atome
die Sonnenfinsternisse voraus berechnet.
uns deß freuen, daß sen
demselben
Wie dürfe»
ein deutscher Geschichtsforscher wie Drop
solcher Theorie in
SybelS historischer Zeitschrift
entgegen
getreten ist *): „Mag die Statistik immerhin zeigen, daß in dem
*) 1863. S. 9.
17 bestimmten Lande so und so viele uneheliche Geburten vorkommen müssen: in den Gewissensqualen durchweinter Nächte zeigt sich das
von manchen als verschwindend klein angesetzte x der menschlichen Freiheit von unermeßlicher Wucht, eS umfaßt des Menschen gan zen sittlichen d. h. ganzen und einzigen Werth."
Auf der anderen Seite verneine ich den überspannten Idea lismus wie ihn etwa Fichte eine Zeit lang vertrat, als sei die menschliche Freiheit
schrankenlose Willkür,
als
sei
das
menschliche Ich das absolute schöpferische Ich, welches alles andere
Dasein, alles Nichtich aus sich selbst heraussetzt. ist und bleibt Creatur,
ein Theil der Welt;
Der Mensch
die Materie, seine
Naturbasis, der Zusammenhang mit den übrigen frei sich entwikkelnden menschlichen Persönlichkeiten und Verhältnissen stellen ihm
unüberwindliche Schranken entgegen; der Mensch kann keine neuen
Stoffe schaffen, nur neue Verbindungen bringt er zu Stande. Ich möchte nicht sagen, wie Luthardt: der Mensch
sei die
Kopula zwischen Gott und Welt*), als Naturwesen eine Welt
im Kleinen sei er als Personwesen ein Gott im Kleinen **). Ich würde vielmehr demjenigen nicht entgegen sein, der auch
die menschliche Freiheit vorausgesetzt,
als eine Naturkraft zu begreifen suchte,
daß er den Begriff Natur so faßte, wie wir von
menschlicher Natur zu reden gewohnt sind, oder von Natur als
Universum überhaupt, so daß also im Begriff der Menschennatur die Spontaneität, der Trieb zum individuellen
Personwerden läge.
Sichbilden, zum
Ja es ist dieser Gedanke ein nothwendiges
Moment zur Gewinnung
des Freiheitsbegriffes überhaupt,
dies
metaphysische Moment, wonach die Natur des Menschenwil
lens es mit sich bringt, daß derselbe aus sich heraus handelt, das Princip seines Handelns in sich trägt.
So auch würde ich auf
der anderen Seite der Bestimmung nicht verneinend entgegentre
ten, daß die menschliche Freiheit in der Willkür ein nothwendiges
Moment habe, nur daß solche Willkür nicht als schrankenlos ge*) Die Lehre vom freien Willen und seinem Verhältniße zur Gnade in ihrer geschichtlichen Entwicklung dargestellt. Lpz. 1863. S. 4. **) Ebendaselbst S. 10.
18 setzt werde.
Es ist mir vielmehr dies das zweite Moment, mag
man es Wahlfreiheit, oder Physische oder formale Freiheit nennen, jener räthselhafte Mutterschooß,
welchem entweder
aus
das Gute oder das Böse oder beides ineinander verwachsen als
die eigene sittliche That hervorsteigt; denn frei und ungebunden
durch irgend welche
auswendige oder inwendige Nothwendigkeit
soll der Wille die eigenste Entscheidung
treffen.
Gewinnen wir
somit durch die beiden Negationen zwei positive Momente, das metaphysische und daS formal-psychologische, daß die menschliche Freiheit im bewußten Handeln, daß sie in Selbstentscheidung be
steht, so ergiebt sich uns
das dritte erforderliche Moment, um
eine wahrhaft moralische Freiheit, einen wahrhaft ethischen
Willen
zu gewinnen,
aus der Anschauung eines wahrhaft freien
Mannes, der etwa spricht:
„hie steh ich, ich kann nicht anders."
Dei servitium libertas est, sagt Augustin.
Selbst Johannes
von Damaskus trotz der griechischen Vorliebe für das avrei-oioiov erkennt an und spricht schön darüber, wie wir mit der Freiheit das Gesetz empfangen haben *).
Anselm faßt als das Wesen der
Freiheit die spontane Selbstbestimmung
für das Gute; mit zwei
Momenten bezeichnet er die reale Freiheit, Gerechtigkeit **).
1) Spontaneität, 2)
Oder um dasselbe mit einem modernen Philoso
phen zu sagen: der Mensch ist moralisch frei, sofern er sich den
objectiven Gesetzen unterwirft***).
Müller zu danken,
daß sich
Man hat es besonders Jul.
die beiden letzten Momente der
formalen, psychologischen Wahlfreiheit
und der realen, ethischen
Freiheit jetzt sauberer unterscheiden und sich auch besser in ihrer
Einheit erkennen lassen; bei Hegel und Schleiermacherge-
hen beide oft unklar und trüb ineinander.
Das
gottgeordnete
allgemeine Gesetz, sei es in der Natur von Gott gegeben oder durch seine Wunderthaten in der Menschengeschichte,
durch seine
Wunder unter dem Gesetz und der Gnade offenbart, ist die Norm,
*) De duabus voluniatibus §19. Dörner, Christo l. II, 265. **) Kahms II, 294. ***) Zeller, Theol. Jahrb. 1846.
19 Mch welcher sich alles Handeln im Einzelnen zu richten hat. Und zwar ist jedem Einzelnen, wie auch jeder menschlichen Gemeinschaft, jedem Volk, jeder kirchlichen Gestaltung ein bestimmter Ausgangs punkt von Hause aus gegeben, und der Gott, der alle unsere Tage auf sein Buch geschrieben hat, setzt auch jedem Geschlecht und jedem Individuum Ziel und Grenzen, wie lange und wie weit sie auf Erden wohnen und wirken sollen. Die formale Freiheit ist doch nicht so zwischen zwei leere, gleichstehende Wagschalen ge stellt, daß sie mit gleicher Leichtigkeit für rechts oder für links sich entscheiden könnte. Jedes Zeitalter, jede Person hat ihre eigene Aufgabe; nicht jeder soll jedes. Gottes Weltplan bringt es mit sich, daß in dem Tagewerk der übertägigen Menschen das Vollkommne nicht sogleich in irdischer vollkommner Gestalt zu Stande komme. Die Curven des Entwicklungsganges steigen auf und nie der; eS bedarf zuweilen der einseitigen Durchbildung eines Ex trems, damit dann wieder nach der anderen Seite hin neue Keime und Ansätze Luft und Licht gewinnen können, für den Einzelnen und für ganze Geschlechter. So hat die menschliche Freiheit also ihre Grenze an dem göttlichen Gesetz, dem eingebornen oder dem posititiv gegebenen: harmonisch schließen sich der freie Wille des Menschen, der auch anders könnte, und die göttliche Nothwendigkeit, die dem Menschen bestimmte Ziele und Zwecke anweist, zusammen. Aus der freien That des Menschen entsteht wie eine selbstgeschaffene Welt im Kleinen der individuelle Charakter, der nur so und nicht anders zum Handeln sich entschließt, wie eö Gottes Ordnungen vorschrei ben; damit ist alles unmotivirte Handeln beseitigt: und aus dem so ausgeprägten Charakter geht allezeit eine frei im eigenen In neren geborene That hervor; damit ist der Zwang der Noth wendigkeit überwunden. In diesem Lebensgesetz sind auch die Grenzen der Frei heit vorgezeichnet, allerdings nicht wie man ein Feldstück nach außen hin durch aufgerichtete Grenzpfähle absteckt, als ob sich durch ein quantitatives äußerliches Urtheil abmessen ließe, so weit etwa geht die Lehrfreiheit bei den Katholiken, und so weit bei uns
20 Protestanten, und weiter noch bei den Radikalen. Durch solche quantitative Abgrenzung gewinnt man schwerlich eine feste Grenz linie und klare Richtschnur, da der eine diesem und der andere jenem zu weit oder nicht weit genug zu gehen scheint. Wir be dürfen eines qualitativen Urtheils und finden es in dem inneren Lebensgesetz der Freiheit, daß sie als bewußte Selbstbestimmung dem gottgeordneten Gesetz unweigerlich Folge zu leisten hat: Men schensatzungen können nicht helfen.
II. So ist es denn auch ein von Gott eingebornes Gesetz, daß der Mensch die Welt um sich und die Welt in sich zu durch forschen und zu erkennen sucht, daß er die Augen zu dem Quell alles Lebens und Lichtes erhebt, ob er in etwas den geheimniß vollen Schleier zu lüften vermöge, der über dem göttlichen Wesen und Walten für uns blöde Sterbliche ausgebreitet liegt. ES war in dem hochgesegneten fünften Jahrhundert vor Christus den Hellenen die seltene Gunst des Schöpfers aller Dinge zu Theil geworden, daß im schönen Wettkampf die begabtesten Geister um die höchsten Preise menschlicher Kunst und Wissenschaft rangen von Geschlecht zu Geschlecht. Daß auch das Denken einen Zweck für sich bilde, daß auch das Wissen Selbstzweck sei, daß es ein Erkennen um des Erkennens willen gebe, ward das gemeinsame Princip der reinen Wissenschaft, wie sie am ausgeprägtesten und ausgebildetsten uns in Aristoteles entgegentritt. Auch Plato hat denselben Gedanken schon ausgesprochen, und er ist nicht blos hellenisch oder indogermanisch, sondern auch semitisch, denn mancher arabische Denker hat das selige Genügen empfunden, wenn er über mathematischen oder philosophischen Problemen grübelte und plötzlich ein helles Licht ihm den Ausgang aus seinen Labyrinthen wies. Es ist die reine Wissenschaft im Unterschiede von der angewandten, positiven Wissenschaft, es ist die Uebertragung des reinen Denkens vom Meister auf den Jünger durch Lehre und Unterweisung, worum es sich in dieser zweiten These handelt. Ich unterscheide etwa so wie Schleiermacher, als er seine
20 Protestanten, und weiter noch bei den Radikalen. Durch solche quantitative Abgrenzung gewinnt man schwerlich eine feste Grenz linie und klare Richtschnur, da der eine diesem und der andere jenem zu weit oder nicht weit genug zu gehen scheint. Wir be dürfen eines qualitativen Urtheils und finden es in dem inneren Lebensgesetz der Freiheit, daß sie als bewußte Selbstbestimmung dem gottgeordneten Gesetz unweigerlich Folge zu leisten hat: Men schensatzungen können nicht helfen.
II. So ist es denn auch ein von Gott eingebornes Gesetz, daß der Mensch die Welt um sich und die Welt in sich zu durch forschen und zu erkennen sucht, daß er die Augen zu dem Quell alles Lebens und Lichtes erhebt, ob er in etwas den geheimniß vollen Schleier zu lüften vermöge, der über dem göttlichen Wesen und Walten für uns blöde Sterbliche ausgebreitet liegt. ES war in dem hochgesegneten fünften Jahrhundert vor Christus den Hellenen die seltene Gunst des Schöpfers aller Dinge zu Theil geworden, daß im schönen Wettkampf die begabtesten Geister um die höchsten Preise menschlicher Kunst und Wissenschaft rangen von Geschlecht zu Geschlecht. Daß auch das Denken einen Zweck für sich bilde, daß auch das Wissen Selbstzweck sei, daß es ein Erkennen um des Erkennens willen gebe, ward das gemeinsame Princip der reinen Wissenschaft, wie sie am ausgeprägtesten und ausgebildetsten uns in Aristoteles entgegentritt. Auch Plato hat denselben Gedanken schon ausgesprochen, und er ist nicht blos hellenisch oder indogermanisch, sondern auch semitisch, denn mancher arabische Denker hat das selige Genügen empfunden, wenn er über mathematischen oder philosophischen Problemen grübelte und plötzlich ein helles Licht ihm den Ausgang aus seinen Labyrinthen wies. Es ist die reine Wissenschaft im Unterschiede von der angewandten, positiven Wissenschaft, es ist die Uebertragung des reinen Denkens vom Meister auf den Jünger durch Lehre und Unterweisung, worum es sich in dieser zweiten These handelt. Ich unterscheide etwa so wie Schleiermacher, als er seine
21 Dialektik für den Druck ausarbeiten wollte, gleich zu Anfang den Unterschied hervorhob zwischen den drei Richtungen des Denkens,
erstens das reine Denken, das nur um des Denkens willen sich vollzieht, zweitens das geschäftliche Denken im weitesten Sinne, das immer in einem Thun, in einem Einwirken auf die Außen
welt sein Ziel findet,
und drittens das künstlerische Denken,
das nicht um eines andern willen ist, sondern in dem Momente des Wohlgefallens zur Ruhe
kommt,
wenn das innere Urbild
zur wirklichen schönen Erscheinung ausgestaltet dasteht. Soll nun das reine Denken ein getreues Abbild alles Seien den im Himmel und auf Erden erzeugen,
den Umfang der Welt
ausmessen von einem Ende bis zum andern,
die auf und nieder
steigenden Kräfte in Natur und Geschichte erkennen, eben weil in diesem Erkennen an sich auch Freude und Genuß liegt;
soll das
menschliche Wissen sich zu dem Gott der Götter, wie Plato schon sich ausdrückte, erheben:
so leuchtet ein,
daß wir vor einer un
endlichen Aufgabe stehen, eben weil das Erkenntnißobject unendlich ist, sicherlich das letzte, das Geheimniß des göttlichen Wesens und
über die Unendlichkeit der Welt mag man denken, wie
Waltens; man
will.
sich nun nicht der Sophistik
Soll man
oder dem
absoluten Skepticismus in die Arme werfen und an allem realen Erkennen und Begreifen verzweifeln,
so muß man diese höchste
Aufgabe der reinen Wissenschaft als festen Leitstern im Auge be halten.
