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German Pages 468 [469] Year 2016
IRSEER DIALOGE Kultur und Wissenschaft interdisziplinär Herausgegeben von Markwart Herzog und Sylvia Heudecker, Schwabenakademie Irsee
Band 20
Markwart Herzog (Hrsg.)
Die „Gleichschaltung“ des Fußballsports im nationalsozialistischen Deutschland Mit Beiträgen von Berno Bahro, Johannes Martin Hanf, Nils Havemann, Stefan Hebenstreit, Markwart Herzog, Walter M. Iber, Anton Löffelmeier, Andreas Mau, Alan McDougall, Jürgen Mittag, Hermann Queckenstedt, Bernd Reichelt, Thomas Urban, Diana Wendland, René Wiese, Stefan Zwicker
Verlag W. Kohlhammer
Umschlagabbildung Begrüßung der Mannschaften der Stabsnachrichtenkompanie und Flak vor dem Endspiel um die Fußball-Meisterschaft von Groß-Paris im Prinzenpark-Stadion 1942.
1. Auflage 2016 Alle Rechte vorbehalten © 2016 W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Reproduktionsvorlage: Textwerkstatt Werner Veith & Ines Mergenhagen München Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Print: ISBN 978-3-17-030957-9 E-Book-Format: pdf: ISBN 978-3-17-030958-6 Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.
Inhalt
I. Einleitung Markwart Herzog
Die „Gleichschaltung“ des Fußballsports im Nationalsozialismus. Politische, organisatorische und rechtliche sowie ökonomische und soziokulturelle Aspekte ..................................... 15 1. „Gleichschaltung“ einer pluralistischen Sportkultur....................................... 15 2. Die „Gleichschaltung“ des Sports – ein gescheitertes Projekt ........................ 17 3. Schluss............................................................................................................ 19
II. Bürgerlicher Fußball Nils Havemann
Die „zweite Gleichschaltung“ des Fußballs im Nationalsozialismus. Der deutsche Fußball und der DFB nach 1933 ........................................ 27 1. Der Begriff der „Gleichschaltung“ im Nationalsozialismus .......................... 27 2. Kontinuitäten – trotz der „ersten Gleichschaltung“........................................ 28 3. „Zweite Gleichschaltung“ – das Ende des „bürgerlichen“ Sports im Nationalsozialismus ....................................................................................... 30
Andreas Mau
Die „Gleichschaltung“ der Spielvereinigung Fürth im Jahr 1933 .......... 35 1. Einleitende Bemerkungen .............................................................................. 36 2. Die „Gleichschaltung“ der Spielvereinigung Fürth........................................ 37 3. Ergebnisse...................................................................................................... 47
Inhalt
6 Anton Löffelmeier
„Gleichschaltung“ im Münchner Fußballsport 1933–1936. Bei „Groß“ und „Klein“ alles gleich? ............................................................ 51 1. Forschungsstand und Quellenlage.................................................................. 51 2. Neuordnung und „Gleichschaltung“ im Münchner Fußball........................... 54 3. Schlussbemerkung ......................................................................................... 73
Markwart Herzog
Die drei „Arierparagrafen“ des FC Bayern München. Opportunismus und Antisemitismus in den Satzungen des bayerischen Traditionsvereins ..................................................................... 75 1. Die „Stuttgarter Erklärung“ vom 9. April 1933 ............................................ 76 2. Fußballvereine kritisieren die lasche Haltung des DFB ................................ 78 3. „Bayern“-Mitglied Josef „Sepp“ Mauder illustriert ein antisemitisches Pamphlet........................................................................................................ 79 4. Das „Ermächtigungsgesetz“ zur Lösung der „Arierfrage im Club“ .............. 82 5. Die beiden „Arierparagrafen“ des FC Bayern München von 1935 ............... 85 6. Streichung des „Arierparagrafen“ im Jahr 1937/38 ...................................... 92 7. Der „Arierparagraf“ in der Einheitssatzung des NSRL von 1940 ................. 94 8. „Unsere sportliche Arbeit muss nun Selbstzweck sein“: Sport, Ökonomie und Politik.................................................................................... 96 9. Von den Verlierern der „Gleichschaltung“ profitieren................................ 102 10. Eine apologetische Festschrift als Medium verklärender Rückschau .......... 104 11. Die Sehnsucht nach „Heldengeschichten“ stillen ........................................ 108
Berno Bahro
Die Einführung des „Arierparagraphen“ in Berliner und Brandenburger Sport- und Turnvereinen ......................................... 115 1. 2. 3. 4. 5.
Vorbemerkungen.......................................................................................... 115 Das Verhalten der Verbände 1933 ............................................................... 118 Die DRL-Einheitssatzung als Norm............................................................. 124 Das Verhalten der Vereine in den Jahren 1933 bis 1935 ............................. 125 Fazit ............................................................................................................. 133
Inhalt
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Markwart Herzog
Die „Gleichschaltung“ der Turn- und Sportvereine in Kaiserslautern und der Pfalz in den Jahren 1933 bis 1939. Erfolge und Grenzen der politischen Unterwerfung, administrativen Zentralisierung, kulturellen Homogenisierung und gesellschaftlichen Nivellierung des Fußballsports ......................................................................................... 137 1. 1933 – ein Wendejahr im deutschen Sport? ................................................. 139 2. „Erste Gleichschaltung“: Fusionen – „Volksgemeinschaft“ – „Führerprinzip“ ............................................................................................ 141 3. „Zweite Gleichschaltung“: NS-Ortssportgemeinschaften als Endziel.......... 155 4. Der regionale Kontext: „Gleichschaltung“ im Sportgau XIII ...................... 165 5. Schlussbetrachtung über „Vereinsfanatismus“, Politik und Ökonomie ....... 196
III. Arbeiterfußball, Betriebssport und konfessionelle Vereine Jürgen Mittag/Diana Wendland
Arbeiter und Sport im Spannungsfeld von Solidar-, Betriebsund „Volksgemeinschaft“. Politische Aufladungen und Brüche des Arbeiter- und Werkssports in den 1930er Jahren .................................. 211 1. Arbeiter als Sportler: Organisationsstrukturen und Lebenswelten im Wandel ......................................................................................................... 211 2. Konjunkturen und Desiderate: Forschungsstand zum Arbeiter- und Werkssport ................................................................................................... 214 3. Entwicklungslinien und Charakteristika des Arbeitersports ........................ 216 4. Werksgemeinschaft im und durch den Sport ............................................... 219 5. Arbeitersport und „Machtergreifung“: Zwischen Erosion und Gleichschaltung ........................................................................................... 221 6. „Machtergreifung“ und die Transformation des Werkssports ..................... 230 7. Dimensionen der „Machtergreifung“ und Gemeinschaftsbildung ............... 234
Inhalt
8 Stefan Hebenstreit
Die Liquidation des Arbeitersportvereins Ueberau 1919 im Zuge nationalsozialistischer Gleichschaltungspolitik im Volksstaat Hessen ............................................................................................................ 243 1. 2. 3. 4. 5.
Zur „Ausschaltung“ des Arbeitersports und dessen Fußballsparte............... 243 Das „rote Dorf“ Ueberau.............................................................................. 244 Der Arbeitersportverein Ueberau 1919 ........................................................ 246 Der politische Kontext: „Gleichschaltung“ in Hessen und Ueberau ............ 249 Die Auslöschung des Vereins zwischen bürokratischer Gründlichkeit und Willkür ......................................................................................................... 251 6. Zwischen Anpassung und Subversion: Die Arbeiterfußballer nach der Vereinsauflösung ......................................................................................... 256 7. Das Erbe des Arbeitersports......................................................................... 258
Hermann Queckenstedt
Auflösen, fusionieren oder mit katholischem Profil überleben? Die DJK-Sportabteilungen im Bistum Osnabrück und ihre „Gleichschaltung“ im NS-Staat..................................................................... 263 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Stadionsegnung: Katholiken an der Spitze der Osnabrücker Sportbewegung263 Struktur und Organisation des katholischen Sports vor 1933 ...................... 266 „DJK und Hakenkreuz?“ Sport, Konfession und Politik.............................. 271 „Gleichschaltung“ des DJK-Sports .............................................................. 273 Hannes Haferkamp: Aushängeschild der DJK und Nationalspieler ............. 289 … nach 1945 ................................................................................................ 291 Fazit ............................................................................................................. 292
IV. Besetzte Gebiete Thomas Urban
Sport als Instrument der Volkstumspolitik. Der Anschluss Ostoberschlesiens an das „Großdeutsche Reich“ im Jahr 1939 ........ 299 1. 2. 3. 4.
Konfrontation der Zwischenkriegszeit ......................................................... 299 Eingliederung in das „Großdeutsche Reich“................................................ 304 Konsequenzen nach Kriegsende .................................................................. 313 Autonomie und Fremdbestimmung des Sports ............................................ 314
Inhalt
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Stefan Zwicker
„Gleichschaltung“ und Niedergang des deutsch-böhmischen Fußballs unter dem NS-Regime ................................................................ 317 1. Der Professionalismus im deutsch-böhmischen Fußball vor 1938/39.......... 318 2. Die Zerschlagung des sudetendeutschen Profifußballs ................................ 325 3. Resümee und Ausblick................................................................................. 335
Bernd Reichelt
Von Ortssportgemeinschaften und Omnisportvereinen. Die „Gleichschaltung“ des Vereinssports in Lothringen und an der Saar 1935–1950 ........................................................................................... 341 1. Ein Versuchsfeld nationalsozialistischer Sportpolitik: Sportvereine im Saargebiet und in der Moselle 1935 bis 1944 .............................................. 342 2. Omnisportvereine im Saarland 1945 bis 1950: Zwischen Kontrolle und Emanzipation ............................................................................................... 353 3. Schlussbetrachtung: Sport zwischen Zwang und Emanzipation .................. 358
Walter M. Iber
Der steirische Fußball im „Ständestaat“ und im „Dritten Reich“. Brüche und Kontinuitäten 1933/34 – 1938 – 1945 ................................ 363 1. Vom „Ständestaat“ zum „Anschluss“: ein kurzer Abriss ............................. 363 2. „Gleichschaltung“ im autoritären und im totalitären System: Ansätze zu einem Vergleich ........................................................................................... 365 3. Auflösungen, Neugründungen und Fusionen von Fußballvereinen ............. 366 4. „Gleichschaltung“ der Jugend...................................................................... 371 5. Antisemitismus ............................................................................................ 373 6. Funktionärskarrieren: Brüche und Kontinuitäten 1933 – 1938 – 1945 ........ 374 7. Schlussbemerkung: traute Nachkriegsharmonie im Steirischen Fußballverband ............................................................................................ 379
Inhalt
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V. Ausblick in den staatssozialistischen Sport René Wiese
Die Teilung des Berliner Fußballs 1945–1950. Zwischen bürgerlichem Vereinsprinzip und kommunistischem Kommunalsport ............ 385 1. Forschungsstand........................................................................................... 385 2. „Stunde Null“ und Neuanfang 1945: erste politische Wegmarken .............. 386 3. Start in den Gesamtberliner Fußball (1946–1948): Renaissance des bürgerlichen Vereinswesens......................................................................... 389 4. Die Spaltung des Berliner Fußballs (1948–1950): Blockade, Zerwürfnisse und Fluchten........................................................................... 397 5. Fußball in der geteilten Stadt Berlin (1950–1953): Ausblick und Folgen.... 406 6. Resümee....................................................................................................... 409
Alan McDougall
Controlling the ball? A comparison of the Gleichschaltung of football in the Third Reich and in the SBZ and early GDR, c. 1945–1958 ................................................................................................. 413 1. Into the red? Organising football in the SBZ and early GDR ...................... 415 2. Tangled grassroots? Football Gleichschaltung on the ground ..................... 423 3. Conclusions.................................................................................................. 428
Johannes Martin Hanf
„Heraus aus der Defensive!“ Politische Initiativen für Offensivfußball in der Sportgeschichte der DDR, des Nationalsozialismus und der Franco-Diktatur .............................................................................. 433 1. „Die Verkörperung nationaler Handlungsstile“: Offensivfußball unter Hitler und Franco ......................................................................................... 433 2. „Von Sowjetfußballern lernen, heißt siegen lernen“: Fußball und Ideologie in der DDR................................................................................... 437 3. „Der kranke Posten“: das vorläufige Ende des Doppelstopper-Systems....... 439 4. „Anleitung zur spielerischen Modernisierung“: Die Umsetzung der verbindlichen Spielkonzeption des DFV...................................................... 444 5. „Zwischen Ideologie und Tugenden“: ein vorläufiges Fazit......................... 451
Inhalt
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Autoren und Herausgeber .......................................................................... 457 Abkürzungen.................................................................................................. 458 Personenregister........................................................................................... 463
I. Einleitung
Markwart Herzog
Die „Gleichschaltung“ des Fußballsports im Nationalsozialismus Politische, organisatorische und rechtliche sowie ökonomische und soziokulturelle Aspekte Nach der sogenannten Machtergreifung der NSDAP sollte das gesamte öffentliche Leben im Deutschen Reich nach dem Willen der neuen Machthaber einer „Gleichschaltung“ mit dem neuen Staat unterworfen werden. Dem von den Brüdern Grimm begründeten „Deutschen Wörterbuch“ zufolge meint „Gleichschaltung“ die „ausrichtung der einzelnen kräfte und institutionen auf eine einheitliche politische linie“.1 Von dieser „Ausrichtung“ waren auch die für Turnen und Sport zuständigen Verbände und Vereine betroffen. 1. „Gleichschaltung“ einer pluralistischen Sportkultur Bei „Gleichschaltung“ handelt es sich um einen ursprünglich technischen Begriff, der seine politische Bedeutung durch metaphorische Übertragung erhielt. Der Wiesbadener Fußballfunktionär Wilhelm Raßbach erklärte im Mai 1933 vollmundig: „Gleichschaltung! Wenn das Wort nicht schon aus der Elektrotechnik längst bekannt wäre, müßte es heute erfunden werden.“2 Turnen und Sport waren in der Zeit der Weimarer Republik alles andere als auf eine einheitliche Linie ausgerichtet, vielmehr in unterschiedliche Verbände aufgesplittert, die sich teilweise erbittert bekämpften, um die Nutzung von Sportplätzen und um Fördermittel stritten und sich gegenseitig Mitglieder abzujagen suchten. Man kann diese Verbände grob einteilen in konfessionelle Organisationen,3 parteipolitisch orientierte Dachverbände,4 die sich auch untereinander befehdenden Verbände
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Deutsches Wörterbuch, Bd. 7 (IV,I,4), 8220. RASSBACH, Die Gleichschaltung des Fußballsports. Die katholische Deutsche Jugendkraft (DJK), gegründet 1920, und das evangelische Pendant, gegründet 1921, seit 1925 Eichenkreuz-Verband für Leibesübungen der Evangelischen Jungmännerbünde Deutschlands; beide Organisationen waren im Deutschen Reichsausschuss für Leibesübungen (DRA) vertreten. Die 1912 gegründete, sozialdemokratisch orientierte Zentralkommission für Arbeitersport und Körperpflege, Mitglied in der Sozialistischen Arbeiter-Sport-Internationale (SASI), nahm die Interessen der Arbeitersportfachverbände wahr; die „Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit“ (KG oder Rotsport), deutsche Sektion der Roten SportInternationale, gegründet 1930 als Abspaltung u.a. des Arbeiter-Turn- und Sportbundes (ATSB), der 1919 aus dem Arbeiterturnerbund (ATB) hervorgegangen war.
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Markwart Herzog
des jüdischen Sports5 und die parteipolitisch neutralen, bürgerlich-national ausgerichteten Verbände, zu denen unter vielen anderen die Deutsche Turnerschaft (DT) und der Deutsche Fußball-Bund (DFB) als mitgliederstärkste Organisationen gehörten. Die Politik des Nationalsozialismus versuchte zunächst, sich mit unterschiedlicher Härte und Konsequenz der Verwaltungsstrukturen des Sports zu bemächtigen. Die neuen Machthaber liquidierten bereits im Frühjahr 1933 die der Sozialdemokratie und dem Kommunismus nahe stehenden Vereine und Verbände und beschlagnahmten deren Vermögen. Zahlreiche Funktionsträger wurden wegen ihrer politischen Überzeugungen und Aktivitäten in „Schutzhaft“ genommen, schikaniert, vor Gericht gestellt oder in Konzentrationslager verschleppt.6 Hier von „Gleichschaltung“ zu sprechen, würde die Tatsachen verfehlen, „Zerschlagung“ oder „Ausschaltung“7 treffen den Sachverhalt besser. Die kirchlichen Verbände, Vereine und Mannschaften wurden von 1933 bis 1935 sukzessive aufgelöst, mit bürgerlichen Vereinen fusioniert und auf diese Weise ebenso wie der Arbeitersport ausgeschaltet. Die Vermögen des konfessionellen Sports wurden häufig den noch bestehenden bürgerlichen Vereinen überschrieben, ihre Verbände schließlich 1935 aufgehoben. Teilweise gelang es den Vereinen der katholischen und evangelischen Kirche, sich unter anderem Namen neu zu gründen und den Verbänden des bürgerlichen Sports anzuschließen. Die jüdischen Verbände und Vereine indes erlebten nach der „Machtergreifung“ der NSDAP hinsichtlich der Mitgliederentwicklung eine kurze Scheinblüte.8 Sie dienten als Auffangbecken für jene Juden, die aus den paritätischen Turnund Sportvereinen ausgeschlossen worden waren, in den zerschlagenen Arbeitersportvereinen ihre Heimat verloren hatten oder aber aus ihren Vereinen austraten.9 Der Deutsche Makkabikreis und der als Antwort auf die Rassenpolitik der NSDAP erst im Frühjahr 193310 gegründete Sportbund „Schild“ des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten, der die seit 1924 bestehenden Sportgruppen organisatorisch zusammenfasste, wiesen in den Jahren von der „Machtergreifung“ der NSDAP bis zu den Olympischen Spielen 1936 so viele Mitglieder auf wie nie zuvor.11 Von 1933 bis zu ihrer Liquidierung im Jahr 1938 mussten sie sich jedoch, insbesondere nach dem Ende der Olympischen Spiele, vielfältiger Entrech-
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Sportbund „Schild“ im Reichsbund jüdischer Frontsoldaten (deutsch-national), Deutscher Makkabi-Kreis (zionistisch). – Dazu BERNETT, Der jüdische Sport, 38–62; WAHLIG, Sport im Abseits, 99–149, 172–188. Dazu TEICHLER, „Wir brauchten einfach den Kontakt zueinander“, 231, 239. Dazu Beitrag HEBENSTREIT, in diesem Band S. 243–262. Zum Fußball PEIFFER/WAHLIG, Jüdische Fußballvereine. Zum Sonderfall der Turnvereine KRÜGER, Zum Problem des Antisemitismus. Nicht 1924, wie bei PEIFFER/WAHLIG, Ein Treffpunkt, 147, zu lesen. Die Autoren führen als Beleg für diese unzutreffende Datierung fälschlicherweise DUNKER, Der Reichsbund, 101, an. Gleichwohl datiert auch Dunker (ebd., 164) die Gründung des Sportbundes „Schild“ richtig auf das Frühjahr 1933. Dazu BERNETT, Der jüdische Sport, 38–112.
Die „Gleichschaltung“ des Fußballsports im Nationalsozialismus
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tung und Willkür erwehren.12 Die räumliche Separierung und soziale Marginalisierung, die Ausgrenzung aus Wettbewerben und fortschreitende Entrechtung der deutschen Juden lässt sich auch im gesellschaftlichen Subsystem des Sports als sich radikalisierende Ausschaltung charakterisieren. 2. Die „Gleichschaltung“ des Sports – ein gescheitertes Projekt In den bürgerlichen Verbänden und Vereinen gestalteten sich die Veränderungen generell komplizierter, als in der älteren sporthistorischen Literatur dargestellt. Teilweise sogar bis heute13 wird der Eindruck erweckt, dass der Gleichschaltungsprozess im Lauf des Jahres 1933, spätestens mit der Etablierung des Deutschen Reichsbundes für Leibesübungen im Januar 1934, abgeschlossen gewesen sei. Danach habe man es mit stromlinienförmigem „Fußball unterm Hakenkreuz“ und sechs Jahre später mit militaristisch formatiertem „Fußball im Zweiten Weltkrieg“14 zu tun gehabt. Diese Darstellung übersieht jedoch zwei wichtige Fakten. Erstens wurde die unterste Organisationsebene des Sports, also die Vereine, strukturell nicht angetastet, obwohl 1933/34 zahlreiche Vereine, häufig aufgrund der Initiativen übereifriger „Sportkommissare“, aufgelöst wurden. Zweitens kam die „Gleichschaltung“ des Sports aufgrund der andauernden Konkurrenz und der Kompetenzrivalitäten zwischen den verschiedenen Organisationen der Sportverwaltung, der Partei und des Staates nie zu einem Abschluss. Dabei handelte es sich um oftmals uneinheitliche Vorgänge von (Selbst-)„Gleichschaltung“. Die bürgerlichen Sportverbände agierten unkoordiniert und ohne staatliche Vorgaben. Zwar hatte Hajo Bernett die Polykratie im NS-Sport und ihre dysfunktionalen Auswirkungen schon in seinen frühen Werken herausgearbeitet, doch werden seine Forschungen in zahlreichen sporthistorischen Darstellungen bis heute ignoriert.15 Ein weiterer Mangel zahlreicher Publikationen über den Sport in der NS-Zeit besteht darin, dass sie sich weitgehend auf die offiziellen Ergebenheitsadressen16 der Funktionsträger, die öffentlich gemachten Beschlüsse und Erlasse, die bigotten Gelöbnisse und opportunistischen Jubelarien der Sachwalter in den Vereinen und Verbänden stützen. Der Frage nach der Umsetzung solcher Resolutionen und Verordnungen in die Praxis schenken sie oftmals zu wenig Aufmerksamkeit. Das Gleiche gilt für die Widersprüche in den Deklarationen der Funktionäre, wie man sie beispielsweise bei dem DFB-Führer Felix Linnemann finden kann. Dieser erklärte einerseits, keine Bewegung habe „im Sinne der Volksgemeinschaft so erfolgreich gearbeitet“ wie der Sport, der deshalb „als Vorläufer der heutigen Bewegung“, womit er den Nationalsozialismus meinte, gelten könne und sich „nicht umzustellen“ brauche. Andererseits aber kritisierte er, der DFB 12 13 14 15 16
Dazu WAHLIG, Sport im Abseits, 163–225. PEIFFER/SCHULZE-MARMELING, Der deutsche Fußball, 28–35. Ebd., 35–39 bzw. 39f. Dazu beispielsweise TEICHLER, Rez. zu WAHLIG, Sport im Abseits. Zu diesen Ergebenheitsadressen BERNETT, Sportpolitik, 19–22.
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Markwart Herzog
sei vor 1933 „liberalistisch“ aufgebaut gewesen, habe sich des „individualistischen Prinzips“ bedient und den Sport als „Selbstzweck“ organisiert. Linnemanns Verständnis von „Volksgemeinschaft“, die eine „Ueberbrückung aller sozialen, religiösen und parteipolitischen Gegensätze“17 bezweckte, unterschied sich in den Jahren der Weimarer Republik markant von der spezifisch nationalsozialistischen Volksgemeinschaftsutopie. Denn Linnemann hatte noch im Jahr 1930 über die Unterschiede der Weltanschauungen hinweg für ein Miteinander des jüdischen und bürgerlichen Sports auf den Spielfeldern plädiert.18 Insofern war der Hauptschriftleiter der Fachzeitschrift „Der Kicker“ Hanns Joachim Müllenbach mehr im Recht, als er im Juli 1933 die Notwendigkeit einer „Liquidation der Vergangenheit“19 beschwor. Schließlich standen die Traditionen des bürgerlichen Sports in vielfältiger Hinsicht in diametralem Gegensatz zur dezidiert antibürgerlichen Politik der NSDAP. Dass die „Gleichschaltung“ des Sports 1933/34 zu keinem Abschluss gekommen sein konnte, beweist allein schon der zähe Verlauf der gegen die kirchlichen Verbände ergriffenen Maßnahmen, die erst mit ihrer Auflösung im Jahr 1935 endeten. Letztlich war dies auch in der zurückhaltenden Taktik des Reichssportführers begründet, der die Olympischen Spiele 1936 angesichts einer internationalen Boykottbewegung nicht gefährden wollte.20 Speziell für den Fußballsport hat Nils Havemann mit guten Gründen von der Phase der „ersten Gleichschaltung“ eine sich daran anschließende zweite unterschieden.21 Von dieser zweiten Phase ab circa 1935/36 waren die noch verbliebenen Vereine und Verbände des bürgerlichen Sports betroffen, denn die politischen und kirchlichen Sportorganisationen bestanden nicht mehr. Nach den Olympischen Spielen hatten auch die alt bewährten Funktionsträger und konservativen Eliten ihre Schuldigkeit getan, man musste jetzt keine Rücksicht mehr auf sie nehmen. Das wichtigste Ziel der „zweiten Gleichschaltung“ gab die Reichsorganisationsleitung der NSDAP in einem Erlass vom 3. Juni 1939 vor, in dem man durchaus die von Müllenbach geforderte „Liquidation der Vergangenheit“22 sehen darf. Demzufolge sollten nach der Transformation des Deutschen Reichsbundes für Leibesübungen (DRL) in den Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen (NSRL) im Dezember 1938 die regionalen und lokalen Strukturen des Sports nach dem Vorbild der Partei umgestaltet, die Vereine aufgelöst und durch NSOrtssportgemeinschaften ersetzt werden. Dieser Plan wurde jedoch nur im „Mustergau“ Sudentenland mit den sogenannten Nationalsozialistischen Turn- und Sportgemeinden (NSTG) und in Lothringen mit den Turn- und Sportgemein17 18 19 20 21 22
Felix Linnemann, zit. in: MÜLLENBACH, DFB und DSB, 1077f. Felix Linnemann, Gefahren für den deutschen Fussballsport, in: Berliner Zeitung am Mittag, 3.4.1930, zit. nach ZIMMERMANN, Eine verlorene Welt, 31. MÜLLENBACH, DFB und DSB, 1077. Dazu BERNETT, Die innenpolitische Taktik. Zur Unterscheidung von „erster Gleichschaltung“ und „zweiter Gleichschaltung“ HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 114–119, 190–213. MÜLLENBACH, DFB und DSB, 1077.
Die „Gleichschaltung“ des Fußballsports im Nationalsozialismus
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schaften (TSG) verwirklicht, in allen anderen Gauen in die Zeit nach dem „Endsieg“ vertagt. Gleichwohl war „Gleichschaltung“ nicht nur ein politisches, organisatorisches und juristisches Thema,23 sondern auch ein kulturelles, soziales und finanzielles Phänomen. Ein kulturelles und soziales deshalb, weil sie ein Gesellschaftsmodell, eine Vision von „Volksgemeinschaft“ transportierte, und ein finanzielles, weil zahlreiche Gleichschaltungsaktivitäten auch die Sanierung von wirtschaftlich angeschlagenen Vereinen bezweckten. Die ökonomischen und infrastrukturellen Hintergründe der Auflösung zahlreicher Turn- und Sportvereine in den 1930er Jahren wurden von der sporthistorischen Forschung bislang kaum beachtet, da sie vorrangig auf ideologische Aspekte fokussiert war. Gerade in dieser Hinsicht befriedigen einige Beiträge dieses Bandes dringende Desiderate der Sportgeschichte des Nationalsozialismus. Hans Joachim Teichler, einer der Pioniere und nach wie vor führenden Experten in der Erforschung des Arbeitersports, des Sports im Nationalsozialismus, des Antisemitismus im deutschen Sport und der Sportgeschichte der DDR, hat dem Thema „Gleichschaltung“ noch eine weitere Komponente hinzugefügt. Die Reichssportführung hatte in den späten 1930er Jahren – im Zuge der Überführung des DRL in den NSRL als von der NSDAP „betreuter“ Organisation – eine Neuordnung und Vereinheitlichung auch des internationalen Sportverbandswesens unter deutscher Vorherrschaft auf ihre Agenda gesetzt.24 So hatte etwa auch der spätere DFB-Präsident Peter Joseph „Peco“ Bauwens erste Schritte unternommen, um die FIFA auf „großdeutschen“ Kurs zu bringen.25 Die „zweite Gleichschaltung“ war demzufolge nicht nur auf die lokale, regionale und nationale, sondern auch auf die internationale Ebene gerichtet. Bedingt durch die Kriegsereignisse, blieben die Initiativen zur „Gleichschaltung“ auch der internationalen Sportverbände jedoch in den Anfängen stecken. 3. Schluss Der vorliegende Band ist die erste Buchveröffentlichung, die sich ausschließlich dem Thema „Gleichschaltung“ im Fußballsport der NS-Zeit widmet. Er bietet auf breiter Quellenbasis den ersten monografischen Überblick zu diesem Themengebiet. Mehrere Beiträge der zweiten und dritten Sektion behandeln die nationalsozialistische „Gleichschaltung“ des bürgerlichen Vereinsfußballs, des konfessionellen Fußballs sowie des Arbeiter- und Betriebs- bzw. Werksfußballs. In diesen beiden Sektionen werden großenteils Vorgänge analysiert, bei denen es sich um Desiderate der Forschung handelt. Dabei wird der Fokus nicht nur auf große 23 24 25
Dazu VIEWEG, Gleichschaltung. Dazu TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 343–366; über die „versuchte Übernahme des internationalen Fechtverbandes“ BAHRO, Der SS-Sport, 283–292. Dazu HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 237–254.
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Kommunen und urbane Fußballclubs gerichtet, sondern auch auf mitgliederarme Vereine und ländliche Regionen. Besondere Aufmerksamkeit schenken mehrere Beiträge der vierten Sektion den Änderungen und Umbrüchen in Ländern, die von deutschen Truppen besetzt worden waren. Die abschließenden Beiträge der fünften Sektion über den Fußballsport der DDR stellen die Versuche der politischen Unterwerfung des Spiels mit dem runden Leder unter die Ziele des Staatssozialismus dar. Sie zeigen Kontinuitäten und Unterschiede zwischen den beiden deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts auf – dies vor allem auch vor dem Hintergrund der Forschungen Teichlers. In seinen Pionierarbeiten über die Sportgeschichte der DDR hat er mit guten Gründen darauf hingewiesen, dass die SED-Diktatur trotz aller Bekenntnisse zu Freiheit und Frieden, Antifaschismus und Antimilitarismus das Erbe der Organisationsstrukturen des NS-Sports angetreten hatte.26 Dem vorliegenden Sammelband liegen Vorträge der Tagung „Die Gleichschaltung des Fußballsports im nationalsozialistischen und staatssozialistischen Deutschland“ zugrunde, die im Februar 2013 von der Schwabenakademie Irsee veranstaltet wurde. Aufgrund der zahlreichen neuen Erkenntnisse, die auf der Konferenz vorgestellt wurden, und der methodisch institutionen- und wirtschaftshistorischen Ausrichtung mehrerer Beiträge, die auf kulturelle, gesellschaftliche, finanzielle und infrastrukturelle Aspekte der nationalsozialistischen Gleichschaltungspolitik eingehen, fand die Veranstaltung in den Medien und der Fachwelt starke Beachtung.27 Ihre Resultate wurden teils kontrovers diskutiert und nicht zuletzt in einem polemischen Rundumschlag, der auch andere mutmaßliche Versuche der „Verharmlosung“ der Sportpolitik im Nationalsozialismus treffen sollte, sogar des „Zynismus“28 geziehen. 26 27
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Dazu TEICHLER, Die Sportbeschlüsse, 43–46; DERS., Sport unter Führung der Partei; DERS., Die schwierigen Anfänge. SCHISSLER, Sport; OPATZ, Erfurter Fußball; KINAST, Gedächtnis; FROBENIUS, Mit den Wölfen; HERZOG, Erst der Club; DERS., Tagungsbericht H-Soz-u-Kult; DERS., Tagungsbericht AHF-Information. PEIFFER/WAHLIG, Jüdischer Sport, 57f.; WAHLIG, Sport im Abseits, 66, Anm. 91, zu HERZOG, Tagungsbericht H-Soz-u-Kult, sowie KRÜGER, Zum Problem. – Die Hannoveraner Sportwissenschaftler bestritten vehement ein Ergebnis der Tagung, demzufolge der Dachverband des deutschen Sports, seit Dezember 1938 der NSRL, erst im Frühjahr 1940 einen generellen „Arierparagrafen“ erlassen hatte. Dabei verwiesen sie auf BERNETT, Der jüdische Sport. Allein die Tatsache, dass sie diese Pionierarbeit pauschal nennen, ohne Seitenzahlen anzuführen, weckt den Verdacht, dass eine Irreführung des Lesers beabsichtigt sein könnte. Tatsächlich lässt sich in Bernetts Werk über den jüdischen Sport keine einzige Stelle finden, die Peiffers und Wahligs Widerspruch stützen könnte. Ganz im Gegenteil hatte bereits der Nestor der deutschen Sportgeschichte des Nationalsozialismus explizit darauf hingewiesen, dass die Reichssportführung erst in den Kriegsjahren vom Reichsinnenministerium ermächtigt worden war, „in begründeten ‚Einzelfällen‘ besondere ‚Anforderungen an die Reinheit des Blutes zu stellen‘, die über § 5 des Reichsbürgergesetzes vom 14.11.1935 hinausgehen“ (BERNETT, Der jüdische Sport, 35 Anm. 84). Vor diesem Hintergrund wurde mit der im Frühjahr 1940 an die Vereine verschickten Einheitssatzung des NSRL in der Tat erstmalig ein genereller „Arierparagraf“
Die „Gleichschaltung“ des Fußballsports im Nationalsozialismus
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Gerade in wirtschaftshistorischer Hinsicht besteht in der deutschen Fußballgeschichte erheblicher Nachholbedarf. Erst seit dem Jahr 2005 setzte mit Nils Havemanns viel beachteter Veröffentlichung über den DFB in der NS-Zeit ein Umdenken ein. Die Forschungen des Mainzer Historikers haben maßgeblich dazu beigetragen, dass Themen der deutschen Sportgeschichte auch unter wirtschaftshistorischen Gesichtspunkten aufgearbeitet werden. Sie beschränken sich keinesfalls auf den ökonomiegeschichtlichen Aspekt allein, sondern bewegen sich auf dem Gebiet einer methodisch kulturhistorisch arbeitenden Firmen-, Unternehmens- und Behördengeschichte. Die von Havemann gesetzten Impulse machen sich auch in diesem Band deutlich bemerkbar. Nicht zuletzt die insgesamt sehr positive Resonanz in Forschung und Medien hat den Anlass gegeben, die Vorträge der Tagung in überarbeiteten und mit Quellenbelegen angereicherten Fassungen zu publizieren; einige weitere Beiträge wurden ergänzend eingeworben. Der Kulturstiftung des Deutschen Fußball-Bundes und der Deutschen Akademie für Fußballkultur sei an dieser Stelle für die finanzielle Unterstützung der Tagung gedankt, aus der dieser Band hervorgegangen ist.
für den gesamten deutschen Sport als Norm vorgegeben. Gleichwohl war die Art und Weise, wie diese Bestimmung in die NSRL-Einheitssatzung eingeführt wurde, keineswegs so „unzweideutig“, wie Wahlig vorgibt (DERS., Sport im Abseits, 65f.). Vielmehr wurde sie derart kompliziert bekannt gemacht und den Vereinen so umständlich vorgeschrieben, dass diese in vielen Fällen überfordert waren und sogar das Amtsblatt „NSSport“ teilweise den Überblick verloren hatte (dazu HEINRICH, Als Jude, 88f.). Da die Forschung bisher keinen vor dem Frühjahr 1940 von der Reichssportführung erlassenen generellen „Arierparagrafen“ ermitteln konnte, vermögen Peiffer und Wahlig keine belastbaren Gründe anzuführen, warum dem auf der Schwabenakademie-Konferenz erzielten Forschungsergebnis, das obendrein Bernetts Darstellung um einen weiteren Aspekt ergänzt und damit bestätigt, „deutlich widersprochen werden“ (WAHLIG, Sport im Abseits, 66, Anm. 91) müsse (dazu auch HERZOG, Rez. zu WAHLIG, Sport im Abseits). – Nicht zuletzt argumentieren Peiffer und Wahlig auch insofern nicht auf der Höhe des aktuellen Forschungsstandes, als sie die von Havemann analysierten Unterschiede in der Radikalität der Ausschlussdekrete, die ab 1933 von den verschiedenen Sportverbänden gegen „Nichtarier“ verhängt worden waren, in Frage stellten (PEIFFER/WAHLIG, Jüdischer Sport, 57f.). Diese Unterschiede wurden erstmals von Hajo Bernett im Jahr 1978 (BERNETT, Der jüdische Sport, 16–37) so detailliert untersucht und in einem Quellenanhang (ebd., 124–135) ausführlich dokumentiert, dass sie bekannt sein sollten. Die Bedeutung von Havemanns Forschungen liegt nicht nur darin, dass sie Bernetts Position grundsätzlich bestätigen, sondern auch um neue Erkenntnisse hinsichtlich der vergleichsweise weniger radikalen Arierbestimmungen des DFB bereichern (dazu auch Beitrag BAHRO, in diesem Band 115–136).
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Markwart Herzog
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Die „Gleichschaltung“ des Fußballsports im Nationalsozialismus
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II. Bürgerlicher Fußball
Nils Havemann
Die „zweite Gleichschaltung“ des Fußballs im Nationalsozialismus Der deutsche Fußball und der DFB nach 1933
1. Der Begriff der „Gleichschaltung“ im Nationalsozialismus Wie Cornelia Schmitz-Berning in ihrem 2007 erschienenen Werk über das „Vokabular des Nationalsozialismus“ festhielt, übertrug 1933 Reichsjustizminister Franz Gürtner den Ausdruck „Gleichschaltung“ mit der Formulierung der „Gesetze zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich“ aus dem Bereich der Elektrotechnik in die Politik.1 Das vor allem in den Jahren 1933 und 1934 häufig benutzte Schlagwort beschrieb den Prozess der Unterordnung des gesamten Staates und der Gesellschaft unter den Nationalsozialismus und seine Ideologie. Dabei sind unter anderem zu unterscheiden zwischen der „politischen Gleichschaltung“, die als „Aufhebung des politischen und organisatorischen Pluralismus durch Anpassung der vorgefundenen Organisationsstrukturen bestehender Körperschaften und Institutionen an das nationalsozialistische Führerprinzip“ definiert wird, und der „inneren Gleichschaltung“, unter der die „Anpassung des Denkens und Handelns an die nationalsozialistische Weltanschauung“ verstanden wird. Im Grunde wird der Begriff benutzt, um die „radikale Umgestaltung des Staats und aller Parteien, aller Interessenvereinigungen, aller Verbände zu einem großen Ganzen“ sowie den „Schritt zum totalen Staat, der […] nur eine Partei, eine Überzeugung, ein Volk sein kann“, auf den Punkt zu bringen. Wenngleich es der Anspruch des Nationalsozialismus war, alle staatlichen und gesellschaftlichen Lebensbereiche zu unterwerfen, vollzog sich der Prozess der „Gleichschaltung“ auf den verschiedenen Feldern mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und Intensität. Während beispielsweise Länder und Gewerkschaften nach 1933 durch ihre rasche Zerschlagung sofort der „Gleichschaltung“ zum Opfer fielen, blieb die Großindustrie – nicht zuletzt mit Blick auf die hohen Arbeitslosenzahlen – zunächst einmal vom Zugriff des Nationalsozialismus weitgehend verschont, weil das NS-Regime in der Phase der Festigung seiner Macht auf die Kooperation der Unternehmen angewiesen war.2 Der Gang der „Gleichschaltung“ war also abhängig von der Rolle und der Bedeutung, welche die neuen Machthaber dem jeweiligen Bereich beimaßen. Die verbliebenen Freiräume in den einzelnen Lebensbereichen, die sich aus diesen unterschiedlichen Schüben 1 2
Dazu und zum Folgenden SCHMITZ-BERNING, Vokabular des Nationalsozialismus, 277– 279. Vgl. HILDEBRAND, Das Dritte Reich, 12.
Nils Havemann
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und Phasen in der „Gleichschaltung“ ergaben,3 glichen sich erst ab 1936 mit der fortschreitenden Mobilisierung, Aufrüstung und Militarisierung der Gesellschaft wieder an. Der deutsche Fußballsport ist ein exzellentes Beispiel für die unterschiedlichen Phasen, in denen sich diese „Gleichschaltung“ vollziehen konnte. 2. Kontinuitäten – trotz der „ersten Gleichschaltung“ Das Jahr 1933 brachte mit der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ für den Fußball viele gravierende Veränderungen mit sich, die in der Forschungsliteratur anhand zahlreicher Beispiele beschrieben wurden.4 Am schwersten wogen dabei der Beginn der Ausgrenzung jüdischer Mitglieder aus den Vereinen des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und die Umstellung des Vereinswesens auf das Führerprinzip, wodurch das vom Bürgerlichen Gesetzbuch vorgeschriebene Demokratieprinzip der Clubs mit einem Federstrich für nichtig erklärt wurde. So fatal die Folgen dieser Maßnahmen im Rückblick waren: Wer nicht zu den Verfolgten des nationalsozialistischen Rassenwahns gehörte, erhielt den Eindruck, als ob sich auch im Fußball die Dinge zum Besseren gewandt hätten. Der deutsche Fußball erlebte nach 1933 sowohl sportlich als auch finanziell einen famosen Aufschwung, der in den bitteren Jahren der Weltwirtschaftskrise, als sich die meisten Vereine am Rand des Bankrotts bewegten und den Spielbetrieb kaum noch aufrecht erhalten konnten, kaum für möglich gehalten wurde. Ähnlich wie der allgemeine wirtschaftliche Aufschwung nicht das Verdienst der Nationalsozialisten war, sondern eine Folge der harten Brüningschen Deflationspolitik, deren Früchte das NS-Regime erntete,5 war auch die Scheinblüte des deutschen Fußballs in den vermeintlich „guten“ Jahren bis 1938 nicht auf die nationalsozialistische Sportpolitik zurückzuführen. Denn allem propagandistischen Wortgeklirre zum Trotz: Für den DFB, seine Vereine und die Spieler änderte sich im Alltag zunächst weitaus weniger, als es die Jahreszahl 1933 vermuten ließe. Vieles lief wie gewohnt, teilweise sogar besser ab, weil jene materiellen Probleme behoben worden waren, die den Sportverkehr während der Wirtschaftskrise fast zum Erliegen gebracht hatten. Meisterschaftsspiele wurden vor stetig größer werdenden Kulissen ausgetragen, Stadionneubauten in Angriff genommen, die alte Garde der Funktionäre durfte ihre Posten behalten, sofern sie nicht zu den „rassisch“ oder politisch Verfolgten zählten, im Umfeld der großen 3
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Beispiele für unterschiedliche Phasen der „Gleichschaltung“ einzelner Lebensbereiche im Nationalsozialismus u.a. AKALTIN, Neue Menschen für Deutschland?, 60–64.; GROTHE, Zwischen Geschichte und Recht, 165–214; POGUNTKE: Gleichgeschaltet, passim. Vgl. u.a. GOCH/SILBERBACH, Zwischen Blau und Weiß liegt Grau; HERZOG, Der „Betze“ unterm Hakenkreuz; THOMA, „Wir waren die Juddebube“; LÖFFELMEIER, Die „Löwen“ unterm Hakenkreuz; BACKES, „Mit Deutschem Sportgruß, Heil Hitler“; KOERFER, Hertha unter dem Hakenkreuz. Vgl. dazu u.a. SPREE, Konjunktur, 191f.
Die „zweite Gleichschaltung“ des Fußballs im Nationalsozialismus
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Spiele wurden wie in der Weimarer Zeit lukrative Geschäfte abgeschlossen, bei Länderspielen wurde wie eh und je das Lied von der völkerverbindenden Kraft des Spiels gesungen, und selbst das Profitum, das es spätestens seit den 1920er Jahren im deutschen Fußball gab, wurde entgegen allen öffentlichen Bekundungen vom hehren Amateurismus nicht angetastet. Da „Gleichschaltung“ und „Führerprinzip“ in der Praxis – außer den verheerenden Folgen für nicht„arische“ Sportler – kaum Konsequenzen nach sich zogen, taten sich die Fußballclubs leicht, diesen Änderungen im Frühjahr 1933 auf außerordentlichen Mitgliederversammlungen zuzustimmen. Der Verzicht auf radikale Veränderungen im deutschen Sport war vor allem der Tatsache geschuldet, dass die Olympischen Spiele 1936 in Deutschland stattfinden sollten. Aus der Perspektive des NS-Regimes waren sie eine hervorragende Gelegenheit, sich mit dem trügerischen Schein eines friedlichen Landes zu umgeben. Im Ausland sollte möglichst der Eindruck vermieden werden, als ob der Sport in Deutschland nicht mehr nach jenen Grundsätzen funktionierte, welche die internationalen Sportverbände vorgaben. Eine daraus resultierende Boykottbewegung gegen den deutschen Sport sollte unter allen Umständen verhindert werden, um den propagandistischen Erfolg der Spiele nicht zu gefährden. Aber die damit verbundenen Freiräume für den „bürgerlichen“ Sport waren vielen überzeugten Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. Bereits 1933 war in der Reihe „Nationalsozialistische Bibliothek“ ein Buch von Bruno Malitz mit dem Titel „Die Leibesübungen in der nationalsozialistischen Idee“ erschienen, in dem der Autor verdeutlichte, dass der deutsche Fußball in der Form, wie ihn der DFB organisierte, mit der NS-Ideologie fast gar nichts gemein hatte. Malitz wetterte gegen die „liberalistische“ Auffassung, die auch das Spiel mit dem runden Leder in Deutschland geprägt und zu unerträglichen Erscheinungen in deutschen Stadien geführt habe: „Franzosen, Belgier, Pollacken, Judenneger sind auf deutschen Aschenbahnen gestartet, haben auf deutschen Fußballplätzen gespielt [...].“6 Vor allem der DFB stellte aus nationalsozialistischer Sicht ein großes Ärgernis dar: „Man sieht ja auch, wie der Deutsche Fußball-Bund sich um die Not seiner Vereine bekümmert. Nämlich gar nicht. Er legt Gelder auf ‚die hohe Kante‘, seine Vereine gehen an großen Lasten zugrunde. Er baut statt dessen große Verwaltungsgebäude. Er veranstaltet Länderspiele, deren Notwendigkeit nicht einzusehen ist, lässt sich als gemeinnützig Steuerfreiheit geben – aber die Arbeitslosenausweise gelten nicht. Es würde weiß Gott dem Deutschen Fußball-Bund aber auch gar nichts schaden, wenn er tüchtig Vergnügungssteuer zahlen würde; denn er ist Kapitalist.“7
Reichsportführer Hans von Tschammer und Osten war keineswegs gegenteiliger Ansicht, denn auch er hielt den DFB für eine „typisch liberale Zweckgründung“,
6 7
MALITZ, Leibesübungen, 21. Ebd., 59.
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die „eine stark international betonte Tendenz des Sports“ vertrete.8 Doch anders als die Parteiideologen erkannte er in der Kontinuität durchaus einen nützlichen Wert. Dieser Wert bestand aus seiner Perspektive nicht allein darin, das Ausland über die wahren Absichten zu täuschen und eine Boykottbewegung zu vermeiden. So betonte er 1937 als Rechtfertigung dafür, „liberalistische Organisationen“9 wie den DFB 1933 erst einmal geduldet zu haben: „Die deutsche Sportschuhindustrie stellt für den Inlandsmarkt jährlich etwa 15 Millionen Paar Schuhe mit einem Wert von rund 100 Millionen Mark her. Durch die deutschen Leibesübungen werden rund 100.000 Angestellte und Arbeiter mit einer Lohnsumme von jährlich etwa 240 Millionen Mark beschäftigt. Der Inhalt des gesamten Sportbetriebes beträgt im Jahresumsatz 1,1 Milliarden Reichsmark. Das sind gewaltige Volksvermögenswerte, mit denen hausväterlich und gewissenhaft umzugehen jeder Nationalsozialist verpflichtet gewesen wäre.“10
Da „keine andere Organisation in der Lage gewesen“ wäre, diese für die wirtschaftliche Entwicklung des Reiches bedeutenden Strukturen „fachlich einigermaßen richtig zu übernehmen“, war der Reichssportführer überzeugt: „Das Bestehende musste erhalten bleiben.“11 3. „Zweite Gleichschaltung“ – das Ende des „bürgerlichen“ Sports im Nationalsozialismus Die radikale Ungeduld der Nationalsozialisten angesichts der „kapitalistischen“ und „liberalistischen“ Auswüchse im deutschen Fußball war schon vor den Olympischen Spielen kaum zu zügeln und verschaffte sich in zahlreichen Konflikten mit den alten Repräsentanten der Vereine und Verbände Luft.12 Von Tschammer und Osten hielt in dieser Hinsicht fest, dass die Entscheidung, den bürgerlichen Sport vor starken Umwälzungen erst einmal zu bewahren, „häufig in der Zeit, in der der revolutionäre Elan der Bewegung alte Organisationen jeder Art hinwegfegte, vor allem in den Kreisen der Partei missverstanden worden“ sei.13 Er nahm durchaus das große Misstrauen gegenüber den alten Sportfunktionären wahr, die mit ihrer, wie es der Reichssportführer formulierte, „konservativen Verbandshaltung“ trotz ihrer engagierten Anpassungsbemühungen „ein retardierendes Moment“ bei der Vollendung der nationalsozialistischen Revolution 8
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Bundesarchiv (Abteilungen Reich und DDR) in Berlin, NS 8/177, von Tschammer und Osten: Situationsbericht über die Neugestaltung der Leibesübungen in den Jahren 1933– 1935. TSCHAMMER UND OSTEN, Der deutsche Sport, 112. Ebd., 113. Ebd. Vgl. HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 173–190. Bundesarchiv (Abteilungen Reich und DDR) in Berlin, NS 8/177, von Tschammer und Osten: Situationsbericht über die Neugestaltung der Leibesübungen in den Jahren 1933– 1935.
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darstellten.14 Aber auch von Tschammer und Osten kannte die obersten Prioritäten des „Führers“, der noch im April 1936 mit sorgenvollem Blick auf die olympische Boykottbewegung zum Chef der Reichskanzlei Hans Heinrich Lammers sagte: „Das Ausland ist geneigt, den Sport als eine nationalsozialistische Zwangsangelegenheit zu betrachten.“15 Folglich wurde die „zweite Gleichschaltung“ des Sports im Allgemeinen beziehungsweise die des Fußballs im Besonderen im Frühjahr 1936 sehr behutsam eingeleitet, sodass die eigentlichen Intentionen bis zum Erlöschen des olympischen Feuers nicht allzu sicht- und spürbar waren. Am 23. April 1936 gab Hitler den „Erlass über die Errichtung des Reichssportamtes“ heraus, das unter dem Befehl des Reichssportführers die „Bearbeitung aller Sportfragen“ übernahm und dem „Geschäftsbereich des Reichsministers des Innern“ zugeschlagen wurde.16 Die Verordnung ließ die genauen Kompetenzen der neuen Behörde allerdings im Unklaren; sie legte lediglich fest, dass sich das Reichsinnenministerium mit der „Durchführung des Erlasses, besonders der Abgrenzung der Zuständigkeit des Reichssportamtes“, beschäftigen sollte.17 All dies war aus nationalsozialistischer Perspektive ein cleverer Schachzug, weil er in der Tat die eigentliche Richtung in der Sportpolitik, nämlich die de-facto Verstaatlichung des Sports und die Auflösung der eigentlich privatrechtlich organisierten und geschützten Verbände, lediglich andeutete und somit ein lautes, empörtes Raunen sowohl der nationalen als auch der internationalen Sportverbände weitgehend verhinderte. Denn erst einmal trat lediglich zutage, dass der Deutsche Reichsbund für Leibesübungen (DRL) eine hauptamtliche Verwaltung erhalten würde und die alten Fachverbände nun auch im Alltag als „Reichsfachämter“ firmieren sollten – was beispielsweise der DFB selbst nach 1933 als demonstratives Zeichen vermeintlicher und tatsächlicher Kontinuität nicht getan hatte. Es war bezeichnend, dass die Umformung des alten DFB zwar am 1. April 1936 mit seiner Transformation zum Reichsfachamt Fußball im DRL begann, aber einer Anordnung der Reichssportführung zufolge erst am 31. März 1937 vollzogen sein sollte18 – ein Boykott der Olympischen Spiele aus Protest gegen die staatliche Gängelung des deutschen Sports war zu diesem Zeitpunkt selbstredend nicht mehr möglich. Aber auch die weiteren Schritte der Umorganisation sollten derart erfolgen, dass gegenüber dem Ausland zumindest die Fassade eines halbwegs eigenständigen Sports gewahrt blieb. In dieser Hinsicht geriet das Bestreben der NSGliederungen, die Leibesübungen zu kontrollieren, zu einem großen Problem. 14 15 16 17 18
Ebd. Bundesarchiv (Abteilungen Reich und DDR) in Berlin, R 43 II/728, Notiz von Lammers vom 18.4.1936. Reichsgesetzblatt, Teil I, Jg. 1936, 397. Ebd. Vgl. Bundesarchiv (Abteilungen Reich und DDR) in Berlin, RKK 2101 Box 0764 File 21, DFB-Gau Groß-Berlin am 29.6.1936 an die Geschäftsstelle des Bundes Reichsdeutscher Buchhändler (darin ein von Xandry ausgefüllter Auskunftsbogen vom 12.3.1936 für die Aufnahme von Buchhandelsbetrieben in den Bund Reichsdeutscher Buchhändler und in die Reichsschrifttumskammer).
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Viele Vereine mussten sich auflösen, weil die Mitglieder nun zu Verpflichtungen der Parteigliederungen herangezogen wurden.19 1937 umfasste der DRL nur noch rund 3,6 Millionen Mitglieder, nachdem er 1933 weit mehr als 6,2 Millionen gezählt hatte.20 Es musste also möglichst rasch eine Form gefunden werden, die auf der einen Seite den deutschen Sport stärker den ideologischen Vorgaben des NS-Regimes unterwarf, ihn aber auf der anderen Seite vor einer weiteren Auszehrung durch die konkurrierenden Ansprüche der verschiedenen Gliederungen bewahrte, ihn dadurch leistungsfähig erhielt und dabei gleichzeitig nach außen noch den Eindruck relativer Eigenständigkeit erweckte. Wie es Franz Metzner, Leiter des Fachamtes Boxen und darüber hinaus persönlicher Referent von Reichsinnenminister Wilhelm Frick, im August 1937 formulierte: „Nach den internationalen Bestimmungen wird zur Beteiligung bei Olympischen Spielen, bei Europameisterschaften oder überhaupt für jeden internationalen Sportverkehr nur ein großer, freiwilliger Spitzenverband anerkannt. Schon 1933 hat es Mühe gemacht, und war sehr schwierig, die Anerkennung des DRL als solchen freiwilligen Verband durchzusetzen [...]. Die große Frage, die also zunächst entschieden werden muss, lautet: Wünscht der Führer auch in Zukunft eine Beteiligung Deutschlands am internationalen Sportverkehr, an Europameisterschaften und Olympischen Spielen, oder soll der deutsche Sport lediglich intern in Deutschland betrieben werden? Im letzteren Fall wäre der Reichsbund überflüssig, und es könnte eine Gliederung der Partei (SA oder Deutsche Arbeitsfront) den deutschen Sport übernehmen.“21
Da das NS-Regime vorerst weiter großen Wert auf eine Fortsetzung des internationalen Sportverkehrs legte, kam es im Dezember 1938 nach langem Ringen22 zur Schaffung eines Nationalsozialistischen Reichsbundes für Leibesübungen (NSRL), durch den dem „völligen Zusammenbruch des DRL“ vorgebeugt und der deutsche Sport „auch den Gliederungen der Partei gegenüber [...] stark“ gemacht werden sollte.23 Dennoch blieb der deutsche Sport auch in den folgenden Jahren Gegenstand widerstreitender Interessen und erbitterter Machtkämpfe. Sie waren ähnlich wie die polykratischen Verhältnisse in vielen anderen Bereichen der NS-Gesellschaft auf die Vollendung der Führerherrschaft ausgerichtet.24 Zu spüren bekam dies vor allem die alte Garde im deutschen Fußball, die im Zuge zahlreicher Intrigen 19
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Vgl. Bundesarchiv (Abteilungen Reich und DDR) in Berlin, R 1501/5620, Metzner am 6.8.1937 an Pfundtner (Denkschrift). Dazu im Detail auch die Ausführungen in: TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 193–208. Vgl. Bundesarchiv (Abteilungen Reich und DDR) in Berlin, R 1501/5620, Metzner am 6.8.1937 an Pfundtner (Denkschrift). Ebd. Dazu TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 213–216. Bundesarchiv (Abteilungen Reich und DDR) in Berlin, R 1501/5620, Metzner am 6.8.1937 an Pfundtner (Denkschrift). Zum Gang der Diskussion über die Herrschaftstypologie des NS-Staates HILDEBRAND, Das Dritte Reich, 224–229.
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nach und nach ihrer einflussreichen Stellungen enthoben oder ihrer Zuständigkeiten beraubt wurde: Ob Otto Nerz, Felix Linnemann, Wilhelm Erbach oder all die anderen, die bis 1936 den Ton angegeben hatten – sie alle verschwanden weitgehend von der Bildfläche oder wurden zu „Frühstücksdirektoren“, die sich bisweilen mit ihren alten Titeln schmücken durften, aber ansonsten im Fußball kaum noch größere Gestaltungsspielräume hatten.25 Übrig blieben vom alten Führungspersonal nur jene Personen, die ähnlich wie Guido von Mengden ein hohes Maß an ideologischer Linientreue an den Tag legten, wie Georg Xandry aufgrund ihrer verwaltungstechnischen Erfahrungen unverzichtbar erschienen oder sich ähnlich wie Sepp Herberger in den zermürbenden Konflikten mit den ehrgeizigen Parteirepräsentanten listig zu behaupten wussten.26 Symptomatisch für diesen gesamten Entmachtungsprozess war die formale Auflösung des DFB im April 1940, dessen Vermögen an den NSRL überführt und der somit auf einer neuen rechtlichen Grundlage verstaatlicht wurde.27 Zu diesem Zeitpunkt hatte der DFB längst die Hoheit über sein internationales Spielprogramm verloren, waren die kommerziellen Aktivitäten im Umfeld des deutschen Spitzenfußballs deutlich reduziert worden. Die folgenreichste Konsequenz dieser „zweiten Gleichschaltung“ lag indes auf einem anderen Gebiet. Zwar hatte der Ausschluss der jüdischer Vereinsmitglieder bereits 1933 begonnen, der Übereifer einiger Vereine war aber von der Reichssportführung, die mit Blick auf die befürchtete Boykottbewegung „nur“ Juden und Marxisten aus führenden Stellungen entfernt sehen wollte, ausdrücklich missbilligt worden.28 Nach 1936 hingegen, mit dem von den Nazis herbeigesehnten Ende des „bürgerlichen“, „kapitalistischen“, „internationalistischen“ und „liberalistischen“ Fußballs, wurde auch die Verfolgung jüdischer Vereinsmitglieder verschärft; sofern sie nicht rechtzeitig fliehen konnten, wurden sie in den meisten Fällen ermordet. Dies war die Konsequenz einer zutiefst nationalistischen, sozialistischen und antibürgerlichen Politik. Quellen und Literatur Archive Bundesarchiv (Abteilungen Reich und DDR) in Berlin, NS 8/177; R 43 II/728; RKK 2101 Box 0764 File 21; R 1501/5620. Amtsgericht Charlottenburg, Vereinsregisterarchiv 95 VR 5831 (alt) +55.
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Dazu HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 204–213. Vgl. als anschauliche Fallstudie zu diesen Auseinandersetzungen im deutschen Fußball HERZOG, „Blitzkrieg“. Vgl. Vereinsregisterarchiv des Amtsgerichts Charlottenburg, 95 VR 5831 (alt) +55, Linnemann am 2.9.1940 an das Amtsgericht Berlin, Beschluss der ordentlichen DFBMitgliederversammlung vom 27.4.1940. Vgl. die entsprechenden Textbelege in: HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 165f.
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Nils Havemann
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Andreas Mau
Die „Gleichschaltung“ der Spielvereinigung Fürth im Jahr 1933 Die Sportstadt Fürth hatte sich im Verlauf der 1920er Jahre zu einer Hochburg des deutschen Fußballsports entwickelt. Der wichtigste Verein der Stadt, die dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) angeschlossene Spielvereinigung (SpVgg) Fürth, zählte zu den bedeutendsten und bekanntesten Vereinen Deutschlands. Der Ruf des „Kleeblatts“, wie die Spielvereinigung in Anlehnung an das Wappen der Stadt Fürth genannt wurde, gründete sich auf den Gewinn von drei deutschen Meisterschaften in den Jahren 1914, 1926 und 1929. In den frühen 1930er Jahren bot die Spielvereinigung zwar weiterhin Fußball auf hohem Niveau, konnte aber an ihre früheren Erfolge nicht mehr anknüpfen. Überdies hatten die Folgen der Weltwirtschaftskrise, wie ausbleibende Zuschauer- und Werbeeinnahmen, zu einer wirtschaftlichen Notlage des Vereins geführt.1 Die Industriestadt Fürth, die zusammen mit Nürnberg einen großstädtischen Verdichtungsraum bildete, zählte im Jahr 1933 circa 77.000 Einwohner, darunter fast 2.000 Juden.2 Die Fürther Juden waren weitestgehend assimiliert, besaßen eine herausragende Bedeutung im Wirtschaftsleben der Stadt und verfügten über ein dichtes Netz an sozialen und kulturellen Einrichtungen.3 Hinsichtlich ihrer sportlichen Betätigung hatten die Fürther Juden vorwiegend konfessionell und weltanschaulich neutrale Vereine als Heimat gewählt.4 Der Spielvereinigung Fürth waren zu Beginn der 1930er Jahre ebenfalls zahlreiche jüdische Mitglieder als Gönner5 oder aktive Fußballspieler verbunden, die jedoch nicht in der ersten Mannschaft, sondern nur in den unteren Ligen und den Jugendmannschaften für die Spielvereinigung antraten.6 Im Verlauf des Jahres 1933 musste sich die Spielvereinigung nicht nur mit den anhaltenden Problemen im wirtschaftlichen und sportlichen Bereich auseinandersetzen, sondern auch mit einem tiefen Einschnitt in ihre Organisations- und Mitgliederstruktur. Neben dem Ausschluss der jüdischen Vereinsmitglieder stellte insbesondere die organisatorische „Gleichschaltung“ des Vereins eine Zäsur dar. So verlor die Spielvereinigung ihre innere und äußere Selbstbestimmung
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Vgl. SCHMIDT, Das Kleeblatt, 41–43. Zu den Einwohnerzahlen OPHIR/WIESEMANN, Die jüdischen Gemeinden, 179. Vgl. OPHIR/WIESEMANN, Die jüdischen Gemeinden, 180–182. Vgl. SPONSEL/STEINER, Jüdisches Sportleben, 88f. Vgl. SCHMIDT, Das Kleeblatt, 56. So gehörte, als prominentestes Beispiel, der spätere Außenminister der USA, Henry (Heinz Alfred) Kissinger, vor 1933 einer Jugendmannschaft der Spielvereinigung an; dazu WINDSHEIMER, SpVgg Fürth, 29.
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und musste sich fortan den Zwängen eines autoritären und politisierten Sportsystems fügen. 1. Einleitende Bemerkungen 1.1. Fragestellungen
Im Rahmen dieses Beitrags soll der Zeitraum zwischen der nationalsozialistischen Machtergreifung am 30. Januar 1933 und dem 14. August 1933 in den Blick genommen werden, als auf einer außerordentlichen Hauptversammlung die „Gleichschaltung“ der Spielvereinigung Fürth vollzogen wurde. Der dorthin führende Weg war von zahlreichen einzelnen Beschlüssen und Maßnahmen des Vereins geprägt. Diese erfolgten einerseits aufgrund direkter Anweisungen und Richtlinien der Behörden und Sportverbände. Andererseits traf die Vorstandschaft verschiedene Entscheidungen, die unter formalen Gesichtspunkten frei von Vorgaben waren, aber dennoch unter dem Eindruck der tiefgreifenden Umwälzungen des politischen Lebens in Deutschland standen. Innerhalb dieses Betrachtungszeitraums werden nicht nur die einzelnen Schritte der Spielvereinigung auf dem Weg in die „Gleichschaltung“ aufgezeigt, vielmehr wird darüber hinaus untersucht, welche autonomen Entscheidungsspielräume der Verein im Lauf dieses Prozesses besaß und wie er diese zu nutzen wusste. Diese allgemeine Problemlage wird in drei Einzelfragen aufgegliedert. Erstens wird gefragt, welche Schritte auf dem Weg zur „Gleichschaltung“ aus eigenem Antrieb und welche Maßnahmen aufgrund der Vorgaben durch Behörden und Verbände erfolgten. Zweitens soll ergründet werden, welche Informationen den Verantwortlichen im Verein zur Verfügung standen und welche Entscheidungsgrundlage für Beschlüsse sich aus diesen ergab. Die letzte Teilfrage richtet sich schließlich auf die Motive, die dem Handeln der Vorstandsmitglieder zugrunde lagen. 1.2. Methode und Quellenlage
Die Betrachtung der „Gleichschaltung“ der Spielvereinigung Fürth wird chronologisch gegliedert und in drei Abschnitte unterteilt. Der erste umfasst die Monate Februar und März, der zweite April und Mai und der dritte den Zeitraum von Juni bis zum Vollzug der „Gleichschaltung“ Mitte August 1933. Diese Einteilung ergibt sich aus der Informationslage sowie der Quantität und Qualität behördlicher Vorgaben für den Verein, die in jeder der drei Phasen entscheidende Veränderungen erfuhren. Auch die Beschlüsse und Handlungen der Vorstandschaft wiesen in jedem dieser Abschnitte deutliche Unterschiede auf. Die Untersuchung der „Gleichschaltung“ der Spielvereinigung Fürth kann auf der Basis einer ungewöhnlich breiten Quellenlage erfolgen. Empfehlungen und Verordnungen der übergeordneten Fußball- und Sportverbände sind im Fußballmagazin „Der Kicker“ dokumentiert, der zu dieser Zeit als Amtsblatt des Süd-
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deutschen Fußball- und Leichtathletikverbandes (SFLV) fungierte. Da alle dem Verband angehörenden Vereine zum Bezug des Magazins verpflichtet waren, kann dessen Kenntnisnahme durch die Verantwortlichen der Spielvereinigung vorausgesetzt werden, zumal in den Protokollen der Vorstandssitzungen mehrfach explizit auf Meldungen in „Der Kicker“ verwiesen wird. Die Entscheidungsfindung der Vorstandschaft kann anhand der Protokolle der Vorstands- und Verwaltungssitzungen7 des Vereins ebenso klar nachvollzogen werden, wie Aktenbestände der Stadtverwaltung Einblick in die behördlichen Vorgänge im Zuge der „Gleichschaltung“ der Fürther Sportvereine erlauben. Schließlich vermittelt die Berichterstattung der lokalen Tagespresse ein Bild von der Außendarstellung des Vereins. Die Vorgänge im SFLV können aufgrund der vollständigen Vernichtung des Archivs im Krieg leider nicht mehr rekonstruiert werden.8 Dabei wäre der Prozess der Entscheidungsfindung im Verband gerade deshalb interessant, da wesentliche Richtlinien jener Zeit unter maßgeblicher Mitwirkung der großen Vereine wie der Spielvereinigung Fürth zustande kamen. Überdies besaßen Entscheidungen der Landesverbände in der ersten Jahreshälfte 1933 eine größere Bedeutung für die Vereine als die des DFB. 2. Die „Gleichschaltung“ der Spielvereinigung Fürth 2.1. Erste Reaktionen auf die Machtergreifung
Das sportliche Leben der Spielvereinigung verlief nach dem 30. Januar 1933 zunächst in denselben gewohnten Bahnen wie zuvor und auch die Sitzungen der Vorstandschaft hatten nur die allgemeinen Geschäftsgänge zum Inhalt.9 Die Vereinsgremien maßen dem politischen Wandel in Deutschland wohl keine grundlegende Bedeutung bei, als die „nationalen Verbände“ im Februar bei der Spielvereinigung um die Nutzung des Sportplatzes nachsuchten: „Der 1. Vorsitzende teilt mit, daß er ein diesbezügliches Gesuch im Bürowege abschlägig beschieden
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Im Vereinsarchiv der Spielvereinigung Fürth befindet sich ein Protokollbuch, in dem alle Protokolle der Hauptversammlungen sowie der Vorstands- und Verwaltungssitzungen der Spielvereinigung Fürth zwischen dem 4. Februar 1930 und 14. März 1934 überliefert sind. Darüber hinaus sind bei der Spielvereinigung keine weiteren Aktenbestände aus der Zeit des „Dritten Reichs“ mehr vorhanden. Zwar wurde das Archiv der Spielvereinigung durch einen Bombentreffer am 21. Februar 1945 weitgehend zerstört, doch lässt die Existenz dieses unversehrten Protokollbuchs bei gleichzeitigem Abbruch aller anderen Überlieferungen für die Zeit danach Raum für Spekulationen. So könnten die vermeintlich belastenden Unterlagen aus der Zeit zwischen 1933 und 1945 auch nachträglich entfernt und vernichtet worden sein. Zu den Umständen der Zerstörung des Archivs SCHMIDT, Das Kleeblatt, 63. Mitteilung des Süddeutschen Fußball-Verbandes an den Verfasser, 8.6.2004. Vgl. VASF, Protokollbuch 1930–1934, Vorstandssitzungen vom 31.1.1933 und 17.2. 1933.
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habe. Die Gesamtversammlung billigt einstimmig das Vorgehen des 1. Vorsitzenden.“10 Auch die im Folgemonat stattfindende Hauptversammlung stand ganz im Zeichen sportlicher und wirtschaftlicher Fragen sowie ausführlicher Diskussionen.11 Die Neuwahlen des Präsidiums, die nach demokratischen Regeln abgehalten wurden, brachten zwar mit Hans Roll einen neuen Vorsitzenden an die Spitze des Vereins, doch hatte dieser bereits seit langen Jahren verschiedene Ämter im Vorstand der Spielvereinigung bekleidet. Die einzige politische Bezugnahme des Abends enthielt die Dankesrede des scheidenden Vorsitzenden Paul Sörgel, in der er auf gemeinsame Werte von Sport und Politik verwies: „Auch für die Spielvereinigung Fürth gelte die Parole der neuen Reichsregierung: Manneszucht und Vaterlandsliebe.“12 Nur kurze Zeit nach der Hauptversammlung der Spielvereinigung wurde der deutsche Fußball jedoch von der Politik eingeholt, als der DFB am 21. März den Verbänden in „Der Kicker“ empfahl, keine Arbeitersportvereine aufzunehmen.13 Die Spielvereinigung verstärkte nahezu zeitgleich die Kontrolle der Neuaufnahmen in den Verein. So sollten diese zukünftig zentral von der Vorstandschaft behandelt werden, ohne dass diese Aussage jedoch näher präzisiert wurde.14 Ob diese Maßnahme tatsächlich in Zusammenhang mit ehemaligen Arbeitersportlern stand, die sich um den Eintritt in bürgerliche Vereine bemühten, geht aus dem Protokoll nicht hervor und kann nur vermutet werden. Eine weitere Konzession der Spielvereinigung an die neuen politischen Verhältnisse bestand darin, die Frage der Beflaggung der Sportstätten neu zu regeln: „Bei größeren Veranstaltungen, als Spielen der 1. Mannschaft u. 1. Handballmannschaft erfolgt Beflaggung in den Reichsfarben schwarz-weiß-rot u. Hakenkreuz, den Landesfarben weiß-blau u. den Stadtfarben weiß-grün.“15
Die Hintergründe dieses Beschlusses sind aus dem Protokoll ebenfalls nicht ersichtlich. Somit kann erneut nur vermutet werden, dass diese Maßnahme einem Erlass des Reichspräsidenten über die vorläufige Regelung zur Flaggenhissung vom 12. März 1933 geschuldet war, demzufolge die schwarz-weiß-rote Fahne und die Hakenkreuzfahne gemeinsam zu hissen seien.16
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VASF, Protokollbuch 1930–1934, Vorstandssitzung vom 21.2.1933. Weder die Vorstands- und Verwaltungssitzungen im Umfeld der Hauptversammlung noch die Versammlung selbst thematisierten politische Problemstellungen. Vgl. VASF, Protokollbuch 1930–1934, Verwaltungssitzung vom 16.3.1933, Hauptversammlung vom 20.3.1993, Vorstandssitzung vom 24.3.1933 sowie Fortsetzung der Hauptversammlung vom 27.3.1933. Nordbayerische Zeitung, 21.3.1933. Vgl. Der Kicker, 21.3.1933, Nr. 12, 470. Vgl. VASF, Protokollbuch 1930–1934, Vorstandssitzung vom 28.3.1933. VASF, Protokollbuch 1930–1934, Vorstandssitzung vom 28.3.1933. Vgl. Reichsgesetzblatt 1933 I, 103.
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Insgesamt hatte die Spielvereinigung in den Monaten Februar und März kaum Anlass gesehen, sich über das klassische Aufgabenfeld eines Sportvereins hinaus mit Fragen der Politik zu beschäftigen. 2.2. Anpassung und Unsicherheit
Ab dem Frühjahr 1933 konnten sich die Vereine nicht länger auf sportliche Fragen beschränken, sondern mussten sich im zunehmenden Maße politischen Entscheidungen stellen. So erklärten die süddeutschen Spitzenvereine am 9. April anlässlich einer Sitzung in Stuttgart, auf der sie ursprünglich eine Reform des Spielsystems beraten wollten, „daß es durch die Zeitverhältnisse bedingt sei, andere, wichtigere Fragen als das Spielsystem zu besprechen“.17 Als Ergebnis der Aussprache bekannten sich die Vereine, unter ihnen auch die Spielvereinigung Fürth, zu den sportpolitischen Zielsetzungen der Reichsregierung und erklärten ihre Bereitschaft zur bedingungslosen Mitarbeit bei deren Umsetzung: „Sie [die Vereine] sind gewillt, in Fülle dieser Mitarbeit alle Folgerungen, insbesondere in der Frage der Entfernung der Juden aus den Sportvereinen zu ziehen. Sie betrachten es ferner als vaterländische Pflicht, den Wehrsport in ihr Jugenderziehungsprogramm aufzunehmen.“18
Die Vorstandschaft der Spielvereinigung billigte zwar die in „Der Kicker“ veröffentlichte Resolution „betreff ‚Arierparagraph‘“,19 doch sollten vor dessen Umsetzung die entsprechenden Richtlinien des DFB abgewartet werden.20 Die Einführung des „Arierparagraphen“ bei der Spielvereinigung wurde auf den Vorstandssitzungen der nächsten Wochen21 nicht weiter thematisiert, da die erwarteten Richtlinien des DFB ausblieben und ein anderes Problem von viel größerer Bedeutung für den Gesamtverein, und insbesondere seine Jugendarbeit, die Aufmerksamkeit der Vorstandschaft erforderte. Die Einführung des Wehrsports war in der Resolution der süddeutschen Vereine vom 9. April noch unbestimmt als „vaterländische Pflicht“ bezeichnet worden, während eine gleichzeitig in Hannover stattfindende Vorstandssitzung des DFB in dieser Frage bereits konkrete Richtlinien erarbeitete. Der Zweck des Wehrsports wurde ebenfalls klar formuliert:
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Der Kicker, 11.4.1933, Nr. 15, 565. Der Kicker, 11.4.1933, Nr. 15, 565. – Möglicherweise stand die Diskussion um die Einführung des „Arierparagraphen“ bei den Spitzenvereinen in Zusammenhang mit der zwei Tage zuvor erfolgten Verkündung des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, das den „Arierparagraphen“ im Bereich des öffentlichen Dienstes etabliert hatte. VASF, Protokollbuch 1930–1934, Vorstandssitzung vom 11.4.1933. Vgl. VASF, Protokollbuch 1930–1934, Vorstandssitzung vom 11.4.1933. Vgl. VASF, Protokollbuch 1930–1934, Vorstandssitzungen vom 25.4.1933 und 9.5.1933 sowie Verwaltungssitzung vom 11.5.1933.
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„Die Jugend soll nicht nur körperlich und seelisch zum Einzelmenschen, sondern noch stärker als bisher zum Mannschaftsgeist, zur Kameradschaft, zur Disziplin und zur Wehrhaftigkeit erzogen werden.“22
Die Bedeutung der vom DFB erlassenen23 und durch den SFLV zwei Wochen später noch präzisierten Richtlinien lag für die Spielvereinigung in der Bestimmung begründet, dass Jugendliche nur noch dann in den Jugendmannschaften Fußball spielen durften, wenn sie zuvor erfolgreich die Leistungsprüfungen des Wehrsports absolviert hatten.24 Die Inkraftsetzung dieser Regelung bereits zu Beginn der neuen Saison am 1. August 193325 rückte die Sicherung der Nachwuchsarbeit durch die Einführung des Wehrsports in das Zentrum der Aktivitäten der Vorstandschaft.26 Im Zug der Verwaltungssitzung vom 11. Mai 1933 wurden nicht nur die organisatorischen und personellen Voraussetzungen zur Einführung des Wehrsports endgültig geschaffen, sondern auch die „Judenfrage“27 wieder aufgegriffen, die zwischenzeitlich zugunsten des Wehrsports in den Hintergrund gerückt war: „Nach eingehender Aussprache wird beschlossen, die noch nicht ausgetretenen jüdischen Mitglieder infolge der Übernahme des Arierparagraphen aus den Mitgliederlisten zu streichen.“28
Darüber hinaus wurde die Kontrolle der einzelnen Abteilungen der Spielvereinigung weiter verstärkt, die nun namentliche Mitgliederlisten ihrer Abteilungen bei der Vorstandschaft einreichen mussten.29 Auch wenn der SFLV und der DFB als übergeordnete Verbände den Vereinen bei der Einführung des Wehrsports eindeutige und präzise Richtlinien an die Hand gegeben hatten, war dies auf anderen Gebieten jedoch nicht die Regel. So bestanden Anfang Mai weder genaue Vorgaben zum Umgang mit ehemaligen Arbeitersportlern noch hinsichtlich des Ausschlusses der Juden aus den Vereinen. Der Vorsitzende der Spielvereinigung beklagte deshalb auch mehrfach die
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Der Kicker, 11.4.1933, Nr. 15, 565. Vgl. Der Kicker, 11.4.1933, Nr. 15, 565f. Vgl. Der Kicker, 3.5.1933, Nr. 18, 696f. Vgl. Der Kicker, 3.5.1933, Nr. 18, 696f. Vgl. VASF, Protokollbuch 1930–1934, Vorstandssitzungen vom 25.4.1933 und 9.5.1933. VASF, Protokollbuch 1930–1934, Verwaltungssitzung vom 11.5.1933. VASF, Protokollbuch 1930–1934, Verwaltungssitzung vom 11.5.1933. Vgl. VASF, Protokollbuch 1930–1934, Verwaltungssitzung vom 11.5.1933. – Der genaue Hintergrund dieser Maßnahme ist nicht ersichtlich. Wahrscheinlich dürfte sie dem zunehmenden Auskunftszwang des Vereins gegenüber den Behörden und Sportverbänden, beispielsweise hinsichtlich der Erfassung der Jugend für den Wehrsport, geschuldet sein, der eine aktuelle, vollständige und detaillierte Übersicht über den Mitgliederstand erforderte. Ob die angeforderten Mitgliederlisten überdies auch der Erfassung der jüdischen Mitglieder in Hinblick auf die Durchführung des „Arierparagraphen“ dienten, muss reine Spekulation bleiben.
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herrschende Unsicherheit aufgrund des Fehlens staatlicher Richtlinien in sportpolitischen und organisatorischen Fragen.30 Die Vereine waren bei ihren Bemühungen zur Einschätzung des Willens der neuen Sportführung weitgehend auf sich allein gestellt, da auch die Verantwortlichen in den übergeordneten Verbänden selbst ungewiss in die Zukunft blickten. Erst mit der Ernennung des neuen Reichssportkommissars Hans von Tschammer und Osten am 29. April 1933 kam es von offizieller Seite zu ersten, allerdings sehr allgemein gehaltenen Stellungnahmen hinsichtlich einer organisatorischen Neuordnung des Sports. Zunächst erfolgten diese in Form von unverbindlichen Interviews des Reichssportskommissars, die in der Sportpresse veröffentlicht wurden. Am 24. Mai 1933 erließ Tschammer schließlich „Richtlinien für den Neuaufbau des deutschen Sports“, die eine Zentralisierung des Sportsystems und die Schaffung hierarchischer Strukturen unter Einführung des „Führerprinzips“ vorsahen.31 Neben den Verlautbarungen des neuen Reichssportkommissars stellten Gerüchte und Meldungen aus zweiter Hand, die vielfach von Meinungsäußerungen nicht autorisierter Personen herrührten, eine wesentliche Quelle der Information dar. So zitierte der Vorsitzende der Spielvereinigung auf der Verwaltungssitzung am 11. Mai einen Artikel des „Fränkischen Kuriers“, demzufolge die Spitze der Vereine zukünftig „mit einem langjährigen Mitglied der Partei NSDAP“32 zu besetzen sei. Die Vorstandschaft teilte weiter mit, dass sie bereits Anstrengungen unternommen habe, „um ev. durch Herren aus unseren eigenen Reihen die Angelegenheit zum Besten des Vereins zu lösen“.33 Der erste Vorsitzende der Spielvereinigung, Hans Roll, muss der Meldung im „Fränkischen Kurier“ so hohen Wahrheitsgehalt beigemessen haben, dass er sich bis zur nächsten Vorstandssitzung am 15. Mai zu einem schweren Schritt entschloss: „Herr Wolfsgruber [der Ehrenvorsitzende der Spielvereinigung] bringt einen Brief des 1. Vorsitzenden zur Verlesung, in dem dieser ersucht, seinen Posten durch eine geeignete politische Person zu besetzen und ihm den Rücktritt zu gestatten. Hr. Wolfsgruber schlägt vor, über das Schreiben zur Tagesordnung überzugehen und abzuwarten, bis wirklich eingegriffen werden sollte. Einstimmige Zustimmung!“34
Die Protokolle aus dieser Phase der Anpassung und Unsicherheit vermitteln insgesamt ein widersprüchliches Bild. Einerseits blickte man ungewiss und mit Sorge um die Zukunft des Vereins auf die sich abzeichnende organisatorische Neuordnung des deutschen Sports. Andererseits beklagte der Vorsitzende der Spielvereinigung mehrfach das vollständige Fehlen staatlicher Richtlinien zu den 30 31 32 33 34
Vgl. VASF, Protokollbuch 1930–1934, Vorstandssitzung vom 9.5.1933 und Verwaltungssitzung vom 11.5.1933. Vgl. BERNETT, Die nationalsozialistische Sportführung, 8f. VASF, Protokollbuch 1930–1934, Verwaltungssitzung vom 11.5.1933. VASF, Protokollbuch 1930–1934, Verwaltungssitzung vom 11.5.1933. VASF, Protokollbuch 1930–1934, Vorstandssitzung vom 15.5.1933.
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noch offenen Fragen der Umgestaltung. Der Wunsch nach einem Ende der Unsicherheit scheint somit die Angst vor den damit einhergehenden Konsequenzen überwogen zu haben. 2.3. Der Vollzug der „Gleichschaltung“
Der Monat Juni stellte für die Spielvereinigung eine Phase der Ruhe dar, da das Ringen um die „Gleichschaltung“ des DFB und den Fortbestand der Landesverbände diese so sehr beanspruchte, dass von ihrer Seite keine Richtlinien an die Vereine ergingen. So konnte man sich bei der Spielvereinigung der Lösung der Fragen widmen, die aus den Beschlüssen der letzten Wochen herrührten. Der Verein hatte Mitte Juni den in der Verwaltungssitzung vom 11. Mai gefassten Beschluss zur Streichung der jüdischen Mitglieder noch nicht umgesetzt, als sich in der Vorstandssitzung vom 14. Juni eine neue Sachlage ergab: „Betreff der Arierfrage wird auf die Ausführungen des Reichssportkommissars verwiesen u. eine Entscheidung zurückgestellt.“35 Dieser hatte tags zuvor anlässlich des Endspiels um die Deutsche Fußballmeisterschaft in einer Grundsatzrede die Neuordnung des deutschen Fußballsports skizziert und sich auch zum Umgang mit den Juden im Sport geäußert: „Die Arierfrage wird in aller Ruhe gelöst werden. Sie hat einen Charakter [...] der nicht uninteressant ist. [...] Daher heiße es hier: Geduld und nichts überstürzen.“36 Im weiteren Verlauf der Sitzung wurde die Frage der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft an einen prominenten Nationalsozialisten behandelt: „Herr Roll erstattet Bericht über den Vorschlag des 3. Bürgermeisters Schied, den früheren Spieler und jetzigen Reichstagsabgeordneten Hr. Forster zum Ehrenmitglied zu ernennen. Dem Vorschlag wird einstimmig beigetreten. In einer Hauptversammlung Anfang Juli soll die Ehrung erfolgen.“37
Ende Juni herrschte bei der Spielvereinigung zwar noch immer keine Klarheit hinsichtlich der organisatorischen Neuordnung des deutschen Fußballs, jedoch 35 36 37
VASF, Protokollbuch 1930–1934, Vorstandssitzung vom 14.6.1933. Der Kicker, 13.6.1933, Nr. 24, 926. VASF, Protokollbuch 1930–1934, Vorstandssitzung vom 14.6.1933. – Die weiteren Hintergründe der geplanten Verleihung der Ehrenmitgliedschaft der Spielvereinigung an den Gauleiter von Danzig, Albert Forster, der in Fürth geboren war und vor seiner Berufung auf den Posten des Gauleiters die Ortsgruppe Fürth der NSDAP gegründet und geleitet hatte, bleiben unklar. Ging der Anstoß zu diesem Vorgang tatsächlich vom 3. Bürgermeister und NSDAP Mitglied Heinrich Schied aus, der durch die Ehrenmitgliedschaft etwa seinen früheren Weggefährten auszeichnen wollte? Oder war die Ernennung Forsters zum Ehrenmitglied auf Initiative der Spielvereinigung hin erfolgt, wobei Schied lediglich den Kontakt zu Forster herstellte? Sollte die Ernennung des prominentesten Nationalsozialisten mit Fürther Lokalbezug die elegante Lösung der in der Vorstandssitzung vom 11. Mai thematisierten Zeitungsmeldung darstellen, wonach an der Spitze des Vereins „ein langjähriges Mitglied der Partei NSDAP“ zu stehen habe? Schließlich hatte die Vorstandschaft in derselben Sitzung mitgeteilt, in dieser Angelegenheit „bereits Anstrengungen“ unternommen zu haben.
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traf man für den Fall des Eintreffens neuer Richtlinien bereits organisatorische Vorbereitungen: „Da die gesamte Regelung in den Sportverbänden in nächster Zeit zu erwarten ist, wird dem 1. Vors. überlassen, zu geeigneter Zeit die Verwaltungssitzung einzuberufen.“38 Tatsächlich standen einschneidende Veränderungen unmittelbar bevor, denn bereits am 23. Juni 1933 hatte der „Beauftragte des Reichssportkommissars bei der Regierung für Ober- und Mittelfranken“39 Georg Linsenmeyer ein Schreiben an den Fürther Stadtrat betreffs der „Gleichschaltung aller Turn- und Sportvereine“ gerichtet.40 Linsenmeyer erläuterte kurz den prinzipiellen Überwachungsauftrag, den ihm der Reichssportführer übertragen habe und betonte den eigentlichen Zweck der Kontrolle: „Vor allem dürfen in den Vorständen der Vereine nur noch solche Leute sitzen, welche die entsprechende Einstellung zur nationalen Regierung auch tatsächlich besitzen.“41 Dem Schreiben war der Entwurf eines Fragebogens beigelegt, mit dem neben allgemeinen statistischen Angaben auch die Gesamtstärke des Vereins und die Zahl jüdischer Vereinsmitglieder erfasst werden sollte. Überdies mussten Auskünfte zum Wehrsport im Verein erteilt und die Zusammensetzung der Vorstandschaft genau aufgeschlüsselt werden. Hierbei sollte neben der Nennung von Namen, Alter, Beruf und anderen Daten der Vorstandsmitglieder auch deren Zugehörigkeit zu politischen Parteien einschließlich des Eintrittsdatums in dieselben benannt werden. Die Stadt Fürth wurde ersucht, allen Vereinen, die Sport und Leibesübungen im weiteren Sinne betrieben, diesen Fragebogen zukommen zu lassen. „Da die Gleichschaltung der Vereine umgehend erfolgen soll, hat der Landeskommissar Vollzugstermin bis spätestens 8. Juli angesetzt. Ersuche darum mir bis spätestens 5. Juli die ausgefüllten Fragebögen zusenden zu wollen.“42
Die Stadt reagierte prompt und ließ den Vereinen am 27. Juni ein Schreiben mit dem Fragebogen als Anlage zukommen, das inhaltlich an den Brief des Bezirksbeauftragten angelehnt war, jedoch nicht den Zweck der Maßnahme, die beabsichtigte „Gleichschaltung“ der Vereine, benannte.43 38 39
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VASF, Protokollbuch 1930–1934, Vorstandssitzung vom 27.6.1933. Die Ernennung von Beauftragten des Reichssportkommissars war von diesem in den Richtlinien zum Neuaufbau des deutschen Sports angekündigt worden. Die den Regierungen in den Ländern, Regierungsbezirken, Kreisen und anderen Gebietskörperschaften beigeordneten Beauftragten sollten die Durchführung der Richtlinien des Reichssportkommissars überwachen und hatten überdies „darauf zu achten, daß an der Spitze der Turn- und Sportvereine geeignete Führer stehen“. Der Kicker, 30.5.1933, Nr. 22, 846. Schreiben des Beauftragten des Reichssportkommissars bei der Regierung für Ober- und Mittelfranken vom 23.6.1933, betr.: Gleichschaltung aller Turn- und Sportverbände, Stadtarchiv Fürth (StadtAFü) 5/424. StadtAFü 5/424. StadtAFü 5/424. Schreiben des Fürther Stadtrates vom 27.6.1933, betr.: Turn- und Sportvereine, StadtAFü 5/424.
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Die Spielvereinigung kam in ihrer Antwort vom 3. Juli gewissenhaft ihrer Pflicht zur Auskunft nach, indem sie nicht nur den ausgefüllten Fragebogen, sondern auch eine Anlage zurücksandte, in der sie ihre Haltung zur „Judenfrage“ erläuterte: „Durch unsere Stellungnahme in der Judenfrage sind die meisten Juden freiwillig aus unserem Verein ausgetreten. Von den noch nicht ausgeschiedenen Juden sind vom Zeitpunkt der nationalen Revolution keine Vereinsbeiträge mehr abverlangt worden. Um die Angelegenheit endgültig zu einer vollen Klärung bringen zu können, müssen die demnächst erscheinenden Richtlinien des Herrn Reichssportkommissars abgewartet werden.“44
Trotz der in der Anlage erwähnten zahlreichen Vereinsaustritte zählte die Spielvereinigung zu diesem Zeitpunkt noch 42 jüdische Mitglieder,45 was bei einer Gesamtstärke des Vereins von 963 Personen einem Anteil von 4,4 Prozent entsprach.46 Die Aufstellung der Mitglieder der Vorstandschaft und der Verwaltung zeichnete ein klares Bild von der politischen Grundhaltung des Vereins.47 So gehörte die Hälfte des zehnköpfigen Vorstands der NSDAP an, während die anderen fünf Mitglieder parteilos waren. Hinsichtlich des ersten Vorsitzenden Roll und des Ehrenvorsitzenden Wolfsgruber wurde in der Aufstellung ausdrücklich betont, dass diese „immer parteilos“48 gewesen waren. Von den 16 Angehörigen der Verwaltung gehörten ebenfalls fünf Personen der NSDAP und zwei weitere anderen Gliederungen der Partei an. Alle Parteimitglieder aus Vorstandschaft und Verwaltung zählten ausnahmslos zu den „Märzgefallenen“,49 die im Zeitraum zwischen März und Mai 1933 der Partei beigetreten waren. Auch wenn der Beauftragte des Reichssportkommissars in seinem Schreiben an die Fürther Stadtverwaltung Ende Juni dargelegt hatte, dass die „Gleichschaltung der Vereine umgehend erfolgen soll“,50 und die Stadt die eingegangenen
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Fragebogen über die Zusammensetzung der Mitglieder und der Vorstandschaft, bearbeitet von der SpVgg Fürth am 3.7.1933, Anlage: Jüdische Mitglieder, StadtAFü 5/424. Fragebogen über die Zusammensetzung der Mitglieder und der Vorstandschaft, bearbeitet von der SpVgg Fürth am 3.7.1933, StadtAFü 5/424. Zur Gesamtstärke des Vereins vgl. StadtAFü 5/424. Somit lag der Anteil jüdischer Mitglieder in der Spielvereinigung noch im Sommer 1933 höher als der jüdische Anteil an der Gesamtbevölkerung Fürths (2,6 Prozent). Die Zahl der jüdischen Mitglieder der Spielvereinigung vor Beginn der Repressionen im Jahr 1933 kann nicht mehr rekonstruiert werden. Vgl. Fragebogen über die Zusammensetzung der Mitglieder und der Vorstandschaft, bearbeitet von der SpVgg Fürth am 3.7.1933, Anlage: Vorstandschaft, StadtAFü 5/424. StadtAFü 5/424. Dazu FALTER, Die „Märzgefallenen“ von 1933. Schreiben des Beauftragten des Reichssportkommissars bei der Regierung für Ober- und Mittelfranken vom 23.6.1933, betr.: Gleichschaltung aller Turn- und Sportverbände, StadtAFü 5/424.
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Fragebögen bereits am 5. Juli an Linsenmeyer weitergeleitet hatte,51 folgten zunächst keine diesbezüglichen Maßnahmen. Erst nach der „Gleichschaltung“ des DFB und der Schaffung der Sportgaue im Verlauf des Monats Juli ergingen am 24. Juli detaillierte Anweisungen des neuernannten Gauführers Paul Flierl52 an die Vereine im Sportgau XVI (Bayern): „Die Vereine des Gaues XVI (Bayern) im DFB werden hiermit aufgefordert, im Laufe des Monats August 1933 die Umstellung auf das Führerprinzip (Gleichschaltung) vorzunehmen. [...] Die Mitgliederversammlung muß den Vereinsführer ermächtigen, die Vereinssatzungen zu ändern und alle personellen und sachlichen Maßnahmen zu treffen, die zur Eingliederung (Umstellung) des Vereins in das Programm des DFB. des Gaues XVI notwendig sind. [...] Der Gauführer erwartet, daß sich die Versammlungen im Sinne des im nationalsozialistischen Staate geeinigten Sportes abwickeln.“53
Die Vorstandschaft der Spielvereinigung reagierte unverzüglich und bestimmte noch am selben Tag, an dem die Anordnung in „Der Kicker“ erschienen war, den Termin für die „Gleichschaltungsversammlung“ sowie eine vorbereitende Verwaltungssitzung.54 Im Rahmen dieser Verwaltungssitzung wurde nicht nur die Ernennung Albert Forsters zum Ehrenmitglied einstimmig bestätigt und der Ehrenvorsitzende Wolfsgruber als neuer Vereinsführer vorgeschlagen, sondern auch die „Judenfrage“ endgültig geregelt: „Hr. Roll unterrichtet die Verwaltung von dem Vollzug der verw.-Sitzung v. 11.V.33 beschlossenen [sic] Durchführung des Arierparagraphen. Zu dieser Angelegenheit teilt er gleichzeitig mit, daß Hr. Kom-Rat [Heinrich] Morgenstern die Ehrenförderschaft d. Sp.-Vg. niedergelegt hat. Betreff der Halbjuden wird die Durchführung der neuen Führung überlassen.“55
Die außerordentliche Hauptversammlung am 14. August 1933 „im festlich geschmückten Vereinsheim der Spielvereinigung“,56 an der auch Vertreter der 51 52
53 54
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Schreiben des Fürther Stadtrates vom 5.7.1933, betr.: Gleichschaltung aller Turn- und Sportvereine, StadtAFü 5/424. Mit Paul Flierl war der Vorsitzende des SFLV, dessen Auflösung zu diesem Zeitpunkt bereits feststand, zum Gauführer des Sportgaus XVI ernannt worden. Die Weiterverwendung des vielfach persönlich geschätzten Funktionärs des ehemaligen Verbandes dürfte von den Vereinen auch als Zeichen der Kontinuität in der Phase des Umbruchs wahrgenommen worden sein. – Zu Flierl HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 409 Anm. 134. Der Kicker, 25.7.1933, Nr. 30, 1162. Vgl. VASF, Protokollbuch 1930–1934, Vorstandssitzung vom 25.7.1933. – Die „Gleichschaltungsversammlung“ wurde hier für den 5. August anberaumt, doch verschob sich dieser Termin in der Folgezeit noch mehrfach, ohne dass die Gründe für diese Verzögerung ersichtlich sind. VASF, Protokollbuch 1930–1934, Verwaltungssitzung vom 31.7.1933. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich hierbei um den Königlichen Kommerzienrat Heinrich Morgenstern (1896–1944). Dazu TREML/WEIGAND, Geschichte, 134 Anm. 32. Nordbayerische Zeitung, 16.8.1933.
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Kreisleitung der NSDAP und des Stadtrats teilnahmen,57 stand ganz im Zeichen der Integration der Spielvereinigung in das „Dritte Reich“: „Harmonisch vereinte der äußere Rahmen die Symbole des neuen Reiches mit den Ruhmeswimpeln und Preisen einer dreißigjährigen Vereinstradition.“58 Zu Beginn „der Versammlung, die in 1½ Stunden in all ihren Teilen glatt abgewickelt wurde“,59 legte die Vorstandschaft den Anwesenden ihren Geschäftsbericht zur Abstimmung vor. „In der Angelegenheit ‚Durchführung des Arierparagraphen‘ sanktioniert die Versammlung einstimmig das Vorgehen der Verwaltung und Vorstandschaft. Damit sind Juden von der Mitgliedschaft in der Spielvereinigung ausgeschlossen.“60
Auch in der Frage der Ernennung Albert Forsters zum Ehrenmitglied der Spielvereinigung war keine Aussprache vonnöten: „Nach eingehender Begründung des 1. Vorsitzenden, der die sportlichen und vaterländischen Verdienste des zu ehrenden in trefflichen Worten beleuchtet, erfolgt unter weihem [sic] Beifall einstimmige Annahme des Antrags.“61
Die Führerwahl und die sich hieran anschließende „Gleichschaltung“ bildeten den Schlusspunkt der Veranstaltung. Nachdem Michael Wolfsgruber zum neuen Vereinsführer der Spielvereinigung gewählt worden war, genehmigte die Versammlung ebenfalls einstimmig das „Ermächtigungsgesetz“,62 mit dem die „Gleichschaltung“ der Spielvereinigung vollzogen wurde. Im Zug der „einstimmigen Bestätigung der weiteren Vorstands- und Verwaltungsposten“63 wurde Hans Pfeiffer64 als geschäftsführendem Vorsitzenden die eigentliche Leitung der Spielvereinigung übertragen, bevor der neue Vereinsführer die Teilnehmer der „Gleichschaltungsversammlung“ verabschiedete: „Herr Wolfsgruber, der nunmehrige Führer, übernimmt stürmisch begrüßt den Vorsitz und verspricht, seine ganze Person einzusetzen zum Wohl der Spielvereinigung und des deutschen Vaterlandes. Im Deutschlandlied bekennt sich die ganze Versammlung zu diesem Treueschwur. Mit einem dreifachen ‚Sieg-Heil‘ auf 57 58 59 60 61 62
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Vgl. VASF, Protokollbuch 1930–1934, Außerordentliche Hauptversammlung vom 14.8.1933. Nordbayerische Zeitung, 16.8.1933. Nordbayerische Zeitung, 16.8.1933. VASF, Protokollbuch 1930–1934, Außerordentliche Hauptversammlung vom 14.8.1933. VASF, Protokollbuch 1930–1934, Außerordentliche Hauptversammlung vom 14.8.1933. VASF, Protokollbuch 1930–1934, Außerordentliche Hauptversammlung vom 14.8.1933. – Der Wortlaut des „Ermächtigungsgesetzes“ war fast identisch mit der Anordnung des Gauführers vom 25. Juli, in der Zweck und Inhalt der „Gleichschaltung“ der Vereine umrissen wurden. – Die Verabschiedung eines „Ermächtigungsgesetzes“ ist auch in der Geschichte der „Gleichschaltung“ des 1. FC Kaiserslautern überliefert. In diesem Verein datiert sie bereits auf den 21. April 1933; dazu HERZOG, Der „Betze“ unterm Hakenkreuz, 76; sowie Beitrag HERZOG, in diesem Band S. 84. VASF, Protokollbuch 1930–1934, Außerordentliche Hauptversammlung vom 14.8.1933. Das langjährige Vereinsmitglied Pfeiffer hatte bereits im Jahr 1923 das Amt des zweiten Vorsitzenden bekleidet. Vgl. WUNSCHEL, 50 Jahre SpVgg Fürth, 25.
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den Reichspräsidenten Feldmarschall Hindenburg, unseren Volkskanzler Adolf Hitler und unserem deutschen Vaterland [sic] und dem Horst-Wessel-Lied erreichte die Versammlung einen weihevollen Abschluß.“65
Mit der „Gleichschaltung“ der Spielvereinigung war der Prozess ihrer Einordnung in das nationalsozialistische Sportsystem abgeschlossen und die Tagesordnung des Vereins wurde wieder fast ausschließlich von sportlichen Fragen bestimmt. 3. Ergebnisse Die im Protokoll der „Gleichschaltungsversammlung“ dargestellte Geradlinigund Zielstrebigkeit des Vereins auf dem Weg zur „Gleichschaltung“ unterscheidet sich deutlich von der aufgezeigten Langwierigkeit und Vielschichtigkeit, mit der sich dieser Prozess tatsächlich vollzog. Dieser Widerspruch führt auf die eingangs gestellte Frage zurück, welche autonomen Entscheidungsspielräume der Verein im Lauf dieses Prozesses besaß und wie er diese zu nutzen wusste. Bevor jedoch eine Antwort auf diese Frage möglich ist, soll der Blick auf die mit ihr verbundenen Einzelfragen geworfen werden. Hinsichtlich des Anteils von Freiwilligkeit und Zwang bei den Schritten zur „Gleichschaltung“ fällt auf, dass die Spielvereinigung dem politischen Wandel zunächst wenig Bedeutung beimaß und aus ihm keine Notwendigkeit zu einer Änderung der Vereinspolitik ableitete. Zwischen April 1933 und der „Gleichschaltung“ des Vereins zeigt sich ein widersprüchliches Bild. Einerseits rechnete man mit einer umwälzenden Neuordnung des Sportsystems und erwartete, mitunter ungeduldig, die entsprechenden Anweisungen. Andererseits betrachtete man diese Entwicklungen mit großer Sorge hinsichtlich der Zukunft des Vereins. Erklärungen zum Ausschluss der Juden wurden zu einem Zeitpunkt verabschiedet, als deren gesellschaftliche Ausgrenzung zwar schon sichtbar geworden war, aber diesbezüglich noch keinerlei sportpolitische Vorgaben bestanden. Allerdings blieben diese Absichtserklärungen zunächst ohne praktische Konsequenzen, da der Ausschluss der jüdischen Mitglieder erst mit der „Gleichschaltung“ aktiv vollzogen wurde. Sämtliche Anordnungen der Behörden und Verbände wurden von der Spielvereinigung stets zeitnah und vollständig umgesetzt. Teilweise wurden die entsprechenden Beschlüsse noch an dem Tag getroffen, an dem diesbezügliche Vorgaben in „Der Kicker“ veröffentlicht worden waren. Die Entscheidungen und Beschlüsse der Vorstandschaft konnten, mit Ausnahme der Einführung des Wehrsports, fast über den gesamten Betrachtungszeit65
VASF, Protokollbuch 1930–1934, Außerordentliche Hauptversammlung vom 14.8.1933. Der pathetische Verlauf der Versammlung und dessen blumige Darstellung im Protokoll mag der Anwesenheit der Vertreter der NSDAP und des Stadtrats geschuldet sein oder in dem Umstand begründet liegen, dass das Protokoll der „Gleichschaltungsversammlung“ dem Kreisführer (unterste Verwaltungsebene des Sportgaus) vorgelegt werden musste. Vgl. Der Kicker, 25.7.1933, Nr. 30, 1162.
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raum hinweg nicht auf der Basis einer soliden Informationslage getroffen werden. Vielmehr bestimmten Gerüchte, Mutmaßungen und unautorisierte Äußerungen maßgeblich die Vereinspolitik. Erst im unmittelbaren Vorfeld der „Gleichschaltung“ konkretisierten sich die offiziellen Verlautbarungen und mündeten dann innerhalb kurzer Zeit in genaue inhaltliche Vorgaben, wie die „Gleichschaltung“ durchzuführen sei. Die dritte Teilfrage nach den Motiven der Beteiligten ist am interessantesten, aber auch zugleich am schwierigsten zu beantworten. Aus dem Ablauf der Ereignisse lässt sich zum einen erkennen, dass die Vorstandschaft der Spielvereinigung die nationalsozialistische Einflussnahme auf den Verein nicht aktiv bejaht und vorangetrieben hat. Hierfür sprechen nicht nur die Distanz zu den „nationalen Verbänden“ im Februar 1933 und der Verzicht auf die zügige Umsetzung des Ausschlusses jüdischer Mitglieder, sondern auch die Anfertigung eines sehr wohlwollenden Empfehlungsschreibens für den dem jüdischen Glauben angehörenden ehemaligen Spieler Julius Hirsch im Mai 1933.66 Des Weiteren wurde die „Gleichschaltung“ des Vereins erst dann vollzogen, als diese unumgänglich geworden war. Auch die Zahl der NSDAP-Mitglieder in Vorstand und Verwaltung sowie ihr Parteieintritt erst nach der Machtergreifung weisen in diese Richtung. Im Gegensatz zu dieser abwartenden und mitunter auch ablehnenden Haltung wurden andere Beschlüsse ohne Zwang antizipiert sowie Anweisungen von Behörden und Verbänden schnell und konsequent umgesetzt, sodass im Ergebnis die „Gleichschaltung“ der Spielvereinigung mit Unterstützung der Vorstandschaft problemlos möglich wurde. Dieser Widerspruch, wie auch der gesamte Verlauf der „Gleichschaltung“ des Vereins lässt sich mit der Verunsicherung der Verantwortlichen ab April 1933 erklären, die sich auch in der Diktion der Protokolle niederschlägt. Ab diesem Zeitpunkt paarten sich die Gewissheit einer bevorstehenden massiven Umgestaltung des Fußballs und des Vereins mit einer fast völligen Ungewissheit darüber, welchen Inhalt und welchen Umfang diese umfassen würde. Der Hauptantrieb der Vorstandschaft bestand nun darin, die sportliche Zukunft des Vereins auch unter den noch unklaren Bedingungen des Nationalsozialismus sicherzustellen. Diese pragmatische Haltung wird angesichts des biographischen Hintergrundes der Vorstandsmitglieder verstehbar, die in der Spielvereinigung vielfach ihr Lebenswerk sahen. Sie waren in ihrer übergroßen Mehrheit vor 1890 geboren67 und hatten den sportlichen Aufstieg der Spielvereinigung seit 1914 bewusst erlebt und aktiv mitgestaltet. Der Ehrenvorsitzende und spätere „Vereinsführer“ Wolfsgruber zählte schließlich zu den Gründungsmitgliedern des Vereins.68 In der Zusammenschau zeigt die Entwicklung der Spielvereinigung Fürth im Frühjahr und Sommer 1933, dass der Verein bis in das unmittelbare Vorfeld der „Gleichschaltung“ hinein große autonome Handlungsspielräume besaß. Diese 66 67 68
Vgl. SKRENTNY, Julius Hirsch, 166. Vgl. Fragebogen über die Zusammensetzung der Mitglieder und der Vorstandschaft, bearbeitet von der SpVgg Fürth am 3.7.1933, Anlage: Vorstandschaft, StadtAFü 5/424. Vgl. WUNSCHEL, 50 Jahre SpVgg Fürth, 17.
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beinhalteten alle Entscheidungsfelder mit Ausnahme der Einführung des Wehrsports, der aus herrschaftstechnischen Gründen der Sturm-Abteilung (SA) der NSDAP übertragen wurde.69 Diese Freiräume wurden in einem weiten, aber nicht maximalen Umfang ausgeschöpft, wobei auffällt, dass insbesondere hinsichtlich des Umgangs mit jüdischen Mitgliedern eine deutliche Diskrepanz zwischen der Fassung und der Umsetzung von Beschlüssen bestand. So unterzeichnete die Spielvereinigung ohne äußeren Zwang im April 1933 die Resolution der süddeutschen Vereine und beschloss im Mai, die jüdischen Mitglieder aus dem Verein zu entfernen. Allerdings erfolgte die Umsetzung dieser Beschlüsse keineswegs konsequent und mit sofortiger Wirkung. Vielmehr wies die Spielvereinigung noch im Juli 1933 gegenüber den Behörden drauf hin, dass man in dieser Frage warten wolle, bis entsprechende Richtlinien vorlägen. Die Hintergründe dieser lavierenden Haltung können aus den zur Verfügung stehenden Quellen nicht nachvollzogen werden. So wäre es denkbar, dass man sich auf Seiten des Vereins nicht durch ein voreiliges Handeln exponieren wollte. Möglicherweise bestand das Interesse der Vorstandschaft aber auch darin, im Schutz unverbindlicher Bekenntnisse den Ausschluss langjähriger Sportkameraden und Gönner so lange hinauszuzögern, bis dieser unausweichlich schien. Die aufgezeigten Handlungsspielräume eröffneten allerdings nur den Weg zu einer Hinauszögerung der „Gleichschaltung“, nicht aber zu deren Umgehung. In Anbetracht der Zugriffsmöglichkeiten der Verbände mittels der Sportgerichtsbarkeit sowie der Weisungsmacht des Reichssportkommissars und der ihm unterstehenden Behörde war die „Gleichschaltung“ letztendlich unvermeidbar, sofern der Vorstand nicht die Teilnahme des Vereins am Spielbetrieb oder gar seinen Fortbestand gefährden wollte. Quellen und Literatur Archive Stadtarchiv Fürth (StadtAFü) 5/424, Gleichschaltung aller Turn- und Sportvereine. Vereinsarchiv Spielvereinigung Fürth (VASF), Protokollbuch 1930–1934.
Periodika Der Kicker. Nordbayerische Zeitung. Reichsgesetzblatt.
Literatur BERNETT, HAJO: Die nationalsozialistische Sportführung und der Berufssport, in: Sozialund Zeitgeschichte des Sports 4 (1990), Nr. 1, 7–34. 69
Dazu EISENBERG, „English sports“, 392f., vgl. ebd., 390–394, 439–441; TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 29–35, 100–104.
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EISENBERG, CHRISTIANE: „English sports“ und deutsche Bürger. Eine Gesellschaftsgeschichte 1800–1939, Paderborn/München/Wien/Zürich 1999. FALTER, JÜRGEN W., Die „Märzgefallenen“ von 1933. Neue Forschungsergebnisse zum sozialen Wandel innerhalb der NSDAP-Mitgliedschaft während der Machtergreifungsphase, in: Geschichte und Gesellschaft 24 (1998), 595–616. HERZOG, MARKWART: Der „Betze“ unterm Hakenkreuz. Der 1. FC Kaiserslautern in der Zeit des Nationalsozialismus, 2., verbesserte Auflage, Göttingen 2009. OPHIR, BARUCH Z./WIESEMANN, FALK: Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918–1945. Geschichte und Zerstörung, München/Wien 1979. SCHMIDT, JÜRGEN: Das Kleeblatt: 100 Jahre Fußball im Fürther Ronhof, Fürth 2010. SKRENTNY, WERNER: Julius Hirsch: Nationalspieler. Ermordet. Biographie eines jüdischen Fußballers, Göttingen 2012. SPONSEL, UDO/STEINER, HELMUT: Jüdisches Sportleben in Fürth 1933–1938, in: Nurinst – Beiträge zur deutschen und jüdischen Geschichte. Jahrbuch des Nürnberger Instituts für NS-Forschung und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts 1 (2002), 85–96. TEICHLER, HANS JOACHIM: Internationale Sportpolitik im Dritten Reich, Schorndorf 1991. TREML, MANFRED/WEIGAND, WOLF: Geschichte und Kultur der Juden in Bayern, Bd. 2: Lebensläufe, München 1988. WINDSHEIMER, BERND: SpVgg Fürth: Dass in Fürth etwas los ist, merkten auch die Nürnberger, in: WERNER SKRENTNY (Hrsg.), Als Morlock noch den Mondschein traf: Die Geschichte der Oberliga Süd 1945–1963, Kassel 2001, 28–30. WUNSCHEL, GOTTLIEB: 50 Jahre SpVgg Fürth, Fürth 1953.
Anton Löffelmeier
„Gleichschaltung“ im Münchner Fußballsport 1933–1936 Bei „Groß“ und „Klein“ alles gleich? 1. Forschungsstand und Quellenlage Die mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten einhergehenden Ausgrenzungs-, Ausschaltungs- und Gleichschaltungsmaßnahmen im deutschen Sport sind auf Verbandsebene weitgehend erforscht. Auch für viele große Vereine liegen inzwischen eingehende Untersuchungen vor. Für München wurden in den letzten Jahren über den Turn- und Sportverein München von 1860 und den FC Bayern umfassende Studien vorgelegt.1 Die Vertiefung des Forschungsstandes hat jedoch bisher nicht zu einer Ausweitung der Recherchen auf weitere Sportvereine geführt. Fast gewinnt man den Eindruck, dass die Fokussierung auf die beiden großen Münchner Sportvereine den Blick auf die kleineren Vereine verstellt hat. Zumal mit den beiden Großvereinen gleichzeitig auch die ganze Bandbreite des Verhaltens in der Zeit des Nationalsozialismus ausgeleuchtet zu sein scheint, von einer offensichtlichen „Kollaboration“ der Führungskräfte des Vereins mit den neuen Machthabern (TSV 1860) bis hin zu partiell aufscheinenden Zeichen von Widerständigkeit (FC Bayern). Dies hat einer polarisierenden Sichtweise von „Gut“ und „Böse“ Vorschub geleistet, die sowohl einer differenzierten Sichtweise auf den Mikrokosmos beider Vereine als auch einer Ausweitung des Blicks auf ein breiteres Spektrum von Sportvereinen eher hinderlich ist. Schon bei der dritten Kraft im Münchner Fußball, dem FC Wacker, sind die Jahre zwischen den beiden Weltkriegen kaum erforscht. Das Vereinsschrifttum der letzten Jahrzehnte hat sich diesem Thema nicht gewidmet, obwohl der Verein zu jenen Klubs zählte, welche die Professionalisierung und Kommerzialisierung des Fußballs in den zwanziger Jahren nachdrücklich vorantrieben und bekannte, teils schillernde Persönlichkeiten an der Vereinsspitze standen. Albert Bauer, Vorstand Mitte der 1920er Jahre, gehörte zu den Propagandisten der Berufsspielerbewegung im Deutschen Reich, hob 1932 den „Süddeutschen Verband für Berufsfußballspiele“ aus der Taufe, wurde aber kurz vor dem Ziel seiner Träume im Jahr 1934 von der deutschen Sportführung unter maßgeblicher Beteiligung
1
Der Themenkreis Fußball und (Kommunal-)Politik wurde für München erstmals in einem vom Stadtarchiv München herausgegebenen Sammelband behandelt: ANGERMAIR, München und der Fußball, München 1997. Darin insbesondere LÖFFELMEIER, Grandioser Aufstieg; DERS., Fußballvereine. – Für den TSV 1860 DERS., Die „Löwen“ unterm Hakenkreuz; für den FC Bayern SCHULZE-MARMELING, Der FC Bayern.
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des DFB-Präsidenten Felix Linnemann ausgeschaltet.2 Auf Bauer folgten 1930 der bekannte Sportreporter Josef Kirmaier (1897–1967) und im September 1932 mit dem Sportjournalisten Eugen Seybold der Gründer und Herausgeber der Fachzeitschrift „Fußball“. Seybold (1880–1943) führte den Verein während der ersten Phase der „Gleichschaltung“ von 1933 bis 1935 und konnte sich – wie weiter unten dargelegt – erfolgreich einer von nationalsozialistischen Sportfunktionären angestrebten Zwangsfusion mit anderen Erstligavereinen erwehren. Sein Nachfolger Kurt Frey zählte als nationalsozialistischer Multifunktionär und Reichstagsabgeordneter zu den einflussreichen Exponenten der nationalsozialistischen Führungsschicht in Bayern. Frey hatte sich beim Aufbau der nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation in München und Oberbayern einen Namen gemacht, bei der Zerschlagung der Gewerkschaften und der „Gleichschaltung“ der Orts- und Landeskrankenkassen mitgewirkt und in der Folgezeit führende Positionen in der Arbeits- und Wirtschaftsverwaltung ausgeübt. Von 1934 bis 1943 war er als sogenannter „Reichstreuhänder der Arbeit“ für das Wirtschaftsgebiet Bayern eingesetzt und fand darüber hinaus noch Zeit, sich sportpolitisch zu engagieren. Ab dem 1. Januar 1937 fungierte er als ehrenamtlicher Reichsfachamtsleiter des Fachamts Schwerathletik im Deutschen Reichsbund für Leibesübungen. Unter seiner Leitung fanden vom 29. bis 31. Oktober 1937 in München die Freistil-Ringer-Europameisterschaften statt. Die Vereinsführung des FC Wacker übernahm er nach dem in der Saison 1936/37 erfolgten Abstieg der ersten Fußballmannschaft aus der Gauliga. Er versuchte, den FC Wacker durch spielstarke „Wiener Importe“, wie etwa Fritz Herdin und Robert Chlad, wieder an die deutsche Spitze heranzuführen, scheiterte jedoch ebenso wie seine Vorgänger.3 An sich genügend Stoff für eine tiefer gehende Beschäftigung mit der Geschichte des Vereins in der Zeit des Nationalsozialismus. Die Forschungsdefizite setzen sich fort bis hin zu den „kleinen“ Vereinen in den unteren Spielklassen. Hier gibt es kaum Untersuchungen über die Vorgänge in den Vereinen und insbesondere auch über die handelnden Akteure dieser Zeit. Ein Kernproblem bei der Bearbeitung der Fragestellung stellt allerdings die schwierige Quellenlage dar. Primärquellen in den staatlichen Archiven zur „Gleichschaltung“ der Turn- und Sportvereine ab März 1933 beziehen sich in der Regel auf die Verbandsebene, die Vorgänge in den einzelnen Vereinen sind oftmals nur indirekt über den Wechsel bzw. Austausch der Verantwortungsträger zu erschließen. Anhand der Namen lassen sich aber vielfach weitere biographische Recherchen über Einwohnermeldeunterlagen oder Spruchkammerakten führen, die sich dann als Türöffner in die „Terra incognita“ der Vereine in der NS-Zeit erweisen.
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LÖFFELMEIER, Grandioser Aufstieg, 74f.; HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 100f. LILLA, Statisten, 157; STEINBRECHER, Der FCW, 31–35; 35 JAHRE FC WACKER, 16f.; StadtAM, AfL 44/7, ZA-Personen 136/55.
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Etwas besser sieht die Überlieferung in den kommunalen Archiven aus, da die für den Sport zuständigen Dienststellen vielfach mit den Vereinsvorständen in direktem schriftlichem Kontakt standen. Allerdings hatte dieser Schriftwechsel weniger Fragen der inneren Vereinsstruktur zum Thema, sondern kreiste in der Regel um Spielplatzzuweisungen, finanzielle Unterstützungen zur Beschaffung von Spielgeräten und Ausrüstung oder um Fahrtkostenübernahmen bzw. -zuschüsse für die Teilnahme an überregionalen Meisterschaften. Doch finden sich darin zahlreiche Belege für die seit Ende der 1920er Jahre sich dramatisch zuspitzende Finanzlage der Vereine, die dazu führte, dass sich im Jahr 1933 viele Ligavereine in einer katastrophalen ökonomischen, ihre Existenz bedrohenden Lage befanden.4 Eine bisher selten genutzte Quelle sind die in der Regel noch bei den Amtsgerichten liegenden Vereinsregisterakten, über die sich nicht nur Wechsel im Führungspersonal der Vereine, sondern auch Satzungsänderungen detailliert nachweisen lassen. Das Vereinsschrifttum erweist sich weitgehend als unergiebig für unser Forschungsthema. Die zahlreichen Festschriften, die auch in München anlässlich des 30-, 40-, 50- oder 75-jährigen Vereinsjubiläums verfasst wurden, sparen die Zeit von 1933 bis 1945 weitgehend aus oder überspielen sie mit nichtssagenden Floskeln, wie es beispielhaft in der Festschrift zum 75-jährigen Jubiläum des Münchner Fußballklubs FC Stern aus dem Jahr 1994 nachzulesen ist. Der FC Stern, ein reiner Fußballverein, wurde 1919 gegründet, schloss sich bald dem Süddeutschen Fußballverband an, spielte seit 1925 in der A-Klasse und nahm 1928 sogar an den Aufstiegsspielen zur Kreisliga, der damals zweithöchsten Spielklasse, teil. Er brachte Ende der 1920er Jahre mit Josef Hornauer und Alfons Beckenbauer zwei Spieler hervor, die erstklassig beim TSV 1860 (Hornauer) und dem FC Bayern (Beckenbauer) spielten. Die Jahre vor 1933 gehörten zu den sportlich erfolgreichsten des Vereins. Über die folgenden Jahre wird wie folgt berichtet: Den spielerischen Höhepunkten „folgten nun sehr schwere Monate, die schließlich zur Auflösung des FC Stern führten. Bedingt durch besondere zeitgemäße Umstände konnte die Auflösung des alten FC Stern nicht aufgehalten werden. Damals war die Politik unser unbezwingbarer Gegner […]. Im Juni 1936 stellte der Verein seinen Spielbetrieb ein und löste sich auf.“5
Die Schrift geht jedoch nicht auf die „besondere[n] zeitgemäße[n] Umstände“ ein, sie gibt keinen Hinweis darauf, welche Gegner aus der „Politik“ letztlich die Auflösung des erfolgreichen Vereins bewirkt hatten und verliert kein Wort zu den damals handelnden Akteuren an der Spitze des Vereins. Bleiben als Quelle die Tageszeitungen, die über die ab März 1933 auf Verbandsebene durchgeführten Maßnahmen der „Gleichschaltung“ teils ausführlich 4 5
HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 78–84; LÖFFELMEIER, Die „Löwen“ unterm Hakenkreuz, 56–58. Sterngucker, 28.
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und zeitnah berichteten und vereinzelt Informationen über Vorgänge in den örtlichen Sportvereinen lieferten. Natürlich blieb den Zeitung lesenden Vereinsmitgliedern wie auch den Angehörigen der Vereinsvorstandschaften dabei nicht verborgen, welche ungeheure Veränderungen in Gesellschaft und Sport beinahe täglich vor sich gingen und mit welcher Macht und Gewalt die nationalsozialistische Führung gewillt war, diese auch umzusetzen. „Neuordnung“ und „Gleichschaltung“ gehörten ab April 1933 zu den beherrschenden Themen in der Tagesberichterstattung. So werden es die Münchner Turner und Sportler aufmerksam zur Kenntnis genommen haben, dass bereits am 22. März 1933, also einen Tag nach der Reichstagseröffnung, der TSV München von 1860 in den „Münchner Neuesten Nachrichten“ eine Erklärung verbreiten ließ, worin er die aus der völkischen Umgestaltung entsprungene Wiedergeburt deutschen Volkstums, deutscher Einheit und innerer Freiheit „freudig“ begrüßte. Ganz offen wies der Verein darauf hin, dass sein bisheriges Wirken ganz im Sinn der neuen Machthaber gewesen sei: „In der Erziehung der Jugend zu Kraft, Geschicklichkeit und Mannestugenden hat der T.S.V 1860 von jeher auch an der Erhaltung der Wehrfähigkeit mitgearbeitet. In der Pflege der Leibesübungen für die erwachsene Bevölkerung beider Geschlechter fördert er die Gesundheit und Arbeitskraft unseres Volkes. [...] In der treu besorgten Erfüllung dieser Aufgaben hält sich der T.S.V 1860 gleichgerichtet und verbunden mit den vaterländischen Bestrebungen der Leitung des Deutschen Reiches.“6
Am selben Tag wurde im bereits dezimierten Münchner Stadtrat der neue nationalsozialistische Bürgermeister Karl Fiehler vereidigt. Ebenfalls am 22. März erklärte der jüdische Vorsitzende des FC Bayern, Kurt Landauer, seinen Rücktritt und begründete ihn mit Rücksicht auf die „staatspolitische Neugestaltung der Verhältnisse in Deutschland“.7 2. Neuordnung und „Gleichschaltung“ im Münchner Fußball 2.1. Der TSV München von 1860 und der FC Bayern als Modellfälle?
Bevor wir uns den sogenannten „kleinen“ Sportvereinen zuwenden, sei kurz auf die Vorgänge in den beiden führenden Sportvereinen der Stadt im Zeitraum von 1933 bis 1936 eingegangen, die durch ihre Ausprägungen wie zwei gegensätzliche Pole von „gut“ und „böse“ oder „anständig“ und „korrumpiert“ erscheinen: – hier die konservativ-national geprägte Vereinsführung des TSV München von 1860 mit Sympathien und teilweise engen Verbindungen zur völkischen Bewegung, dort der FC Bayern, durchaus auch konservativ ausgerichtet, aber liberal und mit zahlreichen jüdischen Mitarbeitern in der Vereinsführung 6 7
MNN, Nr. 80, 22.3.1933. – Der Text ist ebenfalls publiziert auf Seite 1 der Ausgabe des „Nachrichtenblatts“ des Vereins vom April 1933. LÖFFELMEIER, Fußballvereine, 57; SCHULZE-MARMELING, Der FC Bayern, 126.
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– hier die Verankerung in der national geprägten Deutschen Turnerschaft mit einer ausgegliederten Sportabteilung, die dem Süddeutschen Fußball- und Leichtathletikverband angehörte, dort die ausschließliche Zugehörigkeit zum süddeutschen Verband – beim TSV 1860 nach der Machtergreifung das Einrücken alter Kämpfer in die Führungsspitze des Vereins, bei den Bayern nach dem Rücktritt des jüdischen Präsidenten Kurt Landauer mit dem Polizeikommissar Siegfried Herrmann ein Nachfolger, der bei dem neuen Münchner Polizeipräsidenten Heinrich Himmler in Misskredit geraten war, weil er in der Weimarer Zeit in Saalschlachten gegen Nationalsozialisten eingeschritten war.8 Formal hatte sich die Führungsebene des TSV 1860 rasch auf den nationalsozialistischen Staat ausgerichtet, nachdem der langjährige Vorsitzende des Turnund Sportvereins, Heinrich Zisch, im Sommer 1932 zunächst von der Führung des Turnvereins und zum Jahresende 1932 auch von der Führung des Sportvereins zurückgetreten war. Am 28. März 1933 wählte der Turnverein den nationalkonservativen Wilhelm Hacker, Lehrkraft an der Bayerischen Landesturnanstalt und seit drei Jahrzehnten in den Führungsgremien des Vereins vertreten, zum ersten Vorsitzenden. Hacker blieb auch nach der auf einer außerordentlichen Hauptversammlung am 26. September 1933 beschlossenen Annahme des „Führerprinzips“ „Vereinsführer“, obwohl er das Amt gern abgegeben hätte. Der gebildete und feinsinnige Hacker hatte inzwischen eine gewisse Distanz zu den Nationalsozialisten aufgebaut, da er die fatalen Konsequenzen der nationalsozialistischen Rasse- und Führerpolitik zu erahnen begann und ihm die lärmenden Akteure der Nationalsozialisten auf der Münchner Bühne wohl eher suspekt waren. Aufmärsche und das Stehen in Reih und Glied beeindruckten ihn nicht, seine Vorstellungen waren geprägt vom ständisch-aristokratischen Gefüge des Kaiserreichs. Im dienstlichen Umgang legte er zum Beispiel keinen Wert auf den „Hitlergruß“.9 Er konnte jedoch nicht verhindern, dass eine schon seit Jahren im Verein etablierte Clique von Anhängern der völkischen Bewegung und SAMitgliedern immer mehr Einfluss nahm. Zu diesen gehörte Fritz Ebenböck, Jahrgang 1901, früher SA-Aktivist und Teilnehmer am „Marsch zur Feldherrnhalle“. Er hatte für seine SA10 im Verein heftig geworben und konnte am 17. November 1933 in der Turnhalle des Vereins an der Auenstraße den ersten Appell des Sturmbanns II abhalten, dem 163 Mitglieder des Vereins angehörten. Nach der Wiedervereinigung von Turn- und Sportverein im März 1934 wurde er am 26. April 1934 einstimmig zum neuen Vereinsführer gewählt. Von da an 8 9 10
LÖFFELMEIER, Die „Löwen“ unterm Hakenkreuz, 102; SCHULZE-MARMELING, Der FC Bayern, 166f. LÖFFELMEIER, Die „Löwen“ unterm Hakenkreuz, 138–142. Ebenböck war 1922 der NSDAP und der SA beigetreten und avancierte schon kurz darauf zum Führer der 11. Kompanie des SA-Regiments München, der sogenannten Studentenkompanie. Mit ihr nahm er in der Nacht 8./9. November 1923 in München an bewaffneten Aktionen der völkischen Verbände teil. Nach dem Verbot der SA beteiligte er sich an der Überführung von SA-Gruppen in die legale Reichswehr-Kompanie Rossbach; dazu LÖFFELMEIER, Die „Löwen“ unterm Hakenkreuz, 143.
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blieb die Führung des Vereins fest in den Händen altgedienter Parteimitglieder und sogenannter „Blutordensträger“, die in einem dicht gewebten Netzwerk miteinander verbunden waren, das weit über den Münchner Stadtrat hinaus in führende Stellen der nationalsozialistischen Verbände bis hin zum Büro des „Führers“ reichte.11 Bei den Bayern beerbte der bisherige zweite Vorsitzende Siegfried Herrmann den zurückgetretenen Kurt Landauer. Er wurde am 12. April 1933 auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung zum kommissarischen Nachfolger gewählt. Dies versprach zunächst Kontinuität. Herrmann zählte sich zur freireligiösen Bewegung, zu deren Grundsätzen unter anderem völlige geistige Freiheit in der Religion und der uneingeschränkte Gebrauch der Vernunft anstatt Berufung auf äußere Autoritäten und Überlieferungen zählten. Ab 1934 wurden viele freireligiöse Gemeinden verboten oder lösten sich auf. Herrmann wurde im Mai 1933 von der politischen Abteilung in der Münchner Polizeidirektion zur Kriminalpolizei zurückversetzt, weil er als politisch nicht zuverlässig angesehen wurde.12 Seine Stellung als Vereinsführer war damit wohl immer schwerer zu halten, sodass er im September 1934 zurücktrat. Inzwischen hatten aber auch die Anhänger der Nationalsozialisten, die in der Schiabteilung eine starke Fraktion bildeten, an Einfluss gewonnen und konnten mit Rechtsanwalt Dr. Karlheinz Oettinger den Nachfolger Herrmanns stellen, der aber bereits 1935 von dem Mediziner Dr. Richard Amesmaier abgelöst wurde, der seit 1933 der NSDAP angehörte. So war auch bei den Bayern der Zeitraum von 1933 bis 1935 zunächst geprägt von einem Hinausdrängen und Zurückdrängen bzw. Ausscheiden der alten Führungsschicht. Dieser Prozess lief nicht ohne Machtkämpfe im Verein ab13 und brachte Männer in die Führungsverantwortung, die zwar keineswegs wie bei den „Löwen“ als exponierte Parteigänger der Nationalsozialisten auftraten und manche Anordnungen der neuen Machthaber eher mit geringem Engagement umsetzten, diesen aber immerhin als tolerabel erschienen. Die personelle Kontinuität in den Führungsetagen beider Vereine in der Zeit vor 1933 wurde durch die Vorgänge während der ersten Gleichschaltungsphase von 1933 bis 1935 in beiden Vereinen unterbrochen. 2.2. Die Auflösung und Ausschaltung der Arbeitersportvereine – Wege in die bürgerlichen Vereine
Bei der Untersuchung von Vorgängen und Strukturen in Sportvereinen im Jahr 1933 wird oft übersehen, dass im März und April 1933 auch in München die Vereine der Arbeitersportbewegung und wenig später die der konfessionellen Sportbewegung plötzlich von der Bildfläche verschwanden, ohne dass man im Einzelfall den Fragen nachgegangen wäre, ob deren Mitglieder etwa aufhörten,
11 12 13
LÖFFELMEIER, Die „Löwen“ unterm Hakenkreuz, 78f. SCHULZE-MARMELING, Der FC Bayern, 166–168. SCHULZE-MARMELING, Der FC Bayern, 168–177.
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Vereinssport zu treiben, ob sie von anderen Vereinen aufgenommen wurden oder gar neue Vereine gründeten. Für München gibt es hierzu bisher keine verlässlichen Zahlen, es bleibt jedoch festzuhalten, dass mit dem Verbot der Arbeitersportvereine von einem Tag auf den anderen einigen tausend aktiven Turnern, Sportlern und Fußballspielern die Möglichkeit genommen wurde, regelmäßig Sport zu treiben. So teilte am 23. März 1933 das Stadtamt für Leibesübungen den Arbeitersportvereinen mit, dass sie aufgrund von Verfügungen des kommissarischen bayerischen Innenministers Adolf Wagner vom 14. und 18. März ab sofort von sämtlichen städtischen und staatlichen Übungsplätzen ausgeschlossen wären. Bis 5. April hatte das Stadtamt die Anweisung umgesetzt.14 Ein Überwechseln in das bürgerliche Lager, nach dem sich die Verbandsspitze der Arbeitersportler zunächst beim Deutschen Reichsausschuss für Leibesübungen erkundigt hatte, lehnte dieser zunächst jedoch kategorisch mit der Begründung ab, dass die Arbeiter-Turn- und Sportverbände in der Vergangenheit den sportlichen Verkehr mit dem Reichsausschuss und seinen Verbänden in „schroffer Form“ abgelehnt hätten und die jetzige verbandliche Gliederung die früheren politischen Ziele verschleiert weiter verfolge. Die Aufnahme einzelner Mitglieder sei aber „von Fall zu Fall nach sorgfältiger Prüfung der Persönlichkeit im beschränkten Umfange zu gestatten.“15 Dennoch finden sich in München einige Beispiele für die Aufnahme ganzer Abteilungen und Vereinsblöcke in die bürgerlichen Sportvereine. Der FC Sportfreunde etwa war erst am 7. März 1929 vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) zur Freien Fußballspiel-Vereinigung des Arbeiter- Turn- und Sportbundes übergetreten und konnte in der Saison 1932/33 mit der Teilnahme an der Kreismeisterschaft seinen größten Erfolg feiern. Am 22. März 1933 wurde die Auflösung des Vereins verfügt, das gesamte Vermögen, alle Sportgeräte und die Vereinsanlage wurden beschlagnahmt. In der Folgezeit trat der überwiegende Teil der Fußballspieler des Vereins dem DFB-Verein FC Alemannia bei, der im selben Stadtviertel, in Harlaching, beheimatet war.16 Ein Teil der Mitglieder des VfL München, der sich 1927 von der Freien Turnerschaft München abgespalten hatte, fand Aufnahme beim Postsportverein München, nachdem offenbar andere Vereine eine Aufnahme abgelehnt hatten.17 Einige Mitglieder der Fußballabteilung des VfL wie auch zwei Feldhandballmannschaften traten dem neugegründeten SC Gern bei, dessen Entstehungsgeschichte uns weiter unten beschäftigen wird. Mitglieder der Fußballabteilung des aufgelösten TSV München-Ost, des mit über 1.000 Mitgliedern nach der Freien Turnerschaft zweitgrößten Münchner Arbeitersportvereins, wechselten zum FC Trausnitz. Zu den Profiteuren der Auflösung zählte unter anderem der TSV München von 1860, der den ehemaligen Spielplatz des TSV München-Ost ab 14 15 16 17
StadtAM, AfL 313, 331; LÖFFELMEIER, Fußballvereine, 46. MNN, Nr. 97, 8.4.1933. 75 Jahre FC Sportfreunde, 29f. Jubiläums-Festschrift des Postsportvereins, 16.
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Jahresende 1935 von der Giesinger SA pachten konnte. Der Platz, auf dem der Arbeitersportverein erst im Jahr 1926 Turnhalle und Vereinsheim neu erbaut hatte, war im März 1933 beschlagnahmt und nach der am 19. Mai verfügten Auflösung des Vereins der Giesinger SA zur Verfügung gestellt worden. Die guten Beziehungen der Vereinsführung der „Löwen“ zur Münchner SA hatten bei der Pachtvergabe allerdings eine Rolle gespielt.18 Etwas ausführlicher sei auf das Ende der Freien Turnerschaft München (FTM) eingegangen, die mit 1.881 Mitgliedern (Stand 1. Januar 1933) die größte Münchner Arbeitersportvereinigung bildete.19 Unter deren Dach hatten sich seit 1903 über das ganze Stadtgebiet hinweg Turn- und Sportvereine zusammengeschlossen, die innerhalb der FTM einzelne Abteilungen bildeten, so unter anderem als Abteilung 8 (Abt. 3 ab 1927) die FT Gern mit der alleinigen Sportart Fußball. Am 23. März 1933 teilte das Schulreferat der Stadt München der FTM mit, dass sie laut Verfügung des bayerischen Innenministers Adolf Wagner ab sofort von sämtlichen städtischen und staatlichen Übungsplätzen ausgeschlossen sei. Einen Tag später ordnete das Stadtamt für Leibesübungen an, allen dem Arbeiter-Sport-Kartell angeschlossenen Vereinen die Vereinslokale zu entziehen.20 Am 9. April 1933 teilte die Gemeinnützige Baugenossenschaft der FT Gern mit, dass sie den erst im Jahr 1931 unter großen Mühen der Mitglieder hergestellten Spielplatz an der Klugstraße räumen müsse, obwohl ein Nutzungsvertrag über weitere fünf Jahre bestand.21 Am 8. Mai 1933 wurde Josef Stadler, der Vorstand der FTM, von der Polizeidirektion München aufgefordert, die Auflösung oder die „Gleichschaltung“ des Vereins vorzunehmen. Kurz davor hatte die Fußballabteilung, also die FT Gern, einen überraschenden Alleingang gewagt, indem sie am 30. April ihren Austritt aus der zwar kaum mehr handlungsfähigen, aber immer noch bestehenden FTM erklärte. Am 21. Juli 1933 lehnte der Vorstand der FTM die „Gleichschaltung“ als „nicht durchführbar“ ab. Bis dahin hatten die neuen Machthaber jedoch bereits vollendete Tatsachen geschaffen: Das Vereinsvermögen war beschlagnahmt, die Ausstattung der Geschäftsstelle wurde von der Polizei abgeholt, die Sportgeräte mussten bei der Polizeidirektion abgeliefert werden, die vereinseigenen Sportplätze waren der Verfügungsgewalt des Vereins entzogen und Vorstand Josef Stadler war von der Polizeidirektion angewiesen worden, sich jeder Tätigkeit zu enthalten. Der Verein existierte de facto also bereits nicht mehr. Der Schlussstrich wurde am 28. September 1933 mit der offiziellen Auflösung der FTM unter Einziehung des Vermögens durch den Bayerischen Staat gezogen.22 Inzwischen waren weitere Abteilungen der FTM bei bürgerlichen Vereinen untergekommen. Mitglieder des 1897 gegründeten Arbeiter-Turnvereins Schwabing, der seit 1906 als Abteilung 2 der FTM firmierte, schlossen sich dem Deut18 19 20 21 22
LÖFFELMEIER, Die „Löwen“ unterm Hakenkreuz, 96; Siebzig Jahre, 9f. STADLER, 40 Jahre, 12. 100 Jahre Freie Turnerschaft, 12. SCHRÖTHER, Die Geschichte, o.S. 100 Jahre Freie Turnerschaft, 13f.
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schen Sport Club München an.23 Sport Treibende der Abteilung 4 der Freien Turnerschaft, die ihre Heimat im Westendviertel oberhalb der Theresienwiese gefunden hatten, schlossen sich dem Turn- und Sportverein München von 1880 an, der unweit des Viertels an der Hansastraße über ein eigenes großes Vereinsgelände verfügte und sich erst Ende 1932 – nach Jahren der „Reinlichen Scheidung“24 in einen Turnverein von 1880 und einen Sportverein von 1880 – wieder als Gesamtverein neu formiert hatte. Nicht uninteressant ist in diesem Kontext, dass der Verein, der im Jahr 1923 noch etwa 1.000 Mitglieder zählte, bis 1932 einen erheblichen Mitgliederschwund zu verzeichnen hatte. Die heftigen vereinsinternen Streitigkeiten um die „Reinliche Scheidung“ hatten sogar zu gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen Turn- und Sportverein um die Nutzung der Vereinsanlagen geführt und in deren Folge zum Austritt einzelner Abteilungen (Handballspieler, Schwerathleten, Leichtathleten) und zu einer auch 1933 noch bestehenden finanziellen Krisensituation.25 Wie die Stammmitglieder den enormen Zuwachs an Neumitgliedern bewerteten und wie er sich auf die Vereinsstrukturen auswirkte, lässt sich über zeitgenössische Quellen nicht nachvollziehen. Einer der Arbeitersportler, der im Jahr 1933 zum Verein stieß, schrieb darüber in der 1980 erschienenen Vereinschronik: „In der Folgezeit kam dem Verein ein Umstand zu Hilfe, der sich für die weitere Zukunft noch als wahrer Segen erweisen sollte. Ende [?] 1933 wurden die Arbeiter-Sport-Vereine verboten und das Eigentum beschlagnahmt. Dieser nationalistische Gewaltakt hatte für unseren Verein den Vorteil, daß sich die aktiv sporttreibenden der Freien Turnerschaft Abt. 4 [Westendviertel] und des FC Viktoria zunächst als Gastmitglieder dem TSV 1880 anschlossen und die ganze sportliche Szene wieder belebten. Es dürften etwa 200 aktive Männer und Frauen, darunter auch meine Wenigkeit[,] gewesen sein, die in das sportliche Geschehen mit eingriffen. Urplötzlich erstarkten nicht nur die Fußballer, sondern auch die Leichtathleten und Turner und im besonderen der Kinder- und Jugendbetrieb in allen Abteilungen. […] Gleichzeitig mit dem Übertritt stand dem Verein auch eine zweite Berghütte auf der Neureuth zur Verfügung, die allerdings in den Kriegsjahren aufgelassen wurde.“26
Der Vereinschronik ist auch zu entnehmen, dass die ehemaligen Arbeitersportler bald Führungspositionen im Verein einnahmen. In der Saison 1938/39 waren Anton Moser Leiter der Fußballabteilung, Albert Huber Leiter der Leichtathle23 24
25 26
100 Jahre Freie Turnerschaft, 6. Nach dem Ersten Weltkrieg nahm der Streit zwischen der Deutschen Turnerschaft (DT) und den unabhängigen Fachverbänden für Fußball, Leichtathletik und Schwimmen an Schärfe zu. Die Verbände konkurrierten dabei insbesondere um Mitglieder. 1923 forderte die DT, eine „reinliche Scheidung“ durchzuführen und die Sportler aus den Turnvereinen auszuschließen. Die Vereine schlugen dabei unterschiedliche Wege ein. In vielen Fällen wurde eine Aufspaltung in einen Turn- und einen Sportverein mit gleichem Namen vorgenommen. 100 Jahre Sportverein, 18f. 100 Jahre Sportverein, 21.
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tikabteilung und Otto Botzler, der Verfasser des Berichts, Leiter der Handballabteilung. Es herrschte laut Botzler eine „prächtige Kameradschaft, die durch gesellschaftliche und sportliche Veranstaltungen immer neue Impulse empfing“.27 Soweit diese persönliche Erfolgsbilanz eines ehemaligen Arbeitersportlers. Was in den Sätzen Botzlers nur anklingt, ist der von den Arbeitersportlern quasi als „Mitgift“ eingebrachte Immobilienbesitz. So besaßen viele Abteilungen der Freien Turnerschaft Hütten und Skihütten in den Bayerischen Bergen (Abteilung 1: Skihütte am Wallberg, Abteilung 2: Skihütte am Traiten, Abteilung 4: Hütte auf der Neureuth oberhalb von Tegernsee, Abteilung 5: gepachtete Skihütte am Roß- und Buchstein, Abteilung 7: Hütte im Schlierseer Gebiet, Abteilung 8: große Skihütte auf der Schwarzen Tenne bei Tegernsee). Dabei ist in den Aufzeichnungen oftmals nicht klar formuliert, ob die Hütten gepachtet oder gekauft bzw. selbst errichtet worden waren.28 Welche Rolle dieser Besitz beim Wechsel zu einem bürgerlichen Verein spielte, kann auch im Fall der Abteilung 4 der FTM nicht nachvollzogen werden, gleichwohl dürfte eine derartige „Mitgift“ durchaus eine Rolle gespielt haben. 2.3. Überleben mit Camouflage? – der SC Gern
Der SC Gern hat seine Wurzeln in der Abteilung 3 der FTM, der in den Stadtteilen Neuhausen und Gern beheimateten und hauptsächlich Fußball spielenden FT Gern. Diese hatte, wie oben bereits erwähnt, am 30. April 1933 überraschend ihren Austritt aus der noch bestehenden Freien Turnerschaft erklärt. Damit hatte sich ein sportliches Aushängeschild der FTM, das zu den süddeutschen Spitzenklubs der Freien Vereinigung zählte, vom Hauptverein gelöst. Hintergründe und Zielrichtungen dieses Schritts sind unklar, offenbar stand dahinter die Absicht, den Sport treibenden Mitgliedern der Freien Turnerschaft im Nordwesten der Stadt eine neue Vereinsstruktur im nationalsozialistischen Sport zu ermöglichen. Dabei kam es zu einer schillernden Allianz zwischen führenden Mitgliedern des Arbeitersports und „alten Kämpfern“ der NSDAP. Eine zentrale Rolle spielte hierbei der städtische Werkmeister bei der Straßenbahn Josef Ströhlein. Ströhlein hatte bereits in den frühen 1920er Jahren der FT Gern angehört, trat im Februar 1921 jedoch der NSDAP bei, nahm 1922 am „Deutschen Tag“ in Coburg teil und war 1923 in den „Marsch zur Feldherrnhalle“ involviert, wofür ihm der sogenannte „Blutorden“ und das „Koburger Abzeichen“ verliehen wurden. Ströhlein gehörte damit zu einem illustren Kreis von hoch dekorierten Mitgliedern der „Bewegung“. Im Jahr 1932 trat er erneut der NSDAP und gleichzeitig der SA bei.29 Aus spärlichen zeitgenössischen Akten, aus den im Spruchkammerakt Ströhleins enthalten Berichten und Vereinsfestschriften lässt sich folgender Ablauf der 27 28 29
100 Jahre Sportverein, 22. Vgl. 100 Jahre Freie Turnerschaft, 10; STADLER, 40 Jahre, 8. Joseph Ströhlein, geb. 10.8.1891 Bad Kissingen, gest. 30.5.1965 München: StAM, Spk, K 1803; StadtAM, EWK 76 / S 273.
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Gründung des SC Gern rekonstruieren. Als Richard Zschalig, Vorstand des im März 1933 vor der Zerschlagung stehenden Arbeitersportklubs VfL München, nach Wegen suchte, den Bestand des Vereins und dessen Vermögen zu retten, bot ihm Josef Ströhlein an, ihm dazu „seine Hilfe“ geben zu wollen.30 Ströhlein brachte es nun tatsächlich fertig, aus zwei Vereinsteilen der Freien Turnerschaft, der Abteilung 3, also der FT Gern, und der Abteilung 8 (Stadtbezirk NordwestNeuhausen) sowie dem VfL München, von dem insbesondere die Handballabteilung überwechselte, einen neuen Verein zu bilden. Im Zusammenhang mit dieser Neugründung ist also der Austritt der Fußballabteilung aus der FTM am 30. April 1933 zu sehen. Ob es in den Wochen danach tatsächlich zu einer regelrechten Gründungsversammlung kam, ist über Quellen nicht zu klären. Vermutlich blieb das neue Vereinskonstrukt zunächst noch ohne obrigkeitliche Genehmigung. Ströhlein hatte sich inzwischen bei den Mächtigen der Münchner NSDAP unbeliebt gemacht, weil er sich für die Freilassung von sechs kommunistischen Mitgliedern der Militärarbeiter-Baugenossenschaft München-Neuhausen eingesetzt hatte. Diese waren am 5. Mai 1933 wegen angeblicher Verweigerung des „Deutschen Grußes“ auf einer Versammlung der Genossenschaft verhaftet, im Polizeipräsidium München wegen politischer Unzuverlässigkeit in „Schutzhaft“ genommen und dann teilweise in das KZ Dachau weiter verbracht worden. Ströhlein erreichte aufgrund seines Status als „alter Kämpfer“ am 6. Juni deren Freilassung, was ihm „den Zorn des damaligen Stadtrates Sebastian Gleixner [der die Inhaftierung initiiert hatte] und des seinerzeitigen Oberbürgermeisters Fiehler zugezogen habe“, weil er sich für „Marxisten“ eingesetzt habe.31 Ströhlein indessen agierte im Sommer 1933 weiterhin auf verschiedenen Ebenen. Die Gründung des SC Gern trieb er nach außen hin als streng nationalsozialistisch ausgerichteten Sportverein voran, im Hintergrund suchte er möglichst viel von dem alten Vereinsvermögen der Arbeitersportvereine auf den neuen Verein zu übertragen. In Max Ruhland bestellte er ein ehemals führendes Mitglied der FT Gern zum kommissarischen Vorsitzenden des neuen Vereins. Ihn schickte er am 20. Juni 1933 zu Josef Stadler, dem noch amtierenden Vorsitzendem der FTM, um die Übernahme des vereinseigenen Badeplatzes in Mitterndorf bei Dachau zu erbitten. Vermutlich zielte diese Initiative wohl eher auf das am Badeplatz gelegene Vereinsheim der FTM. Stadler lehnte jedoch ab.32 Im August 1933 war die neue Vereinsgründung dann aber in „trockenen Tüchern“. Die „Münchner Neuesten Nachrichten“ vermeldeten am 18. August 1933, dass sich auf einer Versammlung ein Nationalsozialistischer Sportverein München unter dem Vorsitzenden Josef Ströhlein gegründet habe, in dem alle Sportarten gepflegt werden sollten, wie etwa Turnen, Fußball, Handball, Leichtathletik, Winter-, Wasser- und Volkssport. Aufgebaut sei der Verein auf dem „Führerprin-
30 31 32
StAM, Spk, K 18093. Bestätigung von fünf Inhaftierten, 9.7.1946, sowie von Josef Weinzierl, 22.1.1947: StAM, Spk, K 1803. 100 Jahre Freie Turnerschaft, 14.
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zip“.33 Hierbei handelte es sich zweifellos um den SC Gern. Der Verein war bereits dem Süddeutschen Fußballverband beigetreten und wurde der drittenhöchsten Klasse zugeordnet. Bereits nach einem Jahr stieg er in die Bezirksklasse auf und blieb dort bis zur Einstellung des Spielbetriebs im Zweiten Weltkrieg. War es also gelungen, die einstmalige Spitzenstellung der FT Gern in der Freien Vereinigung über den SC Gern in die NS-Zeit hinüber zu retten? War der SC Gern etwa ein getarnter Arbeitersportverein? Text und Kontext der einzelnen Handlungsstränge sind im Nachhinein kaum mehr zu entwirren, geschweige denn sauber zu trennen. Spannend scheint hier die Frage, ob und in welchem Grad der kulturelle Eigensinn des Sports hier noch seine Wirksamkeit entfalteten konnte oder ob er bereits von politischen Einflussnahmen völlig beherrscht war.34 Ehemalige Arbeitersportler, die zum SC Gern überwechselten, bescheinigten Ströhlein nach dem Krieg, dass der Verein unter seiner Leitung „auch weltanschaulich der gleiche war wie vor 1933.“ Ströhlein habe mit seinem Namen und seiner Person „das Wohl und Wehe von ungefähr 300 Arbeitersportlern“ gedeckt. Im Allgemeinen sei er in Neuhausen und Gern als „der Führer“ des roten Sportvereins bezeichnet worden.35 Richard Zschalig wies in der Spruchkammerverhandlung am 5. Oktober 1948 darauf hin, dass Ströhlein damals von Seiten der Partei stark angefeindet worden sei, der berüchtigte Gerner SA-Standartenführer Rudolf Strauss habe ihm einmal gesagt, „das sei gar kein Nationalsozialist, das ist ja der Führer einer roten Bande.“36 Und noch einen weiteren „Schutzpatron“ aus den Reihen der NSDAP wies der SC Gern auf: Sebastian Gleixner. Gleixner, gleichfalls „alter Kämpfer“ und forscher Nationalsozialist, hatte sich beim Aufbau nationalsozialistischer Betriebsorganisationen durch sein brutales Vorgehen wie auch bei der Zerschlagung der Münchner Gewerkschaften im März 1933 einen Namen gemacht. Die „Gleichschaltung“ der Münchner Militärarbeiter-Baugenossenschaft, wo er selbst zur Miete wohnte, hatte er mit rücksichtslosem Vorgehen gegen die Vorstandsmitglieder vorangetrieben und ebenso die Verhaftung der oben genannten sechs Mitglieder am 5. Mai 1933 veranlasst. Die Taten Gleixners lesen sich wie eine Räuberpostille. So habe er sich bei der Ausschaltung und Absetzung der städtischen Gesamtbetriebsräte im Frühjahr 1933, an denen er federführend beteiligt war, stets in SA Uniform und mit umgeschnallten Revolver gezeigt. Insgesamt seien auf seine Veranlassung hin 18 Personen, meist städtische Arbeiter, aus politischen Gründen verhaftet und zum großen Teil in ein Konzentrationslager verschafft worden. Die Spruchkammer München VIII bewertete ihn aufgrund seiner zahlreichen Vergehen und seines rücksichtslosen Verhaltens während der NS-Zeit als „einen brutalen Vertreter der NS-Gewaltherrschaft“ und stufte ihn 1948 in die Gruppe II der Aktivisten ein. Ein Jahr später revidierte die Haupt33 34 35 36
MNN, Nr. 224, 18.8.1933. Dazu GÜLDENPFENNIG, Sport, Kritik und Eigensinn, bes. 53–68. Josef Weinzierl, Bestätigung, 9.3.1948: StAM, Spk, K 1803. StAM, Spk, K 1803; SCHRÖTHER, Die Geschichte, o.S.
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kammer München-Stadt diese Entscheidung, verfügte die Einstufung in Gruppe I und verurteilte ihn zu fünf Jahren Arbeitslager, zehnjährigem Berufsverbot und Vermögensentzug bis 1.000 DM.37 Gleixner übte trotz der Differenzen mit Ströhlein hinsichtlich der verhafteten Genossenschaftsmitglieder nachweislich ab Mitte der 1930er Jahre eine Art Schirmherrschaft über den SC Gern aus. Warum? – Vielleicht weil sich der Sportplatz des SC Gern ganz in der Nähe seiner Wohnung befand und er für Sport und insbesondere für den Fußball vielleicht ein Faible hatte? Oder weil ihn gute nachbarschaftliche Beziehungen zu den Vereinsmitgliedern dazu bewegten? Im Spruchkammerverfahren bestätigte Max Ruhland, der erste kommissarische Vorsitzende des SC Gern, dass Gleixner den Verein „vor einer nochmaligen Auflösung bewahrte“ und dem „Verein stets ein Gönner und eifriger Förderer war“. Die Übernahme der Schirmherrschaft sei im Einvernehmen mit den Vereinsmitgliedern auf seine Bitte hin erfolgt. „In Anerkennung seiner großen Verdienste um den Verein erfolgte seine Ernennung zum Ehrenmitglied und die Auszeichnung mit der Vereinsnadel in Gold“.38 Und das für einen Aktivisten, der am 28. April 1945, zwei Tage vor dem Einmarsch amerikanischer Truppen, die schriftliche Anweisung herausgab, den Werkmeister Hans Krämer im Schwabinger Krankenhaus erschießen zu lassen, weil dieser sich geweigert hatte, einen Radioapparat für die „Braunen Schwestern“ reparieren zu lassen.39 Gleixner leitete übrigens seit 1940 die Fußballabteilung des TSV München von 1860, dem nationalsozialistischen Vorzeigeverein in München. 2.4. Neugründung nationalsozialistischer Sportvereine – der „1. FC Hackenkreuz“
Nach den rigorosen Ausschaltungs- und Gleichschaltungsmaßnahmen auf der Ebene der Vereine im März und April 1933 schien das Terrain für die Neugründung streng nationalsozialistisch ausgerichteter Sportvereine geebnet. So meldeten am 15. Mai die „Münchner Neuesten Nachrichten“, dass sich ein „Nationalsozialistischer Sportverein der Straßenbahner“ gegründet habe. Beim ersten öffentlichen Auftreten des Vereins habe der Vorsitzende eine „markige Ansprache“ gehalten und unter Musikklängen sei die Hakenkreuzfahne gehisst worden.40 Mehr wissen wir leider nicht von dem Verein. Versteckt, aber ertragreicher ist die Quellenüberlieferung zum „1. Nationalsozialistische[n] Fußballklub München“, der Anfang Mai 1933 bereits 40 Mitglieder zählte – natürlich waren alle Parteimitglieder, wie der Vereinsvorsitzende Fritz Schäfer dem Amt für Leibesübungen gegenüber betonte. Das Vereinslokal befand sich in der Neuen Schwabinger Bierhalle in der Appianstraße 7 in Schwabing-West. Der Verein war bereits dem Süddeutschen Fußballverband 37 38 39 40
STAM, Spk, K 520; LÖFFELMEIER, Die „Löwen“ unterm Hakenkreuz, 145–149. Stellungnahme, 17.12.1947: StAM, Spk, K 520. StAM, Spk, K 520. MNN, Nr. 133, 15.5.1933.
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Abb. 1: Für den neu gegründeten 1. F.C. Hackenkreuz (!) wird beim Stadtamt für Leibesübungen eine Karteikarte angelegt: StadtAM, AFL-313-002.
beigetreten und stellte am 4. Mai 1933 beim Stadtamt für Leibesübungen einen Antrag auf Zuweisung eines städtischen Spielplatzes. Die Zulassung erfolgte im Eiltempo. Bereits einen Tag später wies der Leiter des Stadtamtes Ludwig Behr dem Verein einen Platz auf dem nahen Oberwiesenfeld für das Spieljahr 1933/34 zu, das heißt bis zum offiziellen Saisonende am 31. März 1934. Interessant ist ein Blick auf das von der Vereinsführung auszufüllende und an das Stadtamt zurück zu leitende Karteiblatt. Hier nennt sich der Verein „1. FC Hackenkreuz“ (Abb. 1). Eine biografische Untersuchung der Vereinsmitglieder steht noch aus. Feststellen ließ sich bisher, dass der Vorstand des Vereins, Fritz Schäfer, den Beruf eines Maschinenschlossers ausübte,41 Schriftführer Ludwig Sold war Elektromonteur.42 Beide mussten sich nach dem Krieg im Rahmen der Entnazifizierung keinem Spruchkammerverfahren unterziehen. Noch im Jahr 1934 wechselte der Vorsitz auf den Schreiner Johann Bürgmeier. Dieser gehörte seit dem 1. Mai 1933 der Partei an, seit 3. November 1933 der SA und betätigte sich seit 1934 als Hauswart. Seit Februar 1936 war er beim Postamt München als Arbeiter, später als Angestellter und Beamter tätig. Nach dem Krieg wurde er am 1. Juli 1946 beim Postamt München 3 wieder als Arbeiter eingestellt. Das Spruchkammerverfahren endete für ihn positiv, er durfte sich unter diejenigen einreihen, welche
41 42
Fritz Schäfer, geb. 6.4.1897 München, gest. 2.11.1956 München: StadtAM, EWK 76 / S 114. Ludwig Sold, geb. 9.9.1905 München, gest. 23.11.1959: StadtAM, EWK 78 / S 87.
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von der Weihnachtsamnestie profitierten.43 Vorstandschaft und ein Großteil der Mitglieder stammten also aus dem Kreis der Arbeiterschaft und der einfachen und mittleren Angestellten, während prominente Parteigrößen fehlten. Überhaupt enthalten die Quellen aus der Gründungsphase des Vereins Widersprüchliches. So führt ein „Verzeichnis der aufgelösten antinationalen, marxistisch beeinflußten Vereine“, das am 5. Juli 1933 vom städtischen Finanzreferat an die städtischen Dienststellen weitergeleitet wurde, auch den Namen „FC Hackenkreuz“ auf.44 Vermutlich handelt es sich hierbei nicht um denselben Verein, vielleicht um eine provokative Vereinsgründung der Arbeitersportbewegung, deren Ende mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten unweigerlich besiegelt war? Der oben genannte, gleichnamige Verein war jedenfalls am Wachsen, im März 1934 zählte er bereits 58 Mitglieder. Den Gefallen führender Nationalsozialisten in München hat er gleichwohl nicht gefunden. Reichsorganisationsleiter Robert Ley hatte die Verwendung des Adjektivs „nationalsozialistisch“ erheblich eingeschränkt.45 Am 16. März 1934 beantragte der Verein bereits unter dem neuen Namen „Verein für Bewegungsspiele München“ eine Verlängerung der Zulassung auf den Spielplätzen am Oberwiesenfeld. Diese wurde zwar am 28. Mai erteilt, aber am 24. Oktober ereilte den Verein dasselbe Schicksal wie die restlichen auf den Plätzen noch verbliebenen Fußballklubs. Die Standortkommandantur München hatte zwei Tage zuvor dem Stadtamt mitgeteilt, dass die auf dem Spielplatz Oberwiesenfeld bestehenden Pachtverhältnisse mit sofortiger Wirkung gekündigt seien und „dass die Benützung des Platzes sofort einzustellen ist.“ Der Platz werde für militärische Zwecke benötigt.46 Wo der Verein eine neue Heimstätte fand, ist bisher nicht bekannt. Er arbeitete sich jedoch nach oben, errang 1940/41 den Titel eines Münchner Meisters und stand am Ende der Saison 1941/42 gar als Sieger der Bezirksklasse Staffel I gegen den Sieger der Staffel II im Entscheidungsspiel um die Bezirksklassenmeisterschaft. Das Spiel ging jedoch gegen den SC Bajuwaren verloren, der damit an den Aufstiegsspielen zur Gauliga teilnehmen durfte.47 In der Saison 1942/43 wurde der VfB München der Südstaffel der nun zweigeteilten Gauliga zugeteilt, belegte jedoch den letzten Platz und musste in die Kreisklasse absteigen. Offensichtlich ging der Verein mit dem Ende des „Dritten Reichs“ unter. Eine Neuoder Wiedergründung nach 1945 konnte nicht festgestellt werden.
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Johann Bürgmeier, geb. 29.5.1909 Landsberg am Lech, in München seit Geburt: StAM, Spk, K 225; StadtAM, EWK 78 / B 168. Aufgeführt sind insgesamt 290 Vereine, darunter viele Arbeitersportvereine: StadtAM, Kämmerei 1833. Freundliche Information von Prof. Hans Joachim Teichler. StadtAM, AfL 313. HESS/RATTENHUBER, Fünfzig Jahre Sport-Club Bajuwaren, 62–70.
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2.5. Zusammenfassung von Ligavereinen – der FC München von 1905
Die Diskussion um die Bereinigung und Neuordnung des deutschen Fußballs fand während des laufenden Ligabetriebs statt. Die Rundenspiele und die Finalspiele um die Deutsche Fußballmeisterschaft waren noch in vollem Gang und sollten erst mit dem Endspiel am 11. Juni 1933 ihren Schlusspunkt finden. Trotzdem zeichnete es sich bereits ab, dass eine Neuordnung und Reduzierung der Mannschaften in den ersten Ligen kommen werde. Propagandistisch wurde dies von der Forderung nach einer Bündelung der Kräfte begleitet, was die Vereine teilweise von sich aus zu Sondierungsgesprächen mit Kooperationspartnern zwang – in der Hoffnung, dass damit die Erstklassigkeit erhalten werden könne. Parallele Bestrebungen sind auch in der Deutschen Turnerschaft nachweisbar. So erließ Edmund Neuendorff, der Führer der Deutschen Turnerschaft, Mitte Mai die „amtliche Mitteilung“ an die Turnvereine, in „Großstädten und weit ausgedehnten Mittelstädten“ darüber nachzudenken, wie die Zusammenarbeit „enger und reicher gestaltet“ werden könne. Die „Gauvertreter“ sollten für die Durchführung dieser Anordnung verantwortlich sein.48 In den Münchner Fußball kam nun Bewegung, da zu erwarten war, dass von den fünf Münchner Vertretern in der zweigeteilten bayerischen Bezirksliga zwei ihren Erstligastatus verlieren würden. Der 4. Platz des traditionsreichen FC Wacker in der Spielrunde 1932/33 sollte eigentlich für die Aufnahme in die neue eingleisige Liga reichen, während der DSV München (6. Platz) und der FC Teutonia (8. Platz) mit einer Zurückstufung rechnen mussten. Von welcher Seite nun die Planungen für einen neuen Münchner Großverein unter Beteiligung aller drei Vereine vorangetrieben wurden, ist nicht mehr nachvollziehbar. Der FC Wacker als eigentlich Qualifizierter und Verein mit großer sportlicher Vergangenheit hatte kein Interesse an einer Aufgabe seiner Selbstständigkeit, auch wenn ihn seit Jahren Finanznöte plagten.49 Er leistete auch von Beginn an heftigen Widerstand. Der amtierende Vorsitzende Eugen Seybold, Herausgeber des Fachblattes „Fußball“, setzte alle Hebel in Bewegung, um einen Zusammenschluss zu verhindern. „Unnachgiebig und auf die Tradition des Vereins pochend, erreichte er mit ungezählten Schreiben und Telefonaten sowie mit einer ‚Denkschrift‘ an den DFB und die Führung des Fußball-Gaues Bayern im DFB, dass der FC Wacker von einer zunächst von der nationalsozialistischen Sportführung angeordneten Fusion mit dem FC Teutonia und dem DSV München verschont blieb und in die Gauliga aufgenommen wurde“.
