Die Reformation: Herausgegeben:Reinhardt, Volker; Kintzinger, Martin; Brodersen, Kai; Puschner, Uwe [2 ed.] 353426875X, 9783534268757

Die Reformation brach - nach Vorankündigungen im Spätmittelalter - die religiöse Einheit Europas auf. In der Folge entwi

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German Pages 168 [144] Year 2017

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Table of contents :
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Titel
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Geschichte kompakt
I. Die Transformation spätmittelalterlicher Frömmigkeit und Theologie
1. Um 1500: eine vielfältige Welt
2. Transformationen in Wittenberg und Zürich
3. Von der universitären Disputation zur Publizistik
4. Der Lutherprozess
II. Ausbreitung, „Wildwuchs" und Umgestaltung: städtische Reformation
1. Die reformatorische Publikationsoffensive
2. Disputationen im städtischen Kontext
3. Städtische Reformationen
4. Devianz
III. Reich und Reformation
1. Karl V. und das Reich
2. Der Wormser Reichstag
3. Unruhe bei Rittern und Bauern
4. Zwischen Zulassung und Abwehr der Reformation: die Reichstage von Speyer und die territoriale Reformation in Hessen und Sachsen
5. Der Zerfall des Reichs auf dem Augsburger Reichstag von 1530
6. Bündnispolitik
7. Die zweite Welle territorialer Reformation
IV. Europäische Ausdehnung der Reformation
1. Die skandinavischen Reformationen
2. Humanismus und reformatorische Bewegung in romanischen Ländern
3. Genf als neues Zentrum
4. Die Verselbstständigung der Church of England
5. Auswirkungen auf Ostmitteleuropa
V. Päpste und Reformation
1. Die Renaissancepäpste vor der Herausforderung der Reformation
2. Neue Orden
3. Das Konzil von Trient
VI. Gefährdung und Bewahrung der Reformation im Reich
1. Die Reichsreligionsgespräche
2. Schmalkaldischer Krieg und Interim
3. Der Augsburger Religionsfrieden
Ausblick
Literaturhinweise
Personenregister
Ortsregister
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Die Reformation: Herausgegeben:Reinhardt, Volker; Kintzinger, Martin; Brodersen, Kai; Puschner, Uwe [2 ed.]
 353426875X, 9783534268757

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Geschichte Kompakt Geschichte    Kompakt

2 Basiswissen – klar, übersichtlich, präzise 2 Historisches Grundlagenwissen auf dem neuesten Stand der Forschung 2 Für Studierende, Lehrende und historisch Interessierte 2 Klar, anschaulich und übersichtlich gegliedert 2 Zeittafel zu Beginn jedes Kapitels 2 Erläuterungen zu Begriffen, Personen und Ereignissen 2 Klar strukturierte Grafiken 2 Kommentiertes Quellen- und Literaturverzeichnis

Volker Leppin

Die Reformation

Volker Leppin, geb. 1966, war Professor für Kirchengeschichte an der FriedrichSchiller-Universität Jena und lehrt seit 2010 an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Von ihm erschienen rund 30 Bücher; bei der WBG die Biographien „Wilhelm von Ockham“ (2. Aufl. 2012) und „Martin Luther“ (2. Aufl. 2010) sowie „Eine Welt im Übergang. Das Zeitalter der Reformation“ (2009).

Leppin · Die Reformation

Die Reformation brach – nach Vorankündigungen im Spätmittelalter – die Religiöse Einheit Europas auf. In der Folge entwickelten sich im hussitischen Böhmen, in der calvinistischen Schweiz, in Skandinavien, den Generalstaaten der Niederlande oder in England unterschiedlichste Ausprägungen von Kirchen und Religion. Aber auch die politische Landkarte wurde grundstürzend neu geschrieben – die gewalttätigsten Auswirkungen findet dieser Umbruch im Dreißigjährigen Krieg. Volker Leppin, der mit seiner Luther-Biographie auch international große Anerkennung fand, ist heute der wohl führende deutsche Spezialist zur Reformationszeit. Überaus klar und klug gegliedert legt er einen kompakten Überblick über alle Aspekte der europäischen Reformation mit einem Schwerpunkt auf dem Reich vor: Von der spätmittelalterlichen Frömmigkeit mit ihren neuen Glaubensformen über erste reformatorischen Ansätze in Städten und bei Fürsten, die Auswirkungen auf das Reich insgesamt, die Ausdehnung auf Europa und Reaktion des Papsttums bis zum Erreichen eines Status quo.

www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-15122-6

B_15122-4_Leppin_cover.indd 1

14.02.13 08:44

Geschichte kompakt Herausgegeben von Kai Brodersen, Martin Kintzinger, Uwe Puschner, Volker Reinhardt Herausgeber für den Bereich Frühe Neuzeit: Volker Reinhardt Beratung für den Bereich Frühe Neuzeit: Sigrid Jahns

Volker Leppin

Die Reformation

Wissenschaftliche Buchgesellschaft

Für Fabrizio

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. i 2013 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Redaktion: Kristine Althöhn, Mainz Umschlaggestaltung: schreiberVIS, Seeheim Satz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-15122-6 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-72597-7 eBook (epub): 978-3-534-72598-4

Inhaltsverzeichnis Geschichte kompakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.

VII

Die Transformation spätmittelalterlicher Frömmigkeit und Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Um 1500: eine vielfältige Welt . . . . . . . . . . . . . 2. Transformationen in Wittenberg und Zürich . . . . . . 3. Von der universitären Disputation zur Publizistik . . . 4. Der Lutherprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Ausbreitung, „Wildwuchs“ und Umgestaltung: städtische Reformation . . . . . . . . . . . . . 1. Die reformatorische Publikationsoffensive . 2. Disputationen im städtischen Kontext . . . 3. Städtische Reformationen . . . . . . . . . . 4. Devianz . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Reich und Reformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Karl V. und das Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Wormser Reichstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unruhe bei Rittern und Bauern . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischen Zulassung und Abwehr der Reformation: die Reichstage von Speyer und die territoriale Reformation in Hessen und Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der Zerfall des Reichs auf dem Augsburger Reichstag von 1530 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Bündnispolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die zweite Welle territorialer Reformation . . . . . . . .

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II.

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IV. Europäische Ausdehnung der Reformation . . . . . . . . . . . . 1. Die skandinavischen Reformationen . . . . . . . . . . . . . 2. Humanismus und reformatorische Bewegung in romanischen Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Genf als neues Zentrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Verselbstständigung der Church of England . . . . . . . 5. Auswirkungen auf Ostmitteleuropa . . . . . . . . . . . . . .

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V.

Päpste und Reformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Die Renaissancepäpste vor der Herausforderung der Reformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Neue Orden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Konzil von Trient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VI. Gefährdung und Bewahrung der Reformation im Reich 1. Die Reichsreligionsgespräche . . . . . . . . . . . 2. Schmalkaldischer Krieg und Interim . . . . . . . . 3. Der Augsburger Religionsfrieden . . . . . . . . . .

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V

Inhaltsverzeichnis

VI

Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Personenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Geschichte kompakt In der Geschichte, wie auch sonst, dürfen Ursachen nicht postuliert werden, man muss sie suchen. (Marc Bloch) Das Interesse an Geschichte wächst in der Gesellschaft unserer Zeit. Historische Themen in Literatur, Ausstellungen und Filmen finden breiten Zuspruch. Immer mehr junge Menschen entschließen sich zu einem Studium der Geschichte, und auch für Erfahrene bietet die Begegnung mit der Geschichte stets vielfältige, neue Anreize. Die Fülle dessen, was wir über die Vergangenheit wissen, wächst allerdings ebenfalls: Neue Entdeckungen kommen hinzu, veränderte Fragestellungen führen zu neuen Interpretationen bereits bekannter Sachverhalte. Geschichte wird heute nicht mehr nur als Ereignisfolge verstanden, Herrschaft und Politik stehen nicht mehr allein im Mittelpunkt, und die Konzentration auf eine Nationalgeschichte ist zugunsten offenerer, vergleichender Perspektiven überwunden. Interessierte, Lehrende und Lernende fragen deshalb nach verlässlicher Information, die komplexe und komplizierte Inhalte konzentriert, übersichtlich konzipiert und gut lesbar darstellt. Die Bände der Reihe „Geschichte kompakt“ bieten solche Information. Sie stellen Ereignisse und Zusammenhänge der historischen Epochen der Antike, des Mittelalters, der Neuzeit und der Globalgeschichte verständlich und auf dem Kenntnisstand der heutigen Forschung vor. Hauptthemen des universitären Studiums wie der schulischen Oberstufen und zentrale Themenfelder der Wissenschaft zur deutschen, europäischen und globalen Geschichte werden in Einzelbänden erschlossen. Beigefügte Erläuterungen, Register sowie Literatur- und Quellenangaben zum Weiterlesen ergänzen den Text. Die Lektüre eines Bandes erlaubt, sich mit dem behandelten Gegenstand umfassend vertraut zu machen. „Geschichte kompakt“ ist daher ebenso für eine erste Begegnung mit dem Thema wie für eine Prüfungsvorbereitung geeignet, als Arbeitsgrundlage für Lehrende und Studierende ebenso wie als anregende Lektüre für historisch Interessierte. Die Autorinnen und Autoren sind in Forschung und Lehre erfahrene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Jeder Band ist, trotz der allen gemeinsamen Absicht, ein abgeschlossenes, eigenständiges Werk. Die Reihe „Geschichte kompakt“ soll durch ihre Einzelbände insgesamt den heutigen Wissensstand zur deutschen und europäischen Geschichte repräsentieren. Sie ist in der thematischen Akzentuierung wie in der Anzahl der Bände nicht festgelegt und wird künftig um weitere Themen der aktuellen historischen Arbeit erweitert werden. Kai Brodersen Martin Kintzinger Uwe Puschner Volker Reinhardt

VII

I. Die Transformation spätmittelalterlicher Frömmigkeit und Theologie 1483–1546 1484–1531 31. Oktober 1517

Martin Luther Huldrych Zwingli Luthers Protest gegen den Ablass in Briefen an Bischöfe Dezember 1517 Häresieanklage gegen Luther April 1518 Heidelberger Disputation Oktober 1518 Verhör in Augsburg Juli/August 1519 Leipziger Disputation 15. Juni 1520 Bannandrohungsbulle Exsurge Domine 10. Dezember 1520 Verbrennung der Bannandrohungsbulle durch Martin Luther

1. Um 1500: eine vielfältige Welt Nichts führte zwangsläufig auf die Reformation zu. Der Gedanke, dass die Welt des späten Mittelalters so dekadent gewesen sei, dass geradezu notwendig eine Reformbewegung habe entstehen müssen, die dann nicht nur evangelische Frömmigkeit begründet, sondern längerfristig auch die katholische Kirche zur eigenen Reform veranlasst habe (Erwin Iserloh, Joseph Lortz), vereinfacht die Dinge ebenso wie die Vorstellung von einer nie gesehenen Steigerung der Frömmigkeit im späten Mittelalter, die von der Reformation dann gerade in ihrer Konzentration auf das fromme Tun des Menschen gebrochen worden sei (Moeller). Wer um 1500 in Deutschland lebte, bewegte sich in einer Welt, die nicht von einlinigen Entwicklungen geprägt war, sondern von einer Vielfalt von Möglichkeiten, die man – grob vereinfachend – als Spannungen oder Polaritäten beschreiben kann. Mindestens drei solcher Polaritäten waren bestimmend für das Leben im 14. und 15. Jahrhundert: in institutioneller Hinsicht die zwischen Zentralität und Dezentralität, in sozialgeschichtlicher Hinsicht die zwischen Klerikern und Laien und in frömmigkeitsgeschichtlicher Hinsicht die zwischen innerer und äußerer Frömmigkeit. Zentralität und Dezentralität: Die Vorstellung einer unmittelbar und umfassend durch den Papst geleiteten Kirche träfe das Mittelalter kaum. Zwar wurden solche Ansprüche gelegentlich formuliert, etwa im Dictatus papae von Papst Gregor VII. (1073–1085) oder, für die Reformationszeit noch präsenter, in der Bulle Unam Sanctam von Papst Bonifaz VIII. (1294–1303) aus dem Jahr 1302, die es sogar zur Heilsnotwendigkeit erklärte, dem Papst untertan zu sein und die durch das Fünfte Laterankonzil (1512–1517) noch einmal bestätigt wurde. Gleichwohl gab es im späten Mittelalter eine komplizierte Mächtebalance. Innerhalb der kirchlichen Hierarchie mussten die

Polaritäten im Spätmittelalter

1

Die Transformation spätmittelalterlicher Frömmigkeit und Theologie

I.

Päpste auf einen Ausgleich mit den jeweiligen Ortsbischöfen bedacht sein. Dabei lässt sich seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert ein Bestreben der Päpste beobachten, viele Funktionen an die Kurie zu binden. So wurden zum einen Rechtsprozesse – auch zu Häresiefragen – vor allem auf dem Weg der Appellation von der niederen an die höhere Instanz verstärkt nach Rom beziehungsweise während des Avignonesischen Exils nach Avignon gezogen.

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Papstsschisma und Konzilien

2

Avignonesisches Exil Im ausgehenden 13. Jahrhundert gerieten die Päpste in eine immer stärkere Abhängigkeit von der französischen Krone. Schon Clemens V. (1305–1314) hatte an wechselnden Orten in Frankreich, unter anderem in Avignon, residiert. Dies wurde unter Johannes XXII. (1316–1334) definitiv Amtssitz der Päpste, die den kleinen Ort in der Provinz zu einer machtvollen Metropole ausbauten. Erst Urban VI. (1378–1389) nahm seinen Sitz wieder in Rom. Da aber die französisch orientierten Kardinäle einen Gegenpapst bestimmten, kam es nun zum Schisma zwischen Rom und Avignon.

Zum anderen bedeutete diese Zeit eine bislang unbekannte Konzentration der Finanzkraft an der Kurie. Die Situation in Avignon machte es nötig, neue Finanzquellen zu erschließen. So wurden etwa bei vom Papst vergebenen Pfründen Abgaben in Höhe des ersten Jahreseinkommens (Annaten) oder eines Drittels des Jahreseinkommens (Servitien) verlangt. Das damit verbundene finanzielle Interesse erhöhte das Bedürfnis der Kurie, über Stellen zu verfügen und sich deren Besetzung vorzubehalten (Reservationen). Das wiederum brachte ein hohes Maß an unmittelbarer Kontrolle der Kirche durch ihre Spitze mit sich (Immediatisierung und Zentralisierung). Doch wurden auch Gegenkräfte laut. Seit Mitte des 15. Jahrhunderts wurden auf den Reichstagen in Deutschland regelmäßig Gravamina (Beschwerden) vorgelegt, die vor allem aus den geistlichen Fürstentümern kamen und die Aussaugung und Entmachtung der lokalen kirchlichen Hierarchie durch Rom beklagten. Die Folgen des avignonesischen Papsttums reichten aber hierüber hinaus: Seit 1378 bestand das Schisma zwischen den Päpsten der von Urban VI. gegründeten Linie in Rom und jenen, die in Avignon geblieben waren. Die Doppelung der Spitze, die eine Teilung Europas in unterschiedliche Obödienzen (Gehorsamsbereiche) nach sich zog, warf das Problem auf, dass es kein geregeltes Verfahren gab, das zur Schlichtung hätte herangezogen werden können. In ausgiebigen Diskussionen, die ihren Mittelpunkt an der Pariser Universität hatten, wurde schließlich als der angemessenste Weg zur Klärung die Einberufung eines Konzils befunden. 1409 in Pisa scheiterte ein solcher Versuch noch, denn im Ergebnis standen sich nun nach einer Neuwahl nicht zwei, sondern drei Päpste gegenüber. Doch dem Konzil von Konstanz (1414–1418) gelang es, eine solche Autorität zu erlangen, dass es mit Martin V. (1417–1431) einen einzigen Papst anstelle der bisherigen drei installieren konnte. Dieser Erfolg war im Blick auf die zentrale Leitung der Kirche ambivalent: Einerseits führte er zu einer neuen Stärkung der zentralen Macht, andererseits war nun die Frage aufgeworfen, ob diese eher beim Papst oder eben beim Konzil als der Repräsentanz der Ortsbischöfe zu suchen sei, was indirekt wiederum die dezentralen Kräfte stärken konnte. Vor allem das Basler Konzil, das ab 1431 tagte, steigerte in diesem Sinne den

Um 1500: eine vielfältige Welt

I.

Notstandskonziliarismus von Konstanz zu einem prinzipiellen Konziliarismus: Dem Konzil sollte generell die oberste Autorität in der Kirche zukommen. Allerdings hatte die Kirchenversammlung mit dieser radikalen Haltung und überhaupt mit ihren Planungen keinen dauerhaften Erfolg. Papst Eugen IV. (1431–1447) gelang es, das Konzil nach Ferrara und dann Florenz zu verlegen und dabei einen gewichtigen Teil der Basler Teilnehmer auf seine Seite zu ziehen. Das Konzil in Basel selbst hingegen zerfiel nach und nach – und die päpstliche Macht war neu zementiert. In dem bald entstehenden Renaissancepapsttum gelangte sie sogar zu einer neuen, wegen der moralischen Ausschweifungen freilich zweifelhaften Blüte. Renaissancepapsttum Mit Nikolaus V. (1447–1455) beginnt die bis in die Reformationszeit hineinreichende Reihe der Renaissancepäpste. Sie bauten die nach Schisma und Konziliarismus niedergegangene Macht des Papsttums neu auf und aus und erwiesen sich dabei zugleich als Mäzene ersten Ranges. Das heutige Rom der Renaissance – der Ausbau der Stadt, insbesondere des Vatikans mit Petersdom, Sixtinischer Kapelle und Stanzen – verdankt sich ebenso wie der Grundstock der Vatikanischen Bibliothek ihrer Sorge um Kunst und Bildung. Rom wurde so zur prachtvollsten Residenz Europas ausgebaut. Die religiösen und moralischen Pflichten des Bischofs von Rom traten hingegen in den Hintergrund. Zur Hofführung der Päpste gehörte auch ein ausschweifendes Leben mit Mätressen und eigenen Kindern, die zum Teil sogar in Machtpositionen geschoben wurden. Dies hat schon die Kritik der Zeitgenossen, aber auch über Jahrhunderte hinweg die moralisch geprägte Geschichtsschreibung bestimmt.

Rom und das Papsttum waren so neu als Zentrum der weltweiten Kirche erkennbar. Dies wurde – besonders eindrücklich in der Summa de ecclesia des Kardinals Juan de Torquemada (1388–1468) – auch durch papalistische, d.h. ganz am Papst orientierte Kirchentheorien unterstrichen. Gleichwohl war die Kirche um 1500 kein monolithischer, vom Papst geleiteter Block. Die Auseinandersetzungen des 15. Jahrhunderts hatten ihre Spuren hinterlassen. In Böhmen hatte die um Jan Hus (gest. 1415) formierte Oppositionsbewegung der Hussiten durch den Frieden von Kuttenberg 1485 sogar die Anerkennung als Konfession neben der päpstlichen Kirche erlangt – mit einem gewissen Recht spricht daher die Forschung gelegentlich auch von einer böhmischen Reformation, die allerdings im Unterschied zu der Bewegung des 16. Jahrhunderts regional begrenzt blieb. Ausgangspunkt war eine Gemengelage aus ethnischen und religiösen Auseinandersetzungen rund um die Universität Prag gewesen. Durch die entgegen der Zusicherung freien Geleits vonseiten des deutschen Königs 1415 auf dem Konzil von Konstanz erfolgte Verbrennung von Jan Hus hatte der Protest an Schärfe gewonnen; zugleich bot ihm, von Hus noch kurz vor seinem Tod zugestanden, die Forderung nach der Spendung des Laienkelchs beim Abendmahl ein einprägsames Symbol zur Abgrenzung von dem üblichen katholischen Ritus der Spendung allein der Hostie. Auch wo es nicht zu einer solchen regional begrenzten Anerkennung einer zweiten Auslegung des Christentums neben der päpstlichen kam, gab es Verselbstständigungstendenzen. Markant war die Entwicklung in Frankreich. Unter Ausnutzung bestimmter Regelungen des Basler Konzils gelang es dem französischen König, sich 1439 in der Pragmatischen Sanktion von Bourges eine erhöhte Ver-

E

Hussitismus

3

Die Transformation spätmittelalterlicher Frömmigkeit und Theologie

I.

fügungsgewalt über die Kirche seines Landes, insbesondere die Besetzung der Bischofsstühle, zusprechen zu lassen. Zwar wurde diese Erklärung selbst auf dem Fünften Laterankonzil aufgehoben, aber wesentliche ihrer Bestimmungen gingen in das Konkordat von Bologna von 1516 ein. Was in Frankreich auf Ebene des gesamten Herrschaftsgebietes erreicht wurde, konnte im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation (so die seit dem 15. Jahrhundert zunehmend gebrauchte Bezeichnung) auf kaiserlicher Ebene nicht erreicht werden. Das Wiener Konkordat von 1448 stand bereits im Schatten der wiedererstarkenden Papstmacht. Dennoch gab es auf territorialer Ebene Bemühungen, die Verfügung über die Kirche in weltliche Hand zu bekommen. Insbesondere in Brandenburg und Sachsen kam es so zur Entwicklung von „Landesbistümern“: Einzelne Bistümer wie etwa Meißen, Merseburg oder Naumburg gerieten immer mehr in die Verfügung der benachbarten Territorialherren, die sie mit Verwandten oder Wohlgesonnenen besetzen konnten. Die Funktionen der Bischöfe wurden dabei immer stärker nicht so sehr auf die Grenzen ihrer Diözesen ausgerichtet, sondern auf die Landesherrschaften, denen sie besonders verbunden waren. Sie standen somit quer zu der kirchlich vorgesehenen Hierarchie und zeigten den Anstieg weltlichen Einflusses an, der sich auch in anderen Territorien bemerkbar machte. So wird immer wieder als ein geflügeltes Wort zitiert: Dux Cliviae est papa in suis territoriis, „Der Herzog von Kleve ist in seinen Territorien Papst“. Rudolf IV. von Österreich (1339–1365) machte sich solche Vorstellungen mit seinem Ausspruch: „In meinem Lande will ich Papst, Erzbischof, Bischof, Archidiakon und Dekan sein“ zu eigen. Dies galt nicht nur für Territorialherren. Selbst Städte, insbesondere die Reichsstädte, die allein dem Kaiser untertan waren, bemühten sich, Rechte über die Kirche zu erlangen. Besonders wichtig war auch in diesem überschaubaren sozialen Kosmos die Verfügung über das Personal. So trieb die Reichsstadt Nürnberg einigen Aufwand, um im Jahre 1474 das Präsentationsrecht für die Pfarrer ihrer wichtigsten Kirchen zu erhalten. Andere Städte erreichten Ähnliches, sodass die Kirche immer stärker vor Ort verwaltet wurde und die beabsichtigten zentralen Zugriffe immer geringere Durchsetzungskraft besaßen.

E

Sachsen Das wichtige mitteldeutsche Territorium Sachsen wurde 1485 durch die Leipziger Teilung in einen ernestinischen Westteil und einen albertinischen Ostteil getrennt. Die Universität Leipzig blieb dabei in der Hand der Albertiner, während die Ernestiner, die späteren Landesherren Luthers, die Kurwürde und damit das Recht auf die Beteiligung an der deutschen Königswahl behielten. 1502 gründeten sie in Wittenberg ihre eigene Universität.

Damit war also um 1500 eine Situation erreicht, in der einerseits der Anspruch des Papstes auf zentrale Kirchenleitung symbolisch durch die Herrschaftsgestaltung im Vatikan wie auch theoretisch durch entsprechende Traktate neu bestätigt wurde, andererseits sich aber in Bischöfen, Königen, Fürsten und städtischen Räten gewichtige Gegenkräfte etabliert hatten, die die Leitung der Kirche dezentral organisierten. Dem entsprach die Schwierigkeit im Umgang mit dem Gegensatz zwischen Klerikern und Laien: Das mittelalterliche Kirchenrecht sah eine klare

4

Um 1500: eine vielfältige Welt

I.

Unterscheidung zwischen den geweihten Klerikern und den Laien vor. Sie galten gar als duo genera, zwei Gattungen. Das machte sich real vor allem in unterschiedlichen Rechtsräumen bemerkbar: Der Kleriker unterlag eigenen Vorschriften, konnte sich vor allem auch dadurch der weltlichen Gerichtsbarkeit entziehen, dass er auf einer Verhandlung vor einem geistlichen Gericht, gegebenenfalls in Rom beharrte. Diese klare Unterscheidung verlor aber an Plausibilität, je stärker Laien sich selbst als mögliche Subjekte religiösen Handelns wahrnahmen. Schon im 11. Jahrhundert traten Momente des Antiklerikalismus auf, der seinen wohl wirkungsvollsten Ausdruck im Decamerone des Giovanni Boccaccio (1313–1375) fand; dessen Novellen waren zu guten Teilen von der schlichten Grundidee getragen, dass Kleriker und Mönche den moralischen Ansprüchen nicht gerecht wurden, die sie selbst und andere an sie stellten. Die hinter diesen gelegentlich recht derben Erzählungen steckende Wahrnehmung war, dass Apostolizität sich nicht allein in formaler Amtsnachfolge der Bischöfe gegenüber den Jüngern Christi erweisen konnte, sondern auch ein entsprechendes Leben erforderte. Was sich dieser Idee folgend im hohen Mittelalter als Vita apostolica-Bewegung formiert hatte, gewann mit der zunehmenden Bereitschaft von Bürgern, sich in ihrem Gemeinweisen zu engagieren, auch in breiten städtischen Kreisen Akzeptanz. Die typische soziale Ausdrucksform hierfür waren Bruderschaften, die, in der Regel aufgrund schon vorgängiger gemeinsamer Interessen, häufig der Verbindung in einer Zunft, gebildete Zusammenschlüsse zum Interesse gemeinsamer Pflege religiöser und auch karitativer Aufgaben darstellten. Wenn aber Laien in dieser Weise ihr religiöses Leben selbst organisieren, ja, unter Umständen für die Durchführung der vorgenommenen Aufgaben sogar einen eigenen Priester finanzieren konnten, musste die Sonderung der Kleriker als eines eigenen Standes an Plausibilität verlieren. So standen sich um 1500 die aufrechterhaltenen Ansprüche der Kleriker und eine religiös hoch engagierte Laienschaft gegenüber. Mit diesem Gegenüber verband sich auch eine dritte Spannung, nämlich die zwischen innerer und äußerer Frömmigkeit. Eine starke Hervorhebung der Kleriker konnte nämlich vor allem damit begründet werden, dass allein die Weihe, die wiederum das einzige formale Kriterium war, welches den Kleriker vom Laien unterschied, dazu befähigte, die Sakramente zu vollziehen. Sakramente Die mittelalterliche Kirche hatte nach längeren Diskussionen eine Gruppe von sieben äußeren Zeichen definiert, die das Heil vermittelten: die Sakramente Taufe, Eucharistie, Buße, Firmung, Weihe, Ehe, Letzte Ölung. Lediglich die Ehe wurde durch die Brautleute selbst geschlossen, die hierzu freilich der Assistenz des Priesters bedurften. Firmung und Weihe wurden durch einen Bischof vollzogen, die anderen Sakramente durch Priester. Mit ihrer Hilfe wurde das geistliche Leben der Christen und Christinnen strukturiert und gestützt, wobei insbesondere die Bindung des Eucharistieempfangs an vorheriger Beichte im Rahmen der Buße auch eine Möglichkeit von Kontrolle eröffnete.

Damit waren die Priester vor allem für die äußeren Vollzüge der Religiosität von großer Bedeutung. Zwei Sakramente, Eucharistie und Buße, wiesen

E

Eucharistie, Buße, Ablass

5

Die Transformation spätmittelalterlicher Frömmigkeit und Theologie

I.

einen besonderen Hang zur Quantifizierung auf: Das Heil wurde messund zählbar, die innere Haltung trat in ihrer Bedeutung zurück. Eucharistischer Ausdruck hierfür war die Vielzahl von Privatmessen, die gefeiert wurden und deren Vervielfältigung im späten Mittelalter sich zum Teil noch heute in der seinerzeit rasant angestiegenen Anzahl von Seitenkapellen in großen Kathedralkirchen zeigt: In ihnen vollzogen eigens hierfür beschäftigte Priester, die „Altaristen“, Messen für bestimmte Zwecke. Grundlage war der Gedanke, dass die Messe als Opfer bestimmten Zwecken auf Erden zugutekommen könne. Der Gedanke, dass die Messe als Kommunion der versammelten Gemeinde vor allem dieser zur Erbauung diene, trat demgegenüber in den Hintergrund – was zählte, war der korrekte Vollzug. Noch massiver ist der Gedanke der Quantifizierung im Bußwesen nachvollziehbar, denn aus diesem heraus entstand jenes Phänomen, das den ersten reformatorischen Protest auslöste: das Ablasswesen. Der Ablass (indulgentia) bezeichnet eine Reduktion der Sündenstrafen. Dahinter steht der Gedanke, dass die Freisprechung von der Sündenschuld (culpa) im Bußsakrament, nachdem der oder die Glaubende in Reue des Herzens (contritio cordis) zum Bekenntnis des Mundes (confessio operis), der Beichte im eigentlichen Sinne, gekommen ist, mit der Auferlegung einer Wiedergutmachung durch die Tat (satisfactio operis) verbunden wird, die eine Strafe (poena) darstellt. Seit dem frühen Mittelalter aber gab es die Vorstellung, dass die auferlegte Strafe nicht persönlich durch den Schuldigen erbracht werden müsse, sondern es auch Ausgleich durch die Taten anderer geben könne. Hieraus entstand die Idee, man könne vollen Nachlass seiner Sündenstrafen erlangen, wenn man als Kreuzritter sterbe. Die Übertragungsmöglichkeiten vermehrten sich zusehends. Insbesondere wurden Wallfahrten als möglicher Grund für Ablass genommen und die Reisen durch ad-instar-Ablässe in der Weise erleichtert, dass man den eigentlich einem anderen Ziel zukommenden Ablass auch bei einer kleineren Wallfahrt in die Nähe erlangen könnte – so den Ablass der Portiuncula-Kapelle von Franz von Assisi an der Wittenberger Schlosskirche. Die Grundlage hierfür bildete die Lehre, dass Christus und die Heiligen durch ihre weit über das Verlangte hinausgehenden Taten einen Schatz angehäuft hätten (thesaurus ecclesiae), aus dem die Kirche Ablass geben könne. Da die Verfügung hierfür dem Nachfolger Petri zukam, unterstützte dies im Rahmen der beschriebenen Bemühungen um Zentralisierung die päpstliche Macht. Das Konzept der Ersetzung einer Leistung durch äquivalente andere wurde nun aber so weit getrieben, dass es auch reichen konnte, sich Ablass käuflich zu erwerben – ein Verfahren, das besonders attraktiv wurde, als Sixtus IV. (1471–1484) in der Bulle Salvator noster die Wirkung der Ablässe wenigstens auf Basis seiner fürbittenden Bemühungen (per modum suffragii) auch auf das Jenseits, also die schon Verstorbenen, ausdehnte. Damit kam der Gedanke auf, dass man das Leiden der eigenen Vorfahren im Fegefeuer, dem Zwischenraum zwischen Hölle und Himmel, in dem man leiden musste, wenn man in der Todesstunde noch nicht alle Strafen gesühnt hatte, um Hunderte von Jahren kürzen könne, wenn man Geld für Ablässe ausgäbe. So war ein Solidarsystem zwischen Lebenden und Toten etabliert, das hochattraktiv war, freilich von dem Bemühen um die Besserung des eigenen Lebens eher ablenkte.

6

Um 1500: eine vielfältige Welt

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Bilder von spätmittelalterlicher Frömmigkeit, die sich allein auf diese Aspekte konzentrieren, sind allerdings verkürzt. Ebenso gab es auch Bemühungen um eine echte innere Aneignung des Glaubens, und dies sowohl affektiv als auch kognitiv. In kognitiver Hinsicht drängt sich ein Zusammenhang mit dem beschriebenen Laienengagement auf: Die städtischen Bürger partizipierten auch deswegen so aktiv am kirchlichen Leben, weil sie sich selbst durch Lektüre wesentliche Inhalte des Glaubens aneignen konnten. Schon kurz vor 1400 sah Zerbold von Zutphen (1367–1398) die Notwendigkeit, in dem Traktat De libris teutonicalibus darüber zu reflektieren, welche Schriften Laien zuträglich seien und welche nicht. Das sich darin zeigende Interesse gewann mit dem Buchdruck, genauer der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern durch Johannes Gensfleisch von Gutenberg (gest. 1468), in den Fünfzigerjahren des 15. Jahrhunderts einen gewaltigen Schub. Nun bestand die Möglichkeit, Erbauungsschriften und mehr und mehr auch Bibelübersetzungen in reichlicher Stückzahl der lesefähigen Bevölkerung, die vorwiegend in den Städten konzentriert war, zur Verfügung zu stellen. Mit der „Frömmigkeitstheologie“ (Hamm) entstand sogar ein Typus theologischer Literatur, der eigens auf diese gesteigerten geistlichen Bedürfnisse reagierte und Theologie nicht nur spekulativ behandeln, sondern als Hilfe für den spirituellen Weg der Glaubenden gestalten wollte. Der eigenen Lektüre korrespondierte das Interesse an einer geistlichen Begleitung, die über die bloße sakramentale Versorgung hinausging. In vielen Städten wurden Prediger, Leutpriester oder Kapläne angestellt, deren Aufgabe eben vorwiegend die Predigt war. Im oberdeutschen Raum bildete sich in diesem Zusammenhang sogar eine eigene schlichte Gottesdienstform, der Predigtgottesdienst, heraus. Während das eigentliche Pfarramt mit den administrativen Aufgaben der Gemeindeverwaltung und der umfassenden sakramentalen Versorgung betraut war, brauchte man für die Predigerstellen, deren Besetzung bzw. Präsentation meist dem Rat oblag, Gebildete. In der Regel kamen sie aus Kreisen des Humanismus. Mit ihren gelehrten Predigten ermöglichten sie der anspruchsvoller werdenden Bevölkerung ein kognitiv ansprechendes geistliches Angebot. Humanismus Die Bewegung des Humanismus entstand, zunächst in Italien, aus einer vertieften Beschäftigung mit dem Trivium der artes liberales, den sprachlich orientierten Teilen des mittelalterlichen Grundwissens. Man grenzte sich von der lateinischaristotelischen Gelehrsamkeit ab und folgte dem Motto ad fontes, zu den Quellen, um in umfassender Lektüre der antiken Quellen, auch der griechisch-platonischen, an antike Bildungsideale anknüpfen zu können. Die Humanisten verständigten sich untereinander in Netzwerken: vor Ort als sodalitas, gebildeter Freundeskreis, überregional durch Briefwechsel. Sie verstanden sich als Gegenbild zur scholastischen Gelehrsamkeit, die gelegentlich, wie in den 1515 erschienenen „Dunkelmännerbriefen“ mit derbem Spott überzogen wurde. Die Verbindung aus dieser kritischen Haltung zur dominierenden scholastischen Gelehrsamkeit und einem hohen eigenen Bildungsanspruch machten diese Kreise für die städtische Bevölkerung attraktiv. Nach und nach breiteten sie sich auch an den Universitäten aus, in Deutschland zunächst in Heidelberg, später aber auch beispielsweise in Erfurt, Leipzig oder Wittenberg.

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Stärker affektiv orientiert waren die mystisch beeinflussten Frömmigkeitsformen. Mystik war zunächst in den Klöstern beheimatet. Das gilt auch für die oberrheinische Mystik eines Meister Eckhart (gest. 1328). Doch schon bei Johannes Tauler (gest. 1361), der sich, ohne dessen direkter Schüler zu sein, stark auf Eckhart bezog, zeigt sich das Bemühen, die Vorstellung einer inneren Berührung durch Gott, der Gottesgeburt in der Seele, nicht allein auf asketische Kreise zu beschränken, sondern auch Menschen in Handwerk oder Bauernstand zuzugestehen, dass sie einem „ruoff“ Gottes folgten. Durch die Theologia deutsch, eine vermutlich auch noch dem 14. Jahrhundert entstammende Schrift, erhielten solche Gedanken weitere Verbreitung, und insbesondere in den Niederlanden entwickelte sich mit der Devotio moderna eine Bewegung, deren ausdrückliches Ziel es war, den Alltag fromm zu gestalten. All diesen Ansätzen ist gemeinsam, dass sie das christliche Leben nicht in der Erfüllung äußerlicher Riten erschöpft sehen wollten, sondern auf eine Nähe Gottes zielten, die auch unmittelbar erfahrbar sein sollte. Die Ablassfrömmigkeit oder die Praxis veräußerlichter Eucharistie erschienen hieran gemessen bereits innermittelalterlich als defizitär, das eigentliche Ziel lag in der Erkenntnis der eigenen Niedrigkeit im Angesicht Gottes und der Erfahrung, dass dieser sich den Menschen dennoch gnädig zuwandte. Menschen, die um 1500 lebten, war dieses Angebot innerlicher Frömmigkeit ebenso präsent wie jene quantifizierten äußerlichen Formen des Glaubenslebens – zum späten Mittelalter gehört beides, und die Personen, die zu gestaltenden Kräften der Reformation wurden, hatten mit beidem umzugehen.

2. Transformationen in Wittenberg und Zürich Dissonanzerfahrungen

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Letztlich bilden die beschriebenen Polaritäten den Hintergrund für die Dissonanzerfahrung eines Martin Luther (1483–1546) oder eines Huldrych Zwingli (1484–1531). Beide wuchsen in dieser spätmittelalterlichen Glaubenswelt auf, die nicht eindimensional gestaltet war, sondern eine Vielfalt von Möglichkeiten bot. So wird man für Martin Luther annehmen dürfen, dass ihm innere Frömmigkeitsformen eigentlich erst in dem Kloster der Augustinereremiten in Erfurt begegnet sind, in welches er 1505 nach einem Gelübde eingetreten war, das er bei Stotternheim nahe Erfurt angesichts eines schweren Gewitters aus Angst vor einem plötzlichen Tod getan hatte. Möglicherweise hat ihm das Gelübde auch in willkommener Weise den Weg eröffnet, einen ohnehin zuvor schon gehegten Plan zu verwirklichen, an dessen Erfüllung ihn sein ehrgeizig auf eine Karriere des Sohnes ausgerichteter Vater hatte hindern wollen. Es liegt nahe, dass die Prägungen, die Luther im monastischen Umfeld erfuhr, in hohem Maße von mystischer, innerlicher Frömmigkeit gekennzeichnet waren. Einzelne spätere Äußerungen lassen erahnen, dass er im Kloster starke spirituelle Erfahrungen, bis hin zu Entrückungen gemacht hat, bedeutsamer aber war die beständige geistliche Begleitung durch Novizenmeister und andere Geistliche des Ordens.

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Die wichtigste Gestalt wurde für ihn dabei Johann von Staupitz (gest. 1524), der sich mühte, interne Konflikte zwischen dem besonders strengen observanten Flügel der Augustinereremiten, der sich als eigene Kongregation verselbstständigt hatte, und dem Hauptstrom des Ordens durch eine Vereinigungspolitik auszugleichen. Jüngere Forschungen (Hans Schneider) sprechen dafür, dass Luther nie, wie früher angenommen, zu dieser Politik in Opposition stand. Damit wäre der Gedanke, er sei 1510/11 aus Protest gegen Staupitz nach Rom gereist, hinfällig. Die Reise hätte wohl später (1511/12) und aus anderem Anlass stattgefunden. Im einen wie im anderen Fall wurde er danach, von Staupitz protegiert, Professor für Theologie an der jungen, humanistisch geprägten Universität Wittenberg. Seinen allgemeinen Auftrag zur theologischen Lehre setzte er in der Weise um, dass er hauptsächlich biblische Vorlesungen hielt, zunächst über die Psalmen, dann 1515/16 über den Römerbrief, 1516/17 über den Galaterbrief, danach den Hebräerbrief, und ab 1518 noch einmal über die Psalmen. Die dichte Überlieferung lässt seine Vorlesungstätigkeit in dieser Zeit gut nachvollziehen, dennoch ist die Debatte über Luthers reformatorische Entwicklung bislang zu keinem eindeutigen Ergebnis gekommen. Debatte über Luthers reformatorische Entwicklung Für Außenstehende mag die Energie, mit der Theologen und Theologinnen über Zeitpunkt und Inhalt von Luthers reformatorischer Entdeckung streiten, nicht immer nachvollziehbar sein. Hintergrund hierfür ist, dass sich mit ihr in hohem Maße reformatorische Identität verbindet. Die ältere Forschung hat in der Regel, angeleitet vor allem durch Luthers sogenanntes Großes Selbstzeugnis von 1545 (WA 54, S. 179–187), zwischen einer Frühdatierung des Ereignisses in die Zeit der ersten Vorlesungen einerseits, einer Spätdatierung in die Zeit 1517/18 andererseits geschwankt. Der bei beiden Datierungen vorausgesetzte punktuelle Charakter des Geschehens ist schon allein durch die Beobachtung des Umstands, dass sich ein plötzlicher Durchbruch an den zeitgenössischen Quellen nicht festmachen lässt, infrage gestellt worden. Hinzu kommt, dass andere Quellen wie Luthers Begleitscheiben zur Erklärung seiner Ablassthesen (WA 1, S. 525–527) seine eigene Schilderung eines plötzlichen Durchbruchs als Erzählmuster erkennen lassen. So neigen jüngere Beiträge dazu, auf die Annahme eines punktuellen Ereignisses zu verzichten und entweder viele solche einzelnen Durchbrüche (Hamm) oder eine kontinuierliche Transformation spätmittelalterlicher Gedanken zu reformatorischen anzunehmen (Leppin).

Luthers Rückblicke a) 1518 im Begleitschreiben zu den Resolutiones aus: KThGQ III, S. 21

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Ich erinnere mich, ehrwürdiger Vater, dass bei Deinen so anziehenden und heilsamen Gesprächen, mit denen mich der Herr Jesus wunderbar zu trösten pflegt, zuweilen das Wort „Buße“ gefallen ist. Es erbarmte uns des Gewissens vieler und jener Henker, die mit unerträglichen Geboten eine Beichtvorschrift (wie sie es nennen) vorlegen. Dich aber nahmen wir auf, als ob Du vom Himmel herab redetest: dass wahre Buße allein mit der Liebe zu Gerechtigkeit und zu Gott beginne. Was jene für das Ziel und die Vollendung der Buße hielten, das sei vielmehr der Anfang. Dieses Dein Wort haftete in mir „wie der scharfe Pfeil eines Starken“, und ich fing an, es der Reihe nach mit Schriftstellen zu vergleichen, welche von der Buße leh-

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ren. Und das war eine überaus angenehme Beschäftigung. Denn von allen Seiten kamen Worte auf mich zu, fügten sich ganz dieser Auffassung ein und schlossen sich ihr an. Das Resultat war: Wie es früher in der ganzen Schrift nichts Bittereres für mich gab als das Wort „Buße“ (freilich verstellte ich mich eifrig vor Gott und versuchte eine vorgespiegelte und erzwungene Liebe zu zeigen), kann mir jetzt nichts süßer und angenehmer in die Ohren klingen als das Wort „Buße“. Denn dann werden die Gebote Gottes süß, wenn wir erkennen, dass sie nicht bloß in Büchern, sondern in den Wunden des geliebten Heilands gelesen werden müssen.

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1545 in der Vorrede zu den lateinischen Werken aus: KThGQ III, S. 22 Inzwischen war ich in diesem Jahr zum Psalter zurückgekehrt, um ihn von neuem auszulegen, im Vertrauen darauf, dass ich geübter sei, nachdem ich St. Pauli Brief an die Römer und Galater und den an die Hebräer in Vorlesungen behandelt hatte. Ich war von einer wundersamen Leidenschaft gepackt worden, Paulus in seinem Römerbrief kennenzulernen, aber bis dahin hatte mir nicht die Kälte meines Herzens, sondern ein einziges Wort im Wege gestanden, das im ersten Kapitel steht: „Die Gerechtigkeit Gottes wird in ihm (d.h. im Evangelium) offenbart“ (Röm 1,17). Ich hasste nämlich dieses Wort „Gerechtigkeit Gottes“, das ich nach dem allgemeinen Wortgebrauch aller Doktoren philosophisch als die sogenannte formale oder aktive Gerechtigkeit zu verstehen gelernt hatte, mit der Gott gerecht ist, nach der er Sünder und Ungerechte straft. (…) Endlich achtete ich in Tag und Nacht währendem Nachsinnen durch Gottes Erbarmen auf die Verbindung der Worte, nämlich: „Die Gerechtigkeit Gottes wird in ihm offenbart, wie geschrieben steht: ,Der Gerechte lebt aus dem Glauben‘ (Hab 2,4).“ Da habe ich angefangen, die Gerechtigkeit Gottes als die zu begreifen, durch die der Gerechte als durch Gottes Geschenk lebt, nämlich aus Glauben; ich begriff, dass dies der Sinn ist: Offenbart wird durch das Evangelium die Gerechtigkeit Gottes, nämlich die passive, durch die uns Gott, der Barmherzige, durch den Glauben rechtfertigt, wie geschrieben steht: „Der Gerechte lebt aus dem Glauben“.

Luthers reformatorische Entwicklung

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Jedenfalls ist erkennbar, dass der Anstoß für Luthers theologische Neuorientierungen, die sich anfänglich noch ganz innerhalb des breiten Spektrums spätmittelalterlicher Möglichkeiten bewegten, von Staupitz kam, der ihn schon recht früh auf die Zentralstellung Jesu Christi als des gnädigen und heilbringenden Herrn hingewiesen und dies allen angsterfüllten Vorstellungen von Gott, wie Luther sie in seinem Elternhaus kennengelernt hatte, entgegengestellt hat. Diese Christozentrik, die später zur reformatorischen Formel Solus Christus verdichtet wurde, prägte bereits Luthers erste Vorlesung, in der er die Psalmen ganz auf Christus hin deutete. Dies war ihm Ausdruck des historischen Sinns der Schrift, der zugleich Elemente dessen aufnahm, was man im mittelalterlichen vierfachen Schriftsinn als allegorisch oder typologisch verstanden hatte: die Deutung biblischer Einzelaussagen auf christliche Glaubensüberzeugungen. In dem längst vielfach umgewandelten mittelalterlichen Standardmodell kannte man außerdem einen moralischen, auf die einzelnen Glaubenden bezogenen, und einen eschatologischen (endzeitlichen) Sinn. Luther hob in einer kreativen Weiterführung des moralischen Sinns, das pro me des biblischen Textes hervor: die Ausrichtung auf den glaubenden Menschen, zu dessen Heil die biblische Lehre bestimmt ist. Damit glitten ihm Predigt und wissenschaftliche Auslegung der

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Bibel zu einer einzigen Aufgabe der Verkündigung ineinander. Das gab seinen Vorlesungen ihre besondere Eindringlichkeit. Mit der Römerbriefauslegung begann die intensive Auseinandersetzung mit Paulus, dem Kirchenvater und Ordenspatron Augustin (354–430) und mystischen Texten. Diese Einflüsse standen nicht gegeneinander, sondern bestätigten sich gegenseitig. Die Lektüre Johannes Taulers gab Luther die Möglichkeit, die angemessene Haltung des Menschen im Angesicht Gottes neu zu verstehen: Aus seiner monastischen Tradition war ihm deutlich, dass ein Mönch nur in Demut und Buße vor Gott treten könne, von Tauler lernte er, dies als eine Lebensprägung wahrzunehmen, die nicht spezifisch monastisch, sondern gemeinchristlich war. Paulus und Augustin gaben ihm die Möglichkeit, dies in einer klaren Begrifflichkeit zu fassen. Immer mehr formte sich bei ihm so die Überzeugung, dass das Heil dem Menschen sola gratia, allein aus Gnade, zukomme. Um 1516/17 dürfte dieser Gedanke für ihn Festigkeit gewonnen haben, der sich in unterschiedlichen Schattierungen auch bei vielen maßgeblichen mittelalterlichen Denkern findet, von Luther aber, angestoßen durch seine Lektüre Augustins und der Mystiker, vor allem in Auseinandersetzung mit dem biblischen Text geformt wurde. Vor dem Hintergrund der beschriebenen Polaritäten des späten Mittelalters wird rasch deutlich, dass Martin Luther sich an Überzeugungen orientierte, für die die innerliche Gottesbegegnung im Vordergrund stand – allein schon der starke Einfluss, den die Mystik auf ihn hatte, steht hierfür. Als er, wohl 1515, in der Anfangszeit seiner Römervorlesung, Johannes Tauler las, folgte er möglicherweise einer Anregung von Staupitz, jedenfalls teilte er damit ein verbreitetes Interesse des Kreises um seinen Mentor. Er selbst intensivierte dies sogar noch. Als ihm die Theologia deutsch unterkam, in der er große Nähen zu Tauler sah, veröffentlichte er sie 1516 zunächst noch unvollständig, zwei Jahre später folgte eine vollständige Edition. Auch in den Predigten dieser Zeit lässt sich die intensive Auseinandersetzung mit der innerlichen Frömmigkeit der Mystik beobachten, weniger unter dem Gesichtspunkt der Suche nach einer mystischen Vereinigung mit Gott oder Christus als im Blick auf die Bußtheologie. Schon bei Tauler ließ sich lernen, dass eine rechte, vor Gott gebrachte Reue, möglicherweise die sakramentale Buße ersetzen könne, dass also bei wahrer contritio die anderen Teile – confessio und satisfactio – sich erübrigen konnten. Diese antisakramentale Spitze bewegte Luther dann vor allem in der Auseinandersetzung mit dem Ablasswesen. Hierfür wurde um die Jahrhundertwende in regelrechten Ablasskampagnen geworben. Eine davon hatte Albrecht von Brandenburg, Erzbischof von Magdeburg und Mainz, angestoßen. Dabei verbanden sich in einer Weise, die Luther zunächst so noch nicht bewusst war, Ablasswesen und wirtschaftliche Interessen: Der Ablass, den Johannes Tetzel eintrieb, sollte, so wurde es verkündet, dem Bau des neuen Petersdoms dienen. Doch ging nur die Hälfte direkt zu diesem Zweck nach Rom. Der Rest war dazu gedacht, die Schulden beim Haus Fugger in Augsburg abzutragen, die Albrecht hatte aufnehmen müssen, um den päpstlichen Dispens zu bezahlen, den er brauchte, um entgegen dem kanonischen Recht zwei Bistümer in seiner Hand zu vereinigen. Für Luther war nicht diese moralisch zweifelhafte Verquickung entscheidend, sondern die theologische Verkehrung, die er in der Ablasspredigt schon im Grundsatz sah. Ganz auf der Linie der in-

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nerlichen Frömmigkeitstradition, in der er stand, hielt er in seinen berühmten Thesen gegen den Ablass, die er wohl nicht per Thesenanschlag veröffentlichte, wohl aber am 31. Oktober 1517 an Albrecht und an den für Wittenberg zuständigen Bischof von Brandenburg Hieronymus Schultz (gest. 1522) sandte, fest, dass Buße in der Umkehr des ganzen Menschen bestehe.

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Thesenanschlag Luthers Mitarbeiter Georg Rörer und der Kollege Philipp Melanchthon erzählten seit den Vierzigerjahren des 16. Jahrhunderts, dass Luther seine Thesen gegen den Ablass im Stile der üblichen Disputationsankündigungen an den Türen der Wittenberger Kirchen (Melanchthon erwähnte nur die Schlosskirche) angeschlagen habe. Dies prägte über Jahrhunderte hinweg das protestantische kulturelle Gedächtnis und wurde vielfach bildlich umgesetzt. 1961 aber hat der katholische Kirchenhistoriker Erwin Iserloh eine heftige, gelegentlich neu aufbrandende Debatte ausgelöst, indem er die Historizität dieses Ereignisses infrage stellte. Fest steht, dass Luther selbst nie von einem solchen Thesenanschlag berichtet hat und im Gegenteil stets versicherte, dass er seine Thesen gegen den Ablass erst herausgebracht habe, nachdem er den Bischöfen Zeit zur Antwort gelassen habe. Da auch eine Disputation, wie sie auf eine öffentliche Ankündigung binnen Wochenfrist hätte folgen müssen, ausgeblieben ist, spricht einiges für die Annahme, dass ein Thesenanschlag, wie ihn die vergleichsweise späten Zeugnisse behaupten, nicht stattgefunden hat.

Die ersten beiden Thesen gegen den Ablass aus: KThGQ 37 1. Unser Herr und Meister Jesus Christus wollte, als er sprach: ,Tut Buße‘ usw., dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sei. 2. Dieses Wort kann nicht in Bezug auf die sakramentale Buße (d.h. auf Sündenbekenntnis und Genugtuung, die durch das Priesteramt vollzogen wird,) verstanden werden.

Damit war die Polarität von innerer und äußerer Frömmigkeit mit besonderer Schärfe auf den Punkt gebracht. Auch wenn Luther in den weiteren Ablassthesen ein rein verinnerlichtes Bußverständnis von sich wies, da ja die Änderung des Lebens auch äußere Auswirkungen haben musste, hatte er mit seinen Ausführungen deutlich gemacht, dass eine konsequente Betonung der innerlichen Frömmigkeit, wie sie tief in einem Teil spätmittelalterlicher Frömmigkeit verankert war, geeignet sein konnte, das System sakramentaler Heilsvermittlung, das tragend für mittelalterliche Kirchlichkeit war, infrage zu stellen. Dass diese Infragestellung des herkömmlichen Gnadensystems dauerhaft und immer grundsätzlicher wurde, macht den eigentlich reformatorischen Charakter der spezifischen Transformation spätmittelalterlicher Theologie bei Luther aus. Im Herbst 1517 war diese Konsequenz aber noch keineswegs zwingend. Es dürfte genau das Ineinander herber Kritik an einer gegenwärtig verbreiteten Praxis und tief reichender theologischer Begründung gewesen sein, das den rasanten Erfolg der Ablassthesen ausmachte: Sie wurden vielfach abgeschrieben, bald auch mehrfach gedruckt, und es entstand eine weitreichende Debatte, von der Luther nahezu überrollt wurde. Öffentliche Wirkung beruht vielfach nicht einfach auf der Radikalität von Neuem, sondern gerade auf einer Mischung aus Vertrautheit und Neuheit – dieses Bedürfnis

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Transformationen in Wittenberg und Zürich wurde durch die Ablassthesen und die ihr folgende Publizistik Luthers rasch und erfolgreich bedient. Während sich also Luthers Entwicklung sehr einleuchtend vor dem Hintergrund der spätmittelalterlichen Tendenz zu affektiver Verinnerlichung erklären lässt, gehört die andere bedeutende Ursprungsgestalt der Reformation, Huldrych Zwingli eher zu jenen, die der veräußerlichten Frömmigkeit die rationale Durchdringung der Glaubensinhalte entgegenstellten. Typisch für viele humanistisch geprägte Persönlichkeiten hatte er sich in seinen ersten Jahren als Pfarrer – ab 1506 in Glarus – für Belange der Schweizer Nation gegen den Verkauf von Söldnern an fremde Herren („Reislaufen“) engagiert. Seine Lektüre war vorwiegend vom Humanismus, aber auch vom spätmittelalterlichen Scotismus geprägt. Die Form, in der er ihm begegnete, stand zwischen den großen Schulrichtungen der Via antiqua und der Via moderna, welche vorwiegend aufgrund einer unterschiedlichen Einordnung der Allgemeinbegriffe voneinander abwichen (Universalienstreit): Während die Via moderna diese tatsächlich lediglich als Begriffe (Konzeptualismus) oder gar als bloße Benennungen (Nominalismus) verstand, sah die Via antiqua in ihnen tatsächliche extramentale Realitäten, unterstellte also beispielsweise, dass es eine allgemeine Menschennatur nicht allein im Verstand gebe, sondern dass diese allen einzeln existierenden Menschen real vorgegeben sei. Die auf Duns Scotus (gest. 1308) zurückgehende Denkrichtung des Scotismus konnte sich auf die eine oder andere Seite schlagen. Für den jungen Zwingli war freilich nicht so sehr diese Frage von Bedeutung, sondern eher eine Grundlehre, die den Scotismus durchzog: die nämlich vom unendlichen Gegensatz zwischen Schöpfer und Geschöpf, die bei Zwingli im Laufe seines Lebens zunehmend den Gedanken in den Vordergrund treten ließ, dass es nichts Irdisches geben könne, das in der Lage ist, Gott zu erfassen. Eine erste inhaltliche Füllung für diesen Gegensatz gewann er durch die Auseinandersetzung mit dem Humanismus. In dessen platonisch inspirierter Philosophie wurde ohnehin sehr stark der Unterschied von Geist und Materie betont, mit einer klaren Präferenz für alles Geistige. Zwinglis reformatorische Entwicklung brachte ihn zu einer Theologie, die immer stärker die Differenz wahrer Religiosität gegenüber ihren Veräußerlichungsformen betonte, welche er als bloßen Ausdruck von Geschöpflichkeit und Materialität sah. Zwinglis reformatorische Entwicklung Wie bei Luther, so ist auch bei Zwingli die Frage nach seiner reformatorischen Entwicklung höchst strittig. Traditionell neigen reformierte Forscher aus der Schweiz eher dazu, die Unabhängigkeit Zwinglis von Luther zu betonen, während deutsche Lutheraner eher von einem starken Einfluss des deutschen Reformators auf den Schweizer ausgehen. An diesem scheinbar kleinen Problem hängt auch die Frage, ob es einen einzigen Ursprung der Reformation gegeben habe oder deren mehrere. Die Einsicht in die Bedeutung von Scotismus und Humanismus für Zwingli unterstützt die Annahme seiner Eigenständigkeit. Allerdings dürfte seine intensive Wahrnehmung Luthers seit Ende 1518 ihm Mut gegeben haben, seine Reformanliegen voranzubringen. Der Einfluss Luthers auf Zwinglis reformatorische Entwicklung ist also weniger kausal als katalysatorisch zu verstehen.

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Ähnlich wie bei Luther hat sich Zwinglis reformatorische Theologie erst allmählich, zum Teil auch erst durch die Auseinandersetzungen entwickelt, in

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die dieser geriet. Großen Eindruck machte dabei auf ihn Erasmus von Rotterdam (gest. 1536), der bedeutendste Vertreter des nordalpinen Humanismus. Durch seine Edition des griechischen Neuen Testaments hatte er auch auf Luther starken Einfluss ausgeübt, mit Zwingli kam es sogar zu einer persönlichen Begegnung, die dessen Neigung zum Humanismus nachhaltig bestärkte. Die entstandene brisante Mischung wurde spürbar, als Zwingli am 1. Januar 1519 die einflussreiche Stelle eines Leutpriesters am Zürcher Großmünster antrat. Schon der Beginn auf dieser Stelle zeigt humanistisches Gepräge, denn Zwingli ersetzte die übliche Predigt nach einzelnen, aus dem Zusammenhang gerissenen Perikopen durch eine lectio continua, in der er zunächst fortlaufend das Matthäusevangelium, dann die Apostelgeschichte auslegte. So wurde das humanistische Prinzip, auf die Quellen zurückzugreifen, unmittelbar umgesetzt. Inhaltlich führte das Gespür für die Unterscheidung von Innerlichem und Äußerlichem bei Zwingli rasch zu einer Kritik an den Ablasspredigten des Franziskaners Bernardino Samson. Auch die übliche Heiligenverehrung und der Glaube an das Fegefeuer wurden Gegenstand seiner Kritik, allerdings auch soziale Missstände, vor allem das Zehntnehmen. Auf der Kanzel des Großmünsters entstand so ein Programm, das gewichtige Stücke spätmittelalterlicher veräußerlichter Frömmigkeitspraxis infrage stellte, ohne dass man doch von einer grundsätzlichen Bestreitung des Kirchensystems insgesamt sprechen könnte. Eine solche wurde aber immer mehr zu einer Denk- und Handlungsmöglichkeit, je stärker sich die Ereignisse in Deutschland zuspitzten.