Es giebt ja freilich
um dem unerreichbaren Ziele
verschiedene Wege sich wenigstens
und Methoden,
anzunähern:
Em
pirie, Erfahrung, exacte Untersuchung der natürlichen und geschicht
lichen Erscheinungen auf der einen Seite, wohin auch die religiöse Erfahrung gestellt werden muß, und auf der andern Seite Spe
kulation,
folgerechte Ableitung
der metaphysischen und
Begriffe aus dem Wesen des Geistes selbst.
logischen
Es ist ein wesent
licher Gewinn, der der modernen Philosophie zu danken ist, na mentlich auch dem energischen Denken Kants, daß der Unterschied dieser beiden Methoden klar ins Bewußtsein' getreten
sonderheit hat Kant
in
ist.
In
seiner Kritik der reinen Vernunft die
Grenzen für die Freiheit und Beweiskraft menschlichen Denkens
22 abgesteckt, und wie man auch über seinen andern Versuch, die Religion innerhalb der Grenzen der Vernunft darzustellen, sich ausspreche, das ist unzweifelhaft sein höchstes Verdienst, daß er seinen Standpunkt im menschlichen Selbstbewußtsein nahm, erst das Organ des Erkennens untersuchte, ehe er die vermeintlich er kannten Objecte des Dogmatismus als wirkliche Erkenntnisse gelten ließ. Der Unterschied von Objektivität und Subjectivität spielt seitdem in der Geschichte der Wissenschaft die wichtigste Rolle. Jeder Mensch sieht die Dinge außer, sich und in sich gleichsam durch eine eigengefärbte Brille: schon von Natur haftet ihm die Subjectivität des Denkens an, und wenn er an die schwere Arbeit der Wissenschaft sich macht, da ist es auch nur ein kleiner Ausschnitt aus dem großen Umkreis des Wissens, den er beherr schen kann. Objektivität, Gerechtigkeit, Wahrheit der Erkenntniß ist das innerste Lebensgesetz der reinen Wissenschaft; und eben darum, weil dem so ist, weil sie „die Selbstbewegung der Sache", um mit Hegel zu reden, im Erkennen zu reproduciren hat, wird die Wissenschaft auch all den Anforderungen entsprechen, die etwa im Namen des socialen Lebens, im Namen des Staates oder der äußeren Wohlfahrt der Menschen an sie gestellt werden. Weil doch das reine Wissen seine Ergebnisse nicht allein um des Erken nens willen hegen und pflegen wird, sondern gemäß dem Zusam menhang zwischen Wissen, und Thun, zwischen Theorie und Praxis seine Resultate auch für das geschäftliche Denken und künstlerische Bilden verwerthen muß, so wird der Naturforscher dem wirklichen Leben nicht den Rücken kehren, sondern die von ihm als heilend erkannten Kräfte der Natur zum Nutzen der Kranken verwenden; es wird der Geschichtskundige dem Staate und der bürgerlichen Gesellschaft mit seinen Erkenntnissen vom Rechte der Völker und der Einzelnen dienen; es wird, wer sich auf die Entwicklung der Künste und der Religionen mit seinen Studien gewandt hat, auch der Genossenschaft der Künstler, auch der Gemeinde der Gläubigen seine Forschungen zu Gebote stellen. Hätte die reine Wissenschaft für sich nur nöthig diejenigen Fächer zu unterscheiden, welche in der philosophischen Facultät zusammen liegen, speculative und em-
23 pirische Disciplinen für die Erkenntniß von Natur und Geschichte
ergeben sich durch die
und dem, was jenseit der Welt liegt, so
aus welchen die drei andern
praktischen Bedürfnisse jene Keime,
Facultäten Medicin, Jurisprudenz und Theologie hervorgewachsen Das praktische Leben zieht für den UniversitätS-Lehrer
sind.
manche Schranke in der Mittheilung seiner Erkenntniß, über welche sich die Meister der Wissenschaft, wenn sie
in der Akademie
der Wissenschaften — die mit S ch le i e r m a ch e r als höchste Stufe zu betrachten ist — bei einander sind und ihre Forschungen aus
tauschen, leicht und mit Recht Hinwegsetzen.
Ueberall aber kommt
es, um die Wissenschaft und ihre Arbeit zu
fördern,
auf
eine
Vorbedingung an, die unerläßlich ist: es ist das Verständniß für
das! Gesetz, welches Gott zwischen dem Sein und dem Denken, zwischen dem Object und Subject geordnet hat. Einer sittlichen
Gesinnung bedarf es daher für jeden Forscher, Handhabung der ihm verliehenen Organe und
gewissenhafter
überantworteten
Stoffe, treuen Achtens auf die im Gegenstand der Erkenntniß vorge bildeten Gesetze, auf.die darin vorhandene geistige und sittliche Sub
stanz.
Auch die Hallen
Diener
und Priester sollen
der Wissenschaft sind heilig, und ihre
mit heiligen Händen die Gefäße zu
Gottes Dienst und Ehre tragen, der Natur oder in
Menschenwelt ihres Amtes pflegen. Meinungen gründlich zu entsagen,
Selbstzucht:
und
sie im großen Tempel
mögen
dem nicht minder
großen
Heiligthum
der
Um den eigenen subjektiven bedarf
das beste Mittel dazu
es einer sehr ernsten
wird stets im gewissen
haften Zusammenwirken mit andern Forschern, im engen Anschluß an
den bisherigen Entwicklungsgang
werden.
der Wissenschaft gefunden
ES giebt gewisse ausgemachte Resultate, wie etwa das
Kopernikanische Weltsystem,
woran kein Verständiger mehr rüt
teln wird.
Daß nichts destoweniger auch an dem,
was Jahrhunderte
lang im Glauben der Wissenschaft als ausgemachte Wahrheit galt, der
menschliche Scharfsinn sich
gerade
auch
das
weiß,
von KopernicuS
versuchen
darf, beweist freilich
gestürzte System.
Aber wer nun
daß er für sein Theil neue Bahnen zu brechen im
24 Stande sei, wird doch, so lange er seine Forschungen mit Beson
nenheit weiter führen und nicht sich selber in Nebelgebilde hüllen
will, streng auf den Unterschied halten, der zwischen anerkannter Wahrheit und hypothetischer Meinung obwaltet.
Daß Viele un
serer Gelehrten heutzutage gerade diesen Maßstab
für sich selbst
verloren oder vergessen haben, macht manche Arbeit so unfruchtbar
für die Praxis.
Eine Hypothese ist etwa das Fundament des
ganzen Gebäudes, eine andere Hypothese trägt das unterste Stock werk und wird dann überdeckt mit Kartenblättern, um neue Karten
darauf zu stellen, bis der leiseste Luftzug, das geringste Wanken
in den Grundfesten das ganze Kartenhaus zu Boden stürzt. Mag man also das gewissenhafte, besonnene, leidenschaftslose Auseinan
dersetzen mit allen Einwendungen der Gegner den Gelehrten un serer Tage einzuschärfen nöthig haben;
Herren,
lassen Sie uns, verehrte
aber auch die Freiheit der Wissenschaft, die akademische
Lehrfreiheit nicht
antasten,
denn sie ist ein köstliches, heiliges
Kleinod, wohl werth, daß jeder in dem für ihn abgegrenzten Kreise
der Forschung darum sich mühe und auch von den benachbarten Gebieten lerne, wie hoch sie dort gehalten werde.
Solche Freiheit bringt keine Gefahr, oder wo Gefahr ent steht, liegt in ihr auch die Gewähr, daß dem Verderben vorgebeugt
lverde. Pfad
Es
giebt ja
des Gewöhnlichen
krankhaften Zug einen
auch in der Wissenschaft
und Hergebrachten
nach Verborgenem
beklagenswerthen
auf,
häupter
tauchen
Jünger
bezaubern:
Streit die
zu
eine Sucht, den verlassen,
einen
und Unentdecktem, es giebt
der gelehrten Parteien;
Schul
mit geheimnißvollem Wortkram viele
aber die Freiheit der Wissenschaft verbürgt,
daß jedes Mal durch andere kritische Geister die Zeit der Ernüch
terung herbeigeführt
werde.
ES steht die echte Wissenschaft un
berührt durch die verschiedenen Tagesmeinungen,
durch die wech
selnden Strömungen in Staat und Kirche treulich auf ihrem Posten, an keine Nation, an keine Verfälschung der wahren Religion ge
bunden; sie soll die ewigen Wahrheiten, die unveränderlichen Ge setze für das menschliche Wesen und Handeln erforschen und auf
stellen.
Es soll uns nicht imponiren,
wenn
einer sagt:
die
25 Wissenschaft,
d i e Kritik hat das und das ausgemacht, so wenig
als es uns imponiren darf,
so und so.
wenn einer sagt:
die Kirche lehrt
Wir fragen vielmehr, wer hat das als unumstößliche
Wahrheit im Namen der Wissenschaft oder der Kirche gelehrt. Wohl kann
man in
seinem Denken zu einem festen Abschluß
kommen. Aber wer nun lieber feste Formen und hergebrachte Tra ditionen festhält, der gönne doch die edle Freiheit solchen suchenden
und forschenden Geistern, die rastlos geschäftig von einem menschli
chen System zum andern eilen und eine Schlangenhaut nach der andern von sich werfen, denen das Herzblatt ausgebrochen
würde
wenn ihnen die edle Freiheit des Suchens und Ringens durch irgend welche außerhalb der Sache liegenden Schranken verkümmert würde.
Daß ich nur Eines solchen Mannes und Eines Faches, der Sprach wissenschaft als Beispiel
gedenke.
Als im 15. Jahrhundert das
Original des A. T. zum versiegelten Buch für die christliche Theologie geworden war, rief der von Wahrheit zu Wahrheit
stürmisch eilende Johann Wessel
der Kirche mit vollestem
Rechte zu: „die Juden lachen uns aus, daß wir wie in der Fin sterniß auf einen unhaltbaren Grund bauen"*). Johann Wes sel verstand Hebräisch. Wir wissen, was alsbald Reuchlin ftir
die Kenntniß derselben Sprache von den Dunkelmännern, die kein Hebräisch verstanden, zu leiden hatte.
Es ist die Freiheit des Denkens, die Lehrfreiheit im weitesten Sinne, für
welche die zweite These eintritt,
unter der Voraus
setzung, daß es eine ächte, von subjectioer Willkür fern sich hal
tende Freiheit sei, welche das göttliche Gesetz in allem Sein und
Denken sich durchsichtig zu machen strebt.
III. Auf ein anderes Gebiet als das des Denkens und Forschens versetzt uns die dritte These, eben auf das Gebiet, auf welchem es sich um die Erzeugung wahrhaft sittlichen und religiösen Ge-
sinnetseins handelt,
um die Erzeugung der wahrhaften ethischen
*) De causa incarnat. c. 4. Ullmann, Reformatoren vor der Reformation. II, 393. 399. 435.
25 Wissenschaft,
d i e Kritik hat das und das ausgemacht, so wenig
als es uns imponiren darf,
so und so.
wenn einer sagt:
die Kirche lehrt
Wir fragen vielmehr, wer hat das als unumstößliche
Wahrheit im Namen der Wissenschaft oder der Kirche gelehrt. Wohl kann
man in
seinem Denken zu einem festen Abschluß
kommen. Aber wer nun lieber feste Formen und hergebrachte Tra ditionen festhält, der gönne doch die edle Freiheit solchen suchenden
und forschenden Geistern, die rastlos geschäftig von einem menschli
chen System zum andern eilen und eine Schlangenhaut nach der andern von sich werfen, denen das Herzblatt ausgebrochen
würde
wenn ihnen die edle Freiheit des Suchens und Ringens durch irgend welche außerhalb der Sache liegenden Schranken verkümmert würde.
Daß ich nur Eines solchen Mannes und Eines Faches, der Sprach wissenschaft als Beispiel
gedenke.
Als im 15. Jahrhundert das
Original des A. T. zum versiegelten Buch für die christliche Theologie geworden war, rief der von Wahrheit zu Wahrheit
stürmisch eilende Johann Wessel
der Kirche mit vollestem
Rechte zu: „die Juden lachen uns aus, daß wir wie in der Fin sterniß auf einen unhaltbaren Grund bauen"*). Johann Wes sel verstand Hebräisch. Wir wissen, was alsbald Reuchlin ftir
die Kenntniß derselben Sprache von den Dunkelmännern, die kein Hebräisch verstanden, zu leiden hatte.
Es ist die Freiheit des Denkens, die Lehrfreiheit im weitesten Sinne, für
welche die zweite These eintritt,
unter der Voraus
setzung, daß es eine ächte, von subjectioer Willkür fern sich hal
tende Freiheit sei, welche das göttliche Gesetz in allem Sein und
Denken sich durchsichtig zu machen strebt.
III. Auf ein anderes Gebiet als das des Denkens und Forschens versetzt uns die dritte These, eben auf das Gebiet, auf welchem es sich um die Erzeugung wahrhaft sittlichen und religiösen Ge-
sinnetseins handelt,
um die Erzeugung der wahrhaften ethischen
*) De causa incarnat. c. 4. Ullmann, Reformatoren vor der Reformation. II, 393. 399. 435.
26 die
Freiheit,
auch eine Lebensbedingung ächter Wissenschaft ist.
