Die Präsenz Christi im Amt: Am Beispiel ausgewählter Predigten Martin Luthers, 1535-1546 9783666550805, 9783525550809


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German Pages [404] Year 2015

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Die Präsenz Christi im Amt: Am Beispiel ausgewählter Predigten Martin Luthers, 1535-1546
 9783666550805, 9783525550809

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Refo500 Academic Studies Herausgegeben von Herman J. Selderhuis in Zusammenarbeit mit Günter Frank (Bretten), Bruce Gordon, (New Haven), Ute Lotz-Heumann (Tucson), Mathijs Lamberigts (Leuven), Barbara Mahlmann-Bauer (Bern), Tarald Rasmussen (Oslo), Johannes Schilling (Kiel), Günther Wassilowsky (Linz), Siegrid Westphal (Osnabrück), David M. Whitford (Waco).

Band 21

Jonathan Mumme

Die Präsenz Christi im Amt Am Beispiel ausgewählter Predigten Martin Luthers, 1535–1546

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2198-3089 ISBN 978-3-525-55080-9 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Ó 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck und Bindung: Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Die Präsenz Christi im Amt: Eine Präsenzweise unter anderen Präsenzweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Stand der Forschung: Dogmengeschichtliche Einführung in das Thema des Amtsverständnisses Luthers und in die theologische Debatte darüber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Die Debatte um das Amt – eine längere Geschichte . . . . 1.2.2 Maßgebliche Arbeiten aus der neueren Forschung . . . . . 1.3 Luthers Predigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Quellenauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Luther, der Prediger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Information zu den Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Eingrenzung der Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Zeitliche Eingrenzung: Lutherpredigten aus den Jahren, in denen in Wittenberg ordiniert wurde (1535–1546) . . . 1.4.2 Historisch-thematische Eingrenzung: Predigten in einem engeren und weiteren Kontext der Ordination . . . . . . . 1.4.3 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Arbeitsmethode und Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . 1.5.1 Erklärung zur Arbeitsmethode . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.2 Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Pr. 1926 ([R] WA 49,167–170) als Musterpredigt . . . . . . . . . . 2.1 Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Darstellung und Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Kontinuität der Prediger – Paulus und Luther, Apostel und Amtsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Historische Kontinuität . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

Christologie und christologische Kontinuität . . . . Amtsträger als Instrumente . . . . . . . . . . . . . . Doppelseitige Gewissheit . . . . . . . . . . . . . . . Anrede und zweifaches Haben . . . . . . . . . . . . Ekklesiologische Feststellungen . . . . . . . . . . . . Das Predigtamt im breiteren Horizont der Theologie Luthers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.9 Das Predigtamt als Platzhalter des fleischgewordenen Gottessohnes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.2.3 2.2.4 2.2.5 2.2.6 2.2.7 2.2.8

3. Der christologische Aspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Die Verborgenheit von göttlicher Macht und Majestät im Fleisch und in leiblichen Formen . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Das Fleisch Christi und leibliche Formen . . . . . . . 3.2.2 Die Verborgenheit in der Zeit des Alten Testaments . 3.2.3 Die Verborgenheit nach der Himmelfahrt . . . . . . 3.3 Christus als Geber und Vollzieher des göttlichen Mandats 3.4 Christus, der (Herab-)Kommende . . . . . . . . . . . . . .

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4. Der Aspekt der apostolischen Kontinuität . . . . . . . . . . . . . 4.1 Die Linie der Amtsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Reihe, Gruppierung und Verschränkung . . . . . . . . 4.1.2 Nachfolger der Apostel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Apostolische Kontinuität und apostolische Sukzession 4.2 Eine bestimmte Gruppe gesandter Boten und Haushalter . . 4.2.1 Gesandte Boten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Apostel und Jünger : Ein Exkurs hinsichtlich der Himmelfahrts- und Pfingstpredigten . . . . . . . . . . 4.2.3 Haushalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Senden bedeutet Kommen, bedeutet Präsenz . . . . . . . . .

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5. Der Aspekt der historischen Kontinuität . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Geschichtliche Kontinuität und geschichtliche Kontingenz: Die Amtsträger und ihre Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Homiletische Vergegenwärtigungen und die Kontinuität des Amtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Die Kontingenz des Evangeliums und die Versorgung der Amtsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Cursus verbi und cursus verbi incarnati . . . . . . . . . .

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7

Inhalt

5.2 Kontinuität im Umbruch der Zeiten: Eine konsistente biblische Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Kontinuität durch die Zeit hindurch . . . . . . . . . . . . . . .

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6. Der Aspekt der Instrumentalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Übersetzungen von Pr. 1574 und Pr. 1882 . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Pr. 1574 ([R] WA 41,454–459) . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2 Pr. 1882 ([R] WA 47,779–784) . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Die Instrumentalität der Amtsträger anhand von Pr. 1574, Pr. 1882 und anderen Predigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Die Amtsträger als Instrumente und Mittel . . . . . . . . 6.2.2 Haushalter, Vorsteher und die Regierenden der Kirche: Das kirchliche Amt im Horizont der Zwei-Regimentenund der Drei-Stände-Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3 Die Amtsträger und die anderen Mittel . . . . . . . . . . . 6.3 Pr. 1574 und Pr. 1882 als Ordinationspredigten: Ein homiletisch vermitteltes Verständnis der Ordination . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Pr. 1574 und Pr. 1882 als Ordinationspredigten . . . . . . 6.3.2 Theologische Feststellungen bezüglich der Ordination . . 6.3.3 Die Breite, Vielfalt und Einheit der Terminologie . . . . . 6.3.4 Das Wittenberger Ordinationsformlar . . . . . . . . . . . 6.4 Christologie und Gabemotiv als theologische Grundlage in Pr. 1574 und Pr. 1882 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Christologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2 Gabemotiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Zusammenfassende Bemerkungen: Mittelbare oder unmittelbare Beziehung zu Gott? . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6 Anhang: Der Lesungs- und Anspracheteil der Ordinationsformulare H. und J. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6.1 Aus dem Wittenberger Ordinationsformular H. . . . . . . 6.6.2 Aus dem Wittenberger Ordinationsformular J. . . . . . . .

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7. Der Aspekt der Predigtanrede und des Gegenübers . . . . . . . . . 7.1 Momente des Gegenübers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1 Anrede an die Zuhörer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.2 Die differenzierte und unterscheidende Rede an und von Amtsträgern und anderen Christen . . . . . . . . . . . . 7.2 Anrede und Gegenüber und das Evangelium als Evangelium . 7.3 Die Möglichkeit zweifachen Habens: Passives und aktives Haben des Amtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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8

Inhalt

8. Der Aspekt der Gewissheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Die treibende Frage? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Zweifache oder doppelseitige Gewissheit: Amtsgewissheit und Heilsgewissheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Reformatorische Auswirkungen der »selige[n] Hoffart» des Amtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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9. Der ekklesiologische Aspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Das homiletisch vermittelte Kirchenverständnis: Kirche als institutionelle Lebenswirklichkeit in der Welt . . . . . . . . . 9.2 Wirkmittel im Regiment: Die Kirche hervorgebracht, verortet und bewahrt durch das gepredigte Wort und die ausgeteilten Sakramente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.1 Die Gnadenmittel als die Wirkmittel der Kirche . . . . . 9.2.2 Die Wirkmittel als die so genannten »notae ecclesiae» . 9.2.3 Kritische Würdigung einer typischen Darstellungen der Ekklesiologie Luthers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Regieren in der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4 Dogmengeschichtlich verwandte Überlegungen und systematisch-theologische Implikationen . . . . . . . . . . . . 9.4.1 Priestertum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.2 Not . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.3 Donatismus auf Makro-Ebene . . . . . . . . . . . . . . . 9.5 Das Amt als Ausgangspunkt der Kirche . . . . . . . . . . . . .

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10. Einordnung des amtstheologischen Inhalts der untersuchten Predigten in den weiteren Horizont der Theologie Luthers . . . . . 10.1 Amt und Rechtfertigung: Der kommende Gott . . . . . . . . . 10.2 Konkretes Kommen und partikulare Präsenz oder apriorische Existenz?: Die Präsenz Christi im Amt und im Glauben . . . . 10.3 Geordnete Welt – geschenkte Welt . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Systematisch-theologisches Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse . . . . . . 11.2 Kritische Einschätzung der Amtsdebatte . . . . . . . . . . . 11.3 Überschneidung und Übereinstimmung mit Ergebnissen ökumenisch-theologischer Forschung, besonders denen der Evangelisch-lutherischen/Römisch-katholischen Forschung 11.4 Auseinandersetzung im ökumenischen Horizont . . . . . . . 11.5 Die Präsenz Christi im Amt als ökumenische Chance und Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

Inhalt

11.6 Schlusswort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Personen- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Handschriftliche Quellen . . . . . . B. Gedruckte Quellen und Hilfsmittel C. Sekundärliteratur . . . . . . . . . .

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Vorwort

Obwohl das Promotionsstudium an der Universität Tübingen, infolgedessen die vorliegende Arbeit entstanden ist, im Jahre 2006 begann, liegt mein persönlicher Bezug zum Thema etwas weiter zurück. 1998, als ich während des Sommers im U.S. Bundesstaat Alaska arbeitete, wurde mir von Seiten des Alaska Mission Committee der Lutheran Church–Missouri Synod die Möglichkeit angeboten, in entlegen Dörfern zu predigen und das Abendmahl zu zelebrieren. „Geht das?“ Als zwanzigjähriger Student und lebenslanger Lutheraner ist mir das Thema Amt auf diese Weise handfest begegnet. Mit dem Fortschreiten meines Theologiestudiums wurde mein Interesse an dem kirchlichen Amt von Brian Mosemann (Concordia University Chicago) und vor allem von Norman Nagel (Concordia Seminary) gefördert und geschärft. Das erste Jahr des Promotionsstudiums wurde durch die Fulbright Kommission ermöglicht. Danach wurde die Arbeit durch das Walther-Faculty-DevelopmentFellowship vom Concordia Seminary und durch ein Promotionsstipendium der Hanns-Seidel-Stiftung aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Allen dreien gilt mein herzlicher Dank. Ein Vorwort reicht nicht aus, all denjenigen zu danken, die mir während des Promotionsstudiums und bei dieser Arbeit geholfen haben. Prof. Dr. Oswald Bayer nahm mich als Doktorand an und betreute die Arbeit, und Prof. Dr. Christoph Schwöbel war der Zweitgutachter. Die Sprachschule der Universität Tübingen und Herr Daniel Seebert halfen meinem Denglisch in Richtung eines besseren Deutsches. Herr Alexander Kupsch, Bischof em. Dr. Jobst Schöne und Frau Anna-Theresa Johannes haben ausführlich Korrektur gelesen. Herr Roland Johannes bereitete die Manuskript auf den Druck hin vor. Prof. Dr. Notger Slenczka (Humboldt Universität) nahm mich als Gast in sein Doktorandenkolloquium auf, als ich nach Berlin zog, wo ich geistliche Unterstützung durch die Ev.-Luth. St. Marien Gemeinde (Berlin-Zehlendorf) bekam. Nicht zuletzt gilt

12

Vorwort

P. Dr. Augustinus Sander OSB ein großer Dank, denn in der Anfangsphase der Arbeit waren seine Einsichten bezüglich meiner ersten Forschungsergebnisse von entscheidender Bedeutung: Dass der Grundriss dieser Arbeit in der Benediktinerinnen-Abtei zu Herstelle entstand, ist – hoffe ich– ein Zeichen des Werts ökumenischer Arbeit. Vor allem möchte ich aber meiner Frau Rachel danken: Nichts ohne sie, alles mit ihr – auch diese Arbeit. Sie ist ihr gewidmet. Concordia University Wisconsin, im Dezember 2014

Jonathan Mumme

1.

Einleitung

1.1

Die Präsenz Christi im Amt: Eine Präsenzweise unter anderen Präsenzweisen

Die Christologie Martin Luthers wird entscheidend dadurch geprägt, dass der erhöhte HErr nach seiner Himmelfahrt nicht als abwesend, sondern gerade als anwesend verstanden wird, und zwar in seiner Person. Hierin vertritt der Wittenberger Prediger und Professor eine fundamentale Überzeugung des Neuen Testaments, die in der frühchristlichen Gemeinschaft lebendig war,1 und legt besondere Betonung auf die unio personalis und die communicatio idiomatum. Die Präsenz Christi wird so ernst genommen, dass sie sich nicht auf eine einzige Gegenwartsweise begrenzen lässt, sondern sich in Luthers Theologie in einer Vielfalt der Präsenzweisen entfaltet. Der Streit um Christi Präsenz im Abendmahl ist jedem Luther-Kenner wohl vertraut,2 seine Gegenwart in den Gläubigen ist bekannt,3 seine Anwesenheit im Wort ein Kennzeichen für reformatorische Theologie überhaupt.4 Doch fragt man weiter nach, so wird klar, dass diese Vielfalt der Präsenzweisen sich noch weiter entfaltet: In den Predigten des späteren Luther wurde unter anderem auch eine Präsenz Christi im Amt5 zum Ausdruck gebracht. 1 Vgl. Luth./Röm.-kath. Kommission, Apostolizität der Kirche, S. 23 (§10). 2 WA 23,64–283 („Daß diese Worte Christi [Das ist mein Leib etc] noch fest stehen wider die Schwarmgeister“, 1527) und WA 26,261–509 („Vom Abendmahl Christi, Bekenntnis“, 1528). 3 Siehe die Diskussion bei 10.2. 4 Vgl. z. B. Asendorf, Theologie Martin Luthers, S. 322–326 (bes. die Angaben bei S. 322, Anm. 46). Siehe auch z. B. WA 50,629,3–6 („Von den Konziliis und Kirchen“, 1539), wo die heiligende Heiligkeit des Wortes mit der Heiligkeit Gottes gleichgesetzt wird, und SA-III,VIII,3 (BSLK 453,16–19). 5 Unter „das Amt“ darf der Leser zunächst generell das ministerium ecclesiasticum verstehen, also das eine Amt der Kirche, das stets auf die Predigt des Wortes und das Spenden der Sakramente bezogen ist, auch wenn es sich zu verschiedenen geordneten Ämtern in der Kirche entfaltet. Angesichts der meditativen Vorgehensweise der vorliegenden Arbeit (siehe 1.5.1–2 unten) soll aber „das Amt“ nun am Anfang bewusst nicht näher definiert werden,

14

Einleitung

Da [wird] der Christ gelehrt und soll wissen, dass [der Pfarrer] ein Instrument, Werkzeug [und] Griffel ist, wodurch Gott mit uns redet und handelt. Es geht [hier] nicht darum, dass es hier Wasser, eine Stimme [oder eine Hand gibt]. Sondern [ich] soll mich daran gewöhnen[, dass es ist,] wie Paulus sagt: [„]durch uns geschrieben[“].6

Diese Präsenz, die noch näher als personal und aktual beschrieben werden kann,7 tritt in einer Vielzahl von amtstheologisch-relevanten Aspekten in Luthers Predigten zutage.8 Die mittelalterliche Theologie unterlag einer gewissen Engführung durch ihre Fokussierung auf die eucharistische Realpräsenz Christi. Luther und die Theologie der Reformation halfen dazu, die Wahrnehmung der Präsenz Christi auf eine breitere Basis zu stellen. Das Zweite Vatikanische Konzil der römischkatholischen Kirche nahm in der Liturgiekonstitution wie bei manchen Themen Impulse der Reformation auf, als es darum ging, die liturgische Gegenwart Christi darzustellen: Christus ist auf mehrere Weisen in Liturgie und Gottesdienst gegenwärtig, die sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern vielmehr Einzelaspekte einer umfassenden Gegenwart sind.9 Eine differenzierte Rede von der Präsenz Christi ist mittlerweile auch in der römisch-katholischen Theologie als eine positive Auswirkung der Reformation gewürdigt worden.10 Gerade angesichts der ökumenischen Diskussionen und der Dialoge zwischen der rö-

6

7 8 9 10

damit Raum gelassen wird, die Konturen von Luthers Verständnis aus seinen eigenen Predigten zu gewinnen. „Ministerium ecclesiasticum“ ist bekanntlich im Titel von CAV (BSLK 58,1) zu finden und also der Ausdruck von Melanchthon; doch die Augustana konnte Luther „unser Bekenntnis“ nennen: siehe WA 30/III,389,7.9f (“De energia Augustanae Confessionis”, 1532?). Der Terminus gehörte natürlich auch zu Luthers Vokabular: siehe z. B. WA 42,536,30 (Genesis-Vorlesung, 1535–45); auf Deutsch ist „Predigtam(b/p)t“ (siehe CA V) überall in Luthers Schriften zu finden. Pr. 1926 [R] WA 49,168,14–17: „Ibi Christianus doctus und sol wissen, quod sit instrumentum, zeug, griffel, dadurch Got mit uns redet, operatur. Es ist nicht darumb zuthun, quod hic aqua, vox & c. Sed sol mich gewehnen, ut Paulus dicit, durch uns geschrieben.“; vgl. 2.1 für den weiteren Kontext und 2.2.4 für eine Analyse dieser Stelle. Stellen aus den Predigten werden folgendermaßen angegeben: Aland Nummer [Nachschrift/Handschrift oder Druckausgabe] WA Band,Seite(n),Zeile(n). Zu Nachschriften und Druckausgaben siehe Anm. 132–133 unten. Zitierte Stellen aus den Nachschriften von Georg Rörer und Johann Stoltz werden immer übersetzt und der Urtext wird in den Anmerkungen angegeben; besonders für die Nachschriften Rörers ist eine Übersetzung ins moderne Deutsch ein nützlicher und oft notwendiger Interpretationsschritt. Wenn der Text von Aurifabers Handschrift modernisiert werden muss, wird um der Bequemlichkeit des Lesens willen ebenfalls den Urtext in Anmerkungen angegeben. Für die Nummerierung der Predigten siehe Aland, Hilfsbuch. S.o. Anm. 6: „Pfarrer“ und „durch uns“ zeigen eine personale Gegenwart, „redet und handelt“ eine aktuale. Andere prägnante Beispiele bei Pr. 1574 [R] WA 41,455,4–7 (siehe 6.1.1), Pr. 1882 [R] WA 47,784,12–14 (siehe 6.2.2), und Pr. 1926 [R] WA 49,167,22–27 (siehe 2.1). Zu diesen Aspekten und dem Aufbau der vorliegenden Arbeit, siehe 1.5.2 unten. Für eine ausführliche Behandlung der Präsenz Christi nach „Sacrosanctum Concilium (SC)“ siehe Eisenbach, Gegenwart Jesu Christi im Gottesdienst. Schilson, „Gegenwart Christi“.

Stand der Forschung

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misch-katholischen Kirche und den Kirchen, die aus der Wittenberger Reformation hervorgegangen sind, liegt es nahe, der spezifischen Präsenz Christi im Amt bei Luther wissenschaftlich nachzugehen. Während Luthers Amtsverständnis ein häufig erforschtes, und dennoch heftig umstrittenes Thema bildet, stellt das Vorhaben, der Präsenz Christi im Amt nachzugehen, einen neuen Ansatz dar. Bevor die notwendige Auswahl und Eingrenzung der Quellen erörtert wird,11 ist jedoch auf die bisherige Debatte um das Amt unter den Erben Luthers einzugehen und eine Skizze bisheriger Forschung über sein Amtsverständnis angezeigt.

1.2

Stand der Forschung: Dogmengeschichtliche Einführung in das Thema des Amtsverständnisses Luthers und in die theologische Debatte darüber

„Amt“ und „Luther“: Indem der Titel der vorliegenden Arbeit diese beiden Worte kombiniert, stellt sie sich in eine Reihe mit anderen Arbeiten, die sich mit Luthers Amtsverständnis – oft mit direkter Bezugnahme auf sein Ordinationsverständnis und sein Verständnis des allgemeinen Priestertums – bereits beschäftigt haben.12 Die vorliegende Arbeit geht also einem Thema nach, das bereits eine sehr ausgeprägte Forschungsgeschichte hinter sich hat. Die Lektüre der wissenschaftlichen Arbeiten über Luthers Amts- und Ordinationsverständnis aus den vergangenen 60 Jahren zeigt sehr schnell, dass viele Autoren sehr bewusst Stellung beziehen in einer Debatte, deren Ausgangspunkt sie in der Mitte des 19. Jahrhunderts finden.

1.2.1 Die Debatte um das Amt – eine längere Geschichte Freilich entbrannte die Debatte über das Amtsverständnis, die heute noch weiterhin unter den historischen Erben Luthers geführt wird, mit besonderer 11 Siehe 1.3–1.4 unten. 12 Über das eigene Literaturverzeichnis hinaus sei an dieser Stelle auf Folgendes hingewiesen: Für Literatur (etwa ausschließlich) zum Thema „Amt“ von 1930 bis 2000 ist die Literaturliste bei Führer, Das Amt der Kirche, S. 22–24 einzusehen; für das allgemeine Priestertum ist es das Literaturverzeichnis bei Goertz, Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt, S. 334–345; für die Ordination sind es die Literaturverzeichnisse bei Krarup, Ordination in Wittenberg, S. 331–339 und bei Sander, Ordinatio Apostolica, S. 352–366; wertvoll für die Diskussion bis 1974 sind die Behandlung und Anmerkungen bei Schütte, Amt, Ordination und Sukzession, S. 155–184.

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Einleitung

Intensität in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.13 Ob die Debatte tatsächlich bei Friedrich Julius Stahl,14 Wilhelm Löhe15 oder Johann Wilhelm Friedrich Höfling16 ihren Ausgang hat oder nicht, ihre Namen werden jedenfalls in modernen Betrachtungen dafür angeführt. Aber auch andere Theologen kommen dabei ins Spiel: Unter anderem Adolf von Harleß, Theodor Kliefoth, Theodosius Harnack, August Wilhelm Diekhoff, August Friedrich Christian Vilmar und Georg Rietschel.17 Die Geschichte der Kirchen- und Amtsdebatte im 19. Jahrhundert wird dadurch noch komplexer, dass die Arbeiten der daran beteiligten Theologen durch erweiterte Neuauflagen ihrer Veröffentlichungen sowie durch Zeitschriftenaufsätze mit ergänzenden oder streitenden Ausführungen umeinander kreisten.18 Darüber hinaus war die hitzige Diskussion nicht auf Deutschland begrenzt.19 Die inzwischen typisch gewordene Behandlung der Geschichte der protestantisch-deutschen Amtsdebatte verlegt den Ausgangspunkt in das 19. Jahrhundert und teilt die an der Debatte Beteiligten in zwei Hauptgruppen oder -schulen auf, deren jeweilige Positionen dann wegweisend für die Diskussion auch im 20. Jahrhundert werden sollten. Die eine Schule vertritt danach die Auffassung, dass Luthers Gedanken über das allgemeine Priestertum die Vorstellung vom kirchlichen Amt bestimmen müssen. Dementsprechend sind alle Christen Priester, da sie von der Taufe und vom Glauben her heilig sind. Weil alle Christen Priester sind, haben sie alle Vollmacht und Recht, zu predigen und die Sakramente zu verwalten. Um guter Ordnung willen aber wird die Vollmacht der einzelnen Christen auf Einzelne übertragen, die sie an Stelle aller ausüben. Folglich sei das kirchliche Amt um der Ordnung willen notwendig und komme durch Delegierung von Vollmacht und Recht zu Stande. Die Ordination wird dann vielfach als ein historischer Ritus der Kirche von nur rechtlicher Bedeu13 In Bezug auf das 19. Jahrhundert siehe Fagerberg, Bekenntnis, Kirche und Amt, Slenczka, „Diskussion um das Amt“ und Sundberg, „Ministry in Nineteenth-Century“, S. 77–86. 14 Stahl, Kirchenverfassung. 15 Löhe, „Drei Bücher“, „Aphorismen“, „Kirche und Amt“. 16 Höfling, Grundsätze. 17 U.a. sind folgende Titel zu nennen: Harleß, Kirche und Amt, Kliefoth, „Ordination und Introduction“, Kliefoth, Acht Bücher, Harnack, Kirche, Amt, Regiment, Diekhoff, Luthers Lehre der kirchlichen Gewalt, Vilmar, Lehre vom geistlichen Amt, Rietschel, Luther und die Ordination. Für weitere amtstheologische und ekklesiologische Schriften von ihnen siehe das Literaturverzeichnis von Fagerberg, Bekenntnis, Kirche und Amt, S. 313–326. 18 Unter den Zeitschriften spielten vor allem die Evangelische Kirchenzeitung und die Zeitschrift für Protestantismus und Kirche führende Rollen. 19 Die Debatte breitete sich auch unter den deutschen Auswanderern in Amerika aus, z. B. in der Auseinandersetzung zwischen J.A.A. Grabau (Buffalo Synode) und C.F.W. Walther (Deutsche Evangelish-Lutherische Synode von Missouri, Ohio und anderen Staaten), der sich auch an der Diskussion in Deutschland beteiligte; siehe Walther, Kirche und Amt und Mayes, „Reconsidering Grabau“.

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tung verstanden, der beizubehalten sei: In ihr geschehe nichts WesentlichTheologisches, könne aber als liturgisches Sinnbild der Delegierung fungieren. Der anderen Schule wird die Auffassung zugeschrieben, dass Gott selbst das konkrete kirchliche Amt gestiftet habe. Nach dieser Auffassung wird üblicherweise dem Ordinanden das Amt durch das Gebet und die Handauflegung der Ordination zuteil. Über die Amtsdebatte im 19. Jahrhundert, die – wie die Arbeit von Fagerberg zeigt – eigentlich ein Thema für sich ist, haben einige Autoren in ihren Monographien einführende Betrachtungen angestellt.20 Nach der Forschung in den vergangen fünf bis sechs Jahrzehnten könnte man fast den Eindruck gewinnen, dass es eine ernsthafte Amts- und Ordinationsdebatte unter den Erben der Reformation erst gegen Mitte des 19. Jahrhunderts gegeben habe.21 Jedoch sind die Fragen nach Amt, allgemeinem Priestertum und Ordination älter als die Debatte, die im 19. Jahrhundert darüber geführt wurde, denn diese bildet nur ein deutliches und brisantes Beispiel einer schon viel länger geführten Auseinandersetzung. Annähernd 130 Jahre bevor Stahl und Höfling sich auseinandersetzten, debattierten Valentin Ernst Löscher und Joachim Lange schon über Amtsgnade und die personale Instrumentalität des Amtes; fast zwei Jahrhunderte ehe die Schulen des 19. Jahrhunderts gegeneinander antraten, hatte Philipp Jakob Spener gegenüber der lutherischen Orthodoxie das Verständnis des Amtes neu formuliert und dem Begriff des Priestertums aller Gläubigen bzw. des geistlichen Priestertums eine neue Bedeutung verleihen können; fast zweieinhalb Jahrhunderte vor der Mitte des 19. Jahr20 Für Fagerberg s. o. Anm. 13. Die folgenden berücksichtigen das 19. Jahrhundert sowie Arbeiten und Ansätze aus dem 20. Jahrhundert in ihren Forschungsüberblicken: Heubach, Die Ordination, S. 11–41 (Schwerpunkt Ordination); Brunotte, Das geistliche Amt bei Luther, S. 9–33; Lieberg, Amt und Ordination, S. 11–15 und 113–115; Goertz, Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt, S. 1–32. Vgl. auch Braaten, „Special Ministry of the Ordained“, der skandinavische und amerikanische Theologen mitberücksichtigt. Die Darstellungen von Heubach und Goertz sind die ausführlichsten. Heubachs Darstellung ist zum Teil detaillierter als die von Goertz: Löhe wird ausführlicher behandelt, Kliefoth und Vilmar werden dargestellt und andere Theologen werden mit ihren jeweiligen Werken genannt. Darüber hinaus ist seine Darstellung des einflussreichen Erbes von Georg Rietschel wertvoll. Andererseits verdankt sich sein breiterer Horizont dem Umstand, dass er keine direkte Untersuchung Luthers vornimmt, sondern der Frage der Ordination in der evangelischen Kirche überhaupt nachgehen will. Jedoch kommt Luther in Heubachs Behandlung zur Geltung, wie ein Blick auf sein „Personenregister“ beweist. 21 Siehe z. B. Goertz, Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt, S. 1: „Um die Fragen und Probleme darzustellen, die sich in der bisherigen Forschungsgeschichte zu Luthers Lehre vom Allgemeinen Priestertum und vom ordinierten Amt als grundlegend erwiesen haben, muß bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts eingesetzt werden.“ (Hervorhebung JM). Die Aussage ist an sich nicht falsch, aber Goertz kann (zusammen mit dem größten Teil der deutschen evangelischen Amtsforschung, die Luther betrifft,) den Eindruck entweder ausdrücklich oder stillschweigend vermitteln, dass die Amtsfrage im deutschen Luthertum oder im deutschen Protestantismus bis Mitte des 19. Jahrhunderts kein Streitthema war.

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hunderts und den Kategorien, die die Theologen des 20. Jahrhunderts schließlich daraus ableiten, hatten schon Philipp Nicolai und Urban Pierius ihre Debatte über das Amt unter der Perspektive der Anwesenheit Gottes im Amt der Kirche geführt.22 Für die Rezeption der Theologie Luthers, der sehr oft nicht systematisch oder scholastisch schrieb und sich im Großteil seiner theologischen Artikulation um keine systematische Kategorien bemühte, sind systematische Kategorien letztendlich wohl nötig. Es bleibt aber doch fragwürdig, ob man Motive der Theologie Luthers mit Kategorien und theologischen Theorien erfassen kann, die erst 300 Jahren nach seinem Tod entwickelt wurden, um in einem wesentlich veränderten theologischen Umfeld zum Verständnis zu helfen. Es mag sein, dass die Amtsdebatte des 19. Jahrhunderts für das 20. Jahrhundert so prägend war, dass „die meisten in der Folgezeit bis heute vertretenen Positionen […] sich daher einander ähnlich zuordnen [lassen]“.23 Aus der Forschung und Debatte, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts geführt werden, lässt sich aber auch folgern, dass diese Debatte kein Ende finden kann, solange sie unter den nun typisch und maßgeblich gewordenen Kategorien geführt wird. Mit der vorliegenden Arbeit wird das Ziel verfolgt, Luther als Prediger Raum zu gewähren, seine eigenen Kategorien zu entfalten – oder auch nicht zu entfalten – und seinen eigenen gepredigten theologischen Rahmen zu rekonstruieren. Damit stellt sich diese Untersuchung bewusst gegen die Tendenz, Luther in Bezug auf die Fragen und unter den Kategorien späterer Jahrhunderte verstehen zu wollen. Das erlaubt den Forschungsüberblick an dieser Stelle auf einige einschlägige und wichtig gewordene Monographien der vergangenen Jahrzehnte24 zu beschränken, bevor Luther selbst zur Sprache kommt.

1.2.2 Maßgebliche Arbeiten aus der neueren Forschung Das 2007 von Martin Krarup erschienene Buch Ordination in Wittenberg stellt einen Fortschritt dar in der Erforschung der historischen Umstände, der theologischen Überlegungen und der anfänglichen Praxis rund um die Ordination in 22 Für Nicolai und Pierius, Spener, und Löscher siehe den hervorragenden Aufsatz von Baur, „Amt im Protestantismus“. Für Löscher und Lange siehe auch Sander, „,Durch Ordination predigtambt befholen‘“, S. 116, Anm. 76, und allgemein Greschat, Zwischen Tradition und neuem Anfang, bes. S. 269f. Für Spener siehe auch Nagel, „Luther and Priesthood of Believers“, S. 295, Anm. 24; Gummelt, „,Amt und Gemeinde‘“, S. 71, Anm. 36; Wengert, „Priesthood and Pious Myths“, S. 1–4; Kliefoth, Acht Bücher, S. 302. Für Nicolai siehe auch Sander, Ordinatio Apostolica, S. 149f, Anm. 498. 23 Goertz, Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt, S. 11. 24 Wir stellen diese Monographien nicht in chronologischer Reihenfolge vor, sondern beginnen mit der jüngsten.

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Wittenberg. Auch wenn andere bereits eine historische Entwicklung in Luthers Amtsverständnis und seiner Ordinationsauffassung festgestellt zu haben meinten, ist der historisch-genetische Ansatz25 dieses Historikers in Bezug auf die Ordination neu und insofern ein für die Wissenschaft aussichtsreicher Versuch. Krarups Monographie ist darüber hinaus die erste, die sich seit Georg Rietschel und Paul Drews um die vorige Jahrhundertwende ausschließlich der Ordination in Wittenberg und/oder bei Luther widmet.26 Aus seinen Ergebnissen lassen sich bestimmte Phasen bestimmen, die durch historische Ereignisse und Umstände beeinflusst sind und zum Teil dadurch definiert werden. Durch diese Phasen sollen Wandel und Entwicklung im Verständnis und in der Wahrnehmung der Ordination im Wittenberger Umkreis festgestellt werden können. Der Verfasser versucht den oft komplizierten und nicht immer theologisch widerspruchsfreien Einzelheiten des historischen Verlaufs nachzugehen. Er setzt ein bei den frühen Schriften und Verfahrensfragen, führt dann durch die theologisch und praktisch sowie reichspolitisch schwierigen Jahre zwischen der Amtseinsetzung Georg Rörers (1525) und der Etablierung eines allgemeinen Ordinationsverfahrens (1535), und endet bei der Zeit der immer weiter in Anspruch genommenen Wittenberger Zentralordination. Er meint, dass sich die Ordinationspraxis Wittenbergs vor allem aufgrund pragmatischer Erwägungen herausbildete, der geschichtliche Ablauf also nicht als Ergebnis eines vorgezeichneten theologischen Plans aufzufassen sei.27 Bis 1535 habe man die Ordination als Berufung und Übertragung des Amtes in einer lokalen Ortsgemeinde aufgefasst, aber vom Zeitpunkt der Einführung der Zentralordination im Jahre 1535 ab wurde die Ordination etwas von der Berufung entkoppelt und habe als Übertragung des kirchlichen Amtes gegolten, zuerst nur im Kursachsen, danach auch darüber hinaus.28 Ab 1535 lasse sich allgemein sagen, dass die Ordination Ausdruck und Bestätigung der Berufung sei, und unter anderem die Autorität der Amtsträger in den Gemeinden untermauern sollte.29 Den Ritus der Ordination – in Wittenberg beibehalten und geregelt – sieht er zwar als angemessene Form der rituellen Amtseinsetzung an, sie konnte jedoch nach Krarup in bestimmten Fällen auch ausfallen oder wiederholt werden.30 Geschichtlich gesehen sei deshalb die Ordination mit Gebet und Handauflegung nicht als notwendiger 25 Krarup, Ordination in Wittenberg, S. 2f und 15–17. 26 Rietschel, Luther und die Ordination; Drews, „Ordination, Prüfung und Lehrverpflichtung“. Die Blickwinkel von Heubach, Die Ordination und Lieberg, Amt und Ordination wurden freilich breiter gesetzt. 27 Krarup, Ordination in Wittenberg, S. 307. 28 Krarup, Ordination in Wittenberg, S. 155f, 209, 270, 308, 310f et passim. 29 Krarup, Ordination in Wittenberg, S. 183, 200–202, 270, 290f und 313. 30 Zu Wiederholung siehe Krarup, Ordination in Wittenberg, S. 201 und 310, aber auch 183, 189 und 270.

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Bestandteil der Amtseinsetzung oder unumgängliche Bedingung für den Eintritt in das kirchliche Amt anzusehen, doch diene sie eben zur Kennzeichnung eines Amtsträgers in der Kirche.31 Wichtiger für die Amtseinsetzung sei für die Wittenberger Reformatoren die Berufung (im Sinne einer Wahl) und die mit der Ordination verbundene Prüfung der „Ordinanden“ gewesen.32 Die Arbeit von Krarup und die vorliegende Arbeit haben nur geringe Berührungspunkte. Krarup erstrebt eine historisch-genetische Untersuchung der Anfänge der Wittenberger33 Ordination, in der die Predigten Luthers kaum eine Rolle spielen. Demgegenüber verfolgt die vorliegende Arbeit das Ziel, dem homiletisch dargestellten und vermittelten Amtsverständnis Luthers nachzugehen. Krarup gibt zwar an, die Jahre 1519–1545 zu behandeln,34 doch spielt der Zeitraum zwischen 1537 und 1545 für ihn nur eine begrenzte Rolle.35 Mit Ergebnissen, die er aus diesem Zeitraum gewinnt, werden wir uns auseinandersetzen, vor allem seiner Deutung der Wittenberger Ordinationsliturgie,36 die zum größeren gottesdienstlichen Kontext eines homiletisch vermittelten Amtsverständnisses gehört, und die insofern für unsere Untersuchung von Interesse ist. Bei der 1997 erschienen Arbeit Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt bei Luther von Harald Goertz dürfte die entscheidende Leistung in der Erkenntnis liegen, dass das Wort „Priester“ in der Wendung „allgemeines Priestertum“ als eine Metapher aufzufassen sei. Angeleitet durch den MetapherBegriff und sprachtheoretische Einsichten des Züricher Linguisten und Sprachwissenschaftlers Paul Michel wird Luthers Rede vom allgemeinen Priestertum und vom Christen als „Priester“ konsequent systematisch als meta31 Krarup, Ordination in Wittenberg, S. 120f, 155, 190, 194, 286–291, 308–316 et passim. 32 Krarup, Ordination in Wittenberg, zur Berufung: S. 70–84, 227, 290 et passim; zur Prüfung: S. 183, 191–195, 273–275 und 209–304. 33 Vor allem will Krarup, Ordination in Wittenberg, S. 15 Luther, Melanchthon, Bugenhagen und Jonas berücksichtigen. 34 Krarup, Ordination in Wittenberg, S. 16. 35 Es leuchtet einerseits ein, dass eine historisch-genetische Untersuchung bei einem Punkt in der früheren Karriere Luthers ihren Anfang nimmt. Doch die Entscheidung, bei 1519 einzusetzen, ist auf systematische Überzeugungen gebaut – nämlich, dass es erst für ein reformatorisches Amtsverständnis relevante Quellen seit dem Punkt der „Entdeckung des Priestertums aller Gläubigen durch Luther und Melanchthon Ende des Jahres 1519“ (S. 16) geben könnte –, in denen er unter anderem Harald Goertz folgt. Andererseits könnte man wünschen, dass jenem Zeitraum mehr Aufmerksamkeit gewidmet worden wäre, in dem es eine geregelte Ordinationspraxis in Wittenberg gab und die Ordination schon zu einem regelmäßigen Ereignis in der Universitäts- und Reformationsstadt wurde: 1537–1545 bekommt jedoch nur ein Sechstel der gut 300 Seiten. Über das Ordinationsformular (S. 251–258) und einige Ordinationszeugnisse (S. 264–270) hinaus dürfen Schriften und Werke Luthers – außer Briefe, meistens als Vergleichspunkte für weitere Erklärung zu bestimmten Persönlichkeiten und Umständen – ab 1537 nur sehr bescheiden zu den größeren Feststellungen Krarups beitragen. 36 Krarup, Ordination in Wittenberg, S. 252–263; vgl. 6.3.4.

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phorische Rede erforscht und dargelegt.37 Durch diesen neuen und kreativen Ansatz zielt der Verfasser auf „die systematische Rekonstruktion der Lehre vom Allgemeinen Priestertum und vom ordinierten Amt einschließlich ihrer gegenseitigen Bezogenheit aufeinander“.38 Schon in dem beträchtlichen Forschungsüberblick des ersten Kapitels wird deutlich, dass Goertz bewusst Stellung in einer Debatte nehmen will, deren Anfang er in der Mitte des 19. Jahrhunderts verortet. Kategorien wie die Stiftungstheorie und die Delegationsoder Übertragungstheorie werden übernommen, und der Autor macht keinen Hehl aus seiner hohen Wertschätzung der Position Höflings, den er im Laufe der Arbeit „ausnahmslos zustimmend“39 zitiert. Ein komplexes System von Bildspendern und Bildempfängern wird ausgearbeitet, in dem der Levit, Melchisedek, Christus (als Hohepriester) und der römische Amtspriester alle als Bildspender für die metaphorische Rede vom Priestersein der Christen fungieren. Bei diesen Bildspendern sei zwischen Priesterwürde und Priesterdienst zu unterscheiden: Die erste beziehe sich auf das Sein und also auf die Stellung oder den Status des jeweiligen Priesterbild-Spenders vor Gott, während der zweite mit seinem Tun – also mit seiner Funktion oder Tätigkeit (nach der Trias Opfer, Fürbitte und Gebet) – zu tun habe.40 Die von den Bildspendern metaphorisch gewonnenen Einsichten zu Würde und Dienst werden dann bei dem Status und der Tätigkeit der Christen geltend gemacht: Nach der Würde der als „Priester“ verstandenen Christen, die alle in direkter und unvermittelter Gemeinschaft zu Gott stehen, wird ihre Gleichheit vor Gott betont, nach ihrem Dienst unter anderem die allen zustehende Vollmacht in Bezug auf Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung.41 Dem „ordinierten Amt“ komme folglich keine Sonderbegründung zu, sondern es ergebe sich als eine notwendige Konsequenz aus dem allgemeinen Priestertum um der Ordnung willen. Die einzige göttliche Stiftung, die es diesbezüglich gibt, sei die Stiftung eines allen Gläubigen übertragenen Dienstes.42 Aussagen Luthers, die die Ansicht einer göttlichen Stiftung oder Ordnung des institutionellen Amtes zu stützen scheinen, leitet der Verfasser allein aus seelsorgerlichen und praktischen Beweggründen ab oder schreibt sie dem geistlichen Stand im Sinne von Luthers Drei-Stände-Lehre zu, die nach ihm dem Bereich der Ethik, nicht aber dem der Amtstheologie zuge37 Zu Michel siehe besonders Goertz, Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt, S. 40–53, 70–77. 38 Goertz, Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt, S. 28. 39 Krarup, Ordination in Wittenberg, S. 12, Anm. 54. 40 Goertz, Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt, S. 53–60; spezifisch zu Christus siehe S. 81–92. 41 Goertz, Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt, vor allem S. 152–178 im weiteren Kontext von S. 93–178. 42 Goertz, Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt, S. 192.

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höre.43 Für die Ausübung der allen Christen zustehenden Vollmacht im öffentlich-kirchlichen Bereich ist eine Berufung notwendig, die als Delegation von Zuständigkeiten, nicht aber als eine Ausstattung mit bestimmten Vollmachten zu verstehen sei. Der Ritus der Ordination wird als eine liturgisch und kirchenrechtlich angemessene Konkretion des Berufungsgeschehens gewertet, die prinzipiell wiederholt werden könne und bei der die Handauflegung, die keine Gabe vermittele, nicht unbedingt notwendig sei.44 Nach Goertz sind also die Grundlagen und entscheidenden Faktoren von Luthers Amtsverständnis mit seinem Verständnis des allgemeinen Priestertums gegeben. Dieses liege im Übrigen schon 1519/1520 vor und bleibe trotz gewisser Akzentverschiebungen beim späteren Luther stets konsistent in seinem ganzen weiteren Wirken, so dass sein Amtsverständnis keine wesentliche inhaltliche Veränderung erfahren habe. Scharf kritisiert werden also solche historisch-genetischen Untersuchungen, die zu dem Ergebnis kommen, dass eine systematisch-theologisch relevante Entwicklung in Luthers Amtslehre festgestellt werden könne.45 Die Arbeit von Goertz, der zusammen mit seinem Doktorvater Wilfried Härle für das Verständnis des allgemeinen Priestertums in der deutschen evangelischen Theologie in den letzten Jahren als geradezu zuständig gilt,46 gewinnt dogmengeschichtlich noch weiter an Bedeutung, weil ihre gemeinsame Position eindeutig zur treibenden Kraft hinter den neueren Empfehlungen der Bischofskonferenz der VELKD geworden ist.47 Sicherlich hat Goertz gezeigt, dass der metaphorische Charakter zahlreicher Aussagen und Darstellungen des allgemeinen Priestertums bei Luther berücksichtigt werden muss, und insofern das Verständnis dieser Thematik für die Forschung bereichert. Dennoch ist die Bemerkung berechtigt, dass es äußerst schwierig bleibt, mit metaphorisch gebrauchten Begriffen solide systematisch-theologische Argumente zu formulieren.48 Überdies lässt sich schon an der für Goertz zentralen Behauptung zweifeln, dass das Priestertum aller Christen selbst metaphorisch zu verstehen ist. Krarup liefert stattdessen Beweise für ein real aufgefasstes Priestertum der Christen, das von einer vielfältigen metaphorischen Rede umgeben ist.49 Auch ist 43 Goertz, Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt, S. 219–236, bes. S. 228. Vgl. Krarup, Ordination in Wittenberg, S. 27f. 44 Goertz, Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt, S. 299–322. 45 Goertz, Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt, S. 29f. 46 Siehe Goertz, „Allgemeines Priestertum“ und Goertz und Härle, „II. Allgemeines Priestertum“. 47 Bischofskonferenz der VELKD, „Allgemeines Priestertum, Ordination, Beauftragung“; Bischofskonferenz der VELKD, „,Ordnungsgemäß berufen‘“. Vgl. Grünwaldt, „Ordnungsgemäß berufen“. 48 Dieter, „Luthers Lehre vom Amt“, bes. S. 72–75. 49 Krarup, Ordination in Wittenberg, S. 23–25.

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die strenge Trennung von Pfarramt und Pfarrstand bei Goertz sowie die Behandlung von Stellen, die eine göttliche Stiftung des Amtes bei Luther belegen, nicht überzeugend.50 Darüber hinaus erliegt Goertz’ Verfahren der gleichen fundamentalen Engführung, wie sie in zahlreichen Untersuchungen zu finden ist, nämlich der Betonung des jüngeren Luther gegenüber dem späten Luther : Luthers „Verständnis des Amtes“ wird vor allem aus den Schriften zwischen 1519 und 1523 erhoben und alles Folgende entweder diesem Verständnis untergeordnet oder wegdiskutiert.51 Die 1974 erschienene Arbeit von Wolfgang Stein, Das kirchliche Amt bei Luther, zeichnet sich vor allem durch akribische und konzentrierte Bearbeitung bestimmter Schriften Luthers aus. Die historisch-chronologische Arbeitsweise bemüht sich, die untersuchten Texte in ihren geschichtlichen Hintergrund einzuordnen. Darüber hinaus scheint Stein einer der wenigen Forscher zu sein, die die Frage nach Momenten amtstheologischer und ekklesiologischer Kontinuität in Luthers frühen Schriften (vor 1519/20) für berechtigt hält und ihr folglich nachgeht.52 Der Sprung von 1523 bis 1533 (zwischen dem 4. und dem 5. Kapitel) führt freilich zu einer großen historischen Lücke in dieser geschichtlichen Untersuchung; dessen ungeachtet erweist sich die Behandlung der dennoch berücksichtigten Schriften und Quellen als wertvoll. Eines der wichtigsten Ergebnisse seiner Arbeit, die Stein aus Luthers früheren Schriften ge50 Vgl. Krarup, Ordination in Wittenberg, S. 27–30. 51 Es kann natürlich nur als lobenswert angesehen werden, dass Goertz seine Meinung auf „eine möglichst vollständige Quellenbasis“ aufbauen will und dafür die neusten und besten Recherche- und Hilfsmittel in Anspruch nimmt (Goertz, Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt, S. 29; in diesem Fall das Archivmaterial des Sachregisters der Weimarer Ausgabe). Er grenzt jedoch zugleich den jungen (aber frühestens ab 1517!) Luther von früheren Quellen sowie von späteren Entwicklungen ab. Nun gewichtet wohl jeder Forscher einen bestimmten Luther, und Goertz ist dabei keine Ausnahme. Ebenso ist seine Untersuchung „zu den einschlägigen Stichwörtern“ erst an der Einschlägigkeit von Kategorien gemessen, die im Vorfeld getroffen werden: Es leuchtet zunächst wohl ein, Termini wie „,Amt‘/,officium‘, ,Priester‘/,sacerdos‘, ,Beruf[ung]‘/,vocatio‘ etc.“ (S. 29) nachzugehen, aber wie Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung – und Erfahrung in der Luther-Forschung – zeigen, werden oft Entdeckungen gemacht und wertvolle Ergebnisse gerade dort gefunden, wo Luther nicht sozusagen beim Thema oder einem stichwortartigen Oberbegriff einzuordnen ist. (Wenn es legitim ist, Luthers Verständnis des institutionellen Amtes als eine notwendige Konsequenz seines Verständnisses des allgemeinen Priestertums anhand von StichwortRecherchen in den besten gedruckten Forschungsunterlagen festzustellen, muss es auch legitim sein, anhand der besten elektronischen Forschungsmittel zu zeigen, dass das allgemeine „Priestertum aller Gläubigen“ bei Luther ein frommer Mythos ist: Siehe Wengert, „Priesthood and Pious Myths“ und die Rezension von Wendebourg, „Priesthood, Pastors, Bishops“.) 52 Stein, Das kirchliche Amt bei Luther, S. 2 bemerkt über die Forschung vor 1974, „Im allgemeinen erhält man den Eindruck, daß Luther 1520 eine völlig neue Konzeption des Amtes darbiete, im Gegensatz zu aller vorhergehenden kirchlichen Tradition.“ Als Gegenbeispiel ist Aarts, Lehre Luthers über das Amt zu nennen.

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wonnen hat, ist die Erörterung des potestas-Begriffs: Die potestas ecclesiastica – auch die Gewalt an Wort und Sakrament – gehöre allen Getauften oder Gläubigen communaliter, also als Gemeinbesitz und nicht im Sinn von Einzelrechten der Vielen; dass alle Christen Gewalt an Wort und Sakrament haben, schließe nicht ein, dass sie als einzelne befähigt und ermächtigt sind, diese Gewalt auszuüben.53 Das kirchliche Amt sei für Luther nicht einfach eine soziale Notwendigkeit oder Ordnungsmaßnahme, sondern sei vielmehr von Gott und gehe auf eine neutestamentliche Einsetzung Christi zurück.54 Durch die Ordination, die als ein „effektive[r] Auftrag“ verstanden wird,55 sei der Amtsträger zum Dienst am Wort und Sakrament eingesetzt und zur Spendung der Sakramente befähigt.56 Wegen der jeweiligen zeitlichen Abgrenzungen überschneiden sich die vorliegende und die Arbeit von Stein nur begrenzt.57 Predigten spielen für die Arbeit Steins nur eine sehr begrenzte und ab 1535 keine Rolle. Amt und Ordination bei Luther und Melanchthon von Hellmut Lieberg (1962) darf als eine gewisse Zäsur in der Forschung um das Amts- und Ordinationsverständnis Luthers gesehen werden.58 Seine Arbeit sollte eine gegenüber der

53 Stein, Das kirchliche Amt bei Luther, bes. S. 86–90, 125, 131, 140–142 und 204. Vgl. dagegen Goertz, Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt, S. 163–166. 54 Stein, Das kirchliche Amt bei Luther, u. a. S. 72, 143 und 202. 55 Stein, Das kirchliche Amt bei Luther, S. 196; siehe auch S. 203. 56 Stein, Das kirchliche Amt bei Luther, S. 185–187; dies besonders in Bezug auf das Sakrament des Altars und die Konsekration. An dieser Stelle ist auch die Untersuchung von Manns, „Amt und Eucharistie“ heranzuziehen, die in einigen Punkten die Arbeit von Stein weiter fortführt. Eines der aufschlussreichsten Ergebnisse dieser Untersuchung ist, dass Luther die Konsekration und Verwaltung des Abendmahls Nicht-Ordinierten nie gestattet habe. Luther musste diese theologische Überzeugung in späteren Jahren anderen gegenüber verteidigen, die aus seinen früheren Schriften das Recht ableiteten, das heilige Abendmahl im häuslichen Kreis zu feiern. Manns meint, dass „globale und superlativistische Äußerungen über das ,Ministerium verbi‘ […] durch die ebenso schlichten wie konkreten Weisungen in den untersuchten Einzelfällen interpretiert und korrigiert werden“ (Anm. 78). Die Motivationen von Befürwortern der Hauskommunion zur Zeit Luthers „erscheinen […] auch als ,Grundthesen‘ der verschiedenen Monographien über Luthers Amtsverständnis“ (Anm. 82). Auch wenn der Verfasser es dem Leser seiner Untersuchung schwer macht (37 Seiten Text und 68 Seiten Anmerkungen!), so findet man in den Anmerkungen Quellen bearbeitet, die sonst oft in der Forschung nicht so intensiv wahrgenommen werden. Sie greifen eine Zahl von amtstheologisch-relevanten Themen auf (z. B. Anm. 129: Handauflegung und Gebet; Anm. 135: Cresem; Anm. 141: Person und Amt; Anm. 148: Sakramentsbegriff; Anm. 154: potestas/verschiedene potestates; Anm. 10, 118 und 166: Not-; Anm. 169–175: Bischofsamt und Sukzession). 57 „Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe“ wird als Vergleichspunkt zu bestimmten Inhalten aus den untersuchten Predigten gelegentlich herangezogen (vgl. Steins fünftes Kapitel), und – wie oben bereits angegeben – wird das Wittenberger Ordinationsformular untersucht (siehe 6.3; Stein, S. 192–194). 58 Lieberg, Amt und Ordination. Freilich hatte keine der Monographien und Aufsätze, die bis

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bisherigen Forschung und Diskussion klärende und orientierende Funktion haben59 und wollte nicht nur Luther, sondern auch Melanchthon berücksichtigen. In Bezug auf Luther vertritt der Verfasser die Meinung, dass er dem Amt eine Doppelbegründung gegeben habe, sowohl im allgemeinen Priestertum als auch durch eine göttliche Stiftung.60 Folglich schließt er, dass Luthers Amtslehre durch eine gewisse Zweipoligkeit gekennzeichnet sei.61 Lieberg versucht, beides zusammenzuhalten, und meint, dass die Vokation durch die Gemeinde der Begründung aus dem allgemeinen Priestertum entspreche, die Ordination aber der Begründung aus der Stiftung Christi; eine Amtslehre im Sinne Luthers bestehe gerade in der Erhaltung der Spannung zwischen diesen zwei Polen.62 Lieberg erkennt an, dass die Begründung des Amtes im allgemeinen Priestertum eher in seinen früheren Schriften dominiere, während in späteren Schriften mehr die Stiftung des Amtes in den Vordergrund trete, erkennt jedoch keine grundlegende Veränderung in Luthers Amtslehre, sondern nur eine Entwicklung und Nuancierung; die unterschiedlichen Betonungen in Luthers Schriften seien durch die Positionen der unterschiedlichen Gegner in einem „Zweifrontenkampf“ sowie durch eine allgemeine Notsituation, die mit der Reformation entstand, zu erklären.63 In allen bisherigen Untersuchungen zum Amtsverständnis Luthers kommen Predigten Luthers als theologische Quellen bei Lieberg am meisten zur Geltung. Der Vorteil, der durch die Breite seines Ansatzes gewonnen ist, wird zum Teil dadurch relativiert, dass Lieberg Predigten – wie andere Quellen – aus mehreren und unterschiedlichen Perioden der theologischen Tätigkeit Luthers nebeneinander zitiert und analysiert, so dass es schwierig wird, sich ein Bild von dem zu machen, was Luther zu einer bestimmten Zeit und unter bestimmten Umständen gelehrt und gepredigt hat. Insofern ist das Ergebnis einer Zweipoligkeit im Amtsverständnis Luthers und einer Doppelbegründung des Amts schon zu einem gewissen Grad durch die gewählte Vorgehensweise bestimmt und er-

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1962 Luthers Amts- und Ordinationsverständnis gewidmet worden waren, das Thema so breit oder ausführlich erforscht wie die von Lieberg. Lieberg, Amt und Ordination, S. 14. Lieberg, Amt und Ordination, S. 74. Lieberg, Amt und Ordination, S. 235ff; siehe Goertz, Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt, S. 9–11 und 13f für ähnliche Tendenzen bei Dieckhoff und Elert. Lieberg, Amt und Ordination, S. 235 zusammenfassend. Insofern ist Luthers Auffassung des Amtes (und der Ordination) nicht „rational“ befriedigend, doch zumindest auf zwei Seiten vermeidet sie verhängnisvolle Verabsolutierungen (S. 236f). Zum rational Unbefriedigenden gehören offenbar auch (scheinbare?) Widersprüche, wie z. B. die Aussage, dass der Amtsträger „in seinem Amtstun nur Mund und Hand der Gemeinde, ihr Werkzeug“ sei (S. 90; Hervorhebung JM), gegenüber der Darstellung der Amtsträger als Instrumente Gottes (S. 123–126); für weitere Beispiele vgl. Goertz, Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt, S. 17f. Lieberg, Amt und Ordination, S. 238–241.

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möglicht ebenso die Feststellung einer Grundanschauung, die beide Tendenzen prägt und sie letztendlich auch systematisch einordnen lässt.64 Es kann nicht die Aufgabe der vorliegenden Untersuchung sein, ein Urteil über die gesamte Forschung zu Luthers Amtsverständnis abzugeben, viel weniger noch jede Stimme sachgemäß zu bewerten, die sich in der enormen Debatte artikulierte, die weit über die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückgeht. Stattdessen wird hier eine konzentrierte Textarbeit an bestimmten, bis dahin für die Thematik nicht ausreichend wahrgenommen Luther-Quellen angestrebt, deren Ergebnisse dann ins Gespräch mit der bisherigen Forschung sowie mit Fragen der gegenwärtigen ökumenischen Diskussion zwischen der römisch-katholischen Kirche und den lutherischen Kirchen gebracht werden sollen. Im Folgenden geht es darum, diese Quellen und die auf sie anzuwendende Arbeitsmethode näher zu erläutern.

1.3

Luthers Predigten

Auch wenn die bisherige Forschung zu Luthers Amtsverständnis sich wenig mit Luthers Predigten beschäftigt hat, bleibt dennoch die Frage, ob es sich lohnt, dem Amtsverständnis Luthers anhand seiner Predigten, und zwar in erster Linie allein anhand seiner Predigten, nachzugehen. Wird der Blickwinkel beim vorgesehenen Kurs nicht zu eng, der Horizont zu schmal? Eigentlich wird man hier mit einer noch grundsätzlicheren Frage konfrontiert: Was für eine Stellung haben Luthers Predigten für Studenten und Wissenschaftler, die Luther verstehen wollen? Welchen Rang dürfen Luthers Predigten im Ganzen seiner theologischen Tätigkeit und für sein Lebenswerk beanspruchen? Wenn man die Lutherforschung oder Luthers Rezeption und den Rückgriff auf ihn in der Systematischen Theologie und der Kirchengeschichte beobachtet, kann man schnell feststellen, dass der Prediger Luther nicht vorrangig rezipiert wird. Zwar werden einige Aufsätze oder einzelne Kapitel der einen oder anderen Lutherpredigt gewidmet, aber es wird trotzdem klar, dass Luthers Predigten, wenn sie überhaupt berücksichtigt sind, dann meistens untergeordnet werden.65

64 Hier ist die Kritik von Krarup, Ordination in Wittenberg, S. 8f berechtigt. In gewisser Weise bleibt auch Lieberg der Tendenz verhaftet, die wir bereits oben in Bezug auf Goertz notiert haben (vgl. oben bei Anm. 45): Der jüngere Luther wird nicht unbedingt gegenüber dem älteren gewichtet, doch behauptet Lieberg, die „Grundpositionen seiner Amtslehre“ seien schon in den Schriften aus den Jahren 1520 bis 1523 angelegt (S. 58). 65 Man sollte allerdings nicht pauschal urteilen, denn es gibt Beispiele ernsthafter Auseinandersetzungen mit Luthers Predigten. Siehe zum Beispiel Wiemer, Trost, Kampf und Sieg. In

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Um den untergeordneten Rang der Predigten Luthers und des Predigers selbst in Frage zu stellen, braucht man nur einen Blick auf die Weimarer Ausgabe zu werfen: Ungefähr 30 Bände der kritischen Gesamtausgabe sind Predigtbände – etwa ein Drittel des gesamten Werkes. Kein anderes Einzelgenus nimmt soviel Platz ein. Und obwohl wir im Nachhinein Luthers Tagesablauf nicht mehr exakt rekonstruieren können, liegt die Vermutung anhand der Informationen zu Luthers Predigttätigkeit nahe,66 dass keine andere Beschäftigung soviel Zeit des Reformators in Anspruch genommen hat wie das Predigen.67 Statt zu fragen, wie die Predigten ein- bzw. unterzuordnen sind – statt Predigten als lediglich Mittel zum Ausbau von Anmerkungen zu verwenden – soll vielmehr gefragt werden, wie das, was Luther ansonsten geschrieben, gesagt und vorgetragen hat, mit seiner gepredigten Theologie in Einklang steht. Wenn Luthers Predigten „nicht Anhang oder praktische Konsequenz theoretisch-theologischer Bemühungen“ sind, „sondern deren Kern und Mitte“,68 und wenn „[d]ie Bedeutung der Predigt für Luthers Theologie“ insgesamt zeigt, „dass diese den Rahmen seiner Theologie bestimmt“,69 dann darf man sehr wohl theologischen Themen und Fragen anhand seiner Predigten nachgehen. Nicht die Predigten Luthers in ihrer hochrangigen Stellung als wissenschaftliche Quelle stehen in Frage, sondern die Forschung selbst muss sich mit dem Vorwurf konfrontieren lassen, ob sie den Ansprüchen von Luthers Predigten gerecht geworden ist.

1.3.1 Quellenauswahl Nicht nur die Zahl und Menge der Predigten Luthers berechtigt entsprechende theologische Untersuchungen, sondern auch die Tatsache, dass das Genus der Predigt dem reformatorischen Kern der Theologie Luthers entspricht. Wenn sich das reformatorische Moment – das, was Luthers reformatorische Wende veranlasst hat –, in seinem Verständnis des öffentlich-mündlichen Gabeworts, des Zuspruchs des Heils festmachen lässt,70 dann ist eine genaue Betrachtung des Reformators wahrscheinlich nirgends so notwendig und so vielversprechend wie in Bezug auf die Zeugnisse seiner Verkündigung: Hier ist Luther in seinem die Reformation definierenden Element anzutreffen. Die Stellung der Predigt als theologisches Genus kann im Fall Luthers kaum überschätzt werden: „His

66 67 68 69 70

dieser Hinsicht aber sind vor allem die Bestrebungen Ulrich Asendorfs zu würdigen: siehe besonders Asendorf, Theologie Martin Luthers. Siehe 1.3.2.1 unten. Lehman, „Luther als Prediger“, S. 5: „[D]as Predigen war Herzstück seines reformatorischen Wirkens. Er stand wohl kaum weniger auf der Kanzel als auf dem Katheder.“ Asendorf, „Luther als Prediger“, S.15. Asendorf, „Bedeutung der Predigt“, S. 100. Bayer, Promissio, und Bayer, Martin Luthers Theologie, S. 41–61.

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preaching was not only a vehicle for his theology ; in a concrete sense, it was his theology at work.“71 Der wahrscheinlich bedeutendste Forscher der Predigten Luthers in der letzten Zeit konnte sogar zum Schluss kommen: „[D]ie Predigt ist das Herz seiner Theologie.“72

1.3.1.1 Quellenauswahl anhand des Stands der Forschung und in Bezug auf das Thema Wenn es in der Forschung ein grundsätzliches Interesse an den Predigten Luthers gab, dann in Bezug auf die Predigten des jungen Luther, um die reformatorische Wende in seiner Theologie festzustellen oder wesentliche Züge der spät-mittelalterlichen Theologie bei ihm nachzuweisen. Jedoch gerade beim späteren Luther gewinnen die Predigten an Bedeutung, besonders in Bezug auf sein Amtsverständnis, das zunehmend in den Jahren, in denen Studenten für die Predigt- und Pfarrstellen in den der Reformation anhängenden Gegenden und Territorien ausgebildet wurden, begründet und erläutert werden musste. Allgemein kann ein Forschungsdefizit in Bezug auf Luthers Predigten festgestellt werden,73 das bei seiner späteren Predigttätigkeit jedoch besonders stark ausgeprägt ist.74 Die Stellung von Luthers Predigten in der Forschung zu seinem Amtsverständnis ist leider keine Ausnahme. Obwohl die Forscher, die der Frage nach Luthers Amtsverständnis nachgegangen sind, mit unterschiedlichen Ansätzen gearbeitet haben, ist ihr Verhältnis zu den Predigten Luthers im Wesentlichen dasselbe. Eine Zentralthese wird anhand einiger „bedeutsamer“ Schriften Luthers aufgestellt, und da diese Untersuchungen in der Regel eine Art Gesamtdarstellung präsentieren möchten, wird die Arbeit oft bei früheren Schriften 71 Lischer, „Luther and Contemporary Preaching“, S. 501. 72 Asendorf, „Luther als Prediger“, S. 15. 73 Eyjûlfsson, „Bewertung von Luthers Predigten“ bietet einen Forschungsüberblick. Auch nach Jahrzehnten aber bleibt Martin Doernes Beobachtung leider noch allzu aktuell: „Im ganzen warten diese Nachschriften [Rörers] aber immer noch auf eine sachgemäße Auswertung sowohl für die Vervollständigung des Bildes vom Theologen Luther wie für eine schärfere Erfassung seines Predigtporträts.“ Doerne, „Luther und die Predigt“, S. 38. (Dem Unterschied zwischen den Nachschriften und den Postillen wird unter 1.3.3 nachgegangen.) In diesem mangelhaft bearbeiteten Umfeld gilt Gerhard Ebelings große Arbeit Evangelische Evangelienauslegung fast als das Standardwerk. Jedoch ist das Buch eigentlich keine Untersuchung der Predigten und des Predigens Luthers, sondern eine Untersuchung zu Luthers Hermeneutik, die sich zum Teil mit seinen Predigten befasst. Selbst der Autor wollte seine Leistungen in dieser Hinsicht abgrenzen: Diese Arbeit ist „Kein Beitrag zu Luthers Homiletik, sondern zu seiner Hermeneutik.“ (S. 26). 74 Asendorf, „Bedeutung der Predigt“, S. 98: „Umso größere Bedeutung kommt für die mittlere und späte Zeit den Predigten Luthers zu. Gerade diese Zeit weist bis heute in der Lutherforschung große Lücken auf.“

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begonnen. Besonders Traktaten, polemischen Schriften und Sendschreiben der frühen Zwanzigerjahre werden Aufmerksamkeit und Bewunderung entgegen gebracht. Weitere Schriften werden mit den „zentralen“ Schriften und mit der auf ihnen aufgebauten Zentralthese verglichen und vor allem die theoriefreundlichen, unterstützenden Elemente werden in dem jeweiligen Diskurs verarbeitet. Wenn ein Wissenschaftler überhaupt eine Art Gesamtdarstellung eines Aspekts der Theologie Luthers aufzubringen versuchen will, ist der geschilderte Vorgang fast unumgänglich und insofern an sich nicht zu kritisieren; das Luther-Korpus ist einfach zu groß, als dass die Forschung nicht Schwerpunkte setzen und „Hauptschriften“ wählen müsste. Das Entscheidende für die vorliegende Arbeit, die einer bestimmten Periode (1535–46) nachgeht und also keine Gesamtdarstellung des Amtsverständnisses Luthers beanspruchen will, ist aber die Stellung der Predigten Luthers in der bisherigen Forschung. Luthers Predigten sind eine größtenteils übergangene Quelle. In der bisherigen Forschung über Amt und Ordination fungieren die Predigten Luthers hauptsächlich wie ein Steinbruch, aus dem ab und zu willkürliche Zitate für Anmerkungen geholt werden. Doch eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Ganzen der Predigten, die ab und zu, hier und da zitiert werden, ergibt sich daraus nicht: Der Inhalt einer ganzen Predigt wird fast nie betrachtet und dargestellt.75 Keineswegs soll dem Gesamten der bisherigen Forschung damit generelle Unangemessenheit vorgeworfen werden, jedoch ist der Umgang dieser Forschung mit den Predigten Luthers unangemessen, denn besonders die Nachschriften erfordern sorgfältige Textanalyse und eine Darstellung ihres theologischen Inhalts, welche sich des Kontexts und des Duktus der jeweiligen Predigt bewusst ist.76 Die oft unbeachtete zentrale Stellung der Predigten Luthers für das Ganze seiner Theologie bedeutet, dass seine Predigten auch eine zentrale Stelle für sein Amtsverständnis haben sollen. Wenn der heutige Student der Theologie und die 75 Lieberg, Amt und Ordination, S. 186–191 widmet Luthers Ordinationspredigt von 20. 10. 1535 (Pr. 1574 [R] WA 41,454–459; vgl. Kap. 6.) eine kurze Behandlung; sie erscheint aber auch an anderen Stellen seiner Arbeit (z. B. S. 109, Anm. 37 und S. 123–125). Goertz, Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt, erwähnt dieselbe höchst einschlägige Quelle in zwei Anmerkungen (S. 106, Anm. 49 und S. 305, Anm. 28). Krarup, Ordination in Wittenberg, bearbeitet die Predigt nur mit Blick auf die Geschichte des Anfangs der regelmäßigen Ordinationen; siehe S. 183ff (für diese Predigt bes. S. 186, Anm. 9; S. 192, Anm. 31; S. 197, Anm. 50; vgl. auch S. 298, Anm. 230). Das Zitat, das er auf S. 177 angibt, ist theologisch gesehen eben nicht „der wichtigste Abschnitt“ von Pr. 1574. 76 Heintze, Predigt von Gesetz und Evangelium, S. 52: „Es gibt in der Regel ein falsches Bild, wenn Zitate aus Predigten oder Vorlesungen als isolierte ,dicta probantia‘ benutzt werden, ohne das Verhältnis des Zitats zu dem jeweils behandelten Text zu berücksichtigen. Was für den wissenschaftlichen Umgang mit der hl. Schrift seit langem selbstverständliche Praxis ist – niemals den Zusammenhang einer Aussage außer acht zu lassen –, gilt in abgewandelter Weise auch als Forderung für die Benutzung von Aussagen Luthers aus Predigten und Vorlesungen.“

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nun auszubildenden Amtsträger der Kirche zuerst Luthers Streitschriften, Traktaten, und Sendschreiben als den „wichtigen“ Dokumenten seines Amtsverständnisses begegnen, dürften sie sich zumindest auch fragen, wie die Wittenberger Studenten zu Lebenszeiten Luthers sein Amtsverständnis vermittelt bekamen. Die Antwort liegt auf der Hand: Vor allem in den Vorlesungen und in den Predigten des Reformators.77 Primär von Katheder und Kanzel hat Luther ihnen ein Amtsverständnis direkt und indirekt vermittelt. Wie andere Forscher gesagt haben, und wie die vorliegende Arbeit auch beweisen wird, war sich Luther der Anwesenheit der Studenten, zukünftiger Amtsträger und anderer Diener der Kirche äußerst bewusst.78 Sowohl von der Kanzel als auch vom Katheder haben sie von Luther ein Amtsverständnis lernen können. Die vorliegende Arbeit widmet diesem Luther, der auf der Kanzel steht, ihre Aufmerksamkeit.

1.3.1.2 Der neue, durch Predigten ermöglichte Fragehorizont Außer der zentralen Stellung der Predigt in Luthers Theologie ist auf die Besonderheit der Predigtgattung aufmerksam zu machen: Im Gegensatz zu den meisten Traktaten, Streitschriften, Disputationen, Briefen und Thesenreihen sind die Predigten einzigartig in ihrer Allgemeinheit. Predigten waren das Alltagsgeschäft der Wittenberger Reformation, bei dem zugleich Studenten und Professoren, Laien und Kleriker, Theologen und normale Bürger angesprochen wurden. Da Luther seine Aussagen vor einer so heterogenen Gruppe traf, verdienen sie eine allgemeine Gültigkeit: Der Inhalt der Predigten – auch in Bezug auf sein Amtsverständnis – gilt nicht als spezielle Unterweisung für besondere Gruppen oder Einzelne in sehr bestimmten Situationen, sondern die Predigten schildern theologische Verständnisse, die Luther vor allen sozialen Schichten und allen Ständen vertreten konnte und jahrelang vertreten hat. Luthers Predigten bieten die Gelegenheit, dem Thema seines Amtsverständnisses in einem neutralen und normalen Umfeld nachzugehen – so neutral und normal wie es zu der Zeit und unter den allgemeinen Umständen der Wittenberger Reformation überhaupt sein konnte. Doch Luther der Prediger war nicht z. B. Luther der Briefschreiber, der oft sehr bestimmte Fragen zu beantworten hatte. Er war nicht 77 Sasse, „Luther und das Wort Gottes“, S. 339 schlägt einen Bogen zu den Schriften mancher Kirchenväter : Die exegetischen Werke z. B. von Augustin und Chrysostomus sind hauptsächlich Gemeindepredigten, die in Kurzschrift aufgenommen wurden. In der Erforschung der Kirchenväter werden Predigten schon längst als theologische Quellen wahrgenommen. 78 Werdermann, Luthers Wittenberger Gemeinde, S. 11–23, 150, 160–161: Die Kritik an dem Versuch Werdermanns, „Luthers Wittenberger Gemeinde“ anhand seiner Predigten zu konstruieren, ist berechtigt. Jedoch ist Werdermanns Hinweis, dass Luther sich der Studenten und Amtsträger unter seinen Zuhörern bewusst ist, zutreffend. Siehe 7.1.1–2.

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in erster Linie das große Aushängeschild der Reformation, das in sehr spezifischen Situationen zu Rat gezogen wurde. Er war nicht zuerst der Polemiker, der sich oft hart in Traktaten ausdrückte, auch wenn polemische Züge in seinen Predigten nicht übersehen werden können. Vor allem war er ein Prediger, der allererst die Aufgabe wahrnehmen wollte, den Predigttext des jeweiligen Tages oder Gottesdienstes auszulegen und ihn seinen Zuhörern nahe zu bringen. In der Regel wollte er kein bestimmtes Thema behandeln,79 auch wenn Themen in den Predigten zu finden sind. Grundsätzlich machte er sich nicht an die Beantwortung von Fragen, die auf spezifische Einzelorte, Einzelmenschen und Einzelsituationen bezogen waren, auch wenn spezifische historische Umstände ab und zu im Hintergrund vermutet oder sogar erkannt werden können.80 Das, was anhand der Textauslegung und -anwendung entstand, und das, was sonst dabei zur Sprache kam, bilden das Material, die Quellenbasis der vorliegenden Arbeit. Entsprechend ist der erste Schritt des Ansatzes dieser Arbeit kein normaler wissenschaftlicher Schritt, denn zuerst geht es gerade darum, nicht eine bestimmte These vorzubringen und nicht eine bestimmte Frage zu stellen. Der erste Schritt ist eher meditativ als erforschend, eher passiv als aktiv. Und auch wenn die Nachschriften oder Stenogramme, die zum größten Teil die Primärquellen bilden, akribische Textarbeit und Genauigkeit von ihrem Leser fordern, soll die erste Haltung die eher passive Haltung des Zuhörers sein. Der hier geschilderte Weg ist freilich riskant, der Kurs zuerst offen, und man könnte am Ende ohne Ergebnis dastehen, zumindest nicht mit dem, das man erwartet hatte, nicht mit den Antworten zu den Fragen, die man anfangs stellen wollte. Jedoch darf so Luther selbst zur Sprache kommen, seinen eigenen Rahmen bedingen, seine eigenen Ziele setzen, soweit ein Prediger, der zwischen Predigttext und Predigtzuhörern steht, eigene Ziele haben kann. Passiv im Umfeld eines allgemeinen Zuhörens ist der erste Schritt des Ansatzes dieser Arbeit der Schritt eines Empfängers, der zuerst nicht der richtigen Antworten bedarf, sondern der zutreffenden Fragen.

1.3.2 Luther, der Prediger Wenn die erste Haltung die des Zuhörers sein soll, gilt die Frage: Wessen Zuhörer? Wer war Luther als Prediger? Angesichts dieser Fragen dürfen wir uns nicht mit dem volkstümlichen Bild des Predigers Luther begnügen. Dies be79 Ebeling, Evangelische Evangelienauslegung, S. 456, Tabelle I. Predigten über Teile des Katechismus sind die Hauptausnahme. 80 Bei Pr. 1885 (WA 47,795–802) kann z. B. das Ableben des Herzogs Georg von albertinisch Sachsen erkannt werden, dessen Tod die Einführung der Reformation im Land unter seinem Bruder Herzog Heinrich ermöglichte.

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schränkt sich in der Regel auf eine Grundkenntnis der Invokavitpredigten (hoffentlich!), eine gewisse Beschäftigung mit den Postillen,81 die Bemerkung, dass Luther zu Hänslein und Elslein auf einfache Art predigte,82 und das Zitat, „Steh auf. Mach’s Maul auf. Hör bald auf.“83 kann aber keinesfalls genügen. Darüber hinaus ist manches in diesem Bild Luthers verkehrt. Haben die Invokavitpredigten einen berechtigten Platz in einem Lutherkanon, so legen aber zum Beispiel die Postillen mindestens genauso großes Zeugnis von ihren Redakteuren und Herausgebern ab wie von Luthers Predigten selbst. Zwar konnte Luther durchaus solch eine Aussage über Hänslein und Elslein machen, aber eine Untersuchung seiner Predigten zeigt, dass er oft sehr theologisch und akademisch anspruchsvoll predigte. Und gemessen an heutiger Predigtweise würde man kaum sagen, dass Luther zu denen gehört, die „bald“ aufhören. 1.3.2.1 Luthers Predigttätigkeit Die mehr als 2000 Predigten Luthers, von denen schriftliche Zeugnisse existieren, sind nur ein Teil der Predigten, die Luther gehalten hat.84 Kurz gesagt: Luthers Predigttätigkeit war enorm. In der Regel predigte er zwei- bis viermal pro Woche, zu den Festzeiten des Jahres jedoch steigerte sich die Zahl oft erheblich. „[I]n his heyday [he] preached from seventy to one hundred and fifty times a year,“85 im Jahre 1528 fast zweihundert Mal. Während der Abwesenheiten des Stadtpfarrers Bugenhagen kamen noch weitere anspruchsvollere Predigtaufgaben hinzu. In den Jahren 1537–1539, aus denen Predigten für die vorliegende Arbeit untersucht wurden, war dies zum Beispiel der Fall. Jedoch kam eine so große Zahl von Predigten weder aus der unerschöpflichen Kraft des Predigers zu Stande, der oft, besonders in seinen späteren Jahren, das Predigen eine Zeit lang wegen Schwachheit oder Krankheit lassen musste, noch aus reinen schöpferischen Mächten. Denn Luther war Prediger in einem ziemlich geordneten System. Luther hielt sich an das altkirchliche Perikopensystem.86 81 Nembach, Predigt des Evangeliums dürfte sich ausschließlich mit den Kirchenpostillen beschäftigen. 82 WA TR 3,310,12 (Nr. 3421). Vgl. Doerne, „Luther und die Predigt“, S. 40. Vgl. MacKinnon, Vindication, S. 310. 83 WA 32,302,24–26 („Das fünfte, sechste und siebente Kapitel Matthaei gepredigt und ausgelegt“, 1532): „Denn das sind die drey stuck, wie man sagt, so zu einem guten prediger gehoren: zum ersten das er aufftrette, zum andern das er das maul auffthu und etwas sage, zum dritten das er auch konne auffhoren.“ Für eine etwas längere Liste von Eigenschaften eines guten Predigers vgl. WR TR 2,531,4–9 (Nr. 2580) (von Meuser, Luther the Preacher, S. 40 und Wilson, „Preaching as God Speaking“, S. 68–69 zitiert). 84 Brooks, „Luther the Preacher“, S. 38: „up to a mere two-thirds“. 85 Brooks, „Luther the Preacher“, S. 38. 86 Im Unterschied zur Consuetudo Romana, vgl. Ebeling, Evangelische Evangelienauslegung, S. 21–25.

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Darüber hinaus war der wöchentliche Predigtplan in Wittenberg ziemlich festgelegt:87 Sonntags um 05:00 oder 06:00 fand die Mette, um 08:00 oder 09:00 die Messe und am Nachmittag die Vesper statt. In der Regel gab es bei der Mette eine Predigt über die Epistellesung und bei der Messe eine Predigt über das Evangelium des Sonntags. Bei der Vesper konnte einer von diesen Texten wieder aufgenommen oder über einen Text aus dem Alten Testament oder dem Katechismus gepredigt werden. In der Regel wurde aus dem Katechismus am Montag und am Dienstag gepredigt. Für Mittwoch war das Matthäusevangelium vorgesehen und für Samstag das Johannesevangelium. Am Donnerstag und Freitag wurden Episteltexte gepredigt. Der Plan war zwar nicht strikt verbindlich noch wurde ihm sklavisch gefolgt, aber er wurde meistens eingehalten.

1.3.2.2 Luthers Predigtstil In dem geordneten System sah sich Luther zu allererst an den Predigttext gebunden. Selten predigte Luther ohne die Absicht zu haben, einen bestimmten Schrifttext (meistens den vorgesehenen Text des Tages oder der Woche) auszulegen. Die „textlosen“ Predigten befassen sich meistens mit Teilen des Katechismus.88 Das Neue an der Predigt Luthers war in der Tat ihre Schriftgebundenheit. Die „schriftauslegende Predigt“89 neigt dazu, „so rasch wie möglich zum Text“ zu eilen, um ihn Vers für Vers auszulegen und zugleich anzuwenden.90 Kunstvolle Anfänge oder Abschlüsse findet man nicht oft, und nur selten nennt Luther eine Gliederung. Luthers Predigten sind durch eine gewisse „Formlosigkeit“ gekennzeichnet; wenn er sich an die Schrift gebunden fühlte, fühlte er sich offensichtlich bei der Gestaltung der Predigt frei. Auch wenn er in der Regel dem Schrifttext Vers für Vers folgt, ist sein Vorgehen fließend.91 Soweit wir wissen, predigte er nie von einem Manuskript, sondern etwas improvisiert von Notizen oder einer Gliederung. Die Tatsache, dass er seine Predigten nicht vorlas, trug zu seinen lebendigen und freien Ausführungen bei. Man könnte seinen Stil nicht „zuchtlos“ nennen, aber er war „regellos, unberechnet, lebendig, einem ungeregelten Strome gleich.“92 „[H]e is a master of the art which consists in ignoring arti87 Für den Plan vgl. Niebergall, „G. Predigt I. Luther“, S.270 und Meuser, Luther the Preacher, S. 37f. 88 Für einen hilfreichen Überblick, vgl. Ebeling, Evangelische Evangelienauslegung, S. 456, Tabelle I. 89 Hirsch, „Luthers Predigtweise“, S. 2. 90 Niebergall, „G. Predigt I. Luther“, S. 272 (Zitat) und 263. Vgl. Niebergall, „Predigt nach ,De Servo Arbitrio‘“, S. 84: „anredende Auslegung des biblischen Wortes“. 91 Hirsch, „Luthers Predigtweise“, S. 10. 92 Althaus, „Luther auf der Kanzel“, S. 17, zitiert von Meuser, Luther the Preacher, S. 57.

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fice.“93 Die Formlosigkeit gibt Luther die Freiheit, Gedanken zu ergreifen und sie von einem Aspekt zum Anderen zu erläutern und auf die Zuhörer anzuwenden. Nicht selten kommt Luther nur bis zum ersten oder zweiten Vers seines Schrifttextes, da ihr Inhalt seine Predigt sozusagen mitreißt. Ungeschliffen, unprätentiös, und manchmal (nach Luthers eigenem Bekunden) unabgeschlossen, packen die Predigten die Zuhörer mit einer nicht erhabenen Anrede an. Es wäre unzutreffend, pauschal zu sagen, dass Luther schlicht predigte. Wir dürfen vermuten, dass „das liebe Hänslein und das liebe Elslein“ nicht unbedingt mit den Nuancen der arianischen Irrlehre oder den historischen Details des Investiturstreits vertraut waren, die in der Tat in Luthers Predigten vorkommen können. Offensichtlich setzt Luther in manchen Predigten solche theologischen Kenntnisse unter seinen Zuhörern voraus. Aber der theologisch oft schwere Inhalt der Predigten bedeutet nicht, dass er kompliziert predigte. Die Sprache, die er bewusst oder unbewusst für sein Predigen wählte, war gewiss eine einfache Sprache: Sie war eine „unkomplizierte, kernige, oft derbe Sprache“.94 Auch wenn Hänslein, Elslein und andere unausgebildete Zuhörer nichts mit Arius anzufangen wussten, hatten die theologischen Ergebnisse des arianischen Streits mit dem Gottessohn zu tun, dem alle Zuhörer in der Predigt begegnen sollten. Luthers bodenständige Redeweise funktioniert als eine für alle Zuhörer begehbare Brücke. Auf der Kanzel scheut Luther weder gewichtigen theologischen Inhalt noch einfache, zugängliche Sprache. Die Bemerkung, dass der Reformator ein „professor in a pulpit“ war,95 ist berechtigt, und diese Tatsache trug zweifellos zu seinem reformatorischen Wirken bei. „Es ist die Eigentümlichkeit der Schriftauslegung Luthers, daß er keinen grundsätzlichen Unterschied kennt zwischen Verkündigung und wissenschaftlicher Exegese.“96 Bei dem Prediger Luther darf man zwar theologischen Themen nachgehen, allerdings sollte der Leser nicht eine aufgegliederte akademisch-wissenschaftliche Behandlung erwarten. Das theologische Gut wird vielmehr in einer auf die Zuhörer gezielten Anrede sozusagen angeliefert. Luthers gepredigte Theologie ist letzten Endes keine Rede über theologische Themen, sondern die Anwendung der Theologie selbst: Das Theologische ist nicht das Objekt einer betrachtenden Behandlung, sondern das Theologische wird vollzogen.

93 94 95 96

MacKinnon, Vindication, S. 312. Niebergall, „G. Predigt I. Luther“, S. 273. Brooks, „Luther the Preacher“, S. 37. Ebeling, Evangelische Evangelienauslegung, S. 11.

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1.3.2.3 Die Predigt als lebendiger, leiblicher Akt Am Cranach-Altar der Stadtkirche in Wittenberg wird Luther als Prediger dargestellt, der der Gemeinde gegenübersteht und mit seiner Hand auf Christus zeigt. Zwischen Luther und der Gemeinde hängt Christus am Kreuz. Und obwohl der Sohn Gottes sterbend dargestellt wird, sind die Tücher um seine Lenden eindeutig „lebendig“: Sie wehen um seine Lenden. Das Porträt ist mehr als ein Bildnis: Es stellt sehr deutlich ein Geschehen dar, bei dem Vergangenheit und Gegenwart (wenn man hier überhaupt mit Zeit-trennender Terminologie reden darf) gleichzeitig sind, bei dem Christus deutlich und zentral präsent ist, bei dem ein Wind, ein pme}la, eine ;(9, L – bei dem der Geist deutlich tätig ist. Auch wenn Luthers Theologie nicht immer von Cranachs Kunst abgeleitet werden darf, ist diese bestimmte Darstellung jedoch ein prägnantes und einschlägiges Bild für Luthers Predigen und für sein Predigtverständnis. Luther setzt in der Tat bei seinem Predigen mit einer gewissen Dringlichkeit ein, und diese Dringlichkeit ist eine eschatologische.97 Luther verstand die Predigt als ein Ereignis in einem kosmischen und eschatologischen Kampf zwischen Gott und dem Satan, der um das Heil der vor dem Prediger stehenden Zuhörer ging.98 Der Rahmen der Predigt, das Feld, in dem gepredigt wird, wurde apokalyptisch verstanden.99 Und in diesem apokalyptischen, eschatologischen Umfeld ist die Predigt eine Kampfhandlung.100 In der Predigt und durch die Predigt wird der Glaube vermittelt und das Heil gegeben. So ist die Predigt ein Heilsgeschehen und ein Rechtfertigungsereignis.101 Die Predigt referiert nicht eine ewige Erwählung Gottes an sich, sondern sie vollzieht das tätige Erwählen Gottes in der Zeit.102 In der Predigt, durch den Mund des Predigers – und wie Cranach zeigt, auch durch seine Hand – spricht Gott selbst.103 Die Predigt ist die leiblich hörbare, äußerliche Anrede Gottes,104 die durch den Mund des Predigers und in den Ohren der Zuhörer geschieht.105 Insofern ist sie zutiefst leiblich und körperlich, ein Geschehen, das der Fleischwerdung des Sohnes Gottes entspricht, das die 97 98 99 100

101 102 103 104 105

Lischer, „Luther and Contemporary Preaching“, S. 503. Vgl. Meuser, Luther the Preacher, S. 25–27. Oberman, „Preaching in the Reformation“, S. 9. Vgl. vor allem Vajta, Theologie des Gottesdienstes, z. B. S. 141: „Die Predigt ist eine Kampfhandlung Christi.“ Siehe auch Niebergall, „G. Predigt I. Luther“, S. 266; Niebergall, „Predigt nach ,De Servo Arbitrio‘“, S. 105; und Ebeling, Evangelische Evangelienauslegung, S. 28. Meuser, Luther the Preacher, S. 26; Niebergall, „G. Predigt I. Luther“, S. 267; Niebergall, „Predigt nach ,De Servo Arbitrio‘“, S. 84 und 102. Vgl. Zehnder, „Predigen wie Luther?“. Wilson, „Preaching as God Speaking“. Meuser, Luther the Preacher, S. 12: „It is God’s very own audible address to all who hear it.“ Vgl. Niebergall, „Predigt nach ,De Servo Arbitrio‘“, S. 103.

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geschöpfliche Leiblichkeit der Menschen wahrnimmt und annimmt. Die Predigt ist ein Akt des lebendigen Gottes – ein leiblicher Akt des gestorbenen, auferstandenen und zur Rechten des Vaters sitzenden Sohnes Gottes, für welchen Akt der Leib des Predigers verwendet wird. Das leibliche Moment, der körperliche Akt ist bei Luther keineswegs nur ein nebensächlicher Aspekt des Predigens, sondern die Tatsache, dass sich in leiblicher Anrede das Handeln Gottes selbst vollzieht, ist für Luthers Predigen, Predigtverständnis und letztlich für sein Amtsverständnis entscheidend.106 Nach Luther ist Gottes Reden leiblich, körperlich, zeitlich, inkarnatorisch: Die Predigt gehört zu „the empirical operations of grace throughout the life of the believer“.107 Das Besondere an den Nachschriften von Georg Rörer ist, dass sie uns immer noch nahe an das Predigtgeschehen Luthers herankommen lassen. Angesichts seiner Mühe und kreativen Entwicklungen des damaligen Abbreviatursystems sowie der langsamen Sprachweise Luthers, gelang es Georg Rörer meistens, das gesprochene Wort Luthers aufzuschreiben,108 so dass eine höchst zuverlässige – wenn auch nicht für andere einfach lesbare109 – Aufzeichnung des tatsächlich Gesprochenen entstand.110 Die Nachschriften schaffen es manchmal sogar, einen bestimmten Tonfall und Dialekt bei Luther wiederzugeben.111 Die Nachschriften von Luthers Predigten, wie Cranach, vermitteln uns einen „leiblichen“ Luther, der sich mitten in einem eschatologischen Umfeld leiblich handelnd versteht. Cranachs Darstellung ist aber nicht wirklich neu; Luther ist nicht der erste Prediger, der leiblich auf den gekreuzigten Christus, das Lamm Gottes, weist. In Cranachs Darstellung hat Luther die traditionelle Stelle und Haltung Johannes des Täufers übernommen.112 Wenn Luther als eine prophetische Figur schon im Werk Cranachs abgebildet werden kann, und wenn die 106 Niebergall, „Predigt nach ,De Servo Arbitrio‘“ zeigt den Unterschied zu einem humanistischen Verständnis der Predigt nach Erasmus, wonach das eigentliche Sprechen Gottes und Hören des Menschen im menschlichen Herzen geschieht (siehe besonders S. 90). 107 Lischer, „Luther and Contemporary Preaching“, S. 498. 108 Niebergall, „G. Predigt I. Luther“, S. 271. Siehe auch Klaus, „Georg Rörer“, S. 137. 109 Siehe Speer, „Die Sammlung Georg Rörers“, S. 28, und Klaus, „Georg Rörer“, S. 122, 130, und 133: „darunter viel wörter nicht sind vol ausgeschrieben sondern sind nur Signaturen“ (Zitat von Bugenhagen). 110 Ebeling, Evangelische Evangelienauslegung, S. 19. Stimmen, die Rörers Nachschrift abwerten, gehören in der Regel denen, die es nicht wagen, sich mit diesen oft herausfordernden Quellen auseinander zu setzen: siehe z. B. Möller, „Luther als Prediger“, besonders S. 156. 111 Johann Stoltz (vgl. unten Anm. 132) hat z. B. Luthers Nachahmen von oberdeutschen oder schwäbischen Enthusiasten in seinen Nachschriften vermitteln können: „gaischt, gaischt“ (Pr. 1725 [S] WA 46,412,29; vgl. 46,413,23–25). 112 Siehe die Zitate in Werdermann, Luthers Wittenberger Gemeinde, S. 160: „Der Prediger kann nichts anderes tun mit dem ,äußeren Wort‘, als daß er wie Johannes der Täufer ,den Finger ausstreckt und auf Jesus hinweist‘.“ „Dieser ,Finger des Johannes wäre mit eitel Gold, Demant und Smaragd zu schmücken‘!“

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Nachschriften von Rörer und Stoltz sehr oft eine gewaltige und unverbrämte Anrede in der ersten und zweiten Person zeigen, dann muss James MacKinnons Charakterisierung vom Predigen Luthers als „torrential speech alive with the prophetic fire“113 keineswegs übertrieben sein. Luther war sich unter anderem des prophetischen Elements seines Amtes und seiner Predigt bewusst, und der Prediger vermittelte sein Selbstbewusstsein direkt und indirekt durch sein Predigen.114 1.3.2.4 Das vermittelte Selbstbewusstsein des Predigers Luther – ein Amtsbewusstsein Dass Luther als ein Prophet verstanden und sogar dargestellt wurde, ist keineswegs zuerst der ihn ehrenden Hochschätzung von Zeitgenossen, Studenten und späteren Generationen zuzuschreiben, sondern vielmehr auf Luther und sein eigenes Selbst- und Amtsbewusstsein zurückzuführen, das vor allem in seinem eigenen Predigen zum Ausdruck kam. Luther war sich seiner Sendung als Prediger und seines Predigtamtes voll bewusst.115 Er verstand sich als einen, der in einer Linie mit den Propheten und Aposteln sowie mit Johannes dem Täufer steht. Als Prediger nahm Luther sich als eine „Larve Gottes“ wahr, durch die Gott redet und handelt, gleichwie er durch die Propheten zur Zeit des alten Testaments und die Apostel des neutestamentlichen Zeitalters geredet und gehandelt hat.116 Ähnlich wie der Prophet Hesekiel, verstand Luther sich nach dieser Selbst- und Amtswahrnehmung als verantwortlich für die Seele und das Heil seiner Zuhörer im Jüngsten Gericht.117 Kein christlicher Prediger seit Paulus, soweit ich sehe, hat den Gedanken wirklich auszudenken gewagt. Und wenn irgendwo, so schließt sich hier der Ring zwischen der Reformation und der Zeit des Apostels. Die Kühnheit, mit der Paulus 2.Kor. 3 und 4 von seinem Predigtamte spricht, wird in Luther wieder lebendig.

113 MacKinnon, Vindication, S. 317 (Hervorhebung JM). 114 Das in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ständig anwesende Element in der Rezeption des Lutherbildes ist nach Robert Kolb, Prophet, Teacher, and Hero, das prophetische Element: S. 11: „prophet“, S. 12: „prophetic teacher“ und „prophetic hero“. Vgl. WA 10/III,xif: Hier wird Luther nach der Rörer-Nachschrift mit dem Prophetentitel, „Mann Gottes“, genannt. 115 Vgl. Mülhaupt, „Luther, der Prediger“, S. 246, und Werdermann, Luthers Wittenberger Gemeinde, S. 39. 116 Niebergall, „G. Predigt I. Luther“, S. 264. 117 Ebeling, Evangelische Evangelienauslegung, S. 15, Hinweise auf WA 49,318,2–14 (Pr. 1949, 1544) und 49,302,33–303,1 (Pr. 1947, 1544); vgl. Ez 3,16–21 und WA TR 6,340,23–26 (Nr. 7028).

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Damit ist schon gesagt, daß Luther die Predigt der Apostel und unsere durchaus in eine Reihe stellt.118

Luther sah sich selbst als einen Propheten und einen Apostel Gottes in einer Linie mit Johannes dem Täufer stehend. Diese Selbstwahrnehmung bzw. dieses Selbstbewusstsein ist durchaus ein Amtsbewusstsein, das die ganze Predigttätigkeit und Predigtweise Luthers untermauert und formt. Man darf sogar die These wagen, dass ein Proprium – wenn nicht sogar das Proprium – des Predigens Luthers das Bewusstsein seines Predigtamtes und die Zuversicht einer spezifischen göttlichen Sendung ist.119 Luther versteht sein Predigtamt als ein Amt, das er von Gott hat, und versteht sich als einen von Gott gesandten Botschafter. Mit diesem Selbstverständnis und der Zuversicht, die es bringt und gibt, vermittelt Luther ein gepredigtes Amtsverständnis, sowohl direkt, wenn er auf der Kanzel Aussagen über das Amt trifft, als auch indirekt, aber fast ständig durch eine kühne Anredeform während der Predigt, die „göttlichen“ Anspruch erhebt. Der Prediger, wie die Apostel, die Propheten und Johannes der Täufer, ist nämlich ein Gesandter Christi, der an Gottes Stelle redet. Er ist ein „Diener Christi“, der „aus Befehl Gottes, des Allmächtigen, und der hohen göttlichen Majestät“ spricht, verkündigt und warnt.120 Wenn der Prediger für Christus bzw. an Christi statt redet121 – wenn Christus durch den Prediger redet, dann ist Christus selbst anwesend, tätig redend und handelnd. Die Tätigkeit des Predigers ist nicht die Tätigkeit eines Dieners, die bei der Abwesenheit seines Herrn ausgeübt wird, sondern der Herr ist vielmehr in und durch den Diener anwesend, präsent. Wenn man Luthers gepredigtes Amtsverständnis begreifen will, ist es entscheidend, dass man Luthers Verständnis der Präsenz Christi in dem Prediger und durch ihn – in und durch sein Amt – erkennt. Sicherlich kann man von verschiedenen Präsenzweisen des erhöhten Christus reden,122 zu denen auch eine allgemeine Präsenzweise Christi in seiner Kirche gehört. Doch darf die Präsenz Christi im Predigtamt nicht einfach nach dieser Präsenz in seiner Kirche verstanden werden, denn Christus ist nicht nur oder erst in einem Gesamtgeschehen von Sprechen und Hören, von Predigen und Zuhören präsent. Er hängt nicht sozusagen unbestimmt in der Luft, bis er bei glaubendem Zuhören endlich 118 Hirsch, „Luthers Predigtweise“, S. 16. 119 Vgl. WA 51,517,22–28 (Wider Hans Worst, 1541): „Denn ein Prediger mus […] mit Jeremia […] mit S. Paulo, allen Aposteln und Propheten trötzlich sagen: Hec dixit Dominus, Das hat Gott selbs gesagt. Et iterum: Ich bin ein Apostel und Prophet Jesu Christi gewest in dieser predigt.“ Vgl. Meuser, Luther the Preacher, S. 59. 120 WA TR 6,340,30–33 (Nr. 7028). Vgl. MacKinnon, Vindication, S. 314. 121 Vgl. Apol VII,28 (BSLK 240,47). 122 S.o. 1.1.

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ankommt und präsent sein darf. Er ist zuerst im Amt präsent, vor allem Zuhören, vor allem Glauben, als der, der spricht und erst etwas zu hören gibt, womit er den Glauben erst schafft. Anhand von Luthers Predigten und seinem Predigen kann man feststellen, dass sein Verständnis des Predigtamtes zutiefst christologisch ist. Das Amt und Christi aktuale Präsenz im Amt sind von Gott gesetzt: Durch das Amt wird Glauben und Leben geschaffen, und das von Gott Geschaffene wird behalten und bewahrt. Andererseits bleibt das Amt und Christi aktuale Präsenz im Amt zutiefst menschlich: Seine Präsenz fängt nicht erst an, wenn Glaube und Leben entstehen, sondern ist schon vorher gegeben, und insofern ist seine Präsenz eine Präsenz, die zumindest in der Zeit zwischen seiner Himmelfahrt und seiner Wiederkunft abgelehnt und abgewiesen werden kann. Dem Göttlichen kann weder widerstanden noch kann es abgelehnt werden; dem Menschlichen allerdings schon. Das Amt versteht Luther christologisch: Im Amt ist Christus anwesend und tätig und seine Anwesenheit und Tätigkeit sind sowohl von göttlicher Art, schöpferisch und schaffend, als auch menschlich, verborgen, ablehnbar und insofern gnädig – eine Gabe im äußersten Sinn. In Bezug auf das Predigen an sich lässt sich zeigen, dass Luther sein Predigen von seinem Amt her als das Predigen Christi verstand. Folglich hat Luther in seinem Amt nicht nur die Aufgabe, das Wort Gottes zu predigen (das auch!), sondern er durfte sein Predigen als das Wort Gottes verstehen. „Wenn ich predige, er predigt in mir […].“123 Nicht nur das, was gepredigt wird, ist göttliches Handeln bzw. von Christus, sondern die Tatsache, dass gepredigt wird – das Predigen selbst – ist göttlich bzw. von Christus. Wenn der Prediger predigt, predigt Christus. Wenn der Prediger redet, redet Gott.124 Der Mund des Predigers ist der Mund Christi, der durch ihn die Gemeinde anredet.125 Luthers Ver123 WA 20,350,6 (Pr. 655, 1526): „Quando ego praedico, ipse praedicat in me […].“; zitiert von Vajta, Theologie des Gottesdienstes, S. 204, Anm. 28. 124 Wilson, „Preaching as God Speaking“, S. 63: „Luther’s greatest service to preaching is the recovery of the biblical understanding of preaching – God speaking (Deus loquens).“ Hirsch, „Luthers Predigtweise“, S. 19: „Aber nicht nur das, was der Prediger sagt, sondern auch sein Sagen selbst ist nach Luther von Gott.“ Meuser, Luther the Preacher, S. 13: „[N]ot only is the preacher’s word God’s word, but when the preacher speaks, God is really present and speaking. In the sermon one actually encounters God.“ WA 47,229,30–33 (Pr. 1939, 1541; vgl. Wilson, S. 64): „Dan ich hore wohl die predigt, aber wer redet? Der pfarherr? Nicht also, du horest nicht den pfarherr. Die stimme ist wohl sein, aber das wortt, das ehr fhuret oder redet, das redet mein Gott.“ 125 Niebergall, „G. Predigt I. Luther“, S. 264: „Luther ist vielmehr zutiefst davon durchdrungen, daß Christus heute und hier durch den Prediger zur Gemeinde redet, daß die Predigt das Wort Gottes nicht nur lehrt, sondern tatsächlich bringt. Ja, Luther kann gelegentlich das gesprochene Wort des Predigers vor der Gemeinde mit dem Wort Gottes identifizieren, der Mund des Predigers wird geradezu zum Mund Christi.“ Vgl. WA 45,616,31–34 („Das 14. und 15. Kapitel S. Johannes durch D. M. Luther gepredigt uns ausgelegt“, 1538/37): „Denn die finger, so mich getaufft haben, sind nicht des menschen, sondern des Heiligen Geists finger, Und des predigers mund und wort, das ich gehort habe, ist nicht sein, sondern des Heiligen

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ständnis des Predigens und des Predigtamtes war nicht nur christologisch bestimmt, sondern dieses Verständnis wurde von einer christologischen Kontinuität durchdrungen. Derselbe Christus, der leiblich schon in alttestamentlicher Zeit präsent und tätig gewesen war, der nachher Fleisch angenommen hat, bleibt nach seiner Himmelfahrt leiblich anwesend und leiblich tätig. Die aktuale Präsenz Christi, seine heilsame, rettende, inkarnatorische Tätigkeit findet im Predigen, das den Amtsträgern anvertraut ist, eine Fortsetzung.126 Die aktuale Präsenz Christi im Amt kann und wurde nach Luther nicht auf das Predigen begrenzt. Christus ist nicht nur der, der durch den Mund des Predigers redet, sondern er ist der, der durch den Prediger bzw. Pfarrer tauft, absolviert, lehrt und das Sakrament des Altars verwaltet und austeilt. „Höre zu, Bruder : Gott, der Schöpfer Himmels und der Erde, redet mit dir durch seine Prediger ; er tauft, katechisiert [und] absolviert dich durch die Darreichungen seiner Sakramente.“127 In der Gegenwart hat der leiblich handelnde Christus nicht nur einen Mund sondern auch unter anderem Hände. Luther versteht sich nicht nur im Akt des Predigens, sondern im gesamten Handeln und in der ganzen Tätigkeit seines Amtes als ein Werkzeug Christi und des Heiligen Geistes. Das Selbstverständnis, das Luther durch sein Predigen vermittelt hat, war ein Amtsverständnis, das jeder Amtsträger auch beanspruchen darf. Nach diesem Verständnis ist das Amt ein Mittel, durch das Gott handelt, und damit der Amtsträger ein Werkzeug und Mittler Christi und des Heiligen Geistes.128 Von seinem Amt her, vom Amt, das er seinen Predigten zufolge offensichtlich mit Pfarrern bzw. Predigern gemeinsam hat, verstand Luther sich als ein Instrument und Werkzeug Christi – einen von Christus geordneten und gesandten Diener, in dem Christus präsent ist und durch den er handelt. Dieses Verständnis seines Amtes vermittelte Luther in seinen Predigten, nicht nur wenn er das Amt direkt ansprach und behandelte, sondern auch indirekt durch die Art und Weise, Geists wort und predig, der da durch solch auswendig mittel inwendig den glauben gibt und also heiliget, […]“ Oberman, „Preaching in the Reformation“, macht in diesem aufschlussreichen Aufsatz die folgende Aussage (S. 15): „It should not surprise us that Luther also teaches an ex opere operato doctrine in the third sense as the certain presence of the Word of God in the mouth of the preacher.“ Oberman zitiert auch WA 47,229,30–33 (s. o. Anm. 124). 126 Meuser, Luther the Preacher, S. 14: „Luther went so far as to say that our preaching and Christ’s preaching are the word of God in the same sense, and that the very preaching of Christ continues in our preaching.“ Wen Meuser mit „our“ meint, bleibt unklar, jedoch zeigt seine Arbeit eine fortdauernde Präsenz und Tätigkeit Christi im Predigen der Gegenwart. 127 WA TR 4,531,16–21 (Nr. 4812): „Audi, frater : Deus, creator coeli et terrae, tecum loquitur per praedicatores suos; baptizat, catechizat, absolvit te per sacramentorum suorum ministeria.“; zitiert unter anderem von Brooks, „Luther the Preacher“, S. 39; MacKinnon, Vindication, S. 314; und Wilson, „Preaching as God Speaking“, S. 63. 128 Niebergall, „G. Predigt I. Luther“, S. 265: „[…] der Prediger ist also Werkzeug und Mittler des Geistes.“

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in der er predigte. Seine Zuversicht und Kühnheit auf der Kanzel entsprangen entweder dem Wahn oder der festen theologischen Überzeugung oder beidem, aber sie dürfen bei einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den Predigten Luthers niemals übersehen werden. Luther war sich seines Amtes bewusst und vermittelte seinen Zuhörern dieses „Amtsbewusstsein“ mit einer Autorität, die heutzutage kaum auf einer Kanzel zu finden wäre.129 Auch wenn manche Aussagen des Reformators aus heutiger Sicht ein wenig fremd erscheinen, wenn sein Selbstbewusstsein und seine Gewissheit, ein gottgegebenes Amt auszuüben, uns zuerst vielleicht zu hochgegriffen scheinen, muss der heutige Betrachter zuerst die Tatsache wahrnehmen, wie gerade dieses Selbstbewusstsein und dieses Amtsverständnis der ersten Generation der Pfarrer und Prediger der Wittenberger Reformation, die in Wittenberg studierten, von der Kanzel her präsentiert und vermittelt wurden. Wie schon erwähnt wurde und später zu entfalten sein wird, war sich Luther darüber im Klaren, wem er da predigte: auch den Studenten und zukünftigen Pfarrern bzw. Predigern.130 Er hat sie nicht im Unklaren gelassen über ein seiner Theologie gemäßes Verständnis des Predigtamtes; und dank des Bemühens Georg Rörers und anderer Zeitgenossen können auch spätere Generationen von Studenten vom Prediger Luther immer noch mit diesem Verständnis vertraut gemacht werden.

1.3.3 Information zu den Quellen Der vorliegenden Arbeit liegen die in der WA abgedruckten Nachschriften oder Stenogramme131 Georg Rörers zugrunde,132 soweit diese zur Verfügung stehen.133 129 Zum Verhältnis zwischen Autorität und dem Amt vgl. die Differenzierung des Begriffes ex opere operato bei Oberman, „Preaching in the Reformation“. 130 Ebeling, Evangelische Evangelienauslegung, S. 12: „Ein Ausdruck dieser Einheit von Kirche und Universität war es, daß Luther das akademische Auditorium auch regelmäßig unter seinen Predigthörern wußte.“ Vgl. oben Anm. 78. 131 Man spricht auch von „Mit- bzw. Abschriften“; siehe Speer, „Die Sammlung Georg Rörers“, S. 26. 132 Hauptsächlich die Nachschriften Rörers, die in der Weimarer Ausgabe abgedruckt sind, sind die Primärquellen für die vorliegende Untersuchung. Ausgewählte Predigten aus WA 41, 45, 46, 47, 49, 51 werden berücksichtigt. Für weitere Informationen über die Handschriften, die in der WA abgedruckt sind, sei auf Georg Buchwalds Einleitungen (WA 41,vii–xvii; WA 45,ix–xiv ; WA 46,vii–xv ; WA 47,ix–xv ; WA 49,vii–xvi; vgl. auch WA 10/ III,ix–xiii und WA 37,xiif) sowie auch auf die Informationen bei der Universal Multimedia Electronic Library [UrMEL] der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek [ThULB] Jena hingewiesen (siehe Angabe zum DFG-Projekt unten); für Weiteres über einzelne ausgewählte Predigten sei auf die „Einleitungen zu den einzelnen Predigten“ in den angegebenen Bänden hingewiesen. Zitate und Anmerkungen bezüglich Rörers Nachschriften werden mit „[R]“ angegeben. Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt zur Aufarbeitung des Nachlasses von Georg Rörer, das zeitlich parallel zu diesem

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Rörer war zunächst ein Student Luthers, der im Laufe der Zeit zu einem Konfrater, Freund und engsten Mitarbeiter Luthers geworden ist. Er wusste nicht nur die Predigten Luthers zu schätzen, sondern hat die Aufgabe auf sich genommen, nach Kräften sie für spätere Generationen schriftlich festzuhalten.134 Bald nach seiner Immatrikulation in Wittenberg im Jahre 1522 fing Rörer an, nicht nur die Vorlesungen seines Lehrers niederzuschreiben, sondern auch die Predigten Luthers schriftlich zu fixieren. Aufgrund sprachlicher Begabung und einer selbst betriebenen Weiterbildung im mittelalterlichen Abbreviatursystem gelang es ihm, eine eigene Kurzschrift für diese Aufgabe zu entwickeln. „Er hatte sich darin ein eigenes System geschaffen, das nach und nach genauer ausgebildet und vervollkommnet wurde.“135 Tagein, tagaus – so weit ihn andere Beschäftigungen in den nächsten 24 Jahren nicht davon abhielten – war er ständig damit befasst, soviel von Luther schriftlich festzuhalten, wie er konnte. Nicht einmal die Pest hat ihn davon abbringen können. Vielleicht auch dank seines eigenen Fleißes ist er nicht einfach Wittenberger Student geblieben. Im April 1525 wurde er berufen und von Luther selbst orDissertationsprojekt gelaufen ist, wird nunmehr die Schriften Rörers in digitalisierter und katalogisierter Form elektronisch zugänglich machen: Siehe Deutsche Forschungsgemeinschaft [DFG], Sammlung Georg Rörer, und Speer, „Die Sammlung Georg Rörers“. Dieses lobenswerte Unternehmen wird sicherlich nun „neue Forschungsperspektiven eröffnen“ (Speer, S. 30) und hoffentlich zu einer stärkeren Wahrnehmung Rörers in der Wissenschaft führen. Gelegentlich werden die abgedruckten Nachschriften von Johann Stoltz herangezogen. Bei Zitaten von Stoltzs Nachschriften wird „[S]“ immer angegeben. Für Weiteres über Stoltz vgl. Jauernig, „Stoltz, Johann“ und ausführlicher in Jauernig, „Magister Johann Stoltz“. Soweit Nachschriften von ihm vorhanden sind, werden sie auch in den oben angegebenen Einleitungen Buchwalds präsentiert. 133 Obwohl Rörers Nachschriften den Predigten über Mt 23–24 aus den Jahren 1537–1540, die zum Teil in die vorliegende Arbeit einbezogen und berücksichtigt werden, sicherlich zugrunde liegen, existieren noch nur die Handschriften Aurifabers, auf denen der WA-Text aufbaut (vgl. Buchwalds Einleitung in WA 47,ix–xi). Diese Handschrift Aurifabers ist zwar nicht das Stenogramm Rörers und „erfordert eine kritische Auswertung“ (Junghans, „Aurifaber, Johannes“, S. 754), aber gleichzeitig unterliegt sie nicht der Kritik, die an den Postillen geübt wird (siehe unten), denn diese Predigten über Mt 23–24 erschienen erst in einer Druckfassung im Jahre 1796. Bei Zitaten aus Aurifabers Handschriften wird „[A]“ immer angegeben. Das erste erhaltene Zeugnis für Luthers Pfingstabendpredigt von 1539 (Pr. 1881; WA 47,772–779) ist eine Druckfassung von 1618 (vgl. Buchwalds Einleitung, WA 47,xxiif); der Text für Pr. 2023 (WA 51,135–148), eine von Luthers letzten Predigten, liegt in einer von Matthias Wanckel schon im April 1546 herausgegebenen Druckfassung vor (vgl. Buchwalds Einleitung, WA 51,xif und xiv). Eine Druckfassung für Pr. 1880 (WA 47,757–771) wird auch zum Vergleich zu den Nachschriften von Rörer und Stoltz herangezogen (vgl. WA 47,xxif). Bei Zitaten aus Druckfassungen wird immer „[Dr]“ angegeben. 134 Für weitere Informationen zu Rörer vgl. Müller, „Rörer, Georg“; Klaus, „Georg Rörer“; Koch, „Rörer, Georg“. Vgl. auch die Literaturliste von Eder, „Rörer, Georg“. 135 Müller, „Rörer, Georg“, S. 428. Siehe auch Klaus, „Georg Rörer“, S. 135, aber dagegen Speer, „Die Sammlung Georg Rörers“, S. 28.

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diniert. Seine Geschichte ist die eines höchst aktiven und vertrauten Mitarbeiters der Wittenberger Reformation: Er taufte Luthers Sohn Hans, war ein geschätzter Prediger und Beichtvater, sang die Liturgie bei der ersten deutschen Messfeier und hat auch selbst gelegentlich Ordinanden ordiniert.136 Seiner theologischen Kenntnisse wegen wurde er unter anderem zu den Visitationen im Jahre 1530 und bei Beratungen um die Wittenberger Konkordie herangezogen. Verheiratet mit der Schwester des Stadtpfarrers Bugenhagen galt er als einer der meist geschätzten Mitarbeiter Luthers, in dessen Haus er fast täglich zu Gast war. Er war vielfach mit Luther unterwegs und reiste auch mit ihm 1529 zum Marburger Religionsgespräch. Die wohl engste Zusammenarbeit ergab sich bei den Revisionen der Bibelübersetzung. Schon zur Lebenszeit Luthers beteiligte er sich an der Publikation von Lutherschriften, unter anderem der beiden Katechismen und des Großen Kommentars zum Galaterbrief. Und für die Jahre nach Luthers Tod dürfte er als die wichtigste Figur in der Sammlung, Redaktion, Aufbewahrung und Herausgabe von Luthers Schriften gelten: Er leitete die Ausgabe der ersten vier Bände der Jenaer Ausgabe, und für den Inhalt der ersten vier Bände der Wittenberger Ausgabe hat man Rörer auch letzten Endes zu danken. Das Lob Spalatins, Bugenhagens und Crucigers beweist nicht nur seine Fertigkeit, sondern auch eine Anerkennung schon unter seinen eigenen Zeitgenossen. Auch wenn die abgedruckte, gemischte lateinisch- und deutsche Kurzschrift gerade von ihrem Wesen als Kurzschrift her Schwierigkeiten für den Leser bereiten kann, gelten die Nachschriften Rörers heute zweifellos als die zuverlässigsten Zeugnisse der Predigten Luthers. Kein anderer kam so nahe an das gesprochene Wort Luthers wie Rörer ; kein anderer ergriff die Sprache und den Geist des Gepredigten besser als Rörer. „Hier in diesen Nachschriften […] kommen wir nun freilich in beglückender Unmittelbarkeit an das lebendige Ereignis der Lutherpredigt heran.“137 Gerhard Ebeling meinte sogar, dass „wir größtenteils das wirklich gesprochene Wort Luthers vor uns haben, wenn auch die in den Satzkonstruktionen oft lückenhafte, um der Abbreviaturen willen mehr lateinische als deutsche Niederschrift die Unmittelbarkeit der Überlieferung etwas einschränkt.“138 Obwohl die zum Teil lückenhafte Natur der Nachschriften Rörers manche wahrscheinlich davon abgebracht hat, diesen Quellen Aufmerksamkeit zu widmen, werden sie zumindest nominell in der Lutherforschung als zuverlässige und wertvolle geschätzt139 und ermöglichen eine not136 Buchwald, Ordiniertenbuch, S. 3 (Ordinationen von 02. 02. 1539) und S. 23 (Ordination von 09. 11. 1541). 137 Doerne, „Luther und die Predigt“, S. 37–38. 138 Ebeling, Evangelische Evangelienauslegung, S. 19. 139 Über das Zeugnis der vorangehenden Anmerkungen hinaus vgl. Asendorf, „Luther als Prediger“, S. 14; Lehman, „Luther als Prediger“, S. 7–8; MacKinnon, Vindication, S. 308;

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wendige Korrektur an dem Bild Luthers als Prediger, wie es Generationen lang nur durch die Postillen und andere überarbeitete Ausgaben von Lutherpredigten vermittelt wurde. Nachschriften bieten zwar nicht die leichte Lektüre, die bei den Postillen zu finden ist, dafür entfallen zum großen Teil die unlösbaren Probleme der Redaktions- und Überarbeitungsgeschichte. Bei den Postillen muss die Frage nach dem Redenden immer gestellt werden, und im Vergleich mit den Stenogrammen Rörers dürfte die Bemerkung von Hirsch richtig sein, dass man oft eher die Gedanken und Arbeit des Redaktors und Herausgebers der Postillen als die des angeblich dargestellten Luthers vor Augen hat.140 Wenn man bedenkt, dass das Bild von Luther als „Prediger“ für Jahrhunderte aus den Postillen gewonnen wurde, ist die berechtigte Feststellung, dass die Postillen erstens keine eigentlichen Predigten sind, und zweitens meistens nur mit großem Vorbehalt als die Gedanken und Worte Luthers angesehen werden dürfen, recht ernüchternd. Diese Überlieferung [der Predigten Luthers] bedarf nun freilich der kritischen Sichtung. Das Meiste gibt uns nicht Luthers eigenes Wort, sondern Luther, so wie ihn Cruziger, Veit Dietrich, Stephan Roth verstanden haben. Die von Luther selbst herausgegebenen Teile der Postille zeigen uns den Homileten, der andern Anleitung zur Meditation und Predigt gibt, aber nicht den Prediger auf der Kanzel. Ihn kennenzulernen, müssen wir zu den Nachschriften von Rörer greifen.141

Rörers „Nachschriften ermöglichen es überhaupt erst, ein echtes Bild von Luthers wirklicher Predigtweise zu gewinnen und die späteren Druckbearbeitungen kritisch zu überprüfen.“142 Niebergall, „G. Predigt I. Luther“, S. 271; Niebergall, „Predigt nach ,De Servo Arbitrio‘“, S. 85. Nembach, Predigt des Evangeliums, S. 14–15, der sich in seiner Arbeit mit den Postillen Luthers begnügen zu können meint, gilt als fast das einzige wesentliche Gegenbeispiel. 140 Siehe seine Vorrede zu Hirsch, Luthers Werke in Auswahl, Bd. 7, S. VII: „Was aber als Ersatz des Predigers Luther unter uns umgeht, die Lektüre der alten Bearbeiter von Lutherpredigten, ist wohl geeignet, ein Bild von vor allem Cruciger und Veit Dietrich zu vermitteln, hat aber mit Luther formell gar nichts und inhaltlich nur zum Teil etwas zu tun.“ Im zweiten Kapitel dieses Bandes bietet Hirsch eine überschaubare Einführung zu den Postillen und ihren Herausgebern (S. 39–93). Für weiters zu den Postillen, vgl. auch WA 10/I/2,xli-lxxix; WA 17/II,xvii–xxvi; WA 21,ix–xxv ; WA 22,ix–xix; WA 52,vii–xxviii; und Ebeling, Evangelische Evangelienauslegung, S. 30–37. 141 Frick, „Luther als Prediger“, S. 28. Vgl. auch Doerne, „Luther und die Predigt“, S. 38: „Unsere Vorstellungen von Luthers Predigtweise sind noch viel zu einseitig von der Kirchenpostille her bestimmt, die ja eigentlich keine Predigten, sondern Meditationen und Stoffvorlagen für Predigten enthält. Gerade hier hat die Lutherforschung noch ein weites und verheißungsvolles Feld vor sich.“ 142 Heintze, Predigt von Gesetz und Evangelium, S. 45. Ähnlich dazu äußert sich Müller, „Rörer, Georg“, S. 429: „[…] [E]rst durch ihre Wiederauffindung und Benutzung [ist] das Bild Luthers als Prediger nach […] der Sprache und dem Inhalte der Predigten recht klar geworden […].“

Eingrenzung der Quellen

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Obwohl er den Doktorgrad doch nie erlang,143 war er ein geschätzter und vertrauter Mitarbeiter im Kreis der Wittenberger. In seinen Nachschriften aus den Jahren 1535–1546 haben wir es nicht mit den Notizen eines unerfahrenen jungen Studenten, sondern mit dem Werk eines nun versierten und begabten Schnellschreibers und reifen Wissenschaftlers zu tun. Wenn die als Quellen leider oft übersehenen Predigten Luthers wissenschaftlich wahrgenommen werden sollen, bilden Rörers Stenogramme die zuverlässige Basis, auf der Themen der Theologie des Reformators nachgegangen werden kann. Eben dies wird anhand dieser Schriften in Bezug auf sein Amtsverständnis nun hier unternommen.

