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German Pages 128 [217] Year 2020
Philosophische Bibliothek
Meister Eckhart Die Reden zur Orientierung im Denken Mittelhochdeutsch – Deutsch
MEISTER ECKHART
Die Reden zur Orientierung im Denken Die rede der underscheidunge Übersetzt, mit einer Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von
norbert fischer
Mittelhochdeutsch – Deutsch
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
P H I L O S O PH I S CH E B IBL IO T HEK BA N D 741
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 9 78-3-7873-3871-9 ISBN eBook 9 78-3-7873-3872-6
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I N H A LT
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . vii Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xix 1. Die Überschriften von Eckharts frühen Reden zur Orientierung im Leben und Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . xx 2. Ausgewählte Kernsätze aus RdU mit knappen Hinweisen zur Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xxiv 3. Zu Eckharts Auslegung Gottes als ›Liebe‹ – anhand ausgewählter Passagen aus RdU 2, 6, 11, 15, 21, 23 . . . . . . . xlvi 4. Hinweise zum Verhältnis von ›natürlicher Vernunft‹ und ›göttlicher Gnade‹ in RdU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . lv 5. Kleiner Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . lxii
Zitierte Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . lxxi
M EI S T ER ECK H A RT Die Reden zur Orientierung im Denken 1. Vom Vorrang wahren Gehorsams . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Vom allerwirksamsten Gebet und von der allerhöchsten Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Von ungelassenen Menschen, die von Eigenwillen erfüllt sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4. Vom Nutzen des Lassens, das wir innen und außen vollziehen sollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5. Sieh, was das Sein und dessen Grund gut macht . . . . . . . 11 6. Von der Abgeschiedenheit und vom Haben Gottes . . . . . 13 7. Wie der Mensch seine Taten höchst vernünftig verwirklichen soll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
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Inhalt
8. Von dem ständigen Bemühen um das höchste Wachstum 21 9. Wie die Neigungen zu den Sünden dem Menschen jederzeit nützen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 10. Wie der Wille alles wollen kann; und wie alle Tugenden im Willen gründen, wenn dieser nur gerecht ist . . . . . . . 25 11. Was der Mensch tun soll, falls Gott ihm fehlt und Gott sich verborgen hat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 12. Von Sünden; wie man sich verhalten soll, wenn man sich in Sünden findet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 13. Von zwei Arten der Reue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 14. Von der wahren Zuversicht und von der Hoffnung . . . . . 41 15. Von zweierlei Gewißheit des ewigen Lebens . . . . . . . . . . 41 16. Von der wahren Sühne und seligem Leben . . . . . . . . . . . . 45 17. Wie sich der Mensch in Frieden halten kann, wenn er sich nicht in äußerer Not befindet, wie Christus und viele Heilige sie hatten; wie er Gott nachfolgen soll . . . . 47 18. Wie der Mensch empfangen kann, was ihm gebührt: feine Speise, edle Kleidung und fröhliche Freunde, die ihm verbunden sind gemäß der Gewohnheit der Natur . 53 19. Warum Gott es oft gestattet, daß gute Menschen, die in Wahrheit gut sind, oft in ihren guten Werken behindert werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 20. Vom Leib unseres Herrn, wie man ihn empfangen soll: wie oft, in welcher Weise und Andacht . . . . . . . . . . . . . . . 57 21. Vom Eifer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 22. Wie man Gott folgen soll und von guter Lebensweise . . . 73 23. Von den inneren und äußeren Taten . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
Anmerkungen des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
VORWORT
RdU 1: »Dâ ich mich ane lâze, dâ muoz er [got] mir von nôt wellen allez, daz er im selben wil, noch minner noch mêr, und mit der selben wîse, dâ er im mit wil. Und entæte got des niht, in der wârheit, diu got ist, sô enwære got niht gereht noch enwære got, daz sîn natiurlich wesen ist.« RdU 10: »[…] in dem willen vermaht du alle dinc.« RdU 22: »der mensche solte werden ein gotsuochender in allen dingen und gotvindender mensche ze aller zît und in allen steten und bî allen liuten in allen wîsen. In disem mac man alle zît âne underlâz zuonemen und wahsen und niemer ze ende komen des zuonemennes.«
Die hier vorgelegte Ausgabe von Eckharts Frühwerk Die rede der underscheidunge (RdU), das er nach seinem Studium in Paris ausgearbeitet, vorgetragen und auch zu Papier gebracht hat, zeigen den Autor weithin als nüchternen Denker, der andere Autoren kennt, aber kaum zitiert und selbständiges Urteilsvermögen in philosophisch-theologischen Grundfragen beansprucht. Darauf mögen die als Leitwörter vorangestellten Zitate aus der präsentierten Schrift hinweisen. Das Zitat aus der ersten Rede beleuchtet den Hintergrund eines ›postulatorischen Atheismus‹, dessen Motive zwar schon Augustinus unter Hinweis auf Cicero zur Sprache gebracht hatte und der auch sonst gelegentlich latent auftauchte, aber unter diesem Namen erst durch Max Scheler weiteren Kreisen bekannt wurde.1 Das zweite Zitat betont die 1 Zum ›postulatorischen Atheismus‹ vgl. Max Scheler: Der Formalismus
in der Ethik und die materiale Wertethik. Neuer Versuch der Grundlegung eines ethi schen Personalismus, 22 f.; zum Hintergrund bei Cicero vgl. Augustinus: De civitate dei 5,9; zum Kontext bei Eckhart vgl. NF: Wer sint, die got êrent? (Pre
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Vorwort
Bedeutung des ›freien Willens‹ und verweist so auf das ›Primat der reinen praktischen Vernunft‹, das bei Augustinus und Kant zu finden ist,2 zugleich in einem existentiellen Sinn, der die Gottesfrage mit dem Seinsvollzug der endlichen Vernunftwesen verknüpft, als die Eckhart seine Hörer (und sich selbst) präsentiert. Im dritten Zitat bezeichnet Eckhart es als Aufgabe aller Menschen, ›Gott zu suchen und zu finden‹. Diese Aufgabe, die heute aus dem Blick geraten zu sein scheint, beunruhigt alle ernsthaft Denkenden und wurde auch von den ›großen Philosophen‹ von Platon bis Kant und Heidegger wenigstens als ›Problem‹ (als notwendige, wenngleich theoretisch unlösbare Aufgabe) gesehen. Eckharts RdU sollen hier als seine erste ›Orientierung im Denken‹ präsentiert werden. Eckhart von Hochheim (ca. 1260–1328) hat Die rede der under scheidunge um 1294–98 als Prior in Erfurt und Vikar von Thüringen vor seinen Zeiten als Magister (»Meister«) in Paris verfaßt. Er zeigt sich schon hier als bemerkenswerter Augustinus-Kenner, nicht als Fürsprecher einer ›Mystik‹ im Stile Plotins oder dessen Epigonen, nicht als Begründer einer ›Deutschen Mystik‹, eine Bezeichnung, die seit Eckharts Neuentdeckung im 19. Jahrhundert3 und mit der wachsenden Verbreitung seiner Schriften üblich wurde. In der kritischen Ausgabe seiner Werke durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft wurde diese Bezeichnung aber nicht übernommen. digt 6). Zur leitenden Grundfrage Meister Eckharts. Hinführung zum Zentrum seines Denkens, bes. 9. Eckhart spitzt das Problem der vom Menschen verschuldeten Verderbnis der Welt in RdU teilweise so zu, daß der Glaube an das selige Leben schwierig wird (vgl. RdU 16). Insofern sind die nicht seltenen Anklänge an den ›postulatorischen Atheismus‹ nicht überraschend. 2 Vgl. dazu NF: Glaube und Vernunft. Zu ihrem Verhältnis bei Augustinus, Meister Eckhart und Immanuel Kant. 3 Vgl. die erste größere Werkausgabe von Franz Pfeiffer (1857): Deut sche Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts. Band 2: Meister Eckhart. 1. (Einzige) Abteilung. Predigten. Traktate. Kurt Ruh (Meister Eckhart: Theologe – Prediger – Mystiker, 32) nennt diese ›Reden‹ »ein einzigartiges Zeugnis des jungen, freilich reifen Eckhart«.
Norbert Fischer
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Der junge Eckhart zeigt sich in RdU, die »als schriftliche Abhandlung konzipiert und gestaltet« sind,4 als nüchterner, ein eigenes Urteil suchender Denker, der für sich und seine Hörer eine erste Orientierung in Fragen des Denkens und Glaubens erstrebt hat. Josef Quint erklärt (DW 5,171): »Nach alledem scheint mir die Autorschaft Eckharts für RdU gesichert, allerdings eines Eckhart, der sich in diesen Collationes anders gibt als in seinen deutschen und lateinischen Predigten.« Quint verweist in diesem Kontext auf die im Vergleich mit Eckharts späteren Texten geringere Zahl der Zitate von Autoritäten, was auch darauf deuten mag, daß er zu Beginn seines Weges ursprünglich denkend Grundfragen zu klären versuchte (immerhin zitiert er e inige Stellen aus der Hl. Schrift und aus Texten Augustins). Eckharts RdU enthalten zwar manche ›Anleitungen‹, sind aber fern von jedem ›Dogmatismus‹ und präsentieren offenes Denken im Rahmen eines Lebens, in das alle endlichen Vernunftwesen unversehens hineingestellt sind und das sich in faktisch gegebenen Kontexten ereignet, die von allen beachtet werden müssen.5 Der frühe Eckhart tritt in RdU uneitel als an Grundfragen orientierter Denker auf.6 Gottfried Fischer hat 1931 zur Geschichte der Ent deckung der ›deutschen Mystiker‹ berichtet:7 4 Josef Quint, der die kritische Ausgabe der Deutschen Werke (= DW) be-
gann, bezeichnet sie als »Traktat«, als »ein Zwischending zwischen Predigt und Abhandlung« (DW 5, VII); mit dieser Benennung folgt er Franz Pfeiffer: a. a. O., 543–578. Zur handschriftlichen Überlieferung vgl. die Hinweise von Quint, 137. Der Text der RdU wird hier von Josef Quint übernommen, jedoch mit neuer Übersetzung ins Neuhochdeutsche versehen. 5 Dagmar Gottschall und Dietmar Mieth (Hgg.): Meister Eckharts Er furt er ›Reden‹ in ihrem Kontext; vgl. Wolfgang Erb; Norbert Fischer (Hgg.): Meister Eckhart als Denker. 6 Als »Selbstdenker« bezeichnet Kant Autoren, »die sich zu keiner Schule bekannten, sondern die Wahrheit suchten und annahmen, wo sie sie fanden« (vgl. Logik A 36; AA 9,31). 7 Vgl. Geschichte der Entdeckung der deutschen Mystiker Eckhart, Tauler und Seuse im XIX. Jahrhundert, 1. Teilweise in Spannung dazu stehen Hinweise von Ingeborg Degenhardt: Studien zum Wandel des Eckhartbildes, 114: »Stolz
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Vorwort
»Als der Begriff ›deutsche Mystik‹ geprägt wurde, hat man den Hauptton auf das Wort ›deutsch‹ gelegt. Er stammt bezeichnenderweise von einem Hegelschüler, Karl Rosenkranz, der ihn zuerst in einem Aufsatz als Rezension zu Diepenbrocks Seuse-Ausgabe (1829) in den ›Berliner Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik‹ verwendete. Der Begriff faßt hier die mystische Spekulation des Meisters Eckhart und seines Kreises als Anfangsstadium der Entwicklung des ›deutschen Geistes‹, die in der ›neuen universellen Wissenschaft‹ Hegels ihre Vollendung – ›Synthesis‹ – erstiegen hätte. Mit diesem von Rosenkranz umschriebenen Gehalt wurde diese Begriffs-Formel allgemein von der Wissenschaft übernommen. Die deutschen Mystiker galten von da an als die ›Erzväter der dem deutschen Geiste eigentümlichen Spekulation‹.«
Daß es für lange Zeit, auch noch nach der Erfindung des Buchdrucks, keine leicht zugängliche Grundlage für fundierte Betrachtungen von Eckharts Schriften gab, war mitbedingt durch die kirchlichen Prozesse in Köln und Avignon.8 Den ersten Zugang eines breiteren Publikums zum Werk Eckharts eröffnete hat Baader auch das Verdienst für sich in Anspruch genommen, die Aufmerksamkeit Hegels auf Eckhart gelenkt zu haben: ›Ich war mit Hegel in Berlin sehr häufig zusammen. Einstens las ich ihm nun auch aus Meister Eckhart vor, den er nur dem Namen nach kannte. Er war so begeistert, dass er am folgenden Tag eine ganze Vorlesung über Eckhart vor mir hielt und am Ende noch sagte: da haben wir es ja, was wir wollen‹. Der Hegelschüler Karl Rosenkranz behauptete dagegen, Hegel habe Meister Eckhart nicht erst während des achtmonatigen Berlinaufenthaltes Baaders 1823/24 kennengelernt, sondern sich bereits gegen Ende der Schweizer Zeit um 1796 mit Eckhart beschäftigt und eifrig Exzerpte aus seinen Schriften gemacht.« 8 Vgl. schon Heinrich Stirnimann; Ruedi Imbach (Hgg.): Eckardus Teu tonicus. homo doctus et sanctus. Nachweise und Berichte zum Prozeß gegen Mei ster Eckhart. Weiterhin Meister Eckhart. Die deutschen und lateinischen Werke. Hier: Die lateinischen Werke. Fünfter Band: Acta Echardiana. Hier: Magistri Echardi Responsio ad Articulos sibi impositos de Scriptis ist et Dictis suis. Hg. und komm. von Loris Sturlese; bes. die Einleitung des Hg.: 249–273. Den unmittelbar dazugehörigen Horizont erweitert Kurt Ruh: Geschichte der abendländischen Mystik (drei Bände).
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die erwähnte Ausgabe von Franz Pfeiffer. Die nach einigen Zwischenstufen von Erich Seeberg in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts in Angriff genommene und inzwischen fast abgeschlossene kritische Ausgabe der Werke Eckharts ist heute die Grundlage der Eckhart-Forschung: Meister Eckhart. Die deutschen und lateinischen Werke. Herausgegeben im Auftrage der Deutschen For schungsgemeinschaft [= DFG]. Die Anfänge der DFG-Ausgabe mögen teilweise von Deutschtümeleien begleitet gewesen sein;9 sie war und ist heute jedoch die philologisch solide Basis der Eckhart-Forschung. Zwar leuchtet die These von Alois Maria Haas im Blick auf »die Forschungsberichte von Gottfried Fischer, Kurt Ruh, Ingeborg Degenhardt, Toni Schaller« (u. a.) ein, man müsse »über der reichen und wild nach allen ideologischen Seiten ausufernden Rezeptionsgeschichte das Gruseln lernen«.10 Dieses Verdikt trifft aber nicht die genannten Autoren, die allesamt beachtenswerte Hinweise zur Geschichte der Eckhart-Forschung vorgelegt haben. Interessegeleitete Verformungen der Intentionen der ›großen Denker‹ gab es auch früher und gibt es heute.11 Schon die Frage, wer als ›großer Denker‹ zu beachten sei, ist erregend und 9 Bes. Alfred Rosenberg: Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung
der seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit. Vgl. dazu die Abhandlung von Otto Karrer, der Eckhart sehr treffend von Augustinus her betrachtet: Das Gotteserlebnis bei Augustinus und Meister Eckhart (1934); Wiederabdruck in Wolfgang Erb; Norbert Fischer (Hgg.): Meister Eckhart als Denker, 31–49; vgl. dazu Maximilian Brandt: Hinweise zur Kommentierung zu Otto Karrer: Das Gotteserlebnis bei Augustinus und Meister Eckhart; a. a. O., 51–72. 10 Vgl. Alois Maria Haas: Meister Eckhart und die deutsche Sprache. Vgl. dazu auch Laurentiu Gafiuc: Eine Predigtsammlung aus dem alemannischen Südwesten, bes. 139 f. 11 Als eines von vielen Beispielen sei Kant genannt, der die großen Fragen der abendländischen Philosophie fortgeführt hat, die heute (in einer philosophisch gesehen eher ›dürftigen Zeit‹) gelegentlich aus dem Blick geraten. Hinweise zur wechselhaften Geschichte der Kant-Interpretation z. B. bei NF (Hg.): Kants Metaphysik und Religionsphilosophie; ders.: Kant und der Katholizismus. Stationen einer wechselhaften Geschichte.
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wurde (und wird) oft kontrovers beantwortet. Immerhin scheint es in der heutigen, ›einzelwissenschaftlich‹ glänzenden, aber im Blick auf die von Kant betonten Grundfragen der Philosophie (vgl. KrV B 833) eher ›dürftigen Zeit‹ geraten, an der Besinnung auf originäres Denken zu arbeiten, hier also an einem Frühwerk Eckharts.12 Die vorliegende Ausgabe von Eckharts RdU zielt auf Vergegenwärtigung der vom Autor betonten Absichten, übergeht hingegen umstrittene Aspekte, die in der Kirchengeschichte (z. B. in den »Prozessen« in Köln und Avignon) oder in der säkularen Politik (z. B. im ›Dritten Reich‹) eine Rolle gespielt haben.13 Der Blick sei vorab kurz auf die im Text erörterten Themen gelenkt, die bedenkenswerte Grundfragen der Philosophie (bes. der abendländischen) betreffen und teils im Kontext des konkreten Alltags lebens stehen (auch von Eckharts jungen Zuhörern in Erfurt): Die 23 Reden beginnen – für heutige Leser ungewohnt, aber bedenkenswert – mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit ›wahren Gehorsams‹ für das Ziel gelingenden Seins von Menschen.
12 Diesem Ziel dient das seit 2007 erscheinende »Meister Eckhart-Jahr-
buch« (mit umfangreichen ›Beiheften‹). Zu beachten ist besonders auch Georg Steer: Der Auf bruch Meister Eckharts ins 21. Jahrhundert. 13 Bestimmend war zu Beginn Erich Seeberg als Vorsitzender der Eckhart-Kommission der DFG. Kritische Hinweise zum zeitgenössischen Hintergrund im ›Dritten Reich‹ bei Ulrich Sieg: Strukturwandel der Wissen schaft im Nationalsozialismus; weiterhin Gerhard Kaiser: Grenzverwirrungen. Literaturwissenschaft im Nationalsozialismus. Vgl. Ingeborg Degenhardt, a. a. O. 292: »Seeberg erkennt von dorther sogar Eckharts Bedeutung für den modernen Protestantismus: ›Es wäre schön, wenn auch unsere kirchenpolitische Gegenwart etwas von diesem ›Gott um Gott lassen‹ wissen oder lernen würde; etwas, was den großen Frommen aller Zeiten als höchstes Gebot wahrer Religion vor Augen gestanden hat‹.« (Degenhardt zitiert hier Seeberg, Meister Eckhart, S. 41); vgl. auch Degenhardt, a. a. O., 296 Fn: »Von verschiedenen Seiten wurde der Ausgabe der Deutschen Forschungsgemeinschaft sogar der Vorwurf gemacht, sie sei Alfred Rosenberg und Gesinnungsgenossen hörig. Vgl. dazu die oben erwähnten wortreichen Verteidigungen SEEBERGS in: ZfKG 56.«
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Kurzfassung der Themen der Reden: 1. Rezeptivität; 2. Bedürftigkeit, die zum ›Beten‹ anregt; 3. Fehlende Gelassenheit Einzelner; 4. Nutzen der Gelassenheit; 5: Zum Ideal des Guten; 6: Zur Abgeschiedenheit und zum Gottesbezug; 7: Zum Ideal der Vernunft; 8: Vom unendlichen Progressus zum höchsten Ziel; 9: Der Sinn der Neigung zum Bösen: 10: Bedeutung der Willensfreiheit; 11: Zum ›Fehlen Gottes‹; 12: Zum Umgang mit eigenen ›Sünden‹; 13: ›Zwei Arten der Reue‹; 14: Von ›wahrer Zuversicht‹ und Hoffnung; 15: Zweierlei Gewißheit vom ewigen Leben; 16: Von wahrer Buße und seligem Leben; 17: Von wahrer Christus-Nachfolge; 18: Exemplarische Vollzüge des faktischen Lebens; 19: Zum Sinn der Behinderung von Gutem durch Gott; 20: Zum Sakrament des ›Leibes des Herrn‹; 21: Vom Eifer; 22: Von der Nachfolge Gottes und von gutem Leben; 23: Von inneren und äußeren Taten. Eckhart arbeitet in RdU an Grundfragen der ›conditio humana‹, nicht an vorliegenden Texten, auch nicht nur zur Einführung von Novizen in das Ordensleben. Dabei verfolgt er im Kontext der abendländisch-christlichen Tradition Fragen zu Wesen und Aufgabe von Menschen in ihrer Beziehung zu ›Gott‹, die mit dem faktischen Leben zusammenhängen, wobei zuweilen Fragen der jungen Hörer (»kinder«) aus dem Orden hervortreten.14 Charakteristisch dafür ist schon die erste Rede (Von wârer gehôrsame daz êrste), die den ›Gehorsam‹ allgemein als »ein tugent vor allen tugenden« behandelt. Dieser Beginn ist, wie sich bald zeigt, keine Empfehlung sklavischer Unterwürfigkeit und Anpassung der Menschen. Schon in dieser ersten Rede erklärt Eckhart, seiner ›Würde als Vernunftwesens‹ mit eigenem Urteil klar bewußt, daß jeder, der seinen ›Eigenwillen‹ gelassen preisgibt (vgl. RdU 3, 11 und 21) und sich in vernünftigem ›Gehorsam‹ 14 Vgl. P. Walter Senner OP: Meister Eckhart als Ordensmann, hier 24 f.:
»Die als Prior in Erfurt und Vikar des Provinzials gehaltenen ›Reden der Unterscheidung‹ sind Meister Eckharts am breitesten überliefertes Werk. Ihr Publikum waren alle Mitbrüder des Konvents, nicht nur die Novizen.« Senner betont jedoch mit Recht (ebd.): »Auffällig ist das Fehlen stärkerer Bezüge zu Einzelfragen des Ordenslebens.«
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übt, darauf setzen dürfe, daß Gott für ihn sorgen muß – wenn immer ›Gott‹ wirklich ›Gott‹ ist. Im Bewußtsein der Würde der menschlichen Vernunft zeigt Eckhart sich hier schon offen für Gedanken, die bis zum ›postulatorischen Atheismus‹ führen können: Er spricht kritisch zur Unterwürfigkeit – auch gegenüber einem ›Allmächtigen‹, der dem freien Willen endlicher Wesen keinen Platz ließe – und betont den Rang endlicher Vernunftwesen (RdU 1): »dar umbe muoz mir got wellen, und versûmet er mich an dem teile, sô versûmet er sich selber.«15 Wer das Gewicht der Gottesfrage wahrnimmt, die im Sein der endlichen Vernunftwesen fundiert ist, kann in RdU, in denen Eckhart seine erste eigenständige Orientierung im Denken suchte, auch heute noch Anregung finden, trotz aller Fortschritte der ›objektiven Wissenschaften‹, deren Forscher sich (oft ohne philosophische Besinnung) darauf beschränken, im Bereich der ersten von Kants drei Grundfragen zu arbeiten, nämlich: »1. Was kann ich wissen?«16 15 Eckhart bewegt sich hier in der Spur von Augustins Philosophie der
Endlichkeit. Er zitiert (wohl als erster) aus allen Büchern der Confessiones; vgl. NF: Meister Eckhart und Augustins ›Confessiones‹, 198 : »Meister Eckhart zitiert Stellen aus allen dreizehn Büchern der ›Confessiones‹, am meisten aus deren erstem und zehntem Buch, häufig aus dem vierten, elften und zwölften Buch, seltener aus dem fünften, sechsten, siebenten, achten, neunten und dreizehnten Buch.« Vgl. Marie-Anne Vannier: Creation, 840–844, hier 843: »Meister Eckhart does not share the title of ›the second Augustine‹, but the fact remains that he is perhaps the best reader of Aug.«. 16 Vgl. KrV B 833; die beiden weiteren Grundfragen Kants mit wachsender philosophischer Bedeutung lauten dort: »2. Was soll ich thun? / Was darf ich hoffen?« Laut Kant geht es in der Philosophie um Fragen, die den auf objektive Erkenntnis zielenden ›Wissenschaften‹ fremd sind, nämlich um die Fragen nach »Gott, Freiheit und Unsterblichkeit« (KrV B XXX). Dazu erklärt er (ebd.): »Ich mußte also das Wissen auf heben, um zum Glauben Platz zu bekommen, und der Dogmatism der Metaphysik, d. i. das Vor urtheil, in ihr ohne Kritik der reinen Vernunft fortzukommen, ist die wahre Quelle alles der Moralität widerstreitenden Unglaubens, der jederzeit gar sehr dogmatisch ist.« Zu Kant ist auch zu beachten NF: Kant als Seelsorger. Kants ›Vorlesungen über die philosophische Religionslehre‹ im Vergleich
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Die theologie- und philosophiegeschichtliche Lage der Zeit Eckharts bleibt im Hintergrund zwar zu beachten, auch sofern die Prozesse in Köln und Avignon Eckharts Wirkung beeinträchtigt haben.17 Die vorliegende Publikation hat das Ziel, Eckhart in seinem Frühwerk RdU als ›Selbstdenker‹ im Blick auf die Kernfragen der ›großen Philosophen‹ aus zentralen, unmittelbar im Text hervortretenden Intentionen zu präsentieren. Dabei werden kirchenpolitische und überhaupt politische Komplikationen ebenso wie ›mystische‹ Deutungen ausgeblendet. Eckhart hat am Anfang seines Weges seine erste ›Orientierung im Denken‹ erstrebt, die Kant im großen Stil nach den ›vorkritischen Schriften‹ ab der Kritik der reinen Vernunft neu gesucht hat. Eine nüchterne Lektüre von Eckharts Frühwerk lenkt den Blick auf philosophische Grundfragen, die nach Kant alle auf die Frage zulaufen: »Was ist der Mensch?«18 Das Bedenken dieser Frage, die für Kant erkenntniskritische, praktische und auf mit den publizierten Werken, unter besonderer Beachtung seiner Lehre vom ›Zweck der Schöpfung‹. 17 Vgl. dazu Niklaus Largier: Meister Eckhart. Perspektiven der Forschung; weiterhin Walter Haug: Eckharts deutsches Predigtwerk: Mystische Erfahrung und philosophische Auseinandersetzung. 18 Vgl. NF: Zum Sinn von Kants Grundfrage: »Was ist der Mensch?« Das Ver hältnis der kritischen Philosophie Kants zur antiken Metaphysik und Ethik (im Blick auf Platon, Aristoteles und Augustinus und mit einem Nachtrag zu Heideg ger). Zum Bruch im Denken Heideggers, der durch die Vernichtung des in Sein und Zeit (Aufriß der Abhandlung: 39 f.) angekündigten dritten Abschnitts verursacht wurde, vgl. auch a. a. O., 517: »mündlich hat FriedrichWilhelm von Herrmann dem Autor (NF) berichtet, der Text sei Anfang 1927 im Hause von Karl Jaspers in Heidelberg nach dem Eintreffen der Nachricht vom Tod Rainer Maria Rilkes verbrannt worden.« In Kontrast zu dieser sicherlich zutreffenden Aussage steht Heideggers seltsame Beschwerde, daß das Fehlen der Gottesfrage nicht wahrgenommen werde, wofür Heidegger offenbar selbst verantwortlich war (vgl. GA 3, bes. XIIf.). Zum Hintergrund vgl. NF; Friedrich-Wilhelm von Herrmann (Hgg.): Hei degger und die christliche Tradition. Annäherungen an ein schwieriges Thema. NF; Friedrich-Wilhelm von Herrmann (Hgg.): Die Gottesfrage im Denken Martin Heideggers.
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die Gottesfrage weisende Konnotationen hatte, möge die vorgelegte Ausgabe der RdU befördern. Sie soll also dem Einstieg in eine philosophische Betrachtung dieses erstaunlich selbständig ausgearbeiteten Frühwerks Eckharts dienen. Eckhart berührt in seiner kleinen Frühschrift RdU Kernfragen der abendländischen Philosophie, die von Platon bis hin zu Kant und Heidegger beachtet und bedacht wurden – und angesichts der heutigen Situation im Eingeständnis des ›Wissens des Nichtwissens‹ weiter bedacht werden sollten, schon im Blick auf die Fragen, die in der ersten Rede (Von wârer gehôrsame daz êrste) zur Sprache kommen.19 Eckhart tritt in RdU nicht als ›Mystiker‹ auf, sondern befördert kritische Besinnung gegen jede sich ›absolut‹ gebärdende ›Meta physik‹, aber auch gegen den flüchtigen Stolz glaubensferner ›objektiver Wissenschaften‹, ohne einem blinden ›Offenbarungs glauben‹ das Wort zu reden.20 Eckhart will in RdU zum Glauben an Gott ermuntern, tut dies aber in einer Weise, die auch kritische Überlegungen bedenkt und deren Vernünftigkeit nicht bestreitet. Seine frühen ›Reden zur Orientierung im Denken‹ wurden zwar in einer fernen Zeit ausgearbeitet, bieten aber noch heute viel Anlaß, sie ernsthaft (und auch selbstkritisch) zu bedenken. * Der Herausgeber dankt einigen Freunden für Hilfen und die Lektüre der Texte, besonders Wolfgang Erb, Frank Lehmann und Albert Raffelt. Den Kollegen Pater Walter Senner OP und Manfred Gerwing dankt er für die Zusammenarbeit in Kloster Weltenburg (2018 und 2019), wo seit 2000, gefördert von Abt Thomas 19 Zu solchem ›Wissen des Nichtwissens‹ vgl. Platons Darstellung des
Sokrates; zunächst z. B. in der Apologie (bes. 22 c/d ; 29 b), dann aber mit ausdrücklichem Bezug auf diese Stellen im Theaitetos 157 c; zugespitzt gegen die ›Sophisten‹, die es offenbar bis heute gibt, vgl. Protagoras 312 e. Vgl. dazu KrV B XXXI. 20 Zu Kants Verhältnis zur ›Mystik‹ vgl. Norbert Fischer: Kants Idee »est Deus in nobis« und ihr Verhältnis zu Meister Eckhart. Zur Beziehung von Gott und Mensch in Kants kritischer Philosophie und bei Eckhart.
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M. Freihart OSB, philosophische Seminare stattfanden. Pater Walter ist am 3. Juli 2020 verstorben, wodurch weitere Pläne beschädigt wurden: Requiescat in pace! Gewidmet ist das Büchlein unseren Enkeln Anna, Lukas und Laura. Wiesbaden zum 28. August 2020
NF.
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Die rede der underscheidunge beruhen auf Vorträgen, die der junge Dominikaner Eckhart von Hochheim zwischen 1294 und 1298, nach seinem Studium in Paris, als Prior in Erfurt und Vikar von Thüringen teils unter Beachtung von Fragen seiner Hörer gehalten und zu Papier gebracht hat.1 Sie bezeugen schon große Belesenheit und denkerische Selbständigkeit des jungen Autors. Dieses erste größere Werk Eckharts wird seit einiger Zeit genauer betrachtet.2 Einige Hauptthemen der 23 Reden des jungen Eckhart werden im folgenden (nach der Auflistung ihrer Überschriften) anhand ausgewählter Kernsätze skizziert, die das Vorhaben umreißen und neues Nachdenken anregen mögen. Zuletzt werden Eckharts Auslegungen Gottes als ›Liebe‹ und des Verhältnisses von ›natürlicher Vernunft‹ und ›göttlicher Gnade‹ kurz ins Auge gefaßt. Die rede der underscheidunge sind eine Schrift aus der Zeit, in der Eckhart selbst Orientierung im Denken suchte und sich mühte, seinen Hörern solche Orientierung zu vermitteln. Dabei ging er selbständig denkend Wege mit dem Ziel, die allen endlichen Vernunftwesen auferlegte, begründete ›Unterscheidung‹ von Denk- und Lebenshaltungen anzuregen und zu befördern. Epochen der menschlichen Geschichte mit zwanghafter Orientierung (durch machthabende ›Obrigkeiten‹ oder dominierende öffentliche Meinungen) waren nie und werden nie Glanzzeiten der Philosophie sein: gleich, ob der bestimmende ›Zeitgeist‹ empirisch-materialistischen oder metaphysisch-religiösen Charakter hatte oder hat. Denn unbedachte Einhelligkeit (wodurch sie auch 1 Meister Eckhart: Traktate. Hg. und übers. von Josef Quint: Vorbemer
kungen zu den RdU, 137–184.; bes. 181. 2 Vgl. z. B. Dagmar Gottschall; Dietmar Mieth (Hgg.): Meister Eckharts Erfurter ›Reden‹ in ihrem Kontext.
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induziert sein mag) hat stets die Tendenz, den Gefahrcharakter des Lebens der einzelnen Vernunftwesen mit scheinbar gesicherten Einsichten zu überdecken.3 Obwohl Eckhart die Zentralfragen, was ›Zeit‹ ist, was der (unsicher in der Zeit lebende) ›Mensch‹ und was ›wahres Leben‹ ist, nicht explizit behandelt, mögen sie ihn angeregt haben, in RdU Orientierung im Denken zu suchen und dabei zuerst ›wahren Gehorsam‹ zu bedenken. Diese Reden sind vom Eingeständnis der eigenen Endlichkeit und von der Ausrichtung auf Transzendenz geleitet, stehen also in einem Kontext, der alle endlichen Vernunftwesen betrifft, aber deren Kraft übersteigt. Dies bringt schon das Thema der ersten Rede zur Sprache.
1. Die Überschriften von Eckharts frühen Reden zur Orientierung im Leben und Denken Die 23 Reden, die Eckhart vor Erfurter Novizen des Dominikaner ordens als Einführung zu Gesprächen gehalten hat, betreffen zunächst allgemeine theoretische und praktische, nicht aber ordensspezifische Grundfragen des Lebens, fortschreitend jedoch auch Fragen der Zuhörer (z. B. RdU 22: »kurze rede, die hie învielen«; »Dô wart gevrâget«), teils aus deren faktischem Alltag. Eckhart tritt schon in der ersten Rede als ›Selbstdenker‹ (vgl. Kant: Logik A 27 = AA 9,26) mit einer originellen, allgemein philosophisch formulierten These zum Gehorsam auf, die nicht den Kontext des ›Ordensgehorsams‹ betrifft oder gar diesem Kontext entspringt. Doch kommen bisweilen auch Motive des alltägli3 Dazu vgl. schon Platon: Phaidon 107 c: kínduno@ […] deino2@; aber auch
114 d: Kalo1@ ga2r o3 kínduno@; vgl. Norbert Fischer [= NF]: Philosophieren als Sein zum Tode. Zur Interpretation von Platons ›Phaidon‹. Weiterhin NF (Hg.): Aurelius Augustinus: Was ist Zeit? Confessiones XI / Bekenntnisse 11; weiterhin NF (Hg.): Aurelius Augustinus: Suche nach dem wahren Leben. Confessiones X / Bekenntnisse 10. Zur Beziehung Eckharts zu Augustinus vgl. NF: Meister Eckhart und Augustins ›Confessiones‹.
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chen Ordenslebens zur Sprache (schon RdU 1: ›Messelesen oder Messehören, beten, meditieren‹). Die Überschriften der dreiundzwanzig Reden lauten: 1. Von wârer gehôrsame daz êrste. / Vom Vorrang wahren Gehorsams. 2. Von dem aller kreftigsten gebete und von dem aller hoechsten werke. / Vom allerwirksamsten Gebet und von der allerhöchsten Tätigkeit. 3. Von ungelâzenen liuten, die vol eigens willen sint. / Von ungelassenen Menschen, die von Eigenwillen erfüllt sind. 4. Von dem nützen lâzenne, daz man tuon sol von innen und von ûzen. / Vom Nutzen des Lassens, das wir innen und außen vollziehen sollen. 5. Merke, waz daz wesen und den grunt guot mache. / Sieh, was das Sein und dessen Grund gut macht. 6. Von der abegescheidenheit und von habenne gotes. / Von der Abgeschiedenheit und vom Haben Gottes. 7. Wie der mensche sîniu werk sol würken ûf das hoechste vernünftic lîchen. / Wie der Mensch seine Taten höchst vernünftig verwirklichen soll. 8. Von dem stæten vlîze in dem hoechsten zuonemme. / Von dem ständigen Bemühen um das höchste Wachstum. 9. Wie die neigunge ze den sünden dem menschen vrument ze allen zîten. / Wie die Neigungen zu den Sünden dem Menschen jederzeit nützen. 10. Wie der wille alliu dinc vermac und wie alle tugende in dem willen ligent, ob er anders gereht ist. / Wie der Wille alles kann; und wie alle Tugenden im Willen gründen, wenn dieser nur gerecht ist. 11. Waz der mensche tuon sol, sô er gotes vermisset und sich verborgen hât. / Was der Mensch tun soll, wenn Gott ihm fehlt und Gott sich verborgen hat. 12. Daz ist von sünden, wie man sich darzu halten sol, ob man sich in sünden vindet. / Von Sünden; wie man sich verhalten soll, wenn man sich in Sünden findet.
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13. Von zweierleie riuwe. / Von zwei Arten der Reue. 14. Von der wâren zuoversiht und von der hoffenunge. / Von der wahren Zuversicht und von der Hoffnung. 15. Von der zweierleie sicherheit des êwigen lebens. / Von zweierlei Gewißheit des ewigen Lebens. 16. Von der wâren pêniticie und sæligem lebene. / Von der wahren Sühne und seligem Leben. 17. Wie sich der mensche in vride halte, ob er sich niht envindet ûf ûzer lîcher arbeit, als Kristus und vil heiligen hânt gehabet; wie er gote sül nachvolgen. / Wie sich der Mensch in Frieden halten kann, wenn er sich nicht in äußerer Not befindet, wie Christus und viele Heilige sie hatten; wie er Gott nachfolgen soll. 18. In welher wîse der mensche mac nemen, als im gebürt, zarte spîse und hôhiu kleit und vroeliche gesellen, als im die anhangent nâch gewonheit der natûre. / Wie der Mensch so empfangen kann, wie es ihm gebührt: feine Speise, edle Kleidung und fröhliche Freunde, die ihm verbunden sind gemäß der Gewohnheit der Natur. 19. War umbe got ofte gestatet, daß guote liute, die in der wârheit guot sind, daz sie dicke werdent gehindert von irn guoten werken. / Warum Gott es oft erlaubt, daß gute Menschen, die in Wahrheit gut sind, oft an ihren guten Werken gehindert werden. 20. Von unsers herren lîchamen, wie man den nemen sol ofte und in wel her wîse und andâht. / Vom Leib unseres Herrn: wie man ihn empfangen soll: oft, in welcher Weise und Andacht. 21. Von dem vlîze. / Vom Eifer. 22. Wie man gote volgen sol und von guoter wîse. / Wie man Gott folgen soll und von gutem Leben. 23. Von den innerlîchen und ûzerlîchen werken. / Von den inneren und äußeren Taten.
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Zum Auf bau der ›Reden‹ sind die Hinweise von Kurt Ruh zu beachten, der drei ›Sequenzen‹ unterschieden hat.4 Obwohl der Kontext des Ordens durch die Erwähnung von Motiven des faktischen Lebens im Blick auf anwesende Novizen nebenbei hervortritt, sind die von Eckhart bedachten Fragen von allgemeinem philosophischem Interesse, unabhängig vom Ordensleben. Der aus der Lebenswelt der Hörer folgende Fragehorizont führt indessen auch zu Themen, die heutigen Lesern fremd sind (teils schon Eckhart fremd gewesen sein mögen; z. B. RdU 20: zu verschiedenen ›Chören der Engel‹ und der Tendenz zum ›Fideismus‹; auch RdU 23), aber doch auch die Frage anregen können, ob die nur von Immanenz geprägte Weltsicht ohne Offenheit für Transzendenz (für die ›metaphysische Naturanlage‹ endlicher Vernunftwesen) nicht ebenso bestreitbar ist. Die in RdU behandelten Fragen haben mit alltäglichem, faktischem Lebensvollzug zu tun und können im weiteren Sinne der ›praktischen Philosophie‹ zugeordnet werden. Sie vergegenwärtigen und betreffen Lebensformen von Personen, die in der Tradition des christlichen Glaubens stehen, dabei jedoch zu nüchternem Denken und kritischer Reflexion der Vernünftigkeit dieses Glaubens ermuntert werden. Im folgenden werden weniger ordensspezifische Gedanken von RdU, sondern solche, die bis heute bedenkenswert sind, exemplarisch hervorgehoben.5
4 Vgl. Kurt Ruh: Meister Eckhart, bes. 37: »Die erste Sequenz der ›Re-
den‹, die Kapitel 1–8, gründet, wenn auch nicht als solche angesprochen, auf den Ordensgelübden«; die zweite ›Sequenz‹ handele von der ›Sünde‹, aber auch vom ›rechten‹ Willen und der ›Liebe‹ (RdU 9–16‹). In der dritten Sequenz (17–23) gehe es um ›wahre Buße‹; dazu vgl. (teils abweichend) NF: ›Die rede der underscheidunge‹ als Eckharts ›Orientierung im Denken‹, 189. 5 Ziel ist eine auf philosophische Kernfragen zielende Einführung in RdU, nicht eine umfassende Kommentierung, zu der hier vorerst Anregungen und einige Hinweise auf die Forschungsliteratur gegeben werden.
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2. Ausgewählte Kernsätze aus RdU mit knappen Hinweisen zur Interpretation a. RdU 1: »Wâriu und volkomeniu gehôrsame ist ein tugent vor allen tugenden, und kein werk sô grôz enmac geschehen noch getân werden âne die tugent.« Eckhart beginnt seine Reden pointiert mit einer überraschenden, zu gründlichem Nachdenken anregenden These, die zwar Bezüge zum Alltagsleben seiner Hörer und Leser herstellt, aber nicht auf den ordensspezifischen Kontext zielt, sondern allgemein formuliert und bedenkenswert ist.6 ›Gehorsam‹ ist seit der griechischen Philosophie bis in unsere Zeit hinein nicht gut beleumundet, zumal er das Gegenstück zur Haltung zu sein scheint, die Kant als Selbstdenken charakterisiert (KU B 158 = AA 5, 294). So ist der Kontext naheliegend, den Hermann Kunisch unter dem Titel »Offenbarung und Gehorsam« hervorgehoben hat,7 obgleich Eckhart das Thema der ›göttlichen‹ Offen barung, der wir gehorsam folgen sollten, in RdU nicht explizit zum Thema gemacht hat. Eckhart bezieht sich hier nicht auf ›Wahrheiten‹, die unabhängig von der möglichen Einsicht endlicher Vernunftwesen nur durch göttliche ›Offenbarung‹ (›sola scriptura‹) zugänglich wären. Zwar werden in RdU Grundfragen des christlichen Glaubens und die vom Dominikanerorden geprägte Lebensform berührt, 6 Der Hinweis auf die Ordensgelübde (vgl. Walter Senner: Meister Eck
hart als Ordensmann, 25) ist gewiß plausibel, trifft aber nicht die philosophisch relevanten Aussagen von RdU (der Gehorsam wird gegen Ende von RdU 21 erneut allgemein als ›Tugend‹ gedacht und erwähnt); vgl. auch Phil 2,8 zum ›Gehorsam Jesu‹ (»bis zum Tod am Kreuz«), der im Kontext der ›Reden‹ aber nicht im Blick ist. 7 Vgl. Hermann Kunisch: Offenbarung und Gehorsam; Kunisch nimmt RdU in diesem Aufsatz mehrfach in den Blick (vgl. 104 f., 107, 134, 137 f., 138,140, 144). Kunisch war im ›Dritten Reich‹ zwar eine problembeladene Figur, die das von Alois Maria Haas erwähnte ›Gruseln‹ befördern konnte, hat aber auch sachgemäße Beiträge zu Eckhart vorgelegt.
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aber immer so, daß der Autor doch als ›Selbstdenker‹ auftritt. Das von Eckhart behauptete ›Primat des Gehorsams‹ als ›Tugend vor allen Tugenden‹ läßt sich auch dann philosophisch verstehen, wenn es kein klares Vorbild geben sollte. Zu bedenken wäre hier Augustins Maxime aus den Confessiones (11,5): »audiam et intellegam« [zu Gn 1,1: »quomodo in principio fecisti caelum et terram«]. Wie Augustins ›Hören‹ nicht zu ›sklavischem‹ Gehorsam führt, so wenig beschädigt die in Kants Auslegung der theoretischen Erkenntnis vorausgesetzte ›Rezeptivität‹ deren ›Spontaneität‹. Selbst der Gedanke der »Autonomie« geht nach Kant ja mit dem Bewußtsein einher, daß nicht nur ›ich‹ mich als »Zweck an sich selbst« erfasse (zu dem sich zudem kein endliches Wesen selbst gemacht haben kann). Kant betont vielmehr, daß sich auch »jedes andere vernünftige Wesen sein Dasein zufolge eben desselben Vernunftgrundes, der auch für mich gilt«, als »Zweck an sich selbst« vorstellt (GMS BA 66 = AA 4,429).8 Rainer Maria Rilke, der ein intensiver und anregender L eser philosophischer Texte – auch von Eckhart – war (worauf am Ende dieser Einleitung noch kurz hingewiesen wird), bringt (in Die Sonette an Orpheus) ›Gehorsam‹ und ›Transzendenz‹ mehrfach philosophisch bedenkenswert in einen Zusammenhang, indem er sagt (SO I 5): »und er gehorcht, indem er überschreitet«. Die These von Eckharts erster Rede ist philosophiegeschichtlich gewiß überraschend.9 Platon und Aristoteles haben ›Gehorsam‹ gerade nicht als ›Tugend vor allen Tugenden‹ ausgelegt: Platon führt ›Gehorsam‹ nicht als ›Kardinaltugend‹ an10 – und Aristo8 Dazu vgl. NF: Erkenntniskritik, Begründung des Sittengesetzes und Gottes
frage bei Immanuel Kant. 9 Eckharts Rede von Gehorsam setzt die Gerechtigkeit Gottes voraus (RdU 1). Derart sei es »gerechten Menschen so ernst mit der Gerechtigkeit, daß sie, wenn Gott nicht gerecht wäre, nicht die Bohne auf Gott achten würden; und sie stehen so fest in der Gerechtigkeit und haben sich so gänzlich ihrer selbst entäußert, daß sie weder die Pein der Hölle noch die Freude des Himmelreiches noch irgend etwas beachten« (Pr. 6, EW I, S. 79). 10 Platon untersucht die Tugenden im Rahmen seiner Überlegungen
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teles sieht tugendhaft Handelnde als ›spontan und ursprünglich Handelnde‹ (e4nergh2sante@ pro2teron),11 die für ihr Tun selbst verantwortlich seien, also nicht ›gehorsam‹ einer übergeordneten Instanz folgten.12 Platons Sokrates erklärt immerhin, er werde ›dem Gott mehr gehorchen als euch‹ [Athenern] (Apolo gie 20 d): peísomai de1 ma/llon tö/ jeö/ h8 u3mîn. Da die ›Spontaneität der Erkenntnis‹ mit Rezeptivität und die ›Gegebenheit‹ des ›moralischen Gesetzes‹ mit Gehorsam zu tun hat, zeigt sich, daß auch Kant eine Brücke zwischen ›Gehorsam‹ und ›Autonomie‹ geschlagen hat.13 In die Richtung von RdU 1 weist das genannte Wort Augustins, das die Zusammengehörigkeit von ›Hören‹ und ›Erkennen‹ allgemein zur Sprache bringt (conf. 11,5): »audiam et intellegam«. Dabei wäre auch die etymologische Nähe von ›audire‹ und ›ob oedire‹ zu beachten. Sofern wir ohne Hören und ohne Gehorsam zum besten Staat und nennt als Ziel tugendhaften Handelns die ›Gerechtigkeit‹ (dikaiosu2nh), gemäß der ›jeder das Seinige verrichtet‹; das Ideal ist also: to1 ta1 au3tou/ pra2ttein (Politeia 433 b). Er nennt die Tugend zwar ›herrenlos‹ (Politeia 617 e: a4reth1 de1 a4de2spoton). Gehorsam ist bei Platon aber auch nicht negativ konnotiert; also hält er ›Gehorsam gegen die Gesetze‹ (und auch im Blick auf die ›Götter‹) durchaus für angemessen (vgl. z. B. Nomoi 701 b; 762 e). 11 Vgl. NE 1103 a 31; dazu NF: Tugend und Glückseligkeit. Zu ihrem Verhält nis bei Aristoteles und Kant. 12 Dennoch ist es möglich, den Ansatz Eckharts mit Gedanken der alten Griechen zu verknüpfen, sofern diese die ›Rezeptivität‹ des Vermögens endlicher spontaner Vernunftwesen nicht aus dem Blick verloren haben. 13 Vgl. KrV B 1: »Daß alle unsere Erkenntniß mit der Erfahrung anfange, daran ist gar kein Zweifel; denn wodurch sollte das Erkenntnißvermögen sonst zur Ausübung erweckt werden, geschähe es nicht durch Gegenstände, die unsere Sinne rühren und theils von selbst Vorstellungen bewirken, theils unsere Verstandesthätigkeit in Bewegung bringen, diese zu vergleichen, sie zu verknüpfen oder zu trennen, und so den rohen Stoff sinnlicher Eindrücke zu einer Erkenntniß der Gegenstände zu verarbeiten, die Erfahrung heißt?« Vgl. auch KpV A 56. Diese Einsicht bleibt zu bedenken. Vgl. auch Johannes Schwartländer: Der Mensch ist Person. Kants Lehre vom Menschen, bes. 154.
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(ohne Rezeptivität im Blick auf Gegebenes) keine ›Erkenntnis‹ (die gewiß nicht ohne Spontaneität des Denkens möglich ist) erlangen können, leuchtet Eckharts These zum hohen Rang des ›Gehorsams‹ auch im Blick auf die Philosophiegeschichte ein. Nach der ›Rezeptivität der Eindrücke‹, die er neben der ›Spontaneität der Begriffe‹ als Bedingung der Möglichkeit der theoretischen Erkenntnis nennt (KrV B 74), hat Kant die Notwendigkeit des ›Hörens‹ und des ›Gehorsams‹ aber, ohne daß es allgemein beachtet und bedacht würde, weiter verschärft. Das Prinzip der »Autonomie«, das dem Gedanken des »Gehorsams« radikal entgegengesetzt zu sein scheint und alsbald als Prinzip der ›Selbstgesetzgebung‹ der praktischen Erkenntnis im Denken Kants aufgefaßt wurde (vgl. den Brief von Gotthard Ludwig Kosegarten an Kant; AA 10,58), hat Kant selbst in der Skizzierung ›moralisch relevanter Situationen‹ mit »Erfahrung« unterfüttert, auf die nur gehört werden kann (vgl. KpV A 54). Ohne ›Gehorsam‹, ohne in moralisch relevanten Situationen, in denen andere Perso nen als ›Zwecke an sich selbst‹ begegnen, zunächst auf den Anspruch ›gehört‹ zu haben, der von ›Anderen‹ ausgeht, kann es keine ›Autonomie‹ geben, die dem ›moralischen Gesetz allererst unbedingte Geltung verleiht – nämlich durch ›autonome‹ An erkennung auch der Anderen als Zwecken an sich selbst.14
14 In der Tat bezieht Kant die unbedingte Geltung des moralischen
Gesetzes klar auf das ›Dasein von Anderen‹ als Zwecken an sich selbst, auf deren Dasein also ›gehört‹ werden muß; vgl. GMS BA 66; AA 4,429: »Der Grund dieses Princips ist: die vernünftige Natur existirt als Zweck an sich selbst. So stellt sich nothwendig der Mensch sein eignes Dasein vor; so fern ist es also ein subjectives Princip menschlicher Handlungen. So stellt sich aber auch jedes andere vernünftige Wesen sein Dasein zufolge eben desselben Vernunftgrundes, der auch für mich gilt, vor; also ist es zugleich ein objec tives Princip, woraus als einem obersten praktischen Grunde alle Gesetze des Willens müssen abgeleitet werden können.« Vgl. NF: Erkenntniskritik, Begründung des Sittengesetzes und Gottesfrage bei Immanuel Kant. Die Beziehung zum ›Anderen‹ in der Grundlegung der ›praktischen Philosophie‹ hat Emmanuel Levinas vor Augen gestellt; vgl. schon Totalité et Infini. Essai
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Kant findet den »Grund« des ›obersten praktischen Prinzips‹ zunächst zwar in der Annahme: »die vernünftige Natur existirt als Zweck an sich selbst«. Dieses Prinzip bringt als solches aber gar keinen ›Imperativ‹ hervor. Denn dieser tritt nur auf, sofern sich »auch jedes andere Wesen sein Dasein zufolge eben desselben Vernunftgrundes, der auch für mich gilt«, als »Zweck an sich selbst« vorstellt; nur so wird es »zugleich ein objectives Princip, woraus als einem obersten praktischen Grunde alle Gesetze des Willens müssen abgeleitet werden können«. ›Autonomie‹ hat auch bei Kant mit dem ›Hören‹ auf den nicht objektiv faßbaren Selbstzweckcharakter des Seins der Anderen zu tun (also mit e iner Art ›Gehorsam‹), nicht mit autokratischer Selbst ausle gung.15 Schon Eckharts erste Rede läßt sich mit Grundgedanken Kants in Beziehung bringen.
b. RdU 4: »Von dem nützen lâzenne, daz man tuon sol von innen und von ûzen.« Eckharts Empfehlung, alle Dinge und sich selbst zu ›lassen‹, ist von größter Bedeutung für die Geisteshaltung geworden, die unter dem unpräzisen Namen der ›Mystik‹ geführt wird.16 Bei sur l’extériorité; später hat Levinas sich ausdrücklich auf Kant bezogen (vgl. dazu auch den Aufsatz Le primat de la raison pure pratique). 15 Nachdem Kant den Weg von der theoretischen zur praktischen Philosophie gefunden hatte, hat sich ihm die Frage der Religion (mit positivem Bedenken der ›Gottesfrage)‹ neu gestellt, die er auch ausdrücklich bearbeitet hat, z. B. schon im Postulat vom »Dasein Gottes« (KpV A 223–237) – und dann mit Nachdruck in der Religionsschrift (RGV). Vgl. dazu auch NF: Zur »Person eines jeden andern« im Denken Immanuel Kants. Vor dem Hintergrund der ›Heteronomie‹ bei Levinas und dem ›Seinsdenken‹ bei Heidegger. 16 Vgl. Dietmar Mieth: Die Entstehung des Bildungsgedankens bei Meister Eckhart, 76 Fn: »Die Projektion des ›Mystik‹-Begriffes, den Eckhart so nicht kennt und gebraucht, wie er heute üblich ist – als religiöse Einheitserfahrung – scheint mir ganz ähnlich zu verlaufen«. Mieth nennt weitere einschlägige Literatur. Zu beachten ist Otto Langer: Christliche Mystik im
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der Auslegung ist zu bedenken, ob und inwiefern das von Eckhart geforderte ›Lassen‹ bei ihm auf ›Entselbstung‹ hinausläuft.17 Augustinus, den Eckhart in RdU zweimal mit Zitaten hervorhebt (RdU 1; RdU 11), hatte zur Frage nach der Bedeutung des ›Ich‹ oder des ›Selbst‹ im kritischen Anschluß an Plotin erklärt (vera rel. 72): »noli foras ire, in te ipsum redi. in interiore homine habi tat veritas. et si tuam naturam mutabilem inveneris, transcende et te ipsum.« Augustinus deutete dieses Überschreiten (»transcendere«) aber nicht als Preisgabe des endlichen Selbst, auch nicht als Rücknahme des göttlichen Schöpfungswillens, sondern ist vom Glauben an die seinsstiftende Liebe des Schöpfers und von der Hoffnung auf ein bleibendes ›ewiges Reich Gottes‹ getragen, auf ein »regnum tecum perpetuum sanctae civitatis tuae« (conf. 11,13).18 Mittelalter. Mystik und Rationalisierung – Stationen eines Konflikts. Langer erklärt nicht unberechtigt (29): »Die Moderne hatte, nach Hegels Worten, das Prinzip der Subjektivität als ihr alle Lebensbereiche revolutionierendes Prinzip entdeckt«. Im Blick auf Kant erklärt er (ebd.): »Eine ›Revolution der Denkart‹, eine kopernikanische Wende, leitete Kant ein, indem er die Vernunft als spontanes, produktives und autonomes Prinzip erwies.« Langer fügt hinzu (ebd.): »Vor dem Gerichtshof dieser Vernunft findet die Mystik wenig Gnade.« Dazu weist er auf Das Ende aller Dinge (1794), wo Kant sagt, daß ›die Vernunft, wo sie sich selbst, und was sie will, nicht versteht, lieber schwärme‹ (A 513 = AA 8,325). Unbeachtet bleiben Kants Grund ansatz und die späten differenzierten Stellungnahmen; vgl. NF: Kants Idee »est Deus in nobis« und ihr Verhältnis zu Meister Eckhart. Zur Beziehung von Gott und Mensch in Kants kritischer Philosophie und bei Eckhart. 17 Vgl. Hans-Jürgen Fuchs: Desappropriatio (HWP 2,116): »Die Lehre von der Entselbstung ist voll entwickelt zum ersten Mal in der Deutschen Dominikanermystik des 14. Jh. (ECKHART, SEUSE und vor allem TAULER) zu finden, ohne jedoch einen abstrakten Oberbegriff wie ›Eigenschaft‹ im Bereich der Selbstbefangenheit geprägt zu haben«. Beachtenswert sind dort die weiteren, von Fuchs gegebenen wirkungsgeschichtlichen Hinweise. 18 Vgl. NF: Sein und Sinn der Zeitlichkeit im philosophischen Denken Augu stins; weiterhin NF: Transzendieren und Transzendenz in Augustins ›Confessio nes‹ (»tu autem eras inferior intimo meo et superior summo meo«).
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Wie Augustinus ersehnt Eckhart in RdU kein Ende des ›Vielen‹, keine ›Rückkehr in das Eine‹: Beide erhoffen vielmehr den ›Frieden einer dauerhaften, heiligen Gemeinschaft freier Bürger‹. Der Titel der vierten Rede mag zwar den Anschein wecken, als wolle Eckhart den ›Nutzen‹ des Verhaltens nach Klugheitsregeln bedenken oder gar kaufmännisch berechnen. Dagegen richtet sich aber klar die auf Maximen zielende Forderung der ›Gerechtigkeit‹, die allgemein gilt, die zu bedenken und zu befolgen ist: »Bist dû gereht, sô sint ouch dîniu werk gereht.«
c. RdU 6: »Diz enmac der mensche niht gelernen mit vliehenne, daz er diu dinc vliuhet und sich an die einoede kêret von ûzwendicheit; sunder er muoz ein innerlich einoede lernen, swâ oder bî swem er ist. Er muoz lernen diu dinc durchbrechen und sînen got dar inne nemen und den krefticlîche in sich künnen erbilden in einer wesenlîchen wîse.« Platon hat den Weg zu Gott zweischneidig als ›Flucht‹ der sterblichen Natur bezeichnet und auf diesem Weg die ›Verähnlichung mit Gott‹ gefordert (Theaitetos 176 a/b): fugh1 de1 o3moíwsi@ jeö/ kata1 to1 dunato2n: o3moíwsi@ de1 díkaion kai1 o5sion meta1 fronh2 sew@ gene2sjai. Nach Platon ist ›Gott niemals ungerecht, sondern der Gerechteste‹ (dikaio2tato@): Niemand sei ihm ähnlicher, als wer unter uns ebenfalls der Gerechteste ist. Mit ›Weltflucht‹ und Verneinung des Vielen hat dieser Denkansatz nichts zu tun, wenngleich mit ›Flucht der sterblichen Natur‹. Platon kennzeichnet den Weg der Menschen mit Sokrates allgemein als ›Sein zum Tode‹, ringt aber hart um die Frage des individuellen Weiterlebens der einzelnen Vernunftwesen, die nach Gerechtigkeit streben sollen, über den Tod hinaus – im Sinne ihrer ›Unsterblichkeit‹.19 19 Platon denkt hier eher zaghaft; vgl. Phaidon 106 d (Übersetzung
Friedrich Schleiermacher): »Gott wenigstens, sprach Sokrates, und die
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Dazu gehören auch die Reflexionen zur ›Gerechtigkeit‹, mit denen Augustinus wie Platon auf die alle endliche Vernunftwesen betreffende Situation zielt, aber (gestützt vom christlichen Inkarnationsglauben) keine ›Flucht‹ empfiehlt.20 Augustinus nennt ›Gerechtigkeit‹ in dem Sinne als Ziel der Schöpfung, daß alles auf die vollkommenste Weise geordnet sei (lib. arb. 1,15): »iustum est, ut omnia sint ordinatissima«. Weltflucht empfiehlt er so wenig wie Platon, der Gott als den ›gerechtesten‹ (als di kaio2tato@) gedacht und das Streben nach Gerechtigkeit zwar ›Flucht‹ (fugh2) genannt hatte – aber in einer Weise, die nicht Weltverneinung, sondern einen ›gerechten Staat‹ anzielte. Auch Augustinus dachte das Ideal als ›heilige Gemeinschaft freier Bürger im Reich Gottes‹ (conf. 11,3). Eckharts Forderung, die Dinge zu ›durchbrechen‹, läuft nicht auf Weltverneinung hinaus, sondern soll die Hoffnung auf eine ›neue Welt‹ stützen, die vom freien Wirken der Geschöpfe mitbestimmt ist. Dem dient auch das Beispiel vom mühsamen Erlernen des Schreibens (RdU 6), das auf ein Ergebnis zielt, in dem Vieles wirkt, am Ende vernünftig geordnet ist und gleichsam eine neue Welt eröffnet.