ES ist die Freiheit, mit der uns Christus befreit hat, die Freiheit
in Christo: in erster Instanz eine Sache des Lebens und des Er fahrens, die Freiheit vom Bann der Sünde und dem Elend des
Todes,
alsdann
die Freiheit von dem Stecken des
auswendig
treibenden Gesetzes, endlich die Freiheit in dem Gesetz Christi, worin
die Kinder Gottes als in ihrem Elemente leben und Glauben, Liebe und Hoffnung,
weben,
in
in Selbstverleugnung, Gehorsam
und Geduld, leer stehend für die Welt und ihre vergängliche Lust, aber offen stehend für die Kräfte deß, der gesagt hat,
könnet ihr nichts
thun,"
also
wachsend
„ohne mich
dem Maße Jesu
nach
Christi, um durch seine Kraft das Göttliche in menschlicher Gestalt
darzustellen. welche
treiben
Das
ist
im Glauben und
die herrliche Freiheit der Kinder Gottes, in der Liebe ihre
starken Wurzeln zu
hat, im Glauben an die erlösende und heiligende Gnade
Gottes, in der Liebe zum Herrn und allen Menschen.
diesem
innerlichen, mit Christo
Und von
in Gott verborgenen Leben gibt
es eine Erkenntniß und Kunde, ein Zeugniß und eine Lehre, deren
Recht keine menschliche Gewalt
dem Christen verkümmern
darf.
ES gibt eine nimmer zu verkürzende Freiheit der christlichen Lehre.
So hat der Herr selbst,
die
gefragt, in wessen Vollmacht er gegen
kirchliche Tradition der Pharisäer und Schriftgelehrten auf
trete, als Antwort seine Werke vorgewiesen: „wer seine Lehre thut,
der soll deß inne werden, ob sie von Gott sei." mehr gehorchen, als den Menschen,"
„Man muß Gott
das ist die Rechtfertigung
will den Geist der Propheten
nicht gedämpft
Petri.
Paulus
wissen;
die Säulenapostel reichten ihm die Hand, als er anders
denn sie in der Heidenmisston vorging: er selber unterscheidet das untrügliche Wort Christi, dem unweigerlich zu gehorchen ist,
und
seine eigenen Gedanken, bei denen er den Corinthern Freiheit ver
stattet.
ES stehen uns in freier Mannigfaltigkeit, wie I. M ü l-
l er's Buch über die Union ausführlich zeigt,
apostolischen Zeit vor Augen.
Lehrgesetz,
Noch
die Lehrtypen der
gab es kein
statutarisches
sondern das königliche Gesetz der Liebe regierte,
der
Geist Gottes leitete in voller Kraft die Gemeinde des Herrn in
21 alle Wahrheit, trotz des giftigen Unkrautes, das hie und da schon
in Samen schoß, trotz des Frevels, der
aus der Freiheit einen
Deckel der Bosheit machte. IV.
Es ist nicht so geblieben, wie 'bei der Machtfülle des apo
stolischen Geistes daS normale Verhältniß zwischen dem Leben
in der christlichen Freiheit und zwischen der christlichen Erkennt niß, dem freien, nach dem eigenthümlichen Erfahren gestalteten
Bezeugen und Lehren ausgeprägt war. altkatholische Kirche in
derten zu durchlaufen.
Schwere Krisen hatte die
den ersten fünf bis sechs Jahrhun
Das innerliche Leben, das Freisein in
Christo hielt nicht gleichen Schritt mit der gesteigerten Entwicklung der Erkenntniß, und manchem erlosch die innere Gluth des Glau
bens und der Liebe unter dem dichten Aschenhaufen allerlei philo sophischer und wissenschaftlicher Erkenntnisse, mit denen vor allen
der griechische Geist im Gnosticismus, im häretischen und nicht häretischen, sich überlud.
Man muß sich noch wundern, wie na
mentlich in den drei ersten Jahrhunderten die Freiheit der Kir
chenlehre über den feindseligen römischen Staat und ihre Reinheit
über die häretischen Trübungen den Sieg erstreiten konnte. Kanzel und Katheder waren für den Bischof noch identisch, grade wie die
Apologeten im Pallium des Philosophen einherschritten und manche Lehre vortrugen, die am Maß des vierten Jahrhunderts gemessen
offenbar Häresie gewesen wäre.
Es waltete, und damit löst sich
die Verwunderung über die Siegesmacht der ersten drei Jahr hunderte, wie beim ersten Durchbruch der Reformation, noch der
frische Morgenhauch des persönlich
erkämpften und
darum so
theuer gehaltenen Glaubens. Ohne sich träg in daS Joch ftüherer Traditionen spannen zu lassen, ohne ein neues Gesetz mit Vor
schriften für gute Werke, mit subtilen Dogmen für die intellectuelle Bildung aufzulegen, duldete dieser Glaube noch eine Mannigfal tigkeit von Lehrweisen in sich und erstieg eben dadurch eine Stufe der
Erkenntniß nach der andern, bis denn die Kirche seit Constantin als fertige Anstalt mit unfehlbarer Lehrtradition sich proclamirte
21 alle Wahrheit, trotz des giftigen Unkrautes, das hie und da schon
in Samen schoß, trotz des Frevels, der
aus der Freiheit einen
Deckel der Bosheit machte. IV.
Es ist nicht so geblieben, wie 'bei der Machtfülle des apo
stolischen Geistes daS normale Verhältniß zwischen dem Leben
in der christlichen Freiheit und zwischen der christlichen Erkennt niß, dem freien, nach dem eigenthümlichen Erfahren gestalteten
Bezeugen und Lehren ausgeprägt war. altkatholische Kirche in
derten zu durchlaufen.
Schwere Krisen hatte die
den ersten fünf bis sechs Jahrhun
Das innerliche Leben, das Freisein in
Christo hielt nicht gleichen Schritt mit der gesteigerten Entwicklung der Erkenntniß, und manchem erlosch die innere Gluth des Glau
bens und der Liebe unter dem dichten Aschenhaufen allerlei philo sophischer und wissenschaftlicher Erkenntnisse, mit denen vor allen
der griechische Geist im Gnosticismus, im häretischen und nicht häretischen, sich überlud.
Man muß sich noch wundern, wie na
mentlich in den drei ersten Jahrhunderten die Freiheit der Kir
chenlehre über den feindseligen römischen Staat und ihre Reinheit
über die häretischen Trübungen den Sieg erstreiten konnte. Kanzel und Katheder waren für den Bischof noch identisch, grade wie die
Apologeten im Pallium des Philosophen einherschritten und manche Lehre vortrugen, die am Maß des vierten Jahrhunderts gemessen
offenbar Häresie gewesen wäre.
Es waltete, und damit löst sich
die Verwunderung über die Siegesmacht der ersten drei Jahr hunderte, wie beim ersten Durchbruch der Reformation, noch der
frische Morgenhauch des persönlich
erkämpften und
darum so
theuer gehaltenen Glaubens. Ohne sich träg in daS Joch ftüherer Traditionen spannen zu lassen, ohne ein neues Gesetz mit Vor
schriften für gute Werke, mit subtilen Dogmen für die intellectuelle Bildung aufzulegen, duldete dieser Glaube noch eine Mannigfal tigkeit von Lehrweisen in sich und erstieg eben dadurch eine Stufe der
Erkenntniß nach der andern, bis denn die Kirche seit Constantin als fertige Anstalt mit unfehlbarer Lehrtradition sich proclamirte
28 an ihr
und die Hierarchie den Glauben an ihre Jnfallibilttät, dogmatisches System für den Heiltzglauben ausgab.
Die sedes apostolicae vertraten den christlichen Gemein
glauben; das Glaubensbekenntniß entwickelte
sich seit JreniiuS
und Tertullian in seinen einzelnen Bestandtheilen, noch
ohne
des descenaus ad inferoa unter den Grundthatsachen zu gedenken; der Schriftkanon ward mehr oder minder vollständig, oft noch reicher als das gegenwärtige N. T. ist, gesammelt, etwa vermehrt wie im
cod. Sinaiticua mit dem Paator Hermae und dem Barnabasbrief.
Auf einem Concile gegen Paulus
von Samosata beschloß
daß der Sohn nicht 6(.ioovoiog mit dem Vater sei,
man,
ein sehr un
bequemer Beschluß für Athanasius ein Jahrhundert später. Schöne
Tage des Friedens zwischen Wissenschaft
und Kirche hatte noch
Clemens von Alexandria gesehen, als er es aussprach: von
kann, so
sein.
wie man
der Weinrebe keine genießbare Frucht ohne Pflege erhalten muß auch die Wissenschaft die Pflegerin des Glaubens
Sein Nachfolger, der, wie Dörner hervorhebt, auch da
durch so groß ist, daß er seine eignen Theologumena so klar von der festen Grenzlinie und
klaren Richtschnur*) des Kirchenglau
bens schied, Ori genes, der ganz wie Luther in Worms den Or ganismus der kirchlichen Lehre ebenso gut aus Gründen der Schrift,
als aus der Consequenz des Denkens und der Natur der Sache
herausbilden wollte **), dieser erste Dogmatiker ist auch der erste
Märtyrer für die Lehrfreiheit gewesen, als er vor dem bischöflichen Machtspruch des Demetrius von seinem Lehrstuhl in Alexandria weichen mußte.
Die palästinensische Kirche bot ihm ein freund
liches Asyl.
Landeskirche steht also gegen Landeskirche.
scheidungen
einer Synode werden durch
aufgehoben.
Ein
eigentlich
Die Ent
die der anderen wieder
ökumenisches Concil, das
eine ächte
*) Certa linea et manifesta regula. **) De princ. praef. c. 10 affirmat-ionibus vel bis quas in scripturis sanctis invenerit vel quas ex consequentiae ipsius indagine ac recti tenore repererit. vgl. Baur, Vorlesungen über die Dogmenge schichte. Leipzig 1865. I, 236.
29 der Kirche wäre, hat es nie gegeben, höchstens Pro-
Vertretung
vincial-
und . Landes- oder Reichssynoden, die oftmals sich selbst
widersprechend erfunden sind.
Es gibt keine infallible Kirche, eS
gibt kein unfehlbares Lehramt, und der Gedanke des Cal ixt, den Consensus der
altkatholischen Kirche zur Grundlage der Kirchen
einheit zu machen, die Idee O v e r b ecks, daß die orientalische Kirche keines Luther bedurft hätte, sind ohne historisches Fundament. Gerade im 4. Jahrhundert, als die großen Theologen in Schaaren auftraten und die Staatsreligion die christliche wurde, vollzog sich im kirchlichen Bewußtsein der merkwürdige Umschwung, den
das Commonitorium des Bincentius
Lerinensis
am einfachsten
charakterisirt, indem es sich fortan für die Orthodoxie an die Au toritäten des 4. Jahrhunderts klammert, statt sich auf die Schrift
durch Helle und klare Gründe zu stützen, indem es einem Tertullian und Origenes,
nicht minder
storius.
den Vätern des 2. und 3. Jahrhunderts
derb den Text liest, als einem Photinus und Ne-
Schon Luther hatte in Bezug auf Nestorius die Ahnung,
daß demselben
seiner Zeit die Gerechtigkeit versagt sei: und der
Dogmengeschichte liegt es ob, ihm, so wie Anderen nachträglich die
Billigkeit zu gewähren, die ihnen gebührt. Ein Athanasius stand noch anders zu dem Lehrsystem des Origenes, zu den verdächtigten Lehr sätze seiner Zeitgenossen, Marcellus von Ancyra und Apollinaris,
er
stand noch anders zu ihnen,
als die bald darauf zur Herr
schaft und Macht gelangende Partei, welche dem stumm geworde nen großen Todten das Anathema ins Grab nachrief.
Kirchenväter wie Eusebius von Cäsarea, Junilius
im Dreicapitelstreit 551
Viele
Marcellus von Ancyra,
protestirten ihrer Zeit schon
gegen das Ueberschreiten der Grenzen, innerhalb deren das Funda
mentale und Heilsnothwendige liege, während gerade die herrschende Orthodoxie bald dies bald jenes psychologische oder metaphysische
Problem mit einer dogmatischen Formel löste, angenommen werden sollte.
die dann überall
ES waren oft genug Werke der weltli
chen Politik der byzantinischen Kaiser, Werke der geistlichen Politik der römischen oder constantinopolitanischen Patriarchen, welche mit dem Anspruch auftraten, wie das Apostelconcil: Es gefiel dem heiligen
80 Geiste und uns. Man schleuderte das Anathema auf alle Widersacher,
vergessend wie vorsichtig Geiste das „uns"
jenes jerusalemische Concil dem heiligen
nachgestellt hatte,
vergessend,
Geist doch anderswie in den Herzen wirkt,
daß der heilige
als etwa durch dog
matische Subtilitäten und philosophische Spitzfindigkeiten.
Zweinaturenlehre etwas zu schleunig
Und doch
einleuchtend darthut, die
wenn auch in Chalcedon, wie Dörner
abgeschlossen wurde, wenn
auch von Chalcedon ab fortwährend die
einander entgegengesetzten
Systeme, AdoptianismnS und NihilianismuS, auftraten, und die Reformation erst darüber
hinauskam, indem sie an der GotteS-
kindschaft einen Typus gewann,
von dem aus
die
in
Christus
vollzogene Einigung des wahren Göttlichen und des wahren Mensch
lichen begreiflich wird:
wer wollte leugnen,
daß die Kirche unter
des heiligen Geistes Beistand jederzeit die rechte Mitte zwischen den Extremen einzuhalten trachtete? Es mögen die als Antinomien
auftretenden Festsetzungen der Kirche den die weiter nichts
leeren Fässern gleichen,
besagen, als daß sie dem Schiffer rechts nnd
links die Fahrstraße abstecken; aber im Großen und Ganzen trifft
die innige Verschmelzung des Göttlichen und
des Menschlichen,
des Uebernatürlichen und des Geschichtlichen doch
in den Kern
der Sache, und wenn es auch in der historischen Wirklichkeit nicht
immer so gerecht hergegangen ist, groß und unersetzlich sind die Siege,
welche
der
kirchliche Geist
christlichen Wahrheit gefeiert hat.
