Die Rechtslehre des Alois von Brinz. 3428035372, 9783428035373

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German Pages 216 Year 1975

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
§ 1 Einleitung
Erster Teil: Zur Person von Brinz
§ 2 Brinz' Leben
§ 3 Brinz' Lehrer
Zweiter Teil: Darstellung der Rechtslehre von Brinz
1. Kapitel: Das römische Recht
§ 4 Das Recht
§ 5 Die Jurisprudenz
§ 6 Die Rezeption des römischen Rechts
§ 7 Die Bindung an das römische Recht
§ 8 Quellenkritik
§ 9 Exegese des Corpus Juris Civilis
2. Kapitel: Der Begriff des Rechts im objektiven Sinn
§ 10 Die Definition des Rechts
§ 11 Naturrecht — positives Recht
§ 12 Die Geschichtlichkeit des Rechts
§ 13 Die Natur des Rechts
§ 14 Die Übersinnlichkeit des Rechts
§ 15 Die Arten des Rechts
§ 16 Das Verhältnis des Rechts zu Natur und Leben
§ 17 Das Verhältnis des Rechts zum Sittengesetz
§ 18 Das Verhältnis des Rechts zu Macht und Gewalt
§ 19 Rechtsidee — Rechtswertung
3. Kapitel: Die Entstehung und Aufhebung des Rechts im objektiven Sinn
§ 20 Die Rechtsquellen
§ 21 Das Gewohnheitsrecht
§ 22 Die Gesetzgebung
§ 23 Lücken im Recht
§ 24 Die Aufhebung und Änderung des Rechts
4. Kapitel: Die Anwendung des Rechts im objektiven Sinn
§ 25 Die Auslegung des Gesetzes
§ 26 Die „Correktur" des Gesetzes
§ 27 Der Begriff der Rechtsanwendung
§ 28 Die Methode der Rechtsanwendung
§ 29 Die Verwirklichung des Rechts
5. Kapitel: Die Jurisprudenz
§ 30 Der Begriff und die Aufgabe der Jurisprudenz
§ 31 Das Verhältnis der Theorie zur Praxis
§ 32 Die Beziehungen der Jurisprudenz zu anderen Disziplinen
§ 33 Die Methode der theoretischen Seite der Jurisprudenz
Dritter Teil: Brinz im Urteil der Literatur
§ 34 Vorbemerkung
§ 35 Stimmen über Brinz aus der Zeit vor seinem Tode
§ 36 Nachrufe
§ 37 Spätere Stimmen über Brinz — bis zum 2. Weltkrieg
§ 38 Bemerkungen über Brinz in der Nachkriegsliteratur
Vierter Teil: Schlußbetrachtung
§ 39 Zusammenfassende Charakterisierung des Brinzschen Rechtsdenkens — Einordnung Brinz' in die Strömungen der Rechtswissenschaft
Literaturverzeichnis
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Die Rechtslehre des Alois von Brinz.
 3428035372, 9783428035373

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Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 11

Die Rechtslehre des Alois von Brinz Von

Jürgen Rascher

Duncker & Humblot · Berlin

JÜRGEN

RASCHER

Die Rechtslehre des Alois von Brinz

S c h r i f t e n zur Rechtsgeschichte Heft 11

Die Rechtslehre des Alois von Brinz

Von

Dr. Jürgen Rascher

DUNCKER & HÜMBLOT / BERLIN

Gedruckt m i t Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Alle Rechte vorbehalten © 1975 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1975 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany I S B N 3 428 03537 2 D 21

Meiner Mutter

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde i m Frühjahr 1974 vom Fachbereich Hechtswissenschaft der Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde i m Herbst 1973 abgeschlossen. Für die Hilfestellung bei der Themenwahl, die stete Förderung der Arbeit sowie für die tatkräftige Unterstützung bei dem Bemühen, die Arbeit durch Buchdruck zu veröffentlichen, möchte ich Herrn Professor Dr. Hermann Lange, Tübingen, sehr herzlich danken. Mein Dank gilt auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Bonn-Bad Godesberg, für die Gewährung einer großzügigen Druckbeihilfe. Schließlich schulde ich Herrn Ministerialrat a. D. Dr. J. Broermann für die Aufnahme der Arbeit i n die Reihe „Schriften zur Rechtsgeschichte" Dank. Möglingen, i m August 1975 Jürgen Rascher

Inhaltsverzeichnis § 1 Einleitung

11

Erster Teil

Zur Person von Brinz § 2 § 3

Brinz' Leben Brinz' Lehrer

13 16 Zweiter

Teil

Darstellung der Rechtslehre von Brinz 1. Kapitel: § § § § § §

4 5 6* 7 8 9

19

Das Recht Die Jurisprudenz Die Rezeption des römischen Rechts Die Bindung an das römische Recht Quellenkritik Exegese des Corpus Juris Civilis

2. Kapitel: § 10 §11 § 12 §13 § 14 § 15 § 16 § 17 § 18 § 19

Das römische Recht

Sinn

48

Die Definition des Rechts Naturrecht — positives Recht Die Geschichtlichkeit des Rechts Die Natur des Rechts Die Übersinnlichkeit des Rechts Die Arten des Rechts Das Verhältnis des Rechts zu Natur und Leben Das Verhältnis des Rechts zum Sittengesetz Das Verhältnis des Rechts zu Macht und Gewalt Rechtsidee — Rechtswertung

48 51 53 54 66 70 80 86 88 92

3. Kapitel:

Der Begriff

19 26 32 35 40 45

des Rechts im objektiven

Die Entstehung

und Aufhebung

des Rechts im objektiven

§20 Die Rechtsquellen §21 Das Gewohnheitsrecht § 22 Die Gesetzgebung § 23 Lücken im Recht § 24 Die Aufhebung und Änderung des Rechts

Sinn

99 99 107 110 119 124

Inhaltsverzeichnis

10 4. Kapitel:

Die Anwendung

des Rechts im objektiven

Sinn

125

§ 25 Die Auslegung des Gesetzes § 26 Die „Correktur" des Gesetzes § 27 Der Begriff der Hechtsanwendung § 28 Die Methode der Rechtsanwendung § 29 Die Verwirklichung des Rechts

125 129 130 137 141

5. Kapitel:

147

Die Jurisprudenz

§ 30 Der Begriff und die Aufgabe der Jurisprudenz § 31 Das Verhältnis der Theorie zur Praxis § 32 Die Beziehungen der Jurisprudenz zu anderen Disziplinen § 33 Die Methode der theoretischen Seite der Jurisprudenz Dritter

147 154 157 159

Teil

Brinz im Urteil der Literatur § 34 Vorbemerkung § 35 Stimmen über Brinz aus der Zeit vor seinem Tode §36 Nachrufe § 37 Spätere Stimmen über Brinz — bis zum 2. Weltkrieg §38 Bemerkungen über Brinz in der Nachkriegsliteratur Vierter

174 175 177 181 190

Teil

Schlußbetrachtung § 39

Zusammenfassende Charakterisierung des Brinzschen Rechtsdenkens — Einordnung Brinz' in die Strömungen der Rechtswissenschaft ..192

Literaturverzeichnis

205

§ 1

Einleitung Alois von Brinz, der Zeitgenosse Jherings und Windscheids, ist heute so ziemlich i n Vergessenheit geraten. Dabei war er zu Lebzeiten ein gefeierter Rechtslehrer und dürfte seinen genannten Kollegen an Berühmtheit nicht viel nachgestanden haben. W i r d er heute noch erwähnt, so meist als der Verfasser eines Pandektenlehrbuchs oder als der Urheber der Lehre vom Zweckvermögen. Brinz war i n der Hauptsache Zivilrechtsdogmatiker, daneben auch Rechtshistoriker. Seine Schriften enthalten außerdem nicht wenige rechtstheoretische, methodologische und rechtsphilosophische Gedanken, dies, obwohl er kein besonderer Freund der Rechtsphilosophie war 1 . Dieser letztgenannte Teil des Brinzschen Werkes ist der Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Zwar sind die Nachwirkungen des dogmatischen Schaffens von Brinz ungleich größer als die der hier aufgegriffenen Seite seines Werkes; doch auch sie verdient m. E. eine geschlossene Erörterung, da w i r auch i n i h r ein Zeugnis von Brinz' Originalität und Ideenreichtum haben; sie zugänglicher zu machen, ist das Anliegen dieser Schrift. Es soll hier Brinz' Rechtslehre — die Lehre vom Staat grundsätzlich ausgenommen —, zusammenhängend dargestellt werden. Berücksichtigt w i r d auch seine Auffassung vom römischen Recht, dessen großer Bewunderer Brinz war und i n dem viele seiner Ansichten wurzeln. Daran w i r d sich eine Wiedergabe der Stimmen über Brinz anschließen. A m Ende der Arbeit soll eine Charakterisierung seines Rechtsdenkens und seine Einordnung i n die Strömungen der Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts versucht werden. Der Schwerpunkt liegt auf der Darstellung 2 und Deutung von Brinz' Vorstellungen über Recht und Jurisprudenz; eine kritische Stellungnahme zu allen Einzellehren ist nicht geplant. Die Literatur zu den Einzellehren wurde nach Möglichkeit verwertet. Da sich eine ausgebaute und geschlossene Darstellung der Rechtslehre bei Brinz nicht findet — abgesehen freilich von den §§ 18 - 33 der Pan1

Vgl. u. § 11 Ziff. 2. * Dabei soll Brinz selbst möglichst viel zu Wort kommen.

12

§1

Einleitung

dekten (2. und 3. Auflage) — galt es, die über das gesamte Werk verstreuten Äußerungen zu einem Mosaik zusammenzufügen 3 . Oft hat Brinz seine eigene Meinung i n Rezensionen fremder Arbeiten nur angedeutet, so daß ihr letzter Sinn nicht überall m i t Sicherheit zu ermitteln war. Dies ist ein Grund, weshalb an manchen Stellen darauf verzichtet werden mußte, Brinz auf diese oder jene Ansicht festzulegen. Ein anderer liegt i n seinem Schreibstil: Es ist i n Fachkreisen bekannt, daß sich Brinz nicht leicht liest 4 . Brinz war i n seinen Meinungen — i m Gegensatz etwa zu Jhering — sehr konstant; viele früh geäußerten Ideen griff er später wieder auf und baute sie aus; eine Abkehr von früheren Vorstellungen ist nur selten der Fall 5 . Es wurde bei der Interpretation unklarer Stellen daher meist die Auslegung gewählt, die sich widerspruchsfrei i n das bisherige Gedankengebäude einfügen ließ 6 . Herangezogen wurde nur veröffentlichte Literatur von Brinz einschließlich der stenographischen Protokolle des österreichischen Reichsrats. Ein kleiner Beitrag 7 sowie die Protokolle des böhmischen Landtags waren m i r nicht zugänglich. Unverwertet blieb auch Brinz 1 Nachlaß, der sich i n München befindet 8 . Soweit von den Pandekten noch die 3. Auflage erschienen ist — die von der 2. nur unwesentlich abweicht —, wurde nach i h r zitiert. Etwaige Veränderungen gegenüber der Vorauflage wurden, soweit dies als notwendig erschien, vermerkt.

3 Auch gibt es keine eigentlichen Programmschriften von ihm. Programmatischen Charakter haben höchstens die Vorrede zu Heft 3 der Kritischen Blätter und der Einleitungsaufsatz für Zivilrecht in Schletters Jahrbüchern (1855, 6 ff.). 4 Vgl. etwa Windscheid K Ü 6, 225; Arndts 487 (rätselhafte Sätze); Rümelin, zitiert von Brinz in Obligation und Haftung 389; Regelsberger 15, der berichtet, manche von Brinz* feinsten Untersuchungen seien selbst bei Berufsgenossen unvollkommen verstanden geblieben. Vgl. überdies u. §§ 36, 37. 5 Siehe auch Mitteis, Grünhut 13, 207 und Lotmar, Vorwort 2, I I I . β So verfährt auch Wieacker, P R G 386 bzgl. Savigny. 7 Nämlich der Vortrag „Potestät und Autorität", gehalten am 23. 3. 1887 in Wien (in Jahresbericht der jur. Gesellschaft in Wien für 1887, 3): so Lotmar, A D B 253. 8 Nach Ludwig Denecke, die Nachlässe in den Bibliotheken der BRD, Boppard 1969, S. 22, befinden sich in der Bayerischen Staatsbibliothek München 9 Schachteln, in der Universitätsbibliothek München 2 Pakete mit Manuskripten, Kollegmanuskripten, unfertigen Arbeiten usw. von Brinz.

ERSTER T E I L

Zur Person von Brinz § 2

Brinz'Leben

Alois Brinz wurde am 25. Februar 1820 i n dem westallgäuischen Marktflecken Weiler geboren. Sein Geburtsort war erst infolge des Wiener Kongresses von Österreich an Bayern gekommen 1 . Hier liegt die Wurzel von Brinz' großer Liebe zu Österreich, die er zeitlebens bewahrt hat 2 . Schon i m Jahre 1822 siedelte die Familie nach Kempten über, wo der Vater Alois Brinz, der 1812 i n Landshut zum Doktor juris promoviert hatte, zum Protokollisten am Kreis- und Stadtgericht ernannt wurde. 1835 verstarb der Vater und hinterließ 10 Kinder, von denen Alois das Zweitälteste war. Nun war der Mutter Katharina, geb. Gsell, die alleinige Sorge für die große Kinderschar auferlegt. „Nicht besonderen Anlagen", sondern nur der strengen Zucht dieser tüchtigen Frau schreibt es Brinz zu, daß er am Gymnasium i n allen Klassen der Erste war 3 . M i t siebzehn Jahren ging Brinz nach München, u m an der dortigen Universität entsprechend dem Wunsche des verstorbenen Vaters Jurisprudenz zu studieren 4 . Die erste juristische Vorlesung stieß i h n jedoch so sehr ab, daß er von der juristischen zur philosophischen Fakultät überwechselte und klassische Philologie studierte 5 . Für die Bearbeitung einer Preisaufgabe („Zusammenstellung der solonischen Gesetze") wurde „dem talentreichen und hoffnungsvollen Verfasser das Accessit des Preises" zuerkannt, während der Preis selbst an seinen Freund K a r l Prantl ging®. I m Herbst 1841 bestand Brinz die Prüfung für das Gymnasiallehramt. Die Erfahrungen, die Brinz bei der Erteilung von Privatunterricht gesammelt hatte, ermutigten i h n nicht, i m Gymnasiallehramt den Lebensberuf zu suchen7. So versuchte er es auf Anraten seines Freundes 1 2 s 4 5 6 7

Lotmar, ADB 241. Vgl. Knoll 338, Exner 8. Lotmar, ADB 241. Schwörer 5. Lotmar, ADB 241. Lotmar, ADB 242, Chronik 6. Regelsberger 3.

14

I. Teil: Z u r Person von Brinz

Konrad Maurer noch einmal mit der Jurisprudenz und hörte außerdem philosophische Vorlesungen 8 . 22jährig schreibt er an seine Mutter: „Gerade das habe ich durch so vieles Umhersuchen vielleicht vor anderen Fachmännern voraus, daß i n meiner künftigen Wissenschaft alle Dichtungen und Wahrheiten meiner früheren Bestrebungen sich wiederfinden und die Leute i m Juristen den Menschen nicht verkennen können 9 ." Einem Studienjahr i n München folgte ein weiteres — ab Herbst 1842 — i n Berlin. Danach kehrte er m i t dem Entschluß nach München zurück, sich dem deutschen Rechte zu widmen 1 0 . Diese germanistische Richtung seiner juristischen Studien dürfte m i t durch Maurer und dessen Vater, den Germanisten und Staatsmann Georg L u d w i g v. Maurer bestimmt sein, i n dessen Haus Brinz verkehrte 1 1 . I n seinem A r t i k e l i n der Allgemeinen Deutschen Biographie für den Vater Maurer dankt Brinz „dem Geschicke, das dieses Geschlecht i n die Isarstadt verpflanzt h a t " 1 2 . 1844 bestand Brinz i n München das juristische Examen. Daran schlossen sich ein Jahr juristischer Praxis i n München — nebenher war Brinz Gesellschafter bei den beiden Söhnen des französischen Ministers Polignac — und ein weiteres Jahr Verwaltungspraxis i n Kempten 1 3 . Nach Ablegen der sog. „Concursprüfung" arbeitete er für zwei Jahre als Konzipient bei einem Advokaten. Daneben und i m Anschluß bereitete er sich auf die akademische Laufbahn vor. Sein Ziel war noch die Dozentur des deutschen Rechts; aber das gründliche Studium des römischen Rechts war i h m Vorbedingung hierfür. A n den Pandekten blieb er dann für immer hängen 14 . Die Promotion kam 1849 i n Erlangen (in absentia) auf Grund der Dissertation: „Notamina ad usumfructum", die Habilitation 1850 i n M ü n chen zustande 15 . Die Habilitationsschrift: „ Z u r Lehre von der Compensation" erschien bereits 184916. I m Frühjahr 1852 erhielt Brinz einen Ruf als Ordinarius nach Basel (auf Windscheids Empfehlung) und einen anderen als Extraordinarius nach Erlangen. Brinz entschied sich für das vaterländische Erlangen, wo er dann i m M a i 1854 zum Ordinarius beför8

Lotmar, A D B 242, Schwörer 5. Zitiert bei Böller 2. 10 Lotmar, A D B 242. 11 Ebd. 242. 12 G. L. Maurer 706. 13 Lotmar, A D B 242,243, Schwörer 6. 14 Regelsberger 4, Lotmar, A D B 243. 15 Letztere nicht ohne Schwierigkeit! Einige Professoren der Fakultät verziehen ihm nicht, daß er in Erlangen promoviert hatte: Lotmar, A D B 243, Z, Allg. Zeitung 242, Schwörer 6. I n Correalobligation 3 dankt Brinz Arndts, daß dieser einst entscheidend in Brinz' „Beförderung zum Lehramt eingegriffen" habe. 18 Lotmar, A D B 243. 9

§2

Brinz* Leben

15

dert wurde 1 7 . Die neue Stellung ermöglichte es ihm, sich m i t Fräulein Karoline Zenetti, einer Tochter des Staatsrats und Regierungspräsidenten Johann Baptist von Zenetti, zu vermählen, der er schon lange Jahre zugetan w a r 1 8 . I n die Erlanger Zeit fallen die vier Hefte der „Kritischen Blätter civilistischen Inhalts", die die Aufmerksamkeit größerer wissenschaftlicher Kreise auf i h n lenkten 1 9 , sowie die erste Abteilung der Pandekten. Seine Berufung nach München durch die dortige Fakultät als Nachfolger für Arndts wurde durch den Einspruch der Regierung verhindert 2 0 . Windscheid bekam diesen Lehrstuhl dann (1857). Brinz nahm i m Mai 1857 den Ruf an die Prager Universität an. Dort konnte er zwar einen weiteren Teil der Pandekten fertigstellen (1860); als er sich dann aber politisch engagierte, blieb nur noch wenig Zeit für die wissenschaftliche Arbeit. Von 1861 - 1866 war Brinz Abgeordneter des Wahlkreises KarlsbadJoachimsthal i m böhmischen Landtag, von wo er i n das Abgeordnetenhaus des österreichischen Reichsrats entsandt wurde 2 1 . Als Liberaler und Großdeutscher 22 schloß er sich der deutschen liberalen Partei an 2 3 . I n den Parlamenten galt er bald als einer der besten Redner 24 . Österreichs Haltung i n der schleswig-holsteinischen Frage, sein Bündnis m i t Preußen führten bei Brinz, der für das Erbfolgerecht des Augustenburgers eintrat, eine tiefe Verstimmung herbei. Allmählich ermüdet von den politischen Kämpfen, wollte er sich vom parlamentarischen Leben zurückziehen 25 . Gelegenheit dazu gab i h m ein Ende 1865 ergangener Ruf an die Tübinger Universität, welchem er jedoch erst folgte, nachdem die Berufung an die Wiener Fakultät an der Versagung der Genehmigung durch die neue antideutsche österreichische Regierung, die Brinz nicht i n Österreich wissen wollte 2 6 , scheiterte 27 . I m Herbst 1866 trat er das Tübinger A m t an. I n Tübingen gelang es Brinz, seine Pandekten durch Lieferungen von 1868, 1869 und 1871 abzuschließen. Das letztgenannte Jahr brachte Brinz 17

Regelsberger 4; Lotmar, A D B 245; Exner 8; Z, Allg. Zeitung 242. Lotmar, ADB 245 ; Regelsberger 4 ; Z, Allg. Zeitung 259. 19 Exner 8. 20 Lotmar, ADB 246, 247; Z, Allg. Zeitung 259. 21 Lotmar, A D B 248,249; Regelsberger 5. 22 Exner 8. 28 Ruß 12. 24 Exner 9. 25 Siehe dazu Lotmar, A D B 249; Knoll 355-357; Exner 14, 15; Ruß 21; Z, Allg. Zeitung 306. 26 Exner 15,16; Lotmar, ADB 249; Ruß 21. 27 Brinz selbst schreibt dazu, der Staatsminister habe ihm „in schmeichelhaft-spöttischen Worten den Laufpaß" gegeben: Zitiert bei Exner 16. 18

16

I. Teil: Z u r Person von Brinz

einen Ruf als Nachfolger Windscheids an die Münchner Hochschule, dem er nicht widerstehen konnte. A n dieser neuen Wirkungsstätte blieb er bis zu seinem Tode, trotz ehrenvoller Rufe nach Wien (1872), Heidelberg (1874) und Berlin (1881)28. I n München ging Brinz daran, seine Pandekten umzuarbeiten; es war i h m jedoch nicht beschieden, die 2. Auflage seines Hauptwerkes zu Ende zu führen. I n München trat er i n die Redaktion der Kritischen Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft ein, deren eifriger Mitarbeiter er auch wurde. Zweimal wurde er zum Rektor der Universität gewählt. 1883 nahm i h n die königlich bayrische Akademie der Wissenschaften als ordentliches Mitglied i n die historische Klasse auf 2 9 . A n äußeren Ehrungen sind u. a. die Erhebung i n den Adelsstand (1872) und die Verleihung des Geheimratstitels (1886) zu nennen 30 . Nach 1866 war Brinz nicht mehr zur Übernahme eines Abgeordnetenmandats zu bewegen. Er trat freilich noch als Redner i n politischen Versammlungen auf; und i m Jahre 1882 gründete er m i t anderen i n M ü n chen den „Verein zum Schutze deutscher Interessen i m Ausland", den er auch leitete 3 1 . Das Ziel dieses Vereins war es, die Deutschen i n österreich-Ungarn bei der Erhaltung ihrer Nationalität, Sprache und Schulen zu unterstützen 32 . I n voller körperlicher und geistiger Frische verstarb Brinz am 13. September 1887; ein Gehirnschlag hatte seinem Leben ein Ende gesetzt 33 .

§ 3

Brinz' Lehrer

Von seinen philosophischen Lehrern sind Thiersch und Spengel bekannt 1 . Als Brinz i m Herbst 1841 erneut die juristischen Hörsäle besuchte, stand die historische Rechtsschule, deren Ende ungefähr auf die Jahrhundertmitte datiert wird, noch i n voller Blüte 2 . Was Brinz seinen Münchener Rechtslehrern verdankt, ist schwer festzustellen 3 . Nach seinem bei der Erlanger Fakultät vorgelegten curricu28

Z, Allg. Zeitung 306, 307. Lotmar, A D B 251. 30 Weitere Ehrungen bei Z, Allg. Zeitung 330. 81 Lotmar, ADB 251, Exner 26. 82 Vgl. Brinz selbst in Verein I, insbesondere 6,7,10 sowie Rohmeder 3. 88 Regelsberger 17. 1 Regelsberger 2, 3. Für Leonhard von Spengel hat Brinz zu dessen 50jährigem Doktorjubiläum zusammen mit Konrad Maurer eine Festgabe verfaßt (1877). 2 Landsberg I I I 2,439, 732, Wieacker, P R G 416. 8 So Lotmar, A D B 242. 29

§3

Brinz' Lehrer

17

l u m vitae hörte er 1841/42 bei Dollmann Pandekten, doch so, daß i h m „seiner (Dollmanns) lebendigen Deutlichkeit ungeachtet, diese Dinge immer noch nicht eingehen wollten" 4 . Auch Arndts' Vorlesungen besuchte Brinz 5 . Über diesen Juristen, der der historischen Schule zugerechnet w i r d 6 , schreibt Brinz, daß er „auf die studirende Jugend nicht zündend w i r k t e " 7 . Über die beiden Berliner Semester von Brinz sind w i r besser unterrichtet. Das Haupt der historischen Schule, Savigny, konnte er freilich nicht mehr hören. Savigny las zuletzt i m Wintersemester 1841/428, während Brinz erst i m Herbst 1842 nach Berlin übersiedelte. Savignys Nachfolger auf dem Berliner Lehrstuhl wurde i m Jahre 1842 der bisher i n Leipzig wirkende Puchta 9 , neben Savigny der bedeutendste Vertreter der historischen Schule 10 . Brinz' Berliner Lehrer waren die Romanisten Puchta und Rudorff und die Germanisten Homeyer, Lancizolle und von Richthofen. M i t Eifer hörte Brinz außerdem den Philosophen Schelling 11 , trat aber auch der Hegeischen Rechtsphilosophie nahe 12 . Wie stark die Berliner Eindrücke waren, geht aus Brinz' Schilderung i n dem Nachruf auf den 1873 verstorbenen Rudorff, dem Schüler und Freund Savignys 13 , hervor: „Jetzt nach 30 Jahren erinnern w i r uns noch lebhaft der Zeit, da w i r von Schelling m i t der Sehnsucht nach Realisirung der Potenzen erfüllt, von Puchta begrifflich geschult, durch Richthofens, Homeyers, Lancizolles Vorlesungen und durch Eichhorns Reichs- und Rechtsgeschichte auf historische Entwicklung auch des römischen Rechts gespannt von 1 2 - 1 Uhr Rudorff s Rechtsgeschichte hörten; die dunklen Ahnungen des Schülers gingen hier i n Erfüllung; ein fast reißender Strom der Darstellung entsprach der geschichtlichen Bewegung; die i n den Pandekten secirten Gliedmaßen müssen da wieder Leben und Gestalt gewonnen, ein Wachsthum vom Kerne zu Blüthen und Fruchtkeimen muß sich vor uns entfaltet haben; denn so gebeugt von 4 - 5 Vorlesungen w i r i n den Hörsaal zu treten pflegten, so regelmäßig richteten sich i n diesem die Lebensgeister wieder auf und erquickten sich am Genüsse des Gebotenen 1 4 ." 4

Zitiert bei Lotmar, A D B 242. Ebd. 242. I n Correalobligation 3 schreibt Brinz, er habe aus diesen Vorlesungen „Belehrung... empfangen". 8 Landsberg I I I 2 495. 7 K V 21, 7. 8 Landsberg I I I 2 235. 9 Ebd. 442. 10 Wesenberg 150, Wieacker, PRG 399. 11 Exner7. 12 Lotmar, ADB 242. 13 Landsberg I I I 2 462, Wieacker, PRG 417 Anm. 9. 14 K V 15, 323. 5

2 Rascher

18

I. Teil: Z u r Person von Brinz

Daß die Germanisten auf Brinz starken Einfluß geübt haben, zeigt der schon erwähnte Entschluß, sich mit dem deutschen Rechte zu befassen 15 . Einfluß hatten aber auch die Romanisten, und Rudorff wohl mehr als Puchta, wie Regelsberger zu Recht annimmt 1 8 . Auch Exner erwähnt, Brinz habe von Rudorffs Vorlesungen immer dankbar gesprochen 17 . I n dem angeführten Nachruf bekennt Brinz zudem selbst, er habe Rudorff verehrt 1 8 . Diesem Lehrer eignete er dann auch seine erste größere Schrift, „Die Lehre von der Compensation", zu 1 9 . Schließlich soll noch ein Mann genannt werden, den Brinz zwar nie als Student hören konnte, w e i l er nie i n München oder Berlin lehrte: Philipp Eduard Huschke. Aus einer enthusiastischen Bemerkung i n den Pandekten, wo es heißt: „ . . . Huschke . . . , dessen Geist, natürlichem Lichte gleich, i m tiefsten Dunkel am hellsten leuchtet", kann geschlossen werden, daß Brinz diesem Romanisten besondere Verehrung schenkte 20 . Huschke w i r d als sonderlicher, selbständiger und selbstwilliger Forscher charakterisiert, i n dessen Schriften ein mystisch-theosophisches Element enthalten sei 21 . Ähnliches wird, wie noch zu zeigen sein wird, auch Brinz nachgesagt 22 . Wahrscheinlich bestand eine gewisse Ähnlichkeit des Wesens von Huschke und Brinz.

15

o. § 2. Regelsberger 3. Brinz nennt Puchta einmal den „gewaltigen Systematiker": Der Begriff Obligatio 11. 17 Exner 7. 18 K V 15, 321 ; ebenso schon in der Widmung der Compensation. 19 Ζ, Allg. Zeitung 242 berichtet, die Compensation sei durch Rudorffs und Theodor Mommsens Vermittlung zum Druck gelangt; dabei ist nicht ganz klar, ob Ζ die Habilitationsschrift oder die aus dieser hervorgegangene Compensation meint. 20 Ρ 1 527. Eine weitere bezeichnende Äußerung u. § 8 Ziff. 2 b. Auch nennt Brinz Huschkes Exegesen im Gegensatz zu den Glückschen ein Stück wahrer Theorie: Schletters Jb. 1855, 8. Vgl. auch u. § 22 Ziff. 1 c. 21 Landsberg I I I 2 491,492. 22 U. § 36. 16

ZWEITER TEIL

Darstellung der Rechtslehre von Brinz Erstes Kapitel

Das römische Recht § 4

Das Recht

1. Bedeutung und Charakter Das römische Recht genießt bei Brinz hohes Ansehen. Er spricht von den „bedeutungsvollen Ruinen der römischen Schöpfung", die uns hinterlassen worden seien 1 . Das Corpus Juris w i r d als ein Buch bezeichnet, „ i n welchem zwar nicht das Recht überhaupt, oder das absolute Recht..., wohl aber ein hochkultivirtes Recht, und i n welchem es nach allen möglichen Erscheinungsformen, i n der historischen Bewegung fast eines Jahrtausends i n großentheils classischer Fassung niedergelegt ist" 2 . Deshalb dürften sich die Juristenfakultäten i n der Gegenwart 3 nicht und „vielleicht niemals" vom Corpus Juris lossagen, wenn sie das Recht nicht nur für die Praxis, sondern „an sich, als ein Stück Welt", lehren und hierdurch innerhalb der Universität als „Wissenschaftscorporation" ihre Stellung verdienen und wahren wollten 4 . Aber die ratio scripta sieht Brinz nicht i n Justinians Gesetz. Der „Anblick so vieler Spielarten von Formen und Normen zu demselben Zwecke" — Brinz meint das Nebeneinander der verschiedenen Landes- und Stadtrechte und des gemeinen Land- und des gemeinen Stadtrechts, die das altschwedische Obligationenrecht regelten — befreie i h n gründlich von der „Illusion einer ratio scripta" 5 . I n dem klassischen Recht habe sich das Privatrecht „zur höchsten Perfection" entfaltet 6 . Der klassische Jurist ist für Brinz ein „verständiger 1 2 3 4 5 6

2*

Schleuers Jb. 1855,9. Rechtswissenschaft 3169/3170. Brinz schrieb dies im Jahre 1877. Rechtswissenschaft 3169. Nordgerm. Oblig. Recht 516. Jus apud cives 140.

20

I I . Teil, 1. Kap.: Das römische Hecht

Mensch" 7 . I n die gleiche Richtung geht es, wenn das römische Recht als „ein Werk gemeiner Vernunft" charakterisiert w i r d 8 . M i t der Vernunft ist wohl der gesunde Menschenverstand gemeint. Es ist auch die Rede von einem „antiken Sinn, der, dem Leben und seinem gegenwärtigen Bedürfnisse folgend, das Recht gesehen, gestaltet und aufgezeichnet hat" 9 . Bei einem Vergleich des römischen m i t dem deutschen Rechte kann Brinz keine wesentliche Übereinstimmung der Rechtsprinzipien beider Rechte feststellen, wobei er sich das Rechtsprinzip nur „ i n der Gestalt des positiven Rechts" vorstellen kann; sonst sei es für die Juristen belanglos 10 . Allerdings beruhe das römische Recht ebenso wie das deutsche „auf der sittlichen Anschauung des Volkes", wobei diese bei beiden Völkern „vielfach wenigstens, wenn auch nicht wesentlich" übereinstimme 11 . Ein Unterschied könne jedoch nicht i m Gegensatz der Objektivität und Subjektivität gesehen werden; wenn man nämlich an den „deutschen Individualisirungstrieb" denke, der genug i m deutschen Recht zum Ausdruck komme, so müsse man eher dem deutschen als dem römischen Recht das subjektive Prinzip zuschreiben 12 . „Die angebliche Subjectivität des römischen Rechts ist nichts weiter, als die abstracte Persönlichkeit mit freiem Eigen. Aber ohne diese ist die Ausbildung eines Privatrechts gar nicht recht möglich; was man also als einen Makel des römischen Rechtes hinstellt, ist nur die nothwendige Bedingung jedes Privatrechts, auch des modernen" 1 3 . 2. Rechtsschichten Tm folgenden sollen einige wenige, das Thema nicht erschöpfende Gedanken von Brinz über die römischen Rechtsschichten wiedergegeben werden. Bezüglich der beiden nebeneinander stehenden Rechtsbereiche des jus civile und jus honorarium spricht Brinz von der „Duplicität des römischen Rechtes" 14 , von einem „Dualismus" 1 5 oder vom „Widerspiel von Jus und Jurisdictio" 1 6 . Justinian habe, obwohl er alles i n seiner Kompilation aufgenommene Recht als sein Gesetz betrachtet haben wollte, den Unterschied des jus civile und honorarium nicht aufgegeben 7

K V 20,182. Compensation 132. 9 Schletters Jb. 1855,9; über Vernunft vgl. auch noch u. § 5 Ziff. 2 a. 10 Centralblatt 1856, Spalte 822. 11 Ebd. Spalte 822. 12 Ebd. Spalte 822. 13 Ebd. Spalte 822. 14 K V 14, 213, 218, 221. 15 Ρ 2 I I I 5. 1β Ρ 21379; vgl. auch Compensar! 27.

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und die Verschmelzung dieser Rechtssphären nur bei einzelnen Instituten, nicht aber i m Ganzen vollzogen 17 . I n einer frühen Abhandlung stellt Brinz fest, „selbst für unsere Zeit" habe das jus gentium immer noch „gewisse Unbestimmtheiten". Als mögliche Bedeutungen führt er an, es könne sich dabei u m ein unter den italischen Städten verbreitetes Recht, u m ein i m Edikt des Prätor Peregrinus ediziertes Recht oder u m ein Institut, das auf Vernunft und Billigkeit zurückzuführen und kein positives Recht sei, handeln 1 8 . Für welche Bedeutung er sich entscheidet, sagt er hier nicht 1 9 . I n den Pandekten jedoch qualifiziert Brinz das jus gentium. A n einer Stelle definiert er das jus gentium und naturale als das „aus dem Völkerverkehr entnommene, auf Grund der Aequitas und Fides entwickelte, so wie aus dem Begriffe der Dinge (ratio naturalis) gefolgerte" Recht; da er dieses Recht unter das „Jus" subsumiert und letzteres der „Jurisdiction" entgegensetzt, zeigt sich, daß Brinz einen prätorischen Ursprung des jus gentium ablehnt 2 0 . Näher ausgeführt finden w i r seine Auffassung dazu noch an einer anderen Stelle. Dort w i r d an den Definitionen des jus civile, gentium und naturale, wie sie i n den Institutionen vorkommen, K r i t i k geübt. Ein jus gentium i m Sinne eines „allgemein menschlichen Rechts, das i n jedem Volke gleichmäßig entsteht und bei jedem gleichmäßig g i l t " 2 1 sowie ein „allgemein animalisches, auch i n der Thierwelt wachsendes und geltendes Recht" — jus naturale 2 2 — habe i n W i r k lichkeit nie existiert und gebe es auch heute nicht 2 3 . Zwar könnten überall Eigentum, Grenzen, Kauf, Miete usw. vorkommen; darauf folge freilich noch nicht überall dasselbe Eigentums-, Grenz- und Kontraktsrecht; tatsächlich finde man allerorts ein anderes. Und von einem „Thierrecht" könne ohnehin nicht gesprochen werden, da das Recht „vom Menschen und für den Menschen" sei 24 . Brinz führt dann den Umstand an, daß noch Gaius von keinem derartigen jus naturale, und noch Cicero von keinem „ m i t Allerweltsrecht identischem jus gentium" spreche. Cicero erscheine das jus gentium als ein „gesetztes, fast möchte man meinen als ein von den Römern selbst gesetztes, für einen gewissen, die barbari ausschließenden Kreis von 17

Ρ 21378. Krit. Bl. I I I , 29. 19 Vgl. seine Eventualerwägungen ebd. 30, 31, 41; in Schletters Jb. 1855, 19 sagt Brinz über diese seine Ausführungen in den Krit. Bl. I I I , er habe dort nicht geleugnet, daß das jus gentium positives Recht gewesen sei. 20 Ρ 21366. 21 Gaius Inst. D 1,1,9 — jus gentium —. 22 Ulpian Inst. D 1,1,1 § 3 — jus naturale —. 23 Ρ 3 116. 24 Ebd. 117. 18

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Völkerschaften, darunter für die Römer selbst geltendes Recht" 2 5 . Brinz vermutet nun, das jus gentium sei „noch früher gemeinsames Product der i m Verkehr begriffenen ebenbürtigen gentes, und für deren Verkehr geschaffen, also wahrhaft Völkerrecht, und zwar internationales Privatrecht gewesen, und erst später von dem nun übermächtigen Rom i n die Hand genommen, weiterentwickelt und fixirt worden" 2 6 . Einen Beleg für „diesen ursprünglich internationalen Charakter des privatr e r t l i chen jus gentium" sieht er darin, daß das „publicistische" Völkerrecht, das man auch unter Spezialbezeichnungen wie „jus belli ac pacis, foederum, fetiale" antreffe und das gewiß internationales Recht sei und bleibe, ebenfalls jus gentium heiße 27 . Von dem jus naturale, gentium und civile der Institutionen sei nur so viel wahr: Einem und demselben Rechte liege teils „natürliche N o t w e n d i g k e i t " , teils „allgemeine Zweckmäßigkeit" und schließlich teils „die bestimmte Volkseigenthümlichkeit" zugrunde; die ersten beiden Faktoren kehrten „nach dem Wesen ihres Inhalts" daher i n den Rechten aller Völker wieder 2 8 . Brinz steht damit i m Widerspruch zur heutigen Auffassung, nach der das jus gentium römischen Ursprungs ist 2 9 . Jene lehnt auch einen Vergleich m i t dem modernen internationalen Privatrecht ab, da es sich dabei u m Kollisions-, nicht u m Sachnormen handle 3 0 . Brinz nennt nun zwar das jus gentium ein internationales Privatrecht, meint damit m. E. jedoch kein Rechtsanwendungsrecht, sondern materielles Privatrecht 3 1 . Wie w i r noch sehen werden, nimmt er für die moderne Zeit ein Wiederaufleben eines privatrechtlichen jus gentium i m oben dargestellten ursprünglichen Sinn eines internationalen Privatrechts an 3 2 . Dieses moderne Brinzsche IPR ist m. E. nun aber ein Rechtsanwendungsrecht 33 . Das Wiederaufleben würde sich daher nur auf die Internationalität, nicht aber auf den Charakter dieses Rechts (ob Sach- oder Kollisionsnorm) beziehen. Für diese Interpretation spricht auch Brinz' Bemerkung, i n der klassischen Zeit des römischen Rechts und früher sei die Frage, welches Recht zur Anwendung komme, wenn es u m Rechtshandlungen des Aus25

Ebd. 117. Ebd. 117. 27 Ebd. 117. 28 Ebd. 117, 118. Bei dieser Trias scheint Brinz von Hegel inspiriert worden zu sein, der in Grundlinien 42 drei ähnliche Punkte anführt, durch die das Recht dem Inhalt nach ein „positives Element" erhalte. 29 Vgl. Dulckeit-Schwarz 138, Käser 136, Kunkel 75. 80 Käser 137, Dulckeit-Schwarz 138. 31 Er führt ja Erscheinungen des materiellen Privatrechts auf das jus gentium zurück, ζ. Β. Ρ 11419, Ρ 21366, 454, I I 43 Anm. 16. 32 u. § 15 Ziff. 2. 33 U. § 15 Ziff. 2 mit Anm. 53. 26

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länders vor inländischen Gerichten gehe, größtenteils durch das Vorhandensein der Peregrinengerichte und des jus gentium gelöst worden; darin liege wohl auch der Grund, warum die Quellen zu dieser Frage schwiegen 34 . Hier setzt Brinz gedanklich voraus, daß das jus gentium materielles Recht war. 3. Gesetzgebung Die römische Gesetzgebung soll etwas näher beleuchtet werden, da die Kenntnis ihres Wesens Voraussetzung ist für das Verständnis von Brinz' Auffassung über die Gesetzgebung überhaupt. Brinz betont stark die Scheidung der Gesetzgebung von der Jurisprudenz oder dem Juristenrecht („jus oder jus civile" 3 5 ) von den X I I Tafeln bis zu Augustus 36 . Die X I I Tafeln seien zwar ein allumfassendes Gesetz, aber dennoch selbst kein jus gewesen 37 ; sie hätten hauptsächlich „eine Gewährung, Gewährleistung, Bestätigung der dem Bürger i n Betreff seines Vermögens und seiner Familie zustehenden Freiheiten, seiner Privat-Grundrechte" zum Inhalt gehabt. Brinz nennt sie demzufolge auch einen „Freiheits- und Machtbrief, den die Gesammtbürgerschaft den Einzelnen ausstellt und verbürgt" 3 8 . A l l die Sätze, „die sich logisch oder analogisch auf andere Sätze zurückführen lassen", kämen i n den X I I Tafeln nicht vor 3 9 . Die nach den X I I Tafeln ergangenen leges und plébiscita seien sämtlich Einzelgesetze gewesen — und hätten lediglich Ausnahmen, Modifikationen, Wiederholungen oder Redaktionen früherer Gesetze enthalten 4 0 . Sie hätten sich kein „juristisches, d. h. die vorhandenen Gesetze anwendendes, ausführendes, generalisirendes, systematisirendes Ziel" gesetzt, sondern seien „umgekehrt dem geraden und darum oft schroffen Laufe des Rechts i m Interesse der gemeinen Wohlfahrt" entgegengetreten 4 1 . Nicht ein einziges Mal habe sich diese „ganze vier hundert jährige Legislation" 4 2 außerhalb der Funktionen bewegt, „die dem Gesetz eigen und nur durch Gesetz möglich sind" 4 3 . 34

Ρ 3 118. Rom. Juristen 687. 36 Rechtswissenschaft 3179; vgl. auch Rom. Juristen 681,682. 37 Rechtswissenschaft 3179. 38 Rom. Juristen 681. Ähnlich Rechtswissenschaft 3179: „Feststellung und Begränzung der Privatautonomie". 30 Rechtswissenschaft 3179: Wie ζ. B. eine Reihe von Sätzen über die Testierfreiheit. 40 Rechtswissenschaft 3179. 41 Ebd. 3179. 42 Gemeint ist wohl die Zeit von den X I I Tafeln (451) bis zum Ende der Republik (27 v. Chr.). 43 Rechtswissenschaft 3179. 35

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Auch die Senatuskonsulte der ersten Kaiserzeit seien, obgleich i n der Form als „bloße Wohlmeinung, Erwägung" juristisch, i n der Tat dennoch Befehle, Gesetze und wie die leges und plébiscita durchweg Einzelund Ausnahmegesetze gewesen 44 . I n den prätorischen Edikten 4 5 sieht Brinz Konzessionen, „sich concentrirend i n der Eröffnung des Rechtswegs und seiner verschiedenen Pfade für die verschiedenen Fälle", die nur ein Inhaber magistratischer Gewalt, kein Jurist habe geben können. Aber „von allem was i n Rom Gesetz ist und heißt, rührt nichts an den Begriff der Rechte, Rechtsgeschäfte, setzt alles i h n voraus; mit i h m befaßt sich ein ganz anderer Factor denn populus, Senat und Magistratur; i h n pflegten diejenigen, welche dazu Neigung, Kenntniß, Erfahrung und M i t t e l hatten Also die Begriffsseite des Rechts blieb bei der Jurisprudenz, die publicistischfreiheitliche, die social-praktische Sphäre desselben gehörte der Gesetzgebung" 4 6 . Die römischen Gesetze haben nach Brinz auf dem Gebiet des Privatrechts also nur die Privatgrundrechte und ihre Beschränkungen geregelt, und auch nur dies sei von ihnen erwartet worden 4 7 . Brinz nennt dies die „Selbstbeschränkung der Gesetze" 48 , ohne die die „Macht der Rechtskonstituirung" 4 9 der römischen Juristen nicht möglich gewesen wäre 5 0 . Erst Augustus sei der „Urheber einer Mésalliance" zwischen der Gesetzgebung und Jurisprudenz 51 . Dieser habe die Jurisprudenz zu einer Machtsache erhoben und sei schuld, daß die Reskripte der Kaiser, die nichts als Responsen oder juristische Gutachten seien 52 , Gesetzeskraft erhalten hätten. Aber neben den kaiserlichen Reskripten hätten die nun konzessionierten Juristen ohne große Konkurrenz durch die ersteren verhältnismäßig frei ihre Responsen erstatten können 5 3 . Nach dem Tod von Alexander Severus (gest. 235) weise die „Chronologia legum et juris Romani" nur noch leges, nämlich constitutiones principum, kein jus (Juristenrecht) mehr auf; selbst die kaiserlichen Reskripte träten zurück und machten jenen allgemeinen Satzungen Platz, 44

Ebd. 3179. Vgl. auch Rom. Juristen 681. Zu ihnen, insbesondere zum edictum perpetuum K V 11, 471; vgl. auch Gutachten 172 f. Zur jurisdiction des Magistrats überhaupt Ρ 2 1214, 215. 46 Rechtswissenschaft 3179. 47 Rom. Juristen 681 ; vgl. auch Ρ 3 109. 48 Rom. Juristen 685. 49 Ebd. 685. 50 Ebd. 682, 685. 51 Rechtswissenschaft 3179. 52 Ebd. 3179, Rom. Juristen 690. 58 Rechtswissenschaft 3179. 45

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„ i n denen die Schranken der antiken Legislation durchbrochen und deren Formen verwischt sind" 5 4 . A u f dem Gebiet der Kasuistik sei es dann zum Stillstand gekommen, bestenfalls habe man den „alten, klassischen Vorrath" benutzt 5 5 . 4. Kodifikationen Schließlich soll hier noch Brinz' Ansicht über die römischen Kodifikationen wiedergegeben werden. Das Wesen der Kodifikation bei den Römern erblickt Brinz i n der Zusammenstellung der noch geltenden Gesetze56. „Gesetzbücher nach A r t der modernen, i n denen wo möglich das ganze Recht lehrbuchmäßig aus einer Feder hervorgehen soll", habe es nicht einmal i n der doch so kodifizierfreudigen letzten Periode des römischen Rechts gegeben. „Die Kodices waren da kaum mehr als Sammlungen, Magazine des geltenden Rechts, und i n der Form ihres Inhaltes ebenso wenig neu, als i m Inhalte selbst 57 ." Weiter bemerkt Brinz, Savigny habe klar erkannt, daß bei den Römern von Kodifikation keine Rede gewesen sei, solange sie ihre Juristen gehabt hätten, und daß es nur durch den „äußersten Verfall des Rechtes" zu den späteren Kodifikationen gekommen sei 58 . Was hält Brinz nun von Justinians Kodifikation? Dieses Gesetzgebungswerk habe zwei Seiten, eine „compilatorische" und eine „codificatorische". Justinian müsse u m der „compilatorischen" Seite willen, daß er nämlich das seitherige Recht, vor allem die klassische Jurisprudenz gesammelt und zusammengestellt habe, über alles gelobt werden. Brinz w i r f t dann aber die Frage auf, ob es richtig gewesen sei, „diese Jurisprudenz auch zu codificiren, d. h. zu interpoliren und zum Gesetz zu erheben", und erwägt, ob nicht die „gesetzliche Entscheidung juristischer Streitfragen der Zeit gesunkener Jurisprudenz und schlechten Geschmacks angehöre" 59 . Würden w i r diesen von Brinz erwogenen Maßstab auf unsere heutige Zeit anwenden, so würde sie schlecht abschneiden; denn es geschieht doch relativ häufig, daß der Gesetzgeber i n der Literatur strittige Fragen i n einer Novelle positiv entscheidet, so daß 54

Rom. Juristen 690. Ebd. 690. 58 Ebd. 687. 57 Ebd. 681. Die XII-Tafelgesetze hält Brinz für ein echtes Gesetz, nicht nur für eine Rechtssammlung oder Kompilation: Rom. Juristen 681, Rechtswissenschaft 3179, Ρ 3 135. I n Rom. Juristen 687 stellt Brinz fest, die schriftliche Darund Zusammenstellung der Gesetze sei wie die Konstituierung des Rechtes eine Sache der Autorität gewesen, die bei denselben Personen — den Juristen — gelegen habe; als die Rechtskonstituierung von kaiserlicher Konzession abhängig geworden sei, sei es auch die Zusammenstellung geworden. 58 Savignyrede 9 (vgl. Savigny Beruf 92,91). 59 Rechtswissenschaft 3180. 55

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der Streit ein Ende findet. Und wer wäre darüber nicht froh? Diese Brinzsche Äußerung kann m. E. nur dann richtig gewürdigt werden, wenn man seine Auffassung über die Kompetenz der Jurisprudenz berücksichtigt, die noch später darzulegen sein wird. A n dieser Stelle soll nur so viel vorweggenommen werden: Brinz spricht von einem Recht „ i m engeren Sinn", das nichts als ein Urteil sei, und von der Wahrheit dieses Urteils; dieses Urteil solle von der Jurisprudenz getragen sein 60 . Nun ist klar, daß ein Eingreifen des Gesetzgebers nicht zu begrüßen wäre, wenn es u m die Wahrheit irgendeines Problems ginge. Aber t r i f f t dies jemals zu? Geht es nicht lediglich u m Zweckmäßigkeit, politische Notwendigkeit, soziale Erwägungen usw.?

§ 5

Die Jurisprudenz 1.

Allgemeines

Die römische Jurisprudenz bezeichnet Brinz als eine „hohe Kunst und eine mächtige Wissenschaft" 1 . Er hebt ihren praktischen Charakter hervor 2 . Den römischen Juristen sei das Recht „kein Gegenstand der Untersuchung, sondern der Anwendung gewesen" 3 . Sie hätten daher keine „Theorie des römischen Rechts" gehabt 4 . Man finde bei ihnen nicht einmal den „Anlauf" zu einer Rechtsgeschichte, wie sie von Savigny, Rudorff u. a. betrieben werde 5 . Desgleichen fehle es an der „Rechtfertigung" ihrer Systeme 6 . Dabei ist es Brinz freilich nicht entgangen, daß die römischen Juristen auch theoretische Werke verfaßt haben; hierzu i n der folgenden Ziffer 7 . Schließlich sei noch Brinz' Bemerkung erwähnt, die Römer hätten ihre Lehrer des Rechts unter ihre „Jure consulti" gestellt 8 ; ersteren habe die höhere Autorität der letzten gefehlt 9 . Die Rechtskenntnis habe i n 60

Ebd. 3170. K V 22, 561. 2 Schletters Jb. 1855, 9. 3 Ρ 2 I 196. Vgl. heute etwa Kunkel 105 : Die starke Seite des römischen Geistes sei nicht die theoretische Synthese, sondern die kunstgerechte Bewältigung des praktischen Einzelfalles. 4 Schletters Jb. 1855, 8, 9. Zum Begriff der Theorie in diesem Zitat vgl. u. § 31 Ziff. 1. 5 Schletters Jb. 1855,8. 6 Ebd. 8. 7 u. Ziff. 2 c. 8 Schletters Jb. 1855, 9. 9 Rom. Juristen 684. 1

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Die Jurisprudenz

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Rom wohl nur eine „dienende, der juristischen Kunst untergeordnete Stellung eingenommen" 10 . 2. Funktionen A u f zwei Arten betätige sich die römische Jurisprudenz praktisch (Rechtsanwendung 11 , kasuistische Jurisprudenz 12 ): durch das „respondere" und das „cavere" 1 3 . Daneben w i r d als „technische Bezeichnung" für diese beiden „Funktionen" noch ein „scribere" angeführt 1 4 . a) „Respondere" Die Erteilung von Responsen definiert Brinz als die „Entscheidung zweifelhafter oder streitiger Fälle" 1 5 . Hierfür hätten sich die Juristen der „interpretatio" bedient 1 6 , die i m Gegensatz zur „verborum interpretatio" — der Auslegung 1 7 — nicht nur eine Erklärung dessen darstelle, was das Gesetz „an und für sich" sage, sondern dessen, was es zu dem „ i n der wirklichen Besonderheit vorkommenden Fall" sage; sie sei daher „wesentlich kasuistisch" 18 . Diese „interpretatio" zieht sich wie ein roter Faden durch Brinz' Werk. I n Heft 3 seiner Kritischen Blätter lesen w i r : „Die Kompetenz der Juristen heißt interpretatio, eine Thätigkeit, welche sich von der einfachsten Wahrnehmung oder leichter Deduction bis zu wahrer Productivität erhebt, aber, überall stark durch den vollen Besitz des Rechts, auch i n dieser Productivität sich so enge an das Vorhandene anschließt, daß sie vielmehr das Vorhandene recht zu begreifen und zu erklären, als etwas Neues zu machen scheint 19 ." Es werde „vorhandenes Recht verdollmetscht, mit Bedürfniß und Leben vermittelt" 2 0 . Brinz beschreibt sie auch als „Vermittlerin zwischen dem vorhandenen Rechte und dem neu auftauchenden Falle" oder als „eine A n t w o r t auf die Fragen, welche Tag für Tag das Leben an das Recht stellt" 2 1 . Und wenn Brinz von der 10

Rechtswissenschaft 3170. Rom. Juristen 685. 12 Schletters Jb. 1855, 7. 13 Rom. Juristen 686. 14 Ebd. 686. 15 Ebd. 685. I n Schletters Jb. 1855, 7 heißt es, in der römischen Jurisprudenz sei der „casus Material, quaestio und responsum Urform der Jurisprudenz". 16 Rom. Juristen 687. 17 Ρ 3 138. 18 Rom. Juristen 687. 19 S. 56. 20 Krit. Bl. I I I , 56. 21 Schletters Jb. 1855, 7; vgl. noch Ρ 1 1434, 1570; Ρ 2 I 92, 124, I I 340 und öfter; Ρ 3 107, 138, 144; Krit. BL I I I 57; der Sache nach auch K V 15, 144: Fort11

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Neigung der römischen Jurisprudenz redet, das Neue an das Alte zu knüpfen 2 2 , so denkt er dabei wohl an die „interpretation Entsprechend den gerade genannten Tätigkeiten der „interpretatio" stoßen w i r auf eine „distinguirende", eine „deducirende" und endlich eine „producirende" Jurisprudenz 23 . Hier bedarf es einer Erläuterung. Brinz nimmt an, „naturalis ratio" und „aequitas" seien Werkzeuge gewesen, m i t denen die klassische Jurisprudenz gearbeitet habe, nicht aber Quelle, woraus sie geschöpft habe 24 . „Darin liegt der große Unterschied der Naturrechts- und der römischen Jurisprudenz, daß diese mit, jene aus dem Verstand arbeitet 2 5 ." Unter der „Vernunft (ratio)" versteht Brinz eine „geistige Kraft, welche Gegebenes anzunehmen und aus demselben das Nothwendige zu folgern zwingt". Sie ist i h m ein „unentbehrliches Werkzeug der Jurisprudenz zur Weiterführung und Entwicklung des Rechts" 26 . Und die Billigkeit ist das „Gegengewicht gegen eine offenbare Ungleichheit, zu welcher das Recht durch den Zufall der U m stände herabsinkt" 2 7 . Die „distinguirende" und die „deducirende" Jurisprudenz bedienen sich des Werkzeugs der Vernunft, die „producirende" desjenigen der Billigkeit. Brinz ist der Meinung, der „ganze Grundstock von Rechten und Rechtsgeschäften" sei vor der Jurisprudenz dagewesen; deren erste Tätigkeit sei „Wahrnehmung und Beobachtung"; ihr verdankten w i r wahrscheinlich mehr als aller Schärfe und Konsequenz; sie sei nur eine Seite jener Vernunft, die Gegebenes annehme. Dies ist also die „distinguirende" Jurisprudenz 28 . Bei der „deducirenden" werden einfach logische Schlußfolgerungen gezogen; Deduktion sei „ i m merhin juristische Thätigkeit" 2 9 . Die „producirende" Jurisprudenz schließlich bediene sich bei ihrem „Schaffen" der Billigkeit als „ M o t i v " 3 0 ; gemeint ist hier die Analogie 3 1 . spinnung einer schon verwirklichten ratio juris durch Analogie, und K V 19, 401 : Freiheit der klassischen Juristen bei der Rechtsanwendung. 22 Ρ 2 I I 145. 23 Krit. Bl. I I I 54; vgl. auch Schletters Jb. 1855, 7: „Etwas viel Produktiveres". 24 Krit. Bl. I I I 38, 45; ähnlich Schletters Jb. 1855, 19: Konsequenz und Billigkeit als „Elemente", mit denen die Jurisprudenz überall arbeite. 25 Krit. Bl. I I I 39; vgl. auch o. § 4 Ziff. 1. 28 Krit. Bl. I I I , 45; in Ρ 1 575 übersetzt Brinz ratio mit „Consequenz". Wurde Brinz durch Puchtas ähnliche Ausführungen in Institutionen 3, 5 über die Vernunft beeinflußt? 27 Krit. Bl. I I I 45; ebd. 47: Aequitas forderte Widerstand gegen rigor juris. 28 Ebd. 50, 51. Zur Jurisprudenz, die aus „vielleicht vor und über dem jus scriptum stehenden Rechtsbegriffen schöpft", siehe Gutachten 172. 29 Vgl. Krit. Bl. I I I 53, 54. 30 Ebd. 54. 31 Ebd. 56: Enges Anschließen an das Vorhandene; ebd. 57: „in ähnlicher Erörterung und Fortspinnung des vorhandenen Rechts".

§5

Die Jurisprudenz

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Die Entscheidungen, Responsen der Juristen wurden i n Rom zu Recht 32 . Wie stellt sich Brinz dies vor? Er schreibt, nicht erst durch Gesetz oder lange Übung oder Gewohnheit, auch nicht als richterliche oder obergerichtliche Erkenntnisse seien die Entscheidungen zu Recht erwachsen und damit selbst wieder zu einer Quelle neuen Rechts geworden, sondern als die von bestimmten Rechtsverständigen auf A n frage der Parteien erteilten Antworten 3 3 . Freilich seien die Responsen nicht sofort mit ihrer Abgabe zu Recht geworden; sie hätten sich erst noch bewähren müssen: bei Gericht, wenn es infolge eines anderen abweichenden Responsums oder sonst einer konträren Ansicht zur Diskussion gekommen sei; dann „unter der Sonde" der übrigen „Juriskonsulti", zu denen sie durch schriftliche Überlieferung gelangt seien; erst die Zustimmung aller oder doch der meisten habe dem Responsum die Autorität des Rechts verliehen 3 4 . Diese Entscheidungen bildeten das „jus" oder „jus civile" i m Sinne eines Juristenrechts 35 oder „Recht" i n einem „speciellen Sinne des Wortes" i m Gegensatz zum Gesetz (lex) 3 6 ; es habe die „grosse Masse" des Rechtes ausgemacht 37 . Schließlich sollen noch die Gründe, „weshalb man den Entscheidungen gewisser Rechtskundigen die Kraft Rechtens zukommen ließ", angeführt werden 3 8 . Brinz nennt die „Selbstbeschränkung der Gesetze" 39 , den „Einklang der Juriskonsuiten" sowie die „Zweckmäßigkeit eines durch Entscheidungen begründeten Rechts" 40 . Unter letzterer versteht er folgendes 41 : Die Entscheidung enthalte i m Vergleich zum Gesetz außer dem Neuen, das der Fall, das Faktum biete, noch etwas Neues, nämlich die Arbeit, die zur Entscheidung gehöre. Wegen dieser i n i h m enthaltenen Arbeit der Gesetzesanwendung könne 32

Rom. Juristen 682. Ebd. 682. 34 Ebd. 683; in Krit. Bl. I I I 54 schreibt Brinz, das Schaffen der Jurisprudenz sei nicht durch andere Faktoren, nicht durch Gesetz, Edikt oder Gewohnheit erfolgt, nimmt also die gleiche Entstehungsart an. Anders jedoch in K V 2, 33, wo bemerkt wird, bestimmte Rechtssätze seien von der römischen Jurisprudenz „vermittelst Anwendung, deren Stetigkeit, Einigkeit, kurz die Macht der von der Jurisprudenz angebahnten Übung, Praxis, Gewohnheit" produziert. Auch für das geltende Recht fordert Brinz stete Wiederholung oder allmähliche A n nahme von Seite der Berufenen, damit die „Rechtsprechung" zu jus inter omnes führt: Ρ 3 134, K V 15,164,165. 35 Rom. Juristen 687; Rechtswissenschaft 3179. 36 Rom. Juristen 682. 37 Ebd. 681; über den Regelungsgegenstand des jus vgl. o. § 4 Ziff. 3 mit Anm. 39 (Sätze, die sich logisch . . . ) und o. § 4 Ziff. 3 mit Anm. 46 („Begriffsseite des Rechts") sowie Ρ 11501: „Constituirung des Details." 38 Rom. Juristen 685. 39 Siehe hierzu o. § 4 Ziff. 3 mit Anm. 48. 40 Rom. Juristen 685. 41 Ebd. 682, 683. 33

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man das „Recht" auch als „angewandtes Gesetz" bezeichnen. Es leuchte ein, daß ein „angewandtes Gesetz" brauchbarer als das „bloße, reine Gesetz" sei und daß dem Richter ein aus Entscheidungen bestehendes Recht ganz anders „vorarbeite", als das „bloße Gesetz". Wenn die „Vorarbeiter" auch an Tüchtigkeit voran seien, dann werde durch ein solches „dem Richter vorarbeitendes Recht" nicht nur an Zeit und Arbeit gespart; die richterlichen Entscheidungen selbst würden besser, gleichmäßiger; „es gibt nicht blos ein Gesetz, sondern auch ein Recht i m Land". Schließlich werde, wenn man die Entscheidungen zu Recht erwachsen lasse, der Gefahr vorgebeugt, die i n der „Generalisirung der Entscheidungen" liege: „Ein Recht, das kein „Recht", sondern nur Gesetz kennt, muß wenn es nicht dennoch Fall für Fall normiren w i l l , generalisiren, und also der Individualität, der Freiheit und dem Recht des einzelnen Falles nur zu leicht Gewalt anthun." I n den geschilderten Umständen sieht Brinz den „inneren und allgemeingiltigen Grund", weshalb man i n Rom die Entscheidungen der einzelnen Fälle zu Recht habe werden lassen 42 . Für die römischen Verhältnisse w i r d von Brinz neben den bislang schon dargelegten drei Gründen noch ein weiterer und „letzter" angegeben, der freilich recht spekulativer Natur ist, bietet Brinz ihn doch nur alternativ an. Jedenfalls ist er i n der Person der Juristen zu suchen. Entweder, so lesen wir, hätten die römischen Juristen die „Macht der Rechtskonstituirung" bekommen, weil sie den herrschenden Geschlechtern angehörten; oder diese Macht — selbst ein „Ausbruch der Staatsgewalt" — sei deswegen auf bloße Juristen übergegangen, weil diese mit zu den Inhabern der Staatsgewalt gehörten; oder endlich — falls man die Ableitung der Autorität von der „Staatsordnung" ablehne —, bleibe zu ihrer Erklärung noch der Umstand übrig, daß man das Recht, das man nun einmal brauchte, „von denen gerne annahm, die es so gut als irgendwér, und überdies umsonst, also doch wohl unparteiisch, wiesen und darboten" 4 3 . b) „Cavere" Das „cavere" ist die „zweite A r t von Rechtshilfe" der römischen Juristen 4 4 . Die Vornahme von Rechtsgeschäften könne sowohl hinsichtlich des Inhalts wie der Form eine besondere Vorsicht erfordern, damit nicht die gewollte Wirkung fehlschlagen oder das erstrebte Ziel nicht überschritten werden solle 45 . Dem „respondere" wie auch dem „cavere" schreibt Brinz nicht nur Einfluß auf die „Erledigung des gegebenen 42 43 44 45

Ebd. 682; zum „Recht" näher noch in § 15. Rom. Juristen 685. Ebd. 686. Ebd. 686.

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Die Jurisprudenz

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Falles", sondern ebenso auf die „Weiterbildung und Befestigung des Rechts überhaupt" zu. I m Unterschied zu den Responsen, die als solche zu Recht geworden seien, habe das „cavere" nur i n seinem „formgebenden Theile" und auch insoweit nicht ohne Gewohnheit „allgemeine und exklusive Geltung" erlangen können; keine bindende Form des römischen Rechts lasse sich lediglich auf die Jurisprudenz zurückführen 46 . c) „Scribere" Brinz ist sich nicht sicher, welche Bedeutung das „scribere" hat 4 7 . Nur die schriftliche Abfassung und Erteilung der Responsen? Dann handle es sich nur u m die „Außenseite" einer anderen Tätigkeit, und u m keine wesentliche Voraussetzung der Responsen. Oder allgemeiner, die Literatur der römischen Juristen überhaupt? Auch dann liege kein neuer Zweig der „praktischen" Jurisprudenz vor, vielmehr lediglich das „Medium", durch das die „Konstituirung des Rechts" erfolgt sei und das alles i n sich aufgenommen habe, was die römischen Juristen „außer dem unmittelbar praktischen Stoffe" gleichzeitig „an Theorie aufboten" 4 8 . Aus der von Brinz vorgenommenen Aufzählung der Literatur der römischen Juristen 4 9 lassen sich seine Vorstellungen über diese Theorie entnehmen. Er sieht letztere wohl zum einen i n den verschiedenen Responsensammlungen, die nach einem gewissen System aufgebaut seien, sowie besonders i n den „Quästionen", die den Übergang zu monographischen Werken bildeten. Neben diesen „kasuistischen" Werken dann weiter i n solchen „kompendiarischer Gestalt", die aus dem Material der Responsen allgemeine Sätze abstrahierten 50 , sowie i n den Sammelwerken der „Digesten" oder „Pandekten" und den Kommentaren 5 1 , die aus „kasuistischem und generellem Stoffe gemischt" seien. Ferner i n den „Institutionen", i n denen statt der Entscheidungen und Sentenzen die „Definitio, Divisio, Distinktio" des Rechtes, der Rechte und Rechtsgeschäfte vorherrschten und auch i n die Geschichte zurückgegriffen werde 5 2 . Schließlich noch i n dem „kautelarischen Zweig" der Literatur 5 3 . 40

Ebd. 686. Ebd. 686. 48 Ebd. 686; siehe dazu schon o. Ziff. 1. 49 Rom. Juristen 686 - 690. 50 Diesen „sententiösen" Charakter hätten die Werke des Q. Mucius Scaevola und des Mas. Sabinus, ebd. 688. 51 Von der Interpretatio des Sextus Aelius bis zu den Ediktskommentaren, ebd. 688. 52 Ebd. 688, 689. 53 Brinz erwähnt prozeßrechtliche Werke — Klagespiegel — wie materiellrechtliche — Monographien über Testamente, Fideikommisse u. a. —, ebd. 689, 690. 47

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I I . Teil, 1. Kap. : Das römische Hecht

Nachdem w i r nun Brinz' Gedanken über die römische Jurisprudenz kennengelernt haben, sollen noch zwei das Hecht charakterisierende Äußerungen von Brinz wiedergegeben werden. Einmal vergleicht er das römische Recht m i t einem mächtigen Baum: So durcheinander, regel- und zahllos auch sein Laub- und Zweigwerk erscheine, so hänge doch alles i n dem einen Stamm und seinen Ästen zusammen. Bewunderung an diesem aus unzähligen Entscheidungen bestehenden Rechte verdiene die „Einheit und Einigkeit bei mikroskopischem Detail, die Harmonie zwischen seinem lapidarischen, gesetzlichen Schwerpunkte auf der einen, und seiner grenzenlosen Entfaltung auf der anderen Seite" 5 4 . Andernorts heißt es: „Leben und Bewegung schöpft das römische Recht auch aus der Mannigfaltigkeit seiner Quellen, aus dem Gegensatze der leges zu den Responsen und Quaestionen, der magistratischen Verordnung zu der bürgerlichen Satzung, der generalisirenden zu der kasuistischen Jurisprudenz 5 5 ." § 6

Die Rezeption des römischen Rechts

1. Die Rezeption des römischen Rechts, eine „historische Tatsache" 1 , ist nach Brinz nicht erst durch „Anwendung und Übung" erfolgt 2 . Von dem Moment an, da man die oberste und weltliche Gewalt i m Abendland als bloße Fortsetzung der römischen Kaiserherrschaft gedacht habe, habe das auch für den Okzident publizierte Gesetzbuch Justinians i n Deutschland als „Kaiserrecht" erscheinen müssen. Diese „Consequenz" sei nicht, wie man gewöhnlich annehme, ein „bloßer Faktor" i n der Rezeption, sondern die Rezeption selbst 3 . Die Kaiser hätten das justinianische Recht schon lange, bevor es i n die deutschen Gerichte gedrungen sei, als geltendes Recht angesehen4. Ebenso hätten die Glossatoren von den „Satzungen der römischen Kaiser" alles als geltend behandelt, was unter deren Nachfolgern i m Reich nicht abgeschafft worden sei. I n Deutschland seien schon i m 13. Jahrhundert viele Urkunden von der Geltung ausgegangen; desgleichen die Gerichtspraxis, als diese begonnen 54

Ebd. 683; ebd. 690: „Gewebe feinsten und reichsten Details." Ähnlich Nordgerm. Oblig. Recht 515: Ein Jus, in dem jeder Fall so kunstgerecht in das „bisherige Gewebe eingeschlagen wurde", wie das römische, existiere kein 2. Mal. 55 Nordgerm. Oblig. Recht 515. Siehe noch Gutachten 172: Verschiedene „Massen" der Jurisprudenz. 1 K V 22,164; Ρ 3 101 : Tatsache der Rezeption. 2 So aber ζ. B. Savigny System I 78, Windscheid Ρ I 2. Brinz — Ρ 3 98 — spricht von der „eigentümlich Savigny'schen Auffassung der Reception" und kritisiert Savignys Annahme, Rechts- und Volkseinheit seien unzertrennlich und die Konsequenz, die abendländischen Völker hätten römisches Recht, weil in ihnen das römische Volk fortlebte. 3 Ρ 3 1 ff. 4 Ebd. 2.

§6

Die Rezeption des römischen Rechts

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habe, nach römischem Rechte zu sprechen; anders seien nämlich deren Grundsätze, daß das Corpus Juris „ i n complexu" rezipiert sei und daß „ i n jure fundatam intentionem" für sich habe, wer sich darauf berufe, nicht erklärlich 6 . Brinz sieht also die eigentliche Rezeption i n dem, was man auch schon „theoretische Rezeption" genannt hat 6 ; die sog. „praktische Rezeption", die Anwendung des römischen Rechts i n der deutschen Praxis ist i h m lediglich „Ergebniß", und die Rezeption die „Ursache" 7 . Die Geltung des römischen Rechts führt Brinz, seitdem man den „Glauben an die translatio imperii Romani als I r r t h u m befunden" habe, auf die Anerkennung zurück, die es durch die Gesetzgebungsfaktoren des Reichs und der Territorien sowie i n der langen Übung gefunden habe 8 . Dies ändert m. E. aber nichts an seinem Rezeptionsbegriff, da die Rezeption ja eine Tatsache der Geschichte ist. 2. Gegenstand der Rezeption ist das Corpus Juris Justinians, also „reines" römisches Recht 9 . Rezipiert wurde es „ i n complexu" 1 0 ; von seinem nicht privatrechtlichen Inhalt lasse sich nicht sagen, daß er nicht rezipiert worden sei 11 . I m Gegensatz zu Savigny verneint Brinz die Rezeption von Rechtsinstituten; nur Rechtssatzungen seien rezipiert worden 1 2 . Nur an „Justinians Wort" also fühlt sich Brinz gebunden, nicht an die „Aussprüche des jus antejustinianum" 1 3 . Als Kaiserrecht sei das römische Recht gemeines Recht, als gemeines zwar immer subsidiäres 14 , gelte aber bis zum Erweis des Gegenteils für jeden einzelnen Fall 1 5 . Wenn nun Brinz auch „reines" römisches Recht als rezipiert ansieht, so ist er sich dennoch i m klaren, daß die Anwendung nur m i t „Modificationen" erfolgte; dieses „modificirte römische Recht" sei nun „unser heutiges römisches Recht", oder „unser gemeines Civilrecht"; der Begriff „Pandektenrecht" umfaßt bei Brinz entsprechend seiner Auffassung von der Rezeption das „reine und modifizirte" römische Privatrecht 1 6 . 5

Ebd. 2. Vgl. etwa Wieacker, PRG 140, Mitteis-Lieberich 188. 7 Ρ 3 2. 8 Ebd. 7/8; vgl. auch K V 22,570. 9 Ρ 3 2/3; ebd. 5 nennt er das C. J. das „Depositarium des reinen röm. Rechts". 10 Ρ 1 1 ; Ρ 3 2/3 ; K V 22, 570. 11 Ρ 3 6. 12 Ebd. 4. 18 Ebd. 25 und insbesondere K V 14, 208: „Wir sind weder durch die X I I Tafeln, noch durch das edictum perpetuum . . . , sondern einzig durch das C. J. gebunden." 14 Ρ 3 6. 15 Ebd. 7. 18 Ebd. 1/2. 6

3 Rascher

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I I . Teil, 1. Kap.: Das römische

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Quellen dieser Modifikationen sind nach Brinz das Gewohnheitsrecht, das kanonische Recht sowie die Reichsgesetze17. Die gewohnheitsrechtlichen Modifikationen, erwachsen aus der Anwendung des rezipierten „reinen" römischen Rechts zunächst durch die Gerichtshöfe der geistlichen Herren, seit Ende des 15. Jahrhunderts auch durch die weltlichen Gerichte, hätten ihren „tieferen Ursprung" zum einen i n der Schule der Glossatoren, zum anderen i m „Leben" 1 8 . Was die Glossatoren übergangen hätten, hätten auch die Gerichte übergangen. Das Leben habe sich zu „specifisch" römischen Instituten nicht bequemt und auch die eigenen Satzungen zu den heimischen Instituten gegen die fremden nicht schlechthin aufgegeben. Vorher nicht schon eingebürgerte Institute seien i m allgemeinen auch nicht durch die Rezeption aufgekommen, die derartige Institute ausschließlich betreffenden Satzungen daher „antiquirt". Wo die eigenen Institute sich weithin den fremden Satzungen gefügt hätten, hätten manche einschlägige einheimische Satzungen den fremden widerstanden oder hätten m i t diesen ein neues, „gemischt römisch-deutsches Recht" gebildet 1 9 . Diese Bemerkungen über den Unterschied zwischen Rechtssatzungen und -instituten gelten nach Brinz' Ansicht i m Bereich des öffentlichen Rechts noch mehr als i m Privatrecht, ebenso gelte dort noch mehr, daß viele römische Satzungen mangels der entsprechenden Institute „durch Nonusus antiquirt sind" 2 0 . 3. Abgesehen von den (oben Ziffer 1) wiedergegebenen Gedanken besitzen w i r noch folgende Äußerungen von Brinz über die Ursachen der Rezeption: Er widerspricht Levy 2 1 , der i n dem „Herübernehmen des römischen Rechts etwas so gar Bequemes" sieht 2 2 , und meint, die Rezeption, ein „geschichtlicher Prozeß, der i n dem allgemeinen Bildungstrieb des menschlichen Geistes verlief", dürfe niemandem „moralisch, als Bequemlichkeit, als Verrath am Volk u. dgl." angerechnet werden. Brinz scheint hierbei an den Humanismus zu denken, dem von manchen ein entscheidender A n t e i l an der praktischen Rezeption beigemessen w i r d 2 3 . Wäre dem so, würde sich dies nicht m i t seiner Auffassung von der Rezeption vereinbaren lassen, die ja i n der „translatio imperii" wurzelt. Diese Translatio-Lehre ist bekanntlich älter als der deutsche Humanis17

Ebd. 5; so auch ζ. B. Windscheid Ρ 1 5 , 6. Ρ 3 4. 19 Ebd. 4/5; zu den Modifikationen durch das „Leben" vgl. auch K V 14, 206. 20 Ρ 3 6. 21 Mr. J. A. Levy, Savigny en de Historishe Rechtsbeoefening, in de Nieuwe Bydragen voor rechtsgeleerdheid en Wetgeving, Jahrg. 1879, 1 - 6 9 (zit. bei Brinz K V 22,161). 22 K V 22,165. 23 Vgl. hierzu Wieacker, PRG 146 mit Anm. 74,147. 18

§7

Die Bindung an das römische Recht

35

mus; liegt i n ihr, wie Brinz lehrt, die Rezeption selbst, so blieb eine spätere kulturelle Bewegung ohne Einfluß auf die Rezeption; ein Einfluß war nur bei der späteren Anwendung, Durchsetzung des vorher schon rezipierten Rechts denkbar. Offensichtlich versteht Brinz i n der eben zitierten Stelle unter Rezeption die „praktische" 2 4 . A n einem anderen Ort schreibt Brinz noch, zu Recht nenne man unter den Gründen für die Rezeption den, „daß es (das römische Recht) kein bloß anwendbares, sondern ein angewandtes Recht ist" 2 5 .