1.4

Eingrenzung der Quellen

Bei der Vielzahl der Predigten Luthers ist es kaum möglich, dass ein Wissenschaftler sie alle zur Erforschung seines bestimmten Themas oder der jeweiligen Frage heranzieht. Vielmehr müssen sich wissenschaftliche Untersuchungen auf ausgewählte Predigten Luthers stützen. Die vorliegende Arbeit kann und will nicht alle der mehr als zweitausend Lutherpredigten berücksichtigen. Folglich muss eine Eingrenzung dieser Quellen getroffen werden.

1.4.1 Zeitliche Eingrenzung: Lutherpredigten aus den Jahren, in denen in Wittenberg ordiniert wurde (1535–1546) Die erste Eingrenzung, die zu treffen ist, ist eine zeitliche Eingrenzung. Wie bereits dargelegt will die vorliegende Untersuchung sich bewusst vom Ansatz einer Gesamtdarstellung fernhalten. Um dem Inhalt von bestimmten Texten (Predigten) besser nachzugehen, wird sie nicht die gesamte Zeit von Luthers Wittenberger Tätigkeit untersuchen. Damit können historische Entwicklungen bei Luther, die sich vor 1535 abzeichnen, ebenso außer Betracht bleiben wie beibehaltene Positionen, die sich bis 1535 durchziehen. Andererseits aber, um nicht willkürlich systematische Entscheidungen bezüglich Textauswahl und Schwerpunktsetzung zu fällen, die bei einer Gesamtdarstellung gefällt werden müssten, will die vorliegende Untersuchung nur einen bestimmten Zeitraum untersuchen und auf die vorangehende Zeit zunächst kein Augenmerk richten. Luther hat sich Zeit seines Lebens immer wieder zu bestimmten Aspekten seines Amtsverständnisses geäußert. Hier aber geht es um eine bestimmte Zeit und um 143 Siehe Klaus, „Georg Rörer“, S. 127 und Speer, „Die Sammlung Georg Rörers“, S. 27 gegenüber Müller, „Rörer, Georg“, S. 427.

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Quellen, in denen man auf ein eindeutig positiv artikuliertes und in die Praxis umgesetztes Amtsverständnis Luthers stößt. Bei der heutigen Forschungslage, die systematisch-theologisch bisher von solchen Gesamtdarstellungen beherrscht wurde, erscheint eine zeitliche Eingrenzung notwendig und sinnvoll, und erweist sich schließlich als aufschlussreich. Die gegenwärtige Debatte über Luthers Amt- und Ordinationsverständnis erlaubt es nicht, schon im Vorfeld darüber zu entscheiden, ob bei ihm stets und unabdingbar das Amt an die Ordination gebunden ist und beide unauflöslich zusammengehören. Dies muss zunächst noch eine offene Frage bleiben.144 Andererseits aber findet man bei Luther, dass die Ordination nicht vom Amt zu trennen ist. Es ist keine Frage in der jetzigen Forschungslage, dass – wenn von Ordination die Rede ist – zum Amt ordiniert wird. Das heißt: Amtstheologie und Amtsverständnis leiten sich zwar nicht unbedingt ausschließlich aus der Ordination her, aber wo Ordinationen vollzogen werden, verbindet sich das mit einem Verständnis des Amtes. Folglich ist der Zeitraum, in dem Ordinationen erfolgten, für unsere Untersuchung von Luthers Amtsverständnis vorrangig. Der Stenograph, dessen Nachschriften dieser Arbeit hauptsächlich zugrunde liegen, wurde zwar zusammen mit Johann Mantel im April 1525 selbst berufen und ordiniert, doch fangen regelmäßige Ordinationen in Wittenberg nach geltender Erkenntnis erst im Jahre 1535 an.145 In Bezug auf Amtseinsetzungs- und Ordinationstätigkeit der Wittenberger Reformatoren bedarf die Zeit um und nach 1525 bis 1535 offenkundig noch weiterer historischer Erforschung, mehr als die Zeit ab 1535.146 Da es in der vorliegenden Arbeit weder um Luthers Ordinationsverständnis noch in erster Linie um das Verhältnis von Amt und Ordination bei Luther geht, sondern um Luthers gepredigtes Amtsverständnis,147 und da regelmäßiges Ordinieren in Wittenberg zu einem Zeitpunkt einsetzt, zu dem den künftigen Amtsträgern ein Amtsverständnis sicherlich gelehrt und vermittelt werden musste, ist die Zeit ab 1535 geeignet für eine Untersu144 Wenn im Laufe der vorliegenden Arbeit Überlegungen zum Verhältnis zwischen dem Amt und der Ordination angestellt werden und schließlich Stellung genommen wird (siehe bes. 6.3 und 11.1–4), so geschieht dies unabhängig von der Quellenauswahl. 145 Zum Anfang der regelmäßigen Ordinationen in Wittenberg vgl. WA 41,240,33 (Pr. 1541, 1535) und WA 41,457,33f (Pr. 1574, 1535). Diese Stellen samt der ganzen Pr. 1574 (WA 41,454–459) werden im 6. Kaptiel ausführlicher behandelt. 146 S.o. bei Anm. 25–36 (in Bezug auf die Arbeit von Krarup): Die Predigten Luthers aus den Jahren 1535–1546 spielen in seiner Arbeit keine wesentliche Rolle. 147 Beobachtungen zu Luthers Äußerungen über die Ordination werden hiermit nicht ausgeschlossen. Hier wird einfach festgelegt, dass es nicht das Ziel der Arbeit ist, Luthers Ordinationsverständnis herauszuarbeiten, noch das Verhältnis von Amt und Ordination in seiner Theologie und Praxis festzustellen. Das Thema, dem nachgegangen wird, ist Luthers Amtsverständnis. Wenn in Predigten, in denen dieses Verständnis geschildert wird, Äußerungen über die Ordination vorkommen, wird darauf aufmerksam gemacht; diese Äußerungen sollen in das gepredigte Ganze natürlich auch integriert werden.

Eingrenzung der Quellen

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chung des gepredigten Amtsverständnisses Martin Luthers. Kurzum: Ab 1535 kann man davon ausgehen, dass es Studenten und Ordinanden unter den Zuhörern Luthers gab, die sehr bald selbst Amtsträger sein würden für den Teil der Kirche, der der Wittenberger Reformation anhing. Folglich begrenzen wir den Zeitraum für die Untersuchung auf die Jahre von 1535 bis 1546 (bis zum Tode Luthers).

1.4.2 Historisch-thematische Eingrenzung: Predigten in einem engeren und weiteren Kontext der Ordination Für eine Untersuchung, die präzise Textarbeit an den Mitschriften der Predigten Luthers leisten will,148 wären alle Predigten der letzten Jahrzehnte seines Lebens immer noch eine kaum übersehbare Quellenbasis. Doch trotz Fragen nach dem Verhältnis von Amt und Ordination, die anhand des jetzigen Standes der Lutherforschung auch für die vorliegende Untersuchung zunächst offen bleiben müssen,149 darf die oben getroffene Feststellung, dass die Ordination auf jeden Fall auf das Amt weist, zu weiterer Eingrenzung und Bestimmung der Quellenbasis führen. 1.4.2.1 Predigten von Ordinationstagen Ein Vergleich des Wittenberger Ordiniertenbuches mit den Registern der Predigten Luthers aus der Zeit von 1537 bis 1546 ergibt die Feststellung, dass es 54 Predigten aus dieser Zeit gibt, die Luther an Tagen hielt, an denen er oder ein anderer eine oder mehrere Ordinationen in Wittenberg vollzog. In Bezug auf Luthers Amtsverständnis sind diese Predigten an Ordinationstagen eine bisher unbeachtete Quelle, die einer Untersuchung bedarf. Zuerst aber ist ein zurückhaltendes Vorgehen im Blick auf diese 54 Predigten angemessen. Denn angesichts der oben diskutierten intensiven Predigttätigkeit Luthers darf man nicht einfach davon ausgehen, dass jede Lutherpredigt an einem Ordinationstag auch in dem Gottesdienst gehalten wurde, in dem die Ordination vollzogen wurde. Denn Luther predigte oft mehrmals an einem Tag, besonders an Sonntagen.150 Und auch wenn Luther eine bestimmte Predigt in einem Gottesdienst hielt, in dem es eine Ordination gab, dürfen wir nicht unbedingt erwarten, dass Luther die Ordination oder sogar das Amt zum Thema 148 Vgl. 1.5.1 unten. 149 S.o. bei Anm. 144. 150 Eine deutliche Mehrheit der Ordinationen in diesen Jahren fanden an den Sonntagen statt. Vgl. Buchwald, Ordiniertenbuch.

48

Einleitung

machte. Da das Ordinationsformular bzw. die Ordinationsliturgie selbst eine Anrede an die Ordinanden (außerhalb der Predigt) vorsah, mussten solche Themen in jedem Fall nicht in der Predigt angesprochen werden. Darüber hinaus sind Ordinationen in Wittenberg ab 1535 nach und nach ein Teil des alltäglichen Lebens der Universitätsstadt und des Reformationszentrums geworden. Wenn Luther also zum Thema „Amt“ regelmäßig gepredigt hätte, hätte er sich nicht an die Perikopenordnung halten und den vorgesehenen Text des jeweiligen Tages predigen können, wie es fester Brauch war. Insofern darf man bei diesen Predigten nicht immer Ausführungen über seine Amtstheologie erwarten. Andererseits haben aber alle diese Predigten eine unmittelbare Nähe zu der festgelegten Amtspraxis in Wittenberg und eine historische Verbindung zu dem gepredigten Amtsverständnis Luthers. Und wenngleich ein von der Kanzel vorgetragener Traktat zu seinem Amtsverständnis nicht erwartet werden darf, liegt es doch nahe, dass Luther, der sich an diesen Tagen zumindest mit Ordinanden, auch wenn er nicht selbst die Ordination(en) zu vollziehen hatte, konfrontiert sah, in höherem Maße seines eigenen Amtsverständnisses bewusst gewesen ist und mit Wahrscheinlichkeit darauf zu sprechen kommen konnte. Eine Untersuchung der Predigten an Ordinationstagen bestätigt die Richtigkeit dieser Vermutung: Eine beträchtliche Zahl dieser Predigten weist wesentliche und wertvolle Gedanken zum Amt auf. Bei einer Predigt, Pr. 1882,151 kann sogar gezeigt werden, dass Luther bewusst die nahe stehende Ordination aufgreift und bewusst zu diesem Anlass predigt. Mitsamt der schon oben angesprochenen Pr. 1574152 bleiben schließlich 55 Predigten an Ordinationstagen, die als erster Teil der Primärquellen dienen werden sollen.

1.4.2.2 Predigten über Texte aus dem Ordinationsformular Obwohl es bei Luther einige Predigten über bestimmte Themen – besonders über Themen aus dem Katechismus – gibt, predigte er doch in der Regel nach dem alten Perikopensystem der Kirche.153 Auch wenn Luther in seinen Predigten Exkurse macht und gelegentlich abschweift, bleibt doch klar, dass er den verordneten Predigttext zu predigen versuchte. Wenn man folglich Luthers gepredigtes Amtsverständnis beobachten will, sollte man Schrifttexte untersuchen, die Luther definitiv mit dem Amt (und in diesem Fall mit der Ordination) assoziierte. Daher werde auch Predigten untersucht, die Luther zwischen 1535 und 1546 über Texte gehalten hat, die in dem Wittenberger Ordinationsfor151 WA 47,779–784. Pr. 1882 wird mit Pr. 1574 im 6. Kapitel ausführlich behandelt werden. 152 S.o. Anm. 75. 153 Ebeling, s. o. Anm. 79.

Eingrenzung der Quellen

49

mular154 vorkommen. Die geringe Zahl dieser Predigten ist durch ihr inhaltliches Gewicht aufgewogen.155 1.4.2.3 Predigten von Himmelfahrts- und Pfingsttagen Eine Berücksichtigung der Himmelfahrts- und Pfingstpredigten Luthers lässt sich von zwei Seiten für eine Untersuchung seines Amtsverständnis begründen. Erstens vom Ordinationsformular her : Gebet und Gesang im Ordinationsformular entnimmt Luther dem Pfingstfest.156 Diese Auswahl zeigt, dass Luther Pfingsten mit der Ordination und insofern auch mit dem Amt gedanklich verbindet. Zweitens hat sich bei der Untersuchung der Predigten an Ordinationstagen ergeben, dass der deutlichste amtsbezogene Inhalt und die wesentlichsten Aussagen, die Luthers Amtsverständnis schildern, fast immer mit Motiven einer bestimmten Christologie verbunden sind. Es ist eine Christologie des erhöhten und zur Rechten des Vaters sitzenden HErrn, der den Heiligen Geist sendet. Die Himmelfahrts- und Pfingstmotive können nicht übersehen werden. Sowohl vom Ordinationsformular als auch von der von Luther vertretenen Christologie her lässt sich eine Untersuchung der Himmelfahrts- und Pfingstpredigten begründen.157

154 WA 38,423–433. 155 Obwohl eine gewisse Anzahl von Schrifttexten in dem Ordinationsformular vorkommen, existieren nur wenige Predigten von Luther über diese Texte, wahrscheinlich weil die meisten nicht in der Perikopenordnung vorkommen. I Kor 4,1ff ist aber die Epistellesung für den 3. Sonntag im Advent. Über diesen Text gibt es eine Predigt vom Jahre 1535 (Pr. 1577; WA 41,468–472) und vom Jahre 1545 (Pr. 2018; WA 51,96–99) (Für die Stelle im Ordinationsformular vgl. WA 38,425,13–15, Formular H.). Pr. 1880, die in ihrem letzten Abschnitt I Petr 4,10f behandelt, betrifft auch einen Text aus dem Ordinationsformular (vgl. WA 38,425,13, Formular H.: „boni dispensatores“). 156 „[C]ollecta ,deus qui corda‘ etc.“ (WA 38,424,6f, Formular H.; vgl. den Parallelhinweis in den Formularen F. und R. bei 38,424,12–14) weist auf eine Oration von Pfingsten. Das Gebet ist mit der Antiphon „Veni sancte spiritus“ (vgl. WA 38,424,3f, Formular H.; 38,424,7–9, Formulare F. und R.) verbunden. Die Volltexte von beiden werden mit ausführlichen Literatur- und Liturgieangaben von Sander, Ordinatio Apostolica, S. 334, Anm. 1 und 2 (vgl. S. 122, Anm. 388 und 389, und Tabelle 7, S. 267), wiedergegeben; Antiphon: „Veni sancte spiritus, / reple tuorum corda fidelium / et tui amoris in eis ignem accende, / qui per diversitatem linguarum cunctarum / gentes in unitatem fidei congregasti. / Alleluia, Alleluia.“ Oration: „Deus, qui corda fidelium Sancti Spiritus illustratione docuisti, / da nobis in eodem Spiritu recta sapere, / et de eius semper consolatione gaudere. / Per Dominum.“ 157 Die Jahre 1535–1546 ergeben insgesamt 22 Himmelfahrts- und Pfingstpredigten von Luther.

50

Einleitung

1.4.2.4 Predigten von Aposteltagen und vom Tag Johannes des Täufers Bei der Untersuchung der Predigten an Ordinationstagen war es eindeutig, dass Luther sich und die Prediger und Pfarrer seiner Zeit als Nachfolger von früheren Predigern verstand, ja, dass er sich und sie in einer Linie mit den Propheten des Alten Testaments, Johannes dem Täufer, den Aposteln und den Bischöfen der Kirche sah. Dieses bestimmte Moment der Kontinuität158 ist wesentlich und soll nachher in einem eigenen Kapitel (Kapitel 4) weiter ausgeführt werden. Folglich lässt sich eine Untersuchung seiner Predigten an Aposteltagen und am Tag Johannes des Täufers begründen. In dieser Kategorie ist die Zahl der überlieferten Predigten nicht groß, aber einige bieten einschlägigen Inhalt für das Thema.159

1.4.3 Fazit Die vorliegende Arbeit wird dem gepredigten Amtsverständnis Luthers anhand seiner Predigten an Ordinationstagen, seiner Predigten über Schrifttexte im Ordinationsformular, seiner Predigten an den Himmelfahrts- und Pfingsttagen sowie seiner Predigten an Aposteltagen und dem Tag Johannes des Täufers nachgehen und herausarbeiten. Die Untersuchung wird auf die Jahre begrenzt, in denen es eine feste und kontinuierliche Ordinationspraxis in Wittenberg gab, bis zu Luthers Tod, also 1535–1546. Die Predigten von allen vier Ebenen der Untersuchung zeigen entweder eine gewisse historische (die Predigten von den Ordinationstagen) oder formale (die Predigten über Texte aus dem Ordinationsformular) Nähe zu Luthers Amtsverständnis und Ordinationspraxis, oder ihre Thematik berührt Luthers Amtsverständnis (die Predigten an Himmelfahrts- und Pfingsttagen sowie Predigten an Aposteltagen und am Tag Johannes des Täufers). Alle wurden in den Jahren gehalten, in denen die Frage nach der Amtslehre der Reformatoren immer wichtiger wurde und Luther sein Amtsverständnis und seine Ordinationspraxis direkt oder indirekt verantworten und untermauern musste, nämlich in den Jahren, in denen Studenten und Kandidaten als die zukünftigen Prediger und Pfarrer für die Anhänger der Wittenberger Reformation zum Amt ordiniert wurden. Insgesamt wurden nun 89 Predigten aus der Zeit von 1535–1546 einer gründlichen Textanalyse unterzogen: Aus den 89 erwiesen sich 39 Predigten als 158 Nicht zuletzt angesichts der inhaltlichen Prägungen, die Begriffe wie z. B. „apostolische Sukzession“ in der Gegenwart mit sich tragen, darf man die Kontinuität mit großer Vorsicht „apostolische Kontinuität“ nennen. Es kann aber gesagt werden, dass es eine Kontinuität des Amtes gibt, und dass diese Kontinuität die Apostel einbezieht. Siehe 4.1.3. 159 Die meisten der neun Predigten sind vom Fest Johannes des Täufers.

Arbeitsmethode und Aufbau der Arbeit

51

besonders aussagekräftige Primärquellen. Darüber hinaus bewähren sich bestimmte Teile von 29 weiteren Predigten als für die Untersuchung wertvolle und für das Thema relevante Quellen. Insgesamt sind also 58 der 89 untersuchten Predigten einschlägige Primärquellen und bilden die Basis für die vorliegende Darstellung von Luthers gepredigtem Amtsverständnis.

1.5

Arbeitsmethode und Aufbau der Arbeit

1.5.1 Erklärung zur Arbeitsmethode In der Mitschrift einer Predigt ist nicht ausschließlich ein theologisches Dokument zu sehen. Allein wegen Luthers großer Bedeutung für die Entwicklung und Vereinheitlichung der deutschen Sprache sind seine Schriften auch von sprachwissenschaftlichem Interesse. Besonders die Mitschriften Rörers als die ersten schriftlichen Zeugnisse von gesprochenem Deutsch können Anlass zu sprachwissenschaftlichen Untersuchungen geben. Bei so einer bedeutenden historischen Person wie Luther ist davon auszugehen, dass man seine Reden, d. h. seine Predigten, auch einer rhetorischen Analyse unterziehen kann.160 Über sprachwissenschaftliche und rhetorische Untersuchungen hinaus könnte die praktische Theologie ein begründetes homiletisches Interesse an Luthers Predigten haben. Die vorliegende Arbeit aber zielt auf keine dieser möglichen Untersuchungen und die ihnen entsprechenden Arbeitsmethoden. Ziel dieser Arbeit ist eine textanalytische Untersuchung der ausgewählten Predigten Luthers, die als theologische Dokumente behandelt werden. Diese bestimmten Dokumente werden nach ihrem theologischen Inhalt befragt, welcher herausgearbeitet und schließlich systematisch eingeordnet werden soll. Die Tatsache, dass ein rein historischer Ausgangspunkt für die Untersuchung gewählt wurde, soll keineswegs bedeuten, dass sie nicht auch an der systematischen Theologie orientiert ist und schließlich auf ökumenische Fragestellung hinzielt. Im Gegenteil, die angestrebte systematisch-theologisch orientierte Textanalyse bestimmter, bisher unbearbeiteter, überschaubarer, historischer Quellen, wird sehr bewusst als Korrektiv eingesetzt, um der gegenwärtigen, korrekturbedürftigen systematischen Diskussion einen neuen Ausgangspunkt zu bieten. Zunehmende Klarheit nach systematisch-theologischen Gesichtspunkten soll Vermittlungsvorschläge für eine offene ökumenische Diskussion ermöglichen. Wenngleich eine Untersuchung der Predigten als theologischer Dokumente 160 Zum Teil hat Nembach, Predigt des Evangeliums einen solchen Versuch gemacht. Vgl. aber Anm. 81 und 139 oben.

52

Einleitung

vorgenommen wird, die auf systematische Einordnung ihres theologischen Inhalts zielt, bleibt ein textanalytischer Systematisierungsversuch doch unvollkommen, weil diese anspruchsvollen Texte sich einer durchgehenden Systematisierung oft entziehen. Sowohl in Bezug auf die Art der Texte als auch in Hinblick auf ihren oft strukturlosen Anrede-Charakter geht diese Untersuchung mit folgender systematisch-theologischen Textarbeitsmethode für Luthertexte vor: „[Z]u hören und zu prüfen, sich aufhalten und in Frage stellen zu lassen, kurz: sich selbst und sein Urteil am widerständigen Text zu bilden“.161 Denn besonders eine Predigt braucht Zeit und Raum: Sie hat ein eher meditatives als logisches oder wissenschaftliches Vorgehen. Doch die Meditation ist nicht von der Art, dass sie durch das Meditieren der Zuhörer veranlasst wird, sondern durch Anrede – und mit Luther dürfen wir sie Gottes eigene Anrede nennen – ; sie ist ein göttlich geschaffenes und geschenktes Meditieren, bei dem der Zuhörer nicht etwas bearbeitet, sondern bei dem jemand den Zuhörer bearbeitet. Kurzum die angewandte Arbeitsmethode besteht aus spezifischer Textanalyse einer überschaubaren Zahl ausgewählter Predigten und aus einem meditativen Vorgang, der den untersuchten Quellen gerecht zu werden versucht. Diesen Quellen entsprechend soll dem theologischen Inhalt der Predigten zuerst Raum und Gehör verschafft werden. Erst in einem zweiten Schritt wird nach theologischer Einordnung gestrebt.

1.5.2 Aufbau der Arbeit Der Aufbau der vorliegenden Arbeit entspricht dem literarischen bzw. sprachlichen Genre, das untersucht wird – dem Genre der Predigt. Insofern bietet der Aufbau keine feste logische Reihenfolge oder organische Entwicklung, sondern er ist eher meditativer Art: Der Aufbau versucht dadurch, dem eher meditativen Genus der Predigt gerecht zu werden, und soll dazu anleiten, das zentrale Motiv der Präsenz Christi im Amt unter verschiedenen Aspekten zu betrachten (Kapitel 3–9). Dennoch folgt der Aufbau einer bestimmten Ordnung, und die verschiedenen Aspekte des Motivs der Präsenz werden danach in Luthers Theologie eingeordnet (Kapitel 10) und schließlich in einem systematisch-theologischen Resümee zusammengefasst (Kapitel 11). Zuerst aber soll Pr. 1926 (WA 49,167–170) als eine Einleitung zu Luthers gepredigtem Amtsverständnis dienen, denn diese Predigt bietet alle Aspekte der Präsenz Christi im Amt, die im Laufe der folgenden Kapitel näher zu behandeln sein werden. 161 Bayer, Martin Luthers Theologie, S. x.

2.

Pr. 1926 ([R] WA 49,167–170) als Musterpredigt

Ein Motiv der Präsenz Christi im Predigtamt, das heißt im Amt der Prediger, Pfarrer und Bischöfe, ist in Luthers Predigten zwischen 1535 und 1546 zu beobachten. Dieses für die vorliegende Arbeit zentrale Motiv der Präsenz Christi im Amt entfaltet sich in mehreren Aspekten. Je nach dem Aspekt, unter dem es betrachtet wird, treten diverse Momente sowie unterschiedliche theologische Charakteristika des Amtsverständnisses Luthers ans Licht. Obwohl in den Kapiteln 3–9 sieben solchen amtstheologischen Aspekten eingehend nachgegangen werden wird,1 wird an dieser Stelle zunächst Pr. 1926 ([R] WA 49,167–170) als eine Art Einleitung zu Luthers gepredigtem Amtsverständnis präsentiert, weil alle der in den folgenden Kapiteln zu entfaltenden Aspekte in ihr vorkommen. Hier kann das Ziel nicht sein, jeden dieser Aspekte ausführlich zu diskutieren, die Stichhaltigkeit der Bemerkungen des Verfassers dieser Zeilen zu ihnen durch und durch zu begründen, noch alle in diesem Kapitel verwendeten Begriffe völlig zu belegen. Vielmehr soll der Leserin oder dem Leser erst ein Gesamteindruck einer Predigt mit wesentlichem theologischem Inhalt vermittelt werden, so dass Aufmerksamkeit für diese einschlägigen amtstheologischen Aspekte sowie für ihr organisches Zusammenspiel im Kontext einer vollen, intakten Predigt geweckt wird. Die ausführliche Erarbeitung der einzelnen Aspekte folgt in den folgenden Kapiteln. Zunächst wird eine Übersetzung dargeboten. Sie strebt nicht nach der gewöhnlich fließend homiletischen Sprache, wie sie von der Kanzel erklingt, sondern sie versucht, sich so nahe wie möglich an den Text der WA und insofern an das Stenogramm Rörers zu halten und gleichzeitig dem Leser eine verständliche deutsche Fassung anzubieten. Anschließend folgen Diskussion und Analyse des theologischen Inhalts der Predigt, die Luther am 13. Sonntag nach Trinitatis (22. 08. 1540), am Ordinationstag von Symon Mancus und Bartholdus Wippel,2 über II Kor 3,1–63 gehalten hat. 1 Siehe 1.5.2. 2 Buchwald, Ordiniertenbuch, S. 14. 3 WA DB 7,541 („Register der Episteln und Evangelien“) gibt II Kor 3,4–9 als die Epistellesung

54

2.1

Pr. 1926 ([R] WA 49,167–170) als Musterpredigt

Übersetzung

[49,167,1] Predigt am 13. Sonntag nach Trinitatis. Dominica XIII; II Kor 3. [49,167,2–7] Was wollten die Mönche, welche diese Epistel auf diesen Sonntag [so] gestellt haben?4 Es ist eine Epistel, die Paulus in besonders großer Freude schrieb, [obwohl] er nicht so viel davon redet. Er ist so voller Freude, dass er dem Fass den Boden aus[stösst]. [Die] Korinther hatten ihn fröhlich gemacht[: Sie] besserten sich [und] nahmen seine Strafe an. Das gefiel Paulus äußerst wohl, und er nahm [ihre Besserung] als ein[en] Schatz an[, den er in einem irdischen Gefäß hat.5] Und aus[gehend von] der Besserung redet er daher von der Klarheit, vom Buchstaben und vom Geist. [49,167,7–16] Einst unbekannt, sollen wir nun mit Recht an seine Redewendung gewöhnt sein. Sie ist reich und voll: [Ich] trau[e mich] nicht, sie aus [zusprechen:]6 „Wir haben ein solches Vertrauen.“ Rühmt [er] sich daher, er sei ein wirkmächtiger Mann und könne ein solches Werk herstellen, während7 Himmel und Erde daran zu lachen hätten, usw.? Aber, dass [wir] so [ein] großes Werk herstellen, geschieht nicht aus unseren Kräften, und doch wissen wir und dürfen wir unsere Zuversicht darauf setzen, dass, wenn wir etwas tun, so ist es auch vor Gott getan, aber nicht aus unseren Kräften. Wir können es vor Gott

4

5

6 7

für den 12. Sonntag nach Trinitatis an, nicht für den 13., wie hier bei Pr. 1926 [R] WA 49,167,1. Von der Predigt selbst wird es klar, dass Luther das ganze 3. Kapitel des 2. Korintherbriefes im Blick hat, auch wenn er im Vollzug nur bis zum 6. Vers gekommen ist (vgl. WA 49,170,21). Luthers eröffnende Bemerkung bezieht sich auf die Abgrenzung des Textes: Wieso werden II Kor 3,1–3 aus der Perikope (II Kor 3,4–9) ausgelassen? Vgl. unten: Pr. 1926 [R] WA 49,167,16: „Betrachte den Anfang der Epistel[lesung] – dort [wo] der Anfang sein sollte: […]“ („Inspice principium Epistolae. Illic deberet esse initium: […]“). Vgl. II Kor 4,7. Die Abkürzung nach „schatz“ bei Pr. 1926 [R] WA 49,167,6 ist eine Schreibweise von „& c.“ und steht für „etc.“. Diese Abkürzung wird von Rörer oft als eine Art Platzhalter benutzt. Sie kann verwendet werden, um auf eine nur teilweise aufgeschriebene Schriftstelle zu weisen (wie bei der jetzigen Stelle; dies ist auch der Fall bei: WA 49,167,17 [erste Instanz]; 49,170,13, 20, 23 und 35) oder auf vertrauten theologischen Inhalt zu weisen (dies ist der Fall in bei: 49,167,37 [das Credo]; 49,168,13–14 [Taufe und Beichte]; 49,170,34 [die Zehn Gebote]). Sie kann auch für wiederholte Elemente der Predigt oder Auflistungen stehen (vgl. WA 49,168,16, wo sie zumindest für „Hand“ steht; 49,169,23 [vgl. z. B. 49,169,16]; 49,169,31 [vgl. 49,169,30f]). Sonst kann die Abkürzung auf einen Inhalt verweisen, der Rörer einfach bekannt ist (vgl. WA 49,168,30 [die nachgeahmte Rede der Schwärmer] und 49,168,34 [eine wohl lustig gemeinte Erzählung über eine Nonne]), aber ab und zu darf man vermuten, dass Luther tatsächlich etwas wie „und so weiter“ gesagt hat (vgl. 49,169,6). Hin und wieder kann die Abkürzung vorkommen, wenn Rörer einfach Zeit sparen will, um Anschluss an den weiter redenden Prediger zu behalten (vgl. WA 49,169,6, 8, 11, 12 und 16). In Fällen, wo der Inhalt von „etc.“ relativ sicher festgestellt werden kann, wird dieser Inhalt in der Übersetzung angegeben. In anderen Fällen muss „usw.“ im Text der Übersetzung gelassen werden. Vgl. Pr. 1926 [R] WA 49,169,33: „opus inenarrabile“. Gemeint ist wohl nicht einfach eine Redewendung im Predigttext, sondern der gesamte theologische Duktus des Textes. Zu „da“ siehe Baufeld, Wörterbuch, S. 46 und StA 6,42.

Übersetzung

55

rühmen, usw.8 Doch [es]9 geschieht durch Christus [–] und vertraue auf Gott, dass am jüngsten Tag [dieses Werk bleiben wird10 –] und trotzt dem Teufel. [Oder] anders gesagt: [Das,] was wir tun und machen, ist recht. [49,167,16–168,3] Was ist [dieses Werk]? Betrachte den Anfang der Epistel [lesung] – dort [wo] der Anfang sein sollte: [„]Ihr seid ein Brief durch das Predigtamt zubereitet [und durch uns geschrieben, nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes.“]11 [Die Korinther sind] wie Texte[, die der Apostel] hat. [„]Dieses Werk ist nicht aus unserem Verstand[,“]12 [sagt er]. [„] Und ist es dennoch nicht ein großes Ding? Ihr Korinther, ihr seid unser Brief.[“] In Bezug auf das, was er gesagt hat, führt er das Beispiel vom Briefschreiben aus dem Kanzleiwesen an und macht einen geistlichen Brief. [In der Kanzlei] wird mit Feder und Tinte geschrieben. Auf diese Weise [hat] Mose auf steinerne Tafeln [geschrieben]. So machte [Paulus] eine geistliche Deutung des Briefes, den Mose vom [Berg Sinai] getragen hat. [„]Wir bereiten Briefe, die ganz anders sind, als der, den Mose [geschrieben hat]. Wir selbst haben geschrieben und [waren] selbst der Finger Gottes. Was ist es für ein Brief und [was für] Papier? Eure Herzen. Ihr alle, die ihr Korinther seid, alle eure Herzen, die nicht steinern sondern fleischlich sind, [sind unser Brief, aber] nicht wie Mose [geschrieben hat]. Für diesen Brief seid ihr das Papier. Wir selbst sind die Feder[,] die Schreiber[,] die Hand, und wir schreiben nicht [mit] Tinte noch [schreiben wir] tote Buchstaben, sondern [wir schreiben] in eure Herzen mit dem lebendigen Heiligen Geist. Durch unser Predigtamt [seid ihr] geschrieben. Dazu [wurden] nicht Papier [und] Tinte genommen, sondern eure Herzen, und drin wurde durch den Heiligen Geist geschrieben.[“] [„]Wo fährst du hin, so dass du [dich] rühmest, dass [du] den Heiligen Geist für uns in die Herzen geschrieben [hast]? Das müssen die Buchstaben des Heiligen Geistes heißen[, oder]?[“] [„]Ich selbst begehre nicht, dass es Lobbriefe an andere noch an euch [gibt], die [sowieso] aus Kanzleien [stammen]. Ich selbst habe einen sehr andersartigen Brief geschrieben. Euer Herz ist das Papier[. Und es gibt] Tinte. [Das] Wachs ist ein ausgezeichnet stilles, weiches Herz. Meine Zunge ist der Griffel oder die Feder, wie der 45. Psalm [sagt].13 In dieser Feder ist nicht Tinte, sondern [die] Kraft des Heiligen Geistes, der in das Herz schreibt.[“] Es ist anmutig. Der Geist ist der Griffel

8 Ein Verweis auf einen einzelnen Vers ist nicht möglich. Aber das Thema des Rühmens ist ein Kernelement des Schreibens Pauli an die Korinther (vgl. bes. II Kor 9–12) und ein Kennzeichen apostolischen Bewusstseins (vgl. Röm 15,15–18). 9 Hier ist das „Werk“ gemeint. Vgl. Pr. 1926 [R] WA 49,167,11. 10 Vgl. I Kor 3,13ff. 11 Vgl. Luthers 1545 Übersetzung von II Kor 3,3. 12 Vgl. II Kor 3,5. 13 Ps 45,2.

56

Pr. 1926 ([R] WA 49,167–170) als Musterpredigt

Pauli.14 [Die] Herzen [der Korither sind] Wachs [oder] Papier. Die Tinte ist die Gabe des Heiligen Geistes. Die Buchstaben [werden geschrieben], wenn die Predigt durch Zungen geschieht, dann wird in das Herz geschrieben. Wenn [das Herz] still hält und du zuhörst, wird in das Herz geschrieben: [„]Ich glaube an Gott den Vater, [und an] Jesus Christus, usw.[.“] Die Buchstaben werden in dein Herz geschrieben, und [sie werden] so [geschrieben], dass [sie] drin kleben und bleiben. Dein Herz merkt diese Buchstaben und sagt, [„]Dies ist gewisslich wahr.15 Über der Lehre und [dem] Glauben lasse ich [meinen] Leib [und mein] Leben[,] und [darauf] sterbe ich.[“] Also will er freilich, dass wir dem Wort und dem Predigtamt Ehre erweisen und [sie] mit großem Dank empfangen. [49,168,3–28] Ist das nicht eine große Prahlerei, [wenn man meint,] dass Gott seinen Heiligen Geist durch das mündliche Wort des Predigers geben wolle? Er könnte den Heiligen Geist ohne das Sakrament, die Taufe [und] die Predigt geben.16 [Dann] würde er die Prediger nicht brauchen. Aber er will [den Heiligen Geist so] nicht [geben]. Er will mild [und] freundlich regieren, nicht wie am Berg Sinai, wo [seine] Herrlichkeit unerträglich war. Darum verbirgt und verhüllt er sich. Und dennoch ist er anwesend [unter] Formen; [er ist anwesend in] Gestalt [und] Wirkung, die gesehen und mit den Ohren vernommen werden. Du hörst das Wort gepredigt; du siehst[, dass einer] getauft wird. Da kannst du nichts anderes sagen [als]: [„]Es ist eine Stimme, Wasser, aber dennoch ist unser Herr Gott unter dieser Maske.[“ Sie ist] ein Vorhang, unter dem er [sich] verhüllt, damit er zu dir kommen kann – damit du nicht [irgendwohin] läufst, und er hier ist. Der Pfarrer steht [da und] gießt Wasser über Menschen. Ich sehe nichts außer dem Wasser und der Hand des Täufers, und ich höre nichts außer dem Wort[, aber dort tauft und spricht unser Herr Gott]. Ebenso [spüre ich nichts in der Beichte außer, dass der Pfarrer] die Hand auflegt[, aber da legt Gott die Hand auf.] Da [wird] der Christ gelehrt und soll wissen, dass [der Pfarrer] ein Instrument, Werkzeug [und] Griffel ist, wodurch Gott mit uns redet und handelt. Es geht [hier] nicht darum, dass es hier Wasser, eine Stimme [oder eine Hand gibt]. Sondern [ich] soll mich daran gewöhnen[, dass es ist,] wie Paulus sagt: [„] durch uns geschrieben[“]. [Aber] wie [werden sie denn] durch den Geist des lebendigen Gottes [geschrieben]? Ich armer Tropf – soll ich mich rühmen, dass 14 Hier begegnet eine Unstimmigkeit im Bild. Pr. 1926 [R] WA 49,167,34f: „Spiritus est griffel Pauli“. Aber überall sonst ist Paulus der Griffel oder die Feder des Geistes. Folglich wäre unter strengen Beibehaltung der Wortstellung „Spiritus est griffel Paulus“ („Spiritus“ – Genitiv) zu lesen, oder einfacher „Paulus est griffel Spiritus“; auf Deutsch: „Paulus ist der Griffel des Geistes.“ Vgl. WA 49,167,25 („Wir selbst sind die Feder[,] die Schreiber[,] die Hand, […]“ [„Nos sumus fedder, scriptores hand, […]“]) und 49,167,33 („Meine Zunge ist der Griffel oder die Feder, […]“ [„Mea lingua ist griffel vel fedder, […]“]). 15 Vgl. die wiederholte Feststellung des Kleinen Katechismus: BSLK 511,8.37f und 512,13. 16 Vgl. SA-III,VIII,10 (BSLK 455,31–456,5); vgl. auch SA-III,VIII,3 (BSLK 453,16–20).

Übersetzung

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meine Zunge der Griffel [und] die Feder des Heiligen Geistes ist?[!] Und [doch] in genau dieser Zunge [und diesen] Worten – da drin – werden die Gaben des lebendigen Geistes gegeben und dargereicht: Glauben an Christus, [die] Liebe zu Gott und dem Nächsten, Geduld und Sanftmut, und dass du weißt, wer Gott, wer Christus und was der Tod [ist], geschrieben in [eure] Herzen. Das sind reine Buchstaben des Heiligen Geistes, und [sie sind] lebendig, denn der Glaube ist nicht ein totes Ding, wie Farbe an die Wand geschmiert. Wenn du wahrhaftig glaubst, [der Glaube] lebt in [deinem] Herzen und du sprichst. Wenn das Kreuz [kommt], du erträgst [es]. Ebenfalls weißt du, dass der Herr [kein] Taugenichts ist[, sondern, dass er taugt.] Diese Gedanken, die lebendige Buchstaben sind, bewegen dich, damit du so tust und lebst. Über dies sollen wir staunen und Gott [dafür] danken. Durch [unsere] Zunge, unser Predigtamt wird so eine Schrift in unseren Herzen geschrieben. Denn sie werden zubereitet durch das Predigtamt, denn Christus ist der Griffel. Was ist [dann] der Tod? Gerechtigkeit.17 [49,168,28–39] So ist der Heilige Geist in der Zunge und mit ihr, und wie er durch sie spricht, so legt er [es] in das Herz, damit ihr glaubt. Dies ist gegen die törichten Geister,18 die sagen, dass das leibliche Wort nichts sei. [„]Geist, Geist und Offenbarung [muss es geben! Das leibliche Wort] kann es nicht tun.[“] Hier steht unser Predigtamt. Er wird dir nichts Besonderes [über das leibliche Wort des Predigtamtes hinaus] geben. Wenn du wie Barfüßer eine Offenbarung erwirbst – die [ohne Schuhe] umhergegangen sind, damit Gott ihnen außerordentliche Offenbarungen [gibt] – wenn das passiert, kriegst du den Teufel, wie jene Nonne, die einen Kuhdreck auf ihrem Kopf [hatte]. Aber Gott will bei seinem Volk sein. Er kommt zu uns und sagt uns, wie er mit uns sein will, und er plappert nicht. In welcher Form [will er bei uns sein]? Durch unser Predigtamt. Gott sandte die Apostel. Die Welt suchte nicht. Sie werden gesandt zum Haus 17 Vgl. Pr. 1926 [R] WA 49,170,37–42 (im Kontext von 49,170,21–42), besonders die letzten fünf Wörter : „[…] factos alios, ex peccatoribus iustos“ („[…]dass ihr] anders gemacht [worden seid:] Aus Sündern [wurden] gerechte Menschen [gemacht].“). Das Werk des Predigtamtes ist das Werk des Heiligen Geistes – ein schöpferisches, rechtfertigendes Werk, das Sünder und Tote gerecht und lebendig macht. Weil Gott die Prediger und Pfarrer tüchtig gemacht hat und der Heilige Geist nicht von ihren Amtshandlungen zu trennen ist, können Christen ihr Gewissen sozusagen an diese gnädigen göttlichen Handlungen hängen und gewiss und freudig sterben (vgl. WA 49,168,1f und 49,170,9). Vgl. auch WA 49,169,32–35. 18 Zuerst scheint es, als ob nur die Schwärmer oder Anhänger der radikalen Reformation gemeint sind. Aber indem Luther gleich danach „Barfüßer“ nennt, weist er auf eine Gruppe hin, die innerhalb der vorreformatorischen Kirche des Westens stand. Denn im 16. Jahrhundert galt im Deutschland die Bezeichnung „Barfüßer“ vor allem den Franziskanern (vgl. Köpf, „Barfüßer“ und Frank, „Barfüßerorden“). Nach Luther ist Enthusiasmus keineswegs nur bei den Schwärmern aus der radikalen Reformation zu finden, sondern er „stickt in Adam und seinen Kindern von Anfang bis zu Ende der Welt, von dem alten Trachen in sie gestiftet und gegiftet, und ist aller Ketzerei, auch des Bapsttums und Mahomets Ursprung, Kraft und Macht.“ (SA-III,VIII,9 [BSLK 455,27–31])

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Pr. 1926 ([R] WA 49,167–170) als Musterpredigt

[und] zur Stadt. [„]So komme ich zu euch durch das Wort, [durch die] Taufe, [durch] die Schlüssel. Empfangt nur, aber sucht nicht, und sagt Dank wenn ich mich euch gewähre.[“] Wahrlich ist es ein großes Ding, dass Gott nun uns nahe ist. [49,168,39–169,29] Wenn wir [das] glauben würden, [wäre es] kein Wunder, dass [wir] ständig [vor Freude] springen würden. Gott vertraut uns seinen edelsten Schatz an, und in dem sind alle Gaben des Heiligen Geistes. Was ist alle Heiligenverehrung im Vergleich zu diesem [Schatz]? Wie Johannes 14[,23 sagt:] „Wir werden zu ihm kommen [und Wohnung bei ihm machen].“ Wie wohnt [er]? [Er wohnt] dort[, wo] du sein Wort und das Predigtamt, das er gegeben hat, und die Zunge des Predigers hast [– wo] du [die] Taufe, [das] Sakrament [und die] Schlüssel hast. Das sind nicht schadhafte, leere Masken, sondern die Sachen, die er anzieht, [damit er] auch [mit uns] einhergeht, redet und tut, usw. So hat er es im Alten Testament mit den Juden gemacht: Er ging hierhin und dahin in der Wüste. In der Nacht hat er [sich] in einer langen, feurigen Wolke vorgestellt, damit sie sehen [konnten], wo sie waren [und wohin] sie gingen. Während des Tages [war er] in einer schönen Wolke, die [sie] vor der Hitze [und] der Sonne [geschützt hat,] usw. Diese zwei nennt [man] Gottes Angesicht, das ist [die] Gegenwart Gottes selbst, durch die [man] mit Gott spricht und handelt. Ebenso gab er [ihnen] lange Zeit Manna. Da war er auch. Und wo sie Unrecht taten, [da] war er auch.19 Aber du sagst: [„]Wenn er da gewesen wäre und für mich gesorgt hätte [als ich] durch das Meer [ging], usw. und [mir] die Wolke [gegeben hätte], usw., hätte ich mich darum kümmern wollen, mich gut und fromm zu verhalten. Die Juden sind abscheuliche Schalke gewesen, dass sie die Gegenwart Gottes verachtet haben. Ich [hätte das] nicht [gemacht].[“] Ja, Lieber, ja. [Und] was sagt Paulus? [„]Du hast eine andere Wolkensäule, im Vergleich zu der die vorherigen [Wolkensäulen] eitel Kinderspiele [gewesen sind].[“] Du denkst: [„]Unter der feurigen und hellen Wolke hätte ich nichts [Schlechtes] getan, denn Gott ist da [mit mir].[“] Aber wir gebärden uns ja so lästerlich. Ja [wir sind] zehnmal so anstößig in Bezug auf die Wolke, die wir haben. Du weißt, dass Gott zur Rechten [des Vaters] sitzt und sein eigenes Predigtamt bewahrt.20 Er sitzt zur Rechten

19 Wahrscheinlich deutet Luther hier auf die Geschichte des Haderwassers: Ex 17,1–7 und Num 20,1–13. Das Unrecht-Tun passt zu dem Rechtsverb 5=L (Ex 17,2 und 7; Num 20,3 und 13), das auf einen Gerichtsprozess weist. Dass auf diese Geschichte bei I Kor 10,4 gewiesen wird, nach dem der Fels Christus ist, bildet zum Teil den Grund, aus dem Luther Christus in leiblichen Gestalten auch im Alten Testament sehen kann. Der Gott, von dem hier die Rede ist, ist Christus: Vgl. Pr. 1926 [R] WA 49,169,17: „Du weißt, dass Gott zur Rechten [des Vaters] sitzt […]“ („Scis Deum sedere ad dexteram, […]“). 20 StA 6,56: „erhalten“ heißt vor allem „behalten, bewahren, aufrechterhalten“. Götze, Glossar, S. 67 listet unter anderem „aufrecht erhalten“. Vgl. auch Baufeld, Wörterbuch, S. 71: „festhalten“ und „in einem Zustand halten“. Der theologische Gehalt besteht darin, dass der zur

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[des Vaters] auf dem ganzen Erdkreis und setzt die Taufe und das Sakrament vor [deine] Augen hin. Und du hast ihn tausendmal besser als die Juden, denn [Paulus] sagt: [„]Diese haben den Buchstaben, wir [aber] den Geist.[“] Sie [hatten] eine Klarheit, die sie aber nicht ertragen konnten. Mose musste [sein] Gesicht [verhüllen], und dennoch [war diese Klarheit] nichts im Vergleich mit unserer Klarheit. Also [war ihre Klarheit] viel besudelter als das schöne Licht und feinste äußerliche Gebärde, durch die Gott uns sich selbst ausliefert [und anwesend ist]. Wie viele [sind die], die das Evangelium hören und glauben, dass die Zunge Christi ein Griffel ist, den der Heilige Geist in [seiner] Hand hat – wenn ein Knabe getauft wird [und] das Sakrament gereicht wird, [wie viele sind die,] die denken: [„]Hier steht Gott und alle Engel[“]? Dort ist der Brief Christi, [der, d. h. Christus] in dieser Stadt anwesend und am Handeln ist. [Aber] wo sind solche, die es für wahr halten, dass Christus so nahe mit uns durch das Wort und das Sakrament redet und handelt? Ja, ich sehe es nicht, und dennoch ist die Gebärde [da], die [er] gestiftet hat – [diese] sehe ich wohl. [49,169,29–170,20] Und Paulus will sagen: [„Dies] geschieht nicht von Gott ohne Mittel, sondern durch unser Amt.[“] Du bekommst Gnade und Barmherzigkeit weder durch dich [selbst] noch durch Gott ohne Mittel, sondern durch das Predigtamt [bekommst du Gnade und Barmherzigkeit. Daher] soll ich predigen und darreichen. Dies geschieht durch uns, aber andererseits nicht von uns, sondern durch Gott. Es ist also ein unaussprechliches Werk, weil [es] durch die Zunge und die Finger [– durch] das Werk [–] eines Menschen geschehen soll, damit der Heilige Geist in das Herz kommt und einen neuen lebendigen [Menschen] aus dir macht, der [du] vorher ein Sünder im Tod [warst]. Nun dagegen [bist du ein neuer Mensch], und dies durch meinen Finger und meine Zunge. Wann auch immer wir dieses tun, soll man keinen Zweifel daran haben. Aber ein solches Vertrauen [haben wir] nicht aus [uns].21 Wenn [dieses Vertrauen] von uns käme, so wäre es mit einem Dreck versiegelt, wie [es der Fall bei] dem Papst und Mose ist, [die solches Vertrauen] aus ihren eigenen Kräften [und] Werken [haben wollen], [in Fällen] wo sie nicht sagen können: [„]Dies hat [Gott] übergeben.[“]22 [„]Aber wir lassen uns zur Zuversicht gegen Gott gereichen, dass Rechten Gottes sitzende Christus immer noch sein Predigtamt in der Hand hat und für sein Fortbestehen sorgt. 21 Vgl. II Kor 3,4f. 22 Die erste Bedeutung von „mandare“ ist „übergeben, anvertrauen, überlassen“ (auch „überliefern“ und „erteilen“); erst sekundär ist die Bedeutung „auftragen“ und „Auftrag geben“ (auch „verordnen“ und „befehlen“). Siehe Georges, Lateinisch-Deutsches Handwörterbuch 2,792–793; vgl. Menge, Lateinisch-Deutsch, S. 457. Das deutsche Verb „übergeben“ behält das Gabemotiv des Verbes „mandare“. Nach Luther ist es kein Widerspruch, dass Christus sein Predigtamt übergeben hat und noch in der Hand hat, behält und bewahrt: Vgl. z. B. seine Schrift „Von den Schlüsseln“ (1530): „[…] die selbigen schlüssel, die er selbs hat und kein andere hat, die gibt er Petro“ (WA 30/II,497,38f), oder „Ja er befilhet uns sein selbs

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Pr. 1926 ([R] WA 49,167–170) als Musterpredigt

wir Buchstaben [– ja] solche [Buchstaben –] schreiben können, die Buchstaben des Heiligen Geistes genannt werden. Und dennoch mache ich, Paulus, [es] nicht. Ich erfülle das Herz nicht.[“] Eigentlich ist der Apostel Paulus ein Teppichmacher. Aber wenn der Apostel sein Predigtamt ausübt, geht er nicht mit Teppichen [um], sondern mit dem Amt des Heiligen Geistes. Die Taufe [ist nicht mein]; das Evangelium ist nicht mein, sondern Gottes. Da kann ich prahlen und mit Zuversicht handeln. Es ist ein Anderer, der handelt, und dennoch [handelt er] durch uns und gebraucht Zunge, Hand, Wasser und Herz dazu. Und dennoch geschieht ein sehr großes Werk: ein Buchstabe wird geschrieben; die Kirche wird unterrichtet, die [dann] glaubt, liebt, leidet. Und [sie ist] sicher und fröhlich; sie ist keck gegen Gottes Zorn [und] die Hölle. Das kann die ganze Welt nicht machen. Sondern [es ist] ein Werk Gottes. Taufe [und] Absolution [sind Werke Gottes]. [An dem, dass] auch wir wie [arme] Tröpfe [sind], fehlt nichts.23 Aber [dieses Werk] ist nicht von uns. Unsere Tüchtigkeit ist von Gott, so dass man glaubt [und] freudig stirbt. [Dies] tun wir selbst nicht. Wir können es nicht denken. Aber [das,] was wir tun – dazu [kommt, dass wir] Vollmacht haben,24 [welches] von Gott erfolgt, der es [selbst] macht. Dort drückt er deutlich aus, was die Feder ist: [„]Wir selbst haben das Amt, durch das [ihr] zubereitet [seid], so dass ihr der Brief seid, in dem Gott, Christus, die Engel und alle Kreaturen lesen, nämlich: [,]Christus ist gestorben für [unsere] Sünden [nach der Schrift].[‘“]25 Und [dies] wird überall und immer nicht nur in der Gegenwart der Engel, sondern auch [in der Gegenwart] der Menschen gelesen. Lasst uns [also] lernen, das Wort zu ehren, nicht wegen der Persona26 sondern wegen Gott, der solche Macht übet, damit das Wort eines Menschen das bewirkt, was es sagt. So [ist es] wenn ich sage: [„]Ich vergebe dir [deine] Sünden in Jesu Christi Namen.[“] Von der Zunge geht es ins Herz, das einen feurigen Gedanken und Buchstaben fasst und bekommt, nämlich, dass die Sünde vergeben ist. Dazu müssen Gott und alle Kreaturen[, „]Ja.[“] sagen. Und es geschieht durch uns, die für uns tüchtig sind.

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eigen werck.“ (WA 30/II,497,19f). An einen Widerspruch kann erst gedacht werden, wenn das Werk des Amtes und das Werk Gottes im Voraus als getrennt konzipiert werden (vgl. im Gegensatz WA 30/II,497,16f: „Einerley […] nicht zweierley“). Vgl. „feilen“ bei StA 6,60. Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, 2,1559 zu „tugen/tügen“: „kraft haben“. I Kor 15,3. In diesem Kontext behandelt Paulus das apostolische Wort, das die Korinther selig macht. Da sowohl Pr. 1926 [R] WA 49,170,14 (die Zeile vor der jetzigen Stelle) und 49,170,16 das Wort „homo“ aufweisen ist es unwahrscheinlich, dass „personam“ an dieser Stelle einfach „Menschen“ heißen soll. „[P]ersona“ entspricht zuerst der griechischen f~mg und weist auf die Verkleidung eines Schauspielers. Insofern ist „persona“ auf die Maske oder Larve bezogen, die einer trägt. Dazu kommt die Bedeutung „Person“ im Sinne von „Persönlichkeit“ und „Charakter“ (vgl. Georges, Lateinisch-Deutsches Handwörterbuch, 2,1641–1642). Das lateinische Wort wird beibehalten, weil beide Elemente im Blick sind: Gott zieht eine Maske an, und diese Maske ist tatsächlich eine Person.

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Aber weil [wir] da das Wort mit der Zunge und das Amt mit der Hand treiben, daher [sagt Paulus: „]Er hat er uns tüchtig gemacht [das Amt des Neuen Testaments zu führen].[“]27 [49,170,21–42] „Nicht [das Amt] des Buchstabens[, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig].“ Da spazieret er aus und bringt Mose und Christus zusammen. Er spricht von einer zweifachen Klarheit. [Vom] Gesetz in Mose [sagt er]: [„]Als er vom Berg Sinai zurückgekommen war, war sein Angesicht so klar, dass die Juden [ihn] nicht [ansehen konnten]. Wie ein Strahl von der Sonne, so [strahlte es] von seinem Gesicht. Dann musste er eine Decke vor sein Angesicht tun, damit er mit ihnen reden konnte [und damit sie ihn] sehen [konnten].[“] Paulus nimmt den Text und gebraucht [ihn] für sich folgendermaßen: [„]Es war eine himmlische Predigt und Lehre, aber es war nichts im Vergleich zu dieser Klarheit. Jene war zeitlich [und] nicht ganz voll, daher nichts im Vergleich zu unserer [Klarheit].[“] Diese zwei Predigten müssen in der Welt sein: das Gesetz, die Zehn Gebote, welche die Predigt sind[, die sagt]: [„]Tu dies.[“] [„]Du sollst nicht einen anderen Gott haben.[“] Und: [„]Tu dies; tu das nicht.[“] Das ist auch eine heilige Predigt. Wenn [sie] das Herz trifft, macht sie ein schlechtes Gewissen, und [wir] werden falsche Heuchler, [auch] wenn es heilig [ist], wie Paulus [sagt]. [„]Das ist der Buchstabe,[“] sagt Paulus. Darauf [kommt] die andere Predigt, welche die Hauptpredigt [ist]. Im Gesetz hörst du [die Sachen], die du tun musst. Diese Predigt [sagt dir die Sachen], die für dich fein28 sind. Gottes Werke und Menschen-Werke sind zweifach. [Die Werke] Gottes sind weit besser als [die] des Menschen. Mose sagt: [„]Du sollst nicht einen anderen Gott haben. Du sollst deine Eltern ehren, usw.[.“ Das] ist ein schöner Glanz: Trifft er dich, erschrickst [du] davor. Dieser29 [sagt]: [„,]Gott hat seinen Sohn in das Fleisch gesandt,

27 II Kor 3,6. 28 Als passendes lateinisches Äquivalent darf „bonus“ vorgeschlagen werden (Georges, Deutsch-Lateinisches Handwörterbuch, S. 880, II.1.). Für Luther könnte „fein“ „gesund“ heißen (DWB 3,1454, 9). Der Gebrauch im Frühmittelhochdeutsch weist auf „fest“ und „unverbrennlich“ (Lexer, Taschenwörterbuch, S. 265; vgl. Hennig, Wörterbuch, S. 402). In Bezug auf Unverbrennbarkeit s. o. Anm. 10. 29 „Hic“ ist als demonstratives Pronomen zu lesen und weist auf den Heiligen Geist. Dies kann anhand der im Abschnitt (der sich mit den Worten, „Nicht [das Amt] des Buchstabens, sondern des Geistes“ [II Kor 3,6], befasst) wiederholten Gegenüberstellung vom Buchstaben/ Mose und vom Heiligen Geist bewiesen werden. Diese Gegenüberstellung wird besonders in diesen Zeilen prägnant und kann folgendermaßen dargestellt werden: Buchstabe/Mose: Mose sagt: [„]Du sollst nicht einen anderen Gott haben. Du sollst deine Eltern ehren, usw.[.“ Das] ist ein schöner Glanz: Trifft er dich, erschrickst [du] davor. Der Heilige Geist: Dieser [sagt]: [„,]Gott hat seinen Sohn in das Fleisch gesandt, usw.[‘] – für dich.[“] Diese Werke hast weder du getan noch lehren die Zehn Gebote sie. Buchstabe/Mose: Jenes ist vom Buchstaben.

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Pr. 1926 ([R] WA 49,167–170) als Musterpredigt

usw.[‘]30 – für dich.[“] Diese Werke hast weder du getan noch lehren die Zehn Gebote sie. Jenes ist vom Buchstaben. Aber uns hat Gott tüchtig gemacht, damit der Geist uns, die wir predigen, folgt. Wann auch immer Mose [predigt], [ist es] nichts, denn er spricht von unseren Werken. Aber die Predigt Pauli und aller Apostel begleitet der [Heilige] Geist samt seinen Gaben.31 Daher sind alle [diese Sachen] Worte, Dienste und Werke Gottes, die in die Herzen lebendige Buchstaben schreiben, die sich bekannt machen und äußerlich werden, so dass es erscheinen wird[, dass ihr] anders gemacht [worden seid32 :] Aus Sündern [wurden] gerechte Menschen [gemacht].

2.2

Darstellung und Analyse

Anhand des Predigttextes von II Kor 3,1–6, der unter anderem nach Luthers Übersetzung von dem Predigtamt Pauli und der Tüchtigkeit zu diesem Amt handelt, kommt Luther auf Christus und seine Präsenz unter seinem Volk durch das Predigtamt zu sprechen. „[…] Gott sitzt zur Rechten [des Vaters] und bewahrt sein eigenes Predigtamt.“33 Der Gott, von dem in Pr. 1926 die Rede ist, ist

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Der Heilige Geist: Aber uns hat Gott tüchtig gemacht, damit der Geist uns, die wir predigen, folgt. Buchstabe/Mose: Wann auch immer Mose [predigt], [ist es] nichts, denn er spricht von unseren Werken. Der Heilige Geist: Aber die Predigt Pauli und aller Apostel begleitet der [Heilige] Geist samt seinen Gaben. Insofern ist „Dieser [sagt]: [,„]Gott hat seinen Sohn in das Fleisch gesandt, usw.[“] – für dich.[‘]“ eine Aussage über die Trinität. Da das gesagte fast ein direktes Zitat von Röm 8,3 ist, könnte „Hic“ auch auf Paulus weisen (aber nach Pr. 1926 sind Apostel und der Heilige Geist sowieso unzertrennbar). Vgl. Röm 8,3. „[C]omitatur“: Die Grundbedeutung des Verbes „comitor/comito“ ist „zusammengehen“ (Menge, Lateinisch-Deutsch, S. 140). Jedoch zeigt das Verb, dass der Heilige Geist (und seine Gaben) mit der Predigt Pauli und aller Apostel verbunden ist (vgl. Glare, Oxford Latin, 9: „To be connected or associated with“; Lewis und Short, Lewis and Short: „to join one’s self to any one as an attendant“; Georges, Lateinisch-Deutsches Handwörterbuch, 1,1296: „sich jmdm. als Begleiter anschließen“). „To go, be carried, etc., with (a person or thing)“ (Glare, Oxford Latin, 3 [Hervorhebung JM]) gibt die Konnotation an, die auf den theophoren Charakter der Predigt Pauli und aller Apostel weist. Vgl. Luthers Übersetzung von II Kor 3,18: „Nun aber spiegelt sich in uns allen des HErrn Klarheit […].“ Pr. 1926 [R] WA 49,169,17f: „Scis Deum sedere ad dexteram, et erhelt suum ministerium, […]“ An dieser Stelle und nachfolgend wird aus der Übersetzung zitiert und die WA-Stelle und der WA-Text angegeben. Die Reihenfolge der Worte, die aus der Übersetzung genommen werden, sowie die Groß- und Kleinschreibung bestimmter Buchstaben werden z. T. umgestellt, um ein einfacheres Zitieren zu ermöglichen, ohne den Inhalt des Textes zu verändern.

Darstellung und Analyse

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Christus, der sowohl menschliches Fleisch angenommen hat34 als auch zur Rechten des Vaters sitzt. In Pr. 1926 erklärt Luther, wie der fleischgewordene Gottessohn auch nach seiner Himmelfahrt und dem Sitzen zur Rechten des Vaters immer noch bei seinem Volk bleibt – wie er bei ihm präsent ist: „Gott will bei seinem Volk sein. Er kommt zu uns und sagt uns, wie er mit uns sein will […] .“ „Durch unser Predigtamt.“35 Der fleischgewordene Gottessohn behält seine Identität als Immanuel, „Gott mit uns“, durch das Predigtamt. Wie ist die Präsenz Christi in dem und durch das Predigtamt zu verstehen? Wie wird sie von Luther erklärt oder vielmehr dargestellt, direkt und indirekt übermittelt? Wie bekamen Luthers Zuhörer ein Verständnis des Predigtamtes durch diese Predigt, und welcher Art war es? Pr. 1926 bietet eine Reihe von Aspekten, von denen aus Luthers Amtsverständnis betrachtet werden kann, und insofern kann sie als ein Einstieg in das Thema fungieren.

2.2.1 Kontinuität der Prediger – Paulus und Luther, Apostel und Amtsträger Es fällt beim Lesen der Predigt sofort auf, dass Luther Paulus gern und oft nachahmt. Schwieriger ist es aber zu sagen, wo die von Luther nachgeahmte Rede Pauli aufhört und wo Luthers eigene Rede anfängt. Die Grenze zwischen der Predigt Pauli an die Korinther und Luthers an die Wittenberger ist durchaus fließend. Nicht nur vom Inhalt her, sondern in ihrem indirekt dargestellten Selbstverständnis und ihrer Anrede und Anredeweise überschneiden sich die beiden Prediger. [„]Ich selbst begehre nicht, dass es Lobbriefe an andere noch an euch [gibt], die [sowieso] aus Kanzleien [stammen]. Ich selbst habe einen sehr andersartigen Brief geschrieben. Euer Herz ist das Papier[. Und es gibt] Tinte. [Das] Wachs ist ein ausgezeichnet stilles, weiches Herz. Meine Zunge ist der Griffel oder die Feder, wie der 45. Psalm [sagt]. In dieser Feder ist nicht Tinte, sondern [die] Kraft des Heiligen Geistes, der in das Herz schreibt.[“]36

Das Zitat ist eine von Luther nachgeahmte Rede Pauli an die Korinther,37 laut der die Zunge des Apostels als das Instrument dargestellt wird, durch das die le34 Pr. 1926 [R] WA 49,170,35: „[,„]Gott hat seinen Sohn in das Fleisch gesandt, […][“‘]“ („Deus misit filium suum in carnem & c.“). 35 Pr. 1926 [R] WA 49,168,34–36: „Sed Deus wil bey suo populo sein, venit ad nos und sagt uns, quomodo velit nobiscum esse et non pruppeln, qua forma? durch unser ministerium.“ 36 Pr. 1926 [R] WA 49,167,30–34: „Ego non beger, ut literas commendatitias ad alios nec ad vos, quae Canceliis. Ego longe aliam Epistolam scripsi. Cor vestrum est papir, tinten, wachs ist ein fein still, weich hertz. Mea lingua ist griffel vel fedder, ut psal. 45. In qua fedder ist nicht tinten, sed krafft Spiritus Sancti, qui scribit in cor.“ 37 Dass es hier um ein nachgeahmtes Gespräch zwischen Paulus und den Korinthern geht, kann

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Pr. 1926 ([R] WA 49,167–170) als Musterpredigt

bendigen Buchstaben des Heiligen Geistes in die Herzen der Korinther geschrieben werden. Die Stelle, die dem Apostel anhand des Predigttextes aus II Kor 3 zugeschrieben wird, ist schon an sich bedeutsam, aber allein über die Tatsache, dass Luther den Apostel und sein Amt hoch schätzt, braucht man sich nicht zu wundern. Bedeutsamer für Luthers Amtsverständnis ist, dass der Inhalt des oben angeführten Zitats nur wenige Zeilen danach wiederholt wird, aber dieses Mal nicht als eine nachgeahmte Rede Pauli an die Korinther, sondern einfach als Luthers Rede an seine Zuhörer in Wittenberg:38 Ich armer Tropf – soll ich mich rühmen, dass meine Zunge der Griffel [und] die Feder des Heiligen Geistes ist?[!] Und [doch] in genau dieser Zunge [und diesen] Worten – da drin – werden die Gaben des lebendigen Geistes gegeben und dargereicht: Glauben an Christus, [die] Liebe zu Gott und dem Nächsten, Geduld und Sanftmut, und dass du weißt, wer Gott, wer Christus und was der Tod [ist], geschrieben in [eure] Herzen.39

Gerade die Stelle, die dem Apostel in Bezug auf die Korinther und im Verhältnis zu dem Heiligen Geist zugeschrieben wurde, beansprucht Luther nun für sich in Bezug auf seine eigenen Zuhörer. Die Überschneidung der Rede Pauli und der Rede Luthers, die für den heutigen Leser der Nachschrift Rörers zuerst ein wenig irritierend sein mag (da Rörer keine Anführungszeichen in dieser Hinsicht anbietet!), zeigt keineswegs, dass Luther nachlässig predigt oder dass Rörer fehlerhaft mitschreibt. Vielmehr heißt diese Überschneidung, dass Luther einfach davon ausgeht, dass er selbst das, was Paulus von sich und seinem Amt sagen konnte, von sich und seinem eigenen Amt auch sagen kann. Das Predigtamt, das Luther hat, ist dasselbe Amt wie das Predigtamt Pauli, und die Bedeutung, Wirkung und Auswirkungen dieses Amtes unter Luthers Zuhörern sind von der Bedeutung, Wirkung und Auswirkungen wie die des Amtes Pauli unter den Korinthern. Dass der heutige Leser erst mit Mühe zwischen Luther anhand Pr. 1926 [R] WA 49,167,24 („die ihr Korinther seid“ [„qui estis Corinthii“]) und 49,167,35 („Pauli“) belegt werden. 38 Dass es hier um eine direkte Anrede Luthers an die Wittenberger Zuhörer geht, und nicht um eine nachgeahmte Rede Pauli an die Korinther, zeigen Pr. 1926 [R] WA 49,168,16 („[ich] soll mich daran gewöhnen“ [„sol mich gewehnen“]) und die wiederholte Anrede in der zweiten Person Singular, sowohl im nächsten angeführten Zitat („dass du weißt“ [Hervorhebung JM]; s. u. Anm. 39) als auch in den diesem Zitat folgenden Zeilen (49,168,23f: „Wenn du wahrhaftig glaubst, [der Glaube] lebt in [deinem] Herz und du sprichst. Wenn das Kreuz [kommt], du erträgst [es]. Ebenfalls weist du, dass der Herr [kein] Taugenichts ist[, […]]“ [„Si vere credis, vivit in corde, et loqueris. Si crux, es patiens. Item scis Dominum esse nequam & c.“] [Hervorhebung JM]), welche Anrede nicht in dieser Form direkt von dem Episteltext abgeleitet werden kann. 39 Pr. 1926 [R] WA 49,168,17–21: „Jch armer tropff sol mich rhuemen, quod mea lingua sit griffel, fedder Spiritus Sancti? et in ista lingua, worten ist drin geben und dargereicht viventis Spiritus sancti dona, fides in Christum, lieb erga Deum et proximum, gedult und sanfftmut, et quod scis, quid Deus, Christus, mors, scribuntur in corda.“

Darstellung und Analyse

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und Paulus in dieser Predigt unterscheiden kann, bestätigt, dass sich Luther hier nicht verpflichtet fühlt, zwischen seinem Amt und dem Amt Pauli zu unterscheiden. Die Überschneidung der Anrede Luthers und der Anrede Pauli, wie sie hier vorhanden ist, zeigt eine generelle Überschneidung der Apostel und der Amtsträger der Gegenwart, die gleich nach den eröffnenden Bemerkungen40 in Luthers Predigt festzustellen ist. Das einzige Zitat im Abschnitt WA 49,167,7–16 ist das Zitat von II Kor 3,4: „Wir haben ein solches Vertrauen.“41 Sonst weist der Abschnitt keine nachahmende Rede auf. Vielmehr beansprucht Luther das Vertrauen bzw. die Zuversicht Pauli primär aktiv für sich und seine Amtsgenossen und passiv sekundär für seine und ihre Zuhörer, denen die Amtsträgern dienen.42 „Einst unbekannt, sollen wir nun mit Recht an seine Redewendung gewöhnt sein. […],Wir haben ein solches Vertrauen.‘“43 Luther und die Amtsträger der Gegenwart werden in das apostolische „wir“ hineingestellt und sollen sich daran gewöhnen, dass sie sich wegen ihres Amtes vor Gott rühmen können. Sie dürfen wissen, dass das, was sie tun, durch Christus geschieht, vor Gott gilt, und in der Ewigkeit bestehen wird. Solches Vertrauen – eine Gewissheit in Bezug auf ihre Amtstätigkeit – hat Bedeutung nicht nur für die Amtsträger, sondern es zielt auf die Zuhörer und trägt zu ihrer Heilsgewissheit bei.44 Ohne etwas in dieser Predigt über eine Sukzession ausdrücklich zu sagen, wird deutlich, dass die Apostel und die Amtsträger der Gegenwart in einer Linie stehen: Luther geht von einer gewissen Kontinuität des apostolischen Amtes aus. In welcher Form [will er bei uns sein]? Durch unser Predigtamt. Gott sandte die Apostel. Die Welt suchte nicht. Sie werden gesandt zum Haus [und] zur Stadt. [„]So komme ich zu euch durch das Wort, [durch die] Taufe, [durch] die Schlüssel. Empfangt

40 Der erste Abschnitt: Pr. 1926 [R] WA 49,167,2–7. 41 Pr. 1926 [R] WA 49,167,9: „,Wir haben ein solch vertrawen.‘“ 42 Der Unterschied zwischen dem aktiv beanspruchten Vertrauen und dem passiv beanspruchten wird unter 2.2.6 weiter erläutert. 43 Pr. 1926 [R] WA 49,167,7–9: „Olim ignota, nunc merito debemus esse assueti eius phrasi. Sie ist reich und vol, traw sie nicht hinaus & c. ,Wir haben ein solch vertrawen.‘“ 44 Der Aspekt der doppelten Gewissheit wird unten bei 2.2.5 diskutiert. In dieser Hinsicht sei aber vorübergehend wieder auf Pr. 1926 [R] WA 49,167,30–34 (s. o. Anm. 36) und 49,168,17–21 (s. o. Anm. 39) hingewiesen: Das parallele Amtsverständnis und die widerspiegelnde Gewissheit Luthers und des nachgeahmten Paulus werden bei den Zuhörern im selben Kontext angebracht: „Die Buchstaben werden in dein Herz geschrieben, und [sie werden] so [geschrieben], dass [sie] drin kleben und bleiben. Dein Herz merkt diese Buchstaben und sagt, [,]Dies ist gewisslich wahr. Über der Lehre und [dem] Glauben lasse ich [meinen] Leib [und mein] Leben[,] und [darauf] sterbe ich.[‘]“ („Die buchstaben scribuntur in cor tuum et sic, quod drinne kleben und bleiben. Cor tuum sentit illas literas et dicit: hoc certe verum. Uber der lere und glaub las leib, leben und sterbe.“; WA 49,167,37–168,2 [Hervorhebung JM]).

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Pr. 1926 ([R] WA 49,167–170) als Musterpredigt

nur, aber sucht nicht, und sagt Dank wenn ich mich euch gewähre.[“] Wahrlich ist es ein großes Ding, dass Gott nun uns nahe ist.45

Das Zitat macht deutlich, dass die Apostel nicht einfach eine Größe der Vergangenheit sind. Wären sie in die Vergangenheit verbannt, würde das hier angewendete Evangelium („So komme ich zu euch“ und „Gott ist uns nahe“) für die Zuhörer bedeutungslos sein – wären das Kommen und die Nähe Gottes bloß ein historisches Faktum, das für die Korinther galt, aber von den Wittenbergern bestenfalls erhofft werden könnte. Luther hingegen geht von einem fortwährenden Senden Gottes und der fortdauernden Existenz des apostolischen Amtes aus. Wenn Luther von der „Predigt Pauli und aller Apostel“46 spricht, dann spricht er von seiner eigenen Predigt und der Predigt der Pfarrer und Prediger in der Gegenwart. Die Art und Weise, in der Luther den Inhalt und die apostolisch anredende Stelle des Paulus übernimmt, sein Anspruch auf das gleiche Vertrauen, das Paulus beansprucht, ferner wie er sich und seine Amtsgenossen auf das apostolische Senden Gottes bezieht, vermitteln ein Amtsverständnis, nach dem das Amt der jetzigen Prediger (das Predigtamt) in grundlegender Kontinuität zu dem Amt der Apostel (II Kor 3,3: „Predigtamt“) steht. Die Zuhörer Luthers erfahren bei dieser Predigt, dass sein Verhältnis zu ihnen dasselbe Verhältnis ist, das Paulus zu den Korinther gehabt hat. Der Aspekt der apostolischen Kontinuität des Amtes wird im 4. Kapitel weiter entfaltet.

2.2.2 Historische Kontinuität Im oben angeführten Zitat, „Gott sandte die Apostel […]. Wahrlich ist es ein großes Ding, dass Gott nun uns nahe ist,“47 stellt Luther nicht nur eine apostolische Kontinuität dar, sondern er vertritt zugleich eine gewisse historische Kontinuität. Anhand der ganzen Predigt ist es aber klar, dass diese historische Kontinuität nicht nur bis zu den Aposteln der Generation Pauli reicht, sondern weit über sie hinaus zurückgeht. Zwar wird die Klarheit Moses mit der Klarheit Pauli in Pr. 1926 verglichen; die Präsenzweise Gottes auf dem Berg Sinai wird seiner Präsenzweise in dem und 45 Pr. 1926 [R] WA 49,168,35–39: „qua forma? durch unser ministerium. Deus misit Apostolos, mundus non quaesivit. Sed mittuntur ad domum, civitatem. Sic veniam ad vos per verbum, Tauff, claves: tantum accipite, non quaerite et gratias agite, quando offero me vobis. Certe maxima res, quod Deus iam vicinus nobis.“ 46 Pr. 1926 [R] WA 49,170,38f: „Pauli praedicationem et omnium Apostolorum“ (Hervorhebung JM). 47 S.o. Anm. 45 (Hervorhebung JM).

Darstellung und Analyse

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durch das Predigtamt des Apostels gegenübergestellt. Jedoch ist diese Gegenüberstellung keineswegs auf Mose und Paulus beschränkt, sondern Luther stellt Arten der Präsenz Gottes innerhalb der Zeit des Alten Testaments einander gegenüber. Innerhalb des Alten Testaments erkennt Luther sowohl eine leiblichverhüllte, mittelbare Präsenzweise Gottes als auch die erschreckend-herrliche, unmittelbare Präsenzweise, wie er sie auf Sinai vor Augen trat. Er will mild [und] freundlich regieren, nicht wie am Berg Sinai, wo [seine] Herrlichkeit unerträglich war. Darum verbirgt und verhüllt er sich. Und dennoch ist er anwesend [unter] Formen; [er ist anwesend in] Gestalt [und] Wirkung, die gesehen und mit den Ohren vernommen werden. Du hörst das Wort gepredigt; du siehst[, dass einer] getauft wird. Da kannst du nichts anders sagen [als]: [„]Es ist eine Stimme, Wasser, aber dennoch ist unser Herr Gott unter dieser Maske.[“ Sie sind] ein Vorhang, unter dem er [sich] verhüllt, damit er zu dir kommen kann – damit du nicht [irgendwohin] läufst, und er hier ist.48

Indem der Vorhang genannt wird, erwähnt Luther ein deutliches Merkmal des alttestamentlichen Kultus, wodurch das freundliche und milde Regieren Gottes gekennzeichnet wird.49 Auch nachdem der Vorhang zerrissen wurde,50 ist das verhüllte Regieren Gottes keineswegs ein Relikt der Vergangenheit geworden, sondern immer noch ein Kennzeichen für die Präsenzweise Gottes bei seinem Volk in der Gegenwart, bei dem er verhüllt wohnt. Wie Johannes 14[,23 sagt:] „Wir werden zu ihm kommen [und Wohnung bei ihm machen].“ Wie wohnt [er]? [Er wohnt] dort[, wo] du sein Wort und das Predigtamt, das er gegeben hat, und die Zunge des Predigers hast [– wo] du [die] Taufe, [das] Sakrament [und die] Schlüssel hast.51

So wie er es „im Alten Testament mit den Juden gemacht“ hat, so redet und handelt er auch mit den Wittenbergern.52 Er zieht Masken an: die Predigt, die Taufe, das Sakrament und die Schlüssel, gespendet und verwaltet von den Predigern.53 Diese sind nichts weniger als das Angesicht Gottes in der Gegenwart54 48 Pr. 1926 [R] WA 49,168,6–12: „Er wil seuberlich, freundlich regieren, non ut in Monte Sinai, ubi gloria intolerabilis. Ideo se abscondit, verhüllet, et tamen adest sub formis, gestalt, wirckung, quae videntur et auribus percipiuntur. Audis verbum praedicari, vides baptisari. Ibi non potes aliud dicere: Est vox, Aqua, Sed tamen sub hac larva ist unser herr Got. Vorhang, darunter er verhüllet, ut ad te possit venire, ne lauffest, et hic adest.“ 49 In der Bibelübersetzung von 1545 wird der Singular des Terminus „Vorhang“ ausschließlich in Bezug auf die Stiftshütte und den Tempel verwendet; die einzige Ausnahme ist Jes 22,8. 50 Mt 27,51; Mk 15,38; Lk 23,45. 51 Pr. 1926 [R] WA 49,169,3–5: „Ut Iohan. 14. ,Veniemus ad eum.‘ Quomodo wonet? Ibi hastu verbum et donatum ministerium et linguam praedicatoris, habes Tauff, Sacrament, Schlussel.“ 52 Pr. 1926 [R] WA 49,169,6: „Sic in veteri testamento fecit cum Iudaeis, […]“ 53 S.o. Anm. 51. 54 Pr. 1926 [R] WA 49,169,8–10.

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Pr. 1926 ([R] WA 49,167–170) als Musterpredigt

und stehen in einer Linie mit seiner verhüllten Präsenzweise zur Zeit des Alten Testaments. Wenn Luther Paulus nachahmt und sagt: „[,]Du hast eine andere Wolkensäule, im Vergleich zu der die vorherigen [Wolkensäulen] eitel Kinderspiele [gewesen sind].[‘]“55 dann zeigt er, dass er zumindest in Bezug auf die Redens-, Handelns- und Präsenzweise Gottes mit seinem Volk die Geschichte nicht nach einem Diskontinuitätsmodel versteht, sondern von einer durchgehenden Kontinuität ausgeht, die sich durch die Geschichte durchzieht. Wodurch wird für Kontinuität in der Gegenwart gesorgt? Was ist die Wolkensäule der Gegenwart? Luther lässt die Frage „in Bezug auf die Wolke, die wir haben“, nicht offen: „Du weißt, dass Gott zur Rechten [des Vaters] sitzt und sein eigenes Predigtamt bewahrt. Er sitzt zur Rechten [des Vaters] auf dem ganzen Erdkreis und setzt die Taufe und das Sakrament vor [deine] Augen hin.“56 In voller Kontinuität mit seiner Redens-, Handelns- und Anwesenheitsweise zur Zeit des Alten Testaments behält Christus in der Gegenwart eine verhüllte, leibliche Präsenz unter seinem Volk, wonach er ihm dient und es schützt, in der er sich lokalisiert und gefunden werden kann, – ja vielmehr, nach der er selbst sein Volk findet. Diese Präsenzweise Christi ist das Predigtamt, in dem er zugegen ist, mittels dessen er handelt, durch das er predigt, tauft, speist und tränkt sowie Sünden behält und vergibt. Der hier geschilderte Aspekt der historischen Kontinuität wird im 5. Kapitel näher betrachtet.

2.2.3 Christologie und christologische Kontinuität Bei Luthers Betrachtung der verhüllten Anwesenheit Gottes im Alten Testament kann es nicht übersehen werden, dass er die Formen, in denen Gott sich verhüllt, und die Masken, die er anzieht, christologisch versteht. Die Wolkensäule, den Vorhang und den Stein in der Geschichte vom Haderwasser versteht Luther als Formen der Gegenwart Christi im Alten Testament, die zwar nicht eine Inkarnation (d. h. Fleischwerdung) heißen, aber immer schon eine gewisse Leiblichkeit besitzen. Nicht ohne Grund in der Schrift sieht Luther Christus in bestimmten Formen im Alten Testament. Die Wolkensäule, das Manna und den Fels erwähnt Luther anhand I Kor 10,1–4. Der Vorhang, die andere leibliche 55 Pr. 1926 [R] WA 49,169,14f: „Hast wol ein ander wolckenseule, gegen welcher priores eitel kinderspiel.“ 56 Pr. 1926 [R] WA 49,169,17–19: „[…] nubem, quam nos habemus. Scis Deum sedere ad dexteram, et erhelt suum ministerium, sedit ad dexteram in omnem orbem et proposuit ob oculos baptismum, Sacramentum, […]“ (Hervorhebung JM).

Darstellung und Analyse

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Form, auf die er hinweist, wird auch im Neuen Testament christologisch gedeutet und verstanden: In Heb 10,20 übernimmt das Fleisch Christi die Stelle des Vorhangs der Wohnung bzw. Stiftshütte und des Tempels. Für Luther ist die Rede von Form, Gestalt oder Gebärde57 eine christologische Redeweise. Christologisch betrachtet stehen die Formen oder Gestalten nicht für Abstand, sondern gerade für Anschluss, Zugriff und Zugang zu Gott. Auf Christus bezogen bedeutet eine dienende Gestalt oder die Gestalt eines Dieners nicht eine gewisse Abwesenheit oder Entfernung Gottes, sondern gerade seine Anwesenheit und sein Da-Sein (vgl. Phil 2,6–7). Wenn Luther in Bezug auf das Reden, das Handeln und die Präsenz Christi von Formen, Gestalten und dergleichen spricht, dürfen diese Termini nicht unter einer vorreformatorischen Signumtheorie eingeordnet und missverstanden werden. Vorhang, Wolke, Fels und Manna, sowie Taufe, Abendmahl, Absolution und die Predigt samt dem Amt, das diese vier austeilt, sind nicht bloße Abbildungen: Sie sind keine signa einer abwesenden res. Alle Entfernungsarten, die Gott von diesen von ihm gewollten und geordneten Masken irgendwie oder teilweise trennen wollen, werden hier abgelehnt: „Er ist hier“.58 „Unser Herr Gott ist unter dieser Maske.“59 Ein Gott der irgendwie oder teilweise abwesend wäre, wäre ein Gott, zu dem man auch irgendwie oder teilweise laufen müsste. Aber ein Zu-Gott-Laufen lehnt Luther deutlich ab.60 Der Unterschied zwischen Gott auf dem Berg Sinai und Gott hinter dem Vorhang der Wohnung ist nicht der Unterschied zwischen einem offenbarten und einem verborgenen Gott, sondern der Unterschied zwischen Gott in seiner Herrlichkeit und Gott in Christus. Wenn Luther von einem sich selbst in Formen, Masken und Gestalten verhüllenden Gott spricht, dann betrachtet er Gott in Christus. Das Kommen Gottes und sein Wohnen unter seinem Volk sowie sein Reden und Handeln sind sowohl vor der Inkarnation als auch nach der Himmelfahrt ein christologisches Geschehen. Wie Johannes 14[,23 sagt:] „Wir werden zu ihm kommen [und Wohnung bei ihm machen].“ Wie wohnt [er]? [Er wohnt] dort[, wo] du sein Wort und das Predigtamt, das er gegeben hat, und die Zunge des Predigers hast [– wo] du [die] Taufe, [das] 57 Die Rolle dieser Rede in Pr. 1926 ist wesentlich. Für „Form“ vgl. Pr. 1926 [R] WA 49,168,8 und 35. Für „Gestalt“ vgl. WA 49,168,8. Für „Gebärde“ vgl. WA 49,169,22 und 28. Vgl. auch WA 49,168,10 und 49,169,5: „Maske“; 49,168,8: „Wirkung“. 58 Pr. 1926 [R] WA 49,168,12: „hic adest“ (Wortumstellung JM). Vgl. WA 49,168,8: „[…] ist er anwesend [unter] Formen; [er ist anwesend in] Gestalt [und] Wirkung, […]“ („[…] adest sub formis, gestalt, wirckung, […]“). 59 Pr. 1926 [R] WA 49,168,10f: „[…] sub hac larva ist unser herr Got.“ (Hervorhebung und Wortumstellung JM). 60 Pr. 1926 [R] WA 49,168,11f. Vgl. das Kommen Gottes bei WA 49,168,34f. Der Unterschied zwischen einem Gott, der zu den Menschen kommt, und einem Gott, zu dem die Menschen kommen müssen, wird unter 2.2.8 näher erläutert.

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Pr. 1926 ([R] WA 49,167–170) als Musterpredigt

Sakrament [und die] Schlüssel hast. Das sind nicht schadhafte, leere Masken, sondern die Sachen, die er anzieht, [damit er] auch [mit uns] einhergeht, redet und tut, usw. So hat er im Alten Testament mit den Juden gemacht: […] Diese zwei nennt [man] Gottes Angesicht, das ist [die] Gegenwart Gottes selbst, durch die [man] mit Gott spricht und handelt.61

In diesen Zeilen erklärt Luther, wie Christus jetzt unter seinem Volk wohnt. Er wohnt dort, wo er bestimmte, gestiftete Masken anzieht. Wo die Zunge eines Predigers predigt, wo die Schlüssel sind, wo getauft wird, wo das Sakrament zelebriert und gereicht wird – wo das Predigtamt ist, da ist Christus. Die Rede von einem Wohnen Gottes ist an sich eine christologische Sprechweise. Die Lutherübersetzung verbindet z. B. Joh 14,23 mit 1,14 und insofern mit dem ganzen Wohnungsmotiv des Alten Testaments.62 Wenn Vorhang, Wolke, Fels und Manna, sowie Taufe, Abendmahl, Absolution und die Predigt samt dem Amt, das diese vier austeilt, nicht unbedingt „inkarnatorische“ Redens-, Handlungs- und Präsenzweisen Gottes genannt werden können, sind sie dennoch leiblich und entsprechen dem Fleisch und der menschlichen Natur des Sohnes Gottes. Der sich verhüllende Gott ist ein höchst leiblicher Gott, der im Selbst-verhüllen seiner eigenen Inkarnation entspricht: Er ist ein Gott, der mit Ohren gehört und mit Augen gesehen werden kann,63 der sogar mit Händen gefasst werden kann (vgl. I Joh 1,1), genau wie er auch selbst noch Hände hat, die er auf den Beichtenden auflegt.64 Es sind gerade die „äußerlichen Gebärden“ – und nicht irgendetwas Unbestimmtes hinter ihnen –, die von Christus gestiftet sind:65 Das Gestiftete ist immer etwas, das gehört, gesehen und sogar angetastet werden kann. Wenn Luther hier eine mächtige Ubiquität des zur Rechten des Vaters sit61 Pr. 1926 [R] WA 49,169,3–10: „Ut Iohan. 14. ,Veniemus ad eum.‘ Quomodo wonet? Ibi hastu verbum et donatum ministerium et linguam praedicatoris, habes Tauff, Sacrament, Schlussel. Das sind nicht bose, ledige larven. Sed quas induit, et incedit, redt und thut & c. Sic in veteri testamento fecit cum Iudaeis, […] Ista duo vocat Gottes angesicht i. e. gegenwertigkeit Dei selbs, per quas cum Deo loquitur, operatur.“ 62 Luther übersetzt C?),a!B% in der Regel „Wohnung“, 7Fú*9Bo @8û*4 „Hütte des Stifts“, und @8û*4 „Hütte“. C?),a!B% und 7Fú*9Bo @8û*4 weisen auf denselben Bau. Die Septuaginta kann alle drei Termini mit sjgm^ übersetzen (7Fú9* Bo @8û*4 mit B sjgmµ toO laqtuqioO). Wenn Luther Joh 14,23 „Wer mich liebet, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen“ übersetzt, dann setzt er diesen Vers bewusst in Verbindung mit Joh 1,14: „Und das Wort ward Fleisch und wohnete (1sj^mysem) unter uns“. Das Wohnen Gottes unter den Menschen hat ein inkarnatorisches Element, das dieses Wohnen in sich birgt. 63 Pr. 1926 [R] WA 49,168,8f: „[…] die gesehen und mit den Ohren vernommen werden. Du hörst das Wort gepredigt; du siehst[, dass einer] getauft wird.“ („[…] quae videntur et auribus percipiuntur. Audis verbum praedicari, vides baptisari.“). 64 Pr. 1926 [R] WA 49,168,13f. 65 Pr. 1926 [R] WA 49,169,28f: „[…] und dennoch ist die Gebärde [da], die [er] gestiftet hat – [diese] sehe ich wohl.“ („[…] et tamen dis geberd, quae gestifft, sehe ich wol.“).

Darstellung und Analyse

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zenden Gottessohns darstellt,66 vertritt er zugleich seine gnädige Lokalisierung. Er schildert einen Gott, der sein Fleisch nicht aufgegeben hat, der noch leiblich ist, der noch einen „Vorhang“ vor sich hält. Dieser Vorhang trennt Menschen nicht von ihm, sondern schenkt ihnen einen bestimmten Platz, an dem er selbst gnädig anwesend ist. Die leibliche Anwesenheit Christi und seine aktuale Präsenz im Predigtamt werden mit seiner (Christi!) Präsenz im Alten Testament verglichen und schließlich gleichgesetzt. Folglich ist die historische Kontinuität in Luthers Verständnis des Predigtamtes von einer durchgehenden christologischen Kontinuität gekennzeichnet. In Pr. 1926 wird der Inbegriff des Evangeliums (Evangelium unterschieden vom Gesetz) anhand der Inkarnation zum Ausdruck gebracht: „[,„]Gott hat seinen Sohn in das Fleisch gesandt, usw.[‘] – für dich.[“]“67 Eben war gezeigt worden, dass die historische Kontinuität des milden Redens und Handels und der gnädigen Präsenz Gottes schließlich eine christologische Kontinuität ist. Der Sohn Gottes, der mit seiner Inkarnation die verhüllte, gnädige Präsenz Gottes ausmacht, hat schon vor seiner Inkarnation für eine leibliche, gnädige Anwesenheit Gottes gesorgt. Und gerade wie seine leibliche Anwesenheit über die Zeit seiner Inkarnation zurückgeht, so geht sie auch über seine Himmelfahrt hinaus, durch das gesamte Zeitalter des Neuen Testaments – bis zu seinem Kommen am Ende der Zeit. Denn die apostolische Kontinutät des Amtes, die oben geschildert wurde, ist ebenso wie dessen historische Kontinuität durch die geschilderte christologische Kontinuität bestimmt. Das Schreiben, mit dem die lebendigen Buchstaben des Heiligen Geistes in die Herzen der Zuhörer geschrieben werden, wird auch als ein leibliches Geschehen dargestellt, an dem zuerst Zungen, Hände, Wasser, Brot und Wein, dann Ohren, Augen, Münder und der Tastsinn, und schließlich auch Herzen (wohl nicht aber als Körperteil betrachtet) beteiligt sind.68 Hierbei wird den Predigern und Pfarrern eine aktive Rolle zugeschrieben: Paulus (nachgeahmt): „Meine Zunge ist der Griffel oder die Feder, […]“69 Luther : „[…] [der Pfarrer] ist ein Instrument, Werkzeug [und] Griffel, wodurch Gott mit uns redet und handelt.“70 „Ich armer Tropf – soll ich mich rühmen, dass meine Zunge der Griffel [und] die Feder des Heiligen Geistes ist?[!] Und [doch] in genau

66 Pr. 1926 [R] WA 49,169,17–19. 67 Pr. 1926 [R] WA 49,170,35f: „Deus misit filium suum in carnem & c. pro te.“ (Hervorhebung JM). 68 Pr. 1926 [R] WA 49,167,32f und 35f; 49,168,26–29; 49,169,32–35; 49,170,4–6 und 16–18. Vgl. auch oben bei Anm. 63 und 64. 69 Pr. 1926 [R] WA 49,167,33: S.o. Anm. 36. Vgl. Anm. 14 oben. 70 Pr. 1926 [R] WA 49,168,14f: „[…] sit instrumentum, zeug, griffel, dadurch Got mit uns redet, operatur.“ (Wortumstellung JM).

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Pr. 1926 ([R] WA 49,167–170) als Musterpredigt

dieser Zunge [und diesen] Worten – da drin – werden die Gaben des lebendigen Geistes gegeben und dargereicht: […]“71

Die Rolle der Zunge (und der Hand) des Heiligen Geistes werden nicht nur Paulus, Luther und den Predigern und Pfarrern in der Gegenwart zugeschrieben, sondern diese Rolle wird zugleich auch Christus zugeschrieben: Von Christus: „Denn sie werden zubereitet durch das Predigtamt, denn Christus ist der Griffel.“72 „Wie viele [sind die], die das Evangelium hören und glauben, dass die Zunge Christi ein Griffel ist, den der Heilige Geist in [seiner] Hand hat – wenn ein Knabe getauft wird [und] das Sakrament gereicht wird, [wie viele sind die,] die denken: [,]Hier steht Gott und alle Engel[‘]?“73

In Bezug auf das leibliche Schreiben von lebendigen Buchstaben in die Herzen der Zuhörer wird in einer bestimmten Hinsicht die gleiche Rolle, die dem leiblichen und inkarnierten Gottessohn zugeschrieben wird, auch den Aposteln, die er gesandt hat,74 und den Predigern und Pfarrern, die in einer Linie mit den Aposteln stehen, zugeschrieben. Apostel, Prediger und Pfarrer sitzen zwar nicht zur Rechten des Vaters, aber sie werden, wie Christus selbst, Zungen und Griffel des Heiligen Geistes genannt. Die bereits angesprochene apostolische Kontinuität des Amtes ist letzten Endes, wie die historische Kontinuität des Amtes, nicht eine Kontinuität, die allein und für sich steht oder stehen könnte. Sie ist eine Kontinuität, die auch durchaus christologisch bestimmt ist und von dem zur Rechten des Vaters sitzenden Gottessohn getragen wird. Historische Kontinuität und apostolische Kontinuität sind beide christologische Kontinuitäten – sie bilden zwei Teile oder Aspekte einer einzigen christologischen Kontinuiät, nach der der dreieinige Gott bei seinem Volk leiblich anwesend war, ist und sein wird. So ist der Heilige Geist in der Zunge und mit ihr, und wie er durch sie spricht, so legt er [es] in das Herz, damit ihr glaubt. Dies ist gegen die törichten Geister, die sagen, dass das leibliche Wort nichts sei. [„]Geist, Geist und Offenbarung [muss es geben! Das leibliche Wort] kann es nicht tun.[“] Hier steht unser Predigtamt. […] Aber Gott will bei seinem Volk sein. Er kommt zu uns und sagt uns, wie er bei uns sein will, und er plappert nicht. In welcher Form [will er bei uns sein]? Durch unser Predigtamt. Gott sandte die Apostel. Die Welt suchte nicht. Sie werden gesandt zum Haus [und] zur 71 Pr. 1926 [R] WA 49,168,17–20: S.o. Anm. 39. 72 Pr. 1926 [R] WA 49,168,27f: „quod parantur per ministerium, quod Christus stilus,“ (Hervorhebung JM). 73 Pr. 1926 [R] WA 49,169,23–26: „quot, qui audiunt Euangelium et credunt, quod lingua Christi sit griffel, quem Spiritus Sanctus in manu habet, qui cogitant, quando baptisatur puer, administratur Sacramentum: hic Deus stat et omnes Angeli?“ (Hervorhebung JM). 74 Pr. 1926 [R] WA 49,168,36 (vgl. Anm. 45 oben) und 49,169,17f (vgl. Amn. 33 oben).

Darstellung und Analyse

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Stadt. „So komme ich zu euch durch das Wort, [durch die] Taufe, [durch] die Schlüssel. Empfangt nur, aber sucht nicht, und sagt Dank wenn ich mich euch gewähre.“75

Wie bei 49,168,3–1776 verbindet Luther wieder an dieser Stelle die Präsenz Gottes mit dem Predigtamt, das in christologischer Terminologie erläutert wird. Das Predigtamt ist das Bollwerk gegen alle Geister, alle theologischen Stimmen und Meinungen, die behaupten, dass Gott und sein Geist gesucht werden müssen, und dass man ein außergewöhnliches, ungeordnetes Handeln von ihm erwarten soll. Das Predigtamt ist die jetzige Form, durch die Gott seinen Titel als Immanuel behalten will: „Gott will bei seinem Volk sein. […] In welcher Form […]? Durch unser Predigtamt.“ Das Predigtamt ist das ”Leibliche” an dem leiblichen Wort, und zu diesem leiblichen Amt gehören die Pfarrer und Prediger als solche wesentlich dazu. Das gnädige Kommen Gottes zu seinem Volk ist ein verhülltes, geordnetes, leibliches Kommen, das durch bestimmte, geordnete Hände und Zungen geschieht, die bestimmte, geordnete Mittel auszuteilen und bestimmte Worte zu sprechen haben. Abermals in Pr. 1926 wird auch das Predigtamt mit dem gnädigen Handeln Gottes verbunden: Der jetzige Unterschied zwischen einem Gott, der gesucht werden muss, und einem Gott, der kommt und sucht, zeigt sich in der Sendung von Aposteln und in der Existenz des Predigtamtes in der Gegenwart. Die Prediger und Pfarrer, die Apostel der Gegenwart, werden von Luther mit dem Vorhang der Wohnung (bzw. der Stifthütte und des Tempels) gleichgesetzt.77 Er versteht sie und ihr Amt historisch, apostolisch und vor allem christologisch. Durch sie, also durch ihre Stimme und Hände, und durch die von

75 Pr. 1926 [R] WA 49,168,28–38: „Sic Spiritus sanctus est in lingua et cum ea, et sicut loquitur cum ea, sic imponit in cor, ut credatis. Hoc est contra stultos Spiritus, qui dicunt externum verbum nihil: Spiritus, Spiritus, et revelatio & c. Es wils nicht thun. Hie stehet ministerium nostrum. […] Sed Deus wil bey suo populo sein, venit ad nos und sagt uns, quomodo velit nobiscum esse et non pruppeln, qua forma? durch unser ministerium. Deus misit Apostolos, mundus non quaesivit. Sed mittuntur ad domum, civitatem. Sic veniam ad vos per verbum, Tauff, claves: tantum accipite, non quaerite et gratias agite, quando offero me vobis.“ 76 Vgl. oben Anm. 48, 64 und 70. 77 Im Kontext ist Luthers Aussage über den Vorhang (Pr. 1926 [R] WA 49,168,11) nicht anders zu deuten: „Ist das nicht eine große Prahlerei, [wenn man meint,] dass Gott seinen Heiligen Geist durch das mündliche Wort des Predigers geben wolle? Er könnte den Heiligen Geist ohne das Sakrament, die Taufe [und] die Predigt geben. [Dann] würde er die Prediger nicht brauchen.“ (WA 49,168,3–6: „Nonne magna gloriatio, quod Deus velit dare Spiritum sanctum suum per verbum vocale praedicatoris? Posset sine Sacramento, Baptismo, praedicatione dare Spiritum sanctum, non opus haberet praedicatoribus.“; Hervorhebung JM). „Der Pfarrer steht [da und] gießt Wasser über Menschen. Ich sehe nichts außer dem Wasser und der Hand des Täufers, und ich höre nichts außer dem Wort[, aber dort tauft und spricht unser Herr Gott]. Ebenso [spüre ich nichts in der Beichte außer, dass der Pfarrer] die Hand auflegt[, aber da legt Gott die Hand auf.]“ (WA 49,168,12–14: „Ibi parochus stat, fundit aquam super homines, nihil video quam aquam et manum baptisantis et nihil audio quam verbum & c. Item quod imponit manum & c.“; Hervorhebung JM).

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Pr. 1926 ([R] WA 49,167–170) als Musterpredigt

ihnen ausgeteilten Mittel, wird die verhüllte und doch leibliche, inkarnatorische Präsenz Christi auf Erden fortgesetzt. Die Pointiertheit des hier geschilderten Amtsverständnisses darf nicht mit dem Argument, dass Luther die Präsenz Gottes allein mit der Taufe, der Beichte und dem Altarssakrament sowie allein mit einem mündlichen Wort verbindet, eingeschränkt werden. Um des Evangeliums willen geht es hier zwar um eine Äußerlichkeit, um ein Externum, jedoch nicht einfach um irgendein Externum, sondern um ein bestimmtes Externum. Luther sagt ausdrücklich, dass es hier nicht einfach um Wasser und um eine Stimme geht, sondern es geht um das „durch uns“. Da [wird] der Christ gelehrt und soll wissen, dass [der Pfarrer] ein Instrument, Werkzeug [und] Griffel ist, wodurch Gott mit uns redet und handelt. Es geht [hier] nicht darum, dass es hier Wasser, eine Stimme [oder eine Hand gibt]. Sondern [ich] soll mich daran gewöhnen[, dass es ist,] wie Paulus sagt: „durch uns geschrieben“.78

Gott handelt „durch uns“ – durch die Apostel, durch Luther, durch die Pfarrer und Prediger. Sie sind sein Griffel; sie sind der Vorhang, der seine leibliche Präsenz auf Erden markiert. Der verkündigten Christologie, die Luthers gepredigtes Amtsverständnis untermauert, wird im nächsten Kapitel weiter nachgegangen.

2.2.4 Amtsträger als Instrumente Das Zitat, mit dem der vorangehende Abschnitt (2.2.3) abgeschlossen wurde, führt uns zu einem weiteren Aspekt der Präsenz Christi im Predigtamt: Der Instrumentalität des Amtes und der Amtsträger. Da sagt Luther ausdrücklich, dass Pfarrer Instrumente, Werkzeuge und – in Bezug auf das Schreibmotiv des Predigttextes – Griffel sind, durch die Gott mit den Zuhörern und Empfangenden redet und handelt. Wenn von Instrumenten und Instrumentalität die Rede ist, dann redet man von Mitteln. Und während es üblich ist, von der Taufe, vom Sakrament des Altars, von der Beichte und von der Predigt als von „Mitteln“ zu reden, wird die Rede vom Predigtamt und von den Predigern bzw. Pfarrern als von Instrumenten und Mitteln eher befremdend wirken. Angesichts Pr. 1926 kommt man aber nicht daran vorbei, dass Luther gerade so vom Predigtamt und den Amtsträgern redet. 78 Pr. 1926 [R] WA 49,168,14–17: „Ibi Christianus doctus und sol wissen, quod sit instrumentum, zeug, griffel, dadurch Got mit uns redet, operatur. Es ist nicht darumb zuthun, quod hic aqua, vox & c. Sed sol mich gewehnen, ut Paulus dicit, durch uns geschrieben.“ (Hervorhebung JM).

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Wir selbst haben geschrieben und [waren] selbst der Finger Gottes. Was ist es für ein Brief und [was für] Papier? Eure Herzen. Ihr alle, die ihr Korinther seid, alle eure Herzen, die nicht steinern sondern fleischlich sind, [sind unser Brief, aber] nicht wie Mose [geschrieben hat]. Für diesen Brief seid ihr das Papier. Wir selbst sind die Feder[,] die Schreiber[,] die Hand, und wir schreiben nicht [mit] Tinte noch [schreiben wir] tote Buchstaben, sondern [wir schreiben] in eure Herzen mit dem lebendigen Heiligen Geist. Durch unser Predigtamt [seid ihr] geschrieben.79

Nicht erst wenn die Amtsträger direkt Instrumente, Werkzeug, Finger, Hand, Schreiber, Feder und Griffel genannt werden, werden sie als Instrumente dargestellt, sondern schon durch die einfache Präposition „durch“ wird die Instrumentalität80 des Amtes und der Amtsträger für die Zuhörer betont. In der angegebenen Übersetzung der Predigt wird das Wort „durch“ 30 Mal verwendet, in unterschiedlichem Sinne.81 Machmal wird die Präposition in Bezug auf Gott selbst82 sowie auf Wort und Sakramente83 gebraucht, jedoch in der bei weitem überwiegenden Zahl der Fälle bezieht sie sich auf das Predigtamt84 und die Prediger und Pfarrer selbst.85 Wenn man die Frage stellen würde, „Handelt der zur Rechten des Vaters sitzende Gottessohn durch die Taufe, das Abendmahl, die Absolution und die Predigt oder durch das Predigtamt,“ würde der Prediger von Pr. 1926 antworten: „sowohl als auch.“ Die Frage, ob Gott durch das Predigtamt bzw. Pfarramt bzw. Apostelamt oder durch Taufe, Absolution, Abendmahl und Predigt an Menschen handelt, stellt nach dieser Predigt lediglich eine falsche Alternative dar. Predigt, Taufe, Abendmahl und Absolution werden nicht als abstrakte Tätigkeiten be79 Pr. 1926 [R] WA 49,167,22–27: „Nos scripsimus et Dei etiam digito. Was ists fur brieff und papir? Ewer hertzen. Vos omnes, qui estis Corinthii, omnia vestra corda, quae non lapidea, sed carnea, non ut Moses. Vos estis papir dazu. Nos sumus fedder, scriptores hand, et scripsimus non tinten nec mortuas literas, Sed in corda vestra vivente Spiritu sancto, per nostrum ministerium scripti,“ (Hervorhebung JM). 80 Vgl. Prenter, Spiritus Creator, S. 254, Anm. 24. 81 Statt z. B. ein lokale Verwendung wie „durch das Meer“ (Pr. 1926 [R] WA 49,169,11). 82 Vier Mal: Pr. 1926 [R] WA 49,167,14 (Christus); 49,167,28 und 49,168,17 (der Heilige Geist); 49,169,32 (Gott). 83 Zwei bis drei Mal: Pr. 1926 [R] WA 49,168,37f; 49,169,27; 49,168,4 (weist auch auf die Prediger und Pfarrer). 84 Sieben bis acht Mal: Pr. 1926 [R] WA 49,167,17 und 27; 49,168,26 (auch Hinweis auf die Prediger und Pfarrer); 49,168,27 und 36; 49,169,30 und 31; 49,170,11f. 85 (Mit ihren Körpergliedern) 11 bis 13 Mal: Pr. 1926 [R] WA 49,167,16 (mit dem Text von II Kor 3,3); 49,167,36; 49,168,4 (weist auch auf das mündliche Wort); 49,168,14f (vgl. 49,168,12); 49,168,17 und 26 (auch Hinweis auf das Predigtamt); 49,168,28, 32 und 33 (zwei Mal); 49,168,35; 49,170,4 und 19. Andere Verwendungen von „durch“ sind verneinend (WA 49,169,30f: „weder durch dich [selbst] noch durch Gott ohne Mittel“ [„Non […] per te nec per Deum sine medio, […]“]) oder hinweisend auf die Wolken bzw. die Angesicht Gottes im Alten Testament (49,169,8–10) sowie auf die Klarheit Pauli und der anderen Prediger (49,169,20–23).

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handelt, sondern als konkrete, durch das Amt ausgerichtete Handlungen Gottes. Sie schweben nicht unbestimmt in der Luft – als Funktionen, die auf einen Ausführenden warten müssen. Taufe, Absolution, Predigt und Abendmahl hängen nicht irgendwo zwischen Gabe und Aufgabe als unbestimmte Entitäten. Als solche würden sie nicht nur undeutlich, sondern sie würden auch einem Gott entsprechen, zu dem Menschen noch irgendwie „laufen“ müssten.86 Sind sie Gnade vermittelnde oder Aktion fordernde Institutionen? Wenn dies im Unklaren bliebe, wäre die Unterschiedenheit der zwei Predigten, die auf Erden sein müssen (das Gesetz und das Evangelium),87 aufgehoben: die spezifische Klarheit des Evangeliums würde in einer Mischung von Gesetz und Evangelium untergehen. Solche Unklarheit vermeidet Luther, indem er das Pfarramt (bzw. Predigtamt bzw. Apostelamt) und die Taufe, die Absolution, die Predigt und das Abendmahl zusammenhält. Zwar betont Luther in Pr. 1926 die Externität des Wortes,88 es ist aber keine unbestimmte Externität. Nicht einfach um ein solches verbum externum geht es, das bloß außerhalb des menschlichen Herzens steht. Dies wäre ein Wort, zu dem der Mensch bzw. der Christ immer noch laufen kann bzw. laufen muss.89 Ein externum verbum kann beides sein: ein Wort, das zu den Menschen kommt, wie ein Wort, zu dem auch Menschen kommen könnten bzw. kommen müssten. Gewiss ist Gott sowie sein Wort dem Menschen extern. Die Frage, zu deren Beantwortung Luther aber beiträgt, ist vielmehr die, wie der Abstand zwischen dem Wort Gottes, das dem Menschen extern ist, und dem Menschen überwunden wird: Von Seiten Gottes oder von Seiten des Menschen? Hier gibt Luther eine deutliche Antwort, die auch den kleinsten Beitrag des Menschen ausschließt. Hier besteht kein Schema, in dem Menschen einen Schritt Gott entgegen gehen müssten.90 Offensichtlich gehört zur göttlichen Stiftung der Taufe auch die Hand des Täufers, die Hand des Pfarrers. Die gestiftete Predigt schließt in ihrer Stiftung die Stimme des Predigers, des Pfarrers ein. Zu der Beichte gehört die Hand des Beichtvaters, des Pfarrers. Es geht hier um die Externität des Wortes, aber nicht nur um dessen Externität. Es geht hier um eine sichtbare Hand und sichtbares Wasser und um eine hörbare Stimme, aber nicht nur um eine Stimme.91 Entscheidend ist die Spezifität einer spezifischen Stimme, einer 86 87 88 89 90

Vgl. 2.2.8 unten. Vgl. Pr. 1926 [R] WA 49,170,27. Pr. 1926 [R] WA 49,168,28–39. Vgl. 2.2.8 unten. Vgl. Pr. 1926 [R] WA 49,168,36: „Gott sandte die Apostel. Die Welt suchte nicht.“ („Deus misit Apostolos, mundus non quaesivit.“). Vgl. auch WA 49,168,37f: „So komme ich zu euch […] . Empfangt nur, aber sucht nicht, […]“ („Sic veniam ad vos […] . tantum accipite, non quaerite […].“). 91 Pr. 1926 [R] WA 49,168,15f: „Es geht [hier] nicht darum, dass es hier Wasser, eine Stimme [oder eine Hand gibt].“ („Es ist nicht darumb zuthun, quod hic aqua, vox & c.“).

Darstellung und Analyse

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spezifischen Zunge: „meine Zunge“ – „diese Zunge“92 sagt Luther. Luther, Paulus, der Prediger, der Pfarrer werden als Instrumente und Werkzeuge Gottes verstanden. Amt und Amtsträger sind „[…] das schöne Licht und feinste äußerliche Gebärde, durch die Gott uns sich selbst ausliefert [und anwesend ist].“93 Der Pfarrer ist der Griffel, durch den der Heilige Geist seine lebendigen Buchstaben in Herzen schreibt. Auf das „uns“ von „durch uns geschrieben“ (II Kor 3,3) legt Luther klare Betonung.94 Nehmen wir uns das oben angegebene Zitat noch einmal vor, so können wir eine weitere Feststellung treffen: „Wir selbst haben geschrieben und [waren] selbst der Finger Gottes. […] Durch unser Predigtamt [seid ihr] geschrieben.“95 Für Luther ist es kein Gegensatz oder Widerspruch, wenn eine Aktion oder ein Werk gleichzeitig dem Predigtamt und dem Prediger und Pfarrer zugeschrieben wird. Luther unterscheidet nicht zwischen „durch unser Predigtamt geschrieben“ und „wir selbst haben geschrieben“. Das Amt wird nicht abstrakt gesehen, noch die Amtsträger vom Amt getrennt. Vielmehr scheinen die zwei fast synonym zu sein. Das Predigtamt ist nicht in erster Linie einfach ein Begriff. Sondern es ist mit den Aposteln und Predigern bzw. Pfarrern verbunden und wird sogar praktisch mit ihnen gleichgesetzt, wie Luther in der folgenden Stelle auch bezeugt: „In welcher Form [will er mit uns sein]? Durch unser Predigtamt. Gott sandte die Apostel. Die Welt suchte nicht. Sie werden gesandt zum Haus [und] zur Stadt. ,So komme ich zu euch durch das Wort, [durch die] Taufe, [durch] die Schlüssel.‘“96 Das Senden von Aposteln und Amtsträgern und Gottes Kommen durch Wort, Taufe, Schlüssel (und Abendmahl) sind nicht zu trennen, sondern werden vielmehr von Luther unauflöslich zusammengehalten. Das Zitat drückt die theophore Instrumentalität des Amtes aus: In der Gegenwart trägt das Amt bzw. tragen die Amtsträger Gott; sie bringen Gott zu den Menschen. Er kommt zu den Menschen, zu den Zuhörern und Empfangenden, indem er Apostel zu allen Zeiten sendet, die predigen, taufen, absolvieren sowie zelebrieren und austeilen. Gott ist in diesem Amt aktual-präsent: Er sucht, redet und handelt durch das Amt und durch die Mittel, die es auszuteilen hat. Wenn es uns ein wenig fremd vorkommt, von Predigern und Pfarrern als von Instrumenten und Mitteln zu reden, sind wir offensichtlich nicht die Ersten, die 92 Pr. 1926 [R] WA 49,168,18f: „meine Zunge“ („mea lingua“) und „in genau dieser Zunge“ („in ista lingua“). 93 Pr. 1926 [R] WA 49,169,22f: „das schon liecht und feinst eusserlich geberd, quibus Deus se nobis exhibet & c.“. Vom Kontext ist es klar, dass Luther die Klarheit, von der im Predigttext die Rede ist, auf das Amt bezieht, das gerade das Amt Pauli und der Amtsträger der Gegenwart ist. 94 Pr. 1926 [R] WA 49,168,17: „durch uns geschrieben“. 95 S.o. Anm. 79. 96 Pr. 1926 [R] WA 49,168,35–38: S.o. Anm. 75.