über
an Christus
der
Ich habe mit Schleierma
cher zwei Paare solcher Verfälschungen
den Glauben
die Verfälschungen
bezeichnet:
als
grundstürzend
das erste Paar,
für
welches
Christum entweder seiner göttlichen Natur oder seiner Menschheit
entkleidet, Ebionitismus und Doketismus, das andere Paar, wel
ches den Gläubigen entweder der Erlösungsbedürftigkeit oder der Erlösungsfähigkeit beraubt, Pelagianismus und Manichäismus. Auch N i tz s ch *) hat diese einfachen Bestimmungen für ausreichend
erklärt, indem er freilich, was allerdings
gegen Schl ei er ma
ch er verstößt, alles Monarchianische und Arianische zur ebioniti-
*) Deutsche Ztschr. f. christ. Leben u. christ. Miss, 1858. Vorwort.
31 alles Monophysitische, was nicht verstößt, zur doketischen
scheu,
fundamentalen Abweichung rechnet. Vorbehalten, auszukämpfen,
ES ist unserer Zeit vielleicht
ob jene monarchianische Anschauung
eines Beryll und Sabellius fundamentale ebionitische Abweichung
sei.
Ich will jedoch nicht gesagt haben, daß Pelagius ein Pela-
gianer im schlimmen Sinn gewesen sei — die
orientale Kirche
hat ihn nicht verdammt. Ebensowenig behaupte ich, daß die Ver treter der Kirchenlehre, z. B. Augustin, sich frei von manichäischen
oder magischen Elementen erhalten haben.
man
sich
doch
nicht,
daß
das
Verhehlen eben
darf
Symbolum Athanasianum den
Unterschied des Fundamentalen und Nichtfundamentalen, den Un terschied von Religion und Theologie verleugnet. sich 1. c. ausgedrückt,
Grau
in
Glaubens"
So hat Nitz sch
und ich erinnere um so mehr daran, als
der empfehlenSwerthen Zeitschrift
„der Beweis des
dies Symbol als ein römisches über die Maßen er
hoben hat; ist es doch wohl eher aus Spanien oder Gallien ge kommen als aus Rom, und keineswegs die vollständige Summe
der griechischen Theologie.
V. Bedarf es die altkatholische Kirche gar sehr am Maßstab
der rechtverstandenen Schrift
gemessen zu werden,
um nicht zu
hohe Schätzung zu erfahren, so glaube ich den Werth der mit
telalterlichen
Geistesarbeit in der Kirche höher
anschlagen
zu müssen, als in der Regel geschieht, wenn man von immer tie ferem Abfall von der urchristlichen Wahrheit redet., Wer es nicht
sehen will, daß die kirchlichen Gewaltherrscher eine harte Tyrannei über die Gewissen verhängten, dem werden die Autos da £6 mit ihren Scheiterhaufen
und Torturen schon in die Augen leuchten.
Das sind indeß wesentlich die Thaten der officiellen Kirche, der Hierarchie.
Im Gros der Kirche sah es
anders
aus.
ES ist
eine leere Phrase, wenn Jemand wie Schwarz dieAera der Re formation damit characterisirt haben will, daß die protestantischen
Symbole die Thore nach der Vergangenheit hin schließen und sie
dagegen weit für alle Fortentwicklungen der Zukunft öffnen sollen.
31 alles Monophysitische, was nicht verstößt, zur doketischen
scheu,
fundamentalen Abweichung rechnet. Vorbehalten, auszukämpfen,
ES ist unserer Zeit vielleicht
ob jene monarchianische Anschauung
eines Beryll und Sabellius fundamentale ebionitische Abweichung
sei.
Ich will jedoch nicht gesagt haben, daß Pelagius ein Pela-
gianer im schlimmen Sinn gewesen sei — die
orientale Kirche
hat ihn nicht verdammt. Ebensowenig behaupte ich, daß die Ver treter der Kirchenlehre, z. B. Augustin, sich frei von manichäischen
oder magischen Elementen erhalten haben.
man
sich
doch
nicht,
daß
das
Verhehlen eben
darf
Symbolum Athanasianum den
Unterschied des Fundamentalen und Nichtfundamentalen, den Un terschied von Religion und Theologie verleugnet. sich 1. c. ausgedrückt,
Grau
in
Glaubens"
So hat Nitz sch
und ich erinnere um so mehr daran, als
der empfehlenSwerthen Zeitschrift
„der Beweis des
dies Symbol als ein römisches über die Maßen er
hoben hat; ist es doch wohl eher aus Spanien oder Gallien ge kommen als aus Rom, und keineswegs die vollständige Summe
der griechischen Theologie.
V. Bedarf es die altkatholische Kirche gar sehr am Maßstab
der rechtverstandenen Schrift
gemessen zu werden,
um nicht zu
hohe Schätzung zu erfahren, so glaube ich den Werth der mit
telalterlichen
Geistesarbeit in der Kirche höher
anschlagen
zu müssen, als in der Regel geschieht, wenn man von immer tie ferem Abfall von der urchristlichen Wahrheit redet., Wer es nicht
sehen will, daß die kirchlichen Gewaltherrscher eine harte Tyrannei über die Gewissen verhängten, dem werden die Autos da £6 mit ihren Scheiterhaufen
und Torturen schon in die Augen leuchten.
Das sind indeß wesentlich die Thaten der officiellen Kirche, der Hierarchie.
Im Gros der Kirche sah es
anders
aus.
ES ist
eine leere Phrase, wenn Jemand wie Schwarz dieAera der Re formation damit characterisirt haben will, daß die protestantischen
Symbole die Thore nach der Vergangenheit hin schließen und sie
dagegen weit für alle Fortentwicklungen der Zukunft öffnen sollen.
32
Wer hätte nicht schon hinaufgestaunt zu der gewaltigen Riesen arbeit der Geistesheroen im Mittelalter? die nun, als der heid
nische Philosophenstand neben der christlichen Kirche ausgestorben war, die Verpflichtung überkommen hatten,
eine natürliche Theo
logie auf dem Gebiet der offenbarten Religion auszubilden. Dia
lektik und Mystik
wetteiferten
bewegen, obschon
es
und
durften sich frei regen
für die Skepsis
eines Abaelard,
für
und
die
Mystik eines Eccard nicht an Conflicten mit den bestellten Wäch tern der Orthodoxie fehlte.
sententiarum,
Selbst der Lombarde, der magister
schwebte in Gefahr
von Papst Alexander III.
auf den Synoden von Tours und Sens 1163 und 1164 wegen seiner Anschauung
von
der
Menschwerdung
Gottes
als Ketzer
bezeichnet zu werden, weil er die menschliche Natur nihilianistisch auffaßte.
Sonst
zwar waren die Päpste oft genug im Dulden
der entgegengesetzten Lehren sehr gefügig und diplomatisch: ich erin
nere nur an Gregor den Großen, der in Einem Athem die fünfte ökumenische Synode
anerkannte und wieder fallen ließ, oder an
Leo III., der das filioque, das aus Karls d. G. Reich zu ihm
kam, im Symbolum nicht dulden wollte, in seiner Dogmatik sich aber dazu bekannte.
Ich will nicht der zahllosen Freigeister als
Zeugen der mittelalterlichen Lehrfreiheit
gedenken, die mitten in
jener von Weihrauchduft der Kirche umnebelten Zeit auftauchten, nicht der Lollharden und Begharden, welche predigten, daß die Zeit des Antichrist da sei: der gesunde Kern des Volkes hatte
doch auch seine heilsame, seelenstärkende Nahrung in der Volks predigt eines Berthold und Andrer, denen es nicht verwehrt
ward,
das Eine Nothwendige zu predigen, immerhin versetzt mit
allerlei heidnischem Aberglauben. Die Riesenarbeit der Scholastik war sehr nöthig
gewesen,
um die Geister zu schulen, damit sie das aus seinem Tode ver jüngt auferstehende Alterthum der Klassiker recht würdigen könnten. Die Universitäten, vor allen Paris, das eine Zeit lang den Ton auch
für das Regiment der Kirche angab, hatten trotz des hin
und her schwankenden Kampfes von Nominalismus und Realis mus alle ihre Glieder auf die kirchliche Lehre verpflichten müssen.
33 um bei dem Zusammenbruch der alten Institutionen klar an den
Tag zu bringen, daß durch solche Fesseln und Bande der Wissen schaft nicht gedient wird.
Auf anderen Universitäten hatte der
Humanismus seine Stätte aufgeschlagen.
Päpste selbst begrüßten
bekanntlich den Humanismus mit unverholener Freude,
und die
schärfsten Verordnungen des kanonischen Rechtes konnten jenem
Gerede von der fabula de Christo am päpstlichen Hofe selbst nicht wehren.
Wohl hat ein Johann von Wesel schwer büßen
müssen, weil er die augustinisch-biblische Predigt anhob; aber sein
Geist edler Mystik, sowenig als der Geist wahrer Wissenschaft sind ganz aus dem Bereich der römisch-katholischen Kirche gewichen. In manchen Stücken hatten Katholiken des 17. Jahrhunderts
ein offneres Auge und unbefangeneres Urtheil sich bewahrt, als
protestantische Gelehrte. Indeß unerträglich bleibt der Druck der Hierarchie. weiß ja zur Genüge,
Man
wie es dem Galiläi, den Jansenisten er
ging; wie der Münchner Gelehrtencongreß unter Döllin ger's
Präsidium kaum recht aufzuathmen wagte.
Wohl verstehen es
Döllinger selbst, Bischof Kettler und Bischof Martin die
Sache so zu drehen, als seien sie die Vertreter der Freiheit und die Protestanten eigentlich Freunde der vom Staat über die Kirche
verhängten Tyrannei. Aber der Grundschaden, an dem die heutige katholische Wissenschaft krankt, ist und bleibt der alte, daß sie
verbunden
ist, die
ein für alle mal unabänderlich festgestellten,
nicht immer aus wissenschaftlichen Gründen getroffenen Satzungen der Hierarchie mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit lediglich zu be
stätigen. Commentare zum A. T. von Protestanten, wie Delitzsch
und Keil darf ein katholischer Student nicht ohne Dispens zur Hand nehmen.
In Permaneder'S Kirchenrecht *)
werden uns
folgende sechs Handhaben zur Abwehr falscher Lehren geboten:,!)
die Vulgata als authentische und zuverlässige Uebersetzung; das Studium
des Grundtextes sei für den Privat- und Gelehrten-
Gebrauch nicht verboten; 2) die congregatio s. officii seu inqui*) Landshut 1856. 3. Aufl. S. 587.
aitionis; 3) die Censur des Bischofs; 4) sieben Symbole; 5) die
authentischen Katechismen; 6) die professio fidei, die selbst der Papst zu leisten hat.
Um aber die Fortentwicklung der kirchlichen
Dogmatik je nach dem Bedürfniß zu sichern, kommt noch hinzu,
daß was der Papst ex cathedra lehrt, auch obligatorische Wir
kung für die übrigen Vertreter des Lehramtes hat. Walter *) hegt
den wohl motivirten Wunsch, man möge doch diese Unfehlbarkeit des Papstes nicht
anatomisch zerlegen, auch die Entscheidungen
der allgemeinen Concilien seien nur ein Zeugniß aus der Kirche
heraus in die Kirche hinein, der reflectirende Verstand dürfe nicht
die einzelnen Momente zersetzen. VI. Aber — so wendet etwa der Katholik oder radicale Gegner sich zum Protestanten — habt ihr denn nicht
auch für Eure
kirchliche Gemeinschaft einen Papst oder mehrere? und zwar pa pierene Päpste, die Schrift oder die Symbole? Mit nichte», lautet
die Antwort nach der 6. These: die Freiheit, mit der uns Chri
stus befreit hat, ist der Lebensodem der evangelischen Reformation. Davon
geben die reformatorischen Bekenntnisse und die weitere
Entwicklung der evangelischen Kirche klares Zeugniß.
Die pro
testantischen Symbole mögen immerhin auch Denkmäler des Strei tes und Zankes der Theologen heißen: aber zunächst waren sie doch
erbauliche Lehrbücher in markiger, kerniger Sprache zum
Dienst der Gemeinde, muthige Zeugnisse zum Schirm und Schutz der Wahrheit vor Kaiser und Reich; und selbst die schmalkaldischen
Artikel sind des Unterschiedes von fundamentalen und nicht funda mentalen Dogmen eingedenk;
selbst die Concordienformel weiß
sich als theologisches Machwerk und weist auf die Schrift als
lapis lydius zurück. Der Glaube allein, und Christus, der wahr haftig frei macht als der Sohn Gottes:
das sind die beiden
Brennpunkte, um welche sich in beiden Gebieten der reformatori schen Kirche die Gedanken drehen. Es war naturgemäß, daß 1533
*) Kirchenrecht 12. Stuft. S. 345.
aitionis; 3) die Censur des Bischofs; 4) sieben Symbole; 5) die
authentischen Katechismen; 6) die professio fidei, die selbst der Papst zu leisten hat.
Um aber die Fortentwicklung der kirchlichen
Dogmatik je nach dem Bedürfniß zu sichern, kommt noch hinzu,
daß was der Papst ex cathedra lehrt, auch obligatorische Wir
kung für die übrigen Vertreter des Lehramtes hat. Walter *) hegt
den wohl motivirten Wunsch, man möge doch diese Unfehlbarkeit des Papstes nicht
anatomisch zerlegen, auch die Entscheidungen
der allgemeinen Concilien seien nur ein Zeugniß aus der Kirche
heraus in die Kirche hinein, der reflectirende Verstand dürfe nicht
die einzelnen Momente zersetzen. VI. Aber — so wendet etwa der Katholik oder radicale Gegner sich zum Protestanten — habt ihr denn nicht
auch für Eure
kirchliche Gemeinschaft einen Papst oder mehrere? und zwar pa pierene Päpste, die Schrift oder die Symbole? Mit nichte», lautet
die Antwort nach der 6. These: die Freiheit, mit der uns Chri
stus befreit hat, ist der Lebensodem der evangelischen Reformation. Davon
geben die reformatorischen Bekenntnisse und die weitere
Entwicklung der evangelischen Kirche klares Zeugniß.