§ 7

Die Bindung an das römische Recht

Haben w i r i m vorigen Paragraphen bereits die historische Tatsache der Modifikationen des „reinen" römischen Rechts kennengelernt, so ist nun von Interesse zu erfahren, i n welchem Maße sich Brinz an das Corpus Juris gebunden fühlt. Es kann hier allerdings nur darum gehen, einige allgemeine Äußerungen von Brinz wiederzugeben. Eine genaue Bestimmung dieses Maßes würde die detaillierte Untersuchung seiner Auffassung zu den einzelnen Rechtsinstituten notwendig machen, was über den Rahmen dieser Arbeit hinausginge. Brinz' Verhältnis zum römischen Recht ist durch eine eigenartige Spannung geprägt: A u f der einen Seite seine Einsicht, daß das römische Recht an die veränderten Verhältnisse angepaßt werden muß — auf der anderen Seite seine Forderung nach einer reinen Darstellung dieses römischen Rechtes. 1. Brinz liegt daran, das „Recht der Neuzeit zu seinem Rechte" gelangen zu lassen1. A n Savignys „System" rühmt er „einen viel offeneren Sinn und ein viel gesünderes und gründlicheres Verständniß" „für das Bedürfniß und die Erscheinungen der Neuzeit", als es die unhistorischen, „vom blos praktischen Standpunkt aus" verfaßten Handbücher an den Tag legten 2 . Bereits i n seinem i m Jahre 1855 verfaßten Einleitungsaufsatz für Zivilrecht i n Schletters Jahrbüchern der deutschen Rechtswissenschaft und Gesetzgebung spricht Brinz deutlich aus, daß uns die „nach Sprache und Ursprung fremde" römische Praxis keinesfalls genüge 3 . Dort erhebt er auch den Vorwurf, man lasse ganze Institute, 24 Der Aufsatz in K V 22 wurde 1880 verfaßt, die Ansicht von der Rezeption als in der Translationslehre liegend hat Brinz in der 2. A. der Ρ (1873) näher ausgeführt und in der 3. A. (1884) voll aufrechterhalten. 25 K V 2,15. 1 Savigny rede 12. 2 Ebd. 12; schon in Krit. Bl. I V , 39 schreibt Brinz, Savigny sei „in Berücksichtigung heutiger Bedürfnisse Muster und Beispiel". 3 Schletters Jb. 1855,10.

3*

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I I . Teil, 1. Kap.: Das römische

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deren Berechtigung zumindest zweifelhaft sei, i m „Cursus des geltenden Rechtes wie blinde Passagiere unberedet mitlaufen" 4 . Brinz meint i n diesem Aufsatz, den man eine Anklage gegen die zeitgenössische Jurisprudenz nennen könnte 5 , ferner, man komme über viele ungelöste Grundfragen — ob eine oder zweierlei Vormundschaften existierten, ob man Stellvertretung ganz allgemein zulassen könne usw. — darum nicht ins Reine, „ w e i l w i r sie nicht da stellen, wo sie brennen: nicht i m Brennpuncte tagtäglicher Klagfälle und Erkenntnisse, wo ihre Entscheidung keinen Aufschub erleidet, sondern auf der langen Bank der Schule, die auch noch manch andere lange Weile erträgt" 6 ; auch das ungeklärte Verhältnis zum römischen Rechte — ob es m i t einigen Modifikationen schlechthin gelte, oder nur soweit es i n Übung sei; ob es ein Weltrecht sei oder nur Volksrecht und daher nur mehr Muster — sei kein Grund dafür, diese Fragen unentschieden zu lassen. Das Verhältnis zum römischen Recht werde niemals durch „Worte", sondern nur durch „Thaten" geklärt werden können; „was i m einzelnen Falle gelte, muß entschieden werden, man denke nun von dem Römischen Rechte wie man wolle, und wird entschieden werden können, nicht blos nach dem Muster und auf Grund, sondern allenfalls auch ohne das Römische Recht. Hätten w i r nur einmal entschieden, was i n unserer Familie, für unsere Mündel, für unser Eigenthum und unsere Geschäfte gilt, dann wäre unser Verhältniss zum Römischen Rechte von selbst klar und würde eines unfruchtbaren, sonst heillosen, Streites weniger sein. Allein fast scheint es w i r streiten, nicht um entscheiden zu können, sondern lassen unentschieden, u m streiten zu können" 7 . Die Schuld an dem bestehenden Zustand gibt Brinz den Juristen: Ihrem Willen fehle es „an entscheidender Lust zu einem wirklich geltenden Rechte" 8 . Später sagt er einmal, er halte, „nachdem w i r einmal i n das römische Recht verstrickt sind 9 , nicht minder dazu, daß w i r es abstreifen als dazu, daß w i r es anwenden, ein siegreiches Vordringen auf allen seinen Positionen" für notwendig 1 0 . 4 Ebd. 9; ähnlich wieder K V 14, 206: Manches scheine „in unser Recht verpflanzt worden zu sein, ohne viel Bedenken, ob die Voraussetzungen, unter denen das Ding auf röm. Boden gewachsen, auch unter uns da seien". 5 Wilhelm, Recht 228 Fußnote 3 bezeichnet ihn als „aufschlußreiche Kritik der zeitgenöss. Pandektenwissenschaft" und sieht darin wohl einen Beleg, daß zum 2. M a l im 19. Jahrhundert „eine Auseinandersetzung um die formale Geltung und materielle Bedeutung des römischen Rechts" einsetzt (228). 8 Schletters Jb. 1855, 9. 7 Ebd. 9. 8 Ebd. 10. Vgl. dazu noch u. § 31 Ziff. 1 mit Anm. 14. 9 Eine ähnlich fatalistische Äußerung schon bei Savigny Beruf 139: Stoff, „in welchem wir unwillkürlich befangen sind" 10 K V 17,245.

§7

Die Bindung an das römische Recht

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Wenn L e v y 1 1 der Auffassung ist, man müsse bei der Fortentwicklung des Rechts vom römischen Recht die Form behalten, den Inhalt aber von uns selbst nehmen, wenn er es als Aufgabe der Rechtsbildung ansieht, m i t römischer Schulung und Logik unseren Prinzipien Geltung zu verschaffen und wenn er die Bildung des Juristen durch das römische Recht, aber für sein eigenes Zeitalter fordert 1 2 , so w i r d Brinz hier an Jherings „durch das römische Recht zum Recht" erinnert —, „ u n d wem sollte dieser weitere Horizont, wenn w i r gleich niemals i n i h m an's Ende kommen, nicht der liebere sein?" 13 . A n Regeln über die „Fortschaffung römischen Schuttes" 14 nennt Brinz folgende: Erinnert sei zunächst an seine Bemerkung, viele Satzungen seien „aus Mangel der entsprechenden Institute durch Nonusus antiquirt", i m öffentlichen Recht noch mehr als i m Privatrecht 1 5 . Dann meint Brinz, die Unterscheidung zwischen jus civile und gentium sei bereits auf dem Boden des römischen Rechts so schwierig gewesen, heute aber „völlig undurchführbar"; der Unterschied dieser „Rechtsquellen" sei „gefallen" 1 6 . Da w i r heute nur „ E i n Recht" hätten, gelte i n diesem aus dem römischen Rechte von „zweierlei sich widerstrebenden Normen nur diejenige, welche schon nach röm. Rechte effectiv, nicht diejenige, welche blos nominell galt"; die „Rechtssphären" des „Jus" und der „Jurisdiction" seien daher i n „ E i n Recht" aufzulösen 17 . Was die heutigen Begriffe anlangt, so w i l l sie Brinz nicht nach dem „Wörterbuch der römischen Rechtssprache messen" 18 ; wie i n der Vorrede zur 1. Auflage seiner Pandekten zu lesen ist, hat Brinz dort römische Namen „verfolgt", „ u m heutige Begriffe festzustellen; römische Dinge, u m heutigen, so viel an m i r ist, Platz zu machen" 19 . Aber noch i m 11

Vgl. o. § 6 Ziff. 3. Wiedergegeben nach K V 22,166. 13 Ebd. 166. Brinz interpretiert ebd. 165 Jherings Motto („Kosmopolitismus") als „Kultivirung des römischen Rechts als eines zum allgemeinen Rechte zu gestaltenden Rechtes". 14 K V 15, 162: Dort ist auch von dem „abgestorbenen und anderem röm. Recht" die Rede. 15 Vgl. o. § 6 Ziff. 2 (P 3 4 - 6 ) ; Beispiele für antiquierte Bestimmungen: Staatsvermögen (Ρ 1 1108); exceptio (KV 14, 206f.); Einteilung von actiones (Ρ 1 54). 16 Krit. Bl. I I I 36. 17 Ρ 2 I 379; so auch K V 18, 571: Heute existiere kein Prätor, kein Gegensatz von jus honorarium und civile; es bestehe deshalb kein Grund, diesen Gegensatz fortzupflegen. 18 Krit. Bl. I I I 3. 19 Ρ 1 Vorrede V I I I . Aufschlußreich ist Brinz' Bemerkung aus dem Jahre 1879, Arndts gehe manchmal „in der Antiquirung römischer und in der Geltendmachung moderner Begriffe sogar weiter als wir ihm folgen möchten" (KV 21,11). 12

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I I . Teil, 1. Kap.: Das römische

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Jahre 1885 bekennt er, römische Rechtsbegriffe seien i h m „fester als unsere eigenen eingeprägt" 2 0 . 2. Fordert schon Savigny ein Studium des römischen Rechts „an der Wurzel" 2 1 , so finden w i r Ähnliches bei Brinz. Einmal kann er es sich nicht „versagen" zu zeigen, „daß die Antike noch nicht allenthalben i n voller Reinheit dasteht" 2 2 . Andernorts lesen w i r : „Auch i n der Wissenschaft ist der Konservatismus so nothwendig als der Fortschritt; i m römischen Rechte bezeichnet die reinste Darstellung den äußersten Fortschritt 2 3 ." Was ist der Grund für diese puristische Einstellung? Wollte Brinz das „reine" römische Recht wiedereinführen? Keineswegs! Klarheit gewinnen w i r aus seiner Savignyrede. Dort lobt er Savignys Restauration des klassischen Besitzes, wobei er freilich nicht verkennt, daß „diese Restauration der Antike nicht ohne einiges Unrecht gegen die Produktion und Produktivität der Zwischenzeit abgelaufen" ist 2 4 ; und auch hier sei, wie man aus Bruns' Besitzrecht ersehen habe, „manches aus dem Tempel hinausgeworfen worden, was eine spätere Zeit vielleicht begierig auflesen und was zu einer weiteren und freieren Würdigung der Sache führen w i r d " . Brinz fährt dann fort, die Krise, die sich i n Savignys Buche vollzogen habe, sei notwendig gewesen, da „jeder Zeit ihr Recht werden soll"; es habe besonders diejenige „Formation, auf der unser heutiges Recht zumeist oder am erkennbarsten basirt, sondirt und i n seiner Reinheit erhoben werden" müssen; nach diesem Werke sei das römische Recht „ i n seiner klassischen Ausprägung und bewußt als klassisches" studiert worden; und allmählich habe auch unter den Nichtjuristen der „Glaube" u m sich gegriffen, „daß jene Ideen und jene Weisheit, die man erst verkörpern und erleben zu müssen glaubte, besser als es irgend ein Solon oder Plato zu thun vermöchte, schon einmal verkörpert worden seien" 25 . Brinz w i l l also i m Interesse des heutigen Rechts, u m dessen Verständnis zu fördern 2 0 und wohl auch u m dessen Fortentwicklung entsprechend den Zeitbedürfnissen zu erleichtern, das „reine" römische Recht freilegen. 20

Provinz 3. Savigny Beruf 141,142,88: Savigny w i l l vor allem das klassische Recht erforschen. 22 K V 11,476. 23 K V 21,7. 24 Savignyrede 7; schon Ρ 1 104 spricht Brinz von einer „vielleicht nicht immer unparteiischen Kritik der modernen Zusätze" des Besitzrechts; er widmet — Ρ 1 100 — auf diesem Rechtsgebiet auch dem, was das Mittelalter hervorbrachte, einen Blick. Vgl. zudem Besitzklagen 618. 25 Savignyrede 7. 20 Vgl. Savignyrede 11, wo Brinz sagt, die von Savigny und Eichhorn gegründete Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft enthalte überwiegend „wahrhafte Aufklärungen des Neuen aus dem Alten". 21

§7

Die B i n d u n g an das römische Hecht

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Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Grund für Brinz' Verlangen nach einer Darstellung des „reinen" römischen Rechts dürfte i n seiner Hochschätzung dieses Rechts zu suchen sein. Er setzt sogar einmal die Antike m i t der „Natur der Dinge" gleich 27 . Und wo i h m i n einer römischen Erscheinung nicht „ewige Brauchbarkeit" liegt, so könne darin doch „unversiegliche Belehrung, und ein zu freier Nachbildung zugleich ermunterndes, und befähigendes Vorbild" gesehen werden 2 8 . Man kann hier den Humanisten Brinz erkennen 29 . U m dieses römische Recht, so wie es ursprünglich war, festzustellen, schreckt Brinz auch nicht davor zurück, die Ansichten von Autoritäten wie Savigny zu bekämpfen, denn „das Römische Recht ist nicht Tradition, der am besten dient, wer sie glaubt und fortpflanzt, wie er sie bekommen; das Römische Recht ist Quelle, aus felsigem Buchstaben unversieglich hervorquillend, Jeden vor allem zu sich selber fordernd. Sein Verständniß hat eine langsam vorwärts-schreitende Geschichte und hängt sichtbar m i t der A r t und m i t dem Fortgang unserer geistigen Entwicklung überhaupt zusammen" 30 . Es ist dies eine richtige Erkenntnis von Brinz, daß die Einsicht i n das Recht der Römer ständig wächst. 3. Zusammenfassend kann gesagt werden: Es ist kein Widerspruch, wenn Brinz einerseits die Anpassung des römischen Rechts an die modernen Verhältnisse postuliert, andererseits aber dieses Recht i n seiner Reinheit dargestellt haben w i l l , da er m i t Letzterem keinesfalls dem „reinen" justinianischen Recht Geltung verschaffen w i l l , sondern hauptsächlich nur bezweckt, die „Formation", auf der das geltende Recht fußt, zu ermitteln. Eine Bevorzugung des klassischen Rechts gegenüber dem justinianischen — wie w i r sie bei Savigny antreffen 3 1 — läßt sich bei Brinz nicht feststellen. Zwar schlägt er den Wert des klassischen römischen Rechts besonders hoch an 3 2 ; er fühlt sich jedoch an das ganze von Justinian kodifizierte Recht gebunden 33 .

27

K V 21,11. Krit. Bl. I I I 36; Brinz meint hier speziell den Grund, warum die Römer die Naturalobligation noch als Obligation betrachteten. 29 Brinz selbst redet von der „humanistischen Richtung" in der Jurisprudenz: K V 15, 337 (vgl. u. § 33 Ziff. 2 d). 80 Krit. Bl. I I I 1. 31 Vgl. Beruf 141,142,88; Koschaker 273. 32 Vgl. o. Ziff. 2 und o. § 4 Ziff. 1 sowie u. § 9. Siehe auch Exner 24. 33 Siehe § 8. 28

I I . Teil, 1. Kap.: Das römische Hecht

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§ 8

Quellenkritik

1. Niedere Kritik Brinz setzt der „höheren" K r i t i k teils eine „diplomatische" 1 , teils eine „niedere" K r i t i k 2 entgegen. Die beiden zuletztgenannten Begriffe dürften identisch sein. I n der 2. und 3. Auflage der Pandekten hat Brinz wohl darum die Bezeichnung „niedere" K r i t i k gewählt, weil er dort u. a. „diplomatische" Grundsätze der „höheren" K r i t i k anführt 3 . Überhaupt ist die Abgrenzung beider Arten von K r i t i k recht unscharf 4 . Die „niedere" K r i t i k ist bei Brinz hauptsächlich eine Aufzählung und Beschreibung der überlieferten Handschriften des Corpus Juris; die Frage der Auswahl unter verschiedenen, den gleichen Teil von Justinians Gesetzbuch betreffenden Handschriften rechnet Brinz zur „höheren" K r i t i k 5 . Dagegen finden w i r das Problem, was von den Novellen alles rezipiert wurde, schon bei der „niederen" K r i t i k ; maßgebend sei hier einzig und allein das „Authenticum" der Glossatoren 6 , die bezüglich des „Quellenumfangs", nicht aber bezüglich des Textes entscheidend seien7. Keinen Grund sieht Brinz, daran zu zweifeln, daß i n den überlieferten Handschriften und Büchern Justinians Gesetz auf uns gekommen ist 8 . Falls es des Nachweises bedürfte: „Überzeugender auch könnte keine Autorschaft der römischen oder griechischen Welt nachgewiesen werden, als diese 9 ." Trotz der äußeren Beschädigung der Texte und der Eingriffe durch Bearbeiter sei noch „so viel des Ursprünglichen" vorhanden, „daß, wenn w i r das Justinianische Hecht nicht kennen, der Grund nicht i m Corpus Juris liegt" 1 0 . 2. Höhere Kritik a) Ziel Für Brinz ist Ziel dieser K r i t i k die „Herstellung des ursprünglichen, also des Justinianischen Wortes, Textes" 1 1 . Zwar gelte das Corpus Juris 1

Ρ 16; K V 20,177. Ρ 3 10 ff. 3 Ebd. 26. 4 So sagt Brinz — Ρ 3 27 — bei der Darstellung der „diplomatischen" Grundsätze: Wie diese beim C. J. „zur Geltung kommen, hat sich zum Theil schon oben § 3 ergeben". § 3 ist überschrieben: „Handschriften — niedere Kritik." 5 Ρ 16; Ρ 3 26/27. β Ρ 3 23. 7 Ebd. 24. 8 Ebd. 11, 27. 9 Ebd. 11. 10 Ebd. 11. 2

11

Ebd. 24.

§8

Quellenkritik

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nicht mehr „kraft Justinianischer Autorität, so gilt es doch immer noch als dieses Kaisers Vorschrift; das was recipirt wurde, dauert unverändert fort, auch nachdem das warum der Reception hinweggefallen ist" 1 2 . Eine bindende Vulgata lehnt Brinz ab; ebenso wie die Frage, was von Cicero stamme, sei auch die, was Justinians Wort sei, „Gegenstand gelehrter (diplomatisch-juristischer) Untersuchung, nicht auctoritativer es sei nun kaiserlicher oder gewohnheitsrechtlicher Entscheidung" 13 . Selbst die Glossatoren hätten ihre „Lesung" immer als verbesserungsbedürftig angesehen; sie seien i n der Frage des Textes nicht maßgebend, wohl aber — wie oben Ziffer 1 gezeigt — i n der des „Quellenumfangs" 1 4 . Nimmt Brinz also für sich die eben dargestellte „Freiheit der Forschung" i n Anspruch, so unterwirft er sich gleichzeitig einer „gewissen Bindung", nämlich an das Wort Justinians entgegen den Aussprüchen des jus antejustinianum 1 5 . Eine Verbesserung aus letzterem sei bei „bewußten Abweichungen" der Kompilatoren unzulässig; Brinz hält damit Justinians Interpolationen, die sog. emblema Triboniani, für verbindlich, was zu seiner Zeit wohl allgemeine Ansicht war 1 6 . Zulässig hingegen sei eine Verbesserung bei „irrthümlichen Abweichungen": Die K r i t i k sei Sache der Rechtsanwendung, die sich „von Verirrungen des Gedankens und der Satzung selbst nicht binden" lasse, u m so weniger, wenn der „Gedanke des Gesetzgebers" nur durch ein „Versehen i n der Aussprechung, hier Lesung oder Schreibung" unrichtig geworden sei; ebenso wie unkorrigierte Fehler der Abschreiber bänden auch „falsche Lesungen und Lösungen von Buchstaben und Siglen durch die Compilatoren" nicht; denn wo nur habe abgeschrieben, nicht interpoliert werden sollen, müsse man „die zur Lesung und Abschreibung bestimmt gewesenen Texte des Jus und der Constitutionen als den Gedanken und Willen des Gesetzgebers" betrachten 17 . b) Grundsätze Brinz führt als Grundsätze zur Erreichung des obigen Ziels „diplomatische" und „innerlich sachliche" an 1 8 . Da für ihn „die Echtheit der Quellen i m allgemeinen außer Frage steht", taucht für ihn das „primäre Problem aller diplomatischen K r i t i k " , die Frage nach der Echtheit der Handschriften, gar nicht auf 1 9 , dagegen das „secundäre", welches näm12

Ebd. 24. Ebd. 24. 14 Ebd. 24/25. 15 Ebd. 25; siehe schon o. § 6 Ziff. 2. 16 Vgl. etwa Eisele 16: Er bezeichnet es als zweifellos, daß diese Interpolationen Gesetzeskraft haben. 17 Ρ 3 25/26. 18 Ebd. 26. 19 Ebd. 27. 13

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I I . Teil, 1. Kap.: Das römische

echt

lieh von mehreren Exemplaren das „glaubwürdigere" ist 2 0 . Für dieses notwendige „comparativ-diplomatische Verfahren" gibt uns Brinz zwei Grundsätze: Die ältere Handschrift sei glaubwürdiger als die von ihr abstammende jüngere; außerdem, ein jüngerer Text könne echter als ein älterer sein, falls er mit diesem nur i n der Seitenlinie verwandt, und i n seiner Linie der Urtext treuer bewahrt sei, als i n der anderen 21 . Grundsätze „aus dem Innern des Textes, seiner Sprache und seines Inhaltes" gibt es nach Brinz so viele, „als es Sätze der Grammatik, Logik und des Rechtes g i b t " 2 2 . Ihnen könne der „Buchstabe des Textes" mehr oder weniger entsprechen oder auch widersprechen, so daß sich aus ihnen zunächst „Stützpunkte" für die Auswahl zwischen den verschiedenen Texten gewinnen ließen. Sie könnten aber auch — „da die Rechtsanwendung nicht sistirt und der Richter nicht dem Conflikte m i t der Vernunft oder dem Rechte selbst überlassen werden darf" — eine Ersetzung durch Wörter und Redeweisen erfordern, die keine handschriftliche, überhaupt traditionelle Grundlagen mehr hätten („emendatio-conjectura-interpolatio"). Brinz bezeichnet diese Ersetzung als „Conjecturalkritik" 2 3 . A u f sie wollen w i r etwas näher eingehen. Zur Terminologie ist zunächst zu bemerken: Die „Conjectur" ist eine Verbesserung des Textes „aus eigener Erfindung" 2 4 , die „Emendation" ist die Textverbesserung schlechthin, sei es durch Konjektur 2 5 , durch Verfolgung von Druckfehlern 2 0 oder durch Benutzung neuer Handschriften 27 . Brinz nennt die Konjektur „höchste Blüthe und größtes Unkraut der höheren K r i t i k zugleich" und fordert eine „kunstgerecht und gewissenhaft beschränkte, darum wahrhaft heilsame Anwendung" 2 8 ; bei der „Conjecturalkritik" sei eine um so größere Vorsicht am Platze, je mehr auf dem „anstößigen Punkte" die Überlieferung übereinstimme und je weniger sich aus „ A r t und Folge der Schrift" eine falsche Lesung oder ein Schreibversehen nachweisen lasse 29 . Leicht werde nämlich ein „versteckter Gedanke begraben, wo man i n der Consequenz Rechtens bleiben zu müssen meint" 3 0 . Die Konjektur könne aber auch 20

Ebd. 27. Ebd. 27. 22 Ebd. 27. 23 Ebd. 28; in Ρ 1 7 heißt es: „Berichtigung (Conjecturalkritik) der Worte, wie der Interpunctionen." 24 Ρ 3 46. 25 ζ. Β. Ρ 3 44, 45. 26 ζ. Β. Ρ 3 52,55 Anm. 36. 27 ζ. Β. Ρ 3 44,45; 48. 28 Ρ 3 44. 29 Ebd. 28; ähnlich K V 20, 188: Konjektur könne erst anfangen, wo die Beglaubigung aufhöre. 30 Ρ 3 28; hier sagt Brinz auch, die Überlieferung scheine doch überwiegend unverdorben geblieben zu sein. 21

§8

Quellenkritik

43

berechtigt und notwendig sein, wo man sich „von dem Gegentheil des Zusammenhangs, der Richtigkeit und der Schlüssigkeit" des Textes überzeugt habe, „so groß unser Vertrauen in den Zusammenhang und i n die Sicherheit römischer Rechtssätze, so begründet unsere Zuversicht auf die Schlüssigkeit der klassischen Jurisprudenz ist" 3 1 . Brinz spricht noch den Wunsch nach einer Sichtung der traditionellen Konjekturen aus; sich schlüssig zu werden, wo Verbesserungen notwendig seien, werde „ u m so mehr ein Postulat der nach Vollendung ringenden Wissenschaft, als die möglichst urkundliche Herstellung des Textes ihrem Ziele nahe gerückt ist" 3 2 . M i t den oben erwähnten Interpolationen meint Brinz m. E. nicht die von Justinian vorgenommenen, ebenso wenig die vor justinianischen, an die er sich i n gleicher Weise gebunden fühlen mußte, falls sie nicht durch einen I r r t u m der Kompilatoren i n das Corpus Juris Eingang fanden, sondern nur nachjustinianische 33 . Brinz hält es für keineswegs unmöglich, wenn Amann i n großem Umfang solche nach justinianische Interpolationen behauptet 34 . Er hält auch die Streichung dieser Interpolationen für zulässig; dadurch müsse freilich der „kranken" Stelle geholfen werden können 35 . Eine Streichung sei nicht „mehr" Konjektur als jede andere; aus dem Inhalte des Textes selbst müsse hervorgehen, ob die Konjektur bis zur Streichung vorgehen dürfe 3 6 . Auch verbiete der „Mangel an äußerer Beglaubigung" große Streichungen nicht mehr als kleine; so zwingend wie sonst eine Konjektur, könne die der Interpolation sein 37 . Es sei denkbar, meint Brinz, daß sich m i t dem zunehmenden Nachweis „zusätzlicher" Interpolationen gewisse gemeinsame Merkmale, vielleicht gar ein „System — wie das der Krankheiten" herausstellten 38 . Vermutlich würde Brinz aber i n Einzelfällen auch vor- oder justinianische Interpolationen gestrichen haben, wenn nur so eine Rechtsanwendung möglich wäre 3 9 , sagt er doch an einer Stelle seines Werks 4 0 selbst: 31

K V 20,188. Ρ 3 45; in der „Verbesserung des Textes" sieht Brinz ebd. die „umfassendste Anwendung" der Kritik. 33 Alle 3 Arten erwähnt Brinz in K V 20, 177 ff.; erinnert sei hier an Brinz' Bindung an Justinians Wort sowie an das Ziel der Kritik! Für die nachjustinianische Interpolation spricht auch seine Vermutung der unverdorbenen Uberlieferung; Interpolationen in der Überlieferung können nur nachjustinianische sein. 34 Julius Amann, Die Grundsätze der heutigen Pandektenkritik (1878) ; K V 20, 179. 35 K V 20, 181; dieses „Helfenmüssen" sieht Brinz generell als das erste Erfordernis aller Emendation an: Krit. BL 143. 36 K V 20,188. 37 Ebd. 179,180. 38 Ebd. 187. 39 Vgl. seine Äußerungen Ρ 3 28 ganz oben. 40 Compensation 21; auch in Krit. Bl. I 5 verneint er in einem bestimmten 32

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I I . Teil, 1. Kap.: Das römische

echt

„Wäre uns (in einem bestimmten kaiserlichen Reskript) etwas anderes vorgeschrieben, w i r dürften i h m nicht folgen, weil es zweck- und sinnlos wäre." Brinz geht es also bei seiner Texteskritik nicht, wie der modernen Interpolationenforschung, u m die Aufdeckung des reinen klassischen Rechts, sondern u m die Ermittlung des geltenden, auf Justinians Gesetzbuch beruhenden Rechts. Das Interesse an der Erforschung der nachklassischen und justinianischen Interpolationen wurde i n Deutschland ja bekanntlich erst lebendig, als sich die praktische Geltung des Corpus Juris infolge der Schaffung des BGB ihrem Ende näherte 41 . Als Brinz i m Jahre 1887 starb, nahm diese Interpolationenforschung erst langsam ihren Aufschwung. A m Schluß der Darstellung der Konjekturalkritik soll noch Brinz' Forderung Erwähnung finden, daß die Ausgaben der Quellen nur urkundlichen Text, die Konjekturen aber i n den Anmerkungen enthalten sollten 4 2 . Bemerkenswert ist außerdem seine Äußerung, er würde sich gerne i n der Beurteilung, ob zwei Streichungen Amanns, die er akzeptiert, begründet sind, Huschke als „einem der kompetentesten Richter" unterwerfen 4 3 . Schließlich verlangt Brinz, man müsse „dem Inneren des Textes" sein „äußeres" gegenüberstellen; zu letzterem rechnet er die „Schreibweise (der Charakter der Schrift, Interpunktion und Nichtinterpunktion, Trennung oder Verbindung der Wörter, Gebrauch oder Nichtgebrauch von notae und sigla), und die Geschichte der ersten Schreibung unserer Texte" 4 4 . Nur wenn man diese „Texteseigenschaften" kenne und berücksichtige, erhalte die K r i t i k die „nothwendige äußere Beglaubigung" 4 5 . c) Hilfsmittel Als „Hilfsmittel" der K r i t i k nennt Brinz besonders die „Hilfsquellen"; unter diesen versteht er Rechtsquellen — zwar nicht die Quellen des geltenden Rechts — „aber m i t diesen verwandt und zusammenhängend, entweder als Vor- und Entwicklungsstufen derselben — jus antejustinianum —, oder als Abwicklung, Umbildung desselben auf anderem als unserem Gebiete — jus graeco-romanum und justinianisches Recht i n den kirchenrechtlichen Sammlungen" 4 6 . M i t dem „jus antejustinianum" meint Punkt die Bindung an die römischen Juristen; nur durch das Gesetz der Wahrheit sei er gebunden. 41 Kunkel 161. 42 Ρ 3 44, 56, auch 43; Brinz unterscheidet auch zwischen „urkundlichem" und „konjecturalem" Wert von Lesarten: Ρ 3 42. 43 K V 20,188. 44 Ρ 3 28. 45 Ρ 3 28; die in Anmerkung 44 und hier belegten Gedanken sind in der 2. Auflage der Pandekten noch nicht enthalten. 46 Ρ 3 29.

§9

Exegese des Corpus Juris Civilis

45

er nicht nur das „ante-", sondern auch das „extrajustinianische", das heißt das außerhalb der justinianischen Kodifikation überlieferte römische Privatrecht 4 7 .

§ 9

Exegese des Corpus Juris Civilis

Sahen w i r i n der K r i t i k die „Herstellung", so haben w i r i n der Exegese die „Erklärung" des Quellenwortes; beide faßt Brinz zur „Bearbeitung" der Quellen zusammen, die i m Gegensatz zur „Verarbeitung" „ i m Dienste des Wortes" bleibt 1 . Er empfiehlt „von dem Bedürfniß der Theorie aus" eine „Einkehr bei den Quellen" 2 ; je länger man sich m i t dem römischen Rechte beschäftige, „desto wertvoller w i r d das Wort, besonders seiner classischen Quellen" 3 ; Brinz erachtet Ubersetzungen zwar für nützlich, für die Forschung freilich sei die „Ursprache unersetzlich" 4 . Liest man, es sehe nicht so aus, „daß heute, entsprechend dem Aufschwung, den i n unseren Tagen die diplomatische K r i t i k der Quellen genommen, eine nochmalige selbständige Erklärung derselben i n Angriff genommen werde" 5 , so kann man aus diesen Worten einen dahingehenden Wunsch Brinz' entnehmen. Er selber hat sich i n dieser Hinsicht betätigt. Regelsberger berichtet uns i n seinem Nachruf, Brinz habe i h m seine umfangreichen Auszüge aus dem Corpus Juris gezeigt; die einzelnen Titel seien selbständig verarbeitet gewesen®. Brinz unterstreicht damit auch die Eigenständigkeit der Exegese; er weist auf die Gefahr hin, die ihr drohe, wenn sie nur „ i m Gefolge" einer Abhandlung, Monographie oder eines Systems vorkomme: Oft müßten sich da die Texte „fügen", da „doch das Ganze zum Abschluß" dränge 7 . Seine Gedanken über das Wesen der Exegese können w i r vor allem seiner Darstellung der Literatur der „exegetischen Bearbeitung" i n den Pandekten entnehmen 8 . Danach ist die Texterklärung („innerlich betrachtet") 9 „Worterklärung" und „Sacherklärung"; unter erstere faßt 47

Ebd. 29. Ρ 3 36; bzgl. der Verarbeitung siehe u. § 27 Ziff. 2. 2 Rechtswissenschaft 3170. 3 K V 17, 246. 4 Ρ 3 60. 5 K V 17, 246. 6 Regelsberger 12. Brinz war damals junger Professor in Erlangen, Regelsberger noch Student. 7 K V 17, 246. 8 Ρ 3 59 ff. 9 Ebd. 65; „äußerlich betrachtet" bringt Brinz nur Literaturformen (ebd. 61 - 65), was hier nicht interessiert. 1

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echt

Brinz die Ersetzung eines weniger bekannten Wortes durch ein anderes gängiges, sicheres Wort, aber auch jede durch „sprachliche Schwierigkeit" notwendige Erklärung 1 0 . Die „Sacherklärung" erscheine als „Brocardon, als Parallelisirung (simile und contrarium) und als Casus" 11 . Den Kasus als die „nicht selten auf productiver K r a f t des Exegeten beruhende Herausstellung des Falles" hält Brinz für die zahlreichen Responsen, Quästionen und Reskripte für unentbehrlich 12 . „Brocarda oder Generalia" sind „allgemeinere Sätze, Rechtsregeln", die aus den Entscheidungen der Quellen abstrahiert sind; zwar rechnet sie Brinz schon zur „Verarbeitung" der Quellen; verwende man sie dagegen „zur Begründung, Vermittlung, Beleuchtung der Entscheidungen aus dem schon vorhandenen Rechte", so gehörten sie zur Exegese 13 . Was endlich die „Parallelisirungen" betrifft, so seien diese notwendig, weil jede Stelle des Corpus Juris nicht für sich, sondern als Teil des Ganzen betrachtet werden müsse 14 ; man habe daher schon seit jeher jede Stelle m i t den übrigen einschlägigen i n Verbindung gebracht 15 . Solche „Parallelisirungen und Parallelstellen" hält Brinz allerdings auch für ein „Hilfsmittel" bei der Interpretation der einzelnen Stellen; jedoch „ihrem Ursprung und ihrer Hauptaufgabe nach" seien sie nicht nur „Hilfsmittel" der Exegese, vielmehr Exegese selbst, „die bei jedem Textestheil vorschriftsmäßig auf die Textesgesammtheit gerichtete, man kann sagen die controlirende Funktion der Exegese" 10 . Das Corpus Juris „aus i h m selbst" erklärt zu haben, sei „GlossatorenA r t " . Der Ruhm der späteren Juristen, der „Alciate und Cujaze" beruhe darauf, daß sie auch die vor- und nach justinianischen Rechtsquellen, griechische wie lateinische, zur Erklärung des justinianischen Rechts benutzt hätten; sie hätten das Corpus Juris durchbrochen, statt des justinianischen Rechts die einzelnen Juristen und Kaiser kommentiert und nun auch die emblemata Triboniani bewußt verfolgt. Sie seien so die Urheber der „hinter den Zeilen lesenden duplex interpretatio" geworden. Diese „s. g. cujacische Methode" habe auch i n ihren „nurmehr philologischantiquarischen Diatriben" selbst für das geltende Recht und die Rechtsanwendung ihren Wert 1 7 . 10

Ebd. 65, 66. Ebd. 66. 12 Ebd. 66, 67. 13 Ebd. 67. 14 Ebd. 67; vgl. auch Krit. Bl. I I I 1 und Ρ 2 I I I 471: Bestreben, das römische Recht als Ganzes zu begreifen. 15 Ρ 3 67. 16 Ebd. 68. 17 Ebd. 68, 69. Vgl. auch ebd. 140: Forschung, die bei der Exegese auf die vor justinianische Fassung zurückgreife. 11

§9

Exegese des Corpus Juris Civilis

47

Bezüglich von Widersprüchen i n den Quellen äußert sich Brinz folgendermaßen: Nach der „Absicht" der Rezeption wie Justinians gälten die Institutionen, Digesten und der Codex als ein, und als gleichzeitiges Gesetz; die Novellen hingegen untereinander als auch gegenüber den drei früheren Teilen als „novae leges", das kanonische Recht aber trotz seiner gleichzeitigen Rezeption mit dem römischen als neuer als dieses 18 . Daß innerhalb der Institutionen, Digesten und des Codex keine „ A n t i nomien" bestünden, sei entweder nicht wahr, oder Justinian habe „subtilere Juristen als uns" i m Sinne gehabt; wo die „Versöhnung" nicht gelinge, gelte von den sich widersprechenden Stellen keine 1 9 . W i r sehen also bei Brinz die für die gemeinrechtliche deutsche Wissenschaft typische „Pandektenharmonistik", zu erklären aus praktischen Rücksichten auf die Anwendbarkeit von Justinians Gesetz 20 . Zu erwähnen ist endlich noch: Brinz unterscheidet die Exegese, die er auch die „schulmäßige Erklärung" nennt, von der „(richterlichen) Auslegung" des Corpus Juris 2 1 . Die Auslegung kommt — dazu später 22 — nur bei „zweideutigen" Stellen i n Frage 23 .

18

Ebd. 150. Ebd. 150; Brinz redet auch von „Sühneversuchen": Krit. Bl. I 37; in K Ü 5, 295 heißt es, bei einem Widerspruch müsse „aus inneren Gründen", nicht „nach Zahl noch nach Alter der Juristen" entschieden werden. 20 Vgl. Dulckeit - Schwarz 288. 21 Ρ 3 140. 22 u. § 25. 25 Vgl. bzgl. der „Erklärung" Ρ 1 1570. 19

Zweites

Kapitel

Der Begriff des Rechts im objektiven Sinn § 10

Die Definition des Rechts

1. Das Recht „ i m s. g. abstracten oder objectiven Sinne des Wortes" 1 hat nach Brinz einen doppelten Inhalt. Das erste Stück des Rechtsinhalts nennt er die „Selbstbestimmung" oder „Sichselbstbestimmung" des Rechts. „Denn das Recht enthält vor allem Bestimmungen über sich selbst 2 ." Nach der „Sichselbstbestimmung" bestimme das Recht dann die Rechte i m subjektiven Sinn; letztere bildeten — außer dem Rechte selbst —, den „letzten, ja einzigen Gegenstand" aller Rechtsbestimmungen; Personen, Sachen und Handlungen seien nur insoweit, als sie „Glieder oder Theile (Subjecte, Objecte, causae, Inhalt)" der subjektiven Rechte seien, auch Gegenstand rechtlicher Bestimmungen 3 . M i t diesen Bestimmungen des Rechts über sich selbst meint Brinz m. E. nicht nur die Rechtsquellenlehre, also die Frage, wie neues Recht entsteht 4 , sondern auch schon die Frage nach dem Wesen des Rechts5. Brinz w i r f t noch das Problem auf, welchem Teile des Rechts eigentlich jene „Selbstbestimmung" zustehe: dem Privatrecht oder dem öffentlichen Recht? Oder jedem Teil nur für sich? Oder bildeten diese Bestimmungen als „allgemeine Rechtslehre" einen Teil des öffentlichen Rechts für sich6? Brinz entscheidet sich ohne Begründung für das Privatrecht, das „Pandektenrecht". Das objektive Recht ist für ihn durch das „Pandektenrecht" bestimmt 7 . Brinz hat sich damit, so meint Arndts, einem „Brauch" gefügt, nach dem die Lehre von den Rechtsquellen gewohnheitsmäßig i n das Privatrecht gefallen ist 8 . Was Brinz nun aber an Betrachtungen über das Recht anstellt 9 , beruht zu einem nicht geringen Teil nicht auf Bestim1 2 3 4 5 β 7 8 9

Ρ 3 101; der Ausdruck abstraktes Recht stammt von Hegel, Grundlinien 88. Ρ 3 102. Ebd. 102; etwas abweichend noch Ρ 1 9. Vgl. hierzu Stammler, Rechtsphilosophie 136 - 138. Vgl. die Anmerkungen in § 18 von Ρ 3. Ρ 3 102; etwas anders noch Ρ 2 187. Ρ 3 102; 105 (Überschrift!). Arndts 486. Ρ 3 105 - 152.

§1

Die

eiit

des

echts

49

mungen des römischen Rechts; und wo er solche heranzieht, sind es nicht bloß privatrechtliche 10 . Es ist deshalb nicht ganz richtig, wenn Brinz sagt, das Recht i m objektiven Sinn sei durch das „Pandektenrecht" bestimmt 1 1 . 2. Heißt es i n der ersten Auflage der Pandekten nur, der „Inhalt des Rechtes" sei nichts anderes als eine „Bestimmung oder Gesetz über Handlungen, ob oder wie w i r sie thun dürfen oder können" 1 2 , so finden w i r i n den beiden weiteren Auflagen eine ergiebigere Rechtsdefinition, nämlich: „Das Recht ist ein Gesetz, welches den Menschen zum Anlaß, Gegenstand, Zweck und Urheber hat 1 3 ." Der Mensch steht hier also i m Mittelpunkt des Rechtsbegriffs 14 . Den ersten Anstoß zu „jenen Bestimmungen, Satzungen, welche als solche ein Gesetz sind, und zum Unterschiede von anderweiten Gesetzen Recht heißen", sieht Brinz unter Hinweis auf Hobbes darin, daß die Menschen als „handelnde Wesen" einander ebenso stören und zerstören wie erhalten und fördern könnten und daß es auch unter denen, die schon immer „zum Frieden unter einander berufen schienen", von jeher zu „zerstörlichen" Handlungen gekommen sei 15 . Bereits Puchta betont, ohne ein Band würden sich die Individualitäten zerstören und aufreiben, weshalb es des Rechtes bedürfe, u m ein „bellum omnium contra omnes" zu verhindern 1 0 . Die Rechtssatzungen enthalten nach Brinz sämtlich „Gebote, Verbote, Gewährungen", also nur das „daß und was w i r thun sollen, dürfen oder können, nicht dürfen oder nicht können" und haben daher notwendigerweise den Menschen als ein „handelndes und handlungsfähiges Wesen" 17 zum Gegenstand 18 . Zweck und Urheberschaf t des Rechts erläutert Brinz folgendermaßen: Die Satzungen, die „ i m Gedanken so wenig als i n der Geschichte" ohne eine menschliche Gemeinschaft, aus der sie hervorgingen, existierten, hätten den „Bestand" und das „Wohl" dieser Gemeinschaft, „also wenn nicht aller Menschen, so doch nur des Menschen zum Zweck" 1 9 . Und nur durch den Menschen entstünden sie, 10

So richtig Arndts 486. Das ja — Ρ 3 1 — Privatrecht ist. 12 Ρ 1 49. 13 Ρ 2 190, Ρ 3 105. 14 Ähnlich sagt Emge 103 ff.: „Struktur des Rechtsbegriffs, der Mensch." 15 Ρ 3 105. 18 Institutionen 11 ; der Name Hobbes wird nicht genannt. 17 Hier bezieht sich Brinz — Ρ 3 105 Anm. 4 — auf Blackstone (comment, on the laws of England, 12. Auflage, 1793, Bd. I § 2), nach dem das Recht eine Regel menschlichen Handelns und Verhaltens bedeutet. 18 Ρ 3 105; ähnlich nennt Emge 105 das Recht ein „Gefüge von Gesolltem und Gedurftem". 19 Ρ 3 106; Brinz verweist hier in Anm. 5 auf Grotius (de jure belli ac pacis, proleg. 8). 11

4 Rascher

50

I I . Teil, 2. Kap. : Der Begriff des Rechts i m objektiven Sinn

„wenn ihre Nothwendigkeit und ihr Grundzug gleich schon i n unserer Schöpfung begründet w a r " 2 0 . Ähnlich meint schon Puchta, Brinz' Lehrer, das Recht sei dem Menschen gleich von Anfang i n die Welt mitgegeben, es sei eine göttliche Ordnung, und doch menschliches Recht 21 . W i r sehen hier eine naturrechtliche Ableitung des Rechts, die bei Brinz auch noch aus anderen Äußerungen zu erkennen ist 2 2 . Sie geht ferner aus einer weiteren Rechtsdefinition hervor, i n der es heißt, das Recht sei „eine das Gebot der Natur oder die göttliche Idee zur Menschensatzung gestaltende menschliche Vereinbarung und Schlußfassung" 23 . Und wenn Brinz noch sagt: „Das Recht ist eine i n menschliche Ordnung gebrachte Natur, eine dem Belieben des Einzelnen entrückte Moral, eine der Gesammtheit dienende U t i l i t ä t " — womit er ausdrücken w i l l , daß das Recht den „Anstoß" zu seinen Satzungen aus den Bereichen der Natur, Religion, Moral oder aus „materiellem Interesse" erhalte 2 4 , so treffen w i r hier wiederum den schon i n der Definition der Pandekten enthaltenen Zweckgedanken an. Zweck des Rechts ist für Brinz die Erhaltung der Gemeinschaft, und auch der Rechtsinhalt w i r d u. a. durch Nützlichkeitserwägungen bestimmt. Von einer „allgemeinen ethischen Bestimmung des Rechts" finden w i r nichts bei Brinz 2 5 . Man w i r d daher sagen können, daß Brinz einen utilitaristischen Rechtsbegriff vertritt, freilich nicht so betont wie etwa Jhering. 3. Zusammenfassend läßt sich zu Brinz' Rechtsbegriff bemerken: W i r finden hier i n starkem Maße naturrechtliches bzw. vernunftrechtliches Gedankengut (Hobbes, Grotius, Blackstone) sowie eine naturalistische Erklärung des Rechts aus Zwecken. A u f Brinz' Stellung zur Volksgeistlehre der historischen Schule ist erst bei der Darstellung der Entstehung des Rechts einzugehen 26 .

20

Ρ 3 106. Institutionen 11,14,15. 22 ζ. B.: Element der Rechte Nr. 289: „Das wesentliche des Rechtes" sei „nicht erst von uns und zufällig, sondern mit unserer ersten Anlage und Entwicklung gedacht und entwickelt". Ρ 2 I 213: Idee des Rechts. Ρ 3 118: „Theils natürliche Nothwendigkeit"; ebd. 132: „So nothwendig, oder so vorausgedacht das Recht auch sein mag"; ebd. 158: Recht und Gesetz als Notwendigkeit. Universalität 15: Der Gottesglaube sei dem „Menschenthum" wie die Sprache und das Recht angeboren. 23 Zeit im Rechte 9; einmal nennt Brinz das objektive Recht auch den „s. g. allgemeinen Willen": Ρ 2 I I I 309 (ein Begriff Hegels, Grundlinien 143) oder „ein gewisses Wollen": Ρ 2 1238. 24 Zeit im Rechte 9. 25 Ein Ausdruck Wieackers, PRG 375. Zum Verhältnis Recht — Sittlichkeit näher u. § 17. 26 u. § 20 Ziff. 4. 21

§ 11 Naturrecht — positives Recht

51

§ 11 Naturrecht — positives Recht 1. Das Zeitalter des Vernunftrechts beurteilt Brinz nicht günstig. Da die Geschichte nirgends „bis i n das erste Werden" zurückreiche, sei es, als man der Sage nicht mehr geglaubt habe, auch auf juristischem Gebiete zur „Speculation" gekommen 1 , die er m i t der Rechtsphilosophie gleichsetzt 2 . Bemerkenswert ist, daß Brinz i n der „axiomatischen und wolfmatischen Methode" noch keine Rechtsphilosophie sieht, für die er „ein über das Gewordene zurückgreifendes Philosophem" fordert 3 . Als die Juristen dann i n „diese erhabeneren Regionen" eingetreten seien, sei dies vor allem an Hand des Institutionentitels „de jure naturali, gentium et civili 1,2" erfolgt; die Rechtsphilosophie habe sich selbst zum Recht erhoben und dem positiven Rechte gegenübergestellt als eines, „das — obwohl m i t jedem Autor wechselnd — jenem zur Richtschnur dienen, derogiren oder doch aushelfen, dem aber umgekehrt die Gesetzgebung selbst nicht derogiren sollte" 4 . Über die Ursachen dieser Anmaßung der Rechtsphilosophie ist sich Brinz nicht ganz schlüssig; er nennt wahlweise „dieses vergriffene jus naturale et gentium der Quellen", „die Gewöhnung der Juristen, von nichts anderem als vom Recht zu reden" sowie „eine kabbalistische Neigung der Philosophen, anstatt des bloßen Erkennens auch einmal etwas zu schaffen" 5 . Brinz meint, man könne diese „Wandlung" (gemeint ist wohl Anwandlung) der Rechtsphilosophie für überwunden halten 6 . Das Verdienst, daß der Gegensatz zwischen positivem Recht und Naturrecht, der erfunden und von Theorie und Praxis sanktioniert worden sei, zu Gunsten des positiven Rechts überwunden werden konnte, schreibt Brinz der historischen Schule zu 7 ; freilich spuke dieser Unterschied „noch mancherorts, mitunter da, wo man ihn am wenigsten suchen möchte", fort 8 . 2. Aus der bisherigen Darstellung läßt sich schon Brinz' Ablehnung des Vernunftrechts ablesen. I n seiner Begrüßungsrede für die 50. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte sagt er i m Jahre 1877, „aller Gegenstand der Wissenschaften" sei „ein gegebener"; die Zeiten 1

Ρ 3 78. Ebd. 78. 3 Ebd. 78. Buschmann 16 spricht hier von der „verständnisvollen Würdigung" der „wolfmatischen Methode und der naturrechtlichen Systematik" durch Brinz, die allerdings vergebens gewesen sei. 4 Ρ 3 79. δ Ebd. 79. 6 Ebd. 79; so auch schon Schletters Jb. 1855, 8, außerdem Universalität 5. 7 Ρ 1 9; siehe zudem Savignyrede 10: Savigny habe das „naturgeschichtlichpositive Element des Rechtes erkannt und gegen das natur philosophische zur Anerkennung gebracht". 8 Ρ 19. 2

4*

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. Teil, 2. Kap. :

er Begriff des Rechts i m objektiven Sinn

seien vorbei, i n denen der Jurist „Schöpfer seines eigenen Naturrechtes gewesen ist" 9 . Schon eineinhalb Jahrzehnte zuvor bekennt er i m österreichischen Reichsrat, er könne für sich „jene große Vorliebe für Naturrecht und Rechtsphilosophie nicht i n Anspruch nehmen", wie mancher seiner Kollegen; überhaupt habe er gegen jene Rechte, „die weder aus einem Gesetze noch aus einem entschiedenen durch alte Zeit geheiligten Herkommen abgeleitet werden, gewisse theoretische und praktische Bedenklichkeiten" 1 0 ; trotzdem räumt Brinz hier jedem Volk das Recht ein, sich i m Unterricht seiner Muttersprache zu bedienen 11 . Man darf daher annehmen, daß er i n diesem konkreten Fall seine Abneigung gegen ein Naturrecht unterdrückt hat 1 2 . Wenn er fortfährt: „Denn das . . . ist nicht mehr blos Naturrecht, das ist nicht mehr blos Rechtsphilosophie, das ist etwas Dogmatisches, über jeden Beweis Erhabenes, daß i n einem Rechte gerade das liegt, sich seines Rechtes zu bedienen, oder . . . nicht . . ." 1 3 , so kann man i h m darin nur zustimmen. Die Herleitung des hier i n Rede stehenden Rechtes aber gelingt nur naturrechtlich, was sich Brinz nicht einzugestehen scheint. Und wenn er gegenüber Leist einräumt, die Familie und das Vermögen seien für den Menschen „von Natur aus nöthig", so liegt auch darin die Anerkennung eines Naturrechts 14 . Weiter sei hier an seine Annahme erinnert, den einzelnen Rechtsordnungen liege u. a. „natürliche Nothwendigkeit" zugrunde 15 , sowie, der „Grundzug" der Rechtsregeln sei i n unserer Schöpfung begründet 16 . Brinz akzeptiert also i n beschränktem Umfang ein jus naturale, soweit die Satzungen eben durch Naturnotwendigkeit vorherbestimmt sind 1 7 . 3. Die Aversion gegen das Naturrecht läßt eine Hochschätzung des positiven Rechts erwarten. Tatsächlich finden w i r diese bei Brinz. Er lobt i n einer Rezension den „gesunden Sinn" des Verfassers „für die Bedeutung der Positivität i m Rechte" und spricht von dem „Erforderniß der äußeren über der Einzelnen Wollen und Meinen erhabenen Gesetztheit 9

Naturforscher 3. Wegen der Naturrechtsgesetzbücher vgl. u. § 22 Ziff. 1 a. Protokolle I 3214. 11 Ebd. 3214; er redet von „wie es heißt, angeborenen Rechten" : ebd. 3214. 12 Für diese Auslegung spricht auch eine andere Stelle (Verein I I 10) : „Kein Gesetz macht eine Sprache zur Staatssprache, und diejenige, welche es ist, bedarf des Gesetzes nicht" 13 Ebd. 3214. 14 Schletters Jb. 1855, 13. Siehe auch Ρ 1 29: Die Familie „weitesten Sinnes" sei „juris naturalis, darum nothwendig und ohne Reception, auch unser". Ähnlich Ρ 11014. Vgl. noch Erbrecht 407,408. 15 o. § 4 Ziff. 2 (P 3 117,118). 18 o. § 10 Ziff. 2 (P 3 106). 17 Vgl. Ρ 3 117,118: Nur so viel sei von dem jus naturale . . . der Institutionen wahr. 10

§ 12

Die Geschichtlichkeit des Rechts

53

des Rechtes" 18 ; er denkt hier also an die Rechtssicherheit. Erwähnt wurde bereits seine Bemerkung, das Rechtsprinzip sei für den Juristen nur i n der Form des positiven Rechts von Belang 1 9 . Zum positiven Recht zählt er das geschriebene und ungeschriebene Recht 20 . Wenn Brinz der Ansicht ist, der Gegensatz von positivem Recht und Naturrecht sei erfunden worden, so darf hier ein Ausspruch Hegels angeführt werden: „Daß das Naturrecht oder das philosophische Recht vom positiven verschieden ist, dieß darein zu verkehren, daß sie einander entgegengesetzt und widerstreitend sind, wäre ein großes Misverständniß; jenes ist zu diesem vielmehr i m Verhältnis von Institutionen zu Pandekten" 2 1 . Auch heute w i r d es teilweise als verfehlt angesehen, das Verhältnis von Naturrecht und positivem Recht als das eines Gegensatzes zu sehen 22 . Brinz ist wohl der Meinung, daß das Naturrecht i n einem gewissen Umfang i m positiven Recht enthalten ist. Seine selbst bekannte Abneigung gegen das Naturrecht ließe sich dann dahin interpretieren, daß er damit nur das Naturrecht meint, das keinen Eingang i n die geschichtliche Rechtsordnung gefunden hat. § 12

Die Geschichtlichkeit des Rechts

Für Brinz ist das Recht „kein Product bloßer Willkür, oder eines jeweiligen Gesetzgebers" 1. I n der historischen Schule sei die Erkenntnis aufgegangen — dieser Erkenntnis hätten die Humanisten des 16. Jahrhunderts „unbewußt vorgearbeitet", dadurch daß sie das Corpus Juris m i t dem vor justinianischen Recht und die Geschichte des Rechts m i t der allgemeinen Geschichte i n Beziehung gesetzt hätten —, daß das Recht „nicht von heute, geheimnißvoll i n seinem Ursprung, und von einer m i t jedem Spatenstiche der Forschung mehr und mehr hervortretenden Stetigkeit der Entwicklung und Gesetzmäßigkeit des Inhalts ist" 2 . Brinz bejaht also die Geschichtlichkeit und Entwicklung des Rechts3. 18

K V 15,163. o. § 4 Ziff. 1. 20 K V 2, 35. 21 Grundlinien 42,43. 22 ζ. B. Messner 397 ff.; Larenz, Zur Beurteilung des Naturrechts, in: Forschungen und Fortschritt, 1947, H. 4/6 (zitiert bei Messner 399 Anm. 6). 1 K V 2, 27. 2 K V 15, 337, 338. Vgl. noch Savignyrede 10: Savigny habe das „naturgeschichtlich-positive Element" — von Brinz teilweise gesperrt — des Rechts zur Geltung gebracht. 8 Siehe K V 2, 35: Recht hat Geschichte; Schletters Jb. 1855, 13: Historische Entwicklung; Schletters Jb. 1857, 135: Recht entwickle sich; Ρ 3 77: Historische Entwicklung, desgl. K V 15, 323. Savignyrede 10: „Alt ehr Würdigkeit und innere Beständigkeit der Rechtsschöpfung"; ebd. 11: Recht habe „historischen Aufriß 19

54

I I . Teil, 2. Kap. : Der Begriff des Rechts i m objektiven Sinn

Interessant ist, worin er den Grund sieht, daß die historische Schule die Vernunftrechtsperiode ablöste. Er steht der Ansicht skeptisch gegenüber, daß das „Genie . . . , Zufall und Glück" die Wende zum Besseren gebracht hätten und w i r f t die Frage auf, „ob nicht i n demselben Maße als die Hugo, Savigny, Eichhorn, Niebuhr, Grimm aus ihrer Zeit gewonnen, die vor ihnen unter ihrer Zeit gelitten haben"? Der „Rückgang der Vorperiode" habe wohl seinen Grund „ i n einer vom Rationalismus oder Subjektivismus genährten Geringschätzung des Vorhandenen" und sei nicht weniger als der Aufschwung der historischen Schule „ i m großen Nexus der Geschichte begriffen" 4 .

§ 13

Die Natur des Rechts

1. I m 3. Heft seiner „Kritischen Blätter civilistischen Inhalts" geht Brinz daran, Savignys Obligationenrecht kritisch zu beleuchten. I n der Vorrede dazu t r i f f t er die Feststellung, es scheine „viel mehr neben als aus" der historischen Richtung i n der Jurisprudenz „eine neue erwacht zu sein: diejenige, welche ausgeht von dem Gedanken, daß auch das Recht eine Natur hat, seine Elemente und seine Geschöpfe, seine Gattungen und seine Individuen, seine Macht und seine Schwäche, seinen Zufall und sein Gesetz — eine Natur, welche von Juristen und Gesetzgebern nur gepflegt oder verdorben, niemals geschaffen wird. Man könnte diese Richtung die naturhistorische nennen" 1 . Deren Vorzüge sieht Brinz i n folgendem begründet: „ W i r sind des Glaubens, daß keine mehr als sie zur Hingebung an den Stoff befähigt, die Aufmerksamkeit, auch auf Kleines, schärft, und selbst den Schwachen zu nützlichen Beobachtungen führt; während es vornherein feststeht, daß kein System, selbst des umfassendsten Geistes, weder den Reichthum, noch die Einfachheit der Natur erreichen wird. Unter denen aber, die diese zu erforschen trachten, kann es kein Aergerniß, sondern nur Gewinn sein, wo und wem immer die Aufdeckung eines Irrthums, oder eine Verbesserung gelänge" 2 . Kuntze bemerkt richtig, daß Brinz m i t der von i h m „proklamirten" 3 „naturhistorischen" Richtung nicht nur referieren, sondern die „berechtigte Zukunft einer sinnlich-naturalistischen . . . Richtung der Rechtswissenschaft andeuten w i l l " 4 .

und dogmatischen Durchschnitt"; ähnlich ebd. 13: „Geschichtlich-dogmatische Verbindung" des Rechts. 4 K V 21,484. 1 Krit. Bl. I I I 1, 2. Von „Freiheit" und „Gesetzmäßigkeit" des Rechts ist auch in K Ü 5,299 die Rede. 2 Krit. Bl. I I I 2. 3 Kuntze, Wendepunkt 50. 4 Ebd. 48,

§1

Die

t

des Rechts

55

Die neue Strömung sieht Brinz offenbar i n den Arbeiten von Jhering und Leist, deren Untersuchungen „das Recht als etwas wie die Natur vorhandenes, durch Zerlegung und Auflösung zu bewältigendes" vorschwebe5. Aber daran, daß sich die neue Richtung bald durchsetzen wird, scheint Brinz nicht zu glauben; denn er sagt 1855: „ . . . dereinst, wenn man von einer Natur des Rechtes und seinem Gesetze spricht.. ." e . Brinz betont die Notwendigkeit, „ i m Recht ein Gesetz nicht nur seiner historischen Entwicklung, sondern auch seines jeweiligen Bestandes" zu erforschen 7 . Ähnlich meint Kuntze, die Untersuchung des „Wesens" und der „ S t r u k t u r " der Rechtsverhältnisse sei nicht weniger wichtig als die ihrer „Entstehung" 8 . 2. Näher erläutert hat Brinz seine Vorstellungen von einer Natur des Rechts i n seiner i m Jahre 1860 erschienenen Besprechung von Jherings „Geist des römischen Rechts", 2. Teil, 2. Abteilung 9 . Daraus können w i r auch die Unterschiede zu Jherings „naturhistorischer Methode" ersehen. Was Jhering, der K r i t i k schlecht ertragen konnte 1 0 , von dieser Rezension hielt, sagt uns sein Brief an Windscheid vom 15. 8. 1860, i n dem es heißt: „Über Brinz' Rezension lautet mein Urteil — und das aller, welche ich darüber gehört — ganz wie das Deine, er hat sich selber mehr damit kritisiert als mich, und eine innere Stimme sagt mir, daß ich eine solche A r t der Beurteilung nicht zu fürchten brauche. So habe ich mich denn darüber nicht i m mindesten gegrämt . . . n . " Wie berechtigt aber Brinz' K r i t i k war, geht aus der Tatsache hervor, daß Jhering selbst sich einige Jahre später gegen die i m „Geist" gepriesene Begriffs- und Konstruktionsjurisprudenz voller Spott ausspricht 12 , sowie aus der heutigen Verurteilung der „naturhistorischen Methode" 1 3 . Jhering unterscheidet zwischen einer „niederen" und einer „höheren Erscheinungsform" des Rechts und entsprechend zwischen „niederer" und „höherer" Jurisprudenz 14 . Als „niedere Erscheinungsform" sieht er das Recht i n derjenigen Gestalt an, i n der es regelmäßig i n den Gesetzen vorkommt, nämlich als Vorschrift, Regel; so lange die Jurisprudenz dem 5

Schletters Jb. 1855, 8. Ebd. 9. 7 Schletters Jb. 1855,13; 1857,135. 8 Wendepunkt 57. 9 K V 2, 1 - 37 ; eine kurze Kritik von Jherings Aufsatz „Unsere Aufgabe" schrieb Brinz schon 1856: Centraiblatt 1856, Spalte 800, 801. 10 Vgl. Wolf 632. 11 Jherings Briefe 123. 12 I n seinen „Vertraulichen Briefen"; vgl. hierzu Wieacker, PRG 451 und Larenz 46. Lange 53 nennt Brinz' Kritik eine „außerordentlich treffende". 13 Wieacker, PRG 434, Larenz 25 - 27. 14 Geist I I 2 386. 6

56

I I . Teil, 2. Kap.: Der Begriff des Rechts i m objektiven Sinn

Rechte jene „natürliche, naive" Form lasse, sei sie „niedere" Jurisprudenz: Sie verarbeite, spezifiziere den Rechtsstoff nicht, sondern interpretiere nur 1 5 . Den Übergang des Rechts aus dem „niederen" i n den „höheren Aggregatzustand" vermittle die „juristische Construction", indem sie den „gegebenen Rohstoff zu Begriffen verflüchtigt" 1 6 . „Juristische Construction" ist für Jhering die „Gestaltung des Rechtsstoffs i m Sinn der naturhistorischen Methode" ( = „höhere" Jurisprudenz); sie ist die „bildende Kunst" der Jurisprudenz, ihr Gegenstand, Ziel ist der „juristische Körper" 1 7 . „Die Gesammtmasse des Rechts erscheint jetzt nicht mehr als ein System von Sätzen, Gedanken, sondern als ein Inbegriff von juristischen Existenzen, so zu sagen, lebenden Wesen, dienenden Geistern" 1 8 . Die Vorstellung eines „juristischen Körpers" hält Jhering für die „einfachste und natürlichste" 1 9 . Jeder dieser Körper habe seine besondere A r t , Natur und Eigenschaften, wodurch er gewisse Wirkungen hervorbringe; „unsere Aufgabe i h m gegenüber nimmt dadurch den Charakter einer naturhistorischen Untersuchung an" 2 0 . Seine Eigenschaften und Kräfte seien zu ermitteln, die A r t seines Entstehens und Untergehens, die Lagen und Zustände, i n die er geraten könne, seine Beziehungen zu anderen juristischen Größen usw.; kurz, es müsse seine Natur i m Begriff erfaßt werden und es müßten sämtliche „juristischen Körper" i n der gleichen Weise, „wie der Naturforscher die naturhistorischen Objekte classificirt", i n und zu einem System geordnet werden 2 1 , das eine „Quelle neuen Stoffes" sei 22 . Dabei, meint Jhering, vereinige sich die „naturhistorische Forschung" m i t einer „künstlerischen Schöpfung"; „denn die Objekte, deren Natur und Wesen w i r zu bestimmen haben, sollen w i r selbst erst schaffen. Allerdings ist uns das Material dazu gegeben, allein das was w i r daraus machen, ist i n der That unsere eigene Schöpfung" 23 . Die Rechtssätze, Rechtsprinzipien sind nach Jhering keine Rechtsbegriffe, sie stehen den Rechtsbegriffen und Rechtsinstituten vielmehr entgegen; die Rechtssätze sind nur Gedanken, die Rechtsinstitute aber sind „Existenzen, logische Individualitäten, juristische Wesen" 24 . Hauptgegenstand der Definitionen (im „naturhistorischen" Sinn) bilden die Rechte i m subjektiven Sinn 2 5 . 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24

Ebd. 385, 386. Unsere Aufgabe 9. Geist I I 2 397. Unsere Aufgabe 10 (von Jhering teilweise gesperrt). Ebd. 10. Ebd. 10 (teilweise gesperrt). Ebd. 10. Geist I I 2 409. Unsere Aufgabe 10. Geist I I 2 387.

§ 13

Die N a t u r des R e t s

57

Brinz bestreitet zwar nicht, daß es auch i m Bereich des Rechts „Existenzen" und eine „gewisse reale Wesenhaftigkeit" gibt; das „Bewußtseyn", daß man es i m Recht nicht mit „bloßen Gedanken oder Schemen, sondern mit Dingen und Mächten zu thun habe, die zwar der Realität der physischen Welt an Körperlichkeit nachstehen, dagegen der Realität der geistigen Mächte i n Sprache, Religion, Kunst, Wissenschaft durch ihre N o t wendigkeit für unser selbst physisches Daseyn vorgehen" — dieses „Bewußtseyn" müsse auf das Rechtsstudium genauso positiv wirken wie die frühere „Bemerkung", daß das Recht nicht nur ein Produkt von W i l l k ü r oder eines jeweiligen Gesetzgebers sei 26 . Anderer Meinung als Jhering ist Brinz allerdings bezüglich der A r t , wie er sich diese Realität vorstellt, des Orts, wo er sie findet und der Quelle, woraus er sie schöpft 27 . Für ihn sind die Rechte i m subjektiven Sinn, nicht aber die Rechtsbegriffe „Existenzen" oder „Individualitäten"; die darin enthaltenen „Befugnisse und Mächte" seien keine bloßen Gedanken 28 . Aber auch das Recht „ i n abstracto" dürfe nicht als ein bloßer Gedanke aufgefaßt werden; i n den Gedanken und Worten eines Gesetzbuchs liege vielmehr eine „gewisse Macht"; i n ihr, die dem geschriebenen wie ungeschriebenen Recht innewohne, erblickt Brinz die „Wesenhaftigkeit des Rechts i n abstracto". Diese „Macht, Kraft", die selbst keine „Existenz", kein „Individuum" sei, erzeuge „ i n Verbindung m i t Thaten der Menschen" „von Fall zu Fall Existenzen, die Rechte i m subjectiven Sinn" 2 9 . Die Rechtsbegriffe hält Brinz „ i m geraden Gegensatz" zu Jhering für bloße Gedanken 30 . Wie die anderen Begriffe Begriffe von irgend etwas seien, stellten die Rechtsbegriffe Begriffe von „Rechtsdingen" dar 3 1 ; den Gegenstand der Rechtsbegriffe bildeten die „Dinge, welche nach Maßgabe und unter M i t w i r k u n g der Rechtssätze i n concreto sind oder seyn können" 3 2 , womit Brinz die subjektiven Rechte und wohl auch die Rechtsgeschäfte meint 3 3 . Der Begriff produziere nicht, er fasse nur auf, was sei; 25

Ebd. 393. K V 2, 27; Brinz meint wohl die „Bemerkung" der historischen Schule — vgl. Savigny Beruf 79! 27 K V 2, 27. 28 Ebd. 27. 29 Ebd. 28; Brinz meint hier die konkret entstandenen Rechte der einzelnen Rechtsgenossen, nicht die Bestimmungen des Rechts über die einzelnen subjektiven Rechte. Ähnliche Gedanken tauchen in Ρ 3 156, 157 auf: Dort werden die tatsächlich vorhandenen Privatrechte der Privaten als das „Product ihrer Autonomie" bezeichnet. 30 K V 2, 28. 31 Ebd. 28. 32 Ebd. 31. 33 Ebd. 28 heißt es, „Rechtsdinge" in einem „ausgezeichneten Sinn des Wortes" seien die subjektiven Rechte, die Rechtsgeschäfte und „allenfalls" das 28

58

I I . Teil, 2. Kap. : Der Begriff des

echts i m objektiven Sinn

er habe k e i n e andere M a c h t , als die des G e d a n k e n s ; n u r b e i L e g a l d e f i n i t i o n e n w e r d e d e r R e c h t s b e g r i f f z u m Rechtssatz 3 4 . F ü r B r i n z ist alles i m Recht, j e d e r Rechtssatz, jedes P r i n z i p u n d jedes I n s t i t u t „ v o n gleicher W e s e n h a f t i g k e i t " 3 5 ; die M a c h t des Rechts sei ü b e r a l l e seine T e i l e v e r t e i l t 3 6 . D e n U n t e r s c h i e d e i n e r „ h ö h e r e n " u n d „ n i e d e r e n " J u r i s p r u d e n z v e r w i r f t er u n d l e u g n e t , daß es eine „ h ö h e r e u n d n i e d e r e E r s c h e i n u n g s f o r m " des Rechts, eine „specificatorische" T ä t i g k e i t u n d j e n e besondere P r o d u k t i v i t ä t der J u r i s p r u d e n z , s o w i e d i e J h e r i n g sche „ j u r i s t i s c h e C o n s t r u c t i o n " g i b t 3 7 . L e t z t e r e sei nichts A n d e r e s als e i n „Definiren, Deduciren, Abstrahiren, Systematisiren" 38. W e i t e r m e i n t B r i n z , das W a h r e a n d e r n e u e n L e h r e sei, daß es eine „ e i g e n e W e l t des Rechts u n d i n dieser D i n g e , C r e a t u r e n des Rechts g i b t " . E r sieht i n i h r d i e R e a k t i o n gegen eine V o r s t e l l u n g s w e i s e , nach d e r „ d a s Gesetz n u r P a p i e r , u n d das Recht e i n b l o ß e r G e d a n k e n c o m p l e x w ä r e " 3 9 . B r i n z t a d e l t sie auch n i c h t deshalb, w e i l sie n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h e M e t h o d e v e r l a n g e . „ D a ß m a n v o n e i n e r h i s t o r i s c h e n M e t h o d e spricht, b e f r e m d e t N i e m a n d ; a l l e i n eben so sehr als eine Geschichte, h a t das Recht auch seine N a t u r , u n d z w a r k e i n e bloß ideelle, s o n d e r n auch eine r e e l l e " 4 0 .

„Recht in abstracto" und seine Sätze. Ebd. 31 verneint es Brinz aber, daß die Rechtssätze und ihr Inhalt Gegenstand der Rechtsbegriffe seien. Ebd. 35 redet er von dem Begreifen der Existenzen, der subjektiven Rechte (ebd. 27); dies spräche wiederum gegen die Rechtsgeschäfte. 34 Ebd. 29; weiter über den Begriff in § 33. 35 K V 2, 27. 38 Ebd. 28. 37 Ebd. 27; vgl. schon Centralblatt 1856, Spalte 800, 801. Nur diese besondere Produktivität der Jurisprudenz im Sinne Jherings lehnt Brinz ab. Eine Produktivität erkennt auch er der Jurisprudenz zu. So seien die römischen Rechtssätze über die Unteilbarkeit der Servituten, in denen Jhering ein Beispiel der „juristischen Construction" sehe, zwar von der Jurisprudenz produziert worden, nicht aber schon durch „juristische Speculation", wie Jhering meine, sondern durch die „Macht der von der Jurisprudenz angebahnten Uebung, Praxis, Gewohnheit" (KV 2, 32, 33). Vgl. auch schon o. § 5 Ziff. 2 a. 38 K V 2, 34. 39 Ebd. 35; ähnlich schon Kuntze, Wendepunkt 26 (Reaktion gegen Spiritualistik) und 49 (in der „naturalistischen Symbolik" liege das „natürliche Korrektiv" der „spiritualistisch-spintisirenden Sublimirung der Rechtswelt"). 40 K V 2, 35. Hier können wir schön Brinz' Herleitung des Begriffs „naturhistorisch" sehen. Freilich ist der Ausdruck ein Modewort des 19. Jahrhunderts. Beispielsweise spricht Georg Büchner in einem Brief von 1835 davon, er sehe sich nach einem Stoff zu einer Abhandlung über einen philosophischen oder naturhistorischen Gegenstand um (Werke und Briefe, dtv Gesamtausgabe 4. A. 1969 S. 186). Jhering verwendet den Begriff, soweit ersichtlich, zum ersten M a l in „Unsere Aufgabe" (1857), 10; in Geist I I 2 387 sagt er zwar: „ich nenne . . . naturhistorisch"; er dürfte aber den von Brinz schon 1853 (Krit. Bl. I I I 2) vorgeschlagenen Ausdruck aufgenommen haben. Wieacker, PRG 434 Anm. 12 deutet den Begriff als „physikalisch", was zutreffen dürfte, wobei freilich die bei Brinz noch betonte Geschichte etwas zu kurz kommen dürfte.