Dies schrieb der gewöhnlich sehr gut informierte Sportjournalist und Zeitzeuge Michael Steinbrecher rückblickend im Jahr 1978.50 Auf die Hartnäckigkeit Sey-
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MNN, Nr. 136, 18.5.1933. – Die „Gauvertreter“ sind hier nicht näher spezifiziert. Nach der Organisationsform der DT kommen hierfür die Vorsitzenden der jeweiligen Turngaue in Frage. LÖFFELMEIER, Grandioser Aufschwung, 57–60. STEINBRECHER, Der FCW, 33.
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Abb. 2: Plan des Exerzierplatzes Oberwiesenfeld. Eingezeichnet sind darin der neue Sportplatz des FC Teutonia und weitere projektierte Sportplätze für unterklassige Vereine. Diese Sportplätze wurden im Oktober 1934 und im Jahr 1936 (FC Teutonia) von der Heeresverwaltung für „militärische Zwecke“ eingezogen. Stadtbauamt München, 1921: StadtAM, AFL-314-001.
bolds sei es zurückzuführen gewesen, dass die bayerische Gauliga nicht wie geplant mit zehn sondern mit 12 Vereinen startete.51 Bei den beiden anderen Vereinen gab es neben dem erhofften Nichtabstieg weitere Gründe für eine Fusion. Beide zählten zwar zum Kreis der höherklassig spielenden Münchner Vereine. So gehörte der FC Teutonia seit 1928 er ersten Klasse an. Sie mussten aber immer wieder um den Verbleib in der ersten Liga fürchten und standen klar im Schatten der drei „Großen“ FC Bayern, TSV 1860 und FC Wacker. Außerdem kämpften sie mit großen Finanzproblemen, die mit 51
STEINBRECHER, Der FCW, 91.
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dem kostenintensiven Unterhalt ihrer vereinseigenen Stadien zusammenhingen und nach einem Abstieg noch größer zu werden drohten. Der FC Teutonia hatte 1921 auf einem von der Heeresverwaltung gepachteten Grundstück an der Winzererstraße am Truppenübungsplatz Oberwiesenfeld mit großer Eigenleistung ein Erdwallstadion mit Tribüne errichtet, das bis zum Bau des „Sechziger“-Stadions in den Jahren 1924/25 mit einem Fassungsvermögen von weit über 10.000 Zuschauern das größte Münchner Stadion war (Abb. 2). Bereits seit Mitte der 1920er Jahre konnte der FC Teutonia aus den laufenden Einnahmen die Grundstückslasten jedoch nicht mehr bestreiten, blieb mit den jährlichen Pachtzinszahlungen an die Heeresverwaltung im Rückstand und schrieb jährlich Gesuche an das Stadtamt für Leibesübungen, den Stadtverband für Leibesübungen und den Süddeutschen Fußballverband mit der Bitte um Finanzzuschüsse. Der Münchner Stadtrat sprang mit außerplanmäßigen Zuschusszahlungen mehrfach ein, um die Zwangsvollstreckung auf das Stadiongelände abzuwenden. Zu Jahresbeginn 1933 drohte schließlich auch die Stadt mit Zwangsvollstreckung, nachdem der Verein seit 1931 mit den Zahlungen aus den Anwesens- und Grundstückslasten im Ausstand war. In dieser Situation richtete Vereinsvorstand Max Schmidtner an das Stadtamt für Leibesübungen die Bitte, die Leistungen bis einschließlich 1. Oktober 1933 zu übernehmen, „da es uns bis zum Herbst an jeder Einnahmemöglichkeit fehlt.“ Am 9. März 1933 erbarmte sich der Hauptausschuss des Stadtrats und billigte dem Verein einen Zuschuss in Höhe von 105,20 RM zur Abdeckung der Gebührenschuld zu, allerdings aus dem Etat des Stadtamtes für Leibesübungen. Mögen diese Schulden auch gering erscheinen, für den kleinen Verein – die circa 400 Mitglieder waren meist kleine Geschäftsleute oder Handwerker oder gehörten den „arbeitende[n] Stände[n]“ an – bedeuteten sie ein fortwährendes Ringen um die Existenz.52 Er konnte sein gepachtetes Grundstück nicht mit Hypotheken belasten und hatte auch keine solventen Mitglieder, die mit Darlehen aushelfen wollten. In einer ganz anderen Dimension agierte der mitgliederstarke und in vielen Sparten erfolgreiche Deutsche Sportverein (DSV) München, der sich in der „Reinlichen Scheidung“ im Dezember 1924 vom MTV München von 1879 abgespalten hatte. Insbesondere in den Abteilungen Leichtathletik, Handball, Tennis, Faltboot und Wintersport zählten Aktive des Vereins zur bayerischen und deutschen Spitzenklasse. Der DSV zählte etwa 1.300 Mitglieder, darunter zahlreiche Kaufleute, Gewerbetreibende und Selbständige, und hatte im Jahr 1925 das alte, traditionsreiche Stadion des MTV an der Marbachstraße erworben, als es von den Grundstückseigentümern verkauft werden sollte und der MTV kein Interesse am Erwerb gezeigt hatte. Allerdings drückten den DSV seitdem mit insgesamt 185.000 Mark Hypotheken- und Anlehensschulden, was ihm eine jährliche Zinslast von 17.350,00 Mark aufbürdete. Bereits im März 1926 gewährte die Stadt einen jährlichen Zinstilgungszuschuss von 5.000 Mark, der möglicherweise darin begründet war, dass man die Hypothek über 50.000 Mark der städtischen Spar- und Girokasse, welche immerhin zu 11 Prozent verzinst 52
StadtAM, AfL 200.
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und mit dem ersten Rang abgesichert war, nicht gefährden wollte. Schon im Februar 1928 drohte der völlige Zusammenbruch des Vereins, der inzwischen Verbindlichkeiten in Höhe von 256.784,00 Mark aufwies. Ab Januar 1931 stellte die Vereinsführung dann offenbar alle Zins- und Tilgungszahlungen ein, weil der Verein nicht mehr leistungsfähig war.53 Im Frühjahr 1933 standen also sowohl der DSV als auch der FC Teutonia am finanziellen Abgrund, wobei der DSV eigentlich nicht mehr handlungsfähig war, jedoch durch seine dichte Verflechtung in die deutsche Verbandsszene bis hinein in die höchste Sportführung wohl viele Fürsprecher hatte. So fungierte der langjährige Vereinsvorsitzende, Rechtsanwalt und Bankier Franz Paul Lang, von 1921 bis 1931 als Vorsitzender der Deutschen Sportbehörde für Leichtathletik.54 Als sein Bankhaus Ruederer & Lang, das dem DSV ebenfalls Hypothekenkredite gewährt hatte, über eine im Juli 1931 ausgebrochene Bankenkrise in den Konkurs gerutscht war und er daraufhin von seinen Ämtern zurücktrat, folgte ihm mit dem bisherigen Sportwart Karl Ritter von Halt ein langjähriges Mitglied des DSV München als Verbandsvorsitzender nach. Dass Ritter von Halt in dieser Zeit bereits auf dem Weg zu einem der einflussreichsten deutschen Sportführer war und im Frühjahr und Sommer 1933 erfolgreich die „Gleichschaltung“ des Verbandes vorantrieb, ist bekannt.55 So gab es einen großen Kreis von Vereins- und Verbandsfunktionären, der das Überleben des DSV und den Verbleib der Fußballmannschaft in der ersten Liga sichern wollte. Man geht sicher nicht fehl in der Annahme, dass der DSV zu den treibenden Kräften des Zusammenschlusses zählte. Welche Rolle dabei Vertreter des DFB und der neuen Reichssportführung spielten, ist nicht nachvollziehbar. Dass der Zusammenschluss aber in den Rahmen der von der Reichssportführung und vom „gleichgeschalteten“ Deutschen Reichsausschuss für Leibesübungen propagierten Neuordnung passte und als eine gegen die oft zitierte „Zersplitterung“ des bürgerlichen Sports gerichtete Maßnahme zumindest befürwortet wurde, steht außer Zweifel. Auch auf städtischer Seite dürfte man die Fusionsbestrebungen positiv gesehen haben, konnte man sich vom neuen Großverein und den zu erwartenden Einnahmen doch eine Entspannung der Schuldensituation beider Vereine erhoffen. Als Felix Linnemann am 20. August 1933 die endgültige Zusammensetzung der Gauligen bekannt gab, wurden die sie begleitenden Diskussionen und Auseinandersetzungen nur angedeutet: „Die Neueinteilung der Gauligen hat für mehrere Vereine unberechtigte Härten mit sich gebracht.“ Die Gaue 13 (Südhessen, Saar, Pfalz), Brandenburg, Bayern und Niederrhein erhielten nun 12 Ligavereine. Aus diesen Gauen sollten drei Vereine solange ab- und zwei aufsteigen, bis die endgültige Zahl von jeweils zehn Vereinen erreicht wäre. Die bayerische Gauliga 53 54 55
StadtAM, AfL 198. Franz Paul Lang, geb. 8.7.1886 München, gest. 19.11.1968 München. – Dazu AMRHEIN, Biographisches Handbuch, 681. Dazu LENNARTZ/TEUTENBERG, Karl Ritter von Halt, 137–142; HEIMERZHEIM, Karl Ritter von Halt.
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bestand damit aus je sechs Vereinen aus Nord- und Südbayern: FC Bayern München, TSV München von 1860, FC Wacker München, FC München, Schwaben Augsburg, Jahn Regensburg, 1. FC Nürnberg, ASV Nürnberg, SpVgg Fürth, 1. FC Schweinfurt 05, 1. FC Bayreuth und FV Würzburg 04. In anderen Gauen war die Entscheidung immer noch nicht gefallen. Im Gau 13 sollte abgewartet werden, „welchen Verlauf die in Saarbrücken angestrebte Fusion mehrerer Vereine nimmt.“56 In Baden hatten sich Ende Juli 1933 der VfB Karlsruhe und der Karlsruher Vorortverein FC Mühlburg zum VfB Mühlburg vereinigt, „um bei der Zusammensetzung der künftigen ersten Klasse [in Baden] zum Zuge zu kommen“.57 In München hatten am 10. August 1933 der DSV und der FC Teutonia in einer Presseerklärung ihren Zusammenschluss unter dem neuen Namen „Fußballklub München“ bekannt gegeben und dies damit begründet, „daß sich in der neugebildeten Gauliga, namentlich in Bayern, nur starke Vereine mit besonders spielstarken Mannschaften dauernd behaupten können“. Der Zusammenschluss habe beim Führer des DFB Felix Linnemann freudige Zustimmung gefunden.58 In dem ehemaligen Nationalspieler Josef Pöttinger konnte der neue Verein bereits einen namhaften Trainer für die kommende Meisterschaftssaison verpflichten.59 Formell wurde die Fusion von DSV und FC Teutonia am 31. August in einer Doppelversammlung beider Vereine im Grünen Saal der Augustiner-Bierhallen in München in einem wohl durchdachten Prozedere bewerkstelligt. Die Mitgliederversammlung des FC Teutonia billigte dem Vorsitzenden Max Schmidtner das Recht zu, den Verein aufzulösen, was noch am selben Tag geschah. Die gleichzeitig stattfindende außerordentliche Hauptversammlung des Deutschen Sportvereins München e.V. wurde vom Vorsitzenden Franz Seyfried geleitet,60 der zu den Hauptleidtragenden der Finanzmisere des Vereins gehörte, da er für die Hypothekenschulden des Vereins mit einer Ausfallbürgschaft haftete. Mit Zustimmung der Mitglieder wurde die Fußballmannschaft (FM) des Vereins unter dem neuen Namen „FM.DSV“ aus dem Verein ausgegliedert. Sodann änderte die FM.DSV ihren Namen in „Fußballclub München“ und die Mitgliedschaft des FC Teutonia trat geschlossen dem FC München bei. Das Vermögen und die Schulden des FC Teutonia wurden vom FC München übernommen, was den Teutonen die Zustimmung zur Fusion erleichtert haben dürfte. Der FC Teutonia war damit von der Bildfläche verschwunden. Auch dies kann als ein Indiz dafür gewertet werden, dass die treibenden und für die Fusion werbenden Kräfte auf Seiten des DSV zu suchen sind.
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MNN, Nr. 227, 21.8.1933. MNN, Nr. 207, 31.7.1933. MNN, Nr. 207, 31.7.1933. MNN, Nr. 224, 18.8.1933. Franz Seyfried, geb. 9.3.1884 Neufischbach, gest. 19.12.1960 München, Versicherungsdirektor, Leiter des Haus- und Grundbesitzervereins München und Teilhaber an der Firma „Süddeutscher Zeitschriftenverlag“: StadtAM, EWK 78 / S 21; Adressbuch der Stadt München, 1936.
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Da die Vereinskonstruktion nicht einfach auf die Beine zu stellen war, verwundert es nicht, dass an dem Verfahren eine Reihe von Rechtsanwälten beteiligt war. Die Verhandlungen leitete ein Rechtsanwalt Dr. Schmidt, der in seinem ausführlichen Bericht betonte, dass „dieser gemeinsame Kampf um die Gauliga“ den Willen beider Klubs erkennen ließ, „im FC München ein neues, großes Haus zu bauen“. Bei der Neuwahl wurde Franz Seyfried einstimmig als „Führer“ des Vereins bestimmt, dieser wiederum ernannte den bisherigen Vorsitzenden der Teutonen Max Schmidtner zum sportlichen Leiter. Den Posten des stellvertretenden „Vereinsführers“ übernahm Rechtsanwalt Dr. Schmidt, der vermutlich der Seite des DSV zuzurechnen ist. Zum Pressewart wurde Dr. Werner Mößmer, ebenfalls Rechtsanwalt61 und seit mehreren Jahren zweiter Vorsitzender der Teutonia, bestimmt. Den Posten des Propagandawarts übernahm der Textilkaufmann Josef Herkert. Beendet wurde die Versammlung mit einem „Sieg-Heil“ auf den „Führer“, dem Deutschlandlied und dem Horst-Wessel-Lied.62 Am 3. September stellte sich der neue Verein mit einer Großveranstaltung im Stadion des TSV München von 1860 der Öffentlichkeit vor. Die beiden ehemaligen Vereine marschierten unter Klängen einer SA-Kapelle getrennt ins Stadion ein, um sich sodann in der Mitte des Spielfeldes zu vereinen. Aufgereiht waren alle Abteilungen der Vereine: Jugend, Aktive, Alte Herren und Privatmannschaften, insgesamt etwa 300 Aktive. Die lange Reihe der Spieler brachte vor der Tribüne den „Hitlergruß“ dar, ein Münchner Kindl übergab anschließend dem neuen Verein die rot-schwarze Fahne. Es folgten Reden des neuen Vereinsführers Franz Seyfried und des Leiters der Fußballabteilung des TSV 1860 Alois Kienle. Das Deutschlandlied beschloss den feierlichen Akt. Anschließend fand ein Eröffnungsspiel der ersten Fußballmannschaft des FC München gegen den TSV 1860 statt, das mit 3:0 klar an die „Löwen“ ging. Den „Münchner Neuesten Nachrichten“ war das Ereignis immerhin eine Hauptüberschrift im Sportteil wert.63 Im Rahmenprogramm traten am 2. und 3. September sämtliche Senioren-, Jugend- und Schülermannschaften beider Klubs gegeneinander an, etwa 60 Mannschaften mit 700 Aktiven. Zur Abwicklung der Spiele standen die Sportgelände des TSV 1860, der alte MTV-Platz und der Teutonia-Platz zur Verfügung.64 Sportlich stellte sich nicht der erhoffte Erfolg ein. Nach einem Jahr in der ersten Klasse stieg der Verein 1934 in die zweite Liga ab, was zeitlich mit dem finanziellen Kollaps des DSV München zusammen fiel. Der städtische Sparkassenausschusses hatte im Herbst 1933 die Notbremse gezogen, um die Hypothek der städtischen Spar- und Girokasse zu sichern, und fasste am 3. November 1933 den Beschluss, die Zwangsversteigerung der Sportanlage des DSV einzuleiten. Nachdem der erste Termin am 23. Februar 1934 wegen zu geringer Gebotshöhe 61 62 63 64
Dr. Werner Mößmer, geb. 2.6.1899 München: StadtAM, EWK 65 / M 443. Homepage des FC Teutonia; MNN, Nr. 237, 31.8.1933, und Nr. 239, 2.9.1933. Der FC München stellt sich vor. Ein neuer Fußball-Großverein, in: MNN, Nr. 241, 4.9.1933, und Nr. 239, 2.9.1933. MNN, Nr. 231, 25.8.1933.
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abgesagt werden musste, ersteigerte am 30. Mai 1934 das in Liquidation stehende Bankhaus Ruederer & Lang, selbst Gläubiger, die Stadionanlage des DSV an der Marbachstraße mit dem Höchstgebot von 54.000 RM – weit unter dem veranschlagten Einheitswert von 163.920 RM. Damit war zwar die im ersten Rang eingestufte Forderung der städtischen Sparkasse gedeckt, aber die übrigen Gläubiger gingen leer aus.65 Infolgedessen traten die DSV-Vertreter aus der Führungsriege des FC München ab. Am 16. August 1934 übernahm der Textilkaufmann Josef Herkert die Vereinsführung von Franz Seyfried, sein Stellvertreter wurde mit Dr. Werner Mößmer ein ehemaliger Teutone. Ein Jahr später – der FC München war wieder in die Gauliga aufgestiegen – nahm der Verein den Namen „FC München 05“ an, um an die Tradition des FC Teutonia zu erinnern. Jedoch stieg der Verein 1936 aus der nunmehr auf zehn Mannschaften reduzierten Gauliga ab. Ab dem 15. Oktober 1937 nannte sich der Verein wieder Fußball-Club Teutonia e.V.66 Damit war das Experiment, neben den Bayern und dem TSV 1860 einen neuen Münchner Großverein zu etablieren, nach vier Jahren auch formal beendet. Das ganze Projekt war gescheitert. Inzwischen war der FC Teutonia insofern heimatlos geworden, als er im Jahr 1936 seinen Spielplatz am Oberwiesenfeld auf Weisung „von höherer Stelle“ – und zwar auf Betreiben der Standortverwaltung – aufgeben musste. Ein Ausweichplatz bzw. eine finanzielle Entschädigung wurde dem Verein nicht angeboten. Der Exerzierplatz Oberwiesenfeld befand sich nun wieder völlig in der Hand der Reichswehr, die seit 1933 immer weniger Rücksicht auf die verpachteten Sportplätze am Rande des Geländes genommen hatte und mit Gründung der Wehrmacht im März 1935 wieder die Oberhoheit auf ihrem Exerzierplatz gewinnen wollte. Bereits seit Mitte der 1920er Jahre hatte sie beim Stadtamt für Leibesübungen in regelmäßigen Abständen Erkundigungen über die weltanschauliche Ausrichtung des FC Teutonia eingeholt. Dahinter stand die Befürchtung, dass man sich mit dem Klub einen verkappten Arbeitersportverein auf das Exerzierfeld geholt habe. Für den FC Teutonia hatte der Verlust des Spielplatzes im Jahr 1936 eine mehrjährige Odyssee über verschiedene Spielplätze zur Folge, den Verlust der guten Spieler und einen endgültigen Niedergang, von dem er sich nicht mehr erholen sollte. Im Jahr 1943 musste der Verein mangels Spieler den Betrieb einstellen, das gesamte Vereinsvermögen ging im Krieg unter.67 Heute spielt der FC Teutonia im unteren Amateurbereich in der Kreisklasse München. Der DSV München verschwand ganz von der Bildfläche, er ging wieder im MTV München von 1879 auf, der heute mit über 7.000 Mitgliedern der größte Breitensportverein Münchens ist.
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StadtAM, AfL 198. Homepage des FC Teutonia. StadtAM, AfL 313; StAM, Polizeidirektion 4468; LÖFFELMEIER, Grandioser Aufschwung, 47f.
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3. Schlussbemerkung Die Abläufe zu Beginn der ersten Gleichschaltungsphase im März und April 1933 waren diktiert von den Verfügungen des Reichsinnenministeriums und des bayerischen Innenministeriums, welche über die staatliche Polizeiführung an die Politische Polizei bzw. über die kommunalen Spitzenbehörden an die jeweils zuständigen kommunalen Dienststellen zum Vollzug weitergeleitet wurden. Dies ging sehr effektiv vor sich, in München war bereits Ende März 1933 ein Großteil der Arbeitersportvereine aufgelöst. So vermeldete das Stadtamt für Leibesübungen am 5. April den Vollzug der Anweisung, dass alle „marxistischen“ Sportvereine von den öffentlichen Spielplätzen zu verweisen seien. Die bürgerlichen Vereine erstarrten in Furcht und Angst und versuchten, durch Wohlverhalten und wenigstens formale Erfüllung der Anweisungen die eigene Existenz zu erhalten, wobei die auch weiterhin bestehenden Handlungsspielräume in den Jahren 1933 bis 1936 unterschiedlich genutzt wurden. Hier kamen die jeweiligen traditionellen Prägungen der Vereine, wie auch, zumindest in Grenzen, individuelle Handlungsmuster der alten und neuen Führungskräfte sowie wirtschaftliche Erwägungen zum Tragen. Ebenso nachweisbar ist die teils massive Beteiligung lokaler und überregional agierender Funktionsträger der NSDAP an den Neuordnungsund Gleichschaltungsmaßnahmen auf Vereinsebene, wobei es zu ungewöhnlichen, auch bizarren, Konstellationen kommen konnte. Quellen und Literatur Quellen Stadtarchiv München (StadtAM) – Adressbücher der Stadt München. – Amt für Leibesübungen (AfL) 44/7, ZA-Personen 136/55. – Einwohnermeldekartei (EWK). – Kämmerei. – Zeitungsausschnitte (ZA). Staatsarchiv München (StAM) – Polizeidirektion. – Spruchkammerakten (Spk).
Periodika Münchner Neueste Nachrichten (MNN). Nachrichtenblatt Turn- und Sportverein München von 1860 e.V.
Literatur AMRHEIN, KLAUS: Biographisches Handbuch zur Geschichte der Deutschen Leichtathletik 1898–2005, 2 Bde., 3. Auflage, Babenhausen 2005. ANGERMAIR, ELISABETH u.a.: München und der Fußball. Von den Anfängen 1896 bis zur Gegenwart, hrsg. vom Stadtarchiv München, München 1997.
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–: Fußball in München. Von der Theresienwiese zur Allianz-Arena, hrsg. vom Stadtarchiv München, München 2006. 75 Jahre FC Sportfreunde München e.V., hrsg. vom FC Sportfreunde München e.V., München 1987. 35 Jahre FC Wacker (= Wacker-Nachrichten. Vereinsmitteilungen des FC Wacker e.V., München, 12. Jahrgang, November 1938, Folge 5). GÜLDENPFENNIG, SVEN: Sport, Kritik und Eigensinn. Der Sport der Gesellschaft, Sankt Augustin 2000. HAVEMANN, NILS: Fußball unterm Hakenkreuz. Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz, Frankfurt am Main/New York 2005. HEIMERZHEIM, PETER: Karl Ritter von Halt. Leben zwischen Sport und Politik, St. Augustin 1999. HESS, ARMIN/RATTENHUBER, HANS: Fünfzig Jahre Sport-Club Bajuwaren, hrsg. vom S.C. Bajuwaren München, Freising [1960]. 100 Jahre Freie Turnerschaft München 1893–1993, hrsg. von der Freien Turnerschaft München, München 1993. 100 Jahre Sportverein München von 1880. Festschrift zum 100jährigen Vereins-Jubiläum des Sport-Vereins München von 1880 e.V., hrsg. vom Sportverein München von 1880, München 1980. Jubiläums-Festschrift des Postsportvereins München aus Anlass seines 30jährigen Bestehens 1926–1956, hrsg. vom Postsportverein München, München 1956. LENNARTZ, KARL/TEUTENBERG, WALTER: Karl Ritter von Halt (1891–1964), in: Die Gründerjahre des Deutschen Sportbundes. Wege aus der Not zur Einheit, hrsg. vom Deutschen Sportbund, Bd. 2, Schorndorf 1991, 137–142. LILLA, JOACHIM (Bearb.): Statisten in Uniform. Die Mitglieder des Reichstags 1933–1945. Ein biographisches Handbuch. Unter Einbeziehung der völkischen und nationalsozialistischen Reichstagsabgeordneten ab Mai 1924, Düsseldorf 2004. LÖFFELMEIER, ANTON: Grandioser Aufschwung und Krise. Der Münchner Fußball von 1919 bis 1945, in: ANGERMAIR u.a., München und der Fußball, 51–96. –: Fußballvereine, Geld und Politik. Die Geschichte des Münchner Fußballs von 1919–1945, in: ANGERMAIR u.a., Fußball in München, 38–77. –: Die „Löwen“ unterm Hakenkreuz. Der TSV München von 1860 im Nationalsozialismus, Göttingen 2009. Siebzig Jahre Turn- und Sportverein München-Ost, hrsg. vom Turn- und Sportverein München-Ost e.V., München 1977. SCHRÖTHER, FRANZ: 1907–2007. Die Geschichte der „Freien Turnerschaft München-Gern“, in: 100 Jahre FT München Gern 1907–2007, hrsg. von der FT München-Gern e.V., München 2007 (nicht paginiert). SCHULZE-MARMELING, DIETRICH: Der FC Bayern und seine Juden. Aufstieg und Zerschlagung einer liberalen Fußballkultur, 2., erweiterte Auflage, Göttingen 2013. STADLER, JOSEF: 40 Jahre Freie Turnerschaft München e.V., masch., München April 1933. STEINBRECHER, MICHAEL: Der FCW. Die stille Liebe der Münchner, in: 75 Jahre FC Wacker München. Jubiläumsschrift, hrsg. vom FC Wacker München e.V., München 1978, 21– 98. Der Sterngucker. Jubiläumsausgabe zum 75jährigen Bestehen des FC Stern München e.V., hrsg. vom FC Stern München, München 1994.
Webseiten Homepage des FC Teutonia, http://www.fcteutonia.de/verein/vereinschronik.html (Zugriff am 1.8.2015).
Markwart Herzog
Die drei „Arierparagrafen“ des FC Bayern München Opportunismus und Antisemitismus in den Satzungen des bayerischen Traditionsvereins Es gibt nur wenige bürgerliche Sportvereine, bei denen die Quellenlage so gut überliefert ist, dass sich ihre Stellung zur „Arierfrage“ detailliert nachzeichnen lässt. Die von Hans Joachim Teichler im Bundesarchiv aufgefundenen und von Hajo Bernett ausgewerteten Schriftstücke der Berliner Turnerschaft Korporation bilden in dieser Hinsicht einen bemerkenswerten Sonderfall.1 Was den Fußball betrifft, so sind die von Andreas Mau ausgewerteten Protokollbücher der SpVgg Fürth2 ebenso eine Ausnahme wie der FC Bayern München (FCB). Von den „Bayern“ liegen nämlich nicht nur alle in der Zeit des „Dritten Reichs“ erschienenen Nummern der Mitgliederzeitschrift vor, sondern auch die Protokolle der Clubversammlungen in den 1930er Jahren,3 die Satzungen und Satzungsänderungen sowie die mit dem Registergericht geführte Korrespondenz der Vorstandschaft, die im Archiv des Amtsgerichts München (Registergericht) weitgehend lückenlos vorliegen und ohne Einschränkungen öffentlich zugänglich sind. Da dieser Bestand von der sporthistorischen Forschung bisher nicht ausgewertet wurde, obwohl das öffentliche Interesse am jüdischen Erbe des FCB enorm groß ist, sollen die Satzungen des FCB hinsichtlich der „Arierfrage“ im Folgenden genauer unter die Lupe genommen4 und im Verbund mit der Berichterstattung des Mitgliedermagazins des bayerischen Traditionsvereins analysiert werden. Dabei wird es nicht zuletzt auch darum zu tun sein, einen kritischen Blick auf das Bild zu werfen, das Medien und Publizistik derzeit von den „Bayern“ zeichnen. Demzufolge sei der Verein geradezu ein Hort der Widerständigkeit gegen den Nationalsozialismus gewesen. Die Historie der „Bayern“ wird sogar als „Heldengeschichte“5 dramatisiert, die angeblich einen Gegenentwurf zur Ge1 2 3
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Dazu BERNETT, Der jüdische Sport, 25–33; DERS., Opfer. Dazu Beitrag MAU, in diesem Band S. 35–50. Die Protokolle liegen in dieser Akte bis einschließlich der Mitgliederversammlung vom 24. April 1940, in deren Verlauf die NSRL-Einheitssatzung angenommen wurde, wobei jedoch die Niederschrift der Jahreshauptversammlung 1939 fehlt. Dazu AGM, VR 2463. – Damit sind alle aus der Mitgliederzeitschrift abgeleiteten Spekulationen und euphemistischen Mutmaßungen über den „Arierparagrafen“ des FCB in SCHULZE-MARMELING, Der FC Bayern, 2. Auflage, 162–185, und KÄMPER, Kurt Landauer, 159f., 243f., gegenstandslos. Sie werden im Folgenden nicht en détail erörtert. Schulze-Marmeling in FRITSCH, Interview.
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schichte des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) bietet und geradezu mythische Züge anzunehmen beginnt.6 Über die Verdienste jüdischer Athleten und Funktionsträger im FCB wurde in den vergangenen Jahren viel geschrieben. In ihren Grundzügen hat Anton Löffelmeier vom Stadtarchiv München dieses Thema bereits im Jahr 1997 dargestellt.7 Heiner Gillmeister verdanken wir darüber hinaus zahlreiche weitere Erkenntnisse, die der Bonner Anglist ebenfalls um die Jahrtausendwende veröffentlicht hat.8 Sodann deckten der Publizist Dietrich Schulze-Marmeling9 und der Buchhändler Andreas Wittner,10 der heutige Leiter der FC Bayern Erlebniswelt und des Vereinsarchivs, weitere Aspekte zu diesem Thema auf. Der FCB beschäftigte alsbald die Medien und Fangruppierungen; insbesondere Verdienste und Schicksal des jüdischen Präsidenten Kurt Landauer (1884–1961), dessen Biographie erstmals von Anton Löffelmeier dargestellt wurde,11 standen dabei im Mittelpunkt des Interesses. So inszenierte die Ultragruppierung „Schickeria“ beeindruckende Choreografien, die Landauer einem breiten Stadionpublikum bekannt machten, Fernsehdokumentationen und ein Spielfilm über den jüdischen Präsidenten wurden ausgestrahlt. Diesen Darstellungen ist der Trend gemeinsam, den FC Bayern als eine Organisation vorzustellen, die dem Nationalsozialismus widerborstig und trotzig begegnet sei. Diese Charakterisierung wurde häufig in Schwarz-Weiß-Manier der politischen Geschichte des TSV München von 1860 gegenüber gestellt.12 Die „Sechziger“ standen jedoch, wie Anton Löffelmeier ausführlich dargestellt hat,13 dem nationalsozialistischen Regime und der Ideologie des „Dritten Reichs“ in der Tat näher als der FC Bayern München. 1. Die „Stuttgarter Erklärung“ vom 9. April 1933 Dessen ungeachtet signierten die „Bayern“ gemeinsam mit den „Sechzigern“, dem 1. FC Nürnberg (FCN), der SpVgg Fürth und 10 weiteren süddeutschen Fußballclubs am 9. April 1933, also gut eine Woche nach dem reichsweit ausgerufenen „Judenboykott“, jene berüchtigte „Stuttgarter Erklärung“, deren Unter6 7 8 9 10
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Kritisch dazu KÄMPER, Kurt Landauer, 249–252; MELCHIOR, Landauer, 53. LÖFFELMEIER, Grandioser Aufschwung, 65–70. GILLMEISTER, The Tale; DERS., Jüdische Fußball- und Olympiapioniere, 87f. SCHULZE-MARMELING, Der FC Bayern. Schulze-Marmeling hatte versäumt, für die erste Auflage die Mitgliederzeitschrift des FCB auszuwerten, weshalb ihm das Thema „Arierparagraf“ damals noch entgangen war. Jedoch behob er diesen Mangel in der zweiten Auflage auf der Basis einer von FCBVereinsarchivar Andreas Wittner erarbeiteten Auswertung der „Club-Nachrichten“ bzw. „Klubnachrichten“. Zu Landauers Biografie LÖFFELMEIER, Grandioser Aufschwung, 69; KÄMPER, Kurt Landauer. SCHULZE-MARMELING, TSV 1860 und FC Bayern. – Dazu kritisch Beitrag LÖFFELMEIER, in diesem Band S. 51. LÖFFELMEIER, Die „Löwen“.
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zeichner sich bereit erklärten, „alle Folgerungen, insbesondere in der Frage der Entfernung der Juden aus den Sportvereinen, zu ziehen“.14 Welche Folgerungen waren damit gemeint? – Wie die 14 Vereine die Stuttgarter Erklärung vor Ort verwirklichten, ist ebenso wie die näheren Umstände, unter denen die Versammlung am 9. April stattgefunden hatte, bisher kaum erforscht. Bereits 18 Tage nach dem Treffen beschloss der Verwaltungsausschuss des FCN einstimmig den Ausschluss seiner jüdischen Mitglieder. Die MaiAusgabe der Mitgliederzeitschrift machte den aus zwei Punkten bestehenden, satzungswidrigen Beschluss der Öffentlichkeit bekannt: „I. Der 1. Fußballklub Nürnberg streicht die ihm angehörenden jüdischen Mitglieder mit Wirkung vom 1. Mai 1933 aus seiner Mitgliederliste. Jüdische Mitglieder, die an der Front gekämpft haben oder die einen Sohn oder den Vater im Weltkrieg verloren haben, können weiterhin Angehörige des Vereins bleiben. II. Dieser Beschluss wird sofort vollzogen.“15
Die Direktive zur „Arisierung“ wurde mit der Frontkämpferklausel aus der Ersten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums abgeschwächt. – Mit diesem Gesetz hatte das NS-Regime beabsichtigt, die vollständige Kontrolle über Beamte zu erlangen, politisch missliebige Beamte und solche, die „nicht arischer Abstammung“ waren, aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen.16 – Am 10. April 1935 nahm der fränkische Traditionsverein diesen „Arierparagraf“, jedoch ohne die genannte Klausel, in seine Satzung auf: „§ 5. Mitglied des Vereins kann jede männliche oder weibliche Person werden, die arischer Abstammung ist und deren bürgerlicher Ruf unbescholten ist.“17 Die SpVgg Fürth ließ sich dagegen etwas mehr Zeit und strich alle Juden nach einer Phase des Zögerns durch Beschlüsse der Verwaltungssitzung vom 31. Juli 1933 und der außerordentlichen Hauptversammlung am 14. August 1933 aus der Mitgliederliste.18 Auch die Verbände zogen Konsequenzen. So publizierten der DFB und die Deutsche Sportbehörde für Leichtathletik (DSB) wenige Tage nach Verabschiedung der Stuttgarter Erklärung eine Anordnung, die sich auf „Angehörige der jüdischen Rasse ebenso wie Personen, die sich in der marxistischen Bewegung herausgestellt haben“, bezog. Diese wurden „in führenden Stellungen der Landesverbände und Vereine nicht für tragbar“ erklärt.19 Genau genommen schlossen DFB und DSB keine jüdischen Mitglieder aus, sondern verwehrten ihnen lediglich den Zugang zu Funktionärsposten. Diese vom DFB „erlassenen Be14 15 16 17 18 19
Ersatz-Glossen, in: Der Kicker, Nr. 15, 11.4.1933, 565; vgl. Wünsche und Erklärungen der süddeutschen Spitzenklubs, in: ASZ, 12.4.1933. Die Stellung des Vereins zur Judenfrage, in: Vereinszeitung FCN, 1933, Nr. 5, 3. Dazu HILDEBRAND, Das Dritte Reich, 3. Satzung, 10. April 1935, unterzeichnet von „Vereinsführer“ Karl Müller, in: Vereinszeitung FCN, 1935, Nr. 8, 2–6, hier 3. Dazu Beitrag MAU, in diesem Band S. 45f. DFB und DSB geben bekannt, in: ASS, Nr. 16, 17.4.1933, 8; vgl. Der Kicker, Nr. 16, 19.4.1933, 16.
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stimmungen bezüglich Angehörigen der jüdischen Rasse bzw. der marxistischen Bewegung“ machte sich kurz darauf der Süddeutsche Fußball- und Leichtathletik-Verband (SFLV) in einem „Aufruf“ zu Eigen. Demzufolge seien die Bestimmungen des nationalen Fußballverbandes „sofort von den Vereinen zur Durchführung zu bringen“.20 2. Fußballvereine kritisieren die lasche Haltung des DFB Welche „Folgerungen“ zog der FC Bayern München? – Bereits am 22. März 1933, knapp drei Wochen vor der Publikation der Stuttgarter Erklärung, hatte Landauer in einem „an die Vorstandschaft gerichteten Schreiben“ seinen Rücktritt vom Posten des ersten Vorsitzenden verkündet. Dabei wollte sich der Vorstand „im Hinblick auf die Neugestaltung der Verhältnisse in Deutschland den Gründen dieses Rücktritts“21 nicht verschließen. Gleichwohl blieb Landauer der kommissarischen Vereinsleitung des FCB bis zu den für Juli vorgesehenen Neuwahlen als Schriftwart erhalten,22 „was einstimmig begrüßt und gutgeheißen“23 wurde, jedoch im Widerspruch zu den Anordnungen des DFB und SFLV stand. Ebenso wie Landauer trat der zweite Vorsitzende des FC Schalke 04 Dr. Paul Eichengrün von seinem Amt zurück, weil es für den Verein das Beste zu sein schien, um „nach der Devise zu handeln: Alles für Schalke 04!“24
Aus den „Club-Nachrichten“, der Vereinszeitschrift des FC Bayern München, und den Akten des Registergerichts München spricht zunächst eine starke Verunsicherung des Vorstands im Hinblick auf die neuen politischen Verhältnisse. Der ehemalige Schriftführer Siegfried Herrmann, der Landauer kommissarisch als Vorsitzenden abgelöst hatte, beklagte nicht nur fehlende Richtlinien im Hinblick auf die Berufsspielerfrage, den Umgang mit „Marxisten“ oder die Neuordnung der Verbandsstrukturen und des Spielsystems, sondern auch Anweisungen „über die Mitgliedschaft nichtarischer Personen“.25 Mit ihrer dilatorischen Haltung,26 die keine systematische Ausgrenzung der Juden aus den Vereinen vorsah, gab die Reichssportführung den Sportvereinsfunktionären nicht die erhoffte Ori20 21 22 23 24 25 26
Aufruf des Süddeutschen Fußball- und Leichtathletik-Verbandes, in: ASS, Nr. 16, 23.4.1933, 2. Siegfried Herrmann, An die Mitgliederschaft, in: Club-Nachrichten 13 (März/April 1933), Nr. 2, 1. Regierungswechsel beim Deutschen Meister. Kurt Landauers Rücktritt, in: ASS, Nr. 13, 26.3.1933, 6; vgl. Club-Nachrichten 13 (März/April 1933), Nr. 2, 1. Siegfried Herrmann, An die Mitgliederschaft, in: Club-Nachrichten 13 (1933), Nr. 2, 1. Gelsenkirchener Zeitung, 6.4.1933, zit. nach GOCH/SILBERBACH, Zwischen Blau und Weiß liegt Grau, 69. Siegfried Herrmann, An unsere Mitglieder, in: Club-Nachrichten 13 (Mai/Juni 1933), Nr. 3, 1f., hier 2. Dazu HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 165–167; BERNETT, Der jüdische Sport, 17f.; STEINHÖFER, Hans von Tschammer und Osten, 123f. (Dok. 5).
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entierung. Im Gegenteil distanzierte sie sich moderat von der Deutschen Turnerschaft (DT),27 die schnelle, klare und radikale Maßnahmen beschlossen und die Frage, wer Jude sei, sehr restriktiv beantwortet hatte.28 Dagegen blieb den Fußballvereinen ein breiter Ermessenspielraum, der jedoch eher eine Last gewesen zu sein schien, jedenfalls Verunsicherung und Kritik hervorrief. So verwies die Mitgliederzeitschrift des FCN auf die genannte „spontane Kundgebung von 14 süddeutschen Großvereinen in Stuttgart“, die sich zum „Führerprinzip“ bekannt und die Untätigkeit der übergeordneten Verbandsinstanzen kritisiert habe: Der „Umbau im Sport“ hätte „von seiten der Spitzenorganisationen mehr beschleunigt werden müssen.“29 Ähnlich kritisch äußerte sich der 1. FC Kaiserslautern zur zögerlichen Politik des DFB, der „gerade in den Tagen der nationalen Erhebung“ angeblich „vollständig versagte und zusah, wie die Vereine selbst zur Tat schritten“.30 Insbesondere die Politik des FCN zeigt, wie genau einzelne Vereinsvorstände die antisemitischen Entwicklungen im „Dritten Reich“ verfolgt hatten. Der DFB und die Reichssportführung erließen keine Direktiven, die mit der Rassenpolitik der NSDAP, wie sie sich am 1. April in den Maßnahmen zum „Judenboykott“ öffentlich manifestiert hatte, im Einklang standen. Deshalb orientierte sich der FCN mit seinem Verwaltungsausschussbeschluss vom 27. April 1933 am Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April. Die in der Ersten Verordnung des Gesetzes vom 11. April 1933 festgeschriebenen Normen übertrug der Fußballclub nur wenige Tage nach der Publikation des Gesetzes auf die Regelung der Mitgliedschaft, obwohl dies gegen die Vereinssatzung verstieß, und mochte damit glauben, trotz aller Unwägbarkeiten auf der sicheren Seite zu sein. 3. „Bayern“-Mitglied Josef „Sepp“ Mauder illustriert ein antisemitisches Pamphlet Die Stuttgarter Erklärung blieb nicht unbeachtet. Eugen Seybold, der Herausgeber der illustrierten Sportzeitschrift „Fußball“, kritisierte sie ebenso wie den Kurs des DFB aufs Schärfste. Seybold hatte sein Blatt früh, rasch und gründlich auf nationalsozialistischen Kurs gebracht. In drei programmatischen Leitartikeln, die im April 1933 unter dem Titel „HITLER und WIR“ erschienen, bekundete er seine Loyalität zum Hitler-Regime und seine Antipathie zum DFB (Abb. 1).31
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MÜLLENBACH, Das große Erlebnis in Köln, 926. Dazu BERNETT, Der jüdische Sport, 23–37. Sch–r [Autorenkürzel], Die Monatsversammlung im April, in: Vereinszeitung FCN, 1933, Nr. 5, 6f., hier 6. G.-V. beim 1. FCK, in: Pfälzische Volkszeitung, 24.4.1933. – Dazu Beitrag HERZOG, in diesem Band S. 143f. Fußball, Nr. 14, 4.4.1933, 4–6; Nr. 15, 11.4.1933, 4f.; Nr. 16, 19.4.1933, 4–7.
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Abb. 1: „Bayern“-Mitglied Josef „Sepp“ Mauder wünscht sich nationalsozialistisches „Grossreinemachen“ im DFB. – Illustration zur ersten Folge der Artikelserie „HITLER und WIR“, in: Der Fußball, Nr. 14, 4.4.1933, 24.
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Mit gehässigen Karikaturen illustrierte das „Bayern“-Mitglied Josef „Sepp“ Mauder (1884–1969) die pamphletistische Serie.32 Auch in früheren und späteren Nummern der Zeitschrift finden sich Illustrationen Mauders, die Hohn und Spott über den angeblich reaktionären DFB ergossen. Dessen Vorsitzenden Felix Linnemann karikierte Mauder als bettlägerig Siechen, als Spießer, Greis, geistig Unterbelichteten oder Vogelscheuche33 und hielt dem DFB jenen jugendlichen Elan entgegen, der sich in der sozialdemagogischen HJ-Parole „Macht Platz, Abb. 2: Sepp Mauder lässt eine Personifikation Ihr Alten!“34 wiederfindet (Abb. 2). Seybold setzte in dem damaligen Anti- der Sportzeitschrift „Fußball“ den konservativen DFB in Gestalt des Vorsitsemitismusdiskurs insofern einen eigenen zenden Felix Linnemann mit einem Akzent, als er die Stuttgarter Erklärung gezielten Fußballschuss aus dem einer antikapitalistischen Ideologiekritik Gleichgewicht bringen. – Karikatur in: unterzog, mit der er die ökonomischen Der Fußball, Nr. 21, 23.5.1933, 15. Interessen des bürgerlichen Sports entlarven zu können glaubte. So distanzierte er sich zunächst von der „politisch indifferente[n]“, verbandsegoistisch konservativen Politik des DFB, des SFLV und der in diesem Regionalverband organisierten Spitzenvereine. Sodann geißelte er die von diesen Vereinen signierte Stuttgarter Erklärung als prinzipienlose, „zum mindesten geschmacklos[e]“ Anpassung an die neuen politischen Verhältnisse. Diese Anbiederung verfolge ausschließlich das Ziel, die Einführung eines nur halbherzig gewollten Profifußballs, den „eine kleine Gruppe von kapitalstarken Großvereinen“ im SFLV auf die Agenda gesetzt hatte, politisch abzusichern. Seybold schmähte den Scheinamateurismus des DFB als „Ludersystem“, „Brutstätten des verkappten Amateurs“ und „Parasitentum“, das von jenen Juden als „Wortführer[n]“ mitgetragen worden sei, die nun aus den Mitgliederlisten gestrichen werden sollten. In diesem Kontext ließ Seybold einen Leserbriefschreiber zu Wort kommen, der „übelste Kriecherei“ witterte und hämisch betonte, dass es 32
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Auf der Webseite der „Bayern“ findet sich ein Bericht über Mauder, der die Illustrationen der von Seybold publizierten antisemitischen Artikel verschweigt: Exponat der Woche: Mauders Zeichnung – „Die Rothosen“ bleiben unvergessen, http://fcberlebniswelt.de/de/news/news/2013/die-rothosen-bleiben-unvergessen.php, 21.03.2013 13:44 (Zugriff am 5.5.2016). Zum Beispiel in Fußball, Nr. 2, 10.1.1933, 3; Nr. 4, 24.1.1933, 4; Nr. 19, 9.5.1933, 14; Nr. 21, 23.5.1933, 15. Dazu KATER, Hitler-Jugend, 7–16; KLÖNNE, Jugend im Dritten Reich, 91–95. – Eine „Verjüngungskur“ der Turn- und Sportvereinsvorstände entsprach durchaus dem Willen der Reichssportführung (BERNETT, Weg des Sports, 44).
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den süddeutschen Spitzenvereinen „unter Führung eines jüdischen Vorsitzenden einmal sehr gut ging!“ Insbesondere ging Seybold mit „Schiebern und Schmarotzern“, hart ins Gericht: vor allem mit Carl Diem und Theodor Lewald. Denn sie stünden dem „Aufbau eines herrlichen deutschen Fußballreiches“ im Weg. Der Sportfunktionär Carl Diem, den Seybold als „Pascha des deutschen Sports“ verhöhnte, wurde von der NS-Presse wegen seiner zahlreichen jüdischen Freunde als „weißer Jude“35 bezeichnet. Der „Halbjude“ Theodor Lewald, Staatssekretär a.D., IOC-Mitglied und DFB-Ehrenmitglied, war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Mauders Karikatur (Abb. 3) „Deutsche Sporteiche“ als erster Vorsitzender des Deutschen Reichsausschusses für Leibesübungen bereits zurückgetreten. Von daher erklärt sich, dass sein Ast in der Karikatur bereits ganz abgebrochen ist, während der „kapitalistische“ DFB, Reichstrainer Otto Nerz und Carl Diem dem Sturm der nationalsozialistischen Revolution nur noch wenig entgegen zu setzen haben.
Seybold glaubte sich berufen, für die „Proklamation des nationalen Sportes an Stelle des kapitalistischen“36 die Stimme erheben zu müssen. Er bezog damit in lupenreiner Klarheit die Position jenes Konkurrenzantisemitismus, mit dem der DFB, wie Nils Havemann überzeugend dargelegt hat, „die hochmoderne Ausrichtung des Verbandes verleugnet und verraten“37 hatte. In der Geschichte der Fußballkarikatur im „Dritten Reich“ ist es höchst ungewöhnlich, dass ein Künstler sich so offensichtlich wie Mauder in den Dienst politischer Interessen wie der Arisierungspolitik der NSDAP oder der Agitation gegen die Politik des DFB gestellt hat. Normalerweise lieferten die Karikaturisten der bürgerlichen Sportpresse „Sinnbilder einer heilen Welt“ und spiegelten damit die gesellschaftliche Funktion des Fußballspiels als „Unterhaltung und Zerstreuung“38 wider. Auf diese Linie schwenkte Mauder alsbald wieder ein, ab Juni 1933 findet er jedenfalls zurück in die Spur des eskapistischen FußballEntertainments. Lediglich einmal noch erscheint er im Jahr 1933 mit einer politischen Aussage. Auf einem Foto ist er – den „Hitler-Pokal“39 bewundernd in seiner Rechten haltend – zu sehen,40 dessen Wert er in der Bildunterschrift preist. 4. Das „Ermächtigungsgesetz“ zur Lösung der „Arierfrage im Club“ Beim FC Bayern München gestalteten sich die Entwicklungen hinsichtlich der „Arierfrage“ komplizierter als beim 1. FC Nürnberg oder dem TSV München 35 36 37 38 39 40
Dazu LENNARTZ, Reinhard Appel, 228–230. Dieses Zitat und alle Zitate der vorhergehenden drei Abschnitte in: SEYBOLD, HITLER und WIR. HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 165. Dazu RASE, Sinnbilder einer heilen Welt?, 258–270. Zum „Adolf-Hitler-Pokal für die Opfer der Arbeit“ HERZOG, „Eigenwelt“ Fußball, 17f. Fußball, Nr. 30, 25.7.1933, 22.
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Abb. 3: Die „Deutsche Sporteiche“ wird vom „Frühlingssturm“ der nationalsozialistischen Revolution geschüttelt; Theodor Lewald, der DFB mit Reichstrainer Otto Nerz und Carl Diem werden hinweggefegt. – Josef Mauders Illustration zur dritten Folge der Serie „HITLER und WIR“, in: Der Fußball, Nr. 16, 19.4.1933, 24.
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von 1860. Im Sommer 1933 nahm der FCB mit dem vormaligen Trainer Richard Dombi zumindest ein jüdisches Mitglied auf,41 was gegen die Stuttgarter Erklärung verstieß, wenn man sie wie die „Sechziger“ oder die beiden fränkischen Vereine interpretierte und vollzog. Am 12. April 1933 beschloss eine „Quartalsversammlung“42 die „Gleichschaltung“ des Clubs. Die bisherigen Vorstandsmitglieder wurden aus dem Vereinsregister gelöscht, Kriminaloberinspektor Siegfried Herrmann als erster Vorsitzender neu bestellt. Bereits auf dieser Versammlung setzte Herrmann ein „Ermächtigungsgesetz“43 durch, das im Bürgerlichen Gesetzbuch verankerte demokratische Rechte aushebeln und satzungswidrige Maßnahmen möglich machen sollte. In diesem Kontext erklärte Herrmann, „die Arierfrage im Club“ könne „ohne Aenderung der Satzungen nicht gelöst werden“.44 Der neu installierte „Vereinsführer“ setzte das „Ermächtigungsgesetz“ auf der Mitgliederversammlung am 12. April 1933 mit überwältigender Mehrheit gegen eine Nein-Stimme durch. Dieses zeitlich befristete „Notgesetz“ sollte den Vorstand ermächtigen, „unter Ausschaltung der derzeitigen Satzungen“ die Interessen des Vereins wahrzunehmen, da „in rein juristischer Weise sich die grossen Fragen des Augenblickes nicht meistern lassen“ würden. Der Vorstand sollte in die Lage versetzt werden, nicht durch „die Fesseln der Satzungen eingeengt“, den Verein an den NS-Staat anzupassen.45 Knapp eineinhalb Jahre später hatte Herrmann das „Führerprinzip“ so weit verinnerlicht, dass er sich nur „noch mit Schrecken an jene Zeit“ erinnerte, in der sich der Vorstand an eine Satzung als „Ausfluß der liberalistischen Weltanschauung“ und des „Parlamentarismus“ halten musste.46 Am 25. Oktober 1933 bestätigte eine Jahreshauptversammlung Herrmann als „Vereinsführer“, sie übernahm aus einer „Art Mustersatzung“ des DFB die Installation eines Ältestenrats als Organ der Vereinsführung und entschied über weitere Satzungsänderungen, die jedoch nur Formalien betrafen; Bestimmungen über nicht „arische“ Mitglieder waren nicht vorgesehen.47 Den Entwurf der neu41 42 43
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Mitgliederbewegung vom 15. August bis 15. Oktober 1933, in: Club-Nachrichten 13 (September/Oktober 1933), Nr. 5, 27. An unsere Mitglieder, in: Klubnachrichten 13 (Mai/Juni 1933), Nr. 3, 1. Das „Ermächtigungsgesetz“ lautete: „Die Vorstandschaft wird ermächtigt[,] alle auf Grund des weiteren Verlaufes der nationalen Erneuerung Deutschlands sich als notwendig erweisenden Anordnungen, Bestimmungen und Satzungsänderungen selbständig zu treffen. Alle diese Anordnungen, Bestimmungen und Satzungsänderungen bedürfen zu ihrer Rechtskraft noch der Bestätigung des Hauptausschusses.“ (AGM, VR 2463: Protokoll-Auszug Quartalsversammlung, 12.4.1933). – Dazu auch Beitrag HERZOG, in diesem Band S. 143–145. AGM, VR 2463: Niederschrift Quartalsversammlung, 12.4.1933 (Auszug). Dieses Zitat und die vorhergehenden Zitate AGM, VR 2463: Niederschrift Quartalsversammlung, 12.4.1933 (Auszug). Herrmann, Rückblick und Ausblick, in: Klubnachrichten 14 (August 1934), Nr. 3, 3–5, hier 3. AGM, VR 2463: Niederschrift Jahreshauptversammlung, 25.10.1933. – Die genannte „Mustersatzung“ wurde am 19. Oktober 1933 in der Zeitschrift „Deutscher Fußballsport“ veröffentlicht.
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en Satzung hatten die „Club-Nachrichten“ zusammen mit der Einladung zur Jahreshauptversammlung veröffentlicht.48 Die Beschlüsse der Versammlungen vom 12. April und 25. Oktober 1933 vollzogen die „Gleichschaltung“ des Clubs,49 der sich erleichtert zeigte, dass keine einschneidenden Änderungen vorgenommen werden mussten. Die Gleichschaltungsbeschlüsse wurden dem Registergericht jedoch erst fünf Monate später, am 23. März 1934, zur Eintragung vorgelegt. Herrmann erklärte den zeitlichen Verzug damit, dass „zunächst abgewartet werden mußte, ob nicht seitens unserer zuständigen Spitzenverbände Auflagen hinsichtlich [der] Vereinsführung noch erfolgen“50 würden. Auch aus dieser Erklärung spricht Unsicherheit im Hinblick auf die Positionierung der übergeordneten Instanzen des Sports. 5. Die beiden „Arierparagrafen“ des FC Bayern München von 1935 Am 9. Juni 1934 trat eine neue Satzung in Kraft, die das „Führerprinzip“ bestätigte, aber ebenso wie die Satzungsänderungen von 1933 keine Bestimmungen hinsichtlich der „Arierfrage“ vorsah. Auch die Jahreshauptversammlung am 19. September 1934 berührte das Thema nicht. Auf ihr wurde Rechtsanwalt Dr. Karlheinz Oettinger einstimmig zum neuen „Vereinsführer“ gewählt.51 Erst auf einer am 27. März 1935 einberufenen außerordentlichen Mitgliederversammlung drehte sich der Wind. Wichtigster Tagesordnungspunkt war die Annahme der Einheitssatzung des Deutschen Reichsbundes für Leibesübungen (DRL), der Dachorganisation des deutschen Sports. Die „Arierfrage“ war jedoch in der Einheitssatzung des Reichsbundes, die an die Vereine ausgegeben wurde, nicht geregelt. Der diesbezügliche Kommentar des Rechtsreferenten des Reichssportführers Stefan Nürck stellte fest, der Verein sei „an sich in seiner Entschließung frei, soweit nicht bestehende Verbandsbindungen ihm den Weg weisen.“ Im DFB gab es derartige „Bindungen“ hinsichtlich „nichtarischer“ Mitglieder nicht. Jedoch ergebe sich, so der Rechtsreferent weiter, in Bezug auf die „Nichtarier […] die Entscheidung bereits aus dem § 2 der Einheitssatzung von selbst,“52 die da lautete: „Der Verein bezweckt die leibliche und seelische Erziehung seiner Mitglieder im Geiste des nationalsozialistischen Volksstaates durch die planmäßige Pflege der Leibesübungen“.53 Diese Erläuterungen können nicht anders denn als indirekte Aufforderung gelesen werden, „dem Führer entgegenzuarbeiten“ (Ian Kershaw) und „Nichtarier“ vom Vereinsleben fern zu halten. 48 49 50 51 52 53
Die neue Satzung des FC Bayern, in: Club-Nachrichten 13 (September/Oktober 1933), Nr. 5, 20–23. AGM, VR 2463: Protokoll Amtsgericht München, Registergericht, 23.3.1934. AGM, VR 2463: Herrmann an Registergericht, 7.3.1934. AGM, VR 2463: Niederschrift Jahreshauptversammlung, 19.9.1934. NÜRCK, Sport und Recht, 47. NÜRCK, Sport und Recht, 34.
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Die relative Zurückhaltung der Reichssportführung, die sich von der Politik der DT unterschied, war in sportaußenpolitischen Motiven begründet. Die Reichssportführung wollte einen Boykott der Olympischen Spiele 1936 verhindern.54 Dennoch fügte der FCB einen „Arierparagrafen“, der sich am Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums55 orientierte, in die neue Satzung ein. Dieses Ausschlussdekret wurde von den 101 anwesenden Mitgliedern einstimmig beschlossen. Oettinger, der auf dieser Mitgliederversammlung ebenfalls einstimmig wiedergewählt wurde, gab laut Protokoll „den Wortlaut der neuen Satzung bekannt, wobei er ausdrücklich mitteilt, bei welchen Bestimmungen Aenderungen möglich sind, und welche Bestimmungen zwingend vorgeschrieben sind durch den Reichsbund.“56 Die Mitglieder dürften also erfahren haben, dass der „Arierparagraf“ seitens der Reichssportführung nicht „zwingend vorgeschrieben“, sondern eine gleichsam freiwillige Leistung war. Nicht jeder Fußballverein erbrachte diese Leistung, so beispielsweise der Karlsruher FV (KFV). In der 1935 beschlossenen Einheitssatzung des badischen Vereins war jedenfalls kein „Arierparagraf“ enthalten, obwohl auch dieser Verein die Stuttgarter Erklärung unterzeichnet hatte.57 Wie der FCN bereits 1933, so verpflichtete sich nun auch der FCB in § 4, Abs. 4 der Satzung auf die „Anwendung der Grundsätze des Reichsgesetzes betreffend die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“. In Anlehnung an das in § 3, Abs. 2 vorgesehene Frontkämpferprivileg des Reichsgesetzes blieben Mitglieder vom Ausschluss verschont, wenn sie bereits vor dem 1. August 1914 dem Club angehört oder im Ersten Weltkrieg für das Deutsche Reich oder seine Verbündeten gekämpft oder Väter oder Söhne in diesem Krieg verloren hatten. Für den Ausschluss „genügt[e], wenn ein Eltern- oder Grosselternteil nichtarisch ist,“ eine Bestimmung, die analog der Ersten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 11. April 1933 übernommen wurde.58 „Nichtarier“ galten im FCB „als mit dem 30. Juni 1935 mit dem ehrenvollen Austritt ausgeschieden.“59 Die Mitgliedsausweise der jüdischen Mitglieder waren ab diesem Stichtag ungültig. Angesichts dieser Ausschlussbestimmung zu behaupten, „dass bei den Bayern so gut wie alles beim Alten [habe] bleiben“60 können, ist schwer verständlich, aber nicht untypisch für den gegenwärtigen, von den Medien unterstützen Trend, vom FCB den Mythos eines gegen das NS-Regime resistenten „Judenvereins“ zu
54 55 56 57 58 59
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BERNETT, National Socialist Physical Education, 167–170. RGBl, Teil I, Nr. 34, 7.4.1933, 175–177. AGM, VR 2463: Niederschrift außerordentliche Mitgliederversammlung, 27.3.1935. KFV-Archiv, Satzung des KFV vom 23.8.1935. RGBl, Teil I, Nr. 37, 11.4.1933, 195. Dieses Zitat und die vorhergehenden Zitate AGM, VR 2463: Satzung des FCB, 27.3.1935; vgl. Satzung des Fußball-Club Bayern München e.V., in: Klubnachrichten 15 (Juli 1935), Nr. 7, 9–12, hier 11. KÄMPER, Kurt Landauer, 159.
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zimmern, dessen Mitglieder „vor der Nazizeit mehrheitlich Juden gewesen“61 seien, und dabei ganz offensichtlich auch einen „Arierparagrafen“ zu verharmlosen. Diese Schönfärbung der Fußballvereinsgeschichte im „Dritten Reich“ lässt sich auch bei Eintracht Frankfurt, einem weiteren prominenten „Judenverein“, beobachten. So soll der hessische Traditionsverein nach der Machteroberung der NSDAP „zunächst auf die Einführung radikaler judenfeindlicher Bestimmungen in seinen Reihen“62 verzichtet haben. Doch war das Gegenteil der Fall. In der Eintracht als Mehrspartenverein hielten sich die Abteilungen an die Vorgaben der jeweiligen Fachverbände.63 Deshalb schlossen beispielsweise die Abteilungen Leichtathletik und Boxen ihre jüdischen Mitglieder aus. Dabei übernahm die Boxabteilung der Eintracht den „Arierparagrafen“ des Deutschen Reichsverbandes für Amateurboxen bereits im Mai 1933.64 Die Fußballabteilung ist diesen Schritt jedoch nicht gegangen, und der Gesamtverein hat – ebenso wie der KFV und anders als die „Bayern“ – in die Einheitssatzung von 193565 keinen „Arierparagrafen“ eingefügt. Der FCB hatte zu der außerordentlichen Mitgliederversammlung vom 27. März 1935 in den „Klubnachrichten“, wie die Zeitschrift von der JuniAusgabe 1934 an hieß, eingeladen und eingeschärft: „Die Teilnahme an dieser wichtigen Generalversammlung ist Pflicht eines jeden Mitgliedes.“ Tagesordnungspunkt 3 lautete: „Beschlussfassung über die Annahme der neuen Einheitssatzung des Reichsbundes für Leibesübungen.“66 Das Magazin ging in einer kurzen Nachberichterstattung auf die Annahme der neuen Satzung ein, ohne dabei den „Arierparagrafen“ zu erwähnen.67 Kommentarlos veröffentlichte die JuliAusgabe der „Klubnachrichten“ die mit dem „Arierparagrafen“ ergänzte Einheitssatzung des DRL.68 Damit war allen klar: Mit dem 30. Juni 1935 waren sämtliche jüdischen Mitglieder aus dem FCB automatisch ausgeschlossen, sofern sie nicht unter die Frontkämpferklausel fielen. Sodann wählten 80 auf der ordentlichen Mitgliederversammlung am 26. Juli 1935 anwesende Mitglieder den Arzt Dr. Richard Amesmaier zu Oettingers Nachfolger.69 Amesmaier war NSDAP-Mitglied und gehörte der SA an. Seine 61
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So die Kritik von MELCHIOR, Landauer, 54. – In diesem Sinn ließ Regisseur Hans Steinbichler in „Landauer – Der Präsident“ (2014) Josef Bierbichler in der Rolle Landauers tatsächlich sprechen: „Ohne die Juden tät’s die Bayern wahrscheinlich überhaupt nicht geben. Weil nämlich die meisten von uns Juden waren in dem Verein […]. Aber die haben’s alle um’bracht oder aus dem Land g’jagt.“ PEIFFER/WAHLIG, Jüdische Fußballvereine, 20; WAHLIG, Sport im Abseits, 63. Dazu THOMA, „Wir waren die Juddebube“, 44–53. Vereinsnachrichten der Frankfurter Sportgemeinde Eintracht, Mai 1933. Dazu THOMA, „Wir waren die Juddebube“, 87f., 126. – Vgl. auch Beitrag BAHRO, in diesem Band S. 124, 130–134. Dieses und das vorhergehende Zitat Klubnachrichten 15 (März 1935), Nr. 3, 3. Klubnachrichten, in: Klubnachrichten 15 (April 1935), Nr. 4, 2. Satzung des Fußball-Club Bayern München e.V., in: Klubnachrichten 15 (Juli 1935), Nr. 7, 9–12. AGM, VR 2463: Niederschrift ordentliche Mitgliederversammlung, 26.7.1935.
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anfängliche Sympathie für den Nationalsozialismus wich später, offenkundig unter dem Eindruck des Unrechts, das dem ungemein populären Landauer angetan wurde, einer Distanzierung vom Hitler-Regime, die dazu führte, dass er sich 1939 aus der SA abmeldete.70 Unter Amesmaiers Vereinsführung berief die August-Ausgabe der „Klubnachrichten“ für den 19. September 1935 wiederum eine außerordentliche Mitgliederversammlung ein, deren Tagesordnung einen einzigen Punkt vorsah: „Satzungsänderung § 4 (Arierparagraph)“. Ergänzend wurde hinzugefügt: „anschließend 1. Kameradschaftsabend der neuen Spielzeit mit Verleihung der Spieler- u. Verwaltungs-Ehrenzeichen“.71 Da die Satzung vom 27. März 1935 bereits einen „Arierparagrafen“ enthielt, war zunächst unklar, warum ein halbes Jahr später eine außerordentliche Mitgliederversammlung zur Beschlussfassung über dieses Thema einberufen werden musste. Eine Erklärung bietet – neben der Wahl des NSDAP-Mitglieds Amesmaier zum „Vereinsführer“ – das 1935 neu installierte Amt des „Dietwarts“, der für die vereinsinterne ideologische Schulung zuständig war. Theo Slipek bekleidete es bei den „Bayern“ als Erster. Der SS-Mann übte in der „Arierfrage“ sogleich Druck auf die Mitglieder aus, schärfte die Notwendigkeit des Paragrafen ein72 und radikalisierte den FCB. Es sei, so die August-Nummer der „Klubnachrichten“, „Pflicht für jedes Bayernmitglied“, „an dieser Abstimmung teilzunehmen.“73 Wie viele Mitglieder die Versammlung jedoch besucht hatten, wird im diesbezüglichen Protokoll nicht vermerkt. Das ist eine bemerkenswerte Ausnahme, denn bei fast allen anderen Versammlungen nannte das Protokoll die Zahl der erschienenen Mitglieder.74 Wie dem auch sei, die Versammlung beschloss einstimmig, den bisherigen „Arierparagrafen“ zu streichen, stattdessen eine neue Formulierung in die Satzung aufzunehmen. Die Ausschlussbestimmung lautete nunmehr: „Nichtarier können in den F.C. Bayern nicht aufgenommen werden. Nichtarier ist, wer von nichtarischen Eltern oder Grosseltern abstammt. Es genügt, wenn ein Eltern- oder Grosselternteil nichtarisch ist.“75 Der neue „Arierparagraf“ unterschied sich von der Fassung, die am 27. März beschlossen worden war, im Wesentlichen durch die Streichung des Frontkämpferprivilegs. Das an die Erste Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums angelehnte Dekret zum Ausschluss 70 71 72 73 74
75
Zu Amesmaier HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 279. Klubnachrichten 15 (August 1935), Nr. 8, 1. Theo Slipek, Klubnachrichten – Der Dietwart spricht, in: Klubnachrichten 15 (August 1935), Nr. 8, 5. Mitgliederversammlung am 19.9.35, in: Klubnachrichten 15 (August 1935), Nr. 8, 7. Die Anzahl der an den Mitgliederversammlungen (MV), ordentlichen Mitgliederversammlungen (OMV), Jahreshauptversammlungen (JHV) und außerordentlichen Mitgliederversammlungen (AOMV) teilnehmenden Mitglieder schwankte stark: JHV 25.10.1933 (72), JHV 19.9.1934 (180), AOMV 27.3.1935 (101), OMV 26.7.1935 (80), MV 26.11.1936 (42), JHV 23.7.1936 (101), JHV 14.7.1937 (106), JHV 14.7.1938 (86), MV 24.4.1940 (50). – 1933 hatte der Club gemäß den Registergerichtsunterlagen circa 1000, 1934 circa 1100 Mitglieder. AGM, VR 2463: Protokoll Mitgliederversammlung, 19.9.1935.
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von Viertel- und Halbjuden, die von einem jüdischen Großeltern- bzw. Elternteil abstammten, wurde beibehalten. Hatte die am 27. März beschlossene Satzung den Ausschluss von Juden, die damals noch dem FCB angehört hatten, zum Ziel, so bezweckte die in Paragraf 4 überarbeitete Satzung vom 19. September 1935, die Aufnahme neuer jüdischer Mitglieder abzuwehren. Dabei setzte die Vereinsführung voraus, dass der Club zum 30. Juni 1933 tatsächlich „judenfrei“ war. Dies jedenfalls wurde als Begründung für „die Abänderung des Arierparagraphen“ angeführt, die „deshalb vorgeschlagen [worden sei], da sämtliche Nichtarier aus dem Verein ausgeschieden“76 seien. Sodann forderte die August-Ausgabe der „Klubnachrichten“ alle Mitglieder auf, binnen einer Woche eine Erklärung über ihre „arische“ Abstammung zu unterzeichnen, die als Formular in der Vereinszeitschrift enthalten war (Abb. 4a und 4b). Sie sollte ausgefüllt, ausgerissen und an die Geschäftsstelle des FCB geschickt werden.77 Wer nicht arischer Abstammung war, hatte „dies innerhalb der gleichen Zeit der Vereinsleitung mitzuteilen“ und galt „mit dem Inkrafttreten der neuen Satzung [automatisch als] ausgeschieden“,78 selbst wenn er oder sie den Austritt nicht von sich aus erklärt haben sollte. Doch schien das Interesse an dieser Maßnahme zur Erfassung der Clubmitglieder nach rassischen Gesichtspunkten gering gewesen zu sein. Jedenfalls klagte die Dezember-Nummer 1935, dass die „Erklärungen über die arische Abstammung […] noch sehr mangelhaft eingegangen“ seien.79 Da der Club aufgrund des korporativen Ausschlusses keine jüdischen Mitglieder mehr in seinen Reihen führte, konnte es sich bei der Aktion lediglich um eine Kontrollmaßnahme gehandelt haben. Mit der Verschärfung der „Arisierung“ im September 1935 holten die „Bayern“ eine Entwicklung nach, die von den Turnern längst vollzogen worden war. Denn zunächst hatte die Führung der DT im April 1933 einen „Arierparagrafen“ beschlossen, der die Frontkämpferklausel enthalten hatte. Diese Ausnahmebestimmung wurde jedoch bereits im Mai 1933 wieder aufgehoben und eine „Vollarisierung“80 angeordnet, wie sie ab dem 19. September 1935 auch bei den „Bayern“ in Kraft getreten war. Gleichwohl war der FCB nicht an die Normen der Turner gebunden, denn der Gesamtverein gehörte dem DFB, nicht der DT an. Da den „Bayern“ 1935 mit Oettinger jedoch ein angeblich der Ski-Abteilung verbundener Funktionär als „Vereinsführer“ vorstand, liegt die Vermutung nahe, dass er sich an jenem „Arierparagrafen“ orientierte, der vom Deutschen SkiVerband (DSV) 1933 beschlossen worden war. Die am 1. Oktober 1933 in Kraft getretene Satzung des DSV sah jedenfalls vor, dass „Nichtarier“ keine Füh76 77 78 79 80
AGM, VR 2463: Protokoll Mitgliederversammlung, 19.9.1935. Erklärung, in: Klubnachrichten 15 (August 1935), Nr. 8, 12. Arische Abstammung!, in: Klubnachrichten 15 (August 1935), Nr. 8, 11. Arische Abstammung, in: Klubnachrichten 15 (Dezember 1935), Nr. 9, 9. Arier-Grundsatz in der Deutschen Turnerschaft, in: Deutsche Turnzeitung 1933, Nr. 21, 401, zit. nach BERNETT, Der jüdische Sport, 128 (Dok. 4). – Zum Hintergrund dieser Entscheidung ebd., 24f., 34.
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Abb. 4a: Erklärung zur arischen Abstammung der Mitglieder des FC Bayern München, Vorderseite, in: Klubnachrichten des F.C. Bayern e.V. München, 15. Jg., Nr. 8, August 1935.
rungspositionen bekleiden konnten und für die Mitgliedschaft von „Nichtariern“ die Bestimmungen des Reichsgesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums sinngemäß anzuwenden waren.81 81
FALKNER, 100 Jahre, Bd. 1, 119f.; Bd. 3, 202 (Satzung DSV, 1.10.1933, § 14); DERS., Der Arierparagraph, 23f.
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Abb. 4b: Erklärung zur arischen Abstammung der Mitglieder des FC Bayern München, Rückseite, in: Klubnachrichten des F.C. Bayern e.V. München, 15. Jg., Nr. 8, August 1935.
Diese Entwicklung in der Geschichte des FCB wirft Fragen nach einem damals möglicherweise noch bestehenden Einfluss Landauers auf das Innenleben der „Bayern“ auf. Soll Landauer doch in der späteren Erinnerung des damaligen Bayern-Spielers Herbert Moll auch nach seinem Rücktritt im Hintergrund des FCB gewirkt haben.82 Ob Landauer noch im Jahr 1935 tatsächlich Einfluss auf 82
Dazu HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 278; Interview mit Moll in FISCHER/LINDNER, Stürmer, 181–187.
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seinen Verein ausgeübt haben konnte, ist in Anbetracht der radikalen Arisierungspolitik unter den „Vereinsführern“ Oettinger und Amesmaier jedoch mehr als zweifelhaft. 6. Streichung des „Arierparagrafen“ im Jahr 1937/38 Aus der weiteren mit dem Registergericht geführten Korrespondenz der „Bayern“ ergibt sich, dass der Club an der Formulierung des „Arierparagrafen“, die am 19. September 1935 beschlossen worden war, zunächst festgehalten, sie dann aber gestrichen hat. Wie kam es dazu? Das Registergericht forderte den Vorstand am 5. März 1937 dazu auf, eine Satzung in der geltenden Fassung einzureichen.83 Der Club reagierte, indem er eine am 26. November 1936 aufgrund von kleineren Änderungen beschlossenen und von Amesmaier gezeichneten Satzung an das Amtsgericht verschickte. In dieser neuen Fassung der Satzung war der „Arierparagraf“ in der Formulierung vom 19. September 1935 wörtlich enthalten.84 Dies gilt auch für eine spätere Fassung der Satzung. Damals amtierte bereits der am 14. Juli 1937 von 106 Mitgliedern einstimmig gewählte Oberlehrer Franz Paul Nusshart als „Vereinsführer“.85 Wiederum hatte das Registergericht, mit Schreiben vom 1. Dezember 1937, eine Satzung in der geltenden Fassung erbeten.86 Am 25. Januar 1938 versandte Nusshart einen Durchschlag der von Amesmaier am 26. November 1936 gezeichneten Fassung, in der lediglich das alte Datum der Satzung („26. November 1936“) und der Name des damaligen Vereinsführers („Dr. Richard Amesmaier“) gestrichen und mit neuen Daten („14. Juli 1937“ – „Franz Paul Nusshart“) maschinenschriftlich aktualisiert worden waren. Jedoch wurde in diesem Exemplar der Satzung darüber hinaus der „Arierparagraf“ per Hand durchgestrichen.87 Höchstwahrscheinlich ist die Streichung zeitgenössisch und wurde nicht nachträglich vorgenommen,88 um die Clubgeschichte zu schönen, da die „Arierparagrafen“ in allen anderen Fassungen der Satzung, die in der Registergerichtsakte enthalten sind, nicht angetastet wurden. Wie lässt sich die Streichung erklären? Möglicherweise hatte sich im FCB herumgesprochen, dass der am 19. September 1935 beschlossene Zusatz zu § 4, Abs. 4, der auch Viertel- und 83 84 85
86 87 88
AGM, VR 2463: Amesmaier an Registergericht, 2.4.1937. AGM, VR 2463: Satzung des FCB, 26.11.1936. AGM, VR 2463: Niederschrift Jahreshauptversammlung, 14.7.1937. – Franz Paul Nussharts Familienname wird im Fließtext, mit Ausnahme von Zitaten aus Protokollen nicht „Nußhart“ geschrieben, da er alle Dokumente mit „Nusshart“ signiert hat. AGM, VR 2463: Nusshart an Registergericht, 25.1.1938. AGM, VR 2463: Satzung des FCB, 14.7.1937. Das Datum und Amesmaiers Name wurden mit dem Buchstaben X einer Schreibmaschine, der „Arierparagraf“ jedoch von Hand mit schwarzer Tinte oder Tusche und Lineal durchgestrichen, offensichtlich mit jenem Füllfederhalter, den Nusshart auch zur Unterzeichnung der Korrespondenz verwendet hat.
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Halbjuden die Aufnahme verwehrte, aufgrund der im November 1935 in Kraft getretenen Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz und eines Gutachtens der Reichssportführung rechtswidrig und seit dem 1. Januar 1936 nichtig war. Dieses Gutachten hatte zwar zum „Arierparagrafen“ der DT Stellung genommen, betraf in der Sache selbst aber auch die Satzung der „Bayern“. Denn der „Arierparagraf“ des FCB war ebenso wie jener der DT schärfer gefasst, als die den „Nichtariern“ im Reichsbürgergesetz von 1935 geltenden Bestimmungen. Nach dem Reichsbürgergesetz galt als Jude, wer von drei, als „Halbjude“ bzw. „jüdischer Mischling ersten Grades“,89 wer von zwei jüdischen Großeltern abstammte. Halbjuden galten „vorläufig als Reichsbürger“. Nach § 6 des Reichsbürgergesetzes konnten „Halbjuden“ nicht vom öffentlichen Leben ausgeschlossen oder in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden. „Sonstige Anforderungen an die Reinheit des Blutes“,90 die über das Reichsbürgergesetz hinausgingen, bedurften der Zustimmung des Reichsministers des Innern. Gemäß dem „Arierparagraf“ der DT und des FCB waren nicht nur „Halbjuden“, sondern auch „Vierteljuden“ bzw. „jüdische Mischlinge zweiten Grades“ von den Mitgliederlisten zu streichen, was nach nationalsozialistischer Auffassung rechtswidrig war. Das Gutachten der Reichssportführung war im Hinblick auf die Olympischen Spiele außenpolitisch motiviert, diente es doch der „Klarstellung gegenüber der besonders im Ausland häufig aufgestellten Behauptung über die Rechtlosigkeit der Juden im Reich.“91 Gemäß dem Reichsbürgergesetz und dessen von der Reichssportführung vorgenommenen Interpretation war es Vereinen darüber hinaus verwehrt, die Aufnahme von Mitgliedern „mit dem Fehlen der Ariereigenschaft“ zu begründen. „Die Streichung eines Juden um seines Judentums willen würde daher einen Verstoß gegen das Gesetz“ darstellen.92 Mit ihren „Arierparagrafen“ hatten die DT und der FCB ihre „nichtarischen“ Mitglieder demzufolge schlechter behandelt als der nationalsozialistische Unrechtsstaat in seinen Rassegesetzen.93 Nusshart hatte den zweiten „Arierparagrafen“ der „Bayern“ per Hand aus der Satzung gestrichen. Offenkundig wurde diese Satzungsänderung von keiner Mitgliederversammlung beschlossen; darüber hinaus war sie kein Thema in der von Nusshart mit dem Registergericht geführten Korrespondenz. Alle anderen, noch so geringfügigen Änderungen der Satzung wurden den Clubmitgliedern rechtzeitig bekannt gemacht, von der Mitgliederversammlung beschlossen, sodann dem Registergericht gemeldet und von diesem daraufhin geprüft, ob sie mit dem Vereinsrecht konform gingen. Möglicherweise entsprach die klammheimliche Streichung des „Arierparagrafen“ aus der Satzung der „Bayern“ dem Verhalten von Turnvereinen, die ihre Satzungen ebenfalls stillschweigend an die neue Rechts89 90 91 92 93
Zum Schicksal der sogenannten Mischlinge im „Dritten Reich“ TENT, Im Schatten. Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14.11.1935, § 6, Abs. 2, in: RGBl, Teil I, Nr. 125, 14.11.1935, 1334. NÜRCK, Arier-Paragraph, 132. NÜRCK, Arier-Paragraph, 133. Dazu BERNETT, Der jüdische Sport, 35.
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lage angepasst, die ausgeschlossenen Halbjuden jedoch nicht wieder aufgenommen hatten.94 7. Der „Arierparagraf“ in der Einheitssatzung des NSRL von 1940 Weder der DFB noch der DRL, weder die Reichssportführung noch andere staatliche Behörden hatten den Fußballclubs bis 1940 einen „Arierparagrafen“ vorgeschrieben, der die Sport treibenden Mitglieder betraf. Dies änderte sich jedoch im Zuge der Transformation des DRL in den Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen (NSRL) im Dezember 1938. Durch „Führer-Erlass“ vom 21. Dezember 1938 wurde die Dachorganisation des deutschen Sports nun zu einer von der NSDAP „betreuten“ Einrichtung.95 Die Ende 1939 in Kraft getretene Satzung des NSRL enthielt in dem die Mitgliedschaft regelnden Paragrafen 3 keine die „Arierfrage“ betreffenden Bestimmungen.96 Anders verhielt es sich mit jener Einheitssatzung, die der NSRL im Frühjahr 1940 an die Vereine mit der Anordnung verschickte, die Satzung anzunehmen und einen „Arierparagrafen“ einzufügen. Dies musste jedoch hand- oder maschinenschriftlich geschehen, da die entsprechende Formulierung nicht in die Satzung eingedruckt, sondern im Amtsblatt „NS-Sport“ publik gemacht worden war.97 Für diesen Paragrafen hatte die Reichssportführung in den Formularen unter § 4, Abs. 698 eigens ein Feld freigelassen. Der FCB fügte sich der Anordnung, obwohl „viele Vereine es übersehen haben“,99 das Feld auszufüllen, wie die Reichssportführung beklagte. 50 „Bayern“ beschlossen auf der Mitgliederversammlung am 24. April 1940 einstimmig die Annahme der Einheitssatzung des NSRL.100 Vorschriftsgemäß enthielt sie auf dem dafür vorgesehenen freien Feld in § 4 bei Abs. 6 folgende, handschriftlich eingefügte Formulierung: „Mitglieder können nicht Personen sein, die nicht deutschen od. artverwandten Blutes – od. solchen gleichgestellt – sind.“101 Warum die Reichssportführung den „Arierparagrafen“ nicht in die gedruckten Formulare der Einheitsatzung aufgenommen hatte, sondern ihn von den Vereinen hand- oder maschinenschriftlich einfügen ließ, ist nicht geklärt. Sportaußenpolitische taktische Rücksichten, die im Vorfeld der Olympischen Spiele 1936 den Ausschlag für eine Mäßigung der Reichssportführung in der „Arierfrage“ noch gegeben hatten, mussten im Hinblick auf die Planungen der Olympischen Winterspiele 1940, die an Garmisch-Partenkirchen vergeben worden waren, nicht 94 95 96 97 98 99 100 101
Dazu WAHLIG, Sport im Abseits, 48. Dazu TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 193–216. CuLDA, Mappe 32: Satzung des Nationalsozialistischen Reichsbundes für Leibesübungen, 24.11.1939. NS-Sport, Nr. 12, 24.3.1940, 2. Nicht in § 5, so fälschlicherweise PEIFFER/WAHLIG, Juden im Sport, 33. Von Fall zu Fall. Neue Einheitssatzung, in: Nr. 18, NS-Sport, 5.5.1940, 2. AGM, VR 2463: Niederschrift Mitgliederversammlung, 24.4.1940. AGM, VR 2463: Satzung des FCB, 24.4.1940.
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mehr genommen werden; denn das deutsche Organisationskomitee hatte die Spiele kriegsbedingt bereits am 22. November 1939 zurückgegeben.102 Allenfalls die deutsche Bewerbung um die Fußballweltmeisterschaft 1942 könnte als sport(außen)politischer Grund für diese Zurückhaltung angeführt werden, ein Thema, das sich selbst 1940 noch nicht ganz erledigt hatte.103 Ein psychologisches Motiv könnte darin bestanden haben, die Vereine mit in die Verantwortung für den Ausschluss der Juden zu nehmen, indem sie gezwungen waren, den „Arierparagrafen“ in das dafür vorgesehene Feld manuell einzutragen. Bei der Einführung der Einheitssatzung von 1935 verfuhr die Reichssportführung in Bezug auf die „Nichtarier“ noch etwas vorsichtiger, indem sie darauf hinwies, dass sich diesbezügliche Entscheidungen bereits aus dem satzungsgemäßen Zweck des DRL deshalb „von selbst“ ergäben, weil die Vereine ihre Mitglieder „im Geiste des nationalsozialistischen Volksstaates“104 durch Sport erziehen.
Aufs Ganze gesehen unterschied sich der FC Bayern München kaum von anderen deutschen Fußballclubs. Er bekannte sich nach der „Machtergreifung“ der NSDAP frühzeitig und vorbehaltlos zum neuen Staat, gab sogar vor, keine gravierenden Umstellungen vornehmen zu müssen, da er sich in den drei Jahrzehnten seines Bestehens „stets zum vaterländischen Gedanken bekannt“ habe und „sich auch heute restlos in den Dienst der nationalen Aufbauarbeit“105 stelle. Selbst das „Führerprinzip“ habe „schon seit Jahren beim Club Eingang gefunden“.106 So jedenfalls formulierte es „Vereinsführer“ Herrmann, als wäre der Club schon immer eine Art Formation der NSDAP gewesen. Aber dieser Blick in die Vergangenheit wurde nicht von jedem geteilt. Dietwart Slipek kritisierte, „aus früheren Zeiten [gelte] der Club nicht gerade als auf rein völkischer Grundlage aufgebaut“, deshalb seien „schon früher von vielen Seiten manche Bedenken ausgesprochen“ worden, „die im nationalsozialistischen Staat mehr denn je ihre Berechtigung“107 hätten. Slipek publizierte diese Kritik im Kontext seiner Propaganda für die „Arisierung“ der Mitglieder und deren Erfassung nach rassischen Gesichtspunkten. Derartige unterschiedliche oder gegensätzliche Auffassungen in den Turn- und Sportvereinen des „Dritten Reichs“ sind nicht nur aus der Geschichte des FCB, sondern auch aus anderen deutschen Sportvereinen bekannt.108 102
103 104 105 106 107 108
Vorbereitungen zu den V. Olympischen Winterspielen 1940 Garmisch-Partenkirchen, Amtlicher Bericht, Hrsg. Organisationskomitee der V. Olympischen Winterspiele e.V. von Generalsekretär Dr. Carl Diem, 3, zit. in: KLUGE, Olympische Winterspiele, 156f.; vgl. BERNETT, Scheitern, 276. Dazu HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 248–254. NÜRCK, Sport und Recht, 47. Siegfried Herrmann, An unsere Mitglieder, in: Club-Nachrichten 13 (Mai/Juni 1933), Nr. 3, 1f., hier 1. Siegfried Herrmann, Bericht über das Geschäftsjahr 1932/33, in: Club-Nachrichten 13 (September/Oktober 1933), Nr. 5, 1–18, hier 18. Theo Slipek, Klubnachrichten – Der Dietwart spricht, in: Klubnachrichten 15 (August 1935), Nr. 8, 5. Beispielsweise der 1. FC Kaiserslautern, dazu HERZOG, Der „Betze“, 88–91.
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Soviel zur formalen Seite der Positionierung in der „Arierfrage“, wie sie beim FCB in der Entwicklung der Satzungen von 1933 bis 1940 nachvollzogen werden kann. Über die eigentlich virulente Frage, ob und inwieweit die drei von Mitgliederversammlungen jeweils einstimmig beschlossenen „Arierparagrafen“ in die Tat umgesetzt wurden, lässt sich in Ermangelung von Unterlagen nicht beantworten. Sicher ist, dass einzelne jüdische Mitglieder bereits 1934 aus dem Verein austraten;109 sicher ist jedoch auch, dass der FCB durch keine Direktive übergeordneter Instanzen genötigt war, diesen Paragrafen in die Einheitssatzung des DRL von 1935 aufzunehmen. In diesem Punkt unterschieden sich die „Bayern“ von den „Sechzigern“, bei denen der Gesamtverein der DT angehörte und deshalb zur Annahme des radikalen „Arierparagrafen“, der die berüchtigte „Vollarisierung“ der Turner vorschrieb, verpflichtet war. In Anbetracht dessen ist die Feststellung „Was nicht unbedingt umgesetzt werden muss, wird auch nicht umgesetzt“ im Hinblick auf die „Gleichschaltung“ des FCB ebenso wenig zutreffend wie die These, es habe „Probleme mit der ‚Arisierung‘“ gegeben oder bei den „Bayern“ seien „keine Leute am Werke“ gewesen, die „ein persönliches Interesse an beschönigenden Betrachtungen und Unterschlagungen“ hätten haben müssen.110 Und als noch viel weniger haltbar erweist sich die Beteuerung, der FCB habe sich, „besonders im Vergleich mit anderen Sportvereinen, bezüglich der NS-Zeit letztlich nichts vorzuwerfen“.111 Derartige Feststellungen beabsichtigen ganz offensichtlich, die „Bayern“ mit der Aura eines „Judenclubs“ zu umgeben, die von Kurt Landauer ausging und deren Strahlkraft angeblich so stark war, dass sich der Club selbst in den Jahren des „Dritten Reichs“ von anderen Fußballvereinen und dem DFB so markant unterschieden habe, dass er in moralischer Hinsicht eine Sonderstellung in der deutschen Sportgeschichte des „Dritten Reichs“ einnehme. 8. „Unsere sportliche Arbeit muss nun Selbstzweck sein“: Sport, Ökonomie und Politik Die hier skizzierte Chronologie erlaubt einige Schlussfolgerungen, auf deren Basis dicke Fragezeichen hinter zwei prominente und zudem stark wertende Interpretationen des Verhaltens bürgerlicher Sportvereine nach der Machteroberung der NSDAP gesetzt werden müssen. Zum einen widerspricht das Verhalten des FCB der aus der DDRSporthistoriografie übernommenen112 und noch heute bisweilen vertretenen Deutung, die bürgerlichen Turn- und Sportvereine hätten im Frühjahr 1933 „nur auf ein Signal gewartet“, um die „nationalsozialistischen politisch-ideologischen 109 110 111 112
SCHULZE-MARMELING, Der FC Bayern, 2. Auflage, 174. Dieses Zitat und die beiden vorhergehenden Zitate SCHULZE-MARMELING, Der FC Bayern, 2. Auflage, 171, 174, 246. FISCHER/LINDNER, Stürmer, 180. ZÖLLER, Fußball, 148f.
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Grundsätze“113 im gesellschaftlichen Subsystem Sport verankern zu können. Doch ganz im Gegenteil herrschten im FCB ebenso wie in zahlreichen anderen Fußballvereinen trotz aller propagandistischen Verlautbarungen zunächst Verunsicherung und Ratlosigkeit vor. Noch im Juni 1934 kündigte die Mitgliederzeitschrift an, der FCB werde Landauer die Silberne Ehrennadel verleihen; darüber hinaus war Landauer nach wie vor Mitglied des Ältestenrates, ein Organ des Vorstands, dem Mitte 1934 auch andere langjährige jüdische „Bayern“Mitglieder abgehörten.114 Dass es die „Bayern“ mit dem „Arierparagrafen“ nicht eilig hatten, beweist dessen relativ späte Einführung im Jahr 1935. Gleichwohl wurde dies von keiner übergeordneten Instanz gefordert. Ganz im Gegenteil erwies sich der „Arierparagraf“ des FCB ebenso wie jener der DT bereits ab dem 1. Januar 1936 nach den Normen des NS-Staats als rechtswidrig und damit nichtig.115 Deshalb ist zum anderen auch die euphemistische Behauptung, die Historie des FCB im „Dritten Reich“ sei eine „Heldengeschichte“116 gewesen, der Club habe sich „bezüglich der NS-Zeit letztlich nichts vorzuwerfen“117 mehr als fragwürdig. Denn damit könnte man die Historie zahlloser Sportvereine in der NSZeit, die sich, um ihre Existenz zu sichern, in ein ambivalentes Beziehungsgeflecht von Opportunismus und Insubordination dem Regime gegenüber positioniert hatten, als heroisches Epos stilisieren. Das würde einer schrankenlosen Verharmlosung des Sports im Nationalsozialismus Tür und Tor öffnen. Diese Sicht erinnert an unkritische Darstellungen früherer Jahrzehnte, die den Fußball der NS-Zeit als „Oase im Sturm“118 stilisierten und in ihrem Drang zu schönfärberischer Weichzeichnung von der Sporthistoriografie längst überholt sind.119 Beide Formate werden mit ihren Schwarz-Weiß-Zeichnungen den Ambivalenzen des Lavierens und Taktierens der Fußballclubs, dem Ineinander von Resistenz und Anpassung, den Grauzonen und Widersprüchen, der Treue zu den Prinzipien des Sports und deren gleichzeitigem Verrat nicht gerecht. In aller Regel handelten die Fußballclubs ebenso wie der nationale Verband entlang den Leitplanken eines „Vereinspragmatismus als Grundprinzip“,120 ihnen ging es an erster Stelle darum, weiterspielen zu können.121 Diesem Interesse ordneten sie alles andere unter. Dass sie an Politik nicht sonderlich interessiert waren und sich in zahlreichen Bereichen der Ideologisierung des Sports spröde verweigerten, ist wahrhaft kein Spezifikum der „Bayern“, sondern lässt sich ebenso in anderen 113 114 115 116 117 118 119 120 121
PEIFFER, Sport im Nationalsozialismus, 43f. – Dazu kritisch HERZOG, Fußball unter dem NS-Regime, 309–316. Klubnachrichten 14 (Juni 1934), Nr. 1, 6–8, 10f. Dazu auch Beitrag HERZOG, in diesem Band S. 177–179. Schulze-Marmeling in FRITSCH, Interview. FISCHER/LINDNER, Stürmer, 180. Dazu HERZOG, Forschung, Märchen und Legenden, 97f. Dazu HAVEMANN, Der DFB im Dritten Reich; HERZOG, „Kleine Strukturen“, 404–415, 425–427; DERS., Forschung, Märchen und Legenden, 93–116. Dazu ausführlich REICHELT, Fußball, 143–146, 359–362. Dazu auch HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 331–343.
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Fußballclubs oder, wie Nils Havemann ausführlich nachgezeichnet hat, im DFB nachvollziehen. Das Gleiche gilt für die vereinsinternen Rivalitäten einzelner Abteilungen oder die zwischen Funktionsträgern bestehenden Spannungen oder die Unlust zur Verankerung des Dietwesens im Vereinsleben. Verglichen mit anderen Sportarten122 war der Fußball in der Tat weniger anfällig für den Rassismus der NSDAP. Dennoch passten sich die Clubs im Sinn einer unpolitischen Mobilisierung123 an den neuen Staat an, und zwar auch dann, wenn deren Funktionsträger dem „Dritten Reich“ gegenüber reserviert eingestellt waren. In den Verwaltungsebenen des Fußballs handelten in aller Regel keine Schurken oder Helden, sondern Funktionsträger, die darauf erpicht waren, das Kulturgut Sport durch die Zeit zu bringen. FCB-„Vereinsführer“ Oettinger brachte diese Einstellung nach dem Vollzug der „Gleichschaltung“ und der Einführung des „Arierparagrafen“ im Frühjahr 1935 wie folgt auf den Punkt: „Unsere sportliche Arbeit muss nun Selbstzweck sein.“124 Genau in diesem Sinn hatte Oettingers Amtsvorgänger Herrmann das Ziel verfolgt, „den Club auch in den schweren Gegenwartszeiten zu alter sportlicher und gesellschaftlicher Grösse zu führen“ bzw. „den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufstieg des Clubs“125 zu fördern. Aus den Protokollen der Jahreshauptversammlungen der 1930er Jahre spricht generell die große Sorge der Vereinsführung, Teile der Mitglieder könnten sich vom Club abwenden, die Veranstaltungen nicht mehr regelmäßig besuchen, da die sportlichen Ziele nach dem Gewinn der Meisterschaft 1931/32 nicht mehr erreicht werden konnten und sich deshalb auch die finanzielle Situation immer schwieriger gestaltete. So konnte im Spieljahr 1932/33 ein Verlust aufgrund eines glücklichen Kursgewinns von Rentenpapieren, der am Tag der Bilanzierung erzielt worden war, verhindert werden, während die Spieljahre 1934/35 und 1935/36 mit einem Defizit abgeschlossen werden mussten. Auch die in den Haushaltsvoranschlägen angesetzten Einnahmen entwickelten sich zunehmend ungünstig. Beliefen sie sich für das Spieljahr 1936/37 noch auf 32.200 Reichsmark und 1937/38 auf 33.600 Reichsmark, so sanken sie 1938/39 auf 28.400 Reichsmark, sodass Mittel für „‚Neuerwerbungen‘ nicht vorhanden“ waren und „der Klub sich auf die bisherigen Spieler stütze[n]“ musste.126 Zudem wurden auf der Jahreshauptversammlung am 23. Juli 1936 erhebliche Unregelmäßigkeiten beim Inkasso der Mitgliedsbeiträge festgestellt, das deshalb in neue Bahnen gelenkt werden musste. Somit war es vermutlich kein Zufall, dass auf dieser Sitzung mit Franz Wagner
122 123 124 125 126
Dazu Beitrag BAHRO, in diesem Band S. 130–134. GOCH/SILBERBACH, Zwischen Blau und Weiß liegt Grau, 133. AGM, VR 2463: Niederschrift außerordentliche Mitgliederversammlung, 27.3.1935. AGM, VR 2463: Niederschrift Jahreshauptversammlung, 25.10.1933. AGM, VR 2463: Niederschrift Jahreshauptversammlung, 14.7.1938.
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ein Steuerinspektor und auf der Jahreshauptversammlung am 17. Juli 1937 mit Max Schur ein Kaufmann als stellvertretende Vereinsführer bestimmt wurden.127 Diese Versammlung hatte es insofern in sich, als „kein Vorsitzender gefunden werden konnte“. Die Debatte hatte beim Tagesordnungspunkt Vereinsführerwahl „erregte Formen“ angenommen, bis sich Nusshart erneut zur Übernahme des Amtes beknien ließ.128 Als Nusshart ein Jahr später von diesem Amt zurücktrat, erklärte auch er, „sich lange um einen Nachfolger bemüht zu haben.“129 Während die bisherige Forschung von der Vermutung geleitet war, ein Hauptproblem des FCB im „Dritten Reich“ habe darin bestanden, „die Nationalsozialisten so weit wie irgend möglich aus der Vereinsführung herauszuhalten“,130 belegen die Protokolle der Mitgliederversammlungen, dass es sich in der Phase der „zweiten Gleichschaltung“131 ab 1935/36 als zunehmend schwierig erwies, überhaupt jemanden zu finden, der bereit war, das Amt des „Vereinsführers“ zu übernehmen.132 Entgegen der vorherrschenden Meinung war der sportliche und finanzielle Abwärtstrend des FCB nicht darin begründet, dass der Club von der NSDAP benachteiligt worden wäre. Vielmehr setzten die Schwierigkeiten einerseits unmittelbar nach der Meisterschaft 1931/32 ein und verstetigten sich im weiteren Verlauf der 1930er Jahre. Andererseits erschwerte die NS-Sportpolitik die Vereinsarbeit zweifelsohne in verschiedenen Bereichen; aber das war keineswegs spezifisch für die „Bayern“. Unter der Abstellung von Spielern zu Parteiveranstaltungen, zum „Hitler-Pokal“ bzw. Reichsbundpokal und zu WinterhilfswerkSpielen oder unter der Auflösung der Jugendabteilungen und deren Überführung in die Hitlerjugend hatten alle Sportvereine zu leiden. Des Weiteren war das Kontingent der verfügbaren jungen Männer durch die Einführung der zweijährigen Wehrpflicht, den Reichsarbeitsdienst und die konkurrierenden NSFormationen so stark eingeschränkt, dass man 1937 mit Fug und Recht als „Krisenjahr“ der im DRL organisierten Vereine bezeichnen kann.133 Mit diesen Änderungen lässt sich nicht jene Opferrolle begründen, in die der Club nach 1945 schlüpfen wollte. Die sportlichen und finanziellen Probleme des Vereins hatten bereits vor der Machteroberung der NSDAP begonnen und sie setzten sich nach dem Ende des „Dritten Reichs“ fort. An der mangelnden Attraktivität der Vereinsführung änderte sich nämlich auch nach 1945 zunächst wenig; der Vorsitz der „Bayern“
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Zu sinkenden Mitgliederzahlen und den damaligen Schwierigkeiten beim Inkasso der Mitgliedsbeiträge HERRMANN, Chronik, 109–111. AGM, VR 2463: Niederschrift Jahreshauptversammlung, 14.7.1937. AGM, VR 2463: Niederschrift Jahreshauptversammlung, 14.7.1938. KÄMPER, Kurt Landauer, 158f.; vgl. FISCHER/LINDNER, Stürmer, 178f.; BITZER/WILLTING, Stürmen, 45; SCHULZE-MARMELING, Der FC Bayern, 2. Auflage, 162–185. Zur Unterscheidung von „erster Gleichschaltung“ und „zweiter Gleichschaltung“ HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 114–119, 190–213. Dazu auch HERRMANN, Chronik, 115. Dazu TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 195.
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schien ein wenig lustvolles Amt gewesen zu sein, wie die vielfach kritisierten und allgemein bedauerten personellen Wechsel belegen.134 Nach Ausbruch des Krieges hatten sich ohnehin andere Schwierigkeiten in den Vordergrund gedrängt. Im April 1940 beklagte der FCB einerseits den Verlust eines Mitglieds, das beim Bombenattentat auf Hitler im Münchner Löwenbräukeller zu Tode gekommen war,135 und zeigte sich andererseits stolz, dass „nicht weniger als 243 [Mitglieder] der Wehrmacht“ angehörten, obwohl sie dem Verein für die Aufrechterhaltung des Sportbetriebs nun fehlten. Dennoch erklärte der stellvertretende „Vereinsführer“ Nusshart, „es sei augenblicklich nicht wichtig, daß Fußball gespielt werde, sondern daß Deutschland den ihm aufgezwungenen Kampf siegreich bestehe.“136 Es entbehrt dabei nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet der FCB sich im Sommer 1937 von „Oberführer Oberhuber“137 Unterstützung erhoffte. Denn Karl Oberhuber (1900–1981), der damals gerade erst drei Monate als Fachwart für Fußball und Rugby im Gau 16 (Bayern) des DRL amtierte,138 war Mitglied im TSV München von 1860, er spielte bei den „Alten Herren“ der „Löwen“ und entpuppte sich spätestens, als er Sportbereichsführer in Bayern geworden war, als ein Funktionär, der seine Machfülle rücksichtlos ausnutzte, um den eigenen Verein, also die „Sechziger“, einseitig zu protegieren.139
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AGM, VR 2463: Niederschrift außerordentliche Generalversammlung 19.4.1955; Niederschrift Jahreshauptversammlung 19.7.1955. Nusshart beklagte den Tod des am 21. Januar 1889 geborenen Klubmitglieds Michael Wilhelm Kaiser, „der dem ruchlosen Attentat am 8.11.39 im Bürgerbräukeller zum Opfer fiel“ (AGM, VR 2463: Niederschrift Jahreshauptversammlung, 24.4.1940), also dem von Johann Georg Elser auf Hitler erfolglos verübten Sprengstoffanschlag im Löwenbräukeller München. – Kaiser war langjähriger Hitler-Anhänger, SA-Sturmhauptführer, stellvertretender Führer der NSKK-Motorstandarte 86, im Ersten Weltkrieg ausgezeichnet mit dem EK II und dem Bayerischen Militärverdienstkreuz; er gehörte zu den acht Opfern des Elser-Attentats, die in der NS-Presse als „Blutzeugen der Bewegung“ gefeiert wurden. – Dazu Münchener Neueste Nachrichten, 10.11.1939. AGM, VR 2463: Niederschrift Jahreshauptversammlung, 24.4.1940. AGM, VR 2463: Niederschrift Jahreshauptversammlung, 14.7.1937. Dazu HERZOG, „Blitzkrieg“, 17. Dazu umfassend HERZOG, „Blitzkrieg“; DERS., Sport im Nationalsozialismus; DERS., German Blitzkrieg Football. – Zu Oberhubers frühen Aktivitäten im Fußball seien folgende Daten nachgetragen: Ab 1919 gehörte Oberhuber im FC Traunstein zur 1. Mannschaft und nahm die Position eines „Läufers“ ein. 1928 errang er mit dem Team die Chiemgau-Meisterschaft. In diesem Jahr wurde er auf einer Gautagung in Trostberg zum Gauvorsitzenden gewählt. Damit hatte, wie eine Festschrift des Clubs feststellte, „der Verein auch nunmehr sehr bestimmenden Einfluß auf die Verbandsgeschäfte; daß dies nicht zum Nachteil des Clubs war, steht fest, daß aber die Verbandsgeschäftsführung ebenso einwandfrei war, beweist die Tatsache, daß der Gauvorsitzende bis zum Jahre 1932 in Traunstein war!“ (25jähriges Stiftungsfest, 46). 1931/32 gehörte Oberhuber als Schriftführer zum Vorstand des FC, 1934/35 war er zunächst Sportwart und übernahm nach einem Wechsel im Vorstand das Amt des stellvertretenden Vereinsführers (ebd., 63) (freundliche Mitteilung von Franz Haselbeck, Stadtarchiv Traunstein, E-Mail, 8.1.2016).
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Dass sich die in Oberhuber gesetzten Hoffnungen alsbald zerschlagen hatten, strich die anlässlich des 50. Gründungsjubiläums erschienene Festschrift des FCB heraus. Auf Oberhubers Bevorzugung des TSV München von 1860 habe der FCB mit der Installierung des Oberregierungsrats bzw. Regierungsdirektors Josef Kellner zu reagieren versucht, um die Existenz des Vereins zu sichern. Vor allem sei es den „Bayern“ darum gegangen, „das Gespenst von geplanten ‚Orts[sport]gemeinschaften‘“ zu bannen, von dem der FCB befürchtet hatte,140 gemeinsam mit anderen Vereinen in „einen verzweifelten Existenzkampf“ geführt und letztlich zu einem „Großvereinsgebilde“141 zusammengeschlossen und „gleichgeschaltet“ zu werden. Erst als es die „nationalsozialistische Fraktion im Verein“, zu der vor allem die Skiabteilung gehörte, zum Jahresende 1942 geschafft hatte „endlich ihren Kandidaten [Verlagsdirektor Josef] Sauter als Vereinsführer durchzubringen“,142 verbesserte sich die im Vergleich zu den „Sechzigern“ schlechte Beziehung der „Bayern“ zum nationalsozialistischen Stadtregiment.143 So jedenfalls will es die Historiografie über die „Bayern“ seit der 1950 von Siegfried Herrmann publizierten Chronik. Aber könnte es nicht sein, dass die Skisportler im FCB gar nicht so „faschistisch“ waren, wie es Herrmanns Darstellung nahe legt? Seine Chronik wurde bisher unkritisch jeder historischen Studie über die „Bayern“ als Blaupause zu Grunde gelegt. Die Möglichkeit, dass politisch eigentlich uninteressierte Skisportler dennoch die „parteipolitische Karte“ gezogen haben könnten, um sich gegen die vereinsintern dominierende Stellung der Fußballer zu behaupten, wurde nie in Betracht gezogen. Der Fußballspieler Herbert Moll lieferte jedenfalls Hinweise in diese Richtung. So seien die Skifahrer „schon immer Opposition im Verein“ gewesen, weil „bei Bayern immer bloß Fußball gezählt“ und die Skiabteilung „nicht genug Rechte“ gehabt habe.144 Noch nicht einmal mit ihrem verständlichen Anliegen, den Skisport neben dem Fußballspiel als Vereinszweck in die Satzung des FCB aufzunehmen,145 konnte sich die Abteilung gegen die Übermacht der Fußballer durchsetzen. Herrmann zufolge sollen sich die vereinsinternen Machtverhältnisse in den 1930er Jahren zu Ungunsten der Fußballer geändert haben; den Skifahrern soll es gelungen sein, ihren Sport stärker in den Vordergrund zu rücken. Als Folge dessen hätten sich die „Vereinsnachrichten mehr und mehr zu einem Publikationsorgan der Schiabteilung“146 entwickelt. Doch entspricht diese Behauptung nicht 140 141 142 143
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Zu Oberhuber als Gleichschaltungs- und Fusionsaktivist HERZOG, „Kleine Strukturen“, 418–425. Dieses Zitat und die beiden vorhergehenden Zitate HERRMANN, Chronik, 113. Dieses und das vorhergehende Zitat LÖFFELMEIER, Grandioser Aufschwung, 70. Wie auch die Geschichte anderer Fußballclubs beweist, konnte sich die Installierung eines dem Verein verbundenen Nationalsozialisten in der Funktion eines „Schutzpatrons“ als durchaus günstig erweisen. – Dazu Beiträge LÖFFELMEIER, HERZOG, MITTAG/WENDLAND und IBER, in diesem Band S. 62f., 187, 226f. und 378. Die vorherigen Zitate Herbert Moll in: FISCHER/LINDNER, Stürmer, 183f. AGM, VR 2463: Niederschrift außerordentliche Mitgliederversammlung, 14.1.1931. HERRMANN, Chronik, 107.
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den Tatsachen. Schon ein oberflächlicher Blick in die Mitgliederzeitschrift zeigt, dass die Berichte dieser Abteilung nach 1933 keineswegs mehr Raum in Anspruch nahmen als in der Zeit der Weimarer Republik. Darüber hinaus zeichneten sich ausgerechnet diese Texte durch eine auffallende Abstinenz von politischen Themen aus, und zwar selbst dann, wenn sie vom Dietwart des FCB verfasst worden waren, der sich sonst einer ganz anderen Diktion bediente. Im Vordergrund standen der Sport, das Naturerleben, die Hüttenromantik und nicht zuletzt der „Ehesport“.147 Offensichtlich diente die Skisportabteilung der „Bayern“ – wie seit der Jahrhundertwende die Tennisclubs148 – als „Heiratsmarkt“, auf dem sich die Geschlechter im Flirt übten, wo Liebschaften entstanden, Verlobungen und Ehen angebahnt wurden. 9. Von den Verlierern der „Gleichschaltung“ profitieren In dem oben zitierten Bestreben, „den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufstieg des Clubs“149 zu fördern, hoffte Herrmann im Frühjahr 1933, der FCB könne von den Verlierern der „Gleichschaltung“ des Sports profitieren, nämlich von den Arbeitersportlern, die zu den ersten Zielen der nationalsozialistischen Verfolgung im Sport gehörten. Er regte jedenfalls an, „den bereits auf vaterländischer Grundlage stehenden Vereinen das Recht einzuräumen[,] bis [zu] 15 oder 20 Prozent ihres derzeitigen Mitgliederstandes ehemalige Arbeitersportler als Einzelmitglieder aufnehmen zu dürfen.“ Diese „Fußballer-Marxisten“ sollten jedoch so lang „nicht die vollen Rechte der Mitglieder“ erhalten, bis sie ihrem bisherigen Milieu entsagt und dem „internationalen sozialistischen Irrwahn“ abgeschworen hätten, um in den Genuss einer vollen Aufnahme in die „Bayernfamilie“ kommen zu können.150 Ganz offensichtlich hatten die „Bayern“ die Gleichschaltungspolitik der NSDAP schon sehr früh genau dort verinnerlicht, wo sie Kapital aus ihr zu schlagen zu können glaubten und sich dann auch ungeniert der Rhetorik der Reichssportführung bedienten. Insofern ist das Urteil, Herrmann sei „kein über Leichen schreitender karrieristischer Opportunist und Kollaborateur“ gewesen, der vielmehr „Anstand zu bewahren“151 gesucht hätte, nicht uneingeschränkt haltbar. Das gilt unabhängig davon, dass Herrmann in Ausübung seines Berufs als Kriminalbeamter nach der Machtübernahme der NSDAP erheblichen Schwierigkeiten ausgesetzt war und massive Auseinandersetzungen mit dem nationalsozialistischen Regime auszufechten hatte.152 Doch mit dem genannten Ansinnen, von den Verlierern der „Gleichschaltung“ zu profitieren, bot der FCB ein Spiegelbild des DFB, der es 147 148 149 150 151 152
Familiennachrichten, in: Klubnachrichten 14 (Oktober 1934), Nr. 5, 15. Dazu EISENBERG, „English sports“, 199–204. AGM, VR 2463: Niederschrift Jahreshauptversammlung, 25.10.1933. Dieses Zitat und die vorhergehenden Zitate Siegfried Herrmann, Zeitgemässe Betrachtungen, in: Club-Nachrichten 13 (Mai/Juni 1933), Nr. 3, 3–8, hier 4, 6 und 8. SCHULZE-MARMELING, Der FC Bayern, 1. Auflage, 18. Dazu KÄMPER, Kurt Landauer, 163f.; SCHULZE-MARMELING, TSV 1860, 379f.
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unter Felix Linnemann – gleichwohl zunächst erfolgreicher als die „Bayern“ – verstanden hatte, aus der „Machtergreifung“ der NSDAP erhebliche Vorteile zu schlagen, das Monopol über die Organisation des Spiels mit dem runden Leder zu erlangen153 und dem deutschen Fußball zu einem internationalen Aufstieg zu verhelfen, der sich nicht zuletzt im dritten Platz bei der Fußballweltmeisterschaft 1934 niederschlug.154 Wie auch immer der FCB vom Übertritt ehemaliger Arbeitersportler profitiert haben mochte, so ist es in diesem Kontext bemerkenswert, dass der Club unmittelbar nach der Befreiung Europas von der nationalsozialistischen Herrschaft eine Revanche der ehemaligen Vertreter der Arbeitersportbewegung befürchtet hatte. Diese sollen es sich zum Ziel gesetzt haben, „einen vernichtenden Schlag gegen die sogenannten ‚bürgerlichen‘ Sportvereine zu führen.“ Ebenso wie nach der Transformation des DRL in den NSRL sah sich der Club auch nach 1945 in seiner Existenz bedroht: „Linksradikal eingestellte Kräfte steuerten mit allen Mitteln darauf hin“, Traditionsvereine wie den FCB „gänzlich auszulöschen“.155 Immerhin konnte Wilhelm „Schimmy“ Simetsreiter, der damalige Spielführer der ersten „Bayern“-Mannschaft, bereits während der Sitzung der vorläufigen Vorstandschaft des Clubs am 10. Januar 1946 im Löwenbräukeller feststellen, dass dank der Schaffung der Süddeutschen Oberliga „die Ansprüche auf absolute Vorherrschaft im Fußballsport seitens der ehemaligen Arbeiter-Sportvereine ausgeschaltet werden konnten.“156 Welche politischen Pressionen Herrmann und Siemetsreiter auch immer gemeint haben mögen, in Stuttgart hatten ehemalige Arbeitersportler jedenfalls Einfluss auf die Stadtverwaltung zu nehmen gesucht, um den bürgerlichen Oberligavereinen die Fußballplätze und dem Scheinamateurismus den Boden zu entziehen. In einer ähnlichen Diktion, wie sie Eugen Seybold 1933 in „Fußball“ eingesetzt hatte, beschworen die Stuttgarter Arbeitersportler 1945/46 das Gespenst eines „rücksichtlosen Sportkapitalismus einer kleinen Schicht arbeitsfremder oder arbeitsscheuer Personen“, der zwangsläufig sittliche Verwahrlosung nach sich ziehe.157 Dieses Szenario hatte auf Seiten der „Bayern“ Erinnerungen an die NS-Diktatur geweckt und ließ erneut, wenn auch nur für kurze Zeit, die Alarmglocken schrillen. Beispiele wie der Vereinsegoismus der „Bayern“, der Vorteile aus der „nationalsozialistischen Revolution“ zu schlagen trachtete, machen deutlich, wie fragwürdig es ist, die Anpassung des FCB an das „Dritte Reich“ mit einem belanglosen, „kurzen Nachplappern der NS-Ideologie“158 zu vergleichen. Zumindest die ohne Not beschlossenen „Arierparagrafen“ von 1935, ferner die Bereitschaft, aus der Zerschlagung des Arbeitersports Nutzen zu ziehen, oder die in den „Klub153 154 155 156 157 158
Dazu HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 114–135. Dazu HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 135–155. Die Zitate dieses Abschnitts HERRMANN, Chronik, 123. AGM, VR 2463: Sitzung der vorläufigen Vorstandschaft, 10.10.1946: Protokoll, 12.1.1946 (Abschrift). Zum Vorhergehenden GRUNDGEIGER, Not und Spiele, 18–20, 36–42, 50–53, Zitat 40. SCHULZE-MARMELING, Der FC Bayern, 2. Auflage, 171.
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nachrichten“ veröffentlichten Artikel der Dietwarte weisen in eine andere Richtung. Nicht nur die „liberalen“ Fußballer, sondern auch die mutmaßlich politisch „rechten“ Skifahrer gehören gemeinsam zu der einen Geschichte des FC Bayern München. Nicht zuletzt Herrmanns Coup, sich selbst von einer Mitgliederversammlung mit einem eigenen „Ermächtigungsgesetz“ ausstatten zu lassen – circa drei Wochen nachdem Hitlers „Ermächtigungsgesetz“159 verkündet worden war – wirft die Frage auf, ob der Club im Unterschied zu anderen Fußballvereinen dem „Dritten Reich“ tatsächlich so lustlos und widerborstig begegnet ist, wie immer wieder beteuert wird. Schließlich ließ sich Herrmann ebenso wie Hitler ermächtigen, demokratische Verfahren außer Kraft zu setzen. Herrmann beabsichtigte mit der rechtswidrigen Ermächtigung nicht zuletzt auch „die Arierfrage im Club“ durch „Aenderung der Satzungen“ in den Griff zu bekommen, die auf andere Weise angeblich „nicht gelöst werden“160 konnte. Bereits Landauers unmittelbarer Nachfolger in der Vereinsführung ging also den ersten Schritt auf dem Weg zur „Arisierung“ des Vereins, die zwei Jahre später durch offizielle „Arierparagrafen“ besiegelt wurde. Und nicht zuletzt war es Josef Mauder, FCB-Mitglied und Beiträger von Illustrationen und Artikeln in der Vereinszeitschrift der „Bayern“,161 der im Kontext der vom FCB mit unterzeichneten Stuttgarter Erklärung die Arisierungspolitik der NSDAP mit seinen Karikaturen unterstützte. 10. Eine apologetische Festschrift als Medium verklärender Rückschau Es ist zweifellos bemerkenswert, dass der FCB in der von Siegfried Herrmann verfassten, im Jahr 1950 anlässlich des 50. Gründungsjubiläums erschienenen Festschrift kritisch auf den Fußball in der NS-Zeit und selbstkritisch auf die Rolle des Vereins im „Dritten Reich“ eingegangen ist. In der bisherigen Literatur wurden diese Passagen als ebenso aufrichtige wie ungewöhnliche Thematisierung der Vereinsgeschichte in den Jahren 1933 bis 1945 gedeutet.162 Und das zu Recht, denn Festschriften von Fußballclubs überliefern von den „dunklen Jahren“ der NS-Zeit in aller Regel nur Spielergebnisse und sportliche Erfolge und erinnern nicht wie die „Bayern“ an die Namen jener „Mitglieder, die aus rassischen, religiösen oder politischen Gründen während des Dritten Reiches ihr Leben lassen mussten“, um ihnen „ein ehrendes Andenken [zu] bewahren“.163 Dennoch kann man zahlreiche Passagen in der Festschrift des FCB als den Versuch Herrmanns, des „Vereinsführers“ von 1933/34, interpretieren, das Heft 159 160 161
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Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich, in: RGBl, Nr. 25, 24.3.1933, 141. AGM, VR 2463: Niederschrift Quartalsversammlung, 12.4.1933 (Auszug). A „Pfunds“-Schuss, Karikatur von Sepp Mauder, in: Clubnachrichten 9 (31. Mai 1929), Nr. 5, 4; Sepp Mauder, Gedanken eines alten Bayern, in: Klubnachrichten 14 (September 1934), Nr. 4, 8–10; AGM, VR 2463: Sepp Mauder, Gute Bayernkameraden, in: ClubZeitung des F.C. Bayern München e.V. 3 (April 1951), Nr. 4, 20. Dazu etwa SCHULZE-MARMELING, Der FC Bayern, 2. Auflage, 162. HERRMANN, Chronik, 123.
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in die Hand zu bekommen und die Ereignisse der NS-Zeit in ein mildes Licht zu tauchen. Alle bisherigen Darstellungen der Geschichte der „Bayern“ im „Dritten Reich“ haben sich die Perspektive dieser Festschrift zu Eigen gemacht und sind ihr weitgehend unkritisch gefolgt.164 Herrmann, der – ebenso wie die Funktionäre im DFB – nach dem Krieg rasch wieder in Amt und Würden gekommen war, skizzierte die Rolle der Vereinsführung bei der „Gleichschaltung“ in einer Weise, die ganz offenkundig darauf aus war, insbesondere beim Thema „Arisierung“, von eigener Verantwortung abzulenken und diese an anonyme, „gewisse Kräfte“ zu delegieren. Er schrieb gänzlich unbestimmt von „Parteipolitik“, von dem „wie Gift ausgestreute[n] Rassenhass“, der „auch vor der sportlichen Kameradschaft nicht Halt gemacht“ habe, von einer „Entwicklung der Dinge“, die dazu geführt habe, dass der FCB „nicht mehr Herr im eigenen Hause“ gewesen und damit von Verantwortung freizusprechen sei. Der Grundsatz, dass „jeder anständige Mensch, gleichwie welcher Rasse oder Religion, Platz beim Sport finden könne“, habe nicht etwa durch Eigeninitiative der „Bayern“, sondern „plötzlich durch Regierungsbefehl seine Berechtigung“ verloren. Bezeichnend ist die Feststellung: „Es kamen die Rassengesetze und mit ihnen der Arierparagraph“ – so als wären anonyme, unpersönliche Mächte am Werk gewesen, nicht aber die Vereinsführung und circa ein Zehntel der Mitglieder, die dem Ausschluss der Juden zugestimmt hatten. Sicher war es einerseits der allgemeine Druck der NS-Politik, der „das Ausscheiden vieler alter und treuer Bayern“ zur Folge hatte, aber es waren andererseits die „Bayern“ selbst, die diesem Druck nachgaben und die Satzungen änderten, obwohl kein „Regierungsbefehl“165 und keine Anordnung der Reichssportführung dies gefordert hatten. Besonders problematisch erscheint in diesem Kontext, wie Herrmann auf die Einführung der Einheitssatzung des DRL im Jahr 1935 Bezug nahm, die angeblich angenommen werden „musste“. Ausgerechnet in diesem Kontext betonte Herrmann, der „alte demokratische Einschlag“ hätte sich damals durchgesetzt; darüber hinaus hätte dieser „Einschlag“ die Verantwortlichen gehindert, mit Amesmaier an der „Vereinsspitze eine Parteigröße mit Namen, Rang und Klang zu sichern“.166 Mit diesen Aussagen verfälschte Herrmann die Geschichte des FCB in zwei wesentlichen Punkten: Zum einen „mussten“ die „Bayern“ die Einheitssatzung zwar annehmen, aber nicht den „Arierparagrafen“, den sie in § 4, Abs. 4 einfügten. Zum anderen war Amesmaier Mitglied der NSDAP und der SA. Insofern unterschieden sich die „Bayern“ in dieser Hinsicht nicht von der „Praxis der an-
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So etwa BITZER/WILTING, Stürmen, 43–46; LÖFFELMEIER, Grandioser Aufschwung, 65– 70; SCHULZE-MARMELING, Der FC Bayern, 2. Auflage, 162–165; FISCHER/LINDNER, Stürmer, 174–180. Dieses Zitat und die vorhergehenden Zitate dieses und des vorhergehenden Abschnitts HERRMANN, Chronik, 104. HERRMANN, Chronik, 107f.
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deren Vereine“,167 auf deren Kosten Herrmann seinen Club in ein besonders gutes Licht zu stellen beabsichtigte. Noch viel weniger glaubwürdig erscheint Herrmanns Beteuerung im Januar 1946, „daß er sehr überrascht“ gewesen sei, „als er die ihm bisher unbekannt gebliebene, sogenannte Einheitssatzung des Reichsbundes für Leibesübungen gelesen habe.“168 Die Einheitssatzungen wurden zur Zeit ihrer Einführung in den Printmedien nämlich so ausführlich thematisiert und Herrmann war nach eigenem Bekunden so glänzend über die „geschichtlichen Tatsachen“169 seines Vereins informiert, dass ihm die dreifache, auf öffentlichen Mitgliederversammlungen jeweils einstimmig beschlossene „Arisierung“ seines Vereins kaum verborgen geblieben sein konnte. Gerade seine hervorragenden Kenntnisse über die Clubhistorie sollten ihn für das Verfassen der Chronik von 1950 qualifiziert haben. Und nicht zuletzt gehörte er auch nach 1934 in verschiedenen Funktionen der Clubführung an, so etwa als Mitglieder- und Archivwart, und muss Einblick in die Interna des Vereinslebens gehabt haben.170 Die Chronik des Fußballfunktionärs Herrmann liefert eine Gesamtdarstellung der ersten 50 Jahre in der Geschichte des FCB. Sie verstand sich sehr erfolgreich darauf, eine hegemoniale Funktion im öffentlichen Diskurs über die Rolle der „Bayern“ im „Dritten Reich“ auszuüben. Ihr langer Atem macht sich in der medialen und sporthistorischen Aufarbeitung des Themas bis heute deutlich bemerkbar. Das ist umso erstaunlicher, als Festschriften nicht gerade zu den zuverlässigsten Quellen der Sportgeschichte gehören.171 Herrmann konnte bei der Erarbeitung der Chronik noch nicht einmal auf ein Vereinsarchiv zurückgreifen, da das des FCB durch einen Bombenangriff im Jahr 1944 vollständig zerstört worden war.172 Allein aus diesem Grund hätte man seiner Darstellung mit etwas mehr kritischer Zurückhaltung und Skepsis begegnen müssen, zumal sie versuchte, den Verein als Opfer gezielter Benachteiligungen der NS-Politik zu stilisieren. Nur wenige Tage nach der Kapitulation versicherten die „Bayern“, dem neuen Stadtregiment „bedingungslos und treu Gefolgschaft zu leisten“. Als „JudenClub“ habe es der FCB in der NS-Zeit abgelehnt, „sich eine nationalsozialistische Vereinsführung aufzwingen zu lassen“, und sei deshalb „mit allen Mitteln gedrückt“ worden.173 Nunmehr war es also die Opferrolle, mit der die „Bayern“ versuchten, sich Vorteile in der Konkurrenz mit anderen Fußballclubs zu verschaffen. Und genau für diese Politik lieferte das Kapitel der Chronik über die 167 168 169 170 171 172 173
HERRMANN, Chronik, 107. AGM, VR 2463: Sitzung der vorläufigen Vorstandschaft, 10.10.1946: Protokoll, 12.1.1946 (Abschrift). HERRMANN, Chronik, 247 (Nachwort). Klubnachrichten 15 (Dezember 1935), Nr. 9, 5; Klubnachrichten 16 (November 1936), Nr. 4, 5; Klubnachrichten 17 (November 1937), Nr. 3, 2. Dazu HERZOG, Forschung, Märchen und Legenden, 92f. Dazu HERRMANN, Chronik, 13. Die vorherigen Zitate nach SCHWAB, Ruinenjahre, 98.
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NS-Zeit den ideologischen Überbau. Dabei projizierte Herrmann die dunklen Seiten in der Geschichte der „Bayern“ auf die Skisportabteilung. Wenn die Vermutung richtig ist, dass das „Dritte Reich“-Kapitel in Herrmanns Festschrift stark von den Interessen seiner Abteilung bestimmt war, müsste man es als Ablenkungsmanöver verstehen. Jedenfalls zeigte Herrmann in der Chronik von 1950 offen mit dem Finger auf die Skifahrer, die „vor allem starke national-sozialistische Kräfte“174 gesammelt hätten; auch dieses Urteil wird von den Apologeten der „Bayern“ bis heute unkritisch rezipiert.175 Somit könnten beide Abteilungen die „parteipolitische Karte“ gezogen haben, um sich in der vereinsinternen Rivalität jeweils Vorteile zu verschaffen: die Skisportler in der NS-Zeit und die Fußballer nach 1945, als es darum ging, die Konkurrenten in ein schlechtes Licht zu stellen, um eigene Verantwortung zu vertuschen. Das gesamte Kapitel „Der F.C. Bayern im ‚Dritten Reich‘“176 in Herrmanns Chronik liest sich in weiten, teils ungelenk formulierten Passagen wie ein „Persilschein“ aus einer Entnazifizierungsakte. So habe der Vorstand versucht, „sich dem Neuen wenigstens im Sport entgegenzustellen“, aber schließlich seien „die Ereignisse stärker als der Willen eines einzelnen“ gewesen; „man holte sich seine Vorsitzenden so lange als möglich aus den eigenen Mitgliederreihen. Hier waren allerdings Parteigrößen noch immer recht dünn gesät.“177 Dass der FCB 1935 einen „Arierparagrafen“ erlassen hatte, war jenen klar, die sich mit der Mitgliederzeitschrift der „Bayern“ befassten.178 Doch anstatt den Dingen auf den Grund und den zwingenden Schritt179 zu gehen, die im Registergericht München öffentlich zugängliche Überlieferung einzusehen, suchten sie den Rassismus im FCB klein zu reden und zu verharmlosen. Dabei trieb die Apologetik wahrhaft fantastische Blüten. So habe wegen der angeblich misslingenden „Arisierung“ die Mitgliederzeitschrift im November 1936 „endlich zum Wohle des Vereines durchgreifende Maßnahmen angesagt“.180 Doch bezieht sich diese Passage überhaupt nicht auf die „Arierfrage“. Aus dem Kontext ergibt sich vielmehr ohne jeden Zweifel, dass jenen Mitgliedern, die ihre Beiträge notorisch schuldig blieben, gravierende Konsequenzen bis zum Vereinsausschluss angedroht wurden. Die wegen Beitragsrückständen aus der Mitgliederliste zu streichenden „Schädling[e] am Leben unserer Gemeinschaft“ sollten in der Mitglie-
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HERRMANN, Chronik, 107. So beispielsweise FISCHER/LINDNER, Stürmer, 178f.; SCHULZE-MARMELING, TSV 1860, 379; DERS., Die Bayern, 70. HERRMANN, Chronik, 104–121. HERRMANN, Chronik, 104, 108. SCHULZE-MARMELING, Der FC Bayern, 2. Auflage, 174–176: „Probleme mit der ‚Arisierung‘“; KÄMPER, Kurt Landauer, 159: „Nahezu allen jüdischen Mitgliedern wird [1935!] die Möglichkeit geboten, im Verein zu bleiben.“ In der sporthistorischen Forschung ist das selbstverständlich. – Dazu Beitrag BAHRO, in diesem Band 116f. Klubnachrichten 16 (November 1936), Nr. 4, 11, zitiert und falsch interpretiert in SCHULZE-MARMELING, Der FC Bayern, 2. Auflage, 176.
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derzeitschrift namentlich genannt, bloßgestellt und ausgeschlossen werden.181 Bei diesen konnte es sich jedoch nicht um Juden handeln; denn die waren bereits ausgeschlossen. Daniel Koerfer hat den „Umgang mit den antisemitischen Verfügungen des Regimes“ als „eine Art Lackmustest“ für „die Einstellung gegenüber Hitlers Herrschaft“ bezeichnet.182 Die „Bayern“ haben diesen Test angesichts von drei „Arierparagrafen“ und einer „Judenzählung“ nicht bestanden. Vor diesem Hintergrund ist schwer nachzuvollziehen, warum die Vertreter einer sich „kritisch“ gebenden Sportpublizistik den DFB, der keine Anordnung zur Streichung von „Nichtariern“ aus den Mitgliederlisten erlassen hatte, anhand von Maßstäben verurteilen, die sie an den FCB nicht anlegen.183 Summa summarum: Ebenso wie viele anderen Sportvereine begannen auch die „Bayern“ unmittelbar nach dem Ende der NS-Zeit mit dem Beschönigen, Verschweigen und Verdrängen. Gründe dafür gab es zuhauf. Hermanns Blick auf den FCB in der NS-Zeit dominiert die Darstellungen der Geschichte dieses Vereins bis heute. Deshalb ist eine quellennahe Recherche der Geschichte des FC Bayern im „Dritten Reich“, wie sie etwa Anton Löffelmeier – souverän und von Vereinsinteressen unabhängig – über die „Sechziger“ erarbeitet hat,184 nach wie vor ein dringendes Desiderat der Forschung. 11. Die Sehnsucht nach „Heldengeschichten“ stillen In keinem Fall taugen die „Bayern“ als Kandidat, der als leuchtendes Beispiel für political correctness gegen den DFB in Stellung gebracht werden könnte. Sicher befriedigt die in Schwarz und Weiß gezeichnete Gegenüberstellung „böser DFB“ – „guter FCB“ das sehr menschliche Bedürfnis nach kernigen Schlagzeilen, spannendem Histotainment, schlicht formatierter Volkspädagogik, medientauglichen Legenden über Helden und Schurken, und sie liegt nicht zuletzt im Interesse der Öffentlichkeitsarbeit des mächtigen Fußballclubs. Doch sollte man sich hüten, darüber die sehr viel komplexer gestaltete historische Wirklichkeit aus den Augen zu verlieren. Auch andere Fußballmythen wie beispielsweise das „Todesspiel“ von Kiew 1943 oder die „Heldengeschichte“ des
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Klubnachrichten 16 (November 1936), Nr. 4, 12. KOERFER, Hertha, 64. Wenn sich der FCB nationalsozialistischer Terminologie bediente, wird dies als belangloses „Nachplappern der NS-Ideologie“ (SCHULZE-MARMELING, Der FC Bayern, 2. Auflage, 171) abgetan, im Fall des DFB jedoch als Indiz für schamlose Zustimmung zur NSRassenpolitik gewertet (PEIFFER, Jüdische Fußballvereine, 321). Nicht zuletzt der Versuch, den DFB der erinnerungskulturellen „Arisierung“ seines jüdischen Erbes zu bezichtigen (SCHULZE-MARMELING, Der FC Bayern, 1. Auflage, 216f.), entbehrt jeder Logik. – Dazu kritisch HERZOG, Fußball unter dem NS-Regime, 312f.; ferner HAVEMANN, Biographische Studien, 81–96; DERS., Fußball um jeden Preis, 84–87, 93–97. LÖFFELMEIER, Die „Löwen“.
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Arisierungsgewinners Matthias Sindelar185 wurden mit Hilfe aller nur denkbaren Medien- und Unterhaltungsformate propagiert und schließlich für bare Münze genommen. Sie werden selbst dann weiter abgeschrieben und unter das Volk gebracht, wenn sie durch quellennah erarbeitete Forschungen längst als widerlegt gelten können. Auch hinsichtlich der Rolle der „Bayern“ im „Dritten Reich“ war die Neigung bisher stärker, sich von Täuschungen blenden zu lassen, als sich dem Risiko von möglichen Enttäuschungen zu stellen. Gerade am Beispiel des FCB lassen sich die Schwächen jener weit verbreiteten Interpretationen exemplifizieren, die den bürgerlichen Vereinsfußball und dessen Personal entweder als „faschistisch“ zu delegitimieren oder aber apologetisch weiß zu waschen trachten. In diesem Sinn verdient es die bereits 2005 erschienene Studie über den FC Schalke 04 im „Dritten Reich“ in Erinnerung gerufen zu werden.186 Sie ist mit ihrer Titel gebenden Fokussierung von Grauzonen und Unschärfen dem Alltag, der Organisation und Verwaltung des Fußballsports besser gerecht geworden, als die genannten sensationsheischend aufgemachten, moralisierend anklagenden oder aber exkulpierenden Darstellungen, die noch meilenweit von einer Historisierung des Nationalsozialismus entfernt sind. Wer im Alltag des bürgerlichen Vereinsfußballs der NS-Zeit nach „Heldengeschichten“ sucht, die diese Bezeichnung verdienen, findet sie nach gegenwärtigem Forschungsstand nicht in der Vereinspolitik des FC Bayern München, die ebenso wie die meisten anderen Fußballclubs in erster Linie das Ziel verfolgte, das „Bayernschifflein“187 durch die Stürme der Zeit zu bringen. Dennoch kann das Bedürfnis nach solchen Erzählungen gestillt werden, beispielsweise von drei Dorfvereinen im regionalen Umfeld von Kaiserslautern.188 So riskierten Spieler des FV Wiesenthalerhof die Auflösung ihres Vereins, als sie im Beisein von Vorstandsmitgliedern, zu denen der Vater des späteren Weltmeisters Werner Kohlmeyer gehörte, ihren Unmut über das NS-Regime offen bekundeten. Ferner wehrte sich in Morlautern der katholische Landwirt und Lohnfuhrunternehmer Hermann Guckenbiehl erfolgreich gegen die von zwei NS-Bürgermeistern über mehrere Jahre hinweg betriebene Auflösung des von ihm geführten Sportvereins. Weil er sich darüber hinaus kritisch über Hitlers Kirchen- und Kriegspolitik geäußert hatte, wurde ihm in Berlin vor dem Volksgerichtshof der Prozess gemacht. Nach einjähriger Untersuchungshaft musste er aus Mangel an Beweisen jedoch freigesprochen werden, während zur selben Zeit einer seiner sportlokalpolitischen Kontrahenten im KZ Auschwitz zum Organisationspersonal der „Endlösung der Judenfrage“ gehörte. Auch der Sportverein Bann verdient in diesem Kontext Beachtung. Hier hatte die Vereinsführung keine Probleme, einen Juden gemeinsam mit SA-Anwärtern in der Fußballmannschaft spielen zu lassen. Dies erregte den Zorn des stellvertretenden Kreisleiters und des Ortsgruppenleiters der NSDAP, die den Sportver185 186 187 188
Dazu HERZOG, Fußball als Mythenmaschine. GOCH/SILBERBACH, Zwischen Blau und Weiß liegt Grau. HERRMANN, Chronik,116, 247. Zum Folgenden Beitrag HERZOG, in diesem Band S. 150–155, 176f.
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ein liquidierten, als Spieler und andere Vereinsangehörige gegen diesbezügliche Eingriffe der Partei in den Sport öffentlich protestierten. Beispiele solchen Mutes, bei denen die handelnden Akteure ihr Leben riskierten oder die Existenz ihres Fußballclubs aufs Spiel setzten, erklären auf der anderen Seite aber auch, warum die meisten Sportvereine und ihre Funktionäre im „Dritten Reich“ keine Heldengeschichten geschrieben haben, sondern den Weg der Anpassung gingen und dabei Kompromisse geschlossen haben, die aus heutiger Sicht nur schwer verständlich sind. Quellen und Literatur Archive Karlsruher FV, Archiv (KFV-Archiv) – Satzung des KFV vom 23.8.1935. Carl und Liselott Diem-Archiv, Sporthochschule Köln (CuLDA) – Mappe 32: Satzung des Nationalsozialistischen Reichsbundes für Leibesübungen, 24.11.1939. Amtsgericht München (AGM) – VR 2463: Registerakten in Sachen Fußball-Club Bayern München e.V.
Periodika ASS. Allgemeine Sportschau, Bayerische Sport-Rundschau. ASZ Sportbericht. Südwestdeutschlands größte Sportzeitung. Club-Nachrichten des F.C. Bayern e.V. München, von der Juni-Ausgabe 1934 an erschienen unter dem Titel „Klubnachrichten des F.C. Bayern e.V. München“ (zit. als „ClubNachrichten“ bzw. „Klubnachrichten“). Der Kicker. Zentral-Organ des Süddeutschen Fußball- u. Leichtathletik-Verbandes. Fußball – Illustrierte Sportzeitung. Münchner Neueste Nachrichten. NS-Sport. Hrsg. vom NS-Reichsbund für Leibesübungen. Pfälzische Volkszeitung. Reichsgesetzblatt, Teil I (RGBl). Vereinsnachrichten der Frankfurter Sportgemeinde Eintracht. Vereinszeitung 1. Fußballclub Nürnberg (zit. als „Vereinszeitung FCN“).
Film Landauer – Der Präsident, Deutschland 2014, Drehbuch: Dirk Kämper, Regie: Hans Steinbichler.
Literatur BERNETT, HAJO: Der jüdische Sport im nationalsozialistischen Deutschland 1933–1938, Schorndorf 1978. –: Scheitern der Olympischen Spiele von 1940, in: Stadion. Internationale Zeitschrift für Geschichte des Sports 6 (1980), 251–290.
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–: Der Weg des Sports in die nationalsozialistische Diktatur. Die Entstehung des Deutschen (Nationalsozialistischen) Reichsbundes für Leibesübungen, Schorndorf 1983. –: National Socialist Physical Education as Reflected in British Appeasement Policy, in: The International Journal of the History of Sport 5 (May 1988), Nr. 1, 161–184. –: Opfer des „Arierparagraphen“. Der Fall der Berliner Turnerschaft, in: Stadion 15 (1989), 29–43. BITZER, DIRK/WILTING, BERND: Stürmen für Deutschland. Die Geschichte des deutschen Fußballs von 1933 bis 1954, Frankfurt am Main/New York 2003. EISENBERG, CHRISTIANE: „English sports“ und deutsche Bürger. Eine Gesellschaftsgeschichte 1800–1939, Paderborn/München/Wien/Zürich 1999. FALKNER, GERD: 100 Jahre Deutscher Skiverband. Chronik des deutschen Skilaufs von den Anfängen bis zur Gegenwart, Bde. 1 und 3, Planegg 2005. –: Der Arierparagraph in Satzungen mitteleuropäischer Skiverbände Anfang des 20. Jahrhunderts im verbandspolitischen Spannungsfeld zwischen nationalen Interessen und internationalem Anspruch, in: FdSnow. Fachzeitschrift für den Skisport 30 (2012), Nr. 40, 4–24. FISCHER, GERHARD/LINDNER, ULRICH: Stürmer für Hitler. Vom Zusammenspiel zwischen Fußball und Nationalsozialismus, Göttingen 1999. FRITSCH, OLIVER: Interview mit Dietrich Schulze-Marmeling, in: Zeit-Online, Sport, 12.6.2013, www.zeit.de/sport/2013-06/walter-jens-dfb-nationalsozialismus (Zugriff am 14.5.2015). 25jähriges Stiftungsfest des 1. Fußball-Clubs Traunstein, Traunstein 1935. GILLMEISTER, HEINER: The Tale of Little Franz and Big Franz. The Foundation of Bayern Munich FC, in: Soccer and Society 1 (summer 2000), Nr. 2, 80–106. –: Jüdische Fußball- und Olympiapioniere an der Wende des 20. Jahrhunderts, in: ELLEN BERTKE/HEIKE KUHN/KARL LENNARZ (Red.), Olympisch bewegt. Festschrift zum 60. Geburtstag von Prof. Dr. Manfred Lämmer, Köln 2003, 85–98. GOCH, STEFAN/SILBERBACH, NORBERT: Zwischen Blau und Weiß liegt Grau. Der FC Schalke 04 im Nationalsozialismus, Essen 2005. GRUNDGEIGER, KLAUS: Not und Spiele. Nachkriegsjahre des Stuttgarter Sports, Stuttgart 1985. HAVEMANN, NILS: Der DFB im Dritten Reich – die Fragwürdigkeit der widerstreitenden Positionen, in: WOLFRAM PYTA (Hrsg.), Der lange Weg zur Bundesliga. Zum Siegeszug des Fußballs in Deutschland, Münster 2004, 113–125. –: Fußball unterm Hakenkreuz. Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz, Frankfurt am Main/New York 2005. –: Biographische Studien zur deutschen Fußballgeschichte als Feld wissenschaftlich überholter Kontroversen, in: KRÜGER, Erinnerungskultur, 75–99. –: Fußball um jeden politischen Preis. Ideologie oder Ökonomie? – Über die Vereinbarkeit scheinbar gegensätzlicher Erklärungsansätze am Beispiel des „bürgerlichen“ Fußballsports im 20. Jahrhundert, in: JÜRGEN COURT/ARNO MÜLLER (Hrsg.), Jahrbuch 2013 der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Sportwissenschaft e.V., Berlin 2015, 83– 99. [SIEGFRIED HERRMANN,] Chronik über 50 Jahre Fußball-Club Bayern München e.V., München [1950]. HERZOG, MARKWART: Der „Betze“ unterm Hakenkreuz. Der 1. FC Kaiserslautern in der Zeit des Nationalsozialismus (2006), 2., verbesserte Auflage, Göttingen 2009. –: (Hrsg.): Fußball zur Zeit des Nationalsozialismus. Alltag – Medien – Künste – Stars, Stuttgart 2008. –: „Eigenwelt“ Fußball. Unterhaltung für die Massen, in: DERS., Fußball zur Zeit des Nationalsozialismus, 11–35.
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–: „Blitzkrieg“ im Fußballstadion. Der Spielsystemstreit zwischen dem NS-Sportfunktionär Karl Oberhuber und Reichstrainer Sepp Herberger, Stuttgart 2012. –: Sport im Nationalsozialismus – Sport unter der Herrschaft der Ideologie? Der Fußballsystemstreit zwischen Reichstrainer Josef „Sepp“ Herberger und dem bayerischen Sportbereichsführer Karl Oberhuber, in: KRÜGER, Erinnerungskultur, 101–118. –: „Kleine Strukturen“ im Fußballsport der NS-Zeit. Offizielle Vorgaben und ihre regionale und lokale Umsetzung, in: PETER FASSL/WILHELM LIEBHART/WOLFGANG WÜST (Hrsg.), Groß im Kleinen – Klein im Großen: Beiträge zur Mikro- und Landesgeschichte. Gedenkschrift für Pankraz Fried, Konstanz/München 2014, 403–428. –: Forschung, Märchen und Legenden. Von den divergierenden Perspektiven auf den Fußballsport in der NS-Zeit, in: JOHANNES GIESSAUF/WALTER M. IBER/HARALD KNOLL (Hrsg.), Fußball, Macht und Diktatur. Streiflichter auf den Stand der historischen Forschung, Innsbruck/Wien/Bozen 2014, 91–116. –: Fußball als Mythenmaschine. Zweiter Weltkrieg – Nationalsozialismus – Antifaschismus, in: DERS./FABIAN BRÄNDLE (Hrsg.), Europäischer Fußball im Zweiten Weltkrieg, Stuttgart 2015, 15–43. –: German Blitzkrieg Football Against the English ‚Wall Tactic‘. The Football System Dispute in the German Empire 1939–1941, in: The International Journal of the History of Sport 31 (2014), Nr. 12, 1489–1508. –: Fußball unter dem NS-Regime. Der 1. FC Kaiserslautern als Fallbeispiel für Sporthistoriografie und Geschichtspolitik, in: EMANUEL HÜBNER/KAI REINHART (Hrsg.), Sport – Geschichte – Pädagogik. Festschrift zum 60. Geburtstag von Michael Krüger, Hildesheim 2015, 304–319. HILDEBRAND, KLAUS: Das Dritte Reich (Oldenbourg Grundriss der Geschichte, Bd. 17), 6., neu bearbeitete Auflage, München 2003. KÄMPER, DIRK: Kurt Landauer: Der Mann, der den FC Bayern erfand. Eine Biografie, 2. Auflage, Zürich 2014. KATER, MICHAEL H.: Hitler-Jugend, Darmstadt 2005. KLÖNNE, ARNO: Jugend im Dritten Reich. Die Hitler-Jugend und ihre Gegner, Köln 2003. KLUGE, VOLKER: Olympische Winterspiele. Die Chronik, Berlin 1999. KOERFER, DANIEL: Hertha unter dem Hakenkreuz. Ein Berliner Fußballclub im Dritten Reich. Göttingen 2009. KRÜGER, MICHAEL (Hrsg.): Erinnerungskultur im Sport. Vom kritischen Umgang mit Carl Diem, Sepp Herberger und anderen Größen des deutschen Sports, Berlin 2012. LENNARTZ, KARL: Reinhard Appel und Carl Diems Rede am 18. März 1954, in: KRÜGER, Erinnerungskultur, 225–239. LÖFFELMEIER, ANTON: Grandioser Aufschwung und Krise. Der Münchner Fußball von 1919 bis 1945, in: München und der Fußball. Von den Anfängen 1896 bis zur Gegenwart, hrsg. vom Stadtarchiv München, München 1997, 51–75. –: Die „Löwen“ unterm Hakenkreuz. Der TSV München von 1860 im Nationalsozialismus, Göttingen 2009. MELCHIOR, CLAUS: Landauer – Der Film. Einige kritische Anmerkungen, in: Der tödliche Pass. Zeitschrift zur näheren Betrachtung des Fußballspiels, Nr. 75, Dezember 2014, 52– 54. MÜLLENBACH, HANNS JOACHIM: Das große Erlebnis in Köln, in: Der Kicker, Nr. 24, 13.6.1933, 925–929. –: DFB und DSB am Wendepunkt, in: Der Kicker, Nr. 28, 11.7.1933, 1077–1080. NÜRCK, STEFAN: Sport und Recht. Die Leibesübungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung, Berlin 1936. –: Arier-Paragraph der Deutschen Turnerschaft, in: Deutsche Turnzeitung, 1936, Nr. 15, 5, abgedruckt in: BERNETT, Der jüdische Sport, 132f.
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PEIFFER, LORENZ: Sport im Nationalsozialismus: Zum aktuellen Stand der sporthistorischen Forschung. Eine kommentierte Bibliografie, 3., ergänzte und überarbeitete Auflage, Göttingen 2015. –: Jüdische Fußballvereine in der Pfalz und im Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz in den 1920er und 1930er Jahren, in: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 112 (2014), 315–334. –/WAHLIG, HENRY: Juden im Sport während des Nationalsozialismus. Ein historisches Handbuch für Niedersachsen und Bremen, Göttingen 2012. –/–: Jüdische Fußballvereine im nationalsozialistischen Deutschland, Göttingen 2015. RASE, KARIN: Sinnbild einer heilen Welt? Die Fußball-Karikatur 1930–1945, in: HERZOG, Fußball zur Zeit des Nationalsozialismus, 249–274. REICHELT, BERND: Fußball im deutsch-französischen Grenzraum Saarland/Moselle 1900– 1952. Eine transnationale Geschichte politischer Inszenierung und sportlicher Emanzipation, Stuttgart 2014. SCHULZE-MARMELING, DIETRICH: Die Bayern: Vom Club zum Konzern. Die Geschichte eines Rekordmeisters, Göttingen 1997. –: TSV 1860 und FC Bayern. Zwei Wege in der Gleichschaltung, in: LORENZ PEIFFER/DIETRICH SCHULZE-MARMELING (Hrsg.), Hakenkreuz und rundes Leder. Fußball im Nationalsozialismus, Göttingen 2008, 374–385. –: Der FC Bayern und seine Juden. Aufstieg und Zerschlagung einer liberalen Fußballkultur, Göttingen 2011; 2., erweiterte Auflage, Göttingen 2013. SCHWAB, INGO: Ruinenjahre und Konsolidierung. Spiele und Geld in den Zeiten der Oberliga Süd, in: München und der Fußball. Von den Anfängen 1896 bis zur Gegenwart, hrsg. vom Stadtarchiv München, München 1997, 97–117. SEYBOLD, EUGEN: HITLER und WIR, in: Fußball, Nr. 14, 4.4.1933, 4–6; Nr. 15, 11.4.1933, 4f.; Nr. 16, 19.4.1933, 4–7. STEINHÖFER, DIETER: Hans von Tschammer und Osten. Reichssportführer im Dritten Reich, Berlin/München/Frankfurt am Main 1973. TEICHLER, HANS JOACHIM: Internationale Sportpolitik im Dritten Reich, Schorndorf 1991. TENT, JAMES F.: Im Schatten des Holocaust. Schicksale deutsch-jüdischer „Mischlinge“ im Dritten Reich, Köln/Weimar/Wien 2007. THOMA, MATTHIAS: „Wir waren die Juddebube“. Eintracht Frankfurt in der NS-Zeit, Göttingen 2007. WAHLIG, HENRY: Sport im Abseits. Die Geschichte der jüdischen Sportbewegung im nationalsozialistischen Deutschland, Göttingen 2015. ZÖLLER, MARTIN: Fußball in Vergangenheit und Gegenwart, Bd. 1: Geschichte des Fußballsports in Deutschland bis 1945 [verfasst von einem Autorenkollektiv unter der Leitung von Martin Zöller], 2., bearbeitete Auflage, Berlin 1978.
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Die Einführung des „Arierparagrafen“ in Berliner und Brandenburger Turn- und Sportvereinen 1. Vorbemerkungen 1.1. Fragestellung und Forschungsstand
Seit einigen Jahren tobt ein „Fußball-Historikerstreit“1 um die Rolle des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) in der Zeit des Nationalsozialismus.2 Es liegen mittlerweile zahlreiche Publikationen zum Verhalten im Jahr 1933 vor: zum Verband selbst,3 zu größeren Vereinen bzw. Clubs4 und auch zu einzelnen Personen.5 Damit lässt sich neben einem eher strukturgeschichtlichen ein biografischer Ansatz feststellen, im Idealfall gibt es eine Vermischung beider Herangehensweisen.6 Die bisher vorliegenden Untersuchungen sind zwar hochinteressant, können in der Regel aber nur einen Ausschnitt der Gesamtentwicklung abbilden, da der Fokus, wenn nicht auf dem Verband, zumeist auf größeren Clubs der höheren Spielklassen liegt7 und die zeitlich parallelen Entwicklungen in anderen Sportarten ausgeblendet werden. Teichler wies noch 2010 auf den Mangel an Regional- und Vereinsstudien hin.8 Daher versucht der vorliegende Beitrag, aus einer regionalen Perspektive kleinere und mittlere Vereine in den Blick zu nehmen und einen Vergleich mit der Entwicklung in anderen Verbänden anzustreben. Untersucht werden neben Fußballvereinen Vereine der Deutschen Turnerschaft (DT) und des Deutschen Ruderverbandes (DRV) aus der Region Berlin-Brandenburg. Es handelt sich hierbei um eine Stichprobe von
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HERZOG, Eigenwelt, 29–31; DERS., Sportwissenschaft. Unter anderem HAVEMANN, Biographische Studien. HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz; SCHWARZ-PICH, Der DFB im Dritten Reich; FISCHER/LINDNER, Stürmer für Hitler; HEINRICH, Der Deutsche Fußballbund. Unter vielen anderen: GOCH/SILBERBACH, Zwischen Blau und Weiß liegt Grau; HERZOG, Der „Betze“ unterm Hakenkreuz; LÖFFELMEIER, Die „Löwen“ unterm Hakenkreuz; THOMA, „Wir waren die Juddebube“; BACKES, „Mit deutschem Sportgruß, Heil Hitler!“; KOERFER, Hertha unter dem Hakenkreuz. Zahlreiche Einzelbeiträge in: BLECKING/PEIFFER, Sporter im „Jahrhundert der Lager“. Leider werden zahlreiche dieser Erkenntnisse außerhalb der Sporthistorie ignoriert. Dies wird auch deutlich in: PEIFFER/SCHULZE-MARMELING, Hakenkreuz und rundes Leder. Vgl. TEICHLER, Der deutsche Sport in der NS-Zeit, 210; DERS., Sport unter der Herrschaft der Ideologie, 98.
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insgesamt 63 Vereinen, davon 41 des DFB, zwölf der DT und zehn des DRV.9 Von Vorteil ist, dass für die drei genannten Organisationen Untersuchungen für die Verbandsebene bereits vorliegen.10 Des Weiteren bietet sich diese Auswahl an, weil die Vorsitzenden der drei Verbände – Felix Linnemann (DFB), Edmund Neuendorff (DT) und Heinrich Pauli (DRV) – im April 1933 die dreiköpfige Sonderkommission bildeten, die den Deutschen Reichsausschuss für Leibesübungen (DRA) als Dachverband des bürgerlichen Sports satzungswidrig auflösten und damit das Schicksal des Turn- und Sportwesens in die Hände des Reichssportkommissars Hans von Tschammer und Osten legten.11 1.2. Quellengrundlage
Ein Großteil der untersuchten Vereine existiert heute nicht mehr, zudem sind Überlieferungen wie Vereinszeitungen und Chroniken bei kleineren und mittleren Clubs eher selten. Aussagekräftige Zeugnisse aus der Zeit des Nationalsozialismus sind in heutigen Vereinsarchiven eher die Ausnahme als die Regel und zuverlässige Zeitzeugen gibt es vermutlich nicht mehr. Aus diesen Gründen bilden Vereinsregisterakten die Hauptquelle dieser Untersuchung.12 Solche Akten von bereits erloschenen Vereinen lagern in der Regel in den Landesarchiven, in diesem Fall im Landesarchiv Berlin bzw. im Brandenburgischen Landeshauptarchiv in Potsdam (Bornim). Bei noch existierenden Vereinen wird man im Vereinsregister der zuständigen Amtsgerichte fündig.13 Oft finden sich in diesen Akten Unterlagen, die im Verein selbst nicht überliefert worden sind. Dies ist auf das Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) als erster Kodifikation des Privatrechts auf Reichsebene zum 1. Januar 1900 zurückzuführen. Mit dem BGB wurde ein juristischer Rahmen für die auch heute noch existierende Rechtsform „eingetragener Verein“ (e.V.) geschaffen.14 Der eingetragene Verein war 9
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Ueberhorst nennt für das Jahr 1933 12.000 Vereine (1,6 Millionen Mitglieder) für die DT, 9.000 Vereine (500.000 Mitglieder) für den DFB und 574 Vereine (100.000 Mitglieder) für den DRV (UEBERHORST, Deutscher Ruderverband, 104). Havemann spricht dagegen von 8.000 Vereinen im DFB (HAVEMANN, Biographische Studien, 83). Ursprünglich wurden mehr als 60 DFB-Vereine untersucht, aufgrund von Überlieferungslücken konnten letztlich nur 41 ausgewertet werden. Zum DFB vgl. Anm. 3; zur DT u.a. PEIFFER, Die Deutsche Turnerschaft; BECKER, Arisierung; zum DRV UEBERHORST, Deutscher Ruderverband. Unter anderem BERNETT, Sportpolitik im Dritten Reich; BECKER, Carl Diems Leben, Bd. 3, 59–94; zu den Personen u.a. DWERTMANN, Felix Linnemann; UEBERHORST, Neuendorff; STEINHÖFER, Reichssportführer. Ergänzend wurden die Verbandsorgane Wassersport, Deutsche Turnzeitung, Die Fußball-Woche (FuWo) und Sekundärliteratur ausgewertet. Für Berlin ist das Amtsgericht Berlin Charlottenburg zuständig. Im Land Brandenburg existieren aktuell Vereinsregisterabteilungen in allen 24 Amtsgerichten. Vgl. www.mdj. brandenburg.de/cms/detail.php/lbm1.c.272417.de (Zugriff am 29.11.2013). Bereits seit der revidierten preußischen Verfassung von 1850 hatten preußische Staatsbürger das Recht, sich zu Vereinen zusammenzuschließen. Dazu HUBER, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 3, 109. Die § 21–79 des BGB regeln das Vereinswesen. Vgl.
Die Einführung des „Arierparagrafen“
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und ist bis heute eine juristische Person, das heißt, er ist rechtsfähig und kann damit beispielsweise Eigentum erwerben und Verträge schließen. Dazu bedarf es einer Grundlage, der sogenannten Satzung, welche unter anderem den genauen Zweck der Vereinigung definiert und darüber hinaus festlegen muss, wer Mitglied des Vereins werden darf, wann und wie gewählt wird etc.15 Möchte sich ein Verein als juristische Person anerkennen lassen, muss er eine Eintragung in das Vereinsregister des zuständigen Amtsgerichts beantragen, seine Satzung einreichen und mitteilen, wer berechtigt ist, den Verein nach außen zu vertreten. Diese Informationen finden sich in der Vereinsregisterakte und müssen regelmäßig aktualisiert werden. Damit haben sich seit 1900 in den Vereinsregistern Aktenbestände gebildet, die für die Forschung von großem Wert sind. So lassen sich anhand einer gut geführten und vollständig überlieferten Akte alle Satzungsänderungen und Vorstandswechsel eines Vereins nachvollziehen. Es finden sich in der Regel die entsprechenden Protokolle der Mitgliederversammlungen, seltener sogar der Vorstandssitzungen. Das überlieferte Material aus der Zeit des Nationalsozialismus ist oft umfangreicher als das der Vereinsarchive, sofern die Vereine überhaupt noch existieren oder ein Archiv besitzen. Der Aussagewert ist jedoch von Fall zu Fall verschieden, da es mitunter Bestandslücken gibt, die Meldungen an die Amtsgerichte unter Umständen nur sporadisch erfolgten oder Protokolle von Versammlungen nicht aussagekräftig sind.16 Allein aus der fehlenden Einführung des „Arierparagrafen“ in den Jahren 1933 bis 1935 kann deshalb nicht auf eine oppositionelle Haltung des Vereins geschlossen werden. Möglicherweise gab es keine jüdischen Vereinsmitglieder, es wurden juristische Bedenken angeführt17 oder man berief sich auf die Regelungen des jeweiligen Dachverbandes. 1.3. Methodische Fragen
Welche Fragen lassen sich an die vorliegenden Quellenbestände stellen? Zunächst soll untersucht werden, ob die Vereine in der Zeit von 1933 bis 1935 „Führerprinzip“ und „Arierparagrafen“ in ihre Satzungen aufgenommen haben. Von Interesse ist dabei der genaue Zeitpunkt der Satzungsänderungen und insbesondere, welche Vereine Änderungen vornahmen, bevor die DRLEinheitssatzung 1935 als „Norm“ herausgegeben wurde.18 Darüber hinaus ist zu
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Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung von 1900. Nachdruck der Ausgabe Berlin 1896, 5–13. BGB 1900, 5–13. BAHRO, „Den Verbandsorganen wird ferner empfohlen“, 100. Solche trug beispielsweise der DRL-Justiziar Stefan Nürck 1936 vor. Vgl. Dok. 9, in: BERNETT, Der jüdische Sport, 132f. Noch ausführlicher in: BERNETT, Opfer des „Arierparagrafen“. Für den Anfang 1934 proklamierten Deutschen Reichsbund für Leibesübungen (DRL) ließ von Tschammer und Osten Anfang 1935 eine Einheitssatzung veröffentlichen, die von allen Turn- und Sportvereinen verabschiedet werden musste. „Die Mustersatzung
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beachten, inwiefern die Verantwortlichen den vorhandenen Gestaltungsspielraum dieser Vorgabe des neuen Einheitsverbandes für Leibesübungen ausnutzten. Von einem „vorauseilenden Gehorsam“ kann man vor allem dann sprechen, wenn sich die Vereine mit der Verabschiedung von „Führerprinzip“, „Arierparagrafen“, politisch motivierten Vorstandswechseln, der Gründung von Wehrsportgruppen und dem Ausschluss von Mitgliedern vor 1935 offen zu den rassistischen, antidemokratischen und militaristischen Zielen der neuen Machthaber bekannten.19 Allerdings kann man bei Vorstandswechseln anhand der Vereinsregisterakten oft nicht nachvollziehen, ob diese politisch motiviert waren. Unter Umständen erläutern die Protokolle von Mitgliederversammlungen sehr detailliert die jeweiligen Umstände und Beweggründe für Veränderungen auf der Vorstandsebene, doch diese Fälle bilden eher die Ausnahme. Ohne genauere Kenntnisse über die handelnden Personen, die zumeist weitgehend unbekannt bleiben, sind weitergehende Interpretationen unangebracht. 2. Das Verhalten der Verbände 1933 Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten erfolgte seit 1933 eine sukzessive Gleichschaltung staatlicher und gesellschaftlicher Bereiche,20 die auch vor dem organisierten Sport nicht Halt machte. Die bürgerliche Turn- und Sportbewegung, die sich in der Zeit der Weimarer Republik für „unpolitisch“ erklärt hatte, vollzog nicht erst nach der erzwungenen Auflösung der Arbeitersportverbände im Mai 1933 einen radikalen Positionswechsel, indem sie sich einerseits den neuen Machthabern anbiederte,21 den DRA als Dachverband des bürgerlichen Sports satzungswidrig auflöste22 und andererseits versuchte, eine Neuordnung des Sportsystems nach nationalsozialistischen Prinzipen zu antizipieren, um sie im vorauseilenden Gehorsam umzusetzen.23 Dieses Verhalten einzelner Organisationen und Funktionäre – vor allem im März und April 1933 – entsprach dem Zeitgeist nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar und der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes am 23. März.24 Erst am 28. April wurde von Tschammer und Osten zum Reichssportkommissar ernannt, um den Sport neu zu ordnen.25 In ersten Interviews begrüßte er kommt“, in: Reichssportblatt, 22.12.1934; „Erläuterungen zur Einheitssatzung der Vereine“, in: ebd. 19.1.1935. 19 . BAHRO, „Den Verbandsorganen wird ferner empfohlen“, 101; PEIFFER, „... unser Verein ist judenfrei“, 95. 20 Vgl. BRACHER, Machtergreifung, 169–219. 21 Zahlreiche Vereine und Verbände traten mit Grußadressen an Hitler heran. Beispiele u.a. bei BERNETT, Sportpolitik im Dritten Reich, 19–22. 22 BECKER, Carl Diems Leben, Bd. 3, 11–94; BERNETT, Umbruch oder Kontinuität?; DERS., Der Weg des Sports. 23 Unter anderem BERNETT, Sportpolitik im Dritten Reich, 26–32. 24 Unter anderem BECKER, Carl Diems Leben, Bd. 3, 11f. 25 TEICHLER, Kandidaten und Konzeptionen.