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einer solchen Vorstellung mit Zurückhaltung begegnen. Luther stellt für seine Zuhörer und den modernen Leser die Frage nach einer Prahlerei – nach einer überhöhten Schätzung des Amtes. Darf Paulus sich so rühmen?97 Darf Luther sich das Schreiben von lebendigen Buchstaben anmaßen – ist dies nicht vielmehr das Werk des Heiligen Geistes?98 „Ist das nicht eine große Prahlerei […] ?“99 Luther löst die Frage, indem er die Instrumentalität der Amtsträger bestätigt: Der Heilige Geist schreibt, er handelt durch Mittel, und die Amtsträger sind der Griffel bzw. die Feder, durch die er schreibt und handelt. Luthers Verständnis des Amtes wird nicht anhand dessen, was er voneinander trennt, sondern vielmehr anhand dessen, was er zusammenhält, gewonnen. Und Paulus will sagen: [„Dies100] geschieht nicht von Gott ohne Mittel, sondern durch unser Amt.[“] Du bekommst Gnade und Barmherzigkeit weder durch dich [selbst] noch durch Gott ohne Mittel, sondern durch das Predigtamt [bekommst du Gnade und Barmherzigkeit. Daher] soll ich predigen und darreichen. Dies geschieht durch uns, aber andererseits nicht von uns, sondern durch Gott. Es ist also ein unaussprechliches Werk, weil [es] durch die Zunge und die Finger [– durch] das Werk [–] eines Menschen geschehen soll, damit der Heilige Geist in das Herz kommt und einen neuen lebendigen [Menschen] aus dir macht, der [du] vorher ein Sünder im Tod [warst]. Nun dagegen [bist du ein neuer Mensch], und dies durch meinen Finger und meine Zunge.101

Das Werk Gottes, das Werk Gottes durch die Amtsträger sowie das Werk Gottes durch das Wort und die Sakramente werden alle zusammengehalten; sie sind ein einziges Werk. In diesem Zusammenhalten kann Luther durchaus sagen, dass die Zuhörer Gnade und Barmherzigkeit durch das Amt – durch die Amtsträger empfangen haben. Angesichts des Zitats wäre es Unsinn, von einem Amt zu reden, das nicht an Personen gebunden ist, denn die Gaben (hier : Gnade und Barmherzigkeit), die durch das Amt gegeben werden, werden durch die Inhaber des Amtes gegeben. Die Unterscheidung zwischen Person und Amt, die in Pr. 1926 getroffen wird, ist keine Trennung. Amt und Person werden vielmehr zusammengehalten. Luther trifft jedoch eine Unterscheidung, die darin besteht, dass das Amt sich nicht von den persönlichen Kräften des jeweiligen Amtsträ97 98 99 100

Pr. 1926 [R] WA 49,167,9f. Pr. 1926 [R] WA 49,168,17f und 49,167,28–30. Pr. 1926 [R] WA 49,168,3f: „Nonne magna gloriatio […] ?“. Hier weist Luther auf die aktuale Präsenz Christi in der Gegenwart durch das Wort und die Sakramente; vgl. Pr. 1926 [R] WA 49,169,27f. 101 Pr. 1926 [R] WA 49,169,29–35: „Et Paulus vult dicere: Non fit sine mediis a Deo, sed per nostrum ministerium. Non invenis gnad und barmherzigkeit per te nec per Deum sine medio, sed per ministerium & c. Jch sol predigen, administrare. Hoc fit per nos et tamen non a nobis, sed per Deum. Ideo ist opus inenarrabile, quod per linguam et digitos opus hominis sol geschehen, ut Spiritus sanctus veniat in cor et faciat novum viventem ex te, qui prius peccator in morte. Iam econtra, et hoc per digitum et linguam meam.“ (Hervorhebung JM).

Darstellung und Analyse

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gers ableiten lässt. Das „nicht von uns“ des Predigttextes wird ernst genommen und wiedergegeben,102 und gleichzeitig bleibt die Tüchtigkeit eine bestimmte Tüchtigkeit, die einem bestimmten „uns“ gegeben wird. Der Aspekt der Instrumentalität wird im 6. Kapitel ausführlicher dargestellt.

2.2.5 Doppelseitige Gewissheit Die Betonung der Gewissheit – und zwar sowohl der Gewissheit der Amtsträger in Bezug auf ihr Amt als auch der Gewissheit der Zuhörer in Bezug auf ihr Heil – findet sich an mehreren Stellen in Pr. 1926. Das folgende Zitat kann als Beispiel für beide Formen der Gewissheit dienen: Die Taufe [ist nicht mein]; das Evangelium ist nicht mein, sondern Gottes. Da kann ich prahlen und mit Zuversicht handeln. Es ist ein Anderer, der handelt, und dennoch [handelt er] durch uns und gebraucht Zunge, Hand, Wasser und Herz dazu. Und dennoch geschieht ein sehr großes Werk: ein Buchstabe wird geschrieben; die Kirche wird unterrichtet, die [dann] glaubt, liebt, leidet. Und [sie ist] sicher und fröhlich; sie ist keck gegen Gottes Zorn [und] die Hölle. Das kann die ganze Welt nicht machen. Sondern [es ist] ein Werk Gottes. Taufe [und] Absolution [sind Werke Gottes]. [An dem, dass] auch wir wie [arme] Tröpfe [sind], fehlt nichts. Aber [dieses Werk] ist nicht von uns. Unsere Tüchtigkeit ist von Gott, so dass man glaubt [und] freudig stirbt. [Dies] tun wir selber nicht. Wir können es nicht denken.103

Einerseits hat Luther, als Amtsträger, die Zuversicht und die Gewissheit, dass sein Reden und Handeln Gottes Reden und Handeln ist, dass seine Zunge und seine Hand von Gott gebraucht werden.104 Andererseits aber erweist das Zitat eine Gewissheit auf der Seite der angeredeten Zuhörer, die mit „sicher“, „fröhlich“ und „keck“ zum Ausdruck kommt und mit der Heilsgewissheit zu identifizieren ist. Die Predigt wurde mit einer Bemerkung über die erste Seite der Gewissheit begonnen: „Einst unbekannt, nun sollen wir mit Recht an seine Redewendung 102 II Kor 3,5. 103 Pr. 1926 [R] WA 49,170,3–10: „Baptismus, Euangelium non meum, sed Dei. Da kan ich bochen und trotzen. Est alius, qui facit, et tamen per nos utitur lingua, manu, aqua, corde dazu brauchet, et tamen fit opus maximum, scribere literam, Ecclesiam erudire, quae credit, diligit, patiens est et sicher, frölich, keck contra Dei iram, hell. Das kan totus mundus nicht machen. Sed opus Dei baptismus, absolutio. Uns feilets auch nicht wie tropffen. Sed ex nobis non. Nostra sufficientia ex Deo, quod homo credat, libenter moriatur, nos non facimus, wir konnens nicht dencken.“ 104 Dass Luther Wasser nennt, ist ein Hinweis auf die Taufe. „Herz“ deutet auf die Herzen der Zuhörer und Empfänger. Insofern betrachtet Luther an dieser Stelle das Schreiben von lebendigen Buchstaben als Gesamtgeschehen.

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gewöhnt sein. Sie ist reich und voll: […] ,Wir haben ein solches Vertrauen.‘“105 Dieses Vertrauen oder diese Gewissheit heißt, dass die Amtsträger sicher sein dürfen, dass das, was sie tun, vor Gott gilt und nicht aus ihren eigenen Kräften kommt.106 Sie dürfen wissen, dass, wenn sie predigen, Gott selbst predigt; wenn sie taufen, dann ist der Getaufte vor Gott getauft; wenn sie absolvieren, dann ist der Absolvierte vor Gott absolviert. Sie dürfen wissen und sicher sein, dass es keinen Abstand zwischen dem Reden und Handeln Gottes und ihrem Reden und Handeln gibt: Sein Reden und Handeln ist ihr Reden und Handeln; er tauft, predigt und absolviert durch sie. Die Amtsgewissheit der Amtsträger entspricht der Heilsgewissheit der Zuhörer und Empfänger. Indem die Zuhörer wissen, dass sie durch die Amtsträger tatsächlich von Gott getauft sind, durch ihre Absolution tatsächlich absolviert sind – dass es tatsächlich so zwischen ihnen und Gott steht, wie sie in der Predigt hören, können sie gewiss leben und gewiss sterben: […] wird in das Herz geschrieben: [„]Ich glaube an Gott den Vater, [und an] Jesus Christus, usw.[.“] Die Buchstaben werden in dein Herz geschrieben, und [sie werden] so [geschrieben], dass [sie] drin kleben und bleiben. Dein Herz merkt diese Buchstaben und sagt, [„]Dies ist gewisslich wahr. Über der Lehre und [dem] Glauben lasse ich [meinen] Leib [und mein] Leben[,] und [darauf] sterbe ich.[“]107

Das Pendant zu der Sicherheit und dem Vertrauen des Apostels und Luthers bildet die Gewissheit seitens ihrer Zuhörer. Im Einklang mit dem Kleinen Katechismus wird das Glaubensbekenntnis in voller Gewissheit sozusagen unterschrieben: „Das ist gewisslich wahr.“108 Das Verhältnis zwischen den beiden Seiten der doppelten Gewissheit lässt sich auch näher bestimmen. Ist eine Seite der Gewissheit in der anderen gegründet? Die Gewissheit der Amtsträger als Amtsträger, nämlich, dass ihr Reden und Handeln Gottes eigenes Reden und Handeln ist, ist nicht in der Heilsgewissheit der Zuhörer begründet – nicht einmal in ihrer eigenen persönlichen Heilsgewissheit als passive Empfänger des göttlichen Wortes. Wenn überhaupt eine Gewissheit in der anderen begründet sein soll, dann wäre die Heilsgewissheit der Zuhörer in der Amtsgewissheit der Amtsträger begründet. Dies beweist das erste in diesem Teil angegebene Zitat: „Unsere Tüchtigkeit ist von Gott, so dass man glaubt [und] freudig stirbt.“109 Und dennoch drückt weder das 105 Pr. 1926 [R] WA 49,167,7–9: S.o. Anm. 43. 106 Vgl. Pr. 1926 [R] WA 49,167,11–17. 107 Pr. 1926 [R] WA 49,167,37–168,2: „[…] scribitur in cor : Credo in Deum patrem, Iesum Christum & c. Die buchstaben scribuntur in cor tuum et sic, quod drinne kleben und bleiben. Cor tuum sentit illas literas et dicit: hoc certe verum. Uber der lere und glaub las leib, leben und sterbe.“ 108 Vgl. Anm. 15 oben. 109 S.o. Anm. 103.

Darstellung und Analyse

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Zitat noch die Predigt aus, dass die Heilsgewissheit der Zuhörer in der Amtsgewissheit der Amtsträger begründet ist; eine so subjektive Begründung und ein so ungewisser Halt werden nicht zugelassen. Die Heilsgewissheit der Zuhörer gründet sich nicht in einer Gewissheit der Amtsträger, sondern in der Tatsache, dass Gott durch das Amt, durch das Reden und Tun der Amtsträger mit ihnen verbindlich110 redet und handelt. Letzten Endes haben beide Seiten der doppelten Gewissheit dasselbe Fundament: Wann auch immer wir dieses tun, soll man keinen Zweifel daran haben. Aber ein solches Vertrauen [haben wir] nicht aus [uns]. Wenn [dieses Vertrauen] von uns käme, so wäre es mit einem Dreck versiegelt, wie [es der Fall bei] dem Papst und Mose ist, [die solches Vertrauen] aus ihren eigenen Kräften [und] Werken [haben wollen], [in Fällen] wo sie nicht sagen können: [„]Dies hat [Gott] übergeben.[“] Aber wir lassen uns zur Zuversicht gegen Gott gereichen, dass wir Buchstaben [– ja] solche [Buchstaben –] schreiben können, die Buchstaben des Heiligen Geistes genannt werden.111

Sowohl die Gewissheit von „wir“ (die Amtsgewissheit der Amtsträger) als auch die Gewissheit von „man“ (die Heilsgewissheit der Zuhörer und Empfänger) gründet sich in „Dies hat Gott übergeben.“ Rörer gebraucht das lateinische Verb mandare. Wenn Gott sein Amt, und das, was dieses Amt auszurichten hat, nicht übergeben und anvertraut hätte, würde es Gewissheit auf keiner Seite geben. Doch gibt es Gewissheit sowohl für die aktiv handelnden und redenden Prediger und Pfarrer als auch für die passiven Zuhörer und Empfänger in dem Mandat Gottes. Der Aspekt der Gewissheit wird im 8. Kapitel gründlicher erforscht.

2.2.6 Anrede und zweifaches Haben In 2.2.1 wurde bemerkt, dass die Zuhörer Luthers einen Prediger erleben, der so mit ihnen von der Kanzel redet, wie Paulus mit den Korinthern geredet hat. Dazu wurde in 2.2.5 eine zweifache Gewissheit dargestellt. Sowohl die apostolische Redeweise als auch die zweifache Gewissheit zeigen ein gewisses Gegenüber, das nun im Blick auf den Aspekt der Anrede und ein mit ihr verbundenes zweifaches Haben entfaltet werden soll. 110 Vgl. Pr. 1926 [R] WA 49,167,15f: „[Das,] was wir tun und machen, ist recht.“ („[…] was wir thun und machen, ist recht.“; Hervorhebung JM). 111 Pr. 1926 [R] WA 49,169,35–40: „Quando hoc facimus, sol man kein zweivel dran haben. Sed talem fidutiam non ex. Si von uns her kome, so wers mit eim dreck versiegelt, ut papa et Moses ex suis viribus, operibus, ubi non possunt dicere: Hoc mandavit. Sed nos den trotz vertimus ad Deum, quod possumus scribere literas et tales, quae vocantur Spiritus sancti literae,“ (Hervorhebung JM).

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Luthers apostolisches Amtsbewusstsein und seine Amtsgewissheit ermöglichen eine prägnante ich/du- bzw. wir/ihr-Anrede an die Zuhörer, in welcher das Evangelium als rein geschenktes Gut ankommt und ankommen kann und durch welche Anrede die Heilsgewissheit der Predigtzuhörer geschaffen wird. Pr. 1926 ist überreich an Stellen, die eine ich/du- bzw. wir/ihr-Anrede und insofern ein Gegenüber zeigen: „Du bekommst Gnade und Barmherzigkeit […] durch das Predigtamt [… . Daher] soll ich predigen und darreichen.“112 Und: „Nun dagegen [bist du ein neuer Mensch], und dies durch meinen Finger und meine Zunge.“113 Bei dieser Anrede und mit diesem Gegenüber kann ein zweifaches Haben des Predigtamtes und ein zweifaches Haben des Geistes festgestellt werden. In Bezug auf das Amt sagt Luther, „Gott vertraut uns seinen edelsten Schatz an, und in dem sind alle Gaben des Heiligen Geistes.“114 Vom Kontext her ist es klar, dass dieser Schatz das Predigtamt ist, und dass das Amt den Predigern aktiv anvertraut ist.115 Die Prediger und Pfarrer haben das Predigtamt als ein Amt, das von ihnen auszuüben ist. Zugleich hält das Predigtamt, in dem „alle Gaben des Heiligen Geistes“ sind, diese Gaben nicht zurück. Das Amt existiert, um zu predigen und zu taufen und um Absolution und Abendmahl zu spenden und auszuteilen. In dieser Hinsicht haben die Zuhörer und Empfänger das Amt auf passive Weise, als ein Amt, das für sie ausgeübt wird. Luther vertritt hier ein differenziertes Haben des Amtes – ein zweifaches Haben des Amtes, nach dem die Prediger und Pfarrer das Amt aktiv und die Zuhörer und Empfänger das Amt passiv haben. Im selben Kontext lässt sich auch ein zweifaches Haben in Bezug auf den Heiligen Geist feststellen: Gott vertraut uns seinen edelsten Schatz an, und in dem sind alle Gaben des Heiligen Geistes. … Wie Johannes 14[,23 sagt:] „Wir werden zu ihm kommen [und Wohnung bei ihm machen].“ Wie wohnt [er]? [Er wohnt] dort[, wo] du sein Wort und das

112 Pr. 1926 [R] WA 49,169,30–32: „Non invenis gnad und barmherzigkeit per te nec per Deum sine medio, sed per ministerium & c. Jch sol predigen, administrare.“ (Hervorhebung JM). 113 Pr. 1926 [R] WA 49,169,35: „Iam econtra, et hoc per digitum et linguam meam.“ (Hervorhebung JM). 114 Pr. 1926 [R] WA 49,169,1f: „Deus vertrawet uns seinen edlesten schatz et in eo omnia dona Spiritus sancti,“ (Hervorhebung JM). 115 Für die Deutung des Schatzes als das Predigtamt anhand des unmittelbaren Kontextes vgl. besonders Pr. 1926 [R] WA 49,168,35f und 49,169,17f. Zwischen WA 49,168,35f und 49,169,17f wird das Predigtamt mit der Wolkensäule des Alten Testaments gleichgesetzt. Diese Gleichsetzung zeigt, dass das Predigtamt den Predigern und nicht den Zuhörern aktiv anvertraut ist. Denn im Alten Testament hat das Volk Gottes ein passives Verhalten zur Wolke. Sie wurden von ihr geführt und geleitet, aber sie haben die Wolke keineswegs irgendwie ausgeübt.

Darstellung und Analyse

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Predigtamt, das er gegeben hat, und die Zunge des Predigers hast [– wo] du [die] Taufe, [das] Sakrament [und die] Schlüssel hast.116

Das Zitat macht deutlich, dass die angeredeten Zuhörer den Heiligen Geist (anhand Joh 14,23 die ganze Trinität) passiv und empfangend haben. Es ist klar, dass sie die Taufe als Getaufte, das Sakrament als Gespeiste und Getränkte, die Schlüssel als Absolvierte haben, denn die Zunge des Predigers, die sie haben und auf die sie von Luther gewiesen werden, ist eben nicht die Zunge in ihrem eigenen Mund, sondern die Zunge ihres Predigers bzw. Pfarrers. Das aktive Haben des Geistes seitens der Amtsträger korrespondiert mit dem passiven und empfangenden Haben des Heiligen Geistes seitens der Zuhörer. An einer anderen Stelle kann Luther in anredender Form sagen: „So ist der Heilige Geist in der Zunge und mit ihr, und wie er durch sie spricht, so legt er [es] in das Herz, damit ihr glaubt.“117 Hier ist die Zunge des Predigers als Werkzeug des Heiligen Geistes gemeint. Es trifft nicht zu, dass Luther die Kirche als Ganze außer Betracht lässt und nur von sich als einem aktiv handelnden Werkzeug denken kann. Luther kann durchaus die Kirche als Gesamtwesen betrachten und auch sich selbst passiv ansehen: „Durch [unsere] Zunge, unser Predigtamt wird so eine Schrift in unseren Herzen geschrieben.“118 Luther sieht sich nicht gerettet, weil er ein Prediger ist, und es werden keine lebendigen Buchstaben in sein Herz geschrieben, weil er selbst predigt. Luther sieht sich gerettet, besitzt die Heilsgewissheit und hat das Amt, den Heiligen Geist und seine Gaben eben auch als ein Empfangender und rein passiv. Freilich hat der Prediger Luther das Amt, den Geist und seine Gaben aktiv. Anhand Pr. 1926 wäre es unzutreffend zu behaupten, dass Luther ein undifferenziertes Haben des Amtes und des Geistes vertritt. Allein die Gleichsetzung des Predigtamtes mit der Wolkensäule des Alten Testaments119 schließt solche Ungenauigkeit aus. Das Volk Israel hatte die Wolke, aber keineswegs aktiv ; es hat sie passiv als reine Gabe und keineswegs als Aufgabe. Wenn für ein aktives Haben des Predigtamtes seitens der Zuhörer plädiert werden soll, würde Luthers Illustration unsinnig sein. Das Predigtamt, die Prediger und Pfarrer samt den Gaben, die sie austeilen, ist die Wolkensäule der Gegenwart, welche die Zuhörer passiv haben. Das aktive Haben des Predigtamtes und des Geistes sowie das passive Haben kommen in Luthers Anrede an die Zuhörer zur Sprache. Luther, seines Predigtamtes bewusst und der Tatsache, dass der Heilige Geist ihn als Instrument 116 Pr. 1926 [R] WA 49,169,1–5: S.o. Anm. 114 und 51 (Hervorhebung JM). 117 Pr. 1926 [R] WA 49,168,28f: S.o. Anm. 75 (Hervorhebung JM). 118 Pr. 1926 [R] WA 49,168,26f: „Per linguam, ministerium nostrum talis scriptura scribitur in cordibus nostris,“ (Hervorhebung JM). 119 S.o. Anm. 115.

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verwendet, vermittelt im Predigen die Gaben des Geistes und den Geist selbst. Als redendes Werkzeug des Heiligen Geistes haben die Worte Luthers einen schöpferischen Charakter. Die Absolution ist das deutlichste Beispiel der schaffenden Anrede: Lass uns [also] lernen, das Wort zu ehren, nicht wegen der Persona sondern wegen Gott, der solche Macht übet, damit das Wort eines Menschen das bewirkt, was es sagt. So [ist es] wenn ich sage: [„]Ich vergebe dir [deine] Sünden in Jesu Christi Namen.[“] Von der Zunge geht es ins Herz, das einen feurigen Gedanken und Buchstaben fasst und bekommt, nämlich, dass die Sünde vergeben ist. Dazu müssen Gott und alle Kreaturen [, „]Ja.[“] sagen.120

Die Absolution schafft die Realität, die sie ausspricht, und an diese göttlich geschaffene Realität sind die ganze Schöpfung und sogar Gott selbst gebunden. Wie die zwei Seiten der doppelten Gewissheit in einer geordneten Beziehung zu einander existieren, so haben auch das aktive und das passive Haben des Predigtamtes und des Geistes ein bestimmtes Verhältnis zu einander. Ich armer Tropf – soll ich mich rühmen, dass meine Zunge der Griffel [und] die Feder des Heiligen Geistes ist?[!] Und [doch] in genau dieser Zunge [und diesen] Worten – da drin – werden die Gaben des lebendigen Geistes gegeben und dargereicht: Glauben an Christus, [die] Liebe zu Gott und dem Nächsten, Geduld und Sanftmut, und dass du weißt, wer Gott, wer Christus und was der Tod [ist], geschrieben in [eure] Herzen.121

Durch das aktive Haben des Predigtamtes der Prediger bekommen die Zuhörer und Empfänger die Gaben, die durch dieses Amt ausgeteilt werden. Durch die Zunge und Worte des Predigers entstehen die lebendigen Buchstaben des Heiligen Geistes in den Herzen der Zuhörer. Glaube, unter anderem, entsteht durch das Predigtamt, und nicht das Predigtamt durch den Glauben. Fides ex auditu, nicht umgekehrt! Das aktive Haben seitens der Prediger und Pfarrer bewirkt das passive Haben seitens der Zuhörer und Empfänger. Und doch bleiben die Zuhörer, die passiv vom Geist und seinen Gaben erreicht werden, nicht passiv, denn die Buchstaben des Geistes sind lebendig und bewegen tote Menschen mit schöpferischer Kraft zum Leben. Luther fährt so fort: Das sind reine Buchstaben des Heiligen Geistes, und [sie sind] lebendig, denn der Glaube ist nicht ein totes Ding, wie Farbe an die Wand geschmiert. Wenn du wahrhaftig glaubst, [der Glaube] lebt in [deinem] Herz und du sprichst. Wenn das Kreuz [kommt], 120 Pr. 1926 [R] WA 49,170,14–19: „Discamus verbum honorare non propter personam, sed Deum, qui talem potestatem ubet, ut verbum hominis efficiat hoc, quod dicit. Ut si dico: Remitto tibi peccata in nomine Iesu Christi, ex lingua gehets in cor, comprehendit et empfehet ein fewrige gedancken und buchstaben, nempe quod peccatum remissum. Dazu mus ja sagen Deus et omnes Creaturae.“ Im Abschnitt geht es um die Tüchtigkeit (WA 49,170,9 und 19) und das Vollmacht-Haben (49,170,10) der Amtsträger. 121 Pr. 1926 [R] WA 49,168,17–21: S.o. Anm. 39 (Hervorhebung JM).

Darstellung und Analyse

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du erträgst [es]. Ebenfalls weißt du, dass der Herr [kein] Taugenichts ist[, sondern, dass er taugt.] Diese Gedanken, die lebendige Buchstaben sind, bewegen dich, damit du tust und lebst.122

Der Aspekt der Predigtanrede wird im 7. Kapitel, in dem auch einer besonderen Rede an Studenten, sowie an jetzige und zukünftige Amtsträger nachgegangen wird, ausführlicher dargestellt.

2.2.7 Ekklesiologische Feststellungen Obwohl die Kirche als Thema in Pr. 1926 nicht direkt behandelt wird, sind einige ekklesiologische Feststellungen zu treffen. Ähnlich wie bei dem zuletzt angegebenen Zitat wird an anderer Stelle das Herz folgendermaßen beschrieben: Die Buchstaben [werden geschrieben], wenn die Predigt durch Zungen geschieht, dann wird in das Herz geschrieben. Wenn [das Herz] still hält und du zuhörst, wird in das Herz geschrieben: [„]Ich glaube an Gott den Vater, [und an] Jesus Christus, usw.[.“] Die Buchstaben werden in dein Herz geschrieben, und [sie werden] so [geschrieben], dass [sie] drin kleben und bleiben. Dein Herz merkt diese Buchstaben und sagt, [„]Dies ist gewisslich wahr. […“]123

Das Herz und insofern die Zuhörer sind zuerst und vor allem passiv ; Passivität ist ihre Grundbestimmung, die sie als Christen identifiziert. Und wie die Herzen der Zuhörer so wird auch die Kirche beschrieben: „[…] ein Buchstabe wird geschrieben; die Kirche wird unterrichtet, die [dann] glaubt, liebt, leidet. Und [sie ist] sicher und fröhlich; sie ist keck gegen Gottes Zorn [und] die Hölle. Das kann die ganze Welt nicht machen. Sondern [es ist] ein Werk Gottes.“124 Die Kirche, wie die Herzen der Zuhörer, wird vor allem passiv beschrieben. Sie ist zuerst eine empfangende, und danach eine glaubende, bekennende, liebende und leidende Größe. Sie ist das, was sie ist, im Empfangen, in ihrem Beschenkt-Werden. Die Gaben, mit denen sie beschenkt wird, und der Geist, 122 Pr. 1926 [R] WA 49,168,22–25: „Das sind merae literae Spiritus sancti et vivae, quia fides non mortua res, ut color an die wand geschmieret. Si vere credis, vivit in corde, et loqueris. Si crux, es patiens. Item scis Dominum esse nequam & c. Istae cogitationes movent te, ut sic facias, vivas, quae vivae literae.“ Der Inhalt von dem Sprechen, das der Glaube vom Herz hervorruft, wurde schon im 2.2.5 angegeben: Er ist nichts anders als das Credo (WA 49,167,37); s. o. Anm. 107. Für Weiteres zur mittelbar bewirkten Aktivität der Zuhörer vgl. 2.2.8 unten. 123 Pr. 1926 [R] WA 49,167,35–168,1: „Literae, quando praedicatio fit per linguas, tum scribitur in cor, si still helt et audis, scribitur in cor : Credo in Deum patrem, Iesum Christum & c. Die buchstaben scribuntur in cor tuum et sic, quod drinne kleben und bleiben. Cor tuum sentit illas literas et dicit: hoc certe verum.“ 124 Pr. 1926 [R] WA 49,170,5–7: S.o. Anm. 103.

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dessen Gaben sie sind, rufen Bekenntnis hervor, schaffen Glauben und Liebe und geben die Fähigkeit zu leiden. Oft wird die Kirche creatura verbi genannt. Wessen Wortes? „Des Wortes Gottes“ ist angesichts Pr. 1926 zwar zutreffend, bleibt aber immer noch zu unbestimmt. Gottes Wort ist ein leibliches, mittelbar geredetes Wort. Daher bleibt bei Luther diese äußerst wichtige Frage nicht ohne klare Antwort. Die Kirche ist das Geschöpf des Wortes Gottes, wie es durch die Zunge der Apostel, Prediger und Pfarrer geredet wird; sie wird in der von ihnen gespendeten Taufe geboren, in dem von ihnen dargereichten Abendmahl gespeist und getränkt, in der von ihnen gesprochenen Absolution gerecht erklärt und lebendig gemacht. Weiteres zum ekklesiologischen Aspekt der Präsenz Jesu Christi im Amt wird im 9. Kapitel ausgeführt.

2.2.8 Das Predigtamt im breiteren Horizont der Theologie Luthers Gibt Pr. 1926 mit dem Einblick in das Amtsverständnis Luthers auch Auskunft über die Verortung des Amtes im breiteren Horizont der Theologie Luthers? Wo hat das Predigtamt seinen Sitz in Luthers Theologie? Hat es nur die Bedeutung eines notwendigen theologischen Anhangs, wie bei manchen theologischen Systemen zu finden, oder kommt dem Amt ein anderer Rang zu? „[Sie sind] ein Vorhang, unter dem er [sich] verhüllt, damit er zu dir kommen kann – damit du nicht [irgendwohin] läufst, und er hier ist.“125 „Er ist hier“: Die Aussage bestätigt die Präsenz Gottes unter seinem Volk in der Gegenwart. Die verhüllte und doch leibliche Präsenz ist die Präsenz Christi. Diese Präsenz wird mit dem Vorhang des neutestamentlichen Zeitalters verbunden: „Sie“ sind die Prediger bzw. Pfarrer126 sowie die Predigt,127 die Taufe,128 die Absolution129 und das Sakrament,130 die sie austeilen. Predigt, Taufe, Absolution und Sakrament lassen sich nicht von ihrer leiblichen, persönlichen Mitteilung trennen. Wichtig für die Stellung der Amtstheologie Luthers in einem weiteren Horizont ist, dass die Untrennbarkeit von Prediger und Predigt, Amtsträger und Amtshandlungen, den Unterschied zwischen einem Gott, dem wir nachlaufen müssen, und einem Gott, der uns nachläuft, ausmacht. An mehreren Stellen wird das mittelbare 125 Pr. 1926 [R] WA 49,168,11f: S.o. Anm. 48. 126 Pr. 1926 [R] WA 49,168,4, 6, 12, [13–14,] und 17 („uns“ und „ich“ [Luther]). Zumindest in Pr. 1926 verwendet Luther „Prediger“ und „Pfarrer“ als auswechselbare Termini, die beide ausschließlich auf die Amtsträger verweisen. 127 Pr. 1926 [R] WA 49,168,4, 5, und 9. 128 Pr. 1926 [R] WA 49,168,5, 9 und 12f. 129 Pr. 1926 [R] WA 49,168,13f. 130 Pr. 1926 [R] WA 49,168,5.

Darstellung und Analyse

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Kommen Gottes betont.131 Und der Gott, der kommt, ist synonym mit dem Gott, der Apostel schickt132 und sich in ihnen und in den von ihnen ausgeteilten, gestifteten Gaben verhüllt. Der kommende Gott ist das Gegenteil von einem Gott, der irgendein Kommen von Seiten des Menschen fordert. Er läuft, nicht sie laufen; er kommt zu ihnen. Ein Gott, zu dem man kommen muss, ist nicht der Gott, den Luther predigt, ist nicht Christus. Der christliche Gott ist der kommende Gott, ist der Apostel und Prediger sendende Gott, ist der Gott, der durch bevollmächtigtes mittelbares Handeln keinen Abstand zwischen sich und den Seinen lässt, den Menschen erst überwinden müssten. Der Unterschied zwischen dem Gott, der uns nachläuft, und dem Gott, dem wir nachlaufen müssten, entspricht dem Unterschied zwischen dem Evangelium und dem Gesetz. Ist das nicht eine große Prahlerei, [wenn man meint,] dass Gott seinen Heiligen Geist durch das mündliche Wort des Predigers geben wolle? Er könnte den Heiligen Geist ohne das Sakrament, die Taufe [und] die Predigt geben. [Dann] würde er die Prediger nicht brauchen. Aber er will [den Heiligen Geist so] nicht [geben]. Er will mild [und] freundlich regieren, nicht wie am Berg Sinai, wo [seine] Herrlichkeit unerträglich war. Darum verbirgt und verhüllt er sich. Und dennoch ist er anwesend [unter] Formen; [er ist anwesend in] Gestalt [und] Wirkung, die gesehen und mit den Ohren vernommen werden.133

Gott gibt seinen Heiligen Geist durch Mittel, die nach dem Kontext offensichtlich von den Predigern gespendet werden oder die ihr mündliches Wort bilden. Zwar bestreitet Luther nicht, dass Gott den Heiligen Geist ohne Mittel geben könnte. Dennoch liegt Luthers Interesse nicht bei dem theoretisch Möglichen, sondern bei dem Tatsächlichen. Wie will Gott den Geist geben? Wie gibt er ihn? Er gibt ihn durch die genannten Mittel. Das mittelbare Geben Gottes, in dem er den Heiligen Geist schenkt, wird theologisch begründet. Vermitteltes Schenken des Geistes ist aber nicht als zwingend notwendig anzusehen: Es ist nicht notwendig, dass Gott seinen Geist mittelbar gibt. Jedoch gibt er ihn durch bestimmte Mittel zu einem bestimmten Zweck. „Er will mild [und] freundlich regieren,“ meint Luther. Im Unterschied zu seiner Regierweise mit Mose auf dem Berg Sinai will Gott nun in der Ge-

131 Pr. 1926 [R] WA 49,168,11, 34 und 37; 49,169,3 und 34. 132 Pr. 1926 [R] WA 49,168,36. 133 Pr. 1926 [R] WA 49,168,3–9: „Nonne magna gloriatio, quod Deus velit dare Spiritum sanctum suum per verbum vocale praedicatoris? Posset sine Sacramento, Baptismo, praedicatione dare Spiritum sanctum, non opus haberet praedicatoribus. Sed non vult. Er wil seuberlich, freundlich regieren, non ut in Monte Sinai, ubi gloria intolerabilis. Ideo se abscondit, verhüllet, et tamen adest sub formis, gestalt, wirckung, quae videntur et auribus percipiuntur.“ (Hervorhebung JM).

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genwart in seiner Kirche gnädig regieren.134 Dieses Regiment, sein gnädiges Regieren, entspricht nach Luther einer Selbst-Verhüllung Gottes. Diese SelbstVerhüllung ist ein Verhüllen Gottes in dem mündlichen Wort des Predigers und in den von ihm gespendeten Gnadenmitteln. Der Unterschied zwischen einem in Mitteln sich-selbst-verhüllenden Gott, einem, der seinen Geist durch Mittel gibt, und einem Gott, der unmittelbar handelt und regiert, ist schließlich der Unterschied zwischen Gesetz und Evangelium, zwischen der vernichtenden, unmittelbaren Herrlichkeit Gottes und seiner verhüllten, gnädigen Präsenz.135 Das Evangelium als Evangelium wird hier mit dem Geben Gottes durch Mittel verbunden, und dieses Geben Gottes durch Mittel ist nicht von den Predigern und Pfarrern zu trennen. Mittel, die durch bestimmte Menschen gespendet werden, gehören zu dem Evangelium als Evangelium. Kurzum: Keine Mittel – keine Prediger – dann kein Evangelium. Wenn Luthers Amtsverständnis zu der rechten Unterscheidung von Gesetz und Evangelium in der Praxis, in der Anwendung, in der gepredigten Anrede und in der von der Kanzel getriebenen Seelsorge gehört, darf es nicht überraschen, dass dieses Amtsverständnis auch eine Rolle bei der Rechtfertigungslehre spielt. An zwei Stellen wird die Rechtfertigungslehre direkt erwähnt. Durch [unsere] Zunge, unser Predigtamt wird so eine Schrift in unseren Herzen geschrieben. Denn sie werden zubereitet durch das Predigtamt, denn Christus ist der Griffel. Was ist [dann] der Tod? Gerechtigkeit.136 Aber die Predigt Pauli und aller Apostel begleitet der [Heilige] Geist samt seinen Gaben. Daher sind alle [diese Sachen] Worte, Dienste und Werke Gottes, die in die Herzen lebendige Buchstaben schreiben, die sich bekannt machen und äußerlich werden, so dass es erscheinen wird[, dass ihr] anders gemacht [worden seid:] Aus Sündern [wurden] gerechte Menschen [gemacht].137

In beiden Fällen wird die Rechtfertigung mit der Amtslehre verbunden: Die Zuhörer sind als Menschen, die von Gott durch gestiftete, leibliche Mittel gnädig erreicht worden sind, gerecht. Indirekt zieht sich die Rechtfertigungslehre durch die ganze Predigt hindurch, wo immer Luther die Frage beantwortet, wie der 134 Hier ist die institutionelle Kirche gemeint, auf die Taufe, Sakrament, Absolution mit Handauflegung und die Predigt der Prediger unmissverständlich hinweisen. 135 Der letzte Abschnitt (Pr. 1926 [R] WA 49,170,21–42) hebt die Unterscheidung auch hervor. In diesem Abschnitt wird die Unterscheidung besonders anhand der Klarheit Moses und der Klarheit Pauli, Luthers und der jetzigen Amtsträger dargestellt. 136 Pr. 1926 [R] WA 49,168,26–28: „Per linguam, ministerium nostrum talis scriptura scribitur in cordibus nostris, quod parantur per ministerium, quod Christus stilus, quid mors? iustitia.“ (Hervorhebung JM). Vgl. oben Amn. 118. 137 Pr. 1926 [R] WA 49,170,38–42: „sed Pauli praedicationem et omnium Apostolorum comitatur spiritus cum donis. Ideo omnia verba, offitia et opera Dei, quae scribunt in corda literas viventes, quae exerunt se et fiunt externe, ut appareat factos alios, ex peccatoribus iustos.“ (Hervorhebung JM).

Darstellung und Analyse

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Heilige Geist lebendige – d. h. lebendig machende und Leben schenkende – Buchstaben in die Herzen der Zuhörer schreibt.138 Diese Antwort fällt mehr als deutlich aus: Durch die Mittel, welche die Prediger und Pfarrer auszuteilen haben und durch ihr eigenes Predigen. In systematisch-theologischer Hinsicht spielt Luthers Amtsverständnis in der Rechtfertigungslehre, und in praktisch-theologischer Hinsicht spielen die Prediger und Pfarrer in der Rechtfertigung eine Rolle, weil dem Amt bzw. den Amtsträgern eine Rolle gegeben wird. Dass Gott selbst sich an das gesprochene Urteil der Amtsträger, an ihre Absolution, bindet,139 und dass der Heilige Geist den Predigern folgt und sie begleitet,140 kann kaum überschätzt werden. Gott ist an ihr Sprechen und Handeln gebunden, und der Heilige Geist folgt ihnen, weil Gott selbst sie „tüchtig“ (idoneus) gemacht hat. „Tüchtigkeit“ (sufficientia) und „Vollmacht-Haben“ (tugen)141 drücken die göttliche, von Gott gegebene Autorität des Predigtamtes und der Amtsträger aus. Niemand außer Gott kann Gott binden, und sein Ordnen und Übergeben von Mitteln, durch die er gnädig und mild zu regieren verspricht, ist nichts anderes als ein Selbst-Binden Gottes, auf Grund dessen die Zuhörer und Empfänger nicht nur sicher, fröhlich und keck sein dürfen im Blick auf die Hölle, sondern auch im Blick auf Gott selbst und seinen Zorn.142 Wie das zuletzt angegebene Zitat bezeugt, kann die Präsenz des Gottes, der den Menschen nachläuft, kann das Evangelium, und kann die mittelbar geschenkte Rechtfertigung mit der Heilsgewissheit, die sie mit sich bringt, nicht ohne wesentliche Folgen bleiben: „[…] lebendige Buchstaben […] , die sich bekannt machen und äußerlich werden, so dass es erscheinen wird[, dass ihr] anders gemacht [worden seid: …]“143 Die lebendigen, mittelbar geschriebenen Buchstaben des Heiligen Geistes schaffen nicht nur den Glauben an Christus und Gewissheit im Angesicht des Todes, sondern auch „[die] Liebe zu Gott und dem Nächsten, Geduld und Sanftmut“.144 Auch wenn die Grundbestimmung und die definierende Haltung des Christen eine passive und empfangende ist, bleibt der Christ dennoch nicht passiv : Er lebt und handelt,145 leidet und stirbt146 – als ein Christ, in voller Gewissheit. Die lebendigen Buchstaben, in die Herzen der Zuhörer und Empfänger ge138 Vgl. z. B. Pr. 1926 [R] WA 49,168,17. 139 S.o. Anm. 110. Vgl. Pr. 1926 [R] WA 49,170,18f: „Dazu müssen Gott und alle Kreaturen[, ,] Ja.[‘] sagen.“ (s. o. Anm. 120). 140 Pr. 1926 [R] WA 49,170,37–39. 141 Für die Matrix dieser Termini vgl. Pr. 1926 [R] WA 49,170,9, 10, 19 und 20–37. 142 Pr. 1926 [R] WA 49,170,6f. 143 S.o. Anm. 137. 144 Pr. 1926 [R] WA 49,168,20f: „lieb erga Deum et proximum, gedult und sanfftmut“. 145 Pr. 1926 [R] WA 49,168,25. 146 Pr. 1926 [R] WA 49,168,2 und 24.

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schrieben durch die Predigt der Prediger und Pfarrer und durch Taufe, Absolution und Sakrament, die durch sie ausgeteilt werden, sind zwar ins Herz geschrieben, aber werden doch von außen gelesen. An den Christen lesen „Gott, Christus, die Engel und alle Kreaturen“ ab, dass Christus für ihre Sünden gestorben ist nach der Schrift.147 Das in voller Gewissheit stehende für-uns Urteil, nämlich dass „Christus für [unsere] Sünden gestorben ist [nach der Schrift]“,148 ist ein in bevollmächtigter Anrede getroffenes Urteil: „[,]Ich vergebe dir [deine] Sünden in Jesu Christi Namen.[‘]“149 Es ist das Urteil Gottes selbst, der „[,„…] seinen Sohn in das Fleisch gesandt hat, usw.[“] – für dich.[‘]“150 Zu seinem eigenen Urteil muss Gott „Ja“ sagen; und alle Kreaturen auch.151 Nicht nur wird der Christ durch das mittelbare Reden und Handeln Gottes durch das Amt vom Tod ins Leben gerufen und als ein lebendiges Wesen neu geschaffen, sondern er findet dadurch auch seine spezifische Identität und seinen Platz in der ganzen Schöpfung. Er wird mit und unter allen Mitgeschöpfen zu einem Leben der Dankbarkeit152 befreit, das in der Liebe tätig ist. Bis in die Ethik hinein spielt Luthers Amtsverständnis eine wesentliche theologische Rolle, denn durch das mittelbare Reden und Handeln Gottes durch das Amt werden dem Christen nicht nur ewiges Leben, sondern auch eine neue Lebenshaltung vor Gott und ein neuer Lebenswandel unter allen Kreaturen geschenkt. Die Buchstaben des Heiligen Geistes werden von dem Vater und dem Sohn sowie von den Engeln und allen Kreaturen anerkannt: Menschen, für deren Sünden Christus gestorben ist, deren Sünden absolviert sind, gehören im vollen Maß zum großen Kreis der Schöpfung. Die Einordnung des gepredigten Amtsverständnisses des reifen Luther in den weiteren Horizont seiner Theologie wird im 10. Kapitel ausführlicher behandelt.

2.2.9 Das Predigtamt als Platzhalter des fleischgewordenen Gottessohnes Wenn auch in solcher Kürze nicht gesagt werden kann, welche Stellung dem Predigtamt in Luthers gepredigter Theologie insgesamt zukommt, so kann doch zumindest gesagt werden, welche Stellung dem Predigtamt und den Amtsträgern in Pr. 1926 zukommt. Der Abschluss der Predigt bringt uns zum Abschluss der Analyse: Die letzten zehn Zeilen der Predigt, in denen dreimal zwischen 147 Pr. 1926 [R] WA 49,170,12f: „Deus, Christus, Angeli, omnes Creaturae“. 148 Pr. 1926 [R] WA 49,170,12f: „Christus mortuus pro peccatis & c.“ (Hervorhebung und Wortumstellung JM). 149 Pr. 1926 [R] WA 49,170,16f: S.o. Anm. 120 (Hervorhebung JM). 150 Pr. 1926 [R] WA 49,170,35: S.o. Anm. 67 (Hervorhebung und Wörterumstellung JM). 151 S.o. Anm. 139. 152 Pr. 1926 [R] WA 49, 168,3, 26 und 38.

Darstellung und Analyse

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Aussagen von (bzw. über) Mose und dem Heiligen Geist gewechselt wird, erhellen die Stelle des Amtes und der Amtsträger : Mose sagt: [„]Du sollst nicht einen anderen Gott haben. Du sollst deine Eltern ehren, usw.[.“ Das] ist ein schöner Glanz: Trifft er dich, erschrickst [du] davor. Dieser [sagt]: [„,]Gott hat seinen Sohn in das Fleisch gesandt, usw.[‘] – für dich.[“] Diese Werke hast weder du getan noch lehren die Zehn Gebote sie. Jenes ist vom Buchstaben. Aber uns hat Gott tüchtig gemacht, damit der Geist uns, die wir predigen, folgt. Wann auch immer Mose [predigt], [ist es] nichts, denn er spricht von unseren Werken. Aber die Predigt Pauli und aller Apostel begleitet der [Heilige] Geist samt seinen Gaben. Daher sind alle [diese Sachen] Worte, Dienste und Werke Gottes, […] Aus Sündern [wurden] gerechte Menschen [gemacht].153

Die erste, dritte und fünfte Aussagen beziehen sich auf Mose. Die zweite, vierte und sechste betreffen den Heiligen Geist und die ganze Trinität. In diesen Aussagen predigt der Heilige Geist, oder er wird auf die Predigt der Prediger bzw. Apostel bezogen. In allen drei Aussagen nimmt sich Gott, der Vater, ein Werk oder Werke vor. In allen diesen Aussagen wird dem Sohn oder den Aposteln bzw. Predigern etwas zuteil: Der Sohn wird gesandt; die Prediger und Apostel werden tüchtig gemacht und der Geist folgt ihnen und sie werden von ihm und seinen Gaben begleitet. Alle drei Aussagen dürfen als trinitarische Aussagen gelesen und verstanden werden. Keineswegs werden die Apostel und Prediger dem Sohn Gottes schlicht gleichgesetzt, aber in dem fortdauernden leiblichen Reden und Handeln Gottes wird ihnen dessen Platz gegeben. Der Sohn Gottes wird der in das Fleisch Gesandte genannt, an dessen Stelle andere Gesandte, „Paulus und alle Apostel“ treten, um als Werkzeuge des Heiligen Geistes den Sohn Gottes zu predigen, Menschen gerecht zu machen, und das „für dich“ des Evangeliums als Evangelium zu sichern.

Zusammenfassung In Pr. 1926 findet sich eine Reihe von Aspekten, die das gepredigte Amtsverständnis Martin Luthers erhellen. Ein übergreifendes Moment ist das der Kontinuität, die sowohl historische Kontinuität ist, als auch eine Kontinuität des apostolischen Amtes. Beiden liegt eine christologische Kontinuität zugrunde. 153 Pr. 1926 [R] WA 49,170,33–42: „Moses: Non habebis alienum Deum, honora parentes & c. Jst ein schoner glantz: trifft er dich, erschrickest da für. Hic: Deus misit filium suum in carnem & c. pro te. Haec opera non fecisti nec 10 praecepta docent. Jenes ist vom Buchstaben. Sed nos Deus fecit idoneos, ut nobis praedicantibus sequatur Spiritus. Quando Moses, nihil, quia dicit de operibus nostris, sed Pauli praedicationem et omnium Apostolorum comitatur spiritus cum donis. Ideo omnia verba, offitia et opera Dei, […] ex peccatoribus iustos.“ (Hervorhebung und Textverschiebung JM).

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Pr. 1926 ([R] WA 49,167–170) als Musterpredigt

Ferner macht Luther deutlich, dass er die Amtsträger als Mittel versteht, durch die Gott spricht und handelt. Deshalb dürfen sie ihres Amtes gewiss sein, so wie auch hörende und empfangende Christen des gnädigen Handelns Gottes durch das Amt gewiss sein dürfen. Die Kirche ist ihrem Wesen nach in erster Linie passiv, ebenso die hörenden und empfangenden Christen: Dass es überhaupt Glaubende und die Kirche gibt, die in Werk und Bekenntnis ihren Glauben ausdrückt, beruht auf Gottes mittelbarem Sprechen und Handeln durch das Amt. Das Amt und die Amtsträger entsprechen der Inkarnation Christi und damit einem solchen Gott, der zu den Menschen kommt. Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium sowie Heils- bzw. Rechtfertigungslehre werden hier eng verknüpft mit der Amtslehre. Diesen Einzelaspekten des zentralen Motivs der Präsenz Christi im Amt wird – wie bereits angekündigt (1.5.2 oben) – in den folgenden Kapiteln nachgegangen.

3.

Der christologische Aspekt

3.1

Einführung

Wenn Luthers Verständnis des Amtes als ein Verständnis der Präsenz Christi in diesem Amt beschrieben werden kann, dann ist zunächst zu fragen, wie Luther Christus und seine Präsenz versteht. Obwohl bestimmte Nuancen in Luthers Christologie unterschiedlich bewertet und beschrieben werden können,1 stellt sich insgesamt eine gewisse Einheitlichkeit seiner Christologie dar. Ein für dieses Kapitel entscheidendes Charakteristikum dieser Christologie ist Luthers Verständnis der Menschheit Christi: In den untersuchten Predigten wird der Sohn Gottes ohne seine Menschheit weder gedacht noch dargestellt. Dies gilt nicht nur für die Zeit seines irdischen Lebens, sondern gleicherweise für die Zeit nach seiner Himmelfahrt und sogar für die Zeit vor seiner menschlichen Geburt. Man könnte fast von einer Präexistenz der Menschheit Christi sprechen, so dass angesichts der Personeneinheit, die erst mit der Inkarnation real historisch entstand, Christi Menschheit aus der Sicht Gottes schon proleptisch bestanden hat und antizipatorisch wirksam war. Da beide Naturen seiner Person zu allen Zeiten theologisch wahrgenommen werden, geht Luther von einer Präsenz Christi aus, nach der sich die Gottheit zu allen Zeiten in konkreten, leiblichen Formen verbirgt und verhüllt. In dieser Hinsicht kommt Luthers Christologie bei seiner Amtslehre zum Tragen und dieser Zusammenhang ist in diesem Kapitel zu entfalten. Bereits bei der im 2. Kapitel durchgeführten Untersuchung von Pr. 1926 ist aufgefallen, dass Luther eine Präsenz Christi nicht nur im Amt, sondern auch auf andere Weise konstatiert – auch vor der Inkarnation: In der Wolke, die das Volk Israel aus Ägypten und durch die Wüste geleitet hat, und hinter dem Vorhang der Stiftshütte und des Tempels, die Gottes Wohnungen waren, war er präsent,

1 S.u. bes. Anm. 6–13.

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Der christologische Aspekt

der nachher Fleisch wurde und unter „uns“ seine Wohnung nahm.2 In Form und Gestalt – in Wirkung und unter sog. Larven war nach Luther Christus bereits zur Zeit des Alten Testaments präsent und tätig.3 Ein gewisses Ewigkeitsmoment der Christologie Luthers – kein seltener Fall in seinen Schriften und Predigten – tritt dabei ans Licht. Der Christus, der zumindest vom reifen Luther beschrieben wird, ist ein ewiger Christus. Nun beschließt er, dass Christus der Natur nach Gott [ist], der Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit haben soll. Dennoch wurde er zur Zeit des Augustus geboren. Wie [ist er] denn der HErr von Ewigkeit her? Ein und derselbe ist der Sohn Gottes und [der Sohn] der Jungfrau [–] von Gott geboren von Ewigkeit her, von Maria zeitlich, [aber er ist] nicht zwei Söhne oder Christusse[, sondern einer]. Der, der Gottes Sohn ist, [ist] auch [der Sohn] Marias. E[r] ist nicht zertrennt. Darum sagt der Hebräerbrief: „Christus gestern, heute und [derselbe auch] in Ewigkeit.“ Und Petrus oben im ersten Kapitel [sagt, dass er] von Ewigkeit vorherbestimmt war. I. Korintherbrief, Kapitel 10 [sagt Paulus, dass die Väter] Christus versucht haben. Damals war er da. Er hat [sie] aus Ägypten geführt, aber [er war] noch nicht Mensch geworden. So lang die Gottheit ist, so lang [ist] auch Marias Sohn.4

Am Tag der Ordination von Steffanus Meyer5 legt Luther anhand I Petr 4,11 eine deutliche Betonung auf die Untrennbarkeit der zwei Naturen in der Person Christi. Wenn seine Christologie eine Zwei-Naturen-Lehre genannt werden kann, hat sie jedenfalls ihren Schwerpunkt bei der unio personalis der zwei Naturen. Luthers Beharren auf der Untrennbarkeit der Person Christi, die nicht nur im berühmten Abendmahlsstreit, sondern auch im letzten Jahrzehnt seiner Predigttätigkeit festgestellt werden kann, kommt nach der neueren Forschung zum pointierten Ausdruck in seiner Lehre der communicatio idiomatum, nach der alle Eigenschaften beiden Naturen und nicht nur der Person als ganzer zugeschrieben werden.6 Ob Luthers Christologie geradezu Lehre von der Idiomen2 Pr. 1926 [R]: Für die Wolke siehe WA 49,169,6–8 und 11–20; für den Vorhang siehe 49,168,11; für die Wohnung siehe 49,169,3. 3 Form, Gestalt, Wirkung, Larve: Pr. 1926 [R] WA 49,168,7–11 und 49,169,5; sie stehen für das Angesicht und die Gegenwart Gottes: 49,169,9. 4 Der Schlussabschnitt zu Pr. 1882 [R], WA 47,784,27–34, der im 6. Kapitel der vorliegenden Arbeit ausführlicher betrachtet wird: „Nu beschleusst er, quod Christus natura Deus, der sol ehr haben von ewigkeit zu ewigkeit. Tamen natus tempore Augusti, quomodo ergo Dominus ab aeterno? Idem et unus filius est Dei et virginis. A Deo natus ab aeterno, von Maria zeitlich, non duo filii et Christi. Qui Dei est filius, is et Mariae. Es ist nicht zertrennet. Ideo dicit Heb: ,Christus heri, hodie et in secula‘, et Petrus supra ca. 1. ab aeterno praefinitus. 1. Corint. 10. Tentaverunt Christum. Tum adfuit, duxit ex Egipto, sed nondum homo factus. So lang die Gotheit ist, so lang auch Mariä son.“ Die Schrifthinweise sind Hebr 13,8, I Petr 1,20 und I Kor 10,9. 5 Buchwald, Ordiniertenbuch., S. 4, 01. 06. 1539. 6 Für eine Definition der Idiomenkommunikation vgl. Steiger, „Communicatio idiomatum als

Einführung

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kommunikation ist,7 ob die Idiomenkommunikation die hermeneutische Treibkraft8 oder sogar das Zentrum9 der ganzen Theologie Luthers ausmacht, oder ob sie nur den doch wichtigen Platz eines Schlüsselbegriffs seiner späteren Christologie einnimmt,10 darf für die vorliegende Untersuchung zunächst offen bleiben. Denn auf alle Fälle gilt als wissenschaftlicher Konsens erstens, dass die Idiomenkommunikation eine äußerst zentrale Rolle in der Christologie Luthers spielt und die Untrennbarkeit der Person Christi zum pointierten Ausdruck bringt. Zweitens wird es nicht nur von der Wissenschaft, sondern ausdrücklich von Luther selbst bestätigt, dass er seine gesamte Theologie von Christus und dem Glauben an Christus her denkt: „In meinem Herzen herrscht dieser eine Artikel, nämlich der Glaube an Christus, aus dem, durch den, und in den alle meine theologischen Überlegungen Tag und Nacht einfließen und zurückfließen.“11 Die Christologie – einschließlich des genus idiomaticum und Aussagen der Idiomenkommunikation – konnte Luther, wenn vielleicht nur vereinzelt, als den Hauptartikel der christlichen Religion bezeichnen.12 Folglich dürfen wir von Luther, mindestens vom reifen Luther, erwarten, dass sein theologisches Schaffen direkt oder indirekt Bezug zu seiner Christologie haben wird und dass diese Christologie eine Christologie der ungetrennten Person Christi sein wird. Die Richtigkeit dieser Erwartung lässt sich nicht nur anhand der späteren Disputationen13 oder der Schriften des Abendmahlsstreits, sondern auch anhand von Luthers Predigten bestätigen.

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Achse und Motor“, S. 1–2: „Zwischen beiden Naturen nämlich findet ein Austausch (eine Perichorese) der Wesenseigenschaften statt – ein Austausch der idiomata, d. h. der propria.“ (Hervorhebung JM). Für das Mitteilen oder die Kommunikation von Eigenschaften der Naturen an die Person wird „genus idiomaticum“ verwendet. Luther ist nicht immer eindeutig, denn er kann die communicatio idiomatum als die Kommunikation der Eigenschaften der Naturen an die Person definieren und im selben Atemzug Aussagen machen, die einen Austausch zwischen den Naturen vermuten lassen; siehe z. B. WA 40/III,703,29–704,7 („Enarratio 53. capitis Esaiae“, 1544/50). Bayer, „Das Wort ward Fleisch“, bes. S. 23. Steiger, „Communicatio idiomatum als Achse und Motor“. Nilsson, Miteinander von Göttlichem und Menschlichem, bes. S. 171 und 228. Lienhard, Luthers christologisches Zeugnis, bes. S. 253. WA 40/I,33,7–9: „Nam in corde meo iste unus regnat articulus, scilicet Fides Christi, ex quo, per quem et in quem omnes meae diu noctuque fluunt et refluunt theologicae cogitationes“; Übersetzung Lienhard, Luthers christologisches Zeugnis, S. 9. WA 40/III,704,8f („Enarratio 53. capitis Esaiae“, 1544/50). Vgl. Lienhard, Luthers christologisches Zeugnis, S. 267. Vgl. auch Siggins, Luther’s Doctrine of Christ, S. 79: Das „insistence on the uniqueness, necessity, and all-sufficiency of Christ […] becomes so predominant that in it consists not only the thrust of his doctrine of Christ but the focus and pivot of all his theology […].“ „Disputation de divinitate et humanitate Christi“, 1540 (WA 39/II,93–121; englische Übersetzung und Anmerkungen von Tolpingrud, „Luther’s Disputation“) und „Disputatio de sententia: Verbum caro factum est (Joh 1,14)“, 1539 (WA 39/II,3–33). Siehe auch Bayer und Gleede, Creator est Creatura.

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Der christologische Aspekt

Im Gegensatz zum volkstümlichen Bild des Predigers Luther, wonach er häufig als schlichter Kinderprediger gesehen wird, scheut sich Luther nicht, theologische Themen von der Kanzel zu behandeln, ja sogar theologische Nuancen der Christologie. Am Dienstag nach Pfingsten 1538 behandelt Luther in zwei Predigten, die als ein gewisses Pendant zu den christologischen Disputationen der folgenden Jahre gelten dürfen, Christologie, Trinitätslehre und Pneumatologie auf ausführliche Weise. Sowohl Naturen und Person als auch das Zuschreiben von Eigenschaften der Naturen zu der Person werden behandelt, und Christus wird an diesem Festtag vor allem als der dargestellt, der den Heiligen Geist verheißt, ausgießt und mit ihm verbunden hinfort anwesend ist.14 Die fortdauernde Präsenz Christi mit dem Heiligen Geist hat auch eine Entsprechung in der Zeit des Alten Testaments, wonach Christus in verhüllter Weise schon vor seiner Inkarnation auch leiblich anwesend war.15 Diese vorinkarnatorische Gegenwart Christi und seine fortdauernde Präsenz nach seiner Himmelfahrt sind Merkmale des genus maiestaticum und stellen das Ewigkeitsmoment, das wir bei Pr. 1882 gefunden haben, auch in Pr. 1728 dar : Nach seiner Himmelfahrt sitzt Christus zur Rechten des Vaters und ist gleichzeitig auf Erden.16 Auch in Bezug auf diese Zeit nach der Himmelfahrt kann Luther sagen: „Ich finde Gott nirgends außer in Christus.“17 Und genau diese christologische Erkenntnis, dass Christus in der Zeit nach seiner Himmelfahrt, auch nach seiner Menschheit, nicht fern, sondern nahe und tätig ist, wird anredend in der Verkündigung an die Zuhörer angewendet: In einer Predigt über Joh 11,1ff, in der Christus sich sowohl als der weinende (ganz Mensch!) Freund des Lazarus 14 Pr. 1728 [R/S] WA 46,414–422 und Pr. 1729 [R/S] WA 46,423–427. Die Christologie kann nicht von der Pneumatologie getrennt werden, wird aber dennoch etwas freistehender von [R] 46,417,1 bis 421,8 behandelt. Für das genus idiomaticum (die Kommunikation der Eigenschaften der Naturen zu der Person), das anhand der Pfingstpredigt des Petrus erläutert wird, siehe besonders [R] WA 46,419,1–15 und 46,420,16f. Aland, Hilfsbuch, S. 252 gibt den Predigten den Titel, „Von Christi Gottheit und Menschheit und von der Dreieinigkeit“, welcher zumindest nicht in der WA nachgewiesen ist. Der starke Inhalt dieser Predigten, der einen solchen Titel vielleicht trotzdem verdient, ist letzten Endes nichts, das Luther nicht einfach unter den historisch verstandenen und liturgisch gefeierten Begriffen „Himmelfahrt“ und „Pfingsten“ einordnen kann: Die leibliche Himmelfahrt Christi zeigt nicht nur seine eigene Identität, sondern auch sein Verhältnis zu dem Vater, zu dessen Rechten er sitzt. An Pfingsten gießt er den Heiligen Geist aus, den er verheißen hat, und versichert dadurch seine zusammen mit dem Geist fortdauernde Präsenz auf Erden. 15 Pr. 1728 [R] WA 46,418,17–419,1; Luther nennt wieder I Kor 10,9 und dazu auch Joh 8,58. 16 Pr. 1728 [R] WA 46,416,18f. Nach den vorliegenden Ergebnissen gehört die Bezeichnung „vorinkarnatorisch“ nicht zum Wortschatz Luthers, wie von ihm auf der Kanzel verwendet, aber zusammenfassend trifft sie den theologischen Duktus mehrerer in diesem Kapitel präsentierter Aussagen Luthers. 17 Pr. 1852 [A] WA 47,586,16: „[…] den ich finde gott nirgends den allein in Christo.“ Vgl. in dieser Predigt die christologische Diskussion über das zweifache Recht Christi zum Himmelreich: [A] 47,585,24–29.

Die Verborgenheit von göttlicher Macht und Majestät im Fleisch

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darstellt wie auch von sich sagt, dass er die Auferstehung und das Leben sei (ganz Gott!), kommt die Christologie beispielhaft zu seelsorgerlicher Geltung. Denn in seiner Trauer sagt dieser Christus, den der Tod – der Tod Lazarus und auch der Tod der Predigtzuhörer – verdrießt, „Ich will dir [Tod] […] zornig werden, erbosen [und] ergrimmen wunderlich[!]“18 „So lang die Gottheit ist, so lang [ist] auch Marias Sohn.“19 ist eine christologische Feststellung, die Luther sowohl auf das Zeitalter nach der Himmelfahrt Christi als auch auf die Zeit vor seiner Inkarnation bezieht. Weder in diesem noch in jenem Zeitalter bleibt in Luthers Sicht diese Präsenz unbestimmt. So wie er in der Wolke, der Stiftshütte und dem Felsen präsent war,20 so wird Christus in der Gegenwart als Prediger, Absolvierender und das Sakrament Darreichender bestimmt.21 Jetzt wie damals, seiner eigenen einzigartigen und ungetrennten Person entsprechend, ist Christus anwesend und handelnd.

3.2

Die Verborgenheit von göttlicher Macht und Majestät im Fleisch und in leiblichen Formen

3.2.1 Das Fleisch Christi und leibliche Formen Da Luther im Ringen des Abendmahlsstreits die ubiquitas der Menschheit Christi zu deutlichem Ausdruck und theologischer Anwendung gebracht hat, wäre es keine Überraschung, wenn Luther auch eine aeternitas der Menschheit Christi vertreten würde. Luther beteuert einerseits die ubiquitas so stark, dass er sagen kann, „Wo du mir Gott hinsetzest, da musst du mir die Menschheit mithinsetzen. Sie lassen sich nicht sondern und voneinander trennen. Es ist eine Person geworden und scheidet die Menschheit nicht so von sich, […]“22 Folglich können auch ähnliche Aussagen von der aeternitas – von dem Wenn und Wann – der ungetrennten Person Christi gemacht werden, so dass er sagen kann, „Er ist in alle Ewigkeit Mensch.“23 Gleich mitten im Abendmahlsstreit kommt eine irdische, vorinkarnatorische Präsenz Christi zur Sprache, und später kann Luther sogar sagen, dass Gott vor der Grundlegung der Welt die Kreuzigung Christi 18 Pr. 1915 [R] WA 49,54,11f: „Ich wil dir […] zornig werden, erbosen, ergrimmen wunderlich, […]“ 19 S.o. Anm. 4. 20 S.o. Anm. 2. 21 Pr. 1882 [R] WA 47,784,12ff; 47,783,35f; vgl. 47,783,27f. 22 WA 26,333,6–9 („Vom Abendmahl Christi, Bekenntnis“, 1528, Hervorhebung und leichte Modernisierung JM). 23 Bayer, „Das Wort ward Fleisch“, S. 30 (Hervorhebung JM).

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Der christologische Aspekt

vor Augen hatte.24 Die Idiomenkommunikation bedeutet nicht nur die Allgegenwart der Menschheit Christi, sondern auch ihre Ewigkeit – die Untrennbarkeit der Person Christi zu allen Zeiten.25 Auch in seinen Predigten scheut Luther nicht eine Darlegung der Christologie; er bringt das angesprochene Ewigkeitsmoment nicht nur in Streitschriften, Traktaten, und Disputationen zur Sprache, sondern legt auch dieses vor den Predigthörern aus. In einer Himmelfahrtspredigt aus dem Jahre 1538 entfaltet Luther dieses Ewigkeitsmoment, indem er die unaufhörliche und gleichzeitige Präsenz Christi zur Rechten des Vaters und auf Erden betont.26 Mit ausführlicher Darstellung der untrennbaren Person Christi und der unio personalis ihrer Naturen27 unterstreicht Luther, dass Christus im Grab und sogar bei seiner Empfängnis zur Rechten des Vaters war.28 „Vor seiner menschlichen Geburt, während [seines irdischen Lebens] und [da]nach [war er] zur Rechten [des Vaters].“29 Findet sich das, was man traditionell seine „Erhöhung“ nennt, schon in der Zeit seiner „Erniedrigung“, dann gilt auch das Umgekehrte: Nach seiner Himmelfahrt bleibt Christus tätig und wirksam „hier unten“.30 So wie der „Erniedrigte“ erhöht blieb, so bleibt der „Erhöhte“ niedrig. Die Betonung der unio personalis befreit die Christologie von einem theologischen Zwang: Christus muss nicht gen Himmel fahren (nicht auferstehen!), um wahrer Gott zu sein. Folglich geschieht seine Himmelfahrt (und freilich alles von seiner Empfängnis bis zu seiner sessio ad dexteram patris) für die Christen, für die Zuhörer Luthers. Seine Auferstehung und Himmelfahrt, die zusammen mit dem Pfingstgeschehen die dauerhafte Predigt auf Erden zur Folge haben, sind ihrerseits eine Art Pre-

24 WA 23,141,11–22 („Daß diese Worte Christi […]“, 1527) und WA 45,403,27–31 (von Pr. 2040, 1537); WA Angaben von Zwanepol, „A Human God“, S. 44. 25 WA 40/III,704,5–7 („Enarratio 53. capitis Esaiae“, 1544/50): „Dieser Mensch hat die Sterne gegründet […] der Mensch ist der Schöpfer und Gebieter der Engel […] der alles erschaffen hat, liegt in der Krippe.“ („hic homo condidit stellas […] homo creator et gubernator angelorum […] qui creavit omnia, iacet in praesepio.“); Übersetzung Lienhard, Luthers christologisches Zeugnis, S. 267. 26 Pr. 1724 [R/S] WA 46,389–394. An diesem Tag ordinierte Luther Paulus Rephun: Buchwald, Ordiniertenbuch., S. 2, 30. 05. 1538. 27 Pr. 1724 [R] WA 46,390,14–392,7, besonders knapp bei 46,391,1f: „Obgleich er[,] unser HErr und Heiland[,] wahrer Gott und [wahrer] Mensch ist [und] zwei Naturen [hat], ist er dennoch ein einziger Christus, [eine einzige] Person.“ („Cum is dominus et salvator noster sit verus deus et homo, zwo unterschiedliche natur, et tamen unus Christus, person.“). 28 Pr. 1724 [R] WA 46,390,17f; [S] WA 46,390,25f. 29 Pr. 1724 [R] WA 46,392,7: „[…] ante nativitatem humanam in et post ad dexteram, […]“ 30 Pr. 1724 [R] WA 46,394,5–10. Nicht nur die Faktizität sondern auch die Dauer der erniedrigten Präsenz des Erhöhten wird von Mt 28,16–20 ([R] 46,390,3f; 46,393,15; 46,394,4) abgeleitet, das mit anderen Mandaten verbunden wird ([R] 46,393,18f, mit Joh 21,15 und 20,23). Für Mandate vgl. 3.3 unten.

Die Verborgenheit von göttlicher Macht und Majestät im Fleisch

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digt, die dem Hörer seine mit Christus verbundene Auferstehung und Himmelfahrt durch leibliche Mittel verspricht.31 Wenn nach seiner Himmelfahrt Christus nach seiner menschlichen Natur noch „hier unten“ anwesend ist, und wenn er leibliche Gestalten im Alten Testament angenommen hat – wenn die Aussage „So lang die Gottheit ist, so lang [ist] auch Marias Sohn“ als Luthers Position bezüglich der aeternitas der Person Christi gilt, stellt sich die Frage, ob Luther die Inkarnation ganz ernst nimmt oder ob er sie nicht überflüssig macht. Seine Christologie hat zwar ihre Kritiker gefunden,32 aber die Forschung sieht ihn doch innerhalb des großen Konsensus der altkirchlichen, chalcedonischen Tradition, auch wenn er diese Tradition erweitert habe.33 Gerade weil Luther bestrebt ist, die zwei Naturen nicht auseinanderreißen zu lassen, kann man ihm keine Leichtfertigkeit in der Inkarnationslehre vorwerfen. Luther, der Joh 1,14 zusätzlich in die Reihe der akademischen Disputationen aufnahm34 und darum rang, die altkirchliche Christologie zu verstehen und zu vertreten,35 legt vielmehr eine bewusste und ernsthafte Betonung auf die Inkarnation. Weit mehr als ein abstrakt theologisches Axiom, steht die Inkarnation im Zentrum seines theologischen Denkens und Schaffens, und das Faktum, dass Gott tatsächlich im Fleisch des Menschen Jesus verborgen ist, kommt zum Ausdruck in Predigt und Gesang: „Also in Christus“, der mit seiner menschlichen Natur dem „Regenwurm“ gleichen würde, „ist der Angel[haken] die göttliche Natur,“ durch die der Teufel, der alles Fleisch fressende Fisch, gefangen wird.36 „Gar heimlich führt’ er sein Gewalt, / er ging in meiner armen G’stalt; / den Teufel wollt er fangen.“37 31 Himmelfahrt für die Zuhörer: Pr. 1724 [R] WA 46,390,15–17; 46,392,2–4 und 7–17; vgl. [S] WA 46,392,31f. Leibliche Mittel: Pr. 1724 [R] WA 46,394,10f. 32 In der neueren Diskussion gelten Congar, „Regards et r¦flexions sur la christologie de Luther“ (englische Übersetzung: Congar, „Christology of Luther“), der inzwischen seine Position verändert hat (Congar, Martin Luther: Sa foi, sa r¦forme), und Beer, Der fröhliche Wechsel und Streit als die Hauptkritiker. Auch Lienhard, Luthers christologisches Zeugnis sieht eine Neigung zu Monophysitismus (S. 237 und 259) und stellt auch die Frage nach einem Doketismus bei Luther (S. 259). Franz Posset, Luther’s Catholic Christology bietet einen nützlichen Forschungsüberblick (S. 15–36). 33 Posset, Luther’s Catholic Christology ; Ngien, „Chalcedonian Christology and Beyond“. Nagel, „,Heresy, Doctor Luther, Heresy!‘“. 34 S.o. Anm. 13. 35 Siehe z. B. WA 50,582,15–592,15 und 50,593,15–596,26 („Von den Konziliis und Kirchen“, 1539). Seine Interpretation einzelner Ketzer mag jedoch etwas befremdlich scheinen; vgl. die Zusammenfassung seiner Behandlung des Konzils von Chalcedon und des Eutyches bei Lienhard, Luthers christologisches Zeugnis, S. 236f und bei Siggins, Luther’s Doctrine of Christ, S. 235f. 36 Siehe Pr. 1724 (s. o. Anm. 26–31) [R] WA 46,391,10–20 (Zitat aus 46,391,15f: „Das regenwürlin wird in nicht fangen, sed quia & c. Sic in Christo angel ist Gottlich natur, die menschlich das keder.“); vgl. [S] WA 46,391,26f: „Die Menschheit Christi ist die Lockspeise [und seine] Gottheit ist der Haken, […]“ („Christi humanitas est esca, hamus est divinitas,

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Der christologische Aspekt

Ein Gott, der nicht im Fleisch sein soll, nützt nach Luther nicht.38 Das Fleisch Christi und die Inkarnation werden so radikal wahrgenommen, dass sie in Luthers Gottesbegriff eingehen und ihn bestimmen,39 so dass Gott als „ein menschlicher Gott“ beschrieben werden kann.40 Gott, auch in seiner schöpferischen Tätigkeit, wird nicht ohne Christus, der immer zugleich Gott und Mensch ist, gedacht. In dieser Hinsicht ist es wichtig zu sehen, dass Luther von einer vorinkarnatorischen Existenz und Tätigkeit Christi und nicht etwa des göttlichen Logos allein redet, ohne jedoch das historische Faktum der Inkarnation und der menschlichen Geburt Christi zu umgehen: Das ist die Idiomenkommunikation […]. Die Naturen sind unterschieden, aber nach dieser Kommunikation gibt es eine Vereinigung, das bedeutet, es gibt eine Person, nicht zwei Personen. Doch ist diese Person Gott und Mensch; sie ist ein und dieselbe Person, die vor der geschaffenen Welt existierte; auch wenn er [Christus] vor der Welt nicht ein Mensch von der Jungfrau Maria geboren war, dennoch war er der Sohn Gottes, der jetzt ein Mensch ist. […] [H]ier in Christus ist eine [einzige] Person; nachdem Gott und Mensch vereint sind, sollen sie nicht getrennt werden. Doch ist es wahr, dass Christus die Welt schuf, bevor er Mensch wurde, […]41

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[…]“). Zu „verborgen“: Obwohl die vorliegende Untersuchung meistens „verbergen/verborgen,“ und verwandte Vokabeln gebraucht, gehören auch andere Wörter, wie zum Beispiel „verhüllen/verhüllt“ und „verbkleiden/verkleidet,“ zum Vokabular, das Luther in seinen Predigten gebraucht, um diese göttliche Verborgenheit zu beschreiben. Über die anderen in diesem Kapitel angegeben Stellen hinaus sei auf die folgenden Belege für die Angemesseheit dieser theologischen Terminologie hingewiesen: Pr. 1577 [R] WA 41,468,24 (bezüglich verborgener Schätze Gottes, die sich im Kontext [41,468,2–469,11] als den Amsträgern anvertraut erweisen); Pr. 1601 [R] WA 41,607,4 (bezüglich des Werkes Christi durch die Apostel); Pr. 1886 [A] WA 47,544,6f (Gottes Offenbarung bei Wort, Sakrament, Predigtstuhl und Pfarrer lokalisiert); Pr. 1902 [R] WA 49,22,4 (bezüglich der Verhüllung und Verkleidung Gottes im Reich des Glaubens, das sich von einem „Schauregiment“ unterscheidet), vgl. Anm. 47 unten; Pr. 1915 [R] WA 49,85,12–14 (bezüglich der Verbergung der göttlichen Macht in der Schwachheit des Kreuzes); und Pr. 1926 [R] WA 49,168,7–15 (s. o. bei 2.1). Die Terminologie ist aber nicht notwendig: Vgl. z. B. Luthers Äußerung zu Sichtbarkeit und Gebrauch von schwachen Mitteln bei Pr. 1729 [R] WA 46,423,23–424,14 und zur Majestät Gottes, die durch von ihm eigesetzte Orden ausgeübt wird, bei Pr. 1888 [R] WA 47,820,2–822,24. „Nun freut euch, lieben Christen g’mein“, 1523 (Evangelisches Gesangbuch [EG], 341,6; WA 35,424,22–24). Für den biblischen und altkirchlichen Hintergrund dieses Bildes vgl. Bayer, „Das Wort ward Fleisch“, S. 28, Anm. 102 und Siggins, Luther’s Doctrine of Christ, S. 253–255. WA 25,107,4–8 („Luthers Vorlesung über Jesaja“, 1527/30). Vgl. Bayer, „Das Wort ward Fleisch“, S. 22. WA 40/I,78,6 (Galaterkommentar, 1535): „[…] deus incarnatus et humanus deus.“ Siehe Zwanepol, „A Human God“. WA 39/II,101,4–23 („Disputation de divinitate et humanitate Christi“, 1540): „Est communicatio idiomatum, et iterum philosophicum argumentum. Manet hoc: Distinctae sunt naturae, sed post illam communicationem est coniunctio, id est, una persona, non duae sunt personae. Sed illa persona est Deus et homo, est una persona et eadem, quae est ante mundum creatum, etiamsi non erat homo natus ex Maria virgine ante mundum, tamen filius

Die Verborgenheit von göttlicher Macht und Majestät im Fleisch

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Gott wird im Blick auf Christus gedacht und verstanden. Wenn er Fleisch angenommen hat, „Fleisch ward“, dann gibt es für ihn keine Distanz zur leiblichen, konkreten Welt noch zur Geschichte.42 Stattdessen wertet derjenige Gott, der sich in Christus erniedrigt hat, gerade dass Leibliche auf.43 Die Formen, die Gestalten und Masken, die Gott zu allen Zeiten anzieht, bilden einen wesentlichen Bestandteil einer Christologie, nach der die Person Christi zu keiner Zeit in Gottheit und Menschheit aufgeteilt werden kann, denn wenn Luther von Formen redet, sind sowohl Gnadenmittellehre und Amtsverständnis44 als auch Christologie (Phil 2,745) im Blick. Die Kontinuität des Sich-Selbstverbergens Gottes in leiblichen, fleischlichen Formen sowie die Konvergenz von Christologie und Amtsverständnis erfuhren die Wittenberger, wenn Luther auf der Kanzel stand.

3.2.2 Die Verborgenheit in der Zeit des Alten Testaments Wo Luther auf verborgenes Reden und Handeln Gottes im Alten Testament stößt, da findet er auch Christus. Im 72. Psalm zum Beispiel sieht er das ewige und dauerhafte Reich Christi, der Gott und Mensch ist, abgebildet. Nach seiner Deutung des 6. Verses mittels einer Glosse von Jdc 6–7 ist Christus, dessen Gegenwart in der Wolke im Alten Testament angedeutet wird, der rechte Gideon. Sein Reich ist nicht ein Reich des Schauens, sondern des Glaubens, ein Reich, in dem seine Präsenz in leiblichen Zeichen verhüllt bleibt, so wie er sich in seinem eigenen Fleisch verkleidet und verhüllt. Durch sein verborgenes, leibliches Handeln siegt Christus über seine Feinde: Gideon bekam das wiederholte Zeichen vom Tau auf Fell und Erde. Ebenso nehmen die Hörer einen Diener wahr,

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Dei erat, qui nunc est homo. […] hic in Christo est una persona Deus et homo coniuncta nec distingui debent. Sed hoc verum est, quod Christus creavit mundum, antequam factus est homo, […]“. Bayer, „Das Wort ward Fleisch“, S. 21: „Luther vertritt eine Christologie der irdisch-geschichtlichen Kontingenz und Niedrigkeit Gottes. Gottes Omnipotenz widerspricht nicht seiner Inkarnation, sondern erweist sich gerade in ihr : […]“ Steiger, „Communicatio idiomatum als Achse und Motor“, S. 25: „Das leibliche Wort, die leiblichen Abendmahlselemente und das äußerlich sichtbare Taufwasser als res externae vermitteln geistliche Güter. Daher ist nach Luther auch die Verkündigung des verbum externum die Bedingung der Möglichkeit dafür, daß Fleischliches, Leibliches und Geschöpfliches mit Geistigem, Göttlichem und Ewigem in Kommunikation treten können.“ Steiger beruft sich auf WA 46,527,[31–33] (Pr. 1748, 1538), aber er übersieht die wesentliche Rolle, die Petrus, Paulus, die Apostel und die Propheten in Luthers Überlegungen zur Leiblichkeit und Mündlichkeit des Wortes spielen, in das sich der sich selbst erniedrigende Gott stellt: [S] 46,525,31; 46,526,21f(!); 46,527,23; [R] 46,525,10f; 46,525,20–526,1(!); 46,527,2–4. Vgl. Anm. 3 oben. „[…] sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.“ (Hervorhebung JM).

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der das Wort predigt und die Sakramente verwaltet.46 Auf verborgene, leibliche und mittelbare Art und Weise schlägt Christus die Feinde seines Volkes zu allen Zeiten, und solches Handeln entspricht dem Evangelium, indem es keineswegs von den Kräften oder dem Wissen seines Volkes abhängig gemacht wird.47 Neben der verborgenen Präsenz Christi in der Wolke, hinter dem Vorhang, im Fels und in dem verborgenen Handeln durch leibliche Zeichen in der Zeit des Alten Testaments ist auch die Präsenz Christi in den und durch die Propheten zu beachten. Von Johannes dem Täufer, der zugleich Christi Vorläufer und der letzte Prophet des alttestamentlichen Zeitalters ist, kann Luther sagen, dass Christus in diesem Botschafter anwesend war.48 Gilt die Präsenz Christi für Johannes den Täufer, gilt sie für alle Propheten: Anhand Mt 23,37 sieht Luther Christologie und das Amt der Propheten49 aufs engste verbunden. „Jerusalem, Jerusalem, die du tötest die Propheten und steinigest, die zu dir gesandt sind, wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne versammelt ihre Küchlein unter ihre Flügel; und ihr habt nicht gewollt!“ Wie kann Christus, der ein Mensch, 33 Jahre alt, ist, meinen, dass er schon längst in der Vergangenheit das Volk Israel durch die Propheten sammeln wollte? Und wenn dieser Christus doch Gott ist, dessen Willen nicht widerstanden werden kann, wie kommt es, dass das Volk nicht unter seinen Flügeln gesammelt wurde? Bei Mt 23,37 findet Luther den Ausgangspunkt, um in einer Predigt die Christologie ausführlich zu behandeln.50 Indem Christus zu jeder Zeit – auch vor seiner menschlichen Geburt – Propheten gesandt hat, zeigt er seine Gottheit und beweist eine vorinkarnatorische Präsenz: „Und dieser Text erzwingt hier, dass der HErr Christus wahrhaftiger Gott sei. […] Ist er denn bereits da gewesen? […] [E]r sei der gewesen, der die 46 Siehe Pr. 1902 [R] WA 49,21,33. 47 Pr. 1902 [R] WA 49,21,1–25,25. Für die Ewigkeit des Reiches siehe WA 49,21,21–25. Für Christus als Gott und Mensch siehe WA 49,21,2f (vgl. „persona“ bei 49,21,17). Für die Deutung des 6. Verses anhand der Geschichte des Gideon siehe Luthers Übersetzung von Ps 72,6 („Fell“) und WA 49,22,27–23,36. Für die Wolke als verhüllte Präsenzweise Gottes siehe WA 49,22,8. Für die Menschwerdung und Inkarnation Christi siehe WA 49,22,1–9 und 49,24,30–25,2. Für das verborgene Handeln und Siegen Christi in der Gegenwart durch das Wort und die Sakramente, die von einem Diener gepredigt und gereicht werden, siehe WA 49,21,30–34; 49,22,11–17; 49,24,2–6; 49,25,10 und 21. Für das Moment des Evangeliums im Ganzen siehe WA 49,24,27f. Es ist auch einer Bemerkung wert, dass in dieser Predigt, die am Tag der Ordination von „Vuolfgangus Messlinger“ gehalten wurde, der ein Student der Universität Wittenberg war (Buchwald, Ordiniertenbuch., S. 10, 11. 01. 1540), Luther dreimal von einem „jungen Theologen“ spricht, der gebraucht wird, Schriftstellen wie die oben genannten auszulegen: WA 49,21,27; 49,22,35; vgl. 49,25,25 (im Plural). 48 Pr. 1604 [R] WA 41,619–622. Siehe die wiederholten Formen von „adesse“: 41,620,14, 24 und 34. Vgl. „In Medio“: [R] WA 41,620,21. 49 Für die Kontinuität des Amtes der Propheten mit dem Johannes des Täufers, der Apostel, der Bischöfe und der Amtsträger in der Gegenwart siehe 4.1.1–2. 50 Pr. 1846 [A] WA 47,537–545.

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Propheten gesandt habe.“51 Sein immerwährender Wille, sein Volk zu sammeln und Propheten zu senden,52 wird auf seine göttliche Natur bezogen. Dies „ist kein Werk einer Kreatur, sondern Gottes des Schöpfers.“53 Und vor seiner menschlichen Geburt ist Christus nicht „müßig gegangen oder hat nichts zu tun gehabt, sondern er hat Propheten gemacht und gegeben und Moses nach Ägypten geschickt. Daselbst tat er große Mirakel.“54 Wie bei anderen schon oben betrachteten Predigten assoziiert Luther Christus nicht nur mit dem Exodus und Israels Zeit in der Wüste, sondern er stellt ihn implizit im brennenden Dornbusch als den dar, der mit Moses gesprochen hat.55 In Blick auf Mt 23,37 wird Christi menschliche Natur aus der Zeit vor seiner menschlichen Geburt nicht ausgelassen, sondern Luther bezieht auch sie vielmehr bewusst ein. Dass Christus sein Volk sammeln wollte und Propheten vor seiner menschlichen Geburt gesandt hat, zeigt seine göttliche Natur. Aber dass seinem Willen widerstanden wurde, zeigt seine menschliche Natur.56 Ein Wille, dem widerstanden werden kann, ist „nichts als lautes menschliches Ding.“57 Christi Handeln, indem er Propheten sendet und durch sie spricht, stellt seine menschliche Natur dar, denn dieses mittelbare Handeln ist so mild und freundlich, wie die Art und Weise, in der eine Henne mit ihren Küken umgeht: „Und dieses Bild sollt ihr also verstehen: Der HErr Christus will sagen, ,Wenn ich mein Wort predigen lasse und Propheten schicke, da bin ich dann eine Gluckhenne; ich will euch locken und führen, […]‘“58 Ein mittelbares Handeln ist ein

51 Pr. 1846 [A] WA 47,540,3–8: „Und dieser Text erzwingets alhier, das der Herr Christus warhafftiger Gott sei. Ehr hatt aber offt gewolt sie zu versamlen. Aber wen? Durch Mosen, David, Samuel, Eliam & c. Jst ehr den bereit da gewesen? ist ehr doch nur 33 jhar alt, von der Jungkfrau Maria geborn, do ehr diess geredet hat, wie saget ehr den, das ehr do gewesen sei, wen ehr die Propheten geschieckt hat? item, ehr sei der gewesen, der die Propheten gesanth hab.“ 52 Nach dieser Predigt lässt Gott sein Wort gerade dadurch verkündigen, dass er Propheten sendet: Pr. 1846 [A] WA 47,538,28 und 47,540,9. Ein Predigen des Wortes Gottes ohne eine Sendung von Propheten wird nicht angegeben, ausgenommen das Protevangelium, das Gott selbst sprach. S.u. Anm. 60. 53 Pr. 1846 [A] WA 47,540,8–10: „Das werck, als Gottes wort geben und Propheten senden, ist keiner Creatur werck, sondern Gottes des Schopffers.“ 54 Pr. 1846 [A] WA 47,540,18–20: „[…] und ehr ist auch fur allen Propheten, konigen und Aposteln gewesen und domals nicht mussig gegangen oder nichts zu thun gehabt, sondern hat gemacht und gegeben Propheten und Mosen in Aegipten geschieckt. Doselbst thett ehr grosse Mirackel.“ 55 Pr. 1846 [A] WA 47,540,13f: „Exodi am 3. Capittel saget er zu Mose: Kom, ich wil dich senden zu den kindern von Israel.“ Vgl. [A] WA 47,540,27: „[…] auch bei den kindern von Israel ist in der wusten gewesen.“ 56 Pr. 1846 [A] WA 47,541,41–542,10 und 47,542,21–23. 57 Pr. 1846 [A] WA 47,542,5f: „Das ist eittel lautter menschlich dieng.“ 58 Pr. 1846 [A] WA 47,538,27–29: „Und diess bildt solt ihr also verstehen, wil der Herr Christus sagen, wen ich mein wort predigen lasse und schicke Propheten, do bin ich dan eine klu-

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verhülltes Handeln und entspricht der menschlichen Natur Christi,59 der, im Unterschied zu seiner göttlichen Natur, widerstanden werden kann. Die theologische Reflexion der menschlichen Natur Christi in der Zeit vor seiner menschlichen Geburt kommt pointiert zum Ausdruck da, wo Luther den verheißenden Zuspruch des Protevangeliums betrachtet: „Und wer an diesen Artikel glaubt, an des Weibes Samen, wie er damals war, ehe er geboren war, wenn man spricht: ,Ich will Feindschaft zwischen des Weibes Samen und deinem Samen setzen‘ usw., da ist er bereits geboren, […]“60 „Ich bin bereits Mensch gewesen, ehe ich Mensch geworden bin, oder stellte mich, dass ich Mensch werden wollte.“61 Bei dem Zuspruch des Evangeliums und bei Christi eigenem Predigen durch die Propheten wird eine Präsenz der ungetrennten Person Christi in der Zeit des Alten Testaments von Luther verstanden und homiletisch vorausgesetzt. Zusammenfassend sagt Luther anhand des Glaubensbekenntnisses: Das ist nun die zweifache Geburt Christi. Erstens, dass er Gottes Sohn heißt. Diese Geburt ist von Ewigkeit. Derselbe hat eine Gluckhenne sein wollen und ist bei allen Propheten gewesen. Nachher ist er ein Mensch geworden, von Maria geboren, und sie sind dennoch nicht zwei, sondern nur ein Sohn. Denn dieser Artikel leidet große Not unter den Schwärmern. Aber nach der Auffahrt des HErrn Christi hat man also in der christlichen Kirche geglaubt: […]62

Im Zitat wird die vorinkarnatorische Präsenz auch der Menschheit Christi mit seiner fortdauernden Identität nach der Himmelfahrt verbunden, eine Identität, die die Schwärmer leugnen wollen. Im Unterschied zu ihnen will Luther die ungetrennte Person Christi zu allen Zeiten wahrnehmen und verbindet seine aktive Präsenz auf Erden nicht nur mit den Propheten, die er vor seiner menschlichen Geburt gesandt hat, sondern auch mit den Aposteln63 und den

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ckhenne, wil euch locken und fhuren, […]“ Zu diesem Bild vgl. Siggins, Luther’s Doctrine of Christ, S. 251f, der aber Pr. 1846 nicht berücksichtigt. Pr. 1846 [A] WA 47,543,13–15: Das Zitat und die Verwendung von Joh 7,16 zeigen, dass mittelbares Handeln die menschliche Natur Christi zeigt und auch bezüglich des GesandtSeins Christi ihr entspricht. Pr. 1846 [A] WA 47,541,28–31: „Und wer an diesen artickel gleubet, an des weibes Samen, wie ehr domals wahr, eher dan ehr geborn war, wen man spricht: ,Jch will feindtschafft setzen zwisschen des weibes Samen und deinem Samen‘ & c. do ist er bereit geborn, […]“ Pr. 1846 [A] WA 47,543,23f: „Jch bin bereit mensch gewesen, eher dan ich mensch worden bin oder stellete mich, das ich woltte mensch werden.“ Pr. 1846 [A] WA 47,541,3–9: „Das ist nun die zweierlej Geburt Christi. Erstlich, damit ehr Gottes Sohn heist. Diese Geburt ist von ewigkeit. Derselbige hat wollen eine gluckhenne sein und ist bej allen Propheten gewesen. Hernacher ist ehr ein mensch worden, von Maria geborn, und sind dennochs nicht zwene, sondern nur ein Sohn. Dan dieser Artickel leidet undter den Schwermern grosse noth. Aber nach der Auffart des herrn Christi hat man also gegleubet in der Christlichen kirchen: […]“ Pr. 1846 [A] WA 47,539,11f.

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Propheten in der Gegenwart, nämlich mit den Pfarrern und Predigern, die jetzt für Luther als Offenbarungsmittel Christi gelten.64 Zu allen Zeiten sammelt Christus als Gott und Mensch zugleich sein Volk, das heißt durch Propheten, die er sendet, die sein leibliches, mündliches, menschliches Wort predigen, dem zwar widerstanden werden kann, das aber doch ein Volk zu allen Zeiten für ihn sammelt.65

3.2.3 Die Verborgenheit nach der Himmelfahrt Wie bereits anhand von Pr. 1846 angedeutet wurde,66 ist die leibliche Präsenz Christi auf Erden nach seiner Himmelfahrt das Pendant zu seiner vorinkarnatorischen Präsenz zur Zeit des Alten Testaments. Wie seine Präsenz vor seiner Menschwerdung dieser irdischen Geburt entsprach, entspricht auch die Präsenz Christi auf Erden nach seiner Himmelfahrt seiner eigenen Inkarnation. In Pr. 1574, der Ordinationspredigt vom 20. 10. 1535, sagt Luther über die Himmelfahrt Christi, dass er „in [den] Dienst seiner Herrschaft [ge]gangen“ ist.67 Hier spricht er nicht von einer Herrschaft, die jenseits von Welt und Erde liegt, sondern gerade auf Erden. Luther verbindet Christi Himmelfahrt immer eng mit Pfingsten: Der Christus, der von der Erde aufgefahren ist, ist derjenige, der den Heiligen Geist herabsendet.68 Angesichts seiner Sendung des Geistes wird das Werk und Amt des Geistes als das Werk und Amt Christi betrachtet: Die zweite und die dritte Person der Trinität haben ein Werk und Amt, so dass Christus und die ganze Trinität dort, wo der Geist ist, anwesend sind.69 64 Pr. 1846 [A] WA 47,537,32–34; 47,539,12–15; 47,544,6f. 65 Indem dem Willen der Person Christi widerstanden werden kann, entspricht Pr. 1846 wissenschaftlichen Bemerkungen über den Aspekt der „Geschichtlichkeit“ Gottes bei Luther ; vgl. Lienhard, Luthers christologisches Zeugnis, S. 281 und 289f. Pr. 1846 und andere Predigten tragen zum Verständnis dieser so genannten „Geschichtlichkeit“ bei, indem das Element der geschichtlichen Kontinuität hervorgehoben wird: Was vorher gewesen war, war auch mit dem inkarnierten Christus auf Erden so, und ist auch nach seiner Himmelfahrt so geblieben. Ob die so genannte „Geschichtlichkeit“ Gottes bei Luther primär mit Gottes Leidensfähigkeit zu tun hat, ist vielleicht fragwürdig. Unter dem Aspekt der Geschichtlichkeit Gottes wird bei Luther eher betont, dass Gott menschliche Eigenschaften zu allen Zeiten zeigt, unter denen seine erschreckende Majestät verborgen wird und durch die ein konkretes Handeln entsteht, das dem Evangelium entspricht. In allen Phasen der Geschichte identifiziert Luther diese menschlichen Eigenschaften mit Christus. Für Weiteres zu geschichtlicher Kontinuität siehe Kap. 5. 66 S.o. Anm. 50ff. 67 Pr. 1574 [R] WA 41,454,30f: „Sic ipse conversus gangen in dienst fur seiner herschafft.“ (Diese Predigt wird im 6. Kapitel ausführlicher betrachtet.) 68 Siehe Pr. 1728 [R] WA 46,417,1–421,8. 69 Siehe Pr. 1729 [R] WA 46,423,20 für das Amt des Heiligen Geistes, das im Laufe der Predigt gleichzeitig als das Amt Christi dargestellt wird. Für die trinitarischen Implikationen von

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Wie bei der vorinkarnatorischen Präsenz Christi auf Erden, so wird auch nach seiner Himmelfahrt seine göttliche Natur nicht als im Widerspruch zu seiner menschlichen Natur verstanden.70 Die einlinige Abgrenzung des Status der Erniedrigung vom Status der Erhöhung, die in der Dogmatik der lutherischen Orthodoxie vertreten wurde, ist Luther fremd; Christi Erniedrigung und Erhöhung werden von Luther vielmehr dialektisch reflektiert.71 Es ist gerade der Sohn Marias, der gen Himmel fährt,72 und er bleibt der Entäußerte auch in dieser Erhöhung. Insofern ist die Himmelfahrt Christi keine christologische Notwendigkeit, – nichts, das Christus für sich braucht oder für sich vollbringen müsste, – sondern sie ist ein Faktum, das als Evangelium wirkt: Christus muss nicht um seiner selbst willen gen Himmel fahren, sondern seine Himmelfahrt geschieht als promissionale Predigt für seine Anhänger.73 Christus muss nicht gen Himmel fahren, aber er ist für uns gen Himmel gefahren, und doch gleichzeitig bei uns auf Erden geblieben. Christi Verheißung seiner Gegenwart „bis an der Welt Ende“ (Mt 28,20) versteht Luther zwar als einen Zuspruch in Bezug auf die Zeit, aber doch auch als die Verheißung der Präsenz Christi in der Welt.74 Diese Präsenz wird in erster Linie nicht als im Herz der Menschen oder der Gläubigen subjektiv existierend gedacht, sondern vielmehr leiblich und konkret konzipiert – als eine Präsenz, die in Kontinuität mit Gottes Anwesenheit in der Zeit des Alten Testaments und im Fleisch Christi steht. Luther kann sogar die Präsenz des Heiligen Geistes, der als Gesandter den abwesenden und doch mit ihm anwesenden Christus vertritt, als eine „körperliche“ Anwesenheit beschreiben!75 Nach Luther hat der dreieinige Gott noch einen Wohnsitz auf Erden, wie er zu der Zeit des Tempels in Jerusalem hatte, nämlich die Kirche.76

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76

Pfingsten siehe [R] WA 46,423,2–7. Für die gemeinsame Anwesenheit der Personen siehe [R] WA 46,423,16. Nach Pr. 1725 ist das Erwählen von weiteren Aposteln (Paulus und Matthias) zum Apostelamt das gemeinsame Werk Christi und des Heiligen Geistes: [R] WA 46,398,5–10; vgl. [R] WA 46,397,3. Zwanepol, „A Human God“, S. 45 spricht von Luthers Überzeugung „that the Godhead does not conflict with humanity as such“. Vgl. das 29. Argument der „Disputation de divinitate et humanitate Christi“, 1540 (WA 39/II,118,24–119,3). Steiger, „Communicatio idiomatum als Achse und Motor“, S. 15f. Vgl. Zwanepol, „A Human God“, S. 47. „Disputation de divinitate et humanitate Christi“, 1540 (WA 39/II,98,20). Für den pro-nobis Charakter der Himmelfahrt siehe Pr. 1961 [R] WA 49,415,13–18; 49,418,16–18; 49,419,13 und 19f; für Himmelfahrt als Predigt, Zuspruch, und Geschenk siehe: 49,417,1–3; 49,418,21–419,2; 49,419,7–10; 49,420,9f; 49,421,17–19. Pr. 1729 [R] WA 46,424,4f im Kontext der gesamten Predigt. Für die Abwesenheit Christi und für sein Geben des Heiligen Geistes siehe Pr. 1728 [R] WA 46,421,13–15; für leibliche Anwesenheit des Heiligen Geistes siehe 46,422,10–13; für die Anwesenheit Christi mit dem Heiligen Geist siehe 46,421,5–8 und vgl. Pr. 1729 [R] WA 46,424,1–14. Pr. 1881 [Dr] WA 47,773,15–34.

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Nach Luther ist die leibliche Anwesenheit, die der Heilige Geist in der Kirche aufweist, eine vermittelte, mittelbare Anwesenheit – eine Präsenz, die sich bestimmter Mittel bedient. Pr. 172977 thematisiert die mittelbare Präsenz des Heiligen Geistes, dessen Anwesenheit und Bleiben in der Kirche Luther nicht genug betonen zu können scheint.78 Aber die Anwesenheit des Heiligen Geistes bedeutet auch die Anwesenheit Christi und der ganzen Trinität. Denn „wo eine Person ist, da sind die Anderen.“79 Und zwar wird die fortdauernde Präsenz Christi mitthematisiert: „[…] wie Christus mit uns bis zum Ende der Welt bleibt, so [bleibt auch der Heilige Geist].“80 Laut Pr. 1729 ist es klar, dass der Grund für die simultane Anwesenheit des Heiligen Geistes und des Sohnes über die Untrennbarkeit des göttlichen Wesens der Trinität hinausgeht. Die Art und Weise, auf die der Geist präsent ist, entspricht der Person und den zwei Naturen Christi. Alle drei Personen der Trinität beweisen ihre göttliche Kraft in ihren Werken – in ihrem Amt:81 Der Sohn beweist seine göttliche Kraft in seinem Erbarmen. Insofern ist seine göttliche Kraft eine verborgene Kraft, nach der er die Sünden der Menschen auf sich genommen hat und den Teufel in die Falle gelockt hat.82 Mit Bezug auf das Pfingstfest sagt Luther, dass der Heilige Geist seine göttliche Kraft in dem beweist, was die Apostel mit Zungen und „geringen Waffen,“ mit dem Wort und den Sakramenten, zustande bringen und ausführen.83 Die Gottheit des Heiligen Geistes wird daran aufgezeigt, wie er leibliche und fleischliche Mittel verwendet, und seine göttliche Macht ist – wie die Macht des Sohnes – eine verborgene Macht.84 Verborgene göttliche Macht schließt jedoch eine gewisse Sichtbarkeit nicht aus, denn „verborgen“ heißt nicht unsichtbar, sondern verhüllt und verdeckt in einer unerwarteten, aber doch sichtbaren oder fassbaren Gestalt. Wie die göttliche Macht des Sohnes in seinem menschlichen Fleisch verhüllt ist, so ist die göttliche Macht des Heiligen Geistes unter dem leiblichen Wort, unter den leiblichen Sakramenten und unter den Zungen und Händen der Prediger verborgen, die dieses Wort predigen und diese Sakramente spenden und darrei77 S.o. Anm. 14. 78 Für das Anwesenheitsmotiv siehe Pr. 1729 [R] WA 46,424,8f und17; 46,425,13; [S] WA 46,426,22.24. Für das Motiv des Bleibens siehe [R] WA 46,424,5; 46,426,9 und 11; [S] WA 46,424,23f und 25f; 46,426,32. 79 Pr. 1729 [R] WA 46,423,16: „Et ubi una persona, ibi alia.“; s. o. Anm. 69. 80 Pr. 1729 [R] WA 46,424,4f: „[…] ut Christus manet nobiscum usque ad finem mundi. Ita etc.“. Eigentlich wird die Anwesenheit des Heiligen Geistes mit der Anwesenheit Christi verglichen: Christus bleibt, und so wie Christus bleibt, bleibt auch der Heilige Geist. Mt 28,20 klingt im Hintergrund an. 81 Pr. 1729 [R] WA 46,423,20–424,6 und [S] WA 46,423,27–424,30. 82 Vgl. Anm. 36 und 37 oben. 83 Pr. 1729 [R] WA 46,424,1–3 („geringen armis“). 84 Pr. 1729 [R] WA 46,423,23–424, 5.

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chen.85 Es ist eine Macht, die „kein Ansehen“86 hat. Sowohl beim Heiligen Geist als auch beim Sohn sind die Gottheit und die göttliche Macht verborgen und verhüllt. Der Vergleich der verborgenen Gottheit des Geistes mit der des Sohnes ist anhand Pr. 1729 keineswegs übertrieben. Der Heilige Geist ist nach Luther genauso sichtbar und greifbar87 wie Jesus von Nazareth. In der Gegenwart gibt es auch Zeichen,88 unter denen er zu finden ist: das Wort und die Sakramente. Und der Heilige Geist wird nicht nur mit dem Wort und den Sakramenten verbunden, sondern sozusagen mit ihrer Übermittlung und ihren Übermittlern: „Es ist der Heilige Geist, der greifbar und sichtbar tauft, das Amt des Wortes ausübt und die Schlüssel gebraucht; sie sind seine feurige Zungen.“89 Das äußere, mündliche Wort, die sichtbaren, hörbaren, fassbaren Sakramente und die leiblichen, greifbaren Amtsträger,90 durch die der Heilige Geist seine Gottheit beweist und verhüllt zeigt, entsprechen zutiefst der menschlichen Natur des Sohnes und seiner Inkarnation. Obwohl Luther offensichtlich den Bezug Christi zu den Gnadenmitteln und zu der Kirche mit der Trinität verbindet, wird Christi Beziehung zu diesen Mitteln nicht immer in der homiletischen Schilderung trinitarisch dargestellt, sondern der Bezug Christi zu den Gnadenmitteln kann auch als eine direkte Beziehung geschildert werden. Anknüpfend an eine bildhafte Rede der Väter kann Luther 85 Die Mittel, derer sich der Heilige Geist bedient, werden unter unterschiedlichen Termini genannt. In Bezug auf das Wort – Zungen: Pr. 1729 [R] WA 46,424,20 und [S] WA 46,424,27f; Lehre: [R] WA 46,425,10; mündliches, gepredigtes Wort: [R] WA 46,425,4, 8, 11 und 16 und [S] WA 46,425,23; Evangelium: [S] WA 46,424,26f. In Bezug auf die Sakramente – allgemein: [R] WA 46,425,16; 46,426,2f; 46,427,15; und [S] WA 46,424,27; 46,425,23; Taufe: [R] WA 46,424,19; 46,425,4 und 8; 46,426,1(Taufritus), 6f und 15; und [S] WA 46,426,27 und 30f; Abendmahl: [R] WA 46,424,12; 46,426,2; Absolution: [R] WA 46,425,4f, 8 und 15; 46,427,15; und [S] WA 46,424,27. In Pr. 1729 ist es klar, dass die vorgesehenen Hände und Münder, welche die Sakramente spenden und das Wort Gottes sprechen, die Hände und Münder der Amtsträger sind; siehe [R] WA 46,426,15f; vgl. 46,425,17 und 46,426,1. 86 Pr. 1729 [R] WA 46,425,11f. 87 Pr. 1729 [R] WA 46,424,3–5; 46,426,7 und 12; [S] WA 46,423,31; 46,424,25; 46,426,33f. 88 Pr. 1729 [R] WA 46,424,7f. Sobald man aber das Wort und die Sakramente als „signa“ oder „Zeichen“ versteht, die irgendeinen Abstand zu dem Bezeichneten haben, wird Luther missverstanden. Der Abstand zwischen der Gottheit des Heiligen Geistes und den Sakramenten ist genauso gering wie der Abstand zwischen der Gottheit Christi und seinem Fleisch. Und da Luther eine simultane Anwesenheit des Heiligen Geistes und Christi (und der ganzen Trinität!) vertritt, gibt es auch keinen Abstand zwischen Christus und dem gepredigten Wort, den Sakramenten und den Predigern. Diese Mittel ersetzen sein Fleisch nicht, sondern sie entsprechen ihm. Für Weiteres zum Wort und den Sakramenten als „signa“ und „Zeichen“ siehe [S] WA 46,427,32 („communibus signis et sacramentis certis(!)“ [Hervorhebung JM]; Gewissheit und Abstand schließen einander aus.). 89 Pr. 1729 [R] WA 46,425,3–5: „Is est spiritus sanctus, qui greifflich, sichtbarlich baptisat, verbi ministerium, usum clavium. Sind sein feurig zungen.“ Vgl auch [R] WA 46,425,8–10. 90 S.o. Anm. 85, besonders die letzten Angaben.

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sagen, „alle Sakramente“ fließen „aus dem Blut Christi“; es fließt in die Taufe, in den Kelch und in die Absolution hinein.91 Diese lokalisierte, vermittelte Präsenz des Blutes Christi, mit dem er die Vergebung der Sünden erworben hat, „lässt [er] durch die ganze Welt ausschreien, [dass er] hier [in der] Taufe [und im] Sakrament [ist], [obwohl er] gen Himmel [gefahren ist].“92 In diesen Mitteln hat das Blut des erhöhten Gottessohnes noch Orte auf Erden, wo es heute Menschen von Sünden reinwäscht. Bezüglich des Altarsakraments fasst Albrecht Peters die Präsenz Christi so zusammen: Die Erniedrigung Christi um unsretwillen ist mit seiner Auferstehung und Himmelfahrt nicht abgeschlossen, sie dauert in der Kirche fort bis zu dem Tage, da er endgültig in Herrlichkeit wiederkommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten. Diese Linie der Erniedrigung wird radikal ausgezogen in den Aussagen über Christi Gebundensein an das Element; Kreuz und Altar, sie stehen hier unmittelbar nebeneinander.93

Es liegt auf der Hand, dass Luther, wenn er von der Kirche als vom „leiblichen“ Wohnsitz Gottes auf Erden spricht,94 die Institution Kirche95 meint. „[D]ie Mutter, so ein iglichen Christen zeugt und trägt“, hat ebenso institutionellen

91 Pr. 1698 [R] WA 46,176,2–4: „Patres dixertunt omnia sacramenta geflossen ex Sanguine Christi, fleust her in die tauff, kelch, absolutionem.“ 92 Pr. 1698 [R] WA 46,176,5f: „sua passio meruit remissionem peccatorum, et lest ausschrien per totum mundum, quod hic baptismus, Sacramentum ad celum.“ 93 Peters, Realpräsenz, S. 88f. 94 S.o. bei Anm. 75–76. 95 Zur Kirche als Institution siehe Kinder, Glaube und Kirche, S. 78–93. Seine Ausführungen zu Wesen, Struktur und Wirkmitteln der Kirche stützen sich auf Luther und die lutherischen Bekenntnissschriften und zeigen, dass, obwohl sie die „sanctorum communio“ des Apostolischen Glaubensbekenntnisses als eine Glosse für „sancta ecclesia catholica“ verstehen und deuten konnten, diese Deutung keineswegs dem Verständnis der communio als Gemeinschaft in und Anteil-Haben an im Wege steht. Das Kirchenverständnis Luthers und der lutherischen Bekenntnisschriften kann sich von der formalen Hierarchie der spätmittelalterlichen Kirche trennen, wie sie unter dem Absolutheitsanspruch des Papstes nach und nach aufgefasst und verfestigt wurde. Doch indem die Kirche durch bestimmte, von Christus gestiftete Mittel geschaffen und erhalten wird (siehe 9.2), bleibt ein institutionelles Moment für die lutherisch-reformatorische Auffassung der Kirche absolut entscheidend: Es ist „nicht möglich, die Wirklichkeit der Kirche rein vom Gemeinschaftsgedanken her in Entgegensetzung zu jeglichem ,Institutionellen‘ aufzufassen, […] Vielmehr gehört das Eingesetztsein (,institutum est‘) und das stiftungsmäßige Vorgegebensein der bestimmten Wirkmittel zum Wesen der Kirche. So ist das institutionelle Moment nicht erst infolge eines Abfalls vom Ursprung durch die leidige Geschichtwerdung in die Kirche hineingekommen, sondern jenes legitime ,institutum‘ reicht gerade vom Ursprung in alle weitere Geschichtwerdung hinein.“ (Kinder, Glaube und Kirche, S. 87, Anm. 1). Wo man mit Stiftung oder Stiftungen zu tun hat, hat man auch mit Institution zu tun. Stiften heißt Einsetzen und somit Institution; sie sind ja identisch. S.u. Anm. 121.

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Der christologische Aspekt

Charakter wie die Taufe, das „lavacrum institutum“, durch das sie neu geboren werden.96 Diese Wohnung [Joh 14,23] heißt Gottes Wohnung, ebenso wie Jerusalem Gottes Wohnung genannt war, die er selbst für sich erwählt hatte: „Hier ist mein Herd, Haus und Wohnung,“ wie noch heutzutage die Kirchen Gottes Wohnungen um des Wortes und Sakraments willen genant werden.97

In diesem Wohnsitz Gottes redet und handelt er selbst; er ist der Haushalter in seinem Haus.98 Luther hat keine Hemmungen, Gott so leiblich und konkret auf Erden zu denken, dass er mit einer bestimmten Institution verbunden sein soll, denn dies ist für ihn einfach ein Ausdruck des gnädiglichen Herabkommens Gottes.99 In dieser Hinsicht sind nach Luther die Reformatoren und ihre Anhänger „mit den Papisten eins.“100 Er kann sogar betonen, dass „was die wahrhaftige Kirche tut und ordnet, das tut und ordnet Gott.“101 Der Weg teilt sich an der Frage, ob das, was Gott nicht befohlen und geordnet hat, in der Kirche gelehrt und praktiziert werden darf.102 Dass Gott in seinem leiblichen Wohnsitz auf Erden der Haushalter ist, schließt nicht aus, sondern vielmehr ein, dass es untergeordnete Haushalter und eine Verwaltung der Sakramente und des gepredigten Wortes in diesem Haus gibt.103 Eine Kontinuität Gottes mit den Predigern und Pfarrern lässt sich leicht erkennen: Sie sind die Haushalter in der leiblichen Wohnung Gottes auf Erden.104 Ihnen ist es von Gott gegeben und geordnet, nicht nur das Wort zu predigen und die Sakramente zu spenden,105 sondern auch von den Sakramenten zu lehren und 96 Erstes Zitat: Gr. Kat. II,42 (BSLK 655,3–5). Zweites Zitat: Pr. 1698 (s. o. Anm. 91 und 92) [R] WA 46,176,7. 97 Pr. 1881 [Dr] WA 47,773,14–18: „Diese Wohnung heisset Gottes Wohnung, Als Jerusalem ward Gottes Wohnung genant, das er jhm selber erwehlet hatte: Hier ist mein Herdt, Hauß und Wonung: wie noch heutiges tages die Kirchen genant werden Gottes Wohnungen umb des Worts und Sacraments willen.“ Vgl. [Dr] WA 47,778,5f und 47,775,6–26. Obwohl hier der Plural verwendet („Kirchen […] werden“) wird, wird der Singular überwiegend im Kontext verwendet: 47,773,25.26.28–30.33f. 98 Pr. 1881 [Dr] WA 47,774,3; 47,776,20–22; 47,779,14. 99 Pr. 1881 [Dr] WA 47,773,35–38. 100 Pr. 1881 [Dr] WA 47,773,33. 101 Pr. 1881 [Dr] WA 47,773,29f: „[…] was die warhafftige Kirche thut und ordnet, das thut und ordnet Gott.“ 102 Pr. 1881 [Dr] WA 47,773,39–774,27; 47,775,6–777,14. Wenn der Papst und seine Anhänger durch ihre eigenen Stiftungen die Stiftungen Christi überhöhen, wie z. B. Luther die Taufe durch das Mönchtumswesen überhöht sieht, kann Luther andererseits sagen, dass dann Christi Leiden und Blut hin sind, die Taufe verloren ist, und dass Christus, der nun als Richter statt als Retter verstanden wird, nicht mehr auf Erden zu finden ist; siehe Pr. 1853 [A] WA 47,589,2–7. 103 Pr. 1881 [Dr] WA 47,774,8–11. 104 Pr. 1881 [Dr] WA 47,774,9; 47;775,22 (vgl. 47,775,14). 105 S.o. die Angaben zu Pr. 1881 bei Anm. 102.

Die Verborgenheit von göttlicher Macht und Majestät im Fleisch

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auf die Präsenz des Blutes Christi in den Sakramenten zu verweisen.106 Luther versteht sich seines Amtes wegen als einen dieser Haushalter und Lehrer, die in einer Linie mit Paulus und den Aposteln stehen.107 Die institutionelle Ordnung der institutionellen Kirche, zu der die Pfarrer und Prediger als untergeordnete Haushalter gehören, ist aus seiner Sicht Modus der Kondeszendenz Gottes, und sie existiert um der leiblichen Präsenz Christi auf Erden willen. Deshalb kann es keine Überraschung sein, dass in den späteren Predigten Luthers eine Verschränkung der Amtsträger und Christi ans Licht kommt. Christologisch gesehen ist es kein Widerspruch, dass Christi Reich, das Himmelreich, kein irdisches Reich ist108 und dennoch durch die Institution der Kirche und ihr Amt auf Erden ausgebreitet wird.109 Christus, den Luther König im Himmel und in der Hölle(!) nennen kann, ist immer noch ein Bettler auf Erden.110 Obwohl er und seine Amtsträger leiblich anwesend sind und leibliche Gaben spenden, sind die Güter, die sie haben, zwar an Materie gebunden, aber natürlich keine materiellen Güter im eigentlichen Sinn. Denn sie verkaufen das Wort und die Sakramente nicht und sind insofern im Unterschied zu einem „politicus et oeconomicus vir“111 auf Spenden materieller Güter aus den anderen Ständen angewiesen.112 Christus, der Bettler, wird beschenkt, wenn die armen Prediger beschenkt werden.113 Sein Reich auf Erden wird erhalten, wenn die Amtsträger ernährt werden114 und wenn Christen aus den anderen Ständen nicht nur für die Versorgung der Prediger und Pfarrer sorgen, sondern auch für die Schüler, die für dieses Amt ausgebildet werden sollen.115 Umgekehrt gilt es, dass die Kirche Christi und insofern auch sein Reich auf Erden durch die Ausrottung 106 Pr. 1698 [R] WA 46,175,15–176,15. Mt 28,20 klingt wieder (WA 46,176,17f) im Hintergrund an. 107 Pr. 1698 [R] WA 46,175,13–25. 108 Die Natur des Reiches Christi als eines Reiches, das nicht in weltlichen Gütern und weltlicher Macht besteht, wird beispielhaft in Pr. 1961 [R/S] WA 49,415–422 hervorgehoben. 109 Vgl. die Anmerkungen zu Pr. 1881 (Anm. 97–104) oben und auch z. B. Pr. 1961 [R] WA 49,419,2–5, wonach die Apostel, mit denen Christus und die jetzigen Amtsträger eine kontinuierliche Gruppe bilden, das Wort durch die ganze Welt (auch nach Wittenberg) gebracht haben. (Vgl. WA 49,416,13–18; das Motiv, dass Christus, die Apostel und die Amtsträger nichts Materielles und nichts zu verkaufen haben, erstreckt sich durch die ganze Predigt.) 110 Pr. 1905 [R] WA 49,36,13–18; Pr. 1961 [R] WA 49,416,12–15. 111 Pr. 1883 [R] WA 47,786,13. Luthers Drei-Stände-Lehre und Zwei-Regimenten-Lehre stehen auch in Pr. 1905 [R] WA 49,35–40 und Pr. 1961 [R/S] WA 49,415–422 im Hintergrund. 112 Pr. 1905 [R] WA 49,36,13–34. 113 Grundsätzlich gilt, dass Christus beschenkt wird, wenn ein armer Christ beschenkt wird. Dennoch legt Pr. 1905, die Ps 72 als das Reich Christi deutet, die deutliche Betonung auf das Beschenken (vgl. Ps 72,10) und die Versorgung der Amtsträger ; siehe besonders [R] WA 49,36,29–34 und 49,37,2–5. 114 Pr. 1905 [R] WA 49,38,24–26. 115 Pr. 1905 [R] WA 49,39,6 und 14–21, und 49,37,34f.