Idee des Lebens selbst wird wohl, wenn überhaupt etwas unsterblich ist, von jedem eingestanden werden, daß es niemals untergehe.« Dazu vgl. NF: Philosophieren als Sein zum Tode. Zur Interpretation von Platons ›Phaidon‹. Augustinus gewinnt in dieser Frage Stützung durch den christlichen Glauben (vgl. z. B. conf. 4,19) an die Inkarnation, an die Menschwerdung Gottes. 20 Augustinus stellt die dem Confessiones-Leser Eckhart wohl bekannte, kritische Frage, ob er das menschliche Leben, in das er unversehens gekommen ist, »vitam mortalem an mortem vitalem« nennen solle (conf. 1,7). Schon Augustinus bedurfte demgemäß des Glaubens an eine »vita nova, et vita mortalis et vita vitalis« (en. Ps. 89,17).
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d. RdU 10: »Wie der wille alliu dinc vermac und wie alle tugende in dem willen ligent, ob er anders gereht ist.« Diesem Satz liegen gegen den Anschein, den sein Beginn hervorruft, keine Allmachtsphantasien zugrunde, sondern (sofern Eckhart seine Aussage auf die Herkunft der ›Tugenden‹ einschränkt) die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit eines freien Willens endlicher Vernunftwesen. Der Satz macht zugleich plausibel, warum Eckhart so selten die Allmacht Gottes betont. Wer von ›gerechtem Willen‹ spricht, setzt dessen Freiheit voraus. Eckhart zielt auf den Willen endlicher Subjekte, die sich ansonsten, wenn auch erfolglos, das Blaue vom Himmel herabwünschen könnten, und bezieht ihn auf die Fragen nach den ›Tugenden‹ und der ›Gerechtigkeit‹. Damit greift er erneut Gedanken aus Augustins De libero arbitrio auf. Im Zentrum steht dort die das Sein von Allem betreffende These (lib. arb. 1,15): »iustum est, ut omnia sint ordinatissima«. Den ›guten Willen‹ hatte schon Augustinus in der ›Autonomie‹ endlicher Subjekte gefunden, im Blick auf das ›Gute‹, das ›sich der Wille allein durch sich selbst geben kann‹ (lib. arb. 1,26): »sola illi voluntas per se ipsam daret«.21 Das betrifft auch den ›Ursprung des Bösen‹, sofern der Wille »prima causa peccandi« ist (lib. arb. 3,49). Solche Thesen setzt Eckhart strikt für die Zurechnung gesetzwidriger Taten voraus (RdU 23: Von den innerlîchen und ûzerlîchen werken): »In der wârheit, künde ein diep, den man iezunt hâhen solte, der ez wol verdienet hæte und hæte gestoln, und einer, der gemürdet hæte, den man von rehte solte redern: künden sie in in daz vinden: sich, dû wilt daz lîden durch die gerehticheit, wan man dir rehte tuot, sie würden âne mittel sælic.«22
21 Vgl. dagegen Martin Luther: De servo arbitrio. Dazu NF (Hg.): Die
Gnadenlehre als ›salto mortale‹ der Vernunft?; darin bes. Mathias Eichhorn: Der Streit Luthers mit Erasmus über die Willensfreiheit. 22 Diese von Eckhart genannten ›Urteile‹ gelten heute weithin als rigo
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Wer ›Gerechtigkeit‹ in der Welt sucht und erhofft, konnte schon immer zweifeln und war schon immer auch auf den Glauben an eine unendliche Gerechtigkeit verwiesen, wobei Fragen der welt lichen Gerichtsbarkeit als Probleme (als ›notwendige, aber unlösbare Aufgaben‹) auftraten. Eckhart geht in RdU implizit auf eine ›Metaphysik der Probleme‹ zu. Wie selbstverständlich berührt Eckhart zwar konkrete Kontexte des Ordenslebens, meidet aber unbedachte Annahmen und favorisiert Haltungen eines ›vernünftigen Glaubens‹. Dies läßt sich an RdU 20 konkretisieren, wo es um den ›Empfang des Leibes des Herrn‹ geht. Diese Rede enthält zwar auch überschwengliche Motive, beginnt allerdings mit dem nüchternen Hinweis: »Dû ensolt niht grôz wegen, wes dû enpfindest, mêr: ahte grôz, waz dû minnest und waz dû meinest«. Also solle jeder Mensch prüfen (nicht an fideistischen oder gar mystischen Theorien, sondern an seinem eigenen Willen), wie fern oder nah Gott ihm sei, der nicht als ›Allmächtiger‹ (noch weniger mit Nietzsches ›Willen zur Macht‹) vergegenwärtigt wird. Vielmehr soll der als frei und verantwortlich gedachte Mensch einen von ihm selbst bewirkten ›guten Willen‹ haben.23 Eckhart erstrebt keine ›Rückkehr ins Eine‹ im Stile von Plotins ›Henologie‹, befördert keine die Welt verachtende ›Mystik‹, ristisch und widersprechen heutigem Zeitgeist, der aber umgekehrt geneigt zu sein scheint, das Leid der Opfer auszublenden oder schnell zu vergessen. 23 Wiederum in Anknüpfung an Augustinus gedacht; vgl. lib. arb. 1,27: »quisquis ergo habens bonam voluntatem, de cuius excellentia iam diu loquimur, hanc unam dilectione amplexetur qua interim melius nihil habet, hac sese oblectet, hac denique perfruatur et gaudeat, considerans eam et iudicans, quanta sit quamque inuito illi eripi vel subripi nequeat, num dubitare poterimus istum adversari rebus omnibus quae huic uni bono ini micae sunt?« Vorausweisend auf Kant: GMS BA 1 (AA 4,393): »Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille.« Auch Kant beachtet der Sache nach Augustins »interim«, vgl. z. B. die Postulatenlehre, bes. KpV A 238–241.
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sondern zielt auf eine undogmatische ›Metaphysik der Probleme‹ aus sokratischem Wissen des Nichtwissens, die Kant im anderen Kontext der Wissenschaften der Neuzeit entfaltet hat, »um zum Glauben Platz zu bekommen« (KrV B XXX). Absolutes Wissen, das spekulative Metaphysiker (oder moderne Naturwissenschaftler) erstreben,24 um die Unruhe des menschlichen Herzens zu besiegen, hält Eckhart (wie Platon, Augustinus und Kant) für verfehlt (vgl. MEW I,42 f.; conf. 1,1; AA 27,1402). Einerseits knüpfte Eckhart an überlieferte Formen des christlichen Lebens an, die ihn und seine Hörer im klösterlichen Alltag prägten, andererseits hielt er sich für einen ›postulatorischen Atheismus‹ offen, sobald er etwas sah, das den Glauben an den göttlichen Ursprung der Welt destruieren konnte.25 Zwar wollte er Gott gern vertrauen, erklärt aber fast drohend (RdU 1): »entæte got des niht, in der wârheit, diu got ist, sô enwære got niht gereht noch enwære got, daz sîn natiurlich wesen ist.« Vom Vermögen des Willens, Gutes und Böses zu erstreben, ist Eckhart fest überzeugt: »mit dem willen vermac ich alliu dinc«. Damit flieht er aber nicht in ein erträumtes Wolkenkuckucksheim, sondern weist voraus in die Richtung von Kants ›Primat der reinen praktischen Vernunft‹ (ebd.): »gebrichet dir niht an dem willen dan aleine an der maht, in der wârheit, vor gote hâst dû ez allez getân, und enmac dir daz nieman benemen noch dich des geirren einen ougenblik; wan wellen tuon, als balde ich mac, und haben getân, daz ist vor gote glîch.«
24 Vgl. hierzu die ›Formen des Wissens‹ nach Max Scheler: Philosophi
sche Weltanschauung (GW 9,75–84). 25 Vgl. auch RdU 16; dazu NF: Wer sint, die got êrent? (Predigt 6). Zur lei tenden Grundfrage Meister Eckharts. Hinführung zum Zentrum seines Denkens, 9 und 16. Ders.: Got und ich wir sîn ein / »Gott und ich wir sind eins« (Predigt 6), bes. 203, 211, 215 f.; ders.: Kants Idee »est Deus in nobis« und ihr Verhältnis zu Meister Eckhart. Zur Beziehung von Gott und Mensch in Kants kritischer Philoso phie und bei Eckhart, 378.
Norbert Fischer
XXXV
Die Thesen, daß ›der Wille alles kann‹ und »alle Tugenden im Willen gründen, wenn dieser nur gerecht ist‹, greifen die Thesen Augustins zur »sola voluntas per se ipsam« auf und kündigen eine praktisch fundierte Metaphysik der Postulate an, wie Kant sie in der kritischen Metaphysik der Probleme vorgelegt hat. Eckhart spricht (wie einst Augustinus26 und später Kant) dem menschlichen Willen die Kraft zur Hervorbringung von ›Gutem‹ und ›Bösem‹ zu (vgl. RdU 23), wobei er nicht die (absolute) All macht ›Gottes‹ betont, sondern dessen Willen mit der Kausalität der endlichen Geschöpfe zu verknüpfen versucht.27 Auch die ›Eucharistielehre‹ vergegenwärtigt er nicht ontologisch-dogmatisch (dabei ginge es um die Lehre von der ›Transsubstantiation‹), sondern moralisch-praktisch (RdU 20), wobei er unter Betonung moralisch relevanter Fragen auf ein ›Primat der praktischen Vernunft‹ zusteuert und es implizit voraussetzt. Obwohl er den Ursprung von Mensch und Welt in ›Gott‹ annimmt und den Gehorsam im Bewußtsein des zeitlichen Vorrangs der Rezeptivität von Wesen, die auch spontaner Akte fähig sein können, grundlegend als »tugent vor allen tugenden« auslegt (RdU 1), faßt er mora26 Die Freiheitslehre des ersten und die Gnadenlehre des dritten Bu-
ches von lib. arb. stehen in Spannung; vgl. dazu Nello Ciprani: De libero arbit rio (AL 3,961–971); Christof Müller: Liberum arbitrium (AL 3, 972–980). Augustinus nennt das Gut des guten Willens im ersten Buch ein oberstes Gut (1,26: »praestantiorem omibus bonis«); noch im dritten Buch setzt er die Freiheit des Willens voraus und bezeichnet den Willen als »prima causa peccandi« (3,49). 27 Von ›Allmacht‹ Gottes spricht Eckhart selten; vgl. Predigt 69 (MEW II,53); im Traktat 3 (Von Abegescheidenheit) heißt es (MEW II,450): »Nû enmac got niht in allen herzen gewürken nâch allem sînem willen, wan swie daz sî, daz got almehtic ist, sô enmac er doch niht gewürken, wan als er bereitschaft vindet oder machet.« Vgl. den kritischen Hinweis von Niklaus Largier zur Echtheit (MEW II, 803): »Obwohl Quint den Text in seine Ausgabe aufgenommen hat, bleiben viele frühere Einwände gegen die Echtheit des Traktats bis heute unausgeräumt.« Immerhin wurden die Gedanken dieses Traktats von Späteren doch auch als verwandt mit Eckhart gesehen.
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Einleitung
lisch relevantes Tun als eine von jedem einzelnen Menschen zu verantwortende Willensentscheidung ins Auge. So nähert er sich im Ausgang von Augustinus (sol. 1,7: »deum et animam scire cupio«) Fragen, die sich erneut bei Kant finden, der sein Denken um »Gott, Freiheit und Unsterblichkeit zum Behuf des nothwendigen praktischen Gebrauchs meiner Vernunft« zentriert hat (KrV B XXX). Eckhart hebt zu Beginn seiner ›Reden‹ mit guten Gründen den ›Gehorsam‹ hervor, dem in der Philosophie (als eigenständigem Streben nach Weisheit) wenig Beachtung zuteil wurde und der bis heute kaum beachtet wird. Da er keinen sklavischen Gehorsam im Auge hat, ist er nicht daran gehindert, auch die ›Freiheit der Willensentscheidung‹ deutlich hervorzuheben, um die ›conditio humana‹ zureichend zu charakterisieren. Durch kontroverse Ansätze läßt Eckhart sich nicht irritieren, setzt aber hartnäckig auf den ›Glauben‹ an die Gerechtigkeit Gottes, der Mensch und Welt aus ›Liebe‹ geschaffen habe. Er sieht, daß dazu ›vernünftiger Glaube‹ unumgänglich ist, verbeißt sich also in keinen ›Dogmatismus‹,28 der sich zu der von allen ersehnten Selbstberuhigung eine Gewißheit vorgaukelt, die aber für end liche Vernunftwesen, als die Menschen sich erfahren, unerreichbar bleibt.
e. RdU 11: »Ez enist kein rât als guot, got ze vindenne, dan wâ man got læzet.« Eckhart präsentiert sich in diesem Wort zwar zutiefst als ›Gottsucher‹, der aber, was im Thema der elften Rede bereits im Blick ist (»Waz der mensche tuon sol, sô er gotes vermisset und sich verborgen hât«), gesteht und akzeptiert, daß seine Suche erfolglos bleiben kann. Diese Haltung ist im Rückblick auf die über28 ›Dogmatismus‹ drohte und droht in verschiedenen Zeiten von sehr
unterschiedlichen Seiten.
Norbert Fischer
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lieferten philosophischen Argumente zum ›Dasein Gottes‹ nicht erstaunlich, obwohl diese heute (besonders nach ihrer Kritik durch Kant) leichthin, aber doch irreführend ›Gottesbeweise‹ genannten Gedanken öfter so ausgelegt wurden, als hätten deren Verfasser ›dogmatische Gewißheit‹ hinsichtlich des Daseins Gottes erstrebt. Daß dem nicht so ist, wird im folgenden Exkurs knapp angedeutet. Eckhart nimmt an, daß der von allen (noch von Friedrich Nietzsche) ersehnte ›Gott‹ den Suchenden am Ende unerreichbar bleiben kann oder bleiben muß, sogar in dem erschreckenden Sinn, daß ›Gott (selbst) sich (den Suchenden) verborgen hat‹. Die Empfehlung, ›Gott zu lassen‹, spricht Eckhart dennoch in der Hoffnung aus, daß sie den Suchenden helfe, ›Gott zu finden‹. Exkurs zum Sinn einer ›philosophischen Theolog ie‹:29 Platons Sokrates sieht die höchste ›menschliche Weisheit‹ (a4njrwpính sofía) im ›Wissen des Nichtwissens‹ und verweist auf ein ›Glauben‹ (Apologie 21 b –23 d). Aristoteles legt das ›philosophische Reden von Gott‹ (filosofía jeologikh2) zwar als erste Philosophie (prw/th filosofía) aus, aber nicht als ›wirkliche‹, sondern als ›gesuchte Wissenschaft‹ (e4pisth2mh zhtoume2nh; Metaphysik A, 982 a 7–23; Metaphysik L, 1072 a 20–1073 b 17, 1074 b 1–1075 a 10). Augustinus fragt im zweiten Buch von De libero arbitrio, warum Gott dem Menschen freie Willensentscheidung gegeben habe (lib. arb. 2,1: »quare dederit deus homini liber um arbitrium voluntatis«), und bedenkt dazu auch die Frage, ob ›Gott‹ überhaupt existiert. Nach der Freiheitslehre des ersten Buchs, in dem Augustinus den ›guten Willen‹ als ›oberstes Gut‹ genannt hatte (1,27: »interim melius nihil«), erklärt er, daß wir Menschen ohne freien Willen nicht ›gut leben‹ könnten (2,3) und daß ›Gott uns freien Willen gegeben habe‹ (2,9): »deum nobis dedisse liberam voluntatem«. Zur Frage, ob Gott existiert, erklärt er, daß 29 Zum hier gewählten Ansatz vgl. NF: Die philosophische Frage nach Gott.
Ein Gang durch ihre Stationen.
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Einleitung
über Gott kein Höherer sei (2,54: »quo est nullus superior«), was ihn am Ende zur Annahme führt, daß ›Gott‹ (oder ›die Wahrheit selbst‹) wirklich existiere (2,39). Auch im dritten Buch seiner Freiheitsschrift behauptet er die Vereinbarkeit des Gottesglaubens mit der Überzeugung von der Freiheit der Willensentscheidung (3,27) und erklärt sogar (3,49): »aut igitur voluntas est prima causa peccandi aut nullum peccatum est prima causa peccandi.« Mit Motiven Augustins ringt Anselm von Canterbury im Proslogion um die Vernünftigkeit des Gottesglaubens, indem er Gott zunächst als etwas denkt, ›über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann‹ (cap. II: »aliquid quo maius nihil cogitari potest«), was indessen zu keinem ›dogmatischen Beweis‹ führt, da Gott ›etwas Größeres sei, als gedacht werden könnte‹ (cap. XV: »quidam maius quam cogitari possit«). Auch Thomas von Aquin hat keinen ›dogmatischen Gottesbeweis‹ vorgetragen: zur Frage, ›ob Gott existiert‹, führt Thomas in der Summa theolo giae zwar fünf Argumente gegen die Annahme an, daß Gott nicht existiert (vgl. I,2,3). Da er in der Introductio der folgenden Quaestio festhält, daß wir nicht wissen könnten, ›was Gott ist, sondern nur, was er nicht ist‹ (»quia de Deo scire non possumus quid sit, sed quid non sit«), destruiert er jedoch selbst bewußt und explizit die ›dogmatische Bedeutung‹ der fünf Wege als ›theoretischer Beweise‹. Nach den Prozessen gegen Meister Eckhart in Köln und Avignon30 hat Nikolaus von Kues erneut zur Möglichkeit, ›Gott zu finden‹, und dabei zum ›heiligsten Nichtwissen‹ (»sacratissima ignorantia«) gesprochen (De Visione Dei 16,67/164). Cusanus betont schon in De docta ignorantia, daß nur das Wissen des Nichtwissens endliche Geistwesen für die an sich unbegreifliche Möglichkeit der Anwesenheit des unendlichen Gottes beim Menschen empfänglich machen könne. Nach den dogmatischen Beweisa nsätzen der frühen Neuzeit hat Immanuel Kant in sei30 Vgl. dazu Wolfgang Erb: Meister Eckharts Schwierigkeiten mit dem ma
gisterium cathedrae pastoralis in Köln und Avignon (auch mit Hinweisen zur einschlägigen Literatur zu diesem Thema).
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ner Gottesbeweiskritik, die von ›Gottsuche‹ bestimmt war, wieder an die große philosophische Tradition angeknüpft und damit zugleich (ohne Kenntnis dieses Autors) einen Zugang zum kritischen Denken Eckharts eröffnet. Diese Suche reicht bis hin zu Heideggers schmerzbesetzter Rede vom ›Fehl Gottes‹.31 In den Kontext undogmatischer Gottsuche gehört auch Eckharts Wort: »Ez enist kein rât als guot, got ze vindenne, dan wâ man got læzet«. Schon Augustinus hatte in sokratischer Tradition erklärt, Gott werde ›besser im Nichtwissen gewußt‹ (ord. 2,44: »qui scitur melius nesciendo«). Endliche Vernunftwesen mögen zwar die Bedingtheit von Bedingtem erahnen, sich auch auf die Idee von Unbedingtem als voraussetzungslosem Ursprung ausrichten, können aber Unbedingtes nicht ›objektiv erkennen‹. Eckharts Rat, ›Gott zu lassen‹ ist samt seiner schmerzbesetzten Geschichte bedenkenswert. Jede vernünftige Theologie (auch der Atheismus) muß sich die Unverfügbarkeit und Andersheit ›Gottes‹ eingestehen: Wer als Endlicher Unendliches bedenken will, muß eigene Vorstellungen vom Ziel der Suche hinterfragen. Auf die Frage der elften Rede, ›was der Mensch tun soll, wenn Gott ihm fehlt und sich verborgen hat‹, antwortet Eckhart dennoch: »Ouch solt dû wizzen, daz der guote wille gotes niht mac gemissen.« Der Rat, ›Gott zu lassen‹, bezieht sich auf den Versuch seiner ›theoretischen Erkenntnis‹; dagegen erklärt Eckhart im Rahmen der ›praktischen Philosophie‹: »der guote wille der enverliuset noch envermisset gotes niht noch niemer«. Auch die zweite Rede zum ›allerwirksamsten Gebet‹ und zur ›allerhöchsten Tätigkeit‹ betont die ›Freiheit des Geistes‹, knüpft an Augustinus an und ist kompatibel mit Motiven Kants.32 Augu31 Zum Hintergrund vgl. NF: Zum Sinn von Kants Grundfrage: ›Was ist der
Mensch?‹ Das Verhältnis der kritischen Philosophie Kants zur antiken Metaphysik und Ethik (im Blick auf Platon, Aristoteles und Augustinus und mit einem Nach trag zu Heidegger). 32 Die Nähe der moralphilosophischen Überlegungen von Augustinus und Kant tritt besonders deutlich hervor in Augustins De libero arbitrio und Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten.
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stinus hatte den Willen ›gerecht‹ genannt, der dem Ziel dient (lib. arb. 1,15), »ut omnia sint ordinatissima«. Als Kant mit Vernunft »ein oberstes praktisches Princip« suchte, fand er den »Grund dieses Princips« in der These: »die vernünftige Natur existirt als Zweck an sich selbst«, die ein »subjectives Princip menschlicher Handlungen« sei (GMS BA 66 = AA 4,429). Aber nur, weil sich »auch jedes andere vernünftige Wesen sein Dasein zufolge eben desselben Vernunftgrundes, der auch für mich gilt«, ebenso vorstelle, sei es »zugleich ein objectives Princip, woraus als einem obersten praktischen Grunde alle Gesetze des Willens müssen abgeleitet werden können« (ebd.). Obwohl Kant die »Autonomie des Willens« als ›oberstes Princip der Sittlichkeit‹ nennt, beachtet er ›die Anderen‹, ›hört‹ er gleichsam darauf, daß »auch jedes andere vernünftige Wesen« als »Zweck an sich selbst« zu achten ist – welcher ›Gehorsam‹ mit Kant als Tugend vor allen Tugenden bezeichnet werden könnte.33 Auch mit Kant ist es die Aufgabe endlicher vernünftiger Subjekte, ›ihren Eigenwillen aufzugeben‹ und sich damit einer transzendenten Wirklichkeit zu öffnen, die nur geglaubt werden kann. Eckharts von Hoffnung getragene Empfehlung, ›Gott zu lassen‹, setzte für ihn selbst in seiner Situation großes Gottvertrauen voraus, was (bewußt oder unbewußt) schon immer galt und gilt. Die Hoffnung, daß ein Mensch, der ›alles, was ihm gehört, ganz preisgegeben hätte‹, von Gott in Wahrheit so umfangen würde, läßt sich auf den Gedanken des ›leidenden Gottes‹ ein, der im ›Leiden des Gottessohnes‹, wie er im christlichen Glauben verkündet wird, Ausdruck findet. Eckhart setzt die ursprüngliche Ichbezogenheit des je eigenen Willens voraus, sieht es aber als dessen Hauptziel, diese egoistische Zentriertheit zu bekämpfen. Nach Eckhart gilt: ›ohne Preisgabe des Willens in allen Situationen wirken wir nie etwas mit Gott‹. Daraus folgt 33 Zur Bedeutung der Anderen bei Kant und Levinas vgl. NF: Zur »Per
son eines jeden andern« im Denken Immanuel Kants. Vor dem Hintergrund der ›Heterol ogie‹ von Levinas und dem ›Seinsdenken‹ von Heidegger.
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ein Rat, der dem Rat, ›Gott zu lassen‹, radikal entgegengesetzt zu sein scheint. Eckhart spricht mit Anklang an Augustins Wort (conf. 1,1: »inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te«) vom Menschen als ›cor inquietum‹ (RdU 11): »Dû söltest dich gote genzlîche ergeben mit allen dingen, und dâ enruoche dich, waz er tuo mit dem sînen.« Dabei versucht Eckhart, Gott göttlich zu denken – unter Beachtung des Seins der wirklichen Menschen und mit nüchternem Blick auf die faktische Welt. Das bedeutet, daß er Gott nicht unpersönlich als ›das Eine‹ denkt, in das die Menschen ›zurückkehren‹ sollten. Es geht nicht darum, sich aus der Welt zurückzuziehen: »dû ensolt dîn werk dar umbe deheine wîs niht lâzen«. Die von Eckhart empfohlene ›Gelassenheit‹ zielt nicht auf die Preisgabe und Verneinung ›des Anderen‹ oder gar ›der Anderen‹. Charakteristisch ist die ausdrückliche Bezugnahme auf die ›vielen anderen Heiligen‹. Die Hoffnung richtet sich auf das erwähnte »regnum tecum perpetuum sanctae civitatis tuae« – oder in Worten Kants: »Der Wunsch aller Wohlgesinnten ist also: ›daß das Reich Gottes komme, daß sein Wille auf Erden geschehe‹«.34 Die Empfehlung, ›Gott zu lassen‹, verknüpft Eckhart mit der Hoffnung auf ein ›Reich Gottes‹, in dem »daz edel korn« nicht verworfen werde. Der Rat, ›Gott zu lassen‹, hat nichts mit Gleichgültigkeit gegenüber Gott zu tun, nichts mit Gottesleugnung, aber auch nichts mit Weltverachtung, sondern soll alle zu möglichst rechtschaffenem Leben in guter Beziehung zu ›Gott‹ ermuntern, auf dem zuletzt die Hoffnung aller ruht, dem sich Eckhart nicht aus Klugheitsgründen zuwendet, aber auch nicht sklavisch unterwirft, wie er schon in RdU 1 mit Potential zum ›postulatorischen Atheismus‹ gesagt hatte: »Und entæte got des niht, in der wârheit, diu got ist, sô enwære got niht gereht noch 34 Vgl. RGV B 141 = AA 6,101. Vgl. auch schon KpV A 235: »der sich auf
ein Gesetz gründende moralische Wunsch das höchste Gut zu befördern« befördert das Postulat vom »Dasein Gottes« und die Hoffnung auf ein »Reich Gottes«.
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enwære got, daz sîn natiurlich wesen ist.« Da die faktische Welt nicht gerecht ist, hofft er auf ein »regnum tecum perpetuum sanctae civitatis tuae«, in dem jeder Mensch, der ›das Seine ganz gelassen hätte […] in Wahrheit ganz in Gott versetzt‹ wäre. Vorerst weist er gläubig auf die Hoffnung, daß ›das Licht in der Finsternis leuchtet‹ (Joh 1,3–5).
f. RdU 21: »Der vernunft enist niht als eigen noch als gegenwertic noch als nâhe als got.« Dieses Wort steht in schärfstem Kontrast zur Empfehlung, ›Gott zu lassen‹ (RdU 11), und kann als Widerspruch zu ihr aufgefaßt werden. Dadurch wirft es unversehens auch die Frage auf, welche Bedeutung ›das Andere‹ für die Vernunft hat (und insbesondere ›die Anderen‹ haben).35 Isoliert betrachtet könnte die These, der Vernunft sei ›nichts so eigen, gegenwärtig und nahe wie Gott‹, den Eindruck erwecken, Eckhart sei ein weltferner ›Mystiker‹, der geheime Beziehungen zu ›Gott‹ besitze oder behaupte. Unklar bleibt zunächst die Beziehung dieser These zur vorher zitierten Maßgabe, kein Rat, ›Gott zu finden‹, sei so gut wie der, ›Gott zu lassen‹. Die Behauptung der ›Nähe Gottes‹ kann auch auf die »Meta physik als Naturanlage« der menschlichen Vernunft bezogen werden, von der Kant gesprochen hat (KrV B 21), die als solche nicht mit ontischen Annahmen verknüpft sein muß: Die menschliche Vernunft wäre demnach von der Art (wodurch auch immer), daß sie Fragen aufwirft, zu denen die ›Frage nach Gott‹ gehört. Zu beachten ist dazu der Kontext der 21. Rede unter dem Titel »Von dem vlîze«. Eckhart betont in ihr das Ziel, daß »des 35 Vgl. NF; Dieter Hattrup: Metaphysik aus dem Anspruch des Anderen.
Kant und Levinas, weiterhin NF: Zur »Person eines jeden andern« im Denken Immanuel Kants. Vor dem Hintergrund der ›Heteronomie‹ bei Levinas und dem ›Seinsdenken‹ bei Heidegger.
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menschen méinunge an den werken gereht und götlich ist und guot« sein soll. Das Ideal wäre also ›der gute Wille aus freier Entscheidung‹, auch wenn wir nicht ›wissen‹, ob wir ›frei‹ und verantwortlich sind. Eckhart trägt das hier zitierte Wort nicht als dogmatisch-ontologische Behauptung vor, sondern als Forderung, die im eigenen Tun verwirklicht werden soll: »Man sol daz lernen, daz man ín den werken ledic sî.« Laut Eckhart sind wir nicht einfach ›frei‹, aber zur Frage nach der Verantwortung für unsere Taten angeregt. Dazu rät er zweierlei, zunächst in einem Nachgang zu Augustins Plotin-Zitat36: »daz sich der mensche wol verslozzen habe inwendic, daz sîn gemüete sî gewarnet vor den bilden, diu ûzwendic stânt«. Klarer noch als Augustinus im erwähnten Wort gegen Plotins Geringschätzung alles Äußeren37 legt Eckhart das Verhältnis von ›außen‹ und ›innen‹ explizit positiv aus, womit er auch dem biblischen Schöpfungsbericht folgt, nach dem Gott selbst das Geschaffene gut nannte: »Nû möhtest dû sprechen: der mensche muoz sich ûzkêren, sol er ûzwendigiu dinc würken; wan kein werk kan gewürket werden dan in sînem eigenen bilde.« Obwohl Eckhart nicht zur Geringschätzung der äußeren Wirklichkeit antreibt, hält er doch fest: »Der vernunft enist niht als eigen noch als gegenwertic noch als nâhe als got.« Daraus folgt nicht der Rat einer ›Rückkehr zum Einen‹, sondern die Ermunterung, Gott nachzufolgen. Indem Gott endliche Wesen ge36 Vgl. noch einmal vera rel. 72: »noli foras ire, in te ipsum redi. in inte
riore homine habitat veritas.« In der Fortsetzung dieses Wortes distanziert Augustins sich prinzipiell von der Henologie Plotins. Dazu NF: Sein und Sinn der Zeitlichkeit im philosophischen Denken Augustins. Vgl. auch NF: Augustins Philosophie der Endlichkeit. Zur systematischen Entfaltung seines Den kens aus der Geschichte der Chorismos-Problematik. 37 Zu Augustins Beurteilung des Äußeren und des vielen Endlichen ist z. B. auch conf. 4,19 zu beachten: »et descendit huc ipsa vita nostra et tulit mortem nostram et occidit eam de abundantia vitae suae et tonuit clamans, ut redeamus hinc ad eum in illud secretum, unde processit ad nos in ipsum primum virginalem uterum, ubi ei nupsit humana creatura, caro mortalis, ne semper mortalis.«
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schaffen habe, habe er sich selbst gegeben, um uns zu beseligen, worauf wir antworten sollen: »daz ist in sæligen, daz er uns möhte sæligen«. Wie Augustinus versteht er die ›freie Entscheidung des vernünftigen Willens‹ am Ende als »prima causa peccandi«. Eckhart fügt hier differenzierende Unterscheidungen im Begriff des Willens hinzu: »Daz ist wâr. Ez sint zwêne sinne ze nemenne an dem willen: der ein ist ein zuovallender wille und ein ungewesenter wille, der ander ist ein zuoverhengender wille und machender wille und ein gewenter wille.«
Damit bedenkt er Fragen der ›Tugend‹ in der Spur von Augustinus in De libero arbitrio und weist mit seinen Überlegungen voraus auf Grundsätze der ›praktischen Philosophie‹ Kants. Anders als Plotin erstrebt er also keine ›Rückkehr ins Eine‹, schmäht auch nicht die Zeit wegen ihrer Flüchtigkeit, sondern hofft (wie Augustinus) auf die ›Entflüchtigung des Zeitlichen‹ in einer neuen Welt, in der ›Ewigkeit‹, in der Hoffnung auf ein ›neues Leben‹ (vgl. dazu RdU 22), das der ›Flüchtigkeit des Zeitlichen‹ nicht mehr ausgesetzt ist.38
g. RdU 22: »Alsô wart gesprochen von einem menschen, der solte eines niuwen lebens beginnen von niuwem, und sprach ich alsô in dirre wîse: daz der mensche solte werden ein gotsuochender in allen dingen und gotvindender mensche ze aller zît und in a llen steten und bî allen liuten in allen wîsen.« Thema in RdU 22 ist die Frage: »Wie man gote volgen sol und von guoter wîse« – mit Platon geht es um die o3moíwsi@ jeö/. Eckhart nimmt den Menschen in den Blick, »der eines niuwen le38 Dazu vgl. Endre von Ivánka: Plato christianus, 208–212. Vgl. insge-
samt Aurelius Augustinus: Was ist Zeit? (Confessiones XI / Bekenntnisse 11).
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bens oder werkes wil bestân«. Nähme man an, daß die Hörer von Eckharts Reden vor allem Novizen waren, ließe sich RdU 22 auf diesen Hörerkreis beziehen, wäre aber nicht auf ihn beschränkt. Vielmehr gilt die Maßgabe, daß jeder Mensch, ›der erneut ein neues Leben beginnen sollte‹ […] ›in allem ein Gott suchender und Gott findender Mensch werden‹ soll, ›zu jeder Zeit, an allen Orten, bei allen Menschen in allen Lebensweisen‹. Dieser Rat gilt für alle Menschen, die in der Zeit leben, wobei die Zeiten – wie Augustinus sagte – sie zu zersplittern drohen (conf. 11,39). Die Hoffnung auf ›Entflüchtigung des Zeitlichen‹ leitet auch den Con fessiones-Leser Eckhart, der wohl als erster Autor aus allen dreizehn Büchern von Augustins Confessiones zitiert hat.39 Gegen Ende seiner ›Reden zur Orientierung im Denken‹ bezeichnet Eckhart die Forderung, daß ›wir kein kleines Gut in uns zerstören oder eine schwache Form des Lebens durch eine starke ersetzen, sondern […] sie in die allerhöchste Form bringen‹ sollen, als die höchste Aufgabe des menschlichen Lebens. Diese Forderung bezieht er auf alle Menschen und alle Lebensweisen: im Blick auf dieses Ideal sollen alle ›stets ohne Unterlaß zunehmen und wachsen und im Wachstum nie an ein Ende gelangen‹, was sich im Sinne eines »ins Unendliche gehenden Pro gressus« verstehen läßt (KpV A 220). Damit verweist Eckhart alle Menschen, wie auch Kant es später getan hat, auf ihre ›metaphysische‹ und zugleich ›religiöse Naturanlage‹40 mit dem Ziel, daß 39 Die Confessiones wurden gewiß auch vor Eckhart eifrig gelesen,
aber kaum zitiert – vielleicht wegen mancher Intimitäten, die Augustinus selbst noch im Rückblick eher als einen Vorzug dieses Werkes verstanden hat (retr. 2,6,1: »a primo usque ad decimum de me scripti sunt«. Vgl. NF: Meister Eckhart und Augustins ›Confessiones‹, 196 f.; weiterhin: Vorwort der Herausgeber zu MEaD, bes. XI. 40 Vgl. KrV B XXX und B 21 f.; weiterhin vgl. RGV B IXf. = AA 6,6: »Moral also führt unumgänglich zur Religion, wodurch sie sich zur Idee eines machthabenden moralischen Gesetzgebers außer dem Menschen erweitert, in dessen Willen dasjenige Endzweck (der Weltschöpfung) ist, was zugleich der Endzweck des Menschen sein kann und soll.« Vgl. dazu NF (Hg.): Kants Metaphysik und Religionsphilosophie; weiterhin NF / Jakub
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alle sich mühen, ›ein Gott suchender und Gott findender Mensch‹ zu werden. Eckharts Bestimmung des ›Wesens des Menschen‹ wäre folglich die Zentralaufgabe der Philosophie, wie sie schon von Platon gedacht (Theaitetos 176 b: o3moíwsi@ jeö/ kata1 to1 du nato2n) und später von Kant mit der erwähnten Rede von einem »ins Unendliche gehenden Progressus« fortgeführt worden ist.
3. Zu Eckharts Auslegung Gottes als ›Liebe‹ – anhand ausgewählter Passagen aus RdU 2, 6, 11, 15, 21, 23 Eckhart spricht in RdU aus gläubigem Vertrauen auf Gott als »Liebe«,41 aber auch im kritischen Bewußtsein, daß damit Gefahr und Wagnis verbunden sind.42 Schon am Anfang seines Weges scheut er sich nicht, die Annahmen der Liebe und Gerechtigkeit Gottes zur Bedingung seines Glaubens zu machen. Er empfiehlt Sirovátka (Hg.): Vernunftreligion und Offenbarungsglaube. Zur Erörterung einer seit Kant verschärften Problematik. 41 Vgl. conf. 2,1; 11,1; dazu NF: Amore amoris tui facio istuc. Zur Bedeutung der Liebe im Leben und Denken Augustins. Bei Kant vgl. RGV B 176 = AA 6,120: »man muß mit allen Kräften der heiligen Gesinnung eines Gott wohlgefälligen Lebenswandels nachstreben, um glauben zu können, daß die (uns schon durch die Vernunft versicherte) Liebe desselben zur Menschheit, sofern sie seinem Willen nach allem ihrem Vermögen nachstrebt, in Rücksicht auf die redliche Gesinnung den Mangel der That, auf welche Art es auch sei, ergänzen werde.« 42 Vgl. Platon: Phaidon 107 c;114 d; den Wagnischarakter dieser Fragen nennt auch Kant (KrV B 6 f.): »Und gerade in diesen letzteren Erkenntnissen, welche über die Sinnenwelt hinausgehen, wo Erfahrung gar keinen Leitfaden, noch Berichtigung geben kann, liegen die Nachforschungen unserer Vernunft, die wir der Wichtigkeit nach für weit vorzüglicher und ihre Endabsicht für viel erhabener halten als alles, was der Verstand im Felde der Erscheinungen lernen kann, wobei wir sogar auf die Gefahr zu irren eher alles wagen, als daß wir so angelegene Untersuchungen aus irgend einem Grunde der Bedenklichkeit, oder aus Geringschätzung und Gleichgültigkeit aufgeben sollten. Diese unvermeidlichen Aufgaben der reinen Vernunft selbst sind Gott, Freiheit und Unsterblichkeit.«
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existenziell und praktisch, fern jeder intellektuellen oder gefühligen ›Mystik‹, vernunftorientierten Glauben an die Gerechtigkeit und Liebe Gottes – und favorisiert zunächst voller Vertrauen einen ›postulatorischen Theismus‹. Er sagt (RdU 23): »In der wârheit, alsô solte mir genüegen an dem willen gotes: in allem dem, dâ got wölte würken oder geben, dâ sölte mir sô liep und sô wert sîn ze sînem willen, daz mir daz niht minner wære, dan ob er mir die gâbe gæbe und in mir daz worhte.«
Wie Augustinus (conf. 1,1: »inquietum cor nostrum«) verweist er für das Leben in Zeit und Welt auf die ›Unruhe des mensch lichen Herzens‹, was schon in RdU 6 deutlich wird, klarer aber in RdU 19 hervortritt.43 Dort erwähnt er die Sehnsucht nach der Beruhigung durch eigene Taten (»grôziu dinc […] oder an andern üebungen und an sunderlîchen, grôzen und swæren dingen«), nimmt aber an, daß jede Selbstberuhigung scheitert, was er auf den Willen Gottes zurückführt: bloß durch eigene Tätigkeit bleiben wir ruhelos Suchende, dabei auf die ›Anderen‹ verwiesen, im Sinn des Wortes: »amo: volo, ut sis«,44 Wie Augustinus betont er den Glauben an ›Gott‹ als liebenden Schöpfer aller vernünftigen Subjekte, nicht als an das in sich ›selbstgenugsame Eine‹. Eckhart spricht von der ›Liebe Gottes‹, die das Sein der vielen Ande-
43 Dort heißt es: »Daz wil unser herre, daz sîne vriunde disem entval-
lent, und dar umbe nimet er sie abe von disem enthalte, ûf daz er aleine ir enthalt müeze sîn.« Vgl. Predigt 3 (MEW I,42 f.): »Wan denne diu sêle hât eine mügelicheit alliu dinc ze bekennenne, dâ von geruowet si niemer, si enkome in daz êrste bilde, dâ alliu dinc ein sint, und dâ geruowet si, daz ist in gote.« Auch Kant hat den Gedanken der konstitutiven Unruhe gelegentlich in Vorlesungen vorgetragen; vgl. z. B. Moralphilosophie Collins (AA 27,248): »das Gemüth ist also immer unruhig.« 44 Vgl. Hannah Arendt – Martin Heidegger: Briefe und andere Zeugnisse, 31, 59. Vgl. NF: »Deum et animam scire cupio«. Zum bipolaren Grundzug von A ugustins metaphysischem Fragen.
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ren betrifft,45 benennt Gott selten als ›Allmächtigen‹, wozu der faktische Weltzustand, den er mitunter in üblen Motiven vergegenwärtigt, in unauflösbarem Widerspruch stünde: angesichts der faktischen Welt ist der als ›gütig‹ geglaubte Gott nicht als ›allmächtig‹ zu denken, noch weniger als ›Wille zur Macht‹. Wäre Gott in der Tat allmächtig, gäbe es keinen Platz für endliche Freiheit. Alles Üble und Böse, das es in der Welt offenbar nicht selten gibt, ginge dann zu Lasten dieses ›Allmächtigen‹, so daß die Verfechter eines ›postulatorischen Atheismus‹ leichtestes Spiel hätten. Eckhart bewegt sich erneut in der Spur von Augustins Schrift De libero arbitrio, die mit der Frage beginnt, ob ›nicht Gott der Urheber des Übels‹ sei (1,1): »utrum deus non sit auctor mali«. Augustinus hatte die Freiheit des menschlichen Willens als ›oberstes Gut‹ ausgelegt, weil allein ein Wille das Gute bewirken könne, das alles andere Gute überragt. Wer keinen ›guten Willen‹ habe, entbehre jenes überragende Gute, das ›ein Wille sich allein durch sich selbst‹ geben könne (1,26): »sola illi voluntas per se ipsam daret«. Obwohl Augustinus im dritten Buch die radikale Freiheitslehre des ersten Buches angesichts der faktischen Macht des Schlechten und Bösen für eine ›Dialektik von Freiheit und Gnade‹ öffnet und die Beziehung von Gott und Mensch überdenkt,46 hat er sich bis zum Ende seines Weges bemüht, diese Dialektik nicht in einen unvereinbaren Gegensatz 45 Vgl. dazu auch NF; Peter Reifenberg; Jakub Sirovátka (Hgg.): Das
Antlitz des Anderen. Zum Denken von Emmanuel Levinas. 46 Augustinus sagt zur »bona voluntas« (lib. arb. 1,26): »quisquis autem non habet, caret profecto illa re, quam praestantiorem omnibus bonis in potestate nostra non constitutis sola illi voluntas per se ipsam daret.« Zur kontroversen Diskussion vgl. Cornelius Mayer, Andreas E. J. Grote, Christof Müller (Hgg.): Gnade – Freiheit – Rechtfertigung. Augustinische Topoi und ihre Wirkungsgeschichte. Dazu vgl. NF: Freiheit der Entscheidung, Gnade und göttliche Liebe bei Augustinus. Bemerkenswert ist, daß Augustinus seine frühe extreme Freiheitslehre in lib. arb. in den späten Retractationes im Rückblick zustimmend vergegenwärtigt hat (vgl. retr. 1,9,1–5).
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von ›Freiheit‹ und ›Gnade‹ münden zu lassen.47 Auf dieser Linie, deren aporetisches Potential seit Platon offenkundig ist,48 bewegt sich Eckhart in RdU: Einerseits betont er die grundlegende Bedeutung Gottes, der als ›Schöpfer‹ und als ›Retter‹ des Ganzen geglaubt wird, andererseits jedoch die ›Freiheit‹ der geschaffenen endlichen Menschen, die als verantwortliche Urheber von Gutem und Bösem in den Blick genommen werden. Er sagt (RdU 19): »diz ist in ein grôziu vröude und ein stiurunge und ein hoffenunge, alsô daz in iriu werk sint als ein enthalt und ein stiurunge und ein zuoverlâz. Daz wil unser herre in abenemen und wil, daz er aleine ir enthalt und zuoverlâz sî. […] Daz wil unser herre, daz sîne vriunde disem entvallent, und dar umbe nimet er sie abe von disem enthalte, ûf daz er aleine ir enthalt müeze sîn.[…] Wan got engibet keine gâbe noch nie gegap, daz man die gâbe hæte und dar ane geruowete«.
Eckhart spricht von der Liebe Gottes (im Sinne eines genitivus subjectivus und objectivus). Der Glaube an den liebenden Gott (und der menschliche Wille, Gott zu lieben) macht das Herz der Menschen ruhelos und lenkt ihren Blick auf ›Gott‹ als fernes Ziel der menschlichen Sehnsucht. Der Glaube an Gottes Liebe hat in 47 Zur Diskussion kontroverser Ansätze noch einmal NF (Hg.): Die
Gnadenlehre als ›salto mortale‹ der Vernunft? Eckhart wendet sich scharf gegen jede Art von Prädestinationslehre (vgl. RdU 11: »Der mensche sol sîn vrî und ein herre aller sîner werke und unzerstoeret und ungetwungen. Gnâde enzerstoeret niht die natûre, si volbringet sie.« 48 Vgl. Politeia 617 c: Jeo1@ a4naítio@: ai4tía e3loume2nou. Hier spricht Platon nicht nur nicht von der ›Allmacht Gottes‹ (was angesichts des faktischen Weltzustandes alle Fragen und die ›Philosophie‹ überflüssig machen würde), sondern gleichsam explizit gegen sie. Damit stellt sich aber die Frage nach der »prima causa peccandi«, die von Augustinus bis hin zu Kant im freien Willen des Menschen gesucht wurde (vgl. Kants Hinweise zum »peccatum originarium« in RGV B 25 = AA 6,31). Vgl. dazu NF: Der for male Grund der bösen Tat. Das Problem der moralischen Zurechnung in der prak tischen Philosophie Kants.
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der faktischen Weltsituation nicht die erwünschte Sicherheit zur Folge, sondern die ›Unruhe des Herzens‹, die das »Sein des Daseins« am Ende als »Sorge« ausweist.49 Solche Gedanken bringen folgende Stellen der RdU exemplarisch zur Sprache:
a. RdU 2: »Daz ist ein ledic gemüete, daz mit nihte beworren enist noch ze nihte gebunden enist noch daz sîn bestez ze keiner wîse gebunden enhât noch des sînen niht enmeinet in deheinen dingen, dan alzemâle in dem liebesten willen gotes versunken ist und des sînen ûzgegangen ist.« Eckhart setzt die faktische Verflochtenheit seiner Hörer (und aller Menschen) in die teils auch verstörenden Angelegenheiten der Welt voraus, rät ihnen aber gleichwohl, sich in den ›liebsten Willen Gottes zu versenken‹ und sich (mit dem Ziel einer ›Verähnlichung mit Gott‹) von den bloß naturhaft gegebenen Neigungen frei zu halten. Er nimmt zwar an, daß auch ›Gott‹ auf sich bezogen ist (aber nicht egoistisch: »des sînen niht enmeinet in deheinen dingen«), im Blick auf die ›Schöpfung‹ jedoch als unbedürftig schenkende ›Liebe‹ zu denken ist.50 In diesem Sinn sind die folgenden Passagen aus der sechsten und der elften Rede zu verstehen: 49 Auf diese Tradition hat Martin Heidegger sich stützen können;
vgl. Sein und Zeit (Erster Teil. Erster Abschnitt. Sechstes Kapitel: Die Sorge als Sein des Daseins). Auch für Heidegger stellte sich in diesem Kontext die Frage nach Gott, die im Gesamtkonzept für Sein und Zeit angekündigt ist (vgl. Aufriß der Abhandlung: 39 f.), nach eigenem Zeugnis auch ausgearbeitet war, aber bald danach verbrannt wurde; vgl. NF: Zum Sinn von Kants Grundfrage: »Was ist der Mensch?« Das Verhältnis der kritischen Philosophie Kants zur antiken Metaphysik und Ethik (im Blick auf Platon, Aristoteles und A ugustinus und mit einem Nachtrag zu Heidegger), bes. 517–521. 50 Vgl. noch einmal Kant, der (wie erwähnt) »die (uns schon durch die Vernunft versicherte) Liebe desselben [scil. Gottes] zur Menschheit« betont; ebenso noch einmal Heideggers (an Augustinus orientierte Aus legung des Sinnes der ›Liebe‹: »amo: volo, ut sis«).
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b. RdU 6: »Der mensche sol got nemen in allen dingen und sol sîn gemüete wenen,51 daz er alle zît got habe in gegenwerticheit in dem gemüete und in der meinunge und in der minne. Merke, wie dû dînen got meinest, sô dû bist in der kirchen oder in der zellen: daz selbe gemüete behalt und trac daz under die menige und in die unruowe und in die unglîcheit.« Im Bewußtsein der bleibenden Differenz zwischen freien, selbständigen Subjekten (nur so kann das Ziel einer ›sancta civitas‹ gedacht werden) soll der Mensch in allem Gott empfangen und ihn so annehmen, daß er ihm allzeit gegenwärtig ist: in der Gestimmtheit, in der Erkenntnis und in der Liebe. Eckhart scheint damit die These zu vertreten, daß jeder Mensch auch dann faktisch im Gottesbezug lebt, wenn er sich in seiner Selbstauslegung explizit als ›Atheist‹ versteht (wofür Eckhart immerhin auch Verständnis bekundet; vgl. RdU 1). Vor dem Hintergrund der Unausweichlichkeit der formalen (inhaltlich nicht bestimmten) Gottesbeziehung für alle endlichen Vernunftwesen sucht er allgemeingültige Antworten auf die Frage, wie Menschen sich vernünftig verhalten sollen. Zunächst erklärt er: »Aber dû solt in den werken ein glîchez gemüete haben und ein glîchez getriuwen und eine glîche minne ze dînem gote und einen glîchen ernst.« Eckhart betont den Vorrang des Inneren, obwohl auch im Inneren Hindernisse der Gottesbeziehung auftreten können, solange Gott dem (je einzelnen) Menschen ›nicht alles geworden ist‹ (welche These auslegungsbedürftig bleibt).
51 »Gemüete« hier als integrativer Ausdruck für alle theoretischen und
praktischen Seelenkräfte, also sowohl für »meinunge« (Erkenntnis), als auch für »minne« (Liebe). Vgl. auch die weitere Konkretisierung in RdU 6.
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c. RdU 11: »Man sol an gote suochen sînen aller liebesten willen.« Mit diesem Wort bewegt Eckhart sich erneut in der Spur Augu stins, der in den Confessiones zweimal gesagt hat (2,1; 11,1): »amore amoris tui facio istuc«. In den Kontext der Annahme einer wahren (uneigennützigen) Liebe gehört auch der Glaube an die ›Menschwerdung Gottes‹, wie Augustinus ihn im vierten Buch der Confessiones (im Nachgang zum Bericht vom Tod seines Jugendfreundes) im Blick auf die Rettung der Menschen aus der Not der Sterblichkeit zur Sprache bringt, womit er einem abstrakten und starren ›Monotheismus‹ entkommt und das Tor zum Geheimnis der ›Menschwerdung Gottes‹ geöffnet sieht (conf. 4,19): »et descendit huc ipsa vita nostra et tulit mortem nostram et occidit eam de abundantia vitae suae et tonuit clamans, ut redeamus hinc ad eum in illud secretum, unde processit ad nos in ipsum primum virginalem uterum, ubi ei nupsit humana creatura, caro mortalis, ne semper mortalis.«
d. RdU 15: »Wan alsô liep dir ze im ist, des bist dû sicher, daz im âne alle mâze mêr und lieber ist ze dir und dir unglîches mêr getriuwet. Wan er ist selber diu triuwe; des sol man an im sicher sîn und sint alle die sicher, die in minnent.« Erneut knüpft Eckhart an den genannten Liebesgedanken Augu stins an, der im Gegensatz zu starren henologischen (Plotin) oder antitrinitarischen Gottesvorstellungen (Islam) steht und den Augustinus mit dem Glauben an die ›Menschwerdung Gottes‹ verknüpft hatte. Mit Platon geht es Eckhart um o3moíwsi@ jeö/ kata1 to1 dunato2n, um Annäherung von Menschen an ›Gott‹. Obwohl Eckhart um die faktische Gefährdung des menschlichen Seins in der Beziehung zu Gott weiß (vgl. in diesem Kontext auch RdU 23), hält er den Glauben an die ›Treue Gottes‹ für geboten und sieht diesen Glauben mit dem Glauben an die ›Liebe Gottes‹ verbunden.
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e. RdU 21: »Man sol sich selber und mit allem dem sînen in einem lûtern entwerdenne willen und begerennes legen in den guoten und liebesten willen gotes mit allem dem, daz man wellen und begern mac in allen dingen.« Die Empfehlung reiner Preisgabe des ›Eigenwillens‹ und egoistischen Begehrens zielt nicht auf die Mißachtung des Vielen im Sinne einer Henologie, nicht auf Weltverneinung und Leugnung des göttlichen Ursprungs des Vielen. Wie Augustinus bejaht Eckhart mit der biblischen Tradition die von Gott geschaffene Welt, sucht also keine ›Rückkehr ins Eine‹, sondern erhofft die ›Entflüchtigung des Zeitlichen‹ in einem »regnum tecum perpetuum sanctae civitatis tuae«.52 Er hofft auf eine von Liebe getragene Gemeinschaft der vielen vernünftigen Subjekte im ewigen Reich Gottes und erwägt auch kritische Gedanken, bis hin zum ›postulatorischen Atheismus‹.
f. RdU 22: »Der mensche, der eines niuwen lebens oder werkes wil bestân, der sol gân ze sînem gote, und von dem sol er mit grôzer kraft und ganzer andâht begern, daz er im vüege daz aller beste und daz im aller liebest und wirdigest sî, und enwelle und enmeine dâ nihtes des sînen dan aleine den liebesten willen gotes und anders niht.« Eckhart ermuntert Menschen, die ihr Leben und Tun im Wissen um den Gefahrcharakter eines ›neuen Lebens‹ aus der Beziehung zu Gott verstehen und vollziehen wollen, zu vollem Einsatz der eigenen Kräfte, zu andächtig-frommem Begehren und Vertrauen 52 Eckhart sieht wie Augustinus die Hoffnung der Menschen in e inem
›Reich Gottes‹, die im dogmatischen Atheismus mißachtet, aber von Nietzsche, der zunächst und bis zum Ende als ›Gottsucher‹ auftrat, vergegenwärtigt wird; z. B. Beethovens Tod (vgl. Sämtliche Gedichte, 53): »Zum Himmel wollt’ er aufwärts zieh’n / und nicht zum Grau’n der Grüfte«; für den späten Nietzsche vgl. Also sprach Zarathustra (KSA 4,395–408; s. u.).
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in der Hoffnung, daß Gott es füge und ihnen das Beste, Liebste und Würdigste zuteile. In dieser Haltung sollen Menschen, die als einzelne von unüberschaubar vielen freien Individuen in ihrer Beziehung zu ›Gott‹ angesprochen sind, nichts Eigensüchtiges, sondern nur den liebsten Willen Gottes begehren.
g. RdU 23: »Mêr: nû er mir ez niht wil geben – wan harte wênic liuten wil er, daz sie in disem lebene daz wizzen – , daz mir daz got niht engibet, dar umbe ist er mir als liep und sage im als grôzen dank und bin als ze ganzem vride, daz er mir ez entheltet, als daz er mir ez gibet; und ist mir dar ane genuoc und als liep, als ob er mir ez tæte, ob mir anders reht ist.« Eckhart bescheidet sich auch zum Ende von RdU mit dem ›Wissen des Nichtwissens‹ in Platonisch-Sokratischer und Augustinischer Tradition, auf die Kant (teils kritisch) Bezug genommen hat.53 Er weist in dieser Tradition der Sache nach auf Gedanken, die der conditio humana mit der Notwendigkeit eines Glaubens entsprechen, im kritischen Bewußtsein des Wagnischarakters des menschlichen Lebens, gegen jeden ›Dogmatismus‹ (wodurch er ins Visier einer Kirchenleitung kommen konnte, die ihre Herrschaftsansprüche nicht gefährdet sehen wollte), aber auch gegen die scheinbare Überlegenheit der objektiven ›Wissenschaften‹, die sich auf den beherrschbaren Teil der Fragen konzentrieren, nämlich auf die, die im ›Wissen‹ beantwortet werden können, aber nur einen Teil der menschlichen Grundfragen be-
53 In RdU 23 weckt Eckhart aber zuweilen den Eindruck, höheres Wis-
sen zu präsentieren, vielleicht um eines die Hörer beruhigenden rhetorischen Abschlusses der Reden willen (»fulmen in clausula«). Zum ›Nichtwissen Gottes‹ vgl. aber Augustinus: De ordine 2,44: »qui melius scitur nesciendo«; Kant: KrV B XXI; vgl. Logik A 60 = AA 9,44 f.: »So war Sokrates’ Nichtwissen eine rühmliche Unwissenheit, eigentlich ein Wissen des Nichtwissens nach seinem eigenen Geständnisse.«
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treffen (nämlich: »Was kann ich wissen?«), die also die »conditio humana« nicht umfassend reflektieren.