§ 13

Die N a t u r des R e t s

59

W i r müßten uns die Rechte i m subjektiven Sinn „ i n ihrer wesenhaften Existenz denken, u m ihre Begriffe und Eigenschaften, ihr Werden und Vergehen, ihre Verträglichkeit und Unverträglichkeit mit und gegen einander vollkommen fassen und würdigen zu können" 4 1 . Anstatt daß Jhering Existenzen voraussetze und sage, daß man diese „nach dem ihnen innewohnenden Gesetze, d. h. nach den Sätzen des geschriebenen und ungeschriebenen positiven Rechts" begreifen müsse, fordere er zur Bildung von Begriffen und erst hierdurch zur Schaffung von Existenzen auf 4 2 . 3. Worauf sich die eben dargestellte Brinzsche „Realität" konkret bezieht, ist nicht ganz klar. Brinz spricht sowohl von der Realität der „Dinge und Mächte" des Rechts 43 als auch von der des „Rechts i n abstracto" 4 4 . So läßt sich auch nicht sicher sagen, w o r i n er i m einzelnen die erwähnte 4 5 Art, den Ort und die Quelle der Realität erblickt. Alle drei gehen wohl etwas ineinander über 4 6 . A u f den ersten Blick überrascht Brinz* Annahme, die „Dinge und Mächte" des Rechts hätten eine größere Realität als die geistigen Mächte i n Sprache, Religion usw. 4 7 ; sie w i r d verständlich, denkt man an die Folgen von Recht, Sprache usw. Die Rechts Wirkungen, ζ. B. ein Rechtsübergang, sind i m allgemeinen einschneidender und bedeutsamer als die Folgen des gesprochenen Wortes. Nicht richtig ist es aber, wenn Brinz die größere Realität mit der Notwendigkeit dieser „Dinge und Mächte" des Rechts für „unser selbst physisches Daseyn" begründet 4 8 ; die Sprache ist für die Menschen noch notwendiger als das Recht, das ohne sie nicht entstünde. 4. Welcher Zusammenhang besteht zwischen der historischen und der „naturhistorischen" Richtung? Wie schon erwähnt 4 9 , genügt es Brinz nicht, i m Recht das Gesetz seiner historischen Entwicklung zu ergründen; er w i l l außerdem das Gesetz seines Bestandes erforscht haben. Man w i r d darin eine K r i t i k an der historischen Schule sehen müssen. Jedenfalls sieht Brinz zwischen der historischen und der „naturhistorischen" Rich41

K V 2,35. Ebd. 35. 43 Ebd. 27; ähnlich ebd. 35: „Dinge, Creaturen" und 24: „Dinge". 44 Ebd. 30; ebd. 31: des „Rechts". 45 o. Ziff. 2. 46 Ort sind wohl die Rechte im subjektiven Sinn (vgl. K V 2, 27: Ihre Befugnisse und Mächte seien keine bloßen Gedanken) und auch das Recht „in abstracto" (ebd. 28: Kein bloßer Gedanke). Quelle ist wohl die Macht, die im „Recht in abstracto" liegt (ebd. 28), vielleicht auch die „Mächte" der subjektiven Rechte (ebd. 27). 47 Ist das die Art? (Ebd. 27). 48 Ebd. 27. 49 o. Ziff. 1. 42

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I I . Teil, 2. Kap. : Der Begriff des Rechts i m objektiven Sinn

tung keinen allzu starken Zusammenhang, sagt er doch, diese sei „viel mehr neben als aus" jener erwacht 50 . Auch spricht er von einer „neuen Lehre" 5 1 . Aber deren Fundament dürfte Brinz doch i n der geschichtlichen Rechtsschule erblicken, da er letzterer ja die Erkenntnis auch der Gesetzmäßigkeit des Inhalts des Rechts zuschreibt 52 ; nur hat die historische Schule — das ist wohl Brinz* Ansicht — diese Gesetzmäßigkeit nicht erforscht 53 . Zum Vergleich sei Kuntzes Meinung angeführt. Er sagt i m Jahre 1856, bezüglich der Erforschung von „Wesen" und „ S t r u k t u r " der Rechtsverhältnisse stehe man noch i m Anfang; das „dogmatische Bedürfniß" verlange diese Untersuchung 54 ; durch die neue, „naturhistorische" Methode werde „die Dogmatik unmittelbar umgestaltet und gefestigt" (bei Kuntze gesperrt); was i n der neuen Richtung erstrebt werde, sei lediglich die Konsequenz und Erfüllung dessen, was durch die historische Richtung geahnt, angebahnt und begonnen worden sei 55 . Brinz spricht zwar i m Zusammenhang mit der „naturhistorischen" Richtung nicht ausdrücklich von der Dogmatik. Er läßt sich wohl aber auch von einem dogmatischen Bedürfnis leiten, denn die Vorzüge, die er an der „naturhistorischen" Richtung preist (Hingebung an den Stoff, Schärfung der Aufmerksamkeit, auch auf Kleines, m i t dem Ziel einer Verbesserung oder Aufdeckung eines Irrtums 5 0 ) sind mehr auf die Dogmatik als auf eine allgemeine Rechtslehre (mit dem Ziel der Ergründung des Wesens des Rechts) gerichtet 57 . Ebenso verfolgt Jhering m i t seiner „naturhistorischen Methode" ja einen dogmatischen Zweck 5 8 . 50

Krit. Bl. I I I 1, 2. K V 2, 35. Die Neuheit geht auch aus Schletters Jb. 1855, 8 hervor: „Den Untersuchungen von Jhering, Leist schwebt das Recht als etwas wie die Natur vorhandenes... vor." 52 K V 15, 337, 338; wenn Brinz ebd. 338 bemerkt, die historische Schule treffe in dem Streben, das „innere Gesetz des Rechtes" herauszustellen, mit noch anderen Richtungen zusammen, so fällt die „naturhistorische" wohl unter die letztgenannten. 53 I n K V 15, 338 ist freilich zu lesen, die Erkenntnis der „Stetigkeit der Entwicklung und Gesetzmäßigkeit des Inhalts" sei in der historischen Schule „zum Grunde ihres Daseins und ihrer Arbeiten" geworden. Dies würde der obigen Annahme entgegenstehen. Gegen diese Stelle spricht jedoch Brinz' frühe Betonung der Notwendigkeit, „dem Gesetz im Rechte . . . wie es ist" nachzustreben (Schletters Jb. 1857,135; ähnlich 1855,13). 54 Wendepunkt 57. 55 Ebd. 60. 56 Krit. Bl. I I I 2; auch die Ausführungen in K V 2, 35 gehen in die dogmatische Richtung: Die Eigenschaften usw. der einzelnen Rechte im subjektiven Sinn sollen ja untersucht werden. 57 Kein Widerspruch ist es, daß schon die historische Schule zu einem guten Teil dogmatische Werke verfaßt hat (vgl. Savignyrede 12; Wieacker, P R G 367). Hier ist eben Kuntzes Wort (Wendepunkt 60) von der Umgestaltung und Festigung der Dogmatik durch die neue Strömung richtig. I n einem gewissen Ge51

§ 13 "Die N a t u r des Redits

61

5. Wie weit hat Brinz später an dieser „naturhistorischen" Auffassung des Rechts festgehalten? Soweit ersichtlich, gebraucht Brinz i n seinen nach der Rezension von Jherings „Geist" erschienenen Schriften den Begriff „naturhistorisch" nicht mehr; von der Natur des Rechts ist freilich noch relativ häufig die Rede 59 , manchmal aber wohl nur i n der Bedeutung von Wesen des Rechts 60 . Jedoch „naturhistorischen" Wortschatz 01 und spezifisch „naturhistorische" Betrachtungsweisen treffen w i r noch an: so sagt Brinz i m Jahre 1877, vielleicht i m Hinblick darauf, daß Jhering u m diese Zeit seine „naturhistorische Methode" schon längst aufgegeben hat: „Denn es w i l l uns noch immer (Hervorhebung vom Verfasser) scheinen, daß wie i n der Natur und i n der Mathematik, so auch i m Rechte entgegengesetzte Größen und Potenzen eben dadurch, daß sie sind und wirken, sich mindern oder schwächen können, und daß die römische Jurisprudenz derartige Potenzen und Größen i n dem invicem deberi gleichartiger Quantitäten gefunden, vielmehr annehmen zu müssen geglaubt hat" 6 2 . W i r haben hier ein Beispiel für kausalgesetzliches Denken, das ja für die „naturhistorische" Richtung typisch ist 6 3 . Oder w i r lesen i n seinem Nachruf auf Arndts (1879): „Wie viele von unseren das Recht i n die Moral, Metaphysik, Natur, Chemie, Mechanik erstreckenden und auflösenden Operationen (werden) zum Niederschlag i n das reine Recht führen 6 4 ?" Man w i r d sagen können, daß Brinz bis zu seinem Tod an der „naturhistorischen" Auffassung festgehalten, sie allerdings später nicht mehr engagiert vertreten hat. 6. Soll diese „naturhistorische" Betrachtungsweise beurteilt werden, so darf m. E. nicht außer Acht bleiben, daß ihr Objekt das römische Recht ist. Was Brinz an ihr lobt 6 5 — neue Erkenntnis durch Beobachtung, wogensatz sieht auch Dernburg 38 Anm. 8 historische Schule und Dogmatik, indem er bzgl. Vangerow schreibt, dieser sei kein Anhänger der historischen Schule, sondern hauptsächlich Dogmatiker gewesen. 58 Unsere Aufgabe 7: Dogmatik, der eigentliche Gegenstand der „vorliegenden Betrachtung". 59 ζ. Β. Ρ 1 1463, 1464: Gegenüberstellung von „Natur des Rechts" und „physischer Natur"; Ρ 2 I I 121: „ . . . Natur, als dem Inbegriffe aller auf der Welt vorfindlichen Sachen, als der Quelle der zu jeder Leistung erforderlichen Kraft, als der Beschaffenheit aller, auch der unkörperlichen Sachen, namentlich auch der Rechtsdinge" ; Savignyrede 6, 7,9,10,11 ; K V 28,145,146. 60 So wohl in der Savignyrede. 61 Element der Rechte Nr. 286, 288, 289: einfache, unteilbare Dinge, Elemente, Grundbestandteile; Realität der übersinnlichen Macht in den Rechten subjektiven Sinns; Vergleich mit der Chemie. Ρ 2 I 212, 213: Realität der „rechtlichen" Macht. Dazu u. § 14 Ziff. 3. K V 15, 337 (Gesetzmäßigkeit des Inhalts des Rechts) und 338 (inneres Gesetz des Rechtes). Der Begriff Obligatio 31: Realität der obligatio. Ρ 3 76: Gattungen, Arten und Spezies (der Rechtsdinge). 62 K V 19,42. 63 Bzgl. der Durchziehung des Rechtes durch den Kausalgedanken vgl. v. Hippel, Rechtsgesetz 79. 64 K V 21,11. 65 Krit. Bl. I I I 2.

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I I . Teil, 2. Kap. : Der Begriff des Rechts i m objektiven Sinn

durch der Jurist wie der Naturforscher arbeitet — ist bedingt durch diese vielschichtige Rechtsmasse und durch das Bestreben, widersprüchliche Stellen zu harmonisieren. Es lag deshalb vielleicht sogar nahe, diesem historisch gewachsenen Recht, dem man nur mit der Methode der Naturwissenschaft 60 Herr zu werden schien, eine Natur beizulegen. Sicher muß aber auch der Wunsch gesehen werden, i n der Jurisprudenz eine den Naturwissenschaften ebenbürtige Wissenschaft zu haben 67 . Heute w i r d die „naturhistorische" Richtung generell verurteilt. Wieacker 68 nennt sie die „extremste Spielart" der Begriffsjurisprudenz, Larenz spricht — bezüglich Jhering — von „pseudo-naturwissenschaftlicher Verirrung" 0 9 . Ernst von Hippel 7 0 sagt gar, diese Methode habe praktisch auf nichts anders hinauslaufen können „als auf die Ersetzung des Geistes durch den Stoff, der Rechtsidee durch das Interesse, der Freiheit durch den Kausalzusammenhang, ja letztlich des Menschlichen durch das Außermenschliche". Wenn Wieacker ihr vorwirft, sie verliere „ i m Vertrauen auf die produktive Kraft der schöpferischen Konstruktion" aus dem Auge, „daß alle Rechtssätze und Begriffe Normen oder Normenkomplexe, also Aussagen über ein rechtliches Sollen, nicht über ein gegenständliches Sein sind" 7 1 , so kann dies für Brinz keine Geltung beanspruchen. Brinz spricht der Jheringschen Konstruktion ja gerade die „besondere Productivität" ab 7 2 . Er ist sich, das zeigen seine Rechtsdefinitionen, durchaus i m klaren, daß das Recht Sollensbestimmungen enthält. Nur die konkret entstandenen subjektiven Rechte sind i h m „Existenzen", nicht aber die Rechtssätze oder gar die Rechtsbegriffe, die er für bloße Gedanken hält. Daher scheint m i r für die Brinzsche Variante der „naturhistorischen" Richtung die Bezeichnung „Begriffsjurisprudenz" nicht so recht zu passen 73 . Richtig bemerkt Wieacker, die „naturhistorischen Bilder" seien nicht „richtige oder falsche Aussagen über den Inhalt von Rechtssätzen, sondern lediglich nur Anschauungshilfen für die Auffindung fruchtbarer Problemlösungen" 74 . Brinz ist nicht der Ansicht, das Recht habe eine physische Natur; er bemerkt selber, w i r müßten uns die einzelnen Rechte 66

Vgl. o. Ziff. 2 a. E. (naturwissenschaftliche Methode) und die distinguierende Jurisprudenz o. § 5 Ziff. 2 a. 67 Siehe u. § 30 Ziff. 3 („lustre ..."). 68 Wieacker, PRG 434. 69 Larenz 27. 70 v. Hippel, Rechtsgesetz 77 — bzgl. Jhering! 71 Wieacker, PRG 434. 72 o. Ziff. 3. 73 Damit ist nicht gesagt, daß Brinz nicht auch Begriff s jurist wäre: Vgl. u. § 33 Ziff. 2 b a. E. und § 39 Ziff. 2 d. 74 Wieacker, PRG 435.

§ 13

Die N a t u r des

ets

63

i n ihrer „wesenhaften Existenz denken" 7 5 , sieht darin also nur ein M i t t e l der „Veranschaulichung" 76 . Es geht i h m letztlich u m die Ermittlung und das Studium 7 7 des geltenden Rechts. Man w i r d die „naturhistorische" Richtung als naturalistisch charakterisieren können, was schon Kuntze richtig erkannt hat 7 8 . Ob i n ihr auch materialistische Tendenzen zu sehen sind, wie Ernst von Hippel anzunehmen scheint 79 , bleibe dahingestellt. Kausalgesetzliches Denken, wie w i r es auch bei Brinz finden 80, rechtfertigt diese Annahme noch nicht. Jedenfalls hat Brinz i n seiner Rektoratsrede aus dem Jahre 1876 dem Materialismus eine Absage erteilt 8 1 . Möglicherweise sind auch naturrechtliche Gedanken i n Brinz' „naturhistorischer" Richtung zu finden. Wenn er bezüglich der Natur des Rechts bemerkt, sie werde von den Juristen und Gesetzgebern nur gepflegt oder verdorben, niemals geschaffen 82 , so meint er damit nicht, daß das Recht organisch gewachsen ist — dies hatte ja schon die historische Schule gelehrt —, sondern daß den an der Rechtssetzung beteiligten Faktoren gewisse Strukturen vorgegeben sind, daß sie also das Recht nicht w i l l kürlich gestalten können, sondern dabei an gewisse Grenzen oder Gesetze gebunden sind, vergleichbar vielleicht Ingenieuren, die bei einer Konstruktion die physikalischen Gesetze beachten müssen 83 . Denkt Brinz hier an das Gleiche, wie bei den Stellen, wo er von dem i n unserer Schöpfung begründeten „Grundzug" des Rechts redet 84 ? Sein 75

K V 2, 35. Ein Ausdruck von Wieacker, PRG 436. Gegen die physische Natur spricht vor allem: Die Realität der Rechtsmächte steht der physischen Welt an Körperlichkeit nach (KV 2, 27); Unterscheidung zwischen physischer Natur und Natur des Rechts (Ρ 1 1463, 1464) ; Leist und Jhering schwebe Recht als etwas wie die Natur Vorhandenes vor (Schletters Jb. 1855, 8); Gesetzmäßigkeit stelle Recht neben Natur (KV 15, 337). 77 K V 2, 27: „Auf das Studium des Rechts so fördernd wirken." 78 Wendepunkt 48: „Sinnlich-naturalistisch"; ebd. 60: „Symbolisch-naturalistisch" ; ebd. 86, 87 Anm. 4: „Naturlehre des Rechts". — Ähnlich Wolf 640, 641: „Realistisch-naturalistisch". V. Hippel 78: „Naturalismus"; ebd. 75: „Empirischer Einbruch . . . in Rechtsbereich". Auch Wieacker spricht bei Jhering von einem Naturalismus (PRG 452, 564), wohl aber noch nicht für dessen „naturhistorische" Phase. 79 V. Hippel, Rechtsgesetz 77. 80 o. Ziff. 5. 81 Universalität 17. Näher dazu u. § 16 Ziff. 1. 82 Krit. Bl. I I I 2. 83 Auch Jhering, Geist I I I 1, 6, der das Recht als Produkt menschlicher Tat ansieht und dessen unbewußtes Entstehen auf dem Boden des nationalen Rechtsgefühls ablehnt, nimmt an, es habe der pflegenden Hand des Menschen bedurft; Reflexion und Absicht hätten es freilich nie schaffen können. 84 Ρ 3 106 (vgl. o. § 10 Ziff. 2 mit Anm. 22). 76

64

I I . Teil, 2. Kap. : Der Begriff des

echts i m objektiven Sinn

Vortrag „Ein Element der Rechte" enthält gleichzeitig naturrechtliche 85 als auch „naturhistorische" 8 6 Ideen. A u f jeden Fall w i l l Brinz aber, selbst wenn i n seiner Natur des Rechts ein naturrechtlicher Kern stecken sollte 87 , daraus keine neuen Rechtssätze herleiten, wie es die Naturrechtler aus der Natur des Rechts wollten 8 8 , sondern er w i l l nur das bestehende Recht erkennen und verstehen. Gedanken, die den Brinzschen aus diesem Paragraphen verwandt sind, begegnen uns i n der phänomenologischen Rechtstheorie des 20. Jahrhunderts 89 wieder. So sagt der Begründer dieser Richtung, der Philosoph Adolf Reinach 90: „Rechtliche Gebilde", wie Ansprüche und Verbindlichkeiten, hätten ein Sein, „so gut wie Zahlen, Bäume oder Häuser", das unabhängig von dem Erfassen durch die Menschen und von allem positiven Rechte sei. Das positive Recht finde die rechtlichen Begriffe, die i n es eingingen, vor, erzeuge sie keineswegs 91 . „Von den rechtlichen Gebilden gelten apriorische Sätze." Indem w i r uns i n das Wesen der Gebilde vertieften, erschauten wir, „was streng gesetzlich von ihnen g i l t " 9 2 . Diese „ewigen Gesetze" 93 seien jedoch keine Naturgesetze 94 . Das positive Recht könne von diesen „Wesensgesetzlichkeiten" nach Belieben abweichen, könne sie auch übernehmen. Auch selbst wo es sie i n i h r Gegenteil verkehre, vermöge es ihren Eigenbestand nicht zu berühren 9 5 . Seine „apriorische Rechtslehre", bemerkt Reinach, habe nichts mit dem Naturrecht zu tun. Ihre Eigenart liege gerade darin, daß sie unabhängig von allem Rechte, von dem „geltenden" wie von einem „gültigen oder als gültig gedachten" sei. Es gehe i h m nicht u m ein höheres Recht, sondern u m schlichte Seinsgesetze96. Vermutlich ist schon Brinz' Natur des Rechts, wie er sie i n den K r i t i schen Blättern beschreibt 97 , i m Sinne eines derartigen A p r i o r i zu ver85

Siehe o. § 10 Anm. 22. Siehe o. Anm. 61. 87 Vgl. Stammler, Richtiges Recht 82 - 85, der ein der „Natur des Rechtes" entsprechendes Naturrecht bejaht. Unter ersterer versteht er ein gesetzmäßiges Wesen des Rechts. 88 Siehe Stammler, Wesen des Rechts 5. 89 Eine Verbindung zwischen „naturhistorischer Methode" (Jheringscher Prägung) und der Rechtsphänomenologie stellt auch Wieacker, PRG 435 mit Anm. 15 her. 90 Die phänomenologische Methode selbst stammt von Edmund Husserl. 91 Reinach 14. 92 Ebd. 15. 93 Ebd. 17. 94 Ebd. 225. 95 Ebd. 17. 96 Ebd. 218, 219. 97 o. Ziff. 1. 86

§ 13

Die N a t u r des Rechts

65

stehen. Wohl nimmt auch Brinz die Möglichkeit des Gesetzgebers an, von der Natur abzuweichen, wobei er diese aber „verdirbt". Oder betrachten w i r noch einige Äußerungen von Gerhart Husserl, einem weiteren Vertreter der Rechtsphänomenologie. Für i h n ist Rechtsgeltung „die S eins form des Rechtes, vermöge deren der betroffene Sachverhalt den Charakter einer Rechtswirklichkeit erlangt" 9 8 . Das Recht sei „innerhalb seines Geltungskreises ein Stück objektiver, d. h. dem I n d i v i dualwillen als Norm widerstehender Sozialwirklichkeit" 9 9 . Die Realität 1 0 0 des Rechts sei nicht die eines Naturdinges 1 0 1 , jedoch „nicht weniger (nur anders) wirklich als ein Naturding" 1 0 2 . Die Rechtsnorm gelte nicht, w e i l sie wahr sei, gelte also „nicht als Erkenntnissatz, sondern als Willenssatz" 1 0 3 . Auch Husserl ist der Meinung, es existierten ein „ A p r i o r i " i m Recht, „rechtliche Grundstrukturen" 1 0 4 . „Der gedankliche Rückgriff auf den Sinneskern von Rechtssachverhalten, denen w i r i n der Rechtswirklichkeit begegnen, eröffnet uns . . . die Sicht auf ein System, nicht von Verhaltensnormen höherer Stufe, sondern von Rechtswahrheiten, die als solche keine normative Kraft besitzen 105 ." Husserl geht es also nicht u m die Ermittlung von Naturrechtssätzen 106 . Mittels dieser gedanklichen Reduktion könnten w i r die „logischen — keineswegs bloß formal-logischen — Voraussetzungen" aufdecken, „die erfüllt sein müssen, wenn eine soziale Ordnung den Sinn einer Rechtsordnung haben soll" 1 0 7 .

98

Rechtskraft 1. Ebd. 11. 100 Ebd. 8. 101 Ebd. 6. 102 Ebd. 11. Wenn Husserl in Welt 235 Anm. 29 sagt, Reinach habe zum ersten M a l gezeigt, daß Anspruch und Verbindlichkeit „zeitliche Gegenstände einer eignen, außerphysischen und außerpsychischen Art" ( = Reinach 24) seien, so ist dies nicht ganz zutreffend: Vgl. Brinz' Gedanken über die Realität der Dinge und Mächte o. § 13 Ziff. 2. Außerdem meint Husserl in Welt 233 - 235, eine „naturalistische Auslegung rechtlicher Gegebenheiten" sei abzulehnen (damit auch Jherings „naturhistorische Methode", ebd. 234 Anm. 24). Rechtliche Sachverhalte seien zwar nicht von einer „sinnlich-körperhaften Existenz", von „sinnlicher Realität", jedoch von „Realität schlechthin". Sie hätten eine „eigengeartete geistige Realität". Schließlich erhebt er in Welt 234 folgenden Vorwurf : „In der Region konkreter Rechtssachverhalte jedenfalls huldigt man einem naiven Psychologismus, der alles dort an Rechtlichem Vorfindliche in psychische Phänomene: Denkvorgänge, Motivationen usw. auflöst." Vgl. hierzu Brinz o. § 13 Ziff. 2 (Reaktion gegen Vorstellungsweise ...). 103 Rechtskräfte. 104 Zeit 14,19. 105 Ebd. 14. 106 So richtig schon Larenz 121. 107 Zeit 14; vgl. auch 19. 99

5 Rascher

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I I . Teil, 2. Kap. : Der Begriff des Rechts i m objektiven Sinn

Soweit ersichtlich, gehen weder Reinach noch Husserl i n ihren Schriften auf Brinz* „naturhistorische" Erörterungen ein, was nicht verwunderlich ist, befinden sich diese doch nicht i n den Pandekten, sondern an etwas versteckter Stelle i m Brinzschen Werk. W i r sehen also, die eine oder andere Vorstellung der Rechtsphänomenologen bezüglich des Rechts treffen w i r i n zumindest ähnlicher Form schon bei Brinz, i n seiner „naturhistorischen" Anschauung des Rechts, an 1 0 8 . Brinz deshalb als einen Vorläufer der Rechtsphänomenologie unseres Jahrhunderts zu bezeichnen, ist aber wohl zu gewagt, da seine Bemerkungen zu fragmentarisch sind, er uns insbesondere nicht näher darüber aufklärt, wie er die Natur des Rechts versteht und wie er das Verhältnis zwischen dieser und dem positiven Recht sieht. Man w i r d aber behaupten dürfen, daß sich Brinz* i m Jahre 1855 ausgesprochene Erwartung, man werde dereinst von einer Natur des Rechtes sprechen 109 , erfüllt hat, nämlich i n dem A p r i o r i der Rechtsphänomenologen, also der Sache, wenn auch nicht dem Buchstaben nach. § 14

Die Übersinnlichkeit des Rechts

W i r wollen hier eine Eigenschaft des Rechtes darstellen, die streng genommen schon i m vorigen Paragraphen hätte gebracht werden müssen, da j a eine Eigenschaft einer Sache ein Teil ihrer Natur ist. Wenn w i r uns dennoch für eine selbständige Erörterung entschieden haben, so deshalb, weil die Erkenntnis dieser Eigenschaft nicht spezifisch „naturhistorischem" Denken entsprungen ist; freilich bestehen zu diesem Bezüge. 1. Das Recht ist für Brinz „ebenso wesentlich von idealer, als das Naturgesetz von realer Natur. Aber was seine Schwäche (daß es nur i m Gedanken ist), das ist auch seine Stärke (daß es i m Gedanken ist); darin liegt sein endlicher Sieg über das Unrecht und die Gewalt" 1 . Die Rede ist auch von der „Idealität" des Rechts 2 und davon, das Recht sei „von übersinnlicher Existenz" 3 . Z u seiner Entstehung gehörten zwar Wort und Schrift oder lange Übung; einmal entstanden, sei es „über diese K ö r perlichkeiten . . . erhaben" 4 . los nahe beieinander „naturhistorische Methode" und Rechtsphänomenologie stehen, zeigt sich auch an der Einschätzung der Natur der Sache: So sagt Jhering, Geist I I 2 413, es gebe keinen Ausdruck, der seiner „naturhistorischen" Anschauung so nahe komme wie die Natur der Sache. Und Radbruch 120 spricht von der auf die Natur der Sache gerichteten „Wesensschau" der Phänomenologie. 109

o. Ziff. 1. Ρ 3 107. 2 Ρ 2 1213. 3 Element der Rechte Nr. 289; Verein I I 8: „Ungreifbar und übersinnlich". 4 "Element der Rechte Nr. 289 ; Ρ 3 133. 1

§ 14

Die Übersinnlichkeit des Rechts

67

Wenn Brinz hier von der „idealen Natur" des Rechts spricht, meint er nicht, das Recht habe eine Natur i n dem Sinn, wie i m vorigen Paragraphen erörtert. Dies zeigt sich an seinem Vergleich m i t dem Naturgesetz: Das Naturgesetz ist von realer Natur, weil es nur i n der Realität existiert; Brinz w i l l jedoch nicht sagen, das Naturgesetz habe eine Natur — das ist selbstverständlich —, sondern nur, das Naturgesetz sei real, das Rechtsgesetz ideell. Ein Widerspruch zu der „reellen", nicht nur „ideellen" Natur, die Brinz dem Recht i n der „Geistrezension" beilegt 5 , ist daher nicht zu erkennen. Trotz der „Idealität" des Rechts® redet Brinz auch weiterhin von der „Realität" der „rechtlichen" Macht 7 , so daß die Deutung auszuscheiden hat, Brinz habe die „reelle" Natur der „Geistrezension" später i n eine „ideale" umgewandelt. Man w i r d daher behaupten dürfen: Brinz* Meinung war immer die, daß das Recht zwar aus Gedanken besteht und darum übersinnlich ist, aber nicht bloßer Gedanke, bloße Idee ist 8 , sondern eine Macht und W i r k samkeit äußert 9 , die i n der konkreten Wirklichkeit 1 0 registrierbar sind, und daß daher das Recht — i n einem eingeschränkten Sinn — real ist. Die oben genannte „Schwäche" und „Stärke" des Rechts dürfte m i t der „Macht" und „Schwäche" der Kritischen Blätter 1 1 identisch sein. Die Übersinnlichkeit, „Idealität" des Rechts ist daher der eigentliche Grund für die Schwäche und Macht des Rechts. Die Macht des Rechts w i r d man aber nicht nur i n seiner Überwindung des Unrechts, sondern auch i n der „gewissen Macht" der „Geistrezension" 12 , auf Grund deren der einzelne durch seine Handlungen konkrete Rechte begründen kann, zu sehen haben 13 . Brinz bemerkt noch, wegen seiner Übersinnlichkeit könne das Recht auch nur m i t geistigen oder seelischen Kräften erfaßt werden, je nach der A r t des Rechts; ein Teil könne wegen seines „reichen, mikroskopischen Details" nur m i t dem Verstand und Gedächtnis erfaßt werden und sei deshalb nur dem geübten Auge des Fachmannes zugänglich; bei 5

K V 2, 35. Ρ 2 I 213. 7 Ebd. 213; dazu u. Ziff 3. 8 So ausdrücklich Zeit im Rechte 9. 9 K V 2, 28. 10 Vgl. die Existenzen ( = Rechte) der konkreten Wirklichkeit von K V 2, 28 ganz oben. 11 Krit. Bl. I I I 2. 12 K V 2, 28 (vgl. o. § 13 Ziff. 2), ebenso in der mit jener identischen, i n demselben Heft der Krit. Bl. ( I I I 8, 9) genannten „rechtlichen" Macht, dazu u. Ziff. 3. 13 Näher hierzu u. Ziff. 3 (insbesondere: Wurzeln der „rechtlichen" Macht in der „Idealität" des Rechts). β

5*

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I I . Teil, 2. Kap. : Der Begriff des Rechts i m objektiven Sinn

„Gesetzen, die aus schlechten Fabriken kommen" 1 4 , reiche allerdings aller Verstand und alles Gedächtnis nicht aus. Ein anderer Teil werde vom ganzen Volke, und zwar „ m i t dem ganzen Herzen ergriffen", nämlich das Recht, das „seiner Wesenheit nach allverbreitet, aus alten Zeiten auf uns vererbt und unsere Wohlthat, nicht Plage ist" 1 5 . 2. Heutzutage betont beispielsweise del Vecchio die Übersinnlichkeit: Der Rechtsbegriff sei der „Begriff von etwas Übersinnlichem" 18 . Ferner meint del Vecchio, die Wirklichkeit des Rechts hänge nicht von seiner Durchsetzung i n dem Bereich der Naturerscheinungen ab; das Recht behalte sein eigenartiges Dasein und seine wesentliche Bedeutung auch dann, wenn es innerhalb der Tatsächlichkeit verletzt werde 1 7 . Denselben Gedanken der Unverletzlichkeit des Rechts äußert auch Brinz: Das Recht sei selbst dann, wenn statt seiner das Unrecht Platz greife, da; es wolle zwar Verwirklichung, bestehe aber nicht i n der Verwirklichung, weil es „ i m Gedanken" sei 18 . 3. Es soll jetzt noch auf eine den einzelnen Rechten innewohnende übersinnliche Macht eingegangen werden. Bei der Untersuchung des Obligationsbegriffs kommt Brinz auf eine Macht zu sprechen, die i n jedem Recht i m subjektiven Sinn sei, wenn auch nicht jedes Recht i n dieser Macht aufgehe 19 . So sei die „Befugniß" des Eigentümers, sein Eigentum weiterzugeben, eine solche „Macht, ein posse", das keinem möglich sei, der es nicht von i h m ableite; das u t i f r u i an seiner Sache sei dagegen „bloße Befugniß", nicht zugleich „Macht". Von dieser Macht hätten zwar schon einige gesprochen, aber i n den Systemen habe sie noch keinen Platz gefunden, „wiewohl sie ganze Schichten des Rechtes bildet, und als die dem Rechte eigene Macht wahrhaft rechtliche Macht ist" 2 0 . Ubersinnlich nennt sie Brinz hier noch nicht. I n der Folgezeit hat er dieser Macht besondere Aufmerksamkeit zugewandt. W i r begegneten ihr schon i n der „Geistrezension" 21 ; sie erhielt 14

Vgl. schon Hugos „Gesetzesfabrik", zitiert bei Wieacker, PRG 380. Element der Rechte Nr. 289; siehe bereits Savigny Beruf 78, nach dem der „eigentliche Sitz des Rechts das gemeinsame Bewußtseyn des Volkes" sei; für das römische Recht lasse sich dies aber nur für dessen „Grundzüge", nicht für das „unermeßliche Detail" denken; das Recht habe ein „doppeltes Leben", einmal als „Theil des ganzen Volkslebens", dann als „besondere Wissenschaft in den Händen der Juristen". 16 Del Vecchio 358. 17 Ebd. 358. 18 Ρ 3 107; vgl. schon Krit. Bl. I I I 7, 8 (bzgl. des subjektiven Rechts) und K V 2, 3 (u. § 15 Ziff. l b ) . 19 Krit. Bl. I I I 8. Zum Begriff der subjektiven Rechte siehe Ρ 1 48 ff., Ρ 21209 ff. und Kasper 89 - 91. 20 Krit. Bl. I I I 8, 9. 21 o. § 13 Ziff. 2: Mächte der subjektiven Rechte. 15

§ 14

Die Übersinnlichkeit des Rechts

69

22

einen Platz i n seinem Pandektensystem ; außerdem widmete er ihr einen eigenen Vortrag m i t dem Titel „ein Element der Rechte"; dieses „Element" ist die besagte Macht 2 3 . Brinz ist überzeugt, daß i n den subjektiven Rechten und i n der Rechtsfähigkeit eine „übersinnliche, von natürlicher Macht und Befugniß verschiedene Macht" vorkomme 2 4 . So könne der Erbe, dem eine Erbschaft durch Testament oder Gesetz angeboten werde, durch sein Wort, das ein „Machtwort" sei, Inhaber des Nachlasses werden. U m diese Wirkung zu erzielen, reiche „natürliche", „physische" Macht nicht aus; die Macht des Delaten könne daher nur eine „übersinnliche" sein. Der Delat habe zwar auch die „Befugniß", dieses Wort auszusprechen; die „rechtliche" Macht sei jedoch mehr als jene, weil für einen „Unbefugten" — der zwar ζ. B. eine Sache ohne „Befugniß" benutzen könne —, dieses „rechtliche Können" des Erbschaftsantritts unmöglich sei 25 . Für diese „rechtliche" Macht sei daher nur i n Handlungen, die von übersinnlicher Wirkung sein sollten, also nur i n „Rechtshandlungen", nicht aber i n den „gemeinen" oder „Naturalhandlungen" Raum 2 8 . „Zweck" der Macht sei die „Zeugung und Fortpflanzung" der subjektiven Rechte 27 , ihr „Grund" oder ihre „Quelle" das Recht i m objektiven Sinn, das selbst übersinnlich sei 28 . Brinz meint hier also, daß die übersinnliche „rechtliche" Macht der subjektiven Rechte aus dem objektiven Recht herkomme, jedoch nicht mehr — wie er noch i n der „Geistrezension" annahm 2 9 —, daß i m objektiven Recht selbst eine Macht liege, die die subjektiven Rechte erzeuge 30 . Weiter heißt es, die übersinnliche Macht sei nicht nur von dem „physischen", sondern auch von „anderem übersinnlichen Können, nämlich von dem was man dem Glauben und dem Aberglauben nach kann", verschieden 31 . Sie stehe aber „geschichtlich und begrifflich" dem Können des Glaubens näher als dem der Gewalt. Brinz meint gar, „ein Göttliches und ein Glaube" sei noch heute die „Realität" der „rechtlichen" Macht; denn deren Wirksamkeit wurzle, wie die des objektiven Rechtes, nicht 22

Ρ 1 49, 50; Ρ 2 1211 - 213. Siehe Element der Rechte Nr. 286; dort wird die Macht auch als „Grundbestandteil" der Rechte bezeichnet. 24 Ebd. Nr. 286. Erstmals hier wird der Macht die Eigenschaft der Übersinnlichkeit beigelegt. Dann wieder in Ρ 2 I 212. 25 Element der Rechte Nr. 287, Ρ 1 49, 50, Ρ 2 I 212. Näher zur Abgrenzung der „rechtlichen" Macht von der Befugnis siehe Ρ 1 49, 50, Element der Rechte Nr. 287, 288, Ρ 2 1211, 212. 28 Ρ 1 50, Element der Rechte Nr. 287, 288, Ρ 2 I 211, 212. 27 Element der Rechte Nr. 288. 28 Element der Rechte Nr. 288, Ρ 2 I 213. 29 ο. § 13 Ziff. 2. 30 Element der Rechte Nr. 286: Die Macht liege „auf dem Gebiete des Rechtes, und zwar in den Rechten (der einzelnen)"; also nur dort! 31 Ρ 2 I 212, Element der Rechte Nr. 288. 23

70

I I . Teil, 2. Kap. : Der Begriff des Rechts i m objektiven Sinn

i n der Gewalt, sondern „ i n der uns angeborenen Leidenschaft für das Hecht, i n Unmuth und Empörung über das Unrecht, d. i. i n der Idee und Idealität des Rechts" 32 . Etwas anders drückt sich Brinz aus — bei gleichem Sinngehalt —, wenn er schreibt, es sei außer der übersinnlichen „rechtlichen" Macht und der Gewalt noch eine dritte Macht vorhanden, die gewaltiger als die Gewalt sei und immer zum Rechte und der übersinnlichen Macht i n den Rechten helfe; diese „Hilfsmacht" sei die „Macht der Rechtsidee", die er „Rechtsgefühl" nennt 3 3 . Näher darüber dann i n §19. A n der „Realität" der „rechtlichen" Macht sei auch nicht etwa zu zweifeln, weil ohne „das natürliche Ding" von Wort, Schrift und Handlung keine Rechtswirkung zustande komme, denn „alles was an übersinnlichen Potenzen i n unserer Sinnenwelt wirksam werden w i l l , muß seinen Eingangszoll bezahlen"; die Macht sei auch nicht „illusorisch", w e i l die Durchsetzung eines Rechts von der „physischen Macht oder Gewalt" abhänge, „denn alles Recht ist nicht bloß zum Denken und Begreifen, sondern zu Gebrauch und Genuß da; und dieser steht überall i n A b hängigkeit von der Gewalt". Trotz dieser Abhängigkeit existiere die Macht 3 4 . Diese Macht wurde bewußt nicht innerhalb des vorigen Paragraphen, sondern erst hier behandelt, um den Zusammenhang m i t der „Idealität" des objektiven Rechts zu wahren 3 5 .

§ 15

Die Arten des Rechts

Brinz unterscheidet mehrere Arten des Rechts. Von einigen soll an dieser Stelle die Rede sein 1 . 1. Gesetzliches Recht und Juristenrecht a) Zum gesetzlichen Recht zählt Brinz alles Recht, das auf „rechtsschaffender Satzung" beruht und „also Satzung ist und heißt", nämlich 82

Ρ 2 1212, 213. Element der Rechte Nr. 289. 34 Element der Rechte Nr. 289. 35 Auffällig ist, daß Brinz in der „Geistrezension" (KV 2, 27) die Realität des Rechtes bzw. der Dinge und Mächte des Rechts nach drei Kriterien (Art, Ort, Quelle), in Element der Rechte Nr. 288, 289 dagegen die übersinnliche Macht der Redite nach drei ähnlichen Gesichtspunkten (Gebiet/Grenze, Grund/Quelle, Realität) untersucht. Vgl. die Ziff. 3 des Textes und o. § 13 Ziff. 2. 1 Vgl. Ρ 3 107 ff. Unberücksichtigt bleibt die Einteilung nach materiellem und Prozeßrecht und nach geschriebenem und ungeschriebenem Recht; letztere wird freilich beim gesetzlichen Recht mit angesprochen; vgl. zudem §§ 20,21. 33

§1

Die

r

des Rechts

71

das Gesetz, das Gewohnheitsrecht und das „autonome Recht" 2 . Das gesetzliche Recht ist das „constitutive" Recht 3 . „Technisch" heiße nur eine A r t des Rechtes Gesetz; i n der allgemeineren Bedeutung von „Regel" sei freilich alles Recht Gesetz4. Die Satzung, aus der das gesetzliche Recht hervorgehe, erscheine teils i n der Form des Verbots, teils des Gebots und teils der Gewährung, wozu dann noch die Sanktion komme 5 . Einerseits steckten jene „Vordersätze" der Satzung (Gebot, Verbot, Gewährung) oft i n der Sanktion 6 , umgekehrt kämen Gebote usw. auch ohne Sanktion vor 7 . Brinz meint, die Satzungen der Gewohnheit seien „vielleicht" älter und ursprünglicher als die des Gesetzes; bei ihnen herrsche die Gewährung noch ausschließlicher als bei den Gesetzen 8 . Das Juristenrecht sei nur von „deklarativer" A r t , denn es beruhe auf bloßer Rechtsanwendung, nämlich entweder auf „interpretatio", — d. i. die „Erklärung, was das Recht zu neuauftauchenden Rechts- oder Streitfällen sagt" 9 —, oder auf „cautio", — d. i. jene „Fassung, Formulirung, Autorisirung, Beurkundung der Geschäfte, die dem Willen der Handelnden entspricht, und den Gefährden des Rechtes und der Prozesse bestmöglich vorbeugt" 1 0 . Die Rechtsanwendung führe zum Gegensatz eines „reinen und angewandten" Rechtes und damit zu einer besonderen A r t des Rechts; denn i m „angewandten" Rechte sei zum „reinen" außer der Arbeit auch Stoff, der neue Streitfall, die neue Geschäftslage, überhaupt ein neuer Gegenstand hinzugekommen 11 . Die nur „theoretische Verarbeitung" 1 2 , die zum „reinen" Rechte keinen neuen Stoff bringe, könne dem Juristenrecht nur insofern zugerechnet 2 Ρ 3 107; zu der von Laband eingeführten Unterscheidung von Gesetzen im materiellen und formellen Sinn meint Brinz ebd. Anm. 1, sie falle „wohl zusammen mit dem der lex specialis und generalis (Bill u. Gesetz)". 3 Ebd. 107,108. 4 Ebd. 106. Brinz bezieht sich hier — in Fußnote 8 — auf Blackstone. 5 Ebd. 108. 6 ζ. B. bei den Strafgesetzen die Verbote in den Strafdrohungen (ebd. 108). 7 Dann seien die leges „imperfectae oder minus quam perfectae" (ebd. 109). Zur lex perfecta-imperfecta auch Element der Rechte Nr. 287 und K V 23, 405. 8 Ρ 3 110. 9 Ebd. 107; zur „interpretatio" siehe schon o. § 5. 10 Ρ 3 107,108; vgl. das „cavere" in § 5. 11 Ρ 3 108; so bereits o. § 5 Ziff. 2 a. Vgl. schon Ρ 1 1570: Jede Rechtsanwendung bilde ein „Stück Commentar" zu dem einschlägigen Gesetze, Rechte, zeige „das Abstracte concret, das Generelle speciell, das Mehrere im Minderen, das Verwandte (simile) im Verwandten, überhaupt das reine Recht als angewandtes Recht...". Auch Puchta, Pandekten 34, 35 handelt von einem „reinen Rechte", gibt ihm aber eine andere Bedeutung. 12 Hier verweist Brinz auf § 13 der Pandekten, wo er die „theoretische Verarbeitung" der römischen Quellen behandelt, dürfte aber alle gesetzlichen Quellen im Auge haben.

72

I I . Teil, 2. Kap. : Der Begriff des Rechts i m objektiven Sinn

werden, als sie zu der „praktischen Verarbeitung (Rechtsanwendung) i n einem präparatorischen Verhältnisse steht" 1 3 . Für unrichtig sieht es Brinz an, die „theoretische Verarbeitung" als solche oder nur sie als Juristenrecht zu qualifizieren, und statt von Juristenrecht von einem „Recht der Wissenschaft" zu reden, wie es Savigny und Puchta tun 1 4 . Soweit Brinz' Gedanken, wie sie i n seinen Pandekten niedergelegt sind. Wenn Brinz auch das Juristenrecht als von „deklarativer A r t " bezeichnet, so heißt das nicht, daß es nur Erklärung, und kein verbindliches Recht wäre. Dieser Ausdruck kommt daher, w e i l es nicht „auf rechtsschaffender Satzung", sondern nur auf Erklärung beruht 1 5 . Das gesetzliche Recht ist i h m offenbar das „reine" Recht, und das Juristenrecht das „angewandte" 1 6 . Arndts w i r f t die Frage auf, was man sich unter einem „reinen" Gewohnheitsrecht eigentlich vorstellen soll 1 7 . Brinz selbst spricht i n einem früheren A r t i k e l — wie oben § 5 Ziffer 2 a gezeigt — nicht vom „reinen" Recht (wie i n den Pandekten), vielmehr nur vom „bloßen, reinen Gesetz" 18 . Das „reine" Recht besteht wohl einfach aus den Rechtssätzen der Gesetze und der Gewohnheit, die dann durch die Rechtsanwendung fortentwickelt werden. Insofern ist auch ein „angewandtes" Gewohnheitsrecht denkbar. Ferner bemängelt Arndts, daß das „angewandte" Recht gerade Juristenrecht heißt; Rechtsanwendung komme auch ohne M i t w i r k u n g von Juristen i m Rechtsverkehr unter Laien vor und könne sich i n dauernder Übung bewähren 1 9 . Daß Brinz den Ausdruck Juristenrecht wählt, liegt m. E. daran, daß er bei der Rechtsanwendung, der dieses Recht j a entspringt, i n der Regel nur an die Tätigkeit der Juristen denkt, wie noch darzulegen sein w i r d 2 0 . b) Ähnliche Überlegungen wie die soeben geschilderten, aus den Pandekten stammenden finden w i r noch i n drei anderen Schriften von Brinz. I n ihnen w i r d auch der Problemkreis Gesetz und Recht angesprochen. I n seiner Besprechung von Jherings „Geist des römischen Rechts" sagt Brinz, die Unterscheidung zwischen dem „Recht auf dem Papier" und dem „ i n der That und i m Leben" sei schon fast sprichwörtlich geworden; 13 Ρ 3 108. Zum Begriff der „theoretischen" und „praktischen Verarbeitung" näher u. § 27 Ziff. 2. 14 Ρ 3 108; siehe auch noch u. § 20 Ziff. 4. 15 Ρ 3 107. 16 So auch Arndts 489. 17 Arndts 489. 18 Rom. Juristen 682. 19 Arndts 489. 20 u. §27 Ziff. 5; mit dem Juristenrecht („angewandtem" Recht) werden wir uns noch in § 20 näher befassen müssen.

§ 15

Die A r t e n des Rechts

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ersteres sei aber kein „bloßes Scheinrecht" ; denn der Umsturz von Verfassungen, der Bruch von Verträgen stehe zu dem, was Rechtens sei, i m Gegensatz und sei daher Unrecht; „der Grund, weßhalb das Unrecht nicht, oder nie zur Ruhe kommt, liegt i n nichts anderem, als weil i h m etwas entgegen ist, das auch ohne Verwirklichung Realität hat — Recht" 21 . Satzungen, denen ihr eigentlicher Inhalt — ihre „Verstandlosigkeit oder Unzweckmäßigkeit" — ein „Aufkommen und Einbürgern" i m täglichen Leben erschwere oder unmöglich mache, könnten freilich „bloßes Papier" sein oder werden. Brinz meint jedoch, i n diesem Fall wie i n dem, wo dem Recht das Unrecht entgegenstehe, hätten w i r ein Recht, „ein Recht, das freilich nur an sich (in abstracto) besteht, allein doch erst untergehen muß, um nicht zu seyn" 2 2 . Rechtliche Bestimmungen, die nicht angewandt werden, sind für Brinz also nur Recht „an sich", Recht „ i n abstracto". Da er jedoch das Recht auch generell als Recht „ i n abstracto" bezeichnet 23 , ist anzunehmen, daß für ihn alle Rechtsregeln, bevor sie angewandt werden, Recht „ i n abstracto" sind. Die meisten werden angewandt, konkretisiert 2 4 , manche bleiben Recht „ i n abstracto" 25 . Man w i r d daher behaupten dürfen, daß das „reine" Recht mit dem Recht „ i n abstracto" identisch ist. A m Schluß dieser Besprechung warnt Brinz den juristischen Laien vor der Annahme, daß man das „praktikabelste Recht" hätte, wenn einmal das Problem der „juristischen Technik" gelöst und ein „Gesetzbuch" danach eingerichtet wäre. „ M i t dem Augenblick, da das Gesetzbuch publicirt wird, ist . . . zwar ein Gesetz, aber noch kein Recht da. Erst dadurch, daß das Gesetz auch angewendet wird, bekommen w i r Recht ins Land: d. h. das dem einzelnen Falle gerecht gewordene Gesetz. Das Recht ist geistig entwickelter als das Gesetz; es ist aber auch praktisch brauchbarer als dieses; i n i h m ist schon angewendet, was dort erst angewandt werden soll. Freilich muß die Gesetzanwendung von Gebildeten geleitet, beherrscht, und als ein Schatz für die Nation gesammelt und aufbewahrt werden" 2 6 . A u f den ersten Blick widerspricht diese Stelle der vorangegangenen, da Brinz dort ja sogar noch rechtliche Vorschriften, denen ihr eigener Inhalt i m Wege steht, als Recht bezeichnet, hier aber i n Abrede stellt, daß das publizierte Gesetz schon Recht ist. I n Wahrheit ist kein Widerspruch gegeben. Brinz leugnet hier nicht, daß das Gesetz Recht i m 21

K V 2, 2, 3. Ebd. 3; ähnlich wieder Ρ 3 135: „Abstractum". Der Begriff Recht „an sich" stammt von Hegel, Grundlinien 142 f. 23 K V 2, 28; vgl. schon o. § 13 Ziff. 2. 24 Vgl. Ρ 1 1570: Rechtsanwendung zeige Abstraktes konkret. 25 Vgl. Ρ 3 134,135: „Bleibt" es bei dem „Abstractum". 26 K V 2, 37. 22

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I I . Teil, 2. Kap.: Der Begriff des

echts i m objektiven Sinn

Sinne einer Regel ist 2 7 . M i t dem hier genannten Recht meint er das Juristenrecht. Diese Interpretation w i r d weiter unten begründet. Weitere Erörterungen zum hier interessierenden Thema enthält Brinz* Beitrag „Römische Juristen" i n Bluntschlis und Braters Staatswörterbuch. A u f sie mußten w i r bereits i n § 5 unter dem Stichwort „Zweckmäßigkeit eines durch Entscheidungen begründeten Rechts" eingehen; auf die dortige Darstellung w i r d verwiesen 28 . Was Brinz i n diesem Beitrag i n Anführungszeichen gesetzt „Recht" nennt, ist das römische jus 2 0 oder das Juristenrecht, das er auch für die modernen Verhältnisse vertritt; es ist identisch m i t dem Recht aus der o. a. zweiten Stelle der „Geistrezension". Wie es hingegen zu verstehen ist, wenn Brinz sagt, es gebe durch ein solches „dem Richter vorarbeitendes Recht" nicht „blos ein Gesetz, sondern auch ein Recht i m L a n d " 3 0 , ist nicht ganz klar. Denkt er bei diesem „Recht i m Land" an das Juristenrecht? Dagegen spricht, daß dieses Recht nicht i n Anführungszeichen gesetzt ist, wie sonst das Juristenrecht i n dieser Abhandlung. Dieses Recht ist wohl auch nicht nur die Rechtsordnung. Eher scheint sich Brinz „etwas hinter dem Gesetz Stehendes" 31 vorzustellen, wobei Gleichheit 32 und damit wohl auch Gerechtigkeit mitschwingen. Weiter oben wurde behauptet, daß Brinz an das Juristenrecht denkt, wenn er am Schluß der „Geistrezension" vom Recht spricht und u. a. bemerkt, mit der Anwendung des Gesetzes bekämen w i r Recht ins Land. Diese Auslegung rechtfertigt sich daraus, daß er i n der „Geistrezension" dem Recht zum Teil dieselben Vorzüge zuschreibt wie dem „angewandten Gesetz" ( = Juristenrecht) i n „Römische Juristen". Außerdem sieht er den Grund, daß w i r Recht ins Land bekommen, i n der „Geistrezension" i n der Anwendung des Gesetzes, i n „Römische Juristen" hingegen darin, daß dem Richter ein „vorarbeitendes", aus Entscheidungen bestehendes Recht zur Verfügung steht. Endlich können w i r noch weitere Einzelheiten über Brinz* Vorstellungen aus seiner Rede „Rechtswissenschaft und Rechtsgesetzgebung" entnehmen, i n der er einige Bemerkungen zum entstehenden Reichszivilgesetzbuch macht; sie wurde 1877 gehalten. Dort heißt es: „Alles Gesetz ist Recht, aber nicht alles was Recht ist, ist auch Gesetz; ein 27 28 29 30 81 82

Vgl. Ρ 3 106, zudem Rechtswissenschaft 3170: Alles Gesetz ist Recht. o. § 5 Ziff. 2 a. S. 682; vgl. schon o. § 5 Ziff. 2 a. Rom. Juristen 682. Eine Wendung von Engisch 180. Rom. Juristen 682: „Gleichmäßiger".

§15

Die A r t e n des Rechts

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großer, ja der größere Theil des Rechtes ist und heißt Recht i m engeren Sinne, bei den Römern jus, bei uns Juristenrecht, und ist dem Gesetz entgegengesetzt 33 ." Danach besteht das Recht (im Sinne von Rechtsordnung) also aus dem Gesetz und dem Recht „ i m engeren Sinne" oder Juristenrecht; das ist sachlich nichts Neues; das Juristenrecht hat hier nur einen neuen Namen erhalten. Den Unterschied zwischen Gesetz und Recht beschreibt Brinz folgendermaßen: „Das Gesetz entspringt einer politischen, d. i. staatlichen Potenz, der Macht und Stärke, die i n der gemeindlichen und staatlichen Verbindung der Familien, Stämme und Völkerschaften ruht, ist darum ein Machtgebot, ein Befehl, Verbot oder eine Concession der Volksgesammtheit oder ihrer Repräsentanz. Das Recht dagegen entspringt einer lediglich geistigen Potenz, ist zu unterst nichts anderes als ein Urtheil, welches, wie jedes andere Urtheil, Verstand und Geschick (prudentiam) voraussetzt, seine Auctorität lediglich i n sich selbst findet, i n seiner Wahrheit und i n seiner Stetigkeit, so denn auch von keiner äußeren, sondern einzig von einer geistigen Macht d. i. von der der Jurisprudenz, getragen ist — getragen sein s o l l . . . " 3 4 . Wenn Brinz i m nächsten Satz schreibt, i n der Region des Urteils dürfe nichts befohlen, an die Stelle des Rechts „ i m engeren Sinn" also nicht das Gesetz gesetzt werden, so geht daraus m. E. hinreichend hervor, daß er m i t dem Recht i m vorangegangenen Zitat nur das Recht „ i m engeren Sinn", das Juristenrecht verstanden wissen w i l l . Dieses Zitat für sich genommen — wie i n Stammlers Rechtsphilosophie 35 — gibt daher Brinz* Meinung nicht korrekt wieder. Stammler wertet offenbar diese Gegenüberstellung von Recht und Gesetz m i t der verschiedenen Herkunft beider als einen Versuch von Brinz, das Verhältnis von Rechtssatz und Definition zu bestimmen, jedoch zu Unrecht 3 6 . c) Zusammenfassend w i r d man sagen können: Brinz greift für das geltende Recht die römische Unterscheidung von lex und jus auf. Den Ausdruck Recht verwendet er i n einem weiten Sinn i n der Bedeutung von Rechtsregel. Dieses Recht setzt sich aus dem gesetzlichen Recht ( = „reines" Recht) und dem Juristenrecht zusammen, die beide Arten des Rechts sind. Das Juristenrecht bezeichnet Brinz auch als das „Recht" schlechthin 37 , „das dem einzelnen Falle gerecht gewordene Gesetz" 38 , 83

Rechtswissenschaft 3170. Ebd. 3170. Ähnlich sagt Brinz in K V 2, 37, wie schon weiter oben von b gezeigt, das Recht ( = Juristenrecht) sei geistig entwickelter; die Gesetzesanwendung müsse von Gebildeten ( = Juristen) geleitet werden. 35 Stammler, Rechtsphilosophie 263. 3 « Ebd. 263,264. 37 K V 2, 37, Röm. Juristen 682, Rechtswissenschaft 3170. 38 K V 2, 37. 34

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I I . Teil, 2. Kap. : Der Begriff des Rechts i m objektiven Sinn

„ein Recht, welches aus Entscheidungen besteht" 3 9 , ein „dem Richter vorarbeitendes" Recht 40 , das „angewandte Gesetz" 41 , das „angewandte" Recht 42 und als das Recht „ i m engeren Sinne" 4 3 . Dieses Juristenrecht ist auf den einzelnen Fall bezogen, kasuistisch 44 . Beim Begriff Recht denkt Brinz i n der Regel nur an das vorhandene Recht, nicht etwa an ein übergesetzliches, naturrechtliches Recht, wie es heute bei der Formel „Gesetz und Recht" i n A r t i k e l 20 I I I Grundgesetz diskutiert w i r d 4 5 . Dies ist Ausdruck seiner positivistischen Einstellung. Nur einmal glaubten wir, den Begriff Recht bei Brinz materiell verstehen zu müssen, wo er nämlich bemerkt, durch ein aus Entscheidungen bestehendes, dem Richter „vorarbeitendes" Recht würden die richterlichen Entscheidungen selbst „besser, gleichmäßiger": Es gebe nicht nur ein Gesetz, sondern auch „ein Recht i m Land" 4 6 . Hier bringt es Brinz doch wohl mit Gerechtigkeit i n Beziehung 47 . 2. Nationales und internationales

Recht

W i r sahen schon, daß nach Brinz* Ansicht den Rechtssatzungen innerhalb eines und desselben Rechtes teilweise „natürliche N o t w e n d i g k e i t " , „allgemeine Zweckmäßigkeit" und eine „bestimmte Volkseigenthümlichkeit" zugrunde liegen 48 . Diesem nationalen Rechte stehe ein internationales Recht gegenüber, das aus der Übereinstimmung unbestimmt vieler Völker hervorgegangen sei und zwischen diesen gelte 49 . Das internationale Recht erblickt Brinz zum einen i m „publicistischen Völkerrecht"; zum anderen behauptet er, heute sei ein privatrechtliches jus gentium i m — i n § 4 Ziffer 2 dargestellten — ursprünglichen Sinne eines internationalen Privatrechts „wieder aufgelebt" 50 . Das heutige internationale Privatrecht definiert Brinz als „das Recht, nach welchem der Fremde zu behandeln ist"; es sei nicht identisch mit 39

Rom. Juristen 682. Ebd. 682. 41 Ebd. 682. 42 Ρ 3 108. 43 Rechtswissenschaft 3170. 44 Vgl. auch Ρ 1 1417: Wenn der Fall, auf welchen das vorhandene Recht anzuwenden sei, in diesem noch nicht entschieden sei, sei „das Recht (d. h. das für diesen Fall zutreffende) erst zu finden". 45 Vgl. Engisch 172. 46 Rom. Juristen 682. 47 Zur Frage, ob alles Recht verbindlich ist, vgl. § 19. 48 o. § 4 Ziff. 2. 49 Ρ 3 116. 50 Ebd. 117,118. 40

§ 15

Die A r t e n des Hechts

77

dem Recht des Inlandes, dem Recht des Auslandes oder einem angeblichen Gesetz des Inlandes, nach dem der Fremde bald diesem, bald jenem Rechte unterworfen sein solle, sondern sei Völkerrecht; dieses Völkerrecht habe weder i n diesem noch i n jenem bestimmten Lande oder Volke und nicht erst — wie vieles andere Völkerrecht — i n einem Völkervertrag seinen Grund, sondern i n „stillschweigender, wachsender Uebereinstimmung und werkthätiger Uebung der i m Verkehre mit einander begriffenen, unabgeschlossenen Völker" 5 1 . Brinz räumt ein, daß sich dieses die privatrechtliche Stellung des Fremden betreffende Völkerrecht noch nicht „endfertig herausgestellt" habe; es bestehe aber i n dem von Puchta angedeuteten Grundsatz der Anerkennung des Fremden und seiner Gleichstellung mit dem Inländer 5 2 . Brinz skizziert nun i m Folgenden die einzelnen Sätze des internationalen Privatrechts, aus welchen deutlich hervorgeht, daß auch er unter dem internationalen Privatrecht ein Rechtsanwendungsrecht versteht 5 3 ; ihre Darstellung würde hier zu weit abführen. Brinz unterscheidet innerhalb des internationalen Privatrechts, was noch anzumerken ist, zwischen einem „allgemeinen, unter allen — und einem partikulären, nur unter einigen Völkern oder Staaten vereinbarten i.P.R." 54 . Brinz hat an dieser Auffassung über den Charakter des internationalen Privatrechts bis zuletzt festgehalten, obwohl sie, wie er selber sagt, „kaum Einen Bekenner für sich hat" 5 5 . Sie steht auch zu der heutigen einhelligen Meinung i m Gegensatz, die ja bekanntlich das internationale Privatrecht als nationales Recht betrachtet. 3. öffentliches

Recht und Privatrecht

öffentliches Recht und Privatrecht finden w i r zwar auch als verschiedene Rechtsarten behandelt 5 6 ; i m Grunde genommen w i l l Brinz jedoch die Unterscheidung beider nicht zu sehr betont wissen, was sich m. E. aus dem Folgenden ergibt: Er nimmt an, das Privatrecht sei, soweit die einzelnen Privatrechte (im subjektiven Sinn) erst durch „Aus51 Ebd. 120. Siehe noch ebd. 126 Anmerkung mit Stern: Das IPR sei „in seiner Quelle oder Entstehung international, so wie unter den Nationen, auch aus ihnen, aus ihrer gemeinsamen Ueberzeugung und Uebung entstanden, mithin nicht neben, sondern in dem Völkerrechte zu denken". 52 Ebd. 120,121. 53 Vgl. ebd. 121 ff.; es wird dort nämlich ausgeführt, nach welchem Recht — dem des I n - oder Auslandes — der Ausländer im Inland Vermögen erwerben usw. kann. 54 Ebd. 127 Anmerkung (ohne Nummer). 55 Vgl. die mit einem Stern gekennzeichnete Anm. in Ρ 3 126. 56 Ρ 2 1108, 92; Ρ 3 127,107.

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. Teil, 2. Kap. : Der Begriff des

echts i m objektiven Sinn

Scheidungen von Sachen aus dem Gemeinverbande" entstanden seien, aus dem öffentlichen Recht hervorgegangen; i m übrigen sei das Privatrecht gleichzeitig wie das öffentliche Recht entstanden; auch sei Privatrecht ohne öffentliches Recht nicht denkbar 5 7 . „Uranfänglich" habe das Privatrecht i n einer Gemeinschaft m i t allem übrigen Rechte gestanden, die „ n u r mechanisch" aufgehoben worden sei 58 . Privat- und öffentliches Recht gingen seither „wie von einander unabhängige Dinge" auseinander 5 9 . Brinz wünscht die Wiederherstellung dieser Gemeinschaft, erkennt freilich, daß „ w i r selbst heute noch" von einer „historischen Entwicklung", die auf diese Gemeinschaft zurückführte, „fühlbar entfernt" seien 8 0 . Das Privatrecht werde aber „wieder heimgekehrt sein i n die angestammte Verbindung m i t dem öffentlichen Rechte", wenn durch die historische Forschung, die zugleich „Begriffsforschung" sein müsse, i n dem „ältest nachweisbaren Zustande" gleichzeitig auch der „dogmatische Grundriß aller späteren Begriffsentfaltung" freigelegt werde 8 1 . Interessant ist, daß Brinz kritisch vom „Egoismus" des Privatrechts redet 82 . Gehen w i r nun über zum Unterschied beider Rechtsarten, den Brinz zweifach begründet sieht: Zum einen durch den Unterschied der Rechte i m subjektiven Sinn. Das Recht, das „die Gewährung, Definirung, Begründung, Geltendmachung der öffentlichen Rechte" enthalte, sei öffentliches Recht — jus publicum; das den Privatrechten geltende Recht sei dagegen Privatrecht — jus privatum 8 3 . Zum anderen durch den Unterschied zwingender und durch den Willen der Parteien derogierbarer Rechtssätze64. Das zwingende Recht sei „abermals" jus publicum 6 5 , das dispositive sei jus privatum „ i n diesem anderen Sinne". Dasjenige Recht, das sich nach der A r t der von i h m gewährten Rechte als jus publicum 57 Ρ 2 I 221, 222. Siehe noch Ρ 2 I 88 = Ρ 3 103: I m Privatrecht befänden wir uns „nicht außer jedem anderen, sondern inmitten alles anderen Rechtes". 58 Ρ 2 I 64; Ρ 3 77; zur Geschichte des Privatrechts vgl. auch Einlassungszwang 160. 59 Ρ 3 102; in Ρ 2 1 87 noch etwas anders. 60 Ρ 3 77; außerdem Ρ 2 I I I 471: Das Bestreben, das römische Recht im Ganzen zu begreifen, führe vielleicht noch dazu, jus publicum und privatum „einheitlich", statt „gegensätzlich" zu denken. 61 Ρ 3 78. 62 Jus apud cives 141. Ähnlich Ρ 1 49. Vgl. noch die u. § 18 Ziff. 1 (mit Anm. 8) wiedergegebene Stelle aus Jus apud cives 140. 63 Ρ 3 127. Zu den öffentlichen und Privatrechten näher Ρ 2 I 219 - 222, außerdem Ρ 3 156, wo Brinz in den subjektiven Privatrechten die „Exemtion der Privaten von dem gemeinen Gesetze" und in den konkret entstandenen Privatrechten das „Product" der „Autonomie" der Privaten sieht. 64 Ρ 3 129. Was hier im Text dargestellt wird, hat Brinz in der 3. Auflage der Pandekten gegenüber der 2. ( I 110) etwas umgestaltet. Wir folgen der 3. Auflage. 65 Vgl. hierzu Käser 129: Jus publicum sei ursprünglich zwingendes Recht gewesen.

§ 15

Die A r t e n des Rechts

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erweise, sei auch „ i n diesem zweiten Sinne" stets jus publicum. Hin^ gegen sei das Recht, welches nach der A r t der von i h m gewährten Rechte Privatrecht sei, nach der A r t seiner Rechtssätze bald jus publicum, bald jus privatum: Soweit das die Privatrechte gewährende Recht keine absolut bindende, sondern durch einen entgegengesetzten Privatwillen derogierbare Satzungen aufstelle, sei es Privatrecht „auch i n diesem anderen Sinne des Wortes". Soweit das Recht dagegen zwar auch nur Privatrechte betreffe, sich aber dabei u m das, was die Handelnden selbst wollten, nicht kümmere, sondern diesen „ i n Vertretung des gemeinen Wesens" einen unbeugsamen, nicht derogierbaren Willen vorund entgegensetze, sei es „schon halb" öffentliches Recht, Privatrecht nach seinem Gegenstand, öffentliches nach seinem Grund; es werde deshalb auch jus publicum, manchmal commune, und bei uns zwingendes Recht genannt 66 . Zwingende Normen des Privatrechts, die i m öffentlichen Interesse ergangen sind, werden heutzutage ausschließlich als Privatrecht gewertet. Brinz folgt mit seiner Auffassung dem römischen Recht, wo der Satz galt: „Jus publicum privatorum pactis mutari non potest 67 ." 4. Normales und anomales Recht Als „normales" Recht bezeichnet Brinz, was die Römer jus commune nannten: Es ist die Hauptmasse der Rechtssätze, die aus der durch die Rechtsanwendung veranlaßten „logischen" und „analogischen" „Fortentwicklung der Urbegriffe und Ursatzungen" der Rechte, Rechtsfähigkeiten und Rechtsgeschäfte entstanden sind. Daneben gebe es aber auch noch Rechtssätze, die „außer diesem System der Hauptmasse" aufgekommen seien; dieses jus singulare der Römer nennt Brinz das „anomale" Recht. Nicht selten enthalte das jus singulare Privilegien 6 8 . Für treffender hält Brinz die seltenere Bezeichnung von jus ordinarium und extraordinarium anstelle von jus commune und singulare 69 . Ein Unterschied i n den Gründen, die zur Entstehung beider Rechtsarten führten, existiere nicht; „dieselbe Billigkeit, Zweckmäßigkeit, Gunst, Gemeinnützigkeit", die das einemal die „Regel", habe das andere Mal deren „Abbeugung" herbeigeführt. Das jus singulare sei notwendig ββ Ρ 3 129. Siehe zudem noch ebd. 157, wo gesagt wird, das Privatrecht im objektiven Sinn sei „weithin nichts anderes als der jeweilige präsumtive Wille der Privaten selbst". 67 D. 2, 14, 38. I m österreichischen Reichsrat erklärt Brinz einmal, maßgebend dafür, ob ein Gesetz öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich sei, sei nur der Tenor, der Inhalt, nicht der Ort, von dem es ausgehe, oder in dem es vorbereitet werde: Protokolle 1621. 68 Ρ 3 130; Savigny System I 61 nennt es das „anomalische" Recht. 89 Ρ 3 130.

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echts i m objektiven Sinn

gesetzliches Recht „ i m Sinn der Satzung" 7 0 , nicht aber Juristenrecht; es entspringe nicht bloßer Rechtsanwendung, da ihm, i m Gegensatz zum normalen Rechte, das einer „unabsehbaren Propagation" fähig sei, von den Quellen „gewissermaßen die Zeugungsfähigkeit abgesprochen" werde. Erlaubt sei freilich auch beim jus singulare die „nothwendige d. i. die logische" Anwendung, auch wenn sie sich vom Buchstaben entferne; verboten sei aber die „logisch blos mögliche (analogische)" Rechtsanwendung, u m den „Grundstock des Rechtes" gegen die „Ueberfluthung durch die excentrisch eindringenden Singularitäten" zu sichern 71 .

§ 16

Das Verhältnis des Rechts zu Natur und Leben

1. Brinz trennt deutlich die zwei Gesetze der Natur und des Rechts1. Das Recht sei aber mit dem Naturgesetz und dem Sittengesetz verwandt; alle drei hätten den Menschen zum Gegenstand: Das „Rechtsgesetz" und das Sittengesetz nur den Menschen, das Naturgesetz auch den Menschen2. Als einen Unterschied (von mehreren) bezeichnet es Brinz, daß die „Verwirklichung" jeweils i n anderer Weise erfolge, „da die des Sittengesetzes i n Freiheit, die des Rechtsgesetzes auf Zwang, die des Naturgesetzes i n Nothwendigkeit beruht". Jedes dieser drei Gesetze wolle Verwirklichung; die zwangsweise Verwirklichung schlösse allerdings „den Begriff des Guten auf Seite des Gezwungenen" aus, während das Recht auch den Zwang gewähre; dieser Rechtszwang bleibe nun aber häufig aus — i m Gegensatz zum Naturgesetz, das sich stets verwirkliche 3 . Daß das Naturgesetz von „realer Natur", das Rechtsgesetz aber von „idealer" ist, wurde schon früher bemerkt 4 . I n seiner Rektoratsrede „Uber Universalität" empfiehlt Brinz den Studenten der Rechtswissenschaft (und anderer Geis tes wissenschaf ten), sie sollten i n irgendeinem Zweig der Naturwissenschaften „die Mächte der Natur" kennenlernen, „ u m aus ihren unab weichlich en Gesetzen die Vorstellung eines Wesenhaften, Stetigen, Ewigen zu befestigen und dieses i m eigenen Fache, inmitte der Willküren, Veränderlichkeiten und Anomalien, die den Produkten des Menschenthums anhängen, suchen, finden und festhalten zu können"; umgekehrt sollten sich aber auch die Naturwissenschaftler mit „der Geschichte der Menschheit, ihrer Religion, 70 71 1 2 3 4

Brinz meint hier also Gesetz und Gewohnheitsrecht. Ρ 3 130,131. ζ. Β. K Ü 5, 282; Universalität 17; K V 23, 388 ff.; Ρ 3 106. Ρ 3 105,106. Ebd. 106. ο. § 14 Ziff. 1 (Ρ 3 107).

§1

Das Verhältnis des Rechts zu

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Philosophie, Sprache, ihrer Sitte und ihrem Rechte" beschäftigen, u m zu lernen, daß die Materie und das Gesetz nicht alles bedeuteten, daß entgegen der i n der Natur herrschenden Notwendigkeit „ i m Menschenthum eine Freiheit zur Entfaltung kommt, die zwar einerseits die Quelle von Unregelmäßigkeiten und Verbrechen, anderseits aber die Schöpferin eines neuen Gesetzes, der Sitte und des Rechtes, die Urheberin einer zweiten, von unserer Kunst erbauten und von unserer Wissenschaft erfüllten Welt ist" 5 . Und wenn Brinz fortfährt, diese Freiheit liege i n stetem Kampf m i t der Materie und habe nur i m Sieg über sie „die Menschheit erzogen und Staaten gegründet" und er schließlich sagt: „Unser Beßtes, unser Alles ist ein Sieg der Freiheit über die Materie", so w i r d man i n diesen i m Jahre 1876 geäußerten Gedanken eine Absage an zeitgenössische materialistische Strömungen sehen müssen 6 . 2. Natur und Recht stehen sich nun aber nicht beziehungslos gegenüber. Welche Auffassung Brinz hinsichtlich ihres Verhältnisses hat, können w i r hauptsächlich aus seinen Besprechungen von Leists „ C i v i l i stischen Studien auf dem Gebiete dogmatischer Analyse" (Hefte 1 und 2) 7 sowie aus seiner Rektoratsrede „Über die Zeit i m Rechte" 8 ersehen. Leist geht es um die Erkenntnis der „Natur" der Lebensverhältnisse, die er durch ein „Studium der Natur" erreichen w i l l ; w i r sollten erst selbständig uns das Leben veranschaulichen, um danach die Rechtssätze zu erkennen 0 ; „Natursätze" nennt Leist die Regeln, die man zur Charakterisierung der Natur der Lebensverhältnisse aufstellen könne 1 0 . Die Natur sei „die materielle Quelle des Rechtes seinem weit überwiegenden Umfange nach" 1 1 . I n vielen Fällen sei die Existenz des Natursatzes neben dem Rechtssatz nicht eine zufällige, sondern „der wahre Grund, die ratio, auf welche sich der Inhalt des Rechtssatzes stützt" 1 2 ; der Wille des „rechthervorbringenden Organs" sei hier nicht originell, sondern folge etwas Anderem nach und nehme dies i n sich auf 1 3 . Für Brinz dagegen existiert kein Lebensverhältnis, i n das das Recht nicht „unauflöslich verwoben wäre" 1 4 . Wenn w i r aus der „Natur des menschlichen Treibens, die den Juristen allein angeht", jemals die „blosse" Natur ablösen könnten, würden die Juristen vermutlich den 5

Universalität 17. Ebd. 17; vgl. schon o. § 13 Ziff. 6. 7 Schletters Jb. 1855,10 ff. und 1857,132 ff. 8 Aus dem Jahre 1882. 9 Leist 27,29, 31. 10 Ebd. 32. 11 Ebd. 68. 12 Ebd. 71. 13 Ebd. 72. 14 Schletters Jb. 1855,13. 6

6 Rascher

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I I . Teil, 2. Kap. : Der Begriff des Rechts i m objektiven Sinn

„Naturtheil" preisgeben und sich u m die „verklärten Geister des aus seinen Naturbanden befreiten Rechts" versammeln 15 . Brinz hält freilich eine derartige „Loslösung" der Natur vom Rechte nicht für möglich 1 6 ; Leists Naturstudium sei daher entweder gar kein Studium oder gleichzeitig ein Rechtsstudium 17 . Wenigstens die Geschichte kenne keinen Zustand der „Rechtslosigkeit"; bereits die Mythologen besäßen ihre Themis, und die Philosophen hätten den Staat sogar vor dem Menschen gedacht; „was w i r aber i n lebendiger Gegenwart u m uns her erblicken, ist das, dass das Recht all unser Thun und Lassen, indem alles recht oder unrecht ist, m i t derselben Nothwendigkeit durchdringt, wie die Schwere den Körper; da mag vordem etwas recht gewesen sein, was jetzt unrecht ist, und umgekehrt: einen rechtsleeren Raum aber i m Bereiche des Rechts finden w i r nicht" 1 8 . Später drückt es Brinz so aus: „Wie für die L u f t i n der Natur gibt es für das Recht i m menschlichen Leben und Treiben kein Vakuum 1 9 ." Den Juristen könne man zwar „zum Umsatz der Güter, zum binnenund ausländischen Verkehr, zur Seefahrt und zum Bergbau" nicht gebrauchen — für das Handels-, Wechsel-, See- und Bergrecht allerdings sei er unentbehrlich; auf dem „ganzen Gebiete des häuslichen, gemeindlichen, staatlichen, wirtschaftlichen, überhaupt sozialen Lebens" gebe es, die Rechtspflege ausgenommen, „nichts, wozu man Jurist sein müßte, und mit dem der Jurist nicht gleichwohl befaßt ist" 2 0 . Das Recht w i r d auch ein „Theil der von uns zu erkennenden W e l t " 2 1 , ein „Stück W e l t " 2 2 sowie ein „elementärer Faktor unseres Daseins" 23 genannt. Wenn Brinz also annimmt, daß „das Recht i m Leben mitlebt", so lehnt er doch ein „eigenes Rechtsleben" als „etwas Schemenhaftes" ab; sollte man es je rubrizieren, müsse man i h m nicht das Staatsleben, das auch ein Rechtsleben sei, gegenüberstellen, sondern das „Unrechtsleben"; denn letzteres sei der „correspondirende böse Geist i m Rechte" 24 . 15

Schletters Jb. 1857,133. Ebd. 133. 17 Schletters Jb. 1855,13 und 1857,133. 18 Schletters Jb. 1857,133. 19 Zeit im Rechte 5. Damit steht auch nicht im Widerspruch, wenn Brinz in Ρ 3 156 sagt, es gebe wohl keinen Staat, in dem die einzelnen von dem Gesetze des Ganzen ganz ergriffen und nicht innerhalb einer gewissen Grenze selbst wieder autonom wären. Die „Exemtion der Privaten von dem gemeinen Gesetze" sieht er nämlich in den Privatrechten, die ja dem Rechtsbereich angehören. 20 Zeit im Rechte 5. 21 Schletters Jb. 1855,8. 22 Rechtswissenschaft 3169. 23 Verein I I 8. 24 Schletters Jb. 1855,197. Vgl. schon Savigny, Beruf 88, 89: „Das Recht nämlich hat kein Daseyn für sich, sein Wesen vielmehr ist das Leben der Menschen selbst, von einer besonderen Seite angesehen." 16

§1

Das Verhältnis des Rechts zu

atund

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Ausdruck seiner positivistischen, formalistischen Einstellung ist es, wenn Brinz einmal sagt, die Juristen befaßten sich zwar viel mit den Formen des Verkehrs; „die Bedürfnisse dagegen, von denen er ausgeht, die Ziele, welchen er zustrebt, die M i t t e l und Wege, auf denen er sich bewegt, liegen uns ferne" 2 5 . Haben w i r bisher die Durchdringung des Lebens durch das Recht kennengelernt, so ist nun zu zeigen, welchen Einfluß Brinz dem Natursatz auf den Rechtssatz zukommen läßt. Die „blosse Natur" ist für Brinz noch nicht Recht 26 . Sie müßte dem Juristen, wenn er sie wo fände 27 , „leer und öde" vorkommen 2 8 . Der Inhalt der Natursätze sei überall so allgemein, daß er ohne weitere Bestimmung niemals Rechtssatz werden könne; so seien zwar, wie Leist auseinandersetze, Familie und Vermögen für den Menschen von Natur aus nötig 2 9 , aber von diesem „dass" sei noch ein Schritt zu dem „wie", den erst das Recht mache und machen müsse, u m „Recht oder eine brauchbare Regel für das wirkliche Leben zu sein" 3 0 . Falsch sei daher die Annahme, das Recht sei zur Hälfte oder gar zu größerem Teile bloße Sanktion von Natursätzen; wäre das Recht aber jemals diese Sanktion, so wären die Natursätze nicht „Grund (causa)", sondern Inhalt des Rechtes 31 . A m Beispiel des Kalenders, der zwar ohne Sonne, Mond und Sterne nicht denkbar, trotzdem aber ein „Rechtsprodukt" sei, weil nur das Recht bestimmen könne, wann das Jahr beginne, stellt Brinz die These auf: Es lasse sich etwas anderes gar nicht denken, „als daß das Recht jene die Natur gewissermaßen ergänzenden und determinirenden Bestimmungen setze, oder daß diese Satzungen von denselben Faktoren ausgehen, von denen das Recht überhaupt ausgeht, sowie daß diese Satzungen selbst Recht oder Rechtssatzungen seien". „Was ohne durch die Natur selbst und bis in's letzte bestimmt zu sein, allgemein und rechtswirksam gilt, kann nur durch das Recht gesetzt oder Recht sein" 3 2 . Die Natur liefert also nach Brinz dem Recht den Stoff. Das Recht erhalte nämlich zu keiner seiner Satzungen den Anstoß aus sich selbst, 25

Verein I 3; vgl. hierzu Wieacker, PRG 331 (bzgl. Windscheid) und 441. Schletters Jb. 1857, 133; ebenso Zeit im Rechte 9; ähnlich Erbrecht 407. 27 Brinz meint hier augenscheinlich die „Natur des menschlichen Treibens", sagt er doch im nächsten Satz: „Blosse Natur erblicken wir droben an den Sternen, denen sich Leibniz aber nicht als Jurist genähert hat" (Schletters Jb. 1857, 133). Die Möglichkeit der eigentlichen Naturforschung wollte Brinz demnach nicht in Zweifel ziehen. 28 Ebd. 133. 29 Siehe dazu schon o. § 11 Ziff. 2. 30 Schletters Jb. 1855,13. 31 Ebd. 13. 32 Zeit im Rechte 4, 8, 9; siehe auch Erbrecht 407,408. 26

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sondern jeden aus Natur, Religion, Moral oder aus „materiellem Interesse" 33 ; „es hat keinen eigenen Stoff, nimmt den Faden, den es spinnt, nicht aus sich selbst; allein was immer es bearbeitet, verwandelt es zu Recht" 34 . Ähnlich heißt es an einer anderen Stelle: „Den Inhalt kann sich nur das Recht selbst geben 35 ." I n diesen Gedanken liegt die Vorstellung einer Autonomie des Rechts i n einem doppelten Sinne: Einmal i m Sinne einer Selbstgesetzgebung des Rechts; nicht etwa die rechtsschöpfenden Faktoren (Gesetzgeber, Gerichte) schaffen das Recht, sondern das Recht w i r d selbst tätig. Hierher gehört auch die bereits angeführte Annahme von Brinz, das Recht bestimme nach der „Sichselbstbestimmung" die Rechte i m subjektiven Sinne 36 . Eine solche Autonomie ist m. E. nicht vertretbar. Das Recht ist nur Produkt, nicht Produzent. Zum anderen i m Sinne einer Eigengesetzlichkeit; der Inhalt des Rechts ist nicht durch Vorgegebenheiten bestimmt, nicht fremdbestimmt. Das Recht hat zwar keinen eigenen Stoff; was es aber bearbeitet, verwandelt es zu Recht. So kann Brinz auch sagen: „Original ist doch nur das Recht selbst, das Recht außer und über uns; wer i h m am nächsten kommt, i h m i n seinem Fürsichsein, i h m i n der Einfachheit seiner Gedanken und Anlagen aus der Fülle seiner Erscheinungen, der w i r d der originalste sein 3 7 ." Das Recht ist daher autonom, nicht nur i m Verhältnis zum Naturgesetz, sondern auch zur Sittlichkeit, Religion usw. 3. Brinz* Behauptung, es gebe für das Recht i m menschlichen Leben und Treiben kein Vakuum, ist i n dieser Formulierung zu weit; es gibt durchaus Gebiete, für die das Recht keine Regeln aufstellt, wie Freundschaft oder Spiele. Das Handeln i n diesen nicht normierten Bereichen ist dann auf Grund eines Gegenschlusses als erlaubt bzw. rechtmäßig anzusehen. Nur dies wollte Brinz m. E. gesagt haben: Er erläutert seine Behauptung, er finde i m Bereich des Rechts keinen rechtsleeren Raum 3 8 , 33 Zeit im Rechte 9; dazu schon o. § 10 Ziff. 2; in Ρ 2 I 415 bezeichnet Brinz Gerechtigkeit, Billigkeit, Güte und „gemeine Wohlfahrt" als den „Stoff", aus dem die rechtlichen Ansprüche zumeist hervorgegangen seien. Vgl. außerdem die „Motoren" in Ρ 3 80. Natur-Recht in Einzelbeispielen: Krit. Bl. I I I , 51, 52; Compensari 35 ; Ρ 2 I I 41 ; K V 23, 396. 34 Zeit im Rechte 9. 35 K V 2, 7. 36 o. § 10 Ziff. 1; außerdem K V 2, 28: Rechtsdinge sind solche, die durch das Recht sind, „allenfalls das Recht in abstracto und seine Sätze selbst". 37 K V 21, 11. Ähnlich sagt Brinz in Possessio I V , der Jurist müsse das Recht „so ganz, sicher und wahrhaft kennen, als er es nur in geistiger und sittlicher Verwandtschaft mit seiner unter und über uns, gegenwärtig und lebendig, waltenden Potenz zu lernen, zu kennen, und zu üben vermag". Von einer Autonomie des Rechts, seiner „Unabhängigkeit und Unverletzlichkeit" redet bezüglich Brinz auch Sinzheimer 223, 224. 38 Schletters Jb. 1857, 133; außerdem noch K V 15, 164: kein „rechtsloser" Raum im Rechte.