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sogleich die schon erkennbaren „Umstellungen und Gleichschaltungen“,26 stellte aber zugleich in Aussicht, Gutes und Bewährtes erhalten zu wollen. Sein Vorgesetzter, Innenminister Wilhelm Frick, erklärte am 4. Mai alle bisherigen Einzelaktionen der Verbände für vorläufig und genehmigungspflichtig und betonte die Zuständigkeit des Reichssportkommissars. Die Verbände wies er an, von Tschammer und Ostens Richtlinien abzuwarten.27 Diese erschienen allerdings – mit Rücksicht auf die nach Berlin vergebenen Olympischen Spiele 1936 und die Boykottüberlegungen im Ausland – lange Zeit nicht.28 Gemäß der öffentlichen Äußerungen des Reichssportkommissars ließen sich hingegen die Grundlinien der anstehenden Veränderungen ablesen: Gleichschaltung und Vereinheitlichung des Verbandswesens, Durchsetzung des „Führerprinzips“ und Entfernung jüdischer Mitglieder zumindest aus den Vorständen der Vereine.29 Es gab keine Forderung nach einem grundsätzlichen Ausschluss jüdischer Mitglieder und von Tschammer und Ostens Aussagen ließen den Verbänden und Vereinen einen gewissen Interpretationsspielraum. Seiner Stellungnahme im Mai – „Grundsätzlich bestimmt den deutschen Sport der arische Mensch […] und nicht der Jude“30 – ließ der im Juli zum Reichssportführer ernannte von Tschammer und Osten erst im November 1933 die Konkretisierung folgen,31 dass bei der Besetzung der Vereinsspitzen nach dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums zu verfahren sei: „Der Erlass von Vorschriften über die Aufnahme nichtarischer Mitglieder [bleibt] den Fachverbänden und, soweit von diesen keine bindenden Vorschriften ergehen, den einzelnen Vereinen überlassen.“32
Von Interesse ist daher die Reaktion der Fachverbände bzw. ihrer Entscheidungsträger auf den Machtwechsel im Januar 1933 und die weitere politische und sportpolitische Entwicklung, da sich dies in der Regel direkt auf die angeschlossenen Mitgliedsvereine auswirkte. Einige Verbände handelten verhältnismäßig frühzeitig und positionierten sich im Sinn der neuen Machthaber. Dies trifft auf den Deutschen Schwimmverband ebenso zu, wie auf den Deutschen Reichsverband für Amateurboxen und den Verband Deutscher Faustkämpfer (Profiboxen), die schon im April „Arierparagrafen“ in ihre Verbandssatzungen aufnahmen.33 26 27 28 29 30 31
32 33
FuWo, 1.5.1933. Wassersport, 11.5.1933 und 8.5.1933. Vgl. TEICHLER, Ausschluss der deutschen Juden; RÜRUP, 1936 – Die Olympischen Spiele, 53f. BECKER, Der Ausschluss der jüdischen Mitglieder, 143. Der Schwimmer, 10.5.1933, zit. nach BERNETT, Umbruch oder Kontinuität?, 9. „Über die Besetzung von Führerposten“, in: Deutsche Turnzeitung, 18.11.1933, 1070, abgedruckt in: BERNETT, Der jüdische Sport, 140; „Führerposten in Sportvereinen“, in: Hannoversches Tageblatt, 22.11.1933, zit. nach BECKER, Der Ausschluss der jüdischen Mitglieder, 142f. BArch, R 34/420, Mitteilung der Pressestelle des Reichssportführers vom 18.11.1933. Dazu BERNETT, Der jüdische Sport, 19–21.
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2.1. Die Deutsche Turnerschaft
Zu den besonders schnell agierenden Verbänden zählte die DT, deren nationalsozialistische Geschichte als vergleichsweise gut erforscht gelten kann.34 Bereits am 8./9. April 1933 beschloss der Hauptausschuss des mitgliederstärksten Verbandes die Entfernung von jüdischen Mitgliedern und „Marxisten“ und forderte vom Deutschen Turntag den Beschluss eines „Arierparagrafen“.35 Der zum Führer der DT ernannte Neuendorff verkündete diese Maßnahmen am 18. April 1933 in der Deutschen Turnzeitung als „Osterbotschaft“: „Darum haben wir klar ausgesprochen, dass Marxisten nicht in die Turnerschaft gehören. Darum haben wir den Arier-Paragraphen angenommen. Er verpflichtet alle Vereine, alle jüdischen Mitglieder aus ihren Reihen auszuscheiden. […] Jude ist, wer von jüdischen Eltern stammt. Dazu genügt, dass ein Teil der Großeltern jüdischen Blutes ist.“36
Dies entsprach den Bestimmungen des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, das aber Ausnahmen für Personen zuließ, „die im Weltkrieg an der Front für das Deutsche Reich oder für seine Verbündeten gekämpft haben oder deren Väter und Söhne im Weltkrieg gefallen sind.“37 Die Vereine sollten diese Forderung Neuendorffs unverzüglich umsetzten und die gesamte DT bis zum Turnfest Ende Juli 1933 in Stuttgart „judenfrei“ sein.38 Obwohl Neuendorff im Mai das sogenannte Frontkämpferprivileg aufhob und den „Arierparagrafen“ damit erheblich verschärfte,39 meldete er an Hitler die Umsetzung dieser Ziele. Dass dies nicht den Tatsachen entsprochen haben konnte, liegt auf der Hand. Bernett hat am Beispiel der Berliner Turnerschaft Korporation herausgearbeitet, dass die Maßnahmen in den betroffenen Vereinen teilweise sogar erhebliche Bedenken hervorriefen.40 2.2. Der Deutsche Ruderverband
Etwas später als die DT reagierte der DRV. Die Verbandstagung am 18./19. März 1933 in Hamburg – also vor der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes – stand noch ganz im Zeichen des 50-jährigen Verbandsjubiläums.41 Erst am 6. Mai tagte der Ausschuss des DRV in Potsdam, um sich offiziell mit den „organisatorischen Folgerungen aus der neueren Entwicklung im 34
35 36 37 38 39 40 41
Unter anderem PEIFFER, Die Deutsche Turnerschaft, 129–179; BERNETT, Opfer des „Arierparagrafen“; PEIFFER, Deutsche Turnerschaft und Nationalsozialismus; BECKER, Arisierung. BERNETT, Der jüdische Sport, 23f. „Osterbotschaft“, in: Deutsche Turnzeitung, 19.4.1933, 289f. Reichsgesetzblatt I, 7.4.1933, 175. „Osterbotschaft“, in: Deutsche Turnzeitung, 19.4.1933. „Arier-Grundsatz in der DT“, in: Deutsche Turnzeitung, 23.5.1933, 401. BERNETT, Opfer des „Arierparagrafen“; BERNETT, Der jüdische Sport, 25–32. UEBERHORST, Deutscher Ruderverband, 104. In der Verbandszeitschrift findet sich eine umfangreiche Jubiläumsausgabe: Wassersport 51 (1933), 10.
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deutschen politischen und Sportleben“42 zu befassen. Trotz der erwähnten Bekanntmachung Fricks vom 4. Mai 1933 zur Vorläufigkeit der innerverbandlichen Maßnahmen, beschloss der DRV-Ausschuss die „Gleichschaltung der Vereine“ und die Einführung eines „Arierparagrafen“ im Sinn des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums.43 In einer Rede stellte Pauli sogar fest, dass es für den DRV „nicht nur keiner Umstellung bedürfe, sondern dass er, mit aufrichtigem Dank an den genialen Führer Adolf Hitler, nunmehr endlich den Weg für des Verbandes vaterländische Bestrebungen wieder frei sehe.“44 In diesem Sinn untersagte der Verbandsführer die Aufnahme von Vereinen, die bisher der politisch links stehenden Zentralkommission für Arbeitersport und Körperpflege angehört hatten und zunächst bis zum 1. September 1933 auch die Aufnahme von Einzelmitgliedern dieser Vereine.45 Er erwartete darüber hinaus, „dass die Mitgliedsvereine dem Deutschen Ruderverband, der in allen seinen Teilen von dem Geiste der nationalen Erhebung durchdrungen ist, unverbrüchlich die Treue halten.“46 Mit Pauli hatte der DRV seit dem Verbandstag am 26. September 1926 einen Vorsitzenden, der schon in der Zeit vor 1933 zur politischen Rechten gezählt werden kann. Wegen seiner Beteiligung am Kapp-Putsch 1920 wurde der Regierungspräsident von Schleswig verhaftet und in den einstweiligen Ruhestand versetzt.47 Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler präsentierte sich Pauli offen als überzeugter Nationalist, indem er beispielsweise eine gesetzliche Regelung für eine Einführung von Wehrsport forderte.48 Er betrieb die Absetzung des als „Halbjuden“ diffamierten DRA-Vorsitzenden Theodor Lewald am 12. April 1933 und wurde nur einen Monat später zu einem der Totengräber des bürgerlichen Dachverbandes des deutschen Sports.49 In den Richtlinien von Tschammer und Ostens zur Neuordnung des deutschen Sports erkannte Pauli „keine neuen Gedanken“. Er begrüßte die Vorstellung, dass der Sport als Erziehungsmittel des deutschen Volkes staatlicher Führung bedürfe und „Pflanzstätte soldatischer Tugenden und Schule staatlichen Geistes“ sein müsse.50 Der neue, autoritäre Führungsstil wurde von ihm ausdrücklich begrüßt, schien dieser doch auch der traditionell engen Verbindung der Verbandsspitze des DRV mit den Mitgliedsvereinen zu entsprechen. Alle Vereine waren – mit bewusstem Verzicht auf eine regionale Untergliederung – direkt der Ver42
„Potsdam. Von der 127. Ausschuss-Sitzung“, in: Wassersport, 11.5.1933. „Ruderer-Ausschuss tagte in Potsdam“, in: Potsdamer Tageszeitung, 7.5.1933; Wassersport, 11.5.1933; BERNETT, Der jüdische Sport, 21. 44 . Wassersport, 11.5.1933. 45 Amtliche Bekanntmachung des Verbandes, in: Wassersport, 18.5.1933. 46 . Wassersport, 18.5.1933. 47 Online-Version der Edition „Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik“, http://www. bundesarchiv.de/aktenreichskanzlei/1919-1933/0000/adr/adrmr/kap1_4/para2_23.html (Zugriff am 29.11.2013). 48 „Zur Frage des Wehrsports. Eingliederung in den Ruderbetrieb“, in: Wassersport, 20.4.1933. 49 Unter anderem UEBERHORST, Deutscher Ruderverband, 104. 50 . Dieses Zitat und das vorhergehende in: Wassersport, 1.6.1933. 43
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bandsspitze zugeordnet.51 Da die Veröffentlichung von zentralen Richtlinien durch die Reichssportführung zum Jahresende 1933 noch immer auf sich warten lies, veröffentlichte der DRV am 7. Dezember eine Mustersatzung und forderte alle angeschlossenen Vereine auf, diese umzusetzen.52 Die Satzung enthielt den folgenden „Arierparagrafen“: „Die Mitglieder müssen arischer Abstammung sein. Die reichsrechtlichen Vorschriften über das Berufsbeamtentum finden für die Mitgliedschaft von Nichtarien Anwendung.“53
Darüber hinaus wurde die Wahl eines Vereinsführers mit einer Mehrheit von zwei Dritteln vorgeschrieben. Der demokratisch durch die Mitgliederversammlung zu wählende Vereinsführer bedurfte allerdings einer nachträglichen Bestätigung durch den Verbandsführer. Sollte auch im zweiten Wahlgang auf keinen Kandidaten die notwendige Stimmenmehrheit entfallen, konnte Pauli sogar selbst einen Vereinsführer ernennen.54 2.3. Der Deutsche Fußball-Bund
Auch der DFB bekannte sich zur nationalsozialistischen Führung. Am 21. März richtete die Verbandsführung eine Ergebenheitsadresse an die neuen Machthaber.55 Noch vor der Ernennung des Reichssportkommissars gab man bekannt, dass „Angehörige der jüdischen Rasse“ in „führenden Stellungen der Verbandsinstanzen und der Vereine […] nicht tragbar“ seien.56 Die Einführung eines „Arierparagrafen“ schrieb man den Vereinen nicht vor. Um seine politische Zuverlässigkeit zu demonstrieren, forderte der DFB einerseits am 24. März seine Vereine auf, Aufnahmegesuche von Arbeitersportlern grundsätzlich abzulehnen und versicherte andererseits – zusammen mit der Deutschen Sportbehörde für Athletik – zehn Tage später den „Sportsleuten aller Länder“: „Die Ordnung in Deutschland ist gefestigter denn je“.57 Die von Linnemann vorgelegte Mustersatzung vom 9. April 1933 für DFB-Vereine sah vor, „die Frage der Religion […] so auszubauen, dass die Abstammung rassenmäßig überprüft werden kann.“58 Mit ähnlichem Tenor wie schon Neuendorff und Pauli gelobte Linnemann, anlässlich des Endspiels um die Deutsche Meisterschaft am 12. Juni 1933, „‚im Sinne der von ihm seit langem erstrebten Volksgemeinschaft‘ freudig am Neu-
51
. Wassersport, 7.12.1933. . „Mustersatzung für Rudervereine“, in: Wassersport, 7.12.1933. 53 . Wassersport, 7.12.1933. 54 Ebd. – In den bisher untersuchten Akten konnte ein solcher Fall nicht recherchiert werden. 55 DWERTMANN, Felix Linnemann, 17; HEINRICH, Der Deutsche Fußballbund, 134–139. 56 Fußball und Leichtathletik, 25.4.1933, zit. nach HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 160. 57 „Kundgebungen gegen Greuelhetze“, in: FuWo, 3.4.1933. 58 Zit. nach HEINRICH, Der Deutsche Fußballbund, 144. 52
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aufbau des deutschen Sports mitzuwirken.“59 Nachdem von Tschammer und Osten ihn im Juni zum kommissarischen Führer der Reichsfachschaft Fußball ernannt hatte, erklärte Linnemann: „Wir waren früher ein Verband, der sich auf dem alten Recht gegründet hat und sich liberalistisch aufbaute. Heute haben wir die selbstverständliche Pflicht, von diesem Wege abzugehen und die vom Staat ganz neu gestellte Ordnung, das Prinzip der Führerschaft, zu übernehmen.“60
Wie der DRV und die DT beteuerte der DFB, keine Bewegung hätte „im Sinne der Volksgemeinschaft so erfolgreich gearbeitet […] wie gerade der Sport. […] Wir brauchen uns nicht umzustellen.“61 Das „Führerprinzip“ wurde dennoch umgesetzt. Dies geschah mit dem Beschluss des DFB-Bundestags am 9. Juli, den Linnemann folgendermaßen kommentierte: „Es gibt keine Bücher der Satzung mehr mit Hunderten von Paragraphen. Die jährlichen Versammlungen fallen fort und damit auch die unendlichen Debatten über neue Paragraphen. Kurz gehaltene Bestimmungen des Führers sind an die Stelle der Gesetzbücher getreten.“62
Auch in den Regionalgliederungen wurden diese Impulse aufgenommen. So forderte im Juli 1933 der Führer des Fußballgaus Berlin-Brandenburg die angeschlossenen Vereine zur Gleichschaltung auf: „Prof. Glöckner ergriff noch einmal das Wort zu wertvollen Ausführungen. Unbedingte Gleichschaltung sei selbstverständlich Voraussetzung zu guter, gedeihlicher Zusammenarbeit“.63
Es lässt sich damit ein relativ einhelliges Bekenntnis der Spitzen der drei Verbände zu den neuen Machthabern konstatieren. Während der DFB von den angeschlossenen Vereinen jedoch „nur“ die Umsetzung des „Führerprinzips“ und eine Entfernung von jüdischen Mitgliedern aus den Vorständen verlangte, gingen DT und DRV rigoroser vor. Beide forderten von ihren Mitgliedsvereinen die Einführung von „Arierparagrafen“. Die DT bestimmte einen hunderterprozentigen „Arierparagrafen“, der DRV verwies auf die Bestimmungen des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums und veröffentlichte Anfang Dezember 1933 eine Mustersatzung.
59
Rede des Reichssportkommissars in Köln, in: FuWo, 12.6.1933. Linnemann auf dem DFB-Bundestag am 9.7.1933, zit. nach Hanns J. Müllenbach, DFB und DSB am Wendepunkt, in: Der Kicker, 11.7.1933, 1077–1080, hier 1078. 61 . Ebd. 62 „Deine Aufgabe“, in: Deutscher Fußball-Sport 1 (1933), 3, zit. nach HEINRICH, Deutscher Fußball-Bund und Nationalsozialismus, 67. 63 FuWo, 17.7.1933. 60
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3. Die DRL-Einheitssatzung als Norm Erst am 23. Januar 1934 wurde der neue Einheitsverband des Sports proklamiert. Am 9. März folgte der Gründungsbeschluss des Deutschen Reichsbundes für Leibesübungen und noch einmal Monate später, am 27. Juli, stellte von Tschammer und Osten den organisatorischen Aufbau anlässlich der Deutschen Kampfspiele in Nürnberg vor.64 Im Januar 1935 ließ von Tschammer und Osten schließlich die lang angekündigte Norm in Form der DRL-Einheitssatzung veröffentlichen, die alle Turn- und Sportvereine verabschieden mussten.65 Diese bestand zu großen Teilen aus vorgedruckten Textbausteinen. So besagte Paragraf 2: „Der Verein bezweckt die leibliche und seelische Erziehung seiner Mitglieder im Geiste des nationalsozialistischen Volksstaates durch die planmäßige Pflege der Leibesübungen“.66
Ein „Arierparagraf“ fand sich in der Vorlage jedoch nicht – im Gegenteil: Der Paragraf 4, der die Mitgliedschaft regelte, war frei von vorgefertigten Passagen. Ein an dieser Stelle vorgegebener „Arierparagraf“ hätte sicherlich Wasser auf die Mühlen der Boykottbewegung gegen die Olympischen Spiele in Berlin gegossen. Das Fehlen einer solchen Vorgabe räumte den Vereinen damit einen maximalen Gestaltungsspielraum ein und entsprach der Festlegung von Tschammer und Ostens, dass die Regelungen zur Aufnahme nichtarischer Mitglieder den Verbänden bzw. Vereinen überlassen blieben.67 Paragraf 9 der Einheitssatzung setzte das „Führerprinzip“ durch: „Die Geschäftsführung und Vertretung des Vereins liegt in der Hand des Vereinsführers oder seines Stellvertreters. Der Vereinsführer oder sein Stellvertreter sind Vorstand im Sinne des § 26, Abs. 2, des Bürgerlichen Gesetzbuches.“68
Mit der Wahl des Vereinsführers durch die Mitgliederversammlung als nach wie vor oberstem Organ eines Vereins wurde das „Führerprinzip“ damit nach den Bestimmungen des BGB legitimiert. Der Vereinsführer vereinte demnach „nur“ die Kompetenzen des Vorstandes in seiner Person. Oft wurde aber der gewählte Vereinsführer durch die Mitgliederversammlung zur selbständigen Änderung bzw. Neufassung der Satzungen ermächtigt.69 Neu waren die weit reichenden 64
BERNETT, Der Weg des Sports, 16. – Die Satzung des DRL trat sogar erst zum 1. Januar 1936 in Kraft. Vgl. NÜRCK, Sport und Recht, 127, abgedruckt in: ebd., 128f. 65 „Die Mustersatzung kommt“, in: Reichssportblatt, 22.12.1934; „Erläuterungen zur Einheitssatzung der Vereine“, in: ebd., 19.1.1935. Die DRL-Einheitssatzung ist ebenfalls publiziert in: NÜRCK, Sport und Recht, 34–36, und MENGDEN, Umgang mit der Geschichte, 147–149. 66 NÜRCK, Sport und Recht, 34. 67 „Über die Besetzung von Führerposten“, in: Deutsche Turnzeitung, 18.11.1933, 1070, abgedruckt in: BERNETT, Der jüdische Sport, 140. 68 . NÜRCK, Sport und Recht, 35. 69 Exemplarisch: Protokoll der außerordentlichen Mitgliederversammlung des Sportclubs Werder/Havel am 26.12.1933, in: BLHA, Rep. 5E, Amtsgericht Werder/Havel, Nr. 84.
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Befugnisse des Reichssportführers, der die gewählten Vereinsführer in ihren Ämtern bestätigen und sie auch jederzeit abberufen konnte.70 4. Das Verhalten der Vereine in den Jahren 1933 bis 1935 In einem nächsten Schritt soll nun überprüft werden, inwiefern die untersuchten Vereine die Vorgaben von Reichssportführung einerseits und die der Fachverbände andererseits umsetzten. 4.1. Vereine der Deutschen Turnerschaft
Wie viele andere Vereine aus dem bürgerlichen Spektrum besaß auch der Männer-Turnverein-Drewitz in der Weimarer Zeit eine unauffällige Satzung. Einschränkungen hinsichtlich der Mitgliedschaft finden sich nicht.71 Gemäß den Forderungen Neuendorffs hätte der Verein bis zum Stuttgarter Turnfest im Juli 1933 etwaige jüdische Mitglieder ausschließen und eine Umstellung der Satzung vornehmen müssen. In der Vereinsregisterakte sind dergleichen Vorgänge nicht dokumentiert. Erst am 9. Februar 1935 diskutierte und verabschiedete die Mitgliederversammlung die DRL-Einheitssatzung, die den von der DT-Führung vorgeschriebenen Passus enthielt: „Mitglieder des Vereins können nur unbescholtene Deutsche werden. Als Deutsche gelten nur Volksgenossen, deren Eltern und Großeltern Arier sind.“72 Ein ähnliches Verhalten findet sich beim Verein Dahlemer Turner, der erst in seiner Jahreshauptversammlung am 18. Februar 1935 die letzte gültige Satzung aus dem Jahr 1931 außer Kraft setzte und „dafür die vom Reichssportführer verfügte, in der Deutschen Turnzeitung Nr. 5 vom 28. Eismond 1935 veröffentlichte und […] entsprechend ergänzte Einheitssatzung für die dem Deutschen Reichsbund für Leibesübung angeschlossenen Turnvereine der Deutschen Turnerschaft“ 73 annahm. Analog verhielt sich eine Reihe anderer Vereine der DT, wobei nicht nachvollzogen werden kann, aus welchen Gründen sie die Satzungsänderungen erst 1935 vornahmen.74 Möglich wäre, dass sie vor 1933 keine jüdischen Mitglieder in ihren Reihen hatten und deshalb die Ausschlussforderungen Neuendorffs bereits als erfüllt ansahen. Die 70 71 72 73
74
NÜRCK, Sport und Recht, 35. Allein politische und konfessionelle Betätigung war untersagt. Vgl. die Satzung aus dem Jahr 1927, in: BLHA, Rep. 260, Amtsgericht Potsdam, Nr. 37f. Satzung Männer-Turnverein-Drewitz, 9.2.1935, in: ebd. Abschrift der Niederschrift über die Jahreshauptversammlung am 18.2.1935, in: Amtsgericht Berlin Charlottenburg, Rep. 042, Nr. 26931. Die Satzung enthält den „Arierparagrafen“ der DT. Exemplarisch: Zehlendorfer Turn- und Sportverein von 1888, in: LA Berlin, A Pr.Br. Rep. 030–04, Nr. 4676); Turnverein „Frisch auf“ Briesen (Satzung vom 15.5.1935, in: BLHA, Rep. 5E, Amtsgericht Cottbus Nr. 758); Turngemeinde in Berlin 1848 (Satzungsänderung am 8.8.1935, in: Amtsgericht Berlin Charlottenburg, VR 351); Teltower Männerturnverein 1931 (LA Berlin, B Rep. 042, Nr. 27651); Turnverein Siemensstadt 1907 (LA Berlin, B Rep. 042, Nr. 28546).
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deutlichen Vorgaben durch die Verbandsführung ließen ein anderes Ergebnis erwarten. Nur wenige der untersuchten Turnvereine beschlossen schon 1933 die Einführung von „Arierparagrafen“. Zu diesen zählt der Turnverein „Deutsche Eiche“ aus Sachsendorf, der eine neue Satzung auf seiner Hauptversammlung am 9. Dezember 1933 verabschiedete. Die Neufassung enthielt unter Paragraf 4 eine leicht abgewandelte Form der geforderten Einschränkung für die Mitgliedschaft: „Mitglied des Vereins kann jede Person werden, die sich im Vollbesitz der bürgerlichen Ehrenrechte befindet, einen achtbaren Lebenswandel führt, arischer Abstammung ist und das 14. Lebensjahr vollendet hat.“75
Am 9. Februar 1935 verabschiedete der Turnverein die DRL-Einheitssatzung, die um den vom Fachamt vorgeschriebenen „Einheitsarierparagrafen“ ergänzt wurde.76 Ebenso noch im Jahr 1933, aber gleichfalls erst nach dem Turnfest in Stuttgart, änderte der Turnverein Cottbus 1861 seine Satzung, in die man den „Ariergrundsatz“ aufnahm.77 Andere Turnvereine setzten zwar das „Führerprinzip“ um, beschlossen aber zunächst keinen „Arierparagrafen“, so beispielsweise der Steglizter Turn- und Sportverein 1878,78 der Turn-Verein Kirchhain,79 der Turnverein GutsMuths Berlin80 und der TSV Berlin Wittenau 1896.81 Die zwölf untersuchten Turnvereine im Raum Berlin-Brandenburg zeigen ein überraschend heterogenes Bild. Zwar folgten alle den Vorgaben der DT und führten „Arierparagrafen“ ein, doch nur zwei kamen den Forderungen bereits im Jahr 1933 nach. Weitere zwei nahmen die entsprechende Veränderung der Satzungen erst im Jahr 1934 vor.82 Zwei Drittel der Vereine wartete sogar bis zur Veröffentlichung der DRL-Einheitsatzung, die dann im Jahr 1935 verabschiedet und um einen „Arierparagrafen“ gemäß den Vorgaben des Fachamtes ergänzt wurde. 4.2. Vereine des Deutschen Ruderverbandes
Die letzte Satzung des Rudervereins Ketzin aus der Weimarer Zeit ist ohne Auffälligkeiten, es wird jedoch – für das Rudern durchaus üblich – ein elitärer An75 76 77 78 79
80 81 82
Satzung Turnverein „Deutsche Eiche“ Sachsendorf vom 9.12.1933, in: BLHA, Rep. 5 E, Amtsgericht Cottbus, Nr. 957. Satzung Turnverein „Deutsche Eiche“ Sachsendorf vom 9.2.1935, in: ebd. BLHA, Rep. 5 E, Amtsgericht Cottbus, Nr. 787. „Führerprinzip“ mit der Satzungsänderung vom 25.3.1934, „Arierparagraf“ erst mit der DRL-Einheitssatzung vom 28.1.1935, in: LA Berlin, B Rep. 042, Nr. 28739. „Führerprinzip“ mit der Satzungsänderung vom 23.8.1933. – Der „Arierparagraf“ wurde mit der Satzung vom 24.9.1934 und auch in der DRL-Einheitssatzung am 26.2.1935 beschlossen (BLHA, Rep. 5 E, Amtsgericht Kirchhain, Nr. 2). Satzungsänderungen am 14.2.1934 und 7.3.1935, in: LA Berlin, B Rep. 042, Nr. 28806. Satzungsänderung mit „Arierparagraf“ am 6.1.1934, in: Amtsgericht Berlin Charlottenburg, VR 701. Turn-Verein Kirchhain (BLHA, Rep. 5 E, Amtsgericht Kirchhain, Nr. 2) und TSV Berlin Wittenau 1896, in: Amtsgericht Berlin Charlottenburg, VR 701.
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spruch deutlich.83 Abgesehen von dem in dieser Zeit üblichen Passus, dass eine politische Betätigung innerhalb des Vereins ausgeschlossen sei, finden sich keine Beschränkungen für eine Mitgliedschaft. Unmittelbar am 12. Dezember 1933 änderte der Verein auf einer eiligst einberufenen außerordentlichen Mitgliederversammlung die Satzung im Sinn der nur wenige Tage zuvor erschienenen Mustervorgabe des DRV: „Die Mitglieder müssen arischer Abstammung sein. Die reichsrechtlichen Vorschriften über das Berufsbeamtentum finden für die Mitgliedschaft von Nichtariern Anwendung.“84 Der auf der Versammlung gewählte Vereinsführer wurde im April 1934 von Verbandsführer Pauli bestätigt.85 Die nach dem Muster des DRL am 20. Februar 1935 verabschiedete Satzung wurde durch einen „Arierparagrafen“ ergänzt.86 Eine um vier Wochen vorgezogene Jahreshauptversammlung des RuderClubs Werder/Havel fand am 8. Oktober 1933 statt. Im Protokoll heißt es dazu: „Es wird berichtet, dass wir nach dem Führerprinzip in Zukunft verfahren werden und demgemäß eine Änderung der Satzung vorzunehmen haben. Zurzeit liegen noch keine Mustersatzungen vom Verband vor und demgemäß werden die alten Satzungen vom Führer sinngemäß zur Anwendung kommen. […] Nach Erhalt der Mustersatzungen ist der Führer verpflichtet, neue Satzungen hiernach auszuarbeiten und dem Amtsgericht nach Anhören des Beirats, zur Eintragung in das Vereinsregister einzureichen.“87
Allerdings arbeitete der Vereinsführer keine neuen Satzungen aus, sondern wartete bis zur Veröffentlichung der DRL-Einheitssatzung, die 1935 um den „Arierparagrafen“ des DRV ergänzt von der Mitgliederversammlung einstimmig beschlossen wurde.88 Auf der am 28. Oktober 1933 veranstalteten, regulären Jahresversammlung der Berliner Rudergesellschaft berichtete der Vorsitzende über die politischen Entwicklungen und forderte die Anwesenden auf, sich aktiv an der nationalen Erhebung zu beteiligen.89 Dem entsprechend folgten Vorträge über das „Führerprinzip“ und dessen Einführung, die mit einer einmütigen Aufnahme in die Satzung endeten. Ein weiterer Beschluss ermächtigte den Vereinsführer, zukünftig ohne Beteiligung der Mitgliederversammlung Satzungsänderungen vorzunehmen. Der Vereinsführer machte von dieser Befugnis keinen Gebrauch, sondern berief erst zum 5. April 1935 eine außerordentliche Generalversammlung ein, die der Einführung der DRL-Einheitssatzung inklusive eines „Arierparagrafen“ nach den Vorgaben des DRV zustimmte.90 83 84 85 86 87 88 89 90
Satzung Ruderverein Ketzin vom 29.2.1924, in: BLHA, Rep. 260, Amtsgericht Potsdam, Nr. 43. Satzung Ruderverein Ketzin vom 12.12.1933, in: ebd. Schreiben Pauli vom 23.4.1934, in: ebd. Satzung Ruderverein Ketzin vom 20.2.1935, in: ebd. BLHA, Rep. 5 E, Amtsgericht Werder/Havel, Nr. 83. Ebd. Protokoll vom 28.10.1933, in: Amtsgericht Berlin Charlottenburg, VR 1274. Satzung vom 29.4.1935, in: ebd.
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Der Deutsche Damen-Ruder-Klub zu Berlin bildet eine Ausnahme, da er schon vor 1933 Einschränkungen hinsichtlich der Mitgliedschaft formulierte. Paragraf 5 der Satzung aus dem Jahr 1925 besagte: „Die Mitglieder dürfen keinem anderen hiesigen Ruderverein angehören. Voraussetzung zur Aufnahme in den Klub ist ferner: Mindestalter 18 Jahre, Höchstalter 30 Jahre, christl. Religion, gute Gesundheit, Schwimmen.“91
Auf die Publikation der DRV-Mustersatzung reagierten die Ruderinnen, indem sie im Januar 1934 die entsprechenden Änderungen inklusive der Einführung eines „Arierparagrafen“ umsetzten.92 Gleichzeitig wurden die nun nicht mehr zeitgemäßen Ausdrücke „Damen“ und „Klub“ ersetzt und der Verein in Ruderbund Deutscher Frauen umbenannt.93 Der 1913 gegründete Ruderclub Phönix Berlin nahm in der Weimarer Zeit keine ungewöhnlichen Einschränkungen für die Mitgliedschaft vor. Jede Person, die das 16. Lebensjahr vollendet hatte, konnte Mitglied werden.94 Bis zur ordentlichen Hauptversammlung Ende Oktober 1933, auf der das „Führerprinzip“ bei einer Stimmenenthaltung angenommen wurde, finden sich in der Vereinsregisterakte keine Besonderheiten.95 Am 26. März 1934 führte der Verein einen „Arierparagrafen“ nach DRV-Vorgabe in seine Satzungen ein, um den man auch die am 1. Juli 1935 verabschiedete DRL-Einheitssatzung ergänzte.96 Ähnlich verhielt sich der 1908 gegründete Wannseer Ruder-Verein, der seine Satzung im Jahr 1933 nicht änderte.97 Erst mit der Mitgliederversammlung am 3. März 1934 wurde ein „Arierparagraf“ eingeführt. Der Spindlersfelder Ruder-Verein Sturmvogel unterscheidet sich von den bisher betrachteten Rudervereinen, weil er in den Jahren 1933/34 weder „Führerprinzip“ noch „Arierparagrafen“ in seine Satzung aufnahm.98 Erst am 5. April 1935 beschloss der Verein die DRL-Einheitssatzung. Obwohl die Mitgliedschaft „im Rahmen der Möglichkeiten weder nach Zahl noch nach anderen Merkmalen beschränkt“ sein sollte, ergänzte die Vereinsführung einen „Arierparagraf“ gemäß der DRV-Vorgabe.99 Die Abstimmung über die Annahme der Satzung erfolgte einstimmig. Diskutiert wurden jedoch fünf Austrittsgesuche, die – obwohl keine Gründe erwähnt sind – mit der Satzungsänderung im Zusammenhang stehen könnten.100 Der Vorstand beschloss, die betreffenden Mitglieder in Einzelgesprächen zur Rücknahme ihrer Gesuche zu bewegen. Den Vorgaben des Verbandes zum Trotz, reagierte der Spindlersfelder Ruder-Verein Sturmvogel damit erst 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100
Satzung vom 1.5.1925, in: BLHA, Rep. 5 E, Amtsgericht Potsdam, Nr. 897. Ebd. Ebd. Satzung vom 28.4.1922, in: Amtsgericht Berlin Charlottenburg, VR 1658. Protokoll vom 29.10.1933, in ebd. Ebd. BLHA, Rep. 5 E, Amtsgericht Potsdam, Nr. 953. Amtsgericht Berlin Charlottenburg, VR 1247. Protokoll vom 5.4.1935, in: ebd. Monatsversammlung vom 5.4.1935, in: ebd.
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1935, wartete also die Vorgaben der Reichssportführung ab und ist damit im Vergleich zu den anderen Vereinen ein Nachzügler. Übereifrig und anbiedernd erscheint dagegen das Verhalten der Potsdamer Rudergesellschaft 1910.101 Bereits am 16. Mai 1933 beschloss die Hauptversammlung eine Satzungsänderung.102 Da die Protokolle nicht überliefert sind, ist nicht nachvollziehbar, ob neben einer Umstellung auf das „Führerprinzip“ auch ein „Arierparagraf“ eingeführt werden sollte. Wegen formaler Fehler wurde die Änderung durch das Amtsgericht allerdings nicht anerkannt.103 Eindeutiges Zeugnis von der Gesinnung der Rudergesellschaft legt jedoch ein Artikel in der Potsdamer Tageszeitung vom jährlichen Vereinsfest ab: „Klubheim und Garten standen im Schmuck von Hakenkreuz und der schwarzweißroten Fahnen, während eine ganze Reihe der Kameraden in den Uniformen der SA und Amtswalter der NSDAP erschienen war, ein Zeichen dafür, dass die Potsdamer Rudergesellschaft durch ihre Mitglieder schon seit geraumer Zeit in fester Verbindung mit der NSDAP und damit zur nationalsozialistischen Weltanschauung steht.“104
Die Rudergesellschaft hatte zudem die Clubflagge um ein Hakenkreuz ergänzt. Der Vorsitzende führte dazu aus: „Wir tun es aus Verehrung zu unserem großen Führer und Volkskanzler Adolf Hitler und aus Begeisterung zur nationalsozialistischen Idee.“105 Die misslungene Abstimmung zur Satzungsänderung wurde – nun unter Beachtung der formalen Kriterien – im August erfolgreich wiederholt. Doch die versammlungswütigen Potsdamer trafen sich erneut im Dezember. Da der DRV trotz mehrmaliger Ankündigung seine Mustervorlage noch immer nicht publiziert hatte, war die Vereinsführung so ungeduldig geworden, dass man die Satzung abermals einer Überarbeitung unterzog. Als Vereinszweck nannte man neben der „Förderung des Ruderns“ auch die des „des Wehrsports“ und nahm einen „Arierparagrafen“ auf: „Jedermann arischer Abstammung und von gutem Ruf kann als Mitglied aufgenommen werden, wenn er die Bestimmungen des deutschen Ruderverbandes erfüllt.“106 Auch die am 29. April 1935 verabschiedete DRL-Einheitssatzung ergänzte der Verein um einen „Arierparagrafen“.107 Ein weiterer Potsdamer Ruderverein, der 1883 gegründete Ruderklub Vineta, berief sogar schon am 12. Februar 1933 – nicht einmal 14 Tage nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler – eine Hauptversammlung ein:
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Zuvor: Ruderclub Westen 1910. Im Folgenden: BLHA, Rep. 5E, Amtsgericht Potsdam, Nr. 925. 103 Man verstieß im Übereifer gegen die eigene Satzung, da die Versammlung per Handzeichen und nicht in geheimer Wahl abgestimmt hatte (Schreiben Amtsgericht vom 25.8.1933, in: BLHA, Rep. 5E, Amtsgericht Potsdam, Nr. 925). 104 Potsdamer Tageszeitung, 17.7.1933. 105 . Ebd. 106 Satzung vom 3.12.1933, in: BLHA, Rep. 5E, Amtsgericht Potsdam, Nr. 925. 107 Satzung vom 29.4.1935, in: ebd. 102
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„Infolge der durch die nationale Revolution veranlassten Umwälzung, […], findet eine a.o. Hauptversammlung statt, die den Klubführer zu wählen und diesen mit entsprechenden Änderungen der Satzungen zu bevollmächtigen hat.“108
Der Verein führte noch 1933 das „Führerprinzip“ und einen „Arierparagrafen“ ein.109 Später, aber ebenfalls noch vor der Veröffentlichung der Mustersatzung des DRV reagierte auch der Potsdamer Ruderklub. Am 1. Dezember 1933 beschloss die Mitgliederversammlung: „Die Mitglieder haben bei ihrem Eintritt schriftlich zu erklären, dass sie arischer Abstammung sind. Hierbei finden die reichsrechtlichen Vorschriften über das Berufsbeamtentum für die Mitgliedschaft von Nichtariern Anwendung.“110
Anstatt des noch im Januar 1933 als Vereinsvorsitzender bestätigten Johannes Bernau wurde nun Carl Seybold als Vereinsführer gewählt und im März 1934 vom Verbandsführer bestätigt. Nachdem der DRV seine Mustersatzung publiziert hatte, nahm der Potsdamer Ruderklub nur wenige Wochen später, im Januar 1934, eine erneute Änderung seiner Satzungen vor.111 Erstaunlicherweise nutzte der Ruderklub die DRL-Einheitssatzung um sich vom „Arierparagrafen“ wieder zu trennen.112 Bei den untersuchten Rudervereinen fällt auf, dass diese im Vergleich zu den Turnvereinen zeitiger auf den Machtwechsel reagierten. Es gab sogar Vereine, die noch vor dem Dachverband auf die politischen Veränderungen reagierten, indem sie sich auffällig, ja teilweise geradezu lärmend den neuen Machthabern anbiederten. Drei der untersuchten zehn Vereine nahmen noch vor der Veröffentlichung der Mustersatzung des DRV das „Führerprinzip“ und einen „Arierparagrafen“ in ihre Satzungen auf. Vier Vereine beriefen Mitgliederversammlungen zur Umstellung der Satzungen nach dem Bekanntwerden der DRVMustersatzung Ende 1933 oder im Jahr 1934 ein. Bis zur verpflichtenden Umsetzung der DRL-Einheitsatzung 1935 warteten nur drei Vereine. Umso erstaunlicher ist, dass Potsdamer Ruderklub die Vorgaben des DRV missachtete, indem er den 1934 aufgenommenen „Arierparagrafen“ als einziger Ruderverein mit der Verabschiedung der DLR-Einheitssatzung 1935 wieder entfernte.113 4.3. Vereine und Clubs des Deutschen Fußball-Bundes
Die Satzungen der 41 untersuchten Fußballvereine aus der Weimarer Zeit sind durchweg unauffällig. In der Regel konnten sich „ehrenhafte“ oder „unbeschol-
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Protokoll Mitgliederversammlung vom 12.2.1933, BLHA, Rep. 260, Amtsgericht Potsdam, Nr. 125. BLHA, Rep. 260, Amtsgericht Potsdam, Nr. 125. Satzung vom 1.12.1933, in: BLHA, Rep. 5 E, Amtsgericht Potsdam, Nr. 902. Satzung vom 12.1.1934, in: ebd. Satzung vom 12.4.1935, in: ebd. Potsdamer Ruderklub, in: BLHA, Rep. 5 E, Amtsgericht Potsdam, Nr. 902.
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tene“ Personen um eine Mitgliedschaft bewerben.114 In der überwiegenden Zahl der Satzungen befindet sich ein Passus, der politische und religiöse Aktivitäten innerhalb des Vereins ausschloss. Wie auch beim Sportclub Jugendkraft 1903 aus Nowawes handelt es sich in der Regel um Vereine, die nicht allein Fußball betrieben, obwohl diese Abteilung oft eine herausragende Rolle spielte, was an der Mitgliedschaft des Gesamtvereins im DFB deutlich wird. Auf die Aufforderung von Gauführer Glöckner im Juli 1933, das „Führerprinzip“ durchzusetzen, reagierten einige der untersuchten Vereine zeitnah. So lud die Potsdamer Sport-Union 04 zu einer Mitgliederversammlung am 11. August 1933 ein.115 Pflichtgemäß verabschiedeten die Anwesenden das „Führerprinzip“ und wählten den bisherigen Vorsitzenden Hennemann zum Vereinsführer. Erwähnung findet auch die Gründung einer eigenen Wehrsportabteilung, was durchaus dem Zeitgeist entsprach. In der Regel waren diese Abteilungen jedoch nicht sehr langlebig und wurden zumeist in die SA überführt.116 Zum Abschluss des Protokolls findet sich der folgende Passus: „Mit Sieg Heil auf unseren ehrwürdigen Reichspräsidenten, den Reichskanzler und obersten Führer Adolf Hitler und den deutschen Fußballsport schließt Herr Alfred Hennemann die denkwürdige Generalversammlung.“117
Solcherlei Huldigungen sind in den Akten vor allem im Jahr 1933 nicht die Regel. Auch das Absingen des Horst-Wessel-Liedes kam zumeist erst später auf.118 Am 5. August 1933 – also ebenfalls kurz nach der Verlautbarung Glöckners – beschloss der Verein SV Nowawes 03 das „Führerprinzip“. Auch hier wurde der bisherige Vorsitzende Bruno Arnold zum Vereinsführer gewählt. An der Versammlung des Vereins nahm allerdings ein NSDAP-Stadtrat teil, der auch schon bei anderen Versammlungen von Potsdamer Turn- und Sportvereinen aufgetreten war und offensichtlich die „Gleichschaltung“ überwachte: „Herr Stadtrat Pichottka war hocherfreut über den nationalen Geist innerhalb des S.V.N. 03 und verabschiedete sich vom Verein und seinem Führer Bruno Arnold mit einem Heil Hitler.“119 Im Januar 1934 wurde anlässlich der ordentlichen Jahreshauptversammlung die Satzung erneut geändert. Ein „Arierparagraf“ wurde nicht ein114 115 116
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Exemplarisch die Satzung von 1913 des Sportclub Jugendkraft 1903 Nowawes (später: SV Nowawes 03), in: BLHA, Rep. 260, Amtsgericht Potsdam, Nr. 129. Potsdamer Sport-Union 04, in: BLHA, Rep. 260, Amtsgericht Potsdam, Nr. 120. Die SA reklamierte die vor- und nachmilitärische Ausbildung für sich. Dazu TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 29–35, 100–104; BAHRO, „Den Verbandsorganen wird ferner empfohlen“, 53. Potsdamer Sport-Union 04, in: BLHA, Rep. 260, Amtsgericht Potsdam, Nr. 120. Exemplarisch: Protokoll der Versammlung des Berliner Fußball-Club Preußen am 21.6.1933: „Herr Reetz schließt die Versammlung um 11 Uhr 20“, in: LA Berlin, A Pr. Br. Rep. 030–04, Nr. 1750; Protokoll der Versammlung des Berliner Fußball-Club Wedding am 8.7.1933: „nach längerer Debatte unter Verschiedenes schloss der erste Vorsitzende Paul Kühnast um ¾ 3 Uhr die Sitzung mit dem üblichen Sportsruf“, in: LA Berlin, B Rep. 042, Nr. 27695. Wie das Folgezitat entnommen aus der Akte des SV Nowawes 03, in: BLHA, Rep. 260, Amtsgericht Potsdam, Nr. 129.
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geführt, aber strengere Regeln für die Aufnahme beschlossen: „Die Aufnahme erfolgt durch den Führer. Vorbedingung für die Aufnahme ist ein schriftlicher Vorschlag und die Bürgschaft zweier Mitglieder.“120 Der Berliner Sport Verein 1892 verhielt sich sehr pragmatisch. Der Verein hatte sich 1898 als Berliner Tor- und Fußball Club Britannia 1892 gegründet, diesen Namen jedoch mit Beginn des Ersten Weltkriegs aufgrund der „Feindschaft zu England“ geändert.121 Am 2. Juni 1934 revidierte der Verein seine Satzung, indem er die „Förderung der Leibesübungen auf der Grundlage der nationalsozialistischen Weltanschauung“ zum Vereinszweck erhob. Da von Tschammer und Osten keine anderen Vorgaben erlassen hatte, gab man die Mitgliedschaft „jedem Unbescholtenen frei, nach Maßgabe der vom Reichssportführer erlassenen Bestimmungen.“ Der Fußball-Club Sportfreunde 04 aus Potsdam änderte seine Satzung bereits auf seiner Mitgliederversammlung im September 1933. Als Vereinszweck gab man an: die „Pflege und Verbreitung des Sports als ein grundlegender Bestandteil des nationalsozialistischen Erziehungssystems zur Ertüchtigung und Wehrhaftmachung des deutschen Volkes.“122 Auch der Paragraf zur Mitgliedschaft wurde neu geregelt: „Über die Aufnahme entscheidet der Führer. Voraussetzung für die Aufnahme soll die arische Abstammung des Antragstellers in erster Linie sein.“123 Auffällig ist, dass nur vier der untersuchten Fußballvereine in den Jahren 1933 bis 1935 „Arierparagrafen“ in ihre Satzungen aufnahmen. Einer dieser Vereine, der Sport-Club Askania 1910 Köpenick, beschloss auf der Mitgliederversammlung am 27. Juni 1934 in diesem Sinn eine Änderung seiner Satzung: „§ 2 Der Verein bezweckt die körperliche Ertüchtigung der Mitglieder und die Pflege der nationalen Weltanschauung. § 3 Der Verein steht auf dem Boden des Führerprinzips und der Vereinsführer führt den Verein nach eigenem Ermessen. § 4 Mitglied des Vereins kann jeder werden, der unbescholten und arischer Abstammung ist. Über die Aufnahme entscheidet der Vereinsführer.“124
Als Vereinsführer fungierte zu diesem Zeitpunkt ein SA-Mann, was in diesem Zusammenhang sicher eine Rolle gespielt hat. Eine ähnliche Entwicklung findet sich auch in den beiden Clubs Berliner Fußballverein Ost 1910 und Berliner Fußballclub Viktoria 1888, die jeweils im Jahr 1934 „Arierparagrafen“ in ihre
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Die Passage kann als Reaktion auf die Vorgabe des Reichssportführers vom August 1933 gesehen werden, die ein übermäßiges Eindringen von ehemaligen Arbeitersportlern in die bürgerlichen Vereine verhindern sollte. Dazu BERNETT, Der deutsche Sport im Jahre 1933, 247. Im Folgenden: Amtsgericht Berlin Charlottenburg, VR 1440. Protokoll der Mitgliederversammlung am 11.9.1933, Fußball-Club Sportfreunde 04, in: BLHA, Rep. 5 E, Amtsgericht Potsdam, Nr. 899. Fußball-Club Sportfreunde 04, in: BLHA, Rep. 5 E, Amtsgericht Potsdam, Nr. 899. Sport-Club Askania 1910, Köpenick, in: LA Berlin, A Pr. Br. Rep. 030–04, Nr. 4031.
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Satzungen aufnahmen.125 Es ist bemerkenswert, dass sich diese DFB-Vereine – und darin unterscheiden sie sich vom Großteil der untersuchten Turn- und Rudervereine – im Prozess der vorgeschriebenen Verabschiedung der DRLEinheitssatzungen 1935 von den „Arierparagrafen“ wieder befreiten. 5. Fazit Die ausgewerteten Akten ergeben – wie zu erwarten war – kein einheitliches Bild. Zunächst kann man feststellen, dass es in der Regel ein relativ hohes Maß an personeller Kontinuität in den Führungsgremien der Vereine gab. Das ist ein Befund, den wir von der Ebene der Verbände zumindest bis 1936 kennen,126 der aber für die Vereinsebene noch nicht als hinreichend abgesichert gelten kann. Nur wenige der untersuchten Vereine führten bereits 1933 „Führerprinzip“ und „Arierparagrafen“ ein, einige weitere reagierten 1934, der Großteil erst mit der DRL-Einheitssatzung im Jahr 1935. Vergleicht man das Verhalten nach der Zugehörigkeit zu den Verbänden bzw. Fachämtern, so fällt auf, dass sich das Vorgehen der untersuchten DFB-Vereine von den meisten Vereinen der DT oder des DRV unterscheidet. Der Großteil der untersuchten kleineren und mittleren Fußballvereine nahm im Untersuchungszeitraum nur die notwendigsten Anpassungen vor. Das bisher ausgewertete Material erweckt den Anschein, dass es sich bei diesen Vereinen nicht in erster Linie um politisch-ideologische Gesinnungsgemeinschaften handelte, sondern um heterogene Vereinigungen, die eine vorrangig an Fußball interessierte Klientel sammelten und sich während des 1933 einsetzenden politischen Umbruchs pragmatisch verhielten.127 Das „Führerprinzip“ wurde in allen untersuchten Fußballvereinen eingeführt. Nur in vier von 41 Vereinen nutzten die Verantwortlichen den vorhandenen Gestaltungsspielraum, um „Arierparagrafen“ aufzunehmen, die – zumindest in der hier untersuchten Stichprobe – in den Satzungen nach der Vorgabe des DRL aus dem Jahr 1935 wieder verschwanden. Die Vorgaben des Verbandes bzw. Fachamtes scheinen sich damit erheblich auf das Verhalten der Vereine ausgewirkt zu haben, wenngleich die Gesinnung der Vereinsführung offensichtlich eine ebenfalls nicht zu unterschätzende Rolle gespielt hat. Trotz des mehrfachen öffentlichen Bekenntnisses von Linnemann und anderen DFB-Vertretern zu den neuen Machthabern, hatte man den Vereinen die Einführung eines „Arierparagrafen“ nicht vorgeschrieben, was diese in der Mehrheit offensichtlich ausnutzten und nur das „Führerprinzip“ in ihre Satzungen aufnahmen. Galten in der bisherigen Forschung die Deutsche Turnerschaft und die ihr angeschlossenen Vereine als besonders systemtreu und anpassungsfreudig, so deutet die ausgewertete Stichprobe darauf hin, dass die Vereine des DRV den Tur125
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Berliner Fußballverein Ost 1910 e.V., in: LA Berlin, A Pr. Br. Rep. 030–04, Nr. 4061, und Amtsgericht Berlin Charlottenburg, 95 VR 2452; Berliner Fußballclub Viktoria 1888, in: LA Berlin, A Pr. Br. Rep. 030–04, Nr. 92. Unter anderem BAHRO, SS-Sport, 140. Diese Auffassung vertritt auch HAVEMANN, Biographische Studien, 89.
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nern nur wenig nachstanden bzw. oft sogar noch zeitiger ihre Satzungen änderten, indem sie auf das „Führerprinzip“ umstellten und in vorauseilendem Gehorsam einen „Arierparagrafen“ in ihre Satzungen aufnahmen. Letzterer beruhte allerdings auf den Bestimmungen zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums und war damit weniger rigoros als die Vorgaben der Deutschen Turnerschaft. Die vorliegenden Ergebnisse können aufgrund des Zuschnitts der Untersuchung und der noch zu geringen Anzahl der untersuchten Vereine keine Allgemeingültigkeit beanspruchen. Ob sich die oben dargestellten Befunde für den gesamten Raum Berlin-Brandenburg in den untersuchten Verbänden bzw. Fachämtern bestätigen oder sich regionale Differenzen innerhalb der Verbände zeigen, muss weiteren Untersuchungen vorbehalten bleiben.128 Quellen und Literatur Archive Brandenburgisches Landeshauptarchiv (BLHA): Rep. 5 E; Rep. 260. Amtsgericht Charlottenburg Berlin: Vereinsregister. Landesarchiv Berlin (LA Berlin): A Pr.Br. Rep. 030–04; B Rep. 042. Bundesarchiv Berlin (BArch): R 34/420.
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Ein entsprechendes Projekt ist in Vorbereitung.
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Markwart Herzog
Die „Gleichschaltung“ der Turn- und Sportvereine in Kaiserslautern und der Pfalz in den Jahren 1933 bis 1939 Erfolge und Grenzen der politischen Unterwerfung, administrativen Zentralisierung, kulturellen Homogenisierung und gesellschaftlichen Nivellierung des Fußballsports Für die Geschichte zahlreicher deutscher Sportvereine in der Zeit des Nationalsozialismus ist nach wie vor ein Mangel festzustellen, den Hajo Bernett und Nils Havemann im Hinblick auf „das Innenleben der Vereine im Übergang zur Diktatur“1 bereits 1981 bzw. 2005 beklagt hatten. Demzufolge fehle „die mikrohistorische Analyse des Geschehens auf regionaler und lokaler Ebene, d.h. in den Bezirken, Kreisen und Vereinen.“2 Das gilt auch für die Stadt Kaiserslautern, obwohl über die Geschichte des bedeutendsten lokalen Sportvereins, des 1. FC Kaiserslautern (FCK), bereits im Jahr 2006 eine viele Aspekte umfassende Studie erschienen ist.3 Doch über die anderen Turn- und Sportvereine in der Stadt an der Lauter und in pfälzischen Kommunen liegen nur sehr spärliche Erkenntnisse vor. Gerade zur Geschichte des Sports in Kaiserslautern und in der Pfalz lassen sich jedoch einige Aspekte der „Gleichschaltung“ der Turn- und Sportvereine trotz der insgesamt schlechten Quellenlage zur Sportgeschichte der NS-Zeit relativ gut nachzeichnen. Das gilt vor allem für die sogenannte „zweite Gleichschaltung“ in den Jahren 1935 bis 1939. Im Unterschied dazu liegt die Phase der „ersten Gleichschaltung“ von 1933 bis 1935 weitgehend im Dunkel.4 Über die Sportgeschichte Kaiserslauterns geben vor allem Protokollbücher und andere Archivalien im dortigen Stadtarchiv Aufschluss, während sich für den Bezirk Pfalz im Gau XIII (Südwest) des Deutschen Reichsbundes für Leibesübungen (DRL) der Nachlass von Eugen Sommer (geb. 1884),5 dem für diesen Bezirk zuständigen Beauftragten des Reichssportführers,6 als ein echter 1 2 3 4
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HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 134f. BERNETT, Der deutsche Sport, 226. HERZOG, Der „Betze“, 2., überarbeitete Auflage 2009. Zur Unterscheidung von „erster Gleichschaltung“ und „zweiter Gleichschaltung“ HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 114–119, 190–213; Beitrag HAVEMANN, in diesem Band, 27–34. Landesarchiv Speyer, Bestand T 7. Sommer wurde bereits 1920 in den Kreisausschuss der Pfälzischen Turnerschaft gewählt, deren Vorsitz er 1928 übernahm. Er war DT-Gaufachamtsleiter bzw. DT-Gauführer und Beauftragter des Reichssportführers für den Bezirk 2 (Pfalz) im DRL-/NSRL Gau XIII,
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Glücksfall erweist. Der Nachlass besteht aus acht mit Korrespondenz, amtlichen Rundschreiben und Erlassen sowie Zeitungsausrissen und anderen Unterlagen prall gefüllten Aktenordnern. Vor allem die in diesen Ordnern abgelegte, umfangreiche Korrespondenz Sommers mit dessen Kreisvertrauensmännern7 und deren Arbeitsberichte gewähren einen detaillierten Blick hinter die Kulissen der Organisation und Verwaltung des Sports in der Pfalz in den Jahren 1933 bis 1939. Die Erkenntnisse, die aus diesem Aktenbestand gezogen werden können, sollten zu weiteren Tiefenbohrungen anspornen, die über die im vorliegenden Beitrag vorgelegten Recherchen hinausgehen. Vor allem die kommunalen Archive der betroffenen Städte und Gemeinden und die Privatarchive der jeweiligen örtlichen Vereine sollten ausgewertet werden. Die in diesem Beitrag analysierten Beispiele der pfälzischen Lokal- und Regionalpolitik belegen, wie komplex, vielschichtig und auch widersprüchlich sich die „Gleichschaltung“ des öffentlichen Lebens im Bereich des Sports gestaltet hat. Sie mahnen zur Vorsicht, die Politik der Vereine, Verbände und Fachämter beispielsweise in der Frage des Rassismus über einen Kamm zu scheren und das Verhalten von Turnvereinen pauschal auf Fußballclubs zu übertragen.8 Dabei erweist es sich als sehr hilfreich, nicht nur die Deklarationen der politischen Führer und die in den Medien publizierten öffentlichen Verlautbarungen der Vereine
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von 1933 bis 1941 stellvertretender DRL-/NSRL-Gauführer. Der NSDAP gehörte Sommer seit 1933 an. Er wurde an der Lehrerbildungsanstalt Speyer zum Volkslehrer ausgebildet, studierte von 1911 bis 1913 in München, absolvierte dort 1913 die Prüfung für das Lehramt an Lehrerbildungsanstalten. Sodann wurde er als Lehrer für Mathematik, Physik, Chemie und Turnen an die Lehrerbildungsanstalt Speyer berufen, wo unter anderem der spätere Gauleiter Josef Bürckel zu seinen Schülern gehörte. Von 1934 bis 1939 leitete er die Lehrerbildungsanstalt Speyer. Nach der Einberufung zur Wehrmacht 1939 bis 1941 übernahm er kommissarisch das Referat für die Lehrerbildungsanstalten beim Reichsstatthalter in der Westmark mit Dienstsitz in Saarbrücken, bei Kriegsende amtierte er wieder als Leiter der Lehrerbildungsanstalt Speyer. Durch Säuberungsspruch der Spruchkammer Neustadt vom 9. Juni 1949 wurde er als Mitläufer eingereiht, als Sühnemaßnahme in den Ruhestand versetzt und mit einer Geldbuße belegt: LASp, R 18, Nr. E 5277 (freundliche Mitteilung Dr. Franz Maier, Landesarchiv Speyer, 22.2.2016). Im Folgenden werden die Verwaltungskreise der Kreisvertrauensmänner des Beauftragten des Reichssportführers für den Bezirk 2 (Pfalz) im DRL-/NSRL-Gau XIII nur bei der ersten Erwähnung genannt. Die späteren Änderungen der Amtsbezeichnung „Kreisvertrauensmann“ in „Vertrauensmann des Bezirksbeauftragten“, „Kreisbeauftragter“, „NSRL-Kreisführer“ etc. (LASp, T 7, Nr. 2: Der Beauftragte des Reichssportführers für den Bezirk 2 im Gau XIII an die Vertrauensmänner des Bezirksbeauftragten für die Pfalz, 15.4.1935) werden dabei nicht berücksichtigt. – Zu den Aufgaben der Beauftragten des Reichssportkommissars bzw. Reichssportführers: Die Gestaltung des deutschen Sports. Die Richtlinien des Reichssportkommissars, in: ASS, Nr. 22, 28.5.1933, 3–5, hier 4f.; Der Neuaufbau des deutschen Sports, in: Der Kicker, Nr. 22, 30.5.1933, 845f., hier 846. Dazu und zum Folgenden HERZOG, „Eigenwelt“ Fußball, 12–14; DERS., Sport im Nationalsozialismus; DERS., „Kleine Strukturen“, 405–408, 410f., 425–427; DERS., Fußball unter dem NS-Regime, 309–315; DERS., Sammelbesprechung.
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und Verbände zu fokussieren, sondern auch die sozialen Praktiken in den Alltagskulturen des Sports in den Blick zu nehmen. Mit diesem Perspektivwechsel gewinnt man einerseits überraschende Einblicke in Geschehnisse, die dem Eindruck widersprechen, den die Propaganda der NSDAP über das von ihr angeblich mühelos „gleichgeschaltete“ Sport- und Kulturleben erwecken wollte. Diese Perspektive schützt vor der Versuchung, auf diese Fassadenansicht hereinzufallen und Goebbels’ Blick auf die Welt für bare Münze zu nehmen. 1. 1933 – ein Wendejahr im deutschen Sport? In den bürgerlichen Turn- und Sportvereinen hatte sich nach der Machtübernahme der NSDAP nicht so viel geändert, wie pathetische Deklarationen der Parteipropaganda vermuten lassen. Zwar bekannten sich die Vereine zu „Führerprinzip“ und „Volksgemeinschaft“, doch insgesamt gab es in den Vorständen relativ wenige personelle Änderungen. Symptomatisch ist in dieser Hinsicht eine Stellungnahme des ersten Vorsitzenden des FC Bayern München (FCB). Nach einer Phase der Verunsicherung und des Abwartens hinsichtlich der neuen politischen Rahmenbedingungen und der von den zuständigen Spitzenverbänden erwarteten Anordnungen stellte „Vereinsführer“ Siegfried Herrmann auf der Jahreshauptversammlung am 25. Oktober 1933 zur Beruhigung der Mitglieder fest: „Lediglich die Sicherung der nationalen Arbeit und das Führerprinzip müssten in der Satzung der neuen Zeit Rechnung tragen.“9 Zugleich wurden jedoch zahlreiche Fußballclubs in der „revolutionären Phase“ des Nationalsozialismus liquidiert, teils gingen sie Fusionen mit anderen Vereinen ein.10 Nicht selten geschah dies auf Veranlassung örtlicher „Sportkommissare“11 und anderer NS-Lokalpolitiker. Der gravierendste Umbruch in der bis dato föderativ verfassten Sportadministration vollzog sich in den Jahren 1933 und 1934 auf der Ebene der nationalen Verbände, die im Zuge der Gründung des DRL 1933/34 aufgelöst und in Fachämter umgewandelt wurden. Darüber hinaus wurde der Spielbetrieb einerseits durch das Gauliga-System einer einschneidenden Reorganisation unterzogen, andererseits die Strukturen des Arbeiter- und Kirchensports aufgelöst. Trotz dieser Transformationen mit dem Ziel einer forcierten Zentralisierung ist ein hohes Maß an personeller Kontinuität in der Verwaltung des bürgerlichen Sports aktenkundig. Diese Vorgänge sind bereits gut dokumentiert12 und werden in diesem Beitrag, der sich auf die Ebene der Vereine konzentriert, nur kursorisch thematisiert. Auch die im Arbeiter-Turn- und Sportbund (ATSB) organisierten Vereine, der konfessionelle Sport und der Betriebssport kommen in diesem Beitrag nur am Rand zur Sprache. 9 10 11 12
AGM, VR 2463: Protokoll Jahreshauptversammlung, 25.10.1933. HERZOG, Der „Betze“, 67–70; DERS., Ruhm, 121–125; REICHELT, Fußball, 247–249. BERNETT, Der deutsche Sport, 228f. Zur Administration BERNETT, Umbruch; DERS., Der Weg des Sports, 7–52; zum Spielsystem OSWALD, „Fußball-Volksgemeinschaft“, 247–251.
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Den personellen Kontinuitäten waren jedoch Grenzen gesetzt. Denn die Mitglieder in den Vorstandschaften der bürgerlichen Turn- und Sportvereine wurden nach der „Machtergreifung“ der NSDAP vor allem dann ausgewechselt, wenn sie der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) nahe standen oder – wie bei Hertha BSC Berlin13 – der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) angehört hatten oder aber – wie im Fall des FC Bayern München und des FC Schalke 0414 – als nicht „arisch“ klassifiziert wurden. Zahlreiche Turn- und Sportvereine schlossen ihre jüdischen Mitglieder aus. Auf Anordnung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und der Deutschen Sportbehörde für Leichtathletik (DSB) sollten sie aus den Führungsetagen entfernt werden. Gewiss stellte der Ausschluss jüdischer Mitglieder einen tiefen Einschnitt dar, der in krasser Weise gegen die Prinzipien der bürgerlichen Sportpolitik verstieß, die vor 1933 darauf ausgerichtet waren, aus allen gesellschaftlichen Schichten möglichst viele Mitglieder ohne Ansehen von Rasse und Religion, gesellschaftlichem Stand und politischer Überzeugung zu gewinnen. Dabei gingen die Vereine in der Frage der „Arisierung“ unterschiedliche Wege, die in den Vorgaben der jeweiligen Verbände und in der Einstellung der handelnden Persönlichkeiten in den Vorständen der lokalen Vereine begründet waren. Zunächst schienen die bürgerlichen Verbände, obwohl sie in Fachämter transformiert worden waren, als Profiteure aus der „ersten Gleichschaltung“ des Sports hervorgegangen zu sein. Die konkurrierenden „weltanschaulichen Verbände“ des Arbeiter- und Kirchensports wurden aufgelöst und enteignet, ihre Guthaben und Vermögen den bürgerlichen Turn- und Sportvereinen oder den Gliederungen der NSDAP übertragen. Dabei sollte in den Monaten unmittelbar nach der „Machtergreifung“ gemäß dem „Gesetz über die Einziehung kommunistischen Vermögens“ vom 26. Mai 1933 bzw. dem „Gesetz über die Einziehung kommunistischen und staatsfeindlichen Vermögens“ vom 14. Juli 193315 das Vermögen der „marxistischen“ Sportorganisationen vorrangig „der SA, der Hitlerjugend, dem Stahlhelm und dem Jungstahlhelm“16 angeboten werden. Häufig wurde das vom Land Bayern übernommene Vermögen den Gemeinden übertragen, die es den Gliederungen der NSDAP, vor allem der HJ,17 und den lokalen Sportvereinen18 zur Verfügung stellten. So war in Kaiserslautern der MännerTurn- und Sportverein (MTSV/MTSK) der große Gewinner der „ersten Gleichschaltung“, der sich 1933 das Vermögen des lokalen Arbeitersportvereins durch Fusion und später die Sportplatzanlage der katholischen Deutschen Jugend-Kraft 13 14
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KOERFER, Hertha, 34–46. Regierungswechsel beim Deutschen Meister. Kurt Landauers Rücktritt, in: ASS, Nr. 13, 26.3.1933, 6; LÖFFELMEIER, Grandioser Aufschwung, 68–70; GOCH/SILBERBACH, Zwischen Blau und Weiß liegt Grau, 69, 71, 239–241. RGBl, Teil I, 27.5.1933, 293; ebd., 15.7.1933, 479f. LASp, U 257, Nr. 10487: Der kommissarische Minister für das Bayerische Staatsministerium des Innern Adolf Wagner, Nr. 2227 a 4, 29.3.1933. Vgl. z.B. LASp U 83, Nr. 601; H 39, Nr. 850; U 257, Nr. 10487; J 6, Nr. 11831. Bekannt ist das Beispiel des TSV München von 1860: LÖFFELMEIER, Die „Löwen“, 21, 96.
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(DJK) angeeignet hatte.19 Von diesen Maßnahmen profitiert die Turn- und Sportgemeinde 1861 Kaiserslautern (TSG), die den MTSV im Jahr 1938 durch Fusion geschluckt hatte, bis heute. Bei den Restitutionsverfahren und Vergleichen, die nach 1945 angestrebt worden waren, wurde der Vermögensentzug in fast allen Fällen für null und nichtig erklärt. Dennoch waren gütliche Einigungen üblich. Sie hatten regelmäßig zur Folge, dass das entzogene Eigentum bei den jeweiligen Gemeinden oder örtlichen Sportvereinen verblieb. Denn die alten Arbeitersportvereine wurden nicht wieder gegründet, sie waren rechts- oder handlungsunfähig. Ihre ehemaligen Mitglieder trieben nunmehr – in vielen Fällen bereits seit der Auflösung der Arbeitersportvereine im Jahr 1933 – Sport in den bürgerlichen Vereinen. Die traditionellen Milieus der Arbeiterkultur waren weitgehend erodiert.20 2. „Erste Gleichschaltung“: Fusionen – „Volksgemeinschaft“ – „Führerprinzip“ In der „revolutionären“ Phase des Nationalsozialismus wurden die politischen Gleichschaltungsaktivitäten der NSDAP in Kaiserslautern im Bereich des Sports durch einen akademischen Turnlehrer vorangetrieben, zu dessen Schülern auch die Sportreporterlegende Rudi Michel (1921–2008) gehörte. Es war Dr. Otto Coressel (1898– 1963),21 der die politische „Gleichschaltung“ und das „Führerprinzip“ in den Turn- und Sportvereinen durchsetzte (Abb. 1). Coressel engagierte sich als Partei- und Sportfunktionär im lokalen und regionalen Rahmen generell für die Propagierung nationalsozialistischer Grundsätze und schreckte auch vor Denunziation nicht zurück. Er handelte im Auftrag des NSDAP-Kreisleiters und SA-Gruppenführers Ernst Dürrfeld (1898–1945).22 Dürrfeld amtierte damals zugleich als „Sonderkommis19
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Abb. 1: Turnlehrer Dr. Otto Coressel, Foto: Staatliches Naturwissenschaftliches Gymnasium Kaiserslautern, Jahresbericht 1963/64, 47 (Nachruf)
StadtAKL, ZGD 1891–1969. Sport II Großvereine. TSG 1. Gesamtverein: Willi Hemmer, Sportverein Kaiserslautern e.V., an Finanzamt Kaiserslautern, 2.12.1949, Betr. Vermögensanzeige der Soforthilfeabgabe Steuer; StadtAKL, A 04/084: Der Oberbürgermeister der Stadt Kaiserslautern an die Militärregierung Kaiserslautern, Betr. Sportvereine, 1.10.1945; vgl. HERZOG, Der „Betze“, 73f. Teilweise jedoch wurden diese Vergleiche an die Bedingung geknüpft, das Vermögen dem alten Arbeitersportverein für den Fall zurückzuerstatten, dass dieser wieder gegründet werden sollte. Dazu und zum Vorherigen z.B. LASp U 133, Nr. 234; U 83, Nr. 601; H 39, Nr. 850; J 7, Nr. 1406; J 7, Nr. 1413; J 7, Nr. 1417; J 7, Nr. 1418; J 6, Nr. 11107; J 6, Nr. 11968; J 6, Nr. 11920; J 6, Nr. 11831. Dazu und zum Folgenden die Coressel betreffenden Abschnitte in: HERZOG, Der „Betze“, bes. 99–108. Zu Dürrfeld HERZOG, Der „Betze“, 96–99; DERS., „Sportfanatiker“, 227f.; MAIER, Organisationshandbuch, 192f.
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Abb. 2: Ernst Dürrfeld, Beauftragter des Staatskommissars bei der Regierung in Speyer für den Stadt- und Landbezirk Kaiserslautern (oben links), mit SSStandartenführer Willy Schmelcher, NSBO-Aktivist Claus Selzner und SA-Oberführer Leopold Friedrich Damian, Foto mit dem Titel „Führer der Pfalz“ in: Das Westmark-Buch. Ehrengabe des Winterhilfswerkes Gau Rheinpfalz 1934/35, Kaiserslautern 1935, 70.
sar“ und Beauftragter des Staatskommissars bei der Regierung in Speyer für den Stadt- und Landbezirk Kaiserslautern (Abb. 2).
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Von April bis September 1933 war Coressel politischer „Sportkommissar“ – ein Amt, das generell nur in der „revolutionären“ Frühzeit23 des Nationalsozialismus nachweisbar ist und von Willkür und Chaos geprägt war. – Im Gegenzug war die Reichssportführung bestrebt, solche lokalen und regionalen Alleingänge der Partei im Bereich des Sports durch „Schutzerlasse“24 zu unterbinden. – Auch in Kaiserslautern waren die Zuständigkeiten nicht so professionell organisiert, wie es die offizielle Propaganda glauben machen wollte. Denn der von Dürrfeld bestellte Sportkommissar Coressel konkurrierte monatelang mit Peter Meyer,25 dem im Stadtkreis Kaiserslautern eingesetzten „Vertrauensmann für Turnen und Sport“ des Beauftragten des Reichssportkommissars bzw. Reichssportführers.26 Diese „Kreisvertrauensmänner“ wurden anfangs ebenfalls „Sportkommissare“ genannt. Pikanterweise waren Coressel und Meyer damals Mitglieder und Funktionsträger des FCK. 2.1. „Ermächtigungsgesetz“: Der 1. FC Kaiserslautern „schreitet selbst zur Tat“
Vor diesem Hintergrund schien es selbstverständlich gewesen zu sein, dass Coressel am 21. April 1933 auf einer außerordentlichen Hauptversammlung des FCK die „nationale Gleichschaltung“ seines Clubs und mit pathetischer Geste ein „Ermächtigungsgesetz“ beschließen ließ27 – einen Monat nachdem der Reichstag Hitlers „Ermächtigungsgesetz“ gegen die Stimmen der SPD angenommen hatte. Was Hitlers „Ermächtigungsgesetz“ beinhaltete, ist gut erforscht, worin das des FCK bestand, lässt sich mangels Quellen nur indirekt ergründen. Höchstwahrscheinlich gibt es einen Zusammenhang mit der berüchtigten „Stuttgarter Erklärung“, die der FCK gemeinsam mit anderen süddeutschen Fußballclubs am 9. April 1933 unterzeichnet hatte. In dieser politisch zutiefst opportunistischen Deklaration gaben die Vereine der Hoffnung Ausdruck, dass der Vorstand des Süddeutschen Fußball- und Leichtathletikverbandes (SFLV) mit einem „Ermächtigungsgesetz“ die Weichen stellen würde, um „alles veranlassen zu können, was geeignet war, die Verbandsarbeit im Sinne der nationalen Entwicklung zu beeinflussen.“ Von diesem „Ermächtigungsgesetz“ erwarteten die in Stuttgart versammelten Clubvertreter unter anderem, „alle Folgerungen, insbesondere in der Frage der Entfernung der Juden aus den Sportvereinen, zu ziehen“ und einen „Umbau der Verbandsorganisation“ einzuleiten, der einen „Personenwechsel in der Leitung mancher Vereine als notwendig erweisen“ könnte.28 Der 23 24
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Dazu BERNETT, Der Weg des Sports, 106 Anm. 198a; TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 93f.; HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 131f. BERNETT, Der Weg des Sports, 14; DERS., Der deutsche Sport, 257f.; STEINHÖFER, Hans von Tschammer und Osten, 47–52. – Dazu auch Gau XVI Bayern, Anordnung Nr. 8 des Gauführers XVI (Bayern) im DFB und der DSB, betr. „Verschmelzung von Vereinen“, in: Der Kicker, Nr. 39, 26.9.1933, 1487. LASp, R 18, Nr. A 22858: Meyer an Entnazifizierungsausschuss, 15.10.1947. StadtAKL, A III/5302/53. Pfälzische Presse, 24.4.1933; Pfälzische Volkszeitung, 24.4.1933. Die vorhergehenden Zitate: Ersatz-Glossen, in: Der Kicker, Nr. 15, 11.4.1933, 565.
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SFLV-„Verbandsvorstand soll[te] ermächtigt werden, unter Außerkraftsetzung etwa entgegenstehender Satzungsbestimmungen alle Maßnahmen […] zu treffen, die zur Eingliederung des Sportes in die Ziele der nationalen Bewegung erforderlich sind“.29 Nicht nur der Regionalverband, sondern auch der FC Bayern München erließ damals „eine Art Ermächtigungsgesetz“. Der Vorsitzende Herrmann setzte es auf der Quartalsversammlung am 12. April 1933 mit überwältigender Mehrheit gegen eine Nein-Stimme durch. Dieses zeitlich befristete „Notgesetz“ sollte den Vorstand ermächtigen, „unter Ausschaltung der derzeitigen Satzungen“ die Interessen des Vereins wahrzunehmen, da „in rein juristischer Weise sich die grossen Fragen des Augenblickes nicht meistern lassen“ würden. Der Vorstand sollte in die Lage versetzt werden, nicht durch „die Fesseln der Satzungen eingeengt“, den Verein an die Vorgaben der NS-Politik anzupassen.30 Hinsichtlich der Billigung rechtswidriger Maßnahmen marschierten SFLV, FCB und FCK mit ihren „Ermächtigungsgesetzen“ demzufolge im Gleichschritt mit der NSDAP. Die Kaiserslauterer Lokalpresse stellte die „Gleichschaltung“ des FCK als eine Maßnahme vorauseilenden Gehorsams dar. Sie sollte der angeblichen Trägheit des DFB zur Anpassung an die nationalsozialistische Revolution abhelfen. Da der Verband „gerade in den Tagen der nationalen Erhebung vollständig versagte und zusah, wie die Vereine selbst zur Tat schritten“, habe es der FCK „aus freien Stücken unternommen, die Gleichschaltung in seinen Reihen auf dem schnellsten Wege durchzuführen“.31 Vollzogen wurde sie wenige Tage vor der Ernennung Hans von Tschammer und Ostens zum „Reichssportkommissar“ (später „Reichssportführer“) und drei Wochen vor der „Gleichschaltung“ bzw. Auflösung des Deutschen Reichsausschusses für Leibesübungen (DRA).32 Offensichtlich sahen Wortführer des FCK im DFB ein retardierendes Moment der nationalsozialistischen Revolution. Da die Sportberichterstattung der Kaiserslauterer Lokalpresse im „Dritten Reich“ fest in der Hand von FCK-Mitgliedern lag,33 spricht viel für die Vermutung, dass es weitgehend dem Selbstbild der Vorstandschaft des FCK entsprach, zu den Vorreitern der nationalsozialistischen Revolution in Kaiserslautern gehört zu haben. Schließlich hatte der FCK seine „Gleichschaltung“ mit dem neuen Staat vier Tage früher vollzogen, als sie in der NSDAP-Gaupresse mit dem Ziel einer „Anpassung an die nationale Revolution“34 den Turn- und Sportvereinen abverlangt worden war.
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Wünsche und Erklärungen der süddeutschen Spitzenklubs, in: ASZ, 12.4.1933. Dieses Zitat und die vorhergehenden Zitate AGM, VR 2463: Protokoll-Auszug Quartalsversammlung, 12.4.1933. G.-V. beim 1. FCK, in: Pfälzische Volkszeitung, 24.4.1933. Zur späten „Gleichschaltung“ des bürgerlichen Sports TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 53–59. HERZOG, Der „Betze“, 236–253. Gleichschaltung bei den Sportvereinen, in: NSZ Rheinfront, 25.4.1933; StadtAKL, A III/5302/53.
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In der Führungsspitze des Clubs blieb jedoch alles beim Alten. Der Kaufmann Dr. Ludwig Müller, der dem NS-Staat distanziert gegenüberstand,35 und der politisch linientreue Sportjournalist Peter Meyer behielten ihre Positionen.36 Lediglich die Bezeichnung „Vorsitzender“ wurde in „Führer“ geändert. Müller war von nun an „Vereinsführer“, Meyer sein Stellvertreter. Dass der FCK als Wortführer der „nationalen Revolution“ auftrat, lag vor allen Dingen an Coressel, denn bis dahin hatten sich mit Ausnahme Peter Meyers die Vorstandsmitglieder des FCK in politischer Hinsicht kaum exponiert. Und wenn sie es doch ausnahmsweise einmal taten, dann in spezifisch sportpolitischer Hinsicht. So traten sie ein für die Emanzipation der Frau im Sport (Hockey, Leichtathletik)37 oder bezogen Stellung gegen die völkischen Verbände der Weimarer Zeit und den Missbrauch des Sports für deren antirepublikanischen Ziele.38 2.2. Die „Aufgabe der sittlichen und nationalen Erstarkung der Volksgemeinschaft“: Der Kaiserslauterer Stadtverband für Leibesübungen
In den Monaten des Übergangs von der Weimarer Republik in die NS-Zeit waren die Kaiserslauterer Turn- und Sportvereine eigentlich mit ganz anderen Themen als Parteipolitik befasst, insbesondere mit dem Freiwilligen Arbeitsdienst (FAD),39 der in den frühen 1930er Jahren einen Beitrag zur Lösung der „Erwerbslosenfrage“40 leisten und im Sport eine Verbesserung der Infrastruktur auf den Weg bringen sollte. Das Protokoll des Kaiserslauterer Stadtverbandes für Leibesübungen über die Sitzung am 20. März 1933 resümierte in diesem Sinn, „daß das verflossene Jahr völlig im Zeichen des freiwilligen Arbeitsdienstes stand“,41 bei dem zeitweise über 800 Männer beschäftigt werden konnten.42 Darüber hinaus war die Führung des Turnvereins 1861 Kaiserslautern 1932/33 vollständig mit den Arbeiten an einer neuen Turnhalle („Turnerheim“) und deren Finanzierung in Anspruch genommen.43 Gut zwei Wochen nach der „Gleichschaltung“ des FCK positionierte sich auch der Stadtverband für Leibesübungen zum neuen Staat. Die Verbandsversammlung reservierte am 2. Mai 1933 den ersten Tagesordnungspunkt für „Die nationale Gleichschaltung“.44 Eine vom ersten Vorsitzenden verlesene Erklärung gipfelte in der Zusage, dass der Verband und seine Mitgliedsvereine sich „rück35 36 37 38 39 40 41 42 43 44
Dazu HERZOG, Max Jakob & Ludwig Müller. Zu Müller HERZOG, Der „Betze“, 74–84, 259–263; zu Meyer ebd., 76, 88–91, 186–189, 241–250. HERZOG, „Sympathie“, 98–104; HERZOG, Frühe Vorkämpfer. HERZOG, Der „Betze“, 29f. LASp, O 1, Nr. 101, 102, 106. StadtAKL, AB 16/035, 207 und 211: Protokoll 14.1.1932 und Protokoll 29.3.1932. StadtAKL, AB 16/035, 216: Protokoll 20.3.1933. StadtAKL, AB 16/035, 216f.: Protokoll 20.3.1933. StadtAKL, AB 80/012; StadtAKL, AB 80/013. StadtAKL, AB 16/035, 223–226: Protokoll 2.5.1933.
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haltlos den neuen Männern der Reichsregierung zur Verfügung stellen und mitarbeiten“ wollten „an der gemeinsamen Aufgabe der sittlichen und nationalen Erstarkung der Volksgemeinschaft“ und dem „wirtschaftlichen und politischen Wiederaufbau unseres Deutschen Vaterlandes“. Diese Erklärung „fand unter allen Anwesenden allgemeine Annahme“.45 Gleichzeitig schlug der Stadtverband selbstkritische Töne an. Demzufolge sei es „in der Natur der Sache begründet“ gewesen, dass „selbst alte erprobte Führer, die unter den bisherigen Verhältnissen für die Turn- und Sportbewegung hervorragend tätig waren, den veränderten Verhältnissen ratlos gegenüber“ gestanden seien und „durch andere Kräfte ersetzt werden“ müssten.46 Sie hätten sich „bisher allzu ängstlich vom politischen Leben ferngehalten“. Um der „bürgerlichen Sportbewegung am besten zu dienen“, habe dies in der Folge dazu geführt, dass sie „parteipolitische Forderungen“, selbst wenn sie die „Sportbewegung betrafen, überhaupt […] nicht zuließen“,47 um zu vermeiden, „für eine Partei auf Kosten der Uebrigen Stellung zu nehmen.“ Dessen ungeachtet könne die bürgerliche Turn- und Sportbewegung stolz darauf sein, durch „die Pflege des nationalen & vaterländischen Gedankens“ und die „körperliche & geistige Ertüchtigung“ der Jugend „den Boden für die nationale Erhebung mit vorbereitet“48 zu haben. Bereits im Ersten Weltkrieg hätten die aus den Vereinen hervorgegangenen, an „Leib und Seele gestählten Turner & Sportler sich als besonders tüchtige und zuverlässige Soldaten gezeigt“.49 Deshalb kommentierte Coressel diese Erklärung „im Namen der nationalen Erhebung“ mit „Genugtuung“ dahingehend, dass er, von Formalien abgesehen, im Stadtverband „wirklich keine Gleichschaltung vorzunehmen bräuchte“, da der Verband „schon zu Zeiten der alten Regierungen wirklich national tätig“50 gewesen sei. Gleichwohl steht diese konziliante Position im Gegensatz zu der oben zitierten Kritik an der bisherigen politischen Neutralität des Stadtverbandes und der daraus abgeleiteten Forderung eines Personalwechsels. Dieser Widerspruch bleibt im Protokoll über die Gleichschaltungssitzung unaufgelöst stehen. 2.3. „Turnmutter Schröder“ gegen „marxistische Vereine“: Der Turnverein 1861 Kaiserslautern
Zwei Wochen nach der „Gleichschaltung“ des Stadtverbandes hatte auch der Turnverein 1861 Kaiserslautern seine „neue Vereinsleitung […] auf dem Führergedanken aufgebaut“.51 „Frauenturnwart“ Elisabeth „Els“ Schröder (1892–1996) äußerte damals „die Absicht, mit den Turnerinnen den Platz zu verlassen, wenn 45 46 47 48 49 50 51
StadtAKL, AB 16/035, 226: Protokoll 2.5.1933. StadtAKL, AB 16/035, 223: Protokoll 2.5.1933. StadtAKL, AB 16/035, 223f.: Protokoll 2.5.1933. StadtAKL, AB 16/035, 224f.: Protokoll 2.5.1933. StadtAKL, AB 16/035, 225: Protokoll 2.5.1933. StadtAKL, AB 16/035, 225: Protokoll 2.5.1933. StadtAKL, AB 80/013, 68: Protokoll 16.5.1933; StadtAKL, AB 80/012, 218: Protokoll 29.3.1934.
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frühere Mitglieder der früheren Freien Turn- und Sportvereine (marxistische Vereine) zum Wettturnen antreten“ sollten. Diese Drohung adressierte „Turnmutter Schröder“, die es 1929 als „erster weiblicher Frauenturnwart“ in den Vorstand der Deutschen Turnerschaft (DT) geschafft hatte,52 vor allem in Richtung der „Freien Turner im MTSV“.53 Schließlich hatte der MTSV ehemalige Mitglieder des ortsansässigen Arbeiter-Turn- und Sportvereins im Zuge der Fusion beider Vereine in großer Zahl aufgenommen.54 Diese Maßnahme stand eigentlich im Gegensatz zur Politik der Turnerschaft. Denn die DT hatte die Aufnahme von Sportlern ehemaliger Arbeitersportvereine in bürgerlichen Vereinen zunächst verboten,55 um eine staatsfeindliche Unterwanderung zu verhindern.56 Nach den Bestimmungen der Reichssportführung sollten die Übertritte ehemaliger Arbeitersportler bald darauf jedoch durch realitätsferne Aufnahmequoten und Bürgschaftsregelungen kanalisiert, gesteuert und kontrolliert werden. Dennoch waren Verstöße gegen diese Verbote und Reglementierungen keine Ausnahmen. Auch in der Pfalz finden sich Beispiele für einen nachlässigen Umgang mit den diesbezüglichen Vorschriften. So war etwa, ähnlich wie in Kaiserslautern, „ein großer Teil der Mitglieder“ des aufgelösten Arbeiter-Turn- und Sportvereins Edesheim im Frühjahr 1933 in den Turn-Verein 1880 Edesheim-Pfalz übergetreten, wobei der „Führerrat“ des Turnvereins pauschal „für die nationale Zuverlässigkeit der Neuaufgenommenen“57 gebürgt hatte. Dieser Zusammenschluss sei „schon seit Jahren hier erstrebt[,] aber nie erreicht worden“. Es habe „sich eine Volksgemeinschaft gebildet zwischen Menschen[,] die sich früher bekämpft“ hätten.58 Auf diese Weise konnte sich der Turnverein nicht nur die Turngeräte 52
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In sprachlicher Anlehnung an die Ehrenbezeichnung „Turnvater Jahn“ gilt Schröder als „Turnmutter Schröder“. Sie stammte aus Fürth, studierte an der Ludwig-MaximiliansUniversität München, wurde 1925 an die staatliche Lehrerinnenausbildungsanstalt Kaiserslautern berufen, wo sie noch in diesem Jahr die Leitung der Frauenturnabteilung des TV Kaiserslautern 1861 übernahm. Auf dem 20. Deutschen Turntag in Berlin setzte sie sich in einer Kampfabstimmung gegen einen vom Wahlausschuss vorgeschlagenen Mann durch und wurde der erste weibliche Frauenturnwart, ein Amt, das bisher nur von Männern besetzt worden war. 1936 choreografierte sie die turnerischen Übungen der Frauen im Rahmenprogramm zur Eröffnung der Olympischen Spiele. – Darüber und über ihre sonstige Bedeutung in der Geschichte des Deutschen Turnens, in der sie die Entwicklung der Gymnastik und des Frauenturnens maßgeblich beeinflusste, PFISTER, „Women’s Gymnastics in Women’s Hands“; KUTSCHER, Wir wollen uns recken; Els Schröder verstorben, in: Deutsches Turnen, Mai 1996, 26; MOELLER, Elisabeth Schröder zum Gedenken. StadtAKL, AB 80/013, 72: Protokoll 1.7.1933. HERZOG, Der „Betze“, 71–74. BERNETT, Die Zerschlagung, 369; DERS., Der deutsche Sport, 246. Dazu und zum Folgenden BERNETT, Der deutsche Sport, 246–248; DERS., Der Weg des Sports, 8–10; TEICHLER, „Wir brauchten einfach den Kontakt zueinander“, 232; DERS., Ende des Arbeitersports, 203–208. LASp, H 39, Nr. 850: Schreiben des Kreisoberturnwarts Otto Gutleber, Geschäftsstelle des Speyer-Kreises der DT Landau, an Bezirksamt Landau, 27.4.1934. LASp, H 39, Nr. 850: Turnverein 1880 Edesheim an Bezirksamt Landau, 24.4.1934.
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aneignen, sondern auch eine stattliche Zahl neuer, beitragspflichtiger Mitglieder aufnehmen. Schon im Herbst 1933 schwenkte die Reichssportführung von ihrer den Vereinen des Arbeitersports geltenden Verbotspolitik auf einen Integrationskurs um, der darauf abzielte, Arbeiter in möglichst großer Zahl durch Teilhabe am bürgerlichen Sport für den neuen Staat zu gewinnen und in die „NS-Volksgemeinschaft“ einzubinden. Dabei sollten die politischen Traditionen des Arbeitersports durch Fußball als eskapistisches Zuschauererlebnis und preiswertes Freizeitvergnügen sowie medialisierten Starkult neutralisiert und die politischen Milieus der Arbeiterkultur ausgetrocknet werden.59 2.4. Komplizierte „Gleichschaltung“: Schiedsrichter-Arbeitsgemeinschaft Kaiserslautern – Fußball-Verein Wiesenthalerhof – Sport-Verein Morlautern
Über den FCK und den Kaiserslauterer Stadtverband für Leibesübungen hinaus sind drei weitere Gleichschaltungsmaßnahmen unter der Federführung Coressels aktenkundig. Sie betrafen die Schiedsrichter-Arbeitsgemeinschaft Kaiserslautern,60 den Fußball-Verein Wiesenthalerhof (FVW) und den Sport-Verein 1912 Morlautern (SVM). Dabei gestaltete sich die „Gleichschaltung“ der beiden Vereine und der Schiedsrichter-Arbeitsgemeinschaft komplizierter als erwartet. Verschiedene Details der „Gleichschaltung“ der Schiedsrichter-Arbeitsgemeinschaft bzw. Schiedsrichter-Vereinigung61 lassen sich einer bei Kreisleiter Dürrfeld eingegangenen Denunziation entnehmen, die von mehreren Angehörigen der Gemeinschaft, bei denen es sich zugleich um NSDAP-, SA- und SSMitglieder gehandelt haben soll, unterzeichnet war. Demzufolge sollen mindestens 80 Prozent der Schiedsrichter vor der „Gleichschaltung“ keine Parteimitglieder gewesen sein und „mit unserer Bewegung nichts zu tun“ gehabt haben. Drei „Haupträdelsführer“, die dem Nationalsozialismus wenig abgewinnen konnten, seien „Angehörige marxist. Organisationen“ gewesen und deshalb bei der „Gleichschaltung“ ausgeschlossen worden. Einer der Rädelsführer sei Sozialdemokrat, ein anderer Mitglied des „marxistisch“ orientierten FC Olympia gewesen. Beim FC Olympia hatte mit Ernst Liebrich (1923–2001) der Bruder des Fußballweltmeisters Werner Liebrich (1927–1995) als Jugendlicher gespielt. Bekanntlich stammten die Brüder Liebrich aus einer kommunistischen Familie; Vater Liebrich und einer seiner Brüder wurden 1933 wegen Beteiligung an dem Versuch der Reorganisation der KPD in Kaiserslautern zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.62 59 60 61 62
Dazu die Chronologie in TEICHLER, Ende des Arbeitersports, 225–228; vgl. BERNETT, Die Zerschlagung, 369–371. NSZ Rheinfront, 25./26.3.1933. Neuwahl der Kreisbehörden, Bezirk Rhein-Saar, Kreis 55, Kaiserslautern, in: Der Kicker, Nr. 17, 25.4.1933, 676. Dazu LASp, H 91, Nr. 3973; H 91, Nr. 10149; StaatsAM, Generalstaatsanwaltschaft beim OLG München, Nr. 3048; HERZOG, „Freud und Leid“, 268–270.
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Das besagte „marxistische“ Olympia-Mitglied habe überdies versucht, dem jüdischen Schiedsrichter Treidel63 Vorteile zu verschaffen. Deshalb sei eine „zweite Gleichschaltung (Berufungsverhandlung)“ unter der Federführung des stellvertretenden NSDAP-Kreisleiters und Stadtrats Heinrich Metz (geb. 1899)64 nötig gewesen, die zwar unter Auflagen, aber immer noch „unter falschen Voraussetzungen“, ebenfalls zu Gunsten der Schiedsrichter ausgegangen sei. Die Denunzianten drängten Kreisleiter Dürrfeld nun, die bereits zwei Mal „gleichgeschalteten Schiedsrichter“ definitiv bis 6. Oktober 1933 aus der SchiedsrichterArbeitsgemeinschaft auszuschließen.65 Zuständigkeitshalber leitete Dürrfeld die Beschwerde an Rechtsanwalt Dr. Rudolf Hammann (1898–1971), den „Führer“ des für Sport zuständigen „Führerrings Kaiserslautern-Stadt“66 weiter, wobei er betonte, dass „die nationale Zuverlässigkeit“ der betroffenen Personen „sehr in Frage“ stehe, weshalb er darum bat, „eine entsprechende Entscheidung zu treffen.“67 Der Sportfachpresse ist jedoch zu entnehmen, dass die Denunziation nur teilweise erfolgreich verlaufen ist.68 63 64 65 66
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Möglicherweise handelt es sich um den 1877 in Mayen geborenen Bäckermeister Louis Treidel, der 1934 in Kaiserslautern verstarb. Zu Metz HERZOG, Der „Betze“, 71. Die vorherigen Zitate StadtAKL, NS 23/2218: Schreiben an Kreisleiter Dürrfeld, Kaiserslautern, 29.9.1933, Durchschlag ohne Unterschriften. Adressbuch der Stadt Kaiserslautern, Jubiläums-Ausgabe 1934, 802. – Zu Hammann MAIER, Organisationshandbuch, 246–248; zum „Führerring“-Prinzip BERNETT, Der Weg des Sports, 15. StadtAKL, A III/5302/53: Dürrfeld an Hammann, 4.10.1933. Als Spielleiter amtierten zur Zeit der Denunziation Karl Hermann (Kaiserslautern, Parkstraße 8) und Dr. Ludwig Alles (Hütschenhausen), als Schiedsrichter-Beisitzer Karl Schmitt (Kaiserslautern, Humboldtstraße 6) und als Vorsitzender der SchiedsrichterVereinigung Eugen Blank (Kaiserslautern, Eierstraße 6) (Neuwahl der Kreisbehörden, Bezirk Rhein-Saar, Kreis 55, Kaiserslautern, in: Der Kicker, Nr. 17, 25.4.1933, 676), denen die Beschwerdeführer die nationalsozialistische Gesinnung bzw. sportfachliche Eignung absprachen. Bei Blank kam erschwerend hinzu, dass er bei der „zweiten Gleichschaltung“ offen bekannt haben soll, Sozialdemokrat zu sein. Darüber hinaus habe er „als Vorstand der Schiedsrichtervereinigung das Tragen des Parteiabzeichens verbieten“ lassen. Was aus Sicht der Denunzianten besonders schwer wog: Im „Schiedsrichterlokal mußte die Wirtin auf Geheiß des Blank während einer Rede des Führers den Radioapparat ausschalten“ (StadtAKL, NS 23/2218: Schreiben an Kreisleiter Dürrfeld, Kaiserslautern, 29. September 1933, Durchschlag ohne Unterschriften). Dem Denunziationsschreiben zufolge muss durch die „Gleichschaltung“ der Schiedsrichter-Arbeitsgemeinschaft „SS-Scharführer Graf“ ans Ruder gekommen sein und Blank abgelöst haben. Im Oktober 1933 findet sich Blank nicht mehr in der offiziellen Liste der Spielleiter, stattdessen aber Reichsbahn-Obersekretär Julius Graf (1892–1941), SA-Obertruppführer, NSDAPMitglied seit 1931 (Kaiserslautern, Schillerplatz 1: „Spielleiter und Sachbearbeiter“; Todesanzeige in: NSZ Westmark, 11.9.1941). Karl Schmitt hatte den SchiedsrichterBeisitzer-Posten gegen den eines Spielleiters getauscht und Karl Hermann wurde tatsächlich „Führer“ des DFB-Kreises Westpfalz, was die Denunzianten unbedingt verhindern wollten: Gau XIII (Süd-West), Anschriften-Verzeichnis der Bundesamtswalter, Bezirk II (Pfalz), Kreis Westpfalz, in: Der Kicker, Nr. 41, 10.10.1933 (Amtliches Organ), 5.
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Bemerkenswert sind die in den drei Phasen dieser „Gleichschaltung“ immer prominenter werdenden politischen Akteure. Zunächst war Dr. Otto Coressel als „Sportkommissar“ für den Fall zuständig, sodann der stellvertretende NSDAPKreisleiter Heinrich Metz und schließlich der Bürgermeister und NSDAPKreisleiter Ernst Dürrfeld, von dem sich die Denunzianten keine Gleich-, sondern die Ausschaltung der angeblich marxistischen, judenfreundlichen oder aber sportfachlich nicht qualifizierten Schiedsrichter erhofft hatten. Auch bei der „Gleichschaltung“ des FVW und des SVM ging es um die Abwehr von „marxistischem“ Einfluss auf den Sport. Beide Fälle sind nicht zuletzt deshalb von besonderem Interesse, weil in diesen Vereinen mit Werner Kohlmeyer (1924–1974) ein Fußballweltmeister von 1954 spielte. Als Schulbub kickte er zunächst im FVW, bis die Familie nach Kaiserslautern umzog und er sich dem FCK anschloss;69 am Ende seiner aktiven Zeit war er im SVM aktiv.70 Von der „Gleichschaltung“ des FVW waren der Vater und weitere Verwandte Kohlmeyers unmittelbar betroffen. Der „Gleichschaltung“ des FVW gab eine Anzeige des Ortsgruppenleiters und Stadtrats Richard Lesoine (1898–1969)71 besonderen Zündstoff. Der Denunziant teilte Bürgermeister Dürrfeld nämlich mit, dass Spieler des FVW bei Fahrten zu oder von Auswärtsspielen „mit den Rufen ‚Heil Moskau‘ und ‚Rotfront‘ im Beisein von Vorstandsmitglieder[n]“ regelmäßig NSDAP-Mitglieder belästigten. Darüber hinaus seien mehrere Funktionsträger und Spieler „Marxisten“. Deshalb hielt Lesoine „die Auflösung des Fussballvereins Wiesenthalerhof für unbedingt erforderlich.“72 Zum Vorstand des FVW gehörte damals als zweiter Vorsitzender der 1897 geborene Holzdreher Jakob Kohlmeyer, bei dem es sich um Werner Kohlmeyers Vater handelte.73 Dürrfeld sandte Lesoines Anzeige an die Polizeidirektion Kaiserslautern „mit der Bitte, das weitere veranlassen zu wollen.“74 Infolgedessen vollzog „Sportkommissar“ Coressel am 3. Mai 1933 die „Gleichschaltung“ des FVW, jedoch nur unter Auflagen. Denn für den 1908 geborenen aktiven Spieler Josef „Sepp“ Kohlmeyer, einen Großcousin Werner Kohlmeyers,75 sowie zwei weitere Aktive und einen Spielausschussbeisitzer mussten „Lo-
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HERZOG, „Freud und Leid“, 274. RIESBECK, Der vergessene Weltmeister. Lesoine wurde 1926 in Erlenbach geboren; von Beruf Handlungsgehilfe, Kaufmann, kaufmännischer Angestellter; Eintritt in die NSDAP am 1. März 1930; als Stadtrat vereidigt 26. September 1935, Mitglied des Stadtrats Kaiserslautern bis zur letzten Sitzung am 24. März 1944; Internierungslager Landau vom 9. April 1945 bis 14. Juli 1948. StadtAKL, NS 23, 2218: Lesoine an Bürgermeister Dürrfeld, Anzeige vom 27.4.1933. StadtAKL, NS 23, 2218: Jakob Westenburger, Mitgliederliste des Fussballvereins e.V. Wiesenthalerhof nach dem Stande vom 5. März 1933. StadtAKL, NS 23, 2218: Dürrfeld an Polizeidirektion Kaiserslautern, 28.4.1933. Zu Joseph Kohlmeyer LASp H 14, Nr. 2147/5: Personalakte, handschriftlicher Lebenslauf.
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yalitätserklärungen verlangt und […] abgegeben“ werden, da sie „als politisch nicht ganz einwandfrei“ angesehen wurden.76 Trotz dieser „Gleichschaltung“ wurde der FVW einige Zeit später aufgelöst. Dabei schienen jedoch nicht nur politische, sondern auch finanzielle Gründe den Ausschlag gegeben zu haben. Wie sich dies im Einzelnen abgespielt hat, ist unklar. Dem Protokollbuch des FVW lassen sich nur wenige sachdienliche Informationen entnehmen. So wählte eine Mitgliederversammlung im Mai 1933 den bisherigen Schriftführer Peter Schank zum „Vereinsführer“, sein Vorgänger Jakob Westenburger wurde dessen Stellvertreter. – Werner Kohlmeyers Vater Jakob, der bisherige stellvertretende Vorsitzende, verschwand ganz aus der Vereinsführung. – Gleichwohl erklärte Schank auf der Ausschusssitzung am 21. September 1933 den Rücktritt, Westenburger führte das Amt kommissarisch bis zur nächsten Jahresmitgliederversammlung am 4. März 1934, die wiederum Schank, der von Lesoine im April 1933 noch als „Marxist“ denunziert worden war, zum „Vereinsführer“ wählte. Damals „herrschten Unstimmigkeiten im Verein“, die jedoch finanzieller Natur gewesen sein könnten, da am 4. März auch der Kassier Franz Metzger, den Lesoine ebenfalls als „Marxisten“ angeschwärzt hatte, seinen Rücktritt erklärte, „jedoch auf Eindringen verschiedener Mitglieder sein Amt weiterbekleidet“ hat.77 Nach Informationen der Tagespresse und einer Festschrift des FVW78 schloss sich der Verein 1935 zunächst mit dem Reichsbahn-Turn- und Sportverein Kaiserslautern zusammen, um „nach langem Ringen“ mit „dem zuständigen Fachamt und Gauamt für Fußball in Frankfurt“ im Jahr 1936 als Fußballabteilung des Radfahrerverein 1926 Wiesenthalerhof-Erzhütten „amtlich bestätigt und anerkannt“ zu werden. Im Frühjahr 1937 nach Ablauf einer „amtlichen Spielsperre“ schließlich „wieder eine sportliche Heimat“79 zu haben und in die Wettkämpfe eingreifen zu können. Auch die „Gleichschaltung“ des SV Morlautern80 durch „Sportkommissar“ Coressel stand im Zeichen der Abwehr von mutmaßlich kommunistischem Ein76 77
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StadtAKL, NS 23, 2218: Politische Polizei, Dienststelle Kaiserslautern, an den Beauftragten des Staatskommissars für die Stadt Kaiserslautern, 30.5.1933. Dazu und zum Vorhergehenden die Niederschriften im Protokollbuch des Fußballvereins Wiesenthalerhof, 212–220 (Niederschriften vom 12.2.1933 bis 20.9.1934), Zitate ebd. 214 (Protokoll Ausschusssitzung, 21.9.1933). – Zu den „schlechten finanziellen Verhältnisse[n]“ ebd. 216 (Protokoll Jahresmitgliederversammlung, 4.3.1934), und zur „Abbestellung des Reichs-Sportblattes und Deutscher Fußball“ aus Kostengründen ebd. 219 (Protokoll Ausschusssitzung 24.5.1934). Die Unterlagen des Registergerichts über den Sportverein bzw. Fußballverein Wiesenthalerhof geben keinen Aufschluss, da die Überlieferung erst mit der Eintragung des Vereins am 9. Januar 1956 einsetzt: Mitteilung des Amtsgerichts Kaiserslautern, Registergericht, E-Mail, 11.2.2016. – Der Fußballverein 1919 Wiesenthalerhof fusionierte am 1. Juli 1947 mit dem Turnverein 1897 und nannte sich von nun an Sportverein Wiesenthalerhof. – Dazu 50 Jahre Sportverein Wiesenthalerhof e.V., 13. Dieses Zitat und die vorherigen Zitate in Wieder Fußballsport auf dem Wiesenthalerhof, in: NSZ Rheinfront, 4.3.1937. StadtAKL, NS 19.
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fluss, weshalb die lokale NSDAP den Sportverein auflösen wollte. Dem protestantischen Morlauterer Gemeindebürgermeister Hermann Simbgen (1885– 1978),81 von Beruf Landwirt und Posthalter, war der Verein suspekt, weil er im September 1933 ehemalige Mitglieder „marxistischer“ Vereine aufgenommen hatte, bei denen es sich vor allem um Sportler des am 6. April 1933 aufgelösten Arbeiter-Turn- und Sportvereins Morlautern82 gehandelt haben dürfte. Simbgen weigerte sich, „die ortspolizeilichen Führungszeugnisse den betreffenden Leuten auszustellen mit der Begründung: ‚Man müsse die Marxisten meiden.‘“83 Jedoch scheiterte der Bürgermeister mit dieser gegen die ehemaligen Arbeitersportler gerichteten Ausgrenzungspolitik am Widerstand der regionalen Instanzen des DFB. Denn Jakob Karl Bähr (1891–1962),84 der damalige DFB-Bezirksführer des Bezirks 2 (Pfalz) im DRL-Gau XIII, bei dem es sich ebenso wie bei Coressel um ein FCK-Mitglied handelte, ergriff Partei für den Sportverein und gegen die nationalsozialistische Lokalpolitik – und das, obwohl das Reichsinnenministerium mit Erlass vom 11. April 1933 dem DFB und seinen Vereinen verboten hatte, „Marxisten“ als Einzelmitglieder sowie „rote Sportvereine“ als korporative Mitglieder aufzunehmen.85 Gleichwohl handelte der Vereinsführer des SVM, der katholische Landwirt Heinrich Guckenbiehl (1894–1967), damals im Einklang mit den Vorgaben der Reichssportführung, denn von Tschammer und Osten hatte bereits im Sommer 1933 begonnen, einen verständnisvolleren Kurs gegenüber den nun führungs- und heimatlos gewordenen Arbeitersportlern einzuschlagen.86 Ebenso wie zahlreiche andere Sportvereine profitierte der SVM zunächst von der Integrationspolitik der Reichssportführung, die ihm vorübergehend steigende Mitgliederzahlen bescherte.87 Um die ehemaligen Arbeitersportler nicht den Turnvereinen zu überlassen, plädierte Sportjournalist Hanns Joachim Müllenbach im Einklang mit der Politik des Reichssportkommissars, die Blockadepolitik zu überdenken. Denn der DFB und dessen Unterverbände könnten gegenüber der DT „leicht ins Hintertreffen geraten“88 und Chancen zur Gewinnung neuer beitragspflichtiger Mitglieder verpassen. Dennoch ließ Simbgen nicht locker. Er drohte mehreren Mitgliedern des SVM, die sich 1933 während des Weihnachtsballs ihres Vereins betrunken hatten, mit Inhaftierung im KZ Dachau.89 Zugleich versuchte er in einem monatelangen Kampf, den Sportverein mit dem lokalen Turnverein 1885 Morlautern zu 81 82 83 84 85 86 87 88 89
Nicht Hugo Simbgen HERZOG, Der „Betze“, 70. Dazu Pfälzische Volkszeitung, 11.4.1933 (freundliche Nachricht von Eric Lindon, Kaiserslautern, 20.3.2016). StadtAKL, NS 19: Guckenbiehl an Dürrfeld, 16.5.1933, mit maschinenschriftlicher Anzeige vom 16.5.1934 als Anlage. Zu Bähr HERZOG, Der „Betze“, 253f. BERNETT, Die Zerschlagung, 369; HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 378 Anm. 207; vgl. DFB und rote Sportvereine, in: ASS, Nr. 13, 26.3.1933, 4. BERNETT, Der deutsche Sport, 247f. MASSELL/WEBER, 70 Jahre Sportverein Morlautern e.V., 13. MÜLLENBACH, Wochenspiegel. StadtAKL, NS 19: Guckenbiehl, Anzeige, 16.5.1934.
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verschmelzen, obwohl beide Vereine heillos zerstritten waren. Höchstwahrscheinlich wollte Simbgen mit der Fusion, die eine Auflösung des SVM vorausgesetzt hätte, den mutmaßlich marxistischen Einfluss auf das Sportleben in seinem Dorf neutralisieren. Guckenbiehl erstattete im Mai 1934 Anzeige bei Kreisleiter Ernst Dürrfeld und SA Standartenführer Karl Kleres (1894–1985), dem Beauftragten des Staatskommissars für den Landbezirk Kaiserslautern, NSDAP-Stadtrat und Mitglied im Ausschuss für Leibesübungen des Stadtrats Kaiserslautern. In der Anzeige griff Guckenbiehl zu einem waghalsigen Vergleich:90 Wie „früher rote und schwarze Quertreiber“ (gemeint sind Vereine, die im sozialdemokratisch orientierten ATSB und der katholischen DJK organisiert waren) dem Verein geschadet hätten, so sei es nun „der erste Bürgermeister Herr Simbgen mit seinen Geschäftemachern“, die „den Ortsfrieden und die Volksgemeinschaft fortwährend“91 störten. Guckenbiehl empörte besonders, dass Simbgen „noch niemals Leibesübung getrieben“ habe, „in Sportsachen vollständig Laie“92 sei und zu jenen „Egoisten“ gehöre, die „den Sinn der Leibesübung immer mehr erschüt[t]ern“.93 Einen NSDAP-Ortsbürgermeister mit derart provokanten Vergleichen und aggressiv vorgetragenen Vorwürfen anzugreifen, war sicher eine sehr gewagte Strategie, die einigen Mut erforderte. Dennoch rettete Guckenbiehl mit diesem forschen Auftreten und der Rückendeckung des DFB zwar seinen Verein vor Auflösung und Fusion mit den Turnern, doch musste er 1933 als Vorsitzender zurücktreten, da er als politisch unzuverlässig galt. Der SVM wurde in den Folgejahren durch mehrere Wechsel in der Vereinsführung, sinkende Mitgliederzahlen und weitere Streitereien mit den Turnern erheblich geschwächt, und das nicht ganz ohne eigenes Verschulden. Denn der Sportverein provozierte im Juni 1935 seinen „Bruderverein“, indem er am Tag der Hauptfeier des 50. Stiftungsfestes der Turner ein Fußballspiel ansetzte. Die Sportbehörden verurteilten dies als „Lokalvereinsmeierei“ und warnten den SVM vor einem „Boykott des Stiftungsfestes“94 des Turnvereins. Wiederum zwei Jahre später, 1937, ließ sich der in Ungnade gefallene ehemalige Vereinsführer in sein früheres Amt wählen, was bei den lokalen NS-Politikern ebenfalls als Provokation gewertet wurde und den früheren Plänen für eine Verschmelzung des Turnvereins mit dem Sportverein neuen Auftrieb gab. Dabei war vor90
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StadtAKL, NS 19: Guckenbiehl an Kleres, 9.5.1934; Guckenbiehl an Dürrfeld, 16.5.1934. – Dürrfeld war mit seiner Ernennung zum kommissarischen zweiten Bürgermeister der Stadt Kaiserslautern im März 1933 als Beauftragter des Staatskommissars nur noch für den Stadtbezirk Kaiserslautern zuständig (Pfälzische Presse, 25./26.3.1933). Kleres war katholisch und von Beruf Buchhalter. Zu seiner Laufbahn in der SA BArch, NS 23/438. StadtAKL, NS 19: Guckenbiehl an Kleres, 9.5.1934. Dieses Zitat und die vorherigen Zitate StadtAKL, NS 19: Guckenbiehl, Anzeige, 16.5.1934. StadtAKL, NS 19: Guckenbiehl an Dürrfeld, 16.5.1934. LASp, T 7, Nr. 2: Wenz (Kreisvertrauensmann für den Verwaltungskreis Kaiserslautern Land) an Sommer und per Eilzustellung durch den TV Morlautern an den SV Morlautern, 13.6.1935 (Kopie).
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gesehen, das Fusionsprodukt der Führung einer Persönlichkeit zu unterstellen, die von der NSDAP vorgeschlagen werden sollte. Gleichzeitig sollte dem bisherigen SVM-Vorsitzenden Guckenbiehl die Leitung der Fußballabteilung angeboten werden,95 um den Zwist beizulegen. Wie diese Fusions- und Personalplanungen im Detail weiter verliefen, ist unbekannt. Sicher ist jedoch, dass auch der zweite Anlauf zur Fusion der Morlauterer Turner und Fußballer im Sande verlief.96 In dieser Phase der Streitereien um die Auflösung und Fusion des SVM war bereits Ludwig Damm (1911–1987) ehrenamtlicher Bürgermeister von Morlautern (1936–1945). Höchstwahrscheinlich war der personelle Wechsel darin begründet, dass Simbgen aus der NSDAP ausgeschlossen worden war, da er „mit Juden Geschäfte“97 gemacht haben soll. Von Beruf war Damm Kaufmann und Verwaltungsbeamter.98 Damm wurde 1931 Mitglied der SA und NSDAP und Mitglied der SS bzw. Waffen-SS (Eintritt 1933 bzw. 1941). Von 1942 an war er im KZ Auschwitz aktiv eingebunden in die „Endlösung der Judenfrage“.99 Wäh95 96
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LASp, T 7, Nr. 4: Meyer an Sommer, 2.7.1937; Guckenbiehl an Sommer, 21.4.1937. Die Unterlagen des Registergerichts über den SV Morlautern wurden durch Kriegseinwirkungen zerstört: Mitteilung des Amtsgerichts Kaiserslautern, Registergericht, E-Mail, 11.2.2016. LASp, H 91: Kartei zur Akte der Gestapostelle Neustadt an der Weinstraße, Eintragung vom 3.2.1937. – Infolge der Entnazifizierung wurde Simbgen am 31. Januar 1946 in seinem Amt als Posthalter um eine Stufe zurückgestuft (LASp, R 18: Bekanntmachung Nr. 9, S. 55) (freundliche Mitteilung von Dr. Franz Maier, Landesarchiv Speyer, 3.3.2016). Damm hatte von 1927 bis 1929 in Kaiserslautern eine kaufmännische Lehre absolviert, er arbeitete von 1933 an als kaufmännischer Angestellter beim Gauverlag der von Gauleiter Josef Bürckel herausgegebenen Tageszeitung „NSZ Rheinfront“, von 1935 an war er Abteilungsleiter der Lohnbuchhandlung des Westpfalz-Verlags. Nach 1945 war Damm in Morlautern als Ortspolizeiverwalter beschäftigt, später als geschäftsführender Beamter der Pädagogischen Hochschule Kaiserslautern (bis 1970); danach, bis zu seiner Ruhestandsversetzung, war er Leiter des Studentensekretariats der neu gegründeten Universität Kaiserslautern. 1952 wurde Damm erneut ins Amt des Bürgermeisters gewählt, das er bis 1969 ausübte, um danach bis zu seinem Tod im Jahr 1978 als ehrenamtlicher Ortsvorsteher des 1969 nach Kaiserslautern eingemeindeten Stadtteils Morlautern zu wirken. Der protestantischen Kirchengemeinde Kaiserslautern-Morlautern diente er, ebenso wie sein Vorgänger im Bürgermeisteramt Hermann Simbgen, als Presbyter. – Dazu Ludwig Damm 65 Jahre, in: Die Rheinpfalz, 14.8.1976; Morlautern verdankt ihm viel: Ludwig Damm gestorben, in: Die Rheinpfalz, 31.10.1978; Panstwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau w Oswiecimiu, Dzial Dokumentacji Archiwalnej (ausgewertet von Roland Paul am 7.8.2000). Von August 1942 an war Damm in der Standortverwaltung, Abteilung GefangenenEigentums-Verwaltung, des KZ Auschwitz verantwortlich für die Verwahrung der Habe der Inhaftierten und die Vereinnahmung der Wertsachen der Ermordeten. Von Juni 1943 an wurde er zum Sachbearbeiter der Verwaltung des Gutsbezirks Auschwitz befördert, ab 1. Februar 1944 Mitglied der Stabskompanie der SS-Zentralverwaltung Auschwitz. – Dazu KLEE, Auschwitz, 86; 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess „Strafsache gegen Mulka u.a.“, 4 Ks 2/63, Landgericht Frankfurt am Main, 80. Verhandlungstag, 21.8.1964, Vernehmung des Zeugen Ludwig Damm, Fritz Bauer Institut, Geschichte und Wirkung des
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rend Damm in Auschwitz für die Verwaltung des Eigentums der Ermordeten zuständig war, wurde Guckenbiehl in Morlautern denunziert und im September 1943 für circa ein Jahr in Untersuchungshaft genommen. Er wurde vor dem Volksgerichtshof angeklagt, „durch defaitistische Äußerungen gegenüber einem Wehrmachtangehörigen feindbegünstigende Wehrkraftzersetzung begangen“ zu haben, und im September 1944 „mangels ausreichenden Beweises freigesprochen“.100 In diesem Verfahren wurden ihm die Truppenmoral untergrabenden Behauptungen zur Last gelegt, dass „die deutschen Soldaten im Osten von Buben und alten Weibern ständig zurückgeschlagen“ und „im Falle eines deutschen Sieges die Katholiken aufgehängt werden würden.“101 In den drei, in diesem Abschnitt behandelten Fällen von „Gleichschaltung“ spielten Denunziationen eine wichtige Rolle. Die davon Betroffenen, waren offensichtlich alles andere als Duckmäuser. Obwohl Guckenbiehl bei den Ermittlungen angeblich den Eindruck „eines fanatischen Katholiken, der mehr Katholik als Deutscher“102 gewesen sei, erweckt hatte, attestierte ihm der Volksgerichtshof in der Urteilsbegründung, „in der Hauptverhandlung einen offenen, aufrechten Eindruck gemacht“ zu haben, der von den Erlebnissen eines Frontkämpfers des Ersten Weltkriegs geprägt gewesen sei.103 Es dürfte nicht zuletzt diese soldatischen Haltung gewesen sein, aus der heraus sich Guckenbiehl für das Fortbestehen seines Fußballvereins eingesetzt hatte, und das letztlich mit Erfolg. 3. „Zweite Gleichschaltung“: NS-Ortssportgemeinschaften als Endziel Der DFB-Funktionär Jakob Bähr stellte sich nicht nur in Morlautern, sondern auch in einem anderen Konflikt hinter einen Turn- und Sportverein, der durch die NSDAP in seiner Existenz bedroht war. Dieser Fall datiert bereits in die Phase der „zweiten Gleichschaltung“ des Sports.
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Holocaust, Tonbandmitschnitt des 1. Frankfurter Auschwitz-Prozesses, http://auschwitzprozess.de/index.php?show=Damm-Ludwig (Zugriff am 5.2.2016). LASp, H 91, Nr. 3454: Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof, Anklageschrift, 9.6.1944; Urteil Volksgerichtshof, 3. Senat, Hauptverhandlung, 4.9.1944 (Abschrift); vgl. LASp, J 81, Nr. 291; MASSELL/WEBER, 70 Jahre Sportverein Morlautern, 13; WILKING, Von der ersten Urkundlichen Erwähnung, 65. LASp, H 91, Nr. 3454: Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof, Anklageschrift, 9.6.1944. LASp, H 91, Nr. 3454: Staatliche Kriminalpolizei Kaiserslautern an Geheime Staatspolizei Neustadt an der Weinstraße, 28.9.1943. LASp, H 91, Nr. 3454: Urteil Volksgerichtshof, 3. Senat, Hauptverhandlung, 4.9.1944 (Abschrift)
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Abb. 3: Gauleiter Josef Bürckel (rechts) mit SA-Brigadeführer Fritz Schwitzgebel beim Grenzlandtreffen in Zweibrücken, Foto: Gauphotograph A. Gerspach, Neustadt am Hardt, in: Die Pfalz am Rhein, Heft 16, 1933, 439.
3.1. Zentralisierungspolitik gegen das „Eigenleben der Vereine“ in Kaiserslautern
Gauleiter Josef Bürckel (1895–1944)104 hatte Kaiserslautern im Januar 1939 zur Hauptstadt des Gaues Saarpfalz erhoben (Abb. 3). Diese Entscheidung sollte sich auf allen Ebenen des städtischen Lebens bemerkbar machen.105 Neben gravierenden Eingriffen in Verkehrswege und Bauten sowie einschneidenden Konsequenzen für den Standort von Behörden sollte auch der Sport organisatorisch und infrastrukturell vollständig umgekrempelt werden. Dass dabei die Zwangsenteignung der TSG auf der Agenda stand, war selbst ausgewiesenen Experten der Stadtgeschichte bisher nicht bekannt. Diese Pläne ergeben sich jedenfalls aus der Korrespondenz zwischen Bähr als Kreisfachwart für Fußball im Kreis 12 (Mittelpfalz), dem Gauamtsleiter R. Röder des NSRL-Gaues XIII in Frankfurt am Main und Eugen Sommer, dem Beauftragten des Reichssportführers für den Bezirk 2 (Pfalz) im NSRL-Gau XIII. Demzufolge hatte Kreisleiter Jakob Philipp 104
105
Zu Bürckel WOLFANGER, Populist und Machtpolitiker; MAIER, Organisationshandbuch, 163–166; WETTSTEIN, Josef Bürckel; zu Bürckels sportpolitischen Aktivitäten HERZOG, Der „Betze“, 129–151; DERS., „Sportfanatiker“, 225–227. WAHL, Kaiserslautern.
Die „Gleichschaltung“ der Turn- und Sportvereine in der Pfalz
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Abb. 4: NSDAP-Kreisleiter Jakob Knissel bei einem Auftritt als Redner, Foto: NSZ Rheinfront, 11. November 1938.
Knissel (1905–1940)106 dem Fußballfachwart Bähr eröffnet, es sei „beabsichtigt, das ganze sportliche Geschehen in Kaiserslautern auf eine andere Grundlage zu stellen, z.B. Errichtung eines Sportamtes f. Leibesübungen, zentrale Erfassung u.a.m.“107 Bähr sah in diesen Plänen einen willkürlichen Eingriff in das von der Reichssportführung immer wieder beschworene „Eigenleben der Vereine“ und lehnte sie ab. Diese Gefahr war jedoch insofern rasch gebannt, als Knissel in die Stadtverwaltung Wien zurückbeordert wurde. Bekanntlich war Knissel (Abb. 4) von 106 107
Zu Knissel HERZOG, „Sportfanatiker“, 229–232; DERS., Der „Betze“, 85–88; MAIER, Organisationshandbuch, 312f. LASp, T 7, Nr. 6: Bähr (Kreisfachwart für Fußball des Kreises 12 Mittelpfalz) an Röder (Gauamtmann, NSRL Gau XIII Südwest, Frankfurt a.M.), 6.5.1939.
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Gauleiter Bürckel als Leiter der Personalabteilung und der Stadtkämmerei und in verschiedene andere Ämter in die Donaumetropole berufen worden. Die Zentralisierung des kommunalen Sports, über die Bähr von Knissel in Kenntnis gesetzt worden war, wird auch durch andere Quellen belegt. Demzufolge hatte die NSDAP in Kaiserslautern geplant, „eine einzige Sportorganisation am Orte zu schaffen,“108 was zwangsläufig die Auflösung und Enteignung aller lokalen Turn- und Sportvereine und ihre Überführung in NS-Ortssportgemeinschaften vorausgesetzt hätte. Nach der Transformation des DRL in den NSRL (Nationalsozialistischer Reichsbund für Leibesübungen), in deren Folge der bürgerliche Sport von der NSDAP „betreut“109 wurde, gab es zahlreiche Bestrebungen zur Errichtung solcher Ortssportgemeinschaften.110 Aber damit nicht genug. Dem Kaiserslauterer Sport drohte noch weiteres Ungemach. Denn das Stadtregiment wollte über Knissels Pläne hinaus „ein neues Stadion errichten, mit allen möglichen Plätzen“.111 Vorgesehen war ein „riesiger Komplex, [mit] Aufmarschgebiet für ca. 100.000 Personen“. Bähr zufolge war dieses Bauvorhaben überflüssig; selbst „im Interesse der zu erwartenden Veranstaltungen“ sei es „bis auf das Aufmarschfeld nicht notwendig“ gewesen, da Kaiserslautern „über genügend ordentliche Plätze“ verfügt hätte. Offensichtlich war diese Angelegenheit im Mai 1939 so weit gediehen, „dass bereits eine Entscheidung des Oberbürgermeisters [Imbt] und seiner Ratsherren vorliege“, der zufolge „die T.S.G. ihr Gelände an die Stadt abtreten müsse“. Bähr befürchtete, es werde „zu einer schweren Auseinandersetzung mit dem Oberbürgermeister“ kommen. Die Pläne für das gigantomanische Projekt seien Bähr von Werner Bremer (geb. 1898), dem Oberbaurat der Stadt Kaiserslautern,112 „fertig vorgelegt“ worden. Dieses Bauvorhaben reihte sich ein in eine ganze Reihe von monumentalen Prestigeobjekten der nationalsozialistischen Stadionarchitektur, die jedoch häufig nicht über das Planungsstadium hinausgelangt sind.113 In Homburg wurde von der „Großkampfbahn“ mit Aufmarschplatz für 40.000 „Volksgenossen“, die Knissel geplant hatte, immerhin die erste Etappe der „Hauptkampfbahn“114 realisiert. Es war Oberbürgermeister Richard Imbt (1900–1987, reg. 1938–1945),115 der Bähr als kommissarischen Vereinsführer der TSG eingesetzt hatte. Bei Imbt 108 109 110 111 112
113 114 115
BArch, R 58/541, Fiche 5. BERNETT, Sportpolitik im Dritten Reich, 95–99; DERS., Guido von Mengden, 67–71; TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 193–216. BERNETT, Der Weg des Sports, 27–29; HERZOG, „Kleine Strukturen“, 418–426. Dieses Zitat und die folgenden Zitate LASp, T 7, Nr. 6: Bähr an Röder, 6.5.1939. Dr. ing. Werner Bremer wurde am 25. Juli 1898 in Hückeswagen geboren; er trat am 15. Januar 1934 in den städtischen Dienst Kaiserslauterns ein. Ab Ende 1942 gehörte er der Organisation Todt an. 1946 verließ er Kaiserslautern und siedelte nach Langenfeld im Rheinland über; später verzog er nach Südafrika. Dazu BERNETT, Zur Grundsteinlegung; STEINHÖFER, Hans von Tschammer und Osten, 70–72; REICHELT, Fußball, 249; SKRENTNY, Die Stadionbauten. REICHELT, Fußball, 249. Zu Imbt MAIER, Organisationshandbuch, 278–280; HERZOG, Der „Betze“, 84f.
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Abb. 5: Richard Imbt (Mitte) als kommissarischer Gaustabsamtsleiter der Gauleitung Westmark bei der Gründung des Kulturvereins Westmark e.V., Foto: Emil Beyer, Gaupresseamt Westmark.
(Abb. 5) handelte es sich um einen ausgesprochen sportbegeisterten Kommunalpolitiker, der bereits in seiner Zeit als Bürgermeister von Bad Dürkheim angeordnet hatte, „dass sämtliche in städtischen Diensten stehenden jungen Leute sich turnerisch und sportlich betätigen“ und nachweisen müssten, „welchem Vereine sie zur Pflege der Leibesübungen angehören“.116 Gleichwohl vertrat Bähr nicht die sportpolitischen Interessen des nationalsozialistischen Stadtregiments, sondern die des bürgerlichen Vereinssports. So versuchte er, den NSRL als Verbündeten gegen die „Zwangsenteignung“ der TSG zu gewinnen.117 Die TSG befand sich damals in einer Umbruchsituation, denn 116
117
LASp, U 257, Nr. 10487: Imbt, Anordnung/Aktenvermerk, 2.10.1935, Betr. Sportliche Ertüchtigung. – Auch in seiner Zeit als Oberbürgermeister von Kaiserslautern oder als kommissarischer Oberbürgermeister (Stadtkommissar) in der von deutschen Truppen besetzten lothringischen Stadt Metz im Jahr 1940 war er in der kommunalen Sportpolitik aktiv, was in den Printmedien starke Beachtung fand. – Dazu beispielweise die Artikel Kaiserslauterns Hallenbad wird gebaut, in: NSZ Rheinfront, 28.5.1938; Albert Krackenberger, Deutscher Fussball im deutschen Metz, in: Metzer Zeitung, 8.8.1940; Metzer Zeitung, 12.8.1940 und 23.8.1940; Heinrich Satter, „Soldatenstadt Metz“, in: Reichssportblatt, Nr. 40, 1.10.1940, 938; Oberbürgermeister Imbt als Sportförderer, in: NSZ Rheinfront, 5.10.1940; Der Oberbürgermeister begrüßt Nationalspieler Walter in München, in: NSZ Rheinfront, 21.10.1940; Erwin Spindler, Deutscher Sturm in Schußlaune. Bulgarien 7:3 geschlagen, in: NSZ Rheinfront, 21.10.1940. LASp, T 7, Nr. 6: Bähr an Röder, 6.5.1939.
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der Verein war erst kurz zuvor aus einer Fusion des MTSV, des TV 1861 und des FC Olympia hervorgegangen. Zudem war die vereinseigene Spielfeldanlage im Buchenloch in einem so schlechten Zustand, dass er aus eigener Kraft offensichtlich nicht behoben werden konnte, weil dem Verein die erforderlichen finanziellen Mittel fehlten.118 Möglicherweise hatte diese Krise die Stadtregierung vermuten lassen, mit der TSG leichtes Spiel zu haben. Jedenfalls teilte die Gauleitung des NSRL-Gaues XIII den Standpunkt Bährs und sagte ihm Unterstützung für den Fall zu, dass die Stadtverwaltung Kaiserslautern die Baupläne weiter verfolgen sollte.119 Bereits bei der „Gleichschaltung“ des SV Morlautern im Jahr 1933 hatte Bähr nicht so gehandelt, wie es sich die dortige NS-Lokalpolitik erhofft hatte. Auch bei der Vergabe verschiedener Funktionen in der Sportverwaltung des DFBKreises Kaiserslautern hatte er den Wunsch fanatischer Nationalsozialisten ignoriert, bei der Besetzung der Posten eines Spielleiters, eines Kreisführers und des Vorsitzenden der Schiedsrichter-Vereinigung überzeugte Nationalsozialisten und Parteigenossen zum Zug kommen zu lassen.120 Dies jedenfalls beklagten die oben genannten Schiedsrichter in ihrem Denunziationsschreiben an Dürrfeld. Deshalb baten sie den Kreisleiter, „auch hier nach dem Rechten zu sehen.“121 Die genannten Beispiele machen deutlich, dass bürgerliche Fußballfunktionäre in der NS-Zeit durchaus gewisse Spielräume hatten, um die unter totalitären Regimes generell gefährdete Autonomie des Sports gegen Übergriffe der Politik zu schützen. 3.2. Vereinsfusionen und kommunale Großvereine: Ziele der Kaiserslauterer Sportpolitik
Die Initiative Imbts zur „Zwangsenteignung“ der TSG und der Plan des Kreisleiters Knissel, „das ganze sportliche Geschehen in Kaiserslautern auf eine andere Grundlage zu stellen“,122 stehen am Ende der „zweiten Gleichschaltung“ des Sports, die in Kaiserslautern im Jahr 1935 eingesetzt hatte und von einer konfliktreichen politischen Dynamik gekennzeichnet war. Denn Oberbürgermeister Imbt war ebenso wie sein Vorgänger Dr. Hans Weisbrod (1889–1970, reg. 1932– 1938),123 der kein NSDAP-Mitglied war, einer von mehreren Kommunalpolitikern, die in verschiedenen Anläufen versucht hatten, die Zahl der lokalen Turn- und Sportvereine zu verringern, schlagkräftige Großvereine zu etablieren und letztlich alle Vereine in einem einzigen, alle Leibesübungen umfassenden Stadtverein auf118 119 120 121 122 123
LASp, T 7, Nr. 6: Paul Kirchner (TSG Kaiserslautern) an Sommer, 30.5.1938; Stadt AKL, AB 80/013, 239 und 245: Protokoll 11.5.1938 und 22.6.1938. LASp, T 7, Nr. 6: NSRL Gau XIII (Südwest) an Sommer, 25.5.1939; Sommer an Bähr, 6.6.1939. Siehe oben Abschnitt 2.4. StadtAKL, NS 23/2218: Schreiben an Kreisleiter Dürrfeld, Kaiserslautern, 29.9.1933, Durchschlag ohne Unterschriften. LASp, T 7, Nr. 6: Bähr an Röder, 6.5.1939. Zu Weisbrod FRIEDEL, Die Machtergreifung 1933, 50, 70f., 79–84.
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gehen zu lassen. Zu den Persönlichkeiten, die sich für dieses Ziel eingesetzt hatten, gehörten neben Imbt und Weisbrod die bereits genannten Bürgermeister und Kreisleiter Dürrfeld und Knissel sowie Kreisleiter Georg Wilhelm Rieder (1906– 1945).124 Teilweise führten ihre Initiativen zum Erfolg, so etwa bei den Schwimmvereinen und den Turnvereinen.125 Für die Fusion der Turner hatten Hans Koch (1906–1988)126 vom MTSV und Ludwig Georg Ostermayer (1883–1951)127 vom TV 1861 bereits im April 1935 erste Sondierungen gewagt, die damals aber noch im Sand verlaufen sind. Stand der TV der Verschmelzung grundsätzlich positiv gegenüber, so erwiesen sich die Widerstände im MTSV damals noch als zu stark.128 Neben „der Führerfrage u. der alten Rivalität“ wurden „die sozialen Gegensätze in beiden Vereinen“ genannt, wobei der TV sich zugleich berufen glaubte, den „Geist der Volksgemeinschaft“129 hervorheben zu müssen. Vermutlich stichelte der Turnverein gegen den MTSV, weil dieser, wie oben ausgeführt, im Frühjahr 1933 das Gros der ehemaligen Mitglieder und das Vermögen der Freien Turn- und Sportvereinigung Kaiserslautern durch Fusion übernommen hatte. Noch im Jahr 1936 stand der MTSV-Vereinsführer in dem Verdacht, „vor der Machtergreifung ein eingefleischter Marxist“130 gewesen zu sein. Offensichtlich waren es wirtschaftliche und infrastrukturelle Vorteile, die sich die Führung des MTSV von der Fusion mit dem Turnverein versprach,131 weil damit der Bau einer eigenen Turnhalle überflüssig wurde.132 Schließlich verfügte der TV 1861 über eine nagelneue, moderne Turnhalle. Ostermayer erklärte in der Führerratssitzung des Turnvereins vom 15. Mai 1935, dass „die Führerstäbe beider Vereine den ehrlichen Willen hätten, in K’lautern einen Großverein zu grün-
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Zu Rieder HERZOG, Der „Betze“, 74–77; MAIER, Organisationshandbuch, 384f. HERZOG, Der „Betze“, 73f. Zu Koch HERZOG, Der „Betze“, 72f. Ostermayer wurde am 22. Dezember 1883 in Kaiserslautern als Sohn des Schreiners Nikolaus Ostermayer und der Elisabeth Fuchs geboren. Er war Oberlehrer und Rektor. Ostermayer war von 1915 an Soldat und kam 1920 aus französischer Kriegsgefangenschaft zurück. Er starb in Kaiserslautern am 12. April 1951. – Ostermayer war bis Februar 1935 stellvertretender Vereinsführer des Turnvereins 1861, ein Amt, das er bereits 1934 ausgeübt hatte (Adressbuch der Stadt Kaiserslautern, 25. Auflage, Kaiserslautern 1934, 803). Sodann wurde er als Nachfolger von Dr. Rudolf Hammann zum Vereinsführer gewählt (NSZ Rheinfront, 25.2.1935), 1936 in diesem Amt bestätigt und Ende Januar 1937 von Willibald Hemmer, dem vorherigen stellvertretenden Vereinsführer, abgelöst (NSZ Rheinfront, 1.2.1937). Darüber hinaus war Ostermayer auch als Dietwart in seinem Verein tätig (NSZ Rheinfront, 4.2.1936). StadtAKL, AB 80/013, 93–101: Protokolle 11.4.1935–15.5.1935. StadtAKL, AB 80/013, 97f.: Protokoll 18.4.1935. LASp, T 7, Nr. 5: Schwitzgebel an Sommer, 18.4.1936; vgl. LASp, T 7, Nr. 5: MTSV an Sommer, 9.3.1936; Sommer an NSDAP-Kreisleitung, 18.3.1936; MTSV an Sommer, 24.3.1936; Sommer an MTSV, 24.4.1936; Schwitzgebel an Sommer, 15.5.1936. StadtAKL, AB 80/012, 243: Protokoll 14.4.1938. StadtAKL, AB 80/013, 97: Protokoll 18.4.1935.
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den“, und äußerte den Wunsch, dass „mit der Zeit die hüben wie drüben bestehenden Gegenstimmen beseitigt werden können.“133 Schließlich schalteten sich die regionalen Sportbehörden in die stockenden Verhandlungen ein. So wurde zwei Jahre später mit Willibald „Willi“ Hemmer (1897–1969),134 der stellvertretende TV-Vereinsführer, vom DRL „als Beauftragter zwecks Vereinigung verschied[ener] Sportvereine in K’lautern bestimmt“. Im Kontakt mit Oberbürgermeister Weisbrod stehend, nahm Hemmer zunächst Gespräche mit dem FCK auf. Doch stellten sich sowohl beim Vorstand des FCK als auch bei den „Führern“ anderer Turn- und Sportvereine in Kaiserslautern „negative Erfolge“ ein.135 Dreieinhalb Monate später wurden „die Fusionsbestrebungen TV 1861 und 1. FCK […] erneut durch den Kreisleiter [Rieder] in die Wege geleitet“. Wiederum bekundete der TV „grundsätzliche Zustimmung“,136 während „der F.C.K. die Fusion abgelehnt“137 habe. Einige Monate später nahm ein neuer Kreisleiter einen weiteren Anlauf, um dem Fusionsprojekt zum Erfolg zu verhelfen. Jedenfalls protokollierte der Schriftwart des Turnvereins im Februar 1938: „Von dem neuen Kreisleiter [Knissel] wurde der Fusionsgedanke wieder aufgegriffen.“138 Knissel war Rieder139 im Amt des Kreisleiters der NSDAP-Kreise Kaiserslautern Stadt und Land gefolgt. Aber anders als Rieder setzte der fusionserfahrene Knissel den Gedanken in die Tat um. Der TV und der MTSV schlossen sich zur TSG zusammen. Um „eine größere Gebühr der Grunderwerbssteuer einzusparen“,140 löste sich der MTSV, der über das geringere Vermögen verfügte, auf, während der Turnverein seinen Namen in TSG 1861 Kaiserslautern änderte. Hemmer eröffnete als Vereinsführer am 27. April 1938 die erste Sitzung des TSGFührerstabs.141
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StadtAKL, AB 80/013, 100f.: Protokoll 15.5.1935. Hemmer, Sohn eines Bauunternehmers, war von Beruf Architekt und leidenschaftlicher Anhänger des Hockeysports, den er bereits in seiner Studienzeit in Halle, München und Saarbrücken ausgeübt hatte. 1931 führte er diesen Sport im TV Kaiserslautern 1861 ein, 1932 wurde er zweiter Vorsitzender des Turnvereins und nach der Fusion der Kaiserslauterer Turnvereine erster Vorsitzender des Großvereins TSG Kaiserslautern. Er trat 1928 in die SPD ein und gehörte seit 1952 der Stadtratsfraktion der SPD Kaiserslautern an. – Dazu Stadtrat Hemmer 70 Jahre, in: Pfälzische Volkszeitung, 11.11.1967. StadtAKL, AB 80/013, 188 und 189: Protokolle 28.4.1937 und 5.5.1937. StadtAKL, AB 80/013, 202: Protokoll 18.8.1937. StadtAKL, AB 80/013, 207: Protokoll 6.10.1937. StadtAKL, AB 80/013, 228: Protokoll 9.2.1938. MAIER, Organisationshandbuch, 384f., nennt für den Beginn der Kreisleitung Kaiserslautern unter Rieder mit dem 2.9.1937 ein falsches Datum, vgl. Pfälzische Presse, 8.6.1936 (freundlicher Hinweis Dieter Wolfanger). StadtAKL, AB 80/013, 233: Protokoll 13.4.1938. StadtAKL, AB 80/013, 235: Protokoll 27.4.1938.
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3.3. Die gescheiterte Fusion der Kaiserslauterer Fußballclubs zu einem kommunalen Großverein
Gleichwohl bissen sich Weisbrod, Imbt, Rieder und Knissel an den Fußballvereinen Kaiserslauterns die Zähne aus und scheiterten an den in den Vereinsführungen und Anhängerschaften tief verwurzelten Rivalitäten, die insbesondere die Beziehung zwischen dem FCK und dem VfR prägten. Lediglich der FC Olympia war 1938 bereit, einer Auflösung zuzustimmen, schloss sich aber nicht einem Fußballclub, sondern der TSG an.142 Auch der als kommunistisch eingestufte Sport-Club stand damals auf der Fusionsagenda. Bereits im Jahr 1935 hatte der TV 1861 einen Zusammenschluss mit dem SC aus politischen Gründen abgelehnt.143 Der Sport-Club wurde schließlich 1938 wegen „marxistischer Durchsetzung und politische[r] Unzuverlässigkeit der Mitglieder aufgelöst“.144 Im Sommer 1938 war es Imbt, erst wenige Wochen im Amt des Oberbürgermeisters, der die Bemühungen um eine Fusion zwischen VfR, FCK und anderen Fußballclubs zu einem Abschluss bringen wollte. Imbt glaubte, die Verhandlungen schon so weit vorangetrieben zu haben, dass die Lokalpresse bereits den Namen des neuen Vereins verkündete.145 Doch erwies sich diese Meldung als voreilig. Denn trotz aller Anstrengungen gelang es der kommunalen NSDAP letztlich nicht, die Eigendynamik der zwischen den lokalen Fußballclubs bestehenden Feindschaften auszuhebeln. Imbt scheiterte nicht nur 1938 mit seinem Plan, einen städtischen Fußballgroßverein zu gründen, sondern auch ein Jahr später mit dem Bau einer in gigantischen Ausmaßen geplanten kommunalen Sportanlage auf Kosten der TSG. Das Stadionbauprojekt wurde sicher nicht nur wegen des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs aufgegeben, sondern auch wegen der hypertrophen Dimension der Sportplatzanlage und der sehr kurzen Dauer, die Kaiserslautern als Gauhauptstadt beschieden war. Beide von der NSDAP in Kaiserslautern verfolgte Pläne, die durch Bährs oben zitiere Korrespondenz überliefert sind, wären auf eine komplette Umstrukturierung des Sports und dessen Unterwerfung unter die Stadtregierung und die Partei hinausgelaufen. Bei den hinter diesen Plänen stehenden Motiven muss man verschiedene Aspekte unterscheiden. Im Hintergrund der geplanten Stadionanlage standen die Interessen der regionalen und lokalen Politik, personifiziert in Gauleiter Bürckel, Kreisleiter Knissel und Oberbürgermeister Imbt, und deren Ambitionen für die Ausgestaltung Kaiserslauterns zur Gauhauptstadt. Dabei hätte die Enteignung der TSG einen massiven Verstoß gegen das formal immer noch bestehende Vereinsrecht bedeutet. Hinter den Plänen, die Bähr von Kreisleiter Knissel und dem Oberbaurat Kaiserslauterns mitgeteilt worden waren, stand darüber hinaus eine umfassende Strukturreform des Sports, die von der Reichsorganisationsleitung der NSDAP auf der Basis eines Erlasses vom 3. Juni 1939 eine Transformation der bürgerli142 143 144 145
StadtAKL, AB 80/013, 241: Protokoll 18.5.1938. StadtAKL, AB 80/013, 97: Protokoll 18.4.1935. BArch, R 58/541, Fiche 5; vgl. HERZOG, Der „Betze“, 87. HERZOG, Der „Betze“, 84f.
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chen Vereine in NS-Ortssportgemeinschaften projektiert hatte. Auf Wunsch Hitlers wurde diese einschneidende Änderung jedoch bis Kriegsende zurückgestellt.146 So wurde auch der Angriff auf das von Bähr in der Rhetorik der Reichssportführung beschworene „Eigenleben der Vereine“147 letztlich nicht mehr geführt. Gerade die geplante Zwangsenteignung der TSG wird man vor dem Hintergrund dieser Pläne sehen müssen, die auf eine Liquidierung der Turn- und Sportvereine und deren Umwandlung in nationalsozialistische Orts- und Dorfsportgemeinschaften hinausgelaufen wären. Erste Schritte zur Verwirklichung dieses Projekts ging – und das war im „Altreich“ ein singulärer Vorgang – der Sportgau Schwaben unter Gauführer Dr. Willy Förg (1903–1979)148 in den Monaten, in denen Bereichsführer Karl Oberhuber (1900–1981)149 den Sport in Bayern mit eigenmächtigen Entscheidungen und Willkürmaßnahmen beherrschte.150 Doch nach Oberhubers Absetzung durch die Reichssportführung wurde die Fusionspolitik eingestellt. Dagegen war es im sudetendeutschen „Mustergau“ gelungen, die Transformation der deutschen Turn- und Sportvereine in Nationalsozialistische Turngemeinden (NSTG) zu vollenden.151 Dieses Ziel wurde auch in Lothringen in Gestalt der Turn- und Sportgemeinden (TSG) erreicht, die im Gau Westmark in der NSDAP-Ersatzorganisation Deutsche Volksgemeinschaft (DVG) organisiert sein mussten und von den DVG-Kreisleitern geführt wurden. Dabei sollten die lokalen und regionalen Organisationsstrukturen des Sports genau denen der DVG entsprechen.152 Im Gau Westmark kamen dem Fußball überdies volkstumspolitische Aufgaben insofern zu, als der Sport sich im Rahmen der Grenzlandpolitik von Gauleiter Bürckel in den Dienst der Konstitution einer eigenen regionalen Identität zu stellen hatte. Die kulturellen Unterschiede zwischen der Pfalz, dem Saargebiet und Lothringen sollten auf allen Ebenen nivelliert werden153 – ein Projekt das jedoch wegen der Einführung der Wehrpflicht für die männliche Bevölkerung Lothringens im August 1942, die auf breite Ablehnung stieß, und wegen des nahenden Kriegsendes zum Scheitern verurteilt war.154 In der Pfalz wurden die Pläne der Reichsorganisationsleitung von der NSDAP-Kreisleitung Rockenhausen bereits im Frühjahr 1938 zumindest rheto146
147 148 149 150 151 152 153 154
BERNETT, Der Weg des Sports, 28f.; TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 215; LUH, Auf dem Weg, 181–198; BArch, NS 19/2679: Der Reichsführer-SS/Chef des SSHauptamtes, Geheime Kommandosache, an den Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei, Feld-Kommandostelle, 9.1.1943: „Betr. Vortrag Stabschef Lutze u. Reichsorganisationsleiter Dr. Ley beim Führer“. STEINHÖFER, Hans von Tschammer und Osten, 47–53. Zu Förg HERZOG, „Kleine Strukturen“, 418. Zu Oberhuber HERZOG, „Blitzkrieg“, 15–21, 119–125; Beitrag HANF, in diesem Band 434f, 453. HERZOG, German Blitzkrieg Football; DERS., „Blitzkrieg“. ZWICKER, 100 Jahre Spitzensport, 343–345; Beitrag ZWICKER, in diesem Band S. 329–335. REICHELT, Fußball, 290; Beitrag REICHELT, in diesem Band S. 348–353. HERZOG, Der „Betze“, 129–151; REICHELT, Fußball, 281–311. HERZOG, Der „Betze“, 149f.; REICHELT, Fußball, 307–311, 363.
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risch ins Spiel gebracht. Demzufolge seien die im DRL organisierten Vereine auf dem Land nicht zu einer geordneten Durchführung der Leibesübungen in der Lage gewesen und sollten deshalb zu „Dorfsportgemeinschaften“ zusammengeschlossen werden.155 Dass Kreisleiter Knissel im Saarland und in der Pfalz immer wieder als Initiator, Förderer und Befürworter von Vereinszusammenschlüssen eine wichtige Rolle spielte, ist nicht überraschend, denn er erwies sich nicht nur in Kaiserslautern, sondern auch in anderen Städten als ausgesprochener Fusionsaktivist. So unterstützte er Heinrich Jürgens (geb. 1904),156 den für Landstuhl zuständigen Kreisvertrauensmann für Turnen und Sport und stellvertretenden NSDAP-Kreisleiter. Dieser hatte sich beispielweise dafür eingesetzt, den Turnverein Hütschenhausen mit dem ortsansässigen Fußballverein zusammenzuschließen. Jedoch hätten sich „einige reaktionäre Kräfte aus der Reihe des früheren Turnvereins“157 widersetzt, welche die Fusion gegen den Willen der Partei wieder rückgängig machen wollten. Nicht zuletzt war es Knissel in Homburg gelungen, die Fusion mehrerer örtlicher Turn- und Sportvereine zu einem kommunalen Großverein, dem VfL Homburg, zu erzwingen, zu dessen „Vereinsführer“ er sich „wählen“ ließ.158 Für derartige Fusionen gab es jedoch gute Gründe. Wegen der Arbeitsdienstpflicht, der Wehrpflicht und der Konkurrenz der NS-Sportverbände, war die Zahl der Mitgliedschaften in DRL-Vereinen im Jahr 1937 auf 3,7 Millionen geschrumpft – und das bei einer Ausgangszahl von circa 6 Millionen im Jahr 1933, zu denen 1,3 Millionen Arbeitersportler hinzuzurechnen sind. Besonders betroffen waren die kleinen Vereine im ländlichen Raum.159 4. Der regionale Kontext: „Gleichschaltung“ im Sportgau XIII Nicht nur in Kaiserslautern, sondern auch in anderen pfälzischen Kommunen erwies sich die „Gleichschaltung“ des Sports als ein schwieriges Unterfangen. Die starke Fixierung der Sportler auf ihren Fußballclub als Sinnmitte des Lebens, die traditionellen Rivalitäten zwischen den Vereinen, Lokalpatriotismus und Vereinsfanatismus und nicht zuletzt die in vielen Fällen verwickelten wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse vor Ort ließen sich jedenfalls nicht mit einem Federstrich beseitigen. 155 156
157 158 159
LASp, T 7, Nr. 6: Eckstein (Vereinsführer TV Obermoschel) an Sommer, 1.3.1938. Jürgens war von Beruf Angestellter, er stammte aus Mark bei Hamm in Westfalen, war lange Jahre aktiv beim TSV Hamm. In der Pfalz fungierte er als Kreisvertrauensmann des Beauftragten des Reichssportführers für den Kreis Landstuhl, zugleich als Kreispropagandaleiter des Kreises 7 Landstuhl-Waldmohr und als stellvertretender Kreisleiter der NSDAP-Kreisleitung Landstuhl: LASp, T 7, Nr. 2, Jürgens, Heinrich, Fragebogen. LASp, T 7, Nr. 2: Jürgens an Sommer, 1.8.1934; vgl. LASp, T 7, Nr. 2: Jürgens an Sommer, 9.7.1934. HERZOG, Familie – Männerbund – Söldnertrupp, 219–222. TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 195–207, sowie unten Abschnitte 4.1. und 4.5.
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4.1. „Gleichschaltung“ zur Sanierung finanziell angeschlagener Vereine
Die Gleichschaltungspolitik der NSDAP sollte nicht nur auf eine vollkommen fremdbestimmte Unterwerfung des in Vereinen organisierten Sports und des gesamten Kulturlebens hinauslaufen, sondern in vielen Fällen Fusionsplänen zum Durchbruch verhelfen, die bereits in der Zeit der Weimarer Republik bestanden hatten, in sich vernünftig waren, von den Vorständen der Fußballclubs und Turnvereine ernsthaft diskutiert wurden, aber aufgrund der Rivalität der ortsansässigen Anhängerschaften bisher gescheitert waren. Die beiden großen Fußballvereine Kaiserslauterns, VfR und FCK, waren selbst aus mehreren Fusionen in Kaiserzeit und Weimarer Republik hervorgegangen.160 Ebenso vor 1933 wie nach 1945 hatten beide Vereine eine Fusion in Betracht gezogen.161 Ein Zusammenschluss wäre nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen sinnvoll gewesen und hätte Kaiserslautern als Sportstandort gestärkt. Die relativ nah beieinander liegenden Fußballstadien Betzenberg und Erbsenberg hätten zu einer logistisch überzeugenden Einheit von Veranstaltungs- und Übungsgeländen verbunden werden können. Die Initiativen der pfälzischen NS-Politiker zur Fusion von VfR und FCK waren also durchaus kein nationalsozialistisches Spezifikum. Vielmehr waren sie von organisatorischen, sportlichen, infrastrukturellen und ökonomischen Motiven geleitet. Darüber hinaus war der FCK in der „revolutionären“ Phase des Nationalsozialismus hoch verschuldet. Er hatte sich mit dem Ausbau des Stadions Betzenberg übernommen und versuchte, die Kosten des illegalen Scheinamateurismus zu schultern, um sich fest in der ersten Liga zu etablieren. Dabei soll die Vereinsführung in den Bilanzen, wie aufgrund interner Querelen dem DFB bekannt gemacht wurde, Einnahmen verschwiegen haben, um Steuern zu hinterziehen und Spieler verpflichten und bezahlen zu können, was gegen das Amateurstatut des DFB verstieß.162 War der FCK durch diese ökonomische Schieflage schon hinreichend geschwächt, lieferten Zuschauerausschreitungen auf dem Betzenberg und Gewalt gegen Schiedsrichter einen weiteren Grund,163 der aus nationalsozialistischer Sicht für Vereinsauflösung und Fusion sprach.164 Vor allem die vielen Skandalspiele zwischen Lokal- und Regionalrivalen waren von groben Unsportlichkeiten geprägt, durch die sich Spieler und Zuschauer außerhalb „die Reihen der deutschen Volksgemeinschaft“ stellten, wie die NSDAP-Gaupresse beklagte.165 Auch der Turnverein 1861 Kaiserslautern befand sich in den 1930er Jahren zunächst in einer schweren finanziellen Krise, die aber teilweise andere Gründe als die Überschuldung des FCK hatte. Während dem FCK die nötigen finanziellen Mittel für Unterhalt und Ausbau seiner Sportplätze und den um sich greifen160 161 162 163 164 165
HERZOG, „Lautern ist eine große Sportfamilie!“, 189f. HERZOG, Der „Betze“, 220f. HERZOG, Der „Betze“, 78–83. HERZOG, Der „Betze“, 53f. Dazu auch HERZOG, „Blitzkrieg“, 12f., 20f., 45f. Ist das noch Sport?, in: NSZ Rheinfront, 6.1.1936 (zu einem Lokalderby FCK – VfR Kaiserslautern).
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den illegalen Semiprofessionalismus fehlten, hatte sich der TV in den Jahren 1932 und 1933 mit dem Bau des „Turnerheims“ übernommen. Mit Hypothekenzinsen und Darlehen sowie der Tilgung von Krediten, die bei Brauereien und Banken aufgenommen worden waren, hatte sich der Verein zunächst an den Rand der Insolvenz manövriert.166 Da fruchtete auch das opportunistische Bekenntnis zu Hitler als „des Turnheimes Retter“167 nicht viel. 1936 kam die Vereinsführung bei der Überprüfung des Haushaltsplans jedenfalls zu der bitteren Erkenntnis, „daß das Turnerheim sich allein nicht finanzieren“168 könne, der „Vermögensstand und die Kassenlage […] kein ermunterndes Bild“169 abgäben. Dennoch schienen sich gegen Jahresende „die finanziellen Verhältnisse des Vereins etwas aufgehellt“170 zu haben und „der Kontoauszug für das 1. Halbjahr [1937] als sehr günstig“171 zu erweisen. Finanzielle Gründe für die Fusion mit dem MTSV hatten nun nicht mehr die Dringlichkeit wie in den Jahren zuvor. Ein weiterer, in diesem Kontext zu berücksichtigender Faktor ist der drastische Mitgliederschwund im Turnverein 1861. Lag die Mitgliederzahl im Jahr 1933 bei 1851, so stieg sie im Folgejahr noch auf 1862 an, sank jedoch 1937 auf 1126, um sich 1938 im Vergleich zu 1933/34 auf gerade einmal 937 Mitglieder zu halbieren.172 Das „Nachlassen in der turnerischen Betätigung“ wurde auf den „starken Einsatz bei den Gliederungen der Parteiorganisationen“ zurückgeführt,173 der auch in vielen anderen Vereinen beklagt wurde.174 Vor allem aber war es „die Überführung der Knaben u. Mädchen unter 14 Jahren in das Deutsche Jungvolk“, durch die „ein erheblicher Mitgliederschwund eingetreten war“.175 Auch der FCK musste in der Zeit der späten Weimarer Republik und im Nationalsozialismus einen erheblichen Mitgliederrückgang verkraften.176 Anders als nach dem Ersten Weltkrieg,177 als sinkende Mitgliederzahlen im ganzen Deutschen Reich Fusionen erforderlich gemacht hatten, war dieser Faktor in den 1930er Jahren nicht demografisch, sondern politisch begründet. Generell gilt, dass insbesondere während der „zweiten Gleichschaltung“ die Mitgliederzahl in
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StadtAKL, AB 80/013. StadtAKL, AB 80/013, zwischen 72 und 73: Anon., Des Heimes Schicksal, zweiseitiges maschinenschriftliches Typoskript. StadtAKL, AB 80/013, 122: Protokoll 6.2.1936; zur Entwicklung der finanziellen Lage des Turnvereins StadtAKL, AB 80/013, 106, 115f., 120, 122, 128, 130, 132, 137f., 150, 155, 167, 197. StadtAKL, AB 80/013, 128: Protokoll 20.4.1936. StadtAKL, AB 80/013, 167: Protokoll 7.12.1936. StadtAKL, AB 80/013, 197: Protokoll 7.7.1937. Vgl. StadtAKL, AB 80/012, 218, 237, 241. StadtAKL, AB 80/012, zwischen 226 und 227: Els Schröder, Turnerischer Rückblick auf 1934, maschinenschriftliches Typoskript, Blatt 1. TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 195–200. StadtAKL, AB 80/012, 241: Protokoll 31.1.1938. HERZOG, Der „Betze“, 60. EISENBERG, Vom „Arbeiter-“ zum „Angestelltenfußball“?, 27.
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den Turn- und Sportvereinen dramatisch sank,178 was eine zusätzliche Motivation für Vereinsfusionen geliefert hatte. Denn damals waren Mitgliedsbeiträge in den Bilanzen der Vereine auf der Einnahmenseite noch unverhältnismäßig viel wichtiger als in den kommenden Jahrzehnten. Auch in anderen pfälzischen Kommunen wurde die Gleichschaltungspolitik des Nationalsozialismus von ökonomischen Motiven und finanziellen Interessen bestimmt. Dies jedenfalls kann man Eugen Sommers Korrespondenz mit den Vertrauensmännern für Turnen und Sport in den jeweiligen Kreisen der Sportverwaltung entnehmen. Demzufolge hatten sich zahlreiche Turnvereine und Fußballclubs in der Zeit der Weimarer Republik durch den Kauf von Grundstücken und den Bau von Sportanlagen und Turnhallen in eine wirtschaftlich schwierige, teils sogar ausweglose finanzielle Situation manövriert.179 Denn in den meisten Fällen wurden Immobilienerwerb und Baumaßnahmen nicht allein aus Eigenmitteln finanziert, sondern vor allem durch Darlehen, Hypotheken und Anteilsscheine. Zahlreiche Vereine konnten gegen Ende der Weimarer Republik die finanziellen Lasten der Tilgung und Zinszahlung nicht mehr schultern, da infolge der grassierenden Arbeitslosigkeit die Zahl jener Mitglieder stieg, die ihre Beiträge schuldig blieben. Auch die Inflation und der Rückgang der Fördermittel der öffentlichen Hand hatten zahlreiche Vereine an den Rand der Zahlungsunfähigkeit geführt oder in den Bankrott gestürzt.180 Die Fußballclubs und Turnvereine bemühten sich zwar, zusätzliche Einnahmen zu erwirtschaften, indem sie beispielsweise Teil- oder Vollkonzessionen für den Ausschank von Getränken und den Verkauf von Speisen zu erlangen suchten. Aber oft vergebens, denn die Behörden schränkten diese Möglichkeiten zum Schutz des Gaststättengewerbes massiv ein oder unterbanden sie ganz. Die Inhaber und Pächter lokaler Gastwirtschaften und Schänken zogen in verbissen geführten Auseinandersetzungen gegen die Turn- und Sportvereine vor Gericht und bekamen in vielen Fällen Recht.181 Häufig waren Gastwirte und Vereinsfunktionäre in „einen erbitterten Konkurrenzkampf“182 um Einnahmequellen verwickelt. 178 179
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HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 206, 211. – Für den Sportgau XIII: LASp, T 7, Nr. 6: Sommer an Bürckel, 7.1.1938. Vgl. z.B. LASp, T 7, Nr. 6: Korrespondenz aus den Jahren 1937 und 1938 über den drohenden Konkurs des TV „Jahn“ Pirmasens und des TV Pirmasens 1863; LASp, T 7, Nr. 1: Turn- und Sportverein 1882-1914 Roxheim/Pfalz an Deutsche Turnerschaft, 8.1.1934; LASp, T 7, Nr. 1: Korrespondenz zur katastrophalen wirtschaftlichen Lage der Frankfurter Turngemeinde Eintracht von 1861 und dem zu Beginn 1934 befürchteten „geldlichen Zusammenbruch des Vereins“; LASp, T 7, Nr. 1: Korrespondenz zur Verschuldung der Turngemeinde Hochheim im Jahr 1936. HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 78–92. LASp, T 7, Nr. 1; LASp, T 7, Nr. 3: Spilger (Kreisvertrauensmann für den Stadt- und Landkreis Frankenthal) an Sommer, 2.4.1935; Graf („Turnführer“ des TV „Gut Heil“ 1879 Hettenleidelheim) an Spilger, 14.2.1934; LASp, T 7, Nr. 5: Korrespondenz zum TV 1891 Zweibrücken-Ernstweiler, zur Turngesellschaft 1905 Haßloch und zum Turnverein 1880 Haßloch; StadtAKL, A 03/0719. LASp, T 7, Nr. 1: Kreisführer des DT-Kreises 14 „Taunus“, 4. Bezirk Rhein-Main, 13. Gau (Südwest), Deutsche Turnerschaft, an Kreisfachamtsleiter des Kreises I Frankfurt
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Insbesondere bei Vereinen auf dem Land entwickelte sich, bedingt durch Steuerund Hallenschulden, Reisekosten, Organisationsaufwand und Zinsendienst, die wirtschaftliche Situation immer prekärer. Nur dort, wo Wettkampf- und Leistungssport, insbesondere Fußball und Boxen, getrieben wurde, kamen genügend Zuschauer, die den Veranstaltern zu guten Einnahmen verhalfen. Davon profitierten jedoch vor allem die Stadtvereine, weniger die Vereine in ländlichen Regionen.183 Gleichzeitig beklagten die Sportbehörden die Kehrseite dieser Entwicklung, die vor allem beim Fußball darin bestand, dass die „Arbeit zu einseitig auf Leistung abgestellt“ und für die „mangelnde Erziehung der Sportler“184 ursächlich gewesen sein sollte. Gewalt auf dem Platz und unter den Anhängerschaften war die Folge, sie sollte durch die politische „Gleichschaltung“ und die Erziehung zur „Volksgemeinschaft“ mit dem Instrument des „Dietwesens“185 eigentlich ausgeschaltet werden. In dieser Konfliktzone stand das Programm der „politischen Leibeserziehung“186 des NS-Staates in einer spannungsreichen Beziehung einerseits zur Eigendynamik sportlichen Wettbewerbs sowie Leistungs- und Rekordstrebens, andererseits zu den Loyalitäten des auch in der NS-Zeit weiterhin ungebrochen grassierenden Vereinsfanatismus und nicht zuletzt zu der Notwendigkeit, den Wettkampfbetrieb zu finanzieren. Vor allem im Fußball und Handball waren Tätlichkeiten der Spieler auf dem Platz und Ausschreitungen der Zuschauer auf den Rängen und abseits der Spielplätze keine Seltenheit.187 Alle Hoffnungen, die man in die politische „Gleichschaltung“ und ideologische Schulung gesetzt hatte, verpufften wirkungslos. So resümierte ein pfälzischer Sportfunktionär im Jahr 1939: „Die Dietarbeit wird wenig beachtet“;188 sie war
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am Main, Dr. Kahle, 10.7.1936, sowie ebd., die gesamte Korrespondenz zur Behebung der wirtschaftlichen Notlage der hoch verschuldeten Turngemeinde Hochheim am Main. LASp, T 7, Nr. 4: Mühlberger (Kreisvertrauensmann für den Verwaltungskreis Neustadt a.d.W.), Vierteljahresbericht 4.2.1939–6.5.1939; Mühlberger, Jahresbericht 1937. LASp, T 7, Nr. 4: Mühlberger, Vierteljahresbericht 4.2.1939–6.5.1939. Mit „Dietwesen“ ist die institutionalisierte ideologische Indoktrination gemeint, die auf allen organisatorischen Ebenen des Sports im „Dritten Reich“ durch „Dietwarte“ geleistet werden sollte – vom „Reichsdietwart“ über den „Gaudietwart“ und „Kreisdietwart“ bis hin zum „Vereinsdietwart“. – Dazu BERNETT, Nationalsozialistische Leibeserziehung, 291–306; TESFARMARIAM, Die Rolle des Dietwesens. BERNETT, Nationalsozialistische Leibeserziehung, 87–158. LASp, T 7, Nr. 5: Bähr an Sommer, 19.2.1936; Sommer an Meyer, 17.2.1936; Meyer an Sommer, 11.2.1936 mit Anlage; Sommer an Dietrich (Bezirksfachamtsleiter Handball, Verwaltungsbezirk Landau), 15.10.1935; LASp, T 7, Nr. 2: Jürgens an Sommer, 5.12.1933; LASp, T 7, Nr. 4: Mühlberger an SA-Gruppenführer Beckerle (Gaubeauftragter des Reichssportführers für den DRL-Gau XIII), 10.1.1938. LASp, T 7, Nr. 4: Mühlberger, Vierteljahresbericht 4.2.1939–6.5.1939; LASp, T 7, Nr. 2: Weber (Kreisvertrauensmann für die Verwaltungskreise Speyer Stadt und Land), Rundbrief an die Sportvereine in Speyer Stadt und Land, 18.2.1935. – Vgl. REICHELT, Fußball, 243–245.