4. Hinweise zum Verhältnis von ›natürlicher Vernunft‹ und ›göttlicher Gnade‹ in RdU a. RdU 15: »Ez ist zweierleie wizzen in disem lebene des êwigen lebens: daz ein ist, daz ez got dem menschen selber sage oder ez im bî einem engel enbiete oder mit einem sunderlîchen liehte bewîse; daz geschihet selten und wênic liuten. / Daz ander wizzen, daz ist vil unglîche bezzer und nützer, und daz geschihet dicke allen volkomenen minnenden liuten: daz ist, daz der mensche von minne und von heimlicheit, die er hât ze sînem gote, daz er im sô ganz getriuwe und sô sicher an im sî, daz er niht zwîveln müge und wirt dâ von alsô sicher, wan er in minnet âne underscheit in allen crêatûren.« Eckhart beginnt die 15. Rede unter dem Titel »Von zweierleie sicherheit des êwigen lebens« mit einer Bemerkung, die eine Kernfrage vernunftorientierter philosophischer Theologie betrifft. Zunächst unterscheidet er ›Glaubensinhalte‹, die vorgestellt werden, als seien sie von Gott unmittelbar durch (äußere) ›Offenbarung‹ übermittelt worden, von einem ›Wissen‹, das jeder Mensch aus seiner Liebe und engen Beziehung zu ›Gott‹ in einer Weise so gewinnen könne, daß er innere Sicherheit erlange und nicht mehr zweifele, Gott ohne Unterschied in allen Kreaturen zu lieben. Eckhart spricht hier aus einem Ansatz, der sich in anderem geschichtlichen Kontext erneut bei Kant findet, der wie selbstverständlich »die (uns schon durch die Vernunft versicherte) Liebe desselben [Gottes] zur Menschheit« zur Sprache gebracht hat. Eckhart hätte seinen Ordensbruder Thomas von Aquin erwähnen können (S. t h. I, q. 1, a. 8 ad 2): »Cum enim gratia non tollat naturam, sed perficiat, oportet quod naturalis ratio sub-
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serviat fidei«. Er beginnt zwar mit dem ›Wissen durch göttliche Offenbarung‹, das nur wenigen zuteil werde, betont dann aber den Vorrang der je persönlichen Gottesbeziehung aller einzelnen Menschen. Wenn immer die Menschen (alle endlichen Vernunftwesen) ›auf das Bild Gottes hin geschaffen‹ sind (»ad imaginem Dei«),54 wäre dies die Grundlage einer ›potentia oboedientialis‹,55 die nichts Sklavisches an sich hat, sondern auf die Gegebenheit einer (›autonom agierenden‹) Vernunft weist, dabei zwar einerseits ›Gehorsam‹ gebietet, andererseits aber sogar das Potential zum ›postulatorischen Atheismus‹ in sich birgt. Auch unabhängig von der konkreten geschichtlichen ›Offenbarung‹, in deren Tradition er steht, bedenkt Eckhart das Sein des als Liebe geglaubten Gottes, das im Inneren eines jeden vollkommen liebenden Menschen hervortrete, wodurch alle einzelnen Vernunftwesen zur Verwirklichung vollkommener Liebe angeregt seien. Diese Anregung geschieht ohne Zwang, richtet sich an freie Vernunftwesen mit eigenem Urteil. Eckhart empfiehlt die Liebe und Nähe zu diesem Gott, die zu Vertrauen auf ihn führen. Er rät, Gott ›in allen Geschöpfen‹ zu lieben, wobei er als Ziel nicht die Auf hebung des Vielen und die ›Rückkehr ins Eine‹ nennt. Vielmehr richtet sich sein Blick auf die bleibende Gemeinschaft von Liebenden und Geliebten (»minnenden und geminneten«), aller54 Vgl. Thomas von Aquin (S. t h. I 93,1 c): »Et ideo in homine dicitur
esse imago Dei, non tamen perfecta sed imperfecta. Et hoc significat Scriptura, cum dicit hominem factum ad imaginem Dei: praepositio enim ad accessum quendam significat, qui competit rei distanti.« Thomas verweist dort auf Augustinus (ad 2.); zu Augustinus vgl. auch conf. 1,1: »fecisti nos ad te«; vgl. auch conf. 4,19 mit der These der Nähe und Ferne Christi zu den Menschen als vernünftigen endlichen Vernunftwesen. 55 Vgl. Karl Rahner: Hörer des Wortes, 248: zum Menschen als Wesen, »das aus des Mitte seines Wesens heraus für eine mögliche Offenbarung Gottes in der menschlichen Geschichte durch das Wort hörig ist.« Der Bezug auf eine Offenbarung in den Schriften des Alten und Neuen Testaments ist bei Eckhart im Blick auf die ›biblische Geschichte‹ präsent, auf die zu hören ist, steht aber in RdU gedanklich nicht im Zentrum.
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dings im nüchternen Bewußtsein, daß der faktische Lebensverlauf Zweifel begünstigen kann. Gegen solche Zweifel empfiehlt er den liebenden Menschen vollkommene Liebe zu Gott und Vertrauen auf die Liebe Gottes in der Hoffnung, daß Gott jedem Menschen ungleich mehr Liebe zuwende, liebevoller zu ihm sei und ihm ungleich mehr vertraue, als es Menschen möglich ist (»daz im âne alle mâze mêr und lieber ist ze dir und dir unglîches mêr getriuwet«). Derart sagt Eckhart gläubig: »Wan er ist selber diu triuwe; des sol man an im sicher sîn und sint alle die sicher, die in minnent.« Eckhart verweist so auf eine welthaft bleibende Eschatologie, die für die Vernunft der Menschen zwar insofern unfaßbar bleibt, als sie vom Glauben an den als ›Liebe‹ gedachten Gott getragen sein muß. In diesem aus Motiven der Vernunft erhofften Zustand sollen alle Vernunftwesen (alle beseelten Geschöpfe) dauerhaft Platz haben, wobei ›Gott‹ nicht als ›das Eine‹ gedacht, sondern als der liebende Ursprung des vielfältigen Ganzen aller Geschöpfe geglaubt und geliebt würde. Eckhart gerät mit seiner Haltung nicht in Distanz zur christlichen Tradition, sondern öffnet diese für einen Blick auf alle endlichen Vernunftwesen, der – wie man mit Kant sagen könnte – von ›moralischen‹ Kriterien bestimmt wäre: »Wan, swen got in glîcher minne vindet, den urteilet er glîche, ob er vil oder niht habe missetân.« Eckharts Endziel ist die von Vielfalt bestimmte Welt, in der alles höchst vollkommen geordnet wäre (lib. arb. 1,15), die als ›dauerhafte, heilige Bürgerschaft zusammen mit Gott‹ zu denken ist (conf. 11,3), wie es auch Kant noch gedacht hat, nach dem die »Idee eines Volks Gottes […] (unter menschlicher Veranstaltung) nicht anders als in der Form einer Kirche auszuführen« ist. Kant erklärt ähnlich wie Eckhart: »Der Wunsch aller Wohlgesinnten ist also: »daß das Reich Gottes komme, daß sein Wille auf Erden geschehe« (vgl. RGV B 141 = AA 6,100 f.).
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b. RdU 20: »In der wârheit, uns engebrichet nihtes dan eines wären glouben. Daz uns dünket, wir haben vil mêr guotes in einem dan in dem andern, daz enkumet niht dan von ûzern gesetzen, und enist an einem niht mêr dan an dem andern.« Eckhart setzt voraus, daß wir die ›Wahrheit‹ nicht in (objektivem) ›Wissen‹ besitzen können, sondern auf einen ›Glauben‹ verwiesen sind, dessen Notwendigkeit mit der Endlichkeit unserer ›Vernunft‹ einhergeht, die er allerdings ebenso dem göttlichen Menschen (›Christus‹) attestiert: »Er hâte die obersten und die nidersten krefte«. Die zwiespältigen Folgen (einerseits ›ein Besitz und ein Vollzug ewiger Seligkeit‹, andererseits ›tiefstes Leid und Streit in der Welt‹) führen Eckhart zu einem ›Leib-Seele- Dualismus‹ und einer Dialektik von ›Freiheit und Gnade‹, die er selbst (wenigstens vorläufig hypothetisch) auch auf den biblischen ›Christus‹ appliziert: »Mêr: triuwen, allez lîden sol man zemâle bevelhen dem lîchamen und den nidersten kreften und den sinnen; aber der geist sol sich mit ganzer kraft erheben und lediclîchen in sînen got versenken.« Die Folge dieser Haltung Eckharts ist einerseits das nüchterne Eingeständnis, daß die Welt im jetzigen Zustand nicht dem göttlichen Ideal entspricht, das alle ersehnen und erhoffen, andererseits der Appell, dennoch ›Gott‹ zu suchen und sich am Ende befreit mit ihm zu verbinden. Die ›Gnade Gottes‹ sieht Eckhart in der Förderung der geschöpflichen ›Freiheit‹ (RdU 20): »wan, ie der strît mêrer und sterker ist, ie ouch der sic und diu êre des siges groezer und lobelîcher ist; wan ie denne diu anvehtunge groezer ist und der anstôz der untugent sterker ist und der mensche doch überwindet, ie ouch dir diu tugent eigener ist und dînem gote lieber ist.«
Damit denkt Eckhart entsprechend dem Platonisch-Sokratischen ›Wissen des Nichtwissens‹ im Spannungsfeld von Augustinus, der eine »Dialektik von Freiheit und Gnade« ausgearbei-
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tet hat.56 Der Vollzug ›christlichen Glaubens‹ findet bei Eckhart nicht dogmatisch statt, sondern gestützt auf Annahmen, die zwar im Glauben an die Liebe Gottes zu den Menschen gründen, von den Menschen aber eigene Entscheidung fordern. Für die Fruchtbarkeit der menschlichen Beziehung zu Gott betont Eckhart die Einsicht, daß es zum Gelingen der wechselseitigen Beziehung zwischen Gott und Mensch des Glaubens an ein Zusammenspiel von Freiheit und Gnade bedarf: »Diz nemen und diz sælige niezen des lîchamen unsers herren enliget niht aleine an ûzwendigem niezenne, ez liget ouch an einem geistlîchen niezenne mit begirlîchem gemüete und in einunge in andâht.«
c. RdU 23: »Nû sprichest dû: eyâ, got würket alsô grôziu dinc in vil liuten, und sie werdent alsô mit götlîchem wesene überwesent, und got würket in in und sie niht. / Des danke got in in, und gibet er dirz, in gotes namen, sô nimz; engibet er dirz niht, sô solt dû sîn williclîchen darben, und enmeine nihtes dan in, und bis unbeworren, ob got dîniu werk würke oder ob dû sie würkest; wan got muoz sie würken, meinest dû in aleine, er welle oder enwelle.« Gegen Ende von RdU, nachdem Eckhart in RdU 10 die bereits erwähnte These vertreten hat: »Wie der wille alliu dinc vermac und wie alle tugende in dem willen ligent, ob er anders gereht ist«, nachdem er wie Augustinus dem menschlichen Willen die Verantwortung für Übeltaten als »prima causa peccandi« zugesprochen hat (lib. arb. 3,49), vollzieht er abrupt eine Wendung in Richtung der absoluten Allmacht Gottes. Er schließt mit dem 56 Vgl. NF: Zur Gnadenlehre in Augustins ›Confessiones‹. Philosophische
Überlegungen zu ihrer Problematik. Vgl. noch einmal die Beiträge in NF (Hg.): Die Gnadenlehre als ›salto mortale‹ der Vernunft? Natur, Freiheit und Gnade im Spannungsfeld von Augustinus und Kant.
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Geständnis der Endlichkeit – im Bewußtsein der Gegebenheit der eigenen Kräfte, die endliche Zeitwesen nicht aus sich selbst besitzen, so daß deren gute Taten so zu verstehen sind, als seien sie »mit götlîchem wesene überwesent« worden, also mit nichtegoistischer Liebe. In RdU 23 brechen viele Fragen auf, die einiger Nachfragen und Klärungen bedurft hätten, um heutigen Lesern verständlich zu sein. In der Relativierung der radikalen Form der Freiheitslehre bewegt Eckhart sich am Ende von RdU erneut in der Spur Augustins. Zunächst war er der These des ersten Buches von De libero arbitrio gefolgt, daß der ›Wille allein durch sich selbst‹ (lib. arb. 1,26: »sola illi voluntas per se ipsam daret«) den ›guten Willen‹ als ›oberstes Gut‹ (lib. arb. 1,27: »nihil melius«) verwirklichen könne, womit das Ziel des ›höchsten in der Welt möglichen Gutes‹ erreichbar geworden und alles in eine ›höchst vollkommene Ordnung‹ gelangt wäre (lib. arb. 1,15). Wie Augustinus im dritten Buch von De libero arbitrio gerät Eckhart in RdU im Blick auf sein zunächst optimistisches Urteil zur Reichweite der Freiheit angesichts der Verhältnisse in der Welt in unsicheres Grübeln. Auch spätere Philosophen haben den problembeladenen Charakter dieser Fragen gesehen und zum Thema gemacht. Zum Beispiel hat sich der junge Leibniz (auch in Auseinandersetzung mit Luthers De servo arbitrio) intensiv mit ihr befaßt. Leibniz sagt einleitend: »Unter allen fragen, so das Menschliche Geschlecht verwirret, ist keine mit mehrerer hize getrieben, öffter wiederholet, gefährlicher und grausamer ausgeübet worden als diese Strittigkeit: wie mit der allmacht und allwißenheit des alles=regierenden Gottes der Freye wille des Menschen, Straffe und Belohnung, stehen könne.«57
57 Gottfried Wilhelm Leibniz: Von der Allmacht und Allwissenheit Gottes
und der Freiheit des Menschen (1670–1671?), hier 537. Diese Frühschrift blieb für Leibniz virulent bis zur Ausarbeitung seines ›Versuchs über die Theodizee‹ (1707–1709), publiziert auf französisch 1710, auf deutsch 1720. Vgl.
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Leibniz dachte in der genannten Frühschrift schon in die Richtung seiner späteren ›Theodizee‹,58 deren Probleme dann von Kant neu aufgegriffen wurden.59 Er beginnt die Theodizee mit der Frage nach der ›Übereinstimmung des Glaubens mit der Vernunft‹ (»conformité de la foi avec la raison«), die offenbar auch bei Eckhart virulent ist. Insgesamt spricht Eckhart (wie erwähnt) selten von der ›Allmacht Gottes‹, obwohl er diese Allmacht auch nicht explizit bestreitet, die mit einem abstrakten ›Monotheismus‹, wie der Islam ihn rigide vertritt,60 unlösbar verknüpft zu sein scheint, meidet aber (wohl mit Bedacht) dogmatische Festlegungen zu dieser Frage, beläßt es also bei deren Vergegenwärtigung als ›Problem‹. Womöglich ist der faktische Zustand der Welt für sein Zögern maßgebend, der endlichen Vernunftwesen, die in schwierige Situationen geraten können und Entscheidungen treffen müssen, allzuviel Ungöttliches vor Augen stellt. Nachdem Ereignisse in einer Weise eingetreten sind, die nicht zum geordneten Zustand des Ganzen führen, kann die Welt nicht allein von endlichen Vernunftwesen so ins Lot gebracht werden, daß das Ziel (»ut omnia sint ordinatissima«) aus eigener Kraft erreicht würde. In dieser Situation, die Eckhart nüchtern vergegenwärtigt, gibt es Hoffnungen, aber keine Lösungen: Endliche Vernunftwesen haben nur die Möglichkeit, kritisch zu fragen und die Gerechtigkeit Gottes als des jenseits der Zeit dann ›allmächtigen‹ Herrn von Mensch und Welt zu erhoffen. die Hinweise von Stefan Lorenz: Von der Allmacht und Allwissenheit Gottes und der Freiheit des Menschen. Bemerkungen und Hinweise zu den Kontexten des Mainzer Schriftenfragments. 58 Essais De Théodicée Sur La Bonté de Dieu, La Liberté De L’Lomme Et L’Origine Du Mal (Amsterdam 1710); Essais De Théodicée, Oder Betrachtung Der Gütigkeit Gottes, Der Freyheit des Menschen Und des Ursprungs des Bösen Nebst der Durch ihre selbst eigene Gerechtigkeit Vertheidigten göttlichen Sache (Amsterdam 1720). 59 Dazu ist Kants Spätschrift Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodicee zu beachten. 60 Vgl. Tilman Nagel: »Natur« im von Allah gelenkten Diesseits (mit weiteren beachtenswerten Hinweisen).
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Eckharts frühe Reden zur ›Orientierung im Denken‹ enthalten spannungsreiche Positionen und lassen am Ende auch Fragen offen, bezeugen aber den Mut, die faktische Wirklichkeit nüchtern zu betrachten und offen auf strittige philosophische Kernfragen (auch des christlichen Glaubens) zuzugehen. Das Frühwerk RdU eröffnet jedenfalls die Option, Eckhart als nüchternen Autor zu lesen, nicht als schwärmenden ›Mystiker‹, sondern als ›Denker‹, der ohne Furcht wesentliche (und vielleicht unlösbare) Aufgaben ins Auge faßt. Noch Kant, gewiß ein ›Lehrer der Freiheit‹, bezweifelt nicht den Sinn der Rede von ›Gott‹ als dem ›Allmächtigen‹, bleibt in dieser Frage aber ebenfalls bedächtig und hält sich mit dogmatischen Äußerungen vorsichtig zurück.61
5. Kleiner Rückblick In RdU 2 betont Eckhart wie Augustinus das Primat der Liebe Gottes, auf die Geschöpfe nur antworten könnten.62 Als hätte Eckhart geahnt, daß der Glaube an die Liebe Gottes als eine Projektion menschlicher Sehnsucht diskreditiert werden kann (vgl. z. B. Ludwig Feuerbach: Das Wesen des Christentums),63 weist er darauf hin, daß sich die Annahme dieser Liebe zwar vernünf61 Vgl. KrV B 623: »Die Allmacht kann nicht aufgehoben werden, wenn
ihr eine Gottheit, d. i. ein unendliches Wesen, setzt, mit dessen Begriff jener identisch ist. Wenn ihr aber sagt: Gott ist nicht, so ist weder die Allmacht, noch irgend ein anderes seiner Prädicate gegeben; denn sie sind alle zusammt dem Subjecte aufgehoben, und es zeigt sich in diesem Gedanken nicht der mindeste Widerspruch.« 62 Vgl. conf. 2,1 und 11,1; dazu noch einmal NF: Amore amoris tui facio istuc. Zur Bedeutung der Liebe im Leben und Denken Augustins. 63 Vgl. Ludwig Feuerbach: Gedanken über Tod und Unsterblichkeit, 384: »Gott ist nur dein eignes Ich«; vgl. dazu: Das Wesen des Christentums, 47: »Die Religion ist die erste, und zwar indirekte, Selbsterkenntnis des Menschen. Die Religion geht daher überall der Philosophie voran […] Der Mensch verlegt sein Wesen zuerst außer sich, ehe er es in sich findet.« Feuerbach verdeckt mit scheinbarem Wissen den Transzendenzbezug, den Kant in
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tig verstehen läßt, aber eines Glaubens bedarf. Die Vernünftigkeit solcher Glaubensannahmen war Eckhart so wichtig, daß er (wie erwähnt) schon in der ersten Rede eine Art von ›Richtlinienkompetenz‹ der endlichen Vernunft zum ›Wesen Gottes‹ und zu dem durch die ›conditio humana‹ (die ›metaphysische Naturanlage‹) fundierten ›Glauben an Gott‹ beansprucht, der also kein ›blinder Glaube‹ (»sola fide«) sein darf, der sich ›allein auf Gnade‹ (»sola gratia«) oder gar ›allein auf die Schrift‹ (»sola scriptura«) stützen dürfte (RdU 1): »Dâ ich mich ane lâze, dâ muoz er mir von nôt wellen allez, daz er im selben wil, noch minner noch mêr, und mit der selben wîse, dâ er im mit wil. Und entæte got des niht, in der wârheit, diu got ist, sô enwære got niht gereht noch enwære got, daz sîn natiurlich wesen ist.«
Das bedrängende Bewußtsein der Endlichkeit vernünftiger Wesen, die in Zeit und Welt leben, deren Vernunft ihnen zwar Tran szendenz als den »Horizont des Unendlichen« eröffnet und ihr Sehnen nach ›lebendigem Leben‹ weckt (conf. 10,39),64 untergräbt alles dogmatische Wissen, da das Ersehnte nicht objektiv faßbar ist. Es schafft nicht nur »zum Glauben Platz« (KrV B XXX), sondern macht Glaubensannahmen für vernünftige Wesen positiv oder negativ unvermeidlich.65 In diesem Sinne steht Eckhart für sokratischer Art in der kritischen Philosophie hervorgehoben hatte (z. B. KrV B XXXI). 64 Friedrich Nietzsche, der als ›Gottsucher‹ (vgl. Die fröhliche Wissen schaft 125; KSA 3,480 f f.) in den Horizont des Unendlichen gerät, erklärt zwar, »dass es nichts Furchtbareres giebt, als Unendlichkeit« (FW 124; KSA 3, 480). Vgl. aber Das Nachtwandler-Lied in: Also sprach Zarathustra (KSA 4,395– 408), bes. 403: »– Lust will aller Dinge Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit!« Der Transzendenzbezug läßt sich nicht dogmatisch ausarbeiten; vgl. dazu NF: Die philosophische Frage nach Gott, 192–194 (hier mit Hinweisen zu Thomas von Aquin und Nikolaus von Kues). 65 Laut KrV B 364 sucht die Vernunft »in ihrem logischen Gebrauche die allgemeine Bedingung ihres Urtheils (des Schlußsatzes), und der Vernunftschluß ist selbst nichts andres als ein Urtheil vermittelst der Sub-
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eine undogmatische Metaphysik, die Platon mit Sokrates im ›Wissen des Nichtwissens‹ grundgelegt, Augustinus im ›ruhelosen Herzen‹ ins Existenzielle weitergeführt und Kant in der kritischen Metaphysik und den ›Postulaten der reinen praktischen Vernunft‹ erneuert hat. Aus solcher ›Unruhe‹ denkender endlicher Wesen erwächst Eckharts Suche nach Orientierung im Den ken und einem vernünftigen Glauben, den noch Kant auf »die (uns schon durch die Vernunft versicherte) Liebe desselben [Gottes] zur Menschheit« bezogen hat, womit Kant auch ›die Anderen‹ bis hin zu einem erhofften ›Reich Gottes‹ in den Blick nimmt. Eckhart betont den Antwortcharakter der menschlichen Gottesliebe – wie Augustinus, der auf den ›Glauben‹ an die vorgängige ›Liebe Gottes‹ zu den endlichen Vernunftwesen hindachte.66 Ziel ist ein ›göttliches Streben‹, ein Streben, das o3moíwsi@ jeö/ kata1 to1 dunato2n sucht, das nicht nur für sich will, sondern laut Eckhart »alzemâle in dem liebesten willen gotes versunken ist und des sînen ûzgegangen ist« (RdU 2), das also als ›postulatorischer Theismus‹ dargeboten wird, der die gebietende Kraft der Vernunft in einer Weise voraussetzt, die auch in Atheismus umschlagen kann. Eckhart redet zu allen ernsthaft ›Denkenden‹, nicht nur zu Ordensleuten oder Christgläubigen. Allgemein geht es ihm um Verwirklichung des Ziels (RdU 11): »Man sol an gote suochen sînen aller liebesten willen«. Dabei sind Nützlichkeitssumtion seiner Bedingung unter eine allgemeine Regel (Obersatz). Da nun diese Regel wiederum eben demselben Versuche der Vernunft ausgesetzt ist, und dadurch die Bedingung der Bedingung (vermittelst eines Prosyllogismus) gesucht werden muß, so lange es angeht, so sieht man wohl, der eigenthümliche Grundsatz der Vernunft überhaupt (im logischen Gebrauche) sei: zu dem bedingten Erkenntnisse des Verstandes das Unbedingte zu finden, womit die Einheit desselben vollendet wird.« 66 Zum Antwortcharakter menschlicher Aktivität in Augustins Confes siones vgl. auch NF: Einführung. In: Aurelius Augustinus: Confessiones (Tusculum-Ausgabe), bes. 779 (Fn. 2): »Das Motiv des Hörens taucht an entscheidenden Punkten der Confessiones auf. […] was ›die Wahrheit‹, die Gott ist, im Inneren sagt, wird zum Beispiel in 11,1 deutlich: Es ist die Botschaft der Liebe in der Bergpredigt Jesu.«
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erwägungen aus Klugheitsmotiven verfehlt. Er versucht, positive wie negative Glaubensentscheidungen vernünftig zu begründen – mit dem Blick auf wirklich Gutes, das als ›Wille Gottes‹ zwar gesucht und erhofft, aber nur gläubig (ohne objektive Gewißheit und Absicherung) vorgestellt werden kann. Das verdeutlicht Eckhart in RdU 21 mit Hinweisen auf den ›guten und höchst liebevollen Willen Gottes‹, den er als unerkennbar vorstellt (via negativa: »Als lange lerne man sich lâzen, biz daz man niht eigens enbeheltet«), aber auch als bewahrend (via positiva: »mit allem dem sînen«) und als übersteigend (via eminen tiae: »in einem lûtern entwerdenne«). Eckhart sagt dort: »Man sol sich selber und mit allem dem sînen in einem lûtern entwerdenne willen und begerennes legen in den guoten und liebesten willen gotes mit allem dem, daz man wellen und begern mac in a llen dingen.«
Dieses von allen Gutwilligen ersehnte ›neue Leben‹ betrachtet Eckhart als eine Herausforderung, die zwar der tiefsten Sehnsucht aller endlichen Vernunftwesen entspreche, deren Kräfte aber übersteige, wodurch sie auf den Glauben an die Hilfe Gottes angewiesen seien (RdU 22): »Der mensche, der eines niuwen lebens oder werkes wil bestân, der sol gân ze sînem gote, und von dem sol er mit grôzer kraft und ganzer andâht begern, daz er im vüege daz aller beste und daz im aller liebest und wirdigest sî, und enwelle und enmeine dâ nihtes des sînen dan aleine den liebesten willen gotes und anders niht.«
Die rede der underscheidunge, die Eckhart von Hochheim vor seinen Berufungen zum Magister in Paris, als ›Vikar von Thüringen‹ und ›Prior‹ des Dominikanerklosters in Erfurt zwischen 1294 und 1298 vorgetragen hat, rücken zunehmend in den Blick der Forschung. Dabei werden bisher vor allem historische, ordenshistorische und geistliche Fragen untersucht, ›Grundfragen
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der Philosophie‹, die von Eckhart eigenständig bedacht werden, aber eher an den Rand geschoben. Zudem haben die erwähnten Prozesse in Köln und Avignon,67 obwohl sie zu keiner klaren Verurteilung führten, die Wirkung Meister Eckharts nachhaltig beeinträchtigt und teils fehlgeleitet. Erst Franz Pfeiffer hat (wie erwähnt) eine Ausgabe seiner Predigten und Traktate vorgelegt, aber unter dem Titel: Deutsche Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts. Es könnte an der Zeit sein, Eckharts Texte neu zu lesen, unabhängig von Zuordnungen, die in ihrem jeweiligen historischen Kontext plausibel gewesen sein mögen, aber die von Eckhart selbständig verfolgten philosophischen Grundfragen zuweilen nicht angemessen vergegenwärtigen.68 Schon die Themen der 23 Reden dieser Frühschrift, die Kurt Ruh in drei ›Sequenzen‹ eingeteilt hat, bezeugen die denkerische Selbständigkeit ihres Autors. Die erste Sequenz kann unter den Titel gestellt werden: Zur Unter scheidung von vita passiva und vita activa als Leitthema, die zweite Sequenz untersucht: Die menschliche Neigung zur Sünde und die dar aus folgenden Fragen, die dritte zuletzt: Der ›Friede Gottes‹ als das höchste Ziel des menschlichen Strebens.69 Damit verfolgt Eckhart in 67 Vgl. Heinrich Stirnimann, Ruedi Imbach (Hgg.): Eckardus Theutoni
cus, homo doctus et sanctus. Nachweise und Berichte zum Prozeß gegen Meister Eckhart. Vgl. Magistri Echardi Responsio ad articulos sibi impositos des scriptis et dicitis suis. Hg. und komm. von Loris Sturlese, darin bes. Loris Sturlese: Einleitung. Die Verteidigung Meister Eckharts. Vgl. darin bes.: Der Prozeßver lauf nach der Rekonstruktion Winfried Trusens (255–260). 68 Vgl. die oben kurz angedeuteten pauschalen Zuordnungen Meister Eckharts zur »Mystik« oder gar zu einer ›Deutschen Mystik‹. Anregend dagegen Otto Karrer: Das Gotteserlebnis bei Augustinus und Meister Eckhart (mit Invektiven gegen Alfred Rosenberg); dazu Maximilian Brandt: Hinweise zur Kommentierung zu Otto Karrer: Das Gotteserlebnis bei Augustinus und Mei ster Eckhart. Zu beachten ist auch die selbstverständlich hocherwünschte DFG-Förderung der Eckhart-Editionen, die in der NS-Zeit begonnen hat. Vgl. Wolfgang Erb: Meister Eckhart und die Mystik. Zum Denken über Meister Eckhart, bes. 17 f. Zum Kontext und zu möglichen neuen Perspektiven vgl. Georg Steer: Der Auf bruch Meister Eckharts ins 21. Jahrhundert. 69 Titel der ›Sequenzen‹ hier nach NF: ›Die rede der underscheidunge‹ als
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RdU allgemein menschliche Fragen, die auf ›Probleme‹ weisen, nämlich auf notwendige, aber theoretisch unlösbare Aufgaben. Zwar mag es für den Prior Eckhart bei seinen Vorträgen vor Novizen im Kloster naheliegend gewesen sein, zum Gehorsam als dem Gelübde zu sprechen, das beim Ordenseintritt abverlangt wird. Doch ist zu bemerken, daß er den Ordenskontext gar nicht betont, sondern zum ›wahren und vollkommenen Gehorsam‹ als der ›Tugend vor allen Tugenden‹ spricht, auch unabhängig von der besonderen Lebensart von Ordensleuten. Eckhart spricht eher in einem allgemeinen Sinn von ›Gehorsam‹, den auch Rainer Maria Rilke im Auge gehabt haben konnte, als er unseren ›Willen zur Macht‹, der nicht nur ein Gedanke von Friedrich Nietzsche war, kritisch hinterfragt hat (SO II,5): »Wir Gewaltsamen, wir währen länger. Aber wann, in welchem aller Leben, sind wir endlich offen und Empfänger?«70
Rilke versteht den ›Gehorsam‹, den er für sachlich geboten hält, sofern er das freie Selbstsein der endlichen Menschen nicht beschädigt, aus der Beziehung zu einer ›transzendenten Instanz‹, die vielfältig (sowohl in der theoretischen Erkenntnis, als auch im praktischen Leben) mit der Natur von Menschen verknüpft ist, auch wenn das nur wenige bemerken sollten. Rilke sagt (SO I 5): »Und er gehorcht, indem er überschreitet.«71 In diesem Kontext Eckharts ›Orientierung im Denken‹, 192–196; vgl. dazu noch einmal Kurt Ruh: Meister Eckhart, 37. 70 Zu Rilkes Verhältnis zur Gottesfrage vgl. noch einmal NF (Hg.): ›Gott‹ in der Dichtung Rainer Maria Rilkes. Zu Meister Eckhart vgl. dort bes. auch Georg Steer: Rainer Maria Rilke als Leser Meister Eckharts (361–380). 71 Solchen ›Gehorsam‹ thematisiert Rilke in SO mehrfach facettenreich; vgl. schon SO I,1; dieses Sonett beschäftigt sich mit dem »Hören« auf den Gesang des Orpheus (in Absetzung von »Brüllen, Schrei, Geröhr«) und endet mit dem Hinweis auf »Tempel im Gehör«, die Orpheus singend geschaffen habe. ›Wahrer Gehorsam‹ hat nichts Sklavisches an sich, son-
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zu beachten wäre besonders auch Rilkes Rede über die Gegenliebe Gottes, die eines eigenen Kommentars bedürfte.72 In diesem Sinne befördert Eckharts Frühwerk Die rede der un derscheidunge neues Nachdenken, auch im Blick auf die erfolgsorientierten Wissenschaften unserer Zeit, die an Fragestellungen der ›Naturerkenntnis‹ arbeiten, dabei aber genuin philosophische Fragen meiden, wie sie im Abendland seit Platon bis hin zu Kant (und Heidegger) bedacht wurden. Auch heutige ›Wissenschaft‹ müßte sich, wenn sie sich philosophischen Fragen öffnet und lauter bleiben will, mit dem Wissen des Nichtwissens begnügen und sich eingestehen, daß sie auf Kompetenz in Glaubensfragen angewiesen bleibt. Derart bleibt die ›Orientierung im Denken‹ eine notwendige Aufgabe, ebenso wie die Besinnung auf die in die ›Theologie‹ weisenden ›Grundfragen der Philosophie‹. Solche Besinnung regt Eckhart mit seinem Frühwerk an, wobei er an alte Denkmuster anknüpft, ihnen aber nicht unbedacht folgt, sondern sich zum ›Selbstdenken‹ angeregt weiß und seine Hörer und Leser zum Selbstdenken anregen will. Eckharts undogmatisches Frühwerk kann im Sinne des Wortes von Kant gelesen werden, der gesagt hat: »Selbstdenken heißt den obersten Probirstein der Wahrheit in sich selbst (d. i. in seiner eigenen Vernunft) suchen«.73
dern eröffnet im Vertrauen auf ›Gott‹ eine (im Vergleich zur sinnlich wahrnehmbaren) ›neue Welt‹. 72 Vgl. den Abdruck dieser Rede in NF (Hg.): ›Gott‹ in der Dichtung Rai ner Maria Rilkes, 13–15. Dazu vorerst die kurzen Bemerkungen von Ernst Zinn (SW VI,1478); abgedruckt in ›Gott‹ in der Dichtung Rainer Maria Ril kes, 15. 73 Vgl. Kant: Was heißt sich im Denken orientieren? (A 329 Fn = AA 8,146). Insgesamt sei auf die Habilitationsschrift von Joachim Kopper hingewiesen (Die Metaphysik Meister Eckharts eingeleitet durch eine Erörterung der Inter pretation), der insgesamt (hier speziell im Blick auf Martin Heidegger, aber besonders auch im Blick auf Kant) zeigen will, »wie nahe Eckharts Metaphysik dem heutigen Denken steht« (S. 128, Fn 12), was bis heute nicht weiter verfolgt zu werden scheint.
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Die Zuversicht, mit der Eckhart auf Kernfragen des Lebens zugeht, erwächst aus unableitbarer, grundlegender Bejahung des Lebens, in das ›geworfen‹ sich alle Menschen (alle endlichen Vernunftwesen), ohne es gewollt haben zu können, vorfinden und dessen Sein und Sinn zu bedenken sie angeregt sind. In Wahrnehmung dieser Situation stellt Eckhart nebenbei die Grundfrage des menschlichen Lebens (Predigt 26: Mulier, venit hora et nunc est, quando veri adoratores adorabunt patrem in spiritu et veri tate; MEW I, 294–303, hier 296): »›war umbe lebest dû?‹« Obwohl er diese Frage nicht beantworten kann, erklärt er: »›triuwen, ich enweiz! ich lebe gerne‹.« Die Unbegreiflichkeit der menschlichen Liebe zum Leben verweist endliche Vernunftwesen auf Fragen der praktischen Lebensführung und nachfolgend der Transzendenz (auf die ›Gottesfrage‹). Angesichts dieser Ausgangssituation sucht Eckhart am Beginn seines Weges in RdU ›Orientierung im Denken‹, indem er eigenständig und kritisch philosophische Grundfragen im Kontext der abendländischen und der christlichen Tradition verfolgt.
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von Norbert Fischer. Artemis & Winkler: Düsseldorf / Zürich 2004, 776–848. NF: Confessiones 4. Der Tod als Phänomen des Lebens und als Aufgabe des Denkens. In: Irrwege des Lebens. Augustinus: ›Confessiones‹ 1–6. Hg. von NF; Dieter Hattrup. Schöningh: Paderborn 2004,105–126. NF (Hg.): Kant und der Katholizismus. Stationen einer wechselhaften Geschichte. Herder: Freiburg u. a. 2005. NF: »Deum et animam scire cupio«. Zum bipolaren Grundzug von Augustins meta physischem Fragen. In: Agostino e la tradizione agostiniana / Augustinus und die Augustinische Tradition. Hg. von Costantino Esposito; Pasquale Porro. Quaestio / Annuario di storia della metafisica. Band 6/2006. Brepols-Pagina: Turnhout-Bari 2007, 81–101. NF: Friedrich-Wilhelm von Herrmann (Hgg.): Heidegger und die christliche Tradition. Annäherungen an ein schwieriges Thema. Meiner: Hamburg 2007. NF: Zur Gnadenlehre in Augustins ›Confessiones‹. Philosophische Überlegungen zu ihrer Problematik. In: Gnade – Freiheit – Rechtfertigung. Augustinische Topoi und ihre Wirkungsgeschichte. Hg. von Cornelius Mayer, Andreas E. J. Grote; Christof Müller. Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz. Abhandlungen der Geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse. Jahrgang 2006. Nr. X. Franz Steiner Verlag: Stuttgart 2007, 123–145. NF: Amore amoris tui facio istuc. Zur Bedeutung der Liebe im Leben und Denken Augustins. In: Geist, Eros und Agape. Untersuchungen zu Liebesdarstellungen in Philosophie, Religion und Kunst. Hg. von Edith Düsing; Hans-Dieter Klein: Königshausen und Neumann, Würzburg 2009, 169–189. NF: foris-intus. In: AL 3 (2010), 37–45. NF: Meister Eckhart und Augustins ›Confessiones‹. In: Meister Eckhart und Augu stinus. Hg. von Rudolf Kilian Weigand; Regina D. Schiewer (MEJb 2009. Band 3). Kohlhammer: Stuttgart: 2011, 195–219. NF; Friedrich-Wilhelm von Herrmann (Hgg.): Die Gottesfrage im Denken Martin Heideggers. Meiner: Hamburg 2011. NF (Hg.): Die Gnadenlehre als ›salto mortale‹ der Vernunft? Natur, Freiheit und Gnade im Spannungsfeld von Augustinus und Kant. Karl Alber: Freiburg / München 2012.
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NF (Hg.): ›Gott‹ in der Dichtung Rainer Maria Rilkes. Meiner: Hamburg 2014. NF: Glaube und Vernunft. Zu ihrem Verhältnis bei Augustinus, Meister Eckhart und Immanuel Kant. In: Vernunftreligion und Offenbarungsglaube. Zur Er örterung einer seit Kant verschärften Problematik. Hg. von NF und Jakub Sirovátka. Herder: Freiburg 2015, 52–83. Übersetzung ins Brasilianische: Fé e Razão: Sua Relação em Agostinho, Mestre Eckhart e Emanuel Kant. In: Síntese – Revista de Filosofia, v. 40, n. 127, Set. / Dez. 2013. Belo Horizonte, Brasilien. NF: Kant als Seelsorger. Kants ›Vorlesungen über die philosophische Religions lehre‹ im Vergleich mit den publizierten Werken, unter besonderer Beachtung seiner Lehre vom ›Zweck der Schöpfung‹. In: NF, Jakub Sirovátka (Hgg.): Vernunftreligion und Offenbarungsglaube. Herder: Freiburg 2015, 347–363; (vgl. Englische Übersetzung: NF: Kant as Pastor. In: Kant as Lectu rer / Philosopher: Connections between his Lectures and Philosophy. Hg. von Robert Lewis. Kant’s Lectures on Philosopical Doctrine of Religion in Com parison to His Published Works, with Special Attention to His Teaching in the »Purpose of Creation«. De Gruyter: New York 2014, 392–407. NF: Freiheit der Entscheidung, Gnade und göttliche Liebe bei Augustinus. In: Histo ria magistra vitae – Leben und Theologie der Kirche aus ihrer Geschichte ver stehen. Festschrift für Johannes Hofmann. Hg. von Anselm Blumberg; Oleksandr Petrynko. Pustet: Regensburg 2015, 193–217. NF; Sirovátka, Jakub (Hgg.): Vernunftreligion und Offenbarungsglaube. Zur Erörterung einer seit Kant verschärften Problematik. Herder: Freiburg 2015. NF: Zum Sinn von Kants Grundfrage: »Was ist der Mensch?« Das Verhältnis der kritischen Philosophie Kants zur antiken Metaphysik und Ethik (im Blick auf Platon, Aristoteles und Augustinus und mit einem Nachtrag zu Heidegger). In: ZphF 70, 2016, 493–526. NF: Wer sint, die got êrent? (Predigt 6). Zur leitenden Grundfrage Meister Eckharts. Hinführung zum Zentrum seines Denkens. In: MEaD 1–16. NF: ›Die rede der underscheidunge‹ als Eckharts ›Orientierung im Denken. In: MEaD,185–198. NF: Zur »Person eines jeden andern« im Denken Immanuel Kants. Vor dem Hinter grund der ›Heteronomie‹ bei Levinas und dem ›Seinsdenken‹ bei Heidegger. In: Das Antlitz des Anderen. Neue Beiträge zum Denken von Emmanuel Levinas
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Hg. von NF, Peter Reifenberg, Jakub Sirovátka. Alber: Freiburg / München 2019, 35–76. NF: Erkenntniskritik, Begründung des Sittengesetzes und Gottesfrage bei Imma nuel Kant. In: Probleme und Fragen der Erkenntnistheorie. Festschrift für Ha rald Schöndorf S. J. (Arbeitstitel). Hg. von Ulrich Lehner und Ronald Tacelli S J. Kohlhammer Verlag: Stuttgart 2019, 61–73.
5. Verzeichnis der benutzten Siglen Siglen biblischer Schriften nach »Jerusalemer Bibel«: Neue Jerusalemer Bibel. Einheitsübersetzung mit dem Kommentar der Jerusalemer Bibel. Neu bearbeitete und erweiterte Ausgabe. Deutsch herausgegeben von Alfons Deissler und Anton Vögtle in Verbindung mit Johannes M. Nützel. Herder: Freiburg 1985. Siglen der Schriften des ›Neuen Testaments‹: Novum Testamentum graece. Cum apparatu critico curavit Eberhard Nestle. Württembergische Bibelanstalt (1898); zahlreiche Nachdrucke. Weitere Siglen: AA Kant’s gesammelte Schriften = Akademie-Ausgabe; die benutzten Siglen der Schriften Kants wurden 2004 bei der Herausgabe von KMR mit den ›Kant-Studien‹ (= KS) vereinbart. AL Augustinus-Lexikon. Hg. v. Cornelius Mayer. Schwabe: Basel 1986 ff. Augustinus; Siglen der zitierten Schriften Augustins nach AL und CAG. CAG Corpus Augustinianum Gissense a Cornelio Mayer editum. Version 2.0. Zentrum für Augustinus-Forschung: Würzburg 10/2005. DW Meister Eckhart: Die deutschen und lateinischen Werke. Hg. i. A. der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Die deutschen Werke. Hg. und übers. von Josef Quint und Georg Steer. Kohlhammer: Stuttgart 1957 ff. Georges Ausführliches Handwörterbuch. Lateinisch-deutsch. Ausgearbeitet von Karl-Ernst Georges. Nachdruck WBG: Darmstadt 1988.
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HA
HWP KMR KS KSA
Lexer LW
MEaD MEJB MEJB MEW I; MEW II Mp MWB NE OGHRA PFG RdU
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Goethes Werke (Hamburger Ausgabe in 14 Bänden; 1955). Textkritisch durchgesehen und kommentiert von Dorothea Kuhn und Rike Wankmüller. Sonderausgabe. C. H. Beck: München 1998. Historisches Wörterbuch der Philosophie. Joachim Ritter u. a. (Hg.). WBG: Darmstadt 1971–2007. Kants Metaphysik und Religionsphilosophie. Hg. von Norbert Fischer. Felix Meiner: Hamburg 2004. Kant-Studien. Philosophische Zeitschrift der Kant-Gesellschaft. Walter de Gruyter: Berlin / New York 1896 ff. Friedrich Nietzsche. Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden, hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. De Gruyter Berlin; dtv: München 1980. Matthias Lexer: Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch. Leipzig: Hirzel 1885 (Stuttgart: Hirzel 1992). Meister Eckhart: Die lateinischen Werke. Hg. i. A. der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Hg. von Konrad Weiß, Josef Koch, Heribert Fischer, Loris Sturlese, Albert Zimmermann u. a. Kohlhammer: Stuttgart 1964 ff. Meister Eckhart als Denker (MEJB. Beiheft 4). Hg. von Wolfgang Erb; Norbert Fischer. Kohlhammer: Stuttgart 2018. Meister Eckhart Jahrbuch. Kohlhammer: Stuttgart 2007 ff. Meister Eckhart Jahrbuch Beihefte. Kohlhammer: Stuttgart 2007 ff. Meister Eckhart: Werke I und II. Texte und Übersetzungen von Josef Quint. Hg. und komm. von Niklaus Largier. Aristoteles: Metaphysik. Mittelhochdeutsches Wörterbuch (Kurt Gärtner). Nikomachische Ethik (Aristoteles). The Oxford Guide of the HistoricalReception of Augustine. Hg. von Karla Pollmann u. a. Oxford: University Press 2013. Die philosophische Frage nach Gott. Ein Gang durch Ihre Stationen. Von Norbert Fischer. Bonifatius. Paderborn 1995. Die rede der underscheidunge; textkritische Ausgabe von Josef Quint: DW 5, 185–311.
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REAug S. th. SO SW SuZ ThPh ThRv TThZ ZfdPh ZphF
Zitierte Literatur
Revue des Études Augustiniennes. Thomas von Aquin: Summa theologiae. Sonette an Orpheus (Rainer Maria Rilke) Sämtliche Werke (Rainer Maria Rilke). Sein und Zeit (Martin Heidegger) Theologie und Philosophie. Theologische Revue. Trierer Theologische Zeitschrift. Zeitschrift für deutsche Philologie. Zeitschrift für Philosophische Forschung.
6. Fundstellen mit Erwähnungen zitierter klassischer Autoren Anselm von Canterbury XXXVIII . Aristoteles XV , XXV , XXVI , X XXVII , XXXIX , L, 95, 101, 109f., 114, 117, 122 (2). Augustinus VII (2), VIII (3), IX , XI , XIV , XV , XX , XXV , XXVI , XXIX (2), XXX , XXXI (5), XXXII , XXXIII (2), XXXIV , XXXV (3), XXXVI , XXXVII (2), XXXVIII , XXXIX (4), XLI , XLIII (6), XLIV (4), XLV (4), XLVI , XLVII (3), XLVIII (6), XLXIX , L (2), LII (4), LIII (2), LIV (2), LVI (2), LVIII , LXIX (3), LX (2), LXII (2), LXIV (4), LXIV (2). Blondel, Maurice 96. Cicero VII (2), 127. Feuerbach, Ludwig LXII (3).
Goethe, Johann Wolfgang von 96, 103. Heidegger, Martin VIII , XV (6), XVI , XXVIII , XXXIX (2), XL , XLII , XLVII , L (4), LXVIII (2), 96, 99, 104, 107 (2), 108, 109, 114, 120, 122 (3), 125, 126. Kant, Immanuel VIII (3), IX , XI (4), XII , XIV (5), XV (5), XVI , XX , XXIV , XXV (4), XXVI (3), XXVII (6), XXVIII (6), XXIX (5), XXXIII (2), XXXIV (4), XXXV (2), XXXVI , XXVII (7), XXVIII (6), XXIX (6), XXXIII (2), XXXIV (5), XXXV (2), XXXVI , XXXVII , XXXVIII , XXXIX (4), XL (5), XLI , XLII (3), XLIV , XLV (2), XLVI (3), XLVII , XLIX (3), L (3), LIV (2),
Zitierte Literatur LV , LVII (3), LXI (2), LXII (2), LXIV (3), LXVIII (4), 94 (3), 98 (3), 100, 103, 104, 105 (2), 106 (3), 108 (3), 109 (3), 110 (4), 113, 114, 115, 116, 117 (3), 118, 119 (3), 120 (2), 122 (3), 123, 124, 125 (2), 126 (2). Leibniz, Gottfried Wilhelm LX (4), LXI . Levinas, Emmanuel XXVII , X XVIII , XL , XLII , XLVIII . Luther, Martin XXXII , LX , 93 f., 116 (3), 117. Nietzsche, Friedrich XXXIII , XXXVII , LIII (2), LXIII , LXVII , 103 (2), 107 (2), 108 (2), 125. Nikolaus von Kues (Cusanus) XXXVIII , LXIII , 101. Novalis (Friedrich von Hardenberg) 101, 102.
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Platon VIII , XV , XVI (2), XX (2), XXV (3), XXVI (2), XXX (4), XXXI (3), XXXIV , XXXVII , XXXIX , XLIV , XLVI (2), XLIX (2), L, LII , LIV , LVIII , LIX , L XVIII , 94 (3), 98, 100, 102 (2), 103 (3), 104, 105, 106 (2), 109 (3), 110, 112, 114 (2), 115 (2), 118, 119, 122, 123 (2). Plotin VIII , XXIX , XXXIII , XLIII (3), XLIV , LII , 100, 101, 120, 121 (2), 123, 125. Rilke, Rainer Maria XV , XXV , L XVII (7), LXVIII (3), 113 (4). Scheler, Max VII (2), XXXIV . Thomas von Aquin XXXVIII (2), LV , LVI , LXIII , 101, 107, 112 (4), 115, 123.
M EIS T ER ECK H A RT
Die Reden zur Orientierung im Denken Die rede der underscheidunge
Die rede der underscheidunge
Daz sint die rede, die der vicarius von türingen, der prior von erfurt, bruoder eckhart predigerordens mit solchen kindern hâte, diu in dirre rede vrâgeten vil dinges, dô sie sâzen in collationibus mit einander.
1. Von wârer gehôrsame daz êrste. Wâriu und volkomeniu gehôrsame ist ein tugent vor allen tugenden, und kein werk sô grôz enmac geschehen noch getân werden âne die tugent; und swie kleine ein werk und swie snoede ez sî, sô ist ez nützer getân in wârer gehôrsame, ez sî messe lesen, hoeren, beten, contemplieren oder swaz dû maht gedenken. Nim aber swie snoede ein werk dû wellest, ez sî swaz daz sî, ez machet dir wâriu gehôrsame edeler und bezzer. Gehôrsame würket alwege daz aller beste in allen dingen. Joch diu gehôrsame engeirret niemer niht und enversûmet ouch nihtes, swaz ieman tuot, in deheinen dingen, daz ûz der wâren gehôrsame gât, wan si enversûmet kein guot. Gehôrsame bedarf niemer niht gesorgen, ir engebrichet ouch keines guotes. / Swâ der mensche in gehôrsame des sînen ûzgât und sich des sînen erwiget, dâ an dem selben muoz got von nôt wider îngân; wan sô einez im selber niht enwil, dem muoz got wellen glîcher wîs als im selber. Swenne ich mînes willen bin ûzgegangen in die hant mînes prêlâten und mir selber niht enwil, dar umbe muoz mir got wellen, und versûmet er mich an dem teile, sô versûmet er sich selber. Alsô in allen dingen, dâ ich mir niht enwil, dâ wil mir got. Nû merke! Waz wil er mir, dâ ich mir niht enwil? Dâ ich mich ane lâze, dâ muoz er mir von nôt wellen allez, daz er im selben wil, noch minner noch mêr, und
Die Reden zur Orientierung im Denken1
Das sind die Reden, die der Vikar von Thüringen und Prior von Erfurt, Bruder Eckhart vom Predigerorden, jungen Leuten vortrug, die zu diesen Reden viel fragten, als sie zu Konferenzen beieinander saßen.2
1. Vom Vorrang wahren Gehorsams.3 Wahrer und vollkommener Gehorsam4 ist eine Tugend vor a llen Tugenden:5 Kein wahrhaft großes Tun6 ist ohne diese Tugend möglich oder kann ohne sie verwirklicht werden.7 Wie klein und gering ein Tun auch sei: Mehr Nutzen hat es in wahrem Gehorsam, sei es Messelesen oder -hören, beten, meditieren oder woran Du denken magst.8 Nimm aber irgendein geringes Tun: Wahrer Gehorsam macht es Dir edler und besser. Gehorsam bewirkt stets das Allerbeste bei allem Tun. Denn solcher Gehorsam irrt niemals und versäumt nichts, bei allem, was jemand tut, bei nichts, was aus wahrem Gehorsam folgt, da dieser nichts Gutes versäumt.9 Gehorsam braucht sich niemals zu sorgen,10 ihm fehlt auch nichts Gutes. / Wo sich der Mensch in Gehorsam übersteigt und von sich läßt,11 eben da muß Gott notgedrungen in ihn einkehren:12 Wenn ein solches Ich nicht für sich selbst will, muß Gott für es in gleicher Weise wie für sich selbst wollen. Wenn ich meinen Willen aufgegeben, ihn in die Hand meines Oberen gelegt habe und nicht für mich selbst will, muß Gott für mich wollen. Und verfehlt er mich dabei, verfehlt er sich selbst.13 So in allem: Wo ich nicht für mich will, da will Gott für mich.14 Bedenke nun: Was will er für mich, wo ich nicht für mich will? Wo ich mich loslasse, muß er notwendig für mich alles wollen, was er für sich selbst will, nicht weniger und nicht mehr – und in
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Meister Eckhart
mit der selben wîse, dâ er im mit wil. Und entæte got des niht, in der wârheit, diu got ist, sô enwære got niht gereht noch enwære got, daz sîn natiurlich wesen ist. / In wârer gehôrsame ensol niht vunden werden ›ich wil alsô oder alsô‹ oder ›diz oder daz‹, sunder ein lûter ûzgân des dînen. Und dar umbe in dem aller besten gebete, daz der mensche mac gebeten, ensol niht sîn weder ›gip mir die tugent oder die wîse‹, oder ›jâ, herre, gip mir dich selber oder êwigez leben‹, dan ›herre, engip niht, wan daz dû wilt, und tuo, herre, swaz und swie dû wilt in aller wîse‹. Daz übertriffet daz êrste als der himel die erden. Und swenne man daz gebet alsô volbringet, sô hât man wol gebetet: als man zemâle ûzgegangen ist in got wârer gehôrsame. Und als wâriu gehôrsame niht ensol haben ›ich wil alsô‹, alsô ensol niemer von ir gehoeret werden ›ich enwil niht‹; wan ›ich enwil niht‹ ist ein wâriu vergift aller gehôrsame. Als dâ sprichet sant Augustînus: »der getriuwe diener gotes den engelüstet niht, daz man im sage oder gebe, daz er gerne hoerte oder sæhe; wan sîn êrster, hoehster vlîz ist ze hoerenne, waz gote allermeist gevellet«.
2. Von dem aller kreftigesten gebete und von dem aller hoehsten werke. Daz kreftigeste gebet und vil nâch daz almehtigeste, alliu dinc ze erwerbenne, und daz aller wirdigeste werk vor allen dingen, daz ist, daz dâ gât ûz einem ledigen gemüete. Ie lediger daz ist, ie daz gebet und daz werk kreftiger, wirdiger, nützer und lobelîcher und volkomener ist. Daz ledige gemüete vermac alliu dinc. / Waz ist ein ledic gemüete? / Daz ist ein ledic gemüete, daz mit nihte beworren enist noch ze nihte gebunden enist noch daz sîn bestez ze keiner wîse gebunden enhât noch des sînen niht enmeinet in deheinen dingen, dan alzemâle in dem liebesten willen gotes versunken ist und des sînen ûzgegangen ist. Niemer enmac der mensche dehein sô snoede werk gewürken, ez enneme hier inne sîne kraft und sîn vermügen. Alsô krefticlîche
Die Reden zur Orientierung im Denken
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der selben Weise, wie er es für sich will. Und täte Gott das nicht, wäre Gott in der Wahrheit, die Gott ist, nicht gerecht, noch wäre Gott das, was er von Natur aus ist. / In wahrem Gehorsam sollen nicht Sätze zu finden sein wie: ›Ich will so oder so‹, oder: ›dies oder das‹, sondern lauterer Verzicht auf Besitz. Darum soll es im allerbesten Gebet, das ein Mensch beten kann, weder heißen: ›Herr, gib mir diese Tugend oder diese Lebensart‹ oder auch: ›Ja, Herr, gib mir Dich selbst oder ewiges Leben‹, sondern: ›Herr, gib mir nur, was und wie Du willst, in jeder Weise‹. Dieses Gebet übertrifft das erstgenannte wie der Himmel die Erde. Wenn man das Gebet so vollzieht, hat man gut gebetet: soweit man in wahrem Gottesgehorsam angefangen hat. Und weil wahrer Gehorsam kein ›ich will es so‹ haben soll, soll von ihm auch nie gehört werden: ›ich will nicht‹; denn zu sagen: ›ich will nicht‹ ist wahres Gift für jeden Gehorsam. So wie Sankt Augustinus sagt: »Den treuen Diener Gottes gelüstet nicht, daß ihm gesagt oder gegeben werde, was er gerne hörte oder sähe; vielmehr zielt sein erstes und höchstes Bestreben darauf zu hören, was Gott am allermeisten gefällt.«15
2. Vom allerwirksamsten Gebet und von der allerhöchsten Tätigkeit.16 Das kräftigste, fast allmächtigste Gebet, alle Ziele zu erreichen, und das von allem würdigste Tun ist das, das von einem freien Geist ausgeht.17 Je freier das Gebet und je stärker das Tun ist, desto stärker, würdiger, besser, löblicher und vollkommener ist es. Der freie Geist kann alles.18 / Was ist ein freier Geist?19 / Frei ist ein Geist, der – von nichts verwirrt, an nichts gebunden – sein Bestes in keiner Weise gefesselt hat oder eigennützig in den Dingen sucht, sondern in den liebevollsten Willen Gottes versunken ist und sich vom Kreisen um sich selbst gelöst hat.20 Niemals kann der Mensch so eine schnöde Tat bewirken, die von hier ihre Kraft und Wirkung gewönne. So kraftvoll soll man beten, als
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Meister Eckhart
sol man beten, daz man wölte, daz alliu diu gelider des menschen und krefte, beidiu ougen, ôren, munt, herze und alle sinne dar zuo gekêret wæren; und niht ensol man ûfhoeren, man envinde denne, daz man sich welle einen mit dem, den man gegenwertic hât und bitet, daz ist got.
3. Von ungelâzenen liuten, die vol eigens willen sint. Die menschen sprechent: ›eyâ, herre, ich wölte gerne, daz mir alsô wol mit gote wære und alsô vil andâht hæte und vride mit gote, als ander liute hânt, und wölte, daz mir alsô wære oder ich alsô arm sî‹, oder: ›mir enwirt niemer reht, ich ensî denne dâ oder dâ und tuo sus oder sô, ich muoz in ellende sîn oder in einer klûsen oder in einem klôster‹. / In der wârheit, diz bist dû allez selber und anders niht zemâle. Ez ist eigener wille, aleine enweist dû es niht oder endünket dich es niht: niemer enstât ein unvride in dir ûf, ez enkome von eigenem willen, man merke ez oder man enmerke ez niht. Swaz wir daz meinen, daz der mensche disiu dinc sol vliehen und jeniu sol suochen – daz sint die stete und die liute und die wîse oder diu menige oder diu werk – , daz enist niht schult, daz dich diu wîse oder diu dinc hindernt: dû bist ez in den dingen selber, daz dich hindert, wan dû heltest dich unordenlîche in den dingen. Dar umbe hebe an dir selber an ze dem êrsten und lâz dich. In der wârheit, dû envliehest dich denne ze dem êrsten, anders, swâ dû hine vliehest, dâ vindest dû hindernisse und unvride, ez sî, swâ daz sî. Die liute, die vride suochent in ûzwendigen dingen, ez sî an steten oder an wîsen oder an liuten oder an werken oder daz ellende oder diu armuot oder smâcheit, swie grôz diu sî oder swaz daz sî, daz ist dennoch allez nihtes noch engibet keinen vride. Sie suochent alles unrehte, die alsô suochent: ie verrer sie ûzgânt, ie minner sie vindent, daz sie suochent. Sie gânt als einer, der eines weges vermisset: ie verrer er gât, ie mêr er irret. Mêr: waz sol er tuon? Er sol sich selber lâzen ze dem êrsten, sô hât er alliu dinc gelâzen. In der wârheit,
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wollte man alle Organe und Kräfte des Menschen, beide Augen, Ohren, Mund, Herz und alle Sinne darauf richten; und man soll damit nicht aufhören, außer man finde, man wolle sich mit dem verbinden,21 den man gegenwärtig hat und den man bittet:22 nämlich Gott.