§1

Das Verhältnis des

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ja selbst dahin, daß all unser Tun und Lassen entweder recht oder unrecht sei, möge auch früher etwas recht gewesen sein, was jetzt unrecht sei, und umgekehrt 3 9 . Es ist daher nicht zutreffend, wenn Bergbohm annimmt, Brinz sei der Auffassung, „die an sich möglichen Rechtsstoffe des betreffenden Rechtskreises seien insgesamt auch wirklich durch sein Recht geregelt" 40 . Man kann i n der Ablehnung eines rechtsleeren Raums durch Brinz eine Bestätigung dafür sehen, daß für i h n das Recht keine ethische Bestimmung hat: Es geht i h m nicht darum, durch das Recht die Entfaltung der Freiheit des Einzelnen zu ermöglichen 41 . Er belegt das ganze Feld menschlichen Handelns, auch den nicht ausdrücklich geregelten Teil mit dem Urteil Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit 42 . Nicht zustimmen kann man Brinz darin, das „Naturstudium" sei immer zugleich Rechtsstudium. Wenn es die Aufgabe des Rechts ist, brauchbare Regeln für das Leben zu geben, so ist es geradezu unerläßlich, vor der Setzung des Rechts die Lebensverhältnisse zu erforschen, damit das Recht diesen entspricht und gerecht w i r d 4 3 . Ein solches Studium der Natur oder des Lebens ist natürlich auch noch möglich, wenn das Recht bereits vorhanden ist. Kuntze bemerkt richtig, das Naturstudium sei noch keinesfalls Rechtsstudium, sondern nur dessen Vorbereitung 4 4 . Die Aufgabe, die dem Recht zugrunde liegenden gesellschaftlichen Tatsachen zu erforschen, w i r d heute bekanntlich von der Rechtssoziologie wahrgenommen 45 . Daß Brinz i n dieser Richtung kein Interesse zeigt bzw. kein Bedürfnis verspürt, liegt wohl daran, daß er — dazu später ausführlich 46 — den Juristen rechtspolitische Aufgaben abspricht. Für eine „durchdachte Rechtspolitik" ist aber die Erschließung der „gesellschaftlichen Dimension des Privatrechts" unerläßlich 47 . Trotz aller K r i t i k an Leists Schriften lobt Brinz aber an ihnen, es sei rühmlich, daß i n ihnen dem „Gesetz i m Rechte" — und zwar i m Rechte wie es ist, nicht nur wie es sich historisch entwickelt — nachgegangen worden sei 48 . Dies sei aber nur i m Rechte, und „mitten i m Rechte" 39

Schletters Jb. 1857,133. Bergbohm 376; Brinz hat ζ. B. nie behauptet, es existierten Regeln für Freundschaft, Kinderspiel oder dgl. 41 Siehe dazu schon o. § 10 Ziff. 2. 42 Hierzu fördernd Bergbohm 376. 43 Ähnlich Kuntze, Wendepunkt 28. 44 Wendepunkt 44. 45 Vgl. noch u. § 30 Ziff. 2. 46 u. § 30 Ziff. 1. 47 Wieacker, PRG 453. 48 Schletters Jb. 1855,13; 1857,135; vgl. bereits o. § 13 Ziff. 1. 40

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möglich; Leist sei alsbald dem römischen Rechte „ i n die Arme" gesunken, weil die bloße Natur zu bald erschöpft gewesen sei 49 . W i r haben hier einen Ausfluß von Brinz* „naturhistorischer" Auffassung vor uns; es geht i h m wohl u m die Aufdeckung der Gesetzmäßigkeit, i n welchem Verhältnis die Natur zum Recht steht. Das i n diesem Paragraphen behandelte Thema ist eigentlich naturrechtlicher A r t . Das antike Naturrecht kreiste um den Gegensatz Natur Satzung 56 . Und wenn w i r bei Brinz gelesen haben, das Recht setze „jene die Natur ergänzenden und determinirenden Bestimmungen" 5 1 , so w i r d man dabei unwillkürlich an Thomas von Aquins Lehre erinnert. Thomas nahm an, i n der lex humana oder positiva würden die allgemeinen Vorschriften des Naturgesetzes von den irdischen Gesetzgebern auf die speziellen Anforderungen h i n ergänzt 52 . Brinz gibt freilich i n allen den i n diesem Paragraphen zitierten Fundstellen keinen Hinweis, daß er vom Naturrecht handle; vermutlich ist es i h m gar nicht bewußt gewesen, daß er teilweise hier naturrechtliche Gedankengänge nachvollzogen hat.

§ 17

Das Verhältnis des Rechts zum Sittengesetz

1. M i t dem Sittengesetz hat sich Brinz i m Gegensatz zum Naturgesetz nur sehr wenig befaßt; das mag daran liegen, daß das Thema der Beziehungen der Natur zum Recht durch Leists Arbeiten aktuell war und Brinz stärker interessierte als das hier zu behandelnde. Es kann deshalb nur darum gehen, seine Ansicht an Hand der spärlichen Äußerungen zu skizzieren. Uberhaupt sollte man sich immer vergegenwärtigen, daß Brinz kein Rechtsphilosoph war, der jedes Problem erschöpfend beleuchtet hätte, sondern daß er von seiner Sicht als Zivilist die Dinge sah; und für einen Zivilrechtler ist beispielsweise die Frage nach dem Verhältnis von Recht und Sittengesetz nicht so fundamental wie für einen Strafrechtler. 2. Recht und Sittengesetz sind für Brinz verschiedene Dinge 1 ; auf den Unterschied i n der A r t der Verwirklichung beider wurde bereits i m vorangegangenen Paragraphen hingewiesen 2 . Früher wurde auch schon gezeigt, daß Brinz das Recht einmal u. a. eine „dem Belieben des Ein49

Schletters Jb. 1857,135. Radbruch 106. 51 Zeit im Rechte 9. 52 Brockhaus 17. Auflage, 13. Band (1971), Stichwort „Naturrecht" S. 245; Coing 24. 1 ζ. Β. Ρ 3 106, 80; K V 21, 11 (Recht - Moral); AcP 70, 88 (juristisch-ethisch); Zeit im Rechte 9 ; Ρ 2 I I 506 Anm. 13 ; Ρ 2 I 212. 2 ο. § 16 Ziff. 1. 50

§1

Das Verhältnis des Rechts zu

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zelnen entrückte Moral" nennt 3 und damit sagen w i l l , das Recht erhalte seinen Stoff u. a. von der Moral 4 , nicht aber, es sei mit der Moral identisch. Wie aus Natur Recht wird, sagt Brinz ausführlich; wie die Moral aber i n das Recht eingeht, darüber finden w i r nichts ausdrücklich. Aus seiner Annahme, das Recht verwandle alles, was es bearbeite, zu Recht 5 , ist zu schließen, daß die Norm des Sittengesetzes dabei umgestaltet wird. Einmal sagt er nur: Die „Motoren", von denen sich das Recht i n seinen Satzungen bestimmen lasse, stünden zwar „außer und vor" dem Recht, so daß man ζ. B. das „aequum et bonum" auch unabhängig vom Recht, i n der Ethik und Moraltheologie, verfolgen müsse; aber wo und wie es i m Recht wirke, sei nur aus diesem ersichtlich®. I m Recht w i r k t das „aequum et bonum" — das ist die Moral 7 — offenbar also anders. 3. Savigny lehrt, das Recht diene zwar der Sittlichkeit, aber nicht, „indem es ihr Gebot vollzieht, sondern indem es die freye Entfaltung ihrer, jedem einzelnen Willen inwohnenden, K r a f t sichert" 8 ; es habe ein selbständiges Dasein und habe nur die allgemeine Aufgabe, der „sittlichen Bestimmung der menschlichen Natur" zu dienen®. Nicht nötig sei es, dem Recht außerdem noch ein zweites Ziel „unter dem Namen des öffentlichen Wohles", ein „staatswirthschaftliches" zu setzen 10 . Diesen Gedanken liegt Kants Auffassung zugrunde, die Rechtsordnung habe die größtmögliche Freiheit zu ermöglichen, die m i t der Freiheit der anderen zusammen bestehen könne 1 1 . Savigny begründet damit, wie Wieacker sagt, die Autonomie des Rechts von der Sittlichkeit selber „ethisch" 1 2 . Es wurde schon dargelegt, daß auch Brinz die Autonomie des Rechts von der Sittlichkeit bejaht 1 3 . Er begründet sie aber nicht ethisch. Das Recht hat für i h n keine ethische Bestimmung, sondern dient — wie gezeigt 14 — bestimmten Zwecken. Man w i r d die verschiedentlich auf3

o. § 10 Ziff. 2 = Zeit im Rechte 9. So ausdrücklich Zeit im Rechte 9. 5 Ebd. 9. β Ρ 3 80. 7 Ρ 2 I I 506 Anm. 13. 8 System 1332. • Ebd. 54. 10 Ebd. 54. 11 Wieacker, PRG 352, 375, 376. Ähnlich auch Puchta, Institutionen 52 u. ö.: „Das Recht besteht in der Anerkennung der Freiheit." 12 Wieacker, PRG 353. 13 o. § 16 Ziff. 2. 14 o. § 10 Ziff. 2; Brinz schätzt zwar die Freiheit des Menschen sehr hoch ein: Universalität 17. Er versteht sie aber wohl nicht wie Savigny im Sinne der „sittlichen Verantwortung der autonomen frei wollenden Person" — Wieacker, PRG 376 —, sondern mehr als Gegensatz zu der in der Natur waltenden Not4

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gezeigten naturalistischen Züge i m Brinzschen Denken, vor allem seine „naturhistorische" Auffassung des Rechts, auf dessen fehlende ethische Begründung zurückführen können. § 18

Das Verhältnis des Rechts zu Macht und Gewalt

1. Brinz hat am 13. 12. 1866 zu seinem Eintritt i n den akademischen Senat der Universität Tübingen einen Vortrag über die Tacitusstelle: „Jus apud cives, modestiam apud socios" (Annal. I, 9) gehalten; hauptsächlich hieraus können w i r seine Einstellung zur politischen Macht i n ihrer Beziehung zum Recht i m objektiven Sinn ersehen. Er geht hier der Frage nach, ob der Prinzipat des Augustus auf rechtmäßigem Wege entstanden sei. Die neuere Geschichtsschreibung habe i m Gegensatz zur älteren keine juristischen Bedenken gegen die Monarchie des Augustus. „Männer der That" seien m i t Cicero immer noch insoweit einig, daß Recht und Gewalt Gegensätze seien, und unterschieden sich lediglich darin von ihm, daß sie je nach den Umständen der Gewalt vor dem Recht den Vorzug geben würden 1 . Die „Feder" hingegen scheine diesen Gegensatz aufheben zu wollen; für sie werde „demnächst" das Recht nicht mehr der „Rahmen" sein, i n dem die Staatenentwicklung ablaufen müsse, vielmehr die „schmiegsam w e d v selnde Form", i n der die „aus dem Innersten der Dinge herausarbeitende K r a f t ihren jeweiligen Ausdruck hat". Entweder erscheine diese K r a f t als Gewalt, wenn sich ihr „unter dem angeblichen Titel des Rechts Eigennutz, Pedanterie, Unverständniss der Zeit" i n den Weg stellten, oder aber sie entwickle sich zu einem „Reiche des Friedens", wenn von einem anderen Gesetze, als das sie sich selber gebe, nicht mehr gesprochen werde. Als eine solche Kraft denke man sich das „Bedürfniss und den Gedanken der Cäsarenherrschaft" 2 . Brinz kommt i n seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, nach dem bisherigen Rechtsbegriff, „d. i. nach einem Massstabe der über der Kraft und dem Erfolge steht", wäre das Recht der augusteischen Monarchie sehr problematisch. Aber auch, wenn man sie nach „jenem anderen, i n der Erfindung begriffenen Recht, das eine innere Berechtigung zur That an ihrem äusseren Erfolge erkennt", beurteile, erhebe sich „etwas gleich einem Protest"; es sei dies die Tatsache, daß aus der Herrschaft der Cäsaren konsequent der „vollendete, den Herrscher schließlich prinzipiell über das Recht stellende Absolutismus" hervorgegangen sei 3 . wendigkeit (vgl. Universalität 17; zudem noch Ρ 1 1504, 1505: Notwendige Freiheit, die auf höheren, über das Recht erhabenen Gesetzen beruhe). 1 Jus apud cives 133. 2 Ebd. 134. 5 Ebd. 137.

§ 18 Das Verhältnis des Rechts zu Macht u n d Gewalt

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Dieser Absolutismus ist für Brinz keine „besondere Form oder Verfassung" des öffentlichen Rechts mehr, sondern nur die „Negation" 4 des öffentlichen Rechts; indem er sich über das Recht stelle, entbinde er den Herrscher, und damit auch dessen Gewalt und dessen „angebliches Recht, i n welchem alles öffentliche Recht aufgeht, von jeder rechtlichen Verpflichtung". Ein Recht, das nicht zugleich Verpflichtung sei, sei aber — wenn überhaupt ein Recht — nur Privatrecht; daher könne der Absolutismus, wenn er überhaupt ein Recht wäre, nur Privatrecht, und indem er die „Privatisirung der öffentlichen Gewalt" sei, nur die „Negation" des öffentlichen Rechts sein 5 . Brinz meint ferner, eine Politik der Regierung, die solchen „Erfolg" habe — gemeint ist wohl, die sich über das Recht setzt —, sei selbst dann, wenn sie rechtmäßig wäre, „verwerflich" ; um so mehr aber dann, wenn man zu ihrer Rechtfertigung das Recht dazu erst erfinden und machen müßte 6 . Das „jus apud cives" ist nach Brinz' Meinung nur das Privatrecht, an dessen „Befestigung" Augustus gegangen sei 7 . Es sei ein „fast r ä t s e l hafter Vorgang", daß sich dieses jus zur höchsten Perfektion entwickelt habe, während auf dem Gebiete des öffentlichen Rechtes das Unrecht immer weiter um sich gegriffen und nicht eher geruht habe, „als bis es i n der Gestalt der vollendeten Absolutie zur absoluten Rechtslosigkeit verwandelt war, — fast wie zum Beweise, dass das Recht eigentlich und n o t w e n d i g nur für die niedere Region des Privatrechtes, dass i n den höheren Schichten der öffentlichen Angelegenheiten dagegen die Gewalt da sei, und sein müsse, wo die Kraft, der Geist, das Genie" 8 . Es könnte hier der Eindruck entstehen, Brinz sei selber der Ansicht, das Recht sei notwendig nur für das Privatrecht da; dies ist jedoch nicht seine Auffassung. Er sagt nämlich: Als i n Rom die res publica vom Rechte abseits an die K r a f t und das Genie gekommen sei — „allein mit nichten deswegen, als ob das Recht überhaupt nur für die Familie, den Besitz und das Eigenthum da sei" —, habe „die Geschichte des sinkenden römischen Reiches" begonnen. Wie sich aber aus der dieser „Krise" vorausgegangenen Periode der römischen Geschichte ergebe, reiche auch das Recht nicht aus, u m die Staaten vor ihrem „inneren Zerfalle" zu bewahren; 4

Bei Brinz gesperrt. Ebd. 137. « Ebd. 137. 7 Ebd. 140; dort bemerkt Brinz noch, Augustus, der vielen Familien Hab und Gut genommen habe, sei vielleicht der erste gewesen, dem „die Wahlverwandtschaft, welche zwischen Privatrecht und Privatinteresse auf der einen, und der Usurpation auf der anderen Seite besteht", klar geworden sei. 8 Ebd. 140, 141; auch Coing 168, 169 meint bzgl. der absolutistischen Staaten, die Geltung des Rechts beschränke sich hier auf die Verhältnisse der Untertanen zueinander; das eigentliche Machtverhältnis bleibe ungeregelt. 5

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zum Recht müsse vielmehr die K r a f t hinzukommen, u m die Gewalt beim Rechte zu erhalten, „die K r a f t der über den Egoismus des Privatrechts und der Usurpation hinausgreifenden Idealität, i n welcher der Einzelne das Ganze wärmer umfasst, als sich selbst, und für die Rechte der Gesammtheit leidenschaftlicher erregt ist, als für sich selbst" 9 . Genau so sicher sei, daß die vom Recht getrennte Gewalt nicht immer beim Genie bleibe, daß sie bald auch das Genie unter sich bringe, schließlich bei sich selber anlange und so lange verbleibe, bis eine noch stärkere Faust von außen auch sie niederzwinge 10 . Man kann Brinz zu denen rechnen, für die Recht und Gewalt (Macht) Gegensätze sind und die das Recht der Macht vorziehen 1 1 ; i h m ist das Recht der Rahmen, dem sich die Staatsentwicklung fügen muß und steht über der K r a f t und dem Erfolg 1 2 ; die Entstehung des römischen Prinzipats ist nach seiner Ansicht unrechtmäßig erfolgt 1 3 . Er lehnt damit m. E. jede Rechtsentstehung durch Rechtsbruch ab 1 4 . 2. Sind nun zwar für Brinz Recht und Macht (Gewalt) Gegensätze 15 , so ist damit noch nicht gesagt, daß zwischen ihnen keine Beziehungen bestünden. Brinz nimmt eine gegenseitige Abhängigkeit beider an. W i r sahen bereits, daß für Brinz das Recht „zu Gebrauch und Genuß" existiert und diese allerorts von der Gewalt abhängen 16 . Wenn alle Gewalt i n der Hand eines Einzigen wäre, so wäre dieser auch der Herr über das Recht; nun bestehe aber die Gewalt „ i n tausenden und tausenden", deren Zusammenhalt auf die Dauer ohne „Eid und Gewissen, Recht 9 Jus apud cives 141; bzgl. der Leidenschaft für das Recht siehe außerdem Ρ 2 I 213. 10 Jus apud cives 141,142. 11 Vgl. auch Krit. Bl. I I I 7: „Wir wollen wünschen, daß das Recht immer Macht sei, und daß es keine Macht gebe, die nicht Recht sei." M i t der ersten Hälfte dieses Gedankens ist nicht gemeint, daß das subjektive Recht selbst physische Macht sei — das lehnt Brinz eigens ab (ebd. 8, zit. u. § 29 Ziff. 1) —, sondern nur, daß dem subjektiven Recht stets die „Executionsgewalt der Gerichte" (ebd. 6) zur Seite stehen möchte. 12 I n Ρ 2 I 407 sagt Brinz bzgl. der Qualifizierung der in integrum restitutio, es bleibe „nur die Wahl zwischen Redits- oder Machtsache"; außerdem ebd.: Der „innere Unterschied zwischen Rechts- und Machtsprüchen sei unzerstör^ lieh". 13 Jus apud cives 135, 140 („Unrecht"); vgl. auch Ρ 2 I 407: „Als nach Untergang der (republ.) Verfassung der Gegensatz von Recht und Macht seine gesetzlich typische Fassung verlor". — I n Zeit im Rechte 12 schreibt Brinz allerdings, in Rom sei „die Revolution selbst in den Formen Rechtens" vor sich gegangen. 14 Vgl. K V 2, 3: Der Umsturz von Verfassungen sei Unrecht; Ρ 3 132: Die Macht, durch das Wort Recht zu setzen, müsse selbst wieder aus dem Recht kommen, um wirklich Recht zu schaffen. 15 Auch das subjektive Recht ist ihm nicht selbst physische Macht: u. §29 Ziff. 1. 18 o. §14 Ziff. 3 ( = Element der Rechte Nr. 289; dort wird die Gewalt als „physische Macht" bezeichnet). Ähnlich Krit. Bl. I I I 8 mittlerer Absatz.

§18

Das Verhältnis des Rechts zu Macht u n d Gewalt

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und Pflicht" nicht denkbar sei; „das Recht selbst muß Mörtel und K i t t der Gewalt sein, wenn sie nicht allmälig zerbröckeln und zerfallen soll" 1 7 . Daher sei nicht nur das Recht von der Gewalt, sondern auch diese vom Recht abhängig. Hiermit hänge zusammen, daß wenigstens i m Bereich des Privatrechts viel mehr die Gewalt von den Gerichten, als die Gerichte von der Gewalt abhingen und daß man auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts, „wenngleich i m Unrecht, sich wenigstens die Miene des Rechtes zu geben trachtet" 1 8 . Wie wahr das zuletztgenannte Wort ist, zeigt die Herrschaft der Nationalsozialisten. Aber das Recht bedarf der Hilfe von Macht und Gewalt nicht nur zur Durchsetzung i n der Tatsächlichkeit, sondern es verdankt bereits seine Entstehung der Macht. Das gesetzliche Recht entspringt, wie w i r schon sahen, „einer politischen . . . Potenz, der Macht und Stärke", das Juristenrecht dagegen nur einer „geistigen" Macht, der Jurisprudenz 19 . Macht ist schließlich auch erforderlich, u m gegen ein hartes und ungerechtes Recht anzugehen. Brinz bezeichnet die Gnade als eines der „Motive", „aus denen die Macht gegen das Recht verfährt"; ein anderes derartiges „ M o t i v " sei die Gerechtigkeit, die „nicht in, sondern entgegen und über dem Rechte sein soll" und die ohne die Macht „nichts gegen das Recht vermöchte" 20 . Brinz spricht hier von der Erscheinung, daß eine durch die Gerechtigkeit gebotene Rechtsänderung nur durch Macht herbeigeführt werden kann. Das Wort „ M o t i v " läßt auch daran denken, was Coing i m Auge hat: Der Satz „justitia fundamentum regnorum" bedeute, daß die Gerechtigkeit gegenüber den Untertanen die Grundlage der Machterhaltung sei; die Gerechtigkeit werde dann letzten Endes nicht nur u m ihrer selbst willen, sondern auch zwecks Erhaltung der Herrschaft ausgeübt 21 . 3. Wenn Brinz von der Gewalt sagt, sie sei „etwas, das ganz abgesehen von Recht und Unrecht gebannt werden muß" 2 2 , so sieht er i n ihr offenbar etwas Gefährliches. Da freilich das Recht übersinnlich ist, kann i h m die Gewalt nichts anhaben. Das Recht siegt über Unrecht und Gewalt, es ist unverletzlich 2 3 . 17 Element der Rechte Nr. 289. Siehe zudem Ρ 3 107: „Die Gewalt, welche in ihrer höheren Potenz, als Zusammensetzung von Einzelgewalten (manus militaris), ohne Rechtsverband selbst nicht haltbar ist." Vgl. auch Coing 168: Die Macht habe selber ein Interesse an der Ausbildung einer Rechtsordnung, denn diese stabilisiere erst den geschaffenen Zustand. 18 Element der Rechte Nr. 289. Vgl. auch § 29. 19 o. § 15 Ziff. 1 b. Vgl. auch Ρ 3 132. 20 Ρ 2 1407. 21 Coing 168. 22 K V 23,402. 28 Vgl. ο. § 14 Ziff. 1 und 2 und u. § 19 Ziff. 3 (Rechtsgefühl als „Hilfsmacht"). Erinnert sei an dieser Stelle auch an die in den subjektiven Rechten gelegene „rechtliche" Macht: Vgl. o. § 14 Ziff. 3.

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§ 19

Rechtsidee — Rechtswertung

1. W i r haben schon gezeigt, daß Brinz das Vernunftrecht ablehnt; er spricht von der Uberwindung der „Wandlung der Rechtsphilosophie", sich selbst zum Recht zu erheben 1 . Brinz geht aber noch weiter. „ A l l e i n auch die Meinung irgend eines Systems, i m Besitze der Rechtsidee zu sein, und aus ihr heraus sagen zu können, was Rechtens sein soll, steht über oder unter dem bloßen Erkennen" 2 . I m unmittelbaren Anschluß bringt er das folgende Hegel wort: „ U m noch über das Belehren, wie die Welt sein soll, ein Wort zu sagen, so kommt dazu ohnehin die Philosophie immer zu spät 3 ." Brinz fährt hier fort: „Ueber das Recht läßt sich nichts lernen als aus dem Recht"; ein Buch — gemeint ist Jherings „Geist des römischen Rechts" —, das auf „den Entstehungsprozeß des römischen Rechts hellere Lichter" werfe, als jedes andere, habe diese „an i h m selbst entzündet" 4 . Was w i l l Brinz damit sagen? Lehnt er eine Rechtsidee ab oder hält er die Behauptung einer Rechtsphilosophie, aus der Rechtsidee heraus konkrete Aussagen über die Lösung von Rechtsproblemen machen zu können, für Spekulation? Vielleicht h i l f t uns das von Brinz angeführte Hegelzitat weiter. Hegel meint, die Philosophie erscheine „als der Gedanke der Welt" erst, nachdem die „Wirklichkeit ihren Bildungsproceß vollendet" habe; wenn die Philosophie „ i h r Grau i n Grau" male, sei „eine Gestalt des Lebens alt geworden" und lasse sich m i t „Grau i n Grau" nicht „verjüngen, sondern nur erkennen" 5 . Offenbar denkt Brinz daran, irgendwelche Aussagen über die Rechtsidee könne man nur machen, indem man das vorhandene positive Recht erkenne und analysiere; Reflexionen der Rechtsphilosophie über das Recht, aber losgelöst von dem konkret existenten Recht, scheinen i h m wertlose Phantasterei zu sein, wie er ja überhaupt der Rechtsphilosophie skeptisch gegenübersteht 6 . Recht ist für Brinz nicht die Verwirklichung eines Wertes, eine an der Idee der Gerechtigkeit ausgerichtete Ordnung, sondern erklärt sich aus sozialen Ursachen: Anlaß und Zweck sind die menschliche Gemein1

o. §11 Ziff. 1; Ρ 3 79. Ρ 3 79. 3 Grundlinien 36. 4 Ρ 3 80; vgl. noch Universalität 11: Für uns Menschen sei das Allgemeine nur in den einzelnen Dingen faßbar; „selbst die Ideen des Guten, Schönen, Gerechten können wir nur in gewissen Specialisirungen denken, sehen". 5 Hegel, Grundlinien 36, 37. 6 Protokolle I 3214; vgl. auch Savignyrede 6: Vor Savigny seien Ideen, die die Philosophen über das Recht gehabt hätten, in hohem Ansehen gestanden, das wirklich gewordene Recht aber verachtet worden. Außerdem Coing 61: Für den Positivismus lägen „Werturteile ethischer oder ästhetischer Art . . . außerhalb wissenschaftlicher Erkenntnis". 2

§ 19

Rechtsidee — R e c h t s e r t u n g

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schaft . Es ist daher nur konsequent, wenn er darauf verzichtet, solchen Werten und Ideen außerhalb des Rechtes nachzugehen. Schon i m vorletzten Paragraphen wurde aufgezeigt 8 , daß er zwar annimmt, die „Motoren" des Rechts stünden außer und vor dem Recht und müßten auch außerhalb des Rechts verfolgt werden, daß er aber meint, ihre Wirkweise könne nur i m Rechte erforscht werden. Was hier außer dem genannten „aequum et bonum", der Moral 9 und der „utilitas publica" noch unter Motor zu verstehen ist, sagt Brinz nicht. Da er aber die Moral an anderer Stelle auch als Stoff bezeichnet, aus dem das Recht gewonnen werde 1 0 und ein ander Mal Gerechtigkeit, Billigkeit, Güte und „gemeine Wohlfahrt" als Stoff deklariert werden 1 1 , w i r d man auch die eben erwähnten Größen unter den Begriff „Motor" subsumieren können. Daraus würde folgen, daß auch Gerechtigkeit und Billigkeit i n ihrer Wirkung auf das Recht nur i n diesem selbst verfolgt werden können. Der Verzicht, den Werten und Zielen des Rechtes nachzugehen, ist Ausdruck positivistischen Denkens 12 . Vermutlich ist Brinz i n seiner A b neigung gegen die Erörterung der Rechtsidee durch die Römer beeinflußt, bei denen es „eine ausgeführte Überlegung und Erörterung der Idee des Rechts . . . fast gar nicht" gab 13 . 2. Werte wie Gerechtigkeit und Billigkeit lehnt Brinz nun aber nicht etwa ab; als Rechtsidee erscheinen sie bei i h m freilich nicht ausdrücklich. Seine Äußerungen über die Gerechtigkeit finden sich i n der Hauptsache bei der Darstellung der i n integrum restitutio. Der Stoff, aus dem der Anspruch auf i.i.r. hergeleitet worden sei, sei derselbe wie der, aus welchem die rechtlichen Ansprüche meistens entstanden seien: Gerechtigkeit, Billigkeit, danach auch Güte und „gemeine Wohlfahrt" — diesen Gedanken lernten w i r eben schon kennen. „ A l l e i n diese Mächte gerathen hier großentheils nicht etwa blos m i t dem alten, strengen Rechte, sondern mit dem Rechte und der Rechtsordnung überhaupt i n Widerstreit, und werden darum, w i r möchten glauben einzig darum, von den früheren Formationen des Rechtes i n dieses selbst nicht einbezogen und aufgenommen, vielmehr m i t ihren, allem bisherigen Rechte entgegentretenden Anforderungen als eine Machtsache außerhalb desselben be-

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Ρ 3 105,106. ο. § 17 Ziff. 2. 9 Vgl. Ρ 2 I I 506 Anm. 13. 10 Zeit im Rechte 9. 11 Ρ 21415. 12 So richtig Coing 174. 13 Stammler, Rechtsphilosophie 23; vgl. auch Wieacker, PRG 441 Anm. 26: Fehlen der „ausdrücklichen Reflexion auf abstrakte Gerechtigkeit" in der römischen Jurisprudenz. 8

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I I . Teil, 2. Kap.: Der Begriff des

echts i m objektiven Sinn

lassen worden sein" 1 4 . Aber nicht nur i n diesem Anfangszustand des Rechts ist die Gerechtigkeit außerhalb des Rechtes, sondern generell; Brinz sagt nämlich, wovon w i r schon sprachen 15 , die Gerechtigkeit „soll" nicht „in, sondern entgegen und über dem Rechte" sein, fungiere daher nur als ein „ M o t i v " der Macht, ohne die sie nichts gegen das Recht „vermöchte" 1 6 . Und bereits i m österreichischen Reichsrat äußert er einmal: „Über dem Rechte, wenn und wo dasselbe i n Collision und i n Conflikt kommen sollte, steht die Gerechtigkeit. Denn das weiß jeder, daß das nicht dieselben Dinge sind 1 7 ." Brinz schwebt die Gerechtigkeit also als eine Größe vor, die die Korrektur und Ergänzung des positiven Rechts postuliert; sie ist i h m daher die Rechtsidee i m herkömmlichen Sinn 1 8 . Gehen w i r nun über zur Billigkeit. Brinz spricht von dem „Gesetz der Billigkeit" 1 0 . Sahen w i r eben, daß sie i h m der „Stoff" ist, aus dem Rechtsansprüche entstanden sind, so redet er gleichbedeutend von „Elem e n t " 2 0 oder dem „ G r u n d " 2 1 . Wie bemerkt, nennt er sie auch ein „Werkzeug" oder „ M o t i v " der römischen Jurisprudenz 22 . Indem er sie der Natur gegenüberstellt, bezeichnet er sie einmal als „die dem Menschen selber entquillende, h i n und her wogende, wägende, richtende B i l l i g k e i t " 2 3 . Sie sei etwas Natürliches („naturalis aequitas") und i n manchen Fällen „entschieden Vorgezeichnetes"; i n ihren „Forderungen und Errungenschaften" liege aber „mehr Freiheit, als beweismässige Nöthigung", so daß dann doch vereinfachend nur von der „Freiheit der Rechtsbildung auf dem Boden der aequitas" bei Brinz die Rede ist 2 4 . Die aequitas sei naturalis, weil „sie selbst noch nicht Recht ist"; die Dinge aber, die „diesseits und jenseits i n ihre Wagschale kommen, sind nicht etwa blos Naturdinge, wie man sie auf der Stadtwage sieht, sondern 14 Ρ 2 I 415; Brinz verweist am Ende des Zitats auf § 115, wo aber nur die Gnade und Gerechtigkeit als Motiv bezeichnet werden, aus dem die Macht gegen das Recht verfährt. I n Ρ 1 113 heißt es: „Die Gerechtigkeit, in welcher restituirt wird, ist so weit möglich geregelt worden durch . . . " " o. § 18 Ziff. 2. 16 Ρ 2 1407. 17 Protokolle 11033. 18 Vgl. etwa Henkel § 27, insbesondere S. 322. Folgende Äußerungen Brinz' sind noch zu nennen: „Geschichtliche Gerechtigkeit" (Besitzklagen 621); „ausgleichende Gerechtigkeit" (P 2 I I 572); „justitia distributiva" (Possessio 126; Fiskus 481). 19 ζ. B. Compensation 79, 80,154; Ρ 2 I I 59. 20 Ρ 2 1373; Schletters Jb. 1855,19. 21 Ρ 2 I 112 ( = Ρ 3 131): Gründe des Rechts: Billigkeit, Zweckmäßigkeit, Gunst, Gemeinnützigkeit. Ρ 2 1373: der „materielle Grund". 22 o. § 5 Ziff. 2 a. 23 Schletters Jb. 1857,135. 24 Ebd. 135.

§ 19

Rechtsidee — Rechts Wertung

95

Dinge und Gedanken des Rechts, nicht selten die Ergebnisse der schwierigsten juristischen Erörterung" 2 5 . Recht und Billigkeit werden von Brinz also unterschieden. Wann hat nun die Billigkeit gegen das Recht vorzugehen? Einmal fordert er sie, wie w i r schon sahen, als „Gegengewicht gegen eine offenbare Ungleichheit, zu welcher das Recht durch den Zufall der Umstände herabsinkt" 2 6 , zum anderen verlange die aequitas einen Widerstand gegen den „rigor j u r i s " 2 7 oder die „Geradheit des Rechtes" 28 . Zusammenfassend w i r d man sagen können, daß Brinz die Billigkeit gleichfalls als ein Korrektiv des Rechtes betrachtet, das m i t seinen Forderungen dem positiven Recht entgegentritt. Für die frûherén Formationen des Rechts nimmt Brinz an, sie sei als eine Machtsache außerhalb des Rechtes belassen worden 2 9 ; für die gegenwärtigen Verhältnisse sagt er aber nicht wie bei der Gerechtigkeit, daß sie ohne die Macht nichts ausrichte. Bedeutet dies, daß sich die Billigkeit schon über die Jurisprudenz Geltung verschaffen kann? Dies würde m i t Brinz* Feststellung übereinstimmen, die Billigkeit sei ein „Element", m i t dem die Jurisprudenz überall arbeite 30 . Es stellt sich nun noch die Frage, i n welchem Verhältnis Gerechtigkeit und Billigkeit zueinander stehen; Brinz erklärt sich nicht ausdrücklich dazu. Stammler sagt, die Billigkeit sei „vom Gedanken der Gerechtigkeit überhaupt nicht verschieden" 31 . Eine ähnliche Vorstellung scheint m i r auch Brinz zu haben. Indem er die Billigkeit u. a. als ein Gegengewicht gegen eine offenbare Ungleichheit bezeichnet 32 , so w i l l er wohl der Einzelfallgerechtigkeit zum Siege verhelfen 33 . Noch eine andere Stelle sei hier angeführt, aus der man schließen könnte, daß für Brinz die Billigkeit der weitere Begriff ist, i n dem auch die Gerechtigkeit enthalten ist: Die Exzeptionen beruhen i h m auf Billigkeit; als Grund dafür, daß auch das „aus dem aequum und bonum stammende Recht", besonders das Recht der bonae fidei negotia, „trotzdem exceptio doli b. i. j u d i ciis inest", noch Exzeptionen ausgesetzt ist, erwägt er u. a.: „Es sei nun 25

Ebd. 135; vgl. auch Krit. Bl. I I I 55: „ . . . folgt daraus, daß etwas billig ist, noch lange nicht, daß es auch Recht sei." Außerdem Ρ 1 577: Recht und Billigkeit. 28 Krit. Bl. I I I 45 ; o. § 5 Ziff. 2 a. 27 Krit. Bl. I I I 47. 28 Ρ 2 I 375; Brinz bezieht sich hier in Anm. 2 auf Donatus in Terent. Adelph.

I, 1: „Inter jus et aequitatem hoc interest: jus est quod omnia recta et Inflexibilia exigit; aequitas est, quae de jure multum remittit." 29 Ρ 2 1415. 30 Schletters Jb. 1855,19. 31 Rechtsphilosophie 320. 32 Krit. Bl. I I I 45. 33 Die Billigkeit ist für Henkel 327 die Einzelfallgerechtigkeit.

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I I . Teil, 2. Kap. : Der Begriff des Rechts i m objektiven Sinn

daß die bona fides und das aequum et bonum der b. f. negotia die Aequitas nicht erschöpfte und nicht erschöpfen wollte, vielmehr nur die speciell diesen Geschäften ziemliche Treue, Gerechtigkeit und Güte sein sollte, so daß darüber hinaus noch manche Aequitas lag, welche ebenso sehr gegen das zur Regel abgeschlossene jus aequum der b. f. judicia, als entgegen dem jus strictum Anerkennung verlangte" 3 4 . W i r ersehen daraus auch, i n welch naher Beziehung Billigkeit und Moral bei Brinz zueinander stehen; das aequum et bonum ist i h m ja Moral 3 5 , und auch Begriffe wie Treue und Güte gehören diesem Bereich an. Unter den „Gründen" des Rechts nennt Brinz u. a. auch die Zweckmäßigkeit 3 6 ; Henkel bezeichnet sie neben der Gerechtigkeit und Rechtssicherheit als Grundtendenz der Rechtsidee 37 . M. E. denkt Brinz bei der Zweckmäßigkeit aber nicht an etwas so Weitgehendes wie die Rechtsidee. 3. Endlich wollen w i r noch auf eine Rechtsidee eingehen, auf die Brinz zu sprechen kommt. Diese Rechtsidee betrifft nicht den Inhalt des Rechts 38 , sondern seine Existenz an sich; sie ist naturrechtlicher Herkunft 3 0 . Es wurde gezeigt, daß Brinz die Notwendigkeit (und den „Grundzug") des Rechts i n der Schöpfung begründet sieht; das Recht ist „vorausgedacht", es entspringt einer Idee, es ist „die göttliche Idee zur Menschensatzung gestaltende menschliche Vereinbarung und Schlußfassung" 40 . Den Begriff der Idee erläutert Brinz folgendermaßen: Er sieht einen Zusammenhang der Gedanken m i t dem menschlichen Herzen; unsere besten Gedanken kämen aus der Brust; und die tiefsten stiegen i n unser Herz nieder; das seien diejenigen Gedanken, „welche wie das wesentliche des Rechts nicht erst von uns und zufällig, sondern mit unserer ersten Anlage und Entwickelung gedacht und entwickelt sind"; solche Gedanken nennt Brinz Ideen 41 . Eine solche ist i h m auch die Rechtsidee. Weil diese Ideen „ m i t uns selbst erdacht und gedacht sind", erfüllten sie uns ganz und hätten daher auch „Macht i n uns, über uns" 4 2 . Die „Macht der Rechtsidee" ist für Brinz, wie w i r schon sahen 43 , die 34 Ρ 2 I 374; vgl. auch ebd. 376: „ . . . die gesamte Aequitas nicht erschöpfendes Billigkeitsrecht." 35 So Ρ 2 I I 506 Anm. 13; vgl. aber auch Krit. Bl. I I I 55, wo er bei Cicero mit bonum und aequum wohl die Billigkeit meint. 36 Ρ 3 131 ; schon o. Anm. 21 zitiert. 37 S. 300, 331. 38 Zur Rechtsidee in diesem Sinne vgl. etwa Henkel 299, Engisch 189,190. 39 Vgl. o. § 10 Ziff. 2. 40 o. § 10 Ziff. 2 mit Anm. 22, 23. 41 Element der Rechte Nr. 289. 42 Ebd. Nr. 289. 43 o. § 14 Ziff. 3.

§ 19

Rechtsidee — R e c h t s e r t u n g

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„Hilfsmacht", die dem Recht und der übersinnlichen Macht i n den Rechten zur Seite steht und w i r d von i h m Rechtsgefühl genannt. „Rechtsgefühl heißt die Regung der Seele, i n welcher die Macht der Rechtsidee wirksam w i r d " . Das Rechtsgefühl sei, der Elektrizität vergleichbar, positiv und negativ. Positiv sei es „Anerkennung und Achtung fremder Rechte", negativ „Unmut, Erbitterung, Empörung, Verzweiflung über das Unrecht", das uns und anderen geschehe44. Brinz spricht dann noch von einem „Glauben an das Dasein des Rechtes und der Rechte . . . , das weder mit sinnlicher Wahrnehmung, noch mit verstandesmäßiger Ueberzeugung" zusammenfalle und das die Vorbedingung für die Regung des Rechtsgefühls sei. Solange die Idee des Rechtes i n uns lebe, existiere auch der Glaube daran 4 5 . Das Rechtsgefühl, meint Brinz, werde nicht „in's allgemeine, sondern nur konkreten Thatsachen gegenüber, die vorher auf- und angenommen sein müssen", tätig. Dieses Gefühl werde niemals aussterben; sein „Vorrücken" und „Zurückschreiten" scheine aber „ i m Wechsel der Zeiten" möglich zu sein. „Seinem Rückschritte zu steuern gelingt aber vielleicht der Erkenntniß, daß dieses Gefühl keine gemeine Passion ist; daß es mit unseren tiefsten Gedanken in Verbindung steht, und daß, wer es verleugnet, den Adel der menschlichen Natur selbst verleugnen muß 4 6 ." 4. Brinz' Gedanken über die Gerechtigkeit geben uns Gelegenheit zu untersuchen, wie er zu der Frage der Rechtswertung steht. W i r haben gesehen, daß die außerhalb des Rechts stehende Gerechtigkeit ohne die Macht gegen das Recht nichts vermöchte 47 . Das heißt doch wohl, daß auch ein ungerechtes Recht immer noch ein verbindliches Recht und nicht Unrecht ist; diese Konsequenz stimmt mit dem — formalen — Unrechtsbegriff überein, den w i r bei Brinz antreffen: Unrecht ist i h m die Verletzung, Mißachtung des (positiven) Rechts 48 . A u f der anderen Seite sagt er einmal, wie schon erwähnt 4 9 , daß man sich auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts, wenn auch „ i m Unrecht", wenigstens „die Miene des Rechtes" zu geben bestrebt sei 50 . Man w i r d annehmen müssen, daß i n diesem Falle die Gesetze Unrecht wären. Auch redet er davon, das Gesetz sei ein „Gefäß", das sowohl einen 44 Element der Rechte Nr. 289. Die gleichen Gedanken erscheinen dann auch in Ρ 2 I 212, 213; die einschlägige Stelle wurde o. § 14 Ziff. 3 mit Anm. 32 zitiert. Das Wort Rechtsgefühl fällt dort zwar nicht, letzteres ist aber gemeint. 45 Element der Rechte Nr. 289. Vgl. auch Schillerrede 9 : Glaube an göttliches Gesetz; außerdem o. § 14 Ziff. 3. 46 Element der Rechte Nr. 289. 47 Ρ 2 1407; ο. § 18 Ziff. 2. 48 Vgl. etwa K V 2,3; Element der Rechte Nr. 289; Ρ 3 107. 49 ο. § 18 Ziff. 2. 50 Element der Rechte Nr. 289.

7 Rascher

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I I . Teil, 2. Kap. : Der Begriff des Rechts i m objektiven Sinn

schlechten wie guten „Gehalt" haben könne 5 1 sowie von möglichen Lügen „ i n Gesetzesgestalt" 52 ; außerdem von einem „Unrechtsleben" (in Gegenüberstellung m i t einem „Rechtsleben"), das der „correspondirende böse Geist i m Rechte" sei 53 sowie von einem „Produkt deutscher Rechtsund auch Unrechtsentwicklung" 5 4 ; m i t letzterem meint Brinz, daß Güter, die einst den Genossen zur gesamten Hand gehört hätten, i n eine andere Hand (die einer geistlichen oder weltlichen Herrschaft oder des Staates) gelangt und ihren ursprünglichen Herrn nur noch zu beschränkter Nutzung verblieben seien 55 . W i r sehen also, Brinz steht dem Unrecht i n Gesetzesgestalt keineswegs blind gegenüber. Nicht klar ist allerdings, welche Konsequenzen er daraus zieht, insbesondere ob ein derartiges Recht unbeachtlich ist. I n einem konkreten Falle hält er die Übertretung eines Gesetzes aus dem Gesichtspunkt des „moralischen Notstands" für erlaubt 5 6 ; ob man diesen Einzelfall verallgemeinern darf, erscheint höchst fraglich.

51

Verein I 6: Die Berufung auf ein Gesetz könne daher bedenklich sein. Ρ 3 112. 53 Schletters Jb. 1855,197; o. § 16 Ziff. 2. 54 Ρ 2 I I I 490. 55 Ebd. 490. 56 Verein I 7: Brinz meint, wenn ein Gesetz den Siebenbürger-Sachsen in Ungarn alles verbieten würde, um ihre deutsche Nationalität zu erhalten, so dürfe ihr deutscher Schulverein dennoch weiter tätig sein, denn der letzte Grund für seine Berechtigung liege nicht „im Recht und Gesetz, sondern in der Pflicht". 52

Drittes

Kapitel

Die Entstehung und Aufhebung des Rechts im objektiven Sinn § 20

Die Rechtsquellen

1. So „nothwendig, oder so vorausgedacht" das Recht auch nach Brinz ist 1 , so beruhe es doch auf „freier That, menschlicher Satzung". Alles Recht entstehe entweder durch Worte, oder durch Werke; denn entweder werde erst gesagt, „was Rechtens sein soll", und sei Rechtens, was gesagt worden sei, oder es werde, „was Rechtens sein soll, sofort gethan, und Recht, was als solches geübt w i r d " 2 . Brinz erkennt damit das Gesetz und die Gewohnheit als Rechtsquellen an 8 . Zwischen diesen beiden Entstehungsarten lägen noch „gewisse Mischarten" 4 ; erwähnt w i r d dann allerdings nur eine, nämlich die „consiliarische und richterliche" Rechtsanwendung, die Brinz „Rechtsprechung" nennt 5 . Diese „Rechtsprechung" ist i h m ebenfalls eine Rechtsquelle 8 . I n ersterer verbinde sich das „Eigenartige der legislativen und der gewohnheitsmäßigen Rechtsentstehung": Als „Rechtsprechung" sei diese Rechtsentstehung Wort; und da sie nicht bereits m i t dem ersten Wort, sondern erst durch „stete Wiederholung, oder allmähliche Annahme von Seite der Berufenen" zum Recht werde, gleiche sie der zur Gewohnheit führenden Übung. Die „cautelarische" Rechtsanwendung bezeichnet Brinz hingegen als eine „gewisse Seite der Rechtsübung (in Rechtsgeschäften)", die darin auch zur Gewohnheit führen könne 7 . I n einer Rezension sagt Brinz indessen, außer dem Gesetz und der Gewohnheit gebe es keine Rechtsquellen; „der Durst nach weiteren 1

Vgl. schon o. § 10 Ziff. 2 mit Anm. 22. Ρ 3 132. Ähnlich Ρ 2 I 238 (das objektive Recht sei eine Tat, nicht nur ein Papier noch „sonst ein todtes Ding, sondern ein gewisses Wollen, es sei nun ein wörtlich ausgesprochenes der gesetzgebenden Factoren, oder ein sachlich geoffenbartes der gewohnheitsmäßigen Uebung"). Siehe auch Universalität 17: Freiheit als Schöpferin des Rechts. 3 Bzgl. des Begriffs Rechtsquelle siehe Ρ 3 6. 4 Ebd. 132. 5 Ebd. 134. 6 So ausdrücklich ebd. 147. 7 Ebd. 134; über das Erwachsen der römischen Responsen zu Recht siehe schon o. § 5 Ziff. 2 a. 2

i*

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I I . Teil, 3. Kap.: Entstehung u. Aufhebung des

echts i m Objekt. Sinn

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Rechtsquellen ist a priori nicht gerechtfertigt" . Aber auch hier läßt er den Inhalt von Gerichtsentscheidungen zu Rechtssätzen werden; die „fachmännisch juristische Praxis", durch die es geschehe, subsumiere sich der Gewohnheit 9 . Faktisch ist damit die „Rechtsprechung" auch hier eine Rechtsquelle, allerdings nur als Unterfall der Gewohnheit. I n den Pandekten w i r d die „Rechtsprechung" dann zu einer eigenständigen Rechtsquelle erhoben. Der Sache nach ist also kein Unterschied zwischen Brinz' Gedanken i n den Pandekten und i n der genannten Rezension. I n dieser Besprechung hält Brinz den Satz, daß Gesetz und Gewohnheit binden, für einen feststehenden Rechtssatz, mit dem der Grund auch für das Recht der Rechtsquellen gelegt sei; Detail über diese finde sich i n ihnen selbst, über die Gewohnheit i n der Gewohnheit und auch i n den Gesetzen, über die Gesetze i n den Gesetzen, gemeinrechtlichen wie partikulären 1 0 . W i r haben hier eine Präzisierung der schon kennengelernten „Sichselbstbestimmung" des Rechts vor uns 1 1 . 2. Wort und Werk, Gesetz, Gewohnheit und „Rechtsprechung" haben nach Brinz „ i n der Rechtssetzung jedes ihren eigenen Beruf". Ohne „volksmäßige Uebung" sei ein Aufkommen der Rechtsgeschäfte undenkbar; wenn die Gesetzgebung einmal solche einführe, bleibe es leicht bei dem „ Abstractum — einer Gattung von Pflanzen, welche die Möglichkeit haben zu wachsen, aber nicht wachsen" 12 . Die „Grundarten der Rechte", wie Besitz, Eigentum und die Gewalten der Familie und des Staates hält Brinz für „Gegenstände so drängenden Begehrens und Bedürfnisses", daß auch sie früher i n der Tat ihre Ausübung, als i n dem Wort ihre Anerkennung und Festsetzung gefunden hätten. Sache des Wortes sei die Gewährung und Garantierung der bereits vorhandenen Rechte und Rechtsgeschäfte, sowie die Fixierung und Einschränkung 13 . Die „Rechtsprechung" habe ein fest abgegrenztes Wirkungsgebiet; sie setze einen Streitfall voraus und mache, m i t Ausnahme der Status- und ähnlicher Sachen, nur jus inter partes, wende dabei also nur vorhandenes Recht an, mache aber kein neues. „ A l l e i n abgesehen davon, daß sie das reine Recht i n angewandtes verwandelt, i n der Analogie nurmehr halb auf vorhandenem Rechte steht und durch hinzukommende Bewährung zum jus inter omnes wird, so steht sie auch m i t dem Gewohnheitsrechte i n gewisser Wechselwirkung" 1 4 . Diese sieht Brinz darin, daß 8 K V 15, 164; diese Rezension erschien 1873, also kurz vor dem Erscheinen des hier einschlägigen Teils der 2. A. der Pandekten (§§ 26 ff.). 9 K V 15,164; näher dazu u. § 23 Ziff. 1. 10 Ebd. 164. 11 o. § 10 Ziff. 1. 12 Ρ 3 134,135. 13 Ebd. 135; näher zur Aufgabe der Gesetzgebung in § 22. 14 Ρ 3 135.

§ 20

Die Rechtsquellen

101

einerseits eine Übung wohl nur mit einer zustimmenden „Rechtsprechung" zu Gewohnheitsrecht werde, daß sich andererseits auch die „Rechtsprechung" den zur Gewohnheit führenden Motiven nur schwer entziehen könne und ihr durch Anknüpfung an bereits vorhandenes Recht entgegenzukommen bestrebt sei 15 . 3. W i r wollen uns jetzt noch etwas mit der Rechtsquelleneigenschaft der „Rechtsprechung" auseinandersetzen. Rechtsquelle ist die „Rechtsprechung", wenn die Entscheidung auf Analogie beruht 1 6 ; ferner ist sie i n den Fällen, i n denen bei der logischen Schlußfolgerung der „Vorder-" oder „Mittelsatz" selbst noch unsicher oder bedenklich ist „Rechtsquelle nicht sowohl dadurch, daß sie reines Recht i n angewandtes verwandelt, als dadurch, daß sie durch Entscheidung des Concreten das Allgemeine befestiget" 17 . Ist m i t diesem Satz gesagt, daß i n anderen Fällen die „Rechtsprechung" Rechtsquelle ist, wenn sie „reines" Recht i n „angewandtes" verwandelt 1 8 , daß aber hier gar keine derartige Verwandlung vonstatten geht, weil sich das „reine" Recht noch nicht abschließend gebildet hat? Brinz drückt sich hier sehr unklar aus. Generell fordert er ja für die Entstehung von Recht durch die „Rechtsprechung" eine stete Wiederholung 19 . Verlangt er eine solche Wiederholung auch bei der Verwandlung von „reinem" Recht i n „angewandtes"? I n § 19 der Pandekten (2. und 3. Auflage), wo von dieser Umwandlung ausführlicher die Rede ist, steht nichts von einer notwendigen Übung 2 0 . I n der i n der vorigen Ziffer zitierten Stelle, wo diese Umwandlung neben der Analogie genannt ist, spricht Brinz von einer „hinzukommenden Bewährung" lediglich hinsichtlich der Analogie 2 1 . A u f der anderen Seite bemerkt er, die durch die Praxis bewirkten Modifikationen des „reinen" römischen Rechts seien erst durch lange gleichförmige Übung und Anwendung zu Recht geworden und verweist dabei auf § 19 der Pandekten 22 . Wahrscheinlich ist Brinz' Meinung die, daß erst durch die Wiederholung „reines" Recht zu „angewandtem" wird, so daß also auch insoweit die „Rechtsprechung" eine Rechtsquelle wäre 2 3 . Diese Annahme hat zur Konsequenz, daß das „angewandte" Recht i m Vergleich zum „reinen" neues 15

Ebd. 135,136. Ebd. 135. 17 Ebd. 147 ; näher dazu u. § 28 Ziff. 2 a. 18 Daß sie dies tut, wird ausdrücklich gesagt: Ρ 3 135. 19 Ebd. 134. 20 Ebd. 108. 21 Ebd. 135. 22 Ebd. 10. 23 Wenn Brinz in Ρ 3 108 sagt, das Juristenrecht ( = „angewandtes" Recht) beruhe auf „bloßer" Rechtsanwendung, so ist damit nur ausgedrückt, es basiere nicht auf Konstituierung, nicht aber ausgeschlossen, daß Übung erforderlich ist. Bzgl. der Übung bei der richterlichen Auslegung siehe Ρ 3 139. 16

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I I . Teil, 3. Kap. : Entstehung u. Aufhebung des Rechts i m Objekt. Sinn

Recht, neue Rechtssätze enthalten muß 2 4 . Hiermit stimmt überein, daß Brinz das „angewandte" Recht mit dem Juristenrecht gleichsetzt und dieses nach seiner Vorstellung ja neues Recht birgt 2 5 . Es wurde schon früher gezeigt, daß dieses Juristenrecht oder „angewandte" Recht auf der Rechtsanwendung allgemein, also auch auf der „cautelarischen", beruht 2 6 . Brinz sieht aber nur die „Rechtsprechung", nämlich die „consiliarische und richterliche" Rechtsanwendung als Rechtsquelle an; das durch sie erzeugte Recht ist wohl — Brinz sagt dies erstaunlicherweise an der Stelle, wo er die Rechtsentstehung behandelt, nicht 2 7 — das Juristenrecht. Die „cautelarische" Rechtsanwendung ist dagegen nur, wie bereits dargelegt, eine Seite der Rechtsübung und kann zur Gewohnheit führen 2 8 . Daraus folgt, daß das Juristenrecht, soweit es auf der „cautio" basiert, doch eigentlich Gewohnheitsrecht ist; soweit es seine Entstehung der „Rechtsprechung", die ja eine „Mischart" aus Gesetzgebung und Gewohnheit ist, verdankt, ist es ein dem Gewohnheitsrecht i m technischen Sinn zumindest verwandtes Gebilde. Die scharfe Scheidung des gesetzlichen Rechts, i n dem das Gewohnheitsrecht mitbegriffen ist, von dem Juristenrecht durch Brinz ist daher nicht ganz zutreffend, so bestechend sie auf den ersten Blick auch sein mag 2 9 . Arndts kritisiert die Auffassung von Brinz, daß die fortgesetzte „Rechtsprechung" jus inter omnes mache; diese bestärke nur die gemeine Rechtsüberzeugung, welche sich i n der fortgesetzten Übung zeige. Man könne aber nicht sagen: „Jetzt ist dies Recht geworden, nachdem und weil so und so viel Mal so Recht gesprochen ist; bis dahin war es noch nicht Recht, also die Rechtsprechung nicht richtig." Arndts n i m m t hier einfach Gewohnheitsrecht an 3 0 . Arndts' Auffassung weicht der Sache nach eigentlich gar nicht so stark von der Brinzschen ab. Denn eben wurde das der „Rechtsprechung" entspringende Recht als dem Gewohnheitsrecht ähnlich qualifiziert 3 1 . Brinz' Juristenrecht umfaßt sowohl das von den Juristen geschaffene Recht nach dem Vorbild des römischen jus als auch das Richterrecht i m 21 I m „angewandten" Recht ist ja ein „neuer Gegenstand" hinzugekommen: Ρ 3 108; vgl. auch Rom. Juristen 682. 25 Siehe etwa Rechtswissenschaft 3170. 26 o. § 15 Ziff. 1 a = Ρ 3 107: „cautio"; ebd. 108: „neue Geschäftslage". 27 Ρ 3 §26; er bemerkt nur, daß die „Rechtsprechung" das „reine" in das „angewandte" Recht verwandle und verweist dabei auf § 19, wo das Juristenrecht genannt wird: Ρ 3 135. 28 ο. § 20 Ziff. 1 = Ρ 3 134. 29 Ρ 3 107,108. 30 Arndts 488,489. 31 Vgl. zudem o. §20 Ziff. 1: Subsumtion der „fachmännisch juristischen Praxis" ( = „stete Wiederholung" von Ρ 3 134 — ο. §20 Ziff. 1) unter die Gewohnheit.

§ 20

Die Rechtsquellen

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modernen Sinne 32 . Ein qualitativer Unterschied zwischen beiden besteht nicht. Die Unterscheidung rührt lediglich daher, ob der Jurist als Gutachter oder als Richter „Recht spricht"; die Entstehungsvoraussetzungen beider Unterarten des. Juristenrechts sind gleich 33 . Ob das Richterrecht eine Rechtsquelle ist, ist heute umstritten. Die h. M. verneint es 34 . Kruse weist m i t Recht auf den bestehenden Zwiespalt zwischen der Rechtsquellentheorie und der Rechtspraxis hin, der daraus resultiert, „daß die Gerichte sich darauf beschränken, den Gesetzestext i n seiner präjudiziellen Auslegung anzuwenden" 35 , die obergerichtliche Judikatur also als Recht behandeln; und die höheren Gerichte sind nach der A u f fassung des BVerfG auch zur „Aufstellung allgemeiner Rechtsgrundsätze" befugt 3 6 . Bejaht man die Rechtsquellennatur der „Rechtsprechung", so bieten sich zwei Möglichkeiten an: entweder man nimmt an, bereits mit der ersten Entscheidung des Gerichts entstehe neues Recht 37 , was freilich abzulehnen ist, weil unsere Gerichte nach unserer Rechtsordnung grundsätzlich nur zur Schaffung von jus inter partes, nicht von jus inter omnes berufen sind; oder man sagt, erst eine mehrmalige Bestätigung der ersten Entscheidung mache ihren Inhalt zum Rechtssatz — i n diesem Sinne Brinz. Der Nachteil der letzteren Ansicht ist freilich der, daß die jeweiligen Urteile, die beispielsweise eine Vorschrift analog anwenden, gar nicht auf dem objektiven Recht beruhen, solange sich der neue Rechtssatz, der sich aus der rechtsähnlichen Anwendung ergibt, noch nicht gebildet hat. Man w i r d nun aber nicht behaupten können, diese Urteile seien unrichtig, rechtswidrig. 4. I n unserer bisherigen Darstellung von Brinz* Gedanken über die Rechtsentstehung war von einem „Volksgeist" als dem Schöpfer des Rechts nicht die Rede. Wie steht Brinz zur Volksgeistlehre der historischen Schule? T r i f f t auf i h n die Feststellung von Wieacker zu, die Romanisten hätten sich seit Puchta vom rechtsschaffenden Volksgeist losgesagt 38 ? Während i n seinem Bericht über die Savignyfeier von 1879 nur die Bemerkung enthalten ist, i n Hugo, Savigny, Eichhorn, Niebuhr und Grimm habe sich die Rechtswissenschaft durch den „warmen Glauben an einen Geist der i m Rechte, i n der Geschichte und i m ungelehrten Volke lebe" „ v e r j ü n g t " 3 0 , geht Brinz i n seiner Festrede für Savigny 32

Vgl. Brinz' weiten Begriff von „Rechtsprechung": Ρ 3 134,144. Siehe Ρ 3 134. 34 Nachweise bei Kruse 3. 35 Kruse 4. 36 BVerfGE 26, 337. 37 Wie ζ. B. Kruse 12, der allerdings die Gerichte nur zur Rechtsbildung „intra legem" für berufen hält. 38 Wandlungen 18. 39 K V 21, 484. 33

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I I . Teil, 3. Kap. : Entstehung u. Aufhebung des Rechts i m bjekt. Sinn

etwas ausführlicher auf diesen Geist ein. Dort sagt er, Savigny und die historische Schule hätten das Recht i m Gegensatz zur früheren A u f fassung, nach der es „als etwas von oben herab und je nach dem Fortschritte des philosophischen Rechtsbegriffes Neuzusetzendes" erschienen sei, „fast nur i n seinem von unten, wie die Sprache und der Glaube aus dem Volke unbewußt quillenden und stabilen Elemente" begriffen 40 . Dabei sei die Jurisprudenz, die zum Rechte wesentlich mitgehöre und keineswegs von jener „unbewußt naiven A r t " sei, etwas kurz weggekommen. Savigny und seine Schüler befaßten sich zwar viel m i t dem „Recht der Wissenschaft". Wie aber aus diesem ihrem „Recht der Wissenschaft" das „tägliche Brod des Rechtes" kommen solle, so wie es aus der römischen Jurisprudenz tatsächlich hergekommen sei, sei unbegreiflich 4 1 . Von dem „neu entdeckten, so zu sagen tellurischen Elemente" des Rechtes gefangen, habe die historische Schule der praktischen Jurisprudenz weniger Beachtung geschenkt und habe wohl das „Gefühl" gehabt und es auch ausgesprochen, „daß sie u m Großes zu leisten aus dem Vollen arbeiten und durch kein ephemeres Gesetz unterbrochen und gebunden sein dürfe"; dafür, meint Brinz, habe die historische Schule aber „keine Formel und keinen Beweis" gehabt. Brinz läßt es offen, ob Savigny i m „Beruf" alles gesagt habe, was zu sagen gewesen sei, und ob die Folgerungen, die er aus der Natur des Rechtes gezogen habe, zu weit oder zu wenig weit gegangen seien. Es genüge ihm, daß Savigny das „naturgeschichtlich-positive Element" des Rechtes erkannt und gegen das „naturphilosophische" zur Anerkennung gebracht habe 42 . Aus diesen Überlegungen ist zu entnehmen, daß Brinz dieses „tellurische Element" des Rechts nicht leugnet. Er spricht selbst von der „Nativ i t ä t " und der „Urwüchsigkeit" des Rechts 43 . Brinz meint wohl jedoch, Savigny habe nur die halbe Wahrheit über das Recht gesagt; er äußert nämlich, daß „das römische Recht seit seiner Restauration i m 12. Jahrhundert doch mehr auf internationaler und bewußter That als auf nationalem Instinkt" beruhe 44 . Man w i r d also Brinz wie folgt interpretieren müssen: a) Ein Teil des Rechtes ist urwüchsig, ist unbewußt entstanden. Dieser ältere Teil ist dann aber durch ein rationales, bewußtes Eingreifen der Jurisprudenz oder der Gesetzgebung fortentwickelt worden. Brinz redet, wie schon gezeigt 45 , davon, „der ganze Grundstock von Rechten und 40 41 42 43 44 45

Savignyrede 9,10. Siehe schon o. § 15 Ziff. 1 a. Savignyrede 10. Ebd. 13,14. Ebd. 12. o. § 5 Ziff. 2 a und § 15 Ziff. 4.

§ 20

Die Rechtsquellen

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Rechtsgeschäften" sei vor der Jurisprudenz dagewesen 46 , außerdem von den „Urbegriffen und Ursatzungen von den Rechten, Rechtsgeschäften und Rechtsfähigkeiten" 47 sowie den „Grundarten der Rechte" 48 . Dies ist wohl der unbewußt, durch den Volksgeist entstandene Teil des Rechts. Später t r i t t die Jurisprudenz hinzu, als erste die „distinguirende", dann die „deducirende" und die „producirende" 4 9 . Die „Urbegriffe" usw. werden durch logische und analoge Schlußfolgerungen i m Wege der Rechtsanwendung fortentwickelt 5 0 . Die Gesetzgebung garantiert die bereits tatsächlich vorhandenen Rechte und schränkt sie ein 5 1 . Der bei weitem größte Teil der bestehenden Rechtssätze verdankt dem bewußten Handeln seine Existenz 52 . Der unwillkürlich entstandene Teil des Rechts ist gering. I h n unterschlägt Brinz ganz, wenn er sagt, das Recht beruhe auf freier Tat, menschlicher Satzung 53 , weil er dabei an überlegtes, planvolles Handeln denkt 5 4 . Uberhaupt hat es den Anschein, als wenn Brinz i n seinen späteren Jahren das unbewußte Element i n der Rechtsentstehung i n den Hintergrund hätte treten lassen. So lesen w i r i n der 1. Auflage der Pandekten noch 55 : „Denn wenn man gleich versucht sein mag, auch den Ursprung von Staat und Gemeinde auf den freien Willen der ersten Gemeinde z u r ü c k z u f ü h r e n 5 6 . . . , so müssen doch überall hier Vermuthungen das Zeugniß der Geschichte ersetzen, und können mit gleicher Wahrscheinlichkeit die Naturnothwendigkeiten der Familie und Religion, oder Gewalt, oder eine Mischung verschiedener und all dieser Elemente an den Anfang der Dinge gesetzt werden, wie die bloße Freiwilligkeit der ersten Genossen." I n den folgenden A u f lagen lesen w i r dann aber: „Denn daraus, daß w i r namentlich dem Staate keinen bestimmten, freiwilligen Gründungsact nachzuweisen ver48 Krit. Bl. I I I 50. I n Gutachten 172 spricht er von dem Teil der Jurisprudenz, der „aus einem nicht ex scripto kommenden Rechte, aus vielleicht vor und über dem jus scriptum stehenden Rechtsbegriffen schöpft". 47 Ρ 3 130. 48 Ebd. 135. 49 Krit. Bl. I I I 5 0 - 5 6 ; vgl. o. § 5 Ziff. 2 a. 50 Ρ 3 130; siehe schon o. § 15 Ziff. 4. 51 Ρ 3 135. Aus dieser und den vorigen Stellen geht auch hervor, daß Brinz keineswegs annimmt, das römische Recht beruhe in der Zeit vor dem 12. Jahrhundert nur auf nationalem Instinkt. Er sagt ja — Savignyrede 10 —, aus der römischen Jurisprudenz sei das Recht gekommen, und die Jurisprudenz sei nicht unbewußt, naiv. 52 Ρ 3 130. 53 Ebd. 132; damit entsteht auch neues Gewohnheitsrecht nicht etwa unbewußt: Die Tat muß ja von einem bestimmten Gedanken begleitet sein, vgl. u. § 21 Ziff. 1. 54 Siehe auch K V 23, 225, wo er dem „Vonsichselber und allmälig Werden die akute That" entgegensetzt. 55 Ρ 11014. 56 Brinz nennt hier die Naturrechtslehrer und Rudorff.

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mögen, folgt noch nicht, daß er unwillkürlich oder i n Unfreiheit entstanden sei; unvordenkliche Zeit läßt das Menschenwerk leicht als Naturproduct erscheinen; der Staat ist eine Nothwendigkeit, aber freiw i l l i g thun w i r auch das Unvermeidliche 5 7 ; eine Nothwendigkeit und dennoch freie That des Menschen sind auch Recht und Gesetz 58 ." Man w i r d hier an den Staatsvertrag des Naturrechtlers Hobbes erinnert. b) Das zeitgenössische römische Recht beruht, wie w i r sahen, auf internationaler Tat. Es ist für Brinz ein fremdes Recht 59 , nicht etwa ein nationales Recht. Er lehnt daher auch Savignys Auffassung, „daß alles Recht Volkseigenschaft sei" 6 0 und daß die abendländischen Nationen römisches Recht hätten, weil i n ihnen das römische Volk weiterexistiere, ab; er spricht nämlich von Savignys „Hypothese der Unzertrennlichkeit von Rechts- und Volkseinheit" 6 1 . Ferner bemerkt er: „Ist das recipirte Recht ein oktroirtes, dann ist wenigstens nicht jedes Recht ein volksmäßiges Recht." Überhaupt lasse sich denken, „daß das Recht wie die Sprache und Religion nicht blos aus dem Volke herauswachse, sondern daß dieses i n ein Recht, gleichwie i n eine Sprache und i n eine Religion auch hineinwachse" 62 . Brinz w i r f t dann die Frage auf, bei wieviel Völkern man nachweisen könne, daß sie ihre eigene Sprache, ihre eigene Religion hätten; es werde sich wohl noch herausstellen, daß das römische Recht nicht das einzige Recht sei, i n das fremde Völker mehr oder weniger hineingewachsen seien 63 . Brinz hat hier eine treffende Beobachtung gemacht. Rezeptionen sind, wie Wieacker richtig bemerkt, „alles andere als Ausnahmefälle der Rechtsgeschichte" 64 . W i r sehen also, Brinz folgt keineswegs der historischen Schule i n deren Lehre, der Volksgeist sei der Schöpfer allen Rechts, sondern kritisiert diese Doktrin. Wenn Brinz ein unbewußtes Entstehen für den größten Teil des Rechts ablehnt, zugleich aber eine historische Entwicklung des Rechts bejaht, so bedeutet dies keinen Widerspruch: Auch das durch die römischen Juristen durch logische Operationen gebildete Recht hat eine geschichtliche Entwicklung aufzuweisen. 57 Wir stoßen hier auf den Freiheitsbegriff Hegels; dieser spricht von der „Verklärung der Nothwendigkeit zur Freiheit": Logik 348. Vgl. noch ebd. 349. 58 Ρ 2 I 136, Ρ 3 150. Vgl. zudem K V 28, 145: Das Recht sei ohne einen „Denkprozeß weder entstanden noch anzuwenden". 59 Schletters Jb. 1855,10: Fremde Praxis. 00 Savignyrede 12. 01 Ρ 3 98; siehe auch Savignyrede 12: Die dem Werk „Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter" unterlegte Idee sei nicht ganz frei von „mystischer Zuthat"; außerdem vgl. K V 22,165. 62 K V 22,165. 63 Ebd. 165. 64 Wieacker, PRG 124.