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schlecht organisiert, die Veranstaltungen wiesen einen überaus mageren Besuch189 auf. 4.2. „Schwarze“ – „Rote“ – „Wilde“: Störfaktoren der „Volksgemeinschaft“
Über diese finanziellen und ökonomischen, infrastrukturellen und sportlichen Gesichtspunkte hinaus war vor allem die Phase der „ersten Gleichschaltung“ stark von ideologischen, partei- und machtpolitischen Motiven bestimmt. So ist die Jagd auf Kommunisten und Sozialdemokraten in der „zweiten Gleichschaltung“ kaum noch aktenkundig, was auch für den Ausschluss von Juden aus den Vereinen galt. In Paragraf 2 der Einheitssatzung des DRL in der Fassung aus dem Jahr 1935 mussten sich die Vereine verpflichten, „die leibliche und seelische Erziehung“ ihrer „Mitglieder im Geiste des nationalsozialistischen Volksstaates durch die Pflege der Leibesübungen“ zu fördern und „Bestrebungen und Bindungen klassentrennender und konfessioneller Art“ zu unterbinden. Die letzte Formulierung war in der Einheitssatzung des NSRL aus dem Jahr 1940 nicht mehr anzutreffen, weil beide Themen als erledigt und abgearbeitet gelten konnten. So stellte das Amtsblatt des NSRL fest, „daß in einer nationalsozialistisch betreuten Organisation derartige Bestrebungen und Bindungen selbstverständlich keinen Raum mehr haben“190 und deshalb nicht mehr thematisiert werden mussten. Aber genau diese „Bestrebungen und Bindungen klassentrennender und konfessioneller Art“ waren während der „ersten Gleichschaltung“ sehr virulent. So wurde der Radfahrer-Verein „Edelweiß“ Vogelbach mit Rückendeckung von Kreisleiter Knissel und Polizeikommissar Friedrich „Fritz“ Schwitzgebel (1888– 1957)191 am 19. Mai 1933 wegen „marxistischer“ Orientierung der Mitglieder aufgelöst.192 In Speyer betrieb der Kreisvertrauensmann den Ausschluss eines angeblich ehemaligen kommunistischen Mitglieds und eines mutmaßlich „marxistischen“ Schiedsrichters aus dem dortigen Fußballverein.193 Probleme sah der völkische Staat in der Südwestregion darüber hinaus „bei allen Turn- und Sportvereinen, die noch schwarz regiert“194 würden – also unter katholischem Einfluss standen –, so beispielsweise in Obermohr, Kindsbach und
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LASp, T 7, Nr. 3: Meyer an Sommer, 8.4.1935. – Vgl. auch BERNETT, Der Weg des Sports, 68–74. NS-Sport, Nr. 16, 21.4.1940, 3. Siehe oben Abb. 3. – Zu Schwitzgebel HERZOG, „Sportfanatiker“, 227f.; DERS., Der „Betze“, 127f., 139f., 149f.; MAIER, Organisationshandbuch, 428–430; REICHELT, Fußball, 285–287, 380. LASp, T 7, Nr. 2: Korrespondenz zwischen Jürgens, Sommer und anderen 1933/34. LASp, T 7, Nr. 2: Gehring (Kreisvertrauensmann für die Verwaltungskreise Speyer Stadt und Land) an Sommer, 3.10.1933 und 9.10.1933. – Die Denunziation des angeblich „marxistischen“ Schiedsrichters durch den Kreisvertrauensmann scheint allerdings darin begründet gewesen zu sein, dass dieser von jenem bei einem Spiel vom Platz gestellt worden war. LASp, T 7, Nr. 2: Jürgens an Sommer, 2.10.1933.
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Ramstein.195 Ein monatelang sich hinziehender Fall der „Gleichschaltung“ und Auflösung von zwei ehemaligen Vereinen der katholischen DJK in Ludwigshafen, die sich umbenannt und dem DFB angeschlossen hatten, endete ebenfalls mit der Liquidierung der Vereine.196 Mit dieser Maßnahme sollten die Mitglieder gezwungen werden, „ihren engen konfessionellen Zirkel aufzugeben und sich in die Volksgemeinschaft einzufügen“.197 Doch oftmals standen ganz profane Motive im Vordergrund. So beklagte sich beispielsweise der Turn- und Sportverein 1882-1914 Roxheim/Pfalz über die „Mitgliederziehung“ des örtlichen DJK-Vereins, durch die er geschwächt werde.198 Im Kreis 10 Südpfalz versuchte die Kreisleitung der Sportverwaltung, aus der Frontstellung des NS-Staates gegen die katholische Kirche finanzielle Vorteile für verschuldete Landvereine herauszuschlagen, die ihre Mitgliedsbeiträge nicht mehr aufbringen konnten und mit Sperren rechnen mussten. So seien die „Gemeinden an der Grenze […] fast durchweg katholisch oder gemischt religiös“, weshalb die NS-Organisationen HJ, BdM oder SA „nur schwer Fuß“ fassen könnten. Würde man den verschuldeten Turn- und Sportvereinen durch Sperren oder Ausschlüsse oder „durch unnachgiebige Beitragsforderungen das Leben schwer“ machen und sie zur Auflösung zwingen, gäbe es „in diesen Orten nichts mehr als die Cäcilien-, kath. Jungmänner- und Jungfrauenvereine.“199 So lautete die Begründung der Forderung, auf die Eintreibung von Mitgliedsbeiträgen zu verzichten. Die von der katholischen Kirche ausgehenden Gefahren wurden damals als ähnlich gefährlich eingestuft wie der Einfluss, den ehemalige Kommunisten oder Sozialdemokraten auf den Sport ausüben und diesen unterwandern200 könnten. So standen beispielsweise Turn- und Sportvereine nicht nur, wie bereits erwähnt, in Kaiserslautern (MTSV), Morlautern und Vogelbach, sondern auch in Bellheim, Bobenheim, Roxheim, Altenkirchen oder Berghausen in dem Ruch, insgeheim von Anhängern des „Marxismus“ geführt zu werden oder von Kommunisten durchsetzt zu sein.201 195 196 197 198
199 200 201
LASp, T 7, Nr. 2: Jürgens an Sommer, 28.11.1933 (zu Ramstein, Kindsbach und Obermohr). Dazu die diesbezügliche Korrespondenz LASp, T 7, Nr. 2, 5 und 7. LASp, T 7, Nr. 5: Sommer an von Tschammer und Osten, 2.9.1935. LASp, T 7, Nr. 1: Turn- und Sportverein 1882-1914 Roxheim/Pfalz an Deutsche Turnerschaft, 8.1.1934; zu den Hindernissen des Übertritts von DJK-Athleten in den Turnverein Fraulautern von 1878 vgl. LASp, T 7, Nr. 7: Turnverein Fraulautern von 1878 an Kreisvolksturnwart Peter Laurent, Schaffhausen (Saar), 27.6.1935, S. 6f. LASp, T 7, Nr. 6: DRL-Kreis 10 Südpfalz an Reichsführung des DRL, 24.2.1938. BERNETT, Die Zerschlagung, 356–359. LASp, T 7, Nr. 5: Korrespondenz zu FC „Phönix“ Bellheim; LASp, T 7, Nr. 3: Spilger an Sommer, 18.10.1933 (zu Bobenheim und Roxheim); LASp, T 7, Nr. 2: Alenrith [?] (Kreisvertrauensmann für den Verwaltungskreis Waldmohr) an Sommer, 10.10.1933 (zu Altenkirchen); LASp, T 7, Nr. 3: Schmitt (Kreisvertrauensmann für den Verwaltungskreis Waldmohr) an Sommer, 10.10.1933 (zu Altenkirchen); LASp, T 7, Nr. 2: Jürgens an Sommer, 22.9.1933 (zu Ramstein); LASp, T 7, Nr. 5: Beyerlos an Weber, 12.5.1916 [sic] (zu Berghausen); LASp, T 7, Nr. 5: Korrespondenz zwischen MTSV, Kreisleiter
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Und nicht zuletzt galten die Gleichschaltungsaktivitäten der Parteiinstanzen und Sportbehörden den sogenannten „Wilden Vereinen“,202 die auch nach 1933 keinem Verband angehört hatten. Auch ihr Eigenleben wollte man beenden, um ihre Aktivitäten organisieren und kontrollieren zu können. Schließlich lag es im Interesse sowohl der NSDAP als auch der bürgerlichen Sportbehörden, den Einfluss der „Schwarzen“, „Roten“ und „Wilden“ auf Turnen und Sport zu unterbinden, um dem Ideal der „Volksgemeinschaft“ zum Durchbruch zu verhelfen. Eine Möglichkeit, um dieses Ziel zu erreichen, waren Fusionen. Deshalb sei, so die Begründung eines Antrags auf Gewährung von Fördermitteln bei der Dr. Ferdinand-Götz-Stiftung, der Turn- und Sport-Verein 1893 Nieder-Olm (bei Mainz) hervorgegangen aus einer Fusion des ortsansässigen Turnvereins, des Arbeitersportvereins und eines DJK-Vereins. An pathetischen Formulierungen, die in religiöser Terminologie schwelgten, mangelte es dabei nicht. So habe das Ziel des Zusammenschlusses darin bestanden, das „heilige Gut deutscher Mannu. Wehrhaftigkeit nach besten Kräften pflegen“203 zu können. Insbesondere in der Frühphase der „ersten Gleichschaltung“ waren die Partei- und Sportfunktionäre bestrebt, die Unterschiede und Gegensätze zwischen „marxistischen“ Arbeitersportvereinen, konfessionell orientierten DJK-Vereinen und parteipolitisch neutralen bürgerlichen Vereinen durch Fusionen auszulöschen204 und die sogenannten wilden Vereine zu integrieren. Auch die Gründungsgeschichte der in den 1970er Jahren im Frauenfußball in Deutschland überaus erfolgreichen Turn- und Sportgemeinde (TuS) 1847 Wörrstadt205 war nicht untypisch für die Vereinsgeschichte des deutschen Sports während der „ersten Gleichschaltung“. Die TuS ging nämlich hervor aus dem Turn-
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Schwitzgebel und Sommer von März bis Mai 1936; LASp, T 7, Nr. 2: Niederschrift über die Sitzung der Kreisvertrauensleute für Turnen und Sport in Neustadt, 23.9.1934; LASp, T 7, Nr. 2: Niederschrift über die Sitzung der Kreisvertrauensleute für Turnen und Sport in Kaiserslautern, 29.10.1933. LASp, T 7, Nr. 2: Niederschrift über die Sitzung der Kreisvertrauensleute für Turnen und Sport in Neustadt, 23.9.1934; LASp, T 7, Nr. 2: Sommer an die Kreisvertrauensleute für Turnen und Sport im Bezirk Pfalz, 23.11.1933; LASp, T 7, Nr. 2: Niederschrift über die Sitzung der Kreisvertrauensleute für Turnen und Sport in Kaiserslautern, 29.10.1933; LASp, T 7, Nr. 2: Lebender (Kreisvertrauensmann für den Verwaltungskreis Ludwigshafen-Land), Rundschreiben 1/33; LASp, T 7, Nr. 3: Korrespondenz zur Paddler-Gilde 1933 Ludwigshafen, die aus einem „marxistischen“ Wassersportverein hervorgegangen war, sich aber keinem Fachamt anschließen wollte; LASp, T 7, Nr. 7: Deutscher Radfahrer-Verband, Bezirk 2 Rheinpfalz, Gau XIII Südwest an Sommer, 7.9.1935 (Auflistung der damals noch bestehenden „wilden“ Radfahrervereine). – Vgl. auch STEINHÖFER, Hans von Tschammer und Osten, 28, 122. LASp, T 7, Nr. 1 (Endes der Akte): Turn- und Sport-Verein 1893 Nieder-Olm an DT, Kreis XII, Kreisgeschäftsführung, 30.4.1935. LASp, T 7, Nr. 2: Sommer an Wacker (Kreisvertrauensmann für den Verwaltungskreis Landau), 23.8.1933 (zu Landau); LASp, T 7, Nr. 2: Jürgens an Sommer, 2.10.1933 (zu Obermohr); LASp, T 7, Nr. 5: Korrespondenz zum Schützenverein 1931 Frohnhofen (Bezirk Waldmohr). Dazu und zum Folgenden SCHMIDT, 1970, 78f.
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verein 1847 Wörrstadt, dem 1899 gegründeten Radfahrerverein Wörrstadt und dem VfR Wörrstadt, der 1919 als Fußballverein gegründet worden war, da der lokale Turnverein das Fußballspiel nicht zulassen wollte. Die Fusion dieser drei Vereine zu einem „Allsportverein“ wurde „1933 auf höhere Weisung“206 vollzogen. 4.3. „Reinheit des Blutes“: „Arisierung“ – „Schwarze Schmach“-Kampagne – „Konkurrenzantisemitismus“
Waren die Versuche, den Einfluss kirchlicher, sozialdemokratischer und kommunistischer Kräfte auf den Sport auszuschalten, machtpolitisch und ideologisch motiviert, und die Anstrengungen zur organisatorischen Integration der sogenannten wilden Vereine in einer auf Einfluss und Kontrolle fokussierten Politik begründet, so war der Umgang mit „nichtarischen“ Vereinsmitgliedern eine Konsequenz der Rassenpolitik des neuen Staates. Dabei schlugen die Turn- und Sportvereine unterschiedliche Wege ein. Diese Unterschiede waren vor allem in den voneinander abweichenden Vorgaben der Sportverbände bzw. Fachämter begründet.207 So hatte die DT auf Drängen der völkischen Turner, die dem Deutschen Turnerbund in Österreich angehörten, ihren Vereinen im Frühjahr 1933 einen generellen Ausschluss jüdischer Mitglieder verordnet.208 Diese Direktive übertraf an Schärfe sogar die 1935 erlassenen Nürnberger Rassengesetze. Der DFB indes beschränkte die „Arisierung“ – ebenso wie den Ausschluss von „Marxisten“ – im Schulterschluss mit der DSB und der Reichssportführung auf die Funktionsträger.209 Reichssportkommissar Hans von Tschammer und Osten teilte diese Position, derzufolge „Nichtarier […] an führender Stelle und mitbestimmend nicht wirken können“.210 Fußballclubs verstießen also nicht gegen die Vorgaben des nationalen Verbandes, wenn sie ihren jüdischen Mitgliedern auch weiterhin eine sportliche Heimat boten. In Anbetracht der damals noch bestehenden Spielräume211 waren die Dispositionen und Einstellungen der auf lokaler Ebene handelnden Akteure in den Vorstandschaften entscheidend für den Umgang mit den Erwartungen der NSDAP zur rassistischen Bereinigung des Vereinslebens. Während in Kaiserslautern der Reichsbahn-Turn- und Sportverein in einer Werbeschrift stolz verkünden ließ, alle jüdischen Mitglieder ausgeschossen zu haben, hatten Lauterer Juden die Möglichkeit, im FCK zumindest bis 1936 Sport treiben.212 Und wenn man Ein206 207 208 209 210
211 212
SCHMIDT, 1970, 78. BERNETT, Der jüdische Sport, 16–37. NEUENDORFF, Osterbotschaft; dazu BERNETT, Der jüdische Sport, 24f. LINNEMANN/XANDRY/HALT/HASSLER, DFB und DSB geben bekannt; vgl. Der Kicker, Nr. 16, 19.4.1933, 635; dazu HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 165f. Der Reichssportkommissar im Rundfunk. Hans von Tschammer-Osten über seine Aufgaben und Ziele, in: ASS, Nr. 20, 14.5.1933, 3f., hier 3; vgl. Die Rundfunkrede des Reichssportkommissars, in: Der Kicker, Nr. 19, 9.5.1933. HERZOG, „Kleine Strukturen“, 408–411; WAHLIG, Sport im Abseits, 62–64, 83–85. HERZOG, Der „Betze“, 50–52.
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tracht Frankfurt als Vergleichsbeispiel heranzieht, kann eine Teilnahme jüdischer Mitglieder am Vereinsleben in Ausnahmefällen bis 1938 als gesichert gelten, und das obwohl die Eintracht und der FCK in einer gemeinsam mit anderen Fußballclubs publizierten Deklaration bereits im Frühjahr 1933 den Ausschluss jüdischer Mitglieder angekündigt hatten.213 Dagegen hatte der 1. FC Nürnberg seine Reihen alsbald „arisiert“ und der TSV München von 1860 ließ sich zu offener antisemitischer Hetze herab.214 Diese Gegensätze in der Behandlung der „Arierfrage“ gingen in den Fußballclubs auf die sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten in den jeweiligen Vereinsführungen zurück, da der DFB anders als die Turner eben keine „Vollarisierung“ angeordnet hatte. Auch in den regionalen Instanzen der Sportverwaltung agierten die Kreisvertrauensmänner für Turnen und Sport in der Phase der „ersten Gleichschaltung“ mit sehr unterschiedlichem Nachdruck. Ein großer Teil der Funktionäre wickelte seine Tätigkeiten gemäß den formalen Vorschriften ab. Ein kleinerer Teil schien von politischem Fanatismus getrieben gewesen zu sein, so beispielsweise der Vertrauensmann für den Kreis Landstuhl, der nach eigenem Bekunden „im Jahre 1929 aus der D.T. wegen Aufnahme von Juden ausgetreten“ sei,215 seine Korrespondenz auf Briefpapier der NSDAP-Kreisleitung Landstuhl erledigte und in das Vereinsleben sehr viel rücksichtsloser eingriff als manche seiner Kollegen, wobei er in seinem Eifer gegen bestehende Vorschriften verstieß und seine Befugnisse überschritt.216 Die Unterschiede in der Behandlung der „Arierfrage“ konnten besonders deutlich hervortreten, wo sich die Handlungsfelder des DFB und der DT überlappten. Dies war beispielsweise 1935/36 im Turn- und Sportverein 1893 Nieder-Olm der Fall, in dessen Fußballabteilung ein „Mischling ersten Grades“217 spielte. Der Vereinsführer des lokalen TSV prangerte die „Teilnahme eines Farbigen, abstammend aus der Besatzungszeit der Grand Nation als eine Schmach nicht nur für den hiesigen Turn- und Sportverein, sondern für die ganze Gemeinde Nieder-Olm“218 an. Der zuständige Gaufachamtsleiter Dr. Wilhelm Raßbach (1884–1950)219 und der Kreisjugendwart des DFB für den Kreis Rheinhessen bestanden jedoch darauf, dass für eine Fußballabteilung die Regeln des DRL und des DFB bzw. des Fachamtes Fußball auch dann gälten, wenn diese Abteilung zu einem Turnverein gehöre. Schließlich seien „seitens des deutschen Reichsbundes für Leibesübungen keine Bestimmungen erlassen worden“, welche „die Aufnahme von Nichtariern in die dem DRFL angeschlossenen Sportvereine, bezw. die sportliche Betätigung in diesen Vereinen verbietet.“ Da in Nieder-Olm „die 213 214 215 216 217 218 219
Der Kicker, Nr. 15, 11.4.1933, 565; dazu HERZOG, Der Nationalsozialismus, 117–120. SCHLUMBOHM, Von Ehrennadeln, 363f.; HERZOG, „Kleine Strukturen“, 409f. LASp, T 4, Nr. 2: Korrespondenz des Kreisvertrauensmanns Jürgens (Verwaltungskreis Landstuhl), Fragebogen. LASp, T 4, Nr. 2: Sommer an Jürgens, 20.4.1934. Zum Schicksal der sogenannten Mischlinge im „Dritten Reich“ TENT, Im Schatten. LASp, T 7, Nr. 7: Vereinsführer Schwarz an DT-Bezirksführer Bieger, 5.6.1935. Zu Raßbach HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 315–317; REICHELT, Fußball, 377f.
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Abb. 6: Heinrich „Heinz“ Kerz im Schwimmbad Nieder-Olm in den 1930er Jahren, Foto: Archiv Peter Weisrock, Nieder-Olm.
Fussballabteilung selbständig“ sei und „als solche zunächst den Bestimmungen des Fachamtes Fussball untersteht“,220 seien in diesem Fall nicht die Bestimmungen der DT, sondern die des DFB bzw. des Fachamtes Fußball anzuwenden. Letztlich setzte sich gleichwohl Sommer als DT-Gauführer mit der gegen den Fußballspieler verhängten Ausschlussanordnung durch und triumphierte über die DFB-Funktionäre.221 Bei dem nicht-„arischen“ Jugendfußballspieler handelt es sich um Heinrich „Heinz“ Kerz, der am 15. April 1920 in Nieder-Olm geboren wurde (Abb. 6). Er war eines jener circa 400 afrodeutschen Kinder, die von französischen und belgischen Kolonialsoldaten aus Schwarzafrika, teils auch von US-amerikanischen Besatzungssoldaten während der Alliierten Rheinlandbesetzung (1919–1930) gezeugt worden waren. Vier dieser Kinder lebten Mitte der 1920er Jahre in Nieder-Olm.222 In der sogenannten „Schwarze Schmach“-Kampagne223 wurden sie 220 221
222 223
LASp, T 7, Nr. 7: Raßbach (Fachamtsleiter des DFB-Gaus XIII) an Diderich (DFBKreisjugendwart), 18.12.1935 (Abschrift). LASp, T 7, Nr. 7: Korrespondenz zwischen Vereinsführer Schwarz, DT-Bezirksführer Bieger, DT-Gaufachamtsleiter/DT-Gauführer Sommer, DFB-Gaufachamtsfachleiter Raßbach und DFB-Kreisjugendwart Diderich, 1935/36. POMMERIN, „Sterilisierung“, 28. KOLLER, ‚Von Wilden‘, 207–261; MASS, Weiße Helden, 71–120; WIGGER, Die „Schwarze Schmach“.
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als „Rheinlandbastarde“ und „schwarze Schande“ ausgegrenzt und als Jugendliche in der NS-Zeit zwangssterilisiert.224 An der „Schwarze Schmach“Propaganda hatten sich so disparate Kräfte wie der Sportfunktionär Carl Diem oder die sozialdemokratische Zeitung „Vorwärts“ beteiligt.225 Kerz ist in Nieder-Olm bis heute kein Unbekannter.226 Er überlebte das „Dritte Reich“, obwohl er von Mai 1943 bis Mai 1945 im Konzentrationslager Dachau in „Schutzhaft“ genommen worden war. Für die 23 Monate Inhaftierung erhielt er Haftentschädigung und für die Schäden an Körper und Gesundheit, die er sich unter anderem bei einem der Todesmärsche vom KZ Dachau bis Bad Tölz bei Schnee und Regen und Übernachtungen im Freien zugezogen hatte, eine Geschädigtenrente aufgrund von Erwerbsminderung.227 Nach 1945 arbeitete Kerz zunächst als Kraftfahrer und war voll in das Dorfleben integriert. Er schien keinen Groll gegen die ehemaligen Vertreter des NS-Unrechtsstaats empfunden zu haben, die im Stadtleben nun wieder das Sagen hatten. Auf Fotos aus den 1950er Jahren sieht man Kerz beispielsweise gemeinsam mit einem ehemaligen SAMann in einem Fastnachtsumzug. Kerz engagierte sich als SPD-Mitglied im Sportausschuss seiner Heimatstadt und in der Jugendarbeit des TSV Nieder-Olm, der 1955 in FSV Nieder-Olm umbenannt wurde. Vielen Bürgern der Stadt ist Kerz als langjähriger Bademeister des örtlichen Schwimmbads und durch sein Engagement im Nieder-Olmer Carneval Club bekannt. Sein Spitzname „der schwarze Bomber“ bezog sich auf die erfolgreiche Zeit, in der er als Mittelstürmer in der 1. Mannschaft des TSV/FSV Nieder-Olm Tore schoss.228 Am 6. November 1980 starb Kerz an den Spätfolgen der Inhaftierung in der NS-Zeit. Ein Vierteljahrhundert später, im April 2005, fasste der Gemeinderat der damaligen Ortsgemeinde den Beschluss, die neu gebaute Dreifeldhalle nach Kerz zu benennen. Es ist vor allem der Initiative des sozialdemokratischen Stadtbürgermeisters Dieter Kuhl zu verdanken, dass Kerz zu einem festen Bestandteil der Nieder-Olmer Erinnerungskultur wurde. So ließ Kuhl eine Gedenktafel für den Verfolgten des Nationalsozialismus im Eingangsbereich der HeinzKerz-Sporthalle enthüllen. Ähnlich wie im TSV Nieder-Olm verliefen die Konfliktlinien im Sportverein Bann. Hier spielte ein Jude gemeinsam mit SA-Anwärtern bis Ende 1933 in einer Fußballmannschaft. Der fanatische Kreisvertrauensmann für Landstuhl, der zwecks Überprüfung dieses ihm zugetragenen Sachverhalts zu einem Spiel nach 224 225 226
227 228
POMMERIN, „Sterilisierung“, 77–84; AITKEN/ROSENHAFT, Black Germany, 264–271; MASS, Weiße Helden, 277–288. KOLLER, ‚Von Wilden‘, 225, 215f. Dazu und zum Folgenden MÜMPFER, Gedenktafel; Erinnerungstafel auch ein Mahnmal. Namensgeber der Nieder-Olmer Heinz-Kerz-Sporthalle geehrt, in: Nachrichtenblatt Verbandsgemeinde Nieder-Olm, Rheinhessen, Jg. 21, Nr. 20, 15.5.2015, 1, www.vg-niederolm.de/vg_niederolm/Aktuelles/Nachrichtenblatt/Archiv%202014/NA202014.pdf (Zugriff am 25.12.2015). LASp, J 10, Nr. 5338. Zum Vorhergehenden Informationen von Peter Weisrock, Nieder-Olm; Stadtbürgermeister Dieter Kuhl, Nieder-Olm; Interessengemeinschaft Geschichte Nieder-Olm.
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Bann bei Landstuhl gereist war, verwies mit der Unterstützung des Ortsgruppenleiters der NSDAP den jüdischen Spieler des Platzes. Gleichzeitig zog er dessen Spielerpass ebenso ein wie die Spielerpässe der SA-Anwärter. Der Ortsgruppenleiter und der Kreisvertrauensmann handelten sich dafür „Beschimpfungen der Spieler und sonstigen Vereinsangehörigen“ ein, was sie als „kommunistische Versumpfung dieses gleichgeschalteten Sportvereins“ interpretierten. Schließlich wurde der SV Bann „wegen politischer Unzuverlässigkeit“229 von Kreisleiter Knissel aufgelöst. In diesem Kontext betonte Sommer gleichwohl, dass der DFB im Unterschied zur DT das „Arierprinzip“ noch nicht eingeführt habe. „Wir können also einem Juden nicht die Teilnahme an einem Fussballspiel als Angehöriger des DFB verbieten“. Deshalb müsse in diesem Fall „auf die SA-Leute ein Druck ausgeübt werden“,230 aus der Mannschaft auszutreten. In anderen Turn- und Sportvereinen der Pfalz herrschte noch im Jahr 1936 eine nicht unerhebliche Unsicherheit, wie sie mit ihren jüdischen Mitgliedern umgehen sollten. Zu diesen Irritationen trugen nicht nur die unterschiedlichen Vorgaben des DRL und DFB einerseits sowie der DT andererseits in erheblichem Maß bei, sondern auch das Faktum, dass der 1933 von der DT gefasste „Arierergrundsatz“ noch schärfer gefasst worden war als das zum Komplex der „Nürnberger Gesetze“ gehörende Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935.231 Die Arisierungspolitik der Turner war selbst nach den Normen des NS-Staates formal rechtswidrig.232 Mit dem „Arierparagrafen“ hatte die DT ihre nicht„arischen“ Mitglieder demzufolge „schlechter behandelt […] als der nationalsozialistische Staat“233 in seinen Rassegesetzen. Denn nach dem „Arierparagrafen“ der DT waren Mitglieder auszuschließen, die von einem jüdischen Großelternteil abstammten. Nach § 5, Abs. 1 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz war Jude, wer von mindestens drei jüdischen Großeltern abstammte; Juden waren nur Staatsbürger, keine Reichsbürger. Zwei volljüdische Großelternteile definierten nach § 2, Abs. 2 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz den „Halbjuden“ oder „jüdischen Mischling ersten Grades“, der noch als Reichsbürger galt. „Sonstige Anforderungen an die Reinheit des Blutes“,234 die über das Reichsbürgergesetz hinausgingen, bedurften der Zustimmung des Reichsministers des Innern. Erst nach der Gründung des NSRL im Dezember 1938 wurde den Turn- und Sportvereinen gestattet, „im Einzelfall schärfere Anforderungen an die Reinheit des Blutes zu stellen[,] als in § 5 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vorgesehen sind.“235 229 230 231 232 233 234 235
LASp, T 7, Nr. 2: Jürgens an Sommer, 15.12.1933. LASp, T 7, Nr. 2: Sommer an Jürgens, 18.12.1933. Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14.11.1935, in: RGBl, Teil I, Nr. 125, 14.11.1935, 1333f. BERNETT, Der jüdische Sport, 23–37. BERNETT, Der jüdische Sport, 35. Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14.11.1935, § 6, Abs. 2, in: RGBl, Teil I, Nr. 125, 14.11.1935, 1334. BArch, NS 6/329, 160f.: Reichsminister des Innern an Reichssportamt, Betr. Auswirkung der Nürnberger Gesetze auf Sportvereine, 11.12.1939 (Abschrift).
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Deshalb bemühte sich ein Sportler aus Frankenthal mit zwei jüdischen Großeltern, der 1933 aus dem örtlichen Turnverein 1846 ausgeschlossen worden war, zweieinhalb Jahre später um Aufnahme in einen Turn- oder Sportverein. Er war berufsbedingt nach Nürnberg gezogen und berief sich darauf, dass er als „jüdischer Mischling“ aufgrund des Reichsbürgergesetzes Mitglied der Deutschen Arbeitsfront (DAF) werden konnte und ihm dies auch im Vereinssport nicht verwehrt werden könnte. Obwohl ihm aufgrund des Vereinsausschlusses „der Sport fehlt und abgeht“, wünschte er seinem „lb. alten TV weiter viel Glück und Erfolg“ und ließ „alle alten Freunde“236 grüßen. Die DRL-Ortsgruppe Frankenthal und der Bezirksbeauftragte des Reichsportführers für den Bezirk Pfalz verständigten sich darauf, „dass gegen eine Aufnahme des Fragestellers in die Vereine des DRfL und damit auch in die DT rein rechtlich betrachtet keine Einwendungen erhoben“ werden könnten, damit „aber die Frage offen [bleibe], ob die Aufnahme von jüdischen Mischlingen in die Vereine des DRfL erwünscht“237 sei. Es sei „in das Ermessen der Vereinsführer des DRfL gestellt[,] Juden aufzunehmen oder nicht.“ Da jedoch „die DT schärfere Bestimmungen getroffen“ habe als das Reichsbürgergesetz von 1935, sei „die Aufnahme von Juden in Turnvereine nicht erwünscht.“238 Im Gegensatz zum Turnverein Frankenthal nahmen andere Turn- und Sportvereine in dem kleinen Zeitfenster vor den Olympischen Spielen 1936 bereits ausgeschlossene, „nichtarische“ Athleten wieder als Mitglieder auf oder ermöglichten ihnen die Teilnahme an den Wettkämpfen und Meisterschaften des bürgerlichen Sports.239 Dabei stand der Sportbund „Schild“ im Reichsbund jüdischer Frontsoldaten mit dem DFB in Verhandlungen über die Modalitäten der Wiederaufnahme ausgeschlossener jüdischer Fußballspieler; gleichzeitig waren zu dieser Zeit vom DFB organisierte Freundschaftsspiele zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Mannschaften in freundschaftlicher Atmosphäre wieder möglich, eine Praxis, die unmittelbar nach Abschluss der Olympischen Spiele sogleich untersagt worden war. Der Turnverein Frankenthal und die regionale Sportadministration stellten den von der DT im Frühjahr 1933 erlassenen „Arierparagrafen“ über das Reichsbürgergesetz. Es ist erstaunlich, dass ein Sportler mit zwei jüdischen Großeltern gegen den „Arierparagrafen“ der Turner mit den Rassengesetzen des NS-Staats argumentierte und juristisch gesehen im Recht war. Denn ein Gutachten des Rechtsreferenten der Reichssportführung hatte den radikalen „Arierparagrafen“ der DT-Satzung mit Wirkung vom 1. Januar 1936 als rechtswidrig, als mit dem Reichsbürgergesetz unvereinbar und damit nichtig erklärt.240 Bei dem genannten Sportler, der aus dem Frankenthaler Turnverein ausgeschlossen worden war, handelte es sich um keinen Unbekannten, sondern um den 236 237 238 239 240
LASp, T 7, Nr. 5: Hölz an Letzelter, 6.2.1936 (Abschrift). LASp, T 7, Nr. 5: DRL-Ortsgruppe Frankenthal an Sommer, 18.4.1936. Sommer an DRL-Ortsgruppe Frankenthal, 22.4.1936. Dazu und zum Folgenden WAHLIG, Sport im Abseits, 62–64, 83–86. NÜRCK, Arier-Paragraph.
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im Jahr 1913 in Frankenthal geborenen kaufmännischen Angestellten Kurt Hanns Hölz. Er verzog im November 1936 für wenige Wochen von Nürnberg nach Kaiserslautern und arbeitete seit diesem Jahr für die G.M. Pfaff AG, vor allem in Vertrieb und Marketing. 1965 war er wieder in Kaiserslautern gemeldet, stand als geschäftsführender Direktor im Dienst der Pfaff Industriemaschinen GmbH oder übte andere betriebliche Funktionen aus.241 Die treibenden Kräfte, die sich in der Pfalz für den Ausschluss „nichtarischer“ Sportler engagierten, waren häufig die Kreisleiter und Ortsgruppenleiter sowie andere politische Führer der NSDAP, die auf die Sportvereine Druck ausübten, sich ihrer jüdischen Mitglieder zu entledigen. Im ganzen Deutschen Reich reagierten die Funktionäre teils mit Ratlosigkeit und Unsicherheit, teils aber auch mit ängstlichem Konformismus und obrigkeitshörigem Opportunismus, teils nahmen sie die neuen Vorschriften nicht nur hin, sondern versuchten, sie zu antizipieren, und starteten – vor allem auf Verbandsebene – einen Wettlauf um die Gunst der neuen Machthaber.242 Unsicherheit und Unkenntnis waren beispielsweise in Ludwigshafen im September 1933 dafür ausschlaggebend, dass bei einem SA-Sportfest die Mitglieder des Rudervereins in relativ geringer Zahl vertreten waren, „weil sie sich nicht der Gefahr aussetzen wollten, hinter der Hakenkreuzfahne in Reih und Glied mit ihren Judenmitgliedern marschieren zu müssen.“243 Die Vereinsführung des Rudervereins und sogar der zuständige Kreisvertrauensmann waren ratlos und suchten beim Bezirksbeauftragten des Reichssportführers Klarheit zu erlangen. Dabei hatte der Deutsche Ruderverband die Richtung längst gewiesen, denn ab Mai 1933 durften Rudervereine nur noch Sportler „arischer“ Abstammung aufnehmen, wobei auf die noch vorhandenen jüdischen Mitglieder die Bestimmungen des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums anzuwenden waren.244 Den Rudersportlern in Ludwigshafen schien dies vier Monate später noch nicht bekannt gewesen zu sein. Derartige Vorfälle im Jahr 1933 zeigen nicht nur, dass sich die jüdischen Mitglieder der Turn- und Sportvereine es sich teilweise noch nicht bewusst gemacht hatten, was von dem nationalsozialistischen Unrechtsregimes zu erwarten war; darüber hinaus erwiesen sich die lokalen Vereine und die Behörden auf Kreisebene in verschiedenen Fällen als verunsichert, wie mit jüdischen Vereinsmitgliedern umzugehen war. Diese Verunsicherung in der „Arierfrage“ prägte in der Frühphase der „ersten Gleichschaltung“ auch die Haltung der Frankfurter Eintracht und der SpVgg Fürth.245 Weltanschauliche Fanatiker waren auf Seiten des Sports weniger oft am Werk als gebannt auf Vorschriften und Regeln starrende Funktionäre. 241 242 243 244 245
Kurt Hanns Hölz 60 Jahre, in: Die Rheinpfalz, 6.11.1973; StadtAN, Meldekarte. BERNETT, Der jüdische Sport, 18–37, 124–135 (Dokumente). LASp, T 7, Nr. 3: Messerschmidt (Kreisvertrauensmann für den Verwaltungskreis Ludwigshafen-Stadt) an Sommer, 22.9.1933. BERNETT, Der jüdische Sport, 21, 124 (Dok. 1); Beitrag BAHRO, in diesem Band S. 120–122. THOMA, „Wir waren die Juddebube“, 48; Beitrag MAU, in diesem Band S. 39–42.
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Abb. 7: Protokollbuch für den Stadtverband für Leibesübungen Kaiserslautern 1926– 1933, Protokoll vom 2. Mai 1933, Tagesordnung, Repro: Stadtarchiv Kaiserslautern, AB 16/035, 221.
Einen weiteren Hinweis in diese Richtung kann man dem „Protokollbuch für den Stadtverband für Leibesübungen“246 der Stadt Kaiserslautern entnehmen. In der letzten Sitzung am 2. Mai 1933 behandelte „Herr Ostermeyer“247 unter Punkt 3 der Tagesordnung (Abb. 7), der eigentlich der Einführung des Wehrsports zugedacht war, „in ausführlicher Weise die Gleichschaltung der Juden in den betreffenden Vereinen“. Da der Versammlung „die Sache zu umfangreich“ zu sein schien, „wurde die Angelegenheit in die private Wohnung von Herrn Dr. Koressel [sic] bestimmt“. Was dort besprochen oder beschlossen wurde, ist nicht bekannt. Denn es ist die letzte protokollierte Sitzung des Verbandes (Abb. 8). Dass der Kaiserslauterer Stadtverband für Leibesübungen die jüdischen Mitglieder der örtlichen Turn- und Sportvereine offensichtlich nicht ausschließen, sondern durch „Gleichschaltung“ in den neuen Staat integrieren wollte, ist schwer verständlich. Zumal dieser Vorschlag der Strategie des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten entspricht, der auf die Integration der Juden in den neuen Staat drängte. Jedenfalls zielte die Politik des Reichsbundes, der dafür sogar das „Führerprinzip“ auf allen Ebenen eingeführt hatte, darauf ab, „die durch Arbeits246 247
Die folgenden Zitate dieses Abschnitts StadtAKL, AB 16/035: Protokoll 2.5.1933, 228. Höchstwahrscheinlich handelt es sich bei „Herr[n] Ostermeyer“ um Ludwig Ostermayer, den oben genannten Funktionsträger des Turnvereins 1861 Kaiserslautern.
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Abb. 8: Protokollbuch für den Stadtverband für Leibesübungen Kaiserslautern 1926– 1933, Protokoll vom 2. Mai 1933, Tagesordnungspunkt 3, Repro: Stadtarchiv Kaiserslautern, AB 16/035, 228.
dienst und Wehrsport ertüchtigte jüdische Jugend als geschlossenen Block der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft einzugliedern.“248 Dass ausgerechnet „Sportkommissar“ Coressel und „Dietwart“ Ostermayer die Juden in deren angestammten Vereinen „gleichschalten“ wollten, scheint eher unwahrscheinlich, könnte jedoch Ausdruck einer damals noch bestehenden Verunsicherung gewesen sein, die sich auch bei der Behandlung des Themas Wehrsport zeigte.249 Der zitierte Unterpunkt „Betreffs Gleichschaltung der Juden“ in der Tagesordnung wirft mehr Fragen auf, als er Klarheit schafft, zumal die weitere Erörterung des Themas aus dem öffentlichen Raum der Verbandssitzung in die Privatwohnung eines ausgewiesenen Gleichschaltungsaktivisten verlegt und vertagt worden war. In Eugen Sommers Korrespondenz mit den Kreisbeauftragten seines Bezirks ist darüber hinaus ein Fall von „Konkurrenzantisemitismus“250 dokumentiert. 248 249 250
BERNETT, Der jüdische Sport, 54; vgl. WAHLIG, Sport im Abseits, 125–129. StadtAKL, AB 16/035: Protokoll, 20.3.1933, 220, 228; StadtAKL, AB 80/013, 72: Protokoll 1.7.1933; dazu unten Abschnitt 4.4. HERZOG, Sportwissenschaft, 713–716.
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Diese Variante des Antisemitismus war nicht rassistisch motiviert, sondern wurzelte in Emotionen wie Neid und Eifersucht sowie Angst vor der angeblichen Dominanz der Juden in gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Bereichen. So stilisierte sich der Kanuclub Frankenthal als Opfer in der Konkurrenz mit anderen lokalen Vereinen, die in der Zeit der Weimarer Republik Juden als Mitglieder zugelassen hätten. Gleichwohl versuchte der Kanuclub damit lediglich die wahren Gründe seiner schlechten Bilanzen zu verschleiern, wenn er sich damit brüstete, dass er „vor der nationalen Revolution der einzige Verein in Frankenthal“ gewesen sei, „der trotz seiner finanziellen Lage die Aufnahme von Juden abgelehnt und dadurch in die Reihen seiner Mitglieder nationalsozialistisches Ideengut hineingetragen“251 habe und bereit gewesen sei, für diese Haltung wirtschaftliche Nachteile in Kauf zu nehmen. Der Sportclub mobilisierte antisemitische Ressentiments, um seine finanzielle Misswirtschaft nicht nur zu verschleiern, sondern obendrein als politisch legitimiert zu überhöhen. Sportvereine, die in Frankenthal vor 1933 jüdische Mitglieder aufgenommen hatten, wurden damit in der Rückschau als Konkurrenten stilisiert, von denen sich der Kanuclub distanzierte. 4.4. Unsicherheiten bei der Einführung des „Wehrsports“
Auch bezüglich der für 1933 erwarteten Einführung von „Gelände- und Wehrsport“, von dem in der Frühphase der „ersten Gleichschaltung“ angenommen wurde, dass er in den bürgerlichen Turn- und Sportvereinen „in Zukunft weitgehende Förderung und Pflege erfahren“252 würde, bestanden nicht nur in der Pfalz erhebliche Unsicherheiten. In Kaiserslautern gab der Stadtverband für Leibesübungen die Losung aus: „Bevor zur Gründung von solchen Abteilungen geschritten werden soll, müssen zunächst die Richtlinien der Regierung abgewartet werden.“253 Vorsichtshalber wurden jedoch, um nichts dem Zufall zu überlassen, erste Schritte unternommen, „auf dem Gelände südlich der Papiermühle eine Übungsbahn erstehen zu lassen“. Diese Unklarheiten waren jedoch alsbald beseitigt. Denn nach der RöhmAffäre gelang es der SA, dem ihr drohenden Funktionsverlust entgegenzutreten und von nun an den Wehrsport als Betätigungsfeld intensiv zu nutzen. Dies lag insofern nahe, als die SA ursprünglich als „Turn- und Sportabteilung“ der NSDAP gegründet worden war.254
251 252 253 254
LASp, T 7, Nr. 4: Mühlberger an DRL-Reichsführung, 11.1.1938. Dieses Zitat und die folgenden Zitate StadtAKL, AB 16/035: Protokoll, 20.3.1933, 220. StadtAKL, AB 16/035, 228: Protokoll 2.5.1933; StadtAKL, AB 80/013, 72: Protokoll 1.7.1933. EISENBERG, „English sports“, 391–394; BERNETT, Der Weg des Sports, 57f.; DERS., Untersuchungen, 39–49; TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 29–35, 100–104.
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4.5. „Gleichschaltung“ als Modernisierung der Infrastruktur des Sports
Die Versuche zur Lösung der finanziellen Misere zahlreicher Turn- und Sportvereine, die Bekämpfung ideologisch missliebigen kirchlichen und parteipolitischen Einflusses auf das Sportleben und die rassistische Bereinigung der Turnund Sportbewegung hatten wichtige Handlungsfelder vor allem während der „ersten Gleichschaltung“ des Sports gebildet. In der Phase der „zweiten Gleichschaltung“ brachten die Gau- und Kreisleitungen und die Ortsgruppenführungen der NSDAP einerseits sowie die Bürgermeister, Landratsämter und Kommunalverwaltungen andererseits dem Leistungssport und seinen Wettbewerben in Gestalt einer aktiven Sportpolitik ein massiv steigendes Interesse entgegen. Die Politik investierte in der Pfalz nun in verstärktem Maß in Spielfelder und Sportplatzanlagen, beispielsweise in Bad Dürkheim, Ludwigshafen, Homburg und Speyer,255 und plante Stadionbauten wie etwa in Kaiserslautern. Bemerkenswert ist in diesem Kontext der Arbeitsbericht 1937 des für den Kreis Ostpfalz zuständigen Kreisbeauftragten, der starke Änderungen für „die Neuorganisation im Vereinsbetrieb“ skizzierte und neue Umwälzungen ankündigte. Der Bericht strich vor allem die „Initiative der Partei und der Gemeinden“ heraus, die mit dem Ziel einer Steigerung der sportlichen Leistungen und Verbesserung der finanziellen Situation der Vereine bereit waren, in die Infrastruktur des Sports zu investieren. Gleichwohl machten sie dieses wirtschaftliche Engagement für „die Schaffung neuer Sportstätten“ von neuen Gleichschaltungsmaßnahmen wie beispielsweise weiteren Zusammenschlüssen der lokalen Turn- und Sportvereine abhängig, „die ausnahmslos im Interesse der Vereine selbst lagen“,256 wie der Bericht betonte. Auf der anderen Seite ermutigten und drängten die Sportbehörden die Kommunen zu verstärkten Anstrengungen für den Sport und weckten bei ihnen das Interesse für den Erwerb von Turnhallen und Sportplätzen hoch verschuldeter oder finanziell bereits völlig ruinierter Vereine. Mit den Verkaufserlösen sollten die Vereine in die Lage versetzt werden, ihre Verbindlichkeiten zu begleichen und einen schuldenfreien Neuanfang machen zu können.257 Nicht zuletzt sollten auf diese Weise die Voraussetzungen für Fusionen geschaffen werden, um finanziell überlebensfähige Vereine mit sportlich schlagkräftigen Mannschaften auf die Beine zu stellen. Durch das politische Engagement der Städte und Kommunen sollten bisher teilweise unüberwindlich erscheinende Hindernisse für Vereinszusammenschlüsse ausgeräumt werden, denn die wirtschaftlich besser gestellten Vereine waren oftmals nicht sonderlich daran interessiert, für die Überschuldung oder Insolvenz eines Fusionspartners in die Pflicht genommen werden.258 So waren beispiels-
255 256 257 258
LASp, T 7, Nr. 4: Mühlberger, Vierteljahresbericht 4.2.1939–6.5.1939. Dieses Zitat und die vorhergehenden Zitate LASp, T 7, Nr. 4: Mühlberger, Jahresbericht 1937. LASp, T 7, Nr. 5: Korrespondenz zu TV 1880 Edesheim. Zur diesbezüglichen Situation in Saarbrücken MENZEL, Fußball und Fusionen (freundlicher Hinweis von Bernd Reichelt, Riedlingen).
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weise die in Obermoschel, Hassloch, Dirmstein, Speyer oder Großbockenheim259 angestrengten Zusammenschlüsse durch die finanziellen Lasten einer fusionswilligen Partei blockiert. Doch nachdem unter den Herrschaftsstrukturen des NSStaats die im Vereinsrecht festgeschriebenen Normen leicht umgangen werden konnten, hatten die politischen Funktionsträger vor Ort alle Möglichkeiten, „reinen Tisch“ zu machen. So konnten beispielsweise in Hassloch alle Hindernisse wie etwa die Schuldenfrage, der Widerstand der „Vereinsmeier“ und anderer „bissige[r] Menschen“ sowie die „Feindschaft zwischen beiden Hauptvereinen“ durch das Engagement des NSDAP-Ortsgruppenleiters Oswald Damian (geb. 1892)260 ausgeräumt werden.261 Bei solchen mit Fusionen einhergehenden Gleichschaltungsvorgängen spielte die lokale und regionale Politik häufig eine nicht zu unterschätzende Rolle. In zahlreichen Fällen wurden Bürgermeister und städtische Beigeordnete mit dem Posten des Vereinsführers für ihre sportbezogenen Aktivitäten belohnt.262 Der Südwesten schien mit dem Trend zur Politisierung der Vereinsvorstände eine Vorreiterrolle gespielt zu haben. Dies jedenfalls legte ein in „Der Kicker“ publizierter Leserbrief nahe, der darauf hinwies, dass in Frankenthal Bürgermeister Hans Scholl (1902–1949)263 im November 1937 die Führung des Vereins für Rasenspiele übernommen und sich mit einer Fusion, dem Ausbau des Sportfeldes sowie der Verpflichtung eines Sportlehrers verdient gemacht habe. Der Leserbrief resümierte, dass „diesem Beispiel im Gau Saarpfalz noch weitere Bürgermeister gefolgt“ seien „und die Führung ihrer ortsansässigen Vereine an sich gezogen“264 hätten. 259
260
261 262 263 264
LASp, T 7, Nr. 6: Korrespondenz zwischen Sommer und Eckstein, Februar bis Juli 1938 über eine Initiative der HJ und des NSDAP-Zellenleiters, in Obermoschel den Turnverein mit dem lokalen Sportverein zusammenzuschließen; LASp, T 7, Nr. 6: Sommer an Vereinsbuchhaltung der Reichsführung des DRL, 20.10.1937 (zu Hassloch); LASp, T 7, Nr. 4: Mühlberger an Sommer, 23.10.1937 (zu Dirmstein); LASp, T 7, Nr. 4: Mühlberger an den Oberbürgermeister der Stadt Speyer, 25.8.1937: „Einigung im Speyerer Sportleben – Schaffung eines städt. Stadions“; LASp, T 7, Nr. 4: Mühlberger an Kreisfachamtsleiter Krämer, 4.9.1936: „Sportplatzanlage in Großbockenheim“. Von Beruf war Damian Lehrer und Schulrektor, Schulrat und Bezirksschulrat; 1929 Eintritt die NSDAP, 1931–1940 Ortsgruppenleiter (seit 1933 auch Mitglied des Gemeinderats) in Haßloch, 1935–1940 Kreiswalter des NS-Lehrerbundes. Mit Spruchkammerbescheid vom 11. Januar 1951 wurde er in „Gruppe II der Belasteten“ eingereiht, in der Urteilsbegründung als „fanatischer Nazi“ qualifiziert, der in Haßloch an den Novemberpogromen gegen Juden beteiligt war, und in den Ruhestand versetzt. Darüber hinaus wurden ihm etliche Sühnemaßnahmen auferlegt. In Gerichtsverfahren wurde er darüber hinaus wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und anderer Straftaten zu Freiheitsstrafen verurteilt: LASp, H 14, Nr. 71; LASp, H 91, Nr. 61 und 11010; LASp J 72, Nr. 341 und 359. LASp, U 257, Nr. 10487: Ortsgruppenleiter Damian an Kreisleitung der NSDAP Neustadt, 20.1.1937. LASp, T 7, Nr. 6: Sommer an Bürckel, 7.1.1938. Zu Scholl MAIER, Organisationshandbuch, 422f. Der Kicker, Nr. 17, 25.4.1939, 13; Nr. 18, 2.5.1939, 39 (Leserbrief); vgl. Der Kicker, Nr. 48, 30.11.1937, 9. – Zur Fusion in Frankenthal HERZOG, Der „Betze“, 89f.
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Selbst Gauleiter Josef Bürckel erschien in den Medien als Vereinsgründer und Fusionsaktivist. Am 9. November 1933 soll er einer Pressenotiz zufolge die Turngesellschaft Rheingönheim (bei Ludwigshafen) gegründet haben. Das damals „begonnene Werk einer Versöhnung der früheren Klassengegensätze und der Anbahnung einer wirklichen Volksgemeinschaft in hiesiger Gemeinde“ fand demzufolge im Februar 1934 insofern „seine Krönung“, als die Bürckel’sche Turngesellschaft mit dem Turnverein, dem FC Arminia, dem Stemm- und Ringklub und den Mitgliedern des ehemaligen DJK-Vereins zur Turn- und Sportgemeinde Rheingönheim fusionierte.265 Doch lassen andere Quellen Zweifel an dieser Darstellung aufkommen. Denn die Festschrift zum 100. Gründungsjubiläum des Vereins druckte die Reprografie eines zeitgenössischen Aufrufs zum Zusammenschluss aller Turn- und Sportvereine Rheingönheims ab, der eine „Turn-Gesellschaft“ unter der Leitung „des Führers Gauleiter Bürckel“ zwar nennt, aber dessen Beteiligung an einer Vereinsgründung mit keinem Wort erwähnt. Auch die Festschrift selbst schweigt sich darüber aus.266 Gleichwohl hielt sich Bürckel kurz nach dem 9. November 1933 zu einer Kundgebung in Rheingönheim auf, die in den beiden Turnhallen und im Wirtshaus zum Löwen stattfand, an der auch Friedrich Schwitzgebel und der SA-Mann und Reichstagsabgeordnete Rudolf Röhrig (1903–1970)267 teilgenommen hatten – doch ist auch in einem diesbezüglichen, zeitgenössischen Artikel der Lokalpresse weder von einer Gründung der Turngesellschaft durch den Gauleiter noch von irgendeiner anderen Beteiligung Bürckels an diesbezüglichen sportpolitischen Maßnahmen die Rede.268 Möglicherweise stand die November-Kundgebung in Zusammenhang mit den Schwierigkeiten der Ortsgruppe der NSDAP Rheingönheim, den lokalen Großverein zu gründen, um auf diesem Weg die in mehrere Vereine aufgesplitterte lokale Sportkultur zu zentralisieren und zu kontrollieren. Bereits wenige Monate nach der Kundgebung stand die Konkurrenz des bürgerlichen Vereinssports mit dem Betriebssport auf der Agenda der Sportverwaltung. Im Mai 1934 beschwerte sich die TSG beim Bezirksbeauftragten des Reichssportführers über die Werkssportgemeinschaft „Giulini“, die aufgrund besserer finanzieller Möglichkeiten und einer guten Infrastruktur, mit niedrigen Mitgliedsbeiträgen und aggressiver Plakatwerbung anderen Vereinen die Mitglieder angeblich abjagte.269 Die von der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ der Deutschen Arbeitsfront (DAF)270 in Firmen, Fabriken und anderen Wirtschaftsunternehmen organisierten Sportangebote wurden von den bürgerlichen Sportvereinen generell mit 265 266 267 268 269 270
Zusammenschluß in Rheingönheim, in: NSZ Rheinfront (West), 24.2.1934. MARCAUX, 100 Jahre, 92f. Zu Röhrig MAIER, Organisationshandbuch, 388–390. Kundgebung zum 12. November, in: General-Anzeiger Ludwigshafen a.Rh. (Aus der Pfalz), 11.11.1933. LASp, T 7, Nr. 3: Turn- und Sportgemeinde Rheingönheim an Sommer, Rheingönheim, 4.4.1934; Werksportgemeinschaft „Giulini“ an Messerschmidt, Ludwigshafen, 3.5.1934. Dazu BERNETT, Nationalsozialistischer Volkssport; REICHEL, Der schöne Schein, 309– 327.
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Argwohn beäugt. Dies galt auch für die Mannschaften der Reichsbahn- und Postsportvereine sowie anderer Firmen-, Behörden- und Werkssportvereine, die an den Ligawettbewerben teilnahmen. Diese Vereine stießen beim DRL auf Ablehnung, sie wurden als Konkurrenten wahrgenommen, erregten Neid, weil sie mit niedrigen Mitgliedsbeiträgen, besseren finanziellen Möglichkeiten, einer in vielen Fällen guten sportlichen Infrastruktur, günstigen bis kostenlosen Reisemöglichkeiten (Reichsbahnsportvereine) und aggressiven Werbemaßnahmen neue Mitglieder warben, auch wenn es sich bei diesen nicht um Betriebsangehörige gehandelt hatte.271 Anders entwickelten sich die Verhältnisse in Neustadt an der Weinstraße, wo ein kommunaler Großverein derartigen Zwist schlagartig beendete. Ebenso wie „in Frankenthal und vielen kleineren Orten“272 wurde unter der Führung des Stadtoberhauptes ein kommunaler Großverein gebildet. Auch der gesamte Standort der HJ und der Wehrmacht wurden eingegliedert. Gekrönt wurde dieser Prozess der sportlichen Zentralisierung und politischen „Gleichschaltung“ durch den Um- und Ausbau des Stadions mit einem finanziellen Aufwand in Höhe von 170.000 RM. Schon 1934 hatte der Bezirksbeauftragte Sommer verkündet, „dass das Ziel des RfL dahin gehe, an jedem Ort einen Grossverein mit verschiedenen Gliederungen zu haben.“273 – Dass Sommer in diesem Kontext mit „Gliederung“ einen für die Organisation der NSDAP einschlägigen Terminus verwendet, ist sicher kein Zufall. Eine Eingabe an den Oberbürgermeister der Stadt Speyer resümierte im August 1937: „Fast alle Städte in der Pfalz sind in den letzten Jahren dazu übergegangen, eigene Sportstätten in Form von Stadien zu schaffen.“274 Derartige Anstrengungen der Bürgermeisterämter zur Sanierung sowie zum Aus- und Neubau von Schwimmbädern, Sportanlagen und Turnhallen sind über die genannten Beispiele hinaus beispielsweise auch aus Herxheim, Ingenheim, Lachen-Speyerdorf und Waldfischbach überliefert.275 Diese Symbiose zwischen politischen und 271
272 273 274 275
LASp, T 7, Nr. 2: Niederschrift über die Sitzung der Kreisvertrauensleute für Turnen und Sport in Neustadt, 23.9.1934; LASp, T 7, Nr. 5: Sommer an Lindenberg (Gausportamt des Sportgaus Pfalz-Saar der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ in der Deutschen Arbeitsfront), 17.2.1936; Mühlberger an Sommer, 13.2.1936; Lindenberg an Sommer, 6.2.1936; vgl. auch LASp, T 7, Nr. 3: Korrespondenz zur Werkssportgemeinschaft „Giulini“ Ludwigshafen; LASp, T 7, Nr. 4: Mühlberger an DRL-Gauamt Frankfurt, 5.1.1938, sowie an den Vereinsführer des Postsportvereins Ludwigshafen, 4.1.1938; LASp, T 7, Nr. 5: Raßbach an Postsportverein Ludwigshafen, 17.10.1935; LASp, T 7, Nr. 6: Sommer an Bürckel, 7.1.1938. LASp, T 7, Nr. 4: Mühlberger, Jahresbericht 1937. LASp, T 7, Nr. 2: Niederschrift über die Sitzung der Kreisvertrauensleute für Turnen und Sport in Neustadt, 23.9.1934. LASp, T 7, Nr. 4: Mühlberger an den Oberbürgermeister der Stadt Speyer, 25.8.1937: „Einigung im Speyerer Sportleben – Schaffung eines städt. Stadions“. LASp, T 7, Nr. 6: Bürgermeister der Gemeinde Herxheim bei Landau an DRL, Gau XIII Südwest (Frankfurt am Main), 28.12.1937 (Antrag auf Zuschuss für Freibad im Ritter von Epp-Stadion Herxheim); LASp, T 7, Nr. 6: Bürgermeister der Gemeinde Ingenheim
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sportlichen Interessen ist nichts spezifisch Nationalsozialistisches. Denn als der in Verbänden organisierte Vereinsfußball nach dem Ersten Weltkrieg zu einem populären Massen- und Medienphänomen aufgestiegen war, wurde er zunehmend als enorm anpassungsfähiger Inszenierungsraum276 für die unterschiedlichsten politischen Botschaften genutzt, wobei er seinerseits von Gegenleistungen wie Subventionen, Steuererleichterungen und Investitionen der öffentlichen Hand in die Infrastruktur des Sports profitierte und seine autonomen Eigeninteressen ebenso pragmatisch wie erfolgreich wahrzunehmen verstand. Diese Entwicklung intensivierte sich nach der „Machtergreifung“ der NSDAP ganz enorm. So wurden, wie gesagt, in vielen Fällen, beispielsweise im Zuge der Fusionspolitik, lokale Bürgermeister zu Vereinsführern gekürt.277 Dass in Kaiserslautern mit Bürgermeister Carl Allbrecht (1890–1964)278 ein NS-Lokalpolitiker (Abb. 9) die Führung des FCK übernommen hatte, könnte aber noch einen anderen Hintergrund gehabt haben. Denn die oben skizzierte Entwicklung hatte in der Stadt an der Lauter eine andere als die von der Gau- und Kreisleitung der NSDAP gewünschte Richtung genommen. Der ursprüngliche Plan, „eine einzige Sportorganisation am Orte zu schaffen,“279 ist trotz aller parteiamtlichen Anstrengungen ebenso gescheitert wie die Realisierung der Vision von Oberbürgermeister Imbt zur Errichtung einer gigantischen Sportplatzanlage in den Jahren 1938/39. Möglicherweise fungierte Allbrecht, von Beruf Teppichhändler (Abb. 10) und ausgewiesener Anhänger und Interessenvertreter des FCK,280 als eine Art „Schutzpatron“,281 der nach der Devise „Erst der Club, dann die Partei“282 gehandelt hat und damit ein Beispiel für die polykratischen Verhältnisse der nationalsozialistischen Sportpolitik auf kommunaler Ebene liefert. Gleichwohl ging der Trend bereits während der „ersten Gleichschaltung“ dahin, die Anzahl der ortsansässigen Turn- und Sportvereine zu reduzieren und Neugründungen nur dann zu dulden, wenn sie aus einem Zusammenschluss von zuvor aufgelösten Vereinen hervorgegangen waren. In diesem Sinn waren die Fusionen der Kaiserslauterer Schwimmsportvereine und der Turnvereine ein Etappensieg der NSDAP.
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an Reichssportamt Berlin, 22.1.1938 (Bitte um Zuschuss, ausführliche Pläne sind beigefügt); LASp, T 7, Nr. 6: Korrespondenz zwischen dem Bürgermeister von LachenSpeyerdorf und Sommer (wg. Sportplatz und Schwimmbad); LASp, T 7, Nr. 6: Bürgermeister der Gemeinde Waldfischbach an Sommer, 16.8.1937 (Zusammenschluss des Fußballklubs und des Turnvereins zur „Sportgemeinde Waldfischbach“ macht neue Sportplatzanlage und deren Bezuschussung erforderlich). Über „Fußball als Inszenierungsraum“ und dessen spannungsreichen Beziehungen zu vereinspragmatischen Zielen in Lothringen und dem Saarland 1919 bis 1939 REICHELT, Fußball, 274–280. Vgl. LASp, T 7, Nr. 2: Jürgens an Sommer, 23.3.1934 (TSV Landstuhl). – Dazu auch HERZOG, Der „Betze“, 108–111; DERS., Ruhm, 116–125. Zu Allbrecht HERZOG, Der „Betze“, 108–112. BArch, R 58/541, Fiche 5. LASp, R 18, Nr. A 20734: Friedrich Stumpf/Karl Benz/Walter Schneider an Allbrecht, 21.4.1948. Zu dieser „Schutzpatronage“ im Sport HERZOG, Fußball unter dem NS-Regime, 306f. HERZOG, Erst der Club, dann die Partei.
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Abb. 9: FCK-Vereinsführer und Bürgermeister Carl Allbrecht im Programmheft zum Freundschaftsspiel 1. FC Kaiserslautern gegen Lazio Rom im Stadion Betzenberg, 25. Juni 1939, Foto: Stadtarchiv Kaiserslautern, ZGD, 1. FCK.
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Abb. 10: Teppichhaus Carl Allbrecht wirbt für „Deutsche Teppiche“, Inserat in NSZ Rheinfront, 14. November 1938.
Während der „zweiten Gleichschaltung“ wurden die Turn- und Sportvereine auch in anderen Städten und Gemeinden der Pfalz von einer Welle von Auflösungen und Zusammenschlüssen erfasst. Dazu gehörten, wie Kurt Mühlbergers Arbeitsbericht über den Kreis Ostpfalz im Jahr 1937 dokumentiert, unter anderem Ludwigshafen, Frankenthal, Friesenheim, Neustadt an der Weinstraße, Bad Dürkheim, Haßloch, Oppau, Grünstadt, Weidenthal sowie Vereine in zahlreichen anderen Städten und Landgemeinden.283 Geplant waren darüber hinaus Fusionen in Speyer, Oggersheim, Freinsheim, Flomersheim und Dirmstein.284 Häufig versuchten die Funktionäre, die noch offenen Gräben zwischen Sport und Turnen durch Fusion der jeweiligen Vereine einzuebnen. So wurde in Freinsheim der Fußballverein aufgelöst und dem örtlichen Turnverein als Abteilung angegliedert.285 In vielen derartigen Fällen geben allein schon die Namen TSG oder VfL einen Hinweis darauf, dass die Vereine aus Fusionen in der NS-Zeit hervorgegangen sein könnten, was beispielsweise beim VfL Homburg oder beim VfL Bochum tatsächlich der Fall ist.
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HERZOG, Ruhm, 121–125. LASp, T 7, Nr. 4: Mühlberger an Beckerle, 24.12.1937: „Arbeitsbericht für das Jahr 1937“, S. 2. LASp, T 7, Nr. 4: Mühlberger an Sommer, 12.4.1938.
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Sepp Herberger hatte die nationalsozialistische Politik der strukturellen Modernisierung, Rationalisierung und Zentralisierung im Blick, als er am 9. Februar 1941 stichwortartig in einer seiner Akten, die er über den damaligen bayerischen Gleichschaltungs- und Fusionsaktivisten Oberhuber angelegt hatte, notierte: „Fußball-Großvereine 1) V.f.L. (keine reinen F.V. mehr)[,] 2) Zusammenlegung von Vereinen zu lebenskräftigem, leistungsstarkem Verein“.286 In vielen der oben genannten Fälle zeigen die Namen der Fusionspartner darüber hinaus, dass es den Behörden auch darum ging, die kulturellen Unterschiede und die Gegensätze der gesellschaftlichen Milieus, die sich in den Vereinen spiegelten, in der NS-„Volksgemeinschaft“ aufzuheben.287 Schicht- oder Klassenzugehörigkeit (Arbeitervereine und bürgerliche Vereine), Geschlecht (Männerturnvereine und allgemeine Turnvereine), Konfession (DJK-Vereine), Beruf (Firmen- und Behördenvereine) oder die durch Fußballclubs ausgetragenen Rivalitäten zwischen Stadtvierteln sollten ebenso eliminiert werden wie das „bürgerlich-individualistische Sportspezialistentum“ (Vereine für Fußball, Radsport, Turnen, Hockey, Schwerathletik etc.), um die „Ausbreitung eines einheitlichen Geistes“288 zu forcieren. In der NS-Zeit intensivierten sich die Beziehungen zwischen Sport und Politik auf kommunaler und regionaler Ebene ganz ungemein. In der Spätphase der Weimarer Republik war Konrad Adenauer als Oberbürgermeister der Stadt Köln noch einer der ganz wenigen einflussreichen Kommunalpolitiker,289 die ein ausgewiesenes und öffentlich bekundetes Interesse am Sport als Massenphänomen zeigten und sich auch in den Stadien sehen ließen. Ansonsten begegnete die Politik dem Sport mit einer von bildungsbürgerlichem Dünkel durchsetzten Abneigung.290 Dies änderte sich in der NS-Zeit dramatisch. Die Politiker der Massenpartei NSDAP entdeckten die vielfältigen, sich mit dem Sport bietenden Möglichkeiten für ihre persönliche Profilierung und Selbstdarstellung, für Prestigegewinn und die Propaganda ihrer politischen Ziele.291 Vor allem auf lokaler Ebene waren es NS-Politiker, die den Fußball als Bühne nutzten, auf der sie sich der Bevölkerung präsentieren, für die Medien fotografieren und als Stifter von Pokalen und Preisen bejubeln lassen konnten.292 Bernd Reichelt spricht hier mit Recht von einem „Paradigmenwechsel“.293 So ließ sich der Oberbürgermeister
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Deutscher Fußball-Bund, Frankfurt am Main, Archiv, Nachlass Josef „Sepp“ Herberger, Sachakten/Briefe (Sa/B), Nr. 289,1. – Dazu auch Beitrag REICHELT, in diesem Band S. 344. Dazu auch HERZOG, Der „Betze“, 91f.; DERS., Ruhm, 125f. Der Kicker, Nr. 22, 30.5.1933, 845f.: „Richtlinien des Reichssportkommissars“. ADENAUER, Konrad Adenauers sportpolitisches Wirken, 243–292; EISENBERG, „English sports“, 355 mit Anm. 63; EGGERS, Fußball, 74, 133f.; COURT, Die Geschichte, 26–30, 156f.; WASSONG/MOLZBERGER, Bereit für Olympia!?, 15–17, 20–22, 24–26. OSWALD, „Fußball-Volksgemeinschaft“, 152–156. BÜRGER, „Wir müssen erste Sportnation der Welt werden“. HERZOG, Der „Betze“, 122–129; DERS., „Blitzkrieg“, 81–83; DERS., Bilder, 74f.; OSWALD, „Fußball-Volksgemeinschaft“, 156–165. REICHELT, Fußball, 250.
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und Kreisleiter von Landau Dr. Erich Stolleis (1906–1986, reg. 1935–1937)294 im Jahr 1936 dafür feiern, dass er gemeinsam mit dem Vereinsführer des Turnerbundes Karl Maschemer (1889–1939) einen kommunalen Großverein aus der Taufe gehoben hatte.295 Maschemer, von Beruf Kaufmann, folgte Stolleis im Frühsommer 1937 im Amt des Bürgermeisters von Landau.296 Der Sport seinerseits profitierte von dem wachsenden Interesse der Politik, was sich im Aus- und Neubau von Sportanlagen und der Etablierung wirtschaftlich solider Strukturen sowie sportlich schlagkräftiger Vereine niederschlagen sollte. Dies bedeutete zweifelsohne einen nicht unerheblichen strukturellen Modernisierungs- und Rationalisierungsschub, in dessen Kielwasser professionellere Organisations-, Infra- und Verwaltungsstrukturen entstehen sollten. 4.6. „Der Rest wird verbittert zur Seite stehen“: Dissens zwischen politischer Führung und Sportverwaltung
Ungeachtet der Tatsache, dass das Ziel einer „Volksgemeinschaft in Leibesübungen“ und „politischen Leibeserziehung“ unumstritten war und die Modernisierungschancen der „Gleichschaltung“ für den Sport attraktiv gewesen sein mögen, gab es permanente Reibungen zwischen Partei und Sport, zwischen der politischen Führung der NSDAP und den Behörden der Sportverwaltung. Häufig waren die Turn- und Sportvereine der Willkür politischer Behörden, insbesondere der Kreisleitungen oder Ortsgruppenführungen der NSDAP, ausgesetzt. Im Fokus standen dabei immer wieder die Bemühungen, der Zersplitterung in zu viele Vereine mit einer Konzentration der Kräfte zu begegnen. Vor allem kleine Sportclubs sowie Vereine auf dem Land sahen sich in ihrer Existenz gefährdet. „Hier werden Vereine verboten und anderen [wird] mit zwangsweisem Zusammenschluß gedroht. Das ist sehr bedauerlich“,297 beklagte sich der DFB im Juli 1935 bei dem Gaubeauftragten des Reichsportführers Adolf Heinz Beckerle (1902–1976), im Hauptberuf Polizeipräsident in Frankfurt am Main (1933–1941)
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Zu Stolleis MAIER, Organisationshandbuch, 462–464. LASp, U 257, Nr. 10487: Der neue Bund für Leibesübungen marschiert! Landau als Vorbild für die Einheit im Sport. Die Abendveranstaltung in der Festhalle war ein großer Erfolg, undatierter Zeitungsausriss. – Zu einer in Landau früher vollzogenen Fusion (Sportfreunde Landau und Fußball-Club 1919): Gau XIII (Süd-West), Vereinsregister, in: Der Kicker, Nr. 44, 1.11.1933 (Amtliches Organ), 6. Maschemer war Inhaber einer Großhandlung für Kerzen-, Weiß- und Wollwaren. Er trat am 1. April 1931 in die NSDAP ein; seit 1933 NSDAP-Stadtrat in Landau; ab 8. August 1935 ehrenamtlicher 1. Beigeordneter und ab 1. April 1937 hauptamtlicher Bürgermeister; ab 10. Juli 1937 Kreisamtsleiter für Kommunalpolitik; 1939 bei einem Autounfall tödlich verunglückt: LASp, T 65, Nr. 1183; LASp, H 91, Nr. 1249; LASp, J 24, Nr. 2158; MARTIN, Who is Who?, 617 (freundliche Mitteilung Dr. Franz Maier, Landesarchiv Speyer, 12.1.2016). LASp, T 7, Nr. 7: Raßbach an Beckerle, 12.7.1935 (Abschrift); über derartige „Uebergriffe von Parteigliederungen“ LASp, T 7, Nr. 5: Raßbach an Sommer, 3.8.1935.
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und Anhänger von Eintracht Frankfurt.298 Dabei gestalteten sich im Sportgau XIII auch die Beziehungen zwischen den Fachverbänden bzw. Fachämtern, insbesondere des DFB, zum DRL auffallend spannungsreich.299 Aber die meisten Reibungen bestanden zwischen Parteiinstanzen und Sportbehörden.300 Willkürlich erscheinende Verwaltungsmaßnahmen wurden ebenso kritisiert wie die Beanspruchung der Turner und Sportler durch die Formationen und Gliederungen der NSDAP. Dabei wurden vor allen anderen Parteiorganisationen immer wieder die SA und HJ genannt.301 Mitte 1935 kollidierten beispielsweise die Termine und Veranstaltungen einer von langer Hand deutschlandweit geplanten „Reichssportwerbewoche“ in Zweibrücken mit einer Werbewoche der örtlichen HJ, was auf Seiten des Sports großen Unmut hervorrief.302 Während der Bericht über den Ostpfalzkreis für das Jahr 1937 die mit dem DRL konkurrierenden Wettbewerbe der SA als kontraproduktiv und als ein „ungünstiges Nebeneinanderarbeiten“ von „zwei Stellen mit derselben Aufgabe“ kritisierte, artikulierte ein entsprechender Bericht aus dem Jahr 1939 derartige Befürchtungen unter dem Eindruck der Überführung des DRL in den NSRL weniger stark.303 Vor allem während der „ersten Gleichschaltung“ klagten die Vereine über den Abgang von Sportlern zur SA, deren Appelle und Geländesportveranstaltungen häufig mit dem Spielbetrieb der DRL-Vereine kollidierten.304 Diese Konflikte sind jedoch auch später aktenkundig. Noch im Frühjahr 1938 beanstandete eine DRL-Kreisleitung, einem Turnverein seien „durch die SA alle Mitglieder weggenommen“305 worden. Auch sonst hielt sich die Begeisterung der an ihren Vereinen hängenden Sportler in Grenzen. So standen in Bad Dürkheim die Vereinsvorstände der Initiative des hauptamtlichen Bürgermeisters (1936/37) der Kurstadt und Kreisleiters (1933–1942) von Neustadt an der Haardt Hieronymus Merkle (1887–1970)306 reserviert gegenüber. Sie befürchteten einen Rückgang der Sporttreibenden – insbesondere der älteren, passiven Vereinsmitglieder –, dadurch bedingte Erhöhungen der Mitgliedsbeiträge in dem geplanten Großver298 299
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Zu Beckerle REICHELT, Fußball, 368; MEINL, Adolf Heinz Beckerle; THOMA, „Wir waren die Juddebube“, 117f., 133, 222 Anm. 25. LASp, T 7, Nr. 4: Mühlberger, Jahresbericht 1937; Mühlberger, Vierteljahresbericht 4.2.1939–6.5.1939; LASp, T 7, Nr. 5: Breitmeyer (Reichssportführung) an Sommer, 23.8.1935; Raßbach an Beckerle, 12.7.1935. Dazu auch REICHELT, Fußball, 285–287. LASp, T 7, Nr. 4: Mühlberger, Vierteljahresbericht 4.2.1939–6.5.1939; LASp, T 7, Nr. 3: Spilger an Sommer, 18.10.1933; ferner BAUER, SA und Sport. – Dazu auch REICHELT, Fußball, 243. LASp, T 7, Nr. 3: Schmidt (Kreisvertrauensmann für den Verwaltungskreis Zweibrücken) an Sommer, 3.6.1935. LASp, T 7, Nr. 4: Mühlberger, Jahresbericht 1937; Mühlberger, Vierteljahresbericht 4.2.1939–6.5.1939. Vgl. LASp, T 7, Nr. 3: TSV Käshofen an Sommer, 3.2.1934; Spilger an Sommer, 1.4.1935; Sommer an Zink (Kreisvertrauensmann für den Verwaltungskreis Kirchheimbolanden), 12.2.1935; HERZOG, „Freud und Leid“, 249. LASp, T 7, Nr. 6: DRL-Kreis 10 Südpfalz an Reichsführung des DRL, 24.2.1938. Zu Merkle MAIER, Organisationshandbuch, 348–350.
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ein und logistische Probleme bei der Integration der Vorortvereine. Überdies sahen sie die hohe Verschuldung einzelner Vereine als Fusionshindernis an.307 Auch DRL-Kreisführer Mühlberger mahnte: „Wenn wir die Vereine heute zerschlagen und gegen ihren Willen in den Großvereine eingliedern, werden nur wenige Mitglieder wirklich zum Großverein kommen. Der Rest wird verbittert zur Seite stehen.“308 Die „Spannungen und Unstimmigkeiten zwischen Partei- und DRL-Stellen“ spiegelten sich nicht zuletzt auch in einem an Gauleiter Bürckel gerichteten Schreiben Sommers vom 7. Januar 1938. Trotz des insgesamt optimistischen Tons klagte Sommer, dass in vielen Orten „die politischen Führer der Arbeit oder doch den Vereinen des DRL gleichgültig gegenüber“ stehen, die Vereine von SA, HJ und BdM „bekämpft worden“ seien. „Viele alte und begeisterte[,] opferfreudige Mitglieder sehen in der Praxis immer nur, was die Vereine an Selbständigkeit und an Aufgaben und Einfluß verloren haben.“ Darüber hinaus könnten „viele im Verbandsleben aufgewachsene und auf den Verband ausgerichtete Mitglieder“ die hohen Ziele des Nationalsozialismus „nicht erkennen“.309 Ihnen war der im Verein ausgeübte Sport wichtiger als dessen Transformation in Strukturen, die der Organisation der NSDAP entsprachen. – Die oft über Generationen hinweg bestehende emotionale Bindung an einen Sportverein und dessen spirituelle Bedeutung im Leben der Anhänger, die bereits in der Zeit der Weimarer Republik transzendente Sinnbezüge aufweisen konnte,310 erwies sich häufig als ein massives Hindernis für Fusionen. Ein weiteres Ärgernis sahen die Sportverwaltungen darin, dass die Formationen der NSDAP vor allem auf dem Land die Hallen der Vereine nutzten, „meistens ohne auch nur die Auslagen für Beleuchtung, Heizung und Reinigung zu zahlen.“311 Doch waren die gegen die Existenz der Turn- und Sportvereine ergriffenen Zwangsmaßnahmen das Hauptärgernis. Diese Pressionen gingen nur in wenigen Fällen von den übergeordneten Sportbehörden aus. Nicht der DFB oder die Fachämter des DRL oder die Reichssportführung und deren Regionalbeauftragte waren die Initiatoren von Vereinsauflösungen und Fusionen während der ersten und zweiten „Gleichschaltung“. Vielmehr griffen vor allen Dingen die Stadtverwaltungen und die Staatspolizei, Bürgermeister und Oberbürgermeister, kommunale Sportreferenten, Stadträte und städtische Beigeordnete, Inspektoren und andere Kommunalbeamte, Sport- und Sonderkommissare, SA-Männer, Ortsgruppenleiter, Kreisleiter oder Gauleiter der NSDAP in das Vereinsleben und die Organisationsstrukturen des Sports ein.312 307 308 309 310 311 312
LASp, U 257, Nr. 10487: Kreisleiter Merkle an DRL-Ortsgruppenführer Hauptlehrer J. Wolff, 23.12.1936; Wolff an Merkle, 12.1.1937; Merkle an Wolff, 28.1.1937. LASp, U 257, Nr. 10487: DRL-Kreisführer Mühlberger an Kreisleiter Merkle, 15.2.1937. LASp, T 7, Nr. 6: Sommer an Bürckel, 7.1.1938. HERZOG, „Wahre Leidenschaft“, 182; REICHELT, Fußball, 242f. LASp, T 7, Nr. 6: Sommer an Bürckel, 7.1.1938. Dazu auch HERZOG, Ruhm, 125.
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Das Gegeneinander der verschiedenen Instanzen der Partei, des Staates und der Sportverwaltung ist keineswegs spezifisch für die Pfalz und den Sportgau XIII insgesamt. Bereits Hajo Bernett, der Nestor der Zeitgeschichte des deutschen Sports im Nationalsozialismus, und dessen Schüler Hans Joachim Teichler haben die Kompetenzanarchie und Ämterpolykratie in der nationalsozialistischen Sportpolitik ausführlich analysiert.313 Leider wurden ihre diesbezüglichen Erkenntnisse in der deutschen Sportgeschichte bisher noch nicht so intensiv und breit rezipiert, als dass sie Allgemeingut hätten werden können. 4.7. „Schädling des nationalen Wiederaufbauwillens“: Der FSV Krickenbach als Paradebeispiel nationalsozialistischer Gleichschaltungspolitik
Alle wichtigen der hier genannten Konfliktzonen und Frontlinien, von denen die „erste Gleichschaltung“ durchzogen war, bündelten sich, mit Ausnahme des Themas „Arisierung“, in einem in Krickenbach (Bezirksamt bzw. Landkreis Kaiserslautern) zwischen Turnern und Fußballern ausgetragenen Streit. Offensichtlich hatten die Dienstverpflichtungen in SA, HJ und BdM den ortsansässigen Turnverein nach der „Machtergreifung“ der NSDAP bis auf „9 Mann“ alle Mitglieder gekostet. Dem „Verein ohne Mitglieder“314 fehlten die Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen, um seinen finanziellen Verpflichtungen nachkommen und an den Wettkämpfen teilnehmen zu können. Vor allem Steuerschulden drückten schwer. Deshalb löste sich der Verein Ende 1934 auf oder stellte zumindest seine Aktivitäten ein – ganz genau lässt sich das den überlieferten Unterlagen des Beauftragten des Reichssportführers für den Bezirk 2 (Pfalz) im NSRL-Gau XIII und des Gemeindearchivs Krickenbach nicht entnehmen. Jüngere, ehemalige Mitglieder des Turnvereins gründeten infolgedessen am 4. März 1935,315 sehr zum Ärger alter Turner, aber im Einvernehmen mit dem Ortsgruppenleiter der NSDAP einen Fußballverein und brachen damit einen Generationenkonflikt vom Zaun. Da der DFB die Neugründung bereits am 21. Mai 1935 anerkannt hatte, die DT sie jedoch ablehnte, bestand hier nicht nur ein Gegensatz von Jung und Alt, sondern auch eine Konkurrenz der für Turnen und Fußball zuständigen Fachverbände bzw. Fachämter. Die Gründung eines neuen Sportvereins neben dem bestehenden Turnverein war jedoch wegen einer bereits im Juni 1933 getroffenen Anordnung problematisch. Denn der Beauftragte des Sonderkommissars der Obersten SA-Führung hatte damals angeordnet, dass alle Jugendlichen, die Sport treiben wollten, sich dem Turnverein anschließen, da dieser „sich einmütig der nationalen Regierung unterstellt“ habe. Gleichzeitig verbot er „die Neubildung von Vereinen gleich welcher Art in der Gemeinde Krickenbach“. Denn die Zeit der „alten überlebten
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BERNETT, Der Weg des Sports, 93–96; TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 193–216. LASp, T 7, Nr. 5: TV Krickenbach (Schriftführer) an Wenz. LASp, T 7, Nr. 5: Lösch (Vereinsführer FV Krickenbach) an Wenz, 24.7.1935.
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Diskutiervereine“ sei vorbei. Wer sich damit nicht abfinde, sei „als Schädling des nationalen Wiederaufbauwillens zu betrachten“.316 Konfessionellen und parteipolitischen Zündstoff erhielt die ohnehin schon verfahrene Situation durch den Umstand, dass nach der Auflösung des lokalen Freien Turn- und Sportvereins317 ein Verein der DJK gebildet worden sein soll, der von nun an den Turnverein ebenso bekämpfte, wie es in den Jahren zuvor „die Freien“ getan hätten, die im ATSB organisiert waren. Die Mitglieder des DJK-Vereins sollen 1935 mehrheitlich in den Fußballverein eingetreten sein, dessen Führung jedoch als politisch unzuverlässig galt. Der Fußballverein wurde als „Sammelbecken der Unzufriedenen“ angesehen, was vor dem Hintergrund der erwähnten Wanderungsbewegungen nicht erstaunlich ist. Dagegen habe für den „mehr protestantischen Turnverein“ gegolten, dass er „auf nationalem Boden“ stehe. Deshalb machte der Fußballverein, der von einem Katholiken geführt wurde, „konfessionelle u. weltanschauliche Hemmungen“318 geltend, die einen Zusammenschluss erschwerten. Einen Ausweg aus diesem Minenfeld sahen die Sportbehörden in einer Zwangsfusion der beiden verfeindeten Vereine. Doch bedingt durch die offenkundigen ideologischen Verwerfungen und die fehlende Bereitschaft des Fußballvereins, für die Schulden des Turnvereins aufzukommen, schien ein Zusammenschluss aus Sicht der beiden Vereine ausgeschlossen. Eine Fusion war nach Auffassung der Sportbehörden jedoch schon allein deshalb notwendig, weil in Anbetracht der Einwohnerzahl, der bescheidenen Infrastruktur und geringen finanziellen Möglichkeiten eines so kleinen Ortes wie Krickenbach nur ein Sportverein überlebensfähig sein könne. Deshalb verweigerte Sommer als Beauftragter des Reichssportführers für den Bezirk Pfalz dem neu gegründeten Fußballverein seine Zustimmung. Über die genannten Gründe hinaus muss diese Entscheidung – ebenso wie andere oben dargestellte Beschlüsse Sommers – jedoch auch vor dem Hintergrund gesehen werden, dass es sich bei Sommer um einen Funktionär der mit dem Fußballsport konkurrierenden Turnbewegung gehandelt hat, der mit seinen gegen Fußballvereine gerichteten Dekreten auch aus einer parteiischen Haltung heraus motiviert gewesen sein dürfte. Eine Lösung der Streitereien zeichnete sich Ende September 1935 in dem Plan ab, dass der Fußballverein sich in „Turn- und Sportverein“ umbenannte und bereit war, die Reste des ehemaligen Turnvereins als eine Abteilung der DT auf-
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Gemeindearchiv Krickenbach, A 31: Beauftragter des Sonderkommissars der Obersten SA-Führung, Anordnung, Kaiserslautern, 12.6.1933. Gemeindearchiv Krickenbach, A 31: Ortspolizeibehörde Krickenbach, 7.4.1933, Verzeichnis der im Vollzug des Verbots marxistischer Organisationen am 7.4.1933 beschlagnahmten Gegenstände. – Liquidiert wurde auch der Arbeitergesangverein Krickenbach. Dieses Zitat und die vorhergehenden Zitate LASp, T 7, Nr. 5: Wenz an Sommer, 27.7.1935 und 16.8.1935.
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zunehmen.319 Aber mit dem Briefverkehr über diesen Plan bricht die Überlieferung im Nachlass Sommers ab. Der Verein wurde schließlich unter dem Namen FSV 1934 Krickenbach gegründet und ins Vereinsregister eingetragen. Ein halbes Jahrhundert später erinnerte sich der Verein in seiner Chronik an die Anfänge des Fußballspiels in einem örtlichen Verein, der im ATSB organisiert war. Demzufolge begann die Pflege des Fußballsports in Krickenbach „etwa Ende der zwanziger Jahre mit den damaligen Freien in sehr schwierigen Zeiten.“ Doch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, „mußten die Freien das Fußballspielen unterlassen“, worauf „36 junge Männer“, die „einen geregelten Spielbetrieb“ aufbauen wollten, als Fußballabteilung in den Turnverein eingetreten seien.320 Gleichwohl spricht der Name FSV eher dafür, dass umgekehrt die Fußballsportler die Turner als Abteilung aufgenommen hatten.321 Ähnlich kompliziert gestaltete sich die „Gleichschaltung“ in Lambsheim, wo die Konflikte zwischen den lokalen Turnvereinen sozial, konfessionell, politisch und finanziell bedingt waren.322 Dabei plädierte der erste Bürgermeister Mayer aufgrund der seines Erachtens unlösbaren finanziellen Überschuldung des TV 1864 für eine Fusion mit dem Männerturnverein. Jedoch hatte der Männerturnverein kein Interesse. Noch zu Beginn des Jahres 1935 bedauerte Mayer, dass eine „gütliche Vereinigung der beiden Turnvereine […] leider bis jetzt nicht möglich“ gewesen sei.323 Diese und andere Beispiele machen deutlich, dass tiefer gehende Recherchen über die „Gleichschaltung“ des Sports sich auch in Dorfgemeinden ländlicher Regionen als durchaus lohnend erweisen können. 5. Schlussbetrachtung über „Vereinsfanatismus“, Politik und Ökonomie In Anbetracht der oben beschriebenen, von NS-Parteibonzen ausgeübten Pressionen und von ihnen verfolgten Ambitionen in der NS-Zeit ist es erstaunlich, dass „sich der Verein, die ‚Basis‘ des deutschen Sports, als außerordentlich stabil“324 erwiesen hat. Es lohnt sich daher, die Ergebnisse dieses Beitrags über die Sportgeschichte des Nationalsozialismus in der Perspektive der aktuellen Orga319
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LASp, T 7, Nr. 5: Korrespondenz von 1935 zwischen Kreisvertrauensmann Wenz, Bezirksbeauftragter des Reichssportführers Sommer, DFB-Gaufachamtsleiter Raßbach, Fußballverein Krickenbach, Turnverein Krickenbach. WEIMER, 50 Jahre. Die Unterlagen des Registergerichts über den FSV Krickenbach geben keinen Aufschluss, da die Überlieferung erst mit der Eintragung des Vereins am 27. Februar 1956 einsetzt: Mitteilung des Amtsgerichts Kaiserslautern, Registergericht, E-Mail, 11.2.2016. – Da der Vereinsführer des FV Krickenbach die Gründung des Vereins auf den 4. März 1935 datiert (LASp, T 7, Nr. 5: Lösch an Wenz, 24.7.1935), ist das im heutigen Vereinsnamen genannte Gründungsjahr sicher nicht zutreffend. LASp, T 7, Nr. 3: Vereinsführer des MTV Lambsheim Grimm an Sommer, 24.1.1933. LASp, T 7, Nr. 3: Bürgermeister Mayer an den Beauftragten des Reichssportführers für Stadt und Bezirk Frankenthal Spilger, Eppstein, 25.1.1935. BERNETT, Der Weg des Sports, 29, vgl. ebd. 31f.
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nisations-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des Sports und der von ihm hervorgebrachten Vergemeinschaftungen zu betrachten. Die auf Seiten der Athleten und Zuschauer im Sportgeschehen begründete Faszination erzeugt außerordentlich starke Gemeinschaftsgefühle, die in den Vereinen gepflegt und über Generationen hinweg institutionalisiert werden und eine eigene Erinnerungskultur hervorbringen.325 Dabei zeichnen sich die Anhänger von Fußballclubs durch einen so hohen Grad an „Enttäuschungsresistenz“ aus, dass selbst gravierende Misserfolge sie nicht notwendigerweise von ihrem Verein entfremden bzw. – in der Sprache der Wirtschafts- und Sozialgeschichte formuliert –, „dass die Nachfrage bei Qualitätsverschlechterung des Angebots“ gerade nicht „zurückgeschraubt wird“,326 sondern bei einem Abstieg sogar gesteigert werden kann. Selbst im Fall eines Konkurses bleibt die Nachfrage so stark, dass die Vereine nicht abgewickelt, sondern gerettet werden, in vielen Fällen von Politikern. Anstatt in die Konkursmasse einzugehen, veräußert zu werden und Wohnhäusern oder einem Supermarkt Platz machen zu müssen, gehen die Stadien deshalb häufig in das Eigentum der öffentlichen Hand über. Politiker lassen sich für solche Maßnahmen, welche die Vereine vor dem Untergang bewahren sollten, von den jeweiligen Anhängerschaften als Retter feiern.327 Stefan Szymanski hat mit Statistiken belegt, dass im Gegensatz zum sonstigen Wirtschaftsleben ein verblüffend geringer Prozentsatz insolventer Fußballclubs tatsächlich untergeht und verschwindet. Stattdessen werden sie nach dem Bankrott häufig unter demselben Namen und mit den traditionellen Insignien und Farben neu gegründet.328 Der Name, die Insignien und Vereinsfarben sowie das Stadion eines Fußballclubs sind unantastbar. In den seltensten Fällen ist ein Verein tatsächlich gezwungen, sein traditionsreiches Stadion aufzugeben – wie Szymanski im Anschluss an Rogan Taylor „the fundamental difference between football clubs and ordinary businesses“ auf den Punkt gebracht hat: „no one ever asked for their ashes to be scattered in a supermarket. Football grounds are hallowed grounds, and religion trumps economics.“329 In diesem Kontext können Fusionen durchaus als ein Weg zur Rettung eines Sportstandorts angesehen werden.330 Für ihr Gelingen ist allerdings erforderlich, dass „Vereinsfanatiker“ auf Seiten der jeweiligen Fusionspartner bereit sind, Opfer zu bringen, was sich jedoch nicht nur in der NS-Zeit, sondern generell als schwierig erweist. So empfehlen regierungsnahe Gutachten seit den 1960er Jahren, die Anzahl der englischen Profimannschaften aus wirtschaftlichen Gründen zu reduzieren und Clubs zu fusionieren; doch geht der Trend in die entgegengesetzte Richtung.331 325 326 327 328 329 330 331
HERZOG, Erinnerungskultur im Fußballsport; DERS., Memorialkultur im Fußballsport. EISENBERG, Soziologie, 75. HAVEMANN, Samstags, 193–208; ASHELM, Mitspielen. SZYMANSKI, Money and Football, 22–26, 212–219. SZYMANSKI, Money and Football, 66, vgl. ebd., 62–77; HERZOG, Erinnerungskultur im Fußballsport, 2f. SZYMANSKI, Money and Football, 269 Anm. 13. SZYMANSKI, Money and Football, 219.
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Die Organisationsstruktur des Vereins als einer freiheitlichen Gesellschaftsform, die im Deutschen Reich seit dem 19. Jahrhundert das Fundament des Sports gebildet hatte332 und im Kielwasser der Kommerzialisierung und strukturellen Professionalisierung vor allem des Fußballs nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten organisiert war, erschien der NS-Ideologie zwar als ein Fremdkörper aus längst vergangenen Zeiten, der letztlich durch andere, parteinahe Organisationen ersetzt werden sollte. Dennoch wurde der traditionelle Vereinssport auf deutschem Boden erst unter der Diktatur der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) definitiv eliminiert. Noch nicht einmal die ehemaligen Arbeitersportvereine durften wiedergegründet werden, auch sie hatten im „real existierenden Sozialismus“ der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) keine Existenzberechtigung.333 Vereine wurden jedoch nicht nur im Sport, sondern auch in allen anderen Kulturbereichen der DDR als Relikt bürgerlicher Traditionen zerschlagen und aufgelöst.334 Dabei waren den Willkürmaßnahmen keine Grenzen gesetzt. Sportvereine wurden liquidiert, in kommunale Organisationen oder Betriebssportgemeinschaften transformiert, sie wurden fusioniert, neu benannt und immer wieder umbenannt, und sie konnten von einer Stadt in eine andere verlegt werden. Ziel dieser Politik war es, die kulturelle Autonomie des Sports zu vernichten und Verbindungen zu den bürgerlichen Traditionen vor 1945 radikal zu kappen.335 Was nur angedeutet, aber nicht weiter ausgeführt werden konnte: Die Gleichschaltungsaktivitäten der NSDAP betrafen nicht nur Turnen und Sport, sondern alle Kulturvereine. Für die weitere Forschung wäre es eine lohnende Aufgabe, diese Thematik in vergleichender Perspektive auch auf Chöre und Musikvereine, Taubenzüchter-, Kleingärtner- und Heimatvereine sowie andere Formen institutionalisierter Geselligkeit auszudehnen.336 Unter beiden Diktaturen auf deutschem Boden galt die Ära des ins 19. Jahrhundert zurückreichenden, im 20. Jahrhundert zunehmend nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten organisierten bürgerlichen Vereinssports als ein zu überwindendes Kapitel der deutschen Sportgeschichte. Dabei erscheinen die im Nationalsozialismus getroffenen Eingriffe in das „Eigenleben“ des Fußballs ambivalent. Denn sie verfolgten nicht nur eine Unterwerfung des Sports unter die Partei, sondern auch dessen strukturelle Professionalisierung. Insofern war der Sport auch ein Profiteur der Politik, wenn es beispielsweise den Vorständen von Fußballclubs gelang, Politiker für Maßnahmen des Schuldenabbaus und Investitionen in Sportplätze zu gewinnen. Christiane Eisenberg hat mit Recht darauf hingewiesen, „dass in autoritären Regimes im Verhältnis von Sport und Politik weniger die vielzitierte Instrumen332 333 334 335 336
ROTH, Verein. JOHNSON, Training Socialist Citizens, 31–64; TEICHLER, Sport unter Führung der Partei. SCHAARSCHMIDT, Regionalkultur und Diktatur, 275–297, 326–341. TEICHLER, Die Sportbeschlüsse, 43–46; MCDOUGALL, The People’s Game, 35, 40f., 46, 110, 155–159. NATHAUS, Organisierte Geselligkeit, 185–199; HERZOG, Der „Betze“, 70.
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talisierung des Sports durch die Politik als umgekehrt eine Instrumentalisierung der Politik durch den Sport ausschlaggebend war.“337 Die öffentliche Hand als einer „der wichtigsten ‚corporate consumers‘ des Sports in modernen Gesellschaften“ investierte bereits in der NS-Zeit in dieses gesellschaftliche Subsystem – selbst dann, wenn Parteien, Städte oder der Staat nur indirekt an ihm interessiert waren. Aber „aus Gründen der Legitimationsbeschaffung und Imagepflege“ bauten sie Stadien, schulterten Infrastrukturmaßnahmen, bürgten für Kredite338 und verstärkten damit die dem Sport immanenten Wachstumspotentiale. Wenn auch nur für eine bis Kriegsende projektierte Übergangszeit hielt der NS-Staat am Vereinssport fest. In der Ära nach dem „Endsieg“ sollten NSOrtssportgemeinschaften nach sudetendeutschem und lothringischem Vorbild an die Stelle der traditionellen Fußballclubs treten. Letztlich blieb es jedoch der sozialistischen Nachfolgediktatur vorbehalten, die Geschichte des im Bürgertum verankerten, politisch neutralen Vereinssports auf dem Gebiet der DDR für vier Jahrzehnte zu unterbrechen, während auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland die alten Vereine alsbald wieder unter ihren traditionellen Namen und häufig mit dem früheren Führungspersonal neu gegründet wurden. Dank Für die Vermittlung von Informationen und Dokumenten, die Unterstützung beim Korrekturlesen des Textes und das Knüpfen von Kontakten danke ich sehr herzlich den folgenden Persönlichkeiten: Kurt Burkhard, Krickenbach; Bernd Gemba, Krickenbach; Arnold Germann, Bann; Nils Havemann, Universität Stuttgart; Elisabeth Herzog, Kaufbeuren; Sylvia Heudecker, Schwabenakademie Irsee; Gerhard Jochem, Stadtarchiv Nürnberg; Dieter Kämmer, Stadtarchiv Kaiserslautern; Günter Klingkowski, Kaiserslautern; Dieter Kuhl, Nieder-Olm; Volker Kluge, Berlin; Eric Lindon, Kaiserslautern; Anton Löffelmeier, Stadtarchiv München; Franz Maier, Landesarchiv Speyer; Ansgar Molzberger, Deutsche Sporthochschule Köln; Roland Paul, Institut für pfälzische Geschichte und Volkskunde, Kaiserslautern; Bernd Reichelt, Riedlingen; Markus Röder, Kaiserslautern; Karl-Heinz Schwarz-Pich, Mannheim; Jörg Skriebeleit, KZGedenkstätte Flossenbürg; Hans Joachim Teichler, Universität Potsdam; Matthias Thoma, Eintracht Frankfurt; Jim G. Tobias, Nürnberger Institut für NSForschung und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts; Paul Warmbrunn, Landesarchiv Speyer; Peter Weisrock, Nieder-Olm; Klaus Westrich, Kaiserslautern; Dieter Wolfanger, St. Wendel.
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EISENBERG, Gegenstandsbereich, 94. EISENBERG, Soziologie, 75f.
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Quellen und Literatur Quellen Bundesarchiv Berlin (BArch) – R 58/541: Reichssicherheitshauptamt. – NS 6/329: Partei-Kanzlei der NSDAP. – NS 19/2679: Persönlicher Stab Reichsführer SS. – NS 23/438: Horst Henrich (Bearbeiter), Die Organisation der Obersten SA-Führung vom 5. Januar 1931 bis 20. April 1944. Einschließlich Rangliste der Obergruppenführer, Gruppenführer und Brigadeführer. Aufgrund der amtlichen Führerbefehle 2 (31.7.1931) bis 85 (20.4.1944), der Verfügung vom 31.3.1931 sowie der Sonderbefehle I-V, 23a und 79a, S. 367–375, zusammengefasst in: Liste der SA-Brigadeführer, https://de.wikipedia. org/wiki/Liste_der_SA-Brigadeführer (Zugriff am 25.12.2015). Deutscher Fußball-Bund, Frankfurt am Main, Archiv – Nachlass Josef „Sepp“ Herberger, Sachakten/Briefe (Sa/B), Nr. 289, 1. Stadtarchiv Kaiserslautern (StadtAKL) – A 03/0719: Wirtschaft am Harzhübel, Sportplatz des Feien Fußballvereins 1921 Kaiserslautern bzw. des Wasser- und Rasensportvereins Kaiserslautern. – A III/5302/53: Stadtverband für Leibesübungen 1920–1946. – A 04/084: Verschiedene Sportvereine, 1939–1954. – AB 16/035: Protokollbuch für den Stadtverband für Leibesübungen 1926–1933. – AB 80/012: Protokollbuch für den Turnverein 1861 Kaiserslautern: Turnrat 1926–1938. – AB 80/013: Protokollbuch für den Turnverein 1861 Kaiserslautern: Vorstand/Führerrat 1930–1938 (Seiten 139–146 fehlen). – Adressbücher der Stadt Kaiserslautern. – NS 19: Kreisleitung der NSDAP Kaiserslautern. – NS 23: Akten des Beauftragten des Staatskommissars (Sonderkommissar) für die Stadt Kaiserslautern, Ernst Dürrfeld. – ZGD 1891–1969. Sport II Großvereine. TSG 1. Gesamtverein. Landeshauptarchiv Koblenz – Bestand 910 (Kultusministerium Rheinland-Pfalz), Nr. 469: Personalakte Eugen Sommer. Gemeindearchiv Krickenbach – A 31: Vereine in der Gemeinde: Der Gesangverein, der Turnverein, der Radfahrverein 1919–1921 [sic]. Stadtarchiv Ludwigshafen – General-Anzeiger Ludwigshafen a.Rh. Amtsgericht München (AGM) – VR 2463: Registerakten in Sachen Fußball-Club Bayern München e.V., Bd. I. Staatsarchiv München (StaatsAM) – Generalstaatsanwaltschaft beim OLG München, Nr. 3048: Wiedergutmachungsheft in der Strafsache gegen Bertel Philipp, Groß Otto, Liebrich Ernst, Heiser August. Stadtarchiv Nürnberg (StadtAN) – Einwohnermeldekartei. Landesarchiv Speyer (LASp) – H 14, Nr. 71: Lehrerpersonalakte Oswald Damian. – H 14, Nr. 2147/5: Personalakte Joseph Kohlmeyer. – H 38 (Bezirks- bzw. Landratsamt Kusel), Nr. 1392: Akten der Bezirksamtsaußenstelle Waldmohr/Pfalz. Betreff: Juden. – H 39, Nr. 850: Entziehung staatsfeindlichen Vermögens, hier Turnhalle des Arbeiter-Turnund Sportvereins Edesheim.
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Markwart Herzog
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III. Arbeiterfußball, Betriebssport und konfessionelle Vereine
Jürgen Mittag/Diana Wendland
Arbeiter und Sport im Spannungsfeld von Solidar-, Betriebs- und „Volksgemeinschaft“ Politische Aufladungen und Brüche des Arbeiter- und Werkssports in den 1930er Jahren „Das frohe Spiel am Abend, ein kräftig zugeworfener Medizinball und gemeinsam vergossener Schweiß beim ‚Liegestütz vorlings‘ verringern die Ärgernisse des Tages und fördern echte Kameradschaft. Es ist längst erprobt, daß Arbeitskameraden, die sich abends auf dem Turnboden treffen, das Gefühl der Zusammengehörigkeit auch am Morgen bei der Arbeit haben. So wird die Sportgemeinschaft dazu beitragen, auch die Betriebsgemeinschaft zu festigen.“1
1. Arbeiter als Sportler: Organisationsstrukturen und Lebenswelten im Wandel Die eingangs zitierte Aussage aus einer Werkszeitung, die als Meinung eines Arbeiters ausgewiesen, vermutlich aber von einem KdF-Funktionär beeinflusst wurde, steht exemplarisch für jenes Sport- und Turnverständnis der 1920er und 1930er Jahre, das in der Regel mit sinn- und gemeinschaftsstiftenden Vorstellungen verknüpft wurde. Diese waren nicht nur auf die engere Gemeinschaft der sportlich Aktiven gerichtet, sondern auch auf die Werks- bzw. Betriebsgemeinschaft der beruflichen Lebenswelt. Ein ähnliches Sportverständnis zeigte sich auch in den Solidargemeinschaften der politischen Milieus, am sichtbarsten in der Arbeiterbewegung. Vielfach wurde die Reichweite des Sports sogar noch weiter gedehnt und es wurden Verbindungslinien zwischen der Sportgemeinschaft und der „Volksgemeinschaft“ gezogen. Die Weimarer Republik gilt heute als ein Zeitabschnitt überschießender Vielfalt, in dem die unterschiedlichsten politischen und gesellschaftlichen Strömungen aufeinandertrafen, miteinander kollidierten und ineinander übergingen.2 Das politische und kulturelle Klima war ebenso innovativ wie angespannt. Auch der 1 2
Mein Sportgerät ist der Abbauhammer, in: Werkszeitschrift 18 (1938), Nr. 17, 216. Dazu grundlegend SCHUMAN/KOLB, Die Weimarer Republik, 196–237.
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Jürgen Mittag/Diana Wendland
Sport präsentierte sich als ein überaus heterogenes Amalgam. Rudolf Oswald resümierte in seiner viel beachteten, diskursanalytisch angelegten Dissertation, dass sich in keiner Zeitphase der neueren Geschichte „die deutsche Körperkultur zersplitterter und unübersichtlicher“ dargestellt habe als in der ersten deutschen Republik.3 Neben bürgerlichen und sozialistischen Verbänden existierten konfessionell und ethnisch geprägte Sportorganisationen, die zudem vielfach noch in sich selbst zersplittert waren. Ihr gemeinsamer Nenner war die Überzeugung von der politischen Bedeutung des Sports. Die Sportorganisationen und -verbände sprachen dem Sport in der Regel keinen Eigenwert zu. Oswald sieht im „rigiden Anti-Individualismus“ und in der Vorstellung, dass Sport „Dienst am Ganzen“ sei, sogar das zentrale Verbindungsglied der Akteure in der Weimarer Sportkultur.4 Vorstellungen von einem zweckgebundenen Sport, der einen Beitrag zur Gemeinschaftsbildung leistete, basierten auf den unterschiedlichsten Fundamenten, nicht zuletzt auf dem „Geist von 1914“, der die Idee einer „Volksgemeinschaft“ populär gemacht hatte. Das sich über alle politischen Lager und Milieus der Weimarer Republik hinaus verbreitende Konzept der „Volksgemeinschaft“ wurde auch auf den Sport projiziert.5 Sportvereine und Fußballmannschaften wurden als „Volksgemeinschaften im Kleinen“ gesehen – auch in der Arbeiterbewegung, in der die Klassensolidarität mit dem Konzept einherging, das gesamte Volk zu erfassen und zu repräsentieren. Vor allem Mannschaftssportarten waren geeignet, dem abstrakt wirkenden Bild der „Volksgemeinschaft“ Kontur zu verleihen: Der einzelne Sportler spielte bzw. kämpfte für ein Kollektiv und bildete lediglich ein Glied im übergeordneten Mannschaftskörper. Der Arbeitersport war organisatorisch in Arbeitersportverbänden und im Milieu der Arbeiterbewegung(en) verankert. Er betonte den Zusammenhang von sozialer Teilhabe und sportlichem Geschehen, betrachtete den Sport als Mittel zur Herstellung einer Harmonie zwischen Körper, Geist und Selbstbestimmung, schloss Frauen weitgehend gleichberechtigt in die Aktivitäten ein und achtete grundsätzlich stärker auf Ästhetik und Spiel als auf Höchstleistungen und Wettbewerb, wenngleich zum Ende der 1920er Jahre zumindest in einigen Bereichen, so etwa in der Arbeiterleichtathletik und im Fußball, eine verstärkte Orientierung am Wettkampf- und Rekordgedanken auszumachen ist. Letztlich verstand die Arbeiterbewegung Sport und Bewegung als Instrumente einer grundlegenden Umgestaltung des bürgerlichen Regierungs- und Gesellschaftssystems in einen sozialdemokratisch bzw. sozialistisch verfassten Volksstaat.
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OSWALD, „Fußball-Volksgemeinschaft“, 22. Ebd., 23. Überblicksdarstellungen zur wissenschaftlichen Genese und Rezeption des Begriffs der Volksgemeinschaft: MITCHELL, Die Volksgemeinschaft; KERSHAW, „Volksgemeinschaft“; SCHMIECHEN-ACKERMANN, „Volksgemeinschaft“; STEUWER, Was meint und nützt das Sprechen von der „Volksgemeinschaft“?
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Von diesem Modell wich der Werks- oder Betriebssport deutlich ab.6 Er sollte die durch Unternehmer und Belegschaft zu bildende „Werksgemeinschaft“ stärken. Das Bewusstsein, Teil einer übergeordneten Werksgemeinschaft zu sein, zielte auf die Erhöhung der individuellen Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft. Konstruiert, legitimiert und inszeniert wurde die Werksgemeinschaft vor allem über Werkszeitschriften, die seit der Weimarer Republik als wesentliche Kommunikationsmittel in mittleren und großen Betrieben fest etabliert waren, von der Forschung bisher jedoch kaum berücksichtigt wurden. Sie verhandelten zwar auch allgemeinpolitische Themen, gleichwohl lag ihr Fokus auf dem innerbetrieblichen Bereich.7 Neben Nachrichten über Umsatz, Arbeitsabläufe, Jubilare, Arbeitsunfälle und „Neuigkeiten aus dem Werk“ veröffentlichten sie Berichte über die Bedeutung des Sports, die sportbezogenen Aktivitäten der Werke oder die Gründung von Werkssportvereinen. Das Ende der Weimarer Republik und die nationalsozialistische „Machtergreifung“ führten zu einem deutlichen Bruch mit dem organisatorischen und lebensweltlichen Rahmen der sportlich aktiven Arbeiterinnen und Arbeiter. Aufgrund ihrer Bindung an politische Milieus und parteipolitische Bewegungen waren die bis dahin weitgehend autonom agierenden Sportverbände der Weimarer Republik mit dem Nationalsozialismus nicht vereinbar und wurden deshalb ausgeschaltet bzw. „gleichgeschaltet“. Der vorliegende Beitrag setzt sich zum Ziel, nach einem Überblick zur Forschungsliteratur und einer grundsätzlichen Betrachtung der Konzepte des Arbeitersports und des Werks- bzw. Betriebssports deren „Gleichschaltung“ unter der nationalsozialistischen Diktatur überblicksartig darzustellen. Dabei werden die strukturellen Unterschiede und Gemeinsamkeiten von „Arbeitersport“ und „Arbeitnehmersport“ bzw. dem „Sport der Belegschaft“, bei dem es sich ebenfalls um „Arbeitersport“ handelt, beleuchtet. Besondere Beachtung wird dem Spannungsverhältnis zwischen den Gemeinschaftskonstruktionen der Solidar- und Betriebsgemeinschaft sowie der „Volksgemeinschaft“ gewidmet. Vor dem Hintergrund der Annahme, dass nicht nur die verbandliche Verankerung den Werkssport vom Arbeitersport trennte,8 werden im Folgenden sowohl Organisationsstrukturen als auch Mentalitäten und Diskurse nachgezeichnet. 6
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Die Bezeichnung „Betriebssport“ setzte sich mit den Nationalsozialisten 1936 durch, zuvor dominierte der Begriff „Werkssport“. Beide Begriffe werden im Folgenden synonym verwendet. Der Leserschaft wurden dabei nicht nur Informationen über den Betrieb mitgeteilt, sondern bestimmte Leit- und Sinnbilder, vor allem das einer Werksgemeinschaft, wurden narrativ und visuell vermittelt bzw. vorgeführt, die als Orientierungshilfen dienen sollten. – Zur Ausrichtung und Funktion von Werkszeitschriften LÜDTKE, Industriebilder, 69f. Die Organisation des Werkssportes variierte erheblich. Teilweise organisierte sich dieser in eigenen Verbänden, beispielsweise in der Reichsarbeitsgemeinschaft der Behörden und Firmen-Sportvereine Deutschlands (RAG) oder im Berliner Lehrlingsturnverband. 1929 schlossen sich regionale Firmenverbände im Reichsverband Deutscher Firmensportverbände (RDF) zusammen, in den 1930er Jahren wurde er in den Bund Deutscher Firmensportverbände umbenannt (BDF). Teilweise schlossen sich Werkssportvereine
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Während für den Arbeitersport Beispiele aus dem ganzen Deutschen Reich herangezogen werden, wird der Werkssport vor allem anhand von Beispielen aus dem Ruhrgebiet, hier insbesondere der Zechen Fürst Hardenberg und Minister Stein der Gelsenkirchener Bergwerks AG, Gruppe Dortmund, analysiert. 2. Konjunkturen und Desiderate: Forschungsstand zum Arbeiter- und Werkssport Obwohl die Sportgeschichte mittlerweile in der an Universitäten und Hochschulen angesiedelten akademischen Sportwissenschaft eher ein Nischendasein fristet, hat sie im 21. Jahrhundert einen festen Platz in der Historiografie erobert.9 Zur Organisations-, Kultur- und Sozialgeschichte des Sports in der NS-Zeit werden rege Forschungsdebatten geführt und zahlreiche Erkenntnisse zu Tage gefördert.10 Anders verhält es sich hingegen mit dem Arbeiter- und Werkssport, der ebenso wie die Erforschung von Arbeitern und Arbeiterbewegungen in der Allgemeingeschichte ins Hintertreffen geraten ist.11 Während historische Arbeiten zu den industriellen Beziehungen und über Firmen und Behörden in der NS-Zeit vorliegen,12 wird dem Sport in diesem Zusammenhang nur am Rand Aufmerksamkeit gewidmet. Ausgehend von dem starken Interesse der Geschichtswissenschaft an sozialgeschichtlichen Fragestellungen in den 1960er Jahren erlebte auch die Forschung zum Arbeitersport eine intensive Blüte in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre, die in den 1980er Jahren anhielt, in den 1990er Jahren aber deutlich zurückging, um nach der Jahrhundertwende fast völlig zu verdorren.13 Zunächst entstanden Arbeiten zur Entstehung und Entwicklung des Arbeitersports14 sowie zur Spal-
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Großkonzernen an, etwa der Arbeitsgemeinschaft der Werkssportvereine der Vereinigten Stahlwerke AG. Möglich war indes auch, dass Werkssportler auf eine eigene Organisation verzichteten und geschlossene Mannschaften existierenden Vereinen beitraten. – Dazu auch LUH, Betriebssport, 2. Zur Debatte über den Stand der Sportgeschichte BECKER, Marginalisierung; STIEGLITZ/MARTSCHUKAT, Sportgeschichte; BALBIER, „Spiel ohne Grenzen“. Für eine Zwischenbilanz der bisweilen sehr antagonistisch geprägten Forschungen zum Sport in der NS-Zeit PEIFFER, Sport; TEICHLER, Der deutsche Sport. – Zur kritischen Auseinandersetzung mit Peiffer vor allem HERZOG, Sport. Dazu die unverändert aktuellen Bestandsaufnahmen SÜSS, A scheene Leich?; REMEKE, Doch nur ein Strohfeuer? Zum gegenwärtigen Forschungsstand zu Betrieben PLATZ/ANDRESEN/KUHNHENNE/MITTAG, Der Betrieb. Für die Auftaktphase TEICHLER, Arbeitersport und Sportgeschichte; als nahezu unverändert gültige Bestandsaufnahme STILLER, Literatur. Überblickscharakter besitzt auch die aktuelle Dokumentation KRUKE, Arbeiter-Turn- und Sportbund. Dazu die älteren Pionierarbeiten TIMMERMANN, Geschichte; UEBERHORST, Frisch, frei, stark und treu; des Weiteren BLECKING, Arbeitersport; TEICHLER, Illustrierte Geschichte; zuletzt NITSCH/PEIFFER, Die roten Turnbrüder.
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tung der Arbeitersportbewegung in den 1920er Jahren,15 häufig mit lokalhistorischen Bezügen.16 Es schlossen sich, vor allem in Ostdeutschland, Qualifikationsarbeiten zur Zerschlagung der Arbeitersportbewegung im Nationalsozialismus,17 zum europäischen Arbeitersport und den Sportinternationalen an,18 darüber hinaus zur Jugend im Arbeitersport,19 zu einzelnen Arbeitersportlern20 sowie zu Sportdisziplinen,21 die eigene Arbeitersportorganisationen ausgebildet hatten.22 Der aktuelle Forschungsstand ist angesichts zahlreicher Lokal- und Regionalstudien23 schwer überschaubar, es mangelt an Überblicksdarstellungen und Synthesen. Nicht zuletzt liegen Untersuchungen zum Arbeitersport in einzelnen europäischen Ländern vor.24 Der Werks- bzw. Betriebssport erzielte gleichwohl nie die Aufmerksamkeit, die der Arbeitersport fand. Bereits Ende der 1990er Jahre monierte der Bochumer Sporthistoriker Andreas Luh das diesbezügliche Desinteresse der Wirtschafts-, Unternehmens-, Sozial- und Sportwissenschaftler.25 Diese Diagnose hat an Aktualität kaum verloren. Während der Werkssport in Kaiserreich und Weimarer Republik kaum Beachtung gefunden hat, wurde er als Bestandteil der nationalsozialistischen Betriebspolitik zumindest partiell berücksichtigt.26 Diese Vernachlässigung des Werkssports lässt sich einerseits aus dem schwierigen Quellenzugang erklären, andererseits resultiert sie aus dem Umstand, dass der Werkssport in der Weimarer Republik nie mit dem breit aufgestellten und mitgliederstarken bürgerlichen, sozialdemokratischen und kirchlichen Vereinssport konkurrieren konnte.27 15 16
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Dazu DIERKER, Arbeitersport; FRICKE, Spaltung. Dazu etwa DENECKE, Die Arbeitersportgemeinschaft; SCHÖNBERGER, Arbeitersportbewegung; DWERTMANN, Zwischen deutscher Kulturtradition; SCHWEGMANN, Arbeitersport. Dazu MATTAUSCH, Deutsche Arbeitersportler; KUPFER, Arbeitersportler. – Kupfer führt weitere Qualifikationsarbeiten auf, die in der DDR entstanden sind; dazu auch GIESLER, „Arbeitersportler schlagt Hitler!“ Dazu KRÜGER/RIORDAN, Der internationale Arbeitersport; GOUNOT, Die Rote Sportinternationale. Dazu STILLER, Jugend; WETTERICH, Bewegungskultur. Dazu STILLER, Willy Langenberg; DERS., Karl Bühren; DERS., Lebensbilder; jüngst PLENER, Kurt Plener. Dazu MARSCHIK, „Wir spielen nicht zum Vergnügen“; GEIGES, Fussball. Überblicke zur Entwicklung des Rad- und Kraftfahrerbunds „Solidarität“: BEDUHN, Die roten Radler; HORSCH, Rad- und Kraftfahrerbund; ferner HECKNER/TIETZ, Gegen die Strömung; zuletzt STILLER, Der Segelsport. Exemplarisch für das Ruhrgebiet MALVACHE, Ideologie; UEBERHORST, Arbeitersportund Arbeiterkulturbewegung; KLEIN, „Sich frei schwimmen.“ Zu Österreich KRAMMER, Arbeitersport; zu Großbritannien HOLT, Sport; zu Finnland STRUNZ, Der finnische Arbeitersport. Dazu LUH, Betriebssport in Deutschland, 7. Zu ähnlicher Kritik FASBENDER, Zwischen Arbeitersport, 4f. Dazu etwa FRESE, Betriebspolitik; zum Betriebssport ebd., 395–403. Zur DAF allgemein HACHTMANN, Das Wirtschaftsimperium. LUH, Betriebssport in Deutschland, 10.
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Zur Geschichte des Werkssports existieren deshalb nur wenige Spezialstudien, die Ende der 1990er Jahre erschienen sind: ein von Gertrud Pfister herausgegebener Überblicksband,28 Andreas Luhs Dissertation über den Betriebssport im Leverkusener „Bayer“-Werk,29 seine Habilitation zur Entwicklung des Betriebssports zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik Deutschland einschließlich der DDR30 sowie Sebastian Fasbenders Dissertation zum Werkssport im Rheinland und im Ruhrgebiet in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus.31 Demgegenüber mangelt es an Arbeiten über lokale Strukturen, die einzelnen Branchen32 und Praktiken, die gesellschaftliche Bedeutung des Betriebssports und seine Entwicklung nach 1945.33 Zudem stellt sich die schwierige Aufgabe, den Werks- bzw. Betriebssport überzeugend zu definieren: Meint der Begriff doch einerseits das Angebot der Firmen an ihre Arbeitnehmer, Sport während oder nach der Dienstzeit zu treiben, andererseits aber auch das in „wilden“ Sportgruppen praktizierte spontane Sporttreiben der Arbeitnehmer in deren Freizeit, das nur in einem weiten Sinn zum Werkssport gezählt werden kann, da es häufig mit einer gewissen Distanz zum Werk verbunden war. Während Andreas Luh den Begriff Betriebssport in einer weiten Bedeutung zu Grunde legt und sehr unterschiedlich ausgeprägte Organisationsgrade zulässt,34 bleibt fraglich, ob es sich bei spontan angesetzten Bewegungspausen am Arbeitsplatz und den Aktivitäten in formellen Betriebssportgruppen tatsächlich um vergleichbare Phänomene handelt.35 Gerade angesichts „wilder“ und organisierter Sportgruppen im Betrieb macht es Sinn, im Anschluss an Fasbender zwischen „Arbeitnehmersport“ und „Werks- bzw. Betriebssport“ zu unterscheiden. „Werkssport“ und „Betriebssport“ werden in diesem Beitrag infolgedessen in einem engen Sinn verstanden: als offizielles und formelles Sportangebot der Geschäftsleitung an die Arbeitnehmer, durch den Betriebsrat oder die Arbeitnehmer selbst organisiert, betrieben in der Freizeit oder der Arbeitszeit der Arbeitnehmer. 3. Entwicklungslinien und Charakteristika des Arbeitersports Als eine Folge der Aufhebung des Sozialistengesetzes, das die politischen Tätigkeiten der Arbeiterbewegung massiv eingeschränkt hatte, wurde am 21. und 22. Mai 1893 der Arbeiterturnerbund (ATB) in Gera gegründet, der sich 1919 in
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Dazu PFISTER, Zwischen Arbeitnehmerinteressen. Dazu LUH, Chemie. Dazu LUH, Betriebssport zwischen Arbeitgeberinteressen. Dazu FASBENDER, Zwischen Arbeitersport und Arbeitssport. Hierzu indes jüngst LUH, Postsport; DERS., Eisenbahnersport. In diesem Sinn LUH, Betriebssport in Deutschland; KLEIN, Betriebssport. Zu den von ihm zum Betriebssport zählenden Formen LUH, Betriebssport in Deutschland, 7. Hierzu auch die Einleitung in: FASBENDER, Zwischen Arbeitersport und Arbeitssport.
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Arbeiter-Turn- und Sportbund (ATSB) umbenannte.36 Die Namenserweiterung trug der zunehmenden Versportlichung des ATB Rechnung, der sich ursprünglich ausschließlich auf das wettkampfabgeneigte, vom englischen Modell des Sports ideologisch zu trennende Turnen konzentriert hatte. Erst durch das hohe Interesse an wettkampforientierten Sportspielen und an der Leichtathletik vor allem in der Jugend, die zunehmend auf bürgerliche Sportvereine auswich, öffnete sich der ATB nach dem Ersten Weltkrieg langsam auch dem Sport.37 Organisiert nach dem Territorialprinzip in Bezirke und Kreise, kam dem Bund in der sozialdemokratischen und sozialistischen Arbeiterbewegung erhebliche Bedeutung zu. Beträchtlicher Mitgliederanstieg und zunehmende Ausdifferenzierung waren die Folge. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs zählte der ATB rund 1,2 Millionen, Ende der 1920er Jahre umfasste der ATSB etwa 700.000 Mitglieder.38 Dieser Mitgliederrückgang resultierte im Wesentlichen aus der Trennung in eine sozialdemokratische und eine kommunistische Organisation, die sich nicht mehr nur allgemein an die Arbeiterbewegung banden, sondern auch konkret parteipolitisch definierten.39 Die sozialdemokratische Zentralkommission für Arbeitersport und Körperpflege und die kommunistische Interessengemeinschaft zur Wiederherstellung der Einheit im Arbeitersport/Kampfgemeinschaft (KG) für Rote Sporteinheit standen sich in der Folge unter den Führungskadern konfliktbehaftet gegenüber, während es auf lokaler Ebene durchaus zur sportartbezogenen Zusammenarbeit zwischen kommunistischen und sozialdemokratischen Sportlern bzw. Vereinen kam.40 Der ATSB verlegte etwa 60 Zeitungen und Zeitschriften, darunter die als Zentralorgan seit 1921 wöchentlich publizierte „Deutsche Arbeitersportzeitung“, die vom 15. Januar 1928 an unter dem Titel „Sportpolitische Rundschau“ erschien. Insgesamt erreichten die Druckerzeugnisse eine Gesamtauflage von rund 800.000 Exemplaren. Der ATSB konnte sich zudem auf den 1907 gegründeten Arbeiter-Turnverlag stützen.41 Mit der Bundesschule in Leipzig verfügte der ATSB des Weiteren über ein eigenes Bildungswerk, das zwischen 1926 und 1933 Kurse von ein bis drei Wochen für jährlich rund 6.000 Teilnehmer anbot.42 Die vom ATSB veranstalteten Bundesfeste in Leipzig (1922) und Nürnberg (1929) fanden als Sportgroßereignisse beträchtliche Aufmerksamkeit, die durch das sogenannte Arbeiter-Olympia verstärkt wurde.43 Über die 1925 im neu eröffneten Frankfurter Waldstadion ausgetragenen Olympischen Spiele der Arbeiterbewegung drehte der Regisseur Wilhelm Prager sogar einen Dokumentarfilm mit 36 37 38 39 40 41 42 43
Zum Hintergrund TEICHLER, Arbeitersport als soziales und politisches Phänomen. Hierzu EISENBERG, „English sports“, sowie MAURER, Die Entstehung des Sports in England. Zu diesen und weiteren Daten TEICHLER, Arbeitersport – Körperkultur, 326. Analyse der Mitgliederzahlen und Rückgänge in: UEBERHORST, Frisch, frei, stark und treu, 257. Hierzu vor allem DIERKER, Arbeitersport; GIESLER, „Arbeitersportler schlagt Hitler!“ Hierzu und zum Folgenden TEICHLER, Frisch, frei, stark und treu. Dazu TEICHLER, 75 Jahre. Dazu TEICHLER, Die internationalen Großveranstaltungen.
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dem Titel „Die neue Großmacht“. Am Arbeiter-Olympia in Wien 1931 nahmen insgesamt 77.000 Teilnehmer teil, während 200.000 Zuschauer das Ereignis auf den Rängen verfolgten. In dieser hohen Teilnehmerzahl spiegelte sich das partizipative Selbstverständnis des Arbeitersports wider, das keine starren Grenzen zwischen Aktiven und Publikum ziehen wollte. Deshalb markierten nicht allein die Wettkämpfe, sondern gerade auch die Freiübungen für jedermann Höhepunkte der Olympischen Spiele der Arbeiterbewegung. Der ATB/ATSB war der bedeutsamste und mitgliederstärkste Verband in der sozialdemokratischen Zentralkommission für Sport und Körperpflege, dem unter der Leitung von Fritz Wildung Anfang der 1930er Jahre elf weitere sportnahe Verbände, darunter der Arbeiter-Radfahrerbund „Solidarität“ und der ArbeiterAthletenbund angehörten. Die Arbeitersportorganisationen verstanden sich als Anwälte des Breitensports und vertraten die Interessen der Arbeiterbewegung. Bereits im Gefolge der Industrialisierung hatten sich jene außerordentlich beständigen und strukturbildenden Milieus herauskristallisiert,44 die „durch eine relativ gleichartige Form materieller Subsistenzbegründung und zugleich durch ein Bündel gemeinsamer Werthaltungen, kultureller Deutungsangebote, politischer Regeln, historischer Traditionen und lebenspraktischer Erfahrungen“ gekennzeichnet waren.45 Infolge der restriktiven Haltung und Verfolgung seitens des wilhelminischen Obrigkeitsstaates waren Partei und Gewerkschaften im Kaiserreich in private Bereiche ausgewichen. Mit unzähligen Gesangs-, Musik-, Sport- und sonstigen Vereinen war ein eigenes Organisationsnetz entstanden, das als weitgehend in sich geschlossene Solidargemeinschaft auch in der Weimarer Republik Bestand hatte.46 Parallel zu den Wahlerfolgen der Sozialdemokratie und ihrer Entwicklung zur Massenpartei setzte im Kaiserreich eine organisatorische Durchdringung der Arbeiterschaft ein, die auch den Sport einbezog. Um Partei und Gewerkschaften formierte sich nicht nur eine über das ganze Reich sich erstreckende Massenorganisation, sondern auch eine eigene Lebenswelt, zu deren Trägern auch der Sport zählte.47 Selbst wenn die Bedeutung von freizeitbezogenen Vereinen als Vorfeldorganisationen der Arbeiterbewegung von einigen Partei- und Gewerkschaftsfunktionären zunächst in Frage gestellt wurde und einige Vereine abschätzig als „Klim-Bim-Vereine“ abqualifiziert wurden, war ihr Mitglieder- und Bedeutungszuwachs nicht aufzuhalten. Am Ende der 1920er Jahre gehörten al44 45 46
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Dazu LEPSIUS, Parteiensystem. So LOTH, Katholiken, 35. Mit Blick auf regionale Differenzierungen der Organisationsstrukturen in der Vorzeit detailliert WELSKOPP, Das Banner; zur Entwicklung des sozialdemokratischen Milieus RITTER/TENFELDE, Arbeiter, 781–835; zur analytischen Durchdringung und zum Begriff der Solidargemeinschaft LÖSCHE/WALTER, Die SPD. – Siehe des Weiteren auch die von Peter Lösche federführend betriebene und im Dietz-Verlag 1991 bis 1993 erschienene Publikationsreihe „Solidargemeinschaft und Milieu. Sozialistische Kultur- und Freizeitorganisationen in der Weimarer Republik“, in der der Sport lediglich am Rand behandelt wird. Zusammenfassend LEHNERT, Sozialdemokratie.
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lein 2.139 Sportplätze, 342 Übungshallen, 367 Vereinshäuser, 101 Bootshäuser, 128 Badeanlagen, 16 Sprungschanzen und 1.510 Umkleide- bzw. Geräteräume zum Besitz des ATSB-Zentralverbandes.48 4. Werksgemeinschaft im und durch den Sport Der Werkssport spielte als Instrument industrieller Unternehmensführung bereits im Kaiserreich eine wichtige Rolle. Das betriebsinterne Sportangebot sollte sowohl die Leistungsfähigkeit der Arbeiter sichern als auch dazu beitragen, sie dauerhaft an den Betrieb zu binden. Im gemeinsamen Sporttreiben sollte eine über Betriebshierarchien hinweg entstehende Werksgemeinschaft erfahrbar und spürbar werden. In diesem Sinn wurde der Sport in Betrieben des Ruhrbergbaus, wie etwa den Zechen Fürst Hardenberg und Minister Stein, durch die Betonung von Gesundheit und Gemeinschaft in doppelter Hinsicht „politisch“ aufgeladen. Die kostenfrei verbreitete „Zechenzeitung“49 warb regelmäßig für die werkssportlichen Aktivitäten und Freizeitangebote. In offensiver Diktion waren die Appelle an alle Beschäftigten gerichtet: „Turne! Das wäre auch ein Schlagwort wert, immer wieder jedem von uns eingehämmert zu werden. Turne! Das sollte in Riesenbuchstaben an jeder Schule, jedem Geschäftshaus, in jedem Büro, in jeder Werkstatt, in jedem Wartezimmer eines Arztes stehen. […] Turne! So rufe ich deinem Jungen, deinem Mädel zu, wenn sie bleichsüchtig in der Zimmerecke hocken und müde und verdrossen einherschleichen. Turne! Das sei dem reifen Mann, dem blühenden Jüngling, dem weißhaarigen Alten, das sei Kindern, Frauen und Mädchen zugerufen. [...] Turne! Das heißt, treibe Leibesübungen in einer der vielgestaltigen Formen. Turne! Dann dienst du dir und deinem Volke. Turne! Das soll unser aller Leitwort sein.“50
Vor allem in der Montanindustrie wurde die gesundheitliche Bedeutung des Sports hoch eingeschätzt. Immer wieder wies die „Zechenzeitung“ auf die körperlich anstrengenden Tätigkeiten unter Tage und die durch Kohlenstaub bedingten Belastungen hin und forderte die Belegschaft auf, für einen Ausgleich zu sorgen. Deutlich dokumentiert findet sich in der „Zechenzeitung“ die moderne Grenzziehung von Arbeitszeit und freier Zeit. In ihrer Freizeit sollten Werksangehörige möglichst umfassend entspannen und zu Kräften kommen, damit sie in der Arbeitszeit dem Werk nützlich sein konnten. Sportliche Aktivitäten an der frischen Luft sollten zur körperlichen Regeneration beitragen und das Gemeinschaftsgefühl stärken. Regelmäßig informierte die Werkszeitung über gemeinsame Wanderausflüge, die den Lehrlingen, deren Lungen „sich noch nicht an den 48 49 50
Die Zahlen nach TEICHLER, Frisch, frei, stark und treu, 104f.; abweichende, aber in der Tendenz ähnliche Daten in: BEIER, Bilder, 216–218. Die Zeitung erschien seit 1925 zweiwöchentlich und war für alle Werksangehörigen kostenfrei. „Turne!“, in Zechenzeitung 8 (1931), Nr. 22, 6.
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Kohlenstaub gewöhnen“ konnten, Gelegenheit eröffnen sollten, „mal wieder reine und gesunde Waldluft ein[zu]atmen“.51 Ausführliche persönliche Berichte ergänzten die offiziellen Ausführungen und „bewiesen“ die Sinnhaftigkeit und den tatsächlichen „Erfolg“ der Freizeitaktivitäten: „Der Wettergott meinte es gut mit uns. Die Sonne schien schon am Morgen heiß auf die wiedererwachte Erde hernieder. Mit einem fröhlichen Wanderlied auf den Lippen marschierten wir ab […]. Jetzt fing das Wandern erst richtig an, denn wir durften uns ganz zwanglos bewegen […]. Der Wald duftete. Hier und da schien die Sonne durch das Laubdach und warf goldene und silberne Fäden in das Gesträuch […]. In den Lüften jubilierten die Lerchen.“52 „Bald flackerte ein lustiges Feuer unter unserem Kochtopfe, und wir konnten uns ganz unserem Spiele hingeben. Einen Fußball hatten wir mitgenommen, mit dem wir auf der Wiese spielten […]. Wir haben auch schon gebadet, obwohl das Wasser noch kalt war […] Dann ging jeder nach Hause mit dem Bewußtsein, einen schönen Tag verbracht zu haben.“53
Während der erste Bericht über einen Wanderausflug an die Lippewiesen die romantisch wahrgenommene Natur in den Vordergrund stellte, betonte der zweite Bericht des Bergjungmanns Marquardt das „Wir-Gefühl“. Erholung, Sport und Geselligkeit bedingten sich gegenseitig. Das Erlebnis der Natur und die frische Luft stärkten zunächst die Lungen und entspannten die Seele, das Fußballspiel machte anschließend die Werksgemeinschaft erfahrbar. Wirkte das Ideal der Werksgemeinschaft ebenso wie das der „Volksgemeinschaft“ abstrakt, konnte es durch Sport sowie Sportberichte und -fotos in Werkszeitschriften erlebbar und sichtbar werden. Scheinbar spontan entstandene Schnappschüsse von lustigen Badeszenen, lachenden, vor Zelten oder Lagerfeuern stehenden Jugendlichen und von dynamischen Fußballspielszenen inszenierten und visualisierten das Werk als Gemeinschaft. Diese Bilder standen in Kontrast zur „harten“ industriellen Arbeitswelt der Werkhallen und Maschinen, die ebenfalls ausführlich durch Berichte und Bilder präsentiert wurde: Bilder der Arbeit und Bilder der Freizeit gingen fließend ineinander über.54 Die Bedeutung der durch Sport erfahrbar werdenen Werksgemeinschaft wurde auch bei der Gründung von Werkssportvereinen betont: „Werksport, Werkverbundenheit, zwei Begriffe, die nicht voneinander zu trennen sind und zusammengehören.“55 Illustrierte Berichte über Sport und Freizeit kommunizierten das bildliche Versprechen einer zufriedenen Belegschaft, die mit Loyalität und Dankbarkeit an das Werk gebunden war. Dass Turnen und Sport somit primär als Mittel zum Zweck verstanden wurden, zeigte sich auch bei der Gründung des Werkssportvereins Hardenberg im 51 52 53 54 55
Bericht von einer Sauerlandfahrt in: Zechenzeitung 8 (1931), Nr. 15, 7. Bericht von einer Wanderfahrt der Bergjungleute der Jahrgänge 1929/II und 1931/I Minister Stein zu den Lippewiesen bei Lippolthausen, in: Zechenzeitung 8 (1931), Nr. 15, 7. Ebd. Zu Visualisierungsstrategien in Werkszeitschriften LÜDTKE, Industriebilder, 69f. Gründung des Werkssportvereins, in: Zechenzeitung 10 (1933), Nr. 4, 7.
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Jahr 1933: „Turnen erhält gesund und lebensfrisch; denn erhält Turnen nicht gesund und lebensfrisch, so ist es zweckloses Tun und verliert seine Daseinsberechtigung.“56 Das Sporttreiben galt nicht nur als individueller Beitrag zur eigenen Gesundheit, sondern wurde auch in den „Dienst am Ganzen“ gestellt. Ende der 1920er Jahre intensivierte die „Zechenzeitung“ ihre Ausführungen über Nutzen und Wert des Sports. Exemplarisch sind die 1931 publizierten „Zehn Gebote eines Sportmannes“ anzuführen, die an typisch bürgerliche Tugenden erinnern. Sie gaben nicht nur allgemeine Hinweise zur Fairness im Sport, sondern mahnten den Leser, die Werte des sportlichen Spiels auf andere Bereiche zu übertragen: „Du sollst Sportsmann auch in deinem Leben sein, dich bemühen, der beste zu sein vor allem anderen.“57 Die „Zechenzeitung“ erklärte Turnen als Beitrag zur individuellen Gesundheit sowie als Voraussetzung der Volksgesundheit und gab dem Sport damit einen eminent politischen Sinn: „Nun, liebe Turnbrüder, liegt es an uns, daß wir unseren Werksportverein auch lebensfähig erhalten und das heißt, in echter deutscher Turnertreue zusammenzuhalten […], die Turnstunden fleißig zu besuchen […], damit wir eine recht große und starke Werksportgemeinde werden zum Wohle des Werkes und des deutschen Vaterlandes.“58
5. Arbeitersport und „Machtergreifung“: zwischen Erosion und „Gleichschaltung“ Im Zuge der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ kam es im Sport zu ähnlichen Veränderungen und Umbrüchen wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen, die das Leben der Arbeiterinnen und Arbeiter berührten.59 Das vielschichtige Panorama der Strömungen im Sport der Weimarer Republik stand in Konflikt mit dem totalitären System des Nationalsozialismus. Trotz der Vorbereitungen zu den Olympischen Spielen 1936 und der damit verbundenen internationalen Aufmerksamkeit für den Sport in Deutschland erfolgte eine schrittweise „Gleichschaltung“ von Sport und Freizeit durch das NS-Regime. Dabei sahen sich der Arbeitersport und der Werkssport mit höchst unterschiedlichen Strategien der Nationalsozialisten konfrontiert. Während der Werkssport in den nationalsozialistischen Staat integriert wurde, stand der Arbeitersport vor dem Ende. Verfolgung, Verbote, Anbiederung an das NS-System und Selbstauflösung der einzelnen Organe der Sportbewegung beseitigten nicht nur die Pluralität der Weimarer Sportkultur, sondern auch die Arbeitersportbewegung. Heinrich August Winklers Diktum von der „Machtergreifung als der größte[n] Katastrophe in 56 57 58 59
„Gesundheitssport“, in: Zechenzeitung 10 (1933), Nr. 7, 6. „Zehn Gebote des Sportmannes“, in: Zechenzeitung 8 (1931), Nr. 10, 6. Gründung des Werkssportvereins Fürst Hardenberg, in: Zechenzeitung 10 (1933), Nr. 4, 7. Grundlegend für die Arbeiterbewegung SCHNEIDER, Unterm Hakenkreuz; für den Sport BERNETT, Der deutsche Sport; DERS., Der Weg des Sports; DERS., Nationalsozialistische Leibeserziehung.
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der Geschichte der Arbeiterbewegung“ gilt daher auch für den Arbeitersport.60 Gleichwohl kommt dem Arbeitersport eine gewisse Ausnahmestellung im Prozess der „Gleichschaltung“ zu, da die Entwicklung hier vielschichtiger verlief als bei Gewerkschaften, Parteien oder anderen Vorfeldorganisationen der Arbeiterbewegung.61 Das Reichsinnenministerium hatte am 27. Juni 1933 ein Schreiben an die Länderregierungen verfasst, in dem es mit Blick auf die zurückliegenden Monate zusammenfassend feststellte: „Nach dem großen Umbruch zu einer einzigen Volksgemeinschaft, der sich in den letzten Monaten vollzogen hat, ist für gesellschaftlich und klassenmäßig umgrenzte Verbände und Vereine kein Platz mehr im deutschen Sport.“62
Dem Arbeitersport standen die neuen Machthaber besonders kritisch gegenüber. Bei seiner Zerschlagung ist jedoch einerseits zwischen dem kommunistischen und dem sozialdemokratischen Spektrum und andererseits zwischen Verbänden und Vereinen zu unterscheiden. Ähnlich wie bei den politischen Parteien traf es auch im Sport die kommunistische Arbeiterbewegung am schwersten. Bereits Ende Februar wurden die Berliner Büroräume des kommunistischen Sportverbandes, der Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit, geschlossen und die Leiter Ernst Grube und Willi Prietzel in „Schutzhaft“ genommen.63 Noch in der Nacht nach dem Reichstagsbrand wurden weitere führende Funktionäre der KG für Rote Sporteinheit verhaftet.64 Fortan konnte der Verband nur noch im Untergrund agieren – und dies mit zunehmend sich verschlechternden Aussichten auf Erfolg.65 Obwohl im Jahr 1933 die Kommunikation noch aufrechterhalten und zahlreiche Flugblätter verteilt werden konnten, führte die zentralistische Struktur der kommunistischen Sportorganisation und die Verhaftung einzelner Kader schließlich zur Zerschlagung der Organisation.66 Demgegenüber setzte der sozialdemokratische Arbeitersportverband auf eine betont legalistische Haltung und hoffte, mit dieser Strategie weiteren Verfolgungen zu entgehen.67 Horst Ueberhorst zitiert eine Erklärung des Vorsitzenden der Fußballsparte im ATSB Robert Riedel, die diesen Zweckoptimismus dokumentiert: 60 61
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WINKLER, Der Weg, 954. Wichtigste Spezialstudien zur Zerschlagung des Arbeitersports: BERNETT, Die Zerschlagung; NITSCH, Anpassungs- und Widerstandsformen. Neben den oben in Anm. 16 genannten Qualifikationsarbeiten zum Thema vgl. TEICHLER, Arbeiterkultur und Arbeitersport, und die Ergebnisse des Arbeitskreises „Ende des Arbeitersports 1933? Auflösung – Zerschlagung – Assimilierung“, in: NITSCH/PEIFFER, Die roten Turnbrüder, 118–126. Zit. nach STILLER, Der Segelsport, 119, der wiederum die Monatsschrift „Die Jugendpflege“ zitiert. Dazu UEBERHORST, Frisch, frei, stark und treu, 256. Dazu BERNETT, Die Zerschlagung, 355f. Demgegenüber fanden noch in den folgenden Wochen Wettkämpfe „von geschlossenen Rot-Sport-Mannschaften statt“ (BLECKING, Widerstandsformen, 58). Dazu ebd., 59. Dazu BERNETT, Die Zerschlagung, 349.
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„Die Befürchtung jedoch, dass der Arbeitersport verboten werden könnte, teilen wir nicht. […] Wer denn die Leibesübungen dieser Bewegung verbieten wollte, versündigt sich gegen den besten Teil des jetzigen jungen Deutschlands. Für diese Tat halten wir selbst die Faschisten nicht fähig.“68
Sozialdemokraten und Kommunisten verfolgten auch im Sport keine gemeinsame Strategie gegen die Nationalsozialisten. Nur in Einzelfällen, so etwa in Leipzig,69 Velbert oder Harburg,70 organisierten sie gemeinsame Aktionen. Doch letztlich scheiterte der vor allem an der Basis betriebene Widerstand an der fehlenden Unterstützung der höheren Ebenen und an den ideologischen Gegensätzen. Unter dem Eindruck der „Sozialfaschismus“-These und der linken Generallinie der Berliner KP-Zentrale einerseits sowie der Legalitätspolitik der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und ihrer Orientierung zur politischen Mitte andererseits hatte die häufig diskutierte Annäherung von sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeitersportlern keine realistische Chance – auch nicht in den Schicksalsmonaten zu Beginn des Jahres 1933.71 In der sozialdemokratisch orientierten „Arbeiter-Turnzeitung“ konnte man am 22. März lesen, dass man „in der gegenwärtigen Zeit sich der Bedeutung der gesamten Lage bewußt“ sei und „nichts unternehmen werde, was schädigend für unsere Bewegung wirken kann.“72 Wie aussichtlos solche Erklärungen waren, zeigte sich am 23. März 1933, als die Bundesschule des ATSB in Leipzig von der SA besetzt wurde.73 Dennoch wurden Legalitätsverpflichtungen und Anpassungsbereitschaft auch weiterhin bekundet. In einem Schreiben vom 27. März 1933 erklärte der Dachverband, die Zentralkommission für Sport und Körperpflege, unter Fritz Wildungs Federführung sogar die Bereitschaft zur Überführung der sozialdemokratischen Verbände in den bürgerlichen Deutschen Reichsausschuss für Leibesübungen (DRA).74 Als dies vom DRA abgelehnt wurde, löste sich die Zentralkommission für Sport und Körperpflege Mitte Mai 1933 ebenso auf wie der DRA.75 Der ATSB kämpfte hingegen weiter um seinen organisatorischen Bestand. Er betonte unter Leitung seines Vorsitzenden Cornelius Gellert in einem Schreiben an den nationalsozialistischen Reichsinnenminister Wilhelm Frick den „staatsbejahenden Charakter“ der Organisation und bat darum, dass ihm „die Weiterarbeit 68 69 70 71 72 73
74 75
Zit. nach UEBERHORST, Frisch, frei, stark und treu, 255. Hierzu KUPFER, Arbeitersportler, 19f. Dazu TIMMERMANN, Geschichte, 161. Zu den Kooperationsüberlegungen, neben den Ausführungen Dierkers, eingehender BEDHUHN, Die roten Radler, 103–107; DERS./KLOCKSIN, Rad – Kultur – Bewegung. Arbeiter-Turnzeitung, 22.3.1933, 68. UEBERHORST, Frisch, frei, stark und treu, 255, datiert die Besetzung auf den 25. März 1933, KUPFER, Arbeitersportler, 19, indessen auf den 9. März 1933, wobei Mitte März die Nutzungsgenehmigung entzogen worden sei. Zum Charakter und zur Legitimation dieser Erklärung UEBERHORST, Frisch, frei, stark und treu, 256. Die entsprechende Erklärung ist abgedruckt in: GIESLER, „Arbeitersportler schlagt Hitler!“, 108f.
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ermöglicht und beschlagnahmtes Vermögen zurückgegeben werde“.76 Als jedoch Ende April 1933 auf regionaler Ebene verstärkt gegen den ATSB als Verbandsorganisation vorgegangen wurde, zeigte sich die Ausweglosigkeit und letztlich das Scheitern der Legalitätspolitik. Am 25. April 1933 wurde in Baden mit sämtlichen „marxistische[n] Wehr-, Turn-, Sport-, Kultur- und Jugendorganisationen“ auch der ATSB verboten. Drei Tage später traf das Verbot den ATSB in Sachsen. Keine drei Monate nach der „Machtergreifung“ und vor dem offiziellen Verbot der SPD am 22. Juni 1933 war die Geschichte des ATSB formal beendet.77 Jedoch verhängte das Reichsinnenministerium kein reichsweites Verbot des ATSB. Hajo Bernett hat mit Blick auf eine Verfügung zum „Neuaufbau der deutschen Sportorganisationen“ vom 27. Juni 1933 darauf hingewiesen, dass der Reichsinnenminister auf die bereits vollzogenen Selbstauflösungsprozesse setzen und die Liquidierung der einzelnen Fachverbände des Arbeitersports dem Reichssportkommissar bzw. der regionalen Ebene überlassen konnte.78 Die folgenden Monate brachten die vollständige Auflösung der Verbände und ihrer Organisationsstrukturen mit sich. Bei der Liquidation wurden „Reichstreuhänder“ eingesetzt, die das Vermögen Sportzwecken zuführen sollten.79 Formal wurde in diesem Zusammenhang auf die Nähe der Arbeitersportverbände zur SPD und deren Charakter als Hilfs- und Nebenorganisationen hingewiesen.80 Außerordentlich brutal verlief die Auflösung des Arbeiterradfahrerbundes „Solidarität“. Anfang März wurden dem Verband die Konten gesperrt, sodann besetzte die SA den Sitz des Zentralverbandes in Offenbach am Main. Der Vorsitzende Heinrich Niemann wurde bei dieser Aktion ermordet; andere Funktionäre wurden in Konzentrationslager verschleppt. Die angeschlossene FrischaufFahrradfabrik, ein genossenschaftlich organisiertes Unternehmen mit rund 1.000 Mitarbeitern, wurde beschlagnahmt und enteignet.81 Bei der Bekämpfung der NSDAP und ihrer Vorfeldorganisationen hatte der Arbeitersport zunächst darauf gesetzt, den Nationalsozialisten den Zugang zu den staatlichen Machtinstrumenten der Exekutive zu versperren.82 Als die NSDAP jedoch an die Macht gelangt war, schienen alle Alternativen zu einem Legalitätskurs, wie ihn die Führung der SPD in Übereinstimmung mit weiten 76 77 78
79 80 81 82
Dazu das Gutachten von BRUNNER/HEIDENREICH/LANGEWIESCHE/TEICHLER/UEBERHORST, Sozialdemokratische Partei, 36. Ebd., 36. Vgl. BERNETT, Der deutsche Sport, 235; DERS., Die Zerschlagung, 366, mit Hinweisen zu den in Regierung und Verwaltung geführten Überlegungen eines reichsweiten Verbots. Dazu BERNETT, Die Zerschlagung, 360. Dazu BRUNNER/HEIDENREICH/LANGEWIESCHE/TEICHLER/UEBERHORST, Sozialdemokratische Partei, 38. Dazu BEDHUHN, Die roten Radler, 108–110. Die Reichsleitung des ATSB hatte am 7. Februar 1932 mit einer Entschließung die Mitwirkung in der Eisernen Front zum Ausdruck gebracht und diese unmittelbar nach der „Machtergreifung“ bekräftigt. – Dazu BRUNNER/HEIDENREICH/LANGEWIESCHE/TEICHLER/UEBERHORST, Sozialdemokratische Partei, 35.
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Teilen der Partei eingeschlagen hatte, aussichtlos zu sein.83 Widerstand jenseits der rechtstaatlich vorgezeichneten Wege war auch für den Arbeitersport keine Perspektive, denn dies hätte ein Einschwenken auf die kommunistische Linie bedeutet sowie Massenkämpfe und in letzter Konsequenz Bürgerkrieg.84 Im Verbandswesen der Arbeitersportbewegung ist zwischen Zerschlagung und „Gleichschaltung“ zu differenzieren. Dass die Grenzen jedoch auch fließend verlaufen konnten, zeigt das Beispiel des Freien Segler-Verbandes, der bereits in der Weimarer Republik bewusst apolitisch agiert und sich nie offen für die sozialdemokratische Arbeiterbewegung ausgesprochen hatte. Die Zurschaustellung von Symbolen der Arbeiterbewegung, etwa der drei Pfeile der Eisernen Front, untersagte er sogar explizit.85 Nach der Reichstagswahl am 5. März 1933 betrieb der Verband eine gezielte Politik der Annäherung und „Selbstgleichschaltung“. Er trat aus dem Arbeitersportkartell Berlin aus, benannte sich in Deutscher Fahrten- und Wettsegelverband um, wechselte die Verbandsfarben und änderte den Titel des Verbandsorgans. Als deutlich wurde, dass auf diese Weise zwar einzelne Vereine, nicht jedoch der Verband die Selbstständigkeit retten konnten, schloss sich der Seglerverband an den Nationalsozialistischen Wassersportverband an, wodurch Boote und Bootshäuser gerettet werden konnten. Dessen Vorsitzender erklärte im Mai 1933 über den ehemaligen Freien Segler-Verband: „Der Verbandsvorstand hat einstimmig in meiner Gegenwart, nicht unter Druck von irgendeiner Seite, sondern nach eingehender Aussprache freimütig beschlossen, im Nationalsozialistischen Wassersportverband aufzugehen.“86
Hatte die Zerschlagung des Verbandswesens im Arbeitersport im Zuge der „Machtergreifung“ schon erhebliche Unterschiede gezeigt, so erwies sich das Geschehen auf der lokalen Ebene der rund 18.000 Vereine des Arbeitersports als noch weitaus komplizierter.87 In einer ersten Phase der „Machtergreifung“ hatten kommunistisch orientierte Arbeitersportvereine sowie sozialdemokratische Arbeitersportvereine, die sich zuvor politisch besonders deutlich exponiert hatten, mit unmittelbaren Konsequenzen zu rechnen. Seit Frühjahr 1933 wurden Verfolgungsmaßnahmen gegen renitente Organisationen der Arbeiterbewegung eingeleitet, die in Durchsuchungen und Beschlagnahmungen ihren Anfang nahmen und im Verbot einzelner Vereine gipfelten. Währenddessen konnten andere Vereine unter einer neuen, „gleichgeschalteten“ Führung weiter bestehen oder sie entschlossen sich, unter dem Dach bürgerlicher Vereine Zuflucht zu suchen. Typologisch lassen sich die diesbezüglichen Reaktionen in sechs Verhaltensweisen 83 84 85 86 87
Hierzu ausführlich TIMMERMANN, Geschichte, 169. Zur Debatte um Handlungsspielräume und die Haltung der Arbeitersportbewegung im Kontext des Preußenschlags UEBERHORST, Frisch, frei, stark und treu, 250–254. Dazu STILLER, Der Segelsport, 124. Der Deutsche Segler 2 (1933), 21, zit. nach STILLER, Der Segelsport, 129. Diese Zahlenangabe nach TEICHLER, „Wir brauchten einfach den Kontakt zueinander“, 231. – Zu berücksichtigen ist dabei jedoch, dass diese Zahl das gesamte Spektrum der Vereine und Verbände der Zentralkommission für Arbeitersport und Körperpflege umfasst, die nicht notwendigerweise alle im engeren Sinn dem Sport zuzuordnen sind.
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einteilen, die jedoch nicht immer strikt voneinander getrennt werden können, sondern vielfach ineinander übergingen.88 5.1. So wurden zahlreiche Vereine des Arbeitersports aufgelöst, da die Verfolgung ein bedrohliches Ausmaß angenommen hatte oder sich die Aktiven resigniert zeigten. Letzteres galt vor allem für jene, die den Sport tatsächlich politisch verstanden hatten und ihn nun nicht mehr im bisherigen Sinn praktizieren konnten. Die nationalsozialistische Aufladung des Sports lehnten sie ab. Aus dieser persönlichen Abkehr vom Sport folgte vielfach der Rückzug in die innere Emigration. Wiederholt wurden im Jahr 1933 Vereine verboten und aufgelöst, sie stellten ihre Aktivitäten ein, da sich die Arbeitersportlerinnen und -sportler vielfältigen Nachstellungen ausgesetzt sahen. So besetzte die SA in Hannover am 2. Mai 1933, in Anlehnung an die Besetzung der Gewerkschaftshäuser, die Sportstätten der Arbeitersportvereine. Ein in Hannover befragter Zeitzeuge erklärte dazu: „Der Platzverwalter war ein älterer arbeitsloser Kamerad … Den hat man vom Platz runtergeprügelt, hat die gesamten Geräte, die unser Eigentum waren, auf einen Haufen zusammengetragen und abgebrannt. Vor allen Dingen unsere Literatur, unsere Gesangsbücher und unsere sportlichen Zeitungen, alles, was wir einmal hatten, was von Leipzig herausging. Das wurde alles vernichtet und verbrannt“.89
Solche Aktionen wurden vielfach durch formale Enteignung sanktioniert, Mietverträge für Sportstätten wurden gleichzeitig gekündigt. Die Brutalität der Verfolgung beendete die Aktivitäten zahlreicher Arbeitersportvereine, beispielsweise der Freien Schwimmer Bochum.90 Den Wiedergutmachungsakten ist zu entnehmen, dass der Verein das Städtische Schwimmbad nicht mehr benutzen durfte, die Zusammenkünfte der Mitglieder wurden unterbunden, das Vereinsvermögen eingezogen. Als SA-Leute die Bootshäuser besetzten, Türen versiegelten, Sportgeräte teils mit Waffengewalt konfiszierten und Unterlagen beschlagnahmten, stellte der Arbeitersportverein seine Aktivitäten ein. 5.2. Andere ehemalige Arbeitssportlerinnen und -sportler zogen sich ebenfalls vom aktiven Sport zurück, verharrten aber nicht in der Passivität, sondern engagierten sich im Widerstand. Zu ihnen gehörte der frühere Leiter des Arbeitersportkartells in Dortmund Max Zimmermann, unter dessen Leitung eine „Widerstandsorganisation aus Arbeitersportlern“ entstand, „die äußerst geschickt in der Zeit nach dem Verbot des Arbeitersports den Gruppenzusammenhang in Kleingärtner- oder Kegelvereinen aufrecht“ erhielt.91 5.3. Dem Rückzug in die Passivität oder den Untergrund unter Verzicht auf weitere Sportaktivitäten stand eine Neuausrichtung der früheren Sportaktivitäten und Vereinsstrukturen im Sinn der Anpassung gegenüber. Häufig wurde ein 88 89 90 91
Hierzu SCHMIECHEN-ACKERMANN, Sozialistische Milieuvereine. Zit. nach DWERTMANN, Zwischen deutscher Kulturtradition, 89. Dazu MALVACHE, Ideologie; DERS., Arbeitersport. So BLECKING, Widerstandsformen, 61.
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NSDAP-Mitglied zum neuen Vorsitzenden eines früheren Arbeitssportvereins gewählt, womit die Erwartung verbunden war, dass bei systemkonformem Verhalten und Anerkennung des nationalsozialistischen Machtanspruchs die „alten“ Arbeitervereine kollektiv in die bestehenden Strukturen des NS-Staats integriert werden konnten. So reagierten die Freien Sportangler aus Hannover und Umgebung auf die Kündigung der Nutzung ihres Vereinsgeländes, indem sie das Attribut „Frei“ aus ihrem Namen strichen und erklärten: „Durch die Gleichschaltung trifft der Beschluss der Städtischen Kollegien nicht mehr zu, und wir bitten, da der Verein unter nationalsozialistischer Leitung steht, die Kündigung […] zu ändern.“92
Sportorganisationen, die sich politisch weniger stark an die Arbeiterbewegung gebunden und den Sport auf individueller Ebene weitgehend zweckfrei betrieben hatten, mag solch ein Übertritt in die nationalsozialistischen Sportstrukturen leichter gefallen sein. 5.4. Der Übertritt einzelner Abteilungen oder eines ganzen Vereins des Arbeitersports in einen anderen bestehenden Sportverein stellt eine weitere, beispielsweise in Hannover praktizierte Alternative dar: „145 Mitglieder der FT Hannover schließen sich dem SV Odin an. Die ArbeiterSaalradsportler schließen sich dem RV Hawa-Göricke an. Das Handballspiel wird 1933 bei Germania List durch den Übertritt von Sportlern der Freien Schwimmer und der FT List eingeführt“.93
Beim Übertritt von Arbeitersportabteilungen konnten sogar Wettkämpfe mit Abteilungen des aufnehmenden Sportvereins stattfinden, etwa die Handballspieler des SV Schwenningen in Württemberg, die „ein Qualifikationsspiel gegen die Spieler der ‚TG Schwenningen‘“ austrugen: „Da sie klar besser waren, stellten sie fortan die 1. Handballmannschaft der Turngesellschaft“.94 Arbeitersportvereine, die ihre Aktivitäten bereits eingestellt hatten, wurden ausdrücklich aufgefordert, wieder aktiv zu werden, so etwa „Mitglieder des aufgelösten ATSB-Vereins ‚Turn- und Sportverein Wangen‘“, die „sich nach dem Verbot vom Sport fernhielten“, dann aber „von den nationalsozialistischen Machthabern zur Mitarbeit aufgefordert“ wurden. Da der örtliche bürgerliche Verein das Angebot unterbreitet hatte, sie als gleichberechtigte Mitglieder unter Anrechnung ihrer seitherigen Mitgliedschaft aufzunehmen, fiel „vielen der Eintrittsschluss leichter“.95 Infolgedessen änderten sich Mitgliedsstrukturen, bis dahin dezidiert bürgerliche Vereine verloren zumindest partiell ihren milieubedingten Charakter und ihre spezifischen Wertvorstellungen. Auch Werkssportvereine waren von dieser Entwicklung betroffen, beispielsweise Tura Leipzig, wo sich zahlreiche ehemalige Arbeitersportler versammelt hatten und der ehemalige ATSB-Fußballspartenleiter Riedel als Trainer amtierte. 92 93 94 95
Zit. nach DWERTMANN, Zwischen deutscher Kulturtradition, 96. Zit. nach ebd., 95. FRICKE, Spaltung, 172. Ebd., 173.