3. Von der universitären Disputation zur Publizistik Auch wenn Zwinglis Entwicklung sich nicht in Abhängigkeit von den Wittenberger Ereignissen vollzog, gehört doch diesen eindeutig der zeitliche Vorrang innerhalb der Reformation: Hier entwickelte sich die innermittelalterliche Erneuerung der Theologie durch eine Gruppe von Universitätsangehörigen nach und nach zu einer Bewegung, die sich im Gegensatz zur Kirche ihrer Zeit verstand. Tatsächlich hatte der Kreis um Luther, in dem dieser keineswegs von Anfang an die eindeutige Führungsgestalt war, zunächst nicht mehr vor als eine Neubestimmung der theologischen Lehre. Diese vollzog sich in Vorlesungen, dann aber zunehmend auch in Disputationen – dieses hergebrachte Medium der mittelalterlichen Scholastik war in besonderer Weise geeignet, eine bestimme Position nicht nur als eine unter vielen darzustellen, sondern als klare Alternative zu anderen zu profilieren. Der Grundaufbau einer Disputation, wie sie gängigerweise zu den akademischen Graduierungsverfahren gehörte, bestand darin, dass eine quaestio, eine Frage, nach ihrem Sic et Non abzuwägen war: nach dem, was für ihre Bejahung sprach, und dem, was dagegen stand. Wer dieses Verfahren im Zuge seiner Qualifikation zu meistern lernte, machte Erfahrung damit, Aussagen zu einander ausschließenden Gegensätzen zuzuspitzen. Dies musste anfänglich noch keineswegs eine Grundsatzalternative im Blick haben, aber schon die erste Disputation, mit der im September 1516 die neue Wit-

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Von der universitären Disputation zur Publizistik tenberger Theologie wenigstens die universitätsinterne Öffentlichkeit auf sich aufmerksam machte, lebte davon, dass die augustinische Theologie, wie sie Luther in seiner Römerbriefvorlesung gelehrt hatte, nun in das Gerüst des Ja oder Nein hineingezogen wurde. Sie handelte De viribus et voluntate hominis sine gratia, von den Kräften und dem Willen des Menschen ohne die Gnade und diente damit zur Exposition der völligen Angewiesenheit des Menschen auf eben diese Gnade Gottes. Diese Frage konnte man auch zuvor durchaus in Luthers Sinne beantworten, dass der Mensch zu seinem Heil ganz auf die Gnade angewiesen war. Im Wittenberger Kontext aber wurden die Thesen des Disputators Bernhardi aus Feldkirch so zugespitzt, dass mit großer Radikalität die Sündigkeit des Menschen und die Unfreiheit seines Willens ohne die Gnade ausgesprochen wurden. Wie sehr diese Zuspitzungen ein gemeinsames Bewusstsein der Erneuerung atmen, zeigt eine wenige Monate später von Luther privat getane Äußerung: Seinem Ordensbruder Matthäus Lang schrieb er am 18. Mai 1517: „Unter Gottes Beistand machen unsere Theologie und Sankt Augustin gute Fortschritte und herrschen an unserer Universität. Aristoteles steigt nach und nach herab und neigt sich zum nahe gerückten ewigen Untergang. Auf erstaunliche Weise werden die Vorlesungen über die Sentenzen verschmäht, so dass niemand auf Hörer hoffen kann, der nicht über diese Theologie, d.h. über die Bibel, über Sankt Augustin oder über einen anderen Lehrer von kirchlicher Autorität lesen will.“ (WA.B 1, S. 99, Z. 8–13 [Nr. 41]). Die wenigen Sätze machen deutlich, was in Wittenberg in diesen Jahren 1516/17 geschah: Seit der Wiederentdeckung des ganzen Aristoteles im 12. Jahrhundert war es, durch einige Auseinandersetzungen hindurch, zu einer engen Verbindung zwischen der Lehre des antiken Philosophen und der im 13. Jahrhundert entstandenen europäischen Universität gekommen. Wer sich an einer solchen einschrieb, durchlief zunächst die artes-Fakultät, und das hieß: Er absolvierte ein Programm aristotelischer Philosophie. Auch wenn dies in Wittenberg nicht unmittelbar infrage gestellt wurde, zeigt der Brief Luthers doch: Die konsequente Folgerung, dass sich das akademische Denken auf den Bahnen des Aristoteles zu bewegen habe, war ins Wanken geraten. Die Theologie sollte sich erneuern, indem das, was bislang in unterschiedlichen Schattierungen aufeinander bezogen worden war, nun gegeneinandergestellt wurde: Theologie und Kirchenväter auf der einen, Aristoteles auf der anderen Seite. Solche Konfrontation kam nicht ganz unvorbereitet: Schon seit dem 14. Jahrhundert hatte man in der Via moderna die Allgemeingültigkeit des Aristoteles infrage gestellt und besonders darauf insistiert, dass dessen Denkregeln im Bereich der Trinitätslehre, aber auch in der Beschreibung des Wirkens Gottes an seine Grenzen kam und diese nicht überschreiten durfte. Nun aber sollte dies prägend für den gesamten Lehrbetrieb der noch jungen sächsischen Universität werden. Ebenso auffällig wie dieser Umstand ist freilich, dass anderes, was später zu einer möglichen Alternative wurde, noch selbstverständlich zusammengehalten wurde: Bibel und Kirchenväter. Das galt auch noch für den nächsten wichtigen Schritt, der die Konfrontation weiter schärfte: die später sogenannte Disputation gegen die scholastische Theologie vom 4. September 1517. Ihre Form ist durch und durch von der den Disputationen eigenen alternativen Neigung zur Zuspitzung geprägt. In schroffen Thesen wird die für

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richtig gehaltene Lehre vorgebracht, und in der Regel schließen diese Sätze ab mit einem contra, das sich gegen Duns Scotus, gegen den großen Lehrer der Via moderna Gabriel Biel (gest. 1495), nach dessen Lehrbuch Luther selbst in Erfurt studiert hatte, oder auch schlicht gegen omnes, alle, richten konnte. Diese schroffe sprachliche Form hatte Luther freilich nicht erfunden: Im April 1517 hatte Johannes Eck (1486–1543), ein junger ehrgeiziger Theologieprofessor aus Ingolstadt, den Wittenbergern eine eigene, in Wien gehaltene Disputation übermittelt, die genau nach diesem Muster – scharfe These und knappe Benennung der Gegner – abgefasst war. Es war eine Gabe gewesen, mit der er um die Freundschaft des Kreises um Luther geworben hatte, zu dessen erbittertstem Gegner er wenig später werden sollte. An der Elbe fiel sein Geschenk auf fruchtbaren Boden. Die hiesigen Theologen – neben Luther vor allem auch sein Fakultätskollege Andreas Karlstadt (gest. 1541) – entdeckten die Möglichkeit, die Disputation dazu einzusetzen, den eigenen Neuerungsanspruch wirkungsvoll in Szene zu setzen. So kam es zu jener schroffen Ausrichtung der Disputation gegen die scholastische Theologie, die zunächst Augustin gegen seine Angreifer in Schutz nehmen sollte, dann aber zur Abrechnung Luthers mit dem vor allem in der Via moderna vermuteten Pelagianismus wurde: einer nach Pelagius (gest. 420), dem antiken Gegner Augustins, benannten Haltung, die dem Menschen zu viel Möglichkeit zur Erlangung des eigenen Heils zumaß. Ihn zu kritisieren, war im Mittelalter Gemeingut. Luther gab der Kritik die Schlagseite, dass jede Bejahung eines freien Willens des Menschen unter das Verdikt des Pelagianismus fiel. In einer Reihe scharfer Sätze rechnete er so mit der Anthropologie, Sündenlehre und Gnadenlehre seiner eigenen, der Via moderna entstammenden Lehrer ab. Die moderne Forschung hat herausgearbeitet, dass es tatsächlich allein diese eine Richtung der spätmittelalterlichen Theologie war, die getroffen wurde, nicht die Scholastik insgesamt. Insbesondere der vielfach geschmähte Gabriel Biel stand im Fokus der Kritik. Dass aber die Rhetorik der Thesen den Eindruck erwecken konnte, dass mehr, ja, die gesamte Scholastik kritisiert wurde, war Teil der Inszenierung, die Luther hier vornahm. Die Wittenberger Theologie wurde als prägnantes Alternativmodell zum bislang gängigen Wissenschaftsbetrieb dargestellt. In einem kühnen Schritt nutzte Luther die Möglichkeiten der Disputationstechnik, um innerhalb der Gemengelage spätmittelalterlicher Theologie die eigene Variante nicht als eine von vielen Möglichkeiten zu inszenieren, sondern als die der Gesamtheit der anderen gegenüberstehende Erfüllung des Vermächtnisses Augustins. Damit war beileibe noch kein Bruch mit der Scholastik vollzogen, schon gar nicht mit dem Mittelalter, aber es zeichnete sich doch innerhalb der Wittenberger Reformbemühungen eine Radikalität der Selbstdeutung ab, die dazu beitrug, dass der Riss bald sichtbarer und tiefer wurde. Hierzu trug allerdings auch bei, dass die schon im nächsten Monat folgenden Ablassthesen, welche wohl nie tatsächlich einer universitären Disputation zugrunde lagen, sondern von vorneherein zu einer überregionalen Debatte aufrufen sollten, die Bekanntheit der Wittenberger, zumal Luthers bald rasant erhöhten. Der Professor und Theologiereformer wurde zu einer Person des öffentlichen Interesses und bis zu einem gewissen Grade wohl von diesen Ereignissen auch überrollt. Freilich entdeckte er in diesem Zuge auch mehr und mehr die Möglichkeiten der Publizistik: Im

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Frühjahr 1518 brachte er seinen „Sermon von Ablaß und Gnade“ heraus – die heikle Thematik hatte nun endgültig den akademischen Raum verlassen, und Luther selbst trug dazu bei. Es ging ihm zum einen darum, die Deutungshoheit über das Geschehen und die Diskussion zu behalten, aber Luther zielte offenkundig auch darauf, seine neuen Erkenntnisse einer breiten Öffentlichkeit zuteil werden zu lassen, und er erreichte sie: Bis zum Jahr 1520 gingen 22 Auflagen des kurzen Textes aus, der auch von dem Selbstbewusstsein des Autors zeugte: Er achte, so schrieb er am Ende, nicht sehr auf die, die ihn einen Ketzer nennten, denn dies seien nur „ettlich finster gehyrne, die die Biblien nie gerochen, die Christenliche lerer nie geleßen, yhr eigen lerer nie verstanden“ hätten (WA 1, S. 246, Z. 33f.). Damit war für jedermann, der lesen konnte, erkennbar: Hier tobte eine Konfrontation, in der es nicht um besser oder schlechter ging, sondern um wahr oder falsch. Der Hintergrund für die kühne Formulierung lag nicht zufällig in der Frage der Ketzerei – diese hatte nicht Luther selbst gestellt, sondern sie war durch die Gegner aufgeworfen worden: Seit der Jahreswende 1517/18 gab es Bestrebungen, einen Häresieprozess gegen Luther zu führen. Dass die Vielfalt des späten Mittelalters in ein konfrontatives Gegenüber einander am Ende ausschließender Gegensätze mündete, lag nicht allein am Drängen Luthers, auch nicht allein an der Zuspitzung durch das Medium der Disputation, sondern es lag auch an der Weise, wie Luthers Anliegen aufgenommen oder eben gerade nicht aufgenommen wurden. Zu den Versuchen, die sich anbahnende Konfrontation zu beschwichtigen, gehörte auch ein Verfahren, in dem der Orden Luthers versuchte, die Dinge im eigenen Verband zu klären und so auch zu vermeiden, dass der ganze Orden durch einen Ketzerprozess belastet würde: Die Luthersache sollte auf einem Kapitel der Reformkongregation der Augustinereremiten, der Luther angehörte, verhandelt werden. Statt zur Beruhigung führte allerdings Luthers Auftreten eher zu einer Intensivierung und Ausweitung der Angelegenheit. Er disputierte nicht über den Ablass, sondern setzte in der Heidelberger Disputation am 25. oder 26. April 1518 jene schon bewährte Technik der alternativen Zuspitzung fort. Inhaltlich zentral war wiederum die Anthropologie. Mit aller Vehemenz schärfte Luther die Unfähigkeit des Menschen etwas Gutes zu tun ein und erklärte sogar, den freien Willen gebe es nur dem Namen nach (These 13). Im Blick auf die Rechtfertigung führte Luther nun verschiedene Stränge seines Denkens zusammen: Die mystischen Konzeptionen der Notwendigkeit massiver Selbstdemütigung (humilitas) und des Wirkens Gottes im Menschen verband er mit der klaren, auf Röm 1,17 gestützten Aussage, dass nicht die Werke des Menschen, sondern allein eingegossene Gnade und eingegossener Glaube das Heil des Menschen bewirken (Erläuterung zu These 25), freilich in der Weise mystischer Einigung (Erläuterung zu These 26). Mit diesem Ineinander von traditionellen Vorstellungen und der in der Zukunft prägenden paulinischen Begrifflichkeit von Glauben und Gerechtigkeit markiert die Heidelberger Disputation eine wichtige Schaltstelle auf dem Weg zu der Rechtfertigungslehre Martin Luthers und seiner Anhänger, die in der Folgezeit den Unterschied zwischen altem und neuem Glauben markieren sollte.

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Rechtfertigungslehre Für die von Karl Holl (1866–1926) geprägte Forschung des 20. Jahrhunderts markierte die Rechtfertigungslehre den entscheidenden Bruch zwischen reformatorischer Bewegung und altem Glauben. Heute wird man den historischen Ablösungsprozess komplexer beschreiben müssen. Wirkungsgeschichtlich aber wurde die Rechtfertigungslehre zu dem entscheidenden, profilgebenden theologischen Merkmal evangelischer Religiosität. Dies betrifft einerseits die inhaltliche Bestimmung, nach der allein Christus (solus Christus) das Heil des Menschen bewirkt und es diesem allein aus Gottes Gnade (sola gratia) und allein durch den Glauben (sola fide) ohne jegliches menschliche Verdienst zuteil wird. Anderseits liegt die Besonderheit auch in der systematischen Stellung der Rechtfertigungslehre. Für das evangelische Bekenntnis ist es charakteristisch, dass in ihm die Rechtfertigungslehre die Zentralstellung einnimmt und von ihr her die anderen Lehren zu bestimmen sind.

Heidelberger Disputation

Diese für die spätere Konfessionsgeschichte so bedeutsame Entwicklung vollzog sich schrittweise in einem allmählichen Ablösungsprozess. Aber schon in Heidelberg steigerte Luther die Wirkung der Disputation durch eine markante zweifache Alternative: In der 21. These brachte er die berühmt gewordene Gegenüberstellung von theologus crucis und theologus gloriae, dem Theologen des Kreuzes und dem der Herrlichkeit vor. Ersterer wolle Gott allein durch das Leiden Christi und das Kreuz hindurch erkennen – damit transformierte Luther unverkennbar Anliegen seiner eigenen monastischen Sozialisation. Der theologus gloriae hingegen bemühe sich, Gott anhand der geschöpflichen Dinge zu erkennen – die Anspielung auf die mittelalterliche Scholastik und ihre Gottesbeweise war damit unverkennbar. Luther griff also in gewisser Weise die Anliegen der Disputation gegen die scholastische Theologie neu auf. Er gab ihnen aber nun durch eine zweite Alternative eine rezeptionsgeschichtlich bedeutsame Zuspitzung, indem er in den zwölf Thesen zur Philosophie, die in der Ankündigung der Disputation den Zuhörern gemeinsam mit den 28 Thesen aus der Theologie vorlagen, den Aristotelismus scharf attackierte und den Platonismus in Schutz nahm. Damit zielte er an der humanistisch geprägten Universität Heidelberg, in deren Räumlichkeiten die Disputation stattfand, offenkundig auf die Sympathien des Publikums.

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Aristotelismus und Platonismus Schon im Frühmittelalter war das theologische Denken von der Logik des Aristoteles geprägt. Dies verstärkte sich mit der Wiederentdeckung des gesamten Corpus seiner Schriften im 12. und 13. Jahrhundert. Studenten an der artes-Fakultät wurden mit seinen Schriften oder Kommentaren hierzu befasst. Dem stand, vor allem seit im Zusammenhang des Konzils von Ferrara und Florenz die Begegnung mit griechischen Autoren möglich geworden war, eine auf Plato ausgerichtete Haltung der Humanisten entgegen, die vor allem in Italien vertreten, aber auch nördlich der Alpen aufgegriffen wurde.

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Die Heidelberger Disputation, These 1921 aus: KThGQ 3, S. 41 19. Nicht der wird Theologe genannt, der das unsichtbare Wesen Gottes an den geschaffenen Dingen anschaut,

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20. sondern der, der das unsichtbare Wesen Gottes und seine dem Menschen zugewandte Seite, wie sie durch die Leiden und das Kreuz geschaut wird, versteht. 21. Der Theologe der Herrlichkeit nennt das Böse gut und das Gute böse, der Theologe des Kreuzes nennt die Dinge beim Namen.

Die auf monastischer Grundlage entwickelte Scholastikkritik Luthers konnte, das zeichnete sich hier ab, eine Allianz mit dem Humanismus eingehen, der sich ebenfalls als Alternative zur Scholastik verstand. Dies galt umso mehr, als Luther selbst auch in seiner Erfurter Zeit humanistische Einflüsse aufgenommen hatte und die Wittenberger Universität vielfach von humanistischen Anregungen geprägt war – prominentester Ausdruck für das Miteinander dieser geistigen Strömungen wurde Philipp Melanchthon (1497–1560). Der Tübinger Magister und ehemalige Heidelberger Student wurde noch 1518 nach Wittenberg berufen. Am 28. August hielt er dort seine Antrittsrede. Zeit seines Lebens stand er für die Verbindung von reformatorischer und humanistischer Bewegung. In Heidelberg allerdings waren es andere, die von den klaren Alternativen Luthers angezogen waren: Martin Bucer (1491–1551), der spätere Reformator Straßburgs gehörte ebenso zu den Zuhörern wie Johannes Brenz (1499–1570) und Erhard Schnepf (1495–1558), die zu wichtigen Gestalten der Württemberger Reformation werden sollten. Das Charisma des Wittenberger Mönchs und Professors hatte nun also durch einen beeindruckenden Auftritt, von dem noch ein Bericht Bucers Zeugnis ablegt, auch den Südwesten erreicht und für sich eingenommen. Luthers Wirken war aber immer weniger auf persönliche Begegnungen begrenzt. Er wusste zunehmend mit der öffentlichen Rolle umzugehen, die ihm durch den Ablassstreit zugewachsen war. Während er die Heidelberger Disputation, abgesehen von der Ankündigung, nicht veröffentlichte, hat er wenige Tage, nachdem er am 12. Oktober in Augsburg von dem päpstlichen Legaten Kardinal Cajetan (1469–1534) verhört worden war, Akten dieses Gesprächs herausgebracht: So wollte er die Deutungshoheit über das Geschehen behalten. Wandte er sich hiermit, in lateinischer Sprache, noch an die Gelehrten, so trat immer mehr die deutschsprachige Öffentlichkeit, das heißt die in den Städten konzentrierte lesefähige Bevölkerung, in seinen Blick. Seine Schriften waren dabei in der Regel nicht agitatorisch und nahmen nur in Einzelfällen – etwa den Sermonen über den Ablass von 1517 und 1518 – direkt auf strittige Fragen Bezug. Vielmehr stand im Mittelpunkt seiner Veröffentlichungen die geistliche Erbauung der Gläubigen. Er schrieb eine Beichtanleitung, eine Auslegung des Vaterunsers, passionstheologische Betrachtungen oder auch ein Büchlein von der Bereitung zum Sterben, das die im Spätmittelalter beliebte Gattung der Sterbekunst, der ars moriendi, in einer stark christologisch zentrierten Weise transformierte. Erneut bestätigte sich das schon bei den Ablassthesen zu beobachtende Phänomen, dass die Mischung aus Vertrautem und Neuem die Wirkung ausmachte. Mit der „normativen Zentrierung“ (Berndt Hamm) traditioneller Themen auf Grundlage seiner sich zusehends klärenden Rechtfertigungslehre wurde Luther zu einem Erfolgsautor, den zudem der Geruch des Oppositionellen und von päpstlichen Behörden Verfolgten umwehte. Ohne dass man schon klare Fronten hätte unterscheiden können, formierte sich in den Städten eine Be-

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Leipziger Disputation

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wegung, die in den Anstößen aus Wittenberg eigene Anliegen aufgegriffen und entfaltet sah. Als charakteristisch für die sich vollziehende Orientierung an Luther kann man ansehen, dass im Laufe des Jahres 1518 vorwiegend unter dem Einfluss von Luthers Ordensbruder und Freund Wenzeslaus Linck (1483–1547) die dort bestehende sodalitas Staupitziana in eine sodalitas Martiniana umgewandelt wurde. Der Wittenberger Mönch war zum Helden und Orientierungspunkt geworden. Diese Entwicklung gewann an Kraft, als deutlich wurde, dass die verschiedenen schroffen Alternativen, die er aufmachte, nicht allein bestimmte Frömmigkeitsformen oder das akademische Leben betrafen, sondern die bestehende Kirche insgesamt. Dies öffentlich zu machen, hat Luther selbst nicht offensiv angestrebt, sondern er wurde hierzu von eben jenem Johannes Eck getrieben, der 1517 noch seine Freundschaft gesucht hatte, durch den Ablassstreit aber zu seinem erbitterten Gegner geworden war. Nach einem längeren Vorlauf kam es vom 27. Juni bis zum 15. Juli 1519 in Leipzig, also auf einigermaßen neutralem, albertinisch-sächsischem Boden, zu einer Disputation zwischen Eck auf der einen und dem mittlerweile auch für die Reformation gewonnen Andreas Karlstadt sowie Martin Luther auf der anderen Seite. Vor einer gespannten Zuhörerschaft, zu der nicht nur Universitätsangehörige, sondern auch der Hof, ja zeitweise sogar Herzog Georg der Bärtige selbst (1500– 1539), gehörten, bildete die Konfrontation zwischen Eck und Luther vom 4. bis 13. Juli das eigentliche Herzstück der Veranstaltung. Die treibende Kraft war der für seine Disputationskunst überregional berühmte Ingolstädter Professor. Ihm gelang es, Luther zu Aussagen zu bringen, die dieser so und in diesem Rahmen nicht treffen wollte. Aus der Debatte über das Haupt der Kirche heraus wies Eck seinem Kontrahenten nach, dass er Sätze behaupte, die Jan Hus gelehrt und das Konzil von Konstanz verurteilt habe. Schon dies erregte die Gemüter des sächsischen Hofs, an dem die mit den Hussiten im 15. Jahrhundert geführten Kriege noch sehr bewusst waren. Erst recht aber sprengte Luther den akzeptablen Bereich, als er erklärte, dass Konzilien auch in Sachen des Glaubens irren konnten: „Also gibt man uns ins Maul, daß wir, wir wollen oder wollen nit, sagen müssen: Das Concilium hat geirret“ (WA.B 1, S. 471, Z. 218 f. [Nr. 192]), schrieb Luther dazu später seinem Landesvater Kurfürst Friedrich dem Weisen (1485–1525). Tatsächlich hatte Luther mit dieser Aussage die schon früher von ihm aus der kanonistischen Diskussion des späten Mittelalters aufgegriffene Überzeugung, dass Päpste und Konzilien irren könnten (WA 1, S. 656, Z. 32–37), zugespitzt und auf einen konkreten Fall angewandt. So recht wurde ihm erst jetzt deutlich, dass das seinerzeit noch aufrechterhaltene Vertrauen in ein repräsentatives Konzil nicht mehr gelten konnte: Keine kirchliche Instanz war mehr in der Lage, die Wahrheit einer Glaubensaussage zu gewährleisten. Was übrig blieb, war allein die Heilige Schrift. So wurde nun, im Sommer 1519, nach Solus Christus, Sola gratia und Sola fide auch die vierte Ausschließlichkeitsformel der Reformation, das Sola Scriptura, der Sache nach zu einem Grundsatz der reformatorischen Bewegung. Philipp Melanchthon zog diese Konsequenz als Erster mit der nötigen Deutlichkeit am 9. September in seinen Bakkalureatsthesen: „Für einen Katholiken ist es nicht notwendig, über die Dinge hinaus, die ihm durch die Schrift bezeugt werden, noch weitere zu glauben“ (Melanchthons Werke, hg. v. Robert Stupperich. Bd. 1:

Der Lutherprozess

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Reformatorische Schriften, Gütersloh 1951, S. 24, Z. 29f.). Damit hatte die Reformation ein Formalprinzip an der Hand, das es ihr ermöglichte, die Kritik an der hergebrachten Kirche methodisch konsequent durchzuführen und zu begründen. Die Linie der Alternativen, die die bisherige Disputationspraxis durchzog, war nun, mit der Hebammenhilfe Johannes Ecks, in die Ekklesiologie (Kirchenlehre) gewendet. Die Schrift allein, das hieß: die Kirche nicht ohne die Schrift. Wer sich ohne Schriftbeleg auf die Tradition, die Väter, auch den 1517 noch von Luther so vehement in Schutz genommenen und weiterhin hochgehaltenen Augustin stützen wollte, wer sich auf eine Konzilsentscheidung oder gar nur ein päpstliches Dekret berufen wollte, konnte in reformatorischer Perspektive keine Geltung beanspruchen. Damit war aus einer akademischen Reformbewegung die reformatorische Bewegung geworden, welche das bislang gültige Autoritätengefüge im Grundsatz infrage stellte. Diese Zuspitzung folgt aber nicht allein einer inneren Logik des reformatorischen Denkens; dieses holte an manchen Stellen, wie das Beispiel des Sola Scriptura zeigt, seine Konsequenzen erst allmählich denkerisch ein. Sie verdankte sich vielmehr auch dem Umstand, dass die Gegner Luthers schon früh die auf die Frömmigkeitspraxis und ihre theologische Begründung ausgerichtete Frage Luthers im Blick auf ihre ekklesiologischen Konsequenzen bedacht und behandelt hatten.

4. Der Lutherprozess Schon am 13. Dezember 1517 kündigte Erzbischof Albrecht von Mainz einen Prozess gegen Luther an. Im Januar traf die Anklage in Rom ein. Anfänglich bemühte man sich zwar von päpstlicher Seite, die Sache als eine Angelegenheit zwischen zwei Orden – Luthers Augustinereremiten und den Dominkanern, denen Tetzel angehörte – zu behandeln und setzte auf eine interne Klärung, wie sie die Augustinereremiten in Heidelberg ja auch anstrebten. Doch schon im März kam es, nun durch die Dominikaner, zu einer weiteren Anklage in Rom. Daraufhin wurden alle nötigen Schritte eingeleitet. Luther wurde nach Rom zitiert und ihm zugleich der Dialogus des Dominikaners Silvester Mazzolini (gest. 1523) aus Prierio, der daher Prierias genannt wurde, überreicht. Der Dialogus dürfte in etwa dem Gutachten entsprechen, das Prierias als Magister sacri Palatii im Zusammenhang des Lutherprozesses zu erstellen hatte. So wird erkennbar, dass nicht nur die Tatsache, dass hier ein Gutachter beauftragt wurde, der dem klagenden Orden angehörte, ein unglückliches Vorzeichen darstellte, sondern dass dessen theologische Vorstellungen zu einer folgenreichen Engführung des Prozesses führten: Der Dialogus befasste sich vornehmlich mit der Frage der Papstautorität. Diese hatte Luther in seinen Ablassthesen durchaus tangiert, freilich nicht grundsätzlich infrage gestellt. Prierias aber vertrat eine nach spätmittelalterlichen Maßstäben durchaus nicht konsensfähige gesteigert papalistische Position, wenn er erklärte: „Wer sich nicht an die Lehre der römischen Kirche und des Papstes hält als die unfehlbare Glaubensregel, von der auch die Heilige Schrift ihre Kraft und ihre Autorität bezieht, ist ein

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Königswahl

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Häretiker“ (Dokumente zur Causa Lutheri [1517–1521]. Bd. 1, hg. v. Peter Fabisch und Erwin Iserloh. Münster 1988, 55). Dass er diese auch von anderen geteilte, dennoch aber nicht allgemein verbreitete Überzeugung in den Lutherprozess einbrachte, rückte die Papstfrage in den Mittelpunkt der rechtlichen Auseinandersetzungen. Entsprechend hat Luther sich in seiner rasch – nach eigener Aussage in nur zwei Tagen – niedergeschriebenen Antwort dieser Frage zugewandt und dargelegt, dass er sich mit dem spätmittelalterlichen Kanonisten Nicolaus de Tudeschis gen. Panormitanus (gest. 1445) einig wissen könne, wenn er die Irrtumsfähigkeit des Papstes (und des Konzils) behaupte (WA 1, S. 656, Z. 32). Dass er damit ausgerechnet einen Parteigänger des Basler Konzils als Kronzeugen heranzog, konnte allerdings neuen Verdacht schüren. So wie zuvor die Wittenberger Theologie ihre Stärke durch die Skizzierung klarer, in ihrer Zuspitzung vereinfachender Alternativen gewonnen hatte, wurde sie nun ihrerseits in das Räderwerk der Alternative von Häresie und rechtem Glauben eingezwängt und mit zunehmender Zielstrebigkeit auf die Seite antipäpstlicher Häresie gestellt. Angesichts der oben dargestellten spätmittelalterlichen Polaritäten bedeutet dies, dass die Polarität von innen und außen sich nun mit einer anderen verschränkt: der aus Zentralität und Dezentralität, und dies in einer sich verschärfenden Form: Luther wurde zunächst aus kurialer Sicht als Vertreter einer dezentralen Sicht im Sinne des Konziliarismus wahrgenommen, zunehmend aber, beschleunigt durch die Leipziger Disputation, die vor diesem Hintergrund ein eigenes, jenseits des Akademischen liegendes Gewicht gewann, als grundsätzlicher Bestreiter zentraler kirchlicher Leitung, wie sie in gewisser Weise auch durch das repräsentative Konzil ja noch gesichert war. Luther seinerseits nahm diese Entwicklung sehr genau wahr und kam selbst zu weiterreichenden Überzeugungen: Kurz nach der Leipziger Disputation wurde ihm zur Gewissheit, was er zuvor nur in Vermutungen zu äußern gewagt hatte: dass der Papst – und damit war nicht dieser oder jene einzelne Papst gemeint, sondern das Papsttum insgesamt – der Antichrist sei. Diese Wahrnehmung gab seinem Kampf eine neue Härte: Von nun an war er sich gewiss, dass das Ende nahe sei und er aufseiten des Evangeliums gegen den Widersacher Christi zu kämpfen hatte. Der endzeitliche Ton wurde von anderen geteilt: In Zürich pries Zwingli, sonst beileibe nicht zu apokalyptischen Tönen neigend, Luther aufgrund der Disputation von Leipzig als wiedergekehrten Elia – und arbeitete sich von nun an durch die Werke des Wittenbergers, soweit sie ihm greifbar waren, um Unterstützung für seine eigenen Bemühungen zu finden. Dass überhaupt die Leipziger Disputation eine solch entscheidende Bedeutung gewonnen hatte, lag allerdings an einer Retardierung des Lutherprozesses, deren Ursache in einer zufälligen Verquickung mit der Reichspolitik lag. Der Logik des Prozesses folgend, hätte Luther eigentlich der Ladung nach Rom folgen müssen, welche im Sommer 1518 an ihn erging. Genau das aber tat er nicht, und der Grund dafür, dass er sich einstweilen zurückhalten konnte, lag relativ fern von Luthers eigenen Angelegenheiten: in der anstehenden Wahl eines neuen Königs. Maximilian I. (1486–1519) bereitete sich bewusst und weitsichtig auf seinen Tod vor. Hierzu gehörte auch, dass er sich bemühte, die Nachfolge für seinen Enkel, der seit 1516 als Karl I. über Spanien herrschte, zu sichern. Da dieser auch über beide

Der Lutherprozess

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Sizilien regierte, drohte so dem Papst beziehungsweise dem von diesem beherrschten Kirchenstaat in Mittelitalien eine gefährliche Umklammerung, die er zu vermeiden trachtete. In diesem Zusammenhang kam nun Luthers Landesherrn Friedrich dem Weisen nicht nur als Mitglied des für die Wahl zuständigen Kurfürstenkollegiums eine entscheidende Rolle zu. Seit 1507 trug er den Titel eines „Generalstatthalters des Reiches“, zudem war er für Zeiten der Königslosigkeit der designierte Stellvertreter der imperialen Macht. Diese besondere Stellung kam der von ihm verfolgten „Lutherschutzpolitik“ (Kohnle) zugute, deren Gründe im Einzelnen schwer zu erschließen sind. Sicherlich gab es bei ihm eine spirituelle Offenheit für die Anliegen der Reformation, auch wenn er sich erst 1525 auf dem Totenbett durch den Empfang des Abendmahls unter beiderlei Gestalt zu ihr bekannte. Zudem dürfte aber eine Rolle gespielt haben, dass der bekannte Professor den Ruhm der noch jungen Universität mehrte und so dem Wohl des Kurfürstentums diente. Jedenfalls gelang es dem Kurfürsten, Cajetan, den päpstlichen Legaten auf dem Augsburger Reichstag im Herbst 1518 dazu zu bringen, dass dieser, mit Erlaubnis aus Rom, die Befugnis erhielt, nach einem Verhör auf Reichsboden zu entscheiden, ob Luther zu verurteilen sei oder nicht. Das Verhör gestaltete sich freilich nicht so, wie es der versierte Theologe erhofft hatte: Während dieser Luther in väterlichem Gestus zu einem Widerruf bringen und auf künftiges Stillehalten verpflichten wollte, zwang Luther ihn zu einer Disputation über einzelne strittige Fragen, in deren Verlauf Cajetan, wenn man Luthers hierüber erstelltem Bericht glauben darf, keineswegs glücklich aussah. Nun war es Luther selbst, der durch öffentlichen Anschlag an den Augsburger Dom an den Papst (WA 2, S. 28–33), wenig später freilich an das Konzil appellierte (WA 2, S. 36–40). Cajetan seinerseits kündigte die Fortsetzung des römischen Prozesses an und forderte Luthers Auslieferung. Diese gewährte Friedrich der Weise nicht, stattdessen kam es zu einer eigenartigen Episode: Der diplomatische Akt, dem Kurfürsten als päpstliche Auszeichnung eine Goldene Rose zu überreichen, verquickte sich mit dem eigenmächtigen Bemühen des Überbringers, des päpstlichen Kammerherrn Karl von Miltitz (gest. 1529), die Angelegenheit zu befrieden. Anfang Januar traf er sich mit Luther in Altenburg und vereinbarte mit diesem einen vierstufigen Plan: 1. Luther solle in seiner Angelegenheit schweigen, „ßo fernn der widderpart auch schweyge“, wie Luther ausdrücklich hinzusetzte (WA.B 1, S. 290, Z. 12f. [Nr. 128]) – eine Vereinbarung, von der Luther sich bald durch seine Gegner dispensiert sah. 2. Luther werde ein Unterwerfungsschreiben an den Papst senden – das er tatsächlich verfasste (WA.B 1, S. 291–293 [Nr. 129]), aber nicht absandte. 3. Luther werde auch öffentlich dazu aufrufen, sich an die römische Kirche zu halten, und 4. ein deutscher Bischof, genannt wurde der Erzbischof von Salzburg, solle die Sache weiter behandeln. Der interessanteste und am längsten verfolgte Vorschlag war wohl dieser vierte Punkt, der auf Georg Spalatin (1484–1545), den Sekretär und Beichtvater des Kurfürsten, zurückging, hätte er doch eine Nationalisierung der Luthersache mit sich gebracht. Auch dieser Plan ging aber angesichts der Beschleunigung der Ereignisse in der Reichspolitik unter, so wie nun generell das römische Interesse am Lutherprozess erlahmte, der für das diplomatische Bemühen um den sächsischen Kurfürsten nur hinderlich sein konnte. Am 12. Januar 1519 starb Ma-

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ximilian I., und als aussichtsreiche Kandidaten standen Karl von Spanien sowie Franz I. von Frankreich zur Verfügung (1515–1547). Bei der Wahl am 28. Januar 1519 setzte sich der Habsburger durch. Als Karl V. war er nun römischer König und Prätendent für die römische Kaiserkrone. Bis zu seinem Rücktritt im Jahre 1556 herrschte er über das Reich – und scheiterte dann letztlich an der Reformation. Mit der erfolgten Königswahl, die faktisch auch eine Kaiserwahl darstellte, wenn auch die Kaiserkrönung durch den Papst erst 1530 nach langen Verhandlungen stattfinden konnte, wurde in Rom nicht sofort der Lutherprozess wieder aufgenommen. Man hatte das Interesse offenbar nachhaltig verloren. Im Januar 1520 aber wurde die Luthersache aus nicht ganz geklärten Gründen wieder in Rom akut. Eck, der sich den Ruf als bester Kenner der neuen Häresie erworben hatte, wurde nach Rom beordert. In einer kleinen Kommission bereitete er mit drei anderen Theologen zusammen die Verurteilung Luthers vor, wobei ihm vor allem die Aufgabe zukam, die zu inkriminierenden Sätze Luthers – insgesamt 41 – zusammenzustellen. Am 15. Juni 1520 wurde die Bulle Exsurge Domine in Kraft gesetzt, am 24. Juli an der Peterskirche angeschlagen und so veröffentlicht. Eine Besonderheit der Bulle ist, dass in ihr Luther nicht sofort gebannt wurde, sondern ihm noch eine Gnadenfrist von 60 Tagen zum Widerruf gewährt wurde. Daher hat sich für sie der Kunstbegriff Bannandrohungsbulle (Gustav Kawerau) durchgesetzt.

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Bann Schon in der Alten Kirche konnte im Rahmen der Bußpraxis ein Ausschluss von den Sakramenten angeordnet werden. Im Zuge des Mittelalters entwickelten sich zwei Formen des Banns: Der kleine Bann schloss nur vom Sakramentenempfang aus, der dann über Luther verhängte großen Bann hingegen schloss darüber hinaus ganz aus der christlichen Gemeinschaft aus. Diese umfassende Exkommunikation zog üblicherweise die Acht, d.h. die Rechtlosigkeit auf Reichsebene nach sich.

Die Frist nutzte Luther nicht im päpstlichen Sinne – vielmehr verbrannte er am 10. Dezember 1520 die Bannandrohungsbulle und mit ihr zugleich mehrere Ausgaben des Kirchenrechts. Der Bruch mit Rom war vollzogen, die definitive Bannbulle Decet Romanum pontificem bestätigte dies am 3. Januar 1521 von römischer Seite.

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II. Ausbreitung, „Wildwuchs“ und Umgestaltung: städtische Reformation 1520

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1525–1529 1527 1529

Entwicklung von Luthers reformatorischem Programm: „Sermon von den guten Werken“, Adelsschrift, De captivitate Babylonica, Freiheitsschrift 4. Mai: Versteck Luthers auf der Wartburg (bis März 1522), während dieser Zeit Reformen in Wittenberg unter Karlstadts Anleitung 1. November: Müntzers Prager Manifest 24. Januar: Ordnung der Stadt Wittenberg 9. März: Fastenbrechen in Zürich 21. Juli: Disputation zwischen Zwingli und den Lesemeistern in Zürich 21. September: Septembertestament 29. Januar: sogenannte Erste Zürcher Disputation Luther, Obrigkeitsschrift Niederbrennung der Mallerbacher Kapelle 13. Juli: Fürstenpredigt Müntzers Ausweisung Müntzers und Karlstadts aus Sachsen Januar: Täuferdisputation und Erste Glaubendentaufe in Zürich Disputation in Nürnberg Reformatorischer Abendmahlsstreit Schleitheimer Täufersynode Abschaffung der Messe in Straßburg

1. Die reformatorische Publikationsoffensive Wie zwei Züge, die mit hoher Geschwindigkeit aufeinander zurasen, kamen im Jahr 1520 zwei gegenläufige Entwicklungen zu ihren ersten Höhepunkten – und dem damit unausweichlichen Konflikt. Während der Prozess in Rom wieder Fahrt gewann, entwickelte auch Luther ein Publikationsprogramm, das seinesgleichen sucht und ihn endgültig zum ersten Medienstar des 16. Jahrhunderts machte. Die Rasanz, mit der er seine Veröffentlichungen vorantrieb, war zum Teil auch durch das Wissen um die Entwicklungen in Rom veranlasst, doch nicht nur. Offenkundig drängte es Luther auch, seine neuen Erkenntnisse zu entfalten und weiter unter das Volk zu bringen. Ende Mai schloss Luther seinen „Sermon von den guten Werken“ ab, der noch im selben Jahr acht weitere Auflagen erfuhr. Eindringlich entfaltete Luther hier seine Auslegung der Zehn Gebote, basierend auf dem einen Grundgebot: dem Glauben an Gott. Die Ambivalenz, den Glauben an Gott als „Das erste und hochste, aller edlist gut werck“ (WA 6, S. 204, Z. 25) und Wurzel aller anderen Werke zu preisen und doch auch und gerade ihn als

Publikationsoffensive Luthers

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Ausbreitung, „Wildwuchs“ und Umgestaltung

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Wirken Gottes allein im Menschen zu verstehen, machte die Stärke dieses Textes aus, der von sich aus und ohne Not eine Grundfrage an die reformatorische Botschaft beantwortete: wie nämlich christliches gutes Leben noch zu begründen sei, wenn die Rechtfertigungslehre doch die Werke zu destruieren schien. Eben das tat sie nicht, sondern sie gab ihnen einen neuen Stellenwert. Sie sollen nicht dazu dienen, Verdienste zu erbringen und so etwas für den Menschen zu leisten, sondern sie folgen frei und ungezwungen aus dem Glauben, durch den der Mensch die Rechtfertigung erfährt. Das weitere Publikationsprogramm gruppierte sich dann auf unterschiedliche Weisen um Vorstellungen von Freiheit: Wohl Mitte August 1520 kam Luthers Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung“ heraus. Im unmittelbaren Anschluss begann er die Arbeit an De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium, „Von der Babylonischen Gefangenschaft der Kirche ein Vorspiel“, die am 6. Oktober erschien. Kaum war dies geschehen, machte sich Luther an die nächste Schrift: „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Sie kam Anfang November auf den Markt. Tragen die beiden letztgenannten Schriften, die Freiheitsschrift direkt und De captivitate in der Umkehr des Titels, die Freiheit im Namen, so lässt auch der erste der drei Traktate diesen Zusammenhang leicht erkennen. Denn er beginnt mit einem martialischen Bild: Es gelte, die drei Mauern einzureißen, mit denen sich Rom beschütze: Mit der ersten stelle man in Rom die geistliche Gewalt über die weltliche, mit der zweiten behaupte man, die alleinige Auslegungskompetenz über die Schrift zu haben, und drittens beanspruche man das Recht, allein ein Konzil einzuberufen. Rom war, so Luthers Beschreibung, wie eine spätmittelalterliche Trutzburg gegen Angriffe durch die weltlichen Obrigkeiten, auf Grundlage der Heiligen Schrift oder durch ein Konzil, gewappnet – und es galt, eben diese Ummauerung zu bezwingen, wie einst die Israeliten die Mauern Jerichos überwunden hätten, damit die christliche Gewalt – da fällt dann auch das Stichwort der Freiheit – „yhr ampt (…) frey unvorhyndert“ üben könne (WA 6, S. 409, Z. 31). Wer Anfang des 16. Jahrhunderts in dieser Weise von Freiheit sprach, bewegte sich nicht in einem luftleeren Raum. Der Freiheitsdiskurs war längst da, und dies in einer auch politisch höchst brisanten Weise. Ulrich von Hutten, ein humanistisch gesonnener Adeliger, propagierte die Vorstellung einer „teutschen Freiheit“, die allem Romanischen entgegenstand; dass Hutten im November 1520 eine Ausgabe von Exsurge Domine herausbrachte und mit spöttischen Anmerkungen versah, stellte diese Allianz nur noch deutlicher vor Augen. Dabei griff Luther diese Facetten des Diskurses nicht unmittelbar auf, spielte aber publizistisch mit ihnen, wenn er Freiheitsvorstellungen mit einer unmittelbaren Anrede an die Adeligen deutscher Nation verband. Hinzu kam, dass das Programm, das er diesen vorstellte, in höchstem Maße nationale Belange betraf.

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Nation Die Vorstellung von Nationen bildete sich erst im späteren Mittelalter heraus, zunächst im Kontext der Universitäten und der Konzilien, die nach Nationen organisiert waren. Sie war aber auch auf Reichsebene präsent, wie die entstehende Bezeichnung als das Heilige Römische Reich deutscher Nation und die Rede von den Gravamina nationis Germanicae zeigen. Einen neuen Impuls gewann die Nationenvorstellung in humanistischen Kreisen durch die Wiederentdeckung der

Die reformatorische Publikationsoffensive

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„Germania“ des Tacitus, die es – unter Gleichsetzung von Germanen und Deutschen – erlaubte, eine antike Vorgeschichte der deutschen Nation zu konstruieren.

Zum einen nahm Luther viele Anliegen der spätmittelalterlichen Gravamina auf und wiederholte ihren Protest gegen die Aussaugung der Deutschen, ergänzte sie zudem um ein umfassendes Bildungsprogramm, in dem sich der Ursprung der reformatorischen Bewegung aus dem akademischen Milieu widerspiegelte. Zum anderen aber, und das machte die eigentliche aktuelle Spitze der Schrift aus, ließ er am Horizont erkennen, dass er sich zur Klärung der Probleme eine kirchliche Lösung im nationalen Rahmen vorstellte. Was in Frankreich gelungen war: die Verselbstständigung der Nationalkirche gegenüber Rom, war zwar keine ausdrückliche Forderung, schwang aber doch in dem Modell mit, das Luther skizzierte. So stellt die Adelsschrift ein markantes Plädoyer für eine Dezentralisierung der Kirchenleitung dar, ja, gab diesem durch die erwähnten Bilder von drei Mauern eine scharfe antizentralistische Spitze. Ihre nachhaltige Wirkung allerdings entfaltete sie durch den Bezug auf eine weitere spätmittelalterliche Spannung, nämlich durch das klare Votum zugunsten einer Erhöhung des Status der Laien, ja einer konsequenten Aufhebung des für mittelalterliche Frömmigkeit so belastenden Standesunterschieds zwischen Klerikern und Laien: „Dan was ausz der tauff krochen ist, das mag sich rumen, das es schon priester, Bischoff und Bapst geweyhet sey … Szo folget ausz dissem, das leye, priester, fursten, bischoff, und wie sie sagen, geistlich und weltlich, keinen andern unterscheyd ym grund warlich haben, den des ampts odder wercks halben, unnd nit des stands halbenn“ (WA 6, S. 408, Z. 11f., 26–28). Tendenzen in der spätmittelalterlichen Mystik intensivierend und transformierend, begründete Luther mit diesem Gedanken die Lehre vom allgemeinen Priestertum aller Getauften – und sprach jeder rechtlichen Distinktion der Kleriker von den Laien die theologische Legitimität ab. Der historisch so schwer zu erklärende Vorgang, dass aus einer theologischen Reformbewegung politische Handlungsoptionen entsprangen, findet hier in einzigartiger Verdichtung seine Erklärung: Die Unmittelbarkeit zu Gott, die durch die Rechtfertigungsbotschaft, in welcher es keine Vermittlungsinstanzen, sondern nur den sich dem Glaubenden zuwendenden Gott gibt, begründet lag, gewann politische Relevanz, und dies aus theologischer Notwendigkeit, weil sie theologisch begründeten Rechtsetzungen des Mittelalters den Boden entzog. Und Luther folgerte hieraus, dass auch Laien, vor allem aber die Adeligen, das Recht besaßen, kirchenreformend tätig zu werden – damit war die Grundlage dafür geschaffen, dass wenige Jahre später tatsächlich Obrigkeiten in Deutschland das Heft des Handelns ergreifen konnten. Für Luther selbst war damit der Anfang seiner politiktheoretischen Überlegungen gesetzt, die er wenige Jahre später, 1523, in der Schrift „Von weltlicher Oberkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“ weiterentwickelte, in welcher er seine Zwei-Regimente-Lehre entfaltete und der Obrigkeit eine klar begrenzte Aufgabe im Auftrag Gottes zuwies. Zwei-Reiche-Lehre Luthers sogenannte Zwei-Reiche-Lehre, die er 1523 in der Obrigkeitsschrift darlegte, ist vielfach durch Entwicklungen und Debatten des 19. und 20. Jahrhun-

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derts überlagert. Nach ihr hat die Tatsache, dass in der Menschheit das Reich Gottes und das Reich der Welt untrennbar miteinander vermischt sind (Zwei-Reiche-Lehre), eine zweifache Regierweise Gottes zur Folge (Zwei-Regimente-Lehre): Einerseits regiert Gott vermittels des Gesetzes, das in seinem sogenannten politischen Gebrauch (usus politicus) den Menschen durch Verbot und Strafe an der Entfaltung seiner Sünde hindert; hierzu bedient er sich der Obrigkeit. Andererseits bedient er sich des geistlichen Amtes in der Kirche, um den Menschen durch das Gesetz im theologischen oder überführenden Gebrauch (usus theologicus oder elenchthicus) ihre Sündhaftigkeit aufzuweisen und ihnen durch das Evangelium die Heilsverheißung Gottes zuzusprechen. Über Thomas Hobbes ist diese Begründung politischer Herrschaft in der Defizienz des Menschen in die moderne Politiktheorie eingegangen.

allgemeines Priestertum

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Innerhalb des Diskurses des Jahres 1520 wirkte die Lehre vom allgemeinen Priestertum, die in der Freiheitsschrift nicht bloß wiederholt, sondern darüber hinaus auch noch einmal theologisch unterfüttert wurde, geradezu bahnbrechend – so wie auch das Programm von De captivitate Babylonica in das Zentrum der offiziellen Kirchlichkeit des Mittelalters reichte. Grundlegend analysierte Luther darin die Gestalt sakramentaler Heilsvermittlung im Mittelalter. Sakrament könne nur etwas sein, worin sich ein äußeres Zeichen mit einer Verheißung verbinde. Das treffe aber nur für Taufe und Abendmahl zu, bedingt noch für die Buße, die man, obwohl ihr das äußere Zeichen fehle, von der Taufe her verstehen könne. Firmung, Weihe, Ehe und Letzte Ölung aber konnten nach diesem Maßstab nicht mehr wie im Mittelalter als Sakramente gelten. Damit waren die Grundlagen mittelalterlicher kirchlicher Frömmigkeit infrage gestellt, aber nicht nur diese. Die Ausführungen zur Ehe zeigten auch, dass Luther sich im rechtlichen Bereich auf neue Bahnen bewegen musste, wenn diese nicht nur ihren sakramentalen Charakter, sondern auch ihren rechtlichen Definitionsrahmen, wie er sich bislang im Kirchenrecht gefunden hatte, verlor.

Freiheitsschrift aus: WA 7, S. 25, Z. 26 – S. 26, Z. 4 Nit allein gibt der glaub ßovil, das die seel dem gottlichen wort gleych wirt aller gnaden voll, frey und selig, sondernn voreynigt auch die seele mit Christo, als eyne brawt mit yhrem breudgam. Auß wilcher ehe folgt, wie S. Paulus sagt, das Christus und die seel eyn leyb werden, ßo werden auch beyder gutter fall, unfall und alle ding gemeyn, das was Christus hatt, das ist eygen der glaubigen seele, was die seele hatt, wirt eygen Christi. So hatt Christus alle guetter und seligkeit, die seyn der seelen eygen. So hatt die seel alle untugent und sund auff yhr, die werden Chisti eygen. Hie hebt sich nu der froelich wechßel und streytt. Die weyl Christus ist gott und mensch, wilcher noch nie gesundigt hatt, und seyne frumkeyt unuebirwindlich, ewig und almechtig ist, ßo er denn der glaubigen seelen sund durch yhren braudtring, das ist der glaub, ym selbs eygen macht und nit anders thut, denn als hett er sie gethan, ßo mussen die sund ynn yhm vorschlundenn und erseufft werden, Denn sein unueberwindlich gerechtigkeyt ist allenn sunden zustarck, also wird die seele von allen yhren sunden, lauterlich durch yhren malschatzs, das ist des glaubens halben, ledig und frey, und begabt mit der ewigen gerechtickeit yhrs breuedgamß Christi.

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Die reformatorische Publikationsoffensive

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Mit diesen drei Traktaten, die daher gelegentlich als „reformatorische Hauptschriften“ zusammengefasst werden, war klar, dass aus dem Streit um Theologie und Frömmigkeit ein Konflikt um Kirche und Recht geworden war. Luther hatte an die Adeligen und auch an die städtischen Räte appelliert, eine Änderung der Kirche herbeizuführen – nun war es an diesen, zu entscheiden, wie sie damit umgehen wollten: ob sie bei den alten Strukturen bleiben oder die neuen Anregungen nutzen wollten, um Anliegen umzusetzen, die schon seit dem späten Mittelalter virulent waren. Doch nicht allein der Inhalt der Schriften war bedeutsam, sondern auch und vor allem ihre mediale Präsentation: Luther hatte nun endgültig erkannt, welche Bedeutung die sich herausbildende Öffentlichkeit für gesellschaftliche Prozesse besaß. So ist es schon eine Nachricht in sich, dass die Schrift „An den christlichen Adel“ eben nicht einfach in großer Anzahl als Privatbrief an die Herrschenden versandt wurde, sondern dass es sich hier um eine öffentlich in den Druck gegangene Schrift handelte. Als Flugschrift zählte sie zu der mit der Reformation anschwellenden Flut der Tagespublizistik. Flugschriften und Flugblätter setzten die seit den frühen Disputationen zu beobachtende Tendenz, Konflikte im Sinne einer normativen Zentrierung auf binäre Alternativen zu reduzieren, medial um – am ausdrucksstärksten hierfür ist die Bild- und Textfolge „Passional Christi und Antichristi“, die Lukas Cranach Mitte Mai 1521 herausbrachte: Der Leser und Betrachter konnte hier Seite für Seite eine Gegenüberstellung Christi zum Papst nachvollziehen, deren einziger Sinn es war, deutlich zu machen, wie sehr der Letztere von Christus selbst abwich. Ein anderes Bild, mit dem die antipäpstliche Polemik reüssierte, war der sogenannte „Papstesel“, den Philipp Melanchthon 1523 in einer gemeinsam mit Luther herausgebrachten Flugschrift deutete: eine angeblich im Tiber gefundene Monstrumsfigur, anhand derer die Fehler des Papsttums aufgewiesen wurden. Nicht allein zur Abgrenzung konnten diese Medien benutzt werden, sondern auch zum positiven Verweis auf die eigene Botschaft und vor allem auch die sie tragenden Personen: Abbildungen Luthers kursierten, die den Mönch und Professor aus Wittenberg bald zu einem der bekanntesten Imageträger in Deutschland machten. Man kannte eine Botschaft, ein Gesicht und einen Feind: So konnte sich leicht eine proreformatorische Front in Deutschland bilden, deren rasantes Wachstum sich auch quantitativ nachvollziehen lässt. Flugschriften und Flugblätter Flugschriften sind nicht-periodische Druckschriften mit dem Ziel aktueller Orientierung eines anonymen Publikums angesichts bestimmter aktueller Herausforderungen. Sie zielten auf raschen Konsum und waren daher handlich, im Umfang knapp und inhaltlich eingängig. Das mit dem heute missverständlichen Ausdruck Flugblatt bezeichnete Medium war nicht zur allgemeinen Verteilung, sondern eher zum öffentlichen Anschlag gedacht. Es handelte sich präzise gesprochen um Einblattdrucke, auf denen Nachrichten und vor allem Meinungen oft in knappen Texten oder auch in einprägsamen Bildern präsentiert wurden.

Bernd Moeller hat – unter der freilich nicht ganz gesicherten Annahme, dass man pro Auflage mit einer Druckanzahl von ca. 1000 Stück rechnen könne – den frappierenden Erfolg Martin Luthers als Autor berechnet: Bereits Ende 1519 waren demnach mehr als 250 000 Exemplare von Luther-

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Flugschriftenpublizistik

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drucken verkauft, 1520 wären es dann schon doppelt so viel gewesen, 1525 hätte die Luther-Gesamtauflage 1,7 Millionen Stück erreicht – eine beachtliche Zahl, wenn man bedenkt, dass das Reich seinerzeit etwa 18 bis 19 Millionen Einwohner hatte, von denen nur ein kleiner Anteil – vorwiegend die städtische Bevölkerung – selbst lesen konnte. Die Zahlen beeindrucken umso mehr, wenn man einbezieht, dass der Erwerb dieser Schriften trotz ihres handlichen Formats nicht billig war. Untersuchungen haben ergeben, dass für etwa zehnblättrige Schriften mit einem Kaufpreis von drei bis vier Pfenning zu rechnen ist – das entspricht immerhin etwa einem Viertel des Stundenlohns eines Tagelöhners. Und Luther war ja nicht der einzige Autor. Insgesamt wird für die Jahre 1500–1530 mit ca. 10 000 Flugschriften gerechnet – nach dem von Moeller zugrunde gelegten Maßstab wären dies also 10 Millionen einzelne Druckausgaben, und dies hatte wiederum einen klaren Höhepunkt in den Jahren 1517–1525. Für Augsburg ist beobachtet worden, dass die Anzahl der Drucke, die die dortigen Offizinen verließen, ab 1517 sprunghaft von unter 50 Exemplaren pro Jahr auf um die 300 anstieg. Bernd Moeller hat für Erfurt gezeigt, dass man bis 1518 von durchschnittlich 13 Drucken pro Jahr ausgehen kann, während es in den Jahren 1520–1525 im Schnitt 100 waren. Es gibt also gute Gründe, die Reformation als „Medienrevolution“ zu bezeichnen (Johannes Burkhardt). Aus den verkauften Exemplaren kann man zwar nicht unmittelbar auf die Meinung der Rezipienten schließen: Jede Rezeption ist in sich ein verfremdender Vorgang, erst recht, wenn sie, wie man für die Flugschriften annehmen muss, vielfach nicht direkt durch eigene Lektüre, sondern vermittelt durch Vorleser erfolgte. Aber man sieht doch, dass die Öffentlichkeit in einer bis dahin nicht gekannten Weise ein Thema hatte, das interessierte und immerhin so weit bewegte, dass man bereit war, auch finanziell einiges zu investieren: Die Fragen der reformatorischen Bewegung elektrisierten das Publikum. Die Verschiebung des Buchmarktes lässt sich ebenfalls eindrücklich an drucktechnischen Berechnungen wahrnehmen, wie sie Hans-Jörg Künast für Augsburg, eine der aktivsten Druckerstädte, durchgeführt hat: Während die Anzahl der Drucke anstieg, blieb die Menge der verbrauchten Foliobögen unter dem Stand mancher Jahre vor 1500. Anders gesagt: Die Drucke wurden, eben wegen des Erfolgs der Flugschriften, mehr, aber deutlich knapper. Das ist Ausdruck dessen, dass sich der Verbrauchsmarkt von liturgischer und gelehrter Verwendung zu individueller Lektüre verschob – und damit die aktiv an der Lesekultur partizipierenden Kreise breiter wurden. Das Bürgertum, das schon im späten Mittelalter im Sinne der verinnerlichenden Aneignung der Religion, auf eigene Lektüre gedrungen hatte, wurde nun eben hiermit reichlich versorgt. Diese Ausweitung der Lesekultur ermöglichte dann auch ein verlegerisches Großprodukt: Luthers Bibelübersetzung. Um den 21. September 1522 erschien zunächst das von Luther während seines Aufenthalts auf der Wartburg 1521/22 übersetzte Neue Testament, 1534 war das gesamte Werk vollendet. Es war keineswegs die erste Bibelübersetzung ins Deutsche – schon vor der Reformation gab es 14 oberdeutsche und vier niederdeutsche gedruckte Vollbibeln –, aber die Verbindung mit der Reformation und der von ihr angestoßenen Lesebewegung sowie ihre sprachliche Gestalt gaben der Lutherbibel eine kulturprägende Wirkung. Luther bediente sich in ihr der sächsischen Kanzleisprache und

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Die reformatorische Publikationsoffensive damit einer Sprachvariante, die in ganz Deutschland verstehbar war. Die Bibelübersetzung und Luthers literarisches Schaffen profitierten hiervon, so wie sie umgekehrt dazu beitrugen, dass die sächsische Kanzleisprache das moderne Frühneuhochdeutsch mitprägte. Auf dem Buchmarkt war Martin Luther der alles überragende Star, doch es gab auch andere erfolgreiche Autoren. So verfasste der Basler Franziskaner Johann Eberlin von Günzburg (gest. 1533) im Jahre 1521 gleich einen ganzen Zyklus von „Fünfzehn Bundesgenossen“, der von dem Ruf nach Reform durchdrungen war, noch ehe sich Eberlin ganz der neuen reformatorischen Bewegung zugewandt hatte. Erst 1522 wechselte er zum Studium nach Wittenberg. Flugschriften konnten so auch die Ambivalenzen der Zeit zum Ausdruck bringen – und sie konnten natürlich auch gegen die Reformation eingesetzt werden: Zu deren aktivsten Gegnern gehörte der Straßburger Franziskaner Thomas Murner (gest. 1537). Noch 1520 antwortete er in mehreren Traktaten auf Luthers Publikationen, 1521 folgte sein ausführliches, bebildertes Gedicht „Von dem großen lutherischen Narren“, mit dem er sich in die Tradition der Narrendichtungen etwa eines Sebastian Brant (gest. 1521) stellte und sich bemühte, Spötter und Publikum auf seine Seite zu ziehen. Die Öffentlichkeit war zum Kampfplatz des Meinungsdisputs geworden. Neben den theologischen Themen wurden dabei auch soziale Fragen diskutiert, häufig mit einem antiklerikalen Unterton. Zu einer Figur, die sich durch mehrere Texte hindurchzog, wurde der „Karsthans“, die Gestalt des einfachen Bauern, der die Herrschenden, zumal die Bischöfe zur Rechenschaft zog. Ein beliebtes Stilmittel war dabei der Dialog, der in ähnlicher Weise wie die universitäre Disputation die Möglichkeit bot, Alternativen klar zu benennen und Identifikationsangebote zu machen. Schon dies zeigt an, dass die Flugschriften Rezipienten weit über die im weiteren Sinne gebildeten Kreise hinaus suchten. Auch die Autorschaft weitete sich aus. So lassen sich zahlreiche Handwerker nachweisen, die sich im Medium der Flugschrift äußerten. Der Bekannteste unter ihnen ist Hans Sachs (1494–1576), der Nürnberger Schuhmacher, der im Laufe des Jahrhunderts ein umfassendes dichterisches Werk vorlegen sollte. 1523 veröffentlichte er die „Wittenbergisch Nachtigall“, in der er Luther als den neuen Propheten pries. Der Appell an das Priestertum aller Glaubenden gewann so Gestalt im Laienengagement, und dies in der Hochzeit der reformatorischen Option für die Laien: Im selben Jahr hat Luther in einem Gutachten für die Böhmen wie auch in der vielfach gedruckten Schrift „Daß eine christliche Versammlung oder Gemeine Recht und Macht habe, alle Lehre zu urtheilen und Lehrer zu berufen, ein und abzusetzen, Grund und Ursach aus der Schrift“ aus Anlass einer Anfrage der Gemeinde von Leisnig eine klare Option für eine von den Gemeinden ausgehende Konstitution der neuen Kirche formuliert – erst die weiteren Ereignisse (s. Kapitel 3) führten dazu, dass dieses Modell zugunsten einer anderen Variante des Laienprinzips, nämlich der obrigkeitlichen Reorganisation der Kirche, hintangestellt wurde. Nicht nur Standesgrenzen konnten überwunden werden, sondern auch die Grenzen der Geschlechter: Der boomende Flugschriftenmarkt brachte es mit sich, dass auch Frauen als Autorinnen von Flugschriften auftraten. So engagierte sich, ebenfalls 1523, die Adelige Argula von Grumbach (gest. ca. 1568) in Flugschriften, als sie davon hörte, dass die Universi-

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Autorschaft

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tät Ingolstadt den Magister Arsacius Seehofer zum Widerruf seines reformatorischen Bekenntnisses gezwungen hatte, und Katharina Schütz-Zell (1497–1562) verteidigte 1524 in einer Flugschrift ihren Mann, den Straßburger Pfarrer Matthäus Zell (1477–1548), gegen üble Nachrede.