§ 21

Das Gewohnheitsrecht

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§ 21 Das Gewohnheitsrecht 1. Zunächst wollen w i r der Frage nachgehen, welche Voraussetzungen i m einzelnen Brinz für das Entstehen von Gewohnheitsrecht verlangt. Opinio necessitatis, also die Uberzeugung der Übenden, daß das, was sie üben, Recht sei, fordert er nicht, ebensowenig, daß die Überzeugung der Wahrheit entspreche und nicht auf I r r t u m beruhe 1 . Wenn Windscheid diese Erfordernisse aufstelle 2 , so ergebe sich dies zumindest nicht aus den Quellen 3 . Für Brinz ist also der I r r t u m irrelevant. „ N u r daß Rechtens sein solle, was man thut, und daß man also wohl daran thue, so zu handeln, ist der Gedanke, von dem die zur Gewohnheit führende That begleitet sein muß, nicht daß es schon Rechtens sei, und darum gethan werden müsse; letzteres ist Folge der fertigen, nicht Bedingung der erst werdenden Gewohnheit 4 ." Zum Gegenteil komme man, meint Brinz, nur auf Grund der „ m i t Recht nicht recipirten oder wiederaufgegebenen Savigny-Puchta'schen Ansicht, daß das Gewohnheitsrecht noch vor der Gewohnheit, i n einer angeblich vor dieser bestehenden gemeinsamen Volksüberzeugung da sei" 5 . Brinz nimmt hier also einen anderen Standpunkt als die historische Schule ein. Diesen „Gedanken", daß, was man tut, Recht i m objektiven Sinn sein solle — man w i r d i h n wohl als Rechtserzeugungswillen auslegen können — bezeichnet Brinz als das „erste Erforderniß" für die Bildung von Gewohnheitsrecht 6 . Genauso wichtig freilich sind die „Werke". „Damit die That zum Rechte werde, muß sie zu gemeiner Gewohnheit, Sitte und Brauch werden, d. i. zur anhaltenden, gleichmäßigen, gemeinsamen Uebung Aller, für die dieses Recht gelten soll und die i n die Lage kommen, davon Gebrauch zu machen 7 ." Die Gewohnheit hat hier demnach nicht nur die Bedeutung einer Erkenntnisquelle des Gewohnheitsrechts, sondern ist für dessen Entstehung Bedingung. Arndts hält Brinz entgegen, des Einzelnen, der nicht die Macht zur Rechtssetzung hat, Wille, daß etwas Recht sein solle, habe keine K r a f t ; 1

Ρ 3 133. Windscheid Ρ 1 4 1 - 43. 3 Ρ 3 133; Brinz zitiert ebd. Anm. 13 folgende Digestenstelle (D 1, 3, 39): „Quod non ratione introductum, sed errore primum, deinde consuetudine obtentum est, in aliis similibus non obtinet". Aus der Hervorhebung der drei Wörter durch Brinz ist zu entnehmen, daß er die Auslegung für richtig hält, wonach auch eine ursprünglich auf Irrtum beruhende Gewohnheit gültig ist, aber nicht auf analoge Fälle ausgedehnt werden darf. Vgl. zu dieser umstrittenen Stelle Zitelmann AcP 66, 344 ff. 4 Ρ 3 133,134; zustimmend Zoll Jher. Jb. 13, 417 Anm. 2. 5 Ρ 3 134; vgl. auch schon K V 15,162. β Ρ 3 136. 7 Ebd. 133. Schon Kierulff 6 ff. verlangt übrigens im Gegensatz zu Puchta die Betätigung der Gewohnheit. 2

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eine Handlung dieses Einzelnen mit diesem Willen, aber mit dem Wissen, daß es nicht schon Rechtens sei, sei für die Rechtsentstehung bedeutungslos, ebenso die Handlungen vieler Einzelner 8 . Hellmann interpretiert den Brinzschen „Gedanken", daß Rechtens sein solle, dahin, dieser Gedanke, richtiger Wille, setze nicht die Meinung der Übenden von eigener Autorität zur Rechtserzeugung voraus, vielmehr lediglich den Willen, ein Recht zu erlangen, bzw. verpflichtet zu sein, anstatt etwa den Willen, eine Gefälligkeit zu empfangen oder zu erweisen 9 . Diese Deutung dürfte zutreffend sein. Ob Brinz, indem er die Betonung auf die Tat legt, „bewußt oder unbewußt neues Leben aus den Ruinen der Gewohnheitsrechtstheorie erblühen ließ, welche von der historischen Schule überliefert waren", wie Hellmann behauptet 10 , kann dahingestellt bleiben. Mitursächlich waren Brinz' Gedanken sicherlich. Heutzutage w i r d unter Gewohnheitsrecht das durch einen allgemeinen, normalerweise durch Übung kundgetanen Rechtsgeltungswillen der Gemeinschaft erzeugte Recht verstanden; es entstehe, wenn ein bestimmtes Verhalten von den Beteiligten i n der Überzeugung rechtlicher Gebotenheit längere Zeit allgemein geübt werde 1 1 . Brinz ist also m i t seiner Theorie, die ja die opinio necessitatis ablehnt, nicht durchgedrungen. 2. Brinz erörtert die Frage nach dem Grunde der bindenden Kraft des Gewohnheitsrechts nicht. W i r wollen nun sehen, ob man Brinz als Anhänger einer der Theorien bezeichnen kann, die zum Geltungsgrund des Gewohnheitsrechts entwickelt wurden. Anhaltspunkte dafür, Brinz folge der Gestattung stheorie 12, nach der die bindende K r a f t des Gewohnheitsrechts auf einer Anordnung oder Gestattung des Gesetzgebers beruht, finden sich keine. Wegen seiner Vermutung, die Satzungen der Gewohnheit seien älter und ursprünglicher als die der Gesetze 13 , kann ein solcher Anhaltspunkt auch nicht etwa daraus abgeleitet werden, weil er einmal äußert, Detail über die Gewohnheit als Rechtsquelle könne man der Gewohnheit und auch den Gesetzen entnehmen 14 . Die Willenstheorie 15 führt die Geltung des Gewohnheitsrechts auf einen Willensakt des Volks oder derer, die es üben, zurück. Brinz zitiert 8

S. 487, 488. Hellmann 65. 10 Hellmann 64. 11 So etwa O V G Münster, OVGE 14, 285; vgl. zudem B G H Verw.Rspr. 10, 523; Enneccerus - Nipperdey, §§ 38, 39. 12 Dazu Enneccerus - Nipperdey § 38 I I I ; Zitelmann AcP 66, 361. 13 Ρ 3 110. 14 K V 15,164. 15 Zitelmann AcP 66, 364, Enneccerus - Nipperdey § 38 I I I . 9

§ 21 Das Gewohnheitsrecht

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zwar i n einer Anmerkung die Stelle „tacito consensu omnium" , m. E. jedoch nur wegen omnium, nicht wegen consensus, was sich aus dem Text ergibt. Auch w i r d man i n Brinz* Bemerkung, das Recht sei ein „gewisses Wollen", es sei nun ein „wörtlich ausgesprochenes der gesetzgebenden Factoren, oder ein sachlich geoffenbartes der gewohnheitsmäßigen Uebung" 1 7 , keinen Beleg für die Willenstheorie sehen dürfen, weil er bei diesem Wollen den Inhalt des Rechtes (Gebot, Verbot usw.) i m Sinne hat 1 8 . Der „Gedanke", richtiger Wille, daß Rechtens sein solle, was man tut, ist für Brinz Entstehungserfordernis; ob auch Geltungsgrund, darüber schweigt er sich aus. Aber auch zur Üb er zeugung stheorie, die eine Rechtsüberzeugung fordert und darin den Geltungsgrund erblickt 1 9 , kann man seine Auffassung nicht zählen. Zitelmann freilich glaubt, Brinz sei ein Vertreter der Gerechtigkeitstheorie, einer von i h m so genannten Unterart der Überzeugungstheorie 2 0 . Nach ihr w i r d die Uberzeugung verlangt, daß der betreffende Satz Recht sein sollte, weil er gerecht, zweckmäßig usw. sei. Zitelmann stützt sich auf Brinz' Ausspruch „und daß man also wohl daran thue, so zu handeln" 2 1 ; Brinz verweist hierbei auf die Stelle „ratio, quae consuetudinem suasit" 22, die für Zitelmanns Behauptung spricht. Aber es ist, worauf Hellmann 2 3 m i t Recht hinweist, nicht zu übersehen, daß Brinz nur von dem „Gedanken" spricht, daß Recht sein „solle" 2 4 oder „soll" 2 5 , nicht von der „Uberzeugung", daß ein Satz Recht sein „sollte"; über die Gründe, warum ein Satz Recht sein soll, sagt Brinz damit unmittelbar noch nichts 26 . Die wahre Meinung von Brinz hinsichtlich des Geltungsgrundes des Gewohnheitsrechts w i r d sich wohl nie eindeutig ermitteln lassen. Er hat das Gewohnheitsrecht nur gestreift. Einiges spricht für die Gerechtigkeitstheorie. Es ließe sich aber auch die Meinung vertreten, Brinz 16

Ρ 3 133 Anm. 11 ( = D. 1, 3, 32,1). Ρ 2 I 238. 18 Gegen Brinz' Zuordnung zur Willenstheorie auch Zitelmann AcP 66, 367 Anm. 56. 19 ζ. B. Windscheid Ρ I 40. 20 AcP 66, 382 Anm. 80; 367 Anm. 56. 21 Ρ 3 133. 22 Ebd. 134 Anm. 14 ( = C. 8, 53,1); suasit von B. gesperrt. 23 Hellmann 65 ; er meint ebd., man würde Brinz Unrecht tun, wenn man ihn als Vertreter der Gerechtigkeitstheorie bezeichne. 24 So Ρ 3 133 und 136. 25 So ebd. 132. 26 I n Ρ 3 135 spricht Brinz allgemein von den zur Gewohnheit führenden Motiven. 17

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I I . Teil, 3. Kap. : Entstehung u. Aufhebung des Rechts i m bjekt. Sinn

gründe die bindende K r a f t des Gewohnheitsrechts wie Zitelmann 2 7 nur auf die Übung allein. I n einer Rezension sagt er nämlich einmal, auch der Verfasser erblicke „die Autorität des Gewohnheitsrechtes i n der langen Uebung" 2 8 . Es ist freilich nicht auszuschließen, daß Brinz m i t der Übung lediglich das Entstehungserfordernis meint. 3. Unter „Observanz" versteht Brinz gewohnheitsmäßige Rechtssetzung durch die „Bünde (Corporationen)", die i n eigenen Angelegenheiten eigene Rechtssetzungsbefugnisse hätten; deren Rechtssetzung i n Worten nennt er „Statuten" oder „Autonomie i m e. S. 29 . „Herkommen" schließlich ist für Brinz die Tatsache, daß eine bestimmte Gruppe von Personen stets und gleichmäßig ein bestimmtes Recht (ζ. B. Holz- oder Weiderecht) gegenüber einem bestimmten Dritten „werkthätig" i n Anspruch genommen habe, oder umgekehrt der Dritte gegen jene Gruppe (ζ. B. Mühlgastzwang, Propinationsrecht). Gewohnheitsrecht sei dies nicht, da es an dessen erstem Erfordernis, daß was man tue Rechtens, d. h. Recht i m objektiven Sinne sein solle, fehle 30 . § 22

Die Gesetzgebung 1. Aufgabe

a) I n seiner Festrede zu Savignys 100. Geburtstage setzt sich Brinz u. a. m i t dem „Beruf" auseinander 1 . Savigny habe zwar Thibauts patriotischen Wunsch, dem befreiten Vaterland nun auch sein eigenes Recht zu geben, geteilt, habe jedoch nur die Möglichkeit gesehen, entweder sich aufzuraffen, u m an der völligen Erschließung und inneren Verbindung des vorhandenen Redites zu arbeiten, oder aber „dieses vieltausendjährige, quellenreiche, unerschöpfliche Ding" beiseite zu schieben und an seiner Stelle „einen byzantinischen Extrakt oder das bon plaisir eines Einzelnen oder einiger Weniger zum Nährvater unserer Kunst und Wissenschaft" zu machen 2 . Brinz schließt sich Savignys Ansicht an, daß die damalige Zeit für eine Kodifikation nicht reif gewesen sei; Savigny habe die drei neuen Gesetzbücher (code Napoleon, preußisches Landrecht und österreichisches bürgerliches Gesetzbuch) „ m i t unwiderleglichen Argumenten als mehr oder minder abschreckende Beispiele" charakterisiert 3 . 27

AcP 66,464; vgl. auch Enneccerus - Nipperdey § 38 Anm. 7. K V 15,163; ähnlich 162: Gewohnheitsrecht beruhe auf Gewohnheit. 29 Ρ 3 136. 30 Ebd. 136. 1 Außerdem in seinem Bericht zur Savignyfeier (KV 21, 473 ff. sowie K V 22, 161 ff.). 2 Savignyrede 8. 28

§ 22

Die Gesetzgebung

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Savignys Opposition gegen die Kodifikation sei auf der einen Seite „vielleicht" zu weit gegangen, wenn er seiner oder irgendeiner Zeit den Beruf zur Kodifikation abgesprochen habe. Der Teil einer Kodifikation, den Savigny selbst den „politischen" nenne, bestehe i n „Erwägungen und Tendenzen", die m i t der Jurisprudenz nichts zu t u n hätten und dann befriedigt werden wollten, wenn sie auftauchten; insofern sei jede Zeit zur Gesetzgebung berufen, und keine habe die Pflicht zu warten, „bis w i r m i t unseren Studien fertig werden" 4 . Die andere Seite unserer Kodifikationen, bei Savigny die „technische", sei die „fachmännisch juristische", und die Bedenken, ob die Jurisprudenz jemals zur Gesetzgebung, „d. h. ob das fachmännische Urtheil jemals zum legislatorischen Imperativ werden solle", bestünden weiterhin fort. „Nach ihrer politischen Seite also wäre Gesetzgebung i m bürgerlichen Rechte stets, nach ihrer technischen dagegen vielleicht niemals indizirt" 5 . Savigny habe sich hauptsächlich gegen die technische Seite gewandt, mit der sich die modernen Kodifikationen vor allem befaßten 6 . Brinz meint, aus Savignys Worten könne man zwar entnehmen, daß er die Kodifikation nur vertagt, nicht ausgeschlossen wissen wollte; Savignys wirkliche Meinung sei freilich gegen Kodifikation überhaupt gegangen, seine Abneigung gegen die Kodifikation sei grundsätzlich gewesen; er habe jeder Zeit den Beruf abgesprochen 7. Nicht „wartet noch eine Weile, und dann kodifizirt", sondern „wartet noch eine Weile, und dann braucht ihr keine Kodifikation" sei Savignys Ansicht gewesen. Fast allgemein habe man ihn aber i n der ersten Weise verstanden und sehe die von Savigny gesetzte Wartefrist als abgelaufen an 8 . Die Kodifizierung des Rechtes nach seiner „technischen" Seite widerstrebe aber nicht nur der Autorität Savignys, sondern der „Natur der Sache selbst" 9 . b) U m die Aufgabe der Gesetzgebung genauer zu bestimmen, müssen w i r an Brinz* Unterscheidung zwischen dem Gesetz und dem Recht „ i m engeren Sinn", dem Juristenrecht, anknüpfen. W i r sahen, daß das Gesetz als Machtgebot, Befehl der staatlichen Potenz entspringt, das Recht i m „engeren Sinn" als Urteil dagegen einer geistigen Potenz, der Juris3

Ebd. 8. Ebd. 8; in Expropriation 472 bemerkt Brinz, „bei uns" sei das Expropriationsrecht immer mehr Gegenstand der Gesetzgebung als der Jurisprudenz gewesen. 5 Savignyrede 8. 6 Ebd. 8, 9. 7 Ebd. 9 und K V 21, 485, 486; mit dieser Auslegung von Savignys „Beruf" steht Brinz nicht allein: Nachweise bei Caroni 136 mit Anm. 239, der selbst den Beruf so interpretiert. 8 Savignyrede 9. 9 K V 21, 486. 4

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I I . Teil, 3. Kap. : Entstehung u. Aufhebung des Rechts i m bjekt. Sinn

prudenz 10 . Brinz sagt nun, i n der Region des Urteils dürfe nichts befohlen werden, an die Stelle des Rechts „ i m engeren Sinn" daher nicht das Gesetz treten. I n jeder anderen Wissenschaft wäre es unerträglich, wenn irgendein Satz von einer anderen Autorität als von der Wissenschaft selbst festgestellt würde. Auch die Rechtswissenschaft habe „ i h r eigenes, von keinem Befehl zu betretendes, also von der Gesetzgebung nicht zu bearbeitendes Gebiet" 1 1 . Je mehr die Gesetzgebung i n das eigentlich juristische Gebiet hineinarbeite und der Jurist sich i n der Gesetzgebung als Jurist vordränge, desto weniger werde die Gesetzgebung ihre eigene, staatliche Aufgabe lösen und desto mehr der künftigen Jurisprudenz „Terrain und Entwicklungsfähigkeit" i m voraus wegnehmen und sie so „ i n Banden schlagen" 1 2 . Aufgabe der Gesetzgebung sei nicht das, was man juristisch nenne, sondern auch für das Privatrecht die „Aufstellung einer Lebensordnung nicht nach Regeln der Logik, sondern nach freiheitlichen, sittlichen, wirtschaftlichen Bedürfnissen und Zielen der Zeit"; das Juristische hingegen sei „etwas wesentlich Logisches", nämlich eine „Bestätigung 1 3 der Logik auf Grund des gegebenen Gesetzes", und habe erst zu beginnen, wenn die Aufgabe der Gesetzgebung erfüllt sei; während des Gesetzgebungsverfahrens solle es schweigen 14 . Aus dem Bisherigen geht hervor, daß die Jurisprudenz also der Gesetzgebung ihr „Material" verdankt. Brinz sagt früher aber auf der anderen Seite, Gesetzgebungen könnten ohne die Jurisprudenz weder entstehen noch bestehen 15 . W i r sehen also, daß Brinz auch für seine Zeit die römische „Selbstbeschränkung der Gesetze", wie w i r sie i n § 4 Ziffer 3 darstellten, fordert, um der Jurisprudenz ein weites Betätigungsfeld zu sichern. Er nimmt offenbar an, daß die Logik, mit der die Jurisprudenz arbeitet, alle auftauchenden Fragen zufriedenstellend zu beantworten vermag; daß dem nicht so ist, w i r d noch zu zeigen sein 16 . 10

o. § 15 Ziff. 1 b ( = Rechtswissenschaft 3170). Rechtswissenschaft 3170; ähnlich schon K V 2, 29, wo Brinz sich gegen den „Uebergriff der Legislation in die Freiung der Wissenschaft" auflehnt. 12 Rechtswissenschaft 3170; vgl. auch Savignyrede 9: Gesetzgebung und Jurisprudenz hätten zwei verschiedene Funktionen und dürften nie miteinander vermengt werden. 13 Muß wohl richtig „Betätigung" heißen. 14 Rechtswissenschaft 3170; eine weitere Definition des Juristischen ebd. 3179, zitiert o. § 4 Ziff. 3. Enger umschreibt Brinz die Kompetenz der Gesetzgebung in Ρ 3 135 — dazu schon o. § 20 Ziff. 2 —, wo er als Sache des Wortes bei der Rechtssetzung die Gewährung, Garantierung und Einschränkung der schon tatsächlich vorhandenen Rechte und Rechtsgeschäfte nennt. 15 Schletters Jb. 1855,10. 16 u. § 28 Ziff. 3. 11

§ 22

Die Gesetzgebung

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Wieacker spricht davon, seit der Mitte des 19. Jahrhunderts sei langsam der Gesetzespositivismus an die Stelle des „rechtswissenschaftlichen" Positivismus getreten: „ein i m öffentlichen Bewußtsein wenig bemerkter Sieg der Justiz über die Hechtswissenschaft, der politischen Nation über die Kulturnation" 1 7 . Brinz hat diese Entwicklung klar erkannt und versucht, sie zu verhindern. „Was wollen diese aus der Schattenwelt citirten Gesetzgeber nicht alles", ruft er einmal erregt aus 1 8 ; ein andermal nennt er den Gesetzgeber spöttisch den „Normenmacher" 1 9 . Es drängt sich einem hier die Frage auf, wie Brinz bei dieser Einstellung seine Abgeordnetentätigkeit i m böhmischen Landtag und i m österreichischen Reichsrat wahrnehmen konnte. Dieser Widerspruch löst sich m. E., wenn man bedenkt, daß seine Opposition ja nur gegen die „technische" Seite der Gesetzgebung gerichtet war und hauptsächlich ja auch nur das Zivilrecht betraf. Soweit ersichtlich, hat er auch nicht an einem Gesetzgebungswerk, das die „technische" Seite des Zivilrechts geregelt hätte, mitgewirkt 2 0 . W i r wollen hier noch einige Äußerungen von Brinz, die er i m Reichsrat über die Gesetzgebung machte, anführen. Es sei von „nationalökonomischem Interesse", ja liege auch i m Interesse der Studierenden und der Gerichte, daß das Recht möglichst einfach sei 21 . Auch sei diejenige Gesetzgebung die richtigste, die nicht voraneile, sondern einem klar erkannten Bedürfnisse folge 22 . Schließlich nennt er es eine „Mangelhaftigkeit" einer jeden Gesetzgebung, daß man nicht alle möglicherweise vorkommenden und nach dem Gesetz zu beurteilenden Fälle voraussehen könne; auf dieser „Unvoraussehbarkeit" künftiger Fälle beruhe die „analoge Interpretation" 2 3 . c) Welche Haltung Brinz gegenüber dem i m Werden begriffenen Reichszivilgesetzbuch, dem „Gegenstand allgemein froher Erwartung" 2 4 , einnimmt, läßt sich nach unseren seitherigen Ausführungen eigentlich schon erraten. Brinz spricht den Wunsch aus, daß der i m Gang befindlichen Kodifikation die politische Notwendigkeit, der sie ihr Entstehen verdanke, „so wenig schaden möge als anderen Dingen, die nicht nach sich selbst, sondern nach der politischen Nothwendigkeit geregelt wer17

Wieacker, P R G 459. Obligation und Haftung 375. 19 Ebd. 398. 20 Eine Zivilrechtskodifikation hat Österreich ja schon 1811 erhalten; das Lehensablösungsgesetz, für das Brinz Berichterstatter im Reichsrat war, regelte sicher nur den „politischen" Teil. 21 Protokolle I 652. 22 Ebd. 14113. 23 Ebd. 14398. 24 Rechtswissenschaft 3180. 18

8 Rascher

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I I . Teil, 3. Kap. : Entstehung u. Aufhebung des Rechts i m bjekt. Sinn 25

den" . Er begrüßt es, daß dieses Gesetz i m wesentlichen nur das bisherige Recht kodifizieren und also weder den Juristen noch den Laien u m seine alten Vorstellungen und Gedanken bringen wolle 2 6 . Diese Beschränkung schreibt er dem Einfluß Savignys zu 2 7 . Aus den Mitteilungen der Kommission entnimmt Brinz, daß diese das gesamte Zivilrecht kodifizieren w i l l ; er befürchtet, daß ein „Gesetzbuch" entstehen wird, w i l l aber nur ein „Gesetz". Das kommende Gesetz möge, bildlich gesprochen, „lieber von Stein, Erz, monumental, als büchern oder papieren" sein 28 . Seine Meinung ist nun nicht, daß nur dieser oder jener Zweig des Zivilrechts, ζ. B. Obligationen oder Sachenrecht kodifiziert werden sollte; sie geht vielmehr auf einen „mehr qualitativen als gegenständlichen Unterschied i m Umfange des Rechtes". Brinz w i l l das Juristenrecht, das er Recht „ i m engeren Sinne" nennt, am besten gar nicht, jedenfalls nicht so kodifiziert haben, wie es wahrscheinlich kodifiizert werde 2 9 : Das neue Gesetzbuch werde Recht und Gesetz untereinander mengen und von ersterem so viel oder so wenig einstreuen, als es etwa der Grundsatz, das Allgemeine vor dem Besonderen und das Besondere nicht alles zu bringen, erfordere 80 ; die Kommission werde also die nachjustinianische, byzantinische Kodifikationsweise kopieren; aber auch zur Aufnahme des Juristenrechts nach A r t der Pandekten Justinians fehle es an der nötigen Vorarbeit 3 1 . Ein derartiges Gesetzbuch ohne „Trennungszeichen" zwischen Recht und Gesetz glaubt Brinz nicht i m voraus begrüßen zu sollen; es fehlt i h m der Glaube, daß es für die Jurisprudenz von Vorteil sein werde 3 2 . Seine Bedenken wurzeln i n der von i h m angenommenen Wesensverschiedenheit von Gesetz und Recht „ i m engeren Sinn" 8 3 . Nicht „Gediegenheit nach Inhalt und Form", sondern „Beschränkung i m Inhalt" sei das Mittel, meint Brinz, das die Wissenschaft, wenn schon nicht fördern, so doch nicht aufhalten werde. Die Berufung der Vorkommission auf die „Gediegenheit nach Inhalt und Form" lasse erwarten, daß ein „zum Gesetz erhobener Puchta" entstehen werde; darunter werde die Jurisprudenz leiden. Brinz geht dann so weit, daß er sagt, das künftige Gesetz werde „unzutreffend, zeitwidrig, ja verkehrt sein" 3 4 . Bezüg25 20 27 28 29 80 31 32 33 34

K V 21, 486. Rechtswissenschaft 3170. Savignyrede 10. Rechtswissenschaft 3170. Ebd. 3170. Ebd. 3170, 3180. Recht im Sinne von Juristenrecht; vgl. schon o. § 15 Ziff. 1 b. Rechtswissenschaft 3180. Ebd. 3170. Dazu o. § 15 Ziff. 1 b und o. Ziff. b. Rechtswissenschaft 3180.

§ 22

Die Gesetzgebung

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lieh des Studiums der römischen und deutschen Rechtsquellen bemerkt er, dies werde zwar fortdauern; es sei aber ungewiß, ob es nicht „von innen abnehmen werde", wenn das geltende Recht nur noch i n dem neuen Gesetzbuche zu suchen sei und dieses auch „je länger desto mehr gegen das Originalrecht der alten Quellen abstehen" werde. Je mehr w i r uns aber von den Originalquellen abwandten und uns auf deren Abfassung i n einem Gesetzbuch moderner A r t zurückzögen, „desto enger muß unser Horizont, desto emphemerer das Object unserer Kenntniß und Erkenntniß werden" 3 5 . Brinz steht mit seiner K r i t i k an dem künftigen „codex juris patrii" so ziemlich allein, was i h m durchaus bewußt ist 3 6 . Bemerkenswert ist, daß Huschke, von dem Brinz, wie bereits angedeutet, sehr viel hält, i n seiner 1874 erschienenen Abhandlung „Das Recht der Publicianischen Klage" vor den Gefahren des i n Aussicht gestellten Zivilgesetzbuchs w a r n t 3 7 : Nicht einmal die Jurisprudenz werde ein dauerndes Interesse an der Beschäftigung m i t dem römischen Recht haben, was sich zum größten Schaden für das Rechtsstudium und den Juristenstand auswirken werde. Es darf vermutet werden, daß diese Schrift auf Brinz nicht ohne Einfluß blieb, als er i m Jahre 1877 seine kritischen Bemerkungen machte. Heute können w i r beurteilen, ob Brinz m i t seinen Prognosen recht hatte. Man w i r d sagen können, daß er doch etwas zu schwarz sah. Das BGB hat der Rechtswissenschaft noch relativ viel Entfaltungsmöglichkeit gelassen; man denke nur an die von ihr und der Rechtsprechung präter legem entwickelten Institute (ζ. B. culpa i n contrahendo, positive Forderungsverletzung, Betriebsrisiko). Verglichen m i t der Jurisprudenz des 19. Jahrhunderts oder der römischen ist ihr Betätigungsfeld freilich erheblich eingeschränkt. Recht behalten hat Brinz allerdings, was das Studium des römischen und deutschen Rechts angeht, das ja nur noch eine Randposition innehat. d) Zusammenfassend wollen w i r Brinz* Stellungnahme i n seinen eigenen Worten wiedergeben; er sagt nämlich einmal, „die w i r zwar keiner Zeit den Beruf zur Gesetzgebung, wohl aber der Gesetzgebung den Beruf, sich i n Sachen der Jurisprudenz einzumengen, absprechen" 38 . Er ist Gegner einer „Kodifikation i m modernen Sinne des Wortes, d. i. sowohl technische als politische Spezifizirung des gesammten Rechtsstoffes" 39 . Ganz und gar gefangen vom römischen Recht, sieht er darin schon fast einen Idealzustand, denn er ist der Auffassung, „daß w i r 35 36 37 38 39

8*

Ebd. 3180. Ebd. 3180. S. 125. K V 21,11. Ebd. 485 ; vgl. auch ebd. 11.

116

I I . Teil, 3. Kap. : Entstehung u. Aufhebung des Rechts i m bjekt. Sinn

auf keinem Punkte von der Antike und damit von der Natur der Dinge weiter abstehen, als auf dem der Civilkodifikation" 4 0 . W i r sehen also, i n der Frage der Kodifikation teilt Brinz den Standpunkt der historischen Schule 41 , wenn er auch i n der Begründung der Ablehnung etwas abweicht; er lehnt die Kodifikation nicht ab, wenigstens nicht ausdrücklich, weil sie unorganisch sei 42 , sondern hauptsächlich darum, weil sie die Jurisprudenz einengt. Wieacker bemerkt 4 3 , „daß fast alle Denker, die sich den Entscheidungen des 19. Jhs. wirklich gestellt haben", i n der Frage der Kodifikation gegen Savigny entschieden hätten. W i r wollen hier nicht darüber urteilen, ob Brinz zu denen gehört, die sich den Fragen der Zeit gestellt und dennoch gegen die Kodifikation gestimmt haben oder ob er den Entscheidungen aus dem Wege ging, sondern nur die Frage stellen, ob es der Kodifikation wirklich gelang, das Recht i n die Gesellschaft zu integrieren, oder, wie Thibaut es forderte, das Recht aus einer toten gelehrten Tradition i n einen lebendigen politischen Besitz der Nation zu verwandeln 4 4 . Es ist bekannt, wie fremd noch heute weite Bevölkerungskreise unserem BGB gegenüberstehen, was auf dessen wenig volkstümliche Fassung zurückzuführen ist. Nicht unwichtig ist es zu wissen, daß i n Brinz' Stellungnahme zum vorliegenden Problem eine Verknüpfung m i t seinen politischen A n sichten durchaus fehlt 4 5 . Er trennt Recht und Politik und sieht, wie w i r aus seinem oben Ziffer 1 c wiedergegebenen Ausspruch entnehmen können, das Recht nicht gerne als M i t t e l der Politik 4 6 . 2. Gesetzgebungsverfahren Damit das Wort zum Recht werde, müsse es einer sprechen, der dazu die Macht habe, und zwar i n der vom Rechte gewollten Form. Diese 40

Ebd. 11. Zu ihm vgl. Wieacker, PRG 390 ff. 42 Wie Savigny, Beruf 78, 79; dies zeigt sich auch daran, daß Brinz die Verbindung des Rechts mit dem Volke nicht betont (vgl. o. § 20 Ziff. 4 b), während Savigny ja einen „organischen Zusammenhang des Rechts mit dem Wesen und Charakter des Volkes" annimmt: Beruf 77. 43 Wieacker, P R G 396. 44 Vgl. Wieacker, P R G 390, 391. 45 Nicht zur Verfügung stand mir Brinz' Vortrag „Verhältnis der Gesetzgebung zum Rechte", den Brinz laut Z, Allg. Zeitung 307, i m November 1881 in der Concordia in Prag hielt. Soweit aus dem Nachruf ersichtlich, enthält diese Rede gegenüber der vom Jahre 1877 — Rechtswissenschaft — kaum neue Gedanken. 46 Siehe o. Anm. 25. Vgl. auch Protokolle I I I 839: Dort nennt Brinz das Recht eine andere Politik, erfunden als Schranke gegen die Willkür der normalerweise so bezeichneten Politik. Solange das Recht spreche, könne von dieser Politik keine Rede sein. 41

§ 22

Die Gesetzgebung

117

Macht müsse, wenn sie wirklich Recht schaffen solle, selbst wieder aus dem Recht kommen 4 7 . Überwunden, zumindest i n der Theorie, sei die aus dem Corpus Juris hergeleitete Ansicht, diese Macht stehe dem Prinzeps zu. Schwierig sei allerdings noch die Abgrenzung zwischen Gesetz und Verordnung; letztere könne der Landesherr allein erlassen 48 . Bezüglich der Form fordert Brinz Schriftlichkeit der Abfassung und Zerlegung der Aussprechung i n „Promulgation" und „Publication" 4 9 .

3. Rückwirkung

der Gesetze

Brinz behandelt das Thema der rückwirkenden Gesetze unter dem Titel „zeitliche Beziehung der Satzung" 5 0 . a) Die Satzung ist für Brinz nicht nur als Gebot und Verbot, sondern auch als Permission i n bezug auf künftige Handlungen denkbar. Die Einräumung eines Rechtes für die Vergangenheit wäre gar keine Permission, sondern die „Vorschreibung der Fiktion", daß ein erst jetzt gewährtes Recht fortan als schon früher vorhanden gedacht und behandelt werde, oder daß ein gegenwärtiges Gesetz als schon damals erlassen angesehen werden solle 51 . Bei der Aufhebung eines Rechtes i n praeteritum könne außer der Fiktion, daß es nicht oder nichtig erteilt sei, auch ein „color fraudis" — daß es erschlichen worden sei, gewählt werden 5 2 . Eine derartige Rückdatierung von Gesetzen hält er nun keineswegs für empfehlenswert, bezeichnet sie vielmehr als eine „Eventualität", zu der man unter einer gewissen Voraussetzung gezwungen sei 5 3 ; sie komme außer i m Fall der „authentischen Interpretation, die man immerhin als einen Zusatz zu dem ausgelegten Gesetze betrachten und so denn ihrem Ergebniß nach auch zeitlich eins m i t dem Gesetze denken mag", i n den Quellen nicht vor. Wenn eine „fiktizische Zurückdatirung" je einmal vorkäme, wäre sie ein nur auf die Zukunft gerichtetes Gebot, daß Laien und Richter von nun an denken und handeln sollten, als ob das betreffende Recht oder seine Aufhebung früher als i n Wirklichkeit entstanden oder erfolgt wäre; nur diese künftige Vorstellungs- und Handlungsweise könne das Gesetz erzwingen, nicht aber bewirken, daß die Rechte oder ihre Aufhebung schon i n Wirklichkeit vor seinem Erlaß da seien. Das Gesetz habe keine rückwirkende, d. h. „rückwärts verwirklichende" Kraft. Der „color fraudis" wäre, wenn er einmal i n reli47 48 49 50 51 52 53

Ρ 3 132. Ebd. 132. Ebd. 133. Ebd. 110. Ebd. 110. Ebd. 111. So ist wohl die Anmerkung 1 ebd. 111 zu verstehen.

118

I I . Teil, 3. Kap. : Entstehung u. Aufhebung des

echts i m Objekt. Sinn

giösem oder politischem Fanatismus angewandt würde, eine „Lüge in Gesetzesgestalt" und ein weiterer Beweis, daß man i n Wahrheit Geschehenes nicht ungeschehen machen könne und umgekehrt 5 4 . Der Satz, daß die Gesetze keine rückwirkende Kraft hätten, sei daher eine Notwendigkeit und lasse keine Ausnahme zu 5 5 . „Denn so wenig eine Ursache, die nicht schon vorher da war, anders als von jetzt an u. fürderhin da sein kann, so wenig kann eine Wirkung anders als von jetzt an und in Zukunft sein" 5 6 . b) Davon zu unterscheiden ist nach Brinz der Satz, „daß Gesetze nur Künftiges normiren", der i n den Quellen auch i n der Fassung erscheine, daß Gesetze nicht zurückbezogen werden sollen. Er betreffe nicht die auch ohne i h n unmögliche Rückwirkung, sondern nur eine an sich mögliche „ E i n w i r k u n g " auf aus der Vergangenheit stammende Rechte und Rechtsgeschäfte; er besage, daß Gesetze, die den Rechtserwerb usw. versagten oder erschwerten, die schon erworbenen Rechte nicht, auch nicht i n futurum, erfassen sollen 57 . Brinz betrachtet diesen Satz als eine bloße Regel, die häufig Ausnahmen erleide, j a so oft, daß der Gesetzgeber mitunter ausdrücklich sage, daß die Regelung nur für die Zukunft gelten solle; er bezeichnet i h n als eine Interpretationsregel, die nur dann Anwendung finde, wenn das Gesetz zwar vom Wortlaut her auf schon vorhandene Rechte oder Geschäfte bezogen werden könnte, aber nicht ausdrücklich darauf Bezug genommen habe. Die Regel stelle nicht nur „Perfecta", sondern ebenso „Imperfecta", wie noch unvollendete Ersitzungen beispielsweise, außer den Bereich des Gesetzes58. Auch fielen „rechtskräftig oder gütlich beigelegte Ansprüche" nicht unter Gesetze, die sich eigens auf die Vergangenheit bezögen, da der einmal erledigte Anspruch nicht mehr bestehe; das Gesetz müsse erst das Urteil, den Vergleich, die Zahlung aufheben, wenn es den hierdurch erloschenen Anspruch noch „maßregeln" wolle 5 9 . Brinz hält die „Eigenschaft" der Gesetzgebung, daß sie sich auf K ü n f tiges bezieht, für ein „naturale" der letzteren, läßt aber dennoch einen Eingriff der Legislation auf vollendete und schwebende Geschäfte unbedenklich zu; es gebe „gegen diese Regelung, Veränderung u. A u f hebung des Vorhandenen keine Schranke außer derjenigen, welche der Wille des Gesetzgebers, ausdrücklich oder auch stillschweigend . . . selbst 54

Ebd. 112. Ebd. 112, 113 sowie 115 Anmerkung mit Stern: „logische" Notwendigkeit. 58 Ebd. 115 Anmerkung mit Stern; diese erscheint in der 2. Auflage der Pandekten noch nicht. 57 Ebd. 113. 58 Ebd. 113,114. 59 Ebd. 114,115. 55

§ 23

Lücken i m Recht

119

sich auflegt", denn selbst Verfassungsgesetze, die eine Rückwirkung ausschlössen, seien entweder — falls an echte Rückwirkung, die es nicht gebe, gedacht sei — gegenstandslos, oder sie würden den Eingriff nur erschweren, da zur Verfassungsänderung eine Zweidrittelmehrheit erforderlich sei 60 . c) Wenn Brinz die Möglichkeit einer Rückwirkung i m eigentlichen Sinne des Wortes bestreitet, ist i h m sicher recht zu geben. Man darf i n dieser Auffassung auch nicht etwa einen Beleg für eine „naturhistorische" Betrachtungsweise sehen. Seine Ansicht über die Zulässigkeit einer Einwirkung auf vorhandene Rechtsverhältnisse weicht von den heutigen Anschauungen erheblich ab; sie ist so recht positivistisch: Der Gesetzgeber muß nur die selbstgesetzten Schranken einhalten — überpositive existieren nicht für ihn. Heute wäre es unerträglich, könnte der Staat w i l l k ü r l i c h durch Gesetze „rückwirkend" i n jede Rechtsposition des Bürgers eingreifen. Brinz* Auffassung erklärt sich m. E. aus dem Umstand, daß er hauptsächlich nur das Privatrecht und vom öffentlichen nur das Zivilprozeßrecht i n den Kreis seiner Betrachtungen zieht, was aus seinen Beispielen hervorgeht. A u f dem Gebiet des Zivilrechts hat auch heute die Problematik der Zulässigkeit rückanknüpfender Gesetze nicht die Bedeutung wie i m Bereich des öffentlichen Rechts. Kruse 6 1 bemerkt treffend, die Rechtsprechung zur Rückanknüpfung von Gesetzen sei „nicht auf dem Boden des privaten, sondern des öffentlichen Rechts gewachsen".

§ 23

Lücken im Recht

1. Zitelmann schreibt Brinz das Verdienst zu, dieser sei „etwa der erste" gewesen, der sich m i t der Frage nach dem Wesen der Rechtslücken auseinandergesetzt habe, wenn er sie auch nur ganz flüchtig gestreift habe 1 . I n der Rezension von Jherings „Geist" bemerkt Brinz nur ganz beiläufig, die Juristen könnten, indem sie jeden neuen Fall i n den Bereich einer gemeinschaftlichen Entscheidung zögen, „das lückenhafteste Recht zum vollständigsten" machen 2 . Später heißt es dann aber i n den Pandekten 3 , Lücken, die vor allem durch Analogie ausgefüllt werden sollten, existierten i m Recht überhaupt nicht, wobei auf seine Besprechung von 60 61 1 2 3

Ebd. 116 Anmerkung mit Stern. S. 18,19. Lücken 7. K V 2,15. Ρ 2 1129; Ρ 3 150.

120

I I . Teil, 3. Kap.: Entstehung u. Aufhebung des Rechts i m Objekt. Sinn

Adickes' Schrift über Rechtsquellen verwiesen w i r d 4 . I n dieser Besprechung lesen w i r : Würde man i n dem auf den Gesetzen und der Gewohnheit beruhenden positiven Recht gegenüber den zu entscheidenden Fällen Lücken entdecken, so scheine zwar auf den ersten Blick eine weitere Rechtsquelle (neben Gesetz und Gewohnheit) postuliert zu sein; denn der Richter könne nicht solange warten, bis ein neues Gesetz erlassen sei, oder sich eine neue Gewohnheit gebildet habe. Bei näherem Zusehen müsse jedoch geleugnet werden, daß es Lücken i m Rechte gebe. „Den horror vacui, den der Verfasser (Adickes) hat, hatte vor i h m das Recht selbst; es gibt keinen rechtslosen Raum i m Rechte; ist für diesen und diesen Fall noch keine actio, keine exceptio, kein Erbrecht, keine Forderung, keine Befreiung gesetzt, so besteht da, wo der Verfasser (und m i t i h m freilich die Meisten) eine Lücke i m Rechte erblicken, lediglich eine Lücke auf Seite des Rechtssuchenden; bei i h m fehlt es an dem Erfordernisse, das vom Recht für den Fall der actio, oder exceptio positiv gesetzt ist" 5 . Solle aber, obwohl es an dem „positivrechtlichen Erfordernisse" für die begehrte actio oder exceptio fehle, die Klage oder Einrede dennoch gewährt werden, so sei das Ermessen oder die subjektive Vernunft des Richters, durch welches es geschehe, so wenig Rechtsquelle, als die daraus erflossene Entscheidung schon ein allgemein bindender Rechtssatz sei; erst die „fachmännisch juristische Praxis, die sich der Gewohnheit subsumirt", mache den Inhalt der Entscheidung zum Rechtssatz6. Der Richter, der hier neues Recht „anbahnt (nicht schafft)", müsse sein Ermessen aber „so recht objectiv, unter Anlehnung an das positive Recht nämlich", nicht subjektiv ausüben; der neue Satz dürfe „nichts radical Neues oder Anderes, sondern nur ein simile zu dem schon Vorhandenen erbringen, und nur die Fortspinnung einer schon bisher verwirklichten ratio juris sein"; Brinz meint m i t dieser Operation die Analogie 7 . Er w i l l also, indem er das subjektive Ermessen des Richters ablehnt, dessen Neutralität erreichen 8 . 2. Zitelmann nennt diese Bemerkungen von Brinz einen „wichtigen Gedankenblitz", der aber kaum gezündet habe und meist mißverstanden werde 9 . Sein Verständnis ist i n der Tat recht unterschiedlich. Stammler redet nur dann von Lücken i m Recht, wenn es u m den materiellen Inhalt eines Rechts gehe, wenn man also m i t den Bestimmungen des Rechts nicht zufrieden sei und eine andere Rechtsfolge m i t 4 5 6 7 8 9

K V 15,162 - 165. K V 15,164. K V 15,164: hierzu bereits o. § 20 Ziff. 1. K V 15,164,165. Vgl. Wieacker, P R G 437. Lücken 40,41.

§ 23

Lücken i m

echt

121

einem Tatbestande verknüpft sehen wolle 1 0 . Unterziehe man dagegen ein Rechtssystem einer formellen Betrachtung, so existierten keine Lücken; irgend eine formell befriedigende und ausreichende Entscheidung könne nicht fehlen. Stammler verweist bei dieser formellen Sicht auf Brinz 1 1 . Lücken können nach Stammler nur de lege ferenda, nicht de lege lata sein; hier seien sie nur scheinbar, nur i n der äußeren Formulierung; Aufgabe des Juristen sei es, diesen Schein zu vernichten und den Inhalt des Rechtssystems aufzudecken und darzustellen; der Jurist unternehme es auf Grund des bereits erkannten Inhalts des Rechts 12 . Ehrlich behauptet 13 , Brinz verneine die Frage, ob es Lücken i m Rechte gebe, deshalb, weil er darunter die Frage verstehe, ob es möglich sei, daß das Recht den Richter vollständig i m Stiche lasse, so daß dieser nicht nur nicht wisse, sondern auch nicht wissen könne, wie ein konkreter Fall zu entscheiden sei. Die scheinbare Lückenlosigkeit des Rechtes beruhe auf der allgemeinen Regel, daß jeder Klage- oder Einredeanspruch abgewiesen werden müsse, wenn sich i m positiven Rechte keine genügenden Anhaltspunkte für die Stattgebung vorfänden; diese Regel gebe dem Richter A n t w o r t auf alle Fragen, die das positive Recht nicht vorgesehen gehabt habe. Brinz habe so m i t Recht sagen können, die Lücke sei eigentlich nur auf Seite des Rechtssuchenden; nicht i m Recht sei die Lücke 1 4 , bloß die Klage, Einrede enthalte eine Lücke. Ehrlich bezeichnet diese Lösung als rein formal; die Regel sage dem Richter keinesfalls, wann ein Anspruch i m positiven Rechte begründet sei, sondern etwas sehr Richtiges, aber Selbstverständliches: Daß er dem Anspruch stattgeben solle, wenn er begründet, und ihn zurückweisen solle, wenn er unbegründet sei 15 . I n einer späteren Abhandlung definiert Ehrlich die Lücke i m Brinzschen Sinne als „eine Lücke auf Seiten des Rechtssuchenden, die dieser nicht auszufüllen versteht, durch eine Auslegung, die den ganzen Inhalt des Bewußtseins seines Urhebers ausschöpft und den Rechtssatz nicht weiter wirken läßt, als es sein Urheber vorbedacht hatte". I m Unterschied dazu liege eine echte Lücke dann vor, wenn eine Entscheidung auch bei wissenschaftlicher Auslegung des Rechtes nicht gewonnen werden könne 16 . Bergbohm stimmt Brinz i n der Annahme zu, die Lücke stecke in dem Rechtssuchenden. Die angebliche Lücke schließe sich nämlich, sobald der Suchende, gleichgültig m i t welcher Anstrengung, die Rechtsent10 11 12 13 14 15 16

AcP 69, 33, 34; etwas anders in Rechtsphilosophie § 132. K V 15,164. AcP 69, 33, 34. Lücken 81,82. Vgl. dazu Ehrlich, Logik 134: „Geschlossenheit des Rechtssystems." Lücken 81,82. Jher. Jb. 67,27.

122

I I . Teil, 3. Kap. : Entstehung u. Aufhebung des Rechts i m bjekt. Sinn

Scheidung habe, bestehe diese auch nur in der Auskunft, daß das Recht mit Fragen wie die im konkreten Fall zu lösende nichts zu tun habe 17 . Zitelmann führt die Meinung einiger Schriftsteller an, die Lücken i m Recht als Ganzem ablehnen, solche bei einzelnen Gesetzen aber einräumen; für jede scheinbare Lücke seien „latente", aber objektiv feststehende Rechtssätze i n der Rechtsordnung vorhanden — „logische Geschlossenheit des Rechts" —, so daß die angebliche Lücke des Rechts nur eine Lücke i m Wissen vom Recht sei 18 . Zitelmann rechnet Brinz dieser eben wiedergegebenen Meinung ausdrücklich nicht zu, w i r f t vielmehr Bergbohm vor, daß dieser es tue; wie er selbst Brinz versteht, sagt er leider nicht, sondern bemerkt nur, Brinz meine es ganz anders 19 . 3. Es soll nun versucht werden, Brinz' wirkliche Meinung zu ergründen. Stammler und Ehrlich haben recht, wenn sie die Lösung von Brinz als formal beurteilen. Brinz gibt dem Rechtssuchenden immer eine A n t w o r t auf sein Begehren. Wenn Ehrlich freilich i n seiner frühen Schrift Brinz einfach die allgemeine Regel unterschiebt, jeder Anspruch müsse abgewiesen werden, wenn sich i m positiven Recht keine genügenden Anhaltspunkte für die Stattgebung vorfänden, so verkennt er, daß Brinz keineswegs sagt 20 , das Begehren des Rechtssuchenden, dessen Forderung usw. vom positiven Rechte noch nicht anerkannt ist, sei von vornherein erfolglos. Die Klage usw. ist nach Brinz vielmehr begründet, wenn m i t Hilfe der Analogie, deren Grenzen oben Ziffer 1 aufgezeigt wurden, ein Anspruch bejaht werden kann. Analogie h i l f t aber nicht i n jedem Fall. Ist der zu entscheidende Fall dem i m vorhandenen Recht entschiedenen nicht ähnlich, muß a contrario entschieden werden 2 1 , was dann eine Klagabweisung zur Folge hätte. Formal ist diese Betrachtungsweise, weil nicht gefragt wird, ob die Antwort, die der Rechtssuchende erhält, auch sachlich befriedigend ist. Es verwundert nicht, daß sich Brinz bei der Erörterung des Lückenproblems nicht wie Stammler die Frage stellt, ob nicht eine Lücke de lege ferenda — bezogen auf den materiellen Inhalt des Rechts — vorliegt, wenn man einen Blick auf seine Auffassung über die Aufgaben des Juristen w i r f t . I m Vorgriff auf die spätere Darstellung 2 2 sei hier

17

S. 374 Anm. 6. Lücken 38, 39. 19 Ebd. 38, 39. 20 So auch Dubischar 15. 21 So ausdrücklich Ρ 2 I 128, Ρ 3 149; stillschweigend schon K V 15, 164, 165, indem die Grenzen der Analogie umrissen werden. Unrichtig daher Dubischar 15, der annimmt, der Richter müsse in jedem Fall neues Recht durch Analogie anbahnen. 22 U. § 30 Ziff. 1. 18

§ 23

Lücken i m Recht

123

nur so viel bemerkt, daß Brinz den Juristen nicht dazu berufen sieht, Reformvorschläge für das geltende Recht zu machen 23 . Das Recht ist für Brinz lückenlos. Indem er aber von dem Mangel positivrechtlicher Erfordernisse für die gewünschte Klage usw. spricht, so räumt er m. E. doch Lücken i m positiven Recht ein. So w i r d auch seine frühe Bemerkung 2 4 , die Juristen könnten das lückenhafteste Recht zum vollständigsten machen, zu verstehen sein; man darf daher nicht etwa an einen Gesinnungswandel bei Brinz denken. Das positive Recht (Gesetze, Gewohnheitsrecht) mag zwar Lücken haben, d. h. nicht zu jedem neuauftauchenden Rechtsfall etwas sagen, das Recht hingegen sagt immer etwas 25 . Das (normale) Recht ist „einer unabsehbaren Propagation fähig", nämlich mittels der Analogie, oder aber es sagt etwas, wenn es i n „logischer Schlußfolgerung" angewandt w i r d 2 6 . Interpretieren w i r Brinz richtig, so stoßen w i r hier auf sein Begriffspaar gesetzliches Recht — Juristenrecht oder „reines" Recht — „angewandtes" Recht. I m gesetzlichen, „reinen" Recht können sich Lücken finden, i m „angewandten" Recht, dem Juristenrecht, das ja oft nur als Recht bezeichnet w i r d 2 7 , gibt es sie nicht. Vielleicht ist deshalb auch seine Äußerung, es gebe keinen rechtslosen Raum i m Rechte 28 , nicht wie seine frühere Bemerkung, er finde keinen rechtsleeren Raum i m Bereich des Rechts 29 — die er ja selbst dahin erläutert, alles sei recht oder unrecht 3 0 —, zu verstehen; sondern so, daß es keinen Bereich geben könne, i n dem sich kein „angewandtes" Recht, kein Juristenrecht bilden könne. Indem Brinz einen rechtslosen Raum i m Recht ablehnt, vertritt er m. E. die Lehre von der Geschlossenheit des Rechts. Dies verneint Zitelmann zu Unrecht 3 1 . Objektiv liegt keine Lücke vor, nur subjektiv: Die Lücke auf Seite des Rechtssuchenden ist nur eine Lücke i m Wissen vom Recht. Ist das Recht bei dieser formalen Sehweise aber tatsächlich lückenlos? Wie schon gezeigt, ist die Entscheidung des Richters noch kein allge23

K V 19,401. K V 2,15. 25 Vgl. Ρ 3 107 und 135 : Das Recht sagt etwas. 26 Ρ 3 130 und 145; vgl. schon o. § 15 Ziff. 4 und u. § 28 Ziff. 2. 27 Vgl. o. § 15 Ziff. 1 c. 28 K V 15,164. 29 Schletters Jb. 1857,133. 30 Ebd. 133. 31 Lücken 41; vgl. auch Ehrlich, Logik 134, 135, der bemerkt, die „Geschlossenheit des Rechtssystems" sei zuerst von Brinz unzweideutig ausgesprochen worden. 24

124

I I . Teil, 3. Kap. : Entstehung u. Aufhebung des

echts i m bjekt. Sinn

meiner Rechtssatz; sie erzeugt nur jus inter partes 32 . Bezüglich dieses jus inter partes gibt es keine Lücken, sie werden jedenfalls sofort geschlossen; hier hat Brinz durchaus recht. Da er indessen annimmt, der Inhalt der Entscheidung werde erst durch dlie juristische Praxis zum Rechtssatz 33 , besteht aber doch hinsichtlich des jus inter omnes, des objektiven Rechts solange eine Lücke, bis sich der neue Rechtssatz gebildet hat. Brinz erwähnt selbst, die „Rechtsprechung" stehe i n der Analogie nur halb auf vorhandenem Rechte 34 . Diese Lücke übersieht Brinz. Er betrachtet das Lückenproblem lediglich bezogen auf die i m Einzelfall zu treffende Entscheidung, und hier kann immer entschieden werden. § 24

Die Aufhebung und Änderung des Rechts

Innerhalb der Aufhebung, schreibt Brinz, unterscheide man die „ A u f hebung schlechthin (abrogatio)", die „theilweise Aufhebung (derogatio)", den „Zusatz (subrogatio)" und endlich die „Veränderung (obrogatio)". Auch bei der „Aufhebung schlechthin" werde immer, wenn auch oft nicht ausdrücklich, etwas anderes an die Stelle des Aufgehobenen gesetzt 1 . Da keine Aufhebung von altem Recht ohne Begründung eines neuen denkbar sei, könne das Recht nur auf denselben Wegen, auf denen es entstehe, auch aufgehoben und verändert werden. Gesetze könnten auch durch Gewohnheit, wie Gewohnheitsrecht durch Gesetze beseitigt werden 2 . Gesetze und Gewohnheit sind für Brinz daher „ebenbürtig" 3 . Für den Fall, daß i n dem neuen Gesetz nicht ausdrücklich ausgesprochen sei, was von dem alten aufgehoben sein soll, bestünden folgende Sätze: 1. Daß „generi per speciem derogatur"; 2. daß die neue Regel die alte zwar m i t allen ihren „Consequenzen und Specialitäten, nicht aber auch die alten Ausnahmen aufhebe" 4 . Diese Sätze seien etwas Selbstverständliches und brauchten vom Gesetzgeber nicht i n das Gesetz aufgenommen zu werden; wolle er aber einen Ausspruch aufnehmen, so müsse er sich an sie halten 5 . 32

o. § 23 Ziff. 1. K V 15,164; Ρ 3 134,135. 34 Ρ 3 135. 1 Ρ 3 150, 151; diese Stelle ist in der 2. Auflage noch etwas anders: Ρ 2 I 129, 130. 2 Ρ 3 151. 3 Ebd. 136. 4 Ebd. 151,152. 5 Ebd. 152. 33

Viertes Kapitel

Die Anwendung des Rechts im objektiven Sinn § 25

Die Auslegung des Gesetzes

1. I m folgenden soll nur die Auslegung des Gesetzes, nicht aber die der Rechtsgeschäfte dargelegt werden. Die Auslegung der Gesetze dient, wie Coing richtig feststellt, seiner Anwendung 1 . Brinz bemerkt, erst durch die Rechtsanwendung kämen Auslegung (und „Correktur") des Gesetzes „zum Ansehen" 2 . Bevor das durch das Wort („ex scripto") entstandene Recht angewandt werde, könne seine Auslegung notwendig werden. Auslegung ist für Brinz „Ermittlung des i n dem Worte ausgesprochenen Sinnes oder Willens (volutatis quaestio, verborum interpretatio)" 3 , „Auswahl zwischen verschiedenen Bedeutungen" 4 . Die Notwendigkeit der Auslegung ergebe sich aus einer „Zweideutigkeit" des Gesetzes Wortlauts; letztere liege vor, wenn das Gesetz i n einem „einzelnen Ausdruck", i n der „Syntax" oder i m „Belange seiner Positionen" — ob sie nur beispielhaft oder abschließend seien — „zweideutig" sei. Wenn ein Wort zwar mehrere Bedeutungen, „technisch" aber nur eine habe, spreche man richtiger nicht von „Zweideutigkeit"; bis zum Gegenbeweis gelte hier die „technische" Bedeutung 5 . Anlaß zur Auslegung gebe auch nicht der Fall, daß sich ein Gesetz an verschiedenen Stellen über denselben Gegenstand verschieden ausspreche oder auszusprechen scheine („Zwiespältigkeit"); bestehe der „Zwiespalt" tatsächlich, so höben sich die gegensätzlichen Aussprüche auf und kämen für die Rechtsanwendung nicht mehr i n Frage; löse sich der „Zwiespalt", so müsse man unterscheiden, ob dies durch endliches Verständnis der anfänglich nicht begriffenen einen oder anderen Stelle geschehe oder durch eigentliche Auslegung, wenn die eine oder andere an „Zweideutigkeit" gelitten habe; zur Auslegung komme es i m letzteren Fall zwar anläßlich 1 2 3 4 5

S. 325. Ρ 3 145. Ebd. 136,137. Ebd. 143. Ebd. 137.

126

I I . Teil, . Kap. :

eA

n

g

des Rechts i m b j e k t

eines „Zwiespalts"; aber schließlich doch wegen einer keit" 6 .

Sinn

„Zweideutig-

Liege keine „Zweideutigkeit" der Sprache vor, so könne der Sinn ein „verkehrter" sein — dann müsse eine „Correktur" des Gesetzes vorgenommen 7 , nicht ausgelegt werden — oder er könne noch unverstanden sein; hier rede man zwar ebenfalls noch von Auslegung, doch sei es eine, die nur „durch Dunkelheit i n uns veranlaßt, nicht objektiv i m Gesetze selbst begründet" sei und deshalb nicht für jeden gleich nötig sei 8 . Bei „unzweideutigem" Gesetzestext hält Brinz eine Auslegung für unzulässig; es dürfe nicht hinter i h m gesucht werden, was er nicht sage. Der Richter, der hier auslege, verstoße gegen „jus d a r u m i n thesi", was die Nichtigkeit des Erkenntnisses zur Folge habe 9 . Auch dürfe die Auslegung („verborum interpretatio") m i t der Anwendung des Gesetzes („interpretatio schlechthin") nicht verwechselt werden 1 0 . Brinz vertritt also die sog. „clair-sens"-Doktrin, die noch heute viele Gegner hat 1 1 . 2. Brinz spricht sich gegen die alte Einteilung der Auslegung i n „grammatische" und „logische" aus. Nach ihrem Anlaß sei alle Auslegung eine „sprachliche"; nach ihren M i t t e l n sei sie weder nur sprachlich noch logisch, vielmehr all das, was zur Feststellung des bestimmten gesetzgeberischen Willens führen könne, daher auch „historisch, philosophisch" usw. Diese Einteilung verdanke ihre Existenz wohl der Vermengung von Auslegung und Anwendung sowie von Anlaß und Mittel: Die Auslegung gehe nämlich von sprachlichen Anstößen aus, während sich die Anwendung durch Logik und Analogie verwirkliche 1 2 . Teilweise i n der gleichen Vermischung habe die Unterscheidung von extensiver und restriktiver Auslegung ihren Grund; erstere ist für Brinz analoge Rechtsanwendung, letztere „Correktur" des Gesetzes13. Wirkliche Arten der Auslegung sieht Brinz i n der „doktrinellen" und der „authentischen" Auslegung; hier w i r d nach der „Autorität" des Auslegers unterschieden. Die „doktrinelle" gehe — ohne oder m i t Vorarbeit der „Doctrin" — vom Richter aus; die „authentische" hingegen 8

Ebd. 137,138. Siehe den nächsten Paragraphen. 8 Ρ 3 137. 9 Wenn man neuerdings Auslegung auch bei unzweideutigen Gesetzen zulasse, denke man dabei an „bloße Schularbeit", nicht an „responsorische und richterliche Thätigkeit": Ρ 3 138; vgl. dazu Ρ 1 1570, wo Brinz die „Schularbeit" als „Erklärung" bezeichnet. 10 Ρ 3 138. 11 Nachweise bei Engisch Anm. 74 a; schon Savigny bekämpfte sie: System I 318, 319. 12 Ρ 3 138,139. 13 Ebd. 139. 7

§ 25

Die Auslegung des Gesetzes

127

vom Recht selbst; letztere sei entweder „legale" oder „usuelle", je nachdem ob sie von der Gesetzgebung oder der i h r ebenbürtigen Übung herrühre. Die richterliche Auslegung führe wie gewöhnlich die res judicata bis auf weiteres nur zu jus inter partes, erwachse aber durch konstante Übung zu allgemeinem Recht 14 . 3. Ziel der Auslegung ist es, wie gezeigt 15 , den i n den Gesetzesworten liegenden „Sinn oder Willen" zu ermitteln. Wessen Willen soll nun aber festgestellt werden? Der des Gesetzgebers oder der des nun ein Eigenleben führenden Gesetzes? Brinz spricht vom „gesetzgeberischen W i l l e n " 1 6 wie auch vom „Sinn oder Willen des Gesetzes" 17 . Wenn er nun aber das „ i d quod actum" ins Auge faßt 1 8 , so kann daraus geschlossen werden, daß es i h m auf den Willen der bei der Legislation Beteiligten ankommt. Damit sind w i r nun bereits bei den M i t t e l n der Auslegung angelangt. Das wichtigste Auslegungsmittel ist für Brinz die Verfolgung des „ i d quod actum est", da es auf den unmittelbaren Erweis des fraglichen Willens ziele 19 . Hierbei werde geprüft, ob der Wille des Gesetzes nicht noch vor seiner Schlußfassung, oder i n seiner übrigen Fassung, oder i n den vorausgegangenen Gesetzen oder auf sonstige Weise i n Erscheinung getreten sei 20 . Da vor dem erwiesenen Willen das Wort des Gesetzes unter Umständen weichen müsse — was Brinz bei der „Correktur" des Gesetzes annimmt —, gelte dies erst recht von der einen oder anderen von mehreren Bedeutungen eines Wortes. Bei den heutigen Gesetzen müsse man den Beweis des fraglichen Willens vorwiegend aus den „Motiven zum Gesetzentwurf" und den „Verhandlungsprotokollen" schöpfen; für die älteren Gesetzbücher (Landrechte usw.) seien hauptsächlich die „früheren Redactionen" maßgeblich; für das Corpus Juris kämen besonders die „übrige Fassung" des Gesetzes, nämlich alle übrigen einschlägigen Stellen, und dann das „jus antejustinianeum" i n Betracht; auch das 14

Ebd. 139. o. Ziff. 1. 16 Ρ 3 139; 141: „Daß der Gesetzgeber... gewollt habe." 17 Ebd. 140,142. 18 Ebd. 140. 19 Ebd. 141. 20 Ebd. 140; in Ρ 1 1552 — worauf Brinz in Ρ 3 140 Anm. 1 verweist — umschreibt er das „id quod actum est" näher: es sei kein unausgedrücktes, sondern nur ein vor der endlichen Willensfassung ausgedrücktes Wollen; die Absicht, wie sie sich in den Stadien der Vorverhandlung oder der sonstigen Vorbereitung des Geschäftes offenbart habe; eine Intention, die vor deren schließlicher Abfassung zu Tage getreten sei, in letzterer selbst dann aber zu kurz gekommen sei. 15

128

I I . Teil, 4. Kap.: Die A n w e n d u n g des Rechts i m objektiven Sinn

„postjustinianisch-byzantinische" Recht sei nicht nur für die K r i t i k wertvoll 2 1 . I n einer i m Jahre 1885 erschienenen Rezension bemerkt Brinz bezüglich der Auslegung eines bestimmten modernen Gesetzes, so wenig als eine „particula legis nisi tota lege perspecta" dürfe auch ein „ganzes Gesetz nicht außer dem Zusammenhange seiner Causalität, seiner Vorläufer und seiner Nachfolger gewürdigt werden" 2 2 ; er meint damit das „ i d quod actum" 2 3 . W i r sehen also, Brinz faßt unter das „ i d quod actum est" all das, was w i r heute als grammatische, systematische und historische Auslegung bezeichnen, oder, wie er selber sagt, all das, wodurch der Wille des Gesetzgebers ermittelt werden könne 2 4 ; er bezieht dies freilich auf die Auslegung allgemein (nach ihren Mitteln) und nicht speziell auf das M i t t e l „ i d quod actum est", meint aber wohl dieses hauptsächlich. A n zweiter Stelle stehen für Brinz als Auslegungsmittel die „Vermuthungen", obgleich einige von ihnen gesetzlich sanktioniert seien („praesumptiones juris"), sowie die „Nothbehelfe", die ebenfalls vom Recht angeordnet seien 25 . Endlich geht Brinz noch auf die Bedeutung der ratio legis (den „ G r u n d " 2 6 oder die „ M o t i v i r u n g " 2 7 des Gesetzes) für die Auslegung ein. Dieser „Grund" des Gesetzes sei, da er ja nicht das Gesetz selbst („tenor legis") sei, mit dessen Willen oder Inhalt nicht identisch, daher auch kein direkter Beweis für Sinn oder Willen des Gesetzes; da er für diesen freilich bald mehr, bald weniger entscheidend sei, könne er entweder nahezu die Bedeutung eines unmittelbaren Beweises erlangen oder auch nur einer faktischen Vermutung oder er könne ganz bedeutungslos werden. Zu einer Rechtsvermutung erwachse er nur, wo er „ i m Wohlwollen gegen gewisse Klassen von Personen und Sachen besteht". Der „Grund" müsse aber selbst feststehen, solle er eine Bedeutung für die Auslegung gewinnen 2 8 ; außerdem dürfe er nicht nur nicht verwertet, sondern müsse, „eine Gefahr für das Gesetz selbst, gemieden werden" 2 9 . 21 Ρ 3 140. I m Hinblick auf die Forschung, die bei der Kritik, der Exegese (dazu o. § 9) und der richterlichen Auslegung auf die vor justinianische Fassung einzelner Stellen zurückgreife, spreche man von „duplex interpretatio": ebd. 140. Auch nach Windscheid Ρ I 61 sind die Stellen des C. J. einer „zwiefachen Auslegung bedürftig". Bzgl. der Auslegung des C. J. vgl. auch Ρ 1, 7. 22 K V 27, 24. 23 Ebd. 24. 24 Dazu schon o. § 25 Ziff. 2. 25 Wegen der von Brinz genannten „Rechtsvermuthungen" und „Nothbehelfe" siehe Ρ 3 141. Ein Beispiel ist weiter unten im Text angeführt. 26 Ρ 3 142. 27 Ebd. 110. 28 Ebd. 142. 29 Ebd. 142 mit Verweisung auf D 1, 3, 21. Diese Stelle lautet in der Ubersetzung: „Darum muß man nicht nach dem Grunde dessen, was bestimmt wor-

§ 26

Die „ C o r r e k t u r " des Gesetzes

129

Was Brinz mit dem zuletzt angeführten Gedanken sagen w i l l , ist einigermaßen dunkel; so wie dieser Satz dasteht, hebt er die vorangegangenen Ausführungen wieder auf. Aus seiner Verweisung auf D 1, 3, 21 kann vielleicht geschlossen werden, daß er nur ausdrücken w i l l , für den Fall, daß der Grund des Gesetzes nicht feststehe, dürfe er nicht nur nicht für die Auslegung berücksichtigt werden, sondern er dürfe überhaupt nicht erforscht werden, da er allgemein eine Gefahr für das Gesetz darstelle. Dadurch, daß Brinz die Feststellung des Willens des Gesetzgebers als Auslegungsziel betrachtet, erweist er sich als Vertreter der i m 19. Jahrhundert wohl vorherrschenden subjektiven Theorie oder W i l lenstheorie 30 . Gewisse Ansätze für eine objektive Auslegungsmethode sind m. E. aber teilweise i n den „Rechtsvermuthungen" und „Nothbehelfen" zu sehen: Denn w i r d ζ. B. die Auslegung nicht gewählt, durch welche das Geschäft, der Verkehr mehr behindert als gefördert würden 3 1 , so bedeutet dies ja gerade nicht die Ermittlung des historischen Willens des Gesetzgebers. § 26

Die „Correktur" des Gesetzes

Ausgangspunkt ist hier für Brinz, so wie eine Partei bei einseitigen Rechtsgeschäften, könne sich auch der Gesetzgeber irren. Möglich sei, daß versehentlich irgendein Ausdruck sich ohne den Willen des Gesetzgebers i n das Gesetz einschleiche, oder daß ein Wort, Satz zwar bewußt, aber aus I r r t u m aufgenommen werde; zu der letzteren Kategorie von Fällen rechnet Brinz auch den, daß der Ausspruch auf einem logischen Fehler beruht 1 . Wenn der Ausdruck, verglichen m i t dem tatsächlichen Willen des Gesetzgebers, zu weit oder zu eng sei, so daß mehr Fälle vom Gesetz erfaßt oder ausgeschlossen würden, als der Gesetzgeber wolle, so geschehe dies zwar mit, allein nicht mit seinem vollen Willen 2 . I n solchen Fällen komme wegen der Unzweideutigkeit des Ausdrucks keine Auslegung, vielmehr nur ein „Entscheid zwischen Buchstaben und Willen" i n Frage. Entscheide man sich für den Willen — wie er w i r k lich gewesen sei oder ohne den I r r t u m gewesen wäre —, so liege i n der Tat eine „Correktur" vor, da hier das Gesetz genommen werde, wie es lauten sollte, nicht wie es laute 3 . Unter Bezugnahme auf die Quellen den, forschen: denn sonst würde vieles von dem, was feststeht, umgestoßen werden". 30 Vgl. Larenz 32. 31 So Ρ 3 141. 1 Ρ 3 142. 2 Ebd. 142,143. 3 Ebd. 143; wenn Brinz hier über die „Correktur" sagt, sie sei „angeblich restrictive oder extensive Auslegung" — dieser Ausspruch ist übrigens in der 9 Rascher

130

I I . Teil, 4. Kap. : Die Anwendung des Rechts i m objektiven Sinn

hält Brinz die „Correktur" für zulässig und geboten, freilich nicht schrankenlos; nämlich nur i n den Fällen, wo der Ausspruch ohne den Willen des Gesetzgebers zu eng oder zu weit und wo er durch „logischen Fehlgriff" erfolgt sei. Keineswegs dürfe aber der Gesetzgeber überall, wo er durch irrtümliche Vorstellungen zu seinem Ausspruch gelangt sei, korrigiert werden 4 . Uberhaupt sei eine Abweichung von dem Buchstaben erst erlaubt, wenn eindeutig feststehe, daß der Gesetzgeber etwas anderes gewollt habe oder bei richtiger Folgerung gewollt hätte. Wie die Auslegung könne auch die „Correktur" nur durch die Autorität der dauernden Übung oder der Gesetzgebung selbst gesetzliches Ansehen erlangen 5 . Nach all dem habe die bei Rechtsgeschäften geltende Regel, daß der nachweisbare Wille der handelnden Personen selbst ihren klarsten Worten vorgehe, auch für die Gesetze Gültigkeit 6 .

§ 27

Der Begriff der Rechtsanwendung

1. I m Vorgriff auf die Darstellung i n § 30 soll an dieser Stelle kurz vom Brinzschen Jurisprudenzbegriff die Rede sein. Jurisprudenz ist ihm nicht nur die Rechtswissenschaft, die Theorie, die der Erkenntnis des Rechts dient, sondern auch die „Kunst" der Rechtsanwendung 1 . M i t ihr, der praktischen Seite der Jurisprudenz, wollen w i r uns schon i n diesem und den beiden nächsten Paragraphen beschäftigen 2 . A u f eine geschlossene Darstellung der gesamten Jurisprudenz i n einem Kapitel wurde verzichtet, weil insoweit Brinz selbst gefolgt werden soll, der i n seinem Pandektenwerk (2. und 3. Auflage) die Rechtsanwendung i n einem A b schnitt (§§ 31, 32) isoliert behandelt. Die Rechtswissenschaft erfährt dagegen i n den Pandekten keine derartige zusammenfassende Betrachtung. 2. Es wurde schon gezeigt, daß Brinz die Rechtsanwendung auch als „praktische Verarbeitung" des Rechts bezeichnet 3 . Bei der „Verarbeitung" der Quellen w i r d das Wort der Quelle aufgegeben, ihr Gedanke aber, entweder „an sich (theoretisch)", oder „ i n Bezug auf einen neuen 2. Auflage noch nicht enthalten — so ändert das m. E. nichts daran, daß er nur das, was sonst restriktive Auslegung genannt wird, als „Correktur" und die extensive Auslegung aber als analoge Rechtsanwendung bezeichnet (so ausdrücklich Ρ 3 139). Bei der Analogie stimmen Willen und Ausdruck des Gesetzgebers überein: Ρ 3 149. 4 Ρ 3 143. 5 Ebd. 143. 6 Ebd. 144. 1 Nachweise u. § 30 Ziff. 1 (insbesondere Rechtswissenschaft 3170). 2 Vgl. noch die Bemerkung u. § 30 Anm. 10. 3 o. § 15 Ziff. 1 a.

§ 27

Der Begriff der Hechtsanwendung

131 4

Fall (praktisch)" verfolgt sowie i n einer neuen Form dargestellt . Die „praktische Verarbeitung" 5 zerfällt einmal i n die Rechtsanwendung selbst, zum anderen i n die Vorlesungen, Übungen und „Schriftwerke", die der „richterlichen" wie der „cautelarischen" Rechtsanwendung „voroder nacharbeiten" 6 . Brinz nennt einmal die Rechtsanwendung schlicht „eine A n t w o r t auf eine gewisse Frage", nämlich auf die Frage eines Unkundigen, was i n einem konkreten Rechtsfall Rechtens sei 7 . I n den Pandekten beschreibt er die Rechtsanwendung dann wie folgt: I m Gegensatz zu der Auslegung und „Correktur" der Gesetze, die nur ein Objekt — das Gesetz nämlich — hätten, habe die Rechtsanwendung zwei Objekte: das Recht i m objektiven Sinn und einen Fall 8 . Die Rechtsanwendung setze umfassende Rechtskenntnis voraus 9 , daher auch Auslegung und „Correktur" 1 0 ; oft sei allerdings das anzuwendende Gesetz unzweideutig, so daß keine Auslegung nötig sei — die Schwierigkeit könne hier i m Fall selbst liegen 11 . Der Fall sei entweder ein „Geschäftsfall"; dann sei fraglich, wie das Geschäft am sichersten zu gestalten sei; Brinz spricht hier von der „cautelarischen" Rechtsanwendung. Oder es handle sich um einen „Rechts(Streit-)fall", wenn zwischen zwei Parteien ein Recht oder Anspruch „rechtshalber" — „quaestio juris — nicht blos quaestio facti" 1 2 — fraglich geworden sei; dies sei die „responsorische oder richterliche Rechtsanwendung (Rechtsprechung)". Hier solle ausgesprochen werden, was das Recht i m objektiven Sinn zu dem Fall sage, ob der Anspruch bestehe usw. („quid sit juris"); man erwarte von dem „ u m solchen Ausspruch Angegangenen", daß er den zwischen dem Recht und den zu entscheidenden Fällen bestehenden „Rapport" verstehe, weshalb er für den Unkundigen ein „Dollmetsch (interpres), sein respondere ein interpretari" sei 1 3 ; oder jede Partei dünke sich ihres Rechtes sicher und wolle nicht Auskunft, sondern ein unparteiisches Urteil, suche daher i n dem Dritten nicht sowohl den „Rechtsverständigen (juris consultus) als den Richter (judex)" 1 4 . 4

Ρ 3 69, 70. Zur „theoretischen Verarbeitung" näher u. § 33 Ziff. 2. β Ρ 3 90. 7 K V 2, 11. Ebd. 13 heißt es noch, alle Rechtsanwendung sei auf Rechtsansprüche gerichtet. 8 Ρ 3 144. 9 Rechtswissenschaft 3170, Ρ 3 144, Possessio I V ; vgl. auch u. §31 Ziff. 2. 10 Ρ 3 145. 11 Ebd. 145; P I 1570. 12 Näher zu dieser Frage u. § 29 Ziff. 2 a. 13 Ρ 3 144. 14 Ebd. 144; vgl. bereits o. § 15 Ziff. 1 a („cautio", „interpretation. 5

9*

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I I . Teil, 4. Kap. : Die Anwendung des Rechts i m objektiven Sinn

Brinz spricht hier von den beiden „Gattungen" der „Rechtsprechung". Durch sie werden also, wie es andernorts heißt, „zweifelhafte" oder „streitige" Fälle entschieden 15 . 3. Z u Brinz' Terminologie ist zu bemerken: Die „Rechtsprechung", i n der vorigen Ziffer als „responsorische oder richterliche" RechtsanWendung definiert, versteht Brinz, wie schon gezeigt 16 , an anderer Stelle als „consiliarische und richterliche" Rechtsanwendung 17 . W i r finden auch noch die „Interpretation (responsorisch-richterliche Rechtsprechung)" neben der „Legislation" und der „Jurisdiction" angeführt 1 8 . Außerdem redet er von der „consiliarischen, richterlichen, cautelarischen" Übung 1 9 , wobei er bei der „consiliarischen" wohl nur an die gutachterliche Praxis denkt 2 0 . Die Termini „responsorische" und „consiliarische" Rechtsanwendung dürften deckungsgleich sein. Unter den Ausdruck „Rechtsprechung" dürfte alle Rechtsanwendung außer der „cautelarischen" zu subsumieren sein. Die beiden „Gattungen" der „Rechtsprechung" sind daher die „responsorische" oder „consiliarische" Rechtsanwendung und die „richterliche" Rechtsanwendung. Man w i r d diese Begriffe wohl folgendermaßen auslegen müssen: Bei der „responsorischen" Rechtsanwendung w i r d eine Rechtsauskunft gegeben, und zwar m i t Hilfe der „interpret a t i o " 2 1 ; tätig werden kann hier jeder Jurist, der private Gutachter wie der staatliche Richter, der dann freilich die Form des Urteils wählt. Nicht ganz auszuschließen ist allerdings, daß Brinz hier nur die Gutachtertätigkeit privater Juristen i m Auge hat. Bei der „richterlichen" Rechtsanwendung w i l l der Rechtsuchende keine Rechtsauskunft, weil er schon eine Rechtsmeinung hat, sondern die Streitentscheidung eines unparteiischen Richters, wofür nur der staatliche Richter i n Betracht kommt, der aber Jurist 2 2 sein muß, also kein Laie, wie i n Rom, sein darf 2 3 . Es fällt also die moderne Rechtspre15

Röm. Juristen 685. o. § 20 Ziff. 1. 17 Ρ 3 134. 18 Ebd. 148. Vgl. zudem Ρ 2 I 216, wo Brinz — wohl für die römischen Verhältnisse nur — „das Recht der jurisdictio zur magistratischen, das Richteramt zur richterlichen, das jus respondendi zur consiliarischen Rechtsan wendung" erwähnt. 19 Ρ 3 9 mit Anm. 17; vgl. noch ebd. 138 und Ρ 1 1570: Responsorische und richterliche Tätigkeit. 20 Vgl. Ρ 3 92, wo er die Consilien und Responsen als Gutachten qualifiziert und von den richterlichen Erkenntnissen trennt. 21 Siehe die Definition o. § 15 Ziff. 1 a. 22 Ρ 3 144: Beide „Gattungen von Rechtsprechung" setzten Kenntnis des ganzen Rechts voraus. 23 Siehe auch Arndts 488, der die „consiliarische" Rechtsanwendung als die 16

§ 27

Der Begriff der

echtsanwendung

133

chung sowohl unter die „responsorische" als auch unter die „richterliche" Rechtsanwendung; die „responsorische" enthält aber auch private Gutachtertätigkeit. Die Brinzsche „Rechtsprechung" ist daher jeder „Ausspruch" eines Juristen, „was i m einzelnen Falle Rechtens sei" 2 4 , und zwar entweder des Richters oder eines privaten Gutachters. Daß der Richter das Recht nicht nur anzuwenden 25 , sondern auch zu verwirklichen hat, w i r d noch zu zeigen sein 26 . Was man sich unter der erwähnten „Interpretation" und der „Jurisdiction" zu denken hat, ist unklar. Aus einer von Brinz zitierten Digestenstelle 27 ist zu schließen, daß er m i t der „Jurisdiction" die Rechtsweisungsgewalt des römischen Magistrats meint 2 8 und m i t der „Interpretation" die Tätigkeit der römischen Juristen 2 9 . Dagegen spricht, daß er selbst ja die „Interpretation" als „responsorisch-ricTiterliche Rechtsprechung" erläutert. Aber dieser neue Terminus w i r f t neue Fragen auf: Ist dies eine Mischart aus beiden „Gattungen" der „Rechtsprechung" oder die „responsorische" Rechtsanwendung, die ein Richter betreibt? Oder ist die „Jurisdiction" die moderne Rechtsprechung, die „Interpretation" die private Gutachtertätigkeit? Diese uneinheitlichen, zum Teil unscharfen und widersprüchlichen Begriffe erleichtern nicht gerade das Verständnis dessen, was mit ihnen gemeint ist. Sie kommen wohl daher, daß Brinz zu sehr noch an römischen Vorbildern hängt und aber doch auch modernen Gegebenheiten (ζ. B. keine Zweiteilung des Zivilverfahrens) Rechnung tragen w i l l . 4. Nun sollen noch einige Gedanken von Brinz skizziert werden, die i n seinem Einleitungsaufsatz zu Schletters Jahrbüchern aus dem Jahre 1855 enthalten sind. Dort differenziert er innerhalb der Praxis zwischen einer „blos äusserlichen" Praxis und einer, die es „mehr innerlich" sei. Als erstere bezeichnet er die Tätigkeit von Anwälten, Richtern und Notaren, das Abfassen von Klagen, Urteilen und Verträgen; die „innere" Praxis solle diese „äussere" „wie die Seele den Leib durchdringen", „als ein stetes Bemühen, die äussere Praxis nicht blos zu vollziehen, sondern sie i m Sinne des vorhandenen Rechts, und i n dem Einen Geiste derselben zu vollziehen — casuistische Jurisprudenz" 3 0 . „gutachtliche", die „richterliche" als die „entscheidende" Beurteilung von auftauchenden Rechtsfällen deutet. 24 Ρ 3 145; ähnlich Ρ 1 1570. 25 Κ V 2,13: Urteil sei eine Rechtsanwendung. 26 § 29 Ziff. 2 a. 27 Ρ 3 148 Anm. 19 (D. 1, 3,12 und 13). 28 I n Rom. Juristen 685 versteht Brinz die Jurisdiktion im römischen Sinn. 29 Vgl. z.B. Ρ 1 1417: „RechtsanWendungen, responsa, interpretatio"; ebd. 1570: Interpretatio = Rechtsanwendung (ebenso Ρ 3 138). 30 Schletters Jb. 1855, 7.