3. Von ungelassenen23 Menschen, die von Eigenwillen erfüllt sind.24 Manche sagen: ›Ach, Herr,25 ich wollte gern, daß ich mit Gott ebenso gut stünde und so viel Andacht und Frieden mit Gott hätte wie andere Leute; und ich wollte, es ginge mir ebenso, und ich wäre ebenso arm‹; oder: ›aus mir wird niemals was Rechtes, gleich, ob ich da bin oder dort, ob ich so lebe oder anders: ich muß im Elend sein, sei es in einer Klause oder einem Kloster‹. / Aber in Wahrheit: Du bist all das selbst – und sonst nichts anderes: es ist Dein eigener Wille, selbst wenn Du es nicht weißt oder es Dich nicht so dünkt: niemals entsteht Unfriede in Dir, der nicht aus eigenem Willen kommt, ob Du es bemerkst oder nicht. Was wir damit meinen, wenn wir sagen, der Mensch solle etwas meiden und anderes suchen: z. B. Orte und Leute, diese Lebensform, diese Gesellschaft oder Tätigkeit: all das ist nicht schuld. Nicht Umstände oder Dinge hindern Dich: Du bist es in allem selbst, was Dich hindert. Denn Du verhältst Dich in diesen Dingen wider die Ordnung.26 Darum fange zuerst bei Dir selbst an und lasse von Dir ab. Ja: Entfliehst Du nicht erst Dir selbst, wohin Du auch fliehst, so findest Du in allem nur Hindernisse und Unfrieden. Wer Frieden in äußeren Dingen sucht,27 an Orten, in Lebensweisen, an Menschen oder Taten, in Elend, Armut oder Verachtung28: wie groß und beschaffen diese auch seien: das ist alles nichts und gibt keinen Frieden. Die so suchen, suchen alles auf verfehlte Weise: Je weiter sie nach draußen gehen, d esto weniger finden sie, was sie suchen.29 Sie gehen wie einer, der keinen Weg weiß: Je weiter er geht, desto mehr irrt er umher.30 Aber: Was soll er tun? Zuerst soll er sich selbst lassen: so hat er
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lieze ein mensche ein künicrîche oder alle die werlt und behielte sich selber, sô enhæte er nihtes gelâzen. Jâ, und læzet der mensche sich selber, swaz er denne beheltet, ez sî rîchtuom oder êre oder swaz daz sî, sô hât er alliu dinc gelâzen. / Ez sprichet ein heilige ûf daz wort, daz sant Pêter sprach: ›sich, herre, wir hân alliu dinc gelâzen‹ – und er enhâte doch niht mêr gelâzen dan ein blôz netze und sîn schiffelîn – der heilige sprichet: swer daz kleine williclîche læzet, der enlæzet ez niht aleine, mêr: er læzet allez, daz werltlîche liute mügen gewinnen, jâ, ouch, daz sie mügen begern; wan, der sînen willen und sich selber læzet, der hât alliu dinc gelâzen als wærlîche, als sie sîn vrî eigen wæren und sie besezzen hæte in ganzem gewalte. Wan, daz dû niht enwilt begern, daz hâst dû allez übergeben und gelâzen durch got. Dar umbe sprach unser herre: ›sælic sint die armen des geistes‹, daz ist des willen. Und hier ane ensol nieman zwîvelen: wære dehein bezzer wîse, unser herre hæte sie gesprochen, als er ouch sprach: ›swer mir welle nâchvolgen, der verzîhe sich sîn selbes ze dem êrsten‹; dâ liget ez allez ane. Nim dîn selbes war, und swâ dû dich vindest, dâ lâz dich; daz ist daz aller beste.
4. Von dem nützen lâzenne, daz man tuon sol von innen und von ûzen. Dû solt wizzen, daz sich nie dehein mensche sô vil geliez in disem lebene, er envünde sich dennoch mêr ze lâzenne. Der liute ist wênic, die des rehte war nement und dar ane bestânt. Ez ist rehte ein glîch widergelt und glîcher kouf: als vil dû ûzgâst aller dinge, als vil, noch minner noch mêr, gât got în mit allem dem sînen, als dû zemâle ûzgâst in allen dingen des dînen. Dâ hebe ane, und daz lâz dich kosten allez, daz dû geleisten maht. Dâ vindest dû wâren vride und niendert anderswâ. / Die liute endörften niemer vil gedenken, waz sie tæten; sie solten aber gedenken, waz sie wæren. Wæren nû die liute guot und ir wîse, sô
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alle Dinge gelassen. In der Tat: Gäbe ein Mensch ein Königreich oder die ganze Welt preis, hielte aber an sich selbst fest, hätte er nichts gelassen. Nur wenn der Mensch sich selbst läßt, hat er alles gelassen, auch wenn er Reichtum, Ehre oder was immer behält. / Ein Heiliger weist auf das Wort, das Sankt Peter sprach: ›Sieh, Herr, wir haben alles gelassen‹31 – und der hatte doch nicht mehr gelassen als ein bloßes Netz und sein Boot; der Heilige erklärt: wer Kleines freiwillig preisgibt, gibt nicht nur Kleines, sondern alles, was Weltmenschen erlangen, ja alles, was sie begehren können. Denn wer seinen Willen und sich selbst läßt, hat wahrlich von allem so gelassen, als ob es vorher frei sein eigen gewesen wäre und er alles aus seiner Kraft besessen hätte. Denn all das, was Du nicht begehren willst, hast Du preisgegeben und durch Gott gelassen.32 Darum sagte unser Herr: ›Selig sind die Armen des Geistes‹33 – das heißt: des Willens. Daran soll niemand zweifeln: Gäbe es einen besseren Weg, hätte unser Herr ihn genannt, auch als er sagte: ›Wer mir nachfolgen will, der lasse zuerst von sich sich ab‹;34 daran liegt alles. Nimm Deiner selbst wahr – und wo Du Dich dann findest, laß Dich los; das ist das Beste von allem.35
4. Vom Nutzen des Lassens, das wir innen und außen vollziehen sollen. Beachte, daß kein Mensch in diesem Leben je so sehr von sich ließ, daß er nicht fände, er solle noch mehr von sich lassen. Wenige sehen das klar und halten daran fest. Es ist eine ganz gleiche Zahlung und Erstattung:36 so weit Du von allen Dingen abläßt, nicht mehr und nicht weniger, so weit kehrt Gott in Dich ein, mit allem, was ihm gehört: eben soviel, wie Du von dem Deinigen abläßt. Dort beginne und laß es Dich alles kosten, was Du leisten kannst. Dort findest Du wahren Frieden und nirgendwo sonst. / Die Leute sollten nicht so viel zu grübeln, was zu tun ist, sondern bedenken, was sie sind. Wären die Menschen und
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möhten iriu werk sêre liuhten. Bist dû gereht, sô sint ouch dîniu werk gereht. Niht engedenke man heilicheit ze setzenne ûf ein tuon; man sol heilicheit setzen ûf ein sîn, wan diu werk enheiligent uns niht, sunder wir suln diu werk heiligen. Swie heilic diu werk iemer sîn, sô enheiligent sie uns zemâle niht, als verre sie werk sint, mêr: als verre als wir heilic sîn und wesen hân, als verre heiligen wir alliu unsriu werk, ez sî ezzen, slâfen, wachen oder swaz daz sî. Die niht von grôzem wesene sint, swaz werke die würkent, dâ enwirt niht ûz. Hie merke, daz man allen vlîz sol dar ûf legen, daz man guot sî, niht als vil, waz man getuo oder welherleie geslehte diu werk sîn, sunder, wie der grunt der werke sî.
5. Merke, waz daz wesen und den grunt guot mache. Der grunt, dar ane daz liget, daz des menschen wesen und grunt guot sî groezlîchen, dâ des menschen werk ir gûete abe nement, daz ist, daz des menschen gemüete genzlîche ze gote sî. Dar ûf setze al dîn studieren, daz dir got grôz werde und daz aller dîn ernst und vlîz ze im sî in allen dînen werken und in allem dînem lâzenne. In der wârheit, ie dû des mêr hâst, ie alliu dîniu werk, welherleie diu sint, bezzer sint. Hafte gote ane, sô henket er dir alle güete ane. Suoche got, sô vindest dû got und allez guot. Jâ, in der wârheit, dû môhtest in solcher meinunge ûf einen stein treten, ez wære mêr ein götlich werk, dan ob dû des dînen mêr meintest in dem, daz dû næmest den lîchamen unsers herren und dîn meinunge minner abegescheiden wære. Der gote anehaftet, dem haftet got ane und alliu tugent. Und daz dû vor suochtest, daz suochet nû dich; daz dû vor jagetest, daz jaget nû dich, und daz dû vor mohtest gevliehen, daz vliuhet nû dich. Dar umbe, der gote anehaftet groezlîche, dem haftet ane allez, daz götlich ist, und vliuhet allez, daz gote unglîch und vremde ist.
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ihre Lebensweise nun gut, könnten ihre Taten hell leuchten. Bist du gerecht, so sind auch Deine Taten gerecht. Man erwäge nicht, Heiligkeit in ein Tun zu setzen: Heiligkeit soll man auf ein Sein gründen: denn nicht die Taten heiligen uns, vielmehr sollen wir die Taten heiligen. Wie heilig die Taten auch sein mögen, so heiligen sie uns nicht, sofern sie Taten sind.37 Sofern wir heilig sind und Sein haben, heiligen wir alle unsere Taten, sei es Essen, Schlafen, Wachen oder was auch immer. Aus Taten von Wesen, deren Sein nicht edel ist,38 wird nichts. Sieh also zu, allen Fleiß darauf zu legen, gut zu sein, nicht so sehr auf das, was man konkret tue oder was die Art der Taten sei, sondern wie die leitende Maxime beschaffen ist.39
5. Sieh, was das Sein und dessen Grund gut macht. Der Grund, der das Sein und die Maximen des Menschen wahrhaft gut macht, von dem das Tun der Menschen seine Güte erlangt, ist die Ausrichtung des Gemüts ganz auf Gott hin.40 Darauf setze all Dein Bemühen: daß Gott Dir groß werde und all Dein Ernst und Streben sich in allem Tun und Lassen auf ihn richte.41 In Wahrheit: Je mehr Du Dich so verhältst, desto besser sind Deine Taten, von welcher Art sie sein mögen. Halte Dich an Gott, dann verleiht er Dir alles Gute. Suche Gott, so findest Du Gott und alles Gute. In dieser Haltung könntest Du gegen einen Stein stoßen – das wäre dann eher ein göttliches Werk, als wenn Du, nur auf Dich bedacht, den Leib unseres Herren empfingest und Deine Gedanken weniger von Dir gelöst wären. Wer sich an Gott hält, an dem hält Gott fest und alle Tugend haftet an ihm. Was Du vorher suchtest, das sucht nun Dich; wonach Du vorher jagtest, das jagt nun Dich; und was Du vorher meiden wolltest, das meidet nun Dich. Wer also beharrlich an Gott festhält, an dem haftet alles Göttliche; und er flieht alles, was Gott ungleich und fremd ist.42
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6. Von der abegescheidenheit und von habenne gotes. Ich wart gevrâget: etlîche liute zügen sich sêre von den liuten und wæren alles gerne aleine, und dar ane læge ir vride, und daz sie wæren in der kirchen, ob daz daz beste wære? Dô sprach ich: nein! und merke, war umbe! / Wem reht ist, in der wârheit, dem ist in allen steten und bî allen liuten reht. Wem aber unreht ist, dem ist unreht in allen steten und bî allen liuten. Wem aber reht ist, der hât got in der wârheit bî im. Wer aber got rehte in der wârheit hât, der hât in in allen steten und in der strâze und bî allen liuten als wol als in der kirchen oder in der einoede oder in der zellen; ob er in anders rehte hât, und ob er in aleine hât, den menschen enmac nieman gehindern. / War umbe? / Dâ hât er aleine got und meinet aleine got und werdent im alliu dinc lûter got. Dér mensche treget got in allen sînen werken und in allen steten, und alliu des menschen werk diu würket got lûterlîchen; wan wer daz werk sachet, des ist daz werk eigenlîcher und wærlîcher dan des, der dâ würket daz werk. Meinen wir denne got lûterlîchen und aleine, in der wârheit, sô muoz er unsriu werk würken, und an allen sînen werken enmac in nieman gehindern, weder menige noch stete. Alsô enmac disen menschen nieman gehindern, wan er enmeinet niht noch ensuochet niht noch en smecket im nihtes dan got; wan er wirt dem menschen in aller sîner meinunge geeiniget. Und alsô, als got kein manicvaltic heit enmac zerströuwen, alsô enmac disen menschen nihtes zerströuwen noch vermanicvaltigen, wan er ist einez in dem einen, dâ alliu manicvalticheit einez ist und ein unvermanicvalticheit ist. / Der mensche sol got nemen in allen dingen und sol sîn gemüete wenen, daz er alle zît got habe in gegenwerticheit in dem gemüete und in der meinunge und in der minne. Merke, wie dû dînen got meinest, sô dû bist in der kirchen oder in der zellen: daz selbe gemüete behalt und trac daz under die menige und in die unruowe und in die unglîcheit. Und – als ich mêr gesprochen hân – als man saget von glîcheit, sô enmeinet man niht, daz man alliu werk glîch sül ahten oder alle stete oder alle liute.
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6. Von der Abgeschiedenheit und vom Haben Gottes.43 Ich wurde gefragt, ob es das Beste sei, sich von den anderen ganz zurückzuziehen und gerne allein zu sein, wie manche es tun; daran läge ihr Friede – und daran, daß sie in der Kirche wären? Da sagte ich: Nein!44 Nun beachte, warum! / Um wen es wirklich gut steht, der lebt überall und mit allen Leuten gut. Wer aber im Unrecht ist, ist an allen Orten und bei allen Menschen im Unrecht.45 Wer aber gerecht lebt, hat Gott in Wahrheit bei sich. Wer also Gott in Wahrheit hat, hat ihn an allen Orten, auf der Straße und bei allen Leuten, so gut in der Kirche wie in der Einöde oder in der Mönchszelle. Wenn er ihn nur wirklich hat, wenn er nur ihn hat, kann diesen Menschen niemand stören. / Warum? / Da hat er nur Gott und denkt nur an Gott, und alle Dinge werden ihm ganz göttlich.46 Dieser Mensch führt Gott in allen seinen Taten und an allen Orten bei sich, und alle Taten dieses Menschen bewirkt Gott selbst.47 Denn wer die Tat verursacht, dem gehört sie eigentlicher und wahrhafter als dem, der sie vollzieht.48 Denken wir lauter und allein an Gott, so muß er in Wahrheit unsere Taten bewirken, und an all seinen Taten kann ihn niemand hindern, weder Menge noch Raum.49 Also kann diesen Menschen niemand hindern; denn weder meint er noch sucht er oder schmeckt ihm etwas außer Gott: denn Gott wird mit diesem Menschen in all seinem Vorstellen vereint. Wie keine Mannigfaltigkeit Gott zerstreuen kann, so kann diesen Menschen nichts zerstreuen oder vermannigfaltigen: denn er ist Eines in dem Einen, in dem alle Mannigfaltigkeit Eines ist, das nicht vervielfältigt werden kann.50 / Der Mensch soll Gott in allen Dingen sehen und sich51 üben,52 Gott allzeit gegenwärtig zu haben: im Gemüt, im Denken und in der Liebe. Sieh, was Du mit Deinem Gott meinst, gleich, ob Du in der Kirche oder in der Zelle bist: Behalte dasselbe Gemüt und trage es in die Menge, in die Unruhe und das Getümmel.53 Und, wie ich öfter gesagt habe, wenn man von Gleichheit54 spricht, meint man nicht, daß man alle Taten gleich beurteilen soll, auch nicht alle Orte und alle Menschen.55
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Daz wære gar unreht, wan ez ist ein bezzer werk beten wan spinnen und ein edelriu stat diu kirche dan diu strâze. Aber dû solt in den werken ein glîchez gemüete haben und ein glîchez getriu wen und eine glîche minne ze dînem gote und einen glîchen ernst. Entriuwen, wære dir alsô glîch, sô enhinderte dich nieman dînes gegenwertigen gotes. / Aber, wem alsô in der wârheit got niht innen enist, sunder alles got von ûzwendic muoz nemen in dem und in dem, und wenne er in unglîcher wîse got suochet, ez sî werk oder liute oder stete, sô enhât er got niht. Und daz mac lîhte sîn, daz dén menschen hindert, wan er enhât gotes niht, und er ensuochet in niht aléine noch er enminnet noch enmeinet in niht a léine; und dar umbe enhindert in niht aleine boesiu geselleschaft, sunder in hindert ouch diu guote und niht aleine diu strâze, sunder ouch diu kirche noch niht aleine boesiu wort und werk, mêr: ouch guotiu wort und werk, wan diu hindernisse ist in im, wan in im enist niht got worden alliu dinc. Wan wære im daz, sô wære im in allen steten und bî allen liuten gar reht und wol, wan er hât got, und den enmac im nieman genemen noch sînes werkes enmac in nieman gehindern. / War ane liget nû diz wâre haben gotes, daz man in wærlîche habe? / Diz wærlîche haben gotes liget an dem gemüete und an einem inniclîchen vernünftigen zuokêrenne und meinenne gotes, niht an einem stæten anegedenkenne in einer glîchen wîse, wan daz wære unmügelich der natûre in der meinunge ze habenne und sêre swære und ouch daz aller beste niht. Der mensche ensol niht haben noch im lâzen genüegen mit einem gedâhten gote, wan, swenne der gedank vergât, sô vergât ouch der got. Mêr: man sol haben einen gewesenden got, der verre ist obe den gedenken des menschen und aller crêatûre. Dér got envergât niht, der mensche enkêre denne williclîche abe. / Der got alsô in wesenne hât, der nimet got götlîchen, und dem liuhtet er in allen dingen; wan alliu dinc smeckent im götlîchen, und got erbildet sich im ûz allen dingen. In im blicket got alle zît, in im ist ein abegescheiden abekêren und ein înbilden sînes geminneten gegenwertigen gotes. Glîcher
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Das wäre ganz unrecht: denn es ist besser, zu beten als zu spinnen; und die Kirche ist ein edlerer Ort als die Straße. Aber Du sollst im Tun Gleichmut, gleiches Zutrauen und gleiche Liebe zu Deinem Gott und gleichen Ernst behalten. In der Tat: Hättest Du diesen Gleichmut, dann hinderte Dich niemand, Gott gegenwärtig zu haben. / Bei wem aber Gott nicht wahrhaft innen da ist, sondern wer alles Göttliche von außen her nehmen muß, von diesem und jenem, und wenn er Gott in ungleicher Weise sucht, sei es in Taten, in Menschen oder Orten, der hat Gott nicht. Es mag leicht sein, daß es diesen Menschen behindert, da Gott ihm fehlt: aber er sucht nicht ihn allein, er liebt nicht ihn allein und hat nicht ihn allein im Sinn; und darum hindern ihn nicht nur schlechte Gesellschaft, sondern auch die gute – und nicht allein die Straße, sondern auch die Kirche, nicht allein böse Worte und Taten, sondern auch gute Worte und Taten: denn das Hindernis ist in ihm: denn in ihm ist Gott nicht alles geworden. Wäre er ihm alles geworden, so wäre es ihm an allen Orten und bei allen Menschen ganz recht und gut: denn er hat Gott, den ihm niemand nehmen kann, an dessen Werk ihn niemand hindern kann. / Woran liegt nun dies wahre Haben Gottes, in dem man ihn wahrhaft hätte? / Dies wahre Haben Gottes liegt am Gemüt: nämlich einer innigen, vernünftigen Hinkehr und Liebe zu Gott, nicht an einem steten Vorstellen in gleicher Weise: solches Vorstellen wäre der Natur unmöglich; dazu wäre es sehr schwer und auch nicht das Allerbeste. Weder soll der Mensch einen gedachten Gott haben noch sich mit ihm genügen lassen, da dieser Gott vergeht, sobald das Denken endet. Mehr: Man soll einen anwesenden Gott haben, der weit über den Gedanken des Menschen und aller Geschöpfe ist.56 Dieser Gott vergeht nicht, wenn sich der Mensch nicht willentlich von ihm abkehrt.57 / Wer Gott so im Sein festhält, nimmt Gott göttlich; und dem leuchtet er in allen Dingen, denn alles schmeckt ihm göttlich, und Gott formt sich ihm aus allen Dingen.58 In ihm strahlt Gott alle Zeit, in ihm ist eine vom Vielen getrennte Abkehr und eine Verinnerlichung seines geliebten gegenwärtigen Gottes. Wie bei dem, den es hit-
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wîs, als den dâ hitziclîchen dürstet in rehtem durste, der tæte wol anders dan trinken und mac ouch wol ander dinc gedenken; mêr: aber swaz er tuo oder bî swem er sî, in swelher meinunge oder swaz er gedenke oder swaz er würke, im envergât doch daz bilde des trankes niht, die wîle der durst wert; und als vil groezer der durst ist, als vil mêr und inwendiger und gegenwertiger und stæter ist daz bilde des trankes. Oder der dâ hitziclîchen ein dinc minnet mit ganzer kraft alsô, daz im niht anders ensmecket und ze herzen gât dan daz, und meinet daz aleine und anders zemâle nihtes: entriuwen, swâ der mensche ist oder bî swem er ist oder swes er beginnet oder swaz er tuot, sô erlischet niemer in im, daz er alsô minnet, und in allen dingen vindet er des dinges bilde und ist im als gegenwertic, als vil der minne mêrer und mêrer ist. Der mensche ensuochet niht ruowe, wan in enhindert kein unruowe. / Der mensche ist verre mêr vor gote gelobet, wan er alliu dinc götlîche nimet und mêr, dan diu dinc an in selber sint. Triuwen, hie zuo gehoeret vlîz und minne und ein wol warnemen des menschen inwendicheit und ein wacker wâr vernünftigez würklîchez wizzen, war ûf daz gemüete stât in den dingen und bî den liuten. Diz enmac der mensche niht gelernen mit vliehenne, daz er diu dinc vliuhet und sich an die einoede kêret von ûzwendicheit; sunder er muoz ein innerlich einoede lernen, swâ oder bî swem er ist. Er muoz lernen diu dinc durchbrechen und sînen got dar inne nemen und den krefticlîche in sich künnen erbilden in einer wesenlîchen wîse. Glîcher wîs als einer, der dâ wil schrîben lernen; triuwen, sol er die kunst künnen, er muoz sich vil und dicke an den werken üeben, swie sûr und swære ez im doch werde und swie unmügelîchen ez in dünket; wil er ez vlîziclîchen üeben und dicke, er lernet ez und gewinnet die kunst. Triuwen, ze dem êrsten muoz er haben ein anedenken eines ieglîchen buochstaben und den in sich verbilden vil vaste. Dar nâch, sô er nû die kunst hât, sô wirt er des bildes zemâle ledic und des anedenkennes; sô schrîbet er lediclîchen und vrîlîchen – oder ez sî videln oder deheiniu werk, diu ûz sîner kunst suln geschehen. Dâ mite ist im zemâle genuoc, daz er ouch wizze, daz er daz
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zig dürstet in starkem Durst: was täte der wohl auch anderes als zu trinken und kann doch anderes denken; allerdings: was immer er tut und bei wem er auch ist, in welcher Einstellung, was er auch denke und woran er arbeite: ihm schwindet doch nicht die Vorstellung des Tranks, solange der Durst andauert. Und je größer der Durst ist, desto größer, innerlicher, gegenwärtiger und anhaltender ist das Bild des Tranks. Oder wer etwas heftig mit aller Kraft so liebt, daß ihm anderes nicht mehr schmeckt und zu Herzen geht: wahrhaftig, wo dieser Mensch ist, bei wem er ist oder was er beginnt oder was er tut: niemals erlischt in ihm, was er so sehr liebt – und in allem findet er das Bild des Geliebten,59 das ihm um so gegenwärtiger ist, als die Liebe mehr und mehr anwächst. Dieser Mensch sucht nicht Ruhe, denn ihn bedrängt keine Unruhe. / Dieser Mensch ist weit lobwürdiger vor Gott, denn er nimmt alle Dinge göttlich, mehr, als sie an sich selber sind. In der Tat: Dazu gehören Einsatz und Liebe, dazu eine gute Wahrnehmung des Inneren des Menschen, ein mutiges, wahres, vernünftiges60 und wirkliches Wissen, an dem das Gemüt festhält im Blick auf die Dinge und bei den (anderen) Menschen. Das kann der Mensch nicht lernen durch Flucht,61 indem er die Dinge flieht und sich aus der Wendung nach außen in die Einöde begibt; vielmehr muß er eine innere Einöde lernen, wo und bei wem er auch ist.62 Er muß lernen, die Dinge zu durchbrechen, seinen Gott darin zu empfangen und ihn in wesentlicher Form kraftvoll in sich nachahmen zu können.63 Eben wie einer, der schreiben lernen will: Wenn er diese Kunst beherrschen soll,64 muß er sich eifrig und oft an Texten üben, wie sauer und lästig es ihm auch sei und wie unmöglich es ihm auch scheint.65 Will er das Schreiben eifrig und oft üben, erlernt er die Kunst und erwirbt sie. In der Tat: Zuerst muß er auf jeden Buchstaben achten und ihn sich bildlich fest vorstellen. Nachdem er das kann, wird er frei vom Bild und der Vorstellung der Buchstaben; nun schreibt er unabhängig und frei – wie auch beim Geigenspiel oder anderen Tätigkeiten, die aus seinem Können geschehen sollen. Das Wissen, daß er sein Können ausüben will,
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werk sîner kunst wil üeben; und ob er sî âne stætez anegedenken; swaz er ouch denke, dennoch würket er sîn werk ûz sîner kunst. / Alsô sol der mensche mit götlîcher gegenwerticheit durchgangen sîn und mit der forme sînes geminneten gotes durchformet sîn und in im gewesent sîn, daz im sîn gegenwerticheit liuhte âne alle arbeit, mêr: eine blôzheit neme in allen dingen und der dinge zemâle ledic blîbe. Dâ muoz ze dem êrsten ein anegedenken und ein merklich înerbilden zuo gehoeren, als dem schuoler ze der kunst.
7. Wie der mensche sîniu werk sol würken ûf daz hoehste vernünfticlîchen. Der liute vindet man vil, und kumet der mensche lîhticlîche dar zuo, ob er wil, daz in diu dinc, dâ bî er wandelt, niht enhindernt noch kein blîbende bilde in in setzent; wan, swâ daz herze vol gotes ist, dâ enmugen die crêatûre niht stat gehaben noch vinden; mêr: dar ane ensol uns niht genüegen; wir suln uns alliu dinc groezlîchen tuon ze vrumen, ez sî, swaz daz sî, swâ wir sîn, swaz wir sehen oder hoeren, swie vremde daz sî oder swie unglîch. Denne allerêrst ist uns reht und niht ê, und niemer ensol der mensche hier ane ze ende komen, er enmüge hier ane âne underlâz wahsen und mêr gewinnen in einem wâren zuonemenne. / Und der mensche sol ze allen sînen werken und bî allen dingen sîner vernunft merklîchen gebrûchen und in allen dingen ein vernünftigez mitewizzen haben sîn selbes und sîner inwendicheit und nemen in allen dingen got in der hoehsten wîse, als ez mügelich ist. Wan der mensche sol sîn, – als unser herre sprach: ›ir sult sîn als liute, die alle zît wachent und beitent irs herren!‹ Entriuwen, die beitenden liute sint wacheric und sehent sich umbe, wâ er her kome, des sie beitent, und wartent sîn in allem dem, daz dâ kumet, swie vremde ez in doch sî, ob er dâ mite iht sî. Alsô suln wir haben ein wizzendez warnemen unsers herren in allen dingen. Dar zuo muoz vlîz gehoeren und muoz
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ist ihm vorerst genug, obwohl er nicht ständig daran denkt; was immer er denkt, er führt sein Werk doch mit seiner Kunst aus. / Also soll der Mensch von göttlicher Gegenwärtigkeit durchdrungen sein, von der Form seines geliebten Gottes durchformt und in ihm so in sein Wesen gelangt sein, daß seine Gegenwärtigkeit ihm ohne alle Mühe leuchte, mehr noch: daß sie Offenbarkeit gewinne in allen Dingen und doch von den Dingen stets frei bleibe.66 Dazu ist zuerst ein Hindenken und ein aufmerksames Einprägen nötig – wie bei dem Schüler im Blick auf die Fähigkeit zu schreiben.
7. Wie der Mensch seine Taten höchst vernünftig verwirklichen soll. Viele können es und jeder Mensch kommt, wenn er nur will, leicht dazu, daß ihn die Dinge, mit denen er umgeht, nicht hindern oder bleibende Bilder in ihn setzen; denn wo das Herz von Gott erfüllt ist, können Geschöpfe weder Platz haben noch finden.67 Zudem sollen uns Bilder nicht genügen: denn wir sollen uns alles in großem Sinn zunutze machen: Es sei, was es sei, wo wir sind, was wir sehen oder hören, wie fremd oder anders artig es sei. Dann erst steht es gut um uns und nicht früher; nie soll der Mensch dabei zu Ende kommen:68 hieran möge er ohne Unterlaß wachsen und in wahrem Zunehmen mehr gewinnen. / Der Mensch soll seine Vernunft bei allen Taten und Aufgaben bewußt gebrauchen,69 in allen Aufgaben sich selbst und sein Inneres vernünftig mitbedenken und Gott in allen Dingen in der höchsten Weise verstehen, die möglich ist. Denn der Mensch soll sein, wie unser Herr gesagt hat: ›Ihr sollt alle Zeit wachen und eures Herrn harren!‹70 In der Tat: Harrende sind wachsam und sehen sich um, woher der komme, auf den sie warten, und ersehnen ihn in allem, was ihnen begegnet, wie fremd es ihnen auch sei, ob er nicht etwa dabei sei. So sollen auch wir in allen Situationen kluge Aufmerksamkeit auf unseren Herrn richten. Dazu
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osten allez, daz man geleisten mac an sinnen und an kreften, k sô wirt den liuten reht und nement got in allen dingen glîche und vindent gotes glîche vil in allen dingen. / Und dâ ist wol ein werk anders dan daz ander; aber der sîniu werk tæte ûz einem glîchen gemüete, in der wârheit, des werk wæren ouch alliu glîch; und dem reht wære, in der wârheit, dem liuhtet got als blôz in dem werltlîchen als in dem aller götlîchesten, dem got alsô wære worden. Triuwen, niht alsô, daz der mensche selber iht werltlîches oder unglîches würke, mêr: swaz im von ûzwendigen dingen zuovellet an sehenne und an hoerenne, daz sol er ze gote kêren. Dem got alsô gegenwertic ist in allen dingen und sîner vernunft an dem obersten gewaltic ist und der gebrûchende ist, der weiz aleine von wârem vride, und der hât ein reht himelrîche. / Wan, dem reht sol sîn, dem muoz ie under zwein dingen einez geschehen: eintweder er sol got nemen und lernen haben ín den werken, oder er sol alliu werk lâzen. Wan nû der mensche niht in disem lebene mac gesîn âne werk, diu menschlich sint, der vil ist, dar umbe sô lerne der mensche sînen got haben in allen dingen und ungehindert blîben in allen werken und steten. Und dar umbe, swenne der anehebende mensche iht sol würken mit den liuten, sô sol er sich krefticlîche gotes vor warnen und vesticlîche in daz herze setzen und alle sîne meinunge, gedenken, willen und krefte mit im vereinen, daz sich anders niht enmüge erbilden in dem menschen.
8. Von dem stæten vlîze in dem hoehsten zuonemenne. Der mensche ensol ouch niemer dehein werk sô wol genemen noch rehte getuon, daz er iemer sô vrî sol werden in den werken oder ze sicher, daz sîn vernunft iemer müezic sol werden oder geslâfen. Er sol sich ie mit den zwein kreften der vernunft und des willen erheben und sîn aller bestez dar inne in dem hoehsten nemen und sich vor allem schaden vernünfticlîchen war-
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gehört Fleiß, der alles kosten muß, was unsere Sinne und Vermögen leisten können: So geschieht den Menschen recht; sie erfassen Gott in allen Dingen gleich und finden viel Gottgleiches in allen Dingen. / Dabei ist die eine Tat wohl anders als die andere. Wer aber seine Taten aus einem gleichen Geist täte,71 dessen Taten wären auch alle gleich; und mit wem es gut stünde, dem leuchtet Gott in Wahrheit so hell im Weltlichen wie im Allergöttlichsten, dem also wäre Gott zuteil geworden. Gewiß nicht so, daß der Mensch selbst Weltliches und Ungleiches bewirken sollte; vielmehr soll er, was ihm zufällt an äußeren, sichtbaren und hörbaren Dingen, auf Gott beziehen. Wem Gott in allen Dingen so gegenwärtig ist, wer seine Vernunft im höchsten beherrscht und gebraucht, nur der allein weiß von wahrem Frieden und hat ein wahres Himmelreich. / Denn um wen es recht stehen soll, der muß von je zwei Möglichkeiten eine ergriffen haben: Entweder soll er Gott in seinen Taten achten und ihm folgen, oder er soll alles Tun lassen. Da nun der Mensch in diesem Leben nicht ohne Tätigkeiten sein kann, die menschlich und vielfältig sind, muß er lernen, seinen Gott in allem Geschaffenen zu haben und ungestört zu bleiben in allen Taten und Orten. Und wenn der mit dem Tun beginnende Mensch etwas bei anderen bewirken soll, muß er sich zuvor mit Kraft auf Gott einstellen, ihn fest in das Herz aufnehmen und all sein Trachten, seine Gedanken, sein Wollen und seine Kräfte mit ihm vereinen, damit nichts anderes in diesem Menschen Platz greifen kann.
8. Von dem ständigen Bemühen um das höchste Wachstum.72 Der Mensch soll auch niemals eine Tat für so gut oder für so richtig getan halten, daß er in den Taten so unbekümmert oder so sicher wird, daß seine Vernunft zunehmend müßig oder verschlafen würde. Er soll stets die zwei Vermögen, die Vernunft und den Willen, einsetzen und sein Allerbestes darin hochhalten und sich vernünftig vor allem Schaden in acht nehmen, a ußen
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nen, ûzwendic und inwendic; sô enversûmet er in keinen dingen iemer ihtes, sunder er nimet âne underlâz zuo groezlîchen.
9. Wie die neigunge ze den sünden dem menschen vrument ze allen zîten. Dû solt wizzen, daz der anstôz der untugent enist in dem gerehten menschen niemer âne grôzen vrumen und nutz. Nû merke! Ez sint zwêne menschen: der ein mensche sî alsô, daz kein gebreste an in stôze oder wênic; aber der ander ist alsô, daz an in stôzent die gebresten. Von der ûzern gegenwerticheit der dinge sô wirt sîn ûzer mensche beweget, ez sî lîhte ze zorne oder ze îteln êren oder lîhte lîplîche, nâch dem als der gegenwurf ist. Aber mit sînen obersten kreften sô stât er zemâle stæte, unbeweget und enwil niht des gebresten tuon, weder zürnen noch keine der sünden und vihtet alsô wider den gebresten groezlîche; wan der gebreste ist vil lîhte natiurlich, als manic mensche von natûre zornic oder hôchvertic ist, oder swie daz sî, und enwil doch die sünde niht tuon. Dirre sol verre mêr gelobet sîn und ist sîn lôn vil mêr und sîn tugent vil edeler dan des êrsten, wan volkomenheit der tugent kumet von dem strîte, als sant Paulus sprichet: ›diu tugent wirt volbrâht in der krankheit‹. Diu neigunge ze den sünden enist niht sünde, aber wellen sünden, daz ist sünde, wellen zürnen, daz ist sünde. In der wârheit, dem reht wære, hæte der gewalt ze wünschenne, er ensölte niht wellen wünschen, daz im vergienge neigunge ze den sünden, wan âne die stüende der mensche ungewis in allen dingen und in allen sînen werken und âne sorge bî den dingen und darbete ouch der êren des strîtes und siges und des lônes; wan der anstôz und diu bewegunge der untugent diu bringent die tugent und den lôn in dem müejenne. Wan diu neigunge machet den menschen vlîziger alwege sich in der tugent groezlîche ze üebenne und trîbet in ze der tugent mit gewalt, und si ist ein strengiu geisel, diu den menschen ze der huote und ze der tugent trîbet; wan ie sich der mensche krenker
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und innen. So verpaßt er auf keinem Gebiet Wichtiges, sondern macht ohne Unterlaß große Fortschritte.
9. Wie die Neigungen zu den Sünden dem Menschen jederzeit nützen.73 Du sollst wissen, daß der Antrieb zu Bösem in dem gerechten Menschen nie ohne großen Ertrag und Nutzen auftritt. Sieh: Es gibt zwei Arten Menschen: die erste ist von keinen oder wenig Gebrechen74 betroffen; die zweite aber ist von Gebrechen bedrängt. Die äußere Gegenwart der Dinge bewegt den äußeren Menschen, sei es, daß er leicht zürnt, eitle Ehren sucht oder leibliche Vergnügungen, je nach Situation.75 Aber mit seinen obersten Kräften steht er so fest, unbewegt, will nichts Übles tun, weder zürnen oder sonst eine Sünde und kämpft also stark gegen die Schwächen an. Denn viele Mängel sind fast so natürlich, wie mancher Mensch von Natur hitzig oder hochmütig ist. Wie auch immer: er will doch nicht sündigen. Dieser Mensch soll weit mehr gelobt sein – sein Lohn ist viel größer, seine Tugend viel edler als die des ersten, da die Vollkommenheit der Tugend vom Streit kommt, wie Sankt Paulus sagt: ›Die Tugend wird verwirklicht in der Schwäche‹.76 Nicht die Neigung zu Sünden ist Sünde, sondern sündigen wollen ist Sünde; zürnen wollen, das ist Sünde!77 Wahrhaftig: Ein Gerechter, der die Macht zu wünschen hätte, sollte nicht wünschen wollen, daß ihm die Neigung zu den Sünden verginge. Denn ohne sie stünde der Mensch ohne Orientierung im Ganzen des Seienden, in seinem Tun und ohne Sorge um die Dinge;78 zudem fehlten ihm auch die Ehren des Streites, des Sieges und des Lohnes.79 Denn der Reiz und die Lockung des Bösen bringen mit der Mühsal die Tugend und den Lohn hervor. Denn die Neigung macht den Menschen stets eifriger, sich sehr in der Tugend zu üben, und treibt ihn mit Gewalt zur Tugend. Sie ist ein schmerzhafter Ansporn, der den Menschen zur Sorge und zur Tugend treibt; denn je schwächer
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vindet, ie baz er sich der sterke und des siges warnen sol. Wan diu tugent und ouch diu untugent ligent in dem willen.
10. Wie der wille alliu dinc vermac und wie alle tugende in dem willen ligent, ob er anders gereht ist. Der mensche ensol sich sô sêre deheines dinges erschrecken, die wîle er sich vindet in einem guoten willen, noch ensol sich niht betrüeben, ob er des niht volbringen enmac mit den werken; aber er ensol sich niht verre ahten von den tugenden, als er in im vindet einen rehten guoten willen, wan diu tugent und allez guot liget in dem guoten willen. Dir enmac nihtes gebrechen, ob dû einen wâren, rehten willen hâst, weder minne noch dêmüeticheit noch dehein tugent. Aber, daz dû krefticlîche und mit allem willen wilt, daz hâst dû, und daz enmac dir got und alle crêatûren niht benemen, ob der wille anders ganz und ein rehte götlich wille ist und gegenwertic ist. Niht alsô: ›ich wolte mêr‹, daz wære noch zuokünftic, sunder: ›ich wil, daz ez iezunt alsô sî‹. Nû merke! Wære ein dinc über tûsent mîle und wil ich ez haben, ich hân ez eigenlîcher, dan daz ich in mîner schôz hân und daz ich niht wil haben. / Daz guote enist niht minner kreftic ze dem guoten dan daz boese ze dem boesen. Daz merke! Daz ich niemer kein boese werk getæte, dennoch, hân ich den willen ze dem boesen, ich hân die sünde, als ob ich diu werk hæte getân; und ich möhte in einem ganzen willen alsô grôze sünde tuon, als ob ich alle werlt hæte getoetet und doch niemer dehein werk dar zuo getæte. War umbe ensolte daz selbe niht mügen gesîn in einem guoten willen? Jâ, vil und unglîches mêr! / In der wârheit, mit dem willen vermac ich alliu dinc. Ich mac aller menschen arbeit tragen und alle armen spîsen und aller menschen werk würken und swaz dû erdenken maht. Gebrichet dir niht an dem willen dan aleine an der maht, in der wârheit, vor gote hâst dû ez allez getân, und enmac dir daz nieman benemen noch
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sich der Mensch findet, desto mehr muß er um die Stärke und den Sieg kämpfen. Denn die gute und auch die böse Gesinnung haben ihren Grund im Willen.80
10. Wie der Wille alles wollen kann; und wie alle Tugenden im Willen gründen, wenn dieser nur gerecht ist.81 Solange der Mensch sich in einem guten Willen befindet, soll ihn nichts erschrecken, noch soll ihn betrüben, wenn er etwas mit seinem Tun nicht vollbringen kann. Sofern er wahrhaft guten Willen in sich findet, soll er nicht meinen, fern von den Tugenden zu sein: denn die Tugend und alles Gute liegt in dem guten Willen.82 Dir kann nichts fehlen, wenn Du wahren guten Willen hast, weder Liebe noch Demut oder sonst eine Tugend. Aber daß Du mit Kraft und ganzem Willen willst, das liegt an Dir; und das können Dir weder Gott noch Geschöpfe rauben, wenn nur der Wille ganz ist, ein wahrer göttlicher Wille, der gegenwärtig wirkt.83 Nicht: ›ich wollte eher, daß etwas noch bevorstehe‹, sondern: ›ich will, daß es schon jetzt so sei‹. Bedenke: Wäre etwas, das ich haben will, über tausend Meilen weg von mir, so ist es mir mehr eigen als das, was ich auf meinem Schoß habe und nicht haben will. / Das Gute hat nicht weniger Kraft zum Guten als das Böse zum Bösen. Merke Dir: Hätte ich nie Böses getan, aber doch den Willen zum Bösen, bin ich so sündig, als hätte ich die Taten begangen; und ich könnte in festem Willen so große Sünden begehen, als hätte ich die ganze Welt getötet und hätte doch gar nichts dazu getan.84 Warum sollte das umgekehrt nicht in einem guten Willen möglich sein?85 Ja: Es ist möglich und noch unvergleichlich mehr! / In der Tat: Mit dem Willen kann ich alles.86 So kann ich aller Menschen Mühsal tragen, alle Armen speisen und aller Menschen Tun bewirken, und was Du Dir sonst ausdenken magst.87 Fehlt Dir nicht der Wille, sondern nur die Kraft, dann hast Du vor Gott in Wahrheit alles getan – und niemand kann es Dir rauben und Dich auch nur
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dich des geirren einen ougenblik; wan wellen tuon, als balde ich mac, und haben getân, daz ist vor gote glîch. Ouch, wölte ich als vil willen haben, als alliu diu werlt hât, und ist mîn begerunge dar zuo grôz und ganz, in der wârheit, sô hân ich in; wan, daz ich wil haben, daz hân ich. Ouch, wölte ich in der wârheit als vil minne haben, als alle menschen ie gewunnen, und got als vil loben oder swaz dû erdenken maht, daz hâst dû allez in der wârheit, ob der wille ganz ist. / Nû möhtest dû vragen, wanne der wille ein reht wille sî? / Dâ ist der wille ganz und reht, dâ er âne alle eigenschaft ist und dâ er sîn selbes ûzgegangen ist und in den willen gotes gebildet und geformieret ist. Jâ, ie des mêr ist, ie der wille rehter und wârer ist. Und in dem willen vermaht dû alliu dinc, ez sî minne oder swaz dû wilt. / Nû vrâge: wie möhte ich dise minne gehaben, die wîle ich ir niht enpfinde noch gewar enwirde, als ich sihe an vil liuten, die bewîsent grôziu werk, und vinde an in grôze andâht und wunder, der ich niht enhân? / Hie solt dû zwei dinc merken, diu an der minne sint: daz ein ist ein wesen der minne, daz ander ist ein werk oder ein ûzbruch der minne. Des wesens der minne stat ist aleine in dem willen; wer mêr willen hât, der hât ouch der minne mêr. Aber, wer des mêr habe, daz enweiz nieman von dem andern, daz liget verborgen in der sêle, die wîle got verborgen liget in dem grunde der sêle. Disiu minne liget alzemâle in dem willen; wer mêr willen hât, der hât ouch mêr der minne. / Nû ist ein anderz, daz ist ein ûzbruch und ein werk der minne. Daz schînet sêre als innicheit und andâht und jubilieren und enist alwege daz beste niht; wan ez enist etwenne von minne niht, sunder ez kumet von natûre etwenne, daz man solchen smak und süezicheit hât, oder ez mac des himels îndruk sîn, oder ez mac sinnelîche îngetragen sîn. Und die des mêr hânt, daz ensint alwege die aller besten niht; wan, ez sî ouch, daz ez wol von gote sî, sô gibet unser herre daz solchen liuten durch ein lückern und durch ein reizen und ouch, daz man dâ mite sêre enthalten wirt von andern. Aber die selben, sô sie her nâch mêr minne gewinnent, sô enhânt sie lîhte niht als vil vüelennes und enpfindennes und dar ane schînet wol,
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e inen Augenblick daran irre machen.88 Denn etwas tun wollen, sobald ich es vermag, und es getan haben, ist vor Gott dasselbe. Wollte ich auch alles wollen, was alle Welt will, und ist mein Begehren dazu stark und fest, dann habe ich diesen Willen in Wahrheit. Denn, was ich haben will, das habe ich.89 Und wollte ich wirklich so viel Liebe haben, wie alle Menschen je gewannen, und wollte ich Gott so sehr loben, oder was Du Dir sonst denken magst: all das hast Du in Wahrheit, wenn nur der Wille fest ist. / Nun könntest Du fragen, wann der Wille ein gerechter Wille ist. / Der Wille ist dann ganz und gerecht, wo er ohne a llen Besitz90 ist, wo er von sich selbst gelassen und sich dem Willen Gottes angeglichen und verähnlicht hat.91 Je mehr es geschieht, desto besser und wahrer ist der Wille. Und in diesem Willen kannst Du alles, was Du willst, sei es Liebe oder was auch immer. / Nun frage, wie ich diese Liebe haben könnte, solange ich sie nicht empfinde und ihrer nicht so gewahr werde, wie ich sie bei vielen Leuten sehe, die große Taten vollziehen; bei ihnen finde ich große Andacht und Wunderbares, das mir fehlt. / Hier sollst Du zwei Motive beachten, die zur Liebe gehören: zuerst das Wesen der Liebe, dann die Frucht oder der Ausfluß der Liebe. Der Ort der Liebe ist allein der Wille: Wer mehr Willen hat, hat auch mehr Liebe. Wer aber mehr davon hat, weiß niemand vom anderen: denn es liegt verborgen in der Seele, in deren Grund Gott verborgen ist.92 Diese Liebe liegt stets im Willen: Wer mehr Willen hat, hat auch mehr Liebe.93 / Ungleich sind Ausfluß und Werk der Liebe. Das eine tritt auf als Innigkeit, Andacht und Jubilieren und ist keineswegs das Beste. Denn es erfolgt nicht aus Liebe, sondern von Natur, die solche Anmut und Lockung mit sich bringt, himmlisches Behagen oder sinnliche Lust. Die mehr davon haben, sind keineswegs die Besten von allen. Selbst wenn es von Gott käme, so gibt es unser Herr, um diese Leute zu locken und zu reizen und auch, um sie fern von anderem zu halten. Wenn aber diese Leute später doch mehr an Liebe gewinnen, so haben sie oft nicht so viel Gefühl und Empfindung, und eben daran zeigt sich wohl, daß sie Liebe haben, wenn sie ohne sol-
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daz sie minne hânt, ob sie âne solchen enthalt gote ganze und stæte triuwe haltent. / Nû sî, daz ez zemâle minne sî, sô enist ez doch daz aller beste niht; daz schînet dar ane: wan man sol solchen jubilus underwîlen lâzen durch ein bezzerz von minne und underwîlen durch ein minnewerk ze würkenne, dâ man sîn nôt hât, geistlîchen oder lîplîchen. Als ich mêr gesprochen hân: wære der mensche alsô in einem înzucke, als sant Paulus was, und weste einen siechen menschen, der eines suppelîns von im bedörfte, ich ahtete verre bezzer, daz dû liezest von minne von dem und dientest dem dürftigen in mêrer minne. / Niht ensol der mensche wænen, daz er gnâden in disem sül beroubet werden; wan, swaz der mensche von minne læzet williclîchen, daz wirt im vil edeler, wan, als Kristus sprach: »wer iht læzet durch mich, der sol hundertvalt als vil wider nemen«. Jâ, in der wârheit, swaz der mensche læzet und sich des verwiget durch got, jâ, ez sî ouch, daz der mensche groezlîchen beger solches trôstes enpfindennes und innicheit, und tuot dar zuo, waz er vermac, und got gibet ez im niht und er getroestet sich sîn und enbirt sîn williclîche durch got: in der wârheit, er sol in im vinden glîcher wîs, als ob er allez guot hæte gehabet, daz ie wart, in ganzer besitzunge und des williclîchen wære ûzgegangen und sich es getroestet und verwegen hæte durch got; er sol hundertvalt als vil nemen. Wan, swaz der mensche gerne hæte und sich des getroestet und enbirt durch got, ez sî lîplich oder geistlich, daz vindet er allez in gote, als ob daz der mensche hæte gehabet und es ûz wære gegangen williclîchen; wan der mensche sol williclîchen beroubet sîn aller dinge durch got und in der minne sich verwegen und getroesten alles trôstes von minne. / Daz man solchez enpfinden sül durch minne lâzen underwîlen, daz bewîset uns der minnende Paulus, dâ er sprichet: ›ich hân gewünschet, daz ich müeste gescheiden werden von Kristô umbe die minne mîner brüeder‹. Daz meinet er in dirre wîse: er enmeinet niht in der êrsten wîse der minne, wan von der enwolte er niht sîn gescheiden einen ougenblik umbe allez, daz geschehen mac in himel und in erden; er meinet in dem trôste. / Dû solt aber wizzen, daz die
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che Stütze Gott ganz und stetig die Treue halten.94 / Auch wenn es wirklich Liebe wäre, ist es nicht das Allerbeste. Das zeigt sich daran: denn man soll solchen Jubel zuweilen aus Liebe um eines Besseren willen meiden und eher eine Tat aus Liebe wirken, bei der man geistig und körperlich seine Not hat. Wie ich öfter gesagt habe: Wäre der Mensch in einer Verzückung, wie Sankt Paulus war,95 und wüßte von einem kranken Menschen, der e iner Suppe von ihm bedürfte, hielte ich es für weit besser, daß Du aus Liebe von der Verzückung abließest und dem Bedürftigen in größerer Liebe dientest. / Kein Mensch soll fürchten, dadurch der Gnaden beraubt zu werden. Wovon ein Mensch aus Liebe willentlich läßt, wird ihm viel edler zuteil; denn, wie Christus sagte: »Wer von etwas läßt um meinetwillen, der soll hundertfach dafür erhalten.«96 Ja, fürwahr, was der Mensch läßt und worauf er um Gottes willen verzichtet,97 sei es auch, daß er Gefühl und Innigkeit solchen Trostes sehr wünschte und dazu täte, was er kann, aber Gott es ihm nicht gibt: wenn der sich mit Seinigem begnügt und willig wegen Gott entbehrt; fürwahr: er soll sich in gleicher Weise darein finden, als ob er alles Gute gehabt hätte, das es je gab, in vollem Besitz; wer Gewolltes freiwillig preisgegeben hätte, sich getröstet und um Gottes willen darauf verzichtet hätte: der soll hundertfach dafür erhalten. Denn was der Mensch gern hätte, über dessen Fehlen er sich aber tröstet und das er um Gottes willen entbehrt, sei es leiblich oder geistig, das alles findet er in Gott, als hätte er es gehabt und es wäre mit seiner Billigung verschwunden. Denn der Mensch soll von Gott her willig aller Dinge beraubt sein, sich in der Liebe übertreffen und durch Liebe allen Trostes vertrösten. / Daß man zuweilen von solchem Empfinden um der Liebe willen lassen soll, zeigt uns der liebende Paulus, wo er sagt: ›Ich habe gewünscht, von Christus getrennt zu werden um der Liebe zu meinen Brüdern willen‹.98 Das erklärt er so: Er meint nicht die erste Weise der Liebe, von der er keinen Augenblick geschieden sein wollte, um alles in der Welt – sei es im Himmel und auf Erden; er meint nur den Trost der Liebe. / Du sollst aber wissen, daß die Freunde
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v riunde gotes niemer âne trôst sîn, wan, swaz got wil, daz ist ir aller hoehster trôst, ez sî trôst oder untrôst.
11. Waz der mensche tuon sol, sô er gotes vermisset und sich verborgen hât. Ouch solt dû wizzen, daz der guote wille gotes niht mac gemissen. Mêr: daz enpfinden des gemüetes daz misset sîn underwîlen und wænet dicke, got sî vür gegangen. Waz solt dû denne tuon? Rehte daz selbe, daz dû tætest, dâ dû in dem groesten trôste w ærest; daz selbe lerne tuon, sô dû in dem meisten lîdenne bist, und halt dich in aller wîse, als dû dich dâ hieltest. Ez enist kein rât als guot, got ze vindenne, dan wâ man got læzet; und wie dir was, dô dû in zem lesten hâtest, alsô tuo nû, die wîle dû sîn missest, sô vindest dû in. Mêr: der guote wille der enverliuset noch envermisset gotes niht noch niemer. Vil liute sprechent: wir hân guoten willen, sie enhânt aber niht gotes willen; sie wellent haben irn willen und wellent unsern herren lêren, daz er tuo alsô und alsô. Daz enist niht ein guoter wille. Man sol an gote suochen sînen aller liebesten willen. / Des râmet got in allen dingen, daz wir den willen ûfgeben. Dô sant Paulus mit unserm herren vil gekôsete, und unser herre vil mit im geredete, daz entruoc allez niht vür, biz daz er den willen ûfgap und sprach: ›herre, waz wilt dû, daz ich tuo?‹ Dô weste unser herre wol, waz er tuon solte. Alsô ouch, dô unser vrouwen der engel erschein: allez, daz si oder er ie geredeten, daz enhæte sie niemer muoter gotes gemachet, sunder, als balde si irn willen ûfgap, alzehant wart si ein wâre muoter des êwigen wortes und enpfienc got alzehant; der wart ir natiurlîcher sun. Ouch enmachet kein dinc einen wâren menschen âne daz ûfgeben des willen. In der wârheit, âne ûfgeben des willen in allen dingen sô schaffen wir niht mit gote alzemâle. Mêr: kæme ez alsô verre, daz wir allen unsern willen ûfgæben und uns aller dinge durch got törsten verwegen, ûzwendic und inwendic, sô hæten wir alliu dinc getân
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Gottes niemals ohne Trost sind: denn ihr allerhöchster Trost ist das, was Gott will, ob es zu Trost oder Trostlosigkeit führt.99
11. Was der Mensch tun soll, falls Gott ihm fehlt und Gott sich verborgen hat.100 Auch sollst Du wissen, daß Gott dem guten Willen nicht fehlen kann.101 Das Empfinden des Gemüts aber vermißt ihn zuweilen und ist fest überzeugt, Gott sei verschwunden. Was sollst Du dann tun? Genau dasselbe, was Du tätest, wenn Du völlig getröstet wärest: Lerne, dasselbe zu tun, wenn Du im größten Leiden bist, und bleibe in derselben Haltung wie zuvor.102 Kein Rat, Gott zu finden, ist so gut wie der, Gott zu lassen.103 Wie Dir zumute war, als Du ihn zuletzt104 hattest, so handle nun: Sobald er Dir fehlt, findest Du ihn.105 Überdies: Der gute Wille verliert und vermißt Gott nie und nimmer. Viele sagen: Wir haben guten Willen – aber sie haben nicht Gottes Willen. Sie wollen ihren Willen haben und wollen unseren Herrn lehren, daß er so und so handle. Das aber ist kein guter Wille.106 An Gott soll man dessen allerliebsten Willen suchen.107 / Darauf zielt Gott stets, daß wir unseren Eigenwillen aufgeben.108 Als Sankt Paulus viel mit unserem Herrn plauderte und unser Herr viel mit ihm sprach, führte das alles zu nichts, bis er den Eigenwillen aufgab und sprach: ›Herr, was willst Du, daß ich es tue?‹109 Da wußte u nser Herr wohl, was er tun solle. Wie damals, als der Engel unserer Frau (Maria) erschien: Alles, was sie und er redeten, hätte sie niemals zur Gottesmutter gemacht; aber nachdem sie ihren Willen aufgegeben hatte, ward sie sofort eine wahre Mutter des ewigen Wortes und empfing sofort Gott.110 Und der wurde ihr natürlicher Sohn. Ohne die Preisgabe des Willens wird nichts ein wahrer Mensch. In der Tat: Ohne Preisgabe des Willens in allen Situationen, wirken wir nie etwas mit Gott. Zudem: Käme es so weit, daß wir unseren Willen ganz aufgäben und uns im Blick auf alles trauten, nur auf Gott zu setzen, außen und innen, dann
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und niht ê. / Der liute vindet man wênic – sie wizzen oder enwizzen niht – , sie enwölten, daz in alsô wære und daz sie grôzer dinge enpfünden, und wölten die wîse und daz guot haben; ez enist allez nihtes dan ein eigen wille. Dû söltest dich gote genzlîche ergeben mit allen dingen, und dâ enruoche dich, waz er tuo mit dem sînen. Ez sint tûsent menschen tôt und in dem himel, die nie in rehter volkomenheit irs willen ûzgiengen. Daz wære aleine ein volkomener und ein wârer wille, daz man ganz wære getreten in gotes willen und wære âne eigenen willen; und wer des mêr hât, der ist mêr und wærlîcher in got gesetzet. Jâ, ein Ave Marîâ gesprochen in dem, und dâ der mensche ûzgât in dem sîn selbes, daz ist nützer dan tûsent psalter gelesen âne daz; jâ, ein trit wære bezzer in dem dan über mer gegangen âne daz. / Der mensche, der alsô ganz wære ûzgegangen mit allem dem sînen, in der wârheit, der wære alsô ganz in got gesetzet, swâ man den menschen rüeren solte, dâ müeste man got in dem êrsten rüeren; wan er ist in gote alzemâle, und got ist umbe in, als mîn kappe umbe mîn houbet ist; und wer mich ane wölte grîfen, der müeste mîn kleit ze dem êrsten anerüeren. Glîcher wîs, sol ich trinken, sô muoz daz trank ze dem êrsten über die zungen gân; dâ vindet daz trank sînen smak. Ist diu zunge bekleidet mit bitterkeit, in der wârheit, swie süeze der wîn sî an im selber, er muoz ie bittern von dem, durch daz er an mich kumet. In der wârheit, der mensche, der des sînen wære ganz ûzgegangen, der würde alsô mit gote umbevangen, daz alle crêatûren in niht enmöhten berüeren, sie enrüerten got ze dem êrsten, und swaz an in komen solte, daz müeste durch got an in komen; dâ nimet ez sînen smak und wirt gotvar. Swie grôz daz lîden sî, kumet ez durch got, dar under lîdet got ze dem êrsten. Jâ, in der wârheit, diu got ist, niemer enist ein lîden sô kleine, daz dâ gevellet ûf den menschen, als verre als man ez in got setzet, ez sî missevallen oder widerwerticheit, ez enrüere got âne alle mâze mêr dan den menschen und ez ensî im mêr wider, als verre als ez dem menschen wider ist. Aber, lîdet ez got umbe ein solchez guot, daz er dir dar inne hât versehen, und wilt dû daz lîden,
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hätten wir alles getan, nicht früher.111 / Man findet wenig Leute, ob sie es wissen oder nicht, die auf diese Art sein wollten, dabei Großes empfänden und diese Haltung und das Gute haben wollten. Alles andere ist nichts als Eigenwille. Du solltest Dich mit allem ganz Gott ergeben; und dann sei unbesorgt, was er mit dem Seinigen tut. Es sind tausend Menschen tot und im Himmel, die ihren Willen nie in wahrer Vollkommenheit aufgegeben haben. Das allein wäre ein vollkommener und ein wahrer Wille, daß man ganz in den Willen Gottes gelangt und ohne Eigenwillen wäre; wer das mehr vollzieht, ist mehr und klarer nahe an Gott.112 Ja, ein so gesprochenes Ave Maria, bei dem der Mensch über sich selbst hinausgeht,113 taugt mehr, als tausend Psalter zu lesen ohne diese Haltung: Ja, ein Schritt dahin wäre besser, als ohne ihn übers Meer gegangen zu sein.114 / Der Mensch, der also das Seine ganz überschritten hätte, wäre in Wahrheit ganz in Gott versetzt: Wo man den Menschen anregen sollte, müßte man zuerst Gott anregen: denn dieser Mensch ist stets in Gott und Gott ist um ihn, wie meine Kappe um mein Haupt; und wer mich anfassen wollte, müßte erst mein Gewand berühren. Ebenso: Wenn ich trinke, geht das Getränk zuerst über die Zunge, wo es seinen Geschmack findet. Ist die Zunge von Bitterem bedeckt, muß der Wein, wie süß er in Wahrheit an sich selbst sein mag, durch die Zunge, über die er in mich kommt, bitter werden. Der Mensch, der alles, was ihm gehört, ganz preisgegeben hätte, würde in Wahrheit von Gott so umfangen, daß kein Geschöpf ihn berühren könnte, ohne zuvor Gott zu berühren: Alles, was ihm begegnete, könnte nur durch Gott zu ihm kommen. Da gewinnt es seinen Geschmack und wird göttlich.115 Wie groß das Leid sei: kommt es durch Gott, leidet Gott zuerst darunter. Ja, in der Wahrheit, die Gott ist: Niemals ist ein Leid so klein, das den Menschen befällt. Bezieht man es auf Gott, sei es Abscheu oder Ekel, träfe es Gott unendlich mehr als den Menschen und wäre ihm mehr zuwider, als es dem Menschen zuwider ist.116 Wenn Gott es aber um eines Guten willen erleidet, das er für Dich darin vorgesehen hat, und willst auch Du das erleiden, was Gott leidet
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daz got lîdet und durch in kumet an dich, sô wirt ez billîche gotvar, ez sî smâcheit als êre, bitterkeit als süezicheit und daz meiste vinsternisse als daz klærste lieht: ez nimet allez sînen smak an gote und wirt götlich, wan ez erbildet sich allez nâch im, swaz an disen menschen kumet, wan er meinet niht anders und im ensmecket niht anders; und dâ von nimet er got in aller bitterkeit als in der hoehsten süezicheit. / Daz lieht liuhtet in der vinsternisse, dâ wirt man sîn gewar. Waz sol den liuten diu lêre oder daz lieht, dan daz sie es nützen? Sô sie sint in der vinsternisse oder die in dem lîdene sint, sô sol man daz lieht sehen. / Jâ, ie mêr wir eigen sîn, ie minner eigen. Der mensche, der des sînen wære ûzgegangen, der enmöhte niemer gotes gemissen in keinen werken. Wære aber, daz sich der mensche vertræte oder verspræche, oder daz solchiu dinc dar în vielen, daz unreht wære: die wîle daz got daz beginnen was in dem werke, sô muoz er von nôt den schaden ûf sich nemen, und dû ensolt dîn werk dar umbe deheine wîs niht lâzen. Des vinden wir ein bilde an sant Bernhart und an vil andern heiligen. Solcher învelle enmac man in disem lebene niemer ganz ledic werden. Dar umbe daz etwenne raten under daz korn vellet, dar umbe ensol man daz edel korn niht verwerfen. In der wârheit, dem reht wære und mit gote wol künde, dem würde alliu solchiu lîdunge und învelle ze grôzem vrumen. Wan den guoten koment alliu dinc ze guote, als sant Paulus sprichet, und als sant Augustînus sprichet: »jâ, ouch die sünden«.