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Frauen und Reformation In der jüngeren Forschung wird das Verhältnis von Frauen und Reformation ambivalent beurteilt. Einerseits ist es offenkundig, dass der Gedanke des allgemeinen Priestertums auch eine Aufwertung von Frauen mit sich brachte, die sich gelegentlich in einem entsprechenden publizistischen Engagement äußerte. Andererseits blieben bei der in der zweiten Hälfte der Zwanzigerjahre einsetzenden Institutionalisierung der Reformation Frauen weiterhin vom Pfarramt und anderen kirchenleitenden Funktionen ausgeschlossen. Mit den Klöstern verschwand im reformatorischen Bereich auch das einflussreiche Amt der Äbtissin, sodass in manchen sozialen Bereichen sogar die Partizipationsmöglichkeit von Frauen zurückging. Wiederum profitieren auch Mädchen und Frauen von den Bildungsimpulsen, die die Reformation aufgrund der theologischen Begründung allgemeiner Bibellektüre freisetzte.

Dies ist auch ein Beispiel dafür, dass die Flugschriften gelegentlich mit lokal bedingten Konflikten und Debatten verzahnt waren: Der Buchmarkt des 16. Jahrhunderts schuf einerseits eine allgemeine Öffentlichkeit, andererseits gab es auch – allein schon durch die Verbreitungswege des Buchhandels – faktisch unterschiedliche Reichweiten für die Publikationen. So konnten Auseinandersetzungen zugleich regional und überregional geführt werden. Eine ganze Gattung von Flugschriften etwa besteht aus Stellungnahme von Predigern, die ihre Gemeinden wegen der neuen Lehre verlassen mussten und nun ihre bisherige Tätigkeit zugleich der Gemeinde wie der Öffentlichkeit gegenüber legitimieren. Derart mit den lokalen Ereignissen verbunden war in den Anfängen auch das publizistische Engagement von Huldrych Zwingli. Die wichtigste reformatorische Flugschrift seiner Anfangszeit „Von Erkiesen und Freiheit der Speisen“ erschien kurz nach Ostern 1522 im Druck. Sie ging auf eine Predigt zurück, die ihrerseits einen konkreten Anlass hatte: In der Offizin (Druckwerkstatt) von Christoph Froschauer hatten sich zu Beginn der Fastenzeit 1522 mehrere Personen zu einem Wurstessen, also einem demonstrativen Bruch der Fastenregeln, getroffen. Auch Zwingli war dort gewesen, hatte sich allerdings mit Rücksicht auf seine Verpflichtungen als Geistlicher nicht an der verbotenen Mahlzeit beteiligt. Doch er legitimierte sie wenig später durch eben jene Predigt, aus der die genannte Flugschrift hervorging. Diese bot eine weitere folgenreiche Transformation seiner scotistischen Grundüberzeugung vom unendlichen Gegensatz von Schöpfer und Geschöpf, nämlich die Lehre, dass Fastengebote deswegen nicht bindend seien, weil sie von Menschen und nicht von Gott erlassen seien. So generierte er nun im spezifischen Zürcher Kontext die eigene strenge Variante des Schriftprinzips, nach der allein das, was sich in der Bibel fand, Anspruch auf Geltung besitzen könne. Diese Geltung war dann allerdings auch positiv bindend. Die Funktion der biblischen Vorschriften als Anleitung für ein christliches Leben betonte Zwingli in den folgenden Jahren stärker als die Wittenberger. Eine klare Formulierung fand er für seine Hermeneutik in der ebenfalls noch 1522 erschienenen Flugschrift „Von Klarheit und Gewissheit des Wortes Gottes“.

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Disputationen im städtischen Kontext

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2. Disputationen im städtischen Kontext Die Ereignisse spitzten sich in Zürich infolge des Fastenbruchs in bemerkenswerter Weise zu. Die städtische Gemeinschaft musste nicht nur nach Antworten auf die drängenden Fragen suchen, sondern sah sich auch der Aufgabe ausgesetzt, Verfahren zu finden, die auf eine allgemein verbindliche Weise Entscheidungen herbeiführen konnten. Rein formal wäre hierfür der Konstanzer Bischof zuständig gewesen, in dessen Diözese Zürich lag. Aber das Phänomen einer breiten öffentlichen Meinung machte auch Gegnern der Reformation deutlich, dass eine rein autoritative Entscheidung durch das kirchliche Oberhaupt jedenfalls nicht Frieden bringen könnte. So hat schon der Chorherr Konrad Hoffmann, als er Ende 1521 oder Anfang 1522 eine Anklageschrift gegen die Neuerungen, die der Leutpriester Zwingli bewirkte, vorlegte, an deren Ende den frappierenden Vorschlag einer städtischen Disputation präsentiert: Vor dem Kapitel des Großmünsters und dem städtischen Rat sollten Zwingli und seine Gegner ihre Anliegen vortragen und austauschen, und am Ende sollte alles, den kirchenrechtlichen Strukturen gemäß, dem Bischof zur Entscheidung vorgelegt werden. Offenkundig orientierte Hoffmann sich hier an den universitären Verfahren und zog so die Konsequenz daraus, dass die Reformation zu einem öffentlichen Thema gemacht hatte, was zunächst im akademischen Rahmen verhandelt worden war. Der bahnbrechende Vorschlag wurde bald aufgenommen, aber auch zugespitzt, offenkundig weil der Rat der Stadt rasch einsah, dass hier die Chance zu pazifizierendem Eingreifen in die schwelenden Konflikte bestand. Als am 15. Juli 1522 der Franziskaner Franz Lambert von Avignon im Zürcher Fraumünster über die Fürbitte Mariens und der Heiligen predigte, unterbrach Zwingli ihn lauthals: „bruoder, da irrest du!“ Ein solcher Akt der Konfliktinszenierung durch öffentliche Gottesdienststörung, noch dazu durch einen Geistlichen, musste den Rat auf den Plan rufen. Dieser berief für den 21. Juli eine Disputation zwischen Zwingli und den Lesemeistern der Bettelorden in Zürich ein und gestattete als deren Ergebnis Zwingli formell die Predigt nach der Schrift. Heiko Augustinus Oberman hat zu Recht darauf hingewiesen, dass eigentlich dieser Vorgang als die „erste Zürcher Disputation“ zu bezeichnen ist – ein Begriff, der gemeinhin der ein halbes Jahr später stattfindenden Veranstaltung vorbehalten wird: Wieder lud der Rat für den 29. Januar 1523 zu einer Disputation ein, die nun in großer Öffentlichkeit stattfinden sollte; auch der Bischof von Konstanz war geladen, ohne dass ihm eine besondere Rolle zugebilligt worden wäre. Damit drückte der Rat formal aus, was schon zuvor faktisch vollzogen war: dass er selbst sich anstelle des Bischofs die Kompetenz zumaß, über Glaubensdinge, jedenfalls über die öffentliche Predigt in seiner Stadt zu entscheiden. Das konnte er dann auch ungehindert tun, da der Bischof nicht erschien und sein Gesandter Johannes Fabri sich weitgehend darauf beschränkte, gegen das gewählte Verfahren zu protestieren. Damit konnte der Rat der Stadt Zürich feststellen, dass Zwingli ja nicht widerlegt worden sei, und ihm weiter die Predigt nach dem Evangelium erlauben. Die Inszenierung als Disputation hatte dabei einerseits den Zweck einer Pazifizierung

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der Bürgerschaft erfüllt, andererseits, ganz im Sinne der akademischen Anfänge, den einer klaren Formierung von Alternativen: Man konnte sich nun für oder gegen die reformatorische Bewegung entscheiden – ein Dazwischen war nicht vorgesehen. So hatten die Zürcher mit dieser städtischen Disputation ein Medium geschaffen, das sich auch in den folgenden Jahren als bestens geeignet erweisen sollte, den Reformationen in den Städten zum Durchbruch zu verhelfen.

3. Städtische Reformationen Zürich ist ein hervorgehobenes Beispiel dafür, dass allgemein die Städte zum Nährboden der Verbreitung der reformatorischen Bewegung wurden. Durch sein grundlegendes Buch „Reichsstadt und Reformation“ hat Bernd Moeller diesen Gedanken in die Forschung eingebracht und hierfür seitdem durchweg Zustimmung erfahren. Für die erste Stufe der reformatorischen Entwicklung waren die Städte von entscheidender Bedeutung. In ihnen hat sich der spätmittelalterliche Zug zur Dezentralität in besonderer Weise entfaltet. Dabei waren die Entwicklungen in den Städten oft zäh und auch von manchem Hin und Her gekennzeichnet. Eine feste Abfolge von Entwicklungsschritten lässt sich nicht benennen. Allerdings spielte in vielen Städten die öffentliche Disputation nach Zürcher Muster eine gewichtige Rolle. Die definitive Einführung der Reformation kann man in der Regel an der Abschaffung des mittelalterlichen Messgottesdienstes festmachen – ungeachtet aller liturgischen Unterschiede jedenfalls in der Weise, dass das Abendmahl unter beiderlei Gestalt gespendet wurde. Dass die Städte eine derart wichtige Vorreiterrolle für die Ausbreitung neuer Ideen spielen konnten, lag an dem dichten sozialen Gefüge. Die reformatorische Publikationsoffensive erreichte in erster Linie die städtische Bevölkerung, da sich hier der größte Teil der Lesefähigen fand. Nach dem beschriebenen Muster der Verbindung aus Vertrautem und Neuem griff das städtische Bürgertum, welches schon seit dem späten Mittelalter im Sinne der kognitiven Verinnerlichung ein starkes Interesse an religiöser Literatur entwickelt hatte, begierig die reformatorische Theologie auf, die spätestens mit der Verurteilung Martin Luthers klar als Abweichung von der mittelalterlichen Kirche und Theologie gebrandmarkt – oder in gewisser Hinsicht auch ausgezeichnet – war. Hinzu kam, dass die Städte in ihren Räten über eigene Entscheidungsträger verfügten und so neue Erkenntnisse auch tatsächlich effektiv umsetzen konnten. Allerdings ist hierbei der Unterschied von Freien und Reichsstädten einerseits und landsässigen Städten andererseits zu beachten.

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Freie und Reichsstädte 1521 gab es ungefähr 65 Reichsstädte im Heiligen Römischen Reich, die meisten davon in Oberdeutschland. Es handelt sich dabei um Städte, die unmittelbar dem König untertan waren und durch verschiedene Privilegien eine eigene Verwaltung auf- und ausbauen konnten. Die Ferne des Herrschers stärkte ihre weitreichende Autonomie. Seit dem Frankfurter Reichstag von 1489 bildeten sie innerhalb des Reichstages ein eigenes Kollegium und besaßen so auch ein, gegenüber

Städtische Reformationen

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den anderen Kollegien der Reichsstände – den Kurfürsten einerseits, den anderen geistlichen und weltlichen Fürsten andererseits – freilich abgeschwächtes Mitgestaltungsrecht auf Reichsebene. Die Freien Städte hingegen, von denen seit dem frühen 14. Jahrhundert gesprochen wird, unterstanden in der Regel ursprünglich einem bischöflichen Stadtherren, hatten sich aber durch den Schutz des Königs hieraus gelöst und so einen den Reichsstädten ähnlichen Status erreicht. Daher wurden seit dem 15. Jahrhundert beide Stadttypen als eine gemeinsame Gruppe behandelt. Landsässige Städte sind demgegenüber Städte, die direkt einem Landesherren unterworfen waren und damit in der Regel ein geringeres Maß an Freiheit besaßen, auch wenn einzelne Städte, etwa durch die Beteiligung am Städtebund der Hanse, eine erhöhte Eigenständigkeit erlangen konnten.

Erstere hatten eine größere Möglichkeit eigenständig zu agieren und mithin auch die Reformation umzusetzen. Dies hat in der Forschung zu einer besonderen Konzentration auf die Vorgänge in ihnen geführt – Paradebeispiele sind Straßburg, Konstanz, Nürnberg oder Ulm. Schon die Nennung dieser Städte zeigt, dass das damit verbundene Phänomen ein vorwiegend südbzw. südwestdeutsches ist: Hier gab es eine besondere Konzentration von Reichsstädten. Deswegen ist im Blick auf andere Regionen Deutschlands zum Verständnis der Auswirkung der städtischen Entwicklungen auf die territoriale Reformation auch das Phänomen der landsässigen Städte zu beachten – aus der Perspektive der Territorialherren kam es hier zu einem regelrechten „Wildwuchs“ der Reformation (Franz Lau). Als hervorgehobenes Beispiel hierfür kann Wittenberg selbst gelten, eine landsässige Stadt, die als Residenz- und Universitätsstadt zudem in ein besonderes Spannungsgefüge gesetzt war. Neuere Forschungen haben deutlich gemacht, dass die Anfänge der Reformation hier in eine Situation hineingerieten, in der sich schon länger eine städtische Gemeinschaft darum bemühte, ihre Identität und Selbstständigkeit in Abgrenzung von der bischöflichen Einflussnahme zu entwickeln (Natalie Krentz). Die Reformation erscheint so als Beschleunigung und Intensivierung einer länger anhaltenden Entwicklung. Insbesondere zeigt sich in Wittenberg auch die Pluralität der agierenden Kräfte. Einen entscheidenden Impuls gewann die städtische Reformation in Wittenberg nämlich ausgerechnet zu der Zeit, als sich Martin Luther nach dem Wormser Reichstag (s.u. S. 52–54) 1521/22 auf der Wartburg befand. Luther auf der Wartburg Am 4. Mai 1521 wurde Martin Luther von seinem Landesherrn Friedrich dem Weisen auf die Wartburg verbracht, um Leib und Leben vor Bedrohung zu schützen. Als „Junker Jörg“ lebte er dort mit nur kurzer Unterbrechung inkognito, bis ihn die Ereignisse in Wittenberg Anfang März veranlassten, zurückzukehren. Auf der Burg war er literarisch ungeheuer produktiv. Das bedeutendste Ergebnis dieser Phase ist die Übersetzung des Neuen Testaments, die im September 1522 in Wittenberg von Melchior Lotter gedruckt wurde („Septembertestament“).

„Wittenberger Unruhen“

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Seine Abwesenheit löste in Wittenberg eine Autoritätskrise aus, die sich zunächst im Streit um die Frage seiner Nachfolge als Prediger an der Stadtkirche äußerte. Er selbst versuchte, Philipp Melanchthon in diese Position zu bringen, aber das Allerheiligenstift an der Schlosskirche, das hier zu befragen war, verweigerte sich dem angesichts des Umstands, dass Melanchthon kein geweihter Priester war. So blieb die Stelle vakant, und es entwickelte

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Ausbreitung, „Wildwuchs“ und Umgestaltung

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sich rasch ein neues Kräfteverhältnis. Einerseits drängte Andreas Karlstadt, der erst zögerlich, dann aber mit großer Energie Luther in seinem reformatorischen Neuansatz gefolgt war, auf die zentrale Position in der Stadtkirche, andererseits rückte im Augustinerkloster mit Gabriel Zwilling (gest. 1558) ein weiterer Protagonist in den Mittelpunkt, der energisch auf Reformen drängte. Im Mittelpunkt stand dabei insbesondere die Änderung der Messe. Bereits am 29. September 1521 empfing Melanchthon mit seinem Schülerkreis das Abendmahl unter beiderlei Gestalt.

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Abendmahl unter beiderlei Gestalt Im hohen Mittelalter hatte vor allem die skrupulöse Furcht von Laien, Blut Christi zu verschütten, dazu geführt, dass in der Eucharistie den Laien nur das Brot ausgeteilt wurde, der Wein hingegen dem Priester vorbehalten blieb; erklärt wurde dies mit der Konkomitanzlehre, nach der unter jedem Element der ganze Christus präsent sei. Bereits die hussitische Bewegung in Böhmen hatte sich im 14. Jahrhundert gegen den Brauch gewandt und die Forderung, das Abendmahl sub utraque, unter beiderlei Gestalt, zu empfangen, zu ihrem Symbol gemacht („Utraquismus“). Daher verband sich die Forderung nach dem Abendmahl unter beiderlei Gestalt einerseits mit bekannten Formen des Protestes, andererseits mit der Vorstellung verstärkter Laienpartizipation.

Immer stärker wandten sich die Reformer auch gegen die Privatmessen und damit einen zentralen Baustein spätmittelalterlicher Solidarität zwischen Lebenden und Verstorbenen. Für die sich entwickelnde reformatorische Lehre waren diese untragbar, weil sie voraussetzten, dass die Messe ein Opfer darstellte, das von der Kirche Gott dargebracht wurde, um Gutes für die Menschen zu bewirken. Dem wurde die reformatorische Rechtfertigungslehre entgegengehalten, die alle Gaben und alle Gnade von Gott allein erwartet.

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Privatmessen Die Privatmessen, von der reformatorischen Bewegung bald als „Winkelmessen“ verpönt, wurden vom Priester ohne Gemeindebeteiligung in der Regel vor Seitenaltären in den großen Kirchen vollzogen. Sie dienten bestimmten Stiftungszwecken, für die um Gottes Wohlgefallen gebetet wurde. Der darin vorausgesetzte Opfergedanke hatte seinen theologischen Grund in der Kreuzigung Christi auf Golgotha, ließ aber in den Deutungen Spielraum für den Gedanken menschlicher Mitwirkung.

Hinzu kam Kritik an der Bindekraft der Mönchsgelübde, die Zwilling offen attackierte. Bereits Ende November war mehr als ein Drittel der Mitglieder des Wittenberger Augustinerkonvents tatsächlich ausgetreten. Die Entwicklungen beschleunigten sich rasant. An mehreren Stellen schien das in Wittenberg ohnehin schon aufgrund länger andauernder Konflikte poröse alte Wertesystem gleichzeitig zu bröseln, und es kam entsprechend zu innerstädtischen Konflikten, vor allem mit dem an der Schlosskirche angesiedelten Allerheiligenstift. Bald traten zu den akademischen Disputationen, an welchen sich durch von der Wartburg aus geschriebene Schriften, insbesondere seine Stellungnahmen zu den Mönchsgelübden, die Themata de votis und das De votis monasticis iudicium, auch Martin Luther beteiligte, Predigten, gottesdienstlichen Änderungen und Klosteraustritten als Form massiver Konfliktinszenierung auch, ähnlich wie im folgenden Jahr in Zürich,

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Städtische Reformationen

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symbolische Störungen: Am 3. Dezember erregten Studenten im Gottesdienst in der Stadtkirche eine solche Unruhe, dass keine ordentliche Messe stattfinden konnte; angeblich waren sie dabei sogar bewaffnet. Zunehmend wurde neben den Studenten von den Aktivitäten auch die Bürgerschaft erfasst: Im Dezember 1521 formierte sich eine Protestgruppe in der Gemeinde; zwar ist ihr Programm – gelegentlich hat man sechs Artikel, darunter auch sozialpolitische Punkte wie die Schließung von Kneipen und Bordellen benannt – aus quellenkritischen Gründen nicht eindeutig zu identifizieren, aber der Vorgang als solcher zeigt doch ein weitreichendes Gären im städtischen Milieu an. Der von der Universität ausgegangene Konflikt verband sich immer deutlicher mit der schon zuvor entstandenen städtischen Bewegung und nahm so an Schlagkraft, aber auch an Potenzial zu öffentlichem Ärgernis zu. Zum symbolisch zentralen Ereignis wurde eine evangelische Weihnachtsfeier in der Stadtkirche, die Andreas Karlstadt ohne liturgische Gewänder und unter Verzicht auf alle Textstücke, die einen Opfercharakter der Messe implizierten, hielt. Besondere Aufmerksamkeit der Zeitgenossen fand die Spendung des Abendmahls unter beiderlei Gestalt, die nun nach gelegentlichem Vorlauf im kleinen Kreis erstmals in voller Öffentlichkeit stattfand. Nach Augenzeugenberichten sollen 2000 Menschen daran teilgenommen haben: Das wäre im wahrsten Sinne des Wortes die gesamte Einwohnerschaft von Wittenberg gewesen. Selbst wenn dies übertrieben sein mag, zeigen solche Angaben doch, dass die Ereignisse hier kumulierten. Sie spitzten sich noch weiter zu, als Ende des Jahres endzeitliche Prediger nach Wittenberg kamen, die von ihren Gegnern unscharf als „Zwickauer Propheten“ zusammengefasst wurden. Ihre Verkündigung der endzeitlichen Ausgießung des Heiligen Geistes heizte die Stimmung weiter an und machte zudem die Unsicherheit der Protagonisten, insbesondere des jungen und von der Situation reichlich überforderten Philipp Melanchthon, deutlich. Allerdings bleibt dies eine Episode am Rande, und insgesamt waren die „Unruhen“ wohl nicht ganz so umfassend, wie die Forschung lange Zeit annahm. Auch die Vorstellung eines „Bildersturms“, die lange Zeit das Bild der Ereignisse prägte, lässt sich bei sorgfältiger Quellenanalyse wohl nicht halten (Krentz). Vielmehr bemühten sich Melanchthon, Karlstadt und andere, die Veränderungen auf eine geordnete Bahn zu lenken. Am 24. Januar 1522 beschloss der städtische Rat, beraten durch den Rektor der Universität und mehrere Gelehrte, darunter die beiden Genannten, eine „Ordnung der Stadt Wittenberg“, welche zeigt, wie städtisches Ordnungsinteresse und theologische Reformbemühungen ineinander griffen. Im Zentrum stand eine sozial orientierte Umstrukturierung der Finanzen. Die Bezahlung der Priester wurde zentralisiert, ihre bisherigen Pfründeneinnahmen sollten ebenso wie die Einkünfte der Bruderschaften einem gemeinen Kasten zugeführt werden, dessen Hauptaufgabe die Ausgabe von Geldern an Arme bildete. Der gemeine Kasten Das Modell eines „gemeinen Kastens“ wurde vor allem durch die 1523 eingeführte „Leisniger Kastenordnung“ vorbildlich, an der Luther mitgewirkt und zu der er ein Vorwort beigesteuert hatte. Sie enthielt genaue Vorschriften für die Sicherung des Vermögens im Kasten durch die Einrichtung von vier Schlössern, deren Schlüssel auf unterschiedliche Personen verteilt waren, sowie für die Ausga-

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ben. Vornehmlich dienten diese der Armenversorgung und der Pfarrer- und Lehrerbesoldung. Auf lange Sicht bedeuteten solche Ordnungen als Folge der Reformation eine Umlenkung des bislang in Stiftungen gegangenen Geldes in Sozialfürsorge.

Prädikanten

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Gleichzeitig wurde der Bettel verboten. Die Ordnung führte damit die zuvor schon in der „Ordnung des gemeinen Beutels“ von 1520/21 fassbaren Versuche, eine kommunale Sozialfürsorge zu etablieren, fort. Allerdings ging der Gesamtrat der Stadt Wittenberg, der sie erließ, in signifikanter Weise auch über diese Maßnahmen, die in Wirtschafts- wie Kirchensituation eingriffen, noch hinaus: Artikel 13 sah eine geordnete Bilderentfernung und eine Reduktion der Altäre vor, freilich bemerkenswerterweise keineswegs vollständig: Drei Altäre ohne Bilder sollten in der Stadtkirche bleiben. Noch markanter war die Änderung der Liturgie, die der 15. Artikel vorsah. Der Rat beschloss, dass die Messe künftig einsetzungsgemäß gehalten werden solle, und führte hierzu aus, dass daher der Kanon, jenes Stück mittelalterlicher Liturgie, das die opfertheologischen Aussagen enthielt, zu streichen sei. Vor allem aber wurde die Kommunion unter beiderlei Gestalt festgeschrieben. Damit gelang es dem Rat, eine verbindliche Ordnung für die gesamte Stadt festzuschreiben – zugleich griff er eklatant in die bischöflichen Rechte, über Liturgie zu bestimmen, ein. Allerdings zogen die Ereignisse in Wittenberg immer weitere Kreise, sodass der Kurfürst selbst eingreifen musste. Er lud zu Verhandlungen am 13. Februar in Eilenburg, deren Ergebnis es einerseits war, dass die Ordnung der Stadt geringfügige Modifikationen erfuhr, andererseits aber, dass Karlstadt und Zwilling immer mehr in den Geruch gerieten, Aufrührer zu sein, während es Melanchthon gelang, sich diesem Verdacht zu entziehen. Verstärkt wurde diese interne reformatorische Lagerbildung, als Luther nach Wittenberg zurückkehrte und mit seinen vom 9. März 1522 an gehaltenen „Invokavit-Predigten“ eine theologische Klärung im Sinne einer „Schonung der Schwachen“ und damit einer moderaten Durchführung der Reformation herbeiführte. An Zürich wie an Wittenberg lässt sich exemplarisch ablesen, welch dichtes Beziehungsgeflecht in den Städten herrschte. Gelegentliche Versuche, die Vorgänge nach „Gemeindereformation“ einerseits und „Ratsreformation“ andererseits zu klassifizieren, vereinfachen die Verhältnisse zu sehr. Tatsächlich hat man es mit sehr unterschiedlichen Verlaufsformen zu tun, in denen die Beteiligung unterschiedlicher Institutionen oft mit der Stärke oder Schwäche ihrer personellen Besetzung zu tun hatte. Eine zentrale Funktion hatten die Prädikanten inne, die die im späten Mittelalter oft auf Begehren der Gemeinden und Räte eingeführten Stellen für die öffentliche Predigt besetzten. In vielen Städten waren es gut ausgebildete Humanisten, die solche Positionen innehatten. Sie fungierten als Verbindungsglieder zwischen der sich herauskristallisierenden, der reformatorischen Bewegung zugewandten öffentlichen Meinung in den Städten und den Entscheidungsträgern, indem sie einerseits im reformatorischen Sinne predigten und so die durch Flugschriften und Flugblätter popularisierten Auffassungen auch von der Kanzel verkündigten, und andererseits im lokalen Kontext zu einer Applikation und argumentativen Schärfung beitrugen, die deutlich machte, wo vor Ort Reformation anzusetzen hatte. Oft ragten ein-

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zelne Personen wie Zwingli in Zürich heraus. So wurde in Nürnberg rasch Andreas Osiander (1498–1552) zur zentralen Gestalt, der ab 1522 als Prediger an St. Lorenz wirkte. Er gab der längst vorhandenen Neigung zur Reformation (s.o. zur sodalitas Staupitziana) unter wichtigen Nürnberger Bürgern eine klare Richtung. Als Prediger aber stand er nicht allein, sondern verstärkte Tendenzen, die sich bei vielen einflussreichen Bürgern fanden: Der Maler Albrecht Dürer hatte Luther schon 1518 eine Grafik geschenkt und in den Jahren 1520/21 intensiv dessen Schriften gelesen. Der Ratskonsulent Christoph Scheurl (1481–1542) hatte seine juristische Professur in Wittenberg zwar vor Beginn der reformatorischen Ereignisse verlassen, pflegte aber immer noch Kontakte dorthin, ebenso wie der Augustinereremit Wenzeslaus Linck. Mit Willibald Pirckheimer (1470–1530) gehörte ein gewichtiger Ratsherr in das Umfeld der Reformation, auch wenn er sich später von ihr distanzierte. So war für den Prediger und die ihn unterstützenden Amtsbrüder ein förderliches Umfeld da, innerhalb dessen er ab 1523/24 erste Gottesdienstreformen durchführen konnte. Er führte auch die reformatorische Seite in der Nürnberger Disputation am 3. März 1525 an, die den Durchbruch der Reformation in der Stadt brachte. Auch in Schwäbisch Hall stand bei der Durchführung der Reformation ein Prediger im Mittelpunkt: Johannes Brenz (1499–1570), der ab 1522 hier wirkte und schon 1526 Messe nach Luthers Ordnung feierte. An anderen Orten waren es ganze Gruppen von Predigern und auch Pfarrern, die die Reformation vorantrieben. So wurde in Straßburg erst später Martin Bucer (1491–1551) zur dominierenden Gestalt. Als er wie auch Wolfgang Capito (1478–1541) 1523 nach Straßburg kam, wirkte dort schon seit zwei Jahren Matthäus Zell als Prediger am Münster im reformatorischen Sinne. Ergänzt wurde die Gruppe noch durch Kaspar Hedio (1494–1552). So wurde in der Stadt bald an vielen Orten reformatorisch gepredigt, gleichwohl dauerte es eine Zeit, bis die Reformation offiziell eingeführt wurde: 1529 beschloss der Schöffenrat die Abschaffung der Messe. Ebenfalls eine Gruppe brachte die Reformation in der Reichsstadt Konstanz auf den Weg, wobei die familiaren Verschränkungen hier auch einen Eindruck von dem überschaubaren Sozialgefüge einer Reichsstadt vermitteln. Es waren zwei Brüderpaare, die an entscheidenden Stellen für die Durchsetzung der Reformation sorgten: Die Vettern Ambrosius Blarer (1492–1564) und Johannes Zwick (gest. 1542) wirkten als Prediger, ihre Brüder Konrad Zwick (gest. 1557) und Thomas Blarer (gest. 1567) hingegen in Funktionen im Rat, Letzterer ab 1537 als Bürgermeister. Die Situation war besonders heikel, weil vor Ort ein Bischof residierte, der aber mit der zunehmenden reformatorischen Entwicklung die Stadt verließ. 1527 zogen alle altgläubigen Priester aus Konstanz aus, das damit faktisch evangelisch geworden war. Nicht überall war das Tempo der Entwicklung so hoch, manche Städte wie etwa Ulm warteten mit der Umsetzung der Reformation die Entwicklung im Reich insgesamt ab. Noch in den frühen Zwanzigerjahren wurden hier reformatorische Prediger wie der mittlerweile der Reformation zugewandte Eberlin und dessen Ordensbruder Heinrich Kettenbach (gest. ca. 1524) aus der Stadt gewiesen. Als Konrad Sam (gest. 1533) 1524 die Stelle als Prediger antrat, bedeutete dies keineswegs eine klare Entscheidung für die Reformation, sondern lediglich ein Zugeständnis an die reformatori-

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oberdeutsche Theologien

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schen Kreise in der Stadt. Allmählich konnten diese gemeinsam mit dem Prediger ihren Einfluss ausbauen, der 1529 in der Unterzeichnung der Speyerer Protestation (s.u. S. 69) manifest wurde. Ab 1531 kam mit Martin Frecht (1494–1556) eine weitere hochgelehrte Reformatorenpersönlichkeit nach Ulm, um hier als Schriftausleger und Prediger zu wirken. Noch zögerlicher war die Reichsstadt Esslingen, obwohl man hier 1526 Ulrich Villinger als reformatorisch orientierten Prediger angestellt hatte. Erst in den frühen Dreißigerjahren aber kam es dann tatsächlich zur Durchsetzung der Reformation. Mit den Persönlichkeiten der Prediger verbanden sich allerdings auch unterschiedliche theologische Haltungen: Während Brenz, Osiander oder auch der Reutlinger Prädikant Matthäus Alber (1495–1570) sich deutlich an Wittenberg orientierten, war die überwiegende Mehrzahl der reichsstädtischen Reformatoren – wie etwa Blarer oder Sam – eher an Zwingli orientiert. Dabei hat Luther freilich in höherem Maße theologisch zentrierend gewirkt als Zwingli. Die Nähe zu diesem zeigt sich eher in einem gemeinsamen humanistischen Bildungshintergrund, aus dem dann Ähnlichkeiten in den theologischen Auffassungen resultierten. Die Gemeinsamkeit lag dabei vor allem in einer platonisch geprägten Ontologie, die Geist und Materie stark unterschied und zu einer Geringschätzung von Äußerlichem führte. Markante Unterschiede zur Wittenberger Auffassung bildeten hieraus folgend vor allem die Abendmahlslehre und das Verständnis der Bilder. In erster Linie gab es hinsichtlich des Abendmahls freilich eine grundlegende Übereinstimmung, was die Ablehnung des Opfercharakters betraf. Im Zuge der Auseinandersetzung mit den oberdeutschen Theologen aber hat Luther zunehmend den Gedanken der Realpräsenz Christi im Abendmahl betont: Christus sollte tatsächlich in, mit oder unter – Luther benutzte hier unterschiedliche räumliche Beschreibungen – den Elementen Brot und Wein leiblich gegenwärtig sein. Dies setzte ein Verständnis von Geist und Leib voraus, das beide nicht als ontologische Gegensätze behandelte, sondern eine gegenseitige Durchdringung für möglich hielt. Demgegenüber vertrat insbesondere Zwingli ab 1525 die Vorstellung, dass die Elemente Brot und Wein lediglich Zeichen für Leib und Blut Christi seien. Viele andere oberdeutsche Theologen entwickelten ähnliche Gedanken, besonders prononciert der Basler Reformator Johannes Oekolampad (1482–1531). Auf ihn reagierte ein Kreis um Johannes Brenz 1526 im Sinne Luthers mit dem Syngramma Suevicum. Damit deutete sich an, dass der Abendmahlsstreit dem Südwesten eine bittere Kontroverse einhandeln würde, und Luthers Vorwort zum Syngramma unterstrich dessen eigenes Engagement. Tatsächlich entspann sich in der Folgezeit zwischen den Schweizern und Martin Luther ein heftiger literarischer Streit, der die zweite Hälfte der Zwanzigerjahre bestimmen sollte und auch durch das Marburger Religionsgespräch im Oktober 1529 (s.u. S. 69f.) nicht geklärt werden konnte. Abendmahlsstreit Schon der Konflikt mit Karlstadt hatte die Abendmahlslehre mit betroffen, Schärfe und überregionale Bedeutung aber gewann der Streit um diese erst mit der Flugschriftenfehde zwischen Luther und Zwingli. Dieser hatte aus Hinweisen des Humanisten Cornelius Hoen (gest. 1524) den Gedanken aufgegriffen, dass die Einsetzungsworte „Dies ist mein Leib“ symbolisch zu verstehen seien: „Dies bedeu-

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tet meinen Leib“. Luther hielt dem die reale Bedeutung der Worte entgegen. Mit zahlreichen Schriften, die in ihren Titeln zum Teil sogar direkt aufeinander Bezug nahmen (Luther, „Daß diese Worte Christi ,Das ist mein Leib etc.‘ noch fest stehen wider die Schwarmgeister“; Zwingli, „Daß diese Worte Jesu Christi: ,Das ist mein Leichnam, der für euch hingegeben wird‘ ewiglich den alten einigen Sinn haben werden“, beide 1527) und so anzeigten, dass beide auf ein interessiertes Publikum spekulierten, kämpften sie um das rechte Verständnis nicht nur der Einsetzungsworte, sondern auch der generellen Ontologie und des Zusammenhangs von menschlicher und göttlicher Natur in Jesus Christus. Luther behandelte die Frage aus seiner Sicht 1528 abschließend mit der großen Schrift „Vom Abendmahl Christi. Bekenntnis“.

Die unterschiedlichen reformatorischen Parteien konnten im Blick auf das zentral die Glaubenspraxis bestimmende Sakrament keine Gemeinsamkeit finden. So etablierten sich im reformatorischen Denken aufgrund der divergierenden Bildungshintergründe seiner Vertreter zwei unterschiedliche theologische Deutungsmuster, die ihre regionalen Schwerpunkte in Mitteldeutschland einerseits und den oberdeutschen und Schweizerischen Reichsstädten andererseits hatten. Die verschiedenen Auffassungen verbanden sich auch mit jeweils anderen liturgischen Gestaltungen. In Wittenberg orientierte man sich bei der Gottesdienstreform an der mittelalterlichen Messe, die zunächst, in der lateinischen Formula missae von 1523, vorwiegend theologisch – durch Verzicht auf die opfertheologischen Stücke – umgestaltet wurde. 1525 erfolgte in Wittenberg die evangelische Messfeier in deutscher Sprache. 1526 wurde diese „Deutsche Messe“ in Sachsen gedruckt, aber ausdrücklich nicht verbindlich gemacht. Im oberdeutschen Raum hingegen orientierte man sich liturgisch an dem Predigtgottesdienst, der sparsam um Abendmahlselemente erweitert wurde, in denen dann in der Durchführung weniger die heilige Handlung in den Vordergrund trat als der Gemeinschaftscharakter des Mahls. Freilich lassen sich diese liturgischen Eigenheiten nicht ganz und gar von den theologischen Unterschieden her erklären: Auch in der an Wittenberg orientierten Reichsstadt Reutlingen folgte Alber der Form des Prädikantengottesdienstes, und Luther stimmte dem 1526 eigens zu, machte also ernst mit dem Gedanken, nicht die eigene Ordnung auf alle ausdehnen zu wollen. Ebenso markant wie in der Frage des Abendmahls waren die Unterschiede in der Bildertheologie. In den humanistisch geprägten Kreisen Oberdeutschlands war die Vorstellung leitend, dass im gemalten Bild Christus nicht wahrhaft erfasst werden könne und die Bilder von der erforderlichen geistig-geistlichen Erhebung zu Gott selbst eher ablenkten. Unterstützt wurde diese Vorstellung vom Bilderverbot in den Zehn Geboten. Luther hatte sich bereits in seinen Invokavitpredigten mit solchen Vorstellungen auseinandersetzen müssen und hier begonnen, seine Lehre von ärgerlichen und unärgerlichen Bildern zu entwickeln: Ärgerlich waren diejenigen, die einem Kult jenseits oder neben Christus dienten, das hieß vorwiegend Darstellungen von nichtbiblischen Heiligen. Eine grundsätzliche Ablehnung von Bildern aber findet sich bei ihm nicht. Sofern und soweit sie auf das Evangelium hinwiesen, konnten sie in den Kirchen bleiben. Demgegenüber war die Position im oberdeutschen Raum radikaler, freilich nicht so radikal, wie man lange Zeit meinte. In einer sorgfältigen Untersuchung hat Gudrun

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Litz aufweisen können, dass es in den Reichsstädten in den seltensten Fällen zu tumultuarischen Bilderstürmen kam.

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Umgang mit Bildern Der Kunsthistoriker Sergiusz Michalski hat darauf aufmerksam gemacht, dass man es beim Umgang mit den Bildern mit sehr unterschiedlichen Vorgängen zu tun hat: Der Bilderfrevel stellt die gezielte Schädigung eines Bildes dar, durch die dieses symbolisch depotenziert wird. Der Bildersturm bedeutete eine gewaltsame Ausräumung der Kirche unter Beschädigung der Bilder. Die Bilderentfernung schließlich besagt, dass die Bilder in einem geordneten rechtlichen Verfahren aus den Kirchen geräumt werden und dann gegebenenfalls in anderem Kontext zu weiterer Nutzung zur Verfügung stehen.

Der Regelfall war die geordnete Bilderentfernung durch den Rat, die allein schon deswegen geboten schien, weil die Besitzverhältnisse oft sehr komplex waren: Ein großer Teil des Bildschmucks in den Kirchen stand in Zusammenhang mit Altarstiftungen, sodass grundsätzlich mit Ansprüchen der Stifter oder ihrer Erben zu rechnen war. Im Ergebnis aber kam es zu einer Bereinigung der Kirchen, die dadurch ihr äußeres Gesicht gegenüber dem späten Mittelalter erheblich veränderten. Diese Vorgänge weisen ein weiteres Mal auf die zentrale Bedeutung des Rates und des Bürgermeisters. Ursprünglich lag die Macht in diesen Gremien bei den Patrizieren, und einige Städte – wie etwa Nürnberg – hatten eine solche Verfassungsform auch noch im 16. Jahrhundert bewahrt. In anderen Städten hingegen wie Augsburg oder Ulm hatten die Vereinigungen der Handwerker oder Kaufleute, die Zünfte, die Macht an sich gezogen und bestimmten über die Geschicke der Stadt. In der Regel hatten sich Patrizier und Bürger in den Gremien – vielfach gab es in den Städten Große und Kleine Räte mit unterschiedlicher Entscheidungsbefugnis – miteinander arrangiert. Die Verbindungen über Familien wie Zünfte sorgten in jedem Fall für einen schnellen Informations- und Meinungsaustausch zwischen Bevölkerung und Entscheidungsträgern. Dies wird an Gestalten wie Zwick und Blarer in Konstanz erkennbar, die als politisch Agierende zugleich auch Sympathisanten und Förderer der Reformation waren, ähnlich wie Pirckheimer in Nürnberg. Noch wichtiger aber waren die Stadtschreiber wie Jörg Vögeli (gest. 1563) in Konstanz oder Lazarus Spengler (1479–1534) in Nürnberg. Berndt Hamm hat an dessen Beispiel gezeigt, wie er binnen weniger Jahre sein vornehmlich auf das städtische Wohl ausgerichtetes Handeln und Denken immer stärker theologisch reflektierte. In Schriften von halboffiziellem Charakter, in denen er, obwohl er sie aus eigenem Antrieb verfasste, als Ratsschreiber agierte, wirkte er auf die Ratsherren seiner Stadt ein und bildete so ein zentrales Scharnier zwischen der reformatorischen Bewegung in der Gemeinde und den führenden Persönlichkeiten der reichsstädtischen Politik. An diese richtete er auch Forderungen jenseits der üblichen Zweckrationalität, wenn er etwa 1523 dazu aufforderte, die evangelischen Prediger weiter in der Stadt zu dulden, da man sonst Gottes Wort selbst vertreibe, und dies mit der Mahnung unterstrich, man müsse gegebenenfalls um der Wahrheit Willen auch Verfolgung erleiden. Dieser Vorgang ist umso frappierender, als Spengler wusste, dass der Rat zu diesem Zeitpunkt in Sachen Reformation noch uneins war. Mit seinem dezidiert theolo-

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gisch motivierten Schreiben wollte er auf den offenen Meinungsbildungsprozess einwirken. Dies weist auch darauf hin, dass man bei aller Betonung der Aufnahme der reformatorischen Botschaft in den Städten nicht vergessen darf, dass es auch erhebliche Gegenkräfte gab. So sind die Ereignisse der Zürcher Reformation zu guten Teilen durch die Chronik Gerold Edlibachs (1454–1530) bezeugt, der den Entwicklungen sehr verhalten, ja zeitweise angesichts der rasanten Veränderungen auch erschrocken gegenüberstand. Auch in den Klöstern wurde die Reformation keineswegs überall als Befreiung wahrgenommen, und der Riss konnte sogar durch Familien hindurchgehen: In Nürnberg widerstand Charitas Pirckheimer (1467–1532), die Schwester des Ratsherren Willibald Pirckheimer, als Äbtissin des Klarissenklosters der Reformation. In einem Gespräch mit Melanchthon konnte die hochgebildete Frau es Ende 1525 sogar erreichen, dass dieser sich beim Rat für sie einsetzte und das Kloster noch einige Jahrzehnte erhalten blieb. In manchen Reichsstädten waren die Gegenkräfte so stark, dass eine durchgreifende Reformation verhindert wurde. So predigte in Weil der Stadt ab August 1522 Theodor Billikan (gest. 1554), wurde aber nach wenigen Wochen vertrieben. Trotz der familiären Kontakte, die Johannes Brenz in seiner Geburtsstadt hatte, blieb deren Mehrheit dauerhaft altgläubig. Nicht ganz so schnell wurde die Reformation in Rottweil niedergeschlagen, wo ab 1526 Konrad Stücklin (gest. nach 1533) im evangelischen Sinne predigte. Es kaum zu teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen und schließlich wurden 1529 80 bis 100 Familien aus der Stadt ausgewiesen, die damit ihren altgläubigen Stand wahren konnte. Solche Entwicklungen blieben aber die Ausnahme. Der Regelfall war, dass Reichsstädte sich im Laufe der Zwanziger- und Dreißigerjahre der Reformation öffneten, und auch in vielen landsässigen Städten breitete sich die reformatorische Predigt aus. Damit zog sich über den Südwesten Deutschlands und die Schweiz ein dichtes Netz von politischen Einheiten, die der Reformation zugewandt waren. Die Vorgänge konnten auch deswegen solche Dynamik entwickeln, weil sie an spätmittelalterliche Dezentralisierungsbestrebungen anknüpften und diese verstärkten. Sie bilden den Hintergrund für die oft zitierte Aussage von Arthur Geoffrey Dickens, die Reformation sei ein urban event gewesen. Diese sozialhistorische, auf die städtische Gesellschaft ausgerichtete Sicht ist in der jüngeren Forschung allerdings durch Fragestellungen differenziert worden, die wieder stärker politikgeschichtlich ausgerichtet sind. Die Aufnahme der reformatorischen Ideen erfolgte offenkundig zunächst und vor allem im städtischen Bürgertum, hier wurden auch aufgrund der überschaubaren politischen Verhältnisse erste erfolgreiche Umsetzungen vorgenommen. Auf Reichsebene aber stellten die Reichsstädte keine gewichtige Macht dar. Eine dauerhaft stabile Umsetzung der Reformation bedurfte daher auch des Engagements von Territorialherren, die ihrerseits gleichfalls an die spätmittelalterliche Tendenz zur Dezentralisierung anknüpfen konnten.

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II. 4. Devianz

Die Wahrnehmung der städtischen Reformation bliebe unvollständig ohne den Blick darauf, dass hier auch der Nährboden für eigenständige Versuche reformatorischer Umgestaltung lag, die nicht zum Hauptstrom der Reformation gerechnet werden. Der „Wildwuchs“ der Reformation ließ eine Vielzahl von Modellen entstehen, von denen nur einige in die späteren Großkirchen eingingen. Die Forschung hat sich mit diesem von Luther als Schwärmertum bezeichneten Phänomen immer wieder schwergetan und Begriffe wie „Linker Flügel“ oder „radikale Reformation“ vorgeschlagen, aber bis heute keine allgemein verbindliche Einordnung gefunden. Am ehesten wird man im Blick auf die mangelnde Integration in die Kirchen von „Devianz“ sprechen können, bleibt allerdings damit bei dem Problem, dass man das Phänomen weniger aus sich selbst, als aus seinem Verhältnis zu anderen Vorgängen bestimmt.

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Schwärmer Martin Luther hat in Auseinandersetzung mit Karlstadt und Müntzer den Begriff des „Schwärmers“ oder „Schwarmgeists“ geprägte, den er bald auch auf viele andere anwandte. Mit dem vom Bienenschwarm entlehnten Bild meinte er eine Verwechslung von göttlichem Geist und eigenem Geist, der es an einer Leitung durch das von außen dem Menschen zukommende (extra nos) Wort Gottes fehle. Linker Flügel Das durch Ernst Troeltsch (1865–1923) ausgelöste Bemühen um eine sachlichere Einordnung hat zu verschiedenen neueren Benennungen geführt. Mit dem Begriff „Linker Flügel“ hat Roland Bainton eine deskriptive Begrifflichkeit eingeführt, die vielfach aufgegriffen wurde, aber problematische politische Assoziationen impliziert. Radikale Reformation Auch die Rede von „radikaler Reformation“ (George Huntston Williams) ist vielfach aufgegriffen worden, bringt allerdings die Schwierigkeit mit sich, dass sie Luther oder Zwingli die Radikalität abzusprechen scheint.

Karlstadt

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Die ersten Ansätze hierfür gehören in den Bereich der städtischen Reformation und damit in einen historischen Kontext, in dem die später begriffsbildenden Gegenüberstellungen zu Großkonfessionen noch keineswegs gegeben waren. Allerdings zeigte sich schon bei den ersten Anfängen eine deutliche Diskrepanz zu den von Luther geprägten Entwicklungen. Dieser Beginn verbindet sich mit Andreas Karlstadt. Dessen Stellung in Wittenberg war nach Luthers Rückkehr immer schwieriger geworden. So wechselte er 1523 nach Orlamünde an die mittlere Saale. Innerhalb des spätmittelalterlichen Versorgungssystems für Kleriker handelte es sich hier um jene Pfründe, aus der Karlstadts Position als Archidiakon am Allerheiligenstift und damit mittelbar seine Professur finanziert wurde. Es war durchaus üblich, ferngelegene Pfründen anzunehmen und durch andere verwalten zu lassen. So wirkte in Stellvertretung Karlstadts vor Ort Konrad Glitzsch. Unter rechtlich strittigen Umständen nahm Karlstadt den Platz selbst wieder ein und verfolgte nun in Orlamünde die Ideale einer „christlichen Stadt“, deren Erfüllung ihm in Wittenberg ver-

Devianz sagt geblieben war. Demonstrativ setzte er das Ideal des Priestertums aller Glaubenden sozial um, indem er sich als „Nachbar Andres“ bezeichnen ließ und selbst seinen Acker bestellte. Ihm kam dabei zugute, dass Orlamünde in einem Bereich Sachsens lag, der aufgrund der sogenannten „Mutschierung“, einer begrenzten internen Herrschaftsaufteilung zwischen Friedrich dem Weisen und seinem Bruder Herzog Johann (gest. 1532), Letzterem unterstand. Dieser besaß mehr Handlungsfreiheit als der in die Reichsgeschäfte involvierte Kurfürst. So konnte Karlstadt in einem gewissen Schutzraum das Orlamünder Gemeinwesen immer stärker in seinem Sinne ausgestalten und eine mystisch geprägte Laienfrömmigkeit predigen, zu der ein Verzicht auf ein realpräsentisches Abendmahlsverständnis und eine Kritik an den Bildern gehörte. Angesichts der betonten Einfachheit und Innerlichkeit kann man allerdings leicht vergessen, dass Karlstadt zugleich ein Netz von kirchenpolitischen Beziehungen knüpfte, das den mittleren Saaleraum zu einem Oppositionszentrum gegen die Wittenberger Reformation machte, die ihrerseits unter Friedrich noch keine offizielle Anerkennung gefunden hatte. Dieses Gefüge war außerordentlich prekär, und Karlstadt verschärfte die Lage durch die Verbindung mit gleich gesonnenen Reformatoren im nahen Kahla und vor allem im ebenfalls nur wenige Kilometer entfernten Jena. Mit Martin Reinhart wirkte hier an der Stadtkirche ein Pfarrer, der schon 1521 in kleinem Kreis das Abendmahl unter beiderlei Gestalt gereicht hatte und heftige Auseinandersetzungen mit den örtlichen Dominikanern führte. Vor allem aber verlagerte Michael Buchführer seine Druckerei von Erfurt nach Jena und brachte nun all jene Schriften heraus, die Karlstadt in Wittenberg nicht mehr drucken konnte. Dieser Ausbau der Region um Jena und Orlamünde zu einem reformatorischen Epizentrum erklärt die Energie, mit der Luther gegen Karlstadt vorging. Er reiste selbst in die betroffenen Städte und versuchte nach bewährtem Muster durch Predigt und Diskussion die Dinge zur Ruhe zu bringen. Das scheiterte aber diesmal. In Orlamünde stieß er auf eine ganze Gruppe von Handwerkern, die sich unter Berufung auf die Bibel dem Reformator entgegenstellten. Empört über die Ereignisse, unterstützte Luther die bald einsetzenden Bemühungen, Karlstadt des Landes zu verweisen – am 25. September 1524 wurden alle seine Gnadengesuche (die unter anderem unter Verweis auf die Schwangerschaft seiner Frau erfolgten) abgewiesen, und er musste Sachsen verlassen. So wurde Luthers Linie als Norm etabliert und Abweichung hiervon als Devianz. Diese normative Zentrierung der Reformation erfolgte aber nicht allein durch das Wort, sondern auch aufgrund der Unterstützung durch die staatlichen Behörden. Karlstadt war freilich nicht der Einzige, der Luthers Vorrangstellung in Sachsen infrage stellte beziehungsweise auf einen eigenen Typus von Reformation drängte. Ein markantes Gegenüber fand Luther in Thomas Müntzer (gest. 1525), der in seinem bewegten Leben sowohl in einer landsässigen Stadt als auch in einer Reichsstadt erhebliche Wirkung entfaltete. Sein Aufenthalt in Wittenberg in den Jahren 1517–1519 hat – Luthers damaligen Interessen entsprechend – mehr seine Begeisterung für Mystik angeregt, als dass er schon reformatorische Rechtfertigungslehre hätte aufnehmen können. Die Differenz zu Luther resultierte daraus, dass dieser seine mystische Frömmigkeit in Aufnahme des Sola-Scriptura-Prinzips worttheologisch transformierte, also das Wirken des göttlichen Geistes klar an die Schrift

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Müntzer

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Ausbreitung, „Wildwuchs“ und Umgestaltung

II.

band, während Müntzer seine mystischen Wurzeln zu einem Spiritualismus ausbaute, in dem das lebendige Wort dem toten Buchstaben entgegenstand.

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Spiritualismus Troeltsch hat das Gesamtphänomen der Devianz in die Großgruppen von Täufern und Spiritualisten eingeteilt, zwischen denen es freilich zahlreiche Verbindungslinien gibt. Spiritualismus bezeichnet eine Form von Frömmigkeit und Theologie, die das unmittelbare Wirken des Heiligen Geistes in den Mittelpunkt stellt und so zu einer Abwertung, gelegentlich völligen Bestreitung äußerlicher Vermittlungsformen, insbesondere der Sakramente, aber auch der Bibel gelangt.

Diese Weiterentwicklung lässt sich in seinem Prager Manifest vom 1. November 1521 greifen. Mit seinem Aufenthalt in Prag ab 1521 und der dortigen Begegnung mit Resten des Hussitismus verbindet sich auch die Aufnahme chiliastischer Impulse. Eine Gelegenheit, seine Ideen umzusetzen, fand er in Allstedt. Die kleine Stadt gehörte zu Kursachsen, lag aber als Enklave, umgeben von fremdem Gebiet, fernab von den Verwaltungszentren. Dies trug dazu bei, dass Müntzer dort offenbar am zuständigen kurfürstlichen Hof vorbei eine Pfarrstelle antreten konnte. Insbesondere der antiklerikale Zug seiner Predigt und die endzeitliche Dringlichkeit stellten eine große Attraktion auch für die Bevölkerung des Umlandes dar, mündeten aber bald auch in Gewalt: Am 24. März 1524 wurde die zu einem Kloster gehörende Mallerbacher Kapelle niedergebrannt. Müntzer stand im Ruf, hierfür mindestens indirekt verantwortlich zu sein, versuchte aber seinerseits die Regierenden auf seine Seite zu bringen: Am 13. Juli weilte Herzog Johann im Allstedter Schloss, und Müntzer hielt vor ihm seine „Fürstenpredigt“ über Dan 2, mit der er die Regenten motivieren wollte, sich für das Hereinbrechen des Reiches Gottes einzusetzen – damit war die Alternative zu Luther klar vor Augen der Fürsten markiert. Diese entschieden sich dezidiert gegen Müntzer, der im August ausgewiesen wurde.

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Chiliasmus Chiliasmus bedeutet im Unterschied zu einer von einem bruchartigen Ende dieser Welt ausgehenden Apokalyptik die Erwartung einer Herrschaft Christi beziehungsweise seiner Heiligen auf Erden, für die in der Regel, fußend auf Apk 20, die Dauer von tausend Jahren veranschlagt wird. Thomas Müntzers Fürstenpredigt aus: Thomas Müntzer, Schriften und Briefe. Kritische Gesamtausgabe, hg. v. Günther Franz, Gütersloh 1968, S. 256, Z. 17 – S. 257, Z. 1 Darumb, yr allerthewrsten, liebsten regenten, lerndt ewer urteyl recht auß dem munde Gottis und last euch ewre heuchlisch pfaffen nit verfueren und mit getichter gedult und gute auffhalten. Dann der stein, an hende vom berge gerissen, ist groß worden. Die armen leien und bawrn sehn yn viel scherffer an dann yr. Ja, Got sey gelobt, er ist so groß worden, wann euch andere herren odder nachpawrn schon umb des evangelion willen wollten verfolgen, so wurden sie von yrem eygen volck vortrieben werden. Das weiß ich vorwar. Ja, der steyn ist groß, do hatt sich die bloede welt lange vor geforcht. Er hat sie uberfallen, do er noch kleine war. Was sollen wir denn nw thun, weyl er so groß und mechtigk ist worden? Und weil er so mechtigk unvorzcoegklich auff die grosse seil gestrichen und sie bis auff die alten toepff zcuschmettert hat? Drumb, yhr thewren regenten von Sachssen, tretet keck auff den eckstein.

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Devianz Nun fand er in einer Reichsstadt, dem nahen Mühlhausen, ein neues Betätigungsfeld. Gemeinsam mit Heinrich Pfeiffer (gest. 1525), der dort schon länger antiklerikal gepredigt hatte und deswegen zeitweilig der Stadt verwiesen worden war, gestaltete Müntzer Mühlhausen konsequent zu einer heiligen Stadt um. Endzeitbewusstsein und städtischer Kommunalismus gingen eine brisante Mischung ein. Beide Prediger stellten gemeinsam „Elf Artikel“ auf, die eine Stadtregierung nach Gottes Wort verlangten, und gründeten einen „Ewigen Bund“. Am 26. September 1524 aber wurden sie ausgewiesen – Müntzer ging in den Südwesten des Reiches und entdeckte dort den Kampf der Bauern um ihre Rechte als seine neue Aufgabe (s.u. S. 55-57). Die Vertreibung Karlstadts und Müntzers aus Luthers Einflussbereich ließ erkennen, dass der Typus von Reformation, wie ihn Luther vertrat, auf mehr Protektion durch die Obrigkeit rechnen konnte als andere Varianten. Das brachte es auch mit sich, dass Luther, dessen Protest gegen die mittelalterliche Kirche auch eine Stellungnahme zugunsten innerlicher Frömmigkeitsformen gegen veräußerlichte dargestellt hatte, seinerseits das Verhältnis zwischen Innerem und Äußerem neu austarieren musste. In den „Schwärmern“ traten ihm Personen entgegen, die das Innere so sehr betonten, dass jegliche Kontrolle unmöglich schien – kenntlich an den Gewaltakten, zu denen es schon 1524 vereinzelt kam. Seine eigene Entwicklung hatte Luther zur Hochschätzung von Gottes Wort geführt, das gerade weil es von außen auf den Menschen zukommt, eine Bestätigung der Rechtfertigungslehre darstellte. Im Konflikt mit seinen innersächsischen Gegnern betonte er diesen äußeren Aspekt immer mehr, ohne deswegen die innerliche Durchdringung des Glaubens durch die Rechtfertigungslehre infrage stellen zu müssen. Doch nicht nur Luther hatte mit Gegenkräften im eigenen Einflussbereich zu kämpfen, sondern auch Zwingli. Die Zürcher Konflikte gingen noch unmittelbarer als in Mitteldeutschland von Fragen des kommunalen Miteinanders aus. Das Zürcher Regiment herrschte nicht nur über die Stadt selbst, sondern auch über zugehörige Landgemeinden. Von früh an lässt sich beobachten, dass in Stadt und Land ein unterschiedliches Tempo herrschte und die Landgemeinden die reformatorischen Veränderungen auch dazu nutzen wollten, Unabhängigkeit vom Rat zu gewinnen. Ein erstes massives Konfliktfeld stellte hier die Zahlung des Zehnten dar, die viele Einwohner der Landgemeinden aufgrund der geänderten Kirchenstrukturen für obsolet hielten, während Zwingli sie nicht gänzlich aufheben wollte. Hierin folgte ihm der Rat. Aber nicht alle Bewohner des Stadtgebietes standen auf seiner Seite. Um Konrad Grebel (gest. 1526) sammelte sich eine Gruppe von Oppositionellen, die nun auch ein eindringliches Symbol für ihren Protest fanden: Huldrych Zwingli hatte in humanistischer Manier den Begriff des Sakramentes von seiner antiken Bedeutung als „Fahneneid“ her gedeutet und so deutlich gemacht, dass es hierbei letztlich um ein Handeln des Menschen gehe. Das war für das Abendmahl nachvollziehbar, führte freilich in den Streit mit Luther. Für die Taufe hingegen musste es Probleme mit der seit der Antike üblichen Praxis der Säuglingstaufe geben, die Zwingli selbst auch bewusst waren. Der Grebel-Kreis, der auch Kontakt mit den Devianten in Mitteldeutschland aufnahm, zog nun aus der Zwinglischen Deutung die Konsequenz, dass der an Säuglingen vollzogene Akt nicht als Taufe im ei-

II.

Täufer

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Ausbreitung, „Wildwuchs“ und Umgestaltung

II.

gentlichen Sinne anzusehen sei, sondern diese ein bewusstes Handeln aufgrund einer Glaubensentscheidung voraussetze. Daher wurde für den 17. Januar 1525 eine Disputation in Zürich anberaumt, deren Verlauf aber kaum offener war als der der sogenannten Ersten Zürcher Disputation zwei Jahre zuvor. Am 18. Januar ordnete der Rat der Stadt an, dass weiterhin Kinder binnen Wochenfrist nach ihrer Geburt zu taufen seien. Die Oppositionellen antworteten demonstrativ: Am 21. Januar kam es im Haus von Felix Manz (gest. 1527) zu ersten Glaubenstaufen. Dies wurde zum Beginn der Bewegung der Täufer.

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Täufer / Wiedertäufer Aus Sicht der Altgläubigen wie der Anhänger Luthers und Zwinglis bedeutete das Vorgehen der Täufer die nochmalige Taufe eines schon Getauften. Daher sprachen sie von „Wiedertäufern“ bzw. anabaptistae. Diese Begrifflichkeit hat sich im Englischen erhalten. Im Deutschen hingegen spricht man, um dem Selbstverständnis der Täufer gerecht zu werden, wonach die an einem Säugling vollzogene Handlung gar keine Taufe sein könne, sie also dem Erwachsenen erstmals eine Taufe spendeten, von „Täufern“.