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I I . Teil, 4. Kap.: Die A n w e n d u n g des Rechts i m objektiven Sinn

Diese „casuistische" Jurisprudenz finden w i r als die „der praktischen Aufgabe des Rechts zugewandte, nicht auf das Erkennen, sondern auf das Machen des Rechts gerichtete, dem A n w a l t und Richter vorarbeitende" Jurisprudenz 3 1 charakterisiert. Die „Casuistik" sei die den „tagtäglichen Fällen der Rechtsübung selbst und vorzugsweise den neuen beschreibend, erörternd, entscheidend zugewandte Jurisprudenz" und sei von den Römern „interpretatio" genannt worden 3 2 . Brinz beklagt nun, daß i n der zeitgenössischen Jurisprudenz eine solche Kasuistik nicht oder nur i n einem geringen Ausmaß vorhanden sei 3 3 ; ihr Mangel sei etwas Erhebliches, da hiermit doch gerade das fehle, was i n der römischen Jurisprudenz alles sei 34 . „ W i r haben, abgesehen von äusserer Praxis, keine der römischen vergleichbare practische Jurisprudenz; hingegen aber haben w i r eine Theorie des römischen Rechtes, welche die römischen Juristen selbst nicht hatten 3 5 ." Brinz vergleicht hier also die deutsche Jurisprudenz mit der römischen, die i h m vorbildlich ist 3 6 . Die deutsche Jurisprudenz könnte, meint Brinz, etwas Ähnliches wie die römische Kasuistik haben — die nicht nur die Erörterung einzelner Fälle, sondern „eine zahllose Menge solcher Erörterungen" sei, die, „scheinbar von einander unabhängig, Ein Ganzes ausmachen" —, wenn die von den deutschen Juristen i m 16. und 17. Jahrhundert eingeschlagene Richtung nicht verlassen worden wäre 3 7 ; w i r seien von dem „casus" jetzt aber so ziemlich abgekommen 38 . Die von Brinz geforderte Kasuistik hält er für notwendig, u m zu verhindern, damit nicht „Recht und Gericht i n W i l l k ü r entarten oder zerfahren"; die „äussere" Praxis der Richter usw. mache die Kasuistik nicht entbehrlich, sondern diese sei „wegen" der Richter usw. und „ f ü r " sie erforderlich 39 . Durch wen soll nun diese Kasuistik gebildet werden? Zum einen zeigt Brinz die Möglichkeit auf, sie könne entweder durch 81

Ebd. 8. Ebd. 7; bzgl. der interpretatio sei auch auf § 5 verwiesen. 33 Schletters Jb. 1855, 7, 8. Vgl. hierzu K Ü 2, 468. 34 Schletters Jb. 1855, 7. 35 Ebd. 9 — bei Brinz gesperrt; vgl. schon o. § 5 Ziff. 1; zum Theoriebegriff dieser Stelle siehe u. § 31 Ziff. 1. 36 Vgl. Schletters Jb. 1855, 7: Die römische Jurisprudenz gebe für die Betrachtung der Gegenwart den „bessten" und „notwendigsten" Standpunkt. 37 Ebd. 7; vgl. noch Rom. Juristen 683: Die älteren Praktiker mit ihren Dezisionen und Konsilien... seien dem Ideal Mosers und dem „Muster" des römischen Rechts näher gestanden als die heutige Zeit, die selbst in ihren Zeitschriften und Archiven „mehr auf wissenschaftliches Ansehen, als auf gemeinsame Entscheidung und Schaffung von Recht ausgeht". 38 Schletters Jb. 1855, 7. 39 Ebd. 7. 32

§ 27

Der Begriff der

echtsanwendung

135

die „äusseren Practiker" selbst geschaffen werden — indem man ihnen die dafür nötige Zeit zur Verfügung stelle —, oder durch die sogenannten „Theoretiker" 4 0 ; andererseits spricht er indessen davon, die Juristen (Theoretiker) müßten „ i m Bunde mit Anwälten, Notaren und Richtern" eine Kasuistik „nach dem Muster der römischen" bilden 4 1 . Brinz w i l l also, daß die Juristen ein Fallrecht entwickeln. Die Theoretiker sollen wie einst die römischen Juriskonsuiten respondieren, indem sie zu den Rechtsfällen des täglichen Lebens, hauptsächlich zu neuen Stellung nehmen und so dem Richter und A n w a l t „vorarbeiten". Diese Tätigkeit ist dann insofern auf das „Machen des Rechts" ausgerichtet, als sie wie i n den Fällen der Analogie über das vorhandene Recht hinausgeht und neues Recht anbahnt; geschaffen w i r d letzteres erst durch die gleichmäßige Übung 4 2 . Brinz' Wunsch ist es daher, daß der Praxis „wissenschaftliche Präjudizien" bereitgestellt werden 4 3 . I n welcher Form soll dies nun aber geschehen? Zu denken ist an die „Responsen, Consilien, Decisionen" der vorigen Jahrhunderte, von denen Brinz spricht 44 , also an Gutachten einzelner Juristen und der Fakultäten zu konkreten Fällen. Wohl ebenso an die Erörterung neuer Fälle i n systematischen Darstellungen des Rechts, einzelnen Abhandlungen usw. 4 5 . Allgemein redet Brinz nur von gemeinsamer, gemeinschaftlicher Entscheidung, was über die Form freilich nichts besagt 46 . Von seiner Forderung nach einer kasuistischen Jurisprudenz ist Brinz m. E. i m Laufe seines Lebens nicht abgerückt. Es wurde früher gezeigt, daß er sagt, die Juristen könnten, indem sie jeden neuen Fall i n den Bereich einer gemeinsamen Entscheidung zögen, dem Richter ein „angewandtes" Recht schaffen 47 ; weiter, daß er annimmt, ein aus Entscheidungen bestehendes Recht (Juristenrecht) „arbeite" dem Richter „vor" und führe zu besseren, gleichmäßigeren Gerichtsentscheidungen 48 . Und 40

Ebd. 7. Ebd. 9; schon Savigny Beruf 141 fordert, wir sollten die alten römischen Juristen studieren und „ihnen ihre Weise ablernen, und so dahin kommen, in ihrer Art und von ihrem Standpunkt aus selbst zu erfinden und so ihre unterbrochene Arbeit in gewissem Sinne fortzusetzen". 42 Vgl. o. §§ 20 Ziff. 1 und 23 Ziff. 1. 43 Ein Ausdruck Wieackers, PRG 174. 44 Schletters Jb. 1855, 7. 45 I n Ρ 3 90 - 93 führt Brinz unter der Literatur, die der „richterlichen" Rechtsanwendung vor- oder nacharbeite, nur auf: Quästionen, Konsilien, und richterliche Erkenntnisse. Dies könnte gegen die eben geäußerte Annahme sprechen. 46 Röm. Juristen 683; K V 2,15. 47 o. § 23 Ziff. 1 ( = K V 2,15). 48 o. §§ 5 Ziff. 2 a und 15 Ziff. 1 b ( = Röm. Juristen 682). 41

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I I . Teil, 4. Kap. : Die Anwendung des Rechts i m objektiven Sinn

die „Rechtsprechung" der Pandekten (2. und 3. Auflage), die wie bemerkt 4 9 , eine Rechtsquelle ist, weil sie „angewandtes" Recht, das Juristenrecht, schafft 50 , umfaßt wohl die „äussere" Praxis als auch die kasuistische Jurisprudenz, die „innere" Praxis. Diese Unterscheidung der Praxis taucht übrigens später nicht mehr auf. Außerdem kritisiert Brinz ja noch i n späteren Jahren Savignys „Recht der Wissenschaft", weil es kein Recht schaffe 51 , drückt damit also aus, daß die Jurisprudenz Recht erzeugen müsse. Darüber, ob die Jurisprudenz den von i h m gewünschten Verlauf genommen hat, äußert sich Brinz nicht. I m Jahre 1875 redet er freilich von dem Fortschritt, den die Jurisprudenz unter Arndts' Augen gemacht habe, denkt aber wohl dabei nicht an die Kasuistik 5 2 . Ob die Gutachtertätigkeit einzelner Juristen i n der Zeit nach 1855 zunahm, ist nicht bekannt; die der Juristenfakultäten endete jedenfalls spätestens m i t dem Inkrafttreten der neuen Gerichtsverfassung des Bismarckreichs i m Jahre 187853. 5. Es fällt auf, daß Brinz bei der Abhandlung der Rechtsanwendung i n den Pandekten nicht auch der Vielzahl der Fälle gedenkt, wo Laien ohne die Mithilfe von Juristen Rechtsgeschäfte abschließen. Sie bedienen sich dabei des Rechts und erzielen die Wirkungen des Rechts, so daß hier unzweifelhaft auch eine Rechtsanwendung zu bejahen ist 5 4 . Es soll nun natürlich keineswegs behauptet werden, Brinz sei sich dessen nicht bewußt gewesen, daß man auch von einer Rechtsanwendung ohne die M i t w i r k u n g von Juristen sprechen kann; einmal nämlich bemerkt er, jeder, der rechtsgültig ein Testament errichte, einen Vertrag schließe usw. wende bewußt oder unbewußt i n dem Geschäft, das er vornehme, die dafür geltenden allgemeinen Sätze an — oder er mache von der i h m durch Gesetz und Recht gegebenen „Vollmacht", über alles was sein sei zu verfügen, innerhalb der gesetzten Schranken und vorgeschriebenen Formen Gebrauch 55 . I n der Regel aber denkt Brinz nur an die Rechtshilfe der Juristen, an die sich ein unkundiger Laie 5 6 — i m Falle der Entscheidung zweifelhafter Fälle oder der kautelarischen Tätigkeit — oder ein kundiger — 49

o. § 20 Ziff. 3. Wozu noch Wiederholung nötig ist, o. § 20 Ziff. 1. 51 Savignyrede 10; Ρ 3 108. 52 Possessio I V . 53 Vgl. Ρ 3 93 und Wieacker, PRG 181. 54 Vgl. in diesem Zusammenhang Arndts 488. 55 Rom. Juristen 685. 56 Vgl. K V 2, 11: I n jedem konkret auftauchenden Rechtsfall liege für den „Unkundigen" die Frage, was Rechtens sei. 50

§2

De

e d e r

Hechtsanwendung

137

i m Falle der Entscheidung streitiger Fälle — wendet 5 7 . Brinz spricht es einmal deutlich aus, daß die „Gesetzanwendung" von „Gebildeten" geleitet, beherrscht und gesammelt werden solle 58 . Durch diese Tätigkeit soll ja nach Brinz* Vorstellung neues Recht, das Juristenrecht, angebahnt werden. Es ist offensichtlich, Brinz folgt bei seinem Begriff der Rechtsanwendung der römischen Jurisprudenz, deren „respondere" („interpretatio") und „cavere" 5 9 .

§ 28

Die Methode der Rechtsanwendung

1. Nähere Ausführungen darüber, wie die Kautelartätigkeit vor sich geht, finden sich nicht bei Brinz. Allgemeines läßt sich darüber wohl auch nicht viel sagen. Dagegen enthalten die Pandekten (2. und 3. Auflage) i n § 29, der die Uberschrift „Die Rechtsprechung insonderheit" trägt, eine eingehende Darstellung des Verfahrens, wie das Recht i n den vorkommenden Fällen gefunden wird. 2. Die „responsorische" und die „richterliche" Anwendung des Rechtes oder der Ausspruch, was i m einzelnen Fall Rechtens ist, beruhen nach Brinz entweder auf „logischer" oder auf „analogischer Schlußfolgerung" 1 . a) I n den meisten Fällen fuße der Ausspruch auf „logischer d. i. directer Schlußfolgerung". Brinz zählt vier Arten von Schlußfolgerungen auf: I. Vom Abstrakten zum Konkreten. II. Vom Abstrakt-Generellen zum Konkret-Speziellen. I I I . A potiore ad minus (vom „Abstract-Mehreren zum Concret-Geringeren") und IV. das argumentum a contrario — unius positio alterius exclusio („von dem m i t Ausschließung des Gegentheils abstract Gesetzten auf das concrete Gegentheil") 2 . Die beiden letzteren entfernten sich vom Buchstaben des Rechts 3 . Wenn nicht das Gesetz, sondern eine Abmachung der Parteien maß57

Vgl. Ρ 3 144; Röm. Juristen 685. K V 2, 37 — dazu schon o. § 15 Ziff. 1 b —; vgl. noch Rechtswissenschaft 3170: Das Juristenrecht solle von einer geistigen Macht, der Jurisprudenz getragen sein. 59 Auch Puchta nimmt ein Monopol des Juristen für Theorie und Praxis an: Wieacker, PRG 399. 1 Ρ 3 145. 2 Ebd. 145,146. 3 Ebd. 131. 58

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gebend sei, so bilde sie das Abstraktum, aus dem für den konkreten Fall dieselben Schlußfolgerungen wie aus dem Gesetz zu ziehen seien 4 . I m Syllogismus nennt Brinz den heute 5 so bezeichneten Obersatz den „Major" oder „Vordersatz", den Untersatz den „ M i n o r " oder „ M i t t e l satz" und die Schlußfolgerung den „Schlußsatz" 6 . Diese Schlußfolgerungen kämen i n ihrem „vollen syllogistischen Ausdrucke" auch i n der „Rechtsprechung" kaum einmal vor; i n den römischen Responsen erscheine oft nur der „Schlußsatz", während der „ M i n o r " aus dem Fall und der „Major" durch Abstraktion oder Generalisierung gewonnen werden müßten; manchmal bestehe die A n t w o r t nur i n dem Ausspruch des „Major" oder „Minor", so daß der Rechtsuchende den „Schlußsatz" selbst zu deduzieren habe 7 . Die Arbeit der „Rechtsprechung" sieht Brinz weniger i n der Folgerung, die beim Feststehen von „Vorder-" und „Mittelsatz" leicht sei, sondern hauptsächlich i n der Aufstellung der beiden letztgenannten Sätze; häufig sei der „Vordersatz" beim Auftauchen des Falles selbst noch unsicher, vielleicht durch diesen erst recht in Frage gestellt; möglicherweise der „Mittelsatz" bedenklich, insbesondere weil fraglich werde, ob der zu entscheidende Fall noch unter das vom Rechtssatz entschiedene „Genus" falle. W i r sagten schon, daß Brinz annimmt, i n derartigen Fällen sei die „Rechtsprechung" Rechtsquelle nicht sowohl dadurch, daß sie „reines" i n „angewandtes" Recht verwandle, als dadurch, daß sie durch die Entscheidung des Konkreten das Allgemeine befestige 8 . M i t letzterem meint Brinz wohl, es könne hier noch kein „reines" Recht i n ein „angewandtes" umgewandelt werden 9 , weil das „reine" Recht sich noch nicht herausgestellt habe; vielmehr werde der postulierte Satz erst durch stete Wiederholung zum Rechtssatz 10 , wozu die neue Entscheidung einen Beitrag leiste. b) I m Gegensatz zur „logischen", „nothwendigen" 1 1 Schlußfolgerung ist die „analogische" die „logisch blos mögliche" 1 2 ; sie ist keine logische Notwendigkeit 1 3 . Brinz beschreibt die Prozedur dieser Schlußfolgerung 4

Ebd. 146. Vgl. etwa Larenz 230. β Ρ 3 146,147. 7 Ebd. 146,147. 8 ο. § 20 Ziff. 3 ( = Ρ 3 147). 9 Bei dieser Umwandlung zeigt sich das Abstrakte konkret, das Generelle speziell usw.: Ρ 1 1570. 10 Ρ 3 134,135,10; vgl. schon o. § 20 Ziff. 3. 11 Ρ 3 131,147. 12 Ebd. 131. 13 Ebd. 149,150. 5

§2

De

e d e r

echtsanwendung

139

folgendermaßen: Der „Schlußsatz" werde hier nicht aus einem Rechtssatz, sondern, „bildlich gesprochen, seitwärts desselben gezogen"; man erweitere einen vom Gesetzgeber für einen engeren Kreis von Fällen aufgestellten Satz (A) erst, um den allgemeinen Satz (G) und aus diesem den dem vorhandenen Satz (A) ähnlichen Satz (S) zu gewinnen; aus S werde dann der Schluß auf den konkreten Fall (C) gezogen. A und S seien sich „ähnlich, verwandt", jedoch nicht i n auf- und absteigender Linie wie „Genus und Species", sondern „seitwärts"; beide stammten von dem „postulirten stipes communis (G)" ab; die analoge Folgerung sei ein „ad similia procedere" 14 . Das Wesen der Analogie erblickt Brinz nicht i n der Folgerung von S aus G und von C aus S und G, sondern i n der Generalisierung des schon existierenden Rechtssatzes (A); dieser Vorgang sei zwar eine „logische Operation", jedoch kein Schluß und ähnle als die „Postulirung eines weiteren Rechtssatzes" der „Legislation". Es hänge m i t einer gewissen Schwäche der Gesetzgebung zusammen und sei ein Postulat der Gerechtigkeit, daß nicht nur die „Legislation" und „Jurisdiction", sondern auch bereits die „Interpretation (responsorisch-richterliche Rechtsprechung)" 15 diesen A k t vornehmen dürfe. Da der Gesetzgeber nicht alle Fälle voraussehen könne, auf die er bei ihrer Kenntnis seine gegenwärtige Norm erstreckt hätte, müsse es „genügen", daß er sich so ausdrücke, wie es nach seinem gegenwärtigen „Gesichts- und Standpunkt" möglich sei; man dürfe es denjenigen, die durch den vom Gesetzgeber nicht vorausgesehenen Fall betroffen würden, nicht „entgelten lassen, daß sie desselben Auge nicht erreicht hat"; die vom Gesetzgeber an Hand von ähnlichen Fällen aufgestellte Regel sei nur eine „erste Constitution", ein „Leitfaden", die durch „Interpretation oder spätere Constitutionen auszuführen ist"; der Gesetzestext enthalte die ähnlichen Fälle gleichsam „zwischen den Zeilen" 1 6 . Voraussetzung der Analogie ist für Brinz jedoch, daß der analog zu entscheidende Fall dem i m vorhandenen Recht entschiedenen tatsächlich auch ähnlich ist und daß kein Anlaß für die Vermutung besteht, daß sich der Gesetzgeber absichtlich enger gefaßt hat; denn dann müsse a contrario gesprochen werden 1 7 . Die Abgrenzung zur „Correktur" des Gesetzes nimmt Brinz so vor: Ist der Ausdruck des Gesetzgebers nur aus Versehen zu eng, wollte er mehr sagen, so ist „Correktur" am Platze. Konnte er sich nach seinem 14 15 18 17

Ebd. 147,148; zur Analogie vgl. auch schon o. § 23 Ziff. 1. Zur Auslegung der genannten Begriffe o. § 27 Ziff. 3. Ρ 3 148,149. Ebd. 149; vgl. bereits o. § 23 Ziff. 1, 3.

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I I . Teil, 4. Kap. : Die Anwendung des Rechts i m objektiven Sinn

damaligen Standpunkt nicht weiter fassen, decken sich also Ausdruck und Willen, dann greift Analogie ein 1 8 . Schließlich unterscheidet Brinz die analoge Entscheidung von der „bloßen Rechtfertigung aus Analogien" 1 9 . Aus seinem Hinweis auf zwei Pandektenstellen geht hervor, daß er hierbei an die utiles actiones denkt, die analog gewährt wurden 2 0 . 3. Hiernach zeigt sich, was die Anwendung des geltenden Rechts in der Praxis für Brinz ist: ein rein logisches Verfahren 2 1 . Teleologische und Wertungsgesichtspunkte bleiben bei dieser Prozedur völlig außer Betracht. Treten Lücken i m positiven Recht auf, so werden diese, wie w i r sahen, nicht subjektiv, sondern objektiv, i n Anlehnung an die positiven Rechtsregeln ausgefüllt 22 . Dasselbe logisch-formale Verfahren der Rechtsanwendung hat i m 19. Jahrhundert auch Laband propagiert 2 3 . Wilhelm bemerkt zu Labands Verfahren treffend, das juristische Denken gleiche dem mathematischen 24 . Diese Methode glaubt, allein mit Logik den tagtäglichen Fällen des Lebens gerecht zu werden und übersieht, daß so nicht immer sachlich befriedigende Ergebnisse erzielt werden können. Durch ihren Verzicht, die gesellschaftliche Wirklichkeit zu berücksichtigen 25 , ist sie formal. Bei Brinz muß i n diesem Zusammenhang auf den Umstand hingewiesen werden, daß er der Gesetzgebung enge Grenzen setzt und die Weiterentwicklung des Rechts i n die Hände der Jurisprudenz, d. h. hier der Rechtsanwendung legt 2 6 . Die Gesetzgebung soll, wie gezeigt 27 , eine Lebensordnung nicht nach logischen Regeln, vielmehr nach Bedürfnissen und Zielen des Lebens schaffen, wobei Brinz indessen nur an eine Regelung der Grundzüge denkt; die Ausführung soll dann die Jurisprudenz besorgen. Trotz dieser bewußt fragmentarischen Regelung durch die Gesetzgebung gesteht Brinz aber der Jurisprudenz nicht zu, die gleichen Gesichtspunkte wie die Legislation zu berücksichtigen, wenn sie das 18

Ρ 3 149; vgl. schon o. § 26 Anm. 3. Ρ 3 150; dieser Gedanke ist in der 2. Auflage noch nicht enthalten. 20 Ρ 3 150 Anm. 26 a mit Verweis auf D. 21, 2, 4 § 1 sowie D. 20, 1, 13 § 2; vgl. auch Ρ 2 I 303, 304, wo Brinz bei der Besprechung der utilis actio die Analogie nennt. 21 Vgl. auch K V 28, 147, wo es heißt, Urteile spielten im Werdeprozeß des Rechts eine große Rolle, und kein Urteil sei ohne Syllogismus möglich. 22 o. § 23 Ziff. 1. 23 Dazu Wilhelm M L 10,11 ; siehe außerdem Wieacker, PRG 380. 24 M L 11. 25 Vgl. ζ. B. Verein I 3: Die Bedürfnisse, Ziele, Mittel und Wege des Verkehrs lägen den Juristen fern. 26 Vgl. etwa Ρ 3 130. 27 ο. § 22 Ziff. 1 b. 10

§ 29

Die V e r w i r k l i c h u n g des Hechts

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Recht fortentwickelt, neues anbahnt; sie erhält als Instrumentarium lediglich die Logik. Bei dieser Auffassung von der Kompetenz der Jurisprudenz (Rechtsanwendung) muß sich eine formale Methode naturgemäß verstärkt negativ auswirken. Der Schlüssel für die Brinzsche Methode der Rechtsanwendung liegt i m römischen Recht, dem Brinz hier folgt. Durch die „interpretatio" soll das Recht i n den neuen atypischen Fällen gefunden werden und so das Recht weiterentwickelt werden. Das römische Recht ist — nach Jhering 2 8 — von einem „Glanz des Logischen" bedeckt, und schon i n der römischen Jurisprudenz wurden „nichtrechtliche Elemente" nicht i n den Kreis der Erwägungen gezogen 29 . § 29

Die Verwirklichung des Rechts

1. W i r wollen uns zunächst nochmals vor Augen führen, was Brinz bei der Abgrenzung des Rechts von dem Natur- und dem Sittengesetze sagt: Die Verwirklichung des „Rechtsgesetzes" beruhe auf Zwang, der freilich oft ausbleibe — sei es, weil der Berechtigte selbst den „Kampf ums Recht" nicht aufnehme, weil die „Genossen" sein Recht verkannten oder verachteten, oder weil menschliche Gewalt überhaupt nicht ausreiche; das Recht wolle zwar Verwirklichung, bestehe jedoch nicht in der Verwirklichung 1 . Das Recht ist für Brinz ja übersinnlich 2 . Bereits i n seinen Kritischen Blättern formuliert es Brinz so: „Alles Recht 3 ist nicht selbst Macht 4 , aber i n seinem Zwecke liegt es, v e r w i r k licht zu werden; diese Verwirklichung ist eine Sache des physischen Könnens; ob das Recht seinen Zweck erreicht, also die Macht sich beigesellt, das ist quaestio facti: die Existenz des Rechtes ist hievon unabhängig 5 ." Der Zwang gehört m i t h i n nicht zum Grundwesen des Rechts (im objektiven wie i m subjektiven Sinn) — ein Gedanke, den schon Hegel äußert 6 . Henkel 7 bemerkt treffend, es liege in der Konsequenz 28

Geist I I I 1 300. Schulz 17, 26; vgl. außerdem Wieacker, Röm. Recht 27: Rechtszweckbetrachtung liege dem klassischen Juristen fern. 1 Ρ 3 106, 107 (ο. § 16 Ziff. 1); vgl. noch Ρ 2 I 310: Die Verwirklichung könne dem Rechte wie den Rechten versagen. 2 Vgl. o. § 14. 3 Wohl im subjektiven Sinn: Krit. Bl. I I I 8. 4 Gemeint ist „physische Macht" : ebd. 8. Wegen der übersinnlichen („rechtlichen") Macht o. § 14 Ziff. 3. 5 Krit. Bl. I I I 8; Realisierung durch „gerichtliche Hilfe", „Zwang" (ebd. 8). 6 Hegel, Grundlinien 149 nennt das „abstrakte Recht" zwar ein „Zwangsrecht", meint aber: „Das abstrakte oder strenge Recht sogleich von vorn herein als ein Recht definiren, zu dem man zwingen dürfe, — heißt es an einer Folge auffassen, welche erst in dem Umwege des Unrechts eintritt." 7 S. 95. 29

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I I . Teil, 4. Kap. : Die Anwendung des Rechts i m objektiven Sinn

der Lehre, die Recht und Macht trenne — dieser Auffassung begegneten w i r auch bei Brinz 8 — den Zwang aus dem Recht auszuschalten. Natürlich nimmt aber auch Brinz an, daß i n einem Recht die Möglichkeit zwangsweiser Verwirklichung liegt. Sagt er noch i n den Kritischen Blättern, das Klagrecht aus einer Obligation sei einer ihrer „wesentlichen B e s t a n d t e i l e " 9 , so verbindet er i n den Pandekten das subjektive Recht und das Klagrecht noch enger: Dort sind i h m beide identisch; das Klagrecht sei das entsprechende Recht selbst, und die Rechte selbst seien nichts Anderes als Klagrechte 10 . Das Klagrecht nennt er „eine A r t des Rechtes der Geltendmachung der Rechte", „ein Recht zur V e r w i r k l i chung"; die Geltendmachung der Rechte sei eine Verwirklichung der Rechte, indem sie deren Ausübung sei oder ermögliche 11 . Letzteres bedarf einer Erläuterung. Eine Identität von Geltendmachung und Ausübung nimmt Brinz bei den Forderungsrechten an 1 2 ; beim Eigentum und den „hausherrlichen Gewalten" gingen hingegen Ausübung und Geltendmachung der Rechte auseinander — beide erfolgten nämlich durch verschiedene Handlungen: die Ausübung durch die „friedlichen" des „uti, frui", die Geltendmachung durch die „streitbaren" der „interpellation a c t i o . . ." 1 3 . Die Verwirklichung der Rechte erfolgt also durch staatliche Hilfe, Zwang. 2. Weitere Gedanken über die Verwirklichung des Rechts finden sich i n der schon mehrfach erwähnten Besprechung von Jherings „Geist", i n dem Jhering die „juristische Technik" darlegt, die der V e r w i r k l i chung des Rechts dient 1 4 . a) Die ganze Tätigkeit der „juristischen Technik" spaltet sich bei Jhering i n zwei „Hauptzwecke" auf, nämlich i n die Erleichterung der geistigen Beherrschung, Aneignung des Rechts und i n die „Praktikabilität" des Rechts, welche die Rechtsanwendung erleichtern soll 1 5 . So wie Brinz Jhering gegenüber einräumt, daß m i t der Beherrschbarkeit" des Rechts auch seine „Realisierbarkeit" gefördert w i r d 1 6 , so bezweifelt er auch nicht, daß der Inhalt des Rechts auf seine „Anwendbarkeit" oder „Praktikabilität" von Einfluß ist 1 7 . „Beherrschbarkeit" 8

o. § 18 Ziff. 1. Krit. Bl. I I I 8. Vgl. auch Obligation und Haftung 377. 10 Ρ 2 1311, 312. 11 Ebd. 310, 311, 312. 12 Ebd. 248. 13 Ebd. 249. 14 Geist I I 2 334 ff. 15 Ebd. 340. le K V 2,15. 17 Ebd. 10, 36.

9

§ 29

Die V e r w i r k l i c h u n g des Rechts

143

und „Anwendbarkeit" sind für Brinz jedoch keine Zwecke, sondern nur „ M i t t e l zum Zweck", nämlich lediglich eine „Vorstufe" der „Realisierbarkeit" 1 8 . Denn die Rechtsanwendung sei noch nicht Rechtsverwirklichung, sondern müsse von dem „weiteren Gebiete" der letzteren abgegrenzt werden 1 9 . Dementsprechend unterscheidet Brinz innerhalb der „Realisierbarkeit" die „Anwendbarkeit" und die „übrige Realisierbarkeit (Erweislichkeit?)" 20 . Er w i r f t Jhering vor, die Rechtsanwendung mit der Rechtsverwirklichung zu vermischen 21 . Wie bereits oben § 27 Ziffer 2 dargelegt, geht es für Brinz bei der Anwendung des Rechts auf einen Fall nur um die „quaestio juris", nicht aber um die „quaestio facti". Die Responsen der römischen Juristen und die Reskripte der Kaiser, i n denen Brinz „ M u ster" der Rechtsanwendung sieht, seien nur Antworten auf Rechtsfragen gewesen 22 . Ob der Fall „ w i r k l i c h sey, oder so sey", gehe den, „bei dem nur Anwendung des Rechts ist, nichts an"; dies müsse erst der Richter prüfen, der das Recht nicht nur anzuwenden, sondern auch zu verwirklichen habe 23 . So bezeichnet Brinz die eigentliche Beweisaufnahme nicht als Rechtsanwendung 24 . Bestimmungen, die eine zweifelhafte Tatsache zur rechtlichen Gewißheit oder Wahrscheinlichkeit erhöben, erleichterten daher nur die Realisierung, nicht jedoch die A n wendung des Rechts 25 . b) Die „logische Concentration" ist für Jhering eines der Mittel, u m die geistige Aneignung des Rechts zu erleichtern; durch sie soll das Prinzip herausgestellt werden, welches der Gesetzgeber bei der Statuierung mehrerer Rechtssätze hatte 2 6 . M i t dem Prinzip werde eine „Quelle 18

Ebd. 9. Ebd. 11,9. 20 Ebd. 36; das Fragezeichen deutet darauf hin, daß Brinz sich selbst nicht ganz sicher ist. 21 Ebd. 11. 22 Ebd. 11; vgl. hierzu Schulz 22: Die klassischen Juristen hätten die Beweislehre isoliert. Grundsätzlich habe die römische Jurisprudenz den Tatbestand als festgestellt angesehen und sich allein mit der Rechtsfrage beschäftigt. 28 K V 2,11. Richter hier m. E. im Sinne von staatlichem Richter. 24 Ebenso Schätzungen: K V 2, 11, 12. Konsequent ist es, daß Brinz, dem ja die Rechtsanwendung ein logisches Verfahren ist, sagt, der Beweis beruhe mehr noch auf dem „gemeinen Glauben und Gewissen, als auf Syllogismen": Ρ 1 246. 25 K V 2,12. 26 Geist I I 2, 343, 379 f. Ein weiteres Mittel Jherings ist die „juristische Construction", auf die wir schon in § 13 eingehen mußten; ein anderes die „juristische Analyse", mit der sich Brinz zwar auseinandersetzt — K V 2, 16 - 19 —, dabei aber keine unmittelbaren Ausführungen zur Verwirklichung macht, weshalb wir hier darauf nicht zu sprechen kommen; die restlichen Mittel — vgl. Geist I I 2 341 - 345 — erwähnt Brinz nur: K V 2,10, 21. 19

144

I I . Teil, 4. Kap. : Die Anwendung des

echts i m objektiven Sinn

neuer Rechtssätze" erschlossen; wer das Prinzip wolle, genehmige auch die Konsequenzen 27 . Brinz wendet hiergegen nichts ein, warnt aber doch vor der „Vorstellung, als ob es sich i m Recht bloß um das Centrum oder die Centren handle, daß man, sobald diese gefunden, die peripherischen Rechtssätze als nunmehr nutzlosen Ballast über Bord werfen dürfe"; gerade die Rechts Verwirklichung ziehe eine der obigen entgegengesetzte, „centrifugale Richtung der Rechtsbildung" nach sich und müsse es wegen der Besonderheit jedes Falles auch tun. Zwar wäre es „schlimm" für die Rechtsverwirklichung, wenn w i r „principienlos auf der F l u t h von Sätzen umhersteuerten", — aber noch „schlimmer" wäre es, meint Brinz, wenn w i r lediglich Prinzipien und keine Sätze hätten. „Consequenz ist ein leichtes Wort, aber eine schwere That. Auch gerathen die Principien selbst nur allzu leicht an einander" 2 8 . c) Jhering bemerkt, das Recht könne die Rechtsanwendung erschweren oder erleichtern, je nachdem, ob die „Voraussetzungen" und „Folgen" eines Rechtssatzes „innerlicher" oder „äußerlicher" bestimmt seien 29 . Diese Feststellung befriedigt Brinz nicht 3 0 . Die Jheringschen „Voraussetzungen" der i m Recht gesetzten „Folgen" deutet er als die „juristischen Handlungen", besonders die Rechtsgeschäfte, von denen die Begründung und Aufhebung der einzelnen Rechte abhingen; die „Folgen", von Brinz „Wirkungen" genannt, seien die subjektiven Rechte 31 . Zwar sind die Rechtsgeschäfte und Rechte, deren Gestaltung i n der Hand des Rechts liege, für Brinz die beiden „Punkte", i n denen „das Recht der eigene Schöpfer seiner Anwendbarkeit ist" 3 2 . Der „Gegensatz von Innerem und Aeußerem" komme jedoch nur bei der Bestimmung der Voraussetzungen für die Rechtsgeschäfte in Betracht, hingegen nicht für die „Wirkungen", die Rechte 33 . Bei ihnen stehe ein „Formalismus" nicht zur Diskussion 34 . Die allgemeinen Bedingungen der „Anwendbarkeit" können nach Brinz' Auffassung am sichersten ermittelt werden, wenn man von den Schwierigkeiten der Anwendung ausgehe 35 . Diese Schwierigkeiten lägen teilweise „außer und vor" dem Recht, i m Fall selbst; ihnen könne nicht durch das Recht oder seine Technik, sondern nur durch jene „subjective 27 28 29 30 31 32 33 34 35

Geist I I 2, 382. K V 2, 20, 21. Geist I I 2 347 f. K V 2,13. Ebd. 13,14. Ebd. 14. Ebd. 14. Ebd. 15. Ebd. 14.

§ 29

Die V e r w i r k l i c h u n g des Rechts

145

Kunst" begegnet werden, die Jhering die „Kunst der juristischen Diagnose" nenne 36 . Die vom Recht selbst herrührenden Schwierigkeiten beruhten entweder auf Fehlern des Gesetzgebers und könnten nur durch „subjective Kunst oder Eigenschaften" des Gesetzgebers, jedoch durch keine Technik vermieden werden. Oder sie hätten ihren Grund i n der „Natur des Rechts oder seiner Bestimmung selbst" 3 7 und könnten durch keine Kunst, vielmehr nur durch „Arbeit und Beharrlichkeit" überwunden werden 3 8 . Brinz fühlt sich wohl als Praktiker, indem er sagt, es möge für den Theoretiker und den Gesetzgeber kein wichtigeres Problem geben, als die Voraussetzungen einer erhöhten „Anwendbarkeit" am vorhandenen Recht festzustellen und i m entstehenden zu schaffen 39 . Er schlägt für die Realisierung des Rechts die Tatsache seiner Anwendung „unendlich höher" an als die Möglichkeit der Anwendung, die „Anwendbarkeit". Die Juristen könnten, indem sie jeden neuen Fall, für den noch kein, wenigstens kein unmittelbarer Rechtssatz bestehe, entschieden, dem Richter und dem Volke ein „angewandtes Recht" schaffen, das praktikabler sei als das anwendbarste aber nicht angewandte Recht 40 . d) Dennoch erkennt es Brinz an, daß Jhering das Problem einer am materiellen Recht zu verfolgenden höheren „Realisierbarkeit" des Rechts aufgeworfen hat. Zur „Theorie der juristischen Technik" bemerkt er abschließend, sie müsse sich mit dem Inhalt des materiellen Rechts als ihrem „eigentlichen Gebiete" befassen und herausarbeiten, durch welche A r t von Bestimmungen die „Realisierbarkeit" gefördert werde. Eine „nähere Darstellung" der Wissenschaft — deren Arbeiten eine „Bewältigung der Masse" herbeiführten —, möge sie nun als „Analyse, Concentration" oder sonst etwas gedacht sein, sei jedoch für eine „Theorie der juristischen Technik zu viel"; immer sei die „Beherrschbarkeit", die sie dem Recht zusetze, nur eine „unwillkürliche" Folge ihrer Tätigkeit; sie stehe nicht i m Dienst dieses Nutzens und dürfe i h m auch nicht unterstellt werden 4 1 . 3. I n seinem Begriff von Rechtsanwendung ist Brinz zwar durch das Vorbild der römischen Juristen beeinflußt. Es ist freilich eine zeitlose 38 Geist I I 2 356; K V 2, 14. I n Ρ 3 145 bemerkt Brinz, es bedürfe hier der „Kunst der Rechtsanwendung, nicht blos Wissenschaft und Auslegung"; vgl. bereits o. § 27 Ziff. 2. 37 Als Beispiele führt Brinz die Schwierigkeit an, daß kein Recht allen Fällen gewachsen sei, sowie, daß der Verkehr, dem das Recht diene, nicht nur Formen, sondern ebenso „Freiheit von Formen" verlange: K V 2,14,15. 38 Ebd. 14. 39 Ebd. 11. 40 Ebd. 15; vgl. zu diesem Gedanken schon o. §§ 23 Ziff. 1 und 27 Ziff. 4. Dazu, daß man mit der Lösung des Problems der „juristischen Technik" noch nicht das praktikabelste Recht hätte, siehe ausführlich bereits o. § 15 Ziff. 1 b. 41 K V 2, 36.

10 Rascher

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I I . Teil, 4. Kap. : Die A n w e n d u n g des

echts i m objektiven Sinn

Wahrheit, daß für einen Gutachter, der ja zur rechtlichen Seite eines Falles Stellung nehmen soll, die Beweisfrage bedeutungslos ist 4 2 . Bemerkenswert ist, daß Brinz den Begriff der Rechtsverwirklichung immer mit Gericht und Zwang i n Beziehung setzt 43 . Dies ist m. E. die Konsequenz dessen, daß er bei der Rechtsanwendung stets (bis auf einmal) nur an die durch die Juristen, nicht aber die durch die Laien denkt 4 4 . Ist aber die Rechtsverwirklichung einfach die Herbeiführung der vom Gesetz gewollten Folge, des gewünschten Zustandes, so kann dies oft 4 5 auch durch Laien ohne gerichtliche Unterstützung geschehen, ζ. B. bei freiwilliger Zahlung, Herausgabe usw., was Brinz selbstverständlich geläufig ist 4 6 . Es verwundert nidit, daß Brinz, der sich gegen die Berücksichtigung der Bedürfnisse, Ziele und M i t t e l des Verkehrs durch die Juristen ausspricht 47 , die „moralischen, sozialen und politischen Bedingungen der Rechtsverwirklichung durch die Anwendung des positiven Rechts" 48 — i m Gegensatz zu Jhering 4 9 — nicht untersucht 50 . Hier w i r k t , wie Wieacker richtig feststellt, das „formalistische Ideal" der Pandektistik nach 51 .

42 So auch Schulz 22: „Für den Gutachter... spielt die Beweisfrage keine Rolle." 43 Vgl. o. § 29 Ziff. 1 und K V 2, 9, wo „exequirt" gleichbedeutend für „realisirt" steht. 44 o. § 27 Ziff. 5. 45 Freilich nicht immer. Nicht bei Gestaltungen, die nur durch Urteil möglich sind (ζ. B. Ehescheidung), nicht im S traf recht. 46 Vgl. etwa Krit. Bl. I I I 6: Die „Executionsgewalt" der Gerichte, eine „physische" Gewalt, verbinde sich mit der Obligation „oft, ja gewöhnlich". Also nicht immer! 47 o. §§ 16 Ziff. 2 und 28 Ziff. 3. 48 Wieacker, PRG 439 Anm. 24. 49 Wieacker, P R G 439 Anm. 24. 50 Zwar heißt es in Rechtswissenschaft 3170, die Rechtskenntnis sei „dienendes Glied in der Reihe von Vorbedingungen" zur Lösung der Aufgabe, das „seiende R e c h t . . . ins Leben zu übersetzen, . . . zu verwirklichen". Welches die anderen Vorbedingungen sind, wird nicht gesagt. 51 Wieacker, PRG 439 Anm. 24.

Fünftes Kapitel

Die Jurisprudenz § 30

Der Begriff und die Aufgabe der Jurisprudenz

1. I n der ersten Auflage der Pandekten bezeichnet Brinz die Jurisprudenz als die „Kenntniß dessen was Recht ist, und die Kunst, es anzuwenden", wobei er neben der Kenntnis auch die Erkenntnis meint, was aus dem darauffolgenden Satz hervorgeht 1 . Die Rede ist zwar von einer „theoretischen" und einer „practischen" Jurisprudenz 2 , außerdem von der „Jurisprudenz, welche i n der A n wendung des Rechtes besteht und eine Kunst ist" sowie von der „Jurisprudenz, welche der Anwendung vorausgeht und i n bloßem Wissen besteht, und also die Anlage hat eine Wissenschaft zu sein" 3 . Daraus zu schließen, Brinz nehme zweierlei Arten von Jurisprudenz an, wäre jedoch verfehlt, denn es gibt für i h n nur eine Jurisprudenz 4 . Sie ist Wissenschaft und Kunst nebeneinander, Theorie und Praxis zugleich 5 ; die Praxis ist die „schaffende", die Theorie die „erkennende Seite" der Jurisprudenz, wie sich Brinz einmal ausdrückt®. Letztere w i r d auch nur die „Rechtswissenschaft" genannt 7 . Allerdings spricht er i n einer frühen Schrift einmal von der „practischen, d. i. der einzigen Jurisprudenz" 8 . Dies erklärt sich wohl damit, daß die historische Schule die praktische Seite der Jurisprudenz vernachlässigt hat und Brinz an der Belebung dieser Seite, der kasuistischen Jurisprudenz, gelegen ist 9 . 1

Ρ 1 Vorrede V I I I . Ähnlich K V 19, 401: „Erkenntnis und Anwendung des vorhandenen Rechtes." 2 Schletters Jb. 1855,13. 3 Savignyrede 6. 4 So ausdrücklich Ρ 1 Vorrede V I I I und Centralblatt 1856 Sp. 800. 5 Ρ 1 1417; Schletters Jb. 1855, 9; K V 15, 337; Herzdenkmal 5; Rechtswissenschaft 3170. 6 Schletters Jb. 1855, 8. 7 Savignyrede 4. I n Rechtswissenschaft 3170 verwendet Brinz den Ausdruck „Rechtswissenschaft" allerdings synonym mit dem weiten der Jurisprudenz. 8 Schletters Jb. 1855, 9. I n Centralblatt 1856 Sp. 191 nennt er Bährs „Anerkennung" ein Beispiel „practischer" Jurisprudenz. Vgl. auch K Ü 2,468. 9 Siehe Savignyrede 4 und vor allem 10, außerdem seine Kritik in Schletters Jb. 1855, 10 und die Kritik an der heutigen Zeit, die mehr auf „wissenschaftliches Ansehen, als auf gemeinsame Entscheidung und Schaffung von Recht" ausgehe (Röm. Juristen 683). Vgl. auch Bekker, Leist 18. 10*

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I I . Teil, 5. Kap.: Die Jurisprudenz

Von der Rechtsanwendung war schon in den §§ 27 - 29 die Rede 10 . Die Jurisprudenz hat nach Brinz ein ihr eigenes Gebiet, bestehend i n der „Erhebung, Sichtung, Klärung, Darstellung des geltenden Rechtes" 1 1 . Diese Beschreibung ist aber unvollständig, weil i n ihr nur die Theorie angesprochen ist und die große Kompetenz, die Brinz der Jurisprudenz bei der Fortentwicklung des Rechts durch die Rechtsanwendung zuschreibt, keinen Niederschlag gefunden hat. Diese Kompetenz kommt aber zum Ausdruck, wenn Brinz unter „juristisch" versteht, es würden dabei die vorhandenen Gesetze angewandt, ausgeführt, generalisiert und systematisiert 12 oder wenn er von der „ A r b e i t " der Juristen sagt, sie bestehe i m „Ausstossen des veralteten", „Anbahnen eines neuen" und i n der „Anwendung des eben geltenden Rechts", was nur bezüglich des „Rechts der Gegenwart" möglich sei 13 . Denn wer nicht für ein geltendes Recht arbeite, sei kein Jurist 1 4 , den Brinz — wie den Priester und den Arzt — für einen „Vertreter seines Volkes und seiner Zeit" hält 1 5 . Später bemerkt er, ohne die Befassung mit dem geltenden Recht seien w i r nur „Philologen, Historiker, Antiquare", selbst wenn w i r uns nur m i t Recht beschäftigten; u m Jurist zu sein, müsse man i m geltenden Recht sein „Domicil" haben, dürfe freilich dann auch „ i n ferne Zeiten und zu fremden Völkern auf Reisen gehen", allerdings nur mit dem „animus revertendi" 1 6 . Ja, die „Entschiedenheit vor A l l e m i n der Feststellung des geltenden Rechts" ist für Brinz geradezu eine „Lebensbedingung" sowohl für das Recht wie für die Jurisprudenz 17 . Diese Juristenpflicht zu erfüllen ist Brinz i n seinen Pandekten bestrebt 18 . Das Recht ist also das Objekt der Jurisprudenz, die freilich ihrerseits „zum Rechte wesentlich mitgehört" 1 9 . Den Inhalt gibt sich das Recht aber selbst, wie w i r schon sahen 20 , die Jurisprudenz ist, wie sich Brinz einmal ausdrückt, die „Potenz", die das Recht hinsichtlich seiner „Form oder Gestalt" einrichtet 2 1 . 10 wegen Brinz' weitem Jurisprudenzbegriff ist es freilich nicht ganz zu vermeiden, daß im folgenden die Rechtsanwendung mitunter noch zur Sprache kommt. 11 Possessio I V . 12 Rechtswissenschaft 3179. 13 Schletters Jb. 1855, 9. 14 Ebd. 9. 15 Ebd. 9; vgl. in diesem Zusammenhang noch Brinz' Grabrede für den Juristen Poezl — Poezl 230 —, wo er etwas pathetisch sagt: „Ubrigbleiben ist nur eines: unsere Aufgabe. Mögen wir sie Wissenschaft oder Forschung, Vaterland oder Menschheit, Gott oder Welt nennen; sie ist ewig." 16 Rechtswissenschaft 3170. 17 Ρ 1 Vorrede V I I I . 18 Ebd. V I I I . 19 Savignyrede 10; vgl. auch ebd. 6 bzgl. des Objekts. 20 o. §§ 10 Ziff. 1 und 16 Ziff. 2.

§ 30

Der Begriff u n d die Aufgabe der Jurisprudenz

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Indem Brinz das Gewicht der juristischen Tätigkeit auf das i n Geltung begriffene Recht legt, w i l l er nicht nur historische, außer K r a f t getretene Rechte ausgeschlossen wissen, sondern desgleichen das Zukunftsrecht, die lex ferenda. „Uber die Natürlichkeit, Sinnlichkeit, Nothwendigkeit, oder umgekehrt über die Furtivität, Härte, Unmenschlichkeit des Eigentums zu disputiren ist eine Aufgabe, die der Jurist nicht nur mit dem Rechtsphilosophen, Nationalökonomen und Historiker, sondern auch mit den Volksvertretern und Journalisten jeder Sorte teilt. Was die klassischen Juristen i n dieser Richtung geleistet, ist verschwindend wenig; klassisch an ihnen ist gerade das, daß sie bei ihrer Aufgabe bieben" 2 2 . Für Brinz gibt es außer der Erkenntnis und Anwendung des geltenden Rechts überhaupt keine Jurisprudenz 23 . Rechtspolitische A u f gaben hat der Jurist also nicht; offenbar soll er sich nicht einmal an Reformdiskussionen beteiligen 24 . Brinz verwahrt sich i n diesem Zusammenhang gegen den Vorwurf, die Jurisprudenz sei nur eine „formale", wenn sie sich auf das „vorhandene" Recht beschränke 25 . Vergegenwärtigt man sich, welch kleinen Aktionsradius er der Legislation zugesteht, so muß man es schon als konsequent bezeichnen, daß er dem Juristen unter Berufung auf die römischen Klassiker auch eine rechtspolitische A k t i v i t ä t versagt. Die Gesetzgebung ist für Brinz ja sozusagen ein potentieller Feind der Jurisprudenz, w e i l sie ihr Terrain wegnehmen kann, und soll deswegen auch nicht noch aus den Reihen der Juristen vorbereitet und gestärkt werden. 2. Vergleichen w i r Brinz' Jurisprudenzbegriff mit dem heutigen, so muß zuerst festgestellt werden, daß die Rechtsanwendung heutzutage von der Rechtswissenschaft geschieden w i r d 2 6 . Als deren Zweige werden gewöhnlich aufgeführt: die Rechtsdogmatik, die Rechtsgeschichte, die Rechtssoziologie, die Rechtspolitik, die Rechtstheorie und die Rechtsphilosophie 27 . Die Rechtspolitik haben w i r eben ausgeschieden, und die Rechtssoziologie, die ja zu Brinz' Lebzeiten noch i n den Kinderschuhen

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K V 2, 7. K V 19, 401. 23 Ebd. 401. 24 Vgl. hierzu auch Brinz' Schüler Lotmar (Vom Rechte 34, 35): „Allein der Kritik und der Reform des geltenden Rechts Vorschub zu leisten, ist gar nicht Sache der Jurisprudenz." Lotmar verweist dabei ebd. Anm. 45 auf die oben im Text wiedergegebene Stelle von Brinz aus K V 19, 401. M. E. interpretiert daher auch Lotmar Brinz in dem Sinne, daß Reformarbeiten am geltenden Recht nicht zu den Aufgaben des Juristen zählen. 25 Ebd. 401. 28 Vgl. etwa Coings Gliederung X I I , X I I I ; Brockhaus 17. Auflage, 15. Band (1972) Stichwort „Rechtswissenschaft" S. 517. 27 Brockhaus ebd. 517; Henkel 1, 3; Handlexikon zur Rechtswissenschaft, hrsg. von Axel Görlitz (1972), 369 ff. („Rechtswissenschaft" von Klaus Adomeit). 22

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I I . Teil, 5. Kap. : Die Jurisprudenz

steckte, war für ihn wohl etwas Fremdes, bestreitet er doch, wie w i r sahen, die Möglichkeit eines reinen „Naturstudiums" 2 8 . Die Hechtstheorie ist eine Disziplin jüngeren Datums 2 9 und hat daher außer Betracht zu bleiben, so daß noch Rechtsdogmatik, Rechtsgeschichte und Rechtsphilosophie übrig bleiben, die denn auch unter die Brinzsche Jurisprudenz fallen. Wo soll nun der Schwerpunkt der Tätigkeit des Juristen, der nicht „äusserer Practiker", also weder Anwalt, Richter noch Notar ist 3 0 , liegen? Eine umfassende Stellungnahme von Brinz zu dieser Frage finden w i r i n seiner Rektoratsrede „Rechtswissenschaft und Rechtsgesetzgebung" aus dem Jahre 1877. Er nennt dort das geltende oder „seiende" Recht den Punkt, auf dem Theorie und Praxis zusammenträfen, auf dem sie aber auch auseinandergingen. Dem Praktiker liege alles daran, „daß das Rechtens sei", wonach er urteile oder kaviere; umfassende Rechtskenntnis sei unentbehrliche Voraussetzung der Praxis, stehe jedoch nicht „für sich", sondern sei nur ein „dienendes Glied i n der Reihe von Vorbedingungen zur Lösung einer anderen und höheren Aufgabe: nämlich i n der das seiende Recht, so wie es i m Gedanken besteht, ins Leben zu übersetzen, i m Streite der Nachbarn, der Staaten und Völker zu verwirklichen und die Sicherheit seines Bestandes zu vermitteln". Von dem Bedürfnis der Praxis aus sei man versucht, der Juristenfakultät nur die Aufgabe einer raschen und energischen Bewältigung des „seienden" Rechts als „Vorstufe" zur Praxis zuzuweisen und ein „compendium des usus modernus pandectarum" zum A und Ο des zivilistischen Lehrkurses zu machen 31 . Für die Theorie, die es nach Erkenntnis des Rechtes verlange, habe dasselbe „seiende" Recht einen anderen Sinn als für den Praktiker; sie wolle feststellen, „was das sei, was sich als Recht vorfindet"; von ihrem Bedürfnis aus könne nichts Besseres als „Einkehr bei den Quellen" empfohlen werden 3 2 . I n diesem Zusammenhang bemerkt Brinz, er wolle aber nicht so verstanden werden, als ob das „Daß" und das „Wie" — letzteres ist wohl das obige „Was" — „getrennte oder trennbare Dinge" und die hierauf gerichteten Studien mehr als „ i m Accent" verschieden seien. Vielmehr bekennt er sich nach „Wechselvollen Experimenten" zu der Auffassung, „daß nicht nur für den Praktiker, sondern auch für den Docenten und Hörer das Hauptgewicht auf das Daß zu legen und der weitern Aus28

o. § 16 Ziff. 2. Vgl. Handlexikon zur Rechtswissenschaft, hrsg. von Axel Görlitz (1972), 350 („Rechtstheorie" von Klaus Lüderssen) und 370 („Rechtswissenschaft" von Klaus Adomeit). 30 Siehe Schletters Jb. 1855,7. 81 Rechtswissenschaft 3170. 82 Ebd. 3170; vgl. schon o. § 9. 29

§ 30

Der Begriff u n d die Aufgabe der Jurisprudenz

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holung des Was als einer Versuchung zu widerstehen sei". Brinz fügt hinzu, es sei freilich nicht zu verkennen, daß die „Tradition und A n eignung des Positiven u m so mehr gelingen wird, je mehr sie von Theorie beseelt, je mehr sie von dem Bedürfniß geleitet ist, die Rechtsdinge nach ihrem ganzen Gehalt und nach ihrem Zusammenhang untereinander und mit den übrigen Dingen zu erkennen" 3 3 . Brinz legt hier ein Bekenntnis zu praxisbezogener Arbeit des Juristen ab. Eine vollständige Rekonstruktion der von i h m erwähnten „wechselvollen Experimente" ist recht schwierig und soll audi nicht unternommen werden. Folgende Belege mögen aber zeigen, daß Brinz früher eine etwas andere Einstellung hatte 3 4 . W i r legten schon dar, daß er i m Einleitungsaufsatz zu Schletters Jahrbüchern die Verpflichtung des Juristen gegenüber dem gerade i n Geltung befindlichen Recht hervorhebt 3 5 . Er schreibt i n diesem Zusammenhang zwar: „Ist es uns u m das Verdienst der Jurisprudenz zu thun, so kann uns der Ruhm der Theorie nicht genügen 36 ." Damit ist aber nicht ausgedrückt, daß der Jurist, der seine Aufgabe gegenüber dem jetzigen Recht erfüllt hat, nicht auch theoretische Studien betreiben dürfte. Vielmehr t r i t t Brinz i n diesem Aufsatz — dazu später ausführlicher 3 7 — ausdrücklich für eine freie Entfaltung der Theorie ein. Außerdem verteidigt er i n seinem Nachruf auf Rudorff das Recht der Theorie i n der Jurisprudenz 38 . Daß Brinz die Theorie i n seinem eignen Werk nach 1877 etwas stärker zur Geltung kommen ließ, kann aus der Tatsache abgeleitet werden, daß viele seiner historischen Untersuchungen erst nach diesem Zeitpunkt entstanden sind 3 9 . I m Ganzen', auch unter Berücksichtigung der A r t der von Brinz verfaßten Arbeiten, w i r d man sagen dürfen: Die Dogmatik, die Arbeit am geltenden Recht — dazu gehört neben der Ermittlung und Darstellung dieses Rechts auch die „Anbahnung" eines neuen Rechts, also Brinz* kasuistische Jurisprudenz oder „innere" Praxis 4 0 —, steht für ihn i m Mittelpunkt. I h r dienen auch die historischen Arbeiten, die die geschicht33

Rechtswissenschaft 3170. Vgl. noch u. § 31 Anm. 17 und die Bemerkung in Ρ 1 9: Die Schule müsse Theorie und Praxis zugleich dienen (vgl. u. § 31 Ziff. 1) ; damit steht die theoretische Forschung gleichberechtigt neben praxisbezogener Arbeit. 35 o. Ziff. 1. 36 Schletters Jb. 1855, 9. Wegen des Begriffs „Theorie" siehe u. § 31 Ziff. 1. 37 u. § 31 Ziff. 1. 38 K V 15,324,337, 338. Dazu näher u. Ziff. 3. 30 Vgl. auch Exners Mitteilung über Brinz' historische Forschungen u. § 36. 40 Siehe o. § 27 Ziff. 4 und u. § 31. 34

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I I . Teil, 5. Kap. : Die Jurisprudenz

liehe Entwicklung des Rechts der Gegenwart herausstellen wollen; sie gehören der „inneren" Rechtsgeschichte an 4 1 . Die Geschichtsforschung, die nur Studien antiquarischen Inhalts liefert 4 2 , quasi nur Momentaufnahmen des früheren Rechts, also nicht der Begründung des jetzigen Rechts dient, sowie die „äußere" Rechtsgeschichte, bei der die Rechtsquellen, die Gerichtsverfassung, die Rechtsschulen und die juristische Literatur aufgezeichnet werden 4 3 , haben ihren Platz an der „Peripherie" der Jurisprudenz 44 . Zwar hält Brinz die Geschichte „auch u m ihrer selbst willen" für „groß und ehrwürdig"; „Romantik aber, welche das A l t e r t u m aufsucht, weil es alt, und das Vergangene, weil es nicht mehr ist, entstellt keinen mehr als den Juristen" 4 5 . Die Ausflüge i n das historische Recht, die Brinz dem Juristen erlaubt 4 6 , hat er selbst auch unternommen 4 7 , ist aber immer wieder zum geltenden Recht zurückgekehrt. Ebenso steht die Rechtsphilosophie für Brinz nicht i m Zentrum der Jurisprudenz. Obwohl er nach eigenen Aussagen kein ausgesprochener Freund der Rechtsphilosophie ist 4 8 , so reizt ihn die Materie doch, wie seine Beschäftigung mit diesbezüglichen Themen zeigt 49 . Er w i l l ergründen, „was Recht ist" 5 0 , w i l l dem Wesen des Rechts nachgehen. Der darauf gerichtete „höhere Erkenntnisstrieb" verbinde den Juristen mit dem Philosophen 51 . Kenntnis des geltenden Rechts ist für Brinz freilich Voraussetzung für derartige Forschungen: „Ohne Kenntniss des Seienden gibt es keine Ahnung des Ewigseienden, ohne das Recht, welches ist, kein Verlangen nach dem, was das Recht ist, war und sein w i r d 5 2 . " Aber Brinz läßt diesem seinem philosophischen Hang nicht freien Lauf, sondern er

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Zum Begriff siehe Wilhelm M L 29. Vgl. Ρ 3 82, wo Brinz von Abhandlungen „historischen oder antiquarischen Inhalts" spricht; außerdem K V 15, 329 f. (zu Rudorffs antiquarischen Studien). 43 Siehe Savignyrede 10,11 (bzgl. Savignys „Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter") sowie Wilhelm M L 29. 44 Siehe Savignyrede 11: Savigny habe bei seiner „Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter" auf der „Peripherie" der Rechtswissenschaft gearbeitet. 45 Possessio I I I , I V . 46 o. Ziff. 1. 47 ζ. B. K V 11, 471 ff., Jus apud cives, Dediticier, Fragmente, Provinz, Fiskus, Einlassungszwang. 48 Vgl. o. § 11 Ziff. 2. 49 ζ. B. seine Erörterungen über den Begriff des Rechts, die Natur des Rechts, das Verhältnis Recht — Macht usw. 50 P I VorredeVIII. 51 Possessio IV. Ebd. heißt es noch, mit dem Volke habe der Jurist den „Rechtsinn" und das „Rechtsgefühl" gemeinsam. 52 Ebd. IV. Vgl. auch Ρ 3 80, 81: Über das Recht lasse sich nur aus dem Recht etwas lernen (dazu o. § 19 Ziff. 1). 42

§ 30

Der Begriff und die Aufgabe der Jurisprudenz

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legt sich i n dieser Hinsicht freiwillig eine Selbstbeschränkung auf 5 3 , u m seine Hauptkräfte bei der Dogmatik einsetzen zu können. 3. Haben w i r i n Ziffer 1 die Jurisprudenz bereits als Wissenschaft qualifiziert, so wollen w i r nun noch die Begründung für den wissenschaftlichen Charakter nachliefern. Brinz galt zwar i n Fachkreisen als „Skeptiker" 5 4 — ein Beinamen, über den er alles Andere als erfreut war 5 5 , den er aber nicht etwa wie Kirchmann einer Ablehnung des Wissenschaftscharakters der Rechtswissenschaft verdankt hätte; er rührte vor allem von seiner Kritikertätigkeit her 5 6 . I n seinem Nekrolog für Rudorff stellt sich Brinz die Frage, ob w i r nicht die Kenntnis des geltenden Rechts als unsere einzige Aufgabe, und alles, was darüber hinausgehe, als „Luxus" betrachten sollten, verneint sie aber. Es sei „unmöglich", daß alle anderen Fächer außer der Jurisprudenz Praxis und Theorie zugleich sein dürften und daß dem juristischen Praktiker allein die „Ehre versagt" sei, daß der Gegenstand seiner Übung gleichzeitig ein Forschungsgegenstand sei. Die Tatsache der „Stetigkeit der Entwicklung" und der „Gesetzmäßigkeit des Inhalts" des Rechts stelle dieses neben Natur, Religion und Sprache und erhebe die Jurisprudenz zur „allgemeinen Wissenschaft" 57 . Der Wissenschaftscharakter der Jurisprudenz hängt für Brinz also eng m i t ihrem Objekt zusammen, was er i n seiner Savignyrede auch selbst ausspricht 58 . Vor Savigny sei dieses Objekt, wenigstens von den Nichtjuristen, als kein „so wie es ist und war erforschungswürdiges D i n g " 5 9 angesehen worden; durch i h n habe dann aber das „ w i r k l i c h gewordene Recht" und folglich auch die Rechtswissenschaft ein höheres Ansehen gewonnen 60 . Durch seine Erkenntnis des „naturgeschichtlichpositiven Elements" des Rechtes habe er der Rechtswissenschaft auch noch etwas von dem „lustre der Naturwissenschaft" verschafft 61 . Kurz, 53 Vgl. Rechtswissenschaft 3170 (der Versuchung widerstehen) und schon Krit. Bl. I I I , 8 („Es ist nicht an uns, dieses Verhältnis des Rechtes zur Macht weiter zu verfolgen"). 54 Vgl. Brinz selbst in Ρ 1 Vorrede I X und 541 ; Lotmar, ADB 257. 55 Regelsberger 11. 56 Lotmar, ADB 257, 258; Landsberg I I I 2 842, 843. 57 K V 15,337; dazu schon o. § 12. 58 Savignyrede 6. 59 Die ersten 6 Worte bei Brinz gesperrt. 60 Savignyrede 6; in K V 21, 473 nennt er Savigny „Urheber einer neuen Ordnung". 61 Savignyrede 10; vgl. schon o. § 20 Ziff. 4. Ähnlich K V 21, 482, 483: Savigny habe das Studium der Jurisprudenz mit dem der Geschichts- und Naturforschung „ebenbürtig" gemacht. Vgl. zudem Schletters Jb. 1855, 8 (zitipj-t u. § 31 Ziff. 1 mit Anm. 8). I n K V 21, 481 schreibt Brinz aber, Savigny sei nicht nur „Realist", sondern auch „Supra-Naturalist" gewesen. Näher hierzu u. §29 Ziff. 4 b.

I I . Teil, 5. Kap.: Die Jurisprudenz

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Savigny hat nach Brinz die Juristenfakultäten „aus der vormundschaftlichen Gewalt der freien Künste emancipirt, und die Rechtswissenschaft der Jurisprudenz v i n d i z i r t " 6 2 ; einen Beweis dafür, daß i n Savigny die Jurisprudenz das Ansehen einer Wissenschaft erlangt hat, sieht Brinz i n dem Umstand, daß Savigny i m Jahre 1811 Mitbegründer der Berliner Akademie war, obwohl er damals „nichts als Jurist" gewesen sei 68 . 4. Erinnert sei an dieser Stelle daran, daß nach Brinz' Auffassung die „theoretische Verarbeitung" des Rechts, also die Theorie, die Rechtswissenschaft i m eigentlichen Sinn, kein Juristenrecht erzeugt und Brinz damit Savignys und Puchtas — durch wissenschaftliche Operationen, durch Systematik erzeugte — „wissenschaftliche Recht" ablehnt 6 4 . Die Theorie kann nach Brinz also nicht rechtsschöpferisch sein, hat aber wenigstens mittelbaren Anteil an der Produktion des Juristenrechts durch die Rechtsanwendung, weil sie letztere vorbereitet 6 5 . Brinz folgt hier ganz dem römischen Recht; die römische Jurisprudenz hat ja nur durch die Praxis, nicht aber durch die Theorie neues Recht erzeugt 66 .

§ 31

Das Verhältnis der Theorie zur Praxis

1. Über das Verhältnis der Theorie zur Praxis besitzen w i r hauptsächlich frühe Äußerungen von Brinz 1 . So lesen w i r i n der 1. Auflage seiner Pandekten, die historische Schule bemühe sich umsonst, Theorie und Praxis „durch Verbindung auszusöhnen"; die Schule müsse — wie es die Glossatorenschule getan habe — „beiden zugleich dienen" 2 . Eine Begründung für diese These w i r d hier nicht gegeben. W i r können sie jedoch aus dem knapp zwei Jahre vorher erschienenen Einleitungsaufsatz für das Zivilrecht i n Schletters Jahrbüchern entnehmen. Einen Teil der darin enthaltenen Überlegungen gaben w i r bereits i n § 27 Ziffer 4 wieder; daran w i r d hier angeknüpft. Brinz äußert i n dem A r t i k e l die Ansicht, eine „Einigung" von Theorie und 62 Savignyrede 4; vgl. auch Wieacker, PRG 372: Erhebung der Dogmatik des Usus Modernus zu einer Geisteswissenschaft durch die historische Schule. 03 Savignyrede 4. 64 Vgl. o. §§ 15 Ziff. 1 a und 20 Ziff. 4 ( = Ρ 3 108 und Savignyrede 10); zum „wissenschaftlichen Recht" vgl. Wilhelm M L 74 ff. 65 Ρ 3 108: „präparatorisches Verhältnis". Wenn Brinz in Rechtswissenschaft 3170 etwas allgemein formuliert, das Recht ( = Juristenrecht) entspringe der Jurisprudenz, so meint er mit ihr m. E. nur die Jurisprudenz als Kunst, nicht auch als Wissenschaft; dies ergibt sich aus dem Zusammenhang. 66 Vgl. Brinz' Vergleich mit der römischen Jurisprudenz in Savignyrede 10. 1 Vgl. aber auch die o. § 30 Ziff. 2 und 3 wiedergegebenen Gedanken. 2 P I 9.

§ 31

Das Verhältnis der Theorie zur Praxis

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Praxis, von der man „Gutes und Grosses" erwarte, sei gar nicht möglich; sie sei auch nicht dadurch zu erreichen, daß Praktiker wissenschaftliche Werke läsen oder Theoretiker i n Spruchkollegien säßen3. Aber diese Verbindung könne nicht nur, ja sie dürfe auch nicht vorgenommen werden. Nicht an ihrer Trennung, sondern an ihrer „naturwidrigen Vermengung" leide die Jurisprudenz; nicht Einigung, sondern eine „klare und scharfe Sonderung" sei vonnöten 4 . M i t der „Mangelhaftigkeit" unserer Praxis — gemeint ist das Fehlen der „inneren" Praxis, der Kasuistik — sei es zu einer mangelhaften Vorstellung von ihr gekommen, die dann auch den Theoriebegriff „verdunkelt" und Theorie und Praxis i n ein „verkehrtes" Verhältnis zueinander gebracht habe 5 . Was versteht Brinz nun unter Theorie? Er meint, viele hätten von der Theorie keinen „positiveren" Begriff als den des „Nichtpraktischen". Nicht alles aber, was ein Jurist außer der Praxis tue, sei Theorie. Brinz nennt Theorie hier die „Thätigkeit" und das „Bestreben" der Jurisprudenz 6 — die „von dem Geiste der modernen Wissenschaft durchdrungen" und „besser ausgerüstet als die Philosophie" sei —, „das Recht als einen Teil der von uns zu erkennenden Welt zu durchdringen und darzulegen." Als Beispiele für diese Theorie führt er die Rechtsgeschichte, wie sie von Savigny, Rudorff u. a. betrieben wird, die Systeme Puchtas, Kierulffs u. a. und die Untersuchungen Jherings und Leists 7 an 8 . Dieser Theorie stehe nicht nur die „äussere", sondern überhaupt die „innere" Praxis, die „casuistische" Jurisprudenz, gegenüber. Diese „innere" Praxis müsse m i t der „äusseren", nicht aber mit der Theorie verbunden werden. Aber solange eines der beiden Verbindungsglieder — eben die „innere" Praxis — fehle, könne natürlich an ihre Verbindung nicht gedacht werden; man sei daher, „ w o h l fühlend, dass irgend eine Vergeistigung der Praxis, so wie irgend eine Herablassung der nicht praktischen Jurisprudenz nothwendig sei", auf die „widernatürliche" Verbindung von Theorie und Praxis verfallen 9 . Den Grund für die Unmöglichkeit der Vereinigung von „wahrer" Theorie und Praxis sieht Brinz darin, daß die Praxis zeitlich vorausgehe, die Theorie nachfolge; jene sei die „schaffende", diese die „erkennende Seite" der Jurisprudenz. Wie alle Theorie setze auch die juristische das „Gegebene, Gewordene, Geschaffene" voraus 10 . Die Pra3

Schletters Jb. 1855, 7, 8. Ebd. 8. 5 Ebd. 8. 6 Die zivilistische voran. 7 Dazu schon o. § 13 Ziff. 1. 8 Schletters Jb. 1855, 8. 9 Ebd. 8. 10 Ebd. 8. 4

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I I . Teil, 5. Kap.: Die Jurisprudenz

xis liefere der Theorie den Stoff, und nicht umgekehrt 1 1 . Daß w i r aber, obwohl Theorie Praxis voraussetze, trotzdem so reich an Theorie und so arm an Praxis seien, erklärt Brinz so: „Weil w i r über fremden Eiern brüten." Nicht unsere eigene Praxis, sondern die des römischen Hechts sei nämlich der Gegenstand unserer Theorie 12 . Die Wurzel des Übels sucht Brinz bei den Juristen selbst: So wie ihr Wille keine Lust zu einem „ w i r k l i c h geltenden Rechte" verspüre 13 , so sei ihr Verstand unklar über das Verhältnis von Theorie und Praxis, glaube, mit seiner Theorie zugleich die Praxis „bestellen" zu können, verdecke damit jene Willensschwäche und hemme die „Ermannung zu wahrer Jurisprudenz" 1 4 ; mit dieser ist die kasuistische Jurisprudenz gemeint 15 . Die „Hilfsbedürftigkeit" der zeitgenössischen Praxis und ihre Vermengung m i t der Theorie wirken nach Brinz' Meinung auf letztere selbst „beengend und erniedrigend" zurück. Während er bedauert, daß die Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft seit Jahren ihr Erscheinen eingestellt hat, gibt er doch auch dem Praktiker recht, der solche Arbeiten gewöhnlich für unbrauchbar halte. Brinz' Urteil der Unbrauchbarkeit beruht aber nicht etwa auf der Forderung, daß historische Arbeiten praktisch sein sollten, sondern auf dem Umstand, daß „die historische Schule zugleich practisch sein w i l l " 1 6 . Er bezeichnet es als eine Eigenschaft der historischen Forschung, daß ihre praktischen Resultate negativ seien; darin erblickt er den Nutzen, daß sie das Bedürfnis einer „eigenen positiven Praxis" nur noch mehr aufdeckten. Aber i n dieser negativen Nützlichkeit liege weder die Daseinsberechtigung noch der Wertmesser der historischen Forschung: „Wo die Theorie sich frei von aller practischen Rücksicht entfaltet, w i r d sie — niemals selbst Praxis sein, aber erleuchtend auf die Praxis zurückwirken; wo nicht, so w i r d sie die Stelle der Praxis selbst nur mangelhaft vertreten, und aber auch auf dem Wege zurErkenntniss des Rechts zurückbleiben" 17 . 11

Ebd. 10. Ebd. 8. 15 Dazu schon o. § 7 Ziff. 1. 14 Schletters Jb. 1855, 10. Ähnlich sagt Savigny, in etwas anderem Zusammenhang freilich, am Ende seines Berufs (166), er finde „den Grund des Uebels" hinsichtlich des gegenwärtigen Zustands „in uns", nicht in den Rechtsquellen. 15 Vgl. Schletters Jb. 1855, 9: Praktische, d. i. einzige Jurisprudenz, die eine Kasuistik bildet. 16 Ebd. 10. 17 Ebd. 10. Ähnlich heißt es schon in Krit. Bl. IV, 2: „Hundert Meilensteine rings um die Praxis müssen wir der Theorie immer noch Raum lassen", selbst wenn das Ergebnis der theoretischen Betrachtung in keinem „oberstrichterlichen Erkenntniß zu Tage bräche". I m österreichischen Reichsrat — Protokolle I 925 — verteidigt sich Brinz einmal gegen den Vorwurf der Prinzipienreiterei und mangelnder Berücksichtigung praktischer Verhältnisse: „Ich bin gewohnt, in allen Dingen zunächst nach dem zu fragen, was innerlich richtig ist, und danach richte ich mein Votum ein, denn ich bin der Überzeugung, daß dasieniee. 12

§ 32

Die Beziehungen der Jurisprudenz zu anderen Disziplinen

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Brinz kritisiert hier die historische Rechtsschule ziemlich massiv, indem er ihr den V o r w u r f macht, sie betreibe ihre historischen Forschungen unter Berücksichtigung praktischer Erfordernisse, um Theorie und Praxis auszusöhnen 18 . Indem er eine kasuistische Jurisprudenz ( = „ i n nere" Praxis) fordert, die von den Juristen (Theoretikern) neben der Theorie betrieben werden soll 1 9 , kann er i n den Pandekten, wie einleitend gezeigt, sagen, die Schule müsse Theorie und Praxis zugleich dienen. 2. W i r haben schon gesehen, daß Brinz von der Jurisprudenz spricht, die der Anwendung des Rechts vorausgehe und i n bloßem Wissen bestehe (mit der Anlage zur Wissenschaft) 20 . Hierin liegt nun keineswegs ein Widerspruch zum Vorigen: Die Kenntnis des Rechts muß der Rechtsanwendung notwendig vorausgehen 21 ; die Erkenntnis des Rechts, die eigentliche Theorie dagegen setzt als Analyse einen Gegenstand, die Praxis voraus, folgt also nach.

§ 32

Die Beziehungen der Jurisprudenz zu anderen Disziplinen

Uber das Verhältnis der Jurisprudenz zu anderen Disziplinen hat sich Brinz i n seinen Schriften mehrfach geäußert. Einmal bemerkt er, die Agrimensur und die Jurisprudenz würden sich i n Unterricht und Betrieb gleichzeitig und gleichförmig entwickeln und gestalten; und obwohl erstere „Technik" sei, bestehe zur Jurisprudenz auch „innerlich" ein sehr nahes Verwandtschafts Verhältnis 1. Ebenso stellt Brinz hinsichtlich der Grenze und des Rechts gemeinsame Eigenschaften fest, nämlich das „Trennende und das Verbindende" 2 . öfters betont Brinz die nahe Beziehung der Jurisprudenz zur Philologie und Geschichte. Es ist die Rede von dem „Confinium" zwischen Jurisprudenz, Philologie und allgemeiner Geschichte3 sowie von dem was innerlich falsch ist, jederzeit auch falsche, schlechte Konsequenzen nach sich zieht." Vgl. noch Obligation und Haftung 391: Ohne praktische Folge bleibe keine theoretisch richtige Unterscheidung. 18 Nicht richtig scheint es mir zu sein, wenn Regelsberger 10 behauptet, mit den im Text dargestellten Gedankengängen von Brinz aus dem Einleitungsaufsatz zu Schletters Jb. sei an Brinz eine Grundauffassung nachgewiesen, die, „vielleicht nicht allen Anhängern klar bewußt, die historische Schule im Ganzen beherrschte". 19 Vgl. o. §§ 27 Ziff. 4 und 30 Ziff. 2. 20 o. § 30 Ziff. 1 = Savignyrede 6. 21 Vgl. Ρ 3 144, Rechtswissenschaft 3170. 1 K Ü 1, 208. 2 Ebd. 209. 3 K V 15, 327.