Die pro
testantischen Symbole mögen immerhin auch Denkmäler des Strei tes und Zankes der Theologen heißen: aber zunächst waren sie doch
erbauliche Lehrbücher in markiger, kerniger Sprache zum
Dienst der Gemeinde, muthige Zeugnisse zum Schirm und Schutz der Wahrheit vor Kaiser und Reich; und selbst die schmalkaldischen
Artikel sind des Unterschiedes von fundamentalen und nicht funda mentalen Dogmen eingedenk;
selbst die Concordienformel weiß
sich als theologisches Machwerk und weist auf die Schrift als
lapis lydius zurück. Der Glaube allein, und Christus, der wahr haftig frei macht als der Sohn Gottes:
das sind die beiden
Brennpunkte, um welche sich in beiden Gebieten der reformatori schen Kirche die Gedanken drehen. Es war naturgemäß, daß 1533
*) Kirchenrecht 12. Stuft. S. 345.
35
die Wittenberger Universität ihren evangelischen Character durch die Verpflichtung auf die Augustana zu
wahren suchte; schon
Osiander erhob gegen Melanthon die Beschuldigung, daß durch die Aufnahme derselben in den Doctoreid angethan werde.
den Gewissen Gewalt
Man mißbrauchte ja freilich die verschiedenen
corpora doctrinae, die allmählich entstanden, und ließ sich dazu durch daS Beispiel und Drängen der Römischen verleiten, in der
reformirten Kirche so gut, wie in der lutherischen, ausführlich mit einzelnen Fällen belegt.
wie Tholuck
Ich erinnere mit einem
Gutachten von Hundeshagen, das in den Acten der Badischen
Generalsynode von 1855 S. 80 und auch in GelzerS Protestant. Monatsblättern 1857 October S. 220 steht, nur an Folgende-:
Srrved'S Scheiterhaufen, Grotius' Einkerkerung, Johann Oldenbarneveld'S Hinrichtung sind die dunkelen Flecken auf der reformir ten Seite, auf der lutherischen sei des Kurfürsten August gedacht, der seinen
Kanzler Cracov
zu
Tode foltern, seinen Prediger
Stössel im Gefängniß wahnsinnig werden, seinen Leibarzt Peucer 12 Jahre lang fesseln ließ, mit der Entschuldigung an Kaiser Maxi milian II.
„Ich will nur solche Diener gebrauchen, die in der
Religion nur das glauben und bekennen, was bekenne."
ich glaube und
Diese von Benedict Carpzov auf den klassischen Aus
druck gebrauchte, unglaublich harte jurisprudentia ecclesiastica konnte kaum ein anderes Ende nehmen, als vordem der Katho
licismus.
Thomasius und Spener
waren eS dies Mal,
welche der Freiheit der Lehre wieder Bahn brachen.
Ein Wöll-
ner'scheS Edict konnte 100 Jahre später nach den ausschweifend sten Zeiten der Aufklärung den ohnmächtigen Versuch wiederholen,
längst nach
verschollene Dinge
wiederherzustellen.
Es
begreift sich
solchem Censurdruck, unter welchem auch Kant litt, wie
Sch leie rmacher'S Reden
über
die Religion
den
unheiligen
Zwang der Symbole bei Seite warfen. Die Gründung der Preu ßischen Union gab
nicht blos für Schleiermacher, sondern
auch für andere Standpunkte Anlaß, sich auszusprechen, in wie weit die Jndifferenzirung der konfessionellen Streitpunkte
den nichtstreitigen conaensna betreffen möchte.
auch
Die Feier des
36
Augsburger Tages 1830 ließ die tiefe Kluft ermessen, welche
zwischen den Männern der freien Forschung und den zum alten Lutherthum zurückstrebenden Geistern auseinanderklaffte.
Zu An
fang der vierziger Jahre standen schon größere Maßen aus dem
Volke hüben und drüben, altlutherische Gemeinden und freie Ge meinden, jede der Parteien mit eignen Privilegien.
Johann
sen, Bickel l, Meurer, Ullmann, Hahn und Bleek hatten in der Litteratur über handelt.
die Verpflichtung auf die Symbole ver
Eklatante Fälle
freiheit waren,
der Einschränkung akademischer Lehr
wie einst bei Wolf und Fichte, so jüngst bei
Strauß und Bruno Bauer eingetreten.
Merkwürdige Zei
chen sind die Facultätsgutachten für den letzteren Fall.
Denk
würdig nannte ich schon zu Anfang die Berliner Generalsynode
von 1846, auf welcher Nitzsch das Referat über die Bekennt nißfrage hatte und ein consensus der beiden evangelischen Kirchen
entworfen wurde.
Lehrreich
auch für die Geschichte der letzten
Jahre ist das Studium der damals gepflogenen Verhandlungen.
Unter den drei Hauptfractionen, die sich ziemlich klar unterschei den, protestirte die Linke in Graf Schwerin und Sydow da
gegen, daß
überhaupt eine Lehrordnung
festgestellt werde.
Die
Rechte in dem ehrwürdigen, wie eine eherne Säule dastehenden Heubner wollte nichts Anderes als die hergebrachten lutherischen Symbole anerkennen und Alles in den Evangelien ohne Ausnahme
sollte Grundthatsache und Grundwahrheit des Christenthums sein.
Stahl, der Vielgewandte, hatte anfangs den Wunsch, daß die strengere und die freiere Theologie bei einander bleiben möchten, nachher sagte er sich
nicht
dem er mit geholfen hatte.
ohne Eklat von dem Werke los, zu
Die eigentliche Mitte, der Kern der
Synode äußerte sich in Möller vortrefflich, wenn derselbe nach
wies , daß sich das Glaubensleben der Gemeinde über die Lehr differenzen der Schule erheben müsse, oder
in dem Protest von
Nitz sch, daß er keineswegs eine confessio Berolinensis mit
dem Ordinationsformular
beabsichtige, oder in der lichtvollen
Entwicklung Dorner'S über das quia und quatenus in Bezug auf den Einklang der Symbole mit der Schrift.
37
Die damals vollbrachte Arbeit ist keine vergebme gewesen,
die Samenkörner, die auSgestreut wurden,
wenn auch
noch in der Erde schlummern.
vielfach
Die Verhandlungen der Rheini
schen und Westfälischen Synoden über die Bekenntnißparagraphen der Kirchen-Ordnung, der Berliner
Kirchentag
von 1853 mit
seinem Bekenntniß zur Augsburgischen Confession, Müller's und Ball's Versuche, den oonsensuo der Evangelischen *) zu formu-
liren,
die Badische Generalsynode von 1855 zeigen den unaus
rottbaren Trieb, die Entwicklung der Kirche auch durch eine feste Lehrordnung zu fördern, ohne der freien Schriftforschung etwas
zu vergeben.
Ullmann zwar hatte auf der Synode 1855 an
fangs im Sinn die freie Schriftforschung aus den Bekenntniß paragraphen auSzumerzen, weil er sich von dem Mißtrauen nicht
losmachen
konnte, daß diese Freiheit
Symbole sich kehren müsse.
gegen
die Geltung der
Mit beredten, ergreifenden Worten
forderten aber Rothe und Hundeshagen diese Freiheit als einen
ehernen Felsen der protestantischen Kirche zurück, weil sie
das gläubige und gewissenhafte Forschen im heiligen Geiste nicht
aus-, sondern einschließe **).
„Keiner unter den Dienern unserer
Kirche, der vor dem durchdringendm Auge seines Herrn Jesus
Christus selbst bezeugen kann: Herr, du weißt, daß ich — durch deine Gnade — dir angehöre in Glauben und Liebe! kein solcher soll unter uns in
die Lage kommen, daß er um seiner theologi
schen Ueberzeugungen willen mit Seufzen und beklommenem Ge
wissen, von den peinigenden Blicken des Mißtrauens umschlichen und ohne den erfrischenden Genuß des liebevollen Vertrauens der
Berufsgenossen seines Amtes warten müßte."
Gewiß, Bekennt-
formeln und Visitationsartikel haben die Kirche in unseren Tagen
nicht lebendig gemacht, sondern umgekehrt weil die Kirche in jenen Tagen der reformatorischen Jubiläen aus ihrem Schlummer er
wachte, fand sie sich zu den Zeugnissen der Väter wieder zurück. Eö ist im tiefsten Grunde das Wort von der Freiheit in Christo,
*) Berlin 1853 Rhein. Synode 1853. S. 367. **) A. a. O. S. 144 f.
38 welches immer wieder den erstarrten und erstorbenen Gliedern des
Leibes der Kirche neue Wärme und neues Leben einhaucht, nicht
aber
irgend eine menschliche Theologie, nicht irgend eine noch so
gereinigte Schulwissenschaft, sondern das reine Wort Gottes und der Geist Gottes allein.
Lassen wir uns doch nicht bange machen
durch die Reden der Katholiken und einiger Evangelischen, als sei
die so zerfahrene evangelische Kirche in Selbstauflösung begriffen, als hätten wir in den Worten Jesu, die da Geist und Leben
sind, nicht die einigende Macht, welche unsere evangelische Kirche als geschlossene Phalanx wider alle zerstörenden Kräfte zusammen
hält und zum Siege führt.
Mit einem Gutachten, das auf der
7. Rheinischen Provinzial - Synode
in Duisburg
1850 gestellt
wurde *) können wir freudig und aufrichtig wünschen: „wir möch ten unsre in sich getheilte, aber lebendige Einheit nicht hingeben
gegen die nur
den Unkundigen blendende Einförmigkeit der
katholischen Kirche: — die verschiedenen Abstufungen in der wirk lichen Durchdringung und inneren Verschmelzung der beiden evange lischen Hauptconfessionen bilden nicht blos ihre Schwachheit, son
dern ebenso sehr auch ihre Stärke; eben diese Elasticität ist we sentlich auch ihre eigmthümliche Kraft."
Wie es mit dem Ka
tholicismus steht, beweist die Aufnahme der Encyclica, die doch wohl ex cathedra geredet sein wollte. VII.
Ist also die protestantische Kirche nichts Todtes, sondern
eine lebendige, frei sich entwickelnde Macht, bis auf den heutigen Tag: so ist auch ihr 8 ehr st and, der auf Kanzeln und Kathe dern, in hohen und niederen Schulm Christenthum und wissen
schaftliche Wahrheit in innigem Bunde dem kommenden Geschlecht zu überantworten hat,
verpflichtet, lautere und reine, am Worte
Gottes erprobte Wahrheit zum Object
seiner Lehre 'zu machen.
ES sind verschiedene Stufen und Berufskreise von der Akademie
und
Universität
!) S. 74.
an
durch
Gymnasien
und
Bürgerschulen
bis
38 welches immer wieder den erstarrten und erstorbenen Gliedern des
Leibes der Kirche neue Wärme und neues Leben einhaucht, nicht
aber
irgend eine menschliche Theologie, nicht irgend eine noch so
gereinigte Schulwissenschaft, sondern das reine Wort Gottes und der Geist Gottes allein.
Lassen wir uns doch nicht bange machen
durch die Reden der Katholiken und einiger Evangelischen, als sei
die so zerfahrene evangelische Kirche in Selbstauflösung begriffen, als hätten wir in den Worten Jesu, die da Geist und Leben
sind, nicht die einigende Macht, welche unsere evangelische Kirche als geschlossene Phalanx wider alle zerstörenden Kräfte zusammen
hält und zum Siege führt.
Mit einem Gutachten, das auf der
7. Rheinischen Provinzial - Synode
in Duisburg
1850 gestellt
wurde *) können wir freudig und aufrichtig wünschen: „wir möch ten unsre in sich getheilte, aber lebendige Einheit nicht hingeben
gegen die nur
den Unkundigen blendende Einförmigkeit der
katholischen Kirche: — die verschiedenen Abstufungen in der wirk lichen Durchdringung und inneren Verschmelzung der beiden evange lischen Hauptconfessionen bilden nicht blos ihre Schwachheit, son
dern ebenso sehr auch ihre Stärke; eben diese Elasticität ist we sentlich auch ihre eigmthümliche Kraft."
Wie es mit dem Ka
tholicismus steht, beweist die Aufnahme der Encyclica, die doch wohl ex cathedra geredet sein wollte. VII.
Ist also die protestantische Kirche nichts Todtes, sondern
eine lebendige, frei sich entwickelnde Macht, bis auf den heutigen Tag: so ist auch ihr 8 ehr st and, der auf Kanzeln und Kathe dern, in hohen und niederen Schulm Christenthum und wissen
schaftliche Wahrheit in innigem Bunde dem kommenden Geschlecht zu überantworten hat,
verpflichtet, lautere und reine, am Worte
Gottes erprobte Wahrheit zum Object
seiner Lehre 'zu machen.
ES sind verschiedene Stufen und Berufskreise von der Akademie
und
Universität
!) S. 74.
an
durch
Gymnasien
und
Bürgerschulen
bis
39 hinab zur Volksschule,
in welchm die evangelische Lehre zu trei
ben ist: und daneben steht die Kanzel, von der das erbauende,
tröstende, belehrende,
strafende und warnende Worte des Predi
gers zu erwarten ist.