112

Der christologische Aspekt

der Amtsträger abgeschafft werden können, denn ohne sie würde es kein Evangelium geben.116 Die Notwendigkeit der materiellen Fürsorge der Amtsträger, die Tatsache, dass man dem von ihnen gepredigten Evangelium auch widerstehen kann, sowie die Kontingenz der Amtsträger, der Kirche und des Himmelreiches auf Erden gehören allesamt zur menschlichen Natur Christi, die in seiner Präsenz im Amt und mit den Amtsträgern zum Ausdruck kommt. Als einer, der in einer Linie mit den Aposteln und Propheten steht, dem es gegeben ist, die leibliche Präsenz Christi im gepredigten Wort und den gespendeten Sakramenten zu vermitteln und auf diese Orte seiner leiblichen Anwesenheit zu verweisen, kann Luther mit dem Apostel sagen: Wenn ihr das behaltet, kann ich mit Paulus sagen, [„]In keiner Weise seid ihr zurückgelassen. Es ist nur, dass ihr des Großen Gottes Kommen erwartet[,“[117] wenn] er auch den Leib abholen [wird].[118] Darum hoffe ich, dass wir unserem Amt[119] genuggetan haben, […]120

Und doch würde die auch auf die Zuhörer bezogene Verheißung der Präsenz Christi Luther kaum Trost in seinem Amt bieten, wenn Christus darin müßig und untätig bliebe. Aber Luther schöpft Trost und Mut für sein Amt, indem er Christus nicht nur als den historischen Stifter121 des gepredigten Evangeliums 116 Pr. 1905 [R] WA 49,38,26f; vgl. Pr. 1883 [R] WA 47,786,15–787,27 (bes. 47,787,12f): Hier wird der rechte empfangende Gottesdienst der rechten Kirche (Abel im Unterschied zu Kain) durch die Ausrottung der Amtsträger abgeschafft. Pr. 1883 drückt eine Kontinuität von Christus und den Amtsträgern aus, indem sie vor allem mit einem Hass, der eigentlich gegen ihn gerichtet ist, gehasst werden; die Verschränkung kann z. B. bei [R] WA 47,788,6f oder durch das wiederholt „odiosus“ gesehen werden: 47,785,26–28 und 47,788,26–28. [R] WA 47,786,7–9 kann als eine Anrede an den Ordinanden des Tages, Martinus Kissitz (Buchwald, Ordiniertenbuch., S. 4, 08. 06. 1539), gelesen werden; 47,786,9–11 hingegen als Anrede an die Gemeinde über den Ordinanden und die anderen Amtsträger. 117 Der Inhalt von I Kor 1,7, der hier deutlich erwähnt wird, ist etwas verändert. Vul.: „ita ut nihil vobis desit in ulla gratia expectantibus revelationem Domini nostri Jesu Christi.“ Vgl. Anm. 120 unten: “In nullo destituemini, nisi ut expectetis dei magni adventum”. “In nullo destuemini” ist eine Inhaltsverschiebung, welche die Anwesenheit Christi in seinen Stiftungen ausdrückt: Die Zuhörer sind von Christus nicht verlassen worden. Er ist anwesend. Doch wird Christus gleichzeitig erwartet. Dass Christus in der Taufe, in der Absolution, und im Altarsakrament anwesend ist, widerspricht nach Luther nicht der Tatsache, dass seine Ankunft auch erwartet wird. Wie bei der Bitte um das tägliche Brot angesichts des vollen Tisches im kleinen Katechismus (BSLK 522,23–523,29) wird hier der Anwesende erwartet, kein Abwesender. 118 Vielleicht eine Anspielung auf Phil 3,20–21 oder Röm 8,11. 119 Vgl. II Kor 3,6–9; 4,1; 5,18; und II Tim 4,5. 120 Pr. 1689 [R] WA 46,176,23–25: „Si hoc servatis, possum dicere cum Paulo: In nullo destituemini, nisi ut expectetis dei magni adventum, und hole etiam den leib. Ideo spero, quod nostro officio satisfacimus, […]“ 121 Stiften/Stiftungen können von Luther in gewisser Bandbreite der Terminologie ausgedrückt werden, die die vorliegende Arbeit zu berücksichtigen versucht: Befehlen/Befehl, Ordnen/Ordnung, instituere/institutio/institutum, mandare/mandatum usw. Meistens

Christus als Geber und Vollzieher des göttlichen Mandats

113

und der dargereichten Sakramente versteht, sondern in Christus auch den erkennt, der dies in der Gegenwart ausführt und vollzieht.

3.3

Christus als Geber und Vollzieher des göttlichen Mandats

Christologisch gilt für Luther grundsätzlich, dass Christus der Allmächtige, Gott des Himmels und der Erde und HErr über die ganze Schöpfung ist,122 und dennoch sieht er die Allmacht und Herrschaft Christi durch seine Auferstehung, Himmelfahrt, und sessio zur Rechten des Vaters besonders scharf ausgedrückt.123 Eigenschaften der göttlichen Natur, die in seinem Leiden und Sterben eher in den Hintergrund traten, sind deutlich ans Licht gekommen: Christus, nun auferstanden und gen Himmel gefahren, gilt als der allgegenwärtige und ewige HErr. Wie Luther jedoch in der Abendmahlsdebatte betonte, bedeutet die Tatsache, dass Christus allgegenwärtig ist, nicht, dass er „für dich“ allgegenwärtig ist. Allmächtig und allgegenwärtig ist Gott, aber die unbestimmte, äquivoke Macht und Gegenwart eines ambivalenten Gottes sind noch nicht die Macht und Ewigkeit des Dreieinigen Gottes,124 die durch Christus bestimmt werden. Wo, wann, und vor allem wie Christus für die Seinen der HErr sein will, legt er durch Stiftungen bzw. Mandate fest. Sie gehen von seiner Allmacht aus125 und bestimmen, von welcher Art seine bestimmte Herrschaft ist, wie sein Herr-Sein erscheint. Pr. 1532126 zeigt das Verhältnis von Allmacht, Mandat und Herr-Sein Christi. Das Mandat oder die Stiftung, über die Luther in Pr. 1532 predigt, ist in Mk 16,15f zu finden. Nach Luther gilt dieses Mandat bis zum Ende der Welt, weil es sich hier um ein Mandat des allmächtigen, auferstandenen HErrn handelt. Dennoch wird seine bestimmte Herrschaft nicht allein durch seine Allmacht begründet: Christus ist der Herrscher über die ganze Welt und alle Kreaturen, indem er die Worte von Mk 16,15 spricht und damit seine Herrschaft begrün-

122 123 124 125 126

wird in dieser Arbeit jedoch „Stiften/Stiftung“ oder „Mandat“ verwendet: „Stiften“ betont die Setzung Gottes – eine Ordnung, die er ins Dasein ruft –; „Mandat“, dass der dauernde Auftrag als Verheißung und Gabe zu verstehen ist (man-dare). Siehe auch Elert, Der christliche Glaube, S. 401–403: Die Einsetzung der Taufe, des Abendmahls, der Schlüssel und der Predigt sind „Stiftungsmaßnahmen“, die von Christus vor seinem Abschied getroffen wurden, die in die Zukunft weisen; „Der Stifterwille setzt hier selbst eine neue Ordnung, […] Diese Ordnung des Neuen Testaments ist die Kirche.“ (S. 402). Vgl. Anm. 95 oben. Pr. 1598 [R] WA 41,593,2–5. Pr. 1598 [R] WA 41,592,19, 22f, 30, 32f und 39; 41,593,28f; 41,594,1 und 4f. Zur Allmacht Gottes vgl. Bayer, „Gottes Allmacht“. Pr. 1598 [R] WA 41,592,39; vgl. [R] 41,592,16, 23, 26, und 35f. Pr. 1532 [R] WA 41,73,26–78,37.

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Der christologische Aspekt

det.127 Laut Pr. 1532 resultiert der Befehl Christi nicht aus seiner Herrschaft, sondern seine Herrschaft kommt durch diesen Befehl zustande! Seine bestimmte Herrschaft unterscheidet sich von allen anderen dadurch, dass sie nicht mit körperlicher Gewalt vorgeht, sondern vielmehr eine verkündigte Herrschaft ist.128 Allmacht, Allgegenwart und Ewigkeit sind Eigenschaften der Person Christi, zeigen aber an sich noch nicht an, wie, wann, und wo er HErr sein will. Wenn Luther sagt, „Und wo du sagen kannst: [,]Hier ist Gott,[‘] da musst du auch sagen, [,]So ist Christus der Mensch auch da.[‘]“,129 darf nicht übersehen werden, dass es ihm nicht zuerst um die Trinitätslehre, und nicht allein um Christologie, sondern um die Christologie in Zuspitzung auf die heilsame Präsenz Christi in der Gegenwart geht. Und es sind gerade die Mandate und Stiftungen Christi, die seine Allmacht als verhüllte Allmacht und seine Ewigkeit und Gegenwart als eine heilsame Ewigkeit und Gegenwart bestimmen. Christus ist der damalige und jetzige Schöpfer,130 aber angesichts seiner Stiftungen und Mandate wird er auch zu allen Zeiten als „das einzige Lamm Gottes“, das „vom Anbeginn der Welt geschlachtet wurde“,131 bestimmt und verstanden. Obwohl Pr. 1532 und Pr. 1598 beide vom Evangelium für den Himmelfahrtstag, Mk 16,14ff, ausgehen, sieht Luther in Mk 16,15f kein vereinzeltes Mandat, sondern ein Mandat unter anderen bzw. einen Aspekt eines größeren und übergreifenden Mandats. In Pr. 1598 verbindet er Mk 16,15f ohne weiteres mit Mt 28,19f.132 Und die Matrix der Schriftstellen, die Luther als verbundene Stiftungen und Mandate versteht, erweitert sich noch. Pr. 1923 dient als ein zutreffendes Beispiel: Hier wird über das Evangelium für den ersten Sonntag nach Ostern, Joh 20,19ff, gepredigt, und gleichzeitig zieht Luther die folgenden Schriftstellen direkt oder indirekt auch hinzu: Mt 16,19 und 28,19f, Mk 16,16, und Act 1,8.133 Aus mehreren Stellen im Neuen Testament leitet Luther ab, wer und wie Christus sei, sowie wo und wann er da sein und gefunden werden will. Und diese neutestamentlichen Stiftungen und Mandate können wiederum in 127 Pr. 1532 [R] WA 41,74,4–6 und 22–24; 41,78,29. 128 Pr. 1532 [R] WA 41,75,19–22; vgl. 41,76,1f. 129 WA 26,332,31f: „Und wo du kanst sagen: Hie ist Gott, da mustu auch sagen: So ist Christus der mensch auch da.“ („Vom Abendmahl Christi, Bekenntnis“, 1528). 130 Pr. 1598 [R] WA 41,593,6. 131 Pr. 1697 [R] WA 46,172,16f: „Ipse solus agnus dei et geschlachtet ab initio mundi.“ 132 Für Mk 16,15f siehe Pr. 1598 [R] WA 41,592,16 und 38. Für Mt 28,28ff siehe [R] WA 41,592,35; 41,593,28f; 41,594,33f. 133 Für Mt 16,19 siehe Pr. 1923 [R] WA 49,141,10 („Quorumcunque remiseritis“ ist eine Mischung von Joh 20,23 [„quorum remiseritis“] und Mt 16,19 [„quodcumque solveris“]); für Mt 28,18–20 siehe [R] WA 47,140,34f; für Mk 16,16 siehe [R] WA 49,141,9f; für Act 1,8 siehe [R] WA 47,140,26f (vgl. 47,139,3, wo eine ähnliche Angabe eher zeitlich, wie bei Mt 28,20, statt örtlich zu sein scheint). Auf II Kor 5,20, der nicht als Mandat oder Stiftung gilt, wird auch bei Pr. 1923 [R] WA 49,138,36f hingedeutet.

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den noch breiteren Horizont des gestifteten Handelns Gottes, das sowohl die Zeit des Alten als auch die des Neuen Testaments betrifft, eingeordnet werden.134 Gottes gnädiges Handeln, das sowohl aus dem Alten Testament wie auch dem Neuen Testament zu erheben ist, gründet in Gottes Stiften. In Luthers Predigten werden göttliche Stiftungen als Mandate dargestellt, die eine Verheißung einschließen: Gott schafft eine von ihm gewollte Wirklichkeit durch Verheißung und anvertrauenden Befehl.135 Sein Verheißen und sein Anvertrauen geben dem durch die Stiftung Geschaffenen die Wirksamkeit;136 Gottes Stiften schließt sein fortdauerndes Schaffen und Wirken ein. Dem Prediger Luther gilt Christus als der Stifter der Taufe, der Absolution, der Predigt und des Abendmahls, das von Luther oft schlicht „das Sakrament“ genannt wird, sowie des Predigtamtes. Christologisch konsequent versteht Luther aber Christus nicht nur als den Stifter, sondern auch in der Gegenwart als den Täufer, Absolvierenden und Prediger selbst, und ebenso als den, der speist und tränkt.137 Als Gott, der Fleisch angenommen hat, und als Mensch, der die Vollmacht der Gottheit besaß, hat Christus die Mandate für die Taufe, die Absolution, die Predigt und das Abendmahl gegeben; als Gott und Mensch, der zur Rechten des Vaters sitzt, gibt Christus weder sein Fleisch noch seine Präsenz auf Erden auf. Vielmehr hat er eine fortdauernde konkrete, leibliche, gnädige, verhüllte Präsenz auf Erden vorgesehen und erhält sie bis zu seiner eigenen Wiederkunft, indem er selbst seine verheißenden Mandate ausführt. In Luthers späteren Predigten begegnet man nicht selten Auflistungen wie, „[die] Taufe, das Wort[,] die Absolution, die Eucharistie“,138 welche für Luther als Stiftungen des Gottes gelten, der nach der Himmelfahrt Christi in der je eigenen Ortsgemeinde handelt und zu finden ist.139 „[D]ie Taufe,“ z. B., „ist von 134 Siehe Pr. 1968 [R/S] WA 49,479–488: Gottes Handeln nach seinen Stiftungen in Bezug auf das alte und das neue „Reich“ bzw. das alte und das neue „Testament“ wird hier dargestellt. Das für diese Predigt entscheidende Verb „anrichten“ ([R] WA 49,481,19–482,5 [bes. 48,481,19]; [S] WA 49,481,37–482,27) ist ein Synonym für „stiften“ ([R] WA 49,483,12f). Für das Alte Testament siehe [R] WA 49,484,3–12; 49,485,1f; 49,486,1 und 4f; [S] WA 49,484,25–485,25; besonders die Formen von „fundare“, „gründen“, „[ein]setzen“ und „stiften“. Für das Neue Testament siehe [R] WA 49,481,13; 49,482,1–3; 49,483,12–14; [S] WA 49,481,32; besonders die Formen von „fundamentum“, „Grund“, und „stiften“. Insofern kann Luther anderswo sagen, dass Moses sein Reich von Christus bekommen hat: Pr. 1923 [R] WA 49,138,15–17. 135 Siehe z. B. Pr. 1968 [R] WA 49,484,3f und 8f; 49,485,1; 49,486,1, 5 und 17; 49,487,1; [S] WA 49,484,28 und 31; 49,485,25; 49,487,22. Für die Verknüpfung von Predigt und Promissio vgl. [R] WA 49,481,8. 136 Vgl. z. B. Pr. 1968 [R] WA 49,484,8f. 137 Für Christus als damaligen Befehls- und Mandatsgeber und als Prediger, Täufer, Speisender und Tränkender in der Gegenwart siehe WA 38,239,2–240,1 („Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe“, 1533). 138 Pr. 1863 [R] WA 47,653,19: „baptismus, verbum abolutio, Eucharistia“. 139 Pr. 1863 [R] WA 47,654,5 im Kontext von 47,653,16–654,7.

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Der christologische Aspekt

Gott befohlen“;140 sie ist „Gottes Wort, Stiftung[,] und Einsetzung[.] Menschen haben [sie] nicht ausgedacht, [sondern] sie ist ein göttlicher Befehl, den Christus uns von Himmel hingebracht hat.“141 Das, was die Taufe jetzt auf Erden in der Ortsgemeinde für die Predigthörer Luthers ist, kann nicht von dem losgelost werden, der sie vom Himmel gebracht hat. Christus, der die Taufe gebracht hat, ist Gott, und „Gott ist der Täufer.“142 „Vater, Sohn und Heiliger Geist tauft.“143 Folglich kann Luther von sich und von seinem Amt als Prediger sagen, Wenn du mich hörst, [hörst du] nicht mich, sondern Christus. Ich gebe nicht meine Taufe, [nicht] meinen Leib und mein Blut. Ich absolviere dich nicht, sondern wer ein Amt hat – lass das Amt so sein, dass er gewiss weiß, dass das Amt von Gott [aus]geht. […] Das[, was] nach Gottes Wort geredet und getan wird, das wird Christus ehren und Gottes eigene [Wort und Tat] in Ewigkeit sein.144

Letzten Endes ist die wiederholte Aussage Luthers in Pr. 1697, dass „die Taufe bleibt,“145 nicht einfach eine Aussage über die Taufe, sondern ein christologisches Bekenntnis, welches das Ewigkeitsmoment der Christologie und die Verheißung seiner Anwesenheit von Mt 28,19f wiedergibt.146 Christus ist sowohl der schöpferische Stifter der Taufe als auch ihr Spender in der Gegenwart.147 Derselbe Christus, der die Taufe gestiftet hat, sorgt nicht nur für den jetzigen Gebrauch und fortlaufenden Nutzen der Taufe, sondern für seine eigene Identität in der Gegenwart, als der, der in der Taufe ist und Sünden durch sie vergibt: Er, der 140 Pr. 1863 [R] WA 47,656,12f: „[…] a Deo mandatum baptismum, […]“ 141 Pr. 1863 [R] WA 47,654,8–10: „[…] quod sit Dei verbum, stifft und einsetzung, non homines excogitarunt, ist ein gotlich befelh vom himel, quem Christus nobis tulit.“ 142 Pr. 1863 [R] WA 47,653,16: „Deus batisator.“ 143 Pr. 1863 [R] WA 47,655,13f: „Pater, filius et Spiritus Sanctus batisat.“ 144 Pr. 1880 [R] WA 47,771,18–23: „Quando me audis, non me, sed Christum, non do meum baptismum, meum corpus et sanguinem. Non absolvo te, sed qui habet offitium, sic sit offitium, quod sciat certo, quod gehe a Deo. […] Das nach Gottes wort geredt und gethan werde, Das wird Christus ehr und Gottes sein in ewigkeit.“ „qui habet offitium“ ist Rörers lateinische Wiedergabe eines ungefähren Zitats des Predigttextes, I Petr 4,11: „so jemand ein Amt hat“. 1 Petr. 4,10f wurde im Ordinationsformular aufgenommen (WA 38,425,13f [H]: „boni dispensatores“), und anhand von Pr. 1882 (vgl. Kap. 6) kann gezeigt werden, dass Luther diesen Text so versteht, dass der Text von den Predigern und Pfarrern spricht. Auch in Pr. 1880 wird das Amt des Predigers als ein Amt erläutert, das von anderen Ämtern anderer Menschen unterschieden ist; vgl. z. B. den Kontext des angegeben Zitats bei WA 47,771,2–23. 145 Pr. 1697 [R] WA 46,171,23.25; vgl. 46,172,15. 146 Für die Verknüpfung des Ewigkeitsmoments der Christologie und des der Taufe siehe Pr. 1697 [R] WA 46,172,15–17. Mt 28,19f wird am Anfang der Predigt als Fundament für die göttliche Stiftung und Ordnung der Taufe zitiert: [R] WA 46,167,7–14. Dazu wird auch Mk 16,16 herangezogen: [R] WA 46,170,27; 46,172,10f. 147 Für Christus bzw. Gott als schöpferischen Stifter der Taufe siehe Pr. 1697 [R] WA 46,168,5–8. Für Christus bzw. die Trinität als Spender der Taufe in der Gegenwart siehe [R] WA 46,168, 23f und 46,169,9 und 19f.

Christus als Geber und Vollzieher des göttlichen Mandats

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das Lamm Gottes ist, das vom Anbeginn der Welt geschlachtet wurde, ist auch der, der für die gesamte Lebensdauer der Christen ihre Sünde trägt und Genugtuung leistet.148 Der Gebrauch und der Nutzen der Taufe sowie Christi Identität werden beibehalten, indem Gott selbst die Predigt in der Gegenwart erhält – indem er selbst predigt; er sieht zu, dass die Predigt der Taufe gegenüber allen Irrlehren erhalten bleibt, und stellt das Bild Christi, des geschlachteten Lammes, immer wieder vor die Augen der Sterbenden und sagt: „Glaube an diesen!“.149 Für Luther ist es offensichtlich kein Widerspruch, dass Gott selbst den Nutzen und den Gebrauch der Taufe sowie die Identität Christi als Lamm Gottes in der Gegenwart erhält, und dass die Predigt der Taufe sozusagen in die Münder bestimmter Menschen gelegt wird. Denn am Anfang derselben Predigt (Pr. 1697) erklärt Luther, dass er nun über die Taufe predigt, „damit das Sakrament der Taufe unter Christen bekannt bleibt, besonders unter den Jugendlichen, […]“150 Ohne Weiteres beansprucht Luther für sich als Prediger das Werk, das er im Laufe der Predigt Gott selbst zuschreibt. Das Taufen und das Predigen von der Taufe sind nicht nur etwas Gestiftetes, sondern auch etwas Anvertrautes. „Deshalb schärfe ich [ihnen das rechte] Verständnis [der Taufe] sorgfältig ein, damit die Diener wissen etc.,“ sagt Luther von der Ausbildung der Amtsträger. Luther betont nicht nur die anvertraute Lehre von der Taufe, sondern auch die Praxis, die darin gesehen werden kann, dass den Amtsträgern auch die Spendeformel beigebracht wird.151 Luther vermittelt nicht nur sein Selbstverständnis, sondern er behandelt die ministri bzw. Amtsträger als eine bestimmte, von anderen unterschiedene Gruppe: Durch sie wird die Taufe nicht nur gespendet, sondern der Nutzen und der Gebrauch der Taufe werden durch ihr Predigen und Lehren erhalten.152 Die folgenden Aussagen sind anhand von 148 Pr. 1697 [R] WA 46,172,15–18. 149 Pr. 1697 [R] WA 46,172,19–173,3. Vgl. [R] WA 46,172,10f: Da ist Mk 16,16 das, was der Getaufte jetzt hört, i. e. das, was ihm jetzt gepredigt wird. 150 Pr. 1697 [R] WA 46,167,2f: „Ut Sacramentum baptismi maneat notum apud Christianos, praesertim iuvenes, […]“ 151 Für die Spendeformel siehe Pr. 1697 [R] WA 46,167,23 und 46,168,4. Das angegebene Zitat ist zwischen diese zwei Hinweise auf die Spendeformel eingebettet, [R] WA 46,168,2f: „Ideo inculco diligenter, ut sciant ministri & c.“. 152 Für die Amtsträger (ministri) siehe auch Pr. 1697 [R] WA 46,173,9; im Kontext (46,172,9–173,16) wird die Notwendigkeit eines „wahren Dieners“ („verus Minister“) am Sterbebett und auf dem Friedhof dramatisch betont. Im Zusammenhang mit [R] WA 46,167,2f (s. o. Anm. 151) ist 46,170,10–18 als eine Anrede an bzw. von Amtsträgern und zukünftigen Amtsträgern zu deuten, die zum Teil Erfahrung mit dem Mönchtum gemacht haben und auch von den anderen zwei Ständen („parentibus, magistratibus“ [46,170,14]) ausdrücklich unterschieden werden. Die Nottaufe, sowie die Notbeichte, werden auch in der Predigt behandelt, aber eben als Nottaufe und Notbeichte; für Weiteres zu Nottaufe und Notbeichte siehe 4.2.3 und 9.4.2.

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Der christologische Aspekt

Pr. 1697 parallel und ohne Widerspruch zu verstehen: Christus tauft; die Diener taufen. Christus behält seine Identität in der Gegenwart, indem er predigt; die Identität Christi wird in der Gegenwart behalten, indem die Taufe von den Amtsträgern gepredigt und gelehrt wird. Die Stiftungen Christi bzw. sein gesamtes heilsbezogenes Stiften waren und sind sowohl anvertrauendes als auch verheißendes Befehlen: Die miteinander verbundenen und ineinander greifenden Mandate Christi waren und sind nicht nur Verheißungen seiner heilsamen Präsenz, sondern auch die Anvertrauung der Mittel dieser Präsenz an bestimmte Menschen, durch die er selbst in Übereinstimmung mit seiner damals gegebenen Verheißung nun auch in der Gegenwart spricht und handelt. Der „starke Segen“, den Luther in Mt 28,18ff findet, ist zugleich die Übergabe seines heiligen Evangeliums und Sakraments an die elf Apostel (vgl. Mt 18,16) und die Amtsträger der Gegenwart, durch die er nun predigt, tauft, absolviert, speist und tränkt.153 Christus, der damals und heute derselbe ist, Gott und Mensch zugleich – sich selbst verhüllend im Fleisch und in allem, was er gestiftet hat, der seine fortdauernde Präsenz auf Erden ordnet und versichert, indem er Amtsträger sendet, durch die er spricht und handelt, wird anhand von Joh 20,21–23 von Luther folgendermaßen dargestellt: [„]So muss es gehen: ,Ich sende‘. Ich muss zuerst zu euch kommen. Ihr werdet nicht zu mir kommen, sondern ich zu euch. Wenn also ich persönlich nicht durch die ganze Welt gehe, so tue ich wie der Vater [getan hat, als er] mich [sandte]. Der Vater nahm für sich ein kleines Winkelchen, [nämlich] das jüdische Land. Da musste ich Prediger sein [und ich] wanderte durch Galiläa [und] Judäa.[“] Das konnte er bewältigen. Was hat er gemacht? Er half Sündern [und löste sie] von [ihren] Sünden. Er erweckte die Toten. [„] So soll ich tun. Dies hat [mir] der Vater anvertraut. Du wirst mich nicht zu Hofe unter den Schwelgern etc. sondern unter den Toten und verführten[,] armen Schafen finden. Da half ich von Sünde zu Gerechtigkeit, vom Tod zum Leben. Das sollt ihr in der ganzen Welt üben. Deshalb sende ich [euch], damit ihr durch die ganze Welt lauft und andere Prediger einsetzt, die auch laufen, predigen und tun, denn ich und ihr [gehen zusammen] bis ans Ende der Welt. Ich will dabei sein, damit ihr wisst, dass ihr nicht, sondern ich durch euch handle bis zum jüngsten Tag.[“] Aus dem Befehl haben wir auch die Autorität, damit wir, wenn [wir] Sünden vergeben und binden, wissen, dass nicht wir, sondern ja Gott selbst [dies] tut, [weil] wir von Gott gesandt sind. Deshalb sollst du [den] Pfarrer nicht wie einen Menschen anhören, sondern wie Gott.154 153 Vgl. die Ordinationspredigt, Pr. 1574 [R] WA 41,454,18–21. Mt 28,19f taucht auch in Pr. 1882 [R] WA 47,783,32f auf, die auch in Kapitel 6 ausführlich untersucht wird. Anhand beider Predigten kann das geordnete Reden und Handeln des erhöhten Christus durch die Amtsträger äußerst klar betrachtet werden. 154 Pr. 1923 [R] WA 49,140,24–38: „Sed so mus zugehen: ,Ego mitto‘. Ich mus zuerst zu euch komen. Vos non venietis ad me, sed ego ad vos. Cum ergo persönlich non in totum mundum gehe, so thue ich so, ut pater me. Pater nam für sich ein klein winckelin, jüdisch land, da

Christus als Geber und Vollzieher des göttlichen Mandats

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In Joh 20,21–23 sieht Luther ein „regnum“ der Sündenvergebung gestiftet,155 und diese Stiftung ist zugleich sowohl das Mandat für die Absolution als auch das Mandat für das Amt,156 das nicht zuerst abstrakt oder begrifflich konzipiert wird, sondern konkret und personal in den Aposteln, Predigern und Pfarrern seinen Bestand hat. Aus diesem einen Mandat fließt die fortdauernde aktuale, heilsame Präsenz Christi auf Erden. Indem Christus das Mandat der Absolution gibt und die Apostel und ihre Nachfolger sendet, bleibt er selbst der Absolvierende des Sünders in der Gegenwart. Christi Regiment ist das Regiment der Apostel und ihrer Nachfolger.157 Christologie und Amtsverständnis gehen Hand in Hand und könnten kaum leiblicher oder konkreter sein: Christus ist nicht nur der, der die Absolution spricht, es ist sogar seine eigene Hand, die dem Beichtenden aufgelegt wird.158 Angesichts der Verknüpfung von Christologie und Amtstheologie betont Luther in Bezug auf sein Amt, dass er ohne Christi Mandat nichts wagen würde, was umgekehrt heißt, dass er die Zuversicht für sein Amtshandeln im Mandat Christi findet.159 Ferner erklärt die Verbindung zwischen der Christologie und der Amtstheologie Luthers Sorge um die Versorgung und Besoldung der Pfarrer sowie seine Mahnungen, weitere Amtsträger auszubilden.160 Christi Reich und die Amtsträger sind verbunden, denn das Ende der Pfarrer würde nach Luther den Untergang des Evangeliums bedeuten.161 Mit der Bitte um die Fürbitte für gegenwärtige und zukünftige Amtsträger schließt sich die Druckfassung von Pr. 1923 an das Ordinationsformular an.162 Wenn gesagt werden kann, dass das

155 156 157 158 159 160 161 162

must ich prediger sein, wandert durch Gallileam, Iudaeam, das kund er bestreiten. Quid faciebat? halff peccatoribus a peccatis, suscitabat mortuos. So sol ich thun. Hoc commisit pater. Non invenies me zu hofe unter schwelgern & c. sed inter mortuos et verfureten arm schaffen. Da halff ich a peccato ad iustitiam, ex morte ad vitam. Das solt ir in toto mundo uben. Ideo mitto, ut curratis per totum mundum et constituatis alios praedicatores, qui auch lauffen, predigen und thun, quod ego et vos usque ad finem mundi. Et ego wil dabey sein, ut sciatis vos non facere, sed me per vos usque ad extremum diem. Aus dem befelh haben wir auch potestatem, ut remittentes peccata et absolventes sciamus, quod nos non, sed a Deo missi, ipse met faciat. Ideo non debes pfarherr audire ut hominem, sed ut deum.“. Pr. 1923 [R] WA 49,139,28f: „regnum remissionis peccatorum“; vgl. 49,137,36–39; 49,138,7–9; 49,140,20–23. Für Mandat siehe Pr. 1923 [R] WA 49,139,4, 22 und 26; 49,141,40–42; 49,142,12. Pr. 1923 [R] WA 49,138,23–31 („vestrum regiment“). Pr. 1923 [R] WA 49,140,9–11. Pr. 1923 [R] WA 49,141,41. Vgl. Pr. 1964 [R] WA 49,451,2 und 10f, nach der Petrus und die Apostel ihre Predigt und ihr Handeln mit dem Mandat Christi begründen; das Stiftungsmotiv ist auch in der Predigt vorhanden: [R] WA 49,453,14f. Pr. 1923 [R] WA 49,141,28–142,36. Für Schule und Ausbildung siehe besonders [R] WA 49,141,35–37 und 49,142,14–21. Pr. 1923 [R] WA 49,141,28–30 und 34f. Pr. 1923 [Dr] WA 49,153,17–24. Vgl. die Fassungen des Wittenberger Ordinationsformulars: WA 38,429,10f (H); 38,429,17–21 (F); 38,429,21–25 (R); 38,433,9f (Latein).

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Der christologische Aspekt

Amt Christi mit seiner Person identisch ist,163 dann darf nicht außer Acht gelassen werden, dass das Amt Christi sehr oft als das Predigtamt dargestellt wird, wenn Luther das Amt Christi diskutiert und darstellt.164 Bei der Christologie, die den Zuhörern und Empfängern in der Gegenwart zugute kommt, hat Luther auch die Apostel und ihre Nachfolger im Blick: Zum Bild vom Regenwurm (die Menschheit Christi) und vom Angelhaken (die Gottheit Christi), gehören auch die Gesandten Christi, die den Leviatan „zerhauen“.165

3.4

Christus, der (Herab-)Kommende

„,Ich sende‘. Ich muss zuerst zu euch kommen.“:166 In der Christologie Luthers bedeutet Sendung ein Kommen, und das Kommen bedeutet ein Senden. Das Herabkommen Gottes in Christus vollzieht sich so, dass Christus dabei in das geordnete Regiment der Kirche herabkommt, in der die Prediger und Pfarrer die von Gott geordneten Haushalter sind.167 Christus selbst wurde gesandt und er sendet: so steigt Gott herab; so kommt er zu den Menschen. Umgekehrt, ein theologisches System, nach dem Menschen irgendwie zu Gott kommen müssen, ist für Luther ein theologisches System, das von einer falschen Fassung der Christologie ausgeht,168 wonach Christus schließlich als Richter statt als Retter und Mittler gesehen wird. Aber auch in der Zeit nach seiner Himmelfahrt kommt Christus zu uns, nicht ohne eine bestimmte Form seiner Erniedrigung anzunehmen. Luther sieht in Christi letzter Predigt vor seinem Leiden und Sterben eine Verheißung des fortgesetzten Kommens und seiner andauernden Präsenz. In seiner homiletischen Auslegung von Mt 23,34, „Darum siehe, ich sende zu euch Propheten und Weise und Schriftgelehrte“, erklärt Luther : Deshalb danken wir unserem Herrgott so von Herzen, dass er zu uns kommt und uns nachläuft. Wenn aber einer sich verkriecht, so hat der Teufel die Gewalt, dass man ihm von einem Ende der Welt bis zum anderen nachläuft. Und er mag [dann] wohl bis gen Himmel klettern und steigen. Aber ich finde Gott darum nicht, denn es heißt: [„]Ich muss zu euch kommen und Propheten senden,[“] sonst würden wir [ihn] nicht finden.

163 Bayer, „Das Wort ward Fleisch“, S. 29. 164 Siggins, Luther’s Doctrine of Christ, S. 49–53. Der Autor behandelt das Predigtamt im Unterschied zu dem dreifachen Amt von Prophet, Priester und König, das trotz einer Tradition bei den Kirchenvätern erst durch Calvin seine bleibende Gestalt gewann. 165 Pr. 1724 [R] WA 46,391,20f; s. o. Anm. 36. Wieder begründet Mt 28,18ff mit anderen Stiftungsstellen die Präsenz Christi in der Gegenwart: [R] WA 46,392,19–22. 166 Pr. 1923 [R] WA 49,140,24f: S.o. Anm. 154. 167 Pr. 1881 [Dr] WA 47,773,35–38 im Kontext von 47,773,15–774,14. S.o. Anm. 97–104. 168 Pr. 1854 [A] WA 47,598,6–20 im Kontext von 47,597,16–598,35.

Christus, der (Herab-)Kommende

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Aber er kommt zu uns durch seine Gesandten und Diener, als durch die Taufe, [den] Predigtstuhl, [und das] Sakrament des Altars.169

Zusammenfassung Christus, der herabsteigende und zu den Menschen kommende Sohn Gottes, wird von Luther wahrgenommen als eine unzerteilte Person, die beide Naturen mit ihrer communicatio idiomatum umschließt. Das gilt für das Ganze der Geschichte ab dem Sündenfall – sowohl vor der Inkarnation als auch nach der Himmelfahrt. Er bezeugt nicht nur ewige Präsenz und Tätigkeit der Person Christi, sondern eine ewige Aktualpräsenz nach beiden Naturen. Nach Luther verbirgt Christus seine göttliche Macht und Majestät nicht nur in seinem eigenen Fleisch, sondern auch in leiblichen, irdischen Formen, die seinem Fleisch und seiner Inkarnation entsprechen. In der Gegenwart wird die menschliche Natur der ungetrennten Person des erhöhten Christus in der Anerkennung seiner verhüllten Präsenz in den Amtsträgern wahrgenommen. Nach seinen Mandaten und Stiftungen handelt Christus durch sie: Er selbst predigt und spendet die Sakramente in der Gegenwart.

169 Pr. 1843 [A] WA 47,521,27–33: „Derhalben so dancken wir unserm herrgott von hertzen, das ehr zu uns kompt und uns nachleufft. Wen aber sich einer verkreucht, so hat der Teuffel diese gewalt, das man ihme nachlauffe von einem Ende der welt biss zum andern, und mag den wohl klettern und steigen biss gehn Himmel. Aber ich finde drumb Gott nicht den es heist: Ich mus zu euch kommen nnd senden Propheten; sonst werden wirs nicht finden. Aber es kompt zu uns durch seine gesanthen und diener, als durch die Tauffe, Predigtstuel, Sacrament des altars.“

4.

Der Aspekt der apostolischen Kontinuität

Berücksichtigt man den christologischen Aspekt in Luthers Amtsverständnis, so stellt man fest, dass Luthers Christologie und sein Verständnis von Gott als demjenigen, der zu den Menschen kommt, nicht völlig zu verstehen ist ohne ins Auge zu fassen, welche Stellung die von ihm Gesandten bekommen.1 Das jetzige Kapitel widmet sich dem Gedanken der Kontinuität dieser Gesandten und erläutert, wie die apostolische Kontinuität des Amtes sich homiletisch bei Luther darstellt.

4.1

Die Linie der Amtsträger

4.1.1 Reihe, Gruppierung und Verschränkung Im Jahre 1539 beschäftigte sich Luther in einigen Reihenpredigten, die an Ordinationstagen gehalten wurden, mit Mt 23,34: „Darum siehe, ich sende zu euch Propheten und Weise und Schriftgelehrte; […]“ Besonders in Pr. 1844 kommt Luthers Verständnis der Kontinuität des apostolischen Amtes zum Ausdruck. Nach Luther machen diese Worte von Mt 23,34 zum Teil die letzte Predigt aus, die Jesus Christus, der „Ertzprediger“,2 öffentlich gehalten hat. Dieser Erzprediger bringt aber einen „Haufen“ von Propheten und Aposteln mit sich3 – einen Haufen, dem die Prediger noch in der Gegenwart zugehören. In seiner Auslegung des Verses stellt Luther die Propheten, Weisen und Schriftgelehrten als drei Gruppen dar, die in einer Kontinuität stehen. Zuerst behandelt Luther die „Propheten“. Er setzt die Bezeichnung „Prophet“ mit „Apostel“ gleich und versteht unter „Propheten“ die Apostel, denen er im 1 Siehe besonders die letzten Anmerkungen bezüglich Pr. 1724 und Pr. 1843 bei 3.4 oben (dort Anm. 165 und 169). 2 Pr. 1844 [A] WA 47,524,20. 3 Pr. 1844 [A] WA 47,524,4: „einen neuen Hauffen Propheten und Aposteln“.

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Der Aspekt der apostolischen Kontinuität

Neuen Testament begegnet.4 Diese Gruppe wird dadurch gekennzeichnet, dass sie „das Wort ohne Mittel vom HErrn haben.“5 Sie haben den HErrn selbst gehört. Zu dieser Gruppe rechnet Luther auch alttestamentliche Propheten und Schreiber hinzu, wie den König David. Die entscheidenden Kriterien, durch die diese Gruppe definiert wird, sind entweder, dass sie selbst Christus gehört haben, oder eine Offenbarung6 des Heiligen Geistes bekamen, durch die ihnen „die Weisheit des Evangeliums“7 unmittelbar erteilt wurde. Sie empfingen also das Wort direkt vom HErrn.8 Nach den Propheten und Aposteln kommt Luther zu den „Weisen“. Die Weisen versteht Luther als diejenige, die das Wort von den Propheten bzw. Aposteln direkt empfingen.9 Zuletzt behandelt Luther die „Schriftgelehrten“, die das Wort sowohl mündlich als auch aus den Schriften der Apostel gelernt haben. Genauso wie es sowohl Apostel gab, welche die Schrift schrieben, als auch Apostel, welche die Schrift nicht schrieben, gab es auch zwei Arten von Apostelschülern: Die „Weisen“ sind Schüler der nicht schreibenden Apostel, oder mindestens die, welche die Lehre der Aposteln nur mündlich bekamen. Die „Schriftgelehrten“ aber sind Schüler der mündlich lehrenden und zugleich schreibenden Apostel: Sie bekamen das Wort Gottes sowohl mündlich als auch schriftlich überliefert. In diese Gruppe ordnet Luther Timotheus ein, der sozusagen einen doppelten

4 Pr. 1844 [A] WA 47,524,9–12 und 22f; vgl. Pr. 1963 [R] WA 49,448,15–19. 5 Pr. 1844 [A] WA 47,526,22f: „die das wortt on alle mittel vom herrn haben“. 6 Luther geht hier von keinem allgemeinen, neuzeitlichen Offenbarungsbegriff aus. Das Wort „Offenbarung“ wird nicht in Bezug auf Christus benutzt; er ist nicht die Offenbarung. Vielmehr : Christus redet, der Heilige Geist offenbart, und in diesem Abschnitt offenbart der Heilige Geist nicht Christus, sondern das Evangelium, unterschieden vom Gesetz, welches in den prophetischen und apostolischen Schriften zu finden ist. Die Offenbarung, von der hier die Rede ist, betrifft also den Inhalt der Predigt der Apostel und Propheten sowie ihre Schriften. Insofern sind die Apostel und Propheten nicht einfach „Zeugen“ einer Offenbarung, sondern ihre Worte und ihre Schriften sind als solche die Offenbarung. In diesem Sinne zitiert Luther II Petr 1,21. 7 Pr. 1844 [A] WA 47,526,28: „Weisheit des Euangelij“ – im Unterschied zum Gesetz, welches sie von den Hohepriestern in Jerusalem hatten hören können (47,526,27–29). 8 Pr. 1844 [A] WA 47,526,22f und 33. 9 Bei Pr. 1844 [A] WA 47,526,32–34 ist ein Fehler zu vermuten. „Weisen sein, die so gelert sein von den Propheten. Diese sind schuler gewesen derer, die es vom herrn empfangen haben. Schreiber sind, die es von den Weisen gelernet haben.“ Entweder soll es heißen „[…] empfangen haben, die Schreiber [d. h. Propheten und Apostel] sind, von denen die Weisen es [d. h. das Wort] gelernt haben“ oder „[…] empfangen haben. Schriftgelehrte sind, die es von den Weisen gelernt haben“. Denn „Schreiber“ führt eine neue Kategorie in die Diskussion hinein, und im weiteren Kontext wird nur Aposteln und Propheten die Niederschrift des Wortes zugeschrieben.

Die Linie der Amtsträger

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Schriftunterricht bekam, da Paulus ihm in seinen Briefen das Lesen der Schrift befohlen hat.10 Luther spricht hier von drei Stufen oder Rängen. Auf der ersten Stufe finden wir die Apostel und auf der zweiten die Weisen und Schriftgelehrten der ersten Generation nach den Aposteln. „Wir sind im dritten gradu“11 stellt Luther fest. Wir haben noch die Schriften der Apostel und was ihre Jünger mündlich gelehrt haben. Wir sind ebenfalls wie die Schriftgelehrten, die die Schrift lernen und verstehen und wiederum die Aufgabe haben, Andere zu lehren. Das ist das Priestertum der Prediger,[12] die Christus senden will: [„]Erst sind die, welche von mir ohne Mittel gesandt sind. Zum anderen [sind] die[, welche] es[13] von ihnen [i. e. diesen unmittelbar Gesandten] haben. Zum dritten [sind] die[, die] es schriftlich empfangen haben.[“] Paulus nennt sonst sehr viele [„]Apostel,[“] die [weder] Christus noch einen Apostel je gehört haben, denn das ist der gemeine Name. Ein jeglicher Pfarrer in seiner Kirche kann also ein Apostel, Weiser und Schriftgelehrter genannt werden: Das ist der ausgeteilte Name. Denn wir müssen solche Leute haben, die uns predigen können, was Christus seine Apostel, und die Apostel [wiederum] ihre Jünger gelehrt haben. Darum werden wir auch mit ihren Namen genannt.14

„Wir“ („[…] werden wir auch mit ihren Namen genannt.“) weist auf die Prediger und Pfarrer in der Gegenwart, die für Luther als die neuen, ausgesandten Propheten gelten – in Kontinuität mit den alten Propheten, die „andere Schüler und Prediger auch gemacht haben“.15 Durch sie ist das Evangelium, das in alle Welt 10 Pr. 1844 [A] WA 47,526,41f. Die Herausgeber der WA geben I Tim 4,13 an, aber es kann sein, dass kein bestimmtes Zitat im Blick ist, sondern eine Inhaltsmatrix. An II Tim. 2,15; 3,14–16; und 4,2 lässt sich in dieser Hinsicht denken. 11 Pr. 1844 [A] WA 47,526,41: „Wir seind im dritten gradu, […]“ 12 Vgl. Pr. 1844 [A] WA 47,524,4–28: Das neue Priestertum (47,524,20) ist neu, weil Christus, der Erzprediger, aus dem Stamm Judas und nicht Levis kommt und Apostel bzw. Propheten aus allem Volk – nicht nur aus dem Stamm Levis – auswählt. „Priestertum“ wird gesagt, um deutlich zu machen, dass Christus den Kultus des Alten Testaments durch das „Aufrichten“ (vgl. Pr. 1843 [A] WA 47,515,37) seines Predigtamtes ersetzt. 13 „Es“ könnte entweder generell auf das Wort Gottes deuten, oder auf „das Priestertum der Prediger“; „Priestertum“ ist nach dem Zitat das nächste Beziehungswort. 14 Pr. 1844 [A] WA 47,526,42–527,12: „Wir haben noch der Apostel schriefft, und was ihre discipuli mundlich geleret haben, item wir sind schriefftgelerten, die wir lernen, die heilige schriefft verstehen, und lernens andere widder. Das ist das Priesterthumb der Prediger, die Christus senden will: erstlich, die ohne mittel von mir gesanth sein, zum andern, die es von ihnen haben, Zum dritten, die es schrifftlichen empfangen haben. Paulus nennet sonst sehr viel Apostel, welche Christum noch keinen Apostel je gehort haben, den das ist der gemeine name. Also kan auch ein iglicher Pfarherr in seiner kirchen genennet werden ein Apostel, Weiser, und Schriefftgelerter, das ist der ausgeteilte name. Den wir mussen solche leuthe haben, die uns predigen konnen, was Christus seinen Aposteln, und die Apostel ihren Junger geleret haben, und drumb werden wir auch mit ihren namen genennet.“ 15 Pr. 1844 [A] WA 47,524,15: „andere schuler und prediger auch gemacht haben“.

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Der Aspekt der apostolischen Kontinuität

ausgebreitet worden ist, auch auf die jetzige Zeit gekommen.16 Dass Prediger und Pfarrer in der Gegenwart als die von Gott Gesandten gelten, deren Amt dem Amt der Propheten und Apostel gleichgesetzt wird, findet man in den Predigten Luthers (zumindest ab 1535) immer wieder.17 Die Verschränkung der damaligen Propheten und Apostel mit den jetzigen Amtsträgern ist eindeutig, und man begegnet ihr unter vielen Aspekten. Leiden ist zum Beispiel ein Aspekt, unter dem man einer Verschränkung damaliger und jetziger Amtsträger immer wieder begegnet: Obwohl alle Christen möglicherweise für ihren Glauben leiden können, bezieht Luther ständig das Leidensschicksal der Propheten und Apostel auf die eigenen zeitgenössischen Amtsträger, die vor allem wegen der Undankbarkeit ihrer Zuhörer unter mangelnder Versorgung zu leiden haben.18 Luther gruppiert die jetzigen Amtsträger mit ihren Vorgängern und setzt sie diesen in vieler Hinsicht gleich. „Apostel“ ist ein allgemeiner Name, der auch den Amtsträgern der Gegenwart bewusst theologisch zugesprochen wird. Und Pr. 1844 beweist, dass Luther sich selbst so sieht, dass er in einer Reihe mit den Propheten und Aposteln, Weisen, Schriftgelehrten, Predigern und Pfarrern steht, und deshalb zu predigen, zu taufen, zu absolvieren und das Sakrament zu reichen hat.19 Am Tag Johannes des Täufers 1544 hob Luther das Wirken des Johannes und Christi hervor: Sie haben große Berge abgerissen (vgl. Lk 3,5) in den kurzen Jahren ihrer Tätigkeit, vor ihrem Tod. Dennoch wirken sie auch jetzt noch in der Gegenwart: „Christus und Johannes tun noch heute mit Macht“,20 ja sogar, „[Johannes] hat zwei Jahre gepredigt und gelebt, aber [er] lebt noch.“21 Die zwei, 16 Pr. 1844 [A] WA 47,524,9–17. 17 Vgl. z. B. Pr. 1903 [R] WA 49,28,40–29,8: Judas, Paulus und die jetzigen Prediger stehen alle im selben Amt; Pr. 2018 [S] WA 51,96,28–31: „prediger, Pfarher, Apostel“; Pr. 1843 [A] WA 47,518,16–21: Pfarrer als neuer Prophet (vgl. [A] 47,520,37); [A] 47,519,21–23: Christus will Prediger schicken („Prediger“ tritt also an die Stelle von „Propheten“ im Evangeliumstext, Mt 23,34); [A] 47,519,31: Die Pfarrer sind von Gott gesandt. 18 Siehe z. B. Pr. 1741 [R] WA 46,495,2–40; Pr. 1883 [R] WA 47,787,8–13; Pr. 1846 [A] WA 47,537,30–34: Noch in der Gegenwart ist es möglich „Propheten“ zu töten, denn sie werden in derselben Predigt mit Aposteln ([A] 47,539,15–17) und Predigern ([A] 47,539,11–15) gleichgesetzt; vgl. auch Pr. 1843 [A] WA 47,519,24–520,3. Die leidenden Prediger und Pfarrer in der Gegenwart stehen in einer Linie mit den Aposteln, mit Christus selbst und mit den Propheten des Alten Testaments: Siehe Pr. 1844 [A] WA 47,529,20–530,33 (bezogen auf die Geschichte von Atalja, Joas, Jejada und Zacharia in II Chr 22,10–24,22). Für die Versorgung der Pfarrer siehe 5.1.2 unten. 19 Pr. 1844 [A] WA 47,525,14–24. 20 Pr. 1968 [S] WA 49,483,21f: „[…] Christus und Joannes thuts noch heutigs tages mit macht, […]“ 21 Pr. 1968 [S] WA 49,482,31: „Er hat zwey jar gepredigt und gelebt, lebt aber noch, […]“ Vgl. WA 54,248,6f: „Also haben hernach alle Apostel, nicht allein S. Peter, in der gantzen welt gepredigt, und predigen bis an der Welt ende.“ („Wider das Papsttum zu Rom“, 1545; Hervorhebung JM).

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die den Berg des jüdischen Reiches, inklusiv seines Kultus, seiner Priesterschaft und seiner Ordnung, erniedrigt haben,22 reißen auch weitere Berge nieder, bis in die Gegenwart hinein. Das Ende aller (römischen) Abgötterei und Ketzer ist auch ihr Tun.23 Es sollte nicht überraschen, dass Luther die Allmacht Christi, des Wortes und der Predigt so hoch einschätzt, dass er das Niederreißen falscher Lehre zu allen Zeiten ihm bzw. ihnen zuschreiben kann. In Pr. 1968 werden die Predigt Christi und die fortwirkende Predigt Johannes des Täufers nicht abstrakt geschildert, sondern werden konkretisiert, wenn Luther den Grund des Festtags erklärt: Nicht das heilige Leben des Täufers wird gefeiert, sondern seine Lehre und sein Amt.24 Lehre, Predigt und Amt bleiben damit nicht abstrakte Größen, sondern werden in eine Kontinuität indirekt eingesetzt. Luther erwähnt, dass Christus und Johannes selbst die Berge der Abgötterei der Römer und der Häretiker (bzw. des Arius) abgetragen haben.25 Über die zu seiner Zeit unbekannte Abgötterei der Römer erklärt Luther weiter : „Wir wissen nichts von dieser Abgötterei, ja sogar die Prediger, die vor 1000 Jahren gelebt haben, kannten die Abgötterei nicht,“26 denn sie wurde „in 300 Jahren“27 zerstört. Obwohl Luther keine direkte Aussage macht, bezieht er damit den Sturz der Abgötterei und der Häresie indirekt auf das Wirken der Prediger der ersten Generationen und der ersten Jahrhunderte nach Christus und Johannes dem Täufer. Es ist die Predigt, die Berge zu allen Zeiten einreißt, und die Predigt bezieht Luther auf die Prediger. Die Bestimmtheit der Predigt und der Prediger wird weiter dargestellt, wenn Luther das gegenwärtige Niederfallen des Papsttums zu seiner Zeit anspricht. „Woher“ kommt der Untergang dieses mächtigen Berges? „Diese zwei tun [es]. Wir predigen ihre Lehre.“28 „Es geht dahin mit Macht, [denn] Christus und Johannes tun [es] noch heute mit Macht. Denn wir 22 Luther behandelt dieses Thema bei Pr. 1968 [R] WA 49,483,20–488,2 und bei [S] 49,484,23–488,4. 23 Pr. 1968 [R] WA 49,481,17–20; 482,11–16. Siehe auch [S] WA 49,482,32–35: „Arius war so ein großer Berg, […] Wer hat ihn niedergerissen? Johannes und der HErr Christus [haben ihn niedergerissen –] sie haben in zwei Jahren angefangen, aber sie richten [dies] immer noch aus, nun seit 1500 Jahren. […] [D]ie Predigt stoßt alles um und macht es eben. Das tut ihre Predigt.“ („Arrius war so ein großer berg […] wer hats umgerißen? Joannes und der herr Christus, sie habens in 2 jaren angefangen, richtens aber immer noch aus nu 1500 Jar, […] die predigt stoßets alles umb und machets eben, Das thut ihre predigt.“). Vgl. auch [S] WA 49,482,38. 24 Pr. 1968 [R] betont Lehre und Amt (WA 49,479,30). [S] sagt an dieser Stelle „Amt“ und setzt „Amt“ sofort in Verbindung mit „Predigt“ (WA 49,479,34–36). Vgl. [R] WA 49,482,15–22 und [S] 49,482,32–483,23: [R] sagt „doctrina“ und „praedicare“ und [S] sagt „Predigt“ und „Predigt treiben“. 25 S.o. Anm. 23. 26 Pr. 1968 [R] WA 49,482,9f: „Wir wissen nichts de ista idolatria, imo viventes ante 1000 nescierunt praedicatores idololatriam.“ 27 Pr. 1968 [R] WA 49,482,8: „rein hinweg in 300 jaren“. 28 Pr. 1968 [R] WA 49,482,22: „Unde? isti duo faciunt. Nos praedicamus eorum doctrinam.“

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treiben ihre Predigt und richten solche krummen [Wege], flachen das hoch Errichtete ab, [und] werfen die Berge [nieder].“29 Die christologische Kontinuität, in die Johannes der Täufer miteinbezogen ist, ist eine Kontinuität der Predigt und der Lehre, eine Kontinuität des Amtes.30 „Diese zwei [i. e. Johannes der Täufer und Christus] haben [es] angefangen und das Neue Testament gestiftet. Die Apostel haben es weiter getrieben. Wir haben noch einen Berg vor uns.“31 Auch wenn Johannes der Täufer nach Luther als der „optimus servus“ und der „optimus praedicator“ Gottes gilt,32 gibt es dennoch optimi in der Gegenwart, nämlich die von Gott gesandten Prediger.33 Luther sieht sie in einer Kontinuität mit Johannes, mit Christus und mit den Aposteln und Propheten,34 und diese Kontinuität von Johannes dem Täufer und den Amtsträgern und Predigern der Gegenwart bestimmt Luthers Verständnis dieses Festtags. An anderem Ort, mit Anspielung auf Mt 3,12 bzw. Lk 3,17 kann Luther sagen, „Und tut Christus wie ein Drescher. […] Also hat Johannes der Täufer, die Apostel und alle christlichen Prediger auch getan; sie sind alle Drescher.“35 Eine Linie wird wiederum deutlich: „Dies haben sie [i. e. Johannes der Täufer und Christus] angefangen; die Apostel haben es von ihnen; die Bischöfe [haben es] von [den] Aposteln; wir [haben es] von ihnen, und so [weiter und so]fort [– so lange] die Welt steht, so wird es nicht fehlen.“36 29 Pr. 1968 [S] WA 49,483,21–23: „Es gehet dahin mit macht, Christus und Joannes thuts noch heutigs tages mit macht, Denn wir ihre predigt treyben unnd richten solche krum, schlichten das hockerichte, werffen die berge ein, […]“ 30 S.o. Anm. 24. 31 Pr. 1968 [R] WA 49,483,12–14: „Ista duo inceperunt et novum Testamentum gestifftet. Apostoli habens weiter getrieben. Wir haben noch ein berg für uns, […]“ (Hervorhebung JM). Der Berg, auf den Luther im Zitat weist, ist der Islam. In der Predigt gilt auch das Papsttum als ein Berg, der noch niedergerissen wird. 32 Pr. 1604 [R] WA 41,619,21f und 25; vgl. 41,622, 28 („optimum ministrum“). 33 Pr. 1604 [R] WA 41,621,22f; 41,622,28f und 32. 34 Pr. 1604 [R] WA 41,622,33–35; „Christiani“ ist ein Adjektiv, nach dem „praedicatores“ einzufügen ist. Der Kontext macht klar, dass die Rede hier von Dienern und Predigern ist ([R] WA 41,622,25–29). Eine Kontinuität der Prediger mit ihren Vorgängern wird auch in Pr. 1604 angesichts mangelnder Versorgung der jetzigen Prediger zum Ausdruck gebracht: Sie werden ausgehungert ([R] WA 41,622,30–38); die Bemerkung wäre sinnlos, wenn Luther alle Christen meinte, die in ihren Ständen predigen würden und insofern nicht als Prediger ausgehungert werden könnten. Folglich, wenn Luther nicht indirekt die Auflösung aller Stände empfiehlt, ist an dieser Stelle „Christiani“ als „Christiani [praedicatores]“ zu lesen. Grundsätzlich gilt für Luthers spätere Schriften und Predigten, dass, wenn er von „Predigern“ redet und den Terminus nicht ausdrücklich auf alle Christen bezieht, er die Amtsträger meint. 35 Pr. 1849 [A] WA 47,565,35–38: „Und thut Christus als ein Dresscher. […] Also hatt Joannes Baptista, die Aposteln und alle Christliche Prediger auch gethan, sie sind alle Dresscher, […]“ 36 Pr. 1968 [S] WA 49,483,33–35: „Solchs haben sie angefangen, Apostel habens von ihnen,

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Solcher Linie der Amtsträger begegnet man auch in Pr. 1732, in der Luther das Gleichnis vom großen Abendmahl behandelt.37 Die erste Aussendung (Lk 14,17) bezieht Luther auf die Propheten, die zweite Aussendung (Lk 14,21) auf die Apostel unter die Juden an Pfingsten und danach, und die dritte Aussendung (Lk 14,23), die auf Gebiete außerhalb der Stadt (i. e. außerhalb des Judentums) bezogen ist, auf die Apostel und alle Amtsträger,38 die im Laufe der Geschichte bis zum Ende der Welt unter allen Völkern zu predigen haben. Luther stellt die Amtsträger der Gegenwart in eine Linie mit den Propheten, mit Johannes dem Täufer, mit Christus (indem auch er als gesandter Prediger beschrieben wird), mit den Aposteln und mit den Bischöfen der Kirche und gruppiert sie alle zusammen. Der Kontinuitätsgedanke ist nicht zu übersehen. Wenn Luther und die Amtsträger, die der Wittenberger Reformation anhängen, sich an die Abtragung des Berges des Papsttums39 machen, arbeiten sie gegen diesen Berg nicht als die, denen die apostolische Kontinuität ihres Amtes gleichgültig wäre – und schon gar nicht weil die Gegner ihrerseits eine apostolische Kontinuität des Amtes vertreten –, sondern gerade als Amtsträger, die bewusst im gleichen apostolischen Amt mit den Propheten, Johannes dem Täufer, Jesus Christus, den Aposteln und den Vätern und Bischöfen der Kirche stehen; aus diesem Amt schöpfen sie Kraft und Zuversicht. Auch Pr. 1725,40 in der Luther die Erwählung des Apostels Matthias behandelt, erweist sich als aufschlussreich für sein Verständnis der apostolischen Kontinuität des Amtes. Die Tage zwischen Himmelfahrt und Pfingsten werden als eine Zeit beschrieben, in der hauptsächlich Gottesdienst gefeiert wurde. Luther versteht darunter eine geordnete, liturgische Form des Gottesdienstes,41 in der die Apostel aktiv sind und mit Lesen, Predigen und Beten den Gottesdienst leiten.42 In diesem gottesdienstlichen, liturgischen Rahmen kommt es zur Erwählung eines neuen zwölften Apostels. Einerseits kann Luther sagen, dass die

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Bischoff von Aposteln, wir von ihnen und so fort an, steht die welt, so wirds nit feylen“. Vgl. Pr. 1731 [R] WA 46,435,8f, wo die fides quae creditur durch eine Linie von Predigern bis in die Gegenwart reicht: „[…] von Adam, durch die Patriarchen, Propheten, Apostel und Bischöfe, […]“ („[…] ab Adam per patriarchas, prophetas, Apostolos et Episcopos, […]“). Pr. 1732 [R] und [S] WA 46,440–449. Luther nennt Pfarrer (Pr. 1732 [R] WA 46,445,12), Priester ([R] 46,445,17; der Terminus weist in diesem Kontext keineswegs auf den Stand aller Christen vor Gott, sondern er ist ein beibehaltener Titel für die ordinierten Amtsträger, wie das Wittenberger Ordinationsregister reichlich beweist: Buchwald, Ordiniertenbuch) und Prediger ([R] 46,445,20; 46,447,10, 18 und 23) und thematisiert wieder die mangelnde Versorgung dieses Standes ([R] 46,447,3–448,11). Für Propheten siehe [R] WA 46,440,9 und [S] 46,440,23; für Apostel siehe [S] 46,440,23 und 46,441,32f sowie [R] 46,441,19–21. Pr. 1968; s. o. bei Anm. 28. Pr. 1725 [R/S] WA 46,395–400. Pr. 1725 [R] WA 46,396,9f: „[…] [E]ine Lesung wurde gehalten, das ist eine Predigt, [und] Gebet.“ („[…] lectio habita i. e. praedicatio, postea oratio.“). Pr. 1725 [R] WA 46,396,4–12; 46,396,15–397,5.

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anderen bzw. übrigen elf Apostel den Matthias erwählen, und andererseits betont er, dass Christus ihn erwählt hat.43 Hier besteht kein Widerspruch, sondern zeigt sich eine tiefgehende Verschränkung Christi und der Apostel, die auf das apostolische Amt erweitert wird. Nach Luther, der sich dem Sprachgebrauch von Act 1,20 eng anschließt, wird Matthias in eine Art Bistum oder Bischofsamt eingesetzt: „Darum geziemt es sich, dass [ein anderer] sein Bistum, d. h. sein Apostelamt [bzw.] Predigtamt [empfängt].“44 Hier setzt Luther das Predigtamt dem Apostelamt gleich und verbindet beide Termini mit dem Bischofsamt. Nicht nur für den modernen Leser, sondern auch für Luther selbst und seine Zuhörer erheben sich an dieser Stelle Fragen: Da sind viele Fragen. Wie haben sie die Macht, um einen anderen [Apostel] zu erwählen, wenn alle gleich sind? Ebenso mit dem Los [(–] in den Dekreten [wird es gesagt], ob es Sünde sei oder nicht, [ein Los zu werfen)]? Die Apostel haben doch nicht Macht gehabt, um einen Apostel zu erwählen, oder? Hier kann nicht gelesen werden, dass Petrus sich über die Anderen gesetzt hat. Sondern alle stimmten überein und er predigte im Namen der Anderen. Es ist nicht bewiesen, dass Petrus der Herr der Anderen war. Aber dies [ist eigentlich] die Frage: Woher [haben sie] die Macht [einen anderen Apostel zu erwählen?] Diese haben die Erwählung dem HErrn Gott anheimgestellt und darum haben sie das Los geworfen. Denn ein Apostel soll ein Apostel sein, weil er von Christus selbst erwählt wurde, wie Paulus und Barnabas, die nicht von den Aposteln geweiht wurden. Barnabas ist ein Apostel mit Paulus geworden; [in] Act 13 sagt der Heilige Geist: „Sondert mir [Barnabas und Saulus] aus.“ Der soll Apostel machen; nachher machen diese [Apostel] die Bischöfe. Folglich [wählen] sie selbst nicht [einen anderen Apostel,] sondern Gott, der Erforscher der Herzen, [erwählt ihn]. Und er hat sich [diese Erwählung für die Zeit] nach seiner Auferstehung aufgespart, damit es offenbar wird, dass er regiert, auch wenn er nicht anwesend ist.45 Frage: Haben die Apostel Macht, [einen] zum Apostel zu [er]wählen und zu ordinieren? Diese Frage bezieht sich auf die Majestät des Papstes. Doch es ist nicht vorgebracht, dass Petrus selbst ordinieren soll, sondern[, dass] er mit dem Beschluss und mit 43 Die Apostel: Pr. 1725 [R] WA 46,397,7; 46,400,5f (vgl. 46,395,9f). Christus: [R] WA 46,398,5–10; 46,397,3. 44 Pr. 1725 [R] WA 46,397,5f: „Ideo oportet alius eligatur, ut eius Episcopatum i. e. Apostelampt, predigtamt.“ Die Terminologie in Apg. 1,20 ist „1pisjop^“/„episcopatum“. 45 Pr. 1725 [R] WA 46,398,1–12: „Ibi quaestiones multae. Quomodo habuerint potestatem eligendi alium, cum omnes similes? Item de los, in decretis, obs sunde sey vel non? Num Apostoli macht haben gehabt eligendi Apostolum? Non legitur hic, quod Petrus se supra alios gesetzt. Sed alii consenserunt et praedicavit nomine aliorum. Non concluditur, quod dominus aliorum Petrus. Sed haec questio, unde potestatem & c. Ipsi haben die walh unserm herr Gott heimgeschoben und drumb geloset, quia Apostolus sol der sein, quia Christo met electus ut Paulus, Barnabas, non ab apostolis geweihet. Barnabas cum Paulo ist Apostel worden. Act. 13. dicit Spiritus sanctus: ,Segregate mihi.‘ Der sol Apostolos machen, hi postea Episcopos. Non ergo ipsi, sed deus cordium scrutator & c. und hats gespart post resurrectionem, ut manifestum fieret, quod regnet, si etiam non adsit.“

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dem Mandat der anderen [Apostel] handeln soll. Folglich [kann] hier nicht geschlossen werden, dass Petrus der Größ[te] der Apostel gewesen wäre und allein diese Gewalt gehabt hätte. Denn sie sind ebenbürtig. Ein Apostel ist, wer allein von Christus ordiniert wurde. Paulus und Barnabas sind Apostel [–] nicht [weil] sie von den anderen Aposteln ordiniert wurden, sondern [weil] sie von Gott berufen wurden. Barnabas wurde mit Paulus zu einem Apostel gemacht. [In] Apg. 13 sagt der Heilige Geist: [„] Wählet mir Barnabas und Paulus aus.[“] An dieser Stelle ist aber die Frage: Sie haben nicht die Macht, selbst [Apostel] zu ordinieren? Es wird hier nicht vorgebracht. Denn die Apostel gewähren Gott das Los und erwarten die Berufung von ihm[.]46

Die parallelen Zitate ergeben einige Aufschlüsse. Erstens besitzen die Apostel als Apostel – bei aller Gleichsetzung von Apostelamt und Predigtamt, wie oben dargelegt – dennoch ein Proprium: Von den Amtsträgern des neutestamentlichen Zeitalters kann nur ein Apostel von sich sagen, er sei direkt von Christus erwählt, berufen, in sein Amt gesetzt – er sei von Christus ordiniert und gemacht worden, ohne eine Ordination durch andere Menschen.47 Dennoch werden das Apostelamt und das Predigtamt gleichgestellt. Amtstheologisch unterscheidet sich der Apostel von dem Inhaber des Predigtamtes lediglich dadurch, dass er unmittelbar von Gott erwählt, ordiniert und in sein Amt eingesetzt wird. So setzt Luther das Predigtamt dem Apostelamt und die jetzigen Amtsträger den Aposteln gleich, ohne die historische Realität der Apostel und ihre unmittelbare 46 Pr. 1725, dieselbe Stelle von [S] WA 46,398,20–29: „Questio. Ob Apostoli macht haben zu welen und ordinirn zum Apostel? Haec questio pertinet ad Papae maiestatem. Non tamen hic ponitur, quod Petrus ordinarit ipse, sed ex aliorum Consilio et mandato fecerit. Non ergo concluditur hic, quod Petrus fuerit Maior Apostolorum et solum ius habeat. Sunt enim pares. Apostolus est, qui solus ordinatus est a Christo. Paulus et Barnabas sunt Apostoli non ordinati ab aliis apostolis, sed vocati a Deo. Barnabas cum Paulo factus est apostolus. Act: 13. sagt spiritus sanctus: welet mihr aus Barnabam unnd Paulum. Sed hic queritur, Num habeant potestatem ordinandi ipsi? Non hic ponitur, Quia Apostoli sortem Deo tribuunt et vocationem ab eo expectant, […]“ 47 Die Vielfalt und Mischung der Terminologien ist auffallend. „Erwählen“ (eligere), „Weihen“, „Berufen“ (vocare), und „Ordinieren“ (ordinare) werden alle auf einmal verwendet. Statt tiefere Einsicht in die Bedeutung jedes der einzelnen Termini zu bieten, zeigen die Zitate vielmehr, dass Luther und seine ihn hier aufnehmenden Studenten mit einer Vielfalt von Termini auf eine einzige Sache hinweisen können. Schlicht gesagt: Ein Apostel (und ein Bischof!) wird gemacht – um diesen Prozess, diese Aktion zu beschreiben und bezeichnen, gebrauchen Luther und seine Stenographen Termini wie „Erwählen“ bzw. „Wählen“, „Weihen“, „Berufen“ und „Ordinieren“. Es kann sein, dass Luther die Termini „Weihen“ und „Ordinieren“ näher mit der Handauflegung verbindet als z. B. „Erwählen“ bzw. „Wählen“ und „Berufen“. Denn Act 1,15–26 nennt keine Handauflegung und Luther meint, dass Matthias von den anderen Aposteln „erwählt“ (s. o. bei Anm. 43) aber nicht „geweiht“ wurde. Das heißt aber nicht, dass Luther die vielen Termini auseinander reißt und einen Terminus über die anderen stellt. Sie gehören vielmehr zusammen. Es soll andererseits aber berücksichtigt werden, dass zumindest nach der Nachschrift von Stoltz Luther von Ordination reden kann, ohne durch einen Hinweis auf eine Handauflegung dazu veranlasst zu werden und ohne selbst einen Hinweis auf eine Handauflegung zu geben.

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Erwählung, Berufung, Einsetzung und Ordination durch Jesus Christus bzw. durch den Heiligen Geist zu leugnen. Zweitens ist Luthers Verständnis der Gleichheit der Apostel von Interesse in Bezug auf das, was traditionell Weihe- oder Ordinationsgewalt48 genannt wird. Der im Jahre 1538 fortdauernde Primatsanspruch des Papstes steht im Hintergrund der Aussagen Luthers in den angeführten Zitaten. Zuerst lehnt Luther die Behauptung ab, dass ein Primat des Petrus mittels dieser Schriftstelle bewiesen werden kann. Petrus tut das, was er tut, als ein Apostel unter anderen Aposteln: Die Predigt von Act 1,15ff ist nach Luther nicht eine Predigt, die Petrus anstatt der versammelten Christen hält, sondern an der Apostel statt. Gleichwie Petrus nicht aus einer Vollmacht predigt, die ihn über andere Apostel erhebt, so ordiniert er – wenn er ordiniert49 – nur als einer unter anderen Aposteln. Nach dem oben dargestellten Apostelproprium lehnt es Luther auch ab, dass die Apostel weitere Apostel ordinieren können. Keineswegs aber wird die Ordinationsgewalt der Apostel und des apostolischen Amtes prinzipiell abgelehnt, vielmehr bildet die Ordinationsgewalt der Apostel und des apostolischen Amtes das Fundament, auf dem die Überlegungen zur Aposteleinsetzung und zu einem möglichen Primat in Bezug auf die Ordinationsgewalt überhaupt artikuliert werden können. Indem Luther sagt, dass die Apostel die Bischöfe gemacht haben – ebenso wie Christus sie gemacht hat – zeigt er, dass er von einer Ordinationsgewalt der Apostel ausgeht. Und indem er das Apostelamt mit dem Predigtamt gleichgesetzt hat und beide mit dem Bischofsamt verbindet, darf man schließen, dass Luther den jetzigen Bischöfen und anderen Inhabern des Predigtamtes eine Ordinationsgewalt zuspricht. Gerade in dieser Hinsicht geben seine Überlegungen und Aussagen zu dem angeblichen Primat des Petrus und dem des Papstes am meisten Sinn: Der Papst, wie Petrus, darf ordinieren, aber er darf nicht als einer über anderen Bischöfen und Amtsinhabern die Ordinationsgewalt beanspruchen. Sie kommt ihm als einem unter anderen Bischöfen und Amtsinhabern zu; in dieser Hinsicht ist er nicht primus, und er ist nicht primus inter pares, sondern einfach nur inter pares.50 Drittens, bringt Luther deutlich (wenn auch indirekt) ans Licht, dass er eine Art apostolische Amtskontinuität vertritt. Christus machte die Apostel; die 48 Zum mittelalterlichen und reformatorischen Kontext bezüglich des Begriffs siehe Ott, Das Weihesakrament, S. 78–87 und 101–127. Die Verwendung des Terminus „Gewalt“ ist angesichts von „ius“ bei [S] angebracht; s. o. Anm. 46. 49 Zum Verhältnis der verschiedenen Termini der Amtseinsetzungsterminologie siehe Anm. 47 oben. 50 Vgl. WA 54,252,3–254,12 („Wider das Papsttum zu Rom“, 1545), wo Luther geltend macht, dass alle Apostel die gleiche Gewalt gehabt haben. Zu dieser Gewalt der Apostel gehört es, Bischöfe zu „ordnen“ bzw. einzusetzen. Mit Hieronymus kann er gleichermaßen die Gleichheit aller Bischöfe betonen: WA 54,229,4f.

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Apostel machten Bischöfe. In Bezug auf dieses Einsetzen von Amtsträgern fühlt sich Luther offensichtlich nicht verpflichtet, theologische „Umwege“ über die Kirche oder über die Gläubigen zu gehen. Die vorangegangenen Amtsträger machen ihre Nachfolger im Amt: Homiletisch wird das so schlicht ausgedrückt. Und die jetzigen Amtseinsetzungen müssen nach Luthers Meinung in einer Kontinuität zu den Amtseinsetzungen der Apostel und der ersten Bischöfe der Kirche stehen, sonst wäre die Diskussion um den Papst und seine Gewalt an dieser Stelle sinnlos. Umstritten ist, welche Amtsträger weitere Amtsträger machen, aber dass die Amtsträger weitere Amtsträger machen, gehört zur selbstverständlichen und an dieser Stelle indirekt bestätigten Basis, auf der diese ganze Diskussion überhaupt stattfindet. In Pr. 1725 werden die Apostel mit Christus und das Apostelamt mit dem Bischofs- und Predigtamt verschränkt. Der hier „abwesend“ genannte Christus regiert, indem er einen (Matthias) in das Amt einsetzt,51 ein Amt, das die ersten Apostel und die Amtsträger der Gegenwart gemeinsam haben. So gibt es Sinn, wenn Luther im weiteren Verlaufe des Pfingstfestes im Jahre 1538 sagen kann, dass am Pfingsttag Gott anfing, Apostel zu geben,52 denn er gibt ja immer noch apostolische Amtsträger. Luther versteht sich und die Amtsträger seiner Zeit als die, die in einer Linie sowohl mit den Propheten und Aposteln stehen, wie mit denen, die unter den Aposteln ins Amt gekommen waren. In Bezug auf den ersten Brief des Paulus an die Korinther kann er sagen: „Aber [sein Zorn] geht am meisten über {die} Pfarrer, die [ein]gesetzt wurden, damit sie regieren und {zu Anderen} predigen. Er schilt uns {Prediger} mehr als den Haufen.“53 Die apostolische Kontinuität, wie Luther sie versteht, wird aber nicht nur direkt vermittelt, sondern häufig indirekt, wenn Luthers eigene Rede und die Rede eines Apostels, den er rhetorisch in seinen Predigten oft nachahmt, sich überschneiden und nicht unterscheiden lassen. Im folgenden Zitat ist es unklar, wo das Anführungszeichen, welches Luthers Nachahmen von Paulus anhand I Kor 4,1ff abschließen würde, eingefügt werden soll: Wir legen die Hand auf und machen das Predigtamt Christi: es wird nicht gesehen. So absolvieren wir, geben wir die Taufe und sagen, [„]Du bist gewaschen von allen {54deinen Sünden}.[“] Da wird der Schatz nicht gesehen[;] Brot und Wein werden 51 Pr. 1725 [R] WA 46,398,11f; s. o. Anm. 45. 52 Pr. 1729 [S] WA 46,424,24f. 53 Pr. 1577 [R] WA 41,468,10–12: „Ideo zornig. Sed ghet am meisten uber pfarherr, qui positi, ut regant et praedicent. Er schilt uns mher denn den hauffen.“ Zu den „{}“-Klammern siehe Anm. 54 unten. 54 Diese Art von Klammern zeigt Wörter, die eingefügt sind, die aus den Anmerkungen zu dem Text in der WA genommen sind. Sie sind im zitierten Text (z. B. Anm. 55 unten) nicht berücksichtigt worden.

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gegeben und es wird gesagt: [„]Nimm hier den Leib und das Blut Christi.[“] Es wird nicht gesehen. Daher ist es Gottes Geheimnis. Denn der Papst von {seinen eigenen Geheimnissen predigte wie} Fegefeuer, Ablass usw.[,] die Mönche von ihren eigenen Bräuchen. Aber Gott hat [sie] nicht [ein]gesetzt wie [er] diese [eingesetzt hat]. Darum sagt {Paulus}: [„]Ihr hoffärtige Geister, ich habe euch [zu] Prediger[n] gemacht; ihr hättet zufrieden sein sollen, dass ihr Christi Diener {seid}, größer als [die Diener] irgendeines Kaisers.[“] Lass es nur {einen} großen Ruhm geben, da {euch} der Schatz Gottes anvertraut ist, [nämlich,] dass [ihr] Gottes Taufe [und sein] Sakrament reichen [könnt], dass {ihr} göttlichen Trost und Schrecken geben {könnt}, und[, dass] ihr den Himmel auf- und die Hölle zumacht. Und wenn die Pfarrkinder also erkennen, dass sie nicht vom Pfarrer getauft werden, sondern vom Diener Christi, durch dessen Hand Christus die Taufe gibt, lasst [ihr] euch [damit] begnügen.55

Das Nachahmen könnte weitergehen, aber zutreffender ist zu vermuten, dass Luther sich von vornherein gar nicht bemühte, zwischen seinem Reden und dem Reden des Apostels streng zu unterscheiden: Die Grenze zwischen dem Apostel und dem jetzigen Prediger ist durchaus fließend.56 Über solche Überlappung des Redens hinaus ist festzustellen, dass Luther eine apostolische Redeweise und apostolisches Vokabular auf der Kanzel übernimmt: Niemand kann über diese Wirksamkeit [der Taufe] genug [oder] würdig sprechen. Aber hier folgen wir den Wörtern Pauli usw.[57] Alle diese [Dinge][58] kommen aus dem Verdienst Christi. Behalte[59] [die Taufe] also, denn [sie] ist eine Stiftung Christi. [Alle] drei[60] [sind Stiftungen Christi]. [Behalte sie] denn [durch sie] ist der Tod überwunden und das rechte Taufhemdlein gegeben, [welches] die Unschuld ist. Ihr hört also 55 Pr. 1577 [R] WA 41,468,28–469,11: „Imponimus manum et facimus ministerium Christi: non videtur. Sic absolvimus, damus baptismum et dicimus: es lotus ab omnibus. Ibi thesaurus non videtur, datur panis et vinum et dicitur : hic accipis corpus et sanguinem Christi: non videtur. Ideo est dei geheimnis, quia papa de purgatorio, ablas & c. Monachi de suis observantiis. Sed deus non gesetzt ut isti. Ideo dicit: vos superbi geister, feci vos praedicatores, deberetis esse contenti, quod Christi ministri, maiores quam ullius Cesaris. Lasses nur grossen rhum sein, quia commissus dei thesaurus, quod dei baptismum, Sacramentum reichen, Gottlich trost, schrecken geben, et aperitis caelum et clauditis infernum, last euch benugen, et quando sic pfarr kinder sentiunt, quod baptisentur non a parocho, sed a Christi ministro, per cuius manum det Christus baptismum, […]“ (Hervorhebung JM). 56 Pr. 2011 [R] WA 51,58,4–17 dient als weiteres Beispiel eines Abschnitts, bei dem man das Reden des Apostels und das Reden Luthers nicht unterscheiden kann. (Der Inhalt geht um die mögliche Gefangennahme eines Bischofs.) 57 Pr. 1698 [R] (der zitierte Text wird unten angegeben). Hier weist Luther auf Tit 3,5; vgl. WA 46,176,2–12. 58 Taufe, Absolution und Altarssakrament; vgl. Pr. 1698 [R] WA 46,176,2–4: „Die Väter sagten, dass alle Sakramente aus dem Blut Christi geflossen sind; [es] fließt in die Taufe, [in den] Kelch [und in die] Absolution.“ („Patres dixertunt omnia sacramenta geflossen ex Sanguine Christi, fleust her in die tauff, kelch, absolutionem.“). 59 „[S]erva“; vgl. das Gebot bzw. die Mahnung des Paulus an Timotheus bei I Tim 6,13f: “[…] ut serves mandatum […].” Vgl. II Tim 4,7. 60 Vgl. Anm. 58 oben.

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reichlich das, was rechtschaffene[61] [Leute] lernen und wissen sollen. Wir selber können mit einem guten Gewissen[62] rühmen,[63] da wir euch alles gelehrt[64] haben, welches Gott offenbart hat. Ihr selber habt den Katechismus [und] ebenfalls das Credo. Ihr wisst [wie man] betet, und ihr habt die Mahnung zu beten. Ebenfalls [habt ihr] das wahre Verständnis des Sakramentes [des Altars] und der Absolution. Ebenfalls [wisst ihr] was das wahre Evangelium ist [und] was [es] nicht ist. Und ihr seid erlöst von allen Lasten des Papstes, vom Beicht[zwang], ebenfalls von Fegefeuer [und] von der Verehrung der Heiligen. Dabei ist viel Geld und Gut darauf gegangen, und damit [wurden] Leib, Gut und Seele beschweret. Wenn ihr das behaltet[65] , kann ich mit Paulus sagen, [„] In keiner Weise seid ihr zurückgelassen. Es ist nur, dass ihr das Kommen des großen Gottes erwartet[,“[66] wenn] er auch den Leib abholen [wird].[67] Darum hoffe ich, dass wir unserem Amt[68] genuggetan haben, […]“69

Wie Paulus den Korinthern steht Luther seinen Wittenberger Zuhörern gegenüber und vermittelt ein apostolisches Selbstbewusstsein. Solch prophetischapostolisches Selbstbewusstsein kommt auch im Hinweis auf Ez 3,17–21 ans Licht; nach Luthers Verständnis ist die Stelle auf ihn und seine zeitgenössischen Amtsträger bezogen.70 Das Selbstverständnis kann aber auch umgekehrt für die 61 „[P]ii“. Hier ist wiederholt die Terminologie der Pastoralbriefe vorhanden: I Tim 2,2; 3,10; 4,7–8 (vgl. „utinam etiam vita,“ Pr. 1698 [R] WA 46,176,25); 6,3–6 und 11; II Tim 3,5 und 12; Tit 1,1; 2,12. 62 II Kor 1,12; I Tim 1,19; 3,9; vgl. 4,2. 63 II Kor 1,12. Dazu auch II Kor 1,14; 5,12; 7,4 und 14; 11,10 und 17 und I Kor 9,15–16. 64 Mt 28,20. Besonders angesichts Pr. 1574 (vgl. 6.1.1) soll dieser Vers nicht einfach dem normalen und verallgemeinerten Oberbegriff des “Missionsbefehls” untergeordnet werden. Pr. 1574 zeigt, dass Luther Mt 28,18–20 mit der Ordination von Predigern assoziiert. (Er hat diesen Text sogar für die Ordinationspredigt, Pr. 1574, frei ausgewählt!) Wenn man bedenkt, dass laut des Texts des Matthäusevangeliums die elf Apostel in diesen Versen angeredet werden (vgl. Mt 28,16), dann passt Mt 28,20 auch zu der jetzigen Matrix von Schriftstellen aus dem 2. Korintherbrief und den Pastoralbriefen und zu den Anspielungen auf den 2. Korintherbrief und die Pastoralbriefe. 65 Vgl. Anm. 59 oben. 66 Vgl. 3.2.3, Anm. 117. 67 Vielleicht eine Andeutung auf Phil 3,20–21 oder Röm 8,11. 68 Vgl. II Kor 3,6–9; 4,1; 5,18 und II Tim 4,5. 69 Pr. 1698 [R] WA 46,176,13–25: „De ista efficacia nemo potest satis digne loqui. Sed hic sequamur verba Pauli & c. quae omnia veniunt ex merito Christi. Sic serva, quod Christi institutio & c. 3. quod mors victa et data das rechte westerhembdlin, unschuld. Cum opulenter audiatis, quid pii discere et scire debeant, Nos bona conscientia gloriari possemus, quod omnia docuimus vos, quae deus revelavit. Vos habetis Catechismum, Item Symbolum, nostis orare et habetis admonitiones ad orandum. Item verum intellectum de Sacramento et absolutione. Item, quod verum Evangelium, quod non. Et estis erlost ex omnibus lasten papae, confessione, item de purgatorio, cultu Sanctorum & c. Da groß gelt und gut drauff gangen und da mit leib, gut und sel beschweret. Si hoc servatis, possum dicere cum Paulo: In nullo destituemini, nisi ut expectetis dei magni adventum, und hole etiam den leib. Ideo spero, quod nostro officio satisfacimus, […]“ 70 Pr. 1732, [R] WA 46,447,3 (eine Andeutung, die die Herausgeber der WA nicht immer erkannt haben).

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Der Aspekt der apostolischen Kontinuität

Zuhörer abgebildet werden, indem Paulus als ein Pfarrer und Student der Theologie beschrieben werden kann.71

4.1.2 Nachfolger der Apostel Zu der Reihe der apostolischen Amtsträger, in die Luther sich und die Prediger und Pfarrer seiner Zeit einordnet, und zu seinem Verständnis von apostolischer Kontinuität des Amts gehört, dass Luther von den „Nachfolgern“ oder „Nachkommen“ der Apostel sprechen kann.72 Pr. 1923 macht deutlich, dass Luther die Amtsträger – die Diener, Prediger und Pfarrer – seiner Zeit als solche Nachfolger versteht.73 Auch die Bischöfe rechnet Luther zu den Amtsträgern in der Ge71 Pr. 2023 [Dr] WA 51,135–148. Es wird in der Predigt oft wiederholt, dass Paulus auf dem Weg nach Damaskus von Christus zum Apostel und Prediger berufen und ordiniert worden ist („Berufen“ und „Beruf“: WA 51,136,14, 17, 22–24 und 27; 51,140,26; 51,145,5 und 16; 51,147,16; 51,148,7. „Ordinieren“, „Verordnen“ und „Ordination“: WA 51,136,14; 51,140,26; 51,145,5 und 16; 51,147,16; 51,148,7. Vgl. auch „Bestätigen“: WA 51,145,6). Er ist von Christus in sein Amt gesetzt (WA 51,136,28; 51,138,3) bzw. Christus befiehlt ihm sein Amt (51,145,10f und 22f; 51,146,20–22; vgl. 51,147,12 und 18) und er ist als Apostel und Prediger gesandt (51,136,27; 51,147,18). Als Berufener-Ordinierter-Gesandter ist der Apostel den Christen ein Geschenk von Gott („Geben“ bei WA 51,138,3; 51,140,27). Die anderen Apostel waren auch berufen und ordiniert (dies ist von WA 51,136,10–35 her klar); ihr Amt ist ihnen auch von Christus befohlen (51,146,20–22). Über den wiederholten Nachdruck hinaus, den Luther der Berufung und Ordination des Paulus verleiht, betont er für seine Zuhörer, dass Christus eine himmlische Kirche und Schule für Paulus gehalten habe, indem Christus der Lehrer bzw. der Meister und Paulus der Schüler war (WA 51,144,42–146,5). Folglich stellt Luther seinen Zuhörern Paulus so vor: Er ist ein Mann, der in der Schrift gelehrt ist; in der Kirche und in der Schule wird ihm die richtige Kenntnis Christi und der Schrift beigebracht; er wird berufen, ordiniert und als Prediger ausgesandt. Wenn Paulus so dargestellt wird, sieht er den Wittenberger Studenten und den neuen Pfarrern der Reformation frappierend ähnlich. Insofern ist es keine Überraschung, dass Luther Paulus mit den Pfarrern bzw. Predigern der Gegenwart direkt verbindet (WA 51,138,31–139,5: Die Stelle macht eindeutig klar, dass Paulus durch die jetzigen Prediger und Pfarrer redet; vgl. auch 51,145,22f). 72 Pr. 1923, [R] WA 49,138,27: „Apostoli et posteri“; [Dr] 49,145,18: „Ir Apostel und ewre Nachkomen“ und [Dr] 49,153,39: „seinen Aposteln und allen iren Nachkomen“. Vgl. WA 41,196,8–16: „Darumb ob er wol gen Himel gefaren ist und nicht mehr personlich odder leiblich auff Erden predigt, so hat er doch nicht aufgehöret durch seine Apostel und ire Nachkomen und wird nicht auffhören zu reden und sein Euangelium imer weiter und weiter aus zu breiten und durch den heiligen Geist inn dem selbigen krefftiglich zu wircken, Denn wo er solchs nicht selbs gewaltiglich thete, so were die gantze Schrifft, Predigstuel, Tauffe, Sacrament sampt dem namen Christi lengest getilget und aus gerottet, Und wo er auch nicht selbs unser hertzen durch seinen heiligen Geist triebe und erhielte, so würde kein mensch dem Euangelio gleuben noch da bey bleiben.“ („Der 110. Psalm: dixit Dominus, gepredigt und ausgelegt“, 1539/35). Der Gedanke von Nachfolgern der Apostel findet man auch indirekt in den Bekenntnisschriften; siehe SA-II,IV,9 (BSLK 430,5–13 [bes. 10–12]). 73 Siehe den gesamten Kontext von Pr. 1923 [R] WA 49,138,26–140,14. Diener: WA 49,136,6; 49,140,10. Prediger : WA 49,139,11 und 16f. Pfarrer : WA 49,139,16, 20 und 27; 49,140,6.

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genwart: Sie sitzen auf dem Stuhl der Apostel,74 und werden oft mit den Predigern und Pfarrern aufgelistet,75 aber sehr oft äußert Luther die Kritik, dass die Bischöfe nicht das tun, was ihnen von Gott befohlen ist.76 Alle Amtsträger werden von Gott gesandt, um dasselbe Werk zu tun, das Christus getan hat: „Gleichwie [mich] der Vater [gesandt hat, so sende ich euch.]“ Das ist, [„Ich sende euch,] damit ihr Apostel und [eure] Nachfolger dasselbe Werk tut, das ich [getan habe], deswegen auch ich gekommen bin[. Dieses Werk ist] aber, dass Leute, die sich wollen helfen lassen, vom Tod geholfen [und gerettet werden], [aber] die nicht, [die sich] im Gegenteil [nicht wollen helfen lassen]. Das tut ihr auch. Das sei euer Regiment.[“]77

Das Predigtamt, Christi Predigtamt, wird ihnen befohlen. „Wir, ich und eure Pfarrer, wissen, dass wir ein Predigtamt haben, das uns von Gott befohlen ist, und wir wissen, dass wir [uns] für unsere Predigt verantworten müssen.“78 Nach Luther ist in Bezug auf die Stelle in Joh 20,21–23, die in Pr. 1923 behandelt wird, offenbar, dass der Befehl bzw. das Mandat, Sünden zu binden und zu erlassen, den Aposteln und ihren Nachfolgern, nämlich den Amsträgern gegeben wurde und gegeben ist. Das Mandat, Sünden zu binden und zu erlassen, hat nach Luther noch ein weiteres Element. Luther erläutert die Worte Christi an die Apostel von Joh 20,21b folgendermaßen: „Deshalb sende ich [euch], damit ihr durch die ganze Welt lauft und andere Prediger einsetzt, die auch laufen, predigen und tun, denn ich und ihr [gehen zusammen] bis ans Ende der Welt.“79 Das Mandat, Sünden zu binden und zu erlassen, ist zugleich das Mandat, weitere Amtsträger einzusetzen: Denselben Aposteln, denen es befohlen ist, zu predigen und die Schlüs-

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Luther : WA 49,139,8 und 10. Der Platz, den Luther für Laien im Fall der Notbeichte in dieser Predigt vorsieht, wird unten bei 4.2.3 diskutiert. Pr. 1849 [A] WA 47,564,28f. Pr. 1849 [A] WA 47,563,31–35, hier aufgelistet als die Regenten der Kirche, denen Gehorsam gebührt. Nach Pr. 1849 heißt das, dass sie predigen, taufen, ihrer Kirchen warten und die Schrift in ihrer Lehre widerspiegeln und hochhalten sollen; siehe [A] WA 47,564,28–31. Dazu könnten diese Aufgaben ergänzt werden mit der rechten Ausübung der Schlüssel und dem rechten Austeilen des Sakraments. Pr. 1923 [R] WA 49,138,26–29: „,Sicut pater‘ i. e. ut idem opus faciatis vos Apostoli et posteri, quod ego, propter quod et veni, sed quod den leuten vom Tod geholffen, qui inen haben wollen helffen lassen, qui non, econtra. Das thut ir auch, Das sei vestrum regiment.“ Pr. 1849 [A] WA 47,564,24–26: „Wir, ich und euer Pfarherr wissen, das wir haben ein predigtampt von Gott uns befohlen, und wissen, das wir mussen antwortten fur unsere predigt.“ Pr. 1923 [R] WA 49,140,32–34: „Ideo mitto, ut curratis per totum mundum et constituatis alios praedicatores, qui auch lauffen, predigen und thun, quod ego et vos usque ad finem mundi.“ Vgl. [Dr] WA 49,149,24–28: „Solches (spricht er alhie) solt ir auch uben an allen Orten wo ir hin kompt. Und eben dazu sende ich euch, das ir lauffen sollet (als meine Boten) durch die gantze Welt. Dazu neben und nach euch auch andere setzen und ordenen, die da lauffen und predigen und eben das thun, dazu ich vom Vater gesand und ich euch gesand habe bis ans ende der Welt.“

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selgewalt auszuüben, wird auch zugleich befohlen, weitere Prediger bzw. Amtsträger einzusetzen. Das in Pr. 1923 angesprochene Absolvieren ist also keine abstrakte Tätigkeit, die von einem unbestimmten Jemand irgendwann oder ab und zu übernommen werden muss, sondern sie ist eine spezifische Aufgabe, die bestimmten Menschen gegeben wird. Die Predigt und die Absolution werden so von Gott gestiftet, dass sie den Menschen durch bestimmte Diener mitgeteilt werden.80 Ähnlich ist es mit der Taufe: Sie hat nicht nur einen Spender, sondern es gehört zu der Taufe, dass es einen gibt, der von ihr lehrt.81 Die „Stücke“ des Reiches Christi (Predigen, Taufen, Absolvieren und SakramentReichen) haben die Apostel anderen anvertraut, und in der Gegenwart sind die Amtsträger, die Prediger und Pfarrer, diejenigen, denen diese Stücke aktiv anvertraut sind – zum aktiven Vollzug.82 Die Amtsträger sind diejenigen, die das Mandat haben, diese Stücke zu verwalten.83

4.1.3 Apostolische Kontinuität und apostolische Sukzession Aus seinen Predigten aus den Jahren, in denen es eine feste Ordinationspraxis in Wittenberg gab (1535–1546), tritt deutlich hervor, dass Luther eine apostolische Kontinuität des Amtes nicht nur erörtert oder als Privatmeinung angenommen hat, sondern dass er dieses Verständnis seinen Zuhörern – Studenten, Bürgern, 80 Pr. 1923 [R] WA 49,141,33: „[…] instituit, ut communicentur [i. e. die Absolution und die Predigt] nobis per ministros & c.“. Für die Bestimmtheit dieser „ministri“ siehe Anm. 73 oben. Ähnlich wie Joh 20,21–23 versteht Luther auch Mt 28,18–20 und Mk 16,15f (beide Texte weisen die Elf als die Angeredeten aus: Mt 28,16; Mk 16,14) nicht nur als die Einsetzung und das Mandat für die Taufe, sondern auch als das Mandat und die Einsetzung des Predigtamtes. 81 Pr. 1698 [R] WA 46,176,13–25: Die Tatsache, dass „Niemand kann über diese Wirksamkeit [der Taufe] genug [oder] würdig sprechen“ (46,176,13: „De ista efficacia nemo potest satis digne loqui.“), heißt nicht, dass niemand über die Taufe sprechen soll. Es ist gerade umgekehrt: Luther zeigt, dass ein Predigen über die bzw. von der Taufe mit der Taufe vorausgesetzt ist, indem er auf sein eigenes Amt zu sprechen kommt. Zu der Taufe gehört, dass einer von der Taufe lehrt, und dass andere von der Taufe lernen. Der Abschnitt, der von einem wir/ ihr-Gegenüber gekennzeichnet ist, weist ein Schema von Lehrer und Lernenden auf. Auf einer Seite dieses Gegenübers steht das Verb „lehren (docere)“, und auf der anderen Seite das Verb „lernen (discere)“. Allein das Verb „audiatis“ – „ihr hört“ (WA 46,176,16) setzt einen Sprecher – vom Kontext ist es klar, einen Prediger – voraus. Da das Verb „lehren (docere)“ mit dem Wort „omnia“ („alles“ bzw. „alle Dinge“) auftritt (WA 46,176,17), kann Mt 28,18–20 im Hintergrund erkannt werden. Luther, der Prediger, versteht sich als einer unter anderen Lehrern, die wie Paulus die Aufgabe haben, andere von der leiblichen und lokalisierten Gegenwart Jesu Christi in der Taufe zu lehren. 82 Der Unterschied zwischen aktivem und passivem Anvertraut-Sein, sowie der Unterschied zwischen aktivem und passivem Haben, wird im Kap. 7 (bes. bei 7.3) weiter erläutert. 83 Pr. 1532, [R] WA 41,77,24–78,1. Für „Stücke“ siehe WA 41,77,15; vgl. auch „Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe“, 1533 (WA 38,195–256), wo Luther überall von den „Stücken“ des Reiches Christi spricht.

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Professoren, dem Adel, Amtsträgern, zukünftigen Amtsträgern, Laien usw. – auch von der Kanzel öffentlich und wiederholt vermittelt hat. Soviel steht fest. Und dennoch, besonders anhand der lebhaften ökumenischen Diskussion, die heute um die Themen der Apostolizität und der Sukzession des kirchlichen Amtes kreist,84 gilt es zu fragen, was für eine apostolische Kontinuität hat Luther verstanden und vertreten? Eine ausführliche Betrachtung der ökumenischen Diskussionen um das kirchliche Amt in Bezug auf Luther würde die Grenzen dieses Kapitels und schließlich dieser Arbeit sprengen. Dennoch sei der Versuch gemacht, einige Leitlinien zu skizzieren.

4.1.3.1 Luther im Widerspruch? So wie bei fast allen kontrovers-theologischen Themen, für die Luther herangezogen wird, kann er zunächst von allen Seiten beansprucht und herangezogen werden; Zitate können angeführt werden, die zuerst einander zu widersprechen scheinen: Es gibt also eine doppelte göttliche Berufung, eine mittelbare und eine unmittelbare. Gott ruft uns alle heute zum Wortamt durch mittelbare Berufung, das ist durch eine Berufung, die durch Mittel geschieht, das ist durch Menschen. Die Apostel aber sind unmittelbar durch Christus berufen, so wie die Propheten im Alten Testament von Gott selbst. Die Apostel haben später ihre Schüler berufen, wie Paulus den Timotheus, Titus etc.; die haben dann die Bischöfe berufen, wie Titus 1 zu lesen ist; die Bischöfe haben ihre Nachfolger berufen bis auf unsere Tage. Und so wirds weitergehen bis zum Ende der Welt. Das ist die mittelbare Berufung, weil sie durch Menschen geschieht und dennoch ist sie göttlich.85 84 Allein die Titel der neuesten Forschung beweist die Schwerpunkte der Interessen: Wenz, Schneider und Sattler, Das kirchliche Amt in apostolischer Nachfolge, 3 Bd.; Luth./Röm.-kath. Kommission, Die Apostolizität der Kirche. 85 WA 40/I,59,16–23 (Galaterkommentar, 1535): „Est itaque divina vocatio duplex, una mediata, altera immediata. Deus vocat nos hodie omnes ad ministerium verbi vocatione mediata, hoc est, vocatione quae fit per medium, id est, per hominem. Apostoli vero immediate vocati sunt ab ipso Christo, sicut prophetae in veteri Testamento ab ipso Deo. Apostoli postea vocaverunt suos discipulos, ut Paulus Timotheum, Titum etc. Qui deinde Episcopos, ut Tit. 1., Episcopi suos successores vocaverunt usque ad nostra tempora et deinceps usque ad finem mundi, Et haec est vocatio mediata, quia per hominem fit, et tamen divina est.“. Übersetzung größtenteils übernommen von Hermann Kleinknecht, Luther, GalaterbriefAuslegung, S. 31 (Hervorhebung JM). Da das Zitat aus einer Vorlesung für Studenten der Theologie stammt, weist „uns alle“ nicht unterschiedslos auf alle Christen; vgl. WA 40/ I,62,32: „wir, die im Amt des Wortes sind“ („qui sumus in ministerio verbi“). Luther betont die Unveränderlichkeit dieser Ordnung einige Zeilen später : „Und [dies] soll nicht verändert, sondern hoch gehalten werden […].“ („Neque est mutanda, sed magnifacienda […].“; WA 40/I,59,26). Zu dieser Stelle (WA 40/I,59,16–23) und zur Sukzessionsthematik vgl. Lieberg, Amt und Ordination, S. 153f, Anm. 150.

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So wird aber von Luther andererseits aus einer Promotionsdisputation berichtet: Martin Luther[:] Die Sukzession ist an das Evangelium gebunden. Wenn der Bischof [– nämlich] der Nachfolger von Pomeranus [–] den Teufel in dieser Kirche lehren würde, muss ich ihm nicht gehorchen. Denn es heißt: [„]Meidet die falschen Propheten.[“] Man soll sehen, wo das Wort ist; dicht neben dem Wort [ist die Kirche]. [Dem Nachfolger von Pomeranus soll man gehorchen], nicht weil er [ihm] nachfolgt, sondern weil er in seinen Fußtapfen geht. Wo das Wort ist, da ist die Kirche. Das ist recht. Wir sollen nicht also argumentieren: [„]Das Evangelium war vor einigen Jahren in Wittenberg, also ist es auch jetzt dort.[“] Dem Bischof ist zu vertrauen, nicht weil er dem Bischof dieses Ortes nachfolgt, sondern weil er das Evangelium lehret. Das Evangelium soll die Sukzession sein.86

Gibt es also eine Sukzession der Amtsträger, welche die Apostel, die Bischöfe und die jetzigen Amtsträger einbezieht und für Luther theologische Bedeutung hat? Oder kann Luther nicht vielmehr ziemlich schnell von einer historischen Sukzession der Amtsträger abrücken, weil für ihn allein das Evangelium die Sukzession ausmacht? So oder so wird Luther beansprucht und angeeignet. Gehen wir zuerst dem Inhalt des ersten der zwei Zitate nach, so erkennt man, dass der Gedanke der Sukzession der Amtsträger sich auf keinen Einzelfall beschränkt. Das Moment der apostolischen Kontinuität und der Sukzessionsgedanke, die anhand der oben untersuchten Predigten dargestellt wurden, sind auch anderswo bei Luther zu finden. In seiner Auslegung von Joh 14,10 schildert Luther mehrmals eine Amtsreihe – eine Reihe von solchen, die den Befehl haben, das Wort Gottes zu predigen und seine Sakramente zu reichen: Die Reihe geht vom Vater aus auf den Sohn, vom Sohn auf die Apostel, von den Aposteln auf die Bischöfe, von den Bischöfen auf die Pfarrer und Prediger, und so fort bis in die Gegenwart.87 Sie ist eine historische Reihe bestimmter Personen. Unter diesem Blickwinkel nennt Luther die Bischöfe die Nachkommen und Stuhlerben der Apostel.88 Dass die Bischöfe die Nachfolger der Apostel sind, ist in manchen 86 WA 39/II/176,1–177,2 („Promotionsdisputation von Joh. Macchabäus Scotus“, 1542): „[M. L.] Successio ad Evangelium est alligata. Si episcopus successor Pomerani in hac ecclesia doceret diabolum, non debeo ei obtemperare, quia es heist: Fugite pseudoprophetas. Man soll sehen, wo das verbum ist, iuxta illud. Non quia succedit, sed quod in eius vestigiis incedit. Ubi est verbum, ibi est Ecclesia. Das ist recht. Non ita debemus argumentari: Evangelium ante aliquot annos fuit Wittembergae. Ergo et nunc ibi est. Credendum est episcopo, non quia succedit episcopo huius loci, sed quia docet Evangelium. Evangelium sol dye successio sein.“ (Hervorhebung JM). 87 WA 45,521,4–20; 45,521,30–33; 45,524,23–31; 45,525,15–21 und 27–32 („Das 14. und 15. Kapitel S. Johannes durch D. M. Luther gepredigt und ausgelegt“, 1538/37). 88 Nachkommen: WA 54,229,9; Stuhlerben: 54,229,5; 54,254,18 („Wider das Papsttum zu Rom“, 1545). Dies zeigt auch, dass Luther das örtlich und historisch ersonnene Konzept der bischöflichen Stühle mit den Aposteln assoziiert.

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Schriften Luthers einfach eine gegebene Tatsache, die sozusagen im Hintergrund steht.89 Das bezieht Luther auch auf Timotheus und Titus, die als Bischöfe verstanden werden,90 denen es aufgetragen war, weitere Amtsträger zu machen oder einzusetzen. Christus beruft/sendet/macht die ersten Amtsträger, die Apostel, und sie berufen/senden/machen weitere Amtsträger. „So ist die Berufung von allen[, die] nach den Aposteln [kommen], denn die Apostel wurden von Christus berufen; die Apostel haben die Diener des Wortes und die Bischöfe berufen, die ihre eigenen Nachfolger bis zum Ende der Welt [berufen].“91 Das oben angegebene Zitat aus der Promotionsdisputation92 steht auch nicht allein: Bei einer anderen Disputation sagt Luther : „Dies ist die wahre Definition der Kirche; [sie ist] nicht die[, die] den Aposteln nachfolgt, sondern die[, die] bekennt, dass Christus der Sohn Gottes ist.“93 Relativieren diese zwei Zitate aus den Disputationen nicht das theologische Gewicht des Sukzessionsgedankens? Obwohl beide Stellen oft zitiert werden, wird ihrem jeweiligen Kontext in der Regel wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Luthers Hervorhebung des Bekenntnisses der Kirche und seine Ablehnung, die Kirche als die, die den Aposteln nachfolgt, zu definieren, ist seine Antwort auf die Frage, ob die Bischöfe die Kirche sind.94 Und im weiteren Kontext ist die bestimmende Frage, ob den zu einem Konzil versammelten Bischöfen unbedingt gehorcht werden muss, bzw. ob ein Konzil versammelter Bischöfe irren kann. Ein Konzil versammelter Bischöfe hat nicht die feste Verheißung des Beistands des Heiligen Geistes, wie sie die Apostel gehabt haben. Dennoch werden die Bischöfe als die Nachfolger der Apostel anerkannt, und die Möglichkeit, dass die Bischöfe und ein Konzil den Aposteln und ihrer Lehre folgen, bleibt bestehen.95 Das angegebene Zitat aus der „Disputatio de potestate concilii“ beweist lediglich, dass die Bischöfe nicht schlechthin die Kirche sind, und darf eigentlich nicht als Beweis für eine be-

89 Siehe z. B. die Thesen von der „Disputatio de potestate concilii“, 1536: WA 39/I,184–187. 90 Siehe z. B. WA 11,414,30–415,3 („[…] daß eine chirstliche Versammlung […]“, 1523). Vgl. WA 45,521,4–20 und 45,525,27–32 (s. o. Anm. 87). 91 WA 40/I,59,5–7 (Galaterkommentar, 1535 [von der Vorlesung, 1531]): „Sic est omnium vocatio post Apostolos, quia Apostoli sunt vocati per Christum, Apostoli ministros verbi et Episcopos vocaverunt qui suos successores usque in finem mundi.“; vgl. oben Anm. 85. Vgl. auch Luthers Deutung der „Brüder“ von Gal 1,2: „Ich aber bin von Gott dem Vater und Christus, der unser Leben und unsere Auferstehung ist, gesandt. Die anderen, meine Brüder, sind von Gott durch einen Menschen, nämlich durch mich, gesandt.“ (WA 40/I,66,23–25: „Ego autem a Deo patre et Christo, qui est vita et resurrectio nostra, missus sum. Alii fratres mei missi sunt divinitus per hominem, scilicet per me.“). 92 S.o. Anm. 86. 93 WA 39/I,191,28–192,2 („Disputatio de potestate concilii“, 1536): „Haec est vera definitio Ecclesiae, non quae succedit Apostolis, sed quae confitetur, quod Christus sit filius Dei.“. 94 WA 39/I,191,25 („Disputatio de potestate concilii“, 1536). 95 Siehe die Thesen: WA 39/I,184,4–187,41 („Disputatio de potestate concilii“, 1536).

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stimmte „lutherische“ Definition der Kirche gelten, denn wer unter Luthers Gegnern würde behaupten, dass „Christus“ nicht „der Sohn Gottes ist“? Dass der Kontext des angegebenen Zitats aus der Promotionsdisputation von Johannes Macchabäus Scotus ebenso wichtig ist und zu denken gibt, zeigt eine andere Fassung derselben Disputation: „Das Evangelium soll nicht die Sukzession in [einer] Kirche sein“! Das Evangelium soll nicht die Sukzession in [einer] Kirche sein. Daher sind [diejenigen,] die den wahren Bischöfen im Amt nachfolgen [aber] nicht [das] lehren, was die früheren [Bischöfe] lehrten, nicht Bischöfe sondern Häretiker und, wie Paulus sagt, mit dem Anathema zu belegen, denn sie sind nicht an den Ort, sondern [an] das Evangelium gebunden. Den [Bischöfen], die [so] lehren [wie die früheren Bischöfe lehrten], ist wie den früheren [Bischöfen] zu gehorchen. Denen dagegen[, die wie Häretiker lehren, ist] wie den Häretikern [nicht zu gehorchen; dies] muss bekämpft werden.96

Statt von vornherein eine Sukzession der Amtsträger zu negieren oder abzulehnen, erweist sich, dass die ganze Diskussion der Disputation nur in einem Rahmen stattfinden kann, in dem man von so einer Sukzession der Amtsträger ausgeht. Den jetzigen Bischöfen gehen die vorherigen Bischöfe voraus, und statt mit den vorherigen Bischöfen zu brechen wird die Sukzession in Wittenberg vielmehr gepflegt, indem Bugenhagen als Bischof verstanden und erachtet wird, der auch einen Nachfolger in Wittenberg haben soll. Und indem die jetzigen Bischöfe als Häretiker bekämpft werden sollen, hält Luther gerade eine kirchliche Beziehung auch zu ihnen aufrecht. Es ist nicht nur die Kirche, die an das Evangelium gebunden ist, sondern es sind auch die Bischöfe,97 und wenn Luther sagt, dass „[d]ie Sukzession an das Evangelium gebunden ist,“ meint er gerade die Sukzession der Bischöfe. Statt einen Bruch mit der Sukzession der Amtsträger zu belegen, zeigt die Promotionsdisputation von 1542, dass die Wittenberger vielmehr von einer solchen Sukzession ausgehen und diese Sukzession, die an das Evangelium gebunden sein soll, in ihrer lokalen Kirche und in der weiteren Kirche pflegen. Die Disputation macht deutlich, dass die Kirche nicht an diejenigen Bischöfe gebunden ist, die lediglich örtliche Nachfolger ihrer Vorgänger sind.98 Die Wittenberger, samt ihrem Bischof(!), machen deutlich, dass eine 96 WA 39/II,176,20–177,14: „Haec Lutherus: Evangelium non debet esse successio in Ecclesia, quare qui succedentes in ministerio veris episcopis non, quod priores docuerunt, docent, non sunt episcopi, sed haeretici, et, ut Paulus ait, anathemata habendi, quod non sunt allegati ad locum, sed Evangelium. Qui si docent, illis, ut prioribus, obtemperandum est, sin minus illis, ut haereticis, impugnandum est.“ (Hervorhebungen JM); vgl. Anm. 86 oben. 97 „Promotionsdisputation […] Scotus“, 1542: WA 39/II,146,8 (These 3) und 39/II,176,5 (s. o. Anm. 86). 98 „Promotionsdisputation […] Scotus“, 1542: Siehe besonders WA 39/II,146,8–10 (These 3) und der mögliche Abfall von Bugenhagens Nachfolger in Wittenberg anhand 39/ II,176,5–177,2 („non quia succedit episcopo huius loci“; s. o. Anm. 86).

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Nachfolge in einem örtlichen Bischofssitz nicht das Entscheidende für das Bischofsein eines Bischofs sein kann.99 Andererseits wird auch betont, dass Bischöfen, die den wahren früheren Bischöfen (auch) in der Lehre folgen, zu gehorchen ist und dass man das Evangelium von ihnen erwarten soll.100 Es gibt rechte Amtsträger, darunter auch Bischöfe, und unrechte Amtsträger, und unter denen sind ebenfalls Bischöfe. Keiner wird Bischof oder Amtsträger einfach dadurch, dass er recht lehrt, sondern die vorausgehenden Amtsträger machen die ihnen nachfolgenden Amtsträger.101 Als ein rechter Bischof oder Amtsträger erweist sich der, der seinen Vorgängern auch in ihrer (rechten) Lehre nachfolgt. Auf diese rechten Bischöfe und Amtsträger zeigt Luther oft.102 Nicht nur im Rückgriff auf das Neue Testament, sondern auch auf die Väter und die Kirchengeschichte bemüht sich Luther, sowohl die Gleichheit des bischöflichen Amtes und des Amtes des Presbyters (das Amt eines Priesters, Pfarrers oder Predigers) als auch die Gleichheit der Bischöfe untereinander – samt dem Bischof zu Rom – zu zeigen.103 Aus biblischem und kirchenhistorischem Grund hält er Wittenberg für ein Bistum im rechten Sinn104 und legt auch dabei die Grundlage für die Ordinationspraxis, die in Wittenberg im Jahre 1535 begann.105

99 Die Antwort, die Luthers Bemerkung vorausgeht, lenkt in diese Richtung, WA 39/II,176,1–4 („Promotionsdisputation […] Scotus“, 1542): „Antwort: Eine ordentliche Sukzession ist erforderlich, aber nicht eine solche, wie wir im Papsttum gehabt haben. Eine ordentliche Sukzession, die an [bestimmte] Orte gebunden ist, ist nicht erforderlich. Denn so führen sie den Beweis an: [,]Petrus saß in Rom. Wir, die Bischöfe von Rom, sind die Nachfolger Petri. Also sollen wir in Rom sitzen.[‘] Es folgt aber nicht.“ („R. Requirit, sed non talem, qualem in papatu habuimus. Non requirit successionem ordinariam alligatam locis, nam sic argumentantur : Petrus Romae sedit. Nos Romani episcopi sumus successores Petri. Ergo debemus Romae sedere. Nulla consequentia.“); vgl. auch 39/II,176,15–19. Für die bleibende Stellung dieses Argumentes in der Orthodoxie und in der Gegenwart vgl. Wenz, „Von Aposteln und apostolischer Nachfolge“, S. 71, Anm. 17. 100 WA 39/II,160,16–161,2 und Anm. 96 oben. 101 Kretschmar, „Wiederentdeckung“, S. 242 in Bezug auf das Zitat aus dem Galaterkommentar (s. o. Anm. 85): „[…] daß Luther einfach davon ausging, daß in der Regel diese Berufung weitergegeben wird durch Menschen, die selbst in dieses Amt berufen worden sind.“ 102 Siehe z. B. WA 50,85,26–29 („Einer aus den hohen Artikeln des […] päpstlichen Glaubens, genannt Donatio Constantini“, 1537); 53,74 („Supputatio annorum mundi“, 1541/45). 103 WA 38,237,20–23 („Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe“, 1533); 50,83,31–86,32 („Donatio Constantini“, 1537); 54,228,31–229,13 („Wider das Papsttum zu Rom“, 1545); das Zeugnis des Hieronymus war Luther in dieser Hinsicht so wichtig, dass er einen Brief von ihm mit einem Vorwort neu herausgab, 50,339–43 („Epistola S. Hieronymi ad Evagrium de potestate papae. Cum praefatione Lutheri“, 1538). 104 WA 38,237,23–238,1 („Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe“, 1533); 54,257,36–258,16; vgl. 54,229,5f („Wider das Papsttum zu Rom“, 1545). 105 WA 38,237,19–238,10 („Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe“, 1533). Bezüglich der letzten zwei Sätze des Abschnitts siehe Kretschmar, „Wiederentdeckung“, S. 235–242 und 277–279.

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Der Aspekt der apostolischen Kontinuität

4.1.3.2 „Sukzession“ in Luthers Verständnis? „[…] Luther – like most other witnesses of the tradition – says most to us when we allow him to be a theologian of his day, not ours, one who is […] to speak out of late medieval assumptions to late medieval issues.“106 An heutigen Auffassungen gemessen mag das Konzept einer Sukzession von Amtsträgern, wonach einer den nächsten einsetzt, dem anderen, nämlich, dass Sukzession ausschließlich an das Evangelium gebunden sei und an ihm gemessen werde, widersprechen, aber für Luther besteht zwischen diesen zwei Sukzessionsweisen kein Widerspruch. Nicht zuletzt weil Luther das Evangelium nicht als abstrakte Größe oder gar tranzendentale Idee versteht, sondern als ein historisches Gut, das durch Diener durch die Zeiten immer weiter gereicht wird,107 sind für ihn diese „zwei Sukzessionsweisen“ eigentlich nur eine einzige Sukzession. Die Frage, ob Luther eine – oder sogar „die“(!) – apostolische Sukzession vertritt, ist im heutigen, von der Ökumene geprägten Umfeld zunächst in Bezug auf Luther irreführend. Der Begriff der apostolischen Sukzession, wie man ihn heute kennt, war Luther und seinen Zeitgenossen – auch auf der Seite Roms(!) – weitgehend fremd und wurde erst in Folge und nach der Reformation diskutiert, ausgearbeitet und kontroverstheologisch fest definiert.108 Während es in der alten Kirche einen zentralen Zusammenhang zwischen Sukzession und Tradition gab,109 verlor sich nach und nach diese Verbindung, so dass sich im späteren Mittelalter der Bischofsbegriff mehr an der Jurisdiktionskompetenz als an der Lehrkompetenz festmachte. Im Laufe der spätmittelalterlichen und reformatorischen Kontroversen entwickelte sich „apostolische Sukzession“ zu einer Art Kampfbegriff, der einen festen Halt für Machtfragen im Amt des Papstes suchte, während die Stellung der Lehrtradition an Bedeutung verlor.110 Von daher erscheint es anachronistisch, Luther nach seiner Stellung zur „apostolischen Sukzession“ zu befragen und entsprechende Schlüsse aus der Tatsache zu ziehen, dass er den Terminus „apostolisch“ hauptsächlich in Bezug auf die Kirche und nicht auf das Amt verwendet.111 Das Adjektiv in Bezug auf die Kirche hatte Luther aus dem Nizänischen Glaubensbekenntnis aufgenommen, und daher ist es selbstverständlich, dass er es in Bezug auf die Kirche verwendet. Letzten Endes aber ist „apostolisch“ eine etwas abstrakte Beschreibung, die erst nach Luther in Bezug auf das Amt und dessen Sukzession weiter entfaltet wurde. Für Luther ist 106 Yeago, „,A Christian, Holy People‘“, S. 104. Vgl. Pesch, Hinführung zu Luther, S. 217, der ein „vorkonfessionelles“ Lesen empfiehlt. 107 WA 38,239,2–12 („Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe“, 1533). 108 Kretschmar, „Wiederentdeckung“. 109 Kasper, „Apostolische Sukzession als ökumenisches Problem“, S. 337 kann den bleibenden Zusammenhang bis auf Thomas von Aquin beweisen (siehe besonders seine Anm. 24). 110 Smolinsky, „Successio apostolica“. 111 Als Beispiel Leppin, „Zwischen Notfall und Prinzip“.