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I I . Teil, 5. Kap. : Die Jurisprudenz

„Bund", den die Jurisprudenz i n den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts m i t der Geschichts- und Sprachforschung erneuert habe 4 . Bezüglich der eben angesprochenen historischen Schule finden w i r die Bemerkung, ihr sei der Glaube eigen, daß die Herausstellung des „inneren Gesetzes des Rechtes" nur „ m i t vollem Schulsack, und nur auf dem trockenen Wege der sprachlich-historischen Forschung" möglich sei 5 . Aber Brinz selbst fordert — für seine Disziplin— ebenfalls „jene gründliche Durchbildung und Schulung des Geistes", die nur durch ein gründliches Studium der klassischen Sprachen und eine intensive Beschäftigung m i t dem A l t e r t u m erreicht würden; dies erscheint i h m nötig, da nur wenige Disziplinen m i t ihren „wissenschaftlichen Aufgaben" und m i t der „gesammten Methode ihres wissenschaftlichen Betriebes" so stark auf dem Boden der Philologie stünden wie die juristische 6 . Aus diesen Worten spricht der Humanist Brinz zu uns. Was das Verhältnis zur Philosophie anlangt, so sagt Brinz, i n ihr gebe es nicht nur Logik, Metaphysik und manches Andere, das sie anderen Fächern voraus habe, sondern auch Geschichte, Recht, Theologie und vieles Andere, was sie m i t den anderen Fächern gemeinsam habe. Andererseits sei aber nicht zu verkennen, daß Jurisprudenz, Theologie, Medizin usw. auch existierten und ein von der Philosophie ziemlich „unabhängiges Dasein führen" 7 . Schließlich erblickt Brinz noch zwischen der Theologie und der Jurisprudenz Gemeinsamkeiten. Trotz des alten Spruches „Juristen, böse Christen" bestünden zwischen beiden „gewisse intime Beziehungen". So nennt Brinz das Dogma einen „Glaubenssatz i n Form Rechtens". Die Religion sei „von dem Bestreben, außer der Form Rechtens auch den Effekt Rechtens zu bekommen", selten frei gewesen8. Die Religion habe aber noch eine andere als die „gedankenhafte, dogmatisirende" Seite, nämlich die „vom Herzen kommende und i n Handlungen der Gottesverehrung zu Tage tretende Religion"; letztere sei ebenso wie das leibliche Bedürfnis „ M o t i v zur Bildung von äußerlich bindenden Satzungen, gesetzgebenden und ausführenden Organen, von Korporationen und Autonomien, kurz von RechtserzeugungHierin seien Ursprung und Begriff des „jus sacrum oder geistlichen Rechts" sowie der Zusammenhang von Theologie und Jurisprudenz begründet 9 . 4

Possessio I I I ; vgl. auch Ρ 1 1569: Mit der Jurisprudenz sei die Grammatik verbunden; Universalität 7, 8: Die juristische Gelehrsamkeit verbinde sich gerne mit der philologischen und historischen. 5 K V 15,338. 6 Contravindication, Widmung I V . 7 Universalität 5; hingewiesen sei auch auf seine Bemerkung, jene Philosophie sei überwunden, die das Recht machen wollte: Schletters Jb. 1855, 8; Universalität 5; vgl. auch den „höheren Erkenntnistrieb" o. § 30 Ziff. 2. 8 Zeit im Rechte 6. 9 Ebd. 7. Zum Kirchenrecht vgl. auch Ρ 3 128.

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Bereits i n § 28 lernten w i r die Methode der Anwendung des Rechts kennen, so daß an dieser Stelle nur noch von der Methode der Rechtswissenschaft, der Theorie, zu sprechen ist. 1. Aufschluß darüber, wie Brinz i n der 1. Auflage der Pandekten verfahren ist, gibt uns deren Vorrede. „Zwischen Recht und Rechtsgeschichte wurde nicht ängstlich geschieden; vielmehr der historische Weg, je nachdem m i r die Sache selbst, oder ihr Verständniß auf i h m vorwärts zu kommen schien, unverzagt betreten 1 ." Und weil i h m die Quellen „nichts Untergeordnetes" sind 2 , verweist er sie nicht i n die Anmerkungen seines Lehrbuchs, sondern arbeitet sie i n den Text ein. Später spricht Brinz es einmal deutlich aus, „daß eine juristische Leistung auf einem andern Boden als dem der Quellen zur Unmöglichkeit geworden ist" 3 , eine Einsicht, nach der er selbst zu jeder Zeit gehandelt hat; und wenn er an Savigny dessen „Hingebung an die Quellen und die Resignation, das Recht aus nichts anderem als aus ihnen schöpfen zu wollen" lobt 4 , so kann man i n diesem Satz Brinz' eigenen Wahlspruch erblicken 5 . Weiteren Einblick i n seine Methode bekommen w i r durch seine Festrede zu Savignys 100. Geburtstag. Dort lesen wir, das Recht habe einen „historischen Aufriß" und „dogmatischen Durchschnitt". Man dürfe sich dies aber nicht so vorstellen, als ob beides auseinanderläge, und als ob einer den historischen, ein anderer den dogmatischen Teil bearbeiten könnte; vielmehr sei „kein Dogma ohne historische Bewegung und keine historische Bewegung anders als i m Dogma zu denken", so daß „ i n der Rechtswissenschaft nichts zu fördern ist, es wäre denn, daß auf jedem Punkte die historische und dogmatische Seite zugleich verfolgt wird"6. Würde sich Brinz in der Fortsetzung dieser Stelle nicht selbst ausdrücklich auf Savignys „zweyfachen wissenschaftlichen Sinn" beziehen, w i r würden unwillkürlich daran erinnert. Savigny habe die „Verbindung von Dogma und Geschichte" auf dem Bereich des römischen Rechts zur Geltung gebracht 7 . Die „Jünger" der historischen Schule, die ihren 1

P I Vorrede V I I I . Ebd. V I I . 3 K V 21,482. Über die Arbeit „aus den Quellen" vgl. noch K Ü 2,165 - 167. 4 K V 21, 487. 5 Vgl. noch Lotmar, ADB 257 (vgl. u. § 37), aber auch u. Ziff. 2 b und 4. « Savignyrede 11. Siehe auch K V 21, 488 und schon K V 15, 328: „Ueberhaupt kann Niemand ein solcher Historiker sein wie es Rudorff war, der nicht zugleich bedeutender Dogmatiker wäre." 7 Savignyrede 11 ; so auch K V 21,488. Vgl. Savigny Beruf 99. 2

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Namen ihrem Gegensatz zur „philosophischen Spekulation", nicht zur Dogmatik verdanke, hätten alle diesen zweifachen Sinn gezeigt, wenn auch bei einigen die dogmatische Neigung, bei anderen die historische überwogen habe 8 . Bezüglich der beiden Hauptwerke Savignys bemerkt Brinz, das „System" enthalte auf die Quellen zurückgeführtes „praesentes" materielles Recht; die „Geschichte des römischen Rechts i m Mittelalter" sei „äußere, ja äußerste Rechtsgeschichte" ; beide zusammen bildeten den „historischen Aufriß und dogmatischen Durchschnitt des römischen Rechtes i n seinem posthumenen vom 5. Jahrhundert n. Chr. bis i n die Gegenwart sich erstreckenden Dasein" 9 . Indem Brinz beide Werke zusammen sieht, räumt er m. E. doch ein, daß Savigny nicht auf jedem Punkt die historische und dogmatische Seite zugleich verfolgt hat. A n dem Vorangegangenen zeigt sich, daß Brinz grundsätzlich die Methode der historischen Schule befolgt 1 0 , was natürlich nicht ausschließt, daß er i n manchen Einzelpunkten abweichende, eigenständige Ansichten hat. U m Klarheit zu gewinnen, wollen w i r i m folgenden seine übrigen methodischen Äußerungen etwas genauer betrachten. 2. I n seinen Pandekten führt Brinz als die „Grundformen" der „theoretischen Verarbeitung" 1 1 der Quellen die „Generalisirung", die „Summirung", die „Excerpirung", die „Definirung", die „Systematisirung" und die „Motivirung" an 1 2 . I n den Werken der „Abhandlungen" und „Systeme" verbänden sich die „Grundformen" miteinander 1 3 . W i r wollen uns nun darauf beschränken, die wichtigeren „Grundformen", nämlich die „Generalisirung", die „Definirung" und die „Systematisirung" — die für dogmatische Arbeiten bedeutungsvoll sind 1 4 — sowie die „ M o t i virung" herauszuarbeiten 15 . Z u ihnen liegen auch zahlreiche Äußerungen von Brinz, die außerhalb seines Pandektenlehrbuchs niedergelegt sind, vor. 8

Savignyrede 11,12. Ebd. 11,12. 10 Vgl. auch Lotmar und Bekker u. § 37. 11 Vgl. o. § 27 Ziff. 2. 12 Die bezüglichen Ausführungen (§§ 13, 14 der Pandekten 2. und 3. Auflage) befinden sich zwar im Abschnitt über die Literatur des „Pandektenrechts". Aus Brinz' Verweisung in § 19 — der im 2. Teil „Vom Rechte überhaupt" steht — auf § 13 kann geschlossen werden, daß den Erörterungen in den §§ 13, 14 eine Allgemeingültigkeit zukommt, soweit der Sache nach denkbar. 13 Ρ 3 80 ff. 14 Vgl. ebd. 81: Verbindung von „Definirung", „Generalisirung" und „Systematisirung", wenn die „Abhandlung" einen „dogmatischen Zweck" habe. 15 Wegen der „Summirung" und „Excerpirung" sei auf Ρ 3 70 - 73, 85 verwiesen. 9

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a) „Generalisirung" Bei dieser Operation werden „allgemeinere Sätze, Rechtsregeln" durch Abstraktion aus den Entscheidungen der Quellen gewonnen 16 . Weitere Überlegungen von Brinz zu diesem Thema erfahren w i r aus seiner Besprechung von Jherings „Geist". Jhering sieht ein M i t t e l dafür, das Recht quantitativ zu vereinfachen, i n der „Reduction" des Stoffes auf „einfache Grundbestandteile", die er „juristische Analyse" nennt 1 7 . Sie beruhe darauf, daß nicht jedes „Rechtsverhältniß ein einfacher Körper, sondern daß die meisten zusammengesetzte sind und sich m i t h i n aus den einfachen Elementen durch richtige Combination derselben herstellen lassen" 18 . Er vergleicht die Rechtsverhältnisse mit den Worten i n der Sprache und w i l l ein „Rechtsalphabet" aufstellen 19 . Brinz meint, die Vergleichung m i t den Wörtern setze die Vorstellung eines Rechts von bestimmter Form voraus, nämlich eines solchen, das bis jetzt nur i n den einzelnen Instituten bestanden habe, „so daß die jedes einzelne Recht, seine Entstehung und Ende, Inhalt und Geltendmachung betreffenden Sätze bei jedem einzeln, nur hier, und trotz aller Wiederholung bei jedem von neuem vorkamen" 2 0 . Der äußere Umfang eines derartigen Rechts werde aber erst dann geringer, wenn man die gleichartigen Bestandteile von den spezifischen trenne, zusammenfasse und durch Bildung von Arten und Gattungen Wiederholungen überflüssig mache 21 . Daher sei die Herstellung des „Rechtsalphabets" nicht bloß ein Analysieren, sondern überdies ein Generalisieren; ja, je konkreter und detaillierter ein Recht sei, je mehr es wiederhole, desto nötiger werde die Generalisierung, desto überflüssiger die Analyse. Statt „Generalisirung" spricht Brinz auch von „Abstraction" und von „ B i l dung und Vergrößerung des allgemeinen Theiles" 2 2 . Brinz* Pandekten enthalten keinen allgemeinen Teil i m herkömmlichen Sinn; ihre Bücher „Von den Personen" und „Von den Handlungen" umfassen jedoch nach Brinz* eigener Aussage 23 das Meiste von dem, was üblicherweise i n den allgemeinen Teilen untergebracht wird, sind also Generalisierung, Abstraktion, oder wenn man so w i l l , ein allgemeiner Teil i m materiellen Sinn 2 4 . Dabei darf freilich nicht unerwähnt bleiben, 16

Ebd. 70, 67. Dazu schon o. § 9. Geist I I 2 343,359 f. 18 Ebd. 343. 19 Ebd. 359, 360. 20 K V 2,18. 21 Ebd. 18. 22 Ebd. 19. 23 P I Vorrede X I . 24 Brinz blieb auch später gegenüber einem herkömmlichen allgemeinen Teil ablehnend: Ρ 2189, Ρ 3 103. 17

11 Rascher

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daß „die Form eines Gesetzbuches, wie die heutige Zeit ein solches denkt: i n möglichst wenigen, und i n möglichst abstracten Sätzen", nicht Brinz* Ideal für die Gestaltung seines Lehrbuchs ist; dies nicht nur deswegen, weil der allergrößte Teil des Zivilrechts „von keinem Sterblichen sich i n dieser Weise beugen und bannen" lasse, sondern auch aus einem didaktischen Grund: Brinz w i l l dem Lernenden „die Frucht und den Reiz seiner vom Kleinen zum Großen, aus der Enge i n die Weite strebenden Arbeit nicht vorwegnehmen" 2 5 . b) „Definirung" Die Definition wolle, meint Brinz, das i n den Quellen enthaltene, jedoch noch „unausgesprochene Wesen der Rechtsdinge" 26 bestimmen und von „Unwesentlichem und Verwandtem" unterscheiden 27 . Anderwärts heißt es, die Rechtsbegriffe seien Gedanken, die w i r uns von den „Rechtsdingen" 28 bildeten und i n denen w i r diese „nach ihrem allgemeineren und besonderen Wesen zu fassen" suchten 29 . I n welchem Verhältnis steht nun das Rechtsinstitut — ein Grundbegriff i n Savignys Methodenlehre 30 — zum Rechtsbegriff? Brinz ist jener Erscheinung gegenüber sehr skeptisch eingestellt. Einmal sagt er: „Wenn w i r nur recht wüssten, was Rechtsinstitute sind; sie gehören auch zu den Schleiern, m i t denen man bei uns i m Occident sachgemäss zudeckt, was nicht zum Zeigen ist 3 1 ." Einige Jahre später erklärt er es für unrichtig, i m Rechtsinstitut den „Inbegriff aller auf ein Ding bezüglichen Rechtssätze" zu sehen, und bezeichnet das Institut als „bloßen Begriff" 3 2 . Dies bedeutet also K r i t i k an Savigny. Die Definierung von Begriffen ist nach Brinz eine Aufgabe der Jurisprudenz. Legaldefinitionen sind für i h n ein „Uebergriff der Legislation i n die Freiung der Wissenschaft"; durch die Legaldefinition werde der „Rechtsbegriff zum Rechtssatz, damit . . . der Begriff, den möglicherweise nur der eine hatte, zum Begriff, den alle haben müssen, was frei seyn sollte, gebunden, was entwicklungsfähig, abgeschlossen und abgeschnitten" 3 3 . Anders als Jhering 3 4 hält er somit Legaldefinitionen für verbindlich; der Gesetzgeber wolle hier nicht nur „Schulmeister" sein 35 . 25

P I Vorrede V I I I . Zum Begriff der „Rechtsdinge", wie er in Ρ 3 verwendet wird, siehe u. c. Er ist von dem in der „Geistrezension" gebrauchten verschieden, vgl. o. § 13 Ziff. 2. 27 J> 3 73. 28 "Wegen der Bedeutung der „Rechtsdinge" in dieser Stelle vgl. o. § 13 Ziff. 2. ™ K V 2, 28. ζ. B. System 19,10. Vgl. hierzu Wilhelm M L 46 ff. 31 Schletters Jb. 1857,134. 32 K V 2, 30. Siehe außerdem die Rechtsinstitute in Ρ 3,4,5,10. 26

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Brinz ist sich aber durchaus bewußt, daß der „Nennung" von Begriffen, die von der „Definirung, Formulirung" der Begriffe zu unterscheiden sei, kein Gesetz entgehen könne; jedes finde bereits ein Recht und „Rechtsdinge", sowie für einen Teil der letzteren Namen vor 8 8 . Diese Namen seien durch die „That" der „Benennung des Begriffenen" entstanden, die für den wichtigsten Teil der „Rechtsdinge" i n „vorhistorischer Zeit, vielleicht m i t dem Auftauchen des Rechts und seiner Schöpfungen", also noch vor aller Jurisprudenz geleistet worden sei 37 . Diese „That" mache den „ersten und schwierigsten Ansatz zum Begreifen, indem sie diesen unsichtbaren Wesen und Mächten des Rechts nicht nur ihr Daseyn abschaut, und hinfort zu mehrerer Faßbarkeit an die Körperlichkeit des Wortes bindet, sondern auch schon ihre Individualitäten aus dem Groben herausarbeitet, und für jedes ein eigenes Zeichen setzt" 8 8 . Diese Tätigkeit könne nur aus der „ganzen Frische jugendlichen Geistes quillen" 3 9 . Was ζ. B. auf einer „früheren Stufe des Rechts" der Name „Eigenthum" bedeute, könne „unsicher", das Ding selbst, das er benenne, „unfertig" sein; trete hier der Gesetzgeber hinzu und setze er fest, so handle es sich dabei u m eine „Ausbildung" der Sache selbst, nicht aber u m die Definierung des Begriffs. Aber auch, wenn sich bloß die Jurisprudenz damit befasse, komme es zunächst zu keiner Begriffsbildung, sondern zu Meinungen, was gelten oder sein solle, und allmählich dann kraft der Gewohnheit, nicht der Wissenschaft, zur Rechtsbildung, und erst jetzt vielleicht zum Begriff 4 0 . I n der Begriffsbildung ist der einzelne Jurist aber nicht etwa an eine herrschende Meinung gebunden; der Begriff steht nämlich „jedem und jedem für sich frei" 4 1 . Weil Brinz dem Begriff nur die Macht des Gedankens zuerkennt, hält er eine Jurisprudenz, die Rechtsbegriffe bildet, auch nicht für „höher", weil nicht produktiver 4 2 , als diejenige, die sich den Rechtssätzen und deren Prinzipien widmet 4 3 . Richtig sei zwar, daß das Recht „nach begrifflicher Fassung" i n anderer Form als das gesetzliche erscheine; dieser 33

K V 2, 29. Vgl. zudem Rechtswissenschaft 3179: I n Rom sei die „Begriffsseite des Rechts" bei der Jurisprudenz geblieben. 84 Geist I I 2 399. 35 K V 2, 29. 38 Ebd. 29, 30. 37 Ebd. 30 - 32. 38 Ebd. 31, 32. 89 Ebd. 32. 40 Ebd. 30. 41 Ebd. 29. 42 Dazu schon o. § 13 Ziff. 2. 43 K V 2, 31. 11*

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Unterschied rühre von den Personen oder Faktoren her, die das Recht darstellten, und von dem Zweck, weshalb sie es täten, nicht aber von „alter und neuer, naiver und bewußter Auffassung": wer das Recht darstelle, damit er es setze, solle „Imperativisch", wer es darstelle, u m es begreiflicher zu machen, werde „indicativisch" sprechen 44 . Das Begreifen beschreibt Brinz einmal als eine „Versetzung des Besonderen i n ein Allgemeineres". Für i h n gibt es „keinen Weg zum A l l gemeinen, als den durch's Einzelne" 4 5 . Er befolgt also die induktive Forschungsmethode, zu der er sich mehrfach bekennt 4 6 . Bemerkenswert ist seine Annahme, i n keinem Spezialfach — von der Theologie und der Philosophie abgesehen — erhebe sich das Begreifen bis zu dem „höchsten Begriffe" 4 7 . Er, der sich selbst als „von Puchta begrifflich geschult" bezeichnet 48 , lehnt m. E. damit einen höchsten Rechtsbegriff i m Sinne Puchtas, der i h n i m Kantischen Freiheitsbegriff sieht, ab 4 9 . Von einer „Genealogie der Begriffe" 5 0 bzw. einer Begriffspyramide 5 1 ist denn auch bei Brinz keine Spur. Und wenn er sagt, nur das Begreifen, nicht aber der Begriff sei „wie das Leben Bewegung" 5 2 , so ist dies keineswegs m i t seiner schon wiedergegebenen Äußerung, der Begriff sei „entwicklungsfähig" 5 3 , unvereinbar. Für den Moment ist der Begriff etwas Statisches, i m Verlauf der Geschichte kann sich seine Gestalt ändern 54 . Bei der Bildung eines Begriffes n i m m t Brinz, wie er einmal bemerkt, keine Rücksicht auf das System: Die Definition müsse sich ganz für sich allein bewähren; eine Definition, die aus dem System ergänzt oder unterstützt werden müsse, sei ebenso mangelhaft wie ein System, das „einen Ueberschuß von Gedanken und Vorstellungen hätte, von denen 44

Ebd. 32. Universalität 12. 46 Krit. Bl. I I I , 28, wo er die Theorie eines Instituts „vernünftigerweise aus den Einzelnheiten" herleitet. Ρ 1 Vorrede X I , wo er sagt, er habe das Allgemeine wo möglich dem Besonderen folgen lassen; außerdem ebd. V I I I . Ferner Ρ 1121, wo er eine Stelle aus Prantls „Logik im Abendland" zitiert. Und hauptsächlich Universalität 11,12. 47 Universalität 12. 48 K V 15,323. Vgl. bereits o. § 3. 49 Puchta, Institutionen 4, 57. Siehe auch Larenz 21. 50 Puchta, Institutionen 22, 57. 51 Vgl. Wieacker, PRG 400. Vgl. noch die Bemerkung über Puchta in Schletters Jb. 1855,8. 52 Universalität 12. 53 o. Anm. 33. 54 Deshalb soll ja die Rechtsgeschichte Begriffsforschung betreiben, vgl. u. d. 45

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seine einzelnen Theile nichts wissen" 5 5 . Brinz schwebt hier also eine Kongruenz vor. Daß er an den Begriff hohe Anforderungen stellt, ergibt sich noch aus folgender Äußerung: „ E i n Begriff, der uns nicht absolut Giltiges . . . gibt, ist kein Begriff; das was bloß gemeiniglich geschieht . . . reicht für i h n nicht aus 56 ." Dies w i r d verständlich, wenn man der Frage nachgeht, welche Konsequenzen er an den Begriff knüpft: Aus diesem werden rechtliche Entscheidungen abgeleitet. Beispielsweise behauptet Brinz, es verstehe sich aus dem „Begriffe" der Übertragung, der Veräußerung, daß der Tradent Eigentümer oder Dispositionsbefugter der zu übergebenden Sache sei, womit er einen gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten ausschließt 57 ; eine Interessenabwägung nimmt er nicht vor. Engisch 58 bemerkt treffend, bei der Verneinung der Möglichkeit des Erwerbs vom Nichtberechtigten stelle man sich die Eigentumsübertragung „ganz wörtlich als das Hinübertragen eines Körpers von einer Person auf die andere vor, nicht dagegen als die Einräumung eines Rechtes an der Sache". W i r stoßen hier speziell bei Brinz auf seine „naturhistorische" Betrachtungsweise, derzufolge er sich ja die subjektiven Rechte i n ihrer „wesenhaften Existenz" denkt 5 9 . Brinz* zahlreiche Äußerungen über den Begriff zeigen, daß ihm, dem Logiker, die Beschäftigung m i t dieser Materie Freude macht. Er erweist sich damit als Begriffsjurist. c) „Systematisirung" Welche Vorstellung hat Brinz vom System? I n der 2. Auflage der Pandekten schreibt er, die „Systematisirung" sei nichts als „divisio", „Theilung bald nach Arten, bald nach Gliedern, die bis zu den nicht mehr theilbaren Dingen (Elementen) hinabdringen, hinwider aber m i t der i n dem Recht und den Rechtsdingen gelegenen Gliederung zusammenfallen und so i n der Vielheit die natürliche Einheit wahren soll" 6 0 . Später hat er dann aber seine Meinung etwas geändert. Ausgehend von der These, daß das System nur gegenüber dem Ganzen bestehe — i m Gegensatz zur „Summe", die gegenüber von „Theilen und Theilchen" 55

Krit. Bl. I I I 5, 6. Ebd. 6,7. 57 Ρ 2 I 581. Weitere Beispiele: Ρ 1 1505 und Ρ 2 I 642: Begriffsnotwendig; Ρ 1 121: „Kraft des Begriffes" — im Anschluß an Prantl; K V 15, 274: Gefahr für Begriff; Ρ 1 1281, 1282. Zur Bedeutung des Begriffs der Obligation: Obligation und Haftung 407. 58 S. 183,184. 59 K V 2, 35. 56

60

Ρ 2 163.

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bestehe 81 —, bezeichnet er das System einerseits als „Theilung, besser Gliederung der Rechtsdinge (Rechte, Personen, Aktionen) nach deren Gattungen, Arten, und nicht mehr theilbaren Spezies"; andererseits als „Verbindung . . . der die Rechtsdinge betreffenden Rechtssätze" 62 . Beides zusammen also macht i h m jetzt erst das System aus 63 . I m Dienst des Systems stehe jede „theoretische Verarbeitung" der Quellen; ausschließlich i m Dienst der „Theilung" jedoch die — nur den „Rechtsdingen" zukommende — Definition; ausschließlich i m Dienst der „Verbindung" die — nur den Rechtssätzen zukommende — „Generalisirung" 6 4 . Anzumerken ist hier, daß schon Puchta die Rechtssätze, nicht wie Savigny die Rechtsinstitute i m System verbunden haben w i l l 6 5 . Die Systematisierung hält Brinz „zur Bewältigung des Stoffes" für nötig 6 6 . Dabei denkt er sicher an die Zwecke der Darstellung und Lehre des Rechts. Ein anderes Motiv zur Systembildung geht aus folgender Definition hervor: „Das System ist nicht etwa bloß ein Ganzes i m Gegensatz zu den Theilen, Einheit i m Gegensatz zum Vielerlei, sondern vor allem Positives i m Gegensatz zum Negativen, Ausscheidung des Unmöglichen, Unwahren, der Phantasterei, Ansammlung des Festen, Haltbaren, Wesenhaften 67 . Hier w i r d also dem System die Funktion zugeschrieben, ein A b b i l d des positiven, wirklich geltenden Rechtes zu sein. So wie der Bestand des positiven Rechts Schwankungen unterworfen ist — antiquierte Normen werden ausgeschieden, neue entstehen —, so muß sich auch das System anpassen, ist also nicht unveränderlich, vielmehr „offen" 6 8 . I n diesem Sinne ist es wohl auch zu verstehen, wenn Brinz sich gegen „selbstzufriedene Systeme" ausspricht, die es nicht nach der Lösung eines bestimmten Problèmes verlangt habe 69 . Für ihn ist wohl, wie für Coing, die „Arbeit am System eine dauernde A u f gabe" 7 0 . Dies muß freilich nicht bedeuten, daß das Grundgerippe des Systems nicht feststehen dürfte. Wieacker bemerkt über den „rechtswissenschaftlichen" Positivismus der Pandektistik, er leite das Recht ausschließlich aus System, Begriffen 61

Speziell zum Pandektensystem siehe weiter unten i m Text. Ρ 3 76. 63 Vgl. Ρ 2 I 63 und Ρ 3 76: „Das ist das Kunstwerk" — „beides zusammen gibt das Kunstwerk". 64 Ρ 3 76. 65 Puchta, Institutionen 21, 22, 57; Savigny System I 10. Vgl. hierzu Larenz 19,20. ββ Ρ 3 102. 67 K Ü 5, 278,279. 68 Ein Terminus Coings 347. 69 Centralblatt 1856 Sp. 191. 70 Coing 347. 62

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und Lehrsätzen der Wissenschaft ab 7 1 ; sein System sei geschlossen und beanspruche Lückenlosigkeit; Lücken i m positiven Hecht würden m i t Hilfe des „Stellenwerts der Begriffe i n der Begriffspyramide" und des „logischen Systemzusammenhangs" gefüllt; dem diene das „unablässige Ausfeilen und Zuschleifen der rechtswissenschaftlichen Begriffe bis zu voller Systemgerechtigkeit" 72 . Bei Brinz, der grundsätzlich diesem Positivismus zuzurechnen ist, hat aber m. E. das System nicht die eben geschilderte Bedeutung 73 . W i r sagten schon, daß er eher ein „offenes" System vertritt. Geschlossen ist für i h n das Recht selbst, das auftauchende Lücken i m positiven Recht durch Analogie schließen kann. „Systemgerechtigkeit" der Begriffe kennt er nicht; ohne Rücksicht auf das System bildet er j a seine Begriffe 7 4 . Wenn w i r also behaupten, daß Brinz aus dem System unmittelbar kein Recht herleitet, so ist damit natürlich nicht ausgeschlossen, daß auch er neue Erkenntnisse, die er durch die systematische Arbeit gewinnt, für die Lösung von auftauchenden Rechtsproblemen verwertet. Schließlich soll noch der Frage nachgegangen werden, ob das Rechtssystem für i h n nur eine sinnvolle äußere Ordnung, oder aber dem Recht vorgegeben, immanent ist. Bekanntlich n i m m t Savigny das Letztere an 7 5 . W i r müssen hier zurückgreifen auf die schon wiedergegebene Äußerung von Brinz, i n der er von der „ i n dem Recht und den Rechtsdingen gelegenen Gliederung" sowie von der „natürlichen Einheit" redet 7 6 . Von „Natürlichkeit" spricht er auch an den Stellen, wo er das von i h m selbst i n seinem Pandektenwerk befolgte System erläutert und rechtfertigt. Darauf muß nun etwas näher eingegangen werden: Da sich bei i h m gegen die üblichen Systeme Bedenken eingestellt haben, ist er i n seinen Pandekten zum Institutionensystem 7 7 zurückgekehrt, „wiewohl schon Duarenus es als Unsinn bezeichnet, ihren personae, res, actiones die ganzen Pandecten unterwerfen zu wollen; als ob dem Systeme Einheit minder nothwendig sei, als Vielheit!" 7 8 . Dabei glaubt Brinz, unter die res der Institutionen fielen nicht nur Sachen, sondern auch Vermögensrechte, unter die actiones nicht nur die zivilrechtlichen Klagen, sondern auch die zur Begründung von Rechten 71

Wieacker, PRG 431,433. Wieacker, PRG 436. 73 Siehe auch Landsberg u. § 37, andererseits aber auch Ρ 1 118, wo Brinz auf das Rechtssystem Rücksicht nimmt. 74 o.b. 75 Ausführlich hierzu Wilhelm M L 46 ff. 76 Weiter oben im Text mit Anm. 60. 77 Des Gaius: Vgl. Ρ 1 9, wo Brinz auf Gaius 1,8 verweist. 78 P I Vorrede V I I I , I X . 72

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nötigen Handlungen 7 9 . Weiter bemerkt er, das Privatrechtssystem dürfe kein eigenständiges sein, sondern müsse ein „Ausbruch" aus dem System des gesamten Rechts sein 8 0 ; für alles Recht gelte aber zuallererst die Zweiteilung der Institutionen: „Das Recht wie es ist und w i r d — und seine Bestimmungen 8 1 ." Entsprechend teilt er sein Werk i n die folgenden vier Bücher: „ V o m Pandektenrecht", „von den Personen", „von den Rechten" und „von den Handlungen" 8 2 . I n der 2. Auflage behält er dieses System bei 8 3 , gibt aber seine Meinung auf, daß es genau das römische der personae, res, actiones sei 84 . Rudorff habe i h n belehrt, daß das römische System von „sichtbaren, greifbaren" Dingen ausgehe, und unter res nur Sachen verstehe. Brinz hält aber an den Rechten m i t der Begründung fest, i m Rechte, das selbst unsichtbar sei, dürfe auf die Dauer nicht „nach dem Auge", sondern müsse „nach dem Gedanken" geteilt werden 8 5 . Warum nimmt er nicht auch die Sachen i n sein System auf? W i r sahen schon früher 8 6 , daß die subjektiven Rechte — außer dem Recht selbst — den einzigen Gegenstand aller Rechtsbestimmungen bilden und daß Personen, Sachen und Handlungen nur insoweit Gegenstand solcher Bestimmungen sind, als sie „Glieder oder Theile" der Rechte sind. Da man gliedern müsse, böten sich diese „Theile" zur „nächsten und natürlichsten" weiteren Gliederung an 8 7 ; da die Personen und Handlungen i n allen „Gattungen" der Rechte, die Sachen dagegen nur i n einigen vorkämen, seien als „Haupttheile" außer den subjektiven Rechten nur die Personen und Handlungen darzustellen 88 . Und die Handlungen läßt Brinz den Rechten nachfolgen, weil dies innerhalb eines „Gesammtsystems" „natürlicher" sei 89 . Auch spricht Brinz bezüglich der Systematisierung von den „natürlichen" Gesichtspunkten der alten und den „abstracten" der heutigen Jurisprudenz 90 . 79

Ebd. I X , X . Ebd. I X ; ähnlich wieder Ρ 3 76: Kein Pandektensystem verdiene diesen Namen, das nicht auf das gesamte Recht angelegt sei. 81 Ρ 1 Vorrede I X . 82 Weitere Einzelheiten über das System ebd. I X - X I und 9. 83 Das erste Buch wird allerdings erweitert. Es heißt „Vom Rechte" und gliedert sich in die beiden Teile „Vom Pandektenrechte" und „Vom Rechte überhaupt". 84 Ρ 2 I 88 ( = Ρ 3 103). 85 Ρ 2 I 88 ( = Ρ 3 103). 86 ο. § 10 Ziff. 1. 87 Ρ 3 102. 88 Ebd. 102. 89 Ebd. 104. 80

90

Ebd. 76.

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Obgleich er i n sein System einen abstrakten Gesichtspunkt — die unsichtbaren Rechte — hereinbringt, betrachtet er es — das zeigt sein Wortschatz — noch als natürlich. Brinz beherzigt m i t h i n nicht die Warnung Puchtas vor dem „allzu großen Vertrauen auf die natürliche A n schauung" bei der Systematik 0 1 . Trotz dieser naturalistischen Gedanken geht aber die Annahme wohl doch zu weit, Brinz schwebe eine dem Recht immanente Ordnung vor; dafür sind seine Äußerungen zu wenig ergiebig 92 . d) „Motivirung" Diese Arbeit suche das vorhandene Recht „auf historische Vorstufen, allgemeinere begriffliche Grundlagen, ethische, ästhetische Grundsätze zurückzuführen, d. i. zu motiviren". Durch sie werde sich mehr und mehr als eine „Schöpfung von innerer Gesetzlichkeit" erweisen, was zuvor als „eitle Satzung" erschienen sei; sie setze jede andere „Verarbeitung", wie auch die „kritisch-exegetische Bearbeitung" des Rechts voraus und trete daher auch als zeitlich letzte auf 9 3 . Zur „historischen und sonstigen Motivirung" komme es oft „behufs Erhärtung und Feststellung" der Sätze und Regeln, die den Quellen durch die „Definirung", „Generalisirung" und „Systematisirung" abgewonnen worden seien 94 . Die „historische Entwicklung" des Rechts herauszustellen 95 , ist also ein Teilziel der „Motivirung". Brinz macht i n diesem Zusammenhang noch die Bemerkung, daß die historische Forschung zugleich „Begriffsforschung" sein müsse, und daß die Aufgabe der Rechtsgeschichte erst dann gelöst sein werde, „wenn i n dem ältest nachweisbaren Zustande zugleich der dogmatische Grundriß aller späteren Begriffsentfaltung vorliegt" 9 6 . A n Arndts lobt er, dieser habe uns „den Werth und Erfolg einer die Gegenwart m i t der Vergangenheit verbindenden Schule" i n vielen Schriften vor Augen geführt 9 7 . I m Nekrolog für Rudorff nimmt er die historische Schule und die „humanistische Richtung i n unserem Fache" i n Schutz 98 . Und i n einer frühen Rezension teilt er die Historiker der 91 Kleine Schriften 239 (in dem Aufsatz „Betrachtungen über alte und neue Rechtssysteme" aus dem Jahre 1829). Eine nähere Kritik des Brinzschen Systems bei Arndts 484 - 486. 92 Auch die o. § 13 Ziff. 1 wiedergegebene Stelle ist nicht eindeutig. 93 Ρ 3 76, 77. 94 Ebd. 81. 95 Vgl. ebd. 77 und schon o. § 12. 96 Ρ 3 77, 78. Ähnlich K V 15, 328: Historische Arbeiten müßten von der Art sein, „daß sie niemals von dem Begriff, sondern nur von seiner heutigen Gestalt ablassen, um ihn in allen seinen Wandlungen... zu verfolgen". 97 Possessio I I I . 98 K V 15, 337 ff.

I I . Teil, 5. Kap.: Die Jurisprudenz

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historischen Schule i n „zwei sehr verschiedene Classen": bei den einen, die meist „unter dem Schilde historisch-dogmatischer Abhandlungen" arbeiteten, falle der historische Teil dogmatisch, der dogmatische historisch aus; der angeblich historische Teil bringe die „dogmatisch vollendeten Gebilde des vor justinianischen Rechts m i t Seitenblicken auf Gaius, mit Rückblicken auf Cicero"; der dogmatische Teil jedoch gehe auf das heutige Recht, das „wegen Unfertigkeit i n den wichtigsten Dingen das historische genannt werden dürfte"; die andere, sehr kleine Gruppe forsche; für sie gebe es „keine Grenze der Quellen, der Zeit, des Gegenstandes, aber aus ihren Arbeiten tauchen jene fruchtbaren Gedanken empor, m i t denen die Dinge sich einst selber getragen, und m i t denen allein sie auf dem Zeitpunkt ihrer vielverzweigten Entfaltung zusammengehalten werden können" 9 9 . Z u den letzteren, für die es keine Grenze der Zeit gibt, gehört bekanntlich Savigny nicht, denn er legt das Schwergewicht auf das antike römische Recht, nicht aber auf die römisch-deutsche Rechtsentwicklung seit der Rezeption 100 . Aber auch Brinz' Hauptinteresse gilt dem reinen römischen Recht; die Rechtsentwicklung der Folgezeit interessiert i h n weniger 1 0 1 ; er erforscht also nicht alle geschichtlichen Zeiträume gleichmäßig. Der Grund, daß er den römischen Zeitraum vorzieht, w i r d i n seinem Humanismus zu suchen sein 1 0 2 . Das historische Verfahren, das Brinz — dennoch — befolgt, und die schon dargestellte induktive Forschungsweise 103 sind der Grund, weshalb Brinz' Pandekten i n der Praxis relativ wenig Verwendung fanden 1 0 4 . M i t diesem Werk wollte Brinz auch gar nicht „zwei Herren dienen: dem Schüler und dem Practiker. Dieses Buch gehört dem Lernenden" 1 0 5 . 3. I m Jahre 1852 spricht Brinz einmal von der „Vorliebe" der zeitgenössischen Jurisprudenz, das Recht aus der „inneren Natur der Dinge" zu schöpfen 106 . Eine gewisse Neigung i n dieser Richtung besteht auch bei i h m selbst; des öfteren begründet er seine Rechtsansicht allein m i t der „Natur der Sache" bzw. der „Natur der D i n g e " 1 0 7 oder es steht 99

K Ü 1, 229, 230. Vgl. Wieacker, P R G 394; Wilhelm M L 32; siehe auch Brinz' Kritik an Savigny o. § 7 Ziff. 2. 101 So auch Regelsberger, u. § 36 und Bekker, u. § 37; vgl. schon o. § 7 Ziff. 2. 102 Ein schönes Beispiel ist die bonorum possessio. Ihre Geschichte bis Justinian wird mit aller Liebe dargestellt (P 2 I I I 9 - 29) ; wegen ihres Schicksals im byzantinischen und abendländischen, insbesondere im gemeinen deutschen Recht wird einfach auf die Werke anderer Juristen verwiesen (ebd. 29). 103 o. Ziff. b. 104 Siehe Brinz' eigene Gedanken in Ρ 1 Vorrede V I I I ; vgl. auch Lotmar u. § 37. m p i Vorrede V I I I . 100

106

Krit. Bl. 11.

§ 33

Die Methode der theoretischen Seite der Jurisprudenz

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dieses Argument gleichrangig neben den Quellen 1 0 8 , diese mitunter erhärtend, unterstützend 1 0 9 . Allerdings entscheidet sich Brinz — soweit ersichtlich — nirgends m i t Hilfe der „Natur der Sache" gegen die römischen Quellen. Man w i r d sagen können, daß die „Natur der Sache" an Brinz* grundsätzlichem Verfahren, das Recht nur aus den römischen Quellen zu schöpfen, nichts ändert; sie greift nur ein, wenn die Quellen schweigen oder u m diese zu unterstützen 1 1 0 . Was Brinz unter dem Begriff der „Natur der Sache" versteht, sagt er uns nicht; möglicherweise ist er m i t „innerer Nothwendigkeit" identisch 111 . Es drängt sich die Frage auf, i n welchem Verhältnis die „Natur der Sache" zur Analogie steht. Bei Savigny sind beide gleichgesetzt 112 . Brinz spricht sich zu dieser Frage nicht aus. I m Dienste der Auslegung des Rechts stehen jedenfalls beide nicht 1 1 3 bei ihm. Schulz betont das Streben der römischen Juristen, „die Regel zu finden, die sich aus der Natur der Sache, aus der Natur der Lebensverhältnisse ergibt" 1 1 4 . Es verwundert nicht, wenn w i r diese Methode bei Brinz finden, da er ja den römischen Juristen auch i n anderen Punkten folgt. I n der Verwendung des Arguments der „Natur der Sache" liegt ein naturrechtlicher Zug i m Brinzschen Rechtsdenken 115 , der sich zudem i n Brinz* Hochschätzung der Vernunft zeigt: Früh nennt er diese, wie bereits dargelegt 116 , „ein unentbehrliches Werkzeug der Jurisprudenz zur Weiterführung und Entwicklung des Rechts" 117 . Der Verstand w i r d als der „Eine und Einzige Maßstab" bezeichnet, m i t dem die K r i t i k jedes wissenschaftliche Produkt messe 118 . Ja, vom „Richterstuhl der 107

ζ. Β. Ρ 1 1420, 1449, 1582; Ρ 2 I V 107; Possessionis traditio 52; Der Begriff Obligatio 31. 108 ζ. Β. Ρ 1 1260,1263; Ρ 2 I I 244; Nemo errans 55, 71, 73; K Ü 2,166. 109 ζ. Β. Ρ 1 945,1432; Ρ 2 I 629; I V 82. 110 Nicht ganz richtig daher Lotmar, ADB 257, der behauptet, Brinz schöpfe Recht nicht aus „der inneren Natur der Dinge oder ähnlichen Fetischen" (u. §37). 111 Dafür sprechen Krit. Bl. 11 und Ρ 1 1449. 112 Nachweise bei Wilhelm, M L 66, 67. 113 Bei Savigny dient Analogie auch der Auslegung, vgl. Wilhelm, M L 67 ; die Natur der Sache im Dienste der Auslegung sehen ζ. B. Dernburg, Radbruch u. a.: Nachweise bei Henkel 289, 291, 293 Anm. 1. 114 Schulz 24. 115 Vgl. Larenz 140: Die „Natur der Sache" sei dem Positivismus „zutiefst verdächtig". 119 o. § 5 Ziff. 2 a. 117 Krit. Bl. I I I 45 ; über die Bedeutung der Vernunft in der römischen Jurisprudenz'siehe o. §§ 4 Ziff. 1 und 5 Ziff. 2 a. 118 Centralblatt 1856, Sp. 801; vgl. auch Ρ 1 1421, wo eine „Beleidigung des juristischen Verstandes" für möglich gehalten wird.

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I I . Teil, 5. Kap.: Die Jurisprudenz

Vernunft" gar ist die Rede 119 . Einwände und Behauptungen beurteilt er nach den Quellen wie nach der V e r n u n f t 1 2 0 ; bei einem Widerstreit der beiden letztgenannten hat wohl die Quelle den Vorrang 1 2 1 . Oft begegnen w i r i n Brinz' rechtlicher Argumentation auch der L o g i k 1 2 2 . So schreibt er beispielsweise, die „natürliche Logik" dränge zur Anerkennung eines „gewissen ehefräulichen Dotaleigenthums" 1 2 3 . Vergleicht man Brinz' Beweisführungen m i t der „Natur der Sache" und der „Vernunft", so gewinnt man den starken Eindruck, daß er m i t beiden Begriffen Ähnliches ausdrücken w i l l , wenn nicht sogar das Gleiche 124 . Da es aber an einer Definition des ersten Begriffes fehlt, läßt sich eine bestimmte Aussage über das Verhältnis der beiden Argumentationsmittel nicht machen. 4. Z u Brinz' Methode wissenschaftlicher Arbeit kann man unbedenklich auch die K r i t i k rechnen, von der er häufig und gerne Gebrauch gemacht hat 1 2 5 . Er sagt einmal über sie: „Die K r i t i k leistet der Wissenschaft denselben Dienst, wenn sie unhaltbare Neuerungen zurückweist, wie wenn sie stichhaltige zur Geltung bringt. Da wie dort gilt es Wahrheit, hier Anbahnung der neuen, dort Festhalten an alter 1 2 6 ." Dieses Streben nach Wahrheit, der „Losung aller Wissenschaft" 127 w i r d man überhaupt als Brinz' Hauptanliegen bezeichnen dürfen. 5. Methodische Äußerungen von Brinz mußten w i r des Zusammenhangs wegen schon i m § 13 (Natur des Rechts) bringen, wo die „naturhistorische" Methode zur Darstellung kam. W i r zeigten dort, daß Brinz i n dieser Anschauungsweise des Rechts nur ein Hilfsmittel für die dogmatische Arbeit sieht, die i m Einzelfall zwar zu spezifischen Problemlösungen führen mag, jedoch an Brinz' grundsätzlicher Methode, der dogmatisch-historischen Bearbeitung des Rechts, nichts ändert. Die „naturhistorische" Richtung w i l l nicht die Methode der historischen Schule durch eine neue ersetzen, sondern ist eine eigentümliche A r t der Vorstellung vom Wesen des Rechts.

110

Ρ 1 1446. Ebd. 996,1446. 121 Vgl. Ρ 2 I 425: „ . . . w ä r e unbegreiflich, wenn eine seltene Quelle nicht manchmal mehr gälte als die gesunde Vernunft." 122 ζ. Β. Ρ 1 1282,1448, Ρ 2 1202, 629, I V 389; K Ü 2, 470. 123 Ρ 2 I I I 704. 124 Einmal setzt er hinter „Natur der Sache" in Klammern „naturali ratione" : Der Begriff Obligatio 31. 125 Vgl. auch Landsberg u. § 37 und Landsberg I I I 2 858. 126 Blätter für Rechtsanwendung 17, 49; vgl. auch Vorwort vor Krit. Bl. I S. I I I , I V . 127 Naturforscher 3. Vgl. auch Protokolle 1625. 120

§ 33

Die Methode der theoretischen Seite der Jurisprudenz

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6. Zusammenfassend läßt sich zu Brinz* Methode der Rechtswissenschaft sagen: Er befolgt grundsätzlich die Methode der historischen Rechtsschule, bearbeitet also das Recht historisch-dogmatisch, hat aber i m dogmatischen Bereich weitgehend eigene Ansichten. Auch sind bei i h m naturrechtliche Tendenzen sichtbar. So wie w i r bereits die Rechtsanwendung — die eine Seite der Jurisprudenz — als ein logisches Verfahren qualifizierten 1 2 8 , so ist weitgehend auch die Methode der Theorie, von der historischen Arbeit natürlich abgesehen, logisch. Es bewahrheitet sich also Brinz* eigner Ausspruch, das Juristische sei „etwas wesentlich Logisches", nämlich „eine Bestätigung der Logik auf Grund des gegebenen Gesetzes" 129 .

128

o. § 28 Ziff. 3. Rechtswissenschaft 3170 (richtig wohl „Betätigung"). Vgl. schon o. § 22 Ziff. 1 b. 129

DRITTER TEIL

Brinz im Urteil der Literatur § 34

Vorbemerkung

Die Auseinandersetzung der juristischen Literatur m i t Brinz' dogmatischem Werk ist sehr umfangreich; sie berührt aber den Gegenstand dieser Arbeit nicht und bleibt daher unberücksichtigt. Soweit das Schriftt u m auf einzelne Punkte der Rechtslehre von Brinz eingeht, wurde es — nach Möglichkeit — bereits i m zweiten Teil herangezogen. I m folgenden sollen die Stimmen zusammengestellt werden, die ein Urteil über den juristischen Forscher und Lehrer Brinz enthalten. Es w i r d nicht die Rede sein von dem Parlamentarier Brinz 1 , auch nicht eigens2 von dem Menschen Brinz. Z u dem letzten Punkt soll — stellvertretend für die zahlreichen Äußerungen 3 — Landsberg das Wort erhalten, der schreibt: „Von dem Menschen Brinz ging eine offene Herzlichkeit, eine schlichte Menschenfreundlichkeit, eine Frische der M i t teilungsfreudigkeit und eine Fülle des Wohlwollens aus, deren Zauber nicht wiederzugeben ist 4 ." Die uns hier interessierende Literatur hat keinen großen Umfang. Außer der Gruppe der Nachrufe und einigen mehr oder weniger ausführlichen Beiträgen besteht sie i n der Hauptsache aus kurzen, beiläufigen Bemerkungen, die häufig nur die Pandekten von Brinz betreffen. Die Rechtshistoriker gedachten weder seines 100. noch seines 150. Geburtstags. Daß Brinz* Name auch ins Ausland drang, zeigen eine Besprechung seiner Pandekten durch L. Grillenzoni i m Archivio Giuridico aus dem Jahre 18745, Riviers Nachruf, Pacchionis und del Vecchios Bemerkun1 Dazu insbesondere die Nachrufe von Exner, Knoll, Ruß und Lotmar in der ADB. 2 Von wenigen Bemerkungen abgesehen, die des Zusammenhanges wegen wiedergegeben wurden. 3 Hauptsächlich in den Nachrufen und den Beiträgen von Unger, A. Sd., Lingg, und v. Pechmann. 4 Landsberg I I I 2 Noten 353. 5 Archivio Giuridico, da Filippo Serafini, Volume X I I , 1874, 626 - 633.

§ 35

Stimmen über Brinz aus der Zeit v o r seinem Tode

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gen® sowie mehrere A r t i k e l über Brinz i n ausländischen Konversationslexika 7 . § 35

Stimmen über Brinz aus der Zeit vor seinem Tode

Kuntze spricht bereits i m Jahre 1856 von der „skeptischen Richtung" einer Brinzschen Schrift 1 . Jherings Meinung über Brinz ersehen w i r aus einem Brief an Windscheid vom 15. 2. 1858, i n dem er diesen zu dessen Berufung an die U n i versität München beglückwünscht: „Daß D u nun berufen, mein lieber Freund, freut mich i n mehrfacher Beziehung. Zuerst negativ, daß Brinz nicht berufen, denn ich muß D i r gestehen, sein Pandekten-Kompendium hat einen so unerquicklichen Eindruck auf mich gemacht, daß ich es i m Interesse der Jurisprudenz bedauert haben würde, wenn er einen der größten Wirkungskreise i n Deutschland erhalten hätte 2 ." I n der Folgezeit scheint Jhering aber seine Ansicht über Brinz etwas geändert zu haben. Als er die Universität Wien verließ, hat er als seinen Nachfolger Brinz „ i n Aussicht genommen", der „auch ohne meinen Vorschlag von anderen i n Vorschlag gebracht werden würde" 3 . Und i n einem Brief an Windscheid vom 18. 3. 1886, der voller Lob für Windscheid ist, schreibt Jhering: „Neben D i r kann man höchstens Brinz und Dernburg nennen, aber auch sie möchte ich nicht als die Repräsentanten des romanistischen Wissens unserer Zeit gelten lassen, dazu fehlt es dem einen an diesem, dem anderen an jenem, während D u allein alles, was dazu gehört, i n D i r vereinigst 4 ." 6

u. §§ 36,37,38. O T T Û V S L O V N I K N A U C N Y , I V . Band 1891 (PRAZE), 684; La Grande Encyclopédie (Gesamtwerk erschienen 1885 - 1902), 8. Band, 38, 39; Enciclopedia universal ilustrada Europeo-americana, Barcelona (Gesamtwerk erschienen 1908 - 1930), 9. Band, 861 ; Algemene Winkler Prins Encyclopédie, Amsterdam, Brüssel, 2. Teil 1956, 371; E L E U T H E R O U D A K E SYNCHRONOS E N K Y K L O P A I D E I A , erschienen ab 1962, 3. Band, 564; Grote Winkler Prins, Enxyclopedie in twintig delen, Teil 4, 1967, 544; bezüglich der Erwähnung des Brinzschen Begriffs „Zweckvermögen" in fremdsprachlichen Wörterbüchern — einmal sogar mit Hinweis auf Brinz! — siehe Schmidt V A 1969, 295, 296 Anm. 1. Erwähnenswert ist auch, daß sich viele der Werke von Brinz in ausländischen Bibliotheken befinden: Vgl. für die USA: The National Union Catalog, Pre — 1956 Imprints, Volume 76, Mansell 1970, 46, 47 (fast alle Werke); für England: British Museum General Catalogue of Printed Books (to 1955), Volume 26 (London 1965), Spalte 1009 (einige Werke); für Frankreich: Catalogue Général Des Livres Imprimés De La Bibliothèque Nationale, Auteurs, Tome X I X , Paris 1904, Spalte 809 (einige Werke). 1 Obligation 11; ähnlich 129. 2 Jherings Briefe 87. 3 Brief vom 24.1.1872 an Oskar Bülow, ebd. 272. 4 Ebd. 398. 7

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I I I . Teil: Brinz i m U r t e i l der L i t e r a t u r

Mandry rühmt an Brinz' Pandekten (1. Auflage) deren „markige K r a f t " , „frische Unmittelbarkeit" und „ergreifende Lebendigkeit" 5 sowie Brinz' „Bestreben, über die unmittelbare juristische Form hinauszugehen und auf die materielle Grundlage der einzelnen Rechte durchzudringen" 6 . Diese materielle Grundlage der einzelnen Institute suche Brinz jedoch nicht außerhalb der Institute; sie mache i h m vielmehr das „Wesen der Rechte" selbst aus und beeinflusse deren „begriffliche Erfassung" sehr einschneidend 7 . Etwas später meint Mandry, die Pandekten hätten „mehr Fermente i n den Gärungsprozeß unserer Wissenschaft geworfen . . . als irgendein anderes civilistisches Werk der letzten 15 Jahre". Obgleich er wegen des befolgten Systems und zu geringer Berücksichtigung der Bedürfnisse der Praxis K r i t i k übt, schreibt er doch dem Werk das Verdienst zu, die Wissenschaft bedeutend gefördert zu haben, und zwar „nicht bloß durch säubernde und sichtende K r i t i k , sondern mindestens eben so sehr durch positive Grundlegung" 8 . „Eigenthümlichkeit i n Anordnung und Darstellung" und „Reichthum seines Inhalts an neuen Gedanken, anregenden Zweifeln und Problemen" sind für Arndts die Charakteristika des Pandektenlehrbuchs (1. A u f lage) 9 . A n der 2. Auflage bemängelt er unter anderem das System 10 . Gustav Hartmann hebt die „lebensweckende K r a f t " der Schriften von B r i n z 1 1 sowie seine Originalität 1 2 hervor. Czyhlarz erwähnt Brinz' Geschick, „jeder Sache eine neue Seite abzugewinnen, sie uns i n einem Lichte zu zeigen, i n dem w i r sie bisher nicht gesehen haben". Dabei gehe es Brinz „nicht u m Neuerung sondern u m Wahrheit" 1 3 . Eck spricht von den „beiden hervorragendsten Pandektenlehrbüchern" von Windscheid und Brinz 1 4 . Bei Zoll finden w i r die Bemerkung, Brinz' Werke enthielten „des Neuen, Anregenden und Beachtenswerthen stets i n reichster Fülle" 1 5 . Mitteis schließlich redet bezüglich des Pandektenlehrbuchs von der „wachsenden Popularität des kernigen Meisterwerks" 1 6 . 5

K V 12,498. Ebd. 501. 7 Ebd. 502. 8 K V 14, 399. 9 Arndts 482. 10 Ebd. 484 - 486. 11 K V 18,169. 12 Jher. Jb. 22,422. 13 Grünhut 6, 623; vgl. auch Grünhut 11, 628 ff. 14 S. 22,103,104. 15 Grünhut 9,405. 16 Grünhut 13, 206. 6

§ 36

§ 36

Nachrufe

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Nachrufe

Jhering und Windscheid haben nach Brinz' Tod i m Jahre 1887 keine Nachrufe verfaßt; bekannt sind jedoch ihre Beileidsschreiben an die Witwe von Brinz. Windscheid schreibt: „Durch seinen Scharfsinn und durch die Eigenart seines Geistes nahm Brinz eine Stellung unter uns ein, die schlechthin einzig war und die nach i h m nicht wieder ausgefüllt werden w i r d 1 . " Und Jhering: „ F ü r die Wissenschaft bedeutet sein Tod nicht viel weniger, als für Sie und die Ihrigen. Der frühzeitige Tod von Bruns und Ihrem Gatten sind m. E. die schwersten Verluste, welche die Wissenschaft seit vielen Jahren — seit dem frühen Hinscheiden von Puchta — erfahren hat 2 ." Ein ausführlicher Nachruf stammt aus der Feder von Regelsberger, einem Schüler und Freund von Brinz. Er nennt Brinz' Stellung i n der Rechtswissenschaft eine „eigenartige" 3 . Brinz' Vorliebe für sprachliche und historische Forschungen, sein überwiegendes Haften am reinen römischen Recht, seine bewußte Nichtberücksichtigung praktischer Bedürfnisse i n den Pandekten, seine ablehnende Stellung zur Kodifikation — all dies weise auf seine „Angehörigkeit zur historischen Schule" hin. Aber ein „Eingeschworener derselben" sei Brinz nicht gewesen4. „Sein scharfer Geist fand kein Genüge, i n den breiten Geleisen zu wandeln und die positiv gewordenen Gestalten der Rechtsverhältnisse zu ergründen: er stellte die Frage nach ihrer materiellen Grundlage, spürte den treibenden Grundgedanken nach." Brinz sei „bei aller Achtung vor der Tradition des Rechts... völlig frei von dem Bann durch die Tradition der Schule" gewesen5. Sein wissenschaftlicher Standpunkt zeige „größere Selbständigkeit" 6 . Regelsberger geht auch auf Brinz' „ausgeprägte kritische Anlage" ein 7 . Wenn auch der Brinz beigelegte Beinamen des Skeptikers nicht ganz unberechtigt sei, so seien doch „Lust am Umstürzen", „Sucht nach verblüffenden Neuheiten" oder „Vorliebe für die eigenen Ansichten" keinesfalls die Triebfeder für seine kritische Tätigkeit gewesen8. Von den Pandekten (1. Auflage) sagt Regelsberger, sie seien „nach Form und Inhalt der Ausdruck von B.'s Sturm- und Drangperiode, keck, wenn auch i n besten Treuen hingeworfen, aus dem Kerne gearbeitet, eigen1 2 8 4 5 6 7 8

Zitiert von Z, Allg. Zeitung 331. Ebd. 331. Regelsberger 9. Ebd. 9 - 11. Ebd. 11. Ebd. 12. Ebd. 12. Ebd. 12.

12 Rascher

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artiger als seit Jahren eines erschienen w a r " 9 . Auch wenn die neuen „Aufstellungen" von Brinz sich nicht durchsetzen würden, so sei i h m doch immer zu danken, daß er es verstanden habe, „Fragen zu stellen" und daß er „Fermente i n den wissenschaftlichen Proceß" getragen habe, deren „heilsame" Wirkungen noch lange andauern würden 1 0 . Regelsberger prophezeit, daß die meisten der verbreiteten Lehrbücher nicht mehr benützt würden, wenn der Forscher immer noch nach Brinz' Buch greife, das nicht für den Anfänger bestimmt sei, aber „reiche Belehrung Jedem gewährt, welcher fähig und gewillt ist, den Dingen tiefer nachzugehen, Probleme zu prüfen und sich durch Zweifel und Einwürfe den Weg zur Erkenntnis zu bahnen" 1 1 . Auch auf Brinz' Stil geht Regelsberger ein; dieser sei „stets markig, gedrungen wie der Mensch", lasse aber i n seinen fachwissenschaftlichen Schriften zuweilen an „Durchsichtigkeit und Glätte vermissen". Wenn sich Brinz hingegen an ein größeres Publikum wende, spreche er „gemeinfaßlich und anziehend" 12 . Z u Brinz' Lehrtätigkeit bemerkt Regelsberger, sein immer frei gehaltener Vortrag habe eine „ e i g e n t ü m l i c h packende K r a f t " besessen, obwohl er hohe Anforderungen an seine Zuhörer gestellt habe. Seine „warme Begeisterung für die Wissenschaft" sei auf die Hörer übergeströmt, „ i n jedem Wort . . . lag seine Persönlichkeit". Regelsberger schließt i n der Uberzeugung, daß Brinz' Name „unter den Ersten genannt werden" wird, „so lange es eine Rechtswissenschaft g i b t " 1 3 . L u d w i g Mitteis kennzeichnet Brinz als einen der „bedeutendsten deutschen Juristen" 1 4 . Als juristischer Forscher sei er „einer der Ersten, aber auch der Eigenartigsten". „Gleich jenem Sextus Caecilius Africanus möchte man i h n oft den ,difficilis' nennen". Seine Eigenart sei jedoch nicht so singulär; das häufig etwas „scholastische, fast mystische Element seiner Schriften" sei w o h l ein „Erbtheil" der unter dem Einfluß von Hegel und Schelling stehenden schwäbischen Philosophen- und Theologenschulen der Dreißiger- und Vierziger jähre. Doch bei Brinz sei dieser „Hang" nur „Aeußerlichkeit" geblieben 15 . Die große Seite seiner Schriften erblickt Mitteis i n der „Tiefe der Auffassung verbunden m i t einer zersetzenden Skepsis"; die Pandekten stellten eine „noch lange nicht ausgebeutete Fundgrube der genialsten 9

Ebd. 13. Ebd. 14. 11 Ebd. 13. 12 Ebd. 15. 13 Ebd. 17. 14 Blätter 467. 15 Ebd. 467. 10

§ 36

Nachrufe

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Bemerkungen" dar 1 6 . Brinz' Größe liege aber nicht nur i m Detail, sondern auch „ i n dem tiefgedachten Zusammenhange des Ganzen" 17 . Mitteis berichtet, Brinz gelte für einen „Vertreter des strengen Romanismus" und hält diese Einordnung selbst für treffend, denn seit Böcking habe kein Romanist so rein aus den Quellen heraus gearbeitet wie Brinz. Wenn er auch moderne Entwicklungen weniger beachte als andere Darsteller und mitunter zu sehr am „historischen Gebilde" festhalte, so sei er doch weit entfernt von dem „starren Dogmatismus und der reinen Quellenexegese eines Vangerow". Brinz' „Beschränkung auf das rein Romanistische" sieht Mitteis i n seiner „mehr i n die Tiefe als i n die Weite dingenden Geistesrichtung" vorgezeichnet; gerade diese Richtung habe Brinz zu „Intuitionen" geführt, „welche noch auf weite Strecken unsere Bahn beleuchten werden" 1 8 . Mitteis nimmt Brinz gegen den häufigen V o r w u r f einer „unbehilflichen Ausdrucksweise" 19 i n Schutz; diese „gebohrten und geschraubten Sätze" seien nicht etwa „übel gesetzte Worte", vielmehr die „getreue Spur des einbohrenden Gedankenganges..., der Brinz 9 Originalität" bedinge; und insofern sie diesen Gedankengang als „deutliche Marksteine" bezeichneten, seien sie „vortrefflicher" Stil. Aber davon abgesehen wiesen diese „wuchtigen Satzfugen oft auch rein ästhetisch genommen die herbe Schönheit, fast möchte ich sagen eines Bachschen Tonsatzes" auf 2 0 . Mitteis erkennt Brinz daher als „großen Stilisten" an 2 1 . Adolf Exner hielt Ende 1887 i n der Vollversammlung der Wiener j u r i stischen Gesellschaft einen Vortrag mit dem Titel „Erinnerung an Brinz". Darin sagt er, das Pandektenwerk habe Brinz' „große Stellung i n der civilistischen Literatur für lange Zeit gesichert". Dieses Werk sei „eines der bedeutendsten, die unsere Juristengeneration hervorgebracht hat"; Brinz habe darin das weite Feld des Zivilrechts neu umgeackert 22 . Auch wenn die Zukunft urteilen werde, daß das Windscheidsche Buch das „maßgebende Standwerk 2 3 unserer Epoche" sei, werde man von Brinz' Werk sagen müssen, es sei das „originellste unserer Zeit, i n welchem die Summe eigener Production des Autors am größten ist" 2 4 . Das Werk sei „Original nach Form und Inhalt". Die Form findet freilich nicht Exners 16 17 18 19 20 21 22 23 24

12*

Ebd. 467. Ebd. 468. Ebd. 468. Ebd. 467. Blätter 468. Ebd. Anm. 4. Exner 18. Sic! Muß richtig wohl Standardwerk heißen. Exner 20, 21.

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I I I . Teil: Brinz i m U r t e i l der L i t e r a t u r

Beifall; er bemängelt die Einteilung des Stoffes sowie die „Durchsetzung des Textes m i t Quellenforschung 25 und Polemik, zugleich vielfach ohne sichtbare Scheidung zwischen Behauptung und Begründung" 2 6 . Diese „schwierige" Form 2 7 — vor allem der 1. Auflage — habe dem Werk schweren Schaden gebracht; denn es sei „keine geringe Zumuthung an die Denkkraft, Geduld und Ausdauer" des Lesers, die Brinz i n seinen „langgeführten, vielfach durchbrochenen, scharf gefeilten und massiv gebauten Sätzen" stelle 28 . Eine „gewisse Classicität i n der plastischen Behandlung des Stoffes" fehle daher dem Werk 2 9 . Wegen seines „gewaltig schwerwiegenden" Inhalts indessen werde es „eines der wenigen juristischen Werke unseres Jahrhunderts sein, die dieses überleben" 3 0 . Und wenn man auch noch nach mehreren Jahrhunderten Pandekten lese und schreibe, werde man bei dem einen und anderen Punkt auf die Brinzschen Pandekten zurückkommen. So wie man heute manchmal i n Monographien lesen könne: Diesen für neu gehaltenen Gedanken hat schon Donellus ausgesprochen — so werde man dereinst vielleicht bemerken müssen: Das hat „schon i m 19. Jahrhundert der alte Brinz" gesagt 31 . Exner berichtet, Brinz habe i h m einige Jahre vor seinem Tode gesagt, er habe jetzt genug von den Pandekten und mache nur noch historische Arbeiten. Diesen Anreiz zur historischen Forschung, den er als einen „Rückschlag von seiner (Brinz') jugendlichen Philologenzeit her" deutet, bezeichnet Exner als „merkwürdig", denn für ihn war Brinz „seiner ganzen Natur nach Dogmatiker, jede Faser an i h m war Pandektist" 3 2 . I n all den historischen Arbeiten der Münchner Zeit habe Brinz zwar stets etwas „Geistvolles, Feines" gebracht; aber eine Untersuchung, die neue Tatsachen zu Tage gefördert und gegen alle Anfechtung sichergestellt hätte, sei i h m nicht gelungen 33 . Der österreichische Reichstagsabgeordnete Viktor Ruß, ein Hörer von Brinz i n Prag, gedenkt i n seiner Rede vor allem des Parlamentariers Brinz, schildert aber auch dessen packenden Lehrvortrag sehr anschaulich. Brinz, der „glühende Apostel für Recht und Wahrheit", sei von der

25 26 27 28 29 30 31 32 33

Dies ist nur in der 1. Auflage der Fall. Exner 18. Ebd. 19. Ebd. 18. Ebd. 19. Ebd. 19. Ebd. 19. Ebd. 21, 22. Ebd. 22.

§ 37

Spätere Stimmen über Brinz — bis zum 2. W e l t k r i e g

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„Leidenschaft zu lehren" erfüllt gewesen 34 . Er habe seinen Hörern „die Seele entrissen, sie war i h m zugehörig geworden und seiner Lehre" 3 5 . Für Alphonse Rivier ist Brinz „Fun des trois ou quatre principaux pandectaires de Γ Allemagne, c'est-à-dire du monde"; seine Pandekten seien ,,1'un des maîtres livres de la littérature juridique", obwohl sie nicht die gleiche Autorität bei den Gerichten noch die gleiche Popularität i n der Schule erlangt hätten wie die Pandekten von Arndts oder Windscheid 36 . A u f eine Formel gebracht charakterisiert Rivier Brinz folgendermaßen: „M. de Brinz n'était pas seulement un savant consommé, jurisconsulte et philologue, un professeur aussi consciencieux qu'habile; c'était un esprit singulièrement sain et vigoureux, écrivain profond en même temps qu'éloquent orateur; c'était encore un homme excellent, au coeur chaud, à l'âme généreuse" 37 .

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Spätere Stimmen über Brinz — bis zum 2, Weltkrieg

Felix Dahn erzählt i n seinen „Erinnerungen", während seines Studiums hätten nicht die Vorlesungen über deutsches Recht, sondern es habe das römische Recht einen großartigen Eindruck auf ihn gemacht, „allerdings weit mehr vermöge des feuriglebendigen Vortrags von Brinz als durch den klugbedächtigen von Arndts" 1 . J. E. Kuntze hat i m Jahre 1893 seinen Nekrologen für Jhering und Windscheid noch einige zusammenfassende Bemerkungen über diese beiden und über Brinz hinzugefügt 2 . Anknüpfend an seine 36 Jahre vorher verfaßte Schrift „Der Wendepunkt der Rechtswissenschaft", i n der er Anzeichen für eine neue wissenschaftliche Epoche sieht, führt Kuntze aus, es habe damals gegolten, nach der historischen Schule „eine dogmatische zu gründen, das System als die Hauptaufgabe neben und über die Geschichte zu setzen und eine Constructivjurisprudenz zu schaffen". Dabei seien Jhering, Windscheid und Brinz „Rufer i m Streit" vor anderen geworden 3 . I h r Verdienst sei es, der „dogmatischen Richtung" zum Sieg über die historische verholfen zu haben. I n Jherings „Geist des römischen Rechts" sei von Band zu Band das historische Element zurück-, das dogmatischsystematische i n den Vordergrund getreten; die „großen Pandekten84

Ruß 11,12. Ebd. 12. 36 Rivier 80. 37 Ebd. 80. 1 Dahn 56. 2 Jhering, Windscheid, Brinz. 3 Ebd. 26. 35

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I I I . Teil: Brinz i m U r t e i l der L i t e r a t u r

werke" von Windscheid und Brinz hätten alle Ergebnisse der neueren historischen Forschungen i n den Schatten gestellt — ausgenommen Mommsens römisches Staatsrecht 4 — und der gesamten Hechtswissenschaft eine „neue Windrichtung" gegeben5. Windscheid, noch mehr Brinz, noch mehr Jhering hätten „das Band zwischen Rechtswissenschaft und Rechtsleben" immer enger geknüpft 6 . Speziell Brinz, so meint Kuntze, habe bei dieser Reform der Rechtswissenschaft „ n u r anregend, Zweifel erhebend, tapfer umherleuchtend, oft nur meteorartig oder wie eine unerwartet aufblitzende Rakete" gew i r k t . Aber gerade i n Übergangszeiten dürften solche „unruhig treibende, skeptische Geister" nicht fehlen, „sie lockern das Land für den neuen Saamen und helfen befreien aus den Fesseln traditioneller Schablone". I n Brinz' Pandekten werk sieht Kuntze „eine der freiesten und originellsten Thaten i m Gebiete unserer civilistischen Literatur" 7 . I n Jherings Losung: Durch das römische Recht über das römische Recht hinaus und i n Windscheids Devise, das römische Recht auf seinem eigenen Boden zu überwinden, liege eine „nationale Richtung", die die „natürliche Bundesgenossin der dogmatisch-systematischen" sei. Deutsches Denken sei nun i n verstärktem Maß i n die juristischen Vorstellungen eingedrungen. Windscheid habe dies gefordert, Jherings Hauptverdienste lägen i n dieser Richtung, und die „lebendige Wärme", m i t der Brinz seine Probleme und Stoffe erfaßt habe, „erzeugte i n unsrer Rechtsliteratur eine neue Temperatur, welche, dem deutschen Gestaltungstriebe günstig, zur civilistischen Plastik aufrief" 8 . So verschieden Jhering, Windscheid und Brinz auch seien — Kuntze nennt sie „drei eigenartige wissenschaftliche Gestalten" —, so stimmten sie doch darin überein, daß sie Dogmatiker gewesen seien und daß sie als „hervorragende Kenner des römischen Rechts" sich doch völlige Freiheit des Denkens gegenüber diesem Recht bewahrt hätten. Alle seien sie „ausgezeichnete Lehrer" gewesen und hätten auch dies gemeinsam gehabt, daß sie keine ihrer Arbeiten für abgeschlossen gehalten hätten 9 . Ihre Eigenart kurz skizzierend, bezeichnet Kuntze Brinz als „aufrüttelnd", Jhering als „begeisternd", Windscheid als „erziehlich". Brinz, 5 Jahre früher als die anderen verstorben, gehöre doch als Zeitgenosse und als „Mithelfer am großen juristischen Reformwerk" zu diesen 10 . 4

Ebd. 28. Ebd. 29. 6 Ebd. 30. 7 Ebd. 29. 8 Ebd. 30. • Ebd. 31. 10 Ebd. 31·

5

§ 37

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Kuntze möchte „keinen der Drei missen, w i r brauchen alle Drei auf lange Zeit hinaus". Er schließt seinen A r t i k e l mit den Worten, es fasse sich „die zweite Hälfte unsres Jahrhunderts für den denkenden Juristen i n der Trias zusammen. I h r Andenken ist unzertrennlich" 1 1 . Philipp Lotmar, der „Lieblings- und Meisterschüler" 12 von Brinz, hatte es nach dessen Tod übernommen, die noch unvollendete 2. Auflage der Pandekten zu einem Abschluß zu führen. I n seinem Vorwort zur 2. Lieferung des 3. Bandes 2. Abteilung (1889 erschienen), i n dem er die Pandekten ein „Werk des Genies" nennt, das stets seiner Zeit vorausgewesen sei 13 , geht er auch auf den Stil von Brinz ein. Es sei ungerecht und eine Verkennung des vollen Wertes von Brinz, wenn man den Forscher bewundere, dem Schriftsteller Brinz gegenüber jedoch Nachsicht übe 14 . Für Lotmar ist Brinz ein „großer Stilist"; nur ein Stilist wie Brinz habe i m Bewußtsein des eigenen „strengeren oder edleren" vom „Rokokostil unserer Tage" 1 5 reden können. Brinz verfüge über einen ungewöhnlich umfangreichen Wortschatz, er wähle den „satteren, seltneren, treffenderen statt des matteren, abgegriffenen, verschwommenen" Ausdrucks 16 . Die größte Eigenart i m Brinzschen Stil sieht Lotmar darin, daß Brinz „den Stoff nicht wie vorher gegossen und formgebannt vor den Leser hinstellt, sondern denselben i m Fluß zeigt, durch die Argumente u m gerührt und fortgeschoben", so daß die Feststellung des Ergebnisses seiner Erörterungen manchmal besondere Aufmerksamkeit verlange 17 . Lotmar verfaßte außerdem einen umfangreichen A r t i k e l über Brinz für die Allgemeine Deutsche Biographie. Darin charakterisiert er Brinz' Pandekten folgendermaßen: sie stellten sich nicht i n den Dienst der Praxis, verrieten nie die Theorie an die Praxis, trachteten aber dennoch nur danach, das „eine, einzige Recht" zu ermitteln, das die Gerichte anzuwenden hätten 1 8 . Trotz des „innigen Contactes m i t den Quellen" habe dieses Werk „individuelles Gepräge" und „viel subjective Beweglichkeit". Diese „Subjectivität" verleihe i h m auch die „unverwelkliche Frische" 19 . 11

Ebd. 32. Landsberg I I I 2 844. 18 Lotmar, Vorwort 1, I V ; dort ist auch vom „rastlos umgrabenden Geist" von Brinz die Rede. 14 Ebd. V I I I . 15 Ρ 2 I I 7. 16 Lotmar, Vorwort 1, V I I ; vgl. ebd. auch zu Brinz* Wortschöpfungen. Zum Schicksal von Brinz' Begriff „Zweckvermögen" siehe Schmidt, V A 1969, 1970; wenig geschmackvoll ist es, wenn Schmidt — V A 1970, 81 — bzgl. dieses Ausdrucks bemerkt, er solle dort gelassen werden, wo er herkomme, „auf dem Ideenfriedhof (!), wo er mit Alois Brinz längst beerdigt war". 17 Lotmar, Vorwort 1, V I I I . 18 Lotmar, A D B 256. 19 Ebd. 246. 12

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I I I . T e i l : Brinz i m U r t e i l der L i t e r a t u r

Auch Lotmar stimmt Brinz' System i n den Pandekten nicht vorbehaltslos zu: Man könne über seine Zweckmäßigkeit streiten, müsse aber zugeben, daß „ein so großartiger Begriff wie der des Gesammtrechtssystems, dem jenes Privatrechtssystem eingeordnet wäre, nur durch wenige Juristenköpfe gegangen ist" 2 0 . Was Brinz selbst über Leibniz sage: Wo dieser „seinen Fuß hinsetzt, sproßt neues Leben" 2 1 , gelte i m Felde der Jurisprudenz von seinem Werke. Daß diesem der äußere Erfolg, der seinem Umfang und seiner „Tiefe" entspreche, nicht beschieden gewesen sei, liege nicht an „Form oder Stil" des Werkes. „Denn kein Deutscher hat über römisches Recht so kräftig, farbig, lebendig und anmuthig und dabei so vornehm geschrieben" wie Brinz 2 2 . Daß sich das Buch trotz des bestimmten Ausdrucks nicht leicht lese, liege an dem Reichtum seines Inhalts und an seiner Methode, der „historischen, statt der dogmatischen Betrachtung"; dies bedeute aber nicht Rechtsgeschichte, sondern die Schöpfung des Rechts aus den Quellen, „nicht aus der inneren Natur der Dinge oder ähnlichen Fetischen". Das historische Verfahren gehe vom Einzelnen zum Allgemeinen, zeige „Wachsthum und Verzweigung" der Dinge; so seien dem Werke „eine gewisse Scheu vor verwischender Generalisation" sowie „eine gewisse Neigung zu feiner Distinction" eigen. Und da es die historische Methode i n Kauf nehme, daß nach den Quellen manchmal „kein einfacher zweifelsfreier Abschluß" erreicht werde, sei es verständlich, daß der „Neuling" und der Praktiker das Buch weniger benutzt hätten 2 3 . Die Wirksamkeit des Werkes hält Lotmar noch nicht für beendet. Auch wenn sich manche Sätze oder Lehren nicht halten ließen, das Werk „ i m Ganzen" werde noch von „fernen" Generationen genützt und geschätzt, manches davon erst dann geschätzt werden. Es komme die Zeit, i n der der Romanist ein größeres Quellengebiet beherrschen müsse, als i n dem Brinz heimisch gewesen sei; aber „des Hauptwerkes Bedeutung innerhalb seiner Grenzen" werde wachsen, je weiter man von der Zeit entfernt sei, da das römische Recht als geltendes Recht behandelt worden sei 24 . Wenn auch von den Romanisten des 19. Jalrhunderts einige „ i n den Mitteln vollständigere oder i n den Ergebnissen fertigere Untersuchungen" geboten hätten, so werde man doch „dereinst finden, daß Wenige mit so weitem Blick das Ganze des Systems und der Entwicklung überschaut haben und kaum einer geistesverwandter wie B. m i t Celsus und Papinian verkehrt hat" 2 5 . 20 21 22 23 24 25

Ebd. 256. Universalität 10. Lotmar, A D B 256. Ebd. 257. Ebd. 257. Ebd. 257.