Wie weit geht nun da
die Lehrfreiheit?
was ist erlaubt? was ist verboten? So stehen wir vorder eigent lich brennenden Frage des Tages.
seiner Kanzel in der Kirche mitten in
Auch der Geistliche hat neben
sein Katheder im Confirmandensaal;
obgleich
er
Pflicht,
die theologische Erkenntniß
der Praxis steht, hat
er
doch auch
gewissen Maße weiter zu pflegen und auszubilden.
was er auf der Studirftube
in
und Wissenschaft
die
einem
Nicht alles,
treibt, kann er so unmittelbar für
den Confirmandenunterricht, die Predigt oder die Seelsorge ver
werthen; aber je mehr er in der Wissenschaft daheim ist und den
Stoff beherrscht,
desto leichter wird ihm auch daö Ausmünzen
der ungefügen Barren für den praktischen Gebrauch werden.
wird
das wirklich Erbauliche treiben; nicht
Er
ausgereifte Theolo-
gumena, von den Stufen der Seligkeit etwa oder vom lOOOjäh-
rigen Reich oder einem Mittelzustand oder einer artoxavaaTaaig
wird er nicht vor die Gemeinde oder seine Schüler bringen.
Die
Majorität der Commission der Badischen Synode 1855 *) erklärte sich trefflich über blos individuelles Schriftverständniß:„Nur
Eitelkeit und eigentliche Beschränktheit kann darauf verfallen, da wo das Absehen gerade darauf gerichtet ist, die Gemeinschaft des religiösen Erkennens zu vollziehen, individuelle Ueberzeugungen einzumischen, die man,
so gewiß sie einem auch persönlich
mögen, doch eben als noch nicht gcmeingiltige kennt."
sein
Ebenso
wenig als solche noch in der Gährung liegenden Dogmen gehören die Probleme der Philosophie oder Politik, die Fragen der bibli
schen Kritik, Hebräisch
oder Griechisch
Confirmandenunterricht hinein.
schung in der Schrift als
in die Predigt und bett
Wenn Schwarz die freie For
den Grundgedanken der Reformation
bezeichnet und davon in nichd grade sehr glücklichem Ausdruck die
moderne Forschung
*) S. 122.
über
die Schrift unterscheidet,
welche die
40 Kritik der
heiligen Schriften, die Frage nach der Echtheit oder
Unechtheit, nach ihrem. Alter, ihrem Entstehungskreise zu behau-
deln habe:
so
gehört
unmündige, lediglich
vor die Gemeinde, die mündige und die
die Forschung in der Schrift, sie ist das
Höhere, das was erbaut und den Weg zum Leben und zur Selig keit jeder verlangenden Seele eröffnet, gerade wie es höher steht, die Denkmäler einer Litteratur selbst zu mit den Urtheilen
durchforschen, statt sich
eines LitterarhistorikerS zu begnügen.
Der
Prediger soll nicht Theologen bilden, sondern Glauben und Fröm migkeit in die Herzen pflanzen. Die Reformatoren, Luther voran
in seinen Einleitungen zu den einzelnen Büchern der Schrift, gebm uns auch die Fingerzeige, wie die wissenschaftlichen Resultate der Kritik für die erbaulichen Zwecke zu verwerthen sind. nicht verlangen, daß ein evangelischer Lehrer,
Man kann
dem eS durch ge
wissenhafte Forschung feststeht, daß Moses nicht der Verfasser der nach ihm benannten Bücher in ihrer ganzen Ausdehnung ist,
daßMatthaeuS zwar der Verfasser eines aramäischen Evange liums ,
nicht
aber
der gegenwärtigen griechischen Recension ist,
daß ein Lehrer solche für ihn wohlbewährten Erkenntnisse vor seinen
Schülern
verleugne.
Aber niemals wird eS verstattet sein, von
der Elementarschule an bis zu den obersten Klassen des Gymna siums, den Lernenden in die kritischen Untersuchungen einzuführen,
die lediglich der höheren Wissenschaft obliegen. Als Holtzmann
in seinem Buch über Tradition und Kanon *) die Forderung stellte, daß auch
der Nichttheologe seinen
Schriftglauben
durch
Kritik
stützen müsse, antwortete Ritsch l in einer Recension **) mit vol lstem Rechte, daß der Nichttheologe die Bibel wie das Gesang
buch und andere erbauliche Bücher ansehe, daß dagegen das Be weisen des Schriftglaubens die Sache der Theologen sei, welchen es auch obliege, die kirchliche Tradition in der Gemeinde zu regeln
und zu berichtigen. Wir stehen hier vielleicht vor dem schwierigstm Theil unserer Frage.
Die Lehre unserer Kirche ist durch Mitwirkung der theo-
*) S. 169. **) St. u. K. 1860. S. 580.
41 logischen Kräfte zu Stande gekommen, derer sowohl, die in der Praxis stehen, als derer, welche der Pflege der Wissenschaft und
Theorie ausschließlich gewidmet sind. So kommt die Lehre unserer Kirche auch noch zu Stande; sie ist eben kein todter, sondern ein
lebendiger Schatz.
Die kirchliche Wissenschaft,
praktische, wie akademische Theologen
welche
wir alle,
ohne Ausnahme zu pflegen
haben, ist auch dem Hausvater gleich, der Altes und Neues aus seinem Schatz hervorzubringen hat.
es.
Altes und Neues! da liegt
Da stehen wir vor dem unendlich schwer festzustellenden Un
terschied zwischen dem Alten und dem Neuen, dem Fundammtalen und Nichtfundamentalen, zwischen dem, Festen und dem Beweglichen, dem Bleibenden und dem Vergänglichen in der evangelischm Lehr-
tradition, und wenngleich Schrift und Bekenntniß die wesentlichen Factoren sind, an welche die Lehre anzuknüpfen hat, das lebendige
Bewußtsein der Gemeinde, die jeweilige Gestalt des
christlichen
Gemeinglaubens, Fortschritte im Verständniß der Sprachen und ge
schichtlichen Zustände der Vorzeit, Abänderungen im Alphabet der phi
losophischen und wissenschaftlichen Kategorien, Entdeckungen in der Naturwissenschaft bedingen auch die Abgrenzung dessen, was zum
evangelischen und christlichen Glauben als religiöse Substanz zu rech nen ist, und dessen, was als wechselndes Accidenz der Schultheologie sich um diesen Kern herumlegen darf. Ich habe nicht angestanden von
unserer evangelischen Lehrtradition zu reden,
sowie Ni tz s ch in
seinem Urkundenbuch der evangelischen Union *) bekennt, die Tra
dition gegenüber einem abstracten Schriftprincip von jeher in dem Sinne vertheidigt zu haben,
daß die Tradition und das Symbol
dem Bedürfniß entsprechen, ein Ausdruck für die gemeinsame Aus
legung der heiligen Schrift zu sein, und die Möglichkeit eröffnen, daß sie Mittel
und Erzeugnisse des am Worte Gottes sich näh-
*) S. X. Seme Erklärung auf der 7. Rhein. Prov.-Syn. 1850 in
Duisburg schloß Nitzsch als Commissar des Ober - Kikchenraths: Jeder
Theolog der Union fei zu jeder Zeit im Stande, den Consensus aufzuweisen, und
werde dagegen den Vorzug haben,
durch Angabe der Substanz des
Bekenntnisses zugleich die evangelische Freiheit, gegenüber bloßer Zeittheologie
der Reformatoren, wahrzunehmen.
42 renden und bestimmenden Gemeindebewußtseins seien und bleiben. Ausdrücklich hebt Nitz sch auch hervor, daß mit der Zeit dieStel-
lung der Kirche und Theologie zu den begrifflichen Elementen und den Lehr- und Beweisarten eines früheren symbolisirenden ActeS
sich verändere.
In der That, das Recht auf Gewissens- und Denkfreiheit, durch welches die Reformation ins Leben gerufen ward, verstattet auch jedem Glied der Kirche, jedem Nichttheologen an seinem Theil
zum Fortschritt
mitzuhelfen
Jesu Christi.
in der Erkenntniß
der
Herrlichkeit
So bringt auch der Separatismus eines Tersteegen
Segen. Denke ich mir den Philologen, der das N. T. in kritischer
Recension uns vorlegt, oder den Historiker, der nach den Grundsätzen moderner Geschichtsschreibung das goldene Zeitalter des Augustus
und das
eiserne des Tiberius beschreibt, so werden von solchem
aus
Standpunkt
helle Lichtstrahlen
auch
Offenbarung fallen.
Sehe ich
auf die Geschichte der
nun z. B.
daß ein Mann, der
die Epigraphik zu seinem Hauptstudium gemacht hat, wie Momm
sen in seiner jünst erschienenen Schrift über das Monumentum ancyranum, nicht im Stande ist, die Notiz des LukaS zu bestäti
gen, daß Quirinus gerade in den letzten Lebensjahren des Herodes fye[ia>v von Syrien war,
daß jener Census vielmehr noch von
Varus abgehalten sein müßte, kann ich mich nicht von der Wahr heit der künstlichen Ausgleichungsversuche des Katholiken Ab er le oder des Protestanten Ger lach das Resultat
haben, wie
des
überzeugen: so
wird für mich
Geschichtsforschers gerade die bindende Kraft
etwa Galilaei's
Naturanschauung
trotz dm entgegenstehenden Instanzen sich
in
der
Kirche
durchgesetzt hat.
In
solchen Dingen kann das Wesen des Christenthums nicht bestehen.
Wer darin ehrlich die Wahrheit sucht und verficht, hilft auch mit
zur Erkenntniß der in der Knechtsgestalt verborgenen Herrlichkeit
des Heilands. Und hat der Historiker auf seinem Katheder Pflicht und
Recht, solche Ergebnisse
der Forschung mitzutheilen,
so wäre es
Verrath an der Wahrheit, wollte man dem Theologen dies Recht
nicht einräumen; es ist vielmehr auch für ihn
heilige
Pflicht,
48 damit
die Kluft zwischen
der Kirche und
der Wissenschaft, jene
Spannung und Verstimmung zwischen der
„theologischen Zunft"
und der historischen und weiter reiße.
und philosophischen Forschung nicht Die theologische Zunft,
spottend gesagt wird, ist
weiter
wie jetzt zum öfter«
bleibt ein integrirendes Glied der
und
universitas litterarum, gerade sowie sie sich als einen wesentli chen Factor des kirchlichen Lehramtes weiß, indem sie der Kirche
gläubige
und bekenntnißtreue Geistliche bildet.
natürlich unmöglich,
wo es den Lehrern
Das Letztere ist
selbst an Glauben und
Bekenntnißtreue gebricht: und wahlberechtigt ist die Forderung, welche
die letzte Westphälische Provinzialsynode in diesem Betracht ge
stellt hat, gerade wie es selbstverständlich ist, daß wer die theolo gische Wissenschaft
lehren
will,
auch mit
dem rechten Zeug der
Gelehrsamkeit ausgestattet sein muß. Freie Forschung und gläu bige Forschung sind
keine sich
ausschließenden Gegensätze, wo
wahrhaft wissenschaftliches Verfahren angewandt wird: und ge
schähe
dies
bei den Vertretern der Praxis und der Theorie in
gleich hohem Maße, das Gerede über die Machtsprüche der Pro
fessoren würde eher verstummen.
Schranke
Nicht alles zwar — dieser
thue ich auch für den wissenschaftlichen Lehrstuhl Er
wähnung, um für die unteren Stufen entsprechende Beschränkung
zu fordern — nicht Alles gehört in den mündlichen Vortrag, was es über einen Gegenstand an wissenschaftlichem Material gibt und was ein gedrucktes Buch viel sicherer überliefert; nicht alle Les
arten,
nicht
Versuche,
die ganze Reihe
die verschiedenen
Exeget z. B.
seinen
der Ausleger, nicht alle möglichen
Lehrbegriffe zu construiren, hat der
Zuhörern, vorzuführen.
Es handelt sich ja
nicht um Aufstapelung positiver Kenntnisse, sondern um die Erzeu
gung von Erkenntniß, um die Schulung und Anregung der Gei ster, damit sie die Methode der Forschung lernen und in eignem Fluge sich künftig auf anderen Gebieten ähnlich versuchen.
Solche
pädagogische Weisheit und Selbstbeschränkung lernt sich nicht leicht. Sie ist aber
auf allen Stufen der Schule in gleicher Weise zu
üben, in erhöhtem Maaße auf der Mittelstufe, damit auf der einen Seite das Heranwachsende Geschlecht nicht in eine starre, abge-
44 lebte Form hineingezwängt, auf der anderen Seite nicht durch das
Neue, das
sich
eben herausbildet,
verwirrt und in Zweifel ge
stürzt werde. Wenn nun
aber ein Lehrer, fei es in Kirche oder Schule,
oder ein Gemeindeglied in Schrift oder Wort, die
evangelischen Kirchenlehre
durch
Reinheit der
fundamentale Abweichungen un
tergräbt und in Gefahr bringt, wie dann?
vni. These 8 und 9 geben uns die Maaßstäbe an, wonach das Urtheil zu bestimmen
ist, These 10 den Modus des Verfahrens.
Wenn der Geist der evangelischen Kirchengemeinschaft in seinem in nersten Nerv verletzt ist, so muß man es an den protestantischen
Bekenntnißschriften,
an deren Substanz
erkennen können.
Ich
höre wohl die Einreden von entgegengesetzten Seiten, rationalisti scher und confessioneller. Zuerst die Rede von Schwarz, der das Unterscheiden von Wesentlichem und Unwesentlichem bei den Be
kenntnissen eine traurige Ausflucht
nennt, da
ja Niemand das
bestimme: aber wie traurig ist eS doch mit der Consequenz seines Denkens bestellt, wenn er nachher bei der Schrift doch auch von
Kern und von Schale redet,
wenn er für sein Theil in die Ne
gation, Lossagung von der katholischen Kirche einstimmt und sich
doch nicht zur Bejahung mag!