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Der Verein war im Jahr 1932 als Werksteam eines Leipziger Automatenfabrikanten gegründet worden. Die Gestapo äußerte den Verdacht, dass bei Tura die „Aktivitäten früherer Arbeitersportfunktionäre als Bestandteil des Versuchs“ zu werten seien, „eine Nebenorganisation der SPD“ fortzuführen.96 Das NS-Regime sah sich angesichts derartiger Übertritte mit durchaus widersprüchlichen Tendenzen konfrontiert. Auf der einen Seite steht die Deutsche Turnerschaft (DT), der bei der Ausgrenzung von Arbeitersportlern eine Pionierfunktion zukam, da sie am 23. März 1933 entschieden hatte, dass „sozialistische Vereine des Arbeiter-Turn und Sport-Kartells nicht aufgenommen werden dürfen. Einzelmitglieder müssen zuvor die Satzung der DT schriftlich anerkennen.“97 Auf der anderen Seite propagierte Hans von Tschammer und Osten, der am 28. April 1933 als Reichskommissar für Turnen und Sport eingesetzt worden war, einen „Integrationskurs“98 gegenüber den Vereinen des Arbeitersports. Er forderte sogar zur „kameradschaftlichen Zusammenarbeit mit den von ihren Führern verlassenen Arbeitersportlern“ auf.99 Dies entsprach dem „Tenor“ einer von von Tschammer und Osten initiierten Besprechung in Berlin am 24. Mai 1933 und dem Diktum, „nicht generell verbieten, sondern anzugliedern [zu] suchen“.100 5.5. Zahlreiche Einzelsportler, deren Vereine aufgelöst worden waren, entschieden sich als weitere Reaktionsmöglichkeit zum Übertritt in einen bürgerlichen Verein. Bei ihnen war der Wunsch nach sportlicher Betätigung stärker als das politische Bekenntnis, etwa bei dem Cottbusser Fußballer Barry Schulz, der für den letzten ATSB-Vizemeister gespielt hatte. Als er Besuch von vier SSMännern bekam, befürchtete er bereits, verhaftet zu werden. Er wurde jedoch lediglich gefragt, ob er bereit sei, für einen Nicht-Arbeitersportverein aufzulaufen und nahm dieses Angebot ohne größeres Zögern an.101 Auch anderen Arbeitersportlern erschien das Angebot, in einen „gleichgeschalteten“ DRL-Verein überzutreten, durchaus akzeptabel. Vielfach fungierten bürgerliche Vereine als „Auffangbecken“ für politisch bisher nicht in Erscheinung getretene Sportler; in einigen Fällen wurden sogar kommunistische Sportler integriert. Den Arbeitersportlern wurde der Wechsel dadurch erleichtert, dass bereits vor der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ der Arbeitersport (im Arbeitersportverein) vom Sport der Arbeiter kaum zu trennen war. Schließlich waren die in bürgerlichen Vereinen Sport treibenden Arbeiter bereits in der Endphase der Weimarer Republik bei weitem in der Überzahl. So wurde im Einzugsbereich des Gelsenkirchener Fußballvereins Schalke 04 mit einem hohen Arbeiteranteil vor 1933 primär
96 97 98 99 100 101
Zit. nach TEICHLER, Ende, 197. Zit. nach BERNETT, Der deutsche Sport, 246. Dazu BERNETT, Der deutsche Sport, 228–230. So TEICHLER, „Wir brauchten den Kontakt zueinander“, 234. STILLER, Der Segelsport, 119. Dazu STILLER, Der Segelsport, 232.
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„linksorientiert“ gewählt, während im Sport die bürgerlichen Fußballvereine dominierten.102 5.6. Neben dem völligen Rückzug vom Sport bzw. dem Rückzug in die innere Emigration oder den Widerstand einerseits und der Einbindung in das nationalsozialistische Organisationsgefüge andererseits gab es weitere Reaktionsmöglichkeiten, die zwischen Anpassung und Widerstand bzw. Resignation und Kampfbereitschaft changierten. So ist als sechste Ausprägung die „Scheingleichschaltung“ von Arbeitersportvereinen anzuführen. Unter formal neuer Ausrichtung bestand zwar wenig Spielraum für politisch abweichende oder sogar oppositionelle Aktivitäten, doch die Identität, das spezifische Verständnis des Sports und der Milieuzusammenhang des Vereins konnten gewahrt werden. Auch nach seiner Auflösung konnte ein Arbeitersportverein somit informell weiterbestehen und die zuvor durch den Verband organisierte Sportaktivität in freiem Sporttreiben ausüben. So geht aus einem Spitzelbericht hervor, dass es nach Ansicht der Nationalsozialisten nicht gelungen sei, frühere Arbeiterradsportler hinreichend zu integrieren bzw. zu kontrollieren. Demzufolge „[…] ist in Süddeutschland der Zugang aus früheren freien Verbänden (Solidarität etc.) in unseren Verband derartig gering, daß es mir zu bedenken gab. Seitdem die Wanderfahrsaison eingesetzt hat, machte ich fast jeden Sonntag eine interessante Wahrnehmung. Ich beobachtete, dass frühere Angehörige der linksorientierten Parteien sich in kleineren und größeren Gruppen zusammenfinden und per Rad unbeobachtete Orte aufsuchen. […] Das Alter ist durchschnittlich zwischen 20 und 30 Jahren, also ein Alter, in dem sie sich entweder unserer Sportbewegung oder den Wehrsportverbänden zur Verfügung stellen sollten. Da ich begründeten Verdacht habe, daß diese Leute einen geheimen Nachrichtendienst ausüben, habe ich vor ca. 14 Tagen die geheime Staatspolizei unterrichtet, welche entsprechende Nachforschungen einleitet. … Gerade an Pfingsten konnte ich an beiden Tagen wiederholt größere und kleinere Gruppen in dieser blauen Aufmachung, die sehr viel bei der Solidarität und auch bei den Naturfreunden getragen wurde, auf Rädern feststellen.“103
Dieses Beispiel lässt vermuten, dass die politische Ausrichtung und die Milieustruktur zumindest in Ansätzen gewahrt werden konnten. Auf einen Nenner lassen sich die hier typisierend skizzierten Reaktionsmuster nicht bringen. Auf den ersten Blick betrachtet markierte die nationalsozialistische „Machtergreifung“ zwar formal das „Ende“ der Arbeitersportbewegung, auf der lokalen Vereinsebene waren die Abläufe aber weitaus komplexer. Auch wenn die Solidargemeinschaft der Arbeiterbewegung nach 1933 teils erodierte oder zerstört wurde, bestanden Organisationsstrukturen und -kerne weiter fort. Zumindest Teile der Lebenswelt des Arbeitersports konnten aufrechterhalten werden. In diesem Sinn ist es trotz veränderter organisatorischer und struktureller Rahmenbedingungen in vielen Fällen „offensichtlich erfolgreich gelungen, 102 103
Dazu TEICHLER, Arbeitersport – Körperkultur, 327; GEHRMANN, Der F.C. Schalke; GOCH, Fußball. Zit. nach TEICHLER, „Wir brauchen einfach den Kontakt zueinander“, 236.
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die Kontinuität des sozialdemokratischen Milieus im Freizeitbereich zu bewahren“.104 6. „Machtergreifung“ und die Transformation des Werkssports Im Gegensatz zum Arbeitersport konnte der Werkssport grundsätzlich leichter in die veränderten Strukturen und Lebenswelten des NS-Staats überführt werden. Der Werkssport war insofern mit politischen Implikationen „durchtränkt“, als ihm in der betrieblichen Sozialpolitik eine wichtige Rolle zukam.105 Der ihm zugesprochenen Aufgabe, Werksgemeinschaften zu schaffen und einen Beitrag zur Volksgesundheit zu leisten, lag indes keine parteipolitische Fundierung im sozialdemokratischen oder sozialistischen Sinn zugrunde. Während die Unternehmensführung oder die Belegschaft den Sport bis 1933 eigenverantwortlich organisierten, übernahmen nach der „Machtergreifung“ und „Gleichschaltung“ die Deutsche Arbeitsfront (DAF) als Einheitsgewerkschaft und die in unterschiedliche „Ämter“ ausdifferenzierte Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ dessen reichsweite Koordination.106 Von 1933 bis 1936 blieben die bestehenden Werkssportvereine zunächst relativ unbehelligt, während Neugründungen von Werkssportgruppen und betriebsbezogenen Vereinen behindert bzw. unterbunden wurden. Die Arbeiterbewegung hatte den Werkssport bis 1933 weitgehend abgelehnt, denn sie sah in ihm eine im Sinn der paternalistischen Unternehmenspolitik gewährte Gnade, die jederzeit wieder entzogen werden konnte, aber kein verbürgtes Recht. Auch die den Werkssportgemeinschaften zugeschriebenen Ziele der Wahrung des Betriebsfriedens und der politischen Neutralität oder der Verdacht, es handle sich um potenzielle Streikbrechervereinigungen, hatten zu dieser Distanz beigetragen. Nach 1933 änderte sich diese Haltung jedoch grundlegend. Der Werks- oder Betriebssport entwickelte sich zu einem Zufluchtsort ehemaliger Arbeitersportler. Dies nicht zuletzt auch, weil die Unternehmen – namentlich die Großunternehmen mit volkswirtschaftlich zentralen Produktionsstätten und starker Verhandlungsposition – eine zu starke Einflussnahme der DAF verhindern und einen gewissen Freiraum gegenüber nationalsozialistischer Indoktrination sichern wollten. Erst ab Mitte der 1930er Jahre verstärkte das NS-Regime den Zugriff auf den Werkssport. Im Dezember 1936 wurde eine von Robert Ley unterstützte Verordnung von Hans von Tschammer und Osten über die zukünftigen Aufgaben des KdF-Amtes für Sport vorgestellt.107 Diese sah die Auflösung der Werkssportvereine und die Einrichtung von sogenannten Betriebssportgemeinschaften unter der Aufsicht der DAF in allen mittleren und größeren Betrieben vor. Damit wurde 104 105 106 107
In diesem Sinn TEICHLER, Ende, 216. Dazu LUH, Betriebssport in Deutschland, 7. Mit Blick auf die Organisation „Kraft durch Freude“ HACHTMANN, Das Wirtschaftsimperium. Zu dessen Gegenspieler Edmund Neuendorff, der als KdF-Ideologe von Tschammer und Osten bekämpfte, UEBERHORST, Edmund Neuendorff.
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dem bisher selbstständigen Werkssport die Autonomie entzogen, der Bund Deutscher Firmensportverbände aufgelöst. Geprägt war der Werkssport nunmehr von den KdF-Betriebssportgemeinschaften (BSG). Auch ehemalige Arbeitersportler waren betroffen, da sie nicht mehr unter der politisch vergleichsweise zurückhaltenden Aufsicht der Betriebe agierten, sondern der Kontrolle der DAF unterstanden. Teichler zitiert zu den damit verbundenen Befürchtungen aus den Deutschland-Berichten der SOPADE, der Parteiorganisation der SPD im Exil: „In vielen dieser Gruppen waren die ehemaligen Arbeiterturner mit ihren Gesinnungsfreunden unter sich. Bei Ausflügen und Sportabenden sah man nur altvertraute Gesichter. Der DAF ging diese Art von Betriebssport schon lange auf die Nerven. Es bot sich aber keine Handhabe, die unpolitische sportliche Tätigkeit von Betriebskameraden zu verbieten. So hat man jetzt die Sportgemeinschaften geschaffen, von denen sich die bisher sporttreibenden Arbeiter nicht ausschließen können und in die man mit der Zeit alle Gefolgschaftsmitglieder hineinbringen will.“108
Dennoch änderte sich der Werkssport, insbesondere in Großbetrieben, nach dessen Überführung in Betriebssportgemeinschaften nur in begrenztem Umfang. Der Werkssportverein Minister Stein, der zunächst relativ unverändert fortbestanden hatte, wurde im Januar 1938 in eine Betriebssportgemeinschaft überführt. Im Belegschaftsmagazin, das vom 15. Jahrgang an unter den Titel „Werkszeitschrift“ firmierte, erläuterte der Direktor diese Neuerung wie folgt: „Sportliche Betätigung ist für jeden Menschen nötig. Da in den Vereinen des Deutschen Reichsbundes für Leibesübungen (DRL) unmöglich alle Volksgenossen sportlich erfasst werden können, hat die Deutsche Arbeitsfront dazu aufgefordert, innerhalb der Betriebe ‚Betriebssportgemeinschaften‘ zu gründen, um so den Gedanken einer gesunden Leibeserziehung auch an die Arbeitsstellen zu tragen und dem Sport eine breite Grundlage zu geben.“109
Ganz im Sinn nationalsozialistischer Leitbilder wurden die alten Werkssportvereine als zu exklusiv und leistungsorientiert kritisiert. Die Betriebssportgemeinschaft sollte hingegen die Einbindung der kompletten Belegschaft sicherstellen: „Um alle Gefolgschaftsmitglieder sportlich zu erfassen und zu betätigen, habe ich nunmehr Betriebssportgemeinschaften ins Leben gerufen. Wenn diese neuen Gemeinschaften mit einer größeren Beteiligung rechnen wollen, so müssen sie mehr und anderes bieten, als die Werkssportvereine bisher geboten haben. Die Werkssportvereine betrieben vor allem den Wettkampf und werden auch als Wettkampfgemeinschaften in die Betriebsgemeinschaften eingegliedert. Alle anderen aber […] sollen Uebungsgemeinschaften bilden, die keinen anderen Preis gewinnen wollen als den eines gesunden und widerstandsfähigen Körpers. In die-
108 109
Deutschlandberichte der SOPADE 1937, 1261, zit. nach TEICHLER, „Wir brauchten einfach den Kontakt zueinander“, 238. Gründung von Betriebssportgemeinschaften, in: Werkszeitschrift 15 (1938), Nr. 5, 58.
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sen Uebungsgemeinschaften kann sich jeder beteiligen an leichtesten Uebungen, die keinerlei Vorkenntnisse voraussetzen“.110
Ein Sammelrundschreiben kommunizierte den Betrieben im Oktober 1938 die Ergebnisse eines zwischen der Industrie und der DAF getroffenen Abkommens, das den Stellenwert der „Betriebssportgemeinschaften“ deutlich herausstrich: Diese seien „die geeignetste Organisationsform der Leibesübungen im Betriebe“.111 Dass die Nationalsozialisten das Entstehen eines Arbeitersports in Gestalt „wilder“, mithin unkontrollierter Betriebssportgemeinschaften befürchteten, wird daran ersichtlich, dass die KdF die Lenkung des Betriebssports selbst übernahm. Zu berücksichtigen gilt aber auch, dass bei der Gründung von Betriebssportgemeinschaften auch ökonomische Argumente eine Rolle spielten und es nicht primär um die Zerschlagung oder Übernahme von etablierten Werksportvereinen ging: Das zuvor eingeführte, breitensportlich angelegte KdF-Kurs-System erweis sich als nicht mehr finanzierbar; infolgedessen sollten die Betriebe ab 1936/37 zur Finanzierung des KdF-Sports beitragen.112 Das durch den Betriebsführer „für die Leitung der Leibesübungen bestellte Gefolgschaftsmitglied“ sollte „dem zuständigen Kreisobmann bzw. Kreisleiter zur Ernennung als ‚Betriebssportwart‘ vorgeschlagen“ werden. Dieser Betriebssportwart unterstehe „alsdann in betrieblichen Fragen dem Führer des Betriebs, während die fachliche Ausrichtung durch das Sportamt der NS-Gemeinschaft ‚Kraft durch Freude‘ erfolgt.“113 Auf der Basis der Unterscheidung von Arbeitszeit und Freizeit wurde die betriebliche Kompetenz respektiert und der KdF-Organisation die Gestaltung der Freizeit übertragen. NS-Auszeichnungen wie die des Musterbetriebs und Sportappelle, bei denen die Größe der Betriebssportgemeinschaften gemessen wurde, sollten ebenso wie das KdF-Leistungsabzeichen Anreize für Unternehmen sein, den Betriebssport aktiv zu fördern. Die Betriebsleitungen gaben das sozialpolitische Instrument Betriebssport oftmals jedoch nur zögerlich aus der Hand; zugleich wurde eine Einmischung der DAF in interne Angelegenheiten befürchtet. Nicht selten wurde somit die Gründung von Betriebssportgemeinschaften verzögert. In diesem Kontext kam es bisweilen zu Verhandlungen und Absprachen mit der DAF wie im Fall der Vereinigten Stahlwerke AG: Ende des Jahrs 1937 wurde hier schließlich eingewilligt, die Werkssportvereine in Betriebssportgemeinschaften umzustrukturieren, aber nur unter der Voraussetzung, dass bisherige Vereinsführer zu Betriebssportwarten ernannt wurden, die Leiter von der Betriebsführung ausgewählt wurden und auch Nicht-Betriebsangehörige in der Sportgemeinschaft bleiben durften.114
110 111 112 113 114
Ebd. Deutsches Bergbauarchiv, montan.dok BBA 80/765: Sammelrundschreiben Nr. 16; Anlage 3, Betriebssport, vom 7. Oktober 1938. Dazu BERNETT, Nationalsozialistischer Volkssport. Deutsches Bergbauarchiv, montan.dok BBA 80/765: Sammelrundschreiben Nr. 16; Anlage 3, Betriebssport, vom 7. Oktober 1938. Dazu und zu weiteren Beispielen FRESE, Betriebspolitik, 398–400.
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Wie jüngere Forschungsarbeiten zum Thema „Volksgemeinschaft“ herausgestellt haben, funktionierten auch die kleinen Gemeinschaften über Inklusionsund Exklusionsmechanismen. Die Betriebssportgemeinschaft der NS-Zeit hatte die Inklusion aller Betriebsangehörigen zum Ziel und schloss Betriebsferne als „Gemeinschaftsfremde“ aus. Zudem wurde die Belegschaft noch einmal in sich selbst geteilt. Während in den Wettkampfgemeinschaften ambitionierte Sportler ihren Platz fanden und weniger ambitionierte Sportler außen vor blieben, konnten diese in den Übungsgemeinschaften Sport treiben, die wiederum die Leistungssportler ausgrenzten. Die Funktionsweise der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ konnte so über den Betrieb und den Sport im jeweiligen Unternehmen veranschaulicht und verinnerlicht werden. Der Betriebssport wurde im Nationalsozialismus also nicht als reiner Breitensport verstanden. Als Wettkampfsport sollte er ein attraktiver Ersatz für den traditionellen Vereinssport sein. Die in der Schachtanlage Minister Stein umgesetzte Trennung von Übungsgemeinschaften und Wettkampfgemeinschaften sorgte dafür, dass auch ambitionierte Sportler ins KdF-System eingebunden wurden und die bisherigen, in Milieus verankerten Werkssportvereine weiterbestehen konnten. Das Leistungsprinzip wurde also auch im Sportangebot des vom Betrieb losgelösten KdF-Programms berücksichtigt. Die Teilnehmer waren nicht nur breitensportlich aktiv, sondern konnten beispielsweise das Reichssportabzeichen erwerben. Mit der Organisation von Wettbewerben und Turnieren kamen die Betriebe den Wettkampfgemeinschaften entgegen. Während die Wettkampfgemeinschaften an die Strukturen der Werkssportvereine anknüpften, stellten Übungsgemeinschaften ohne Leistungsanspruch eine Neuerung dar. Nach der Gründung der Betriebssportgemeinschaften auf Minister Stein warb die „Werkszeitschrift“ daher intensiv für dieses „jedermann“ offen stehende Angebot: „Während die Wettkampfgemeinschaften immerhin gewisse Ansprüche bezüglich der besonders regelmäßigen Teilnahme und körperlichen Leistungsfähigkeit an ihre einzelnen Mitglieder stellen müssen, wenden sich die Uebungsgemeinschaften an alle diejenigen, die körperlich nicht in der Lage sind oder aber weniger Wert darauf legen, bei irgendwelchen Wettkämpfen irgendwelche Preise, Titel oder Meisterschaften zu erringen, um so mehr sie sich aber ihren gesunden Körper als höchstes Gut erhalten wollen.“
In der Übungsgemeinschaft hatte der Sport in erster Linie gesundheitliche, mentale und soziale Zwecke zu erfüllen: „Jeden Freitagabend […] treffen sich die Mitglieder der Uebungsgemeinschaft auf unserem Eden-Sportplatz, wo sich nach gemeinsamen, kurzen Lockerungsübungen ganz zwanglos kleinere Gruppen zueinander finden, von denen die eine vielleicht Laufübungen macht, die andere springt, diese Faustball, jene Fußball spielt, und wieder eine andere am Reck oder Barren turnt, Kugel stößt […]. Es kommt ja doch gar nicht darauf an, bei all diesen Uebungen besonders hohe sportliche Leistungen zu erzielen, wie es auch nicht wichtig ist, ob der Ball nun in, neben oder über ‚die Bude‘ getreten, die Kugel 4, 6 oder 9 Meter weit gesto-
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ßen wurde, oder für den 100-Meter-Lauf 11, 15 oder 18 Sekunden benötigt werden, aber wichtig ist, daß überhaupt getreten, gestoßen oder gelaufen wurde.“
Deutlich wurde der soziale Wert der Übungsgemeinschaft betont, in der ein Gemeinschaftsgefühl über die betrieblichen Hierarchien hinweg erfahrbar werde: „Die Freitagabende bieten für alle Beteiligten immer wieder einen nie verfliegenden Quell der Erholung und der Freude und schaffen darüber hinaus eine wirkliche, echte Betriebsgemeinschaft. Der Führer des Betriebs läßt es sich ebensowenig nehmen wie eine Reihe leitender Beamter oder Angestellter, regelmäßig an den Abendstunden der Uebungsgemeinschaft teilzunehmen und besonders eifrig mitzumachen.“115
7. Dimensionen der „Machtergreifung“ und Gemeinschaftsbildung Die nationalsozialistische „Machtergreifung“ hatte auch Folgen für den sportlich aktiven Arbeiter. Sowohl der Arbeiter- als auch der Werkssport wurden in erheblichem Maß vom totalitären Staat erfasst. Während dem Werkssport die Aufgabe zugewiesen wurde, das Konzept der Betriebsgemeinschaft mit dem der „Volksgemeinschaft“ zu verbinden, wurde der Arbeitersport als Bedrohung wahrgenommen. In den 1930er Jahren war der Sport weder zweckfrei noch wurde ihm in Diskursen von politischen Akteuren und Betriebsleitungen ein Eigenwert oder Eigensinn zugesprochen, wenngleich er diesen bei Sportlern und im gelebten Alltag in den Vereinen einnehmen konnte.116 Das gilt auch für den Werkssport, der jedoch traditionell weniger parteipolitisch geprägt war als der Arbeitersport und doch bereits in der Weimarer Republik an Nation und Vaterland rückgekoppelt wurde, wenn es hieß: „Turne! Dann dienst du dir und deinem Volke“.117 Auch der Nachsatz „zum Wohle des Werkes und des deutschen Vaterlandes“118 bringt diese politische Dimension deutlich zum Ausdruck. Auch im Fall des Werkssports wissen wir über die jeweiligen individuellen Ambitionen und Dispositionen der Sportler wenig. Sie könnten nur über eine breit angelegte Analyse von Egodokumenten wie Tagebüchern, Briefen oder Fotoalben erforscht werden, die jedoch schwer zugänglich sind. Druckerzeugnisse wie etwa Werkszeitungen sind dagegen leichter verfügbar; spiegeln aber nur Diskurse des Sports wider. Da die „Zechenzeitung“ seit 1925 erschien und ab 1933 von der DAF mitherausgegeben wurde, kann anhand dieses Mediums die politische Aufladung des Sports über einen längeren Zeitraum nachvollzogen werden. Anders als in der Weimarer Republik wurde die Betriebssportgemein115
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Dieses Zitat und die vorhergehenden Zitate in: Komm, Kamerad –, spiel mit! Die Uebungsmeinschaften im Betriebssport „Minister Stein“, in: Werkszeitung 15 (1938), Nr. 16, 211. Zum Konzept des „Eigensinns“ im Sport GÜLDENPFENNIG, Vom Missbrauch. Zechenzeitung 8 (1931), Nr. 22, 6. Zechenzeitung 10 (1933), Nr. 4, 7.
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schaft im Nationalsozialismus zum Ideal der Sportorganisation schlechthin stilisiert und gewann zunehmend an Bedeutung. Dabei konnten die Nationalsozialisten an allgemein anerkannte, traditionelle sportpolitische Diskurse anknüpfen. Infolgedessen bekamen die Leser auf den Sportseiten der „Zechenzeitung“ nach der nationalsozialistischen Machtübernahme zunächst kaum Neues zu lesen: Sport wurde weiterhin als wichtiger Beitrag zur Erhaltung der Gesundheit des Einzelnen und des Volkes interpretiert. Zudem wurde ihm das Potenzial zugesprochen, Gemeinschaft zu konstruieren und erfahrbar zu machen. Diesen doppelten Wert des Sports vermittelte die Werkszeitschrift ihren Lesern auch auf „lockere“ Weise, etwa in Gedichten: „Daß das so ist, weiß wohl jeder, Wer immer sitzt, muß sich bewegen, Und zur Entspannung mal die Glieder regen. Die Knochen sind lahm, die Gicht plagt auch, das Rheuma zwickt, es wächst der Bauch. Die Adern verkalken, man ringt nach Luft, Und eh man’s gedacht, winkt die kühle Gruft. Um dies zu verhüten, wirkt Wunder ein Wort: Das ist Gymnastik, Bewegung und Sport. […] Vergessen doch will ich das eine nicht, Ein Wort so groß, doch einfach und schlicht, Es ist unser Ziel, das Richtung weist: Kamerad sein für jeden – Gemeinschaftsgefühl.“119
Während der Arbeitersport nach der „Machtergreifung“ in seinen Grundfesten erschüttert wurde, änderten sich im Betriebssport zwar die Organisationsformen, etwa durch die Trennung von Wettkampfgemeinschaft und Übungsgemeinschaft, jedoch wurden die inneren Strukturen zunächst nur partiell angetastet. Aufgrund der Möglichkeit, Massen von Menschen über die Arbeitsstätte zu erreichen und damit zu kontrollieren, wurden die Betriebe, die an die seit der Weimarer Republik verbreiteten Muster und Denkweisen anknüpfen konnten, um sie nationalsozialistisch umzudeuten, die aber auch bei der Finanzierung des KdF-Sports helfen konnten, zu einer wichtigen Basis der Organisation des Sports. Die Vorstellung der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ unterschied sich zunächst nur geringfügig von den „Volksgemeinschafts“-Diskursen der Weimarer Republik, folgte jedoch keinem milieugebundenen Ideal, sondern war als „Blutsgemeinschaft“ rassistisch definiert. In den 1930er Jahren sahen sich die Arbeiterinnen und Arbeiter in Deutschland somit mit unterschiedlichen Identifikationsangeboten konfrontiert: der zwar massiv eingeschränkten, weiterhin aber lebensweltlich relevanten Solidarge-
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Gedicht „Betriebssportgemeinschaft“ von Magazinvorabeiter Adolf Bartsch, in: Werkszeitschrift 15 (1938), Nr. 5, 198.
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meinschaft der Arbeiterbewegung(en),120 den bürgerlichen Sportvereinen, den zunehmend an Bedeutung gewinnenden Werks- oder Betriebsgemeinschaften und eben auch der „Volksgemeinschaft“. Obwohl mit diesen Angeboten fundamentale Brüche und Umwälzungen einhergingen, blieb die Politisierung des Sports weiterhin ein zentrales Charakteristikum, zu dem allerdings verstärkt jene „Versportlichung“ hinzutrat, die den Sport bis heute kennzeichnet.121 Quellen und Literatur Archive Deutsches Bergbauarchiv – Sammelrundschreiben Nr. 16; Anlage 3, Betriebssport, vom 7. Oktober 1938, eingesehen im Montanhistorischen Dokumentationszentrum (montan.dok), Bochum, BBA 80/765.
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Dies selbst, wenn man berücksichtigt, dass es nach 1945 zu keiner Renaissance der Arbeitersportbewegung gekommen ist, was sowohl auf die alliierte Politik als auch die Sichtweise innerhalb der Arbeiterbewegung zurückzuführen ist. – In diesem Sinn TENFELDE, in: NITSCH/PEIFFER, Die roten Turnbrüder, 99. – Dagegen TEICHLER, „Wir brauchten einfach den Kontakt zueinander“, 238, der in diesem Zusammenhang von einem langsamen Austrocknen des sozialdemokratischen Milieus spricht. Für entsprechende Interpretationen und weiterführende Analysen TEICHLER, Ende 216f.
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Stefan Hebenstreit
Die Liquidation des Arbeitersportvereins Ueberau 1919 im Zuge nationalsozialistischer Gleichschaltungspolitik im Volksstaat Hessen 1. Zur „Ausschaltung“ des Arbeitersports und dessen Fußballsparte Die euphemistische Bedeutung des Begriffs „Gleichschaltung“ lässt sich hinsichtlich der Reorganisation des Sports in der NS-Zeit vor allem am Beispiel der Geschichte der Arbeitersportbewegung enthüllen.1 Deren Verbände – der sozialdemokratisch orientierte Arbeiter-Turn- und Sportbund (ATSB) und die der KPD nahe stehende Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit (KG) – wurden nämlich nicht gleichgeschaltet, also den Strukturen des neuen Staats unterworfen und angepasst, sondern ausgeschaltet. Ihr Verbot im Jahr 1933 bedeutete faktisch das Ende der im späten 19. Jahrhundert entstandenen Arbeitersportbewegung. Gleichwohl finden sich auf der lokalen Ebene der Arbeitersportvereine zahlreiche Beispiele dafür, dass die „Gleichschaltung“ einerseits nicht widerstandslos hingenommen wurde, andererseits für die Eigenlogik des Sports und seiner Akteure, die sich mit den politischen Rahmenbedingungen arrangierten, um die bisherigen sportlichen Praktiken aufrecht erhalten zu können. So spricht Eike Stiller mit Blick auf die über 10.800 betroffenen Vereine von einem uneinheitlichen Bild und zeigt anhand einiger Beispiele, dass nicht alle Fußballsparten und -vereine der Arbeitersportverbände im Frühjahr 1933 verschwunden waren, sondern – getragen vom sportlichen Eifer der Arbeiterfußballer – in veränderter struktureller und organisatorischer Form fortbestanden. So schlossen sich Arbeiterfußballer vor der drohenden Liquidierung ihres Vereins bürgerlichen Vereinen an oder taten dies bereits vor der drohenden Liquidierung oder gründeten nach der Auflösung einen neuen Verein oder sicherten durch Umbenennung den Fortbestand ihres Vereins.2 Während der Umgang der NS-Behörden mit den Arbeitersportvereinen bisher sehr rudimentär und mit Schwerpunkt auf politik- und organisationsgeschichtliche Fragestellungen dargestellt wurde,3 kann die „Gleichschaltung“ der Arbeitersportbewegung im Volksstaat Hessen mit Horst Gieslers methodisch alltags- und lokalhistorisch angelegten Dissertation als verhältnismäßig gut aufgearbeitet 1 2 3
Zur Geschichte des Fußballs als eigener Sparte innerhalb der Arbeitersportbewegung FILTER, Arbeiterfußball; GEIGES, Fußball; STILLER, Fußball. Vgl. STILLER, Fußball, 169–171. – Dazu auch Beitrag MITTAG/WENDLAND, in diesem Band S. 225–229. Dazu BERNETT, Zerschlagung; TEICHLER, Ende; DERS., „Wir brauchten einfach den Kontakt zueinander“.
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angesehen werden.4 Zu den weißen Flecken auf der sporthistorischen Landkarte gehören jedoch das etwa 15 Kilometer ostsüdöstlich von Darmstadt und 8 Kilometer südlich der Kreisstadt Dieburg gelegene Dorf Ueberau und die Liquidation des dortigen, 1919 gegründeten Arbeitersportvereins. 2. Das „rote Dorf“ Ueberau Dass der Arbeitersportverein Ueberau 1919 immer noch zu den Forschungsdesideraten gehört, ist eigentlich erstaunlich, da die Sozial- und Politikgeschichte der kleinen Gemeinde, die bei der kommunalen Gebietsreform in Hessen 1971 als Ortsteil der Stadt Reinheim zugeschlagen wurde, weit über die Grenzen Hessens hinaus bekannt ist. Dies ist auf die Jahrzehnte lange kommunalpolitische Hegemonie der kommunistischen Partei zurückzuführen, deren historische Wurzeln im Erstarken der örtlichen Arbeiterbewegung nach dem Ersten Weltkrieg liegen, was Ueberau als „rotes Dorf“ überregional bekannt machte.5 Der örtliche Arbeitersportverein wird in einzelnen politik- und sozialgeschichtlichen Abhandlungen zwar immer wieder als Akteur der lokalen Arbeiterbewegung erwähnt, jedoch nie umfassend dargestellt. Gleiches gilt für die Zerschlagung des Vereins unter dem nationalsozialistischen Regime im Frühjahr 1933. Der vorliegende Beitrag zeichnet die Auflösung des Vereins nach und stellt sie in den Kontext des administrativen Vorgehens der Hessischen Landesregierung in Darmstadt während der „ersten Gleichschaltung“ des Sports im „Dritten Reich“. Damit folgt der Beitrag der in der Fachliteratur erhobenen Forderung, über Vereine und die Sportpolitik auf lokaler Ebene zu forschen.6 Ebenso wie in anderen vergleichbaren Untersuchungen erweist sich dabei die äußerst lückenhafte Quellenlage als erhebliches Hindernis. Letzteres ist zum einen in der Tatsache begründet, dass über die kommunale Verwaltungsebene eines Dorfes oftmals nur geringfügiger Schriftverkehr vorliegt. Zum anderen kommt erschwerend hinzu, dass Arbeiterkultur- und Sportvereine für die Forschung wichtige Unter-
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Zu nennen ist hier vor allem GIESLER, „Arbeitersportler, schlagt Hitler!“. Überregionale Medien interessierten sich dafür, warum es in Ueberau über Generationen Wählermehrheiten für die Kommunisten gab, etwa in den 1950er Jahren, als die KPD absolute Mehrheiten einfahren konnte oder auf Beschluss der Gemeindevertretung eine Volksbefragung durchgeführt wurde, bei der weit über 80 Prozent der Dorfbewohner gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland votierten. Deutschlandweit für Schlagzeilen sorgte auch der kommunistische Bürgermeister, der sich nach dem KPD-Verbot seiner Absetzung widersetzte. Noch heute sind in den kommunalen Gremien, im Ortsbeirat Ueberaus und in der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Reinheim, in die Ueberau im Zuge der kommunalen Gebiets- und Verwaltungsreform in Hessen zum 31. Dezember 1971 eingemeindet wurde, mehrere Vertreter der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) vertreten. Vgl. u.a. HICKMANN, Ganz brave Kommunisten; GRABENSTRÖER, Das Rote Dorf; SEEGER, Hessens Don Camillo und Peppone. Vgl. GIESLER, „Arbeitersportler, schlagt Hitler!“, 12.
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lagen wie beispielsweise Protokollbücher oder Mitgliederlisten im Frühjahr 1933 aus Angst vor Übergriffen und Verfolgung oftmals vernichteten.7 Eine überregionale Bedeutung erhält die vorliegende Lokalstudie aufgrund der Zugehörigkeit des Arbeitsportvereins Ueberau zur 1930 gegründeten Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit sowie enger weltanschaulicher und personeller Wechselbeziehungen zwischen Arbeitersportverein und KPD bzw. linkspolitischen Gruppierungen wie der Antifaschistischen Aktion (Antifa). Diese politische Positionierung des Vereins ist insofern wichtig, als sie sich auf die Vehemenz der Verbots- bzw. Liquidationspraxis auswirkte. Auch wissenschaftshistorisch ist die Thematik von besonderem Interesse, weil die Historiografie der Rotsport-Vereine nach wie vor ein Mauerblümchendasein fristet. Dieses Desiderat ist der Tatsache geschuldet, dass die Erforschung des Arbeitersports und dessen organisatorischer Zerschlagung im Frühjahr 1933 sich aufgrund der zahlenmäßigen Vorrangstellung des ATSB bisher stark auf dessen Vereine fokussierte. Somit liefert der Beitrag in zweifacher Hinsicht einen fehlenden Mosaikstein: sowohl mit Blick auf die Regional- und Sportgeschichte im Rhein-Main-Gebiet als auch hinsichtlich der Geschichte des Arbeiterfußballs im kommunistischen Kontext des Rotsports. Um die örtliche Verknüpfung von Sport und Politik einordnen zu können, sei zunächst auf die Bedeutung Ueberaus in der regionalen Arbeiterbewegung eingegangen. Ab Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich das in den hügeligen Ausläufern des nördlichen Odenwaldes und damit im Einzugsgebiet der Fabriken in Darmstadt gelegene Ueberau mit enormen Bevölkerungszuwächsen von einem Bauerndorf zu einer Arbeiterwohngemeinde.8 Nach dem Ersten Weltkrieg entstand in Ueberau und im benachbarten Reinheim eine lebendige Arbeiterkultur, die sich auch parteipolitisch in den Ortsgruppen der SPD und USPD, später der KPD zeigte. Bei den Wahlen in der Weimarer Republik erreichte das linke Lager in Ueberau stets Mehrheiten, wobei sich die Gewichtung zwischen SPD und KPD zugunsten der Kommunisten verschob, die zwischen 1924 und 1930 Stimmenmehrheiten erlangten. Dass örtliche Sozialdemokraten und Kommunisten lange Zeit an einem Strang zogen, beweist eine von 1922 bis 1929 beste7
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So wurde etwa das Protokollbuch der Freien Spielvereinigung Urberach aus dem benachbarten Urberach, heute Landkreis Offenbach, offenbar verbrannt, weswegen deren Vorsitzender und ein Vereinsmitglied wegen „Vermögensverschleierung“ im Konzentrationslager Osthofen inhaftiert waren. Schreiben des Kreisamtes Dieburg vom 8.3.1934 an das Staatsministerium, Ministerialabteilung 1a (Polizei) Darmstadt, Betr. „Verwertung des eingezogenen staatsfeindlichen Vermögens im Kreise Dieburg; hier: die Turn- und Sportvereine (2. Bericht)“: HStAD, G15 Dieburg R 83. Nachfolgende Zahlen verdeutlichen den starken Bevölkerungszuwachs: 1895: 834 Einwohner, 1905: 808 Einwohner, 1910: 898 Einwohner, 1925: 956 Einwohner, 1932: 1032 Einwohner, 1933: 1145 Einwohner. Vgl. BERTRAMS, Entwicklung, 31; REITZ, Entwicklung, 65f. Förderlich für die Entwicklung zur Arbeiterwohngemeinde waren unter anderem der Eisenbahnbau sowie der nicht weit entfernt liegende Bahnhof Reinheim, der einen Knotenpunkt für die Odenwaldbahn (Fahrziel Darmstadt) und die Rodgaubahn (Fahrziel Offenbach) bildete.
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hende gemeinsame Kandidatenliste der „Vereinigten Arbeiter von Reinheim“9 oder ein Volkshausbauverein, der im Jahr 1927 unter Beteiligung der Gewerkschaft und vorpolitischer Vereine wie des Arbeiter-Samariterbundes oder der Arbeiter-Radfahrer gegründet wurde.10 3. Der Arbeitersportverein Ueberau 1919 Eine besondere Rolle als politische Vorfeldorganisation spielte der im Nachkriegsjahr 1919 und damit in der deutschlandweiten Aufbruchsstimmung der Arbeitersportbewegung gegründete Arbeitersportverein Ueberau.11 Neben einer starken Turnabteilung, deren Mitglieder den ortsansässigen Bauern bei Heumahd und Rübenernte halfen, um zusätzlich zu Barren und Reck auch noch ein Pferd finanzieren zu können, stand an zweiter Stelle die Sparte Leichtathletik, deren Mitglieder bei regionalen und überregionalen Sportfesten in den 1920er Jahren achtbare Erfolge, etwa im Stabhochsprung oder der 100-Meter-Staffel, erzielten. In Archiven erhaltene Wettkampfurkunden dokumentieren, dass der im 7. Bezirk (Odenwald) des 9. Kreises (Hessen und Hessen-Nassau) des ATSB eingegliederte Verein von Beginn an Nachwuchsarbeit betrieb.12 Darüber hinaus bestand eine Handballmannschaft, eine Theatergruppe mit Gesangabteilung, bis 1924 auch ein Spielmannszug. Die Mitgliederzahl belief sich in der Anfangszeit auf circa 150.13 Vor der Machtübernahme der NSDAP soll sogar jeder dritte Ueberauer Mitglied im Arbeitersportverein gewesen sein,14 was über 300 Personen entsprechen würde. Eine aktives Vereinsleben und die Beteiligung von Frauen aus dem Dorf beweist ein Vermerk zur Generalversammlung am 28. Januar 1929, bei der „60 Genossen und 12 Genossinnen“ anwesend waren.15 Politisch positionierte sich der Verein ganz im Sinn der Arbeiterbewegung.16 Als er 1923 das Bezirksportfest ausrichten durfte, verhinderten einheimische und eingeladene Arbeitersportler die Teilnahme des Ueberauer Kriegervereins am Festumzug. Die Politisierung des Vereinslebens gründete nicht zuletzt auf personellen Überschneidungen mit der Parteipolitik, die eine Trennung zwischen 9 10
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In anderen Quellen „Vereinigte Reinheimer Arbeiter-Liste“. Vgl. RUPPERT, Der rote Faden, 13. Text zum 40-jährigen Vereinsjubiläum des Volkshausvereins e.V. Reinheim/Odw. 1967, Stadtarchiv Reinheim, Sammlung Wilhelm Ruppert 1.13 und Sachakte: HStAD, G 15 Dieburg R 87. Die Satzung wurde am 26. Oktober 1919 errichtet, die Eintragung ins Vereinsregister erfolgte am 8. Mai 1924. Die nachfolgenden Ausführungen basieren auf der Vereinschronik: Vereinsarchiv SG 1919 Ueberau. Vgl. die Kopien von Urkunden in diversen Vereinsfestschriften, z.B. in: 60 Jahre SG 1919 Ueberau. Vgl. Vereinschronik SG 1919 Ueberau, in: 60 Jahre SG 1919 Ueberau. Vgl. HÖGEMANN, Ein Münchner, 149. Protokollabschrift Generalversammlung, 28.1.1929: HStAD G28 Reinheim R 34. Zum politischen Aktivismus von Arbeitersportlern WONNEBERGER, Deutsche Arbeitersportler.
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Sportlern und politischen Aktivisten unmöglich machen. Etliche Ueberauer, die zum Ende des Ersten Weltkriegs die sozialistische USPD, später die KPD aufbauten und gegen Ende der Weimarer Republik bei der Antifa aktiv waren, waren zugleich Mitglied im Arbeitersportverein. Ein Beispiel hierfür ist Fritz Stuckert, der als Teilnehmer der 1. Internationalen Arbeiterolympiade 1925 in Frankfurt am Main einer der erfolgreichsten Sportler des Vereins war. Nachdem er als Bergarbeiter in Bottrop die Novemberrevolution miterlebt hatte und von der Sozialdemokratie enttäuscht gewesen sein soll, trat er 1922 in die KPD ein.17 3.1. Das Desiderat in der Vereinschronik: Die Abteilung Fußball
Die Arbeitersportbewegung war in Deutschland anfänglich auf Turnen, Leichtathletik und Kraftsport konzentriert und stand dem Fußballsport – ähnlich wie die bürgerliche Turnbewegung – eher ablehnend gegenüber. Erst von 1909 an waren Fußballabteilungen bzw. reine Fußballvereine zugelassen. Die Umbenennung von Arbeiter-Turnerbund (ATB) in Arbeiter-Turn- und Sportbund (ATSB) im Jahr 1919 läutete den innerverbandlichen Durchbruch des Fußballs als selbständiger Sparte ein.18 Auch im Großraum Darmstadt bildeten sich in den 1920er Jahren Arbeiterfußballmannschaften, was sich an der Gründung der Freien Spielvereinigung Hessen-Nassau 1921 als organisatorischer Plattform der Fußballvereine bzw. -abteilungen des 9. Kreises und mehreren neu eingerichteten Bezirken ablesen lässt.19 Die Quellenlage zum 7. Bezirk (Odenwald) ist dürftig und auch die Presseberichterstattung liefert auf den Arbeitersport im Untersuchungszeitraum nur wenige Hinweise. 1923 und 1924 wurde noch kein Fußballmeister ermittelt. Ein 1930 unter dem Titel „35 Jahre 9. Kreis“ erschienener Geschäftsbericht über die Jahre 1927 bis 1929 enthält eine Statistik, der zufolge es im Jahr 1927 im 7. Bezirk sieben, 1928 sechs und 1929 acht „Gemischte Vereine“ gab; dazu kamen 1928 sieben und 1929 neun reine Fußballvereine. Außerdem vervierfachte sich die Zahl der Fußballmannschaften im Berichtszeitraum: von 1927 sechs, zu 1928 zehn und 1929 24 Mannschaften. Zudem gab es im 7. Bezirk zwei Jugendteams.20 Diese Entwicklung deckt sich mit den Hinweisen zur Bildung einer Fußballmannschaft im Arbeitersportverein Ueberau, die erst 1927 erfolgt sein soll. In der Vereinschronik heißt es, die Fußballsparte sei erst im Mai 1928 gemeldet worden. Im Juni soll sich eine 2. Mannschaft und im Juli eine Jugendmannschaft zusammengefunden haben.21 Eine Vorbedingung für den 17 18 19 20 21
Vgl. KNAAB, Ueberau. Empirische Grundlage der Diplomarbeit waren unter anderem 11 Zeitzeugeninterviews. Vgl. STILLER, Fußball, 166. Vgl. EBNER, Sportler. Für freundliche Hinweise danke ich Ulrich Matheja, Nürnberg. Vgl. Vereinschronik: Vereinsarchiv SG 1919 Ueberau. – Allerdings weisen die Ausführungen Fehler auf. So ist von einem „Beitritt zum Hessischen Fußball-Verband“ die Rede, der jedoch erst seit 1946 besteht. Gemeint ist sicher die Freie Spielvereinigung Hessen-Nassau, die Dachorganisation der Arbeiterfußballer im 9. Kreis des ATSB. Auch die Feststellung die Mannschaft, habe am „Ende der Verbandsrunde 1928/29“ den 1. Platz
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Fußballsport war der in Eigenleistung durchgeführte Ausbau eines Wiesengeländes zu einem Fußballplatz im Zuge der Flurbereinigung. Zuvor hatte ein Turnplatz an anderer Stelle zur Verfügung gestanden. Als Tore sollen eingegrabene Fichtenstangen ohne Netze gedient haben.22 Zu den wichtigsten Quellen der kurzen Geschichte der Fußballabteilung im Arbeitersportverein Ueberau gehören überlieferte Fotos, auf denen die Mannschaft bei Spielen in der Region zu sehen ist.23 3.2. Der Wechsel zum kommunistischen „Rotsport“
Wie mehreren Quellen zu entnehmen ist, gehörte der Arbeitersportverein Ueberau zum Zeitpunkt seiner Auslöschung im Frühjahr 1933 nicht mehr dem sozialdemokratisch orientierten ATSB an, sondern der kommunistischen Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit (KG bzw. Rotsport). Dieser Verbandswechsel gründete in der Spaltung der deutschen Arbeiterportbewegung. Ende Juni 1928 war der Bundesvorstand des ATSB auf dem Bundestag in Leipzig zum Ausschluss kommunistischer Aktivisten ermächtigt worden. Diese gründeten daraufhin im Jahr 1929 die Interessengemeinschaft zur Wiederherstellung der Einheit im Arbeitersport (IG) und benannten die Organisation 1930 in Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit um.24 Der kommunistische Sportverband hatte im Juni 1931 reichsweit 100.800 Mitglieder in 2.332 Vereinen, darunter circa 30.000 Fußballer.25 Interessant ist dabei nicht nur der Wechsel des Arbeitersportvereins Ueberau zum Rotsport, sondern auch der Zeitpunkt. Während die Vereinschronik den Übertritt mit „Ende der 20er Jahre“ ungenau datierte, belegt der bislang einzige Quellenfund zu einem Spiel der Fußballabteilung, dass der Wechsel später erfolgt sein muss. Denn noch im März 1931 trugen die Ueberauer Arbeiterfußballer ein ATSB-Serienspiel gegen Groß-Zimmern, den späteren Meister des 7. Bezirks, aus, das sie mit 0:1 verloren.26 Wie allgemein bekannt ist, fielen die Übertritte zum kommunistischen Sportlager im Gebiet des 9. ATSB-Kreises
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belegt, ist begrifflich nicht korrekt, denn in bewusster terminologischer Abgrenzung vom bürgerlichen Fußball bezeichneten die Arbeitersportler ihre Meisterschaftsspiele als „Serienspiele“, deren Modus sich am Kalenderjahr orientierte. Vgl. Vereinschronik SG 1919 Ueberau, in: 60 Jahre SG 1919 Ueberau. Für die Bereitstellung von Dokumenten danke ich Peter Dotterweich, dem ich ebenso wie Arno Grieger, Horst Stuckert und Wilhelm Eckert, alle Ueberau, darüber hinaus für viele weitere Hinweise danke. Dazu WONNEBERGER, Zur Entstehung. Vgl. STILLER, Fußball, 167. Vgl. Volksstimme, 16. 3.1931. Für den freundlichen Hinweis danke ich Ulrich Matheja, Nürnberg. – Einem anderen Dokument zufolge (Christian Höhl, Vernehmungsprotokoll, Zentralpolizeistelle Darmstadt, 15.4.1933: HStAD G27 Darmstadt 24) könnte der Wechsel zur Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit im Januar 1933 erfolgt sein. Das genaue Datum des Übertritts lässt sich nach bisheriger Quellenlage jedenfalls nicht feststellen.
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noch 1931 und 1932 zahlenmäßig geringer aus als in anderen Regionen.27 Doch insbesondere nach der Verbandsentscheidung, in die Eiserne Front einzutreten,28 reagierten KPD-Wortführer mit starker Kritik. Sie wollten die Überparteilichkeit des Dachverbandes gewahrt sehen und nicht auf sozialdemokratische Positionen verpflichtet werden.29 Vor dem Hintergrund der sich in Wahlergebnissen abbildenden Marginalisierung des sozialdemokratischen und eines gleichzeitigen Erstarkens des kommunistischen Lagers kann ein derartiges Zerwürfnis auch für Ueberau angenommen werden. Dennoch blieben Fußballvereine, die ideologisch eher dem Rotsport zugewandt waren, aus sportlich-pragmatischen Gründen im ATSB organisiert, weil dessen Serienspiele einen regelmäßigen Ligabetrieb garantierten.30 4. Der politische Kontext: „Gleichschaltung“ in Hessen und Ueberau Die politischen Rahmenbedingungen im Volksstaat Hessen, in denen sich die Liquidation des Arbeitersportvereins Ueberau vollzog, unterschieden sich – bereits zum Ende der Weimarer Republik – von den Entwicklungen in den anderen deutschen Ländern.31 So erfolgte die Machtübernahme der NSDAP in Hessen mit zeitlicher Verzögerung. Während Hitler in Berlin die Regierungsgewalt übernommen hatte, setzte in Darmstadt die geschäftsführende Regierung unter dem Sozialdemokraten Bernhard Adelung ihre Arbeit fort und auch SPDInnenminister Wilhelm Leuschner blieb vorerst im Amt. Zumindest bis zu den Reichstagswahlen am 5. März 1933 konnte die von SPD und Zentrum getragene Koalitionsregierung eine gewisse politische Autonomie bewahren, auch wenn die Notverordnung zum Schutz des deutschen Volkes und die sogenannte Reichstagsbrandverordnung sich immer spürbarer bemerkbar machten. Spätestens mit den Reichstagswahlen begann sich die nationalsozialistische Machtübernahme auch in Hessen zu manifestieren, die vom Terror der NS-Organi-
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Vgl. GIESLER, „Arbeitersportler, schlagt Hitler!“, 52. Die Eiserne Front war ein Zusammenschluss des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB), des Allgemeinen freien Angestelltenbundes (Afa-Bund), der SPD und des ATSB, der auch verstärkt Propaganda gegen Kommunisten betrieb. Vgl. GIESLER, „Arbeitersportler, schlagt Hitler!“, 79–84. Vgl. DIERKER, Arbeitersport, 182. Ohne Unterbrechung wurde Hessen von 1919 bis 1932 von den Parteien der „Weimarer Koalition“ (SPD, DDP und Zentrum) regiert, die NSDAP war nur marginal vertreten – bis zum sogenannten Braunen Erdrutsch bei den Landtagswahlen im November 1931, als sie mit 27 Abgeordneten ins Darmstädter Landesparlament einzog. Während sich auch deutschlandweit die politische Situation zuspitzte – im Oktober 1931 formierte sich das antidemokratisch-nationalistische Bündnis der „Harzburger Front“ gegen das zweite Kabinett Brüning –, gelangte in Hessen im November 1931 das sogenannte Boxheimer Dokument an die Öffentlichkeit, das Pläne für eine gewaltsame Machtübernahme der NSDAP in Hessen enthielt.
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sationen begleitet war. In einer Publikation der SA-Brigade 50 in der Provinz Starkenburg (Großraum Darmstadt) heißt es hierzu: „In der Nacht vom 4. auf 5. März beherrscht die SA in ganz Hessen die Straße. Wo sich der Gegner zeigt, wird er nach Hause gejagt. Fühlbar begreift das Gesindel, daß seine Stunde geschlagen hat, und wo früher bei Zusammenstößen die wehrlose SA die Erde mit ihrem Blut netzte, schafft sie heute auf eigene Faust Ruhe. Mutlos sehen die Roten dem Wahltag entgegen. Ihre Führer sind geflohen. Was werden die Nazis mit ihnen anfangen?“32 4.1. Die politische Situation in Ueberau
Eine Verschärfung der politischen Lage gegen Ende der Weimarer Republik ist auch für Ueberau zu konstatieren, wo die Hitlerbewegung entsprechend dem landesweiten Trend zulegen konnte. Bei den Reichstagswahlen am 14. September 1930 wurde die NSDAP (27,8 Prozent) zweitstärkste Kraft hinter der KPD (32,9 Prozent) und vor der SPD (26,8 Prozent). Am 31. Juli 1932 konnten die Nationalsozialisten erstmals die meisten Stimmen (41,2 Prozent) erzielen, weit vor den abgeschlagenen Sozialdemokraten (19,3 Prozent) und sogar vor den Kommunisten (36,1 Prozent), die ebenfalls Stimmenzuwächse verzeichnen konnten. Entgegen den reichsweiten Stimmenverlusten konnte die NSDAP bei den nach der Reichstagsauflösung nötig gewordenen Neuwahlen am 6. November 1932 weitere Stimmenzuwächse verzeichnen (43,5 Prozent) und lag deutlich vor der KPD (37,7 Prozent) und der marginalisierten SPD (16,8 Prozent).33 Nicht nur während der Wahlkämpfe wurde die politische Agitation auch auf den Dorfstraßen geführt. Wie den Berichtsbüchern der Einsatzpolizei zu entnehmen ist, bildeten Ueberau und die Nachbargemeinde Reinheim als Epizentrum der kommunistischen Bewegung in der Region zum Ende der Weimarer Republik den Schauplatz zahlreicher Demonstrationen, etwa zum Internationalen Antikriegstag am 1. August 1931.34 1932 wurden die Dienstbezüge des Ueberauer Bürgermeisters erhöht, da die politischen Verhältnisse laut Kreisamt Dieburg „ausserordentlich schwierig sind. Sie sind durch die z.Zt. herrschende grosse Arbeitslosigkeit und durch die politische Zusammensetzung der Bevölkerung in der Gemeinde Ueberau bedingt. […] Ferner stehen sich in Ueberau die beiden radikalen Parteien, N.S.D.A.P. und K.P.D., fast gleich stark gegenüber.“35
Bereits im Januar und Februar 1933 hatte es in Ueberau und Umgebung vereinzelte Zusammenstöße zwischen SA und KPD-Anhängern bzw. Antifa gegeben. Die SA berichtet von mehreren Märschen in die Region um Ueberau, bei denen
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MOOS, SA in Hessen, 99. Vgl. BUGGLE, Zur politischen Entwicklung, 66. Vgl. Einsatzbericht der Bereitschaftspolizei, 1.8.1931: HStAD G12 A. Schreiben des Kreisamtes Dieburg vom 3.6.1932 an Hessisches Innenministerium: HStAD G15 Dieburg N53.
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„der marxistische und schwarze Terror endgültig gebrochen werden konnte. Wiederum gab es hierbei einige Zusammenstöße mit der KPD. Dieselbe hatte aus der Umgegend, hauptsächlich Ueberau, die ‚Antifaschisten‘ herbeigeholt und versuchte[,] eine Gegendemonstration zu veranstalten. Die nationale Revolution vollzog sich im Sturmbannbereich I/174 ziemlich ruhig, obwohl das Hauptquartier der KPD sich seit Monaten in Ueberau befand.“36
Dass die SA offensichtlich mit Widerstand rechnete, beweist der Wortlaut eines Befehls, der am 6. März 1933, einen Tag nach der Reichstagswahl,37 an die Standarten erging. Demnach sollten diese sich „sofort in erhöhte Alarmbereitschaft setzen“ und zuverlässige Männer mit Schusswaffenkenntnis zur Verwendung als Hilfspolizei heranziehen.38 4.2. Übergriffe der SA auf Arbeitersportler und Kommunisten im Dorf
Noch in derselben Woche, am 9. März 1933, kam es in Ueberau zu brutalen Übergriffen der SA, nachdem der hessische Innenminister bereits am 1. März aufgrund der Notverordnung und auf Weisung des Reichsinnenministers mit sofortiger Wirkung alle kommunistischen Druckschriften und Versammlungen verboten hatte. Nationalsozialisten umstellten das Dorf, durchsuchten etliche Häuser und nahmen einzelne Kommunisten in Gewahrsam. Vor dem Abtransport wurden sie zusammengeschlagen, mussten Graffiti mit kommunistischen Losungen entfernen oder die Hakenkreuzfahne haltend auf einem offenen Mannschaftswagen mitfahren.39 Mit dem bereits erwähnten Fritz Stuckert und Wilhelm Schüssler, beide Teilnehmer der Internationalen Arbeiterolympiade 1925, wurden mindestens zwei Vereinsmitglieder brutal misshandelt und festgenommen.40 Dass die SA darüber hinaus eine Fahnenübergabe und -weihe auf dem Platz des Arbeitersportvereins veranstaltete, muss als ein demonstrativer Akt gewertet werden,41 denn der Dorfplatz wäre für diese symbolische Handlung ebenso gut geeignet gewesen.
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MOOS, SA in Hessen, 100. Bei einer überdurchschnittlichen Wahlbeteiligung von 95,13 Prozent (reichsweit 88,74 Prozent) wurde die KPD mit 254 von 704 abgegebenen Stimmen (36,5 Prozent) zweitstärkste Kraft hinter der NSDAP (316 Stimmen, 45,4 Prozent) und vor der SPD (119 Stimmen; 17,1 Prozent). Vgl. BUGGLE, Zur politischen Entwicklung, 66. Vgl. Polizeilicher Einsatzbericht, 6.3.1933: HStAD G12 A. Vgl. KNAAB, Ueberau. Die Übergriffe wurden in der Diplomarbeit anhand von Zeitzeugeninterviews aufgearbeitet. Ebd. Vgl. MOOS, SA in Hessen, 184.
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5. Die Auslöschung des Vereins zwischen bürokratischer Gründlichkeit und Willkür Erst eine Woche nach den ersten brutalen Übergriffen der SA in Ueberau und zeitlich versetzt zu den Durchsuchungen und der Schließung des Büros der KGReichsleitung infolge der sogenannten Reichstagsbrandverordnung am 28./29. Februar und dem Verbot von Drucksachen und Versammlungen kommunistischer Gruppierungen im Reichstagswahlkampf folgte am 16. März 1933 in Hessen das offizielle Verbot der Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit. Erlassen wurde es durch den neu eingesetzten Staatskommissar für das Polizeiwesen in Hessen, Dr. Werner Best, den Verfasser des 1931 verfassten sogenannten Boxheimer Dokuments, das Pläne für eine von Lynchjustiz begleitete gewaltsame Machtübernahme der NSDAP in Hessen enthielt. Ob und inwieweit die Übergriffe und weitere Aktionen in Ueberau von Bests Behörde, der Zentralpolizeistelle,42 gesteuert wurden, lässt sich anhand der Quellen nicht klären. Fehlende Dokumente und der Zeitpunkt Anfang März sprechen für ein willkürliches Vorgehen der örtlichen SA-Truppen. Ein Schreiben an Bürgermeistereien, Kreisämter und Polizeireviere, in dem Best darauf hinweist, dass die Beschlagnahmung von Vereinseigentum oder Inbesitznahme von Sporteinrichtungen nur von der Polizei vorgenommen werden dürften und eigenmächtig handelnde Angehörige der „nationale Verbände“ rechtswidrig agierten, beweist die Kenntnis seiner Behörde von Übergriffen in der Region.43 Es ist anzunehmen, dass Best die Übergriffe duldete44 und erst einschritt, als aus der Unübersichtlichkeit Nachteile für die vorgesehene Verstaatlichung von Vereinsvermögen zu entstehen drohte. 5.1. Das behördliche Liquidationsverfahren
Parallel zu gelegentlichen Übergriffen der SA sowie polizeilichen Maßnahmen gegenüber politischen Aktivisten vollzog sich bis zum Spätsommer die penibel durchgeführte behördliche Liquidation des Arbeitersportvereins Ueberau. Die Aufnahme des Verbotsverfahrens lässt sich anhand der Akten des Kreisamtes in Dieburg, genauer gesagt einer Nachricht vom 2. April 1933,45 auf Ende März/ Anfang April datieren. Auf Grundlage einer Verfügung des Landespolizeipräsidenten vom 17. Juli 1933 löste das Kreisamt Dieburg den Verein „aus politischen Gründen im Auftrag der Regierung“ im Sommer 1933 endgültig auf.46 Am 42 43 44 45 46
Von Best eingerichtet. Erster organisatorischer Schritt zur Bildung der Gestapo. Vgl. PINGEL-ROLLMANN, Widerstand, 68–70. Dokument Nr. 5: HStAD G15 Dieburg Q61. Diese Einschätzung deckt sich mit bisherigen Forschungsergebnissen. Vgl. GIESLER, „Arbeitersportler, schlagt Hitler!“, 121–123. Nachricht des Kreisamtes Dieburg vom 2.4.1933 an das Amtsgericht Reinheim: HStAD G28 Reinheim R34. Den Kreisämtern oblag zwar in der Regel die Durchführung des Liquidationsverfahrens, ihre Zuständigkeit war laut einer Rundverfügung des Hessischen Staatsministeriums, Ministerialabteilung 1a (Polizei) vom 1. November 1933 dennoch eingeschränkt. Die der
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28. Juli erging hierzu eine Mitteilung des Kreisamtes an das Amtsgericht Reinheim. Drei Wochen später, am 19. August, beantragte das Kreisamt beim Amtsgericht die Löschung im Vereinsregister. Einen Tag zuvor hatte das Kreisamt Dieburg von dem im Juni zum „Vermögensverwalter und Liquidator der aufgelösten marxistischen Turn- und Sportvereine im Kreise Dieburg“ bestellten Dieburger Bürgermeistereisekretär Franz Josef Christ eine Liste der aufgelösten Sportvereine im Kreis Dieburg angefordert und ihn informiert,47 dass aufgelöste Vereine dem Amtsgericht/Registergericht gemeldet werden sollten und jeweils die Löschung aus dem Vereinsregister zu veranlassen sei.48 Am 14. November 1933 erschien in der „Darmstädter Zeitung“, dem amtlichen Organ der Hessischen Landesregierung, eine Bekanntmachung über die Auflösung des Arbeitersportvereins Ueberau. Da die Landes- und Kreisverwaltung keine Übersicht über das Eigentum der verbotenen bzw. aufgelösten Vereine hatte, unter anderem deshalb, weil Gegenstände oder Geldbeträge teilweise unter den Mitgliedern verteilt worden waren, um sie in Sicherheit zu bringen, wurde Abwicklungskommissar Christ beauftragt, zu ermitteln, welches Inventar und Vermögen die Vereine vor dem Verbot besaßen. Die von Polizeikräften konfiszierten Vereinsgegenstände sollten in erster Linie an „Organisationen der nationalen Verbände“ – in der Reihenfolge SA, SS, Stahlhelm, Freiwilliger Arbeitsdienst – abgegeben werden, danach an andere Parteiorganisationen und an „gleichgeschaltete“ Vereine, nur in Ausnahmefällen an Privatpersonen.49 Nachdem die willkürlichen Beschlagnahmungen durch SATruppen im Juli 1933 im Nachhinein legalisiert worden waren, mussten die Kampforganisationen eingezogene Vereinsgegenstände dem Kreisamt nachträglich vergüten. Ein Schreiben der Gendarmeriestation Reinheim vom 23. Mai 1933 gibt Auskunft, welche Gegenstände des Arbeitersportvereins Ueberau polizeilich „sichergestellt“ wurden.50 Neben Leichtathletik- und Turngeräten wie Diskus, Speer,
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SPD oder KPD nahe stehenden Vereine und Organisationen waren hinsichtlich der Vermögensverwertung und Liquidation dem Staatspolizeiamt in Darmstadt zugeteilt, so auch die Arbeitersportvereine der KG und des ATSB. Rundschreiben des Hessischen Kreisamtes Dieburg vom 4.10.1933, Betr. „Durchführung des Gesetzes über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens gemäß Ausführungsverfügung des Staatsministeriums: HStAD G15 Dieburg R83. Schreiben des Kultusministeriums vom 27.6.1933 an Klostermann: HStAD G15 Dieburg R83. Schreiben des Kreisamtes Dieburg vom 18.8.1933 an Franz Josef Christ, Betr. „Auflösung marxistischer Sportvereine im Kreis Dieburg; hier: Anzeige an das Registergericht für das Vereinsregister“: HStAD G15 Dieburg R83. Die von Christ erstellte Liste vom 2. Oktober 1933 enthielt 32 verbotene Vereine im Kreis Dieburg, davon waren nur fünf im Vereinsregister eingetragen, unter anderem der Arbeiter-Sportverein Ueberau. Schreiben des Hessischen Kreisamtes Dieburg vom 9.1.1934 an Abwicklungskommissar Christ: HStAD G15 Dieburg R83. Schreiben der Gendarmerie-Station Reinheim (Tgb.Nr. 937) vom 23.5.1933 an das Kreisamt Dieburg, Betr. „Auflösung der marxistischen Verbände im Kreis Dieburg und
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Barren, Reck oder „Pferd zu Sportzwecken“ sowie zwei Dirigentenstäben und 39 Liederbüchern verzeichnet die Liste auch Trikots und Sporthosen sowie eine Luftpumpe für Fußbälle und drei Bleistifte. Die Veräußerung erbrachte 76,25 RM.51 Abwicklungskommissar Christ, der in seiner Auflistung von Portovorlagen und Reisekosten für einen Brief an die Bürgermeisterei Ueberau 12 Pfennige und für eine Dienstfahrt von 19 Kilometern mit dem Fahrrad von Dieburg nach Ueberau und zurück 1,90 RM verrechnete, notierte über das Vereinsvermögen und den Verbleib der Gerätschaften:52 „Das Barvermögen war gering und ist mit 7,98 RM. eingezogen. Die wenigen Sportgeräte hat die Gemeinde Ueberau mit 50 RM. gekauft. 3 Trommeln sind an die S.A. für 12 RM. verkauft. Der Rest wird wohl vom Arbeitsdienstlager Reinheim übernommen. Die Abwicklung ist im übrigen erledigt. Eine Forderung des Vereinswirts Karl Seibold in Höhe von 81,50 RM. für die Vereinstätigkeit ist von uns nach den Richtlinien abgelehnt worden. Seibold wurde Anfang Februar verständigt und hat keinen Einspruch erhoben.“53 5.2. Die polizeiliche und justizielle Überwachung des Vereinsverbots
Wie gründlich die Behörden das Verbot des kommunistischen Sportverbandes und seiner Mitgliedsvereine in der Untersuchungsregion umsetzten, zeigt ein Ermittlungs- bzw. Gerichtsverfahren gegen den Rotsport-Aktivisten Christian Höhl aus Griesheim bei Darmstadt.54 In Ueberau wurden die Ermittlungen durch einen Brief ausgelöst, den Höhl Anfang April, also bereits nach dem Verbot der
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Beschlagnahme von Vereinsgegenständen und Vereinsvermögen“: HStAD G15 Dieburg R83. Schreiben des Kreisamtes Dieburg vom 10.3.1934 an das Staatsministerium, Ministerialabteilung 1a (Polizei) Darmstadt, Betr. „Vermögensabwickelung der aufgelösten marxistischen Vereine, hier: Verwertung des eingezogenen Vermögens der Turn- und Sportvereine im Kreise Dieburg (dritter Sammelbericht)“: HStAD G15 Dieburg R83; vgl. Übersicht über die marxistischen Turn- und Sportvereine (Vermögensabwicklung): ebd. Verzeichnis über Protovorlagen und Reisekostenvergütungen des Vermögensverwalters und Liquidators der aufgelösten marxistischen Turn- und Sportvereine im Kreise Dieburg seit 27. Juni 1933, Dieburg, 27. September 1934: HStAD G15 Dieburg R83; vgl. 1. Auflösung staatsfeindlicher Vereine, Handakte des Abwicklungskommissars Josef Christ, Dieburg/2. Auflösung marxistischer Sportvereine: HStAD G15 Dieburg R94; Auflösung der Turn- und Sportvereine, Handakte des Abwicklungskommissars Josef Christ: HStAD G15 Dieburg R84. Schreiben des Kreisamtes Dieburg vom 8.3.1934 an das Staatsministerium, Ministerialabteilung 1a (Polizei) Darmstadt, Betr. „Verwertung des eingezogenen staatsfeindlichen Vermögens im Kreise Dieburg; hier: die Turn- und Sportvereine. (2. Bericht)“: HStAD G15 Dieburg R83. Das Gerichtsverfahren wurde bereits in Gieslers Dissertation kurz erwähnt, dort allerdings ausschließlich im Hinblick auf Höhl als Beispiel für die Verfolgung politischer Gegner, und wurde für den vorliegenden Beitrag anhand der Strafprozessakte im Hessischen Staatsarchiv nochmals in Bezug auf Ueberau analysiert. Alle diesbezüglichen Schriftstücke: HStAD G27 Darmstadt 24.
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KG und parallel zum Beginn des Liquidationsverfahrens, an Philipp Borger, den Kassierer des Arbeitersportvereins Ueberau, geschickt hatte: „Werter Kolleg. Ich bitte dich[,] die Adr. der Süddeutschen sofort dem Kollege Oskar Kull, Neustadt, Neue Gärten mitzuteilen. Schicke an meine Adr. die letzte Abrechnung über den Wein sowie die Verpackung von 50 Pf.“
Dieser vieldeutige Brief soll nach Ansicht der Zentralpolizeistelle in Darmstadt chiffrierten Inhalt enthalten haben und führte dazu, dass der Ueberauer Vereinskassierer Philipp Borger in „Schutzhaft“ genommen und die Wohnungen von Höhl, Borger und dem im Brief erwähnten Kull durchsucht wurden.55 Gegen Borger wurde eine Postsperre erlassen. Höhl wurde in Untersuchungshaft genommen und am 10. Mai vom Sondergericht in Darmstadt zu einer Gefängnisstrafe von 9 Monaten und der Übernahme der Prozesskosten verurteilt. Denn nach Überzeugung des Gerichts hatte der Brief den Zweck, Aktivitäten des am 16. März verbotenen Rotsports im Untergrund aufrecht zu erhalten. Höhl gab bei seiner Vernehmung durch die Beamten der Zentralpolizeistelle am 15. April zu Protokoll, keine politischen Absichten verfolgt zu haben, gibt aber zu, den Ausdruck Wein als Chiffre für noch offene Mitgliedsbeiträge verwendet zu haben. „Einer Partei gehöre ich zur Zeit nicht an. Ich habe bis April 1932 der K.P.D. angehört. Meine Mitgliedschaft hat insgesamt etwa zwei Jahre gedauert. Ich habe ausserdem der freien Sportvereinigung ‚Einigkeit‘ von der Gründung bis zum Verbot angehört und zwar als Kassierer. Als am 17.3.33. dieser Verein verboten wurde, habe [ich] alle Mitglieder mündlich davon in Kenntnis gesetzt. Nach diesem Verbot hat der Verein keine Versammlung mehr getätigt. Die Mitgliedsbeiträge wurden bis einschließlich Monat Februar gezahlt. Ich gebe zu[,] am 7.4.33 an Philipp Borger einen Brief geschrieben zu haben. Ich erkläre dessen Inhalt wie folgt: Ph. Borger traf ich Ende März hier in Darmstadt auf der Rheinstrasse. Wir unterhielten uns über sportliche Angelegenheiten. B. teilte mir mit, dass beabsichtigt sei[,] in Überau ein neuer [sic!] zu gründen. Welchen Namen er führen sollte, könne er noch nicht sagen. B. machte mir aber darüber Mitteilung, dass dieser fragliche Verein dem süddeutschen Fussballverband angegliedert werden sollte. Die ganze Unterredung dauerte nur kurze Zeit, da B. mit dem Zug weg fahren wollte. Acht Tage später traf ich hier in Darmstadt am Geschäft Stegmüller Oskar Kull, mit welchem ich ebenfalls auf die sportliche Angelegenheit zu sprechen kam. K. fragte mich, was wir in Griesheim machen würden. Ich erklärte ihm, dass doch unser Verein aufgelöst sei und infolgedessen keine Sportmöglichkeit vorhanden wäre. Unter anderm teilte ich auch K. mit, dass Überau beabsichtige, einen neuen Verein ins Leben zu rufen und sich gleichzeitig dem süddeutschen Fussballverband angliedern wolle. K. bat mich 55
„Bei Höhl wurde sichergestellt eine rote Fahne mit Hammer und Sichel, ein rotes Transparent mit der Aufschrift ‚Rot-Sport zum Gruß‘[,] eine Broschüre ‚Unter roten Fahnen‘[,] jedoch kein Material oder Beweisstücke, die evtl. über den Brief Aufklärung geben können.“ Durchsuchungsbericht der Zentralpolizeistelle Darmstadt vom 11.4.1933: HStAD G27 Darmstadt 24.
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nun um die genaue Adresse. Aus diesem Grund schrieb ich den fraglichen Brief an Borger. Mit dem Ausdruck ‚Süddeutschen‘ habe ich den süddeutschen Fussballverband gemeint. Was die Abrechnung über den Wein anbelangt, so habe ich hierfür folgende Erklärung abzugeben: Der Fussballverein Überau wurde im Januar 1933 der Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit angegliedert. Ich hatte den Auftrag[,] die Mitgliederbeiträge einzuziehen. Als am 3. März 1933 die fraglichen Beiträge noch nicht bei mir eingegangen waren, und ich an dem gleichen Tage die Abrechnung beim Landesverband zu tätigen hatte, legte ich die fraglichen Beiträge für Überau vor. Da nun inzwischen beide Vereine verboten wurden, blieb Überau mit den Februarbeiträgen im Rückstand. Da es mir auf Grund des Vereinsverbots unmöglich war[,] diese Beiträge im Briefe offen zu mahnen, versuchte ich auf diese Art und Weise[,] in den Besitz meines Geldes zu kommen. Mit dem Wein habe ich also die Beiträge, und mit der Verausgabung von 50 Pf die Spesen gemeint. Das ist der wahre Sachverhalt, wie ich ihn geschildert habe. Ich bestreite ganz entschieden, dass ich mit dem fraglichen Brief dem Adr. in politischer Hinsicht irgendwelche Andeutung machen wollte.“56
Das Gerichtsverfahren und das harte Urteil gegen Höhl, aber auch das polizeiliche Vorgehen gegen Borger und Kull zeigen die rigorose Reaktion des NSRegimes gegenüber jeglichen Anzeichen subversiven Verhaltens und des Versuchs, verbotene Vereine aufrecht zu erhalten. Aus lokal- bzw. sporthistorischer Sicht ist Höhls Aussage darüber hinaus in zweierlei Hinsicht von Bedeutung. Zum einen erfahren wir, dass Ueberau, wie bereits erwähnt, erst im Januar 1933 dem Rotsport beigetreten sein soll. Zum anderen enthalten die Äußerungen Hinweise auf Aktivitäten der Arbeitersportler, die in die Zeit nach der Machtübernahme der NSDAP datieren. 6. Zwischen Anpassung und Subversion: Die Arbeiterfußballer nach der Vereinsauflösung Über die Gründe, warum der Arbeitersportverein Ueberau mit dem Mitgliedsbeitrag im Rückstand war, lassen sich nur Vermutungen anstellen. Ein Ende Februar 1933 unter dem Titel „Genosse Kassierer! Merke auf!“ veröffentlichtes Merkblatt der Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit weist auf die teilweise unpünktliche Zahlung der Mitgliedsbeiträge hin, wobei „meistenteils die Mitglieder ihre Beiträge ziemlich prompt entrichten und es sich mehr oder weniger hauptsächlich nur um die Weiterleitung der in diesen Beiträgen enthaltenen Organisationsanteile handelt. Ein nicht unerheblicher Teil unserer Vereine zahlt erst 2 Monate nach dem festgesetzten Termin.“57
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Christian Höhl, Vernehmungsprotokoll, Zentralpolizeistelle Darmstadt, 15.4.1933: HStAD G27 Darmstadt 24. Bundesarchiv Berlin RY1/ I4/10/2 BZ 44–77.
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Der Zahlungsrückstand des Arbeitersportvereins Ueberau Anfang März 1933 könnte darin begründet gewesen sein, dass die Vereinstätigkeit damals bereits zum Erliegen gekommen war. Mit Blick auf die in der Einleitung erwähnte Taktik mancher Arbeitersportvereine, der „Gleichschaltung“ zu entgehen, ist Höhls Aussage von Bedeutung, in Ueberau sei ein neuer Fußballverein gegründet worden, welcher dem im August 1933 aufgelösten Süddeutschen Fußball- und Leichtathletik-Verband (SFLV) angegliedert werden sollte. Weitere Anhaltspunkte finden sich in einem bislang unveröffentlichten Vernehmungsprotokoll, das eine diesbezügliche Aussage des Ueberauer Vereinskassierers Borger enthält, an den Höhl den Brief geschickt hatte. Borger wurde am 11. April 1933 in seiner Wohnung vernommen und erklärte: „Einer Partei gehöre ich nicht an. Ich gebe zu, dem K.g.F. [Kampfbund gegen den Faschismus] bis Oktober 1931 abgehört zu haben. Dieser Bewegung gehörte ich etwa 1/2 Jahr an. Länger war ich nicht Mitglied. Eine besondere Funktion hatte ich nicht. Weiter gehörte ich dem Arbeitersportverein Ueberau an. Hier gehörte ich dem Spielmannszug bis 1924 an. In diesem Jahre wurde der Spielmannszug wieder aufgelöst. Sport selbst hatte ich nicht getrieben. Durch den Arbeitersportverein habe ich den Kull in Neustadt, sowie den Höhl[,] wohnhaft in Griesheim[,] kennen gelernt. Persönlich ist mir die Person allerdings nicht bekannt, sondern nur durch Briefverkehr, den ich mit beiden Personen innerhalb des Sports gepflogen habe. A.B. Ueber den Inhalt des mir vorgelesenen Schreibens vermag ich keine Auskunft zu geben. Ich weiß nicht, was Höhl mit den ‚Süddeutschen‘ meint. Alsdann ist mir nicht erklärlich, was diese Person von Höhl mit dem Wein sagen will. Ich habe keinen Wein bezogen, alsdann kann ich zu dieser Sache keine Auskunft machen. Es besteht die Möglichkeit, dass mit den ‚Süddeutschen‘ der neugegründete Sportclub gemeint ist. Hier in Ueberau haben sich 16–18 Sportler zusammengefunden zu einem Fussballclub, der sich dem Süddeutschen Fussballverband anschließen will bezw. angeschlossen hat. Ob der Anschluss schon erfolgt ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Mit Bestimmtheit ist anzunehmen, dass Kull mit der Adresse der ‚Süddeutschen‘ die Mitglieder des neugegründeten Fussballclubs meint. Ich habe bis jetzt den Vorsitz in dem neugegründeten Sportclub. Die Mitglieder des neuen Sportclubs gehören nicht mehr dem Arbeiter-Sportverein an. Der Arbeiter-Sportverein hat sich hier in Ueberau aufgelöst. Dieser neue Sportclub hat mit Politik nichts zu tun. Kull war bisher Sportleiter im Arbeiter-Sportverein, Neustadt. Ob Kull ebenfalls aus der Arbeiter-Sportbewegung ausgetreten ist, kann ich nicht sagen. Auch kann ich über die Sportstätigkeit des Kull keine Auskunft geben. Höhl war der Sportleiter in Griesheim. Was er jetzt für eine Tätigkeit ausübt, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich stand in letzter Zeit mit Kull und Höhl nicht mehr im Briefverkehr. Aus diesem Grunde bin ich erstaunt, dass sich Höhl nun brieflich an mich wendet.
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Ich betone nochmals, dass mir der Inhalt des Schreibens nicht verständlich ist, hierzu also keine Angaben machen kann. Die Angaben[,] die ich eingangs gemacht habe, sind nur Vermutungen von mir. Weiter vermag ich zur Sache nichts anzugeben.“58
Weitere Belege für die Gründung eines neuen Vereins liegen nicht vor. Vermutlich hat es sich um eine temporär spielende Mannschaft gehandelt, die das Stadium der Gründung als Verein nie erreicht hat. Laut mündlichen Aussagen soll 1934 eine „Fußball-Spielvereinigung“ gegründet worden sein, in der auch ehemalige Arbeiterfußballer mitspielten, aber auch hierzu liegen keine Archivalien oder Spielberichte in Zeitungen vor. Ein auf Zeitzeugenerinnerungen beruhender Artikel aus dem Jahr 1976 führt an, die Nationalsozialisten hätten einen Verein gegründet, dem der Fußballplatz des Arbeitersportvereins Ueberau übereignet worden sei, in den auch „die Kommunisten eintraten, des Sports und auch der Politik halber, die sie hinter vorgehaltener Hand verbreiteten.“59 Man kann nur darüber spekulieren, ob dieser Verein, wenn es ihn überhaupt gegeben hat, in die bürgerlichen Verbandsstrukturen aus sportlichem Eifer oder politischen Gründen, also zur Unterwanderung des Sports, eingetreten ist. Formen subversiven Verhaltens mit explizitem Sport- bzw. Vereinsbezug sind weder für das Frühjahr 1933 noch für die gesamte Dauer der NS-Herrschaft bekannt. Gleichwohl gab es personelle Überschneidungen von ehemaligen Vereinsmitgliedern und politischen Aktivisten.60 Das gilt auch für Adam Büdinger, vor der Machtübernahme der NSDAP kommunistischer Beigeordneter im Gemeinderat und Vorstandsmitglied im Arbeitersportverein, der 1933 kurzzeitig verhaftet wurde, weil er Flugblätter der Antifa transportierte, die zum bewaffneten Aufstand aufriefen. Ebenso weist eine symbolische Tat, an der Vereinsmitglieder beteiligt waren, keine direkten Bezüge zum Sportverein auf: Am Ortseingang wurde eine rote Fahne an einem Baum so hoch und handwerklich gut montiert aufgehängt, dass die örtlichen Nationalsozialisten einige Tage brauchten, um sie abzuschneiden. 7. Das Erbe des Arbeitersports Wie kein anderes Vereinsmitglied steht Adam Büdinger beispielhaft für die Wiederbelebung des 1933 zerschlagenen Arbeitersportvereins nach dem Krieg. Der Kommunist und NS-Verfolgte war lange Jahre in Personalunion Vorsitzender des neugegründeten Vereins (1945–1965) und Bürgermeister von Ueberau (1948–1960). Bereits vor 1933 hatte er als Vereinsvorsitzender amtiert. Bei der
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Vernehmungsprotokoll der Zentralpolizeistelle Darmstadt vom 11.4.1933: HStAD G27 Darmstadt 24. Vgl. HÖGEMANN, Ein Münchner, 149. Zur Widerstandstätigkeit kommunistischer und sozialdemokratischer Arbeitersportler KUPFER, Arbeitersportler.
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Gründungsversammlung am 19. Oktober 1945 erinnerte er an die Verbrechen der NS-Zeit: „Nach zwölf Jahren Unterdrückung und brutalem Terror ist es uns heute wieder möglich[,] unsere freie Meinungsäußerung kund zu tun. Zertrümmerung der gesamten Arbeiterorganisationen war erste Aufgabe der Naziherrschaft. Auch vor dem Arbeitersportverein Ueberau machte dieser Terror keinen Halt, und man beschlagnahmte ihm sein ganzes Vermögen. Wenn wir heute wieder zusammen gekommen sind, um wieder einen Sportverein zu gründen, so deshalb, um nicht den Sport als Wehrertüchtigung für den Militarismus zu betreiben, sondern einen Sport zur Übung und Förderung der Volkskraft und Volksgesundheit durch Pflege der Leibesübungen auf volkstümlicher Grundlage. Um jedem antifaschistischen Sporttreibenden Gelegenheit zu bieten, in dem neuen Verein seine Sportart zu betreiben, wird der Name des Vereins auf Sportgemeinschaft 1945 Ueberau zur Wahl vorgeschlagen.“61
Mit der Wahl des Namens sollte verhindert werden, dass der Verein als politischer „Richtungsverein“ in Misskredit gerät. Jedoch führte die Erinnerung an den Vorgängerverein schließlich dazu, dass der Name in Sportgemeinschaft 1919 Ueberau e.V. geändert und das 40-jährige Vereinsjubiläum im Jahr 1959 feierlich begangen wurde. 1961 erhielt die Sportgemeinschaft eine Wiedergutmachung in Höhe von 3.400 DM für das 1933 enteignete und zerstörte Vereinseigentum. Es wird die Aufgabe zukünftiger lokal- und sporthistorischer Forschungen sein, die Rolle der SG Ueberau in der Politik- und Sozialgeschichte des Dorfes nach 1945 zu untersuchen und hierbei das im sportlichen Handeln der Vereinsmitglieder noch heute – wenn auch nur noch spurenhaft – vorzufindende Erbe der Arbeitersportbewegung aufzuspüren. Ein überregionales mediales Interesse an der ungewöhnlichen kommunalpolitischen Dominanz der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), die sich bis in die Gegenwart hinein auswirkt, gilt dabei auch den zahlreichen örtlichen Vereinen, unter ihnen der Sportgemeinschaft: „Auf die 2.300 Einwohner kommen mehr als 20 Vereine – vom Seniorenklub über den Verein Deutscher Schäferhunde und den Verein zur Förderung der orientalischen Tanzkunst bis hin zur SG, der Sportgemeinschaft 1919 Ueberau. Hier nun ist man wieder mittendrin in der ganzen DKP-Geschichte. Denn die SG mit ihren rund 1.000 Mitgliedern gibt im Dorf nicht unwesentlich den Ton an – und in der SG besetzten und besetzen Kommunisten die wichtigsten Posten. Wenn Manfred Büdinger, langjähriger Vorsitzender der SG, oder Walter Eckert, seit über 60 Jahren im Männerchor der SG, von ‚Wir‘ reden, ist meist nicht klar, wer damit gemeint ist. Wir, die Partei. Wir, der Verein. Wir, das Dorf.“62
61 62
Protokoll der Gründungsversammlung, zit. nach: RUPPERT, Reinheimer Geschichte, 162. PFISTERER/PUTZ, In Ueberau wird noch DKP gewählt.
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Besonderes Interesse verdient die Rolle der SG als politischer Vorfeldorganisation im Zusammenhang der 1956 in Reaktion auf das Verbot der KPD durch Kommunisten und Parteilose gegründeten Unabhängigen Wählergemeinschaft (UWG). Zu den Eckdaten dieser turbulenten Zeit, die das Dorf bis heute prägt, gehören die Nicht-Zulassung der UWG zur Landtagswahl in Hessen 1958, das ministerielle Verbot einer landwirtschaftspolitischen Veranstaltung unter Beteiligung von Landwirten aus der DDR, die Besetzung der Bürgermeisterei durch Polizeikräfte und die Absetzung des Bürgermeisters und Beigeordneten 1960, Hausdurchsuchungen, Festnahmen und Verhöre von Mitgliedern der von nun an verbotenen UWG und rund ein Drittel ungültig abgegebener Stimmzettel bei den Kommunalwahlen am 23. Oktober 1960. Diese Ereignisse standen in direktem Zusammenhang mit dem Vereinsleben der Sportgemeinschaft Ueberau und spiegeln die Spaltung der Arbeitersportbewegung in der Weimarer Republik in ein sozialdemokratisches und ein kommunistisches Lager. Denn nachdem UWGMitglieder den örtlichen Sozialdemokraten vorgeworfen hatten, an der Vorbereitung des UWG-Verbotes beteiligt gewesen zu sein, kam es auch vereinsintern zu Streitigkeiten zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten. Infolge dessen kündigte die neu gewählte Gemeindevertretung der Sportgemeinschaft den Vertrag über die Nutzung des Vereinsgeländes, was gerichtliche Auseinandersetzungen nach sich zog.63 Unter Beteiligung von SPD-Anhängern wurde 1963 der FC Ueberau gegründet, sodass in dem damals nur circa 1.600 Einwohner zählenden Ueberau zwei Fußballvereine gleichzeitig bestanden und bis heute miteinander konkurrieren. Wilhelm Eckert, Jahrgang 1922, ab 1928 Mitglied der Turnabteilung, berichtete, die damalige Zeit, insbesondere die Gründung des FC Ueberau, habe so tiefe Gräben durch die Dorfgemeinschaft gezogen, dass manche Bürger sich seither nicht mehr grüßen.64 Angesprochen auf ein etwaiges politisches Bewusstsein der gegenwärtig aktiven Fußballer oder ein historisches Bewusstsein insbesondere im Hinblick auf die NS-Zeit und das Verbot des Vereins, zeigt sich das heutige Ehrenmitglied Eckert nachdenklich. Zwar bestehen auch heute noch personelle Überschneidungen zwischen Vereinstätigkeit und dörflicher Kommunalpolitik, aber die Utopie der 1933 zerschlagenen Arbeitersportbewegung lässt sich als eine Folge der generellen Erosion traditioneller sozialer Milieus und parteipolitischer Identitätsstiftungen auch in den Nachfolgevereinen des Arbeitersportvereins Ueberau 1919 allenfalls in Spurenelementen nachweisen.
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Vgl. Radiofeature Rot-Gold. Eckert, Interview, 25.1.2014.
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Quellen und Literatur Archive Bundesarchiv Berlin – RY1/ I4/10/2 BZ 44–77. Hessisches Staatsarchiv Darmstadt (HStAD) – Dieburg N53, Q61, R83, R84, R 87, R94. – G12 A. – G27 Darmstadt 24. – G28 Reinheim R34. Vereinsarchiv SG 1919 Ueberau – Vereinschronik, undatiertes Manuskript ohne Angabe des Verfassers.
Literatur BERNETT, HAJO: Die Zerschlagung des deutschen Arbeitersports durch die nationalsozialistische Revolution, in: Sportwissenschaft 13 (1983), 349–373. BERTRAMS, WOLFGANG (Bearb.): Festschrift zur 700-Jahr-Feier von Ueberau. 700 Jahre Ueberau. 1305–2005, Ueberau 2005. –: Die Entwicklung der Einwohnerzahlen von Ueberau, in: DERS., Festschrift, 30–32. BUGGLE, GERD: Zur politischen Entwicklung von Reinheim und Ueberau im deutschen Kaiserreich und der Weimarer Republik, in: BERTRAMS, Festschrift, 56–69. DIERKER, HERBERT: Arbeitersport im Spannungsfeld der zwanziger Jahre. Sportpolitik und Alltagserfahrungen auf internationaler, deutscher und Berliner Ebene, Essen 1990. EBNER, ANDREAS: Sportler unter roten Fahnen. 100 Jahre Arbeitersport in Lampertheim. Ein (fast) vergessenes Kapitel regionaler Sportgeschichte, Beilage in: Lampertheimer Zeitung, 21.6.2011. FILTER, FRANK: Arbeiterfußball in der Arbeiter-Turn- und Sportbewegung bis 1933, Diplomarbeit, Universität Marburg 1987. GEIGES, LARS: Fußball in der Arbeiter-, Turn- und Sportbewegung. Ein zum Scheitern verurteiltes Spiel?, Stuttgart 2011. GIESLER, HORST: „Arbeitersportler, schlagt Hitler!“ Das Ende der Arbeitersportbewegung im Volksstaat Hessen. Ein Beitrag zur Sozial- und Sportgeschichte Hessens, Dissertation, Universität Gießen 1994. –: Das Ende der Arbeitersportbewegung im Volksstaat Hessen, Hamburg/Münster 1995 (überarbeitete Fassung der Dissertation 1994). GRABENSTRÖER, MICHAEL: Das Rote Dorf. Reinheim-Ueberau ist eines der letzten Biotope, in dem die DKP bis heute überdauert hat, in: Frankfurter Rundschau, 27.9.2008. HICKMANN, CHRISTOPH: Ganz brave Kommunisten, in: Süddeutsche Zeitung, 14. 4.2009. HÖGEMANN, JÖRG: Ein Münchner erlebt die SG 1919 Ueberau, in: Kürbiskern, Literatur, Kritik, Klassenkampf 5/1976, abgedruckt in: RUPPERT, Reinheimer Geschichte, 147– 161. KNAAB, STEFAN: Ueberau. Die politische und sozio-kulturelle Entwicklung einer hessischen Arbeiterwohngemeinde nach 1945, Diplomarbeit, Universität Marburg 1985. KUPFER, TORSTEN: Arbeitersportler gegen den Faschismus. Die Kampfgemeinschaft für rote Sporteinheit in Leipzig 1933 bis 1935, Diplomarbeit, Universität Leipzig 1988. MOOS, LUDWIG: SA in Hessen. Geschichten der Brigaden 50 und 150, Groß-Gerau [1934]. PFISTERER, MISCHA/PUTZ, RAINER: In Ueberau wird noch DKP gewählt. Wir, das Dorf und die Partei, in: taz, 24.2.2014.
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PINGEL-ROLLMANN, HEINRICH: Widerstand und Verfolgung in Darmstadt und der Provinz Starkenburg 1933–1945, Darmstadt 1985. REITZ, HEINZ: Die Entwicklung des Dorfes Ueberau seit 1635, in: Der Odenwald. Zeitschrift des Breuberg-Bundes, Jg. 38, Nr. 2, Juni 1991, 56–73. RUPPERT, WILHELM (Hrsg.): Reinheimer Geschichte. Im Verbund zu unserem Leben. Erlebtes – Gesammeltes – Beschriebenes. Von Gestern bis Heute, Reinheim o.J. –: Der rote Faden in der Reinheimer Geschichte, in: DERS., Reinheimer Geschichte, 7–23. 60 Jahre SG 1919 Ueberau, Ueberau 1979 (unpaginierte Festschrift). SEEGER, ANDREA: Hessens Don Camillo und Peppone. In Ueberau ziehen der kommunistische Ortsvorsteher und der evangelische Pfarrer an einem Strang, in: Evangelische Sonntagszeitung (Hessen-Nassau), 25.4.2009. STILLER, EIKE: Fußball in der organisierten Arbeitersportbewegung, in: LORENZ PEIFFER/DIETRICH SCHULZE-MARMELING (Hrsg.), Hakenkreuz und rundes Leder. Fußball im Nationalsozialismus, Göttingen 2008, 166–177. TEICHLER, HANS JOACHIM: Ende des Arbeitersports 1933?, in: DERS. (Red.), Arbeiterkultur und Arbeitersport, Clausthal-Zellerfeld 1985, 196–234. –: „Wir brauchten einfach den Kontakt zueinander“. Arbeitersport und Arbeitersportler im „Dritten Reich“, in: DERS./GERHARD HAUK (Hrsg.), Illustrierte Geschichte des Arbeitersports, Bonn 1987, 231–241. WONNEBERGER, GÜNTHER: Deutsche Arbeitersportler gegen Faschisten und Militaristen 1929–1933. Zur historischen Bedeutung des revolutionären Arbeitersports, Ost-Berlin 1959. –: Zur Entstehung der Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit im Jahre 1930, in: Theorie und Praxis der Körperkultur 6 (1980), 412–415.
Interview Eckert, Wilhelm: Interview, Ueberau, 25.1.2014. Radiofeature Rot-Gold. Das schönste und kommunistischste Dorf Deutschlands, von Peter Kessen, SWR 2, 7.6.2015.
Hermann Queckenstedt
Auflösen, fusionieren oder mit katholischem Profil überleben? Die DJK-Sportabteilungen im Bistum Osnabrück und ihre „Gleichschaltung“ im NS-Staat
1. Stadion-Segnung: Katholiken an der Spitze der Osnabrücker Sportbewegung Der Michaelistag des Jahres 1929 war ein großes Ereignis für die katholischen Sportler Osnabrücks. An diesem 29. September segnete Bischof Wilhelm Berning das neue Stadion der Deutschen Jugendkraft (DJK) an der Kokschen Straße, das die Sportabteilungen mehrerer Kirchengemeinden gemeinsam errichtet hatten. Nicht ohne Stolz registrierten die Jugendkraftler, dass sie nunmehr über den modernsten Sportplatz der Stadt verfügten, dessen Bau der Magistrat mit Blick auf eine geeignete Anlage für den Schulsport finanziell förderte. Motor der Stadion-Initiative war der Pfarrdechant von St. Johann Tonberge, dessen Plänen vor allem dank der breiten Unterstützung sowie eines städtischen Zuschusses endlich Erfolg beschieden war. Der mit 52 Jahren noch immer verhältnismäßig junge Bischof hatte sich in den ersten 15 Jahren seiner Amtszeit aufgeschlossen für die Innovationen und Herausforderungen seiner Zeit gezeigt und maß auch dem Sport eine wichtige Funktion in der Jugendarbeit bei.1 So nutzte er den Festakt
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Am 29. September 1914 war der 37-jährige Lehrer Wilhelm Berning an die Spitze des Bistums getreten und hatte das katholische Selbstbewusstsein durch nachhaltige Initiativen gestärkt: durch Ordensniederlassungen und -gründungen, Bildungseinrichtungen, den Diözesan-Caritasverband, die Bistumszeitung „Kirchenbote“, das Diözesanmuseum, neue Kirchengemeinden und nicht zuletzt die Förderung der katholischen Laienverbände. Innerhalb der Fuldaer Bischofskonferenz war er für das Schulwesen, den aufblühenden Rundfunk, das Filmreferat sowie die Auswanderer und die Auslandsdeutschen zuständig. Durch das Kaiserreich geprägt, hatte er sich stets loyal zum Staat bekannt: Nach dem Trauma des Kulturkampfes suchte er während des Ersten Weltkriegs die Vaterlandstreue der Katholiken zu beweisen und trat in der Weimarer Republik dem Zentrum bei. Nach 1933 vertraute er zunächst den Ankündigungen Adolf Hitlers, die Rechte der Kirche zu stärken und das „Dritte Reich“ auf den Fundamenten des Christentums zu errichten. Am 11. Juli 1933 wurde Berning Preußischer Staatsrat und fungierte als einer der zentralen Unterhändler der deutschen Bischöfe mit dem Regime – so auch bei den Konkordatsverhandlungen im selben Jahr. Suchte er zunächst seine Diözese auf den neuen Staat und seinen Führer einzustimmen, so ging er ab 1934 zusehends auf Distanz. – Zum Lei-
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Abb. 1: Bischof Wilhelm Berning segnet am Michaelistag des Jahres 1929 die neu gebaute Sportplatzanlage Osnabrück, Foto: Archiv SV Rasensport DJK Osnabrück.
zur Inbetriebnahme des Stadions für eine programmatische Positionsbestimmung, die er an die Honoratioren aus dem Bistum, der Stadt, der Kirchengemeinden, der DJK sowie der Förderer adressierte.2 Der Festtag begann am Vormittag um 8 Uhr mit der Segnung der Anlage durch Wilhelm Berning, die nicht nur die Abordnungen der katholischen Jugendvereine mit ihren Bannern, die Gäste auf dem mit Grün und Kränzen geschmückten Gelände, sondern zusätzlich Hunderte von Menschen vom nahen Bahndamm sowie aus den Fenstern der angrenzenden Mietshäuser verfolgten. Zunächst begrüßte Adjunkt Keßler als Vorsitzender des Katholischen Jugendwerkes und Träger des Stadions den Bischof. Beim Segnungsgang über das Gelände begleiteten diesen unter anderen die städtischen Senatoren Bartscher und Hollmann, Rektor Wulfern, Dr. med. Kardow als DJK-Sportarzt sowie für den Katholischen Kaufmännischen Verband (KKV) Osning die Kaufleute Middendorf und Knapstein (Abb. 1). Mit einer ersten bischöflichen Ansprache endete die Feier, um am Nachmittag mit einem Festakt fortgesetzt zu werden. Angeführt von der Kapelle des traditionsreichen katholischen Gymnasiums Carolinum bewegte sich ein Festumzug über die Straßen um das Sportgelände, die nunmehr Tausende von Menschen säumten. Neben Bischof Berning nahmen Regierungs-
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stungsprofil Bernings QUECKENSTEDT, Glauben, 189f. Die Entwicklung der Berningschen Position zum Regime wird im Gesamttext entwickelt. Die Darstellung der Feierlichkeiten folgt – soweit nicht gesondert vermerkt – der Berichterstattung in: Deutsche Jugendkraft, 3/1929, 1–3.
Auflösen, fusionieren oder mit katholischem Profil überleben?
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präsident Sonnenschein, Senator Hermann als Vertreter des Oberbürgermeisters, Oberregierungsrat Müller, Oberstleutnant Wolters für die Reichswehr sowie die Pfarrgeistlichen des Domes, der Johanniskirche, der Josephskirche und der Liebfrauenkirche in Eversburg teil, deren männliche Jugend sich in der DJK engagierte. Die Stadion-Einweihung stieß nicht nur auf das Interesse der katholischen Sportbewegung. Neben den Vertretern des DJK-Reichsverbandes waren auch Repräsentanten des Deutschen Reichsausschusses für Leibesübungen als nationale Dachorganisation des Sports erschienen. Erneut war es Adjunkt Keßler, der das Wort ergriff und noch einmal an den nicht immer einfachen Weg zum neuen Stadion erinnerte. Nicht ohne Stolz betonte er, dass die Weihe einer solchen Sportanlage für Osnabrück als angehende Großstadt längst überfällig sei. Sodann stellte der Bischof den Sport in seiner Festrede in den Kontext katholischer Erziehung. „Der Hochwürdigste Bischof hielt eine kurze Ansprache an die Jugendführer in der DJK., anschließend an das Wort: ‚Doch der Segen kommt von oben‘. In feierlichen Gebeten sei der Segen des Allerhöchsten durch die Weihe auf den Platz herabgerufen. Zugleich soll aber auch durch diese feierliche Einweihung öffentlich bekundet werden, dass wir als katholische Christen bei all unserem Tun und Handeln stets die höchste und letzte Bestimmung im Auge behalten. Gott zu ehren. Die Leibesübungen dürften nicht dem Streben der Seele nach Höherem hinderlich sein. Bei allem, was der Christ tut, soll er auch sein ewiges, sein höchstes Ziel im Auge behalten. In manchen Kreisen ist der Sport heute entartet, er ist nicht mehr Mittel zum Zweck, sondern Selbstzweck geworden. Das ist eine moderne, heidnische Auffassung. Auch der Sport soll dazu dienen, die Welt christlich und sittlich zu machen. Christlicher Geist muß auch die Uebungen des Sportes beseelen. Ihr, meine jungen Freunde, seid berufen, als Führer auf die anderen einzuwirken. Autorität und Liebe muß jeder Führer haben. Wenn Ihr aber Autorität haben wollt, müsst Ihr Euch auszeichnen, echte katholische Persönlichkeiten sein, katholisch denken, reden und handeln. Dazu gehört sittliche Willensstärke. Weiter wünsche ich Euch große Liebe und Begeisterung für die DJK. Seid Euch bewusst, welch große Verantwortung Ihr habt. Ihr sollt Führer, Wegweiser sein für die anderen, für die großen Ideale Eures Verbandes. Mit Autorität und Liebe setzt Ihr Euch für diese Ideale ein. St. Michael, dessen Fest wir heute feiern, soll Euch allen in der DJK. Führer sein, dass Ihr in den Sportkämpfen nicht den großen und heiligen Kampf vergeßt für die Rettung und Reinhaltung der jungen Seele. ‚Mit Gott und für Gott!‘, so schloß der Hochwürdigste Herr seine eindrucksvollen Worte an die Jugendführer in der DJK. Und erteilte zum Schluß seinen Segen. […] Nach einem besonderen Hinweis auf den großen verdienten katholischen Jugendführer Mosterts und der Aufforderung an die Jugend, im Sinne und nach dem Wunsche dieses Mitbegründers der DJK. zu arbeiten in der DJK., schloß der Hochwürdigste Bischof seine Ausführungen: Dann Deutsche Jugendkraft, schauen wir auf dich mit Freude und Stolz, dann rufen wir dir alle Zeit zu: Deutsche Jugendkraft Heil!“3 3
Zit. nach Deutsche Jugendkraft, 3/1929, 1f.
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In einem zweiten Redebeitrag würdigte der Regierungspräsident die Chancen, die der Sport im Allgemeinen und die neue Anlage im Besonderen eröffne. Anschließend starteten Laufwettbewerbe: die 4-x-100-Meter der Herren und der Jugend um den Ehrenpreis der „Osnabrücker Volkszeitung“ (silberne Schale) und des „Kirchenboten“ (Bild), die 3-x-1000-Meter um die vom Oberbürgermeister gestiftete goldene Plakette, der 100-Meter-Einladungslauf um den Ehrenpreis des Katholischen Jugendwerkes Osnabrück (Plakette) sowie die „Jugendkraftstaffel“ über 800, 400, 200 und 100 Meter um den Ehrenpreis des Bischofs (jeweils eine große silberne Plakette). Drei der fünf Siegerpreise errang die DJK Niedersachsen aus Osnabrück, die damit ihre Leistungsfähigkeit vor großem Publikum demonstrierte. Für das anschließende Fußballspiel zwischen der DJK Niedersachsen und dem beim Westdeutschen Spielverband (WSV – Regionalverband im DFB) gemeldeten Sportverein 08 warf ein Flugzeug die beiden Spielbälle während der 3-x-1000-Meter-Staffel über dem Spielfeld ab. Die Partie galt dem Siegerpokal des Regierungspräsidenten und wurde durch Schiedsrichter Plogmann vom VfL geleitet. Das DJK-Team unterlag 3:6 (1:3).4 In seiner Rede zur abschließenden Siegerehrung der Sportler unterstrich Oberbürgermeister Gärtner, dass die Stadt derzeit die Kosten für ein eigenes zentrales Stadion angesichts der schwierigen Finanzlage allein nicht tragen könne, obwohl sie solche Pläne noch nicht aufgegeben habe. Die kommunale Teilfinanzierung eröffne nunmehr den Schulen die Möglichkeit, die Anlage mitzunutzen: „Wir sollten daher dankbar sein, dass andere mit uns und für uns arbeiten“, und daher beglückwünsche er die DJK zu ihrem schönen Platz.5 Mit nationalem Pathos sang die versammelte Menge schließlich – „entblößten Hauptes“ – das Deutschlandlied. Mit ihrer Stadioninitiative bewegten sich die Katholiken nunmehr an der Spitze der Osnabrücker Sportbewegung. 2. Struktur und Organisation des katholischen Sports vor 1933 Während sich seit der Jahrhundertwende bereits auf lokaler und regionaler Ebene ein reger, mehr oder weniger organisierter Sportbetrieb im Umfeld der katholischen Kirche entwickelt hatte, war die Dachorganisation Deutsche Jugendkraft auf Reichsebene während des Katholikentags 1920 in Würzburg als Reichbund für Leibesübungen in katholischen Vereinen gegründet worden, der – gegliedert in Kreise, Gaue und Bezirke – nunmehr einen einheitlichen katholischen Wettkampf- und Spielbetrieb organisieren sollte. Mit der Integration des Sports in die Jugendarbeit stieg die Chance, auch Jugendliche und Jungmänner im katholischen Milieu zu binden, statt sie an säkulare Sportvereine zu verlieren. Seit Papst Pius X. zum Ende des ersten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts den Sport demonstrativ durch Sportfeste mit internationalen Darbietungen und Fuß4 5
Dazu Deutsche Jugendkraft, 3/1929, 3. Deutsche Jugendkraft, 3/1929, 3.
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ballspiele katholischer Akteure in den Vatikanischen Gärten in Rom gefördert hatte, geriet die zunächst vor allem von der katholischen Basis getragene Sportbewegung verstärkt in den Blick der Amtskirche.6 Strukturell wurzelte die DJK in der Wehrerziehung während des Ersten Weltkriegs. Im Oktober 1914 hatte etwa das Bischöfliche Generalvikariat Osnabrück vor allem die Jugendvereine dazu aufgerufen, die männliche Jugend durch „die Pflege der vaterländischen Gesinnung und der körperlichen Ertüchtigung“ auf mögliche Kriegseinsätze einzustimmen. Dies könne insbesondere geschehen durch Vorträge über Vaterlandsliebe, Mut, Disziplin, Tapferkeit, die Wichtigkeit und Bedeutung des Krieges zur Wahrung deutscher Kultur, deutschen Wesens sowie des Erhaltes deutschen Wohlstandes. Zudem sollten die Präsides der Jugendvereine auf Veranlassung des Innen-, Kultus- und Kriegsministeriums über die gewöhnliche Körperertüchtigung hinaus militärische Übungen anbieten, die möglichst von „militärisch geschulten Personen“ durchzuführen waren. Gegebenenfalls sollten durch gemeinsame Übungen mehrerer Jugendvereine größere Formationen auf Bezirksebene gebildet werden. Falls nicht katholische Jugendliche einbezogen würden, könnten die Jugendvereine – um ihre eigentliche Arbeit nicht zu stören – gemischt konfessionelle Abteilungen unter der Leitung der militärischen Experten sowie unter Aufsicht der Präsides bilden. Dabei habe der jeweilige Präses sicherzustellen, dass die Übungen – von Ausnahmen abgesehen – die Teilnahme an den nachmittäglichen Gottesdiensten nicht verhinderten. Schließlich sollten die Pfarrer im Blick auf die Herausforderungen des Krieges nunmehr auch an jenen Orten Jugendvereine gründen, an denen diese noch nicht existierten.7 1920 sprach sich die Osnabrücker Diözesansynode auch für konfessionelle Sportangebote aus, um die männliche Jugend nach der Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht körperlich zu ertüchtigen. Unter diesem Gesichtspunkt sowie aus sittlich-moralischen Erwägungen heraus war Mädchen- und Damensport aus amtskirchlicher Sicht entbehrlich und wurde – trotz kontroverser Diskussionen im Verband – bis zu dessen Ende Mitte der 1930er Jahre nicht zugelassen.8 Grundsätzliche Voraussetzung für sportliche Aktivitäten war die Mitgliedschaft in einem der Jugend- oder Jungmännervereine, die die religiöse Unterweisung und die Vereinbarkeit sportlichen Wettstreites mit den ethisch-moralischen Werten der kirchlichen Lehre sicherstellten. Genau diese Struktur spiegelt der Name Reichsverband für Leibesübungen in katholischen Vereinen, dessen Aktive sich aus Mitgliedern des KKV, des Katholischen Gesellenvereins (Kolping), des Bundes Neudeutschland (ND) als Verband katholischer Schüler höherer Lehranstalten sowie den örtlichen Jünglingssodalitäten zusammensetzten.9 Seit dem zweiten Jahrzehnt waren in der Stadt Osnabrück und der 1933 eingemeindeten Gemeinde Schinkel aus sportlichen Initiativen im Umfeld der je6 7 8 9
Zum Sportgeschehen im Vatikan unter Pius X. und dessen Beitrag zur Integration des Sports in die kirchliche Jugendarbeit SCHWANK, Pius X, 117–122. Kirchliches Amtsblatt für die Diözese Osnabrück, 14.10.1914, 123f. QUECKENSTEDT, Glauben, 189. Dazu ULFKOTTE/LANGENFELD, DJK, 19.
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weiligen Pfarrkirchen die Sportabteilungen „Niedersachsen“, „Blau-Weiß“, „Rasensport“, „Saxonia“, „Born“ und „Eversburg“ entstanden. Ähnlich verlief die Entwicklung in vielen anderen Orten des Bistums Osnabrück, wo die jungen Männer zumeist von sportbegeisterten Geistlichen und örtlichen Lehrern unterstützt wurden. Hatten die städtischen DJK-Abteilungen in Osnabrück an der Kokschen Straße ein qualitätvolles, zentrales, auch für die Leichtathletik geeignetes Stadion geschaffen, so waren es auf dem Land vor allem die Akteure selbst, die auf einfachen Wiesen Fußballtore zimmerten, sie teils mit Netzen oder Drahtgeflechten versahen und so durchweg in Eigenleistung Fußballplätze und Sportanlagen errichteten. Trotz solcher Infrastruktur begann ein regelmäßiger Sport- und Wettkampfbetrieb in der Bischofsstadt erst seit den 1920er Jahren, nachdem die drei damaligen Osnabrücker Jugendkraft-Gemeinschaften am 3. Dezember 1920 den DJK-Bezirk Osnabrück gegründet hatten.10 Anders als heute war der Sport seinerzeit plural strukturiert. Konkurrenten der DJK waren in diesen Jahren die Deutsche Turnerschaft (DT) und die Sportfachverbände, neben denen der Arbeiter-Turn- und Sportbund (ATSB), die jüdischen Vereine und in anderen Regionen des Reiches auch der evangelische Eichenkreuz-Verband jeweils eigene Wettkämpfe und Meisterschaften durchführten. Im Fußball spielten der Deutsche Fußball-Bund, die Arbeitervereine sowie die DJK in eigenen Ligen ihre Meister aus. Möglicherweise wegen der notwendigen Doppelmitgliedschaft in Stammvereinen und DJK-Abteilungen firmierten die katholischen Angebote im Reichsadreßbuch für Leibesübungen von 1930 – ebenso wie die ihrer evangelischen Schwesterverbände – zumeist nicht unter dem reinen Sportbetrieb, sondern unter der Rubrik „Jugendpflege“. Zugleich war das Profil einzelner Abteilungen bzw. die Abgrenzung zwischen Abteilungen mit eigenem Namen und den Stammvereinen im Raum Osnabrück zumindest für die Mitarbeiter am Reichsadressbuch zu diesem Zeitpunkt nicht hinreichend klar. 1930 ist unter der Rubrik Jugendpflege die DJK Niedersachsen zu finden. Die übrigen DJK-Angebote sind unter den Jugendvereinen Dom/Herz Jesu, St. Johann, St. Joseph und Heilig Kreuz sowie unter dem katholischen Jünglingsverein Eversburg verzeichnet. Schließlich wird auch die Jugendabteilung des KKV Osning mit 80 männlichen Turnern, Leichathleten und Wanderern ohne DJK-Anbindung als sportlich aktiv klassifiziert. Während das Gesellenhaus an der Seminarstraße als Vereinslokal diente, fanden die Übungsstunden in der Turnhalle an der Brinkstraße statt.11 Ein Sonderfall war die Kirchengemeinde in Eversburg. Seit 1898 war hier der Pfarrer Engelbert Bucholtz tätig – zunächst als Geistlicher der vom Dom abhängigen Kapellengemeinde, die ihre Gottesdienste in der Kapelle des im 19. Jahrhundert abgebrochenen ehemaligen Sitzes der Osnabrücker Dompröpste feierte. Nachdem 1923 die Liebfrauenkirche als neue Pfarrkirche erbaut worden war, nutzte die Gemeinde die Kapelle als Jugendheim und Turnhalle. Pfarrer Bucholtz organisierte sportliche Aktivitäten spätestens ab 1913 als eines der zen10 11
Dazu LANGENFELD, Sportgeschichte 2, 166. MALLWITZ, Reichsadressbuch, 131.
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tralen Elemente seiner Jugendarbeit, die dank seines über fünf Jahrzehnte währenden Wirkens vor Ort von großer Kontinuität geprägt war. Neben Turnen und Schwimmen nennt das Reichsadressbuch die Leichtathletik, die auf dem örtlichen Sportplatz betrieben wurde. Zudem belegen alte Fotos, dass die Jungen auch Fußball spielten, vermutlich jedoch nicht an offiziellen Spielen teilnahmen. Darüber hinaus hatte der Pfarrer Kanus angeschafft. Die eindeutige Ausrichtung des Sports in dieser Pfarrei auf die Jugend verdeutlichen die Mitgliedszahlen: Von den 48 ausschließlich männlichen Aktiven waren nur zwei erwachsen.12 Gleichwohl bezog Pfarrer Bucholtz Mädchen zumindest in seine Schwimmaktivitäten ein. Neben dem allgemeinen, öffentlichen Kanalbad betrieb er mit Genehmigung der Wasserbauverwaltung auf einer Wiese des Hofes Gößling eine „katholische Badeanstalt“ am Stichkanal zum Mittellandkanal, wo er eine Umkleidekabine errichtet hatte. An drei Tagen der Woche konnten die Jungen hier schwimmen, an zwei Tagen die Mädchen, was eine Zeitzeugin später als ausgesprochen ungerecht wertete.13 Auch andernorts war die Zahl erwachsener Mitglieder eher dürftig. Nur die DJK Niedersachsen wies mit 49 Erwachsenen bei 67 Jugendlichen ein etwas ausgeglicheneres Verhältnis auf, während die DJK Rasensport mit 18 Erwachsenen von 138 Mitgliedern gerade anderthalb Fußballmannschaften zusammenbrachte. Die DJK Niedersachsen war zu dieser Zeit für ihr hohes fußballerisches Niveau bekannt und wurde 1929 zu den Pokalspielen um den Silberschild des Regierungspräsidenten zugelassen, wobei das Team nach zwei Auftaktsiegen mit einer 1:12-Niederlage gegen den Osnabrücker FV 06 ausschied.14 Während im Großraum Osnabrück in den 1920er Jahren die unterschiedlichsten, teils milieugeprägten Sportangebote und -vereine konkurrierten, dominierte vor allem im nördlichen Emsland die DJK das Sportgeschehen. Hier gründeten sportbegeisterte katholische Lehrer und Priester eine Vielzahl von Abteilungen, die sich teils sogleich, teils nach einigen Jahren der DJK anschlossen. Der Sport war Teil einer ganzheitlichen katholischen Erziehung und Lebensführung. Bisweilen traten die Vereinsvorstände auch politisch in der katholischen Zentrumspartei in Erscheinung. Grundsätzlich sollte eine einseitige Ausrichtung auf den Fußball oder andere Sportarten vermieden werden. Ebenso waren „rohe“ Sportarten wie das Boxen sowie „Rekordsucht“ und „Personenkult“ tabu. Allerdings klafften auch hier bisweilen Anspruch und Wirklichkeit auseinander. 1927 klagte der Osnabrücker Bezirks-Spielwart Stübe, dass „im Spielbetrieb starke Entgleisungen vorgekommen“ seien. Dazu gehörte auch, dass unterlegene Mannschaften bei Fußballspielen frustriert den Platz verließen. Das niedersächsische DJKNachrichtenblatt suchte im selben Jahr nach den Ursachen: „Wie steht es mit der Disziplin, mit der inneren Arbeit in den Vereinen? Was den Vereinen unseres Bezirks zum größten Teil fehlt, ist die wirkliche Harmonie unter den Mitglie12 13 14
MALLWITZ, Reichsadressbuch, 131. Pfarrarchiv Liebfrauen Eversburg, C.-231-02-01, Katholischer Arbeiterverein 1897– 1898/1925–1937/1977–1986. Dazu LANGENFELD, Sportgeschichte 2, 166.
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dern.“15 Auch für die gemütliche Seite müsse bei den Monatsversammlungen gesorgt werden. Als vorbildlich könne die DJK Niedersachsen in Osnabrück gelten, die durch Geigen- und Klavierspiel die Monatsversammlungen attraktiver gestalte. Im April 1921 gründete Lehrer Heeger aus Papenburg-Obenende mit Gleichgesinnten den DJK-Bezirk Emsland, der die Landkreise Aschendorf, Hümmling, Meppen und Lingen verband. Bis auf den TV und den FC Germania aus Papenburg sammelten sich im Norden des Emslandes zunächst alle Vereine unter diesem neuen Dach, dessen Vorsitz Vikar Schockmann aus Papenburg-Untenende übernahm. Höhepunkte waren die großen Bezirkssportfeste, 1921 in Papenburg und 1922 in Werlte. Gleichwohl mussten sich die Strukturen innerhalb der katholischen Sportbewegung noch finden. Im Emsland orientierte man sich durchaus nach Süden. Spielerpässe lieferte der DJK-Kreis Rhein-Weser. Die Fußballer im südlichen Emsland um Lingen sowie in der Grafschaft Bentheim traten innerhalb der Staffeln des DJK-Bezirks Steinfurt-Tecklenburg zu ihren Punktspielen an.16 Nach einem Bericht der „Oldenburgischen Landeszeitung“ zum Gründungsaufruf für den zum Bistum Münster gehörenden DJK-Bezirk Oldenburgisches Münsterland im März 1922 sollte „die Pflege geordneter Leibesübungen in katholischen Vereinen“ den Körper kräftigen und den „Charakter im Rahmen des katholischen Erziehungszieles“ stählen. Um „unsere schulentlassene männliche Jugend in Sinne des christlichen Erziehungsprogramms“ zu gewinnen, sollten Spielregeln und Leitsätze, Konferenzen und Jugendtagungen, Werbeblätter und Zeitschriften eingeführt werden. Im Gründungsaufruf selbst schlug sich Skepsis gegenüber den in Deutschland umstrittenen, leistungsorientierten englischen Sportidealen nieder. Durch die DJK könne manchen der viel beklagten Missstände abgeholfen „und die augenblickliche Sportwelle oder Sportkrankheit aus einem notwendigen Uebel zu einem Faktor der Jugenderziehung werden.“17 Die Botschaft war klar: Kein Sport ohne ideellen bzw. ideologischen Überbau wie ihn die „Sportkrankheit“ repräsentierte. Insgesamt gelang es bis zur „Gleichschaltung“ der DJK Mitte der 1930er Jahre nicht, eine einheitliche organisatorische Struktur zu entwickeln. So spielten für den Fußball, andere Ballsportarten, Leichtathletik und Turnen die Katholikendichte in der Diaspora sowie diözesane Besonderheiten eine wichtige Rolle, wenngleich die Reichsleitung auf eine ähnliche Gliederung wie in der DT und den anderen Sportverbänden fokussiert war. Die verbandlichen Ebenen in Kreisen, Gauen, Bezirken und DJK-Abteilungen ließen letzteren durchaus Entscheidungsspielräume. Besonders deutlich werden die Zielkonflikte zwischen sportlichen und diözesanen Strukturen am frühen Spielbetrieb in Nordwestdeutschland. Hier entstand als weitgespanntes regionales Dach der DJK-Kreis Niedersachsen mit dem Bistum Osnabrück, dem bis zur Einverleibung in die Diözese von Os15 16 17
Zit. nach LANGENFELD, Sportgeschichte 2, 167f.; REMLING, Emsland, 10. ULFKOTTE/LANGENFELD, DJKm 72–75. Zit. nach ULFKOTTE/LANGENFELD, DJK, 20.
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nabrück aus verwalteten Apostolischen Vikariat der norddeutschen Missionen Bremen, Hamburg, Lübeck, Mecklenburg und Schaumburg-Lippe sowie der Apostolischen Präfektur Schleswig Holstein, dem Bistum Hildesheim, Teilen des Bistums Münster sowie Teilen des Bistums Fulda. Der Zuschnitt von Bezirken und Gauen richtete sich – im Emsland und im Osnabrücker Land deutlich ablesbar – nach günstigen Spielstaffeln im Fußball, die weite Anreisen zu Auswärtsspielen verhindern sollten. Immerhin waren die Mannschaften damals meist mit dem Fahrrad unterwegs. So vergrößerte sich im Emsland die Zahl der Bezirke mit der Zahl der DJK-Abteilungen in den einzelnen Kirchspielen, womit zugleich die geografische Ausdehnung der Bezirke sank. Ein Blick in das Reichsadressbuch der Behörden, Verbände und Vereine für Leibesübungen läßt für 1930 Rückschlüsse auf die Strukturen weiterer christlicher Sportarbeit zu. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Stadt und das Osnabrücker Land seit dem Westfälischen Friedensschluss von 1648 und der „Immerwährenden Verfassung“ von 1650 bikonfessionell gleichberechtigt strukturiert waren. Folgerichtig war neben den katholischen Kirchengemeinden auch die evangelische Kirche im Sport aktiv, unter anderem mit dem Jugendverband Eichenkreuz. Dabei scheint der Organisationsgrad aber deutlich unter dem der DJK gelegen zu haben. Belegt sind der 1908 gegründete Christliche Verein Junger Männer (CVJM), unter dessen 500 Mitgliedern in Osnabrück – trotz des Namens – etwa ein Viertel Mädchen waren, sowie örtliche Abteilungen des EichenkreuzVerbandes für Leibesübungen innerhalb der evangelischen Jungmännerbünde Deutschlands.18 3. „DJK und Hakenkreuz?“ Sport, Konfession und Politik In der Endphase der Weimarer Republik zog die DJK politisch sowohl nach rechts als auch nach links klare Grenzen. Gesellschaftsspiele gegen Arbeitersportvereine kamen ebenso wenig in Betracht, wie der Eintritt in den Stahlhelm oder die NSDAP mit der Mitgliedschaft in den Jungmännervereinen oder der DJK vereinbar war. In diesem Sinn hatte auch Bischof Wilhelm Berning bis 1933 Stellung bezogen. Eine natürliche Nähe gab es zur katholischen Zentrumspartei inhaltlich, aber auch durch das dortige politische Engagement wichtiger Repräsentanten der katholischen Jugend- und Sportbewegung. So vertrat der Leiter des Gaues Emsland, Lehrer Struck aus Lingen, das Zentrum im Lingener Kreistag und saß dem Katholischen Lehrerverband vor.19 Der Grad der Politisierung der DJK changierte. Einerseits gab es die Grundtendenz, den staatsbürgerlichen Diskurs und die politische Bildung in den Stammverbänden anzubieten. Im Bezirk Aschendorf betrachtete man 1928 die Windthorstbünde als adäquate Organisationsstruktur für die politische Arbeit. Darüber hinaus sollten ergänzende Angebote der DJK deren Sportler in die Lage versetzen, öffentlich und mutig für 18 19
MALLWITZ, Reichsadressbuch, 131. REMLING, Emsland, 22.
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das Zentrum einzutreten. Zugleich erfolgte eine Abgrenzung zu ideologisch anders ausgerichteten Sportlern. Der Vorstand des Gaues Emsland verbot etwa im Mai 1929 in Meppen Spiele gegen Arbeitersportvereine.20 Ende Juni 1931 führte eine Tagung der Arbeitersportvereine in Osnabrück zu Irritationen, weil deren Sportler auf dem Domhof „Freiübungen“ zeigten, als die sonntägliche 11-Uhr-Messe endete. Damit wurden sie verfrüht aktiv, denn das Domkapitel hatte sportlichen Darbietungen in Absprache mit der Polizei nur zwischen 12 und 13 Uhr auf dem in seinem Besitz befindlichen Platz zugestimmt. Die katholische Osnabrücker Volkszeitung mutmaßte nun, die „Propaganda-Freiübungen“ seien als Provokation der Kirchgänger gedacht gewesen: „Es liegt deshalb nahe, daß die Kirchenbesucher in den Freiübungen, die Männlein und Weiblein in leichter Bekleidung vorführten, eine gegen sie gerichtete Demonstration erblicken konnten, zumal rote Fahnen mitgeführt wurden und in einem Transparent zum Eintritt in die ‚Arbeitersportvereine‘ aufgefordert wurde“.
So formulierte es der Entwurf eines Kommentars, den Verleger Fromm nach vorheriger telefonischer Abstimmung Generalvikar Seling für etwa „erwünschte Änderungen“ vorlegte.21 Noch 1930 hatte Generalpräses Ludwig Wolker in der Zeitschrift „Deutsche Jugendkraft“, dem Hauptorgan der DJK, unter dem Titel „DJK und Hakenkreuz?“ unmissverständlich festgestellt, dass das DJK-Zeichen und das Hakenkreuz sich geradezu ausschlössen: „Entweder das eine oder das andere.“ Obwohl ein Teil der nationalsozialistischen Forderungen mit den eigenen identisch sei, müsse der Nationalsozialismus insgesamt abgelehnt und die DJK wie jede andere katholische Gemeinschaft davon frei gehalten werden. Im Folgejahr konkretisierte die Zeitschrift diese Haltung. Zwar lehnte die DJK ebenso wie die SA den Sport als Selbstzweck ab. Gleichwohl stünden sich SA und DJK wie „Feuer und Wasser“ unversöhnlich gegenüber; denn erstere ersetze in ihrem Programm das Wort Gott durch Nation. Schließlich thematisierte das Blatt 1932 die Konkurrenz zwischen dem nationalsozialistischen Allmachtsanspruch des Staates und der „körperlichen Jungmännererziehung“ der DJK, die in den folgenden zwei Jahren tatsächlich das Ende der DJK heraufbeschwor.22 Im Emsland engagierte sich die DJK im Freiwilligen Arbeitsdienst (FAD), welcher Lager zur Moorkultivierung und andere Projekte durchführte. 1932/33 initiierte die DJK Olympia Laxten sogar selbst ein FAD-Vorhaben für Arbeitslose der Gemeinde. Schließlich gehörten Fußballspiele von DJK-Abteilungen gegen Mannschaften der FAD-Lager zum sportlichen Alltag.23 Anfang 1933 gab es
20 21 22 23
ULFKOTTE/LANGENFELD, DJK, 151f. BAOS 04-61-00-6: Anschreiben des Verlegers Dr. Fromm und Entwurf des Zeitungskommentars vom 30. Juni 1931. ULFKOTTE/LANGENFELD, DJK, 153f. REMLING, Emsland, 22.
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im Emsland 76 DJK-Abteilungen, von denen 23 im Kreis Meppen, 21 im Kreis Lingen, 19 im Kreis Hümmling und 13 im Kreis Aschendorf aktiv waren. Der katholische Sport hatte sich insbesondere im Emsland, aber nicht nur dort, rapide entwickelt. Im September 1932 nahm der DJK-Bezirk MeppenLingen ein eigenes Bezirksheim in Betrieb und beging dies mit der Abhaltung des Bezirkstags. Von 19 Mitgliedsabteilungen waren 18 durch insgesamt 50 Vorstandsmitglieder vertreten, die bis zu 50 Kilometer mit dem Fahrrad angereist waren. Bezirksleiter Uphues aus Hemsen unterbreitete dabei Vorschläge, wie die Organisation und vor allem die Kommunikation innerhalb des Bezirks verbessert werden könne. Dazu gehörte ein Vorschlagswesen mit „Wunschbriefen“ an die Bezirksleitung, die Gliederung in vier Unterbezirke, um durch Monats- oder Vierteljahrestreffen einen engeren Kontakt herzustellen, eine monatliche Schiedsrichterfortbildung, eine Bezirksbibliothek sowie eine geistig-moralische Aufwertung der geistlichen Jugendkraftstunde.24 Zu diesem Zeitpunkt richtete die Reichsregierung das „Reichskuratorium für Jugendertüchtigung“ ein, das den Wehrsport fördern und die Jugend zu wehrhaften Männern stählen sollte. Generalpräses Wolker vertrat den DJK-Reichsvorstand im neuen Kuratorium, wobei sich die DJK auf allen Ebenen zwar zur nationalen Pflichterfüllung bekannte, aber auch auf den christlichen Friedensauftrag verwies.25 Besonders heftig reagierte der Diözesanvorstand des Jungmännerverbandes der Erzdiözese Köln, dessen strikt ablehnende Resolution vom 18. September 1932 das „Westfälische Volksblatt“ in Paderborn veröffentlichte. Darin heißt es: „Denn im Wesen des Wehrdienstes und noch mehr der Wehrpflicht liegt keimhaft eine Erziehung zum Kriege hin, insofern, als das Kriegsspiel und die immer wiederholte Felddienstübung mit psychologischer Konsequenz den jungen Menschen zum Ernstmachen und zur wirklichen Anwendung der mühsam errungenen Fertigkeiten drängt.“
Weiter forderten die Teilnehmer ihren Generalpräses auf, „an maßgebender Stelle innerhalb der ‚katholischen Jugend Deutschlands‘, des Reichsausschusses der deutschen Jugendverbände und bei Reichs- und Staatsbehörden mit aller Entschiedenheit gegen die Durchführung der geplanten Maßnahmen Einspruch zu erheben und neue Vorschläge auszuarbeiten, nach denen den Massen unorganisierter arbeitsloser Jugend eine wertvolle geistig-leibliche Erziehung ermöglicht werden kann.“26
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ULFKOTTE/LANGENFELD, DJK, 150. Ebd., 158f. Dieses Zitat und das vorhergehende BAOS 04-61-00-8: hektografierter Auszug aus dem Westfälischen Volksblatt, Paderborn, Nr. 222/32.
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4. „Gleichschaltung“ des DJK-Sports Schon bald nachdem die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 an die Macht gelangt waren, kündigten sich erste Veränderungen an. Nachdem der Bezirk Westfalen des WSV seinen Vereinen Freundschaftsspiele gegen DJK-Mannschaften verboten hatte, untersagte der Spielwart des DJK-Bezirks Lingen im Gegenzug Begegnungen gegen WSV-Teams, obwohl gerade die Vereine im Lingener Raum stark auf ihre westfälischen Fußballnachbarn hin ausgerichtet waren.27 Auf Bundesebene versuchten Generalpräses Ludwig Wolker und Reichsverbandsleiter Johannes Deutsch im April mögliche Spannungen zu entschärfen, indem sie die neue Regierung und ihre Organe anerkannten und die Untergliederungen der DJK anwiesen, öffentlich keine politischen Stellungnahmen mehr abzugeben. Die Mitgliedschaft in von der Kirche nicht verbotenen Parteien könne kein Grund für den Ausschluss aus der DJK sein. Schließlich betonte die Reichsleitung die nationale Zuverlässigkeit „in der ernsten und entscheidungsvollen gegenwärtigen Entwicklung im deutschen Volke“, während zur selben Zeit der Arbeitersport zerschlagen wurde.28 4.1. DJK Osternburg – eine Alternative für ehemalige Arbeitersportvereine
In diesem Zusammenhang erweist sich ein Blick in den oldenburgischen Teil des Bistums Münster als sinnvoll. In der Stadt Oldenburg war die DJK nur in den Jahren 1933/34 mit sportlichen Aktivitäten vertreten – und dies im Arbeitervorort Osternburg, der mit drei Arbeitersportvereinen unter sieben Sportklubs als Zentrum der Arbeitersportbewegung in Oldenburg galt. Offenbar gründeten katholische Mitglieder der am 19. Mai 1933 aufgelösten Arbeitervereine nun die DJK Osternburg, um unter dem Dach der DJK weiterhin sportlich aktiv bleiben zu können. Insgesamt ist wenig über diese Abteilung bekannt, doch ihre Gründung ist angesichts des ersten Stiftungsfestes am 13. Mai 1934 im Mai des Vorjahrs anzunehmen. Während der ersten Jahreshauptversammlung im März 1934 vermerkte der Schriftführer nicht ohne Stolz, dass die erste Mannschaft in der Hinserie fünf ihrer sechs Punktspiele und darüber hinaus mehrere Gesellschaftsspiele gewonnen habe. Nachdem der oldenburgische Innenminister am 27. März 1934 den Katholischen Jungmännerverband, die Sturmschar und die Pfadfinder verboten hatte, erteilte er der DJK einen vorläufigen Bestandsschutz – sofern sie sich dem DFB und der Deutschen Sportbehörde für Leichtathletik (DSB) anschlösse. Am 25. August benannte sich die ehemalige DJK um in Blaugelb Osternburg, das zeitweilig mit drei Herren-, einer Jugend-, einer Knaben- und einer Schülermannschaft antreten konnte. Diese Breite vor allem bei den erwachsenen Spielern deutet stark auf eine forcierte Aufnahme ehemaliger Arbeitersportler hin. Zudem trat die neue Sportgemeinschaft auf dem etwa 200 Meter von der katholi27 28
REMLING, Emsland, 22f. ULFKOTTE/LANGENFELD, DJK, 154.
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schen Kirche gelegenen Sportplatz an, den die Arbeitersportler 1926 in Eigenleistung gebaut hatten, und wählte mit dem „Alt-Osternburg“ das Traditionslokal der politisch engagierten Osternburger Arbeiter. Begünstigt wurde diese Lösung vermutlich durch den Pfarrer der 1927/28 errichteten katholischen Pfarrkirche, Johannes Pohlschneider, der später Bischof von Aachen wurde. Allerdings wurde Blaugelb schon im September/Oktober 1935 unmittelbar vor dem Start in die neue Saison wieder aufgelöst.29 4.2. „Freiwillige Einordnung“ des konfessionellen Sports als Ziel der Reichssportführung
Der Spielbetrieb innerhalb der DJK-Bezirke ging 1933 zunächst ungestört weiter. In der Vorrunde zur DJK-Kreismeisterschaft schlug der Meister des Gaues Osnabrück, die DJK Niedersachsen, Sigiltra Sögel, als Meister des Emslandes mit 4:3. Auch in anderen Sportarten wurde der Wettkampfbetrieb fortgesetzt, sowohl Pflichtspiele als auch Gesellschaftsspiele.30 Dabei blickte das katholische Lager im Emsland und im Osnabrücker Land ebenso stolz wie selbstbewusst auf den stetigen Aufschwung der vergangenen Jahre sowie den durchaus beeindruckenden Bestand an Sportabteilungen in den einzelnen Pfarreien. Allerdings sprach sich der SA-Führer Hans von Tschammer und Osten, nachdem er im April 1933 zum Reichssportkommissar ernannt worden war, im Reichsinnenministerium für die „freiwillige Einordnung“ des konfessionellen Sports in die allgemeine Sportorganisation aus. Die DJK-Reichsleitung hoffte, durch die freiwillige Einführung des Führerprinzips und Wehrsports in allen Diözesen den Druck lindern zu können. Zugleich erteilte Generalpräses Wolker einer auf die NSDAP hin orientierten „Gleichschaltung“ der DJK eine Absage, zeigte sich aber gesprächsbereit im „Sinne einer Ausrichtung der Führung der Organisation auf ein gemeinsames Ziel“ bzw. eines diesbezüglichen Gesamtplans. Gleichwohl zielten die Verhandlungen zum Konkordat mit dem Vatikan längst darauf ab, die DJK als erste Jugendorganisation der Kirche auszuschalten.31 Die katholischen Bischöfe reagierten auf die Drohrhetorik des Regimes, indem sie in ihrem Hirtenwort vom 3. Juni 1933 den Stellenwert des Sports für die katholische Jugendbildung unterstrichen.32 Zunächst gab sich der Staat mit einer Eingliederung der DJK in die Sportfachverbände zufrieden, sodass der Generalpräses der Reichsverbandsleitung am 22./23. Juli berichten konnte: „In der Liste der durch das Konkordat genehmigten Verbände ist die Deutsche Jugendkraft enthalten mit der Maßgabe, daß der Wettspiel- und Wettkampfbe-
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Bei diesen Ausführungen handelt es sich um eine knappe Zusammenfassung von SCHACHTSCHNEIDER, Osternburg. Diese Normalität der ersten Monate beschreiben ULFKOTTE/LANGENFELD, DJK, 155f. SCHELLENBERGER, Jugend, 134f, hier auch die Zitate. Ebd., 140. – Der Brief findet sich abgedruckt in: STASIEWSKI, Akten, Bd. 1, Nr. 45, 245.
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trieb nach den Anordnungen des Reichssportkommissars in die Fachverbände des deutschen Sports eingebaut werden.“33
Der „Lingener Volksbote“ listete am 5. Mai 1933 die 21 Abteilungen im Bezirk Lingen-Bentheim „zum Ausschneiden und Aufbewahren“ auf, und die „Osnabrücker Volkszeitung“ veröffentlichte am 6. April und 25. Juni die entsprechenden Listen des neuen DJK-Bezirks Iburg sowie jene des daraufhin neu zugeschnittenen Bezirks Osnabrück.34 Deutschlandweit waren 1932 250.000 Mitglieder in der DJK organisiert, von denen drei Fünftel dem Jungmännerverband angehörten.35 Offenbar war es um 1930 zu atmosphärischen Störungen zwischen einigen Fußballvereinen des Osnabrücker Landes und dem WSV gekommen, denn verschiedene Klubs in katholisch geprägten Orten verließen den DFB und schlossen sich nun der DJK an. Zu ihnen gehörte der VfB Iburg, welcher der DJK 1930 beitrat.36 Dieses Phänomen ist weitgehend unerforscht, zumal die entsprechenden Akten in den einzelnen Vereinen nicht überliefert sind. Spätestens bei der Integration ganzer Fußballmannschaften oder -vereine dürfte die Bedingung einer gleichzeitigen Mitgliedschaft in den katholischen Jugendvereinen schwer durchzuhalten gewesen sein, da der DFB auf konfessionelle und politische Neutralität pochte. Gleichwohl kann bei einer erheblichen Zahl katholischer Aktiver eine solche Mitgliedschaft ohnehin vorausgesetzt werden. 1933 freuten sich die nordwestdeutschen Katholiken über die Vergabe des Länderspiels zwischen den katholischen Nationalmannschaften aus Deutschland und den Niederlanden an den DJK-Kreis Niedersachsen (Abb. 2). Dessen rühriger Kreisleiter Carl Rieke erhoffte sich von der Begegnung am 25. Juni 1933 im Hannoveraner Hindenburg-Stadion einen „Aufmarsch der DJK“, „der in seiner ganzen Wucht mitreißend und in seiner inneren Kraft aufmunternd wirken soll“. Dass sich aber nur 5.000 Zuschauer im weiten Stadionrund beim 2:1-Sieg der deutschen Vertretung verloren, dürfte insgesamt zu großer Ernüchterung geführt haben. Allerdings war kein Spieler des gastgebenden DJK-Kreises in die Auswahl berufen worden. In diesem dreizehnten DJK-Länderspiel gegen die Niederländer siegte erstmals die deutsche Mannschaft, die sich zuvor ebenfalls erstmals 33 34
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SCHELLENBERGER, Jugend, 135, hier auch die Zitate. ULFKOTTE/LANGENFELD, DJK, 156. – Nach Berichten der katholischen Tagespresse (Lingener Volksbote, 5.5.1933; Osnabrücker Volkszeitung, 6.4. und 25.6.1933) gab es im Mai folgende DJK-Abteilungen: Bezirk Lingen-Bentheim (21): Bawinkel, Benheim, Blau-Weiß Biene, Beesten, Brögbern, Barme, Concordia Emsbüren, Falke Freren, Olympia Laxten, Saxonia Lengerich, Lingen, Listrup, Lohne, Messingen, Nordhorn, Plantlünne, Salzbergen, Schapen, Schüttorf, Germania Thuine, Rot-Weiß Wietmarschen; Bezirk Iburg (10): Teutonia Georgsmarienhütte-Malbergen, Glandorf, Gellenbeck, Hagen, Holzhausen, Iburg, Kloster Oesede, Laer, Oesede, Remsede; Bezirk Osnabrück (16): Belm, Blau-Weiß Osnabrück-Schinkel, Born Osnabrück-Schinkel, Eversburg, Gesmold, Haste, Hollage, Melle, Niedersachsen Osnabrück, Sportfreunde Pye, Rasensport Osnbrück, Riemsloh, Rulle, Saxonia Osnabrück, Wallenhorst, Wellingholzhausen. SCHELLENBERGER, Jugend, 134. GECK/GECK, 100 Jahre, 22.
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Abb. 2: Eintrittskarte zum DJK-Länderspiel zwischen Deutschland und den Niederlanden am 25. Juni 1933 im HindenburgStadion Hannover, Repro: Nachlass Franz Stahlkamp.
mit einem einwöchigen Trainingslager in der DJK-Reichslehrstätte in Münster auf die Begegnung vorbereitet hatte. Immerhin gratulierte Reichssportkommissar von Tschammer und Osten in einem Glückwunschtelegramm zum Erfolg.37 Zugleich fieberte das Emsland dem DJK-Kreissportfest in Meppen entgegen, das vom 30. Juni bis 3. Juli den Fokus der nordwestdeutschen DJK auf den eigenen Gau lenken sollte. Nach einer abendlichen Eröffnungsfeier zum Auftakt waren für den Samstag die Vorkämpfe der Leichtathleten, der Leichtathletik-Fünfkampf, der Neunkampf als Mischung aus Turnen und Leichathletik sowie die Schwimmläufe geplant. Abends sollte der „Flammenmarsch“ zur großen Kundgebung vor dem Rathaus führen. Der Sonntagvormittag war dem feierlichen Gottesdienst vorbehalten, dem ein Festumzug folgen sollte. Ab 13 Uhr sollten die Wettbewerbe fortgesetzt und mit dem Endspiel um die Fußball-Kreismeisterschaft abgeschlossen werden.38 Bezirkspräses Bosse und Bezirksleiter Uphues aus Meppen verwiesen in ihren Werbeaufrufen auf Ludwig Windthorst, der als „Perle von Meppen […] den Ruhm der treukatholischen Emslandbevölkerung in die Arena des öffentlichen Lebens“ getragen habe. Der gebürtige Ostercappelner aus dem Osnabrücker Land, Meppener Abgeordneter und Hannoverscher Innenminister, der – nach seinen aufsehenerregenden politischen Kontroversen mit Reichkanzler Otto von Bismarck als Reichstagsabgeordneter – seine letzte Ruhestätte in der Marienkirche in Hannover gefunden hatte, erschien ihnen offenbar als integrierender Werbefaktor:
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ULFKOTTE/LANGENFELD, DJK, 157f. Ebd., 164f.
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„Mahnend hebt er die Hand, sein Mund scheint letzten Willen und tiefste Botschaft zu künden: ‚Seid einig, einig, einig!‘ […] Heute ruft eine neue, opferfrohe Jugend nach seinem Testament. Deutsche Jugendkraft Niedersachsens will am 1. und 2. Juli 1933 im Geiste Windthorsts die ganze katholische Jugend zu einem großen Ereignis zusammenführen. Ein Sportfest soll es sein, mehr noch ein Weckruf, ein Posaunenstoß hinein ins katholische Niedersachsenvolk, daß Deutsche Jugendkraft endlich das werde, was es sein muß: ‚Die Sportbewegung des ganzen katholischen Volkes!‘ Möge Windthorsts Geist dem Kreisfest in Meppen sein Gepräge geben!“39
Ludwig Windthorst als herausragender Vertreter des Legalismus, des Parlamentarismus und des Laienkatholizismus – wohl kaum ein „Patron“ war aus Sicht des Regimes ungeeigneter als geistiges Vorbild für das Kreissportfest. Die Rhetorik des Werbeaufrufs musste als Kampfansage verstanden werden. Wenn zugleich andere Stimmen das Kreisfest als Katholikentag der emsländischen Jugend betrachteten, dürfte dies in NS-Kreisen ebenfalls wenig Sympathie geweckt haben.40 Deutlich moderater agierte dagegen die DJK-Reichsleitung, wenn Generalpräses Wolker und Reichsverbandsleiter Deutsch gleichzeitig formulierten: „Unruhe, Unsicherheit und Unmut ist gegen den Namen und den Geist Deutscher Jugendkraft. Gerade in einer solchen Sturmzeit nationaler Entwicklung will die DJK erst recht zeigen, daß sie deutsch ist, daß sie jung ist und daß sie stark ist! Unsere Parole heißt weiter arbeiten!“41
Im Mai sah sich der Kreis Niedersachsen aus „wichtigen Gründen“ gezwungen, das Sportfest auf den 8. und 9. Juli zu verschieben. Zum 9. April hatten 37 der insgesamt 235 DJK-Abteilungen des Kreises bereits 600 Teilnehmer gemeldet, von denen 183 auch als Sportler an den Start gehen wollten. Zum Meldeschluss waren es schließlich 50 gemeldete Abteilungen; zu den zentralen Kundgebungen wurden sogar 6.000 bis 8.000 Gäste erwartet.42 Offenbar war die bevorstehende Manifestation katholischer Kirchentreue – gekoppelt an eine Demonstration körperlicher Leistungsfähigkeit – gerade im zentralen Emsland für die neuen Machthaber nicht mehr tragbar. Während sie das Sportfest kurzerhand absagten, übernahm die emsländische NSDAP den Termin für eine „Gesamttagung“ in der Kreisstadt, die mit ihren Kundgebungen und Aufmärschen in Teilen die Veranstaltungsformate des DJK-Kreisfestes aufgriff. Zudem durfte die Juni-Ausgabe der niedersächsischen DJK-Verbandszeitung nicht gedruckt werden, die im Juli mit einer Doppelnummer Juni/Juli ihr Erscheinen einstellte.43 Die letzte Ausgabe druckte Hinweise auf Stellungnahmen von Reichsjugendführer Baldur von Schirach und Reichssportkommissar von Tschammer und Osten ab, mit denen ersterer der Hitlerjugend Belästigungen anderer Jugendverbände verbot und letzterer 39 40 41 42 43
Zit. nach ULFKOTTE/LANGENFELD, DJK, 167. Ebd., 167. Zit. nach ULFKOTTE/LANGENFELD, DJK, 167. Ebd., 168f. Ebd., 169f.
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der DJK einen weiteren Sportbetrieb „bis zur endgültigen Regelung durch den Reichs-Innenminister und die Oberste SA-Führung“ in Aussicht stellte.44 Das Ende der DJK läutete der Regierungspräsident von Osnabrück 1933 ein. Zunächst jedoch forcierten die Abteilungen den von den neuen Machthabern propagierten Wehrsport in ihren Angeboten und übernahmen das „Führerprinzip“. Phasen großer Zukunftszuversicht innerhalb der DJK-Reihen wurden getrübt durch schmerzhafte Nadelstiche und Anzeichen für drohende Repression. So ergriffen die DJK-Bezirke im Emsland und im Osnabrücker Raum Initiativen für den Wehrsport: Hauptlehrer Kohstall aus Salzbergen hatte Mitte Mai an einem Kursus für Wehr- und Geländesport in der Jugendherberge Damme teilgenommen und übernahm am 11. Juni bei der Bezirksvertretertagung in Lingen das Amt des Wehrsportführers für den Bezirk Lingen-Bentheim. Allerdings wurden DJK-Meldungen zum Wehrsportfest in Osnabrück am 25. Juni von den Veranstaltern nicht akzeptiert, weil die Einladung angeblich versehentlich ergangen sei. Die DJK reagierte enttäuscht und verwies in ihrer Verbandsberichterstattung darauf, dass sie angesichts eines Vergleichs der tatsächlich erzielten Ergebnisse mit denen des DJK-Bezirksfestes „unter den Teilnehmern aus Osnabrück mit die ersten Plätze bei den verschiedenen Wettkampfarten belegt haben“ würde: „Wir bedauern es außerordentlich, daß es der Deutschen Jugendkraft nicht ermöglicht worden ist, […] zu zeigen, welche Breiten- und Spitzenarbeit in der DJK zur Ertüchtigung der Jugend geleistet wird.“ Möglicherweise lag der Ausschluss tatsächlich an dem hohen Leistungsniveau, denn im Bezirk Braunschweig wurde Ende 1933 eine solche Teilnahme erlaubt.45 Das Osnabrücker Wehrsportfest fiel mit dem „Fest der Jugend“ zusammen, das Innenminister Wilhelm Frick am 7. Juni für das Wochenende vom 24./25. Juni ausgerufen hatte. DJK-Reichsverbandsleiter Deutsch hatte sogleich erklärt, dass die DJK diesem Aufruf folgen werde. An den Sportwettkämpfen in Lingen nahmen Leichtathleten und Faustballer teil, die am Abend geschlossen mit Banner zur „Weihestunde“ auf der „Kuhwiese“ marschieren wollten.46 Im Zuge der reichsweiten Polizeirazzia bei katholischen zentrumsnahen Verbänden wurden am 1. Juli 1933 die Geschäftsstellen der DJK in Papenburg, Lingen und Nordhorn durchsucht und geschlossen.47 Grundlage für diese Maßnahme war die Anweisung der Kommandozentrale der Geheimen Staatspolizei in Berlin per Funkspruch an alle preußischen Staatspolizeistellen, noch am selben Tag um 10 Uhr die Geschäftsstellen diverser katholischer Verbände zu schließen, Schriftmaterial und Vermögen einzuziehen: darunter der Windthorstbund, der katholische Jungmännerbund sowie „Personenvereinigungen, die als Fortsetzung dieser Vereinigungen und Verbände anzusehen sind“. Somit war auch die DJK betroffen, die als Sportabteilung unter anderem dem Jungmännerbund nachge-
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Ebd., 170. Ebd., 162f. Ebd., 163f. REMLING, Emsland, 24f.
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ordnet war. Dem Verdacht strafbarer Handlungen – insbesondere „Vermögensschiebungen“ – sei mit Nachdruck nachzugehen.48 Für Osnabrück berichtete die Nachrichtenstelle der Ortspolizeibehörde am 7. Juli 1933, dass aufgrund dieses Funkspruchs die Geschäftsstellen der katholischen Verbände geschlossen und die vorgefundenen Materialien und Vermögenswerte sichergestellt worden seien, wobei der katholische Jungmännerverband sein Eigentum schon am 5. Juli gegen eine Empfangsbestätigung zurückerhalten habe. Die Sportorganisation DJK habe man aufgrund der Verfügung des Regierungspräsidenten vom 5. Juli am Folgetag aufgelöst und das Vermögen ebenfalls eingezogen. Über diesen Vorgang erfolge ein Sonderbericht.49 Am 24. Juli berichtete die Ortspolizei sodann, das DJK-Verbot sei am 15. Juli 1933 wieder aufgehoben worden; ein Sonderbericht sei verfasst.50 Offenbar war die Untersuchung im Kreis Aschendorf am 1. Juli nicht mit dem nötigen Nachdruck erfolgt. Vier Tage später wiesen die Führer der Kreisleitungen von SA und NSDAP den Landrat „zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung in Papenburg“ an, „die Ortsgruppe Papenburg der Deutschen Jugendkraft und ihrer Nebenorganisationen unverzüglich aufzulösen, und das Schriftenmaterial sowie das Vermögen zu beschlagnahmen.“ Weiter heißt es: „Nachgewiesenermaßen hat sich die DJK stets parteipolitisch betätigt und betätigt sich auch heute noch in gleicher Weise zum Schaden der nationalen Erhebung.“51 Zwei Tage später löste die Polizei ab 10 Uhr die katholischen Gesellenvereine Papenburg-Untenende und -Obenende, den Jünglingsverein Untenende sowie die DJK-Untenende und -Obenende auf. In der Kasse der Papenburger DJK I wurden 3,83 RM sichergestellt, während die Kasse der DJK II 2,65 RM und das Sparkonto 8,21 RM enthielten. Schwerer wog die Tatsache, dass auch die Wimpel und Fahnen beider Abteilungen eingezogen wurden.52 Demgegenüber wies die Gestapo in Berlin am selben Tag die Ordnungsbehörden in den Regierungsbezirken Hannover und Hildesheim an, den Gesellenvereinen angesichts der Eingliederung in die Deutsche Arbeitsfront ihr Vermögen zurückzuerstatten. Die DJK sei nur dann aufzulösen, wenn sie als „Auffangstation für die Mitglieder der übrigen aufgelösten Verbände dient oder dienen soll.“ Ähnlich verfuhr auch der Regierungspräsident in Osnabrück, wobei offenbar die DJK in Nortrup und Schwagstorf im Kreis Bersenbrück sowie in Oesede im Kreis Osnabrück das Kriterium der „Auffangstation“ erfüllte und weiterhin verboten blieb.53 Bischof Berning wertete die Rücknahme der Verbandsverbote sowie die erfolgreichen Konkordatsverhandlungen als Signal an die katholischen Verbände, ihre Arbeit ungehindert fortzusetzen und neue Mitglieder zu werben. Die Geistlichen 48 49 50 51 52 53
ULFKOTTE/LANGENFELD, DJK, 171. STEINWASCHER, Gestapo, 397. Ebd., 399. Zit. nach ULFKOTTE/LANGENFELD, DJK, 171. ULFKOTTE/LANGENFELD, DJK, 171f. – Im Eichsfeld beschlagnahmte die Polizei darüber hinaus Sportgeräte und Fußbälle bis hin zu den Eckfahnen. NLA OS, Dep. 76b, Nr. 834. – Dazu auch ULFKOTTE/LANGENFELD, DJK, 173.
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rief er auf, dieses Kernelement katholischen Gemeindelebens nachhaltig zu fördern.54 Das Konkordat zwischen der Reichsregierung und dem Vatikan vom 20. Juli 1933 schien der DJK neuen Spielraum zu verschaffen. Zwar musste sie ihren eigenen, regelmäßigen Spiel- und Sportbetrieb zugunsten der Spiel- und Wettkampfangebote der Fachverbände aufgeben. Sie glaubte indes, durch die geistlichen Jugendkraftstunden, den Trainingsbetrieb, die Freundschaftsspiele und freien Klubwettkämpfe sowie „mit Meisterschaften nicht zusammenhängende, sportpraktische Arbeiten“ auch künftig ein scharfes Profil wahren zu können. Die Reichsleitung frohlockte: „Wir dürfen wohl sagen, daß jetzt nach Abschluß des Konkordats zwischen Staat und Kirche auch bezüglich des Fortbestands des DJK, als der in den katholischen Jugendverbänden wurzelnden Sportorganisation, völlig Klarheit herrscht und ihre Existenz gesichert ist.“55
Reichsweit entstanden nun 16 Sportgaue mit Bezirken und Kreisen, wobei die Sportler im Gebiet des heutigen Bistums Osnabrück im Gau 8 Niedersachsen antraten. Ein entscheidender Einschnitt in der Geschichte der DJK war der Entfall der Doppelspitze aus Präses und sportlichem Leiter zugunsten des „Vereinsführers“. Während der Vorstandssitzung des DJK-Bezirks Lingen-Bentheim verwies Kaplan Lammen auf die Notwendigkeit, den DJK-Bezirk angesichts veränderter Staffelzuschnitte neu zu gestalten. Am 25. August ernannte DJKGauführer Carl Rieke Willi Timmer aus Lingen zum neuen Kreisführer. Die Sportabteilungen reagierten in diesen Wochen ausgesprochen irritiert. So beschloss Olympia Laxten am 1. Juli 1933 die Selbstauflösung, um diese am 22. Juli wieder zu revidieren. Nunmehr sollte der Spielbetrieb als DJK-Fußballer fortgesetzt werden. Die dritte Generalversammlung innerhalb eines guten Monats endete am 5. August mit der Wahl eines neuen Vorstands, an dessen Spitze der „Vereinsführer“ stand. Die neue Leitung erwog, sich mit der ebenfalls in der DJK wurzelnden SpVgg 1919 zusammenzuschließen, um die sportlichen Chancen zu verbessern. Allerdings votierten die Mitglieder in einer gemeinsamen außerordentlichen Mitgliederversammlung gegen das Vorhaben – vermutlich vorrangig aus Lokalpatriotismus. Olympia Laxten trat sodann – ebenso wie die ehemalige DJK Messingen – aus der DJK aus. Die DJK-Abteilungen in Bawinkel, Biene, Brögbern und Thuine verweigerten sich dem „Führerprinzip“ und nahmen folgerichtig auch nicht an den Spielen der neuen Saison unter dem Dach des DFB teil. In Meppen fusionierten die drei DJK-Sportgruppen im August 1933.56 Obleute für die einzelnen Sportarten hatten DJK-intern die Integration in die Fachverbände zu gewährleisten. Punktspiele und Wettkämpfe wurden nunmehr nach deren Richtlinien ausgetragen. Im Zentralorgan bereitete Reichsverbands54 55 56
QUECKENSTEDT, Glauben, 190f. Zitate nach ULFKOTTE/LANGENFELD, DJK, 173f. REMLING, Emsland, 26f., 29.
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spielwart Bürger die Fußballer auf die neue Situation vor, indem er an ihr katholisches Sendungsbewußtsein durch bewusste moralische Vorbildhaftigkeit appellierte: „Unsere Aufgabe wird es mehr noch als bisher sein, das Hohelied aller sportlichen Tugenden in Liebe und Verantwortung weiter zu pflegen: Kameradschaft, Einordnung, Unterordnung, Pünktlichkeit, Opfersinn, und Opferbereitschaft, Rücksicht auf den Gegner! Mögen wir ruhig einmal und öfter verlieren, wenn nur Volk und Nation durch uns und unser Beispiel gewinnen!“
Im Zuge dieser Entwicklung kündigten sich auch andernorts Zusammenschlüsse von DJK-Abteilungen an.57 Insgesamt konnten sich die größeren unter ihnen in ihren Fußball- und Handballligen durchaus gegen die Konkurrenz behaupten, während die Fußballer auf dem Land nicht zuletzt die hohen Reisekosten zu Auswärtsspielen drückten – waren die Gastmannschaften doch bislang zu ihren Auswärtsspielen zumeist mit dem Fahrrad angereist. Die Spielklassen waren entsprechend der Leistungsstärke und nicht unter geografischen Aspekten gebildet worden, sodass der Betrieb zum Jahresende wieder abgebrochen und neu geregelt werden musste. Nicht auszuschließen ist, dass auch politische Gründe einzelne Mannschaften oder Abteilungen zum Rückzug aus dem Verbandsfußball veranlassten. Bereits ausgeschiedene ehemalige DJK-Abteilungen nahmen den Spielbetrieb unter den neuen Vorzeichen zum Teil nicht wieder auf.58 Spätestens zum 1. Januar 1934 sollten nach Vorgabe der DJK-Reichsleitung die DJK-Kreise der Gaustruktur der Fachverbände angepasst werden. Der Umbau der Bezirke zu Kreisverbänden im geografischen Zuschnitt der Landkreise war bis zum 1. November terminiert. Fusionen oder Auflösungen von DJKAbteilungen oder Mannschaften bedurften künftig der Zustimmung der Kreisbzw. Gauleitungen. Zudem sollte in den Bistümern „zur Förderung der Organisation und Propaganda“ ein Diözesan-Jugendkraftwart bestellt werden. DJKReichsführer wurde nun der Düsseldorfer Kaufmann Adalbert Probst, der mit dem Präsidium und der zum Reichsführerrat umbenannten ehemaligen Reichsleitung die Reichsführung bildete.59 4.3. Jüdische und evangelische Sportler in der DJK
Bereits vor 1933 gab es Beschwerden des WSV und des DFB, weil evangelische und jüdische Spieler trotz der eindeutigen konfessionellen Orientierung in DJKSportgruppen zugelassen wurden, wenn es auf dem Land keine sportliche Alternative gab. An dieser Praxis hatte auch Heinrich Steffens aus Dankern bei Haren als Bezirksorganisator des Stahlhelm für die Kreise Aschendorf, Hümmling und Meppen im Jahr 1932 Anstoß genommen. In einem Brief an den Generalvikar in Osnabrück warf er dem Katholischen Jungmännerverband des Bezirks Hümmling vor, Mitglieder des Stahlhelm entsprechend des Beschlusses der Deutschen 57 58 59
ULFKOTTE/LANGENFELD, DJK, 174f. REMLING, Emsland, 27f.; ULFKOTTE/LANGENFELD, DJK, 175f. SCHELLENBERGER, Jugend, 136f.
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Bischöfe von 1924 nicht in ihren Reihen bzw. in der ihnen nachgeordneten DJK zu dulden. Juden hingegen könnten in der DJK nicht nur Sport treiben, sondern würden gar als Schiedsrichter eingesetzt.60 Als betroffener Präses nahm Kaplan Wolters aus Sögel in einem Brief an Dechant Jansen in Werlte zu diesem Vorwurf Stellung, nachdem er Steffens bereits geantwortet und der Diözesanpräses Schepers61 auf Anregung des katholischen Jungmännerverbandes in Düsseldorf ebenfalls Position bezogen hatte: „Daß Juden als Schiedsrichter fungiert haben, ist mir unbekannt. Um dies weiter nachzuprüfen, bedarf es einer genaueren Angabe von Ort und Zeit. Daß Juden im Einzelfalle ebenso wie Protestanten zwar nicht als vollberechtigte Mitglieder, aber als Gäste mit Spielberechtigung in einzelnen Vereinen aufgenommen sind, ist richtig. Nach den Bestimmungen der Deutschen Jugendkraft wie auch nach den Satzungen des katholischen Gesellenvereins ist dies mit Zustimmung der höheren Instanz gestattet, wenn diesen Andersgläubigen sonst keine Möglichkeit gegeben ist, sich einem konfessionellen Vereine ihrer Richtung anzuschließen.“62
Anders sei der Fall gelagert, wenn ein Katholik Mitglied eines Vereines sei, „den die Hochwürdigsten Bischöfe nicht als unbedenklich bezeichnen konnten.“ Zudem untersagten die Verbandsrichtlinien eine Doppelmitgliedschaft in weiteren Vereinigungen, die ähnliche Zwecke verfolgten, sodass ein Beitritt zum Stahlhelm zwangsläufig zum Ausschluss aus dem katholischen Verband führe. Der jüdische Zeitzeuge Bernard Süßkind berichtete darüber hinaus 2009 in einem Interview, dass die Sportabteilung der im November 1933 für das Osnabrücker Land und das südliche Emsland gegründeten Ortsgruppe Quakenbrück des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten ihr erstes Fußballspiel im Frühjahr 1934 gegen die DJK Fürstenau ausgetragen habe, weil verschiedene jüdische Spieler hier vor 1933 aktiv gewesen seien.63 Das Reichsadressbuch für Leibesübungen von 1930 verzeichnet jedoch in Fürstenau keinen DJK-Verein. Entweder wurde dieser später gegründet oder es bestand angesichts des langen zeitlichen Abstands eine Erinnerungslücke, sodass der katholische DJK-Gegner in einer anderen Gemeinde im Raum Fürstenau zuhause gewesen sein könnte. Nachdem die jüdischen Fußballer siegreich vom Platz gegangen waren, trat kein nichtjüdischer Gegner mehr gegen sie zum Gesellschaftsspiel an. Bis 1936 kamen ihre Gegner ausschließlich aus der jüdischen Sportbewegung. 60 61
62 63
ULFKOTTE/LANGENFELD, DJK, 152. – Dazu auch den entsprechenden Vorgang im Bistumsarchiv BAOS 04-60-00-3. Als Diözesanpräses der katholischen Jugend- und Jungmännervereine (seit 1929) sowie des Gesellenvereins (seit 1933) war Hermann Schepers auch für die DJK zuständig. Im Kreis Niedersachsen fungierte er als Kreispräses. In Osnabrück geriet er unter anderem als Chefredakteur der Bistumszeitung „Kirchenbote“ wiederholt ins Visier der Gestapo, was zwei Verwarnungen und zwei ergebnislos eingestellte staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren zur Folge hatte (QUECKENSTEDT, Glauben, 196f.). BAOS 04-60-00-3: Abschrift des Briefes von Kaplan Wolters an Dechant Jansen, 6.5.1932. PEIFFER/WAHLIG, Juden, 308f.