Bald sammelte sich in Zollikon eine eigene Gemeinde. Nach einigem Zögern kam es im August zu einem Verbot der täuferischen Aktivitäten in Zürich, aber in Waldshut sammelte sich um Balthasar Hubmaier (gest. 1528) eine neue Gemeinschaft. Diese wurde wiederum im Zuge kriegerischer Auseinandersetzungen mit Österreich vertrieben. Auf Umwegen gelangte Hubmaier nach Mähren und konnte hier dank der Unterstützung durch einen lokalen Herrscher in Nikolsburg eine täuferische Gemeinde aufbauen. Allerdings wurde er wenig später gefangen gesetzt und hingerichtet, und auch die Gemeinde musste Nikolsburg verlassen. Dieses Schicksal ist Ausdruck dafür, dass die Täufer, die durch die Bestreitung der Kindertaufe den Grundkonsens mit allen anderen Christinnen und Christen aufgekündigt hatten, kaum irgendwo mit politischer Akzeptanz rechnen konnten. In der Regel waren sie mit Verfolgung und Tod bedroht. Entsprechend konnten sie für ihre Organisation nur selten auf den äußeren Rahmen vorgegebener Herrschaften hoffen, sondern mussten sich stets neu als einzelne Gemeinden sammeln, die untereinander ein Netzwerk aus Korrespondenz und gelegentlichen Treffen bildeten. Um ihre völlige Versprengung zu verhindern, versammelte Michael Sattler (ca. 1490–1527) im Februar 1527 eine Synode in Schleitheim. Sie gab zu einem Zeitpunkt, zu dem sich bereits eine gewaltbereite Form des Täufertums gebildet hatte (s.u. S. 59), dem friedlichen Flügel der Bewegung Profil und Programm. Dieses lässt sich als eine Form von Christentum bestimmen, das durch eine strenge Befolgung biblischer Vorschriften und ethischen Rigorismus gekennzeichnet ist. Das Ideal einer Verbesserung der kommunalen Mentalität der spätmittelalterlichen Stadt durch Reformation wurde so etwas anders gewendet: Es ging nicht mehr darum, eine vorgegebene Gemeinschaft zu heiligen, sondern die heilige Lebensführung konstituierte allererst die Gemeinschaft, die sich von den anderen, als nicht vollkommen christlich angesehenen Christinnen und Christen abgrenzte. Kennzeichen waren nach den Schleitheimer Artikeln – neben dem gemeinsamen Merkmal der Glaubendentaufe – eine strenge Kirchenzucht, Verzicht auf die Ausübung obrigkeitlicher Äm-

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Devianz

II.

ter und Verweigerung von Eiden. So formierte sich aus ursprünglich kommunalen Anliegen eine Gemeinschaft, die den Urtypus der Freiwilligenkirche bildete. Im 16. Jahrhundert allerdings konnten die Täufer nur marginalisiert existieren.

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III. Reich und Reformation 1519 1521–1530 1521 1522/23 1524/25 1525

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1529

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1531 1532 1534/35 1534 1535 1536 1539

Regierungsantritt Karls V. Abwesenheit Karls V. vom Reich Wormser Reichstag: Verhör Luthers 8. Mai: Wormser Edikt Aufstand des Reichsritters Franz von Sickingen Bauernunruhen Reformation in Preußen Tod Friedrichs des Weisen, Regierungsantritt Johanns des Beständigen von Sachsen Erster Reichstag von Speyer Schlacht von Mohács Einführung der Reformation in Hessen und Sachsen Zweiter Reichstag von Speyer 19. April: Protestation von Speyer Marburger Religionsgespräch Augsburger Reichstag 25. Juni: Verlesung der Confessio Augustana Gründung des Schmalkaldischen Bundes Schlacht von Kappel Nürnberger Anstand Regierungsantritt Johann Friedrichs von Sachsen Täuferreich von Münster Reformation Württembergs Regierungsantritt Joachims II. in Brandenburg Wittenberger Konkordie Reformation im albertinischen Sachsen

1. Karl V. und das Reich Das Reich, über das von 1519 bis zu seiner Abdankung 1556 Karl V. (gest. 1558) regierte, war ein prekäres Gebilde. Die Stärke der Fürsten hatte es verhindert, dass sich in Deutschland eine ähnlich machtvolle Zentralmacht wie in Frankreich oder England herausbilden konnte. Der König bzw. Kaiser musste stets das Verhältnis zu den Reichsständen austarieren. Unter Maximilian I. war allerdings die Entwicklung des Reiches zum „komplementären Reichs-Staat“ (Georg Schmidt) um einiges vorangekommen. Ein starkes Gefüge war damit jedoch nicht entstanden, und der neue Herrscher war zudem durch Absprachen gebunden und stand immer wieder zwischen divergierenden Interessen. So wurde er im Blick auf Martin Luther einerseits vom päpstlichen Gesandten Hieronymus Aleander (1480–1542) bedrängt, auf ein eigenes Verhör des schon Gebannten vor Verhängung der Reichsacht zu verzichten, andererseits von dem mächtigen Kurfürsten Friedrich dem Wei-

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Karl V. und das Reich

III.

sen, eben ein solches vornehmen zu lassen – dies geschah schließlich, ohne dass damit eine weitere Rechtsbindung verbunden gewesen wäre, 1521 in Worms. „Reichsreform“ Auf dem Wormser Reichstag 1495 und in seiner Folge sind zahlreiche Entscheidungen getroffen worden, die die zentralen Instanzen des Reichs stärkten. Insbesondere wurde dem Kaiser gestattet, unmittelbar von allen Reichsbewohnern eine Abgabe, den „Gemeinen Pfennig“, zu erheben. Die Ausrufung eines Landfriedens und die Einrichtung eines Reichskammergerichts sollten die allgemeine Rechtssicherheit stärken; allerdings hat der Kaiser selbst Letzerem durch seinen Reichshofrat eine eigene Instanz mit nicht ganz klar abgegrenzten Befugnissen entgegengestellt. Für Stabilität sollte auch das 1500 in Nürnberg eingerichtete Reichsregiment sorgen. Diese Maßnahmen wurden früher gerne als „Reichsreform“ zusammengefasst. Das unterstellt allerdings einen systematischen Charakter, der so nicht gegeben ist. Eher ging es um Etappen auf dem Weg zum Ausgleich zwischen konkurrierenden Machtansprüchen.

Tatsächlich waren die Geschehnisse in Deutschland nur ein Teil in dem umfassenden Konzept einer Universalmonarchie, innerhalb dessen Karl V. die Hegemonie über ganz Europa anstrebte. Er hatte bereits vor seiner Kaiserwahl die Herrschaft über die Niederlande und Spanien angetreten und verband dies mit ausgedehnten Ansprüchen in Mittel- und Südamerika. Mit dem Tode Maximilians erbte er die habsburgischen Länder in Österreich, durch die Wahl zum römischen König wurde er zudem Herrscher über das deutsche Reich. Diese Konstellation brachte vielfältige Aufgaben in ganz Europa mit sich und lenkte ihn in den entscheidenden Jahren der Reformation von Deutschland ab: Von 1521 bis 1530 war er nicht im Reich, weil er durch andere Angelegenheiten in Beschlag genommen war. So musste er zunächst seine Herrschaft in Spanien gegen Aufständische sichern. Dann war er in den Zwanzigerjahren von den Auseinandersetzungen mit Franz I. von Frankreich um die Vorherrschaft in Oberitalien absorbiert. Nachdem Karl V. in der Schlacht von Pavia 1525 einen entscheidenden Erfolg über Franz I. errungen und diesen durch den Frieden von Madrid 1526 gesichert hatte, ging der französische König ein Bündnis mit Papst Clemens VII. (1523–1534) ein. In zähem Ringen gewann der Kaiser die Oberhoheit über seine Gegner und konnte schließlich im Frieden von Cambrai 1529 die Regelungen von Madrid zu guten Teilen bestätigen. Wenig später erfolgte die Krönung zum Kaiser durch den Papst. Erst danach kehrte Karl wieder nach Deutschland zurück, zum Augsburger Reichstag. Während seiner auswärtigen Aktivitäten lagen die Reichsgeschäfte weitgehend in der Hand seines Bruders Ferdinand I. (gest. 1564). Er übertrug diesem nicht nur die österreichischen Erblande der Familie, sondern vor allem auch die Statthalterschaft des Reiches während seiner Abwesenheit, die Ferdinand allerdings nur in Verbindung mit dem Reichsregiment ausüben durfte, was ihn in seinen Handlungsmöglichkeiten erheblich einschränkte. Das Reich, das mit dem Regierungsantritt Karls V. in vollem Glanz zu stehen schien, hat damit gerade in den Zwanzigerjahren des 16. Jahrhunderts erhebliche Einbußen an seiner Gestaltungsmacht erlitten, die das Aufleben der Reformation begünstigten.

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Universalmonarchie

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Reich und Reformation

III.

2. Der Wormser Reichstag

Lutherverhör

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Die erste Berührung des Reiches mit der entstehenden reformatorischen Bewegung war im Zusammenhang des Augsburger Reichstages im Oktober 1518 erfolgt, als Kardinal Cajetan Luther verhörte (s.o. S. 23). Es war der letzte Reichstag Maximilians I. Aufgrund der Zuspitzungen des Lutherprozesses musste sich Karl V. dann gleich auf seinem ersten Reichstag mit diesem befassen. Der Rechtszusammenhang resultierte daraus, dass ein von der Kirche Gebannter grundsätzlich unter Reichsacht zu stellen war. Hierzu bedurfte es keiner weiteren Verhandlungen. In langwierigen Gesprächen mit den Reichsständen aber sagte der Kaiser zu, Luther unter freiem Geleit nach Worms kommen zu lassen und anzuhören. Schon in diesem Zusammenhang wurde deutlich, dass die Stände in der reformatorischen Botschaft eine Verstärkung ihrer bisherigen Anliegen, der immer wieder gegen Rom vorgebrachten Gravamina sahen, deren Grundinhalte Luther ja tatsächlich in seiner Adelsschrift aufgegriffen hatte. Die öffentliche Aufmerksamkeit, die die Reformation gefunden hatte, und der rechtliche Vorgang führten nun zu einer brisanten Gemengelage: Martin Luthers Reise nach Worms durch Deutschland glich einem Triumphzug, immer wieder hielt der Gebannte Predigten und wurde etwa in Erfurt in humanistischer Manier als Held gefeiert. In Worms aber waren die Vorgänge hochkomplex, da sich das Verhör in einer juristisch schwer zu definierenden Grauzone bewegte: Der Reichstag hatte über Glaubensfragen nicht zu befinden – und doch wollte er den schon Verurteilten hören. So stellte der Trierer Offizial Johann von der Ecken (gest. 1524), der das Verhör zu leiten hatte, zunächst vor allem die quaestio facti, ob nämlich Luther die Bücher, die unter seinem Namen erschienen waren, als die Seinen anerkenne. Hinzu setzte er die Frage nach der aus Sicht der römischen Kirche einzig möglichen Haltung: ob Luther bereit sei, etwas aus seinen Schriften zu widerrufen. Luther, der möglicherweise mit der illusorischen Erwartung angereist war, wieder wie in Augsburg mit Cajetan eine Disputation halten zu können, war auf diese Frage offenbar nicht vorbereitet und erbat Bedenkzeit, die ihm auch gewährt wurde. Am nächsten Tag kam es zu seiner berühmten Rede, in der er seine Bücher in drei Gruppen einteilte: solche, die lediglich Glauben und Sitten behandelten und daher gar nicht widerrufen werden könnten, solche, in denen er das Papsttum bekämpft habe, und solche, in denen er sich gegen einzelne Anhänger des Papstes gewandt habe und dabei vielleicht gelegentlich etwas zu scharf gewesen sei. Der Sache nach leistete er also keinen Widerruf. Entscheidend war für die politisch-gesellschaftliche Situation die zweite Gruppe von Schriften, denn in ihrer Charakterisierung appellierte Luther deutlich an das Nationbewusstsein sowie die virulente Frage der Beschwerden der deutschen Nation und damit an diejenigen Teile des Reichstages, die bereit waren, seine Botschaft für ihre Anliegen aufzugreifen: „Denn das kann niemand leugnen oder verbergen, da es die Erfahrung und die Klage aller bezeugen, dass die Gesetze des Papstes und die Menschenlehren die Gewissen der Gläubigen elend in Fesseln ge-

Der Wormser Reichstag schlagen, misshandelt und zu Tode gefoltert haben und dass vor allem in dieser ruhmreichen deutschen Nation Hab und Gut von unglaublicher Tyrannei ohne Ende und auf unwürdige Weise verschlungen worden sind und noch verschlungen werden“ (WA 7, S. 833, Z. 10–15). Luthers Versuch, der Anklage durch Differenzierung zu entgehen, fruchtete allerdings nicht: Von der Ecken forderte ihn nun auf, direkt zu erklären, ob er bereit sei zu widerrufen oder nicht. Luther antwortete hierauf, er sei durch sein Gewissen gebunden und könne daher nicht widerrufen, sofern er nicht durch Schriftzeugnis oder Vernunftbeweis widerlegt werde. Die kurze Stellungnahme schloss er mit dem Seufzer: „Gott helfe mir. Amen.“ (WA 7, S. 838, Z. 9). Das berühmte Wort „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ stellt eine frühe legendarische Hinzufügung dar. Am folgenden Tag, dem 19. April, erklärte Karl V. in französischer Sprache, dass er sich an den Glauben seiner Väter halten wolle. Indem er Luther Hartnäckigkeit vorwarf, bestätigte er noch einmal den Vorwurf der Häresie, die nach mittelalterlichem Kirchenrecht nicht allein im Irrtum, sondern eben in dessen hartnäckiger Verteidigung lag. Dem Reichstag standen in dieser Situation der Sache nach keine Handlungsmöglichkeiten mehr zur Verfügung. Umso bemerkenswerter ist es im Blick auf die weiterhin politisch notwendigen Versuche, die Verhältnisse zwischen den Reichsinstanzen auszutarieren, dass die Stände vom Kaiser das weitere Zugeständnis erwirkten, in Verhandlungen mit Luther treten zu dürfen. Auch diese sollten, so die Vorgabe, in einen Widerruf des Reformators münden, aber damit sollte sich ein Einsatz für die Anliegen, die die Stände verfolgten, d.h. vor allem ein Schutz vor Zugriffen aus Rom, verbinden. Luther sollte so zum Spielball im Ringen zwischen Reichsständen und Kaiser werden. Seine Beharrlichkeit aber, nichts, was nicht durch die schon am 18. April genannten Kriterien „Schrift“ und „Vernunft“ widerlegt sei, zu widerrufen, machte alle derartigen Winkelzüge zunichte. So blieb auch dem Kaiser nicht nur aus inhaltlicher Überzeugung, sondern aufgrund der Rechtslage nichts anderes übrig, als Luther unter Reichsacht zu stellen. Das Wormser Edikt, in dem er dies tat, ist demnach, wie Armin Kohnle gezeigt hat, nicht ein „erschlichenes“ Edikt, als das es die protestantische Forschung lange Zeit gerne dargestellt hat, sondern auf ordentlichem Wege zustande gekommen. Der Kaiser bedurfte nicht der Zustimmung des Reichstages, um es zu erlassen. Es wurde am 8. Mai fertiggestellt und dementsprechend auch unter diesem Datum verbreitet. In ihm wurde Luther der im Vorfeld des Reichstags gewährte Schutz noch bis zum 14. Mai zugestanden. Diese Frist nutzte der Kurfürst, Luther auf die Wartburg zu verbringen. Vom Ablauf der Frist an sollte niemand Luther in sein Haus aufnehmen, mit Nahrung versehen oder irgendwie unterstützen, sondern ihn, wenn man seiner habhaft werden könne, gefangen setzen und ausliefern. Auch seine Anhänger sollten gefangen genommen und enteignet werden. Zudem sollten Luthers Schriften nicht mehr gedruckt oder verkauft werden. Damit war die Rechtlosigkeit Luthers und ein Verbot der Ausbreitung seiner Gedanken beschlossen – Letzteres aber erfolgte angesichts der längst erfolgreichen medialen Verbreitung der Reformation zu spät. Das Edikt bedeutete für die Folgezeit den Rechtsrahmen für den Umgang mit der Reformation. Die Ausbreitung des reformatorischen Denkens konnte es nicht aufhalten.

III.

Verhandlungen der Stände

Wormser Edikt

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Reich und Reformation

III.

Auf den Reichstagen der folgenden Jahre wurde diese Spannung immer wieder zum Thema. Schon 1523 in Nürnberg trugen die Stände vor, dass eine Durchführung des Edikts gegen den Willen der Bevölkerung kaum möglich sei. Vor allem aber drängten sie wiederum auf die Gravaminafrage und verlangten die Einberufung eines Konzils. Auf dem folgenden Reichstag, ebenfalls in Nürnberg 1523/24, steigerte sich diese Forderung sogar zu der eines Nationalkonzils – damit wäre der von Luther in der Adelsschrift umrissene Rahmen einer Nationalkirche um einiges näher gerückt, doch der Kaiser untersagte eine solche Versammlung. Dass die dabei leitende Furcht vor Umsturz und Unruhe im Reich nicht ganz abwegig war, zeigten allerdings bald schon die weiteren Entwicklungen.

3. Unruhe bei Rittern und Bauern Nicht allein in den Städten wurde das Anliegen der Reformation aufgegriffen und zum Teil zur Umsetzung längerfristig angelegter eigener Interessen genutzt, sondern auch in der Ritterschaft. In den Jahren 1522/23 versuchte der Reichsritter Franz von Sickingen (1481–1523), der schon seit etwa 1515 durch verschiedene gewaltsame Fehdezüge unter anderem gegen Metz und Frankfurt aufgefallen war, die Reformation gewaltsam auszubreiten und dabei zugleich seinen eigenen politischen Einfluss zu vergrößern. Sein Ziel war die Umstrukturierung der bischöflichen Verfassung. Dabei ist seine inhaltliche Motivation durchaus ernst zu nehmen: Sickingen war von Ulrich von Hutten beeinflusst und beschützte mehrere reformatorisch Gesonnene – unter ihnen zeitweise Martin Bucer und Johannes Oekolampad. 1520 bot er auch Luther Zuflucht auf der Ebernburg im Nahetal an. Diese Anliegen aber verbanden sich mit dem Kampf um ritterliche Rechte. So wurde Sickingen 1522 Hauptmann einer „Brüderlichen Vereinigung“ der Ritter am Oberrhein und trat in eine Fehde mit dem Trierer Erzbischof Richard von Greiffenklau (1511–1531) ein. Allerdings fehlte ihm die Unterstützung der eigenen Standesgenossen, und nach mehrmonatigen Auseinandersetzungen wurde er 1523 vom Trierer Kurfürsten und dessen Verbündeten geschlagen. Kurz hatte sich damit gezeigt, dass die Reformation Kräfte freisetzen oder verstärken konnte, die auf eine Umgestaltung der sozialen Gegebenheiten und der Verfassung des Reiches zielten.

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Reichsritter Die Reichsritter waren Angehörige des niederen Adels, die keinem Landesherren, sondern direkt dem Reich unterstanden, freilich auf dem Reichstag nicht stimmberechtigt vertreten waren. Geistliche Fürsten Seit dem frühen Mittelalter waren die Bischöfe mit Regalien (Königsrechten) ausgestattet worden, auf deren Grundlage sie herrschaftlich über zum Teil erhebliche Territorien verfügen konnten. Das dahinter liegende Interesse war die durch den Zölibat (Ausschluss der Priester von der Ehe) bedingte Unmöglichkeit, eine direkte Dynastie zu bilden. Als geistliche Fürsten waren sie auch auf dem Reichstag

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Unruhe bei Rittern und Bauern

III.

vertreten, drei von ihnen (Köln, Mainz und Trier) sogar als Kurfürsten. Die Doppelung ihrer Aufgaben, geistliche Jurisdiktion in der kirchlichen Diözese einerseits und weltliche Herrschaft in ihrem Territorium andererseits, machte sie zu schwierigen Konkurrenten der anderen weltlichen Herrscher.

Massiver wurde dies noch bei den Unruhen des gemeinen Mannes, die in der Regel als Bauernkrieg bezeichnet werden. Als „gemeiner Mann“ (im Sinne von „allgemein“) werden diejenigen Personen bezeichnet, die in der Stadt wie auf dem Land von bürgerschaftlichen oder herrschaftlichen Rechten ausgeschlossen sind. Dass sich Bauern und andere Entrechtete erhoben, war nicht neu. Seit dem 14. Jahrhundert war es in ganz Europa immer wieder zu Bauernaufständen gekommen. Die Bundschuhbewegung im Südwesten radikalisierte im ausgehenden 15. Jahrhundert die bäuerlichen Forderungen. Der Hintergrund des Protestes war die zunehmende Bedrängung des Bauernstandes in den sich verdichtenden Territorien: Je mehr die Herrschaftsverhältnisse verrechtlicht und umfassend durchgesetzt wurden, desto stärker wurde in bisherige offene Rechtszusammenhänge, etwa das gemeinsame Recht an Wäldern, Wiesen und Flüssen, eingegriffen. Die Möglichkeiten zum Holzschlag, zur Weide und zur Fischerei wurden so erheblich eingeschränkt. Bauernkrieg Die Rede vom „Bauernkrieg“ oder „Großen deutschen Bauernkrieg“ überhöht die faktischen Gegebenheiten. Tatsächlich handelte es sich in den Jahren 1524/ 25 um einen weit verbreiteten Aufstand von Bauern und anderer unterprivilegierter Gruppen. Die hervorgehobene Bedeutung, die dem Bauernkrieg immer wieder in der Reformationsgeschichte zugemessen wurde, hing auch mit der marxistischen Deutung der Reformation, zumal in der DDR zusammen. Einer Konzeption Friedrich Engels’ (1820–1895) folgend, galt die Reformation als „Frühbürgerliche Revolution“, die ihren besonderen Ausdruck im Bauernkrieg gefunden habe. Dabei wurden einseitig klassenkämpferische Momente in den Vordergrund der Interpretation gerückt. Mittlerweile dominiert in der Forschung eine vorsichtigere und komplexere Zuordnung des Bauernkriegs zum Gesamtphänomen der Reformation.

Bauernkrieg

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Gelegentlich wurde schon in diesem spätmittelalterlichen Zusammenhang religiös argumentiert. Dieses Moment aber verstärkte sich in den frühen Zwanzigerjahren durch die reformatorische Bewegung. Angesichts der mangelnden Lesefähigkeit waren die Bauern in der Regel auf Vermittler angewiesen, um durch Erzählungen oder das Vorlesen von Flugschriften mit den reformatorischen Ideen bekannt zu werden. In aktiver Rezeption zeichneten sie dann diese Überlegungen, insbesondere die starke Betonung der Heiligen Schrift, in ihren sozialen Kontext ein und entwickelten so eigene theologische Vorstellungen vom Göttlichen Recht (Peter Blickle). Freilich gilt hier in noch höherem Maße als in den oberdeutschen Städten, dass man nicht allein von einer Theologie ausgehen kann, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher theologischer Konzepte in Anschlag bringen muss, die sich allerdings angesichts der gering ausgeprägten Schriftlichkeit nur selten literarisch fassen lassen. Hauptzeugnis hierfür sind die „Zwölf Artikel“, die im Februar/März 1525 die Forderungen der Bauernschaft zusammenfassten und zugleich deren Argumentationsweise zeigen. Mit 25 Drucken in nur

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Reich und Reformation

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zwei Monaten gehören sie zu den meistverbreiteten und wohl auch -gelesenen Schriften der Zeit. Bemerkenswert ist für den Zusammenhang mit der Reformation, dass an ihrem Anfang die Forderung nach freier Wahl eines Pfarrers und reiner Verkündigung des Evangeliums stand. Dann allerdings folgten soziale Anliegen verschiedener Art wie die Forderung nach Reduktion des Zehnten auf den Kornzehnt unter Verzicht auf den für Tiere fälligen Kleinen Zehnt, nach freier Jagd und Fischerei oder nach Minderung des Frondienstes. Die wohl brisanteste, im wahrsten Sinne des Wortes revolutionäre Forderung findet sich im dritten Artikel, dessen Thema die Aufhebung der Leibeigenschaft war. Dieser Artikel ist auch charakteristisch für die Argumentationsstrategie: Christus habe alle Christen erlöst. Trotz des gleich anschließenden Zugeständnisses, dass man nicht auf alle Obrigkeit verzichten wolle, bedeutete dies eine sehr weitreichende sozialförmige Konsequenz aus der reformatorischen Botschaft von der Freiheit eines Christenmenschen. Luther hat später zu Recht darauf verwiesen, dass er diese so nicht verstanden wissen wollte – allerdings hat die Gemengelage aus theologischer, kirchenpolitischer und politischer Argumentation den Bauern zureichend Anlass gegeben, seine Botschaft in dieser Weise auf ihre Situation anzuwenden. Charakteristisch ist die dabei verfolgte Argumentationslinie eines sehr direkten Bibelbezugs: Die „Zwölf Artikel“ verweisen durchweg für alle erhobenen Forderungen auf biblische Belege. Man kann hierin durchaus einen gewissen Biblizismus sehen, der aber zugleich eben auch Ausdruck des eigenständigen Bemühens um theologische Erfassung der gegenwärtigen Lage im reformatorischen Horizont ist (Blickle).

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Die Zwölf Artikel aus: Blickle, Revolution, S. 322–324 Der erst Artickel. Zvm ersten ist vnser diemuettig bytt vnd beger, auch vnser aller will vnd maynung, das wir nun fürohin gewalt vnd macht woellen haben, ain gantze gemain sol ain Pfarer selbs Erwoelen vnd kyesen. Auch gewalt haben den selbigen wider zuoentsetzen, wann er sich vngepürlich hieldt, Der selbig erwoelt pfarrer soll vns das hailig Euangeli lauter vnd klar predigen one allen menschlichen zuosatz, leer vnd gebot, dann vns den waren glauben stetz verkündigen, geyt vns ain ursach got vmm sein gnad zuo bitten, vnns den selbygen waren glawben einbylden vnd in vns bestetten, Dann wann seyn genad in vnß nit ein gepyldet wirdt, so bleyben wir stetz fleysch vnd bluot, das dann nichts nutz ist, wie klaerlich in der geschrifft stat, das wir allain durch den waren glauben zuo got kommen kinden, vnd allein durch seyn barmhertziigkait saelig muessen werden, Darumb ist vns ain soellicher vorgeer vnd Pfarrer von noetten vnd in dieser gestalt in der geschrifft gegrindt. (…) Der drit artickel. Zuom dritten, Ist der brauch byßher gewesen das man vns für aigen leüt gehalten haben, woelchs zuo erbarmen ist, angesehen, das vns Christus all mitt seynem kostparlichen pluotverguessen, erloeßt vnnd erkaufft hat, Den Hyrtten gleych alls wol alls Den hoechsten, kain außgenommen, Darumb erfindt sich mit der geschryfft, das wir frey seyen und woellen sein. Nit dz wir gar frey woellen seyn, kain oberkait haben wellen, Lernet vnß Gott nit.

Als die Artikel erschienen und die Kräfte der Bauern noch einmal bündelten, war der Aufstand schon einige Zeit im Gange. Seit dem Sommer 1524

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Unruhe bei Rittern und Bauern

III.

war es im Schwarzwald und am Oberrhein zu vereinzelten Revolten gekommen. Die „Zwölf Artikel“ trieben nun eine Einigungsbewegung voran, die den Aktionen eine neue, konzentrierte Stoßkraft gab. Sie dienten gemeinsam mit der „Memminger Bundesordnung“ als Grundlage für eine „christliche Vereinigung“ der Bauern, deren Aufstände sich nun bis in die Pfalz hinein ausdehnten und den gesamten Südwesten des Reichs in Erregung brachten. Von hier aus griff die Unruhe dann auch nach Thüringen über, wo zu einem der Anführer Thomas Müntzer wurde. Er identifizierte nun die Bauern als diejenigen, die das Reich Gottes herbeikämpfen sollten und übertrug die im städtischen Kontext Mühlhausens entwickelten Konzeptionen auf die Bauern. Er selbst führte eine Gruppe von Aufständischen unter dem Zeichen des Regenbogens und dem Motto Verbum Domini manet in aeternum („Das Wort Gottes bleibt in Ewigkeit“) in den Krieg. Mit den Aktivitäten in Thüringen machte auf einer Reise auch Luther Bekanntschaft. Die Erfahrungen in diesem Zusammenhang führten dazu, dass seine anfänglich moderate Haltung gegenüber dem Bauernkrieg kippte und er zur Niedermetzelung der Aufständischen aufrief. Luthers Haltung zu den Bauernkriegen Luther war von den Bauern um Stellungnahme zu ihren Forderungen gebeten worden und folgte dem auch rasch mit seiner Schrift „Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben“. In ihr bejahte er die Forderungen der Bauern im Grundsatz, bestritt ihnen aber das Recht, sich für ihren Aufstand auf Christus zu berufen. Angesichts der Erfahrungen mit Gewalttaten in Thüringen schrieb er einen Anhang zu dieser Schrift unter dem Titel „Auch wider die räuberischen und mörderischen Rotten der andern Bauern“, in dem er die Obrigkeit zur rücksichtlosen Niederschlagung des Aufstands aufrief. Die Tatsache, dass dieser Text erst nach der vernichtenden Niederlage der Bauern bei Frankenhausen bekannt wurde und dazu auch einzeln gedruckt wurde, führte zu verbreiteter Irritation über den Reformator. Verständlich wird dessen Haltung wohl vor allem aufgrund seiner starken Obrigkeitslehre und dem Bemühen, im werdenden frühneuzeitlichen Staat ein Gewaltmonopol zu befestigen, das den Rückfall in mittelalterliches Fehderecht verhindern sollte.

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Als die Flamme des Aufstands in Mitteldeutschland angekommen war, war der Zenit im Südwesten bereits überschritten. In der Schlacht bei Leipheim hatte der Schwäbische Bund am 4. April einen wichtigen Sieg errungen, und mit einem diplomatischen Trick gelang es am 17. April dem Truchsess von Waldburg, durch den Vertrag von Weingarten eine große Gruppe von Bauern ruhigzustellen, die vergeblich auf Erfüllung ihrer Forderungen warteten. Die Entscheidungsschlacht in Thüringen fand am 15. Mai 1525 bei Frankenhausen statt. Sie brachte einen umfassenden Sieg der Fürsten. Eine Koalition mehrerer Herrscher schlug die Bauernhaufen vernichtend. Am 27. Mai wurde Müntzer hingerichtet. Die Aktionen der Bauern liefen letztlich ohne Erfolg aus. Für die reformatorische Bewegung allerdings waren die Ereignisse folgenreich: Das Image der öffentlichen Figur Luther verschob sich in eben jener Weise, die sich schon in der Auseinandersetzung mit Karlstadt und Thomas Müntzer angedeutet hatte: Neben das literarisch als Passio Doctoris Martini Lutheri verbreitete Symbol des Mönchs, der allein gegen Papst und Kaiser

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Reich und Reformation

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stand, trat nun das Bild vom „sanftlebenden Fleisch zu Wittenberg“, gegen das Müntzer schon 1524 in einer Flugschrift agitiert hatte. Die so sorgsam in den reformatorischen Auseinandersetzungen durch Disputationen und Flugschriften geschaffenen Alternativen multiplizierten sich aufgrund der beginnenden innerreformatorischen Vielfalt, zumal nun bald auch noch der Streit um das Abendmahl einsetzte. Dass Luther nur gut einen Monat nach der Schlacht von Frankenhausen die Ehe mit der ehemaligen Nonne Katharina von Bora (1499–1552) einging, war auch nicht eben ein Zeichen von Sensibilität für die heikle Situation und wurde auch von Nahestehenden als unpassend empfunden.

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Eheschließung von Geistlichen Seit dem hohen Mittelalter galt die Ehe als ausschließendes Weihehindernis, d.h. der Zölibat wurde zur allgemeinen Pflicht für Kleriker. Dies wurde schon 1521 scharf attackiert, und es kam verschiedentlich zu Eheschließungen, die auch publizistisch bekannt gemacht wurden. Der spektakulärste Fall war der des Propstes von Kemberg Bartholomäus Bernhardi, für den Karlstadt eine Apologia schrieb, welche er im August 1521 an Albrecht von Mainz schickte und bald darauf veröffentlichte. Er selbst heiratete im Januar 1522. Zwingli begann im selben Jahr eine heimliche Ehe mit Anna Reinhart, die er 1524 auch öffentlich machte. Luthers Ehe war also keineswegs ohne Vorbild, zog aber durch seine hervorgehobene Stellung besonders viel Aufmerksamkeit und auch Polemik auf sich. Das 19. Jahrhundert hat das Leben des Ehepaares Luther zur Keimzelle des evangelischen Pfarrhauses gemacht. Tatsächlich erfolgte sozialhistorisch die Ablösung des ehelosen Klerikerstandes durch den evangelischen Pfarrerstand, der über ein ausgeprägtes besonderes Standesbewusstsein verfügte und durch die Eheschließung sogar die Möglichkeit hatte, sich selbst zu reproduzieren, in einer allmählichen Entwicklung im Zeitalter der Konfessionen.

Überdies verprellte Luther durch den Streit mit Erasmus über den freien Willen zahlreiche Anhänger aus dem humanistischen Lager. Auch hier also wurde eine seit der Heidelberger Disputation scheinbar klare Frontstellung weicher. Luther galt Humanisten nicht mehr ohne Weiteres als einer der Ihren. Man konnte als Humanist durchaus mit guten Gründen im altgläubigen Lager bleiben, wie es Erasmus tat, während Philipp Melanchthon den weiter der Reformation zugeneigten Flügel des Humanismus repräsentierte. Das Jahr 1525 bedeutete so in mancher Hinsicht einen Umschlagspunkt für die reformatorische Entwicklung, und dies umso mehr, als im folgenden Jahr Fürsten begannen, die Reformation auf obrigkeitlichem Wege einzuführen. Der „Wildwuchs“ wurde klar geordnet, Förderliches von Gefährlichem geschieden.

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Streit um den freien Willen 1524 verfasste Erasmus von Rotterdam seine Streitschrift De libero arbitrio, „Vom freien Willen“. Luther hatte seit seiner Hinwendung zum Augustinismus bestritten, dass der Mensch in Fragen des Heils über einen freien Willen verfüge. Dem hielt Erasmus entgegen, dass der Schriftbefund jedenfalls unklar sei, und votierte für eine moderate Bejahung des freien Willens. Luther konnte erst im November 1525 mit seinem flammenden Appell De servo arbitrio, „Vom geknechteten Willen“ reagieren, in dem er einerseits den Gedanken einer Klarheit der Schrift verfocht, andererseits vehement seine Bestreitung der Willensfreiheit in Sachen des Heils unterstrich. Der Mensch sei Reittier entweder Gottes oder des Teufels.

Unruhe bei Rittern und Bauern

III.

Nicht allein der Inhalt, sondern auch der Stil, insbesondere die Betonung, es gehe in seinem Votum nicht um diskutable Ansichten, sondern um Wahrheiten, denen man nur Gehorsam leisten könne, unterschied Luthers Schrift markant von dem humanistischen Diskurs.

Das brachte auch eine weitere Pluralisierung im devianten Lager, wo nun auf andere Weise das Erbe Müntzers fortgeführt wurde und neben den in Zürich wurzelnden Gruppen eine andere Form von Täufertum entstand: Der Buchhändler Hans Hut (gest. 1527) überlebte die Schlacht von Frankenhausen und zog die Konsequenz aus dem katastrophalen Verlauf in Gestalt einer Verbindung aus chiliastischer Erwartung und eigener Tauflehre. 1526 ließ er sich von Hans Denck (gest. 1527) taufen, der wie er unter dem Einfluss Müntzers und Karlstadts stand, zudem aber auch Anregungen von den Schweizer Täufern aufgegriffen hatte. Hut kritisierte die falsche Haltung derer, die die Kindertaufe pflegten, weil es ihnen an einem wahrhaft christusförmigen Leben fehle. Die Taufe der Glaubenden war für ihn das Zeichen der Versiegelung für die Endzeit. Mit dieser Botschaft, in der er selbst als Prophet der Endzeit eine zentrale Rolle einnahm, gründete er an vielen Orten neue Gemeinschaften, die aber nicht zuletzt wegen der Verbindung mit Müntzer und den Bauernunruhen unter dem Verdacht des Aufruhrs standen. Tatsächlich blieb im Hutschen Täufertum eine latente Gewaltbereitschaft erhalten. Auf einer 1527 in Augsburg abgehaltenen Synode wandte Hut sich ausdrücklich gegen die Schleitheimer Forderungen nach Eidverweigerung und Verzicht auf Kriegsdienst – der Zwiespalt zwischen stäblerischem (friedlichem) und schwertlerischem (gewaltbereitem) Täufertum wurde so manifest. Allerdings wurden viele der Teilnehmer der Synode, unter anderem Hut selbst, wenig später hingerichtet – das trug ihr den Namen „Märtyrersynode“ ein. Zu den Anhängern Huts, die aus Augsburg flüchten konnten, gehörte Augustin Bader (gest. 1530), der sich ab 1530 daran machte, in der Nähe von Ulm ein endzeitliches Reich unter seinem eben geborenen Sohn als Messias zu errichten. Noch im selben Jahr aber wurde er von der österreichischen Regierung, die damals Württemberg verwaltete, gefangen gesetzt und hingerichtet. Der Altgläubigen wie der reformatorischen Seite galt er als Protagonist eines gewaltbereiten Täufertums. Während Baders Wirkung aber – abgesehen davon, dass sich der Auseinandersetzung mit ihm die Verurteilung des Chiliasmus in der Confessio Augustana (s.u. S. 70f.) verdankt – gering blieb, wurde Melchior Hoffmann (gest. 1543) maßgeblich für die weitere Verbreitung des endzeitlich gesonnenen Täufertums. Nach verschiedenen Auseinandersetzungen, die 1529 zu seiner Ausweisung aus Schleswig-Holstein führten, gelangte er um 1530 nach Straßburg, wo er in Kontakt mit dem Denckschen Täufertum und enthusiastischen Kreisen vor Ort kam. In einer an Thomas Müntzer erinnernden Sprache verkündete er von nun an den Triumph über das gegenwärtige „Babylon“ und die Ausrottung der Gottlosen, vor allem der „Pfaffen“. Seine chiliastische Erwartung richtete sich auf Straßburg als Neues Jerusalem. Als er aber, 1530 wegen Auseinandersetzungen mit den dortigen Reformatoren ausgewiesen, 1533 in diese gelobte Stadt zurückkehrte, wurde er als Häretiker in Haft genommen und blieb auch darin, während andere seine Ideen in Münster umzusetzen suchten (s.u. S. 74).

Vielgestaltigkeit des Täufertums

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Reich und Reformation

III. Spiritualisten

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Die mehrfache Vermittlerrolle von Hans Denck verweist auch darauf, dass die Unterscheidung der Täufer von den Spiritualisten nicht so scharf ist, wie es die begriffliche Trennung suggeriert. Tatsächlich war seine Praxis der Glaubenstaufe Ausdruck einer tief liegenden, mystisch inspirierten Betonung des Vorrangs des Innerlichen vor dem Äußerlichen – jene Polarität, die für Luthers wie Zwinglis Protest gegen veräußerlichte Formen der mittelalterlichen Kirche leitend gewesen war, führte in einer Zeit, in der die führenden Reformatoren sich zur Verwirklichung und Absicherung ihrer Ideen verstärkt auf die Obrigkeit stützten, zu einer Kritik auch an diesen selbst. Im Vertrauen auf das unmittelbare Wirken des Geistes im Herzen der Glaubenden wertete Denck die Sakramente, sogar die Bibel selbst ab. Unter seinem Einfluss entwickelte auch Sebasian Franck (gest. 1542) einen immer ausgeprägteren Spiritualismus, den er charakteristischerweise aus den Schriften des jungen Luther und dessen Quellen, Theologia deutsch und Tauler, speiste. Am Hauptstrom der Reformation kritisierte er vor allem die mangelnde Umsetzung des neuen Glaubens in Lebenswirklichkeit. Theoretisch bettete er seine Überlegungen in eine umfassende Geschichtsschau ein, die er in seiner „Chronica, Zeitbuch und Geschichtsbibel“ (1531) niederlegte. Geschichte erschien ihm als Kampffeld zwischen Geist und Buchstabe, wobei sich der Geist in mehreren Gestalten manifestieren konnte. Die Bibel war nur eine davon und verlor an Wert, solange sie nicht von geistbewegten Menschen gelesen wurde; ähnlich stand es mit den Sakramenten, ja, mit jeder Form äußerer Kirche. Für seine Überzeugungen nahm Franck ein Leben im gesellschaftlichen Abseits in Kauf: Nach mehreren Jahren als Geistlicher zog er sich zurück, lebte zeitweise in Esslingen als Seifensieder, später dann in Ulm und Basel als Buchdrucker. Solch unstetes Leben war auch für andere Spiritualisten kennzeichnend. Gleichzeitig mit Franck befand sich auch der schlesische Adelige Kaspar Schwenckfeld von Ossig (1489–1561) in Ulm. Seine Impulse ähnelten sowohl in den mystischen Wurzeln wie auch im Interesse an einer Umsetzung der Reformation im christlichen Leben denen Francks. Um 1525/26 kam es über das Abendmahl zum Bruch mit Luther. Schwenckfeld sah in dessen Lehre von der Realpräsenz eine unzulässige Verobjektivierung und letztlich eine neue Werkgerechtigkeit, die der Rechtfertigungslehre im Kern widersprach. Entscheidend war nach Schwenckfeld die innere Wirkung Christi im Glaubenden – weswegen er selbst ab 1526 auf die Teilnahme am regulären, bloß äußerlichen Abendmahl verzichtete. Wie Franck musste er nun von Ort zu Ort reisen, wurde dabei allerdings immer wieder von einem adeligen Netzwerk aufgefangen, das ihm auch zeitweilig Schutz in anderen Territorien und in Reichsstädten ermöglichte. Der Umstand, dass ihn sein Spiritualismus in direkten Konflikt mit Täufern brachte, unterstreicht noch einmal die komplexe Verhältnisbestimmung von Zusammenhang und Differenz zwischen diesen unterschiedlichen Gruppen am Rand der Reformation. Gemeinsam war ihnen, dass es ihnen und ihren Anhängern versagt blieb, auf die Dauer Gemeinwesen in ihrem Sinne umzugestalten.

Zwischen Zulassung und Abwehr der Reformation

III.

4. Zwischen Zulassung und Abwehr der Reformation: die Reichstage von Speyer und die territoriale Reformation in Hessen und Sachsen Luther war schon ein offiziöser Anführer der sächsischen Kirche, ehe sich das Kurfürstentum zur Reformation bekannte. 1522 hatte er die Wartburg noch gegen den Willen Friedrichs des Weisen verlassen, dann aber durchaus in dessen Sinne auf die Verhältnisse in Wittenberg eingewirkt. Als er 1524 an die mittlere Saale reiste, um sich dem Kreis um Karlstadt entgegenzustellen (s.o. S. 44f.), tat er dies schon mit Willen des Herrschers. In der Forschung ist hier immer wieder durchaus angemessen von einer „Visitationsreise“ die Rede, auch wenn diese keine rechtliche Grundlage besaß: Luther übernahm die Rolle, die im Mittelalter den Bischöfen zukam, willig und mit einem gewissen Erfolg. Das Gesuch, dies zu tun, war von dem Neffen des kinderlosen Kurfürsten, Herzog Johann Friedrich, ausgegangen. Darin deutete sich bereits an, dass die nachfolgende sächsische Herrschergeneration den Weg zur Reformation auch offiziell beschreiten würde, während Friedrich selbst dies noch vermied. Er zeigte zwar durch seine Lutherschutzpolitik und auch durch den Verzicht auf die Ausstellung seines großen Reliquienschatzes seine Sympathien für Luther und die Reformation, aber erst auf dem Totenbett 1525 ließ er sich das Abendmahl unter beiderlei Gestalt reichen. Bis dahin war die reformatorische Bewegung in Sachsen bloß geduldet, aber protegiert. Durch die Maßnahmen gegen die Devianten war auch erkennbar, dass die Ernestiner auf eine bestimmte Variante der Umgestaltung setzten – eine rechtliche Anerkennung aber war dies nicht und konnte es auch schwerlich sein, da dies die Absage an das geltende Kirchenrecht impliziert hätte. Die Förderung der Reformation durch Friedrich lässt sich einerseits aus theologischen, reformorientierten Vorstellungen erklären, andererseits aber auch daraus, dass die reformatorische Bewegung die traditionellen Dezentralisierungstendenzen unterstützte und so die Macht der lokalen Herrscher stärkte. Mit seinem Nachfolger, seinem Bruder Johann dem Beständigen (1525–1532), aber kam ein Herrscher an die Macht, der der Reformation von früh an offen gegenüberstand und bald auch bereit war, sie offensiv zu unterstützen, als sich hierfür die reichsrechtlichen Möglichkeiten ergaben. Sachsen war allerdings nicht das erste Territorium, das sich der Reformation zuwandte. Albrecht von Brandenburg (gest. 1568), der Hochmeister des Deutschen Ordens, der in dieser Funktion auch über Preußen regierte, führte 1525 die Reformation in seinem Land ein. Preußen wurde säkularisiert und der polnischen Krone als Lehen unterstellt. Der größte Teil der Deutschordensherren in Preußen folgte ihm, und er errichtete nun, beginnend mit der Kirchenordnung von 1525, konsequent ein evangelisches Herzogtum, das aber durch die Bindung an Polen seinen Einfluss im Reich verlor. Deutscher Orden Der Deutsche Orden war 1198/99 nach dem Vorbild der Johanniter und der Templer bei Akko als Ritterorden gegründet worden. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die militärische Lage im Heiligen Land schon gegen die Kreuzfahrer ge-

Deutschordensstaat

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Reich und Reformation

III.

wandt, sodass die Orden nach neuen Tätigkeitsfeldern in Europa suchten. Ab 1231 eroberten die Deutschordensritter im Kampf mit den Preußen das Kulmerland und errichteten hier im späten Mittelalter ein staatliches Gebilde, dessen Herrschaftsstrukturen mit denen des Ordens verzahnt waren.

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Erster Reichstag von Speyer

Dort wurde die weitere Entwicklung durch den ersten Reichstag von Speyer bestimmt, der am 25. Juni 1526 zusammentrat. Er sollte einerseits über die Folgen der Bauernunruhen verhandeln, andererseits über die Durchsetzung des Wormser Edikts, an der nun die Haltung zur reformatorischen Bewegung bemessbar war. Diese Frage schob sich in den Verhandlungen immer mehr in den Vordergrund. Insbesondere die Reichsstädte betonten die Undurchführbarkeit des Edikts, aber auch von fürstlicher Seite wurden Kompromissmöglichkeiten erwogen. Der Reichstag mündete in einen Abschied, der am 27. August einerseits die Erwartung eines Generalkonzils oder auch einer Nationalversammlung formulierte, andererseits aber für die Zeit bis dahin eine außerordentlich offene Formulierung wählte: Für jeden Stand sollte die Maßgabe gelten, hinsichtlich des Wormser Edikt „für sich also zu leben, zu regieren und zu halten, wie ein jeder solches gegen Gott, und käyserl. Majestät hoffet und vertraut zu verantworten“ (Neue und vollständigere | Sammlung | der | Reichs=Abschiede … Zweyter Theil | derer | Reichs=Abschiede | von dem Jahr | 1495. Bis auf das Jahr 1551. | inclusive, Frankfurt/Main 1747, 274 § 4). Die Bedeutung dieser Formel ist schwer zu greifen und in der Forschung unterschiedlich bestimmt worden: Einerseits kann man darin mit der klassischen protestantischen Geschichtsschreibung die Grundlage oder wenigstens Ermöglichung für die Bildung evangelischer Landeskirchen sehen, andererseits eine bloße Waffenstillstandsformel. Diese Linie weiterdenkend, wird man sie wohl als klassische „dissimulierende“ Formel (Kohnle, im Anschluss an M. Heckel) bestimmen können, das heißt, eine solche, die unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten offenhielt. Von altgläubiger Seite verband sich mit ihr die Erwartung eines Stillehaltens und Verzichts auf verändernde Maßnahmen bis zu einer allgemein verbindlichen Entscheidung, sei es auf universalkirchlicher, sei es auf nationaler Ebene. Die Stände jedoch, die der Reformation zugeneigt waren – neben mehreren Reichsstädten vor allem das Kurfürstentum Sachsen und die Landgrafschaft Hessen –, sahen in dem Beschluss die Grundlage für reformatorische Maßnahmen.

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Reichstagsabschied Der Reichsabschied war die Sammlung aller auf dem Reichstag mit kaiserlicher Zustimmung gefassten Reichsschlüsse (Beschlüsse).

Reformation in Sachsen

Allerdings wurden diese durch den Beschluss von Speyer nicht etwa ausgelöst, sondern schon Begonnenes erhielt nun seine Legitimation und wurde durch zwei aktiv reformatorisch gesonnene Herrscherpersönlichkeiten, Johann den Beständigen und Philipp den Großmütigen von Hessen (1509/ 15181567) vorangetrieben. Johann hatte bereits im März 1525 in seinem thüringischen Einflussgebiet erste Visitationen durch Jakob Strauß (gest. ca. 1530) veranlasst, die das, was Luther in seiner Reise zu Karlstadt vollzogen hatte, institutionalisierten. Die vereinheitlichende Organisation des städtischen „Wildwuchses“ wurde offenbar immer mehr zur drängenden Auf-

Zwischen Zulassung und Abwehr der Reformation

III.

gabe, und die nächstliegende Instanz hierfür waren die Fürsten. So wies im Spätsommer 1525 auch der Zwickauer Pfarrer Nikolaus Hausmann auf die Notwendigkeit von Visitationen hin, und Luther gab diesen Vorschlag an den nunmehrigen Kurfürsten Johann weiter. Noch vor Beginn des Speyerer Reichstags wurden die ersten entsprechenden Maßnahmen durchgeführt. Rasch gewannen sie an Schwung. In sozialhistorischer Perspektive bedeutete dies in der Tat nicht mehr als eine Ordnung der wirren Verhältnisse. Rechtlich aber brachten die vom Landesherren initiierten Visitationen eine grundlegende Änderung, denn mit ihnen übernahmen die Fürsten Aufgaben der Aufsicht über die Pfarreien, die eigentlich den Bischöfen zukamen. Solche fürstlichen Visitationen waren im späten Mittelalter nicht vorbildlos, nun aber erhielten sie ihre prinzipielle Begründung in einer Verbindung aus der Vorstellung vom allgemeinen Priestertum und den gegebenen Herrschaftsverhältnissen. Die Reformatoren argumentierten, dass in einer Situation, in der die Bischöfe für die anstehende Kirchengestaltung ausfielen, die vornehmsten Glieder der Kirche die organisatorischen Aufgaben zu übernehmen hätten. Im Blick auf längerfristige Entwicklungen bedeutete diese Übernahme des „Notbischofsamtes“ durch den Landesherren eine Verstärkung der spätmittelalterlichen Bemühungen um eine Verdichtung der Territorien – der externe Einfluss durch den Diözesanbischof war damit ausgegrenzt, wichtige Aufgabenbereiche, die bislang fremder Kontrolle unterlagen, gerieten in die Hand des Landesherren. Indem Kirche so in das Territorium eingezeichnet wurde, nutzten die evangelischen Landesherren die Reformation zur Stärkung der bei ihnen liegenden dezentralen Macht und transformierten sachte die hierauf zulaufenden spätmittelalterlichen Entwicklungen im reformatorischen Sinne. Landesherrliches Kirchenregiment In der Übernahme fürstlicher Verantwortung für die Reformation liegen die Wurzeln des landesherrlichen Kirchenregiments. Mit unterschiedlichen Begründungen blieb es der Sache nach bis zum Ende des Ersten Weltkriegs 1918 erhalten.

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Die Visitationen hatten eine doppelte Aufgabe: Zum einen ging es um die Regelung des Kirchenguts, zum anderen um eine Normierung der Lehre. Die finanziellen Fragen ergaben sich unmittelbar aus den religiösen Veränderungen: Die Auflösung von Messstiftungen und Bruderschaften wie auch der Verzicht auf kostbare liturgische Gewänder und Geräte setzten Vermögen frei, für deren Verwendung es mit der Leisniger Kastenordnung ein gewisses Vorbild gab, welches aber nicht überall änderungslos umgesetzt werden konnte. Ein ganz eigenes Problem stellten die Klöster dar, sowohl in wirtschaftlicher Hinsicht als auch im Blick auf die Versorgung ihrer Bewohner und Bewohnerinnen, vor allem der ehemaligen Nonnen, für die nicht immer ganz leicht eine neue sozial anerkannte Stellung – für jüngere in der Regel als Ehefrau – zu finden war. Die Bedeutung des ökonomischen Anteils an den Visitationen zeigt die schlichte Tatsache, dass die kurfürstliche Instruktion von 1527 zur Hälfte mit entsprechenden Anweisungen gefüllt war und man in der ersten vierköpfigen Kommission, die entsandt wurde, lediglich Melanchthon als einen Vertreter der Theologie rechnen kann, der überdies seiner Hauptaufgabe nach der artes-Fakultät zuzurechnen war. Von diesem stammte dann der stärker auf die theologischen Belange ausgerich-

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Reich und Reformation

III.

tete „Unterricht der Visitatoren“ (1528). Aus dem Text klingt die Hauptsorge heraus, die die Reformatoren beschäftigte: dass ein falsches Verständnis der Botschaft von der Rechtfertigung allein aus Gnade und allein durch den Glauben ein ernsthaftes Bemühen um christliche Lebensführung verhindern könnte. Was Spiritualisten auf ihre Weise mit einer neuen Zuwendung zur Innerlichkeit zu ändern suchten, sollte nun durch die Predigt eingeschärft werden. Auch die Wehen der Bauernunruhen waren noch spürbar, wenn Melanchthon unter der Überschrift der Christlichen Freiheit wiederholte, dass Christen in der Tat frei davon seien, sich ihr Heil durch Befolgung von Vorschriften erarbeiten zu müssen, aber zugleich hervorhob, dass man damit nicht von der Obrigkeit und keineswegs von allen weltlich-rechtlichen Bestimmungen frei sei. Die Schwierigkeit, auf die so reagiert wurde, lag zu guten Teilen schlicht im Personal: Die sächsische Pfarrerschaft war ja dieselbe wie vor der Reformation, vielfach, den geringen Bildungsnormen für Kleriker im späten Mittelalter entsprechend, schlicht ungebildet und fern von einer aktiven Teilnahme an den theologischen Debatten, die seit dem Beginn der Zwanzigerjahre die lesefähige Bevölkerung in Deutschland aufwühlten. Ob diese Haltung in ein Beharren auf dem alten Glauben oder in vergröberte reformatorische Auffassungen mündete, war aus Sicht der Visitatoren gleichermaßen problematisch. Vorderhand aber hatten sie keine anderen Amtsträger als die im alten System geweihten. 1525 wurde mit Georg Rörer (1492–1557) erstmals ein Diakon, eine Art Hilfspfarrer, in Wittenberg ordiniert, erst 1535 wurde in Kursachsen ein Ordinationsverfahren eingeführt und auf seiner Grundlage am 20. Oktober erstmals eine Pfarrer-Ordination durchgeführt. Damit konnte dann der Aufbau einer neuen evangelischen Geistlichkeit beginnen. Bis dahin war die Hauptaufgabe eine Umerziehung der vorhandenen Pfarrer, die zu großen Teilen durch ehemalige Mönche ergänzt wurden. Für sie brauchte man Lehre und ständige Aufsicht. Der „Unterricht der Visitatoren“ sah daher auch das bald tatsächlich eingeführte Amt von Superintendenten vor, die den anderen Pfarrern vorstehen sollten. Der Begriff des superintendens, die lateinische Übersetzung des griechischen Wortes episkopos, Bischof, zeigt an, dass so auf neue Weise innerkirchliche Leitungsfunktionen eingeführt wurden, diese also keineswegs gänzlich durch den landesherrlichen Notbischof übernommen wurden; dessen Aufgaben blieben auf die äußeren Belange der Kirchenleitung beschränkt. Entsprechend wurde 1539 auch ein Konsistorium eingerichtet, das mit Juristen und Laien bestückt war und vornehmlich diejenigen Fragen zu klären hatte, die traditionell dem Kirchenrecht unterstanden: Eherecht und Rechtssetzungen über die Pfarrerschaft. So bildete sich in wenigen Jahren eine neue juristische Struktur heraus, die aus dem reformatorischen Neuansatz eine neue Kirche werden ließ. Allerdings war es für die Übergangszeit, ehe der eigene Nachwuchs in die entsprechenden Funktionen einrücken konnte, nötig, die Pfarrer wenigstens grob über die Lehrinhalte des neuen Glaubens zu informieren. Hierfür schrieb Luther, der selbst 1528 frustrierende Erfahrungen bei der Visitation gemacht hatte, 1529 auf Grundlage von zuvor gehaltenen Predigten seinen Großen und Kleinen Katechismus. In der theologisch wohldurchdachten Abfolge von Zehn Geboten (Dekalog), Glaubensbekenntnis und Vaterunser sowie Darlegungen über Taufe, Abendmahl und Beichte präsentierte Luther

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Zwischen Zulassung und Abwehr der Reformation

III.

den gesamten Stoff des reformatorischen Glaubens zum einen als Lehre für die Pfarrer selbst, zum anderen als Grundlage für deren Predigt und weitere Unterweisung der Gemeindeglieder. Text und Sprache prägten als Unterrichtsstoff über Jahrhunderte hinweg lutherisches Bewusstsein. Denn auch die elementare Bildungsversorgung, die Luther schon früh eingeklagt hatte, sollte durch die Visitationen gebessert werden. Der „Unterricht der Visitatoren“ enthielt auch einen eigenen ausführlichen Passus über Schulen, in dem sich der humanistische Impetus Melanchthons und der reformatorische Anspruch auf Laienpartizipation an Glaubensdingen verbanden. In einem langwährenden Prozess wurde in reformatorischen Territorien auch das Unterrichtswesen auf dem Land gebessert und vielfach mit den kirchlichen Belangen verknüpft. Katechismus Katechismus bezeichnet zunächst die Grundinhalte des christlichen Glaubens, insbesondere die Zehn Gebote, das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser. Bereits im späten Mittelalter gab es reichlich Literatur, die durch Erklärungen dieses Grundbestandes ein Elementarwissen vom Christentum vermitteln wollte. 1504 trug eine solche Schrift in portugiesischer Sprache erstmals den Titel Cathecismo.

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Zu den kirchlichen Normierungsmaßnahmen gehört ganz allmählich auch eine Änderung der Gottesdienstpraxis. Anfänglich orientierte sich diese noch an der Formula missae, später rückte dann die Deutsche Messe in den Vordergrund. Da die Visitationen nicht sofort flächendeckend erfolgten, ist auch hier mit einem allmählichen Wandlungsprozess zu rechnen. So wurde in Allstedt erst 1533 die von Müntzer eingeführte deutschsprachige Liturgie durch die Wittenberger Ordnung ersetzt. Für den Gemeindegesang brachte Luther 1529 ein Gesangbuch mit 28 Liedern heraus, nach dem Drucker als „Klugsches Gesangbuch“ bezeichnet. Es sammelte und ordnete die sich rege entwickelnde Tradition evangelischen Gemeindegesangs, der zu einem wichtigen Element der Teilnahme der Gemeinde am Gottesdienst wurde. Für den Gottesdienst konnte man weitgehend die bisherigen Kirchen benutzen, die allerdings, da die Seitenaltäre überflüssig wurden, auf den Hauptaltar konzentriert wurden und im Bildprogramm eine maßvolle Änderung erfuhren. Zum wichtigsten Maler der reformatorischen Neuerungen wurde Lukas Cranach, der mit „Gesetz und Evangelium“ sowie der kritisch auf die Täufer reagierenden Darstellung des die Kinder segnenden Jesus einprägsame reformatorische Typen schuf. Erst 1544 wurde die Schlosskapelle in Torgau mit einer Predigt Martin Luthers als erster evangelischer Kirchenbau eingeweiht. Gesetz und Evangelium Mit der in mehreren Varianten überlieferten Tafelmalerei „Gesetz und Evangelium“ griff Cranach humanistische Vorbilder auf, um ein Grundelement von Luthers Botschaft zu veranschaulichen: Das Gesetz dient in seinem theologischen Gebrauch dem Aufweis der Sünden, das Evangelium verkündet die Vergebung der Sünden durch Christus. In diesem Typus verbanden sich reformatorische Worttheologie und Rechtfertigungslehre auf ideale Weise.

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Angesichts dessen, dass die Visitationen vielfach allererst den Pfarrern und Predigern das rechte Verständnis des Evangeliums nahebringen mussten,

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Hessen

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wundert es nicht, dass nicht nur auf dem Land, sondern auch in manchen Städten überhaupt erst jetzt die Reformation Einzug hielt. Die große Bedeutung der urbanen Bevölkerung in den Anfangsjahren lässt leicht übersehen, dass keineswegs alle Städte sogleich von der reformatorischen Botschaft erfasst wurden. So kam Kaspar Aquila (1488–1560) 1527 als Prediger nach Saalfeld und fand hier zwar eine Situation vor, in der die Messe bereits abgeschafft war, aber doch noch viele alte Zeremonien im Gebrauch waren, die er erst behutsam änderte. Die reformatorische Bewegung wird man sich angesichts solcher Erfahrungen nicht allein als Bewegung von unten nach oben vorzustellen haben, sondern es gab im Zuge der Visitationen auch den umgekehrten Weg. Etwas anders als in Sachsen verlief der Weg zur Reformation in Hessen. Während man in Sachsen mit dem Regierungsantritt Johanns eine energische Parteinahme für die Reformation beobachten kann, ist Landgraf Philipps Handeln zunächst durch Deutungsoffenheit (Gury Schneider-Ludorff) zwischen spätmittelalterlicher territorialer Reform und tatsächlich inhaltlich bestimmter Reformation geprägt. An vielen Punkten führte er die Politik seiner Vorfahren fort; selbst noch die Übernahme der bischöflichen Jurisdiktionsrechte ließ er sich 1528 im Hitzkirchener Vertrag vom Mainzer Erzbischof bestätigen. Mehr und mehr aber schälte sich ein klares reformatorisches Profil seiner Politik heraus, das die Orientierung an einem relativ schlichten Bibelverständnis mit dem engagierten Einsatz für eine Modernisierung von Bildung und Sozialfürsorge verband. Bei der Umsetzung reformatorischer Maßnahmen nach dem Reichstag von Speyer setzte er auf eine synodale Lösung: Für den 21.–23. Oktober 1526 berief er in Homberg an der Efze eine Kirchenversammlung ein, in deren Anschluss der mittlerweile eindeutig in das reformatorische Lager übergegangene Franz Lambert von Avignon eine Kirchenordnung, die Reformatio ecclesiarum Hassiae, erarbeitete. In ihr bildete sich eine Verfassung ab, deren Grundeinheit der als episcopus, Bischof, titulierte Pfarrer war. Entscheidungen sollten auf einer Synode aller Pfarrer-Bischöfe getroffen werden, an der der Landgraf teilnahm. Gleichwohl behielt dieser letztlich entscheidende Funktion für die Umsetzung, sodass auch die synodale Struktur in das frühneuzeitliche Herrschaftssystem integriert war. Die detaillierte Ordnung wurde Luther vorgelegt, der sie als einen „hauffen gesetze“ abtat (WA.B 4,157,13). Tatsächlich verzichtete Philipp dann auch darauf, die Ordnung wörtlich in Kraft zu setzen. Für die Kirchenorganisation bediente er sich des in Sachsen bewährten Modells der Visitation, das auch an eigene hessische Vorgänge anknüpfen konnte. Auch er griff also in die bischöflichen Rechte ein und band die Kirche verstärkt an sich als den Landesherren. Inhaltlich verfolgte er in den kommenden Jahren sehr wohl eine Politik, die mehrere der Anliegen der Reformatio umsetzte. Herzstück seiner Maßnahmen war die Erneuerung des Bildungswesens. 1527 gründete er in Marburg eine Universität. Von einem gescheiterten Versuch in Liegnitz (Schlesien) abgesehen, war dies die erste evangelische Gründung einer Hochschule – mit den entsprechenden rechtlichen Schwierigkeiten: An ein päpstliches Universitätsprivileg war nicht zu denken, doch auch die kaiserliche Bestätigung erfolgte erst nachholend im Jahre 1541. Bis dahin bewegte sich die Gründung des Landgrafen in einem rechtlich ungeklärten Raum.