Es handelt
der evangelischen Position
sich ja keineswegs darum,
Haut und Haaren in all ihren Schwächen
entschließen
die alte Zeit mit
und Mängeln zu re-
pristiniren, es handelt sich nicht um eine Kirche
der absolut rei
nen Lehre, als welche in den Symbolen dargeboten wäre, sondern es sollen nur die großen Entwickelungsknoten des Bekennens und
Bezeugens unserer Vorfahren anerkannt werden, Entwickelungskno
ten, die
nicht blos vorübergehende Stützpunkte
wachsenden Halmes bildeten. c. p. 230:
Hätte die
im Gewebe des
Ich sage mit Hundeshagen 1.
freie Schriftforschung der ersten schöpferi
schen Anfangszeit unserer Kirche nur einen solchen Lehrbegriff auf
zustellen vermocht, mit welchem wir jetzt schlechterdings nicht mehr
auszukommen vermöchten,
so läge darin die innere Inkompetenz-
44 lebte Form hineingezwängt, auf der anderen Seite nicht durch das
Neue, das
sich
eben herausbildet,
verwirrt und in Zweifel ge
stürzt werde. Wenn nun
aber ein Lehrer, fei es in Kirche oder Schule,
oder ein Gemeindeglied in Schrift oder Wort, die
evangelischen Kirchenlehre
durch
Reinheit der
fundamentale Abweichungen un
tergräbt und in Gefahr bringt, wie dann?
vni. These 8 und 9 geben uns die Maaßstäbe an, wonach das Urtheil zu bestimmen
ist, These 10 den Modus des Verfahrens.
Wenn der Geist der evangelischen Kirchengemeinschaft in seinem in nersten Nerv verletzt ist, so muß man es an den protestantischen
Bekenntnißschriften,
an deren Substanz
erkennen können.
Ich
höre wohl die Einreden von entgegengesetzten Seiten, rationalisti scher und confessioneller. Zuerst die Rede von Schwarz, der das Unterscheiden von Wesentlichem und Unwesentlichem bei den Be
kenntnissen eine traurige Ausflucht
nennt, da
ja Niemand das
bestimme: aber wie traurig ist eS doch mit der Consequenz seines Denkens bestellt, wenn er nachher bei der Schrift doch auch von
Kern und von Schale redet,
wenn er für sein Theil in die Ne
gation, Lossagung von der katholischen Kirche einstimmt und sich
doch nicht zur Bejahung mag!
Es handelt
der evangelischen Position
sich ja keineswegs darum,
Haut und Haaren in all ihren Schwächen
entschließen
die alte Zeit mit
und Mängeln zu re-
pristiniren, es handelt sich nicht um eine Kirche
der absolut rei
nen Lehre, als welche in den Symbolen dargeboten wäre, sondern es sollen nur die großen Entwickelungsknoten des Bekennens und
Bezeugens unserer Vorfahren anerkannt werden, Entwickelungskno
ten, die
nicht blos vorübergehende Stützpunkte
wachsenden Halmes bildeten. c. p. 230:
Hätte die
im Gewebe des
Ich sage mit Hundeshagen 1.
freie Schriftforschung der ersten schöpferi
schen Anfangszeit unserer Kirche nur einen solchen Lehrbegriff auf
zustellen vermocht, mit welchem wir jetzt schlechterdings nicht mehr
auszukommen vermöchten,
so läge darin die innere Inkompetenz-
45 erkliirung des ganzen kirchenreformatorischen Beginnens ausgespro
chen ; es wäre damit auf den tiefsten Grund der Existenz unserer
Kirche, ihr göttliches Recht verzichtet. Sollte nun von streng
confessioneller Seite her auf Prä-
cisirung der Symbole gedrungen werden, die als Norm aufzustel-
len wären, so
wird das je nach der geschichtlichen Vergangenheit
einer Gemeinde bestimmt werden müssen.
Die Verhandlungen
über die Bekenntnißparagraphen der Rheinisch-Westphälischen Kirche
haben darüber viel Licht verbreitet*).
Es ist dafür gesorgt, daß
die Verpflichtung auf die Symbole nicht im Sinne einer mechani
schen Buchstäblichkeit gefaßt werde Wir haben die Glaubenssub stanz und die theologische Formulirung zu unterscheiden **). Selbst
Hofmann und Thomasius
haben
nur die Substanz der
lutherischen Symbole für verpflichtend erklären mögen, Stahl
sprach von einem Mangel der Concordienformel, Frank, deren Commentator, von der Nothwendigkeit die Lehre fortzubilden, und Luthardt ***)
bezeichnet dies als die herrschende Meinung.
„Mau kann" — so sagte Jul. Müller in seiner Abhandlung
über die Wirksamkeit des h. Geistes f) — „stattliche Reden führen von den festen wohlverwahrten Burgen der Confessionskirchen und
von der reinen Abschließung der einen gegen die andere; mit alle dem ist dem Gewissen nicht geholfen, das sich festgebunden weiß an das Evangelium, aber in der Arbeit theologischer Forschung zu historischen und dogmatischen Resultaten gelangt ist, die dieser *) 9. Rhein. Prov.-Syn. 1856 in Barmen S. 22. König!. Bestätigung von § 1—3. cf. Schmidtborn S. 291.
**) Prov.-Syn. zu Duisburg 1850 S. 78.
Die Majorität der Com
mission der Badischen Synode 1855 S-120 bezeichnet die Symbole (außer
dem
apostolicum) als th eolo gische, also wissenschaftliche Er
zeugnisse, wissenschaftliche Darstellungen des Glaubens der Kirche, der ur
sprünglich mit der Wissenschaft nichts gemein hat . . . Hat sich unser
wissenschaftliches Alphabet geändert, so bindet uns die T h e o l o g i e der re formatorischen Symbole ebenso bestimmt nicht, als der Glaube derselben uns bindet.
***) Die Freiheit S. 3. t) St. u. Kr. 1856. @.576.
46 Abschließung spotten.
nicht duldet, daß
Tödten
wir in
wir
uns und Anderen
wissensstellung
den WahrheitSsinn,
der eS
unsere persönliche Ge-
solchen Fragen
verleugnen, oder
entwöhnen
wir uns lieber von vornherein des für unS und Andere unbeque men Anspruches an eine solche Stellung und an eigene Forschung
und lernen uns bei dem Ueberlieserten beruhigen, so verliert das, was wir so gewinnen, in demselben Maaße an Werth, je höher der Preis ist, den wir zahlen."
IX. uns dies Wort Müllers zur 9. These: das
ES leitet
Evangelium, die heilige Schrift, das Wort Gottes im A. und N.
T. verfaßt, das ist es, woran viele gewissenhafte Theologen sich gebunden wissen,
die doch andere historische und dogmatische Re
sultate gewonnen
haben,
als
die
symbolische Tradition
bietet:
und jenes sind doch auch Ergebnisse treuer Schriftforschung, treuen Achtens auf die Wege Gottes.
Die Schrift ist der lapis lydius
für die Reinheit der Lehre, daraus folgt, daß der Kern der Sym
bole auch der Kern der Schrift sein will.
Nicht leicht ist es aber
diesen substantiellen Kern der Symbole und der Schrift, die Grund thatsachen Und
die Grundwahrheiten des Christenthums im Ein
Denn wenn einer das Symbolum apo-
zelnen zu bestimmen.
stolicum etwa als solche Zusammenfassung bezeichnen wollte, so könnte auf der einen Seite leicht ein Zuwenig und auf der ande
ren ein Zuviel herauskommen: zu wenig, wenn Jemand unter die fundamentalen
Thatsachen
des
Christenthums
auch die rechnete,
daß die Gestalt Jesu Christi sich auf dem Piedestal des A. T's.
erhebt, oder daß die Schrift A. und N. T'S. vom Geiste GotteS eingegeben ist; zu viel,
wenn jemand an den confesstonellen und
gelehrten Dissensus erinnerte, der über die Höllenfahrt besteht, so
daß Nitzsch diesen Passus im Ordinationsformular ausließ aus dem Grunde,
weil
man solche Geheimnisse nur anschauen, nicht
aber darauf verpflichten könne.
Eben hier
tritt die wissenschaft
liche Arbeit des nach dem Gesetz der Geschichte verfahrenden Hermeneuten
ein,
welcher die in der heiligen Schrift gesammelten
46 Abschließung spotten.
nicht duldet, daß
Tödten
wir in
wir
uns und Anderen
wissensstellung
den WahrheitSsinn,
der eS
unsere persönliche Ge-
solchen Fragen
verleugnen, oder
entwöhnen
wir uns lieber von vornherein des für unS und Andere unbeque men Anspruches an eine solche Stellung und an eigene Forschung
und lernen uns bei dem Ueberlieserten beruhigen, so verliert das, was wir so gewinnen, in demselben Maaße an Werth, je höher der Preis ist, den wir zahlen."
IX. uns dies Wort Müllers zur 9. These: das
ES leitet
Evangelium, die heilige Schrift, das Wort Gottes im A. und N.
T. verfaßt, das ist es, woran viele gewissenhafte Theologen sich gebunden wissen,
die doch andere historische und dogmatische Re
sultate gewonnen
haben,
als
die
symbolische Tradition
bietet:
und jenes sind doch auch Ergebnisse treuer Schriftforschung, treuen Achtens auf die Wege Gottes.
Die Schrift ist der lapis lydius
für die Reinheit der Lehre, daraus folgt, daß der Kern der Sym
bole auch der Kern der Schrift sein will.
Nicht leicht ist es aber
diesen substantiellen Kern der Symbole und der Schrift, die Grund thatsachen Und
die Grundwahrheiten des Christenthums im Ein
Denn wenn einer das Symbolum apo-
zelnen zu bestimmen.
stolicum etwa als solche Zusammenfassung bezeichnen wollte, so könnte auf der einen Seite leicht ein Zuwenig und auf der ande
ren ein Zuviel herauskommen: zu wenig, wenn Jemand unter die fundamentalen
Thatsachen
des
Christenthums
auch die rechnete,
daß die Gestalt Jesu Christi sich auf dem Piedestal des A. T's.
erhebt, oder daß die Schrift A. und N. T'S. vom Geiste GotteS eingegeben ist; zu viel,
wenn jemand an den confesstonellen und
gelehrten Dissensus erinnerte, der über die Höllenfahrt besteht, so
daß Nitzsch diesen Passus im Ordinationsformular ausließ aus dem Grunde,
weil
man solche Geheimnisse nur anschauen, nicht
aber darauf verpflichten könne.
Eben hier
tritt die wissenschaft
liche Arbeit des nach dem Gesetz der Geschichte verfahrenden Hermeneuten
ein,
welcher die in der heiligen Schrift gesammelten
47 Urkunden und
die darin bezeugten Thatsachen zu behandeln hat.
Hat unsere Kirche an
und haben
in
der Schrift eins
ihrer großen Principien,
der reformatorischen Zeit
die
Symbole wesent
lich den Zweck gehabt, die aus der Schrift geschöpfte Lehre ur entsprechen sie also dem mehr auf dogma
kundlich darzustellen,
tische als historische Untersuchungen angelegten Charakter der
Reformatoren:
ist
so
das Fundament
von Gott geordneten Umschwung,
daß
der Schrift gemäß dem
unsere Zeit ihren Beruf
mehr in Erkenntniß der Geschichte, als in Lösung der dogmatischen
und philosophischen Probleme suche, — es ist das Fundament der Schrift daraus
hin
wie sich allmählich im Laufe der
anzusehen,
Jahrhunderte ein Stein zum andern gefügt hat;
wir haben nach
dem historischem Entwicklungsgang der Offenbarungen Gottes im
A. und N. T. zu fragen. Symbole nur die
Und da sagt meine 9. These, daß unsere
großen Grundzüge verzeichnen, ich meine die
Perioden des Gottesreiches: Verheißung, Gesetz, Evangelium, und
nirgend, behaupte
ich
weiter,
ist unser Verständniß der Schrift
durch abschließende Schulformeln
gebunden, die
als gebieterische
Satzung über die schwierigen litterar-historischen, geschichtlichen und metaphysischen Probleme entschieden.
Die Schrift tritt nicht als
Lehrbuch für Astronomie oder Geologie, für Geographie oder Chro
nologie
auf,
sie
will
nicht Lehrmeisterin
des besten Griechisch
oder der wahrsten Philosophie sein: sie ist eben heilige Schrift und von dem Geiste Gottes heiligen Menschen Gottes eingegeöen,
um heilige Menschen Gottes wie den Thau aus der Morgenröthe
zu gebären und als Kinder Gottes zu erziehen.
Und als solches
geschichtlich gewordenes Erzeugniß und Lebensbuch
ist sie von der
exegetischen Wissenschaft zu erklären; der Glaube der Gemeine hängt
davon nicht ab, ob sie oder ihr Prediger weiß, wie der Pentateuch
oder die einzelnen Synoptiker entstanden sind: aber die Pflicht der Wissenschaft ist es danach zu forschen. Die historischen Probleme,
wie es sich mit den Schöpfungstagen verhalte, wie der Stern der Weisen zu denken sei, welches der
reale Vorgang
bei der Taufe
und Versuchung Christi oder im Pfingstwunder war, mögen auch die
wissenschaftliche Begier
beschäftigen, aber
die unbefugte Neugier
48 wird stets
Mit viel Unverstand hat
ihr Gericht davon tragen.
man zu thun.
Ich kenne
ein Gymnasium, dessen Religionsleh
rer heftige Borwürfe von einem Vater empfing, weil er das Buch Hiob als ein Gedicht bezeichnet, von einigen Psalmen gesagt hatte, sie hätten leidenschaftliches Gepräge
vom ewigen Leben,
oder noch keine Anschauung
Christus erst habe die Liebe gegen die Feinde
und unsterbliches Wesen
ans Licht
Soll es verboten
gebracht.
sein, diesen geschichtlichen Fortschritt zu bezeichnen?
Endlich solche
wie etwa die Leiblichkeit
dogmatische und metaphysische Probleme,
der Engel, worüber Kurtz und Keil sich entzweiten, die Präexi
stenz Christi, welche Bey sch lag bedroht zu haben schien, die Lehre
von der Versöhnung,
welche
Hofmann in bedenklicher Abwei
chung vorgetragen haben sollte, auch sie überlasse man getrost und
vertrauensvoll den wissenschaftlichen Arbeitern, die da wissen, daß auch von ihnen
Treue gegen Zeugnisse
nichts
Höheres
gefordert wird, als
die Treue,
den Herrn der Kirche zuerst, Treue auch gegen die
der
Kirche.