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4.4. Beschlagnahmungen, Liquidationen und Fusionen
Am 10. April 1934 untersagte der Osnabrücker Regierungspräsident „jede sportliche und volkssportliche Betätigung innerhalb der konfessionellen Jugendverbände“. Elf Tage später erläuterte der Beauftragte des Reichssportführers für den Regierungsbezirk Osnabrück R. Jung den Aktiven der DJK eine Möglichkeit, den Sportbetrieb fortzusetzen: „Die DJK-Vereine können ordnungsgemäß aus dem DJK-Verband austreten und sich auflösen. Alsdann kann eine Neugründung mit neuen Satzungen, die keine konfessionellen Bindungen enthalten dürfen, erfolgen, und es muß ein neuer Führer gewählt werden.“
Dieser war vom Beauftragten in Absprache mit der NSDAP-Ortsgruppe und der Staatspolizeistelle in Osnabrück zu bestätigen. Erst dann konnten die neuen Vereine in die Fachverbände des Deutschen Reichsbundes für Leibesübungen (DRL) aufgenommen werden.64 Nunmehr erfasste eine zweite Welle von Änderungen und Eingriffen die DJK-Abteilungen. Die DJK Nordhorn fusionierte schon am 14. April 1934 mit dem Konkurrenten Sparta. In Meppen schloss sich die DJK mit den übrigen Vereinen zu einem Großklub zusammen. Die DJK Beesten und die DJK Schapen wurden mit Datum vom 30. April 1934 für verboten erklärt: „Dann kam ein Wagen vorgefahren, der Fußball, Fähnchen, Sprungstange etc. und auch die Kasse mitnahm; es waren nur 13,50 Mark“, heißt es dazu in der Vereinschronik von Fortuna Beesten. Ähnlich ging man in Darme vor: „Der Vereinswimpel und was sonst an Geräten vorhanden war, Bälle, Tornetze usw. wurde beschlagnahmt und auf der Wilhelmshöhe in Lingen verbrannt.“ Die DJK Spielvereinigung Lingen spielte die Meisterschaftsrunde zu Ende und besiegte den Ortsrivalen TUS am 6. Mai im Freundschaftsspiel 4:1. 23 Tage später verwies der Lingener Bürgermeister Plesse auf eine Anordnung des Regierungspräsidenten in Osnabrück vom 29. April 1934 und ein mündliches Spielverbot durch die Ortspolizeibehörde, das es angeblich durchzusetzen galt. Anlass dazu gaben Denunziationen, denen zufolge Vereinsmitglieder verbotswidrig auf dem Schulplatz der Hindenburgschule aktiv geworden waren. In seiner Replik verwies DJK-Führer Franz Niermann auf die Eingliederung des Vereins in die Sportfachverbände, die einem Verbot entgegenwirke. Zudem beantragte er die Nutzung städtischer Sportplätze und Turnhallen durch die Spielvereinigung, die der Bürgermeister ablehnte. Damit waren die DJK-Sportler zur Untätigkeit verurteilt.65 Am 25. Mai erfolgte sodann ein generelles Spiel- und Trainingsverbot für die DJK durch den Beauftragten des Reichssportführers für den Bezirk 1 des Gaues Niedersachsen in Oldenburg:
64 65
In der Emszeitung wurde diese Amtliche Bekanntmachung im Wortlaut am 28. April 1934 abgedruckt. REMLING, Emsland, 29–31.
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Abb. 3: Die Schutzpolizei löst am Pfingstmontag 1934 zwei Minuten vor dem Abpfiff ein Handballspiel der DJK Osnabrück gegen eine DJKMannschaft aus Münster auf, Foto: Archiv SV Rasensport DJK Osnabrück.
„Mit sofortiger Wirkung verhänge ich über alle D.J.K.-Vereine vollständiges Spielverbot und verbiete jegliche Betätigung auf sportlichem Gebiet. Sollten die D.J.K.-Vereine dieser meiner Anordnung nicht nachkommen, werde ich die Vereine durch die Geheime Staatspolizei auflösen lassen.“66
Ausgerechnet der 1929 noch so euphorische Osnabrücker Bischof Wilhelm Berning sah im Juni 1934 als wichtiger Verbindungsmann des Episkopats zum Regime keine Chance mehr, dass die DJK „gerettet werden“ könnte. Die katholischen Jugendverbände reagierten enttäuscht und hofften nun, zumindest die Sportplätze und -geräte in ihrem Eigentum erhalten zu können. In Osnabrück wurden die Aktivitäten der DJK durch die Staatspolizei aufmerksam verfolgt. Am Pfingstmontag 1934 löste die Schutzpolizei zwei Minuten vor Spielende ein Handballspiel gegen eine DJK-Mannschaft aus Münster auf (Abb. 3). Das Tragen eines DJK-Abzeichens konnte sogar zur Verurteilung durch ein Schnellgericht führen. Der ganze Ernst der Lage wurde am 30. Juni deutlich, an dem der sogenannte „Röhm-Putsch“ den vermeintlichen Anlass für die Verfolgung und Ermordung einer breiten Gegnerschaft des Hitler-Regimes lieferte. An diesem Tag oder einem der beiden folgenden Tage wurde der DJKReichsführer Adalbert Probst nach seiner Verhaftung in Braunlage angeblich auf der Flucht erschossen. Am 30. Juni wurde auch der Leiter der DJK-Rasensport Bernhard Avermann verhaftet, weil er in einem Rundschreiben an die Mitglieder 66
Zit. nach Emszeitung, 2.6.1934.
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den Wunsch formuliert hatte: „Hoffentlich blüht auch uns bald wieder die gold’ne Freiheitssonne.“67 Er kam erst auf Intervention des bischöflichen Generalvikariats wieder frei.68 4.5. Auflösung der katholischen Jugendverbände in Preußen am 23. Juli 1935
Der Fall Probst und vor allem der Mord am katholischen Ministerialdirigenten Erich Klausener nährten bei den Katholiken im Regierungsbezirk Osnabrück in diesen Wochen Zweifel am Regime. Der Regierungspräsident konstatierte in seinem Lagebericht für den Monat August 1934 zwar eine grundsätzliche Beruhigung der Verhältnisse, merkte jedoch im Blick auf diese beiden Fälle an: „Immer wieder wird gefragt, wie und warum Klausener umgekommen ist und ob, bzw. warum nicht die Mörder ihrer Bestrafung zugeführt werden.“ Die beiden Morde bedeuteten nach Einschätzung des Regierungspräsidenten darüber hinaus Rückschläge für das sich langsam entspannende Verhältnis der katholischen Geistlichkeit „zum neuen Staate und zur Bewegung“.69 Angesichts ihrer zögerlichen Haltung sah wohl nicht nur der JugendkraftGauführer für den Mittelrhein Johannes Sampels die DJK von den Bischöfen verraten. Präses Wolker weigerte sich noch im Juli 1934 strikt, die DJK aufzugeben, zumal er an der Vorbereitung voraufgehender Verhandlungen aus Krankheitsgründen nicht hatte teilnehmen können. Sein unmissverständliches „Wir geben uns nicht auf“ veranlasste die Bischöfe am 14. September, noch einmal halbherzig auf den Erhalt der DJK zu drängen:70 „Der Hl. Stuhl und die Bischöfe legen großen Wert darauf, daß die Deutsche Jugendkraft erhalten bleibt bzw. in die staatlichen Sportverbände eingegliedert wird.“ Allerdings glaubten sie wohl selbst nicht mehr an einen Erfolg. Insofern schränkten sie ihren Vorstoß bereits mit dem nächsten Satz ein: „Falls das auf keinen Fall erreichbar sein sollte, möge a) den katholischen Jugendorganisationen ein möglichst großes Feld jugendgemäßer Pflege der Gesundheit, der Jugendfreude und der Erziehung gewährt werden; b) das Vermögen der Deutschen Jugendkraft den katholischen Verbänden, deren Mitglieder die Angehörigen der DJK sind, erhalten bleiben; c) bei Ablösung von gepachteten Anlagen, die meist mit Schulden beladen sind, weitestes Entgegenkommen von seiten des Staates bewiesen werden.“
Geradezu devot ist der abschließende Hinweis: „Es wird gebeten, eine dahingehende Erklärung im Schlußprotokoll beizufügen.“71 Hitler zeigte sich in einem Gespräch mit Innenminister Frick und Ministerialdirektor Rudolf Buttmann am 20. September erwartungsgemäß wenig beein67 68 69 70 71
Zit. nach BITTER, Rasensport, 41. 25 Jahre Rasensport, 14. STEINWASCHER, Gestapo, 84f. SCHELLENBERGER, Jugend, 137f. STASIEWSKI, Akten, Bd. 2, 14.
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druckt. Er hegte vor allem Bedenken, weil er den gesamten Sportbetrieb ausschließlich der Hitlerjugend vorbehalten wollte.72 Mit der Verordnung zur Auflösung der katholischen Jugendverbände in Preußen vom 23. Juli 1935 erlosch schließlich der letzte Funken Hoffnung auf einen Erhalt der DJK, die folgerichtig auch das Erscheinen des Vereinsorgans „Deutsche Jugendkraft“ auf polizeiliche Anordnung einstellte.73 Die rasante Zuspitzung der Lage nahm der DJK in den zentralen Bistumsregionen des Osnabrücker Landes und des Emslandes jede Möglichkeit, die ursprüngliche Anordnung vom April 1934 erst einmal auszusitzen. Die DJKAbteilungen wählten nun drei Wege: einige lösten sich ersatzlos auf. Andere fusionierten mit säkularen Klubs oder erfüllten die Vorgaben des nationalsozialistischen Sportbeauftragten. In Papenburg überlebten von den fünf Vereinen nur die Klubs Germania und Amisia, in denen sich sodann auch Sportler der aufgelösten Vereine Viktoria, FC Freiheit und DJK organisierten.74 Im Osnabrücker Stadtteil Schinkel schlossen sich die beiden DJK-Vereine Blau-Weiß und Born zunächst zum SV Blau-Weiß zusammen und fusionierten schließlich mit weiteren Sportklubs der bis 1933 selbständigen Gemeinde. Die DJK Haste ging im TuS Haste auf, während die Sportler der DJK-Niedersachsen und -Saxonia dem neuen säkularisierten SV Rasensport mit nunmehr 371 Mitgliedern beitraten.75 Die DJK Rasensport hatte das weitere Vorgehen ihren Mitgliedern am 6. Oktober 1934 zur Abstimmung vorgelegt und ihre Zustimmung zum Eintritt in den DRL erbeten. Von 65 Stimmberechtigten sprachen sich bei fünf Enthaltungen 56 dafür und vier dagegen aus. Zugleich stellte DJK-Leiter Avermann die Vertrauensfrage, die die überwiegende Mehrheit bei zwei Enthaltungen zustimmend beantwortete.76 Gleichwohl schlidderten die Rasensportler in eine fulminante Krise einschließlich einer Zerreißprobe. Viele der 49 Ehrenmitglieder und auch der übrigen Mitglieder wollten sich nicht mit einer solchen „Gleichschaltung“ sowie der mit ihr verbundenen formalen Aufgabe der katholischen Sportgrundsätze abfinden und verließen den neuen Verein. Die Leitung der DJK Niedersachsen agierte differenzierter: „Um unseren Mitgliedern, die willens sind, Sport zu treiben, eine sportliche Tätigkeit zu ermöglichen, empfiehlt die Führerschaft diesen, sich dem Verein ‚Rasensport‘ anzuschließen.“ Zugleich sollten sie als passive Mitglieder in der DJK-Niedersachsen bleiben, bis die Zukunft der DJK geklärt sei. Zudem integrierte der neue Sportverein auch den Bläserchor der Kirchengemeinde St. Joseph, der nunmehr als Musikzug Rasensport firmierte und künftig unentgeltlich bei den drei zentralen Veranstaltungen des Vereins spielen sollte. Der Musikzugführer wurde entlohnt, die Instrumente verblieben im Eigentum des Pfar72 73 74 75 76
Ebd. SCHELLENBERGER, Jugend, 140. Dazu den bilanzierenden Bericht in: Emszeitung, 31.12.1934 (Sportdienst), der diese Entwicklung ausdrücklich begrüßt. 25 Jahre Rasensport, 14. BITTER, Rasensport, 42f.
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rers Cramer von St. Joseph.77 Zum zweiten Mal hatte Bernhard Avermann die sportlichen Herausforderungen über die formale Katholizität gestellt – freilich ohne die Wurzeln in der katholischen Jugendbewegung und der DJK zu leugnen. Nunmehr wurde der SV Rasensport zum säkularen Sammelbecken katholischer Sportenthusiasten, was der Staatspolizei keinesfalls entgangen sein dürfte. In ihrem Lagebericht für den Februar 1935 vermerkte die Staatspolizeistelle Osnabrück – freilich ohne konkrete Beanstandung –, dass die DJK-Niedersachsen im Berichtsmonat zur Generalversammlung ins Kolpinghaus eingeladen habe.78 Ihr Kalkül schien also zunächst aufzugehen. Die Fußballer des SV Rasensport gelangten noch im Herbst 1934 an ihr Ziel, denn mit Datum vom 19. Oktober 1934 nahm der Kreisführer im Gau 8 des DFB und der DSB Werremeyer sie in den allgemeinen Sportbetrieb auf.79 Für Frauen ergab die „Gleichschaltung“ des DJK-Sports sogar neue Perspektiven. Der säkulare SV Rasensport gründete am 5. Januar 1935 eine Damenabteilung, die den Turnbetrieb mit 25 Aktiven aufnahm und schnell auf 55 Mitglieder wuchs. Neben dem Turnen ergänzten Gymnastik und Volkstanz – wie in der evangelischen Sportjugend bereits üblich –, ein Schwimmabend im Pottgrabenbad sowie Handball und Leichtathletik im Sommer das Angebot.80 1936 gingen die Jugendmannschaften des SV Rasensport in den Betrieb der Hitlerjugend über. Ein Jahr später musste der Verein auf Anordnung der NSDAP die Jugendabteilung in den TSV 97 – die spätere Eintracht – eingliedern. Erst 1941 konnten die „Rasensportler“ ihre Jugendarbeit wieder aufnehmen.81 In Eversburg nutzte Pfarrer Engelbert Bucholtz Grauzonen, um sportliche Angebote wie den Betrieb seiner Paddelboote und seiner katholischen Badeanstalt am Stichkanal aufrechtzuerhalten. Noch im Juli 1937 formulierte er neue „Anordnungen betr. Baden und Bootfahren“, in deren „Vorbemerkung“ er den Rahmen absteckte: „Das Baden und Bootfahren ist keine Vereinssache des kath. Jünglingsvereins, sondern eine Privatsache. Deshalb hat dasselbe mit dem Vereinsleben nichts gemein. Pächter derjenigen Grundstücke, auf welchen das Bootshaus errichtet bzw. zur Badestelle bestimmt sind, ist der P[r]äses des kath. Arbeitervereins, Pfarrer
77 78 79
80 81
BITTER, Rasensport, 42f. STEINWASCHER, Gestapo, 141, Lagebericht vom 7. März 1935. Vgl. den Abdruck des Schreibens bei BITTER, Rasensport, 45: „Nach persönlicher Rücksprache mit dem Gaugeschäftsführer, Herrn Quermann, Hannover bestehen weiterhin keine Bedenken gegen die sportliche Tätigkeit Ihres Vereins. Sie können sich demnach wieder an sämtlichen sportlichen Veranstaltungen beteiligen. Ich begrüße Sie als neues Mitglied im Reichbund für Leibesübungen und hoffe, dass Sie Ihre ganze Kraft zur Ertüchtigung der Jugend und zum Aufbau unseres Vaterlandes einsetzen werden. Heil Hitler!“ 25 Jahre Rasensport, 21. 25 Jahre Rasensport, 16f.
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Dr. Bucholtz zu Eversburg. […] Das auf einem Teil dieser Grundstücke erbaute Bootshaus mit Inhalt und Treppenanlage ist Eigentum des Pfarrers.“82
Tatsächlich führen die neuen Vorgaben bei den Vereinen, die sich den neuen Vorgaben anpassten, zu einem vorübergehenden Rückzug vom Spielbetrieb. Die Fußballer von Sigiltra Sögel wurden erstmals im Oktober 1934 wieder aktiv, als sie ein Gesellschaftsspiel gegen die Aufsehermannschaft des Emslandlagers Börgermoor austrugen. Der Sportdienst der „Emszeitung“ konstatierte, dass König Fußball in Sögel aus seinem langen Schlaf nach monatelanger Ruhepause erwacht sei und „lustig losgeballert“ wurde. Körperlich überlegen siegte das „sympathische“ SA-Team mit 3:1 gegen die zu DJK-Zeiten als stetiger Meisterschaftsanwärter erfolgverwöhnten Fußballer aus Sögel, von denen sich offenbar nicht alle mit den neuen Rahmenbedingungen arrangierten und die daher fünf ehemalige Jugendspieler neu in die Mannschaft integrieren mussten.83 Nachdem es gerade in dieser Gegend in den frühen 1930er Jahren zu den genannten erheblichen Spannungen mit dem Stahlhelm gekommen war, scheinen nun sogar die SA-Mannschaften der berüchtigten Emslandlager als Gegner akzeptabel gewesen zu sein. Spiel und Sport Rhede trat erst im Dezember zur ersten Begegnung im ostfriesischen Weener an, wo die SuS klar mit 0:4 als Sieger vom Platz ging.84 Auch Rasensport Lathen wählte für sein erstes Freundschaftsspiel nach der Neugründung im April 1935 eine Lagermannschaft und trug am Ende gegen den SV Lager 5 einen 9:1-Sieg davon.85 In der nächsten Begegnung unterlagen die Sieger Sigiltra Sögel jedoch mit 1:3. Zuvor waren die Jugendmannschaften beider Vereine gegeneinander angetreten und hatten sich einen „flotten, vor allem aber fairen Kampf“ geliefert, dem man zum Schluss die einjährige Spielpause beider Teams anmerken konnte.86 Rückschauend stellten die Verantwortlichen des SV Rasensport Osnabrück in ihrer Festschrift zum 25-jährigen Bestehen 1950 fest, dass dieser in der Vergangenheit manche Schwierigkeit zu meistern gehabt habe: „Platzfrage, Hallenfrage, Ausbilder, Finanzierung, behördliche Schwierigkeiten bis zur direkten Bekämpfung usw.“ Mit Wehmut, doch nicht ohne Stolz, bedauerten sie, dass der Verein in den 1930er Jahren nicht zuletzt wegen der staatlichen und kommunalen Repressalien für junge Talente an Attraktivität eingebüßt und ausgezeichnete Aktive an den Osnabrücker Turnverein (OTV) und die Eintracht abgegeben habe.87
82 83 84 85 86 87
Pfarrarchiv Liebfrauen Eversburg, C.-231-02-01, Katholischer Arbeiterverein 1897– 1898/1925–1937/1977–1986. Emszeitung, 22.10.1934. Emszeitung, 16.12.1934. Emszeitung, 8.4.1935. Emszeitung, 15. und 17.4.1935. 25 Jahre Rasensport, 31.
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Abb. 4: Hannes Haferkamp beim Training mit Sepp Herberger in den frühen 1950er Jahren im Kreis der Fußballnationalmannschaft, Foto: Nachlass Hannes Haferkamp.
5. Hannes Haferkamp: Aushängeschild der DJK und Nationalspieler Insbesondere Hannes Haferkamp galt bei den Feiern zum 50-jährigen Bestehen des SV Rasensport als einstiges Aushängeschild der DJK.88 Schon als Siebenjähriger kickte er bei der DJK Rasensport auf dem Fußballplatz „Paradies“ in Nahne und gehörte später zur ersten Generation von Spielern, die von den besseren Spiel- und Sportbedingungen im neuen „Stadion“ an der Kokschen Straße profitierte.89 Als 1936 die Jugendmannschaften des inzwischen „gleichgeschalteten“ SV Rasensport in den Betrieb der Hitlerjugend und ein Jahr später auf Anordnung der NSDAP die gesamte Jugendabteilung in den TSV 97 – die spätere Eintracht – eingegliedert worden war, wechselte auch Haferkamp den Verein.90 1941 stieg er mit dem TSV 97 in die Gauliga, die damals höchste deutsche Spielklasse, auf. Der weitere Verlauf des Krieges unterbrach seine Fußballerlaufbahn, die er erst 1946 im Dress der Eintracht fortsetzte. 1948 wechselte er zum VfL, der in der Oberliga als höchster deutscher Klasse spielte. Bundestrainer Sepp Herberger berief den halblinken Stürmer von 1951 an viermal in die Nationalmannschaft (Abb. 4) und hätte ihn vermutlich auch für die Weltmeistermannschaft 1954 nominiert, wenn er nicht Anfang 1953 – an Tuberkulose 88 89 90
BITTER, Rasensport, 58, wo ein Foto der 1. Schülermannschaft von 1937 mit dem damals 16-jährigen abgedruckt ist. PISTORIUS, VFL, 148; BITTER, Nationalspieler, 158f. 25 Jahre Rasensport, 16.
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erkrankt – zu einer 14-monatigen Zwangspause gezwungen gewesen wäre. Sein Länderspiel-Debüt gab Haferkamp 1951 vor 100.000 Zuschauern im Berliner Olympiastadion bei der 1:2-Niederlage gegen die Türkei, zu der er den deutschen Treffer beisteuerte. Das Fachblatt „Sport-Magazin“ feierte ihn als „die Triebfeder des deutschen Spiels“.91 Für die Osnabrücker Sportpresse ist er noch heute „der beste und erfolgreichste Fußballer, den Osnabrück je hervor gebracht hat.“92 Am 28. Juni 1954 nach dem Einzug des DFB-Teams ins Halbfinale sandten der Bundestrainer und die Mannschaft „Herrn Hannes Haferkamp, Osnabrück, Lotterstr. 28“ einen von allen unterschriebenen Kartengruß: „Lieber Hannes, aus Spiez herzliche Grüße. Ihr Seppl Herberger.“ Von der schweren Krankheit genesen kehrte der „Fritz Walter des Nordens“ – wie ihn die Fachpresse wiederholt titulierte – am 3. Oktober 1954 noch einmal in die Oberliga-Mannschaft des VfL zurück, für die er sein letztes Spiel beim 3:0-Sieg gegen Göttingen 05 im Oktober 1956 bestritt und sich mit einem Treffer in die Torschützenliste eintrug.93 6. … nach 1945 Von den Schlägen des NS-Regimes sollte sich die DJK nach dem Krieg nicht mehr erholen. Die Federführung für den Sport verblieb bei den Fachverbänden und dem Deutschen Sportbund. Die meisten ehemaligen DJK-Vereine sammelten sich nicht erneut unter ihrem konfessionellen Dach. Sicher war es nach 1945 weder möglich noch erwünscht, zu den vor der „Gleichschaltung“ im Sport bestehenden pluralen Strukturen zurückzukehren. Auch die wiedergegründeten ehemaligen Arbeitersportvereine maßen sich nun mit ihren Gegnern unter dem Dach des DFB. Der Präsident des Landessportbundes Nordrhein-Westfalen und spätere DFBPräsident Peter Joseph „Peco“ Bauwens würdigte während der Gründungsfeier der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Jugendkraft am 5. Oktober 1947 jedoch den Beitrag und vor allem die Geisteshaltung, die die DJK-Aktiven in den „gleichgeschalteten“ Deutschen Reichbund für Leibesübungen eingebracht hatten: „Bitter für Sie ist, daß Sie in der Vergangenheit den Tribut zahlen mußten, daß die Sportbewegung der DJK unterdrückt worden ist. Aber befruchtend war es – ich sage es gern – daß viele von Ihnen dann in die allgemeine Sportbewegung hineingegangen sind. Und wenn diese Bewegung seit 1933 verinnerlicht und stark, nicht völlig nazifiziert wurde, dann verdankt sie das mit Ihren Leuten, die damals in die Sportbewegung hineingingen. Wenn dem so ist, dann sollte man ihr Wiedererstehen jetzt in dieser Zeit, wo alles mehr oder weniger morsch ist, direkt begrüßen. Ich persönlich begrüße es besonders herzlich.“94
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PISTORIUS, VFL, 148; BITTER, Nationalspieler, 158f. PISTORIUS, VFL, 148. PISTORIUS, VFL, 148–150. – Hier auch die Zitate. Zit. nach 25 Jahre Rasensport, 31.
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In Osnabrück blieb der SV Rasensport seiner DJK-Tradition bis heute treu. Die einst so vorbildliche moderne Sportanlage an der Kokschen Straße existiert noch immer als Sportplatz, den der Verein 1949 mit einer „Bausteinaktion“ modernisierte. Für das Verhältnis zwischen Kirche und Sport bedeutete der Rückzug der DJK aus dem selbst organsierten Wettkampfgeschehen zugleich ein Aufleben alter Feindbilder. In Osnabrück-Haste liegt das Stadion des TUS – mit dem die DJK Spielvereinigung Haste 1934 fusionierte – neben der Christus KönigKirche. Kaplan von Euch als ehemaliger DJK-Präses wurde nach dem Krieg Bischof von Kopenhagen. Sein späterer Nachfolger Heinrich Plock sah sich um 1963/64 mit einem Pfarrer konfrontiert, der die Jugendandachten am Sonntagnachmittag nicht zugunsten der Punktspiele des TUS zu verlegen erlaubte. So konnten kirchentreue Fans meist nur die erste Halbzeit ihrer Mannschaft sehen. Der selbst vom Fußball begeisterte neue Kaplan Norbert Friebe löste diesen Zielkonflikt bis 1968 unkonventionell – zumal der TUS sich 1965 für die erste DFB-Pokal-Hauptrunde qualifizierte und 1967 in die Regionalliga als zweithöchste deutsche Spielklasse aufstieg. Er besuchte gemeinsam mit den Jugendlichen zunächst die Spiele, ließ diese sodann gemeinsam mit seinen Begleitern in der Kaplanswohnung Revue passieren und unterwies sie schließlich in der Christenlehre.95 Im gesamten heutigen Bistum Osnabrück sind derzeit nur noch 13 Sportvereine zugleich im Sportbund, in den Fachverbänden und in der DJK organisiert, nachdem Blau-Weiß Schinkel unlängst ausgetreten ist. Die Geschäftsstelle des Diözesanverbandes ist in der Jugendbildungsstätte Marstall Clemenswerth in Sögel angesiedelt; die Diözesanleitung ringt um ein schärferes, christlichen Werten verpflichtetes Profil. Ein Blick in die Festschriften vieler Sportvereine des Emslandes und des Osnabrücker Landes zeigt jedoch, dass diese sich zumindest zu Jubiläen auch ihrer DJK-Tradition vergewissern. 7. Fazit Reichsjugendführer Baldur von Schirach hatte am 31. März 1935 auf einer Großkundgebung in Essen gegen den konfessionellen Sport polemisiert, indem er fragte, worin die Besonderheit einer katholischen Bauchwelle oder eines evangelischen Klimmzugs bestehe.96 In dieser Polemik gegen den konfessionellen Sport zeigt sich, warum die DJK als Ziel der Nationalsozialisten im Kampf gegen die katholische Jugendarbeit besonders anfällig war. Dem Sport fehlt – bei allem christlich-ideologischen Überbau – das religionsspezifische Element. Die christlichen Kirchen konnten ihn kaum als ihr ureigenes Proprium reklamieren, denn auch andere Religionen und Weltanschauungen zeigten hier ausgeprägte Aktivitäten. Dies dürfte dem Osnabrücker Bischof Wilhelm Berning sowie den 95 96
Für mündliche Auskünfte danke ich Domdechant em. Dr. Heinrich Plock und Domkapitular em. Norbert Friebe. Nationalzeitung (Essen), 1.4.1935.
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weiteren Unterhändlern im Juni 1934 in ihren Verhandlungen mit dem Regime zur Umsetzung des Konkordats mit dem Vatikan klar gewesen sein. Für den NS-Staat waren kirchliche Sportangebote eine unmittelbare Konkurrenz auf einem für die Jugend attraktiven Feld, das die NSDAP keinesfalls mit anderen Anbietern zu teilen gedachte. Hieraus leitete sich Hitlers schroffe Reaktion im September 1934 auf den bischöflichen Rettungsversuch für die DJK ab, der zudem nur halbherzig vorgetragen wurde. Die NS-Machthaber trieb eine ähnliche Motivation, wie sie zwischen 1900 und 1920 zur schrittweisen Versportlichung der katholischen Jugendverbände und schließlich zur Gründung der DJK als Dachverband geführt hatte. Jugendliche sollten möglichst in einem geschlossenen Denk- und Wertesystem aufwachsen, um sie von kritischen äußeren Einflüssen und Anregungen abzuschotten. Folgerichtig verlor die Kirche im Verlauf der 1930er Jahre ihren zentralen Einfluss auf die Jugend durch die Beschränkung ihrer Jugendarbeit auf die geistliche Unterweisung sowie die Ablösung konfessioneller Schulen durch die neue Gemeinschaftsschule. Die Austrittswellen und Existenzkrisen nach der vereinsrechtlichen Säkularisierung der DJK im zweiten Halbjahr 1934 liefern indes eine zusätzliche Facette zur unlängst für die Stadt Osnabrück nachgewiesenen und auch andernorts in der Diözese zu vermutenden Erkenntnis, dass sich die Katholiken in Fragen des Glaubens und der Kirche in erheblichem Maß als widerständig erwiesen. Ein grundsätzlicher Widerstand gegen das Regime erwuchs daraus jedoch nicht.97 Dass auch nach der „Gleichschaltung“ der Spagat zwischen kirchlicher Orientierung und formal säkularem Status möglich war, folgt aus dem Beispiel des SV Rasensport in Osnabrück. Obwohl dieser stets unter polizeilicher Beobachtung stand, gelang es couragierten Zeitgenossen wie Bernhard Avermann und seinen Mitstreitern, Spielräume für katholisch orientierte Sportangebote und sogar einen katholisch orientierten Musikzug zu schaffen. Dass in der sportlichen Jugendarbeit auch unter den Bedingungen des NS-Staats mutige Spitzfindigkeit bis in die zweite Hälfte der 1930er Jahre Nischen sichern konnte, belegt der „private“ Wassersport von Pfarrer Bucholtz in Osnabrück-Eversburg. Hier wird konfessionelle Sportgeschichte zu einem Lehrstück für Zivilcourage unter erschwerten Bedingungen, über das sich auch in unserer Zeit nachzudenken lohnt. Quellen und Literatur Archive Pfarrarchiv Liebfrauen Eversburg – C.-231-02-01, Katholischer Arbeiterverein 1897–1898/1925–1937/1977–1986. Bistumsarchiv Osnabrück (BAOS) – BAOS 04-61-00-3: Persönliche Anfragen mit parteipolitischen Vorgängen 1930–32 (Steffens an Kaplan Wolters, 17.2.1932, und weitere Stücke).
97
Umfassend dazu QUECKENSTEDT, Glauben.
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– BAOS 04-61-00-5: Mitgliedschaft in NSDAP, Anfragen, Materialien (auch Nebenfragen) 1931–1932 (Bischöfliches Generalvikariat an Steffens 4.5.1932; Steffens an Bischöfliches Generalvikariat, 14.4.1932). – BAOS 04-61-00-6: Freiübungen des sozialdemokratischen Sportvereins auf dem Domhof 1931. – BAOS 04-61-00-8: Grundsätzliche Fragen der Verbände. Niedersächsisches Landesarchiv Osnabrück (NLA OS) – Dep. 76 b, Nr. 834: Aufhebung des DJK-Verbotes. – Erw. A 18: Waltermann, Nr. 160 (Zeitungsausschnitte zur DJK). – Dep. 53, Nr. 14: Zeitungsausschnitte über Sportveranstaltungen mit Notizen 1914–1927. – Dep. 53, Nr. 15: Kritiken über Sportplätze und Sportveranstaltungen, ab 1929. – Dep. 53, Nr. 18: Plan des Kanalbads „Neptun“. – Dep. 53, Nr. 24: Das Kanalbad (Entwürfe und Pläne). – Gestapo-Kartei. Vereinsarchiv SV Listrup (Ludwig Berger, Listrup) – Fragebogen der DJK-Vereine zur Anmeldung zu den Meisterschaftsspielen vom 1.8.1933. – Schreiben des ersten Bezirksvorsitzenden des DJK-Bezirks Lingen, Kaplan Lammen, an die DJK-Vereine des Bezirks Lingen vom 10.8.1933.
Gedruckte Quellen 25 Jahre Rasensport DJK Osnabrück, Osnabrück 1950. STASIEWSKI, BERNHARD (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933–1945, Bd. 1: 1933–1934, Mainz 1968; Bd. 2: 1934–1935, Mainz 1976. STEINWASCHER, GERD (Bearb.): Gestapo Osnabrück meldet … Polizei- und Regierungsberichte aus dem Regierungsbezirk Osnabrück aus den Jahren 1933 bis 1936, Osnabrück 1935. MALLWITZ, BRUNO (Hrsg.): Reichsadressbuch der Behörden, Verbände und Vereine für Leibesübungen. Übungsstätten/Jugendherbergen/Jugendheime, Bd. 2, Preußen, Teil 2, Kassel 1930. PROBST, ADALBERT: Anleitungen zu den Ordnungsübungen in geschlossener und geöffneter Ordnung für den Geländesport, Düsseldorf 1933. –: Unser Weg ins neue Jahr. DJK 1934.
Periodika Deutsche Jugendkraft (Verbandszeitschrift). Emszeitung. Kirchliches Amtsblatt für die Diözese Osnabrück. Lingener Volksbote. Nationalzeitung (NSDAP-Organ Essen). Osnabrücker Volkszeitung. Westfälisches Volksblatt.
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IV. Besetzte Gebiete
Thomas Urban
Sport als Instrument der Volkstumspolitik Der Anschluss Ostoberschlesiens an das „Großdeutsche Reich“ im Jahr 1939 Sechs Wochen nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Polen am 1. September 1939 wurden die westlichen und nordwestlichen Regionen des Landes an das Deutsche Reich angeschlossen. Ein Rumpfpolen um Warschau und Krakau wurde zum Generalgouvernement (GG) erklärt, faktisch stand es unter der Kontrolle der Sturm-Staffel (SS). In den annektierten Gebieten wurden sämtliche polnischen Institutionen, Gesellschaften und Vereine aufgelöst, mit einer Ausnahme: Ein Teil der Sportclubs wurde unter deutscher Leitung fortgeführt. Dies betraf vor allem den Ostteil Oberschlesiens. 1. Konfrontation der Zwischenkriegszeit Die Region war 1922 aufgrund eines Beschlusses der Siegermächte von Versailles geteilt worden. Vorausgegangen war eine Volksabstimmung, bei der über die staatliche Zugehörigkeit der Industrieregion und ihres ländlichen Umlands entschieden werden sollte. Die Regierung Polens, das nach dem Ersten Weltkrieg nach 123 Jahren der Teilungen wieder entstanden war, hatte in Versailles argumentiert, dass die Mehrheit der Einwohner der Region Polen seien. In der Tat war rund die Hälfte der Einwohner zweisprachig. Doch sprachen die meisten nicht Polnisch, sondern eine Mischsprache, die sich aus polnischen Dialekten, Tschechisch und Deutsch zusammensetzte. Die deutschen Behörden nannten sie Wasserpolnisch, Sprachwissenschaftler sprechen heute von Schlonsakisch, nach dem polnischen Wort „Ślązak“ (Schlesier). In Warschau oder Krakau wird diese Regionalsprache nicht verstanden.1 Die Memoirenliteratur und auch die Belletristik sind voller Beispiele, dass die zweisprachigen Oberschlesier sowohl von der polnischen Elite, als auch den deutschen Reichsbürgern arrogant und herablassend behandelt wurden. In Preußen waren sie wegen ihres oft fehlerhaften Deutschs und ihres slawischen Akzents Gegenstand der „Antek-und-Franzek“-Witze, auch in Polen sind bis heute Schlonsaken-Witze populär.2 Doch die Abstimmung von 1921 endete mit einer Niederlage für Warschau: Nur 40 Prozent stimmten für den Anschluss an Polen. Die Siegermächte beschlossen daher, die Region zu teilen, doch waren die neuen politischen Grenzen nicht mit den Sprach- und Kulturgrenzen deckungsgleich. Vielmehr hatten die 1 2
OLESCH, Die polnische Sprache, 16–20. URBAN, Deutsche in Polen, 13–16.
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Städte durchweg für Deutschland, die ländlichen Gegenden dagegen für Polen votiert. Der Westteil Oberschlesiens um die Städte Beuthen (heute Bytom), Gleiwitz (Gliwice) und Hindenburg (Zabrze) verblieb beim Deutschen Reich; der Ostteil, auf dem sich rund 70 Prozent der Bergwerke und Eisenhütten befanden, wurde polnisch. In den beiden größten Städten Ostoberschlesiens hatte allerdings die überwältigende Mehrheit deutsch optiert: in Kattowitz (Katowice) 85 Prozent, in Königshütte (Królewska Huta, später Chorzów) 75 Prozent. Für den Verbleib des gesamten Kohlebeckens im Deutschen Reich hatte auch ein Großteil der Industriearbeiter gestimmt, die im Alltag Polnisch oder Schlonsakisch sprachen.3 Für sie hatte offensichtlich den Ausschlag gegeben, dass die deutschen Gewerkschaften für ihre Rechte kämpften und in Berlin die SPD regierte. Polen war in ihren Augen dagegen von Militärs und Großgrundbesitzern dominiert, die ihre Rechte wieder einschränken würden. In den Landgemeinden hatten dagegen die katholischen Pfarrer mit Erfolg gegen die „protestantische preußische Obrigkeit“ agitiert.4 1.1. Druck auf die deutschen Oberschlesier
Der Anschluss der beiden Städte an Polen wurde im Deutschen Reich als schwerer Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker angesehen. Im Völkerbund war man sich der Problematik durchaus bewusst. Warschau wurde daher verpflichtet, ein Minderheitenstatut auszuarbeiten. Doch die polnische Regierung ignorierte weitgehend die damit verbundenen Verpflichtungen. Bei den ersten Kommunalwahlen siegten in den Städten der Region zwar deutsche Gruppierungen, doch die polnischen Behörden lösten kurzerhand die Stadträte auf. Später gingen sie dazu über, deutsche Kandidaten nicht mehr zu den Wahlen zuzulassen.5 Sämtliche Großbetriebe, die ausnahmslos in deutscher Hand waren, wurden verstaatlicht, Tausende von Firmeninhabern und Immobilienbesitzern aufgrund des Grenzzonengesetzes, das sich gezielt gegen die Deutschen richtete, entschädigungslos enteignet. Zur Polonisierung der Region gehörte auch administrativer Druck auf deutsche Organisationen und Vereine. Sie mussten sich umbenennen, Sportstätten wurden von den Stadtverwaltungen durchweg enteignet, in vielen Fällen polnischen Vereinen überschrieben. So übernahm Ruch Wielkie Hajduki aus einem der Vororte von Königshütte, der bislang Bismarckhütte hieß, den Besitz der dortigen Sportvereinigung (BSV) 1899, die auf Druck der Behörden aufgelöst worden war.6 Die deutsche Clubführung des Lokalrivalen VfR Königshütte wurde durch einen polnischen kommissarischen Leiter ersetzt, der Verein in Amatorski Klub Sportowy (AKS) Chorzów umbenannt.7 3 4 5 6 7
KNEIP, Die deutsche Sprache, 45–55. URBAN, Deutsche in Polen, 33f. LEMPART, Michał Grażyński, 119f. Bismarckhütter Sportvereinigung 1899, in: Oberschlesischer Kurier, 15.11.1939. Kurzmeldung in: Goniec Śląski, 24.9.1923.
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Dem Druck der Behörden und auch der polnischen Presse hielt nur der größte deutsche Fußballclub der Region stand, Preußen 05 Kattowitz, hinter dem der einheimische Mittelstand stand. Doch musste er den Begriff „Preußen“, der den Polen verhasst war, aus dem Namen streichen und sich in 1. FC Kattowitz umbenennen. In den folgenden Jahren empörte sich die deutschsprachige Sportpresse immer wieder über die Benachteiligung des 1. FC Kattowitz durch die Behörden sowie die Schiedsrichter des Fußballverbandes PZPN. So wurde er den Berichten zufolge um die polnische Meisterschaft 1927 gebracht.8 1.2. Politische Förderung der polnischen Clubs
Dagegen wurde Ruch von dem Wojewoden9 Michał Grażyński unterstützt, dem Chef der Regionalbehörden, der sein Ziel, den Anteil der Deutschen an der Bevölkerung drastisch zu verringern, offen propagierte.10 Von 1933 bis 1936 sowie 1938 errang der Club den Meistertitel, zuletzt nach einer Namensänderung als Ruch Chorzów. In ihm spielten durchweg zweisprachige Oberschlesier, die bis zum Anschluss Abb. 1: der Region an Polen Bürger des Deut- Eryk Tatuś (Erich Tatusch), polnischer schen Reichs gewesen waren. Der nur Nationaltorwart, im Krieg beim Bismarck1,64 Meter große Ruch-Torwart Eryk hütter SV. Tatuś (Abb. 1) schaffte es dank seiner Reaktionsschnelligkeit und Sprungkraft in die Nationalmannschaft. Die Stürmer Teodor Peterek, Ernst Willimowski (polnische Schreibweise: Ernest Wilimowski) und Gerard Wodarz, genannt „die drei schlesischen Könige“, gelten als erfolgreichster Angriff in der Geschichte des polnischen Vereinsfußballs. 8 9 10
Vgl. URBAN, Der 1. FC Kattowitz, 60–65. Wojewode oder Woiwode (polnisch Wojewoda): oberster Beamter einer polnischen Provinz. LEMPART, Michał Grażyński, 118.
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Furore machte auch der Lokalrivale AKS Chorzów um seinen Spielmacher Leonard Piątek (ursprünglich Leonhard Piontek), er wurde 1937 Vizemeister (Abb. 2). Als die polnische Nationalmannschaft im folgenden Jahr an der Weltmeisterschaft in Frankreich teilnahm, standen in ihrem einzigen Spiel, dem Achtelfinale gegen Brasilien (5:6 n.V.), sieben Oberschlesier auf dem Platz. Dabei schrieb sich Willimowski als erster Spieler, der vier Tore in einem WMSpiel erzielte, in die Fußballannalen ein. Willimowski hatte seine Karriere beim mittlerweile zweitklassigen 1. FC Kattowitz, dem „deutschen Club“, begonnen, war dann aber zum polnischen Meister Ruch gewechselt. Darüber hinaus verlor der 1. FC Kattowitz seinen zweiten Torjäger Ernst Joschke. Dieser wurde zwar zum polnischen Militär eingezogen, aber faktisch wurde er verpflichtet, für den Militärclub Legia Warschau zu spielen.11 Joschkes älterer Bruder Georg (Abb. 3) hatte als Präsident des 1. FC Kattowitz diese Schwächung seines Clubs nicht verhindern können. Georg Joschke hatte die politisch gemäßigten deutschen Kaufleute aus der Clubspitze verdrängt.12 Anfang der zwanziger Jahre hatte er in deutschen Freikorps gegen den Anschluss Oberschlesiens an Polen Abb. 2: gekämpft.13 Er engagierte sich in der Karikatur des Torschützenkönigs der Gauliga Oberschlesien Leonard Piontek, in: Der Jungdeutschen Partei Polens, die von Oberschlesische Wanderer, 31. März 1941. der NSDAP aus Berlin massiv unterstützt wurde.14 Aus diesem Grund wurde der 1. FC Kattowitz von dem Wojewoden Grażyński wiederholt als Club der deutschen Nationalisten angeprangert. 11 12 13 14
GOWARZEWSKI, Legia, 328. JUREK, Kultura, 117. REICHLING, Georg Joschke, 6. BĘBNIK, „Kowalski i Towarzysze“, 68–70.
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Abb. 3: NSDAP-Kreisleiter Georg Joschke als hochdekorierter Leutnant der Wehrmacht.
Der Wojewode unternahm mehrere Versuche, den 1. FC Kattowitz auflösen zu lassen, doch konnte er sich damit zunächst nicht beim PZPN durchsetzen. Erst im Juni 1939, als sich die politischen Spannungen zwischen Berlin und Warschau erheblich verschärft hatten, erreichte er sein Ziel. Er verbot einen Großteil der deutschen Organisationen und Vereine im polnischen Teil Oberschlesiens; darüber hinaus ließ er mehrere deutschsprachige Zeitungen schließen.15 Vier Tage nach dem deutschen Angriff auf Polen am 1. September 1939 übernahm er das Amt des Propagandaministers in Warschau. Doch angesichts der sich abzeichnenden militärischen Niederlage floh er zwei Wochen später mit fast dem gesamten Kabinett nach Rumänien.
15
GRÖSCHEL, Themen, 38.
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2. Eingliederung in das „Großdeutsche Reich“ In Ostoberschlesien hatte dagegen ein keineswegs kleiner Teil der Einwohner die Wehrmacht bejubelt. Grażyńskis Widersacher Georg Joschke hatte sich in den Monaten vor dem Krieg an der Vorbereitung von Sabotageakten in Ostoberschlesien beteiligt. Nach Überzeugung polnischer Historiker hatte eine Speditionsfirma im Besitz der Familie Joschke – mit Sitz in Hindenburg im deutschen Teil Oberschlesiens – für diesen Zweck Waffen und Sprengstoff nach Polen geschmuggelt.16 Als Belohnung für seinen Einsatz wurde Georg Joschke mit dem hohen Rang eines Standartenführers in die Sturm-Abteilung (SA) der NSDAP aufgenommen. Wenig später avancierte er zum NSDAP-Kreisleiter. Sein jüngerer Bruder Ernst, der frühere Mittelstürmer des 1. FC Kattowitz, vertrat die NSDAP im Stadtrat.17 Mit Unterstützung von Fachbeamten und NSDAP-Kadern aus Berlin sollte der Kreisleiter eine deutsche Verwaltung aufbauen. Im Herbst 1939 wurden Dutzende Angehörige der polnischen Oberschicht erschossen, Hunderte kamen später in Konzentrationslagern zu Tode. Zehntausende von Polen wurden enteignet und aus Oberschlesien in das Generalgouvernement vertrieben. Alle Spuren der 17-jährigen Zugehörigkeit der Region zu Polen sollten möglichst rasch und radikal liquidiert werden. Die NS-Behörden schlossen sämtliche polnischen Verlage und Bibliotheken, an mehreren Orten wurden polnische Bücher verbrannt. Die Schulen bekamen deutsche Lehrer, die polnischen wurden ins Generalgouvernement vertrieben oder in Konzentrationslager deportiert. Die Schulkinder hatten den Lebenslauf Hitlers auswendig zu lernen. In der gleichgeschalteten Presse machten Druckereien und Schreibwarengeschäfte Reklame für Führerbilder aller Art.18 2.1. Ersetzung der Clubvorstände
Joschke versuchte in seinem Amt als NSDAP-Kreisleiter, den vor dem Krieg von ihm geführten 1. FC Kattowitz besonders zu fördern. Er ließ mehrere oberschlesische Spitzenspieler zu dem Club abordnen, darunter den Stopper Erwin Nytz und Ernst Willimowski.19 Die NS-Propaganda pries den Club wegen seiner „tapferen und zähen Haltung im Volkstumskampf gegen die polnische Unterdrückung“.20 Doch die auf politischen Befehl von oben zusammengesetzte Mannschaft hatte keinen Erfolg. Willimowski wurde vom PSV Chemnitz abgeworben, Nytz zur Luftwaffe eingezogen. Joschkes Möglichkeiten, den Club zu unterstützen, waren begrenzt. Wegen nicht näher erläuterter „Probleme“ wurde
16 17 18 19 20
BĘBNIK, Udział, 50–52. Unerschütterliche Einheit von Partei und SA, in: Kattowitzer Zeitung, 29.3.1940. Z.B. Kattowitzer Zeitung, 15.9.1939. Auch die Fußballer im Kampf, in: Kattowitzer Zeitung, 23.11.1939. SPAETHE, 1. FC Kattowitz, 17.
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er im März 1941 als NSDAP-Kreisleiter abgesetzt. Die offizielle Sprachregelung lautete, er sei „auf seinen besonderen Wunsch hin zur Wehrmacht eingerückt“.21 Die deutschen Behörden hatten keineswegs die oberschlesischen Spitzenclubs geschlossen, die bis wenige Tage vor Kriegsbeginn noch in der polnischen Liga gespielt hatten. Vielmehr bestanden sie fort, sofern sie Anfang der 1920er Jahre aus deutschen Vereinen hervorgegangen waren. Der fünffache polnische Meister Ruch Chorzów bekam den Namen des Bismarckhütter Sportvereins (BSV), dessen Besitz er 17 Jahre zuvor übernommen hatte.22 Zum ersten Training war die Meistermannschaft mit einem halben Dutzend polnischer Nationalspieler „fast vollständig zur Stelle“,23 darunter Torwart Tatusch (vormals Tatuś) sowie die Torjäger Peterek und Wodarz (Abb. 4). Auch der frühere polnische Vizemeister AKS Chorzów nahm unter seinem Abb. 4: alten Namen VfR Königshütte das Gerard Wodarz, Linksaußen von Ruch Training wieder auf, in seinen Reihen und der polnischen Nationalmannschaft, standen ebenfalls mehrere Nationalspie- im Krieg beim Bismarckhütter SV. ler, darunter der torgefährliche Leonard Piontek, dessen Familienname aufgrund eines Erlasses Grażyńskis ab Mitte der 1930er Jahre „Piątek“ geschrieben wurde.24 Genau einen Monat und einen Tag nach dem Einmarsch der Wehrmacht fand am 2. Oktober 1939 das erste Spiel „in der befreiten Heimat“ statt, wie es der neue Königshütter Oberbürgermeister Walter Delius (NSDAP) in einer kurzen Ansprache vor dem Anpfiff nannte. Der VfR und der wiedergegründete SV 1913 Schwientochlowitz trennten sich 2:2. Anderthalb Monate später ging die Mitgliederversammlung noch einen Schritt weiter, um das „Deutschtum“ des Vereins zu dokumentieren. Sie stimmte für die Umbenennung in Germania Königshütte. Die Versammlung endete mit einem dreifachen „Sieg Heil auf den Führer“.25 21 22 23 24 25
Ewige Siegrune über Kattowitz, in: Kattowitzer Zeitung, 3.3.1941. Achtung, Bismarckhütter Sportler, in: Oberschlesischer Kurier, 11.11.1939. Bismarckhütter SpVg 1899 gegründet, in: Kattowitzer Zeitung , 19.11.1939. Sportnachrichten, in: Oberschlesischer Kurier, 25.9.1939. FV Germania Königshütte gegründet, in: Oberschlesischer Kurier, 14.11.1939.
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Die Oberschlesier, die bis Ende August 1939 in der obersten polnischen Liga gespielt hatten, waren nun wieder Reichsbürger. Ihre Namen wurden wieder in die Form eingedeutscht, wie sie sich auch in den Geburtsurkunden fand. Piotr wurde zu Peter, Paweł zu Paul, Łukasz zu Lukas, Teodor zu Theodor, Jerzy zu Jürgen oder Georg.26 Die Presse berichtete, in den oberschlesischen Vereinen sei „zur Polenzeit“ versucht worden, die Mitglieder „mit Gewalt zu polonisieren“. Die polnischen Vorstände seien im Moment der „Befreiung“ durch die Wehrmacht „feige getürmt“.27 Die Zeitungen verschwiegen, dass ein Großteil der polnischen Vorstandsmitglieder verhaftet und in ein Konzentrationslager deportiert worden war. Im KZ zu Tode kamen AKS-Präsident Józef Kowol und der RuchMitbegründer Alojzy Budniok, der auch eine leitende Position in der Regionalorganisation des polnischen Fußballverbandes PZPN bekleidet hatte.28 2.2. Politische Legenden und Aufrufe zur Disziplin
Die zweisprachigen Oberschlesier wurden von den NS-Behörden als „volksdeutsche Landsleute“ angesehen – „volksdeutsch“ war die Bezeichnung für die Angehörigen der deutschen Minderheiten in den Nachbarländern. Der Presse zufolge waren die „volksdeutschen Spieler einem starken politischen und wirtschaftlichen Druck“ von Seiten der polnischen Behörden ausgesetzt gewesen, sie hätten die „Befreiung durch die deutschen Soldaten herbeigesehnt“. Willimowski sei gezwungen worden, in einen polnischen Verein zu wechseln.29 Allerdings berichteten Zeitzeugen, dass NSDAP-Kreisleiter Joschke im Herbst 1939 Willimowski vorgeworfen habe, sich aus freien Stücken dem nationalpolnischen Club Ruch Chorzów angeschlossen zu haben.30 Die von den Besatzern herausgegebene „Warschauer Zeitung“ legte ausführlich dar, dass die besten ostoberschlesischen Fußballer in der Vergangenheit immer wieder ihr Deutschtum bewiesen hätten. So habe es Teodor Peterek, dem Rekordtorschützen der polnischen Liga, bei den Olympischen Spielen in Berlin 1936 so gut in Deutschland gefallen, dass er habe bleiben wollen; doch hätten dies „polnische Spitzel“ verhindert. Über den Linksaußen Gerard Wodarz (Bismarckhütter SV), der zu den Stützen der polnischen Nationalmannschaft gezählt hatte, hieß es, er sei zu Beginn des Krieges aus der polnischen Armee desertiert und zu den Deutschen übergelaufen.31 Allerdings gibt es keinerlei Belege für den Wahrheitsgehalt dieses Berichtes. Die „Warschauer Zeitung“ wurde nur im Generalgouvernement vertrieben, der Patriotismus der Oberschlesier war eines ihrer zentralen Propagandathemen. Die in deutschen Vereinen spielenden früheren Nationalspieler gaben indes nach dem Krieg gegenüber den polnischen Behörden an, sie seien dazu gezwun26 27 28 29 30 31
KNEIP, Die deutsche Sprache, 148. Das erste Fußballspiel, in: Oberschlesischer Kurier, 30.9.1939. PONCZEK, Z przeszłości polskiej, 256. Willimowskis Spielkunst glänzte in Berlin, in: Der Kicker, 2.1.1940. WALOSZEK, Sylwetka, 22. Zuwachs für die Fussball-Nationalmannschaft?, in: Warschauer Zeitung, 7./8.1.1940.
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gen worden. Zumindest erschienen Berichte darüber zu Beginn des 21. Jahrhunderts, zu einem Zeitpunkt allerdings, als keiner der Spieler mehr lebte. Wodarz habe demzufolge erklärt, er sei keineswegs desertiert, sondern als polnischer Soldat in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten. Ein deutscher Offizier habe ihm mit Absicht fest gegen das Knie getreten, nachdem im Lager bekannt geworden sei, dass er polnischer Nationalspieler war. Er habe drei Monate im Lazarett liegen müssen.32 Piontek habe gegenüber der kommunistisch kontrollierten Geheimpolizei UB, die nach Kollaborateuren fahndete, argumentiert, er sei von einem Gestapo-Offizier unter Androhungen zum Fußballspielen in der deutschen Gauliga gezwungen worden.33 Auch Nytz habe den sechs Jahrzehnte später erschienenen Berichten zufolge auf Erpressung durch die deutschen Besatzer verwiesen. Unabhängig voneinander hätten Piontek und Nytz angegeben, sie seien zu Beginn des Kriegs in das besetzte Krakau gefahren, um die Lage mit dem früheren polnischen Nationaltrainer Józef Kałuża zu beraten. Dieser habe ihnen geraten, „für die Deutschen“ zu spielen, da ihnen sonst das Konzentrationslager gedroht hätte.34 Belege oder Zeugen für diese Schilderungen gibt es allerdings ebenfalls nicht, Wodarz spielte der damaligen Sportpresse zufolge bereits Anfang November 1939 wieder in seinem alten Verein,35 er konnte also keine drei Monate in einem Lazarett gelegen haben. Und Kałuża, auf den sich Piontek und Nytz gegenüber dem UB beriefen, lebte zu dem Zeitpunkt schon nicht mehr, er war wenige Monate vor Kriegsende gestorben. Darüber hinaus ist offensichtlich, dass 1945 nur die Version von der Bedrohung der Spieler durch die Gestapo sie vor einem Verfahren wegen Kollaboration schützen konnte. Doch in der heutigen polnischen Historiografie gelten die ohnehin nur aus zweiter oder dritter Hand stammenden Schilderungen als unbestreitbare Tatsachenberichte. Wenige Tage vor Weihnachten 1939 zog die Kattowitzer NSDAP eine erste Zwischenbilanz über den „Aufbau des deutschen Sports“. Der Sportbeauftragte des Bezirks Paul Sornik berichtete, 300 polnische Vereine seien „liquidiert“ worden. Deren finanzielle Lage sei durchweg „katastrophal“ gewesen, meist ohne „ordnungsgemäße Buchführung“. In die Vorstände der neugegründeten deutschen Vereine dürften nur „erprobte Volksdeutsche“ aufgenommen werden. Die Vereine stünden durchaus den Sportlern offen, die bislang für die polnischen Farben gestartet seien: „Die Eingliederung des größten Teils der Mitglieder der ehemaligen polnischen Vereine ist reibungslos vor sich gegangen. Die einzelnen Spieler sind nicht gerufen worden, sondern sie kamen von selbst. Ein Beweis dafür, dass kein Sportsmann den vergangenen polnischen Sportvereinen nachtrauert.“
32 33 34 35
GOWARZEWSKI/WALOSZEK, Ruch Chorzów, 55. CZADO/WALOSZEK, Gestapo, 22. WALOSZEK, Inne, 54. T.U.S. Lipine hat eine starke Mannschaft, in: Kattowitzer Zeitung, 20.11.1939.
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In seiner Rede bemühte Sornik auch die Schlagwörter von der „polnischen Wirtschaft“ und der „Trunksucht der Polen“, er stellte ihnen das Bild vom tugendhaften „deutschen Sportsmann“ gegenüber. „Der Sportgedanke, sein Wille, Leibesübungen zu treiben, muss sich auch äußerlich in seiner Lebensführung ausdrücken. Er muss schon auch seinen Lebenswandel danach einrichten. Mit der üblen Unsitte der Saufgelage nach siegreichen oder verlorenen Spielen wird unbedingt gebrochen werden müssen.“36
Sornik gab auch das Verordnungsblatt des Nationalsozialistischen Reichsbundes für Leibesübungen (NSRL) in Oberschlesien heraus. In der ersten Ausgabe beschrieb er die Aufgaben der ihm unterstehenden Sportwarte: „Das Deutschbewusstsein in immerwährender politischer Wachsamkeit in unseren Reihen zu vertiefen und alles Fremde und Undeutsche auszuschalten.“37 Er erläuterte das Programm für die Region: „Vermehrung der Erbtüchtigen, Leibesübungen vermitteln züchterisches Hochbild menschlicher Schönheit, fördern artgemäße Gattenwahl.“ Den jungen Leuten sei einzutrichtern: „Halte dein Blut rein! Keine Vermischung!“ Der zweite Punkt bedeutete eine Warnung vor Partnerschaften mit Polen und Juden. Darüber hinaus erließ Sornik genaue Anweisungen für das Feiern von Festen, die als Attacke auf die Traditionen der in Oberschlesien starken katholischen Kirche gemeint waren: „Das Weihnachtsfest ist als JulfestWintersonnenwende durchzuführen.“38 Die traditionelle deutsche Überheblichkeit gegenüber den zweisprachigen oberschlesischen Sportlern, die meist aus Bergarbeiterfamilien stammten, prägte auch eine Rede Sorniks vor Sportfunktionären (Abb. 5), in der er die politische und militärische Aufgabe des Sports unterstrich: „Wir wissen um die guten Eigenschaften des Oberschlesiers Bescheid, wir wollen sie entwickeln und fördern. Gerade der Oberschlesier war während des Weltkrieges einer der besten Soldaten. Seine Härte, seine Zähigkeit, sein Kampfesmut waren unübertrefflich. Die Leibesübungen haben unsere Landsleute auf den schwierigen Soldatenberuf vorzubereiten. […] Der Oberschlesier wird sich gern in die große deutsche Volksgemeinschaft einreihen, denn er weiß, dass der neue deutsche Staat es gut mit ihm meint, ihm seine Zukunft und sein Brot sichern will. Außerdem sagt ihm der soldatische Ton zu, den der Nationalsozialismus bevorzugt. Er ist gewöhnt an Disziplin und Gehorsam, er will hart angefasst werden.“39
Der Kattowitzer Kreissportwart Georg Jedurny (NSDAP), früher aktiver Fußballer in der oberschlesischen Bezirksliga, sagte über die ihm unterstehenden Spit36 37 38
39
Dieses Zitat und die vorhergehenden Zitate HIMMEL, Ostoberschlesien, 5. SORNIK, Kameraden, 1. Paul Sornik, zit. in: Einsatz der Dietwarte im Winter 1941/42, in: Verordnungsblatt. Nationalsozialistischer Reichsbund für Leibesübungen, Sportgau Oberschlesien, 17.12.1941. Paul Sornik, zit. in: Wir formen den oberschlesischen Menschen, in: Oberschlesischer Kurier, 5.2.1940.
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Abb. 5: Rede des Sportfunktionärs Paul Sornik über Sport als Vorbereitung zum Fronteinsatz, in: Oberschlesischer Kurier, 5. Februar 1940.
zenspieler: „Sie sind mit aufgenommen in die großdeutsche Sportgemeinde, doch müssen sie sich der Aufgaben, die ihrer harren, würdig erweisen.“40 Immer wieder klagten die Sportreporter über mangelnde Disziplin als Folge der „Polenzeit“: „Es vergeht kaum ein Sonntag ohne Herausstellungen von Fußballspielern in der Kriegsmeisterschaft des Bezirks 13. Die Spieler vergessen, dass der Nationalsozialismus auch vom Sportler eine entsprechende Haltung verlangt.“41
Zu den „Auswüchsen der Polenzeit“ wurde auch das Profitum gezählt: „Spieler dürfen kein Geld erhalten.“ Überdies sollten die Sportfunktionäre ihren Teil zur Entpolonisierung der Region beitragen: „Es geht nicht an, dass auf dem Sportplatz, wie es noch oft beobachtet werden kann, polnisch gesprochen wird. Dieses Übel muss auf alle Fälle verschwinden.“42 Doch berichteten Zeitzeugen, dass
40 41 42
Georg Jedurny, zit. in: Bezirksfachwart Beinlich sprach in Königshütte, in: Kattowitzer Zeitung, 19.2.1940. Bestrafungen im Fußball, in: Kattowitzer Zeitung, 1.5.1940. Dieses Zitat und die vorhergehenden Zitate: Neuaufbau im ostoberschlesischen Fußballsport, in: Kattowitzer Zeitung, 5.2.1940.
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dieses Verbot nicht rigoros durchgesetzt wurde, etwa bei Germania Königshütte. Einer der Spieler gab später zu Protokoll: „Den deutschen Vereinspräsidenten kam es eigentlich darauf an, dass für sie gute Spieler antraten. Die Nationalität war nicht wichtig. Auf dem Platz riefen wir uns Anweisungen auf Polnisch zu, und es gab deshalb keinerlei Unannehmlichkeiten.“43
Doch als die Germania in der Endrunde um die deutsche Meisterschaft in anderen Teilen des Deutschen Reiches antrat, durften die Spieler nur deutsch reden.44 2.3. „Kriegsmeisterschaft“ in Oberschlesien
Ursprünglich war geplant, eine eigene „Kriegsmeisterschaft“ im vormals polnischen Ostteil Oberschlesiens auszutragen, Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten hatte es persönlich angeordnet.45 Das 35.000 Zuschauer fassende Stadion von Königshütte (polnisch Chorzów), das erst wenige Monate vor Kriegsbeginn von dem Wojewoden Grażyński eröffnet worden war und seinen Namen trug, hieß nun Tschammer-Osten-Kampfbahn.46 Erster Spieltag war der 23. Dezember 1939, insgesamt waren 21 Mannschaften in zwei Spielklassen zugelassen.47 Doch schon nach sechs Wochen fiel eine neue politische Entscheidung: Ostoberschlesien wurde an die bisherige Gauliga Schlesien angeschlossen, die schon ausgetragenen Spiele wurden annulliert. Die erste Saison der nun erweiterten Gauliga des Sportbezirks 13 (Schlesien) begann am 4. März 1940 (Abb. 6).48 Zu Beginn des Jahres war bereits eine neue Gauelf aufgestellt wurden. Die Spieler waren in einem Spiel zwischen der bisherigen deutschen Provinz Schlesien und den „Brüdern von drüben“, nämlich aus Ostoberschlesien, am ersten Weihnachtstag 1939 ermittelt worden. In der Ostauswahl standen sieben frühere polnische Nationalspieler, bei den Gegnern mit Richard Malik (Beuthen 09) ein deutscher, dessen aus Kattowitz stammender Vetter Leonard Malik einmal im polnischen Kader gestanden hatte.49 Für die neue Gauelf qualifizierte sich auch Fritz Langner (Breslau 02), der spätere Trainer der Bundesligamannschaften FC Schalke 04, Werder Bremen und TSV 1860 München.50 Für die oberschlesischen Spieler interessierte sich Reichstrainer Josef Herberger. Er hatte einige von ihnen bereits bei den Länderspielen gegen Polen 1936 in 43 44 45 46 47 48 49 50
WALOSZEK, Inne, 53. WALOSZEK, Inne, 53. Kriegsmeisterschaft auf Anordnung des Reichssportführers, in: Kattowitzer Zeitung, 22.10.1939. SPAETHE, Ostoberschlesien, 4. SPAETHE, Alte Freunde, 11. Amtliche Mitteilung des Bezirks 13 im Bereich IV des NSRL, in: Kattowitzer Zeitung, 7.2.1940. WALOSZEK, Pieroński haker, 22. Weihnachtsspiel brachte Schlesien neue Elf, in: Der Oberschlesische Wanderer, 27.12.1939.
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Abb. 6: Plakatwerbung für ein Spiel der Gauliga Oberschlesien: Germania Königshütte – Rasensport Gleiwitz (1940).
Warschau (1:1) und 1938 in Chemnitz (4:1) kennengelernt, vor allem Willimowski hatte ihn beeindruckt. Im Juni 1940 wurde auf Herbergers Wunsch in Kattowitz ein Auswahllehrgang für insgesamt drei Dutzend Spieler organisiert. Georg Jedurny, der Fachwart für Fußball, benannte dafür unter anderem zehn ehemalige polnische Nationalspieler, darunter die früheren Ruch-Stars Tatuś (nun „Tatusch“ geschrieben) und Peterek sowie Nytz (1. FC Kattowitz) und Pi-
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ontek (Germania Königshütte).51 Der Dribbelkünstler Willimowski war nicht dabei, er spielte mittlerweile beim PSV Chemnitz. Bei Herbergers Lehrgang kam es allerdings zu einem Eklat: Der Linksaußen Paul (polnisch Paweł) Cyganek wurde von den Sportfunktionären, die das Training überwachten, ausgeschlossen, weil er mit einem anderen Teilnehmer Polnisch geredet hatte. Herberger strich dessen Namen aus seinem berühmten Notizbuch.52 Allerdings schaffte auch keiner der anderen ehemaligen polnischen Nationalspieler, die Herberger in Kattowitz unter die Lupe genommen hatte, den Sprung in seine Elf. Nur Willimowski gelang dies. 1941 und 1942 spielte er eine fulminante Rolle in der deutschen Elf, aus der er den Dresdner Helmut Schön vom Posten des Halblinken verdrängte, in acht Partien erzielte er 13 Tore. Während seiner letzten Länderspiele war Willimowski bereits Soldat der Wehrmacht. Auch die anderen ehemaligen polnischen Nationalspieler aus Oberschlesien, von denen ein Großteil im September 1939 noch polnische Uniformen getragen hatte, wurden eingezogen. „Der Kicker“ schrieb dazu: „Diese blutsmäßig volksdeutschen Sportler sind restlos eingespannt in das harte Tagewerk in Hütten und Gruben, und viele von ihnen tragen den grauen Ehrenrock der deutschen Soldaten.“53 Nytz blieb der Fronteinsatz erspart, er spielte in Clubs der Luftwaffe Fußball und wurde auch weiter zu Lehrgängen Herbergers eingeladen.54 Offenbar dank politischer Protektion wurde Leonard Piontek (Germania Königshütte), der Schützenkönig der Gauliga Schlesien, der auf „vertrauensvollem Posten im Eisenhandel“, also in der deutschen Rüstungsindustrie arbeitete,55 erst im Spätherbst 1944 eingezogen.56 Etwa eine halbe Million Bürger der an das Deutsche Reich angeschlossenen Gebiete Polens dienten in der Wehrmacht, rund 200.000 von ihnen sind gefallen.57 Während die Wehrmacht an allen Fronten den Rücktritt antrat, spielten die Vereine Oberschlesiens unverdrossen weiter ihren Meister aus. Zum Einsatz kamen dabei viele minderjährige Flakhelfer. Bis zu sechs Jugendliche durften „kriegsbedingt“ in einer Seniorenmannschaft spielen.58 Am 14. Januar 1945, als bereits der Geschützdonner der heranrückenden Roten Armee zu hören war, fanden die letzten Punktespiele statt.59 Die regionale NSDAP-Führung hatte sich an dem Tag längst nach Westen abgesetzt.
51 52 53 54 55 56 57 58 59
Wer kommt in Herbergers Schule?, in: Kattowitzer Zeitung, 15.6.1940. WALOSZEK, Inne, 53. MEERKAMP, Königshütte, 2. JEDURNY, Herberger, 4. MEERKAMP, Germania, 6. JEDURNY, Nur zwei, 4. KACZMAREK, Polacy, 135. Verordnungsblatt, 1. April 1942. JEDURNY, Punktverluste, 5.
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3. Konsequenzen nach Kriegsende Ende März 1945 übergab die Rote Armee die Verwaltung der Region an die wiedergegründeten polnischen Behörden, in denen Kommunisten alle Schlüsselpositionen besetzten. Schwerpunkte der Politik waren eine rasche „Säuberung Schlesiens von den Deutschen“ und die Bestrafung der Kollaboration.60 Zu diesen Maßnahmen gehörte die offizielle Auflösung des 1. FC Kattowitz als „hitlerfaschistischer Club“, der Verteidiger Kurt Pohl, der nicht rechtzeitig geflohen war, kam in Haft.61 Als Kollaborateure galten zunächst alle Fußballspieler, die im Krieg für deutsche Vereine aufgelaufen waren. Das Amt für Staatssicherheit (UB) verhörte die meisten Spitzenspieler, die Sportbehörden setzen eine „Verifizierungskommission“ ein. Die oberschlesischen Fußballvereine wurden verpflichtet, für die „Makellosigkeit der Spieler unter nationalem Gesichtspunkt“ Sorge zu tragen.62 Während die Torjäger Peterek und Wodarz straffrei ausgingen, wurde der frühere Ruch-Torwart Eryk Tatuś (Erich Tatusch) wegen „Kollaboration mit den Hitlerfaschisten“ zu anderthalb Jahren Haft verurteilt; doch kam er vorzeitig frei. So viel Glück hatte der frühere polnische Nationalspieler Leonard Malik nicht; er wurde als „Kollaborateur“ in das vom UB weitergeführte KZ Myslowitz, eine Außenstelle des Lagerkomplexes Auschwitz, deportiert, wo er im Oktober 1945 an Entkräftung starb. Sein deutscher Cousin Richard Malik war im Januar 1945 an der Ostfront gefallen.63 Ruch und AKS Chorzów wurden unter ihren polnischen Namen neugegründet. Bis auf den inhaftierten Torwart Eryk Tatuś wurden letztlich alle prominenten Spieler übernommen, die im Krieg in den Trikots des Bismarckhütter SV und der Germania Königshütte angetreten waren. Allerdings wurden die Ruch- und AKS-Spieler bei Auswärtsspielen vom polnischen Publikum als Nazis beschimpft, immer wieder kam es zu Übergriffen. So wurde Leonard Piontek (nun wieder: Piątek), der sich im Krieg als Torschützenkönig der Gauliga in die Annalen des Fußballs einschreiben konnte, im Posener Stadion von Zuschauern zusammengeschlagen. Bei einem Spiel von AKS, der früheren Germania, in der Industriestadt Sosnowiec kam es am 29. September 1947 zu Ausschreitungen mit mehreren Toten.64 Später wurden die offiziellen Lebensläufe dieser Fußballspieler bereinigt. Sowohl ihre Zugehörigkeit zu deutschen Vereinen als auch ihr Dienst in der Wehrmacht wurden gänzlich ausgespart. Mit einem Tabu wurden auch die Namen der Spieler belegt, die das Kriegsende im Westen Deutschlands erlebten und nicht nach Polen zurückkehrten. Zu ihnen gehörte Willimowski, der in den fünfziger Jahren in der Oberliga Südwest spielte. 60 61 62 63 64
Oczyszczenie Śląska od Niemców, in: Trybuna Śląska, 13.2.1945. GOWARZEWSKI, 75 lat OZPN, 55. Ślązacy robią porządek, in: Przegląd Sportowy, 19.11.1945. WALOSZEK, Pieroński haker, 22. TODUR, Oblężony stadion, 22.
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In Westdeutschland ließen sich auch die NSDAP-Funktionäre nieder, die 1939 für die Eingliederung Ostoberschlesiens in die Sportstrukturen des Reichs verantwortlich waren. Kreisleiter Georg Joschke (1900–1983) hatte beim Fronteinsatz im Krieg mehrere Tapferkeitsorden bekommen, 1943 war er an die Spitze der NSDAP von Hindenburg (heute Zabrze) beordert worden. Da er einen Bankier wegen defätistischer Bemerkungen über die NS-Führung denunziert und somit zu dessen Todesurteil beigetragen haben soll, verurteilte ihn 1957 das Münchner Schwurgericht zu drei Jahren Gefängnis.65 In der Volksrepublik Polen wurde allerdings nie ein Verfahren gegen ihn eingeleitet. Hingegen fand sich der Bezirkssportführer Paul Sornik (1900–1982) bestens in der Realität der jungen Bundesrepublik zurecht. Von 1953 bis 1957 vertrat er den Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) im Bundestag, anschließend saß er vier Jahre im Bayrischen Landtag. In die Politik ging auch Georg Jedurny (1899–1985), der Leiter des Kattowitzer „Fachamtes Fußball“. Erst vertrat er den BHE, später die CDU im Stadtrat Wunstorf bei Hannover. Nach ihm ist dort heute eine Straße benannt. Über ihre NS-Vergangenheit hatten Sornik und Jedurny geschwiegen. In Polen steht eine Aufarbeitung des oberschlesischen Fußballs im Zweiten Weltkrieg noch aus. 4. Autonomie und Fremdbestimmung des Sports Ostoberschlesien mit seiner national und kulturell gemischten Bevölkerung ist ein klassisches Beispiel für eine Grenzregion, deren nationale Zugehörigkeit wiederholt wechselte. Die Einwohner der Region sahen sich im Rahmen der Gesellschafts- und Kulturpolitik der jeweiligen politischen Führung besonders starkem Druck ausgesetzt. Es war eine Abfolge von Germanisierung, Polonisierung, Regermanisierung und Repolonisierung. Dabei gab es indes starke Unterschiede. Bis zum Zweiten Weltkrieg beschränkte sich die jeweilige Obrigkeit auf administrative Maßnahmen gegenüber der Minderheit der anderen Seite. Hingegen bedeutete der Wiederanschluss Oberschlesiens an das Deutsche Reich 1939 für die polnischsprachige Bevölkerung blanker Terror bis hin zur physischen Auslöschung eines Teils ihrer Elite. Nach dem Krieg setzte die neue kommunistische Führung in Warschau auf eine Verdrängungspolitik durch Vertreibung, die indes den Tod von deutschsprachigen Oberschlesiern im Arbeitslager billigend in Kauf nahm. Der Fußball in Oberschlesien bildete diese Politik der Führungen in Berlin und in Warschau genauestens ab. Als populärste Sportart war er der Politik untergeordnet, die Fußballer wurden instrumentalisiert, um die Überlegenheit des einen Volkes über das andere zu beweisen. Jede Seite versuchte dabei, die zweisprachigen Spitzenspieler für sich zu reklamieren. Diese Politik trug allerdings nicht der Tatsache Rechnung, dass viele Oberschlesier sich traditionell beiden
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WEHNER, Vier Jahre Gefängnis, 10.
Sport als Instrument der Volkstumspolitik
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Nationen und Kulturen verbunden fühlten, also an der Verschärfung der Antagonismen absolut nicht interessiert waren. Die NS-Führung in Berlin war ebenso wie die Regierungen in Warschau weder an einer politischen Autonomie der Region, noch an der Autonomie des Sports in der Gesellschaft interessiert. Verbandsvertreter sahen sich denn auch als politische Akteure, die eine nationale Aufgabe wahrzunehmen hatten. Sie präparierten die Lebensläufe ihrer Spieler so, dass sie in das jeweilige nationale Raster passten. Quellen und Literatur Periodika Der Kicker. Der Kicker – Fußball. Gemeinsame Kriegsausgabe. Der Oberschlesische Wanderer. Gazeta Wyborcza (Regionalausgabe Katowice). Goniec Śląski. Kattowitzer Zeitung. Oberschlesischer Kurier. Trybuna Śląska. Verordnungsblatt. Nationalsozialistischer Reichsbund für Leibesübungen, Sportgau Oberschlesien. Warschauer Zeitung.
Literatur BĘBNIK, GRZEGORZ: „Kowalski i Towarzysze“. Epizod z dziejów niemieckiej dywersji w sierpniu i wrześniu 1939 roku [„Kowalski & Co.“ Episoden aus der deutschen Diversion im August und September 1939], in: Szkice Archiwalno-Historyczne 6 (2010), 67–77. –: Udział miezkańców Zabrza w przygotowaniach do wojny 1939 r. i w działaniach wojennych [Die Beteiligung von Einwohnern Hindenburgs an den Kriegsvorbereitungen 1939 und an militärischen Aktionen], in: SEBASTIAN ROSENBAUM (Hrsg.), Zabrze 1933– 1989. Szkice z dziejów politycznych miasta [Zabrze 1933–1989. Skizzen aus der politischen Geschichte der Stadt], Katowice 2011, 47–71. CZADO, PAWEŁ/WALOSZEK, JOACHIM: Gestapo prosiło, żeby grać [Die Gestapo bat zum Spiel], in: Gazeta Wyborcza, 20.5.2005. GOWARZEWSKI, ANDRZEJ: 75 lat OZPN w Katowicach [75 Jahre Oberschlesischer Fußballverband in Kattowitz], Katowice 1996. –: Legia najlepsza jest ... Prawie sto lat prawdziwej historii [Legia ist am besten … Fast 100 Jahre der wahren Geschichte], Katowice 2013. –/WALOSZEK, JOACHIM: Ruch Chorzów, Katowice 1995. GRÖSCHEL, BERNHARD: Themen und Tendenzen in den Schlagzeilen der Kattowitzer Zeitung und des Oberschlesischen Kuriers 1925–1939. Analyse der Berichterstattung zur Lage der deutschen Minderheit in Ostoberschlesien, Münster 1993. HIMMEL, L.: Ostoberschlesien in der großen deutschen Sportgemeinde, in: Der Oberschlesische Wanderer, 17.12.1939. JEDURNY, GEORG: Herberger mit 26 Kursisten in Königshütte, in: Der Kicker – Fußball. Gemeinsame Kriegsausgabe, 2.5.1944.
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–: Nur zwei Meisterschaftsspiele in der Gauklasse, in: Oberschlesische Zeitung, 27.12.1944. –: Punktverluste der Tabellenführer, in: Oberschlesische Zeitung, 16.1.1945. JUREK, TOMASZ: Kultura fizyczna mniejszości niemieckiej w Polsce w latach 1918–1939 [Die Leibesübungen der deutschen Minderheit in Polen 1918–1939], Warszawa 2002. KACZMAREK, RYSZARD: Polacy w Wehrmachcie [Polen in der Wehrmacht], Kraków 2010. KNEIP, MATTHIAS: Die deutsche Sprache in Oberschlesien. Untersuchungen zur politischen Rolle der deutschen Sprache als Minderheitensprache in den Jahren 1921–1998, Dortmund 1999. LEMPART, MATTHIAS: Michał Grażyński – der schlesische Woiwode 1926–1939, in: KRZYSZTOF RUCHNIEWICZ (Hrsg.), Dzieje Śląska w XX w. w świetle badań młodych historyków z Polski, Czech i Niemiec [Die Geschichte Schlesiens im 20. Jahrhundert in den Forschungen junger Historiker aus Polen, Tschechien und Deutschland], Wrocław 1998, 114–121. MEERKAMP, HEINZ: Germania Königshütte, in: Der Kicker, 2.6.1942, 6. –: Königshütte, ein neuer Meister, in: Der Kicker, 3.3.1942, 2. OLESCH, REINHOLD: Die polnische Sprache in Oberschlesien und ihr Verhältnis zur deutschen Sprache, in: Vierteljahresschrift Schlesien 1 (1979), 14–24. PONCZEK, MIROSŁAW: Z przeszłości polskiej piłki nożnej na Górnym Śląsku (1943–1944) [Aus der Vergangenheit des Fußballs in Oberschlesien (1943–1944)], in: Studia Historyczne 38 (1995), Nr. 2, 253–265. REICHLING, GERHARD: Georg Joschke – Unternehmer – Politiker – Soldat, in: Oberschlesischer Kurier (Salzgitter), 24.7.1975. SORNIK, PAUL: Kameraden, Kameradinnen!, in: Verordnungsblatt. Nationalsozialistischer Reichsbund für Leibesübungen, Sportgau Oberschlesien, 1.10.1941, 1. SPAETHE, E.W.: 1. FC Kattowitz steigt auf, in: Der Kicker, 29.10.1940, 17. –: Alte Freunde sind wieder da, in: Der Kicker, 19.12.1939, 11. –: Ostoberschlesien will gegen Schalke spielen, in: Der Kicker, 23.1.1940, 4. TODUR, WOJCIECH: Oblężony stadion [Das belagerte Stadion], in: Gazeta Wyborcza, 28.9.2002. URBAN, THOMAS: Deutsche in Polen. Geschichte und Gegenwart einer Minderheit, München 1993. –: Der 1.FC Kattowitz als Modell für eine sich radikalisierende Minderheit, in: DIETHELM BLECKING/LORENZ PEIFFER/ROBERT TRABA (Hrsg.), Vom Konflikt zur Konkurrenz. Deutsch-polnisch-ukrainische Fußballgeschichte, Göttingen 2014, 58–70. WALOSZEK, JOACHIM: Inne spojrzenie [Eine andere Sicht], in: ANDRZEJ GOWARZEWSKI (Hrsg.), 75 lat PZPN [75 Jahre PZPN], Katowice 1994, 52–54. –: Sylwetka Ernesta Willimowskiego. Pokonany przez historię [Ein Porträt Ernst Willimowskis. Von der Geschichte besiegt], in: Gazeta Wyborcza, 3./4.1.1998. –: Pieroński haker [Ein oberschlesischer Hauer], in: Gazeta Wyborcza, 31.12.2003. WEHNER, WOLFGANG: Vier Jahre Gefängnis für Ursula Sonntag, in: Süddeutsche Zeitung, 30.11./1.12.1957.
Stefan Zwicker
„Gleichschaltung“ und Niedergang des deutschböhmischen Fußballs unter dem NS-Regime1 Die Fußballvereine der deutschen Bevölkerungsgruppe in den böhmischen Ländern bzw. der Tschechoslowakei hatten vor dem Ersten Weltkrieg und in der Zwischenkriegszeit auf nationaler und internationaler Ebene immer eine beachtliche Rolle gespielt. Manche von ihnen wie der Deutsche Fußballclub (DFC) Prag und der Teplitzer FK 03 zählten bisweilen zu den europäischen Spitzenklubs. Dies änderte sich radikal im Jahr 1938 nach dem Münchner Abkommen und dem „Anschluss“ der sudetendeutschen Gebiete an das Reich. Der bisher innerhalb der Tschechoslowakischen Fußballassoziation (Československá Asociace Footballová – ČsAF) bestehende Deutsche Fußballverband (DFV) wurde als Gau 18 in das „Fachamt Fußball“ des Deutschen Reichsbundes für Leibesübungen (DRL), ab Dezember 1938 Nationalsozialistischer Reichsbund für Leibesübungen (NSRL), übernommen. Das Berufsspielertum, das bei den führenden deutschen Klubs bestand, wurde ebenso untersagt wie der Spielverkehr mit tschechischen Vereinen, der eine wichtige Einnahmequelle dargestellt hatte. Monate lang lag der Spielbetreib brach, die besten einheimischen Spieler wurden von Teams aus dem „Altreich“ abgeworben. 1939 führte man im „Mustergau“ Sudetenland (ebenso bei den wenigen deutschen Vereinen im mittlerweile errichteten „Protektorat Böhmen und Mähren“) eine Maßnahme durch, die später auf das gesamte Reichsgebiet ausgedehnt werden sollte: die Auflösung der Vereine und ihr Zusammenschluss zu sogenannten Nationalsozialistischen Turngemeinden (NSTG). Der Beitrag will sich sowohl der Ebene der Funktionäre als auch den Spielern und dem Spielbetrieb widmen und Kontinuitäten (vor allem bei Verbandsfunktionären) und Umbrüche, die durch die „Gleichschaltung“ im deutschböhmischen Fußball nach 1938 entstanden, aufzeigen. Zum Verständnis des historischen Hintergrundes wird aber auch der Sport in der Zeit vor der NSHerrschaft betrachtet, insbesondere die Frage, unter welchen Umständen der Professionalismus funktionierte.
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Der Verfasser beschäftigt sich seit längerem mit der gesellschaftlichen Bedeutung des Fußballs im östlichen Mitteleuropa (dazu die bibliographischen Angaben im Literaturverzeichnis). Der vorliegende Aufsatz befasst sich mit dem in erster Linie sudetendeutschen Fußball vor und während der NS-Herrschaft. Zum tschechischen Fußball im „Protekorat Böhmen und Mähren“ und zum Fußball im Ghetto Theresienstadt vgl. unten Abschnitt 4 sowie ZWICKER, Fußball im Ghetto Theresienstadt.
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1. Der Professionalismus im deutsch-böhmischen Fußball vor 1938/39 Schon vor dem Ersten Weltkrieg gehörten die böhmischen Länder – damals Teil der österreichischen (cisleithanischen) Reichshälfte – zu den führenden Fußballregionen des Kontinents, wobei die besten Teams aus der Metropole Prag stammten, vor allem die tschechischen Klubs Slavia und Sparta sowie der deutsch-jüdisch geprägte Deutscher Fußball-Club (DFC) Prag. Durchaus erfolgreich war auch der Teplitzer FK 03 aus der nordböhmischen Badestadt TeplitzSchönau (Teplice-Šanov). Der Fußball war nach nationalen Kriterien organisiert, es gab ab 1901 den Tschechischen Fußballverband (Český svaz footballový – ČSF); manche deutsch-böhmische Klubs waren anfangs Mitglieder im Deutschen Fußball-Bund (DFB). Als Unterverband des Österreichischen Fußballverbandes (ÖFV) entstand 1911 der Deutsche Fußballverband in Böhmen.2 Anders als die Nachbarstaaten Deutschland, Österreich und Ungarn gehörte die neu entstandene Tschechoslowakei nach dem Ersten Weltkrieg offiziell zu den Siegermächten und hatte in den Jahren nach 1918 nicht wie die genannten Länder mit einer schweren Wirtschaftskrise zu kämpfen. Ihre stabile Währung lockte viele Fußballer aus den anderen, jetzt verarmten und von Inflation und Nachkriegsnot gebeutelten Fußballhochburgen Wien und Budapest, aber auch aus dem Deutschen Reich nach Prag sowie zu deutsch-böhmischen Provinzvereinen. Diese „Kaperei“ stieß im Inland (Tschechoslowakei) ebenso wie im Ausland auf teils massive Kritik3 und wurde von Karikaturisten humorvoll kommentiert (Abb. 1). So verstärkten zuerst vor allem Berliner Spieler den Teplitzer FK; ihnen folgten Ungarn, bei den meisten handelte es sich um aus der Slowakei stammende tschechoslowakische Staatsbürger, und der Wiener Star Lorenz „Lory“ Polster. Aber auch Tschechen wechselten nach Teplitz. Die wichtigste Verstärkung war zweifellos der Stürmer Karel Koželuh, der – heute schwer vorstellbar – nicht nur im Fußball, sondern auch im Eishockey und Tennis zur Weltspitze gehörte.4 De facto handelte sich bei dem Teplitzer Team und den anderen damaligen Spitzenteams der Republik, ob tschechisch oder deutsch, um Profimannschaften, auch wenn der Professionalismus in der Tschechoslowakei offiziell erst 1924 eingeführt wurde. Um dem verdeckten Profitum entgegen zu wirken, erließ der DFV „Amateur-Bestimmungen“, beispielsweise zu Weihnachten 1922:
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Ausführlich zum deutsch-böhmischen Fußball, wenn auch nicht geschichtswissenschaftlich ausgerichtet, KRÁL, Historie německé kopané; konzise zum deutsch-böhmischen Fußball vor 1914 ZWICKER, Aspekte der Memorialkultur, 387–389; zum TFK 03 DERS., 100 Jahre Spitzensport. Im „Allgemeinen Sportblatt“ war dies in den Jahren nach 1919 ein häufig angesprochenes Thema, so etwa in den ersten Monaten des Jahres 1921 in praktisch jeder Ausgabe; vgl. dazu auch den im Folgenden geschilderten Konflikt zwischen TFK und DFC sowie ZWICKER, 100 Jahre Spitzensport, 329. Zu Koželuh ZWICKER, 100 Jahre Spitzensport, 326f.; JEŘÁBEK, Český a československý fotbal, 99.
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Abb. 1: In der Zeit nach dem Ersten Weltkreig war die Tschechoslowakei ein „gelobtes Land“ für den Fußball und die Fußballspieler, Karikartur zur sogenannten Kaperei, in: Allgemeines Sportblatt, Nr. 5, 10.2.1921 (Repro: Archiv Stefan Zwicker, Wiesbaden).
„Wer Vorteile verlangt, verspricht, gewährt, entgegennimmt oder wissentlich deren Erlangung fördert, ist kein Amateur. Angedroht werden Sperren von einem Monat bis fünf Jahren, Ausschluß und Geldstrafen in nicht fixierter Höhe.“
Solche Anordnungen stießen oft auf spöttische Reaktionen. So beantwortete ein renommierter Sportjournalist diese „negative Definition“ wie folgt: „Eine positive Definition des Amateurs wäre: ‚Ein Amateur ist ein vorsintflutliches Wesen, das nur noch in Verbands-, Gau- und Bezirksvorstandsbeschlüßen sein Dasein fristet.‘“5
Zum Jahreswechsel 1920/21 absolvierte das multinationale Team aus Teplitz eine Gastspieltournee durch Norddeutschland. Das „Hamburger Fremdenblatt“ schrieb Anfang 1921 nach dessen Kantersiegen über die dortigen Spitzenteams
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Dieses Zitat und das vorhergehende Kraus-Brüx, Zum Kopfschütteln, in: Allgemeines Sportblatt, Nr. 44, 1.11.1923, 612. – Walter Kraus (verstorben 1948) musste 1938 wegen seiner jüdischen Herkunft mit seiner Familie nach England emigrieren.
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(9:1 über Werder Bremen, 10:1 über Holstein Kiel, 3:1 über den Hamburger SV und 10:0 gegen den VfB Lübeck):6 „Die Teplitzer Spieler kamen wie die ‚Neureichen‘. Sie hatten sich im Hotel umgezogen und kamen in ‚Taxis‘ zum Rothenbaum. Teplitz-Schönau muss eine reizende Stadt sein. Während des Spiels konnte man deutsche, tschechische und ungarische Zurufe, vermengt mit unverfälschtem Wiener und Berliner Dialekt hören. Dieses Völkergemisch spielte, man muß zugeben, einen ausgezeichneten Fußball, ohne ganz aus sich herauszugehen. Bleibt nur die eine Frage: ‚Wie sieht es mit dem Amateurismus aus?‘“7
Im Jahr 1922 reiste der Teplitzer FK als erster kontinentaleuropäischer Fußballverein über den Atlantik, wo er sehr erfolgreich gegen Teams aus Brasilien, Uruguay und Argentinien spielte. Nach der Rückkehr aus Südamerika brach die Mannschaft auseinander, die Spieler gerieten wegen der Aufteilung der Erlöse, die auf der Tournee erzielt worden waren, mit der Klubführung in Streit. Die meisten Spieler verließen den TFK, viele zum DFC Prag.8 Die beiden großen Rivalen im deutsch-böhmischen Fußball, DFC und TFK, fochten ihre Kämpfe nicht nur auf dem Platz, sondern auch publizistisch aus. So wurde im Februar 1921 im „Allgemeinen Sportblatt“, der führenden deutschsprachigen Sportzeitschrift in der ČSR, eine Kontroverse ausgetragen, in der es nicht um Professionalismus ging – was auch absurd gewesen wäre, da beide Klubs ihre Spieler bezahlten, – sondern um das auch heute viel beschworene „Söldnertum“. Ein Vertreter des TFK klagte, dass die damalige, so erfolgreiche „Koželuh-Mannschaft“ zusammengekauft sei. Der DFC habe Erfolge nie mit „eigenem Material“ erreicht, selbst die „alten Kämpen“ seien kein „Eigenbau“. Nach dem Krieg habe der TFK versucht, eine „bodenständige“ Mannschaft aufzubauen, der DFC dagegen wieder auf auswärtige Spieler gebaut, 38 Spieler seien in der Saison 1920/21 in der DFC-Ligamannschaft gestanden, darunter Söldner aus Hamburg, Wien, Ungarn, Pilsen und England. Der TFK sei gezwungen gewesen, mit dieser Entwicklung mitzuhalten. Schließlich erhob der Verfasser Verschwörungsvorwürfe gegen den bekannten Journalisten Siegfried RaabeJenkins vom „Prager Tagblatt“,9 weil dieser angeblich einseitig Partei für den DFC nehme, und verkündete: „Wenn der D.F.C seine Ausländer entlässt und 6 7
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Spielberichte dazu: Allgemeines Sportblatt, Nr. 1, 6.1.1921, 1f. (M.E.J., Von der Deutschlandreise des Teplitzer F.K. 1903), 6; Nr. 2., 13.1.1921, 10. Hamburger Fremdenblatt, 4.1.1921, hier zit. nach BayHStA, SdA, Bestand Kameradschaft des sudetendeutschen Fußballverbandes, Karton 31: Nordostgaubriefe, Nr. 66, September 1963, 6. Jubiläums-Festschrift des Teplitzer Fußballklubs 1903, 20–30; KRÁL, Historie německé kopané, 255; ZWICKER, 100 Jahre Spitzensport, 328f. Siegfried Raabe-Jenkins (eigentlich Rosenbaum, geboren 1860, Todesjahr unbekannt) war langjähriger Redakteur des „Prager Tagblatts“. Er hatte nach einem Englandaufenthalt zu den Ersten gehört, die in Prag vor der Jahrhundertwende den Fußball propagierten. Ihm wird die grundlegende Regel für eine gute Anekdote zugeschrieben: „Wahr is egal – gut muß sie sein“ (TORBERG, Die Erben, 215); vgl. ZWICKER, Allerlei Pioniere, 239.
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eine bodenständige Mannschaft aufstellt, so wird ihm der T.F.K. jedenfalls auch hierin nachfolgen.“10 Der DFC-Vorsitzende Dr. Franz Hufnagl, ein hoher Beamter des Justizministeriums und somit typischer Vertreter des DFC, der immer ein Klub der „besseren Kreise“ war, entgegnete kühl: Ziel des Vereins sei es, „im internationalen Wettbewerb ehrenvoll zu bestehen“ und nicht die Rivalität zum TFK zu pflegen.11 Der de facto bei vielen Teams seit 1919/20 bestehende, weitgehend ungeregelte Professionalismus wurde 1924 institutionalisiert und reguliert, funktionierte jedoch nie reibungslos.12 Den dominierenden Klubs Sparta und Slavia wurde immer wieder vorgeworfen, ihre finanzielle Übermacht auszunutzen und vor allem junge Spieler wahllos aufzukaufen, um ihre führenden Positionen zu sichern. Kleinere Klubs beschwerten sich über die mit der neuen Regelung verbundenen Abgaben und Steuern und kehrten teilweise zum (Schein-)Amateurismus zurück. Im Prinzip waren die Verhältnisse im tschechoslowakischen Fußball dem in Österreich vergleichbar, wobei sich der Spitzenfußball auf die böhmischen Länder konzentrierte, die Slowakei und die Karpatho-Ukraine waren von geringer Bedeutung. Wie in Wien konnten in Prag mit Sparta und Slavia nur wenige Großklubs wirklich profitabel wirtschaften, was nicht zuletzt auch in den aus dem Mitropa-Cup erzielten Einnahmen begründet war. Auch unterhalb des offiziellen Professionalfußballs offerierten kleinere Vereine bei der Anwerbung von Spielern lukrative Teilzeitstellen, die gar nicht selten in Sportmagazinen ausgeschrieben wurden. Typisch für dieses Modell des Scheinamateurismus sind Anzeigen wie diese, die ein deutsch-böhmischer Verein geschaltet hat: „Chauffeur, guter Fahrer, seriöser, nüchterner Mensch, womöglich etwas tschechische Sprachkenntnisse, Bedingung erstklassiger Fußballer (Stürmer), für bekannten erstklassigen Verein gesucht.“13
Als Ende 1924 der Professionalismus offiziell eingeführt worden war, bestanden die Teams häufig nicht nur aus Profis. So hatte der TFK lediglich fünf Berufsspieler gemeldet, die Prager Slavia deren 15, Sparta und DFC jeweils 13.14 Als zum Jahresbeginn 1925 unter der Leitung der ČsAF mit der „Asociační liga“ 10
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Dieses Zitat und die vorherigen Zitate: E.F., Wie unsere Sportfachleute arbeiten, in: Allgemeines Sportblatt, Nr. 2, 13.1.1921, 11; vgl. auch ZWICKER, 100 Jahre Spitzensport, 330. Allgemeines Sportblatt, Nr. 3, 20.1.1921, 22. Die Frage, ob der Professionalismus im Fußball zulässig sei, fand damals sogar Widerhall in der Belletristik. In Eduard Bass’ Erzählung „Klapperzahns Wunderelf“ von 1922, einer Mischung aus Jugendbuch, Sportroman, Märchen und Zeitsatire, beendet die aus Brüdern bestehende Wundermannschaft ihre Karriere, weil die Burschen keine Profis sein wollen (BASS, Klapperzahns Wunderelf, 61–74). – Über Fußball als Sujet angesehener Autoren der tschechischen Literatur bereits der 1920er Jahre ZWICKER, Fußball in der deutschen und tschechischen Gesellschaft, 262–267; DERS., Männer, manchmal im Abseits, 100–103. Allgemeines Sportblatt, Nr. 2, 11.1.1933, 19. PETRŮ, Dějiny československé kopané, 585.
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(Assoziationsliga) der Versuch unternommen wurde, eine verbandsübergreifende Profiliga zu etablieren, nahmen sowohl der Prager DFC als auch der TFK teil. In der zehn Vereine umfassenden ersten Liga spielte allerdings nur der DFC, während der TFK in der aus sechs Vereinen bestehenden zweiten Liga, in der darüber hinaus die deutschen Vereine Karlsbader FK und DSK Brüx aufliefen, antrat. Jedoch scheiterte das Konzept, die deutschen Vereine zu integrieren, nach einem halben Jahr am Widerstand des mächtigen tschechischen Mittelgaus des ČsSF unter Obmann Josef Fanta, was jedoch weniger national-ideologische, als finanzielle Gründe hatte. Denn der mittelböhmische Gau (středočeská župa) des ČsSF forderte, der Ligabetrieb sollte nicht von der ČSAF, also der gesamtstaatlichen Assoziation, sondern vom national-tschechischen Fußballbund ČsSF ausgerichtet werden. Neben der daraus resultierenden Einbuße an Prestige beklagte der svaz, der tschechische Verband, auch den Verlust einer auf jeder verkauften Eintrittskarte erhobenen Gebühr.15 So gab es in den Spielzeiten 1925/26 und 1927/28 eine aus lediglich drei Teams bestehende Profi-„Liga“ des DFV, die der DFC Prag jeweils vor dem Teplitzer FK und dem Karlsbader FK gewann. Da sich der KFK 1928 aus dieser Liga für Professionalfußball ebenso zurückzog wie der DFC im Jahr darauf, endete diese Kleinstliga. Gleichwohl wurden die Spieler auch weiterhin entlohnt. Der TFK nahm von 1927 bis 1929 an keinem regulären, in einer Liga ausgetragenen Meisterschaftswettbewerb teil. Wichtiger waren innerstaatliche und internationale Freundschaftsspiele, aus deren Erlösen die Vereinsbudgets hauptsächlich bestritten wurden.16 Dass die deutsch-böhmischen Profiklubs lukrative Verdienstmöglichkeiten boten, zeigen prominente Spieler, die vor allem aus Österreich, genauer gesagt aus Wien, verpflichtet wurden. Ein bekanntes Beispiel ist Adolf Patek, der nach dem Zweiten Weltkrieg als Trainer unter anderem bei Eintracht Frankfurt und dem FC Bayern München gearbeitet hat. Patek spielte lange Jahre beim DFC Prag, unterbrochen durch ein Engagement bei Sparta, mit der er 1927 Mitropacupsieger und mehrfach Meister wurde.17 Karl Kanhäuser, Nationalspieler des Wiener SC, wurde 1925 vom DFC als Mittelstürmer für die neue Profiliga verpflichtet. Er blieb in Prag und lief noch im Jahr 1931 für die Tschechoslowakei auf.18 Ein weiterer Wiener war der Torjäger und österreichische Nationalspieler 15 16 17
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Ebd., 590. Die Bezeichnung ČsSF (tschechoslowakischer Fußballverband) gab es, weil nach offizieller Lesart Tschechen und Slowaken eine einzige Nation bilden sollten. KRÁL, Historie německé kopané, 63–69; ZWICKER, 100 Jahre Spitzensport, 331. – Zu den damaligen Vereinsbudgets JELÍNEK/JENŠÍK, Atlas, 21. Unsere Toten, in: BayHStA, SdA, Bestand Kameradschaft, Karton 34: Nordostgaubriefe, Nr. 177, Oktober 1982, 3. – Patek war darüber hinaus unter anderem Nationaltrainer in Luxemburg, bei Vereinen in der Schweiz und 1966 beim jüdischen Klub Maccabi Frankfurt. Dazu http://www.eintracht-archiv.de/patek.html (Zugriff am 3.12.2015). Kanhäuser, ebenso wie Patek Jahrgang 1900, war über ein Jahrzehnt für den DFC aktiv. Für die NSTG Prag lief er noch während des Krieges auf, gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wurde er eingezogen und aus Jugoslawien als vermisst gemeldet; Gespräch des Verfassers mit seinem Sohn, Ing. Rolf Kanhäuser, Wien, Dezember 2010.
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Otto Haftl, der beim DFC und TFK unter Vertrag stand, vor der Saison 1929/30 zu Sparta wechselte, dort aber wegen des Überangebots an guten Spielern kaum zum Einsatz kam und wieder zum TFK zurückkehrte. Karl Sesta, als Verteidiger eine Stütze des „Wunderteams“ unter Hugo Meisl, spielte 1927/28 ebenfalls in Teplitz.19 Als reichsdeutscher Nationalspieler, wenn auch nur mit einem Einsatz, sei Richard Hanke aus Breslau genannt, der 1935/36 beim DSV Saaz, der einzigen Saison dieses Clubs in der Profiliga, spielte, um sodann nach Frankreich zu wechseln.20 1929 entstand mit der Neugründung einer Assoziationsliga ein verbandsübergreifender Wettbewerb für Professionalfußball, der jedoch länger Bestand hatte als der Vorgänger und nach einer Reform im Jahr 1934 als „Státni liga“ (Staaatsliga) firmierte. Nun wurden zum ersten Mal die Profiliga und die „Amateur“Ligen unmittelbar miteinander verzahnt. Ebenfalls in diesem Jahr wurde im DFV die „Division“ als Spielklasse unterhalb der Profiliga für die gesamten böhmischen Länder eingeführt und in zwei regionale Gruppen eingeteilt. Zum Einsatz kamen offiziell „bezahlte Spieler“, die ebenso offiziell als „Amateure“ galten.21 Das Vertragssystem im damaligen tschechoslowakischen Fußball, vor allem seine tatsächliche Umsetzung, war relativ undurchsichtig. Die durchschnittlichen Zahlungen an die Spieler (auch in der erstklassigen Profiliga, abgesehen von den Prager Spitzenmannschaften Sparta und Slavia) waren, vergleichbar mit der Situation in Österreich, nicht allzu hoch. Die Stellung der „bezahlten Amateure“ ist wohl, wenn überhaupt, am ehesten mit dem noch dem Zweiten Weltkrieg in Westdeutschland praktizierten System der „Vertragsspieler“ vergleichbar. Problematisch war dazu die von politisch rechts eingestellten Funktionären gern plakativ vorgetragene Ablehnung des Professionalismus,22 dass der „reine Amateurgedanke“ im sudetendeutschen Fußball „wieder Einzug“ halten möge. Die sozialistischen Arbeitersportler, die im stark industrialisierten Sudetenland eine wichtige Rolle spielten, lehnten den Professionalismus noch vehementer ab. Da sie Breiten- und kaum Leistungssport betrieben, sind sie für die vorliegende Thematik kaum relevant. Von den deutschen Teams war der Teplitzer FK, der von Beginn an in der Assoziationsliga spielte, am erfolgreichsten. Zwar war der Meistertitel, den ohnehin Sparta und Slavia unter sich ausmachten, außer Reichweite, aber durch einen vierten Platz qualifizierte sich der Club 1934 für den Mitropa-Pokalwettbewerb, aus dem er gegen Juventus Turin in der ersten Runde unglücklich ausschied. Weitere Vereine des DFV, die in der Profiliga spielten, waren der Prager DFC ab 19 20 21
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Vgl. ZWICKER, 100 Jahre Spitzensport, 331, 335. Zu Hanke BITTER, Deutschlands Fußballnationalspieler, 163; zu Sesta ebd., 456f. HORÁK/KRÁL, Encyklopedie našeho fotbalu, 87; KRÁL, Historie německé kopané, 77f. In den Divisionen (auch den tschechischen) spielten in den Teams meist 4 bis 5 Profis, die nicht sehr hoch entlohnt wurden, der Mindestlohn war die relativ geringe Summe von 200 Kč (Kronen) der Rest waren „Amateure“ (Hinweis von Mićoslav Jenšik, Prag). Dazu exemplarisch das Schwadronieren des Prager Architekten und DFV-Funktionärs Reinhold Beichel in: HANELY, Deutsches Sporthandbuch, 42.
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1932 und der DSV Saaz ab 1935. Als 1936 eine zeitweise Aufstockung der Liga auf 14 Teams zurückgenommen wurde und es vier (statt wie sonst zwei) Absteiger gab, gehörten neben dem Tabellenletzten aus Saaz auch die beiden Traditionsklubs DFC und TFK zu den Verlierern der Reform.23 Die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre, die auch die Tschechoslowakei und hier wegen ihrer Wirtschaftsstruktur besonders die Siedlungsgebiete der deutschsprachigen Bevölkerungsgruppe traf, führte bei Profivereinen zu schweren Problemen; einige gingen bankrott. Darüber hinaus wurde der Professionalismus auf deutscher Seite als „jüdische Geschäftemacherei“ denunziert.24 Dabei machte sich der zunehmende Einfluss der Sudetendeutschen Partei (SdP) bemerkbar, bei deren zumindest nominellem „Führer“ Konrad Henlein es sich um den ehemaligen Verbandsturnwart des Deutschen Turnverbandes (DTV) handelte.25 In dieser Zeit sich verschärfender politischer Spannungen – im März der „Anschluss“ Österreichs, im Mai 1938 die Teilmobilmachung der tschechoslowakischen Streitkräfte als Reaktion auf die immer weiter gehenden Forderungen der NS-Regierung und der von ihr instrumentalisierten SdP – sind auch im Fußball verstärkt nationalistische Äußerungen zu vernehmen. Im Sudetenland wurde der Profifußball nach dem Münchner Abkommen 1938 abgeschafft. Offiziell geschah dies auch bei den tschechischen Teams im „Protektorat“ nach 1939, tatsächlich jedoch blieben dort auch während des Zweiten Weltkriegs die Strukturen weitgehend erhalten.26 Zu dieser Zeit waren einige „Werksklubs“ in den Wettbewerben vertreten, auf sudetendeutscher Seite der Warnsdorfer WFK aus Nordböhmen, der großenteils von der Strumpffabrik Kunert finanziert wurde und 1939 einen kurzlebigen Aufschwung erlebte, nachdem der FK den Konkurrenten zahlreiche Spieler abgeworben hatte. Auf Seiten der Tschechen spielten Teams aus den mährischen Städten Proßnitz und Olmütz: der SK Rolný Prostějov, gefördert vom gleichnamigen Textilkonzern Rolný, und der SK ASO Olomouc, der von der Kaufhauskette ASO gesponsert wurde. Die Profimannschaft des SK Bat’a Zlín wurde von dem gleichnamigen Schuhkonzern, der als erster in Mitteleuropa die Schuhproduktion in einem hohen Maß industrialisiert hatte, unterhalten.27
23 24 25 26
27
Vgl. HORÁK/KRÁL, Encyklopedie našeho fotbalu, 72–92. Vgl. OSWALD, „Ein Gift“, 165–169; ZWICKER, 100 Jahre Spitzensport, 342. Das Standardwerk zum DTV ist noch immer LUH, Turnverband; zum DTV unter Henleins Ägide ebd. 161–230. Dazu auch TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 242–244. Tschechische Profis wurden mit Scheinarbeitsverträgen ausgestattet, auch um sie vor der Verpflichtung zum „Arbeitseinsatz“ im Reich zu schützen. – Dazu ZWICKER, Josef „Pepi“ Bican, 124. Vgl. ZWICKER, 100 Jahre Spitzensport, 336f. – Der Bat’a-Sportklub war trotz seiner Lage in der mährischen Provinz der größte in der gesamten Republik (Allgemeines Sportblatt, Nr. 21, 21.5.1935, 417), da die Konzernmitarbeiter verpflichtet waren, Sport zu treiben, Fußball war dabei am populärsten. Der erfolgreichste Betriebssportler war aber ein Langstreckenläufer, der viermalige Olympiasieger Emil Zátopek (1922–2000).
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2. Die Zerschlagung des sudetendeutschen Profifußballs Wie zuvor in der „Ostmark“ wurde auch im Sudetenland der Profifußball abgeschafft. Doch im Gegensatz zu Wien, wo bis in die 1950er Jahre der gesamte österreichische Spitzenfußball konzentriert war und die Strukturen weitgehend erhalten geblieben sind,28 wurden die deutschen Klubs in den böhmischen Ländern vollständig zerschlagen. Ebenfalls im Unterschied zu Wien, wo populäre Spieler wie Karl Sesta und Mathias Sindelar von „Arisierungen“ profitierten, sind derartige Fälle im Sudentenland bisher nicht bekannt.29 Obwohl der Professionalismus maßgeblich zum Erfolg des Fußballs in der Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit beigetragen hatte, bot er eine Angriffsfläche für jene, die aus „nationalen“, politischen oder ideologischen Gründen Vorbehalte gegen einen „modernen“ und „kommerziellen“ Sportbetrieb pflegten. Schließlich hatte der Professionalismus die Schranken innerhalb der nach ethnischen Grundlagen organisierten Unterverbände teilweise überwinden helfen. Die Vorbehalte sollten sich 1937/38 auf sudetendeutscher Seite verstärken. Die Jubiläumsfeierlichkeiten zum 25-jährigen Bestehen des DFV, die im September 1936 in Gablonz (Jablonec nad Nisou) unter Beteiligung hochrangiger Vertreter von ČsAF und DFB begangen wurden, hatten noch ganz im Zeichen der Verständigung gestanden. Dabei wurde die Rolle des „Sports als Brückenbauer zwischen den Völkern“ betont.30 Noch im Februar 1938 appellierte der DFV-Vorsitzende Josef Friedl „an alle Vereinsfunktionäre“, ihre Aufgabe sportlich, nicht politisch oder gar völkisch aufzufassen.31 Doch bereits Ende April 1938 wurde der Beitritt des DFV in den von Henleins DTV dominierten „Erziehungsverband der sudetendeutschen Volksgruppe“ als „Bekenntnis zur sudetendeutschen Volksgemeinschaft“ charakterisiert. Als einziger größerer Klub erklärte der DFC Prag im Juni durch seinen Obmann Ernst Steiner, dass er sich dem völkischen Gedanken und den nationalsozialistischen Ideen nicht anschließen könne, aber unter allen Umständen ein deutscher Verein bleiben wolle.32 Relativ spät, im August 1938, über ein Jahr nachdem die meisten anderen deutschen Sportverbände in der ČSR die sogenannte „reinliche Scheidung“33 aufgehoben hatten, trat der DFV dem Sudetendeutschen Bund für Leibesübungen bei, der den Professionalismus und die Mitgliedschaft von Juden und Tschechen in deutschen Vereinen strikt ablehnte.34 Auffallend ist die ab März 1938 zeitgleich mit einer Verschärfung des Kurses des NS-Regimes gegenüber der Tschechoslowakei einsetzende Politisierung und 28 29
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Dazu die Beiträge in FORSTER/SPITALER/ROSENBERG, Fußball. Dazu FORSTER, Opfer Österreich?, 112f.; DERS., Café Sindelar; MARSCHIK, Überlegungen, 40–44. Allerdings ist die Quellenlage zum Wiener Fußball deutlich besser als die zum Sudetenland. KANTOR, Geschichte, 90–95. Friedl, An alle Vereinsfunktionäre, in: Allgemeines Sportblatt, Nr. 6, 8.2.1938, 97. Allgemeines Sportblatt, Nr. 25, 21.6 1938, 462. Dazu BECKER, Reinliche Scheidung. Allgemeines Sportblatt, Nr. 36, 6.9.1938, 658f.; LUH, Turnverband, 368.
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Nationalisierung der deutschen Sportpresse. Am 28. März hatte Hitler die SdPFührer Henlein und Karl Hermann Frank angewiesen, „unerfüllbare Forderungen zu stellen“.35 Parallel dazu schwadronierte das führende „Allgemeine Sportblatt“, das sich bislang jeden Kommentars zu Politik oder Angriffen auf die Republik enthalten hatte, über „Sport und Volkstum“ bzw. „Kampfgemeinschaft“36 oder die „Rassenfrage und Sport“.37 Dabei tat sich insbesondere der Funktionär Heinrich Dreyer hervor. Immer häufiger wurde die Forderung erhoben, die erst vor wenigen Jahren geschaffene DFV-Division abzuschaffen, die nun als Auswuchs des Berufssports geradezu dämonisiert wurde (Abb. 2). Somit markiert die Saison 1938/39 unter deutscher Herrschaft eine Rückkehr zu kleinteiligen Gaumeisterschaften.38 Jedoch war der Spielverkehr zunächst unterbrochen. Erst nach dem Münchner Abkommen Ende September 1938 und der „Heimkehr in Reich“ wurde im November wieder ein offizielles Spiel mit sudetendeutscher Beteiligung ausgetragen, und zwar zwischen den Gauauswahlen Sachsen und Sudetenland in Chemnitz.39 In der Zwischenzeit war der Profifußball abgeschafft worden und der Zerfall des sudetendeutschen Fußballs nahm seinen Lauf. Die beiden damals größten Stars, Heinrich „Heiner“ Schaffer und Heiner Kugler vom Teplitzer FK, im März 1938 noch tschechoslowakische Nationalspieler, wechselten zum Dresdner SC, wo sie im Sturm gemeinsam mit dem späteren Bundestrainer Helmut Schön spielten und an den großen Erfolgen dieses Vereins in der Kriegszeit teilhatten. Ihrem Beispiel folgten weitere Spieler, der TFK verlor nach dem Ende des Profifußballs seine besten Spieler, neben Kugler und Schaffer Torwart Ehrenfried Patzl, der zum SV Jena wechselte, fünf Spieler wanderten zum Warnsdorfer FK ab (Wilhelm Nahlovsky, Herbert Pechan, Franz Richter, Franz Putz und Willy Mizera) und Martin Watzata zog es nach Aussig (Ústi nad Labem).40 Der TFK litt darüber hinaus unter dem Verlust jüdischer Funktionäre und Förderer.41 Teplitz-Schönau hatte vor 1938 den höchsten jüdischen Bevölke35
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ČAPKA, Dějiny zemí koruny české v datech, 675f., verweist auf die Reichstagsrede Hitlers vom 20. Februar 1938, in der er verkündete, dass er die „zehn Millionen Deutschen“ im Ausland (Österreich und der Tschechoslowakei) „befreien“ wolle. Allgemeines Sportblatt, Nr. 14, 5.4.1938, 248; ebd., Nr. 16, 19.4.1938, 290. Im weiteren Verlauf des Jahres wurden Dreyers Elaborate noch radikaler. Allgemeines Sportblatt, Nr. 23, 7.6.1938, 424. Von der Division zur Gauliga, in: Der Kicker, Nr. 42, 6.10.1938, 31. – Diese Gauligen waren analog zu den vier Gauen des DFV gebildet und insofern noch auf kleinere Gebiete zugeschnitten als die 16 Gauligen im „Altreich“. – Dazu KRÁL, Historie německé kopané, 97f. Vgl. ZWICKER, 100 Jahre Spitzensport, 341. Der Kicker Nr. 44, 1.11.1938, 33; Teplitz-Schönauer Anzeiger, Nr. 1, 2.1939, 5; ZWICKER, 100 Jahre Spitzensport, 341f. – Auch Verteidiger Pechan wechselte 1939 von Warnsdorf zum DSC und wurde 1943 Deutscher Meister. Er fiel als Wehrmachtssoldat 1944. – Vgl. www.weltfussball.de/spieler_profil/herbert-pechan (Zugriff am 1.12.2015); KRÄMER, An Tagen, 195. Zum Ausschluss der Juden aus den Turn- und Sportvereinen im „Protektorat“ TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 244f.
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Abb. 2: Dämonisierung des Professionalfußballs, Karikatur „Veränderungen“ zur Auflösung der Division in: Allgemeines Sportblatt, Nr. 29, 19.7.1938 (Repro: Archiv Stefan Zwicker, Wiesbaden).
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rungsanteil in Mitteleuropa. Ein langjähriger führender Funktionär war Siegfried Stransky, der schon 1914 zum Ehrenmitglied ernannt worden war. Seine Familie besaß das erste und damals einzige moderne Warenhaus in Teplitz, sie musste 1938 emigrieren, das Kaufhaus wurde „arisiert“.42 Im Herbst 1938 wurde dem Fachamt Fußball im Deutschen Reichsbund für Leibesübungen der Sportgau 18 (Sudetenland) ebenso angegliedert, wie nach dem Einmarsch in die „Rest-Tschechei“ im März 1939 das Protektoratsgebiet, das ab 1943 den Sportgau 19 (Böhmen und Mähren) bildete.43 Auf der Funktionärsebene gab es dagegen eine klare personelle Kontinuität. Der bisherige Obmann des DFV, Josef Friedl aus Karlsbad (Karlovy Vary),44 wurde Gaufachwart des Gaues 18, im „Protektorat“ war der führende Funktionär das „langjährige Vorstandsmitglied des DFV, Rudolf Kantor“ aus Mährisch-Ostrau (Moravská Ostrava). Auch andere hohe Funkionärsposten blieben bei den bisherigen Amtsinhabern.45 Die Abwanderungswelle der besten sudetendeutschen Spieler ins „Altreich“ stieß natürlich auf Missfallen. So übte der Gaufachwart Friedl Druck auf die Vereine aus, die Spieler zurückzuholen. Als dies scheiterte, intervenierte Friedl beim Reichsfachamt Fußball, den Spielern für die neuen Vereine keine Spielgenehmigung zu erteilen. Aber trotz der vom Geschäftsführer des Reichsfachamts Georg Xandry versprochenen Unterstützung hatte auch diese Initiative letztlich keinen Erfolg. Eine solche „Übertrittssperre“ wurde am 1. November 1938 zwar erlassen,46 aber am 1. Januar 1939 wieder aufgehoben. Die Fachzeitschrift „Der Kicker“ konstatierte lakonisch, das Sudetenland werde „eine weitere Anzahl tüchtige Spieler verlieren“.47 Trotz der offiziellen Abschaffung des Professionalismus wurde der Amateurismus weder überall noch konsequent durchgesetzt. So holte der Strumpffabrikant Julius Kunert eine große Zahl bisheriger Profis zu dem von ihm geförderten Warnsdorfer FK, der unter den Bedingungen eines ausgesprochenen Scheinamateurismus zu einem kurzfristigen Höhenflug ansetzte.48
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Vgl. OSTERLOH, Nationalsozialistische Judenverfolgung, 55f.; ZWICKER, 100 Jahre Spitzensport, 319. Zur Sportpolitik des NS-Regimes im „Protektorat“ TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 217–250. BayHStA, SdA, Bestand Kameradschaft, Karton 7: Ehrenalbum der Kameradschaft: Josef Friedl (1896–1975). – Friedl war 1910–1930 aktiv bei DSV Sparta Karlsbad (dieser Klub war nach dem „Volkssport-Prozess“ von 1932, der sich gegen eine paramilitärische sudetendeutsche Organisation gerichtet hatte, zeitweilig verboten), ab 1920 Funktionär im DFV, ab 22. Januar 1937 dessen erster Obmann, von Oktober 1938 bis April 1945 Fußballgaufachwart des NSRL-Gaues 18, nach 1945 18 Monate in der ČSR interniert. Vgl. KANTOR, Geschichte, 105; ZWICKER, Fußball in den böhmischen Ländern, 225f. Der Kicker, Nr. 46, 15.11.1938, 30. Der Kicker, Nr. 1, 3.1.1939, 22. Warnsdorfer Steckbrief, in: Der Kicker, Nr. 13, 28.3.1939, 31; zusammenfassend dazu ZWICKER, 100 Jahre Spitzensport, 341f.
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Die Abschaffung des Profitums wurde in der Presse propagandistisch begründet. So wurde etwa Heiner Kugler in einem im Oktober 1938 publizierten Hetzartikel in „Der Kicker“ dahingehend zitiert, die Bedingungen für Vertragsspieler seien „alle im jüdischen Geschäftsstil abgefasst“ gewesen. Kuglers Ausfälle gegen den TFK, zu dem er von seinem Heimatverein Sportbrüder Eger nach dem Tod seiner Eltern angeblich aus Not gewechselt sei, müssen vor dem Hintergrund seines zu jener Zeit angestrebten Wechsels nach Dresden gesehen werden. Selbstverständlich war dieser Vereinswechsel in materiellen Motiven begründet und ob die Zitate wirklich von Kugler stammten, sei dahingestellt.49 Eine Zeitlang war jedoch unklar, ob die traditionellen Vereinsstrukturen erhalten bleiben und die Meisterschaft in der geplanten Form ausgespielt würde. Der Wettbewerb hieß nun nicht mehr Meisterschaft des DFV, sondern des Sudetengaues, er wurde im November 1938 in den einzelnen Gauligen begonnen, dann aber unterbrochen50 und im Februar 1939, auch wegen des harten Winters, im Pokalsystem ausgetragen. Es war sozusagen der Schwanengesang der alten Vereine.51 Bezeichnend für die seltsamen Zustände im sudetendeutschen Fußball war das Meisterschaftsendspiel in der „Gauhauptstadt“ Reichenberg (Liberec) am 26. März 1939, elf Tage nach dem Einmarsch der Wehrmacht in die „RestTschechei“. Hier schlug der Warnsdorfer FK den Teplitzer FK souverän mit 4:0. Der Erfolg war nicht zuletzt auch in der Mitwirkung von fünf ehemaligen TFKSpielern begründet; vier von ihnen hatten ein halbes Jahr zuvor noch in Teplitz gespielt. Zudem erwies sich der Platz als kaum bespielbar, da er mit schwerem, tauendem Schnee bedeckt war, sodass die Warnsdorfer Mannschaft mit ihren jüngeren Spielern im Vorteil war. Bei der Pokalübergabe an die Sieger wurden Misstöne laut. So griff ein Teplitzer Spieler den Gaufachwart Friedl verbal massiv an. Dieses Match war das letzte Meisterschaftsspiel der traditionellen Vereine. Hatte man kurz zuvor noch spekuliert, welche der zwölf alten Vereine die neue Gauliga des Gaues 18 bilden sollten, wurden die Fußballklubs ebenso wie alle anderen deutschen Turn- und Sportvereine in den böhmischen Ländern nach der NS-Besatzung „gleichgeschaltet“ und zu sogenannten NSTG zusammengeschlossen. Diese Fusionen wurde nach dem Ende des Titelkampfes forciert und im Sommer beendet. „Der Kicker“ berichtete darüber unter Berufung auf die „Vorfälle“ beim Reichenberger Endspiel und gab einen Ausblick auf die Maßnahmen, die alsbald im ganzen „Großdeutschen Reich“ durchgesetzt werden sollten: „Im Zuge der Neuordnung der deutschen Leibeserziehung werden seine Vereine gelöscht und in die örtlichen NS-Sportgemeinden eingegliedert. Dem Warnsdorfer FK als Meister wird diese Verfügung als erstem zugestellt werden. [...] Der 49
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Franz Liebisch, Rätselraten um die kommende Meisterschaft. Schattenseiten des ehemaligen sudetendeutschen Profitums, in: Der Kicker, Nr. 43, 25.10.1938, 29; dazu OSWALD, „Ein Gift“, 166; ZWICKER, 100 Jahre Spitzensport, 342. Der Kicker, Nr. 43, 25.10.1938, 29; Was wird aus unserer Meisterschaft?, in: TeplitzSchönauer Anzeiger, Nr. 35, 26.1.1939, 9. Beginn der Sudetenmeisterschaft, in: Teplitz-Schönauer Anzeiger, Nr. 43, 13.2.1939, 6.
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Sudetengau steht am Anfang der Entwicklung, die schließlich auf ganz Großdeutschland seine Anwendung finden wird.“
Es sei „oberste Pflicht[,] Disziplin zu halten. [...] Das mögen alle bedenken, die zum sudetendeutschen Fußball stehen.“52 Die „Gleichschaltung“ aller deutschen Sport- und Turnvereine im Sudetenland und ihr Zusammenschluss an einem Ort zu jeweils einer NSTG wurde im Protektorat im Jahr 1939, sodann in Elsass-Lothringen und teilweise auch in den nach dem Überfall auf Polen ins Reich „eingegliederten“ Gebieten durchgeführt. Sie war auch im übrigen Reichsgebiet geplant, wurde aber dort, ebenso wie in der „Ostmark“ wegen der zu erwartenden massiven Ablehnung seitens der Vereine nur in Ansätzen durchgeführt.53 Nach dem Willen von Gauleiter Henlein sollte das Sudetengebiet auch in dieser Hinsicht einen „Mustergau“ darstellen. Man bediente sich dabei der Institution des „Stillhaltekommissars für Organisationen“ (STIKO), dessen Aufgabe es war, „dafür zu sorgen, daß sämtliche Organisationen nationalsozialistisch ausgerichtet und geführt werden“. Diese Politik betraf nicht nur die in der Vergangenheit von den Turnern in „nationaler“ Hinsicht als indifferent gescholtenen Fußballer, sondern auch den DTV und seine Mitgliedsvereine, die zu Henleins unheilvoller „Bewegung“ Beträchtliches beigetragen hatten. Die Kulturvereine der im Sudetenland verbliebenen tschechischen Minderheit wurden einschließlich der Sportvereine – im Gegensatz zum „Protektorat“ – durch den STIKO fast vollständig aufgelöst.54 Der sudetendeutsche Fußball war nunmehr „gleichgeschaltet“. Die Presse fantasierte, offiziellen Vorgaben folgend, vom bevorstehenden Aufblühen des einheimischen Fußballs, der nun nicht mehr unter der angeblichen Unterdrückung früherer Jahre zu leiden habe: „Schwierigkeiten [...,] zum Großteil mit Absicht in den Weg gelegt, haben unsere Fußballer stets brutal zurückgedrängt. Aber auch das hat sich 3300%ig geändert. Befreit von der Bedrückung durch eine volks- und wesensfremde Herrschaft wird sich dieser populäre Sportzweig auch bei uns zu hoher Blüte entfalten können.“
Darüber hinaus sei mit dem Professionalismus eine weitere Problemzone beseitigt worden. Die meisten Fußballer hätten ohnehin nicht „aus Liebe und Neigung“ für ein „‚Monatsgeld‘, das zum Sterben zu viel, zum Leben aber zu wenig“ gewesen sei, gespielt. Die ehemaligen Profis erhielten unter den neuen politischen Rahmenbedingungen nunmehr Arbeit und könnten auf das „wenig
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Dieses Zitat und das vorhergehende: Der Kicker, Nr. 13, 28.3. 1939, 31. Zu Elsass-Lothringen Beitrag REICHELT, in diesem Band S. 347–353. – In den besetzen, bis 1939 polnischen Gebieten betraf es Warthegau und Generalgouvernement, OstOberschlesien sowie in Ansätzen die Pfalz und Bayrisch-Schwaben. – Zu BayerischSchwaben HERZOG, „Kleine Strukturen“, 415–427. Zum STIKO GEBEL, „Heim ins Reich!“, 311–313; zur Liquidierung tschechischer Klubs im neuen Reichsgebiet JELÍNEK/JENŠÍK, Atlas českého fotbalu, 38f.; ZWICKER, 100 Jahre Spitzensport, 343.
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Abb. 3: Mannschaft des Deutschen Fußball-Club Prag Anfang der 1930er Jahre (Foto: Archiv Stefan Zwicker, Wiesbaden).
erträgliche Geschäft eines bezahlten Fußballers verzichten“.55 Gleichwohl sprechen die zahlreichen Wechsel von Spielern ins „Altreich“ eine andere Sprache. Zwei ruhmreiche Vereine verschwanden schon vor der NSTG-Gleichschaltung. Einerseits der Karlsbader FK, der ebenfalls einen starken jüdischen Hintergrund aufgewiesen hatte. Nach Teplitz-Schönau verfügte Karlsbad bis 1938 prozentual über die meisten jüdischen Bürger in den böhmischen Ländern. Der KFK wurde bereits im Herbst 1938 aufgelöst, ein Großteil der Spieler wechselte zu dem traditionell als „deutsch-national“ bekannten Ortsrivalen Sparta Karlsbad über, dessen Vorsitzender kein anderer als Gaufachwart Friedl war. Die Presse meldete, dass die Sparta sich nach Auflösung des KFK „stark verstärkt“ zeige.56 Ein ebenso trauriges Ende fand andererseits der große DFC Prag, der sich als einziger bedeutender deutscher Klub der Unter- und Einordnung in die vom DTV bestimmte, dem Nationalsozialismus zuarbeitende „Einheitsbewegung“ verweigert hatte. (Abb. 3) Weder die wenigen deutschen Klubs, die es in der Zweiten Republik gab, noch die tschechischen Vereine wollten mit dem DFC Spielverkehr pflegen. Das Angebot des DFC, in das tschechische Ligasystem einzutreten, war abgelehnt worden. Ohne Spielgegner und finanzielle Einnahmen war der Verein gezwungen, sich noch vor dem Einmarsch im März 1939 aufzu55
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Dieses Zitat und die vorherigen Zitate: Die Führung des Gau 18, in: Der Kicker, Nr. 9, 28.3.1939, 33; zeitnahe Zitate dazu in: Teplitz-Schönauer Anzeiger; vgl. ZWICKER, 100 Jahre Spitzensport, 343f. Zit. nach: Daheim im Zauber der Lederkugel (1939), in: BayHStA, SdA, Kameradschaft, Karton 35: Nordostgaubriefe, Nr. 198, April 1986, 9f.
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lösen.57 Einige „arische“ Spieler des DFC schlossen sich den Deutschen Sportbrüdern (DSB) Prag an, ein Verein der alsbald in der NSTG Prag aufging. Zu diesen Spielern gehörten unter anderem Franz Stoy und Wilhelm Truntschka sowie als Spielertrainer Adolf Patek, der mit dem „alten Sportkameraden Kanhäuser einspringen“ könne, „wenn Not am Mann“ sei.58 Diese „große Familie“ solle eigentlich in die Gauliga aufgenommen werden, was jedoch nicht zum Zeitpunkt des Berichts im Frühjahr 1939, sondern erst zu Beginn der Saison 1940/41 geschah. Gleichwohl hatte die Liga des Gaues 18 zu jener Zeit mit ernst zu nehmendem Sport wenig zu tun. Der NSTG Prag wurde eine symbolträchtige Absage an die Tradition des ruhmreichen, aber eben „jüdischen“ DFC verordnet. Sie sollte nicht im „Blau-weiß des DFC, sondern in dunkelgrünen Hemden und schwarzen Hosen“ der ehemaligen Deutschen Sportbrüder auftreten. Ihre Heimspiele trug sie zuerst auf dem abgelegenen DSB-Platz an der Kaisermühle in Prag-Bubenetsch (Bubeneč) aus. Die noch 1940 bestehende Hoffnung, „bald eine moderne Großanlage beziehen zu können“, erfüllte sich nicht. Stattdessen spielte die NSTG meist auf fremden Plätzen, vor allem auf dem der Slavia, und das vor eher wenigen Zuschauern.59 Die Begeisterung für die Prager NSTG hielt sich in Grenzen, weshalb der NSDAP-Kreisleiter im Mai 1940 einen Aufruf erließ, alle deutschen Vereine hätten in der NSTG Prag aufzugehen.60 Dass die NSMachthaber an der Förderung des deutschen Fußballs in Prag eher wenig Interesse hatten, wird auch daran deutlich, dass weder die erwähnte „Großanlage“ noch ein „auf dem Sommerberg“ (Letná) vorgesehenes „kleines Sportstadion“ realisiert wurden.61 Darüber hinaus gab es Beschwerden, dass Spieler deutscher Nationalität lieber in den de facto weiter bestehenden tschechischen Profiklubs ihr Auskommen fänden, anstatt für die sportlich wie finanziell wenig attraktiven NSTG aufzulaufen.62 57
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Die offizielle amtliche Auflösung erfolgte am 30. Juli 1939 (dazu KRÁL, Historie německé kopané, 226; ZWICKER, Fußball in den böhmischen Ländern, 225f.). Aktuell gibt es Bestrebungen, den DFC wiederzubeleben, nicht als Ligamannschaft, sondern als Sport- und Kulturverein, der sich neben dem Freizeit- und Jugendfußball auch mit der Geschichte der „Prager Trias“ (Deutsche, Tschechen, Juden) befasst. Zu den Initiatoren gehört u.a. der Verfasser. Zit. nach: Daheim im Zauber der Lederkugel (1939), in: BayHStA, SdA, Kameradschaft, Karton 35: Nordostgaubriefe, Nr. 198, April 1986, 9f. Vgl. JELÍNEK/JENŠÍK, Atlas českého fotbalu, 34. NA, UŘP, Karton 411 Inventar-Nr. I-3d 6922–6925: Aufruf Kreisleiter, 28.5.1940. – Als Fachabteilungsleiter werden der Parteigenosse der NSDAP (Pg.) Wilhelm Treml, als sein Stellvertreter und Übungsleiter Pg. Adolf Patek genannt. Von Letzterem war die Rede im „Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 27. August bis 25. September 1940 von Primator-Stellverteter Prof Dr. Pfitzner“, in: ŠUSTEK, Josef Pfitzner, 76. – Josef Pfitzner (1901–1945) war in den 1930er Jahren ein anerkannter Professor für Geschichte an der Deutschen Universität in Prag mit guten Kontakten zu tschechischen Fachkollegen. Als stellvertretender Bürgermeister bemühte er sich in der NS-Zeit um die Germanisierung der böhmischen Metropole. Nach Kriegsende wurde er hingerichtet. UŘP, Karton 411 I-3d 6904: Willi Treml (NSTG Prag) an das Sportamt des Reichsprotektorats, 17.4.1940, der sich konkret über das Engagement von Ernst Kreuz (zu Kreuz
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Die Liquidierung der gewachsenen Vereinsstrukturen hatte den sudetendeutschen Fußball entscheidend geschwächt63 und gegenüber den Mannschaften aus dem „Altreich“ und der „Ostmark“ so stark benachteiligt, dass er in der Bedeutungslosigkeit versank. Bei den Gaumeisterschaften des Gaues 18 (Sudetenland und „Protektorat“) spielten ab der Saison 1939/40 die NSTG- und Militärmannschaften auf oberster Ebene in zwei, ab 1940/41 in drei Gruppen. Deren Sieger ermittelten den Meister des Reichsgaues. Dieser wiederum trat bis 1941 in der ersten Endrunde zur „Großdeutschen Meisterschaft“ gegen die Sieger von zwei anderen Gauligen an, wobei die sudetendeutschen Teams, NSTG Graslitz und NSTG Prag, wie schon 1939 der Warnsdorfer FK, jeweils nur Dritter und somit Letzter wurden. Möglichweiser auch deshalb wurde eine Vorqualifikation gegen den Meister der „Ostmark“ eingeführt, in der die Meister 1942 und 1943, LSV (Luftwaffensportverein) Olmütz und MSV (Militärsportverein) Brünn, jeweils dem in jenen beiden Jahren führenden Wiener Verein Vienna unterlagen.64 Resultat der Sportpolitik im Sudetenland war jedenfalls das krasse Gegenteil der von der Propaganda dem Frühjahr 1939 versprochenen „hohen Blüte“.65 Hatten die Teams des DFV zwei Jahrzehnte lang im tschechoslowakischen Fußball, der auf dem Kontinent zu den stärksten gehörte, eine mehr als achtbare, teils sogar ausgesprochen erfolgreiche Rolle gespielt, wurde der sudetendeutsche Fußball nach der „Heimkehr“ ins Reich marginalisiert und spielte eine völlig untergeordnete Rolle. Kein einziger Sudetendeutscher, übrigens auch keiner der zur Meistermannschaft Dresdner SC abgewanderten Spieler Schaffer, Kugler und Pechan, wurde bis zum letzten Länderspiel am 22. November 1942 in Pressburg (Bratislava) gegen die Slowakei deutscher Nationalspieler, obwohl in den Jahren 1939 bis 1942 beachtliche 44 Länderspiele stattgefunden hatten.66 Zwar schrieb der damalige Reichstrainer Sepp Herberger dreißig Jahre nach Kriegsen-
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unten Anm. 72) beim SK Pardubice sowie von zwei weiteren Spielern beim erwähnten Werksverein SK Bat’a Zlín beklagt. Der Kommentar zu dieser Beschwerde Tremls bei HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 294, ist insofern zu korrigieren, als es eine „ungestörte Abwanderung zahlreicher Kicker aus dem Reichsgebiet“ (zu tschechischen Profivereinen) keinesfalls gab. Es handelte sich hier um Einzelfälle, die Spieler betrafen, die schon vorher auf dem Gebiet des Protektorats aktiv waren; aus dem „Altreich“ gab es keine derartigen Wechselfälle. Für den März 1941 finden sich in dieser Akte zwei weitere Vermerke, denen zufolge einerseits zwei andere Spieler für Zlín gespielt hätten, was sich aber durch die Einberufung zur Wehrmacht „erledigt“ habe, andererseits hätten noch zwei Fußballer bei Teams aus Pilsen gespielt. Wilhelm „Willi“ Treml (1910–1996) war aktiv beim DFC und den DSB Prag, 1939 bis 1941 „Trainer und Vereinsführer“ bei der NSTG Prag, danach Soldat, später unter anderem Trainer bei Eintracht Frankfurt (1947/48) und Grasshoppers Zürich (1950-1955). Dazu Bay HStA, SdA, Bestand Kameradschaft, Karton 2: Personalkartei; www.eintracht-archiv.de/treml.html (Zugriff am 3.12.2015). KANTOR, Geschichte, 105. Vgl. KRÁL, Historie německé kopané, 99–109; zur NSTG Budweis ebd., 170f.; ZWICKER, Fußball in den böhmischen Ländern, 226f. Die Führung des Gau 18, in: Der Kicker, Nr. 9, 28.3.1939, 33. Vgl. MATHEJA, Die deutsche Nationalmannschaft; statistische Angeben ebd., 60–64.
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de anlässlich des Todes von Josef Friedl „von einer engen Zusammenarbeit“ und daraus „erwachsener engen Freundschaft, für die ich ewig dankbar bin.“ Selbst wenn es sich dabei nicht um reine Höflichkeitsfloskeln gehandelt haben sollte, hatten die guten Beziehungen Herbergers zu Friedl jedenfalls keinen Einfluss auf die Berufung von Spielern aus der Region ausgeübt.67 Deutsche Sportgemeinschaften aus dem Süden des Protektorats und den Gebieten, die Ober- und Niederdonau angegliedert worden waren, spielten teilweise in den dortigen Ligen, so etwa die NSTG Budweis, die 1941/42 Meister von Oberdonau wurde. In der letzten zu Ende gespielten Saison 1943/44 wurde der Meister des neu geschaffenen Gaues 19 (Böhmen und Mähren) getrennt ermittelt. Beide Meister qualifizierten sich für die Endrunde. Der sudetendeutsche Meister NSTG Brüx hatte beim 0:8 gegen den 1. FC Nürnberg jedoch keine Chance, wobei der MSV Brünn wieder gegen die Vienna verlor. Interessant sind die Zuschauerzahlen bei den Finalspielen des Gaues 19 im März 1944: Auf dem Prager Slavia-Platz sahen 20.000 Zuschauer die Niederlage des LSV Prag-Gbell gegen den MSV Brünn, im Rückspiel in der mährischen Hauptstadt sogar 30.000. Auch wenn man bei den Spielen der Militärteams von einer beträchtlichen Anzahl von Soldaten, nicht zuletzt von Verwundeten, im Publikum ausgehen kann, zeigt das Zuschauerinteresse die Attraktivität des Fußballs bei „größeren Spielen“ als Ablenkung in den Kriegszeiten,68 die sich auch in den hohen Besucherzahlen der Spiele der tschechischen („Protekorats“-)Liga jener Jahre manifestierte. Die letzte Saison 1944/45 wurde wie überall im Reich nicht zu Ende gespielt. Schon zuvor war der Spielbetrieb durch Einberufungen zu Militärund Arbeitsdienst stark beeinträchtigt worden. So kam es vor, dass fußballerfahrene Soldaten kurzfristig als Spieler für eine Zivilmannschaft an dem Ort aufliefen, an dem sie stationiert waren, was das Spielgeschehen massiv beeinflussen konnte. Beispielsweise kam die NSTG Falkenau im Tschammer-Pokal im Herbst 1942 dank solcher Verstärkungen unter anderem durch einen 4:0-Sieg über Vienna Wien bis ins Achtelfinale des Wettbewerbs. Das war der größte Erfolg eines sudetendeutschen Teams in der Kriegszeit. Die NSTG Prosetitz unterlag in der letzten Sudetenmeisterschaft 1944 der NSTG Brüx in den Finalspielen mit 0:14 und 1:7.69 Derartige Resultate waren damals keine Seltenheit. Im Frühjahr 1941 übte der bekannte Sportjournalist Ernst Werner in „Die Fußball-Woche“ deutliche Kritik an den Verhältnissen im damaligen Sportgau 18. Die Schwierigkeiten nähmen zu und die Basis werde immer schmaler, bezeichnend sei der Rückzug des Vorjahresmeisters NSTG Graslitz vom Ligabe-
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Brief Sepp Herbergers an die „Kameradschaft des sudetendeutschen Fußballverbandes“, zit. nach BayHStA, SdA, Kameradschaft, Karton 33: Nordostgaubriefe, Nr. 133, Juni 1975, 1. – Dazu ZWICKER, 100 Jahre Spitzensport, 344f. – Zu Herbergers Kontakten mit Friedl HERZOG, Fußball als politisch neutrale Unterhaltung, 342f. Dazu HERZOG, Bilder, Symbole und Rituale. Vgl. KANTOR, Geschichte, 108f.; KRÁL, Historie německé kopané, 99–109; zur NSTG Budweis ebd., 170f.; ZWICKER, Fußball in den böhmischen Ländern, 226f.
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trieb.70 Die NSTG seien auf Veranlassung Henleins geschaffen worden, Tradition sei aber ganz wesentlich für den Fußball. „Liliputvereine“ hätten zwar keine Berechtigung, „aber etwas Persönliches auch in der Beziehung [...] braucht der Sport zu jeder Zeit“. Darüber hinaus bezweifelte er, ob das im Sudetenland geübte Prinzip, sämtliche Leibesübungen in einer Organisation vor Ort zusammenzufassen, auf den ganzen NSRL sinnvoll übertragen werden könne.71 „Die FußballWoche“ monierte 1942, dass der Prager Fußball ein „Zwitterwesen“ sei und eine geradezu „gespenstische Existenz“ führe; „als Fußgänger“ gehöre man zum Protektorat, als Fußballer zum Sudetenland, die Mannschaft der NSTG leide unter einem Mangel an jungen Spielern. Kanhäuser spiele noch mit über vierzig Jahren, „weil er muss“, das Gleiche gelte für Patek und andere. Dagegen spiele Ernst Kreuz,72 der eigentlich in diese Mannschaft gehöre, jetzt beim Dresdner SC. Und nicht zuletzt sei der Sudetenmeister von 1941, die NSTG Prag, noch nie auf eigenem Platz geschlagen worden, weil sie keinen solchen habe und Heimspiele auf fremden Prager Plätzen austragen müsse.73 Gewiss war Werner alles andere als ein Gegner der Sportpolitik des NSRegimes,74 gleichwohl ließ er es sich nicht nur hinsichtlich des Sports im Sudetenland, sondern auch bei anderen Themen der Organisation des Fußballspiels nicht nehmen, in dem von ihm in Berlin herausgegebenen Fachblatt kritisch Stellung zu nehmen.75 3. Resümee und Ausblick Der Fußball im Sudetenland hatte nach dem Münchner Abkommen darunter gelitten, dass ein beträchtlicher Teil der traditionellen Wettspielgegner weggefallen war und eine Zeit lang keine Spiele ausgetragen wurden. Es folgten Abwerbeaktionen der reichsdeutschen Klubs, die den einheimischen Vereinen, die aufgrund des Wegfalls des Professionalismus ihrer Existenzgrundlage beraubt worden waren, die besten Spieler abspenstig machten. Die Zerschlagung der gewachsenen Vereinsstrukturen durch Auflösung der Vereine und Zwangsvereinigung zu den NSTG versetzte der Fußballinfrastruktur einen weiteren Schlag, so dass man 70
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Durch den langen Winter und Einberufungen bedingt spielte ein Teil der NSTG die Runde gar nicht zu Ende, wodurch die Gaumeisterschaft 1940/41 zu einer Farce wurde, was auch für die Runde 1942/43 gilt. – Dazu KRÁL, Historie německé kopané, 100–106. E.W. [Ernst Werner] in: Die Fußball-Woche, Ausgabe B, 11.3.1941, zit. nach: Daheim im Zauber der Lederkugel (1941), in: BayHStA, SdA, Bestand Kameradschaft, Karton 35: Nordostgaubriefe, Nr. 202, Dezember 1986, 7. Ernst Kreuz (1912–1974) war der letzte aus dem DFV hervorgegangene tschechoslowakische Nationalspieler (letztes Spiel bei der Weltmeisterschaft 1938 in Frankreich gegen Brasilien), aktiv bei deutschböhmischen und tschechischen Klubs, nach der Vertreibung noch in der süddeutschen Oberliga. – Dazu ZWICKER, 100 Jahre Spitzensport, 338, 358. Zit. nach: BayHStA, SdA, Bestand Kameradschaft, Karton 35: Daheim im Zauber der Lederkugel (1942), in: Nordostgaubriefe, Nr. 205, Juni 1987, 8f. Dazu EGGERS, „Deutsch wie der Sport, so auch das Wort“, 168–171, 175, 178f. Dazu HERZOG, „Blitzkrieg“ im Fußballstadion, 35, 58–61.
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rückblickend eine deutliche Benachteiligung des sudetendeutschen Fußballs gegenüber den Mannschaften aus dem „Altreich“ und der „Ostmark“ konstatieren kann, wo die gewachsenen Vereinsstrukturen zum großen Teil weiter bestanden. Die vollkommene Chancenlosigkeit der sudetendeutschen NSTG in den Spielen der Endrunden um die „Großdeutschen Meisterschaft“ kann daher nicht verwundern. Der Absturz in die Bedeutungslosigkeit beschleunigte sich durch den Verlust von Spielern, die zur Wehrmacht einberufen wurden. Aber mit diesem Problem hatten damals alle Fußballmannschaften zu kämpfen. Der Spielbetrieb wurde bis 1944, teilweise sogar bis 1945, weitergeführt. Gegen Kriegsende spielten immer häufiger fünfzehn- oder sechszehnjährige Jungen gemeinsam mit Veteranen, Heimaturlaubern, „unabkömmlich“ Gestellten oder mitreisenden Fans in den ersten Mannschaften.76 Anders als im deutsch-böhmischen Fußball bestand das Profitum im tschechischen Fußball zwar nicht offiziell, aber de facto weiter. Während der NS-Zeit waren die Spiele der Protektoratsliga sehr gut besucht, verliefen auf hohem Niveau und verfügten mit ihrem größten Star, dem in Wien geborenen Josef „Pepi“ Bican, über ein echtes Aushängeschild.77 Diese Professionalliga ist im Kontext der Politik der NS-Machthaber und ihrer tschechischen Kollaborateure zu sehen, die hier – anders als im besetzten Polen – eine Scheinnormalität mit einem zwar „gleichgeschalteten“, aber dennoch vielfältigen tschechischen Kultur- und Sportleben deshalb zuließen, weil das hoch industrialisierte Gebiet für die deutsche Kriegswirtschaft eminent wichtig war. Begegnungen zwischen tschechischen und deutschen Teams gab es ab Herbst 1939 nicht mehr,78 denn sie hätten Möglichkeiten für tschechische Protestkundgebungen geboten, darüber hinaus waren Siege tschechischer Mannschaften, die nicht von Wehrmachtseinberufungen geschwächt waren, politisch unerwünscht.79 Die jüdischen Fußballer deutscher oder tschechischer Muttersprache wurden, sofern ihnen die Flucht nicht rechtzeitig gelungen war, mit ihren Familien Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung und Vernichtung. In den Teams, die im Ghetto Theresienstadt ab 1943 eine „Lagermeisterschaft“ austrugen, fanden sich auch einige ehemalige Profisportler, so etwa der siebenfache ČSR-Nationalspieler Paul Mahrer, in den 1920er und 1930er Jahren ein Star des TFK, des DFC Prag und verschiedener Teams in den USA, der frühere Torwart des DFC Prag Fritz Taussig oder Egon Reach, der in Reichenberg unter Vertrag gestanden hatte. Mahrer überlebte, Taussig und Reach wurden ebenso wie ein Großteil der Insassen, die Theresienstadt, diese Relaisstation zu den Vernichtungslagern, „durchliefen“, später ermordet.80
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Vgl. KANTOR, Geschichte, 108f.; ZWICKER, 100 Jahre Spitzensport, 345. Zu Bican ZWICKER, Aspekte der Memorialkultur, 399f. Dazu auch TEICHLER, Internationale Sportpolitik, 239–242. Vgl. ZWICKER, Fußball in den böhmischen Ländern, 229f. STEINER, Fotbal pod žlutou hvězdou; ZWICKER, Paul Mahrer; DERS., Fußball im Ghetto Theresienstadt.
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In der wiederhergestellten Tschechoslowakei wurde unmittelbar nach Kriegsende wieder mit dem Fußballsport begonnen. Mit der fast vollständigen Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung – unabhhängig von persönlicher Schuld oder Unschuld – endete auch die Geschichte des deutschen Fußballs in den böhmischen Ländern.81 Quellen und Literatur Archive Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Sudetendeutsches Archiv (BayHstA, SdA) – Bestand Kameradschaft des sudetendeutschen Fußballverbandes. Národní archiv Praha (Nationalarchiv Prag – NA) – Úřad řisského protektora (Behörde des Reichsprotektors – UŘP).
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Vgl. ZWICKER, Fußball in den böhmischen Ländern, 230.
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Bernd Reichelt
Von Ortssportgemeinschaften und Omnisportvereinen Die „Gleichschaltung“ des Vereinssports in Lothringen und an der Saar 1935–1950 Im Februar 1949 stellte Erich Menzel, Chefredakteur der saarländischen Fachzeitschrift „Sport-Expreß“, die Frage nach der Zukunft des sogenannten Omnisportvereins im Saarland.1 Das Omnisportprinzip – oder auch Allsportprinzip genannt – verfolgte das Ziel, dass an einem Ort bis zu einer bestimmten Größe lediglich ein einziger Verein alle Sportarten anbieten und abdecken sollte. Das Prinzip ging auf Anordnungen zurück, welche die französische Besatzungsmacht Ende 1945 erlassen hatte. Nach dem Ende der Besatzungszeit hatten sie allerdings weiterhin Bestand und 1948 ihre Verankerung im Vereinsgesetz des teilautonomen und von Frankreich abhängigen „Saarstaats“ gefunden. In seinem Leitartikel im „Sport-Expreß“ ging Menzel mit dem Omnisportprinzip hart ins Gericht. Es sei dem Wesen des individuellen Sports fremd. Sport, so Menzel, dürfe nicht in eine Schablone gepresst werden. Außerdem sei der Omnisportverein politisch motiviert und bereits von den Nationalsozialisten „erfunden“ worden. Schon im „Dritten Reich“ seien Sportvereine – auch gegen deren Willen – zu großen Allsportvereinen zusammengefasst worden. Tatsächlich waren zwangsfusionierte Großvereine für die Sporttreibenden an der Saar kein neues Phänomen. Der totale Führungsanspruch der Nationalsozialisten hatte ebenso wie andere gesellschaftliche Bereiche auch den Sport erfasst und ursprünglich zum Ziel gehabt, den gesamten sogenannten bürgerlichen Vereinssport zu beseitigen und die Vereine durch staatlich kontrollierte Sportorganisationen zu ersetzen. Dass dies lediglich in Ansätzen ausgeführt werden konnte, lag letztendlich am Zweiten Weltkrieg und der totalen Niederlage des „Dritten Reichs“. Eine Ausnahme stellte dagegen das ab Sommer 1940 von den Deutschen besetzte französische Grenzdepartement Moselle dar. Mit dem Saarland und der Pfalz in einen gemeinsamen Gau Westmark gepfercht, konnte die nationalsozialistische Sportpolitik hier nach der Zerschlagung des französischen Vereinswesens frei schalten und walten. Hier entstanden Strukturen, die – zumindest dem äußeren Anschein nach – dem Ideal des nationalsozialistischen Sports sehr nahe kamen. Im Rahmen dieser Ausführungen wird die Organisation des Vereinssports im Saargebiet nach 1933/35 und im Sportgau Westmark ab 1940 sowie im Saarland der Nachkriegszeit beschrieben. Im Hinblick auf einen Zeitraum, der nur fünf1
Zu diesem Absatz ERICH MENZEL, Werden sie sich vertragen?, in: Sport-Expreß, 20.2.1949.
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Bernd Reichelt
zehn Jahre umfasst, ist der Blick dabei auf Kontinuitäten und Brüche gerichtet. Gefragt wird nach der generellen Beherrschbarkeit des Bereichs des Sports und inwieweit das Scheitern damit zusammenhing, dass der Sport ein eigenständiges kulturelles Sinnsystem darstellt. 1. Ein Versuchsfeld nationalsozialistischer Sportpolitik: Sportvereine im Saargebiet und in der Moselle 1935 bis 1944 1.1. „Eine fusionsfreudige Ecke“: Vereinsfusionen im Saargebiet nach 1935
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Saargebiet aus dem Deutschen Reich herausgelöst. Gemäß dem Versailler Vertrag stand es von 1920 an unter der Verwaltung des Völkerbundes. Im Saargebiet, welches erstmals als administrative Einheit bestand, übte eine international besetzte Regierungskommission die Staatsgewalt aus, deren demokratische Legitimation – der ab 1922 von der saarländischen Bevölkerung zu wählende Landesrat übte lediglich eine beratende Funktion aus – sehr dürftig war. Der politische Einfluss Frankreichs war – insbesondere in den ersten Jahren – unübersehbar. Das demokratische Defizit und die Stationierung französischer Truppen führten ebenso wie die Einführung des französischen Franken und die Konflikte um das Schulwesen und den französischen Sprachunterricht zur Wahrnehmung des neuen politischen Systems als Fremdherrschaft und schürten in der saarländischen Bevölkerung die Angst vor Überfremdung. Für viele Saarländer manifestierte sich diese Wahrnehmung darin, dass sie nun französische Vorgesetzte hatten. Bei der nun französischen Grubenverwaltung arbeitete mehr als ein Drittel aller saarländischen Beschäftigten.2 Als Adolf Hitler im Jahr 1933 im Deutschen Reich zum Reichskanzler ernannt wurde und er unmittelbar danach begann, das demokratische und föderale System der Weimarer Republik durch den totalitären nationalsozialistischen Staat zu ersetzen, waren die Saarländer zunächst Zaungäste. Erst für den 13. Januar 1935 war im Saargebiet eine Volksabstimmung vorgesehen, bei welcher die Saarländer zwischen dem Status quo und dem „Anschluss“ an das Deutsche Reich wählen konnten.3 Die zwei Jahre vor dem Referendum waren gesellschaftspolitisch vom Abstimmungskampf geprägt, in welchem polarisierende Propagandaveranstaltungen alltäglich waren.4 Obwohl sich deutsche Regierungsvertreter und die NSDAP im Saargebiet nicht politisch betätigen durften, blieben Auswirkungen auf das politische und gesellschaftliche Leben nicht aus. Für den Sport lag dies auf der Hand, war dieser doch nach wie vor mit den deutschen Mutterverbänden ver2
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Zur gesellschaftlichen und politischen Entwicklung im Saargebiet nach 1920 zuletzt MERL, Zum vorauseilenden Gehorsam, 128–138; CLEMENS, Mandatsgebiet; REICHELT, Nach dem Spiel, 303–313; REICHELT, Fußball, 147–149. Zur Aktualität der Debatten um die bis heute instrumentalisierte Volksabstimmung prägnant BURGARD, Verdammt lang her, 13–23. Zum Abstimmungskampf zuletzt MERL, Zum vorauseilenden Gehorsam, 138–148.
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bunden. Im Fußballsport spielten die saarländischen Vereine weiterhin im Ligabetrieb des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) mit und waren insofern auch von den einschneidenden Veränderungen ab 1933 im Zuge der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten unmittelbar betroffen. Die Auflösung der Landesverbände, die Zentralisierung und „Gleichschaltung“ des deutschen Sports und damit des Fußballs unter Führung des Deutschen Reichsbundes für Leibesübungen führten zu einer vollkommenen Veränderung der deutschen Fußballlandschaft. Infolge der Zentralisierung wurde das Reichsgebiet in sechzehn Sportgaue aufgeteilt.5 Für weite Teile Rheinhessens, der Pfalz und des – zu diesem Zeitpunkt noch nicht dem Deutschen Reich zugehörigen – Saargebiets war der Gau XIII Südwest zuständig. Saarländische Vereine spielten nun in der Gauliga Südwest und waren von den Maßnahmen der „Gleichschaltung“ der bürgerlichen Sportvereine unmittelbar betroffen. So kam es im saarländischen Sport trotz der bestehenden Grenzen bereits 1933 auf breiter Front zur offenen Einführung des „Führerprinzips“, da dies die vom Völkerbund eingesetzte Regierungskommission bei Privatvereinigungen nicht verhindern konnte. Das in den Vereinssatzungen verankerte „Führerprinzip“ stellte neben der Einführung des „Dietwesens“ das wesentliche Mittel der „Gleichschaltung“ dar. Klaus Vieweg zufolge handelte es sich beim „Führerprinzp“ in den Vereinen allerdings um ein vergleichsweise mildes Instrument, hatte die Mitgliederversammlung gegenüber dem Kreisführer der NSDAP doch ein Vorschlagsrecht und standen ihr weiterhin darüber hinausgehende Rechte zu.6 Die „Dietwarte“ sollten auf Verbands- und Vereinsebene die Mitglieder der Turn- und Sportvereine an „Dietabenden“ ideologisch schulen. Während es in den größeren Vereinen „Dietwarte“ gab – in den Turnvereinen baute die „Dietarbeit“ auf eine Jahrzehnte alte Tradition auf –, erwies sich deren Etablierung in kleinen Vereinen als kaum umsetzbar. Noch 1938 beklagte sich der Kreisdietwart des Kreises Nord-Saar, dass bislang nur sehr wenige Vereine einen Vereinsdietwart ernannt hätten.7 Am 13. Januar 1935 stimmte die wahlberechtigte Bevölkerung an der Saar mit einer überwältigenden Mehrheit von etwa 90 Prozent für die Rückgliederung des Saargebiets an das Deutsche Reich. Die Eingliederung in das nun sogenannte „Dritte Reich“ verlief in der Folge stetig, wenngleich nicht immer konfliktfrei.8 Während die von der Bevölkerung so massiv unterstützte politische Rückkehr der Saar für die erst knapp zwei Jahre regierenden Nationalsozialisten einen großen Prestigeerfolg bedeutete, war sie für den bürgerlichen Fußballsport eine große Selbstverständlichkeit, hatte doch aus sportlicher Sicht niemals eine Trennung stattgefunden. Mit der offiziellen Rückgliederung des Saargebiets zum 1. März 1935 setzte eine zweite Phase der Transformation des saarländischen Turn- und 5 6 7 8
Zur Zentralisierung des deutschen Fußballs grundlegend HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 114–135. Vgl. VIEWEG, Gleichschaltung, 258. Mitteilung, in: Gauverordnungsblatt Gau XIII Südwest, 26.4.1938. Zum Dietwesen auf regionaler Ebene SCHWANK, Weltanschauliche Schulung, 169f. In diesem Sinn zuletzt KLÖCKNER, Treue Volksgenossen, 151.
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Sportvereinswesens ein. Neben der Zerschlagung des Arbeitersports kam es nun zur formellen Etablierung der nationalsozialistischen Sportstrukturen an der Saar. Alle zu überprüfenden Sportvereine mussten Mitglied des Deutschen Reichsbundes für Leibesübungen (DRL) werden und damit die Einheitssatzung des DRL übernehmen.9 Als nachhaltigste Veränderung – über den Krieg hinaus – sollte sich die Maßnahme der nationalsozialistischen Sportpolitik erweisen, Turn- und Sportvereine zu größeren „Vereinen für Leibesübungen“ zusammenzufassen. Dieses Bestreben war für das ganze Deutsche Reich zu beobachten. Die Bezeichnung Verein für Leibesübungen (VfL) wurde zum Markenzeichen der Fusionswelle in den Jahren ab 1936. In vielen saarländischen Gemeinden gab es ab 1936/37 oftmals nur noch einen VfL, in welchem alle Sportarten betrieben wurden. Ein Beispiel unter vielen ist der Großverein VfL Homburg, der 1936 auf Betreiben des Homburger Bürgermeisters und Kreisleiters Jakob Knissel als Vereinigung aus dem Fußballverein (FV) Homburg, dem SC Union Homburg und dem Turnverein Homburg gegründet wurde.10 In Saarbrücken gab es ebenso Bemühungen, den bürgerlichen Vereinsfußball zu zerschlagen und große Vereine zu schaffen. Wie in Homburg machten sich auch in Saarbrücken die lokalen Parteieliten für Fusionen stark. Oberbürgermeister Friedrich Schwitzgebel, der spätere Sportgauführer der Westmark, begründete diese Maßnahmen ideologisch: „Saarbrücken darf sich heute nicht 64 Einzelvereine für Leibesübungen leisten. Immer müssen wir daran denken, daß wir heute auch als Verein für Leibesübungen nicht abgekapselt bleiben können, daß wir uns einfügen müssen als tätige Glieder in dem großen Strom der Volksgemeinschaft.“11
Schwitzgebel konnte die Anzahl der Vereine in Saarbrücken in etwa halbieren. Auch wenn er sein Ziel, die Anzahl auf 16 zu reduzieren, verfehlte, war die Maßnahme der Vereinsfusionen dennoch als Erfolg zu werten.12 Die Fusionswelle traf weniger die bereits bestehenden Großvereine, sondern vor allem die kleineren Turn- und Sportvereine in den Stadtteilen und den ländlichen Gegenden des Saargebiets. Große Sportvereine wie der FV Saarbrücken oder der VfB Borussia Neunkirchen wurden in ihrem Bestand nicht angetastet. Dem Sportjournalisten Erich Menzel zufolge handelte es sich beim Saarland um eine „besonders fusionsfreudige Ecke“. Er forderte aber, den einzelnen Sportabteilungen ihre Autonomie zu überlassen, damit der sportliche Ehrgeiz nicht abstumpfe.13 Mit der Umbenennung des Deutschen in den Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen (NSRL) im Dezember 1938 begann für die Sportvereine im Deutschen Reich eine neue Zeitrechnung. Als „eine von der NSDAP betreute 9 10 11 12 13
Zu diesem Abschnitt ausführlich REICHELT, Fußball, 235–250. Zur Wahl Knissels zum Vereinsführer des VfL Homburg REICHELT, Nach dem Spiel, 311; HERZOG, Ruhm der Städte, 124f.; DERS., Familie, 219–222. Am Aufbruch in die DRL.-Einheit, in: Saarbrücker Zeitung, 9.4.1937; vgl. Todesstoß dem Vereins-Partikularismus, in: NSZ-Rheinfront, 9.4.1937. REICHELT, Nach dem Spiel, 312. Erich Menzel, Fußball und Fusionen, in: Der Kicker, 3.8.1937.