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Spätere Stimmen über Brinz — bis zum 2. Weltkrieg

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Neben Brinz' „mächtiger Lehrgabe" 2 8 erwähnt Lotmar auch seine „ungewöhnliche Urtheilskraft" 2 7 . Brinz sei jedoch kein Skeptiker, sondern ein „hervorragender K r i t i k e r " gewesen, denn er habe überall seine Zweifel begründet und sei bemüht gewesen, für das Angezweifelte Ersatz zu schaffen 28 . Heinrich Dernburg nennt Brinz, Windscheid und Jhering „hervorragende" Romanisten 29 . Hellmann spricht von dem „mächtigen Einfluß des Brinz'schen Genius auf die Wissenschaft des Pandektenrechts" 30 . Es gebe kaum ein bedeutenderes Problem dieses Gebietes, dem Brinz nicht von Neuem i n seiner „genialen Eigenart" Anregungen gegeben hätte 3 1 . Von Ernst Imanuel Bekker besitzen w i r mehrfache Äußerungen über „Freund Brinz" 3 2 , die eingehendste i n seiner 1907 veröffentlichten Schrift „Burkard Wilhelm Leist unter seinen Aequalen" 3 3 . Diese Äqualen sind Mommsen, Bruns, Jhering, Windscheid, Wetzell, K a r l Adolf Schmidt und Brinz 3 4 . Bezüglich Brinz bemerkt Bekker, dieser sei der originalste der ganzen Gruppe 3 5 . A n der historischen Schulmethode habe er „nicht viel zu mäkeln" 3 6 . Seine Pandekten gehörten zu den „bedeutendsten Erscheinungen des Jahrhunderts". I n keinem andern Lehrbuch — das Puchtasche ausgenommen, stecke „soviel eigenes Denken" 3 7 . Die Bedeutung des Werkes sieht Bekker — bei mancherlei K r i t i k — i n folgendem: „Revision so ziemlich des gesamten Inhalts unseres Pandektenrechts, i m geschichtlichen Zusammenhange sowohl mit dem Römischen Rechte wie mit dem der Gegenwart, von neuen selbstgefundenen Standpunkten aus 38 ." Bezüglich der 2. Auflage des Werkes behauptet Bekker u. a., Brinz' „ k r i tische Schärfe" lasse hier nach; auch finde man jetzt zuweilen „Hinnei26

Ebd. 244. Ebd. 258. 28 Ebd. 257, 258. 29 Dernburg 38. 30 Hellmann 60, ähnlich 64. 31 Ebd. 63. 32 Jher. Jb. 30,235. 33 Der Beitrag erschien gleichzeitig auch in der Zeitschrift der Savignystiftung für Rechtsgeschichte, Rom. Abt. Band X X V I I I (1907). Die weiteren Stellungnahmen Bekkers sind aus den folgenden Anmerkungen zu ersehen. 34 Leist 3. 35 Ebd. 9. 39 Ebd. 9. 37 Ebd. 10; ähnlich in Pandektisten 189: Puchtas und Brinz' Pandekten seien „reicher an eigenen Gedanken, origineller in der Darstellung" als die Windscheids, dadurch aber für Anfänger und Praktiker weniger brauchbar. 38 Leist 10. 27

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I I I . T e i l : Brinz i m U r t e i l der L i t e r a t u r

gung zu naturrechtlichen Gebilden" 3 9 . Diesen Vorwurf, naturrechtlich zu denken, macht Bekker Brinz auch noch an anderen Stellen seines Werkes 40 . W i r wollen aber hier noch bei der Leist-Studie bleiben. Obgleich Bekker alle diese acht Juristen für sehr verschieden hält, würde es i h n nicht verwundern, „wenn ein Literarhistoriker der Zukunft sämtliche Glieder der Gruppe, vielleicht m i t Ausnahme Mommsens, als Pairs zusammenfassen sollte, ohne mit dem Einzelnen viel Federlesens zu machen". Keiner von ihnen habe an den „Grundwahrheiten" der historischen Lehre ernstlich gezweifelt, trotz vielfacher K r i t i k an „deren Gestaltung und Vortrag". Alle seien sie „Verehrer" des römischen Rechts 41 , alle treffe der der historischen Schule oft gemachte Vorwurf, die „geschichtlich wichtigen Zeiträume nicht alle m i t gleicher Liebe durchprüft zu haben" 4 2 . Auch treibe der „geschichtliche Zug" keinen i n eine die Philosophie ablehnende Haltung 4 3 . Bekker hebt dann noch besonders Brinz' und Jherings Beschäftigung m i t dem modernen Rechte hervor; für das Gesetzbuch freilich hätten sie nicht arbeiten wollen und auch nicht gearbeitet, und es hätten auch nur wenig Gedanken von beiden darin Eingang gefunden. Nur Windscheid habe hier bedeutenden Einfluß geübt 4 4 . Nach Ernst Zitelmanns Urteil ist Brinz der „ausgezeichnete, immer abseits der großen Heerstraße eigene Wege suchende Denker" 4 5 . Gustav Schwarz lobt Brinz* „großes" Pandektenwerk und nennt den Verfasser einen „weitblickenden Geist" 4 6 . Holder bekennt, er habe sich dem römischen Recht und der akademischen Laufbahn „unter dem Einfluß meines großen Lehrers Brinz, eines urwüchsigen . . . Schwaben von originalem Geist und lauterstem Charakter" zugewandt 47 . 39

Ebd. 11. So Jher. Jb. 30, 243: Brinz sei noch „Naturrechtslehrer" in einem bestimmten Punkt; außerdem in Ernst 141: „naturrechtliche... Basis" der Opposition; ebd. 142 kritisiert Bekker an Brinz auch den „extremen Romanismus", der „jedes dogmatische Diktum eines Römischen Juristen für lautere Wahrheit nimmt"; ebd. 140 rechnet er Bruns und Brinz „zu den Tüchtigsten, die in der 2. Hälfte des Jahrhunderts gewirkt haben". Schließlich in Jher. Jb. 49, 51, 52, wo er Brinz „beschränktes Quellenstudium in Verbindung mit naturrechtlicher Spekulation" vorwirft. 41 Leist 11. 42 Ebd. 20. 43 Ebd. 11. 44 Ebd. 16. 45 Lücken 7. 46 Schwarz 128. 47 Holder 1025 ff. 40

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Spätere Stimmen über Brinz — bis zum 2. W e l t k r i e g

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Ernst Landsberg geht i n seiner Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, und zwar i m 20. Kapitel, das „Die jüngere historisch-praktische Richtung" überschrieben ist, auf Brinz ein 4 8 . Es heißt dort, Brinz stehe „abseits für sich, unter unseren Zivilisten einer der scharfsinnigsten und schaffensfreudigsten, ein Forscher und Denker von mächtiger Eigenart und von quellengenährter Ursprünglichkeit". Landsberg hebt Brinz' „Lebhaftigkeit und Warmherzigkeit", die er m i t Jhering gemeinsam habe, seinen Sinn für entschiedenes Feststellen des geltenden Rechts hervor, weiter seine Abscheu vor Rhetorik, Dialektik, prunkvollem Stil und Spiel m i t nur geistreichen Ideen. Seine Abneigung, methodologische Probleme aufzuwerfen, unterscheide i h n von den meisten seiner Zeitgenossen und habe i h m wohl auch die Bezeichnung des Skeptikers der Jurisprudenz eingebracht 49 . Für Landsberg ist Brinz ein „entschiedener Vertreter einer historisch bedingten, aber doch auch praktisch brauchbaren Auffassung"; stets w ü r den i h m „historisch quellenmäßige Begründungen" und „dogmatisch rechtsgestaltende Anschauungen" erwachsen, ohne auf die historische Schullehre noch auf sonstige Schulmeinungen oder Gruppenbildungen eingeschworen zu sein 50 . Brinz bleibe weder an der Einzelheit haften noch sei i h m die Systematik die Hauptsache; seine Stärke liege eher i n dem „durchdringenden Verständnisse für den Bezug der Einzelheit auf das Ganze" sowie i n der „schöpferischen Beherrschung einzelner, häufig größerer Materien" 5 1 . Brinz sei ein Meister darin, „überall zu vertiefen und aufzuklären, wo er Hand anlegt". Bei seiner K r i t i k handle es sich weder u m „Nörgelsucht" noch u m „Zersetzungsgeist", vielmehr u m die „wahrhaft wissenschaftliche Methode, weder bei Anderen noch bei sich selbst über den Grad der erreichten Klarheit und Sicherheit einen Zweifel zu dulden; u m die Fähigkeit, überall, auf jede literarische Anregung hin, positiv förderlich einzugreifen; und u m das rastlose Bedürfnis, m i t neuen Erscheinungen jeder A r t sich gründlich und persönlich auseinanderzusetzen" 52 . Auch besitze Brinz die „seltene Kunst", überall „selbst die strengst zivilistischen Verhältnisse i n innerliche Verbindung mit der ganzen Kulturentwicklung seiner Zeit und seines Geistes zu bringen" 5 3 . Was die Pandekten anlangt, so meint Landsberg, dieses „merkwürdige und fesselnde" W e r k 5 4 habe einen „tiefgründigen Gedankeninhalt". Das befolgte System trage allerdings nicht zur Übersichtlichkeit bei. Das 48 49 50 51 52 53 54

Landsberg I I I 2, 842 - 847, Noten 352 - 354. Landsberg I I I 2,842. Ebd. 843. Ebd. 843. Ebd. 843, 844. Ebd. 845. Ebd. 844.

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I I I . Teil: Brinz i m U r t e i l der L i t e r a t u r

ganze Werk sei aber mit „solcher Unmittelbarkeit und K r a f t der Persönlichkeit angefüllt und i n so überzeugender Weise, i n so markiger Sprache und lebendiger Darstellung aus den Quellen und aus dem geschichtlichen Werdegang hervor entwickelt", daß alle K r i t i k vor dem „Genüsse", den Brinz damit bereite und vor den vielen i h m dadurch zu verdankenden „Einzelförderungen" zurückzutreten habe 55 . I n der durch Brinz selbst nicht mehr vollendeten 2. Auflage sieht Landsberg ein „dauerndes Vermächtnis von Brinz an die Jurisprudenz". Diese Auflage zeichne sich hauptsächlich durch die „unverkünstelte Gesundheit der Auffassung, die sich auch i n A n m u t und Würde der Form a u s p r ä g t . . . " sowie durch den „Geist wissenschaftlicher Vertiefung und Wahrhaftigkeit", der aus dem Werke spreche, aus 56 . Nicht u m den „zweifelsfreien Abschluß" gehe es Brinz, sondern um die Forschung; nicht um ein mit der Gesetzgebung konkurrierendes Werk, das auf den Einzelfall unmittelbar anwendbar wäre und „autoritativ-doktrinäre" Geltung beanspruche, sondern um die „Wahrung der rechtswissenschaftlichen Aufgabe", für deren Recht Brinz i n seiner Rektoratsrede über „Rechtswissenschaft und Rechtsgesetzgebung" eingetreten sei 57 . Für Philipp Heck ist Brinz zwar ein „hervorragender Vertreter der gemeinrechtlichen Wissenschaft", doch übt er K r i t i k an Brinz' Uberbewertung eines bestimmten wissenschaftlichen Begriffes 58 . Knoke charakterisiert Brinz' Pandekten als „originell" 5 9 und stellt fest, dieser arbeite nicht der unmittelbaren Rechtsanwendung vor 6 0 . Wilhelm Frhr. von Pechmann, ein Schüler von Brinz aus der Münchner Zeit, gedenkt seines 100. Geburtstages. Er schildert vor allem den „ h i n reißenden" Lehrer Brinz, und meint aber auch, dieser habe als Forscher und Denker „ m i t unauslöschlichen Zügen" „seinen Namen i n die Tafeln der Jurisprudenz eingegraben". Unvergänglich wie Recht und Wissenschaft werde auch das Gedächtnis des Gelehrten bleiben, „dem beide Unvergängliches verdanken" 6 1 . Konrad Cosack hat die Pandektenvorlesung von Bruns und Brinz i n „freundlicher Erinnerung" 6 2 .

55 56 57 58 59 60 61 62

Ebd. 845. Ebd. 846. Ebd. 846, 847. Heck 20, 21 (Begriff der Offerte). Knoke 14. Ebd. 18. Pechmann 2. Cosack 5, 6.

§ 37

Spätere Stimmen über Brinz — bis zum 2. Weltkrieg

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Philipp Zorn führt Planck, Windscheid, Brinz, Maurer, Pözl als „bedeutende Lehrer" an der Münchner juristischen Fakultät auf; sie blieben „leuchtende Sterne der deutschen Rechtswissenschaft" 63 . Ein „einsamer Denker" ist Brinz nach Julius Binder 6 4 . Reinhard Frank schildert Brinz zwar als eine „prächtige, höchst sympathische Persönlichkeit". „Urwüchsiges Schwabentum i m Auftreten und heiße Liebe zur Wissenschaft, dazu das ernstliche Bemühen, die gleiche Liebe den Hörern einzupflanzen", hätten i h m die „Verehrung aller" erworben. Seine Vorlesung habe aber doch auch an sachlichen Mängeln gelitten. Brinz sei es weniger u m die Darstellung der geltenden Rechtsinstitute und ihrer „sozialen Funktionen" als u m „strenge Quellenmäßigkeit" gegangen. Die „Anknüpfung an die Lebensinteressen und Bedürfnisse" habe vollständig gefehlt. Neben der „logischen Struktur" sei die „Zweckbestimmung" der Institute nicht zur Geltung gekommen 65 . Fritz Schulz nennt unter den Namen der Juristen, die er beispielhaft als „wissenschaftliche Individualitäten aufführt, auch Brinz 6 6 . Giovanni Pacchioni zählt Brinz zu den „großen deutschen Pandektisten" 6 7 . Er bekennt, sein ganzes Leben lang versucht zu haben, die italienischen Juristen m i t den Ergebnissen der deutschen Rechtswissenschaft bekannt zu machen. „Ich schöpfte von Brinz, von v. Amira, von v. Schwind, von v. Gierke und von Strohal und w i r k t e mit dem Geschöpften auf manche italienischen Juristen und Historiker 6 8 ." Bei Eugen Ehrlich finden w i r Brinz' Name unter den bedeutendsten Vertretern der historischen Schule 69 bzw. der „klassischen deutschen Jurisprudenz" des 19. Jahrhunderts 7 0 genannt; jene seien alle „juristische Mathematiker" gewesen 71 . A n Brinz bewundert Ehrlich die „ A r t , wie er das Gesellschaftliche zur Geltung zu bringen weiß" 7 2 .

63 64 65 66 67 68 69 70 71 72

Zorn 217. Binder 100. Frank 9,10. Schulz 73. Pacchioni 7. Ebd. 8. Soziologie 264. Logik 294,180,181. Logik 294; ähnlich Soziologie 264. Logik 153.

I I I . T e i l : Brinz i m U r t e i l der L i t e r a t u r

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§ 38

Bemerkungen über Brinz in der Nachkriegsliteratur

Unter den „großen Pandektisten" finden w i r Brinz bei del Vecchio genannt 1 . Für Hugo Sinzheimer ist Brinz „einer der großen Rechtslehrer Deutschlands" 2 ; unter allen Pandektisten sei er der „eigenartigste". „ E r f ü l l t von allen Schätzen der Geisteswissenschaft seiner Zeit, folgte er eignen Wegen 3 ." Hans Kreller meint, Brinz sei „historisch wie dogmatisch . . . als gründlicher K r i t i k e r wie als selbständiger Forscher mit durchschlagendem Erfolge tätig" gewesen. Die Brinzschen Pandekten hält er für „ideenreich" 4 . *

Franz Wieacker hat sich einige Male über Brinz geäußert. I n seiner Schrift „Gründer und Bewahrer" bemerkt er bezüglich Windscheids Pandekten, es habe unter den zahlreichen Lehrbüchern der Zeit „geistvollere, kühnere, tiefere und originellere" gegeben — all dies gelte von dem „großartigen" Lehrbuch von Brinz — und doch habe kein anderes so i n die Breite gewirkt 5 . Wieacker empfiehlt die Lektüre von Brinz, Jhering oder E. I. Bekker — die „Intuitionen" dieser Juristen seien auch heute noch frisch — e , „ u m zu würdigen, wieviel unbefangener ein selbständiger Kopf damals m i t den Pandekten schalten konnte als m i t einem Gesetzbuch" 7 . Außerdem w i r d Brinz (und Jhering) eine „schöpferische Konstruktionslust" zugeschrieben 8. I n seiner Privatrechtsgeschichte der Neuzeit ordnet Wieacker Brinz der Pandektenwissenschaft zu, der die Rechtsanschauung des „rechtswissenschaftlichen" Positivismus zugrunde liege 9 . Brinz w i r d nur summarisch charakterisiert, und zwar als „einer der ersten deutschen Z i v i l rechtsdogmatiker überhaupt", der sich durch „geniale Originalität, konstruktive Phantasie und durchdringenden Verstand" i n der auf Puchta folgenden Generation von Juristen heraushebe 10 . Schließlich äußert Wieacker i n seinem Beitrag zu Jherings 150. Geburtstag, die Maßstäbe des Jheringschen Ruhms seien „ungewisser als selbst bei Trägern eines bescheideneren Namens". Bei Savigny oder 1

Del Vecchio 291. Sinzheimer 247. 3 Ebd. 223. 4 Kreller 57, 58. 5 Gründer 185. β Ebd. 195. 7 Ebd. 185. 8 Ebd. 189. 9 Wieacker, PRG 430, 431, 445. 10 Ebd. 445. 2

§ 38

Bemerkungen über Brinz i n der Nachkriegsliteratur

191

Gierke, auch noch bei Puchta, Windscheid oder Brinz wäre Wieacker nach seiner eigenen Aussage „nicht einen Augenblick i n Verlegenheit über ihren Bilanzwert i m Guthaben der Hechtswissenschaft". Jherings Werk lasse sich nicht so rasch verbuchen 11 . I n seinem A r t i k e l über Brinz i n der Neuen Deutschen Biographie hebt Gerhard Wesenberg dessen „Selbständigkeit des Urteils und Ideenreichtum" hervor. I n seinem literarischen Schaffen sei Brinz ein „Meister" der dogmatischen Monographie gewesen; sein „Nachruhm" beruhe jedoch auf den Pandekten, i n denen ein „ungeheurer S t o f f . . . mit seltener Energie bezwungen" sei. Brinz habe zwar auch auf dem Gebiet der äußeren römischen Rechtsgeschichte gearbeitet, seine „Hauptleistung" aber bleibe die dogmatische 12 . Neben Jhering und Windscheid, den beiden „bedeutendsten Juristen der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts" erwähnt Wesenberg i n seinem Lehrbuch nur einige wenige der Männer, die sich u m das gemeine Recht verdient gemacht hätten; darunter auch Brinz: „ E i n gewichtigeres Pandektenwerk (als die Darstellungen von Arndts und Baron), das die Krönung eines gewaltigen dogmatischen Lebenswerks bedeutete, bot dann wieder der stets auf eigener Bearbeitung der Quellen fußende und ebenso geniale wie charaktervolle Aloys Brinz 1 3 ." I m Lehrbuch von Enneccerus - Lehmann 1 4 w i r d Brinz nur kurz als „ebenso scharfblickend wie eigenartig, freilich i n der Anordnung seines reichhaltigen Pandektenlehrbuchs wenig glücklich" charakterisiert.

11 12 13 14

Jhering 1. Wesenberg, NDB 617. Wesenberg, LB 153. § 23 I V S. 132.

VIERTER TEIL

Schlußbetrachtung § 39 Zusammenfassende Charakterisierung des Brinzschen Rechtsdenkens — Einordnung Brinz' in die Strömungen der Rechtswissenschaft 1. a) Die Rechtsgeschichte stellt für die historische Rechtsschule „nichts Geringeres als den der Rechtswissenschaft selbst aufgegebenen lebendigen Stoff" dar 1 . Dies bedeutet jedoch nicht, daß an die Stelle von dogmatischer Arbeit geschichtliche Erkenntnis treten soll, sondern hat nur den Sinn, „daß der Gegenstand der Rechtswissenschaft durch die Geschichtlichkeit des gegenwärtigen Rechts vorwegbestimmt ist" 2 . Das eigentliche Ziel der historischen Schule ist die „Erneuerung der Rechtsdogmatik" 8 . Dazu bedient sie sich der Verbindung einer „historischen" mit einer „philosophischen" Bearbeitung des Rechtes. Durch erstere soll der vorgegebene Rechtsstoff ermittelt, durch letztere soll dieser zu einem System gestaltet werden 4 . Was eben für die historische Schule gesagt wurde, hat für Brinz i n vollem Umfang seine Gültigkeit. Auch für i h n ist der Gegenstand seiner Wissenschaft „ein gegebener" 5 ; das Recht ist nicht das Produkt der W i l l kür eines Gesetzgebers, sondern es ist geschichtlich gewachsen6. Ausdrücklich heißt Brinz die Methode Savignys gut und praktiziert sie selbst 7 . Wenn er i n seinen Pandekten schreibt, er habe zwischen Recht und Rechtsgeschichte „nicht ängstlich geschieden" 8 , so heißt das keinesfalls, daß i h m Rechtsgeschichte und Recht identisch wären. Recht ist i h m nämlich nur dasjenige, „was wirklich g i l t " 9 , also das geltende Recht, das 1

Wieacker, P R G 356. Ebd. 353. 3 Ebd. 366 Anm. 63, 367. Vgl. auch Savignyrede 11: Die historische Schule habe ihren Namen vom Gegensatz gegen die philosophische Spekulation, nicht gegen die Dogmatik. 4 Wieacker, PRG 370 - 372. 5 o. § 11 Ziff. 2. 6 o. §§ 12, 20 Ziff. 4. 7 o. § 33 Ziff. 1. 8 o. § 33 Ziff. 1. « Protokolle 11259. 2

§ 39

Zusammenfassende Charakterisierung d. Brinzschen Rechtsdenkens

193

festzustellen er i n den gleichen Pandekten bestrebt ist 1 0 . Die Bemerkung zielt nur auf den „historischen Weg", den Brinz i n seinem Lehrbuch einschlägt: Er hat Erörterungen, die der „inneren" Rechtsgeschichte angehören, aus Sach- oder Verständnisgründen 11 i n sein Kompendium aufgenommen 12 . Diese „innere" Rechtsgeschichte ist i h m daher das M i t t e l zur Feststellung des heutigen Rechtes. Sie ist von der rein antiquarischen Forschung und der „äußeren" Rechtsgeschichte zu unterscheiden 13 . Die Volksgeistlehre der historischen Schule lehnt Brinz ab: Nur der ältere Teil des Rechtes ist seines Erachtens unbewußt entstanden; außerdem ist i h m das römische Recht kein nationales, sondern ein fremdes Recht 14 . Brinz ist ein Beispiel für die Abkehr der Romanisten seit Puchta vom rechtsschaffenden Volksgeist 15 . b) Den Neuhumanismus der geschichtlichen Rechtsschule 16 finden w i r auch bei Brinz 1 7 . Die Liebe zum A l t e r t u m wurde i h m aber nicht erst durch seine dieser Schule zugehörigen Lehrer, sondern wohl bereits durch das Gymnasium und sein Philologiestudium, hier besonders durch seinen Lehrer Friedrich Thiersch vermittelt; durch letzteren 1 8 wurde der Neuhumanismus zur Grundlage des bayerischen Schul- und Universitätswesens. Dieser Humanismus hat Brinz' Verhältnis zum römischen Recht bestimmt. Brinz schätzt dieses Recht, besonders das klassische 19 , sehr hoch; es gilt ihm, wenn schon nicht als Ideal, so doch als Vorbild und Muster. Wie Savigny 2 0 verteidigt er die Rezeption 21 , was bei der geschilderten Einstellung zum römischen Recht nicht Wunder nimmt. Finden w i r zwar bei i h m eine — puristische — Forderung nach einer Darstellung des reinen römischen Rechtes 22 , so bezweckt er damit keinesfalls, so wie Savigny 2 3 —, die Wiederherstellung des reinen justinianischen Rech10

o. § 30 Ziff. 1. o. § 33 Ziff. 1. 12 Vgl. Brinz' Beispiele in Ρ 1 V I I I ; außerdem etwa noch Ρ 1 §§ 26 - 33, 170, 173 - 175, 250 - 255, 369. 13 Vgl. o. § 30 Ziff. 2. 14 o. § 20 Ziff. 4. 15 Vgl. o. § 20 Ziff. 4 und Wilhelm M L 88: „Rehabilitierung des rechtsetzenden Bewußtseins gegenüber dem Irrationalismus der frühen Historischen Schule" als Ziel für die Juristengeneration der Jahrhundertmitte. 16 Wieacker, PRG 93, 365 ff. 17 Vgl. o. §§ 7 Ziff. 2, 32, 33 Ziff. 2 d. Erwähnenswert ist noch, daß Brinz als 18jähriger eine Fußreise nach Italien machte (Lotmar, ADB 242). 18 Neben F. Niethammer: Brockhaus 17. Auflage, 13. Band (1971), 338, Stichwort Neuhumanismus. 19 o. § 7 Ziff. 2, 3. 20 Vgl. Wieacker, PRG 393. 21 o. § 6 Ziff. 3. 22 o. § 7 Ziff. 2. 23 Vgl. Wieacker, Röm. Recht 268, 269 und Wolf 518. 11

13 Hascher

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tes. Brinz erkennt vielmehr, daß dieses Recht für die gegenwärtigen Verhältnisse nicht genügt, sondern fortgebildet werden muß 2 4 . Aber er beschäftigt sich überwiegend nur mit dem reinen römischen Recht; dessen spätere Entwicklung reizt i h n weniger 2 5 . Diese einseitige Bevorzugung des antiken römischen Rechts hat er mit der historischen Schule gemein 26 . Und den einzelnen Quellenstellen mißt er — i m Gegensatz etwa zu Windscheid 27 — stets große Bedeutung zu. Z u Recht gilt er daher als strenger Romanist. Mehrfach kritisiert Brinz die historische Schule wegen deren Vernachlässigung der praktischen Aufgabe des Rechtes 28 . Er w i l l nicht nur das Entstehen des Rechtes, sondern auch dessen jeweiligen Bestand erforschen 29 , also dogmatisch arbeiten. Brinz ist Dogmatiker. „Entschiedenheit vor A l l e m i n der Feststellung des geltenden Rechtes" hält er für „eine Lebensbedingung der Jurisprudenz wie des Rechtes, und eine Pflicht des Juristen" 3 0 . K i e r u l f f hatte schon 1839 i n der Einleitung zu seiner „Theorie des gemeinen Civilrechts" der historischen Schule vorgeworfen, sie banne „den deutschen Geist i n den Schwebezustand des bloßen Suchens und Strebens nach dem Anfang", und auf die praktische Verantwortung der Rechtswissenschaft hingewiesen 31 . Es darf vermutet werden, daß diese Ausführungen auf Brinz nicht ohne Wirkung blieben: Er nennt nämlich i n seinem Einleitungsaufsatz zu Schletters Jahrbüchern, i n dem er die praktische Jurisprudenz hervorhebt, Kierulffs Namen und beurteilt später dessen Einleitung als eine „denkwürdige" 3 2 . Wenn Brinz dennoch mitunter Praxisfremdheit vorgeworfen wird, so ist dazu zu sagen, daß er absichtlich m i t seinen Pandekten nicht unmittelbar der Praxis dienen w i l l 3 3 . Er ist zu sehr Forscher, als daß er sich i n seinen Untersuchungen von praktischen Rücksichten einengen lassen würde. Dabei w i l l er aber doch, wie Lotmar richtig schreibt, das „eine, einzige Recht" ermitteln, das die Praxis anzuwenden hat 3 4 . c) Brinz schreibt der historischen Schule das Verdienst der Überwindung des Naturrechts zu 3 5 . Wie sie lehnt er ein Vernunftrecht ab 3 6 . Trotz 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35

o. § 7 Ziff. 1. o. § 33 Ziff. 2 d mit Anm. 102. Vgl. Bekker o. § 37 und Wieacker, PRG 394. Vgl. Wolf 613. o. § 30 Ziff. 1. o. § 13 Ziff. 1. Ρ 1VIII. Kierulff X I X f.; vgl. dazu Wieacker, PRG 414. Schletters Jb. 1855, 8; Ρ 2 174 Anm. 60, Ρ 3 88 Anm. 60. o. § 33 Ziff. 2 d mit Anm. 105. o. Ziff. a. o. § 11 Ziff. 1. Vgl. auch Wieacker, PRG 373.

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Zusammenfassende Charakterisierung d. Brinzschen Rechtsdenkens

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dieser Zurückweisung eines Naturrechts konnten w i r aber doch naturrechtliche Züge i m Brinzschen Denken feststellen, denen sich Brinz selbst offenbar nicht immer bewußt ist 3 7 . Herausgegriffen seien hier nur seine Argumentation m i t der Vernunft und der Natur der Sache 38 , die er von den römischen Juristen übernommen haben dürfte 3 9 , sowie seine Annahme einer Natur des Rechtes, die als juristisches A p r i o r i gedeutet wurde 4 0 . Besonderer Erwähnung verdient auch, daß Brinz' K r i t i k des Vernunftrechtszeitalters nicht der „axiomatischen und wolfmatischen Methode" g i l t 4 1 ; er verleugnet damit i m Gegensatz zur historischen Schule nicht die naturrechtliche Wurzel ihrer Methode der Systematik und Begriffsbildung 4 2 . Auch ist er den Gedanken der Vernunftrechtslehrer über die Entstehung des Rechtes sehr aufgeschlossen 43. d) Übereinstimmung m i t entscheidenden Lehren der historischen Schule konnten w i r noch i n einem Punkt erkennen 4 4 : I n der Frage der Kodifikation entscheidet Brinz i m Ergebnis wie Savigny. Die Begründung seiner ablehnenden Haltung besteht bei Brinz aber nicht i n der Argumentation, die Kodifikation sei unorganisch; sie wurzelt vielmehr i m römischen Recht: Er w i l l die römische „Selbstbeschränkung der Gesetze" auch für die moderne Zeit, damit sich die Jurisprudenz frei entfalten kann 4 5 . Andererseits war eine von der historischen Rechtsschule abweichende Ansicht von Brinz i n folgenden Lehren — außer den schon genannten — zu verzeichnen 46 : Die von der Schule angestrebte Annäherung von Praxis und Theorie hält er für verkehrt 4 7 . Savignys und Puchtas „Recht der Wissenschaft" erkennt er nicht als Recht an 4 8 ; nur das durch die Rechtsanwendung bewährte Juristenrecht sei Recht 49 . Ferner lehnt er die A n 36 o. §§11 und 22 Ziff. 1 a (Ablehnung der Naturrechtsgesetzbücher). Einen persönlichen Vorwurf macht Brinz den Vernunftrechtslehrern wegen ihres Rationalismus jedoch nicht: o. § 12. 37 Vgl. o. §§ 10 Ziff. 2, 3,11 Ziff. 2, 3,13 Ziff. 6,16 Ziff. 3, 20 Ziff. 4 a. 88 o. § 33 Ziff. 3. 39 Siehe auch Wieacker, P R G 275 und Wieacker, Röm. Recht 262: Naturrechtliche Elemente des römischen Rechts. 40 o. § 13 Ziff. 4. 41 o. § 11 Ziff. 1. 42 Vgl. Wieacker, PRG 372 - 374. 43 o. §§ 10 Ziff. 2,15 Ziff. 1 a, 20 Ziff. 4 a (Hobbes, Grotius, Blackstone). 44 Übereinstimmung mit Savigny oder Puchta besteht auch noch in anderen Positionen, vgl. o. §§ 5 Ziff. 2 a, 7 Ziff. 1,15 Ziff. 4,16 Ziff. 2, 27 Ziff. 5, 33 Ziff. 2 c. 45 o. § 22. 48 Siehe noch o. § 33 Ziff. 2 b, c. 47 o. § 31 Ziff. 1. 48 o. §§ 15 Ziff. 1 a, 20 Ziff. 4. 49 o. §§ 15 Ziff. 1, 20 Ziff. 3.

13*

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sieht der beiden gerade Genannten, daß das Gewohnheitsrecht noch vor der Gewohnheit, i n einer vor dieser bestehenden Volksüberzeugung vorhanden sei, ab. Brinz verlangt für die Entstehung von Gewohnheitsrecht die Tat, die Übung 5 0 . Schließlich hat das Recht für Brinz keine ethische Bestimmung 5 1 . e) Es stellt sich nun die Frage, ob man Brinz einen Anhänger der historischen Rechtsschule nennen kann. Betrachten w i r zunächst einmal Brinz 1 eigene Äußerungen über diese Richtung. Sich selbst bezeichnet er nirgends als einen ihrer Vertreter; er redet vielmehr — ich möchte fast sagen etwas distanziert — von „ d e r " 5 2 oder „unserer" 5 3 historischen Schule, auch von den „Jüngern" dieser Schule 54 , die er dann beispielhaft namentlich aufführt 5 5 . A n der „Berechtigung" dieser Richtung zweifelt er nicht, i m Gegenteil, er verteidigt sie 56 . Er würdigt ihre Verdienste 57 , kritisiert sie jedoch, wie zuvor bemerkt, auch. So läßt sich m. E. aus seinen Aussprüchen kein ausgesprochenes Zugehörigkeitsgefühl herauslesen. Dafür spricht auch die Tatsache, daß er schon i m Jahre 1853 eine neue Richtung, nämlich die „naturhistorische" erwacht sieht und diese für berechtigt hält 5 8 . Das Ende der eigentlichen historischen Schule w i r d auch bereits auf die Jahrhundertmitte gelegt 59 , auf eine Zeit also, als Brinz' Karriere erst begann. Nach dem hier verarbeiteten Detail w i r d man sagen können: Brinz ist noch bei der historischen Rechtsschule i n die „Lehre" gegangen, und steht durch die von i h m befolgte Methode auf dem Boden dieser Richtung. Einen „eingeschworenen" Anhänger von ihr kann man ihn allerdings nicht nennen, denn er weicht doch i n entscheidenden Lehren von ihr ab und hat eigenständige Ansichten. Brinz ist vielmehr der Pandektenwissenschaft, die aus der historischen Schule hervorging 6 0 , zuzurechnen.

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o. § 21 Ziff. 1. o. §§ 10 Ziff. 2,16 Ziff. 3,17 Ziff. 3. 52 z.B. Schletters Jb. 1855, 10, K V 15, 335, 337, Savignyrede 9, 11, K V 21, 487. Vgl. schon o. §§ 12,13 Ziff. 1, 20 Ziff. 4, 31 Ziff. 1, 33 Ziff. 1. 53 ζ. B. Schletters Jb. 1855, 8, K V 15, 338, Besitzklagen 618, K V 21, 488. 54 Savignyrede 11; ähnlich ebd. 10: Savigny und seine Schüler; K Ü 1, 229, 230: Anhänger der historischen Schule. 55 Savignyrede 12. 56 K V 15, 337. 57 Überwindung des Naturrechts (o. c); Begründung des Wissenschaftscharakters der Jurisprudenz (o. § 30 Ziff. 3). Überdies K V 21, 473: Savigny sei „Urheber einer neuen Ordnung" (o. § 30 Ziff. 3) und o. §§ 7 Ziff. 1, 22 Ziff. 1 a. 58 o. § 13 Ziff. 1. 59 Vgl. o. § 3. 60 Vgl. Wieacker, PRG 430. 51

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Man kann i h n m i t Landsberg als den Vertreter einer historisch-praktischen Richtung bezeichnen 61 . 2.a) Der Pandektenwissenschaft lag die Rechtsauffassung des „rechtswissenschaftlichen" Positivismus zugrunde 62 . b) Es wurde gezeigt, welchen Wert Brinz u m der Rechtssicherheit w i l len auf die Positivität des Rechtes legt 6 3 ; er ist Positivist. Das zeigt sich an folgenden Punkten 6 4 : aa) Recht ist i h m grundsätzlich 65 nur das positive Recht. Das Recht beruht auf „menschlicher Satzung" 6 6 , ist also gesetztes Recht. Die Macht, durch das Wort Recht (gesetzliches Recht) zu setzen, muß selbst wieder aus dem Rechte kommen, um tatsächlich Recht zu schaffen 67 . Daraus ergibt sich zweierlei: Einmal ist das gesetzliche Recht für Brinz nur ein „Niederschlag von Machtentscheidungen" 68 . Das Juristenrecht hingegen soll von keiner „äußeren", sondern nur von einer „geistigen" Macht, der Jurisprudenz, getragen sein 69 . Zum anderen lehnt Brinz eine Rechtsentstehung durch Rechtsbruch ab 7 0 . Unklar ist hierbei freilich, ob er das Recht einer revolutionären Macht als unverbindlich ansieht oder ob er i m Interesse der Rechtssicherheit die Geltung bejaht. Der Gesetzgeber braucht nach Brinz' Ansicht lediglich die durch die Verfassung selbstgesetzten Schranken einzuhalten, an überpositive Werte ist er nicht gebunden 71 . Spricht Brinz von „Recht" i n der Gegenüberstellung von „Gesetz", so denkt er dabei nicht an übergesetzliche, naturrechtliche Normen 7 2 . bb) Zwar verkennt er keineswegs, daß nicht alles positive Recht der Gerechtigkeit entspricht. Für i h n ist aber wohl auch ein ungerechtes Recht verbindlich 7 3 . Diese Annahme w i r d durch folgenden Umstand ge61

o. § 37. Wieacker, PRG 431; auch nur „wissenschaftlicher" Positivismus genannt: Ebd. 437,458. 63 o. § 11 Ziff. 3. 64 Zum folgenden fördernd Coing 75, 76 und Radbruch 335,352, 353. 65 Ausnahme o. § 11 Ziff. 2. «« o. § 20 Ziff. 1. 67 o. § 22 Ziff. 2. 68 Eine Wendung Coings 145. Diese Auffassung des Rechtes ist positivistisch: Coing 145 mit Anm. 15, 76. Vgl. auch o. § 15 Ziff. 1 b (Gesetz entspringe politischer Potenz, der Macht und Stärke) sowie o. § 18 Ziff. 2 (Gerechtigkeit vermag nur etwas durch Macht gegen das Recht). 69 o. § 15 Ziff. 1 b; vgl. auch o. § 4 Ziff. 3: Erhebung der Jurisprudenz durch Augustus zur „Machtsache", was Brinz verurteilt. 70 o. § 18 Ziff. 1. 71 o. § 22 Ziff. 3 c. 72 o. § 15 Ziff. 1 c. 73 o. § 19 Ziff. 4. 62

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stützt: Wenn sich der Jurist über die „Furtivität, Härte, Unmenschlichkeit" des Eigentums keine besonderen Gedanken machen soll 7 4 — außer der Erkenntnis und Anwendung des geltenden Rechtes gibt es für Brinz ja keine Jurisprudenz 7 5 —, so heißt das doch, daß er jedes Recht anwenden soll! Dem Juristen bleibt nur übrig, auf die Macht zu warten, die, der Gerechtigkeit zum Siege verhelfend, das ungerechte Gesetz ändert 7 6 . cc) Indem Brinz bei der Auslegung des Gesetzes den Willen des Gesetzgebers ermitteln w i l l , schließt er teleologische und Wertungsgesichtspunkte aus 77 . Die Bedürfnisse, Ziele, M i t t e l und Wege des Verkehrs gehen nach seiner Ansicht den Juristen nichts an 7 8 . Der Gesetzgeber freilich soll die Bedürfnisse und Ziele der Zeit durchaus berücksichtigen 79 . Rechtspolitik und Rechtswissenschaft sind so bei Brinz scharf geschieden 80 . Die Rechtspolitik war bereits durch die historische Schule „aus dem juristischen Bewußtsein verdrängt" worden 8 1 . dd) Positivistisch ist schließlich auch die Ansicht, man könne die Werte und Ziele des Rechtes (die Rechtsidee) nicht außerhalb, sondern nur i m Recht verfolgen 8 2 , also Brinz* „Verzicht auf eine die Wirklichkeit transzendierende Rechtsidee" 83 . A u f die Möglichkeit, daß i n diesem Punkte die Römer Vorbild waren, wurde früher hingewiesen 84 . Andererseits ist Brinz aber doch von dem Glauben an eine Rechtsidee, die vor allem positiven Recht existiert, erfüllt. Das Recht ist eine „die göttliche Idee zur Menschensatzung gestaltende menschliche Vereinbarung", seine Notwendigkeit ist i n unserer Schöpfung begründet. So kann Brinz auch sagen, dem Menschen sei eine „Leidenschaft für das Recht" angeboren 85 . c) Dieser eben an Brinz nachgewiesene Positivismus ist nicht etwa mit dem Gesetzespositivismus gleichzusetzen, m i t welchem die Überzeugung gemeint ist, „daß alles Recht vom staatlichen Gesetzgeber erzeugt werde und sich i n seinen Befehlen erschöpfe" 86 . Brinz w i l l die staatliche Rechtssetzung gerade i n engen Grenzen halten und t r i t t für ein Juristenrecht 74

o. § 30 Ziff. 1. K V 19, 401. 76 Vgl. o. § 18 Ziff. 2. 77 o. § 25 Ziff. 3. 78 o. § 16 Ziff. 2. 79 o. § 22 Ziff. 1 b. 80 o. § 30 Ziff. 1. Vgl. hierzu Coing 76. 81 Wolf 634. 82 o. § 19 Ziff. 1. 83 Eine Wendung von Wieacker, Rom. Recht 278. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Coing 61, 75,76,174. 84 ο. § 19 Ziff. 1 mit Anm. 13. 85 Vgl. o. §§ 10 Ziff. 2,14 Ziff. 3,19 Ziff. 3. 8β So zutreffend Wieacker, P R G 432. 75

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ein. Er ist es gerade, der dem aufkommenden Gesetzespositivismus entgegentritt 8 7 . Vielmehr ist Brinz dem „rechtswissenschaftlichen" Positivismus zuzuordnen. Es wurde schon früher Wieackers Bemerkung angeführt, diese Richtung leite das Recht ausschließlich aus System, Begriffen und Lehrsätzen der Wissenschaft ab 8 8 . Bei dieser Feststellung handelt es sich nach Wieackers eignen Worten u m eine „stilisierende Vereinfachung"; i n der Praxis seien neben der „axiomatischen Ableitung aus System und Begriff" noch andere Verfahren zur Begründung der Lehrsätze gebräuchlich gewesen 89 . Bezüglich von Brinz können w i r uns m i t jener vereinfachenden Betrachtung nicht zufrieden geben, w e i l sie die Schwerpunkte seiner Methode nicht richtig wiedergibt. Das Recht, das Brinz zur Darstellung bringt, beruht zuallererst auf den Quellen, die nach seiner Auffassung grundsätzlich noch i n Geltung sind 9 0 . Eine zentrale Rolle spielt dann noch die „interpretatio", die Rechtsanalogie. Daneben leitet er Recht aus der Natur der Sache, der Vernunft, der Logik, nicht aber, wie schon früher behauptet 91 , aus dem System ab. Endlich konnte festgestellt werden, daß i n Einzelfällen auch aus dem Begriff rechtliche Entscheidungen gewonnen werden; Jherings „juristische Construction", jene besondere Produktivität der Jurisprudenz 92 , lehnt Brinz freilich scharf ab 9 3 . Produktiv ist i h m die Jurisprudenz lediglich, wenn sie durch die „interpretatio" neue Rechtssätze „anbahnt" 9 4 . d) W i r können Brinz einen Begriffsjuristen heißen, weniger darum, weil er mitunter aus Begriffen Recht ableitet — was eigentlich m i t seiner eignen Aussage i m Widerspruch steht, der Zweck der Begriffsbildung sei nur, das Recht „begreiflicher" zu machen 95 —, sondern weil er das Recht i n Begriffe fassen w i l l . Welche Mühe Brinz auf diese Begriffsbildung verwandt hat, zeigt beispielsweise der Begriff der Obligation, m i t dem er sich sein ganzes Leben hindurch befaßt hat 9 6 . Der Rechtsbegriff

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o. § 22 Ziff. 1 b. o. § 33 Ziff. 2 c ( = Wieacker, P R G 431, 433). I n Röm. Recht 278 sagt Wieacker noch, die Pandektenwissenschaft habe ihre Ergebnisse aus den Quellen, den Begriffen und der Rechtslogik abgeleitet. 89 Wieacker, PRG 433 Anm. 8. Vgl. die dort genannten Verfahren. 90 Vgl. etwa o. § 8 Ziff. 2 a. 91 o. § 33 Ziff. 2 c. 92 Die auf Puchta zurückgeht (Wieacker, PRG 400,401,451 Anm. 60). 98 Siehe o. § 13 Ziff. 2. Damit lehnt Brinz m. E. auch Jherings These, das System sei eine „Quelle neuen Stoffes" (o. § 13 Ziff. 2 mit Anm. 22), ab. 94 o. § 13 Ziff. 2. 95 o. § 33 Ziff. 2 b. 96 Schon in Krit. Bl. I I I , weiter etwa: Der Begriff Obligatio; Obligation und Haftung, und öfter. 88

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hat für ihn jedoch keine Realität, sondern ist bloßer Gedanke 07 . Dieser „Begriffsformalismus" der Pandektenwissenschaft geht auf Puchta 98 , Brinz' Lehrer — der i h n begrifflich schulte, zurück 9 9 . Die Freude am Begriff verrät den Logiker Brinz 1 0 0 . Logisch ist i h m nicht nur die Tätigkeit der Rechtswissenschaft — die historische Bearbeitung des Rechts ausgenommen —, sondern gleichfalls die Rechtsanwendung 1 0 1 . Nach Wilhelm kam i n der „logizistischen" Jurisprudenz der Ausdruck „organisch" als unwissenschaftlich i n Verruf 1 0 2 . Auch Brinz vermeidet diesen Terminus. Ist beispielsweise die Analogie für Savigny eine „organische Ergänzung" des Rechts 103 , so qualifiziert sie Brinz als „logische Operation" 1 0 4 . Eine Berücksichtigung der auf dem Spiel stehenden Interessen oder Zwecke geschieht bei der Anwendung des Rechts nicht 1 0 5 , was die Folge des „formalistischen Ideals" der Pandektistik 1 0 6 ist und zu einer Entfernung der Jurisprudenz von der gesellschaftlichen Realität geführt hat 1 0 7 . Eine formalistische Betrachtungsweise konnten w i r bei Brinz noch an anderen Stellen konstatieren 1 0 8 . Sie führte folgerichtig dann dazu, daß er sich den sozialen Problemen des 19. Jahrhunderts nicht stellte. Zwar ist i h m offenbar bewußt geworden, daß das Eigentum den einkommensstärkeren Schichten mehr entgegenkommt, redet er doch von der „Furtivität, Härte, Unmenschlichkeit" des Eigentums 1 0 9 wie auch vom „Egoismus" des Privatrechts 110 . Konsequenzen daraus für sich als Jurist zieht er freilich nicht, dies infolge seiner Grundüberzeugung, daß nur die Gesetzgebung die freiheitlichen, sittlichen und wirtschaftlichen Bedürfnisse und Ziele der Zeit berücksichtigen müsse, die Jurisprudenz hingegen auf die Ge97

o. § 13 Ziff. 2. Vgl. Wieacker, P R G 399. 99 o. §§ 3, 33 Ziff. 2 b. 100 o. § 33 Ziff. 2 b. 101 o. §§ 28 Ziff. 3, 33 Ziff. 6. 102 M L 68. 103 Beruf 114. 104 P 3 148; allerdings ist ebd. 130 auch von „Zeugungsfähigkeit" die Rede. Zu erwähnen ist hier auch Brinz* Ablehnung des Ausdrucks „Rechtsinstitut" (o. § 33 Ziff. 2 b). 98

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Vgl. o. § 16 Ziff. 2. Wieacker, P R G 439 Anm. 24, 380. 107 Vgl. Wieacker, PRG 401 f. 108 Außer den schon genannten Fundstellen (o. §§16 Ziff. 2, 28 Ziff. 3) noch o. §§ 16 Ziff. 3 (keine Rechtssoziologie), 19 Ziff. 4 (Unrechtsbegriff), 23 Ziff. 3 (Lücken), 29 Ziff. 3 (Bedingungen für Rechtsverwirklichung) und 30 Ziff. 1 (keine Rechtspolitik). 109 o. § 30 Ziff. 1. Zur Privatautonomie vgl. Ρ 1 1505 und o. § 4 Ziff. 3. 110 o. §§ 15 Ziff. 3,18 Ziff. 1. 106

§ 39

Zusammenfassende Charakterisierung d. Brinzschen

echtsdenkens

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setze der Logik beschränkt sei 1 1 1 und sich auch an Reformdiskussionen nicht beteiligen solle 1 1 2 . 3. Eine Gegenströmung gegen den „rechtswissenschaftlichen" Positivismus ist i n der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der „juristische" Naturalismus 1 1 3 , als dessen bedeutender Vertreter Jhering — i n seiner zweiten Werkphase — genannt sei 1 1 4 . So wie w i r naturrechtliche und vernunftrechtliche Züge i m Denken von Brinz entdecken konnten, so daß er nicht ein reiner Positivist genannt werden kann, so läßt sich auch sagen, daß diese neue Zeitströmung des Naturalismus auf i h n — i m begrenzten Umfang zumindest — gewirkt hat. W i r trafen bei i h m auf einen utilitaristischen Rechtsbegriff 1 1 5 . Er erklärt das Recht kausal als ein Produkt der menschlichen Gemeinschaft und versteht es final als ein Mittel, diese Gemeinschaft zu erhalten und ihr Wohl zu fördern; diese Zwecke liegen außerhalb des Rechtes und der Gerechtigkeit 1 1 6 . Auch der Inhalt des Rechtes w i r d durch Utilitätsgesichtspunkte bestimmt, was aber wohl nur für das Gesetzesrecht zutrifft. Der Zweckgedanke erscheint auch i n Brinz' dogmatischem Lieblingskind, seinem Zweckvermögen 117 . Jherings „Kampf ums Recht", 1872 erschienen, finden w i r bereits ein Jahr später i n Brinz' zweiter A u f lage der Pandekten verwertet, wo er u. a. sagt, der Rechtszwang bleibe oft aus, weil der Berechtigte den „Kampf ums Recht" nicht aufnehme 118 . Naturalistisch ist zudem 1 1 9 Brinz' „naturhistorische" Betrachtungsweise des Rechts m i t ihrer Anlehnung an die Naturwissenschaften 120 . Keinen Eingang fanden jedoch naturalistische Gedanken i n seine Methode der Rechtsanwendung, die für ihn zeitlebens ein rein logisches Verfahren blieb 1 2 1 . 111

o. § 22 Ziff. 1 b. o. § 30 Ziff. 1. 113 Vgl. Wieacker, PRG 25, 447, 449, 450, 452. Wolf 623 hingegen sieht bereits im Positivismus einen Naturalismus, dazu Wieacker, PRG 563 Anm. 16. 114 Vgl. Wieacker, P R G 450 f. 115 o. § 10. 116 Vgl. hierzu fördernd Wieacker, PRG 25, 562, außerdem o. § 19 Ziff. 1. 117 Ρ 1 979 f., Ρ 2 I I I 453 f. 118 Ρ 2 191 (ο. § 29 Ziff. 1). Vgl. auch Zeit im Rechte 17. 119 Außerdem noch sein System des Privatrechts (o. § 33 Ziff. 2 c). 120 o. §§ 13,17 Ziff. 3. Man könnte hier teilweise von einem „mechanistischen" Naturalismus im Sinne von Wieacker, PRG 563 reden; vgl. vor allem o. § 13 Ziff. 5. 121 Siehe hierzu Wieacker, PRG 447: Die utilitaristischen Gegenströmungen der 2. Jahrhunderthälfte gegen den „rechtswissenschaftlichen" Positivismus hätten sich nicht sofort in der Rechtspraxis durchgesetzt, dagegen in der M e thode und Rechtsbegründung allmählich eine „Klimaveränderung" herbeigeführt. 112

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I V . T e i l : Schlußbetrachitung

4. a) Es war schon zuvor die Rede davon, welche Wertschätzung das römische Recht bei Brinz genießt. Es ist daher auch nicht verwunderlich, daß Brinz i n zahlreichen Punkten seiner Rechtslehre den römischen Juristen folgt. Dieser Einfluß auf sein Denken kann m. E. gar nicht stark genug betont werden. Erinnert sei hier an sein Aufgreifen der Unterscheidung lex — jus („Selbstbeschränkung der Gesetze", „interpretatio", Juristenrecht) 122 , an den Begriff und die Methode der Rechtsanwendung 1 2 3 , die Aufgabe des Juristen 1 2 4 , die Argumentation m i t der Vernunft und der Natur der Sache 125 sowie an die Nichterörterung der Rechtsidee 1 2 6 . Dieses Haften am römischen Recht, insbesondere die hierin w u r zelnde Einstellung zur Gesetzgebung legen den Schluß nahe, Brinz sei konservativ gesinnt gewesen. I n der Tat kann man bei i h m i n wissenschaftlichen Fragen einen Konservativismus feststellen 127 . Was allerdings seine politische Gesinnung anlangt, so war Brinz keinesfalls konservativ oder gar reaktionär, sondern ein Liberaler, nach Exner ein Liberaler i m Sinne der älteren Rotteck-Welckerschen Schule 128 . Bei der parlamentarischen Behandlung des Lehensablösungsgesetzes i m österreichischen Reichsrat, eine „That des Liberalismus" 1 2 9 , hatte Brinz sogar als Berichterstatter fungiert. Diesem Auseinanderfallen von Brinz' Einstellung i n wissenschaftlichen und politischen Dingen 1 3 0 entspricht seine strikte Trennung von Recht und P o l i t i k 1 3 1 . b) Auffallend ist noch ein gewisser Einfluß Hegels 1 3 2 auf Brinz 1 3 3 . Sieht L u d w i g Mitteis, wie gezeigt 134 , i n Brinz' Schriften ein etwas „scholastisches, fast mystisches Element", das er als ein „Erbtheil" der 122

o. §§ 15 Ziff. 1 c, 22 Ziff. 1 b, d; o. Ziff. 2 c; o. §§ 15 Ziff. 1, 30 Ziff. 4. o. §§ 27 Ziff. 3, 4, 5, 28 Ziff. 3, 29 Ziff. 2 a, 3. 124 o. § 30 Ziff. 1. 125 o. § 33 Ziff. 3 und o. Ziff. 2 c. 126 o. § 19 Ziff. 1 und o. Ziff. 2 b. Vgl. noch o. § 33 Ziff. 2 c (System). 127 Vgl. Brinz' Ausspruch o. § 7 Ziff. 2 und o. § 22 Ziff. 1 c (alte Vorstellungen). 128 Exner 8; ebd. 17 sagt er, Brinz habe die „Freiheit des Einzelnen über die politische Zucht und die auf ihr beruhende Einheit des Ganzen gestellt". Vgl. auch Knoll 340, 344, 348 (Zitate von Brinzschen Aussprüchen über Feudalismus, Adel und bürgerliche Freiheit). Außerdem Ruß 15: Persönliche Freiheit des Staatsbürgers sei Brinz unendlich hoch gestanden. Schließlich Z, Allg. Zeitung 307, der berichtet, die österreichische Presse habe Brinz im Jahre 1872 einen „der beherztesten und stärksten Vorkämpfer des Liberalismus als Mitglied des böhmischen Landtags und des Reichsraths" genannt; vgl. zudem Z, ebd. 260 und 330. 129 Exner 9. 130 Nach Exner 8 war Brinz auch in religiösen Dingen eher konservativ. 131 Vgl. o. § 22 Anm. 46 und § 22 Ziff. 1 c. Diese Trennung finden wir noch bei anderen Juristen des 19. Jh.: Wilhelm M L 141. 132 Der Hegelianer Kierulff wurde schon erwähnt. 133 o. §§ 4 Anm. 28, 10 Anm. 1 und 23, 15 Anm. 22, 19 Ziff. 1, 20 Anm. 57, 29 Ziff. 1 mit Anm. 6. 134 o. § 36. 123

§ 39

Zusammenfassende Charakterisierung d. Brinzschen Rechtsdenkens

203

unter Hegels und Schellings Einfluß stehenden schwäbischen Philosophen- und Theologenschulen der Dreißiger- und Vierziger jähre ansieht, so darf hierzu die folgende Äußerung von Brinz über Savigny angeführt werden. Er sieht i n Savigny zwei entgegengesetzte, gleichstarke Anlagen: „Realist bis zu dem Grade, daß er die Philosophen perhorescirt oder von der Seite ansieht, hebt er bescheidentlich beim Kleinen an, strebt er von diesem in's Große: Gewißheit, Klarheit i n Dingen, w o r i n sie möglich, bringt er bis zur menschenmöglichen Vollendung; — Supra-Naturalist ist er von dem Numen erfüllt, zu dem keine Logik und keine Geschichte, sondern nur das Gemüth führt. Sein Ruhm scheint einzig auf die realistische Richtung gegründet. A l l e i n m i t nicht wenig epochemachenden Männern der Forschung hat er jene Doppelnatur gemein; so fragt sich, ob m i t der Befriedigung des Gemüthes i n Ansehung Dessen, was der Verstand nicht bewältigen kann, dieser auf dem i h m zugänglichen Gebiete nicht u m so freudiger und erfolgreicher arbeite 1 3 5 ." Diese „Doppelnatur" scheint m i r Brinz selbst zu besitzen. Was ist es anderes, als die „Befriedigung des Gemüthes", wenn w i r von seinem Glauben an die Idee des Rechtes, von dem Rechtsgefühl als der „Regung der Seele" und von der übersinnlichen Macht i n den subjektiven Rechten lesen 136 ? 5. Zum Schluß sei noch ein Wort zu Brinz' Stellenwert i n der Rechtswissenschaft gesagt. Hat Regelsberger zu hoch gegriffen, wenn er seinen Nachruf i n der Erwartung Schloß, Brinz werde immer unter den Ersten genannt werden? Man muß diese Frage bejahen: Denn wenn man einen Blick i n zwei so grundlegende Werke wie Erik Wolfs „Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte" und Franz Wieackers „Privatrechtsgeschichte der Neuzeit" w i r f t , so w i r d Brinz dort mit keiner Silbe, hier nur m i t einem Satz erwähnt 1 3 7 . Brinz leistete weder etwas für die Erneuerung der juristischen Methode — wie Jhering —, noch gewann sein Pandektenwerk eine einflußreiche Stellung und Popularität i n der Praxis — wie das Windscheidsche. Schließlich war er auch nicht an den Vorarbeiten für das BGB beteiligt. A l l dies sowie der Umstand, daß das von Brinz bearbeitete Recht inzwischen der Rechtsgeschichte angehört, dürften der Grund sein, daß heute seine Bedeutung nicht so hoch angeschlagen w i r d wie i m vergangenen Jahrhundert. Mitursächlich hierfür ist sicher auch die gegenwärtige Geringschätzung von Begriff s jurisprudenz und Positivismus 1 3 8 . 135

K V 21,481. Vgl. o. §§ 10 Ziff. 2,14 Ziff. 3,19 Ziff. 3, o. Ziff. 2 b. Überdies o. § 33 Ziff. 2 d: „Dinge, die sich einst selber getragen." 137 o. § 38. 138 v g l . Wieacker, P R G 561. 13e

204

I V . Teil: Schlußbetrachtung

Ein eigenes U r t e i l über Brinz' Stellenwert soll hier nicht abgegeben werden; es würde eine genaue Kenntnis auch seines dogmatischen Werkes und eine Verfolgung der Einflüsse und Nachwirkungen, die von i h m ausgingen, zur Voraussetzung haben. So viel darf jedoch behauptet werden: Trotz all der aufgezeigten Einwirkungen Anderer auf sein Denken ist Brinz dennoch ein selbständiger Kopf m i t vielen eigenen, originellen Ideen gewesen, und nach vielen Zeugnissen auch ein großer, begeisternder Rechtslehrer 139 . Seine heutige Zurücksetzung, vor allem gegenüber Windscheid, erscheint daher nicht gerechtfertigt.

139 Vgl. außer o. §§ 36, 37 noch z, Prag 117, 118; A. Sd. sowie Giesebrecht 269, 273, 275.

Literaturverzeichnis I. Schriften von Brinz Die in der vorliegenden Arbeit angeführten Werke erhielten den Zusatz „(zit:...)". Notamina ad usumfructum, Inauguraldissertation (1849) Die Lehre von der Compensation (1849). (Die Habilitationsschrift: Zur Lehre von der Compensation [1849] wurde in die ebengenannte Schrift eingearbeitet; vgl. Lotmar, A D B 243) (zit. : Compensation) Blätter für Hechtsanwendung, zunächst in Bayern, hrsg. von J. A. Seuffert, Band 15 (1850) S. 8 1 - 9 1 (über den Satz: Compensatio fit ipso jure); S. 193 - 202 und 209 - 215 (zur Lehre von den Wasserrechten) Band 17 (1852) S. 49 - 59 (Besprechung von Erxlebens: Die condictiones sine causa; 1. Abt.: Die condictio indebiti) (zit. : Blätter für Rechtsanwendung) Kritische Blätter civilistischen Inhalts, Hefte 1 und 2 (1852); Hefte 3 und 4 (1853) (zit.: Krit. Bl. I, I I , I I I , I V ) Kritische Überschau der deutschen Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, Band 1 (1853) S. 208 - 230 Band 2 (1855) S. 165 - 168; 169 - 171; 468 - 471 Band 5 (1857) S. 278 - 302 Hier handelt es sich um Anzeigen und Besprechungen fremder Schriften, die sämtlich mit Bz signiert sind, (zit. : KÜ) Arbor actionum pro loco in senatu academico rite obtinendo, iterum edita illustrata (1854) Jahrbücher der deutschen Rechtswissenschaft und Gesetzgebung, hrsg. von Schletter, Band 1 (1855) S. 6 - 1 0 (Einleitung in die Abteilung Civilrecht); 10-13; 1 3 - 1 6 ; 19 - 20; 21 - 22; 197 - 198; 214 - 219 (anonym, von Lotmar, ADB 243 m. E. zurecht Brinz zugeschrieben), Besprechungen Band 2 (1857) S. 132 - 135 (Besprechung) (zit.: Schletters Jb. 1855 und 1857) Literarisches Centralblatt 1856, Besprechungen fremder Schriften: Spalte 189 - 191; 525 - 527; 800 - 801 (Jherings „Unsere Aufgabe"); 821 - 822. Sämtliche Rezensionen sind anonym; Lotmar, A D B 245 schreibt die ersten drei zurecht Brinz zu, ebenso Bekker, Leist 18, die dritte; m. E. stammt auch die letztgenannte von Brinz, denn sie trägt unverkennbar seinen Stil, (zit.: Centralblatt 1856) Jahrbuch des gemeinen deutschen Rechts, hrsg. von Bekker und Muther, Band 1 (1857) S. 24 - 40 (Noch einmal: ipso jure compensari) (zit. : Compensari)

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Literaturverzeichnis

Band 3 (1859) S. 16 - 57 (Possessionis traditio) (zit. : Possessionis traditio) Lehrbuch der Pandekten (1857 - 1871), Vorrede V I I - X I I und 1718 S. (zit.: Ρ 1 ) Festrede zu Schillers 100. Geburtstage, gehalten am 10. 11. 1859 auf dem Waldsteinplatz in Prag, in: Die Schillerfeier in Prag, Prag (1859), S. 9,10 (zit. : Schillerrede) Deutsches Staatswörterbuch von Bluntschli und Brater. Folgende Beiträge stammen von Brinz: Privatrechtliches Erbrecht: 3. Band (1858) S. 403 - 413 (zit.: Erbrecht) Expropriation: 3. Band (1858) S. 467 - 473 (zit.: Expropriation) Römische Juristen: 8. Band (1864) S. 681 - 690 (zit. : Rom. Juristen) Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Es handelt sich im folgenden in der Hauptsache um Anzeigen oder Rezensionen fremder Schriften. Band 2 (1860) S. 1 - 3 7 (zu Jherings: „Geist des römischen Rechts", 2. Teil, 2. Abt.) Band 11 (1869) S. 471 - 502 (zu Rudorffs: „De jurisdictione edictum...") Band 14 (1872) S. 105 - 111; 206 - 223; 295 - 299; 299 - 300 Band 15 (1873) S. 162- 165 (zu Adickes' Lehre von den Rechtsquellen); 271 - 274; 275 - 276; 321 - 338 (Nachruf auf Rudorff); 615 - 617 Band 16 (1874) S. 1 - 1 7 (zur Lehre von der Correalobligation und den solidarischen Schuldverhältnissen; es handelt sich hier um einen Abdruck — ohne Widmung — der Festgabe zu Arndts* 70. Geburtstage); 117-120; 120 - 125;246 - 251;251 - 255;588 - 591 Band 17 (1875) S. 244 - 264; 275 - 276; 567 - 575; 575 - 578 Band 18 (1876) S. 566 - 569; 569 - 572 (diese Rezension ist zwar anonym; im Index S. 628 wird Brinz jedoch als Verfasser der kurzen Anzeigen S. 566, 569 genannt; Stil und Thema — Exceptionen — weisen auch auf Brinz) Band 19 (1877) S. 321 - 349; 401 (hierbei handelt es sich um eine Anmerkung der Redaktion; Lotmar, ADB 246 schreibt sie zurecht Brinz zu) Band 20 = 1 n. F. (1878) S. 155 - 160; 160 - 161; 161 - 167; 177 - 188 Band 21 = 2 n. F. (1879) S. 1 - 12 (Nekrolog für Arndts); 125 (Anmerkung der Redaktion; stammt nach Lotmar, A D B 255 von Brinz); 473-489 (Bericht über die Savignyfeier) ; 583 - 585 Band 22 = 3 n. F. (1880) S. 161 - 180 (Nachtrag zur Savignyfeier); 195 - 200; 201 - 205; 548 - 565; 565 - 570 Band 23 = 4 n. F. (1881) S. 210 - 213; 225 - 229; 229 - 232; 388 - 440 (zur Besitzrechtsfrage) Band 25 = 6 n. F. (1883) S. 5 0 - 7 3 ; 184 - 215; 554 - 556 Band 26 = 7 n. F. (1884) S. 305 - 307 Band 27 = 8 n. F. (1885) S. 419 - 434 Band 28 = 9 n. F. (1886) S. 144 -147 (diese Besprechung ist nur mit Ζ signiert; Inhalt und Stil weisen jedoch auf Brinz) (zit.: K V ) Uber Tacitus Annal. I, 9: Jus apud cives, modestiam apud socios, Rede zum Eintritt in den akademischen Senat der Universität Tübingen, gehalten am 13. 12. 1866, abgedruckt in der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Band 23 (Jahrgang 1867) S. 128 - 142 (zit.: Jus apud cives)

Literaturverzeichnis Vortrag über „ein Element der Rechte", abgedruckt im Deutschen Volksblatt, Stuttgart, 1869 Nr. 286 - 289 (zit.: Element der Rechte Nr.) Nachruf auf Georg Ludwig von Maurer, in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung Nr. 180 vom 28. 7.1872, S. 2754 ff. Zur Lehre von der Correalobligation und den solidarischen Schuldverhältnissen, München (1873), zum 70. Geburtstage des Herrn Dr. L. Arndts im Namen der Juristenfakultät München, verfaßt von Dr. A. Brinz, 21 S., mit Widmung auf S. 3 (zit.: Correalobligation) Lehrbuch der Pandekten, 2. Auflage, Band 1 (1873), V I I und 826 S. Band 2, Abt. 1 (1879), 466 S.; Abt. 2 (1882), S. 467 - 882 Band 3, Abt. 1 (1886), 452 S.; Abt. 2, 1. Lieferung (1888), S. 453-586 (sie wurde noch von Brinz verfaßt und nach seinem Tode von seinem Sohne Eduard ediert); 2. Lieferung (1889), S. 587-896 (besorgt von Lotmar, mit dessen Vorwort I I I - V I I I ) Band 4 (1892, 1894), 550 S. (besorgt von Lotmar, mit dessen Vorwort I I I - I V ) (zit.: Ρ 21, I I , I I I , I V ) Besprechung von Bruns' : Die Besitzklagen des römischen und heutigen Rechts, in: Jenaer Literaturzeitung 1874, Beitrag Nr. 572, S. 614 - 622 (zit. : Besitzklagen) Der Begriff obligatio, in: Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart, hrsg. von Grünhut, Band 1 (1874) S. 11 - 40 (zit.: Der Begriff Obligatio) Vorwort (zusammen mit Pözl) zu Hans Zweifels: Die sittliche Weltordnung nach germanischer Auffassung (1875) Festrede bei der Enthüllung des Herzdenkmals zu Erlangen am 5.5.1875 (zit.: Herzdenkmal) Zum Recht der bonae fidei possessio, in: Festgabe zum Doktorjubliäum von Ludwig Arndts (1875), S. 71 -138. Diese Festgabe wurde von Brinz und Maurer im Auftrage der Münchner Juristenfakultät geschrieben; die Widmung (S. I I - V) stammt von Brinz (so richtig Lotmar, A D B 252). (zit.: Possessio) Über Universalität, Rede beim Antritte des Rektorats der Ludwig-Maximilians-Universität München vom 25.11.1876, München (1876) (zit.: Universalität) Rechtswissenschaft und Rechtsgesetzgebung, Rede, gehalten zur Feier des Stiftungsfestes der Universität München am 26. 6. 1877, abgedruckt in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung Nr. 210 vom 29. 7. 1877, S. 3169, 3170, 3179,3180 (zit. : Rechtswissenschaft) Amtlicher Bericht der 50. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in München vom 17. - 22. 9. 1877, darin die Begrüßungsrede von Brinz als Rektor der Universität (S. 2,3) (zit.: Naturforscher) Zur Contravindication in der legis actio sacramento, in: Festgabe zum Doktorjubiläum von Leonhard von Spengel (1877), S. 93 - 146. Die Widmung (S. I I I - V) ist zwar mit „Die Münchner Juristenfakultät" unterzeichnet, rührt nach Lotmar, ADB 241 jedoch von Brinz. (zit.: Contravindication)

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Literaturverzeichnis

Rede am Grabe Arndts', in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung 1878, Nr. 79, S.1165,1166 Festrede zu Savignys 100. Geburtstag, gehalten am 21. 2. 1879 in der Aula der Münchner Universität (zit. : Savignyrede) Nemo err ans rem suam amittit und L. 49 D. mandati, in: Archiv für civilistische Praxis, Band 63 (1880), S. 319 - 378 (zit.: Nemo errans) Rede am Grabe von Poezl, in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung 1881, Nr. 16, S.229, 230 (zit. : Poezl) Gutachten für die königliche Akademie in München über die Preisschrift von Lenel, Das Edictum perpetuum, in: Zeitschrift der Savignystiftung für Rechtsgeschichte, Rom. Abt., Band 4 (1882) S. 164 - 176 (zit. : Gutachten) Bericht über die 1. Generalversammlung des Vereins zum Schutze deutscher Interessen im Ausland vom 15. 5. 1882, München (1882), darin die Redè: Gründe und Ziele, Recht und Pflicht unseres Vereins (S. 3 - 12) (zit.: Verein I) Über die Zeit im Rechte, Rede an die Studierenden beim Antritte des Rektorats der Ludwig-Maximilians-Universität, gehalten am 25. 11. 1882, München

(1882)

(zit. : Zeit im Rechte) Oesterreich und Deutschland, in: Deutsche Wochenschrift, Organ für die gemeinsamen nationalen Interessen Oesterreichs und Deutschlands, hrsg. von Heinrich Fried jung, Probenummer vom 4.11.1883 Die Freigelassenen der Lex Aelia Sentia und das Berliner Fragment von den Dediticiern, in: 2 Abhandlungen aus dem römischen Recht zum 50jährigen Doktorjubiläum von Adolf von Scheurl (1884), S. 7 - 28 (zit. : Dediticier) Beitrag über Georg Ludwig von Maurer, in der Allgemeinen Deutschen Biographie, Band 20 (1884), S. 699 ff. (zit. : G. L. Maurer) Lehrbuch der Pandekten, 3. Auflage, 1. Lieferung (1884), 238 S. (zit.: Ρ 3) Die Berliner Fragmente vor justinianischer Rechtsquellen, Vortrag vom 7. 6. 1884 in der historischen Klasse, in: Sitzungsberichte der kgl. bayr. Akademie der Wissenschaften zu München, Jahrgang 1884, S. 542 - 559 (zit. : Fragmente) Der Niedergang des Deutschthums, in: Münchener Neueste Nachrichten vom 29. und 30.1.1885 Zum Begriff und Wesen der römischen Provinz, Festrede in der öffentlichen Sitzung der kgl. bayr. Akademie der Wissenschaften zu München vom 25. 7.1885, München (1885) (zit. : Provinz) Besprechung von Amiras: Nordgermanisches Obligationenrecht Band I, in: Göttingische gelehrte Anzeigen, Jahrgang 1885, Band I I , S. 513 - 580 (zit. : Nordgerm. Oblig. Recht) Ansprache in der Versammlung des Vereins zum Schutze deutscher Interessen i m Auslande vom 2. 3.1886, München (1886) (zit.: Verein I i i

Literaturverzeichnis Obligation und Haftung, in: Archiv für civilistische Praxis, Band 70 (1886) S.371 - 408 (zit. : Obligation und Haftung) Über die rechtliche Natur des römischen Fiskus, Vor trag vom 6. 11. 1886 in der historischen Klasse, in: Sitzungsberichte der kgl. bayr. Akademie der Wissenschaften zu München, Jahrgang 1886, S. 471 - 496 (zit.: Fiskus) Zu den Alimentenstiftungen der römischen Kaiser, Vortrag in der historischen Klasse, in: Sitzungsberichte der kgl. bayr. Akademie der Wissenschaften zu München, Jahrgang 1887, Philosophisch-philologische und historische Klasse, 2. Band, S. 209 - 228 (zit. : Alimente) Über den Einlassungszwang im römischen Recht, in: Festgabe zum Doktorjubiläum von Joh. Jul. Wilh. von Planck, München (1887), S. 151 - 173 (zit. : Einlassungszwang) Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Hauses der Abgeordneten des österreichischen Reichsrats, I. Session vom 29. 4. 1861 - 18. 12. 1862: 4 Bände (Band 1: S. 1 - 1148; Band 2: S. 1149 - 2352; Band 3: S. 2353 - 3726; Band 4: S. 3727 - 4900) I I . Session vom 17. 6.1863 - 15. 2.1864: 2 Bände (Band 1: S. 1 - 1188; Band 2: S. 1189 - 2278) I I I . Session vom 12.11.1864 - 27. 7.1865: 3 Bände (Band 1: S. 1 - 636; Band 2: S. 637 - 1394; Band 3: S. 1395 - 2798) (zit.: Protokolle I, I I , I I I )

I I . Übrige Literatur Soweit im folgenden der Zusatz „(zit.: . . . ) " nicht enthalten ist, wird in den Anmerkungen nur der Name des jeweiligen Verfassers mit der betreffenden Seitenzahl angeführt. Arndts, Ludwig: Besprechung von Brinz' Pandekten 1. Band 1. Lieferung, 2. Auflage, in: Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart, hrsg. von Grünhut, 1. Band (1874), S. 482 ff. Bekker, Ernst Immanuel: Zur Reform des Besitzrechts, in: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts, Band 30 (1891), S. 235 ff. (zit.: Bekker, Jher. Jb. 30) — Ernst und Scherz über unsere Wissenschaft, Festgabe für Jhering (1892) (zit. : Bekker, Ernst) — Vier Pandektisten, in: Heidelberger Professoren aus dem 19. Jahrhundert, Festschrift der Universität Heidelberg, 1. Band (1903) (zit. : Bekker, Pandektisten) — Sprachliches und Sachliches zum BGB, in: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts, Band 49 (1905), S. 1 ff. (zit.: Bekker, Jher. Jb. 49) — Burkard Wilhelm Leist unter seinen Aequalen (1907) (zit. : Bekker, Leist) Bergbohm, Karl: Jurisprudenz und Rechtsphilosophie 1. Band (1892) Binder, Julius: Zur Lehre von Schuld und Haftung, in: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts, Band 77 (1927), S. 75 ff. 14 Hascher

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Literaturverzeichnis

Böller, Fanny: Erinnerungen an das Haus Brinz. Eine Abschrift dieser Schrift wurde mir freundlicherweise von Herrn Oberlehrer i. R. Ludwig Scheller, Weiler im Allgäu, zur Verfügung gestellt Buschmann, Arno: Ursprung und Grundlagen der geschichtlichen Rechtswissenschaft — Untersuchungen und Interpretationen zur Rechtslehre Gustav Hugos (1963) Car ont, Pio: Savigny und die Kodifikation, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung, Band 86 (1969), S. 97 ff. Chronik der Ludwig-Maximilians-Universität München für das Jahr 1887/88

(1888) (zit.: Chronik) Coing, Helmut: Grundzüge der Rechtsphilosophie, 2. Auflage (1969) Cosack, Konrad: Autobiographie in: Die Rechtswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen, hrsg. von Hans Planitz, Band 1 (1924) Czyhlarz, Karl: Besprechung von Brinz* Pandekten 1. Band 3. Lieferung, 2. Auflage und 2. Band 2. Abteilung, 2. Auflage in: Zeitschrift für das Privatund öffentliche Recht der Gegenwart, hrsg. von Grünhut, Band 6 (1879), S. 621 ff. und Band 11 (1884), S. 628 ff. (zit.: Czyhlarz, Grünhut 6 / Czyhlarz, Grünhut 11) Dahn, Felix: Erinnerungen, 2. Buch (1891) Dernburg, Heinrich: Pandekten, 1. Band, 5. Auflage (1896) Dubischar, Roland: Redaktion von Hecks Problem der Rechtsgewinnung, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz (1968) Dulckeit-Schwarz: Römische Rechtsgeschichte, 5. Auflage (1970) Eck, E.: Gesetze haben keine rückwirkende Kraft (Veröffentlichung einer Schrift von Goeppert aus dessen Nachlaß), in: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts, Band 22 (1884), S. 1 ff. Ehrlich, Eugen: Uber Lücken im Rechte (1888), abgedruckt in Recht und Leben, Gesammelte Schriften zur Rechtstatsachenforschung und zur Freirechtslehre (1967) (zit.: Ehrlich, Lücken) — Grundlegung der Soziologie des Rechts, 3. Auflage 1967 ( = unveränd. Nachdruck der 1. A. 1913) (zit.: Ehrlich, Soziologie) — Die richterliche Rechtsfindung auf Grund des Rechtssatzes, in: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts, Band 67 (1917), S. 1 ff. (zit.: Ehrlich, Jher. Jb. 67) — Die juristische Logik, Neudruck der 2. Auflage 1925 (1966) (zit.: Ehrlich, Logik) Eisele, Fr.: Zur Diagnostik der Interpolationen in den Digesten und im Codex, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung, Neue Folge Band 7 (1886), S. 15 ff. Emge, Carl August: Philosophie der Rechtswissenschaft (1961) Engisch, Karl: Einführung in das juristische Denken, 3. Auflage (1964) Enneccerus-Nipperdey: Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, Allg. Teil, 1. Halbband, 15. Auflage (1959) Exner, Adolf: Erinnerung an Brinz, Vortrag (Wien 1888) Frank, Reinhard: Autobiographie in: Die Rechtswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen, hrsg. von Hans Planitz, Band 3 (1929)

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