12. Daz ist von sünden, wie man sich dar zuo halten sol, ob man sich in sünden vindet. In der wârheit, sünde haben getân enist niht sünde, ob sie leit sint. Der mensche ensol niht sünde wellen tuon umbe allez, daz geschehen mac in zît oder in êwicheit, weder toetlîche noch tegelîche noch deheine sünde. Der mit gote wol künde, der sölte alwege anesehen, daz der getriuwe minnende got den menschen
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und das durch ihn in dich kommt, so wird es ganz gotthaft, sei es Schmach oder Ehre, Bitternis oder Süßigkeit, tiefste Finsternis oder hellstes Licht: alles empfängt seinen Geschmack von Gott und wird göttlich, da sich alles, was diesen Menschen trifft, zu ihm formt: denn er denkt nichts anderes – und ihm schmeckt nichts anderes; und von daher empfängt er Gott in aller Bitternis wie in der höchsten Süßigkeit. / Das Licht leuchtet in der Finsternis: dort nimmt man es wahr. Wozu hilft den Leuten die Lehre oder das Licht, außer daß sie es nützen? Für solche, die in Finsternis oder im Leiden sind, soll man das Licht sehen. / Ja, je mehr wir uns gehören, desto weniger gehören wir uns.117 Der Mensch, der seinen Besitz ganz abgetreten hätte, könnte Gott niemals vermissen in all seinen Taten. Wo sich der Mensch aber verfehlte, irrig spräche oder Ereignisse ihn beträfen, die unrecht wären: Wenn immer Gott der Beginn des Tuns war,118 so muß er gewiß die Verantwortung auf sich nehmen; Du sollst Dein Tun darum auf keine Weise lassen. Beispiele dafür finden wir an Sankt Bernhard und an vielen anderen Heiligen. Von solchen Störungen kann man in diesem Leben nie ganz frei werden. Weil sich aber zuweilen Unkraut unter das Korn mischt, soll man das edle Korn nicht verwerfen. In der Tat: Wer rechtschaffen lebte119 und zu Gott in guter Beziehung stünde, dem brächten alle solche Leiden und Unglücke großen Nutzen. Denn den Guten dient alles zum Guten, wie Sankt Paulus sagt und ebenso Sankt Augustinus: »Ja, auch die Sünden«.120
12. Von Sünden; wie man sich verhalten soll, wenn man sich in Sünden findet. In Wahrheit ist es keine Sünde, gesündigt zu haben, wenn wir die Sünden bereuen.121 Der Mensch soll keine Sünde begehen wollen, im Blick auf alles, was in Zeit oder Ewigkeit geschehen kann, weder eine tödliche, eine alltägliche noch irgendeine.122 Wer mit Gott gut stünde, sollte stets darauf sehen, daß der treue, lie-
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hât brâht ûz einem sündigen lebene in ein götlich leben, ûz einem sînem vîende hât gemachet einen sînen vriunt, daz mêr ist dan ein niuwez ertrîche machen. Daz wære der meisten sachen einiu, daz den menschen zemâle sölte in got setzen, und wære ein wunder, wie sêre ez den menschen sölte enzünden in starker grôzer minne alsô, daz er des sînen zemâle ûzgienge. / Jâ, der rehte wære gesetzet in den willen gotes, der ensölte niht wellen, diu sünde, dâ er în gevallen was, daz des niht geschehen wære; niht alsô, als ez wider got was, sunder als verre als dû dâ mite bist gebunden ze mêrer minne und bist dâ mite genidert und gedêmüetiget, als daz aleine, daz er wider got hât getân. Aber dû solt gote wol getriuwen, daz er dir des niht verhenget hæte, er enwölte denne dîn bestez dar ûz ziehen. Wanne aber der mensche genzlîchen ûfstât von sünden und zemâle abekêret, sô tuot der getriuwe got, als ob der mensche nie in sünde enwære gevallen, und enwil in aller sîner sünden einen ougenblik niht lâzen engelten, und wære ir als vil, als alle menschen ie getæten: des enwil in got niemer lâzen engelten, er enmüge mit dem menschen alle heimlicheit haben, die er ie mit crêatûren gewan. Ob er in anders nû bereit vindet, sô ensihet er niht ane, waz er vor gewesen ist. Got ist ein got der gegenwerticheit. Wie er dich vindet, alsô nimet er und enpfæhet dich, niht, waz dû gewesen sîst, sunder waz dû iezunt bist. Allen den schaden und smâcheit, diu gote möhte geschehen von allen sünden, den wil er gerne lîden und haben geliten vil jâr, ûf daz der mensche dar nâch kome ze einer grôzen bekantnisse sîner minne und umbe daz sîn minne und sîn danknæmicheit deste mêr und sîn ernst deste hitziger werde, daz billîche und dicke kumet nâch den sünden. / Dar umbe lîdet got gerne den schaden der sünden und hât dicke geliten und aller dickest verhenget über die menschen, die er hât versehen, daz er sie ze grôzen dingen ziehen wolte. Nim war! Wer was unserm herren ie lieber oder heimlîcher dan die aposteln wâren? Der bleip nie keiner, er enviele in tôtsünde; alle wâren sie tôtsünder gewesen. Daz hât er in der alten und niuwen ê dicke bewîset von den, die im verre die liebesten nâchmâles wurden; und
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bende Gott den Menschen aus einem sündigen in ein göttliches Leben gebracht, aus seinem Feind seinen Freund gemacht hat – was mehr ist, als eine neue Erde123 zu schaffen.124 Das wäre ein höchstes Ziel, das den Menschen einst in Gott versetzen sollte, und es wäre ein Wunder, wie sehr es den Menschen zu starker großer Liebe so befeuern sollte, daß er von seinen eigenen Neigungen abließe. / Ja, wer den Willen Gottes recht vollzöge, sollte nicht wollen, daß die Sünde, in die er gefallen war, nicht geschehen wäre: nicht weil sie gegen Gott war, sondern sofern sie Dich zu größerer Liebe verpflichtet und Du erniedrigt und gedemütigt bist, weniger, weil der Wille gegen Gott gerichtet war.125 Aber Du sollst Gott fest vertrauen, daß er Dir das nicht auferlegt hätte, wenn er damit nicht Dein Bestes hätte bewirken wollen. Sobald der Mensch sich aber gänzlich von Sünden erhebt und völlig abkehrt, handelt der getreue Gott so, als ob der Mensch nie in Sünde gefallen wäre, und will ihn nicht einen Augenblick für all seine Sünden strafen, wären es auch so viele, wie alle Menschen sie je verübt haben. Das will Gott ihnen niemals auf bürden, auch wenn er mit diesem Menschen so verbunden wäre, wie er es mit Geschöpfen je war. Wenn er ihn nun, anders als früher, bereit findet, sieht er nicht darauf, wie er früher gewesen ist. Gott ist ein Gott der Gegenwärtigkeit. Wie er Dich findet, so nimmt und empfängt er Dich;126 nicht gilt: was Du gewesen bist, sondern: was Du jetzt bist. Alle Unbill und Schmach, die Gott durch Sünden treffen könnten, will er gerne leiden und viele Jahre gelitten haben, damit der Mensch danach zu großer Erkenntnis seiner Liebe käme und seine Liebe und Dankbarkeit anwachse und sein Bemühen eifriger werde, was mit Recht und oft nach Sünden geschieht. / Darum leidet Gott das Übel der Sünden gern und hat schwer gelitten und es lastend über die Menschen verhängt, die er zu großen Dingen ausersehen hat.127 Sieh! Wer war unserem Herrn lieber und näher als die Apostel? Da gab es keinen, der nicht in Todsünde gefallen wäre: alle waren sie Todsünder gewesen. Das hat er im Alten und im Neuen Testament oftmals von denen betont, die ihm später die Liebsten wurden. Und auch
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ouch noch ervorschet man selten, daz die liute koment ze grôzen dingen, sie ensîn ze dem êrsten etwaz vertreten, und meinet unser herre hie mite, daz wir sîne grôze barmherzicheit erkennen und wil uns manen hie mite ze grôzer und wârer dêmüeticheit und andâht. Wan, sô riuwe erniuwert wirt, sô sol diu minne ouch groezlîchen gemêret und erniuwert werden.
13. Von zweierleie riuwe. Diu riuwe ist zweierleie: diu ein ist zîtlich oder sinnelich, diu ander ist götlich und übernatiurlich. Diu zîtlîche ziuhet sich alle zît niderwerts in ein mêrer leit und setzet den menschen in einen jâmer, als ob er iezunt verzwîveln sül, und dâ blîbet diu r iuwe in dem leide und enkumet niht vürbaz; dâ enwirt niht ûz. / Aber diu götlîche riuwe ist vil anders. Als balde der mensche ein missevallen gewinnet, zehant erhebet er sich ze gote und setzet sich in ein êwigez abekêren von allen sünden in einem unbewegelîchen willen; und dâ erhebet er sich in ein grôz getriuwen ze gote und gewinnet eine grôze sicherheit; und dâ von kumet ein geistlîchiu vröude, diu die sêle erhebet ûz allem leide und jâmer und bevestent sie an gote. Wan, ie sich der mensche gebrestenlîcher vindet und mêr missetân hât, ie mêr er ursache hât, sich an got ze bindenne mit ungeteilter minne, dâ kein sünde und gebreste enist. Dar umbe: der beste grât, dar ûf man getreten mac, als man ze gote in ganzer andâht wil gân, daz ist, daz man âne sünde sî in der kraft der götlîchen riuwe. / Und ie man dâ die sünde groezer wiget, ie got bereiter ist, die sünde ze vergebenne und ze der sêle ze komenne und die sünde ze vertrîbenne; wan ein ieglîcher ist daz aller vlîzigest abe ze tuonne, daz im allermeist wider ist. Und ie die sünde groezer und mêrer sint, ie sie got âne mâze gerner vergibet und belder, wan sie im wider sint. Und denne, als diu götlîche riuwe sich erhebet ze gote, sô sint alle sünde belder verswunden in dem abgründe gotes, dan ich
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heute noch bemerkt man selten, daß Leute zu Großem gelangen, die sich nicht zuerst etwas verlaufen hätten; und unser Herr läßt uns damit seine große Barmherzigkeit erkennen und will uns damit zu großer und wahrer Demut und Andacht ermahnen. Denn indem die Reue erneuert wird, wird auch die Liebe stark vermehrt und erneuert werden.
13. Von zwei Arten der Reue. Die Reue gibt es in zwei Arten: die eine ist zeitlich oder sinnlich, die andere göttlich und übernatürlich. Die zeitliche zieht stets nach unten in größeres Leid und setzt den Menschen so in Jammer, als müsse er sofort verzweifeln. Da bleibt die Reue im Leid und kommt nicht los; daraus wird nichts. / Die göttliche Reue aber ist ganz anders: Sobald der Mensch ein Mißfallen erlangt, erhebt er sich sofort zu Gott und löst sich in ewiger Abkehr mit unwandelbarem Willen von allen Sünden. Dabei erlangt er großes Zutrauen zu Gott und gewinnt eine große Sicherheit; aus ihr erwächst eine geistige Freude, welche die Seele allen Leids und Jammers enthebt und sie fest an Gott bindet. Denn je schwächer ein Mensch sich findet und je mehr Schlechtes er getan hat, desto mehr hat er Grund, sich in ungeteilter Liebe an Gott zu binden, wo es keine Sünde und Gebrechen gibt. Darum ist es der beste Weg, den man betreten kann, wenn man voller Andacht auf Gott zugehen will: daß man ohne Sünde in der Kraft der göttlichen Reue sei. / Für je größer man die Schwere der Sünde hält, desto eher ist Gott bereit, sie zu vergeben, der Seele beizustehen und die Sünde zu vertreiben. Denn jeder ist bemüht, mit allem Fleiß sich dessen zu entledigen, was ihm am meisten zuwider ist. Je größer und schwerer die Sünden sind, desto lieber und schneller vergibt sie Gott, da sie ihm zuwider sind.128 Und dann, sobald diese göttliche Reue sich zu Gott erhebt, sind alle Sünden schneller im Abgrund Gottes verschwunden, als ich mein Auge schließen könnte – und sie werden sogleich zunichte, als
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mîn ouge zuo möhte getuon, und werdent sô alzemâle ze nihte, als sie nie geschehen enwæren, ob ein ganziu riuwe dâ wirt.
14. Von der wâren zuoversiht und von der hoffenunge. Wâre und volkomene minne die sol man dar ane prüeven, ob man hât grôze hoffenunge und zuoversiht ze gote; wan kein dinc enist, dar ane man ez mêr müge geprüeven, ob man ganze minne habe, dan an getriuwenne. Wan, wer den andern sêre und genzlîche minnet, daz sachet die triuwe; wan allez, daz man gote tar getriuwen, daz vindet man in der wârheit an im und tûsentmâl mêr. Und alsô, als got nie mensche möhte ze vil geminnen, alsô enmöhte im nie mensche ze vil getriuwen. Alliu dinc, diu man getuon mac, diu ensint niht als zimelich als grôz getriu wen ze gote. Alle, die grôze zuoversiht ze im ie gewunnen, die erliez er nie, er enwörhte grôziu dinc mit in. Dâ hât er wol bewîset an allen menschen, daz disiu getriuwunge kumet von minne, wan minne enhât niht aleine getriuwen, sunder si hât ein wâr wizzen und ein unzwîvellîche sicherheit.
15. Von zweierleie sicherheit des êwigen lebens. Ez ist zweierleie wizzen in disem lebene des êwigen lebens: daz ein ist, daz ez got dem menschen selber sage oder ez im bî einem engel enbiete oder mit einem sunderlîchen liehte bewîse; daz geschihet selten und wênic liuten. / Daz ander wizzen, daz ist vil unglîche bezzer und nützer, und daz geschihet dicke allen volkomenen minnenden liuten: daz ist, daz der mensche von minne und von heimlicheit, die er hât ze sînem gote, daz er im sô ganz getriuwe und sô sicher an im sî, daz er niht zwîveln müge und wirt dâ von alsô sicher, wan er in minnet âne underscheit in allen crêatûren. Und versageten im alle crêatûren und verswüeren im, jâ, versagete im ouch got selber, er enmissetriuwete
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ob sie nie geschehen wären, falls eine vollkommene Reue vollzogen wird.129
14. Von der wahren Zuversicht und von der Hoffnung. Wahre und vollkommene Liebe soll man daran prüfen, ob man große Hoffnung hat und Zutrauen zu Gott; denn an nichts als am Zutrauen könnte man besser prüfen, ob man ganze Liebe habe. Denn wer den anderen innig und gänzlich liebt, bewirkt das bei ihm Treue; denn alles, was man Gott zuzutrauen wagt, findet man wirklich bei ihm und tausendmal mehr. Und wie ein Mensch Gott nie zu viel lieben könnte, so könnte ein Mensch ihm nie zu viel vertrauen. Alles, was man selbst tun kann, ist nicht so geziemend wie volles Zutrauen zu Gott. Alle, die je große Zuversicht zu ihm gewannen, verließ er nie, ohne Großes mit ihnen zu bewirken. Dabei hat er an allen Menschen klar gezeigt, daß dieses Vertrauen aus der Liebe kommt.130 Denn Liebe bewirkt nicht nur Vertrauen, sondern führt ein wahres Wissen und eine zweifelsfreie Sicherheit mit sich.
15. Von zweierlei Gewißheit des ewigen Lebens. In diesem Leben gibt es zweierlei Wissen vom ewigen Leben: das eine besteht darin, daß Gott es dem Menschen selbst sagt, es ihm durch einen Engel verheißt oder es ihm in einem besonderen Licht zeigt, was selten und wenig Leuten geschieht. / Das andere Wissen ist ungleich besser und nützlicher und wird allen vollkommenen Liebenden oft zuteil. Dabei vertraute der Mensch seinem Gott in Liebe und Nähe zu ihm so sehr und wäre seiner so sicher, daß er nicht zweifeln könnte und davon ruhig wird; denn er liebt ihn ohne Unterschied in allen Geschöpfen. Wenn alle Geschöpfe sich ihm verweigerten und gegen ihn auf begehrten, ja, wenn auch Gott selbst sich ihm verweigerte, auch dann
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niht; wan minne enkan niht missetriuwen, si getriuwet alles guoten. Und des enist kein nôt, daz man den minnenden und geminneten iht dürfe sagen; wan mit dem, daz er enpfindet, daz er sîn vriunt ist, dâ mite weiz er zehant allez daz, daz im guot ist und ze sîner sælicheit gehoeret. Wan alsô liep dir ze im ist, des bist dû sicher, daz im âne alle mâze mêr und lieber ist ze dir und dir unglîches mêr getriuwet. Wan er ist selber diu triuwe; des sol man an im sicher sîn und sint alle die sicher, die in minnent. / Disiu sicherheit ist verre mêrer, ganzer und wârer dan diu êrste und enmac niht getriegen. Aber daz sagen möhte getriegen und wære lîhte ein unreht lieht. Mêr: dises enpfindet man in allen kreften der sêle und enmac niht getriegen in den, die in wærlîche minnent; die zwîvelnt als wênic, als der mensche an gote zwîvelt, wan minne vertrîbet alle vorhte. ›Diu minne enhât niht vorhte‹, als sant Paulus sprichet und ouch geschriben ist: ›diu minne bedecket die manicvalticheit der sünde‹. Wan, dâ sünde geschehent, dâ enmac niht ganz getriuwen sîn noch minne, wan si bedecket alzemâle die sünde; si enweiz niht von sünden. Niht alsô, daz man niht gesündet habe, sunder daz si zemâle sünde verderbet und vertrîbet, als ob sie nie gewesen wæren. Wan alliu werk gotes sint zemâle volkomen und übervlüzzic alsô: swem er vergibet, dem vergibet er alzemâle und ganz und ouch vil gerner grôz dan kleine, und diz machet ganz getriuwen. Diz ahte ich verre und unglîche bezzer und bringet mêr lônes und ist wârer dan daz êrste wizzen; wan dâ enhindert weder sünde noch nihtes. Wan, swen got in glîcher minne vindet, den urteilet er glîche, ob er vil oder niht habe missetân. Aber, dem mêr vergeben wirt, der sol mêr minnen, als unser herre Kristus sprach: ›dem mêr vergeben wirt, der minne mêr‹.
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mißtraute er ihm nicht: denn Liebe kann nicht mißtrauen, sie vertraut allem Guten.131 Es ist unnötig, Liebenden und Geliebten etwas zu beteuern: denn wer empfindet, daß er sein Freund ist, weiß zugleich alles, was ihm gut tut und zu seiner Seligkeit gehört. Wenn Du Deine Liebe (auf Gott) richtest, dann bist Du sicher, daß er Dir ungleich mehr Liebe zuwendet und liebevoller zu Dir ist und Dir ungleich mehr vertraut. Denn er ist die Treue selbst; dessen soll man bei ihm sicher sein – und dessen sind alle sicher, die ihn lieben. / Diese Sicherheit ist viel größer, umfassender und wahrer als die erste und kann nicht trügen.132 Aber das zu sagen, könnte trügerisch sein und ein falsches Licht auf die Sache werfen.133 Dazu: Diese Wahrheit empfindet man in allen Kräften der Seele und kann die nicht täuschen, die ihn wahrhaft lieben. Diese zweifeln so wenig, wie der Mensch an Gott zweifelt; denn Liebe vertreibt alle Furcht. »Die Liebe kennt keine Furcht«,134 wie Sankt Paulus sagt, und auch in der Schrift steht: »Die Liebe überdeckt die Fülle der Sünden«.135 Denn wo Sünden geschehen, kann es weder volles Zutrauen noch Liebe geben, da Liebe die Sünde überdeckt und von Sünden nichts weiß. Nicht, daß man nicht gesündigt hätte, aber so, daß Liebe die Sünden vernichtet und vertreibt, als hätte es sie nie gegeben. Denn alle Werke Gottes sind stets vollendet und fließen über vor Güte: Wem er vergibt, dem vergibt er stets und völlig, auch lieber großmütig als streng, was volles Vertrauen bewirkt. Dies erachte ich für weit und viel besser; es bringt mehr Lohn und ist wahrer als das erste Wissen: denn da stört weder Sünde noch sonst etwas. Denn: Wen Gott in gleicher Liebe findet, den beurteilt er in dieser Liebe, ob er nun viel oder nichts Übles getan hat. Wem aber mehr vergeben wird, der soll mehr lieben, wie unser Herr Christus sprach: »Wem mehr vergeben wird, der liebe mehr«.136
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16. Von der wâren pênitencie und sæligem lebene. Vil liute dünket, daz sie grôziu werk süln tuon von ûzern dingen, als vasten, barvuoz gân und ander dinc des glîche, daz pênitencie heizet. Wâriu und diu aller beste pênitencie ist, dâ mite man groezlîche und ûf daz hoehste bezzert, daz ist: daz der mensche habe ein grôz und volkomen abekêren von allem dem, daz niht zemâle got und götlich ist an im und an allen crêatûren, und habe ein grôz und ein volkomen und ein ganz zuokêren ze sînem lieben gote in einer unbewegelîchen minne alsô, daz sîn andâht und gelust grôz ze im sî. In swelhem werke dû des mêr hâst, in dem bist dû mêr gereht; als vil des mêr und mêr ist, rehte als vil deste wârer pênitencie und leschet mêr sünde abe und ouch alle pîne. Jâ, wol möhtest dû schiere in kurzer zît dich alsô kreftic lîchen kêren von allen sünden mit alsô wârem missevallenne und dich alsô krefticlîchen ze gote kêren, hætest dû alle die sünde getân, die von Adâmes zîten ie geschâhen und iemermê geschehent, daz dir daz allez ganz würde vergeben mit der pîne, daz dû iezunt stürbest, dû vüerest vür daz antlütze gotes. / Diz ist diu wâre pênitencie, und daz kumet sunderlîche aller volkomenlîchest von dem wirdigen lîdenne in der volkomnen pênitencie unsers herren Jêsû Kristî. Ie mêr sich der mensche dar în erbildet, ie mêr im abevallent alle sünde und pîne der sünde. Ouch sol sich der mensche des wenen, daz er sich in allen sînen werken alle zît erbilde in daz leben und in diu werk unsers herren Jêsû Kristî in allem sînem tuonne und lâzenne und lîdenne und lebenne, und meine in alle zît hier inne, als er uns hât gemeinet. / Disiu pênitencie ist ein zemâle erhaben gemüete von allen dingen in got, und in welchen werken dû diz allermeist gehaben maht und hâst von den werken, diu tuo aller vrîlîchest; und hindert dich des dehein ûzerlich werk, ez sî vasten, wachen, lesen oder swaz ez sî, daz lâz vrîlîche âne alle sorge, daz dû hie mite iht versûmest deheine pênitencie; wan got ensihet niht ane, waz diu werk sîn, dan aleine, waz diu minne und diu andâht und daz gemüete in den werken sî. Wan im enist niht vil umbe unsriu werk, sunder
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16. Von der wahren Sühne137 und seligem Leben. Viele Leute meinen, sie sollten Großes in Äußerem tun, wie Fasten, Barfußgehen und dergleichen unter dem Namen der Sühne. Die wahre und allerbeste Sühne, mit der man sich sehr und zuhöchst bessert, ist die, daß sich der Mensch klar und vollkommen von allem abwende, was an ihm und allen Geschöpfen weder Gott noch göttlich ist.138 Er wende sich in unveränderlicher Liebe stark, voll und ganz seinem lieben Gott zu, damit seine Andacht und sein Gefallen an ihm groß seien.139 In welchem Tun Du mehr davon hast, in dem bist Du mehr gerecht. Je mehr und mehr es ist,140 desto mehr wächst die wahre Sühne und wäscht mehr Sünden ab und löscht ebenso alle Strafen. Ja, Du könntest Dich also in kurzer Zeit so kraftvoll in wahrem Mißfallen rasch von allen Sünden abkehren und so kräftig Gott zuwenden, auch wenn Du alle Sünden getan hättest, die seit Adams Zeiten verübt wurden und noch immer geschehen: Dir würde mit der Pein, daß Du jetzt stürbest, alles ganz vergeben; und Du gelangtest vor das Antlitz Gottes.141 / Das ist die wahre Sühne; sie kommt vor allem höchst vollkommen vom würdigen Leiden in der vollkommenen Sühne unseres Herrn, Jesu Christi.142 Je mehr ein Mensch diesem Bild folgt,143 desto mehr fallen alle Sünden und Sündenstrafen von ihm ab. Auch soll sich der Mensch daran gewöhnen, sich allzeit in all seinen Taten dem Leben und dem Tun unseres Herrn, Jesu Christi, anzugleichen, in all seinem Tun und Lassen und Leiden und Leben – und er liebe ihn dabei allzeit so, wie er uns geliebt hat.144 / Diese Versöhnung ist ein ganz über alle Dinge erhabenes inneres Befinden in Gott. In welchen Taten Du es am ehesten erreichen kannst und erreicht hast, diese Taten vollziehe ganz frei. Wenn Dich aber etwas Äußeres hindert wie Fasten, Wachen, Lesen oder sonst etwas, so laß frei davon ab, ohne jede Sorge, eine Bußübung zu versäumen. Denn Gott sieht nicht auf äußeres Tun, sondern nur auf die Liebe, auf die Andacht und die Gesinnung, die in den Taten wirkt. Denn ihm geht es nicht um unsere Taten, sondern um unsere Denkart hin-
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aleine umbe unser gemüete in allen unsern werken, und daz wir in aleine minnen in allen dingen. Wan der mensche ist alze gîtic, den an gote niht engenüeget. Allen dînen werken sol dâ mite gelônet sîn, daz sie dîn got weiz und daz dû in dar inne meinest; dâ mite genüege dir alle zît. Ouch ie dû in lediclîcher meinest und einvelticlîcher, sô ie alliu dîniu werk eigenlîcher alle sünde büezent. / Ouch maht dû gedenken, daz got was ein gemeiner erloeser aller werlt, und dâ von bin ich im vil mêr dankennes schuldic, dan ob er mich aleine erlôst hæte. Alsô solt dû ouch sîn ein gemeiner erloeser alles des, daz dû mit sünden an dir verderbet hâst; und mit allem dem lege dich zemâle in in, wan dû hâst mit sünden verderbet allez, daz an dir ist: herze, sinne, lîchame, sêle, krefte und swaz an dir und in dir ist, ez ist allez gar siech und verdorben. Des vliuch ze im, an dem kein gebreste enist, sunder allez guot, daz er sî ein gemeiner erloeser aller dîner verderpnisse an dir, inwendic und ûzwendic.
17. Wie sich der mensche in vride halte, ob er sich niht envindet ûf ûzerlîcher arbeit, als Kristus und vil heiligen hânt gehabet; wie er gote sül nâchvolgen. Den liuten mac vorhte und krankheit dâ von komen, daz unsers herren Jêsû Kristî leben und der heiligen alsô strenge und arbeitsam was und der mensche des niht vil vermac noch dar ûf ist getriben. Dar umbe, swenne sich die liute hier ane als unglîch vindent, sô ahtent sie sich dicke verre von gote, als dem sie niht enkünnen gevolgen. Daz ensol nieman tuon. Der mensche ensol sich deheine wîs niemer verre von gote genemen, weder umbe gebresten noch umbe krankheit noch umbe dehein dinc. Nû sî iemer, daz dich dîne grôze gebresten alsô ûztrîben, daz dû dich niht nâhen ze gote mügest nemen, sô solt dû dir doch got nâhen nemen. Wan dâ liget grôzer schade ane, daz der mensche im got verre setzet; wan der mensche gâ verre oder nâhe, got engât niemer verre, er blîbet ie stânde nâhent; und enmac er niht innen blî-
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ter den Taten und daß wir in allen Dingen ihn allein lieben.145 Denn der Mensch, der an Gott nicht genug hat, ist allzu habsüchtig. Alle Deine Taten sollen damit belohnt sein, daß Dein Gott sie weiß und Du ihn bei ihnen im Sinn hast; damit finde allzeit Dein Genüge. Auch je freier und eindeutiger Du ihn im Sinn hast, desto klarer büßen Deine Taten alle Sünden. / Du kannst auch daran denken, daß Gott ein allgemeiner Erlöser aller Welt war, wofür ich ihm viel mehr Dank schulde, als wenn er nur mich erlöst hätte. Also sollst auch Du ein allgemeiner Erlöser all dessen sein, was Du mit Sünden an Dir verdorben hast. Mit all dem gleiche Dich ihm stets an, denn Du hast mit Sünden alles verdorben, was an Dir ist: Herz, Sinne, Leib, Seele, Kräfte und alles, was an Dir und in Dir ist: das alles ist krank und verdorben. Darum fliehe zu ihm, an dem kein Übel, sondern alles gut ist, auf daß er als ein allgemeiner Erlöser aller Deiner Verderbnisse an Dir wirke, innen wie außen.
17. Wie sich der Mensch in Frieden halten kann, wenn er sich nicht in äußerer Not befindet, wie Christus und viele Heilige sie hatten; wie er Gott nachfolgen soll.146 Die Menschen kann Furcht und Zagen befallen, weil das Leben Jesu Christi, unseres Herrn, und das der Heiligen so hart und mühsam war und der Mensch das weder gut kann noch verlockend findet. Wenn sich die Leute darin ungleich finden, halten sie sich für sehr fern von Gott, da sie ihm nicht folgen können.147 So soll niemand denken. Der Mensch soll sich auf keinen Fall für fern von Gott halten, weder wegen Gebrechen, Schwäche noch etwas anderem. Selbst wenn Dich Deine großen Gebrechen dazu treiben, Dich nicht nahe bei Gott sehen zu können, sollst Du doch Gott als Dir nahe annehmen. Denn es führt zu großem Schaden, daß der Mensch annimmt, Gott sei ihm fern. Ob der Mensch weggeht oder nahe bleibt: Gott entfernt sich nie und bleibt stets nahe. Selbst wenn er nicht in Dir bleiben kann,
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ben, sô enkumet er doch niht verrer dan vür die tür. / Alsô ist ez nû in der gestrengicheit des nâchvolgennes. Daz merke, waz dînes nâchvolgennes dar ane sî. Dû solt merken und gemerket haben, war zuo dû von gote allermeist gemanet sîst; wan alle l iute ensint mit nihte in éinen wec ze gote geruofen, als sant Paulus sprichet. Vindest dû denne, daz dîn næhster wec niht enist in vil ûzwendiger werke und grôzer arbeit oder in darbenne, – dâ alsô envalticlîchen ouch niht grôz ane liget, der mensche enwerde denne sunderlîche dar zuo getriben von gote und habe die maht, daz wol ze tuonne âne irrunge sîner inwendicheit, – und envindest dû dis niht in dir, sô bis ganz ze vride und ennim dich des niht vil ane. / Sô möhtest dû sprechen: enliget dar ane niht, wes hânt ez denne unser vorvarn, vil heiligen, getân? / Sô gedenke: unser herre hât in die wîse gegeben und gap in ouch die maht, daz ze tuonne, daz sie der wîse möhten gevolgen, und im daz von in geviel; und dar inne solten síe irs besten bekomen. Wan got enhât des menschen heil niht gebunden ze deheiner sunderlîchen wîse. Waz éin wîse hât, daz enhât diu ander niht; daz mügen hât got allen guoten wîsen gegeben, und keiner guoten wîse enist daz versaget. Wan éin guot enist wider daz ander guot niht. Und dar an suln sich die liute merken, daz sie unreht tuont: sô sie etwenne einen guoten menschen sehent oder hoerent von im sagen und er denne niht envolget ír wîse, sô ist ez allez verlorn; ob in ir wîse niht engevellet, sô enahtent sie ouch zehant ir guoten wîse und ir guoten meinunge niht. Daz enist niht reht. Man sol mêr ahten der liute wîse, daz sie haben eine guote andâht, und versmæhen niemannes wîse. Ein ieglich enmac niht éin wîse gehaben, und alle menschen enmügen niht éin wîse gehaben noch ein mensche alle wîse noch eines ieglîchen wîse. / Ein ieglîcher halte sîne guote wîse und ziehe dar în alle wîse und neme in sîner wîse alliu guot und alle wîse. Wandelunge der wîse daz machet ein unstæte wîse und gemüete. Swaz dir mac gegeben éin wîse, daz maht dû ouch in der andern erkriegen, ob si guot und lobelich ist und got aleine meinet; noch alle menschen enmügen niht éinem wege gevolgen. Und alsô ist ez ouch von dem nâch-
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so kommt er nicht weiter als vor die Tür.148 / So steht es nun mit der Strenge der Nachfolge: Sieh, was der Sinn Deiner Nachfolge ist. Du sollst sehen und gesehen haben, wozu Gott Dich am meisten antreibt: Mitnichten sind alle Menschen auf denselben Weg zu Gott gerufen, wie Sankt Paulus sagt.149 Findest Du also, daß Dein Weg zunächst kein äußeres Tun, keine große Anstrengung oder Mühe von Dir fordert, dann liegt daran an sich betrachtet auch nicht viel, außer ein Mensch würde von Gott dazu angetrieben und hätte die Kraft dazu, aber ohne Verwirrung seines Inneren. Und findest Du dazu keinen Antrieb in Dir, so sei ganz zufrieden und achte nicht viel darauf. / Nun könntest Du sagen: Wenn nichts daran liegt, weshalb haben es denn unsere Vorfahren und viele Heilige so gemacht? / Denke so: Unser Herr hat ihnen diese Art150 gegeben und gab ihnen auch die Kraft, das zu tun, daß sie ihr folgen konnten und ihm das an ihnen gefiel; und darin sollten sie das für sie Beste erhalten. Denn Gott hat des Menschen Heil nicht an eine besondere Lebensart geknüpft. Was die eine Art hat, fehlt der anderen. Das Können hat Gott allen g uten Arten gegeben, und keiner guten Art ist es versagt. Denn ein Gut ist dem anderen nicht zuwider.151 Daran sollen die Leute bemerken, daß sie unrecht tun: Wenn sie einmal einen guten Menschen sehen oder von ihm hören, daß er ihrer Art nicht folgt, so ist alles verloren: falls ihnen deren Art mißfällt, so mißachten sie sofort auch ihre gute Art und gute Gesinnung.152 Das ist nicht recht. Mehr soll man beachten, daß die Leute besonnen sind und niemandes Lebensart schmähen. Nicht jeder kann dieselbe Art haben:153 Weder können alle Menschen nur eine Art haben, noch hat ein Mensch alle Lebensarten oder die Art jedes Einzelnen. / Ein jeder behalte seine gute Art, beziehe sie auf alle Arten und nehme alles Gute und alle Arten in seine Art auf. Änderungen der Haltung machen Lebensart und Gemüt unstet.154 Was Dir eine Haltung gibt, kannst Du auch in der anderen erlangen, wenn sie gut und lobenswert ist und auf Gott allein zielt. Auch können nicht alle Menschen einem Weg folgen. Und so verhält es sich auch mit der Befolgung der strengen Lebensart von
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volgenne der gestrengicheit solcher heiligen. Die wîse solt dû wol minnen und mac dir wol gevallen, der dû doch niht endarft nâchvolgen. / Nû möhtest dû sprechen: unser herre Jêsus Kristus der hâte ie die hoehste wîse, dem suln wir iemer von rehte nâchvolgen. / Daz ist wol wâr! Unserm herren sol man billîche nâchvolgen, aber doch in áller wîse niht. Unser herre vaste vierzic tage. Alsô ensol sich des nieman anenemen, daz er alsô volge. Kristus der hât vil werke getân, dâ mite er meinte, daz wir im geistlîchen süln nâchvolgen und niht lîplîchen. Und dar umbe sol man sich vlîzen, daz man vernünfticlîchen künne nâchvolgen; wan er hât mêr gelâget unserre minne dan unsern werken. Wir suln im ie éigenlîchen nâchvolgen. / Als wie? / Daz merke: in allen dingen. – Wie und in welher wîse? Als ich dicke hân gesprochen: ich ahte vil bezzer ein vernünftigez werk dan ein lîplîchez werk. / Als wie? / Kristus hât gevastet vierzic tage. Dar ane volge im, daz dû war nemest, war zuo dû allermeist sîst geneiget oder bereit: dâ verlâz dich ane und nim wol dîn selbes war. Daz gebürt dir dicke mêr und unbekümbert ze lâzenne, dan ob dû zemâle vastest aller spîse. Und alsô ist dir etwenne swærer ein wort ze verswîgenne, dan ob man zemâle swîge von aller rede. Und alsô ist einem menschen etwenne swærer ze vertragenne ein kleinez smæhelîchez wort, dâ niht ane enist, dan im lîhte wære ein grôzer slac, dâ er sich ûf gesetzet hât, und ist im vil swærer aleine ze sînne in der menige dan in der wüeste, und ist im dicke ein kleinez dinc swærer ze lâzenne dan ein grôz und ein kleinez werk zê üebenne dan einez, daz man vür vil grôz hât. Alsus mac der mensche wol unserm herren nâchvolgen nâch sîner krankheit und enmac noch endarf sich niemer verre dâ von genemen.
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Heiligen. Deren Art sollst Du zwar lieben – und sie mag Dir gut gefallen –, doch nachahmen brauchst Du sie nicht. / Nun könntest Du sagen: Unser Herr Jesus Christus hatte stets die höchste Form des Lebens; ihm sollen wir mit Recht immer nachfolgen. / Das ist gewiß wahr! Unserem Herrn sollen wir mit gutem Grund folgen, aber doch nicht in jeder Hinsicht. Unser Herr fastete vierzig Tage. Niemand soll sich vornehmen, ihm darin genauso zu folgen. Christus hat viel getan, um uns zu geistiger Nachfolge anzuregen, nicht zu leiblicher. Und darum soll man sich mühen, ihm mit Vernunft folgen zu können; mehr erpicht ist er ja auf unsere155 Liebe als auf unsere Werke. Wir sollen ihm nachfolgen auf je eigene Weise.156 / Was heißt das? / Achte darauf: in allem. – Wie und in welcher Weise? – Wie ich oft gesagt habe: Ich halte eine Tat der Vernunft für viel besser als eine leibliche Handlung. / Was heißt das? / Christus hat vierzig Tage gefastet.157 Darin folge ihm, indem Du wahrnimmst, worauf Deine Neigungen und Wünsche am meisten zielen: da lasse Dich los und nimm Dich selbst gut wahr.158 Dich mehr und unbekümmert loszulassen, ist sehr viel dringlicher, als wenn Du Dich ganz aller Speise enthieltest. Zuweilen ist es schwerer, ein einzelnes Wort zu vermeiden, als ganz von aller Rede zu lassen. Und so ist es einem Menschen zuweilen schwerer, ein kleines Schmähwort zu ertragen, das haltlos ist, als einen großen Schlag, den er erwartet hat. Und wie es ihm viel schwerer fällt, in der Menge allein zu sein als in der Wüste, so ist es oft schwerer, Belangloses zu lassen als Bedeutendes, und schwerer, eine kleine Tat zu vollbringen als eine, die man für großartig hält. Derart kann der Mensch durchaus unserem Herrn folgen – trotz seiner Schwäche; dabei kann und braucht er niemals zu bangen, von ihm fern zu sein.
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18. In welher wîse der mensche mac nemen, als im gebürt, zarte spîse und hôhiu kleit und vroelîche gesellen, als im die anehangent nâch gewonheit der natûre. Dû endarft in dér wîse niht sîn beworren mit spîse noch mit kleidern, ob sie dich ze guot dünkent, sunder wene dînen grunt und dîn gemüete, daz ez verre dar über erhaben sî, und ez ensol niht berüeren ze mügenne noch ze minnenne dan aleine got; über diu andren dinc alliu sol ez erhaben sîn. / War umbe? / Wan daz wære ein krankiu inwendicheit, die daz ûzerlîche kleit solte berihten; daz inner sol daz ûzer berihten, als ez aleine an dir stât. Mêr: sô ez dir anders zuovellet, sô maht dû ez ûz dînem grunde guot nemen alsô, daz dû dich dar inne vindest, geviele ez anders, daz dû ez gerne und williclîche wöltest nemen. Alsô ist ez ouch mit der spîse und mit den vriunden und mâgen und mit allem dem, daz dir got gebe oder neme. / Und alsô ahte ich daz bezzer dan alliu dinc, daz sich der mensche gote lâze groezlîche, swenne er ûf in ihtes werfen welle, ez sî smâcheit, ez sî arbeit, ez sî, swaz lîdens daz sî, daz er ez mit vröuden und danknæmicheit neme und lâze sich got mêr vüeren, dan daz sich der mensche selber dar în setze. Und dar umbe lernet gerne alliu dinc von gote und volget im, sô wirt iu reht! Und in dem sô mac man wol êre nemen oder gemach. Geviele aber ungemach und unêre ûf den menschen, daz man die ouch tragen möhte und gerne wölte tragen. Und dar umbe mit allem rehte und urteile mügen die wol ezzen, die als reht und bereit wæren ze dem vastenne. / Und daz ist wol diu sache, daz got sîne vriunde grôz und vil lîdens überhebet; und daz enmöhte sîn unmæzigiu triuwe anders niht erlîden, dar umbe daz sô vil und sô grôzer vrume in dem lîdene liget, und er die sînen niht enwil noch enzimet ze versûmenne in deheinen guoten dingen; und er læzet sich wol benüegen an einem guoten gerehten willen; anders enlieze er in kein lîden engân umbe den unzellîchen vrumen, der in dem lîdene liget. / Und alsô, die wîle got benüeget, sô bis ze vride; wanne im ein anderz behaget an dir, sô bis ouch ze vride. Wan der mensche sol inwendic gote
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18. Wie der Mensch empfangen kann, was ihm gebührt: feine Speise, edle Kleidung und fröhliche Freunde, die ihm verbunden sind gemäß der Gewohnheit der Natur.159 Du darfst Dich nicht von Fragen verwirren lassen, ob Du Speisen oder Kleider für zu aufwendig hältst. Halte Dein Sein und Dein Gemüt vielmehr für weit über sie erhaben. Nichts soll Dich locken, etwas zu mögen oder zu lieben, als allein Gott. Über andere Motive soll Dein Gemüt erhaben sein. / Warum? / Es wäre ja ein schwaches Inneres, das vom äußeren Kleid abhinge. Das Innere, das nur bei Dir steht, soll das Äußere erhellen.160 Zudem: Wenn es Dich anders trifft, magst Du es aus Deinem Inneren für so gut halten, daß Du Dich hineinfindest: wie wenn es anders ausfiele, so daß Du es gern und willig annehmen wolltest.161 So ist es auch mit der Speise, mit den Freunden und Verwandten und mit allem, was Gott Dir gibt oder nimmt. / Und also halte ich es für besser als alles sonst, daß der Mensch sich völlig auf Gott verlasse, wenn er ihm etwas auf bürden will, sei es Schmach, Mühsal oder irgendein Leiden: Mit Freude und Dankbarkeit nehme er es und lasse sich von Gott mehr führen, als daß der Mensch das selbst übernehme. Darum lernt gern alles von Gott und folgt ihm, so wird es für Euch gut! Und dabei kann man Ehre und Wohlbefinden erlangen. Träfen den Menschen aber Schimpf und Schande, könnte man auch das ertragen – und wollte es gern ertragen. Und darum können mit vollem Recht und Urteil gut essen, die ebenso auch bereit wären zu fasten. / Wohl aus diesem Grund überhebt Gott seine Freunde großer und schwerer Leiden; diese könnten seine unendliche Treue nur deshalb erleiden,162 weil so viel und großer Nutzen im Leiden liegt und er nicht will und es ihm nicht ziemt, daß die Seinen Gutes versäumen; er findet sein Genüge an einem guten, gerechten Willen; sonst ließe er ihnen kein Leiden entgehen, wegen des immensen Nutzens, der im Leiden liegt.163 / Also sei, wenn Gott sich begnügt, auch Du zufrieden. Wenn ihm anderes an Dir gefällt, so sei auch zufrieden. Denn der Mensch soll Gott in all seinem Wollen innen
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sô ganz sîn in allem sînem willen, daz er sich niht vil bewerre weder mit wîse noch mit werken. Und sunderlîche solt dû vliehen alle sunderlicheit, ez sî an kleidern, an spîse, an worten – als hôhiu wort ze redenne – oder sunderlicheit der gebærde, dâ kein nutz ane liget. Mêr: doch solt dû wizzen, daz dir niht enist verboten álliu sunderlicheit. Ez ist vil sunderlicheit, die man in vil zîten und bî vil liuten halten muoz; wan, der sunderlich ist, der muoz ouch sunderlicheit tuon ze maniger zît in vil wîsen. / Der mensche sol sich îngebildet haben in unsern herren Jêsum Kristum inwendic in allen dingen, daz man in im vinde einen widerschîn aller sîner werke und sîner götlîchen bilde; und sol der mensche in im tragen in einer volkomenen glîchunge, als verre als er mac, alliu sîniu werk. Dû solt würken, und er sol nemen. Tuo dû dîn werk ûz aller dîner andâht und ûz aller dîner meinunge; des wene dîn gemüete ze aller zît und daz dû dich in allen dînen werken in in erbildest.
19. War umbe got ofte gestatet, daz guote liute, die in der wârheit guot sint, daz sie dicke werdent gehindert von irn guoten werken. Dar umbe gestatet des der getriuwe got, daz dicke sîne vriunde vallent in krankheit, ûf daz in aller enthalt abegâ, dâ sie sich ûf neigen oder enthalten möhten. Wan daz wære einem minnenden menschen ein grôziu vröude, daz er vil und grôziu dinc vermöhte, ez sî an wachenne, an vastenne oder an andern üebungen und an sunderlîchen, grôzen und swæren dingen; diz ist in ein grôziu vröude und ein stiurunge und ein hoffenunge, alsô daz in iriu werk sint als ein enthalt und ein stiurunge und ein zuoverlâz. Daz wil unser herre in abenemen und wil, daz er aleine ir enthalt und zuoverlâz sî. Und daz tuot er umbe niht anders dan durch sîne einvaltigen güete und barmherzicheit. Wan got enbeweget niht ze deheinem werke dan sîn eigeniu güete; nihtes endienent unseriu werk dar zuo, daz uns got iht gebe oder uns tuo. Daz wil
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so ganz folgen, daß er sich nicht sehr verwirre, weder im Habitus noch in Taten. Und vor allem sollst Du alle Extravaganz meiden, sei es in der Kleidung, in Speisen oder in Worten, wie große Sprüche klopfen oder Sonderlichkeit der Gebärde, die ohne Nutzen ist. Darüber hinaus sollst Du aber wissen, daß Dir nicht alle Eigentümlichkeit verboten ist. Es gibt viele Eigenheiten, die man oft und vielen Leuten zeigen muß; denn wer besonders ist, muß auch zuweilen Eigentümlichkeit zeigen in vielen Weisen. / Der Mensch soll sich innen in allem so in unseren Herrn Jesus Christus hineingeformt haben, daß man in ihm einen Abglanz all seiner Taten und göttlichen Werke finde.164 Ihn soll der Mensch in sich tragen, in einer vollkommenen Angleichung all seiner Taten, soweit er es kann.165 Du sollst wirken und er soll empfangen.166 Tu Deine Pflicht in vollem Bewußtsein und aus ganzem Herzen; daran gewöhne Dein Inneres zu jeder Zeit, auf daß Du Dich in all Deinen Taten in ihn hineinbildest.167
19. Warum Gott es oft gestattet, daß gute Menschen, die in Wahrheit gut sind, oft in ihren guten Werken behindert werden. Der treue Gott läßt es zu, daß seine Freunde oft in Schwäche fallen, damit ihnen aller Beistand fehle, wo sie sich stützen oder Halt finden könnten.168 Denn es wäre einem liebenden Menschen eine große Freude, viele große Taten zu vollbringen, sei es im Wachen, im Fasten oder anderen Übungen und in besonderen, großen und schweren Aufgaben; dies ist ihnen eine große Freude, Wegweisung und Hoffnung, daß ihnen ihre eigenen Taten eine Stütze, Orientierung und Zuflucht bieten. Das will unser Herr ihnen wegnehmen und will, daß er allein ihnen Ruhe und Zuflucht sei. Und das tut er wegen nichts anderem als seiner reinen Güte und Barmherzigkeit.169 Denn Gott bewegt nichts zu irgendeinem Tun als seine eigene Güte; nicht unsere Taten verhelfen dazu, daß Gott uns etwas gebe oder an uns bewirke.170 Unser
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unser herre, daz sîne vriunde disem entvallent, und dar umbe nimet er sie abe von disem enthalte, ûf daz er aleine ir enthalt müeze sîn. Wan er wil in grôz geben und enwil umbe nihtes dan von sîner vrîen güete; und er sol ir enthalt und trôst sîn, und sie suln ein lûter niht sich vinden und sich ahten in allen den grôzen gâben gotes; wan ie blôzer und lediger daz gemüete ûf got vellet und von im enthalten wirt, ie der mensche tiefer in got gesetzet wirt und in allen den wirdigesten gâben gotes enpfenclîcher wirt. Wan der mensche sol aleine ûf got bûwen.
20. Von unsers herren lîchamen, wie man den nemen sol ofte und in welher wîse und andâht. Swer den lîchamen unsers herren gerne nemen wil, der endarf niht warten des, daz er in im bevinde oder smecke, oder wie grôz diu innicheit oder andâht sî, sunder er sol war nemen, wie getân sîn wille und meinunge sî. Dû ensolt niht grôz wegen, wes dû enpfindest, mêr: ahte grôz, waz dû minnest und waz dû meinest. / Der mensche, der vrîlîche wil und mac ze unserm herren gân, der sol ze dem êrsten an im haben, daz er sîn gewizzen vinde âne allez strâfen der sünden. Daz ander ist, daz des menschen wille in got sî gekêret, daz er nihtes enmeine und daz in nihtes niht gelüste dan gotes und daz zemâle götlich ist, und daz im missevalle, waz gote unglîch ist. Wan an dem selben sol ouch der mensche prüeven, wie verre und wie nâhe er gote sî: rehte als vil er des minner oder mêr hât. Daz dritte ist, daz er an im sol haben, daz diu minne ze dem sacramente und ze unserm herren dâ von mêr und mêr wahse und daz diu êrbære vorhte dâ von sich niht minre von dem dicken zuogânne. Wan, daz dâ dicke ist éines menschen leben, daz ist des andern tôt. Dar umbe solt dû daz merken in dir, ob dîn liebe wahse ze gote und diu êrbæricheit niht verlischet; ie dû denne dicker ze dem sacramente gâst, ie dû verre bezzer bist und ouch vil und verre bezzer und nützer ist. Und dar umbe enlâz dir dînen got niht abesprechen noch -predi-
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Herr will, daß seine Freunde davon frei werden, und nimmt ihnen diese Stütze weg, auf daß er allein ihre Stütze sei. Denn er will ihnen viel geben und will es umsonst geben, nur aus seiner freien Güte; er soll ihr Beistand und Trost sein – und sie sollen sich unter all den großen Gaben Gottes als ein reines Nichts finden und betrachten. Denn je reiner und freier das Gemüt von Gott angezogen und von ihm erhalten wird, desto tiefer wird der Mensch in Gott versetzt und für die besten Gaben Gottes empfänglich. Denn der Mensch soll allein auf Gott bauen.