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Organisation“ wurden die angeschlossenen Vereine nun offiziell zu Parteigliederungen, für Parteigenossen war die Arbeit in einem Sportverein nun offiziell Parteiarbeit.14 Mit dem Ende der bisherigen bürgerlichen Sportstrukturen wurden die Einheitssatzungen der Vereine verschärft und die bürgerlichen Vereine sollten nach dem Willen der Nationalsozialisten langfristig lokalen nationalsozialistischen Sportgemeinschaften weichen. Entsprechend war auch bei den Sportgauen eine Neueinteilung geplant, da diese sich zukünftig geographisch mit den Parteigauen decken sollten. Die geplante Neuordnung im Sportbereich 13 SüdwestNordhessen war im Sommer 1939 bereits für die Saison 1940/41 diskutiert worden. Nach dem Kriegsbeginn im September 1939 wurden jedoch alle Planungen zunächst auf Eis gelegt.15 1.2. „Ein Stoßtrupp der Leibesübungen“? Der Sportgau Westmark
Doch der Krieg bot der nationalsozialistischen Sportpolitik neue Optionen. Die geopolitischen Erwägungen nach dem siegreichen Westfeldzug im Frühling 1940, infolgedessen weite Teile Frankreichs besetzt wurden, führten im deutschen Südwesten zu sportpolitischen Begehrlichkeiten. Infolge der faktischen Annexion der Moselle wurde für 1941 die Gründung des Sportgaus Westmark vorbereitet und das annektierte Lothringen wurde zu einem Versuchslabor der nationalsozialistischen Sportpolitik. „Die Metzer Sportgemeinschaften unterstützten wirkungsvoll diese schöne, zum erstenmal in der alten, lothringischen Moselstadt erlebte ‚Parade der Leibesübungen‘. Sie begann mit festlicher Musik, und Sportkreisführer Naumann hiess im Namen des NSRL die Gäste herzlich willkommen. Es folgte der schmetternde Fanfarenruf der Metzer Hitler-Jugend und die Ansage: ‚In frohem Spiel und buntem Reigen wollen wir nun Leibesübungen zeigen‘.“16
Wie diese Zeilen aus einem Artikel über die im Januar 1942 im Metzer Bergbausaal durchgeführte Veranstaltung zeigen, waren die sportpolitischen Anstrengungen, den lothringischen Sport in den neuen Sportgau Westmark zu integrieren, enorm. Sie suggerierten der sporttreibenden Bevölkerung im besetzten Lothringen Normalität im Alltag des Krieges. Mitverantwortlich für die Organisation dieses, dem Artikel zufolge bislang größten Sportfestes des noch jungen Sportgaus, waren mit Hans Zeimet, Willi Beyer und Josef Schwab Fußballvereinsfunktionäre aus Saarbrücken, die nun als Amtmänner des Sportgaus Westmark auch im Bezirk Lothringen wirkten. Dass es ausgerechnet Fußballfunktionäre waren, die den neuen Sportgau organisierten, war alles andere als ein Zufall. Wie war es dazu gekommen? Im Juni 1940 wurde infolge des Westfeldzugs der deutschen Wehrmacht das südlich des Saargebiets liegende französische Grenzdepartement Moselle mit 14 15 16
Satzung des NSRL, 24.11.1939, in: Reichsministerialblatt 1940, 17–19. Zur geplanten Neuordnung ab der Saison 1940/41 Erich Menzel, Kommt Frankfurt zu Nordhessen?, in: Der Kicker, 20.6.1939. Sportgau Westmark warb in Metz, in: NSZ Westmark, 26.1.1942.
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seiner Hauptstadt Metz nicht nur einfach besetzt, sondern vom Deutschen Reich faktisch annektiert. Josef Bürckel, Gauleiter der Saarpfalz, wurde von Hitler zum Chef der Zivilverwaltung in Lothringen ernannt. Noch im selben Jahr wurde darüber hinaus der Gau Westmark der NSDAP gegründet. Er umschloss neben dem lothringischen Teil auch die Saarpfalz. Bürckel schuf durch seine Volkstums- und Siedlungspolitik Fakten. Von den Nationalsozialisten rassistisch verfolgte Bevölkerungsgruppen wurden ebenso in das unbesetzte Frankreich ausgewiesen wie zahlreiche französische Amtsträger. Der Aderlass in der Moselle war mit fünfzehn Prozent der Bevölkerung außergewöhnlich hoch und hob sich deutlich vom benachbarten Elsass ab, wo insgesamt nur zwei Prozent Opfer der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik wurden. Die vertriebenen rund 100.000 Lothringer sollten nach Bürckels Plänen für saarpfälzische Siedler Platz machen.17 Mit der Annexion einher ging eine Germanisierung der Moselle. Französische Denkmäler wurden abgerissen, Straßennamen eingedeutscht und die Benutzung der französischen Sprache stark reglementiert. Bürckels Vision war es, für Saarländer, Pfälzer und Lothringer eine neue gemeinsame deutsche Westmark-Identität in Abgrenzung zur romanischen Welt zu schaffen.18 Als Teil dieser Volkstumspolitik diente – wie im Elass19 – die nationalsozialistische Sportpolitik, auf die im Folgenden eingegangen wird.20 Der Sportgau Westmark wurde offiziell im Juli 1941 gegründet. Durch Verfügung des Reichssportführers wurden die saarpfälzischen Gebietsteile des Sportbereichs XIII Südwest von Hessen abgetrennt „und mit dem neu hinzugekommenen Gebiet Lothringen zu dem Sportgau Westmark vereinigt.“21 Gauleiter Josef Bürckel übernahm selbst die Führung des Sportgaus, ernannte als seinen Beauftragten für die Fragen der Leibeserziehung allerdings Friedrich Schwitzgebel, den Oberbürgermeister Saarbrückens, der zugleich offiziell das Amt des Sportgauführers übernahm.22 Mit Schwitzgebel wählte Bürckel dabei einen Weggefährten, der während Bürckels Amtszeit als „Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ ab 1938 für mehrere Monate als Kommunalbeauftragter gedient hatte.23 In der nationalsozialistischen Tagespresse, der „NSZ-Westmark“, wurde die Bildung des neuen Sportbereichs begrüßt und ihm sogleich eine volkspolitische Aufgabe zuerkannt:
17 18 19
20 21 22 23
WOLFANGER, Die nationalsozialistische Politik, 97–114. FREUND, Rassen- und Bevölkerungspolitik, 334f., 344–346; MAI, Volkstumspolitik, 128. Zur NS-Sportpolitik im Elsass REICHELT, Inszenierte Erinnerung, 370–374. Ausführlich zur Geschichte des Fußballsports im Elsass während des Zweiten Weltkriegs PERNY, Le Football en Alsace, 307–340. Ausführlich zum Fußballsport im Sportgau Westmark REICHELT, Fußball, 281–311. Vierteljahresbericht des Sportgaues Westmark, 25.11.1941, in: Stadtarchiv Saarbrücken, G13/3677. Sportbereich Westmark, in: NSZ Westmark, Ausg. Metz, 18.7.1941. Zu Bürckels Rolle und den sportpolitischen Verbindungen der „Westmark“ zur „Ostmark“ HERZOG, „Sportfanatiker“, 228.
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„Die seit langem dem Sportbereich Südwest zugehörige Saarpfalz wurde zusammen mit dem wiedergefundenen Lothringen zum neuen Sportbereich Westmark, dessen Grenzen denen des politischen Gaues Westmark ensprechen. [...] In bester Erinnerung scheiden die Sportler der Saarpfalz infolge dieser begrüßten Neugestaltung von ihren Kameraden aus Hessen und Frankfurt. Zusammen mit den lothringischen Kameraden, die gerade auf dem Gebiete des Sportes schon immer Großes leisteten, wird es der neue Sportbereich Westmark, als seine schönste und dankbarste Aufgabe betrachten, mit allen Mitteln und höchstem Einsatz als festgefürgter Stoßtrupp der Leibesübungen dazu beizutragen, die Front des deutschen Sportvolkes zu schließen.“24
Seinen Sitz hatte der Sportgau in der Gauhauptstadt Saarbrücken. Deswegen war es auch nicht überraschend, dass Schwitzgebel bei der Wahl seines Mitarbeiterstabes vor allem auf Saarbrücker und zugezogene Sportfunktionäre setzte. Hauptsächlich handelte es sich hierbei um altgediente Verbands- und Vereinsfunktionäre, wobei die meisten Mitarbeiter aus den Fußballvereinen des Umlands stammten.25 Anders als im Elsass erfolgte die offizielle Einbeziehung des Lothringer Sports in die Strukturen des NSRL erst im Sommer 1941 und damit ein ganzes Jahr später. Während im Elsass der NSRL bereits von Beginn an die Organisation des Sports übernahm, geschah die Zerschlagung des lothringischen Sports und seine Neuausrichtung nach nationalsozialistischen Grundsätzen ohne dessen offizielle Einbindung in die existierenden sportorganisatorischen Strukturen. 1.3. Zwischen Kontinuität und totalem Bruch: Die Turn- und Sportgemeinschaften in Lothringen ab 1940
Emil Felsburg war ein langjähriger Metzer Fußballfunktionär, der bereits vor dem Ersten Weltkrieg Mitglied des Fußballvereins Metis Metz gewesen war und in der Zwischenkriegszeit weiterhin Posten in Metzer Sportvereinen inne hatte. Am 3. August 1940 – nur drei Tage nach der offiziellen Einführung der deutschen Zivilverwaltung im besetzten Lothringen – erhielt Felsburg vom deutschen Stadtkommandanten Richard Imbt die knappe Mitteilung, dass er ab sofort der Vereinsführer des neu zu gründenden Fußball-Vereins Metz sei. Bereits zwei Tage später wurde dieser von mehreren Funktionären des bis dahin existierenden FC Metz gegründet.26 Am 19. August 1940 verfügte Stadtkommandant Richard Imbt in Metz offiziell die Auflösung aller Vereine, die nicht wieder genehmigt worden waren, sowie die Beschlagnahmung der Vereinsvermögen in der Stadt Metz.27 Die Vorgänge in Metz blieben lokal beschränkt und hatten keine Gültigkeit für die gesamte Moselle. Die Gründung des FV Metz und die Auflösung aller Vereine waren eigenwillige kommunale Entscheidungen Richard Imbts gewesen. 24 25 26 27
Sportbereich Westmark, in: NSZ Westmark, Ausg. Metz, 18.7.1941. REICHELT, Fußball, 289. Zur Gründung des FV Metz ebd., 293–295. HERZOG, Der „Betze“ unterm Hakenkreuz, 133.
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Für die anderen Vereine des besetzten Departements begann die neue Zeitrechnung im Herbst 1940. Bereits am 22. August 1940 hatte Bürckel in seiner Eigenschaft als Chef der Zivilverwaltung in Lothringen Franz Schmidt als Stillhaltekommissar für das Organisationswesen eingesetzt. Am 10. Oktober 1940 wurden per Anordnung Bürckels offiziell sämtliche Vereine und Organisationen in Lothringen aufgelöst. Für Schmidt, der auch im Elsass und im besetzten Luxemburg das Vereinswesen neu aufstellen sollte, bestand die Hauptaufgabe als Stillhaltekommissar darin, die Neuordnung des lothringischen Organisationswesens und des Sports nach „nationalsozialistischen Grundsätzen vorzunehmen“. Jede Neugründung eines Sportvereins bedurfte seiner Genehmigung. Gemäß seiner Aufgabe erschien am 16. Oktober die „Anordnung über den Neuaufbau des Turn- und Sportwesens in Lothringen“, die konkret darlegte, nach welchen Richtlinien die Neugründung des organisierten Sports zu erfolgen hatte. In jedem Ort im Bereich Lothringen, in welchem sich eine Ortsgruppe der Deutschen Volksgemeinschaft (DVG) gebildet hatte, konnte demnach eine „Turn- und Sportgemeinde in der Deutschen Volksgemeinschaft“ auf Antrag beim Stillhaltekommissar gegründet werden.28 Die DVG war die von Bürckel ins Leben gerufene lothringische Ersatzorganisation der NSDAP, die für deutschstämmige Lothringer gedacht war und für sie als „Ort der Bewährung“ dienen sollte. Innerhalb kurzer Zeit war die große Mehrheit aller Lothringer in der DVG organisiert. Dies lag nicht nur daran, dass eine Mitgliedschaft für die sportliche Tätigkeit in einer Turn- und Sportgemeinschaft (TSG) Voraussetzung war, sondern weil sie oftmals auch Voraussetzung war, die jeweilige Arbeitsstelle zu behalten oder überhaupt eine zu finden.29 Die Strukturierung der Turn- und Sportgemeinschaften erfolgte analog zur Deutschen Volksgemeinschaft. Die einzelnen Orts-Turn- und Sportgemeinschaften wurden in Kreis-Turn- und Sportgemeinden zusammengefasst, welche wiederum die Landes-Turn- und Sportgemeinde bilden. Die Führung der Landes-TSG wurde von Bürckel in seiner Eigenschaft als Chef der Zivilverwaltung ausgeübt, entsprechend nahmen die jeweiligen Kreisleiter im annektierten Lothringen die Führung der Kreis-Turn- und Sportgemeinden wahr und die Ortsgruppenleiter der DVG die Leitung der örtlichen Turn- und Sportgemeinschaften.30 Über die eingezogenen Vereinsvermögen konnte die Landesleitung der Deutschen Volksgemeinschaft verfügen und sie den neu gegründeten Turn- und Sportgemeinschaften zur Verfügung stellen. Auch die vom Stillhaltekommissar konfiszierten Sportplätze und Turnhallen konnten von der Landesleitung den Gemeinden
28
29 30
Zu diesem Absatz REICHELT, Fußball, 290f. – Ein Formular zur „Genehmigung der Turn- und Sportgemeinde in der D.V.G.“ ist im Departementsarchiv in Metz erhalten geblieben: Archives départementales Metz, 2W85. WOLFANGER, Die nationalsozialistische Politik, 80–84. Anordnung über den Neuaufbau des Turn- und Sportwesens in Lothringen, 16.10.1940, in: Verordnungsblatt für Lothringen 1940, 161; REICHELT, Fußball, 290.
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übereignet werden, mit der Auflage, für ordnungsgemäße Unterhaltung der Anlagen Sorge zu tragen.31 Bis zum Herbst 1941 wurden in Lothringen 150 Turn- und Sportgemeinschaften gegründet, die sich in den „Fachgebieten“ Fußball, Leichtathletik, Schwimmen, Schwerathletik, Boxen, Schießen und Radfahren betätigten. In der nationalsozialistischen Presse wurde festgehalten, dass anders als die allgemeine Stimmung in der Bevölkerung, die Beteiligung bei den Sportveranstaltungen gut sei, ebenso der Erfolg bei der Mitgliederwerbung.32 Wer und was waren nun diese Turn- und Sportgemeinschaften? Im wöchentlichen Geheimdienstbericht des SD, in den sogenannten Meldungen aus Lothringen,33 wurden die Turn- und Sportgemeinschaften als „Sportabteilungen der DVG“ gesehen. Sie seien allerdings auch „allgemein als Fortsetzungen früherer Vereine zu werten.“34 Die Führung der Vereine wurde oftmals von den Vorsitzenden der ehemaligen Vereine übernommen, jeweils unter der offiziellen Aufsicht des Ortsgruppenleiters. Der SD sah deshalb keine Gefahr darin, dass die Sportvereine „zum Sammelpunkt franzosenfreundlicher Elemente“ werden könnten, da nur Mitglieder der DVG aufgenommen werden könnten.35 Als Beispiel für den Werdegang einer Turn- und Sportgemeinschaft kann die TSG Saarburg dienen, die im November 1940 gegründet wurde. Sie war ganz nach den Richtlinien die einzige Organisation in Saarburg, in der Sport ausgeübt werden konnte. In mehreren Abteilungen bot sie verschiedene Sportarten an. Die Gründungsversammlung fand im städtischen Festsaal statt. Es sprachen der Ortsgruppenleiter der DVG sowie der Saarburger Stadtkommandant Boll. In seiner langen Rede, im gängigen nationalsozialistischen Pathos gehalten, sprach er über die grundlegenden Richtlinien des deutschen Sports und den Wert der Leibesübungen. Dann erklärte er die TSG Saarburg als gegründet „und entbot“ so war in der Tageszeitung „Deutsche Front“ zu lesen, „derselben den Wunsch für eine glückhafte Zukunft, auf dass die Stadt Saarburg im deutschen Sportleben einen ersten Ruf erhält.“ Unter Boll nahm die TSG einem Bericht der SD zufolge eine positive Entwicklung. Neben der Fußballabteilung entwickelte sich insbesondere die Leichtathletikabteilung gut.36 Ein Beispiel für Kontinuität aus der Vorkriegszeit stellt die TSG Merlenbach dar, deren Gemeinschaftsführer bereits den Vorgängerverein Stade Olympique de Merlebach innegehabt hatte. Die TSG Merlenbach wurde ebenfalls als Om31 32 33
34 35 36
Aktenvermerk für die Landes- Turn- und Sportgemeinde, 17.7.1941, in: Archives départementales Metz, 2W84. REICHELT, Fußball, 289. Der Sicherheitsdienst des Reichsführers-SS (SD) verfügte als Nachrichtendienst der SS in Metz über eine Außenstelle, die wöchentlich Geheimdienstberichte nach Berlin lieferte. Überliefert sind diese Berichte im Departementsarchiv der Moselle in Metz. Meldungen aus Lothringen (SD-Bericht), 22.8.–4.9.1941, in: Archives départementales Metz, 1W442. Ebd. Die Gründungsversammlung der Turn- und Sportgemeinde Saarburg, in: Deutsche Front, 9.11.1940; REICHELT, Fußball, 295f.
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nisportverein geführt, in dem neben Turnen und Fußball auch Leichtathletik, Ringen und Boxen angeboten wurden.37 In Metz selbst – die dortige Entwicklung im Sommer 1940 wurde bereits beschrieben – ließ die Gründung einer Turn- und Sportgemeinschaft vergleichsweise lang auf sich warten. Erst am 1. Dezember 1942 wurde die TSG Metz gegründet. Die Turn- und Sportgemeinschaft sollte weniger dem Leistungssport dienen – hierfür war im Fußballsport der FV Metz zuständig –, sondern dem Breitensport. Angeboten wurden unter anderem die Sportarten Turnen, Gymnastik, Radsport, Fechten, Ringen und Stemmen. Die Schirmherrschaft übernahm der Oberbürgermeister und Kreisleiter Franz Schubert persönlich.38 Abgesehen von der gesonderten Entwicklung in Metz dominierte der Fußballsport in den lothringischen Turn- und Sportgemeinschaften die anderen Sportarten. Im Kreis Diedenhofen – französisch Thionville – hatten sich von 32 Sportgemeinschaften 30 ausschließlich für das Fußballspiel entschieden.39 Es war daher nicht überraschend, dass sich der NSRL bereits sehr bald darum bemühte, den lothringischen Fußballsport unter seine Regie zu bekommen. 1.4. Der NSRL in Lothringen und die Gauliga Westmark ab 1941
Obwohl der NSRL organisatorisch noch nicht in Lothringen vertreten war, beteiligten sich bereits im Januar 1941 zehn lothringische Fußballmannschaften an offiziellen Spielen des NSRL: dem sogenannten Tschammerpokal, einem reichsweiten Fußballpokalwettbewerb, der 1935 eingeführt worden war. Die Mannschaft des FV Metz, bei welcher nach wie vor mehrere ehemalige Profis des ehemaligen Football-Club Metz mitspielten, konnte dabei erst im Achtelfinale des Wettbewerbs durch eine Niederlage beim SV Jena gestoppt werden.40 Die offizielle Angliederung an den NSRL vorbereitend, fand am ersten Märzwochende 1941 eine zweitägige Fußballfachtagung in Metz statt. Sie wurde vom Saarbrücker Oberbürgermeister Friedrich Schwitzgebel, in seiner Funktion als Sportbezirksführer von Saarbrücken, geleitet. Der SA-Gruppenführer hielt eine programmatische Rede zum Thema „Leibesübungen und völkisches Denken“, in welcher er auf die Prinzipien des nationalsozialistischen Sports einging. Jede Arbeit, auch die sportliche, so Schwitzgebel, müsse im Dienst der Gemeinschaft stehen, weswegen ein Selbstzweck in jeder Organisation ausgeschlossen bleiben müsse. Im Anschluss sprach Bereichsfachwart Karl Zimmer aus Frankfurt über das Aufgabengebiet im Fachamt Fußball in Lothringen. Er hob den FV Metz als „Fahnenträger Lothringens“ hervor und bezeichnete die bald einzuführende Meisterschaftsrunde in der neugegründeten Westmark als endgültige „Verschmelzung des lothringischen Sports mit der Saar und der Pfalz.“ Im weiteren 37 38 39 40
RUNATOWSKI, Le stade olympique, 26-27. Metzer Sport erhielt neuen Auftrieb, in: NSZ-Westmark, Ausg. Metz, 2.12.1942. Meldungen aus Lothringen, 17.–23.10.1941, in: Archives départementales Metz, 1W442. Tschammer-Pokalspiele in Lothringen, in: Metzer Zeitung, 24.1.1941; Lothringen startet im Tschammerpokal, in: Deutsche Front, 25.1.1941.
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Verlauf der Tagung wurden eher verwaltungstechnische Details und Fortschritte im Aufbau des Fußballsports in Lothringen besprochen, unter anderem ging es um Schiedsrichterfragen und die konkrete Zusammenarbeit vor Ort.41 In den folgenden Wochen, also noch Monate vor der offiziellen Gründung des Sportgaus Westmark, änderten sich für die Turn- und Sportgemeinschaften in Lothringen die Zuständigkeiten. Anfragen aller Art, waren es Anträge zur Austragung von Fußballspielen oder die Durchführung sonstiger Sportveranstaltungen, waren nun an den Fachwart Josef Schwab zu richten. Schwabs ganztägig besetzte Dienststelle in Saarbrücken war zuständig für alle Fragen zum Aufbau des Turn- und Sportwesens in Lothringen. Organisatorisch bislang für den NSRL-Sportbezirk 14 Saarbrücken zuständig, übernahm er nun das annektierte Lothringen als Bezirk 14a.42 Wie rasch die lothringischen Vereine im Frühjahr 1941 in den NSRL integriert wurden, spiegelt sich in der Sportbürokratie wider. Die Vereine mussten ab Mai bei Austragung von Pflichtspielen die üblichen fünf Prozent Spielabgabe entrichten und hatten auch den fälligen „Sportgroschen“ an den NSRL in Berlin zu überweisen. Ende Mai wurden die „Reichsbund-Ausweise“ an alle Turn- und Sportgemeinschaften verschickt, ohne welche es in Zukunft nicht mehr möglich war, spielberechtigt zu sein. Nach der offiziellen Gründung des Sportgaus Westmark im Sommer 1941 wurden die bereits geschaffenen sechs Sportbezirke in Lothringen in den Sportgau integriert, in welchem sie fortan die Kreise 20 bis 25 bildeten.43 Im April 1941 begann für die Nachfolger der alten Fußballvereine in der Moselle wieder der Ligaalltag. Ein dreiviertel Jahr nach der Annexion der Moselle gab es mit der lothringischen Frühjahrsmeisterschaft erstmals wieder eine geregelte Spielrunde. Organisiert und koordiniert wurde der in mehreren Gruppen eingeteilte Wettbewerb von der bereits angesprochenen Saarbrücker Dienststelle sowie vom Bezirksfachwart in Saarbrücken Hans Zeimet. Teilnahmeberechtigt waren nur die Turn- und Sportgemeinschaften der DVG. Sieger der lothringischen Meisterschaft wurde im September 1941 der FV Metz, der die TSG Saargemünd im Endspiel mit 4:1 schlagen konnte.44 Die formale Integration des lothringischen Fußballs in den Fußballbetrieb des NSRL gelang rasch und vollständig. So wurden ehemalige Fußballprofis aus Metz in die Gauauswahl des Sportgaus Westmark berufen, nahmen lothringische Vereine an allen Wettkämpfen und Wettbewerben teil und wurden für Jugendmannschaften in der Westmark zahlreiche Spielreisen organisiert. Dass die Moselle als Teil des Deutschen Reiches wahrgenommen wurde, zeigten auch die Schulungskurse, die Reichstrainer Sepp Herberger im Juli 1943 in Metz und Merlenbach abhielt. Gedacht waren die Lehrgänge für Abteilungsleiter, Übungs41 42 43 44
Zu diesem Absatz und zu den Zitaten: Leibesübungen und völkischer Aufgabenkreis, in: Metzer Zeitung, 3.3.1941; Aufbau, in: Metzer Zeitung, 4.4.1941. Aufbau des Turn- und Sportwesens in Lothringen, in: Verordnungsblatt Sportgau Westmark, 1.4.1941. REICHELT, Fußball, 291. Ebd., 302f.
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leiter und „befähigte Spieler“.45 Die Eingliederung der Turn- und Sportgemeinschaften in die Gauliga Westmark erfolgte zur Saison 1941/42. Zunächst war nur der FV Metz für die Gauliga qualifiziert. 1943 folgten die TSG Saargemünd und die TSG Merlenbach. Nicht zuletzt die Verstärkung durch Gastspieler, unter anderem durch Fritz Walter, der zeitweise für Diedenhofen und Saargemünd spielte, sorgte für ein hohes spielerisches Niveau der lothringischen Vertreter.46 Einschneidend für die Entwicklung der Turn- und Sportgemeinschaften in Lothringen war die im Herbst 1942 eingeführte Wehrpflicht für die männliche Bevölkerung in der Moselle. Sie betraf alle Jahrgänge von 1913 bis 1926.47 Damit änderte sich nicht nur schlagartig die Stimmung in der lothringischen Bevölkerung. Weil tausende nach Frankreich flüchteten und damit den Gau Westmark verließen, mussten die Sportvereine einen großen Schwund hinnehmen. Da es auch einige „Gemeinschaftsführer“ betraf, fielen dem Vierteljahresbericht des Sportgauführers zufolge, einige TSG’s der Auflösung anheim. So musste 1943 die in die Gauliga aufgestiegene TSG Merlenbach wegen Mitgliedermangels mit der TSG Freyming fusionieren.48 Die Situation für die Sportvereine verschlechterte sich spätestens mit dem Jahr 1943. Dass der vermehrte Rückgang im sportlichen Leben wegen des totalen Kriegseinsatzes und des vermehrten Einzugs zu Wehrmacht und Reichsarbeitsdienst auch Lothringen betraf, bedauerte Sportgauführer Schwitzgebel in seinem vierteljährlichen Bericht besonders. Er zeigte Verständnis dafür, dass in der Bevölkerung „keine rosige Stimmung“ aufkäme.49 Auch im Saarland und in der Pfalz war die Stimmung bei den Sportvereinen katastrophal. Ab Mitte 1944 war die Kriegswende zunehmend durch die vermehrten Luftangriffe wahrzunehmen. Die Zerstörung von Turnhallen und Sportplätzen machten einen geregelten Spielbetrieb im gesamten Gebiet des Sportgaus Westmark bald unmöglich. Im November 1944 erreichte die Front den saarländisch-lothringischen Grenzraum. Am 22. November 1944 wurde Metz von amerikanischen Truppen befreit, im März 1945 erfolgte die vollständige Befreiung der Moselle und am 21. März marschierten die Alliierten in der ehemaligen Gauhauptstadt Saarbrücken ein.50 Das Bürckel’sche Westmark-Experiment war nach viereinhalb Jahren endgültig und vollkommen gescheitert. Auch die Gauliga Westmark, der es dem Anschein nach gelungen war, Normalität zumindest auf dem grünen Rasen zu in45 46 47 48
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Mitteilung, in: Gauverordnungsblatt Sportgau Westmark, 14.7., 21.7.1943; Neue Sportnachrichten, in: NSZ-Westmark, 9.7.1943. Zur Gauliga Westmark HERZOG, Der „Betze“ unterm Hakenkreuz, 159–162; WAHL, Mit laschem Hitlergruß, 239. WOLFANGER, Die nationalsozialistische Politik, 215; WAHL, Mit laschem Hitlergruß, 239. Vierteljahresbericht des Sportgaues Westmark, 1.7.–30.9.1942, in: Stadtarchiv Saarbrücken, G13/3677; RUNATOWSKI, Le Stade olympique, 26; LAURENT, Histoire du football lorrain, 27. Vierteljahresbericht des Sportgaues Westmark, 1.1–31.3.1943, in: Stadtarchiv Saarbrücken, G13/3677. WOLFANGER, Die nationalsozialistische Politik, 259–261.
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szenieren, hatte keine nachhaltige Wirkung gehabt. Und mit dem Krieg vor der Haustür waren auch die ursprünglichen sportpolitischen Pläne für die Saison 1944/45 obsolet geworden. Es war nicht nur eine Zweiteilung des Gauligabetriebs vorgesehen gewesen, auch die Zusammensetzung der Mannschaften beziehungsweise der Vereine sollte vollkommen neu geregelt werden. Um die Fortdauer des Spielverkehrs zu gewährleisten, sollten auch die alten Vereine an der Saar und in der Pfalz endgültig von der Bildfläche verschwinden. Ihre Mannschaften sollten in neu zu formierenden Städtemannschaften ihre jeweiligen Städte oder Kommunen repräsentieren.51 Wie diese Ortssportgemeinschaften auszusehen hatten, war in den vergangenen vier Jahren in der Moselle mit den Turn- und Sportgemeinschaften erprobt worden. Dies alles konnte allerdings nicht mehr umgesetzt werden und so begann für die Fußballvereine im saarländisch-lothringischen Grenzraum mit der Besatzungszeit eine neue Zeitrechnung. Die ab Sommer 1945 in Saarbrücken residierende französische Militärverwaltung sollte für den Sport ein Organisationsprinzip in der Schublade haben, welches den saarländischen Vereinen aus den Erfahrungen aus der NS-Zeit allerdings – zumindest auf den ersten Blick – bekannt vorkommen musste: der Omnisportverein. 2. Omnisportvereine im Saarland 1945 bis 1950: Zwischen Kontrolle und Emanzipation 2.1. Die Ambivalenz der französischen Sportpolitik im Saarland nach 1945
Ab Juli 1945 bildete das Saarland mit der Pfalz, Rheinhessen und dem südlichen Teil der Rheinprovinz den nördlichen Part der französischen Besatzungszone in Deutschland. Wie nach dem Ersten Weltkrieg bewegte sich das Saarland allerdings wieder auf einem politischen Sonderweg, der sich nicht zuletzt im Sport widerspiegeln sollte. Eine wichtige Rolle spielte dabei Gilbert Grandval. Der aus dem Elsass stammende Offizier wurde für die kommenden zweieinhalb Jahre Militärgouverneur im Saargebiet und sollte nach der Teilautonomie des Saarlands ab 1948 weiterhin als Hoher Kommissar eine der wichtigsten politischen Figuren an der Saar bleiben.52 Die französische Sportpolitik in der Besatzungszeit war ambivalent. Sie bewegte sich zwischen den Polen Kontrolle und Demokratisierung ebenso wie zwischen Beschränkung und Förderung. Das französische Bild von deutschem Sport und Turnen war ebenfalls gespalten. Es schwankte zwischen Ablehnung nationalistischer Traditionen und der Anerkennung der Leistungsfähigkeit des deutschen Sports. Jedenfalls wurde dem Sport ein solches Gewicht beigemessen, dass bereits ab Sommer 1945 in der Besatzungszone eigene Dienststellen geschaffen wurden. Er wurde eng in Verbindung zur Jugendpolitik gesehen und galt als bil51 52
HERZOG, Der „Betze“ unterm Hakenkreuz, 162. Ausführlich dazu LINSMAYER/REICHELT, Das autonome Saarland, 315–318.
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dungspolitisch relevant.53 Als wichtigstes Ziel galt es zunächst einmal, den Sport und vor allem auch das Turnen von nationalistischen und nationalsozialistischen Elementen und Traditionen zu säubern. Der Sport sollte mit seinen Traditionen brechen. Bereits vor dem Beginn des französischen Besatzungsregimes war der NSRL durch die Alliierten als Parteiorganisation der NSDAP verboten worden. Als angeschlossene Gliederungen wurden damit sämtliche Sportvereine mitaufgelöst und deren Vermögen eingezogen. Zudem wurden nun alle Sportarten, die als militärisch oder paramilitärisch galten, verboten. Dies galt nicht nur für das Schießen und Fechten, sondern auch für das Geräteturnen. Der Aktionsradius sportlicher Veranstaltungen wurde – zumindest galt das für die Anfangszeit – regional begrenzt. Gründungsmitglieder der neu zu genehmigenden Vereine durften keine ehemaligen Mitglieder der NSDAP oder ihrer Gliederungen sein und die Namen der neuen Vereine durften nicht an diejenigen der alten Vereine erinnern.54 So wurde bei dem traditionsreichen VfB Borussia Neunkirchen mit der Wegnahme der Bezeichnung „Borussia“ das vermeintlich preußische Erbe getilgt, aus dem FV wurde der 1. FC Saarbrücken. Der Bereich des Sports wurde nichtsdestotrotz in hohem Maß gefördert, was sich beim Wiederaufbau der zerstörten Sportanlagen wie auch in der Verteilung von Bällen, Leibchen und anderem Spielmaterial und in der unbürokratischen Hilfe beim Aufbau einer Sportinfrastruktur bemerkbar machte. Dies lag nicht zuletzt daran, dass die französische Militärregierung den Sport als erfolgversprechenden Bereich ansah, um den französischen Einfluss an der Saar geltend zu machen.55 Darunter verstand die französische Politik nicht nur eine stärkere wirtschaftliche und politische Abhängigkeit der Saar von Frankreich, sondern auch das Konzept einer sozialen und politischen „Rééducation“, um gerade die Jugendlichen für ein neues, demokratisches Wertesystem zu gewinnen. Mit diesen Konzepten war die Sportpolitik ebenso wie die Kulturpolitik integraler Bestandteil einer übergeordneten Sicherheitspolitik gegenüber Deutschland, die eben nicht nur die Kontrolle, sondern auch die Demokratisierung der deutschen Gesellschaft zum Ziel hatte.56 2.2. Das französische Omnisportprinzip im Saarland
Mit der Verfügung über die Umbildung der Sportvereine vom 29. Dezember 1945 wurde an der Saar das französische Omnisportprinzip eingeführt. Sportvereine durften nur noch als Omnisportvereine, also als Vereine mit mehreren Sportabteilungen, gegründet werden. Sie durften weder einen politischen noch konfessionellen Charakter haben und die Anzahl der Sportvereine sollte begrenzt bleiben. In Orten mit weniger als 20 000 Einwohnern sollte nur noch ein Verein 53 54 55 56
In diesem Sinn WOITE-WEHLE, Zwischen Kontrolle und Demokratisierung, 387. Vgl. GROSSMANN, Sportpolitik, 511f. Trois ans de présence française en Sarre, 26. Zur Sportpolitik grundlegend GROSSMANN, Sportpolitik, 511f.; WOITE-WEHLE, Zwischen Kontrolle und Demokratisierung, 38–46, 52–59, 387–389; zur Kulturpolitik HUDEMANN, Brücke, 108.
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für den gesamten Ort genehmigt werden. Genehmigt wurden die Vereine von der Abteilung Volkserziehung, Sport und Jugend-Kontrolle der französischen Militärregierung. Außerdem hatte jedes gewählte Vorstandsmitglied einen politischen Fragebogen auszufüllen und die Vereine hatten sich „allen von der Militärregierung notwendig erachteten Überwachungsmaßnahmen zu unterwerfen.“ Monatlich hatten die Sportvereinigungen einen Bericht in doppelter Ausführung und zweisprachig abzugeben, in welchem die Tätigkeit der Vereine genau dokumentiert werden mussten.57 Die Einführung politisch neutraler und reiner Omnisportvereine, auch „Allsportvereine“ genannt, sollte die Kontrolle erleichtern und entsprach auch der grundsätzlich skeptischen Haltung der französischen Besatzungsmacht gegenüber dem deutschen Sport und dessen Vergangenheit im deutschen Kaiserreich und im Nationalsozialismus. Der Omnisportverein wurde auch in der übrigen französischen Besatzungszone, so auch in der Pfalz, für den Sport verpflichtend eingeführt.58 Im Omnisportverein – so die Vorstellung – sollten sich die Deutschen arrangieren und politisch neutralisieren. Vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, dass bestimmte Sportarten wie das Geräteturnen und Kampfsportarten zunächst verboten und Ballsportarten gefördert wurden.59 Das in seinem Zentralismus und seiner verwaltungstechnischen Effizienz ganz den traditionellen französischen Vorstellungen entsprechende Omnisportprinzip erstreckte sich nicht nur auf die Neuorganisation der Sportvereine, sondern auch auf deren Dachorganisation. Diese wurde Ende 1946 mit dem Landessportausschuss (LSA) geschaffen. Für den zentralen Sportverband für das Saarland stand das französische Pendant, der „Comité National des sports français“ Pate. Mitglieder konnten nur die genehmigten Omnisportvereine werden. Eine Gliederung in Fachverbände war dabei nicht vorgesehen. Für die verschiedenen Sportarten waren Sparten vorgesehen, die jedoch nicht den Status einer Körperschaft erhielten. Diese Veränderungen standen im Gegensatz zur Entwicklung in den anderen Besatzungszonen in Deutschland, wo der Einheitssportgedanke rasch vom traditionellen Fachverbandsprinzip in die Ecke gedrängt wurde.60 2.3. Die kurze Scheinblüte der Omnisportvereine und die Restaurierung des traditionellen Vereinswesens
Zum Jahresanfang 1948, also mit dem Beginn des teilautonomen „Saarstaats“, zählte das französische Hohe Kommissariat an der Saar 261 Omnisportvereine mit mehr als 68.000 Mitgliedern, von welchen 20.000 aktiv Fußball spielten.61 Ein Musterbeispiel für einen Omnisportverein bildete die Spiel- und Sportge57 58 59 60 61
Verfügung über die Umbildung der Sportvereine im Saargebiet vom 29.12.1945, in: Amtsblatt des Regierungspräsidiums Saar, Nr. 1, 31.1.1946. Für die Pfalz AMMERICH, Im Spannungsfeld, 222–228. WOITE-WEHLE, Die Wiedergründung, 143–144. GROSSMANN, Sportpolitik, 515; PABST, Sport – Medium der Politik?, 52–58. REICHELT, Fußball, 314.
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meinde Völklingen mit über 2.000 Mitgliedern, von denen allein 700 der Abteilung Fußballsport angehörten. Hinter der Sportgemeinde – wie sie zeitgenössisch genannt wurde – beziehungsweise in den Sportabteilungen des Vereins verbargen sich in erster Linie die drei großen traditionsreichen Vereine der Hüttenstadt Völklingen. Dies waren der Turnverein von 1878, der Schwimmverein 09 sowie der Sportverein 06 Völklingen. Auch der 1. FC Saarbrücken (FCS), der im Dezember 1945 als Nachfolgeverein des traditionsreichen FV Saarbrücken genehmigt worden war, wurde zu einem Omnisportverein umgestaltet. Dem Verein, in welchem die Funktionäre der Fußballabteilung das Sagen hatten, schlossen sich viele aufgelöste Sportvereine an, die nun im FCS eigene Sportabteilungen bildeten. So kam es, dass im FCS im Herbst 1946 neben Fußball Handball, Hockey, Rollschuh, Leichtathletik, Boxen, Radsport, Schach, Billard, Tischtennis, Sommerspiele und Ringtennis betrieben wurden. Rudern und Reiten kamen später noch hinzu. Dass es sich bei der Omnisportstruktur des 1. FC Saarbrücken um eine Zweckgemeinschaft auf Abruf handelte, war den Beteiligten ebenso klar wie in Völklingen. So hieß es in der 1953 erschienenen Festschrift des 1. FC Saarbrücken rückblickend: „Gerne hatten wir all diesen Sportarten unsere Organisation zur Verfügung gestellt, unter deren Fittiche sie sich in aller Ruhe aufbauen und den Moment abwarten konnten, an dem es ihnen möglich war, die Eigenständigkeit in vollem Umfange wieder zu erlangen.“62
Das schleichende Ende der Omnisportvereine erfolgte mit dem Beginn des teilautonomen „Saarstaats“ ab 1948 und der nun wechselnden Zuständigkeit für die Zulassung von Sportvereinen, die von der französischen Militärregierung an den saarländischen Kultusminister überging. Im Juli wurde das Omnisportprinzip mit dem Gesetz über die Zulassung von Sportvereinen im Saarland deutlich gelockert. Auch wenn der Omnisportverein nach wie vor gesetzlich fest verankert war, wurde die Richtgröße für die Gründung eines Sportvereins von 20.000 auf 10.000 Einwohner reduziert. Zudem wurde die Berichtspflicht gegenüber den Behörden deutlich zurückgenommen.63 Dem saarländischen Sport gingen diese Maßnahmen nicht weit genug. Die weiterhin bestehende Verpflichtung auf das Omnisportprinzip wurde in den meisten Vereinen kritisiert. Ein Wortführer der ablehnenden Front war mit Hans Helmer einer der wichtigsten Protagonisten im saarländischen Sport der Nachkriegszeit. Zwar hatte der Sozialdemokrat nach 1945 über gute Kontakte zur französischen Militärregierung verfügt und deren Politik grundsätzlich unterstützt, weswegen ihm 1946 auch angetragen worden war, die Fachzeitschrift „Sport-Echo“64 herauszugeben. Dennoch war Helmer, der seit 1945 als Präsident den 1. FC Saarbrücken führte und von 1950 bis 1953 den Vorsitz im Landes62 63 64
Festschrift 50 Jahre 1. FC Saarbrücken, 54. Gesetz über die Zulassung von Sportvereinen im Saarland, 29.7.1948, in: Amtsblatt des Saarlandes 68/1948. REICHELT, Die saarländische Sportpresse, 413.
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sportverband inne hatte, ein Gegner des Omnisportprinzips. In einem Leitartikel im Vereinsblatt seines 1. FC Saarbrücken bezog er im November 1949 strikt Stellung gegenüber dem auch von der Saarregierung vertretenen Omnisport. Er verkannte zwar nicht den Idealismus, der prinzipiell hinter dem Prinzip stünde, erhob jedoch den Vorwurf an die Regierung, dieses aus rein politischen Gründen zu vertreten. Schließlich, so argumentierte er, könne man annehmen, „daß es natürlich leichter ist, eine gewisse Zahl von Großvereinen unter Kontrolle zu halten als eine Unzahl kleiner und kleinster Clubs.“65 Außerdem bezeichnete er den Omnisportverein als undemokratisch, da er nicht nur die freie Vereinsbildung im Saarland verneine, sondern es auch kaum möglich sei, die Interessen der vielen einzelnen Sparten im Gesamtvorstand entsprechend zu berücksichtigen. Infolge der gesetzlichen Lockerungen von 1948 zeigten die großen Omnisportvereine Auflösungserscheinungen. So wurde im September 1949 die bereits erwähnte Sport- und Spielgemeinde Völklingen wieder aufgelöst. Aus dem Großverein entstanden drei Sportvereine, die sich als die direkten Nachfolgevereine der drei ursprünglich aufgelösten Vereine verstanden. Der neu entstandene Turn- und Spielverein verstand sich als der rechtmäßige Nachfolger des alten Turnvereins Völklingen von 1878, der Schwimmverein sah sich in der Tradition des alten Völklinger Schwimmvereins 09 und der Sportverein beanspruchte die Nachfolge des ehemaligen SV Völklingen 06. Die Zusammenarbeit zwischen den drei Vereinen, die vormals noch drei Abteilungen im selben Verein gebildet hatten, war den eigenen Angaben zufolge nach wie vor gut. Im Sommer 1950 brachten sie eine gemeinsame Vereinszeitschrift für den Völklinger Sport heraus. Im Geleitwort der ersten Ausgabe brachten die drei Vereinsvorsitzenden die Stimmung in den Kreisen des Vereinssports in Völklingen, die aber für das gesamte Saarland galt, zum Ausdruck: „Nach der Auflösung der Sportgemeinde im September 1949, die weder den Fußballern noch den Turnern wie auch den Schwimmern sympathisch gewesen war, ist der Entwicklung des Sportes in Völklingen innerhalb der alten Vereine in neuem Gewande erst wieder die Voraussetzung gegeben worden, die hier nun einmal aus der Tradition und der Struktur heraus nicht anders sein kann. In Völklingen ist man nicht für den Omnisportverein. Damit wird man sich auch an anderer Stelle abfinden und dem Wunsch der vielen tausend Sportfreunde aus drei großen Lagern Rechnung tragen müssen.“66
Beinah zeitgleich zum Erscheinen der ersten Ausgabe der Völklinger Vereinszeitschrift wurde das Omnisportprinzip im Saarland so gut wie aufgehoben. Mit dem vom Landtag am 13. Juli 1950 verabschiedeten Gesetz über den Vereinssport im Saarland wurde die Gründung eines Sportvereins nicht mehr an die bereits reduzierte Richtgröße von 10.000 Einwohnern gebunden. Außerdem war 65 66
Hans Helmer, Omnisport, gestern und heute, in: Monatszeitschrift des 1. FC Saarbrücken 2 (November 1949), Nr. 2. Zum Geleit!, in: Sport und Spiel. Monatsschrift Turn- und Spielverein, Sportverein, Schwimmverein Völklingen, Nr. 1, Juli 1950.
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das Omnisportprinzip nur noch eine Sollbestimmung. Vom Omnisportprinzip konnte in begründeten Fällen abgesehen werden. Das Verbot des Tragens alter Vereinsabzeichen und das der Benutzung der alten Vereinsnamen wurden ersatzlos gestrichen. Neu zu gründende Vereine benötigten weiterhin die Zulassung durch das Kultusministerium. Allerdings wurden die Hürden für einen negativen Bescheid hoch gelegt.67 Das neue Sportvereinsgesetz führte insbesondere bei den Turnvereinen an der Saar zu einer beispiellosen Gründungswelle. Bereits zwei Jahre zuvor war das Turnen als Sportart wieder ohne Auflagen genehmigt worden. Zu dieser Zeit spielte sich das Turnen allerdings noch in den Turnabteilungen der Omnisportvereine ab. Mit der endgültigen Lockerung des Omnisportgesetzes wurde das Jahr 1950 für die Turnbewegung an der Saar zum großen „Wiedergründungsjahr“. Turnvereine schossen ab September 1950 „empor wie die Pilze im Herbst,“ sodass der Saarländische Turnerbund Ende des Jahres bereits 79 „reine“ Turnvereine zählte.68 Auch die alten Vereinsnamen wurden von vielen Vereinen wieder angenommen. Im Dezember 1950 erhielt beispielsweise der bereits erwähnte Turn- und Spielverein Völklingen vom saarländischen Kultusministerium die Zulassungsurkunde, ab sofort wieder den Namen Turnverein Völklingen 1878 e.V. zu tragen.69 Auch die beiden anderen Vereine Völklingens, der Schwimmverein 09 und der SV Völklingen 06, hatten wieder ihren alten Namen angenommen. Die Restaurierung des traditionellen Vereinswesens nahm ab 1950 feste Konturen an. Mehr als ein Symbol war auch die Wiederumbenennung des VfB Neunkirchen, der im August 1950 wieder seinen alten Namen Borussia Neunkirchen annahm. 3. Schlussbetrachtung: Sport zwischen Zwang und Emanzipation Sowohl die Nationalsozialisten als auch die französische Militärregierung im Saarland versuchten, den Bereich des Sports zu beherrschen beziehungsweise unter staatliche Kontrolle zu stellen. Im Fall des organisierten Vereinssports wurde dies bei beiden staatlichen Akteuren dadurch angestrebt, dass die traditionellen Vereine durch staatlich kontrollierbare Sportgemeinschaften ersetzt werden sollten. Im „Dritten Reich“ wurden zunächst die „Vereine für Leibesübungen“ als Großvereine etabliert, wobei langfristig eine vollständige Zerschlagung des Vereinswesens geplant war. Wie der nationalsozialistische Sport auszusehen hatte, war in seiner Vollendung im besetzten Lothringen zu sehen gewesen. Die Turn- und Sportgemeinschaften waren untrennbar mit der Deutschen Volksge67 68
69
Gesetz über den Vereinssport im Saarland, 13.7.1950, in: Amtsblatt des Saarlandes 60/1950; HARRES, Sportpolitik an der Saar, 132. Ludwig Minke, Neues Leben sprießt aus Trümmern und Ruinen, in: Turnen. Sport und Spiel an der Saar, Nr. 4, Dezember 1950, 3; zur Turnbewegung an der Saar in der Nachkriegszeit ausführlich REICHELT, Nach dem Spiel, 317–321. Wieder Turnverein Völklingen 1878 e.V., in: Sport und Spiel. Monatsschrift Turn- und Spielverein, Sportverein, Schwimmverein Völklingen, Nr. 1, Januar 1951.
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meinschaft – der lothringischen Ersatzorganisation der NSDAP – durch Personalunion auf der Ebene der Führungseliten verbunden. Sie zeigten den Weg auf, den die deutschen Sportvereine noch vor sich gehabt hätten, hätte das „Tausendjährige“ Reich im Jahr 1945 nicht sein abruptes Ende gefunden. Die französische Besatzungsmacht versuchte ab Mitte 1945, wobei ihre Motive zwischen Kontrolle und Demokratisierung lagen, das deutsche Sportvereinswesen zu beherrschen. Politisch konsequent war Gründung von Omnisportvereinen, die in ihrer rein funktionellen Art und Weise den nationalsozialistischen Großvereinen früherer Prägung frappierend ähnelten. Gleichwohl waren sie nicht mit den Vereinen des NSRL oder gar den Ortssportgemeinschaften zu vergleichen, die nach dem „Führerprinzip“ aufgebaut waren und der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ zu dienen hatten. Im französisch geprägten Omnisportverein waren trotz einer anfänglichen restriktiven Politik demokratische Elemente angelegt. Insofern ist ein Vergleich mit den Sportgemeinschaften im Nationalsozialismus legitim, eine Gleichsetzung allerdings fehl am Platze. Sowohl die Nationalsozialisten als auch die französische Militärregierung im Saarland scheiterten daran, den Bereich des Sports nach ihren Vorstellungen zu beherrschen. Damit stellt sich die Frage nach dem Warum. Sven Güldenpfennig zufolge stellt der Sport ein eigenständiges kulturelles Sinnsystem dar. In diesem Sinne müsse verstärkt nach den außersportlichen Interessen auf dem Feld des Sports und nach dem letztendlichen Scheitern solcher Inszenierungen von Dritten gefragt werden.70 Die außersportlichen Interessen beider staatlichen Akteure waren offensichtlich. Der Sport sollte nicht des Sports wegen betrieben werden. Ihm wurden außersportliche Funktionen zugewiesen, wie dies in der jüngeren Geschichte bereits wiederholt geschehen war. Ein Verweis auf die immer wieder versuchte Indienstnahme des Sports und des Turnens durch Reformpädagogen oder Militärs muss an dieser Stelle genügen. Allerdings würde es zu kurz greifen, das Scheitern der politischen Beherrschbarkeit des Sports allein auf die emanzipatorische Eigenständigkeit des Sports zurückzuführen. Dass das Omnisportprinzip im Saarland innerhalb weniger Jahre fast verschwunden war, hatte es zwar den Emanzipationsbestrebungen der Sportvereine zu verdanken, die ihre ganz eigenen Interessen verfolgten und deren Lobbyarbeit im teilautonomen Saarland auf fruchtbaren Boden stieß. Gleichwohl gelang ihnen dies in einem Umfeld, in welchem es sowohl zu einer Demokratisierung als auch zu einer Liberalisierung von Staat und Gesellschaft gekommen war. Diese Voraussetzungen waren im „Dritten Reich“ nicht gegeben. Um die Nationalsozialisten zu stoppen, bedurfte es des Vormarschs der Alliierten. Ob es im Umfeld des Nationalsozialismus zu einer Emanzipation des Sports gekommen wäre und wie sich diese möglicherweise gestaltet hätte, muss aus heutiger Sicht reine Spekulation bleiben.
70
Vgl. beispielsweise GÜLDENPFENNIG, Sportgeschichte ist Geschichte des Sports, 331– 333.
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Der steirische Fußball im „Ständestaat“ und im „Dritten Reich“ Brüche und Kontinuitäten 1933/34 – 1938 – 1945 Im März 1933, nur wenige Wochen nach der NS-„Machtergreifung“ in Deutschland, setzten sich auch in Österreich antidemokratische Kräfte durch. Unter dem christlichsozialen Bundeskanzler Engelbert Dollfuß übernahm eine autoritäre Regierung das Ruder. In den folgenden Jahren bis 1938 begriff sich Österreich als „besserer deutscher Staat“, das Regime inszenierte sich als „Konkurrenzfaschismus“ zu Hitler-Deutschland. Das wurde auch in den staatlichen „Gleichschaltungsambitionen“ gegenüber (Sport-)Vereinen deutlich, wo sich, zumindest in Ansätzen, deutliche Parallelen zu jener Politik zeigten, wie sie nach dem „Anschluss“ 1938 die neuen, nationalsozialistischen Machthaber verfolgten. Die Steiermark war in der Zwischenkriegszeit politisch besonders umkämpft. Die ideologischen Grenzen zwischen christlichsozial und deutschnational verliefen hier oft fließend, dem Nationalsozialismus bot sich reichlicher Nährboden. Nicht umsonst erhielt die Landeshauptstadt Graz aufgrund ihrer „Vorreiterrolle“ rund um den „Anschluss“ den NS-Ehrentitel „Stadt der Volkserhebung“.1 All die politischen Gräben und Umbrüche im Zeitraum 1933 bis 1945 spiegelten sich auch im steirischen Fußball wider. Mehrere „Gleichschaltungswellen“ erfassten die Vereine. Die Klubs spielten zum Teil durchaus mit, zum vollkommenen Abbild ihres politischen Umfelds wandelten sie sich jedoch nicht. Vielmehr behielt der steirische Fußball ihm immanente Eigenheiten und Dynamiken bei. Die Regime, sowohl der „Ständestaat“ als auch der Nationalsozialismus, bekamen ihn nie zur Gänze in den Griff. 1. Vom „Ständestaat“ zum „Anschluss“: ein kurzer Abriss Das politische Klima in Österreich hatte sich in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre dramatisch verschlechtert.2 Zunächst standen sich zwei Fraktionen unversöhnlich gegenüber: auf der einen Seite die mit Unterstützung kleinerer, deutschnationaler Parteien regierenden Christlichsozialen, auf der anderen Seite die oppositionellen Sozialdemokraten. Paramilitärische Verbände prägten das 1 2
Dazu KARNER, Die Steiermark im Dritten Reich, 44–48. Hierzu und zum Folgenden die Standardwerke KRIECHBAUMER, Die großen Erzählungen der Politik; HANISCH, Der lange Schatten des Staates, 285–294; zum „Ständestaat“ REITER-ZATLOUKAL/ROTHLÄNDER/SCHÖLNBERGER, Österreich 1933–1938; zur NSHerrschaft in der Steiermark HALBRAINER/LAMPRECHT/MINDLER, NS-Herrschaft in der Steiermark; zur Steiermark KARNER, Die Steiermark im 20. Jahrhundert, 147–314.
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Straßenbild; die antimarxistischen und bürgerlich-agrarischen Heimwehren, die zu großen Teilen den Christlichsozialen nahestanden, und der Republikanische Schutzbund, der seinerseits in die Organisationsstruktur der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei eingebettet war. Ab dem Beginn der 1930er Jahre gewannen auch die Nationalsozialisten durch sprunghafte Stimmenzuwächse bei verschiedenen Regionalwahlen deutlich an politischer Kraft. Nach den Nationalratswahlen 1930 verfügten die Christlichsozialen zusammen mit ihrem kleineren Koalitionspartnern, dem deutschnationalen Landbund und dem aus Teilen der Heimwehren gebildeten „Heimatblock“, schließlich nur noch über eine hauchdünne Mehrheit von einer Stimme. Unter diesen Voraussetzungen nutzten sie 1933 eine Geschäftsordnungspanne im Nationalrat, um vorerst autoritär zu regieren. In weiterer Folge entschied sich die Regierung unter Kanzler Dollfuß, der stark unter dem Einflus des italienischen Diktators Benito Mussolini stand, jedoch für eine nachhaltige Demontage der Demokratie. Sukzessive erfolgte die Ausschaltung der politischen Gegner. Nach einem Handgranatenanschlag verbot die Regierung im Juni 1933 die NSDAP, nach der blutigen Niederschlagung eines Aufstandes von Teilen des Republikanischen Schutzbundes im Februar 1934 schließlich auch die Sozialdemokratie. Per Verfassung wurde am 1. Mai 1934 der „Ständestaat“ (offiziell: Bundesstaat Österreich) installiert, ein autoritäres Regime auf – zumindest theoretisch – berufsständischer Grundlage, das sich auf katholische Grundsätze berief und sich massiv auf die Amtskirche stützen konnte. Auch die übrigen Parteien wurden aufgelöst. An ihre Stelle trat die Einheitsbewegung Vaterländische Front, in der sich alle „regierungstreuen Kräfte“ sammelten. Von Beginn an stand das „ständestaatliche“ Regime in Abwehrhaltung zu Hitler-Deutschland, dessen Expansionsdrang Österreich immer deutlicher zu spüren bekam. Politische Gegner, Sozialdemokraten wie auch Nationalsozialisten, wurden verfolgt, viele in Anhaltelagern inhaftiert. Das Fortbestehen einer illegalen NS-Bewegung in Österreich verhinderten diese Maßnahmen aber nicht. Im Juli 1934 wurde der Bundeskanzler bei einem nationalsozialistischen Putschversuch ermordet, seine Nachfolge trat Kurt Schuschnigg an, der schließlich ab 1936 schrittweise Zugeständnisse gegenüber NS-Deutschland machte. Mit dem „Berchtesgadener Abkommen“, bei dem Adolf Hitler Schuschnigg massiv unter Druck gesetzt hatte, war das Schicksal Österreichs besiegelt – und damit auch das „ständestaatliche“ Intermezzo beendet. Im März 1938 erfolgte der „Anschluss“ Österreichs an Deutschland. Umgehend wurden die Funktionäre des „Ständestaates“, die sogenannten „Vaterländischen“, aus den öffentlichen Funktionen ausgeschaltet, nicht wenige von ihnen in Konzentrationslager deportiert. Die Sportpolitik des „Ständestaates“ war jener des „Dritten Reichs“ durchaus ähnlich, sah doch auch das Dollfuß-/Schuschnigg-Regime im Sport ein willkommenes Mittel zur Systemstabilisierung – in diesem Fall jedoch zu einer Stabilisierung, die auch als Sperrriegel gegen den Nationalsozialismus dienen sollte. Dem Sport hatte das System des „Ständestaates“ die Funktion zugedacht, „eine
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positive nationale Identität und ein Österreich-Bewusstsein […] zu erwecken“.3 Das bekamen auch die steirischen Fußballklubs zu spüren. Die „ständestaatlichen“ Gleichschaltungsambitionen unterschieden sich theoretisch nur wenig von der „Gleichschaltung“ des Fußballsports durch den Nationalsozialismus. In der praktischen Umsetzung wurden die Unterschiede zwischen dem autoritären „Ständestaat“ und dem totalitären NS-Regime aber durchaus deutlich. 2. „Gleichschaltung“ im autoritären und im totalitären System: Ansätze zu einem Vergleich Am Beginn der 1930er Jahre hatte sich im steirischen Fußball neben den Grazer Vereinen Grazer Athletiksport-Klub (GAK), Grazer Sportklub „Sturm“, Grazer Sportklub Straßenbahn (GSC) und Sportverein Südbahn die obersteirische Industrieregion mit den Spitzenteams Sportklub Kapfenberg und Sportverein Donawitz als zweites Zentrum des Spiels mit dem runden Leder etabliert.4 Wie „alle österreichischen Verbände und Vereine, deren Mitglieder Sport und Turnen betreiben“, wurden auch die führenden steirischen Klubs im „Ständestaat“ in einem autoritären Verband, der „Österreichischen Sport- und Turnfront“ (ÖSTF), zusammengefasst. Die ÖSTF wurde per Gesetz vom 30. Oktober 1934 ins Leben gerufen.5 An ihrer Spitze stand als „Sportführer“ Vizekanzler und Heimwehrführer Ernst Rüdiger Starhemberg. Dem „Sportführer“ fiel die Aufgabe zu, in Abstimmung mit dem jeweiligen Landeshauptmann Sportkommissäre in den einzelnen Bundesländern einzusetzen. Landessportkommissär in der Steiermark wurde Chefredakteur Franz Ircher, langjähriger Funktionär des GAK und des Steirischen Fußballverbandes.6 In der NS-Zeit hingegen wurden die Sportvereine dem Deutschen Reichsbund für Leibesübungen (DRL), ab Dezember 1938 Nationalsozialistischer Reichsbund für Leibesübungen (NSRL), unter Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten eingegliedert. Höchster Sportführer der „Ostmark“ wurde Friedrich Rainer, der Gaustatthalter von Kärnten, später auch von Salzburg. Unter ihm fungierte als ranghöchster Sportfunktionär der Steiermark (Kreissportführer) SAStandartenführer Paul Geißler, dem wiederum der steirische Fußballverband unterstand, den nunmehr anstelle des Präsidenten ein sogenannter Fachwart leitete. In den einzelnen Klubs wurden linientreue „Vereinsführer“ installiert.7 Aus steirischer Sicht begann im Übrigen auch die im Prinzip bereits im „Ständestaat“ durchgeführte Ligareform erst im NS-System zu greifen: die gesamtösterreichische „Nationalliga“ (unter der NS-Herrschaft nunmehr die „Be3 4 5 6 7
MARSCHIK, Sport im Austrofaschismus, 378. Zu den steirischen Spitzenklubs und Fußballzentren ausführlich IBER/KNOLL, Von Jubelschriften und Vereinsegoismen, 334f.; IBER, Erst der Verein, dann die Partei, 34–38. Bundesgesetzblatt (BGBl), Nr. 362/1934. 50 Jahre Steirischer Fußballverband, 53. Dazu ausführlich IBER, Erst der Verein, dann die Partei, 86–93.
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reichklasse“ der „Ostmark“), in der sich auch der steirische Meister mit den Wiener Spitzenklubs wie Rapid, Austria oder Vienna messen sollte. War Sturm 1937 noch in einem Aufstiegsturnier an den Mannschaften Helfort und Simmering gescheitert, so konnte 1938 der GSC in die Bereichsklasse einziehen. Unter dieser höchsten Spielklasse wurde der Spielbetrieb zunächst in Bezirksklassen eingeteilt – kriegsbedingt sollte sich der Modus in den folgenden Jahren noch mehrfach ändern –, wobei sich die „Bezirksliga Süd“ schließlich aus sieben steirischen und drei Kärntner Vereinen zusammensetzte. Es waren dies die Mannschaften Sturm, Südbahn, Donawitz, GAK, Kapfenberg, Krems-Voitsberg, Klagenfurter AC, Villacher SV und Rapid Klagenfurt. Die zweithöchste steirische Spielklasse – vormals Zweite Steirische Klasse – bildete nun die Erste Kreisklasse, der unter anderem Bewegung Gösting, Leibnitz und – zu diesem Zeitpunkt noch – der FC Graz angehörten.8 Nach der Besetzung der Untersteiermark 1941 stiegen auch Vereine wie Rapid Marburg oder Cilli in den steirischen Meisterschaftsbetrieb ein. Nach dem Grazer Sportklub spielte auch der SK Sturm (1941–1943) in der Bereichsklasse. Donawitz (steirischer Meister 1939) und Kapfenberg (steirischer Meister 1942 und 1943) scheiterten jeweils im Aufstiegsbewerb und erreichten die Bereichsklasse nicht.9 3. Auflösungen, Neugründungen und Fusionen von Fußballvereinen Die vom „ständestaatlichen“ Regime durchgeführten Vereinsauflösungen in der Steiermark reflektierten den politischen Kontext. Sie betrafen ab Sommer 1933, nach dem Verbot der NSDAP, deutsch-völkische (Turn-)Vereine, nach den Februarkämpfen 1934 aber noch viel mehr die Arbeiter-Sportvereine. Seit der zweiten Hälfte der 1920er Jahre war es zu einer starken Politisierung des steirischen Fußballsports gekommen. 1927 spaltete sich der Steirische AmateurFußballverband, eine Zweigorganisation der sozialdemokratischen Vereinigung der Amateurfußballvereine Österreichs, kurz VAFÖ, vom überparteilich geführten Steirischen Fußballverband ab.10 Viele prominente steirische Klubs, die auch im Arbeitermilieu verankert waren, wie etwa Sturm oder der Grazer Sportklub Straßenbahn, waren damals durch die politischen Diskussionen – nicht wenige Mitglieder und Funktionäre sympathisierten mit der VAFÖ – ernsthaft von einer Spaltung bedroht. Sturm konnte diese mit Mühe abwenden, während aus dem Sportklub eine Gruppe austrat und sich mit dem Sportklub Freier Straßenbahner dem Amateur-Fußballverband anschloss. 1929 verankerten die Freien Straßenbahner in ihren Satzungen, dass „ausübende Mitglieder […] nur freigewerk-
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Fußball-Sonntag, 17.7.1938, 5. IBER, Erst der Verein, dann die Partei, 128–130, 223–231. Steiermärkisches Landesarchiv (StLA), Landesregierung (LReg) 206-Fu 17/1934, Statuten des StAF vom 4.3.1927.
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schaftlich organisierte Arbeiter und Angestellte, oder der sozialdemokratischen Partei angehörende Mitglieder werden“11 können. Im Februar 1934, kurz nach dem Ende der bewaffneten Kämpfe, wurden die VAFÖ und mit ihr der Steirische Amateurverband behördlich verboten. Praktisch im selben Atemzug setzte das Regime auch dem Sportklub der Freien Straßenbahner ein Ende. Er wurde „als Verein, der im Sinne der Sozialdemokratischen Partei tätig war“, aufgelöst.“ Von den Repressionen betroffen waren nicht zuletzt auch die Arbeiter-Turn- und Sportvereine (ATUS).12 Doch viele der aufgelösten Vereine waren bereits nach kurzer Zeit wieder aktiv, wenn auch unter geändertem Namen und mit „politisch unbelasteten“ Vereinsvorständen. So gründete sich beispielsweise der unterklassige weststeirische Verein ATUS Bärnbach neu unter dem Namen Kainachtaler Sportverein in Oberdorf, später unter SV Bärnbach.13 Der Arbeiter-Athletik-Sportklub Gratkorn, nach dem Februar 1934 vom steirischen Sicherheitsdirektor Georg Zelburg aufgelöst,14 erstand später als SV Gratkorn neu. Der Klub spielte ab 1936 immerhin in der höchsten steirischen Spielklasse.15 Oder, wie es in der Chronik des SC Bruck/Mur (damals Arbeiter-Athletik-Klub) hieß: „Ungeachtet des Vereinsverbots wurde dem Fußballsport in Bruck/Mur weiterhin unter verschiedenen Decknamen gehuldigt“.16 Eine Neugründung ließ das „ständestaatliche“ Regime in diesem Fall nicht zu, immerhin war Bruck eines der Zentren des sozialdemokratischen Widerstands im Februar 1934 gewesen. Da schließlich aber die Nationalsozialisten der Arbeiterschaft kalkulierte Zugeständnisse machten, durfte sich der Verein nach dem „Anschluss“ 1938 neu gründen, und zwar als Sportklub Bruck/Mur. Ähnlich verhielt es sich in der Steiermark mit den Postsportvereinen, die ebenfalls ab 1938 wieder auflebten.17 Grundsätzlich ging das „ständestaatliche“ Regime gegen die steirischen Fußballvereine – vor allem was Neugründungen betraf – weit weniger rigoros vor als das NS-Regime. Das lag vor allem an der Person des Sportkommissärs Ircher, der selbst unmittelbar aus dem Fußballsport kam.18 Ircher nutzte seine ranghohe Position, um die Politik aus dem Fußball möglichst herauszuhalten. So kam er nationalen Vereinen, die ab 1933 von der Auflösung bedroht waren, sehr entge11 12 13
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Ebd., LReg 206-SO-37/1934, Protokoll-Niederschrift vom 4.4.1929: Statutenänderung in der Generalversammlung vom 16.3.1929. So auch der ATUS Gleisdorf. Dazu 50 Jahre Steirischer Fußballverband, 328. Sämtliche Spieler des neugegründeten Vereins waren zuvor beim Arbeiterklub aktiv gewesen. Der neue Ausschuss hingegen bestand nun „aus Mitgliedern, die als vaterlandstreu angesehen werden können“. StLA, LReg 206, BA-48/1937, SV Kainachtal in Oberdorf an das Amt der Steiermärkischen Landesregierung, o.D [1937]; ders. an die politische Expositur Voitsberg, 17.5.1934: ebd., Kainachtaler Sportverein an den Herrn Sicherheitsdirektor für Steiermark, 2.6.1935. StLA, Lreg 206, G-14/1927, Bescheid vom 30.4.1934. 50 Jahre Steirischer Fußballverband, 206. Ebd., 153. Ebd., 153 und 223. Dazu unten S. 375.
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gen. „Dank seiner unpolitischen Haltung und des Verständnisses des damaligen Landes-Sportkommissärs […] konnte der Verein der Auflösung entgehen“, hieß es beispielsweise beim Sportverein Leibnitz.19 Ein anderes Beispiel zeigt, dass sich Ircher auch im Hinblick auf die Arbeitervereine unkonventionell gab, wenn es ihm in sportlicher Hinsicht dienlich schien. Im Herbst 1936 wurde der Landessportkommissär von der Sicherheitsdirektion in der Frage der Genehmigung eines Werkssportvereins im obersteirischen Zeltweg beigezogen. Dieser Werkssportverein, vom Alpine Montan-Konzern finanziell unterstützt, war als Nachfolgeverein der Sportgruppe der Heimatschutz-Ortsgruppe Zeltweg, einem Allroundsportverein mit eigener Fußballsektion, konzipiert. Ircher ging hier überaus pragmatisch vor und präferierte eine Lösung, bei welcher er, wie er es selbst formulierte, „den sportlichen Standpunkt in den Vordergrund“ stellte. Er setzte sich für eine Fusionierung des Werkssportvereins mit dem schon seit längerem bestehenden Sportklub „Alpina“ ein. Der sozialdemokratische Sportklub „Alpina“ war kein eigenständiger Verein, sondern eine Sektion des mittlerweile „gleichgeschalteten“ steirischen Arbeitersportverbandes. Offenbar war der Klub deshalb der Auflösung entgangen.20 Nun schlug Ircher also eine Fusion von Arbeitern und Heimwehrmännern unter dem gemeinsamen Dach eines Werkssportvereines vor. Was aus politischer Sicht kaum denkbar war, funktionierte im Sport – beide Seiten stimmten zu, die Idee wurde tatsächlich umgesetzt. Freilich, Landessportkommissär Ircher konnte damit mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen, folgte er doch der Strategie der Sport- und Turnfront in den ersten Jahren des „Ständestaates“, nach den Jahren der Politisierung des Sports eine Entpolitisierung desselben zu erreichen. Aber – und das schien Irchers völlig unideologischer Hauptgrund zu sein – er vertrat damit auch den Standpunkt, „dass in kleineren Orten nur ein Verein bestehen soll, weil ja mehrere Vereine durch die Zersplitterung der Ausübenden und des Publikums, die die Vereine durch die Mitgliedsbeiträge und Eintrittsgelder erhalten, keine Existenzberechtigung besitzen“.21
Dieser ökonomisch-pragmatische Ansatz ist im steirischen Fußball auch aus der NS-Zeit bekannt. Auch hier wurden, nicht zuletzt in einzelnen Bezirken bzw. Stadtteilen von Graz, mehrmals Fusionen in die Wege geleitet. Indessen hatte ein Großteil der im „Ständestaat“ sprunghaft angewachsenen Zahl an HeimwehrSportvereinen auch im NS-Staat keine größeren Probleme. Die steirischen Heimwehren traten, besonders nach ihrer Auflösung 1936, beinahe geschlossen zum Nationalsozialismus über.22 Viele Sportvereine arrangierten sich schließlich auch mit dem NS-System. Fast alle haben sie gemein, dass sie nach 1945 zu tra19 20 21 22
Dazu 50 Jahre Steirischer Fußballverband, 340. StLA, LReg 206, Ze 18/1937, Niederschrift eines Gesprächs zwischen Dr. Banholzer (BH Judenburg) und Karl Schaller vom Werkssportverein vom 25.1.1937. StLA, LReg 206, Ze 18/1937, Ircher an die Sicherheitsdirektion Steiermark, 29.12.1936. Dazu u.a. BRANTNER, Diskursverweigerung und Gewalt, 138.
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ditionellen Arbeiterklubs mythologisiert wurden – die „austrofaschistische“ Vergangenheit blieb in den offiziellen Chroniken ausgeblendet. Das betrifft insbesondere den später als DSV Alpine oder im Volksmund als „Hochofenballett“ bekannt gewordenen Verein SV Donawitz, der 1928 vom örtlichen Heimatschutz gegründet worden war.23 Anders als im Dollfuß-/Schuschnigg-Regime, unter dem es keinerlei „Gleichschaltung“ im Sinn verpflichtender Einheitssatzungen gegeben hatte, verlangten die Nationalsozialisten von den Klubs, die Einheitssatzungen des DRL anzunehmen.24 Überhaupt hatte der „Ständestaat“ die Zügel weniger straff angezogen, waren den Vereinen, Funktionären und Sportlern mehr Freiräume geblieben. So hatte es 1933/34 bis 1938 wohl manche antisemitische Ansätze, jedoch keine Vereinsverbote oder gar Funktionärsausschlüsse aus rassischen Gründen gegeben.25 Für die Zeit nach dem „Anschluss“ sind im steirischen Fußball verhältnismäßig wenige Auflösungen aktenkundig, was vor allem in dem Umstand begründet ist, dass die Vereine der „politischen Gegner“ 1938 rar waren: Sozialdemokratische Klubs hatte bereits der „Ständestaat“ verboten und dezidiert katholische Vereine gab es in der Steiermark kaum. Eine Ausnahme bildete ein in der agrarischen Oststeiermark, im Ort Neudau, angesiedelter Fußballverein der katholischen Jugend-Sportorganisation „Reichsbund“, der nach dem Februar 1934 durch Fusion eines Arbeiterklubs mit einem bürgerlichen Verein entstanden war. In den Aufzeichnungen des Klubs heißt es dazu etwas kryptisch, der Verein habe sich 1938 unter das Dach der Hitlerjugend (HJ) begeben müssen, um weiter existieren zu dürfen.26 Mit Ausnahme der jüdischen Hakoah hatte der „Anschluss“ für jene Vereine, die 1938 dem „unpolitischen“ Steirischen Fußballverband angehörten, kaum Folgen. Eine Änderung musste lediglich der Grazer Sportklub hinnehmen, aus dessen Namen der offenbar zu gewerkschaftsnahe Zusatz „Straßenbahn“ gelöscht wurde.27 Und im Frühjahr 1939 wurde der Sportverein Eggenberg in Anwesenheit von Vertretern der NSDAP in Grazer Sportklub Rapid umbenannt. Dies mit der offiziellen Begründung, dass der Einverleibung Eggenbergs zu Groß-Graz auch äußerlich Rechnung getragen werden sollte.28 Der Sportverein Leibnitz nannte sich nun Turn- und Sportgemeinde Leibnitz29, der Gemeindesportklub Graz SC Ostmark.30 23 24 25 26 27 28 29 30
Vgl. IBER/KNOLL, Von Jubelschriften und Vereinsegoismen, 353. StLA, LReg 206 – SO 003/1923, Schlußbericht d. Stillhaltekommissar für Vereine, Organisationen und Verbände (Abwicklungsstelle) vom 29.6.1939. Dazu unten S. 373f. 50 Jahre Steirischer Fußballverband, 324. StLA, Sicherheitsdirektion, Vereinsakt Grazer Sportklub, Bescheid des Gauführers an die Landeshauptmannschaft Graz v. 2.10.1938. Grazer Tagespost, 18.3.1939. Ebd., 24.2.1939 Ebd., 14.1.1939.
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Aufgelöst wurde hingegen die Grazer Austria. Der Grund: Nach dem bisher geltenden Reglement hatte die Austria zwar den Klassenerhalt geschafft, aufgrund der Ligareform und der neuen, gemeinsam mit Kärntner Vereinen ausgetragenen Bezirksliga Süd, war für sie, ebenso wie für Leibnitz, in der höchsten Spielklasse aber kein Platz mehr. Der Klub wurde daher vor die Wahl gestellt: Abstieg, Fusion mit einem erstklassigen Verein oder Auflösung. Die Vereinsverantwortlichen entschieden sich für letzteres, nachdem zahlreiche Leistungsträger ohnehin bereits zu anderen Klubs abgewandert waren.31 Aus wirtschaftlichen und sportlichen Gründen forcierten die Nazis mehrmals Zusammenlegungen von kleineren Vereinen. Freilich hatte sich das Regime dabei auch mit den – zum Teil auch in kleinen Klubs sehr starken – Vereinsidentitäten zu befassen, die sich gegen geplante Fusionen sträubten.32 Überhaupt setzte das NS-Regime auf die Bildung von großen Sportgemeinschaften, die aus der Sicht der Nationalsozialisten die Ideale der „Volksgemeinschaft“ weit eher verkörperten als die „bürgerlichen“ Vereine. Die Umsetzung des Konzepts der sogenannten Ortssportgemeinschaften wurde zwar auf die Zeit nach dem „Endsieg“ verschoben,33 erste Ansätze gab es in der Steiermark aber durchaus. So beispielsweise, als sich die drei Vereine Bewegung Gösting, Turnverein Gösting und der Handball-Club Gösting im Sommer 1938 zu einem Großsportverein, Turn- und Sportgemeinde Gösting, zusammenschlossen.34 Zudem forcierte das NS-Regime die Bildung von Betriebssportgemeinschaften, deren Gründung per Anordnung vom 30. August 1938 geregelt wurde.35 Entsprechende Umbildungen waren für die Vereine, die sich damit unter das Dach des KdF-Sportamts begaben, mit zahlreichen Anreizen verbunden: Steuerbegünstigungen, Bau bzw. Nutzung neuer Sportstätten etc. Noch im September 1938 erfolgte die Umbildung des SV Südbahn zur Reichsbahn-Sportgemeinschaft Graz.36 Weitere Betriebssportgemeinschaften entstanden später unter anderem in Donawitz, wo aus dem SV Donawitz die BSG Donawitz wurde,37 sowie in Kapfenberg (BSG Böhler); der SC Kapfenberg blieb als eigener Verein bestehen. Der SC Weiz wurde 1939 aufgelöst und ging in der Betriebssportgemeinschaft Elin auf.38
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Fußball-Sonntag, 24.7.1938; Kleine Zeitung, 14.7.1938 und 21.7.1938. Fußball-Sonntag, 24.7.1938. Dazu HERZOG, „Kleine Strukturen“, 418–415; DERS., Forschung, Märchen und Legenden, 109–114. Kleine Zeitung, 25.7.1938. Grazer Tagespost, 4.9.1938. Ebd., 17.2.1939. Fußball-Sonntag, 4.2.1940. StLA, LReg 392, We-027/1942; 50 Jahre Steirischer Fußballverband, 173.
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4. Gleichschaltung der Jugend Der steirische Landeshauptmann Alois Dienstleder schrieb 1934 in seinem Geleitwort zur Chronik anlässlich des 25-jährigen Bestandsjubiläums von Sturm Graz: „Den Körper zu stählen, um ihn für den Lebenskampf widerstandsfähig zu machen, war seit je her auch der Grundgedanke des Grazer Sportklubs Sturm. […] Der Jugend wird durch Sport die Geschmeidigkeit des Körpers, den Männern die Widerstandskraft im Lebenskampfe anerzogen und gefestigt. In der Jugend Österreichs liegt unsere Zukunft! So hat der Sportklub ‚Sturm‘ zum Dank unseres Volkes wesentliche Aufbauarbeit geleistet“.39
Die Formulierungen des hohen „ständestaatlichen“ Funktionärs mögen verdeutlichen, wie stark das Regime auf die Vereinnahmung der Jugend abzielte. Im Jahr 1936 wurde die Jugendarbeit „gleichgeschaltet“, die Jugendorganisationen in der Dachorganisation „Österreichisches Jungvolk“ zusammengefasst. Von dieser Regelung ausgenommen blieben lediglich die katholischen Vereine und Verbände – ein durch das Konkordat von 1933 bedingtes Zugeständnis des Regimes an die katholische Kirche, die ihre Organisationen unter dem Dach des Katholischen Jungvolkes sammeln durfte. Ziel dieser Maßnahme war es, den österreichischen Patriotismus zu intensivieren und eine noch stärkere Abgrenzung zum Nationalsozialismus zu erreichen.40 Von der „Gleichschaltung“ der Jugendarbeit war einmal mehr auch der Sport betroffen. Wieder wurde versucht, die Politik in die Sportvereine hineinzutragen, besonders in deren Nachwuchsabteilungen. Einige namhafte steirische Fußballklubs – der Grazer Sportklub, der GAK, der Kapfenberger Sportklub, auch der SV Südbahn – setzten sich gegen derlei Bestrebungen zwar zur Wehr, blieben aber ohne Erfolg. Um weiter Nachwuchsmannschaften führen zu können, benötigten die Klubs eine Zustimmung des Unterrichtsministeriums. Diese Konzession, welche die Führung von Jugendgruppen erlaubte, war jedoch an die Voraussetzung geknüpft, dass „die Angehörigen der Jugendgruppen (bis zum 18. Lebensjahr) bis 30. September 1937 die Mitgliedschaft bei der zuständigen Gruppe des Vaterländischen Front Werkes ‚Oesterr[eichisches] Jungvolk‘ erworben haben müssen und dass Angehörige der Jugendgruppen, die den Nachweis der Mitgliedschaft beim Oesterr[eichischen] Jungvolk nicht erbringen können, von dem betreffenden Verein ausgeschlossen werden.“41
Ausgenommen waren Jugendliche, die bereits Mitglied in einem katholischen Jugendverband waren. Für den Fall, dass um die Konzession zur Führung eigener Jugendgruppe gar nicht erst angesucht wurde, drohte dem betreffenden Ver39 40 41
Sturm jubiliert, 3. Zur „Gleichschaltung“ der Jugend im „Ständestaat“ GOTTSMANN, Die Gleichschaltung der Jugendorganisationen. StLA, Sicherheitsdirektion, Vereinsakt Grazer Sportklub, Bescheid des Landesschulrates vom 14.7.1937.
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ein die behördliche Auflösung.42 Die Vereine setzten die autoritären Vorgaben schließlich um, einige spielten dabei aber sichtlich auf Zeit. Auf das Vereinsleben im steirischen Fußball hatte die „Gleichschaltung“ der Jugend letztlich kaum Auswirkungen gehabt. Immerhin wurden die Bestimmungen erst ab Oktober 1937 schlagend, nicht einmal ein halbes Jahr vor dem „Anschluss“. Den praktischen Fragen der „Gleichschaltung“ der Jugend widmete sich das NS-Regime von Anfang an wesentlich konsequenter als der „Ständestaat“. Am 25. Juni 1938 wurde eine Bekanntmachung des Kreisfachwarts für Fußball veröffentlicht, wonach sich sämtliche Vereinsspieler im Alter von 14 bis 18 Jahren bis spätestens Ende Juni bei der HJ anzumelden hatten.43 Zur Herbstmeisterschaft 1938 ließ das NS-Regime schließlich nur noch Nachwuchsspieler zu, die der HJ angehörten. Zudem mussten in den Vereinen die Jugendleiter, „wenn sie nicht bereits Mitglieder der NSDAP sind, in politischer und weltanschaulicher Beziehung einwandfrei sein“ und die Eignung besitzen, die Jugend nach den Richtlinien der HJ zu führen.44 Die Vereine hatten in dem Sinn mit der HJ zu kooperieren, dass die Nachwuchsmannschaften unter dem Kürzel „HJ“ antraten. Im Gegenzug wurden Trainings und Wettkämpfe für den HJ-Dienst angerechnet. Widerstand regte sich hier, wenn Vereinsinteressen angetastet wurden; etwa, als der zuständige HJBannführer einige Jugendspieler des Grazer Sportklubs dem SK Sturm zuteilte. Lokale Vereinsrivalität – die Spielstätten der beiden Klubs lagen räumlich nur wenige hundert Meter auseinander – hatte das NS-System offenbar nicht mitbedacht. Tatsächlich lenkten die Machthaber ein und ließen, wie durch eine entsprechende Verordnung vom Jänner 1940 dokumentiert, die Jugendlichen fortan selbst entscheiden, für welchen Verein sie auflaufen wollten.45 Die Kooperation der Vereine mit der HJ wirkte tiefgreifender und nachhaltiger als jene mit dem Österreichischen Jungvolk. Unter den Rahmenbedingungen des Zweiten Weltkriegs, in dessen Verlauf immer mehr Spieler unter Waffen standen, war sie auch als „Überlebensstrategie“ zu verstehen. Immerhin konnten vakante Plätze in Kampfmannschaften immer wieder mit HJ-Spielern nachbesetzt werden. In der Steiermark waren beim ersten Fußballbewerb nach Kriegende – dem im Juni 1945 ausgetragenen „Befreiungspokal“46 – fast nur Spieler aus der „HJ-Generation“ am Werk. Dass sich die Vereine nach 1945 vom personellen Aderlass der Kriegszeit relativ rasch erholten, lag am Arrangement mit der HJ. Ein Beispiel dafür war die Mannschaft des SK Sturm, die bereits 1946 wieder den steirischen Meistertitel errang. In der Meistermannschaft fanden sich nicht weniger als acht Spieler der Jahrgänge 1920 bis 1923.47 Dennoch, in den 42 43 44 45 46 47
Ebd., Bescheid des Sicherheitsdirektors vom 23.3.1937 sowie Bescheid des Landesschulrates vom 14.7.1937. Grazer Tagespost, 25.6.1938. Kleine Zeitung, 31.8.1938. Fußball-Sonntag, 14.1.1940. Dazu HALBRAINER, Sturm und der Befreiungspokal 1945. PFLIGER, Meister Sturm und seine Stützen, 14–20.
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meisten offiziellen Vereinschroniken bleibt bis heute auch diese HJ-Zeit ausgeblendet.48 5. Antisemitismus Jüdische Vereine und Verbände waren in das Sportleben im „Ständestaat“ durchaus integriert. Der wohl bekannteste und erfolgreichste, Hakoah Wien, war Mitglied in der österreichischen Sport- und Turnfront. Dasselbe galt für Hakoah Graz.49 Einen absoluten Sperrriegel gegen antisemitische Strömungen bot diese Konstellation aber nicht. Schon in den 1920er Jahren hatte der Antisemitismus im steirischen Fußball um sich gegriffen, als etwa der Deutsche Sportverein Leoben sich strikt geweigert hatte, zu einem Meisterschaftsspiel gegen die Hakoah anzutreten. Der Steirische Fußballverband, in dem jüdische Funktionäre durchaus integriert waren,50 bestrafte derartige Ausfälle sehr streng. Antisemitische Tendenzen zeigten sich auch auf andere Art, beispielsweise durch „Arierparagrafen“, die einzelne Klubs in ihren Satzungen verankert hatten.51 Ein Musterbeispiel für jüdische Integration im steirischen Fußball war andererseits der Großkaufmann Franz Öhler, Präsident des in den 1930er Jahren sportlich sehr erfolgreichen FC Graz. Dieser Fußballverein war der Firmenklub des Traditionskaufhauses Kastner & Öhler. Franz Öhler betätigte sich im steirischen Fußball auch als Großsponsor und Mäzen. Die 1934 eröffnete Sitzplatztribüne auf dem Sturmplatz, den der FC Graz in einer Interessensgemeinschaft mit Sturm nutzte, finanzierte er maßgeblich mit.52 Der FC Graz stand und fiel mit seinem Präsidenten. Nachdem er aufgrund seiner jüdischen Herkunft aus dem Unternehmen Kastner & Öhler ausscheiden musste, schied Franz Öhler 1938 aus dem Verein aus. Er floh nach Zagreb und unterstützte von dort aus die Exilorganisation der Kommunistischen Partei Österreichs am Balkan. 1943 wurde er verhaftet und ins KZ Buchenwald deportiert wo er 1945, einen Tag nach der Befreiung, starb.53 48
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So wurde Kapfenberg als HJ-Bann 548 Bruck/Mur 1942 „ostmärkischer“ Jugendmeister. In den offiziellen Chroniken wird die siegreiche Mannschaft aber als „Jugend Kapfenberg“ geführt. Dazu IBER/KNOLL, Von Jubelschriften und Vereinsegoismen, 345. „Zur körperlichen und geistigen Erziehung seiner jugendlichen Mitglieder […] stellt der Verein [SC Hakoah Graz] Jugendgruppen unter Führung von entsprechend nachweisbar gesinnten Jugendführern“. StLA, LReg, 206, SO-012/1936, Anhang zum § 2 der Satzungen des Sportklub Hakoah Graz, o.D. [1937]. Ebd., Landeskommissär Ircher an die Sicherheitsdirektion Steiermark, 12.1.1937. So war Samuel Weiß von der Grazer Hakoah jahrelang im Verbandsvorstand tätig. Hakoah-Präsident Dr. Erwin Löwy war von 1934 bis 1938 Vorsitzender des Rechts- und Strafausschusses im Steirischen Fußballverband. Dazu 50 Jahre Steirischer Fußballverband, 51–55. IBER, Erst der Verein, dann die Partei, 45–49. BEHR/TROGER, Wir sind Sturm, 58. HALBRAINER/LAMPRECHT/MINDLER, unsichtbar, 166.
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Von der Landkarte des steirischen Fußballs ausradiert wurde auch der SC Hakoah Graz. Unmittelbar nach dem „Anschluss“ wurde der Verein von allen Bewerben ausgeschlossen. Im Spätsommer 1938 leitete das Regime die Liquidation des Vereins ein. Die bescheidenen Vermögenswerte des SC Hakoah, einen Plattenspieler und einen Radioapparat, beschlagnahmte die Gestapo. Das Vereinsvermögen von knapp 68 RM wurde dem Turn- und Sportverein Maccabi Wien zugewiesen.54 Im Unterschied zu Wien blieb die Auslöschung des jüdischen Fußballsports in der Steiermark nachhaltig. Nach 1945 lebte das jüdische Vereinswesen nicht mehr von neuem auf. Die steirischen Traditionsklubs hatten sich den neuen Machtverhältnissen ab März 1938 zunächst rasch angepasst und in verschiedenen Bereichen, wie beim Hissen von Hakenkreuzfahnen auf den Sportplätzen oder beim Leisten des „Deutschen Grußes“ vor Spielbeginn, in vorauseilendem Gehorsam agiert.55 Ebenso verhielt es sich bei der Diskriminierung jüdischer Bürger. Im November 1938 sprach der Grazer Sportklub als erster steirischer Verein ein „Judenverbot“ auf seinem Sportplatz aus56 – mehrere Wochen vor der offiziellen Verfügung durch das NS-Regime.57 6. Funktionärskarrieren: Brüche und Kontinuitäten 1933 – 1938 – 1945 Im steirischen Fußballsport begegnet uns in beiden Regimen ein breites Funktionärsspektrum: eine Masse aus parteipolitisch Unbedarften, dazu Linientreue, aber auch Oppositionelle. Im Vereinsalltag spielten Ideologie und Parteipolitik jedoch kaum eine Rolle, wie das Beispiel des FC Graz beweist. Dort waren im Sommer 1935 – unter dem jüdischen Präsidenten Öhler – einige Funktionäre staatspolizeilich als (illegale) Nationalsozialisten bzw. als NS-Sympathisanten erfasst. Auch fanden sich in den Funktionärsreihen (ehemalige) Mitglieder des Republikanischen Schutzbundes.58 Selbst in der NS-Zeit wurden die Klubs durch „Vereinsführer“ und Einheitssatzungen zwar oberflächlich „gleichgeschaltet“, im Hintergrund setzte sich das Vereinsleben aber weitestgehend konstant ohne größere personelle Brüche fort.
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Österreichisches Staatsarchiv/Archiv der Republik (OeStA/AdR), Zivilakten der NS-Zeit (ZNsZ) Stillhaltekommissar (Stiko) Wien, AZ IV Ac 31-N-20: Sportklub Hakoah Graz. Dazu IBER, Erst der Verein, dann die Partei, 62–66. Grazer Tagespost, 18.11.1938. Ebd., 10.12.1938. StLA, LReg. 206-So-39/1938, Vereinsakt Sportverein Kastner & Öhler.
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6.1. Der „Vaterländische“: Franz Ircher
Als ranghöchstem steirischem Sportfunktionär des „Ständestaates“ erging es Ircher ebenso wie vielen anderen „Vaterländischen“. Er wurde 1938, unmittelbar nach dem „Anschluss“, von sämtlichen Funktionen ausgeschaltet.59 Als Spieler war Ircher schon vor dem Ersten Weltkrieg beim GAK aktiv gewesen, im Krieg diente der gebürtige Weststeirer als Offizier an der IsonzoFront. Ircher verkörperte den Typus jenes (steirischen) Christlichsozialen, dessen politische Gesinnung sich nur wenig vom Deutschnationalismus unterschied. Nach Kriegsende engagierte er sich in den paramilitärischen Heimwehren60 und arbeitete als Journalist beim Grazer Volksblatt, dessen Chefredakteur er später wurde. Auch dem GAK blieb er erhalten, zunächst noch als Spieler, dann als Funktionär, schließlich wurde er sogar dessen Präsident.61 Über die Vereinsgrenzen hinweg hielt er enge Beziehungen zu anderen Spitzenfunktionären und Klubs, so war Ircher Ehrenmitglied des Grazer Sportklubs.62 Als er 1936 von Sportführer Starhemberg zum steirischen Landessportkommissär berufen wurde, zeigte sich Ircher bemüht, Parteipolitisches möglichst vom Fußball fernzuhalten.63 Irchers Schicksal der vollständigen Ausschaltung vom Fußballsport teilten 1938 auch andere „vaterländische“ Funktionäre, etwa Barthold Stürgkh, der Obmann der Grazer Sportvereinigung (GSV).64 Stürgkh war 1934 bis 1936 steirischer Landesstatthalter gewesen. In der Obersteiermark traf es den Alpine Montan-Direktor Josef Oberegger, langjähriger Förderer und seit Februar 1938 Ehrenpräsident des SV Donawitz.65 Nach dem „Anschluss“ wurde Oberegger – er war ab 1934 Regierungskommissär bzw. ab 1936 Direktor der Alpine Montan – all seiner Ämter enthoben, verhaftet und in das Konzentrationslager Dachau deportiert, später ins KZ Buchenwald.66
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Dazu heißt es in einer Jubiläumsschrift des Steirischen Fußballverbandes sehr knapp: „Schwerste, unverdiente Kränkungen erfuhr Ircher im Jahre 1938.“ 50 Jahre Steirischer Fußballverband, 10. WILTSCHEGG, Die Heimwehr, 172f. Archiv des Steirischen Fußballverbandes (AdStV), Bestand Ehrungen und Auszeichnungen, Funktionäre des Steirischen Fußballverbandes: Franz Ircher (1887–1951). Archiv GSC, Festschrift zum 10jährigen Bestande des Grazer Sportklubs (Straßenbahn), [Graz 1933], 4. Dazu oben S. 367f. StLA, LReg 206 – SO 003/1923, Schlußbericht d. Stillhaltekommissar für Vereine, Organisationen und Verbände (Abwicklungsstelle vom 29.6.1939). Obersteirische Volkszeitung, 15.2.1938. Im Herbst 1940 kam Oberegger zwar frei, blieb aber unter Polizeiaufsicht. Infolge des Attentats auf Hitler am 20. Juli 1944 kam er schließlich erneut in Haft, wo er bis zum Kriegsende verblieb. Dazu ENDERLE-BURCEL, Mandatare im Ständestaat, 170f.
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6.2. Der Sozialdemokrat: Hans Walch
Als bekennenden Sozialdemokraten traf Hans Walch das Funktionsverbot bereits 1934 unter dem Dollfuß-/Schuschnigg-Regime. Walch war als Funktionär und Spieler in Handball und Leichtathletik aktiv, engagierte sich beim Eggenberger Arbeiter-Turnverein und in der Sportvereinigung der Sozialistischen Studenten. Das Betätigungsverbot gegen ihn blieb auch 1938 bis 1945 bestehen. Nach dem Ende des NS-Regims nahm er seine Funktionärslaufbahn wieder auf. Vorübergehend amtierte Walch als Präsident des steirischen Handballverbandes und als Vizepräsident des steirischen Leichtathletikverbandes. 1947 gründete Hans Walch, Baudirektor beim Böhler-Konzern, die Kapfenberger Sportvereinigung mit den Sektionen Fußball (vormals Kapfenberger Sportklub), Handball, Schisport, Eishockey und Tischtennis.67 Zudem wurde er 1951 Präsident des Steirischen Fußballverbandes und stieg 1955 zum Präsidenten des Österreichischen Fußballbundes (ÖFB) auf.68 Eine bedingungslose Repression durch beide Regime 1933/34 bis 1945, wie sie im Falle Walchs erfolgte, war jedoch nicht zwingend die Regel. So bekleidete etwa bei Sturm mit Othmar Seindl ein Funktionär mit sozialdemokratischem Hintergrund 1935/36 das Amt des Obmanns. Selbst in der NS-Zeit war Seindl Ende 1938 noch Vereinsführer-Stellvertreter.69 Als Inspektor Seindl, Leiter des Rechnungsdienstes der Grazer Stadtwerke, 1940 wegen seiner politischen Einstellung aus dem städtischen Dienst ausscheiden musste,70 bedeutete das zwangsläufig auch das Ende seiner Tätigkeit bei Sturm. 6.3. Der „Unpolitische“: Josef Plendner
Bei Josef Plendner handelte es sich um ein echtes „Urgestein“ des SK Sturm. Seit den 1920er Jahren war er bei den „Schwarz-Weißen“ als Funktionär tätig, zwischenzeitlich gar als Sektionsleiter, Jugendleiter, Platzwart und Platzkassier in Personalunion. 1933 und 1945 übernahm er jeweils kurzfristig das Amt des Obmanns. Sein Hauptberuf als Beamter des Landesinvalidenamtes für Steiermark ließ Plendner für sämtliche Vereinstätigkeiten ausreichend Zeit.71 1938 stand Plendner im Verein zwar eher im Hintergrund, wurde aber bereits im August 1939 vom neu gewählten Vereinsführer Karl Geisler, einem Obersturmführer, später Sturmhauptführer, des Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps (NSKK), als Sportwart reaktiviert. Schon zuvor hatte die gleichgeschaltete NSPresse eine Rückkehr des „altgedienten“ Plendner in dieses Amt ausdrücklich gefordert.72 Mit Parteipolitik hatte dieser aber nur wenig am Hut. So lässt sich 67 68 69 70 71 72
ÖFB-Jahrbuch 1951, 224. 50 Jahre Steirischer Fußballverband, 58–61. Grazer Tagespost, 7.12.1938. SCHERBAUM, Erinnerungen eines Grazer Bürgermeisters, 164. Archiv SK Sturm, Zeitungssammlung zur Generalversammlung von 1927; freundlicher Hinweis von Dr. Herbert Troger, 30.4.2012. Kleine Zeitung, 10.3.1939.
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erklären, warum Plendner über alle politischen Brüche – 1933/34, 1938 und 1945 – hinweg eine personelle Konstante bei Sturm darstellte. Von 1920 bis 1950 war er durchgehend im Verein tätig. Die Sport- und Vereinspolitik des SK Sturm in der Zeit des Nationalsozialismus prägte er ganz wesentlich.73 Plendner brachte dafür wohl auch die geeigneten Voraussetzungen mit: Er war „die geborene Führerpersönlichkeit. Mit sarkastischem Humor in der Form, aber hart und entschlossen im Inhalt, verstand er es, seinen Willen bei seiner Umgebung durchzusetzen, und dieser Wille war meist zugleich der Nutzen für den Verein! Bei allem Sportidealismus, der ihn seine gesamte Freizeit für Sturm einsetzen ließ, war er doch kein reiner ‚Tor‘, sondern ein überlegter Geschäftsmann, ein mit allen Wassern gewaschener Verhandler, der auch die Sprache der Spieler verstand. […] Immer wie aus dem Schachterl gekleidet, den unvermeidlichen Glimmstengel im Mund, äußerlich die Ruhe selbst, innerlich nervös wie ein Rennpferd, verfolgte er die Spiele ‚seines‘ SK Sturm – oder er residierte im Café ‚Berghaus‘, um von hier seine Fäden zu spinnen. Seine Verbindungen reichten weit, sein Einfluss beim Verband war groß.“74
Doch selbst wenn Plendner es vorlebte und der Verein auch einen entsprechenden Passus in seinen Satzungen verankert hatte75 – eine echte Bastion des Unpolitischen war auch Sturm nicht. So tauchten im „Ständestaat“ vor allem in den Reihen der Spieler illegale Nationalsozialisten und NS-Sympathisanten auf. Nach dem misslungenen Putschversuch im Juli 1934 flüchteten einige von ihnen ins Ausland.76 Andererseits gab es Pendants zu Plendner auch in anderen Klubs – so beispielsweise Karl Fiedler beim GAK oder Josef Preiner bei Kapfenberg.77 Auch sie waren „Urgesteine“, blieben von den politischen Umbrüchen aber im Wesentlichen unberührt – wie im Übrigen zahlreiche weitere Funktionäre aus der zweiten und dritten Reihe, die dennoch die Geschicke ihrer Vereine oft maßgebend lenkten. Was dem „Ständestaat“ schon gar nicht gelungen war, schaffte auch der Nationalsozialismus nicht. Eine völlige „Gleichschaltung“ unterblieb. Die Krallen des Regimes mochten lang sein, im Vereinsalltag boten sich aber nach wie vor Nischen und Ausweichmöglichkeiten. 73 74 75
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IBER/KNOLL/FRITZ, Der steirische Fußball, 194. TROGER/EBERL, 70 Jahre Sturm, 80. „Parteipolitische Tendenzen sind ausgeschlossen, der Verein steht auf vollkommen parteiloser Grundlage.“ Archiv SK Sturm, Satzungen des Grazer Sportklubs „Sturm“ von 1932. Aktenkundig sind zumindest jene, die sich der sogenannten „Österreichischen Legion II“ in Jugoslawien angeschlossen hatten. Zeitungsberichten zufolge trat im August 1934 bei einer Sportveranstaltung in Varaždin eine österreichische Flüchtlingsauswahl gegen eine heimische Studentenmannschaft an. Das österreichische Team setzte sich dabei aus Spielern Grazer Klubs zusammen, wobei namentlich Sturm, GSC und Austria Graz genannt wurden. Dazu NEČAK, Die österreichische Legion II, 129. Dazu IBER, Erst der Verein, dann die Partei, 93–98.
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6.4. Der Opportunist: Viktor Friedrich
Der aus der Untersteiermark stammende Viktor Friedrich zog beim Grazer Sportklub die Fäden. Der Werkmeister bei der Grazer Tramwaygesellschaft hatte den Verein 1923 gegründet und zu einem Spitzenklub geformt. Bereits nach kurzer Zeit feierten die Straßenbahner sportliche Erfolge und bejubelten 1933/34 den ersten steirischen Meistertitel.78 Trotz seiner eher sozialdemokratischen Grundeinstellung gelang es Friedrich, sich mit dem „Ständestaat“ zu arrangieren. Wo es ihm zugunsten des Vereinswohls notwendig erschien, unterfertigte er seine Schreiben als Vereinsobmann bereitwillig mit dem vaterländischen Gruß „Österreich“.79 1938 blieb der Gründungsobmann als Vereinsführer an der Klubspitze, auch ohne NS-Parteimitgliedschaft. Dies war möglich, weil ihm mit DAF-Gauobmann Johann Graßl als Vereinsführerstellvertreter ein ranghoher NS-Schirmherr zur Seite stand. Als Graßl aber im Dezember 1939 all seiner Ämter enthoben und innerhalb der Partei völlig entmachtet wurde,80 bestand für den GSC Handlungsbedarf. Wohl nicht zufällig suchte Viktor Friedrich, „um dadurch Angriffe gegen den Klub durch seine Person abzudecken“, wie es später hieß,81 im April 1940 um Aufnahme in die NSDAP an und trat der Partei schließlich im Sommer 1940 bei.82 Als weite Teile der Steiermark im Sommer 1945 von den Briten besetzt wurden, begann deren strikte Entnazifizierungspolitik bald zu greifen83 – und traf auch Viktor Friedrich. Obwohl Funktionäre anderer Klubs für ihn intervenierten, durfte der Gründungsobmann beim GSC kein Funktionärsamt mehr ausüben. Die Sicherheitsdirektion Graz leitete Anfang 1947 polizeiliche Erhebungen zum Fall Friedrich ein, deren Resultat die Darstellungen seiner Fürsprecher untermauerte. Friedrich war „ein Idealist des Sports“, parteipolitisch aber ein klassischer Mitläufer. Er hatte in der NSDAP keine Funktion oder Dienststellung inne gehabt und war auch sonst politisch nie hervorgetreten. Was blieb, war die Tatsache seiner Parteimitgliedschaft. Ohne offizielle Funktion blieb Friedrich weiter für den Sportklub tätig und half beim Wiederaufbau des durch Bombentreffer völlig zerstörten GSC-Platzes mit.84 Doch selbst der Prozess der Entnazifizierung zeigt die Widersprüche im steirischen Fußball und bietet keine einheitlichen Erklärungsmodelle. Nicht alle betroffenen Funktionäre wurden aus den Vereinen entfernt. So konnte der langjährige Spieler (Deutscher Sportverein Leoben) und Funktionsträger (Deutscher 78 79 80 81 82 83 84
Vgl. IBER, Gleichgeschaltete Straßenbahner. StLA, Sicherheitsdirektion Vereinsakt Grazer Sportklub, Friedrich an die Sicherheitsdirektion Steiermark, 12.4.1937. Zur Entmachtung Graßls MINDLER, Tobias Portschy, 185f.; KARNER, Die Steiermark im „Dritten Reich“, 489, Anm. 84. StLA, Sicherheitsdirektion, Vereinsakt Grazer Sportklub an den Steirischen Fußballverband, 8.10.1946. BArch, BDC, NSDAP-Ortsgruppen: Friedrich Viktor, 23.7.1896. Dazu BEER, Die Briten, 118–122. IBER, Gleichgeschaltete Straßenbahner.
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Sportverein Leoben, SV Donawitz) Franz Lösch seine Funktionärskarriere als Präsident des ASV Seegraben weiter ausüben, obwohl er bereits ab 1934, in der „Verbotszeit“ also, der illegalen NSDAP angehört hatte.85 Zeitzeugenberichten zufolge tat sich Lösch, der in Seegraben ein Gasthaus betrieb, nach dem „Anschluss“ als glühender Nationalsozialist hervor.86 Anfang der 1950er Jahre rückte Lösch bald in den Vorstand des Steirischen Fußballverbandes auf und wurde 1967 dessen Präsident.87 7. Schlussbemerkung: traute Nachkriegsharmonie im Steirischen Fußballverband Schon unmittelbar nach Kriegsende wurde in der steirischen Landeshauptstadt wieder Fußball gespielt. Auch der Steirische Fußballverband erhob sich rasch aus den buchstäblichen Trümmern, nachdem seine Räumlichkeiten samt Ausstattung „den Maiwirren des Jahres 1945“ zum Opfer gefallen waren.88 Erster provisorischer Präsident wurde 1945 Dr. Heribert Ircher, der Sohn von Franz Ircher. Da die Besatzungsmacht ihr Augenmerk nicht nur auf Nationalsozialisten, sondern auch auf „Austrofaschisten“ richtete, musste sich Franz Ircher 1945 kurzfristig einer „politischen Überprüfung“ unterziehen, stand seinem Sohn beim Wiederaufbau des steirischen Fußballs aber bereits als Ratgeber zur Seite.89 Im Herbst 1945 wurde Heribert Ircher, der fortan als Verbandskapitän fungierte, von Franz Reistenhofer abgelöst.90 Reistenhofer, ein Grazer Wein- und Spirituosenhändler, hatte 1934 als Präsident des SK Sturm, mit kräftiger finanzieller Unterstützung durch den jüdischen Geschäftsmann Franz Öhler, die neue Sitzplatztribüne auf dem Sturmplatz eröffnen können.91 Während der nationalsozialistischen Herrschaft war Reistenhofer aber weit in den Hintergrund gerückt und lediglich als Sturm-Chronist in Erscheinung getreten.92 Nun, im Oktober 1945, übernahm er also das Amt des steirischen Verbandspräsidenten und setzte sich alsbald für seinen Funktionärskollegen Viktor Friedrich ein, der aufgrund des Verbotsgesetzes keine Funktion beim Grazer Sportklub mehr ausüben durfte. Unterstützt wurde Reistenhofer dabei von Franz Ircher, der ihm 1949 als Verbandspräsident nachfolgen sollte. Wie beide in ihren Stellungnahmen deutlich 85 86
87 88 89 90 91 92
IBER/KNOLL/FRITZ, Der steirische Fußball, 193. „Eines Tages, als ich ins Gasthaus ‚Glück auf‘ in Seegraben ging, grüßte ich den Besitzer wie üblich mit einem ‚Hallo‘. Der Besitzer, Franz Lösch, jetzt ein legaler Nazi, wollte den gebräuchlichen Gruß nicht mehr hören. Er fuhr mich an, er wolle nur noch mit ‚Heil Hitler‘ gegrüßt werden.“ Lebenserinnerungen des NS-Opfers Gottfried A. 75 Jahre Steirischer Fußballverband, 13. 50 Jahre Steirischer Fußballverband, 14. AdStFV, Bericht H. Ichers über den Wiederaufbau des Steirischen Fußballverbandes im Jahr 1945, o.D. 50 Jahre Steirischer Fußballverband, 57. BEHR/TROGER, Wir sind Sturm, 58. Kleine Zeitung, 1.7.1938.
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machten, stand für sie Friedrich als Idealist des Fußballsports im Vordergrund, nicht als Parteigänger der NSDAP.93 Generell waren die Amtszeiten beider Präsidenten von einer sehr pragmatischen Haltung gegenüber ehemaligen Nationalsozialisten gekennzeichnet. Das zeigte sich besonders bei den Ehrungen verdienstvoller Funktionäre. War etwa in den Jahren 1946 bis 1948 die Auszeichnung einer Person mit dem (silbernen oder goldenen) Verbandsabzeichen politisch nicht opportun, so wurde diese später, meist ehestmöglich, nachgeholt. Viktor Friedrich beispielsweise, der aus gesundheitlichen Gründen schließlich, auch nach der Amnestie für „minderbelastete“ Nationalsozialisten im Jahr 1948, kein Funktionärsamt mehr annahm, wurde 1946 noch von der Liste der Ehrungsvorschläge gestrichen,94 1950 aber mit dem goldenen Verbandsabzeichen geehrt – ebenso wie Franz Lösch oder andere ehemalige Nationalsozialisten wie Robert Fabian (Donawitz, nach 1945 SV Leoben), später auch Otto Wicher (GAK, silbernes Ehrenzeichen), Ludwig Fischer (SV Gratkorn, 1938–1942 steirischer Fußball-Fachwart, goldenes Ehrenzeichen) oder Otto Gollnhuber (Kapfenberg, Goldener Ehrenring).95 Der unkonventionelle Umgang des steirischen Fußballs mit seiner Vergangenheit mochte wohl bereits kurze Zeit nach dem Kriegsende den Anschein erwecken, als habe die NS-Zeit samt politischer Vereinnahmung und Opportunismus, Resistenz und Repression nie stattgefunden. Man setzte auf traute Nachkriegsharmonie. Das war einerseits natürlich ein Spiegel der österreichischen Gesellschaft, andererseits hatte sich der Fußball unter dem NS-Regime – und vor allem auch davor im „Ständestaat“ – tatsächlich einige Freiräume bewahren können. Das Gesamtbild gestaltete sich aber durchaus ambivalent. Zum einen gab es einen starken Hang zur Anpassung, zu vorauseilendem Gehorsam, aber auch zu Vereinsegoismen, die der „Gleichschaltungspolitik“ beider Regime 1933 bis 1945 entgegenstanden. Zum anderen zeigten sich, wenn es darauf ankam, Solidarisierungseffekte über Partei- und Vereinsgrenzen hinweg. Quellen und Literatur Archive Archiv des Grazer Sportklubs (Straßenbahn) (GSC) – Festschrift zum 10jährigen Bestande des Grazer Sportklubs (Straßenbahn), [Graz 1933]. Bundesarchiv Berlin (BArch), Berlin Document Center (BDC) – NSDAP-Ortskarteien. Steiermärkisches Landesarchiv (StLA) – Vereinskataster, Landesregierung (LReg). – Sicherheitsdirektion. 93 94 95
StLA, Sicherheitsdirektion, Vereinsakt Grazer Sportklub, Reistenhofer an die Sicherheitsdirektion Graz, 21.10.1946, sowie Stellungnahme Ircher, 17.10.1946. AdStFV, Bestand Ehrungen und Auszeichnungen. Vorschlagsliste des Grazer Sportklubs vom 12.12.1946. Dazu die einschlägigen Dokumente in AdStFV, Bestand Ehrungen und Auszeichnungen.
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Österreichisches Staatsarchiv/Archiv der Republik (OeStA/AdR) – Zivilakten der NS-Zeit (ZNsZ) Stillhaltekommissar (Stiko) Wien, AZ IV Ac 31-N-20: Sportklub Hakoah Graz. Archiv des Steirischen Fußballverbandes (AdStV) – Bestand Ehrungen und Auszeichnungen. Archiv SK Sturm – Zeitungssammlung. – Satzungen des Grazer Sportklubs „Sturm“ von 1932.
Periodika Fußball-Sonntag. Grazer Tagespost. Kleine Zeitung. Obersteirische Volkszeitung
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V. Ausblick in den staatssozialistischen Sport
René Wiese
Die Teilung des Berliner Fußballs 1945–1950 Zwischen bürgerlichem Vereinsprinzip und kommunistischem Kommunalsport Am 20. Mai 2015 traten mit dem BFC Dynamo und der SV Tasmania zwei Traditionsvereine im Berliner Landespokal-Finale im Friedrich-Ludwig-JahnSportpark an. Was mittlerweile zur Normalität im Berliner Fußball gehört, wäre vor dem Mauerfall 1989 ein heikles Politikum gewesen. Der zehnfache DDRMeister Dynamo und der achtfache West-Berliner Meister Tasmania hätten in Zeiten der deutschen Teilung nur mit sportpolitisch gutem Willen der Funktionäre aus Ost und West eine solche Partie über die Bühne gehen lassen können. Fußballdeutschland war geteilt. Seit 1950 war der Berliner Fußball in Verband und Spielbetrieb gespalten. Damit wurde in den organisch gewachsenen Fußballkörper Berlins gravierend eingegriffen. Innerhalb kurzer Zeit nahm der Fußballsport in Berlin großen Schaden. Der Spaltungsprozess vollzog sich primär in den fünf Jahren zwischen Kriegsende und dem sich anbahnenden Kalten Krieg. Diese Phase der Frühzeit des Berliner Fußballs nach 1945, ohne die das Verständnis von Teilung und Wiedervereinigung, das Anknüpfen an alte Traditionen nur schwerlich möglich wäre, soll hier in Erinnerung gerufen werden. 1. Forschungsstand Der Forschungsstand zum Berliner Fußball in dieser Frühzeit ist allerdings sehr ambivalent zu bewerten. Den bisher umfänglichsten Einblick zur Thematik gewährt Detlef Schwarz.1 Diese an der Ost-Berliner Humboldt-Universität verteidigte Dissertation wertete diverse Bestände des Berliner Hauptsportamtes und der Berliner Bezirkssportämter aus, ist jedoch in seinen Wertungen nicht frei von geschichtspolitischen Implikationen der marxistischen DDR-Sporthistoriographie. Darüber hinaus stammen diverse Erinnerungswerke aus der Feder von DFB-Funktionären oder West-Berliner Journalisten,2 die jedoch jeder wissenschaftlichen Quellengrundlage entbehren. Andere Studien widmen sich dem sportorganisatorischen Neuanfang und unterschiedlichen Wegen des Transformationsprozesses in Deutschland und Berlin unter den Alliierten nach 1945,3 wobei auch fußballspezifische Themen berührt werden. Arbeiten zum Kommu1 2 3
SCHWARZ, Zur Entwicklung des Fußballsports in Berlin. KOPPEHEL, Geschichte des Berliner Fußballsports; ROSENZWEIG, Fußball in Berlin; HARTWIG/WEISE, 100 Jahre Fußball in Berlin. PABST, Sport – Medium der Politik; SCHIEBEL, Die Sonderentwicklung des Sports in Berlin; NITSCH, „Berlin ist eine Bresche wert“.
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nalsport in Berlin4 und zu den Sportkonzepten der SED (Sozialistische Einheitpartei Deutschlands) in der SBZ (Sowjetische Besatzungszone)5 liefern grundlegende und vertiefende Einblicke, um die Komplexität dieser geschichtsträchtigen Entwicklungsphase zu verstehen. Auffällig ist jedoch, dass die Forschung zur Berliner Fußballgeschichte mit diesen Werken aus den 1980er und 1990er Jahren praktisch stehen geblieben ist. Das ist umso bedauerlicher, als gerade den oben genannten Historikern, die aus der DDR oder der alten Bundesrepublik stammen, nur eingeschränkter Zugang zum Quellenmaterial möglich war. Dieser Beitrag hat zum Ziel, die einzelnen sportlichen als auch politischen Wegmarken der sich anbahnenden Teilung des Berliner Fußballs zwischen 1945 und 1950 anhand der vorhandenen Forschungsliteratur und publizistischen Werken zu rekonstruieren. Die politischen Besonderheiten der Vier-Sektorenstadt und das Agieren einzelner Persönlichkeiten stehen im Fokus der Untersuchung, um die divergierenden Entwicklungswege zwischen Berlin, der SBZ und den Westzonen verständlich zu machen. Auf der Basis neuer Quellenfunde in Vereinsarchiven und zeitgenössischen Zeitungsartikeln bietet dieser Beitrag eine Zwischenbilanz zur Erforschung der Geschichte der Frühphase des Berliner Fußballs. 2. „Stunde Null“ und Neuanfang 1945: erste politische Wegmarken Berlin war nach den Flächenbombardements und Häuserkämpfen der Kriegstage eine verwüstete Stadt. Die Trümmer umfassten über 70 Millionen Kubikmeter. Die Infrastruktur der Stadt war nahezu zusammengebrochen.6 Stadien und Sportplätze waren zu großen Teilen zerstört und mussten wieder hergerichtet werden. Unter diesen Schwierigkeiten begann der Sport nur langsam in das Leben der Berliner zurückzukehren. Die sowjetischen Besatzungstruppen waren in den ersten Tagen und Wochen vornehmlich damit beschäftigt, die Ernährung der Bevölkerung und die Infrastruktur der Stadt wieder herzustellen. Noch während der Kampfhandlungen hatte der zukünftige sowjetische Stadtkommandant Generaloberst Nikolai Erastowitsch Bersarin mit dem Befehl Nr. 1 vom 28. April 1945 verfügt, dass die NSDAP und ihre Gliederungen aufzulösen seien. Unter NSDAP-Gliederungen fielen auch alle Sportvereine und Verbände, da sie nach Artikel 2 des Erlasses des Führers und Reichskanzlers Adolf Hitler vom 21. Dezember 1938 dem Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen (NSRL) angehörten, welcher als eine von der NSDAP betreute Organisation eingestuft wurde. Die Tätigkeit der Sportvereine galt fortan als rechtswidrig.7 Allerdings bot der Fußballsport die Möglichkeit für Ablenkung und Erholung der Bevölkerung im Alltag. Bereits im Mai und Juni 1945 wurden mit Genehmigung 4 5 6 7
LÜTTKE, Der kommunal geleitete Berliner Sport; DERS., Sport unter den Alliierten. KEIDERLING, Vom Kommunal- zum Volkssport. Vgl. NITSCH, Sportentwicklung, 99. Vgl. LÜTTKE, Neuanfang oder Wiederaufbau?, 2.
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Abb. 1: Ankündigungsplakat des Fußballspiels der Auswahlmannschaften der Berliner Bezirke Moabit und Mitte am 15. Juli 1945, in: Neue Fußballwoche, 15.4.1980.
der sowjetischen Militärkommandantur erste Fußballspiele in einigen Stadtbezirken Berlins ausgetragen,8 allerdings vorerst noch auf schwer bespielbaren Plätzen. Alte Arenen wie der „Exer“ (später Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark), das Stadion Mitte oder das Poststadion wurden in kurzer Zeit durch freiwillige Helfer provisorisch bespielbar gemacht, sodass schon im Sommer 1945 Auswahlspiele der Stadtbezirke wie das Match zwischen Moabit-Tiergarten gegen Mitte stattfinden konnten. (Abb. 1)9 Dass ein solches Auswahlspiel über die Bühne gehen konnte, lag an der schnellen Neuformierung des Fußballwesens in der Stadt. Trotz des Verbots von Vereinen und Verbänden fanden sich ehemalige Sportler und Sportfunktionäre in ganz Berlin zusammen, um über die Zukunft des Sports und des Fußballs zu diskutieren. Die von den Sowjets gesteuerte „Gruppe Ulbricht“, der namhafte Kommunisten unter Walter Ulbrichts Leitung angehörten und die als verlängerter Arm der sowjetischen Besatzungsmacht für die Neuorganisation des öffentlichen und politischen Lebens nach der Kapitulation in Berlin eingesetzt worden war, hatte nämlich aus dem Moskauer Exil keine Direktive für die Neuorganisation des Sports mitgebracht, sodass eine Konzeption für das Sportwesen erarbeitet werden musste. Ulbricht kündigte am 17. Mai 1945 an, dass bei der Abteilung Volksbildung des auf sowjetischer Weisung hin gebildeten Magistrats ein Sportausschuss gebildet werden sollte, in dem auch 8 9
Vgl. SCHWARZ, Fußballsport in Berlin, 44f. Ankündigungsplakat, Sportamt Berlin-Mitte: Fußballauswahlspiel Bezirk MoabitTiergarten gegen Bezirk Mitte, 15.7.1945, abgedruckt in: Neue Fussballwoche, 15.4.1980.
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namhafte bürgerliche Sportler vertreten sein sollten.10 Aus einer „Gemengelage unterschiedlichster und pragmatischer Vorstellungen“11 entstand ein von KPDMitgliedern initiiertes kommunales Sportkonzept, welches, von der sowjetischen Besatzungsmacht befürwortet, in ganz Berlin zum Einsatz kam. Auf Anweisung des KPD-Mitglieds Otto Winzer, des Leiters der Volksbildungsabteilung im Magistrat von Groß-Berlin und kurz zuvor noch Mitglied der „Gruppe Ulbricht“, wurde am 7. Juni 1945 das zentrale Berliner Sportamt (ab Oktober 1945 Hauptsportamt) eingerichtet. An dessen Spitze wurde mit dem KPD-Mitglied Franz Müller, der ehemalige Vorsitzende des früheren Arbeiter-Sport- und Kulturkartells berufen.12 Obwohl am 11. Juli 1945 Berlin in vier Sektoren geteilt wurde und die Alliierte Kommandantur, also auch die Militärkommandanten der Westsektoren über die Geschicke der Stadt mitbestimmten, blieb das kommunistisch dominierte Hauptsportamt mit seinen 20 Bezirkssportämtern das sportorganisatorische Gerüst der Stadt. Zur Bilanz des Hauptsportamtes im Jahr 1945 zählte die endgültige Auflösung aller Vereine, verbunden mit der treuhänderischen Überführung der Vereinsvermögen in die kommunale Verwaltung, sowie der Wiederaufbau zahlreicher Sportstätten und die Organisation eines Rundenspielbetriebs in den Sportarten Handball, Hockey und Fußball. Auf Bezirksebene wurden die Sportler erfasst und in kommunalen Sportgruppen (SG) vereint. Sie traten nun an die Stelle der ehemaligen Vereine. Dieses Kommunalsportkonzept hatte Modellcharakter. Von Berlin aus sollte es über die SMAD (Sowjetische Militäradministration in Deutschland) und den Pateiapparat der KPD (Kommunistische Partei Deutschlands) auf die gesamte SBZ übertragen werden.13 Am 14. Juli 1945 nahm eine erste Fußballspartenleitung, die unter Vorsitz des von der sowjetischen Kommandantur gestützten Arthur Priefert stand, ihre Arbeit auf.14 Sie widmete sich der Organisation eines Spielbetriebs für die 69 kommunalen Fußballsportgruppen, die sich bis August 1945 gebildet hatten. Auf Grundlage der „Richtlinie für die Durchführung der Spielsportarten“ des Sportamtes von Berlin startete Anfang September 1945 die Qualifikation für die Gesamtberliner Meisterschaftssaison 1945/46, die ab Januar 1946 in vier Staffeln den Berliner Meister ermitteln sollte. Zudem wurde der Wettbewerb um den „Berliner-Bären-Pokal“ der 20 Stadtbezirksauswahlmannschaften ins Leben gerufen.15 Besonders restriktiv wirkte sich jedoch aus, dass die Spieler sich ausschließlich einer Sportgruppe ihres Stadtbezirks anschließen durften.16 Allerdings verbargen sich hinter vielen kommunalen Sportgruppen alte Vereinsstrukturen. 10 11 12 13 14
15 16
Vgl. KEIDERLING, Vom Kommunal- zum Volkssport, 158. NITSCH, Sportentwicklung, 100. Vgl. SCHWARZ, Fußballsport in Berlin, 46. Vgl. KEIDERLING, Vom Kommunal- zum Volkssport, 158f. Zur Leitung gehörten weiterhin: Willi Boos (Kreuzberg), Bruno Witzke (Neukölln), Richard Schmidt (Pankow), Paul Schmidt (Wedding), Georg Levin (Zehlendorf), Tilgner (Charlottenburg), Edmund Kegel (Wilmersdorf) und Karl Vossen (Gesundbrunnen). Vgl. ROSENZWEIG, Fußball in Berlin, 15. Vgl. SCHWARZ, Fußballsport in Berlin, 51–53. Vgl. PABST, Sport – Medium der Politik, 68.
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Die SG Gesundbrunnen sammelte beispielsweise die ehemaligen Spieler von Hertha BSC und SV Norden-Nordwest 1898 (NNW), hinter der SG Charlottenburg verbarg sich Tennis-Borussia.17 Die Mitteilung Nr. 12 des Hauptsportamtes vom 29. Oktober 1945 untermauerte noch einmal das Verbot, sich einem Team außerhalb des eigenen Wohnbezirks anzuschließen. Überbezirkliche Spielpaarungen, auch außerhalb Berlins, unterlagen der Überwachung und Genehmigung des Hauptsportamtes und der Fußballsparte.18 Obwohl das unter der Regie des Hauptsportamtes auf den Weg gebrachte Kommunalsportkonzept immer mehr Kontur annahm, verloren SMAD und KPD seit dem Sommer 1945 geografisch und politisch an Einfluss. Grund dafür war die nunmehr vollzogene alliierte Teilung der Stadt in vier Sektoren; politisch agierten die Siegermächte fortan gemeinsam unter dem Dach einer Alliierten Stadtkommandantur. Entwicklungen in den Westzonen bestimmten zudem die Diskussion über den zukünftigen Weg des Berliner Sports. Toleriert durch die amerikanische Besatzungsmacht wurde bereits im Juli 1945 ein bayrischer Landessportverband gegründet, womit ein Präzedenzfall geschaffen war.19 Die ehemaligen bürgerlichen Vereine und der Arbeitersport versuchten daraufhin, ihre alten Gemeinschaften und Verbände wieder zu gründen und erhofften sich insbesondere von den westlichen Besatzungsmächten Schützenhilfe. Der Konflikt Vereinssport versus Kommunalsport war damit ausgebrochen. Als sogar in der amerikanischen Zone im Oktober 1945 der Süddeutsche Fußballverband und Traditionsvereine wie Bayern München, Stuttgarter Kickers oder Eintracht Frankfurt gegründet worden waren, preschte Richard Genthe, Mitglied der Spartenleitung Fußball im Hauptsportamt, mit der Bitte einiger Sportgruppen vor, die alten Vereine wieder zuzulassen, was jedoch scheiterte.20 Die sowjetische Besatzungsmacht versuchte nun, von diesen Vorgängen aufgeschreckt, die alliierten Partner vom bisher vorgezeichneten Berliner Weg zu überzeugen und per Dekret durchzusetzen. Dies gelang mit der alliierten Kontrollratsdirektive Nr. 23 vom 17. Dezember 1945. Diese Bestimmung wiederholte das Verbot aller sportlichen Organisationen, die vor der Kapitulation bestanden hatten und verfügte nachdrücklich deren restlose Auflösung bis zum Jahresbeginn 1946. 3. Start in den Gesamtberliner Fußball (1946–1948): Renaissance des bürgerlichen Vereinswesens Im Januar 1946 startete die erste Nachkriegsmeisterschaft in Berlin. 36 kommunale Fußballteams hatten sich qualifiziert, zwanzig Sportgruppen aus den West17
18 19 20
Andere kommunale Sportgruppen mit bürgerlichem Vereinsgerüst waren SG Wilmersdorf (BSV 92), SG Adlershof (Adlershofer BC 08) oder SG Prenzlauer Berg-West (Alemannia 90). Vgl. SCHWARZ, Fußballsport in Berlin, 54f. Vgl. STRYCH, Der westdeutsche Sport, 48f. Vgl. KOPPEHEL, Berliner Fußballsport, 255.
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sektoren und 16 aus dem sowjetischen Sektor wurden bei der Sparte Fußball für die Berliner Meisterschaft gemeldet, die in vier Staffeln mit dem Meisterschaftsbetrieb in der Ligaklasse begann.21 Mit dem Start in die Meisterschaft verstärkte sich der Wunsch vieler kommunaler Sportgruppen, die alten Vereine wieder zuzulassen. Doch im Rundschreiben Nr. 2 der Alliierten Kommandantur wurde bekannt gemacht, dass die „Eröffnung von Sportvereinen bis auf weiteres nicht gestattet“ sei. „Ziel dieser Anordnung ist es nicht, die Sportvereine für immer zu verbieten, sondern die Verantwortung für den Sport den deutschen Behörden beim Magistrat zu übertragen, bis die Lage stabiler ist.“22
Nach dem Erlass dieser Anordnung merkten nun auch die Arbeitersportler, dass selbst für sie die erhoffte Wiederzulassung ihrer Traditionsvereine auf sich warten ließ. Dieses Hinhalten verschärfte die Stimmung gegen den Kommunalsport, wie ein Bericht aus Berlin-Wedding bezeugt: „Viele ehemalige Arbeitersportler sagen, dass die Vereine fehlen, z.B. Fichte oder Freie Turnerschaft. Die Sportler, die in bürgerlichen Vereinen immer verankert waren, schreien nach Hertha BSC, Tennis Borussia oder Blau-Weiß.“23
Der Kampf um das Festhalten am Kommunalsport gegenüber dem Ruf nach alten Vereinsformen war längst im vollen Gange. Das unter kommunistischem Einfluss stehende Hauptsportamt verteidigte diese Organisationsform jedoch vehement und propagierte den Kommunalsport als Übergangsform. Als Hauptargument gegen die Wiederbelebung der bürgerlichen Turn- und Sportorganisationen brachte die KPD vor, dass die alten bürgerlichen Vereine eine aktive Schuld an der Indienstnahme des Sports im Nationalsozialismus trugen und lasteten ihnen zudem den Missbrauch des Sports zu Kriegszwecken an. Hinter dem Festhalten am Kommunalsportmodell verbargen sich jedoch machtpolitische Absichten. Mit dieser Organisationsform gelang es nämlich, alle Sporttreibenden und Sportinteressierten zu sammeln, unter dem Dach der Sportämter zu binden, politisch zu indoktrinieren und die NS-Belasteten zu entfernen. Die unter SMAD angeleiteten kommunalen Sportausschüsse boten als Plattformen einer Einheitsbewegung der „antifaschistisch-demokratischen Umwälzung“ eine gute Möglichkeit der machtpolitischen Lenkung.24 Die technische Organisation der 1946 eingeführten Stadtklasse blieb von diesen sportpolitischen Spannungen vorerst unberührt. Berliner Fußball-Meister wurde die SG Wilmersdorf, die den Meistertitel am Grünen Tisch nach Zuschauerausschreitungen im Finalspiel gegen die SG Prenzlauer Berg-West zugesprochen bekam. Noch bevor die neue Punktspielrunde gestartet wurde, wählten die Fußballer eine neue Führung. Arthur Priefert blieb Spartenleiter, aller21 22 23 24
Vgl. BAROTH, Anpfiff in Ruinen, 122. Zit. nach SCHWARZ, Fußballsport in Berlin, 57 (Rundschreiben Nr. 14 an die Sportämter BKO [46] 78 vom Februar 1946). Zit. nach KEIDERLING, Vom Kommunal- zum Volkssport, 162 Anm. 27. Vgl. KEIDERLING, Vom Kommunal- zum Volkssport, 159–161.
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Abb. 2: Titelblatt des Programmheftes „Kleines Sportmagazin“ anlässlich der Berliner Fußballmeisterschaft 1946/47, Archiv Hertha BSC.
dings rückten mit Richard Genthe (Stellvertreter) und Carl Koppehel (Erster Techniker und Pressewart) zwei ehemals bürgerliche Fußballfunktionäre auf, die aufgrund ihrer Ämter im Verband Berliner Ballspielvereine (VBB) und Deutschen Fußball-Bund (DFB) bzw. Fachamt Fußball des DRL (Deutscher Reichsbund für Leibesübungen) bzw. NSRL während des Nationalsozialismus in der Kritik standen, allerdings jene führenden Köpfe waren, die das Kommunalsportkonzept zu Gunsten der Wiederzulassung der alten Vereine zu kippen gedachten.25 25
Vgl. SCHWARZ, Fußballsport in Berlin, 79f.
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Abb. 3: Mitgliedsausweis von Alfred Stahr, SG Gesundbrunnen (Hertha BSC); der in Hohenschönhausen wohnende Stahr darf 1946, nach Aufhebung der Bezirksgebundenheit, wieder für sein Team Hertha BSC spielen, Archiv Hertha BSC.
Die Saison 1946/47 startete zudem mit weiteren Neuheiten. Die Bezirksgebundenheit fiel (Abb. 2 und 3): Das Hauptsportamt genehmigte die freie Wahl der kommunalen Sportgruppe und hob die Verpflichtung zum Start für den Wohnbezirk auf.26 Derartige Regelungen wurden von den Mannschaften als dringend notwendig erachtet, um nicht nur in den Rundenspielen um die Meisterschaft konkurrenzfähig zu sein, sondern auch als attraktiver und spielstarker Gegner Einladungen für Interzonenspiele wahrnehmen zu können. Das erste auswärtige Spiel einer Berliner Mannschaft fand zwar schon im Sommer 1945 mit der Begegnung Staaken gegen Wittenberge statt, doch waren interzonale Spiele eher selten. Ab 1946 nahmen die Berliner Vereine wieder Tuchfühlung zu altbekannten Regionen der Vorkriegszeit, speziell in den Ländern Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg auf, um Spiele auszutragen (Abb. 4).27 Dies 26 27
Vgl. Bezirksgebundenheit fällt, in: Berliner Zeitung, 23.7.1946. Vgl. die exemplarisch vielfältigen Begegnungen der SG Gesundbrunnen mit der SBZ – u.a. 1946 mit der Volksmannschaft Langensalza oder SG Bad Tennstedt, später 1948 gegen den Ostzonenmeister Freiimfelde Halle. Vgl. Hertha Archiv und TRAGMANN, Hertha-Kompendium, 201–206. Über die „Kalorien-Reisen“ berichtet anschaulich der ehemalige Hertha-Spieler und spätere Sportjournalist Lutz Rosenzweig. Vgl. JAHN, Hertha BSC, 83.
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Abb. 4: Ankündigungsplakat des interzonalen Fußballspiels SG Gesundbrunnen gegen Volksmannschaft Langensalza 1946; die Gastgeber aus Langensalza kündigen aus Werbezwecken den zweimaligen Deutschen Meister Hertha BSC an, obwohl das Team damals unter dem Namen SG Gesundbrunnen firmierte, Archiv Hertha BSC.
galt auch für die populäre Berliner Stadtauswahl. Am 19. April 1946 wurde das erste Berliner Städtespiel gegen eine Auswahl Dessaus auf dem ehemaligen Hertha-Platz bestritten, das 2:1 gewonnen wurde. Berlin trug in dieser Zeit die meisten Städtespiele aus. In der Saison 1946/47 folgten weitere Begegnungen gegen Städte in der SBZ (Dresden, Zwickau und Chemnitz), bis im Mai 1947 die 13 Monate dauernde Beschränkung des Berliner Spielverkehrs auf die SBZ durch die Alliierten aufgehoben wurde. Mit dem Spiel Düsseldorf gegen Berlin am 4. Mai 1947 trat die Stadt in den interzonalen Spielverkehr ein.28 Gerade die Berliner Stadtauswahl, die aus Spielern aller Sektoren gebildet wurde, war neben der gemeinsamen Meisterschaftsrunde ein Symbol der Berliner Einheit in der Viersektorenstadt. Im Herbst 1946 standen die Wahlen zur Berliner Stadtverordnetenversammlung an. Mit nur 19,8 Prozent war die im Frühjahr 1946 aus einer Zwangsvereinigung von KPD und SPD gebildete SED nur drittstärkste politische Kraft nach der SPD (48,7 Prozent) und CDU (22,2 Prozent) in Berlin. Der politische Einfluss schwand ebenso in den Stadtbezirken. Die Sitze der 14 Stadträte verteilten sich auf die Parteien wie folgt: SPD (7), CDU (3), LDP (2) und SED (2). Damit war die SED deutlich in der Minderzahl. Obwohl der Magistrat von Berlin nun von sozialdemokratischen und konservativen Kräften dominiert wurde, blieb das 28
Vgl. SCHWARZ, Fußballsport in Berlin, 183–185.
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Hauptsportamt unter Franz Müller (SED) in kommunistischer Hand. Allerdings wurden die kommunistischen Funktionäre aus allen bezirklichen Sportämtern verdrängt, der Kommunalsport wurde immer stärker kritisiert. Die Diskussion über die zukünftige Organisation des Sports in Berlin nahm an Schärfe zu. Während im sowjetischen Sektor Berlins ein Konzept für Großsportvereine favorisiert und durch die SMAD gefördert wurde, favorisierten die Sportler und Funktionäre in den Westsektoren die Rückkehr zu den zumeist alten Traditionsvereinen. Diese unterschiedlichen Sportauffassungen führten nun zu deutlichen Rissen im Berliner Sport. Im Westteil der Stadt gingen die Bemühungen sogar soweit, die Gründung eines eigenen Hauptsportamtes ohne kommunistischen Einfluss anzustreben. Insbesondere die ehemaligen bürgerlichen Fußballvereine versuchten mit einer Vielzahl von Eingaben, eine Rückkehr zum Vereinsprinzip durchzusetzen, was jedoch vorerst am Veto des sowjetischen Vertreters in der Alliierten Kommandantur scheiterte.29 Die ehemals bürgerlichen Fußballer zählten zu den stärksten Opponenten des Kommunalsportkonzepts. Im November 1946 wählten kommunale Fußballsportgruppen einen zehnköpfigen Ausschuss, deren Mitglieder zu großen Teilen der zentralen Spartenleitung angehörten, um Wege für die Wiederzulassung der alten Vereine zu finden. Mit antifaschistischer Einheitsrhetorik konnte der Hauptsportamtsvorsitzende Franz Müller jedoch vorerst das Aufweichen des Kommunalsports verhindern.30 Doch bereits am 22. März 1947 kamen die alliierten Stadtkommandanten überein, nicht politische Vereinigungen, auch sportlicher Natur, wieder zuzulassen. Von nun an beantragten viele Sportgruppen die Gründung von neuen, aber auch alten Sportvereinen. Die Alliierten lehnten jedoch, insbesondere ehemalige bürgerliche Vereine ab. Neu gegründete Vereine oder sogenannte Sektorenvereine, die ihre Tätigkeit auf einen Sektor beschränkten, erhielten leichter die Zulassung durch die Alliierten. Gleichwohl ließen die bürgerlichen Sportler in ihrem Bemühen um die Lizenzierung ihrer ehemaligen Vereine nicht nach. Im Mai 1947 wurde sichtbar, wohin der Weg des West-Berliner Fußballsports führen sollte. Auf der Arbeitstagung des „Organisations-Ausschusses“ – Vorgänger des West-Berliner Fußballverbandes (VBB) – wurde festgestellt, dass „65 Fußballvereine im Werden“ seien, „von denen die weitaus meisten ihre alten Namen zu tragen wünschen.“31 Das lang erwartete Signal für die Rückkehr der Sportvereine war damit endlich gegeben. Berlin zog nun langsam gegenüber der Entwicklung in den Westzonen nach. Dort gab es bereits seit Ende 1945 eine durch die US-Behörden genehmigte Süddeutsche Oberliga, die bürgerlichen Traditionsvereine waren längst wiedererstanden.32 Die sowjetischen Militärbehörden gaben mit dieser Entscheidung ihre Kontrahaltung zu einer den Westzonen entsprechenden Sportentwicklung in Gesamtberlin auf. Hiermit wurde eine gegenläufige Praxis zu der in der SBZ vollzogenen Entwicklung zugelassen, wo das Kommunalsportmodell als Über29 30 31 32
Vgl. PABST, Sport – Medium der Politik, 69; NITSCH, Sportentwicklung, 104f. Vgl. SCHWARZ, Fußballsport in Berlin, 77. Zit. nach PABST: Sport – Medium der Politik, 69 Anm. 89. Vgl. Autorenkollektiv, Fußball in Vergangenheit, 11–15.
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leitung zu einem kommunistisch dominierten FDJ-Sport unter scharfen Kämpfen rigoros vollzogen wurde.33 In der Praxis wartete auf die Berliner Vereinsgründer ein umfangreiches bürokratisches Verfahren. Sportvereine mussten Antragsunterlagen in 29-facher Ausfertigung, und das auch noch in den Muttersprachen der Alliierten, einreichen.34 Allein 40 Fußballgruppen drängten auf Wiederzulassung.35 Da die Antrags- und Papierflut die Behörden vor unlösbare Aufgaben stellte und deshalb die Genehmigungen für den Spielbetrieb nicht rechtzeitig vorlagen, wurde den meisten Vereinen eine provisorische Teilnahme am laufenden Meisterschaftsbetrieb gestattet. Erst im Juni 1948 wurden die ersten Berliner Vereine für GroßBerlin zugelassen. Unter ihnen BFC Viktoria 89 (SG Tempelhof), Reinickendorfer Füchse (SG Reinickendorf-Ost), aber auch Vereine des Ost-Sektors VfB Pankow (SG Pankow-Nord), Adlerhofer Ballspiel-Club 1908 (SG Adlershof) und SC Lichtenberg 47 (SG Lichtenberg-Nord). Trotz einiger Neugründungen (wie Lichtenberg 47) wählten die meisten Sportgruppen den Namen ihrer alten Traditionsvereine.36 In den kommenden Monaten folgten weitere Vereine, die von den Alliierten die Lizenz erhielten. Berlins Fußball hatte im Jahr 1949 fast wieder sein altes Gesicht zurück erhalten. Namen wie Tennis Borussia, Hertha BSC, Tasmania 1900, BSV 92, Spandauer SV, Wacker 04, Alemannia 90 und SG Union Oberschöneweide machten den Berliner Fußball wieder zu einer klangvollen Adresse. Die Fußballsaison 1946/47 endete mit einigen Überraschungen. Berliner Meister wurde die SG Charlottenburg, die sich in der aus zwölf Mannschaften bestehenden obersten Stadtklasse durchsetzen konnte. Mit der SG Köpenick, der SG Lichtenberg-Nord und SG Berlin-Mitte waren drei Mannschaften aus dem sowjetischen Sektor vertreten, von denen jedoch die beiden letztgenannten abstiegen. Das Überraschungsteam schlechthin war die ostsektorale SG Oberschöneweide (Abb. 5). Die unterklassigen Wuhlheider bezwangen im Pokalendspiel den favorisierten Meisterschaftsaspiranten SG Wilmersdorf mit 4:3 nach Verlängerung. In der darauf folgenden Saison entwickelte sich der Fußball in Berlin kontinuierlich weiter. Die Einheit des Spielbetriebes blieb erhalten, allerdings zeigten sportpolitische Entscheidungen in der SBZ, wohin das als Übergangsphase postulierte Kommunalsportkonzept nach dem Willen der SED führen sollte. Mit der SG Köpenick sowie den Aufsteigern SG Oberschöneweide und SG PankowNord war der sowjetische Sektor wiederum mit drei Vertretern in der Gesamtberliner Stadtklasse vertreten. Die Einheit des Berliner Fußballs blieb zwar bestehen, doch bahnten sich wegweisende Veränderungen an. Bereits im August 1947 zeichneten sich Veränderungen in der Zentralen Fußballsparte ab. Der von der SMAD und der SED gestützte Arthur Priefert musste seinen Vorsitz in der Lei33 34 35 36
Vgl. KEIDERLING, Vom Kommunal- zum Volkssport, 156–175. Vgl. ROSENZWEIG/ROSENZWEIG/ROMANUS/DE MARNÉ, 75 Jahre Hertha BSC, 63. Insgesamt gingen über 300 Anträge aus dem Sport ein. Vgl. LÜTTKE, Neuanfang oder Wiederaufbau?, 5. Vgl. SCHWARZ, Fußballsport in Berlin, 78.
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Abb. 5: Ankündigungsplakat des Endspiels um den Berliner Drahtfunkpokal zwischen SG Wilmersdorf und SG Oberschöneweide 1947, Archiv SC Union 06.
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tung an das bürgerliche Lager abgeben. Richard Genthe (Vorsitz) wurde nun an die Spitze des obersten Berliner Fußballgremiums gewählt und im Januar 1948 rückte mit Paul Rusch (Stellvertreter) ein zweiter „Bürgerlicher“ in die Leitung der Sparte Fußball auf.37 Während die alten bürgerlichen Kräfte in immer größerer Zahl gegen das Kommunalsportkonzept opponierten, wurde in der SBZ ein neuer Entwicklungsschritt vollzogen. Seit Frühjahr 1948 hatte die SED ihre Sportpolitik darauf ausgerichtet, einen Einheitssportverband für die SBZ ins Leben zu rufen, dessen Trägerschaft und Kontrolle den Massenorganisationen FDGB und FDJ obliegen sollte.38 In diesem Verband sollten die kommunalen Sportgruppen und die kürzlich ins Leben gerufenen FDJ-Sportgruppen die Basis bilden. Die traditionellen Vereinsvorstellungen waren damit nun endgültig obsolet. Auch Berlin sollte nach Meinung der SED-Landesleitung diesem Modell folgen.39 Der Startschuss zu einer organisatorischen Trennung des Berliner Sports war damit gefallen. Sportlich lief in dieser Saison alles rund für den Aufsteiger aus dem sowjetischen Sektor. Die Ost-Berliner Union Oberschöneweide brachte 1948 das Kunststück fertig, den Pokalsieg vom Vorjahr zu wiederholen und mit der Meisterschaft das Double zu holen. Damit war die SG Union Oberschöneweide für die Endrunde um die Deutsche Meisterschaft als Berliner Vertreter qualifiziert. 4. Die Spaltung des Berliner Fußballs (1948–1950): Blockade, Zerwürfnisse und Fluchten Im Sommer 1948 verschärfte sich die Lage aufgrund der divergierenden deutschlandpolitischen Ansichten zwischen der SMAD und den West-Alliierten. Ende 1947 war die Londoner Außenministerkonferenz ohne konkrete Ergebnisse in der Deutschlandfrage abgebrochen worden. Die drei Westmächte gingen dazu über, ihre Besatzungszonen ohne Berücksichtigung der sowjetischen Zone aufzubauen. Aus Protest verließ am 20. März 1948 der sowjetische Vertreter den Alliierten Kontrollrat, weshalb die Tätigkeit der Alliierten Kommandantur am 16. Juni 1948 endete. Im Laufe des Jahres 1948 bereiteten die Westmächte die Währungsreform vor, die das Fundament für den ökonomischen Wiederaufbau Westdeutschlands legen sollte. Um die Währungsreform, die aus Sicht der UdSSR zur Gründung eines separaten Weststaates führen konnte, zu verhindern, verfügte die SMAD am 24. Juni 1948 eine Blockade der Land- und Wasserwege zu den Westsektoren Berlins. Die USA entschieden sich gegen einen militärischen Konflikt. Stattdessen versorgten Amerikaner und Briten Berlin über eine Luftbrücke. Im Oktober 1948 folgte die Spaltung des Berliner Magistrats und für Dezember wurden für die Westsektoren neue Wahlen anberaumt. In Ost-Berlin wurde dagegen ein eigener Magistrat von der SMAD anerkannt, womit die Stadt 37 38 39
Vgl. SCHWARZ, Fußballsport in Berlin, 87, 91. TEICHLER, Sportbeschlüsse, 69f.,179–182. Vgl. NITSCH, Sportentwicklung, 110.
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Abb. 6: Die Spieler des FC St. Pauli unterbrechen an der Zonengrenze ihre Fahrt zum Vorrundenspiel um die Deutsche Meisterschaft gegen Oberschöneweide; bevor sie mit einem sowjetischen Bus ins Berliner Olympiastadion weiterreisen können, müssen sie ihr Gepäck auf Bollerwagen durch das Niemandsland der Zonengrenze transportieren, Archiv FC St. Pauli.
politisch geteilt war.40 Trotz der sich verschärfenden politischen Konflikte unter den Alliierten und der von der Sowjetunion verhängten Blockade gegen WestBerlin blieb die Einheit im Sport der Stadt vorerst erhalten. Die Austragung der Stadtliga um die Ermittlung des Gesamtberliner Fußballmeisters war trotz Sperrmaßnahmen nicht in Gefahr. Nachdem 1947 der Versuch, eine erste Deutsche Meisterschaft aller Zonen durchzuführen, gescheitert war, unternahm ein aus dem Bizonalen Ausschuss hervorgegangener Arbeitsausschuss Fußball 1948 einen erneuten Anlauf. Als Modus wurde festgelegt, dass je zwei Vertreter der amerikanischen, britischen, französischen und sowjetischen Zone um den Meistertitel spielen. Allerdings hatte es schon vor diesem Zeitpunkt erheblich zwischen den Fußballinstanzen im Osten und Westen der Stadt rumort. Die ostdeutschen Vertreter monierten das Zustandekommen des Spielmodus, da der Arbeitsausschuss sie nicht in die Diskussion einbezogen hatte. Mit dem Ostzonenmeister SG Planitz und dem Berliner Meister SG Oberschöneweide waren im Sommer 1948 zwei Vertreter aus dem Osten formell spielberechtigt. Die SG Planitz sagte allerdings ihr in Stuttgart anberaumtes Viertelfinalspiel gegen den 40
Vgl. WETZLAUGK, Berliner Blockade, 65–90.
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1. FC Nürnberg ab. Die SMAD soll für diese Begegnung keine Genehmigung erteilt und die Ausstellung der Interzonenpässe verweigert haben.41 Auch die Begegnung des zweiten ostsektoralen Berliner Vertreters stand auf des Messers Schneide. Die Berlinblockade schien die Austragung des Spiels zu stoppen. Die anders gelagerte alliierte Machtkonstellation in der Viersektorenstadt Berlin und auch die Hartnäckigkeit und das Kommunikationsgeschick der „bürgerlichen“ Berliner Spartenleitung Fußball ebneten trotz akuter politischer Schlechtwetterlage den Weg für die Austragung der Viertelfinalbegegnung zwischen der SG Oberschöneweide und dem FC St. Pauli im Berliner Olympiastadion. Allerdings erwies sich die Anreise für die Hamburger als ein kompliziertes Unternehmen (Abb. 6 und 7). Die sowjetische Kommandantur gab die Erlaubnis zu einem Kraftwagentransport, mit dem die Hamburger von der Zonengrenze nach Berlin gebracht wurden.42 Vor 70.000 Zuschauern deklassierte der NordwestMeisterschaftszweite den Gesamtberliner Meister klar mit 7:0.43 Der FC St. Pauli war den Wuhlheidern sportlich klar überlegen. Das Deutsche Sportecho titelte: „Das Lehrspiel des FC St. Pauli“.44 Am 1. Oktober 1948 machte die SED ihre Ankündigung wahr und gründete in Berlin einen unter der Trägerschaft des FDGB und der FDJ stehenden Einheitssportverband, den Deutschen Sportausschuss (DS). Allerdings blieb diese neue Organisationsform auf die SBZ beschränkt. Gerade die Fußballfunktionäre der Westsektoren hatten sich massiv gegen die Einführung eines von der SED beeinflussten Einheitssportverbandes gewehrt. Bereits am 10. August 1948 waren sie dem Aufruf der FDJ und des FDGB zur Gründung des DS mit der Einberufung einer „Arbeitsgemeinschaft gegen die Machtansprüche des Deutschen Sportausschusses in Berlin“ begegnet. Auf der von der Arbeitsgemeinschaft am 10. August 1948 in Tempelhof anberaumten Tagung wurde gegen die Leitung des von der SED beeinflussten Hauptsportamtes mobil gemacht. Das für die Anwesenden wichtigste Ergebnis bestand darin, dass das Arbeitsgebiet des DS nicht für Berlin, sondern allein für die SBZ gelten sollte.45 Die Stadtkommandanten der Westsektoren stimmten am 30. Dezember 1948 einem gegen die Sportpolitik des Ost-Berliner Hauptsportamtes gerichteten Reorganisationsplan zu, der die Wiederzulassung der alten Sportvereine vorsah. Am 19. Januar 1949 kamen daraufhin im Ostsektor Berlins Sportler und Funktionäre zusammen, um neue Organisationsformen für den Kommunalsport zu finden und der Dynamik im Westteil der Stadt entgegenzutreten. Ergebnis dieser Zusammenkunft war die Gründung eines unter Leitung der FDJ und des FDGB stehenden „Berliner Sportausschusses“ am 2. Februar 41
42 43 44 45
Vgl. BAINGO/HORN, DDR-Oberliga, 11–13. Die genauen Hintergründe des Scheiterns der Teilnahme des Ostzonenmeisters an der Endrunde um die Deutsche Meisterschaft von 1948, und auch 1949, liegen bis heute im Dunklen. In der populären Literatur wird dieser Umstand zwar immer wieder betont, allerdings nicht mit Quellenbelegen untermauert. Vgl. SCHWARZ, Fußballsport in Berlin, 95. NITSCH, Sportentwicklung, 108f. Das Lehrspiel des FC St. Pauli, in: Deutsches Sportecho, 19.7.1948. Vgl. SCHWARZ, Fußballsport in Berlin, 97f.
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Abb. 7: Titelblatt des Sonderheftes „Berliner Fußballprogramm“ anlässlich des Vorrundenspiels um die Deutsche Meisterschaft 1948 zwischen FC St. Pauli und SG Oberschöneweide im Berliner Olympiastadion, Archiv Union 06.
1949, der einen Führungsanspruch für ganz Berlin beanspruchte. Geleitet wurde dieser von Heinz Dose und dem Fußballfunktionär Helmut Behrendt. Mit der Installation des Ost-Berliner Sportausschusses wurde der Kommunalsport in der SBZ und den Westsektoren ad acta gelegt.46 Die ehemaligen kommunalen Sportgruppen Ost-Berlins wurden nun dahingehend agitiert, sich zu „demokratischen“ 46
Vgl. PABST, Sport – Medium der Politik, 69; LÜTTKE, Neuanfang oder Wiederaufbau?, 6–8.
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Sportgemeinschaften (SG) umregistrieren zu lassen. So wurde aus der Sportgruppe (SG) Oberschöneweide die Sportgemeinschaft (SG) Union Oberschöneweide, die in ihrem Namen allerdings die Tradition vergangener Tage (SC Union Oberschöneweide) aufscheinen ließ. Mit der Konstituierung des Ost-Berliner Sportausschusses entstanden im Juni 1949 im Ostteil der Stadt auch die 16 ersten Betriebssportgemeinschaften (BSG), die jeweils eine Sektion Fußball führten. Mit Sparta Siemens, Concordia Wilhelmsruh und VEB Buchholz zählten drei aktuelle Zweitligisten zu den Vorreitern einer Organisationsform, die in dem Transformationsprozess vom bürgerlichen Vereinswesen zu sowjetischen Strukturen zu einer festen Größe in der SBZ/DDR und Ost-Berlin werden sollte.47 Bereits 1949 spielten die ersten vier Ost-Berliner Betriebssportgemeinschaften um einen FDGB-Landespokal Berlin, der in einer kleinen Spielrunde ermittelt wurde.48 Der Ost-Berliner Sportausschuss gab am 1. März 1949 bekannt, dass alle Vereine und Sportgruppen Berlins bis zum 15. März meldepflichtig seien, um nicht vom Sportverkehr mit dem Sowjetsektor Berlins und der SBZ ausgeschlossen zu werden. Das West-Berliner Magistratsamt für Leibesübungen und die West-Berliner Vereine ließen sich von dieser Drohgebärde nicht beeinflussen. Sie verboten jegliche Registrierung im Osten und kündigten die Gründung eines eigenen Stadtsportverbandes an. Am 10. März 1949 wurde der Ost-Berliner Sportausschuss in den 1948 für die gesamte SBZ zuständigen Deutschen Sportausschuss (DS) integriert.49 Die West-Berliner Sportfunktionäre reagierten darauf im Frühjahr 1949 und leiteten die Organisation eines Gesamtverbandes des West-Berliner Sports in die Wege – am 29. Oktober 1949 wurde nach langwierigen Satzungsdiskussionen der Sportverband für Groß-Berlin gegründet.50 Die institutionelle Spaltung des Berliner Sports hatte sich damit manifestiert. Der Gesamtberliner Spielverkehr in der Saison 1948/49 barg allerdings einige Hindernisse. Die vier Vertreter des sowjetischen Sektors (SG Oberschöneweide, SG Pankow/VfB Pankow, SG Köpenick und SG Lichtenberg 47) hatten aufgrund des durch die Währungsreform getrennten Wirtschaftsgebiets den Verlust etlicher Spieler zu beklagen. Den Meister aus Oberschöneweide verließen beispielsweise etliche Spieler, um bei Vereinen im Westteil der Stadt anzuheuern. Union-Trainer Hanne Sobek musste in allen Mannschaftsteilen umbauen, da beispielsweise Harry Wunstorf und Werner Fiedler zu Tennis Borussia, Kurt Gades, Paul Decker und Werner zum VfB Britz, Jupp Zöllner nach Westdeutschland zu Tura Düsseldorf, Alfred Gaulke und Walter Sowade zu Alemannia 90 wechselten.51 Im März 1949 wurde zudem auf der Fußballspartentagung beschlossen, dass die Eintrittspreise in den Westsektoren zukünftig in getrennten Kassen im 47 48 49 50 51
Vgl. SCHWARZ, Fußballsport in Berlin, 121. Vgl. 11, Nr. A, 73. Zu den Teilnehmern zählten Concordia Wilhelmsruh (1.), Sparta Siemens (2.), VEB Buchholz (3.) und DMW Johannisthal (4.). Vgl. NITSCH, Sportentwicklung, 112f.; SCHIEBEL, Sonderentwicklung, 188. Vgl. PABST, Sport – Medium der Politik, 70; NITSCH, Sportentwicklung, 112f.; SCHIEBEL, Sonderentwicklung, 188. Vgl. LUTHER/WILLMANN, Eisern Union, 33.
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Kurs von 1:1 in Ost- und Westmark, in Ost-Berlin nur in der Ostwährung zu entrichten sind. Meister dieser Saison wurde der BSV 92 (SG Wilmersdorf), Union Oberschöneweide wurde Dritter. Den Drahtfunkpokal gewann Tennis Borussia durch ein 2:0 gegen Alemannia 90. Von den vier Absteigern gehörten mit der SG Köpenick und SG Lichtenberg 47 zwei Ost-Berliner Mannschaften zu den Verlierern der Saison. Meister BSV 92 vertrat im Sommer 1949 beim Vorrundenspiel um die Deutsche Meisterschaft gegen Borussia Dortmund (0:5) die Stadt. Der Qualifikationsschlüssel sah diesmal vor, dass Berlin und die Ostzone je einen Vertreter, die Westzonen sechs Qualifikanten ins Rennen schicken konnten. Der DS lehnte diesen Verteilerschlüssel jedoch ab, weshalb er den Ostzonenmeister, die ZSG Union Halle, nach zähen Verhandlungen nicht zur Teilnahme entsandte.52 Im Sommer 1949 wurde trotz der politischen und sportlichen Spaltung in der Stadt eine einheitliche Fußballliga erneut in Angriff genommen. Die alte Spartenleitung mit den bürgerlichen Vertretern Richard Genthe, Paul Rusch und Carl Koppehel an der Spitze, aber auch mit Arthur Priefert, wurde für das Geschäftsjahr 1949/50 wieder gewählt. Es zeigte sich jedoch schnell, dass dieser Schulterschluss nur Einheitsrhetorik war. Am 25. Oktober 1949 hatte sich der VBB konstituiert, dem schon nach kurzer Zeit die meisten der West-Berliner Fußballvereine beitraten.53 Im Ostteil der Stadt hatte sich bereits am 20. Oktober ein Fachausschuss Fußball unter der Leitung von Wilhelm Krüger als östliche Parallelinstitution gegründet. Dies trug der Tatsache Rechnung, dass die DDR am 7. Oktober mit der Hauptstadt Berlin gegründet worden war und alle Fachsparten Ost-Berlins nun im Deutschen Sportausschuss vertreten sein mussten. Von nun an wurde der Fußballsport in Berlin von zwei Instanzen geleitet, und das bei einem laufenden gemeinsamen Spielbetrieb. Beide Fußballfachverbände – VBB und der FußballFachausschuss – versicherten, die Einheit des Berliner Fußballs mit der Gesamtberliner Meisterschaft demonstrieren zu wollen. In paritätisch besetzten Ausschüssen sollte die Organisation des Gesamtberliner Spielverkehrs sichergestellt werden. Als Ersatz für den bisherigen Pokalwettbewerb (RIAS-Drahtfunk-Pokal) sollte sogar ein Ehrenpreis gestiftet werden, der die Einheit des Berliner Fußballs symbolisierte.54 In der laufenden Saison der Berliner Meisterschaft ergaben sich jedoch weitere Belastungsproben, die zur endgültigen Spaltung des Berliner Fußballs führen sollten. Im Januar 1950 trat der VBB dem DFB bei, der seit langem ein Vertragsspielersystem befürwortete, das einige westdeutsche Fußballregionalverbände zu diesem Zeitpunkt bereits eingeführt hatten. Eine bis zum Frühjahr 1950 anhaltende Diskussion brach sich nun Bahn, ob Berlin diesem Beispiel folgen 52 53
54
Vgl. SCHWARZ, Fußballsport in Berlin, 118f. BAROTH, Anpfiff, 134. Die Wiederzulassung einer Dachorganisation des Fußballs hatte ebenso wie der Prozess der Vereinsrückführung einen langen Zeitraum eingenommen. Im März 1947 wurde der Antrag eines „Fünfer Ausschusses“ auf Zulassung einer Dachorganisation von den Alliierten noch abgelehnt. Vgl. SCHWARZ, Fußballsport in Berlin, 78. Vgl. SCHWARZ, Fußballsport in Berlin, 109.
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sollte. Als im April 1950 aufgrund ungenügender Einnahmen aus dem FußballToto auf den West-Berliner Fußballplätzen nur noch die Westmark als Währung akzeptiert wurde und die vielen Stadionbesucher aus dem Ostsektor vor die Entscheidung gestellt waren, entweder Westgeld zu tauschen oder den Spielen nicht beizuwohnen, wurde die Debatte über eine solide wirtschaftliche Grundlage der Vereine angeheizt.55 Einige Vereine aus dem Ostsektor oder West-Berliner Vereine mit großem Ost-Berliner Stammpublikum wie Alemannia 90, VfB Pankow oder BSV 92 waren in der Saison 1949/50 bereits dazu übergegangen, einen Teil ihrer Heimspiele aus pekuniären Gründen auf West-Berliner Sportplätzen auszutragen, um stabile Einnahmen zu erzielen. Die Ost-Berliner SG Union Oberschöneweide trug ihre Heimspiele ab Frühjahr 1950 im West-Berliner Poststadion mit Erlaubnis des Ost-Berliner Fußballausschusses aus.56 Als der VBB am 8. Mai 1950 beschlossen hatte, das Vertragsspielerstatut nach westdeutschem Vorbild einzuführen,57 kam es zum Konflikt mit dem OstBerliner Sportausschuss, der die Idee des Amateurstatus hochhielt. Als der VBB den Antrag des Ost-Berliner Fußballausschusses ablehnte, die Mannschaften des sowjetischen Sektors im Status von Amateuren weiterspielen zu lassen, kündigte der Osten den Ausstieg aus der Liga zum Ende der Spielzeit an.58 Die OstBerliner Stadtligamannschaften VfB Pankow und SG Union Oberschöneweide sowie der Zweitligist SG Lichtenberg 47 wurden daraufhin aus dem Spielbetrieb zurückgezogen und in die neu gegliederte DS-Oberliga, die unterklassigen Mannschaften von Concordia Wilhelmsruh, SG Köpenick und SC Hohenschönhausen in die zweigleisige DS-Liga integriert.59 Damit fand der gemeinsame Berliner Meisterschaftsbetrieb mit dem 30. Juni 1950 sein Ende. Die Berliner Fußballmeisterschaft hatte sich damals zu einer attraktiven Liga entwickelt und konnte seit 1945 die besten Zahlen vorweisen. Fast eine Million Zuschauer besuchten die 134 Spiele der höchsten Spielklasse, was einem Durchschnitt von 7.300 pro Spiel entsprach. Einige Punktspiele hatten mit bis zu 30.000 Besuchern Berliner Rekordergebnisse vorzuweisen. Meister der letzten gemeinsamen Berliner Fußballsaison wurde Tennis Borussia vor der Ost-Berliner Elf von Union Oberschöneweide, Pokalsieger wurde Wacker 04. Mit der Trennung des Berliner Fußballs setzte eine große Wanderungsbewegung von Ost- nach West-Berlin ein. Die bisher recherchierten Quellen geben zwar noch nicht hinreichend Antworten über das Ausmaß der Übersiedlung und die Motive der Flüchtenden, jedoch können die Aussicht auf die West-Berliner Vertragsliga und die starke politische Gängelei in der SBZ zu den ausschlagge55 56 57 58 59
Vgl. Schikane auf Westberliner Fußballplätzen, in: Deutsches Sportecho, 24.4.1950. Vgl. LUTHER/WILLMANN, Eisern Union, 35. Vgl. HARTWIG/WEISE, 100 Jahre Fußball in Berlin, 94f. Vgl. KOPPEHEL, Berliner Fußballsport, 265. Vgl. Fußballtrennung in Berlin, in: Deutsches Sportecho, 15.5.1950; Einführung der DSOberliga, in: Deutsches Sportecho, 16.6.1950; HEINZ DOSE, Bruch mit Westberlin?, in: Neue Fussballwoche, 22.5.1950; Wilhelm Krüger, Westberlin isoliert sich, in: Neue Fussballwoche, 12.6.1950; Einführung der DS-Oberliga, in: Deutsches Sportecho, 16.6.1950.