Versagt
man
den
akademischen
Theo
logen solches Vertrauen: nun, so nehme man den Pflug selbst zur Hand,
studire die Geschichte
bessere Früchte!
der Dogmen gründlich und erzeuge
Wohl weiß ich
übrigens,
daß es abschließend
auftretende Schulsymbole gibt, die Formula concordiae mit ihrer
Ubiquitätstheorie, das Dordracenum mit seinen papistischen Anathematiömen, die helvetische Consensusformel mit ihrer Inspiration
der hebräischen
Vocale und Punkte; sie hindern mich als Werke
der Epigonenzeit
nicht, bei meiner
auch, daß die Augsburgische
These zu bleiben.
Confession damit
den antitrinitarischen Bewegungen
anhebt,
Ich weiß entgegen
jener Zeit die metaphysischen
Formeln von Nicaea und Constantinopel zu wiederholen: es kam 1530 darauf an,
den Gegnern zu zeigen,
keinen radicalen Bruch
führten.
daß
die Evangelischen
mit der kirchlichen Tradition im Schilde
Aber abschließende Schulformeln, gebieterische Satzungen
waren damit nicht aufgestellt.
Hatte doch ein Melanthon in der
ersten Ausgabe der Loci kühn einen Strich durch die scholastischen Bestimmungen über die Physiologie Christi gezogen, hat doch Lu
ther über das Dogma
der Trinität sich so verständig auSgespro-
49 chen; hat doch Calvin» als er in der ältesten Ausgabe seiner In-
stitutio so genau in die Fußtapfen von Luthers kleinem Katechis mus trat, noch nichts von der später so ausgebildeten TrinitätS-
lehre, und ihm wie Metanthon ist es begegnet, daß mau gerade in seiner Fassung des Logos Heterodoxie witterte.
oft gebrauchten geologischen Gleichniß darf
Gemäß jenem
man sagen,
daß die
vulkanartig durchbrechende Reformation nur die Lehren von Recht fertigung, Sünde und Gnade in Fluß und Bewegung setzte, wei
ter bis zu den übrigen Dogmen reichte der Erschütterungskreis noch nicht.
Hier lagen Aufgaben für die Folgezeit.
X. Es gibt — damit komme ich zu der letzten praktischen These — schreiende Verletzungen der evangelischen Kirchenlehrer entweder aber gläubigen Rückfall in römischen Mariendienst und dgl., oder ungläu
bige Verleugnung der christlichen Wahrheit.
Wenn Jemand die
Heiligkeit Christi antastet, ihn als Schwarmgeist oder als Betrüger
charakterisirt, die Auferweckung des Lazarus mit Renan als abgekartet darstellt, zu Ostern auf die Kanzel tritt, wie in der Schweiz ge schehen ist, um zu beweisen, Christus ist nicht auferstanden: der ist natürlich nicht tüchtig zum Lehrer und Leiter
Christi und sollte selbst,
der Gemeinde
da ja die Kirche ein rechtliches Gemein
wesen ist, seines Amtes sich begeben» sich andere Stätten für seine
öffentlichen Reden suchen oder
lassen.
Neben
am Schriftstellern
sich genügen
dergleichen offenbaren Häresien gibt es aber auch
Heterodoxien, eigenthümliche Lehrformen (und Schleiermacher
verlangte von jeder Dogmatik, daß sie etwas derartiges in sich trage): da darf man nicht gleich zufahren, das sei verbotene Waare
und unerträgliche Verfälschung der Wahrheit. Das Leben in Christo, das Leben des Glaubens kann in einem
Gemüthe wesentlich ge
sund sein, wenn auch der Verstand zeitweilig vielleicht von schwe
ren Zweifeln und Anfechtungen verstrickt erscheint.
geplagt und in tiefe Irrthümer
Es bedarf in solchen Fällen
duld und Hoffnung seitens der Brüder,
der Liebe, Ge
um ein solches aus sei
ner Bah« geworfenes Gemüth wieder ins rechte Geleise zu brin-
4
49 chen; hat doch Calvin» als er in der ältesten Ausgabe seiner In-
stitutio so genau in die Fußtapfen von Luthers kleinem Katechis mus trat, noch nichts von der später so ausgebildeten TrinitätS-
lehre, und ihm wie Metanthon ist es begegnet, daß mau gerade in seiner Fassung des Logos Heterodoxie witterte.
oft gebrauchten geologischen Gleichniß darf
Gemäß jenem
man sagen,
daß die
vulkanartig durchbrechende Reformation nur die Lehren von Recht fertigung, Sünde und Gnade in Fluß und Bewegung setzte, wei
ter bis zu den übrigen Dogmen reichte der Erschütterungskreis noch nicht.
Hier lagen Aufgaben für die Folgezeit.
X. Es gibt — damit komme ich zu der letzten praktischen These — schreiende Verletzungen der evangelischen Kirchenlehrer entweder aber gläubigen Rückfall in römischen Mariendienst und dgl., oder ungläu
bige Verleugnung der christlichen Wahrheit.
Wenn Jemand die
Heiligkeit Christi antastet, ihn als Schwarmgeist oder als Betrüger
charakterisirt, die Auferweckung des Lazarus mit Renan als abgekartet darstellt, zu Ostern auf die Kanzel tritt, wie in der Schweiz ge schehen ist, um zu beweisen, Christus ist nicht auferstanden: der ist natürlich nicht tüchtig zum Lehrer und Leiter
Christi und sollte selbst,
der Gemeinde
da ja die Kirche ein rechtliches Gemein
wesen ist, seines Amtes sich begeben» sich andere Stätten für seine
öffentlichen Reden suchen oder
lassen.
Neben
am Schriftstellern
sich genügen
dergleichen offenbaren Häresien gibt es aber auch
Heterodoxien, eigenthümliche Lehrformen (und Schleiermacher
verlangte von jeder Dogmatik, daß sie etwas derartiges in sich trage): da darf man nicht gleich zufahren, das sei verbotene Waare
und unerträgliche Verfälschung der Wahrheit. Das Leben in Christo, das Leben des Glaubens kann in einem
Gemüthe wesentlich ge
sund sein, wenn auch der Verstand zeitweilig vielleicht von schwe
ren Zweifeln und Anfechtungen verstrickt erscheint.
geplagt und in tiefe Irrthümer
Es bedarf in solchen Fällen
duld und Hoffnung seitens der Brüder,
der Liebe, Ge
um ein solches aus sei
ner Bah« geworfenes Gemüth wieder ins rechte Geleise zu brin-
4
50 gen.
Man gebe
Treue
nicht
auf
Heuchlern
der subjectiven Wahrhaftigkeit,
den
nicht berührt ist.
Kanzeln, deren Inneres vom Geiste Christi
Ein Theolog
durch Anfechtung und Zweifel:
Unterschiede für
Ehrlichkeit und
sonst steht bald-eine Schaar von
den Todesstoß!
wird
aber
das ist
die Beurtheilung,
nicht
anders, denn
ein altes wahres Wort. die Verschuldung schwer
ob
oder leicht ist; ergeben sich natürlich auch aus der Art, wie einer auftritt, ob er in seinem Amt oder privatim, für alles Volk oder
nur für die wissenschaftliche Genossenschaft in Schrift und Wort seine neuen Anschauungen verbreitet; ob er wie Schenkel in seiner Vorrede gethan,
Ableger
die meisten theologischen Facultiiten kühnlich für
einer erstorbenen Satzungslehre
erklärt
oder
aber wie
Weizsäcker den Ernst und die Würde der Wissenschaft bewahrt.
Wie man in den Wald hineinschreit, aus.
Es
schallt es auch
wieder her
gibt wohl manchen bekenntnißtreuen Mann, der, wie
hoch ihm auch der Eifer um das Haus
des Herrn steht,
doch
keine Freude an den schaarenweis erhobenen Protesten gegen SchenWissenschaft und
ke l's Charakterbild
hatte.
wahrhaft frei sind,
werden das Krankhafte
Kirche,
wenn
sie
schon von selber wie
der ausscheiden, und was sonst vielleicht still und geräuschlos als Seifenblase zerplatzt wäre, ist über dem lauten Geschrei zur ver
derblichen Bombe geworden. ten
hinreichend
sichere
Haben wir in den Bekenntnißschrif
Normen
und Ordnungen der Lehre,
so
muß auch bei Irrlehren ein festes kirchenregimentliches Verfahren
eingehalten werden.
Unterscheiden
wir die im praktischen Dienst der Kirche ste
henden Theologen und die Lehrer an hohen und niederen Schulen, wie es unser sociales Leben mit sich
bringt:
so
wird man bei
einem Pfarrer die Initiative in alle drei Faktoren verlegen dür fen, in deren
Organismus er steht, denn irgend einer könnte ja
von seiner Verkehrung der Wahrheit mit angesteckt sein: die OrtSgemeinde oder die Kreissynode und weiter hinauf daS Consistorium
oder der Oberkirchenrath oder wie man den Instanzenzug bis zu Provincial1850 bei
und Generalsynode
Revision
oder — wie 1846 in Berlin,
der Rheinisch-Westphälischen Kirchenordnung
51 und 1855 von Ullmann *) gewünscht wurde — bis zu einem
Geschworenengericht fortsetzen will, in welchem einsichtsvolle, nach Charakter und kirchlich -- theologischer Tüchtigkeit bewährte Männer das Recht zu finden haben. Schwieriger wird die Sache in bett Schulen, wo die Kirche
nicht so unmittelbar mitzusprechen hat, wie beim geistlichen Amt.
In den niederen
und mittleren Schulen ist das Verfahren viel
leicht noch > einfacher, aber auf den hohm Schulen, — wie soll man es mit den Lehrfächern der Naturwissenschaft, der Geschichte, der Philosophie halten?
Schenkel hat an Kuno Fischer, den
er des Pantheismus oder Atheismus halber aus Heidelberg ver drängte, bittere Erfahrungen gemacht.
Man muß es der Weis
heit und Milde der Staatenlenker überlassen, in dergleichen Fällen allemal den rechten Ausweg zu finden.
Es.steht der Kirche frei
auch ihren Mund zum Zeugniß aufzuthun, wo sie es pflichtmäßig
und verfassungsgemäß im Stande ist. Aber Geistliches will geist
lich gerichtet sein, es werde nicht gleich losigkeit verurtheilt.
mit juridischer Rücksicht-
ist ein Ergebniß neuer Religions- und
Kirchenwissenschaft" — sage ich mit Hundeshagen S.232 — „eine höhere, freiere und liebevollere Auffassung religiösen Dissensus
als Princip
einer
wahrhaft gedeihlichen, Friede stiftenden
und
Friede erhaltenden Führung der Lehraufsicht zum Ausgangspunkte
zu nehmen,
anstatt einer engen und strengen buchstäblichen Bin
dung an die Symbole und der juridischen Instruction eines pein
lichen Processes wider Contravenienten
gegen
die reine Lehre."
Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!
Man verletze die
Liebe nicht! man verletze noch weniger die Gerechtigkeit, die auch
dem irrenden Bruder gebührt! Gewissenhafte Prüfung des cvucreten Falls, wie der Einzelne
in die Bahn des Irrthums hat
gerathen können, wie er in der That in seinem Innern zur Wahr heit stehe, wie er in
seinem sittlichen Wandel von den Tugenden
Christi Zeugniß gebe, welches
Recht ihm die Kirchen-Ordnung
seines Landes gestatte: das Alles muß erwogen sein, ehe der Spruch
*) S. 69. 119.
02 der Verdammung fallen darf.
Und der Urtheile
der Sachver
ständigen sollte man sich nirgend begeben, mögen solche im Consistorio
selbst sein,
wie etwa der
der Wissenschaft leider schon
entrissene, hochgelehrte und tiefschauende Dr. Niedner über die
Späne Melcher's
sein Gutachten abgab, oder mögen sie als
Universitätslehrer ex professo, wie in alten Zeiten fast immer
geschah, das Urtheil der Wissenschaft sprechen. Ich bin zu Ende mit der Behandlung der verwickelten, häk-
ligen Frage.
In der Stadt Gottes gibt
es auch einen Tempel
der Wissenschaft, geweihte Hallen, die auch Diener voll Gehorsam
und Entsagung verlangen.
Es kann unter ihnen im Grunde ge
nommen keine Feindschaft und Gegnerschaft geben, sie sind eigent
lich Mitarbeiter und Genossen
an eben
demselbigen Werk, und
sollen den Ernst, die Weihe und Würde ihres Amtes allezeit spü
ren, wenn sie im Schweiß des Angesichtes
die Arbeit der Jahr
hunderte weiterführen und das nur als Wahrheit anerkennen, was sich ihnen an
der sittlichen Gesinnung,
an ihrem Gewissen als
der Stimme Gottes in ihnen, an dem Worte Gottes in der hei
ligen Schrift erprobt und bewährt.
Nicht die unmittelbaren Wir
kungen, nicht das Aufsehen und Zujubeln bei der Menge am Markte
sollen uns den Beweis für die Dichtigkeit der Erkenntnisse liefern; still und geräuschlos in ihren Bahnen dahinziehend Wiffenschast sich
Pflügt
die
tiefe Furchen und streut den Samen hinein, oft
für eine künftige, spät erst reifende Ernte.
Daß wir, so viele von
uns im Lehramt der Kirche stehen, in diesem verantwortungsvollen Geschäfte nicht müde werden, sondern treulich dem inneren Lebens
gesetz der protestantischen Kirche nachkommen, das walte der Herr
in Gnaden!
Bonn, Druck von Carl Georgi.