20. Vom Leib unseres Herrn, wie man ihn empfangen soll: wie oft, in welcher Weise und Andacht.171 Wer den Leib unsers Herrn gern empfangen will, braucht nicht darauf zu achten, was er an ihm erfährt oder schmeckt oder wie groß seine Erregung und Andacht sei, sondern soll sehen, wie beschaffen sein Wille und seine Maximen seien. Du sollst nicht so sehr prüfen, was Du empfindest:172 Achte mehr darauf, was Du liebst und was Du denkst. / Der Mensch, der frei zu unserem Herrn gehen will und kann, soll sein Gewissen erstlich gänzlich ohne Sündenstrafen finden. Sodann soll der Wille des Menschen Gott so zugewandt sein, daß er nichts denkt und ihn nichts lockt außer Gott und Göttliches, und ihm mißfällt, was Gott nicht gleicht.173 Denn am Willen soll der Mensch prüfen, wie fern oder nah er Gott sei,174 nämlich ob er weniger oder mehr guten Willen hat. Das Dritte, was er haben soll, ist, daß die Liebe zum Sakrament und unserem Herrn mehr und mehr wachse, ohne daß die Ehrfurcht sich durch den häufigen Genuß mindert. Denn oft ist des einen Menschen Leben der Tod des anderen.175 Darum sollst Du darauf achten, ob Deine Liebe zu Gott wächst und die Ehrfurcht nicht erlöscht.176 Denn je öfter Du zum Sakrament gehst, je besser Du bist, desto besser und nützlicher ist es auch für Dich. Darum laß Dir Deinen Gott nicht wegreden oder -predigen;
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gen; wan ie mêr, ie bezzer und gote vil lieber. Wan unsern herren gelüstet, daz er in dem und mit dem menschen wone. / Nû möhtest dû sprechen: eyâ, herre, ich vinde mich als blôz und kalt und træge, dar umbe entar ich niht ze unserm herren gân! / Sô spriche ich: deste baz bedarft dû, daz dû ze dînem gote gangest; wan von im wirst dû enzündet und hitzic und in im wirst dû geheiliget und im aleine zuogevüeget und geeiniget, wan díe gnâde vindest dû in dem sacramente und niendert anders als eigenlîchen, daz dîne lîplîchen krefte dâ werdent geeiniget und gesament von der wirdigen kraft der lîplîchen gegenwerticheit unsers herren lîchamen alsô, daz alle zerströute sinne des menschen und gemüete diu werdent hier inne gesament und geeiniget, und die sunderlîche wâren ze sêre geneiget, die werdent hie ûfgerihtet und gote ordenlîchen erboten. Und von dem înwonenden gote sô werdent sie inwendic gewenet und gespenet von lîplîchen hindernissen der zîtlîchen dinge und werdent geringe ze götlîchen dingen, und, gesterket von sînem lîchamen, sô wirt dîn lîchame erniuwet. Wan wir suln in in werden gewandelt und alzemâle werden geeiniget, daz daz sîne unser wirt, und allez daz unser wirt sîn, unser herze und daz sîne éin herze und unser lîchame und der sîne éin lîchame. Alsô suln unser sinne und unser wille, meinunge, krefte und glider in in getragen werden, daz man sîn enpfinde und gewar werde in allen kreften lîbes und sêle. / Nû möhtest dû sprechen: eyâ, herre, ich enwirde niht grôzer dinge in mir gewar dan armuot. Wie getörste ich denne ze im gân? / Entriuwen, wilt dû denne dîne armuot alle wandeln, sô ganc ze dem genüegenden schatze alles unmæzigen rîchtuomes, sô wirst dû rîch; wan dû solt daz wizzen in dir, daz er aleine ist der schatz, an dem dir mac genüegen und dich mac ervüllen. ›Dar umbe‹, sprich, ›wil ich ze dir gân, daz dîn rîchtuom ervülle mîne armuot und alliu dîn unmæzicheit ervülle mîne îtelkeit und dîn unmæzlîchiu, unbegriffenlîchiu gotheit ervülle mîne alze snoede verdorbene menscheit.‹ / Eyâ, herre, ich hân vil gesündiget, ich enmac niht gebüezen! / Des ganc ze im, er hât wirdiclîche gebüezet alle schulde. In im maht dû wol opfern daz wirdige opfer
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denn je mehr, desto besser und Gott viel lieber: denn unser Herr freut sich, im Menschen und mit ihm zusammen zu wohnen. / Nun könntest Du sagen: Ja, Herr, da ich mich so nackt, kalt und träge finde, wage ich nicht, zu unserem Herrn zu gehen!177 / Dazu sage ich: Desto mehr tut es Dir gut, zu Deinem Gott zu gehen; denn von ihm wirst Du entzündet und glühend,178 in ihm wirst Du geheiligt, mit ihm allein verbunden und vereinigt. Denn diese Gnade findest Du in diesem Sakrament und sonst nirgendwo eigentlich. Dort werden Deine leiblichen Kräfte vereint und durch die hohe Kraft der leiblichen Gegenwart des Leibes unseres Herrn so verbunden, daß all die zerstreuten Sinne des Menschen und das Gemüt hier versammelt und vereint werden, die separat zu sehr ablenkten. Deine Kräfte werden hier aufgerichtet und auf Gott hin gelenkt.179 Und von dem innewohnenden Gott werden sie innerlich geübt und von leiblichen Störungen der Zeit zu göttlichen Aufgaben gelockt. Und von seinem Leib gestärkt, wird Dein Leib erneuert. Denn wir sollen in ihn verwandelt und gänzlich mit ihm so geeint werden,180 daß das Seinige uns und alles Unsrige ihm gehört: Unser und sein Herz werden ein Herz sein, unser und sein Leib ein Leib.181 Also sollen unsere Antriebe und unser Wille, Haltungen, Kräfte und Glieder in ihn übertragen werden, daß man ihn fühle und seiner gewahr werde in allen Kräften von Leib und Seele.182 / Nun könntest Du sagen: Ach, Herr, im Blick auf große Dinge gewahre ich in mir nichts als Armut. Wie getraute ich mich dann, zu ihm zu gehn? / Willst Du in der Tat all Deine Armut ganz loswerden, gehe zum genugsamen Schatz übermäßigen Reichtums: so wirst Du reich. Denn Du sollst in Dir wissen, daß er allein der Schatz ist, an dem es Dir genug sein und der Dich erfüllen kann. Sprich: ›Darum will ich zu Dir gehen, damit Dein Reichtum meine Armut erfülle, Dein Überfluß meine Eitelkeit und Deine unbegrenzte, unbegreif bare Gottheit183 mein allzu schnödes, verdorbenes Menschsein zur Vollendung bringe.‹ / Ja, Herr, ich habe viel gesündigt, ich kann das nicht wiedergutmachen. / Deshalb geh zu dem, der alle Schuld würdig wiedergutgemacht hat.184 In ihm kannst Du
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dem himelischen vater vür alle dîne schulde. / Eyâ, herre, ich wölte gerne loben und ich enkan! / Ganc ze im, er ist aleine ein anenemende danknæmicheit des vaters und ein unmæzic, wâr gesprochen, volkomen lop aller götlîchen güete. / Kurzlîchen, wilt dû alles gebresten benomen werden alzemâle und mit tugenden und gnâden bekleidet werden und in den ursprunc wünniclîche geleitet und gevüeret werden mit allen tugenden und gnâden, sô halt dich alsô, daz dû daz sacrament wirdiclîche und dicke mügest nemen; sô wirst dû ze im geeinet und mit sînem lîchamen geedelt. Jâ, in dem lîchamen unsers herren wirt diu sêle alsô nâhe in got gevüeget, daz alle die engel, weder von Cherubîn noch von Seraphîn, enmügen den underscheit niht gewizzen noch vinden zwischen in beiden. Wan, swâ sie got rüerent, dâ rüerent sie die sêle, und swâ die sêle, dâ got. Nie enwart sô nâhiu einunge, wan diu sêle ist vil næher mit gote vereinet dan lîp und sêle, die éinen menschen machent. Disiu einunge ist vil næher, dan der einen tropfen wazzers güzze in ein vaz wînes: dâ wære wazzer und wîn, und daz wirt alsô in ein gewandelt, daz alle crêatûren niht enkünden den underscheit vinden. / Nû möhtest dû sprechen: wie mac diz gesîn? Nû enpfinde ich nihtes niht! / Waz liget dar ane? Ie dû minner enpfindest und groezlîcher gloubest, ie dîn gloube lobelîcher ist und mêr geahtet und gelobet sol werden, wart ein ganz glouben ist vil mêr dan ein wænen in dem menschen. In im sô hân wir ein wär wizzen. In der wârheit, uns engebrichet nihtes dan eines wären glouben. Daz uns dünket, wir haben vil mêr guotes in einem dan in dem andern, daz enkumet niht dan von ûzern gesetzen, und enist an einem niht mêr dan an dem andern. Alsô, swer glîch gloubet, der nimet glîch und hât glîch. / Nû möhtest dû sprechen: wie möhte ich groezer dinc glouben, die wîle ich mich niht alsô envinde, sunder mich gebrechlich vinde und geneiget ze vil dingen? / Sich, dâ solt dû zwei dinc merken an dir, diu ouch unser herre an im hâte. Er hâte die obersten und die nidersten krefte; die hâten ouch zwei werk: sîne obersten krefte die hâten eine besitzunge und eine gebrûchunge êwiger sælicheit. Aber die nidersten krefte
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dem himmlischen Vater das würdige Opfer für alle Deine Schuld darbringen.185 / Ach, Herr, gerne möchte ich loben, kann aber nicht!186 / Geh zu ihm: Er allein bejaht die Dankbarkeit187 gegenüber dem Vater und ist unbegrenztes, wahres, vollkommenes Lob aller göttlichen Güte.188 / Kurz: Willst Du für immer von a llen Gebrechen befreit und mit allen Tugenden und Gnaden versorgt wonnig in den Ursprung geleitet und geführt werden, dann halte Dich so, daß Du das Sakrament würdig und oft empfangen kannst: so wirst Du zu ihm hin vereinigt und durch seinen Leib veredelt.189 Ja, im Leib unseres Herrn wird die Seele so sehr in die Nähe Gottes gebracht,190 daß nicht einmal Engel, weder Cherubim noch Seraphim, den Unterschied zwischen ihnen wissen oder finden können.191 Denn wo sie an Gott rühren, berühren sie die Seele, und wo sie die Seele berühren, rühren sie an Gott. Nie entstand so große Nähe,192 da die Seele viel enger mit Gott vereint ist als Leib und Seele, aus denen ein Mensch besteht.193 Diese Vereinigung ist viel enger, als wenn jemand einen Tropfen Wasser in ein Faß Wein gösse: Da wären Wasser und Wein so in Eines verwandelt, daß kein Geschöpf den Unterschied finden könnte. / Nun könntest Du sagen: Wie kann das sein? Davon spüre ich gar nichts! / Was liegt daran? Je weniger Du spürst und je fester Du glaubst, desto lobenswerter ist Dein Glaube und desto mehr soll er geachtet und gelobt werden. Sieh: Im Menschen ist ein fester Glaube mehr zu achten und zu loben als ein Meinen. In ihm haben wir also ein wahres Wissen. In der Tat fehlt uns nichts so sehr wie ein wahrer Glaube.194 Daß uns dünkt, viel mehr Gutes in der einen Sache als in der anderen zu haben, folgt nur aus äußeren Regeln und findet sich am einen nicht mehr als am anderen. Wer sie also als gleich glaubt, nimmt und hat Gleiches. / Nun könntest Du sagen: Wie könnte ich Größeres glauben, sofern ich nicht so bin, sondern gebrechlich und zu vielen Dingen hingeneigt.195 / Sieh! Da sollst Du zweierlei an Dir beachten, was auch unser Herr an sich hatte. Er hatte obere und niedere Kräfte; diese hatten auch zwei Wirkungen: seine oberen Kräfte waren ein Besitz und ein Vollzug ewiger Selig-
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wâren in den selben stunden in dem meisten lîdenne und strîtenne ûf der erde, und der werke keinez enhinderte daz ander an sînem vürwurfe. Alsô sol in dir sîn, daz die obersten krefte suln sîn erhaben in got und im zemâle erboten und zuogevüeget. Mêr: triuwen, allez lîden sol man zemâle bevelhen dem lîchamen und den nidersten kreften und den sinnen; aber der geist sol sich mit ganzer kraft erheben und lediclîchen in sînen got versenken. Mêr: diu lîdunge der sinne und der nidersten krefte diu engât in niht ane noch disiu anvehtunge; wan, ie der strît mêrer und sterker ist, ie ouch der sic und diu êre des siges groezer und lobelîcher ist; wan ie denne diu anvehtunge groezer ist und der anstôz der untugent sterker ist und der mensche doch überwindet, ie ouch dir diu tugent eigener ist und dînem gote lieber ist. Und dar umbe: wilt dû dînen got wirdiclîche enpfâhen, sô nim war, wie dîne obersten krefte in dînen got gerihtet sîn und wie dîn wille den sînen willen suochende sî und waz dû an im meinende sîst und wie dîn triuwe an im bestanden sî. / Der mensche enpfæhet den werden lîchamen unsers herren niemer in disem, er enpfâhe sunderlîche grôze gnâde, und ie dicker, ie nützer. Jâ, der mensche möhte den lîchamen unsers herren nemen in solcher andâht und meinunge, wære der mensche in der ordenunge, daz er sölte komen in den understen kôr der engel, er möhte in alsô enpfâhen ze éinem mâle, daz er in den andern würde erhaben; jâ, in solcher andâht möhtest dû in enpfâhen, dû würdest geahtet in den ahten oder in den niunden kôr. Dar umbe: wæren zwêne menschen in allem lebenne glîch und hæte der einez unsers herren lîchamen mit wirdicheit éin mâl enpfangen mêr dan der ander, durch daz sol der mensche iemer sîn als ein glitzendiu sunne vor dem andern und sol ein sunderlîche einunge mit gote haben. / Diz nemen und diz sælige niezen des lîchamen unsers herren enliget niht aleine an ûzwendigem niezenne, ez liget ouch an einem geistlîchen niezenne mit begirlîchem gemüete und in einunge in andâht. Diz mac der mensche sô getriulîchen nemen, daz er rîcher wirt an gnâden dan kein mensche ûf ert rîche. Diz mac tuon der mensche tûsentstunt in dem tage und
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keit.196 Die niederen Kräfte aber waren zu gleicher Zeit mit tiefstem Leid und Streit in der Welt befaßt, und keine Tat hinderte die andere an ihrem Vorsatz. So soll es auch in Dir sein: Die oberen Kräfte sollen zu Gott erhoben sein, ihm gewidmet und zugewandt. Zudem soll man alles Leid stets dem Leib zuordnen, den niederen Kräften und den Sinnen. Der Geist aber soll sich mit voller Kraft erheben und sich frei in seinen Gott versenken.197 Zudem: Die Rezeptivität der Sinne und der niederen Vermögen berührt ihn nicht und ficht ihn nicht an; denn je häufiger und stärker der Kampf auftritt, desto öfter siegt er und um so größer und lobwürdiger ist die Ehre des Sieges. Denn je stärker die Anfechtung und der Reiz üblen Handelns sind, die der Mensch dennoch überwindet, desto mehr gehört die Tugend Dir selbst und ist Deinem Gott lieber.198 Darum: Willst Du Deinen Gott würdig empfangen,199 so nimm wahr, wie Deine oberen Kräfte auf Deinen Gott gerichtet sind – und wie Dein Wille seinen Willen sucht; zudem, was Du mit ihm meinst und wie Deine Treue an ihm Bestand hat.200 / Der Mensch empfängt den werten Leib unsers Herrn in diesem Leib nur dann, wenn er besonders große Gnade empfängt, je öfter aber, desto nützlicher. Ja, der Mensch, der den Leib unseres Herrn in solcher Andacht und Gesinnung empfangen könnte, wäre in der Ordnung, daß er in den untersten Chor der Engel kommen sollte;201 könnte er ihn ein andermal so empfangen, würde er in den zweiten Chor erhoben. Ja: Wenn Du ihn in solcher Andacht empfangen könntest, würdest Du in den achten oder neunten Chor erhoben. Darum: Wären zwei Menschen in ihrem Leben ganz gleich und hätte der eine unseres Herrn Leib einmal mehr als der andere in Würde empfangen, so soll dieser Mensch vor dem anderen immer eine glitzernde Sonne und besonders mit Gott vereinigt sein.202 / Dies Empfangen und selige Genießen des Leibes unseres Herrn liegt nicht nur am äußeren Genuß, er hängt auch ab vom geistlichen Genießen aus sehnsüchtigem Gemüt und andächtigem Einswerden. Das kann der Mensch so treu empfangen, daß er reicher an Gnaden wird als jeder andere Mensch auf der Welt. Das kann der Mensch tausend-
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mêr, er sî, swâ er sî, er sî siech oder gesunt. Mêr: man sol sich sacramentlîchen dar zuo vüegen und nâch wîse guoter ordenunge und nâch grôzheit der begerunge. Enhât man aber der begerunge niht, sô reize man sich dar zuo und bereite sich dar zuo und halte sich dar nâch, sô wirt man heilic in der zît und sælic in der êwicheit; wan gote nâchgân und im volgen, daz ist êwicheit. Die gebe uns der lêrære der wârheit und der minnære der k iuscheit und daz leben der êwicheit. Âmen.
21. Von dem vlîze. Swenne ein mensche unsers herren lîchamen wil nemen, sô mac ez wol zuogân âne grôz bekümbernisse. Sô ist ez zimelich und sêre nütze, daz man vor bîhte, ouch ob man keine strâfunge hât, umbe die vruht des sacramentes der bîhte. Wære aber, daz den menschen iht strâfete, und mac der bîhte vor bekümbernisse niht bekomen, sô gange er ze sînem gote und gebe sich dem schuldic mit grôzem riuwenne und sî ze vride, biz daz er muoze habe der bîhte. Entvallent hier inne die gedanken oder daz strâfen der sünde, sô mac er gedenken, got habe ir ouch vergezzen. Man sol gote ê bîhten dan den menschen, und, ist man schuldic, die bîhte vor gote grôz wegen und sêre strâfen. Ouch ensol man niht lîhticlîchen, als man ze dem sacramente wil gân, daz übergân und underwegen lâzen durch ûzerlîchez lîden, wan des menschen méinunge an den werken gereht und götlich ist und guot. / Man sol daz lernen, daz man ín den werken ledic sî. Daz ist aber einem ungeüebeten menschen ungewonlich ze tuonne, daz ez der mensche dar zuo bringe, daz in kein menige noch kein werk enhinder – und dar zuo gehoeret grôzer vlîz – und im got als gegenwertic sî und stæticlîche liuhte als blôz ze einer ieglîchen zît und in aller menige. Dar zuo gehoeret gar ein behender vlîz und sunderlîche zwei dinc: daz ein, daz sich der mensche wol verslozzen habe inwendic, daz sîn gemüete sî gewarnet vor den bilden, diu ûzwendic stânt, daz sie ûzwendic im blîben und in keiner
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mal am Tag und öfter tun, wo er auch ist, ob er krank oder gesund ist. Zudem: Man soll sich auf den Empfang sakramental vorbereiten, in guter Ordnung nach der Größe des Begehrens.203 Hat man dieses Begehren aber nicht, so treibe man sich selbst dazu an, bereite sich dazu vor und halte sich daran: so wird man heilig in der Zeit und selig in der Ewigkeit: denn Gott nachspüren und ihm folgen, das ist Ewigkeit. Diese gebe uns der Lehrer der Wahrheit, der Liebhaber der Keuschheit, der das Leben der Ewigkeit ist. Amen.204
21. Vom Eifer.205 Wenn ein Mensch den Leib unseres Herrn empfangen will, so mag er ohne große Besorgnis herantreten. Es ziemt sich aber und ist von großem Nutzen, vorher zu beichten, auch wenn ihn kein Tadel trifft, nur wegen der Frucht des Sakraments der Beichte.206 Gibt es aber etwas, was den Menschen peinigt, und kann er die Beichte wegen Belastungen nicht erhalten, so gehe er zu seinem Gott, bekenne dem in großer Reue seine Schuld und sei zufrieden, bis er Zeit zur Beichte hat. Schwinden ihm dabei diese Gedanken oder die Gewissensbisse, so mag er denken, auch Gott habe sie vergessen. Man soll eher Gott beichten als den Menschen; ist man schuldig, soll man die Beichte vor Gott wichtig nehmen und sich sehr tadeln. Will man das Sakrament empfangen, soll man es nicht leichthin übergehen und wegen äußerer Bußübungen beiseite lassen, wenn nur die Gesinnung des Menschen in den Taten gerecht und göttlich und gut ist. / Man soll lernen, in den Taten frei zu sein.207 Ein ungeübter Mensch ist aber nicht gewöhnt, es dazu zu bringen, daß ihn weder die Menge der Anderen noch die Aufgaben hindern; dazu gehört großer Eifer und daß ihm Gott gegenwärtig sei und ihm zu jeder Zeit stets und in jeder Gesellschaft rein vor Augen stehe. Dazu gehört ein gut geübter Einsatz und besonders zweierlei: das eine, daß sich der Mensch innerlich wappnet, damit sein Gemüt vor äußeren Eindrücken gewarnt sei, damit sie draußen
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vremden wîse mit im wandeln und umbegân und keine stat in im vinden. Daz ander, daz sich sîn inwendigen bilde, ob ez bilde sîn oder ein erhabenheit des gemüetes, oder ûzwendic bilde oder swaz daz sî, daz der mensche gegenwertic hât, daz er sich in den iht zerlâze noch zerströuwe noch veriuzer in der menige. Der mensche sol alle sîne krefte dar zuo wenen und kêren und gegenwertic haben sîne inwendicheit. / Nû möhtest dû sprechen: der mensche muoz sich ûzkêren, sol er ûzwendigiu dinc würken; wan kein werk kan gewürket werden dan in sînem eigenen bilde. / Daz ist wol wâr. Aber diu ûzerkeit der bilde ensint den geüebeten menschen niht ûzerlich, wan alliu dinc sint den inwendigen menschen ein inwendigiu götlîchiu wîse. / Dis ist vor allen dingen nôt: daz der mensche sîne vernunft wol und zemâle gote gewene und üebe, sô wirt im alle zît innen götlich. Der vernunft enist niht als eigen noch als gegenwertic noch als nâhe als got. Niemer gekêret si sich anderswar nâch. Ze den crêatûren enkêret si sich niht, ir engeschehe denne gewalt und unreht; si wirt dâ rehte gebrochen und verkêret. Dâ si denne ist verdorben in einem jungen menschen, oder swaz menschen daz ist, dâ muoz si mit grôzem vlîze gezogen werden und muoz man dar zuo tuon allez, daz man vermac, daz die vernunft her wider wene und ziehe. Wan, swie eigen oder natiurlich ir got sî, sô si doch mit dem êrsten wirt verkêret und wirt begründet mit den crêatûren und mit in verbildet und dar zuo gewertet, sô wirt si an dem teile alsô verkrenket und ungewaltic ir selbes und ir edeliu meinunge alsô sêre verhindert, daz aller vlîz, den der mensche vermac, der ist im iemer kleine genuoc, daz er sich alsô zemâle wider gewene. Sô er daz allez getuot, dannoch bedarf er stæter huote. / Vor allen dingen sô sol der mensche sehen dar zuo, daz er sich sêre und wol gewene. Daz sich ein ungewenet und ungeüebeter mensche alsô wölte halten und alsô tuon als ein gewenter mensche, der wölte sich alzemâle verderben und enwürde niemer nihtes ûz im. Swenne sich der mensche selber zemâle ze dem êrsten hât aller dinge entwenet und in entvremdet, dar nâch mac er danne ge-
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bleiben und ihn nicht mit Fremdem verwirren, ihn nicht belasten und keinen Platz in ihm finden. Das andere, daß seine inneren Bilder für sich bleiben (seien es Bilder, Produkte des Gemüts oder äußere Bilder, oder was der Mensch sonst gegenwärtig hat), [ihn nicht dazu führen], daß er sich in ihnen verliert, zerstreut oder in der Vielheit veräußert.208 Der Mensch soll alle seine Kräfte daran gewöhnen und darauf wenden und sein Inneres präsent haben.209 / Nun könntest Du sagen: Der Mensch muß sich nach außen wenden, wenn er Äußeres bewirken soll; denn nichts kann bewirkt werden außer in seiner eigenen Gestalt. / Das ist wohl wahr!210 Aber die Außenseite der Dinge ist geübten Menschen nicht fremd, da für den inneren Menschen alle Dinge eine innere göttliche Seinsweise sind.211 / Nötig ist vor allem, daß der Mensch seine Vernunft gut und stets an Gott gewöhne und übe, so wächst ihm innen allzeit Göttliches zu. Der Vernunft ist nichts so eigen, gegenwärtig und nahe wie Gott.212 Niemals zielt sie auf anderes.213 Um Geschöpfe kehrt sie sich nicht, außer wenn ihr Gewalt und Unrecht widerfahren; dabei wird ihr Sein gebrochen und verkehrt.214 Wo sie in einem jungen Menschen (oder wem auch immer) verdorben ist, muß sie mit vollem Einsatz gestützt werden. Dazu muß man alles tun, was man kann, damit die Vernunft sich wieder (an Gott) gewöhnt und zu ihm zieht. Denn, wie nah oder natürlich ihr Gott auch sei,215 ihre Beziehung zu Gott wird doch verdorben, wenn sie mit den Geschöpfen begründet, verbildlicht und auf sie bezogen wird;216 so wird sie geschwächt und kraftlos im Blick auf sich selbst, und ihre edle Gesinnung wird so sehr behindert, daß aller Eifer, dessen der Mensch fähig ist, zu klein ist, um sich neu zu gewöhnen. Selbst wenn er all das tut, bedarf er doch ständiger Achtsamkeit. / Vor allen Dingen soll der Mensch darauf achten, daß er sich stark und gut (auf Gott und Göttliches) richte. Ein Mensch, der diese Haltung nicht gewohnt und ungeübt in ihr ist, der sich wie ein geübter verhalten und handeln wollte, würde sich ganz verderben – und es würde niemals etwas aus ihm. Nachdem sich ein Mensch selbst einmal aller Dinge entwöhnt und entfremdet hat,
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wærlîche alliu sîniu werk würken und der lediclîche gebrûchen und enbern âne alle hindernisse. Mêr: swaz der mensche minnende ist und lust nimet und im volget mit willen, ez sî in spîse oder in tranke oder in swaz dinge ez sî, daz enmac âne gebresten niht bestân in einem ungeüebeten menschen. / Der mensche sol sich wenen, daz er des sînen in keinen dingen niht ensuoche noch enmeine und daz er got in allen dingen vinde und neme. Wan got engibet keine gâbe noch nie gegap, daz man die gâbe hæte und dar ane geruowete; sunder alle die gâbe, die er ie gegap in himel und ûf erden, die gap er alle dar umbe, daz er éine gâbe geben möhte: daz was er selber. Mit disen gâben allen wil er uns bereiten ze der gâbe, diu er selber ist; und alliu diu werk, diu got ie geworhte in himel und in erden, diu worhte er durch éines werkes willen, daz er daz möhte gewürken: daz ist in sæligen, daz er uns möhte sæligen. Alsô spriche ich: in allen gâben und in allen werken suln wir got lernen anesehen, und an nihte suln wir uns lâzen genüegen und an nihte stân blîben. Ze keiner wîse enist unsers stânnes in disem lebene, noch nie menschen enwart, swie verre er ouch ie kam. Vor allen dingen sol sich der mensche alle zît haben gerihtet gegen den gâben gotes und alwege niuwe. / Ich spriche kurzlîchen von einem menschen, der wolte sêre gerne von unserm herren etwaz haben; dâ sprach ich: si enwære niht wol bereit, und gæbe ir got die gâbe alsô unbereit, sô sölte si verderben. / Ein vrâge: war umbe was si niht bereit? Si hâte doch einen guoten willen, wan ir sprechet, daz ér alliu dinc vermüge und in dem alliu dinc und volkomenheit lige? / Daz ist wâr. Ez sint zwêne sinne ze nemenne an dem willen: der ein ist ein zuovallender wille und ein ungewesenter wille, der ander ist ein zuoverhengender wille und machender wille und ein gewenter wille. / Triuwen, des enist niht genuoc, daz des menschen gemüete abegescheiden sî in einem gegenwertigen puncten, als man sich gote vüegen wil, sunder man muoz eine wolgeüebete abegescheidenheit haben, diu vor- und nâchgânde sî. Denne mac man grôziu dinc von gote enpfâhen und got in den dingen. Und ist man unbereit, man verderbet die gâbe und got mit der gâbe.
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kann er seine Taten wahrhaft vollziehen, frei gebrauchen und auch ohne alle Hindernisse verzichten. Mehr noch: Was der Mensch liebt, wozu er Lust hat und was er mit Willen befolgt, sei es Essen oder Trinken oder was auch sonst: das kann einem ungeübten Menschen nicht ohne Störung gelingen. / Der Mensch soll sich üben, daß er niemals das Seinige suche und erstrebe, sondern daß er in allem Gott finde und empfange. Denn Gott gibt keine Gabe so und gab sie noch nie so, daß man sie besäße und in ihr Ruhe fände.217 Vielmehr gab er alle Gaben, die er je im Himmel und auf Erden gab, um der einen Gabe willen, die er selbst ist.218 Mit allen diesen Gaben will er uns zu der einen Gabe zurüsten, die er selbst ist. Und alles, was Gott im Himmel und auf Erden je wirkte, bewirkte er um des einen Zieles willen, das er bewirken wollte: sich zu beseligen, um uns zu beseligen. Deshalb sage ich: In allen Gaben und in allen Taten sollen wir Gott zu sehen lernen. Und nichts soll uns genug sein, bei nichts sollen wir stehen bleiben.219 Beständigkeit gibt es für uns in diesem Leben in keiner Weise – und es gab sie für einen Menschen noch nie, wie weit er auch je kam. Vor allem soll sich der Mensch stets auf die Gaben Gottes gerichtet haben und immer neu ausrichten. / Ich berichte kurz von einem Menschen,220 der gern von unserem Herrn etwas haben wollte; dabei sagte ich: sie [also eine Frau] sei noch nicht gut bereit – und wenn Gott ihr die Gabe jetzt schon gäbe, könnte sie zugrunde gehen. / Hier ist zu fragen: Warum war sie nicht bereit? Sie hatte doch einen guten Willen, von dem ihr sagt, daß er alles vermöge und alles Gute und alle Vollkommenheit in ihm liege. / Das ist wahr. Am Willen sind zwei Bedeutungen zu unterscheiden: der eine ist zufällig und nicht tiefgehend; der andere Wille ist zurechenbar, tätig und eingeübt.221 / Gewiß ist es nicht genug, daß das Gemüt des Menschen nur für einen gegenwärtigen Augenblick abgeschieden sei, in dem es sich Gott fügen will. Vielmehr muß die Abgeschiedenheit wohlgeübt sein – und vorher wie nachher wirksam. Dann aber kann man von Gott Großes empfangen – und Gott in den Dingen. Ist man aber nicht bereit, verdirbt man die Gabe – und
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Daz ist diu sache, daz uns got niht gegeben enmac alle zît, als wir ez biten. Ez gebrichet an im niht, wan im ist tûsentstunt gæher ze gebenne wan uns ze nemenne. Aber wir tuon im gewalt und unreht mit dem, daz wir in sînes natiurlîchen werkes hindern mit unser unbereitschaft. / Der mensche sol sich in allen gâben lernen selber ûz im tragen und niht eigens behalten noch nihtes ensuochen, weder nutz noch lust noch innicheit noch süezicheit noch lôn noch himelrîche noch eigenen willen. Got gegap sich nie noch engibet sich niemer in deheinen vremden willen. Niht engibet er sich dan in sîn selbes willen. Swâ got sînen willen vindet, dâ gibet er sich în und læzet sich in den mit allem dem, daz er ist. Und ie wir mêr des unsern entwerden, ie mêr wir in disem gewærlîcher werden. Dar umbe enist im niht genuoc, daz wir ze éinem mâle ûfgeben uns selber und allez, daz wir hân und vermugen, sunder wir suln uns dicke erniuwen und alsô einigen und erledigen uns selber in allen dingen. / Ouch ist ez sêre nütze, daz im der mensche niht lâze genüegen dar ane, daz er hât die tugende in dem gemüete als gehôrsame, armuot und ander tugende, sunder der mensche sol sich selber an den werken und an den vrühten üeben der tugende und sich dicke versuochen und begern und wellen von den liuten werden geüebet und versuochet. Wan dâ mite enist ez niht genuoc, daz man tuo diu werk der tugent oder die gehôrsame getuon müge oder armuot oder smâcheit enpfâhen müge oder daz man sich mit einer andern wîse gedêmüetigen oder gelâzen müge, sunder man sol dar nâch stân und niemer ûfhoeren, biz man die tugent gewinne in irm wesene und in irm grunde. Und daz man sie habe, daz mac man an dem prüeven: als man sich ze der tugent vindet geneiget vor allen dingen, und wenne man diu werk der tugent würket âne bereitunge des willen und würket sie ûz sunder eigenen ûfsaz einer gerehten oder grôzen sache und si würket sich als mêr durch sich selber und durch die minne der tugent und umbe kein warumbe – denne hât man die tugent volkomenlîche und niht ê. / Als lange lerne man sich lâzen, biz daz man niht eigens enbeheltet. Al gestürme und unvride kumet zemâle
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Gott mitsamt der Gabe. Das ist auch der Grund, daß Gott uns nicht allzeit geben kann, sobald wir es erbitten. An ihm liegt es nicht, da es ihm tausendmal eiliger ist zu geben als uns zu nehmen. Aber wir tun ihm damit Gewalt und Unrecht an, daß wir ihn mit unserer Unwilligkeit an dem hindern, was er von sich aus bewirkt. / Der Mensch soll bei allen Gaben Gottes lernen, über sich hinauszugehen, sie nicht als Eigenes zu behalten und zu suchen, weder Nutzen noch Lust, weder Süßigkeit noch Wohlbehagen, weder Lohn noch Himmelreich, noch eigenen Willen. Gott folgte noch nie einem fremden Willen und ergibt sich niemals in ihn. Er gibt sich nicht, außer nur in seinem eigenen Willen. Wo Gott seinen Willen findet, da gibt er sich und bleibt dort mit allem, was er ist. Je mehr wir Unsriges preisgeben, desto wahrer werden wir dabei. Deshalb ist es ihm nicht genug, daß wir uns selbst einfach aufgeben, samt allem, was wir haben und können: sondern wir sollen uns völlig erneuern und so einigen und uns selbst in allem frei machen.222 / Dazu ist es sehr nützlich, daß sich der Mensch nicht damit begnügt, im Gemüt die Tugenden wie Gehorsam, Armut und andere Tugenden zu haben;223 vielmehr soll sich der Mensch selbst an den Werken und Früchten der Tugend üben, sich oft auf die Probe stellen, zudem es wünschen und wollen, von den anderen erprobt und versucht zu werden.224 Denn damit ist es nicht genug, daß man Werke der Tugend oder den Gehorsam übe oder Armut oder Schmach ertrage oder sich in anderer Weise demütig oder gelassen verhalte. Vielmehr soll man darauf bestehen und niemals nachlassen, bis man die Tugend in ihrem Wesen und Grund erlangt.225 Ob man sie habe, kann man daran prüfen: Wenn man sich vor allem anderen zur Tugend geneigt findet und die Werke der Tugend ohne inneren Zwist vollzieht,226 wenn man nur aus eigener Absicht eine gerechte und große Sache befördert und sie mehr kraft ihrer selbst und durch die Liebe der Tugend bewirkt, ohne jedes Warum:227 dann besitzt man die Tugend vollkommen und nicht eher. / So lange strebe man, sich zu lassen, bis man nichts Selbstisches mehr an sich hat.228 Aller Kampf und Streit, ob man es
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von eigenem willen, man merke ez oder enmerke ez niht. Man sol sich selber und mit allem dem sînen in einem lûtern entwerdenne willen und begerennes legen in den guoten und liebesten willen gotes mit allem dem, daz man wellen und begern mac in allen dingen. / Ein vrâge: sol man sich ouch gotes süezicheit williclîche erwegen? Enmac daz denne niht ouch wol komen von trâcheit und von kleiner minne ze im? / Jâ, harte wol âne daz bekennen des underscheides. Wan, ez kome von trâcheit oder von wâret abegescheidenheit oder von gelâzenheit, sô sol man merken, ob man sich hier inne vindet, als man sô gar von innen gelâzen ist, daz man denne gote als getriuwe ist, als man in dem groesten enpfindenne wære, daz man hier inne allez daz tuo, daz man dâ tæte, und niht minner, und daz man sich als abegescheidenlîche halte von allem trôste und helfunge, als man tæte, sô man gegenwerticlîchen got enpfünde. / Dem rehten menschen in dem volkomen guoten willen enmac danne kein zît ze kurz sîn. Wan, wâ der wille alsô stât, daz er genzlîchen wil allez, daz er vermac – niht aleine nû, sunder, sölte er leben tûsent jâr, er wölte tuon allez, daz er vermöhte – dér wille bezalt als vil, als man in tûsent jâren möhte getuon mit den werken: daz hât er a llez getân vor gote.
22. Wie man gote volgen sol und von guoter wîse. Der mensche, der eines niuwen lebens oder werkes wil bestân, der sol gân ze sînem gote, und von dem sol er mit grôzer kraft und ganzer andâht begern, daz er im vüege daz aller beste und daz im aller liebest und wirdigest sî, und enwelle und enmeine dâ nihtes des sînen dan aleine den liebesten willen gotes und anders niht. Swaz im danne got zuovüege, daz neme er âne mittel von gote und halte ez vür sîn aller bestez und sî dar inne ganz und zemâle ze vride. / Swie wol im nâchmâles ein ander wîse baz gevellet, sô sol er gedenken: dise wîse hât dir got zuo gegeben, und sî im diu aller beste. Des sol er gote getriuwen und sol
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merkt oder nicht, kommt von Selbstsucht her. Man soll sich selbst mit allem Besitz in reiner Preisgabe des Willens und Begehrens auf den guten und höchst liebevollen Willen Gottes verlassen – mit allem, was man überhaupt wollen und begehren kann.229 / Eine Frage: Soll man sich auch willentlich über Gottes Süßigkeit erheben? Könnte dieser Plan nicht auch aus Trägheit oder geringer Liebe zu ihm folgen? / Ja, aber nicht ohne die Beachtung des Unterschieds. Ob es von Trägheit herrührt oder von wahrer Abgeschiedenheit oder von Gelassenheit: immer soll man, wenn man sich so befindet, darauf achten, wenn man von innen ganz gelassen ist, daß man Gott so treu ist, wie wenn man in dem größten Gefühl wäre, und alles das tut, was man dann täte, und nicht weniger, und man sich unabhängig von allem Trost und aller Hilfe halte, gerade so, wie man sich verhielte, wenn man Gottes Gegenwart empfände. / Dem gerechten Menschen kann im vollkommen guten Willen keine Zeit zu kurz sein. Denn, wo der Wille so beständig ist, daß er als ganzer alles will, was er vermag, nicht nur jetzt, sondern auch, wenn er tausend Jahre lebte: der wollte alles tun, was er vermöchte. Dieser Wille leistet so viel, wie man in tausend Jahren mit seinen Taten leisten könnte: denn das hat er alles vor Gott getan.
22. Wie man Gott folgen soll und von guter Lebensweise.230 Der Mensch, der ein neues Leben oder Tun bestehen will, soll zu seinem Gott gehen und ihn mit aller Kraft und voller Andacht bitten, ihm das Allerbeste zu gewähren, das ihm Allerliebste und Würdigste. Er erstrebe und verfolge dabei nicht seine Pläne, sondern nur den liebsten Willen Gottes und sonst nichts.231 Was Gott ihm dann zuteilt, nehme er sofort von Gott an, halte es für sein Allerbestes und sei damit ganz und gar zufrieden. / Auch wenn ihm im Nachhinein ein anderer Weg besser gefällt, soll er denken: diesen Weg hat Gott Dir gegeben; und er sei ihm der allerbeste. Dazu soll er Gott vertrauen und alle guten Wege auf
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alle guote wîse in die selbe wîse ziehen und nemen alliu dinc in dem und nâch dem, swaz künnes sie sint. Wan, swaz got guotes hât getân und geben éiner wîse, daz mac man ouch vinden in állen guoten wîsen. Wan in éiner wîse sol man nemen alle guote wîse und niht die eigenschaft der wîse. Wan der mensche muoz ie einez tuon, er enmac niht alliu dinc getuon. Ez muoz ie einez sîn, und in dem einen sol man alliu dinc nemen. Wan, daz der mensche wölte allez tuon und diz und daz und von sîner wîse lâzen und nemen eines andern wîse, diu im nû vil baz geviele, in der wârheit, daz machete grôze unstæticheit; wan dér mensche ê volkomen würde, der ûz der werlt kæme zemâle in éinen orden, dan dér iemer würde, der ûz éinem orden kæme in einen andern, swie heilic der ouch gewesen wære: daz ist durch die wandelunge der wîse. Der mensche neme éine guote wîse und blîbe iemer dâ bî und bringe in die alle guote wîse und ahte, daz si von gote genomen sî, und beginne niht hiute einez und morgen ein anderz und sî âne alle sorge, daz er in dem iemer ihtes versûme. Wan mit gote enmac man niht versûmen; als wênic als got ihtes versûmen mac, als wênic mac man mit gote ihres versûmen. Dar umbe nim einez von gote, und dar în ziuch allez guot. / Ist aber, daz ez sich niht wil vertragen, daz einez daz ander niht enlîdet, daz sî dir ein gewis zeichen, daz ez von gote niht enist. Éin guot enist wider daz ander niht; wan, als unser herre sprach: ›ein ieglich rîche, daz in im selber geteilet ist, daz muoz vergân‹, und als er ouch sprach: ›wer mit mir niht enist, der ist wider mich, und wer mit mir niht ensamenet, der zerströuwet‹, alsô sî dir ein gewis zeichen: welhez guot daz ander guot oder lîhte ein minner guot niht enlîdet oder zerstoeret, daz daz von gote niht enist. Ez solte bringen und niht zerstoeren. / Alsô wâren kurze rede, die hie învielen: daz dâ kein zwîvel enist, der getriuwe got nimet einen ieglîchen menschen in sînem aller besten. / Daz ist sicher wâr, und niemer ennimet er keinen menschen ligende, den er möhte alsô stânde haben vunden, wan diu guotheit gotes meinet alliu dinc im aller besten. / Dô wart gevrâget, war umbe denne got niht ennæme die liute, die er kennet, daz sie ûz der gnâde des
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diesen Weg beziehen, alles in und nach den Möglichkeiten nehmen, die sie bieten. Denn, was Gott Gutes getan und einer Lebensart gegeben hat, kann man in allen Lebensarten auch finden. Denn in einer Art soll man alle guten Arten empfangen und nicht nur die Besonderheit dieser Art. Da der Mensch stets etwas Bestimmtes tun muß und nicht alles zugleich tun kann,232 muß es je Eines sein, aber in diesem Einen soll man Alles empfangen. Denn: Wollte der Mensch alles tun, dies und das seiner Lebensart aber von sich fernhalten und den Weg eines Anderen vorziehen, der ihm nun viel besser gefiele, stürzte er in große Unstetigkeit: denn der Mensch, der aus der Welt in einen Orden käme, würde eher vollkommen als einer, der von einem Orden in einen anderen käme, wie heilig er auch gewesen wäre. Das geschieht durch den Wechsel des Weges. Der Mensch schlage einen guten Weg ein, folge ihm beständig, führe alles Gute auf ihm aus und beachte, daß es Gottes Weg ist. Beginne nicht heute dies und morgen das. Sei ohne Sorge, je etwas zu versäumen. Denn mit Gott kann man nichts versäumen: So wenig Gott etwas versäumen kann, so wenig kann man mit Gott etwas versäumen. Deshalb nimm nur etwas von Gott und ziehe aus ihm alles Gute. / Falls aber Gutes sich nicht vertragen will und das eine das andere nicht zuläßt, sei es Dir ein klares Zeichen, daß es nicht von Gott kommt. Das eine Gute ist dem anderen nicht zuwider. So wie unser Herr sprach: ›Jedes Reich, das in sich selbst gespalten ist, muß vergehen‹;233 und wie er auch sagte: ›Wer nicht für mich ist, ist gegen mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut‹.234 Das sei Dir also ein sicheres Zeichen: Gutes, das ein anderes Gutes oder auch ein geringeres Gutes nicht erträgt oder gar zerstört, ist nicht von Gott. Es sollte auf bauen und nicht zerstören. / So lauteten kurze Reden, die hier einfielen;235 es gibt keinen Zweifel: Der treue Gott nimmt jeglichen Menschen in seinem Allerbesten. / Das ist gewiß wahr: Nie nimmt er einen Menschen niedergeschlagen, den er aufgerichtet gefunden haben könnte. Denn Gottes Güte denkt alles aufs allerbeste. / Da wurde gefragt, warum Gott nicht diejenigen, von denen er weiß, daß sie die Gnade
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toufes sölten vallen, daz sie stürben in ir kintheit, ê daz sie ze ir bescheidenheit kæmen, wan er von in erkennet, daz sie sölten vallen und niht wider ûfstân – daz wære ir bestez? / Dô sprach ich: got enist niht ein zerstoerer deheines guotes, sunder er ist ein volbringer! Got enist niht ein zerstoerer der natûre, sunder er ist ein volbringer. Ouch diu gnäde enzerstoeret die natûre niht, si volbringet sie. Zerstôrte nû got die natûre alsô in dem beginnenne, sô geschæhe ir gewalt und unreht; des entuot er niht. Der mensche hât einen vrîen willen, dâ mite er gekiesen mac guot und übel, und leget im got vür in übeltuonne den tôt und in woltuonne daz leben. Der mensche sol sîn vrî und ein herre aller sîner werke und unzerstoeret und ungetwungen. Gnâde enzerstoeret niht die natûre, si volbringet sie. Diu glôrie enzerstoeret niht gnâde, si volbringet sie, wan glôrie ist volbrâhtiu gnâde. Alsô enist niht in gote, daz dehein dinc zerstoere, daz ihr wesens hât, sunder er ist ein volbringer aller dinge. Alsô ensuln wir kein kleine guot in uns zerstoeren noch kleine wîse durch eine grôze, sunder wir suln sie volbringen in daz aller hoehste. / Alsô wart gesprochen von einem menschen, der solte eines niuwen lebens beginnen von niuwem, und sprach ich alsô in dirre wîse: daz der mensche solte werden ein gotsuochender in allen dingen und gotvindender mensche ze aller zît und in allen steten und bî allen liuten in allen wîsen. In disem mac man alle zît âne underlâz zuonemen und wahsen und niemer ze ende komen des zuonemennes.
23. Von den innerlîchen und ûzerlîchen werken. Ein mensche wölte sich in sich selber ziehen mit allen sînen kreften, inwendic und ûzwendic, und in dem selben stât er doch alsô, daz in im kein bilde noch getwanc enist, und stât alsô âne einic werk, inwendic und ûzwendic: dâ sol man wol war nemen, ob daz sich iht ziehen welle ze im selber. Ist aber, daz sich der men-
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der Taufe verlassen würden, nicht in der Kindheit sterben ließe, bevor sie zu Verstand gekommen seien, obwohl er von ihnen im voraus weiß, daß sie fallen und nicht wieder aufstehen würden. Wäre das (der vorzeitige Tod) nicht ihr Bestes?236 / Da sagte ich: Gott ist nicht ein Zerstörer eines Gutes, sondern ein Vollender! Gott ist kein Zerstörer der Natur sondern ein Schöpfer.237 Auch die Gnade zerstört nicht die Natur, sondern vervollkommnet sie.238 Zerstörte Gott die Natur in ihrem Beginn, geschähe ihr Gewalt und Unrecht; das tut er nicht.239 Der Mensch hat einen freien Willen, mit dem er gut und böse wählen kann. Gott vergilt das Übeltun mit dem Tod und das Tun des Guten mit dem Leben. Der Mensch soll frei und Herr aller seiner Taten sein, ungestört und ungezwungen. Gnade zerstört nicht die Natur, sondern vollendet sie. Das Reich Gottes zerstört nicht Gnade, sondern vollendet sie: denn das Reich Gottes ist vollendete Gnade.240 Es ist also nichts in Gott, das etwas zerstörte, das Sein hat, sondern er ist ein Vollender von allem. Also sollen wir kein kleines Gut in uns zerstören oder eine schwache Form des Lebens durch eine starke ersetzen; vielmehr sollen wir sie in die allerhöchste Form bringen. / So ward von einem Menschen gesprochen, der erneut ein neues Leben beginnen sollte. Dazu sagte ich folgendes: Der Mensch sollte in allem ein Gott suchender und Gott findender Mensch werden, zu jeder Zeit, an allen Orten, bei allen Menschen in allen Lebensweisen. Dabei kann man stets ohne Unterlaß zunehmen und wachsen und im Wachstum nie an ein Ende gelangen.241
23. Von den inneren und äußeren Taten.242 Ein Mensch, der sich mit all seinen Kräften, inneren und äußeren, in sich zurückziehen wollte, steht dabei doch so in sich selbst, daß in ihm kein Bild oder Zwang ist; innen wie außen steht er da ohne jede Tat: Da soll man gut prüfen, ob dieses Befinden ihn nur zu sich selbst ziehen wolle. Ist es aber so, daß sich
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sche niht wil ze einem werke ziehen und sichs niht anenemen, sô sol man sich brechen in ein werk, ez sî inwendic oder ûzwendic, – wan an nihte ensol sich der mensche lâzen genüegen, swie guot ez schinet oder sî – , wâ er sich vindet in herticheit oder in twingunge sîn selbes, daz man mêr mac nemen, daz der mensche dâ werde geworht dan daz er würke, daz der mensche dâ lerne mitewürken mit sînem gote. Niht, daz man dem innern sül entgân oder entvallen oder vermeinen, sunder in dem und mit dem und ûz dem sol man lernen würken alsô, daz man die innicheit breche in die würklicheit und die würklicheit înleite in die innicheit und daz man alsô gewone lediclîche ze würkenne. Wan man sol daz ouge ze disem inwendigen werke kêren und dar ûz würken, ez sî lesen, beten oder – ob ez gebürt – ûzwendigiu werk. Wil aber daz ûzwendic werk daz inner zerstoeren, sô volge man dem innern. Möhten sie aber beidiu sîn in einem, daz wære daz beste, daz man ein mitewürken hæte mit gote. / Nû vrâge: wie sol man daz mitewürken gehaben, dâ der mensche im selben und allen werken entvallen ist und – als sant Dionysius sprach: der sprichet aller schoeneste von gote, der von der vülle des inwendigen rîchtuomes allermeist kan von im geswîgen – dâ sô entsinkent bilde und werk, der lop und der dank, oder swaz er gewürken möhte? / Ein antwurt: éin werk blîbet im billîchen und eigenlîchen doch, daz ist: ein vernihten sîn selbes. Doch ist daz vernihten und verkleinen niemer sô grôz sîn selbes, got envolbringe ouch daz selbe in im selber, sô gebrichet im. Danne ist diu dêmüeticheit allerêrst genuoc volkomen, als got den menschen dêmüetiget mit dem menschen selber, und dâ aleine genüeget den menschen und ouch der tugent und niht ê. / Ein vrâge: wie sol got den menschen ouch mit im selber vernihten? Ez schînet, als daz vernihten des menschen wære gotes erhoehen, wan daz êwangelium sprichet: ›wer sich nidert, der sol erhoehet werden‹? / Antwurt: jâ und nein! Er sol sich selber nidern, und daz selbe enmac niht genuoc sîn, got der entuo ez; und er sol erhoehet werden, niht daz diz nidern einez sî und daz erhoehen ein anderz; sunder diu
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der Mensch nicht zu einer Tat aufraffen und keine ausführen will, so soll man sich zu einer Tat zwingen, sei es eine innere oder äußere. Denn mit nichts soll der Mensch es sich genug sein lassen, wie gut es auch erscheine oder sei:243 Wo er sich in Härte und Bedrängnis seiner selbst befindet, kann man eher annehmen, daß der Mensch Wirkungen unterliegt, als selbst zu wirken, daß der Mensch da lerne, ein Mitwirken mit seinem Gott zu lernen. Nicht, daß man das Innere übergehen, verwerfen oder mißachten sollte; vielmehr soll man in ihm, mit ihm und aus ihm so zu wirken lernen, daß man das Innere in die Wirklichkeit umleitet und man die Wirklichkeit in das Innere überführt244 – und man sich so gewöhne, frei zu handeln. Denn man soll seinen Blick auf das innere Tun lenken und aus ihm heraus handeln, sei es beim Lesen, Beten oder, wenn es passend ist, bei äußerem Tun. Droht aber das äußere Tun das innere zu zerstören, so folge man dem inneren. Könnten aber beide vereint sein, wäre es das Beste, zusammen mit Gott zu wirken.245 / Nun frage: Wie soll man diese Mitwirkung (im Blick auf Gott) denken, wo der Mensch sich selbst und alle Taten verloren hat – wie Sankt Dionysius sagte: Der spricht am allerschönsten von Gott, der aus der Fülle inneren Reichtums von ihm vor allem schweigen kann.246 Schwinden da nicht Bilder und Taten, das Lob und der Dank oder was er bewirken könnte? / Antwort: Ein Tun bleibt doch ihm gemäß und ihm selbst aufgegeben:247 ein Vernichten seiner selbst. Doch ist das Vernichten und Verkleinern seiner selbst nie voll wirksam; wenn nicht auch Gott das in ihm vollbringt, so scheitert er.248 Dann erst ist die Demütigkeit vollkommen genug, wenn Gott den Menschen mit dem Menschen selbst demütigt: und dann allein genügt es den Menschen und auch der Tugend – und nicht früher.249 / Eine Frage: Wie soll Gott den Menschen auch durch ihn selbst zunichte machen250? Es scheint,251 das Vernichten des Menschen sei Gottes Erhöhung, wie das Evangelium sagt: ›Wer sich erniedrigt, wird erhöht werden‹?252 / Antwort: ja und nein! Daß er sich selbst erniedrigen soll, kann nicht genug sein, außer Gott tut es; und daß er erhöht werden soll, heißt
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hoehste hoehe der hôcheit liget in dem tiefen grunde der dêmüeticheit. Wan ie der grunt tiefer ist und niderr, ie ouch diu erhoehunge und diu hoehe hoeher und unmæziger ist, und ie der brunne tiefer ist, ie er ouch hoeher ist; diu hoehe und diu tiefe ist einez. Dar umbe, swer sich mêr genidern kan, ie er hoeher ist; und dar umbe sprach unser herre: ›wer der meiste wil sîn, der werde der minste under iu!‹ Wer dáz wil wesen, der sol díz werden. Díz wesen wirt aleine vunden in dém werdenne. Der der minste wírt, der íst in der wârheit der meiste; aber der der minste wórden ist, der íst iezunt der aller meiste. Und alsô wirt daz wort wâr und volbrâht des êwangelisten: ›wer sich nidert, der wirt erhoehet!‹ Wan allez unser wesen enliget an nihte dan in einem niht-werdenne. / ›Sie sint rîche worden in allen tugenden‹, alsô stât geschriben. Entriuwen, daz enmac niemer geschehen, man enwerde ze dem êrsten arm von allen dingen. Swer alliu dinc wil nemen, der muoz ouch alliu dinc begeben. Daz ist ein glîcher kouf und ein glîch widergelt, als ich vorlanc eines sprach. Dar umbe, als got uns sich selber und alliu dinc wil ze einem vrîen eigene geben, dar umbe wil er uns alle eigenschaft gar und zemâle benemen. Jâ, in der wârheit, des enwil got deheine wîs niht, daz wir als vil eigens haben, als mir in mînen ougen möhte geligen. Wan alle die gâbe, die er uns ie gegap, noch gâbe der natûre noch gâbe der gnâde, gegap er nie deheine anders, dan er wölte, daz wir niht eigens enhæten; und dés enhât er niht gegeben noch sîner muoter noch keinem menschen noch keiner crêatûre in deheine wîs niht. Und durch daz, daz er uns lerne und uns dis gewarne, dar umbe nimet er uns dicke beidiu lîplich und geistlich guot; wan daz eigen der êre ensol niht unser sîn, sunder aleine sîn. Mêr: wir suln alliu dinc haben, als ob sie uns gelihen sîn und niht gegeben, âne alle eigenschaft, ez sî lîp oder sêle, sinne, krefte, ûzerlich guot oder êre, vriunde, mâge, hûs, hof, alliu dinc. / Waz meinet got dâ mite, daz er disem alsô sêre lâget? / Dâ wil er selber aleine und alzemâle unser eigen sîn. Diz wil er und diz meinet er, und disem lâget er aleine, daz er ez müge und müeze sîn. Hier ane liget sîn groestiu wunne und spil.