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das Amt der Amtsträger seiner Zeit das Amt der Apostel; es ist ein Amt konkreter Menschen, das anderen konkreten Menschen weitergegeben wurde und noch weitergegeben wird, und diese Menschen stehen in einer Reihe mit den Propheten, mit Jesus Christus als Gesandtem, mit Johannes dem Täufer, mit den Aposteln und mit den früheren Bischöfen und Amtsträgern der Kirche. Amt, Sukzession und Apostel sind für Luther in erster Linie nicht theologische Konzepte, sondern vielmehr konkrete, historische Wirklichkeiten, die bis in die Gegenwart reichen und bis zum Ende der Welt bestehen werden.

4.1.3.3 Wer was gespalten hat Wenn es uns um das Verständnis von apostolischer Kontinuität des Amtes bei Luther geht, so darf man ihn nicht nach einem Entweder/Oder-Muster der seit der Reformation gespaltenen westlichen Kirche beurteilen: Entweder das Amt der Bischöfe (schließlich des Papstes) oder das Evangelium und die Schrift. In der Theologie Luthers gilt es viel mehr, das zu erkennen, was er zusammenhält, als auf das zu achten, was um ihn herum auseinandergerissen wird. Es ist der Bemerkung wert, dass Luther, dem viele die Spaltung der westlichen Kirche zuschreiben, immer wieder betont, wie seine Gegner die Kirche spalten. […] [Christus] will, dass die Nachfolger den Aposteln folgen, und dass sie dieselben Sakramente, dieselbe Taufe haben. Wenn die Papisten im apostolischen Amt geblieben wären, gäbe es keinen Streit. Dies ist [das, was zu] den Nachfolgern gehört, dass sie die Sachen lehren und tun, die Christus, Paulus und die Apostel lehrten und taten.112

Luther durchschaut die Argumente der römischen Gegner und sieht in ihrem Anspruch, Nachfolger der Apostel zu sein, den Versuch, Macht zu ergreifen, mit der sie Glaubenssätze schaffen können, wie sie die Apostel geschaffen haben, auch wenn ihre Glaubenssätze dann denen der Apostel widersprechen würden. Insofern wäre dies kein Merkmal der Kontinuität, sondern ein Merkmal einer fromm verdeckten Diskontinuität. In dem Zusammenhang betont Luther das Wort Gottes als Maßstab, an dem auch die Beschlüsse eines Konzils der Bischöfe zu messen sind.113 Auch in den Thesen der Promotionsdisputation von Johannes Macchabäus Scotus machen die Wittenberger deutlich, dass ihre römischen Gegner die Autorität des Ordens gegen die Autorität der Schrift ausspielen, 112 WA 39/I,188,25–189,3 („Disputatio de potestate concilii“, 1536): „Sed Christi haec non est sententia; vult ut successores sequantur Apostolos et habeant eadem sacramenta, eundem baptismum. Si papistae in Apostolico manerent officio, nulla foret controversia. Hoc enim est successorum, ut haec doceant et faciant, quae Christus, Paulus, Apostoli docuerunt et fecerunt.“. Siehe auch Höhne, Luther über Kontinuität der Kirche, S. 100. 113 WA 39/I,190,9 und 32; 39/I,194,10f („Disputatio de potestate concilii“, 1536).

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damit jene diese schließlich übertrumpft.114 Die Gegner trennen die örtliche Sukzession der Bischöfe von der Lehrsukzession – von dem Evangelium, das die früheren Bischöfe gelehrt haben.115 Und weil sie nichts mit der göttlich befohlenen cura animarum zu tun haben wollen, sondern nur auf Achtung, Ehre und Macht aus sind, wirft Luther seinen Gegnern vor, dass sie mit der Sukzession gebrochen haben.116 Im Hintergrund erkennt man die „Geistlichen Reichsfürsten“ oder „Fürstbischöfe“, die aus seiner Sicht Feinde des Evangeliums geworden waren.117 An ihrer Spitze stand der Papst, der sich keiner anderen Autorität unterordnen wollte.118 Diesen seinen Gegnern überlässt Luther nicht einfach die Sukzession des Amtes, sondern spricht sie der Spaltung des sukzessiven Amtes für schuldig: Im deutlichen Unterschied zu „der ordentlichen Sukzession“, spricht Luther von „ihren eigenen ordentlichen Sukzessionen“ und nennt sie „ihre eigenen toten Sukzessionen“.119 Diesem „self-contained cadre of powerholders which ruled the church but did not really need the church“120 überlässt Luther weder das überlieferte Amt noch das Machen oder Einsetzten von weiteren Amtsträgern, obwohl sie auch dies als ihr alleiniges Recht nach und nach in Anspruch genommen hatten.121 „Wie wäre es aber, wenn ich beweise, dass wir bei der rechten alten Kirche geblieben sind – ja, dass wir die rechte alte Kirche sind [und dass] ihr aber von uns, das ist von der alten Kirche abtrünnig geworden seid [und] eine neue Kirche wider die Alte Kirche eingerichtet habt?“122 Den Anspruch bei der rechten alten Kirche geblieben zu sein, erhebt Luther auch in Bezug auf das Predigtamt.123 Zu diesem Amt, dessen Amtsträger in einer Linie mit den Aposteln und den Bi114 „Promotionsdisputation […] Scotus“, 1542: Siehe besonders die 8. These (WA 39/ II,147,15–17) im Kontext der Thesen 3–9. Melanchthon hatte die Thesen für diese Disputation verfasst. 115 S.o. Anm. 86, 96 und 99. 116 WA 39/II,179,9–13 („Promotionsdisputation […] Scotus“, 1542). 117 Kretschmar, „Wiederentdeckung“, S. 232–242; Moraw und Press, „Fürstentümer, Geistliche“. Luther : Siehe z. B. WA 38,238,4 („Von der Winkelmesse und Pfaffenweiehe“, 1533). 118 WA 50,86,12–14 („Donatio Constantini“, 1537): „[…] das er keinen Vater oder Lerer, weder Alte noch Newe, hören wil, auch kein Concilium noch Kirche, Sondern wil uber Concilium und uber alles sein, Und man solle in allein hören.“ Darüber hinaus der Anspruch, dass „[…] die heilige schrifft von dem Römischen stuel ire krafft habe“ (WA 50,86,25f). 119 WA 39/II,179.3 („Promotionsdisputation […] Scotus“, 1542): „ordinaria successione“; 39/ II,179,12f: „suas ordinarias successiones“; 39/II,180,23: „suas mortuas successiones“. 120 Yeago, „,A Christian, Holy People‘“, S. 113. 121 WA 38,252,20–253,20 („Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe“, 1533); vgl. auch Anm. 103–105 oben. 122 WA 51,478,17–479,3 („Wider Hans Worst“, 1541): „Wie aber, wenn ich beweise, das wir bey der rechten alten kirchen blieben, ia das wir die rechte alte kirche sind, Ihr aber von vns, das ist, von der alten kirchen abtrunig worden, ein newe kirchen angericht habt wider die alte kirche.“ 123 WA 51,481,7–16 („Wider Hans Worst“, 1541).

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schöfen der alten Kirche stehen, gehört mehr als einfach eine kontinuierliche Sukzession der Amtsträger : Zum Amt gehört das, was diesem Amt nach göttlichem Mandat aufgetragen ist: das Evangelium zu predigen, die Sakramente zu reichen und die Kirche zu warten. „Wir gehorchen wohl den Aposteln und auch der Kirche, solange sie das Wahrzeichen jenes Mannes (i. e. Christi) mitbringen, denn er spricht zu ihnen: ,Ich selbst sende euch; geht, und predigt das Evangelium‘ und wiederum ,Lehret sie das, was ich euch befohlen habe.‘“124 Luther hält das Mandat Christi zusammen, indem er nicht nur fragt, wer gesandt ist, sondern auch, was den Gesandten befohlen ist. Und das Befohlene und Anvertraute hat einen bestimmten Inhalt.125 Es ist das Evangelium, das die Propheten verkündigt haben, das Jesus Christus und die Apostel gepredigt haben, und insofern dürfen die jetzigen Gesandten der prophetischen und apostolischen Schrift nie widersprechen. Es kann keine wahre Kontinuität des Amtes geben ohne inhaltliche Konformität zu dem, was diesem Amt anvertraut ist. Luthers Widerspruch gegen die römische Traditions- und Sukzessionsidee war kein apriorischer gewesen. Luther fühlte sich nur deshalb zum Protest veranlaßt, weil die Gegenseite sich an dieser Stelle offenkundig über Gottes Wort erhob. […] Genausowenig hatte Luther ja auch die Hierarchie oder die Sichtbarkeit oder den institutionellen Charakter der römischen Kirche als solche schon bekämpft. Das Hauptübel der römischen Kirche lag für Luther nicht in ihrer Geschichtlichkeit, sondern darin, daß Geschichtliches zu selbständiger, unkritisch verstandener Glaubensautorität aufgerückt war.126

Luther hält die Verbindung von apostolischem Amt mit apostolischer Lehre und apostolischer Schrift fest.127 Wenn er mit einer reformbedürftigen Situation, in der das Amt und die Macht der Amtsinhaber gegen die apostolische Schrift ausgespielt werden, konfrontiert wird, entscheidet er definitiv für die apostolische Schrift. Und gleichzeitig wirft er den von der Schrift abgewichenen Inhabern des apostolischen Amtes vor, mit ihren Vorgängern und mit dem Amt ihrer Vorgänger gebrochen zu haben, und ruft sie insofern wieder zur Schrift zurück und zu inhaltlicher Konformität mit ihr. So abstrahiert Luther weder das Evangelium von dessen Vermittlung noch die Kirche von den Amtsträgern: Die 124 WA 38,208,23–26 („Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe“, 1533): „Wol gehorchen wir den Aposteln und der Kirchen auch, so fern sie jhenes mannes warzeichen mit bringen, da er zu jnen spricht: ,Ego mitto vos, ite et predicate Euangelion‘, Und aber mal: ,Docete eos, que mandavi vobis‘ […].“ Implizit sind die Amtsträger als Apostel verstanden. 125 Vgl. Apol XXVIII,18 (BSLK 401,30–35): „Denn die Apostel empfahen da nicht ein mandatum cum libera, das ist ein ganzen freien, ungemessen Befehl und Gewalt, sondern haben ein gemessen Befehl, nämlich nicht ihr eigen Wort, sondern Gottes Wort und das Evangelion zu predigen.“ 126 Höhne, Luther über Kontinuität der Kirche, S.100. 127 Leicht anhand der Thesen zu der „Disputation de potestate concilii“, 1533 zu sehen; s. o. Anm. 89.

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rechten Bischöfe und Pfarrer zusammen mit den Schulmeistern nennt er die „Bande“ der Kirche, durch die die Kirche durch die Zeiten erhalten wird.128 4.1.3.4 Schlüsse und Herausforderungen Sowohl in seinen Predigten als auch in Schriften und Disputationen vermittelt Luther ein Verständnis der apostolischen Kontinuität des Amtes: Er versteht das Amt so, dass diejenigen, die im Amt sind, durch ihre Vorgänger im Amt zu Amtsträgern gemacht worden sind. Diese Kontinuität schließt eine inhaltliche Konformität zu der ihnen und ihren Vorgängern göttlich anbefohlenen Lehre des Evangeliums ein und jede Lehre und Praxis aus, die den prophetischen und apostolischen Schriften – den göttlichen Schriften ihrer Vorgänger – widerspricht. In mancher Hinsicht steht Luther der heutigen römisch-katholischen Kirche – und sie ihm – näher als den Anhängern Roms am Anfang des 16. Jahrhunderts. Im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils sind Annäherungen entstanden. Sie bedeuten, dass es die erste Aufgabe für die historischen Erben Luthers sein muss, ererbte aber heute unzutreffende Zerrbilder abzulegen. Heute stimmen römisch-katholische Theologen Luther zu, wenn sie einräumen, dass die amtliche Sukzession und die inhaltliche Lehrtradition auseinanderfallen können und zu bestimmten Zeiten auseinandergefallen sind; Luthers Kritik an den spätmittelalterlichen Missbräuchen bezüglich des Amtes wird aufgenommen. Automatismus und Mechanismus werden ausdrücklich abgelehnt, und eine Theorie, nach der die ordinierten Amtsträger in gleichsam röhrenartiger Verbindung zu den Aposteln stehen, ist zumindest nicht die theologische Position heutiger römisch-katholischer Theologen,129 sondern basiert eher auf einer reflexartigen Abwehrreaktion, die protestantischerseits durchaus verbreitet ist. Die Legitimität dessen, was heute „presbyterale Sukzession“ genannt wird, beruht auf einer guten systematisch-theologischen und kirchenhistorischen Grundlage. Sie wurde auch von Luther immer wieder hochgehalten, und die Ordinationspraxis in Wittenberg entsprach ihr. Heute wird presbyterale Suk128 WA 39/II,180,7–9 und 25–28: Pfarrer und Schulmeister ; 39/II,179,20f: die rechten Bischöfe („Promotionsdisputation […] Scotus“, 1542). 129 Luth./Röm.-kath. Kommission, Apostolizität der Kirche, S. 64f (§108–110), 78–80 (§154–159), 138f (§283), 143 (§291). Als führende Figur gilt Kasper, „Apostolische Sukzession als ökumenisches Problem“; er lehnt auch eine Sukzession im linearen Sinn einer Kette ab. Während Kasper eine private „Pipeline“ von dem jeweiligen Amtsträger heute zu den Aposteln ablehnt (S. 337), bestätigt Luther eine Art Pipeline von dem in der Gegenwart hörenden und empfangenden Christen zu Christus und dem Vater, die über die jetzigen Amtsträger, ihre Vorgänger und die Apostel führt; siehe „Rohre“ bei WA 45,521,30–37; 45,524,23–31; 45,525,15–21 („Das 14. und 15. Kapitel S. Johannes durch D. M. Luther gepredigt und ausgelegt“, 1538/37).

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zession auch von römisch-katholischen Theologen zumindest ernsthaft diskutiert, wenn auch nicht vorbehaltlos empfohlen.130 Damit sind Annäherungsmöglichkeiten diesbezüglich besonders verheißungsvoll.131 Ferner wird Luthers Betonung der Lehre und des Evangeliums als das Entscheidende auch in Fragen von Amt und Kirchenrecht von römisch-katholischen Theologen geteilt.132 Wo seine gepredigte Amtstheologie und besonders sein Verständnis der apostolischen Kontinuität des Amtes auch von seinen protestantischen Erben heute vertreten werden, baut Luther spannende Brücken und öffnet manche ökumenische Tür zur jetzigen römisch-katholischen Kirche. Andererseits aber stellt Luther die ganze westliche Kirche noch immer vor manche gewichtigen Fragen. Wenn das kirchliche Amt nicht einfach zu den Fragen des Kirchenrechts gerechnet werden kann, sondern zum größeren Ganzen der Theologie gehört, hat die ökumenische Theologie mit dem Ganzen der Theologie zu ringen. Und wenn Luther an den heutigen ökumenischen Gesprächen zwischen seinen und den historischen Erben der römischen Kirche des 16. Jahrhunderts beteiligt sein soll, kommt man an den folgenden beiden Themen nicht vorbei.133 Erstens: Allerseits wird heute die (spöttisch) so genannte „Pipeline Theorie“ abgelehnt, nach der „der einzelne Bischof […] schon dadurch in der apostolischen Sukzession“ stehe, „dass eine historisch verifizierbare lückenlose Kette von Handauflegungen über seine Vorgänger auf einen der Apostel“ zurückführe.134 Stattdessen ist jetzt eher die Rede von der „bischöflichen communio“, dem „Bischofskollegium“ und dem „Apostelkollegium“.135 Auch wenn das historisch und theologisch umstrittene Verhältnis von Presbyter und Bischof von beiden Seiten einmütig geklärt werden könnte, damit auch Presbyter als Angehörige dieser Gemeinschaft und dieses Kollegiums anerkannt würden, bleibt dennoch die Frage des Verhältnisses dieser Bischöfe und Presbyter zum Papst offen. Zumindest der Luther, der seit dem Beginn regel130 Kasper, „Anerkennung der Ämter“. 131 Pannenberg, „Das Leitungsamt“, S. 435–441. Kretschmar, „Wiederentdeckung“, S. 240, 242. Vgl. auch S. 278: „Aber eine solche Notsituation muß ja nicht den Weg für alle Zukunft prägen.“ 132 Kasper, „Anerkennung der Ämter“, S. 104–109. Kasper, „Apostolische Sukzession als ökumenisches Problem“, S. 331–335. 133 Sie werden hier nicht als die einzigen Themen genannt, sondern als zwei Themen der jetzigen ökumenischen Diskussionen, die sich auch aus den hier untersuchten LutherQuellen ableiten lassen. Kasper, „Apostolische Sukzession als ökumenisches Problem“, S. 346–349 schlägt die Kirche als brennendes Thema vor. 134 Luth./Röm.-kath. Kommission, Apostolizität der Kirche, S. 143 (§291); der spöttische Begriff, „Pipeline Theorie“, wird zwar hier nicht verwendet, aber die Position, die oft so bezeichnet wird, wird doch beschrieben. Z.B. Körtner, „Kirchenleitung und Episkop¦“, S. 235 (§ 5.2.2.2) verwendet den Begriff. Siehe ferner Kasper, „Apostolische Sukzession als ökumenisches Problem“. 135 Z.B. Luth./Röm.-kath. Kommission, Apostolizität der Kirche, S. 64f (§108–109).

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mäßiger Ordinationen in Wittenberg predigt, ist bereit, den Papst als den Bischof von Rom anzuerkennen und vielleicht sogar dem römischen Stuhl eine nach menschlichem Recht hervorgehobene Stellung zuzugestehen, die er mit anderen Stühlen in der alten Kirche teilte, wie z. B. denen von Antiochien, Alexandrien, Jerusalem und Konstantinopel.136 Aber einem Primat des Papstes könnte der Luther, dem man in den Predigten ab 1535 begegnet, schwerlich zustimmen.137 Damit ist man schon beim zweiten Thema, nämlich der Lehrautorität: Was ist das Verhältnis der Schrift zum Lehramt der Kirche? Wenn das Aufgeben eines Primatsanspruchs – auch bezüglich der Lehre – der römischkatholischen Seite schwer erscheint, dann stellt für die Kirchen der lutherischen Reformation die Herausforderung, überhaupt ein Lehramt und eine theologisch (nicht einfach kirchenrechtlich) verbindliche Lehrautorität in ihren Kirchen vorzuweisen, eine ebenso große Hürde dar. Infolge der Aufklärung und der exegetischen Methoden der späteren Neuzeit haben die biblischen Schriften in diesen Kirchen zu großen Teilen längst nicht mehr die Stellung, die sie unter den Reformatoren genossen haben. Die alten Dikta, wie z. B. „die Schrift ist ihr eigener Ausleger“, gelten angesichts gegenwärtiger Lehre und Praxis auch größtenteils nur als Relikte einer vergangenen Epoche: Sie werden zwar nach wie vor aufgenommen, aber nicht in dem Sinne, dass man sich damit einer außenstehenden Instanz verpflichtet weiß, vielmehr so, dass man sich keiner Autorität zu beugen habe, die über das eigene Gewissen und die eigene Interpretation bestimmen könnte. Sie werden zwar mit den Lippen wiederholt, jedoch oft nicht so, dass man sich einer außenstehenden Instanz verpflichtet weiß, sondern damit man sich keiner seinem Gewissen und eigenem Interpretament außenstehenden Instanz je beugen muss. Ökumenisch dürfte es für die Erben Luthers schwer werden, ihren römisch-katholischen Gesprächspartnern eine andere Gestaltung der kirchlichen Lehrautorität abzufordern und zugleich selbst in dieser Frage unsicher zu bleiben. Feste Lehrautorität aufzuheben ohne feste 136 WA 50,71,2; 50,83,31–84,9 („Donatio Constantini“, 1537); 50,538,23–539,11; 50,576,10–577,16; 50,578,31–579,15 („Von den Konziliis und Kirchen“, 1539); 54,257,32–35 („Wider das Papsttum zu Rom“, 1545). Dennoch muss bemerkt werden, dass Luther nur unter Vorbehalt die Idee von Patriarchaten diskutiert, denn er sieht in der Überordnung einiger Bischöfe über andere Bischöfe hauptsächlich menschliche Machtspiele; siehe z. B. WA 52,221,6–17 (Hauspostille, 1544). Für ihn gilt der Papst als der Bischof von Rom. 137 Wenz, „Von Aposteln und apostolischer Nachfolge“, S. 70–72. Anhand Smolinsky, „Successio apostolica“: Im Grunde genommen müssten die Entwicklungen des späten Mittelalters und der früheren Neuzeit sozusagen zurückgedreht werden. Sie haben nämlich den Begriff der apostolischen Sukzession verengt auf eine Verbindung mit dem Papst als dem Nachfolger des Petrus. Nach Cajetan und Bellarmin bedeutet apostolische Sukzession mehr oder weniger petrinische Nachfolge oder Nachfolge unter der Autorität der Inhaber des petrinischen Stuhles. Die anderen Apostel sind vom Begriff ausgeschlossen und leiten ihre Autorität nur von Petrus ab. Diese theologische Linie widerspricht Luthers Verständnis der Apostel und des apostolischen Amtes.

Eine bestimmte Gruppe gesandter Boten und Haushalter

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Lehrautorität aufzuweisen und zu bestätigen, könnte auf bloße Dissolution hinauslaufen und nichts Konstruktives für die Kirche austragen.138 Nicht zuletzt mit seinem Verständnis einer apostolischen Kontinuität baut Luther heute Brücken und macht Türen auf. Durch solche Annäherungen ist wesentliche und wertvolle theologische Arbeit entstanden und von ihnen ist weiteres noch zu erhoffen.

4.2

Eine bestimmte Gruppe gesandter Boten und Haushalter

In dem Wort „apostolisch“ (wie in seiner griechischen Wurzel !post]kky) drückt sich schon ein Moment des Abstands aus. Obwohl das Verhältnis von Senden und Abstand im Einzelnen offen bleibt, ist es dennoch klar, dass nicht „gesandt“ werden kann, ohne dass ein Abstand besteht, denn „Senden“ versteht sich von zwei Punkten her, zwischen denen es Bewegung gibt; insofern bedeutet „Senden“ auch „Kommen“, und wenn die Absicht des Senders in Erfüllung geht, auch ein Ankommen. Senden nimmt Abstand wahr und schafft eine Beziehung zwischen denen, die getrennt sind.

4.2.1 Gesandte Boten Wer wird zu wem und von wem gesandt? Wer nimmt den Abstand zwischen getrennten Punkten, getrennten Wesen wahr und versucht, ihn durch ein Senden zu überwinden? Diese Fragen sind nicht einfach begriffstheorethische Fragen zu dem Wort „Senden“, sondern vielmehr heilsrelevante – ja heilsentscheidende Fragen, weil es um die Überwindung des Abstands zwischen Gott und der gefallenen Menschheit geht. Ein von Gott überwundener Abstand ist für den gefallenen Menschen eine gute Botschaft; ein Abstand, der vom gefallenen Menschen überwunden werden müsste, wäre das Gegenteil. In seiner homiletischen Auslegung des Gleichnisses vom Großen Abendmahl (Lk 14,15–24)139 bringt Luther eine gute Botschaft: Das Gleichnis beschreibt für Luther das Himmelreich140 und wie das Himmelreich von Gott zum gefallenen Menschen kommt; der Herr des Abendmahls ist Gott selbst, der zu allen Zeiten Menschen zu seinem Abendmahl, zur Kommunion mit ihm ruft durch das Senden von Dienern oder Boten. Die Boten, die ausgesandt werden, identifiziert Luther mit den Propheten, den Aposteln und mit den jetzigen Predigern und 138 Vgl. II Kor 10,8 und 13,10; Zerstören ohne Bauen ist kein theologisches Programm. 139 Pr. 1732 [R/S] WA 46,440–449. 140 Pr. 1732 [R] WA 46,440,16; vgl. Lk 14,15.

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Der Aspekt der apostolischen Kontinuität

Pfarrern.141 Weit mehr als Menschen nur einzuladen, führen oder tragen diese Diener sie zum Abendmahl hin, deren Gefallen-Sein durch körperliche Krankheiten abgebildet wird (Lk 14,22).142 Der Abstand, die Situation der Unfähigen und der Bettler, wird von Gott ernstgenommen und von ihm überwunden. Aber die brennende Frage im Gleichnis, die Luther auch seinen Zuhörern stellt, ist die: Wann – oder in wem – hat man mit diesem Gott zu tun? Vom Gleichnis ausgehend verweist Luther auf Geiz und falsche Sicherheit auch unter seinen Zuhörern. Ochsen, Acker und Ehe sind gute Gaben, die Gott im Bereich der oeconomia den Menschen beschert, um mit diesen „kleineren“ Gaben sie zur „großen“ Gabe des Abendmahls, zur Kommunion mit ihm zu lenken. Wenn aber die kleineren Gaben von den Menschen missbraucht werden, führen sie ex caena oder wirken sie contra caenam, statt ad caenam zu führen. Er hat diese drei [Gaben] für das Abendmahl gegeben, [aber du] verdrehst [sie] und verachtest Gott samt [seinem] Evangelium und setzt [sie gegen das Abendmahl]. So geht es nun. Wenn wir euch [dies] gesagt haben, dann sind wir entschuldigt.[143] Dann [aber] verdammen sie uns und sagen: [„]Du redest [= „greifst“] uns an die Ehre und beschwerst [unser] Gewissen.[“] Soll [Gott] da nicht Donner, Blitz und höllisches Feuer dreinschmeißen? Verachte deine eigene Ehre[144]! Wo sie das Abendmahl so verachten, [tun sie es so,] dass sie auch [dieses Wort] nicht für Gottes Wort halten. Wenn wir dies sagen – dass sie geizig sind, [dann] sagen sie, dass [dieser] Tadel [der Tadel] eines Menschen ist, [dass] ein Mensch [sie] beschuldigt. Sonst[145] würden sie nicht sagen: [„] Du beschwerst mein Gewissen.[“] Wenn du [dafür] hältst, dass [dies einfach] mein Wort [ist], [wie] wenn der Bäcker oder der Fleischer [jemanden] straft usw., [dann] tu es nur je länger je mehr[!] Wenn du diesen Eckstein hast, dass dein Prediger[146] menschliche Worte redet[, dann kannst du doch weiter fortfahren]. Aber du wirst zu [Gottes rechter] Zeit sehen, ob dein Gewissen zufrieden sein wird [oder nicht]. Gott gibt dir diese drei [Gaben] – er lässt es regnen und gibt Ackerwerk [und] Ochsen, aber er gibt diese Gabe[n], damit du [sie] für das Abendmahl gebrauchst. Wenn dies der Fall ist, sollen wir in der Tat das Abendmahl empfangen usw. [„]Aber [du] unterlässt mein Abendmahl, kratzt Geld zusammen und bist anmaßend.[“] Eine adlige Frau ist wie eine Fürstin geschmückt, und kein Heller wird gegeben, und [langsam] wird [es hier] ein Sodom. Wenn ich dies [aber] sage, [dann] sagst du, dass ich dein Gewissen beschwere. Frag aber dein Gewissen, ob der Prediger von seinem Kopf oder von [einem] Buch her [spricht]! Es kann sein, dass dein Gewissen [dir folgendes] diktiert: [„Das] ist die 141 S.o. bei Anm. 38–39. 142 Luther erweitert diese Idee auf Lk 14,23 und insofern auf alle, die zum Abendmahl gebracht werden: „[…] denn die Bettler liegen unter den Zäunen.“ ([R] WA 46,441,17: „[…] quia die Betler ligen unter den zeunen.“). 143 Vgl. Ez 3,17–21; s. o. bei Anm. 70. 144 Vgl. Pr. 1732 WA 46,447, Anm. 1. 145 Vgl. Pr. 1732 [R] WA 46,447,8, Anm.: „alioqui c in Si crederent deum per nos arguere peccata sp“. „Per nos“ ist paulinisches Vokabular, das auf sein Amt weist: Vgl. II Kor 1,19; 2,14; 5,20; 9,11. 146 Vgl. Pr. 1732 [R] WA 46,447,10, Anm.: „über praedicator steht pastor sp“.

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Wahrheit. Ich tue ihm zu viel. [Es ist] nicht recht, dass ich diese leiblichen Sachen für die eines Mannes schätze[147] . Wahrlich spricht Gott diese Sachen zu mir, nicht der Prediger.[“] Willst du [aber] deuten, dass [das, was gesagt wird,] das Geschwätz eines Menschen ist, fahre [dann] immer fort – du bist auf der rechten Bahn!148149

Luther macht hier deutlich, dass die Prediger und Pfarrer eine ausgesonderte und von anderen differenzierte Gruppe bilden, durch die Gott spricht und handelt. Ihre Anrede ist nicht wie die Anrede eines Bäckers oder eines Fleischers, sondern sie ist eine besondere Anrede; in ihren leiblichen, körperlichen Worten wird man nicht mit der Rede eines Menschen, sondern mit Gottes eigener Anrede konfrontiert.150 Angesichts der Sündenanklage der Prediger und Pfarrer steht man coram deo und nicht coram hominibus. Das Zitat belegt auch ein prophetisch-apostolisches Selbstverständnis bei Luther. „Wenn wir euch [dies] gesagt haben, dann sind wir entschuldigt“ bezieht sich indirekt auf Ez 3,17–21 und insofern auf die Verantwortung eines von Gott gesandten Boten, der eine Verantwortung coram deo trägt. „Any attempt to understanding Luther’s role in the reform of the church must reckon with this apostolic claim that permeates Luther’s work.“151 Dieses Charakteristikum fin147 Vgl. Pr. 1732 [R] WA 46,447,18, Anm.: „nach ut steht corporalia ista sp“. 148 Vgl. Pr. 1732 [R] WA 46,447,19, Anm.: „über ein guten weg steht bist auff der rechten ban sp“. 149 Pr. 1732 [R] WA 46,447,2–19: „Dedit ista 3 ad cenam, invertis, contemnis deum cum Euangelio et setzt & c. So gehets nu. Si diximus vobis, sumus nos excusati. Tum damnant nos et dicunt: du redest uns an die ehr et gravas conscientiam. Sol da nicht donner, blitz, hellisch feuer drein schmeissen? Scheus inn dein eigen ehr. Ubi ita contemnunt Caenam, ut etiam non pro verbo dei halten. Quando hoc dicimus, quod avari, dicunt correptionem esse hominis, hominem arguere, alioqui non dicerent: Tu gravas mihi conscientiam. Si helts, quod meum verbum, quando becker, fleischer straff & c. thus nur je lenger je mher, quando hunc Eckstein hast, quod tuus praedicator verba humana loquitur. Videbis autem suo tempore, an conscientia tua werde zu frieden sein. Deus dedit tibi 3, lesst regen et dat Ackerwerck, ochsen, sed ad hoc dedit, ut utereris ad Caenam. Si hoc, debemus certe accipere caenam & c. Sed lesst mein caenam anstehen und schindest und bist hoffart. Nobilis uxor est ornata ut furstin, et datur nicht ein heller, und wird ein Sodoma. Si hoc dico, dicis, ich gravor conscientiam tuam. Aber roga conscientiam, num praedicator ex suo capite vel ex libro. Si conscientia dictat: est veritas, Ich thu im zu viel, non recht, ut tanti faciam. Certe deus mihi ista dicit, non praedicator. Wiltus deuten, quod mensch tand, far imer fort, hast ein guten weg.“ (Hervorhebungen JM). 150 Das Zitat lässt keinen Raum für ein funktionalistisches Verständnis des Amtes, wonach das Wort Gottes und in diesem Fall die Predigt des Gesetzes in Bezug auf eine bestimmte Sünde als abstrakte Größe darauf wartet, bis irgendein Christ die Funktion erfüllt, also das Wort Gottes ausspricht oder predigt. Das Zitat zeigt einen Unterschied zwischen den Predigern und Pastoren und anderen Menschen, z. B. dem Bäcker oder dem Metzger, auf. (Die Deutung, dass Luther im kleinen Wittenberg auf den Bäcker oder den Metzger anspricht, und damit einen Nichtchristen meinen könnte, wäre keine haltbare Deutung.) 151 Wengert, „Luther’s Apostolic Self-Awareness“, S. 85. Vgl. auch Preuß, Luther: Der Prophet; von seinem psychologisierenden Ansatz und seinen hagiographischen Tendenzen darf man sich distanzieren, aber die Arbeit von Preuß spricht dennoch zu recht von einem „pro-

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det sich sowohl in Luthers Schriften152 als auch in anderen Predigten.153 Sein prophetisch-apostolisches Selbstverständnis vermittelt er seinen Lesern und seinen Zuhörern. Im Gleichnis vom großen Abendmahl findet Luther eine zeitlos gültige Darstellung des ministerium verbi;154 dies steht fest. Aber ob seine Zuhörer dieses Amt, das Evangelium, das Abendmahl und insofern das Himmelreich bzw. das Reich Gottes bei sich haben werden, bleibt dabei eine offene Frage. Luther schildert eine zyklische Situation: Die Prediger und Pastoren decken zwar die Sünden ihrer Zuhörer und Gemeindeglieder auf, aber diese Botschaft, die den Zuhörern nicht gefällt, wird dadurch abgeblockt, dass man die Prediger und Pastoren schrittweise unversorgt lässt und aushungert. Die Sünde will die Anklage verstummen lassen, bis es keine Anklage mehr gibt und, in diesem Fall, keine von Gott gesandten Boten, die sie aussprechen.155 Das Problem der mangelnden Versorgung der Pfarrer, Pastoren und Prediger verdichtet sich für Luther zur Sorge um das Evangelium, denn ohne sie kann er Himmelreich, Abendmahl und die Predigt des Evangeliums nicht an den Mann bringen. Die Amtsträger nicht zu versorgen heißt soviel wie das Evangelium mit Füßen zu treten.156 Ohne die Prediger und Pfarrer als Prediger und Pfarrer – ohne die von Gott gesandten Boten als die von Gott gesandten Boten stehen die Zuhörer in der Gefahr, dass es kein Himmelreich unter ihnen gibt.

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phetische[n] Bewusstsein“, „Berufsbewusstsein“ und „Sendungsbewusstsein“ (S. 107, 108, 112 und 119). Siehe z. B. WA 51,517,25–28 („Wider Hans Worst“, 1541): „Ja mit S. Paulo, allen Aposteln und Propheten trötzlich sagen: haec dixit Dominus, Das hat Gott selbs gesagt. Et iterum: Ich bin ein Apostel und Prophet Jhesu Christi gewest in dieser predigt.“ Diesbezüglich vgl. Meuser, Luther the Preacher, S. 59, der anzeigt, dass Prophizität und Apostolizität das Proprium von Luthers Predigen sein könnten. Siehe auch WA 40/I,60,27–61,16 (Galaterkommentar, 1535): „Dieses Lehrstück von der Gewißheit des Berufes ist aber sehr hoch vonnöten […] damit jeder mit Johannes dem Täufer rühmen kann, ,Das Wort Gottes ist mir geschehen‘ [Lk 3,2]. Wenn ich also predige, taufe [und] die Sakramente verwalte, handle ich als einer, dem befohlen und der berufen ist, denn die Stimme Gottes ist zu mir geschehen, nicht in einem Winkel, wie die Sektierer prahlen, sondern durch den Mund von einem, der in einer legitimen Amtsobliegenheit ist.“ („Valde autem necessarius est hic locus de certitudine vocationes […] ut unusquisque possit gloriari cum Ioanne Baptista: ,Factum est verbum Domini super me.‘ Quod ergo praedico, baptiso, administro sacramenta, iussus ac vocatus facio, quia vox Dei facta est super me, non in angulo, ut Sectarii iactant, sed per os hominis qui est in functione legitima.“). Auch anhand des Kontexts dieses Zitats kann keine funktionalistische Deutung zugelassen werden: Siehe WA 40/I,62,21–25. Für noch einen indirekten Hinweis auf Ez 3,17–21 siehe Pr. 1651 [R] WA 45,109,9–11. Pr. 1732 [R] WA 46,449,7f. Pr. 1732 [R] WA 46,445,10–447,1. Pr. 1732 [R], besonders WA 46,446,10 mit 46,445,10–12 und 19–21.

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4.2.2 Apostel und Jünger: Ein Exkurs hinsichtlich der Himmelfahrtsund Pfingstpredigten Apostel und Jünger sind nicht einfach identisch. In manchen Hinsichten überschneiden sie sich, und dennoch bilden die Apostel (und ihre Nachfolger) eine bestimmte ausgesonderte Gruppe von Boten. Luther macht den Unterschied zwischen Aposteln und Jüngern besonders deutlich in seiner Himmelfahrtspredigt vom Jahre 1535. Der zur Rechten Gottes aufgefahrene Christus regiert in seinem Reich durch Boten, die er sendet;157 in der Gegenwart sind die Boten, durch die er handelt und regiert, die Prediger und Pfarrer.158 Denen gegenüber stehen die Jünger, die Christus im Glauben untertan sind.159 Den Unterschied zwischen Jüngern und Aposteln leitet Luther aus dem Predigttext des Tages ab: Mk 16,15. Das Mandat, in alle Welt zu gehen und zu predigen, bezieht Luther nur auf die Apostel; Mk 16,16 wird dagegen auf Jünger bezogen, die hören, glauben und getauft werden.160 Luther unterscheidet Apostel und Jünger theologisch. Diese Unterscheidung bestimmt den theologischen Hintergrund auch in Predigten, in denen sich Luther nicht um eine terminologische Unterscheidung bemüht. Er kann „die Jünger“ sagen, und damit die Apostel meinen.161 Die Aufgabe, hier die richtige

157 Pr. 1532 [R] WA 41,75,15f. 158 Pr. 1532 [R] WA 41,77,31–78,1. Nach dem Inhalt von WA 41,75,25–27, der auch umgekehrt zugeordnet werden kann, sind die jetzigen Amsträger die Regierenden im Reich Christi: Wenn Luther Könige und Kaiser die „Prediger“ ihres Reiches nennt, meint er sicherlich nicht, dass sie regieren, indem sie predigen. Er stellt einfach dar, dass die Könige und Kaiser in ihrem Reich regieren. Umgekehrt sind die Prediger und Pfarrer Könige und Kaiser, die Regierenden im geistlichen Reich. Obwohl sie in diesem Reich nicht in gleicher Weise mit äußerlicher Macht und Gewaltanwendung herrschen, regieren sie dennoch hier. 159 Pr. 1532 [R] WA 41,77,24f und 31. 160 Apostel: Pr. 1532 [R] WA 41,77,19–30; 41,77,31–78,1; 41,78,8f. Jünger : [R] WA 41,77,30f; 41,78,1–8. An diesen Stellen wird klar, dass der Titel „Apostel“ auch indirekt auf die Presbyter in Ephesus bezogen wird, und dass den Aposteln und ihren Nachfolgern nicht nur in der Öffentlichkeit zu predigen befohlen ist, sondern auch im privaten Bereich zu den einzelnen Menschen. 161 Pr. 1598 [R] WA 41,591,2–5: „Heute hört ihr das Ende des Evangeliums, wie unser HErr die Jünger gescholten hat, da sie ungläubig und ihre Herzen hart waren und sie denen nicht geglaubt haben, die [ihn] gesehen haben. Und [ihr hört] wie er sie sendet in die ganze Welt und [ihnen] anvertraut, das Evangelium jeder Kreatur zu predigen.“ („Hodie audistis Euangelii summam, wie das unser herr increparit discipulos ideo, quod increduli et duri cordis erant et iis non credebant, qui viderant, Et quomodo eos miserit in totum mundum et commiserit praedicare Euangelium omni creaturae, […]“). Nach dem Zitat, das um Mk 16,14ff kreist, sendet der HErr zwar die Jünger und vertraut ihnen das Evangelium an. Andererseits aber werden diese Jünger von anderen Jüngern im selben Zitat unterschieden: „[…] und sie denen nicht geglaubt haben, die [ihn] gesehen haben.“ Später im unmittelbaren Kontext spricht Luther von „Aposteln und anderen Jüngern“ ([R] WA 41,591,8f). Die

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Deutung zu finden, wird nicht erleichtert, wenn Luther die „Apostel“ als sein Beispiel für ganz allgemeine Bemerkungen über Christen oder sogar über Menschen insgesamt verwendet.162 Der Leser der Predigten muss genau berücksichtigen, wie welcher Terminus in dem Kontext der ganzen Predigt gebraucht wird. Ein besonders prägnantes Beispiel sowohl der Überschneidung als auch der Differenzierung von Jüngern und Aposteln findet man in Luthers Darstellungen der 120 (Act 1,15) in seinen Pfingstpredigten. Es wurde schon oben bemerkt, dass Luther die Zeit zwischen Himmelfahrt und Pfingsten primär als eine Zeit schildert, in der Gottesdienst gefeiert wurde.163 Er meint deshalb, dass der Heilige Geist im Gottesdienst während der Lesung (wahrscheinlich Joel 3,1–5) oder der Predigt auf alle 120 ausgegossen wurde; feurige Zungen kamen auf alle 120, die alle in Zungen reden konnten. Die 120 gingen dann durch die Stadt und predigten in den Straßen und Unterkünften der Pilger,164 die sich schließlich wieder an einem zentralen Ort sammelten, an dem Petrus die Predigt hielt, die in Act 2,14–36 aufgezeichnet ist.165 Diese 120 sind aber keine homogene oder unterschiedslose Gruppe; die Apostel gehen in den 120 nicht einfach auf.166 Das Verhältnis von den Aposteln zu den Übrigen der 120 bleibt in manchen Predigten unklar, nicht zuletzt weil Luther die 120, von denen er anhand der Schrift

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Jünger, die Prediger für die ganze Welt sein sollen ([R] WA 41,591,11–13), sind eine bestimmte Gruppe von Jüngern, nämlich die Elf von Mk 16,14. Pr. 1961 [R/S] WA 49,415–422: Die Apostel fungieren in dieser Predigt auf zwei Ebenen. Erstens verwendet Luther sie als ein Beispiel von Menschen, von Christen, die nur an das Diesseitige denken können, die sich nur um Geld, Magen und Besitz Sorgen machen, die Christi Reich allzu leicht nicht begreifen können. Insofern werden die Apostel indirekt mit Christen verglichen, welche oft die Taufe, die Absolution, die Predigt und das Sakrament nicht zu schätzen und zu gebrauchen wissen. Zweitens aber versteht Luther die Apostel als die historischen Mittel, durch die das Wort in die Gegenwart gekommen ist. Darüber hinaus versteht Pr. 1961 die jetzigen Pfarrer als Apostel in der Gegenwart. S.o. Anm. 41–43. Als Gesamtbefund besonders anhand Pr. 1544 [R] WA 41,252–256; Pr. 1600 [R] WA 41,600–604; Pr. 1726 [R/S] WA 46,401–406; Pr. 2000 [R/S] WA 49,754–761. Die 120 konnten den (apostolischen!) Anspruch erheben, von Gott gesandt zu sein (Pr. 1544 [R] WA 41,255,27). Obwohl alle 120 gepredigt haben, wird die Tätigkeit der Frauen von den 120 auf Predigen unter anderen Frauen begrenzt (Pr. 1727 [R] WA 46,406,2–5 und 46,407,10; Pr. 1999 [R] WA 49,750,8–10; Pr. 1726 [R] WA 46,404,7f, für „hetten“ vgl. die Anmerkung zu 46,404,2). Als Gegenbeispiel gelten Pr. 1963 [R/S] WA 49,441–448 und Pr. 1964 [R/S] WA 49,449–456, in denen Luther die 120 nicht nennt und meint, dass der Geist auf die Apostel ausgegossen wurde. Z.B. Pr. 1726 [R] WA 46,404,16–405,4; vgl. [S] 46,404,28–405,19. Das Predigen der 120 entsteht aus einem Gottesdienst, in dem Petrus predigt, und führt wieder zur Predigt des Petrus hin. Z.B. Pr. 1600 [R] WA 41,601,14–16 und 20–23; Pr. 1999 [R] WA 49,748,1–3 und [S] 49,747,39–748,21. In Pr. 1544 darf man vermuten, dass „Fischer“ ([R] WA 41,254,12) und „Galiläer“ ([R] 41,254,6) auf Petrus und die anderen Apostel (vgl. [R] 41,454,25f) deuten.

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eigentlich sehr wenig wissen kann, wie die Apostel beschreibt.167 Aber soviel steht in den (allermeisten) Pfingstpredigten dieser Jahre fest: Der Heilige Geist wurde auf alle 120 ausgegossen, die danach predigten. „Da stellt sich die Frage[:] ,Nicht alle sollen predigen, oder?‘ [Petrus] hat den Schwärmern die Pforte aufgemacht, wie sie selbst [sagen und behaupten: ,]Also bin ich ein Prophet [und darf predigen‘].“168 Luther selbst sieht die Gefahr einer voreiligen Deutung und theologischen Verwendung der Geistesbegabung der 120. Können und sollen nun nicht tatsächlich alle Christen predigen? Es ist sehr bemerkenswert, dass Luther und die Wittenberger das, was die 120 an Pfingsten taten, in Wittenberg gerade nicht zugelassen hätten. Grundlegend gilt, dass keiner, der nicht berufen ist, predigen darf. Luthers Logik bezüglich der 120 ist, dass sie von Gott berufen und gesandt sein müssen, weil sie das Wunderzeichen der Zungenrede aufweisen. Aber keiner, der nicht ordentlich und mittelbar berufen ist, darf in Wittenberg predigen, wenn er nicht auch Wunderzeichen aufweisen würde.169 Hinsichtlich ihres Predigens und ihrer Predigttätigkeit sind die 120 am ersten Pfingsten eine Art wundersamer Einzelfall und kein theologisches Programm für die christliche Kirche in der Zeit nach Pfingsten. Wenn man Luthers Pfingstpredigten nicht genau analysiert, könnten die 120 als „Beweis“ für alles Mögliche aufgeführt werden. Positiv gesehen ist zu sagen, dass Luther die 120 als ein Ganzes betrachtet: Sie stehen für das christliche Volk am Anfang des neutestamentlichen Zeitalters.170 Insofern kann er ihnen die Ausbreitung des Evangeliums zuschreiben.171 Im Blick auf sie weiß er besonders hervorzuheben, wie der Heilige Geist dieses Volk sicher und keck macht und ihm volle Zuversicht verleiht, im Unterschied zu den Juden, bei deren Pfingsten das erschreckende Gesetz gegeben wurde.172

167 Pr. 1543: Die 120 ([R] WA 41,251,27f) werden als ungebildete Fischer ([R] 41,252,2f) abgebildet. Siehe auch Pr. 1600 [R] WA 41,600,23–26; 41,601,14–18; 41,602,19–21 (im Kontext von 41,601,25–602,27); 41,602,32–35. Pr. 1601 [R]: „piscatores“ (WA 41,604,24 und 26) und „Galilaeis“ (41,605,5). Pr. 1726: Sind alle 120 Galiläer ([R] WA 46,403,15f und 46,404,4)? 168 Pr. 1727 [R] WA 46,409,12f: „Ibi quaestio. Num omnes praedicare debeant? Aperuit enim ostium den schwermern, ut ipsi & c. Ergo sum propheta & c.“. 169 Pr. 1544 [R] WA 41,255,4–6; vgl. 41,254,27. Pr. 1600 [R] WA 41,601,39–602,2. Aus der Wunderfähigkeit, in Zungen sprechen zu können, die für Luther als ein Zeichen gilt, schließt er zurück auf das Berufensein der 120. 170 Pr. 1543 [R] besonders WA 41,248,29f. In Pr. 1727 werden sie als ein Volk dargestellt, unter dem gepredigt wird, dessen Glieder den Heiligen Geist alle empfangen und haben ([R] WA 46,408,13–17; vgl. 46,409,5f); dieses Volk gilt als ein Beispiel für das, was Gott nun mit allen Völkern machen will, nämlich unter ihnen predigen und ihnen seinen Heiligen Geist geben ([R] 46,406,7–9 und [S] 46,406,21–25). 171 Pr. 1543 [R] WA 41,249,30–250,11. 172 Besonders in Pr. 1543 [R] WA 41,248–252. Siehe auch Pr. 1544 [R] WA 41,252,22; vgl. 41,252,29.

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Auch seinen Himmelfahrt- und Pfinstpredigten zufolge sind die Elf173 bzw. die Zwölf (das heißt die Apostel) eine umgrenzte, ausgesonderte Gruppe, die bis in die Gegenwart fortbesteht. Aufgrund des Mandats, das ihnen als Auftrag gegeben wurde, zieht Luther Schlüsse, die auch für das Verhältnis zu seinen Zuhörern in der Gegenwart gelten. […] „Mir ist gegeben [alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes! Und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe! Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.]“ Wenn dies nicht der Fall wäre, würdest [du] mich [jetzt] nicht ansehen, und ich [würde] dich [jetzt nicht ansehen]. Wenn Christus gestorben wäre, aber nicht leben würde, würde kein Wort [mehr] von ihm geredet, aber weil das Wort und die Schrift hier sind, ist das ein durchaus sicheres Zeichen, dass er anwesend ist.174

Das einst gegebene Mandat Christi, der noch in der Gegenwart selbst anwesend ist, sorgt dafür, dass Luther der Gemeinde der Zuhörer im Gottesdienst in der Gegenwart gegenüber gestellt ist und ihnen predigt. In der von Luther festgehaltenen Unterscheidung zwischen Aposteln und Jüngern wird der Abstand zwischen Gott und den von ihm getrennten sündigen Menschen wahrgenommen, und im Gottesdienst, in der Predigt, wird dieser Abstand von Gott selbst überwunden.

4.2.3 Haushalter Auch als Haushalter kann Luther die Amtsträger darstellen. So wie das Senden und die ausgesandten Boten einen Abstand zwischen dem Sendenden und den Adressaten voraussetzen, die an zwei verschiedenen Punkten stehen, und so wie der Unterschied zwischen den Nachfolgern der Apostel und den Jüngern in der Gegenwart einen Abstand wahrnimmt, so impliziert der Titel „Haushalter“ ein Verhältnis zwischen einem Hausherrn und seinem Hausgesinde, in dem der 173 In Pr. 1724, wie in anderen Predigten, erkennt Luther sie als eine bestimmte Gruppe; [R] WA 46,389,11. 174 Pr. 1724 [R] WA 46,392,19–22: „Sed credendum verbo: ,Mihi data‘ & c. Ubi hoc non, non video me et ego te. Si Christus mortuus et non viveret, kein wort würde von im geredt, sed quia verbum et scriptura adsunt, signum certissimum, quod adsit.“ (Hier wurde „vides“ für „video“ gelesen). Dass Luther vom Geschehen der Predigt, die er jetzt hält, spricht, macht [S] WA 46,392,31f deutlich: „Wenn Christus nicht zur Rechten [des Vaters] säße, würde diese Predigt unter uns nicht geschehen.“ („Si Christus non sederet a dextris, non fieret haec praedicatio apud nos.“) Seine Anwendung von Mt 28,16–20 entspricht gerade seiner Deutung von Mk 16,14–16, die wir bereits gesehen haben (s. o. bei Anm. 160): Aus den Mandaten Christi hinaus und bis in sie hinein bilden die Apostel und die apostolischen Amtsträger eine bestimmte, ausgesonderte Gruppe.

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Hausherr und das Hausgesinde zwar nicht direkt miteinander zu tun haben und dennoch verbunden sind. Von I Kor 4,1f, einer Schriftstelle, die im Ordinationsformular angedeutet wird,175 kann Luther sagen, „Diese Epistel geht die an, die in der Christenheit als Prediger, Pfarrer und Apostel haushalten sollen, die treue Haushalter unseres Herrgotts sein sollen, […]“176 Luther stellt die Bischöfe, Pfarrer und Prediger als Amtsinhaber und Regierende dar, die von den anderen Christen gesondert sind177 und ihr Amt von Christus haben.178 In einer anderen Predigt über dieselbe Epistellesung sagt er : Aber [sein Zorn] geht am meisten über {[179]die} Pfarrer, die [ein]gesetzt wurden, damit sie regieren und {zu Anderen} predigen. Er schilt uns {Prediger} mehr als den Haufen. Liebe Prediger und Pfarrer, es ist genug, dass Menschen {uns} für Christi Diener und Haushalter [über] Gottes Geheimnis[se] halten.[180] {Wir} haben Ehr genug daran, wenn Menschen die Zuversicht[181] bezüglich ihrer Pfarrer und Prediger haben, dass sie Gottes Haushalter sind. […] Die Ehre ist viel größer, dass {wir} Prediger und Pfarrer uns [als Christi Diener und Haushalter] rühmen und, dass die Menschen uns für Christi Diener und Haushalter halten, denen der Schatz des HErrn anvertraut ist, den er ein Geheimnis nennt.182

Zu den Haushaltern, von denen Paulus schreibt, rechnet Luther auch die jetzigen Amtsträger, die Prediger, Pfarrer und die Bischöfe. Das Haus Gottes, dem sie zu

175 WA 38,425,13–15 (H.). 176 Pr. 2018 [S] WA 51,96,28–30: „Diese Epistel geht denen an, die da sollenn inn der Christenheit haushalten als prediger, Pfarher, Apostel, die sollen trew haushalter sein unsers herrgotts, […]“ Bei WA 51,98,37f werden auch Bischöfe mit den Predigern genannt. 177 Pr. 2018 [R] WA 51,96,17–19: „Darum spricht [Paulus] nicht vom Volk, sondern von den Regierenden und Amt Habenden in der Kirche, welche Bischöfe, Pfarrer [und] Prediger [sind], die das Wort lehren und die Sakramente verwalten, in denen die Geheimnisse gegeben und ausgeteilt werden.“ („Ideo non loquitur de vulgo, Sed de gubernatoribus et ampt haben in Ecclesia, quales Episcopi, pfarrer, prediger, qui docent verbum, administrant Sacramenta, in quibus donantur et distribuuntur mysteria.“). Die Terminologie („docent verbum, administrant Sacramenta“) ist der Terminologie von CAV,1 und XIV gleich (BSLK 58,2–4 und 69,2–5). 178 Pr. 2018 [S] WA 51,97,31f. 179 S.o. Anm. 54. 180 Am Rand wird „Mysteria dei“ angegeben. 181 Diese Übersetzung von „Wahn“ von StA 6,176. 182 Pr. 1577 [R] WA 41,468, 9–18: „Sed ghet am meisten uber pfarherr, qui positi, ut regant et praedicent. Er schilt uns mher denn den hauffen. Lieben prediger und pfarherr, satis, quod homines da fur halten, quod Christi diener et Oeconomi inn gottes geheimnis, haben ehr gnug dran, quando homines den wahn habent de suis parochis et praedicatoribus, quod dei oeconomi, […] Multo maior gloria, quod praedicatores et parochos rhumen et homines da fur halten, quod Christi diener und haushalter, quibus commissus thesaurus domini, quem vocat Mysterion.“

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Der Aspekt der apostolischen Kontinuität

dienen haben und das sie zu regieren haben, ist die Kirche; Gott vertraut ihnen seinen Schatz bzw. seine Geheimnisse an.183 Die Geheimnisse, die den Amtsträgern anvertraut werden, spezifiziert Luther auch. Die Taufe und das Abendmahl, die Absolution, die die Pforten des Himmels aufschließt und die der Hölle zuschließt, sowie die Predigt, die die Zuhörer sowohl erschreckt wie tröstet, – alles dies wird den Amsträgern anvertraut, damit sie es verwalten und austeilen.184 Kurz gesagt, die anvertrauten Geheimnisse sind das Wort und die Sakramente.185 Das Amt der Amtsträger oder Haushalter sowie das Wort und die Sakramente, die ihnen anvertraut sind, kommen von Christus und gehören unauflöslich zusammen.186 Wenn Christus den Aposteln und ihren Nachfolgern im Amt sein Wort und Sakrament anvertraut, vertraut er ihnen sein ganzes Regiment an, denn sein Regiment ist nichts anderes als ein Regiment oder Reich der Sündenvergebung.187 Gerade dieses Regiment, das in seinem Tod und seiner Auferstehung gründet, befiehlt er ihnen an: Gleichwie mich der Vater [gesandt hat, so sende ich euch]. Das ist, damit ihr Apostel und [eure] Nachfolger dasselbe Werk tun, das ich [getan habe], weswegen ich auch gekommen bin[. Dieses Werk ist] aber, dass den Leuten, welche sich haben wollen helfen lassen, vom Tod geholfen ist, [aber] denen nicht, [die sich] im Gegenteil [nicht haben wollen helfen lassen]. Das tut ihr auch. Das sei euer Regiment.188

In Pr. 1923, die über Joh 20,21–23 geht und aus der dieses Zitat genommen ist, behandelt Luther das Doppelmandat der Absolution und des apostolischen Amtes,189 das er in dieser Schriftstelle findet. Es ist überaus deutlich, dass die Prediger und Pfarrer als Nachfolger der Apostel dazu bestimmt sind, zu absol-

183 Vgl. Pr. 1577 [R] WA 41,468,22–24: „Solche Leute sind die Pfarrer im Haus des HErrn, dass sie Diener Jesu Christi sind und seine geistlichen Güter, seinen Schatz, austeilen, […]“ („Solche leute sunt parochi in domo domini, ut sint Iesu Christi diener und austeilen seine geistliche guter, schetz, […]“). 184 Pr. 1577 [R] WA 41,468,28–469,16. 185 Pr. 2018 [S] WA 51,96,32–34. 186 Pr. 1577 [R] WA 41,470,13f: „Wenn wir jedoch wissen, dass wir unser Amt von Gott haben, begehren wir keine andere Ehre als, dass unsere Predigt [und] Sakramente Gottes sind.“ („Si vero scimus nos officium habere a deo, non cupimus alium honorem, quam quod noster sermo, Sacramenta sint dei.“) Sowohl das Amt als auch das Wort und die Sakramente stehen unter dem possessiven Adjektiv „unser“ und sind gleichzeitig von Gott und „Gottes“. 187 Pr. 1923 [R] WA 49,139,28f: „regnum remissionis peccatorum“. 188 Pr. 1923 [R] WA 49,138,26–29: S.o. Anm. 77 (Hervorhebung JM). Im vorangegangenen Abschnitt der Predigt wurde das Regiment Christi vom Regiment der Welt und auch vom Regiment des Moses unterschieden: [R] WA 49,137,10–138,26. Für die Prediger und Pfarrer als Nachfolger der Apostel in Pr. 1923 s.o. Anm. 72–73. 189 S.o. bei Anm. 79–83.

Eine bestimmte Gruppe gesandter Boten und Haushalter

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vieren.190 Nach der Stiftung Christi sollen die Amtsträger absolvieren; sie gehören zu der Stiftung der Absolution: „[…] aber weil [Gott] sie [i. e. die Absolution und die Predigt] [so] eingesetzt hat, dass sie uns durch die Diener mitgeteilt werden sollen, [soll man die Diener erhalten.]“191 Die Auferstehung Jesu Christi gilt als Beweis für Gottes Willen, die Menschen von Sünde und Tod zu befreien; seine Auferstehung stiftet die lebensrettende und lebenspendende Absolution.192 Gerade weil Gott nicht den Tod des Sünders will, sondern sein Leben, darf kein sterbender Christ der Absolution beraubt werden. Daher befürwortet Luther die Notabsolution:193 Wenn in Todesgefahr oder am Sterbebett kein Amtsträger zu finden ist, der dem Kranken oder Sterbenden das reine Evangelium der Absolution geben will, ohne etwas von ihm zu fragen oder zu fordern, kann und soll jeder Christ den Kranken oder Sterbenden absolvieren und trösten; hier sei aber bemerkt, dass die Notabsolution keine Neuerung Luthers ist, sondern zur Tradition der Kirche – auch im Spätmittelalter – gehört.194 Darüber hinaus zeigt Pr. 1923, dass das Amt und das Absolvieren der 190 Pr. 1923 [R] WA 49,138,26–140,14. 191 Pr. 1923 [R] WA 49,141,33: „[…] sed quia instituit, ut communicentur nobis per ministros & c.“ 192 Vgl. Pr. 1923 [R] WA 49,137,10f und 49,140,39f. 193 Siehe besonders Pr. 1923 [R] WA 49,139,6–8. 194 Luther stellt eine zwar traurige, aber dennoch mögliche Situation dar, bei der ein Priester den Sterbenden nicht tröstet: Der Sterbende, der als Getaufter schon Anteil an der Auferstehung Christi hat (Mk. 16,16 soll dem Sterbenden zitiert werden, um ihn mit seiner Taufe zu trösten; Pr. 1923 [R] WA 49,141,9f), soll nun nicht auf dem Sterbebett dieses Anteils beraubt werden, wenn ihm nur eine käufliche Absolution angeboten und er auf seine eigenen Werke hingewiesen wird und möglicherweise nun darauf vertrauen soll, gleichzeitig aber daran zweifeln muss. Der sterbende Christ, das auferstandene Glied Christi, soll leben! Aber der Priester, der ihm die Vergebung (von der er lebt!) durch die Absolution erteilen soll, verrichtet seine Aufgabe nicht, sondern er versucht, die freie Vergebung in ein käufliches Objekt zu verwandeln und den Sterbenden auf seine eigenen Werke statt auf Christus zu weisen. Von einer Grundüberzeugung her, dass Christus will, dass der Sterbende lebe, fordert Luther alle seine Zuhörer auf, in einer solchen Situation selbst hinzugehen. In einer solchen Situation ist jeder Christ gesandt: Er darf und soll hingehen, die Todesängste des Sterbenden ernst nehmen, ihn von seinen eigenen Werken ab- und auf seine Taufe und auf die Verheißungen Christi hinweisen, Christi Stiftung der Sündenvergebung (Joh 20,21–23) zitieren, und den Sterbenden absolvieren. Auch in der Notsituation geht es nicht etwa um abstrakte Vergewisserung, sondern auch um die leibliche Absolution: „Ich […] spreche dich los und ledig von [deinen] Sünden im Namen des Vaters, des Sohnes, und des Heiligen Geistes.“ ([R] WA 41,141,11f: „[…] sprech dich los und ledig a peccatis in nomine patris, filii, et Spiritus sancti.“). Auch durch die Notabsolution soll Gewissheit herrschen: Der nun absolvierte Sterbende betet, „Ich danke dir, himmlischer Vater, [und] ich glaube[, dass] von deiner Majestät mir [die Sünden] wahrhaft vergeben sind, und ich zweifele nicht daran, dass ich von dir, Vater, absolviert bin.“ ([R] WA 41,141,12–14: „Gratias ago tibi, coelestis pater, credo mihi vere remissa a tua maiestate et non dubito me absolutum a patre.“). Zur Notbeichte in der Tradition der westlichen Kirche siehe z. B. den Hinweis auf Augustin (und das Decretum Gratiani) im Tractatus Melanchthons: Tr 67 (BSLK 491,20–26, Anm. 2).

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Der Aspekt der apostolischen Kontinuität

Prediger und Pfarrer nicht aus irgendeinem Grundrecht oder -fähigkeit aller Christen abgeleitet werden, sondern dass das Absolvieren der Laien eben eine Notabsolution darstellt – ein Absolvieren, das nur geschieht, wenn kein absolvierender Amtsträger gefunden oder geholt werden kann. Jedes Mal, wenn Luther die Absolution durch einen Laien anspricht, wird dabei gleichzeitig auch die Notsituation als solche benannt.195 Das Absolvieren durch Laien in der Notsituation – erst recht das absolvierende Amt der Apostel und ihrer Nachfolger! – wird nicht in ihrem Christ-Sein oder in irgendeinem aktiven Grundrecht aller Christen begründet, sondern darin, dass kein getaufter Christ, dem in seiner Taufe Vergebung und Leben durch den auferstandenen HErrn verheißen sind, an seinem Sterbebett der Absolution seines HErrn beraubt werden darf. Bei der Laien- bzw. Notbeichte geht es in erster Linie nicht um das, was jeder Christ tun darf, sondern um das, was jeder Christ erwarten und bekommen darf. Die Notbzw. Laienbeichte widerspricht nicht der Tatsache, dass die Absolution und Christi Regiment der Sündenvergebung den Aposteln und ihren Nachfolgern im Amt anvertraut sind; hier kann von keiner Spannung oder Polarität die Rede sein. Der auferstandene HErr, der keinen seiner Getauften der Absolution beraubt lassen will, ist derselbe, der sein Regiment und sein Amt den Aposteln und ihren Nachfolgern anvertraut hat, damit sie an seiner statt handeln:196 Sowohl im Notfall als auch im Normalfall geht es darum, dass der absolvierte Christ weiß, dass ihm seine Sünden definitiv und gewiss von Christus vergeben worden sind. Die von Luther durchaus bestätigte Tatsache, dass Christus der alleinige Hausherr ist und sogar selbst als Haushalter oder Hauswirt dargestellt werden kann, schließt nicht aus, sondern vielmehr ein, dass es eine Gnadenmittelverwaltung in seinem Haus, in der Kirche, gibt, zu der er eigene Haushalter bestellt.197 Die Prediger und Pfarrer sind (auch) Haushalter : Sie predigen und verwalten die Sakramente laut und kraft des Befehls Christi und ihres Amtes. Sie sind ihrem HErrn untergeordnet und müssen ihm untergeordnet bleiben.198 Pr. 1881 zeigt durchaus eine Kontinuität zwischen Gott bzw. Christus und den Predigern bzw. Pfarrern der Kirche, und diese Kontinuität entspricht der Kontinuität zwischen Christus und seinen Aposteln.199 Nach Luther handelt der

195 Pr. 1923 [R] WA 49,139,20f; 49,140,39–141,14 (im Vergleich zu 49,140,23–39). Die Druckausgabe bestätigt diese Feststellung: [Dr] WA 49,146,9–11 und 35–39; 49,146,42–147,4; 49,147,19–21; 49,149,32–34; 49,150,4–11. 196 Pr. 1923 [R] WA 49,138,37; vgl. II Kor 5,20 und Apol VII,28 (BSLK 240f). 197 Pr. 1881 [Dr]: Für Gott als Hauswirt und Haushalter siehe WA 47,774,3; 47,776,21; 47,779,14. 198 Pr. 1881 [Dr] WA 47,774,8–11 und 47,775,22 (die Stelle weist auf den „Pfarrer“ bei 47,775,14, sonst würde der Doppelgenitiv, „Gottes Vermögen dieses Haußhalters“, keinen Sinn geben). Siehe auch [Dr] WA 47,775,6–26. 199 Pr. 1881 [Dr] WA 47,774,19–21 und 47,776,38f.

Senden bedeutet Kommen, bedeutet Präsenz

163

Hausherr mit seinem Hausgesinde durch seine Haushalter: Seinem eigenen Mandat entsprechend handelt er durch die Apostel und ihre Nachfolger.200

4.3

Senden bedeutet Kommen, bedeutet Präsenz

Auch wenn Gott die Eigenschaft der Allgegenwart zukommt, so ist dennoch nach dem Sündenfall seine heilsame und rettende Präsenz eine bestimmte und geordnete Präsenz, nämlich seine Präsenz in dem von ihm angeordneten Kultus. Am Ende seiner Predigttätigkeit in Galiläa und Judäa stellt Jesus Christus eine neue Ordnung auf, indem er Propheten, Apostel und Prediger verheißt und schließlich sendet. Er bringt die Ordnung und den Kultus des alttestamentlichen Zeitalters zum Abschluss und führt sein eigenes Predigtamt dadurch aus – er vollbringt es –, dass er weitere Prediger sendet.201 Mit Jesus Christus vollzieht sich ein Umbruch der Zeiten: In göttlicher Vollmacht schafft er die alte Ordnung ab und stiftet eine neue Ordnung, und darin wird die übergreifende Kontinuität einer geordneten Präsenz Gottes in der Welt durch ihn bestätigt. Der Stand der Propheten und Schriftgelehrten (das ist der Stand der jetzigen Prediger und Pfarrer), der von Christus beibehalten wird,202 macht ein wesentliches Element dieser Kontinuität aus. Gott hatte zur Zeit des Alten Testaments Propheten und Boten gesandt, und Christus selbst, der Sohn Gottes, ist ein gesandter Prediger, der seinerseits die Apostel und ihre Nachfolger sendet. Luther sieht am Ende der Predigttätigkeit Christi in Judäa und Galiläa das Moment der apostolischen Kontinuität bestätigt und die apostolische Sendung fortgesetzt: „Er will es noch einmal versuchen,“203 sagt Luther ; Christus sendet weitere Prediger. Auch im neutestamentlichen Zeitalter nach der Himmelfahrt Christi bleibt die Frage nach der lokalisierten Anwesenheit Gottes und seines Reiches, nicht zuletzt für die Seelsorge, theologisch entscheidend: „Wo werde ich das finden?“204 Das Reich Gottes, seine Präsenz, eine Zeit lang mit Jesus Christus in 200 Pr. 1964 [R]: für das mittelbare Handeln siehe WA 49,449,18–450,1; 49,454,7–11; 49,456,5. Für das Mandat siehe WA 49,451,9–11. 201 Pr. 1843 [A] WA 47,515–522 zeigt die Ordnung und den Ordnungswechsel. Für das Vollbringen des Predigtamtes Christi durch die Sendung von weiteren Predigern siehe besonders WA 47,515,37: „Also hat nun der Herr sein predigtampt ausgericht“ (Für „ausrichten“ als „vollbringen“ siehe StA 6,24). Der Abschnitt WA 47,515,29–516,23 muss nicht irreführen, wenn man sieht, dass Luther sich nicht um die Definitionen und begriffliche Abgrenzung der alttestamentlichen Amtsterminologie bemüht: Die Priester z. B. sind an dieser Stelle einfach eine Gruppe der geordneten Amtsträger im alttestamentlichen Kultus. 202 Pr. 1843 [A] WA 47,516,14–33. Für die jetzigen Pfarrer und Prediger als Propheten und Schriftgelehrte s. o. bei den Anm. 2–17. 203 Pr. 1843 [A] WA 47,516,4: „Ehr wils noch einmahl versuchen.“ 204 Pr. 1923 [Dr] WA 49,149,3.

164

Der Aspekt der apostolischen Kontinuität

Judäa und Galiläa leiblich zu finden, hat sich nun in alle Welt ausgebreitet und ist jetzt bei den von ihm Gesandten zu finden und weiterhin bei denen, die von diesen ausgesandt werden. Heute ist Jesus Christus, der Gesandte Gottes, bei seinen Gesandten zu finden.205 Seine Adresse ist die Adresse des Amtes.206 In Hinsicht auf die geordnete Präsenz Gottes besteht nach Luther wenig Unterschied zwischen dem Zeitalter des Alten und dem des Neuen Testaments. Der Name Gottes hat noch immer einen lokalisierten Wohnsitz. Der Unterschied zeigt sich darin, dass Jerusalem, die Stiftshütte, der Tempel sozusagen vermehrt werden; anstelle eines Ortes unter einem Volk, gibt es nun viele Orte seiner Präsenz unter allen Völkern. Der Name Gottes ist seine Präsenz, und dieser Name ist bei den Aposteln zu finden.207 Wie eine Henne, die ihre Küken unter ihre Flügel versammeln will, so sammelt Christus nun sein Volk aus allen Völkern durch die Apostel und ihre Nachfolger : Sie sind seine Stimme und seine Flügel.208 Wenn die Apostel und ihre Nachfolger nach dem Mandat, in das sie einbezogen sind, handeln, dann bedeuten coram apostolis und coram sucessoribus apostolorum immer soviel wie coram deo, sowohl für den erschrockenen Sünder als auch für den Sünder, der mit seiner Sünde nicht konfrontiert werden will.209 Gottes Senden bedeutet sein eigenes Kommen. „Jetzt aber komme ich selbst und will Propheten senden, so dass ihr selbst den Sohn Gottes, die Apostel [sowie] seine Weisen und Propheten hören sollt.“210 In Bezug auf Christus, den gesandten Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist, bedeutet die Sendung der 205 Pr. 1923 [Dr] WA 49,149,7–13 und 24–29: „,Ich sende euch‘ & c. Als solt er sagen: Ich mus am ersten zu euch komen meins Vatern willen durchs Euangelium euch verkuendigen, die heiligen Sacrament und die Absolutio stifften, solt ir anders zu mir komen. Nu ich aber leiblich nicht an allen Orten in der gantzen Welt sein kan, auch nicht imerdar Personlich gegenwertig bey euch sein werde, So thue ich also, wie mein Vater gethan hat, Der nam fur sich ein kleinen Winckel auff Erden, nemlich das Juedischeland, da sand er mich hin, das ich da solt Prediger sein. […] Solches (spricht er alhie) solt ir auch uben an allen Orten wo ir hin kompt. Und eben dazu sende ich euch, das ir lauffen sollet (als meine Boten) durch die gantze Welt. Dazu neben und nach euch auch andere setzen und ordenen, die da lauffen und predigen und eben das thun, dazu ich vom Vater gesand und ich euch gesand habe bis ans ende der Welt. Und ich wil imer dabey sein, das ir wissen sollet, das irs nicht seid, die es thun, sondern ich durch euch.“ 206 Vgl. Pr. 1923 [Dr] WA 49,149,31f. 207 Pr. 1964 [R] WA 49,451,1–4; 49,452,7–10. 208 Pr. 1846 [A] WA 47,538,16–539,15. Das Bild kann Luther auch anderswo als ein Bild für Christus und die Rechtfertigung verwenden: siehe WA 39/I,222,20 („Die Promotionsdisputation von Palladius und Tilemann“, 1537); 39/I,506,6f („Die dritte Disputation gegen die Antinomer“, 1538); vgl. Schmidt, Christologie in Disputationen, S. 79, 259 und 270 (Anm. 79). In seiner homiletischen Betrachtung dieses Bildes Christi von Mt 23,37 schreibt Luther die ganze Tätigkeit Christi den Aposteln zu. 209 S.o. Anm. 149–150 und Pr. 1923 [R] WA 49,139,8–18. 210 Pr. 1844 [A] WA 47,523,35–37: „[…] itzt aber komme ich selbst und will senden Propheten, das ihr selbst den Sohn Gottes, die Aposteln, seine Weisen und Propheten horen sollet.“

Senden bedeutet Kommen, bedeutet Präsenz

165

Apostel, Prediger und Pfarrer sein eigenes fortdauerndes Kommen und seine fortdauernde leibliche Präsenz auf Erden. „[,]Ich muss zu euch kommen und Propheten senden,[‘] sonst würden wir [ihn] nicht finden. Aber er kommt zu uns durch seine Gesandten und Diener, als durch die Taufe, [den] Predigtstuhl, [und das] Sakrament des Altars.“211 „[,]So muss es zugehen: „Ich sende“. […] Ihr werdet nicht zu mir kommen, sondern ich zu euch.[‘]“212 Der theologische Ansatz ist durchgehend inkarnatorisch – die Selbst-Herablassung des Sohnes Gottes untermauert Luthers Aussagen. Christus selbst gilt als Gesandter,213 der einen Befehl ausführt,214 und er sendet seine Gesandten mit derselben Sendung, mit der er gesandt worden ist.215 Die Sendung ist eins. Wie die Sendung Christi durch den Vater sich in der Sendung der Apostel durch Christus fortsetzt, so ist die apostolische Sendung eine fortdauernde und fortsetzende Sendung, die sich auf weitere Generationen von Gesandten erstreckt.216 Luther erläutert die Worte Christi an die Apostel von Joh. 20,21b folgendermaßen: [„]Deshalb sende ich [euch], damit ihr durch die ganze Welt lauft und andere Prediger einsetzt, die auch laufen, predigen und tun, denn ich und ihr [gehen zusammen] bis ans Ende der Welt. Ich will dabei sein, damit ihr wisst, dass nicht ihr, sondern ich durch euch handle bis zum jüngsten Tag.[“]217

Die sich fortsetzende Sendung, die fortdauernde und lokalisierte Präsenz Christi und das Machen und Einsetzen von weiteren Predigern sind nicht zu trennen. Aus diesem höchst bedeutsamen theologischen Zusammenhang zieht Luther entscheidende Schlüsse für die Gegenwart: Aus dem Befehl haben wir auch die Autorität, damit, wenn wir Sünden vergeben und binden, wissen wir, dass nicht wir, sondern ja Gott selbst [dies] tut, [weil] wir von Gott gesandt sind. Deshalb sollst du [den] Pfarrer nicht wie einen Menschen anhören, sondern wie Gott.218 211 Pr. 1843 [A] WA 47,521,31–33: „Ich mus zu euch kommen nnd senden Propheten; sonst werden wirs nicht finden. Aber es kompt zu uns durch seine gesanthen und diener, als durch die Tauffe, Predigtstuel, Sacrament des altars.“. 212 Pr. 1923 [R] WA 49,140,24f: „so mus zugehen: ,Ego mitto‘. […] Vos non venietis ad me, sed ich ad vos.“ 213 Pr. 1923 [R] WA 49,138,26f; 49,139,25f; [Dr] 49,147,7f. 214 Pr. 1923 [R] WA 49,139,26; [Dr] 49,147,8f; 49,148,20–22. 215 Pr. 1923 [R] WA 49,139,19f; [Dr] 49,146,3–8 und 30–33; 49,148,20–22. 216 Vgl. Kasper, „Apostolische Sukzession als ökumenisches Problem“, S. 333. 217 Pr. 1923 [R] WA 49,140,32–36: „Ideo mitto, ut curratis per totum mundum et constituatis alios praedicatores, qui auch lauffen, predigen und thun, quod ego et vos usque ad finem mundi. Et ego wil dabei sein, ut sciatis vos non facere, sed me per vos usque ad extremum diem.“ (Hervorhebung JM; vgl. Anm. 79 oben.). Das Zitat weist auf Act 1,8 und Mt 28,20. 218 Pr. 1923 [R] WA 49,140,36–38: „Aus dem befelh haben wir auch potestatem, ut remittentes peccata et absolventes sciamus, quod nos non, sed a Deo missi, ipse met faciat. Ideo non debes pfarherr audire ut hominem, sed ut deum.“.

166

Der Aspekt der apostolischen Kontinuität

„Darum bist du mir eben so wohl schuldig zu glauben […] als wenn Christus dir die Hand auflege und dich heile […]. Wenn der Diener dir die Hände auflegt, [legt dir] sogar Christus selbst [die Hände auf].“219 Da es kein isoliertes und isolierbares Thema für sich ist, findet Luthers Verständnis der apostolischen Kontinuität des Amtes seinen praktisch-theologischen Ausgangpunkt bei der Beichte, bei der Predigt, beim Abendmahl und bei der Taufe. Jeder darf wissen, wo Gott zu finden ist, wodurch er wirkt und durch wen er spricht und handelt. Entschlossen und die Gewissheit stärkend beantwortet Luther die Frage: „Durch wen?“: Durch die, die Christus gesandt hat – durch die Apostel und ihre Nachfolger, die Prediger, Pfarrer und Bischöfe. Zusammenfassung Nach dem, was er homiletisch vermittelt, versteht Luther sich und die Amtsträger seiner Zeit als Botschafter, Diener und Haushalter Gottes, die in einer Linie stehen mit den Propheten, mit Johannes dem Täufer, mit Christus als dem Gesandten des Vaters, mit den Aposteln und mit den Bischöfen der Kirche. Die jetzigen Amtsträger sind die Nachfolger der vorherigen Amtsträger, durch die sie zu Amtsträgern gemacht worden sind. Folglich geht Luther von einer apostolischen Kontinuität des kirchlichen Amtes und dessen Inhabern aus, die jedoch nicht mit dem heutigen Begriff der apostolischen Sukzession gleichzusetzen ist. Die Amtsträger bilden eine von anderen Christen differente und ausgesonderte Gruppe. Jesus Christus, der Gesandte des Vaters, nimmt sie in seinen Dienst. Indem er sie als seine Gesandten sendet, überwindet er den Abstand zwischen Gott und den von ihm getrennten Menschen und kommt zu ihnen.

219 Pr. 1923 [R] WA 49,140,7–11: „Darumb bistu mir eben so wol schuldig […] zugleuben, ac si Christus imponeret manum et sanaret te […]. Si manus in te ponit minister, etiam ipse Christus.“.

5.

Der Aspekt der historischen Kontinuität

Während in den vorangehenden zwei Kapiteln den Aspekten der christologischen Kontinuität und der apostolischen Kontinuität der Präsenz Christi im Amt nachgegangen wurde, wird dieses Kapitel Überlegungen zur historischen Kontinuität seiner Präsenz gewidmet. Weil diese drei Aspekte (der christologische, der apostolische und der historische) Teile eines übergreifenden Kontinuitätsgedanken sind, überschneiden sie sich in gewisser Hinsicht. Das 5. Kapitel baut auf den Kapiteln 3. und 4. auf und ist zwar dort bereits grundgelegt. Es gibt aber erhebliche Momente der Kontinuität der Christus-Präsenz, die nicht zur Geltung kämen, wenn sie nicht für sich – als Momente einer geschichtlichen Kontinuität – betrachtet würden. Zu diesem Kapitel geben insbesondere die Vergegenwärtigungen Anlass, denen man immer wieder in Luthers Predigten begegnet. Wenn zum Beispiel nach Luther Paulus und die Epheser für die Lehre, in der sie bleiben, leiden müssen, so bezieht Luther diesen Gedanken des Leidens direkt auf die Situation der Wittenberger : Kaiser, Könige, Herren, Fürsten, der Teufel und die Dämonen kämpfen gegen sie als ein Volk, das Gottes Lehre hat.1 Solche Vergegenwärtigungen sind in den Predigten Luthers so allgemein und so häufig, dass der Leser darin wohl nicht unbedingt bedeutsame theologische Hinweise wahrnimmt. Sie könnten lediglich als Beleg für einen wenig reflektierten und unkritischen Umgang eines vormodernen Menschen mit der Geschichte gelten, der seine Bilderwelt und Geschichtsanschauung noch ungebrochen aus der Bibel ableitet.2 Dass Luther in vielen Hinsichten vor der Moderne – auch theologisch – lebte, bedarf keines Beweises. Dennoch wäre es aber kurzsichtig zu behaupten, dass sein Umgang mit der Geschichte unreflektiert sei. In seinen späteren Predigten zeigt Luther einen durchaus theologisch reflektierten Umgang mit der Ge1 Pr. 2011 [R] WA 51,57,12–26; der Text für die Predigt ist Eph 3,13ff. Eine ähnliche Vergegenwärtigung findet man in derselben Predigt bei 51,57,26–58,19. 2 Lohse, Martin Luther, S. 199; allgemein zum Thema vgl. Schmidt, „Luthers Schau der Geschichte“.

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Der Aspekt der historischen Kontinuität

schichte – und zwar gerade auf die Amtstheologie bezogen –, der mit den großen Konturen seiner Theologie im Einklang steht. Die problematisch erscheinenden und manchmal leicht übersprungenen Vergegenwärtigungen sind also oft Anzeichen von theologischen Verbindungen und Verknüpfungen, die Luther bewusst schaffen will.

5.1

Geschichtliche Kontinuität und geschichtliche Kontingenz: Die Amtsträger und ihre Versorgung

5.1.1 Homiletische Vergegenwärtigungen und die Kontinuität des Amtes Es wurde schon oben ausgeführt, dass Luther sein Amt in einer Kontinuität mit dem Amt der Apostel sieht und dass er seine und die Situation des jeweiligen Apostels so miteinander verknüpft, dass der Leser der Nachschriften nicht immer Luthers eigene Worte von seiner den Apostel nachahmenden Rede unterscheiden kann.3 In Luthers späteren Predigten überschneiden sich nicht nur Apostel und Prediger, sondern auch die Zeit der Apostel und die Gegenwart. Dennoch lösen Luthers homiletische Vergegenwärtigungen weder Vergangenheit noch Gegenwart auf; sie nehmen beide äußerst ernst. In einer bereits erwähnten Predigt vom ersten Sonntag nach Ostern 1540 fasst Luther die damals zu den Aposteln gesprochenen Verheißungsworte Christi so zusammen: „[,] Deshalb sende ich [euch], damit ihr durch die ganze Welt lauft und andere Prediger einsetzt, die auch laufen, predigen und tun, denn ich und ihr [gehen zusammen] bis ans Ende der Welt. Ich will dabei sein […] bis zum jüngsten Tag.[‘]“4 Luther nimmt diese Worte danach gleich auf und wendet sie auf seine Zuhörer und seine Situation an: „Aus dem Befehl haben wir auch die Autorität, damit, wenn [wir] Sünden vergeben und binden, wissen wir, dass nicht wir, sondern ja Gott selbst [dies] tut, [weil] wir von Gott gesandt sind. Deshalb sollst du [den] Pfarrer nicht wie einen Mensch anhören, sondern wie Gott.“5 Solche Vergegenwärtigung zwischen den damaligen Aposteln und den jetzigen Amts3 Siehe 2.2.1. 4 Pr. 1923 [R] WA 49,140,32–36: „Ideo mitto, ut curratis per totum mundum et constituatis alios praedicatores, qui auch lauffen, predigen und thun, quod ego et vos usque ad finem mundi. Et ego wil dabei sein […] ad extremum diem.“ Über Joh 20,21–23 hinaus weist das Zitat auf Act 1,8 und Mt 28,20. Siehe auch 3.3 (dort bei Anm. 154), 4.1.2 (dort bei Anm. 79) und 4.3 (dort bei Anm. 217). 5 Pr. 1923 [R] WA 49,140,36–38: „Aus dem befelh haben wir auch potestatem, ut remittentes peccata et absolventes sciamus, quod nos non, sed a Deo missi, ipse met faciat. Ideo non debes pfarherr audire ut hominem, sed ut deum.“ Siehe auch 3.3 (dort bei Anm. 154) und 4.3 (Anm. 218).

Die Amtsträger und ihre Versorgung

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trägern ist kein Ausnahmefall.6 Das Damals und das Jetzt werden im Predigen Luthers verschränkt und geben uns Anlass, seinem Verständnis der Geschichte und dessen Verhältnis zu seinem Amtsverständnis genauer nachzugehen.

5.1.2 Die Kontingenz des Evangeliums und die Versorgung der Amtsträger Eine Vergegenwärtigung, die öfters auffällt, zeigt sich zwischen der Verfolgung vorheriger Amtsträger und der mangelnden Versorgung der jetzigen Prediger und Pfarrer. Nach Luther wird zum Beispiel die Verfolgung der Apostel und ihrer Nachfolger, bei Mt 23,34–38 prophezeit,7 in der Gegenwart erfüllt, indem die jetzigen Amtsträger dem Hunger preisgegeben werden. „Ja, die uns solches predigen, die lässt man noch wohl von Hunger sterben und totschlagen[. Sie] sprechen[, ,]Wir wollen nicht leiden, dass er zu uns sendet; sendet er aber welche, so wollen wir sie totschlagen.[‘]“8 Die mangelnde materielle Versorgung der Prediger und Pfarrer,9 die der Reformation anhängen, resultiert aus der Undankbarkeit ihrer Zuhörer und Gemeindeglieder,10 bei denen Luther eine gewisse „Eschatologielosigkeit“ feststellt:11 Sie denken, leben und geben nur so, 6 Vgl. auch z. B. Pr. 1963 [R/S] WA 49,441–448, in der Luther mehrmals zwischen Pfingsten und 1544 sozusagen springen kann ([R] 49,445,6–8; 49,446,7–11 und 19–22); bei [R] 49,448,13f verbindet er Pfingsten, die Zeit des Neuen Testaments und die Zeit bis zum Ende der Welt. Siehe auch Pr. 1577 [R] WA 41,469,16–470,17: Dass Pfarrer, die Haushalter sind, dann auch Hausherren sein wollen, ist ein Problem, das die Kirche in Korinth im 1. Jahrhundert und die westliche Kirche im 16. Jahrhundert gemeinsam haben. 7 Für „Propheten und Weise und Schriftgelehrte“ als die Apostel und ihre Nachfolger siehe 4.1.1, (dort bei Anm. 2–17). 8 Pr. 1843 [A] WA 47,522,2–4: „Jha, die solches uns predigen, die lest man noch wohl hungers sterben und lest sie todschlagen, sprechen: Wir wollen nicht leiden, das ehr zu uns sende, sendet ehr aber jemandes, so wollen wir sie todschlagen.“ 9 Die mangelnde Versorgung der Pfarrer wird oft angesprochen: Pr. 1604 [R] WA 41,622,32f (für die Amtsträger als „optimi“ siehe 4.1.1, Anm. 32–34); Pr. 1702 [R] WA 46,202,23–25; Pr. 1732 [R] WA 46,447,21–27. Pr. 1853 [A] WA 47,592,21–593,24 (bes. 47,592,38f; im Abschnitt wird Geiz thematisiert); Pr. 1854 [A] WA 47,596,8–12; Pr. 1903 [R] WA 49,28,14–16; Pr. 1923 [R] WA 49,141,28–142,36 (eine Befürwortung der Versorgung der Amtsträger und die pekuniäre Unterstützung der Schulen); Pr. 1963, [R] WA 49,416,13–18; 49,421,9f (in der Predigt werden die monetären Bedürfnisse Christi, der Apostel und der Amtsträger geschildert). 10 Für Undankbarkeit siehe: Pr. 1843 [A] WA 47,519,24–520,23; Pr. 1849 [A] WA 47,565,8–566,7 (47,565,26f: „Die frommen Prediger werden erstlich weggenommen werden, […]“); Pr. 1657 [R] WA 45,136,21–137,6. Das Moment der Undankbarkeit ist oft mit einem Gabe-Motiv verbunden; verkehrte Gaben – wenn die Menschen Gottes Geben und Gaben nicht erkennen – führen zu Undankbarkeit; siehe besonders Pr. 1732 [R] WA 46,442,6–445,10; vgl. auch Pr. 1905 [R] WA 49,36,13–38,19. 11 Für festgestellte „Eschatologielosigkeit“ siehe: Pr. 1732 [R] WA 46,444,14f: „Aber es soll nicht ein ewiges Leben [geben]. Sondern weil [sie] so ersoffen [und] in die Wollust dieses Lebens geraten sind, so kümmern sie sich nicht um das ewige Leben; das ist [für sie] nichts.“

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Der Aspekt der historischen Kontinuität

als ob sie all das, was zum Leib und Leben gehört, nur sich selbst zu verdanken hätten und als ob es nur dieses irdische Leben gäbe. Luthers Klage über ihre mangelnde Fürsorge ist aber viel mehr als einfach ein Plädoyer für bessere Vergütung. Sie entsteht vielmehr aus der Überzeugung, dass es ohne Prediger und Pfarrer kein Wort und keine Sakramente mehr geben würde.12 Wenn die Amtsträger aus einem bestimmten Gebiet oder Land in gewisser Weise ausgetrieben werden, indem sie Hunger leiden müssen, wird die Warnung Christi damit auch in diesem Land vollstreckt werden: „Euer Haus soll euch wüst gelassen werden.“ (Mt 23,38).13 Dass das Wort gepredigt wird und die Sakramente dargereicht werden – ja, dass das Reich Gottes unter bestimmten Menschen und in einem bestimmten Land überhaupt anwesend ist – hängt davon ab, dass es dort Amtsträger gibt. Diese Kontingenz des Wortes und der Sakramente, des Evangeliums und schließlich des Reiches Gottes stellt Luther in einer homiletischen Auslegung des 72. Psalms dar. Nach Luther handelt der Psalm vom Reich Christi, einem promissiologisch-sicherem und doch zugleich historisch-kontingentem Reich. Er deutet „alle Könige“ und ihre Geschenke (Ps 72,10–11) als eine Sukzession von Königen, Herrschern und Menschen (die sonst im weltlichen Regiment begütert und wohlhabend sind), die Christus zu jeder Zeit in jedem Zeitalter beschenken, indem sie für die Armen – besonders für die Amtsträger, deren Stelle im geistlichen Regiment keinen wirtschaftlichen Gewinn abwirft, – sorgen.14 „Sonst wäre das Evangelium nicht geblieben.“15 His(„Sed sol nicht ein ewig leben. Sed quod sic erseufft, geraten inn die wollust huius vitae, quod nihil curant eternam vitam, das ist nihil.“); Geiz und Habgier sind die vornehmsten Merkmalen der „Eschatologielosigkeit“, die Luther einem Leben nach einer promissionalen Eschatologie gegenüberstellt ([R] WA 46,443,18–448,11). In Pr. 1732 [R/S] WA 46,440–449 kommen die Momente der Versorgung (s. o. Anm. 9), der Undankbarkeit (s. o. Anm. 10) und der „Eschatologielosigkeit“ zusammen. 12 Pr. 1843 [A] WA 47,522,6–11 (im Kontext von 47,521,35–522,13): „So spricht den der Herr Christus: So ihr mich nicht wollet, der ich zu euch sende, so wil ich euch ferne gnuug kommen, also, das euer Haus sol von mir und meinen Aposteln verlassen werden und wuste stehen, das ist: des gottlichen wortts und der Sacrament beraubet werden und dan voller Teuffel, greuel und abgotterei werden, wie es den pflegt zu geschehen, wen Gott von einem ortth sein wortt und werck wegknimpt.“ Pr. 1923 [R] WA 49,141,29f und 34f: „Dennoch soll man den Dienern Unterhalt geben. Wenn sie nicht essen und trinken [und] nicht Haus und Hof haben, wird das Evangelium nicht lange bleiben. […] Also müssen wir [uns] zusammentun, damit sie ernährt werden, oder [wir] werden des Evangeliums bald beraubt.“ („Tamen sol man unterhaltung geben ministris. Si sollen nicht essen, trinken, haus, hoff haben, non diu manebit Euangelium. […] Ideo müssen zusamen thun, ut alantur, vel werden des Euangelii bald beraubet.“). 13 Pr. 1844, [A] WA 47,523,16–18 (im Kontext von 47,522,17–523,26): „[…] der Herr eigentlich und bescheidentlich rede von dem Judisschem volcke, und nochmals auch von uns“ (gemeint ist Deutschland und besonders die Gebiete, die der Reformation anhängen); Pr. 1732 [R] WA 46,445,20f und 46,447,13–15 (im weiteren Kontext der Predigt). 14 Pr. 1905 [R] WA 49,35–40 (bes. 49,36,13–39,25); für die Sukzession, die notwendigerweise das Verständnis einer historischen Kontinuität vermittelt, siehe 49,39,1–13.

Die Amtsträger und ihre Versorgung

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torisch-theologisch gesehen ist das Evangelium von den Aposteln und den ihnen nachfolgenden Amtsträgern abhängig. Und wenn die Kirche tatsächlich creatura verbi ist, – wenn sie aus dem Evangelium geboren wird – ist sie auch zu jeder Zeit und durch die Zeiten vom apostolischen Amt und den Amtsträgern abhängig. Das Geben „für die Erhaltung des Amtes und des Wortes“16 geschieht, damit „die christliche Kirche erhalten wird.“17 In dieser homiletischen Darstellung Luthers gibt es kein abstraktes, metaphysisch-abgesichertes Wort, sondern nur ein leibliches, mündliches, gepredigtes, historisch-kontingentes Wort, das von leiblichen, historisch-kontingenten Amtsträgern gepredigt und gelehrt wird. Die Kontingenzkette ist nicht zu übersehen. Und doch funktioniert sie auch umgekehrt: Die Amtsträger, von denen das Evangelium als Evangelium abhängig ist, sind von Menschen im weltlichen Regiment – auch von den Zuhören der Predigt – abhängig. Ohne ihr Geben und die materielle Versorgung der Amtsträger18 würde es schließlich auch kein Evangelium geben.19 Angesichts der Überzeugung von der historischen Kontinuität des Amtes und also von der historischen Kontingenz des Evangeliums und der Kirche, die Luther zum Ausdruck bringt, mag man sich fragen, ob das nicht einen theologischen Rückschritt bedeutet – ob Luther also ein Mensch der Vormoderne bleibt, dessen Ansichten über die Geschichte wir zwar nicht übernehmen können, gleichzeitig aber andere Grundbestandteile seiner Theologie beibehalten. Allerdings würde ein Urteil über die theologische Haltbarkeit von Luthers Geschichtsverständnis den Rahmen dieser Untersuchung sprengen. Es ist aber darauf hinzuweisen, dass Luther die Geschichte nicht unkritisch oder mit idealistischen Vorstellungen anging. Er wusste wohl, dass die Geschichte keine fehlerfreie Entwicklung bietet, sondern eine gefallene Welt widerspiegelt.20 Und 15 Pr. 1905 [R] WA 49,38,26f: „Alioqui Euangelium non maneret.“ In den vorangegangenen Zeilen deutet Luther „die Könige am Meer und in den Inseln“ (Ps 72,10) als die Könige, die Paulus und andere Amtsträger ernährt haben. In dieser Hinsicht zitiert er auch I Kor 9,14 und Lk 8,7(f) ([R] WA 49,37,4f). 16 Pr. 1907 [R] WA 49,46,19f: „pro conservatione ministrii et verbi“. 17 Pr. 1907 [R] WA 49,46,27f: „ut Christiana Ecclesia conservetur“. 18 Zusammen mit der Versorgung der Amtsträger plädiert Luther für die Unterstützung der Schulen. Dort sollen nicht nur zukünftige Amtsträger und Doktoren der Theologie ausgebildet werden, sondern auch alle, die Ämter im weltlichen Regiment innehaben werden, „damit das Reich Christi gewaltig gehe.“ (Pr. 1905 [R] WA 49,39,1–40,3; Zitat 49,39,21, vgl. Mt 11,12). 19 Luther entfaltet den theologischen Inhalt von Pr. 1905 unter den Motiven von Gaben bzw. Geschenken und von Dankbarkeit bzw. Danksagung (vgl. Anm. 10 oben). Die theologische Artikulation wird meisterlich durch die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium vollzogen, sodass schließlich alles Geben als eine Gabe des Heiligen Geistes gesehen werden kann. Sei es das Predigen des Evangeliums durch die Amtsträger, sei es das Versorgen der Amtsträger durch die, die ihre Ämter im weltlichen Regiment haben – letzten Endes ist das alles Geben und Schenken des Heiligen Geistes. 20 Vgl. seine Darstellung des historischen Fortgangs des christlichen Glaubens in Pr. 1931 [R]

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Der Aspekt der historischen Kontinuität

dennoch wurde sie für ihn immer bedeutsamer : Gerade in seiner reifen Tätigkeit findet man eine ständig wachsende Beschäftigung mit der Geschichte.21 Wenn heutige Theologen Luther in einem garstigen, breiten Graben zu finden meinen, dessen Ufer das ferne Damals und das brennende Jetzt berühren,22 müssen sie zumindest zugeben, dass Luther seine Theologie bewusst und offenbar willig in diesem Rahmen treiben will. Während Lessing den Trend der Theologie der Aufklärung als eine Bewegung bestimmte, die weg von zufälligen Geschichtswahrheiten zu notwendigen Vernunftwahrheiten strebte, gefiel es Luther, das, was er früher in seinem Werdegang nur systematisch a priori artikuliert hatte, später auch a posteriori – von der Geschichte her – darzulegen.23

5.1.3 Cursus verbi und cursus verbi incarnati Luthers Betrachtung der Geschichte wird oft als ein Interesse an dem historischen cursus verbi gesehen. „Was ist der Lauf des verbum dei gewesen – was wurde aus ihm?“ dürfte folglich seine leitende Frage sein. Und sicherlich ist diese Deutung seines Geschichtsverständnisses nicht ohne Grund.24 Dennoch gilt es

21

22 23 24

WA 46,435,12f (im Kontext): „[…] dieser Glaube geht durch Dreck wie ein feiner, starker Wagen durch ein großes Wasser, [der] Dreck hängt reichlich an ihm [und] der Kot auf den Rädern.“ („[…] sed fides ista ghet er durch treck als ein feiner, starcker wagen durch ein groß wasser, treck hengt sich wol, das kot an die rat.“). „Von den Konzilliis und Kirchen“, 1539 (WA 50,409–653), „Supputatio annorum mundi“, 1541/45 (WA 53,22–184) und „Wider das Papsttum zu Rom“, 1545 (WA 54,206–299) bilden „den Höhepunkt“ von Luthers historischen Arbeiten (Pflanz, Geschichte und Eschatologie, S. 33, Anm. 14). Dazu kommen auch Schriften wie z. B. der Anfang von „Das diese Worte Christi […]“, 1527 (WA 23,65,4–71,16), „Donatio Constantini“, 1537 (WA 50,69–89), „Papsttreue Hadriani IV. und Alexander III. gegen Kaiser Friedrich Barbarossa“, 1545 (WA 54,307–345) und andere. Dazu schrieb er in seinen späteren Jahren zahlreiche Vorreden zu Schriften: „Robert Barnes: Vitae Romanorum pontificum“, 1536 (WA 50,3–5), „Joh. Kymäus: Ein alt christlich Konzilium gehalten zu Gangra“, 1537 (WA 50,46f), „Epistola S. Hieronymi ad Evagrium de potestate papae“, 1538 (WA 50,339–343), „Historia Galeatii Capellae“, 1538 (WA 50,383–385), „Spalatin: Magnifice consolatoria exempla et sententiae […] collectae“, 1544 (WA 54,113–15), „Vitae patrum […] per Georgium Maiorem“, 1544 (WA 54,109–111). Für Luthers wachsendes historisches Interesse und seine zunehmende Beschäftigung mit der Geschichte im Laufe seines Lebens siehe Spitz, „Luther’s View of History“ und Headley, Luther’s View of Church History, bes. S. 163–194. Lessing, „Beweis“, S. 443,35–37. Siehe WA 50,5,26–30 („Robert Barnes: Vitae Romanorum pontificum“, 1536), wo Luther seine Angriffe auf das Papsttum betrachtet. Mehrere Theologen finden hierin ein oder sogar das wesentliche Element von Luthers Geschichtsverständnis: Bayer, Martin Luthers Theologie, S. 7; Pflanz, Geschichte und Eschatologie, S. 29–49 (ohne den Begriff zu verwenden); Schmidt, „Luthers Schau der Geschichte“, S. 59; Zahrnt, Luther deutet Geschichte, z. B. S. 16, Anm. 43. Für Luther siehe z. B. Pr. 1849 [A] WA 47,565,19: „Es ist jetzt der Lauf des Evangeliums bei uns, […]“ („Es ist itzt der lauff des Euangelij bej uns, […]“); vgl. WA TR 4,311,25–312,1 (Nr. 4436), 1539 und WA 42,501,4–7

Die Amtsträger und ihre Versorgung

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aber zu fragen, an welchem Wort und seinem cursus lag Luthers Interesse? Der Begriff „cursus verbi“ wurde nach Luther durch Matthias Flacius Illyricus und die Magdeburger Zenturien geprägt, die freilich ihren Impuls von Luther nahmen, aber nicht ohne Weiteres als die Erben seines historisch-theologischen Ansatzes schlechthin gelten können.25 Unter anderem ist zu vermuten, dass die Verfasser der Zenturien – trotz der Mehrdeutigkeit des Begriffes „Wort Gottes“ – eine einseitige Betonung auf das Wort Gottes als doctrina legten, so dass ihre Arbeit auf eine etwas „blutleere“ Ekklesiologie, die „in erster Linie […] auf die intellektuelle Dimension des Menschen“ bezogen war, hinauslief.26 Ein Urteil über die Magdeburger Zenturien und den Werdegang des Begriffs „cursus verbi“ ginge über den Aufgabenbereich der vorliegenden Untersuchung hinaus. Luthers Predigten zeigen jedoch, dass sein Geschichtsverständnis – und damit auch sein Amtsverständnis und seine Ekklesiologie – keineswegs als „blutleer“ und einseitig zu beschreiben sind. Wenn es um den cursus verbi geht, dann geht es um den cursus verbi incarnati, das nicht nur „aufenthaltslos“27 durch die Geschichte schreitet, sondern auch in der Geschichte leidet und abgelehnt wird.28 Damit bleibt das Wort leiblich und konkret und wird nicht zu einem Prinzip der Metaphysik oder Vernunft gemacht und also von der Geschichte abstrahiert. Es ist das Wort eines Gottes, der nicht zuletzt in seiner eigenen Inkarnation sich in die irdische Geschichte hinein begeben hat, der sich mit der Zeit verschränkt hat. Dieser Gott schafft seinem Wort Lauf zu jeder Zeit, in allen Zeiten durch sein leibliches, konkretes Reden und Tun in primären Sprach- und Lebensformen, in den Primärsätzen und -akten des Gottesdienstes.29 Und somit lenkt der Prediger Luther den Blick auf die Kontinuität des Sprechens und Handelns Gottes in der Geschichte und darauf, wie sich dieses Sprechen und Handeln sowohl im alttestamentlichen Kultus als auch nach Himmelfahrt und Pfingsten abspielen. Der kontinuierliche, konstante und

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(Genesis-Vorlesung, 1535–45). Die „geschicht der Christen“, mit der Luther seine Schrift, „Daß diese Worte Christi […]“, 1527, beginnt, könnte als eine Art Betrachtung des cursus verbi gesehen werden, und doch verweist Luther hier auf den ständigen Kampf um die und in der Heiligen Schrift durch die Geschichte; siehe WA 23,65,1–71,16; ähnlich ist WA 50,475,7–15 („Wider die Antinomer“, 1539). Schmidt, „Luthers Schau der Geschichte“, S. 65. Wagner, Ursprünge des frühkatholischen Problems, S.13–83, besonders 36–41, Zitat auf S. 76. Vgl. Pflanz, Geschichte und Eschatologie, S. 30: „[…] welchen Weg das reine Evangelium und die reine Lehre durch die Welt genommen haben.“ (Hervorhebung JM). Zahrnt, Luther deutet Geschichte, S. 51: „Die Kirchengeschichte ist nichts anderes als der aufenthaltslose Lauf des Wortes Gottes durch die Welt.“; S. 136: „die Aufenthaltslosigkeit des Wortes Gottes“. Schmidt, „Luthers Schau der Geschichte“, S. 59: „das Schicksal, das dem Wort der Verkündigung widerfuhr“. Vgl. Bayer, Martin Luthers Theologie, S. 8: der „Lauf des Wortes Gottes, das Widerspruch findet, abgelehnt und bekämpft wird“. Vgl. Bayer, „Theologie als Wissenschaft“; Bayer, Gott als Autor, S. 1–18; Bayer, Martin Luthers Theologie, S. 1–11.

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Der Aspekt der historischen Kontinuität

schließlich heilsame cursus, den der inkarnatorische Gott durch die Geschichte nimmt, ist der seines leiblichen und geordneten Redens und Handelns.30

5.2

Kontinuität im Umbruch der Zeiten: Eine konsistente biblische Theologie

Zu jeder Zeit handelt Gott in einer Ordnung – er führt ein geordnetes Regiment, das er selbst gestiftet und befohlen hat, nach dem und in dem er redend und handelnd mittelbar regiert. Dies gilt nach Luther sowohl für das Zeitalter des Alten wie für das des Neuen Testaments;31 vom Sündenfall an hat seine Ordnung zwei Gesichter ; sie ist geteilt in weltliches und geistliches Regiment.32 Das geistliche Regiment Gottes im Alten Testament, das in seinem geordneten Handeln im Kultus der Kinder Israels zum Ausdruck kommt, ging auf eine göttliche Stiftung unter Mose auf dem Berg Sinai zurück.33 Die göttliche Stiftung begründete eine geordnete Machtausübung und eine feste kultische Praxis, die mit bestimmten Orten (Stiftshütte und Tempel), Zeiten (Festen und Jahreszyklen), und Dienern (Aaron, den Priestern und den Leviten) verbunden war. Gottes Stiftungen bzw. Mandate gelten durch die Zeiten fort und behielten bis Pfingsten (Act 2) ihre Gültigkeit.34 Genauso wie die Stiftungen und Mandate des alttestamentlichen Zeitalters wirken die Stiftungen und Mandate, die Luther im 30 Zu cursus vgl. die Vorrede zum Ordinationsformular H.: WA 41,762,18–21; Mittermeier, Evangelische Ordination im 16. Jahrhundert, S. 71 [1]; sowie das Zeugnis der Ordination von Benedikt Schumann: WA TR 5,112,11.35; Mittermeier, S. 95 [55]. Für die Ordination siehe 6.3 unten. 31 Eine Diskussion über Luthers Verständnis der göttlichen Ordnung und von Gottes Handeln im geistlichen Regiment beruht auf Luthers fundamentalen Überzeugung, dass die Kirche schon seit der Schöpfung der Welt existiert. Obwohl Luther die Grundstruktur seines Geschichtsverständnisses der Kirche z. T. von Augustin übernahm, ist für ihn die Kirche zur Zeit des Alten Testaments deutlich konkreter als bei Augustin; vgl. Headley, Luther’s View of Church History, S. 266f. 32 Hiermit kommt auch Luthers Zwei-Regimenten-Lehre in seinen Predigten zur Sprache. Siehe Pr. 1898 [R] WA 49,3,27–4,25: Es gibt zwei „Rechte“ in beiden Testamenten. Die „geistliche“ Ordnung und insofern die Tätigkeit im geistlichen Regiment im Alten Testament bezieht Luther auf Aaron und die Priester. Im Zeitalter des Neuen Testaments gibt es sowohl ein „Kaiserrecht“, nach dem die Zuhörer zu handeln haben, und ein „Gnadenrecht“, nach dem die Zuhörer passiv sind und nur zu glauben und zu empfangen haben, denn ihnen wird die Gnade gepredigt, Vergebung der Sünden verkündigt, und das Wort und die Sakramente gegeben. Siehe auch Pr. 1923 [R] WA 49,137,10–138,11: Sowohl im Alten wie im Neuen Testament gibt es das Regiment der Welt und ein anderes Regiment, das auf eine göttliche Stiftung der Gnade und des Heils zurückgeht. 33 Pr. 1964 [R] WA 49,451,18–452,1 (im Kontext). 34 Darum können sich die Pharisäer und die Hohenpriester in Luthers Predigt vom Pfingstmontag 1544 (Pr. 1964 [R/S]) auf ihre Macht, auf Gottes Ordnung und auf ein Regiment, das Gott selbst gründete, stützen ([R] WA 49,450,12–451,1).

Eine konsistente biblische Theologie

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Neuen Testament findet, weiter fort. „Heute hört ihr die Geschichte der Himmelfahrt des HErrn und was sie anzeigt und was sie bewirkt bis zum Jüngsten Tag,“35 sagt Luther in Bezug auf Mk 16,14ff. Die Geschichte von Mk 16,14ff enthält ein Mandat, das Luther mit anderen Mandaten des HErrn zusammenfasst.36 Die Mandate sind zwar Teile der Geschichte – der „historia“. Doch als Befehle bzw. Mandate sind sie eine Art bleibender Übergang von der historia in den gegenwärtigen fructus und usus dieser historia. Die Mandate werden nicht nur nach einem faktischen, sondern auch und zuerst nach einem promissionalen Charakter verstanden, der zwar in der historia gegründet ist, doch als Verheißung und Mandat über die Vergangenheit hinaus in die Gegenwart eingreift.37 Im Pfingstgeschehen sieht Luther einen Wendepunkt der Geschichte. Das Pfingstfest zur Zeit des Alten Testaments, das auf Gottes Stiftung zurückgeht,38 gedenkt des Gebens des Gesetzes, mit dem auch ein geistliches Regiment und ein Priestertum gegeben wurden. Es ist insofern eine Feier des göttlichen Rechts, nach dem das Volk – auch im Kultus – regiert wird.39 Nach Gottes Stiftung und Ordnung gelten die Priester und der Hoherat noch an Pfingsten – wie es im Act 2 beschrieben wird – als die, die von Gott geordnet sind und Macht haben, die sein Mandat aktiv besitzen und Gehorsam beanspruchen können.40 Die Ordnung und das Regiment des altestamentlichen Zeitalters werden an Pfingsten von einer neuen Ordnung und einem neu gestifteten Regiment überholt. An Pfingsten fängt Christus sein neues Regiment an,41 in welchem der Heilige Geist der „gubernans“ ist;42 die Kirche des neuen Zeitalters wird gegründet.43 An diesem Tag, an dem der verheißene Heilige Geist sich den Aposteln offenbart

35 Pr. 1532 [R] WA 41,73,27f: „Hodie audistis historiam de ascensione domini et quid significet et operetur usque ad diem extremum, […]“ 36 Pr. 1724 [R/S] WA 46,389–395, in der auch über Mk 16,14ff gepredigt wurde, ergibt eine Matrix von Mk 16,14ff, Mt 28,20, Joh 20,23 und Joh 21,15–17. Siehe auch 3.3 (dort bei Anm. 132–133). 37 Es ist beachtenswert, dass trotz des genauen Wortlauts von Mt 28,20 („vobiscum sum“), Luther die Worte Christi futurisch fasst: „vobiscum ero“ (Pr. 1724 [R] WA 46,393,19; 46,394,4). Die Umformulierung bringt die Sache genau auf den Punkt: Mt 28,20, ebenso wie andere neutestamentliche Mandate Christi, ist zwar in der Geschichte gegeben und doch wesentlich auf die Zukunft bezogen. Für den christologischen Aspekt der Stiftungen und Mandate siehe 3.3. 38 Pr. 1724 [R] WA 46,401,11–402,3. 39 Pr. 1724 [R] WA 46,402,3–11; vgl. [S] WA 46,401,31–402,29. 40 Pr. 1963: Ordnen ([R] WA 49,445,5f), Macht ([R] 49,445,13f; vgl. [R] 49,446,10f), Mandat und Gehorsam ([R] 49,445,16f). Vgl. Pr. 1601 [R] WA 41,605,20f: „[…] ich befahl, die Priester zu hören, […]“ („[…] mandavi audiendos sacerdotes, […]“). 41 Pr. 1963 [S] WA 49,442,25. 42 Pr. 1726 [S] WA 46,402,27f: „gubernantem“. 43 Pr. 1726 [R] WA 46,402,16.