Zwischen Zulassung und Abwehr der Reformation

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Noch stärker in die Zukunft wies die Einrichtung eines Stipendienwesens, durch das es Philipp gelang, dem begabten Nachwuchs seines Landes den Zugang zur Universität zu ermöglichen. Universitätsprivilegien Im 13. Jahrhundert kam es zur Gründung von Universitäten in Europa als Zusammenschluss der Magister und Scholaren. Deren Rechtsunabhängigkeit von lokalen Herrschaftsträgern wurde in der Regel durch päpstliche Privilegien gesichert, die zugleich auch die Anerkennung der akademischen Abschlüsse gewährleisteten. Im Reich traten kaiserliche Privilegien hinzu.

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So wie hier erhebliche Finanzmittel für den „gemeinen Nutzen“ des Landes investiert wurden, diente auch die Enteignung der Klöster wenigstens zu Teilen den allgemeinen Wohlfahrtsanliegen. Ab 1531 wandelte Philipp einzelne Klöster in Armenhospitäler um und demonstrierte damit die reformatorische Transformation mittelalterlicher Fürsorge: Auf dem „Philippstein“ im umgewandelten Kloster Haina ließ er sich zusammen mit seiner Ahnin, der heilig gesprochenen Elisabeth von Thüringen (1207–1231), abbilden, um so zu zeigen, dass deren individuelle Armenfürsorge nun, unter den Bedingungen des frühneuzeitlichen Staates, aufgegriffen, aber in einen neuen theologischen und organisatorischen Zusammenhang gestellt wurde. Bei all diesen Bemühungen hob sich Philipp in mancher Hinsicht erkennbar vom sächsischen Partner ab, in gewisser Weise stellte die eigene Universitätsgründung auch eine Konkurrenz zu Wittenberg dar. Vor allem aber ging er theologisch einen Weg, der nicht immer strikt an Luther orientiert war. Im Abendmahlsstreit versuchte er zu vermitteln und erwog zeitweise, Zwingli in Hessen zu beschäftigen. Nach dessen Tod 1531 wurde Martin Bucer, ebenfalls ein Oberdeutscher, der wichtigste Berater des Landgrafen. Mit dieser Mittelstellung verband sich eine Toleranz sowohl gegenüber Juden als auch gegenüber Täufern. Juden in der Reformationszeit Juden unterstanden seit dem Mittelalter einem prekären Schutz, der immer wieder aufgehoben wurde und pogromartige Verfolgungen und Vertreibung aus den Städten nicht hatte verhindern können. Martin Luther und viele andere sahen die neue Botschaft des Evangeliums zunächst als ein Angebot an Juden, sich zu dem nun gereinigten Christentum zu bekehren (Martin Luther, Dass Jesus Christus ein geborner Jude sei, 1523). Infolge zunehmender Verhärtung seiner Position aber schrieb er von 1538 bis 1543 Schriften, die voller antijudaistischer Ausfälle waren und erhebliche Maßnahmen zur Unterdrückung ihrer Religionsausübung forderten. Dies ging konform mit der sächsischen Politik, die seit 1536 Juden jeden Aufenthalt und sogar die Durchreise durch das Territorium verbot, 1539 wurde diese Bestimmung noch verschärft, indem Ausnahmen aufgehoben wurden. Die hessische Judenordnung von 1539 hingegen war auf persönliches Betreiben des Landgrafen auf eine Rechtssicherung für inländische Juden ausgerichtet, während ausländischen Juden keinerlei Rechte zugestanden wurden. Eine Erläuterung der Ordnung verschärfte allerdings die Bestimmungen im Jahre 1542 unter dem offenkundigen Eindruck von Luthers Judenschriften, die Melanchthon dem Landgrafen zugesandt hatte.

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Antijudaismus und Antisemitismus Unter Antijudaismus versteht man eine Ablehnung des Judentums als Religion. Der erst im 19. Jahrhundert entstandene Antisemitismus hingegen bewegt sich in-

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Reich und Reformation

III.

nerhalb eines rassischen Denkens und diskriminiert Juden aufgrund von Eigenschaften, die ihnen als Folge ihrer biologischen Abstammung zugeschrieben werden.

Zweiter Reichstag von Speyer

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Im Umgang mit den Täufern entwickelte Philipp im Gespräch mit Bucer auch neue kirchengestaltende Maßnahmen. Sein Anliegen war von früh an eine Integration der Außenseiter. So verweigerte sich Philipp der sächsischen Haltung, die, dem mittelalterlichen Ketzerrecht folgend, auf Hinrichtung von Täufern drängte. Konkret wurde dies anhand des Schicksals von Melchior Rinck (gest. nach 1561) debattiert, der unter dem Einfluss Hans Dencks zu täuferischen Überzeugungen gekommen war und nach einem Verhör vor der Marburger Universität 1528 lediglich des Landes verwiesen, 1529 und erneut 1531 dann gefangen gesetzt, aber nicht hingerichtet wurde. 1537 erließ Philipp eine Täuferordnung, deren vordringliches Ziel die Wiedereingliederung reumütiger Täufer in die Gemeinde war. Wo dies nicht gelang, wurde mit Ausweisung, im Wiederholungsfall mit Gefängnis, bei Ausländern mit der Todesstrafe gedroht. Flankiert wurde das Vorgehen durch die Ziegenhainer Zuchtordnung, die 1538 im Wesentlichen aufgrund der Beratung durch Martin Bucer zustande kam, der zuvor ein Religionsgespräch mit den Täufern geführt hatte. Die Ordnung enthielt unter verschiedenen Maßnahmen auch die Einführung einer Konfirmation, die es ermöglichen sollte, in jugendlichem Alter als Getaufter noch einmal eine bewusste Entscheidung für den Glauben zu vollziehen, wie sie von den Täufern gefordert wurde. Auf dieser Grundlage war dann jedenfalls der täuferische Kreis um Peter Tesch auch bereit, die Kindertaufe zu akzeptieren. Die vielfältigen reformatorischen Maßnahmen, zu denen sich die Fürsten Hessens und des ernestinischen Sachsen durch den Reichtstagsabschied von 1526 befugt sahen, blieben freilich nicht unwidersprochen. Bereits 1529 brachte der Zweite Reichstag von Speyer einen herben Rückschlag. Eine solche Versammlung war durch die Notwendigkeit zur Hilfe im Krieg mit den Türken unabweislich geworden: 1526 hatten die Heere der Osmanen den Ungarn bei Mohács eine vernichtende Niederlage beigebracht. Osmanen Seit dem 13. Jahrhundert waren die auf Osman I. (1281–1326) zurückgehenden Osmanen die beherrschende Dynastie in Kleinasien und betrieben eine hochgradig expansive Politik. Zu einem Fanal für Europa wurde der Fall Konstantinopels 1453, mit dem die in der Antike wurzelnde Tradition des oströmischen Reiches ein Ende fand. Das Ausgreifen der türkischen Heere bis nach Mitteleuropa weckte Sorgen um den Bestand des europäischen Machtgefüges, zumal die Stöße von Südosten kamen und damit unmittelbar die habsburgischen Kernlande bedrohten. Der muslimische Glaube der Eroberer verstärkte den Eindruck einer grundlegenden Gefährdung der christlichen Kultur Europas. Die seit dem 15. Jahrhundert in zahlreichen Traktaten geäußerten Ängste enthielten bei den Reformatoren, nicht zuletzt durch die Identifikation der Türken mit den biblischen Gestalten Gog und Magog in Ez 38, auch apokalyptische Untertöne.

Ferdinand, der nun anstelle des in Mohács gefallenen Ludwig II. (1522– 1526) die ungarische Krone trug, war hiervon direkt betroffen. Sein Umgang mit den reformatorisch orientierten Ständen auf dem Reichstag war allerdings angesichts seiner prekären Lage erstaunlich wenig auf Ausgleich mit

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Der Zerfall des Reichs auf dem Augsburger Reichstag von 1530

III.

möglichen Gegnern bedacht: Nachdem er anfänglich in der Religionsfrage eine gewisse Offenheit signalisiert hatte, steuerte er bald auf eine Aufhebung des Beschlusses von 1526 zu, der die Umsetzung von reformatorischen Maßnahmen ermöglicht hatte. Tatsächlich folgte ihm die Reichstagsmehrheit hierin. Die Minderheit, insbesondere Johann von Sachsen und Philipp von Hessen, aber auch Markgraf Georg von Brandenburg-Ansbach (1515–1543), Herzog Ernst I. von Braunschweig-Lüneburg (1520–1546) und Fürst Wolfgang von Anhalt (1508–1562; gest. 1566) sowie mehrere Reichsstädte (Nürnberg, Straßburg, Reutlingen, Ulm u.a.), griff dagegen am 19. April 1529 zum Mittel der Protestation. Damit hatte sich die Frage der Reformation zu einem klaren reichsrechtlichen Dissens entwickelt. Protestation Auf Reichstagen waren konsensuale Beschlüsse die Regel. Kam es zu einem Mehrheitsbeschluss, so konnte die Minderheit im reichsrechtlichen Akt der Protestation bezeugen, dass sie einen getroffenen Beschluss als für sie nicht gültig betrachtete. Von der Protestation von Speyer leitet sich der Name „Protestanten“ für die Evangelischen ab.

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5. Der Zerfall des Reichs auf dem Augsburger Reichstag von 1530 Für die Evangelischen war es in dieser reichsrechtlich schwierigen Situation besonders problematisch, dass sie unter sich in Sachen des Abendmahls uneins waren. Besonderes Gespür für diese heikle Lage hatte Philipp von Hessen, nicht zuletzt durch die geografische Mittellage Hessens zwischen den Evangelischen in der Schweiz sowie dem ihr theologisch nahestehenden oberdeutschen Südwesten einerseits und dem wittenbergisch orientierten Sachsen andererseits. Evangelische in der Schweiz Neben Zürich war sehr früh auch Basel mit Oekolampad und Konrad Pellikan (1478–1556) zu einem Zentrum reformatorischer Predigt geworden, die lange Zeit geduldet wurde, bis schließlich 1529 auch offiziell die Reformation eingeführt wurde. In Bern wirkte Berchtold Haller (1492–1536) zusammen mit dem Maler und Dichter Niklaus Manuel Deutsch (gest. 1530) für die Reformation, die nach einer Disputation 1528 auch offiziell eingeführt wurde. 1529 wurde auch Schaffhausen reformatorisch. Die Lagerbildung in der Eidgenossenschaft gewann Kontur nach der Badener Disputation zwischen Johannes Eck und Oekolampad von 1526, in deren Folge sich Basel, Bern, Schaffhausen und Zürich einer Verurteilung der reformatorischen Theologie verweigerten. Sie vereinigten sich, unter Beteiligung auch Straßburgs und Hessens, ab 1527 zum „Christlichen Burgrecht“, dem 1529 die altgläubigen Innerschweizer Kantone im Bündnis mit Österreich die „Christliche Vereinigung“ entgegenstellten.

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Der Landgraf bemühte sich daher, einen Konsens in Fragen des Abendmahls herbeizuführen und drängte Zwingli und Luther sowie deren Anhänger und Berater zum Marburger Religionsgespräch, bei dem aber ein Ausgleich nicht erreicht wurde.

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Reich und Reformation

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Marburger Religionsgespräch Vom 27. September bis 4. Oktober 1529 verhandelten Zwingli und Luther auf dem Marburger Landgrafenschloss und hielten sich dabei ihre unterschiedlichen Auffassungen zum Abendmahl vor. Am Ende einigten sie sich auf 15 Artikel, von denen 14 einen weitreichenden Konsens in Grundfragen des christlichen Glaubens erklärten, der 15. aber den Dissens hinsichtlich der Abendmahlsfrage festhielt. Luther sah sich angesichts dessen nicht in der Lage, die Schweizer als Brüder anzuerkennen.

Der 15. Marburger Artikel aus: WA 30/III, S. 169 f. Vom Sacrament des leibs und bluts Christi. Zum funfftzehenden Gleuben und halten wir alle von dem nachtmal unsers lieben Herrn Jhesu Christi, das man beyde gestalt nach der einsetzung Christi brauchen sol, Das auch die Messe nicht ein werck ist, da mit einer dem andern tod odder lebendig gnad erlange, Das auch das Sacrament des altars sey ein Sacrament des waren leibs und bluts jhesu Christi und die geistlichen niessung des selbigen leibs und bluts einem yden Chrusten fuernemelich von noeten, Des gleichen der brauch des Sacraments wie die wort von Gott dem almechtigen gegeben und geordenet sein, da mit die schwachen gewissen zum glauben zubewegen durch den Heiligen geist, Und wie wol aber wir uns, ob der ware leib und blut Christi leiblich ym brod und wein sey, dieser zeit nicht vergleicht haben, So sol doch ein teyl gegen dem andern christliche liebe, so fern ydes gewissen ymmer leiden kan, erzeigen, und beyde teyl Gott den almechtigen vleissig bitten, das er uns durch seinen geist den rechten verstand bestetigen woelle, Amen

Die bleibende Spaltung im reformatorischen Lager war angesichts der im Frühjahr in Speyer entstandenen Situation politisch verheerend, zumal ein neuer Reichstag unausweichlich war. Die Belagerung Wiens durch die Türken im Herbst 1529 hatte die militärische Bedrohung noch einmal deutlich vor Augen geführt, auch wenn sie am 14. Oktober abgebrochen wurde. Hinzu kam die ungeklärte Lage in Religionsdingen. So schrieb der Kaiser am 21. Januar 1530 einen neuerlichen Reichstag aus, zu dem er, zum ersten Mal seit Worms, wieder persönlich im Reich erschien. Zu verhandeln waren zwei Themen: Türkengefahr und Religionsstreitigkeiten. Im Blick auf Letztere war das Ausschreiben erstaunlich offen: Karl erbat von beiden Seiten eine Darlegung der jeweiligen eigenen Auffassung und versprach, diese in Liebe und Güte zu verhandeln. Die reformatorische Seite nahm die Forderung ernst. In mehreren Etappen wuchs aufgrund von verschiedenen Vorlagen eine ursprünglich sächsische Apologie zur Confessio Augustana, dem Augsburger Bekenntnis, das schließlich am 25. Juni 1530 verlesen werden konnte. Unterzeichnet war es von Kurfürst Johann von Sachsen und seinem Sohn Johann Friedrich (1532–1554), Markgraf Georg von Brandenburg-Ansbach, Herzog Ernst I. von Braunschweig-Lüneburg und seinem Bruder Franz (gest. 1549), Landgraf Philipp von Hessen, Wolfgang von Anhalt (1508– 1562) sowie den Räten von Nürnberg und Reutlingen.

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Confessio Augustana (CA) Die CA, die unter Führung Melanchthons von den Wittenbergern erstellt wurde und an deren letzter Ausformulierung sich Luther nicht mehr beteiligen konnte,

Der Zerfall des Reichs auf dem Augsburger Reichstag von 1530

III.

weil er als Gebannter nicht zum Reichstag hatte fahren können, sondern auf der sächsischen Coburg ausharren musste, umfasst 28 Artikel in zwei Teilen. Die ersten 21 Artikel legen unter Aufnahme der im Vorfeld der Marburger Gespräche entstandenen Schwabacher Artikel Grundfragen des Glaubens dar. Im zweiten Teil wurden diejenigen Punkte behandelt, an denen mit einem Dissens zu rechnen war und reformatorische Maßnahmen bereits in das Kirchenleben eingegriffen hatten; ihnen lagen Artikel zugrunde, die eine Theologenkommission im März in Torgau erstellt hatte. Durch die Aufnahme in das lutherische Konkordienbuch von 1580 wurde die CA zu einer der grundlegenden Bekenntnisschriften des Luthertums. Confessio Augustana aus: Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Göttingen 12 1998, S. 61: Art. 7: Von der Kirche

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Es wird auch gelehret, daß alle Zeit musse ein heilige christliche Kirche sein und bleiben, welche ist die Versammlung aller Glaubigen, bei welchen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakrament lauts des Evangelii gereicht werden. Dann dies ist gnug zu wahrer Einigkeit der christlichen Kirchen, daß da einträchtiglich nach reinem Verstand des Evangelium gepredigt und die Sakrament dem gottlichen Wort gemäß gereicht werden. Und ist nicht not zur wahren Einigkeit der christlichen Kirche, daß allenthalben gleichformige Ceremonien, von den menschen eingesetzt, gehalten werden, wie Paulus spricht zun Ephesern am 4.: ,Ein Leib, ein Geist, wie ihr berufen seid zu einerlei Hoffnung euers Berufs, ein Herr, ein Glaub, ein Tauf.‘

Trotz des Bemühens um Ausgleich zeigte die Confessio Augustana eine profilierte Darstellung des evangelischen Glaubens. Die Sündenlehre (Art. 2), Rechtfertigungslehre (Art. 4), Kirchen- (Art. 7f.) und Amtsverständnis (Art. 5 u. 14) lassen auch im ersten Teil die evangelische Handschrift deutlich erkennen. Besonders heikel war der 10. Artikel, der das Abendmahl behandelte. Deutsche und lateinische Fassung unterschieden sich hier erheblich. Vor allem der deutsche Text betonte die Präsenz Christi „unter der Gestalt des Brots und Weins“ (Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Göttingen 121998, S. 64) und ließ damit eine Formulierung des Vierten Laterankonzils von 1215 anklingen. Scharfe Kritik am Verständnis der Messe als Opfer äußerte der Art. 24, die Lehre von der Spendung des Sakraments unter beiderlei Gestalt enthält Art. 22. Dass es trotz der Betonung leiblicher Realpräsenz im 10. Artikel gelang, auch Philipp von Hessen für die Unterzeichnung zu gewinnen, kann als besonderer diplomatischer Erfolg gewertet werden. Denn tatsächlich hat auch der Augsburger Reichstag keine völlige Einigkeit unter den Evangelischen bewirkt. Dass Zwingli dem Kaiser mit der Fidei ratio eine eigene Schrift vorlegte, war dabei, da diese keinerlei offizielle Autorisierung besaß, von geringerem Belang als die Tatsache, dass vier Städte – Konstanz, Lindau, Memmingen und Straßburg – aufgrund der Abendmahlsstreitigkeiten nicht in den Konsens der Confessio Augustana integriert wurden und am 9. Juli ein eigenes, von Bucer und Wolfgang Capito verfasstes Bekenntnis, die Confessio Tetrapolitana, überreichten, das seinerseits auch stark auf Ausgleich mit der altgläubigen Seite ausgerichtet war. Sie blieb lange Zeit von altgläubiger Seite unbeachtet. Stattdessen konzentrierte man sich auf die reichsrechtlich viel gewichtigere

Confessio Augustana

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Reich und Reformation

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Confessio Augustana. Eine Kommission von über 20 Theologen, unter ihnen Johannes Eck als führender Kopf, machte sich an die Ausarbeitung einer Gegenschrift. Am 3. August wurde diese im Namen des Kaisers verlesen. Damit galt die Confessio Augustana als widerlegt. Die Entgegennahme der von Melanchthon ausgearbeiteten Apologie der Confessio Augustana verweigerte der Kaiser am 22. September. Mit diesen Entscheidungen war nicht mehr das auf Luther und seine Anhänger bezogene Wormser Edikt Leittext für den Umgang mit dem reformatorischen Lager, sondern es gab in Gestalt der Augsburger Konfession einer Schrift Relevanz, die mehrere Reichsstände unterzeichnet hatten und der offiziell die reichsrechtliche Akzeptanz verweigert worden war. Der Zerfall des Reiches in mehrere Parteien war damit besiegelt.

6. Bündnispolitik Schlacht von Kappel

Schmalkaldischer Bund

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Es lag nahe, dass die neue Konstellation auch zu politisch-militärischen Bündnissen führen würde. Für die evangelische Seite war dabei von besonderer Bedeutung, ob es gelingen würde, den in Augsburg noch so offenkundigen internen Gegensatz zu überwinden. Diese Frage wurde durch die Entwicklung in der Schweiz einerseits zugespitzt, andererseits entschärft: Am 11. Oktober 1531 erlitten die Evangelischen in der Schlacht von Kappel eine verheerende Niederlage gegen die Altgläubigen, bei der auch Zwingli fiel. Zwar wurden die evangelische Kantone nicht rekatholisiert, aber durch die Auflösung des Christlichen Burgrechts waren ihre Möglichkeiten zur Expansion erheblich eingeschränkt, als politischer Faktor spielten die Schweizer Evangelischen kaum noch eine Rolle. Obwohl Zwinglis Nachfolger Heinrich Bullinger (1504–1575) als Antistes (Vorsteher) der Zürcher Kirche eine breite Korrespondenz in Europa entfaltete, konnte er nicht denselben Rang einnehmen wie sein Vorgänger. So entstand für die Oberdeutschen eine neue Situation, zumal am 24. November 1531 mit Oekolampad eine weitere Zentralgestalt der Schweizer Reformation starb. Die Anlehnung an Zwingli, die noch das Marburger Religionsgespräch gekennzeichnet hatte, fiel nun als Option fort. Stattdessen rückte Martin Bucer in den Mittelpunkt, der in unermüdlichem diplomatischem Bemühen ein Netzwerk unter den Reformatoren im Südwesten schuf und dieses zugleich – um vieles kompromissbereiter als Zwingli – mit den Wittenbergern verknüpfte. Damit war eine Konstellation geschaffen, die es einerseits ermöglichte, dass der so gefährliche Zwiespalt innerhalb der deutschen Reformation in einem Bündnis zunächst politisch, dann auch theologisch überwunden werden konnte, andererseits aber die reformatorischen Wege in Deutschland und der Schweiz sich immer stärker voneinander lösten. So war es eine besondere Leistung, dass Ende Dezember der Schmalkaldische Bund als Verteidigungsbündnis der Evangelischen gegründet werden konnte und der konstituierende Bundesvertrag vom 27. Februar 1531 neben den Unterzeichnern der CA auch von Philipp von Braunschweig-Grubenha-

Bündnispolitik

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gen (1494–1551), zwei Mansfelder Grafen, den vier Städten, die die Confessio Tetrapolitana vorgelegt hatten, sowie den Städten Biberach, Bremen, Isny, Lübeck, Magdeburg und Ulm unterzeichnet wurde. Unter dem Druck der Verhältnisse ging die politische Einigung der theologischen voraus, die in Marburg verfehlt worden war und einstweilen nicht in Reichweite schien. Tatsächlich war schon die Tatsache der Bildung eines solchen offenkundig gegen die kaiserliche Politik gerichteten Bündnisses Ausdruck dessen, dass der Einfluss theologischer Argumente im Zusammenhang realpolitischer Zwänge zurücktrat. Noch am 6. März 1530 hatten die Wittenberger Theologen in einem vom Kurfürsten erbetenen Gutachten klar gegen das Recht auf Widerstand gegen den Kaiser votiert. Als aber im Gegenzug ein juristisches Gutachten das Recht auf Widerstand in Religionsdingen begründete, schlossen sich die Theologen diesem im Herbst des Jahres an. Schmalkaldischer Bund Der Schmalkaldische Bund wurde im Dezember 1530 in Schmalkalden gegründet und verstand sich als Bündnis zur Verteidigung des Wortes Gottes im evangelischen Sinne. Er bestand bis 1547. Geleitet wurde er durch seine beiden Hauptleute, den Landgrafen von Hessen und den Kurfürsten von Sachsen.

Gleichwohl blieb die Frage des Bekenntnisses zu klären. Hier wurde nun die Kompromissfähigkeit Martin Bucers ausschlaggebend, die freilich von manchen seiner Weggefährten auch als zu große Nachgiebigkeit empfunden wurde: Auf einem im Frühjahr 1532 in Schweinfurt abgehaltenen Konvent setzte Bucer für die Oberdeutschen im Schmalkaldischen Bund die Position durch, dass sie mit der Confessio Tetrapolitana nichts der CA Widersprechendes lehrten. Damit waren sie faktisch in den Unterzeichnerkreis der CA eingetreten – noch ohne dass die Einheit in der Abendmahlsfrage wirklich erreicht gewesen wäre. Hierum bemühten sich in einem langen Ringen vor allem Philipp von Hessen, Bucer und Melanchthon. Die Frage nach der Realpräsenz spitzte sich mehr und mehr darauf zu, wer im Abendmahl den Leib Christi empfange: ob, wie Luther und die Wittenberger meinten, auch die Ungläubigen in und mit den Elementen tatsächlich Leib und Blut Christi empfingen (manducatio impiorum) oder diese Gegenwart an den Glauben der Empfangenden gebunden sei. Nach Vorverhandlungen in Kassel im Dezember 1534 kam es schließlich im Mai 1536 zur „Wittenberger Konkordie“, in der sich Oberdeutsche und Wittenberger auf die deutungsoffene Formulierung einigten, dass Christus auch von Unwürdigen empfangen werde (manducatio indignorum). Damit war zwischen Oberdeutschen und Wittenbergern tatsächlich eine Einigung erreicht, wenn auch hier wie dort eine unterschiedliche Lesart der Kompromissformel gepflegt wurde. Zugleich vertiefte sich der Graben zu den Schweizern, die hieran nicht beteiligt waren. Auf die sich so vollziehende Formierung einer reformatorischen Partei reagierte die Reichspolitik rasch, zumal der Kaiser weiterhin für seine Türkenpolitik auf die Protestanten angewiesen war. So wurde am 24. Juli 1532 der Nürnberger Anstand erlassen, der zunächst einmal Religionsprozesse vor den Reichsgerichten aussetzte. Mit einem weiteren Mandat gewährte der Kaiser einen allgemeinen Frieden für das Reich. Das gab den Evangelischen Raum zur weiteren Entfaltung, die freilich nicht nur in ein Gegen-

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Nürnberger Anstand

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Reich und Reformation

III.

einander zu den Altgläubigen münden musste. So wandten sich diese gemeinsam mit den reformatorischen Ständen gegen das Täuferreich von Münster. Das verbindende Anliegen war dabei vor allem, Aufruhr gegen die alte Ordnung zu verhindern. Für die Geschichte der Täufer bedeutete das verheerende Ende des Reiches von Münster einen tiefen Einschnitt. Ihre Marginalisierung schritt weiter fort, nur allmählich konnte sich danach mit den Mennoniten wieder eine neue, dezidiert friedliche Gruppierung formieren.

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Täuferreich von Münster Am 23. Februar 1534 übernahm in der Bischofsstadt Münster ein Rat die Leitung, der von Ideen Melchior Hoffmanns bestimmt war und in Westfalen ein chiliastisches Reich errichten wollte. Geführt von Jan Matthijs (gest. 1534) und nach dessen Tod Jan Beukelsz van Leiden (1509–1536) wurde die Stadt zu einem theokratischen Reich nach alttestamentlichem Vorbild umgestaltet, in dem Jan schließlich sogar als neuer davidischer König inthronisiert wurde. Markantes Merkmal seiner Herrschaft wurde die Einführung der Polygamie. Gemeinsam rangen der Bischof Franz von Waldeck (1532–1553) und Philipp von Hessen das Täuferreich im Sommer 1535 nach einer langwierigen Belagerung nieder. Mennoniten Nach der Katastrophe von Münster kam es zu mehreren Sammlungsversuchen der versprengten Reste des Täufertums. Neben einem Kreis um David Joris (gest. 1556) entstand als längerfristig erfolgreiche Gemeinschaft die Gruppe um Menno Simons (1496–1561). Dieser verzichtete auf apokalyptische Spekulationen und betonte die friedfertige Absonderung von der Welt. Die Mennoniten konnten sich vor allem in den Niederlanden und Ostfriesland halten und später in Amerika entfalten.

Hauptaufgabe aber war für den Schmalkaldischen Bund die Stabilisierung der Evangelischen gegen die altgläubige Seite. Für einige Jahre war die Konfrontation von der ungelösten Frage eines Konzils bestimmt. Auf dem Bundestag von 1537 führte die Notwendigkeit, zu klären, inwieweit dem Papst nachzugeben sei, zur Vorlage neuer Texte, die später zu Bekenntnisschriften wurden: Luther verfasste die „Schmalkaldischen Artikel“, die in großer Schärfe die Differenz zur alten Kirche formulierten, aber hinsichtlich der Abendmahlsfrage auch die innere Einigung des evangelischen Bündnisses infrage stellten. Sie fanden daher nur bedingte Zustimmung, während der von Melanchthon formulierte Tractatus de potestate papae, der in der Sache durchaus auch streng war, neben CA und Apologie in den Abschied des Bundestages aufgenommen wurde. Damit hatte sich der moderate Flügel des Bundes um Philipp von Hessen gegen die schroffe Position Kurfürst Johann Friedrichs durchgesetzt, der zeitlebens an der Bedeutung der Schmalkaldischen Artikel festhielt. Der Vorgang macht so auch deutlich, dass der Bund für den hessischen Landgrafen zu einem Vehikel wurde, seine reichspolitische Position zu stärken. Ohnehin geriet das Reichsgefüge immer mehr ins Wanken. Mit dem Nürnberger Bund entstand 1538 ein Gegenbündnis. Die beiden Blöcke im Reich verfestigten sich immer mehr, und der Kaiser, der selbst Partei war, konnte es nicht mehr angemessen zusammenhalten. Geschützt durch die Stärke des Schmalkaldischen Bundes breitete sich in dieser Phase die Reformation immer mehr aus.

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Die zweite Welle territorialer Reformation

Abschied des Bundestages von Schmalkalden vom 6. März 1537 aus: Hans Volz (Hg.), Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte von Martin Luthers Schmalkaldischen Artikeln (1536–1574), Berlin 1957, S. 139

III.

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Dieweil wir vnsere treffliche gelerten der heiligen Biblischen geschriefft alhie zesamen gesetzt, die sich von allen Artickeln vnser Confession Cristlichen vnderredt, so seind sie durch gnedige verleihung gottes einhelliglichen mit ainander vbereinkommen, in allen puncten vnd Artickeln, inmaßen vnser confession vnd Apologia, die wir vff dem Reichstage zu Augsburgk haben vbergeben, einhelt, Allein das sie einen Artickel, belangend des Bapsts zu Rom primat, etwas weither vnd besser gestellt, wie derselbige inhelt.

7. Die zweite Welle territorialer Reformation Der Schmalkaldische Bund und die begrenzte Friedenssicherung durch den Nürnberger Anstand bildeten den Rahmen dafür, dass sich die Reformation weiter ausdehnen konnte. Die zweite Welle territorialer Reformation ging aber nicht nur in dieser Hinsicht von neuen Voraussetzungen aus. Während Hessen und Sachsen überhaupt erst eine Gestalt reformatorischer Kirche und Staatlichkeit hatten etablieren müssen, gab es nun Modelle, an denen man sich orientieren konnte. Wer sich der Reformation zuwandte, ordnete sich in ein Koordinatennetz ein, innerhalb dessen es schon Vorstellungen davon gab, was reformatorisch war und was nicht. Neben die administrativen Änderungen trat dabei auch das Bemühen um politische Symbolik: Durch bestimmte hervorgehobene Maßnahmen wurde der Bevölkerung im eigenen wie in benachbarten Gebieten gezeigt, welcher Orientierung das Territorium folgen sollte und wollte. Ein auch strategisch wichtiger Gewinn für das reformatorische Lager war die Einführung der Reformation im Herzogtum Württemberg 1534, die nicht zuletzt eine Folge der militärischen Stärke des Schmalkaldischen Bundes war. 1519 war Herzog Ulrich (1498–1519; 1534–1550), nachdem er die Reichsstadt Reutlingen überfallen hatte, wegen Landfriedensbruch vertrieben worden. Das Herzogtum kam unter österreichische Verwaltung und stabilisierte und erweiterte so die habsburgische Herrschaft, die sich im Südwesten bereits auf die sogenannten österreichischen Vorlande stützen konnte. 1534 aber nutzte Philipp von Hessen, der Ulrich bei sich aufgenommen hatte, die Abwesenheit Ferdinands, um einen raschen militärischen Sieg zu erlangen, in dessen Folge Ulrich nach dem Frieden von Kaaden wieder in seine Herrschaft eingesetzt wurde. Machtpolitisch war damit aus einem österreichisch-altgläubigen Gebiet ein dem Schmalkaldischen Bund zugeneigtes geworden. Religiös konnte es zudem eine Brücke zwischen den territorialen Reformationen in Mitteldeutschland und den oberdeutschen Städten bilden, also die interne Vereinigungspolitik des Schmalkaldischen Bundes weiter voranbringen. Eben in diesem Sinne gestaltete Herzog Ulrich dann seine reformatorischen Maßnahmen aus. Von Anfang an achtete er darauf, sowohl der Wittenberger Theologie als auch den Anliegen der oberdeutschen Nachbarn

Württemberg

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Reich und Reformation

III.

albertinisches Sachsen

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gerecht zu werden. Schon die beiden Reformatoren, die er berief, standen für diese unterschiedliche Ausrichtung: Ambrosius Blarer aus Konstanz einerseits, Erhard Schnepf (1495–1558) andererseits, der seinerzeit das Syngramma Suevicum unterzeichnet und zuletzt als Repräsentant Wittenbergisch orientierter Theologie in Marburg gewirkt hatte. Mit der Stuttgarter Konkordie vom 2. August 1534 erreichten sie bereits territorial, was erst zwei Jahre später mit der Wittenberger Konkordie überregional gelingen sollte: eine Einigung in der Abendmahlsfrage, die in Stuttgart allerdings zulasten der Oberdeutschen ging. Dies glich Ulrich durch eine politische Symbolik aus, die dem oberdeutschen Umfeld signalisierte, dass die Vorgänge in Württemberg keinen Fremdkörper darstellen würden – gerade angesichts seiner eigenen problematischen Vorgeschichte musste Ulrich hieran gelegen sein. So wurde mit der Kirchenordnung von 1536 nicht die Messe, sondern der Predigtgottesdienst zur Leitnorm. Der württembergische Gottesdienst erhielt also jene schlichte Gestalt, wie sie in den Reichsstädten üblich geworden war. Auch die Lösung der Bilderfrage, in der sich Schnepf und Blarer, ihren unterschiedlichen Optionen entsprechend uneins waren, lag letztlich auf der Linie oberdeutscher Erwartungen: Nach dem „Uracher Götzentag“ von 1537 verkündete der Herzog einen Erlass, der eine moderate Bilderentfernung in Württemberg anordnete. Dieser Erlass wurde sogar noch erneuert, nachdem Blarer 1538 aufgrund seiner Weigerung, die Wittenberger Konkordie zu unterzeichnen, entlassen worden war. Er ist also weniger Ausdruck einer klaren theologischen Linie des Herzogs als seines Bemühens, die Durchführung der Reformation an sein Umfeld anzupassen. Während die württembergische Reformation eine zentrale Rolle für die Integration der unterschiedlichen theologischen Optionen innerhalb des evangelischen Lagers spielte, vollzog sich die Reformation im albertinischen Sachsen zunächst in enger Anlehnung an die ernestinischen Verwandten. Das Herzogtum Sachsen war unter Georg dem Bärtigen (1500– 1539) lange dem Weg der „katholischen Reform“ gefolgt. Mit der Regierungsübernahme durch Heinrich den Frommen (1539–1541) aber wurde die Reformation eingeführt. Die ersten reformatorischen Maßnahmen lagen in der Hand einer Kommission unter Vorsitz des Wittenberger Professors Justus Jonas (1493–1555), die in der „Heinrichsagende“ (1539) die Leitlinien für eine Reformation im Wittenberger Sinn bestimmte.

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Katholische Reform Durch den Begriff der „katholischen Reform“ hat der katholische Kirchenhistoriker Hubert Jeden deutlich gemacht, dass es auch im altgläubigen Kontext Reformbestrebungen gab, die im späten Mittelalter wurzelten und schließlich in das Konzil von Trient mündeten. Die Spannung zwischen diesen Reformanstrengungen und der Reformation wurde in Sachsen besonders deutlich in Georgs Bemühen um die Heiligsprechung Bennos von Meißen (1066–1106). Die Erhebung der Gebeine des einstigen Bischofs 1524 sollte die Frömmigkeit der albertinischsächsischen Untertanen intensivieren, führte aber zugleich zu massiver Polemik aus dem ernestinischen Sachsen.

Brandenburg

Wieder anders war der Weg, auf dem sich das Kurfürstentum Brandenburg symbolisch in die konfessionelle Landschaft einpasste: Hier war die Einführung der Reformation unter Joachim II. (1535–1571) von einer starken Rück-

Die zweite Welle territorialer Reformation sichtnahme auf altgläubige Befindlichkeiten bestimmt. 1536 wurde die Cöllner Residenz-Hofkirche mit einem Bildprogramm ausgestattet, das zwar von Lukas Cranach stammte, aber durch seine zahlreichen Heiligendarstellungen keineswegs eine klar abgrenzende evangelische Ausrichtung aufwies. Auch bei den weiteren Schritten zur Reformation blieb der Kurfürst moderat. Mit dem Empfang des Abendmahls unter beiderlei Gestalt am Allerheiligentag 1539 und einer Erlaubnis an die Untertanen, ihm darin zu folgen, tat er einen klaren Schritt in das reformatorische Lager. Die Kirchenordnung des Jahres 1540 aber bewahrte ein konservatives Gepräge. So wurden Marien- und andere Heiligenfeste und sogar der Fronleichnamstag beibehalten. Theologisch allerdings war die Orientierung an der Rechtfertigungslehre klar, sodass auch diese Form innerhalb des reformatorischen Lagers Bestand haben konnte. Man versuchte in Brandenburg sogar eine Bischofsverfassung einzuführen, entschied sich dann aber für die Einführung des Superintendenten- und Generalsuperintendentenamtes. Ein solches Ringen um Kontinuität oder Neuansatz in der Bischofsfrage lässt sich nicht nur in Brandenburg nachvollziehen. In einzelnen Bistümern, in Naumburg mit Nikolaus von Amsdorff (1483–1565) ab 1542 und in Merseburg mit Georg von Anhalt (1507–1553) ab 1544/45, wurde tatsächlich der Versuch gemacht, unter neuen reformatorischen Bedingungen das klassische Diözesanbischofsamt wiederzubeleben. Charakteristischerweise vermied man durch die Wahl adeliger unverheirateter Bischöfe dabei auch unnötige Anstöße. Diese Bischofsexperimente blieben aber aufgrund der bald einsetzenden kriegerischen Entwicklung (s.u. S. 114) nur von kurzer Dauer. Letztlich sind auch diese Versuche Ausdruck dessen, dass die Ausbreitung der Reformation zu einer Vervielfältigung der kirchlichen Möglichkeiten führte. Blickt man auf die spätmittelalterlichen Polaritäten, von denen die reformatorische Entwicklung ausgegangen war, so wird man angesichts der Entwicklungen der Zwanziger- und Dreißigerjahre sagen können, dass insbesondere die Intensivierung der dezentralen Bemühungen im Horizont territorialer Verselbstständigung ein Kennzeichen der reformatorischen Bewegung wurde. Auf unterschiedliche Weise machten sich Landesherren die reformatorischen Ideen zu eigen und nutzten sie, um Kirche in einer Weise zu gestalten, die ihren regionalen Bedürfnissen gerecht wurde. Insbesondere in den Dreißigerjahren war die Reformation hierdurch im Reich überaus erfolgreich – die erwähnten Bischofsexperimente hingegen gehören schon einer Phase an, in der die Entwicklung prekärer geworden war.

III.

Evangelische Bischöfe

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IV. Europäische Ausdehnung der Reformation 1521 1527 1534 1536–1538 1537

1541 1549 1553 1559 1561 1563 1570 1571 1598

Erste reformatorische Ansätze in Dänemark unter Christian II. (1513–1523) Reichstag von Västerås: Durchbruch der Reformation in Schweden Plakataffäre in Frankreich Act of Supremacy Erste Genfer Tätigkeit Calvins Ordination von lutherischen Superintendenten in Dänemark unter Christian III. (1536–1559) durch Johannes Bugenhagen Rückkehr Calvins nach Genf Conensus Tigurinus Book of Common Prayer Hinrichtung Michael Servets Confession de foy des Eglises reformées de France Religionsgespräch von Poissy Hinwendung der Pfalz zum Calvinismus Consensus von Sandomir Lutherische Kirchenordnung in Schweden Edikt von Nantes

1. Die skandinavischen Reformationen Aufgrund der engen Kulturkontakte strahlte die Wittenberger Reformation von früh an nach Nordeuropa aus. In Skandinavien wurden schon von den Zwanzigerjahren an reformatorische Impulse aufgenommen, wobei aber die theologischen Gedanken insbesondere in Schweden von Anfang an mit politischen Interessen der Verselbstständigung und Stärkung von Herrschaft verbunden waren und die Klärung des konfessionellen Status erst relativ spät erfolgte.

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Skandinavien in der Reformationszeit Die skandinavischen Herrschaften waren in Spätmittelalter und Früher Neuzeit eng miteinander verflochten. 1397 bildete sich eine Union aus Dänemark, Norwegen und Schweden, aus der sich Letzteres erst 1521/23 herauslöste. Dänemark blieb mit Norwegen verbunden, wozu auch Island gehörte, während Finnland unter schwedischer Herrschaft stand.

Dänemark

Besonders eng war die Verbindung zwischen Wittenberg und Dänemark. Schon 1521 bat Christian II. (1513–1523) um Entsendung von Beratern aus Wittenberg. Unter ihnen befanden sich auch Andreas Karlstadt, der allerdings schon nach wenigen Wochen nach Wittenberg zurückkehrte, und Martin Reinhart. Der König bekannte sich damit noch keineswegs ganz klar

Die skandinavischen Reformationen

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zur Reformation, sondern bewegte sich eher auf der Linie eines humanistischen Reformkatholizismus. Dennoch spielte die Frage einer Neigung zur Reformation eine Rolle bei politischen Protesten, die sich gegen ihn formierten und ihn 1523 ins Exil trieben. Sein Nachfolger Friedrich I. (1523– 1533) musste sich entsprechend offiziell auf eine antireformatorische Linie festlegen. Er schlug aber bald einen Kurs ein, der jedenfalls auch Toleranz für die reformatorische Bewegung zeigte, welche sich zunehmend in den Städten entfaltete. Insbesondere das seinerzeit dänische Malmö und Kopenhagen wurden zu ersten Zentren der Reformation, deren Propagierung sich zum Teil auch mit dem Engagement für die Rückkehr des abgesetzten Königs verband. Dies wiederum machte die Frage der Reformation für Friedrich zu einem heiklen Politikum und dürfte zu seinem erheblichen Schwanken beigetragen haben. So kam es erst unter seinem Sohn Christian III. (1536–1559) zu einer energischen Entscheidung für die Reformation, nachdem dieser in der sogenannten Grafenfehde widerstrebende politische Kräfte niedergerungen hatte. Nach Erringung der Macht schob Christian III. die Verantwortung für die Grafenfehde den Bischöfen zu und nahm dies zum Anlass, die gesamte dänische episkopale Hierarchie zu entlassen. So musste es zu einem kompletten Neuaufbau der Kirche kommen. Hierzu versicherte sich der König der Hilfe des Wittenberger Stadtpfarrers und Professors Johannes Bugenhagen (1485–1558), der sich schon an verschiedenen Orten um die Ausbreitung der Reformation verdient gemacht hatte. Reformatorische Tätigkeit Johanns Bugenhagens Der Wittenberger Stadtpfarrer Johannes Bugenhagen war die entscheidende Schlüsselgestalt für die Vermittlung der Wittenberger Reformation in norddeutsche Städte und Territorien, war also bereits ein erfahrener Organisator, als er nach Dänemark kam. So hat er 1528 die Kirchenordnung für Braunschweig verfasst eine besonders heikle Aufgabe, da die Stadt dies auch als Mittel nutzte, ihre Selbstständigkeit gegenüber den welfischen Herrschern zu stabilisieren. 1528/29 wirkte er in der Reichsstadt Hamburg, 1530–1532 in Lübeck und 1534–1535 in Pommern.

In Dänemark passte Bugenhagen nun Wittenberger Vorstellungen in den geänderten Kontext ein: Im September 1537 ordinierte er sieben Superintendenten, nahm also die sächsische Titulatur auf. Aber während in Sachsen die Schaffung des Superintendentenamtes allererst die Einordnung des kirchlichen Aufsichtsamtes in die territorialen Strukturen begründete und dabei den Einfluss der alten Ortsbischöfe aufhob, ohne an die Diözesanstruktur anzuknüpfen, war der Rahmen in Dänemark dadurch bestimmt, dass die Diözesen seit jeher eng auf das Territorium bezogen waren, sodass die für das deutsche Reich typische Spannung zwischen Territorial- und Bistumsgrenze gar nicht gegeben war. Damit konnten die evangelischen Superintendenten schlicht an die Stelle der mittelalterlichen Bischöfe treten, und im Laufe des 16. Jahrhunderts erhielten sie auch wieder diesen Titel. Die Diözesanordnung wurde als Einteilung in evangelische Stifte beibehalten und lediglich das Amt des Erzbischofs beseitigt, das bislang der Bischof von Lund innegehabt hatte. In der evangelischen Kirche hatte der Superintendent beziehungsweise Bischof von Roskilde lediglich einen Ehrenvor-

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rang; letztlich lag die äußere Leitung der Kirche beim König. Damit ergab sich, dass die kirchlichen Amtsträger konsequent aus der päpstlichen Hierarchie gelöst und dem dänischen Reich zugeordnet wurden und dessen Stellung stärkten – in ähnlicher Weise wie in Deutschland diente die Reformation also der Stärkung dezentraler Kräfte. Theologisch wurden die Aufgaben der neuen Bischöfe aber durch die Bestimmungen für das sächsische Superintendentenamt gefüllt. Sie lagen vor allem in dem klassischen Bereich der Visitation; das bedeutete für Dänemark wie für die Frühzeit in Sachsen vor allem die Aufsicht über die Pfarrer, die im alten Glauben aufgewachsen waren und nun im Sinne der reformatorischen Lehre wirken sollten. Während in den Städten die Reformation schon früh Fuß gefasst hatte, bedeutete dieses Vorgehen für viele Regionen Dänemarks eine reformatorische Durchgestaltung von oben. Das galt erst recht für Norwegen, wo vor der Einführung der Reformation durch Christian III. lediglich in Bergen eine reformatorische Bewegung belegt ist. In Island schließlich wurde die Reformation gegen den zähen Widerstand beharrender Kräfte durchgesetzt. Zu dieser sachten Transformation der Gegebenheiten gehörte auch der Vorgang der Königskrönung Christians III., für die es kein lutherisches Vorbild gab. Sie wurde in weitgehender Anlehnung an die alten, durch Bugenhagen aber bereinigten Zeremonien am 12. August 1537 durchgeführt. Ihre Feier bestätigte die zentrale Rolle des Königs für die neu aufgebaute Kirche, die er durch die Bischöfe leitete. Für die dauerhafte Sicherung einer inhaltlichen Orientierung an der Wittenberger Reformation wirkte nach Bugenhagens Abreise Petrus Palladius (1503–1560) als Superintendent von Seeland mit Sitz in Roskilde. Mit ihm wurde die Reformation nach innen und außen gesichert. In Schweden ging die Reformation Hand in Hand mit der Verselbstständigung aus der bisherigen Personalunion mit Dänemark und Norwegen. Unmittelbar nach der Machterringung durch Gustav I. Eriksson Vasa (1523– 1560) verquickten sich kirchliche Fragen mit dem Bemühen des neuen Königs um Stabilisierung seiner Macht. Während der Papst für den Erzbischofsstuhl von Uppsala an Gustav Trolle (gest. 1535) festhielt, der als Anhänger Christians von Dänemark ein Gegner der Verselbstständigung Schwedens war, setzte sich der neue König für Johannes Magnus (gest. 1544) ein und konnte dessen Amtseinführung auch durchsetzen und den päpstlichen Einfluss faktisch außer Kraft setzen. Ganz deutlich steht auch hier am Anfang der Reformation das Streben nach Lösung von der zentralen Leitung der Kirche. Begleitet und theoretisch durchdacht wurden diese Ansätze von Kanzler Laurentius Andreae (gest. 1552), der programmatisch den Gedanken einer Leitung der Kirche durch den weltlichen Herrscher vertrat. Die neuen theologischen Ideen wurden vorwiegend durch Olaus Petri (1493–1552), einen in Wittenberg ausgebildeten Theologen, propagiert. 1526 brachte er eine schwedische Übersetzung des Neuen Testaments heraus, oft eng an Martin Luther angelehnte Traktate und Kirchenlieder folgten und trugen so zur Verbreitung reformatorischen Glaubens bei. Petri wirkte auch 1527 am Reichstag von Västerås mit, der die begonnenen reformatorischen Maßnahmen bündelte und zu ihrem Durchbruch führte. In einer öffentlichen Disputation mit einem Kanoniker aus Uppsala vertrat er die reformatorische Lehre, und in der Folge wurde die reine Predigt des Evangeliums freigegeben. Damit war der evangelische Glaube jedenfalls mit dem alt-

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gläubigen gleichberechtigt. Entscheidender für den König – und typisch für seine Anliegen – war der ganz auf der Linie von Andreaes Ideen liegende Beschluss, ihm die Kirchengüter zu übertragen. Die Bischöfe gerieten damit in finanzielle Abhängigkeit vom Herrscher und verloren ihre politische Eigenständigkeit. Es waren wohl auch vorwiegend ökonomische Motive, die auf der Synode von Örebro 1529 eine Reduktion der Feiertage ermöglichten. Dieselbe Synode nämlich sah sich nicht in der Lage, die altgläubige Liturgie zu ändern, sondern behielt hier die traditionellen Formen weitgehend bei, erklärte sie allerdings in der im selben Jahr herausgebrachten Agende im evangelischem Sinne. Zum Bruch mit Rom kam es erst bei der neuerlichen Nachfolgeregelung in Uppsala, da mittlerweile auch Johannes Magnus aus Kritik an den reformatorischen Veränderungen ins Exil gegangen war. Gustav sah sich wohl auch durch die Bildung des Schmalkaldischen Bundes im Reich ermutigt, nun forciert auf eine evangelische Lösung zu dringen. In einer ungewöhnlichen Maßnahme übertrug der König das Recht auf die Wahl eines neuen Erzbischofs einer Kleriker- und Bischofsversammlung, die sich für Laurentius Petri (1499–1573), den Bruder von Olaus Petri entschied. Da dieser gleichzeitig zum Kanzler des Königs aufstieg, konnten die beiden Brüder nun gemeinsam die Reformation fördern und voranbringen. Laurentius Petri fand zwar keine päpstliche Anerkennung, wurde aber von einem Bischof geweiht, der seinerseits noch in Rom geweiht worden war, sodass die schwedischen Bischöfe sich darauf berufen konnten, in der legitimen Amtsnachfolge des mittelalterlichen Episkopats zu stehen. Auch dies ist Ausdruck für den moderat-konservativen Charakter der schwedischen Reformation. Harsche Konflikte entzündeten sich weiterhin vorwiegend an ökonomischen Fragen, so etwa in dem sogenannten Glockenaufstand, der 1531 ausbrach, weil Gustav zur Finanzierung von Schulden die Kirchenglocken im ganzen Land einziehen wollte. Wiederholt bemühte sich der König in den Folgejahren auch, in den Schmalkaldischen Bund aufgenommen zu werden, aber dem stand die unklare Frage der Verselbstständigung Schwedens von Dänemark, das 1538 dem Bund beitreten konnte, im Wege. Die reformatorischen Maßnahmen bestanden weiterhin mehr in der Interpretation bisheriger Gebräuche im reformatorischen Sinne als in einer dezidierten Umgestaltung. Erst auf dem Reichstag von Västerås 1544 wurden Heiligenverehrung und Wallfahrten verboten, aber eine konsequente Entfernung von Heiligenbildern aus den Kirchenräumen folgte daraus nicht. Erst 1571, kurz vor seinem Tod, konnte Laurentius Petri eine neue Kirchenordnung in Kraft setzen, die offizielle Annahme der Confessio Augustana erfolgte gar erst 1593. Schweden wurde damit erst spät auch offiziell zu einem Land der lutherischen Reformation. Die Verlaufsformen hier machen zugleich deutlich, dass das Gesamtphänomen der Reformation nicht erfasst werden kann, wenn man allein auf die deutschen Vorgänge blickt. Die spätmittelalterlichen Polaritäten konnten in ganz unterschiedlicher Weise Impulse für Änderungen und Transformationen geben. Während man in Sachsen die Anfänge beim Bemühen um innerliche Frömmigkeitsformen nachvollziehen kann und die Frage von Zentralität oder Dezentralität erst relativ spät handlungsleitend wurde, war der Verlauf in Schweden nahezu umgekehrt: Die politische Entwicklung lief bis zu einem gewissen Grad der religiösen voraus.

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IV. Finnland

Noch etwas anders lagen die Dinge in Finnland, das politisch keinen anderen Status hatte als andere Landschaft im schwedischen Reich auch. Insofern nahm es grundsätzlich an den skizzierten Entwicklungen Schwedens teil. Die reformatorische Bewegung hatte hier aber noch eine andere Komponente, insofern sie zur Bildung einer finnischen Schriftsprache und damit zur Stärkung der eigenen Kultur in einem Land, dessen Amtssprache Schwedisch war, beitrug. Ein moderater Förderer der Reformation wurde hier der Bischof von Turku / Åbo Martin Skytte (1528–1550), der sich selbst zwar nicht eindeutig zur Reformation bekannte, aber Studenten nach Wittenberg entsandte. Unter diesen war 1536–1539 Mikael Agricola (1508–1557). Er gehörte einer Generation an, die schon in den Zwanzigerjahren reformatorische Predigten gehört hatte und nun in entscheidende Funktionen aufstieg. Wie sehr die Pflege des Finnischen bei ihm Hand in Hand mit dem Bemühen um die Ausbreitung der reformatorischen Ideen ging, zeigt der Umstand, dass er bereits 1543 ein volkssprachliches ABC-Buch herausbrachte, das erste gedruckte finnische Buch; zum Erlernen der finnischen Schriftsprache nutzte es vor allem katechetische Texte. 1548 folgte eine Übersetzung des Neuen Testaments. Durch diese literarische Tätigkeit wirkte Agricola, der 1554 auch das Bischofsamt von Turku / Åbo übernahm, nachhaltig prägend und legte die Grundlagen für die Formung der lutherischen Kultur Finnlands.

2. Humanismus und reformatorische Bewegung in romanischen Ländern Italien

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Die zwischen Humanismus und Reformation angesiedelten Reformbestrebungen in Frankreich und Italien hatten einen eigenen Charakter. Dabei handelt es sich weniger um breite, durch Publizistik hervorgerufene Bewegungen als um einzelne Kreise, die die humanistischen Formen kommunikativer Netzwerkbildung mit spezifischen reformationsaffinen Inhalten füllten. Die Grenzen zwischen Humanismus und Reformation waren dabei fließend. Wichtige Vermittlergestalten waren Vittoria Colonna (1490– 1547), die in Viterbo einen Gelehrtenkreis um sich scharte und ihrerseits auf Reisen zahlreiche Kontakte zu Humanisten und reformatorisch Gesonnenen pflegte, sowie Juan de Valdés (gest. 1541), der vor einem Ketzerprozess aus Spanien geflohen war und nun in Neapel den Kreis der Spirituali um sich scharte, die sich um eine Erneuerung des christlichen Lebens bemühten. Durch die Beziehungen Vittoria Colonnas konnten auch adelige Kreise, etwa die Gräfin Giulia Gonzaga (1514–1566) erreicht werden, vor allem aber griffen spirituell interessierte Ordensleute die Ideen auf. Markant war die Entwicklung Bernardino Ochinos (1487–1564): Er hatte sich 1534 von den Franziskanern den strengeren Kapuzinern zugewandt, um ein möglichst vollkommenes religiöses Leben zu führen, geriet nun aber so sehr unter den Einfluss von Valdès, dass er 1542 unter Häresieanklage gestellt wurde. Er floh nach Genf und wurde später ein wichtiger Berater bei der

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englischen Reformation. Gegen Ende seines Lebens geriet er dann während eines Aufenthaltes in Zürich unter den Verdacht, Antitrinitarier zu sein, und musste in Polen Zuflucht suchen. Nach England hatte ihn Petrus Martyr Vermigli (1499–1562) begleitet, der ebenfalls dem Kreis der Spirituali angehört hatte und vor der Inquisition geflohen war. Antitrinitarier Insbesondere im romanischen Raum zogen einige Denker aus der Zuwendung zur Schrift die Konsequenz, dass sie aufgrund des Schriftbefundes die altkirchliche Lehre von der Trinität – der göttlichen Einheit in den drei Personen Vater, Sohn und Geist – verwarfen. Namhafte Vertreter waren die Italiener Lelio (1525– 1562) und Fausto Sozzini (1539–1604), nach denen die Bewegung auch Sozinianismus genannt wird, sowie der Spanier Michael Servet (1511–1553). Eine gewisse Anerkennung erlangten die Antitrinitarier (oder Unitarier) im Laufe des 16. Jahrhunderts in Polen und Siebenbürgen.

Trotz einzelner bedeutender Gestalten aber blieb die Reformbewegung in Italien ein Randphänomen. Angesichts der politischen Dominanz des Kirchenstaates war ohnehin an eine politische Umsetzung reformatorischer Ideen in Italien nicht zu denken. Größere Bedeutung gewann der Reformkatholizismus und dann auch eine zaghafte reformatorische Bewegung in Frankreich. Schon seit den frühen Zwanzigerjahren kam es auch hier zu einer Ausbreitung reformatorischer Ideen. Den Boden dafür hatten humanistische Kreise bereitet. Mit Faber Stapulensis / Jacques Lefèvre d’Étaples (gest. 1536) wirkte in Frankreich einer derjenigen Humanisten, die sich mit besonderer Intensität dem biblischen Text zuwandten. Sein Quincuplex Psalterium von 1509 gehörte zu den wichtigsten Quellen von Luthers früher Psalmenvorlesung. Nicht nur die philologische Ausrichtung, sondern auch die christologische Konzentration der Interpretation inspirierte den Wittenberger Professor. Faber Stapulensis selbst fand in Guillaume Briçonnet (gest. 1534), dem Bischof von Meaux, einen tatkräftigen Förderer. Seit dieser 1517 sein Bistum eingenommen hatte, wirkte er als Förderer kirchlicher Frömmigkeit im Sinne eines moderaten Reformkatholizismus. Humanismus und Bibel Mehrere Humanisten haben ihre Kenntnisse in den alten Sprachen in den Dienst der Bibelinterpretation gestellt. Erasmus gehörte hierzu ebenso wie Faber Stapulensis. Diese Strömung wird von manchen Forschern als „Bibelhumanismus“ (Junghans) bezeichnet.

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Frankreich

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Zu Briçonnets Bemühungen gehörte auch, dass er 1521 Stapulensis zu seinem Vikar machte und mit ihm gemeinsam einen Kreis reformfreudiger Humanisten um sich sammelte, zu denen unter anderem der spätere Reformator von Genf Guillaume Farel (1489–1565) gehörte. Der Kreis wurde lange Zeit von Marguerite d’AngoulÞme (gest. 1549) gestützt und auch von ihrem Bruder, König Franz I. (1515–1547), wohlgesonnen begleitet. So konnte er eine reiche literarische Produktivität entwickeln, mit der die Verbreitung reformatorischer Schriften in Frankreich einherging. Luther wurde, weitgehend über Straßburg vermittelt, in Lateinisch, ab 1524 auch in Französisch gelesen. 1525 brachte Farel eine eigene Zusammenfassung des reformatorischen Glaubens heraus, den Sommaire et brève declaration. Zu diesem Zeitpunkt hatte er aber Meaux bereits verlassen, und Mitte der Zwanziger-

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jahre löste sich der gesamte Kreis auf. Schon früh war Stapulensis in das Visier der Sorbonne geraten und dort 1521 und 1523 verurteilt worden. Die Lage wurde immer prekärer, zumal als Franz I. 1525 nach einer militärischen Niederlage von Karl V. gefangen genommen und die weitere Entwicklung in Frankreich schwer absehbar wurde. So zerstreute sich der Kreis von Meaux. Aber die Entwicklung war schon weit genug fortgeschritten, dass sich die reformatorischen Ideen weiter verbreiten konnten. Dabei hing viel am Verhalten von Franz I., der 1526 aus der Gefangenschaft zurückkehrte. Seine Haltung gegenüber der Reformation lässt sich nicht einlinig interpretieren. Neben der offenkundigen Förderung von Reformkräften – zeitweise war Faber Stapulensis sogar an seinem Hof tätig – standen Gewaltmaßnahmen gegen die reformatorische Bewegung. Am ehesten ist die Haltung des Königs wohl so zu verstehen, dass er die reformatorische Bewegung dann unterstützte, wenn sie sich auf gelehrter Ebene bewegte und letztlich als eine bestimmte Ausprägung des Humanismus verstehbar war, dass er sich aber strikt gegen Veränderungen im allgemeinen religiösen Leben seiner Untertanen wandte. Ausdruck für das Erste war das Collegium trilingue in Paris, an dem Franz I. ab 1530 in direkter Konkurrenz zur Sorbonne humanistische Studien förderte. Die andere Seite aber zeigte sich in Verfolgungen, die schon 1523 einsetzten, und in der Plakataffäre von 1534 einen vorläufigen Gipfel erreichten.