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nicht, ›erniedrigen‹ sei etwas und ›erhöhen‹ etwas anderes. Vielmehr liegt die höchste Höhe des Höchsten im tiefen Grund der Demut. Denn je tiefer und schwächer der Grund ist, desto höher und gewaltiger ist die Höhe; je tiefer der Brunnen ist, desto höher ist er auch: Höhe und Tiefe sind eins. Wer sich also mehr erniedrigen kann, steht desto höher. Darum sagte unser Herr: ›Wer der Größte sein will, werde der Kleinste bei Euch!‹253 Wer das eine sein will, muß das andere werden.254 Dieses Sein wird allein in dem Werden gefunden.255 Wer der Kleinste wird, ist in Wahrheit der Größte; wer der Kleinste aber geworden ist, der ist schon jetzt der Allergrößte. Und somit wird das Wort des Evangelisten wahr und erfüllt: ›Wer sich erniedrigt, wird erhöht!‹ Denn unser ganzes Sein liegt nur an einem Nicht-werden.256 / Geschrieben steht: ›Sie sind reich geworden in allen Tugenden‹.257 In der Tat: Das kann nie eintreten, wenn man nicht zuvor arm wird, ohne jeden Besitz. Wer alles besitzen will, muß auch alles hergeben. Da passen Ziel und Einsatz zueinander, wie ich oben erklärt habe.258 Da Gott uns sich selbst und alles Geschaffene zu freiem Besitz geben will, will er uns alles Eigentum ganz und gar abnehmen. Ja, in Wahrheit, Gott will auf keine Weise, daß wir auch nur so viel Eigenes haben, als mir vor meinen Augen liegen könnte. Denn alle Gaben, die er uns je gab, Gaben der Natur oder der Gnade, gab er nie anders als im Willen, daß wir sie nicht als Eigenes hätten. Besitz hat er weder seiner Mutter, einem Menschen, noch sonst einer Kreatur gegeben, in keiner Weise. Um uns zu lehren und zu ermahnen, entzieht er uns oft beide Arten von Gütern, leibliche und geistige. Denn die Ehre soll nicht uns eigen sein, sondern nur ihm gehören.259 Zudem sollen wir alles haben, als ob es uns nur geliehen und nicht gegeben sei; ohne jeden Besitz: ob Leib oder Seele, Sinne, Kräfte, äußere Habe oder Ehre, Freunde, Verwandte, Haus, Hof und alle Dinge. / Was will Gott damit, daß er so sehr danach trachtet? / Da will er ganz er selbst und zugleich uns zu eigen sein. Das will und denkt er, danach allein strebt er, daß er das sein könne und müsse. Darin liegt seine größte Wonne und Freude.260 Je mehr und besser er das
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Und ie er diz mêr und groezlîcher mac gesîn, ie sîn wunne und vröude groezer ist; wan ie wir aller dinge mêr eigens hân, ie wir sîn minner eigens hân, und ie wir aller dinge minner minne hân, ie wir sîn mêr hân mit allem dem, daz er geleisten mac. Dar umbe, dô unser herre von allen sæligen sachen wolte reden, dô saste er die armuot des geistes ze einem houbete ir aller und was diu êrste ze einem zeichen, daz alliu sælicheit und volkomenheit al und alzemâle ein beginnen hân in der armuot des geistes. Und in der wârheit: daz dâ ein grunt wære, dâ alliu guot ûf gebûwet möhten werden, der enwære niht âne diz. / Daz wir uns blôz halten der dinge, diu ûzer uns sint, dâ wider wil got ze eigene geben allez, daz in dem himel ist, und den himel mit aller sîner kraft, jâ, allez, daz ûz im ie gevlôz und alle engel und heiligen hânt, daz daz unser als eigen sî als in, jâ, mêr dan mir dehein dinc eigen sî. Wider daz, daz ich mîn selbes ûzgân durch in, dâ wider sol got mit allem dem, daz er ist und geleisten mac, alzemâle mîn eigen sîn, rehte mîn als sîn, noch minner noch mêr. Tûsentstunt sol er mêr mîn eigen sîn, dan dehein mensche ie dehein dinc gewan, daz er in der kisten hât, oder sîn selbes ie wart. Nie enwart nihtes sô eigen, als got mîn sol sîn mit allem dem, daz er vermac und ist. / Diz eigen suln wir dâ mite erarnen, daz wir hie sîn âne eigenschaft unser selbes und alles, daz er niht enist; und ie disiu armuot volkomener und lediger ist, ie diz eigen eigener ist. Und daz selbe widergelt ensol niht gemeinet werden noch niemer anegesehen werden, und daz ouge ensol sich niemer eines dar ûf gekêren, ob man iemer iht gewinnen sül oder enpfâhen sül wan aleine durch minne der tugent. Wan ie lediger, ie eigener, als der edel Paulus sprichet: ›wir suln sîn habende, als ob wir niht enhaben, und doch alliu dinc besitzen‹. Der enhât niht eigenschaft, der niht enbegert noch enwil haben an im selber noch an allem dem, daz ûzer im ist, jâ, ouch an gote noch an allen dingen. / Wilt dû wizzen, waz ein wâr arm mensche ist? / Dér mensche ist wærlîche arm von geiste, der allez daz wol enbern mac, daz niht nôt enist. Dar umbe sprach der, der in der kuofen blôz saz, ze dem grôzen Alexander, der alle werlt under im hâte:
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sein kann, desto größer ist seine Wonne und Freude. Denn je mehr wir an Dingen besitzen, desto weniger ist er uns zu eigen; und je weniger wir in Liebe an den Dingen hängen, desto mehr haben wir ihn mit allem, was er uns bieten kann. Darum: Als unser Herr von allen Seligkeiten reden wollte, setzte er die Armut des Geistes an die Spitze von allem; sie war die erste zum Zeichen dafür, daß alle Seligkeit und alle Vollkommenheit stets und überall ihren Beginn in der Armut des Geistes haben. Und in Wahrheit: Sie böte die Basis, auf die alle guten Maximen gegründet werden könnten, die es ohne sie nicht gäbe.261 / Dafür, daß wir uns von allem frei halten, was außer uns ist, will Gott uns alles zu eigen geben, was im Himmel ist – und den Himmel mit all seiner Kraft: Ja, alles, was je aus ihm floß und alle Engel und Heiligen haben, daß das unser wie ihr Eigentum sei, sogar mehr, als mir überhaupt etwas gehört. Als Ausgleich für die Hingabe meiner selbst für ihn soll Gott mit allem, was er ist und was er geben kann, stets mein eigen sein, mir gehören, so wie ich ihm, nicht weniger und nicht mehr. Tausendmal mehr soll er mir eigen sein, mehr als ein Mensch je etwas für sich gewann, das er im Schrank hatte oder als Besitz erlangte. Nie ward je etwas so zu eigen, wie Gott mir mit allem gehören soll, was er kann und ist. / Diesen Besitz sollen wir uns damit verdienen, daß wir hier ohne Besitz unserer selbst und alles dessen sind, was nicht er ist. Und je vollkommener und freier diese Armut ist, desto eigener ist uns das Eigene. Diese Entschädigung soll nicht angezielt oder ins Auge gefaßt werden – und der Blick soll sich nie darauf richten, ob man je etwas gewinnen oder empfangen darf, außer durch Liebe der Tugend.262 Denn je freier, desto eigener, wie der edle Paulus sagt: ›Besitzen sollen wir, als ob wir nicht besäßen, und doch alles besitzen‹.263 Keinen Besitz hat, wer nicht für sich begehrt und nichts haben will von all dem, was außer ihm ist, ja auch nicht von Gott und allen Dingen.264 / Willst Du wissen, was ein wahrhaft armer Mensch ist? / Der Mensch ist wirklich arm im Geist, der all das gut entbehren kann, was nicht nötig ist. Darum sagte der, der nackt in der Tonne saß, zu Alexander dem
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›ich bin‹, sprach er, ›vil ein groezer herre dan dû bist; wan ich hân mêr versmæhet, dan dû besezzen hâst. Daz dû grôz ahtest ze besitzenne, daz ist mir ze kleine ze versmæhenne‹. Der ist vil sæliger, der aller dinge mac enbern und ir niht enbedarf, dan der alliu dinc besezzen hât mit nôtdurft. Der mensche ist der beste, der des enbern kan, des er keine nôt enhât. Dar umbe, der allermeist kan enbern und versmæhen, der hât allermeist gelâzen. Ez schînet ein grôz dinc, daz ein mensche tûsent mark goldes durch got gæbe und vil mit sînem guote bûwete klûsen und kloester und alle arme spîsete; daz wære ein grôz dinc. Mêr: der wære vil sæliger, der alsô vil durch got versmæhete. Der mensche hæte ein reht himelrîche, der sich durch got künde aller dinge verwegen, swaz got gæbe oder niht engæbe. / Sô sprichest dû: jâ, herre, enwære ichs denne niht ein sache noch ein hindernisse mit mînen gebresten? / Hâst dû gebresten, sô bite got dicke, ob ez sîn êre sî und im behage, daz er dir sie abeneme, wan dû âne in niht envermaht. Nimet er sie abe, sô danke im; und entuot er es niht, sô lîdest dû ez durch in, mêr: niht als einen gebresten einer sünde, sunder als eine grôze üebunge und dâ dû lôn ane verdienen solt und gedult ane solt üeben. Dû solt ze vride sîn, ob er dir sîne gâbe gibet oder niht engibet. / Er gibet einem ieglîchen nâch dem, daz sîn bestez ist und im vüeget. Sol man einem einen rok snîden, man muoz in machen nâch sîner mâze; der dem einen vüegete, der envüegete dem andern zemâle niht. Man mizzet einem ieglîchen nâch dem, und daz im vüeget. Alsô gibet got einem ieglîchen daz aller beste nâch dem, daz er erkennet, daz ez sîn næhstez ist. In der wârheit, der im des ganz getriuwet, der nimet und hât als vil in dem minsten als in dem aller groesten. Wölte mir got geben, daz er sant Paulô gap, ich næme ez, ob er wölte, gerne. Mêr: nû er mir ez niht wil geben – wan harte wênic liuten wil er, daz sie in disem lebene daz wizzen – , daz mir daz got niht engibet, dar umbe ist er mir als liep und sage im als grôzen dank und bin als ze ganzem vride, daz er mir ez entheltet, als daz er mir ez gibet; und ist mir dar ane genuoc und als liep,
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Großen, der alle Welt unter sich hatte: ›Ich bin ein viel größerer Herr, als Du bist; denn ich habe mehr verschmäht, als Du je besessen hast.265 Was Du für wert zu besitzen hältst, ist mir zu gering, es auch nur zu verschmähen‹. Wer alle Dinge entbehren kann und ihrer nicht bedarf, ist viel seliger als der, der alles aus Notdurft besessen hat. Der Mensch ist der beste, der entbehren kann, was er nicht nötig hat.266 Wer am allermeisten entbehren und verschmähen kann, hat am meisten gelassen. Es scheint eine große Sache, daß ein Mensch tausend Goldmark um Gottes willen gäbe und damit Klausen und Klöster baute und alle Armen speiste. Ja: das wäre großartig. Dennoch wäre viel seliger, wer so viel um Gottes willen verschmähte. Der Mensch, der durch Gott von allem abließe, hätte ein wahres Himmelreich, was immer Gott gäbe oder nicht gäbe. / Dazu sagst Du: Ja Herr, wäre ich dann nicht nur Störung und Hindernis mit meinen Gebrechen? /267 Hast Du Schwächen, bitte Gott oft, ob es seiner Ehre diene und es ihm gefalle, sie von Dir zu nehmen, da Du das nicht ohne ihn kannst. Nimmt er sie weg, so danke ihm; tut er es nicht, so leidest Du es durch ihn: nicht als Folge einer Sünde, sondern als eine große Übung. Und da sollst Du Lohn haben, ohne ihn zu verdienen, und Geduld ohne Lohn üben.268 Du sollst zufrieden sein, ob er Dir seine Gabe gibt oder nicht gibt.269 / Er gibt jedem, was sein Bestes ist und für ihn paßt. Soll man jemandem einen Rock zuschneiden, muß man das nach seinem Maß tun; was dem einen paßt, paßt nicht dem anderen. Man mißt für jeden so, daß er paßt. Also gibt Gott jedem das Allerbeste gemäß dem, was er als Passendstes für ihn erkennt. Fürwahr: Wer ihm darin ganz vertraut, der empfängt und besitzt im Kleinsten so viel wie im Allergrößten. Wollte Gott mir geben, was er Sankt Paulus gab, ich nähme es, falls er wollte, gerne.270 Aber: Will er mir dieses Wissen nicht geben – denn nur bei wenigen Menschen will er, daß sie es in diesem Leben haben – , ist er mir ebenso lieb: ich sage ihm ebenso großen Dank und bin ganz zufrieden, daß er es mir vorenthält, statt es mir zu geben. Daran habe ich genug und es ist mir so lieb, als wenn er mir das Wissen
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als ob er mir ez tæte, ob mir anders reht ist. In der wârheit, alsô solte mir genüegen an dem willen gotes: in allem dem, dâ got wölte würken oder geben, dâ sölte mir sô liep und sô wert sîn ze sînem willen, daz mir daz niht minner wære, dan ob er mir die gâbe gæbe und in mir daz worhte. Sô wæren alle gâbe mîn und alliu werk gotes, und alle crêatûre tuon ir bestez oder ir ergestez dar zuo, des enmügen sie mir mit nihte benemen. Waz mac ich danne klagen, wenne aller menschen gâbe mîn eigen sint? In der wârheit, alsô wol genüeget mir in dem, daz mir got tæte oder daz er mir gæbe oder niht engæbe, daz ich ez mit einem heller niht wölte vergelten, daz ich alsolches lebens wære, daz ich wizzen möhte daz beste. / Nû sprichest dû: ich vürhte, ich entuo niht genuoc vlîzes dar zuo und bewar in niht, als ich möhte! / Daz lâz dir leit sîn und lîde daz selbe mit gedult, und nim ez vür eine üebunge und bis in vride. Got der lîdet gerne smâcheit und ungemach und wil gerne enbern sînes dienstes und lobes dar umbe, daz die in in vride hân, die in meinent und in anegehoerent. Wes ensölten wir danne niht vride haben, swaz er uns gebe oder swes wir enbern? Sô ist geschriben, und sprichet unser herre, daz ›sie sint sælic, die dâ lîdent umbe gerehticheit‹. In der wârheit, künde ein diep, den man iezunt hâhen solte, der ez wol verdienet hæte und hæte gestoln, und einer, der gemürdet hæte, den man von rehte solte redern: künden sie in in daz vinden: sich, dû wilt daz lîden durch die gerehticheit, wan man dir rehte tuot, sie würden âne mittel sælic. In der wârheit, swie unreht wir sîn, nemen wir von gote, swaz er uns tæte oder niht entæte, von im rehte und lîden durch die gerehticheit, sô sîn wir sælic. Dar umbe enklage nihtes, dan daz klage aleine, daz dû noch klagest und daz dich niht benüeget; daz maht dû aleine klagen, daz dû ze vil hâst. Wan dem reht wære, der næme als in darbenne als in habenne. / Nû sprichest dû: eyâ, got würket alsô grôziu dinc in vil liuten, und sie werdent alsô mit götlîchem wesene überwesent, und got würket in in und sie niht. / Des danke got in in, und gibet er dirz, in gotes namen, sô nimz; engibet er dirz niht, sô solt dû sîn w illiclîchen
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gäbe, wenn es nur sonst gut mit mir steht.271 In der Tat sollte mir also der Wille Gottes genügen:272 In allem, wo Gott wirken oder geben wollte, sollte mir sein Wille so lieb und wert sein, daß es mir nicht weniger wäre, als wenn er mir die Gabe gäbe und sie in mir wirkte.273 So gehörten alle Gaben mir und wären doch zugleich Werke Gottes; und alle Geschöpfe tun ihr Bestes oder ihr Übelstes dazu, das können sie mir nicht rauben.274 Was kann ich dann klagen, wenn mir aller Menschen Gaben eigen sind? In Wahrheit genügt mir wohl das, was Gott für mich täte oder mir gäbe oder nicht gäbe, so daß ich dafür auch nicht einen Heller zahlen wollte, damit ich solches Leben hätte, das ich als das beste ansehen könnte. / Nun sagst Du: Ich fürchte, mich nicht eifrig genug einzusetzen und mich nicht zu mühen, wie ich könnte! / Das laß Dir leid sein und erleide es in Geduld; nimm es als Übung und sei zufrieden. Gott leidet Schimpf und Schande gerne und will Dienst und Lob gern dafür entbehren, daß alle ihn in Frieden haben, die ihn achten und zu ihm gehören.275 Weshalb sollten wir dann nicht in Frieden erwarten, was er uns gibt oder was wir entbehren? So steht es in der Schrift und so spricht unser Herr: ›Selig sind, die für die Gerechtigkeit leiden‹.276 In Wahrheit: Ein Dieb, den man gerade hängen sollte und der es verdient hätte, da er gestohlen hätte, und einer, der gemordet hätte, den man mit Recht rädern sollte: könnten die selbst sich darein finden (dann sagten sie zu sich selbst): Du selbst willst das erleiden wegen der Gerechtigkeit; denn man tut Dir recht! Sie würden unmittelbar selig. In Wahrheit: wie böse wir seien: Nehmen wir von Gott, was er uns gäbe oder nicht gäbe, so wären wir selig. Darum beklage nichts, sondern klage nur, daß Du noch klagst und Dich nicht begnügst. Nur das magst Du beklagen, daß Du zu viel hast. Denn wer richtig lebte, empfinge im Darben wie im Haben.277 / Nun sagst Du: Gott wirkt so Großes in vielen Leuten, die mit göttlichem Sein überformt werden, wobei Gott in ihnen wirkt, nicht sie.278 / Für das Gute in ihnen danke Gott; und gibt er es Dir, nimm es in Gottes Namen. Gibt er es Dir nicht, sollst Du es freiwillig entbehren. Und denke
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Meister Eckhart
darben, und enmeine nihtes dan in, und bis unbeworren, ob got dîniu werk würke oder ob dû sie würkest; wan got muoz sie würken, meinest dû in aleine, er welle oder enwelle. / Enruoche ouch dich, swaz wesens oder wîse got iemanne gebe. Wære ich alsô guot und heilic, daz man mich mit den heiligen erheben müeste, sô spræchen die liute und vorschten aber, ob ez gnâde oder natûre sî, daz in im ist, und sint dâ mite beworren. An dem ist in unreht. Lâz got würken in dir, dem gip daz werk und enruoche, ob er würke mit der natûre oder ob der natûre; beide ist diu natûre und gnâde sîn. Waz gât dich daz ane, wâ mite im vüeget ze würkenne oder waz er würke in dir oder in einem andern? Er sol würken, swie oder swâ oder in swelher wîse daz ez im vüeget. / Ein mensche hæte gerne geleitet einen brunnen in sînen garten und sprach: ›daz mir daz wazzer würde, des enahte ich zemâle niht, waz künnes diu rinne sî, dâ durch ez mir würde, weder îsenîn oder hülzîn oder beinîn oder rostic, sî, daz mir daz wazzer würde‹. Alsô ist den gar unreht, die sich dâ mite bewerrent, wâ durch got sîniu werk würke in dir, weder ez sî natûre oder gnâde. Dâ mite lâz in würken, und habe aleine vride. / Wan als vil bist dû in gote, als vil dû bist in vride, und als vil ûz gote, als vil dû bist ûz vride. Ist iht einez in gote, daz selbe hât vride. Als vil in gote, als vil in vride. Dar ane kenne, wie vil dû in gote bist und ob ez anders ist: ob dû vride oder unvride hâst; wan, wâ dû unvride hâst, in dem múoz dir von nôt unvride sîn, wan unvride k umet von der crêatûre und niht von gote. Ouch enist nihtes in gote, daz ze vürhtenne sî; allez, daz in gote ist, daz ist aleine ze minnenne. Alsô enist nihtes in im, daz ze trûrenne sî. / Der allen sînen willen hât und sînen wunsch, der hât vröude; daz enhât nieman, dan des wille und gotes wille alzemâle einez ist. Die einunge gebe uns got. Âmen.
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abei nur an ihn und lasse Dich nicht durch die Frage verwirren, d ob Gott Deine Taten bewirke oder Du sie bewirkst: denn Gott muß sie bewirken, wenn Du ihn allein im Sinn hast, ob er will oder nicht will.279 / Sorge Dich auch nicht, welches Sein oder Wesen Gott jemandem gebe. Wäre ich so gut und heilig, daß man mich zu den Heiligen erheben müßte, dann sprächen die Leute darüber und überlegten, ob es Gnade oder Natur sei, die in mir wirkt, und sind darüber verwirrt. Daran tun sie unrecht. Laß vielmehr Gott in Dir wirken, überlasse ihm die Tat und sorge Dich nicht, ob er mit Kräften der Natur oder übernatürlich wirkt. Denn Natur und Gnade sind beide sein Werk. Was geht es Dich an, womit es ihm zu wirken paßt oder was er in Dir oder einem anderen bewirkt? Er soll wirken, wie oder wo oder auf welche Weise es ihm paßt. / Ein Mensch, der gerne einen Brunnen in seinen Garten gebracht hätte, sprach: ›Wenn ich Wasser bekäme, achtete ich nicht darauf, welcher Art die Rinne wäre, durch die es flösse, ob aus Eisen, Holz, Knochen oder Rost, wenn ich nur Wasser hätte‹. Also sind die ganz im Unrecht, die sich mit der Frage verwirren, wodurch Gott seine Werke in Dir wirke: ob es Natur sei oder Gnade.280 Laß ihn nur wirken und habe nur Frieden. / Denn Du bist gerade so viel in Gott, wie Du im Frieden bist, und so fern von Gott, wie sehr Du unzufrieden bist. Ist etwas in Gott, hat es Frieden.281 Wieviel in Gott, soviel im Frieden. Daran erkenne, wie weit Du in Gott bist oder ob es anders steht: ob Du Friede oder Unfrieden hast. Denn worin Du unzufrieden bist, darin hast Du notwendig Unfrieden,282 denn Unfriede kommt vom Geschöpf und nicht von Gott.283 Auch ist nichts in Gott, was zu fürchten wäre: Alles, was in Gott ist, ist nur zu lieben. Also ist auch nichts in ihm, was zu betrauern wäre. / Wer Gottes Willen und Wunsch ganz hat, hat Freude; diese Freude hat niemand außer dem, dessen Wille mit dem Willen Gottes völlig eins ist. Diese Einung gebe uns Gott. Amen.284
A NM ER K U NGEN
1 Zur Textgrundlage vgl. Josef Quint (DW 5,165): »Textkonstituierung:
Pfeiffer, der die RdU als Traktat XVII edierte, gründete seine Ausgabe auf den Text von F 2 (vgl. etwa Anm. 63). Spamer (PBB 34 S. 395) aber irrt, wenn er sagt: ›Pf. benutzte bei seinem druck nur die hs. der Frankfurter stadtbibI. Praed. 3500‹ (= F 2). Pf. hat nicht nur, wie Spamer meint, ›als quellen des tractates die Münchner hss. cgm. 218 [= M 17] und 4482 [= M 16]‹ angegeben (pr. S. X zu 43–44); er hat vielmehr diese beiden Münchner Texte auch nachweislich als Korrektiv für seinen Leittext F 2 benutzt, wie schon an der Überschrift seines Textes zu erkennen ist. wo er S. 543,16 der underscheidunge, was nur in M 17 Pr 1 Pr, überliefert ist, offenbar aus M 17 in den F2-Text übernahm. Wie der Var.-App. erkennen läßt, ist Pfeiffer M 17 an manchen anderen Stellen gegen F 2 gefolgt, so etwa unten S. 288,6, wo er (S. 572,39) mit M 17 mirt, S. 297,2, wo er (S. 575,15) mit M 17 sin fröide einsetzte. An anderen Stellen folgte er M 16, dem Partner von F 2 in der x-Gruppe, so etwa: unten S. 258,2, wo er (S. 563,38) aus M 16 im, S. 275,4, wo er (S. 568.21) aus M 16 die mile, S. 288,9, wo er (S. 573,3) aus M 16 da, S. 300,3, wo er (S. 576, 8) aus M 16 vii ein übernahm. Sein Editionsprinzip war, um dies gleich hier zu sagen, bei der Beschränktheit der ihm zur Verfügung stehenden hsl. Überlieferung durchaus richtig, insofern Pfeiffer seinen Text nicht ausschließlich auf F 2 gründete, sondern neben M 16 auch einen, wenngleich den schlechtesten, Vertreter der z-Gruppe zur Konstituierung seines Textes heranzog.« Zur Überlieferung der Traktate im Unterschied zu den Predigten vgl. Niklaus Largier unter Hinweis auf Kurt Ruh (MEW I,733): »Anders verhält es sich mit der Frage der Echtheit und der Textgestalt bei den deutschen Traktaten. Hier ist bezeugt, daß Eckhart sie selbst niedergeschrieben hat. Eine Ausnahme bildet allein der Traktat Von Abgeschiedenheit, dessen Authentizität trotz der breiten Überlieferung mit über 30 Textzeugen fragwürdig bleibt (vgl. Ruh, Meister Eckhart, S. 165).« Für RdU beachtenswert sind zahlreiche Artikel im HWP; z. B. »Affekt« (1,89–101, bes. 95; »Andacht« (1,295 f.); »Apathie« (1,429–433); Ausfluß« (1,666); »Eigen-
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Anmerkungen
schaft« (2,334–339); »Einsamkeit« (2,407–413); »Gehorsam« (3,146– 154); »Gelassenheit« (3,219–224); »Gesinnungsethik« (3,539 f.); »Gottförmig« (3,835 f.); »Ichheit, Egoität« (4,2125); »Innigkeit« (4,388–391); »Kunst«, Kunstwerk« (4,1370 f.); »Lauterkeit« (5,47–49); »Licht« (5,282– 286); »Lust, Freude« (5,557); »Maximum. Minimum« (5,944–949); »Objekt« (bes. 5,1044); »Pathisch, Pathik« (7,177–180); »Reinheit, Reinigung« (8,546); »Schein« (8,1230–1237); »Schmecken« (8,1313 f.); »Schweigen, Stille« (8,1486); »Seele« (9,1–89, bes. 16 f.), »Seelengrund« (9,93 f.); »Seelenruhe« (9,95–99); »Selbst« (9,292 f.); »Sünde« (9,598–607); »Tod« (1227–1242); »Trost« (10,1524–1528); »Versenken« (11,887); »Warum« (12,327–329); »Weg« (12,341 f.); »Wille« (bes. 12,769–775); »Wille, guter« (12,796 f.); »Wort« (bes. »II. Theologie«: 12,1030–1036). Zur Einführung: Meister Eckharts Erfurter ›Reden‹ in ihrem Kontext (MEJb 6); darin (1–39) Klaus-Bernward Springer: Eckhart als Vikar von Thüringen und Prior von Erfurt: zum ordenshistorischen Kontext. Vgl. dazu P. Walter Senner OP: Meister Eckhart als Ordensmann (in: MEJb 7: Meister Eckhart im Origi nal, 1–29). Franz Pfeiffer führte RdU als ›Tractat XVII‹ (543–578) mit 18 Reden (statt 23 nach Josef Quint). Vgl. auch Rudolf Fahrner: Wortsinn und Wortschöpfung bei Meister Eckhart, zu RdU bes. 28–34; hier 34: »Es ist festgestellt worden, dass die rede vor dem Jahre 1298 entstanden sein müssen, weil von diesem Jahre ab die gleichzeitige Bekleidung der beiden in der Überschrift genannten Ämter durch einen Mann im Orden verboten war.« Der Text folgt der kritischen Ausgaben von Josef Quint: DW V,137; 185– 311; zu beachten ist der kritische Apparat zur Textkonstitution von Quint; vgl. DW V, 137–184; zur Echtheit DW V,167: Die päpstliche Bulle weise auf Sätze der RdU, die folglich als Werk Eckharts bekannt waren. Ebd. zur Datierung vor Predigt 4. Vgl. auch Text und Übersetzung Quints in MEW II, 334–433; ›Stellenkommentar‹ von Niklaus Largier (789–802). Vgl. Kurt Ruh: Geschichte der abendländischen M ystik III, 266: »So sind die ›Reden‹ wie das spätere (Buch der göttlichen Tröstung) ein Trostbuch. Eckhart vertröstet nicht auf die himmlische Seligkeit, er spendet Trost dem Menschen in via, in seinem Stande und in seinem Beruf. Er vermittelt ihm die Gewißheit: So viel du in Gott bist, so viel bist du im Frieden (308,4).« 2 Vgl. DW V, 312: »Die Überschrift steht in allen Volltexten mit Ausnahme von B17, Ka3, Eb, De; sie steht aber auch in M18 und in Gi.« Der
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sprachliche Stil ist uneinheitlich: zunächst systematische Reflexion und Entfaltung, dann Anrede von Hörern, teils im Stil von Soliloquia; teils von Confessiones. Im Laufe kommen auch unerwartete, wohl von den Hörern artikulierte Motive ins Spiel. Der Text ist aber nicht in Dialogform verfaßt, obwohl der Vortragende zunehmend auf Fragen seiner Hörer eingeht. Aus deren Fragen erklären sich die Themen einiger Vorträge, die also auch auf die konkrete Lebenswirklichkeit zielen, die in Fragen der Hörer artikuliert wurden; vgl. auch die gelegentlichen Hinweise zum Aufenthalt in der Mönchszelle. Vgl. Walter Senner OP: Die ›Rede der underscheidunge‹ als Dokument domi nikanischer Spiritualität, bes. 112. Zu den »speziellen Bedeutungen« von ›collationes‹ vgl. die von Walter Senner genannten zwölf Punkte 111 f.; bes. 112: »Eine (nachmittägliche oder abendliche) Repetition der Vorlesung (des Vormittags) im Studium. Humbertus de Romanis beschreibt ihre Organisation unter den Pflichten des Studentenmeisters. In der Studienordnung des Dominikanerordens von 1259 war diese einmal wöchentlich für alle studia vorgeschrieben. Eine spezielle Form dieser Übungen waren collationes, die einen praktisch-homiletischen Bezug zur Liturgie oder zu Fragen der Moral hatten.« Im Text von RdU dominiert zu Beginn die Vortragsform, im Lauf der Vorträge kommen zunehmend Motive und Impulse der Zuhörer hinzu. Ebenfalls werden zunehmend Autoritäten (z. B. Augustinus) und Bibelworte zitiert. Gestützt auf Kurt Ruh sagt Markus Enders (vgl. Die Reden der Unterweisung: eine Lehre vom richtigen Leben durch einen guten und vollkommenen Willen, 70): Diese ›Reden‹ setzen zwar eine »kloster- und ordensinterne ›Situation‹« voraus, sind »dennoch […] kein Novizentraktat im engeren, ausschließenden Sinne«; Enders erklärt: »Denn sie sind über eine monastische Erziehungslehre hinaus ›als eine christliche Lebenslehre schlechthin zu betrachten, von allen aufzunehmen und zu erfüllen, die guten Willens sind‹.« In der vorliegenden Ausgabe werden sie als ›Reden zur Orientierung im Denken‹ bezeichnet, um deutlich zu machen, dass sie heute noch bedenkenswert sind. 3 Bis Luther gemäß »oboedientia« = »die gehorsame«; Luther wechselt zur maskulinen Form: »der Gehorsam«. Karl-Heinz Nusser (HWP 3,146 f.): »Gehorsam. Das Wort ›G.‹ kommt von der althochdeutschen Form ›gihorsami‹ (ungihorsami) und ›horsami‹ (unhorsami). Ursprüng-
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lich weiblichen Geschlechts erhält es vor allem durch LUTHERS Sprachgebrauch seine heutige männliche Form und seinen Bedeutungsumfang [1]. Im Griechischen entspricht dem deutschen Wort die Gerundivverbindung u3ph2koon eÎnai (u3pakoh2, u3pakou2ein); im Lateinischen ›oboedientia‹.« Im Griechischen lautet das Wort für Gehorsam (vgl. WöBu Schenkl, 322): eu4peíjeia; peijarcía, selten auch a4kro2asi@. ›Gehorsam der Soldaten‹: eu4taxía. Platon stellt die ›Kardinaltugenden‹ (Politeia 427 e –434 c) bekanntlich unter die Titel ›Besonnenheit‹ (sofía), ›Tapferkeit‹ (a4ndreía), ›Weisheit‹ (swfrosu2nh) und ›Gerechtigkeit‹ (dikaio su2nh); zwar kommt auch bei Platon ›gehorsam‹ vor (u3ph2koo@ = hörig, untertänig; vgl. Politeia 463 d). Bei Platon spielt ›G[g]ehorsam‹ eher eine mindere Rolle (Nomoi 632 b; 684 b, 701 b; 762 e; 839 c; 868 d; 914 a; 943 d); meist geht es um ›Gehorsam gegen die Gesetze‹ oder die ›Eltern‹, nicht um das Grundphänomen, das Eckhart offenbar im Auge hat. Es geht nicht um den ›Gehorsam‹ Unmündiger, sondern um »Rezeptivität«, um Wahrnehmung der Situation (conditio humana), in die wir Menschen uns nicht selbst gebracht haben. Mit ›wahrem Gehorsam‹ meint Eckhart nicht willfährige Unterwürfigkeit. Johannes Schwartländer sagt sehr treffend (vgl. Sittliche Autonomie als Idee der endlichen Freiheit. Bemer kungen zum Prinzip der Autonomie im kritischen Idealismus Kants, 32): »Pflicht ist die Notwendigkeit einer Handlung aus Achtung fürs Gesetz (IV,400). Sie ist mündiger Gehorsam; und mündig ist ein Gehorsam, der ein unbedingtes Gebot als Angebot zur unbedingten Freiheit verstehen kann. Als unbedingt geboten ist er jeder freien Verfügung und jeder Umbiegung in freie Verfugung entzogen. Als gegeben zur unbedingten Freiheit ist er die uneingeschränkte Übernahme des menschlichen Daseins; das aber heißt, das der Mensch seine vorgegebene Natur, zu der gerade die Fähigkeit zur Kultur im weitesten Sinne gehört, zu einer Ordnung der verantwortlichen Freiheit führt – soweit das in seinen natürlichen Kräften liegt.« Vgl. auch Johannes Schwartländer: Der Mensch ist Person. Kants Lehre vom Menschen, 154: »Das moralische Sein ist für Kant vielmehr das gehorsame Vollbringen des unbedingten Anspruchs, und gut ist der Mensch allein in diesem Gehorsam und durch ihn, böse aber durch das Versagen dieses Gehorsams«. Dazu KpV A 143: »Das Bewußtsein einer freien Unterwerfung des Willens unter das Gesetz doch als mit einem unvermeid-
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lichen Zwange, der allen Neigungen, aber nur durch eigene Vernunft angethan wird, verbunden, ist nun die Achtung fürs Gesetz.« Dagegen trifft Hermann Kunisch (Offenbarung und Gehorsam. Versuch über Eckharts religiöse Persönlichkeit) nicht den Kern von Eckharts Anliegen, das philosophisch beachtenswert ist. Vgl. DW V,137: »Die Kapitelüberschriften sind von anderer Hand in Rot nachträglich eingeschoben. Die Kapiteleingänge sind durch Initialen, das erste Kapitel durch ein fünfzeilige Initiale hervorgehoben. Datierung (1472) am Schluß des Textes, sieh den Var.-App.« 4 Eckhart meint mit ›Gehorsam‹ nicht willfährige Befolgung unverstandener Maßgaben (auch nicht eines ›allmächtigen‹ Gottes oder mächtiger Vorgesetzter), nicht Akzeptanz von Macht im Kadavergehorsam, sondern ›vernünftiges Hören‹ im Stil von conf. 11,5: »audiam et intellegam«; es geht nicht so sehr um das Hören auf das Wort der Schrift, sondern mehr um Achtsamkeit auf das ›faktische Leben‹, im Sinne Augustins. Beim späten Augustinus geht es zusätzlich um Nachahmung der ›oboedientia Christi‹; vgl. dazu Martijn Schramma: Oboedientia (in: AL 4, 268–274). Vgl. insgesamt auch Karl Rahner: Hörer des Wortes. 5 Eckhart zielt nicht auf eine besondere (mönchische, ordensspezifische) Verhaltensweise. Zum Sinn von ›Tugend‹ (einem heute diskreditierten Wort) sind die zu Eckharts Zeit geläufigen Unterscheidungen zu beachten: ›habitus acquisitus‹, ›habitus infusus‹. ›Tugend‹ heißt griechisch: a4reth2 = a4rísth pra2xi@. Tugenden erlangen wir laut Aristoteles erst »nach vorausgegangener Tätigkeit«: prw/ton e4nergh2sante@ (NE 1103 a 31); vgl. NF: Tugend und Glückseligkeit. Zu ihrem Verhältnis bei Aristoteles und Kant. Zu den ›theologischen Kardinaltugenden‹: Glaube, Hoffnung, Liebe vgl. 1 Kor 13,13. Vor diesem Hintergrund nennt Eckhart ›Gehorsam‹ als ›Tugend vor allen Tugenden‹. ›Orientierung im Denken‹ gewinnen Menschen nur, wenn sie theoretisch im Denken und praktisch im Handeln auf die gegebene Situation hören, in die sie hineingeboren sind und die ihnen aufgegeben ist. Eckharts Reden zielen auf ›Orientierung im Leben‹, die ›Orientierung im Denken‹ voraussetzt; vgl. Kurt Flasch: Allge meines / Besonderes (HWP 1,175): »Man wähnt die Interessen des ›Mystikers‹ (wie man sagt) von den Schulproblemen der Philosophie weit entfernt; man verkennt den von Eckhart ausdrücklich erhobenen philosophischen
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Anspruch, mit dem es unvereinbar gewesen wäre, zum Universalienproblem zu schweigen.« 6 Alle menschliche ›Aktivität‹ setzt grundlegend ›Rezeptivität‹ voraus (beginnend mit der unverfügbaren Gegebenheit des je eigenen Seins in der faktischen Welt). Eckharts ›Gehorsam‹ meint nicht sklavische Unterwürfigkeit; »werk« ließe sich auch mit »Aktion« übersetzen; vgl. Maurice Blondel: L’Action. ›Gehorsam‹ setzt bei Eckhart die ›Freiheit‹ der Hören den voraus. 7 Wörtlich: »geschehen oder getan werden«; ›Gehorsam‹ weist auf den Grundzug menschlichen Seins, das wir ›empfangen‹ haben oder in das wir ›geworfen‹ sind. Zwar gilt mutatis mutandis Goethes Wort (Ent wurf einer Farbenlehre; HA XIII,324): »Wär nicht das Auge sonnenhaft, / wie könnten wir das Licht erblicken? / Lebt nicht in uns des Gottes eigne Kraft, / Wie könnt uns Göttliches entzücken?«. Nur eine ›Tat Gottes‹ wäre frei von jeder Einschränkung. Das Verwiesensein endlicher Wesen auf ›Gehorsam‹ drückt deren seinsmäßige Bezogenheit auf eine absolut ursprüngliche Wahrheit aus, die als unverfügbarer Ursprung zu denken ist. 8 Hier herrscht wohl der Ordenskontext vor, in dem das ›faktische Leben‹ der Hörer ins Auge gefaßt und der ›Sitz im Leben‹ der Vorträge und der Alltag der Hörer angedeutet wird; heutige Leser müßten den Text für ein sachgemäßes Verständnis auf ihr konkretes Leben übertragen. Eckhart betont nachdrücklich, daß es um ›wahren‹ (›verständigen‹, ›vernünftigen‹, ›freien‹), nicht um ›blinden‹ (= knechtischen) Gehorsam geht (also unabhängig vom Ordenskontext)! 9 Damit der ›wahre‹ Gehorsam nie irrt und an nichts hindert, bedarf es selbstverständlich eines vernünftigen Urteils und freier Entscheidung (»liberum arbitrium«). 10 Das könnte auf den Sinn der ›Sorge‹ als des Seins des Daseins gezogen werden; vgl. Martin Heidegger: SuZ, 180–230 (Die Sorge als Sein des Daseins). Der propagierte ›Gehorsam‹ lebt offenbar aus dem Glauben an die ›Dialektik von Freiheit und Gnade‹. 11 Der Mensch im Gehorsam ist das eigentlich tätige Subjekt, das Eckhart hier im Auge hat. Ihm geht es um das »introrsum ascendere« (vgl. trin. 12,25); vgl. schon vera rel. 22: »noli foras ire, in te ipsum redi. in interiore homine habitat veritas. et si tuam naturam mutabilem inveneris,
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transcende et te ipsum.« ›Transzendieren‹ geht auf objektiv nicht faßbares, geglaubtes Höheres, in der Hoffnung auf ›Gott‹. 12 Der Mensch erscheint hier als Wesen der ›Transzendenz‹ (vgl. conf. 1,1: »fecisti nos ad te«); das als Bild Gottes geschaffene Ich läßt keine geringere Lösung zu; vgl. auch Peter Heidrich; Gunter Scholtz: Einkehr (HWP 2,407). 13 Dann wäre Gott nicht Gott! Gott wird gedacht als ›Liebe‹ und ›Gerechtigkeit‹. Hier wird schon die Grundlage des ›postulatorischen Atheismus‹ berührt, den Eckhart ausdrücklich vertritt (vgl. Predigt 6: Iusti vi vent in aeternum; hier: MEW I,78); vgl. NF: Wer sint, die got êrent? (Predigt 6). In: MEaD, bes. 9). 14 Das gilt jedoch (was nicht erwähnt wird) nur im Blick auf die Ewigkeit, nicht im Blick auf die Zeit; vgl. auch Pasquale Porro: Zeit; (HWP 12,1214). Die Aussagen sind an der Beziehung zur Ewigkeit orientiert, wie sie der christliche Glaube kennt. Vielleicht als Zuspitzung von conf. 4,19 zu verstehen. 15 Vgl. conf. 10,37: »optimus minister tuus est, qui non magis intuetur hoc a te audire quod ipse voluerit, sed potius hoc velle quod a te audierit.« Vgl. dazu auch Aurelius Augustinus: Suche nach dem wahren Leben. Confes siones X / Bekenntnisse 10,37: »Wer Dein bester Diener sein will, achtet aber nicht so sehr darauf, von Dir zu hören, was er selbst hören will, sondern eher darauf, das zu wollen, was er von Dir hört.« 16 Im ›Gebet‹ wendet sich der Mensch an Gott (Götter oder an geglaubte personale Mächte); im eigenen ›höchsten Wirken‹ versucht er, sein Sein und Leben mit eigener Kraft zu gestalten. 17 Animus = Geist, Gemüt. Eckhart zielt hier auf die konkrete geistige Verfaßtheit endlicher Subjekte. Eckhart nimmt offenbar die Freiheit und Verantwortung der Menschen für ihre Taten an; obwohl er am Ende wohl auf den ›Allmächtigen‹ hofft, spricht er Gott selten als Allmächtigen an. 18 Vgl. Augustinus: lib. arb. 1,26: ›»sola voluntas per se ipsam«; »gemüete« nach Lexer: »gesamtheit der gedanken und empfindungen«; für diese Gesamtheit wird die Übersetzung »Geist« bevorzugt, die im Ausdruck »Gemüt« nicht vergegenwärtigt ist. 19 Eckharts Reflexionen weisen über die zeitgenössische Diskussion hinaus, mit Bezügen zur älteren Philosophie (z. B. Augustinus) – und
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Beziehbarkeit zur späteren Philosophie (z. B. Kant). Zu Eckharts zeitgenössischem Kontext vgl. MEJb 12: Meister Eckhart und die Freiheit; darin bes. Walter Senner: Meister Eckhart und der ›Freie Geist‹, 81–98. Weiterhin vgl. Hans-Jürgen Müller: Der Standpunktwechsel von der »Abenderkenntnis« des wilden zur »Morgenerkenntnis« des edlen Menschen in Seuses ›Buch der Wahr heit‹. Franz-Josef Schweitzer: Der Freiheitsbegriff der deutschen Mystik. Seine Beziehung zur Ketzerei der ›Brüder und Schwestern vom Freien Geist‹, mit besonde rer Rücksicht auf den pseudoeckartischen Traktat ›Schwester Katrei‹. 20 Es geht hier zunächst um einen ›negativen‹ Begriff (Freiheit von der Naturkausalität). 21 Solche ›Einung‹ mit dem unendlichen Urheber des Ganzen, der die Welt (also ›das Viele‹ und die unzählig vielen Subjekte) nach dem biblischen (vielleicht auch dem Platonischen) Schöpfungsglauben ›aus Liebe‹ geschaffen haben soll, ist eine heikle, auslegungsbedürftige Angelegenheit! 22 Hier setzt Eckhart die Nähe und die Ferne Gottes voraus. 23 »ungelâzen« laut Lexer, 296: »nicht gott ergeben«; das sind Menschen, die sich nicht mit dem liebevollen Willen Gott verbinden wollen. 24 Tilman-Anselm Ramelow: Wille (HWP 12,774): »Für die mystische Seite des Dominikaner-Ordens thematisiert MEISTER ECKHART das Verhältnis zwischen göttlichem und menschlichem W[illen].« Das Wort ›Eigenwillen‹ hat (auch bei Kant) nichts mit »Autonomie« zu tun. 25 Als »Herr« ist hier »Jesus von Nazareth« angesprochen (in Differenzierung zum folgenden Namen »Gott«). Auch Jesus hat ja um sein Verhältnis zu »Gott« gerungen. 26 Starke Betonung der Zurechenbarkeit und freier Willensakte im Stile Augustins; vgl. dazu lib. arb. 1,15: »iustum est, ut omnia sint ordinatissima«; vorausweisend auch auf Kant. 27 Im Hintergrund wieder Augustinus (vera rel. 72): »noli foras ire, in te ipsum redi. in interiore homine habitat veritas. et si tuam naturam mutabilem inveneris, transcende et te ipsum.« 28 Elend, Armut und Verachtung sind Themen, die auf Jesus Christus bezogen wurden und in De Imitatione Christi von Thomas a Kempis eine wichtige Rolle spielen. 29 Im Hintergrund steht wieder Augustins Wort aus vera rel. 72: »noli foras ire, in te ipsum redi. in interiore homine habitat veritas.«
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30 Daraus folgt die Präferenz einer undogmatisch-aporetischen Meta
physik der Probleme, zugleich eine Warnung vor jeder dogmatischen Theorie, die prinzipiell als irreführend gilt. 31 Vgl. Mt 19,27. 32 Für Gott gilt: »amo: volo, ut sis« (rein schenkende Liebe); problematisch ist für endliche Wesen hier ein mögliches Klugheitskalkül und die Unsicherheit des faktischen Lebens. Vgl. NF: Amore amoris tui facio istuc. Zur Bedeutung der Liebe im Leben und Denken Augustins. 33 Vgl. die Seligpreisungen Mt 5,1–12. 34 Vgl. Mt 16,24; Lk 9,23. 35 Vgl. erneut vera rel. 72. Vgl. die Übersetzung von Walter Senner (MEJb 7,26): »Der Heilige spricht: wer das Kleine willig lässt, der lässt es nicht allein, mehr: er lässt alles, was weltliche Leute gewinnen können, ja, was sie begehren können; denn, wer seinen Willen und sich selber lässt, der hat alle Dinge so wahrlich gelassen, als ob sie sein frei verfügbares Eigentum wären […]. Nimm Dich selbst wahr, und wo du dich selbst findest, da lass dich: das ist das Allerbeste«. Vgl. Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Gelassenheit im Denken Martin Heideggers. 36 Vgl. RdU 23: »Daz ist ein glîcher kouf und ein glîch widergelt, als ich vorlanc eines sprach.« 37 Eckhart knüpft Heiligkeit nicht an äußere Vollzüge, sondern an willentliche Maximen (z. B. Augustinus: lib. arb. 1,26; 3,49 :»sola voluntas per se ipsam«; »prima causa peccandi«). 38 Im Hintergrund steht die Lehre von der ›Gottebenbildlichkeit‹ (›Freiheit‹; ›Zweck an sich‹). 39 Insofern ist im Blick auf Eckhart vom ›Primat der reinen praktischen Vernunft‹ zu sprechen. Siehe Pfeiffer II,66 (Predigt XIII: In hoc apparuit charitas in nobis (Joh 1. epist. V, 9): »Hie ist gotes grunt mîn grunt unde mîn grunt gôtes grunt.« Vermutlich nicht ontisch-ontologisch gemeint, sondern praktisch- maximentheoretisch. 40 Diese Orientierung auf Gott hin ist unabhängig von der wirklichen Existenz Gottes, obwohl die Möglichkeit der Erfüllung der menschlichen Hoffnung gewiß von der Existenz Gottes abhängt. 41 Schon hier ist die spätere Rede von ›Deinem Gott‹ vorbereitet, der
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Anmerkungen
den Projektionsgedanken vorwegnimmt, ihn integriert und womöglich ansatzweise als Religionskritik desavouiert. 42 Eckhart geht es vor allem um o3moíwsi@ jeö/ kata1 to1 dunato2n (Platon: Theaitetos 176 b). 43 Die Übersetzung »Besitzen« für »habenne« brächte verfehlte Konnotationen ins Spiel. 44 Es geht Eckhart nicht um Weltflucht oder gar um ein Ignorieren des / der Anderen (gegen Plotin und mystische Deutungen). Das »redi in te ipsum« schließt für Eckhart ›die Anderen‹ gerade nicht aus. Vgl. NF: Sein und Sinn der Zeitlichkeit im philosophischen Denken Augustins. 45 Eckhart hat offenbar die Beschaffenheit eines Maximensystems im Auge. 46 Hier scheint Eckhart mögliche Konsequenzen auszuloten, nicht Wirkliches zu beschreiben. Von hier aus könnte die ansonsten angenommene Freiheit endlicher Wesen problematisch werden. 47 Das ist eine ungelöste Aufgabe, zu der die Frage nach der ›Freiheit des menschlichen Willens‹ und die Beziehung von ›Freiheit und Gnade‹ zu bedenken wäre; vgl. NF, Dieter Hattrup, Cornelius Mayer (Hgg.): Freiheit und Gnade in Augustins Confessiones. Der Sprung ins lebendige Leben; NF (Hg.): Die Gnadenlehre als ›salto mortale‹ der Vernunft? Natur, Freiheit und Gnade im Spannungsfeld von Augustinus und Kant. 48 Vgl. wieder Augustins: lib. arb. 3,49 (zur »prima causa peccandi«); zu beachten ist: »werk« wird hier in doppeltem Sinne ausgelegt: einmal im Sinne der Schöpfung (Gott hat selbsttätige, freie Wesen geschaffen) und wäre insofern indirekt der Ursprung der menschlichen Tätigkeit, aber nicht für den konkreten Vollzug verantwortlich, der dem Willen Gottes zuwider sein kann. Von der ›Freiheit‹ geschaffener Wesen zu sprechen ist eine bei Eckhart zwar virulente Aufgabe, die hier aber nicht weiter thematisiert wird. 49 Gott wird hier zwar hypothetisch als der absolut Allmächtige fokussiert, was für Eckhart selbst von Anfang an so problembeladen ist, daß er schon in RdU und auch später gelegentlich Motive des ›postulatorischen Atheismus‹ aufgreift. 50 Das heute nicht mehr gebräuchliche Wort »vermannigfaltigen« ist erhellend, weil es die ›Einheit‹ des Subjekts als »unvermannigfaltigbar«
Anmerkungen
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bleibend voraussetzt, aber die Beziehung des Einen zum Vielen nicht ausschließt. Der Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf und die Jemeinigkeit der Existenz freier Wesen ist ebenso wie die Zurechenbarkeit ihrer Taten hier nicht im Blick. 51 Aristoteles: De anima 431 b 22: eÌpwmen pa2lin o5ti h3 quch1 ta1 o6nta e4sti pa2nta; vgl. Thomas von Aquin: »anima est quodammodo omnia«, z. B. Summa theologiae I, q. 16 c; q. 84, 2. und ad 2. 52 ›Gemüete‹ als integrativer Ausdruck für alle theoretischen und praktischen Seelenkräfte (»anima«, »animus«), also z. B. auch für »meinunge« (Erkenntnis) und »minne« (Liebe). 53 Eckhart betreibt also keine (Plotinische) Henologie! Er ist vielmehr offen für der »Welt Getümmel«; s. u. Friedrich von Hardenberg (Novalis): Geistliche Lieder. XV. 54 Vgl. Nikolaus von Kues: De aequalitate. Dazu auch Norbert Fischer: Die Zeitbetrachtung des Nikolaus von Kues (›intemporale unitrinum tempus‹). 55 Eckhart betreibt keine Henologie, sondern betont Sein und Sinn des Vielen und des Anderen – und die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen den vielen Seienden und deren Möglichkeiten (vgl. schon den Titel ›RdU‹: beim ›schlechthin Einen‹ gäbe es nichts zu unterscheiden). Das begegnende Viele ist für Eckhart also nicht gleichgültig, vielmehr ist ›Orientierung‹ nötig! Eckhart beachtet den absoluten, von Gott gewollten Sinn des Anderen und der Ander[s]heit. 56 Betonung der unfaßbaren Transzendenz Gottes, auf den die vielen Seienden zu beziehen sind. 57 Gott gehört gleichsam zur ›metaphysischen Naturanlage‹ der endlichen Vernunftwesen, zu denen der Mensch gehört; vgl. NF: PFG; im Hintergrund: KrV B 21. 58 Zum Verhältnis von Gott und geschaffenen ›Bildern Gottes‹ vgl. Predigt 9: Quasi stella matutina in medio nebulae et quasi luna plena in diebus suis lucet et quasi sol refulgens, sic iste refulsit in templo dei; hier MEW I,113: »Man vrâget, wâ daz wesen des bildes aller eigenlîchest sî: in dem spiegel oder in dem, von dem ez ûzgât? Ez ist eigenlîcher in dem, von dem ez ûzgât. Daz bilde ist in mir, von mir, zuo mir. Die wîle der spiegel glîch stât gegen mînem antlite, sô ist mîn bilde dar inne; viele der spiegel, sô vergienge daz bilde. Des engels wesen hanget dar an, daz im götlich vernünfticheit gegenwertic ist, dar inne er sich bekennet.«
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Anmerkungen
59 Vgl. Friedrich von Hardenberg (Novalis): Geistliche Lieder. XV.: »Ich
sehe dich in tausend Bildern, / Maria, lieblich ausgedrückt, / Doch keins von allen kann dich schildern, / wie meine Seele dich erblickt. // Ich weiß nur, daß der Welt Getümmel / Seitdem mir wie ein Traum verweht, / und ein unendlich süßer Himmel / Mir ewig im Gemüte steht.« Das ist keine theoretisch-ontologische Aussage, sondern der Ausdruck subjektiven Empfindens, das keiner objektiven Bestimmung fähig ist und zuweilen dichterischen Ausdruck gefunden hat. 60 Bei Largier Druckfehler: »venünftigez« (MEW II,350). 61 Eckhart kennt den Impuls der Weltflucht, bleibt aber bei der Weltbejahung, wie Augustinus, der einerseits gesagt hatte (conf. 1,1): »inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te«; andererseits aber auch (conf. 11,2): »caro mihi valent stillae temporum«. Eckharts Stellung muß bedacht werden: »Flucht« hätte Mißachtung der conditio humana zur Folge! Zu beachten ist hier Platons Rede zur Flucht vor der ›sterblichen Natur‹ mit dem Ziel einer ›Verähnlichung mit Gott‹ (Theaitetos 176 a/b): th1n de1 jnhth1n fu2sin kaì to2nde to1n to2pon peripoleî e4x a4na2gkh@. dio1 kaì peira/sjai crh1 e4nje2nde e4keîse feu2gein o²ti ta2cista. fugh1 de1 o3moíwsi@ jeö/ kata1 to1 dunato2n: o3moíwsi@ de1 díkaion kaì o5sion meta1 fronh2sew@ gene2sjai. 62 Zu Augustins Stellung vgl. NF: foris – intus. 63 Ziel ist hier eine modifizierte o3moíwsi@ jeö/ kata2 to/ dunato2n (wiederum Platon: Theaitetos 176). // Zu »sich erbilden« vgl. auch Burkhard Hasebrink: sich erbilden. Überlegungen zur Semantik der Habitualisierung in den ›Rede der underscheidunge‹ Meister Eckharts. 64 Vgl. Predigt 7 (MEW I,92): »Waz diu sêle sî, dâ hoeret übernatiur lîchiu kunst zuo«. Eckhart betont hier kritisch die Endlichkeit des menschlichen Erkenntnisvermögens, fern aller ›Mystik‹ und ›absoluten Metaphysik‹. 65 Im Hintergrund wirken allgemeine erkenntnistheoretische Gedanken (Abstraktionslehre). 66 Eckhart propagiert ein dialektisches (weder prinzipiell negatives noch durchweg positives) Verhältnis zu den begegnenden Dingen und der Welt. 67 Sofern Gott als Schöpfer geglaubt wird, als Ursprung aller Ge-
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schöpfe aus Liebe, ist es prinzipiell problembeladen, Gott und Geschöpfe gegeneinander auszuspielen. 68 Eckhart zielt hier auf einen »ins Unendliche gehenden Progressus« vgl. z. B. KpV A 220; vgl. wiederum conf. 1,1: »fecisti nos ad te et inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te«. 69 Zum Kontext bei Augustinus vgl. Henry Chadwick: frui – uti (AL 3, 70–75). 70 Vgl. Lk 12,35–40; vgl. auch Mt 25,1–13 (Gleichnis von den zehn Jungfrauen). 71 Im Hintergrund der Gedanke der ›Wahrheit‹ als »adaequatio intellectus ad rem«, aber nicht im Sinn von »Identität« oder mathematischer Gleichheit, sondern als Streben nach Angleichung, Verähnlichung im Sinne von Platons o3moíwsi@ jeö/ kata1 to1 dunato2n (Theaitetos 176 b). 72 Dieses Streben hat nichts mit dem ›Willen zur Macht‹ zu tun, nimmt aber das Beste davon auf; mit Platon geht es um o3moíwsi@ jeö/ kata1 to1 dunato2n; mit Kant um einen ›unendlichen Progressus‹ (KpV A 220). Vgl. Johann Wolfgang von Goethe: Faust II (V. 11936): »Wer immer strebend sich bemüht, / Den können wir erlösen.« Vgl. noch Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra II (KSA 4,110): »Aber daß ich euch ganz mein Herz offenbare, ihr Freunde, wenn es Götter gäbe, wie hielte ich es aus, kein Gott zu sein! Also giebt es keine Götter.« Im Unterschied zu Nietzsche propagiert Eckhart nicht den ›Willen zur Macht‹. 73 Kritisch reflektiert werden muß das Verständnis von »Sünde« im Blick auf die Bedeutung von »gut«, »übel« und »böse«. Zu beachten ist die These, daß der Mensch ›freien Willen‹ habe (RdU 9, dazu RdU 3, 8, bes. 10, 11, 12, 13, 18, 20, 21, 22). Vgl. NF: bonum (AL 1, 671–681); Klaus Riesenhuber: Malum (HWP 5,678): »MEISTER ECKHARTS spekulative (lateinische) Werke sehen in der Sünde, in Anlehnung an neuplatonische Ontologie, den Abfall von der Einheit des Seins in Gott und die Zerstreuung in die regellose Vielfalt; in den deutschen, der geistlichen Führung gewidmeten Werken betont er die verantwortliche Freiheit des Willens im Akt der Sünde ebenso, wie er zur getrosten, an Gottes Willen überlassenen Annahme des eigenen Gesündigthabens ermuntert. Die deutsche Mystik nach Eckhart drängt auf die Läuterung des Herzens, dessen versteckte Bosheit sie in eindringenden psychologischen Analysen auf-
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Anmerkungen
deckt; sie vermag aber nicht mehr, die Frage nach dem Bösen systematisch voranzutreiben.« Zu Eckharts Sündenverständnis vgl. Manfred Gerwing: Sünde (HWP 10,605). – Eckharts These ist in ihrer Problematik zu bedenken, da sie die Güte und Macht Gottes (von »Allmacht« Gottes spricht Eckhart sehr selten) auf das ›Böse‹ bezieht, dem ein Sinn als Möglichkeit der menschlichen Freiheit zukommen muß. Gäbe es die Möglichkeit des Sündigens nicht, wäre endliche Freiheit kaum denkbar. Eigentliches Selbstseinkönnen und die Möglichkeit endlicher Wesen, Gutes hervorzubringen, hingen so mit der Möglichkeit zusammen, auch Böses bewirken zu können. Wie das zu denken wäre, ist ein ›Problem‹ (eine notwendige, theoretisch unlösbare) Aufgabe, die seit Platon bedacht wird (Politeia 617 e: Ai4tía e3loume2nou: jeo1@ a4naítio@). 74 DW 5,212: »gebreste«! Dagegen MEW II, 356: »gebrente« (offenbar Druckfehler). 75 Das deutsche Wort »gegenwurf« verdeutscht das Lateinische »Objekt«. Vgl. HWP 6,1044. 76 Im Hintergrund 2 Kor 12,9. Dort gibt Paulus eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn der Sünde. Dieser Meinung scheint Eckhart sich anzuschließen. 77 Im Hintergrund die Freiheitsproblematik, hier nahe an Augustinus: lib. arb. 3,49 (vgl. retr. 1.9.3): »aut igitur voluntas est prima causa peccandi aut nullum peccatum est prima causa peccandi.« Vgl. wieder lib. arb. 1,27. dazu NF: Zur Gnadenlehre in Augustins ›Confessiones‹. Philosophische Über legungen zu ihrer Problematik; NF: Freiheit der Entscheidung, Gnade und gött liche Liebe bei Augustinus. Auch die Nähe zu Gedanken Kants liegt auf der Hand. 78 Eckhart zielt auf die Vollkommenheit (Heiligkeit) jedes einzelnen Vernunftwesens – gegen alle Henologie. Die ›Sorge‹ legt Martin Heidegger als das »Sein des Daseins« aus; (Sein und Zeit 180–230: §§ 39–44; Sechstes Kapitel des ersten Abschnittes des Ersten Teils: »Die Sorge als Sein des Daseins«). Laut Eckhart wäre der Mensch ohne die Neigung zum Sündigen ohne Orientierung. Eckharts Aussage weist voraus auf die Frage (KrV B 33): »Was soll ich thun?« Ebenso auf das ›Primat der praktischen Vernunft‹, auf das Kant im Laufe seines Weges gestoßen ist (KpV A 215–219).
Anmerkungen
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79 Damit ›endliche Wesen‹ auf den unendlichen Gott hin geschaffen
sein können, müssen sie frei sein und in der Gefahr des Sündigens gestanden haben. Die ›Ehren des Streites‹ gehören also zur Möglichkeit eines eigentlichen ›Selbstseinkönnens‹ endlicher, geschaffener Wesen, die den Grund ihres Daseins nicht in sich haben. Sie müssen auf selbstbewirkte Heiligkeit hin geschaffen sein, was ihre ›Würde‹, aber auch die ›Gefahr‹ ihres Seins ausmacht; vgl. bei Platon: kínduno@ deino2@ und kalo2@ (Phaidon 107 c; 114 d). 80 Starker Anklang an Augustins Gedanken in lib. arb. 1,27: »quisquis ergo habens bonam voluntatem, de cuius excellentia iam diu loquimur, hanc unam dilectione amplexetur qua interim melius nihil habet«; vgl. dort auch 3,49 zur »prima causa peccandi«. 81 Das Vermögen der endlichen Menschen ist begrenzt, hat aber das Besondere an sich, daß Menschen mit ihrer Endlichkeit hadern und den Wunsch verfolgen können, sein zu wollen wie Gott. Eckhart spitzt das Problem gelegentlich in Richtung des ›postulatorischen Atheismus‹ zu. 82 Von Augustinus her zu lesen. Dieser Satz greift wiederum Kernthesen aus Augustins De libero arbitrio (lib. arb. 1,26: »sola […] voluntas per se ipsam«) auf und ist Kants Freiheitslehre nahe; vgl. Hans Reiner: Ge sinnungsethik (HWP 3,539 f.). 83 Gott wird als schöpferischer Ursprung freier Wesen gedacht, die Gutes bewirken können, aber auch die Möglichkeit der Verfehlung haben. Vgl. Josef Quint: Vorbemerkungen zu den RdU (DW V,166): »das Ursprüngliche« sei »gelegentlich gegenüber einer einen großen Teil der hsl. Überlieferung beherrschenden Verderbnis nur in wenigen Textzeugen oder gar nur in einer Hs. erhalten […]. Ja, hie und da halte ich sogar die gesamte hsl. Überlieferung für verderbt und für durch eine Konjektur korrekturbedürftig, so etwa unten S. 216,6, wo sämtliche Hss. und got gegenwertig überliefern«. 84 Im Hintergrund steht hier der Gedanke des ›inspector cordis‹; vgl. Augustinus (mend. 36): »quia homo non est cordis inspector.« Kant spricht in späten Schriften öfter von Gott als dem »Herzenskündiger« (z. B. 1791: Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee A 221 = AA 8,269).