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Der Aspekt der historischen Kontinuität

und auf sie bläst,44 treten sie mit Befehl und Mandat auf45 und verkündigen ein neues Regiment. „So hat sich das Spiel gewendet.“46 „[…] [D]ie Fischer greifen darein und kehren es um […].“47 An Pfingsten findet ein Macht- und Regimentswechsel statt, bei dem die Priester, Pharisäer und Diener des alttestamentlichen Kultus ihre Macht und ihr Regiment für ihre falsche Lehre einbüßen.48 Dabei werden auch der Tempel und der Opfer-Kultus abgetan,49 aber nicht ohne dass zugleich neue Mittel und Instrumente des Handelns Gottes und sogar eine neue, aber gleichfalls lokalisierte Präsenzweise etabliert werden. An die Stelle der alten Ordnung und des alten Regiments treten eine neue Ordnung und ein neues Regiment. Dass das Erste durch Neues überholt und beseitig wird, gilt als das größte Wunder des Neuen Testaments.50 Gott nimmt einen neuen Wohnsitz ein und erfüllt die Verheißung seines Kommens und Wohnens, die er in Joh 14,23 ausgesprochen hat.51 Der Name Christi ersetzt Jerusalem und den Tempel.52 Fortan werden Sünden nicht dort, sondern im Namen Christi vergeben, und dieser Name hat seinen Sitz bei den Aposteln, auf die der Heilige Geist geblasen hat, denen Christus Lehren und Predigen, Taufen und Vergeben anvertraut.53 Nach Luther ist die Vergebung der Sünden, die umsonst im Namen Christi zu finden ist, mit den von ihm gesandten Amtsträgern nunmehr bzw. immer noch verbunden: [Christus] sagt: [„]Ich sende euch Diener.[“] Diese und die Armen sollt ihr nähren, damit es keinen Mangel gibt, und [ihr sollt euch] um das Aufstellen von Predigtstuhl und Schulen [kümmern], nicht so [aber], dass ihr Vergebung der Sünden erwerbt. […] Sondern so soll [ein Diener] sprechen: [„]Ich vergebe dir die Sünden durch das Amt, das [Christus] selbst erworben hat.[“]54 44 Pr. 1963: Offenbaren ([R] WA 49,443,7; vgl. [S] WA 49,443,22f), Blasen ([R] WA 49,443,12; 49,446,14); durch die Apostel bläst er die ganze Welt an ([R] 49,448,15–19). Für seine verheißene Sendung auf die Apostel siehe Pr. 1964 [R] WA 49,449,6f mit 49,449,15f. 45 Pr. 1963 [R] WA 49,446,17; [S] WA 49,446,23f; Pr. 1964 [R] WA 49,451,9–11; 49,451,2. 46 Pr. 1963 [R] WA 49,448,7. 47 Pr. 1964 [R] WA 49,451,1: „Et piscatores greiffen drein und kerens umb […].“ 48 Pr. 1963 [R] WA 49,447,17f. Für Regiment vgl. [R] WA 49,447,2.14; [S] WA 49,448,35; und Pr. 1964 [R] WA 49,453,5. 49 Pr. 1601 [R] WA 41,605,17–23; Pr. 1964 [R] WA 49,451,2f und 6f und [S] WA 49,453,23–25. 50 Pr. 1963 [R] WA 49,446,21–23; 49,448,11–13 (vgl. Joh 14,12). Vgl. 4.1.1 (dort bei Anm. 22): Der Berg des jüdischen Regiments mit seiner Priesterschaft und Ordnung und mit seinem Kultus, der von Christus und Johannes dem Täufer abgetragen wurde, gilt als der größte „Berg“ der Geschichte. 51 Pr. 1963 [R] WA 49,448,3. 52 Pr. 1964 [R] WA 49,451,2–4; 49,452,7–10. 53 Pr. 1964 [R] WA 49,450,16; 49,451,8f; 49,452,2–5 (als ein Teil der zusammengefassten Predigt Petri, wohl ein Lehren, das den Aposteln anvertraut ist). Für „blasen“ siehe Anm. 44 oben. 54 Pr. 1964 [R] WA 49,453,22–454,8: „[…] dicit: Mitto vobis ministros, hos alite et pauperes, ut non sit inopia, et constituito predigstul, scholas, non ideo, ut acquiratis remissionem peccatorum. […] Sed sic debet dicere: Remitto tibi peccata durch das ampt, quod ipse erwor-

Eine konsistente biblische Theologie

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In historischer Kontinuität mit ihren Vorgängern nennt Luther die Apostel an Pfingsten „Propheten“.55 Und so wie die Institution der Kirche des neutestamentlichen Zeitalters in historischer Kontinuität mit dem vorherigen Kultus steht, so schreitet ihre Geschichte vorwärts, durch die Zeiten hindurch: Die Geschichte von Act 2 gilt als das „initium factum“56 einer Kirche, in der Vergebung der Sünden zu finden ist57 und in der Christus durch seine Diener immer noch regiert, tauft und lehrt – in der er durch sie leiblich, zeitlich und örtlich handelt und spricht. Luther kann die Worte des Petrus folgendermaßen zusammenfassen: [„]Der Mann, der [diese Zeichen] getan hat, ist Jesus von Nazareth, den ihr gekreuzigt habt. Heute,[“] sagt er, [„]hat er angefangen und wird tun, bis er offenbar [am] Tag kommt, an dem das geöffnet wird, was jetzt verborgen ist,“ wie Paulus [auch] sagt. Er regiert uns, tauft und lehrt durch die Diener ; er hört nicht auf, den Heiligen Geist über Jünglinge und Männer auszugießen und allen Unterschied der Personen aufzuheben.[58] So wird es bleiben, wie es auf uns gekommen ist. Die Person also, die das Werk in der ganzen Welt treibt, ist Christus.59

Und er kann auch von sich und den zeitgenössischen Amtsträgern sagen, „Dies ist die erste Predigt von Petrus. So hat die Kirche angefangen. So predigen wir heute und bis zum Ende der Welt.“60 Christologisch, „apostel-logisch“ (im Sinne von gesandten Dienern) oder historisch-geschichtlich betrachtet fungieren Luthers Theologie und deren Amtsverständnis nicht nach einem Diskontinuitätsmodell, sondern nach einem Modell der Kontinuität.61 Gottes Aktualpräsenz bei seinem Volk, unter dem er

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ben.“; vgl. [S] WA 49,453,37f. Die Sündenvergebung kann weder erworben noch gekauft werden; der Christ kann aber Almosen geben, Schule und Pfarrer erhalten und sein eigenes Haus halten; vgl. [R] WA 49,454,25 und [S] WA 49,455,24. Pr. 1963 [R] WA 49,448,17. Pr. 1964 [R] WA 49,455,17; vgl. 49,456,4f. Pr. 1964 [R] WA 49,452,5. Die zwei Teile dieses Satzes wiederholen und verweisen auf ein doppeltes Ausgießen des Heiligen Geistes, das in Pr.1601 geschildert wird: Die regierenden Diener oder Amtsträger sind die, auf die der Heilige Geist „äußerlich“ ausgegossen wird (auf eine Art und Weise, die mit dem Ausgießen des Geistes in den feurigen Zungen verglichen werden kann). „Uns“ weist auf die Menschen bzw. Christen aus allen Geschlechtern, Altersgruppen und Ständen, in deren Herzen der Heilige Geist „innerlich“ ausgegossen wird (durch das äußerliche, gepredigte Wort und durch die Taufe). Pr. 1601 [R] WA 41,607,2–7: „Der Man, qui fecit, est Iesus de Nazareth, quem crucifixistis. Hodie, inquit, incepit et faciet, donec veniet offenbar tag, quo aperietur, quod iam occultum, ut Paulus. Is nos regit, baptisat, docet, per ministros, non cessat effundere spiritum sanctum super iuvenes, viros und all discrimen personarum auffgehoben. Sic manebit, ut auff uns komen ist. Person ergo Christus, qui treibt das opus in toto mundo.“ Pr. 1964 [R] WA 49,455,14–16: „Haec est 1. contio Petri. So hat die Kirche angefangen. Sic praedicamus hodie usque ad finem mundi.“ Höhne, Luther über Kontinuität der Kirche, S. 33: „Die Kontinuität der Kirche liegt primär im

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Der Aspekt der historischen Kontinuität

mit Wort und Tat handelt, war, ist und wird nach Luther immer eine vermittelte Präsenz sein, die mit einem gestifteten Kultus und einem göttlich geordneten Regiment verbunden ist. Sowohl zur Zeit des Alten Testaments als auch nach Pfingsten bringt Gott sich nahe; er lokalisiert sich;62 er gibt sich leiblich, zeitlich, örtlich, konkret – auf solche Art und Weise, die dem Menschen etwas gibt, woran er sein Herz hängen kann. Die historisch-geschichtliche Kontinuität zeigt sich besonders deutlich anhand von Pr. 1851: Der Tempel zu Jerusalem und das dort geopferte Schuldopfer machten das aus, zu dem sich die Israeliten wenden und an das sie ihr Herz hängen konnten. Tempel und Opfer markierten Zeit und Ort, bei denen Gott präsent war und mittelbar und gnädig handelte. Sie werden von Luther mit dem Predigtamt, der Taufe, dem Sakrament des Altars und den Schlüsseln gleichgesetzt. Sowohl im Alten Testament als auch in der Gegenwart hat Gott ein geordnetes Regiment, durch das er handelt, das der Antichrist aufzuheben versucht.63 Gottes Regiment bleibt ein äußerliches Regiment, weil er in diesem Regiment mittelbar regiert, durch die Apostel und ihre Nachfolger.64 Insofern ist es nach Luther auch konsistent und historisch-theologisch konseheilsgeschichtlichen Charakter der christlichen Religion begründet. Ja, eben dies ist die Kontinuität der Kirche ihrem innersten Wesen nach: Das kontinuierliche geschichtlichheilsgeschichtliche Handeln Gottes mit seinem Volk, bzw. die kontinuierlich darauf erfolgende Antwort des Glaubens.“ (Kursivschrift, Höhne); er kann auch von einem „Kontinuitätsglauben“ sprechen (S. 78). Lilje, Luthers Geschichtsanschauung, S. 131: „Man sollte in Luthers Sinne den modernen Gedanken von der ,Gesetzlichkeit‘ der alttestamentlichen Offenbarungsgeschichte wandeln in den Ausdruck von der qualitativen Gleichartigkeit der alttestamentlichen Offenbarungsgeschichte zur neutestamentlichen.“ Pflanz, Geschichte und Eschatologie, S. 38: „Die Zeit des Alten Testaments wird also der des Neuen Testaments, wenn auch nur in dogmatischen Sinne, gleichgesetzt.“ Vgl. Bornkamm, Luther und das Alte Testament, S. 59: „Die Geschichte ist ein unteilbares Ganzes.“ 62 Kleinig, „Luther on God’s Self-Localization“. 63 Pr. 1851 [A] WA 47,576,15–29: „Und Daniel sagets auch, das, so der Antichrist sich erheben wird, so wird ehr sich erheben uber den Fursten aller Fursten, das ist: uber Christum. Was wird den der Herr aller Herrn thun? Dorauff antworttet der Prophett: Ehr wird wegnemen das juge sacrificium, das Schuldopfer. Den zur selbigen Zeitt war der gebrauch, das man des abends und morgens alle tage ein Schopffs Gott opffertte und anzundett, und hieng der Juden Hertz an dem Tempel, und es war ihnen ein Zeichen, dohin sie sich soltten keren und doselbst Gott gewiss finden, wie wir Gott bei uns in der Tauff und im Predigtampt haben. Das warzeichen sol ehr wegnemen, das Gott da und gegenwerttig war. Den Gott handelt mitt uns auch durch eusserliche Zeichen, das wir gewiss weren, ehr sei unser gnediger Gott. Den do hat ehr das Euangelium, die Tauffe, das Sacrament des altars, die gewalt der Schlussel gegeben. Wo die Stucke sein, da ist warlich gott. Aber diess hat der Bapst und Turcke alles hinweg genommen, und sind zwahr wohl Christen undter dem Turcken, aber sie haben alda kein regiment.“ Vgl. [A] 47,579,33–39. Für das Hängen des Herzens vgl. Luthers Erklärung des ersten Gebots im Großen Katechismus: „Worauf Du nu (sage ich) Dein Herz hängest und verlässest, das ist eigentlich Dein Gott.“ (BSLK 560,22–24); der Tempel und das Predigtamt, welches das Evangelium, die Taufe, das Sakrament, und die Schlüssel zu verwalten hat, markieren die lokale Präsenz Gottes und sind Mittel, durch die er handelt. 64 Pr. 1729 [S] WA 46,424,24–28. Für die Apostel und ihre Nachfolger als Regenten der Kirche siehe 4.1.2 (dort bei Anm. 72–75).

Eine konsistente biblische Theologie

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quent, wenn er die Undankbarkeit und mangelnde Versorgung der Amtsträger zu seiner Zeit nicht nur in Kontinuität zur Verfolgung Christi und der Apostel sieht, sondern auch mit dem Hohenpriester Secharja, den der König Joasch umbrachte, weil er dem König predigte, was ihm nicht gefiel.65 Ein inkarnatorischer Gott ist einer, der örtlich und zeitlich gegenwärtig ist, der konkret und leiblich spricht und handelt. In der homiletischen Entfaltung Luthers ist Gottes Aktualpräsenz mit einer bestimmten Ordnung in einem göttlich gestifteten Regiment verbunden. Durch die historisch-kontinuierliche Abfolge der Zeit und im Umbruch der Zeiten behält Gott eine mittelbare, gnädige Präsenz. Und so wie seine die Zeit übergreifenden und die Zeit zusammenhaltenden Mandate bestimmten Menschen aktiv anvertraut werden,66 so wie der auferstandene Christus in den 40 Tagen vor seiner Himmelfahrt die Apostel als seine Zeugen bestimmt hat, durch die und deren Nachfolger das Himmelreich örtlich und zeitlich bis in die Gegenwart und bis nach Wittenberg gekommen ist,67 so ist die historisch-kontinuierliche Aktualpräsenz Gottes jetzt und immer mit bestimmten, von ihm gesandten Menschen verbunden, durch die er im geordneten Regiment spricht und handelt. Von Pfingsten an sind dies nach Luther die Apostel und ihre Nachfolger, die Amtsträger der Kirche.

65 Pr. 1844 [A] WA 47,522–530, bes. 47,529,20–530,33. Siehe Mt 23,34–38, bes. 35 (vgl. II Chr 24,20–21). Vgl. die Behandlung von Pr. 1844 bei 4.1.1. Wie immer gilt es hier, genau zu sehen, wie Luther den Priester Secharja versteht und verwendet: Er wird als ein kultisch-handelnder Prediger dargestellt. Viele kurzsichtige und unhaltbare Schlüsse über Luthers Amtsverständnis würden erspart bleiben, wenn die vielen und vielseitigen Aussagen Luthers über Priester nicht ohne weiteres in amtstheologische Verbindung mit dem allgemeinen Priestertum der Getauften gesetzt werden würden. „Priester“ heißt nicht immer ein heiliger Mensch mit anabatischen Aufgaben; bei Luther kann „Priester“ genau so gut auf einen kultisch-abgesonderten, geordneten Diener verweisen, zu dessen Amt auch kultische und liturgische Aufgaben katabatischer Art gehören, wie es hier der Fall ist. „Priester“ bleibt auch ein Titel für ordinierte Amtsträger nach 1535; vgl. Buchwald, Ordiniertenbuch, z. B. S. 1, Nr. 6 et passim. 66 Vgl. die Behandlung von Pr. 1697 [R] bei 3.3 (dort Anm. 145–152) oben. 67 Pr. 1961 [R/S] WA 49,415–422, siehe bes. [R] 49,419,2–5. Vajta, Theologie des Gottesdienstes, S. 125 betont den Unterschied zwischen Luther und Bultmann: „Für ein heilsgeschichtliches Denken verliert die Tatsächlichkeit des Vergangenen nicht an Interesse, sie ermöglicht vielmehr das aktuelle Gotteshandeln im Heute.“ Vajta unterscheidet Luthers „heilsgeschichtliche Perspektive“ von einer von der Menschheit isolierten „objektiven Versöhnungstheorie“ und von einer „subjektiven Versöhnungstheorie“, bei der die Ereignisse der Vergangenheit gleichgültig bleiben. „Mit der heilsgeschichtlichen Perspektive Luthers steht man ausserhalb dieses Dilemmas. Luther fasst das Handeln des in der Geschichte gegenwärtigen Gottes als das Bindeglied der verschiedenen Phasen der Heilsgeschichte.“ (S. 126).

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5.3

Der Aspekt der historischen Kontinuität

Kontinuität durch die Zeit hindurch

Der Anlass zu diesem Kapitel waren unter anderem die Vergegenwärtigungen, die in den Predigten Luthers zu finden sind, bei denen Luther vom Damaligen, das im Predigttext bezeugt wird, zu der gegenwärtigen Anwendung in der Predigt sozusagen springt. In diesen Vergegenwärtigungen ist der moderne Leser geneigt, den unkritischen Umgang eines Menschen der Vormoderne mit der Geschichte zu sehen. Nun kann man aber zeigen, dass die Vergegenwärtigungen eigentlich keine Sprünge sind, sondern Beweis für ein historisch-kontinuierliches Verständnis der Geschichte, das theologisch zutiefst mit Luthers Gotteslehre, Christologie, Sakramentslehre, Ekklesiologie und seinem Amtsverständnis verbunden ist. Im Jahre 1525 schrieb Luther in „Wider die himmlischen Propheten“: Denn wir glauben und es ist wahr, dass Christi Blut, das nun im Himmel zur Rechten Gottes sitzt, für uns einmal vergossen ist und nicht wieder. […] Wenn man aber die Austeilung der Vergebung in Betracht zieht, so ist keine Zeit da, sondern sie ist von Anfang der Welt geschehen, wie auch Johannes in der Apokalypse [13,8] sagt, dass das Lamm Gottes vom Anfang der Welt getötet sei. […] [E]s ist alles um der Austeilung willen, und Christus hat [die Vergebung] erworben um der Austeilung willen und [sie] in die Austeilung gelegt.68

Hier durchdringen sich Christologie, Sakramentslehre, Amtslehre (Austeilung) und eine zutiefst theologische Perspektive der Geschichte. Bedenkt man Luthers Überzeugung, dass es im Blick auf die Austeilung keine Zeit gäbe, so stehen Vergegenwärtigungen wie die Folgenden in einem anderen Licht: Unter den Rottengeistern zieht dieser einen vor, jener aber einen anderen. Und sie genießen es so. „Ei, kann der predigen!“ So kommt Zertrennung und [so] geht die Kirche in Trümmern. E[r] schlägt [sie] auf: Petrus, sich selbst, Apollos, [und fragt, „]

68 Das ganze Zitat von WA 18,205,8–22: „Denn wyr gleuben und ist war, das Christus blut, das nu ym hymel zur rechten Gottes sitzt, sey fur uns eyn mal vergossen und keyn anders. Wenn man nu das geschicht ansihet, damit er die vergebunge der sunde erworben hat, so war es am abentmal nicht geschehen, Nu aber ists geschehen und vergangen. Wenn man aber die austeylunge der vergebunge ansihet, so ist keyne zeyt da, sondern ist von anfang der wellt geschehen, wie auch Johannes ynn Apocal. sagt, das das lamm Gottes sey von der wellt anfang getödtet. Weyl nu allen die noch sunde haben, die zuvergeben sind, der leyb und blut Christi not ist, So ists noch ymer war, das er fur sie gegeben wird, Denn wie wol die geschicht geschehen ist, so lange aber es myr nicht zugeteylet wird, ists gleich alls were es fur mich noch nicht geschehen, das solche Sophistische spitzerey fraw Hulde nichts schafft, die nicht drauff sihet, wie es alles umb das austeylen zuthun ist, und Christus die erwerbung umb der austeylung willen gethan, und ynn die austeylunge gelegt hat.“ (Hervorhebung JM). Vgl. Vajta, Theologie des Gottesdienstes, S. 127, wo er von der „organischen Einheit von Versöhnungswerk und Predigt“ schreibt.

Kontinuität durch die Zeit hindurch

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Was sind wir?[“] […] [„Wir sind] Diener eines einzigen HErrn und Verwalter derselben Gaben. Was ist also der Grund, dass [ihr] zwieträchtig [seid]?[“]69 Der Prediger in Nürnberg hat dasselbe Wort, das wir [haben]. [Doch sagt man, „]Ei, er kann gut reden [und er hat] einen ausgezeichneten Kopf, usw.“ So geschah [es] in Korinth. Darum sollen eure Lehrer mit dieser gemeinen Ehre zufrieden sein, [nämlich,] dass [er] ein treuer Lehrer Gottes [ist, der] recht lehrt [und] tauft.70

Eine solche Vergegenwärtigung – bezüglich Korinth und Wittenberg, bezüglich des 1. und des 16. Jahrhunderts – ist für Luther kein Sprung, sondern ein selbstverständlicher theologischer Schritt, begründet in der Zeitlosigkeit der Verwaltung der Gaben (hier Taufe und Predigt/Lehre). Luther springt nicht über die Kluft der Geschichte, denn er ist der festen Überzeugung, dass es hinsichtlich der Austeilung der Sündenvergebung in Wort und Sakrament keinen Abstand zwischen einem „Damals“ und einem „Jetzt“ gibt, sondern nur die Gegenwart Christi, der zu allen Zeiten mittelbar handelt und spricht. In dieser Hinsicht sind die Vergegenwärtigungen eben keine Vergegenwärtigungen.71 69 Pr. 2018 [R] WA 51,97,10–15: „quando Rotten, ziehet einer den andern für, ein ander aber den andern, et sie habens gern: Ey der kan predigen, so kompt zutrennung und gehet die Kirch zu trummer. Es schlegt auff Petrum, seipsum, Apollos: quid sumus? […] Unius Domini ministri et dispensatores eorundem donorum. Quid ergo causae, ut discordes?“ 70 Pr. 2018 [R] WA 51,97,16–19: „Idem habet verbum Norinbergensis praedicator, quod nos. Ey er kan wol reden, ein feinen kopff & c. Sic factum zu Corintho. Ideo vestri Doctores contenti sint hoc communi honore, quod Dei fidelis Doctor vere docens, baptisans.“ 71 Pr. 1706 [R] WA 46,226,9–228,2: Das Predigen macht den Unterschied zwischen der Jungfrauengeburt als historia und als donum „tibi“ und „pro te“ aus. Pr. 1728 [R] WA 46,421,20–422,26: Es gibt keinen Abstand zwischen dem ersten Pfingsten und Pfingsten im Jahre 1538; die sichtbaren feurigen Zungen waren auch am ersten Pfingsten verschwunden, bevor die Dreitausend zur Erkenntnis Christi kamen; die feurigen Zungen sind immer verborgen in externen Mitteln, nicht zuletzt in den Mündern der Prediger. Pr. 1729: Das regierende Werk des Heiligen Geistes ist durchaus ein mittelbares Werk, das er durch bestimmte Mittel ausführt. Die Mittel, durch die das Werk des Heiligen Geistes ausgeführt wird, sind das Wort und die Sakramente (In Bezug auf das Wort: Zungen – [R] WA 46,424,20 und [S] WA 46,424,27f; Lehre – [R] WA 46,425,10; mündliches, gepredigtes Wort – [R] WA 46,425,4, 8, 11 und 16 und [S] WA 46,425,23; Evangelium – [S] WA 46,424,26f. In Bezug auf die Sakramente: Allgemein – [R] WA 46,425,16; 46,426,2f; 46,427,15 und [S] WA 46,424,27; 46,425,23f; Taufe – [R] WA 46,424,19; 46,425,4 und 8; 46,426,1[Taufritus]; 46,426,6f und 15 und [S] WA 46,426,27 und 30f; Abendmahl – [R] WA 46,424,12; 46,426,2; Absolution – [R] WA 46,425,4f und 8 und 15; 46,427,15 und [S] WA 46,424,27.). Hierin sieht Luther eine Fortsetzung des ersten Pfingsten: Die Taufe ist eine Ausgießung des Heiligen Geistes ([R] WA 46,426,6f); die Worte des Taufritus und der Absolution sind feurige Zungen in der Gegenwart ([R] WA 46,426,6f). Der Heilige Geist ist mittelbar präsent und mittelbar aktiv in der Gegenwart, wie er auch mittelbar präsent und aktiv am ersten Pfingsten gewesen ist. Er hat feurige Zungen in der Gegenwart, und diese Zungen sind die Zungen der Diener bzw. Prediger: „Du hast das Sakrament der Taufe [und] ebenso die Absolution. Wenn du hörst und glaubst, hast du die Zunge des Heiligen Geistes, die [der Zunge] des Predigers gleich ist, gehört.“ („Habes Sacramentum baptismi, item absolutionem, quando audis et credis, audivisti linguam spiritus sancti, Item praedicatoris.“ [R] WA 46,426,15f. Der Kontext macht

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Der Aspekt der historischen Kontinuität

Das Lamm Gottes, das „vom Anfang der Welt“ geschlachtet ist, – Christus, der im Alten Testament unter Masken handelte, der Fleisch annahm und gekreuzigt wurde, der sich an seine gestifteten Mittel bindet, bestimmt Luthers Theologie, das Verständnis eines Gottes, der sich mit der Zeit verschränkt hat. Und diese Verschränkung Gottes mit der Zeit bedeutet eine Verschränkung der Zeiten in der Theologie Luthers, in der auch seine Ekklesiologie und sein Amtsverständnis ihren festen Platz haben. Die Lessingische Forderung eines Beweises des Geistes und der Kraft72 wird von Luther mit dem gepredigten Hinweis auf das Fleisch und die Entäußerung beantwortet. Der Sohn Gottes, der der Menschensohn ist, bietet nur das Zeichen Jonas73 und lässt sich zu allen Zeiten von Propheten,74 von den Aposteln und ihren Nachfolgern vertreten, die genau wie er in seinem Fleisch Widerstand und Ablehnung erleiden werden, in denen er aber zugleich selbst präsent ist und wirksam handelt.75 In der Geschichte des inkarnierten Gottes, der sich mit der Zeit verschränkt, sind keine Klüfte zu überbrücken.76 Wie seine Gotteslehre, Christologie, und Sakramentslehre, so leben auch Luthers Ekklesiologie und sein Amtsverständnis in einer historisch-kontinuierlich verstandenen Geschichte. Er fasst sie nicht abstrakt oder konzeptuell als theologische Noumena, die an sich zeitlos sind oder sogar „an sich“ gedacht werden können. Die Kirche und das Amt sind aus seiner Sicht historisch-kontinuierlicher Art. Sie haben ihren Anfang im Sohn Gottes, der selbst als Gesandter Gottes durch Judäa und Galiläa zog,77 und erfahren auch seit seiner Himmelfahrt eine historisch-kontinuierliche Fortsetzung bis in die Gegenwart, so dass Luther sagen kann, „So wird es bleiben, wie es auf uns gekommen ist.“78 Angesichts einer bis in die Gegenwart vorherrschenden Meinung, dass Luther eine neue Kirche begründet habe,79 und also auch ein für die Theologiege-

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klar, dass Luther den „Prediger“ als einen Amtsträger versteht: Vgl. [R] WA 46,425,17 und 46,426,1 sowie den gesamten Kontext bis 46,427,2, in dem es unter anderem um die Verwerfung des Amtes durch die Rottengeister und Enthusiasten geht.). Pr. 1968 [R/S]: In amtstheologischer Hinsicht betont Luther, wie Christus und Johannes der Täufer noch heute am Werk sind; siehe 4.1.1 (dort bei Anm. 20–31). Pr. 2023 [Dr] WA 51,138,31–139,5; 51,145,22f: Dass man die Stimme des Apostels Paulus vom Pfarrer hört, ist gleichermaßen eine historisch- und amtstheologische Feststellung, die auf dem Befehl Christi beruht. Lessing, „Beweis“. Mt 12,39f und 16,4; Lk 11,29f. Lk 16,19–31: Solange der auferstandene Christus sein Fleisch, seine menschliche Natur behält, wäre eine „direkte“ Begegnung mit ihm keineswegs überzeugender und wundersamer als seine Vertretung in den von ihm Gesandten. Vgl. die Darstellung von Pr. 1846 [A] bei 3.2.2 (dort bei Anm. 50–64). Siehe Anm. 22 oben (Lessing). Pr. 1923 [R] WA 49,140,23–39; für die Notbeichte in Pr. 1923 siehe 4.2.3. Pr. 1601 [R] WA 41,607,6f: S.o. Anm. 59. Siehe auch Pr. 1598 [R] WA 41,593,6: „So geschah es, und so geschieht es heute.“ („Hoc factum et fit hodie.“). Z.B. Knuth, „Vom größten Gebot“, S. 13: „[…] so konnte er […] ja eine Kirche begründen.“ Vgl. Pesch, Hinführung zu Luther, S. 211: „Der Antitraditionalismus Luthers ist eine Fabel.“

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schichte völlig neues Amtsverständnis schuf, ist festzustellen, dass dies dem Anliegen Luthers völlig widerspricht. Bernhard Lohse hat den Gedanken geäußert, „An sich hätte es für Luther nahegelegen, eine Verfallsauffassung zu entwickeln, da er mit ihrer Hilfe zusätzliche Argumente in dem Kampf mit Rom zur Verfügung gehabt hätte.“80 Tatsächlich aber hielt sich Luther von dieser Position der Humanisten und der Radikalen ausdrücklich fern.81 Er war nicht der Ansicht, dass die Kirche verfallen sei und einen neuen Anfang bräuchte, sondern „Ecclesia soll das heilige christliche Volk heißen, nicht nur zur Zeit der Apostel, die nun längst tot sind, sondern bis am Ende der Welt, so dass ein christliches heiliges Volk also immerdar auf Erden lebt und existiert, in dem Christus lebt, wirkt und regiert […].“82 Die Kirche ist eine geschichtliche Größe kontinuierlicher Art, die angesichts der Verheißungen ihres Stifters nicht untergegangen ist und nicht einmal untergehen könnte.83 Trotz aller Neuerungen, Missbräuche, und Apostasie gab es auch im Abendland einen ununterbrochenen Fortbestand der Kirche,84 in der Luther nicht als ein Neues stiftender Reformator wirken will, sondern als ein „Anwalt der Kontinuität der Kirche gegen die Neuerungen der Papisten“.85 Er ruft die in vieler Hinsicht abtrünnige Kirche seiner Zeit zu der alten, wahren Kirche zurück. Wenn im Nachhinein Luther als Erneuerer und Reformator der Kirche – wenn nicht gar als Stifter einer neuen Kirche – bekannt ist, muss dagegen deutlich

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Headley, Luther’s View of Church History, S. 98: „By 1518, however, the designation of newness is avoided and Luther’s theology claims to be the old one; the Scholastics and commentators are the innovators.“ Lohse, Martin Luther, S. 198–202, Zitat S. 201. Höhne, Luther über Kontinuität der Kirche, S. 159f: „Er hat das humanistische Geschichtsschema: unverdorbener Urzustand – Verfall – Reformation nicht zu dem seinen gemacht.“ Siehe auch Headley, Luther’s View of Church History, S. 159–161 und Gritsch, „Scripture and Tradition“, S. 101. Die Möglichkeit eines Verfalls der römischen Kirche, d. h. einer territorialen Kirche unter dem Bischof von Rom, bleibt offen. WA 50,625,21–24 („Von den Konziliis und Kirchen“, 1539; Hevorhebung und Modernisierung JM); das Zitat verweist auch auf eine Aktualpräsenz Christi in der Kirche. Mt 16,18 und 28,20 sind grundlegend; II Thess 2,4 und Mt 24,24 sind zu erwarten. Die Verheißungen sind im Einklang mit der Christologie, wenn Luther seine Überzeugung der historischen Kontinuität und des Fortbestands der Kirche ausdrückt: „Denn wir sind es doch nicht, die da kündten die Kirche erhalten, unser Vorfarn sind es auch nicht gewesen, Unser nachkomen werdens auch nicht sein, Sondern der ists gewest, Jsts noch, wirds sein, der da spricht: Ich bin bey euch bis zur welt ende, wie Ebre. am 13. stehet: Jhesus Christus heri et hodie et in secula, Und Apocalyp.: der es war, der es ist, der es sein wird, […]“ („Wider die Antinomer“, 1539 [WA 50,476,31–36]). Höhne, Luther über Kontinuität der Kirche, S. 75 et passim. Luthers Überzeugung, dass der Papst der Antichrist sei, widerspricht nicht seiner Überzeugung der Kontinuität der Kirche, sondern untermauert sie, denn der Antichrist ist nur in der Kirche zu finden; vgl. II Thess 2,4. Für Weiteres zur Kontinuität im Kirchenverständnis Luthers siehe Wagner, Ursprünge des frühkatholischen Problems, S. 13–24; und Zahrnt, Luther deutet Geschichte, S. 58. Höhne, Luther über Kontinuität der Kirche, S. 158.

184

Der Aspekt der historischen Kontinuität

gemacht werden, dass Luther umgekehrt seinen Gegnern im Papsttum Neuerungen vorgeworfen hat, Neuerungen bezüglich der „Stücke“ der Kirche.86 Die Stücke oder notae der Kirche sind Merkmale, an denen die Kirche erkannt wird, und Mittel wodurch Gott selbst die Kirche konstituiert, heiligt und am Leben hält; sie gehen das Wesen der Kirche an.87 Von diesen Stücken meint Luther, dass er und seine Anhänger sie alle aus der Kirche, die unter dem Papsttum ist, bekommen haben,88 und behauptet, mit ihnen beweisen zu können, dass die Anhänger der Reformation der rechten alten Kirche angehören und in Kontinuität mit ihr stehen.89 Während in den Jahrhunderten vor ihm die Kirche unter den Päpsten bei der Predigt, der Taufe, dem Sakrament des Altars, den Schlüsseln, dem Ordinieren und Berufen von Kirchendienern und dem liturgischunterrichtenden Gebetsleben der Kirche in vieler Hinsicht abtrünnig geworden

86 WA 38,221,18–35, et passim („Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe“, 1533); vgl. WA 51,536,12 in Bezug auf 51,479,20–485,24 („Wider Hans Worst“, 1541). An anderen Stellen kann Luther diese „Stücke“ „(öffentliche/äußerliche) Zeichen“ (WA 50,643,6 [= „Hauptstücke“] in Bezug auf 50,628,16–643,5 [„Von den Konziliis und Kirchen“, 1539]) oder die christlichen „Güter“ (WA 26,147,14; 26,148,11 im Kontext von 26,146,32–148,21 [„Von der Wiedertaufe an zwei Pfarrern“, 1528]) nennen. 87 Yeago, „The Office of the Keys“, S. 98: „The seven marks of the church are the Heilthümer, according to Luther, the holy things, by which this holy people is sanctified. The expression actually involves an untranslatable play on words: Heilthum in Luther’s world meant a miracle-working relic, a sacred object bursting with divine power. The true wonder-working holy things, Luther is claiming, are the seven elements of communal life which he describes: the word of God, baptism, the sacrament of the altar, the office of the keys, the holy ministry, the public liturgy of prayer, praise, and thanksgiving, and the bearing of the holy cross.“; vgl. WA 50,629,3 und 13; 50,630,24; 50,631,9 und 29; 50,632,14; 50,333,2 usw. („Von den Konziliis und Kirchen“, 1539). Alle diese Stücke, notae oder „Heilthümer“ sind Mittel des Handelns Gottes, und nicht einfach Kennzeichen oder Merkmale der Kirche. Diese Tatsache wird oft übersehen, weil Luther auch das Gebet in diese Liste aufnimmt; aber das Gebet, das Luther im Blick hat, ist nicht nur liturgisch, sondern umfasst auch das Lehrgut des Katechismus, denn „gebet, als Psalter, Vater unser, der Glaube und der Zehen gebot“ (WA 38,221,29f, „Von der Winckelmesse und Pfaffenweihe“, 1533) wurden laut gesprochen, wiederholt, und im liturgischen Beten den Menschen beigebracht. Indem die Schrift bzw. der Psalter und der Katechismus „gebetet“ werden, wird auch das Gebet eine Art Mittel, durch das Gott im gottesdienstlichen Rahmen handelt. 88 WA 26,146,32–148,21 (bes. 26,147,13–15; „Von der Wiedertaufe an zwei Pfarrern“, 1528); WA 39/II,167,8–10 und 16–19, („Promotionsdisputation […] Scotus“, 1542); WA 51,501,20–25 („Wider Hans Worst“, 1541). 89 Vor allem WA 51,478,34–479,19: „Wie aber, wenn ich beweiset, das wir bey der rechten alten Kirchen blieben, ja das wir die rechte alte Kirche sind, ir aber von uns, das ist, von der alten Kirchen abtrünnig worden, ein newe Kirchen angericht habt wider die alte Kirche? Das las uns hören.“ („Wider Hans Worst“, 1541; vgl. Angaben bei Anm. 86 oben). Pr. 1851 [A], die Gottes Erhaltung der Kirche durch eine Geschichte voller Abfall und Abkehr betont, überschneidet sich mit „Wider Hans Worst“ in vielerlei Hinsicht; siehe besonders WA 47,573,37–575,35.

Kontinuität durch die Zeit hindurch

185

ist und diese Stücke verdunkelt hat, meint Luther, sie nun mit der wahren, alten Kirche rein zu haben und gemäß der Stiftung Christi zu vertreten.90 Manches ist anders. Nichts aber ist neu, auch bezüglich des Amtes. Was auch immer Luther und die Anhänger der Wittenberger Reformation für ein Amtsverständnis – und schließlich für ein Amt – haben, es kann doch seines Erachtens nur etwas sein, das nun unter ihnen geläutert und in der Praxis wiederhergestellt worden ist, aber eben nicht etwas Neues, etwas ohne Präzedenz – ja, ohne starke und breite Tradition in der Kirche vor ihnen. Ein Amt, das durch demokratisches Delegieren von versammelten Gläubigen übertragen sein sollte, wäre ein theologisches Novum ohne Beispiel in der vor ihnen geschichtlichkontinuierlich verstandenen Kirche. Wenn Luthers Amtsverständnis von solcher Art wäre, würde es dem von ihm ausgesprochenen Verständnis der Kirche und ihrer Stücke widersprechen. Dieses unter Luthers protestantischen Erben nun weit verbreitete Amtsverständnis kann und will letzten Endes nicht die Last der Geschichte tragen. Es ist ein zeitloses Logikon,91 das aus einer 1jjkgs_a %wqomo¬ hervorgeht, die ihren Anfang in sich trägt: Das Amt, durch dessen Lehren und Darreichen doch der Glaube entsteht und ernährt wird, entstehe aus den Gläubigen. Wir haben dagegen den Beweis, dass Luther sein Amtsverständnis und die Anhänger der Reformation ihr Amt aus – und nicht in Gegensatz zu – der abendländischen Kirche und ihrer Geschichte haben, ein Amt, das durch vorherige Amtsträger übertragen wurde und auf die Apostel und Jesus Christus zurückgeht. Wenn es einen Gegensatz gibt, dann ist es der, der zwischen der Kirche Gottes und der Kirche des Satans zu jeder Zeit und durch die Zeiten besteht.92 Diese zwei Kirchen, „Kain und Abel“, halten sich seit dem Sündenfall fest umklammert. Die Zeit seit Himmelfahrt und Pfingsten ist nach Luther eine eschatolo90 Einsetzung, Ordnung, und Befehl Christi werden in „Von der Winckelmesse und Pfaffenweihe“ wiederholt betont, z. B. WA 38,224,7f (im Kontext von 38,224,3 bis 251,36). Das Gleiche in „Wider Hans Worst“, sowohl bei WA 51,478,27–483,35 als auch bei 51,487,18–494,23; und auch in „Von den Konziliis und Kirchen“, z. B. WA 50,630,22 (vgl. Angaben bei Anm. 86 oben). 91 Vgl. Bayer, „Gottes Allmacht“, S. 119f. 92 Z.B. WA 51,477,30f („Wider Hans Worst“, 1541). Hier nimmt Luther einen Impuls von Augustin auf; Höhne, Luther über Kontinuität der Kirche, S. 76f; Lohse, Martin Luther, S. 199–201. Im Unterschied zu Augustin glaubte Luther aber am Ende der Weltgeschichte zu leben, in den letzten Tagen; siehe Headley, Luther’s View of Church History, S. 267. Vgl. auch Schmidt, „Luthers Schau der Geschichte“, S. 34f und 66f. Der Streit kann auch als einer zwischen Gottes Reich und dem Reich des Satans beschrieben werden; siehe Lilje, Luthers Geschichtsanschauung, S. 71. Der Unterschied zwischen diesen zwei Kirchen ist nicht dem Unterschied zwischen den Anhängern Luthers und den Anhängern des Papstes gleich, denn der Unterschied zwischen den zwei Kirchen (der Kirche Gottes und der Kirche des Satans) geht durch die „römische Kirche“ durch (WA 54,233,24–33; „Wider das Papsttum zu Rom“, 1545), und insofern auch durch die Anhänger der Reformation.

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Der Aspekt der historischen Kontinuität

gisch bestimmte und apokalyptisch zugespitzte Zeit, die zwischen der irdischen Lebenszeit des Sohnes Gottes und seiner Wiederkunft am Jüngsten Tag abläuft.93 Zugleich abwesend und mittelbar anwesend, erwartet und präsent, streitet Christus in dieser Zeit für seine Kirche. Die Front dieses fortdauernden Kampfes liegt mitten im Gottesdienst, der ein eschatologisches Kampffeld ist,94 in dem die Zeiten nicht nur sich verschränken, sondern aufeinander prallen: „Der erste Tag der Zukunft Christi trifft durch die Predigt des Evangeliums und die Sakramente ein; dadurch wird der Teufel zu Boden getreten.“95 Hier wird die Predigt zu einer Kampfhandlung.96 Beim Predigen ist sich Luther der Streitsituation voll bewusst und versteht sich als ein Instrument und Werkzeug,97 durch das Christus im Kampf handelt, spricht und streitet, dessen endgültigen Sieges nur er mächtig ist.

Zusammenfassung Dem Moment der historischen Kontinuität, das sich in Luthers homiletischer Verknüpfung der Zeit der Apostel mit seiner eigenen Zeit ausdrückt (Vergegenwärtigungen), liegt die Überzeugung zugrunde, dass Christus zu allen Zeiten durch das Amt mittelbar und handelnd präsent ist. Die Anwesenheit Christi im Amt und das Wirken seines heilsamen Wortes durch das Amt entsprechen seiner menschlichen Natur und sind in gewisser Weise historisch-kontingent. Die historische Kontinuität des Amtes drückt sich auch darin aus, dass das Amt als ein wesentlicher Bestandteil des jetzigen geistlichen Regiments und der aktu93 Vajta, Theologie des Gottesdienstes, S. 141: „Er hat vielmehr die Entdeckung gemacht, dass Urchristentum und Reformation in der gleichen heilsgeschichtlichen Situation stehen, nämlich in der Epoche zwischen Christi Auferstehung (und Himmelfahrt) und Christi Wiederkunft.“ 94 Siehe Pr. 1849 [A] WA 47,560,32–562,8. 95 Pr. 1848 [A] WA 47,554,36f: „Die Erste tag der Zukunft Christi ist durch die predigt des Evangelii und die Sacrament, dardurch wirdt der Teuffel zu boden getretten.“ Vgl. Wagner, Ursprünge des frühkatholischen Problems, S. 20: „Der Zusammenprall zwischen Satan und dem Wort ist das eigentliche Ereignis der Geschichte. Kampfobjekt ist der Mensch. Der Kampf um ihn ist schon entschieden.“ 96 Vajta, Theologie des Gottesdienstes, S. 141 et passim. Meuser, Luther the Preacher, S. 25–27. Luther verhält sich entsprechend: Themen wie der Antichrist, Gottes aktueller Zorn und seine Bestrafung von Sünden, wie z. B. Geiz, werden angesprochen und die Gemeinde ernsthaft davor gewarnt; siehe z. B. Pr. 1853 [A] WA 47,591,10–592,20. Der Kampf, in dem der Teufel die wichtigsten Mittel im Arsenal seines Feindes, die rechte Predigt des Evangeliums und den rechten Gebrauch der Sakramente, zu zerstören versucht, ist vorgegeben: Luther versteht z. B. Mt 24,4.5.11 als die Voraussage einer unendlichen Reihe von falschen Lehrern, durch die die Kirche Gottes angegriffen wird; siehe Pr. 1848 [R] WA 47,555,28–556,40. 97 Zur Instrumentalität siehe Kap. 6. Luthers Bewusstsein, dass er und die Amtsträger an dem Kampf beteiligt sind, kann z. B. in Pr. 1848 [A] WA 47,554–560 gesehen werden.

Kontinuität durch die Zeit hindurch

187

ellen Ordnung Gottes erscheint. Diese sind zu Pfingsten in Kraft getreten; ihren biblischen Gegenpart bilden der geordnete Kultus und das Regiment des alten Testaments. Durch die Zeiten hindurch behält Gott eine vermittelte Präsenz und eine lokalisierte Gegenwartsweise, die mit einem von ihm geordneten Regiment verbunden sind. Die Amtsträger gehören zum geordneten geistlichen Regiment seit der Zeit der Apostel. Seither sind das Amt sowie auch die Kirche historischkontinuierlicher Art und werden einem Kontinuitätsmodell entsprechend dargestellt. Ein Amt oder ein Amtsverständnis, das irgendwie „neu“ wäre, würde Luthers Verständnis vom kontinuierlichen Handeln Gottes in der Geschichte widersprechen; das Amt, wie er es versteht, ist vielmehr eine geschichtliche Größe, die er aus und letztendlich gemeinsam mit der ganzen Kirche hat.

6.

Der Aspekt der Instrumentalität

Nach einer Einführung in Luthers homiletische Darstellung der Präsenz Christi im Amt anhand Pr. 1926 und der Betrachtung des dreifachen Aspekts der Kontinuität (christologisch, apostolisch und historisch) wenden wir uns nun dem Aspekt der Instrumentalität zu. Zumindest in seinen Predigten ab 1535 stellt Luther die Amtsträger als Instrumente und Werkzeuge dar, durch die Christus nicht nur anwesend ist, sondern auch selbst mittelbar redet, handelt und seine Kirche regiert. Um diesem bestimmten Aspekt der Präsenz Christi im Amt möglichst genau nachzugehen, werden zuerst zwei Predigten, Pr. 1574 und Pr. 1882, in Übersetzung angegeben, in denen der Aspekt der Instrumentalität der Amtsträger besonders hervor tritt (6.1). Auf dieser Grundlage und unter Einbeziehung weiterer Predigten wird untersucht, was von den Amtsträgern als Instrument und Mittel ausgesagt wird; dabei werden andere mit dieser Schilderung verwandte Darstellungen der Amtsträger in Betracht gezogen, ehe Mittel und Mittelbarkeit in einem weiteren Horizont ins Auge gefasst werden (6.2). Da Pr. 1882 und Pr. 1574 an Ordinationstagen gehalten wurden und eine Wahrnehmung von Ordinieren in unmittelbarem Kontext zeigen, folgt ein Exkurs zu einem liturgisch-homiletisch vermittelten Verständnis der Ordination (6.3). Danach werden die Christologie und ein Gabemotiv betrachtet, die beide eine zentrale theologische Rolle für den Gedanken der Instrumentalität spielen (6.4), ehe schließlich die Frage nach der Beziehung des Christen zu Gott – mittelbar oder unmittelbar? – gestellt wird (6.5).

6.1

Übersetzungen von Pr. 1574 und Pr. 1882

6.1.1 Pr. 1574 ([R] WA 41,454–459) [41,454,17] 20. Oktober 1535 Predigt am Mittwoch nach [dem Tag des Evangelisten] Lukas

190

Der Aspekt der Instrumentalität

[Am] 4. Tag nach Lukas, das ist [der] 20. Oktober1 [41,454,18–25] So wie ihr gehört habt, so sollt ihr auch glauben,2 [nämlich,] dass, als Christus von der Welt geschieden, [da] hat er sein heiliges Evangelium und [sein heiliges] Sakrament anvertraut, damit sein Reich auf Erden bestehe.3 Und so [hat er] deshalb4 einen starken5 Segen gesprochen und sagte: „Siehe, ich bin bei euch“,6 damit es keinen Zweifel [gibt], dass unser HErr [und] Haupt doch bei uns und nicht [getrennt] von uns bis zum Jüngsten Tag [ist], obgleich wir ihn nicht mit [unseren] Augen sehen und mit [unseren] Ohren hören und mit [unseren] Händen anfassen.7 Dann werden wir ihn sehen. Inzwischen bleibt er mit der Kirche geistlich; freilich ist er anwesend, auch wenn er nicht gesehen wird. [41,454,25–31] Darum lehren wir weiter, und wir lehren die Wahrheit: Das Evangelium, das wir predigen, ist nicht unsere Predigt, sondern das Evangelium Christi, das er hinterlassen hat, damit [wir es] mündlich predigen und erschließen. Und [sie], die das Evangelium, die Zehn Gebote[, usw.] hören, [hören] nicht uns, sondern sein Wort. Wie er gesagt hat: „Meine Lehre ist nicht mein[, sondern des, der mich gesandt hat].“ [Und: „]Wer mich hört, [hört ihn,] der [mich] gesandt hat; wer [aber] mich verachtet[, der verachtet den, der mich gesandt hat].[“]8 So wandte er sich um [und ist] in [den] Dienst seiner Herrschaft [ge]gangen.9 [41,454,31–34] Darum soll niemand das Evangelium ansehen, als etwas, das von Menschen kommt. Wir haben das Buch nicht geschrieben, noch wurde es von Menschen erdacht, sondern [es kam] durch Menschen von Gott. Denn das 1 Der Tag des Evangelisten Lukas ist am 18. Oktober. Hier ist also entweder ein Fehler zu vermuten oder man hat den Tag in Wittenberg am 16. Oktober gefeiert. 2 Vgl. I Kor 15,11b. 3 „[B]estunde“ als eine Form von „bestehen“. „[B]estunden“ kann aber auch „pachteten“ bedeuten (siehe „bestehen“ bei StA 6,33); vgl. in dieser Hinsicht DWB 13,1581 „pfachten/ pfächten“. 4 Siehe „darüber“ bei DWB 2,798 4; vgl. StA 6,43. Das Anvertrauen seines Evangeliums und seines Sakraments und das Schaffen seines Reiches ist der Grund, aus dem Christus diesen Segen spricht; er spricht diesen Segen, um Wort und Sakrament seinen Aposteln anzuvertrauen und sein Reich zu schaffen. 5 „[S]tark“ bezieht sich also auf die lateinische „potestas“ (griechisch: 1nous_a) von Mt 28,18, den Luther übersetzt: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“ 6 Mt 28,20. Die abschließenden Verse des Mathäusevangeliums scheinen den von Luther selbst ausgewählten Predigttext zu bilden. 7 I Joh 1,1–3. 8 Joh 7,16 und Lk 10,16. Luther zitiert die zwei Verse zusammen. Der vermittelte Punkt ist, dass sowie Christi Lehre nicht seine eigene Lehre ist, so ist auch die Lehre der Prediger nicht ihre eigene Lehre; man wird immer mit dem jeweiligen Sender konfrontiert. 9 „[G]angen“ könnte auch auf die Elf (Mt 28,16) bezogen sein. So verstanden könnte man auch folgendes übersetzen: „So [nachdem Christus] sich [gen Himmel] kehrte sind [die Jünger] in [den] Dienst seiner Herschaft gegangen.“

Übersetzungen von Pr. 1574 und Pr. 1882

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[ist] mit großem Fleiß [zu] treiben, damit Menschen das Wort so hören [–] dass sie wissen, [dass es] Gottes Wort und nicht Menschen [Wort] ist. [41,454,34–455,11] Dass wir Menschen das Heil predigen steht nicht in unserer Macht,10 noch in der des Kaisers. Wir sind nur das Instrument und Mittel,11 durch das Christus spricht und von dem er Gebrauch macht zu eurer Ehre, wie ein Herr [seinem] Diener einen Gulden in die Hand gibt, damit [er ihn] einem Armen [gibt]. Es ist nicht [der Gulden] des Dieners, der nur [seine] Hand darreicht, damit es gegeben wird. Er ist der Löffel und die Hand [seines] Herrn. Wir sind der Löffel; er tränkt durch uns, [aber] die Speise und der Trank sind des HErrn. Also seid ihr daran gewöhnt, dass wenn ihr das Evangelium hört, dass ihr [es als etwas,] das von Gott [kommt,] empfangt. [Es ist] nur, dass wir sichtbar sind;12 [wir] Prediger sind die Werkzeuge Gottes, durch die er handelt. Daher schließen und sagen wir : Auch wenn ein Pfarrer nicht fromm und wert13 wäre, dass er ein Sohn und Knecht Gottes [heißen soll,14 gibt und handelt Gott dennoch durch ihn].15 So [auch] der Diener[:] Wenn [er] ein Taugenichts ist und [seine] Hand aussätzig ist, [so] ist doch der Gulden gut, den der Herr durch [seine] Hand gibt, weil [er Gottes] eigener [Gulden ist]. Der Gulden gehört rechtmäßig16 dem Herrn und er gibt [ihn] durch einen Schalk und [er ist] ebenso sehr ein Gulden als wenn [der Herr ihn] durch einen guten Menschen [gegeben hätte]. [41,455,11–21] Sieh darum auf die Gabe und den wahren Geber [und] nicht auf das Werkzeug, durch das es gegeben wird, außer dass das Werkzeug ein solcher ist, der nicht gebe, was Gott befohlen hat, sondern [dir] einen Zahlpfennig17 anstatt des Guldens [gebe], wie die Wiedertäufer und der Papst, [die] Possen anstatt des Evangeliums geben. Das ist nicht Gottes Gabe. Wenn [er] aber ein wahres [Werkzeug] ist, lässt er das Evangelium und die Sakramente bleiben, [so dass] er nichts stört.18 Sei er [nun] ein Dieb [oder] ein frommer Mann, wenn er das Evangelium, das Sakrament, die Taufe [und] die Absolution gibt, ist es in der Tat [das Evangelium, das Sakrament, die Taufe und die Absolution]. Sie sind[,was sie sind, ] durch ihre eigene Würde19 [und werden durch seine] Bosheit 10 Für „potestas“ siehe Anm. 5 oben. 11 Für dieses Vokabular vgl. CA V,2 (BSLK 58,4ff). 12 „[P]arentes“ als Partizip von „pareo“; der gedankliche Inhalt ist derselbe wie oben bei WA 41,454,21–25 und unten bei 41,455,21–24. Vom Kontext her ist diese Lesung der Lesung von Buchwald, „Luther – erste Ordination“, S.153 („Eltern“) vorzuziehen. 13 Für das lateinische Pendant von „wert“ vgl. Anm. 19 unten. 14 Eine Anspielung auf Lk 15,19. 15 Derselbe theologische Inhalt kann auch bei CA VIII,1ff (BSLK 62,1ff) und Apol VII–VIII,19 (BSLK 238,11–13 [Latein]) gesehen werden. 16 WA 41(Revisionsnachtrag),144. 17 Siehe „Zahlpfennig“ bei DWB 31,67ff: eine falsche Münze, oder eine, die nur zum Rechnen gebraucht wird. 18 Für „moveo“ siehe Lewis und Short, Lewis and Short I.: „to disturb“. 19 Für das deutsche Pendant von „dignitas“ siehe Anm. 13 oben.

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Der Aspekt der Instrumentalität

nicht böser oder geringer. [Sie sind] Gottes Gabe[n], wie ich über den Diener gesagt habe, der den Gulden gibt. Der Gulden ist nicht geringer, wenn die Hand aussätzig ist. So predigen wir das Evangelium[:] gleichgültig ob20 wir aussätzig sind, dennoch ist das Evangelium, das wir predigen, Gottes [Evangelium]. Und wenn [wir predigen,] hört ihr ihn, gleich wie [wenn er] vom Himmel [sprechen würde],21 es ist nur, dass er will, dass [ihr] eine Gabe empfängt, und die Zunge eines Menschen ist das Instrument, durch das [einer] den anderen hört.22 [41,455,21–29] Das ist, was er gesagt hat, dass er bei uns ist und bleibt [„alle Tage bis an der Welt Ende].23 Doch ist es nicht nötig, dass ich selbst predigen soll. Da werden Mittel[-]Zungen,24 die Hand des Dieners und ein Löffel [sein].[“] Doch wir selbst werden [ihn] ohne irgendeinen Prediger25 sehen26 und hören [am Jüngsten Tag.] Inzwischen ist er mit uns27 durch genau diese Mittel und Instrumente. Also wenn die Taufe gegeben wird, wie Christus [sie] anvertraut hat – sei der, der sie gibt, anständig [oder nicht] – [darfst du] wissen, [dass] sie hält, wie Christus [befohlen hat28]. Wenn die Hebamme die Taufe in Eile gibt29 – sei sie eine Hure oder [eine anständige Frau] – wenn sie [die Taufe] gibt, ist sie recht gegeben und ist die wahre Taufe, obwohl eine Frau [sie gibt]. So kannst du sagen: [„]Ich habe die Taufe Christi empfangen, die er gegeben hat durch [den] Pfarrer, [den] Prediger [oder die] Hebamme – an [denen] liegt30 die Macht der Taufe nicht. Die Taufe ist da.[“] [41,455,29–456,4] Also [sollen wir] unterscheiden,31 damit nicht Ketzerei[en] aufkommen. Vor Zeiten [sagten] die Donatisten32 und heute [sagen] die Wiedertäufer : [„]Wenn der Diener nicht heilig wäre, könnte die Taufe nicht recht sein. Wie könnte er, der selbst unrein ist, einen [anderen] Menschen reinigen?[“]33 [So gab es] große Streitigkeiten in der Kirche. [Es ist] als wenn ich 20 WA 41(Revisionsnachtrag),144. 21 Vgl. Apol XI,2 (BSLK 250,8f [Deutsch]): „als höreten wir eine Stimme vom Himmel“; vgl. auch Apol XII,40 (BSLK 259,22–25 [Deutsch]). 22 Vgl. Röm 10,14. 23 Mt 28,20. 24 S.o. Anm. 11. 25 Siehe Röm 10,14. Umformulierend sagt Luther, „sine ullo praedicatore“ – „ohne irgendeinen Prediger“; vgl. die Vulgata: „sine praedicante“ – „ohne einen Predigenden“. Seine Übersetzung, „ohne Prediger“, hebt auch den Menschen und den Titel und nicht einfach eine Funktion vor. 26 Eine Anspielung auf I Kor 13,12? 27 Mt 28,20; siehe Anm. 6 oben. 28 WA 41(Revisionsnachtrag),144. 29 D.h. die Nottaufe, vgl. die Anmerkung der WA zu 41,455,26. 30 WA 41(Revisionsnachtrag),144 schlägt „liegt“ für „leid“ vor. 31 Vgl. Anm. 38 unten. 32 Vgl. CA VIII,3 (BSLK 62,13f). 33 Sir 34,4? Vgl. WA 41(Revisionsnachtrag),144.

Übersetzungen von Pr. 1574 und Pr. 1882

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sagen würde: [„]Ein Diener, der eine aussätzige Hand hat, kann nicht reines Gold geben.[“] Der HErr Christus hat [die Kirche] gesteuert durch Judas und die falschen Apostel, die das Amt hatten34 und recht predigten und dennoch Verräter des HErrn waren. Daher ist schließlich der Sieg geblieben,35 weil weder die Person anzusehen ist noch die Würde36 der Person, [sondern die Tatsache, dass die Taufe] Gottes Gabe ist. Petrus [oder] Paulus tauft nicht; er reicht wohl seine heilige Hand [da]zu, [aber] wahrlich [ist es] Gott[, der tauft].37 [Sollte] Judas seine aussätzige, schändliche, verräterische Hand [da]zu [reichen], macht [es] mir nichts aus, [denn] es ist nicht [die Taufe] des Judas, sondern die Taufe Christi. Er tauft ebenso durch die Hand eines Verräters als [durch die Hand] des heiligen Petrus. [41,456,4–9] [Aber in dieser Linie] hat [sich] der Papst sehr gestärkt. [Er meint, „Auch] wenn [ich] schon nicht fromm [bin], muss [ich] dennoch gehört werden und kann das Sakrament verwalten; ich kann predigen [und] regieren – [das] sollst du glauben[!“] Auf diese Weise [ist es] zugegangen und [ein] Teufel ist aus ihm geworden. Wenn heute [der Ordinand] böse [wäre] und [er seiner Bosheit] überführt werden könnte, soll man [ihn] fromm nennen [und] seine Bosheit in das Amt legen? [Wenn man] so [denkt,] wäre es besser, wenn die Hebamme eine Hure [wäre, als] dass [sie] eine ehrliche, fromme Frau [wäre. Denn] wenn [sie] nicht [fromm und ehrlich ist,] ist die Taufe gleichwohl recht. [41,456,9–13] So erkennt [doch],38 dass Christus seiner Kirche oberster Bischof und Papst [ist], der alle Amtshandlungen ordnungsmäßig39 vollzieht, dass wir von ihm das Evangelium hören, absolviert [werden], Trost empfangen, [getauft werden und das Sakrament empfangen]. Es ist nur, dass40 er Masken über sein Gesicht41 gezogen hat, so dass [wir ihn] nicht sehen. Meine Hand,

34 Act 1,17 und 20 steht im Hintergrund: Für „ja_ 5kawem t¹m jk/qom t/r diajom_ar ta}tgr“ / „et sortitus est sortem ministerii huius“ im 1,17 übersetzt Luther, „und hatte dies Amt mit uns überkommen“. 1,20 heißt: „ja_ tµm 1pisjopµm aqtoO kab]ty 6teqor“ / „et episcopatum eius accipiat alius“ / „und sein Bistum empfange ein anderer“. 35 „Ideo tandem mansit victoria […] donum dei.“ Dieses ist vielleicht eine Anspielung auf I Kor 15,57 – Vulgata: „Deo autem gratias qui dedit nobis victoriam per Dominum nostrum Iesum Christum.“ Der vorangehende Satz (WA 41,455,35) endet mit „domini verrheter“. 36 S.o. Anm. 13 und 19. 37 Gr. Kat. IV,10 (BSLK 692,40–693,1): „Denn in Gottes Namen getauft werden, ist nicht von Menschen, sondern von Gott selbs getauft werden; darumb ob es gleich durch des Menschen Hand geshicht, so ist es doch wahrhaftig Gottes eigen Werk, […]“ 38 Für „discerno“ siehe Lewis und Short, Lewis and Short II.A.: „discern“. „[D]iscernite“ entspricht „unterscheiden“ (s. o. Anm. 31); vgl. DWB 24,1751 III.4.a. („anerkennen“). 39 Könnte auch „durch den Orden“ übersetzt werden. 40 Für diese Übersetzung von „an (= ohne) das“ siehe DWB 13,1217 III.2.a.a. 41 In manchen Redewendungen Luthers stehen „Augen“ für das ganze Gesicht; siehe StA 6,22: „augen“.

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Der Aspekt der Instrumentalität

[mein] Mund [ist] sein Instrument, [seine] Masken, und nichtsdestoweniger vollzieht er selbst [die Amtshandlungen]. [41,456,13–28] Solchermaßen haben wir vom Sakrament gesprochen, so [sprechen wir auch] von der Berufung ins Predigtamt, denn Christus hat [es] hinterlassen.42 Ebenso [ist es], dass [man] Mann und Frau [zur Ehe] zusammen gibt:43 Wenn sie verbunden werden und Vater und Mutter die Verlobten ehelich vereinigen,44 so hat es unser Herrgott getan. In der Praxis [aber] hat der Papst durch [seine] Schändlichkeit45 die Weihe gar an sich gezogen, so dass man nicht ins Predigtamt berufen kann usw., nur er selbst.46 [Es ist so, wie] er bestimmte Sünden [für sich zu absolvieren] reserviert hat,47 die andere nicht absolvieren und lossprechen [können]; jedoch in Todesgefahr absolviert ein Priester [genauso] wie der Papst selbst. So wie auch [jeder] Christ – Jungfrau, Knecht [oder] Herr – [wenn Todes]gefahr besteht, sagen soll: [„]Gott der Herr vergebe dir alle [deine] Sünden[!] Fahre hin48 in Gottes Namen[“]. [Das] ist billig und recht. Aber wenn [man] gesund [ist], soll man die Kirche nicht verachten,49 wo man sich versammelt[, wo –] wenn keine Notfälle bestehen [– Christus] die Seinen taufen [und] absolvieren will. Darum hat er ein öffentliches Amt zu taufen gestiftet, so dass es vor den Augen der Engel [und] Menschen sichtbar ist. Und der Pastor sagt, [„]Hier taufe ich[!] So lass alle Menschen, Engel und Teufel wissen: Auch diese [Taufe] wird Gott annehmen50 und die Engel werden [sie] bestätigen[!] Hier predige ich, und die [Worte], die ich vom Evangelium sage, sind [Worte] Christi[!] Darum soll der Teufel es recht sein lassen und die ganze Welt und die Engel [sollen, ,]Ja[!‘] dazu sagen.[“] Diese Zuversicht müssen wir haben. [41,456,29–37] Wenn ich selbst [der wäre, der] predigt und tauft, könnte ich 42 Siehe WA 41,454,27 oben. Vgl. auch WA 54,260,29 („Wider das Papsttum zu Rom“, 1545). 43 Für „zusammengeben“ siehe DWB 32,744. 44 Für „zusamen legen“ siehe „zusammenlegung“ in Baufeld, Wörterbuch, S. 262. „[S]ponsum“ verweist in der Regel auf den Verlobten bzw. den Bräutigam, steht aber hier für das Paar. Für weiters zur Eheschließung zur Zeit Luthers vgl. Boehmer, „Luthers Ehe“, bes. S. 46–54. 45 Für „nequitia“ siehe Lewis und Short, Lewis and Short, II.: „bad moral quality, of all degrees“ u. a. „worthlessness, vileness, wickedness, villany“ (II.E.). 46 Siehe SA-III,X,1ff (BSLK 457,6ff); Luther erklärt, dass er und die Anhänger der Wittenberger Reformation wären bereit, die Bischöfe ihre Prediger ordinieren und konfirmieren zu lassen, aber sie sind unwillig und hindern stattdessen die Tätigkeit des Amtes. Siehe auch Tr 66–67 (BSLK 491,1–10). 47 Siehe CA XXVIII,2 (BSLK 120,11f, Anm. 2) für die “reservatio casuum”. Siehe auch Rahner, „Reservation beim Bußsakrament“. 48 Drückt die Todessituation noch mal aus; siehe StA 6,93: „hinfahrt“. 49 Vgl. Kl. Kat. Die Zehn Gebote,6 (BSLK 508,14–16): „[…] daß wir die Predigt und sein Wort nicht verachten, […]“ Vgl. auch Apol XII,176 (BSLK 291,6f) – die ministri als die Absolvierenden. 50 Siehe „annehmen“ in Baufeld, Wörterbuch, S. 10.

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[diese] Zuversicht nicht haben, [dass] es Gott und den Engeln gefällt. Aber weil ich selbst nicht taufe und predige, sondern der es tut, der oben im Himmel ist, habe ich gute Zuversicht. [Ich darf sagen, „]Es ist deine Predigt, [deine] Absolution; siehe [selbst] zu, ob es recht ist[!“] Ich bin ein Werkzeug: Die Zuversicht müssen wir haben. Wie Petrus [sagt], [„]Wer redet, [lass ihn wissen, dass er Gottes Wort redet,] oder lass das Predigen anstehen. Und wer etwas macht – [also wer etwas] in der Kirche tut – der wisse[, dass Gott dieses Werk] durch ihn tut.[“]51 Wenn ich nicht weiß, dass Gott durch mich predigt, absolviert, [tauft und das Sakrament reicht,] will ich es unterlassen52 haben. [Ich will nicht] Bräutigam und Braut ehelich verbinden,53 wenn ich nicht weiß, dass Gott [dies durch mich] tut. Aber andersherum tue ich alle [Amtshandlungen]54 mit fröhlichem Herzen und du empfängst durch mich als durch eine Maske Christi. [41,456,37–457,7] Weil es an Pfarrern mangelt, lasst uns andere in ihre Stellen setzen,55 denn es ist weder unser Predigtamt noch das Predigtamt des Papstes. [Das Predigtamt wurde] nicht gestiftet, damit es kein Evangelium gebe. Eher sterbe, wer da wolle, das Predigtamt bleibt, denn [es] gehört Gott allein. Solange die Kirche existiert, bleibt hier das Evangelium, die Taufe, die Schlüssel, das Sakrament [und] das Predigtamt. Ein Pfarrer stirbt nach dem Anderen; das Amt bleibt. Wenn das so ist, dürfen wir andere an die Stelle setzen. Dabei56 sind wir Gottes Masken und die aussätzige Hand unseres Herrgotts. Dabei machen wir das Predigtamt nicht, das bereits von Christus gemacht wurde und sein eigenes [Amt ist]. [Er sagt, „]Ich, der ich gestorben war, bin bei euch.[“] Er hat kein besseres Amt als [die], die [es] jetzt führen,57 denn alles ist Gottes.58 [41,457,7–15] Die Papisten, als sie ordiniert haben, haben den Kelch, Schlüssel, usw. als Wahrzeichen des Amtes gegeben.59 Und sie haben den Kopf geschoren, die Kasel angezogen und die Finger mit Chrisam gesalbt. [Das machen] wir nicht, denn sie meinen, dass dadurch [die] Priester gemacht werden. Das ist Ketzerei. Sie meinen, das Predigtamt hafte an diesen äußerlichen Dingen, und sie meinen, dass niemand das Amt der Kirche ausüben könne, wenn er nicht gesalbt [wäre] und eine Kasel hätte. Das ist zu grob, dass das [Amt] in äußer51 52 53 54 55 56 57 58 59

I Petr 4,11. Siehe WA 41(Revisionsnachtrag),144. Vgl. Anm. 43 und 44 oben. Vgl. „omnia officia“ oben bei WA 41,456,10. See „surrogo“ in Lewis und Short, Lewis and Short I.: „to put in another’s place, to substitute“. Vgl. WA 41,457,4: „mogen wir andere an die stad setzen“. Siehe „ibi“ bei Menge, Lateinisch-Deutsch b): „in dieser Sache, bei dieser Gelegenheit“; siehe auch Glare, Oxford Latin, 3: „In that activity, context, situation“. Siehe I Thess 5,12 und I Tim 5,17. Luther verstand diese Terminologie bzw. diese Schriftstellen in Bezug auf das Amt: Vgl. Kl. Kat. Haustafel,3 (BSLK 524,10–34). S.u. bei Anm. 66. Eine Anspielung auf I Kor 3,21–23? Vgl. „omnis potestas“ bei Mt 28,18; s. o. Anm. 5. Siehe „Wahrzeichen“ bei DWB 27,1022 II.3.

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lichen Dingen, die sie [sich] ausgedacht haben, gegeben werden soll. Wir wollen, dass unser Herrgott wieder seine Ehre habe, dass er der HErr sei der Taufe, des Evangeliums, über die Schlüssel, das Sakrament [und über] das Buch dazu. [41,457,15–19] Wir geben das Amt willig, aber [wir] setzen einen in dieses Amt ein, das vorher [da] ist; [es ist] bloß[, dass] wir eine Person annehmen, die der Handlanger sein soll. Folglich, wenn wir [das] Salben betrachten, wollen wir es nicht [vollziehen], weil es ein Zusatz ist und falscher Wahn. Der HErr hat nicht gesagt: [„]Schmier seine60 Faust und schere [seinen] Kopf, dann ist [er] ein Pfaffe.[“] Aber so tun sie im Regiment des Papstes. [41,457,19–24] Die Väter mögen es gut gemeint haben, aber [auch] sie haben [die Weihe] missbraucht, denn sie sagten, wenn einer [als] Priester geweiht ist, dann [kann er] aus dem Brot den Leib [und] aus dem Wasser61 das Blut [schaffen]. Daher [hatte] ein geweihter Priester größere Macht als ein Engel oder Maria im Himmel. So rühmen sie das Chrisam[!] Das ist [aber] Idolatrie, Teufel [und] Tod. Salben und Chrisam machen nicht die Taufe und das Evangelium, [und] die Kasel macht nicht den Priester. Sondern das Amt ist bereits vor der Kasel und der Tonsur da. Wenn [ein Priester] fehlt, setzt [man] einen [in das Amt] ein. [41,457,24–32] Die Taufe ist schon vorher da, ehe ein Priester, eine Frau, ein Mann [oder] eine Hebamme kommt. [Ebenso] macht der Prediger nicht das Evangelium; es ist nur, dass er hintritt und predigt. [So] ist auch das Amt da; es ist nur, dass es ihm aufgelegt wird. Also sollen wir die Gaben und die Werke von den Personen und Masken unterscheiden, das heißt von uns, die wir Werkzeuge sind, damit diese [Gaben –] das Evangelium, das Sakrament, [die Taufe, die Absolution, das Amt –] und alles, was du sonst durch die empfängst, die im Predigtamt sind, als von Gott [gegeben] und [als] Gottes Gabe [empfangen werden] und [so] angesehen [werden], dass [du sagen kannst, „Diese] sind Gottes Worte, die ich höre.[“] Es ist nur, dass ein Mensch die Maske sein muss, bis das Jüngste Gericht kommt. Inzwischen [ist er] unter einem Tuch [und hinter] einem Vorhang [verborgen], bis er kommt. Ob Vater und Mutter fromm oder nicht fromm sind, sind sie dennoch Vater und Mutter. [41,457,32–458,8] Das [alles] dient als Vorrede, denn wir sind [nun] dabei, jemanden für eine andere Kirche zu ordinieren. Früher haben wir [dies] nicht getan, geschweige, dass die Papisten [es gemacht haben].62 Und [wir tun es] vor 60 „[D]ein“ passt nicht mit dem folgenden Verb „est“. 61 Man würde „ex vino sanguinem“ erwarten. Hier haben wir wahrscheinlich einen Flüchtigkeitsfehler. Für die Transsubstantiation siehe Kattenbusch und Steitz, „Transsubstantiation“ und Jorissen, „Transsubstantiation“ und SA-III,VI,5 (BSLK 452,1ff). 62 Für „ne“ vgl. Georges, Lateinisch-Deutsches Handwörterbuch 2,1116f II.3. Vgl. aber auch die Deutungen von Lieberg, Amt und Ordination, S. 187 und Krarup, Ordination in Wittenberg, S. 196f.

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euch, damit ihr Zeugen seid. Unser Fürst hat [es] angeordnet [–] weil [es] noch nicht bestimmt, geregelt oder beschlossen [war], und immer mehr Städte63 sich [dem Zeitpunkt] nähern, [bei dem] es [an Priestern] mangeln wird [–], dass er aus seiner weltlichen Macht schaffen will, so dass ein Priester nicht geweiht wird, ohne dass wir es wissen. [Es ist,] wie es in der frühen Kirche [war :] Sie mussten verbieten, so dass nicht überall geweiht und die Kirche durch die falschen Apostel uneins würde, die davongelaufen [wären]. Darum, damit es keine Unordnung gebe (so lange es einen Ort oder vier in diesem [Gebiet seiner] Botmäßigkeit64 gibt, wo man ordiniert wird), und damit die Kirche nicht mit falschem Predigen betrogen wird, hat unser Fürst das befohlen: Überall, wo es einen Mangel an Predigern [gibt], [sollen Kandidaten] hierhin gesandt werden. Sie soll man hier [ver]hören, [prüfen,] ob sie geeignet sind usw., nämlich in Franken, Sachsen, Meißen [und] Thüringen. Darum sollt ihr Zeugen sein, dass er ordiniert [wurde], und [dass] wir [ihn] nach Gotha schicken, und [dass] dies aus dem Herbeiführen65 unseres Fürsten getan wurde, damit falsche Propheten nicht einer aus dem anderen erwachsen. Wenn dieses Recht jeder Kleinstadt gegeben würde, [so] würde das eintreten. Darum soll es in Einheit unter der Hand meines gnädigen Herrn bleiben, bis es anders [sein] wird. [41,458,8–24] Und ihr betet für alle, die im Predigtamt sind, die euch vorstehen66 sollen, dass [Christus] uns in der reinen Lehre und im wahren Gebrauch [der Sakramente] erhalte und bei uns bleibe bis [an der Welt Ende].67 [Betet, dass er] nicht [einen geben wird,] der falsch predigt und tauft, der das Sakrament für Brot und Wein [und] die Taufe für Wasser [hält], der einen Pfennig statt eines Guldens gibt. Ihr sollt beten, dass der HErr bleibe, das ist, dass Pfarrer, Täufer und die Sakramentsreichenden erhalten werden, wie er geordnet hat. Darum soll man beten, dass der HErr die Amtsträger regiert, so dass sie recht predigen und das Sakrament verwalten[, sowie dass sie] fromm werden. Und falls [er] ein Schalk ist, weil sein Herz nicht [fromm ist, dann] lasse [er] das Amt gleichwohl rein bleiben, auch wenn [er] der Person nach nicht rein ist, so dass der Knecht nicht den Gulden in seinem Mantel68 versteckt und uns einen Zahlpfennig dafür

63 Ob „civitates“ auf Orte innerhalb der Länder des Kurfürsten zu beziehen ist, oder ob der Blick schon über das Kurfürstentum hinausgeht, ist nicht klar: siehe Drews, „Ordination, Prüfung und Lehrverpflichtung“, S. 70–75. 64 Für „in ista ditione“ vgl. Drews, „Ordination, Prüfung und Lehrverpflichtung“, S. 70, Anm. 5. Gemeint ist das Kurfürstentum: Krarup, Ordination in Wittenberg, S. 200, Anm. 60. 65 Siehe Glare, Oxford Latin für „committo“ (15): „to bring about“, or (16): „to make operative“. 66 S.o. Anm. 57. 67 Mt 28,20. 68 Für „bosen“ siehe „bosam“ in StA 6,37; das Bild ist wohl, dass der Knecht den Gulden in eine Tasche in der Nähe seiner Brust steckt. WA 41(Revisionsnachtrag),146 schlägt „Busen“ vor, also das Vorderteil des Kleidungsstückes.

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gibt. So hat Paulus [es nach] II Tim 2 anvertraut.69 Er begehrt von den Kirchen, die er gepflanzt hat,70 dass man für ihn bete, damit er rechtschaffen predigen möge und das reden möge, [was] recht ist und wozu er verpflichtet71 ist.72 Er ist ein Apostel und voll Heiligen Geistes, [aber] er fängt noch an [um Gebet zu bitten], damit er recht zu predigen vermag, so wie er [predigen] soll. Er sieht die Gefahr in der Welt und [sagt dies] nicht um seinetwillen, sondern um aller unsertwillen, damit [wir] rein und treu bleiben im Wort. Denn wenn wir falsch [predigen] und [vom Wort] abfallen, dann ist der Schaden nicht klein. Ein böser, giftiger Tropf soll 10000 [oder] 20000 Menschen in 10 Tagen [vergiften] wie in Münster. [41,458,24–32] Es ist also gefährlich und man soll beten, dass [wir] rein und treu in [unserer] Predigt [bleiben]. Wir sind Gottes Haushalter, seine Diener und teilen seinen Schatz aus.73 [Man sucht] nicht mehr [an den Haushaltern,] denn [dass sie für] treu [befunden werden].74 Dies ist das Vornehmste[, dass man] sucht, [nämlich] ob [sie] treu [sind und] nicht ob [sie] demütig [sind und] rein [leben]. Judas war freilich nur treu im Amt.75 Mehr Tugend gehört [dazu], wie man bei Titus und Timotheus [hören kann].76 Aber dies ist das Vornehmste: dass sie treu [sind] und predigen, wie [sie] sollen. Denn wenn das Wort rein ist, besteht keine Gefahr beim Sakrament. Wenn die Zunge im Amt nicht irrt,

69 II Tim 2,2 und 14: Im Kapitel, das auch um das Leben und Verhalten von Timotheus und anderen Amtsträgern geht, sieht Luther die Betonung vor allem aber auf der Lehre; Paulus mutet dem Timotheus zwar ein göttliches Leben zu, aber unverzichtbar für ihn und für sie, denen Timotheus das apostolische Zeugnis befehlen soll, ist Treue und Tüchtigkeit in der Lehre. Dass Luther mit Tüchtigkeit nicht zuerst an ein akademisches Können sondern an das treue Beibringen von bestimmtem Lehrinhalt denkt, ist vom Kontext offenbar. Vgl. die Betonung auf Treue beim Verweis auf I Kor 4,1–2 bei WA 41,458,25–27 (Anm. 73–74 unten). Angesichts des Betens, das auch hier thematisiert wird, könnte auch I Tim 2(,1–8) gemeint sein. In Bezug auf I Tim 2,1–8 kann es sein, dass Luther die Amtsträger unter „omnibus, qui in sublimitate sunt“/„alle Obrigkeit“ versteht; vgl. Pr. 1882 [R] WA 47,784,20: Dort spricht Luther von dem „Brautkamer regiment“, dem Regiment der Kirche, das neben dem Regiment von „haus“ und „hof“ steht. 70 Vgl. I Kor 3,6. 71 Für „geburt“ als „Pflicht“ siehe DWB 4,1894 II.5. 72 Vgl. Eph 6,19–20 und Kol 4,3–4. 73 Siehe I Kor 4,1, der im Ordinationsformular nachgewiesen werden kann (WA 38,425,13–15, Formular H.). 74 Siehe I Kor 4,2. 75 Vgl. WA 38,241,14–19 („Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe“, 1533): „Aber weil das ampt, Wort, Sacrament ordnung Christi, und nicht Judas noch des teuffels ist, Lassen wir Judam und den teuffel Judas und teuffel sein, nemen gleich wol durch sie die güter Christi, Denn da Judas zum teuffel fur, nam er sein Apostel ampt nicht mit sich, sondern lies es hinder sich, und kriegts Mathias an seine stat.“ 76 Vielleicht denkt Luther an I Tim 3,1ff, II Tim 2,24ff und Tit 1,5ff.

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sondern rein und treu ist, dann wird die Absolution bewahrt [und] das Sakrament [und] die Taufe rein erhalten. Alles ist durch das Wort rein.77 [41,458,32–459,1] Durch was wurde der Dreck des Papstes samt den Pilgerfahrten, Wahlfahrten [und] der Anrufung der Heiligen ausgefegt? Die Absolution, die Taufe und das Sakrament haben sie gestohlen und ein Werk daraus gemacht. Wir haben nur das Wort rein gepredigt: [„]So soll die Taufe, das Sakrament und die Absolution sein[!]“ Sonst [haben wir] nichts getan. Wir waren nur unseres Herrgotts Knecht[e]. Wir haben nichts Neues eingesetzt78 [– keine neue] Taufe, [kein neues] Sakrament, [kein neues] Evangelium, [keine neuen] Schlüssel, sondern [nur] den Dreck des Papstes ausgekehrt und ausgefegt wie eine tüchtige Hausmagd. [41,459,1–11] Darum [liegt] alles dran,79 das [der Diener] treu ist, so dass er in dem wahren Evangelium bleibt und spricht, wie er [sprechen] soll. So besteht keine Gefahr. Er, der bei dem Sakrament, der Taufe [oder] der Absolution in die Irre führt, muss vorher im Wort in die Irre geführt haben. Darum sagt er, [„] Betet, damit ich predigen vermag.[“80 Und] wir arme Madensäcke, die nichts im Vergleich zu Paulus [sind], [sollen] wir nicht so beten? Darum betet, dass Christus mit seinen Predigern präsent sei,81 wie er versprochen hat, durch sie zu regieren. Weil er selbst mit im Boot ist, ist (es) rein. Wenn er allerdings zornig ist, kann er Rottengeister schicken. Sie [können] mehr mit acht Predigten verderben, als wir in 18 Jahren [erbauen konnten]. So sehen wir [es] mit den Wiedertäufern, die schier über die Hälfte von Deutschland [ausgebreitet sind]. Darum soll man beten, dass [Christus] sich zu uns hält und [uns] tüchtige Pastoren gibt, wenn nicht für ihre Person, dann doch für das Predigtamt. Darum82 wollen wir [nun] das Amt diesem auflegen,83 der nach dem Befehl des Fürsten hierhin geschickt wurde.

77 Ein Hinweis auf I Tim 4,5? 78 Vgl. Luthers wiederholte Feststellung in „Von den Konziliis und Kirchen“ (1539), dass auch die Konzilien nicht Macht gehabt haben, Neuigkeiten auszudenken oder einzusetzen: WA 50,575,4–8; 50,580,9–581,13; 50,583,16–20; 50,591,22–28; 50,603,15–19; 50,605,15–606,2. Auch in „Wider Hans Worst“ (1541) kann Luther offenbar nicht stark genug betonen, dass er und die Anhänger der Wittenberger Reformation nichts Neues gemacht haben und wirft stattdessen dem Papst und seinen Anhängern vor, Neuigkeiten geschaffen zu haben; siehe besonders WA 51,476,26–506,36. 79 Siehe WA 41(Revisionsnachtrag),146. 80 S.o. Anm. 72. 81 Hinweis auf Mt. 28,20; s. o. Anm. 5 und 6 oben. 82 D.h., damit Christus bleibt. Vgl. WA 41,458,13f. 83 Für „auff legen“ vgl. WA 41,457,26f oben.

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6.1.2 Pr. 1882 ([R] WA 47,779–784) [47,779,24f] Predigt am Sonntag Trinitatis Der Sonntag Trinitatis, welcher der 1. Juni war Aus derselben Epistel [47,779,25–33] Der heilige Petrus predigt den Christen so, dass sie nüchtern [zum Gebet und mäßig sein sollen],84 und fügt [noch] einige andere Anweisungen hinzu. Von den Deutschen habe ich gesagt, dass sie nicht nüchtern sind – und besonders bei Zusammenkommen hier in [dieser] Stadt. Denn wenn wir Christen sind und dieses Wort glauben, dann [würden] wir [ihm] noch Ehre erweisen. Wir predigen [und] sie sagen [einige] angenehme [Worte nach der Predigt], aber dazu spotten und schänden sie [das Wort]. Ebenso bei Christen [gibt es] nicht einfach Liebe, sondern glühende Liebe, die [bereit ist, zu] leiden, [zu] dulden und [zu] vergeben [–] die [Liebe, die] echt und stark85 ist. Sie ist eine solche [Liebe], die [der Sünden Menge] deckt.86 Wenn sie glühend ist, das heißt, [wenn] sie richtig handelt, vergibt sie gern und [so] bleibt keine Zwietracht. Oder wenn [es] anders ist, dann [bist du] kein Christ. [47,779,33–780,12] „[Seid] gastfrei [untereinander ohne Murren!]“[:]87 Zu der Zeit waren alle Apostel und Jünger Fremdlinge und Gäste. Darum [spricht Petrus so, weil] Leute, die Christen sein wollten, auch zu ihnen undankbar [waren]. [Als Paulus] an die Korinther [schrieb,] ermahnte er [sie], weil sie nichts dafür geben wollten.88 Die Apostel hatten nichts als das Evangelium. [Sie] saßen nicht zu Hause wie wir. Damals konnte es nicht anders sein, als dass [sie] ihren Lebensunterhalt mit dem Evangelium verdienten89 bei den Leuten, zu denen sie kamen. Sie sind aus Jerusalem herausgetrieben worden,90 wie auch zu unserer Zeit viele verjagt worden sind usw. Darum soll diese Tugend unter den Christen sein, dass sie gerne Herberge geben und freundlich zu diesen Vertriebenen [sind]. Doch muss man freundlich aufpassen, [denn] viele täuschen uns, [wie zum Beispiel] die flüchtigen Mönche, usw. Nun ist die Welt längst schlechter als [sie] zur Zeit der Apostel [war]. Darum soll [man] den Armen und Vertriebenen freigebig helfen, besonders [denen], die ein sicheres Zeugnis haben. Und [wir sollen] sie bei uns essen, trinken und schlafen lassen, und 84 I Petr 4,7; I Petr 5,8 könnte auch im Blick sein. 85 „[G]ar rot“; vgl. DWB 14,287ff: „rot“ steht für Farbe und Intensität der Farbe (1) und ist die Farbe der Liebe (2.a) und des Feuers (3.c). 86 Vgl. I Petr 4,8 (Latein). 87 I Petr 4,9. 88 Siehe I Kor 9,1–15 (bes. 9,14). Vgl. WA 47,483,18f unten: „Dann saget Dank und belohnet, denn [ich] habe treu gepredigt und du hast gehört.“ 89 Für „sich mereten“ vgl. „mehren“ in DWB 12,1889, besonders 2. 90 Siehe Act 8,1.

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[unser] Haus [soll] Fremden, Verjagten und [auch] den Unseren offen sein, usw. Dies ist christlich. Aber die Anderen [handeln so, dass] wo einer [nur] einen Heller hat, nimmt man ihm auch [den]. [47,780,12–16] „Dienet [einander]“:91 Das, was der heilige Paulus in I Kor 12 und in Röm 12 an erster Stelle bespricht, bespricht Petrus an der zweiten.92 Seid [also] nüchtern,93 [denn] er kommt nun zur Kirche und zu den Gaben des Heiligen Geistes[! Hier] nimmt er die Stände vor, die aus der Herberge [heraus] gehen, wie [er] oben [die anderen Stände vorgenommen hat, als er sagte], „[Seid] nüchtern [zum Gebet und besonnen],“ usw. Das [oben Gesagte] predigt er über den Bauch und über leibliche Sachen. Das [hier Folgende] geht um die Seele und die Gaben, die der Leib nicht begreifen kann, sondern [nur] die Seele.94 [47,780,17–20] „Ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat“: Gewiss sind alle Dinge Gottes Gaben. Wenn du ein Haus, einen Hof, Korn [und] Wein hast [– sie sind] alle Gottes Gaben, [so wie] ein Mann, eine Frau [und] ein Knecht [alle] Gaben [sind]. [So ist es,] wenn man [die Sache im] weit[esten Sinne] betrachten will, aber [Petrus] will [den Horizont] eingrenzen und von den geistlichen Gaben [sprechen], die auf die Kirche bezogen sind nach dem Heil der Seele. [47,780,20–25] Dort [in der Kirche] gießt der Heilige Geist mannigfaltige Gaben95 reichlich aus, so dass einer etwas anderes als der andere hat. [In] I Kor 12 und Röm 12 [lesen wir,] dass der Heilige Geist keinem alle [Gaben] miteinander gibt, außer den Aposteln, die vorangehen.96 Nach [ihnen sind] die Propheten, usw. Hier lass die ganze Kirche dafür sorgen, dass [man] die Gaben zum Heil der Kirche gebraucht. Die Gaben sind mannigfaltig, aber [lass die Kirche dafür sorgen,] dass man die Leute dazu bringt, so dass einer dem anderen mit diesen [Gaben] diene. [47,780,25–32] Also Paulus[, dort], wo er die Gaben lange aufzählt, schlägt er mit einem Donner herein und sagt, dass [sie] nichts sind, [auch] wenn sie alle [Gaben] hätten und dennoch die Liebe nicht hätten, I Kor 13.97 [Was für eine] erstaunliche Predigt, dass einer ein gelehrter, feiner Mann sein soll und die Gaben des Heiligen Geistes haben [soll], aber er diene nicht [usw.], weil [er sie nicht] zu Nutzen seines Nächsten gebraucht[!] Aber lass ihn denken: [„]Ich bin es[!“], und die anderen ihn anstatt Gottes verehren. Wenn du so beredt wie 91 I Petr 4,10. 92 In I Kor 12,1–31 und in Röm 12,1–8 werden die Gaben und Dienste erst diskutiert, danach die Liebe (I Kor 13,1–13 und Röm 12,9–16); Petrus diskutiert sie in umgekehrter Reihenfolge, erst die Liebe (I Petr 4,8–9), danach die Gaben (1 Petr 4,10–11). 93 Ein Wortspiel an I Petr 4,8. 94 Vgl. CA XXVIII,8 im Kontext von XXVIII,1–17 (BSLK 120–123). 95 Siehe I Petr 4,10 – Vulgata: “multiformis gratiae”; Luther : “mancherlei gnaden”. 96 Für „furgang“ siehe „fürgang“ bei StA 6,67. 97 I Kor 13,1ff.

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Gabriel oder Johannes der Täufer gewesen wärest [– wenn] du die Kirchen regieren [und] wie der Sohn Gottes lehren könntest, [wäre es nichts], sondern du machst dir einen Abgott daraus [und] suchst deine Ehre drin. [47,780,32–781,5] Sieh, wie es in der Welt geht, wenn einer eine Spitzenpredigt darbieten kann und er fühlt sich ein bisschen besser usw. [und] nach [der Predigt] läuft ihm der Pöbel zu,98 und lobt [ihn], so[dass] er nicht [mehr] weiß, ob er [sich] auf Erden oder in den Wolken [befindet]. Irgendeiner [kann] einen feinen Verstand [haben] und [doch] geht er schleunig ab. Das kitzelt und reizt sie so sanft, und [sie] machen Sekten; [sie sind] gräuliche Wölfe[,99 die] Ehre, Nutzen, Gewalt [und] Herrschaft100 suchen. Darum predigen Paulus und Petrus so [bei] Act 20101 und I Petr 5.102 [„Sehet wohl zu,] nicht gezwungen[ […] nicht um schändlichen Gewinns willen […] nicht als die über das Volk herrschen,“ sagt Petrus].103 Weshalb [sagt er] das? [Er sagt das,] wenn er einen solchen sieht, der das Volk lehren [will], der Herr des Volkes sein [will und] Ehre haben [will]. Und [solche stellen sich so an, als ob sie] ganz fromm sind. Petrus sieht [aber], dass [ein solcher eigentlich] nicht so sein will. So geschieht es, wenn der Heilige Geist die Gaben verteilt hat und [die Leute, die sie empfangen, doch] feine Leute [sind]; sie können [dennoch] nicht sagen, [„]Ich habe [es] empfangen, wie Petrus lehrt,[“] sondern [er denkt, dass es aus] ihm selbst gewachsen [ist], [und er] denkt nicht, dass [es] die Gaben des Heiligen Geistes sind. Aber ich weiß, wie dumm dieser [ist] und [wie] wertlos104 [er ist]. [Schaut] hierher [–] hier ist der Mann[!]105 [Wir suchen] also nur unsere Ehre, [unseren] Stolz [und] Geiz, und wir suchen nicht Gottes Gaben, damit Gott verherrlicht wird.106 Sondern wir [versuchen, die Gaben] zu unserer eigenen Ehre [zu verwenden,] und nicht zum Heil der Nächsten, sondern mir zur Herrschaft und dem Nächsten [zur] Verachtung. [47,781,5–13] Ja, ein guter Jurist denkt nicht, [„]Ich habe eine Gabe empfangen,[“ sondern plötzlich] geht er107 in den Wolken [herum], [und] hier [in den Wolken] sitzt der Mann. So [auch] ein Arzt [–] hüte dich bei Leib[!108 –] denn der denkt nicht, dass er eine Gabe empfangen hat, sondern er behandelt die anderen gleichgültig. Also denken sie nicht, [dass diese Gaben] die Gaben des 98 99 100 101 102 103 104 105 106 107 108

Für „fellet […] zu“ siehe „zufallen“ in DWB 32,347 2.b. Act 20,29. Vgl. I Petr 5,3. Act 20,28–30. I Petr 5,1–4. I Petr 5,2–3. Für „stinckt“ siehe „stin(c)ken“ bei StA 6,150. Hier darf man sich Luther mit seinem Finger auf seine eigene Brust zeigend vorstellen. I Petr 4,10–11. Für „feret“ siehe „fahren“ bei DWB 3,1249 5. Für „bei Leib“ siehe „Leib“ bei DWB 12,581f 1.

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Heiligen Geistes sind, sondern[, dass sie] aus eigener Kraft [entstehen]. Darum soll man sie feiern und anbeten. So ist [auch] ein neuer Prediger, der auf einmal alle anderen verachtet [und sich hoch schätzt]. [Weil er] etwa ein griechisches [oder] ein hebräisches Wort kennt, denkt er[, dass] die ganze Welt voll Narren ist. So erkenne ich die empfangenen Gaben nicht an [und denke, sie seien aus mir entstanden]. Aber nachher treten [solche Menschen ihre] Alten [und ihre] Lehrer mit Füßen. [47,781,13–22] So [ist es] in den weltlichen Ständen[:] Ein Edelmann denkt nicht, dass er sein Schild, [seinen] Helm [und seinen] Adel von Gott [hat], sondern [so,] dass er andere verachtet und [die Gaben] gebraucht, um Schaden zu tun und Land und Leute zu verderben. Also [gibt der Heilige Geist] die mannigfaltigen Gaben[, damit anderen durch sie gedient wird. Wie Petrus sagt, „]Dienet.[“]109 Kein Ämtlein ist so klein, [dass dessen Inhaber] nicht weiß, wie er sich gebärdet, so dass nur sein [eigener] Dreck sofort stinkt. Bei Leib[!], [das ist so ein Verhalten,] dass man weder Gott dient noch dem Staat nützlich ist [noch seinem Nächsten hilft], sondern[, dass man] mit den Gaben [nur] tyrannisiert und denkt: [„]Ich habe [sie] nicht von Gott empfangen, sondern [sie sind] mir angewachsen.[“] So missbrauchen wir nicht nur die geistlichen, sondern auch die leiblichen Gaben. Darum sagt er : „[Jeschurun ward] fett.“110 Der Glücksfall macht Narren. Wenn Gott gibt, macht er uns zu Narren. Wenn [wir] reich [sind], so wollen [wir] auch weise sein. Wie viel mehr [ist dies der Fall] bei der Heiligen Schrift[!] Wenn [sie] ein [einziges] Kapitel verstehen, [gelten ihnen] alle anderen [als] Narren. [47,781,22–26] Wenn nun der Heilige Geist die Gaben verteilt, können wir sie nicht [nach unserem Vermögen] gebrauchen. [Sie] sind schon [da] und sind zum Heil [unserer] Nächsten und zum Lobe Gottes gegeben. Aber wir verkehren sie, damit [erstens] wir gepriesen werden, und zweitens, damit sie [unserem] Nächsten nichts nützen, sondern [ihm] schaden. Sollen da nicht die Pest, Blitz und Donner [auf uns fallen?!] Und so [versuchen wir] die Gaben zu missbrauchen, die Gott zu seinem Preis und dem Heil des Nächsten [gegeben hat]. Ein jeder achte auf sich selbst! [47,781,26–31] Es ist das Allerschönste, wenn man viele Gaben hat. „Wer viel hat, bei dem [wird man viel suchen].“111 Wenn du nicht 1000 Gulden hast, musst [du] nicht [mit 1000 Gulden] rechnen. Wenn andererseits du [1000 Gulden] hast und [sie] nicht recht gebraucht hast[, muss du dich dafür verantworten]. Dasselbe [gilt], wenn du also ein Adliger bist, [oder] ein Konsul, ein Amtmann, ein Magistrat, usw.[: Du musst dich dafür verantworten]. Ein Bauer darf [sich] nicht 109 I Petr 4,10. 110 Dtn 32,15. 111 Lk 12,48.

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dafür verantworten. Wahrlich du musst [dich dafür] verantworten. Wenn [Gott] dich ausgestattet hat, [wenn er] dir das Regiment an [den] Hals gehängt hat,112 [so] musst du es verantworten. [47,781,31–37] Die Macht ist nicht gegeben, damit du [sie] zur Verdammnis missbrauchst. Vielmehr, wenn [er dir] einen guten Verstand, Urteilskraft gegen die Häretiker, eine gute Stimme und einen gesunden Körper gegeben hat [und] wenn du ein gelehrter Lehrer bist,113 ist [es] gut. Danke [Gott] und bete, dass du die Gaben recht gebrauchst. Aber dabei [gilt] immer die Regel: Achte darauf, dass du [die Gaben] zur Ehre Gottes und dem Heil des Nächsten gebrauchst. Ich muss größere Rechenschaft ablegen als ein armer Schüler, weil ich tun kann, was solche nicht [tun] können. [Aber] wenn ich stolz bin und meine Ehre, [Macht, Herrschaft und Nutzen] suche, so bin ich im Abgrund der Hölle. [47,781,37–782,3] Wer also nicht hat, dem soll es [auch] nicht mangeln. Und wer hat, dem soll es mangeln, wenn er [die Gaben] missbraucht. Denn so will Gott, dass jeder dem anderen dient und [dass dies] zur Ehre Gottes [geschieht]. Fehlen die zwei, so wirst du mit der hochmütigen Gabe verdammt. [Achte darauf,] dass du alle Gaben dahin lenkst, [nämlich] in dilectione charitatis, das ist zur Liebe und [zu] glühender Liebe, so dass Gott geehrt [und dem Nächsten geholfen und gedient] wird. Wenn nicht, bist du kein Christ. [47,782,4–6] „Nach der Gabe [[…] als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes]“[:]114 Ihr seid Gottes Haushalter.115 Er spricht jetzt von der Kirche, [von ihren] Fürsten, [die] ja Haushalter [sind].116 Bedenke demnach, dass dein 112 Siehe Gr. Kat. IV,20 (BSLK 695,4ff). 113 Gesprochen zu bzw. in Bezug auf Stefanus Meyer. Luther hat den Schulmeister an diesem Tag ordiniert; siehe Buchwald, Ordiniertenbuch, S. 4, Nr. 50. Vgl. WA 47,780,28: „dass einer ein gelehrter, feiner Mann sein soll“ („das einer sol ein gelerter, feiner Man sein“). Andere Aussagen deuten auch auf ihn: „Irgendeiner [kann] einen feinen Verstand [haben] […].“ („Quidam fein verstand […].“; 47,780,35); „So ist [auch] ein neuer Prediger, […]“ („Sic ein newer prediger, […]“; 47,781,9ff); „Wenn [sie] ein [einziges] Kapitel verstehen“ („Si 1 caput intelligunt, […]“; 47,781,21f). Siehe auch gleich nach dieser Stelle: „Ich muss größere Rechenschaft ablegen als ein armer Schüler, […]“ („Jch mus grosser rechnung geben quam pauper scholasticus, […]“; WA 47,781,35f). Siehe auch bei Anm. 145 und 152 unten. 114 „Secundum donationem“ gibt weder den Text der Vulgata wieder noch entspricht es genau Luthers Übersetzung. 1 Petr 4,10 wird bewusst hier „zitiert“, aber andere Stellen, wie z. B. Röm 12,6 oder Eph 4,7 könnten auch den Hintergrund für die Terminologie hier bilden. Da er gleich danach die Haushalter-Thematik und -Terminologie aufnimmt, hat Luther die zweite Hälfte von 1 Petr 4,10 wahrscheinlich mitzitiert. 115 „oQjom|loi“ in I Petr 4,10 wird mit „dispensatores“ in Latein und mit „Haushalter“ bei Luther wiedergegeben. Dasselbe Übersetzungsschema findet man auch bei 1 Kor 4,1–2 und Tit 1,7. 116 Die gesamte Drei-Stände-Lehre wird erwähnt (vgl. WA 47,782,27–30; s. u. Anm. 135–136), aber in Bezug auf die Kirche, auf die „[der Horizont] eingegrenzt“ ist (s. o. 47,780,19). Für „fursten“ vgl. „fürsten“ bei Götze, Glossar, S. 93: „vorstehen, (ein Amt) verwalten“. Das „Brautkammer-Regiment“ (s. u. WA 47,784,20) hat auch welche, die ihr vorstehen, nämlich die Presbyter/Prediger (47,784,13–16). S.u. Anm. 185–186.

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Haus verwaltet und gespeist werden soll. Er führt das eine und andere Beispiel an. [47,782,6–13] „So jemand redet[, dass er’s rede als Gottes Wort]“[:]117 Er hat die Gaben in zwei Stücken gefasst: Reden und Tun. Ein Mensch kann nichts mehr als diese zwei. Andere Sachen erleidet [er]. [Er,] der in diesem Haus der Hausvater118 ist, spricht entweder oder tut [etwas] oder hat beides [– Reden und Tun]. Da [in diesem Haus] wird es mir eingeschärft,119 damit ich weiß[, dass das, was ich sage,] Gottes Wort ist, [und] dir120 [wird es eingeschärft, damit du weißt,] dass du [Gottes Wort] hörst, [wie bei] Johannes [im] 10. [Kapitel].121 Du122 sollst nichts hören, [und] du123 [da, du sollst nichts] predigen außer Gottes Wort. Ja, auch ich selbst [darf nichts] außer das Wort Gottes [predigen]. Lass weder den Teufel noch Menschen, [noch] die Vernunft, [noch] die Philosophie [dort reden]. Dort [im Haus] soll nichts anderes gepredigt oder gehört werden als das Wort, damit wir sagen können: „Ich spreche [und] ihr124 hört das Wort Gottes.[“] [47,782,13–27] Er wählt für sich immer noch einen Ort auf Erden, der solch eine Wohnung ist, dass nur er allein [dort] redet. Paulus redet nach prophetischer Weise125 [und nennt] die Kirche eine Braut, [die] einem einzigen Mann [angetraut ist].126 Christus ist der Bräutigam [und] die christliche Kirche ist die Jungfrau, die Braut, ist die Tochter des Vaters, der [sie seinem] Sohn Christus als Frau gewährt.127 Der Heilige Geist ist der Regierer im Frauenzimmer, und [sie wird] mit Gaben geziert, die sie kennzeichnen.128 Darum [ist es] ein herrlich Ding um129 [die] christliche Kirche. Die Propheten [nennen sie]: [„]die Tochter Zion[“], [„]Jerusalem[“ und „]Israel[“130 und] stellen Gott als [ihren] Bräutigam 117 I Petr 4,11. 118 „[P]aterfamilias“ kann mit „Hausvater“ oder mit „Haushalter“ übersetzt werden; siehe „Haushalter“ und „Hausvater“ in Güthling, Deutsch-Lateinisch, S. 294f. Insofern sind „Hausvater“ und „Haushalter“ Synonyme. 119 Siehe „einbinden“ bei StA 6,50 und bei DWB 3,153 8. 120 In Bezug auf die Zuhörer als die Hörenden. In den Nachschriften Rörers wechselt Luther oft zwischen einer „du“- und einer „ihr“-Anrede an die Zuhörer ; s. u. Anm. 124. 121 Joh 10,1–8. 122 Wieder eine Anrede an alle Zuhörer als die Hörenden. 123 Das emphatische „tu“ ist als eine differenzierte Anrede an den Ordinanden zu verstehen. S.o. Anm. 113. 124 S.o. Anm. 120. 125 Gemeint ist, dass Paulus von der Kirche wie die Propheten vom Volk Gottes spricht. Der folgende Kontext macht dies klar. 126 II Kor 11,2. 127 Für „zulegen“ siehe DWB 32,512 1.c. und 2. 128 Das Thema, welches in der Regel unter dem Begriff „notae ecclesiae“ genannt wird, ist hiermit angedeutet. 129 Siehe „um“ in DWB 23,771 I.C.2.b. 130 „Tochter Zion“ ist ein Titel, der im Alten Testament breit belegt ist. Er wird oft mit „Tochter

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hin.131 So [ist es] im Evangelium vom Abendmahl.132 Da Christus also der Bräutigam ist, gibt der Vater [ihm] die Braut und der Heilige Geist ziert [sie mit Gaben]. So soll sie nichts als das Wort Gottes, nichts als ihren Bräutigam hören, [denn] sie möchte nicht eine Hure werden. Die Propheten [sagen]: [„]Israel ist unschuldig [und] rein durch das Wort Gottes.[“]133 [So waren] die 7000, die [Baal] nicht angebetet hatten.134 Das ist die Braut. Neben ihr sind viele Tausende, die die Hure waren. [Wie ein Bräutigam] hat [Gott] auch ein Kämmerlein machen wollen, wo [er] allein predigt. Und gleichwie [es] in der Welt ist[, so ist es auch in diesem Fall]: Einer hat eine Braut, und sollte ein anderer mit ihr sein, wird das böses Blut machen und [es wird ihm] heimgezahlt; das bedeutet ein Messer [und Rache]. Es heißt [„]Brautkammer[“], [weil] nur Braut und Bräutigam [dahin gehören]; auch die Familie [und] die Eltern werden hinausgeworfen. [47,782,28–39] [Gott] gab den Haus-Stand135 [und er] gab den politischen Stand: Dort sollen Juristen und Doktoren gehört werden, die an Königshöfe gehören. Aber in der Brautkammer musst du nicht von solchen Sachen reden, sondern nur von Christi Sachen. Gott hat Hof und Haus136 weithin gegeben. Willst

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Jerusalem“ (II Reg 19,21; Jes 37,22, Thr 2,13; Mi 4,8; Sach 9,9) verwendet. Diese Termini sind in einer gewissen Hinsicht Synonyme mit „Israel“ (siehe Thr 2,1; vgl. „Tochter Juda“ bei Thr 1,15; 2,2 und 5), das oft durch ihre Hauptstadt Jerusalem vertreten wird. Bei Zeph 3,14 ist die Überschneidung klar zu sehen. Verbunden mit der Darstellung von Gott als dem Bräutigam oder dem Mann Israels ist die Schilderung der Untreue Israels ihm gegenüber (siehe Jer 3 und 31,32). Luther scheint keine bestimmte Schriftstelle im Kopf zu haben, sondern er geht wahrscheinlich von einer breiten Matrix aus, die besonders die Motive von Threni (das wiederholte „Tochter Zion“, usw.), Ez 16 und Hos 2 (starke Motive von Untreue, Ehebruch, Hurerei, Bedecken [ähnlich wie Zieren] und Ausziehen) berücksichtigt. Siehe Jes 54,4–7 und Anm. 130 oben. Mt 22,1–14. Die WA schlägt Lk 14,16(-24) vor, aber angesichts der Tatsache, dass Mt 22,1–14 einen Vater, einen Sohn und eine Hochzeit nennt, weist Luther wahrscheinlicher auf die Stelle aus dem Matthäusevangelium. Der letzte Teil des Gleichnisses (22,11–14) ergibt auch das Motiv des Bekleidens oder Zierens, das eine große Rolle nun in der Predigt spielt. Darüber hinaus geht es bei Mt 22,1–14 um den Missbrauch der Knechte und Botschafter des Königs (Vs. 6), der in dieser Predigt mit Luthers Bemerkungen über Belohnung zur Sprache kommt; siehe WA 47,780,1 und 47,783,18f; siehe auch 5.1.2. Ferner, der letzte Vers (14) stimmt mit dem darauffolgenden Hinweis auf I Reg 19,18 überein: Die prophetische [d. h. durch den Prophet ausgetragene], mittelbare Botschaft geht an viele aus, aber wenige achten auf dieses mittelbare Wort. Sie, die es verwerfen, sind schließlich nicht Israel, nicht die Braut des HErrn, nicht die Kirche. Worauf Luther genau hinweisen will, ist unklar. I Reg 19,18. „[O]economia“ lässt sich nicht leicht übersetzen, aber das Wort begreift „Haus“, „Haushalt“ und den ganzen Bereich des Häuslichen und des Ökonomischen. Die Drei-Stände-Lehre wird hier fraglos erwähnt und „oeconomia“ weist auf den Stand oder den Bereich des Hauses hin. Während „Haus und Hof“ ein Hendiadyoin ausmachen kann, ist „Hof“ angesichts des unmittelbaren Kontexts (WA 47,782, 28f) in Bezug auf die politia zu verstehen. Hier wird

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du klug sein und reden, wirst du mehr [im Haus und am Hof] zu tun haben, als zehn [Menschen tun könnten]. Wenn [du] im Haus-Stand reden will[st], wirst du [Gelegenheit] genug dort finden. Aber im heimlichen Kämmerlein, wo [Christus allein predigt, soll nicht so geredet werden]. Dort soll es heißen: [„]Hinaus mit Juristen [und] Philosophen[“;] es soll heißen[: „]Sie können lehren, wie sie wollen, [aber] hier soll nur das Wort [Gottes] gehört werden.[“] [Die Braut] soll sie nicht küssen[. Sie soll] niemanden außer den Bräutigam in [ihre] Arme nehmen – nicht den Teufel, denn sie ist die Tochter des Vaters und der Heilige Geist ziert sie mit seinen Gaben. Das ist mir und dir befohlen, dass du hörst [und dass] ich predige. Darum, alle anderen, die anders predigen [–] wie der Papst seinen Dreck [predigt – predigen,] damit wir das Evangelium verlieren. Der Teufel hat die Brautkammer so [ganz und] gar zerrissen [– er] hat [sie] in die Wüste geführt, wie Johannes [sagt], so dass niemand [sie ernähre].137 [47,782,39–783,11] Das ist der erste Punkt, dass man Gottes Wort [allein in diesem Kämmerlein hört]. Da will der Bräutigam allein reden und die Braut soll nichts außer den Bräutigam hören. Dies dient [dazu], dass [dem] Nächsten geholfen und Gott gelobt wird. Denn wenn ich so predige, so dass du das Wort Gottes verstehst, kann ich nicht [über] dir herrschen, [noch kannst] du mir unterworfen [sein]. Du kannst mir nicht schmeicheln, dass ich dich gelehrt habe, denn [es] ist Gottes Wort. Ihm sei Lob und Ehre; dir [sei] damit geholfen. [In Gottes Haus oder Brautkammer] geschehen Nutz, Geiz, Stolz usw. nicht. Wenn es anders ist, so fügst du deinen Dreck ein und machst einen Götzen aus der Gabe, [und das bringt] vor allem dir Schaden. Also,138 wenn [es] eine Mischung vom Wort und den Traditionen [gibt], dann [gibt es] sogleich Herrschaft, wie [beim] Papst[, der behauptet]: [„]Wer nicht gehorsam [ist], ist verdammt.[“] So bewirkt er durch seine eigene Predigt, dass [er] der Antichrist [und] Herr [ist]. Und [er] hat Gott gelästert und uns zu Knechten gemacht. Auf diese Weise wurde die Braut zu einer Hure gemacht. Selbstverständlich [ist das] so, wenn sie einen anderen Mann zu sich einlässt. Auf diese Weise [wurde] durch den Papst und die Rottengeister aus der Brautkammer ein Hurenhaus [gemacht]. Viele reine Jungfrauen sind [nun] Huren. [47,783,11–19] Sieh also [zu], dass die Brautkammer rein bleibt. Wenn ich mit meinen Gaben die Ehre Gottes und dein Heil nicht suche, bin ich verdammt. Wenn du eine andere [Braut]139 empfängst[, bist du verdammt]. Lerne also, dass also auf den politischen Stand (politia) mit „Hof“ und auf den Haus-Stand (oeconomia) mit „Haus“ hingewiesen. S.u. Anm. 208 und 219. 137 Apk 12,6. 138 „[A]utem“ als Markierung für die Wiederaufnahme einer Gedankenlinie, die durch eine Zwischenbemerkung unterbrochen wurde; siehe „autem“ bei Lewis und Short, Lewis and Short, II.B.3. 139 „[A]liam“. Die Aussage wiederholt die von WA 47,783,9f („Auf diese Weise wurde die Braut

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in der Kirche nichts als Gottes Wort erschallen soll. Sonst sind [da] Land, Leute, Haus [und] Hof[:] Da kannst du dich satt reden, jeder in seinem Stand. [Es geht] allein [darum,] dass man mit dem Schmutz nicht in die Kirche [kommt]. Dort [soll] allein das Wort Gottes [erschallen]. Dort bleibt das Lob Gottes und das Heil des Nächsten. Dort sagst du nicht mir Dank, sondern es kommt von hier die Ehre, die [ihm] gebührt, zum Vater durch Christus. Dann saget Dank und belohnet, denn [ich] habe treu gepredigt und du hast gehört. [47,783,20–24] So [kommen wir zum] zweiten Teil: „[S]o jemand ein Amt hat [, dass er’s tue als aus dem Vermögen, das Gott darreichet, auf dass in allen Dingen Gott gepriesen werde durch Jesum Christum]“:140 [Dieser Teil ist da,] damit jeder bedenkt, dass [das,] was er tut, nicht aus [seinen] frommen Gedanken [oder] Stiftung hervorgeht. Denn Gott will nichts in der Brautkammer haben als sein Wort und Tun und [das,] was er mit der Braut tut und schafft, sonst ist [die Kirche] eine Hure. [In der Brautkammer gibt es diejenigen,] die predigen, raten, trösten, unterrichten, unterscheiden usw., [und Christus], der allein da bei [seiner Braut] bleibt. [Also] auch wenn141 einer etwas tut, lass ihn wissen, dass [er es] aus dem Vermögen [tut, das Gott darreicht]. [47,783,24–38] Darum rühmen wir uns, dass nur das Wort Gottes in unserer Kirche [ist], obwohl [wir] undankbar [sind]. Wir dulden nicht, dass etwas gelehrt wird, wenn es nicht das reine Wort ist. Wir wollen das Scheinwerk der Papisten und der Rottengeister nicht. Wenn [sie] auf [ihre] Art und Weise [etwas] tun, was [ist es, das getan wird]? [Bei uns ist es aber so, dass Christus] tauft, absolviert, das Sakrament verwaltet und draußen zu Rate gezogen wird. Woher [kommt] dieses Vermögen, dass ich ein Kind von allen Sünden waschen soll? Und zum Zeichen ziehe ich ihm das Taufhemd an.142 Es ist des Heiligen Geistes Werk, wenn ich im Namen des Vaters [und des Sohnes und des Heiligen Geistes] taufe. Woher [kommt] dieses Vermögen, diese größte Kraft, dass ein Mensch, ein Sünder – wie untersteht mir eine solche Macht, dass ich ein Kind von Sünde, Tod [und] Teufel waschen wolle? [Das ist] nicht in meinem Herzen, sondern hier kommt es her : „Gehet hin [und lehret alle Völker und taufet sie im zu einer Hure gemacht. Selbstverständlich [ist das] so, wenn sie einen anderen Mann zu sich einlässt.“ [„Sic facta sponsa Hure. Sic naturlich, quando admittit alium.“]; Hervorhebung JM), aber von der anderen Seite: Hier wird der Ordinand des Tages in Bezug auf sein Amt wieder direkt angeredet (vgl. Anm. 113 oben). Bezüglich seines Amtes ist die einzige Braut bzw. Frau, die es gibt, die Kirche bzw. die Braut Christi. Er darf nur das Wort Christi zu ihr sprechen und sie mit seinen Gaben zieren. Will er eine andere Frau in dieser amtstheologischen Hinsicht haben, muss er eine solche Beziehung durch seinen eigenen „Schmutz“ schaffen, wodurch er diese Braut zu einer Hure machen und sich selbst verdammen würde. 140 I Petr 4,11. 141 Hier lesen wir „etiamsi“ für „si etiam“. 142 Als weißes Kleid oder Hemd ist es ein Zeichen oder Sinnbild für die Reinheit des nun von seinen Sünden gewaschenen Getauften.

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Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes!“ und „Gehet hin in alle Welt und] prediget [das Evangelium aller Kreatur! Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubet, der wird verdammt werden.“]143 [Dass ich taufe, kommt] durch Jesus Christus, sagt Petrus.144 Und dennoch müssen wir es tun, wie man sagt: [„]Wir taufen das Kind.[“] Aber [das geschieht] aus dem Vermögen, das Gott [gibt]. Wenn du nicht gewiss bist, dass das Vermögen von Gott [kommt], höre auf[!]145 Es soll heißen: [„]Ich selbst taufe nicht, und dennoch taufe ich.[“] [Der Täufer] wisse, dass es Gottes Vermögen und Werk ist. Ich lege jemandem die Hände auf und spreche die Absolution: [„] Ich vergebe dir alle [deine] Sünden, sei getrost.[“] Wenn du Sünden vergeben würdest, [könntest du den Beichtenden] gegenüber Gott beruhigen?146 [47,783,38–784,11] Wenn ich [diese Sachen] aus meinem Vermögen tue, so habe ich Gott gelästert und geschmäht wie der Papst und die Bischöfe [tun. Der Papst sagt]: [„]Ich bin der höchste Pontifex. Wenn du dir eine Mönchskleidung anziehst usw.147 [hast du das Vermögen].[“ „]Woher [kommt das?“ möchten wir fragen. Willst du dann antworten, „]Der heilige Geist hat es mir aufgelegt[“? Das ist eine] Lüge im Namen aller Teufel. Das heißt nicht Gottes Kraft, sondern Eitelkeit und Affenspiel. Aber wenn ich die Stelle anführe: „Alles, was [du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel los sein.]“ – diese Macht haben wir, die glauben. Das hat Kraft und Nachwirkung.148 [Diese Macht] ist nicht unsere, sondern seine, der sagt: [„]Ich gebe dir die Schlüssel.[“] Wem er [die Sünde er] lassen will, [dem ist sie] erlassen,149 [der soll] losgesprochen sein [und frei]. Was soll mein Absolvieren sein, wenn er selbst [den Beichtenden nicht absolviert? Er sagte] zu Moses: [„]Du sollst nicht segnen. Ich will segnen.[“]150 Nimm also nichts in der Kirche vor, wenn [du] nicht gewiss [bist, dass] Gott das Vermögen darreicht. [Nimm nichts vor] wie der Papst[, der sagt]: [„]Wenn das Wasser Weihwasser ist, hat es die Gewalt, [von Sünden zu reinigen und den Teufel zu

143 Mt 28,19 und Mk 16,15f. Bei beiden Stellen geht es um das Mandat, zu gehen, zu predigen und zu taufen, aber anhand des Stenogramms kann streng genommen weder die eine noch die andere Stelle bevorzugt werden. Dass Luther beide Stellen vorgelesen hat, ist unwahrscheinlich; wahrscheinlicher ist, dass er eine Mischung dieser zwei Stellen, die er miteinander assoziiert, in lockerer Form auswendig „zitiert“ hat. Der Inhalt von beiden ist aber wohl gemeint und deshalb werden beide hier angegeben. 144 Wieder I Petr 4,11. 145 Hier kann man auch noch eine Anrede an den Ordinanden sehen. 146 Für „zu frieden setzen“ vgl. „zufriede stellen“ bei StA 6,188. 147 Es kann sein, dass Luther auch die Tonsur an dieser Stelle gennant hat; siehe „kappen“ bei StA 6,99. 148 Vgl. WA 50,621,13f mit Anmerkung („Von den Konziliis und Kirchen“, 1539). 149 Vgl. Joh 20,23. 150 Num 6,22–27.

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Der Aspekt der Instrumentalität

vertreiben]. Dieses Kraut hat [auch] die Gewalt [den Teufel zu vertreiben].[“]151 [„]Woher[“ fragen wir, „kommt es,] dass das Wasser [oder] das Kraut, das du opferst, Sünden vertreibt [und] den Teufel zurücktreibt? Woher?[“] Doch die Taufe, die Absolution, das Sakrament [und] die Handauflegung tun [das]. [Das] ist nicht das gleiche, Bruder.152 Das [auf Wachs abgebildete] Lamm Gottes hat nicht Ähnlichkeit [mit dem Brot und dem] Wein [des Sakraments; so eine Vorstellung kommt] nur vom Teufel.153 [47,784,11–16] Also soll man das Brautkämmerlein rein behalten. Lass nichts [dort] getrieben werden, wenn man nicht sagen kann: [„]Er redet, tauft, reicht das Sakrament dar, und dennoch tun wir [es]. Wir sind die Zunge [und] die Hände Gottes.[“] Wenn wir also Presbyter ordinieren, vertrauen wir [ihm] an, dass er das Wort predigt [und] die Schwachen tröstet. Woher weiß ich[, dass dies] wahr [ist]? Von II Tim 2[: „Und was du von mir gehöret hast durch viel Zeugen, das befiehl treuen Menschen, die da tüchtig sind, auch andere zu lehren“,] und [I Tim 3:]„so jemand ein Bischofsamt begehret[, der begehret ein köstlich Werk].“154 Wenn er nicht geordnet hätte, dass die Kirche Prediger aufstellen soll, wer würde [es] tun? 151 Hier spricht Luther zwei Sakramentalien an, die in der spätmittelalterlichen Kirche des Westens verbreitet waren, obwohl geweihte Kräuter mehr auf Deutschland beschränkt waren. Zwar war die Bedeutung der geweihten Kräuter und des Weihwassers in der offiziellen Lehre der damaligen Kirche strittig (siehe Meßner, „Sakramentalien“, S. 648–652), ihre Stellung und Bedeutung in der Volksfrömmigkeit aber war klar. Umgeben von magischen Vorstellungen und Aberglauben wurde das geweihte Wasser vielseitig verwendet: Unter anderem wurde es dem Vieh gegeben. Darüber hinaus glaubte man, es könne von Sünden reinigen und den Teufel vertreiben (Franz, Benediktionen im Mittelalter, S. 103–109). Die geweihten Kräuter wurden auch zu verschiedenen Zwecken angewandt: Man dachte, sie vertrieben den Teufel, und sie wurden als Heilmittel gegen viele Übel getragen (Franz, Benediktionen im Mittelalter, S. 393–407). Noch ein Sakramentale war das Agnus Dei; s. u. Anm. 153. 152 Noch ein Punkt, bei dem die Anrede an den Ordinanden zu erkennen ist. 153 Hier verweist Luther auf den so genannten Agnus Dei; gemeint ist nicht das Stück der Sakramentsliturgie, sondern das auf ovale Täfelchen aus Wachs geprägte Bild des Lammes Gottes. Dieser Agnus Dei entsteht aus der seit dem 9. Jahrhundert in Rom bekannten Praxis, die Osterkerze zu zerstückeln und die Stücke als Sakramentalien auszuteilen. Seit dem 15. Jahrhundert wurden sie ausschließlich vom Papst geweiht und gelangten offenbar zu einer Ausbreitung über Rom hinaus. Siehe Dürig, „Agnus Dei als Sakramentale“ und Eisenhofer, „Agnus Dei“ (mit Bildern). Den Hintergrund für das Weihwasser, die geweihten Kräuter und den Agnus Dei bilden die nach der Neuscholastik so genannten Sakramentalien. 154 Luther verbindet II Tim 2,2 mit I Tim 3,1. Dieses Zitat im Kontext zeigt an, dass Luther eine göttlich-apostolische Ordnung und Einsetzung voraussetzt, nach der Prediger durch andere Amtsträger eingesetzt werden. Das Amt wird in der und durch die Ordination, zu der die Handauflegung gehört, verliehen. Darüber hinaus ist das Bischofsamt auch im Blick: Luther versteht sich – wie Timotheus – als einen Inhaber dieses Amtes, dem es befohlen ist, das Amt weiter zu befehlen. Insofern legt er homiletisch das Fundament für die Ordination, die an diesem Tag geschah.