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benden Gründen gezählt werden. Belegt ist jedenfalls, dass viele Spieler von großen und kleinen Ost-Berliner Mannschaften neues Glück im Westen suchten. Aber auch ganze Vereine wechselten am Ende der Saison 1949/50 die Seiten. Prominente Beispiele waren die populären Ost-Berliner Erstligisten SG Union Oberschöneweide und VfB Pankow, denen nun der Gang in die DDR-Oberliga bevorstand. Als die Ost-Berliner Sportführung Union Oberschöneweide verbot, in der West-Berliner Stadtliga zu starten, und der West-Berliner Fußballverband die SG in die „Amateurklasse“ herunterstufen wollte, reifte bei den in die sportliche Ausweglosigkeit Getriebenen der Gedanke zur Flucht. Die DDR-Verantwortlichen drohten den Schwankenden wegen angeblicher „bürgerlicher“ Unterwanderung sogar den Ausschluss aus der DDR-Oberliga an, was deren Entscheidung zusätzlich beeinflusste.60 Endgültig brachte der Streit um die Teilnahme an der Vorrunde um die Deutsche Meisterschaft das Fass zum Überlaufen. Union Oberschöneweide war neben dem Meister Tennis Borussia als Berliner Vertreter für die Qualifikation um die Deutsche Meisterschaft spielberechtigt. Allerdings gab es zwischen dem neu gegründeten DFB und dem DS Querelen im Vorfeld der Organisation der Deutschen Meisterschaft. Der DS monierte, da er wie in den vergangenen Jahren nicht über den Austragungsmodus mitverhandeln durfte. Von den Ergebnissen einer DFB-internen Expertenrunde, die eine Vorrunde mit 16 Mannschaften (elf aus der Bundesrepublik, drei aus der DDR und zwei aus Gesamt-Berlin) vorschlug, fühlte sich die ostdeutsche Fußballsparte im DS brüskiert. Der Teilnehmerkreis an DDR-Teams schien ihnen zu gering bemessen, zudem sahen sie eine Benachteiligung der ostdeutschen Mannschaften, dass die Spielpläne der DDROberliga mit den Terminen der Vorrunde um die Deutsche Meisterschaft kollidierten. Ohne jegliche diplomatische Bemühungen sagten die Ostdeutschen daraufhin ihre Teilnahme an der Deutschen Meisterschaftsrunde ab.61 Union Oberschöneweide, obwohl Berlins Vizemeister, aber zum ostdeutschen DS gehörig, war von dieser Absage schwer getroffen. Sportlich gesehen befand sich die Mannschaft am Ende der Spielzeit 1949/50 in einer glänzenden Verfassung: Vizemeister der Gesamtberliner Stadtliga, wobei Heinz Rogge mit 29 Treffern Torschützenkönig geworden war. In dieser Situation freute sich Union auf die in Kiel terminierte Vorrundenbegegnung gegen den HSV, die allerdings untersagt wurde. Zum wiederholten Mal sah sich Union von den sportpolitischen Kleinkriegen zwischen Ost und West bedroht. Sie entschied sich fast geschlossen zur Flucht nach West-Berlin. Die Mehrheit der Spieler wagten einen Neubeginn im Westen unter dem Namen SC Union 06.62 Neue sportliche Heimat war das West-
60 61 62
Vgl. LUTHER/WILLMANN, Eisern Union, 35. Vgl. SCHWARZ, Fußballsport in Berlin, 127. Vgl. Fußballer-Flucht aus dem Osten. Die Entscheidungen der „Sport-Ausschüsse“ wirken sich jetzt aus, in: Der Tag, 21.5.1950. Neben der ersten Mannschaft der Union wechselten auch ein Teil der Reservemannschaft und einige Jugendspieler nach West-Berlin, unter ihnen der spätere Hertha-Star Hans Eder. Insgesamt verzeichnete die Statistik zu
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Abb. 8: Vom britischen Militärflugplatz Berlin-Gatow werden die geflüchteten Fußballer von Union Oberschöneweide nach Kiel zum Vorrundenspiel um die Deutsche Meisterschaft gegen den HSV 1950 ausgeflogen; das unter dem Namen SC Union 06 startende Team unterliegt den Hamburgern mit 0:7, Archiv SC Union 06.
Berliner Poststadion in Berlin-Moabit. Ohne Genehmigung der Ostbehörden flog das Team trotzig vom West-Berliner Flughafen Gatow zum Meisterschaftsspiel nach Kiel. (Abb. 8) Allerdings endete der Neubeginn mit einer sportlichen Niederlage. Der SC Union 06 verlor 0:7 gegen den HSV. Doch das Team ließ sich nicht entmutigen. Am 9. Juni 1950 wurde die Neugründung offiziell vollzogen, der Verein startete in der West-Berliner Vertragsliga. Dieser Mut wurde später belohnt. Der SC Union 06 stieg zu einer West-Berliner Spitzenmannschaft auf, die 1953 sogar die Berliner Meisterschaft errang. Zu den Stars, die auch in der West-Berliner Stadtmannschaft spielten, gehörten Richard Strehlow, Günther Schulz, Heinz Rogge, Walter Sowade, Paul Salisch und Erwin Wax.63 In der Festausgabe des „Berliner Fußball-Programms“ zum 50. Geburtstag des Vereins wurde der mutige Schritt mit folgenden Worten gewürdigt:
63
diesem Zeitpunkt von den 168 Mitgliedern 123 aus dem Ostteil der Stadt. Vgl. Erinnerungen des Union-Vorsitzenden Günter Funke, in: Archiv Union 06. Vgl. Libero, Nr. 4 (1989), 14.
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„Niemand vermag heute zu sagen, wie schwerwiegend dieser Entschluß den damals führenden Männern des Vereins wurde, welchen Gefahren sie ausgesetzt waren und wieviel persönliche Opfer von ihnen verlangt wurden. Nur starke Herzen, von alles überwältigender Treue zu ihrem Verein beseelte Menschen, vermögen eine solche Transaktion zu planen und durchzuführen“.64
5. Fußball in der geteilten Stadt Berlin (1950–1953): Ausblick und Folgen Die Teilung des Berliner Fußballs hatte weitreichende Folgen für den Fußball in beiden Stadthälften. Der in den DDR-Spielbetrieb zurückgeführte Rest der Union wurde unter dem Namen Motor 1951 in eine Betriebssportgemeinschaft umgewandelt und verlor den Anschluss an die Spitze der DDR-Oberliga. Der sportliche Aderlass war einfach zu groß. Obwohl einige Spieler wie Röhrens, Kurt Senglaub, Heinz Brüll, Heinz Stüwe, Alfred Gaulke und Paul Decker während der Saison 1950/51 wieder nach Ost-Berlin an die Wuhlheide zurückkehrten, konnte Union Oberschöneweide nicht mehr an die Erfolge der ersten Nachkriegsjahre anknüpfen. Die geteilte Union hatte nun auch ein Zuschauerproblem. Während die Fans weiterhin in Scharen zu Union 06 ins Poststadion zogen, musste sich Motor Oberschöneweide erst langsam wieder in der Zuschauergunst vorarbeiten. Immerhin besuchten in der ersten Oberliga-Saison durchschnittlich fast 6.000 Zuschauer die Spiele in der Wuhlheide.65 Insgeheim hoffte die SED, dass nach der Rückkehr einiger Reservespieler von Union 06 während der laufenden Saison das gesamte Team aus West-Berlin zurückkehren könnte. Schließlich musste die Hauptstadt als Fußballstandort wieder konkurrenzfähig werden. Vorsorglich wurde noch vor Beginn der DDR-Oberliga im ZK-Sekretariat die Genehmigung für diesen möglichen Fall eingeholt. Im Sitzungsprotokoll heißt es dazu: „Es wird zugestimmt, dass die Mannschaft von ‚Union‘ Oberschöneweide nach Abgabe einer Erklärung, dass sie in der demokratischen Sportbewegung arbeiten will, in der Oberliga spielen darf.“66
64 65
66
50 Jahre Union 06. Ein Pionier des Berliner Sports feiert Geburtstag, in: Berliner Fußball-Programm (1956), ohne Nr. (April 1956), 3, in: Hertha-Archiv. Vgl. SCHWARZ, Fußballsport in Berlin, 128f. Der Autor unterschlug jedoch in seinen Ausführungen, dass schon am Ende der Saison 1950/51 Paul Decker (Alemannia 90) und Alfred Gaulke (Viktoria 89) wieder zurück in die West-Berliner Vertragsliga wechselten. Zudem wechselte in der gleichen Saison Karl Kullich zu Alemannia 90 und später Wolfgang Horter zu Viktoria 89, sowie 1951/52 Harry Röllke, Heinz Stüwe und Paul Zschörner zu Tasmania 1900. Der Aderlass der Motor-Elf war zu groß, als dass ein kontinuierlicher Aufbau möglich gewesen wäre. Vgl. Libero, Nr. 3, (1988), 32; Libero, Nr. 1 (1988), 38. Zum Zuschauerverhalten vgl. Libero, Nr. 1 (1988), 18. Protokoll Nr. 96 der Sitzung des Sekretariats des ZK am 20. August 1951, TOP 9: Fußball-Oberliga, 4, in: Stiftung Archiv Parteien und Massenorganisationen im Bundesarchiv Berlin, SED, DY 30/JIV2/3/225.
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Ähnlich erging es dem VfB Pankow. In seiner ersten Saison in der DDROberliga gab der Verein ein klägliches Bild ab. In 24 aufeinander folgenden Spielen blieb die Elf ohne Sieg, in fünf aufeinander folgenden Spielen sogar ohne Torerfolg. Die Auswärtsbilanz war mit 0:34 Punkten deprimierend.67 Die Zuschauer honorierten diese Talfahrt mit durchschnittlich 2.700 Zuschauern. Aufgrund der kläglichen Kulisse fanden die letzten Heimspiele sogar nicht mehr in Berlin statt.68 Am 10. Mai 1951 wurde die Elf in die Betriebssportgemeinschaft Einheit überführt. Der bürgerliche Vereinsname passte nicht mehr in die DDROberliga. Ein Teil der Mannschaft verschwand heimlich nach West-Berlin und gründete im Bezirk Reinickendorf den VfB zu Pankow 1893, der allerdings keine große sportliche Bedeutung im Berliner Fußball mehr einnahm.69 Der OstBerliner Fußballstandort schaffte es aufgrund der Anziehungskraft der WestBerliner Vertragsliga nicht, den sportlichen Aderlass aufzuhalten. Mit Kurt Gneist wechselte 1951 ein weiterer Akteur nach West-Berlin zu Minerva 93. Das dritte in die DDR-Oberliga integrierte Team, die SG Lichtenberg 47 und die drei neuen DDR-Zweitligisten Concordia Wilhelmsruh, SC Hohenschönhausen und der SSV Köpenick hatten ähnliche Probleme.70 Während Lichtenberg 47 mit durchschnittlich 5.000 Zuschauern noch eine ansehnliche Kulisse vorweisen konnte, spielten Köpenick und Wilhelmsruh, die am Ende der Saison ebenso wie Lichtenberg 47 abstiegen, vor nur durchschnittlich 700 bzw. 300 Zuschauern.71 Nach dieser ersten sportlich schwachen Saison der drei Berliner Oberligisten BSG Union/Motor Oberschöneweide, VfB Pankow und SG Lichtenberg 47 setzte eine massive politische Beeinflussung des Spielbetriebs ein. Dabei wurde ein Bonus für den Regierungssitz gezogen. Ein Beschluss der DS-Sektion Fußball verfügte, dass der VfB Pankow als Mannschaft des Regierungsviertels, obwohl diese sportlich abgestiegen war, in der kommenden Saison einen politisch be67 68
69 70
71
Vgl. Libero, Nr. 1 (1988), 22 Vgl. Libero, Nr. 1 (1988), 22. Der Abwärtstrend setzte sich auch in der nächsten Saison fort. Einheit Pankow hatte im Durchschnitt nur 2.400 Zuschauer. Bei zwei Spielen waren sogar nur etwa 1.000 Zuschauer zugegen, was einen Minusrekord in der Oberliga bedeutete. Vgl. Libero, Nr. 2 (1988), 13. Vgl. WOLTER, Rasen der Leidenschaften, 187. Im Sommer 1951 verließen mehrere Akteure von Lichtenberg 47 den Verein, unter ihnen Hans Knaak (Minerva 93) und Gerhard Buchholz (Tasmania 1900) in Richtung WestBerliner Vertragsliga. Vgl. Libero, Nr. 1 (1988), 22, 38. Vgl. Libero, Nr. 1 (1988), 40, 43. Lichtenberg 47 stieg sogar ein Jahr später aus der zweiten Liga ab. Der Zuschauerschnitt fiel rapide. Mit durchschnittlich 700 Besuchern in der Saison 1951/52 hatte Lichtenberg 47 die wenigsten Zuschauer der zweiten Liga. Die beiden anderen Berliner Absteiger SC Hohenschönhausen und SV Grünau hatten mit durchschnittlich 1.200 und 900 Besuchern einen ähnlich ernüchternden Zuspruch beim OstBerliner Fußballpublikum. Vgl. Libero, Nr. 2, (1988), 34–36. Wie schwierig es der OstBerliner Fußball in den frühen 1950er Jahren hatte, macht ein Blick in die zweite Liga der Saison 1952/53 deutlich. Die Ost-Berliner Mannschaften von Volkspolizei Berlin, Einheit Pankow und Adlershofer BC blieben mit durchschnittlich 295, 645 und 800 Zuschauer deutlich unter der Zuschauergunst anderer Städte – zum Vergleich Motor Mitte Magdeburg mit 11.000 Besuchern. Vgl. Libero, D1 (1991), 32.
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gründeten Anspruch auf einen Platz in der Oberliga habe. Ebenso blieb Union/Motor Oberschöneweide der Abstieg erspart, da Berlin als „politisches, wirtschaftliches und kulturelles Zentrum neben Pankow eine zweite Oberliga-Elf“ brauche. Nur Lichtenberg 47 wurde nicht am Grünen Tisch gerettet und stieg neben Turbine Weimar, die in der Tabelle sogar vor dem VfB Pankow platziert war, in die zweite Liga ab.72 In der darauf folgenden Saison setzten sich die Eingriffe zu Gunsten des Hauptstadtstandorts fort. Da die SED in der Hauptstadt der DDR ein prestigeträchtiges Team benötigte, griff sie erneut „regulierend“ ein. So erhielt im Jahr 1952 die BSG Einheit Pankow – trotz sportlichen Abstiegs – als Mannschaft des „Regierungsviertels“ ein weiteres Mal eine politisch verordnete Nichtabstiegsgarantie. Dies trug jedoch nicht entscheidend zur Stabilisierung bei, sodass 1952/53 die beiden Ost-Berliner Fußballclubs endgültig nicht mehr zu retten waren. Die DDR-Sportführung verlegte sich fortan auf andere „Standortsicherungsmaßnahmen“. Durch die Praxis der sogenannten „Delegierung“, die Versetzung von Spielern, entstanden in Ost-Berlin in den nicht zivilen Sporteinheiten der Sportvereinigung Dynamo und Armeesportvereinigung Vorwärts neue, traditionslose Fußballclubs aus der Retorte, die antraten, das ramponierte Bild des Fußballs in der Hauptstadt der DDR zu einem republikweiten Aushängeschild und Gegenpol zu den West-Berliner Traditionsvereinen herauszuputzen. Just in jenem Augenblick, als die Meisterschaft von Union 06 im Westteil Berlins 1953 faktisch feststand, wurden drei talentierte Leipziger Mannschaften (DHfK Leipzig I und II und Kasernierte Volkspolizei Vorwärts Leipzig) nach Berlin „verpflanzt“ und von Dynamo und dem ASK übernommen. Der ASK Vorwärts Berlin sammelte zudem die besten Spieler der dahin dümpelnden Vereine Einheit Pankow, bei der unter anderem Karl-Heinz Spickenagel spielte, und Motor Oberschöneweide (mit Horst Assmy, Lothar Meyer und Günther Wirth) ein, um ein starkes Team aufzubauen. Ebenso wurde im Jahr 1953 der Dresdner DDRMeister der Volkspolizei Dresden nach Berlin delegiert, wo er in der Fußballsektion des neu gründeten SC Dynamo aufging. Der Erfolg der Verlegungsaktionen zahlte sich jedoch erst gegen Ende der 1950er Jahre aus, als insbesondere der ASK Vorwärts Berlin DDR-Meistertitel erspielte.73 In der West-Berliner Vertragsliga ging der Zuschauerschnitt von 5.125 im Vergleich zur Vorsaison deutlich zurück. Etwa 2.000 Fußballinteressierte weniger gingen zu den Spielen der Vertragsliga. Obwohl die Vereine im Westteil der Stadt von einem stärkeren Zuspruch als im Ostteil profitierten, war die Zuschauerbilanz insgesamt rückläufig. Allerdings hielten die Fans aus dem Osten dem neu gegründeten Team von Union 06 die Treue und strömten zu den Spielen ins Poststadion. Bei einem West-Berliner Pokalspiel zwischen Tennis Borussia und Union waren von den 23.200 Besuchern etwa 10.500 aus dem Ostteil der Stadt gekommen. Während der SC Union 06 immerhin noch fast 10.000 Zuschauer 72 73
Vgl. Libero, Nr. 1 (1988), 49. Vgl. THIEMANN, Die doppelte Verpflanzung, 31–35; BAINGO/HORN, DDR-Oberliga, 32f., 48–51; NÖLDNER, FC Vorwärts Berlin, 56–62.
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binden konnte (etwa 1.000 weniger als in der Vorsaison), hatten Vereine wie Tennis Borussia (etwa 3.000 weniger) oder Alemannia 90 (über 7.000 weniger) einen massiven Zuschauerverlust hinzunehmen. Diese Entwicklung setzte sich in den Folgejahren fort. Union 06 hatte beispielsweise 1952/53 nur noch durchschnittlich 9.000 Besucher, während es die „Ost-Union“ Motor Oberschöneweide nun auf ca. 10.000 Besucher im Schnitt brachte.74 Die anfangs mit großem Enthusiasmus und Vorschusslorbeeren gestartete West-Berliner Vertragsliga konnte sich nicht auf Dauer stabilisieren und wirtschaftlich etablieren. Die mit nur 12 Mannschaften ausgestattete Spielrunde war für die Zuschauer zu unattraktiv. Isoliert vom Fußball in Westdeutschland fristeten die Vereine des VBB ein Schattendasein. In den Vorrundenspielen um die Deutsche Meisterschaft zeigte sich, dass Berlin gegenüber dem Bundesgebiet nicht konkurrenzfähig war. Meisterschaften, wie sie in der Weimarer Zeit durch Hertha BSC erspielt worden waren, gingen an Berlin vorbei. Die besten Spieler der westlichen Teilstadt sahen in den westdeutschen Oberligen bessere sportliche Entwicklungsperspektiven und höhere Verdienstmöglichkeiten. Trotz der vielen Fußballflüchtlinge und Sportgrenzgänger aus Ost-Berlin konnte der Qualitätsverlust der West-Berliner Vertragsliga nicht kompensiert werden. Sportliche Langeweile, Isolation und eine sich auftürmende Schuldenlast legten sich über die West-Berliner Vertragsliga, die auch die vom VBB ausgeschütteten Toto-Einnahmen nicht auszugleichen vermochten. Mit der Etablierung der Ost-Berliner Sportclubs ASK Vorwärts und SC Dynamo ab Mitte der 1950er Jahre musste sich der VBB zudem mit der fußballerischen Vorherrschaft Ost-Berlins abfinden. Die Resultate der Halbprofis der Vertragsligisten bei vielen Gesamtberliner Freundschaftsvergleichen gegen die ostdeutschen „Staatsamateure“, die für die wirtschaftlich schwächelnden Insulaner zu einer wichtigen Einnahmequelle geworden waren, führte West-Berliner Fußballfunktionären ihren sportlichen Bedeutungsverlust inmitten des Kalten Krieges vor Augen. 6. Resümee Die deutsche Teilung fand in Berlin im gesellschaftlichen Handlungsfeld des Sports ihren ganz eigenen Niederschlag. Der Fußball entwickelte sich hier bis 1950 im organisatorischen Spannungsfeld zwischen Westzonen und der SBZ. Der zunächst aufrechterhaltene gemeinsame Berliner Fußball, der an die Organisationsstrukturen der Westzonen angelehnt war, wurde 1950 zerbrochen. Der Fußball der Teilstädte wurde endgültig in die Verbandstrukturen der DDRSektion Fußball auf der einen und des DFB auf der anderen Seite integriert. Für Ost-Berlin war diese abrupte Zweiteilung fatal. Die geografische Nähe zu WestBerlin und die Attraktivität der populären Traditionsvereine führte in der Folgezeit in Gestalt flüchtender Fußballer und Sportgrenzgänger zu einer anhaltenden Wanderungsbewegung von Ost- nach West-Berlin. Die besonderen politischen 74
Vgl. Libero, Nr. 3 (1988), 45, 50; Libero, Nr. 4 (1989), 9.
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Rahmenbedingungen konnten die Menschen jedoch nicht an einem selbst bestimmten Sporttreiben und Fußballspielen hindern. Das Gesamtberliner Zusammengehörigkeitsgefühl war in den Köpfen der Menschen tief verwurzelt, sodass nach der institutionellen Teilung der Stadt immer wieder Vorstöße von Ost- und West-Berliner Fußballfunktionären und der Basis unternommen wurden, um insbesondere über den innerdeutschen und Gesamtberliner Sportverkehr Anstöße zur Überwindung der Spaltung zu geben. Quellen und Literatur Quellen Zeitungsarchiv der Staatsbibliothek Berlin – Neue Fussballwoche – Berliner Zeitung – Der Tag – Deutsches Sportecho 1945–1950 Archiv Hertha BSC – Zeitungsausschnittsammlung Archiv Union 06 – Festschriften und Dokumente Stiftung Archiv Parteien und Massenorganisationen im Bundesarchiv Berlin – SED: DY 30/JIV2/3/ 225
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Controlling the ball? A comparison of the Gleichschaltung of football in the Third Reich and in the SBZ and early GDR, c. 1945–1958 On 1 May 1949, 20,000 spectators gathered in Zwickau to watch a football match in the Saxon championship between SG Planitz, the defending champions of the Soviet-Occupied Zone (SBZ), and ZSG Industrie Leipzig. Among those in attendance were representatives of the communist-led sports organisation, the Deutscher Sportausschuß (DS). They did not like what they saw. The visitors from Leipzig won 2-1, but the match was riddled with controversy. The referee, Gerhard Schulz from Dresden, provoked anger in the stands by disallowing two first-half Planitz goals. At half-time, the stadium announcer, instead of calming the situation, threw ‘noch mehr Wasser auf die Mühle’. He accused the referee of being bought by a factory team (i.e. ZSG Industrie), as boos for the sports dignitaries present rang out around the stadium. The mayor – a member of the SED – then acted ‘[w]ie ein politischer Provokateur’, telling the crowd that ‘die da oben’ had fixed the game in advance. Four hundred fans occupied the stadium building to which match officials and the Leipzig players fled at the final whistle. Police units needed an hour to disperse them.1 The May Day match between Planitz and Industrie was indicative of the mighty struggle that the SED faced to impose its political will on football. Almost four years after the end of the Second World War – and almost a year after the SED began to implement authoritarian and centralised policies designed to put football’s house in order – Germany’s favourite sport remained a law unto itself. In contextualising the match on 1 May, DS officials noted ‘dass die gesamte Sportarbeit in dieser Sportgemeinschaft [Planitz] sich von alten Grundsätzen des bürgerlichen Sportes leiten lässt und dass der neuen Aufgabenstellung von seiten der dort verantwortlichen Funktionäre nur äusserliche Beachtung geschenkt wird’.
Planitz officials refused to turn their sports clubs into an enterprise sports club (BSG) tied to the Horch automobile factory in Zwickau, the kind of industrybased organisation favoured by the SED. Repeated attempts to root out ‘eine egoistische traditionsgebundene Sportpolitik’ had failed.2 The match on 1 May was the final straw. The Planitz team was dissolved and its best players incorporated into a newly created BSG, Horch (later Motor) Zwickau. 1 2
SAPMO-BArch, DY 24/3405, Betr.: Verhalten verantwortlicher SED-Funktionäre bei einem Fussballspiel in Planitz, 4. Mai 1949. Ibid.
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What happened in Zwickau was no isolated case. The communist takeover of East German football was a difficult and protracted process, one that encountered all manner of roadblocks between May 1945 and the creation in May 1958 of a fully-fledged national football association, the Deutscher-Fußballverband der DDR (DFV). These roadblocks included political factors both internal and external: the SED’s initial reluctance to prioritise sport and subsequent inability to staff sports organisations with reliable cadres, for example, or the existence of a vibrant rival football culture across the border in the occupied zones of West Germany. They also included myriad examples of local resistance to the dictates of East Berlin among players, coaches, and clubs alike – acts of defiance illustrative of how football under the communists, as under the Nazis, was (in Simon Kuper’s phrase) a ‘slippery tool’.3 While literature on the Gleichschaltung of football after 1933 is extensive, scholarship on the Gleichschaltung of GDR football is less advanced, usually appearing as part of a broader narrative on the communist reordering of sport after 1945.4 This can be related to two main factors. First, it reflects the patchy archival resources available to historians on football in the SBZ and the early GDR. Extant material encourages a focus on the administrative and organisational aspects of this story, offering fewer insights into the communist impact on grassroots football. Second, there appears to be an understandable reluctance among historians to deploy a concept (Gleichschaltung) that is shorthand for Nazification to the process of coordinating East German sport. The realm of Diktaturenvergleich, in football as in other areas, should only be entered with caution.5 One example illustrates this point. The BSG model advocated by the SED from 1948 onwards had an unfortunate precedent in the identically named BSGs that the Nazis introduced for factory athletes in 1937 via the Kraft durch Freude (KdF). But to just point out this coincidence is misleading. It lumps together two different organisational forms – BSGs played a far more prominent role in the history of GDR sport than they did in the history of sport in the Third Reich – and encourages a simplistic conflation of ‘the two German dictatorships’ rather than useful comparative analysis.6 This essay offers the first detailed investigation of the Gleichschaltung of football in the SBZ/GDR between 1945 and 1958. It starts with the administrative and organisational aspects of the communist takeover, highlighting how key tenets of SED Sportpolitik – such as the desire for centralised control of teams and competitions and the training of an educated, reliable corps of administrators 3 4
5 6
Quoted in EDELMAN, Spartak Moscow, 3. On football/sport in the SBZ and early GDR, see e.g. various works by Hans Joachim Teichler, including TEICHLER, Sport unter Führung der Partei, 20–65; TEICHLER, Fußball in der DDR, 26–33; TEICHLER, Die schwierigen Anfänge des Fußballsports, 75–81. See the discussion in ROSS, The East German Dictatorship, 158–159, 169–174. See the misleading comparison of the two BSG models in LESKE, Erich Mielke, 102– 103.
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– proved difficult to implement in a consistent and effective manner. The essay then examines the socialist coordination of football on the ground. Using case studies of players, coaches, and clubs that – like SG Planitz – refused to toe the line, it reveals a grassroots dynamism that undercuts straightforward assertions about ‘totalitarian soccer’.7 While there were a number of outward similarities between the Nazi and communist attempts to bring political order to football, the SED’s struggles after 1945 – which took place under very different domestic and international circumstances than those faced by the NSDAP after 1933 – were ultimately sui generis. 1. Into the red? Organising football in the SBZ and early GDR The post-war reorganisation of football was not a priority in Soviet-occupied Germany. Food, shelter, and employment were of far greater concern than the trivial pursuit of kicking around a ball. On Soviet orders, sporting contests were communal between 1945 and 1947, confined to ‘nicht-militärische Sportorganisationen lokalen Charakters’.8 Conditions were primitive. 301 of Berlin’s 426 gymnasia were destroyed in the war; 11 of the 23 sports grounds in one Leipzig district met the same fate. The sporting amenities that survived were often turned into makeshift hospitals or gardens.9 In the early post-war years, as a 1948 report conceded, the communists paid sport ‘so gut wie keine Beachtung’, permitting the sports-related departments in the newly-formed SED to be in the hands of the social democrats.10 In these difficult circumstances, centralised and effective sporting structures only emerged slowly. After earlier attempts had foundered on regional differences, the Free German Youth (FDJ) was finally authorised to organise – albeit in a rather haphazard manner – the first zone-wide championships in football and handball in the summer of 1948.11 In October of the same year, the Soviets sanctioned the creation of the DS to oversee the political and administrative streamlining of East German sport. Yet, in football as in many other areas of society, harmonization proved slow and difficult. Several leading figures in the SED, such as Reinhard Hellwig, expressed doubts about the new direction in sports policy and openly advocated a return to the pre-1933 tradition of independent Vereine.12 The DS only created a ‘football office’ (Sparte Fußball) in July 1949, the same month in which West German football tightened its links to the past, with the re-founding of the DFB under the leadership of a prominent Nazi- and pre-Nazi-era functionary, Peco Bauwens. In one area, football in the East was in advance of football in the West: while a nationwide league competition, the 7 8 9 10 11 12
The phrase is taken from KUPER/SZYMANSKI, Soccernomics, 134. WIESE, Hertha BSC im Kalten Krieg, 99. JOHNSON, Training Socialist Citizens, 47–48. TEICHLER, Sport unter Führung der Partei, 26. BAINGO/HORN, Die Geschichte der DDR-Oberliga, 10. JOHNSON, Training Socialist Citizens, 55.
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Bundesliga, did not arrive in the FRG until 1963, one of the Sparte Fußball’s first actions was to inaugurate a zone-wide league for the 1949/50 season. The opening matches in the Oberliga took place in September, one month before the founding of the GDR. Gradually, larger and more ambitious administrative structures emerged. In December 1950 the DS football office was renamed the ‘football section’ (Fußball Sektion). The following October, it became a provisional member of FIFA, the international governing body of football. Full FIFA membership was confirmed in July 1952. In June 1954, the GDR’s football section was – along with the DFB and the Saarland FA – one of 29 founder members of UEFA, the governing body of European football.13 Despite the international recognition, the organisation of football remained chaotic. A short-lived civil war between the Sektion Fußball and the State Committee for Physical Education and Sport (Stako), founded in 1952 under the leadership of the notoriously football-averse Manfred Ewald, did not help matters. For the next five years, the DS and its constituent sections were left in charge of relations with West Germany, while the day-to-day running of sport, including football, passed to the Stako and the GDR’s factory-based sports associations (Sportvereinigungen), a bizarre restructuring that created administrative confusion rather than clarity. More generally, centralised control remained an aspiration more than a fact, as sports authorities struggled to get their message across with meagre personnel resources. ‘Wie oft’, asked one SED report into the state of football in 1953, ‘mussten wir in den Grundeinheiten, in Kreis-, Stadt- und Bezirkskomitee hören: Ja, wenn das so ist, aber warum sagt uns das niemand?’14 A resolution of sorts was reached with the creation of a united socialist sports organisation, the DTSB, in April 1957. It replaced the DS and also took over many of the Stako’s responsibilities for elite sport. Among the 33 individual sports organisations that filled the DTSB’s ranks, the largest were for angling, gymnastics, and football. Founded in May 1958, the DFV replaced the DS football section as the national organisation responsible for the game, setting as its primary goal ‘den Fußballsport unter der Bevölkerung zu verbreiten und insbesondere die Jugend für die Ausübung des Fußballsportes in der Deutschen Demokratischen Republik zu gewinnen’.15 It was only at this point, thirteen years after the Soviets sanctioned the first post-war matches, that the administration of GDR football settled into more established patterns. As the story of football’s post-war development in East Germany suggests, the differences between the Nazi and socialist takeovers of football were more striking than the similarities. Similarities, of course, existed. Both the NSDAP and the SED ultimately sought to centralise sporting policies and institutions; to promote (in theory at least) amateurism; to silence, or at least quiet, dissenting 13 14 15
MCDOUGALL, East Germany and the Europeanisation of football, 552–553. SAPMO-BArch, DR 5/44, Abschlußbericht der Instrukteurbrigade Fußball, undatiert (Januar 1953). Archivgut des Deutschen Fußballverbandes der DDR (DFV) I/1, Satzung des DeutschenFußball-Verbandes im Deutschen Turn- und Sportbund, undatiert (1958).
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voices; and to use Körperkultur as a means of disseminating ideological messages that cultivated patriotic loyalty to the fatherland. Both, moreover, found that these aspirations were more difficult to realise in football than in other sports. What Rudolf Oswald has called football’s role in creating a ‘Volksgemeinschaft im kleinen’ – full of local interests and rivalries that fed a ‘Vereinsfanatismus’ largely absent from, say, athletics or swimming – counteracted the desire of both Nazi and socialist governing bodies to create order.16 At first sight, the socialists appeared to have a more favourable starting point for the restructuring of football than their Nazi predecessors. At Stunde null, with all organisations that had been members of the umbrella organisation for sport in the Third Reich, the National Socialist Federation of the Reich for Physical Exercise (NSRL), banned by the Allied occupying powers, football could make a fresh start – at least in the SBZ, where Soviet and SED hostility to the ‘bourgeois’ and ‘reactionary’ elements of pre-1945 sport was pronounced. A fresh start, though, required sufficient resources and political will, both of which were lacking in the early post-war years. Football administrators in the SBZ thus faced a greater challenge than those in the early days of Third Reich. When Hitler became Chancellor in January 1933 – and appointed Hans von Tschammer und Osten as Reichsportskommissar three months later – the Nazi movement found itself dealing with an established nationwide football association, the DFB, that, for the most part, was willing to work (often quite enthusiastically) with the new government and to acquiesce in new policies, in part out of ideological sympathy for Nazism, but more importantly – as recent research has shown17 – in order to protect as much of its autonomy as possible. There was no equivalent moment when the SED took power, rather a gradual accretion of influence and offices between 1945 and 1949. Nor was there any national football federation left to deal with. To use a historically fitting analogy (given the post-war accommodation shortages in the occupied zones): if the NSDAP was moving into a fullyfurnished house when it took over German sport in 1933, the SED was moving into a barely-inhabitable structure with uncertain future prospects. The former required some redecoration; the latter required either a complete overhaul or destruction. One could argue that, in some respects, this drastic situation suited the communists, whose ultimate aim after all was to forestall the re-emergence of genuinely democratic sports organisations and take decisive control over the self-styled ‘democratic sports movement’. But a new East German football house still had to be built from scratch, which required the kind of expertise, materials, and money that were all in short supply in the post-war period. Moreover, it had to compete against a more sturdily-built structure to its west. For the variouslytitled governing bodies of GDR football, there was always another Germany, and the still extant DFB, to contend with. The coercive weapons available to the Nazis in football – as illustrated most infamously by the exclusion of Jewish players – had no equivalent in the SBZ and early GDR, where the SED was always look16 17
OSWALD, „Fußball-Volksgemeinschaft“, 217. See in particular HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz.
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ing anxiously over its shoulder at players and coaches tempted by the greater riches and better playing standards on offer in the ‘golden West’. All of these factors – the rival presence of the DFB; the lack of existing structures and experienced cadres; and sport’s low place in the political pecking order, a trend that was not reversed until the SED ZK’s 5th conference in March 1951 gave athletic competition a more prominent role in the struggle between communism and capitalism18 – contributed to the sluggish and dysfunctional reorganisation of football. Local initiatives held sway until at least 1947 and, even after that date, as the SED finally created a zone-wide sports association (the DS), there was a sense that (as one administrator from Ilfeld wrote in 1954) football remained a ‘lawless’ realm.19 The sense of confusion, or lack of clear direction, was apparent in three areas: the personnel problems faced by the Sektion Fußball; the internecine rivalry between the Sektion and the Stako between 1952 and 1957; and the GDR’s struggle for international football recognition. When the DS created a Sparte Fußball in July 1949, it was a skeletal organisation, rarely staffed by politically suitable individuals. Qualified and reliable administrators were more urgently needed, and indeed remained lacking, elsewhere – for example, in the party and the FDJ. The Presidium of the Sparte did not meet for the first time until a year later, when it elected Fritz Gödicke as chairman and Rudi Reichert as his deputy.20 A comparison with the more rapid Gleichschaltung of football under the Nazis is again instructive. The NSDAP encountered more experienced, and arguably more malleable, football functionaries than the communists did when it came (much more decisively) to power. In Nils Havemann’s words about the DFB leadership: ‘wenige von ihnen gehörten vor 1933 der NSDAP an; wenige von ihnen blieben ihr nach 1933 fern’.21 While leading DFB officials such as Felix Linnemann and Guido von Mengden quickly joined the party after the Machtergreifung, there was no such basis for the rapid establishment of a competent and politically reliable football body in post-war East Germany. As late as October 1953, there appeared to be glaring holes in the political and administrative make-up of the Sektion Fußball. A damning party report concluded that the Sektion Presidium only met ‘wenn es galt brennende Fragen zu lösen’. Little was done to stop the departure of talented young players and coaches to the West. Top positions in GDR football, it asserted, were often filled by ‘kleinbürgerlichen Menschen […,] die zu einem grossen Teil Mitglied der Nazipartei und Feldwebel der faschistischen Wehrmacht waren’. Only five of the Presidium’s nine members were SED Genossen. Of the other four, one was a journalist commuting to work from his home in West Berlin and another was an NSDAP member from 1939 to 1945, who spent two years in a French POW camp. In the referee’s commission, four of the six officials were former Nazi 18 19 20 21
TEICHLER, Die Rolle der SED, 21. SAPMO-BArch, DR 5/1276, Brief von Ludwig L. an Die Neue Fußball-Woche, 5. Februar 1954. Archivgut des DFV I/1, Dokumentation über 45 Jahre Fußball (Günter Schneider, 1996). HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 102.
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Party members (one was a former SA member too), while only two of the six had joined the SED. Similar patterns were apparent at Bezirk level. In KarlMarx-Stadt, ex-Pgs occupied a number of leading positions on the Fachausschuß, including the head of the coaches and rules commissions (both parteilos, but former members of the NSDAP between 1937 and 1945 and 1933 and 1945 respectively), while in Zwickau the Sektion’s youth work was directed by a ‘religiös eingestellten Sportfunktionär’ praised for doing (whether in the service of God or socialism is not clear) ‘“gute Arbeit”’.22 Given the SED’s low prioritisation of sport in the immediate post-war years, and the unpopularity of communism (not to mention the popularity of Nazism) in many parts of eastern Germany, such findings should not be wholly surprising. But they reveal very clearly how drawn out the socialist takeover of football was. Gleichschaltung was further complicated by the administrative rivalries that hobbled GDR football in the 1950s. Much of the party criticism of the Sektion Fußball in 1953 originated with Manfred Ewald’s Stako, which had been founded a year earlier and quickly clashed with the Sektion about how to run the GDR’s most popular sport. The Stako’s own Referat Fußball appeared to be little better organised than the Sektion Fußball – it was a place where, according to various Stako reports from November 1952, letters went unanswered, SED policies were unheeded, and anti-GDR propaganda material could be found.23 The dual power structure further muddied football’s administrative waters. In his unpublished recollections of this period, Günter Schneider – DFV President between 1976 and 1983 – charged the Stako leadership with disconnecting elite football from the grassroots and hindering attempts to compete internationally by imposing on football performance criteria more suited to individual sports, a complaint that was to be repeated in the 1970s and 1980s.24 Schneider, writing in the mid-1990s, had a long history of conflict with Ewald, an enmity that shaped his populist critique of politically-motivated interference in the game. But the Stako-DS struggle for control of football certainly coincided with a frenetic period of restructuring that culminated in 1954 in the creation of eight new Oberliga teams (based in elite sports clubs rather than BSGs); the relocation of Dynamo Dresden to Berlin and Empor Lauter to Rostock; and the aborted relocation of Wismut Aue to Karl-Marx-Stadt.25 Establishing some sort of order out of the chaos was difficult. A scathingly critical party report from the same year made it plain that the Gleichschaltung of sport was not going to plan: ‘Alte bürgerliche Vereinstraditionen, Lokalpatriotismus, Rücksichtslosigkeit beim Spiel und die teilweise Isolierung der demokratischen Sportbewegung von den Massen, sowie
22 23 24 25
SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/18/14, Einschätzung der Arbeitsweise der Sektion Fußball, 13. Oktober 1953, 2–8. SAPMO-BArch, DR 5/30, Bericht über die Brigadearbeit, 11. und 14. November 1952; SAPMO-BArch, DR 5/31, Bericht über die Brigadearbeit, 18. November 1952. Archivgut des DFV, I/1, Dokumentation über 45 Jahre Fußball. See e.g. MCDOUGALL, The People’s Game, 22, 156–159.
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die Isolierung des Leistungssports vom Massensport werden geduldet’.26 Such recalcitrant tendencies were clearly and frequently on display in football. In 1955 the Stako bemoaned the unwillingness of lower-division teams to delegate players to elite clubs; the arrogance and indiscipline of Oberliga players; the FDJ’s complete lack of influence on youth football; and the unclear division of labour between itself and the Sektion Fußball.27 Once more, it is instructive to compare the ongoing clashes over administrative jurisdiction in GDR football with the situation in German football after 1933. Of course, there were tensions between the DFB and the NSDAP, particularly during the ‘zweite Gleichschaltung’ that began in the mid-1930s, as the football association and the Hitler Youth (HJ) clashed over control of youth football.28 Yet, within five years of coming to power, the Nazis had essentially wrested control of football from the DFB, reducing it to a rump organisation that was finally dissolved in 1940. Though clubs continued to enjoy relative autonomy, as the completion of the ‘zweite Gleichschaltung’ was cut short by the outbreak of the Second World War, the power shift from the football association to the party was undeniable. The SED required almost five years just to create a (semi-) functioning football association and, arguably, the best part of another decade before it exerted a strong (though never absolute) degree of control over GDR football, following the demotion of the Stako in 1957 and the creation of the DFV a year later. That the SED had a tougher row to hoe than the Nazis when it came to football was also illustrated on the international stage. Nazi Germany hosted a major international sports event, the 1936 Olympic Games, just three years after coming to power, as well as prestigious friendly matches against the likes of world champions Italy (November 1936) and England (May 1938). It also applied to host the (subsequently cancelled) 1942 World Cup tournament and, through the office of General Secretary Ivo Schricker, exerted a strong and often coercive influence on FIFA policies, especially after 1940. Though the national team performed poorly at both the Berlin Olympics and the 1938 World Cup in France, it finished in third place at the 1934 World Cup and was, at least until the outbreak of war in 1939, an established European football power.29 International football enjoyed no such propitious circumstances in post-war East Germany. Analysing after the Wende why GDR football under-achieved during the 1950s, the former national team coach Fritz Gödicke pointed to the fact that Germany’s football Schwerpunkte before 1939 had all been in West Germany: places such as Gelsenkirchen (Schalke were national champions five 26 27 28 29
Überprüfung der demokratischen Sportbewegung, 4. Mai 1954, in: TEICHLER, Die Sportbeschlüsse des Politbüros, 268. SAPMO-BArch, DR 5/164, Massnahmen zur Verbesserung der Arbeit im Fußballsport der Deutschen Demokratischen Republik, 14. September 1955. See HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 173–213. Ibid., 225–236, 244–254; KEYS, Globalizing Sport, 130, 238; KULLICK, The Role of the German National Soccer Team, 54–96.
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times between 1935 and 1940), Nürnberg, and Kaiserslautern. Jens Fuge, in his survey of pre-war football in Leipzig, came to the same conclusion.30 Though Kaiserslautern could hardly be deemed a stronghold before 1942, and the last winners of the Nazi-era German championship, Dresdener SC, in fact hailed from Saxony, the general pattern that both authors outlined was accurate. This was only part of the problem. The shadow of the Cold War – and the political division of Germany – also loomed large in the early struggles of the communist regime to find legitimacy through sport, and through football in particular. After the end of the Second World War, international football did not return to eastern Germany until October 1949, when a Hungarian trade union XI took on a representative team from Saxony. It was not until September 1952 – more than seven years after the fall of Nazism and almost three years after the founding of the GDR – that an East German XI played an officially-recognised international match, a 3-0 loss to Poland in Warsaw. The Stako report on the trip revealed football’s parlous state, as the Referat Fußball struggled to find transport from the training camp to the train station and was forced to pay from its own meagre resources for gifts for the Polish hosts. When the team returned to East Berlin, it was greeted by just a single person.31 It was not until September 1955 that the national team won its first game, recording a 3-2 victory over Romania in Bucharest. Like the Nazis before them, SED sports officials were aware of how, as Barbara Keys has argued, ‘it was in elite sport […] that modern states came to see the greatest political benefits to participation in international culture’.32 But the barriers to the GDR’s acceptance into the international football family were higher than those faced by Nazi Germany. The biggest stumbling block was the fractious relationship between East and West German sport during the 1950s, as both sides sought – in football as in other areas – to present themselves as the true representatives of the German nation. This could be seen in the negotiations to send a joint German team to the 1956 Olympics in Melbourne. Back-and-forth discussions about coaches (the reluctance of GDR officials to support Sepp Herberger’s appointment), players (the East German FA proposed that seven of the starting XI should come from the GDR), and even the team kit (possibly blue, without the federal eagle that adorned West German shirts) ended without agreement.33 A united German side containing only West German amateur players departed for Australia that autumn under Herberger’s leadership, but was eliminated in the first round by the Soviet Union. By this point, the Hallstein 30 31 32 33
Archivgut des DFV, XV/63/4/1 (Nachlaß Fritz Gödicke), Ursachen der geringen Erfolge in 50er Jahren, undatiert; FUGE, Leutzscher Legende, 10. SAPMO-BArch, DR 5/19, Bericht über die Delegation zum Fussball-Länderspiel Volkspolen-DDR am 21.9.1952 in Warschau, undatiert. KEYS, Globalizing Sport, 179. On the negotiations, see SAPMO-BArch, DR 5/167, Verhandlungskonzeption mit dem westdeutschen DFB und Vorbereitungsplan der Olympia-Kandidaten, 24. Oktober 1955; and correspondence between Peco Bauwens and the President of the GDR’s National Olympic Committee Heinz Schöbel, in SAPMO-BArch, DY 12/5331, 1–47.
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Doctrine – which stipulated that West Germany would break off diplomatic ties with any state, save the Soviet Union, that established formal relations with the GDR – was also complicating international football encounters. Friendlies against certain countries, such as Turkey in 1957, had to be called off. Leading East German teams such as Vorwärts Berlin and Motor Jena were forced to play away matches in UEFA competitions against opposition from England or Portugal in, respectively, a neutral venue and the GDR itself.34 It would be wrong to suggest that the early international struggles of GDR football were entirely the fault of Cold War division and West German diplomatic policy. After all, the East German authorities, like their Soviet counterparts, actively avoided clashes with the leading West European football nations anyway, preferring less challenging (but politically safer) games against teams from elsewhere in the Soviet bloc or post-colonial Asia and Africa. Between 1955 and 1965, 40 of the GDR Auswahl’s 55 games were against such opposition.35 In contrast, between 1933 and 1942 (and particularly in the pre-war period), the DFB XI regularly played against top-class European competition, including Italy, England, Czechoslovakia, Hungary, Sweden, and Austria’s pre-Anschluß Wunderteam.36 In 1935, for example, it contested no fewer than seventeen international matches against a variety of opponents, including a 3-0 defeat to England in London in December that attracted 10,000 visiting German supporters, on a mass trip organised by the KdF.37 The question here was one of legitimacy. Under the Nazis, German football – at least until 1939 – was at the centre of European football. Under the communists, East German football – especially in the 1950s – was largely at its peripheries. Moreover, GDR players, coaches, and fans did not have to look far to find an attractive alternative. In the Western occupied zones, as the FDJ newspaper Junge Welt noted approvingly in April 1947, ‘finden wir im Fußball die alten, vertrauten Namen’.38 As the re-emergence of the DFB and clubs such as Bayern Munich and Schalke 04 proved, the rupture with the football past was far less abrupt in West Germany than it was in East Germany. In West Germany too, there were more clubs, better players, and more money. Players and coaches from the East regularly decamped to the West, including Helmut Schön and the politically suspect squad of SG Dresden Friedrichstadt, following a heated title decider against Horch Zwickau in April 1950.39 Among those who stayed behind, football on the other side of the Iron Curtain remained a potential alternative source of football (and, by extension, political) identity. This was apparent in East German responses to das Wunder 34 35 36 37 38 39
Archivgut des DFV, I/1, Dokumentation über 45 Jahre Fußball; QUERENGÄSSER, Fußball in der DDR, 57, 159. KARTE/RÖHRIG, Kabinengeflüster, 189–194. HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 225–236, 254–272. KULLICK, The Role of the German National Soccer Team, 63–64, ‘Ein Blick in den deutschen Fußballsport’, in: Junge Welt, 10. April 1947, 4. On this game, see e.g. Archivgut des DFV, XV 63/4/1, Zur Flucht von Dresdener Spielern, undatiert; MCDOUGALL, The People’s Game, 128–130, 160; LESKE, Enzyklopädie, 7–11.
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von Bern, West Germany’s unexpected win over Hungary in the 1954 World Cup final. Junge Welt, for example, congratulated Sepp Herberger’s team in effusively patriotic terms on the ‘größten deutschen Erfolg in der Geschichte des deutschen Fußballsports überhaupt’.40 The coordination of GDR football was thus persistently undermined from without as well as from within. 2. Tangled grassroots? Football Gleichschaltung on the ground Charting the organisational difficulties of the communist takeover of GDR football is one thing, but how did the upheavals and uncertainties of the period between 1945 and 1958 affect football at the grassroots? The social and cultural dynamics of the Gleichschaltung of GDR sport have received limited scholarly attention.41 Yet the ways in which individuals and communities experienced the transition from Nazism to communism arguably tells us more about the complex realities of that process than a comparison of organisational structures and central policy directives.42 In football, case studies of players, coaches, and clubs reveal that the game was a moving target, capable both of conforming to, and eluding, communist directives that were, in any case, not always clearly or consistently articulated. Given the slow emergence of zone-wide football structures, it is hardly surprising that coaches (and coaching practices) were uncoordinated in the early postwar years. Where football prospered, it was largely due to local initiatives. Even after the founding of the Sektion Fußball in 1949, an ad hoc approach remained prevalent. The section’s Trainerrat, as the party’s January 1953 report on football noted, barely functioned: ‘Die Förderung des Nachwuchses soll man den einzelnen Trainern überlassen […] Über die sowjetische Sportwissenschaft, über die Lehren und Erfahrungen der Volksdemokraten wurde nicht gesprochen’. The coach’s relationship to his team was generally more like that of an older relative than that of an educator.43 Part of the problem here was a lack of resources, in both the Sektion Fußball and the Stako’s Referat Fußball – witness, for example, the ‘[k]alte Zimmer und das Fehlen einer halbwegs brauchbaren Badegelegenheit’ that hampered the youth football coaching course at Colditz in the autumn of 1950.44 There was also a contradiction – never fully resolved in GDR football – between commu40 41
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BECKER/BUSS, Das „Wunder von Bern“, 393–395. A recent example is JOHNSON, Training Socialist Citizens. See also KLAEDTKE, Betriebssport in der DDR, as well as some of the essays in HINSCHING, Alltagssport in der DDR and in TEICHLER, Sport in der DDR. On this process for young East Germans, see MCDOUGALL, A duty to forget?, 24–46. SAPMO-BArch, DR 5/44, Abschlußbericht der Instrukteurbrigade Fußball, undatiert (Januar 1953). SAPMO-BArch, DY 12/281, Betr.: Nachwuchs-Fußball-Lehrgang (Vorbereitung zum Spiel in Budapest) in Colditz (Sachsen) in der Zeit vom 30. Okt. bis 9. November 1950, 11. November 1950, 37.
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nist abhorrence of professionalism (the players at Oberliga team Aktivist Brieske-Ost, who were wrongly allowed to stay away from their jobs for four days a week in order to prepare for games) and communist complaints about a lack of training intensity, for example among the Skat-playing footballers of Motor Oberschönweide.45 Coordination, finally, foundered on the unwillingness of even members of the Trainerrat to follow communist best practices. Otto Westphal, it was claimed, favoured the coaching methods of Sepp Herberger, the German national team coach since 1938 and a man whose single-minded sporting ambitions led him to join the NSDAP in 1933.46 Alfred Kunze was even more outspoken in his resistance to SED attempts to reshape football in its image. A party report on football from October 1953 noted that Kunze – an NSDAP member from 1937 to 1945, who spent time during the war in an Italian POW camp – possessed extensive football knowledge, ‘aber politisch gegen unsere Entwicklung steht’.47 This assessment was born out by Kunze’s extraordinary outburst at a Trainerrat meeting the previous month, in which he declared: ‘Die Ereignisse des 17. Juni haben doch ganz deutlich gezeigt, was hier los ist. Der ganze Staat ist nicht auf einer klaren sauberen Grundlage aufgebaut. Die Menschen werden einfach willkürlich weggeholt. Hier sind die Menschen nur Fakten […] Hier wird nur Holzhammerpolitik getrieben’.
At the same meeting, he criticised the unthinking lionisation of Soviet football and the ‘Sieg um jeden Preis’ ethos that permeated domestic football.48 Kunze’s post-1953 career, though, shows how Gleichschaltung always kept, or was forced to keep, some rough edges. While Westphal and other leading coaches such as Motor Dessau’s Willi Braun departed for the West in 1953 – the latter announcing his farewell in a furious six-page letter to the Stako that criticised BSG leaders in Dessau for turning football into ‘einer reinen Parteisache’, getting rich on the back of the Oberliga team, and sleeping with prostitutes49 – Kunze, despite his anti-regime diatribe, remained in the GDR. Given the paucity of coaching talent at its disposal, the party could ill afford to drive away someone of his talent and experience. An assessment from the Deutscher Hochschule für Körperkultur (DHfK) shortly after the stormy September 1953 Trainerrat meeting concluded that – despite his ‘kleinbürgerlich und sozialdemokratisch’ 45
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SAPMO-BArch, DR 5/519, Stellungnahme des Staatlichen Komitees für Körperkultur und Sport über Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeit auf dem Gebiete des Fußballsports in der DDR, 28. Februar 1953. SAPMO-BArch, DR 5/44, Abschlußbericht der Instrukteurbrigade Fußball, undatiert (Januar 1953). On Herberger’s ascent to the top of German football in the 1930s, see e.g. HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 190–204. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/18/14, Einschätzung der Arbeitsweise der Sektion Fußball, 13. Oktober 1953, 6. SAPMO-BArch, DY 12/2695, Bericht, 26. November 1953, 30. SAPMO-BArch, DR 5/1277, Brief von Willi Braun an Hannes Pohl (Stako), 11. Februar 1953.
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tendencies and critique of the SED’s ‘[t]otalitäre’ methods – Kunze was ‘ein fleißiger, zu wissenschaftlicher Arbeit, befähigter Kollege, der bei guter Leitung und Kontrolle, insbesondere wissenschaftliche Aufgaben zu lösen, in der Lage ist’.50 He went on to coach various Leipzig clubs, including Vorwärts, Lokomotive, and, most famously, Chemie, sensationally guiding the popular underdogs from the city’s Leutzsch district to the 1963/4 Oberliga title. Kunze’s career path, like Heinz Krügel’s at FC Magdeburg in the 1970s, was typical of the compromises that even more independent-minded coaches made in order to prosper, or at least to survive, in their profession.51 East German communists arguably made a cleaner break with the footballing past than their counterparts in Czechoslovakia or Bulgaria, where storied pre-war clubs such as Sparta Prague and Levski Sofia survived in the new era of popular democracy.52 The introduction in 1950 of centralised, production-based Sportvereinigungen in all eighteen branches of GDR industry, such as Dynamo (police), Lokomotive (railways), Stahl (steel), and Vorwärts (army), firmly turned football towards the Soviet model of sports organisation and away from earlier German ones. After the enforced dissolution in the same year of SG Dresden Friedrichstadt, the successor club to the final league champions of the Nazi era, Dresdener SC, there were no holdovers from the Nazi years in the Oberliga. Lower down the football pyramid, a bewildering Namensalat testified to communist anxiety about how best to select club names that reflected the socialist present, rather than dwelt on the Nazi (or indeed pre-Nazi) past. Formed from the rump of two dissolved Leipzig clubs, ATV Thekla and SV Leipzig, SG Thekla (founded in the autumn of 1945) first became SG Union Leipzig (with sponsorship from a local yeast factory), then BSG Rotation Leipzig Nord (as part of the sports organisation of the printing industry) and, finally (in 1958) – after brief stints as Rotation Leipzig Nordost and Rotation Leipzig Südwest – Rotation Leipzig 1950.53 The very proliferation of name changes in the early post-war years testifies to the fluctuations and instability that accompanied communist attempts to streamline GDR football. A change of name, or repeated name changes, did not necessarily bring greater political control, just as the Nazi willingness to allow clubs to keep their pre-1933 names did not necessarily denote (particularly after 1936) tolerance for club autonomy. The successors to SG Planitz, for example – variously known as BSG Horch Zwickau, Motor Zwickau, and (from 1968) Sachsenring Zwickau – became repositories for the same kind of local patriotism that forced officials to disband the original side in 1949, contesting player transfers to
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SAPMO-BArch, DY 12/2695, Beurteilung des Kollegen Alfred Kunze, 24. September 1953, 32. MCDOUGALL, The People’s Game, 108–109. DUKE, Going to the market, 93. BEYER, Rotation Leipzig 1950, 7, 13–15.
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rival clubs, rejecting the ‘professional’ model of the GDR’s army and police clubs, and accusing the DFV of neglecting football in the provinces.54 It might be said that the SED’s attempts to create a self-sustaining football culture worked, in the sense that Zwickau supporters and officials actively contributed to an invented socialist tradition, putting down politically acceptable, yet distinctive, roots in a football environment, and indeed society, that was characterised (during the 1950s in particular) by upheaval. Yet, the constant striving for local autonomy, even when evoking socialist rhetoric, also illustrates football’s recalcitrance in the face of the SED’s efforts to centralise and standardise the game’s structures. At the grassroots, many footballers consciously maintained links to the past. Players in Wittenberg, for example, referred to new local BSGs by their former Verein names, such as ‘Viktoria’ and ‘Hertha’.55 At Motor Dessau, where certain comrades spoke openly against the GDR’s remilitarisation campaign, power was until 1953 in the hands of ‘einige Funktionäre, die im Sinne des ehemaligen Vereins Dessau 05 gearbeitet haben’, including the coach who fled that year to the West, Willi Braun. None of them had worked at the BSG’s sponsoring factory, a gulf between the theory and practice of the factory-based sports club model that was common in the GDR’s early years.56 As time passed, this gulf widened rather than shrank. Backdoor professionalism became increasingly prevalent in football, as players received under-the-table bonuses and cushy jobs that required little to no work.57 Starting from a stronger political position, the NSDAP neutered sports clubs more rapidly than the SED did. German sport was quickly purged of socialist and Jewish elements after Hitler came to power. Sports organisations linked to the KPD and SPD were shut down in February and April 1933 respectively, though DFB-affiliated clubs did not hesitate to subsequently sign former communist or socialist players. Jews meanwhile, initially at least, were pushed into separate sports clubs. In football, clubs were often a step ahead, anticipating the regime’s wishes before they became binding orders. The DFB used the pages of the 19 April 1933 issue of Der Kicker, the magazine founded by a Jew (Walther Bensemann) now in exile in Switzerland, to emphasise that it considered ‘Angehörige der jüdischen Rasse ebenso wie Personen, die sich in der marxistischen Bewegung herausgestellt haben, in führenden Stellungen der Landesverbände und Vereine nicht für tragbar’.58 Many individual clubs were equally quick off the mark. 1. FC Nürnberg, the dominant force in German football during the 1920s and one of the many leading South German clubs to sign the Stuttgart De54 55 56 57 58
MCDOUGALL, The People’s Game, 102–104, 155–156, 185–186. JOHNSON, Training Socialist Citizens, 97–98. SAPMO-BArch, DR 5/44, Abschlußbericht der Instrukteurbrigade Fußball, undatiert (Januar 1953). MCDOUGALL, The People’s Game, 66–71. On such practices at specific Oberliga clubs, see KUMMER, Carl Zeiss Jena und Rot-Weiß Erfurt, 53–77. ‘DFB und DSB geben bekannt’, in: ASS. Allgemeine Sportschau, Bayerische SportRundschau, no. 16, 17. April 1933, 8; cf. Der Kicker. Zentral-Organ des Süddeutschen Fußball- u. Leichtathletik-Verbandes, no. 16, 19. April 1933, 16.
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claration welcoming the Nazi regime on 9 April 1933, expelled its Jewish members later in the same month, ten weeks before the government issued its directive on the ‘Umgestaltung der Vereinsstatuten im nationalsozialistischen Sinn’.59 None of this is to say that the Gleichschaltung of football in the Third Reich was an entirely smooth or trouble-free process. The DFB’s struggle with the HJ for control of youth football after 1936, and the presence in certain clubs (such as 1. FC Kaiserslautern and Eintracht Frankfurt) of Jewish athletes until 1936/38,60 suggest that the Nazi takeover was subject to institutional clashes and differentiated local experiences that undercut the idea that football was subsumed into Nazi power structures overnight. Yet, by 1938 – when the gradual winding up of the DFB had reached the point of no return and the NSRL was extending its reach into the football riches of post-Anschluß Austria – it was clear that the goal of subordinating sport to Nazism had been largely achieved.61 Football was not at this point (and indeed never would be) a site of entirely harmonious cooperation – witness, for example, the popular hostility to ‘Prussian order’ in Viennese football after 1938; the tactical and formational disputes between Reichstrainer Herberger and the more attack-minded Bavarian Karl Oberhuber in the early years of the Second World War; and the planned dismantling and merger of local clubs that was ultimately postponed by Hitler until the end of the war.62 However, national football structures were now firmly under Nazi control. At the equivalent point in the SED’s halting campaign to take command of East German sport (i.e. the early 1950s), no such political result could be asseverated. Perhaps the most striking illustration of the ongoing cracks in the socialist façade of GDR football was the June 1953 Uprising. Only the declaration of a state of emergency and Soviet military intervention prevented the series of strikes and demonstrations that began on 16 and 17 June, and eventually involved 500,000 GDR citizens, from sounding the death knell of the young socialist republic. Though the evidence is piecemeal rather than comprehensive, reports from sports clubs during the unrest indicate that the socialist coordination of football was still far from complete. While certain players and clubs worked to defend the regime in June 1953, the majority appear to have either sat on the sidelines or actively participated in the protests. SV Chemie, for example, reported that the sports Sektionen most heavily involved in the unrest were boxing, football, and wrestling. BSG functionaries from Chemie football teams in Halle and Jena were accused of being involved in the strike leadership and inciting workers to liberate athletes from prison. The entire first team at Chemie Rade-
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SIEGLER, 1. FC Nürnberg, 364–366. HERZOG, Der „Betze“ unterm Hakenkreuz, 50–52; THOMA, „Wir waren die Juddebube“, 128, 210. HAVEMANN, Fußball unterm Hakenkreuz, 212–213. MARSCHIK, Between manipulation and resistance, 220–226; HERZOG‚ German Blitzkrieg Football, 1490–1499.
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beul took part in demonstrations.63 Elsewhere, there were similar stories. The first team squad at third-tier (Bezirksliga) side Kahla (near Jena), like its counterpart in Radebeul, ‘nahm … an dem Tumult teil’. At clubs such as Empor Görlitz and Aufbau Friedrichshain, players and coaches arrested as ringleaders were still in custody in early July.64 An unknown number of players voted with their feet and departed for the West. This included most of the squad of the 1951/2 Oberliga champions, Turbine Halle, led by popular half-back Otto Knefler and (albeit not until early 1955) striker Herbert ‘Teddy’ Rappsilber, two survivors of the war on the Eastern Front and two of the first stars of GDR football.65 3. Conclusions The SED eventually brought football under firmer control. The founding of new sports organisations, the DTSB and the DFV, in 1957 and 1958 – and the concomitant reduction in the power of the Stako – created some much-needed organisational clarity. The construction of the Berlin Wall in August 1961 also brought greater stability, as the flood of players and coaches heading to West Berlin and the FRG was reduced to a trickle. Though the figures are not wholly reliable, it appears that only twenty footballers, plus the coach Jörg Berger, illegally left the GDR for the West between 1961 and 1989, eight of whom departed via newly-opened cracks in the Iron Curtain in the summer and autumn of 1989.66 The GDR gradually became part of the international football family, as home-grown referees took charge of showpiece matches (Rudi Glöckner, for example, at the 1970 World Cup final between Brazil and Italy) and DFV functionaries claimed leading positions in UEFA and FIFA.67 Meanwhile, the GDR developed a world-class reputation in youth football, winning UEFA’s under-18 tournament in 1965, 1970, and 1986; finishing third in the 1987 World Youth Cup; and consistently producing talented young players. Those who came through the GDR system in its twilight years, and consequently played important roles in the successes of the reunified German national team in the 1990s and early 2000s, included Matthias Sammer, Jens Jeremies, Bernd Schneider, and Michael Ballack.68 Yet there remains a sense that football was somehow never truly subordinated to the SED’s wishes, certainly not to the extent that other sports central to the 63 64 65 66 67
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SAPMO-BArch, DY 34/3665, Auswertung der durchgeführten Instrukteureinsätze und Berichte aufgrund der Vorkommnisse am 16. und 17.6.1953, 6. Juli 1953. Ibid., Situationsbericht der Demokratischen Sportbewegung im Bezirk Gera, undatiert; Situationsbericht, undatiert (beide Juni 1953). BITZER/WILTING, Stürmen für Deutschland, 201; LESKE, Enzyklopädie, 259–260, 381. LESKE, Erich Mielke, 258. Günter Schneider, for example, was an official UEFA observer at the ill-fated European Cup final between Liverpool and Juventus at the Heysel Stadium in Brussels in 1985, by which time GDR officials held eight leading positions in FIFA and UEFA. MCDOUGALL, The People’s Game, 94–95.
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GDR’s Olympic success, such as athletics or swimming, were: ‘In the East German Sportland, football often had the appearance of an anarchic city-state where regular laws did not apply and secession appeared to be just around the corner’.69 While the Gleichschaltung of football proved to be problematic in the Third Reich, the process caused greater difficulties in the GDR. Officials had little concerted influence on players, coaches, or fans. Transfer rules were regularly flouted, as were directives limiting players’ salaries and bonuses. Individual clubs, backed by ambitious local party bosses, only supported the aims of the national team if they did not clash with their own interests. The more that the authorities tried to bend the game to their will – whether by club relocations, tightening up rules on transfers or bonuses, or infiltrating the fan scene – the more stubborn was the resistance into which they ran. As Detlef Krause, the head of football at the DHfK, acknowledged in 1989, the stream of directives about how to improve GDR football – from the 1953 Stako report to the Fußballbeschlüsse of 1970, 1976, and 1983 – never seemed to lead anywhere in a sport that ‘so vielgestaltig, variabel und demzufolge schwer überschaubar ist’.70 The fundamental insecurity at the heart of GDR football could undoubtedly be traced back to its turbulent development in the early post-war years. If the Nazis found that football maintained, in David Goldblatt’s words, ‘an insufferable tendency to upset the smooth acclimation of power’,71 the same conclusion applied even more forcefully to communist East Germany. References Archives Archivgut des Deutschen Fußballverbandes der DDR: I/1; XV 63/4/1; XV/63/4/1. Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv Berlin (SAPMO-BArch): DR 5/19; DR 5/30; DR 5/44; DR 5/164; DR 5/167; DR 5/519; DR 5/1276; DR 5/1277; DY 12/281; DY 12/2695; DY 12/5331; DY 24/3405; DY 30/IV 2/18/14; DY 34/3665.
Literature BAINGO, ANDREAS/HORN, MICHAEL: Die Geschichte der DDR-Oberliga, Göttingen 2004. BECKER, CHRISTIAN/BUSS, WOLFGANG: Das „Wunder von Bern“ und die DDR, in: Deutschland Archiv 37 (2004), no. 3, 389–399. BEYER, ROLF: Rotation Leipzig 1950. 50 Jahre, Leipzig 2000. BITZER, DIRK/WILTING, BERND: Stürmen für Deutschland. Die Geschichte des deutschen Fußballs von 1933 bis 1954, Frankfurt am Main 2003. BRAUN, JUTTA/TEICHLER, HANS JOACHIM (ed.): Sportstadt Berlin im Kalten Krieg. Prestigekämpfe und Systemwettstreit, Berlin 2006.
69 70 71
Ibid., 333. LESKE, Erich Mielke, 105. GOLDBLATT, The Ball is Round, 311.
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Controlling the ball?
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„Heraus aus der Defensive!“ Politische Initiativen für Offensivfußball in der Sportgeschichte der DDR, des Nationalsozialismus und der Franco-Diktatur 1. „Die Verkörperung nationaler Handlungsstile“: Offensivfußball unter Hitler und Franco Es steckte weit mehr dahinter, als ein romantisierend verklärender Rückblick auf den Fußball aus vergangenen Tagen, als Christoph Biermann darauf verwies, dass es sich bei der Fußballweltmeisterschaft 1990 in Italien um das letzte große Turnier handelte, dem noch der „Charakter einer Messe des Weltfußballs“ innewohnte.1 Die kommunikativen Netzwerke des Informationszeitalters beförderten dagegen die Nivellierung der Spielweisen. Fußballerische Überraschungseffekte oder bestechende Innovationen blieben aus. Die Unterschiede der stärksten Ligen sind mittlerweile nur noch oberflächlicher Natur.2 Originäre Stile und Spielweisen entstanden nie losgelöst von der gesellschaftlichen Entwicklung.3 Das Spiel mit dem runden Leder war immer auch Ausdruck kultureller, sozialer, wirtschaftlicher und politischer Rahmenbedingungen und damit mehr als nur Sport.4 Fußball repräsentierte auf spielerische Art Verhältnisse, Zustände, Veränderungen und Entwicklungen in der Gesellschaft. Der Philosoph Gunter Gebauer konstatierte, dass ein Spiel „fähig [sei], nationale Handlungsstile zu verkörpern, wenn es zu den Leidenschaften der großen Mehrheit der Bevölkerung – insbesondere ihres männlichen Teils – gehört und wenn es zugleich von allen sozialen Gruppen des Landes akzeptiert wird.“5 Auf den populären Zuschauersport Fußball trifft dies zweifellos zu. Variierende Interpretationen durch Nationen und Kulturen, die sich des Fußballs annahmen, scheinen da nur folgerichtig. Beispiele für spezifische Formen der Aneignung des Fuß-
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BIERMANN, Die Globalisierung. – Dabei sollte allerdings nicht verschwiegen werden, dass bereits 1990 der Pragmatismus das Geschehen auf dem Platz dominierte. – Dazu BÖTTIGER, Der Spaß. Dazu ANDERSON/SALLY, Die Wahrheit, 104–111. Dazu GOLDBLATT, The Ball; WILSON, Revolutionen; KUPER/SZYMANSKI, Warum England. Dazu WEISS, Fußball, 222f. GEBAUER, Das deutsche Fußballtheater, 120.
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ballspiels, die über die Verwendung einfacher Stereotype6 hinausreichen, finden sich zur Genüge.7 Dabei stellt sich die Frage, inwieweit sich die Dynamiken und Aneignungsprozesse des Fußballspiels in totalitären Regimen von denen anderer Herrschaftsformen unterscheiden. Wie die Forschung gezeigt hat, gehörte eine exponierte Stellung des Sports aus einer Vielzahl von Gründen zu den Begleiterscheinungen moderner Diktaturen.8 Die Popularität des Fußballs sowie seine Eignung als Projektionsfläche lassen Steuerungsversuche hinsichtlich der Spielweise geradezu zwangsläufig erscheinen. Dennoch sind direkte politische Eingriffe in Spielweise und -system sehr selten. Zwei Beispiele europäischer Diktaturen sollen das mögliche Ausmaß an Einflussnahmen auf den Fußball in totalitären Regimen zunächst exemplarisch umreißen, bevor ein solches Kapitel aus der Sportgeschichte der DDR unter die Lupe genommen wird. 1.1. „Blitzkrieg“-Fußball im „Großdeutschen Reich“
Der Zweite Weltkrieg mit den zunächst blitzartig erzielten Erfolgen der deutschen Truppen wirkte sich insofern auf den Fußball im „Großdeutschen Reich“ aus, als er zumindest über einen kurzen Zeitraum eine Debatte über die richtige Spielweise anstieß. Die hauptsächlich zwischen den Protagonisten Sepp Herberger und Karl Oberhuber ausgetragene Spielsystemkontroverse bildet dabei eindrucksvoll den Widerstreit zwischen politischer Einflussnahme und sportlicher Eigendynamik ab. Während sich Reichstrainer Herberger am WM-System9 des englischen Trainers Herbert Chapman orientierte, argumentierte der NS-Sportfunktionär Oberhuber im „Kulturstreit der Spielsysteme“ vor allem mit parteipolitischen, wehr6
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Zu den unzutreffenden Zuschreibungen bezüglich der deutschen Nationalmannschaft HOFFMANN, Nationalismen. – Dazu auch PARR, Zwischen Innovation und Automatismus; DERS., Fußball-Symbole. Exemplarisch zum niederländischen, brasilianischen und argentinischen Fußball WINNER, Oranje; BELLOS, Futebol; ARCHETTI, Argentinien, 150–156. Sport wird in den Diktaturen der Moderne eine besondere Bedeutung bei der Erhöhung der Wehrhaftigkeit sowie der Erziehung zu Leistungsfähigkeit und Gehorsam gegenüber dem jeweiligen Regime zugemessen. Sportliche Höchstleistungen bei internationalen Vergleichen sollen zudem die Überlegenheit des „jeweiligen staatlich-politischen Systems, der Rasse, des Volks und/oder der Nation“ demonstrieren: REINHARDT/KRÜGER, Funktionen, 43. Das WM-System wurde von Herbert Chapman als Reaktion auf die Novellierung der Abseitsregelung im Jahr 1925 konzipiert. Es war von einer festen Aufgabenverteilung geprägt und unterschied sich von der bis dahin vorherrschenden „Pyramide“, auch „Schottische Furche“ oder „2-3-5-System“ genannt, darin, dass der zentrale Mittelfeldspieler zwischen die beiden Verteidiger zurückgezogen wurde und vorrangig Abwehraufgaben übernahm. Die Grundposition der Spieler auf dem Spielfeld war dabei namengebend. Mittel-, Haupt- und Außenstürmer formierten sich in einem „W“, während die Anordnung der übrigen Spieler einem „M“ entsprach. Vereinfacht ausgedrückt wurde aus dem 2-3-5 ein 3-2-5 bzw. eine 3-2-2-3-Formation. – Dazu MORITZ, Abseits, 52.
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pädagogischen und militärstrategischen Überlegungen.10 Durch seine Vision eines spektakulären und torreichen „Blitzkrieg“-Fußballs wollte der bayerische Sportfunktionär dem englischen Einfluss und „Defensivgeist“ im deutschen Fußball entgegentreten.11 Tatsächlich wohnte seinem Vorhaben jedoch ein restaurativer Charakter inne. Denn die Verwirklichung seiner Idee hätte eine Rückkehr zur „Pyramide“ mit Mittelläufer zur Folge gehabt, wie sie Oberhuber in seiner Zeit als aktiver Fußballer selbst kennengelernt und praktiziert hatte.12 Vor dem Hintergrund schon länger bestehender Spannungen zwischen dem Reichstrainer und dem Sportfunktionär13 startete der frisch ernannte bayerische Sportbereichsführer Oberhuber im Dezember 1940 unter Einbindung eines Teils der Printmedien einen Feldzug gegen Herberger und das nicht nur von diesem praktizierte WM-System.14 Zunächst versuchte er, die seinen Vorstellungen entsprechende offensive Spielweise den bayerischen Fußballmannschaften vorzuschreiben, sodann den Fußball im ganzen „Großdeutschen Reich“ zu revolutionieren, Einfluss auf die Nationalmannschaft zu nehmen und die FIFA15 in seine Kampagne miteinzubeziehen. In seinem Bestreben „den Fußball zu einem Werkzeug für Hitlers Vernichtungskrieg umzuformen“,16 überschätzte er allerdings seine Möglichkeiten. Denn bereits die von Oberhuber angestrebte verbindliche Einführung seines Konzeptes von „Blitzkrieg“-Fußball im Sportgau Bayern zum 1. April 1941 scheiterte, da es die Fußballclubs vorzogen, am WM-System festzuhalten.17 1.2. „La Furia Española“: Fußball im franquistischen Spanien
Nach dem spanischen Bürgerkrieg entbrannte auch unter der Franco-Diktatur eine Diskussion um die richtige Spielweise im Fußball. Diese Debatte war ebenfalls durch ihren politischen Kontext geprägt. Auf der einen Seite standen die Fürsprecher einer „ursprünglichen“ Spielweise, der „Furia Española“.18 Dieser Stil zeichnete sich durch Enthusiasmus, Willensstärke, hohen physischen Einsatz und Kampf sowie Kreativität und Improvisation aus. Er fügte sich ideal in das Weltbild der Franco-Diktatur, wonach die Überlegenheit der „spanischen Rasse“ in ihrem Mut und Ideenreichtum, ihrer 10 11 12 13 14 15 16 17 18
Dazu HERZOG, German Blitzkrieg Football, 1495–1497. Dazu HERZOG, „Blitzkrieg“ im Fußballstadion, 28; DERS., Sport im Nationalsozialismus, 103–113. HERZOG, „Blitzkrieg“ im Fußballstadion, 30. – Dazu auch Beitrag HERZOG, in diesem Band S. 100. HERZOG, „Blitzkrieg“ im Fußballstadion, 21–26; DERS., German Blitzkrieg Football, 1497. HERZOG, „Blitzkrieg“ im Fußballstadion, 26. HERZOG, German Blitzkrieg Football, 1499f. HERZOG, „Blitzkrieg“ im Fußballstadion, 125. HERZOG, „Blitzkrieg“ im Fußballstadion, 33f. Dazu und zum Folgenden GARCÍA-MARTÍ, Reshaping. Zur Entwicklung der „Furia Espanola“: Birth, height and end of the Spanish ‚fury‘ term.
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Opferbereitschaft und Angriffslust begründet lag. Diese Überlegenheit wurde in der falangistischen Ideologie nicht genetisch, sondern kulturell begründet. Den Fürsprechern eines von Individualität und Spontaneität geprägten Offensivfußballs standen Vertreter eines am Vorbild des WM-Systems mehr an taktischen Gesichtspunkten ausgerichteten Spiels gegenüber. Sie plädierten für einen Wandel vom nostalgischen Nationalismus hin zu einer notwendigen taktischen Revolution. Denn während der spanische Fußball im Zweiten Weltkrieg weitestgehend isoliert blieb,19 hatte die Mehrheit der europäischen Mannschaften bereits von der Pyramide auf das überlegene WM-System umgestellt. Bedingt durch die politische Atmosphäre und die negative Konnotation des WM-Systems hatten die Modernisierer allerdings zunächst das Nachsehen.20 Erst als die fehlende fußballerische Konkurrenzfähigkeit infolge empfindlicher Niederlagen in internationalen Vergleichen immer offener zu Tage trat und das sich zunehmend als Illusion erweisende Selbstverständnis spanischer Überlegenheit stark beeinträchtigte, setzte ein Umdenken auf Verbandsebene ein. Um dem Misstrauen der spanischen Aktiven gegenüber der neuen Taktik sowie dem von Patriotismus geprägten Diskurs Rechnung zu tragen, war eine vorsichtige Angleichung an die modernen Erfordernisse unabdingbar.21 Die propagandistische Notwendigkeit von Siegen im populären Fußballsport22 führte zu einem Kompromiss zwischen ideologischen Zwängen und dem Bedarf nach einem zeitgemäßen Fußballspielsystem, in dessen Folge das WM-System vom Fußballverband des Landes schließlich als verbindlich erklärt wurde. Dass die politische Rhetorik der „Furia Española“ auch danach im Umlauf war, gehörte zu diesem Kompromiss. Hatte die Eigendynamik des Fußballspiels mit ihren inneren Sachnotwendigkeiten die bayerische Fußballrevolution gegen das englische Spielsystem ins Leere laufen lassen, so konnte selbst der massive Druck restaurativer Funktionäre dessen Durchbruch in Spanien letztlich nicht verhindern.
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Ausschließlich Vergleiche gegen Mannschaften der Achsenmächte und neutraler Staaten fanden statt. – Dazu auch ACKERMANN, Zwischen politischer Instrumentalisierung und Eskapismus, 117–119. Aufgrund der mit der Taktik einhergehenden Einschränkungen der Freiheiten der Spieler wurde das WM-System als dem spanischen Naturell zu wider laufend betrachtet. Durch die Rationalisierung und Planung des Spiels wurde ein Verlust der spanischen Improvisationskunst befürchtet. Im Endeffekt kam es zu einer Modifikation des Diskurses über das WM-System und die genuin spanische Weise, das Fußballspiel zu interpretieren. Die moderne Taktik und die spanischen Eigenheiten galten fortan als sich gegenseitig ergänzend und befördernd. Ferner wurden die Kompetenzen des nationalen Fußballverbandes erweitert, was sich positiv auf die Nationalmannschaft auswirken sollte. Das Ende des Zweiten Weltkriegs führte zur diplomatischen Isolation und dem internationalen Boykott der Franco-Diktatur. Lediglich auf dem Gebiet des Sports galt Spanien durch seine Mitgliedschaft in FIFA und IOC als vollwertiges Mitglied.
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2. „Von Sowjetfußballern lernen, heißt siegen lernen“: Fußball und Ideologie in der DDR Der Fußball entwickelte sich in der Nachkriegszeit im Osten Deutschlands rasch zu einem Zuschauermagneten. Die Endspiele um die ersten beiden Ostzonenmeisterschaften verfolgten 40.000 bzw. 50.000 Zuschauer im Stadion.23 In den Anfangsjahren der Sportübertragung gehörte das Spiel mit dem runden Leder zu den im Fernsehen am häufigsten gezeigten Sportarten.24 Fußball war der Zuschauersport Nummer eins und das Interesse an ihm blieb in der DDR generell hoch, scheinbar losgelöst von der Leistungsfähigkeit im Weltmaßstab.25 Während sich der Neuaufbau des DDR-Fußballs stark am Sportsystem der Sowjetunion orientierte,26 blieb auch das Geschehen auf dem Spielfeld vom sowjetischen Einfluss nicht unberührt. Die Weitergabe von Erfahrungen in Fußballtheorie und -praxis durch Delegation von Sowjetfußballern in die DDR27 sowie Beiträgen sowjetischer Fußballtrainer mit trainingsmethodischen und taktiktheoretischen Inhalten in der Fußballfachzeitschrift „Die Neue Fußballwoche“ sollte das Spiel in der DDR bereichern und somit mittelfristig auch das Niveau der ostdeutschen Mannschaften merklich erhöhen.28 Neben dem bewunderten Nationalteam der Ungarn, dessen Erfolge auf die überlegene Weltanschauung
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Dazu BAINGO/HORN, Die Geschichte, 14. Dazu FRIEDRICH, Politische Instrumentalisierung, 154f. Dazu SPITZER, Fußball, 192. – Die Oberliga verzeichnete über die Dauer ihrer Existenz eine Gesamtzuschauerzahl von 87.174.416. Durchschnittlich wohnten 10.835 Zuschauer den Spielen der höchsten Leistungsklasse im DDR-Fußball bei. – Dazu BAINGO/HORN, Die Geschichte, 272. Generell zum Neuaufbau des DDR-Sports TEICHLER, Sportbeschlüsse, 13f. Die ursprünglichen, selbstverwalteten Vereine wurden faktisch verboten und im Jahr 1948 durch staatlich gelenkte und kontrollierte Körperschaften, sogenannte Sportgemeinschaften, ersetzt. – Dazu SPITZER/TEICHLER/REINARTZ, Schlüsseldokumente, 15f. Überdies fand zwischen 1955 und 1961 im Fußball der DDR die Kalendersaison nach sowjetischem Vorbild Anwendung, während in Mitteleuropa die Herbst-Frühjahr-Saison galt. – Dazu KLAEDTKE/WIESE, Fußball, 22. Dazu SCHULZE, 1949–1956/57, 38f. Dazu exemplarisch: Das Geheimnis der Sowjetfußballs, in: FuWo, Nr. 11, 1949, 17; Taktisches Denken beim Sport von G. M. Gageyewa, in: FuWo, Nr. 15, 1953, 3f.; Der Spieler soll wettkampfnah trainieren! von K. P. Ljassowski, in: FuWo, Nr. 2, 1957, 12; Neue Varianten in der Fußballtaktik von N. Glebov, in: FuWo, Nr. 8, 1959, 11, sowie Nr. 10, 1959, 12. Tatsächlich standen die Trainer der DDR dem sowjetischen Einfluss skeptisch gegenüber, wie die „Kommission zur Überprüfung der Arbeit der Demokratischen Sportbewegung“ im Frühjahr 1954 konstatieren musste. Stattdessen orientierten sich die Übungsleiter „teilweise nach dem Westen“ und stützten sich „in der Hauptsache auf ihr eigenes fachliches Wissen und Können, das aus jahrzehntelangen Erfahrungen besteht“ (TEICHLER, Sportbeschlüsse, 259).
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des sozialistischen Staates zurückgeführt wurden,29 sollten sich die Aktiven in der DDR in fußballerischer Hinsicht vor allem an Dynamo Moskau orientieren.30 Die Moskauer Mannschaft beeindruckte nach dem Waffenstillstand im Jahr 1945 bei einer Freundschaftstournee durch Großbritannien die Fachkundigen mit ihrem „Passowotschka“ genannten Kurzpassspiel. Auf die Frage, ob Dynamos Stil mit der sozialistischen Ideologie zusammenhänge, entgegnete Michael Jakuschin, Trainer der sowjetischen Spitzenmannschaft: „Der sowjetische Fußball folgt dem Prinzip des Kollektivspiels. Ein Spieler muss nicht nur einfach gut sein, sondern gut für eine bestimmte Mannschaft.“31 Dass die Sportfunktionäre der DDR die Spielweise im Fußball des eigenen Landes ebenfalls eng mit der Weltanschauung verwoben sahen, wurde offen kommuniziert.32 Bereits durch die strukturelle Einbindung in das Leistungssportsystem des „Arbeiter- und Bauernstaates“ prägten zwei ideologische Momente den Fußballsport der DDR. Zum einen galt die sportliche Leistung aufgrund der sozialistischen Planungs- und Wirtschaftsgläubigkeit – verbunden mit dem zentralistischen Leitungsanspruch der Diktatur – weniger als individueller Verdienst der Sportlerinnen und Sportler, sondern vielmehr als planbarer Ertrag eines sportwissenschaftlichen und trainingsmethodischen Entwicklungsprozesses.33 Zum anderen bedingte die politische Systemkonkurrenz, dass der Leistungssport als Feld der Auseinandersetzung der sich gegenüberstehenden Weltanschauungen fungierte.34 Die BRD und die DDR waren als „ideologische und geografische Frontstaaten“ besonders betroffen.35 Zwangsläufig wurde der Sport im deutschdeutschen Dauerkonflikt als vermeintlich wirksame Waffe im Kalten Krieg wissenschaftlich aufgewertet. Während aus dem „Arbeiter- und Bauernstaat“ das „Sportwunderland DDR“ wurde, blieb der Fußball von dieser Entwicklung allerdings weitgehend ausgeschlossen. Im Gegensatz zum westdeutschen Nachbarn gab es auf dem Platz für die DDR zunächst kaum Grund zum Jubel. Den ersten Sieg in einem Länderspiel konnte die DDR-Auswahl erst 1955 – also ein Jahr nach dem westdeutschen Weltmeistertitel 1954 – für sich verbuchen. Trotz oder gerade wegen einer Vielzahl von Eingriffen ließ sich der Rückstand auf den Fußball der BRD nie aufholen. Den populären Ballsport betreffend, mussten die Funktionäre schließlich feststellen, „dass in keiner von der SED-Führung geförderten Sportart der Wi-
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Dazu WILSON, Revolutionen, 127. Vgl. die Ausgaben von „Die Neue Fußballwoche“ von 1949 bis 1958. Exemplarisch: Keine Individualisten, sondern ein prächtiges Kollektiv, in: FuWo, Nr. 50, 1957, 13. Dazu WILSON, Revolutionen, 120. Exemplarisch dazu: Karl Marx hat uns Sportlern vieles zu sagen, in: FuWo, Nr. 11, 1953, 2; Sozialistische Erziehung und höhere sportliche Leistungen, in: FuWo, Nr. 20, 1958, 2f. KLUGE, Das Sportbuch DDR, 136. Dazu BALBIER, „Die Grenzenlosigkeit“, 140. Zit. nach BRAUN/WIESE, Editorial, 11.
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derspruch zwischen finanziellem Aufwand und tatsächlicher Leistung derart eklatant war.“36 3. „Der kranke Posten“: das vorläufige Ende des Doppelstopper-Systems Spätestens Anfang der 1950er Jahre begann das WM-System das veraltete 2-3537 als vorrangige Formation im Spitzenfußball der DDR allmählich zu ersetzen.38 Damit holte die DDR eine Entwicklung nach, die in Westdeutschland sowie in anderen mitteleuropäischen Ländern zum Teil schon ein Jahrzehnt zuvor vollzogen worden war.39 Die Verbreitung des englischen WM-Systems blieb der Sportpresse der DDR, allen voran der „Neuen Fußballwoche“, nicht verborgen und wurde im Rahmen der Spielberichterstattung kritisch begleitet.40 Die Verstärkung der Abwehr durch einen nominellen Mittelfeldspieler veranlasste die Redaktion, ihre Sorge vor einer zu defensiven Spielweise zu artikulieren.41 Diesbezügliche Wortmeldungen der Funktionäre der Sektion Fußball im Deutschen Sportausschuss waren gleichwohl nicht zu verzeichnen. Spätestens ab der Spielzeit 1952/53 gehörte das WM-System – mit Stopper statt offensivem Mittelläufer – zum festen Repertoire der Oberligakollektive.42 Doch einige Oberligatrainer vollzogen damals bereits die nächste Stufe in der Evolution der Spielsysteme, indem sie ihre Spielweise noch einen Schritt defensiver als das WM-System ausrichteten, indem sie den Doppelstopper oder Vorstopper einführten.43 In latenter Abstiegsgefahr vertraute die Mannschaft von Rotation Dresden auf das Mittel des Doppelstoppers.44 In mehreren aufeinander 36 37
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LESKE, Enzyklopädie, 25. Das 2-3-5 System zeichnete sich durch einen Torhüter, zwei nominelle Verteidiger, drei Mittelfeldspieler und fünf Angreifer aus. Mit dieser Formation gewann Preston North End 1889 und 1890 die ersten beiden englischen Fußballmeisterschaften. – Dazu ROHR/SIMON, Lexikon, 108. Ergebnis einer stichprobenhaften Untersuchung der Spielberichte in der Fußballzeitschrift „Die Neue Fußballwoche“ des Jahres 1949. WILSON, Revolutionen, 106. Dazu Probleme Plaudereien, in: FuWo, Nr. 2,1949, 2; Vom offensiven Mittelläufer zum Stopper, in: FuWo, Nr. 10, 1949, 8; Die Taktik der Verteidigung, in: FuWo, Nr. 11, 1949, 16. Vgl. Läßt sich das starre Stopper-System lockern?, in: FuWo, Nr. 25, 1950, 2. Ergebnis einer stichprobenhaften Untersuchung der Spielberichte in der Fußballzeitschrift „Die Neue Fußballwoche“ der Jahre 1951 bis 1953. Jonathan Wilson stellt in seinem Standardwerk zur Entwicklung der Fußballtaktik dar, wie durch eine zunehmend defensive Spielanlage neue Spielsysteme entstanden, die den vermeintlich offensiveren Ansätzen – über längere Zeiträume betrachtet – überlegen sind. – Dazu WILSON, Revolutionen. Der Doppelstopper kam in einer Abwehrvariante mit zwei Mittelverteidigern zur Anwendung. In dieser verstärkten Abwehr spielen zwei Dreierreihen relativ dicht hintereinander, wobei ein zurückgezogener Stürmer fortan als zweiter Stopper verteidigt und speziell den Mittelverteidiger unterstützt (dazu ROHR/SIMON, Lexikon, 108). Man könnte das System auch als 3-3-4 bezeichnen.
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folgenden Partien verzichtete das Dresdner Kollektiv zugunsten einer defensiveren Formation auf einen weiteren Stürmer und war damit durchaus erfolgreich. Durch eine Serie von acht aufeinanderfolgenden Siegen bis zum Ende der Saison sicherten sich die Dresdner souverän den Klassenerhalt und besiegten dabei mehrere Favoriten. „Die Neue Fußballwoche“ notierte am letzten Spieltag der Dresdner: „Wird Dresdens Siegeszug gestoppt? Das war die Frage, die jung und alt [sic] am Himmelfahrtstage in Babelsberg bewegte. Die Antwort lautete: nein! Das achte Punktspiel hintereinander haben die Dresdener mit Vorstopper gewonnen. Sie haben sich dabei in keinem Spiel den Schönheitspreis, wohl aber schwerwiegende 16 Punkte geholt.“45
Selbstverständlich rückten die Elbestädter von ihrem erprobten Spielsystem auch in der Folgesaison nicht ab. Allerdings entwickelten sie in der Folge nicht mehr die gleiche Effektivität. Stattdessen tat sich die Elf der BSG Chemie Leipzig unter Trainer Alfred Kunze als Zugpferd des Doppelstoppersystems hervor. Gemeinsam mit dem in die Jahre gekommenen Stürmer Rudi Krause wechselte Kunze zur Saison 1953/54 von Vorwärts Berlin zum Leutzscher Erstligisten.46 Der gebürtige Leipziger galt als einer „der fähigsten Trainer des Landes“.47 Zwischen 1950 und 1952 war er als Dozent an der Deutschen Hochschule für Körperkultur tätig und bekleidete zudem die Funktion des Vorsitzenden des Trainerrats der DDR.48 Überdies hatte er bereits die Auswahlmannschaft in zwei inoffiziellen Ländervergleichen betreut und veröffentlichte zahlreiche Artikel in „Die Neue Fußballwoche“ mit taktiktheoretischen Schwerpunkten.49 Als Trainer von Chemie Leipzig verordnete er seiner Elf das bereits bei Rotation Dresden so erfolgreich praktizierte System mit zwei Stoppern. Trotz der zu Saisonbeginn in „Die Neue Fußballwoche“ ausgesprochenen „Warnung vor der Doppelstopperseuche“50 zog er den nominellen Mittelstürmer des WM-Systems in die Abwehr zurück und betraute ihn konsequent mit vorrangig defensiven Aufgaben. Kunzes Doppelstoppersystem war vielen Anfeindungen ausgesetzt.51 „Die Neue Fußballwoche“ bezeichnete die „Defensivierung“ der Spielanlage zudem als „Gefahr für den Fußball“.52
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Bessere Technik gab den Ausschlag, in: FuWo, Nr. 20, 1953, 8. FUGE, Leutzscher Legende, 49. Ebd. Dazu ALTENDORFER, Die Fußball-Nationaltrainer, 44. Exemplarisch: Die taktische Vorbereitung auf die Punktspiele, in: FuWo, Nr. 34, 1953, 3. Wismut und Chemie klare Sieger!, in: FuWo, Nr. 38, 1953, 5. FUGE, Leutzscher Legende, 50. Zu Höchstleistungen nicht mehr fähig, in: FuWo, Nr. 23, 1953, 11.
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Doch der Erfolg gab Kunze Recht. Als aufgrund der Resultate der Leipziger53 zunehmend mehr Mannschaften das System ohne einen fünften Stürmer kopierten, sah sich die Sektion Fußball schließlich zu einer Reaktion gezwungen. Erich Jahnsmüller, Generalsekretär der Sektion Fußball,54 nutzte den Jahresbeginn 1954, um zum einen die generelle Richtigkeit des eingeschlagenen Weges im DDR-Fußball zu betonen und gleichzeitig die vermehrt um sich greifende „Sicherheitstaktik“ zu geißeln.55 Er betonte überdies, dass die „Herstellung eines einheitlichen demokratischen Deutschland“ mit Doppelstopper nicht zu erfüllen sei.56 Um dieses Ziel zu erreichen, müsste der DDR-Fußball „Heraus aus der Defensive!“ „‚In die Offensive übergehen‘ zeigt sich […] auch schon im Spiel. Wie wollen wir Leistungen erreichen, Tore schießen, zu Erfolgen kommen, wenn unsere Mannschaften aus der Defensive spielen, mit einigen Stoppern und Doppelstoppern auf Sicherheit gehen und das Tore schießen dem Zufall überlassen. So gibt es keine internationalen Erfolge, so gibt es überhaupt keine Erfolge außerhalb unserer DDR, und aus diesem Grunde muß wirklich überlegt werden, ob Mannschaften mit solchen ‚Systemen‘ unsere DDR würdig vertreten können.“57
Erich Jahnsmüller hob damit die außenpolitische Funktion des Fußballs hervor und stellte die Spielweise im Fußball in den Kontext der politischen Entwicklung.58 Sodann griff er das Beispiel der von Alfred Kunze betreuten Mannschaft auf und bestätigte unfreiwillig die höhere Leistungsstärke des von diesem angewandten Spielsystems: „Am schlimmsten hat uns aber wohl alle das Beispiel von Chemie Leipzig erschüttert. […] Wenn auch der jetzige Tabellenstand dieser Taktik scheinbar recht gibt,59 so sind wir überzeugt, dass bei den Leipziger Spielergenialitäten diese Erfolge auch mit einer anderen, einer offensiveren Taktik erzielt worden wären.“60
Der Beitrag Jahnsmüllers gab dem Fachblatt „Die Neue Fußballwoche“ schließlich Anlass, die Doppelstopperthematik in den Fokus der fußballinteressierten DDR-Bürger zu rücken. Lothar Branzke, Redakteur der Zeitschrift, forderte in 53
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Durch die Anwendung des Doppelstoppersystems errangen die Leipziger unter anderem ein 1:1 gegen eine individuell stärker besetzte Republikauswahl und sicherte sich in der DDR-Meisterschaft letztlich den zweiten Tabellenplatz. – Dazu FUGE, Leutzscher Legende, 50. Dazu LESKE, Enzyklopädie, 234. 1954 auch im Fußball Jahr der großen Initiative, in: FuWo, Nr. 1, 1954, 3. Bemerkenswert ist, dass die von Jahnsmüller bemühte Einheitsrhetorik zu diesem Zeitpunkt längst keine reale Grundlage mehr besaß. – Dazu TEICHLER, Sportbeschlüsse, 55. Ebd. Zur Entwicklung der deutsch-deutschen Sportbeziehungen und den Aussichten auf eine gemeinsame deutsche Fußballmeisterschaft BRAUN, Fußball, 10f.; Erzwingen wir die deutsche Fußball-Meisterschaft 1954, in: FuWo, Nr. 52, 1953, 3. Die BSG Chemie Leipzig belegte zu dieser Zeit den 4. Tabellenplatz der DDR-Oberliga. – Dazu Oberliga-Tabelle, in: FuWo, Nr. 1, 1954, 5. 1954 auch im Fußball das Jahr der großen Initiative, in: FuWo, Nr. 1, 1954, 3.
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der folgenden Ausgabe die Fußballtrainer der Republik auf, sich an der Diskussion zu beteiligen.61 Doch Überschrift und Inhalt seines Artikels implizierten bereits, dass es dabei weniger um einen Austausch von Argumenten über den Einsatz des Vorstoppers ging, als vielmehr um eine Bestätigung der Ansichten Jahnsmüllers. Unter der Überschrift „Vorstopper – der kranke Mann im Fußball“ machte er „die westlichen Länder“ für die grassierende „Anwendung übertriebener Defensivtaktiken“ verantwortlich und teilte Jahnsmüllers Standpunkt, dass die „Doppelstopper-Taktik“ politisch schädlich sei.62 In Anbetracht der Tendenz beider Texte mutet es wenig überraschend an, dass nur vier Diskussionsbeiträge bei der Redaktion eingingen.63 Konträre Standpunkte fanden sich darunter nicht, statt dessen polemische Forderungen nach dem Ende des „Sicherheitsfußballs“ und der „Rückkehr zum offensiven Spiel“.64 Neben der generellen Ablehnung des Vorstoppers illustrieren zwei Gastbeiträge – wahrscheinlich unfreiwillig, dafür aber sehr deutlich – die Überlegenheit des Systems mit Vorstopper gegenüber dem in der DDR noch vorherrschenden WM-System. So machte der Sportlehrer Walter Kaßbohm die Angst der Trainer und Mannschaften vor sportlichen Misserfolgen für die Anwendung des „Mittels“ Vorstopper verantwortlich und führte das Beispiel der BSG Motor Oberschöneweide an. Diese Sport-Gemeinschaft bot ihren Anhängern nach den Ausführungen Kaßbohms immer ansehnlichen Fußball, und zwar ohne Vorstopper, bezahlte dafür aber mit ihrer Oberligazugehörigkeit. „Wir alle kennen die Mannschaft aus Oberschöneweide, die den bitteren Weg des Abstiegs aus der obersten Klasse gehen musste, und nun einen wirklich harten Weg gehen muß, um wieder hoch zu kommen. Aber hat Motor Ob. jemals mit Vorstopper gearbeitet? Die Mannschaft hat alle Sympathien der Zuschauer behalten, weil sie immer Fußball bot und bietet, wie ihn der Fußballanhänger sehen möchte.“65
Mit Tom Thiersfelder, Trainer der BSG Stahl Thale, meldete sich ein einziger Oberligatrainer mit einem Erfahrungsbericht zu Wort. Er hatte die Mannschaft zum Ende der Vorsaison auf dem fünften Platz66 übernommen und schaffte nach 61 62 63
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Vgl. Vorstopper – der kranke Mann im Fußball, in: FuWo, Nr. 2, 1954, 3. Ebd. Man muss nach neuen Erkenntnissen suchen, in: FuWo, Nr. 5, 1954, 3; Ständig nach neuen Varianten suchen!, in: FuWo, Nr. 7, 1954, 9; Diese Spielmethode bedeutet Stillstand, in: FuWo, Nr. 9, 1954, 4; Qualifiziert unsere Stürmer, in: ebd. Man muss nach neuen Erkenntnissen suchen, in: FuWo, Nr. 5, 1954, 3. Ständig nach neuen Varianten suchen!, in: FuWo, Nr. 7, 1954, 9. – Tatsächlich war die Sorge um die Attraktivität für die Zuschauer nicht ganz aus der Luft gegriffen, wie in der BRD das Beispiel Rudi Gutendorfs beim Meidericher SV belegt. Mit einer unattraktiven, aber erfolgreichen Defensivtaktik brachte er Zuschauer, Vorstand und Spieler gegen sich auf (dazu Not im Westen, in: Der Spiegel, Nr. 6, 1964, 92). Letztendlich verfolgten aber in der Spielzeit 1953/54 mehr Zuschauer als in jeder anderen Oberligasaison die Partien in den Stadien der DDR. – Dazu BAINGO/HORN, Die Geschichte, 272. Dazu BAINGO/HORN, Die Geschichte, 41.
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eigenen Angaben den Vorstopper wieder ab,67 obwohl diese Position nach seiner Einschätzung von Bedeutung für das erfolgreiche Spiel der Mannschaft aus Sachsen-Anhalt war: „Es war natürlich für mich sehr schwer, in Thales Mannschaft eine Umstellung zu offensiver Spielweise herbeizuführen. Wenn Thale im vorigen Jahr große Erfolge errungen hat, dann nur deshalb, weil damals fast keine Mannschaft auf dieses Spiel mit Vorstopper eingestellt war.“68
Tatsächlich wirkte sich die Rückbesinnung auf das Spiel ohne Vorstopper äußerst negativ auf die Ergebnisse des Kollektivs aus Thale aus. Die Betriebssportgemeinschaft hatte bei Erscheinen des Artikels bereits fünf Punkte Rückstand auf einen Nichtabstiegsplatz.69 Trotz Erfolglosigkeit hielt Thiersfelder an seinem System fest. „Meine Mannschaft wird auch weiterhin das offensive Spiel beibehalten. Sie sieht ebenfalls im Vorstoppersystem einen Stillstand und hofft, dass auch alle anderen Mannschaften aller Klassen ihre Trainingsweise dahingehend ändern, dass wir Fortschritte in unserem Fußball erreichen.“70
Am Ende der Saison stieg die von ihm betreute BSG Stahl Thale mit den wenigsten erzielten Treffern und den meisten Gegentoren bei zwölf Punkten Rückstand auf einen Nichtabstiegsplatz aus der Oberliga ab.71 Da Thiersfelder in der von ihm betreuten Mannschaft im Vergleich zum Vorjahr keine Änderungen in der Stammformation vorgenommen hatte,72 kann man davon ausgehen, dass der Verzicht auf den Vorstopper ein schwer auszugleichender Nachteil gegenüber anderen Sport-Gemeinschaften war, die weiterhin das Doppelstoppersystem anwandten. Der Abschlusskommentar in „Die Neue Fußballwoche“ versuchte, die Ergebnisse der angestrebten Diskussion zusammenzufassen. Dabei beklagte Egon Wallmuth die Schwierigkeit, ein Resümee zu ziehen, „weil der entfachte Meinungsstreit weniger ein wirklicher Meinungsstreit als eine Reihe von Meinungsäußerungen über dieses aktuelle Thema“73 der Fußballentwicklung in der DDR gewesen sei. Kritik übte der Verfasser an den Fußballtrainern „der Spitzenvertretungen“, die es vermieden hatten, Stellung zu beziehen. Als Hauptübel identifizierte er die Angst vor Misserfolgen und die damit einhergehende unzureichende 67
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Die Intention dahinter war seinen Angaben zufolge idealistischer Natur. Zum einen wollte Thiersfelder dazu beitragen „Fortschritte in unserem Fußball zu erzielen“ und zum anderen den „Zuschauern wieder Freude am Fußballspiel [...] geben“ (Diese Spielmethode bedeutet Stillstand, in: FuWo, Nr. 9, 1954, 4). Ebd. Vgl. Oberliga-Tabelle, in: FuWo, Nr. 9, 1954, 5. Diese Spielmethode bedeutet Stillstand, in: FuWo, Nr. 9, 1954, 4. Die BSG Chemie Leipzig erreichte dagegen am Saisonende einen hervorragenden zweiten Tabellenplatz. – Dazu BAINGO/HORN, Die Geschichte, 47. Das war ein Erfolg für beide!, in: FuWo, Nr. 14, 1953, 11; Zu eng gespielt – nur ein Tor erzielt, in: FuWo, Nr. 3, 1954, 7. Es darf keinen Stillstand geben!, in: FuWo, Nr. 10, 1954, 12.
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Weitsicht. Stattdessen sollte verstärkt an den konditionellen Fähigkeiten der Spieler gearbeitet und diese planmäßig gesteigert werden.74 Damit fand die Debatte in „Die Neue Fußballwoche“ ihren Abschluss. Während sich der internationale Fußball zusehends defensiver ausrichtete und die Mannschaften der DDR, die ihre Verteidigung verstärkten, den offensiver agierenden Kollektiven zumeist überlegen waren, lehnten die Fußballfunktionäre der DDR den Vorstopper und damit den Verzicht auf einen fünften Stürmer aus politischen Gründen rigoros ab. Auch wenn der Austausch von Argumenten ausblieb, Jahnsmüllers Initiative schien sich auszuzahlen. Die Mannschaften der DDR-Oberliga wandten sich zunächst75 wieder vom Vorstopper ab.76 Der Eingriff Jahnsmüllers beeinträchtigte damit eine effektive Anpassung an das in der DDR immer noch mehrheitlich praktizierte WM-System. Die ideologisch motivierten Bestrebungen, das Geschehen auf dem Platz auch gegen den Willen der Aktiven zu beeinflussen, setzten sich im DDR-Fußball fort. Wie stark die Widerstände gegen die Verwirklichung der Ideen der Funktionäre sein konnten, verdeutlichen die Probleme bei der Durchsetzung der verbindlichen Spielkonzeption des DFV der DDR Mitte der 1980er Jahre. 4. „Anleitung zur spielerischen Modernisierung“: Die Umsetzung der verbindlichen Spielkonzeption des DFV Als Tendenzen übertriebener Härte und überholter taktischer Instrumente das Spielgeschehen in der höchsten Spielklasse des „Arbeiter- und Bauernstaates“ zusehends bestimmten,77 begann die Leitung des DFV zu realisieren, dass die Überbetonung der athletischen Fähigkeiten den Fußball der Republik in seiner Entwicklung hemmte.78 Die immer deutlicher zu Tage tretenden Mängel79 hatten selbstverständlich Auswirkungen auf die Zustimmung der Bevölkerung. Das ausdrücklich geforderte, moderne und attraktive Spiel, das die Werktätigen des „Arbeiter- und Bauernstaates“ von der Überlegenheit des Sozialismus überzeu74 75
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Ebd. Erst in der Oberligasaison 1959 erlebte der Vorstopper auf dem Platz eine Renaissance. Begleitet wurde er von rhetorischen Fragen wie „Hilft uns dieses System weiter? Hilft es, die vom Deutschen Fußballverband und von der Trainerkonferenz gesteckten Ziele zu erreichen?“ (Der Doppelstopper feierte Auferstehung, in: Neues Deutschland, 9.4.1959, 8). Ergebnis einer stichprobenhaften Untersuchung der Spielberichte in der Fußballzeitschrift „Die Neue Fußballwoche“ der Jahre 1954 bis 1956. Überdies wurde die erfolgreiche BSG Chemie zur neuen Saison im Zuge der Umstrukturierungen im DDR-Fußball aufgelöst und die Spieler unter den neugegründeten Sportclubs Rotation Leipzig und Lokomotive Leipzig aufgeteilt. – Dazu FUGE, Leutzscher Legende, 52. Die Leitung des Deutschen Fußballverbandes der DDR (DFV) bemängelte die als „Pärchenbetrieb“ bezeichnete, übertriebene Manndeckung sowie die auf das „Zerstören“ angelegte Spielweise nahezu aller Mannschaften bis in den Juniorenbereich. – Vgl. Moderne Auffassungen schneller anwenden!, in: FuWo, Nr. 2, 1985, 3. Vgl. BStU – MfS, BV Lpz. AGMS 3663/92 Band 3, 35. Vgl. Attraktiv spielen!, in: FuWo, Nr. 4, 1978, 3.
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gen80 und im besten Fall allwöchentlich begeistern sollte, rückte immer weiter in die Ferne.81 Dies hatte einen merklichen Rückgang der Zuschauerzahlen zur Folge. Das größere Ärgernis für die Funktionäre bestand jedoch in der bis auf wenige Ausnahmen82 nicht mehr gegebenen Konkurrenzfähigkeit im internationalen Vergleich.83 Der sich kontinuierlich öffnenden Schere zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der vom Leistungssport ansonsten so verwöhnten DDR versuchte man durch eine Überarbeitung der Spielidee im Fußball zu begegnen. Der auf das frühzeitige Ausscheiden sämtlicher DDR-Vertretungen in der ersten Europapokalrunde der Saison 1982/8384 folgende sogenannte 2. Fußballbeschluss vom Februar 198385 sollte den „stagnierenden Leistungen“ entgegenwirken und der „jahrelangen Nichterfüllung der gestellten Ziele“ ein Ende bereiten.86 Die Zielstellung des „Beschluss[es] zur weiteren Leistungsentwicklung im Fußballsport der DDR“ war eindeutig. „Mit dem Dokument ist beabsichtigt, diese massenpolitisch wichtigste Sportart dem europäischen Spitzenniveau anzugleichen und die Dominanz des westeuropäischen Profifußballs zu durchbrechen sowie die Massenbeeinflussung der Mil-
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Fußball modern, in: FuWo, Nr. 4, 1976, 12: „Die weltanschauliche Position bildet für uns die Grundlage, um hohe sportliche Leistungen, die heute im Fußball auf einer modernen Spielweise beruhen, zur Stärkung des Ansehens der DDR zu vollbringen. Persönlichkeiten mit einer fortschrittlichen Grundhaltung streben nach einer gleichgelagerten Handlungsweise in allen Lebensbereichen. Damit entsteht auch für die Spieler ein grundlegendes Beziehungsgefüge zwischen Weltanschauung und Spielauffassung. Die fortschrittliche sozialistische Klassenideologie erfordert und bedingt damit grundlegend auch eine moderne Spielweise.“ So sah sich „Die Neue Fußballwoche“ gezwungen, im Rückblick auf das Jahr 1984 zu notieren: „Angesichts der vielen 90-Minuten-Angebote verschlug es kritischen Beobachtern wie Zuschauern die Sprache über einen Fußball, der sich mehr und mehr vom Niveau entfernte.“ (Moderne Orientierung durchsetzen, in: FuWo, Nr. 1, 1985, 5). Der FC Carl Zeiss Jena und Lokomotive Leipzig erreichten 1981 bzw. 1987 jeweils das Finale im Europapokal der Pokalsieger. Vgl. BStU – MfS HA XX 2669, 2: Information zu Fragen der Führung und Leitung des Deutschen Fußballverbandes (DFV) der DDR zur Realisierung der im Beschluss des Präsidiums des DTSB der DDR festgelegten Aufgaben zur Leistungssteigerung im Fußball der DDR. – Das Verpassen der WM-Endrunden 1978 und 1982 sowie der Europameisterschaften 1976, 1980 und 1984 verdeutlichte den Abstand zur fußballerischen Weltspitze, die längst erreicht sein sollte. – Vgl. Archivgut des Deutschen Fußballverbandes der DDR II/2/5. Beschluss: Vorlage für das Sekretariat des Bundesvorstandes des DTSB der DDR, Betreff Einschätzung des Standes der Verwirklichung des Beschlusses des Präsidiums des DTSB der DDR vom 2.2.1983 zur weiteren Leistungsentwicklung im Fußballsport der DDR und des Maßnahmeplanes zum Beschluss zur weiteren Leistungsentwicklung im Fußballsport der DDR; Berlin 03.07.1985, 3. Dazu LESKE, Enzyklopädie, 26. Ebd. BStU – MfS HA XX 2669, 2.
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lionen Fußballanhänger in der DDR im Sinne der sozialistischen Gesellschaftsordnung positiv zu gestalten.“87
Neben gravierenden strukturellen Eingriffen und der Festlegung von verbindlichen Förderquoten für Nachwuchsspieler,88 lag ein Schwerpunkt auf der „Überarbeitung der trainingsmethodischen Grundkonzeption [...] sowie der taktischen Grundkonzeption des DFV der DDR.“89 Die Neujustierung der taktischen Grundbzw. Spielkonzeption war dringend notwendig geworden.90 In einer Vorlage des Fußball-Verbandes hieß es: „Die im wesentlichen unveränderte Nationalmannschaft von 1974 (WM 6. Platz), deren Spielkonzeption nicht der sich im Weltfußball schnell verändernden Spielweise angepasst wurde, konnte sich bereits 1976 nicht mehr für die EM-Endrunde qualifizieren. Der DDR-Fußball geriet zu diesem Zeitpunkt in eine Stagnation. Andere, einschließlich sozialistische Länder, die die neue Entwicklung erkannten und entsprechende Maßnahmen einleiteten, entwickelten sich schneller, so dass der Fußballsport der DDR zurückblieb.“91
Die Spielkonzeption besaß Verbindlichkeit für den Nachwuchs- und Hochleistungsfußball. Ihr lagen der Stand und die Entwicklungstendenzen des internationalen Spitzenfußballs zugrunde.92 Sie sollte durch explizite Angriffs- und Siegorientierung, aggressiv-offensive Abwehrarbeit sowie spielerische Attraktivität gekennzeichnet sein.93 Die generelle Forderung nach Durchsetzung einer eigenen, sozialistischen Spielweise bildete den Schwerpunkt der konzeptionellen Neugestaltung. 87 88 89
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Ebd. LESKE, Enzyklopädie, 26. Archivgut des Deutschen Fußballverbandes der DDR II/2/5. Beschluss: Vorlage für das Präsidium des Bundesvorstandes des DTSB der DDR; Beschluss zur weiteren Leistungsentwicklung im Fußballsport der DDR, Berlin 24.01.1983, 1. DFV-Generalsekretär Karl Zimmermann, in: Unsere Stärke liegt im gemeinsamen Handeln, in: FuWo, Nr. 17, 1983, 6: „In der Analyse, die dem Fußballbeschluss vorausging, wurde klipp und klar betont, dass unser Niveau derzeit nicht einmal mittelmäßigen internationalen Anforderungen standhält und keineswegs den gesellschaftlichen Anforderungen entspricht. […] Was wir derzeit zu bieten in der Lage sind, ist einfach ungenügend.“ Im DFV bestand das Vorhaben, „unsere eigene Konzeption durchzusetzen und uns nicht mehr so stark nach dem Kontrahenten zu richten.“ Archivgut des Deutschen Fußballverbandes der DDR II/2/5. Beschluß: Vorlage für das Präsidium des Bundesvorstandes des DTSB der DDR; Beschluss zur weiteren Leistungsentwicklung im Fußballsport der DDR, Berlin 24.01.1983, 4. – Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ (Nr. 44, 1983, 226) äußerte sich ähnlich: „Aber in diesen Erfolgen lag auch schon die Ursache für neue Pannen. Buschner paukte in Ermangelung guter Stürmer seiner Mannschaft ein Defensivsystem ein. Noch heute wendet die DDR das überholte Mittel der Manndeckung an“. Archivgut des Deutschen Fußballverbandes der DDR XV/95/5: Taktische Grundkonzeption des Deutschen Fußballverbandes der DDR. Ebd., S. 1: „Ideenreiches, schnelles, konstruktives Spiel mit dem Ball und aggressiver Kampf um den Ball bei stetiger Beachtung des Regelwerkes.“
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Die in der Theorie kohärente, neue Orientierung galt es nun, in die Praxis umzusetzen. Auf Auswahlebene (Nationalmannschaft) stellte die Etablierung der überarbeiteten „Taktischen Grundkonzeption“ keine wesentliche Herausforderung dar.94 Weitaus komplexer gestaltete sich die Umsetzung der Spielweise in den Oberligavertretungen.95 Drei Gründe erschwerten eine „effektive“ Anleitung zur spielerischen Modernisierung. Neben Vorbehalten gegenüber den amtierenden Leitungskadern des DFV96 und methodischen Unzulänglichkeiten bei der Vermittlung der taktischen Grundkonzeption hemmten vor allem Club- und Bezirksegoismen die einheitliche Durchsetzung der vorgegeben Spielidee.97 Der DFV bemängelte die fehlende „ideologische Klarheit darüber, dass das Ansehen des DDR-Fußballs nur an seinen internationalen Ergebnissen gemessen wird.“98 Durch „territoriale Forderungen wie Platzierungen in der Meisterschaft und Klassenerhalt“99 beeinflusst, zeigten die Trainer der Oberligisten „eine nicht ausreichende Bereitschaft, die Taktische Grundkonzeption des DFV als Grundlage für die eigene Spielkonzeption zu nutzen und anzuwenden.“100 94
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Mit Bernd Stange hatte die Leitung des DFV im Herbst 1983 einen jungen Absolventen der Deutschen Hochschule für Sport- und Körperkultur für das Amt des Verbandstrainers gewonnen. Er galt als Kader, „welcher die moderne, angriffsorientierte Spielweise durchzusetzen versucht“, seine „diesbezüglichen theoretischen Auffassungen“ wurden offiziell und inoffiziell als positiv eingeschätzt (BStU – MfS HA XX 2669, 2). – Bei der Umsetzung der vorgegebenen spielkonzeptionellen Änderungen kam ihm zudem entgegen, „dass die ganze Mannschaft hinter ihm steht und ihm in seinen Festlegungen und Maßnahmen voll vertraut.“ (BStU – MfS 9351/86 Bd. I,135: Einschätzung des VT Stange, Bernd durch IMS „Rolf Röpke“, Treff vom 27.04.1984). Es wird eingeschätzt, dass „die Durchsetzung richtiger Festlegungen in den Klubs nicht mit der notwendigen Effektivität erfolgt, seitens der Leitungskader mitunter auch die erforderliche Konsequenz fehlt und das bezirks- bzw. klubegoistische Verhalten einiger Funktionäre der SED-Bezirksleitungen, der Bezirksvorstände des DTSB und der Fußballklubs den Festlegungen des Fußballbeschlusses zuwiderläuft.“ (BStU – MfS, HA XX ZMA 51014,178: Informationen zur Lage im Fußballverband der DDR). Diese richteten sich hauptsächlich gegen den DFV-Generalsekretär Karl Zimmermann, dem als „fußballfremdem“ Funktionär die Akzeptanz der Funktionsträger der Oberliga fehlte, sowie gegen DFV Cheftrainer Dieter Fuchs, der aufgrund seiner Vergangenheit als Interessensvertreter des BFC Dynamo angesehen und daher weitestgehend gemieden wurde (BStU – MfS HA XX 2669, 4f.). Aufgrund mangelnder Erfahrung mit der modernen Spielweise kam es zwangsläufig zu methodischen Schwächen beim Training derselben (ebd., 2). „Unsicherheiten bei der Vermittlung und Umsetzung der kombinierten Mann-Raum-Deckung führten dazu, dass an der herkömmlichen Manndeckung, die den momentanen Erfolg erstmals eher garantiert, zum Teil festgehalten wird.“ (Archivgut des Deutschen Fußballverbandes der DDR II/2/5.Vorlage für das Sekretariat des Bundesvorstandes des DTSB der DDR, 5). Archivgut des Deutschen Fußballverbandes der DDR II/2/5. Vorlage für das Sekretariat des Bundesvorstandes des DTSB der DDR, 5. Ebd. BStU – MfS HA XX 2669, 9: „Von auf dem Gebiet des Fußballsports ernstzunehmenden Trainern und Funktionären wird verschiedentlich die Meinung vertreten, dass eine moderne Spielauffassung im Fußball gewisse Risiken mit einschließt, die unter Umständen bis zur Niederlage im jeweiligen Spiel führen können.“
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Darüber hinaus artikulierten einige Oberligatrainer ganz offen ihre Zweifel am Vorhaben der Verbandsleitung. Dabei führten sie die spezifischen Eigenheiten des DDR-Fußballs an, die nach ihrer Einschätzung die Umsetzung der Konzeption unmöglich machte. Im DFV interpretierte man die geäußerten Einwände allerdings als Ausdruck der bestehenden Hemmnisse: „Auf der Clubtrainerberatung in Berlin war [...] bei einigen Clubtrainern festzustellen, dass diese am eingeschlagenen Weg zweifeln. Sie argumentieren, dass die DDR nur einen statischen, kraftbetonten Fußball spielen kann. Offensivfußball liegt uns nicht und hat damit für die DDR auch keine Perspektive. Diese Diskussion belegt, dass in einigen Clubs die Konzeptionen des Verbandes nicht durchgesetzt werden und die Trainer nur ihren Clubfußball sehen. Gleichzeitig zeigte sich aber auch, dass einige Trainer noch keine Klarheit zum Problem der Raum-Mann-Deckung haben und damit auch keine konsequente Ausbildung in den Clubs erfolgt.“101
So oblag es der Nationalmannschaft, die Richtigkeit der politisch-ideologisch verbindlich gemachten Spielkonzeption unter Beweis zu stellen. Die Ergebnisse boten allerdings ein eher ambivalentes Bild.102 Auch im Jahr 1985 mühte sich das DDR-Auswahlkollektiv zunächst, spielerische Verbesserungen „für den Zuschauer sichtbar zu machen“.103 Teilweise fand es „mit ihrer Art und Weise zu spielen, bei den Zuschauern Anerkennung“, doch entsprechende Ergebnisse blieben weiterhin aus. Nach drei Partien der Qualifikationsrunde zur Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko stand die ostdeutsche Vertretung mit 2:4 Punkten bereits mit dem Rücken zur Wand. Dabei hatte man sich sehr viel mehr Ertrag erhofft.104 Währenddessen konstatierte „Die Neue Fußballwoche“ in der Oberliga statt „Mut zum Risiko“ und „Hinwendung zu einer offensiven Spielweise, aggressiven Spielweise“ weiterhin nur „Abwartehaltung und Pärchenbetrieb“,105 also übertriebene Manndeckung.106 Der DDR-Fußball bot im Frühjahr 1985 ein überaus bescheidenes Bild und bewegte sich auf seinen vorläufigen Tiefpunkt zu. Die 0:1 Auswärtsniederlage gegen die bulgarische Auswahl bedeutete „das prakti-
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BStU – MfS, HA XX 2669, 83: Informationen zur gegenwärtigen Situation im DFV der DDR. Dass etwaige Fortschritte des DDR-Fußballs differenzierter betrachtet wurden und dabei auch das spielkulturelle Auftreten in die Bewertung einfloss, kam Auswahltrainer Bernd Stange zu Gute. „Trotz der Niederlage gegen Jugoslawien in der WM-Qualifikation herrscht im DFV eine optimistische Haltung zur Qualifikationsrunde. Es wird eingeschätzt, dass es ein gutes Spiel war, das die Fortschritte unseres Fußballs unter Beweis stellte.“ (BStU – MfS HA XX 2669, 83: Informationen zur gegenwärtigen Situation im DFV der DDR). Festigen der Harmonie steht vor dem Probieren, in: FuWo, Nr. 4, 1985, 8. So äußerte Bernd Stange selbstkritisch: „wir versprachen uns einen erfolgreicheren Start, sagen wir 4:2 Punkte. Dieses Ziel war realistisch“ (Festigen der Harmonie steht vor dem Probieren, in: ebd.). Ebd. Dazu oben Anm. 77.
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sche Scheitern“107 der Qualifikation für die WM-Endrunde 1986. Auch keine zwei Wochen später beim knappen Erfolg der Nationalmannschaft im Freundschaftsspiel gegen Norwegen blieb noch „zu viel an der spielerischen Leistung der DDR-Elf auszusetzen.“108 Die offengelegten Mängel wurden verstärkt auf das Geschehen in der höchsten Spielklasse der DDR zurückgeführt,109 in der sich die moderne Spielkonzeption noch immer nicht durchsetzen ließ.110 Als sich die Auswahl der DDR beim freundschaftlichen Vergleich gegen Dänemark in Kopenhagen schließlich deklassieren ließ,111 stellte das Ministerium für Staatssicherheit seitens des Generalsekretariats des DFV erstmals „Zweifel an der Richtigkeit einiger Festlegungen des Fußballbeschlusses“ fest. Dabei wurde sogar in Betracht gezogen, „einige Festlegungen wieder zu verändern.“112 Zu offensichtlich waren die Mängel der DDR-Elf. „Diesem Spielrausch des Gastgebers konnte die DDR-Elf bis auf wenige Phasen, als eine optische Gleichwertigkeit erreicht wurde, nichts annähernd Gleichwertiges entgegensetzen. [...] Wenn unsere, zumindest in den Oberligaspielen als schnell geltenden Akteure Nachteile in der Beschleunigung aufweisen, wenn, was noch viel wichtiger ist, taktisch veraltetes Denken und ein leicht ideenloser, oft nur aus Sicherheits-Abspielen bestehender Spielaufbau dem Kontrahenten keinerlei Schwierigkeiten bereiten, dann sind damit nur die auffallenden Schwächen unserer Mannschaft, wohl unseres gesamten Fußballs angerissen.“113
Statt als Vorreiter der fußballerischen Entwicklung der DDR wahrgenommen zu werden, erfasste „eine allgemeine Ratlosigkeit und Enttäuschung“ die Verantwortungsträger der Nationalelf.114 107 108 109
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Trotz Erfolg bleiben viele Fragen offen, in: FuWo, Nr. 17, 1985, 8. Ebd. Ebd.: „Denn die Nationalmannschaft kann nur […] das Spiegelbild des Oberligalltags sein. Wer an Festtage bei Länderspielen ohne solide Grundlage glaubt, geht an harten Realitäten vorbei.“ Vgl. BStU – MfS HA XX 2669, 104: Hinweise zur Situation in der Leitung des DFV der DDR. Das Spiel gewinnt die Nationalmannschaft Dänemarks deutlich mit 4:1. Josef Piontek, der Trainer der dänischen Auswahl äußerte sich nach dem Spiel wie folgt: „Mit unseren Tempowechseln bekam die DDR-Mannschaft, deren Aktionen viel zu leicht durchschaubar sind, große Probleme. Im Spiel zeigten sich deutlich die unterschiedlichen Auffassungen zum Fußball. Während wir […] um Unterhaltung bemüht waren, hat die DDRAuswahl vor allem hart gearbeitet.“ (Ein Abend zum Nachdenken, in: FuWo, Nr. 20, 1985, 8). BStU – MfS HA XX 2669, 113: Anlage zum Treffbericht vom 10.05.85 mit IMS „Michael Hirsch“. Ein Abend zum Nachdenken, in: FuWo, Nr. 20, 1985, 8. Darüber hinaus traten nun auch Erosionen im Spielerkollektiv auf, die sich beim Abschlussessen äußerten. „Hier saßen jeweils die Spieler des BFC, Dynamo Dresden und 1. FC Lok Leipzig zusammen“. Carsten Sänger dagegen, der einzige Akteur der keiner der drei Mannschaften angehörte, „saß abseits und kam sich ziemlich verlassen vor.“ Nach Einschätzung Bernd Stanges übertrugen sich folglich „die Probleme der clubego-
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Das wahre Ausmaß der Krise sollte sich jedoch erst einen Monat später im Heimspiel gegen Luxemburg offenbaren. Der 3:1-Erfolg gegen den bis dahin punkt- und torlosen Tabellenletzten der WM-Qualifikationsgruppe 4 zeigte die ganze Dimension der spielerischen Unzulänglichkeiten auf. Gegen den „unterklassigen Konkurrenten“ reichte es eine Halbzeit lang zu Ansätzen „einer durchdachteren Spielweise“ als in den Partien zuvor. Doch nach dem Seitenwechsel mündete der „Kombinationsfußball der ersten Halbzeit […] in Schematismus und erschreckende Einfallslosigkeit.“115 Trotz einer 3:0-Führung zur Pause und eines eingespielten Kollektivs prägten Berechenbarkeit und eine große Zahl individueller Schwächen die Aktionen des Favoriten. Das Spiel der DDRNationalmannschaft „war, wieder einmal, in einfallsarme Trostlosigkeit verfallen“116 und die „Tragfähigkeit“ der taktischen Grundkonzeption wurde in „Die Neue Fußballwoche“ erstmals öffentlich angezweifelt.117 Im Sommer 1985 war schließlich der Punkt erreicht, an dem sich der DDRFußball nicht mehr schlechter hätte präsentieren können.118 Er hatte international den Anschluss verloren und auf nationaler Ebene bestimmten konsequente Manndeckung119 und übersteigerte Härte120 das Bild des Leistungsfußballs. Es zeigte sich, dass die seit Wirksamwerden des Fußballbeschlusses bestehenden
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istischen Verhaltensweisen in den Bezirken“ auf das „Verhältnis der Spieler untereinander“ (BStU – MfS HA XX 2697, 62). Ruhe, Ballsicherheit schwanden zusehends, in: FuWo, Nr. 21, 1985, 6. Ebd. Auch diesmal drängen sich Fragen auf, in: FuWo, Nr. 21, 1985, 4: „Die Tragfähigkeit unserer taktischen Grundkonzeption ist international nicht ausreichend, das bewies selbst ein unterklassiger Kontrahent wie Luxemburgs Auswahl. Sie erweist sich als nicht tragfähig, weil unsere Akteure in den wöchentlichen Meisterschaftsspielen mit ihr sehr selten konfrontiert werden.“ BStU – MfS BV Lpz. AGMS 3663/92 Band 3, 133: Treffbericht GMS „Arno“, 12.06.1985: „Im DDR-Fußball sei der Tiefpunkt der Sohle erreicht. Weiter runter könne es nicht mehr gehen. Neben der Erfolgslosigkeit der NM komme nun noch eine Zerstrittenheit und Uneinheitlichkeit der Meinungen im Verband hinzu, so dass der Missstand perfekt ist.“ – Während der „Berichterstattung vor dem Büro des DFV“ infolge der „schlechten Leistungen der Nationalmannschaft gegen Norwegen, Dänemark und Luxemburg“ äußerte sich Bernd Stange dahingehend, dass eines der wesentlichen Probleme darin bestehe, „dass die Mannschaft kein geschlossenes Kollektiv ist. […] In der NM zeichnet sich immer deutlicher eine Grüppchenbildung entsprechend der Zugehörigkeit zu den jeweiligen Clubs ab. Die Voreingenommenheit der Spieler eines Clubs gegen die Spieler der anderen Clubs (BStU – MfS HA XX 2669, 117: Anlage zum Treffbericht vom 03.06.85 mit IMS „Rolf Röpke“). Identifikation mit dem Fußball, in: FuWo, Nr. 25, 1985, 4: „Die Klammer des Pärchenbetriebs saß fest“. Identifikation mit dem Fußball, FuWo, Nr. 25, 1985, 3: „Die Neue Fußballwoche“ registrierte mit 471 gelben Karten in der Spielzeit 1984/85 eine „Verwarnungsflut noch nie dagewesenen Ausmaßes“.
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Hemmnisse auch bis zum Sommer des Jahres 1985 nicht ausgeräumt werden konnten.121 Doch statt die verbindliche Spielkonzeption an die Gegebenheiten der Oberliga anzupassen, was gewiss als Rückschritt hätte aufgefasst werden können, oder eine Neubesetzung des Amtes des Auswahltrainers zu forcieren,122 vollzog der DFV einen radikalen Umbruch auf Oberligaebene. Mit Beginn der Spielzeit 1985/86 wurden mehr als der Hälfte der Oberligisten neue Cheftrainer zugeteilt.123 In der Folge stellte sich eine relative Verbesserung des in der Oberliga dargebotenen Fußballs ein, wovon letztendlich auch die Nationalmannschaft profitieren konnte.124 Eine Verstetigung der gezeigten Leistungen auf Auswahlebene stellte sich jedoch nicht ein, wofür die Fußballfunktionäre den Rückfall des Oberligaspielbetriebs in alte Muster als hauptursächlich ansahen.125 5. „Zwischen Ideologie und Tugenden“: ein vorläufiges Fazit Der Fußball der DDR wurde von Beginn an von einem ideologischen Moment begleitet, das in Praxis und Organisation der populärsten Sportart eingriff, aber auch darüber hinaus reichte. Vor allem in der Anfangszeit beeinträchtigte die „weltanschauliche Position“ im „Arbeiter- und Bauernstaat“ auch die Spielweise dahingehend, dass ideologische Vorbehalte auf Funktionärsebene eine Moderni121
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BStU – MfS HA XX ZMA 51014, 178: Analyse des Fußballbeschlusses durch den DFV an den DTSB vom 17.05.1985: „Die nationale Meisterschaft wird von den Klubs und den territorialen Leitungen absolut überbewertet, sie erfährt Vorrangigkeit gegenüber der Nationalmannschaft.“ Tatsächlich stand Bernd Stange unter Beobachtung. „Ihm wurde gesagt, dass er in der Vergangenheit viel geredet hat und nun endlich anfangen muss, etwas zu tun. […] Trotz der bestehenden Probleme und Schwierigkeiten ist eine Veränderung der Position nicht vorgesehen.“ (BStU – MfS HA XX 2669, 117). Bei sieben Oberligisten kam es zu einer Neu- bzw. Umbesetzung des Trainerpostens (vgl. Trainerfazit nach Abschluss der Oberligasaison 1984/85, in: FuWo, Nr. 24, 1985, 8f.; Trainerfazit der 1. Halbserie der Saison 1985/86, in: FuWo, Nr. 52, 1985, 8f.; BStU – MfS HA XX 2669, 117: Anlage zum Treffbericht vom 03.06.85 mit IMS „Rolf Röpke“. – Eher beiläufig kommentierte „Die Neue Fußballwoche“ den massiven Eingriff durch den DFV: „Der Leitung des DFV der DDR mangelte es nicht an Aktivitäten, an Strukturveränderungen, an weiter ausgeformten Wettkampfmöglichkeiten für den Nachwuchs-, Männer- und Frauenfußball, an initiierten Trainerwechseln, nicht um der bloßen Rotation willen, vielmehr mit der Vorstellung, Trainingsprozesse zu beleben, individuelle und kollektive Verbesserungen auszulösen.“ (Identifikation mit dem Fußball, in: FuWo, Nr. 25, 1985, 4). Zwischen dem 18. Mai 1985 und 19. Februar 1986 beeindruckte die DDR-Auswahl mit einer Serie ungeschlagener Spiele (sieben Siege und ein Unentschieden). Vgl. QUERENGÄSSER, Fußball, 225–229. Dabei überzeugte sie auch seit Langem wieder fußballerisch, was sich auch anhand der Rezeption der Spiele in der westdeutschen Presse widerspiegelte (vgl. BStU – MfS HA XX 221). Vgl. u.a. Der Weg nach oben erfordert noch mehr Taten, in: FuWo, Nr. 52, 1986, 3f.; Anspruch basiert auf Arbeit, in: FuWo, Nr. 52, 1987, 3f.
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sierung aus der Eigendynamik des Fußballs heraus zunächst unterbanden, wie die Diskussionen um den Doppelstopper zeigen. Darüber hinaus strebten die Sportfunktionäre der DDR eine bewusste Ausrichtung am Beispiel der Sowjetunion an. Doch auf dem Spielfeld löste sich der Fußball nie vollständig von tradierten „deutschen“ Tugenden wie Disziplin, Opferbereitschaft, Fleiß, maskuline Härte und Kampf.126 Diese Merkmale prägten das Bild des DDR-Fußballs nach innen und außen und halfen zumindest temporär, die „individuellen technisch taktischen und spielkulturellen Rückstände gegenüber der Weltspitze“127 zu kompensieren. Dass sich Teile der Akteure im Fußball dieser Tatsache bewusst waren, belegen die Versuche, einen eigenen Stil zu entwickeln, der zwar die jeweils aktuellen Entwicklungstendenzen des Fußballs berücksichtigen, gleichzeitig aber auch an die „speziellen Besonderheiten“ des ostdeutschen Spielermaterials angepasst werden sollte.128 Die Spielweise im ostdeutschen Fußball befand sich in Anbetracht ideologischer Zwänge demnach in einem Spannungsfeld zwischen sozialistischer Ideologie und „deutschen Tugenden“. Vermochten es die Funktionäre in der Phase des Aufbaus noch vereinzelt, das Spiel in die gewünschten Bahnen zu lenken, zeigte sich der Fußball gegen Ende der DDR aufgrund von Partikularinteressen weitestgehend immun gegenüber den Steuerungsversuchen. Lediglich auf Auswahlebene gelang es den Funktionären des DFV, geplante Vorhaben verlässlich umzusetzen. Der Pragmatismus in der Oberliga, der sich in der Fokussierung auf kurzfristige Erfolge im Spielbetrieb ausdrückte, erschwerte dagegen die Durchsetzung der politischen Vorgaben ganz enorm. Entgegen dem Wunsch des nationalen Verbandes konnte der DDR-Fußball nur wenig zur außenpolitischen Akzeptanz der DDR beitragen. Lediglich Mitte der 1970er Jahre entsprachen die Leistungen dem angestrebten Niveau. Doch insbesondere diese Erfolge führten zur Stagnation der spielkonzeptionellen Entwicklung, die sich auf die Leistungsfähigkeit der Akteure in Anbetracht der stetigen Modernisierung des internationalen Fußballs zwangsläufig negativ auswirken musste. Aufgrund der „Binnenstruktur“129 des DDR-Fußballs mangelte es zudem an innovativen Impulsen, wie es sie unter anderem in der BRD gab. Folglich „dämmerte“ der Fußball „vor sich hin“ und wurde so „ein exaktes Spiegelbild der Gesellschaft“,130 in der die planwirtschaftliche Lenkung nicht nur des Fußballs, sondern auch anderer Kulturbereiche scheiterte. Die in diesem Beitrag diskutierten Kontroversen über Strategien des Fußballspiels hatten jeweils eine militaristische, eine völkisch-rassistische und eine parteipolitische Interpretation des aus England stammenden WM-Systems fokussiert
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Welche nach Gunter Gebauer zu den charakteristischen Eigenschaften der Spielweise deutscher Mannschaften gehörten. – Dazu GEBAUER, Das deutsche Fußballtheater, 121. VETTER/SIMON, 1971–1974, 180. Dazu u.a. Das Jahr der Sichtung, in: FuWo, Nr. 8, 1958, 3. DIECKMANN, Interview. WILLMANN, Wie alles anfing, 101.
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bzw. dessen defensive Auslegung mit Doppelstopper. Zugleich ging es um die praktischen Konsequenzen, die aus diesen Deutungen gezogen werden sollten. Setzten sich die Befürworter des offensiven „Blitzkrieg“-Fußballkonzepts in der NS-Zeit, wenn auch erfolglos, die Beseitigung des WM-Systems zum Ziel, so klammerten sich restaurative, völkische Kräfte im franquistischen Spanien an die „Furia Española“, die sie dem internationalen Trend zu einem taktisch rationaleren Fußballspiel entgegensetzten, wiederum ohne Erfolg. Als ebenso wirkungslos und zudem destruktiv erwiesen sich jene Initiativen von Sportfunktionären in der DDR, die dem defensiven Oberligafußball ein zum revolutionären Elan des SED-Sozialismus vermeintlich besser passendes Offensivspiel vorschreiben und das Spiel der Nationalmannschaft transformieren wollten. Diese drei Initiativen, bei denen es sich um seltene Fälle einer direkten politischen Einflussnahme von Diktaturen auf das Spiel mit dem runden Leder handelte, sind gescheitert. Sie belegen eindringlich den „Eigensinn“ des Fußballsports, der sich nicht in der Art und Weise auf eine parteipolitische Linie bringen lässt, wie von den Ideologen intendiert – es sei denn um den Preis der Beschädigung oder Zerstörung des Spieles selbst. Quellen und Literatur Quellen Archiv des Nordostdeutschen Fußballverbandes (NOFV) – Archivgut des Deutschen Fußballverbandes der DDR II/2; XV/95 Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen – Ministerium für Staatssicherheit (BStU – MfS) – BV Lpz. AGMS 3663/92 Band 3. – HA XX 221 – HA XX 2669 – HA XX 2697 – HA XX ZMA 51014 – 9351/86 Bd. I
Periodika Der Spiegel. Die Neue Fußballwoche. Organ der Sektion Fußball der Deutschen Demokratischen Republik. Neues Deutschland. Organ des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands.
Literatur ACKERMANN, JÜRG: Zwischen politischer Instrumentalisierung und Eskapismus. Der spanische Fußball während des Zweiten Weltkriegs, in: MARKWART HERZOG/FABIAN BRÄNDLE (Hrsg.), Europäischer Fußball im Zweiten Weltkrieg, Stuttgart 2015, 111–128. ALTENDORFER, OTTO: Die Fußball-Nationaltrainer der DDR zwischen SED und Staatsicherheit, Leipzig 2014.
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Autoren und Herausgeber DR. BERNO BAHRO, Universität Potsdam JOHANNES MARTIN HANF, Diplom Kulturpädagoge, Universität Leipzig. DR. NILS HAVEMANN, Universität Stuttgart. STEFAN HEBENSTREIT, Dipl.-Politologe, Frankfurt am Main/Innsbruck. DR. MARKWART HERZOG, Schwabenakademie Irsee. MAG. DR. WALTER M. IBER, Universität Graz und Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung, Graz. ANTON LÖFFELMEIER, M.A., Stadtarchiv München. ANDREAS MAU, M.A., Universität Halle. DR. ALAN MCDOUGALL, University of Guelph, Canada. PROF. DR. JÜRGEN MITTAG, Deutsche Sporthochschule Köln. DR. HERMANN QUECKENSTEDT, Diözesanmuseum Osnabrück. DR. BERND REICHELT, Dipl.-Kulturwissenschaftler, ZfP Südwürttemberg/Ravensburg, Universität Ulm. THOMAS URBAN, Süddeutsche Zeitung, Madrid. DIANA WENDLAND, M.A., Deutsche Sporthochschule Köln. DR. RENÉ WIESE, Zentrum deutsche Sportgeschichte, Berlin. DR. STEFAN ZWICKER, Universität Bonn.
Abkürzungen AdStV AGM AGMS AHS AKS ASFA ASVÖ ATB ATSB ATV BArch BayHstA BC BDF BdM BGB BGBl BHE BLHA BSG BSK BStU BSV BV Lpz CdZ CIO ČsAF ČSF ČsSF ČSR CSF CuLDA CVJM DAF DFB DFBA DFC
Archiv des Steirischen Fußballverbandes Amtsgericht München archivierte GMS-Akte Adolf-Hitler-Schule Amatorski Klub Sportowy Association Suisse de Football et d‘Athlétisme Allgemeiner Sportverband Österreich Arbeiterturnerbund Arbeiter-Turn- und Sportbund Akademischer Turnverein Bundesarchiv Berlin Bayerisches Hauptstaatsarchiv Ballspiel-Club Bund Deutscher Firmensportverbände Bund deutscher Mädel Bundesgesetzbuch Bundesgesetzblatt Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten Brandenburgisches Landeshauptarchiv Betriebssportgemeinschaft Beogradski Sport Klub (Belgrader Sportclub) Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen Birmarkhütter Sportvereinigung/Bismarkhütter Sportverein Bezirksverband Leipzig Chef der Zivilverwaltung Comité International Olympique Československá Asociace Footballová (Tschechoslowakische Fußballassoziation) Český svaz footballový (Tschechischer Fußballverband) Československý svaz footballový (Tschechoslowakischer Fußballverband) Československá Republika, Čechoslowakische bzw. Tschechoslowakische Republik Tschechischer Fußballverband Carl und Liselott Diem-Archiv, Sporthochschule Köln Christlicher Verein Junger Männer Deutsche Arbeitsfront Deutscher Fußball-Bund Deutscher Fußball-Bund, Archiv, Frankfurt am Main Deutscher Fußball-Club
Abkürzungen
DFK DFV DHFK DJ DJK DKP DÖW DRA DRFL/DRfL DRL DS DSB DTSB DTSG DTV DVG EWK FA FACR FAD FC FCB FCK FCN FCS FCW FDGB FDJ FIFA FK FL FRG FSV FT FTM FV FVW GAK GDR Gestapo GMS GG GSC
459 Deutscher Fußball-Klub Deutscher Fußball-Verband (in Böhmen bzw. der ČSR)/ Deutscher Fußballverband der DDR Deutsche Hochschule für Körperkultur Deutsches Jungvolk Deutsche Jugend-Kraft Deutsche Kommunistische Partei Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands, Wien Deutscher Reichsausschuss für Leibesübungen Deutscher Reichsbund für Leibesübungen Deutscher Reichsbund für Leibesübungen Deutscher Sportausschuss Deutsche Sportbrüder Deutscher Turn- und Sportbund Deutsche Turn- und Sportgemeinschaft Deutscher Turnverband (in der Tschechoslowakei) Deutsche Volksgemeinschaft Einwohnermeldekartei Football Association Tschechischer Fußballverband Freiwilliger Arbeitsdienst Fußball-Club/Fußballclub FC Bayern München 1. FC Kaiserslautern 1. FC Nürnberg 1. FC Saarbrücken FC Wacker München Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Freie Deutsche Jugend Fédération Internationale de Football Association Fußball-Klub/Fußballklub Football League Federal Republic of Germany Fußballsportverein Freie Turnerschaft Freie Turnerschaft München Fußball-Verein/Fußballverein Fußball-Verein Wiesenthalerhof Grazer Athletiksport-Klub German Democratic Republic Geheime Staatspolizei Gesellschaftlicher Mitarbeiter für Sicherheit Generalgouvernement Grazer Sportklub Straßenbahn
460 GSV gvh HA HJ HSV IOC KdF KFK KG KPD kv KVG LA LSA LSV MfS MNN MSV MTSV MTSK MZ NA NNW NM NOFV NS NSDAP NSKK NSRL NSTG ÖFV ÖStA/AdR ÖSTF OKH OKW OTV Pg POW PZPN RAD RAG RDF
Abkürzungen
Grazer Sportvereinigung garnisonsverwendungsfähig Hauptamtlicher Mitarbeiter Hitlerjugend Heeressportverein/Hamburger Sport-Verein International Olympic Committee Kraft durch Freude Karlsbader Fußballklub Kampfgemeinschaft Kommunistische Partei Deutschlands kriegsverwendungsfähig Kriegsverbrechergesetz Landesarchiv Landessportausschuss Luftwaffensportverein Ministerium für Staatssicherheit Münchner Neueste Nachrichten Militärsportverein Männer-Turn- und Sportverein Männer-Turn- und Sportverein Kaiserslautern Metzer Zeitung Národní archiv Prag (Nationalarchiv Prag) SV Norden-Nordwest 1898 Nationalmannschaft Archiv des Nordostdeutschen Fußballverbandes Nationalsozialismus Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps Nationalsozialistischer Reichsbund für Leibesübungen Nationalsozialistische Turngemeinde Österreichischer Fußballverband Österreichisches Staatsarchiv/Archiv der Republik, Wien Österreichische Sport- und Turnfront Oberkommando des Heeres Oberkommando der Wehrmacht Osnabrücker Turnverein Parteigenosse Prisoner of War Polski Związek Piłki Nożnej (Polnischer Fußballverband) Reichsarbeitsdienst Reichsarbeitsgemeinschaft der Behörden und FirmenSportvereine Deutschlands Reichsverband Deutscher Firmensportverbände
Abkürzungen
RfL RGBl SA Sa/B SASI SATUS SBZ SC SD SdA SED SFLV SFV SG sid SK SLL SMAD SOPADE SPD Spk SpVgg SS StaatsAM StadtAFü StadtAKL StadtAN Stako STIKO/Sitko StLA SV SVM TFK TSG TuS TV u.k. UŘP UWG VAFÖ VASF VBB
461 [Deutscher/Nationalsozialistischer] Reichsbund für Leibesübungen Reichsgesetzblatt Sturm-Abteilung Sachakten/Briefe Sozialistische Arbeiter-Sport-Internationale Schweizerischer Arbeiter-Turn- und Sportverband Sowjetische Besatzungszone Sport-Club/Sportclub Sicherheitsdienst Sudentendeutsches Archiv Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Süddeutscher Fußball- und Leichtathletikverband Schweizerischer Fußballverband Sport-Gemeinschaft/Sportgemeinschaft/Sportgruppe Sportinformationsdienst Sportovní Klub (Sportklub) Schweizerischer Landesverband für Leibesübungen Sowjetische Militäradministration in Deutschland Sozialdemokratische Partei Deutschlands (in den Exiljahren) Sozialdemokratische Partei Deutschlands Spruchkammerakten Spielvereinigung Sturm-Staffel Staatsarchiv München Stadtarchiv Fürth Stadtarchiv Kaiserslautern Stadtarchiv Nürnberg Staatliches Komitee für Körperkultur und Sport Stillhaltekommissar für Organisationen Steiermärkisches Landesarchiv Sport-Verein/Sportverein Sport-Verein 1912 Morlautern Teplitzer Fußballklub 03 Turn- und Sportgemeinde/Turn- und Sportgemeinschaft Turn- und Spielvereinigung Turnverein unabkömmlich Úřad řisského protektora (Behörde des Reichsprotektors) Unabhängige Wählergemeinschaft Vereinigung der Amateurfußballvereine Österreichs Vereinsarchiv Spielvereinigung Fürth Verband Berliner Ballspielvereine
462
Abkürzungen
UB
Urząd Bezpieczeństwa (Polnischer Gemeinpolizei/Amt für Staatssicherheit) Union of European Football Associations Verband Brandenburgischer Ballspielvereine Verband deutscher Sportjournalisten Verein für Leibesübungen Verein für Rasenspiele Vereinsregister Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht, Berlin (1939 gegründet als Wehrmachtauskunftstelle für Kriegerverluste und Kriegsgefangene) Wiener Stadt- und Landesarchiv Zentrale Materialablage
UEFA VBB VDS VfL VfR VR WASt
WStLA ZMA
Personenregister –A– Adelung, Bernhard: 249 Adenauer, Konrad: 190 Allbrecht, Carl: 187 Alles, Ludwig: 149 Amesmaier, Richard: 56, 87f. , 92, 105 Arnold, Bruno: 131 Assmy, Horst: 408 Avermann, Bernhard: 285, 287, 293
–B– Bähr, Jakob Karl: 152, 155–160, 163f. Ballack, Michael: 428 Bass, Eduard: 321 Bauer, Albert: 51f. Bauwens, Peter Joseph „Peco“: 19, 291, 415 Beckenbauer, Alfons: 53 Beckerle, Adolf Heinz: 191 Behr, Ludwig: 64 Behrendt, Helmut: 400 Beichel, Reinhold: 323 Bensemann, Walther: 426 Berger, Jörg: 428 Bernau, Johannes: 130 Berning, Wilhelm: 263f., 271, 280, 284, 292 Bersarin, Nikolai Erastowitsch: 386 Best, Werner: 252 Beyer, Willi: 345 Bican, Josef „Pepi“: 336 Bismarck, Otto von: 277 Blank, Eugen: 149 Boll, Stadtkommandant: 349 Boos, Willi: 388 Borger, Philipp: 254–257 Botzler, Otto: 60 Branzke, Lothar: 441 Braun, Willi: 424, 426
Bremer, Werner: 158 Brüll, Heinz: 406 Brüning, Heinrich: 28, 249 Buchholz, Gerhard: 407 Bucholtz, Engelbert: 268f., 288, 293 Büdinger, Adam: 258 Büdinger, Manfred: 259 Budniok, Alojzy: 306 Bürckel, Josef: 138, 154, 156, 158, 163f., 185, 193, 346, 348, 353 Bürgmeier, Johann: 64f. Buschner, Georg: 446 Buttmann, Rudolf: 286
–C– Chapman, Herbert: 434 Chlad, Robert: 52 Christ, Franz Josef: 253 Coressel, Otto: 141, 143, 145f., 148, 150–152, 180f. Cyganek, Paweł: 312
–D– Damian, Oswald: 184 Damm, Ludwig: 154f. Decker, Paul: 401, 406 Delius, Walter: 305 Deutsch, Johannes: 274, 278f. Diem, Carl: 82, 176 Dienstleder, Alois: 371 Dollfuß, Engelbert: 363f. Dombi, Richard: 84 Dose, Heinz: 400 Dotterweich, Peter: 248 Dreyer, Heinrich: 326 Dürrfeld, Ernst: 141, 143, 148–150, 153, 160f.
Personenregister
464 –E– Ebenböck, Fritz: 55 Eckert, Walter: 259 Eckert, Wilhelm: 248, 260 Eder, Hans: 404 Eichengrün, Paul: 78 Elser, Johann Georg: 100 Erbach, Wilhelm: 33 Ewald, Manfred: 416, 419
–F– Fabian, Robert: 380 Fanta, Josef: 322 Felsburg, Emil: 347 Fiedler, Karl: 377 Fiedler, Werner: 401 Fiehler, Karl: 54, 61 Fischer, Ludwig: 380 Flierl, Paul: 45 Förg, Willy: 164 Forster, Albert: 42, 45f. Franco, Francisco: 435f. Frank, Karl Hermann: 326 Frey, Kurt: 52 Frick, Wilhelm: 32, 119, 121, 223, 279, 286 Friebe, Norbert: 292 Friedl, Josef: 325, 328f., 331, 334 Friedrich, Viktor: 365, 378–380 Fuchs, Dieter: 447 Fuge, Jens: 421
–G– Gades, Kurt: 401 Gaulke, Alfred: 401, 406 Geisler, Karl: 376 Geißler, Paul: 365 Gellert, Cornelius: 223 Genthe, Richard: 389, 391, 397, 402 Gleixner, Sebastian: 61–63 Glöckner, Gauführer: 131 Glöckner, Rudi: 428 Gneist, Kurt: 407
Gödicke, Fritz: 418, 420 Goebbels, Joseph: 139 Goldblatt, David: 429 Gollnhuber, Otto: 380 Graf, Julius: 149 Grandval, Gilbert: 353 Graßl, Johann: 378 Grażyński, Michał: 301f., 304f., 310 Grieger, Arno: 248 Grube, Ernst: 222 Guckenbiehl, Heinrich: 109, 152–155 Güldenpfennig, Sven: 359 Gürtner, Franz: 27 Gutendorf, Rudi: 442
–H– Hacker, Wilhelm: 55 Haferkamp, Hannes: 289f. Haftl, Otto: 323 Halt, Karl Ritter von: 69 Hammann, Rudolf: 149, 161 Hanke, Richard: 323 Havemann, Nils: 418 Hellwig, Reinhard: 415 Helmer, Hans: 356f. Hemmer, Willibald „Willi“: 161f. Henlein, Konrad: 324–326, 330, 335 Hennemann, Alfred: 131 Herberger, Josef „Sepp“: 33, 190, 290f., 310–312, 333f., 338, 352, 421, 423f., 434f. Herdin, Fritz: 52 Herkert, Josef: 71f. Hermann, Karl: 149 Herrmann, Siegfried: 55f., 78, 84f., 95, 98, 101–108, 139, 144 Himmler, Heinrich: 55 Hindenburg, Paul von: 47 Hirsch, Julius: 48 Hitler, Adolf: 47, 79, 82, 88, 99f., 104, 118, 120f., 129, 131, 143, 164, 167, 249, 263, 285f., 292, 326, 338, 342, 346, 364, 375, 435 Höhl, Christian: 254–257 Hölz, Kurt Hanns: 179
Personenregister
Hornauer, Josef: 53 Horter, Wolfgang: 406 Huber, Albert: 59 Hufnagl, Franz: 321
–I– Imbt, Richard: 158, 160f., 163, 187, 347f. Ircher, Franz: 365, 367f., 375, 379 Ircher, Heribert: 379
–J– Jahnsmüller, Erich: 441f., 444 Jakuschin, Michael: 438 Jedurny, Georg: 308, 311, 314 Jeremies, Jens: 428 Joschke, Ernst: 302, 304 Joschke, Georg: 302, 304, 306, 314 Jürgens, Heinrich: 165
–K– Kaiser, Michael Wilhelm: 100 Kałuża, Józef: 307 Kanhäuser, Karl: 322, 332, 335 Kanhäuser, Rolf: 322 Kantor, Rudolf: 328 Kaßbohm, Walter: 442 Kegel, Edmund: 388 Kellner, Josef: 100 Kershaw, Ian: 86 Kerz, Heinrich „Heinz“: 175f. Keys, Barbara: 421 Kienle, Alois: 71 Kissinger, Henry (Heinz Alfred): 35 Klausener, Erich: 286 Kleres, Karl: 153 Knaak, Hans: 407 Knefler, Otto: 428 Knissel, Jakob Philipp: 157f., 160– 163, 165, 170, 177 Knissel, Jakob: 344 Koch, Hans: 161 Kohlmeyer, Jakob: 150f.
465 Kohlmeyer, Josef 150 Kohlmeyer, Werner: 109, 150f. Koppehel, Carl: 391, 402 Kowol, Józef: 306 Koželuh, Karel: 318, 320 Krämer, Hans: 63 Kraus, Walter: 319 Krause, Detlef: 429 Krause, Rudi: 440 Kreuz, Ernst: 332, 335 Krügel, Heinz: 425 Krüger, Wilhelm: 402 Kugler, Heiner: 326, 329, 333 Kuhl, Dieter: 176 Kühnast, Paul: 131 Kull, Oskar: 254–257 Kullich, Karl: 406 Kunert, Julius: 324, 328 Kunze, Alfred: 424f., 440f. Kuper, Simon: 414
–L– Lammers, Hans Heinrich: 31 Landauer, Kurt: 54–56, 76, 78, 88, 91f., 96f., 104 Lang, Franz Paul: 69 Langner, Fritz: 310 Lesoine, Richard: 150f. Leuschner, Wilhelm: 249 Levin, Georg: 388 Lewald, Theodor: 82, 121 Ley, Robert: 65, 230 Liebrich, Ernst: 148 Liebrich, Werner: 148 Linnemann, Felix: 17f., 33, 52, 69f., 81, 102, 116, 122f., 133, 418 Linsenmeyer, Georg: 43, 45 Lösch, Franz: 379f. Löwy, Erwin: 373
–M– Mahrer, Paul: 336 Malik, Leonard: 310, 313 Malik, Richard: 310, 313
Personenregister
466 Malitz, Bruno: 29 Maschemer, Karl: 191 Mauder, Josef „Sepp“: 79, 81f., 104 Meisl, Hugo: 323 Mengden, Guido von: 33, 418 Menzel, Erich: 341, 344 Merkle, Hieronymus: 192 Metz, Heinrich: 149f. Metzger, Franz: 32, 151 Meyer, Lothar: 408 Meyer, Peter: 143, 145 Michel, Rudi: 141 Mizera, Willy: 326 Moll, Herbert: 91, 101 Morgenstern, Heinrich: 45 Moser, Anton: 59 Mößmer, Werner: 71f. Mühlberger, Kurt: 189, 193 Müllenbach, Hanns Joachim: 18, 152 Müller, Franz: 388, 394 Müller, Ludwig: 145 Mussolini, Benito: 364
–N– Nahlovsky, Wilhelm: 326 Naumann, Sportkreisführer: 345 Nerz, Otto: 33, 82 Neuendorff, Edmund: 66, 116, 120, 122, 125 Niemann, Heinrich: 224 Niermann, Franz: 284 Nürck, Stefan: 85, 117 Nusshart, Franz Paul: 92f., 99f. Nytz, Erwin: 304, 307, 311f.
–O– Oberegger, Josef: 375 Oberhuber, Karl: 100f., 164, 190, 434f. Oettinger, Karlheinz: 56, 85–87, 89, 92, 98 Öhler, Franz: 373f., 379 Ostermayer, Ludwig Georg: 161, 180f. Ostermayer, Nikolaus: 161
–P– Patek, Adolf: 322, 332, 335 Patzl, Ehrenfried: 326 Pauli, Heinrich: 116, 121f., 127 Pechan, Herbert: 326, 333 Peterek, Teodor: 301, 305f., 311, 313 Pfeiffer, Hans: 46 Pfitzner, Josef: 332 Piątek, Leonard: 302, 305, 313 Pichottka, Stadtrat: 131 Piontek, Josef: 449 Piontek, Leonard: 302, 305, 307, 312f. Pius X. (Papst): 266f. Plendner, Josef: 376f. Plock, Heinrich: 291f. Pohl, Kurt: 313 Pohlschneider, Johannes: 274 Polster, Lorenz „Lory“: 318 Pöttinger, Josef: 70 Prager, Wilhelm: 217 Präner, Josef: 377 Priefert, Arthur: 388, 390, 395, 402 Prietzel, Willi: 222 Probst, Adalbert: 282, 285f. Putz, Franz: 326
–R– Raabe-Jenkins, Siegfried: 320 Rainer, Friedrich: 365 Rappsilber, Herbert „Teddy“: 428 Raßbach, Wilhelm: 15, 174 Reach, Egon: 336 Reichert, Rudi: 418 Reistenhofer, Franz: 379 Richter, Franz: 326 Riedel, Robert: 222, 227 Rieder, Georg Wilhelm: 161–163 Rieke, Carl: 276, 281 Röder, R. (Gauamtsleiter): 156 Rogge, Heinz: 404f. Röhrig, Rudolf: 185 Roll, Hans: 38, 41f., 44f. Röllke, Harry: 406
Personenregister
Rosenzweig, Lutz: 392 Ruhland, Max: 61, 63 Rusch, Paul: 397, 402
–S– Salisch, Paul: 405 Sammer, Matthias: 428 Sampels, Johannes: 286 Sauter, Josef: 101 Schäfer, Fritz: 63f. Schaffer, Heinrich „Heiner“: 326, 333 Schank, Peter: 151 Schepers, Hermann: 283 Schied, Heinrich: 42 Schirach, Baldur von: 278, 292 Schmidt, Franz: 348 Schmidt, Paul: 388 Schmidt, Richard: 388 Schmidtner, Max: 68, 70f. Schmitt, Karl: 149 Schneider, Bernd: 428 Schneider, Günter: 419, 428 Scholl, Hans: 184 Schön, Helmut: 312, 326, 422 Schröder, Elisabeth „Els“: 146f. Schubert, Franz: 350 Schulz, Barry: 228 Schulz, Gerhard: 413 Schulz, Günther: 405 Schur, Max: 99 Schuschnigg, Kurt: 364 Schüssler, Wilhelm: 251 Schwab, Josef: 345, 351 Schwitzgebel, Friedrich „Fritz“: 170, 185 Schwitzgebel, Friedrich: 344, 346f., 350, 352 Seibold, Karl: 254 Seindl, Othmar: 376 Senglaub, Kurt: 406 Sesta, Karl: 323, 325 Seybold, Carl: 130 Seybold, Eugen: 52, 66f., 79, 81f., 103
467 Seyfried, Franz: 70–72 Simbgen, Hermann: 152–154 Simetsreiter, Wilhelm „Schimmy“: 103 Sindelar, Matthias: 108, 325 Slipek, Theo: 88, 95 Sobek, Hanne: 401 Sold, Ludwig: 64 Sommer, Eugen: 137f., 156, 168, 175, 177, 181, 186, 193, 195f. Sörgel, Paul: 38 Sornik, Paul: 307f., 314 Sowade, Walter: 401, 405 Spickenagel, Karl-Heinz: 408 Stadler, Josef: 58, 61 Stange, Bernd: 447–451 Starhemberg, Ernst Rüdiger: 365, 375 Steffens, Heinrich: 282 Steinbrecher, Michael: 66 Steiner, Ernst: 325 Stolleis, Erich: 191 Stoy, Franz: 332 Stransky, Siegfried: 328 Strauss, Rudolf: 62 Strehlow, Richard: 405 Ströhlein, Josef: 60–63 Stuckert, Fritz: 247, 251 Stuckert, Horst: 248 Stürgkh, Barthold: 375 Stüwe, Heinz: 406 Süßkind, Bernard: 283
–T– Tatuś, Eryk: 301, 305, 311, 313 Taussig, Fritz: 336 Teichler, Hans Joachim: 194 Thiersfelder, Tom: 442f. Timmer, Willi: 281 Treidel, Louis: 149 Treml, Wilhelm „Willi“: 333 Truntschka, Wilhelm: 332 Tschammer und Osten, Hans von: 29–31, 41, 116–119, 121, 123f., 132, 144, 152, 173, 228, 230, 275f., 278, 310, 365, 417
Personenregister
468 –U–
–Z–
Ulbricht, Walter: 387f.
Zátopek, Emil: 324 Zeimet, Hans: 345, 351 Zelburg, Georg: 367 Zimmer, Karl: 350 Zimmermann, Karl: 446f. Zimmermann, Max: 226 Zisch, Heinrich: 55 Zöllner, Jupp: 401 Zschalig, Richard: 61f. Zschörner, Paul: 406
–V– Vieweg, Klaus: 343 Vossen, Karl: 388
–W– Wagner, Adolf: 57f. Wagner, Franz: 98 Walch, Hans: 376 Watzata, Martin: 326 Wax, Erwin: 405 Weisbrod, Hans: 160–163 Weiß, Samuel: 373 Werner, Ernst: 334f. Westenburger, Jakob: 151 Westphal, Otto: 424 Wicher, Otto: 380 Wildung, Fritz: 218, 223 Willimowski, Ernst: 301f., 304, 306, 311–313 Windthorst, Ludwig: 277f. Winzer, Otto: 388 Wirth, Günther: 408 Witzke, Bruno: 388 Wodarz, Gerard: 301, 305–307, 313 Wolfsgruber, Michael: 41, 44–46, 48 Wolker, Ludwig: 272–275, 278, 286 Wunstorf, Harry: 401
–X– Xandry, Georg: 33, 328