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Plakataffäre Im Jahre 1534 wurden in Frankreich Flugblätter mit Polemik gegen die Messe, insbesondere die Transsubstantiationslehre verbreitet, die sogar in das königliche Schloss Amboise gelangten. Franz I. ging nun massiv gegen Protestanten vor: durch Verfolgungen im Einzelnen wie auch durch eine große Sühneprozession in Paris am 21. Januar 1535, auf deren Höhepunkt sechs Häretiker verbrannt wurden.

Charakteristischerweise hat Franz I. sich umgehend bemüht, sein Verhalten in der Plakataffäre den evangelischen Ständen zu erklären, denn zu seinen außenpolitischen Optionen gehörte im Rahmen einer antihabsburgischen Allianz auch die Zusammenarbeit mit dem Schmalkaldischen Bund, die aber nicht zuletzt aufgrund seiner internen Maßnahmen gegen die Protestanten auf Schwierigkeiten stieß. Diese wurden umso schärfer, je stärker sich von Genf aus der Protestantismus in Frankreich ausbreitete, und so kam es unter Franz’ Nachfolger Heinrich II. (1547–1559) bald zur Bildung der Chambre ardente, mit deren Hilfe die Protestanten systematisch bekämpft wurden.

3. Genf als neues Zentrum Calvin

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Zum neuen Zentrum des französischsprachigen Protestantismus wurde Genf, freilich durch einen Zugewanderten: Johannes Calvin (1509–1564). Er war ein Reformator der zweiten Generation, aber doch originell genug, um zum Gründer eines eigenen Zweiges des reformatorischen Christentums

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zu werden. Als solcher stieß er in die Lücke, die der Tod Zwinglis jenseits der Reichsgrenzen gelassen hatte, ohne doch Zwinglis Wirken ungebrochen fortzuführen. Sein geistiger Hintergrund war der französische Humanismus, dem er vor allem während seines Jurastudiums in Orléans und Bourges begegnet war. Ab 1531, nach dem Tod seines Vaters, intensivierte er diese Studien in Paris und nutzte die dort durch Franz I. geschaffenen Möglichkeiten am Collegium trilingue. In diese Zeit fällt die für ihn selbst „unerwartete Bekehrung“ (subita conversio) zum reformatorischen Denken. Ein erster Ausdruck hiervon war die Rede zum 1. November 1533, die wohl Calvin für seinen Freund Nicolas Cop (gest. 1540) verfasst hat und die einerseits an erasmianischem Humanismus orientiert, andererseits deutlich von reformatorischen Ideen geprägt war. Aufgrund des Eklats, den die Rede auslöste, mussten beide, Cop wie Calvin, aus Paris fliehen. Im August 1536 gelangte Calvin an die künftige Stätte seines Wirkens: nach Genf. Formal war die Stadt zu diesem Zeitpunkt schon reformatorisch: Durch das Wirken Farels, der auf Umwegen aus Meaux hierher gekommen war, war schon am 10. August 1535 die Messe abgeschafft worden. Wie in anderen Fällen auch war die Hinwendung zur Reformation ein Baustein in einer Politik der Verselbstständigung: 1533 war der Bischof und Stadtherr Pierre de Baume (gest. 1544) vertrieben worden, und mithilfe Berns hatten die Genfer sich auch von den Zugriffen der Herzöge von Savoyen freigekämpft, waren hierdurch jedoch in eine gewisse Abhängigkeit von Bern geraten. Calvin fand damit einerseits eine schon klar reformatorisch bereitete Situation vor, andererseits eine noch weitgehend ungeklärte Lage, in der ihm nun die Aufgabe der religiösen Anleitung und kirchlichen Organisation zufiel, der er mit klaren Entscheidungen und auch einer unerbittlichen Härte nachkam. Anfänglich wirkte Calvin, der eben in Basel die erste Auflage seiner Institutio vorgelegt hatte, nur als Schriftausleger, doch spätestens mit den Articles concernants l’organisation de l’église et du culte à Genève, die er 1537 gemeinsam mit den anderen Geistlichen dem Rat vorlegte, wurde seine Handschrift erkennbar. Sie sind von dem Willen geprägt, die Stadt nicht nur in irgendeiner Weise zu reformieren, sondern als eine in Religion und Sitte heilige Stadt zu gestalten, die durch Lehre und Leben der Ehre Gottes dient. In mancher Hinsicht ähnelte dieses Konzept Ansprüchen, wie sie Andreas Karlstadt oder auch die Münsteraner Täufer erhoben hatten, war aber zugleich in hohem Maße von einem strengen Ethos der Einpassung der Individuen in die Gemeinschaft geprägt. Konkret wurden vier Artikel benannt: 1. sollte allsonntäglich das Abendmahl gefeiert werden, 2. der Psalmgesang eingeführt werden, 3. eine Unterrichtung der Kinder im Katechismus, die bald durch die Vorlage des Genfer Katechismus unterstrichen wurde, erfolgen und 4. Ehegerichtsbarkeit eingeführt werden. Der ausführlichste und unter vielen Gesichtspunkten strittigste Punkt war der erste: das häufige Abendmahl – nicht nur wegen des Ritus als solchem, sondern auch wegen der damit verbundenen Kirchenzucht. In Bern war lediglich viermal jährliche Kommunion üblich, und der Rat wollte Genf hiervon nicht unterscheiden, setzte diesen Artikel also nicht um.

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Calvins Institutio Nach und neben Philipp Melanchthons Loci communes von 1521 wurde Calvins Institutio christianiae religionis das wichtigste theologische Lehrbuch der Reformation. Die Arbeit daran begleitete Calvin sein Leben lang: War die erste Ausgabe von 1536 noch stark erkennbar von Luthers Katechismen geprägt, so bot die letzte von 1559 eine umfassende systematische Darlegung des christlichen Glaubens in vier Büchern. Kirchenzucht Vor allem durch Johannes Calvin gewann der Gedanke der Kirchenzucht Gewicht in der reformatorischen Bewegung. Es handelt sich dabei um die kirchenrechtliche Normierung des Verhaltens der Gemeindeglieder. Die wichtigste Sanktionsmaßnahme war der Ausschluss vom Abendmahl. Im Zuge der weiteren Entwicklung ging die Kirchenzucht oftmals parallel mit der staatlichen Sittenzucht, durch die allgemeines bürgerliches Wohlverhalten erreicht werden sollte. Ihre starke Betonung blieb im Zuge der Konfessionsbildung in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts markantes Merkmal der reformierten Konfession, während die werdenden lutherischen Kirchen sich ihrer nur gelegentlich und zögerlich bedienten. Gemeinsam dienten Kirchenzucht und Sittenzucht der Sozialdisziplinierung, durch die der frühmoderne Staat seine Untertanen an feste Verhaltensnormen band.

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Articles concernants l’organisation de l’église et du culte à Genève aus: Calvin-Studienausgabe, hg. v. Eberhard Busch u.a. Bd. 1/1: Reformatorische Anfänge (1533–1541), Neukirchen-Vluyn 1994, S. 122–127 Zudem ist es sicher, dass es keine größere Scheidung gibt als die im Glauben. Wenn daher nur wegen ihrer Fehler diejenigen aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden müssen, welche mit uns im Glauben übereinstimmen, so dürfen erst recht nicht solche in der Kirche geduldet werden, die uns im Glauben völlig entgegengesetzt sind. Um dem Abhilfe zu schaffen, haben wir uns entschlossen, euch zu bitten, dass alle Einwohner eurer Stadt ein Bekenntnis ablegen und über ihren Glauben Rechenschaft geben sollen. Dann wird man wissen, wer dem Evangelium zustimmen und wer lieber zum Reich des Papstes als zum Reich Jesu Christi gehören will. Es wäre daher ein Werk christlicher Obrigkeit, wenn ihr Ratsherren, jeder Einzelne, in eurem Rat ein Bekenntnis ablegen würdet, sodass man erkennen könnte, dass das, was ihr glaubt, wirklich dasjenige ist, was alle Gläubigen in einer Kirche vereinigt. Denn durch euer Beispiel würdet ihr zeigen, was jeder im Anschluss an euch tun soll. Danach müsstet ihr jemanden aus eurem Kreis bestimmen, der, zusammen mit einem Pfarrer, von jedem dasselbe zu tun fordert. (…) Und nun, sehr geehrte Herren, bitten wir euch inständig und einmütig im Namen Gottes: wenn ihr seht, dass diese Weisungen und Ermahnungen wirklich dem Wort Gottes entspringen, so sollt ihr sie nicht als die unsrigen, sondern als Weisungen dessen annehmen, von dem sie stammen. Zugleich bitten wir euch zu erwägen, von welcher Wichtigkeit und Bedeutung sie sind, um der Ehre Gottes die ihr angemessene Stellung zu geben und die Kirche unversehrt zu erhalten.

Die Maßnahmen, die die Articles für Kirchenzucht und Sozialkontrolle vorsahen, waren drastisch: Neben der allgemeinen Verpflichtung der Bevölkerung, einen Eid auf den neuen Glauben zu leisten, war auch ein regelrechtes Spitzelsystem zur Sozialkontrolle vorgesehen. In jedem Quartier sollten Personen verteilt werden, die „ein Auge auf das Leben und Betragen eines Jeden (…) haben“ sollten (Calvin-Studienausgabe 1/1, S. 120f.). Ein solches

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striktes Kontrollbemühen war für die Zeit sich verdichtender Herrschaft in der Frühen Neuzeit nicht singulär und bei Calvin offenkundig durch einen hohen theologischen Anspruch motiviert – für die Genfer Bevölkerung war es aber nicht unmittelbar tragbar. Insbesondere die verlangte Eidesleistung stieß auf Widerstände, und 1538 erlangten die Gegner Calvins die Mehrheit im Rat. Daraufhin weigerten sich dieser und die anderen Prediger an Ostern, eine gemeinsame Abendmahlsfeier zu vollziehen und wurden der Stadt verwiesen. Calvin verbrachte seine Exilszeit in Straßburg, wo er vor allem unter Bucers Einfluss seine theologische Entwicklung weiter voranbrachte. In seiner Abwesenheit aber gewann in Genf die Gruppe der Calvin-Anhänger wieder die Oberhand, und 1541 kehrte er in die Stadt zurück, wo er von nun an bis zu seinem Tod zur bestimmenden Figur wurde, zumal Farel, nach dem die Partei der Calvinfreunde immer noch Guillermins genannt wurde, in Neuchâtel blieb, wohin er 1538 gegangen war. Calvin ging gleich ans Werk, die Kirche in Genf zu reorganisieren: Noch im November 1541 wurden die Ordonnances ecclésiastiques beschlossen. In ihnen wurden erneut Regelungen zur Kirchenzucht eingeschärft. Vor allem aber etablierte die neue Ordnung in Anlehnung an Erkenntnisse, die Calvin durch Bucer in Straßburg gewonnen hatte, die Lehre von den vier Ämtern, die künftig prägend für reformierte Gemeinden werden sollten: Als kirchliche Ämter wurden eingeführt: Pastoren (Pasteurs), Doktoren (Docteurs), Älteste (Anciens) und Diakone (Diacres). Die Pastoren sollten das Wort Gottes verkündigen und die Sakramente spenden. Die Doktoren hatten die Aufgabe der Unterweisung, was zunächst hauptsächlich Schulunterricht bedeutete: Erst 1559 wurde die Genfer Akademie mit Theodor Beza (1519–1605) als Rektor gegründet und sicherte nach dem Vorbild der Straßburger Hohen Schule eine theologische Ausbildung, später auch das Studium von Jura und Medizin. Die Diakone hatten in der Sozialfürsorge umfassende Pflichten zu erfüllen. Zentrales Instrument hierfür wurde das Hospital, in dem sieben vorreformatorische Einrichtungen zentral zusammengefasst wurden. Es konnte einerseits direkt Arme und Waisen unterbringen, andererseits wurden hier zusätzliche Nahrungsmittel für weitere Arme produziert. Hinzu kamen verschiedene Stiftungen, die insbesondere der Versorgung der zahlreich nach Genf einreisenden Flüchtlinge dienten. Das prägende Amt aber wurde das der Ältesten, in dem sich die Aktivierung der Laien für die Gestaltung einer frommen und heiligen Stadt besonders deutlich ausdrückte. Ihnen oblagen gemeinsam mit den Pastoren in besonderer Weise die Aufgaben der Kirchenzucht, deren enge Verknüpfung mit der städtischen Sozialdisziplinierung sich darin niederschlug, dass die Ältesten aus den Räten der Stadt berufen wurden. Reformiert Mit dem Begriff „reformiert“ wird diejenige reformatorische Konfessionsfamilie benannt, die auf die Impulse Calvins zurückgeht. Die ebenfalls gebräuchliche Bezeichnung Calvinismus hebt diesen Ursprung hervor, betont aber die Person des Genfer Reformators in einem Maße, das nicht dem reformierten Selbstverständnis entspricht.

Tatsächlich wurde die Kirchenzucht zum bestimmenden Thema der Genfer Reformation – in der inneren Gestaltung wie in der Abgrenzung nach au-

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ßen. Sie war dabei nicht nur Instrument der Sittenzucht, sondern diente auch der Durchsetzung von Calvins Macht in Genf, deren Basis durchaus prekär war: Die Tatsache, dass viele Glaubensflüchtlinge aus Frankreich in die Stadt strömten, schürte Konflikte zwischen den Einheimischen und den Françillons, zu denen aufgrund seiner Herkunft selbstverständlich auch Calvin gerechnet wurde. Gegen eben diese Franzosen und den Genfer Reformator wetterte 1546 auch der Spielkartenfabrikant und Mitglied des Kleinen Rates Pierre Ameaux – zur Strafe musste er öffentlich im Büßergewand durch Genf ziehen. Diese vom Rat verhängte Buße über einen angesehenen Bürger zeigte, dass Vergehen gegen die reformatorische Linie auch den eigenen sozialen Status gefährdeten. Stärker auf die Moral der Bevölkerung zielten Maßnahmen gegen Tanzveranstaltungen oder gegen Gasthäuser, die zwischenzeitlich in Genf sogar ganz geschlossen wurden. Die wohl weitreichendste Maßnahme war die Bestimmung über Namen. Der Streit hierüber wurde dadurch ausgelöst, dass ein Pfarrer überraschend ein Kind auf den Namen Abraham statt des von den Eltern gewünschten Namens Claude taufte. Hintergrund war die Sorge Calvins und seiner Gefährten, dass die Fortführung der mittelalterlichen Namenstradition auch eine weitere Heiligenverehrung mit sich bringen würde. So setzten die Geistlichen beim Rat eine Liste erlaubter Taufnamen durch – aus ihrer Sicht ein weiterer Baustein auf dem Weg Genfs zur biblisch-heiligen Stadt, aus der Sicht der Gegner ein weiterer Eingriff der Fremden in angestammte Rechte selbst noch im privatesten Bereich. Solche Maßnahmen gaben den Auseinandersetzungen in Genf eine zunehmende Schärfe – 1555 eskalierten sie schließlich so weit, dass Ami Perrin (gest. 1561), der Anführer der Opposition gegen Calvin, aus der Stadt fliehen musste und in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurde. Nun hatte sich Calvin ganz durchgesetzt und baute seine Basis noch dadurch aus, dass die Vergabe von Bürgerrechten an Franzosen ausgeweitet wurde. Doch ging es in Genf nicht allein um disziplinarische Fragen: Immer wieder kämpfte Calvin auch für die Durchsetzung des rechten Glaubens im Sinne seiner Überzeugungen. Der bekannteste und tragischste Fall war die Auseinandersetzung mit dem Antitrinitarier Michael Servet im Jahre 1553. Nachdem Servet lange Zeit verdeckt hatte leben können, kam es zu einer Zusammenarbeit zwischen den reformierten Behörden in Genf und den katholischen in Südfrankreich: Letztere erhielten aus Genf die entscheidenden Hinweise auf Servets Identität, und dieser entzog sich der Verfolgung durch eine Flucht, die ihn unglücklicherweise nach Genf führte. Hier wurde er verhaftet und ihm der Prozess gemacht. Die Hinrichtung Servets am 27. Oktober 1553 hat Calvin nachhaltig einen negativen Ruf als intoleranter Machtmensch eingetragen, obwohl er rechtlich gar keine andere Handhabe hatte. Eher ist das Plädoyer eines Zeitgenossen – Sebastian Castellio (1515–1563), dem selbst ein Jahrzehnt zuvor in Genf eine Anstellung als Pfarrer verweigert worden war, weil er die Kanonizität des Hohen Liedes angezweifelt hatte – für Toleranz ungewöhnlich. Seine Schrift De haereticis, an sint persequendi (1554) zeigt, wie dieselben humanistischen Wurzeln, aus denen sich Calvins Überzeugungen speisten, auch den Weg für die Akzeptanz unterschiedlicher Ansichten ebnen konnten.

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Genf als neues Zentrum Prozess gegen Servet Der Prozess gegen Michael Servet war – obwohl beide durch eine jahrzehntelange Bekanntschaft verbunden waren – keine persönliche Angelegenheit Calvins, auch wenn Forschung und Literatur (Stefan Zweig) dem Reformator immer wieder schwere Vorwürfe gemacht haben. Vielmehr wurden Gutachten aus anderen reformatorischen Orten (Basel, Bern, Schaffhausen und Zürich) eingeholt, die durchweg für eine Hinrichtung votierten. Auch das allgemeine Recht ließ Calvin kaum eine andere Möglichkeit, da auf Bestreitung der Trinität die Todesstrafe stand.

So rastlos das Wirken Calvins im Innern scheint: Auch außenpolitisch musste er die Reformation in Genf absichern. Dabei war der wohl wichtigste Schachzug, dass es ihm gelang, die unterschiedlichen theologischen Optionen im Schweizer Raum zusammenzubinden. Er selbst vertrat eine Abendmahlslehre, durch die er Luthers und Zwinglis Position miteinander zu versöhnen suchte. Abweichend von Ersterem bestritt er die Auffassung, dass Christus in beziehungsweise unter den Elementen präsent sei, aber anders als Letzterer sah er im sakramentalen Geschehen nicht allein einen Bekenntnisakt des Menschen, sondern ein Ineinander von menschlichem und göttlichem Handeln, durch das Jesus Christus geistlich präsent wurde. Im Windschatten der Bedrängnisse des Luthertums im Reich aufgrund des Interims von 1548 (s.u.) gelang es ihm, seine vermittelnde Position in einen Konsens mit den Zürchern zu gießen, den Consensus Tigurinus, in dem sich Calvin und Bullinger am 20. Mai 1549 auf eine gemeinsame Lehre einigten, nach der Gottes geistliches Wirken und das materielle Geschehen einander im Abendmahl entsprachen. Diese Einigung stärkte die Partner gegenseitig, zumal Calvin und Bullinger über ein weitreichendes internationales Kontaktnetz verfügten. Sie trug aber auch dazu bei, dass sich die von Calvin ausgehende theologisch-kirchliche Entwicklung vom Luthertum trennte. Dabei ging diese Entwicklung vor allem von Vertretern einer an Luther orientierten Theologie aus: In mehreren Schriften wandte sich ab 1553 der Hamburger Pastor Joachim Westphal (gest. 1574) gegen die Lehre des Consensus Tigurinus. Calvin wurde so nicht im Sinne seiner Öffnung für Luther verstanden, sondern auf seine Integration des Erbes Zwinglis festgelegt. Längerfristig führte dies dazu, dass von lutherischer Seite die Auslegung des Abendmahls, wie sie Calvin vertrat, nicht als mit der Confessio Augustana übereinstimmend verstanden wurde und sich die Reformierten zu einer eigenen Konfession neben den Lutheranern entwickelten. Zu ihren besonderen Kennzeichen gehörte auch eine strenge Prädestinationslehre, die aber in ihrer Ausformung stärker auf Theodor Beza als auf Calvin zurückgeht. Prädestinationslehre Die auf Augustin zurückgehende Prädestinationslehre besagt, dass Gott bestimmte Menschen für das Heil vorherbestimmt (prädestiniert) hat, ohne dass es hierfür einen in ihnen liegenden Grund gäbe. Wenn zudem gelehrt wird, dass er die anderen Menschen zum Unheil bestimmt hat, spricht man von einer doppelten Prädestination. Je nachdem, ob diese Entscheidung vor oder erst nach dem Sündenfall und als Reaktion auf diesen erfolgt ist, handelt es sich um eine supralapsarische oder eine infralapsarische Prädestinationslehre. In seiner gegen Erasmus gerichteten Schrift (De servo arbitrio) hat auch Luther die Prädestinationslehre als notwendige Folge aus der Lehre von der Rechtfertigung allein aus Glauben ver-

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Consensus Tigurinus

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Europäische Ausdehnung der Reformation

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treten. Calvin hat sie in seiner Institutio als Ausdruck von Gottes Erlösungswillen gelehrt. Erst Beza hat sie – mit logischer Konsequenz – in die Gotteslehre eingeordnet und damit an den Anfang des theologischen Denksystems gestellt. Von hier aus wurde sie zum charakteristischen Merkmal des reformierten Protestantismus.

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Hugenotten

Beza nahm noch zu Calvins Lebzeiten verstärkt auch Aufgaben der Außenwirkung Genfs wahr. Besonders wichtig waren die Kontakte nach Frankreich. Trotz der Bedrückungspolitik unter Heinrich II. wuchsen hier die evangelischen Gemeinden immer stärker an, und nun kamen neue Impulse aus Genf, die auch dazu führten, dass sich der französische Protestantismus im reformierten Sinne gestaltete. Dabei bildete die Genfer Akademie ein zentrales Scharnier zur Vermittlung evangelischen Glaubens und vor allem zur Versorgung der Gemeinden mit gut ausgebildeten Amtsträgern. Der geografische Schwerpunkt des Protestantismus lag im Süden des Landes, er war aber darauf nicht beschränkt. 1559 wurde eine erste Nationalsynode abgehalten, auf der es gelang, eine Kirchenordnung und Glaubensartikel (Confession de foy des Eglises reformées de France, später: Confessio gallicana oder Confession de la Rochelle) zu verabschieden. Dieses Bekenntnis bildete auch die Grundlage für das Religionsgespräch von Poissy, das 1561 unter Katharina von Medici (gest. 1589) stattfand, die als Witwe Heinrichs II. die Regentschaft für ihren minderjährigen Sohn Karl IX. (gest. 1574) ausübte. Wortführer der französischen Protestanten war charakteristischerweise Beza, dem es aber auch nicht gelang, das Religionsgespräch zu einem erfolgreichen Ende zu bringen. Immerhin gab es 1562 ein gewisses Zugeständnis durch das Edikt von St. Germain, das den Protestanten in eingeschränktem Rahmen die Feier von Gottesdiensten erlaubte. Doch mehrere Gewaltaktionen führten dazu, dass sich die konfessionellen Auseinandersetzungen in Frankreich in mehreren Religionskriegen zwischen den Hugenotten und ihren katholischen Gegnern entluden, bis schließlich das Edikt von Nantes 1598 eine begrenzte Duldung aussprach.

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Hugenotten Seit etwa 1560 werden die französischen Protestanten, wohl in Umformung des deutschen Wortes „Eidgenossen“ als „Hugenotten“ bezeichnet. Sie waren zunehmend nicht nur eine religiöse, sondern auch eine politische Gruppe, vor allem unter ihrem energischen Anführer Heinrich von Navarra, der schließlich als Heinrich IV. (1589–1610) selbst König von Frankreich wurde, hierfür aber den katholischen Glauben annehmen musste. Durch das Edikt von Nantes gewährte er 1598 seinen ehemaligen Glaubensgeschwistern eine bedingte Anerkennung.

Schottland

Auch in anderen Regionen Europas breitete sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts reformatorisches Christentum in der Gestalt aus, die ihm die Genfer Reformation gegeben hatte. Dabei wurde in der von John Knox (gest. 1574) vorangetriebenen schottischen Reformation das reformierte Bekenntnis zunehmend auch zum Symbol einer adeligen Opposition gegen Maria Stuart (gest. 1587) beziehungsweise deren Mutter Maria von Guise (gest. 1560). Erstere galt wegen ihrer Vermählung mit Franz II. von Frankreich (1559–1560) als eine Regentin, die mehr fremden als einheimischen Interessen folgte. 1560 beschloss das Parlament die Abschaffung der Messe und beseitigte die Oberhoheit des Papstes über die schottische Kirche. Ein

Die Verselbstständigung der Church of England geordneter Aufbau einer Kirche war aber zunächst angesichts der fortdauernden Rivalitäten um die schottische Krone nicht möglich. Längerfristig machte sich bemerkbar, dass die reformierten ekklesiologischen Vorstellungen nicht ohne Weiteres auf ein ganzes Territorium übertragbar waren: Immer wieder zeigten sich Tendenzen, das Bild von Kirche ganz von der Einzelgemeinde aus zu entwerfen. Auch in den Niederlanden gewann das reformierte Bekenntnis eine eminent politische und nationale Dimension: Sich zum neuen Glauben zu bekennen, war für viele Niederländer Ausdruck ihrer Opposition gegen die spanischen Herrscher, die ihrerseits die Anfänge der reformatorischen Bewegung mit derselben Brutalität niederdrückten wie in ihrem Heimatland. Hendrik Voes und Jan van Essen, die 1523 hingerichtet wurden, wurden so die ersten Märtyrer der Reformation. Nach und nach sickerte dennoch der reformierte Glaube in die Niederlande ein und verband sich im Freiheitskampf von 1566 mit der Opposition vor allem in den nördlichen Provinzen, die sich als calvinistisch dominierter Staat von den katholisch bleibenden südlichen Niederlanden trennten. Auch in das deutsche Reich kam die calvinistische Form des Protestantismus und brachte so, während die konfessionelle Trennung vollzogen wurde, die Frage auf, ob sich Lutheraner und Reformierte gegenseitig anerkennen könnten. Mit der Einsetzung von Johannes a Lasco / Laski (1499– 1560) als Superintendent 1542 erfolgte in Ostfriesland eine Orientierung an Genf, die freilich nicht unumstritten war. Von größerer strategischer Bedeutung war der Wechsel der Kurpfalz zum Calvinismus, der 1563 unter Friedrich III. dem Frommen (1559–1576) nach einer kurzen Phase lutherischer Reformation durch die neue Kirchenordnung und den Heidelberger Katechismus erfolgte. Heidelberger Katechismus Der Heidelberger Katechismus von 1563 geht weitgehend auf Caspar Olevian (1536–1587) und Zacharis Ursinus (1534–1583) zurück. Seine Abendmahlslehre gibt ihm eine klare reformierte Ausrichtung, aber insgesamt zeigt sich in ihm das Bemühen, die konfessionellen Gräben zu überbrücken. Neben Calvin ist der Einfluss Melanchthons stark.

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Niederlande

Ostfriesland, Pfalz

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4. Die Verselbstständigung der Church of England Nicht ganz einfach ist die Zuordnung der Entwicklungen in England zur Reformation. In theologischer Hinsicht erfolgte die Orientierung an den auf dem Kontinent bestimmenden Ideen erst relativ spät, lange nachdem die Lösung von Rom schon vollzogen war. Institutionell aber erklären sich auch die englischen Vorgänge aus eben den spätmittelalterlichen Spannungen, die auch in Deutschland, der Schweiz und anderen Ländern Europas zur Reformation führten. In mancher Hinsicht sind sie dabei besonders der vorreformatorischen Lage in Frankreich vergleichbar, aber sie fanden in einem historischen Kontext statt, der durch die Reformation einen neuen Rahmen geschaffen hatte, in den sich am Ende auch die Kirche von England einpasste. Vor allem wenn man den Blick nicht allein auf die deutsche Entwicklung richtet,

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Europäische Ausdehnung der Reformation

IV.

sondern auch die skandinavischen Reformationen, zumal das Beispiel Schwedens, mit einbezieht, werden die Parallelen deutlich. Hier wie dort ging ein starker Impuls vom Ringen um kirchliche Verselbstständigung aus. Während die Reformation als Ganze vor allem von den religiösen Fragen nach dem Verhältnis von Innerlichkeit und Äußerlichkeit und dem von Laien und Klerikern angetrieben wurde, stand in England noch stärker als in Skandinavien von Anfang an jene Frage im Vordergrund, die in Deutschland erst im Zuge der politischen Umsetzung Gewicht erlangte: die von Zentralität und Dezentralität. Theologisch hat sich Heinrich VIII. (1509–1547) 1521 sogar mit einer Schrift gegen Luthers De captivitate Babylonica als ausgesprochener Gegner der reformatorischen Neuerungen profiliert und hierfür die päpstliche Auszeichnung als Defensor Fidei erhalten. Sein Kanzler, der Erzbischof von York Thomas Wolsey (gest. 1530), unterdrückte die Verbreitung reformatorischer Schriften. Bald aber sah der König in der Jurisdiktion des Papstes zunehmend eine Gefahr für die Sicherung seiner eigenen Dynastie, der Tudors: Bereits zur Eheschließung mit Katharina von Aragon, der Tante Karls V., hatte es, da sie zuvor mit seinem verstorbenen Bruder verheiratet gewesen war, eines päpstlichen Dispenses bedurft. Da sich die Hoffnung auf einen männlichen Thronfolger mit ihr nicht erfüllte, strebte Heinrich nun aber die Lösung dieser Ehe durch den Papst und eine Verheiratung mit Anne Boleyn an. Wolsey scheiterte aber bei dem Versuch der Vermittlung dieses Anliegens in Rom, und sein Nachfolger als Kanzler ab 1529 Thomas Morus (gest. 1535) betrieb die Sache gar nicht weiter. Heinrich sah sich zunehmend in Bedrängnis, zumal die Verwandtschaft seiner Frau mit dem Kaiser und dessen nun wieder erfolgte Anlehnung an den Papst der ganzen Angelegenheit eine machtpolitische Dimension gab. In dieser Phase verband sich das Interesse des Königs mit reformorientierten, ja, in Ansätzen reformatorischen Ideen: Zu einem seiner wichtigsten Berater stieg Thomas Cranmer (1489–1556) auf, den Heinrich 1530 zum Erzbischof von Canterbury beförderte. Cranmer war schon in Studienzeiten mit reformatorischen Gedanken vertraut geworden, woraus er vor allem die Kritik an der Oberhoheit des Papsttums aufgenommen hatte. Durch den Kontakt mit Andreas Osiander hatte er sich zunehmend auch weitere reformatorische Zentralideen zu eigen gemacht. Gemeinsam mit dem Minister Thomas Cromwell (gest. 1549) brachte er England auf den Weg einer Lösung von Rom: Am 3. November 1534 wurde in der Suprematsakte (Act of Supremacy) der König zum Oberhaupt der Kirche von England ernannt – diese unterstand damit nicht mehr dem Papst.

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Act of Supremacy, 3. November 1534 aus: KThGQ III, S. 272 Obgleich seine Majestät der König nach Recht und Gesetz das Oberhaupt der Kirche von England ist und sein soll und von der Geistlichkeit des Reiches in ihren Kirchenversammlungen als solches anerkannt worden ist, wird trotzdem zur Bestätigung und Bekräftigung dessen, zur Stärkung des christlichen Glaubens im Königreich England und zur Beseitigung und Ausrottung aller Irrtümer, Irrlehren und anderen Schändlichkeiten und Missbräuchen, die bislang hier üblich waren, kraft der Gewalt dieses Parlamentes verfügt, dass unser höchster Herr und König, seine Erben und Nachfolger, die Könige dieses Reiches, als das alleinige Oberhaupt der

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Die Verselbstständigung der Church of England

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Kirche von England, genannt Anglicana Ecclesia, betrachtet, gelten und angesehen werden. Zusammen mit der Krone des Reiches sollen sie den Titel und darüber hinaus alle Ehren, Würden, Vorrechte, Sonderrechte, Vollmachten, Freiheiten und Vorteile besitzen und genießen, die zur genannten Würde eines Oberhauptes dieser Kirche gehören … Unser genannter höchster Herr, seine Erben und Nachfolger, die Könige dieses Reiches, sollen die Macht haben, von Zeit zu Zeit alle derartigen Irrtümer, Irrlehren, Missbräuche, Übeltaten, Missachtungen und Schändlichkeiten, gleich welcher Art, zu untersuchen, einzuschränken, abzustellen, zu verbessern, zu ordnen, zu berichtigen, zu unterdrücken und abzuändern, wenn sie von einer geistlichen Obrigkeit oder Gerichtsbarkeit verbessert, eingeschränkt, geordnet, abgestellt, berichtigt, unterdrückt oder abgeändert werden können oder sollen – zum Wohlgefallen Gottes des Allmächtigen, zur Stärkung des christlichen Glaubens und zur Erhaltung von Frieden, Einigkeit und Ruhe in diesem Reich, ungeachtet aller entgegengesetzten Gewohnheiten und aller ausländischen Gesetze und Obrigkeiten.

Damit wurde proklamiert, was in mancher Hinsicht schon vollzogen worden war: Noch im Verlauf des Jahres 1533 hatte Cranmer eigenmächtig Heinrichs Ehe aufgelöst und die neue mit Anna Boleyn geschlossen. Es war die zweite von insgesamt sechs Ehen, die Heinrich VIII. einging – 1536 ließ er Anne hinrichten und heiratete schon am nächsten Tag Jane Seymour, die ihm 1537 den ersehnten Thronfolger Edward VI. (1547–1553) gebar. Die reformatorischen Maßnahmen, die in England auf Grundlage der Suprematsakte durchgeführt wurden, betrafen zunächst vor allem die Auflösung der Klöster. Darin lag im Sinne der Herrschaftsstabilisierung eine hohe Rationalität: Die Klöster bildeten im Mittelalter Enklaven innerhalb der territorialen Herrschaft, welche Heinrich auf diese Weise verdichten konnte. Zudem wurden so reiche wirtschaftliche Besitztümer freigesetzt, die dem König und seinen Getreuen zugutekamen. Theologisch aber blieb er unbeweglich. 1539 beschloss das Parlament sechs Prinzipien des katholischen Glaubens, die die Transsubstantiationslehre ebenso bestätigten wie die Spendung des Abendmahls nur unter einer Gestalt und – in einer Situation, in der der Erzbischof von Canterbury längst in heimlicher Ehe verheiratet war und der lutherischen Sakramentenlehre zuneigte – den Zölibat. Die Spannungen in England, in denen sich religiöse und machtpolitische Fragen verwoben, forderten noch unter Heinrich VIII. zahlreiche Opfer. So wurde schon 1530 Thomas Wolsey verhaftet und starb in Gefangenschaft, 1535 wurde Thomas Morus und 1540 Thomas Cromwell hingerichtet. Eine religiöse Zuwendung zur Reformation erfolgte erst mit dem Tod Heinrichs VIII. am 28. Januar 1547. Für seinen minderjährigen Sohn Edward übernahm der Herzog von Somerset das Regiment, der Cranmer bei der Durchführung von Neuerungen unterstützte. Gefördert wurden dessen Maßnahmen dadurch, dass die politischen Ereignisse auf dem Kontinent nach dem Schmalkaldischen Krieg und dem Interim (s.u. S. 114–116) reformatorisch orientierte Flüchtlinge nach England brachten: 1547 kamen Vermigli und Ochino nach England, 1549 folgte Martin Bucer, und bald auch Johannes a Lasco. Sie alle verband eine oberdeutsche beziehungsweise reformierte Prägung, die sich nun auch in den Reformmaßnahmen niederschlug. Zunehmend gewann die Kirche von England ein evangelisches Pro-

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Europäische Ausdehnung der Reformation

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fil. 1549 brachte Cranmer mit dem Book of Common Prayer und einem damit verbundenen Katechismus eine Liturgiereform auf den Weg, die drei Jahre später in einer Neufassung des Buches noch deutlicher auf die Lehre von der Rechtfertigung allein aus Glauben ausgerichtet wurde. Obwohl es radikale Änderungen vorschlug, gingen diese nicht allen weit genug: John Knox kritisierte, dass der Ritus, bei der Kommunion zu knien, beibehalten wurde, weil er darin ein Fortleben mittelalterlicher Anbetungsformen befürchtete. Daher wurde dem Book of Common Prayer ein eigenes Blatt eingefügt, das ein solches Verständnis zu zerstreuen suchte. Ebenso klar wie die erneuerte Fassung des Book of Common Prayer sprachen auch die Fourty-Two Articles von 1553, die auf langjährige Vorarbeiten Cranmers zurückgingen und die englische Kirche theologisch näher an Genf als an Wittenberg verorteten, eine reformatorische Sprache. Allerdings war damit die Reformation in England noch nicht vollends durchgesetzt: Unter Maria der Katholischen (1553–1558), die in der Erbfolge der Tudors auf ihren früh verstorbenen Halbbruder folgte, kam es zu einer katholischen Restauration, der 1556 auf dem Scheiterhaufen als evangelischer Märtyrer Cranmer zum Opfer fiel. Erst mit Elisabeth I. (1558–1603) wurden die Suprematsakte – nun mit der Königin nicht als supreme Head („höchstes Haupt“), sondern aufgrund ihres Geschlechts lediglich als supreme governor („höchste Leiterin“) der Kirche – und in einer gestrafften Fassung die Thirty-nine Articles (1571) wieder in Kraft gesetzt.

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Erbfolge der Tudors Erster Erbe Heinrichs wurde als männlicher Nachfahre Edward VI., der Sohn seiner dritten Frau Jane Seymour. Ihm folgte dann die Tochter aus erster Ehe, Maria, die ihrer Mutter Katharina von Aragon folgend, dem katholischen Glauben anhing. Strittig war die Erbfolge Elisabeths. Durch die Hinrichtung ihrer Mutter Anne Boleyn galt sie eigentlich rechtlich als uneheliche Tochter. Dennoch hatte Heinrich sie testamentarisch in der Erbfolge bedacht. Allein schon aufgrund ihrer Herkunft aus einer Ehe, die nur unter Voraussetzung der Lösung vom Papst legitim war, war für sie die Rückkehr zur Reformation zwingend.

5. Auswirkungen auf Ostmitteleuropa

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Polen

Auch in verschiedenen Regionen Ostmitteleuropas fassten reformatorische Ideen Fuß, häufig in pluriformer Gestalt, die zum Teil auch mit unterschiedlichen ethnischen Zugehörigkeiten zusammenhingen. So wurde in Polen der Wittenberger Typus, ausgehend von Preußen, vor allem in der deutschsprachigen Bevölkerung aufgenommen. Adelige – wie etwa Johannes a Lasco, der ab 1556 wieder in Polen wirkte – neigten eher zum Calvinismus. Hinzu kamen versprengte Reste der Böhmischen Brüder, die ab 1548 aus ihrer böhmischen Heimat nach Polen flüchteten, und auch eine ganze Anzahl von Antitrinitariern.

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Böhmische Brüder Die Böhmischen Brüder gingen auf die böhmische Reformation um Jan Hus (gest. 1415) zurück und hatten sich 1467 als eigene Gruppe konstituiert. In den Anfängen der Reformation traten sie mit Luther und Melanchthon in Kontakt, nä-

Auswirkungen auf Ostmitteleuropa

IV.

herten sich dann aber immer mehr calvinistischen Auffassungen. Dennoch bewahrten sie sich bis in das 17. Jahrhundert ihre Eigenständigkeit.

Die unterschiedlichen Strömungen führten in Polen zu einer disparaten Lage, zumal die Gruppierungen auch in sich nicht straff organisiert waren. Um dennoch politischen Einfluss zu erlangen, schlossen Lutheraner, Calvinisten und Böhmische Brüder 1570 den Consensus von Sandomir, in dem sie sich auf eine an Melanchthon angelehnte Abendmahlslehre einigten und so die Möglichkeit zur gegenseitigen Anerkennung schufen. Die Antitrinitarier waren freilich nicht eingeschlossen. Gleichwohl gewährte ihnen der Sejm 1573 wie den Evangelischen auch Toleranz, sodass es in Polen sogar zur Entwicklung einer eigenen unitarischen Kirche kam. Erst im Laufe des 17. Jahrhunderts wurden die evangelischen Ansätze zurückgedrängt und der Katholizismus zur dominierenden Religion; dies galt wie für Polen auch für das in Personalunion verbundene Litauen. Außerordentlich komplex war die Lage in Siebenbürgen, das ursprünglich zu Ungarn gehörte, sich 1542 aber als eigenes Fürstentum unter türkischer Protektion verselbstständigte. Schon mittelalterlich war es hier zur Ansiedlung von orthodoxen Romanen gekommen, sodass hier bereits eine religiöse Mischung entstanden war, die im Zuge der Reformation noch intensiviert wurde. Johannes Honter (gest. 1549) entwarf 1547 eine Kirchenordnung im melanchthonischen Sinne und brachte Luthers Katechismus heraus. Damit fasste die Reformation Wittenberger Typs unter den Siebenbürger Sachsen Fuß. Vor allem durch Franz Hertel / Davidis (gest. 1579) aber, der zunächst noch lutherischer Superintendent gewesen war, breitete sich unter den Ungarn der Calvinismus aus. Später wurde er selbst unter dem Einfluss des Italieners Georg Biandratas (1515–1588), der in Polen und Siebenbürgen für den Antitrinitarismus wirkte, Unitarier und unterstützte damit diese Bewegung, die ein solches Gewicht gewann, dass man Ende des 16. Jahrhunderts von fünf Konfessionen in Siebenbürgen ausgehen muss. Orthodoxie Als orthodoxes, griechisch- oder russisch-orthodoxes Christentum wird diejenige Gestalt von Christentum bezeichnet, die sich vor allem auf dem Boden des alten oströmischen Reichs mit Konstantinopel als politischem und religiösem Zentrum entwickelt hatte. Im Mittelalter hatten sich die lateinische Kirche unter dem Papst und die orthodoxe Kirche, in der die jeweilige Volkssprache bestimmend war, voneinander getrennt. Mit dem Fall Konstantinopels 1453 war das religiöse Zentrum nach Moskau gewandert, das zeitweilig geradezu als „drittes Rom“ verstanden wurde.

Siebenbürgen

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Wie Polen wurde in dieser Situation auch Siebenbürgen ein Modell für Toleranz: 1557 wurde das Luthertum anerkannt und den Landständen die Wahl der Religion freigegeben, 1564 folgte die Anerkennung der Calvinisten, 1568 die der Unitarier. 1571 galten diese drei Glaubensrichtungen zusammen mit dem Katholizismus als „rezipierte“ Religionen, und auch den Orthodoxen wurde eine begrenzte Duldung gewährt.

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V. Päpste und Reformation 1503–1513 1512–1517 1513–1521 1520 1521–1523 1523–1534 1527 1534–1549 1537 1540 1545–1563 1550–1555 1555–1559 1559–1565

Julius II. (Giuliano della Rovere) V. Laterankonzil Leo X. (Giovanni de’ Medici) 15. Juni: Bannandrohungsbulle Exsurge Domine Hadrian VI. (Adriaan Florensz) Clemens VII. (Guilio de’ Medici) Sacco di Roma Paul III. (Alessandro Farnese) Consilium zur Kirchenreform 27. September: Bestätigung des Jesuitenordens Konzil von Trient Julius III. (Giovanni Maria del Monte) Paul IV. (Gian Pietro Carafa) Pius IV. (Angelo de’ Medici)

1. Die Renaissancepäpste vor der Herausforderung der Reformation V. Lateranum

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Nach den Auseinandersetzungen des 15. Jahrhunderts hatte sich das Papsttum zu Beginn des 16. Jahrhunderts wieder stabilisiert. Auf dem V. Laterankonzil 1512–1517, das noch Julius II. (1503–1513) einberufen hatte, wurden verschiedene Reformanliegen verfolgt. Dabei stand neben der Klärung des schwierigen Verhältnisses zu Frankreich eine moralische Reform der Lebensführung der Bischöfe im Vordergrund des Interesses und wurde durch mehrere Reformdekrete vorangetrieben. Angesichts der desolaten Lage, in die die kirchliche Moral unter den bisherigen Renaissancepäpsten geraten war, war dies eine bemerkenswerte Anstrengung. Dass sie die Macht des Papsttums eher stärken als infrage stellen sollte, zeigte sich in der neuerlichen Bestätigung der Autorität des Papstamtes auch gegenüber Konzilien auf dem V. Lateranum. Viele der Bemühungen aber verpufften, und eine durchgehende Reform wurde nicht erreicht, zumal bald gegenüber den eigenen Anliegen einer katholischen Reform die Auseinandersetzung mit der Reformation in den Vordergrund trat. Diese wurde durch verschiedene Faktoren erschwert: Zum einen dauerte es lange, bis man in Rom überhaupt das Gewicht der Ereignisse im fernen Wittenberg realisierte und sie von den zahlreich immer wieder vorkommenden häretischen Bewegungen zu unterscheiden vermochte. Zum anderen aber geriet die Wahrnehmung der Reformation rasch in vorgegebene Raster: Man fürchtete, zumal die Konzilsfrage früh auf Reichstagen zum Thema gemacht wurde, dass der Konziliarismus wieder aufleben würde. Damit war es von vorneherein schwierig, angemessene Umgangsweisen mit der Reformation zu finden.

Die Renaissancepäpste vor der Herausforderung der Reformation Derjenige Papst, der als erster mit der reformatorischen Bewegung konfrontiert war, war Leo X. (1513–1521). Er stammte aus der reichen und angesehenen Familie der Medici und war daher seiner sozialen Herkunft nach ein geradezu typischer Vertreter des Renaissancepapsttums. Als solcher forcierte er den Neubau der Peterskirche – und gab mit dem hierfür ausgeschriebenen Ablass den indirekten Anlass für die Anfänge des reformatorischen Protests. Durch die Anklagen gegen Luther kam diese Angelegenheit recht rasch nach Rom, aber Leo X. setzte zunächst auf beschwichtigende und hinhaltende Maßnahmen. Seine Priorität lag bei der Wahl eines ihm genehmen Kaisers. Als er schließlich durch die Bannandrohungsbulle Exsurge Domine und die Bannbulle Decet Romanum pontificem Luther verurteilte, war die Entwicklung im Reich schon so weit vorangeschritten, dass diese Maßnahmen sie nicht mehr aufhalten konnten. Medici Die Familie Medici war durch das Bankgewerbe zu Ansehen in ihrer Heimatstadt Florenz gekommen und hatte hier faktisch auch ohne offizielles Amt die politische Macht ausgeübt. Ihre Angehörigen stiegen in die höchsten Kreise Europas auf und stellten mit Giovanni de’ Medici als Leo X. und Guilio de’ Medici als Clemens VII. (1523–1534) zwei Päpste der Reformationszeit. Pius IV. trug zwar auch den bürgerlichen Namen Medici, war aber mit der Florentiner Familie nicht verwandt.

Aussichtsreicher für einen sensiblen Umgang mit der Reformation schien das nächste Pontifikat, das aber durch seine kurze Dauer in seiner Wirkung gehemmt war. Adriaan Florensz hatte, bevor er als Hadrian VI. (1522–1523) zum letzten nichtitalienischen Papst vor Johannes Paul II. (1978–2005) gewählt wurde, eine beachtliche Karriere als Gelehrter an der Universität Löwen hinter sich. Durch die Herkunft aus Utrecht war er mit der nordalpinen religiösen Situation vertraut und kannte den erasmianischen Humanismus. Von 1507 an war er am spanischen Hof als Erzieher des späteren Kaisers Karl V. tätig gewesen, zeitweise hatte er sogar die Regentschaft in Spanien ausgeübt. Er war also auch in politischer Hinsicht bestens für die anstehenden Ausgleichsbemühungen prädisponiert. Entsprechend hoch waren die Erwartungen, die auf seinen Antritt des Pontifikats gerichtet wurden – allerdings auch die Anfeindungen, die ihm in Rom entgegenschlugen. Als Parteigänger des Kaisers wie als asketisch lebender geistlicher Mensch, der zudem eine strikte Sparpolitik verfolgte, war er verhasst und konterkarierte die im Renaissancepapsttum üblichen Sitten. Hierzu gehörte auch, dass er sich bemühte, den reformatorischen Protest aufzugreifen, den er freilich zugleich in sein Verstehensraster einordnete: Die theologischen Anliegen der Reformatoren lehnte er nachhaltig ab und beharrte auf der Durchsetzung des Wormser Edikts, aber er verband dies mit der Geste einer starken moralischen Selbstkritik des Papsttums durch das sogenannte Schuldbekenntnis, das am 3. Januar 1523 von seinem Nuntius auf dem Nürnberger Reichstag verlesen wurde. Es dokumentiert wie vielleicht kein anderer Text des 16. Jahrhunderts den Zwiespalt, der sich zwischen einem hochauthentischen Bemühen um katholische Reform auf der einen Seite und dem aufs Grundsätzliche zielenden reformatorischen Änderungswillen auf der anderen Seite aufgetan hatte. Gleichwohl handelte es sich um einen beachtli-

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Hadrian VI.

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Päpste und Reformation

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chen Versuch des Pontifex, Brücken zu den Neuerern in Deutschland zu bauen – weiterführen konnte er diese Bemühungen nicht, da er schon am 14. September 1523, nur wenige Monate nach der tatsächlichen Einnahme seines Amtes, starb.

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Schuldbekenntnis Hadrians VI. aus: KThGQ III, S. 246 Wir wissen, dass es an diesem Heiligen Stuhl schon seit einigen Jahren viele gräuliche Missbräuche in geistlichen Dingen und Vergehen gegen die göttlichen Gebote gegeben hat, ja, dass eigentlich alles pervertiert worden ist. So ist es kein Wunder, wenn sich die Krankheit vom Haupt auf die Glieder, d.h. von den Päpsten auf die unteren Kirchenführer ausgebreitet hat. Wir alle, d.h. wir Prälaten und Kleriker, sind abgewichen; ein jeder sah auf seinen Weg, und da ist schon lange keiner mehr, der Gutes tut, auch nicht einer. Deshalb müssen wir alle Gott die Ehre geben und uns vor ihm demütigen; ein jeder von uns muss erkennen, wo er gefallen ist, und sich selbst richten, bevor er von Gott mit der Rute seines Zorns gerichtet wird. Soweit wir selbst betroffen sind, darfst Du versprechen, dass wir jede Anstrengung unternehmen werden, dass als erstes diese Kurie, von der wohl das ganze Übel ausgegangen ist, reformiert wird, so dass sie in der gleichen Weise, wie sie zum Verderben aller Untergebenen Anlass gegeben hat, nun auch ihre Genesung und Reform in allen Dingen bewirkt. Dazu fühlen wir uns umso mehr verpflichtet, als wir sehen, dass die ganze Welt eine solche Reform sehnlichst begehrt.

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Nuntius Seit dem 15. Jahrhundert richteten die Päpste zunehmend ständige Gesandtschaften bei weltlichen Herrschern ein. Diese hießen seit ca. 1500 Nuntiaturen bzw. ihre Amtsinhaber nuntii.

Clemens VII.

Hadrians Nachfolger Clemens VII. (1523–1534) stellte – von vielen in Rom begrüßt – ein deutliches Gegenbild zu seinem Vorgänger dar. Er stammte wie Leo X. aus der Familie der Medici und kehrte zu einer entsprechenden Hofhaltung zurück. Sein Hauptaugenmerk galt der außenpolitischen Sicherung des Kirchenstaats in Auseinandersetzung mit Franz I. von Frankreich und Karl V., mit denen er wechselnde Bündnisverträge und Konflikte einging. 1527 wurde sogar die Stadt Rom selbst im Sacco di Roma Opfer der Kriegsläufte, freilich nicht durch einen direkten Angriff des Kaisers selbst, sondern durch Truppen, die sich von seinem Befehl gelöst und auf eigene Faust nach Rom aufgemacht hatten. Die Stadt der Renaissance wurde geplündert, marodierende Truppen drangen bis in den Vatikan vor und machten so die äußere Bedrohung des Papstes spürbar, der wenig später die Nähe des Kaisers suchte.

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Kirchenstaat Seit dem frühen Mittelalter verfügten die Päpste in ganz Italien über Besitzungen, das Patrimonium Petri. Im engeren Sinne handelt es sich beim Kirchenstaat um seine territorialen Besitzungen in Mittelitalien, die ihm Pippin der Jüngere (741–768) in der sogenannten Pippinschen Schenkung von 754 zusprach. Durch diesen Besitz war der Papst die führende politische Macht in Italien.

Die Renaissancepäpste vor der Herausforderung der Reformation Gegenüber dem Bemühen um den machtpolitischen Erhalt in Italien trat die Sorge um das Geschehen in Deutschland merklich zurück. Zwar blieb er nicht ganz untätig, und mit Lorenzo Campeggio (1474–1539) entsandte er einen geschickten, schon mit den deutschen Belangen vertrauten Sachwalter seiner Interessen als Nuntius nach Deutschland, der insbesondere auf dem Augsburger Reichstag von 1530 und auf dem Nürnberger, der 1532 zum Nürnberger Anstand führte, mit einigem diplomatischem Aufwand die päpstliche Sache vertrat. Dabei war der Nuntius auch in der Konzilsfrage nicht ganz so ablehnend wie sein päpstlicher Auftraggeber, der die auf den frühen Reichstagen erhobene Forderung nach einem Nationalkonzil strikt ablehnte, aus Sorge vor einem Wiederaufleben des Konziliarismus aber lange Zeit auch ein allgemeines Konzil, wie es ab den frühen Dreißigerjahren der Kaiser zusehends forderte, nicht einberufen wollte. Erst bei Verhandlungen an der Jahreswende 1532/33 konnte dieser es erreichen, dass Clemens VII. seine Bereitschaft zur Einberufung eines Konzils erklärte, wenn acht von ihm aufgestellte Bedingungen erfüllt seien. Diese waren aber so formuliert, dass die evangelischen Stände in ihnen nur das Dringen auf die direkte und umfassende Leitung durch den Papst erkennen konnten und sie ablehnten. Damit musste es Clemens’ Nachfolger überlassen bleiben, die Sache aufs Neue voranzutreiben. Hinsichtlich der Lebensführung und Hofhaltung passt auch dieser ganz in die Reihe der Renaissancepäpste: Paul III. (1534–1549) stammte aus der Familie der Farnese und nutzte seine Position als Papst weidlich, um seine Verwandten, insbesondere seinen Sohn Pier Luigi Farnese (1503–1547) zu protegieren. Aber er nahm auch die anstehenden Reformfragen in Angriff. Wiederholt gingen Konzilseinladungen von ihm aus: Schon die erste, nach Mantua 1537, löste heftige innerprotestantische Debatten aus und führte aufgrund der Gespräche im Schmalkaldischen Bund zur Abfassung von Schmalkaldischen Artikeln und Tractatus papae, aber auch zu der Entscheidung der Evangelischen, das Konzil nicht zu beschicken, weil auf ihm kein freier Austausch der Positionen zu erwarten war: Ungeöffnet wurde dem päpstlichen Nuntius die Konzilsbulle zurückgegeben. An den Widerständen der Evangelischen wie auch am Konflikt mit Franz I. scheiterten auch die folgenden Einladungen nach Vicenza (ebenfalls noch 1537) und Trient (1542), ehe es dann schließlich doch ab 1545 eben hier zum Konzil von Trient kam. Auch in Rom selbst kam es unter Paul III. zu einigen Reformanstrengungen, die freilich vor allem die kuriale Verwaltung betrafen. Der Papst scharte reformfreudige Persönlichkeiten um sich. So machte er Gian Pietro Carafa, seinen späteren Nachfolger Paul IV. (1555–1559) zum Kardinal, der 1524 gemeinsam mit Cajetan von Tiene / Gaetano di Tiene (gest. 1547) die Theatiner gegründet hatte. Als Regularklerikerverband dienten diese der Reform des Klerus und waren insofern auch charakteristisch für die Art von Reform, die unter Paul III. vorangetrieben wurde: Die Priester waren primäres Ziel und weitere Träger der angestrebten Erneuerung. Regularkleriker Die Regularklerikerorden stellten eine Transformation der mittelalterlichen Regularkanoniker- oder Chorherrenverbände dar, welche sich als Gemeinschaften von

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Paul III.

Reformbemühungen

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Klerikern auf der Basis der Augustinusregel stark an monastische Traditionen anlehnten. Die Regularkleriker formulierten statt der Regel Konstitutionen als Grundlage, wohnten in einfachen Häusern statt Klöstern, verzichteten auf eine Ordenstracht und auch auf das übliche Chorgebet.

Wie wichtig Paul III. diese innere Reform war, zeigt sich auch an anderen Persönlichkeiten in seinem Umfeld wie den Humanisten Jacopo Sadoleto (1477–1547) oder Reginald Pole (1500–1558), der sich lange um diplomatischen Ausgleich mit England bemüht hatte und wenig später in Viterbo auch in Kontakt mit dem Kreis um Vittoria Colonna treten sollte. In diesem Umfeld bewegte sich auch Gasparo Contarini (1483–1542), der seine frühe religiöse Entwicklung in einer Weise beschrieb, die an reformatorische Selbstberichte anklingt: Hiernach habe er 1511 eine Bekehrungserfahrung gemacht, durch die er die Einsicht gewonnen habe, dass der Mensch sich nicht durch Werke rechtfertigen könne, sondern ganz auf Gottes Gnade und den Glauben angewiesen sei. Paul III. bildete aus diesen Beratern und einigen anderen eine Reformkommission, die am 9. März 1537 das Consilium delectorum cardinalium et aliorum praelatorum de emendanda ecclesia vorlegte, das, ganz auf der Linie der vom Papst intendierten Reform, strukturelle Maßnahmen zur Hebung der Moral des Klerus vorsah. Das Dokument zeigt ein intensives Bemühen um eine Verbesserung der Situation und hätte an manchen Stellen die von den Gravamina und auch von Luther in der Adelsschrift benannten finanziellen Schieflagen lindern können – aber gerade in dieser Orientierung an den klassischen fiskalischen Problemen dokumentiert es doch zugleich, dass die Schere zwischen Reformbemühungen in Rom und reformatorischen Anliegen in Deutschland mittlerweile weit auseinanderklaffte: Luther selbst gab 1538 eine deutsche Übersetzung des Textes mit einer Vorrede und spöttischen Randbemerkungen heraus. Tatsächlich waren auch in Rom die Wirkungen des Memorandums gering, erst in den Reformbestrebungen des Konzils von Trient wurde es wieder aufgegriffen. Und sie waren auch nur die eine Seite des Umgangs mit der Reformation: Dass Luther und auch der Straßburger Gelehrte Johann Sturm (1508–1589) das Memorandum kaum positiv aufnehmen konnten, war auch die durchaus angemessene Reaktion darauf, dass selbstverständlich keiner der Reformer im Kreis um Paul III. die Legitimität der Kirche infrage stellte, in der sie sich bewegten. Sie teilten, besonders augenfällig bei Pole und Contarini, jene Option für innerliche Religiosität, die bei Luther die Spannung zu äußerlichen Frömmigkeitsformen hervorgerufen hatte. Aber hinsichtlich der anderen Polaritäten des späten Mittelalters war ihre Haltung eine gänzlich andere als die der Reformatoren, sodass man mit ihrer Hilfe nicht allein die Entstehung der Reformation, sondern auch das Auseinanderdriften von Reformkatholizismus und evangelischem Glauben beschreiben kann: Die reformkatholischen Würdenträger um Paul III. waren primär an Klerikern orientiert, weniger an der Partizipation der Laien, und vor allem: Die zentrale Leitung der Kirche stand für sie außer Frage. Contarini hatte in diesem Sinne in den frühen Dreißigerjahren einen eigenen Traktat De potestate Pontificis und Hand in Hand damit eine Widerlegung der Lehren der Lutheraner geschrieben. Auch Pole hatte in den Streitigkeiten mit Heinrich VIII. durch seine Schrift

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pro ecclesiae unitatis defensione (1535/36) und seine diplomatische Tätigkeit vehement für die Rechte des Papstes gekämpft. 1555 wurde er gar unter Maria der Katholischen Erzbischof von Canterbury und bildete so eine der wichtigsten Bastionen der katholischen Kirche in England. Paul III. selbst schließlich machte seine Haltung unmissverständlich deutlich, als er mit der Bulle Licet ab initio vom 21. Juli 1542 die römische Inquisition einrichtete, also eine eigene, bald Sacra Congregatio Sancti Officii genannte kuriale Behörde zur Untersuchung von Häresien, welche ganz gezielt gegen die reformatorischen Ideen gerichtet war. Inquisition Das Inquisitionsverfahren entstand im hohen Mittelalter zunächst als rechtliche Rationalisierung, indem es die Zeugenbefragung und vor allem das Geständnis des Beschuldigten in den Mittelpunkt der Beweisaufnahme rückte. Anfänglich war die päpstliche Inquisition durch verschiedene eigens für bestimmte Aufgaben bestellte Inquisitoren leitend. Seit 1478 wurde in Spanien eine staatliche Inquisition aufgebaut, die zum gnadenlosen zentralen Mittel der Sozialdisziplinierung wurde.