Übersetzungen von Pr. 1574 und Pr. 1882

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[47,784,16–26] Also außerhalb der Kirche tue, was recht ist. In der Kirche [aber] soll nichts als Gottes Wort gelehrt werden, und lass [das] geschehen, was er selbst geordnet hat. Und so soll jeder bedenken: [„]Ich bin in diesem Stand, den Gott gestiftet hat,[“] [sei er] ein Herr, ein Knecht [oder] ein Fürst. Muss man das außerhalb der Kirche, wo [das] Haus- und Hofregiment [ist], wissen, dass es Wort und Werk Gottes [ist], wie viel mehr im Brautkammer-Regiment[?!] Dass Gott [geehrt wird], so soll es geraten, [nicht aber, dass die Ehre bekommen,] die die Gaben zu ihrem Nutzen missbrauchen [und sie] nicht zur Gottes Ehre und für den Nächsten [gebrauchen]. Ehre [gebührt] Gott dem Vater, damit er gepriesen wird. Das Wort, das Sakrament, die Absolution, der Ehestand [und] die Gewalt zur ehelichen Verbindung ist Gottes Werk. Jetzt in der Welt verdrehen wir [die Gaben]: Jeder missbraucht Gottes Gaben zu seiner eigenen Ehre und seinem eigenen Nutzen, nicht zu Gottes Ruhm und zum Heil des Nächsten. Aber im zukünftigen Leben wird es nicht so sein. [47,784,27–34] Nun beschließt er, dass Christus der Natur nach Gott [ist], der Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit haben soll. Dennoch wurde er zur Zeit des Augustus155 geboren. Wie [ist er] denn der HErr von Ewigkeit her? Ein und derselbe ist der Sohn Gottes und [der Sohn] der Jungfrau [–] von Gott geboren von Ewigkeit her, von Maria zeitlich,156 [aber er ist] nicht zwei Söhne oder Christusse [, sondern einer].157 Der, der Gottes Sohn ist, [ist] auch [der Sohn] Marias. E[r] ist nicht zertrennt.158 Darum sagt der Hebräerbrief: „Christus gestern, heute und [derselbe auch] in Ewigkeit.“159 Und Petrus oben im ersten Kapitel [sagt, dass er] von Ewigkeit vorherbestimmt war.160 I. Korintherbrief, Kapitel 10 [sagt Paulus, dass die Väter] Christus versucht haben.161 Damals war er da. Er hat [sie] aus Ägypten geführt, aber [er war] noch nicht Mensch geworden. So lang die Gottheit ist, so lang [ist] auch Marias Sohn.

155 156 157 158

Vgl. Lk 2,1. Vgl. das Athanasianische Glaubensbekenntnis 29 (BSLK 29,43–45). Vgl. das Athanasianische Glaubensbekenntnis 32 (BSLK 30,1f). Vgl. das Glaubensbekenntnis von Chalcedon, in Denzinger, Enchiridion [DZ], Nr. 302: !wyq_styr. 159 Hebr 13,8. 160 Vgl. I Petr 1,20. 161 I Kor 10,9.

212

6.2

Der Aspekt der Instrumentalität

Die Instrumentalität der Amtsträger anhand von Pr. 1574, Pr. 1882 und anderen Predigten

„Mittel[-]Zungen, die Hand des Dieners und ein Löffel“:162 Die oben angeführten Predigten sowie andere Predigten163 aus dem letzten Jahrzehnt des Lebens Luthers stellen die Amtsträger in vielfältiger Weise dar. Besonders auffallend ist die Schilderung der Amtsträger als Instrumente und Mittel. Jedoch geht diese generelle Schilderung in eine Breite von Darstellungen über, bei denen auch Motive von Leiblichkeit, von Person, sowie von Regiment und Stand mit zu berücksichtigen sind.

6.2.1 Die Amtsträger als Instrumente und Mittel „Wir sind nur das Instrument und Mittel“:164 Diese Aussage ist einerseits ein Zeichen der Bescheidenheit und einer bewussten Demut, andererseits ist sie Ausdruck eines inzwischen vielleicht fast vergessenen Amtsverständnisses. Nach Luther ist er selbst und sind alle anderen Amtsträger seiner Zeit Instrumente und Mittel, durch die Christus präsent ist, spricht, handelt und seine Kirche regiert. Durch unterschiedliche Ausdrücke und Beispiele beschreibt Luther die Instrumentalität der Amtsträger in Pr. 1574. Er nennt sie „Instrumente“,165 „Mittel“,166 „Werkzeuge“167 und „Organe“.168 Andere Beispiele stehen diesen nahe: Ein Löffel169 ist eine Art Werkzeug oder Instrument, durch das mittelbares Speisen und Tränken – ein Verweis auf das Abendmahl(!) – hervorgehoben wird, und das Bild des Dieners, der Gulden für seinen Herrn austeilt, bildet die Instrumentalität der Amtsträger ab. In anderen Predigten finden wir denselben Gedanken: In Bezug auf die Taufe nennt Luther den Pfarrer ein Werkzeug der Dreieinigkeit,170 und anderswo beschreibt er einen Pastor als ein „Instrument, Gefäß [und] Schüssel“, durch die der HErr sein Wort und Handeln ausführt.171 Der Mund des Predigers ist das Instrument, durch das Gott geistliche 162 163 164 165 166 167 168 169 170 171

Pr. 1574 [R] WA 41,455,22f: „mittel zungen, hand servi et leffel“. Angaben folgen in den Anmerkungen dieses Kapitels. Pr. 1574 [R] WA 41,455,1f: „tantum sumus instrumentum und mittel, […]“ Pr. 1574 [R] WA 41,455,24: „instrumenta“; vgl. 41,455,20f; 41,456,12f; vgl. auch Anm. 164 oben. Pr. 1574 [R] WA 41,455,23: „media“; vgl. Anm. 162 und 164 oben. Pr. 1574 [R] WA 41,456,32: „werckzeug“. Pr. 1574 [R] WA 41,455,6f: „organa“; siehe auch 41,455,11f und 41,457,28. Pr. 1574 [R] WA 41,455,4f; vgl. Anm. 162 oben. Pr. 1881 [Dr] WA 47,775,14–16. Pr. 1542 [R] WA 41,247,4–9: „instrumentum, gefes, schussel“ (Zitat 41,247,7).

Die Instrumentalität der Amtsträger anhand von Pr. 1574 und Pr. 1882

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Kinder zeugt.172 Luther kann sogar die Prediger als Offenbarungsmittel Gottes beschreiben.173 Und obwohl Luther die Amtsträger in ihrer Instrumentalität auf vielfache Weise kennzeichnen und durch viele Beispiele beschreiben kann, braucht er schließlich auch nur die Präposition „durch“, um diesen Gedanken zu vermitteln: „[Er,] der zur Rechten [des Vaters] sitzt, soll durch mich reden.“174 Der Aspekt der Instrumentalität an sich schließt einen gewissen Zug der Leiblichkeit ein.175 Das wird dadurch noch deutlich verstärkt, wenn Luther sich und die anderen Amtsträger Zungen, Münder und Hände Gottes nennt. [„]Er redet, tauft, reicht das Sakrament dar, und dennoch tun wir [es]. Wir sind die Zunge [und] die Hände Gottes.[“]176 Bei der Absolution ist die Zunge des Predigers und die Zunge des Heiligen Geistes ein und dieselbe.177 In der Predigt ist die Zunge des Predigers die Zunge Christi, durch die die Zuhörer Christus hören, als ob er direkt vom Himmel spräche.178 Andersherum kann Luther meinen, dass die Prediger, Seelsorger und Pfarrer dem heiligen Paulus ihre

172 Pr. 2011 [R] WA 51,59,23f. Vgl. Gr. Kat. I,158–159 (BSLK 601,24–35). Piepkorn, „Sacred Ministry and Holy Ordination“, S.108: „The clergy are spiritual fathers […]. The use of Pfarrkinder […] to describe the parishioners in the symbolical books has the fatherhood of the clergy as its correlative.“ 173 Pr. 1601 [R] WA 41,606,7–607,7, bes. 606,31f: „Diese [sind die] dreifachen Offenbarungen [:] Erstens, [sie,] die klar von der Schrift predigen, […]“ („Haec triplices offenbarungen. 1. qui durr ex scriptura predigen, […]“). Anhand Act 2,17 versteht Luther diejenigen, die weissagen, als die, die Christus und die Schrift verstehen und von der Schrift predigen, damit andere getröstet werden. Insofern sind Weissagen, Visionen-Sehen und TräumeHaben allesamt Mittel, durch die Gott Menschen Sicherheit bietet und tröstet; in Bezug auf das Predigen bzw. Weissagen sind nicht diejenigen, die predigen, die Getrösteten, sondern diejenigen, zu denen gepredigt wird. Da Luther in Pr. 1601 diejenigen, die predigen, von denen, die nicht predigen, unterscheidet (z. B. WA 41,606,16f), liegt es auf der Hand, dass er das Predigen, von dem hier die Rede ist, nicht allen Christen zuschreibt; kurzum: Diejenigen, die predigen bzw. weissagen, sind die Prediger. Vgl. die Formen von „minister“ bei WA 41,605,28 und 41,607,5. Luthers Feststellung, „Wenn [es] nur die erste Art [d. h. das Predigen] gäbe, wäre es genug“ („[…] si tantum 1. genus, satis.“; WA 41,606,35f), zeigt, dass er die Stelle nicht in charismatischer Auslegung versteht. Menschen werden getröstet und bekommen Gewissheit durch Prediger, die aus der Schrift predigen; einige andere, wie z. B. Monica, die Mutter des Augustinus, empfangen Träume. 174 Pr. 2018 [R] WA 51,98,22f: „Sed qui sedet ad dexteram, sol per me reden.“ (Hervorhebung JM). 175 Für Leiblichkeit vgl. 3.2. 176 Pr. 1882 [R] WA 47,784,12f: „Er redet, teufft, reicht Sacrament, et tamen nos facimus, sumus lingua, manus Dei.“ Pr. 1574 [R] WA 41,456,12f drückt dasselbe aus: „Meine Hand, [mein] Mund [ist] sein Instrument, […]“ („Mea manus, os sein instrumentum, […]“); die Predigt macht deutlich, dass der Diener bzw. Amtsträger selbst die Hand seines HErrn ist (siehe z. B. WA 41,455,4). Der Titel „Handlanger“ („operarius“) ist diesen „leiblichen“ Titeln ähnlich (WA 41,457,16). Zu dem Vorangehenden siehe auch Lieberg, Amt und Ordination, S. 123–126, gegen S. 90. 177 Pr. 1729 [R] WA 46,426,15f. 178 Pr. 1574 [R] WA 41,455,18–21.

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Der Aspekt der Instrumentalität

Zunge und ihren Mund leihen, wenn sie aus seinen Schriften lehren und predigen.179 Zu der Leiblichkeit und Konkretheit kommt ein gewisses Element von Person und Persönlichkeit hinzu, indem Luther die Amtsträger als „Maske“ Christi bzw. „Maske“ Gottes beschreibt.180 Christus, als „oberster Bischof und Papst seiner Kirche“, ist nicht erst in einem abstrakten Sinn oder nach einem abstrakten Amts- oder Präsenzbegriff mit seiner Kirche: „[…] er hat Masken über sein Gesicht gezogen, so dass [wir ihn] nicht sehen. Meine Hand, [mein] Mund [ist] sein Instrument, [seine] Masken, und nichtsdestoweniger vollzieht er selbst [die Amtshandlungen].“181 Er kleidet sich sozusagen in die Amtsträger und verbirgt sich in ihnen, und dieses Selbst-Verbergen geschieht nicht einfach nach einem rein funktionalistisch konzipierten Amtsbegriff, sondern nimmt gerade die leiblichen Gliedmaßen dieser bestimmten Menschen in den Dienst, um durch sie physikalisch und hörbar zu sprechen, leiblich und konkret zu handeln. Christus ist der Akteur – ja, vielmehr der actor bzw. Täter – der gerade in diesen Personen aktual-präsent ist.

6.2.2 Haushalter, Vorsteher und die Regierenden der Kirche: Das kirchliche Amt im Horizont der Zwei-Regimenten- und der Drei-Stände-Lehre Ein Motiv, das Luther mit der Instrumentalität der Amtsträger verbindet, ist das Motiv von Haushaltern. Sowohl Pr. 1574 als auch Pr. 1882, in denen es eine leitende Rolle spielt, weisen diese Verbindung auf.182 In beiden Predigten, denen eine gemeinsame Matrix von Schriftstellen zugrunde liegt,183 wird die Schriftstelle I Kor 4,1ff, die auch im Ordinationsformular vorkommt, direkt zitiert.184 179 Pr. 2023 [Dr] WA 51,138,31–139,3. 180 Über die lexikalische Verbindung hinaus siehe Pr. 1574 [R] WA 41,457,27, wo Luther „Personen“ und „Masken“ als Synonyme verwendet. 181 Pr. 1574 [R] WA 41,456,9–13: „[…] Christus suae Ecclesiae oberster Bischof und Bapst, […] an das die larven uber augen zogen, quod non videmus. Mea manus, os sein instrumentum, larven, et tamen ipse facit.“ (Wortumstellung JM). Die Amtsträger bzw. ihre Gliedmaßen werden mehrmals in Pr. 1574 „Masken“ genannt: siehe [R] WA 41,456,36f; 41,457,4f und 28–31; siehe auch Anm. 180 oben. Vgl. auch Pr. 1926 [R] WA 49,168,10: „larva“ im Kontext von 49,168,3–28, bei 2.1 und 2.2.4. 182 Pr. 1574 [R] WA 41,458,25–27; Pr. 1882 [R] WA 47,782,4f. 183 Mt 28,18–20, der Pr. 1574 zugrunde liegt, wird in auch in Pr. 1882 zitiert: [R] WA 47,783,32f. Andersherum wird auf I Petr 4,11, ein Teil des Predigttextes von Pr. 1882, in Pr. 1574 verwiesen: [R] WA 41,456,32–34. Darüber hinaus weisen beide Predigten in Bezug auf die Ordination auf II Tim 2,2: Pr. 1574 [R] WA 41,458,18 und Pr. 1882 [R] WA 47,784,15; für die Ordination siehe 6.3 unten. 184 Pr. 1574 [R] WA 41,458,25–27 und Pr. 1882 [R] WA 47,782,4. Ordinationsformular : WA 38,425,13–15 (H.).

Die Instrumentalität der Amtsträger anhand von Pr. 1574 und Pr. 1882

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Von Amtsträgern als Haushaltern wurde bereits oben bei 4.2.3 gesprochen. Dort ist der Verfasser dieser Zeile zum Schluss gekommen, dass Christus den Amtsträgern bzw. Haushaltern seinen Schatz bzw. seine Geheimnisse anvertraut, nämlich sein Wort und seine Sakramente, und ferner, dass gerade diese besondere Gruppe der Haushalter den Kreis derer bildet, die die Kirche zu regieren haben. Nehmen wir das Motiv der Amtsträger als Haushalter anhand Pr. 1574 und Pr. 1882 wieder auf, so lassen sich die früheren Feststellungen weiter entfalten. Das Bild von den Haushaltern wird dadurch erweitert und präzisiert, dass es mit dem ekklesiologischen und liturgischen Terminus „vorstehen“185 im weiteren Kontext der Predigt in Verbindung gebracht wird. „Und ihr, betet, für alle, die im Predigtamt sind, die euch vorstehen sollen, dass [Christus] uns in der reinen Lehre und im wahren Gebrauch [der Sakramente] erhalte und bei uns bleibe bis [an der Welt Ende].“186 Durch seine Haushalter sorgt der HErr des Hauses, der HErr der Kirche, für die Seinen. Er ist einerseits abwesend und nicht direkt verfügbar, aber andererseits doch immer mittelbar präsent und tätig durch die Haushalter ; in der Kirche und in ihren Gottesdiensten handelt er durch die Amtsträger, die der Gemeinde vorstehen. Abwesenheit und zugleich mittelbare Anwesenheit Christi werden in Pr. 1574 besonders mit Blick auf das, was er „hinterlassen hat“, und das, was er „anvertraut“ hat, zur Sprache gebracht. Christus wird wie ein Herr geschildert, der fortgezogen ist, der aber vor seinem Abschied seinen Besitz, Haus oder Schätze anvertraut hat.187 Sein gepredigtes Evangelium und seine Sakramente hinterlässt er.188 Einerseits gehören sie seiner Kirche und jedem Christen, denn sie sind die Mittel, durch die Christus für sie sorgt und bei ihnen ist. Andererseits aber sind das Evangelium und die Sakramente nicht der Kirche oder den einzelnen Christen anvertraut, sondern den Haushaltern oder Amtsträgern. Christus lässt keine zweideutigen Schätze und Gaben hinter sich: Seine Schätze sind für die Seinen keine Herausforderungen und seine Gaben sind keine Aufgaben. Das, 185 „Vorsteher“ und „vorstehen“ bedeuten in diesem Kontext mehr als einen Direktor, Manager oder irgendwelche Führungskraft. Vor allem als diejenigen, die im Gottesdienst predigen und die Sakramente spenden, stehen sie der Gemeinde im buchstäblichen Sinn vor. Vgl. Tr 60–61 (BSLK 489,30–44, Deutsch). S.o. Anm. 116. 186 Pr. 1574 [R] WA 41,458,9–11: „Et rogate pro omnibus, qui sunt in ministerio, qui sollen euch fursthen, ut conservet nos in pura doctrina et vero usu et nobiscum maneat usque & c.“. Siehe auch WA 41,457,6f oben: „non habet melius officium quam, qui iam praesunt“ könnte auch „Er hat kein besseres Amt als [die], die jetzt vorstehen, […]“ übersetzt werden. Vgl. auch Anm. 116 oben zu Pr. 1882 [R] WA 47,482,4f. Zu „Haushaltern“ s. o. Anm. 184. 187 Dieses Bild hat seine Wurzeln in mehreren Gleichnissen des Neuen Testaments; siehe Mt 24,45–51; Mt 25,14–30; Mk 13,33–37; Lk 12,35–48; Lk 19,11–27; vgl. auch Mt 21,33–46 (und Paralleltexte). 188 Pr. 1574 [R] WA 41,454,18–20.

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Der Aspekt der Instrumentalität

was er hinterlässt, wurde und wird immer noch bestimmten Menschen, den Haushaltern bzw. Amtsträgern, anvertraut, damit sie es ausgeben und austeilen. „Wenn wir also Presbyter ordinieren, vertrauen wir [ihm] an, dass er das Wort predigt [und] die Schwachen tröstet.“189 Das Amt und die Amtsträger kommen nicht nach dem Evangelium und den Sakramenten; sie sind keine Ordnungsmaßnahme, die die Kirche oder Christen ergreifen müssten, um der Aufgabe des Evangeliums und der Sakramente gerecht zu werden. Sowohl zeitlich als auch theologisch sind das Amt und die Amtsträger vom Anfang an da: „Solchermaßen haben wir vom Sakrament gesprochen, so [sprechen wir auch] von der Berufung ins Predigtamt, denn Christus hat [es] hinterlassen.“190 Insofern ist es nur konsequent, dass Luthers Polemik gegen die Missbräuche der spätmittelalterlichen Kirche vor allem gegen die Amtsträger und Lehrer der Kirche gerichtet ist.191 In Pr. 1882 wird das Motiv von Haushaltern mit einem breiteren Motiv vom Wohnsitz Gottes verbunden, der durch verschiedene Bezeichnungen beschrieben wird: „Haus“, „Wohnung“, „Brautkammer“ und „Kämmerlein“.192 Diese Bezeichnungen sind Bezeichnungen der Kirche, jedoch nicht der Kirche im Sinne der Gläubigen, denn „Kirche“ in diesem Sinn ist die Braut: Die Gläubigen werden mit Gaben geziert, die sie als Christi Braut kennzeichnen.193 „Kirche“ im Sinne von Haus, Wohnung und Kammer ist vielmehr eine Zeit-, Orts-194 und Rahmenbestimmung: Durch diese Metaphern verweist Luther primär auf die Gottesdienste und das gottesdienstliche Leben der Kirche, die sich vor allem im Kirchengebäude abspielen. Der Rahmen des gottesdienstlichen Lebens der Kirche wird als ein Bereich bestimmt, der von anderen Bereichen abgesetzt ist. In Pr. 1882 gelangt Luther 189 Pr. 1882 [R] WA 47,784,13f: „Sic quando ordinamus presbyteros, committimus, ut praedicet verbum, consoletur infirmos.“ 190 Pr. 1574 [R] WA 41,456,14: „Sic de Sacramento diximus. Sic cum vocatione ad ministerium, quia Christus hindersich gelassen.“ (Hervorhebung JM). Das Amt, das er hinterlässt, ist sein eigenes Amt; vgl. bei Anm. 186 oben. 191 Pr. 1851 [A] WA 47,574,38–575,9 und 47,575,35–577,15: Das Evangelium und die Sakramente, die „Stücke“ des Regiments Christi, sind den Bischöfen, Lehrern und Dienern der Kirche anvertraut, und insofern sind sie schuld an dem Abfall der Kirche, denn sie haben falsch gelehrt, besonders in Bezug auf diese „Stücke“. 192 Pr. 1882 [R] – „Haus“ (domus): WA 47,782,4–6 and 8f (vgl. 47,783,11 [„Hurenhaus“]); „Wohnung“ (mansio): 47,782,14; „Brautkammer“: 47,782,27, 29 and 38; 47,783,10–12 and 22 (vgl. 47,784,20 [„Brautkammer-Regiment“]); „Kämmerlein“: 47,782,24 and 32 (vgl. 47,784,11 [„Brautkämmerlein“]). Für das Brautmotiv vgl. Pr. 1657 [R] WA 45,136,13–16. 193 Pr. 1882 [R] WA 47,782,13–27. 194 Vgl. Pr. 1882 [R] WA 47,782,13f: „Er wählt für sich immer noch einen Ort auf Erden, der so eine Wohnung ist, dass nur er allein [dort] redet.“ („Elegit locum sibi etiam in terris, qui sit mansio talis, ut ipse loquatur solus.“; Hervorhebung JM).

Die Instrumentalität der Amtsträger anhand von Pr. 1574 und Pr. 1882

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zur Bestimmung dieses Bereiches sowie zu seiner Abgrenzung von anderen Bereichen von seiner Zwei-Regimenten- und auch seiner Drei-Stände-Lehre her. Die Abgrenzung ist vom Anfang der Predigt an klar : Einerseits macht die angeredete Gemeinde und machen alle, zu denen die Apostel damals gekommen sind, diejenigen aus, die ein Haus haben und Herberge bieten können;195 zu ihrem Stand gehören leibliche Dinge, durch die sie für andere leiblich sorgen können.196 Andererseits handelt I Petr 4,10–11 im Unterschied zu I Petr 4,9 von den Ständen, die aus der Herberge hinaus gehen197 und das Evangelium zu predigen haben, wie vormals die Apostel getan haben.198 Man darf sich nicht durch die verschiedenen Motive und Metaphern in Pr. 1882 verwirren lassen: Die Amtsträger sind die, die Herberge brauchen und „aus der Herberge [heraus] gehen“,199 und doch andererseits die, die im Hause Gottes und in der Brautkammer tätig sind.200 Immer wieder kann Luther den Horizont erweitern und andere Stände und Bereiche mit einbeziehen oder den Stand und Bereich der Amtsträger mit anderen Ständen und Bereichen vergleichen.201 Dennoch bleiben die Amtsträger von den anderen abgesetzt und die Abgrenzung ihres Tätigkeitsbereiches wird klar. „[Petrus] will [den Horizont] eingrenzen und von den geistlichen Gaben [sprechen], die auf die Kirche bezogen sind nach dem Heil der Seele.“202 In der Kirche, der ecclesia, haben die Prediger ihren „Stand“, wo sie und das ihnen Anvertraute zum Heil der Seelen gebraucht werden.203 Dieser Stand oder 195 Pr. 1882 [R] WA 47,779,34–780,12. 196 Pr. 1882 [R] WA 47,780,15: „Das [oben Gesagte] predigt er über den Bauch und über leibliche Sachen.“ („Das ist vom bauch gepredigt und von leiblichen sachen.“). 197 Pr. 1882 [R] WA 47,780,14f: „die ausser der herberg gehen“. 198 Pr. 1882 [R] WA 47,779,2–4. Luther kann sowohl zwischen Aposteln und Jüngern unterscheiden (siehe 4.2.2), als auch sie als eine etwas homogene Gruppe behandeln. Hier verweist „Apostel und Jünger“ (WA 47,779,34) auf eine Gruppe, die als Apostel (47,780,2) und als Prediger und Amtsträger dargestellt wird und nichts anderes als das Evangelium hat. Insofern haben die Zuhörer in der Gegenwart immer noch eine Verantwortung den Amtsträgern gegenüber (siehe 5.1.2; die Verantwortung für den Lebensunterhalt der Amtsträger sieht man auch in Pr. 1882: „Dann saget Dank und belohnet, denn [ich] habe treu gepredigt und du hast gehört.“ [47,783,18f: „Tum gratias agite und belohnet, quod trewlich gepredigt, et tu audivisti.“; Hervorhebung JM]), aber sie können und sollen jedoch allen Herberge geben, die Not leiden oder vertrieben worden sind. Es ist auch wohl bekannt, dass Luther – ein Amtsträger, der mittlerweile ein Haus hat – ständig Gastfreundschaft geübt und Herberge gegeben hat; vgl. Brecht, Martin Luther 2,202f und 414f und 3,238f. 199 S.o. Anm. 197. 200 Dieses macht das Ganze von Pr. 1882 [R] ab WA 47,782,4 klar, aber siehe besonders 47,783,23f. 201 Für erweiterten Horizont siehe z. B. Pr. 1882 [R] WA 47,780,17–19 oder 47,781,26–31; für Vergleiche siehe z. B. 47,781,5–9. 202 Pr. 1882 [R] WA 47,780,19f: „[…] wils einziehen et de spiritualibus donis, quae pertinent ad Ecclesiam secundum salutem animae.“ 203 Dieser Bereich – nämlich die ecclesia als ein Stand verstanden – wird primär durch den

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Der Aspekt der Instrumentalität

Bereich (oder Hierarchie) unterscheidet sich von den anderen Ständen oder Bereichen: „[Gott] gab den Haus-Stand [und er] gab den politischen Stand: Dort sollen Juristen und Doktoren gehört werden, die an Königshöfe gehören. Aber in der Brautkammer musst du nicht von solchen Sachen reden, […]“204 Wenn Luther in seiner Frühzeit den Unterschied zwischen dem so genannten „geistlichen“ Stand und dem so genannten „weltlichen“ Stand aufheben wollte,205 so ging es ihm dabei um die Abschaffung eines Heils- und Heiligkeitsunterschiedes, der angeblich zwischen den Laien und den Klerikern und Mönchen bestehen sollte. Nachwirkungen dieses Bestrebens finden wir noch in Pr. 1882, indem es eben Gott ist, der in allen Ständen spricht und handelt.206 Andererseits aber bedeutet die Aufhebung des falschen Heils- und Heiligkeitsunterschiedes keineswegs auch die Aufhebung der unterschiedlichen Stände. Luthers Denken und sogar sein Weltbild sind von einer durchgehenden Ständelehre geprägt und getragen.207 Die fest intakte Ständelehre und -ordnung ist in Pr. 1882 nicht zu übersehen: Es gibt für Luther die Kirche, das Haus und den Königs- oder Fürstenhof.208 Einerseits hat jeder Mensch in allen drei Standesbereichen seinen Platz, seinen Ort, und somit auch seine Aufgaben – hat Entsprechendes zu sagen und zu tun. Wenngleich alle drei Stände das Leben fast aller Menschen in Luthers sozialem Umfeld betrafen, gehörte aber andererseits nicht etwa jeder Mensch gleich aktiv dem kirchlichen, dem politischen und dem häuslich-ökonomischen Stand an. Der normale Bürger, der irgendwie wirtschaftlich tätig war, gehörte so wenig dem kirchlichen Stand aktiv an, wie er dem politischen Stand aktiv angehörte: Ein getaufter Christ hatte genau so wenig Anspruch, in der Kirche zu lehren, zu predigen und die Sakramente zu verwalten, wie einer, der geborener Bürger des Kurfürstentums war, das Recht hatte, das Land zu regieren und

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Gottesdienst definiert. Jedoch kann Luthers Amtsbegriff nicht auf bestimmte gottesdienstliche „Funktionen“ reduziert werden, denn nach ihm wird Christus auch außerhalb des Kirchgebäudes und des Gottesdienstes in Person der Amtsträger zu Rate gezogen; Pr. 1882 [R], WA 47,783,27f. Pr. 1882 [R] WA 47,782,28f: „Dedit oeconomiam, dedit politiam: ibi audi Iuristas et Doctores, qui gehoren an Hof regum. Sed in der brautkamer must nicht de talibus reden, […]“ WA 7,26,32–29,6. („Von der Freiheit eines Christenmenschen“, 1520). „Weltlicher“ und „geistlicher Stand“ sind jedoch Terminologien, die Luther lebenslang auch neutral verwendet hat; siehe z. B. WA 31/I,190,11.21 („Der 82. Psalm ausgelegt“, 1530). Pr. 1882 [R] WA 47,784,18–21. Darum taucht die Drei-Stände-Lehre überall auf, wie z. B. bei Pr. 1732 [R] WA 46,443,2; vom Kontext (47,442,6–443,17) ist es klar, dass Luther auch eine Ständelehre bzw. -ordnung im Alten Testament sieht. Pr. 1882 [R] WA 47,784,19f: „außerhalb der Kirche, wo [das] Haus- und Hofregiment [ist]“ („extra Ecclesiam, ubi haus und hof regiment“); siehe auch 47,782,30–32: „Gott hat Hof und Haus weithin gegeben. […] Aber im heimlichen Kämmerlein, wo [Christus allein predigt, soll nicht so geredet werden].“ („Deus hat hof und haus weit geben. […] Sed in dem heimlichen Kemmerlin ubi & c.“).

Die Instrumentalität der Amtsträger anhand von Pr. 1574 und Pr. 1882

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Kriege zu führen. Der Klerus war der Klerus, der Adel war der Adel und die Bürger waren die Bürger. Das Bezeichnende bei Luthers Gedanken über die Stände liegt nicht etwa in der Aufhebung der Stände – ein Mensch der Aufklärung und der Revolutionen war er nicht – sondern in ihrer theologischen Wertung, die alle Stände betrifft.209 Die folgende Aussage, die Luther auf sein Predigtamt bezieht, ist eingebettet in eine breitere Ständelehre: „Wenn du mich hörst, [hörst du] nicht mich, sondern Christus. Ich gebe nicht meine Taufe, [nicht] meinen Leib und [mein] Blut. Ich absolviere dich nicht, sondern wer ein Amt hat [–] lass das Amt so sein, dass er gewiss weiß, dass [das Amt] von Gott [aus]geht.“210 Nicht nur die Kleriker haben zu lehren, sondern auch Hausherr bzw. Eltern und Konsuln, und zwar in Übereinstimmung mit Gottes Wort: Weder dürfen Eltern ihre Kinder noch ein Herr sein Gesinde lehren, dass Ehebruch zu billigen sei; der Konsul darf das Stehlen nicht befürworten.211 Nicht alle haben dasselbe zu lehren, noch lehren und handeln sie im selben Lebensbereich bzw. im selben Stand.212 „Sieh, in welchen Stand du berufen bist“213 gilt bei Luther als ein entscheidender Schlüssel zum christlichen Leben. Solange Menschen in der oeconomia und in der politia nicht gegen die heilige Schrift handeln, handeln sie schriftgemäß, und Gott selbst handelt in ihrem Sprechen, Raten und Tun. Wenn also von einer Anwesenheit Christi im Predigtamt geredet werden kann, wie Luther das zumindest in seinen späteren Predigten tut, dann kann angesichts des weiteren Horizonts seiner Ständelehre auch von einer Anwesenheit Gottes in allen Ständen gesprochen werden, wenn diese nicht gegen sein Wort streben. Gott ist im Elternamt, im Magistrat, in Hausherren anwesend. Er handelt durch sie. Doch seine 209 Siehe z. B. Pr. 1843 [A] WA 47,521,14–16: „Da ist ein prediger, ein Churfurst und geringer stand, alle von Gott geordent, und hast gott bej dir im betthe, im schoss, yn armen und hertzen.“; auch 47,520,24–27 (implizit). Siehe auch Pr. 1854 [A] WA 47,600,19–27; Pr. 1891 [S] WA 47,842,40–843,24. Pointiert zum Ausdruck gebracht von Wingren, Luthers Lehre vom Beruf. 210 Pr. 1880 [R] WA 47,771,18–20: „Quando me audis, non me, sed Christum, non do meum baptismum, meum corpus et sanguinem. Non absolvo te, sed qui habet offitium, sic sit offitium, quod sciat certo, quod gehe a Deo.“; im Kontext von [R] 47,771,2–23 und [S] 47,770,39–771,36. 211 Pr. 1880 [R] WA 47,771,8–13. Bei Bonhoeffer, Ethik, S. 392–412 findet man einen ähnlichen Gedanken: Dem einen Gebot Gottes begegnen die Menschen in vier verschiedenen, aber nicht abgetrennten „Mandaten“, die ihre Einheit in diesem in Jesus Christus offenbarten Gebot haben. 212 Den Unterschied zwischen dem Lehren der Eltern und dem der Amtsträger der Kirche bringt Stolz zum Ausdruck, indem er „docere“ in Bezug auf die Prediger und „educare“ in Bezug auf die Eltern gebraucht: Pr. 1880 [S] WA 47,771,26–28. Vgl. Pr. 1882 [R] WA 47,783,14f: „Sonst sind [da] Land, Leute, Haus [und] Hof[:] Da kannst du dich satt reden, jeder in seinem Stand.“ („Sonst ist land, leute, haus, hof, da hast zu reden gar sat, quisque in suo genere.“). 213 Pr. 1880 [R] WA 47,771,5f: „[…] vide, in quem statum sis vocatus.“ Vgl. I Kor 7,20–24.

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Der Aspekt der Instrumentalität

Anwesenheit ist nicht bloß ganz allgemein oder in allen Ständen einheitlich, sondern sie ist eine differenzierte Anwesenheit. In normalen Situationen (d. h. außer in einem Notfall) gebührt es Eltern und Hausherren nicht zu predigen, zu taufen und zu absolvieren, wie es dem Pfarrer nicht gebührt, Diebe einzusperren.214 In den Predigten überschneiden sich die Drei-Stände- und die Zwei-Regimenten-Lehre. Obwohl alle Versuche, das genaue Verhältnis der Zwei-Regimenten-Lehre zur Drei-Stände-Lehre zu bestimmen, noch nicht abgeschlossen sind,215 darf man sicher sagen, dass der Schwerpunkt der Drei-Stände-Lehre bei der Ordnung des menschlichen Lebens in von Gott geordneten Lebensbereichen liegt, während die Zwei-Regimenten-Lehre den Unterschied zwischen den Regierungsweisen Gottes in den jeweiligen Regimenten hervorhebt. Sowohl in Pr. 1574 als auch in Pr. 1882 wird das Regieren im Bereich der Kirche angesprochen,216 und Pr. 1882 bietet eine Lektion zum Verhältnis der beiden Regimente zu den drei Ständen,217 denn die drei Stände, die genannt werden, werden in die zwei Regimente aufgeteilt. „Muss man außerhalb der Kirche, wo [das] Haus- und Hofregiment [ist], wissen, dass es Wort und Werk Gottes [ist], wie viel mehr im Brautkammer-Regiment[?!]“218 Nach dieser homiletischen Darstellung gibt es zwei Regimente; zu dem einen gehören Haus und 214 Die Fassung von Stoltz empfiehlt den Christen Acht auf das zu haben, was zu ihren jeweiligen Ständen gehört, auf das, was sie betrifft, und insofern auch auf das, was nicht zu ihren jeweiligen Ständen gehört, und das, was sie nicht betrifft; siehe Pr. 1880 [S] WA 47,770,39–771,26. 215 Als Einführung sind an dieser Stelle Bayer, „Natur und Institution“; Bayer, Martin Luthers Theologie, S. 110–139, 290, 295f; und Schwarz, „Lehre von den drei Ständen“ zu nennen. Für weitere Literatur und Diskussion siehe 10.3. Die drei Stände im Sinne von politia, oeconomia und ecclesia sind drei Lebensbereiche; in jedem von diesen drei Bereichen gibt es mehrere Berufe, Ämter und Stände; der Kleine Katechismus z. B. zeigt mehrere Stände innerhalb der oeconomia an (Kl. Kat. Beichte,20 [BSLK 517,29–36] und Kl. Kat. Haustafel,1–15 [BSLK 523–527]). „Stand“ kann insofern auf den jeweiligen Lebensbereich sowie auf bestimmte Berufe und Ämter im Bereich weisen. 216 Pr. 1574 [R] WA 41,459,5f; Pr. 1882 [R] WA 47,780,30–32 (eine Anrede an den Ordinanden; siehe 6.3.1 unten). 217 Vgl. Pr. 1891 [R/S] WA 47,839–846, ein Musterbeispiel vom Verhältnis und der Überschneidung dieser zwei Lehren: In der Predigt über I Petr 5,8 unterscheidet Luther zwischen zwei Arten von Wachen. Magistrat und Eltern machen die zwei ordines der „weltlichen Herrschaft“ ([R] WA 47,840,18) aus. Zusammen machen sie eine ordinatio aus, die vor Mord und Verbrechen schützen soll. Das geistliche Regiment und die ecclesia stehen immer implizit im Hintergrund: „Diese Institution ist schwach. Fester steht [die Institution], durch die auch der Leib und die Seele vom ewigen Tod befreit werden.“ („At haec ordinatio infirma est. Restat firmior, qua corpus etiam et anima liberatur ab aeterna morte.“; [S] 47,841,19f). Das andere Wachen ist „kirchliches und geistliches Wachen“ („Ecclesiasticas et Spirituales vigilias“; [S] 47,841,22). 218 Pr. 1882 [R] WA 47,784,19–21: „Mus man da wissen extra Ecclesiam, ubi haus und hof regiment, multo magis in der Brautkamer regiment, quod sit Dei verbum et opus.“

Die Instrumentalität der Amtsträger anhand von Pr. 1574 und Pr. 1882

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Hof – oeconomia und politia219 – und zu dem anderen gehört die Kirche – die ecclesia.220 Dass die oeconomia und die politia dem weltlichen Regiment zugeordnet sind bzw. dass sich die weltliche Regierweise in der oeconomia und in der politia abspielt, und dass die ecclesia dem geistlichen221 Regiment zugeordnet ist bzw. dass sich die geistliche Regierweise in der ecclesia abspielt, lässt sich durch andere Predigten bestätigen.222 In beiden Regimenten, sowie im ganzen Kosmos, regiert Gott selbst, und zwar mittelbar.223 Er ist auch in den „weltlichen Ständen“224 aktiv : Die Adligen, Konsuln, Magistrate und Menschen, die andere Ämter innehaben,225 sind seine Instrumente im weltlichen Regiment. Er hat sozusagen das Regiment als

219 Dass „Hof und Haus“ mit politia und oeconomia korrespondieren ist anhand Pr. 1882 [R] WA 47,782,28–30 klar. 220 Für die Kirche als Orts-, Zeit- und Rahmenbegriff, im Sinne von Kultus und gottesdienstlichem Leben, die sich primär in Kirchengebäuden abspielen, siehe Anm. 194 oben. Für „Kirche“ als Gegenpart zum „weltlichen Regiment“ vgl. Pr. 1907 [R] WA 49,46,35f und 39. 221 Bei „geistlichem“ und „weltlichem“ Regiment wird die Terminologie des Augsburgischen Glaubensbekenntnisses aufgenommen; siehe CA XXVIII,12 (BSLK 122,21f). Luther verwendet diese Terminologie auch: Siehe z. B. Pr. 1849 [A] WA 47,563,17–564,2 und 47,565,5–7; Pr. 1888 [R] WA 47,823,12; Pr. 1898 [R] WA 49,5,12; Pr. 2011 [R] WA 51,59,34f und 38. 222 Siehe vor allem Pr. 1881 [Dr] WA 47:774,1–3: „Wil jemands predigen, so schweige er seiner wort und laß sie im Weltlichen und HaußRegiment gelten, Allhier in der Kirchen sol er nichts reden denn dieses reichen Haußwirths Wort, […]“; 47,774,31–34: „Sonst im weltlichen Regiment höret er [d. h. der Christ] ein anders [Wort], wie man die Bösen straffen und die Frommen schützen sol, und von der Haußhaltung. Aber allhier in der Christlichen Kirchen sol es also seyn ein Hauß, da alleine Gottes Wort schalle.“ Vgl. auch Pr. 1702 [R] WA 46,203,7–24: Luther weigert sich, Fasten anzuordnen, denn sonst würden die Menschen einen Gottesdienst aus dem Fasten machen. Deshalb überlässt er die Anordnung von Fasten der Obrigkeit und den Hausvätern. Die Weigerung beruht auf der Zwei-Regimenten-Lehre; die Nennung von Obrigkeit und Hausvätern zeigt die Zuordnung der politia und der oeconomia zum weltlichen Regiment. Vgl. auch Pr. 1898 [R] WA 49,1–6, in der die zwei Regimente mit „Kaiserrecht“ und „Gnadenrecht“ und die drei Stände mit „oeconomia“ „politia“ und „Gnadenstand“ (der Stand, durch den Gnade gegeben wird) wiedergegeben werden. Dafür, dass die oeconomia und die politia zum weltlichen Regiment gehören, während die eccclesia zum geistlichen Regiment gehört bzw. es ausmacht, siehe: Elert, Morphologie 2,54; Wingren, Luthers Lehre vom Beruf, S. 29; implizit bei Bayer, „Natur und Institution“, S. 355f; ähnlich aus dem Neuen Testament Kleinig, „Ordered Community“. 223 Pr. 1888 [R] WA 47,818,26–820,2 und [S] 47,818,37–820,24, bes. [S] 47,819,36–38: „Durch die Sonne beleuchtet er die Welt; durch den Menschen bringt er den Menschen hervor; durch die Prediger, Petrus und Paulus, gewährt er uns das Heil; er will, dass Verbrechen durch den Magistrat gestraft werden.“ („Sole illuminat mundum, per hominem generat hominem, per Concionatores Petrum et Paulum tradit salutem nobis, per Magistratus vult puniri scelera.“). 224 Pr. 1882 [R] WA 47,781,12: „in ordinibus mundanis“. 225 Pr. 1882 [R] WA 47,781,28f.

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Der Aspekt der Instrumentalität

Amtskette um ihren Hals gehängt.226 Im weltlichen wie im geistlichen Regiment herrscht eine Gewalt, die sich auf Gott zurückführen lässt. Die Gewalt, die im weltlichen Regiment herrscht, oder die Weise, auf die Gott in diesem Regiment regiert, unterscheidet sich von der Gewalt der Kirche bzw. des geistlichen Regiments dadurch, dass der Gewalt des weltlichen Regiments ein Element des äußerlichen körperlichen Zwangs zukommt. Die Fürsten oder die politia besitzt das Schwert, und Eltern und Hausherrn oder die oeconomia haben die Rute.227 Es gehört zu dem Regier-Amt in diesen Lebensbereichen oder Hierarchien, zu strafen.228 Im weltlichen Regiment herrscht der usus politicus legis, und die Regierenden der beiden Hierarchien dieses Regiments haben das Leben zu schützen und zu bewahren, einerseits durch das Strafen von Verbrechern und andererseits durch Erziehung. Im weltlichen Regiment muss man das tun, was „recht“ ist.229 Für Luther darf das, was „recht“ ist, der Heiligen Schrift freilich nicht widersprechen,230 aber andererseits führen seine Gedanken weder zu einer biblizistisch-politischen Ausrichtung noch zu einer Theokratie im strikten Sinn, denn die Vernunft, wissenschaftliche Kenntnisse und Fachkompetenz, sowie „Menschensatzungen“231 haben durchaus ihren Platz im weltlichen Regiment.232 Im geistlichen Regiment aber muss das Element des physischen Zwangs fehlen: Es gibt weder Schwert noch Rute im geistlichen Regiment.233 Damit sei nicht gesagt, dass im geistlichen Regiment nur das Evangelium herrsche, im weltlichen dagegen das Gesetz. Denn im geistlichen Regiment hat der usus elenchticus legis seinen Ort. Auch im geistlichen Regiment wird nach Luther gestraft: Das Gesetz wird gepredigt; Lehre kann verurteilt werden; Sünden werden gegebenenfalls behalten; Menschen können von der Kommunion ausgeschlossen werden. Dem geistlichen Regiment ist befohlen, mit dem Wort zu regieren, das heißt das Wort zu predigten und die Sakramente zu spenden.234 226 Pr. 1882 [R] WA 47,781,30f; s. o. Anm. 112. 227 Pr. 1891 [R] WA 47,840,19f im Kontext von 47,840,9–20. 228 Pr. 1880 [Dr] WA 47,770,20f; Pr. 1883 [R] WA 47,786,13f: „Der Mann der politia und der oeconomia“ („Politicus et oeconomicus vir“) hat das Böse zu strafen. 229 Pr. 1882 [R] WA 47,784,16f: „[…] extra Ecclesiam thue, quod iustum.“ 230 S.o. die Anmerkungen 210–214 zu Pr. 1880. 231 Pr. 1881 [Dr] WA 47,778,40–42. 232 Pr. 1891 [S] WA 47,842,37f: „Gott will, dass die Vernunft in ihrem Kreis bleibt, und er will, dass sie in der Welt regiert.“ („Deus wult manere rationem in suo circulo et vult eam regere in mundo.“); vgl. [R] 47,843,6f und 19–21. Im weltlichen Regiment stimmen das Wort Gottes und die Vernunft überein, aber im geistlichen Regiment bzw. in der Kirche widerspricht das Wort Gottes der Vernunft; siehe [R] WA 47,843,21–845,9. 233 Luther und die Wittenberger Reformatoren sahen sich aber mit einer Situation konfrontiert, in der Fürstbischöfe nicht nur geistliche, sondern auch weltliche Gewalt inne hatten; vgl. CA XXVIII,19 (BSLK 123,16–21). Für Fürstbischöfe siehe 4.1.3.3 (dort bei Anm. 117). 234 Siehe CA XXVIII,12 (BSLK 122,21–25); vgl. auch XXVIII,20–24 (BSLK 123,22–124,8/12).

Die Instrumentalität der Amtsträger anhand von Pr. 1574 und Pr. 1882

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Laut des Augsburgischen Glaubensbekenntnisses ist „allein durch Gottes Wort“ das Pendant zu „ohne menschliche Gewalt“:235 In der Kirche, im geistlichen Regiment, regiert Christus durch sein Wort, das in der Schrift steht und gepredigt wird.236 Wo es gepredigt wird, ist er präsent und tätig. Für Luther widerspricht die Tatsache, dass Christus in der Kirche bzw. im geistlichen Regiment allein durch das Wort und die Sakramente regiert, keineswegs seiner Feststellung, dass Christus in der Kirche bzw. im geistlichen Regiment durch die Amtsträger regiert. Er regiert nicht einfach durch eine „unbestimmte“ Predigt, sondern durch die Predigt der Propheten und Apostel. Er regiert, tröstet, straft und gewährt das Heil durch die Apostel und ihre Nachfolger im Amt.237 Er führt sein geistliches Regiment durch die Prediger und Pfarrer aus.238 Es ist offenbar, dass die Prediger, Pfarrer und Bischöfe im geistlichen Regiment das Pendant zu dem bilden, was die Fürsten und Eltern im weltlichen Regiment sind. Wenn Luther sagen kann: „Kaiser und Könige […] sind Prediger und [halten] Predigten von sichtbaren Sachen“, dann liegt es auf der Hand, dass andererseits die Prediger und Pfarrer sozusagen Kaiser und Könige in der Kirche bzw. im geistlichen Regiment sind.239 Sie haben die Kirche zu regieren.240 Haushalter zu sein, trägt in sich das Moment des Regierens. Vom Bild von der Trinität und der Kirche sagt Luther in Pr. 1882: „Der Heilige Geist ist der Regierer [gubernator] im Frauenzimmer, und [sie wird] mit Gaben geziert, die sie kennzeichnen.“241 Kein Widerspruch besteht darin, dass der Heilige Geist im Zimmer mit der Braut ist, und dass Jesus Christus allein mit der Braut in diesem Zimmer sein will. Sowie Luther den Heiligen Geist gubernator nennt, nennt er die Amtsträger – die Bischöfe, Pfarrer und Prediger – die gubernatores in der Kirche.242 Dass, „[Christus] […] allein da bei [seiner Braut] bleibt“,243 schließt 235 CA XXVIII,21 (BSLK 124,4f, Modernisierung JM). 236 Pr. 1845 [A] WA 47,536,30–537,22; Pr. 1532 [R] WA 41,75,21f. 237 Pr. 1888 [R] WA 47,819,20–22 im Kontext von 47,818,26–820,2; vgl. Pr. 1601 [R] WA 41,607,4f: „Er regiert uns, tauft, und lehrt durch die Diener ; […]“ („Is nos regit, baptisat, docet per ministros, […]“). 238 Pr. 1532 [R] WA 41,77,27–78,1. 239 Pr. 1532 [R] WA 41,75,25–27: „Keyser und konige […] sunt praedicatores et praedicationes de rebus visibilibus.“ Die Bischöfe, Prediger und Pfarrer sind diejenigen, die in der Kirche zu regieren haben, jedoch ohne zu herrschen: Siehe Pr. 1885 [R] WA 47,795,14–19 und [S] 47,795,27–29. 240 Vgl. 4.2.3. 241 Pr. 1882 [R] WA 47,782,17f: „Spiritus sanctus est gubernator im frawen zimmer, et ornata insignibus donis.“ 242 Pr. 2018 [R] WA 51,96,17 im Kontext von 41,96,9–19; für „gubernare“ bezogen auf die zwei Regimente vgl. 51,97,8f. Siehe auch das Ordinationszeugnis für Georg von Anhalt bei Sander, Ordinatio Apostolica, S. 304 (= WA Br 11,156,25–30). 243 Pr. 1882 [R] WA 47,783,24: „qui solum blieb dabey“.

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Der Aspekt der Instrumentalität

nicht aus, sondern vielmehr ein, dass „[es in der Brautkammer diejenigen gibt,] die predigen, raten, trösten, unterrichten, unterscheiden usw.“;244 auch hier besteht kein Widerspruch. Christus will allein mit seiner Braut sein; er will allein reden und handeln in der Kirche; er will sie allein regieren. Und all dies tut er mittelbar durch die Amtsträger.

6.2.3 Die Amtsträger und die anderen Mittel In 6.2.2 wurde die Instrumentalität der Amtsträger in Luthers Denken und seiner homiletischen Ausformung demonstriert. Die Instrumentalität der Amtsträger, die Luther als Werkzeuge, Organe, Mittel, Haushalter und die Regierenden der Kirche darstellen kann, soll nun in das breitere Spektrum seines Verständnisses von Mittelbarkeit und von anderen Instrumenten eingeordnet werden.

6.2.3.1 Wort und Sakramente als Christi „Reden und Tun“ In Pr. 1574 macht Luther deutlich, dass Christus einerseits gen Himmel gefahren ist und auch andererseits immer noch präsent und tätig ist, durch das, was er „hinterlassen“ hat.245 Das, was er hinterlassen hat, wird bildlich als ein Gulden oder ein großer Schatz dargestellt,246 den er seinem Diener bzw. seinen Dienern in die Hand gibt, so dass sie den Schatz an Christi Stelle darreichen. Der Schatz hat offenbar mehrere Teile oder Aspekte: Nach Pr. 1574 hat Christus das gepredigte Evangelium und die Taufe „hinterlassen“.247 Aber die Taufe und das gepredigte und gelehrte Evangelium bilden nur Teile oder Aspekte eines größeren und umfassenderen Schatzes, der hinterlassen wurde durch den gen Himmel gefahrenen Christus, der immer noch auf Erden anwesend und tätig ist.248 Der Schatz Christi ist die Gesamtheit seines gnädigen und rettenden Sprechens und Handelns im geistlichen Regiment, in der ecclesia, durch die er das Heil konkret und leiblich schenkt. Nach Pr. 1882 ist der Schatz Christi Reden und Tun: „Er hat die Gaben in zwei Stücken gefasst: Reden und Tun. […] [Er,] der in diesem Haus der Hausvater ist, spricht entweder oder tut [etwas] oder hat 244 Pr. 1882 [R] WA 47,783,23: „Qui predigen, raten, trosten, unterrichten, unterschieden & c.“ (Wortumstellung JM). 245 Pr. 1574 [R] WA 41,454,27: „hinder sich gelassen“; siehe auch 41,456,14 im Kontext von 41,455,21–456,28. 246 Pr. 1574 [R], Gulden: WA 41,455,3–17; 41,458,13 und 18; Schatz: 41,458,26. 247 S.o. Anm. 245. 248 Diese zwei werden hervorgehoben, weil Luther von Mt 28,18–20 ausgeht und diese Stelle das Taufen und Lehren anspricht. „[E]rschließen“ (Pr. 1574 [R] WA 41,454,28) weist auf das wiederholte Moment des Lehrens in Mt 28,19–20 (19: lahgte}y; 20: did\sjy).

Die Instrumentalität der Amtsträger anhand von Pr. 1574 und Pr. 1882

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beides [– Reden und Tun].“249 Der Schatz Christi, den er hinterlassen hat, – sein mittelbares Reden und Tun – ist nichts anderes als das Evangelium und die Sakramente: „[…] als Christus von der Welt geschieden, [da] hat er sein heiliges Evangelium und [sein heiliges] Sakrament anvertraut, […]“250 Das Wort und die Sakramente sind den Amtsträgern anvertraut, damit sie predigen, lehren und austeilen.251 6.2.3.2 Die Auflistungen der Mittel Sowohl in Pr. 1574 als auch in Pr. 1882 fällt es auf, dass Luther immer wieder eine Art Auflistung angibt, und zwar eine Auflistung von Mitteln, durch die Christus spricht und handelt. Diese Auflistung von Mitteln kann etwas unterschiedlich ausfallen, in Pr. 1574: „das Evangelium, das Sakrament, die Taufe [und] die Absolution“ oder „das Evangelium, die Taufe, die Schlüssel, das Sakrament [und] das Predigtamt“;252 in Pr. 1882: „die Taufe, die Absolution, das Sakrament [und] die Handauflegung“.253 Manchmal wird solche Auflistung kürzer : „das Evangelium und die Sakramente“;254 oder nur angedeutet: „[Betet, dass er] nicht 249 Pr. 1882 [R] WA 47,782,7–9: „Er hat dona in die zwey stuck gefasset: reden und thun. […] Qui in hac domo est paterfamilias, aut loquitur aut facit aut utrumque habet.“; vgl. 47,783,21–23. 250 Pr. 1574 [R] WA 41,454,19f: „[…] Christus, da er von der welt gescheiden […] commisit suum Sanctum Euangelium et Sacramentum, […]“ Bei Luther ist es oft der Fall, dass „Evangelium“ ein Synonym für das „Wort“ ist, das zugleich aber jenes Moment vom Evangelium hervorhebt, das es vom Gesetz unterscheidet. Für das Wort bzw. das Evangelium und die Sakramente vgl. WA 41,455,14; 41,458,15 und 29f. 251 Vgl. Pr. 1854 [A] WA 47,593–603: Die Gnadenmittel werden nicht abstrakt konzipiert, sondern sie sind konkret „daheim“ (47,602,8.38) in der Pfarrei zu finden; Luther geht von einer Verwaltung durch die „Prediger und Dorfpfarrer“ (47,596,10) aus. Pr. 1729 [R] WA 46,424,1–3: Die „geringen Waffen“ („geringen armis“) der Apostel, durch die der Heilige Geist tätig ist, sind das Wort und die Sakramente. Pr. 2018 [R] WA 51,96,17–19 und [S] 51,96,32–34: Die Kirchendiener (d. h. die Bischöfe, Pfarrer und Prediger) teilen die geistlichen Güter aus. 252 Pr. 1574 [R] WA 41,455,15f: „Euangelium, Sacramentum, baptismum, Absolutionem“ und 41,457,2f: „Euangelium, baptismus, claves, Sacramentum, predigampt“. 253 Pr. 1882 [R] WA 47,784,9f: „baptismus, absolutio, Sacramentum, impositio manuum“. 254 Pr. 1574 [R] WA 41,455,14: „Euangelium et Sacramenta“. Obwohl er dazu neigt, sie einzeln aufzulisten und zu erläutern, kann Luther auf diese Mittel durchaus auch mit dem Oberbegriff „Sakramente“ verweisen. Vgl. WA 50,643,2–5 („Von Konziliis und Kirchen“, 1539): „Ich wolt sie auch wol die sieben Sacrament nennen, aber weil dis Wort Sacrament in misbrauch komen ist durch die Papisten, und anders in der Schrifft gebraucht wird, las ich sieben heubtstück Christlicher heiligung oder sieben heilthumb bleiben.“. Anderswo kann er sie die „Stücke“ des geistlichen Regiments nennen: siehe Pr. 1851 [A] WA 47,576,24–34 und WA 38,221,18–35 („Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe“, 1533). Bei den Begriffen „Sakrament“ und „sakramental“ muss immer gefragt und bedacht werden, wie sie verstanden werden. Wenn aber ein konkretes und effektiv-rettendes Handeln Gottes, für das er Gebrauch von bestimmtem Mitteln macht, als „sakramental“ beschrieben werden kann,

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Der Aspekt der Instrumentalität

[einen geben wird,] der falsch predigt und tauft, der das Sakrament für Brot und Wein [und] die Taufe für Wasser [hält], der einen Pfennig statt eines Guldens gibt.“255 Jedenfalls kommen sie sehr häufig in den späteren Predigten Luthers vor.256 Bei allen Unterschieden solcher Auflistung kann man als gemeinsames Verständnis feststellen, dass Luther die Predigt, die Absolution, die Taufe und das Sakrament des Altares als Mittel versteht, durch die Christus spricht und handelt, in denen er präsent ist. Der theologische Schluss, der hier erreicht wird, kommt zum pointierten Ausdruck in Luthers Feststellung: „[Christus] tauft, absolviert, verwaltet das Sakrament und wird draußen zu Rate gezogen.“257 Für Luthers Verständnis vom Amt und der Präsenz Christi in ihm ist zu bemerken, dass diese Mittel nicht in erster Linie Konzepte oder Begriffe sind, die in jeder sie erwähnenden Predigt erst entfaltet werden müssen. Seinen didaktischen und katechetischen Aufgaben ist Luther sehr wohl nachgekommen, auf der Kanzel wie auch in seinem schriftlichen Schaffen.258 Dennoch besteht seine Absicht in vielen – ja, in der Mehrzahl – seiner späteren Predigten, in denen „Predigt“, „Taufe“, „Absolution“ und „Sakrament des Altars“ erwähnt werden, offenbar nicht darin, eine Antwort zu geben auf Fragen wie „Was ist das Sakrament des Altars?“259 oder „Wie kann Wasser solche große Ding tun?“260. Für

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dann hatte Luther ein „sakramentales“ Verständnis der Predigt und der Absolution; siehe Oberman, „Preaching in the Reformation“ und Wicks, „Fides sacramenti“. Pr. 1574 [R] WA 41,458,11–13: „qui non, praedicet falso, et baptiset et pro Sacramento brod und wein, aquam pro baptismo, pro fS zal [pfennig].“ Andere Auflistungen der Mittel, die noch nicht angegeben worden sind: Pr. 1574 [R] WA 41,455,15–17; 41,456,11.29–31 und 34; 41,457,14 und 28; 41,458,28–32 und 33–37; 41,459,1–3; Pr. 1882 [R] WA 47,784,23f (das Verhältnis des Wortes, des Sakramentes und der Absolution zum Ehestand und der „potestas mariti“ ist anhand der Betonung der Präsenz und Tätigkeit Gottes in beiden Regimenten und in allen Ständen zu verstehen; vgl. Pr. 1843 [A] WA 47,519,2–8). Pr. 1546 [R] WA 41,268,21f; Pr. 1555 [R] WA 41,348,32–349,1; Pr. 1577 [R] WA 41,469,7–11; Pr. 1697 [R] WA 46,170,20f; Pr. 1698 [R] WA 46,175,20–176,1; Pr. 1724 [R] WA 46,394,10f; Pr. 1728 [R] WA 46,422,9; Pr. 1843 [A] WA 47,519,2–8 und 47,521,9f (mit „Predigtstuhl“), 31–33 (mit „Gesandten und Diener“ und „Predigtstuhl“), 38f; Pr. 1846 [A] WA 47,544,6f (mit „Predigtstuhl und Pfarrer“); Pr. 1851 [A] WA 47,576,25–27; 47,578,32f; 47,579,36f; Pr. 1852 [A] WA 47,586,16–18; Pr. 1854 [A] WA 47,595,24f (mit „Predigtstuhl“); Pr. 1863 [R] WA 47,653,15–654,7; [S] 47,653,30–654,24 (mit „ministerium verbi“); Pr. 1880 [R] WA 47,771,18–20; Pr. 1907 [R] WA 49,46,10–12 (mit „Predigtamt“). Pr. 1882 [R] WA 47,783,27f: „Baptisat, absolvit, Sacramentum administrat et consultatur foris.“ (Wortumstellung und Hervorhebung JM; vgl. Anm. 203 oben). Siehe auch WA 47,784,12f: „Er redet, tauft, reicht das Sakrament dar, und dennoch tun wir [es].“ („Er redet, teufft, reicht Sacrament, et tamen nos facimus, […]“). Man braucht nur an die Katechismen und an die regelmäßig gehaltenen KatechismusPredigten zu denken. Siehe z. B. die fünf Predigten von der Taufe, die er im Januar und Februar 1538 (Pr. 1963–1964 [R/S] WA 46,145–155 und Pr. 1697–1699 [R/S] WA 46,167–185) und die drei Predigten von der Taufe, die er im Januar 1539 (Pr. 1861–1863 [R/ S] WA 47,640–659) gehalten hat. Kl. Kat. Sakrament des Altars,1 (BSLK 519,39). Kl. Kat. Taufe,9 (BSLK 516,11).

Die Instrumentalität der Amtsträger anhand von Pr. 1574 und Pr. 1882

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die Zuhörer ist der erste Bezugspunkt zur Taufe, dass sie selbst getauft sind; zum Abendmahl, dass sie gespeist und getränkt werden; zur Beichte, dass ihnen die Hände aufgelegt werden und die Absolution zugesprochen wird. Für die Zuhörer und Empfänger ist der erste Bezugspunkt zu den Mitteln, die in den Predigten aufgelistet werden, im gottesdienstlichen Leben der Kirche zu finden: Homiletisch gesehen sind die aufgelisteten Mittel nicht in erster Linie theologische Konzepte oder Begriffe, sondern vielmehr konkrete Anrede und konkrete Handlungen, die Christus selbst im örtlichen gottesdienstlichen Leben der Kirche durch die Amtsträger ausführt. Vor allem geht es bei diesen aufgelisteten Mitteln um Verben (wie: taufen, absolvieren, predigen, speisen und tränken), die einen konkreten Vollzug bei den Zuhörern anzeigen, und nicht um Substantive (wie: die Taufe, die Absolution, die Predigt, das Abendmahl), die erst logisch verstanden und angeeignet werden müssten. Es hat seinen Sinn, dass diese aufgelisteten Mittel wie selbstverständlich mit den Mitteln ihrer Verwaltung und Darreichung – also mit den Amtsträgern – homiletisch zusammen, als eine Einheit dargestellt werden.261 Dadurch wird die Verwobenheit von Amtsträgern mit den aufgelisteten Mitteln immer wieder indirekt betont.

6.2.3.3 Die Verwobenheit der Amtsträger mit den anderen Mitteln Die Verwobenheit der Mittel mit den Amtsträgern geht für Luther darauf zurück, dass sie gemeinsam gestiftet sind.262 Die Stiftung der Taufe ist zugleich die Stiftung des apostolischen Amtes, dessen Inhaber das Mandat haben, zu taufen, zu predigen und zu lehren.263 Die Stiftung der Absolution ist auch die Stiftung des Schlüsselamtes, in der Luther den Befehl sieht, nicht nur Sünden zu verge261 Nehmen wir wieder Pr. 1574 und Pr. 1882 vor: In Pr. 1574 – außer wenn er die Missbräuche im Papsttum diskutieren will – ist das Evangelium etwas, das einerseits gepredigt und gegeben und andererseits gehört und empfangen wird ([R] WA 41,454,25–29 und 33f; 41,455,5–7, 15, 18–20; 41,456,11, 26f und 29–36; 41,457,24–30; 41,458,9–16 und 19f; 41,459,4); die Taufe, die Absolution und das Abendmahl sind einerseits gegebenes und ausgeteiltes und andererseits empfangenes Gut (41,455,15f, 24 und 26–29; 41,456,2–4, 11, 19, 23–25 und 29–36; 41,457,24–30; 41,458,9–16). Die Taufe durch die Hebamme wird als Nottaufe angegeben (vgl. Anmerkung der WA zu 41,455,26), und die Laienabsolution als Notmaßnahme angesprochen (41,456,19–21; für weiteres zur Notsituation siehe 9.4.2). Dagegen werden die Amtsträger häufig als die vorgesehenen Prediger und SakramentsSpender ausdrücklich genannt: „Prediger“ (WA 41,455,6, 23 und 28; 41,457,25; 41,458,4; 41,459,5f), „Pfarrer“ (41,455,8 und 28; 41,456,37; 41,457,3; 41,458,13), „Priester“ (41,456,19; 41,457,25). In Pr. 1882 ist es der (ordinierte) Presbyter, der das Wort predigt und die Schwachen durch die Taufe, die Absolution und das Sakrament tröstet ([R] WA 47,784,11–13; vgl. 47,783,30–38). 262 Für Mandate und Stiftungen siehe 3.3. 263 Pr. 1574, die von Mt 28,18–20 ausgeht und auf die folgende Ordination hin läuft, vermittelt durchgehend diesen Eindruck. Siehe auch Pr. 1882 [R] WA 47,783,28–33.

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Der Aspekt der Instrumentalität

ben, sondern auch weitere Generationen von Predigern einzusetzen.264 Die Matrix von Schriftstellen, die Luther mit seinem eigentlichen Predigttext in Pr. 1574 und in Pr. 1882 zusammenbringt, ist in dieser Hinsicht vielsagend: Entweder Mt 28,18–20 oder I Petr 4,10–11 und I Kor 4,1 werden herangezogen.265 Ein Mandat wird mit Haushaltern verbunden, und umgekehrt. Die Mandate und Stiftungen für die wiederholt aufgelisteten Mittel – die Predigt des Evangeliums, die Taufe, die Absolution und das Sakrament des Altars – schließen das Mandat für die mündliche und leibliche Darreichung dieser Mittel durch die Amtsträger ein. „[…] [Gott] hat [sie so] eingesetzt, dass sie uns durch die Diener mitgeteilt werden, […]“266 Das Amt ist wie die anderen Mittel und mit den anderen Mitteln „von Gott gestiftet“.267 Jedes einzelne der aufgelisteten Mittel wird durch einen Menschen dargereicht oder zugesprochen. Zum Beispiel bleibt eine Taufe, wenn sie nicht durch die Hand eines Menschen vollzogen wird, immer ein bloßer, insofern stets abstrakter Begriff. Entweder sind alle Mittel gespendete Mittel, oder sie sind überhaupt keine Mittel. Die Hand ist ein Instrument – ein Mittel – das gebraucht wird, wenn Gott durch das Mittel der Taufe handelt.268 Die Verwobenheit der Amtsträger, die unter anderem die vorgesehenen Spender der Taufe sind,269 mit 264 Pr. 1923 [R] WA 49,140,32–34: „Deshalb sende ich [euch], damit ihr durch die ganze Welt lauft und andere Prediger einsetzt, die auch laufen, predigen und tun, denn ich und ihr [gehen zusammen] bis ans Ende der Welt.“ („Ideo mitto, ut curratis per totum mundum et constituatis alios praedicatores, qui auch lauffen, predigen und thun, quod ego et vos usque ad finem mundi.“). 265 S.o. bei Anm. 183–184. 266 Pr. 1923 [R] WA 49,141,33: „[…] instituit, ut communicentur nobis per ministros […].“ 267 Pr. 1923 [R] WA 49,141,42: „institutum a Deo“. 268 Interessant ist das Beispiel eines Handwerkers, das Luther in einer Predigt über die Taufe anführt, Pr. 1863 [R] WA 47,656,20–22: „[Erstens,] die Taufe ist von Gott gestiftet und ist sein Werk. Zweitens, er hat sie doch [so] gemacht, dass wir eine Hand hinzutun. [Es ist] wie ein Zimmermann[, der] eine Feile [verwendet], und gleichwohl schafft er selbst das Werk.“ („Baptismus institutum opus Dei, 2. quod facit tamen, quod addimus manus ut faber limam, et tamen ipse facit opus.“). Das Beispiel ist folgendermaßen zu verstehen: Gott ist der Handwerker, und die Taufe ist sein Werk, das er selbst schafft. Um dieses Werk zu schaffen, verwendet Gott die Hand eines Menschen, wie ein Handwerker eine Feile verwendet. Diese Deutung wird von der Nachschrift von Stoltz untermauert ([S] WA 47,656,38–657,22): „Es ist also zu glauben, dass Gott die Taufe gestiftet hat, und dass es sein Werk ist. Darüber hinaus [ist es zu glauben], dass er dieses Werk noch tut, wenn auch durch Instrumente. [Es ist] wie[, wenn] eine Feile Eisen abschleift, [so tut sie dieses Werk] sicherlich nicht durch sich selbst, sondern weil sie von der Hand des Handwerkers geführt wird.“ („Credendum ergo, quod Deus instituerit baptismum et sit eius opus, Deinde quod etiam operetur ipse, licet per instrumenta, sicut lima arrodit ferrum, non quidem per se, sed quia ducitur manu artificis.“). 269 Pr. 1693, [R] WA 46,168,2–4: Luther betont, dass er die Lehre und das Spenden der Taufe den (zukünftigen) Dienern beizubringen versucht. Die „ministri“, d. h. die Amtsträger, sind die vorgesehenen Spender der Taufe (Für „minister/ministri“ siehe WA 46,170,6 im Kontext von 46,170,4–21 und auch 46,173,9. „Minister“ ist ein Titel, mit dem die ordinierten

Die Instrumentalität der Amtsträger anhand von Pr. 1574 und Pr. 1882

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den aufgelisteten Mitteln kommt auch dadurch konsequent zum Ausdruck, dass die Hand des absolvierenden Beichtvaters den selben Rang haben kann wie das Wasser der Taufe und wie Brot und Wein beim Sakrament des Altars. Ebenso [sagen] die Wiedertäufer : [„]Ist es nicht große Blindheit, [wenn es behauptet wird], dass eine Handvoll Wasser, die eine Kuh trinken könnte, die Seele reinigen sollte?[!] Pfui über das Bad![“] […] Da [sagt] die Vernunft: [„]Wasser ist Wasser. Ein Hund [könnte] es auflecken.[“] […] Ebenso: [„]Was soll es sein, dass man dir Brot und Wein reicht, [der] am Weinstock gewachsen ist, [das] im Backofen gebacken ist?[!“] […] Ebenso: [„]Ich lege dir die Hand auf [und] du hast die Vergebung der Sünden.[“] Da [sagt] die Vernunft: [„]Bist du toll und töricht?[!] Soll die Sünde weggenommen, wenn ein ohnmächtiger Pfaffe [dir] die Hand auflegt oder [auf dich] Wasser gießt[?!] Nein[!] Der Geist muss es tun. Was [soll] das Wort[270] [denn tun]? […][“]271

Die Hand, das Instrument des Spendens, der Spender – dies ist in Luthers homiletischer Darstellung kein Anhängsel zu einer notwendigen Ordnung, sondern das Instrument des Spendens – nämlich der Spender – ist zusammen mit den gespendeten Mitteln zu sehen.272 Bezogen auf die Taufe endet die Inanspruchnahme von Mitteln nicht beim Wasser, sondern erreicht auch die Hand des Täufers.273 Diese Verwobenheit tritt noch stärker hervor, wenn Luther dem Amt und insofern den Amtsträgern eine schützende Funktion für die aufgelisteten Mittel zuschreibt. Gott schützt die Taufe in der Gegenwart, indem er durch die Amtsträger über die Taufe predigt.274 Die Predigt der Schrift, die im Gottesdienst

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Amtsträger bezeichnet werden: siehe z. B. SA-III,IX [BSLK 456,22 und 35] und SA-III,X,2 [BSLK 458,7 und 21]). Die Laientaufe wird im Unterschied zum normalen Taufen als eine Notmaßnahme bestimmt: WA 46,168,4f und 46,170,6–9. Pr. 1891 [S] WA 47,842,27 ergänzt mit „Was [soll] das mündliche Wort [denn tun]?“ („Quid vocale verbum?“; Hervorhebung JM). Pr. 1891 [R] WA 47,842,2–11: „Item Anabaptistae: non magna coecitas, quod pugillus aquae purificaret animam, quam bibit vacca? pfu des bads an. […] Ibi ratio: Aqua est aqua, hund der leckts, […] Item was sol das sein, das man dir reicht Brot und wein, am weinstock gewachsen, im backofen gebacken? […] Item impono tibi manum, habes remissionem peccatorum. Ibi ratio: Bistu toll und toricht? sol die sunde wegnemen, si ein onmechtiger pfaff die hand aufflegt vel wasser geusst. Nein, der Geist mus thun. Quid verbum?“ Wasser, Brot und Wein, und die Hand des Pfaffen sind alle mit Gottes Wort nach Gottes Befehl verbunden. „[H]ominem […] domi“ (WA 47,842,15) weist auf den Haushalter der Pfarrkirche, der fähig ist, solchen Irrlehrern zu widerstehen. Pr. 1863 [R] WA 47,656,13f: „Aber [Gott] selbst hat die Taufe [so] anvertraut, dass wir doch [unsere] Hand hinzutun und sie immer noch sein eigenes Werk [ist].“ („Sed ipse commisit baptismum, ut tamen manum addamus, et tamen opus ipsius.“). Bei dieser Stelle in Pr. 1863 weist „wir“ implizit auf die Amtsträger, weil die Nottaufe am Ende der Predigt extra thematisiert wird; siehe WA 47,657,4ff. Pr. 1577 [R] WA 41,469,10f: „[…] sie sind nicht vom Pfarrer getauft sondern von einem Diener Christi, durch dessen Hand Christus die Taufe gibt, […]“ („[…] baptisentur non a parocho, sed a Christi ministro, per cuius manum det Christus baptismum, […]“). Pr. 1697 [R] WA 46,172,9–173,16 und [S] WA 46,172,35–173,21.

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Der Aspekt der Instrumentalität

geschieht, schützt das Wort und die Sakramente vor Missbrauch und die Zuhörer vor Irrlehren.275 Die aufgelisteten Mittel werden nicht ohne die Amtsträger gedacht. Deshalb kann Luther vom Amt und von den Amtsträgern als von solchen Mitteln reden, denn die Amtstäger werden umgekehrt nicht ohne die aufgelisteten Mittel gedacht. „[,Wir sind] Haushalter Christi, durch die ihr geglaubt habt. Christus sandte [uns] als seine Diener, die das Amt verwalten, durch das ihr selig werdet.[‘]“276 Der Amtsträger mit dem Wort, das er zu predigen hat, und mit den Sakramenten, die er darzureichen hat, ist das, was man vom geistlichen Regiment Christi zu sehen bekommt.277 Fast nur bei seinen polemischen Angriffen spricht Luther über Amt und Amtsträger ohne gleichzeitig die Predigt, die Taufe, die Absolution und das Sakrament des Altars zu nennen. Und für diese Angriffe bilden bestimmte Missbräuche der spätmittelalterlichen Kirche des Abendlandes die Voraussetzung. Die Verwobenheit der Amtsträger mit den Mitteln wird andererseits erkennbar durch die Irrlehre(n), die Luther erwähnt und ablehnt. Es ist bemerkenswert, dass es gerade der sündige Amtsträger bzw. seine Hand ist, die nach Pr. 1574 den Stolperstein für die Wiedertäufer ausmacht. Nach Luthers Worten ist es im Verständnis der Wiedertäufer unmöglich, dass jemand durch die Hand eines sündigen Amtsträgers von seinen Sünden gewaschen werden soll.278 In dieser Hinsicht setzt Luther die Wiedertäufer mit den Donatisten gleich und erklärt, dass Gott durch Judas und die falschen Apostel doch gesprochen und gehandelt habe. „Der HErr Christus hat [die Kirche] gesteuert durch Judas und die falschen Apostel, die das Amt hatten […].“279 „Judas war freilich nur treu im Amt.“280 Luther bestätigt einerseits, dass Amtsträger fromm und tüchtig sein sollen. Aber andererseits muss der Amtsträger nicht unbedingt fromm, tüchtig oder gläubig sein, damit Christus durch ihn spreche und handle.281 Es liegt auf der Hand, dass es sowohl bei der Lehre, die Luther festhalten und vermitteln will, als auch bei der Lehre, die er ausdrücklich ablehnen will, um ein umfassendes 275 Pr. 1891 [S] WA 47,841,29–32: Im Kampf um die Zuhörer richtet der Teufel sozusagen seinen Angriff auf das Wort und die Sakramente, um diese zu vernichten. Das Wort und die Sakramente sowie die Zuhörer werden durch das Wort der Schrift, das die Prediger zu predigen haben, vor Satan und seinen Angriffen geschützt: [R] WA 47,844,18f mit 47,846,10–12. Vgl. Pr. 1574 [R] WA 41,458,32–36. 276 Pr. 2018 [R] WA 51,97,25f: „Oeconomi Christi, per quos credidistis. Christus emisit ut suos ministros, qui funguntur offitio, per quod salvamini.“ Den theologischen Inhalt, den Luther hier von I Kor 3,5 und 4,1 hat, bezieht er durch die ganze Predigt auf die Amtsträger. 277 Pr. 1902 [R] WA 49,21,33f und 49,22,15f im Kontext von 49,21,27–22,18. 278 Pr. 1574 [R] WA 41,455,29–456,4. 279 Pr. 1574 [R] WA 41,455,31f: „Dominus Christus gesteurt mit Juda et pseudoapostolis, qui habuerunt officium […].“ 280 Pr. 1574 [R] WA 41,458,27f: „Iudas scilicet tantum trew in ampt.“ 281 Pr. 1574 [R] WA 41,458,24–32. Vgl. Anm. 279–280 oben. Siehe auch Pr. 1903 [R] WA 49,28,40–29,30 und CA VIII (BSLK 62).

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Verständnis von Mitteln und Mittelbarkeit geht. Für Luther ist die Hand des Spenders – wie Wasser, Brot und Wein – nicht gering zu schätzen. Seine Kontrahenten aus linken Strömungen der Reformation lehnen hingegen Hand und sündige Amtsträger zusammen mit dem Wasser, Brot und Wein ab: Sie mögen für Hunde, Kühe und die Ernährung des Leibes geeignet sein, aber nicht für die Vermittlung des Heils.282 Pr. 1574 macht deutlich, dass Luther an zwei theologischen Fronten zu kämpfen hat,283 aber sein Streit mit dem Papst und seinen Anhängern liegt nicht in einer unterschiedlichen Auffassung von der Konkretheit und Leiblichkeit des mittelbaren Sprechens und Handelns Gottes durch bestimmte Mittel, die auch die Amtsträger umfassen. Luther kritisiert vielmehr, dass gerade diese von Gott eingesetzten Mittel durch Missbräuche und menschliche Traditionen verdunkelt, vernachlässigt284 oder sogar vorenthalten285 wurden. „Man muss also menschliche Stiftungen [von den Stiftungen Gottes] so weit unterscheiden, wie der Himmel von der Erde getrennt ist. Der Papst hat menschliche [Stiftungen] vor den [Stiftungen] Gottes bevorzugt […].“286 Im Blick auf die vermittelnde Rolle der Amtsträger kann wohl auch Luther als ein Amtsträger sagen, dass Christus, der durch ihn spricht, durch ihn empfangen wird.287 6.2.3.4 Wozu die Mittel? Einige theologische Schlussfolgerungen, die aus den oben getroffenen Feststellungen gezogen werden können, werden im 9. Kapitel entfaltet. Es muss aber an dieser Stelle schon vom Zweck oder Ziel dieser Mittel gesprochen werden, sonst werden wir Luthers Verständnis und Darstellung der oben erörterten Mittel nicht gerecht. Luther nennt nicht einfach den einen oder anderen Zweck, sondern eine große Vielfalt von Zwecken, zu denen diese Mittel dienen. Durch sie wird der 282 S.o. Anm. 271. 283 Vgl. auch die Ordinationsrede zum Ordinationsformular H. (WA 41,763,16f): „Tyrannen, Schwärmer und falsche Brüder“ („tirranos, schwermeros et falsos fratres“). 284 Nach Pr. 1882 werden die von Gott eingesetzten Sakramente durch Sakramentalien, die von Menschen stammen, verdunkelt und vernachlässigt: [R] WA 47,784,6–11; zur weiteren Diskussion über Sakramente und Sakramentalien siehe 6.3.2 unten. 285 Nicht nur wurde den Laien der Kelch vorenthalten, sondern den Anhängern der Wittenberger Reformation wurde auch die Ordination ihrer zukünftigen Amtsträger vorenthalten: Pr. 1574 [R] WA 41,456,16–18; 41,456,35–457,8; 41,457,33–38. 286 Pr. 1863 [S] WA 47,653,29f: „Discernandae sunt ergo institutiones humanae tantum, quantum coelum et terra separatur. Papatus praeposuit humana divinis […].“ Vgl. [R] WA 47,653,2–654,7: Luther tadelt den Papst und seine Anhänger, weil sie Menschen von den gestifteten Mitteln wegführen, die in ihren lokalen Pfarrkirchen und Ortsgemeinden zu finden sind. 287 Pr. 2018 [R] WA 51,98,14,22f.

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Der Aspekt der Instrumentalität

Glaube geschenkt, werden Sünden vergeben.288 Durch sie errettet Christus Menschen und bringt sein Reich zu ihnen.289 In ihnen und durch sie lokalisiert Christus sich.290 Durch sie wird der Heilige Geist, der Heiligmacher, ausgegossen, und durch sie handelt er, um die Hörenden und Empfangenden zu heiligen.291 Durch diese Mittel wird die Kirche geboren, regiert und geschützt.292 Wenn das Heil von einem Gnadenbegriff her verstanden wird, wäre der Terminus „Gnadenmittel“293 nicht unzutreffend. Bei der ganzen Vielfalt von Zwecken geht es immer um die Vermittlung der heilsamen Präsenz Christi:294 Christus ist in der Gegenwart mittelbar anwesend, eben durch die Mittel, die er selbst gestiftet und befohlen hat. Pr. 1574 macht sehr deutlich, dass das Amt und die Amtsträger zu diesen Mitteln und zu dieser mittelbaren Präsenz Christi gehören: Ein Pfarrer stirbt nach dem Anderen; das Amt bleibt. Wenn das so ist, dürfen wir andere an die Stelle setzen. […] [Er sagt, „]Ich, der ich gestorben war, bin bei euch.[“] Er hat kein besseres Amt als [die], die [es] jetzt führen, denn alles ist Gottes.295 Ihr sollt beten, dass der HErr bleibe, das ist, dass Pfarrer, Täufer und die Sakramentsreichenden erhalten werden, wie er geordnet hat.296 Darum betet, dass Christus mit seinen Predigern präsent sei, wie er versprochen hat, durch sie zu regieren.297 288 Glaube: Pr. 2011[R] WA 51,58,26f (diejenigen, die den Glauben „pflanzen“, sind die Apostel und die jetzigen Amtsträger; s. o. Anm. 172: die Zeugung von geistlichen Kindern); vgl. CA IV und V (BSLK 56 und 58): Aufgrund dieser zwei Artikel könnte man von „Glaubensmitteln“ sprechen. Vergebung der Sünden: Pr. 1891, s. o. Anm. 271. 289 Pr. 1902 [R] WA 49,21,28–22,18. 290 Pr. 1854 [A] WA 47,596,13–20; die Betonung der lokalen Pfarrei in Pr. 1854 kann nicht übersehen werden. 291 Pr. 1546 [R] WA 41,263,10–12; 41,264,30–32; 41,265,5–16; 41,266,12–14; 41,267,23–25. 292 Pr. 1729 [R/S] WA 46,423–427. Für Regiment und Regieren siehe [R] 46,423,20–425,11 und [S] 46,424,24–425,25. Die Mittel des gebärenden, regierenden und schützenden Werks des Heiligen Geistes werden in der Predigt unterschiedlich angesprochen: In Bezug auf das Wort – Zungen: [R] WA 46,424,20 und [S] 46,424,27f; Lehre: [R] 46,425,10; mündliches, gepredigtes Wort: [R] 46,425,4, 8, 11 und 16 und [S] 46,425,23; Evangelium: [S] 46,424,26f. In Bezug auf die Sakramente – Allgemein: [R] WA 46,425,16; 46,426,2f; 46,427,15 und [S] 46,424,27; 46,425,23f; Taufe: [R] 46,424,19; 46,425,4 und 8; 46,426,1(Taufritus), 6f und 15, und [S] 46,426,27 und 30f; Abendmahl: [R] 46,424,12; 46,426,2; Absolution [R] 46,425,4f, 8 und 15; 46,427,15 und [S] 46,424,27. 293 Pelikan, „Theology of Means of Grace“; vgl. Kliefoth, Acht Bücher, S. 132–231: „Zweites Buch. Von den Gnadenmitteln und ihrem Amte“. 294 Piepkorn, „Christ Today“, bes. Teile II–VII und IX. 295 Pr. 1574 [R] WA 41,457,1–7: „1 pfarrher stirbt nach dem andern, ampt bleibt. Si hoc mogen wir andere an die stad setzen. […] Ego vobiscum, qui mortuus est, non habet melius officium quam, qui iam praesunt. Omnia enim dei.“ 296 Pr. 1574 [R] WA 41,458,13f: „Debetis orare, ut dominus maneat pfarrer, teuffer, Sacraments reicher i. e. ut serventur, ut ordinavit.“ 297 Pr. 1574 [R] WA 41,459,5f: „Ideo rogate, ut Christus adsit suis praedicatoribus, ut promisit

Ein homiletisch vermitteltes Verständnis der Ordination

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Die konkrete, mittelbare, gnädige Präsenz Christi, die seine Präsenz durch die Amtsträger einschließt, betrifft schließlich den Kern von Luthers Theologie und das Zentrum der ganzen Reformation. Nach Luther wird Rechtfertigung allein aus Gnade unter Ausschluss aller Werke des Menschen durch Gottes mittelbares Handeln und Sprechen ermöglicht und vollzogen. In Pr. 1546 lässt sich das Verhältnis von Gottes mittelbarem Handeln und Sprechen durch die Amtsträger und der Rechtfertigung erkennen. Die Rechtfertigungslehre ist der Scopus dieser Predigt: Soll der Mensch durch seine Werke oder ohne seine Werke heilig sein? Wird etwas vom Menschen erwartet, oder handelt Gott gnädig an ihm, durch bestimmte Mittel?298 Luthers Antwort ist eindeutig: Menschen, Christen werden ohne alle ihre Werke heilig. Der Heilige Geist macht sie durch bestimmte Mittel heilig, und diese Mittelbarkeit schließt eine Selbstbeteiligung an ihrer eigenen Erlösung aus. Das Korrelat zu „ohne alle unsere Verdienste [und] Werke“299 bildet „nur durch die Predigt der Apostel.“300 „Nur die Apostel machen ihren Mund auf; sie hören [nur].“301 Eine Rettung, eine Rechtfertigung, die durch bestimmte Mittel gewirkt wird, die durch bestimmte Menschen an den Mann und die Frau gebracht wird, ist eine Rechtfertigung allein aus Gnade ohne alle Werke und Leistungen des gerechtfertigten Menschen. Rechtfertigung und das Heil sind Geschenke im reinsten Sinn, denn sie werden durch bestimmte Mittel konkret zugegeben ohne alles Mitwirken der passiv empfangenden Menschen.

6.3

Pr. 1574 und Pr. 1882 als Ordinationspredigten: Ein homiletisch vermitteltes Verständnis der Ordination

Im Teil 6.2 wurde Luthers vielfältige Redeweise von den Amtsträgern als Instrumente und Mittel präsentiert und entfaltet, nach der sie selbst allemal Instrumente und Mittel sind. Sie sind mit den anderen Mitteln des konkreten und gnädigen Sprechens und Handelns Gottes verwoben, und ihnen sind die anderen Mittel – Wort und Sakramente – anvertraut, damit sie die austeilen. Diese wesentlich amtstheologischen Feststellungen wurden weitgehend aus Pr. 1574 und Pr. 1882 gewonnen und von ihnen her entfaltet. Bei aller intensiven Beschäfti-

298 299 300 301

per eos regirn, […]“ Vgl. WA 41,454,21–25 (die mittelbare Präsenz Christi ist eben „geistlich“); 41,455,21–24. Pr. 1546 [R] WA 41,266,7–12. Pr. 1546 [R] WA 41,263,8: „sine omnibus nostris meritis, operibus“ (Hervorhebung JM). Pr. 1546 [R] WA 41,263,11: „tantum per praedicationem Apostolorum“ (Hervorhebung JM). Pr. 1546 [R] WA 41,263,14: „[…] tantum aperiunt Apostoli os, ipsi audiunt etc.“ (Hervorhebung JM). Vgl. WA 41,263,17: „nur aus Hören“ („tantum ex auditu“) mit Gal 3,2.

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Der Aspekt der Instrumentalität

gung mit diesen beiden Predigten blieb aber noch ein wesentlicher Aspekt unerörtert: Pr. 1574 und Pr. 1882 sind beide Ordinationspredigten!

6.3.1 Pr. 1574 und Pr. 1882 als Ordinationspredigten In Pr. 1574 gibt Luther direkt an, dass er sehr bewusst diese Predigt in einem Gottesdienst hält, in dem eine Ordination stattfinden wird: „Das [alles] dient als Vorrede, denn wir sind [nun] dabei, jemanden für eine andere Kirche zu ordinieren.“302 Dieser „jemand“ dürfte Johannes Golhart oder Moritz sein, der dann nach Gotha gesandt wurde.303 Insofern ist diese Predigt, die Luther jedoch nicht einfach „zum Thema“, sondern über Mt 28,18–20 hält, seit langem als „Vorrede“ zu der Ordination vom 20. 10. 1535 – der ersten geregelten Ordination eines Kandidaten für eine andere Kirche – anerkannt worden. Sie gehört zu einer Gruppe von Quellen, aus denen die historischen Entwicklungen und Umstände größtenteils erschlossen werden können, die zu der im Jahre 1535 durch den Kurfürsten erfolgten Einrichtung der zentralen Ordinationen geführt haben.304 Da diese Predigt in der wissenschaftlichen Literatur schon mehrfach historisch eingeordnet wurde, können wir uns auf eine inhaltliche theologische Auswertung beschränken.305

302 Pr. 1574 [R] WA 41,457,33f: „Das ist zur vorrhede, cum simus ordinaturi aliquem in aliam Ecclesiam.“ 303 Pr. 1574 [R] WA 41,458,6; siehe die Angaben zum Brief an Myconius bei Anm. 304 unten. Die Identität des Ordinanden ist jedoch umstritten: Vgl. WA Br 7,302 (Otto Clemen) mit Krarup, Ordination in Wittenberg, S. 189, Anm. 21. 304 Unter anderem siehe Pr. 1541 [R] WA 41,239,6–242,10 (vom 09. 05. 1535), bes. 41,240,10: „Wir gedenken [zum] ersten Mal, mit einem öffentlichen Gepränge zu ordinieren.“ („Nos gedenken 1 mal mit eim offentlichen gepreng ordinare.“); den Erlass des Kurfürsten Johann Friedrich vom 12. 05. 1535 in Drews, „Ordination, Prüfung und Lehrverpflichtung“, S. 288f; Luthers Brief an Friedrich Myconius vom 20. 10. 1535, WA Br 7,302f (Nr. 2263; Drews, „Ordination, Prüfung und Lehrverpflichtung“, S. 72, gibt 24. 10. 1535 an); auch die der Pr. 1574 verwandte Vorrede zum Ordinationsformular H. bei WA 41,762,18–763,18. Dass die der Wittenberger Reformation anhängenden Kirchen eines Tages selbst regelmäßige Ordinationen vornehmen müssten, konnte schon nach dem Reichstag zu Augsburg vermutet werden; siehe WA Br 5,700,12–15 (Nr. 1762 vom 16. 12. 1530). Für eine Diskussion der Quellen und die historischen Umstände siehe vor allem Drews, „Ordination, Prüfung und Lehrverpflichtung“; Krarup, Ordination in Wittenberg, S. 183–209; und Lieberg, Amt und Ordination, S. 181–191. 305 Für Pr. 1574 in der Literatur siehe: Lieberg, Amt und Ordination, S. 96 (Anm. 134), 109 (Anm. 37), 123, 125, 164, und 186–188; Stein, Das kirchliche Amt bei Luther, S. 194 (Anm. 66) und 196 (Anm. 78); Smith, Luther, Ministry and Ordination Rites, S. 66–68 und 98; Goertz, Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt, S. 106 (Anm. 49) und 305 (Anm. 28); Krarup, Ordination in Wittenberg, S. 184–208; geschichtlich gesehen mag WA 41,457,33–458,14 „[d]er wichtigste Abschnitt“ dieser Predigt sein (Krarup, S. 186, Anm. 9),

Ein homiletisch vermitteltes Verständnis der Ordination

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Im Unterschied zu Pr. 1574 gibt die Nachschrift von Luthers Predigt vom 01. 06. 1539 nicht direkt an, dass eine Ordination stattfindet. Doch auch in Pr. 1882 kann man erkennen, dass Luther Bezug auf die Ordination von „Steffanus Meyer von Brombey bey Kalbe“ nimmt. Diesen, der „gein Kötzöhr bey Brandenburg“ berufen war,306 hat Luther selbst an diesem Tag ordiniert. Ob Pr. 1882 in diesem Ordinationsgottesdienst selbst gehalten wurde, muss offen bleiben. Eine textanalytische Untersuchung der Predigt lässt mehrere Stellen erkennen, bei denen Luther den gebildeten „Schulmeister Zu Beiern“ entweder direkt anredet oder auf ihn hinweist: Vielmehr, wenn [er dir] einen guten Verstand, Urteilskraft gegen die Häretiker, eine gute Stimme und einen gesunden Körper gegeben hat [und] wenn du ein gelehrter Lehrer bist, ist [es] gut. Danke [Gott] und bete, dass du die Gaben recht gebrauchst.307 [Was für eine] erstaunliche Predigt, dass einer ein gelehrter, feiner Mann sein soll und die Gaben des Heiligen Geistes haben [soll], aber er wird nicht dienen [usw.], weil [er sie nicht] zu Nutzen seines Nächsten gebraucht[!]308

Der Ordinand wird in sein neues Amt homiletisch begleitet und geleitet, während die ganze Gemeinde einen Unterricht über Gottes Gaben in allen Ständen bekommt.

aber theologisch nicht! Nur Lieberg (S. 186–188) bietet eine kurze theologische Wertung von Pr. 1574 an. 306 Buchwald, Ordiniertenbuch, S. 4, Nr. 50. Bisher wurde die Ordinationsbezogenheit von Pr. 1882 nicht erkannt, also findet die Predigt keine entsprechende Erwähnung in der Literatur. Ihre Nachwirkung hat sie gefunden, als sie in Crucigers Sommerpostille von 1544 für die zweite Hälfte der Predigt auf den Sonntag nach der Himmelfahrt aufgenommen wurde; siehe WA 47,xxiii und WA 21,417,24–423,16; für diese Anmerkung, die in Alands Hilfsbuch fehlt, habe ich Christopher Boyd Brown und Benjamin T. G. Mayes, den Herausgebern der Erweiterung von Luther’s Works, zu danken. Leider weist die Sommerpostille mehr Adaptierung als Aufnahme des eigentlich Gepredigten auf. 307 Pr. 1882 [R] WA 47,781,32–34: „Multo magis, si dedit ein hoch verstand, iuditium contra Haereticos, ein gut stim, sanum corpus, es doctus Magister, ist gut: gratias age et ora, ut donis recte utaris.“ 308 Pr. 1882 [R] WA 47,780,27–29: „Mirabilis praedicatio, das einer sol ein gelerter, feiner Man sein et habere dona Spiritus sancti, non serviat & c. quia non proximo zu nutz.“ Diese und andere ähnlichen Aussagen in der Predigt müssen nicht als abwertende Angriffe auf Meyer verstanden werden. Luther nennt ihn indirekt einen gelehrten Mann und nutzt die Gelegenheit, eine allgemeine Warnung vor der Verkehrung solcher Gaben wie Gelehrsamkeit zu geben. Luther stellt sich sozusagen auf die Seite des Ordinanden als einer, der selbst solche Gaben verkehren kann; siehe WA 47,781,3: „[Schaut] hierher [–] hier ist der Mann[!]“ („hie her, hie ist der man.“) oben bei Anm. 105. Weitere Anreden an den Ordinanden bei WA 47,482,5f und 10f; 47,783,13, 34f und 37f; weitere Bezugnahmen auf ihn bei 47,780,35; 47,781,9–11 und 21f.

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Der Aspekt der Instrumentalität

6.3.2 Theologische Feststellungen bezüglich der Ordination Anhand dieser beiden Predigten gewinnen wir Einblick nicht nur in Luthers Verständnis des kirchlichen Amtes und in die aktuale Präsenz Christi in ihm, sondern auch in das Verständnis der Ordination, wie Luther es von der Kanzel her zum Ausdruck brachte und wie es schließlich in den Gottesdiensten, in denen ordiniert wurde, liturgisch vermittelt wurde. Eine erste Feststellung, zu der wir gelangen können, ist, dass Luther von der Einsetzung ins Amt, die im Ritus der Ordination vollzogen wird,309 genauso sprechen kann wie vom Evangelium, von der Taufe und von der Absolution. Christus, der vor seiner Himmelfahrt sein heiliges Evangelium und die Sakramente anvertraut und dann hinterlassen hat,310 hat auch das Einsetzen ins Predigtamt hinterlassen und anvertraut. „Solchermaßen haben wir vom Sakrament gesprochen, so [sprechen wir auch] von der Berufung ins Predigtamt, denn Christus hat [es] hinter sich gelassen.“311 Ferner listet Luther die Handauflegung der Ordination zusammen mit anderen Formen des mittelbaren Handelns Gottes auf: „Doch die Taufe, die Absolution, das Sakrament [und] die Handauflegung tun [das].“312 309 Dass die Einsetzung ins Amt sowie – in einer gewissen Hinsicht – die Berufung zum Amt (s. u. das Zitat bei Anm. 311) im Ritus der Ordination geschehen, wird im Laufe 6.3.2–6.3.4.1 entfaltet werden. 310 Pr. 1574 [R] WA 41,454,18–31. Vgl. WA 50,629,18; 50,631,8; 50,632,13f („Von den Konziliis und Kirchen“, 1539). 311 Pr. 1574 [R] WA 41,456,13f: „Sic de Sacramento diximus. Sic cum vocatione ad ministerium, quia Christus hindersich gelassen.“ Zweimal in der Predigt illustriert Luther Gottes Handeln in der Ordination mittels Illustrationen von seinem Handeln in der Taufe: Hier bei WA 41,455,21–456,4 (41,456,4–9) und 41,456,9–28 und auch bei 41,457,19–24 und 41,457,24–32. Dass die Ausdrucksweise, „die Berufung ins Predigtamt“, zu einer Breite von Terminologien gehört, die das Einsetzen ins Predigtamt bezeichnen, das im Ritus der Ordination vollzogen wird, wird unten bei 6.3.3 gezeigt werden. 312 Pr. 1882 [R] WA 47,784,9f. „Tamen facit baptismus, absolutio, Sacramentum, impositio manuum.“ Eine Handauflegung kann sowohl auf die Beichte als auch auf die Ordination verweisen. Da in dieser Liste die „absolutio“ schon namentlich genannt wurde, bezieht sich die „impositio manuum“ zweifellos auf die Ordination. Vgl. WA 43,600,25–27 (GenesisVorlesung, 1535–1545): „Also ist die Handauflegung nicht eine menschliche Tradition, sondern Gott macht und ordiniert Kirchendiener. Weder ist es der Pastor, der dich absolviert, sondern der Mund und die Hand des Kirchendieners ist der Mund und die Hand Gottes.“ („Sic impositio manuum non est traditio humana: sed Deus facit et ordinat ministros. Nec pastor est, qui te absolvit: sed os et manus ministri est os et manus Dei.“); im Kontext wehrt sich Luther gegen die generelle Tendenz der Wiedertäufer und der Sakramentierer, Gott von konkreten Mitteln zu trennen; vgl. „Gott im Wasser“ („Deum in aqua“; WA 43,600,21). Krarup, Ordination in Wittenberg, S. 259–262 (siehe S. 260, Anm. 71) macht den Versuch, diese Aussage von Luthers Genesis-Vorlesung abzusetzen, aber dieser Versuch ist in mehreren Hinsichten fehlerhaft: Krarup kann den theologischen Inhalt der Aussage Luthers nur durch die unangemessene Heranziehung einiger sakramentstheologischer Kategorien und Begriffe (Sakrament, ius divinum, Sakramentstheologie, usw.) vermindern;

Ein homiletisch vermitteltes Verständnis der Ordination

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Für Luther ist die Einsetzung ins Amt, die im Ritus der Ordination geschieht, keine menschliche Angelegenheit, sondern eine Handlung, die auf das Wort Gottes, die Heilige Schrift, zurückgeführt werden kann – ja, eine Handlung, die man auf Gottes Wort zurückführen können muss, wenn ihr Gebrauch in der Kirche theologisch verantwortet werden soll. Dies beweist die Frage, „Woher?“, die immer wieder in Pr. 1882 gestellt wird.313 Die Taufe, und auch die Absolution, kann Luther auf Stiftungen in der Schrift zurückführen: Mt 28,19 und Mk 16,15f bzw. Mt 16,19 und Joh 20,23.314 Andererseits aber können der Papst und seine Anhänger weder die von ihnen praktizierte Einsetzung ihrer bestimmten Geistlichen noch ihren weit verbreiteten Missbrauch der Sakramentalien auf diese Weise verantworten. Entweder ist das, was in der Kirche gefeiert und praktiziert wird, in der Schrift begründet, so dass man bei allen Amtshandlungen und Aufgaben des kirchlichen Amtes ein gutes Gewissen haben kann,315 nur mittels eines bestimmten Sakramentsbegriffes kann er sagen, was die Handauflegung nicht sei. Obwohl seine Bemerkungen zu den Revisionstendenzen Veit Dietrichs richtig sein mögen, werfen sie die Frage doch zugleich auf, warum Dietrich (angebliche) Aussagen Luthers, die möglicherweise „die Legitimität seiner eigenen Amtsausübung in Frage“ stellen (S. 261, Anm. 73), überhaupt in seinem überarbeiteten Text der Vorlesung stehen ließ, wenn er sie sowieso so freizügig verändert hat. Eine viel bessere Interpretation: Diese Sätze sind da, weil sie auf Aussagen Luthers zurückgehen. Pr. 1882 [R] WA 47,784,9f beweist, dass Luther die Handauflegung zu den mittelbaren leiblichen Handlungen Gottes rechnen kann und gerechnet hat: Gott selbst handelt durch die Handauflegung und die Amtsträger sind die Mittel, die er dafür verwendet. Es würde Luthers Auffassung nicht treffen, wenn man nur behaupten könnte, dass „Gott selbst durch die Ordination handelt.“ (Krarup, Ordination in Wittenberg, S. 260; Hervorhebung JM). Vgl. die Deutung dieser Stelle aus der Genesis-Vorlesung bei Lieberg, Amt und Ordination, S. 210f, die unsere Ergebnisse hier untermauert. 313 Diese für Pr. 1882 äußerst wichtige Frage wird sechsmal gestellt: [R] WA 47,783,28 und 30 (in Bezug auf die Taufe); 47,783,40 (in Bezug auf das Machen von Mönchen und anderen Geistlichen); 47,784,8f (in Bezug auf die Sakramentalien [Weihwasser, geweihte Kräuter und Agnus Dei]); 47,784,14f (in Bezug auf die Ordination von Presbytern). 314 Pr. 1882 [R] WA 47,783,30–33 (Taufe) und 47,784,2–5 (Absolution). Bei der zweiten Stelle erkennt man den Streit zwischen Luther und den Anhängern des Papstes über die Interpretation von Mt 16,19: Mit diesem Vers will der Papst begründen, dass er die Macht habe, Regeln, Ordnungen, Zeremonien usw. in der Kirche einzusetzen. Nach Luther dagegen begründet Mt 16,19 die Macht, Sünden zu absolvieren und zu behalten. „[…] diese Macht haben wir, die glauben“ („[…] Hanc potestatem habemus qui credimus“) weist auf Luthers feste Überzeugung hin, dass Christen als Christen diese Macht passiv haben. Die passive Natur des Habens der Gläubigen wird durch die Art und Weise, die Luther Joh 20,23 zitiert, gezeigt (WA 47,784,4): „Wen er lassen will, [der ist] gelassen, losgesprochen [und frei].“ („Wen ers wil lassen gelassen, los gesprochen sein & c.“). Die Nachwirkung der Tatsache, dass Christen als Christen die Macht der Schlüssel passiv – also als Empfangende haben –, ist die, dass sie nicht ohne Amtsträger sein sollen und sein können: Es wäre ein Widerspruch, wenn Menschen, die nach dem Willen Christi vergeben oder absolviert werden sollten, der Mittel beraubt wären, durch die ihnen Vergebung zukommt. Auf passives Haben und aktives Haben wird bei 7.3 näher eingegangen werden. 315 Pr. 1574 [R] WA 41,456,29–38; Pr. 1882 [R] WA 47,783,24–27.

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oder es ist den frommen Gedanken des Menschen entsprungen und von ihm erfunden.316 Folglich werden sie entweder aus einem von Gott gegebenen Vermögen getan, oder sie gründen sich auf ein nur menschliches Vermögen.317 Was auch immer in der Kirche gefeiert und praktiziert wird, muss sich für Luther dieser Woher-Frage stellen. Wenn eine Handlung nicht auf die Schrift zurückgeführt werden kann und wenn am Ende nicht gesagt werden kann, dass es Gott selbst ist, der in ihr tätig ist, so gehört diese Handlung nicht in den gottesdienstlichen Rahmen des „Brautkämmerleins“, wo allein Christus selbst reden und handeln will. Die Einsetzung ins Amt, im gottesdienstlichen Ritus der Ordination vollzogen, wird der Woher-Frage gerecht: Luther begründet das Ordinieren von Presbytern mit Berufung auf die Schrift in einer Kombination von II Tim 2,2 mit I Tim 3,1. Wer würde „[i]n der Kirche“, in der „nichts als Gottes Wort gelehrt werden“ soll, – in der nur das geschehen soll, „was er selbst geordnet hat“, – Presbyter ordinieren, „[w]enn er nicht geordnet hätte, dass die Kirche Prediger aufstellen soll“?318 Luther jedenfalls nicht. Aber gerade weil er anerkennt, dass die Ordination von Gott gestiftet und geordnet ist, wird Luther nun Steffanus Meyer mit gutem Gewissen ordinieren. Dieses Einsetzen wurde auch von Christus „hinterlassen“, und dabei wird dem Ordinanden das Predigen und Lehren des Wortes und die Verwaltung der Sakramente anvertraut.319 Bemerkenswert ist auch, dass Luther von einer Einsetzung ins Amt spricht, im Ritus der Ordination vollzogen, im gleichen Zusammenhang, in dem er auch von den Sakramenten spricht, ohne aber dieses Einsetzen direkt ein Sakrament zu nennen. In dieser Hinsicht ist von besonderem Interesse die Erwähnung und Behandlung einiger Sakramentalien in Pr. 1882.320 Ehe die Siebenzahl der Sakramente festgelegt wurde, wurden schon früher im Mittelalter sogenannte sacramenta praeparatoria und sacramenta salutaria von den kirchlich-liturgischen Gebräuchen, Zeremonien und Benediktionen unterschieden. Diese, später „Sakramentalien“ genannt, hatten nur eine zeichenhafte, deutende und illustrierende Funktion, bewirkten aber im Unterschied zu den „Sakramenten“ nichts. Ohnehin konnten sie weder eine Einsetzung durch Christus oder die Apostel beanspruchen, wie es die mittelalterliche Theologie schließlich für die 316 Pr. 1882 [R] WA 47,783,20–23 und 32. 317 Pr. 1882 [R] WA 47,783,34f et passim. 318 Aus Pr. 1882 [R] WA 47,784,15–18: „Si non ordinasset, quod Ecclesia sol prediger auffstellen, quis vellet thun? Sic extra Ecclesiam thue, quod iustum. In Ecclesia nihil doceatur nisi Dei verbum, et fiat, quod ipse ordinavit.“. 319 S.o. Anm. 310 und 311. 320 Pr. 1882 [R] WA 47,784,4–18. Für weitere Behandlungen der Sakramentalien siehe WA 50,644,12–649,6 („Von den Konziliis und Kirchen“, 1539) und WA 50,670–673 („Von dem geweihten Wasser und des Papstes Agnus Dei“, 1539); auch bei WA 54,267,37–268,2 („Wider das Papsttum zu Rom“, 1545) werden sie genannt.

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„Sakramente“ feststellte.321 In seinen späteren Predigten pflegt Luther den theologischen Inhalt nicht unter scholastischen Kategorien wie „Sakramente“ und „Sakramentalien“ zu entfalten. Deshalb erfordert Pr. 1882, dass man genau hinschaut, um zu sehen, was Luther in dieser Predigt nun tatsächlich von verschiedenen kirchlich-liturgischen Riten sagt. Es ist offenbar, dass der Taufe, der Absolution, dem Altarssakrament und der Predigt eine sakramentale Bedeutung zukommt. Kräuterweihe, Weihwasser und das auf Wachs abgebildete Agnus Dei, allesamt Sakramentalien, werden kategorisch abgelehnt, weil die theologische Frage ihrer Herkunft („Woher?“) nicht beantwortet werden kann und auch weil sie in der Praxis die Menschen von den Gott-gestifteten Heils- bzw. Gnadenmitteln ablenken. Das auf Wachs abgebildete Agnus Dei ist mit dem Wein des Altarssakrament eben nicht zu vergleichen; das eine ist bloß eine Abbildung, das andere dagegen enthält und vermittelt das Blut des Lammes.322 Andererseits aber wird das Taufhemd beibehalten, weil dieser Brauch in der Taufliturgie gerade das zeigt und abbildet, was in der Taufe durch Wasser und Wort geschieht.323 Und die Ordination? Ob sie (eine) Gnade vermittelt, wird weder behauptet noch bestritten. Einiges ist jedoch klar : Erstens, für Luther beruht die Ordination auf einer göttlich-apostolischen Stiftung. Zweitens, der Ritus der Ordination bildet nicht lediglich etwas anderes ab, hat also nicht nur die Funktion eines Zeichens, sondern Prediger bzw. Presbyter werden im liturgischen Ritus der Ordination eingesetzt für den Dienst in der Kirche. Sie werden aufgestellt und ihnen wird anvertraut, das Wort Gottes zu predigen und die Schwachen mit Wort und Sakrament zu trösten.324 In Bezug auf Predigt, Taufe, Absolution und Altarssakrament hat die Ordination sozusagen eine zurüstende und vorbereitende Funktion.325 Drittens, die Handauflegung bei der Ordination wird in einer Auflistung den Handlungen Gottes zugerechnet.326 Jedoch findet sich bei Luther keine Kategorie, mit der er die Ordination unter die Sakramentalien einordnet und dadurch von den Sakramenten abgrenzt. Ob Luther die Ordination ein Sakrament nennt oder nicht nennt, ist nicht der homiletische Punkt;327 der 321 Für die Segenshandlungen, die später „Sakramentalien“ genannt wurden, und den Unterschied zwischen ihnen und den Sakramenten siehe Meßner, „Sakramentalien“, bes. S. 648–652. 322 Siehe Pr. 1882 [R] WA 47,784,10f. 323 Pr. 1882 [R] WA 47,783,28–30. 324 Pr. 1882 [R] WA 47,784,13f. 325 Vgl. „sacramenta praeparatoria“ oben. 326 S.o. Anm. 312. Zum Sakramentsbegriff s. o. Anm. 254. Insofern geht Krarup, Ordination in Wittenberg, S. 314 zu weit, wenn er meint, „ein sakramentales Verständnis der Ordination“ habe „keine Anhaltspunkte in den Quellen“. 327 Vgl. Apol 13 (BSLK 291–296): Zur Debatte steht nicht nur, was zum Begriff „Sakrament“ gerechnet werden kann, sondern vor allem wie der Begriff „Sakrament“ anhand der Einsetzungen und Verheißungen Gottes überhaupt erst definiert werden soll. „Sakrament“ ist, wie Luther in „Von den Konziliis und Kirchen“, 1539 (WA 50,642,32–643,5) bemerkt, ein

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homiletische Punkt ist vielmehr, dass der Ritus der Ordination, den die Zuhörer an diesem Tag erleben, auf eine göttlich-apostolische Stiftung zurückgeht, und dass Gott selbst durch die Amtsträger in diesem Ritus handelt, um Prediger bzw. Presbyter für die Kirche einzusetzen. Die homiletisch geführte Auseinandersetzung mit dem Papst und seinen Anhängern geht nicht um die Frage, ob die Ordination etwas bewirke oder tut,328 sondern um die Frage, wie sie vollzogen werden soll und zu welchem Zweck,329 sowie um die Frage, wer ordinieren darf bzw. kann. Über allem steht die Feststellung, dass Christus „seiner Kirche oberster Bischof und Papst [ist], der alle Amtshandlungen ordnungsmäßig vollzieht, […]“330 Insofern ist es für Luther ein Widerspruch, dass der Papst „[i]n der Praxis […] durch [seine] Schändlichkeit die Weihe gar an sich gezogen“ hat, „so dass man nicht ins Predigtamt berufen kann usw., nur er selbst.“331 Die Weihe bzw. die Ordination gehören dem Papst nicht exklusiv, unter Ausschluss anderer Amtsträger. Luthers Kontrahenten müssen zugeben, dass es Notfälle gibt, in denen auch ein Priester bzw. Presbyter etwas tun darf, das er in der Regel nicht tun würde.332 Für das Ordinieren in Wittenberg ist von grundlegender Bedeutung, dass das Amt und die Einsetzung in das Amt Christus gehören, und dass Christus, der alle Amtshandlungen der

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Begriff, der immer einen gewissen Ballast mit sich führt: Seine sieben notae ecclesiae wollte er „Sakramente“ nennen, aber der Begriff war zu der Zeit und unter den damaligen Umständen zu belastet, um ihn unbesehen zu verwenden. Es wird oft erwidert, dass man nicht all zu viel von diesen notae – besonders hinsichtlich des „Weihens“ von Kirchendienern (50,632,36) – ableiten darf, da auch Gebet zu dieser Liste gehört. Dagegen hat David Yeago überzeugend gezeigt, dass alle notae auf den Gottesdienst und die Liturgie bezogen sind, und alle zum Heil des zum Gottesdienst versammelten Volkes beitragen; Yeago, „,A Christian, Holy People‘“, bes. S. 107–110 und Yeago, „The Office of the Keys“, S. 98 (siehe 5.3, dort bei Anm. 87). „Gebet“ ist im Prinzip nicht gleichsam leer und wartet nicht auf die inhaltliche Füllung durch die Betenden; nach Luther werden die Zehn Gebote, das Glaubensbekenntnis, und natürlich das Vaterunser (also der Katechismus), sowie die Psalmen und geistliche Lieder „gebetet“ (WA 50,641,20–34; vgl. WA 38,221,29–31 [„Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe“,1533]). Der Unterschied zwischen Luther und den Anhängern des Papstes liegt nicht darin, dass die Anhänger des Papstes die Ordination als ein göttliches Werk oder als ein Sakrament verstehen und Luther eben nicht. Vielmehr erhebt Luther den Anspruch, dass die presbyterale Ordination in Wittenberg ein göttliches Werk sei, von Gott geordnet und von ihm mittelbar ausgeführt, wobei er seinen Kontrahenten unter den Anhängern des Papstes vorwirft, die von Gott geordnete Ordination durch eine unsichere menschliche Stiftung ersetzt zu haben. D.h. nicht durch Salbung und die traditio instrumentorum für das Messopfer ; Pr. 1574 [R] WA 41,457,7–12. Pr. 1574 [R] WA 41,456,9f: „Sic discernite, quod Christus suae Ecclesiae oberster Bischof und Bapst, qui facit omnia officia ordine, […]“ „[O]rdine“ könnte auch „durch den Orden“ übersetzt werden. Pr. 1574 [R] WA 41,456,16–18: „Der papa usus nequitia hat weihe gar zu sich genomen, das man nicht kan beruffen ad ministerium & c. nisi ipse.“ Vgl. Pr. 1574 [R] WA 41,456,18f.

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Ordnung gemäß – nämlich durch den ordo – vollzieht, auch die Einsetzung von Pfarrern333 durch Amtsträger in dem ordo vollzieht.334 Im Ritus der Ordination sind die Amtsträger Instrumente und Mittel, durch die Christus selbst – christus ordinator – spricht und handelt. Weil es an Pfarrern mangelt, lasst uns andere in ihre Stellen setzen, denn es ist weder unser Predigtamt noch das Predigtamt des Papstes. […] [D]as Amt bleibt. Wenn das so ist, dürfen wir andere an die Stelle setzen. Dabei sind wir Gottes Masken und die aussätzige Hand unseres HErrn Gottes. Dabei machen wir das Predigtamt nicht, das bereits von Christus gemacht wurde und sein eigenes [Amt ist].335

Ebenso wie Luther sagen kann, „Ich selbst taufe nicht, und dennoch taufe ich“,336 so kann er an anderer Stelle sagen, „Wir legen die Hand auf und machen das Predigtamt Christi.“337 Auch die Amtshandlung der Ordination kann nach Luther mit gutem Gewissen vollzogen werden; er und andere Amtsträger in Wittenberg können das Amt „willig geben“,338 gerade weil sie es nicht als etwas ansehen und verstehen, das ihnen gehört. „Lass ihn[, der sein Amt tut, wissen,] dass es Gottes Vermögen und Werk ist.“:339 Dies gilt auch für ordinierende Amtsträger.