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Anmerkungen
85 Hier stellt sich die Frage nach dem ontologisch-ethischen Rang der
wahrnehmbaren Welt, nämlich welchen Rang ihre Wirklichkeit im Blick auf die Gültigkeit eines Wollens hat. 86 Das ist der Intention nach eine (von Augustinus im ersten Buch von De libero arbitirio angeregte) Zuspitzung des Gedankens, der später bei Kant in der These vom »Primat der reinen praktischen Vernunft« begegnet. 87 Das ist eine Idealvorstellung, die ohne den ›Glauben an Gott‹ als einen allwissenden gerechten Richter in Gefahr gerät, in eine erträumte Scheinwelt abzugleiten! 88 Die Gewißheit dieser Annahme, die theoretisch nicht zu sichern ist, wäre das Gegenmittel gegen das Abgleiten in eine Scheinwelt. Faktisch bleibt das Leben ohne glaubensgegründete Aussicht also kínduno@ deino2@ oder kalo2@ (vgl. noch einmal Platon: Phaidon 107 c; 114 d). 89 Diese These setzt das absolute Primat der inneren (geistig-seelischen) Wirklichkeit voraus, was als Träumerei (vgl. Kants Frühschrift Träume eines Geistersehers) denunziert werden kann; Abhilfe kann nur ein vernünftiger Glaube an Gott als ›Herzenskündiger‹ und ›Richter‹ leisten. 90 Hans-Jürgen Fuchs: Eigenschaft (HWP 2,336): »Als MEISTER ECKHART ›proprietas‹ mit ›E[igenschaft]‹ verdeutscht, übernimmt er alle fünf in der bisherigen Begriffsgeschichte angetroffenen semantischen Hauptfunktionen und entwickelt vor allem die Radikalität und Absolutheit der ontologischen Bedeutung selbst weiter. ›Diz eigen suln wir dâ mite erarnen, daz wir hie sîn âne eigenschaft unser selbes‹ (Dies Eigene sollen wir damit erwerben, daß wir hier (in dieser Welt) ohne jede ›eigenschaft‹ in bezug auf uns selbst leben). ›E[igenschaft]‹ kann aber auch auf Grund seiner großen semantischen Weite durchaus eine qualitas Dei bezeichnen.« 91 Im Hintergrund steht wieder Platon mit Theaitetos 176 a/b: o3moíwsi@ jeö/ kata1 to1 dunato2n: o3moíwsi@ de1 díkaion kaì o5sion meta1 fronh2sew@ gene2sjai. Dieser Spur folgt auch die christliche Lehre des Gottesbezugs im Sinne von Augustinus (conf. 1,1: »fecisti nos ad te«) bis zu Thomas von Aquin (z. B. Summa theologiae I,93: De fine sive termino productionis hominis, bes. c: »et ideo in homine dicitur esse imago dei, non tamen perfecta, sed imperfecta. Et hoc significat Scriptura, cum dicit hominem factum
Anmerkungen
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ad imaginem Dei: praepositio enim ad accessum quendam significat, qui competit rei distanti.« 92 Die Annahme der nicht herstellbaren Erstursächlichkeit des freien Willens weist auf Gott, der hier implizit als »Herzenskündiger« vorgestellt wird (vgl. dazu auch RGV B 139 n = AA 6,99). 93 Eckhart vertritt wie der frühe Augustinus eine radikale Freiheitslehre und weist damit voraus auf das ›Primat der praktischen Vernunft‹. 94 Im Hintergrund wirkt wohl die Unterscheidung von sinnlich-naturhafter und intellektueller, von Vernunft bestimmter (in diesem Sinne ›autonom‹ gewollter) Liebe. 95 Vgl. Apg 22,6–21. Eckhart spricht hier nüchtern an ›moralischen Fragen‹ orientiert – gegen alle Arten von intellektuellen oder gefühls betonten ›Mystizismen‹. 96 Vgl. Mt 19,29. 97 Gelassenheit und Gottesbezug stehen bei Eckhart in engster Verbindung! Dazu Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Gelassenheit im Denken Martin Heideggers (MEaD 455–465). 98 Vgl. Röm 9,3. 99 Beziehung auf das »cor inquietum«. Die Unruhe führt nach Eckhart nicht zur Verzweiflung am Sinn des Ganzen, zumal diese den ›postula torischen Atheismus‹ begünstigte. 100 Dieser Entzug Gottes kann auf die Möglichkeit der V erkündigung des ›Todes Gottes‹ und die Klage darüber verweisen. Diese finden sich vor allem bei Friedrich Nietzsche (vgl. Die fröhliche Wissenschaft); bes. 125. Der tolle Mensch (KSA 3, 480–482). Vgl. dazu Martin Heidegger: Nietzsches Wort ›Gott ist tot‹. Vgl. auch Rico Gutschmidt: Sein ohne Grund, 347. 101 Befestigung der These vom ›Primat der praktischen Vernunft‹, das später bei Kant im Ausgang von der Auslegung des ›guten Willens‹ zur Annahme des Daseins Gottes führt (im Hintergrund sind schon bei Eckhart die Fragen von ›Autonomie‹ und ›Theonomie‹ virulent). 102 Eckhart empfiehlt hier die Haltung (»habitus acquisitus«) der a4pa2jeia, aber nicht im Blick auf Gott: Das Verhältnis von ›Wirken‹ und ›Erleiden‹ ist bei Eckhart ambivalent; vgl. dazu auch die Hinweise von Peter Probst: Pathisch, Pathik (HWP 7,179).
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Anmerkungen
103 Das heißt zunächst, daß das Finden Gottes keine Frucht mensch-
licher Aktivität sein kann. Eckhart bevorzugt eine ›negative Theologie‹, die nicht menschlichen Wünschen folgt. 104 In: Mittelhochdeutsches Wörterbuch (Kurt Gärtner): »lesten« mehrfach: »letzten« (z. B.: Gericht). 105 Gegenwart Gottes im Modus der Defizienz. Hinweise zum ›Fehl Gottes‹ finden sich später bei Heidegger (dort oft im Anschluß an Nietzsche), vgl. z. B. Nietzsches Wort ›Gott ist tot‹. 106 Hier ist erneut die Spannung von ›Theonomie‹ und ›Autonomie‹ virulent, wodurch sich auch wieder Fragen melden, die zum ›postulatorischen Atheismus‹ führen können. 107 Man soll Gott nicht den Willen von Menschen zuschreiben, sondern den wahren Willen Gottes suchen. Das Verhältnis von ›Theonomie‹ und ›Autonomie ist, wie es das Thema fordert, auch bei Eckhart verwickelt. 108 »Eigenwille« wäre das Gegenteil eines Strebens, in dem ›alles auf vollkommenste Weise geordnet‹ wäre; vgl. Augustinus (lib. arb. 1,15): »iustum est, ut omnia sint ordinatissima«; zum »Princip einer allgemeinen Gesetzgebung« vgl. auch Kant: KpV A 54; zur »Autonomie«; unter Autonomie hat Kant keineswegs etwas ›Selbstisches‹ verstanden, vgl. KpV A 58 f. Zum Hintergrund vgl. GMS BA 66 = AA 4,429; dazu NF: Erkenntnis kritik, Begründung des Sittengesetzes und Gottesfrage bei Immanuel Kant, 66 f. 109 Vgl. Apg 9,6; kein wörtliches Zitat; Kapitel 9 der Apg enthält die Berufungsgeschichte des Saulus / Paulus. 110 Vgl. Lk 1,26–38. Zur ›virginitas mentis‹ (fern von allem ›Biologismus‹) vgl. Augustinus: s. Denis 25,7 f.; dazu NF: Wer sint, die got êrent? (Pre digt 6). Zur leitenden Grundfrage Meister Eckharts. Hinführung zum Zentrum sei nes Denkens, 12–15. Vgl. auch Joachim Ringleben: Wort (HWP 12, hier 1031). 111 Vgl. Augustins Gedanken zu »foris« und »intus«; dazu NF: foris – intus (AL 3, 37–45). 112 Im Hintergrund steht erneut Platon: Theaitetos 176 b: »Der Weg dazu ist Verähnlichung mit Gott soweit als möglich; und diese Verähnlichung, daß man gerecht und fromm sei mit Einsicht.« Oberflächlich betrachtet tritt hier ein Gegensatz zu Kants Gedanken der ›Autonomie‹ hervor; aber auch Kant versteht Gott als ›Liebe‹; vgl. RGV B 85 = AA 6,67.
Anmerkungen
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113 Vgl. nochmals Augustinus (vera rel. 72): »noli foras ire, in te ipsum
redi. in interiore homine habitat veritas. et si tuam naturam mutabilem inveneris, transcende et te ipsum.« 114 Zum Wandeln Jesu über den See Genesareth vgl. Mk 6,48–51; Mt 14,25–33; Joh 6,16–21. 115 Mittelhochdeutsches Wörterbuch (Kurt Gärtner), 875: »gotvar Adj. ›gottähnlich, göttlich‹ alle die von sîme gotvarwen liehte enzündet werdent, die erleschent ouch niemer mêre PrBerth 1:391,23; und ie di minne eintrechticlicher ist, ie si uns me in got setzit und got in uns. und fon der einunge wirdit der mensche gotvar, also daz he gotliche werc wirkit zu allin zidin Parad 133,6; glîch gote und gotvar Eckh 2:124,7. 2:568,2; das edele gotvar fúnckelin, das uns vil innewendiger und noher ist denne wir uns selber Tauler 322,14. 376.« Vgl. Peter Heidrich: Gottförmig (HWP 3,835 f.) mit Bezug auf RdU 11. Vgl. auch Platon, Phaidon 95 c: jeoeide2@. 116 Eine a4pa2jeia Gottes ist (durch die Verkündigung des Leidens Jesu) im Kontext des christlichen Glaubens nicht im Blick. Im Hintergrund schwelt offenbar auch das Problem des ›Patripassianismus‹. Eckhart erwägt und diskutiert nicht die Möglichkeit einer a4pa2jeia Gottes. Zum Hintergrund vgl. Herbert Frohnhofen: Apatheia tou Theou. Über die Affektlosigkeit Gottes in der griechischen Antike und bei den griechischsprachigen Kirchenvätern. Frankfurt am Main: Lang 1987. 117 Vgl. RdU 1 zum ›wahren Gehorsam‹! Spannungsvolle Beziehung zu Kants Lehre der ›Autonomie‹ und Heideggers Suche nach ›eigentlichem Selbstseinkönnen des Daseins‹ (SuZ, 267–270: § 54. Das Problem der Bezeugung einer eigentlichen existenziellen Möglichkeit). 118 Vgl. einerseits Genesis 1,1, wonach zunächst (nämlich bis zum ›Sündenfall‹ 1,3) alles ›sehr gut‹ war; andererseits Platon (Politeia 617 e): Ai4tía e3loume2nou: jeo1@ a4naítio@; weiterhin Aristoteles (Nikomachische Ethik 1103 a 19 f.), nach dem die Menschen als frei Handelnde prw/ton e4n ergh2sante@ sind. 119 Dazu noch einmal NF: Wer sint, die got êrent? (Predigt 6). Zur leitenden Grundfrage Meister Eckharts. Hinführung zum Zentrum seines Denkens. 120 Vgl. Röm 8,28; vgl. Josef Quint: Anmerkungen (DW V, 337 f.); mit Karrer verweist Quint u. a. auf De correptione et gratia (n. 24); Niklaus Lar-
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gier (MEW II,797) nennt zusätzlich lib. arb. 3,26; zu beachten wäre aber auch schon lib. arb. 3,12. 121 Das ist womöglich zu leichthin gesagt und könnte einem jenseits geprägten, die Welt und ihre Bedeutung geringschätzig absorbierenden Blick entspringen: weshalb das ganze Getöse? In den folgenden Sätzen wird diese Leichtigkeit aber kritisch beleuchtet. 122 Damit steht das Handeln nach Eckhart unter unbedingt geltenden Maßgaben, fern von allen Klugheitserwägungen. 123 DW 5,232: »ertrîche«; fehlerhaft in MEW II, 372: »etrîche«. 124 Schon vor den neuzeitlichen, aber unbedacht und bloß erfolgsorientiert wachsenden Naturwissenschaften gebot Eckharts Einsicht Besinnung, die Kant dann mit der ›kritischen Philosophie‹ mit Nachdruck neu einleitete. Schon bei Eckhart tritt auch eine Facette des ›Primats der praktischen Vernunft‹ hervor: Denn Eckhart sieht das Problem der Frage, wie ›Gott‹ in eine Beziehung zu frei bleibenden Wesen eintreten kann. 125 Diesen Gedanken kann man als Eckharts Version einer ›Auto nomie‹-Lehre verstehen: Es geht nicht vorrangig um die (All-)Macht Gottes, sondern um in sich gutes oder schlechtes Tun. 126 In dieser Aussage scheint Eckhart ein Wissen zum Sinn des Ganzen vorauszusetzen. 127 Eckhart bezieht die Möglichkeit der Menschen zu sündigen ausdrücklich auch auf seine Reflexionen zu Gott, was aber seit Platon (jeo1@ a4naítio@) und Augustinus (»prima causa peccandi«) bis hin zu Kant (RGV B 25 f. = AA 631) meistens vermieden wurde. Zu Kant vgl. NF: Der for male Grund der bösen Tat. Das Problem der moralischen Zurechnung in der praktischen Philosophie Kants. Eckhart spricht hier undogmatisch gegen die a4pa2jeia Gottes: Er nimmt das Sündigenkönnen der Menschen nicht unbedacht hin, da es nach ihm durchaus auch etwas mit der Gottesfrage zu tun hat. 128 Diese Art von »felix culpa« und »Gerechtigkeit« ist gewiß erläuterungsbedürftig. Vielleicht versucht Eckhart hier (entgegen seinem Mut, den Gedanken des ›postulatorischen Atheismus‹ auszusprechen) doch etwas voreilig, Gott von den drohenden Einwänden der Theodizee zu befreien. 129 Entscheidend ist, daß die Bedingung der vollen Reue erfüllt ist: Da Gott die ›Freiheit‹ (mit der Möglichkeit der Hervorbringung von Bö-
Anmerkungen
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sem) geschaffen hat, hat er (nach Eckharts christlicher Denkart) zugleich die Möglichkeit der Reue der Täter und die Möglichkeit der Vergebung gegeben. Die Möglichkeit des Glaubens an den Sinn der Ganzen hängt dann an der Hoffnung auf ein ›Reich Gottes‹ nach der Weltzeit (vgl. Augu stinus: conf. 11,3). 130 Damit zeigt Eckhart sich als ›Lehrer der Liebe‹ – wie Augustinus im Wort: »dilige et quod vis fac«. Vgl. Marie-François Berrouard: Dilige et quod vis fac (AL 2, 453–455). Weiterhin NF: Amore amoris tui facio istuc. Zur Bedeutung der Liebe im Leben und Denken Augustins. 131 Diese These ohne Unterwürfigkeit ist die extremste Form des ›postulatorischen Theismus‹, der aber gegebenenfalls auch in einen ›postulatorischen Atheismus‹ umschlagen kann. 132 Der Beginn mit der Unterscheidung von »zweierleie wizzen« wird hier aufgegriffen. 133 Eckhart hat Sinn für erkenntniskritische Gedanken, ohne sie hier breit darzulegen. 134 Vgl. 1 Joh 4,18: »Furcht gibt es in der Liebe nicht, sondern die vollkommene Liebe vertreibt die Furcht. Denn die Furcht rechnet mit Strafe, und wer sich fürchtet, dessen Liebe ist nicht vollendet.« Im Blick auf Paulus wäre 1 Kor 13 zu beachten (Einheitsübersetzung 1667 f.: »Rang ordnung der Charismen. Das Hohelied der Liebe«). 135 Largier (MEW II,379) führt 1 Petr 4,8 an. 136 Zu Jesu ›Gespräch mit der Sünderin‹ vgl. Lk 7,47; vgl. Einheitsübersetzung: »Deshalb sage ich: Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie (mir) so viel Liebe gezeigt hat. Wem aber nur wenig vergeben wird, der zeigt auch nur wenig Liebe.« 137 Josef Quint übersetzt »Buße«; im Georges II,1434 steht für »paenitentia« (»pênitencie«): »die Reue«; vgl. Georges II,1434 f. auch »paeniteo«. Auf Grund von Eckharts Bezugnahme auf Jesu Christi stellvertretendes Leiden wird »pênitencie« hier vor allem mit ›Sühne‹ übersetzt. Es geht Eckhart um Wiedergutmachung (um eine von Gott gewollte Versöhnung) des durch Sünde beschädigten Verhältnisses der Geschöpfe mit freiem Willen (also: der Menschen) zu Gott. 138 Vgl. noch einmal: Der Mensch ist nicht »imago dei«, sondern »ad imaginem dei« geschaffen (vgl. die Erläuterung durch Thomas von
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Anmerkungen
Aquin: Summa theologiae I,93) und soll sich in seinem Tun so verhalten; vgl. o 3moíwsi@ jeö/ kata1 to1 dunato2n (Platon: Theaitetos 176 b. 139 Eckhart ist in seiner Orientierung am Guten resistent gegen Projektionsverdacht bis hin zur Erwägung des ›postulatorischen Atheismus‹, dessen Motive er kennt und zuweilen nennt. 140 ›Gerechtigkeit‹ als absoluter Ziel- und Angelpunkt! Vgl. dazu auch RdU 18, 21, bes. 23: »In der wârheit, swie unreht wir sîn, nemen wir von gote, swaz er uns tæte oder niht entæte, von im rehte und lîden durch die gerehticheit, sô sîn wir sælic.« 141 Hier verbinden sich tiefes Gottvertrauen und robuste Hartnäckigkeit des denkenden, endlichen (aber autonomen) Vernunftwesens, als das Eckhart sich präsentiert und bekennt. 142 »Jesus Christus« wird hier allgemein als »Herr« (aller Menschen) und als notwendiges stellvertretendes Zwischenglied zwischen Mensch und Gott gedacht und anerkannt. 143 Hier denkt Eckhart wieder im Stil des Thomas von Aquin, der Christus als »imago dei« versteht; der Mensch aber ist geschaffen »ad imaginem dei«; vgl. die Auslegung des ›ad‹ bei Thomas (S. th. I 93,1 c). Thomas verweist auf Augustinus (s. ad 2.); zu diesem »ad« vgl. auch Augustinus, z. B. conf. 1,1: »fecisti nos ad te«; weiterhin conf. 4,19 mit der These der Nähe und Ferne Christi zu uns Menschen. Dazu Aurelius Augustinus: Su che nach dem wahren Leben. Confessiones X / Bekenntnisse 10, bes. XXII, XXXIII; vgl. auch Loris Sturlese: Einleitung (in: Heinrich Seuse: Das Buch der Wahr heit, IL): »Seuse setzte seine Ausführungen unter das Zeichen von Thomas von Aquin, er hob die Bedeutung des Augustinus hervor, der Kern seiner Antwort zur Frage nach der Seligkeit blieb jedoch ganz und gar eckhartisch (der Mensch, übergewandelt in ein götlich bilde, ist gotes kint geworden). Es handelte sich um einen erneuten Versuch zu zeigen, daß die Position Eckharts der kirchlichen Tradition entsprach.« 144 In Christus wird die Möglichkeit der Angleichung (Verähnlichung) mit Gott (o3moíwsi@ jeö/ kata1 to1 dunato2n) so vorgestellt, daß sie in einem konkreten Menschen verwirklichbar und schon konkret verwirklicht sei. 145 Sofern Gott nichts für sich selbst will (und für sich nichts wollen kann und zu wollen braucht), ist die geforderte Liebe nicht selbstsüchtig.
Anmerkungen
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Gott wird hier, wie in Worten Kants zu sagen wäre, als »Herzenskündiger« ins Auge gefaßt (vgl. z. B. RGV B 85 = AA 6,67). 146 Hintergrund für Eckhart ist das gewöhnliche, alltägliche faktische Leben von Menschen. 147 Eckhart betont den überhohen Anspruch, den der Gedanke der o3moíwsi@ oder auch der ›Nachfolge‹ enthält. Dennoch hält Eckhart, wie schon der nächste Satz zeigt, klar an ihm fest. aria 148 Nahe und kontrastierend zu diesem Bild-Kontext vgl. Rainer M Rilke; hier: Alexander Belobratow: »Gott (wohne) in der Achselhöhle …«. Zur Bedeutung von Rilkes Rußlanderlebnis, 162: »Es gibt dort noch Gott und Erbauung. Es führt ein Tor dorthin (russische Pilger in Moskau warten »auf die Öffnung der Türen«): ›klopfet an, so wird euch aufgetan‹ (Mt 7,7). Und dieses Anklopfen taucht bei Rilke auch im Buch vom mönchischen Le ben auf (SW I,255): ›Du, Nachbar Gott, wenn ich dich manchesmal / in langer Nacht mit hartem Klopfen störe, – / so ists, weil ich dich selten atmen höre / und weiß: Du bist allein im Saal.‹« zu Rilkes Stellung zum Gehör und zum Hören vgl. bes. SO I,5: »Und er gehorcht, indem er überschreitet.« 149 Vgl. 1 Kor 7,24 (Einheitsübersetzung): »Brüder, jeder soll vor Gott in dem Stand bleiben, in dem ihn der Ruf Gottes getroffen hat.« 150 Mit ›wîse‹ ist ein erworbener und wirksamer »Habitus« gemeint (im Sinne eines »habitus infusus« oder »habitus acquisitus«). 151 Darin spiegelt sich Eckharts positive Einschätzung des Daseins der anderen, im Sinne des Pluralismus der vielen Geschöpfe, der wechselseitige Achtung und Liebe impliziert und fordert. 152 Es geht hier um Vorurteile im Blick auf material bestimmte Vorlieben (Lebensarten). Eckhart plädiert damit ansatzweise für einen ›Formalismus in der Ethik‹. 153 Eckhart zielt nicht auf ›Henologie‹, sondern im Sinne der biblischen ›Schöpfung‹ auf Anerkennung des Vielen (vieler Subjekte). Der Ausdruck »wîse« zielt auf ›Ideal‹ und ›Maxime‹, auf den Grundentwurf der Existenz. Eckhart gibt einem ›liberalen Pluralismus‹ klaren Vorrang. 154 Es geht Eckhart nicht um Verneinung des ›Vielen‹ und des ›Anderen‹, sondern um eine Art ›formaler Gesetzlichkeit in der Ethik‹, die dem (den) ›Anderen‹ gerade Platz läßt.
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Anmerkungen
155 Vgl. Ms. Praed. 159 (Stadtbibliothek Frankfurt; aus der »Biblio-
thek der Dominicaner zu Frankfurt«): »unser« (dort kein doppeltes ›r‹). 156 »Eigentlichkeit« und »Jemeinigkeit« (vgl. Heidegger: Sein und Zeit, z. B. 42 f.) verbindet Eckhart, der e3tero2th@ (das ›Anderssein der Anderen‹) positiv konnotiert, mit der dankbaren Anerkennung der Schöpfung des Vielen. 157 Vgl. Stellen zum Fasten Jesu in der Wüste: Mk 1,12 f; Mt 4,1–11; Lk 4,1–12. 158 Vgl. die Inschrift am Apollo-Tempel in Delphi: Gnw/ji seauto2n. Dazu Platon: Phaidros 229 e; ebenso Augustins Wort (conf. 10,15): »nec ego ipse capio totum, quod sum. ergo animus ad habendum se ipsum angustus est«. Seit Platon geht es in der Aufgabe der Selbsterkenntnis um das Schicksal von Individuen (einzelner Vernunftwesen wie Sokrates), wobei jedoch keine dogmatischen Antworten kraft der eigenen Vernunft behauptet werden (vgl. Phaidon 106 d). Diese Tatsache öffnet grundsätzlich die Tür zum Glauben an eine ›Offenbarung‹, z. B. im Stile von Kants Spätschrift Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. 159 Diese Rede konkretisiert ein Spektrum der in der vorausgegangenen Rede eröffneten Möglichkeiten. Dabei geht es auch um Fragen der Habituskonstitution, wie Aristoteles sie zum Thema gemacht hat; nach Aristoteles erlangen wir die Tugenden allererst ›nach vorausgegangener Tätigkeit‹; vgl. noch einmal Nikomachische Ethik 1103 a 31: e4nergh2sante@ pro2teron. 160 Impliziert ist hier die radikale Freiheitsthese des frühen Augustinus, gemäß der sich der Wille das gesuchte oberste Gute allein durch sich selbst geben könne (lib. arb. 1,26): »sola illi voluntas per se ipsam daret«. 161 Nach Eckhart sollen uns nicht äußere Umstände, die zufällig auftreten, bestimmen. 162 Gott wird hier erneut (nach mehrfacher Erwähnung der ›Leiden Christi‹) im Unterschied zur griechischen Philosophie als ›leidensfähig‹ gedacht. Womöglich wegen der Gewagtheit des Gedankens eines ›Leidens Gottes‹ spricht Eckhart hier konjunktivisch. Eckhart zerbricht sich hier gleichsam den Kopf Gottes. 163 Vielleicht hat diese Haltung Eckhart über die Schrecken hinweggetragen, die gewiß mit den gegen ihn angestrengten Prozessen verbunden waren.
Anmerkungen
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164 Vgl. den Hymnus zum Fest des Erzengels Michael: »Tibi Christe
splendor patris vita virtus cordium …«. 165 Wiederum geht es um o3moíwsi@ jeö/ kata1 to1 dunato2n (Platon: Theaitetos 176 b). Vgl. dazu auch noch einmal Thomas von Aquin: Summa theologiae I,93. 166 Das ist eine sehr extreme, aber konsequent gedachte Formulierung der menschlichen Freiheit im Blick auf den Gottesgedanken. Sie zielt in die Richtung eines ›werdenden Gottes‹. Dieser Gedanke wurde seit Platon diskutiert (wodurch er einerseits Timaios 37 c, wo die Welt als ›Götterbild‹ ins Auge gefaßt wird (37 c: a6galma, vgl. 38 c), andererseits als ›wahrnehmbarer Gott‹ (92 c: jeo1@ ai4sjhto2@; vgl. 34 a/b; 38 c), welcher Gedanke weitreichende Folgen hatte. Vgl. z. B. auch NF: Epigenesis des Sinnes. Nicolai Hartmanns Destruktion einer allgemeinen Weltteleologie und das Problem einer philosophischen Theologie. 167 Offenbar hat Eckhart eine Wechselwirkung von menschlicher und göttlicher Aktivität im Auge. Die Übersetzung von Eckharts Wort »werk« mit »Pflicht« ist von Kant inspiriert. 168 Das ist eine extreme Darstellung und Begründung der These der Freiheit des Willens des Menschen als eines von Gott geliebten endlichen Geschöpfs, das eben nicht selbst der Grund seines Seins und Daseins ist. 169 Versuch, das ›Geworfensein‹ und ›Geliebtsein‹ der Menschen durch Gott, die sich spannungsreich zueinander verhalten, dennoch zu verknüpfen. Vgl. z. B. Predigt 2: Intravit Iesus in quodam castellum et mulier quaedam, Martha nomine, excepit illum in domum suam; MEW I,34: »Ez ist sô gar ein und einvaltic, als got ein und einvaltic ist, daz man mit dekeiner wîse dar zuo geluogen mac.« 170 Zwar sind wir nach Eckhart ›frei‹, aber nicht, als könnten wir Gott mit unseren Taten manipulieren: Es geht Eckhart nicht um selbstgerechte ›Werkgerechtigkeit‹, die Luther später mit Recht bekämpft hat (z. B. in De servo arbitrio), aber anders als Luther durchaus mit der Annahme der ›Freiheit der Entscheidung‹ (des »liberum arbitrium«). Dazu einführend Georg Steer: Meister Eckhart und Martin Luther. Vgl. aber auch noch einmal NF (Hg.): Die Gnadenlehre als ›salto mortale‹ der Vernunft? Natur, Freiheit und Gnade im Spannungsfeld von Augustinus und Kant.
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Anmerkungen
171 Diese umfangreiche Rede (RdU 20) ist von anderem Inhalt und
anderem Stil, gleichsam wie von einem anderen Autor und in anderer Intention (mit einer Tendenz zum ›Fideismus‹). ›Dogmatische‹ Tendenzen sind Eckhart, der sogar den Gedanken des ›postulatorischen Atheismus‹ reflektiert, fremd. Der Glaube an ›ontologische Wunder‹ (z. B. die »Transsubstantiation« von ›Brot und Wein‹) spielen bei Eckhart keine Rolle. Vor allem in diese Rede mögen Wortmeldungen der Hörer eingeflossen sein. Vgl. Dietmar Mieth: »Die Meister sagen« – die »Leute« fragen. Meister Eckharts rhetorische Brückenbildung zwischen Meister-Diskurs, persönlicher Gewissheit und Mystagogie. Vgl. auch DW 5,169: »Mit dem BgT aber verknüpfen RdU noch weitere sehr charakteristische inhaltliche Übereinstimmungen […]«. 172 Empfehlung der Nüchternheit (a4pa2jeia), Vorrang einer moralisch-praktischen Haltung ohne jeden Gefühlsüberschwang. Von diesem Pfad scheint Eckhart in dieser Rede aber selbst gelegentlich abzuweichen, was auf kontroverse Diskussionen mit den Hörern weisen könnte. 173 ›Primat der praktischen Vernunft‹ im Blick auf die o3moíwsi@ jeö/ kata1 to1 dunato2n. 174 Erneut Anknüpfung an Augustinus (lib. arb. 1,27): »quisquis ergo habens bonam voluntatem, de cuius excellentia iam diu loquimur, hanc unam dilectione amplexetur qua interim melius nihil habet, hac sese oblectet, hac denique perfruatur et gaudeat, considerans eam et iudicans, quanta sit quamque invito illi eripi vel subripi nequeat, num dubitare poterimus istum adversari rebus omnibus quae huic uni bono inimicae sunt?« Wiederzufinden bei Kant: GMS BA 1 (AA 4,393): »Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille.« Auch Kant beachtet der Sache nach Augustins »interim«, vgl. z. B. die Postulatenlehre, bes. KpV A 238–241. 175 Das ist eine sehr moralbetonte Auslegung des Sinnes der Eucharistie. Die Achtung der Anderen hat Vorrang; im Hintergrund ist das Ideal einer »sancta civitas« wirksam. 176 Auch hier favorisiert Eckhart eine praktisch-moralische Deutung der Eucharistie. 177 Zu »Trägheit« vgl. die Hinweise zu Luther und Eckhart bei Max Jammer: Trägheit (HWP 10,1329–1334, bes. 1330 f.).
Anmerkungen
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178 Vgl. conf. 10,40: »o amor, qui semper ardes et numquam extingue-
ris, caritas, deus meus, accende me!« 179 Eckhart wechselt hier unter Betonung der moralisch-praktischen Bedeutung der Aussage zur direkten Anrede der Hörer. 180 MEW II,396 f.: vgl. 2 Kor 3,18. 181 Damit wirft Eckhart einen geistlich inspirierten Blick auf das ›Sein des Seienden‹, in dem der Gottesbezug eine konstitutive Rolle spielt und in dem die im Immanenten verbleibende Auslegung des Seienden zugleich integriert und überboten ist. Er öffnet sich für den objektiv nicht faßbaren Glauben an ein ›Reich Gottes‹, wie es Augustinus (und später Kant) getan haben. 182 Im Hintergrund wiederum die aristotelisch-scholastische Lehre vom ›habitus acquisitus‹. 183 Zu beachten ist der Unterschied zwischen »got« und »gotheit«; Vgl. auch Pfeiffer II, 179–181 (Predigt LVI): »Nolite timere eos, qui corpus occidunt, animam autem occidere non possunt (Matth. X,28); bes. 181: »Got wirket, diu gotheit wirket niht, sie enhât niht zu wirkenne, in ir ist kein werc.« Peter Heidrich: Leere (HWP 5,157): »Voll aller Kreaturen sein, bedeutet nach ECKHART Gottes leer sein, umgekehrt aber ist leer sein aller Kreaturen Gottes voll sein.« 184 Das kann nur im Blick auf den Glauben an den Mensch gewordenen Gott gedacht werden (vgl. dazu conf. 4,19); zur »virginitas mentis« vgl. noch einmal NF: Wer sint, die got êrent? (Predigt 6). Zur leitenden Grundfrage Meister Eckharts. Hinführung zum Zentrum seines Denkens, 12–15; Eckhart argumentiert wiederum in Absetzung von jeder Art ›Henologie‹ und jeder ›absoluten Metaphysik‹ im Sinn einer ›vernünftig reflektierten Offenbarungsreligion‹. 185 Insofern steht die ›Christologie‹ als geglaubte Beziehung (Liebe) ›Gottes‹ zu den Menschen, von der noch Kant spricht, im Zentrum von Eckharts (wie von Augustins) Theologie. 186 Laut Eckhart wollen wir gern loben, weil wir ›gerne leben‹ und lebensbegeistert sind (vgl. Predigt 26: Mulier, venit hora et nunc est, quando veri adoratores adorabunt patrem in spiritu et veritate (MEW I,294–303, bes. 296: »›war umbe lebest dû?‹ – ›triuwen, ich enweiz! ich lebe gerne‹.«), können dies aber zuweilen nicht, weil die faktische Lebenswirklichkeit
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Anmerkungen
uns vom Lob abhält. Eckhart erwägt, wie erwähnt, manchmal sogar den ›postulatorischen Atheismus‹. 187 Mittelhochdeutsches Wörterbuch (Kurt Gärtner), 1188: »dancnæmecheit stF. ›Dankbarkeit‹ von stunt wart si gesunt unde quam zu dem grabe des mildin 35 furstin [Ludwig] mit grozir dancnemekeit unde mit innekeit Köditz 87,5. 87,30; daz sich der mensche gote lâze groezlîche, swenne er ûf in ihtes werfen welle, ez sî smâcheit, ez sî arbeit, ez sî, swaz lîdens daz sî, daz er ez mit vröuden und danknæmicheit neme Eckh 5: 256,10. 5: 234, 10. 5: 268, 4«. 188 Der Glaube an den Mensch gewordenen ›Christus‹ wird als das Ja des endlichen Menschen zur Schöpfung Gottes ausgelegt (wieder im Gleichklang mit Augustinus conf. 4,19). Vgl. NF: Confessiones 4 – Der Tod als Phänomen des Lebens und als Aufgabe des Denkens. 189 Die ›Eucharistie‹ betrifft nicht ein äußeres Geschehen, sondern ein inneres Wunder, das man aber durch äußeres Verhalten würdigen kann. 190 Es geht in konkretem Bezug auf irdische Vollzüge um die o3moíwsi@ jeö/ kata1 to1 dunato2n (Platon: Theaitetos 176 b). 191 Hier kommt plötzlich ein Überschwang zum Ausdruck, der sonst in RdU keinen Platz hat. Eckhart bringt hier den ›Glauben‹ an die reale Beziehung Gottes zur Welt zum Ausdruck, obwohl Gott in der Welt verborgen ist; die ansonsten vorherrschenden nüchternen Überlegungen werden derart auch konterkariert. 192 »Nie gab es so nahe Einung«; hier geht es zwar um e5nwsi@, aber im Bewußtsein und in der Anerkennung der bleibenden Differenz. 193 Zum Hintergrund bei Augustinus vgl. NF: Zur Frage nach ›Leib‹ (›Kör per‹) und ›Seele‹ (›Geist‹) bei Augustinus. Mit besonderer Beachtung der frühen Schrift »De libero arbitrio« und der »Confessiones« (im Druck). 194 Eckhart eröffnet hier das Themenfeld von »Meinen«, »Wissen« und »Glauben«; vgl. dazu später Immanuel Kant: KrV B 848–859: »Des Kanons der reinen Vernunft Dritter Abschnitt. Vom Meinen, Wissen und Glauben.« Der Charakter des ›wahren Glaubens‹ muß in seinen Bestimmungen inhaltlich und formal verdeutlicht werden. Eckhart redet hier als vernünftig Denkender, der um die Endlichkeit des Vermögens der Vernunft – und um die Notwendigkeit ›vernünftigen Glaubens‹ – weiß.
Anmerkungen
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195 Dieser Gedanke betont die Nähe und Ferne der menschlichen Ver-
nunft zu Göttlichem – und damit die Notwendigkeit der ›Unterscheidung‹ im Sinne einer ›Orientierung im Denken‹. 196 Im Hintergrund steht Augustins Unterscheidung von »frui« und »uti«; vgl. noch einmal Henry Chadwick: frui – uti (AL 3,70–75). NF: fo ris – intus. Mehr noch als Augustinus betont Eckhart hier auch die positive Bedeutung des Äußeren. 197 Zu »versenken« als zentralem Begriff der ›Mystik‹ des 13. und 14. Jahrhunderts vgl. Peter Heidrich: Versenken (HWP 11,887). 198 Vgl. Platons Bestimmung der Gerechtigkeit (Politeia 433 b: ta1 e3au tou/ pra2ttein); auch als Hintergrund von Kants Rede von »Autonomie«, die nichts Selbstisches an sich hat. Vgl. NF: Erkenntniskritik, Begründung des Sittengesetzes und Gottesfrage bei Immanuel Kant; zur »eigenliebigen Selbstschätzung« vgl. bes. 65. 199 Hier ist die wesenhaft bleibende Differenz zwischen Gott und Mensch vorausgesetzt. 200 Was mit ›Gott‹ gemeint ist, ist die entscheidende Frage. Eckhart scheint die unvermeidliche Unsicherheit menschlicher Antworten auf diese Frage anzuerkennen. 201 Zu dieser neuplatonisch inspirierten Redeweise vgl. Niklaus Largier (MEW II,716 und auch die 717 gegebenen Literaturhinweise): »Prägend für das Verständnis der Engel sind Augustinus, Johannes Damascenus und Dionysius Areopagita. Der letztere hat in seiner Schrift über die Himmelsordnung (De caelesti hierarchia) denn auch das Bild der Hierarchie entworfen, auf das Eckhart verschiedentlich rekurriert.« 202 Für heutige Leser (bes. für solche ohne Beziehung zum christlichen Glauben) zunächst fremd. Vielleicht spielen hier Fragen der Hörer eine Rolle. Eckhart selbst scheint nüchterner zu denken, ist näher z. B. an Kant: Im Vergleich mit der Erkenntniskritik, der Begründung des Sittengesetzes und der Gottesfrage bei Kant wirkt dieser Gedanke auf den ersten Blick magisch und berechnend. Der folgende Satz rückt diese Deutung aber wieder in eine nüchterne Betrachtung, die auf die moralische Relevanz des Eucharistieglaubens zielt. Das Denken Eckharts lebt vom Glauben an den einen Gott und dessen Beziehung zu den vielen zu achtenden endlichen Vernunftwesen.
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Anmerkungen
203 Das sind wohl gezielte Hinweise für die Lebenswelt von über-
schwenglichen ›Religiosen‹. 204 Dem Duktus einer Rede für Religiose folgend, endet sie mit dem »Amen« des Predigers. Die in Bezug auf das ganze Werk doch recht andersartige 20. Rede wird damit passend abgeschlossen. Das »Amen« erfolgt dann jedoch noch einmal, nämlich als Abschluß der 23. Rede, mit der RdU schließen. 205 In dieser Rede geht es um die ›Sorge‹, die Heidegger als »Sein des Daseins« bestimmt (vgl. SuZ, 180–230). Auch diese Rede scheint zunächst nichts Neues zum Thema von RdU beizutragen – und zunächst vielleicht sogar ein wenig geschwätzig auf die Zuhörer einzureden. Diese Haltung ändert sich aber im Blick auf die Thesen zur Freiheit des Willens. 206 Betont wird der Vorrang der Gewissenserforschung, weniger das sakramentale Geschehen im Sinne eines äußeren Wunders. Wiederum im Sinne eines ›Primats der reinen praktischen Vernunft‹ gedacht. 207 Das heißt, daß wir nicht ›wissen‹, daß wir ›frei‹ sind; Eckhart spricht von einer ›endlichen Freiheit‹, die unversehens als ›Aufgabe‹ begegnet, an der wir uns üben müssen. 208 Vgl. Mittelhochdeutsches Wörterbuch (Kurt Gärtner) 800: »Eckh 5: 206,5; daz ander, daz sich sîn inwendigen bilde, ob ez bilde sîn oder ein erhabenheit des gemüetes, oder ûzwendic bilde […], daz er sich in den iht zerlâze noch zerströuwe noch veriuzer ebd. 5: 276,8«. Vgl. noch einmal das von Augustinus umgeformte Wort Plotins: »noli foras ire …« (vera rel. 72). Dazu: NF: Transzendieren und Transzendenz in Au gustins ›Confessiones‹ (›tu autem eras interior intimo meo et superior summo meo‹). 209 Gemäß der Maxime Augustins (vera rel. 72) : »in te ipsum redi«! 210 Damit erhebt Eckhart einen schärferen Einwand gegen Plotins Maxime i6tw ei6sw (Enneade I 6, 8, 3–6), als Augustinus ihn vorgetragen hat (der in die ›Transzendenz‹ weist, aber – gegen Plotin – unter Bewahrung des von Gott geschaffenen Immanenten). 211 Eckhart betont hier erneut die positive Bedeutung des Äußeren, obwohl für ihn wie für Augustinus gilt (vera rel. 22): »noli foras ire, in te ipsum redi. in interiore homine habitat veritas. et si tuam naturam mutabilem inveneris, transcende et te ipsum.« 212 Eckhart spricht zu allen endlichen Vernunftwesen, nicht nur zu
Anmerkungen
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Christen oder gar nur Ordensleuten. Das mag die Zentralthese seiner Reden sein; Eckhart übergeht Dogmatiken des Theismus wie des Atheismus. Es bleibt die Frage nach dem von allen Denkenden gesuchten absoluten (göttlichen) Sinn des Endlichen. ›Gott‹ wird aber als der Schöpfer der vielen endlichen Geschöpfe geglaubt. 213 Das ist eine Aussage zum ganzen (vernünftigen, aber auch sinn lichen) Menschen, aber auch zu den vielen anderen, die von Gott gewollt sind; aber die Entscheidung weist auf die Jemeinigkeit der Existenz und den ›freien Willen‹. 214 Ziel ist also ›eine heilige Gemeinschaft freier endlicher Geschöpfe‹, in der das Sein aller als ungebrochen erhofft wird. 215 Dazu zu bedenken ist Ludwig Feuerbach: Gedanken über Tod und Un sterblichkeit, 384; vgl. auch den Kontext): »Gott ist nur Dein eignes Ich«; weiter: Das Wesen des Christentums, 47: »Die Religion ist die erste, und zwar indirekte, Selbsterkenntnis des Menschen […]. Der Mensch verlegt sein Wesen zuerst außer sich, ehe er es in sich findet. Das eigne Wesen ist ihm zuerst als ein andres Wesen Gegenstand. Der geschichtliche Fortgang in den Religionen besteht deswegen darin, daß das, was der frühern Religion für etwas Objektives galt, als etwas Subjektives, d. h., was als Gott angeschaut und angebetet wurde, jetzt als etwas Menschliches erkannt wird. Die frühere Religion ist der spätern Götzendienst: Der Mensch hat sein eignes Wesen angebetet.« 216 Das ist erneut eine Anknüpfung an Augustins Wort: »noli foras ire, in te ipsum redi …«. 217 Eckhart weist hier bekräftigend auf Augustins Deutung des Menschen als »cor inquietum«. 218 Ziel ist wieder die o3moíwsi@ jeö/ kata1 to1 dunato2n (Platon: Theai tetos 176 b). 219 Was wir auf Grund der Flüchtigkeit des Zeitlichen ja auch gar nicht können; Eckhart zielt jedenfalls auf einen ›unendlichen Progressus‹ (s. u. Kant: KpV A 220). 220 Später wird am weiblichen Personalpronomen klar, daß es sich bei diesem ›Menschen‹ um eine Frau handelt. 221 Im Hintergrund steht hier ein »habitus acquisitus« im Sinne einer zurechenbaren Handlung: Handelnde müssen, bevor sie aus einer tu-
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Anmerkungen
gendhaften Haltung heraus handeln, gehandelt und ihre Maximen konstituiert haben; vgl. Aristoteles; Nikomachische Ethik B, 1103 a 31) erlangen wir die Tugenden erst »nach vorausgegangener Tätigkeit« (e4nergh2sante@ pro2teron). 222 Das von Eckhart gezeichnete Ideal wäre mit Heidegger als das ›eigentliche Ganz- und Selbstseinkönnen‹ des Daseins zu charakterisieren; vgl. Martin Heidegger: SuZ, bes. 113–125. 223 Das ist ein impliziter Rückverweis auf die erste Rede: 1. Von wârer gehôrsame daz êrste. Eckhart geht es um einen ›unendlichen Progressus‹ zur Heiligkeit des Willens. 224 Das Thema der Anderen ist im Blick auf die Grundfrage der Moral bemerkenswert; vgl. dazu NF: Zur »Person eines jeden andern« im Denken Immanuel Kants. Vor dem Hintergrund der ›Heteronomie‹ bei Levinas und dem ›Seinsdenken‹ bei Heidegger. 225 Das ist ein Appell an die Vernünftigkeit der Entscheidung im Sinne von »Autonomie«. 226 Vgl. noch einmal die Habitus-Lehre des Aristoteles, die das pro2 teron e4nergh2sante@ im Blick auf die Handelnden in der Nikomachischen Ethik voraussetzt. Im Mittelalter wird dieser Gedanke in der Lehre vom ›habitus acquisitus‹ präsentiert. 227 Ohne Begründung durch ›natürliche Neigungen‹ im Sinne Kants. Vgl. Predigt 5 b (MEW I,70): »Ûzer disem innersten grunde solt dû würken alliu dîniu werk sunder warumbe. Ich spriche wærlîche: al die wîle dû dîniu werk würkest umbe himelrîche oder umbe got oder umbe dîn êwige sælicheit von ûzen zuo, sô ist dir wærlîche unreht.« Vgl. Jean Greisch: ›Warum denn das Warum?‹ Heidegger und Meister Eckhart: Von der Phänomeno logie zum Ereignisdenken. 228 Die Argumentation Eckharts ist kompatibel mit Kants AutonomieGedanken; auch in dem Sinn, daß der strikte Selbstbezug aufgebrochen wird im Blick auf die Wirklichkeit ›anderer‹ als zu achtender Personen. 229 Das auf sich selbst bezogene Ich bleibt als die Grundlage der nicht mehr selbstischen Bewegung aber vorausgesetzt. 230 Hier geht es erneut um die o3moíwsi@ jeö/ kata1 to1 dunato2n (Platon: Theaitetos 176 b). 231 Rückbezug auf die erste Rede: »1. Von wârer gehôrsame daz êrste.«
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232 Kann als Vorspiel zu Heideggers Rede von der ›Jemeinigkeit der
Existenz‹ verstanden werden (z. B. Heidegger: SuZ 53: »Zum existierenden Dasein gehört die Jemeinigkeit als Bedingung der Möglichkeit von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit.« 233 Vgl. Lk 11,17. 234 Vgl. Lk 11,23. 235 Hier werden Einwände der Hörer explizit erwähnt (vgl. Vorspruch zu RdU), und damit bietet RdU 22 einen konkreten Hinweis auf den faktischen Verlauf der Sitzungen, zu denen die ›Reden‹ vorgetragen wurden; ein Zeichen, daß und wie Eckhart sich als Autor des Ganzen versteht. 236 Vgl. Anton Hügli: Tod (HWP 10,1227–1242), hier 1232: »Wer in Gott stirbt, der verliert nach MEISTER ECKHART ›alle sîne natürliche eigenschefte‹ und empfängt ›ein wesen, das bezzer ist dan ein leben‹.« 237 Ein »volbringer« bringt hervor, ist ein ›Schöpfer‹ von vielem anderen: wiederum ein scharfer Gegensatz besonders zu Plotins Henologie. Im Hintergrund erneut der Gedanke der »creatio de (ex) nihilo«, die das Entstehen des Vielen auf ›Gott‹ bezieht. 238 Hier ein klares Zitat eines Gedankens des Thomas von Aquin (z. B. Summa theologiae 1,1,8 ad 2 und 1,2,2 ad 1): »Gratia non tollit naturam, sed perficit et supplet defectum naturae«. 239 Eckhart hat mit der philosophischen Tradition (z. B. Platon: Theaite tos 176 c) eine klare Meinung von dem, was als ›Gott‹ gedacht werden kann. 240 Vgl. noch einmal »Wer sint, die got êrent?« (Predigt 6). 241 Der Weg ist ein ›unendlicher Progressus‹; vgl. Kant (KpV A 220): »Die völlige Angemessenheit des Willens aber zum moralischen Gesetze ist Heiligkeit, eine Vollkommenheit, deren kein vernünftiges Wesen der Sinnenwelt in keinem Zeitpunkte seines Daseins fähig ist. Da sie indessen gleichwohl als praktisch nothwendig gefordert wird, so kann sie nur in einem ins Unendliche gehenden Progressus zu jener völligen Angemessenheit angetroffen werden, und es ist nach Principien der reinen praktischen Vernunft nothwendig, eine solche praktische Fortschreitung als das reale Object unseres Willens anzunehmen. // Dieser unendliche Progressus ist aber nur unter Voraussetzung einer ins Unendliche fortdaurenden Existenz und Persönlichkeit desselben vernünftigen Wesens (welche man die Unsterblichkeit der Seele nennt) möglich.«
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Anmerkungen
242 Diese letzte Rede enthält eine Reihe von Fragen und Antworten,
scheint also auf Diskussionen zu verweisen, die mit Eckharts Reden verknüpft waren (RdU 1: »diu in dirre rede vrâgeten vil dinges«). 243 Wie das mit der teils ausdrücklich geforderten ›Gelassenheit‹ (vgl. RdU 3, 10, 11) zu verbinden ist, könnte hier eigens gefragt werden. Offenbar denkt Eckhart auch in Richtung eines ›Primats der praktischen Vernunft‹ und zurechenbarer freier Handlungen endlicher Wesen. 244 Das Innere soll die äußere Wirklichkeit, die also beachtet und als bedeutsam anerkannt wird, gestalten. Es geht nicht um eine das Äußere abwertende Auflösung des Äußeren ins Innere, sondern um eine sich wechselseitig steigernde Bewahrung des Äußeren und des Inneren. 245 Eckhart zielt hier im Sinne der ›Transzendentalienlehre‹ (»omne ens inquantum est ens, est unum, verum, bonum«; vgl. z. B. Thomas von Aquin: Summa theologiae I, q. 5, a. 3; q. 11) auf ein Zusammenspiel von äußerer und innerer Wirklichkeit, von unendlicher und endlicher ›Freiheit‹ und zugleich auf ›Gnade‹ als Beistand des Schöpfers zu den endlichen Geschöpfen. Eine gründliche Darstellung von Eckharts Transzendentalienlehre samt Forschungsberichten und Diskussion bietet Martina Roesner: Logik des Ursprungs. Vernunft und Offenbarung bei Meister Eckhart, bes. 132–139: Die besondere Struktur von Eckharts Transzendentalienlehre. 246 Vom ›Schweigen aus der Fülle des inneren Reichtums‹ spricht Eckhart öfter. Josef Quint (DW V 5,368) nennt die Zuweisung zu Dionysius unklar (PG 3,997: De mystica Theologia 1,1) und verweist auf Predigt XCIX (Franz Pfeiffer II,319): »Hie von sprichet sant Augustinus: daz schœneste, daz der mensche gesprechen mac von gote, daz ist, daz er von wîsheit inners rîchtuomes swîgen künne.«; vgl. MEW I,386,17–29; mit dem Stellenkommentar 989 f., bes. 990. 247 Das »doch« erklärt sich aus dem Problem, daß es um das ›Vernichten‹ des Eigenen geht. 248 Die Unterschiedenheit von Gott und Geschöpf bleibt weiter anerkannt und wirksam. Hier und im folgenden zeichnet Eckhart gleichsam ein Sehnsuchtsbild von Gott aus dem christlichen Glauben, ohne Preisgabe der eigenen Würde endlicher Wesen. 249 Im Hintergrund steht die Frage nach dem Verhältnis von Theono mie und Autonomie.
Anmerkungen
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250 Lexer, 326: »zu nichts machen, für nichts achten«. 251 Vgl. Gabriele Santel: Schein (HWP 8,1230–1237); zu »Schein« bei
Eckhart bes. 1230: »Gott überscheint alles und ›wirfet sînen schîn‹ in die Kreaturen«. 252 Vgl. Mt 23,12: 5Osti@ de1 u3qw2sei e3auto1n tapeinwjh2setai, kaì o5sti@ tapeinw2sei e3autoo1n u3qojh2setai. // Lk 14,11: o5ti pa/@ u3qw/n e3au to1n tapeinwjh2setai, kai1 o3 tapeinw/n e3auto1n u3pojh2setai. 253 Vgl. Mk 9,34: eÌ ti@ je2lei prw/to@ eÎnai, e6stai pa2ntwn e6scato@ kai1 pa2ntwn dia2kono@. Dieses Wort ist das Gegenstück der Anpreisung des ›Willens zur Macht‹, den Friedrich Nietzsche diagnostiziert hat. 254 Auch im Sinn: »Wer ›das eine‹ sein will, muß für ›das andere‹ (für ›die anderen‹) offen sein.« Gott ist für Eckhart (wie für Augustinus) nicht ›das Eine‹ Plotins, sondern der Schöpfer der Welt mit ›vielen anderen‹ als ›Zwecken an sich selbst‹ (z. B. in einer »civitas dei«). 255 Das ist eine allgemeine Aussage zu ›Sein und Sinn der Zeitlichkeit‹. Sie ließe sich beziehen auf Augustinus (conf. 11) und Kant (KrV) bis hin zu Heidegger (SuZ). 256 Eckhart spricht gegen den Leitsatz »citius, fortius, altius«, der allen ›Fortschritt‹ ohne kritische Besinnung hemmungslos antreibt. Diese These steht in gutem Zusammenhang mit der Tugend des ›Gehorsams‹ (RdU 1). Kritisch zu reflektieren wäre dieser Gedanke im Blick auf ›Auto nomie‹, die jedenfalls bei Kant selbst nichts Selbstisches an sich hat. 257 Vgl. 1 Kor 1,5: o5ti e4n panti1 e4plouti2sjhte e4n au4tö/. 258 Vgl. RdU 4: »Ez ist rehte ein glîch widergelt und glîcher kouf: als vil dû ûzgâst aller dinge, als vil, noch minner noch mêr, gât got în mit allem dem sînen, als dû zemâle ûzgâst in allen dingen des dînen.« Das ist ökonomisch berechnend ausgedrückt und könnte insofern auch problembeladen sein. 259 Also gilt für Eckhart: »Soli deo gloria«; dies ist aber nur plausibel, sofern Gott als ›Liebe‹ gedacht wird, die den anderen Platz geschaffen hat und ihnen Platz läßt (also nichts Egoistisches an sich hat – im Sinne von Augustins »amore amoris tui facio istuc« (conf. 2,1; 11,1); vgl. auch Kant, der »die (uns schon durch die Vernunft versicherte) Liebe desselben [scil. Gottes] zur Menschheit« betont hat (RGV B 176 = AA 6,120). 260 Hier scheint Eckhart sich zu affirmativen Aussagen über die Mo-
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Anmerkungen
tive Gottes zu versteigen. Positive Aussagen zu Gott mögen aber prinzipiell die Tendenz zu Anthropomorphemen haben. 261 ›Armut des Geistes‹ hat als moralische Grundmaxime mehrere Facetten; einerseits negativ: Macht und Reichtum (also auch Gottes) sind kein Kriterium der Seligkeit (jedes egoistische Besitzenwollen ist eher beschämend); Liebe behält Überfluß nicht für sich, sondern ist freigebig und erkennt die Not der Anderen an. ›Wille zur Macht‹ ist nicht die Grundlage wünschbaren Geschehens in einer von Gott gewollten Welt, nicht das Kriterium für die Lösung der Probleme, auch wenn alle Welt sie erstrebte. ›Armut des Geistes‹ ist der gedachte Impuls einer Schöpfung aus freigebiger Liebe. 262 Vgl. nochmals Augustinus, der Gott als ›reine Liebe‹ gedacht hat; hinzuweisen ist auch auf Kant (Vorlesungen über Moralphilosophie (Powalski); ca. 1782/83 (AA 27, 181): »Die Liebe Gottes aber ist die Liebe aus Pflicht, wenn wir Gott gerne gefällig zu seyn suchten, auf die Art ist sie liebenswürdig in unsern Augen, und denn ist die Liebe practisch.« Ebenso vgl. das erwähnte Wort von Heidegger (»amo: volo, ut sis«). ›Tugend‹ ist vom griechischen Wort her (a4reth2 = a4rísth pra2xi@) als höchste Tätigkeit zu verstehen. 263 Vgl. 2 Kor 6,10: w3@ ptwcoì pollou1@ de1 ploutízonte@, w3@ mhde1n e6conte@ kaì pa2nta kate2conte@; Einheitsübersetzung: »wir sind arm und machen doch viele reich; wir haben nichts und haben doch alles.« 264 Es geht um Vergöttlichung der Maximen, nicht um Konkurrenz im Besitzstand. Die o3moíwsi@ jeö/ kata1 to1 dunato2n zielt auf Liebe und Gerechtigkeit in der Ausrichtung des Willens. 265 Diogenes zu Alexander dem Großen; vgl. MEW II, 802: Hinweis auf Cicero: Tusculanae diputationes 5,92. Vgl. Walter Senner: Meister Eckhart als Ordensmann (MEJb 7, 26): »Darum sprach der ›Diogenes‹, der ohne Kleider im Fass saß, zu dem großen Alexander, der alle Welt unter sich hatte: ich bin […] ein viel größerer Herr als du, denn ich habe mehr verschmäht, als du besessen hast‹«. 266 Immerhin müssen alle endlichen Sinnenwesen anscheinend ›aus Not‹ essen und auch einigen anderen vitalen Bedürfnissen nachkommen. 267 Im Hintergrund stehen Fragen nach dem Schöpfungsmotiv, aber auch der Theodizee.
Anmerkungen
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268 Wiederum zu verstehen im Sinne der o3moíwsi@ jeö/ kata1 to1
dunato2n. 269 Mit berechnender Vernunft ist hier nichts zu machen: Die Wege Gottes werden als ›transzendent‹ und unergründlich vergegenwärtigt; Eckhart trägt diesen Gedanken hier radikal vor, obwohl er sich den Zugang zu diesen Fragen auf Wegen autonomen Denkens gebahnt hatte. 270 Im folgenden geht es um eine Art von ›Wissen‹, das Eckhart Paulus zuspricht. 271 Eckhart betont die Dialektik von Freiheit und Gnade, wiederholt teils genannte Motive, unterstreicht aber wiederum die hohe Bedeutung des Verhältnisses von Schöpfer und Geschöpf. 272 Dieser (geglaubte) Wille bezeugt sich womöglich nicht in der erfahrbaren Wirklichkeit und könnte folglich als fatalistisch oder als Phantasieprodukt diskreditiert werden. 273 Es kommt demnach nicht darauf an, was Gott ›tut‹, sondern was Gott ›will‹, aber (aus Achtung vor der ›Freiheit‹ der vernünftigen Geschöpfe) nicht einfach durchsetzt. Dazu paßt, daß Eckhart Gott selten als ›allmächtig‹ benennt. Faktisch ist Gott im konkreten Weltlauf nicht stricte ›allmächtig‹ (und wird von Eckhart weitgehend auch nicht so betitelt: sonst gäbe es auch nicht einmal die Möglichkeit der ›Freiheit‹ des Willens). Dadurch (und aus dem faktischen Weltlauf ) versteht sich das auffällige Zögern Eckharts, von der ›Allmacht Gottes‹ zu sprechen. 274 Hier werden erfahrbare (sensible) und gedachte (intelligible) Welt scharf unterschieden, ohne daß diese Unterscheidung argumentativ abgesichert wäre. Es geht um die Grundlage der geglaubten Schöpfungslehre, der auf sie bauenden Ontologie und Moralphilosophie. 275 Ziel ist: Gott als absoluten Ursprung des Ganzen der vielen Geschöpfe, denen selbständiges Eigenleben zukommen muß (Vernunft und Freiheit), ohne inneren Zwiespalt bejahen können. 276 Vgl. Mt 5,10. 277 Das wäre ein kompliziertes Unterlaufen der Theodizee-Problematik. 278 Das ist die schwierige Vorstellung einer außerordentlich nur bei besonderen Menschen wirksamen Gnade.
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Anmerkungen
279 Eckhart erkennt Gott hier letztlich dennoch als den ›Allmächtigen‹
an, auch wenn er offenbar annimmt, daß Gott vernünftigen Geschöpfen Handlungen aus ›Freiheit‹ gelassen und sogar aufgegeben hat (was also auch für Eckhart ein konfliktträchtiges Thema ist). 280 Damit wird Eckhart das Problem von Freiheit und Gnade nicht los: denn entscheiden und handeln müssen endliche Vernunftwesen, so daß die ›Dialektik von Freiheit und Gnade‹ ungelöst bleibt. Immerhin weist er den Rang der heftigen Debatten um Gnade und Freiheit doch in Schranken, da die ›Freiheit‹ endlicher geschaffener Wesen nicht absolut sein kann. 281 Diese Aussage ist von ›Glauben‹ getragen: Die Meinung, ›im Frieden zu sein‹, kann zwar von einem vorübergehenden Affekt verursacht sein und sich als trügerisch erweisen. 282 Eckhart erwägt die Möglichkeit, daß der Unfriede die Folge eigener, frei zu verantwortender Taten ist. 283 Das mag ein Grund sein, warum Eckhart so selten von der ›Allmacht Gottes‹ spricht: denn Unfriede ist wirklich. 284 In RdU trägt Eckhart keine systematisch geschlossenen Lösungen vor; sie enden entsprechend der ›conditio humana‹ in einem Gebet, das die problematischen Fragen, die vorher ohne Furcht betrachtet wurden, nicht überspielt. Einen Abschluß von RdU mit einem »Amen« bot schon RdU 20. Eckhart hatte mit der Frage gerungen, was am Ende (über die Zeit hinaus) aus der geschöpflichen Wirklichkeit und dem ›freien Willen‹ wird. Die Erwähnung des Willens im vorletzten Satz setzt immerhin die bleibende Bedeutung der endlichen Vernunftwesen voraus, wenn auch in der Hoffnung, daß Gott am Ende alles in eine ersehnte Ordnung bringt.