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2. Neue Orden Die von Carafa gegründeten Theatiner machten den Anfang für eine Reihe von Ordensgründungen im 16. Jahrhundert, die im Dienste der katholischen Reform standen, durch die zeitlichen Entwicklungen aber in mehr oder minder hohem Maße auch in die Auseinandersetzung mit der Reformation gerieten. Besonders augenfällig war dies bei den Kapuzinern, die aus dem observanten, d.h. besonders strengen Flügel der Franziskaner hervorgingen und am 3. Juli 1528 von Clemens VII. durch die Bulle Religionis zelus bestätigt wurden; ihren Namen erhielten sie schon zeitgenössisch aufgrund ihrer besonderen Tracht mit einer spitzen Kapuze. Offiziell hießen sie „Minderbrüder vom Eremitenleben“. Sie wollten das ursprüngliche asketische Ideal der franziskanischen Bewegung erneuern und orientierten sich dafür an eremitischen Lebensformen. Durch Ein- und Übertritte wuchs die Bewegung rasch an und wurde, bis 1574 allerdings auf Italien beschränkt, zu einem Auffangbecken für Kreise, die sich um ein intensives Frömmigkeitsleben bemühten. Die Verwandtschaft zu Impulsen der reformatorischen Bewegung lässt sich nicht nur daran ablesen, dass auch Luther ja einem observanten Zweig seines Ordens angehörte, ehe er sich ganz vom Ordensleben abwandte, sondern auch daran, dass 1538 Bernardino Ochino zum Generalvikar gewählt wurde. Das lag ganz auf der Linie der Personalpolitik unter Paul III., wandelte sich aber mit Ochinos Wechsel in das reformatorische Lager, dem eine Häresieanklage vorausgegangen war, zum Skandal. Den Orden brachte dies zwischenzeitlich in eine Krise, die er aber bald wieder überwand. Nicht nur das männliche Ordenswesen erhielt neue Impulse: 1544 wurde die Compagnia de S’Orsola, die Gemeinschaft der Heiligen Ursula, päpstlich bewilligt. Wie die Kapuziner stellte sie eine Transformation der franziskanischen Bewegung dar, aus der ihre Gründerin Angela Merici (gest. 1540)

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stammte. Am 25. November 1535 gründete sie eine Gemeinschaft, welche sich an dem Vorbild der legendarischen Märtyrerin Ursula orientierte, die durch besondere Liebe zu ihrer Jungfräulichkeit ausgezeichnet war. Die Lebensform knüpfte an die Dritten Orden des späten Mittelalters an, die ein frommes Leben inmitten der Welt ermöglichen sollten: Die Ursulinen folgten zwar einer Regel und den evangelischen Räten, ohne sich aber durch ein Gelübde auf diese zu verpflichten und ohne klösterliche Gemeinschaften zu bilden. Im Zuge des 16. Jahrhunderts und der zunehmenden Dringlichkeit des Kampfes gegen die Reformation wurde ihre Hauptaufgabe die Glaubensunterweisung, im 17. Jahrhundert wurde ihre Verfassung dann straffer strukturiert.

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Evangelische Räte Seit der Antike wurden in der Ethik von den allgemein für alle Christinnen und Christen geltenden Vorschriften (praecepta) die evangelischen Räte (consilia evangelica) Armut, Keuschheit und Gehorsam unterschieden, die nur von einer besonderen Gruppe innerhalb der Christenheit, dem Stand der Mönche und Nonnen, erfüllt wurden. Diese Unterscheidung zweier ethischer Stufen war einer der Hauptkritikpunkte der Reformatoren an der Theologie monastischen Lebens.

Jesuiten

Zu der dominierenden Neugründung des 16. Jahrhunderts aber wurde der Jesuitenorden, der wie die anderen Gemeinschaften nicht aus der direkten Begegnung mit der reformatorischen Bewegung hervorging, dann aber im Zuge seiner Entwicklung zur entscheidenden Waffe in der Auseinandersetzung mit Luthertum und Calvinismus wurde. Der Spanier Ignatius von Loyola (1491–1556), der Gründer dieses Ordens, war, darin durchaus seinem Zeitgenossen Luther vergleichbar, intensiv von mystischer Frömmigkeit geprägt, die sich in seinem wichtigsten literarischen Werk, den Exercitia spiritualia niederschlug. Auch sein Frömmigkeitsimpuls also entstammte jener aller Veräußerlichung entgegenstehenden spätmittelalterlichen Tendenz zu innerlicher Frömmigkeit, und dies machte ihn auch der Häresie verdächtig. Langfristig aber verband sich diese Option mit einer radikalen Einpassung in eine zentral geleitete Kirche – wiederum also ist die Haltung zur Zentralität ein wichtiges Kriterium der Unterscheidung des Reformkatholizismus von reformatorischen Entwicklungen.

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Exercitia spiritualia Von einer spirituellen Krise ausgehend, hat Ignatius seit 1522 an den Exercitia spiritualia gearbeitet, bis der Text 1548 von Paul III. bestätigt wurde. Die mystische Frömmigkeit wird hier zu Übungen geformt, die den Menschen von einer Selbstbetrachtung zur Begegnung mit Jesus Christus selbst führen sollen.

Dabei war das erste Ziel des Ignatius und seiner Freunde, auf das sie sich am 15. August 1534 auf dem Montmartre bei Paris neben Armut und Keuschheit verpflichteten, die Mission im Heiligen Land. Diese aber war eingebettet in einen allgemeinen Gehorsam gegenüber dem Papst: Die Freundesgruppe erklärte sich für den Fall, dass die Fahrt ins Heilige Land nicht möglich sein sollte, bereit, dem Papst in allem zu folgen, wozu dieser sie bestimmen würde. Da die Befürchtung der Unerreichbarkeit des Heiligen Landes, das seit Dezember 1516 unter osmanischer Herrschaft stand, sich bestätigte, bot die Gruppe tatsächlich dem Papst ihren Dienst an, und

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dieser akzeptierte. Mit der Bulle Regimini militantis Ecclesiae vom 27.9.1540 bestätigte er die Societas Iesu, die durch ihre Namengebung deutlich machte, dass ihr Handeln letztlich im Dienst Christi stand. Vermittelt aber wurde dies durch den Papst und eine auf diesen zugeordnete zentralistische Ordensstruktur mit dem Ordensgeneral an der Spitze. Dieses Amt versah ab 1541 Ignatius selbst und gab dem neuen Orden Konstitutionen, die, 1558 von der Generalkongregation bewilligt, das Leben der neuen Gemeinschaft regulierten. Sie entsprach in ihrer Struktur dem neuen Typus der Regularklerikerverbände. Eine Verpflichtung zum Stundengebet oder auch die benediktinische Bindung an einen Ort (stabilitas loci) gab es ebenso wenig wie die Regelung eines bestimmten Habits (Gewand). Das gab dem Orden eine gewaltige Mobilität und Flexibilität, die ihn, verbunden mit dem unbedingten Gehorsam (nach dem Vergleich mit dem Gehorsam eines Leichnams polemisch auch „Kadavergehorsam“ genannt) gegenüber den Oberen, zu einem schlagkräftigen Instrument des Papstes machten. Primäres Ziel blieb die Missionstätigkeit, die nun weit über den Mittelmeerraum hinaus ausgedehnt wurde: Schon 1542 war der Ordensbruder Franz Xaver (1506–1552) in Südindien tätig. Im Zuge der Konstitution und Stabilisierung der römisch-katholischen Kirche aber wurde eine der Hauptaufgaben der Jesuiten die gegenreformatorische Betätigung in Deutschland, sodass sie umgekehrt von evangelischer Seite zum Prototypen des feindseligen Katholizismus stilisiert wurden. Die Konstitutionen des Jesuitenordens aus: KThGQ III, S. 272

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Den Gehorsam sollen alle mit äußerster Gewissenhaftigkeit beachten und bestrebt sein, sich darin auszuzeichnen, und zwar nicht nur dort, wo es verbindlich gefordert wird, sondern auch dort, wo in der Regel nichts ausdrücklich festgeschrieben ist. Dies gilt selbst dann, wenn der Wille des Oberen nicht in einem ausdrücklichen Befehl, sondern nur in einem Wink zum Ausdruck kommt. Gott, unser Schöpfer und Herr, muss uns dabei vor Augen stehen; seinetwegen leisten wir ja einem Menschen Gehorsam. Wir müssen aber Sorge tragen, dass der Geist der Liebe und nicht unsichere Furcht Triebkraft unseres Handelns ist. Bei der bedingungslosen Einhaltung aller Regeln und der Erfüllung des besonderen Zwecks unseres Vorhabens haben wir uns alle mit festem Herzen darum zu bemühen, nichts von jener Vollkommenheit vorübergehen zu lassen, die wir mit der Gnade Gottes erreichen können. Mit äußerster Anstrengung müssen wir alle Nerven und Kräfte anspannen, um diese Tugend des Gehorsams in erster Linie dem Papst, sodann auch den Oberen der Gesellschaft gegenüber zu erweisen. Wir müssen jederzeit bereit sein, in allen Dingen, auf die sich der Gehorsam – ohne die Liebe zu verletzen – erstrecken kann, des Papstes Stimme zu folgen, als wenn es die unseres Herrn Christus wäre (denn im Blick auf ihn und aus Verehrung und Liebe zu ihm leisten wir ja den Gehorsam); gegebenenfalls müssen wir alles stehen und liegen lassen, selbst wenn es sich nur um einen noch nicht zu Ende geschriebenen Buchstaben handelt. Auf dieses Ziel nun müssen wir alle Kräfte und unsere ungeteilte Aufmerksamkeit im Herrn richten, damit der heilige Gehorsam sowohl in unserem Handeln als auch in unserem Wollen und Denken immer in jeder Hinsicht vollkommen ist. Wir müssen jeden Auftrag mit großer Schnelligkeit, geistlicher Freude und Standhaftigkeit ausführen. Alles müssen wir als gut und richtig ansehen, jede entgegenstehende Meinung und unser eigenes Urteil gewissermaßen in blindem Gehorsam verleugnen, und zwar ausnahmslos allen Anordnungen

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des Oberen gegenüber, von denen (wie bereits ausgeführt) nicht festgestellt werden kann, dass sie mit einer Sünde in Zusammenhang stehen. Jeder, der unter dem Ordensgehorsam lebt, muss darin einwilligen, dass seine Oberen nach Gottes Vorsehung so mit ihm umgehen können, wie wenn er ein lebloser Körper (im Lateinischen: cadaver) wäre, d.h. dass er sich überall hinschicken und auf jede Weise behandeln lässt. Er gleicht dem Stock eines alten Menschen, der ihm in seinen Händen immer dient, ganz gleich, wo und wozu er ihn gebrauchen will. In diesem Gehorsam muss jedes Ordensmitglied mit heiterem Herzen ausführen, wozu ihn der Obere in seiner Sorge für den ganzen Orden verwenden will. Er darf aber dann sicher sein, dass er auf diese Weise eher dem Willen Gottes nachkommt, als wenn er seinem eigenen Willen und abweichenden Urteil folgt.

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Gegenreformation Die Veränderungen der römisch-katholischen Kirche im 16. Jahrhundert wurden früher pauschal als „Gegenreformation“ bezeichnet. In der Forschung seit dem Zweiten Weltkrieg wurde deutlich, dass dies nur ein Aspekt eines umfassenden Prozesses ist, zu dem auch die Transformation der spätmittelalterlichen katholischen Reform, die römisch-katholische Konfessionsbildung und die katholische Konfessionalisierung gehören.

3. Das Konzil von Trient

Tagungsperioden

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Nachdem die ersten Versuche, ein Konzil zu initiieren, unter anderem an dem Widerstand des französischen Königs gescheitert waren, eröffnete der am 18. September 1544 zwischen Karl V. und Franz I. geschlossene Frieden von Crépy den Weg zum Konzil. Es sollte nach Vereinbarungen zwischen Kaiser und Papst in Trient stattfinden, das den Vorteil aufwies, einerseits auf dem Boden des Heiligen Römischen Reichs zu liegen, andererseits doch südalpin und damit dem Kirchenstaat relativ nahe zu sein. Am 13. Dezember 1545 wurde es eröffnet – unter nicht ganz einfachen Umständen, da der Kaiser noch im Schmalkaldischen Krieg in Deutschland gebunden war (s.u. S. 114). Entsprechend gering war anfänglich die Teilnehmerzahl. Das Konzil dauerte mit mehreren Unterbrechungen bis zum Dezember 1563. Seine Dekrete werden nach den sessiones gezählt, zu denen sich die Teilnehmer versammelten. Diese wurden jeweils durch Deputationen vorbereitet, deren Vorlagen wiederum in der allgemeinen Versammlung diskutiert wurden. Zum entscheidenden Scharnier wurden dabei allerdings die päpstlichen Legaten, denen allein das Recht zukam, Vorlagen einzubringen, die also eine Vorauswahl trafen und oft auch den Diskussionsgang entscheidend beeinflussten – aus evangelischer Sicht handelt es sich also um eben das streng päpstlich geleitete Konzil, das man nicht als freies Konzil anerkennen konnte. Die Sitzungen wiederum lassen sich in drei große Tagungsperioden einteilen: Die erste fand von 1545–1547 (beziehungsweise, wenn man die offizielle Suspension zugrunde legt, 1548) unter Paul III. statt. Sein Nachfolger Julius III. (1550–1555) eröffnete dann die neue Tagungsperiode, die 1551/ 52 stattfand und stark von den Ereignissen in Deutschland geprägt war: In-

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folge der militärischen Überlegenheit des Kaisers konnte dieser die Protestanten zur Teilnahme drängen. Württemberg und Sachsen legten zu diesem Zweck eigene Bekenntnisse, Confessio Virttembergica und Confessio Saxonica, vor, die aber auf dem Konzil selbst keine Rolle spielten, obwohl hier neben anderen Gesandten auch Johannes Brenz anwesend war. Auch Philipp Melanchthon hatte sich auf den Weg nach Trient gemacht, wurde aber durch die neuerlichen Kriegsereignisse (s.u. S. 119), die dann auch zum Abbruch des Konzils führten, daran gehindert, sein Ziel zu erreichen. Erst unter Pius IV. (1559–1565) wurde das Konzil wieder in Angriff genommen, und es versammelte sich 1562/63 zu seinen letzten sessiones. Thematisch war den Verantwortlichen bewusst, dass sie sich nicht auf eine klerikale Reorganisation beschränken konnten, wie sie bei den Reformern unter Paul III. im Vordergrund gestanden hatte: Es galt auch die Lehre neu zu definieren beziehungsweise dort, wo die reformatorische Bewegung auf noch offene Fragen hingewiesen hatte, diese zu klären. Das Konzil musste also neue dogmatische Festlegungen in dem Bewusstsein treffen, dass die Kirche, die es dem Anspruch nach als Ökumenisches Konzil vertrat, dabei war, sich zu einer Partikularkirche neben anderen zu entwickeln: Aus der katholischen Kirche des Mittelalters wurde durch das Konzil von Trient faktisch und entgegen dem Selbstverständnis die römisch-katholische Konfessionskirche. Ökumenisches Konzil Ökumenische Konzilien sind dem Wortsinne nach Kirchenversammlungen, die die gesamte bewohnte Erde vertreten. Als solche werden unstrittig die sieben Konzilien der Alten Kirche gezählt. Im Unterschied zur orthodoxen und reformatorischen Tradition zählt die römisch-katholischen Kirche auch die nachantiken allgemeinen Versammlungen der mit dem Papst verbundenen Kirche hierzu, sodass sie insgesamt, bis hin zum Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965), 21 ökumenische Konzilien kennt.

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Katholisch und römisch-katholisch „Katholisch“ heißt „umfassend“. In diesem Sinne ist der Begriff der Wortbedeutung nach weiter als die moderne Konfessionskirche, die daher präzisierend als „römisch-katholisch“ bezeichnet wird.

Der Aufgabe, die aufgeworfenen theologischen Fragen zu klären – und hierdurch die Verurteilung der reformatorischen Theologie neu zu fundieren –, kam das Konzil insbesondere in der ersten Tagungsperiode nach: Erstmals wurde nun kirchenamtlich der Umfang der Bibel festgelegt – und dies durch die Aufnahme der sogenannten deuterokanonischen Bücher in einer Weise, die von dem bei den Evangelischen Üblichen abwich. Zu einer besonders heiklen Frage wurde die Neudefinition der Rechtfertigung, die unter anderem dazu führte, dass Reginald Pole das Konzil im Streit verließ. Das schließlich auf der sechsten Sessio verabschiedete Dekret bemühte sich um eine klare Vorordnung von Gottes Gnade vor allem menschlichen Tun, lehnte aber eine strikte Sola-fide-Lehre im Sinne der Reformation ab. Die Sakramentenlehre brachte noch in der ersten Tagungsperiode eine Bestätigung der Siebenzahl der Sakramente, in der zweiten Periode dann eine Einschärfung der Realpräsenz Christi in der Eucharistie. Dies wurde in der dritten Tagungsperiode durch die Lehre von der Eucharistie als einem Opfer un-

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terstrichen, die auch die weitere Zulassung von Privatmessen erlaubte – eines der schärfsten Ärgernisse für die reformatorische Theologie wurde damit explizit beibehalten. Das galt auch für die Lehrpunkte, die angesichts des absehbaren Endes des Konzils unter großem Zeitdruck in der 25. Sessio am 3. und 4. Dezember beschlossen wurden: Die Lehre vom Fegefeuer wurde ebenso bestätigt wie die über Heilige und Reliquien und auch der Ablass, sofern er nicht mit unrechtmäßigem Gewinnstreben verbunden war.

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deuterokanonisch / apokryph In der evangelischen Tradition werden diejenigen Bücher, die in der griechischen und lateinischen Tradition mit dem biblischen Kanon zusammen überliefert wurden, aber nicht in der Hebräischen Bibel enthalten sind, als „Apokryphen“ bezeichnet. In der römisch-katholischen Tradition hingegen erhielten sie in abgestufter Autorität die Bezeichnung „deuterokanonisch“. Bericht eines italienischen Teilnehmers über die Verhandlungen zum Ablass in Trient (Tagebuch Gabriel Paleottis [1522–1597]) aus: KThGQ III, S. 260 Da sich der letzte der Reformvorschläge auf die sogenannten Almosensammler bezog, fingen viele an, diese heftig anzugreifen. Sie hätten nicht nur damals als erste zu Luthers Seuche Anlass gegeben, sondern auch heute stünden solche Leute wegen ihrer Betrügereien bei allen in schlechtem Ruf; deshalb müsse man ihr Geschäft und ihren Namen aus der Christenheit völlig verbannen. Dabei wurden allerdings auch Stimmen laut, die darauf hinwiesen, dass die Tätigkeit der Almosensammler in der Kirche schon sehr alt sei und dass sie bereits auf dem Laterankonzil sowie auf den Konzilien von Lyon und Vienne genehmigt worden sei, obwohl Missbräuche, die sich bei der Ausübung eingeschlichen hatten, allerdings verschiedentlich verurteilt worden seien. Deshalb könne man viele Hospitäler und andere fromme Stätten mit den von ihnen gesammelten Almosen unterhalten. Außerdem könne der Heilige Vater dem christlichen Volk durch die Almosensammler Ablass und geistliche Gaben zuteil werden lassen und so dem Gewissen vieler Leute helfen, besonderes wenn sie wegen der Entfernung nicht leicht selbst zum Heiligen Vater gehen können. Deshalb dürfe man diese Schätze der Kirche jetzt nicht unterdrücken, sondern müsse vielmehr die Sammler zurechtweisen, wenn es bei ihrer Tätigkeit zu Betrügereien komme, und müsse ihnen für die zukünftige Ausübung dieser Tätigkeit feste Richtlinien geben, damit es allen klar werde, dass dieses Amt nicht für den Gelderwerb, sondern für die Frömmigkeit gestiftet sei. Diese Gründe zählten bei einigen. Da aber die anderen weit zahlreicher waren und da schließlich – wie wir unten berichten wollen – durch eine zuverlässige Nachricht bekannt wurde, dass diese Meinung mit der Zustimmung des Heiligen Vaters rechnen könne, fasste das Konzil mit großer Einmütigkeit den Beschluss, die Almosensammler abzuschaffen.

Klerusreform

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Neben der Lehre stand schon in der ersten Tagungsperiode die Reform der Kirche an, und das hieß besonders: die Reform des Klerus und in diesem vor allem der Bischöfe. Von der ersten bis zur letzten Periode war dabei eine besondere Streitfrage die Residenzpflicht der Bischöfe, das heißt, ihre Verpflichtung, tatsächlich an dem Ort zu sein, für den sie als Bischöfe zuständig waren. Die päpstlichen Interessen, die Bischöfe auch nach Rom zu beordern oder für Gesandtschaften einzusetzen, stand hier gegen jene Reformkräfte, die es verhindern wollten, dass weiterhin Bischöfe ihre Diözesen im Stich ließen, um andernorts ein luxuriöses Leben zu führen. In der

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ersten Tagungsperiode gelang es, einen Beschluss zu fassen, nach dem die Abwesenheit von einer Pfründe mit entsprechendem finanziellen Entzug bestraft werden sollte. Der Versuch, dies durch die Erklärung der Residenzpflicht zum ius divinum, zum göttlichen Recht, abzusichern, von dem der Papst nicht hätte dispensieren können, scheiterte aber. Immerhin wurden 1563 in der 23. Sessio noch Beschlüsse gefasst, die die Seelsorgeverpflichtung der Bischöfe unterstrichen und mit der Anordnung, in jeder Diözese ein Priesterseminar einzurichten, das Niveau der Ausbildung des Klerikernachwuchses, das im späten Mittelalter außerordentlich niedrig gewesen war, hoben und sicherten. Mit diesen Beschlüssen blieb das Tridentinum der Idee eines Reformansatzes bei den Klerikern treu: Es waren die Amtsträger, über die die Kirche neue Stärke gewinnen sollte. Tatsächlich war dies auch bis zu einem gewissen Grad erfolgreich, und man kann sagen, dass die tridentinischen Beschlüsse den Drang zur Zentralisierung, der sich schon in den ersten Abgrenzungsversuchen von Luther durch Prierias und Eck gezeigt hatte, weiter intensivierten. Die folgenden Maßnahmen verstärkten dies noch mehr: Durch die Bulle Iniunctum nobis vom 13. November 1564 wurden alle Kleriker der römisch-katholischen Kirche auf die Ablegung eines Bekenntnisses zum katholischen Glauben im Sinne der Beschlüsse von Trient, die Professio fidei Tridentina, verpflichtet. Auch der Catechismus Romanus von 1566, der die katholische Glaubenslehre im Sinne Trients zusammenfasste, diente vornehmlich dazu, die Kleriker zu instruieren. Umgekehrt diente der 1564 herausgebrachte Index librorum prohibitorum, das Verzeichnis der verbotenen Bücher, der negativen Abgrenzung gegenüber Gefährdungen des tridentinischen Glaubens. Es waren aber nicht nur solche normativen Texte, durch die die Reformen umgesetzt wurden, sondern auch die vorbildliche Lebenspraxis einiger hervorgehobener Geistlicher. Geradezu zum Prototyp des tridentinischen Bischofs wurde Carlo Borromeo (1538–1584), der seinen Aufstieg und seine starke kirchliche Position der Verwandtschaft mit Pius IV. verdankte. 1563 zum Bischof von Mailand geweiht, übte er in einer Ära, die durch Pius V. (1566–1572) auf klare Reform ausgerichtet war, sein Amt ganz im Sinne der von Trient entwickelten Vorstellungen des seelsorglichen Bischofs aus: Nachdem seit einem halben Jahrhunderte die Erzbischöfe von Mailand ihre Residenzpflicht versäumt hatten, war er nun vor Ort präsent. In unermüdlicher Arbeit besuchte er alle Gemeinden seiner großen Diözese, errichtete ein Predigerseminar und hielt regelmäßig Synoden ab, die der Umsetzung der Beschlüsse von Trient dienten. Auch wenn Borromeo mit diesen Maßnahmen auf Schwierigkeiten stieß, zeigen sie doch einen Neuansatz für das katholische Glaubensleben und ein Greifen der angestrebten Reformen.

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VI. Gefährdung und Bewahrung der Reformation im Reich 1539 1540–1541 1541 1542 1543 1546/47 1546 1547 1548 1551/52 1552 1555

19. April: Frankfurter Anstand Reichsreligionsgespräche in Hagenau, Worms und Regensburg 13. Juni Regensburger Vertrag zwischen Philipp von Hessen und Karl V. Vertreibung Herzog Heinrichs von BraunschweigWolfenbüttel durch den Schmalkaldischen Bund Kölner Reformation Schmalkaldischer Krieg Absetzung Hermanns von Wied als Kölner Erzbischof 18. Februar: Tod Luthers 19. Mai: Wittenberger Kapitulation 15./16. Mai: Augsburger Interim Fürstenaufstand Passauer Vertrag 25. September: Augsburger Religionsfrieden

1. Die Reichsreligionsgespräche Die zähe Konzilspolitik des Papstes, die zudem durch die französische Obstruktionspolitik erschwert wurde, brachte den Kaiser dazu, nach anderen Wegen zu suchen, mit dem zunehmend belastenden religiösen und politischen Auseinanderdriften des Reiches umzugehen. Einerseits bewegte er sich dabei auf der Linie klassischer Politik: Die internen Spannungen im Schmalkaldischen Bund, die sich im Ringen um die Schmalkaldischen Artikel 1537 gezeigt hatten, führten auch dazu, dass der hessische Landgraf sich immer stärker am Kaiser orientierte und es ab etwa 1538 zwischen beiden zu Ausgleichsbemühungen kam. Das ließ für den Kaiser eine Schwächung der Protestanten durch interne Uneinigkeit oder auch eine Einbindung mindestens eines Teils von ihnen in die Verfolgung gemeinsamer Reichsinteressen erhoffen. Das wiederum eröffnete die Möglichkeit, sich auf den gewagten Weg einer reichsinternen Einigung über die religiösen Fragen zu machen. Den politischen Rahmen hierzu schuf der Frankfurter Anstand vom 19. April 1539, der den Nürnberger Anstand prolongierte und den Evangelischen für mindestens sechs Monate und bei kaiserlicher Bewilligung weitere neun Monate garantierte, dass sie nicht aus Gründen der Religion mit Krieg überzogen werden sollten. Für die so wenigstens zeitweise ermöglichte Friedensphase sah die Vereinbarung ein Religionsgespräch zwischen den streitenden Parteien vor. Dies war eine eigenartige Zwischenlösung. Das erhoffte, aber auf einige Zeit nicht absehbare Universalkonzil wurde nicht etwa, wie es in den ersten Jahren der Reformation angedacht

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Die Reichsreligionsgespräche worden war, durch ein Nationalkonzil ersetzt, sondern das Reich selbst und seine Stände wurden nun zu religiösen Akteuren. Die universale christliche Wahrheit sollte auf nationaler Ebene verhandelt werden. Das Verfahren war also heikel und institutionell keineswegs zureichend legitimiert – eine solche Legitimation musste durch Teilnehmer und Ergebnisse erfolgen. Schon zur ersten Gesprächsphase in Hagenau kam der Nuntius Giovanni Morone (1509–1580), der zwar nicht direkt an den Verhandlungen teilnehmen sollte, aber als Berater der altgläubigen Seite eine gewisse Rückbindung an den Papst gewährleistete. Die Gespräche waren anfänglich noch sehr durch Verfahrensfragen belastet, welche unter anderem dazu führten, dass die beiden Hauptleute des Schmalkaldischen Bundes, Philipp von Hessen und Johann Friedrich von Sachsen, ihnen fernblieben, sodass auf politischer Ebene eine Schieflage zwischen Vertretern der altgläubigen Seite und dem Schmalkaldischen Bund entstand. Auch wenn Luther in Wittenberg blieb, waren aber die Theologen gut vertreten. Martin Bucer und Wolfgang Capito nahmen ebenso teil wie der zu diesem Zeitpunkt noch als Exulant in Straßburg tätige Johannes Calvin. Aus Sachsen kamen der Gothaer Superintendent Friedrich Myconius (1490–1546) sowie sein Eisenacher Kollege Justus Menius (1499–1558) und der Wittenberger Theologieprofessor Caspar Cruciger (1504–1548). Philipp Melanchthons Teilnahme wurde durch Krankheit verhindert, dennoch stammt das vielleicht wichtigste Ergebnis dieser Phase von ihm: Die Confessio Augustana variata, eine Überarbeitung der Confessio Augustana von 1530, welche die Basis innerprotestantischer Verständigung erweitern sollte. Auch die altgläubige Seite war namhaft vertreten, allen voran durch den erfahrensten Gegner des reformatorischen Lagers Johannes Eck. Unterstützt wurde er von Johannes Cochlaeus (1479–1552), der schon bei der Abfassung der Confutatio mit ihm zusammengewirkt hatte und bis zur Einführung der Reformation Hofkaplan im albertinischen Sachsen gewesen war, dem Wiener Bischof und Berater Ferdinands Johannes Fabri (1478–1541) sowie dessen Koadjutor Friedrich Nausea (gest. 1552), der nach Fabris Tod dessen Nachfolger auf dem Wiener Bischofsstuhl wurde. Confessio Augustana variata Schon 1533 hatte Melanchthon eine erste Bearbeitung des deutschen Textes der Confessio Augustana vorgelegt, die den Präzisierungen durch seine Apologie Rechnung tragen sollte. Sie wurde zusammen mit den Entwicklungen der Dreißigerjahre, besonders der gewachsenen Annäherung zwischen oberdeutschem und Wittenberger Lager, zur Grundlage der im Oktober gedruckten Variata von 1540, der 1542 eine weitere Bearbeitung folgte. Die Bearbeitungen zeigen, dass die Confessio Augustana zu diesem Zeitpunkt noch keineswegs als unveränderliche Grundlage wahrgenommen wurde, sondern als ein Basistext, der den jeweiligen Gegebenheiten angepasst werden musste. Sie wurde hierdurch aber auch nicht zu einem bloßen Privattext Melanchthons, sondern blieb auf den Konsens im evangelischen Lager ausgerichtet.

Angesichts der fruchtlosen Debatten um Formfragen vertagte man sich nun nach Worms mit erweiterten Delegationen. Die lutherisch orientierten Reichsstädte waren durch Osiander und Brenz vertreten. Letzterer konnte wie auch der ebenfalls zum Gespräch gekommene Erhard Schnepf die Verbindung zu Württemberg halten. Aus Ulm kam Martin Frecht. In Nikolaus

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Hagenau

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Worms

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Regensburg

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von Amsdorff war auch ein besonders enger Vertrauter Martin Luthers dabei, der seinem Ärger über die Kompromissbereitschaft des nun auch hinzugekommenen Melanchthon gelegentlich in seinen Briefen Luft machte. Zu der altgläubigen Gruppe stießen unter anderem der Humanist Julius Pflug (1499–1564), der 1539 wegen der Einführung der Reformation aus Meißen geflohen war, und der Kölner Domherr Johann Gropper (1503–1559). Damit waren beide Lager breit vertreten und die Basis für eine akzeptable Verständigung geschaffen. Reichstag wie Religionsgespräche wurden vom kaiserlichen Staatsrat Nicolas Perrenot de Granvella (1484/86–1550) geleitet, einem Diplomaten, der unterschiedliche Optionen – von einer gemeinsamen Front der Protestanten und Altgläubigen gegen die Türken bis hin zu einem reichsinternen Konfessionskrieg – ins Spiel zu bringen wusste. Seinem Politikstil entsprach es, dass neben der offiziellen Debatte vor allem Geheimverhandlungen eine große Bedeutung erlangten, die für die Teilnehmer den Vorteil brachten, ohne zu viele Rücksichten innerhalb des jeweiligen eigenen Lagers offen miteinander sprechen zu können, allerdings auch das Spektrum der Vertreter auf die besonders kompromissbereiten Beteiligten einschränkte. Federführend wurden Gropper und Bucer, Letzterer auch in seiner Funktion als Berater Philipps von Hessen. Tatsächlich kamen beide so weit, dass sie einen gemeinsamen Entwurf, das sogenannte Wormser Buch vorlegen konnten. Es behandelte die Sünden- und Gnadenlehre, Kirchenverständnis, Sakramente, Kirchengebräuche sowie, sehr ausführlich, die Rechtfertigungslehre und lag am 31. Dezember 1540 vor. So beeindruckend die Verständigungsleistung ist, so schwierig blieb doch die Akzeptanz in beiden Lagern zu erreichen. An mehreren Stellen – beim Abendmahl, bei dem Gropper und Bucer versucht hatten, altgläubige und reformatorische Lehre additiv zusammenzubringen, im Verständnis der Zuordnung von kirchlicher und biblischer Autorität und in der Frage der Rechtfertigung – lösten die Erklärungen des Wormser Buches weitere Debatten aus und legten so die ungeklärt gebliebenen Fragen offen. Selbst Melanchthon hielt den Kompromissvorschlag für utopisch, und von altgläubiger Seite kamen massive Einwände, die insbesondere Kardinal Contarini den Verhandlungsteilnehmern übermittelte. So wurde rasch deutlich, dass das Wormser Buch überarbeitet werden musste. Da dies am Rande des Regensburger Reichstages 1541 geschah, spricht man von der Entstehung des Regensburger Buches. Hier legte Contarini insbesondere Wert darauf, in den versöhnlich angelegten Abendmahlsartikel die Transsubstantiationslehre einzufügen, obwohl altgläubige Diskussionsteilnehmer wie Pflug oder Gropper durchaus bereit waren, auf ihn zu verzichten. Die Frage, ob die Kirche letzte Entscheidungsbefugnis über die Auslegung der Heiligen Schrift besitze, wie es die altgläubige Seite vorsah, die evangelische aber aufgrund des Schriftprinzips nicht anerkennen konnte, blieb letztlich offen, zumal hier auch Debatten aus der Frühzeit der Reformation über die Irrtumsfähigkeit des Konzils wieder aufflammten. Bemerkenswert ist, dass man auch in der Rechtfertigungslehre zu gemeinsamen Formulierungen kam, die einerseits der Alleinigkeit der Gnade Ausdruck gaben, andererseits aber auch das Wachsen des Glaubenden in der Gerechtigkeit und Gottes Gericht nach den Werken betonten und eine solche Lehre als angemessene Interpretation des Sola fide verstanden.

Schmalkaldischer Krieg und Interim Transsubstantiation Nach der 1215 dogmatisierten und in der Folgezeit theologisch ausgearbeiteten Lehre werden in der Eucharistie die Elemente Brot und Wein in der Weise gewandelt, dass ihre veränderlichen Eigenschaften, die Akzidentien (Aussehen, Geschmack, Form), erhalten bleiben, ihr wesentlicher Gehalt aber, die Substanz, in Leib und Blut Christi übergeht. Die Reformatoren hatten sich einhellig gegen diesen Versuch gewehrt, ein bestimmtes aristotelisches Verstehensmodell für den Glauben verbindlich zu machen.

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Was bei diesen Verhandlungen herauskam, war letztlich ein Torso: Nur bei einem Teil der Artikel kam die Kommission zu einem einhelligen Ergebnis, und auch diese 16 Bestimmungen enthielten Formulierungen, die jeweils für die eine oder andere Seite unannehmbar waren. So erfolgte trotz der beharrlichen Bemühungen Karls V. um wenigstens partielle Annahme am 5. Juli 1541 die Ablehnung durch die altgläubige Seite. Die evangelische folgte am 12. Juli. Die Ausgleichspolitik des Kaisers war gescheitert, und die Bemühungen kehrten zu den alten Mitteln zurück: Der Reichstagsabschied vom 29. Juli sah vor, dass der Kaiser weiterhin auf ein allgemeines Konzil drängen und in dem Fall, dass es hierzu nicht kommen werde, ein Nationalkonzil oder Reichstag die Religionssache behandeln werde.

2. Schmalkaldischer Krieg und Interim Die Verhandlungen in Regensburg schienen auch deswegen für den Kaiser unter einem günstigen Stern zu stehen, weil sich aus der Annäherung Landgraf Philipps an ihn mittlerweile eine manifeste Abhängigkeit entwickelt hatte: Der seit 1523 mit Christine von Sachsen verheiratete Landgraf hatte am 4. März 1540 die 17-jährige Margarethe von der Saale geehelicht, war also eine Bigamie eingegangen, ein Vergehen, das nach der Peinlichen Gerichtsordnung (Carolina) Karls V. von 1532 mit der Todesstrafe bedroht war. Dabei hatte der Landgraf durchaus nicht leichtfertig gehandelt. In gewisser Weise kann man sogar sagen, dass er durch die Eheschließung Margarethe einen rechtlich besseren Status ermöglicht hatte, als ihn das vielfach übliche und unsträfliche Konkubinatswesen bot. Zudem hatte er, vermittelt durch Bucer, die Wittenberger Reformatoren um einen Dispens gebeten, den diese auch unter dem Siegel der Beichtverschwiegenheit erteilten – ein Stillehalten, das vor allem auch sie selbst schützen sollte: Sie wünschten nicht, dass ihre Stellungnahme bekannt gemacht würde. Dennoch geschah dies bald, so wie die ganze Eheangelegenheit rasch ruchbar wurde. Philipp schloss in dieser Situation am 13. Juni 1541 am Rande des Regensburger Reichstags ein Geheimabkommen mit dem Kaiser, wonach dieser ihn, ohne die Bigamie beim Namen zu nennen, von Verfolgungen wegen eventueller Rechtsbrüche freistellte und Philipp sich umgekehrt auf Zusagen verpflichtete, die offenkundig den Interessen des Schmalkaldischen Bundes, dessen Hauptmann er ja war, zuwiderliefen: Er verpflichtete sich, kein Bündnis mit Frankreich oder anderen Mächten außerhalb des Reiches einzugehen. Zudem sollte er dafür Sorge tragen, dass das Herzogtum Jülich-Kleve-Berg nicht in

Bigamie Philipps von Hessen

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Kölner Reformation

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den Schmalkaldischen Bund aufgenommen werde. Dies hatte nur zum Teil damit zu tun, dass der neue Herzog Wilhelm V. (1539–1592) einen schwer einzuordnenden Mittelweg zwischen katholischer Reform und Reformation ging. Gewichtiger war für den Kaiser, dass Wilhelm aufgrund des Vertrages von Nijmwegen als Erbe des Herzogtums Geldern eingesetzt worden war, auf das auch der Kaiser selbst Ansprüche erhob, die dieser dann auch 1543 aufgrund der Neutralisierung des Schmalkaldischen Bundes tatsächlich durchsetzen konnte. Die strategische Bedeutung aber ging über die Arrondierung der niederländischen Besitztümer der Habsburger hinaus. Dass der Schmalkaldische Bund so deutlich als Machtfaktor am Niederrhein ausfiel, hatte auch Auswirkungen auf das Hochstift Köln, denn es verhinderte jegliche militärische Unterstützung für den Reformationsversuch, den Erzbischof Hermann V. von Wied (1515–1546) begann, nachdem er gut zwei Jahrzehnte – schon auf dem Reichstag von Worms – eine feste Stütze der alten Kirche gewesen war. Die Reichsreligionsgespräche erreichten bei ihm das Gegenteil dessen, was der Kaiser angestrebt hatte. Gropper war als Domherr eine der theologisch und juristisch führenden Persönlichkeiten im Erzbistum und Hochstift. 1536 hatte er Reformstatuten entworfen, die von der Kölner Provinzialsynode beschlossen, vom Erzbischof seinerzeit aber noch nicht durchgeführt worden waren. Nun vermittelte er Hermann von Wied den Kontakt mit Bucer, der 1542/43 zu Predigten nach Bonn eingeladen wurde. Noch im selben Frühjahr erlaubte der Erzbischof im Hochstift die Spendung des Abendmahls unter beiderlei Gestalt – ein klares Signal für eine reformatorische Ausrichtung. Binnen Kurzem wurde nun der Zwiespalt zwischen Reformation und katholischer Reform deutlich: Gropper wurde zum Wortführer der Gegner reformatorischer Maßnahmen, die ihre soziale Basis vor allem im Domkapitel hatten, während die Landtage des Hochstifts sich für die Reformation aussprachen. Der Erzbischof ließ Bucer mit der Ausarbeitung einer Kirchenordnung beginnen, an deren Abfassung dann nicht etwa Gropper beteiligt wurde, sondern Philipp Melanchthon – die Fronten waren klar. Dadurch dass der Erzbischof sich klar zur Reformation bekannte, war Gropper, ohne seine eigene Position in markanter Weise zu verändern, zu einem Vertreter der beharrenden Kräfte geworden. Hermann von Wied gab die Kirchenordnung im September 1543 unter dem Titel „Einfältiges Bedenken“ heraus. Die Initiativen des Bischofs und das persönliche Engagement Bucers führten vor allem in Bonn und in anderen Städten rasch zu einer Ausbreitung der reformatorischen Bewegung, während Gropper und andere auch publizistisch vehement dagegen ankämpften. Schließlich appellierten sie an Kaiser und Papst. 1546 wurde Hermann von Wied exkommuniziert und seines Amtes enthoben. Der Landtag im folgenden Jahr war von kaiserlichem Druck bestimmt: Hermann wurde nun auch aus seinem weltlichen Amt vertrieben und durch den Koadjutor Adolf von Schauenburg (gest. 1556) ersetzt. Hochstift Als Hochstift bezeichnet man die territorialen, weltlichen Besitztümer eines Bischofs als Reichsfürst im Unterschied zu seiner Diözese bzw. seinem Bistum, in dem er die kirchliche Jurisdiktion innehatte.

Schmalkaldischer Krieg und Interim Der Versuch, ein ganzes Erzbistum samt Hochstift zu reformieren, war damit an einer Gemengelage gescheitert, zu der als ein Faktor die Schwäche des Schmalkaldischen Bundes gehörte. Die potenziellen Wirkungen und damit auch der energische Widerstand des Kaisers hingen nicht nur mit den regionalen Bedingungen zusammen, sondern auch mit der weiterreichenden strategischen Bedeutung: Nach Sachsen und Brandenburg wäre Köln ein weiteres Kurfürstentum gewesen, das der Reformation zufiel. In den Vierzigerjahren war aus kaiserlicher Sicht zudem auch die Pfalz bedroht, denn Friedrich II. (1544–1556) hatte während seiner Regentschaft für die Oberpfalz bereits Offenheit für die evangelische Bewegung gezeigt, und da er kinderlos war, war absehbar, dass die Herrschaft an seinen Neffen Ottheinrich (gest. 1559) übergehen würde, der in der Nebenlinie Pfalz-Neuburg schon 1542 die Reformation eingeführt hatte. Damit wäre die katholische Mehrheit im Kurfürstenkollegium und mit ihr auch die habsburgische dynastische Abfolge auf dem Kaiserthron in Gefahr gewesen. Was für den Kaiser Gewinn war, war für den Schmalkaldischen Bund Verlust. Die einzigartige Möglichkeit, nicht nur durch die Sonderkonstellationen in Naumburg und Merseburg, sondern in unmittelbarer Kontinuität in den Reichsepiskopat vorzudringen, war ebenso dahin wie der angedeutete strategische Gewinn in der Reichspolitik. Dies alles der Bigamieaffäre Philipps anzulasten, hieße aber, deren Bedeutung erheblich zu überziehen. Hiergegen sprechen nicht nur die bekannten länger anhaltenden Spannungen innerhalb des Schmalkaldischen Bundes, sondern auch dessen weiter gehende Aktivitäten, die mit dem Sondervertrag zwischen Landgraf und Kaiser keineswegs ihr Ende fanden: 1542 vertrieb der Schmalkaldische Bund Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel (1514–1568) aus seinem Territorium. Anlass hierfür hatten dessen Angriffe auf die Reichsstadt Goslar sowie die nominell zum Herzogtum gehörige, aber weitgehend autonom verwaltete Stadt Braunschweig gegeben, die schon 1528 durch Bugenhagen eine reformatorische Ordnung erhalten hatte. Mit dieser Strafaktion traf man den mächtigsten Vertreter der alten Kirche im norddeutschen Raum, gegen den sich Luther schon 1541 mit seiner polemischen Schrift „Wider Hans Worst“ gewandt hatte. Bald wurden im Herzogtum reformatorische Maßnahmen durchgeführt. Heinrich aber wehrte sich entschieden gegen seine Entmachtung – mit dem Ergebnis, dass er 1545 gefangen gesetzt wurde. Damit handelten Philipp von Hessen und Johann Friedrich von Sachsen wissentlich gegen geltendes Recht und setzten sich von kaiserlicher Seite dem Vorwurf des Landfriedensbruchs aus. Der Kaiser hatte einen guten Grund, Truppen und Verbündete gegen den Schmalkaldischen Bund zu sammeln. Die Legitimität seines eigenen Anspruchs unterstrich Karl V. dadurch, dass es ihm gelang, die konfessionellen Grenzen zu überschreiten: Auch der Albertiner Herzog Moritz von Sachsen (1541–1553) schlug sich auf seine Seite, obwohl er im Innern konsequent als lutherischer Landesherr agierte. So hatte er am 21. Mai 1543 die „Neue Landesordnung“ erlassen, mit der er in ähnlicher Weise wie sein Schwiegervater Philipp von Hessen die Bildungspolitik zum Ansatz für die Erneuerung von Kirche und Territorium nahm und ebenso konsequent wie der Landgraf die Säkularisierung der Klöster nutzte, in seinem Fall, um die sächsischen Fürstenschulen ein-

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Vertreibung Heinrichs von Braunschweig

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zurichten. Moritz stand auch hinter der Besetzung des Merseburger Bischofsstuhls mit Georg von Anhalt. Der inhaltlichen Orientierung an Leitlinien reformatorischer Politik stand aber die Konkurrenz zu den ernestinischen Vettern entgegen, das sich schon 1542 in der Wurzener Fehde entlud, in deren Verlauf nur das Eingreifen Landgraf Philipps einen Krieg zwischen den sächsischen Territorien um das kleine Amt Wurzen verhindern konnte.

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Sächsische Fürstenschulen 1543 wurden St. Afra in Meißen und Pforta bei Naumburg, sieben Jahre später das Augustinerkloster in Grimma zu Landesschulen umgewidmet, die den künftigen akademischen Nachwuchs auf die Universität vorbereiteten und durch ihre großzügige finanzielle Versorgung auf Jahrhunderte hinaus eine niveauvolle Begabtenförderung ermöglichten. Hieran orientierte sich in der Klosterordnung von 1556 auch das Herzogtum Württemberg mit der Einrichtung seiner Klosterschulen, unter ihnen das berühmte Maulbronn.

Schmalkaldischer Krieg

Es waren letztlich diese innerwettinischen Konflikte, die Moritz eine Hinwendung zum Kaiser attraktiv erscheinen ließen. Hatte er in der Auseinandersetzung mit Heinrich von Braunschweig noch zu den Schmalkaldenern gestanden, so schlug er sich am 19. Juni 1546 im Regensburger Vertrag auf die Seite des Kaisers und erklärte sogar die Bereitschaft, das Konzil von Trient zu beschicken. Im folgenden Monat begann der Schmalkaldische Krieg, in den Moritz als Verbündeter des Kaisers eintrat, nachdem ihm im Oktober für den Fall eines Sieges über die Ernestiner die Übertragung der Kurwürde in Aussicht gestellt worden war. Die vereinten Heere kamen rasch zu einem Erfolg: Im Zuge der Schlacht bei Mühlberg an der Elbe am 24. April 1547 wurde Johann Friedrich, wenig später auch Philipp von Hessen gefangen gesetzt. Durch die Wittenberger Kapitulation vom 19. Mai erhielt Moritz die Kurwürde und den Kurkreis Wittenberg – die Angehörigen der Wittenberger Universität wurden eineinhalb Jahre nach Luthers Tod am 18. Februar 1546 Untertanen des als „Judas von Meißen“ geschmähten Albertiners. Durch dessen Sieg über die wettinischen Rivalen war aber das Ergebnis des Schmalkaldischen Krieges noch keineswegs erreicht. Vielmehr nutzte der Kaiser die Gunst der Stunde, um auf dem sogenannten geharnischten Reichstag, der vom 1. September 1547 bis zum 30. Juni 1548 in Augsburg stattfand, Regelungen zu einer Reorganisation des Reichs in reformerischem, aber strikt katholischen Sinne zu ermöglichen. Für Ersteres stand die Formula reformationis ecclesiasticae, welche in 22 Abschnitten Vorschriften für die Bistümer des Reiches machte, die in etwa auf der Linie des gleichzeitig tagenden Konzils von Trient lagen und insbesondere durch die Hebung von Moral und Bildung des Klerus eine Besserung der kirchlichen Zustände zu erreichen suchten. Wichtiger und für die Entwicklung einschneidend aber war das Augsburger Interim, welches am 15./16. Mai 1548 veröffentlicht wurde und seinen Namen danach trug, dass es eine Zwischenregelung für das Reich bis zur endgültigen Beschlussfassung von Trient darstellen sollte. Inhaltlich knüpfte es durchaus an die vermittelnde Linie der Religionsgespräche an, was sich aber unter rechtlich geänderten Bedingungen ganz anders ausnahm: Der Text, der nun während der Gefangenschaft der Anführer des evangelischen

Augsburger Interim

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Schmalkaldischer Krieg und Interim

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Lagers entworfen wurde, war eine einseitige Auflage durch den vom Kaiser bestimmten Reichstag. Hieran änderte auch die Tatsache nichts, dass neben den altgläubigen Vertretern Julius Pflug und Michael Helding (1506–1561) auch der kurbrandenburgische Hofprediger Johann Agricola (1492/94– 1566) beteiligt war. Die drei waren durch einen gemeinsamen humanistischen Hintergrund verbunden, aber Agricolas Position im evangelischen Lager war problematisch, seit er im antinomistischen Streit scharfen Angriffen Luthers ausgesetzt gewesen war. Die Beteiligung am Interim desavouierte ihn endgültig und trug ihm bei seinen Gegnern nach seiner Geburtsstadt Eisleben den Spottnamen „Scheißleben“ ein. Antinomistischer Streit Ausgehend von bestimmten Formulierungen Melanchthons hatte Agricola die Auffassung vertreten, dass die Buße zureichend durch das Evangelium hervorgerufen würde, die christliche Gemeinde also nicht mehr der Predigt des Gesetzes bedürfe. Dagegen hat Luther 1537 in mehreren Disputationen die Lehre vom theologischen Gebrauch des Gesetzes weiter entfaltet und präzisiert. Agricola verließ daraufhin gedemütigt das Kurfürstentum Sachsen.

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Die Folgen der Religionsgespräche zeigten sich in der Lehre von einer doppelten Rechtfertigung, die im vierten bis sechsten der insgesamt 26 Artikel entfaltet wurde. Gänzliche Kompromisslosigkeit aber wiesen die Aussagen zur Kirchenlehre auf: Das Papstamt sei, so hieß es, nach göttlichem Recht eingesetzt. Ebenso wurden auch die sieben Sakramente bestätigt und die Messopferlehre aufrechterhalten. Für die Umsetzung war es von besonderer Bedeutung, dass das Interim zahlreiche Bestimmungen zu den kirchlichen Riten enthielt, die durchweg beibehalten bleiben sollten. Als Zugeständnis an die evangelische Seite fand sich lediglich die einstweilige Aufrechterhaltung der Pfarrerehe sowie der Spendung des Altarsakraments unter beiderlei Gestalt – beides wäre kaum ohne viel Aufsehen aufzuheben gewesen. Und da auch diese Regelungen unter dem Vorbehalt der Konzilsbeschlüsse standen, war kaum mit Dauerhaftigkeit zu rechnen. Insgesamt handelte es sich um eine Rechtsregelung, nach der von den Folgen der Reformation in Deutschland nicht viel übrig geblieben wäre. Das Augsburger Interim aus: Das Augsburger Interim von 1548. Deutsch und lateinisch, hg. v. Joachim Mehlhausen, Neukirchen-Vluyn 21996, S. 134–138

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(26) Von den ceremonien und gebrauch der sacramenten Die alten ceremonien, so bei dem sacrament der tauff gebraucht werden, sollen alle bleiben. Nemlich: Exorcismus, das widersagen, bekanthnus des glaubens, das crisma, das öll und anders; dann sie wol dienen, die crafft dieses sacraments antzuzaigen und zu bedeutten. Item in den alten ceremonien, so die allgemein kirch bei der messe gebraucht, soll man nit endern, dann sie seindt alle zu dem, das man in der meß handlet, ganntz bequem. (…) Der canon, daran man nichts endern, soll auch seine clare kurtze außlegung haben, das darauß die priester erstlich den gebrauch ihres ambts dester besser versteen, und was sie versteen, dem volck fürsagen könnden. Die cermonien der andern sacramenten sollen gebraucht werden vermög der alten agenden. Doch wo ichts in diesebligen, das zu aberglauben ursach geben

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mocht, eingeschlichen were, das soll nach zeitlichem rath gebessert werden. Die altaria, priesterclaider, die gefeß der kirchen, fanen, deßgleichen creutz, kertzen, bilder und gemelder soll man in der kirchen halten, doch also, das sie allein erinnerung sein und an diese ding kein göttlich ehr gewendt werde. So soll auch zu den bildern und der heiligen gemelde kein aberglaubischer zulauff bescheen. (…) Man soll auch die fesst, so von der kirchen angenomen, behalten, und wo nit alle, doch die fürnembsten, nemlich: die Sonntag, den Geburttag des herren, die Beschneidung des herren, der Heiligen drei könig tag, den Palmtag, die Ostern mit zway volgenden tagenden, die Auffart des herren, die Pfingsten mit zwien volgenden tagen, das fesst Trinitatis, das fesst des Fronleichnams Christi; die feiertag der heilligen jungfrawen Mariae, die tag der heylligen apostel: Sanct Johannis Baptista, Sannct Maria Magdalena, Sannct Steffans, Sannct Laurentzen, Sannct Martin, Sannct Michael, und Allerheiligen.

Leipziger Artikel

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Die Durchsetzung des Interims erfolgte allerdings nicht überall mit derselben Intensität. Letztlich hing diese an der Präsenz beziehungsweise Nähe kaiserlicher Truppen. Entsprechend konnten sich die süddeutschen Reichsstädte dem Zwang zur Einführung kaum entziehen. Das Herzogtum Württemberg, das im unmittelbaren Machtbereich Österreichs lag, war besonders heftig betroffen. Zeitweise konnten sich die evangelischen Geistlichen, wenn sie überhaupt im Lande verblieben und nicht wie Erhard Schnepf die Flucht antraten, nur durch Tarnmaßnahmen halten: Jakob Andreae (1528– 1590), dem später eine entscheidende Rolle für die Restitution und Einigung des Luthertums zukommen sollte, wurde aus Stuttgart nach Tübingen versetzt und nahm hier die Amtsbezeichnung eines catechista an, um seine pastorale Wirksamkeit zu verschleiern. Konstanz wurde gar belagert und eingenommen. Es verlor seinen Status als Reichsstadt und wurde Österreich zugeschlagen. Straßburg drohte Ähnliches, die Stadt konnte dies aber durch eine Entmachtung Bucers verhindern, der daraufhin nach England ging. Spezielle Aufmerksamkeit fanden die Entwicklungen im albertinischen Sachsen unter dem als Verräter geschmähten Kurfürsten und ehemaligen Herzog Moritz. Er nutzte den Umstand, dass ihm nun die gemeinsame Kompetenz der Wittenberger wie der traditionellen albertinischen, schon 1409 gegründeten Leipziger Universität zur Verfügung stand und ließ sich ein Gutachten zur Frage der Umsetzung des Interims erstellen. Neben Melanchthon waren an dem Text, der dem Landtag von Meißen im Juli 1548 vorlag, unter anderem Cruciger, sein nach zeitweiliger Flucht zurückgekehrter Fakultätskollege Georg Major (1502–1574), der Leipziger Superintendent und Theologieprofessor Johann Pfeffinger (1493–1573) und Georg von Anhalt beteiligt, der im Unterschied zu dem sofort aus dem Amt vertriebenen Amsdorff seine bischöflichen Aufgaben noch bis 1550 wahrnehmen konnte. Die Linie des Gutachtens war von dem Bemühen um Wahrung evangelischer Identität einerseits und realistischem Umgang mit der gegebenen Situation andererseits geprägt. So machten die Theologen deutlich, dass die Rechtfertigungslehre des Interims nicht tragbar war und auch mehrere Zeremonialbestimmungen nicht akzeptiert werden konnten. Es eröffnete aber auch die Möglichkeit, einige Bräuche als Adiaphora hinzunehmen. Dies blieb auch die Linie der weiteren Ausarbeitungen für die kursächsische Politik, an denen sich mit Bugenhagen ein weiterer Vertreter der führenden Re-

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formatorengruppe beteiligte. Zu dieser stießen auch politische Berater, insbesondere der ehemalige Kanzler Johann Friedrichs Melchior von Ossa (1506–1557) und der kursächsische Rat Christoph von Carlowitz (1507– 1578). Sie übten erheblichen Druck auf die Theologen aus, eine politisch kompatible Lösung zu erreichen, wofür sie nicht zuletzt auf die politisch katastrophale Entwicklung im Süden verweisen konnten. Schließlich einigte man sich unter Berücksichtigung der nachdrücklichen theologischen Forderung, dass im Blick auf Rechtfertigung, Buße und Beichte, Messe und Heiligenkult kein Nachgeben möglich sei, auf die sogenannten „Leipziger Artikel“ beziehungsweise die „Leipziger Landtagsvorlage“ (so die von Günther Wartenberg eingeführten Begriffe), die den Verhandlungen des im Dezember 1548 in Leipzig tagenden sächsischen Landtages zugrunde lagen. Zwar fasste dieser keinen Beschluss hierzu, aber die Artikel wurden zur Leitlinie der kursächsischen Politik, einen Auszug veröffentlichte Moritz im Juli 1549. Adiaphora Der Begriff „Adiaphora“ bezeichnet „Mitteldinge“, also solche Punkte, zu denen man aus konfessionellen Gründen nicht eindeutig in dieser oder jener Weise Stellung beziehen muss. Schon im Zusammenhang der Vorbereitung der Schmalkaldischen Artikel war erwogen worden, ob man nicht derartige Adiaphora freigeben möchte, Luther hatte diesen Passus aber nicht aufgenommen. Dass Melanchthon und die anderen Wittenberger Theologen auf dieses Konzept zurückkamen, führte in der Situation nach dem Augsburger Reichstag zu heftigen Auseinandersetzungen: Der interimistische Streit um die Akzeptanz des Interims spitzte sich zum adiaphoristischen Streit zu, in dessen Verlauf Matthias Flacius die Formel prägte: Nihil est adiaphoron in casu confessionis et scandali: „Nichts ist ein Adiaphoron im Fall von Bekenntnis und Ärgernis.“

Diese Vorgänge gaben Anlass zu bitterster Polemik bei denen, die sich als wahre Vertreter des Luthertums, als Gnesiolutheraner verstanden und den Gegnern vorwarfen, durch die von ihnen als „Leipziger Interim“ geschmähten Artikel vom rechten Glauben abgefallen zu sein. Diese Gruppe versammelte sich zunächst vor allem in Magdeburg, das bereits 1547 unter Reichsacht gestellt wurde. Dass diese Stadt, die sich wie andere wichtige norddeutsche Städte, etwa Hamburg oder Lübeck auch, dem Interim widersetzte, zu einem besonderen Widerstandsort wurde, dürfte auch mit der Präsenz Nikolaus von Amsdorffs zu tun haben, der von 1524 bis 1541 als Superintendent in Magdeburg gewirkt hatte und im Dezember 1548 dorthin zurückkehrte, nachdem er sein Naumburger Bischofsamt wieder an Julius Pflug hatte abtreten müssen, der schon vor Amsdorffs von Johann Friedrichs erwirktem Amtsantritt vom Domkapitel gewählt worden war. Zur treibenden Kraft des Kreises aber wurde der aus Istrien stammende, daher mit dem Beinamen Illyricus belegte Matthias Flacius (1520–1575), der 1549 seine Wittenberger HebräischProfessur niederlegte und nach Magdeburg kam. Unterstützt wurden beide durch den Theologen und Dichter Erasmus Alber (gest. 1553) und den ehemaligen Regensburger Diakon Nikolaus Gallus (1516–1570), der 1549 die Superintendentur in Magdeburg übernahm. Gnesiolutheraner Der Anspruch, das wahre Luthertum zu vertreten, wurde in den Fünfzigerjahren in mehreren Streitkreisen vertreten, in denen allerdings nicht immer dieselben

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Magdeburg

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Personen agierten und auch nicht immer ganz dieselben Fronten gebildet wurden. Neben den direkt mit Interim und Adiaphora zusammenhängenden Fragen ging es immer wieder um die Rechtfertigungslehre. So im Osiandrischen Streit um die von Andreas Osiander vertretene Lehre von einer tatsächlichen Einwohnung der Natur Christi im Menschen durch die Rechtfertigung, im Majoristischen Streit um Majors Erklärung, dass die guten Werke zur Seligkeit notwendig seien, der Amsdorff entgegenhielt, dass gute Werke hierzu sogar schädlich seien, wenn man das Vertrauen in sie setze. Hieraus entwickelte sich der zweite antinomistische Streit über den „dritten Gebrauch“, tertius usus, des Gesetzes zur Anleitung der Glaubenden. Im synergistischen Streit ging es um Pfeffingers Lehre von einer Beteiligung des Willens des Menschen an der Bekehrung. Insgesamt formierte sich hier in der Situation, in der die unmittelbare persönliche Autorität Luthers ausgefallen war, der scharf polemische Anspruch auf ein reines Luthertum gegen die als „Philippisten“ kaum mit einem entsprechenden Gruppenbewusstsein auftretenden Kreise um Philipp Melanchthon. Eine einvernehmliche, weite Teile des Luthertums einschließende Klärung der Fragen erfolgte erst durch die Konkordienformel von 1577, die damit im strengen Sinne erst den Beginn der lutherischen Konfession bedeutet.

Mit gewaltiger Schärfe eröffneten die Magdeburger exules den Kampf gegen jegliche Annäherung an den als Antichrist gebrandmarkten Papst, für die prototypisch die albertinischen Theologen, in besonderer Weise der mit erbittertem Hass verfolgte Philipp Melanchthon, standen. Diese Wahrnehmung der Konfliktlage gab ihren Schriften eine apokalyptische Schärfe, die gut zu dem Kriegsszenario der Zeit passte. Der hohe eigene Anspruch drückte sich in ihrer Selbstbezeichnung als „Cantzeley unseres herrn Jhesu Christi“ aus, aus der die später gängige Rede von des Herrgotts Kanzlei geworden ist. So wichtig die aktuelle Auseinandersetzung allerdings auch war: Man produzierte in Magdeburg nicht nur Schmähschriften, sondern auch intensive Theologie: Dasselbe „Bekenntnis“ von 1550, in dem sich die Rede von er Kanzlei Christi findet, diente der Entfaltung einer Widerstandslehre auf lutherischer Grundlage: In gelehrter und engagierter Argumentation wurde das eher auf Erhalt des Bestehenden ausgerichtete Obrigkeitsverständnis Luthers durch den Gedanken auf die eigene Situation angewandt, dass zwar grundsätzlich die Obrigkeit von Gott eingesetzt sei, dies aber auch für die niederen Obrigkeiten gelte, sodass diese, wenn es um die Verteidigung von Gottes Wort geht, Widerstand gegen höhere Obrigkeiten leisten dürften. Ausdruck der trotz der Gegnerschaft zu Melanchthon auch humanistisch geprägten Gelehrsamkeit ist das allerdings erst ab 1556 vorwiegend von Flacius organisierte Kirchengeschichtswerk der „Magdeburger Zenturien“, das ab 1559 in Basel in Druck erschien. Zu diesem Zeitpunkt war Flacius schon in Jena, wo er 1557 eine Professur angenommen hat. Die Gründung dieser Hohen Schule 1548 war Ausdruck des Selbstbewusstseins eines zweiten Widerstandszentrums: des ernestinischen Rumpfstaates, dessen Herrscher, der „geborene Kurfürst“ Johann Friedrich sich in Gefangenschaft befand. Seine Söhne, die mit dem Herzog brieflich – zum Teil in Geheimschrift – Kontakt hielten, versuchten, das verbliebene Herzogtum zu stabilisieren und in seiner festen lutherischen Glaubenshaltung zu bewahren. So bauten sie es langfristig, weit über die Situation des Interims hinaus, zum Hort des Gnesioluthertums aus.

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Schmalkaldischer Krieg und Interim Antichrist Martin Luther hatte die traditionelle Vorstellung vom Antichrist als einer in der Endzeit auftretenden Person zu einer Lehre umgeformt, die den Antichrist institutionell im Papsttum am Werk sah. So war er schon lange auf dieser Welt tätig, und die Reformation wurde als Offenbarung des Antichristen zu einem apokalyptischen Ereignis, das die Endzeit einläutete.

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Reformation und Widerstand Luther hatte sich anfänglich kritisch gegen jede Zulassung von Widerstand gezeigt, dann aber den Juristen zugestimmt, dass ein solcher in bestimmten Konstellationen durchaus nach weltlichem Recht vorgesehen sei. Die Magdeburger Überlegungen zum Widerstandsrecht zeigen, dass es im Luthertum Potenziale gab, in dieser Richtung weiterzudenken. Besonders entfaltet wurden protestantische Widerstandstheorien dann durch die sogenannten Monarchomachen, die in den Siebzigerjahren den Widerstand der Hugenotten gegen das französische Königshaus reflektierten und legitimierten.

Magdeburg selbst fiel 1551 der Vollstreckung der Reichsacht durch Moritz von Sachsen zum Opfer. Dieser militärische Schlag war allerdings bereits Teil einer Doppelstrategie, die der Kurfürst verfolgte. Zeitgleich verhandelte er mit den Söhnen Johann Friedrichs wie auch mit Wilhelm von Hessen, dem Sohn Landgraf Philipps. Allen Beteiligten machte er glaubhaft, dass er sich für die Freilassung ihrer Väter und für die Wahrung der Confessio Augustana einsetzen werde. Zwar stieß der wendige Herrscher nicht überall auf Vertrauen, aber es gelang ihm, eine Allianz mit Mecklenburg, Pommern, Brandenburg-Ansbach sowie Hans von Küstrin (1535–1571), dem Herrscher über eine brandenburgische Nebenlinie, zu schmieden; hierfür gewann er zudem die jedenfalls materielle Unterstützung Frankreichs. Das Bündnis war stark genug, um im sogenannten Fürstenaufstand oder Fürstenkrieg durch einen schnellen Feldzug den Kaiser zu überraschen und in Bedrängnis zu bringen. Infolge der Kriegswirren wurde die zweite Tagungsperiode des Konzils von Trient überstürzt beendet, und Ferdinand gestand im August 1552 den Protestanten durch den Passauer Vertrag Friedensschutz zu, freilich aufgrund der verbliebenen Vorbehalte des Kaisers zunächst zeitlich befristet bis zum nächsten Reichstag. Auf diesem aber sollte, so wurde auch vereinbart, ein dauerhafter Religionsfrieden beschlossen werden. Philipp von Hessen und Johann Friedrich wurden aus der Gefangenschaft entlassen – wenngleich Letzterer mit der jüngsten Entwicklung nicht nur zufrieden war: Er hatte noch lange Zeit auf den Kaiser gesetzt, in der Hoffnung, dass dieser aufgrund des neuerlichen Schwenks Moritz’ von Sachsen diesen nun bestrafen und ihm die Kurwürde wieder entziehen werde. Aber die Hoffnung trog. Ohnehin zog sich Karl V., frustriert über das offenkundige Scheitern seiner Politik, immer mehr aus den Geschäften des Reiches zurück und überließ sie Ferdinand. Die formale Niederlegung der Kaiserkrone erfolgte dann 1556, zwei Jahre vor seinem Tod am 21. September 1558. Mit der Übernahme der Kaiserkrone durch Ferdinand im Februar desselben Jahres war klar geworden, dass Karls universalmonarchisches Konzept nicht mehr zu verwirklichen war.

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Gefährdung und Bewahrung der Reformation im Reich

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3. Der Augsburger Religionsfrieden Ferdinand war auch bereits bei der Entstehung des Augsburger Religionsfriedens, der am 25. September 1555 in Kraft gesetzt wurde, der entscheidende Verhandlungsführer. In mühsamen Gesprächen wurde auf dem Reichstag ein Kompromiss errungen, der den unterschiedlichen Gegebenheiten im Reich Rechnung trug. Zentral war die Zusage eines allgemeinen Friedens, d.h. die Zusicherung, dass niemand unter den lutherisch orientierten Ständen aus religiösen Gründen mit Krieg überzogen werden sollte. Das Kriterium, das zur Bestimmung diente, war dabei die Verwandtschaft mit der Augsburger Konfession: Ein Vierteljahrhundert nach ihrer Zurückweisung erhielt diese also reichsrechtliche Anerkennung und bildete zugleich künftig einen Schlüssel zur Festlegung, wer vom Frieden gewinnen dürfe und wer nicht. Die Abgrenzungsdebatten zwischen Lutheranern und Reformierten wie auch die internen Debatten der Lutheraner gewannen hierdurch auch eine reichsrechtliche Dimension.

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Augsburger Religionsfrieden aus: Der Augsburger Religionsfriede vom 25. September 1555, hg. v. Karl Brandi, Göttingen 21927, S. 35–39 Wir (…) Setzen demnach, ordnen, wöllen und gebieten, das hinfüro niemands, was Würden, Stands oder Wesen der sei, umb keinerlei Ursachen willen, wie die Namen haben möchten, auch in was gesuchtem Schein das geschehe, den anderen beveden, bekrigen, berauben, fahen, überziehen, belegern, auch darzu für sich selbs oder jemants andern von seinetwegen nit dienen (…), sonder ein jeder den andern mit rechter Freundschaft und Christlicher Lieb meinen (…), auch ein Stant den andern, bei diesen nachfolgenden Religions- auch gemeiner Constitution des ufgerichten Landfriedens alles Inhalts bleiben lassen sollen. Und damit sölcher Fried auch der spaltigen Religion halben (…) desto bestendiger (…) angestelt, aufgericht und erhalten werden möchte, so sollen die Kei. Mai., wir, auch Churfürsten, Fürsten und Stende des heil. Reichs keinen Stand des Reichs von wegen der Augspurgischen Confession und derselbigen Lehr, Religion und Glaubens halb mit der Tat gewaltiger Weiß uberziehen, beschedigen, vergewaltigen oder in andere Wege wider sein Conscienz, Gewissen und Willen von dieser Augspurgischen Confessions Religion, Glauben, Kirchengebreuchen, Ordnungen und Ceremonien, so sie aufgericht oder nochmals aufrichten möchten in iren Fürstentumben, Landen und Herschaften, tringen (…), sonder bei solcher Religion (…), auch iren Haabgütern (…) rüglich und friedlich bleiben lassen (…) Dargegen sollen die Stende, so der Augspürgischen Confession verwandt, die Röm. Kei. Maiestat, uns und Churfürsten, fürsten und andere des heil. Reichs Stende der alten Religion anhengig, Geistlich und Weltlich, (…) gleicher gestalt bei ihrer Religion (…), auch ihren Haabgüttern unbeschwerdt pleiben und sie derselbigen friedlich und rüglich gebrauchen, geniesen, unweigerlich folgen lassen. Doch sollen allen andere, so obgemelten bede Religionen nit anhängig, in diesem Frieden nit gemeint, sondern genzlich ausgeschlossen sein.

Cuius regio, eius religio

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Dieser Rechtsrahmen aber bedurfte der konkreten Füllung anhand der jeweiligen Gegebenheiten im Reich. Seine Implikation wurde offengelegt:

Der Augsburger Religionsfrieden dass jeder Landesherr befugt war, in seinem Territorium über die Religion zu entscheiden. Faktisch bedeutete dies die Freigabe für obrigkeitliche Reformation. Später hat der Jurist Joachim Stephani (1544–1623) diesen Grundsatz auf die einprägsame Formel cuius regio, eius religio gebracht. Für die Evangelischen wurde damit die durch die Visitationen der Zwanzigerjahre eingeleitete Entwicklung zum landesherrlichen Kirchenrecht rechtlich bestätigt, faktisch wurden Ansätze davon auch auf die katholischen Territorien übertragen, wenngleich für diese die traditionelle Diözesanordnung erhalten blieb. Bei zwei Arten von Reichsständen allerdings geriet die Regelung an ihre Grenzen: bei den geistlichen Fürstentümern und bei den Reichsstädten. Für Erstere legte der Frieden, belehrt durch die Kölner Ereignisse, im sogenannten geistlichen Vorbehalt fest, dass geistliche Fürsten, die sich der Reformation zuwandten, ihre Ämter verloren. Das einzige Zugeständnis, das die Evangelischen erreichen konnten, war, dass hier eine gewisse Ausnahme vom Territorialprinzip vorgenommen wurde: In einer eigenen Erklärung des Königs, der Declaratio Ferdinandea, wurde – freilich bindend nur für den gegenwärtigen Herrscher – den Rittern und Städten in geistlichen Territorien, die sich schon der Reformation zugewandt hatten, Schutz gewährt, hierbei zu bleiben. Dieser geistliche Vorbehalt war allerdings, wie die weiteren Ereignisse zeigen sollten, nicht immer durchsetzbar: Erzbischof Sigismund von Brandenburg (1552–1566) führte das Erzbistum Magdeburg sachte der Reformation zu. Sein Nachfolger Joachim Friedrich (1566–1598) nannte sich zwar, um den geistlichen Vorbehalt formal zu respektieren, nur noch Administrator, aber faktisch war das geistliche Territorium evangelisch geworden. Gleichwohl bildete der Vorbehalt insgesamt einen effizienten Riegel gegen das Vordringen der Reformation; spektakulär zeigte sich dies bei einem neuerlichen Versuch, das Erzstift Köln der Reformation zuzuführen, den Erzbischof Gebhard Truchsess von Waldburg (1577–1583) unternahm, um eine Ehe eingehen zu können. Das Domkapitel setzte ihm massiven Widerstand entgegen, und schließlich verlor er in kriegerischen Auseinandersetzungen sein Erzbistum – Köln wurde energisch rekatholisiert. Schließlich mussten noch die Verhältnisse in den Reichsstädten geregelt werden: Hier standen einander die Rechte des obersten Stadtherren, des Königs, und die faktische obrigkeitliche Stellung der Räte, die überwiegend die Reformation durchgeführt hatten, gegenüber. Ferdinand insistierte darauf, den Räten kein volles Reformationsrecht zu gewähren, wie es die Territorialherren erhielten, sondern beide Konfessionen zu erlauben. Faktisch wurde in der Folgezeit die Ausübung der jeweils anderen Konfession vielfach behindert. Aber in manchen Reichsstädten, allen voran Augsburg, wurde relativ weitgehend Bikonfessionalität praktiziert. Damit wurde infolge von Reformation und Augsburger Religionsfrieden mancherorts das Nebeneinander unterschiedlicher Konfessionen zu einer gelebten Realität mit allen alltagspraktischen Folgen wie etwa den unterschiedlichen Festkalendern, ja, seit Einführung des zunächst nur von den Katholiken akzeptierten Gregorianischen Kalenders 1582 sogar mit unterschiedlichen weltlichen Kalendern. Die religiöse Differenzerfahrung, die man in der Stadt auf verhältnismäßig kleinem Raum machen konnte, galt durch den Augsburger Religionsfrie-

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Geistliche Fürstentümer

Reichsstädte

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Gefährdung und Bewahrung der Reformation im Reich

VI.

den auch für das Reich insgesamt und war in manchen Regionen, in denen konfessionell unterschiedliche Territorien geografisch ineinanderlagen, auch alltäglich erfahrbar. Die Regelungen von Augsburg formten den konfessionellen Flickenteppich, der auf Jahrhunderte hinaus Deutschland prägen sollte und sich erst durch die Ermöglichung von Mobilität im 19. Jahrhundert und verstärkt durch die kriegsbedingten Migrationen im 20. Jahrhundert abmilderte. Für das 16. Jahrhundert bedeuteten die Entscheidungen letztlich, dass das Corpus christianum aufgelöst wurde: Das Reich beanspruchte nicht mehr, einen einheitlichen Leib Christi zu repräsentieren, sondern die Religionsfrage war zur Disposition auf Territorialebene gegeben. Von einem individuellen Recht auf Religionsfreiheit war dies noch weit entfernt, obwohl es zum Teil in den Debatten aufschien: Herzog Christoph von Württemberg (1550–1568) forderte eine Freigabe der Bindung an die Confessio Augustana auch für die Untertanen katholischer Obrigkeiten. Durchsetzbar war aber nur ein Auswanderungsrecht für diejenigen Untertanen, die dem Glauben ihrer Landesherren nicht folgen wollten. Das bestätigte mehr das Prinzip der konfessionellen Geschlossenheit, als es zu durchbrechen. Angesichts dieser Art der Lösung hat Bernd Moeller davon gesprochen, dass im Augsburger Religionsfrieden „die Liquidierung des Mittelalters“ mit „mittelalterliche[n] Mittel[n] (…) vorgenommen“ worden sei (Bernd Moeller, in: ders./Raymund Kottje [Hg.], Ökumenische Kirchengeschichte. Bd. 2, Mainz/München 1973, S. 360). Allerdings lässt sich dies beim jetzigen Stand der Forschung zum Mittelalter etwas differenzierter beschreiben. Die in Augsburg vollzogene Transformation des christlichen Römischen Reichs setzte eben bei jenem Gegenüber von zentralen und dezentralen Kräften ein, das im späten Mittelalter zu beobachten war. Das hieß, eben jene Tendenz zu dezentraler Kirchenleitung, die in Deutschland im 15. Jahrhundert nur auf Ebene der Territorien unterhalb der Reichsebene zu verwirklichen gewesen war, wurde verstärkt und in gewisser Weise bestätigt. Das geflügelte Wort vom Herzog von Kleve, der Papst im eigenen Territorium sei, gewann politische Konkretion und Kraft. Eben dieser gemeinsame Hintergrund erklärt auch, warum das landesherrliche Prinzip auch für die katholischen Territorien anwendbar war und hier auch intensiv genutzt wurde. Insbesondere mithilfe der Jesuiten wurde die Ausdehnung der Reformation zurückgedrängt. Das wichtigste Mittel hierfür waren gut ausgebildete Amtsträger des römisch-katholischen Glaubens, die den Gemeinden den von Trient geformten Glauben nahebrachten. Im Verlauf gut einer Generation wurde das Prinzip der Entsprechung zwischen dem Glauben der Untertanen und dem ihrer Herren durchgesetzt. Religiöse Normierung und staatliche Disziplinierung ging dabei vielfach Hand in Hand. Insofern bildete der Augsburger Religionsfrieden auch den rechtlichen Rahmen für den Übergang zur nächsten Stufe der frühneuzeitlichen Reichsgeschichte, der Phase der Konfessionalisierung.

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Konfessionalisierung Mit dem Begriff der „Konfessionalisierung“ wird, Anregungen von Heinz Schilling und Wolfgang Reinhard folgend, der Prozess beschrieben, in dem die konfessionell homogenen frühneuzeitlichen Staaten im Reich eine durchgehende

Der Augsburger Religionsfrieden

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Normierung ihrer Untertanen zur Stärkung der eigenen direkten und absolutistischen Herrschaft vornahmen. Die Prozesse verliefen dabei, obwohl sie jeweils unter Verweis auf unterschiedliche Konfessionen durchgeführt wurden, weitgehend parallel. Allerdings hat insbesondere die kirchenhistorische Forschung darauf hingewiesen, dass bei aller Parallelität der staatlich und zum Teil auch kirchlich gelenkten Vorgänge, die kulturellen Entwicklungen der Konfessionen unterschiedlich laufen und sich jeweils spezifische Konfessionskulturen herausbildeten (Tomas Kaufmann). Von der Konfessionalisierung zu unterscheiden ist die Konfessionsbildung, in deren Verlauf es zur Bestimmung der jeweils eigenen Identität kam. Als markante Orientierungspunkte der Entwicklung sind für den römischen Katholizismus das Konzil von Trient, für das Luthertum die Konkordienformel von 1577 und für den Calvinismus die Synode von Dordrecht vom 13. November 1618 bis 29. Mai 1619 zu nennen, auf der sich Vertreter aus unterschiedlichen Nationen auf eine gemeinsame Prädestinationslehre einigten.

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Ausblick Mit dem Augsburger Religionsfrieden war ein tiefer Einschnitt für die Geschichte des Deutschen Reichs vollzogen. Die Reformation hatte zu einer grundlegenden Änderung der Verfassung und des Selbstverständnisses geführt. Blickt man auf die vielfältigen Entwicklungen in England, Skandinavien oder anderen Regionen Europas, so erscheint die Reformation auch in dieser Perspektive als eine gewaltige Änderung der religiösen Landkarte, die sich, nicht nur anhand der Jahreszahl 1555, als Pluralisierung des Christentums beschreiben lässt. Hatte sich schon durch die Trennung von griechischer Orthodoxie und lateinischem Westen im Mittelalter eine Aufteilung in unterschiedliche Christentümer ergeben, so wurde nun auch der lateinische Westen in sich geteilt. Oft auf engstem Raum nebeneinander lebten Menschen, die sich selbst als Christinnen und Christen verstanden, den jeweils anderen aber als Häretiker oder Anhänger des Antichrist verurteilten. Die Veränderungen gingen weit über den genuin kirchlichen Bereich hinaus, umfassten grundlegend die Zuordnung von Religion und Staat, ja, auch darüber hinausgehende Rechtsfragen und hatten Auswirkungen auf Kultur und Mentalität. Die konfessionellen Kirchen prägten neue, geänderte Typen von Gesellschaft und Individualität. Man muss nicht von einer „Epoche“ reden, um die Bedeutung dieser Veränderungen herauszustreichen, und es ist auch nicht nötig, die Metapher eines „Bruchs“ zu bemühen, um die Neuigkeit der Reformation zu beschreiben. Diese ergibt sich ganz selbstverständlich aus den unterschiedlichen Weisen, auf die die spätmittelalterliche Kirche und Gesellschaft transformiert wurde. Was in der Kirche des 15. Jahrhunderts als spannungsvolles Mit-, In- und Gegeneinander unter dem Dach einer Kirche möglich war, kristallisierte sich im Verlauf der Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts in unterschiedliche institutionell verfasste Kirchen heraus, deren Anzahl zu bestimmen noch eine eigene Diskussion erfordern würde: Neben den drei Großkonfessionen des Luthertums, des Calvinismus und des römischen Katholizismus gab es einen eigenen Typus von Kirche in England, der sich aufgrund der eigenen kulturellen Bedingungen und des Zusammenhangs mit dem Königshaus ganz anders entwickelte als der Typus „Konfessionskirche“. Hinzu kommen die Entwicklungen an den Rändern der Reformation: Spiritualisten und Täufer, die auf den später sich entwickelnden Typus der Freikirche vorausweisen. Schon allein aufgrund dieser Vielfalt wäre es unzureichend, die sich vollziehenden Transformationen so zu beschreiben, als wäre jeweils eine Seite der spätmittelalterlichen Polaritäten in einer neuzeitlichen Konfession aufgegangen. Zwar ist es offenkundig, dass auf je unterschiedliche Weisen die Anfänge der reformatorischen Bewegung in Wittenberg und in der Schweiz ihren Ausgang von der Spannung zwischen innerlicher und äußerlicher Religiosität nahmen und der reformatorische Impuls eben aus der Richtung der Innerlichkeit kam. Aber die reformatorischen Kirchen blieben keineswegs auf diese Betonung der Innerlichkeit festgelegt, ja, es gab einen gewissen not-

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Ausblick wendigen Druck, auch die Momente äußerer Kirchlichkeit wieder zu stärken. Insbesondere Luther sah in Auseinandersetzung mit den von ihm als „Schwärmer“ titulierten Gegnern die Notwendigkeit, auf das äußere Wort der Schrift zu verweisen, zunehmend gewann auch die äußere Kirchengestalt an Gewicht, und im Laufe des 16. Jahrhunderts entwickelten sich im lutherischen Bereich Kirchenordnungen, die das Verhalten der Gläubigen – etwa ihren Gottesdienstbesuch – regulierten. Im Einflussbereich Zürichs und Genfs traten schon früh die eigenen Ehegerichte auf, und das Vorgehen hinsichtlich der Kirchenzucht in Genf ist geradezu legendär. Umgekehrt waren auch im römischen Katholizismus keineswegs alle innerlichen Impulse verstummt. Mit Teresa von Avila (1515–1582) und Johannes vom Kreuz (1542–1591) entwickelten sich noch im 16. Jahrhundert neue Ströme intensiver Mystik. Insofern wird man wohl im Ergebnis sagen können, dass jene Spannung, von der die reformatorische Bewegung ausging, sich nicht gänzlich ins Institutionelle auflöste, sondern eher innerhalb der neuen Institutionen neu gruppierte. Etwas anders liegt es mit der Spannung zwischen Klerus und Laien. Auch wenn man im Protestantismus insbesondere auf dem Land durch die Ausbildung des Pfarrerstandes eine gewisse Reklerikalisierung beobachten kann, war die rechtliche und theologische Abhebung der Geistlichen von den Gemeinden doch flacher geworden. Umgekehrt haben gerade die katholische Reform durch Trient und die weiteren Entwicklungen eine enorme Fixierung auf den Klerikerstand gebracht, die diesen noch stärker in den Mittelpunkt rückte, als dies im Mittelalter der Fall gewesen war. Am deutlichsten aber blieb der Unterschied hinsichtlich der Zentralität oder Dezentralität von Kirche erhalten. Durch Trient wurde in der römischkatholischen Kirche ein zentrales Modell von Kirche etabliert, das den Sieg des Papsttums über den Konziliarismus, der sich im ausgehenden 15. Jahrhundert vollzogen hatte, für die Moderne fortschrieb. Die evangelischen Kirchen hingegen haben auf unterschiedliche Weisen den Weg dezentraler Organisation beschritten und damit die entsprechenden Entwicklungen des 16. Jahrhunderts fortgeschrieben. Von früh an hatte sich die je spezifische Transformation dieser Gesichtspunkte als Unterscheidungslinie zwischen den entstehenden kirchlichen Fronten herausgestellt – am Ende war sie es auch, an der die Differenz der Konfessionen am deutlichsten erkennbar war.

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Literaturhinweise Quellensammlungen Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung. Bd. 3: Reformationszeit 1495–1555, hg. v. Ulrich Köpf, Stuttgart 2001. Sammlung für ein konzentriert auf die Einbindung in die deutsche Reichsgeschichte ausgerichtetes Quellenstudium. Reformation. Ausgewählt und kommentiert von Volker Leppin, Neukirchen-Vluyn 2005 (Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen 3). Dieser Band, im vorliegenden Buch zitiert als KThGQ, gibt die Möglichkeit, sich quellennah mit den Gedanken und Ereignissen der Reformation zu befassen.

Überblicksliteratur und Nachschlagewerke Thomas A. Brady, German Histories in the Age of Reformations, 1400–1650, Cambridge: University Press 2009. Das Buch bietet eine Einordnung in längerfristige Zusammenhänge. Schon im Titel verwendet es bewusst den Plural. Die besondere Stärke von Bradys Ansatzes liegt darin, dass er die reformatorischen Veränderungen in eine vom späten Mittelalter herrührende Entwicklungsgeschichte einordnet. Damit bietet es eine kritisch-distanzierte Sicht der Reformation, ohne in Einseitigkeiten zu geraten. Brad S. Gregory, The Unintended Reformation. How a religious revolution secularized society, Cambridge/Mass. 2012. Gregorys provokante, engagierte Studie stellt die Reformation vorwiegend als Wurzel von Säkularisierung, Pluralisierung und Fragmentierung der modernen Gesellschaft dar. Der Versuch, den Bogen zu Problemen der Gegenwart zu schlagen, führt dabei zu einer nicht immer ausgewogenen Sicht auf die historischen Phänomene. Scott H. Hendrix, Recultivating the Vineyard. The Reformation Agendas of Christianization, Louisville/ London 2004. Das Buch steht dafür, dass die Lösung von der klassischen deutschen Sicht, welche die Reformation immer wieder als Vorgeschichte einer, in der Regel der lutherischen Konfession gedeutet hat, auch in theologischer Sicht notwendig ist. Hendrix stellt die unterschiedlichen konfessionellen Entwicklungen des 16. Jahrhunderts als je unterschiedliche Versuche dar, christliches Bewusstsein und christliche Gesinnung neu zu beleben.

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Hans J. Hillerbrand, The Division of Christendom. Christianity in the sixteenth century, Louisville u.a. 2007. Für diese ausführliche, hochgelehrte Darstellung gilt Ähnliches wie für Hendrix. Hillerbrand bietet eine Darstellung der Reformation in einem breiten internationalen Horizont. Thomas Kaufmann, Geschichte der Reformation, Frankfurt 22010. Das Buch repräsentiert in beeindruckender Weise die in den siebziger Jahren formierte Sicht deutscher reformationshistorischer Forschung. Es schildert plastisch vor allem die kommunikativen Aspekte der Reformation. Die neueren Tendenzen, wieder die Bedeutung der obrigkeitlichen Vorgänge zu würdigen, kommen dabei nicht zum Tragen. Auch wer Reformation in ihren internationalen und über das Luthertum hinausgehenden Dimensionen wahrnehmen will, kommt in diesem Buch trotz seiner großen Ausführlichkeit (fast tausend Seiten) nicht auf seine Kosten. Volker Leppin, Das Zeitalter der Reformation. Eine Welt im Übergang, Darmstadt 2009. Hierin finden sich reichlich bildliches Material sowie weitere inhaltliche Ausführungen. Diarmaid MacCulloch, Die Reformation 1490– 1700, München 2010 (= ebd. 2008). Dieses sehr ausführliche Werk schildert in einem innovativen Ansatz, welcher die Internationalität sogar zum Angelpunkt der Darstellung macht, wie die Reformation als eine umfassende Bewegung die gesamte Landkarte Europas neu formte. Dabei ist es stark von einem gesellschaftlich orientierten Begriff der Reformation bestimmt, theologische Momente treten eher zurück. Olaf Mörke, Die Reformation. Voraussetzungen und Durchsetzung, München 22011. Besonders nützlich ist in diesem Werk die Darstellung der Forschungstendenzen im zweiten Teil des Buches, die gründlich und durchweg mit fairem Blick für unterschiedliche Interessen erfolgt. The Oxford Encyclopedia of the Reformation. 4 Bde., hg. v. Hans Hillerbrand u.a., New York/Oxford 1996. Mit dieser Enzyklopädie steht ein umfassendes Nachschlagewerk auf hohem Niveau zur Verfügung. Ulinka Rublack, Die Reformation in Europa, Frankfurt/M. 2003. Dieses höchst lesenswerte Buch bietet einen interessanten kulturgeschichtlichen Ansatz. Rublack stellt die Reformation als ein Angebot auf dem kommunikativen Markt der frühen

Literaturhinweise Neuzeit dar, das sich nicht zuletzt durch seine erfolgreichen Selbstdarstellungsstrategien durchsetzen konnte. Anton Schindling/Walter Ziegler (Hg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und der Konfessionalisierung. 7 Bde., Münster 1989– 1997. In diesen Sammelbänden werden die Ereignisse in den unterschiedlichen Territorien gründlich und zuverlässig geschildert – ein nahezu unverzichtbares Kompendium! Georg Schmidt, Geschichte des Alten Reiches. Staat und Nation in der Frühen Neuzeit 1495–1806, München 1999. Schmidt stellt in seinem spannend geschriebenen Buch die Ereignisse der Reformation als Teil der Geschichte des komplexen Gefüges des Reiches dar. Gottfried Seebaß, Geschichte des Christentums III: Spätmittelalter – Reformation – Konfessionalisierung, Stuttgart u.a. 2006. Seebaß stellt kenntnisreich die reformatorischen Entwicklungen im Reich und in ganz Europa dar und berücksichtigt dabei ausgewogen theologische, soziale und politische Aspekte.

1. Die Transformation spätmittelalterlicher Frömmigkeit und Theologie Martin Brecht, Martin Luther. 3 Bände, Stuttgart 1981–1987. Dieses dreibändige voluminöse Werk bleibt nach wie vor die Standardbiografie Luthers. Albrecht Beutel (Hg.), Luther-Handbuch, Tübingen 2 2010. Für den deutschen Sprachraum ist dieses Handbuch, stärker systematisch gegliedert, ebenfalls zum Standardwerk geworden. Berndt Hamm, Der frühe Luther. Etappen reformatorischer Neuorientierung, Tübingen 2010. Die Sammlung von Aufsätzen ist das derzeit beste Buch zur Thematik, in dem Luthers Verhältnis zum Mittelalter ausgesprochen differenziert gewürdigt wird. Hans-Jürgen Goertz, Antiklerikalismus und Reformation, Göttingen 1995. Helmar Junghans, Der junge Luther und die Humanisten, Göttingen 1985. Thomas Kaufmann, Der Anfang der Reformation, Tübingen 2012. Dieser Band vertritt eindrucksvoll die traditionelle Sicht, nach der Luther stark vom Mittelalter abzuheben sei. Jens-Martin Kruse, Universitätstheologie und Kirchenreform. Die Anfänge der Reformation in Wittenberg 1516–1522, Mainz 2002. Kruse hat in diesem grundlegenden Werk gezeigt, dass gleichwohl die Anfänge der Reformation bei aller Bedeutung Martin Luthers nicht allein an einer Person hingen,

sondern an der Zusammenarbeit einer ganzen Gruppe. Volker Leppin, Martin Luther, Darmstadt 22012. In dieser Biografie stehen in besonderer Weise Luthers spätmittelalterliche Wurzeln im Vordergrund. Heiko A. Oberman, Werden und Wertung der Reformation, Tübingen 21979. DAS grundlegende Werk für alle Versuche, Luthers Verhältnis zum späten Mittelalter näher zu bestimmten. 2. Ausbreitung, „Wildwuchs“ und Umgestaltung: Städtische Reformation Peter Blickle, Kommunalismus. Skizzen einer gesellschaftlichen Organisationsform, München 2000. Blickle entfaltet mit der Theorie des Kommunialismus einen durchgängigen theoretischen Ansatz, der die reformatorischen Bestrebungen auch als Ausdruck und Bestätigung städtischer Identifikationsprozesse verstehen lässt. Miriam Usher Chrisman, Lay Culture, Learned Culture. Books and Social Change in Strasbourg 1480–1599, New Haven/London 1982. Berndt Hamm, Bürgertum und Glaube. Konturen der städtischen Reformation, Göttingen 1996. Ein kultur- und mentalitätsgeschichtlich breit angelegter Ansatz, der sich auf Nürnberg konzentriert. Natalie Krentz, Ritualwandel und Deutungshoheit. Die frühe Reformation in der Residenzstadt Wittenberg, Diss. Erlangen 2012. Diese Dissertation hat jüngst neue Perspektiven entfaltet. Sie vermag die reformatorische Bewegung auch in Wittenberg ganz in die städtische Entwicklung einzuordnen und zeigt so die Verankerung der reformatorischen Auseinandersetzungen in einer länger dauernden Konfliktgeschichte auf. Hans-Jörg Künast, „Getruckt zu Augspurg“. Buchdruck und Buchhandel in Augsburg zwischen 1468 und 1555, Tübingen 1997. Gudrun Litz, Die reformatorische Bilderfrage in den schwäbischen Reichsstädten, Tübingen 2007. Eine gründliche Studie, die erstmals umfassend erkennen lässt, wie differenziert der Umgang mit den Bildern in Reichsstädten tatsächlich war. Gottfried W. Locher, Die Zwinglische Reformation im Rahmen der europäischen Kirchengeschichte, Göttingen 1979. Das grundlegende Standardwerk zu Zwingli und der Zürcher Reformation. Sergiusz Michalski, Das Phänomen Bildersturm. Versuch einer Übersicht, in: Robert W. Scribner (Hg.), Bilder und Bildersturm im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, Wiesbaden 1990, S. 69–124. Der wichtige Aufsatz bietet eine Differenzierung der vielschichtigen Phänomene im Umgang mit Bildern.

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Literaturhinweise Bernd Moeller, Reichsstadt und Reformation. Neuausgabe, Tübingen 2012. Die mehrfach neu aufgelegte Studie hat im Jahr 1962 die Perspektive auf die Erforschung städtischer Reformation eröffnet. Bernd Moeller, Die Reformation und das Mittelalter. Kirchenhistorische Aufsätze, Göttingen 1991. Bernd Moeller, Luther-Rezeption. Kirchenhistorische Aufsätze zur Reformationsgeschichte, Göttingen 2001. Beide Aufsatzbände bieten wichtige ergänzende Studien zu dem Grundlagenwerk „Reichsstadt und Reformation“. Werner O. Packull, Mysticism and the Early South German-Austrian Anabaptist Movement 1525– 1531, Scottsdale 1991. Gottfried Seebaß, Müntzers Erbe. Werk, Leben und Theologie des Hans Hut, Gütersloh 2002. Gottfried Seebaß, Die Reformation und ihre Außenseiter. Gesammelte Aufsätze und Vorträge, hg. v. Irene Dingel, Göttingen 1997. James M. Stayer, Anabaptists and the Sword, Göttingen 1997. Die Studien von Packull, Seebaß und Stayer haben eine neue Perspektive auf die devianten Erscheinungen eröffnet – die sogenannte revisionistische Täuferforschung: Gegenüber der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfolgten Rückbesinnung auf die positive, friedensorientierte Tradition des Täufertums haben sie auf die Vielfalt der Entstehung des Täufertums hingewiesen und sich so von der einseitigen Bestimmung des Täuferbildes durch die Zürcher Täufer gelöst. Andrea Strübind, Eifriger als Zwingli. Die frühe Täuferbewegung in der Schweiz, Berlin 2003. Strübind bemängelt ihrerseits insbesondere ein Zurücktreten der religiös-theologischen Momente in der revisionistischen Täuferdeutung und hat diese in ihrer Untersuchung der Zürcher Täufer neu hervorgehoben.

3. Reich und Reformation Peter Blickle, Die Revolution von 1525, München 4 2004. Peter Blickle, Der Bauernkrieg. Die Revolution des Gemeinen Mannes, München 22002. Die Bauernkriegsforschung wird derzeit stark durch die zahlreichen Studien von Peter Blickle bestimmt. Das erstgenannte Buch bietet eine ausführlichere, das zweite eine knappere Zusammenfassung seiner Gesamtsicht. Martin Brecht / Hermann Ehmer, Südwestdeutsche Reformationsgeschichte. Zur Einführung der Reformation im Herzogtum Württemberg 1534, Stuttgart 1984.

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Enno Bünz/Stefan Rhein/Günther Wartenberg (Hg.), Glaube und Macht. Theologie, Politik und Kunst im Jahrhundert der Reformation, Leipzig 2005. In diesem Werk geht es im Wesentlichen um die Reformation in Sachsen. Leif Grane, Die Confessio Augustana, Göttingen 5 1996. Das kleine Büchlein bietet eine knappe theologische Einführung in die Confessio Augustana und ihre Grundgedanken. Gabriele Haug-Moritz, Der Schmalkaldische Bund 1530–1541/42. Eine Studie zu den genossenschaftlichen Strukturelementen der politischen Ordnung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, Leinfelden-Echterdingen 2002. Durch diese Studie ist inzwischen auch Struktur und Geschichte des Schmalkaldischen Bundes auf denkbar breiter Quellengrundlage erschlossen. Helmar Junghans (Hg.), Das Jahrhundert der Reformation in Sachsen, Leipzig 22005. Walther Köhler, Zwingli und Luther. Ihr Streit über das Abendmahl nach seinen politischen und religiösen Beziehungen. 2 Bde., Leipzig 1924. Gütersloh 1953. In theologiegeschichtlicher Hinsicht ist diese Darstellung des Abendmahlsstreits nach wie vor unerreicht. Armin Kohnle, Reichstag und Reformation. Kaiserliche und ständische Religionspolitik von den Anfängen der Causa Lutheri bis zum Nürnberger Religionsfrieden, Gütersloh 2001. Kohnles Arbeit hat die reichspolitischen Aspekte der Reformation umfassend aufgearbeitet. Minutiös und mit bedachten Urteilen wird man hier über die einzelnen Etappen der Entwicklung informiert. Volker Leppin/Georg Schmidt/Sabine Wefers (Hg.), Johann Friedrich I. – der lutherische Kurfürst, Gütersloh 2006. Hubertus Lutterbach, Der Weg in das Täuferreich von Münster. Ein Ringen um die heilige Stadt, Münster 2006. Horst Rabe (Hg.), Karl V. Politik und politisches System. Berichte und Studien aus der Arbeit an der politischen Korrespondenz des Kaisers, Konstanz 1996. Eine ausführliche Würdigung der kaiserlichen Politik. Gury Schneider-Ludorff, Der fürstliche Reformator. Theologische Aspekte im Wirken Philipps von Hessen von der Homberger Synode bis zum Interim, Leipzig 2006. Luise Schorn-Schütte, Karl V. Kaiser zwischen Mittelalter und Neuzeit, München 32006. Christoph Volkmar, Reform statt Reformation. Die Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen 1488– 1525, Tübingen 2008. Eine interessante Würdigung eines beharrlich den alten Glauben verteidigenden Landesherren.

Literaturhinweise 4. Europäische Ausdehnung der Reformation Matthias Asche u.a. (Hg.), Dänemark, Norwegen und Schweden im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung, Münster 2003. Das Buch behandelt im Stile der oben angeführten Sammelbände für das Reich von Schindling und Ziegler die einzelnen Territorien. Arthur G. Dickens, The English Reformation, London 3 1989. Das klassische Grundlagenwerk zur englischen Reformation. Bruce Gordon, Calvin, New Haven/London 2009. Diese umfassende Darstellung ist auf dem Weg, zur internationalen Standardbiografie Calvins zu werden. Christopher Haigh, English Reformations, Oxford 1993. Gegenüber der traditionellen, in sich sehr geschlossenen Erzählung der englischen Reformation, wie sie sich etwa bei Dickens findet, versucht dieser neuere Ansatz stärker die Brüche und Zufälligkeiten herauszuarbeiten. James L. Larson, Reforming the North. The Kingdoms and Churches of Scandinavia 1520–1545, Cambridge 2010. Volker Leppin/Ulrich A. Wien (Hg.), Konfessionsbildung und Konfessionskultur in Siebenbürgen in der Frühen Neuzeit, Wiesbaden 2005. Robert Lutton/Elisabeth Salter (Hg.): Pieties in Transition. Religious Practices and Experiences, c. 1400–1640, Aldershot 2007. Die Abläufe in England werden hier in den spätmittelalterlichen Horrizont eingeordnet, so dass längerfristige Entwicklungen berücksichtigt werden können. William G. Naphy, Calvin and the Consolidation of the Genevan Refomation, Manchester/New York 1994. Dieses Werk hat wichtige Grundlagen für ein modernes Calvin-Bild gelegt, indem es die enge Beziehung zwischendessen Wirken und den gesellschaftlichen Verhältnissen in Genf herausgearbeitet hat. Martin Schwarz Lausten, Die Reformation in Dänemark, Gütersloh 2008. Das zentrale Werk zur dänischen Reformationsgeschichte. Christoph Strohm, Johannes Calvin. Leben und Werk des Reformators, München 2009. Eine schlanke, aber intensive Darstellung Calvins. Dorothea Wendebourg (Hg.), Sister Reformations. The Reformation in Germany and in England, Tübingen 2010. Mit diesem Band wird eine komparatistische Perspektive auf England eröffnet.

5. Päpste und Reformation Florence Alazard/Frank La Brasca (Hg.), La papauté à la Renaissance, Paris 2007. Nachdem das Renais-

sancepapsttum lange Zeit nur unter moralischen Gesichtspunkten betrachtet wurde, bietet dieser Sammelband eine ausführliche Würdigung unter moderner historiografischer Perspektive. Remigius Bäumer, (Hg.), Concilium Tridentinum, Darmstadt 1979. Helmut Feld, Ignatius von Loyola. Gründer des Jesuitenordens, Köln u.a. 2006. Hubert Jedin, Geschichte des Konzils von Trient. 4 Bde., Freiburg/Breisgau 31978. Grundlegend für alle Studien zum Konzil von Trient. Gottfried Maron, Ignatius von Loyola. Mystik, Theologie, Kirche, Göttingen 2001. Der Versuch eines evangelischen Kirchenhistorikers, sich dem ordensgründer der Jesuiten anzunähern. John O’Malley, Die ersten Jesuiten, Würzburg 1995.

6. Gefährdung und Bewahrung der Reformation im Reich Irene Dingel/Günther Wartenberg (Hg.), Politik und Bekenntnis. Die Reaktionen auf das Interim von 1548, Leipzig 2006. Sammelband zu den vielfältigen Auswirkungen des Interims auf moderner Grundlage. Axel Gotthard, Der Augsburger Religionsfrieden, Münster 2004. Die umfassendste und ausgewogenste Darstellung zum Thema. Wibke Janssen, „Wir sind zum wechselseitigen Gespräch geboren“. Philipp Melanchthon und die Reichsreligionsgespräche von 1540/41, Göttingen 2009. Eine theologisch intensive Untersuchung von Melanchthons Ausgleichsbemühungen Thomas Kaufmann, Das Ende der Reformation. Magdeburgs „Herrgotts Kanzlei“ (1548–1551/2), Tübingen 2003. Die Auseinandersetzungen um das Interim werden hier als „Ende der Reformation“ und damit als Übergang in die Konfessionalisierungszeit gedeutet. Die Studie bietet eine umfassende Betrachtung der publizistischen Aktivitäten in Magdeburg. Athina Lexutt, Rechtfertigung im Gespräch. Das Rechtfertigungsverständnis in den Religionsgesprächen von Hagenau, Worms und Regensburg 1540/41, Göttingen 1996. Eine Studie zum zentralen theologischen Thema der konfessionellen Auseinandersetzungen im Zusammenhang der Reichsreligionsgespräche. Gerhard Müller (Hg.), Die Religionsgespräche der Reformationszeit, Gütersloh 1980. Anja Moritz, Interim und Apokalypse. Die religiösen Vereinheitlichungsversuche Karls V. im Spiegel der magdeburgischen Publizistik 1548–1551/52, Tübingen 2009. Die Studie arbeitet die apokalypti-

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Literaturhinweise sche Zuspitzung der Magdeburger Publizistik in eindrücklicher Quellenlektüre heraus. Luise Schorn-Schütte (Hg.), Das Interim 1548/50. Herrschaftskrise und Glaubenskonflikt, Gütersloh 2004.

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Günther Wartenberg, Wittenberger Reformation und territoriale Politik. Gesammelte Aufsätze, Leipzig 2003. Dieser Band enthält verschiedene Beiträge zu der von G. Wartenberg vorangebrachten Neubewertung der albertinischen Interimspolitik.

Personenregister Adolf von Schauenburg 112 Agricola, Johann 115 Agricola, Mikael 82 Alber, Erasmus 117 Alber, Matthäus 40, 41 Aleander, Hieronymus 50 Ameaux, Pierre 88 Andreae, Jakob 116 Andreae, Laurentius 80f. Anhalt, Fürst von – Georg 77, 114, 116 – Wolfgang 69f. Aquila, Kaspar 66 Argula von Grumbach 31 Aristoteles 15, 18 Augustin 11, 15f., 21, 89 Bader, Augustin 59 Benno, Hl. 76 Bernhardi, Bartholomäus, 15, 58 Beza, Theodor 87, 89f. Biandratas, Georg 95 Biel, Gabriel 16 Billikan, Theodor 43 Blarer, Ambrosius 39f., 42, 76 Blarer, Thomas 39f., 42 Boccaccio, Giovanni 5 Boleyn, Anne 92–94 Borromeo, Carlo 107 Brandenburg, Kurfürst von – Joachim II. 50, 76 – Joachim Friedrich 121 Brandenburg, Markgraf von – Albrecht Erzbischof von Magdeburg und Mainz, Kardinal, Kurfürst von Mainz 11f., 21, 58, 66 – Sigismund Erzbischof von Magdeburg 121 Brandenburg-Ansbach, Markgraf von – Georg 69f. Brant, Sebastian 31 Braunschweig-Grubenhagen, Herzog von – Philipp 72f. Braunschweig-Lüneburg, Herzog von – Ernst I. 69f. – Franz 70 Braunschweig-Wolfenbüttel, Herzog von – Heinrich 108, 113f. Brenz, Johannes 19, 39f., 43, 105, 109 Briçonnet, Guillaume 83 Bucer, Martin 19, 39, 54, 67f., 71–73, 87, 93, 109–112, 116

Buchführer, Michael 45 Bugenhagen, Johannes 78–80, 113, 116 Bullinger, Heinich 72, 89 Cajetan von Tiene / Gaetano di Tiene 99 Calvin, Johannes 78, 84–91 Campeggio, Lorenzo 99 Capito, Wolfgang 39, 71 Carafa, Gian Pietro 99, 101 Castellio, Sebastian 88 Colonna, Vittoria 82, 100 Contarini, Gasparo 100, 110 Cop, Nikolaus 85 Cranach, Lukas 29, 65, 77 Cranmer, Thomas 92–94 Cromwell, Thomas 92f. Christoph von Carlowitz 117 Christine von Sachsen 111 Cochlaeus, Johannes 109 Cruciger, Caspar 109, 116 Cajetan, Thomas 19, 23, 52 Dänemark, König von – Christian II. 78 – Christian III. 78–80 – Friedrich I. 79 Denk, Hans 59, 68 Deutsch, Niklaus Manuel 69 Duns Scotus 13, 16 Dürer, Albrecht 39 Eck, Johannes 16, 20f., 24, 69, 72, 107, 109 Eckart (Meister) 8 Edlibach, Gerold 43 Elisabeth von Thüringen 67 England, König von – Edward VI. 93f. – Elisabeth I. 94 – Heinrich VIII. 92, 94, 100 – Maria I. Tudor 94, 101 Erasmus von Rotterdam 14, 58 Fabri, Johannes 33, 109 Farel, Guillaume 83, 85, 87 Farnese, Pier Luigi 99 Flacius, Matthias 117f. Franck, Sebastian 60 Frankreich, König von

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Personenregister – Franz I. 24, 51, 83–85, 98f., 104 – Franz II. 90 – Heinrich II. 84, 90 – Heinrich IV., von Navarra 90 – Karl IX. 90 Franz Lambert von Avignon 33, 66 Franz von Assisi 6 Franz von Sickingen 50, 54 Franz von Waldeck 74 Franz Xaver 103 Frecht, Martin 40, 109 Froschauer, Christoph 32 Fugger, Jakob 11 Gallus, Nikolaus 117 Giulia Gonzaga 82 Glitzsch, Konrad 44 Grebel, Konrad 47 Gropper, Johann 110, 112 Haller, Berchtold 69 Hans von Küstrin 119 Hausmann, Nikolaus 63 Helding, Michael 115 Hertel / Davidis, Franz 95 Hessen, Landgraf von – Philipp der Großmütige 62, 66–71, 73–75, 108–111, 113f., 119 – Wilhelm 119 Hermann V. von Wied 108, 112 Hobbes, Thomas 28 Hoen, Cornelius 40 Hoffmann, Konrad 33 Hoffmann, Melichior 59, 74 Honter, Johannes 95 Hubmaier, Balthasar 48 Hus, Jan 3, 20, 94 Hut, Hans 59 Ignatius von Loyola 102f. Jan Beukelsz van Leiden 74 Jan van Essen 91 Johann von der Ecken 52f. Johann von Staupitz 9–11, 39 Johannes a Lasco / Laski 91, 93f. Johannes Eberlin von Günzburg 31 Johannes Gensfleisch von Gutenberg 7 Johannes vom Kreuz 125 Jonas, Justus 76 Joris, David 74 Juan de Torquemada 3 Juan de Valdés 82 Jülich-Kleve-Berg, Herzog von – Wilhelm V. 111f.

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Kaiser – Maximilian I. 22f., 50–52 – Karl V. 22, 24, 50–53, 84, 88, 92, 97f., 104, 111, 113, 119 Ferdinand I. 51, 68, 75, 109, 119–121 Karl von Miltitz 23 Kaspar Schwenckfeld von Ossig 60 Katharina von Aragon 92, 94 Katharina von Bora 58 Katharina von Medici 90 Kettenbach, Heinrich 39 Kluge, Joseph 65 Knox, John 90, 94 Karlstadt, Andreas Bodenstein von 16, 20, 25, 36–38, 40, 44f., 47, 57–59, 61f., 78, 85 Lang, Matthäus 15 Lelio 83 Linck, Wenzeslaus 20, 39 Lotter, Melichior 35 Luther – Katharina 58 – Martin 1, 4, 8–31, 34–36, 38–41, 44f., 47f., 50, 52–54, 56–58, 60–67, 69f., 72–74, 80, 83, 85, 89, 92, 94f., 97, 100f., 106f., 108–110, 113–115, 117–119 Magnus, Johannes 80f. Major, Georg 116, 118 Mantz, Felix 48 Margarethe von der Saale 111 Marguerite d’AngoulÞme 83 Maria Stuart 90 Maria von Guise 90 Matthijs, Jan 74 Mazzolini, Silvester 21, 107 Melanchthon, Philipp 12, 19f., 29, 35, 37f., 43, 58, 63, 65, 67, 70, 72–74, 86, 91, 94f., 105, 109f., 112, 115–118 Meniu, Justus 109 Merici, Angela 101 Morone, Giovanni 109 Morus, Thomas 92f. Müntzer, Thomas 25, 44–47, 57, 59, 65 Murner, Thomas 31 Myconius, Friedrich 109 Nausa, Friedrich 109 Nicolaus de Tudeschis 22 Nicolaus Perrenot de Granvella 110 Nikolaus von Amsdorff 77, 109f., 116f. Ochino, Bernardino 82, 93, 101 Oekolampad, Johannes 40, 54, 69, 72 Österreich, Herzog von

Personenregister – Rudolf IV. 4 Olevian, Caspar 91 Osiander, Andreas 39f., 92, 109, 118 Osmanisches Reich, Sultan – Osman I. 68 Paleotti, Gabriel 106 Palladius, Petrus 80 Panormitanus siehe Nicolaus de Tudeschis Päpste – Bonifaz VIII. 1 – Clemens V. 2 – Clemens VII. 51, 96–99, 101 – Eugen IV. 3 – Gregor VII. 1 – Hadrian VI. 96f. – Johannes Paul II. 97 – Johannes XXII. 2 – Julius II. 96 – Julius III. 96, 104 – Leo X. 96–98 – Martin V. 2 – Nikolaus V. 3 – Paul III. 96, 99–102, 104f. – Paul IV. 96, 99 – Pius IV. 96f., 105, 107 – Pius V. 107 – Sixtus II. 6 – Urban VI. 2 Pelagius 16 Pellikan, Konrad 69 Perrin, Ami 88 Petri, Laurentius 81 Petri, Olaus 80f. Pfalz, Kurfürst von – Friedrich II. 113 – Friedrich III., der Fromme 91 – Ottheinrich 113 Pfeffinger, Johann 116, 118 Pfeiffer, Heinrich 47 Pflug, Julius 110, 115, 117 Pierre de Baume 85 Pippin der Jüngere 98 Pirckheimer – Charitas 43 – Willibald 39, 42 Platon 18 Pole, Reginald 100, 105 Preußen, Herzöge von – Albrecht von Brandenburg 61 Prierias siehe Mazzolini, Silvester Reinhard, Martin 78 Reinhart, Anna 58 Reinhart, Martin 45

Richard von Greifenklau 54 Rinck, Melchior 68 Rörer, Georg 12, 64 Sachs, Hans 31 Sachsen, Albertiner (bis 1547 Herzöge, dann Kurfürsten) – Georg der Bärtige 20, 76 – Heinrich der Fromme 76 – Moritz 113f., 116f., 119 Sachsen, Ernestiner (bis 1547 Kurfürsten, dann Herzöge) – Friedrich der Weise 20, 23, 35, 38, 45, 50, 53, 61 – Johann der Beständige 45f., 61–63, 70 – Johann Friedrich 50, 61, 70, 109, 113f., 117–119 Sadoleto, Jacopo 100 Sam, Konrad 39, 40 Samson, Bernardino 14 Sattler, Michael 48 Scheurl, Christoph 39 Schnepf, Erhard 19, 76, 109, 116 Schulz, Hieronymus 12 Schütz-Zell, Katharina 32 Schweden, König von – Gustav I. Eriksson Vasa 80f. Seehofer, Arsacius 32 Servet, Michael 78, 83, 88f. Seymour, Jane 93, 94 Simons, Menno 74 Skytte, Martin 82 Sozzi, Fausto 83 Spalatin, Georg 23 Spengler, Lazarus 42 Stapulensis, Faber 83f. Stephani, Joachim 121 Strauß, Jakob 62 Stücklin, Konrad 43 Sturm, Johann 100 Tauler, Johannes 8, 11, 60 Teresa von Avila 125 Tesch, Peter 68 Tetzel, Johannes 11 Trolle, Gustav 80 Truchsess von Waldburg – Gebhard 121 – Georg III. 57 Ulrich von Hutten 26, 54 Ungarn-Böhmen, König von – Ludwig II. 68 Ursinus, Zacharias 91 Ursula, Hl. 101f.

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Personenregister Vermigli Petrus Martyr 83, 93 Villinger, Ulrich 40 Voes, Hendrik 91 Vögeli, Jörg 42 Westphal, Joachim 89 Wolsey, Thomas 92f. Württemberg, Herzog von – Christoph 122 – Ulrich 75f.

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Zell, Matthäus 32, 39 Zerbold von Zutphen 7 Zwick, Johannes 39, 42 Zwick, Konrad 39, 42 Zwilling, Gabriel 36, 38 Zwingli, Huldrych 1, 8, 12–14, 22, 32f., 39–41, 47f., 58, 60, 67, 69–72, 85, 89

Ortsregister Akko 61 Allstedt 46, 65 Altenburg 23 Amboise 84 Augsburg 1, 11, 19, 23, 30, 50–52, 59, 70–72, 99, 108, 114, 115, 117, 120–122, 124 Avignon 2 Baden (Aargau) 69 Basel 2f., 22, 31, 40, 60, 69, 89, 118 Bergen 80 Bern 69, 85, 89 Biberach 73 Bologna 4 Bonn 112 Bourges 3, 85 Braunschweig 79, 113 Bremen 73 Cambrai 51 Canterbury 93, 101 Coburg 71 Cölln 77 Crépy 104 Dordrecht 123 Ebernburg 54 Eilenburg 38 Eisenach 109 Erfurt 8, 16, 19, 45, 52 Esslingen 40, 60 Ferrara 3, 18 Florenz 3, 18 Frankenhausen 57–59 Frankfurt/M. 34, 54, 108 Genf 78, 82–85, 87–90, 94, 125 Glarus 12 Goslar 113 Gotha 109 Grimma 114 Hagenau 108f. Haina 67 Hall 39 Hamburg 79, 89, 117 Heidelberg 1, 7, 17–19, 58, 91

Hitzkirchen 66 Homberg 66 Ingolstadt 16, 32 Jena 45, 118 Kaaden 75 Kahla 45 Kappel 50, 72 Kassel 73 Köln 55, 108, 110, 112f., 121 Konstantinopel 68, 95 Konstanz 2f., 20, 33, 35, 39, 42, 71, 76, 116 Kopenhagen 79 Kuttenberg 3 Leipheim 57 Leipzig 1, 4, 7, 20, 22, 116f. Leisnig 31, 37, 63 Liegnitz 66 Lindau 71 Löwen 97 Lübeck 73, 79, 117 Lyon 106 Madrid 51 Magdeburg 11, 73, 117–119 Mailand 107 Mainz 11, 21, 55, 58, 66 Mallerbach 25, 46 Malmö 79 Mansfeld 73 Mantua 99 Marburg 40, 50, 66, 68–72 Maulbronn 114 Meaux 83–85 Meißen 4, 77, 110, 114, 116 Memmingen 71 Merseburg 4, 77, 113f. Metz 54 Mohács 50, 68 Mühlberg 114 Mühlhausen 47,57 Münster 50, 59, 74, 85 Nantes 78, 90 Naumburg 4, 77, 113f. Neapel 82 Nijmwegen 112

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Ortsregister Nikolsburg 48 Nürnberg 25, 35, 39, 42f., 50f., 54, 69f., 73–75, 97, 99, 108 Örebro 81 Orlamünde 44f. Orléans 85 Paris 2, 84f., 102 Passau 108, 119 Pavia 51 Pforta 114 Pisa 2 Poissy 78, 90 Prag 3, 25, 46 Reutlingen 40f., 69f., 75 Roskilde 79f. Rottweil 43 Regensburg 108, 110f., 114, 117 Rom 2f., 9, 11, 21, 23–26, 52f., 75, 81, 91f., 95–100 Saalfeld 66 Salzburg 23 Sandomir 95 Schaffhausen 69, 89 Schleitheim 25, 48, 59 Schmalkalden 50, 72–75, 81, 84, 99, 104, 108f., 111–114, 117 Schwabach 71 Schweinfurt 73 Speyer 40,50, 61–63, 66, 68–70 St. Germain 90 Stotternheim 8

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Straßburg 19, 25, 35, 39, 59, 69, 71, 83, 87, 116 Stuttgart 76, 116 Torgau 65, 71 Trient 96, 99f., 104–107, 114, 119, 122f., 125 Trier 52, 54f. Tübingen 19, 116 Turku / Åbo 82 Ulm 35, 39f., 59f., 69, 73, 109 Uppsala 80f. Urach 76 Utrecht 97 Västerås 78, 80f. Vicenza 99 Vienne 106 Viterbo 82, 100 Waldshut 48 Wartburg 25, 30, 35, 36, 61 Weil der Stadt 43 Weingarten 57 Wien 4, 16, 70, 109 Wittenberg 4, 6–9, 12, 14–16, 19f., 22, 25, 29, 31f., 35–41, 44f., 50, 57, 61, 64f., 67, 72f., 75f., 78–80, 82f., 94f., 109, 111, 114, 116f. Worms 35, 50–53, 62, 70, 97, 108, 111f. Wurzen 114 Ziegenhain 68 Zollikon 48 Zürich 8, 14, 22, 25, 32–34, 36, 38, 43, 47f., 69, 72, 83, 89, 125 Zwickau 37, 63

Geschichte Kompakt Geschichte    Kompakt

2 Basiswissen – klar, übersichtlich, präzise 2 Historisches Grundlagenwissen auf dem neuesten Stand der Forschung 2 Für Studierende, Lehrende und historisch Interessierte 2 Klar, anschaulich und übersichtlich gegliedert 2 Zeittafel zu Beginn jedes Kapitels 2 Erläuterungen zu Begriffen, Personen und Ereignissen 2 Klar strukturierte Grafiken 2 Kommentiertes Quellen- und Literaturverzeichnis

Volker Leppin

Die Reformation

Volker Leppin, geb. 1966, war Professor für Kirchengeschichte an der FriedrichSchiller-Universität Jena und lehrt seit 2010 an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Von ihm erschienen rund 30 Bücher; bei der WBG die Biographien „Wilhelm von Ockham“ (2. Aufl. 2012) und „Martin Luther“ (2. Aufl. 2010) sowie „Eine Welt im Übergang. Das Zeitalter der Reformation“ (2009).

Leppin · Die Reformation

Die Reformation brach – nach Vorankündigungen im Spätmittelalter – die Religiöse Einheit Europas auf. In der Folge entwickelten sich im hussitischen Böhmen, in der calvinistischen Schweiz, in Skandinavien, den Generalstaaten der Niederlande oder in England unterschiedlichste Ausprägungen von Kirchen und Religion. Aber auch die politische Landkarte wurde grundstürzend neu geschrieben – die gewalttätigsten Auswirkungen findet dieser Umbruch im Dreißigjährigen Krieg. Volker Leppin, der mit seiner Luther-Biographie auch international große Anerkennung fand, ist heute der wohl führende deutsche Spezialist zur Reformationszeit. Überaus klar und klug gegliedert legt er einen kompakten Überblick über alle Aspekte der europäischen Reformation mit einem Schwerpunkt auf dem Reich vor: Von der spätmittelalterlichen Frömmigkeit mit ihren neuen Glaubensformen über erste reformatorischen Ansätze in Städten und bei Fürsten, die Auswirkungen auf das Reich insgesamt, die Ausdehnung auf Europa und Reaktion des Papsttums bis zum Erreichen eines Status quo.

www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-15122-6

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