6.3.3 Die Breite, Vielfalt und Einheit der Terminologie Damit nicht der Eindruck entsteht, dass die vorliegende Untersuchung dieser Predigten mit der Terminologie der Amtseinsetzung nicht sorgfältig umgegangen sei, soll hier ein Blick auf die Breite der Terminologie geworfen werden. Diese Breite weisen schon allein Pr. 1574 und Pr. 1882 auf. Es hätte als normales systematisches Vorgehen zu gelten, dass wir solche Termini wie „Amt“, „Berufung“, „Ordination“, „Weihe“, „Einsetzung“ usw. zuerst definieren. Aber ange333 Pr. 1574 [R] WA 41,456,37f. 334 Pr. 1574 [R]: Siehe den Übergang vom Abschnitt WA 41,456,9–13 zum Abschnitt 41,456,13–28, sowie den Übergang vom Abschnitt 41,456,29–37 zum Abschnitt 41,456,37–457,7. 335 Pr. 1574 [R] WA 41,456,37–457,6: „Quando an pfarherrn mangelt, ut alios subrogemus, quia non nostrum ministerium nec Papae. […] ampt bleibt. Si hoc mogen wir andere an die stad setzen. Ibi sumus dei larvae et unsers herr gotts netzige hand. Ibi non facimus ministerium, quod iam a Christo factum et suum.“ Der Kontext bei Pr. 1882 [R] WA 47,784,11–16 beweist dasselbe. 336 Pr. 1882 [R] WA 41,783,35f: „Ego non baptiso, et tamen baptiso.“ 337 Pr. 1577 [R] WA 41,468,28–469,1: „Imponimus manum et facimus ministerium Christi:“; die Anmerkung in der WA deutet auf die Ordination. Das ganze Zitat im weiteren Kontext siehe 4.1.1 (dort bei Anm. 55). 338 Pr. 1574 [R] WA 41,457,15: „Wir geben das Amt willig, […]“ („Wir willig officium damus, […]“). 339 Pr. 1882 [R] WA 47,783,36: „Sciat, quod Dei virtus et opus.“

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sichts der hier untersuchten homiletischen Texte und ihres liturgischen Kontexts erweisen sich solche Definitionen als unangemessen und schließlich irreführend. Sie sind allzu oft getroffen worden, ohne dass man die homiletisch-liturgische Situation im Blick hatte. Definitionen von Amts- und Ordinationstermini sind in erster Linie aus ihrem homiletisch-liturgischen Gebrauch selbst zu gewinnen. Im „Vorfeld“ getroffene Definitionen dürfen weder dem, was da homiletisch-liturgisch kommuniziert wird, eine „Bedeutung“ vorschreiben noch dürfen sie es kontrollierend eingrenzen. Wer dem Ordinationsverständnis Luthers ernsthaft nachgehen will, darf Luther und den Wittenberger Ordinationsformularen nicht vorschreiben, was sie unter Termini wie „Ordinieren“, „Ordination“, „Weihen“ usw. verstehen dürfen, sondern muss die Position eines Gottesdienstteilnehmers einnehmen und fragen, „Was wird hier kommuniziert?“ Die lex orandi erklärt die lex credendi, und man soll gegenüber jeder Interpretation misstrauisch sein, die bei dem ab 1535 tatsächlich Gepredigten, Gefeierten und Praktizierten Vorbehalte hat. Die Breite der Terminologien, die allein in Pr. 1574 und Pr. 1882 verwendet werden, um die Einsetzung von Amtsträgern oder das Einsetzen ins Amt zu beschreiben, ist geradezu erstaunlich. Das, was in dem Ordinationsgottesdienst geschieht, wird folgendermaßen besprochen und beschrieben: „in das Amt legen“ („in ampt legen“; Pr. 1574 [R] WA 41,456,7f), die „Berufung ins Predigtamt“ („vocatione ad ministerium“; 41,456,14), „[die] Weihe“ („weihe“; 41,456,17), „ins Predigtamt berufen“ („beruffen ad ministerium“; 41,456,17), „Pfarre[r] […] in ihre Stellen setzen“ („pfarherrn […] subrogemus“; 41,456,37, siehe auch 41,457,4), „das Amt geben“ („officium damus“; 41,457,15), „einen in dieses Amt einsetzen“ („setzen 1 ein in hoc officium“; 41,457,15), „die Person annehmen, die der Handlanger sein soll“ („accipimus personam, quae sol operarius sein“; 41,457,16), „einsetzen“ (vgl. „setz 1 drein“; 41,457,24), „weihen“ (vgl. 41,457,20 und 38), „Priester […] [w]eih[en]“ („priester […] geweihet“; 41,457,37), „ordinieren“ („ordinaturi“ bei 41,457,33; „ordinatus“ bei 41,458,6); „das Amt diesem auflegen“ („auff legen […] ampt isti“; 41,459,10), „Presbyter ordinieren“ („ordinamus presbyteros“; Pr. 1882 [R] WA 47,784,13f) und „Prediger aufstellen“ („prediger auffstellen“; 47,784,16).340

Manche herkömmliche Deutung versagt vor diesem homiletisch-liturgischen Sprachgebrauch. Wenn die Ordination einerseits als eine Bestätigung einer (erfolgten) Berufung gelten soll,341 so geschieht die Berufung doch andererseits nach Luther auch gerade im gottesdienstlichen Ritus der Weihe oder Ordinati340 Vgl. Lieberg, Amt und Ordination, S. 196. 341 Diese Position, die Georg Rietschel (s. u. 6.3.4) und seine Schule vertraten, wird hier weder abgestritten noch bestätigt. Wir dürfen den Ordinationszeugnissen entnehmen, dass die von Obrigkeit und oft von Gemeinden ausgesprochene Bitte um einen Amtsträger, die als „Berufung“ bezeichnet wurde, in einer gewissen Hinsicht im gottesdienstlichen Ritus der Ordination bestätigt wird (vgl. aber Anm. 342 unten); s. u. 6.3.4.1.

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on.342 Luther bemüht sich auch gar nicht, sich vom landläufigen Sprachgebrauch zu trennen: „Weihe“, „Weihen“ und sogar „Priester-Weihen“ kann er unbefangen verwenden, um das zu bezeichnen, was im Ritus der Ordination stattfindet: Die „Weihe“ ist sogar ein Synonym für die „Berufung ins Predigtamt“.343 Darüber hinaus weist „das Amt diesem auflegen“ liturgisch gesehen eindeutig auf die Handauflegung hin, die kurz nach der Predigt im Ritus der Ordination geschehen wird:344 Im Ritus der Ordination wird das Amt bei der Handauflegung mitgeteilt. Und in beiden Predigten ist es klar, dass im gottesdienstlichen Ritus der Ordination Kandidaten zu Amtsträgern gemacht werden: Pfarrer werden darin aufgestellt und in das Amt eingesetzt. Der gottesdienstliche Ritus der Ordination steht zwar nicht allein:345 Vorausgegangen ist schon von Seiten der Obrigkeit die Bitte um einen (nun zu ordinierenden) Amtsträger, aber nicht immer im Blick auf eine bestimmte Stelle; die Kandidaten sollen geprüft werden;346 der Fürst ordnet die ganze Angelegenheit und setzt sie in Gang. Das Bestellen von Amtsträgern ist eine Sache, die aber die ganze Kirche angeht.347 Doch im Ritus der Ordination wird der Kandidat zu etwas gemacht, das er vorher noch nicht war, nämlich zu einem 342 Nach Pr. 1574 ist „die Berufung ins Predigtamt“ nicht etwas, das vor der Ordination geschehen und abgeschlossen ist, sondern gerade das, was sich im Ritus der Ordination vollzieht. Andererseits war die Bitte um den Ordinanden, die Berufung, bereits ausgesprochen: Siehe WA Br 7,302,4 (s. o. Anm. 304); doch grammatisch gesehen wird nicht die ausgesprochene Bitte oder Berufung bestätigt (confirmare), sondern der Mensch bzw. der Ordinand. Vgl. Lieberg, Amt und Ordination, S. 188 („Gesamtvokation“) und 204 („der gesamte Vokationsvorgang“); dazu gehört die Ordination. 343 Der Kontext um Pr. 1574 [R] WA 41,456,14–17 ist eindeutig. Der Papst könnte nicht die Weihe „gar an sich gezogen“ haben, wenn sie sein eigenes ausgedachtes Produkt wäre; vielmehr beschreibt „Weihe“ und „Weihen“ das Machen und Einsetzen von Amtsträgern, das notwendigerweise der ganzen Kirche gehört. Wie Luthers Schrift „Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe“, 1533 (WA 38,195–256) deutlich macht, gibt es eine rechte Weihe und eine missbrauchte Weihe. Ferner ist die Sorge der Wittenberger, dass „Priester“ ohne ihr Wissen „geweiht werden“, nicht nur auf Rom, sondern auf die Schwärmer bezogen (siehe Pr. 1574 [R] WA 41,457,37); es sind eben nicht der Papst oder seine Anhänger, die überall ihre Geistlichen einsetzen (vgl. 41,458,7f und 41,762,18–763,18). 344 Siehe das Zitat vom Ordinationsformular J. und Anm. 369 unten. 345 Vgl. Tr 66–72 (BSLK 491–493): „vocare“, „eligere“ und „ordinare“ können alle unter ein einziges „jus“ gefaßt werden; dazu die hervorragende Behandlung des Amtes und der Ordination in den Bekenntnisschriften von Piepkorn, „Sacred Ministry and Holy Ordination“, S. 116f (§25). Für die „comprobatio“ von Tr 70 siehe Nagel, „Ordination is Not Other Than […]“: Das, was im gottesdienstlichen Ritus der Ordination geschieht, ist sine qua non für die Einsetzung von Amtsträgern; „The making of a minister is not done until these [electing and ordaining] are done. Ordination completes the job.“ (433); „The glory of comprobatio is that it leaves no doubt.“ (435). 346 Pr. 1574 [R] WA 41,458,4. 347 Pr. 1882 [R] WA 47,780,23f. Auch im Ritus der Ordination haben alle Gottesdienstteilnehmer die Aufgabe, Zeugen zu sein und sollen für den Ordinand und alle Amtsträger beten (Pr. 1574 [R] WA 41,458,5f und 9f und 25).

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Amtsträger der Kirche, und zwar durch andere Amtsträger, durch die Christus mittelbar handelt: Die ordinierenden Amtsträger sind Hände und Mund Christi im Akt des Ordinierens.348 Einerseits findet sich die homiletisch-liturgische Terminologie in vielfältiger Mischung vor ; sie lässt sich nicht in sauber abgegrenzte Definitionen fassen und ist insofern systematisch-theologisch unbefriedigend. Andererseits aber ist vollkommen deutlich, dass im göttlichen Ritus der Ordination Amtsträger eingesetzt werden, und zwar durch andere Amtsträger, durch die Gott selbst handelt.349 Nicht nur die homiletisch-liturgische Terminologie der Predigt, sondern auch die des Ordinationsritus selbst fordert Aufmerksamkeit, wenn dem im Gottesdienst vermittelten Verständnis der Ordination nachgegangen werden soll.

6.3.4 Das Wittenberger Ordinationsformlar Der Trend, der noch weitgehend die Interpretation des Ordinationsverständnisses Luthers beherrscht, wurde maßgeblich von Georg Rietschel bestimmt,350 der zum ersten Mal das Ordinationsformular aus der Universitätsbibliothek in Jena (J.), ferner das der Wittenberger Handagenda (R.) und das lateinische Ordinationsformular (L.) edierte.351 Seine These, dass der gottesdienstliche Ritus der Ordination nur eine Bestätigung oder Konfirmation der schon geschehenen Berufung – diese im Sinne von einer Wahl – sei,352 schrieb er auch in 348 Pr. 1574 [R] WA 41,457,4f und Pr. 1882 [R] WA 47,784,13f. 349 In erster Linie – besonders in Bezug auf historische Quellen – hat systematische Theologie dem Gesprochenen und Kommunizierten des Gottesdienstes Rechnung zu tragen, also von den primären Sprach- und Lebensformen des Gottesdienstes zu lernen. Vgl. Bayer, Gott als Autor, S. 1–18 und Bayer, „Gottes Allmacht“, S. 119–121; vgl. auch dazu WA 26,443,8f („Vom Abendmahl Christi, Bekenntnis“, 1528). 350 Siehe Heubach, Die Ordination, S. 33–58 und Lieberg, Amt und Ordination, S. 204. Im Laufe der folgenden Abschnitte (6.3.4.1–2) wird eine Überschneidung mit Krarup, Ordination in Wittenberg gezeigt, und eine Überschneidung mit Goertz, Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt soll bei 11.2 deutlich gemacht werden. 351 Rietschel, „Luthers Ordinationsformular“ (J.); Rietschel, Luther und die Ordination, S. 12–19 (R. und L.) (1. Aufl. 1883). Für Weiteres zu diesen und anderen Fassungen des Formulars siehe Drews, „Ordinationsformular : Einleitung“, der zumindest theologisch sich der Linie Rietschels gänzlich anschließt (vgl. auch Drews, „Ordination, Prüfung und Lehrverpflichtung“); Lieberg, Amt und Ordination, S. 191–234; Mittermeier, Evangelische Ordination im 16. Jahrhundert, S. 63–116; Smith, Luther, Ministry and Ordination Rites, S. 98–145; Krarup, Ordination in Wittenberg, S. 247–263. Die verschiedenen Fassungen des Formulars sind in WA 38,423–433 abgedruckt. Eine nützliche (aber nicht fehlerfreie!) Darstellung in tabellarischer Form bietet Mittermeier, S. 71–101 (hiernach zitiert nach Bezeichnung, Seite und Abschnittnummer). Für die Handagenda (R.) 1539 siehe vor allem auch Sander, Ordinatio Apostolica, S. 239, 261–275 (hiernach zitiert nach Namen und Seite). 352 Rietschel, Luther und die Ordination, S. 45–60, bes. S. 52f.

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sein Lehrbuch der Liturgik, das für die evangelische Liturgik des 20. Jahrhunderts von enormer Bedeutung wurde.353 Es liegt außerhalb des Rahmens der vorliegenden Untersuchung, Rietschel und seine Schüler erschöpfend zu behandeln und ihrer Interpretation von Luthers Ordinationsverständnis ausführlich nachzugehen.354 Weil aber die Predigten ihren liturgischen Bezug haben und ihren Ort im Gottesdienst, können die liturgischen Quellen der Ordinationsformulare an dieser Stelle nicht unbeachtet bleiben. Und gerade bei den Quellen, deren Herausgabe Rietschel bekannt machte, kann die Fehlerhaftigkeit seiner Interpretation nachgewiesen werden. Die Interpretationslinie der RietschelSchule ist erstens darin fehlerhaft, dass die Bedeutung, die sie den Termini „Berufen“ und „Ordinieren“ zuschreibt, der Verwendung dieser Termini im Ritus der Ordination widerspricht. Der zweite begriffsterminologische Fehler beruht darauf, dass die Interpretationslinie eine entscheidende Wahrnehmung und liturgische Umsetzung des promissorischen Inhalts der Lesungen versäumt und insofern nur das menschlich-verpflichtende Element des Ritus anerkennt, während sie das promissorische und effektive Handeln Gottes unbeachtet lässt. 6.3.4.1 Die Einsetzungsterminologie des Ordinationsformulars Als erstes ist zu zeigen, dass die Bedeutung, die „Berufen“ bzw. „Berufung“ von Rietschel implizit zugeschrieben wird,355 den Sinn dieser Begriffe im Ordinationsformular nicht trifft. Nach Rietschel kann „Berufen“/„Berufung“ zweierlei Bedeutung haben, eine weitere und eine engere. Weit gefasst weist „Berufen“/ „Berufung“ auf den gesamten Prozess hin, durch den jemand in das Amt kommt oder durch den ein Amt besetzt wird;356 eng gefasst meint „Berufen“/„Berufung“ nur die Wahl des (zukünftigen) Amtsträgers.357 Das Erwählen bzw. die Wahl („Berufen“/„Berufung“ im engeren Sinn) sei aber das Entscheidende für den 353 Rietschel, Lehrbuch der Liturgik, 2,405–39 (2. Aufl. 1951–1952). Für die Bedeutung und Rezeption Rietschels sowie seinen Platz im breiteren Umfeld der Debatte um Luthers Amtsund Ordinationsverständnis siehe vor allem Heubach, Die Ordination, S. 33–40. Rietschel schließt sich der Interpretationslinie von J. W. F. Höfling an; siehe z. B. Rietschel, Luther und die Ordination, S. 30–42, 54 und 101. Der Ausgangspunkt für Höflings prägendes Kirchenund Amtsverständnis ist Schleiermacher: Höfling, Grundsätze, S. 2ff (§3); vgl. Schleiermacher, Der christliche Glaube, S. 99ff (§28). 354 Für die verschiedenen Amts- und Ordinationstheologien im evangelischen Bereich siehe Schütte, Amt, Ordination und Sukzession; S. 153–211. 355 Seltsamerweise findet man bei Rietschel, Luther und die Ordination nicht leicht eine Definition von „Berufen“ oder „Berufung“. Während er sehr bemüht ist, die Definition der „Ordination“ genau zu kontrollieren, scheint „Berufen“/„Berufung“, sein theologisch regierender Oberbegriff, geradezu selbstverständlich zu sein. Deshalb müssen wir von „impliziten“ Bedeutungen sprechen; s. u. Anm. 356–358. 356 Rietschel, Luther und die Ordination, S. 41f und 49. 357 Rietschel, Luther und die Ordination, S. 43–45.

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gesamten Prozess der Amtseinsetzung („Berufen“/„Berufung“ im weiteren Sinn).358 Ähnliches gelte für „Ordinieren“ bzw. „Ordination“ – auch hier liegen zwei Bedeutungen vor –, jedoch mit der merkwürdigen und bedenklichen Abweichung, dass Luther ausschließlich die weite Bedeutung vor 1535 verwendet habe, die enge Bedeutung dann danach. Vor 1535 verweise „Ordinieren“/„Ordination“ auf den gesamten Prozess, durch den einer in das Amt kommt, nach 1535 aber ausschließlich auf den liturgischen Akt der Ordination, der eine öffentliche Bestätigung oder Konfirmation der Berufung – im engeren Sinne einer Wahl – sei.359 Wären Rietschels Thesen richtig, dürfte man erwarten, dass in den unterschiedlichen Fassungen des Wittenberger Ordinationsformulars „Ordinieren“ tatsächlich nur auf die öffentliche Bestätigung der Berufung im Sinne einer schon geschehenen Wahl verweise; und falls eine weitere Bedeutung von „Berufen“ und „Berufung“ vorhanden sei, so könnte „Berufen“/„Berufung“ nur noch auf den gesamten Prozess, durch den einer in das Amt kommt, verweisen. Weder die eine noch die andere dieser logischen Erwartungen wird durch das Ordinationsformular erfüllt. Das Verb „Berufen“ wird nicht nur im Präteritum, sondern auch im Präsens und im Futur verwendet, und diese Verwendung des Verbes, die die Bezeichnung einer schon geschehenen Wahl ausschließt, verweist auch nicht einfach auf den gesamten Prozess, durch den einer in das Amt kommt. Vielmehr wird auf das verwiesen, was im Ritus der Ordination jetzt geschieht (Präsens) bzw. was gerade im Ritus beim Gebet unter Handauflegung noch geschehen wird (Futur). Die Fassungen des Ordinationsformulars liefern dieselben Ergebnisse, die schon anhand der Ordinationspredigten (Pr. 1574 und Pr. 1882) gewonnen werden konnten: „Berufen“/„Berufung“ gehört neben anderen Begriffen zu der Fülle von Termini, die alle verwendet werden können, um die Einsetzung von Amtsträgern zu beschreiben, wie dies im gottesdienstlichen Ritus der Ordination geschieht. Nach dem Sprachgebrauch des Ordinationsformulars geschieht das „Berufen“ auch im Ritus der Ordination selbst und kann sogar spezifisch auf den Vorgang der Handauflegung mit dem Gebet für den Ordinanden zeigen. Allerdings kann „Berufen“/„Berufung“ auch den Sinn haben, dass damit der Wille bekundet wird, einen Amtsträger zu bekommen; es kann zugleich heißen, 358 Rietschel, Luther und die Ordination, S. 52. 359 Für die weite Bedeutung, Rietschel, Luther und die Ordination, S. 45–60; „Ordinieren“/ „Ordination“ sei insofern „Berufen“/„Berufung“ in dessen weiteren Sinne gleichbedeutend (siehe bes. S. 49–57). Für die enge Bedeutung von „Ordinieren“/„Ordination“ siehe S. 52f und 61–75. Die These ist völlig unhaltbar, lässt aber Rietschels Einstellung zu Luther und der Ordination doch erkennen: Sobald die Ordination zur festen und geregelten Praxis in Wittenberg gehört, muss er ihr eine neue Bedeutung zuschreiben; der gottesdienstliche Ritus der Ordination darf zumindest theologisch nichts mit der Einsetzung ins Amt zu tun haben; nach Rietschel kommt ihr höchstens eine kirchenrechtliche Bedeutung zu (S. 75 und 101–112).

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dass einer zu einem Amt gewählt worden ist. Die Überschrift zum Formular F. lautet „Die Art, wie die Berufenen in Wittenberg zum Amt des Wortes und der Kirche ordiniert werden sollen.“360 Obwohl diese Überschrift nicht im Gottesdienst vorgelesen wurde, kommt doch ihr Sinn auch zur Sprache: Aus dem Ansprache-Teil des Ordinationsritus aus den Formularen C. und F. geht hervor, dass die Ordinanden von einer Ortskirche nach Wittenberg gesandt wurden und von der weltlichen Obrigkeit berufen und gewünscht sind.361 Im Gebet für die ausländischen Ordinanden wird erwähnt, dass sie eine Bestätigung ihrer Berufung suchen.362 Doch diese Stellen stehen gleich neben einer Mehrzahl anderer Stellen, bei denen die Tatsache festgestellt werden kann, dass das Berufen bzw. die Berufung sich im Ritus der Ordination selbst ereignen. Formulare F. (und C.): Erstlich so horet ir hie, das euch der heilige geist berufft vnd setzet zu Bischoffen in seine herd oder kirchen; darumb sollt ir glauben vnd gewiß sein, das ir von Gott selber beruffen werdet, weil euch die kirche, so euch hergesandt, vnd weltliche Obrickeit beruffen vnd begert hat.363

Hier sehen wir, dass die Ordinanden nicht nur berufen sind, sondern jetzt berufen werden und auch bald berufen sein werden; alle drei Tempora werden verwendet, und alle sind wahr. Die Gottesdienstteilnehmer wissen, dass der Wunsch nach einem Pfarrer/Prediger schon von einer Kirche und der Obrigkeit ausgesprochen war. Sie wissen auch, dass die Ordinanden hier und jetzt im Gottesdienst berufen werden. Nach der Handauflegung und dem Beten des Vaterunsers werden sie in der liturgischen Sprache des weitergehenden Gebets den Kirchendienern und der großen Schar der Evangelisten zugerechnet: Auf solchen deinen gotlichen beuelh bitten wir von hertzen, wollest dise deine beruffene diener sampt vns vnd allen kirchendienern deinen heiligen geist reichlich geben, vns alle segenen vnd stercken, das wir mit großen scharen deine Euangelisten sein, trew vnd fest bleiben wider den teuffel, weldt vnd fleisch, domit dein name geheiliget, dein reich gemehret, dein wille volbracht werde.364 360 „Forma, quomodo ordinentur Vuittembergae vocati ad ministerium verbi et Ecclesiae“ (WA 38,423,1–5; Mittermeier 72 [2]). 361 WA 38,427,27–30; Mittermeier 86 [35]. Es soll aber bemerkt werden, dass sprachlich gesehen nicht die Berufung bestätigt wird, sondern die Ordinanden – die Menschen – bestätigt werden; siehe WA 38,428,22–35; Mittermeier 90 [42]. 362 L.: „confirmationem suae vocationis“ (WA 38,433,11f; Mittermeier 95 [53]). 363 WA 38,427,19–30; Mittermeier 86 [33–35] (Hervorhebung JM). 364 WA 38,429,22–430,10; Mittermeier 94f [52–57] (Hervorhebung JM). Es kann sein, das auch dieses Gebet, eine Erweiterung des Vaterunsers, unter Handauflegung gesprochen wurde. Die verschiedenen Fassungen des Ordinationsformulars machen nicht deutlich, wann die Handauflegung beendet wird. Die Dauer der Handauflegung, ferner was dabei oder ob dabei gebetet wurde, dürfte je nach Umständen und Zahl der Ordinanden unterschiedlich sein. Vgl. das Zeugnis von der Ordination Benedikt Schumanns, nach dem die Handauf-

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Das Formular R. untermauert die These, dass nach dem liturgischen Sprachgebrauch das Berufen bzw. die Berufung der Ordinanden im Ritus der Ordination selbst stattfindet. Die Ansprache an die Ordinanden beginnt mit folgender Bemerkung: Hie hüret ir, das vns, so Bischoue, das ist, Prediger vnd Pfarrer beruffen sind vnd sein sollen, […]365

An dieser Stelle wird in dem Ritus darauf verwiesen, dass es einige gibt, die schon Prediger und Pfarrer sind, vor allem nämlich der Ordinator und die ihm assistierenden Amtsträger.366 Es gibt auch einige, die erst noch als Prediger und Pfarrer berufen werden sollen, nämlich die Ordinanden. Doch gleichwie in den Formularen F. und C. gilt dieser Unterschied nach Handauflegung und Beten des Vaterunsers als aufgehoben: Dann sind die, die nur wenige Minuten vorher „berufen […] sein soll[t]ten“ nun auch „Diene[r]“, die „berufen sind“.367 Entsprechend ist auch im Formlar H. die Rede von einem Berufen oder einem Berufen-Werden, das sich gerade im Ritus der Ordination vollzieht: […] „Der heilige Paulus sagt: ,Jedes Geschöpf Gottes ist gut usw.; denn es wird geheiligt durch usw.‘ Da ihr aber nicht nur ein gutes Geschöpf seid, geheiligt durch das Wort und das Sakrament der Taufe, sondern jetzt durch eine zweite Heiligung zum heiligen und göttlichen Amt berufen werdet, damit auf diese Weise durch euch viele andere geheiligt und für den HErrn gewonnen werden mittels eures Wortes und Werkes, […]368

Das dem Formular H. verwandte Formular J. bestätigt diese Deutung: „Der heilige Paulus sagt: ,Jedes Geschöpf Gottes ist gut und wird durch Wort und Gebet geheiligt.‘ Da ihr aber nicht nur ein Geschöpf Gottes seid, sondern auch schon längst durch das Wort und das Sakrament der Taufe geheiligt seid, also durch eine heilige und erste Berufung Gottes, nun auch noch durch eine zweite Berufung zum heiligen und göttlichen Amt [geheiligt seid], damit auf diese Weise durch euch viele andere berufen [und] geheiligt werden, damit sie mittels eures Wortes und Werkes gewonnen werden, […] Doch damit auch wir selbst unser Amt mitteilen, das uns auferlegt worden ist, damit wir desto mehr euch zusammen mit uns und uns zusammen mit euch heiligen,

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legung nur während des Vaterunsers andauerte (WA TR 5,112,29f; Mittermeier 91f [45f]); vgl. Mittermeier, S.108f. WA 38,427,15–18; Mittermeier 87 [33]; Sander 270 (Hervorhebung JM). Die Ordinationsformulare sehen zwar nur einen „Ordinator“ vor, sowie das Wittenberger Ordiniertenbuch nur einen Ordinator angibt. Doch auch andere, assistierende Amtsträger sind für die Ordinationshandlung vorgesehen: Die „Presbyter“ legen mit dem Ordinator dem bzw. den Ordinanden die Hände auf: WA 38,429,1–4; Mittermeier 91/92 [45]; Sander 271. Vgl. auch: WA 38,424,1–7; Mittermeier 74 [13f]; Sander, 267. Formular R. – WA 38,430,1–4; Mittermeier 95 [53]; Sander 272 (Hervorhebung JM). Schriftzitat: I Tim 4,4f. Für den vollen Text und den Urtext aus der Handschrift siehe den Anhang bei 6.6.1 (Hervorhebung JM). Die Ordinanden, die schon durch das Wort und das Sakrament der Taufe geheiligt worden sind, werden nun durch eine andere Heiligung, die in Wort und Gebet besteht, zum göttlichen Amt berufen werden.

Ein homiletisch vermitteltes Verständnis der Ordination

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fügen wir sowohl unser Wort als auch unser Gebet hinzu, wie geschrieben steht: ,Wer heilig ist, der möge noch weiter geheiligt werden […].‘“369

Es folgt daraus, dass die Interpretationslinie Rietschels370 nicht zu halten ist, denn im Ordinationsformular weisen „Berufen“/„Berufung“ nicht allein auf eine im Vorfeld des Ordinationsritus getroffene Wahl des Ordinanden. Und obwohl „Berufen“/„Berufung“ auch auf den gesamten Prozess der Amtseinsetzung bezogen werden können, deckt diese Bedeutung die Verwendung dieser Begriffe im Ordinationsformular doch keineswegs ganz ab. Denn die liturgisch vermittelte und entsprechend liturgisch erlebte Bedeutung dieser Vokabeln lässt dafür Platz, dass die Berufung bzw. das Berufen der Ordinanden im Ritus der Ordination selbst stattfindet.371 369 Schriftzitate: I Tim 4,4f und Apk 22,11. Für den vollen Text und den Urtext aus der Handschrift siehe den Anhang bei 6.6.2 (Hervorhebung JM). Dass die „andere Vokation“ allein auf „die zuvor erfolgte Berufung“ verweist (Krarup, Ordination in Wittenberg, S. 253; Hervorhebung JM), steht nicht ohne weiteres fest (siehe Anm. 468 bei 6.6.2 unten). Das Formular J. macht deutlich, dass ein Heiligen (auch) im Mitteilen des Amtes der Amtsträger an den Ordinanden im Ordinationsritus geschieht. Nach dem Ordinationsformular H. geschieht die „andere Heiligung“ dadurch, dass die Ordinanden zu dem heiligen Amt (vgl. „sanctissimum ministerium“ bei WA 41,763,16; Mittermeier 71 [1]) im Ritus der Ordination berufen werden. Nach J. geschieht die „andere Berufung“ (auch) dadurch, dass im Ritus der Ordination die Ordinanden geheiligt werden, indem die Amtsträger ihr Amt den Ordinanden mitteilen und es mit Wort und Gebet auf sie legen. Im Ordinationsformular H. findet sich die Wendung einer weiteren Heiligung im Berufen-Werden; im Ordinationsformular J. einer weiteren Berufung im Geheiligt-Werden. In beiden Formularen ist es aber deutlich, dass die Ordinanden im Ritus der Ordination geheiligt und/oder berufen werden. Versuche, diese Aussagen von Luther abzusetzen (wie bei Krarup, Ordination in Wittenberg, S. 253), sind schließlich vergeblich, denn Luther kann durchaus differenziert von Gnade, Heiligkeit und der Gabe des Heiligen Geistes sprechen; vgl. Pr. 1601 [R] WA 41,606,16–19: „Wenn ich gelehrter als du bin und predige, [und] du nicht [predigst], ist es eine sonderliche Zugabe und ein Gabe des Heiligen Geistes, dass ich diene, damit die Kirche in einen Leib zusammen wächst. Die Schrift und die Gnade des Predigens ist nicht gegeben, damit ich erhoben werde und Geld für mich suche. [Die Gnade des Predigens] soll dazu dienen, dass Menschen glauben, Christus erkennen – sie soll zu diesem Zweck dienen, zu dem christlichen Wesen, das in dem einen Glauben besteht.“ („Si doctior te et praedico, tu non, ist ein sonderlich zugabe et donum spiritus sancti, ut serviam, ut in corpus unum coalescat Ecclesia. Non datur scriptura et gnad praedicandi, ut extollar und gelt, mich suche. Sed sol mit dienen, ut homines credant, agnoscant Christum, ad hoc serviat, ad Christlich wesen, quae besthet in una fide.“). 370 Im Grunde genommen schließt sich Krarup, Ordination in Wittenberg dieser Interpretation an, auch wenn er der Ordination mehr als eine nur rechtliche Bedeutung beimessen kann (siehe z. B. S. 296). Denn auch nach Krarup gilt, dass ab 1535 der Ritus der Ordination „nicht mehr als Berufung verstanden“ wurde (S. 201; vgl. 1.2.2 oben). Insofern wird er dem Sprachgebrauch des Ordinationsformulars, der gerade ab 1535 gebraucht wurde, nicht voll gerecht. 371 Gegen Krarup, Ordination in Wittenberg, S. 9, der meint, dass ab dem Punkt der Einführung der Zentralordination, die vocatio nicht mehr „rituell mit Gebet und Handauflegung vollzogen“ wurde, wie früher. Unsere hier dargelegte Interpretation wird ferner von

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Der Aspekt der Instrumentalität

Weil Rietschels Interpretation diese Tatsache nicht erkennt, ist der Sinn, den sie „Ordinieren“/„Ordination“ zuschreibt, nicht zutreffend. Wenn der Ritus der „Ordination“ bzw. das „Ordinieren“ ab 1535 ausschließlich eine öffentliche Bestätigung oder Konfirmation der Berufung – im engeren Sinne einer Wahl – gewesen wäre, müsste „Ordinieren“/„Ordination“ auf eine derartige Bedeutung von „Berufen“/„Berufung“ im Ordinationsformular bezogen sein. Wie aber bereits nachgewiesen, lässt sich die Definition von „Berufen“/„Berufung“, wie sie die Interpretation Rietschels vorgibt, gegen eine textanalytische Untersuchung der Ordinationsformulare nicht halten. Folglich ist auch Rietschels Definition von „Ordinieren“/„Ordination“ hinfällig, und eine genaue Untersuchung der Formulare zeigt, dass „Ordinieren“/„Ordination“ sprachlich nicht direkt auf „Berufen“/„Berufung“ bezogen wird.372 Fragen wir nach der liturgisch vermittelten und erlebten Bedeutung von „Ordinieren“/„Ordination“ in den Fassungen des Wittenberger Ordinationsformulars, so sehen wir, dass auch diese Begriffe – wenn sie überhaupt verwendet werden – zu einer Fülle von Termini gehören, die alle das Machen und Einsetzen von Amtsträgern beschreiben, das auch im gottesdienstlichen Ritus der Ordination sich vollzieht. Das Formular an sich macht deutlich, dass die zukünftigen Amtsträger vor dem Ritus der Ordination ordinandi und nach ihm ordinati sind,373 doch in allen Fassungen des Formulars wird die Vokabel nur zwei- bzw. dreimal tatsächlich ausgesprochen: Ihr wisst, dass die Ordination der Kirche mit ihren Riten notwendig ist, aber weil der Papst den Gang des Evangeliums nicht fördert, sondern verhindert, fällt das Wachen und das Beten uns zu. Unser Kurfürst hat – notgedrungen – angeordnet, dass gebildete Männer und fromme Diener des Wortes Gottes gewählt und hier ordiniert sein sollen, […]374 Tischreden, die die Ordination Benedikt Schumanns bezeugen, bestätigt. Das „Berufen“, das Luther von Tit 1,5 (dort „einsetzen“/„constituere“) ableitet (WA TR 5,112,20; Mittermeier 81 [25]), geschieht auch laut dieser Quelle im Ritus der Ordination: „[…] zu welchem wir Dich durch Gottes Gewalt rufen und senden, gleich wie uns Gott gesandt hat.“ (WA TR 5,112,23f; Mittermeier 87 [34]; Hervorhebung JM; vgl. Joh 20,21). Vgl. Lieberg, Amt und Ordination, S. 199f, der richtig festgestellt hat, dass die Sendung ins Amt im Ritus der Ordination erfolgt. 372 Nur in der Vorrede zum Formular H. finden wir „eligantur et ordinentur“ (WA 41,762,20; Mittermeier 71 [1]). Im Kontext zwingt nichts zu der Interpretation, dass das Ordinieren ein Bestätigen der Wahl sei. Die nach Wittenberg gesandten Menschen werden geprüft und bestätigt (confirmare) und wiederum gesandt (WA 41,763,2f; Mittermeier 71 [1]). S.u. bei Anm. 374. 373 Vgl. z. B. die Ordinationsformulare J. (WA 38,423,28; Mittermeier 72 [3]) sowie F./C. und R. (WA 38,424,4f; Mittermeier 74 [14]) mit H./J., F. und R. (WA 38,431,2.8.31; Mittermeier 100f [69 und 71]). 374 Vorrede zum Ordinationsformular H.: „Scitis ordinationem ecclesiae cum suis ritibus necessarium esse. Sed quia papa non promovet, sed impedit cursum euangelii, nobis vigilandum et orandum est. Noster elector necessario ordinavit, ut eligantur et ordinentur

Ein homiletisch vermitteltes Verständnis der Ordination

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Seit ir nu willig vnd bereit solch ampt anzunemen vnd treulich zu vben, so wollen wir aus beuelh der kirchen durch vnser ampt euch ordiniren vnd bestetigen, wie S. Paul zum Tito vnd Timotheo gebeut, das wir sollen in den steten priester setzen vnd das wort beuelhen denen, so tuchtig sind auch andere zu leren.375

Die Vorrede zum Formular H. erklärt, dass die Ordination notwendig ist, ohne diese Aussage zu begründen oder begründen zu müssen. Dies ist den Zuhörern einfach klar : „Ihr wisst, […]“. Die Notwendigkeit der Ordination ist nach Formular H. implizit mit der Notwendigkeit des ministerium ecclesiasticum gesetzt.376 Gebildete Männer werden zu Dienern des Wortes Gottes, indem sie gewählt und ordiniert werden. Das Verhältnis von eligere und ordinare wird hier nicht erklärt. Das Formular C./F. erhellt aber vieles. In der Ordinationshandlung handeln die Amtsträger nach „beuelh der kirchen“. Diesen Befehl der Kirche leitet das Formular aus den Pastoralbriefen ab. Tit 1,5 und II Tim 2,2 belegen den Befehl, Priester oder Presbyter377 einzusetzen und das Wort Gottes ihnen anzubefehlen. Gemäß dem für Luther typischen abstandslosen Verhalten zu den apostolischen Schriften und im Einklang mit dem, was als apostolische und historische Kontinuität bereits in den Kapiteln 4 und 5 dargelegt wurde, gilt diese apostolische Anordnung bzw. dieser einzige Befehl auch für die Kirche der Gegenwart: „wie S. Paul […] gebeut […] , das wir […].“ Das Amt bzw. die Amtsträger sind die Mittel, durch die dieser Befehl ausgeführt wird, die Presbyter eingesetzt werden und ihnen das Wort Gottes anvertraut wird: „durch vnser ampt“. Die Ordinanden werden „ordiniert“ und „bestätigt“. Die Verben stehen einfach da, nebeneinander, ohne dass ihr Verhältnis zueinander irgendwie geklärt wird. Der Kontext macht aber deutlich, dass im Ordinieren und Bestätigen, wie es im Ritus der Ordination geschieht, Presbyter eingesetzt werden und ihnen das Wort Gottes befohlen oder anvertraut wird. Wenn aber Rietschels Interpretation richtig wäre, dann müssten diese zwei Begriffe („ordinieren“ und „bestätigen“) nicht nur Synonyme sein, sondern ganz auf die Berufung (im engeren Sinne einer Wahl) bezogen sein. Nach dem gesprochenen Wortlaut dieses Teils des Ordinationsritus wird jedoch nicht etwa eine schon geschehene Berufung bestätigt, vielmehr werden die Ordinanden selbst bestätigt und ordiniert.378

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hic docti viri et pii ministri verbi dei, […]“ (WA 41,762,18–21; Mittermeier 71 [1]; Hervorhebung JM). Formular F. (und C.) (WA 38,428,22–35; Mittermeier 90 [42]; Hervorhebung JM). WA 38,423,21–25; Mittermeier 74 [29]. S.o. Anm. 366; das Ordinationsformular, wie auch Pr. 1882, belegt eine bewusst presbyteral ausgeführte Ordination, die auch reichlich in den lutherischen Bekenntnisschriften und der Kirchengeschichte belegt worden ist (siehe 4.1.3.4 oben und 11.3 [dort bei Anm. 31] und 11.6 [dort bei Anm. 72]). Es soll auch bemerkt werden, dass die Mehrzahl der in Wittenberg ausgestellten Ordinationszeugnisse überhaupt nicht von Konfirmation oder Bestätigung sprechen; auch bei

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Der Aspekt der Instrumentalität

Nach dem, was in Wittenberg immer wieder gehört und liturgisch erlebt wurde, ist die Ordination nicht einfach ein kirchenrechtlicher Vorgang, durch den die Qualifikation und vor allem die schon getroffene Wahl eines Kirchendieners bestätigt wurde.379 Vielmehr wird die Ordination durch die Predigten und in der Ordinationsliturgie als eine theologisch qualifizierte Handlung erlebt, durch die einer in das Amt eingesetzt wird. Im liturgisch Erlebten zeigt sich, dass die Ordination weder beliebig ist noch ein atheologisches Relikt eines vergangenen Zeitalters, das lediglich im gottesdienstlichen Leben der Kirche noch beibehalten wurde;380 sie geht vielmehr auf apostolischen und insofern göttlichen Befehl im Neuen Testament zurück, der in historischer und apostolischer Kontinuität auch für die Kirche in der Gegenwart noch immer gilt. Und die Verben (eine Vielfalt!), die homiletisch und liturgisch verwendet werden, um dieses Einsetzen und Machen der (zukünftigen) Amtsträger darzustellen, ereignen sich im Ritus der Ordination selbst, in dem Gott mittelbar durch die Amtsträger handelt, auf solche Weise weitere Amtsträger beruft, bestätigt, einsetzt, ordiniert, ihnen das Wort Gottes und die Aufsicht über der Gemeinde anbefiehlt usw. Während Rietschels Interpretation vorschreiben möchte, „was die Ordination theologisch nicht sei, auf keinen Fall sei,“381 zeigen Luthers Predigten und das Wittenberger Ordinationsformular, dass von der Ordination eine theologische Fülle ausgesagt, gehört und erlebt wurde. 6.3.4.2 Fehldeutung des Ordinationsformulars Noch ein Grund, warum die Interpretation Rietschels dem Text des Ordinationsformulars nicht gerecht wird, lässt sich aus dem Formular selbst deutlich feststellen. Für die Ordinationsliturgie ist von entscheidender Bedeutung, dass das Verheißungsmoment, das sich in den Lesungen findet, aufgegriffen, liturgisch umgesetzt und für die Ordinanden geltend gemacht wird. „Luther hat vielmehr, das beweist der ganze Tenor in den Lektionen, nur die Vorhaltung der Pflichten im Auge,“ meint Rietschel.382 Sicherlich werden die Pflichten des Amtes

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diesen Quellen findet die prägende These Rietschels keinen festen Halt. Zur Art der Sprache der Ordinationszeugnisse siehe Sander, Ordinatio Apostolica, S. 147 sowie 299–309. In dieser Hinsicht vgl. das Formular J. (WA 38,426,36–43; Mittermeier 88 [39]): In der Ordination wird nicht der Ordinand lediglich der Kirche empfohlen, sondern die Kirche des lebendigen Gottes wird dem Ordinanden anvertraut (commendare); vgl. C./F., R. und L.: „zu huten beuolen“ (Mittermeier 86/87 [38]). Gegen u. a. Drews, „Ordinationsformular: Einleitung“, S. 408. Heubach, Die Ordination, S. 37. Rietschel, Luther und die Ordination, S. 73 (Hervorhebung JM); Rietschel setzt sich an dieser Stelle mit Kliefoth auseinander, der die Verheißung erkannt hatte; vgl. Kliefoth, „Ordination und Introduction“, bes. S. 406–411 und 458–470. In gleicher Weise wird das promissorische Element auch in der neusten Arbeit übersehen; siehe Krarup, Ordination in

Ein homiletisch vermitteltes Verständnis der Ordination

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eingeschärft, aber das Ordinationsformular betont in den Lesungen, die für diesen Anlass gewählt wurden, keineswegs nur die Pflichten. Da wir eingestehen, dass auch die Pflichten des Amtes und der Amtsträger in diesen Lesungen und ihrer liturgischen Verwendung betont werden, wird im Folgenden allein das promissorische Element der Lesungen und seine Umsetzung im weiteren Lauf des Ritus dargestellt werden. Nachdem I Tim 3,1–6 gelesen wurde, folgt Act 20,28–31, und hier werden folgende Worte gesprochen und gehört: „die gantzen Herd, vnter welche euch der Heilige geist gesetzt hat zu Bischouen, zu weiden die Gemeine Gottes“.383 Act 20,28 enthält also die zutiefst theologische Aussage, dass Presbyter384 bzw. Bischöfe von Gott selbst, vom Heiligen Geist eingesetzt werden. Grammatisch bleibt die Aussage faktisch-deklarativ, theologisch jedoch ist sie auch promissorisch zu werten, da sie Gottes effektives und gnädiges Handeln für seine Gemeinde ausdrückt. Der Inhalt der Lesungen wird in der Ansprache an die Ordinanden aufgenommen, die nun folgt. Die in Act 20,28 angesprochene Beziehung zwischen den Bischöfen und der Gemeinde wird jetzt unter dem Begriff des „Befehls“ bestimmt: Hie hüret ir, das vns, so Bischoue, das ist, Prediger vnd Pfarrer beruffen sind vnd sein sollen, nicht wird befolhen Gense oder Küe zuhuten, Sondern die Gemeine, so Gott durch sein eigen blut erworben hat, das wir sie weiden sollen mit dem reinen wort Gottes, auch wachen vnd zusehen, das nicht Wolffe vnd Rotten vnter die armen Schafe einreissen.385

„[W]ird befohlen“ ist ein passivum divinum, der im liturgischen Ritus der Ordination nicht einfach der Vergangenheit überlassen wird, sondern in der Gegenwart gilt und in der Zukunft gelten soll für alle, die als Prediger und Pfarrer schon berufen sind bzw. in Kürze berufen werden.386 Die faktisch-deklarative Aussage von Gottes effektivem und gnädigem Handeln zeigt im Ordinationsritus eine Zunkunftsbezogenheit: Gott, der damals Prediger und Pfarrer für die Gemeinde eingesetzt hat, setzt sie noch heute ein und befiehlt ihnen das Hüten, Weiden, Wachen und die Aufsicht über seine teuer erworbene Gemeinde. Gewiss legen die Lesungen und die Ansprache an die Ordinanden die Pflichten des Amtes dar, und gewiss ist ihre Antwort eine Art Selbstverpflichtung, wenn sie

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Wittenberg, S. 254 („Anforderungen und Pflichten“) und 255 („Vermahnung“ und „Paränese“). Zitiert nach Formular R. (WA 38,426,24–28; Mittermeier 85 [30]; Sander 269); die Lesung ist auch auch für alle anderen Fassungen des Formulars vorgesehen (Mittermeier 82/83 [29]). Vgl. Act 20,17 und die Formulare R. (WA 38,426,20; Mittermeier 83 [29]; Sander 269) und L. (WA 38,432,18; Mittermeier 83 [29]); s. o. Anm. 366 und 377. Formular R. (WA 38,427,15–29; Mittermeier 87f [33–39]; Sander 270). Auch passivum divinum; s. o. bei Anm. 368.

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Der Aspekt der Instrumentalität

nach ihrer Bereitschaft, dem Amt und ihren Pflichten nachzukommen, gefragt werden. Doch zugleich mit diesen Pflichten, unter deren Last sie in ihrem zukünftigen Amt gewiss zu leiden haben, wird den Ordinanden auch eine Verheißung zugesprochen, deren theologische Tragkraft ihnen die Last dieses Amtes leicht macht: Gott selbst wird sie nun gleich in dieses Amt einsetzen. Wie das Formular C./F. belegt, zielt das liturgisch ausgesprochene und zugesprochene Faktum, dass Gott selbst die Amtsträger beruft und einsetzt und auch die Ordinanden nun berufen und einsetzen wird, auf die Gewissheit der Ordinanden als zukünftige Amtsträger : „darumb sollt ir glauben und gewiß sein“.387 So wird ihre Selbstverpflichtung nicht zögernd, vielleicht sogar widerwillig ausfallen, sondern die bereitwillige Antwort auf Gottes ausgesprochene Verheißung sein: „Ja“388 im Sinne von „volumus“.389 Das „promitto“390 der Ordinanden ist die Antwort, die aus Gottes eigener Promissio entspringt – ihr promittere von seiner Promissio getragen.391 Der liturgische Vollzug der Verheißung aus Akt 20,28 geschieht gleich nach den Lesungen und der Anrede, nämlich bei der Handauflegung und dem Gebet. Im Beten kommt die ganze Gemeinde dem nach, was ihr befohlen ist, wenn sie den Herrn der Ernte um die von ihm gesandten Arbeiter bittet392 – einem Befehl, der für sie auch als eine göttliche Verheißung gilt,393 die nun auch in Erfüllung geht. Der auf Handauflegung und Gebet folgende Segen, mit dem die erbetene Sendung erfolgt, beweist und drückt aus, dass das in der Lesung verheißene Einsetzen und Befehlen Gottes nun vollzogen worden ist: „So gehet nu hin, vnd 387 388 389 390 391

Formular F. (WA 38,427,24f; Mittermeier 86 [24]). Formular R. (WA 38,428,9; Mittermeier 91[43]; Sander 271 – „Promissio“). Formular F. (WA 38,428,37; Mittermeier 91[43]); vgl. C.: „wir wollen“. Formular L. (WA 38,432,37; Mittermeier 91[43]). Wird die in den Lesungen angekündigte und danach vollzogene Verheißung übersehen, so zeigt sich darin der generelle Mangel, Gesetz und Evangelium in Bezug auf den Ritus unterscheiden zu können. Rietschel, Luther und die Ordination, versteht die Verwendung von „libet“ und „licet“ in den Rubriken nicht (vgl. S. 19–24. Für „libet“ und „licet“ siehe WA 38,429,9f; Mitermeier 93 [47]). Das Formular und der liturgische Ritus der Ordination verstehen die Einsetzung von Amtsträgern als eine Gabe, ein Geschenk. Dieses Geschenktsein und der durchgreifende Gabe-Charakter, der den liturgischen Ritus und das gottesdienstlich Vermittelte und Erlebte wesentlich prägt, zeigt sich bis in die Rubriken des Ordinationsformulars. Weil Bugenhagen Rubriken festsetzt, deutet Rietschel das als eine gewisse Gesetzlichkeit. Gleichzeitig folgt aber Rietschel selbst einem Gesetz der Beliebigkeit: Was Luther nicht wortwörtlich festhält, betrachtet Rietschel als unwesentlich und unterwirft es dem theologischen Ermessen des jeweiligen Ordinators. Doch „in hanc vel similem sententiam“ (WA 38,427,12f; Mitermeier 85 [32]) heißt nicht „Mach, was du willst“, sondern lässt es dem Ordinator frei, die nun gelesene Schriftlesung (u. a. Act 20,28–21) auf die Ordinanden promissorisch auszulegen, um damit den Vollzug dieses Verheißungswortes im Gebet unter der Handauflegung des Presbyteriums vorzubereiten. 392 Siehe Mt 9,37. 393 Formular R.; Befehl (WA 38,429,27; Mittermeier 95 [52]; Sander 272) als Verheißung (WA 38,430,23–25; Mittermeier 97 [61]; Sander 272).

Ein homiletisch vermitteltes Verständnis der Ordination

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weidet die herde Christi, so euch befolhen ist, vnd sehet wol zu, Nicht getzwungen, sondern williglich, Nicht vmb schendligs gewins willen, sondern von hertzen grund, […]“394 Obschon Rietschel selbst die Fassungen R. und L. des Wittenberger Ordinationsformulars edierte, ist offenbar, dass die Stellung, die er zu Luther und der Ordination einnahm, gerade dem Ordinationsformular selbst nicht gerecht wird. Statt bei dem Formular zu bleiben und den Ausgangspunkt bei der in Wittenberg geübten und erlebten Ordinationspraxis zu nehmen, setzt Rietschel mit einem geschichtlichen Rekurs ein, um der „Bedeutung der Ordination“ begrifflich nachzugehen.395 In einem nun geradezu typisch gewordenen Verfahren präsentiert er die Vorgeschichte der regelmäßigen Ordination in Wittenberg, rüstet sich dabei mit vielen Luther-Zitaten aus, um schließlich doch den theologischen Inhalt des von ihm edierten Ordinationsformulars umzudeuten. Statt den Ausgangspunkt für die lex credendi bei der ihm vorliegenden lex orandi zu nehmen, stellt er ein Begriffsschema auf, das ihm hilft, sich von dem abzugrenzen, was Gebete und Vollzug aussagen. Sicher hat die These, dass „eine Liturgie kein theologischer Traktat ist“396, ein Wahrheitsmoment. Aber in diesem Fall ist sie weit mehr ein Kennzeichen einer als „apriorisch“ zu bezeichnenden Tendenz, nämlich das Gesprochene, das Gehörte, das Gebetete und das Erlebte dem Abstrakt-Begrifflichen kategorisch unterzuordnen. Nun kamen aber die Wittenberger Studenten, Ordinanden und Gottesdienstteilnehmer zu den Gottesdiensten, in denen ordiniert wurde, ohne ein solches Vorverständnis, das ihnen sagte, was alles die Ordination nicht sei und im Ritus der Ordination theologisch nicht passiere. Luther zeigt ihnen, was 394 I Petr 5,2 wie in Formular R. (WA 38,431,2–10; Mittermeier 99 [65]; Sander 273; Hervorhebung JM); vgl. Pr. 1882 [R] WA 47,780,37f. Obwohl Kliefoth seine Position nicht direkt mit dem Wittenberger Ordinationsformlar belegt, sondern sie vom Ritus der mecklenburgischen Kirchenordnung her entwickelt, in der das Wittenberger Formular allerdings wiedergegeben ist, ist sein Begriff von einem „über dem Ordinanden handelnden“ Wort Gottes theologisch dem Wittenberger Formular konform. Es ist eine theologisch zutreffende Beschreibung dessen, was in diesem gottesdienstlichen Ritus ermittelt und erlebt wurde. S.o. Anm. 382. 395 Vgl. die Überschrift zum Teil II.C. von Rietschel, Luther und die Ordination: „Die Bedeutung der Ordination bei Luther bis zum Jahre 1535“ (S. 45); zuerst legte er „Die Bedeutung des geistlichen Amtes“ (II.A., S. 30) fest (Hervorhebungen JM). Nur „Die Berufung zum Amte“ (II.B., S. 43) ist offenbar eine reale Größe, die nicht irgendwie begrifflich festgelegt und angeeignet werden muss. „Bedeutung“ bei Rietschel ist ein methodologisches Mittel, durch das Abstand zu theologischen Geschehnissen und Realitäten geschaffen wird. Wird dem gottesdienstlichen Ritus der Ordination die Bedeutung einer bloßen Bestätigung zugeschrieben und dazu die Handauflegung als ein „Zeichen der Bestätigung“ interpretiert, ist das ein doppeltes Abstrahieren; vgl. Mittermeier, Evangelische Ordination im 16. Jahrhundert, S.109, bes. die Literaturangaben in Anm. 363 und 364. 396 Krarup, Ordination in Wittenberg, S. 258. Vgl. Heubach, Die Ordination, S. 36, Anm. 140: „Für eine Theologie des Gottesdienstes hat Rietschel kein Verständnis.“

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Der Aspekt der Instrumentalität

vor sich geht, wenn er von der Kanzel aus die Ordination theo-log-isch auf solche Art und Weise erhellt, wie sie gerade der Sprache des Ordinationsritus entspricht. Es mag einleuchtend sein, theologischen Themen chronologisch nachzugehen. Das bedeutet aber zugleich eine methodologische Vorentscheidung, die materialdogmatische Auswirkungen in Bezug auf das Ordinationsund auch das Amtsverständnis Luthers hat. Denn damit wird das Begriffliche dem Gesprochenen, Gehörten und Erlebten und das Polemische und Situationsspezifische dem Neutralen und Allgemeinen vorgeordnet. Damit wird das notwendigerweise etwas chaotische Ringen einer sich von Missbräuchen der spätmittelalterlichen Kirche distanzierenden Reformbewegung dem immer mehr geregelten und geordneten Leben eines Teils der Kirche vorgeordnet, für den Luther und die Wittenberger nun Verantwortung trugen. Solcher Vorentscheidung Rietschels und seiner Schule gegenüber erweisen sich die verschiedenen Fassungen des Wittenberger Ordinationsformulars sowie Pr. 1574 und Pr. 1882 als Quellen, die nicht nur theologische Wahrnehmung verlangen, sondern auch einen berechtigten und maßgeblichen Platz in jeder theologischen Abhandlung über Luthers Ordinationsverständnis haben sollen.

6.4

Christologie und Gabemotiv als theologische Grundlage in Pr. 1574 und Pr. 1882

„,Siehe, ich bin bei euch‘ […] es [gibt] keinen Zweifel, dass unser HErr [und] Haupt doch bei uns und nicht [getrennt] von uns bis zum Jüngsten Tag [ist], […]“397 Die Überlegungen zur mittelbaren Präsenz Christi, mit denen 6.2.3.4 abgeschlossen wurde, sind jetzt der Ausgangspunkt, um der spezifischen Christologie von Pr. 1574 und Pr. 1882 nachzugehen und sie in Verbindung zu bringen mit dem Gabemotiv, das in diesen zwei Predigten zu beobachten ist.

6.4.1 Christologie Wir gehen von der These aus, dass sowohl Pr. 1882 und Pr. 1574 als auch das in ihnen homiletisch dargestellte Amts- und Ordinationsverständnis von der Christologie getragen werden. Das in ihnen präsentierte Verständnis von Christus, bei dem die Person-Einheit und die Unzertrennbarkeit der zwei Naturen ernstgenommen werden, ist die Grundlage, auf der Luther zur Überzeu397 Pr. 1574 [R] WA 41,454,21–24: „,Ecce vobiscum sum‘ […] non dubium, quod noster dominus heubt […] tamen nobiscum et non von uns bis usque ad extremum diem, […]“ (Wortumstellung JM).

Christologie und Gabemotiv als theologische Grundlage in Pr. 1574 und Pr. 1882

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gung der mittelbaren Präsenz Christi im Wort und den Sakramenten und zugleich auch im Amt und den Amtsträgern findet. Von Mt 28,20 aus beginnt Luther Pr. 1574 mit der Feststellung, dass Christus „bei uns“ ist bis zum Jüngsten Tag.398 Seine Präsenz wird näher als eine „geistliche“ Präsenz bestimmt: „[…] er bleibt mit der Kirche geistlich; freilich ist er anwesend, auch wenn er nicht gesehen wird.“399 Von Christus, der gen Himmel gefahren ist, kann einerseits mit Verben in der Zeitform der Zukunft gesprochen werden: Er „wird wiederkommen“.400 In Pr. 1574 werden andererseits Verben im Präsens auf ihn bezogen, nicht zuletzt „bleiben“ und „da-sein“: „Das ist, was er gesagt hat, dass er bei uns ist und bleibt [,alle Tage bis an der Welt Ende]. […][‘]“401 Wenn man diesen Verben in der Predigt, nämlich „bleiben“ und „dasein“, nachgeht, wird eine Verschränkung deutlich: Das, was von Christus gesagt wird, wird auch vom Wort, den Sakramenten und dem Amt gesagt. Oder andersherum: Das, was vom Wort, den Sakramenten und dem Amt gesagt wird, wird auch von Christus gesagt. „Die Taufe ist da.“402 Das Amt „ist vorher [da]“.403 „[…] das Predigtamt bleibt, […]“404 „[…] hier bleibt das Evangelium, die Taufe, die Schlüssel, das Sakrament [und] das Predigtamt.“405 Christus, das Amt, das Wort und die Sakramente bleiben; sie sind da. Er wird mit ihnen verschränkt und sie mit ihm. Und indem das Amt konkret und nicht abstrakt vorgestellt wird, verschränkt sich Christus mit den Amtsträgern und sie sich mit ihm. In Pr. 1882 ist es für Luther kein Widerspruch, dass allein Christus mit seiner Braut in der Brautkammer sprechen und handeln will, und dass es zugleich die anderen, nämlich die Amtsträger, in der Brautkammer gibt, „die predigen, raten, trösten, unterrichten, unterscheiden usw.“.406 In Pr. 1574 wendet der predigende Seelsorger diese Verschränkung von den Amtsträgern und Christus ebenso an. Für die Zuhörer und für alle in der Kirche, die sich Sorgen machen angesichts 398 S.o. Anm. 397. 399 Pr. 1574 [R] WA 41,454,24f: „[…] manet cum Ecclesia geistlich, quanquam vere adest, nisi quod non videtur.“ (Wortumstellung JM). 400 Nizänisches Glaubensbekenntnis (BSLK 26,22; vgl. 22,17 und 30,18). 401 Pr. 1574 [R] WA 41,455,21: „Das ist, quod dixit, quod nobiscum et manet & c. […]“ Für „bleiben“ vgl. WA 41,454,24; 41,458,11–13 (s. o. Anm. 296). Für „da-sein“ vgl. WA 41,454,23f (s. o. Anm. 397); 41,454,25 (s. o. Anm. 399); 41,455,24; 41,459,5 (s. o. Am. 297) und 41,459,6. 402 Pr. 1574 [R] WA 41,455,29: „Tauff ist da.“ Siehe auch WA 41,457,24. 403 Pr. 1574 [R] WA 41,457,16: „prius est“ (Wortumstellung JM). Vgl. WA 41,457,23f: „[…] das Amt ist bereits vor der Kasel und der Tonsur da.“ („[…] iam das ampt da vor der kasel, platten,“); und 41,457,26f: „[So] ist auch das Amt da; es ist nur, dass es ihm aufgelegt wird.“ („Et officium adest, nisi ut imponatur ei officium.“). 404 Pr. 1574 [R] WA 41,457,1: „[…] bleibt ministerium, […]“ Siehe auch WA 41,457,3. 405 Pr. 1574 [R] WA 41,457,2f: „[…] hic manet Euangelium, baptismus, claves, Sacramentum, predigampt.“ (Wortumstellung JM). 406 Pr. 1882 [R] WA 47,783,23: „Qui predigen, raten, trosten, unterrichten, unterschieden & c.“.

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Der Aspekt der Instrumentalität

eines wachsenden Mangels an Pfarrern, lässt Luther den HErrn Christus folgendes sagen: „[,]Ich, der ich gestorben war, bin bei euch.[‘]“ Und er fährt weiter fort: „Er hat kein besseres Amt als [die], die [es] jetzt führen, […]“407 Der gestorbene und nun lebende Christus sorgt also für das Leben dieser Kirche, auch wenn ihre Pfarrer nun sterben. Luthers Christologie ist ein Prüfstein, an dem sich alle Amtsvorstellungen, die Luther rezipiert zu haben meinen, messen lassen müssen. Ein solches Verständnis, nach dem das göttlich gestiftete Amt von den allzu menschlichen Amtsträgern abgesetzt werden müsse, bei dem es notwendigerweise einen Abstand zwischen göttlich gestifteten Amtsfunktionen und den allzu oft unwürdigen Trägern des Amtes geben müsse, verrät ein allgemeines Theologie- und Gottesverständnis, das Luthers Christologie nicht rezipieren kann. Der zur Rechten des Vaters sitzende allmächtige HErr der Kirche, der in äußerster Ohnmacht und Verachtung gestorben ist, muss jetzt nicht vor den „aussätzigen Händen“ theologisch geschützt werden, sondern er kann sich mit ihnen verbinden und durch sie präsent sein.408 Luther, seine Mitamtsträger, die Zuhörer, sowie die Ordinanden an den Tagen, an denen Pr. 1574 und Pr. 1882 gehalten wurden, befinden sich in einer Zwischenzeit.409 Die Grenzen dieses Interims werden mit der Himmelfahrt Christi und Pfingsten einerseits und dem Tag seiner Wiederkunft andererseits gesetzt. Christi Gegenwart gründet in der Vergangenheit; er hat sich von der Welt gelöst, ist aber „in [den] Dienst seiner Herrschaft [ge]gangen“: Sein heiliges Wort und die Sakramente hat er zurückgelassen und sie den Amtsträgern der Kirche anvertraut, so dass er in der Gegenwart „geistlich“ präsent ist.410 „Geistlich“ meint hier : konkret-mittelbar präsent, aber verhüllt. Er ist nicht sichtbar, doch seine Masken, die Amtsträger, sind sichtbar und bleiben es bis zu dem Tag, an dem man ihn ohne einen Prediger sehen wird.411 Christus ist und bleibt derselbe, heute wie gestern und auch in Ewigkeit, immer Gott, immer menschlich.412 Wie zur Zeit des Alten Testaments, die auch eine Zwischenzeit zwischen der Verheißung des Messias und seiner Inkarnation war, ist Christus auch in der Gegenwart wie durch ein Tuch verhüllt oder hinter einem Vorhang 407 Pr. 1574 [R] WA 41,457,6f: „Ego vobiscum, qui mortuus est, non habet melius officium quam, qui iam praesunt.“ (Hervorhebung JM); s. o. Anm. 186 und 295. 408 Pr. 1574 [R] WA 41,457,4f: „[…] wir sind Gottes Masken und die aussätzige Hand unseres Herrgotts.“ („[…] sumus dei larvae et unsers herr gotts netzige hand.“; Wortumstellung JM). Siehe auch Jes 53,2–4; die Stelle gehörte zu Luthers Christusbild. 409 Pr. 1574 [R] WA 41,454,24f und 41,455,23f; siehe auch 41,457,30–32. 410 Pr. 1574 [R] WA 41,454,18–25 und 30f; Zitate – 41,454,30f: „gangen in dienst fur seiner herschafft“, und 41,454,24. 411 Christus nicht sichtbar, die Amtsträger sichtbar : Pr. 1574 [R] 41,454,21–25; 41,455,6f und 23f; 41,456,11f und 23–26. 412 Pr. 1882 [R] WA 47,784,30f.

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präsent:413 Durch die Amtsträger und das von ihnen gepredigte Wort und die von ihnen gespendeten Sakramente ist der Sohn Gottes und Marias Sohn, der doch im Himmel ist, zugleich auf Erden aktual-präsent.414 Christus, der sein Volk einmal aus Ägypten geführt hat,415 sorgt als Geber konkret gegebener Gaben für seine Kirche bis zum Tag seiner Wiederkunft.

6.4.2 Gabemotiv „Gewiss sind alle Dinge Gottes Gaben.“416 Dieses Bekenntnis zum allumfassenden Geben Gottes des Gebers steht wie ein Motto über allem, das in Pr. 1882 über Amt, Stand, ecclesia, oeconomia, politia und Dienst gesagt wird. Das Gabesein von „Haus, […] Hof, Korn [und] Wein“, von „Mann […] Frau [und] […] Knecht“417 erfährt durch die Fokussierung der Diskussion auf „geistliche Gaben […], die auf die Kirche bezogen sind nach dem Heil der Seele“,418 durchaus keine theologische Einschränkung. Wenn er seinen Blickwinkel erweitert, kann Luther alles in der Welt, alles im weltlichen Regiment und in der politia und der oeconomia eine Gabe nennen; in Pr. 1882 geht es aber um Gaben in der ecclesia, im geistlichen Regiment.419 Da gehören zu den Gaben Gottes die Amtsträger, denn Luther sagt den Zuhörern, dass Gott von den Amtsträgern „Gebrauch macht“ „zu eurer Ehre“.420 Das, was durch die Amtsträger gemacht und gesagt wird, geschieht zum Besten der Zuhörer und Empfänger. Durch sein Handeln, durch die Amtsträger vermittelt, bestimmt Gott sich als Geber und die Christen als Hörende und Empfänger – er ist aktiv und gebend, sie sind passiv und passiv-empfangend.421 413 Pr. 1574 [R] WA 41,457,30f. 414 Sohn Gottes und Sohn Marias: Pr. 1882 [R] WA 47,784,27–31. Im Himmel: Pr. 1574 [R] WA 41,455,19; 41,456,30. 415 Pr. 1882 [R] WA 47,784,32–34. 416 Pr. 1882 [R] WA 47,780,17: „Certe omnia sunt Dei dona“. 417 Pr. 1882 [R] WA 47,780,18: „haus, hof, korn, wein […] vir, mulier, servus“. 418 Pr. 1882 [R] WA 47,780,19f: „spiritualibus donis, quae pertinent ad Ecclesiam secundum salutem animae“. 419 Die Gaben der zwei Regimente wirken aufeinander. In der Absolution, der Taufe, im Herrenmahl und in der Predigt wird die Schöpfung als Gabe erschlossen; siehe Bayer, Schöpfung als Anrede, S. 49f. Andererseits führen die Gaben der Schöpfung zu den Gaben des Heils in der Kirche; siehe Pr. 1732 [R/S] WA 46,440–449: Ochs, Acker und Ehe sind alle Gaben Gottes, die Gott in der oeconomia gibt, die pädagogisch zu den Gaben der ecclesia, nämlich zu dem Evangelium, zum Abendmahl führen sollen. 420 Pr. 1574 [R] WA 41,455,2: „utitur zu ewren erhen“. 421 Das Gegenüber zum Reden und Tun Gottes ist das Hören und Empfangen der Seinen; siehe z. B. Pr. 1882 [R] WA 47,782,13 und 37; 47,783,18f; vgl. Pr. 1574 [R] WA 41,455,20: „[…] es ist nur, dass er will, dass [ihr] eine Gabe empfangt, […]“ („[…] nisi quod velit accipere donum, […]“); 41,457,28–30.

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Der Aspekt der Instrumentalität

Unter dem Motto, das Luther entfaltet hat – „Alle Dinge sind Gottes Gaben“ –, sind auch die Stände als Gaben zu begreifen. Und es gibt Einiges in Pr. 1882 sowie in anderen Predigten, das dafür spricht, dass Luther die Stände und die Berufe in den drei Standesbereichen selbst als Gaben versteht: Jemandes Stand oder Beruf ist nicht etwas, was ihm aus persönlichen Fähigkeiten, Kompetenzen und Fertigkeiten zukommt. In Luthers Ständelehre und bei dem Gabemotiv, das wir vor uns haben, werden persönliche Talente und Leistungsstärken nicht den Ständen und Berufen übergeordnet, sondern untergeordnet. In erster Linie sind Beruf und Stände selbst die Gaben:422 Das Amt des Fürsten, eines Bauern, einer Mutter oder eines Pfarrers ist selbst nur Gabe, die verliehen wird und durch die anderen gedient wird. Persönliche Begabungen können sozusagen zu den jeweilen Berufen, Ständen und Ämtern hinzutreten, und wenn sie diesen untergeordnet bleiben, sind auch sie Gaben, durch die anderen gedient wird. Ganz konsequent zielt Luther darauf ab, dass man nur von konkret-geschenkten Gaben ausgehen und nur mit solchen Gaben rechnen soll. Christen stellen sich also nicht Fragen wie „Wozu bin ich in der Lage?“ oder „Was vermag ich?“ – zumindest nicht in erster Linie. Sie haben sich vielmehr zu fragen „Hat mir Gott das Regiment an den Hals gehängt?“423 „Hat er mir 1000 Gulden gegeben?“424 „Was ist mein Stand?“425 Weil er eine Gabe ist, ist ein Stand weder etwas, was der Inhaber oder Träger des Standes selbst erlangen oder erringen kann, noch etwas, was einer, der nicht in diesem Stande ist, zu fürchten hat oder vor dem er sich schützen muss. Dies gilt auch für alle Gewalt, die den jeweiligen Ständen verliehen ist: Solche Gewalt ist weder zu erlangen noch zu fürchten, sondern sie ist Gabe, die zum Guten der Menschen gebraucht werden soll. Luthers oft wiederholte Frage „Woher?“426 und das Gegeben-Sein konkreter Gaben greifen ineinander. Vermögen und Macht, Ordnungen und Bräuche werden alle mit der Woher-Frage konfrontiert. Gehen Macht und Vermögen nicht auf Gottes Geben zurück, sind sie keine Gaben. Die Frage nach Macht und Vermögen kann von Luther mit dem Hinweis auf ein von Gott gegebenes Amt oder einen von ihm gegebenen Stand beantwortet werden, aber nicht andersherum: Amt und Stand können sich nicht auf menschliches Vermögen gründen.427 Macht und Vermögen, wenn sie nicht auf von Gott gegebene Ämter, 422 423 424 425

Pr. 1882 [R] WA 47,781,26–31; siehe auch Pr. 1891 [R] WA 47,839,4. Vgl. Pr. 1882 [R] WA 47,781,30f. Vgl. Pr. 1882 [R] WA 47,781,27f. Konkrete Gaben und Aufgaben können wie konkrete Sünden anhand von konkreten Ständen festgestellt werden; vgl. „Wie man die Einfältigen soll lehren beichten“ im Kl. Kat. (BSLK 517,24–30): „[…] fur dem Beichtiger sollen wir allein die Sünden bekennen, die wir wissen […]. Welche sind die? […] [S]iehe Deinen Stand an nach den zehen Geboten, […]“ 426 Pr. 1882 [R] WA 47,783,28, 30 und 40; 47,784,8, 9 und 14. 427 Will ein Prediger oder Pfarrer sein Amt von seinen eigenen Fertigkeiten und Fähigkeiten her verstehen und ableiten, entstehen nach Luther daraus Sekten; Pr. 1882 [R] WA

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Berufe und Stände zurückgeführt werden können, leiten sich dann nur aus Leistungen und Fähigkeiten des Menschen her, der seinen selbst errungenen Machtbereich immer erweitern will. Macht und Vermögen, die also nach dem Muster des Gesetzes verstanden werden, konfrontiert Luther entsprechend mit dem Gesetz: „Bei Leib[!], [das ist so ein Verhalten,] dass man weder Gott dient noch dem Staat nützlich ist [noch seinem Nächsten hilft], sondern[, dass man] mit den Gaben [nur] tyrannisiert und denkt: [,]Ich habe [sie] nicht von Gott empfangen, sondern [sie sind] mir angewachsen.[‘]“428 „Wenn ich [diese Sachen] aus meinem Vermögen tue, so habe ich Gott gelästert und geschmäht […].“429 Zum Wesen einer Gabe gehört, dass sie weiter fließt, in Bewegung bleibt.430 Solange eine Gabe eine Gabe ist, kennt sie keinen Stillstand. Luther zeigt diesen Gedanken, wenn er in Pr. 1882 ein Lob- und Caritas-Kriterium aufstellt und damit Macht und Vermögen und alle anderen Gaben testen kann.431 Dies Kriterium lautet: Dient die Macht eines Standes oder das Vermögen eines Amtes den Menschen außerhalb dieses Standes bzw. Amtes oder nicht? Wird Gott dadurch gelobt? So zeigt sich, ob dieses Vermögen und diese Macht als Gabe verstanden werden, die Gott gewollt hat und hinter denen er selbst steht. Macht und Vermögen sind und bleiben dann Gottes Gaben, wenn Gott durch sie verherrlicht wird und seine Geschöpfe schützt, ernährt und errettet. Werden aber Vermögen und Macht, Fähigkeiten und Fertigkeiten als errungener Besitz (ein

428 429 430

431

47,780,32–38. Faktum ist, – wie Act 20,28 und I Petr 5,2f zeigen, die Luther hier zitiert (die WA-Angaben sind inkorrekt) – dass die Amtsträger Presbyter und Bischöfe sind, denen die Herde Gottes befohlen ist. Siehe auch WA 47,781,22: „Wenn nun der Heilige Geist die Gaben verteilt, können wir sie nicht [nach unserem Vermögen] gebrauchen.“ („Si ergo dividit dona Spiritus sanctus, non possumus uti.“). Persönliche Eigenschaften und Begabungen, die dem Menschen zukommen, der ein Amt innehat, werden dadurch nicht missachtet; sie können auch – wie das Amt oder der Stand – entweder als Gaben oder als Mittel zu eigener Macht verstanden und verwendet werden; siehe Pr. 1882 [R] WA 47,781,32–39. Bildung ist unter den Amtsträgern der Kirche zwar wünschenswert (Pr. 1902 [R] WA 49,21,27f; 49,22,35), aber das Amt wird nicht aus den Fähigkeiten, Fertigkeiten oder der Bildung des Amtsträgers abgeleitet; es ist ein Kennzeichen von Unglauben, wenn ein Pfarrer oder Prediger für ein gleichsam höheres Wesen gehalten wird (Pr. 1923 [R] WA 49,139,8–26 im weiteren Kontext der Predigt). Pr. 1882 [R] WA 47,781,16–18: „Bey leib, das man ja Got nicht diene, nutz schaffe Civitati & c. sed mit gaben tyrannisiren und cogitare: a Deo non accepi, sed mir angewachsen.“ Pr. 1882 [R] WA 47,783,38f: „Si facio ex mea virtute, so hab ich Got gelestert und geschendet […].“ Siehe auch WA 47,780,25–32; 47,781,3–5 und 23–25; 47,783,34f. Vgl. Pr. 1732 [R/S] WA 46,440–449: Die Gaben des ersten Artikels (vgl. Kl. Kat., BSLK 510,28–511,8) führen zu den Gaben des dritten Artikels (vgl. Kl. Kat., BSLK 511,39–512,13); Acker, Ochse und Ehe führen alle „ad coenam“ – zum Abendmahl, oder sie können verkehrt werden und wirken dann sozusagen „contra coenam“, sodass sie Menschen vom Abendmahl ablenken. Vgl. Bayer, Schöpfung als Anrede, S. 62–79. Siehe z. B. Pr. 1882 [R] WA 47,781,23–26 und 34f; 47,781,39–782,3; 47,783,1f, 12f und 16f; 47,784,22 und 25.

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Der Aspekt der Instrumentalität

Stillstand!) verstanden, so verlieren sie ihren Charakter als von Gott gewollte Gaben. Ihre Gott gewollten Zwecke werden alle zum Selbstzweck verfälscht. Nach Luther hat ein Fürst seine Macht nur, um seinen Untertanen zu dienen, nicht aber, um sie auszudehnen. Gefüllt werden die Scheunen des Bauern, damit er seine Mitbürger ernähren kann, nicht aber, damit er sich die Taschen füllt. Den Amtsträgern der Kirche kommt die potestas ihres ordinis zu, damit andere Christen durch das Wort und die Sakramente errettet, gestärkt und geheiligt werden, nicht aber, damit die Amtsträger sich über andere erheben.432 Gaben können verkehrt werden.433 Gaben, die nicht ihren von Gott gewollten Zwecken dienen, hören auf, Gaben zu sein. Ihr Wesen entspricht nicht mehr dem Evangelium, sondern nur noch dem Gesetz: Verfälschte Gaben werden zum unerträglichen Gesetz.434 Die Verkehrung zeigt sich in einer Vielfalt von Symptomen: Statt anderen zugute zu kommen, werden die Gaben als Besitz verstanden. Statt anderen zu dienen, müssen andere sich vor ihnen schützen und sich gegen sie wehren. Systeme von gegenseitiger Unterwerfung und Herrschaft435 ersetzen das friedliche Spiel der Kräfte in der Welt, die Gott in Geben und Empfangen ordnet. Allerseits wird um Rechte gekämpft. Cogere ersetzt caritas.436 Das Nachsinnen über Gaben und Gottes konkretes Geben, zu dem Pr. 1882 und auch Pr. 1574 uns leiten, eröffnet eine unverzichtbare Perspektive, um Luthers Amtsverständnis zu verstehen. Das Amt ist eine Gabe. Wie das gepredigte Wort, die Taufe, die Absolution und das Sakrament des Altars, so ist auch das 432 Es ist bemerkenswert, dass Luther seine Kritik am Amtswesen und den Amtsträgern der Kirche, die unter dem Papst stand, fast immer mit einer Kritik des Mönchtums verknüpft. Oft erwähnt Luther z. B. die Salbung der Hände, einen Teil des Ordinationsritus der Priester, und die Tonsur, die eigentlich nicht zu der Ordination, sondern zu der Mönchprofess gehört, gleich nebeneinander. Das Mönchtum, das Luther kannte, war seines Erachtens ein Selbstzweck; es existierte, damit Menschen, die ihre gottgegebenen Berufe und Stände verlassen hatten, im Kloster ihrem eigenen Heil nachgehen und es erlangen könnten. Luthers Bestrebungen um Reform des Amtswesen der Kirche bestanden auch darin, die Mischung von selbstgestifteten Zwecken und den von Gott gestifteten Dienstzwecken aufzulösen. 433 Pr. 1882 [R] WA 47,781,23f; 47,784,24f. 434 Pr. 1882 [R] WA 47,780,25–27. Vgl. Pr. 1903 [R] WA 49,25,27–26,6: Nach Luther bestand das Hauptproblem in Korinth darin, dass manche die Gaben, die sie von Gott bekommen hatten, in Hoffart zu ihrer eigenen Ehre missbrauchten. Von dieser Grundsünde, d. h. von dem Missbrauch und der Verkehrung der Gaben Gottes, kamen alle anderen Probleme in Korinth her. Luther nennt diese Sünde einen alten Streich, der immer in der Kirche zu finden ist. Rechter christlicher Glaube hingegen dient dem Nächsten. Wenn der Glaube der einzelnen Korinther nicht ihren Nächsten dient, wird dieser Glaube ihnen auch nicht vor Gott helfen können. 435 Pr. 1882 [R] WA 47,782,39–783,11; Luther spricht mehrmals gegen „Herrschaft“ in der Predigt. 436 Vgl. Pr. 1882 [R] WA 47,780,38 („coactus“) mit 47,780,27 („charitate“; s. o. Anm. 434).

Christologie und Gabemotiv als theologische Grundlage in Pr. 1574 und Pr. 1882

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Amt schon da.437 Es ist nicht etwas, dass Menschen schaffen können oder schaffen müssen.438 Es ist anvertrautes Gut, das anderen Menschen durch die Predigt des Wortes und das Darreichen der Sakramente zu dienen hat. Es ist gegeben und anvertraut und wird weiterhin anvertraut und gegeben, ohne dass die Amtsträger, die das Amt empfangen und weitergeben, selbst über das Amt verfügen. Die Anhänger der Wittenberger Reformation waren mit einer Situation konfrontiert, in der das Amt als Besitz verstanden wurde. Als von Gott gegebene Gabe aber ist das Amt dazu da, damit das Wort gepredigt wird und die Sakramente dargereicht werden. „[Das Predigtamt wurde] nicht gestiftet, damit es kein Evangelium gäbe.“439 Doch die Anhänger des Papstes, einschließlich der Bischöfe, verstehen das Amt als ihren Besitz und die Einsetzung oder das Ordinieren von Amtsträgern als ihr Vorrecht. Ihre Weigerung, Amtsträger für die Anhänger der Reformation zu ordinieren, ohne diesen Einschränkungen in der Predigt des Evangeliums aufzuerlegen, verkehrt und hindert das Amt. Das Predigtamt ist dazu gestiftet, das Evangelium und die Sakramente auszuteilen. Wenn aber über das Amt so verfügt wird, dass es zum Machtmittel wird, um dass Evangelium zu verhindern, um die Sakramente nicht nach ihrer göttlichen Einsetzung auszuteilen, dann wird das Amt verkehrt, und die Gabe wird zum unerträglichen Gesetz. Wenn Luther die nunmehr in Wittenberg geübte Ordination damit begründet, dass das Amt „weder unser Predigtamt noch das Predigtamt des Papstes“440 ist, so scheint dies auf den ersten Blick hin nicht einleuchtend. Aber gerade weil das Amt kein Besitz, sondern Gabe ist – gerade weil es weder den Wittenberger Amtsträgern noch den Bischöfen noch dem Papst als Besitz zukommt, kann Luther feierlich erklären: „Wir geben das Amt willig, […]“441 Es ist ihnen als eine Gabe anvertraut, die zum Geben bestimmt ist. Es ist eine Gabe für die Kirche und ohne die die Kirche nicht sein kann. Das Amt ist den Amtsträgern anvertraut, damit es im Predigen des Wortes und im Spenden der Sakramente weiter geht – damit es den Menschen dient und ihnen die Gaben austeilt, die Gott für sie gestiftet hat. Das Amt ist den Amtsträgern nicht dazu anvertraut, dass sie es für sich behalten und keiner dient und Gottes Heilsgaben ausgeteilt. Gerade mit der Gabe-Bestimmung des Amtes kommt Luther zum Weiter-Anvertrauen des Amtes, das in der presbyteralen Ordination in Wittenberg stattfindet.442 Ein im heutigen Protestantismus durchaus verbreitetes Amtsverständnis 437 438 439 440 441 442

Pr. 1574 [R] WA 41,457,24–30. Pr. 1574 [R] WA 41,457,5f. Pr. 1574 [R] WA 41,456,38–457,1: „Non gestifft ut nec Euangelium.“ Pr. 1574 [R] WA 41,456,39: S.o. Anm. 335. Pr. 1574 [R] WA 41,457,15: „Wir willig officium damus, […]“ Pr. 1882 [R] WA 47,784,13f.

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Der Aspekt der Instrumentalität

entspricht dagegen mehr einem Unverständnis Luthers, wie er es gerade in diesen Predigten bekämpft, als seinem eigentlichen Verständnis des kirchlichen Amtes. Für Luther ist das Amt nie ein Besitz oder eine Sache von Rechten, die irgendwelchen Menschen gehören. Auf das Amt gibt es keinen Anspruch, noch ist es von den Fähigkeiten und Fertigkeiten des jeweiligen Menschen abzuleiten. Folglich kann sich ein Amtsverständnis, das begründet wird mit Rechten, die alle Christen angeblich besitzen, und ein Amt, das durch akademische Fähigkeiten und wissenschaftliche Fertigkeiten erlangt wird, nicht als lutherisches Amtsverständnis ausgeben, wenn denn lutherisch mit Luther zu identifizieren ist. So vom Amt zu denken würde für Luther nur gegenseitige Herrschafts- und Unterwerfungsversuche zur Folge haben – so verdeckt sie sein mögen –, und in Machtspielen und Rechtshader auf allen Seiten enden.

6.5

Zusammenfassende Bemerkungen: Mittelbare oder unmittelbare Beziehung zu Gott?

Die Ergebnisse dieses Kapitels führen uns zu der Frage nach der Beziehung des Christen zu Gott. Es liegt auf der Hand, dass Luther sie als eine mittelbare, vermittelte Beziehung versteht. Sei es in der ecclesia oder in der politia und oeconomia, sei es im geistlichen oder im weltlichen Regiment – Gott handelt nach Luther durch Mittel: Wenn er diese Sachen durch sich [machen wollte], wäre es nicht vonnöten gewesen, dass er Orden eingesetzt hätte. [Aber] Gott will seine Majestät durch unsere Schwäche aufzeigen; er hat mich zum Prediger genommen, [ich,] der [ich] eine Fliege bin, [der ich] eine [päpstliche] Bulle [gegen mich habe], [den] er vorher aus dem Nichts geschaffen hat. So [ist es]; wir [sind] Menschen, die nichts sind: heute leben wir ; morgen sterben wir. Trotzdem begegnet Gott, der auch aus reiner Schwachheit [und] Narrheit [seine Werke] ausrichten kann, dem Teufel nicht mit der herrlichen Majestät wie am Jüngsten Tag.443

Prediger und Pfarrer gelten als Gottes Mittel in der ecclesia und im geistlichen Regiment. Haben aber Christen nicht eine unmittelbare Beziehung zu Gott? Die Vorstellung scheint heute zum Fundament der protestantischen Theologie zu gehören, und sicherlich steht sie in einer gewissen Tradition. J. W. F. Höfling, 443 Pr. 1888 [R] WA 47,822,18–24: „Si ipsa per se, non opus esset instituere ordines. Suam maiestatem vult Deus ostendere per nostram infirmitatem, accepit me zum prediger, qui sum musca, bulla; prius ex nihilo creavit. Sic nos homines, qui nihil: hodie vivimus, cras morimur, et tamen dem Teuffel begegnet er nicht mit der herrlichen Maiestet ut in extremo die, sed qui ex lauter schwacheit, narrheit, kan er auch ausrichten.“

Zusammenfassende Bemerkungen: Mittelbare oder unmittelbare Beziehung zu Gott? 265

dessen Verständnis des kirchlichen Amtes für große Teile des evangelisch-lutherischen Protestantismus maßgeblich geworden ist, darf als ein Beispiel dienen. Höflings Verständnis der Kirche und folglich auch seine Kirchenverfassung sind in der Vorstellung begründet, dass der Gläubige ein unmittelbares Verhältnis zu Christus und zum Heil habe.444 Diesen angeblich protestantischen Grundsatz leitet er aber nicht von Luther, sondern von Schleiermachers Gedanken ab, wonach im Protestantismus das Verhältnis des Einzelnen zur Kirche von seinem Verhältnis zu Christus bestimmt sei, und nicht umgekehrt wie im Katholizismus.445 Im Zuge seiner Argumentation baut Höfling zuerst das Verständnis der Unmittelbarkeit des Gläubigen zu Gott aus, um es im Nachhinein Luther anzuhängen. Er führt kein Lutherzitat an, das eine Unmittelbarkeit des Gläubigen zu Gott begründete. Am nächsten kommt er mit einem Zitat aus der „Resolutio Lutheriana super propositione sua decima tertia de potestate papae“ (1519): „Wo der Glaube, […] da ist auch die Kirche; wo die Kirche, da auch die Braut Christi; wo die Braut Christi, da Alles, was des Bräutigams ist. Also hat der Glaube Alles bei sich, was auf den Glauben folgt: Schlüssel, Sakrament, Gewalt und alles Andere.“446 Doch den vorangehenden Satz lässt Höfling bezeichnenderweise aus: „Darum wo auch immer das Wort Gottes gepredigt und geglaubt wird, dort ist der wahre Glaube, dieser unerschütterliche Fels.“447 Denn da, wo von dem gepredigten Wort die Rede ist, ist die Rede nicht von Unmittelbarkeit, sondern von Mittelbarkeit. Höfling kann als typisches Beispiel gelten für eine Vorstellung, die Viele für einen theologischen Grundsatz halten und die als allgemein protestantisches Gedankengut gilt.448 Manchmal wird unbestimmt auf Luthers Traktate aus dem Jahr 1520 verwiesen. Eine eingehende Betrachtung und sorgfältige Analyse der 444 Höfling, Grundsätze, S.4 (§4). 445 Höfling, Grundsätze, S. 2–4 (§3). Vgl. Schleiermacher, Der christliche Glaube, S. 99 (§28): Schleiermacher begründet seinen Gedanken nicht mit den Reformatoren selber, sondern mit dem „eigenthümliche(n) Geist, der sich […] bewußtlos hinter“ dem Bestreben der Reformatoren „verbarg“, die Kirche zu reinigen. 446 Übersetzung von Höfling, Grundsätze, S. 13 (§7). 447 WA 2,208,25–29: „Quare ubicunque praedicatur verbum dei et creditur, ibi est vera fides, petra ista immobilis: ubi autem fides, ibi ecclesia: ubi ecclesia, ibi sponsa Christi: ubi sponsa Christi, ibi omnia quae sunt sponsi. Ita fides omnia secum habet, quae ad fidem sequuntur, claves, sacramenta, potestatem et omnia alia.“ 448 Siehe z. B. „Unvermitteltheit“ im Begriffsregister bei Goertz, Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt, S. 358. Man braucht nur „Luther unmittelbare Beziehung Gott“ oder „Luther direkt Verhältnis Gott“ bei einer Internet-Suchmaschine einzugeben, um die immer weiter laufende Rezeptionsgeschichte dieses angeblich lutherischen Gedankens zu verfolgen. Siehe z. B. „Kirchen und Konfessionen“, Spiegel Online: Themen – Lexikon: Christentum, http://www.spiegel.de/lexikon/54256385.html (abgerufen am 31. 05. 2011). Dort wird neben einem Bild von Luther erklärt, der erste „wesentliche Unterschied in der Glaubenspraxis der katholischen und der evangelischen Kirche“ sei die „unmittelbare Beziehung des Gläubigen zu Gott“.

266

Der Aspekt der Instrumentalität

Luther-Schriften aus dieser Zeit ist an dieser Stelle nicht möglich, doch ist festzuhalten, dass auch manche bekannten Stellen aus diesen Traktaten nicht von unmittelbarer Beziehung des Christen zu Gott sprechen.449 Ist also die Unmittelbarkeit des Christen oder des Gläubigen zu Gott ein Gedanke, der auf Luther zurückgeführt werden kann? Ist es ein reformatorischer Gedanke – also ein Gedanke, der zur festen Theologie der Zeit nach seiner reformatorischen Wende gehört? Es ist viel eher ein Gedanke, der auf die Mystik des späten Mittelalters zurückgeführt werden kann, wie man ihn zum Beispiel bei Thomas von Kempens De imitatione Christi findet. In der vorliegenden Untersuchung erweist sich, dass die gängige Idee von einer unmittelbaren Beziehung des christlichen Individuums zu Gott nicht mit der homiletisch vorgetragenen Theologie Luthers der Jahre 1535–1546 zu vereinbaren ist. Luther hat vielmehr die vermittelte Präsenz und Tätigkeit Christi durch bestimmte Mittel in der Kirche betont. Zu diesen Mitteln gehören die Amtsträger, denen es anvertraut ist, das Wort zu predigen und die Sakramente zu spenden. Damit wird die direkte Beziehung des einzelnen Christen zu Gott im Glauben nicht bestritten, sondern Luthers Verständnis dieses Glaubens wird dadurch präzisiert: Der Glaube wird aus der mittelbaren Tätigkeit Christi in seiner Kirche, durch das Amt und durch das Wort, das dieses Amt zu predigen hat, und durch die Sakramente, die es darzureichen hat, geboren, gestärkt und getragen. Das ist das Verständnis vom Amt und von Christi Präsenz in ihm, wie es den zukünftigen Predigern und Pfarrern der Reformation vermittelt wurde und nach welchem sie ordiniert wurden.

449 Z.B. die bekannte Stelle aus „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ (1520) WA 7,24,13–17: „,[…] glaubstu, so hastu, glaubstu nit, so hastu nit. […] Den ich hab kurtzlich yn den glauben gestellet alle ding, das, wer yhn hat, sol alle ding haben und selig seyn, wer yhn nit hatt, soll nichts haben.‘“ Hier wird aber keine Unmittelbarkeit des Menschen zu Gott postuliert, sondern Luther illustriert, wie der Mensch gerecht wird und wie Gottes nicht zu erfüllende Gebote doch erfüllt werden. Gnade, Gerechtigkeit und Freiheit kommen durch Gottes Zusage (WA 7,24,10–13). Zusage ist Gottes Verheißung in der Schrift, vollzogen in der Predigt. Um des gepredigten Wortes willen – um des Predigtamtes willen! – ist Christus gekommen, und sind die Apostel, Bischöfe, Priester und der ganze geistliche Stand berufen und eingesetzt (WA 7,22,19–22. Vgl. 7,28,26–37: Statt den Titel „Priester“ zu verwenden, wäre „minister“, „servus“, „oeconomus“, „Diener“, „Knecht“ oder „Schaffner“ [d. h. „Verwalter“ oder „Haushalter“] zutreffender ; diese sind Titel der Amtsträger.). Der Christenmensch ist durch den Glauben frei, aber nicht vom gepredigten Wort; der Glaube – und insofern der Christ als Christ – hängt von diesem Wort ab (WA 7,24,31f) und fließt aus Gottes Zusage, die in der Predigt von seinem Gebot zu unterscheiden ist (WA 7,34,9–22).

Anhang: Der Lesungs- und Anspracheteil der Ordinationsformulare H. und J.

6.6

267

Anhang: Der Lesungs- und Anspracheteil der Ordinationsformulare H. und J.

6.6.1 Aus dem Wittenberger Ordinationsformular H.450 Postea ordinator ascendit ad gradus superiores et verso451 ad ordinandos452 vultu dicat: „S. Paulus dicit: ,Omnis creatura dei bona est etc.; sanctificatur enim per etc.‘ Vos autem cum sitis non solum creatura bona, sanctificati per verbum et sacramentum baptismi, sed iam altera sanctificatione vocemini453 ad sanctum et divinum ministerium, quo per vos multi alii sanctificentur et domino lucrifiant verbo et opere vestro, intelligitis etiam hoc ipso, quam sancte et digne sanctis454 istis vocationibus vestris agere vos oportet – inprimis, ut ipsi sitis sani in fide, puri in verbo, irreprehensibiles in conversatione, ut et vita et doctrina boni dispensatores misteriorum dei et utiles ministri Christi inveniamini in illo die domini, sicut Paulus docet 1. Timo. q.455 : ,Fidelis sermo etc.‘ usque in finem paragraphi ,laqueum diaboli etc.‘; Act. 20: ,Attendite vobis et etc.‘“ Danach steigt der Ordinator auf die oberen Altarstufen; und nachdem er sein Gesicht den Ordinanden zugewandt hat, soll er sagen: „Der heilige Paulus sagt: ,Jedes Geschöpf Gottes ist gut usw.; denn es wird geheiligt durch usw.‘456 Da ihr aber nicht nur ein gutes Geschöpf seid, geheiligt durch das Wort und das Sakrament der Taufe, sondern jetzt durch eine zweite Heiligung zum heiligen und göttlichen Amt berufen werdet, damit auf diese Weise durch euch viele andere geheiligt und für den HErrn gewonnen werden mittels eures Wortes und Werkes, seht ihr auch aufgrund eben dieses Umstandes ein, in wie heiliger und diesen euren heiligen Berufungen würdiger Weise ihr handeln müsst – vor allem, damit ihr selbst besonnen im Glauben, rein im Wort und untadelhaft im Lebenswandel seid, damit ihr sowohl aufgrund eures Lebens als auch aufgrund eurer Lehre als gute Haushalter über die Geheimnisse Gottes und als nützliche Diener Christi

450 Handschrift Sup. ep. 48 74, Bl. 119b – 120a der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg (ich danke der Bibliothek für die Übersendung einer Kopie im jpg-Format). Abgedruckt bei Drews, „Ordination, Prüfung und Lehrverpflichtung“, S. 293f und WA 38,424f. 451 „[V]erso“: stillschweigende Korrektur von Drews; Handschrift: „versu“. 452 So Drews, „Ordination, Prüfung und Lehrverpflichtung“, S. 293, Anm. 6 und WA 38,424; Handschrift: „ordinatos“. 453 Auf der mir vorliegenden Kopie ist „altera“ nicht mehr lesbar, „sanctificatione“ noch zu ahnen, „voce“ nicht mehr lesbar. Hier verlassen wir uns auf den zuverlässigen Abdruck von Drews. 454 So die Handschrift und Drews richtig 1912 in WA 38,425 (mit J.); 1905 las er irrtümlich „factis“. 455 Drews 1905: „4“; richtiger WA 38,425: „q[uarto]“. 456 I Tim 4,4f.

268

Der Aspekt der Instrumentalität

befunden werdet an jenem Tag des HErrn,457 wie Paulus lehrt (I Tim 4): ,Das ist gewisslich wahr usw.‘ bis zum Ende dieses Abschnitts, [das heißt: ,[…] damit er nicht geschmäht werde und sich nicht fange] in der Schlinge des Teufels.‘;458 Act 20: ,So habt nun Acht auf euch selbst usw.‘“459

6.6.2 Aus dem Wittenberger Ordinationsformular J.460 3 Ordinator ascendat gradum, et verso ad ordinandos vultu dicat: „S. Paulus dicit: ,Omnis creatura dei bona est et sanctificatur per verbum et orationem.‘ Vos autem cum sitis non solum creatura dei, sed etiam iamdudum sanctificati per verbum et sacramentum baptismi, vocatione dei sancta et prima, nunc etiam vocatione altera ad sanctum et divinum ministerium, quo per vos multi alii vocentur sanctificentur,461 ut lucrifiant verbo et opere vestro, intelligitis462 ex hoc ipso, quod sancte et digne sanctis istis vocationibus vestris agere vos oportet – imprimis, ut ipsi463 sitis sani in fide, puri in verbo et464 irreprehensibiles in conversatione, ut et doctrina et vita sitis465 boni dispensatores mysteriorum dei et utiles Christo ministri inveniamini in illo die domini. 4 Verum ut et nos officium nostrum, quod nobis impositum est, impertiamus, quo magis vos nobiscum et nos vobiscum sanctificemus,466 addimus et nostrum verbum et orationem, sicut scriptum est: ,Qui sanctus est, sanctificetur adhuc […].‘“ 3 Der Ordinator soll die Treppe [zum Altar] hinaufsteigen; und nachdem er sein Gesicht den Ordinanden zugewandt hat, soll er sagen: „Der heilige Paulus sagt: ,Jedes Geschöpf Gottes ist gut und wird durch Wort und Gebet geheiligt.‘467 Da ihr aber nicht nur ein Geschöpf Gottes seid, sondern auch schon längst durch das Wort und das Sakrament der Taufe geheiligt seid, also durch eine heilige und erste Berufung Gottes, nun auch noch durch eine zweite Berufung zum heiligen 457 458 459 460 461 462 463 464 465 466 467

I Petr 4,10; I Kor 4,1, II Tim 4,11 (I Petr 5,4?). I Tim 3,1–7. Act 20,28. Handschrift ThULB Jena Ms.Bos.q.24f_256 (ich danke der Bibliothek für die Übersendung einer Kopie im jpg-Format); Abdruck bei Rietschel, „Luthers Ordinationsformular“, S. 171; berücksichtigt WA 38,424–426 in den Anmerkungen zur Spalte „H.“. „sanctificentur“ ist über die Zeile geschrieben. So richtig Drews WA 38,425 mit der Handschrift; Rietschel irreführend: „intelligentes“. „ipsi“ ist über die Zeile geschrieben von derselben Hand. „et“ ist über die Zeile geschrieben von derselben Hand, aber bei Rietschel ausgelassen. „[S]itis“ ist durchgestrichen, aber – anders als von Rietschel, S. 171, Anm. d behauptet – nicht über die Zeile geschrieben. Der Schreiber selbst korrigierte „sanctificemur“ zu „sanctificemus“, wie es Grammatik und Sinn erfordern. Dagegen Rietschel und WA: „sanctificemur“. I Tim 4,4f.

Anhang: Der Lesungs- und Anspracheteil der Ordinationsformulare H. und J.

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und göttlichen Amt [geheiligt seid],468 damit auf diese Weise durch euch viele andere berufen [und] geheiligt werden, damit sie mittels eures Wortes und Werkes gewonnen werden, seht ihr selbst aufgrund eben dieses Umstandes ein, dass ihr in heiliger und diesen euren heiligen Berufungen würdiger Weise handeln müsst – vor allem, damit ihr selbst besonnen im Glauben, rein im Wort und untadelhaft im Lebenswandel seid, damit ihr sowohl aufgrund eurer Lehre als auch aufgrund eures Lebens als gute Haushalter über Gottes Geheimnisse und nützliche Diener für Christus an jenem Tag des HErrn befunden werdet.469 4 Doch damit auch wir selbst unser Amt mitteilen, das uns auferlegt worden ist, damit wir desto mehr euch zusammen mit uns und uns zusammen mit euch heiligen, fügen wir sowohl unser Wort als auch unser Gebet hinzu, wie geschrieben steht: ,Wer heilig ist, der möge noch weiter geheiligt werden […].‘“470

468 Es ist möglich, dass „vocemini“ oder „santificemini“ an dieser Stelle nach „ministerium“ fehlt. Das Ordinatiosformular J., eine weitere Entwicklung von H., ist nicht ohne Versehen: Siehe Drews, „Ordinationsformular : Einleitung“, S. 415f; ein „et“ fehlt z. B. zwischen „vocentur“ und „sanctificentur“ gleich nach dieser Stelle. 469 I Petr 4,10; I Kor 4,1, II Tim 4,11 (I Petr 5,4?). 470 Apk 22,11.

7.

Der Aspekt der Predigtanrede und des Gegenübers

„O ihr Korinther, unser Mund hat sich euch gegenüber aufgetan, unser Herz ist weit geworden. Eng ist nicht der Raum, den ihr in uns habt; eng aber ist’s in euren Herzen.“1

Darf einer mit anderen so reden? Darf ein Pfarrer so predigen? Was unterscheidet die Predigt im Gottesdienst von einem bloßen Vortrag? Reduziert sich das Predigen der Kirche auf eine Art Gruppen-Selbstreflexion, eine gemeinsame Selbstbetrachtung, die vom Prediger nur geleitet wird? Hat ein Prediger hinter der Grenze des gemeinsamen „Wir“ zu bleiben, oder darf er auch seinem „Ich“ ein „Du“ gegenüberstellen? Gehört der Amtsträger zu einem auserkorenen „Wir“, von dem aus er die Gemeinde „Ihr“ nennen kann? Ist die Predigt schließlich eine Rede, oder ist sie nicht vielmehr Anrede? Das für Luthers Amts- und insofern für sein Selbstverständnis prägende Moment der apostolischen Kontinuität2 zeigt sich auch darin, dass die Anrede, die besonders für die Paulusbriefe so charakteristisch ist, auf der Wittenberger Kanzel wiederholend widerhallt. Sowohl durch seine Anrede an die Zuhörer als auch durch seine differenzierte und unterscheidende Rede von Amtsträgern und anderen Christen bestätigt Luther das Bestehen eines Gegenübers zwischen Predigern und Zuhörern, Pfarrern und Volk, welches das extra-nos Charakteristikum des Evangeliums als Evangelium sichert.

7.1

Momente des Gegenübers

Für Luther ist sowohl die Art der Anrede als auch die differenzierte und unterscheidende Rede von Amtsträgern und anderen Christen, wie er sie im Neuen Testament vorfindet, offenbar von theologischer Bedeutung. In einer Predigt über I Kor 4,1ff meint Luther zum Beispiel, dass dieser Text „von den Aposteln, 1 II Kor 6,11–12 (Hervorhebung JM). 2 Siehe Kap. 4.

272

Der Aspekt der Predigtanrede und des Gegenübers

Predigern, dem Papst [und] den Kardinälen“ und nicht „vom Volk“ handelt.3 Solche Feststellung bestimmt nicht nur, was Luther aufgrund eines solchen Predigttextes predigt, sondern informiert grundsätzlich wie er predigt.4 Sowohl in bestimmter Anrede an seine Zuhörer als auch in differenzierter und unterscheidender Rede von Amtsträgern und anderen Christen leistet Luther dem Vorbild des Paulus Folge.

7.1.1 Anrede an die Zuhörer Pfarrer, Prediger und Pastoren können durchaus ihre Zuhörer, die „Pfarrkinder“,5 anreden.6 In dieser Anrede tritt ein Gegenüber zutage, in dessen Rahmen das mittelbare und sichere Handeln Christi zum pointierten Ausdruck kommt. Ebenso {das Evangelium, das ich vom Pastor höre,} halte ich nicht für das Evangelium des Pastors, sondern für Gottes Geheimnis, das ist [sein] Schatz. Gott tut es durch ihn. Er gibt das Sakrament, [und] ich empfange [es] aus seiner Hand, nicht als sein [Sakrament]. Es ist nicht der Bäcker und der Mundschenk, der [dies] tut. Vielmehr [ist] Christus der wahre Täufer, Absolvierende, Lehrer, Prediger und Sakramentspeiser. So betrachtest du {deinen Pastor} richtig. Wenn [du ihn] so [betrachtest], verachtest du {ihn} nicht leicht.7

3 Pr. 2018 [R] WA 51,96,9f: „Non dictum de vulgo, sed de Apostolis, Concionatoribus, papa, Cardinalibus, […]“ Nach Luther spricht Paulus die Amtsträger in Korinth an, damit sie einander nicht gegenseitig richten und loben, welches das Resultat hat, dass einige Amtsträger sich aufblasen oder auch sogar den anderen vorgezogen werden; vgl. I Kor 4,6–7. Im Laufe der Predigt zeigt Luther, dass er das gegenseitige Loben und Richten der Amtsträger sowie das Vorziehen von einigen Amtsträgern vor den anderen für schuldig an den Spaltungen der Korinther Gemeinde hielt. 4 Vgl. in derselben Predigt (Pr. 2018 [R] WA 51,97,4–6; Hervorhebung JM): „Daher spricht er von den Dienern des Wortes, denen das Mandat ist, nicht Geld, sondern die Vergebung der Sünden und Trost auszuteilen, dass wir treu lehren sollen, damit [Menschen] von der Kraft des Teufels gerettet werden[. Wir sind] Verwalter über seine geistlichen Güter.“ („Ideo loquitur de ministris verbi, quibus mandatum non distribuere pecuniam, sed remissionem peccatorum, consolationem, ut fideliter doceamus, ut eripiantur ex Diaboli potestate, dispensatores uber seine geistlichen guter.“) Luther nimmt das ihm im Predigttext vorliegende Gegenüber auf und setzt es in seiner eigenen Predigt um. Das mittelbare – „per me“ – Reden des erhöhten Gottessohns bedingt ein Gegenüber. 5 Pr. 1577 [R] WA 41,469,10. 6 Vgl. WA 40/I,57,11–15 (Galaterkommentar, 1535): Es gehört zu dem notwendigen „Rühmen“ des gesandten Amtsträgers, dass er auf eine Art und Weise sprechen darf, die andere nicht beanspruchen können. 7 Pr. 1577 [R] WA 41,469,11–15 (Hervorhebung JM): „Item non habeo pro Euangelio pastoris, sed deo mysterio i. e. thesauro, deus per eum facit, dat Sacramentum, accipio ex eius manu, non ut suum, non est pistor et pincerna, qui facit, Sed Christus verus baptisator, absolutor, lerer, prediger et Sacramentspeiser. Sic recte inspicis. Si sic, non facile contemnes.“ Für das in „{}“ Angeführte siehe die Anmerkungen zum Text in der WA. Man merkt hier, dass Luthers

Momente des Gegenübers

273

Das im Gegenüber gesprochene Wort Gottes ist weder auf eine Einladung oder eine gewisse Offenheit seitens der Zuhörer angewiesen noch ist es dadurch bedingt, dass es sich die Zuhörer aneignen. Es trifft sie einfach und schafft bei ihnen ein eigenes Hören. Das Gesetz greift den gefährdeten Sünder einfach an: „Du bist auf dem Weg zum Tod. Darum verzeihe ihm, der dich erzürnt hat.“8 Das Evangelium – kristallklar im Absolutionswort ausgesprochen – erwartet nicht irgendwelche empfangende Bereitschaft, sondern schafft die Empfangenden neu: „Wenn du von mir hörst: [,]Dir sind deine Sünden vergeben,[‘] so hörst du, dass Gott [dir] gnädig sein will, [dass] er [dich] rechtfertigen und selig machen [will und dich] von Sünde und Tod [erretten will], damit du gerecht bist und lebst.“9 Solche Anrede geschieht nach Luther in einem von Gott geschaffenen und dem Neuen Testament konformen Gegenüber, das die Amtsträger als Amtsträger umfasst. Wir, ich und euere Pfarrer, wissen, dass wir ein Predigtamt haben, das uns von Gott befohlen ist, und wir wissen, dass wir [uns] für unsere Predigt verantworten müssen. Aber an dieser Stelle sagt der Herr : [„]Die, die das Predigtamt haben, – die werden des Teufels Zeugen werden.[“] Solches siehst du jetzt an allen unseren Bischöfen und Domherren.10

Exkurs: Anrede an Studenten Innerhalb der Anrede Luthers an seine Zuhörer lässt sich manchmal eine spezifische Anrede ausmachen, die auf Studenten der Theologie und insofern auf Anrede an die Zuhörer und sein Differenzieren der Amtsträger von anderen Christen auf keinen Fall bedeuten, dass er selbst aus seinem eigenen, des Wortes und der Sakramente bedürftigen Christsein heraussteigt. Diejenige Christen, welche Amtsträger sind, brauchen als Christen ihrerseits andere Amtsträger. 8 Pr. 1651 [R] WA 45,113,22f: „Es in via ad mortem. Ideo condona illi, qui te erzurnet.“ Im Abschnitt [R] WA 45,113,18–31 verschwindet der Unterschied zwischen der Anrede Gottes und der Anrede des Predigers; es kann nicht festgestellt werden, wo Luther den Predigttext (Mt 5,20ff) nachahmt und wo er seine Zuhörer einfach anredet. Dies ist genau der Punkt der Anrede, die im Gegenüber stattfindet: Gott selbst steht den Zuhörern gegenüber und redet sie durch den Prediger an. Ganz anders wäre: „Christus will, dass wir uns alle miteinander versöhnen.“ Weitere Anrede bei [R] WA 45,113,24–26.29–31. 9 Pr. 1923 [R] WA 49,139,8–10: „Si audis ex me: Remittuntur tibi peccata, so hörestu, quod Deus velit propicius esse, iustificare te et selig machen a peccato et morte, ut iustus sis et vivas.“ „Gott vergibt uns“ oder, noch reduzierter, „Gott liebt uns noch“, ist kein Ersatz. Auch im Fall einer Notbeichte bestehen die Anrede und das Gegenüber ([R] WA 49,141,7–12); für die Notbeichte siehe 4.2.3 und 9.4.2. 10 Pr. 1849 [A] WA 47,564,24–28 (Hervorhebung JM): „Wir, ich und euer Pfarherr wissen, das wir haben ein predigtampt von Gott uns befohlen, und wissen, das wir mussen antwortten fur unsere predigt. Aber alhier saget der Herr : Die das Predigtampt haben, die werden des Teuffels Zeuge werden. Solches sihestu itzt an allen unsern Bisschoffen und thumbherrn.“ Vgl. auch Pr. 1844 [A] WA 47,525,3–30: ein ich/du-Gegenüber (besonders 47,525,5) bedingt durch das Predigtamt (47,525,4).

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Der Aspekt der Predigtanrede und des Gegenübers

zukünftige Amtsträger ausgerichtet ist. Es wird oft bemerkt, dass Luther sehr einfach gepredigt habe, und das hat seinen Grund in Luthers eigenen Äußerungen zu seinem Predigtstil.11 Nicht selten jedoch übertrifft das theologische Niveau, von dem Luther bei seinen Zuhörern meint ausgehen zu können, die theologischen Kenntnisse der Laien. Gewiss hat jeder christliche Prediger von der Dreieinigkeit und von der Person und den Naturen Christi zu predigen; wenn Luther aber die arianische oder islamische Irrlehre oder Häretiker und Kirchenväter einfach als bekannt voraussetzt, zeigt er, dass er bewusst und absichtlich zu Studenten der Theologie predigt.12 Bestimmte Abschnitte seiner Predigten zeigen, dass die Zuhörer – oder mindestens ein Teil von ihnen – in den Dogmen und der Geschichte der Kirche bewandert sein müssen.13 Studenten und Amtsträgern gegenüber zeigt Luther eine gewisse Vertrautheit: Er nennt sie „Brüder“,14 ermutigt sie zu ihren Studien,15 rät ihnen zu einem intensiven Umgang mit der Schrift16 und bringt ihnen die Sakramentslehre und -praxis der Kirche nahe.17 Dadurch zeigt sich, dass Luther seine Zuhörer einerseits als Christen, zugleich aber auch andererseits als Studenten, Prediger und Pfarrer – als Amtsträger und zukünftige Amtsträger – anspricht. Dabei ist von Bedeutung, dass er beide Gruppen anredet, aber auch, dass er von beiden Gruppen differenziert redet.

11 Siehe z. B. WA TR 3,310f (Nr. 3421) und WA TR 6,196f (Nr. 6798). 12 Siehe z. B. Pr. 1731 [R] WA 46,436,18–438,13 (Trinitätslehre mit Blick auf Arius und den Islam). Pr. 1728 (Christologie und Trinitätslehre) [R] WA 46,415,5 und 46,417,18–20 (Arius); 46,416,3f (Mani); 46,419,12 (Nestorius); 46,417,3 und 13 und 46,418,13 (Hilarius); 46,417,3 (Augustinus); Luther kann sogar so vom Volk sprechen als ob es gar nicht da ist (46,420,8). Siehe Siggins, Luther’s Doctrine of Christ, S. 231. 13 Siehe z. B. Pr. 1706 [R] WA 46,229,1–230,2 (das jüdische Verständnis und die manichäische Deutung der Jungfrauengeburt); Pr. 1891 [R] WA 47,844,8–16 (Islamische Kritik der Trinitätslehre, Arius, Macedonius); Pr. 1968 [S] WA 49,482,32f (Arius). 14 Pr. 1883 [R] WA 47,788,37; in dieser Predigt geht um den Hass der Welt gegen die Predigt und besonders gegen diejenigen, die „im Amt“ sind (47,785,23). Eine besondere Anrede an Studenten der Theologie, andere Amtsträger und vielleicht sogar an den Ordinanden des Tages lässt sich erkennen bei: 47,785,19–24; 47,788,37–789,36 und 47,786,7–9. Vgl. auch Pr. 1903 [R] WA 49,26,20–28: Es bleibt offen, ob Luther hier den Ordinanden des Tages anredet; aber die Zeilen bekommen eine ganz neue Farbe, wenn man annimmt, dass der Ordinand vorher Bürgermeister gewesen war ; vgl. Buchwald, Ordiniertenbuch., S. 11, Nr. 156. 15 Siehe z. B. Pr. 1902 [R] WA 49,21,27; 49,22,35; 49,25,25; der Ordinand dieses Tages war „Aus dieser Vniuersitet“ (Buchwald, Ordiniertenbuch., S. 10, Nr. 145). 16 Siehe z. B. Pr. 1964 [R] WA 49,449,5–12 (hier die Apostelgeschichte). 17 Pr. 1697 [R] 46,168,2f und 46,170,10f im Kontext von 46,170,4–21.

Momente des Gegenübers

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7.1.2 Die differenzierte und unterscheidende Rede an und von Amtsträgern und anderen Christen Nicht nur in seiner Anrede an seine Zuhörer, sondern auch wenn er in seiner Rede zwischen Amtsträgern und anderen Christen differenziert, folgt Luther dem Vorbild der apostolischen Schriften, denn er findet offenbar in ihnen diese differenzierte Rede. Bis in die Gliederung von Pr. 1885 hinein kann zum Beispiel gesehen werden, dass Luther in seiner eigenen Predigt die differenzierte und unterscheidende Rede nachvollzieht, die er im Predigttext, I Petr 5,5ff, vorfindet.18 Schon in den einführenden Sätzen am Anfang der Predigt tritt ein Gegenüber von Predigern und dem Volk zutage.19 In der Folge verbietet Luther anhand der Epistellesung den Predigern, dass sie über das Volk herrschen, das sie mit Wort und Sakrament zu regieren haben. Ihr Regiment ist eben kein weltliches, sondern ein geistliches Regiment: „[E]uer Regiment ist keine Herrschaft[!]“20 Die Prediger, denen das Regieren im geistlichen Regiment zukommt, werden ausdrücklich von „allen anderen“21 unterschieden: „Also alle anderen, die [ihr] weder Prediger noch im geistlichen [Regiment seid], sondern seid, wer ihr seid, das junge Volk soll sich demütigen, [und] die Jugend soll das Alter ehren.“22 Das Gegenüber und die unterscheidende Rede von Amtsträgern und anderen Christen bestimmen weiterhin die Predigt: So strebt primär der Hochmut der Bischöfe, Prediger und Studenten der Theologie gegen die erste Tafel des Gesetzes, während die zweite Tafel des Gesetzes die Hochmut anderer Stände behandelt. 18 Es ist ein wenig unangemessen von einer „Gliederung“ in Bezug auf Predigten Luthers zu sprechen. Jedoch hat er meistens nach einem formulierten Konzept gepredigt und in Pr. 1882 kann ein gewisser Aufbau erkannt werden, nach dem die Differenzierung von Amtsträgern und anderen Christen nicht nur ausgedrückt, sondern wiederholt wird: Pr. 1882 [R] WA 47,795,10–14 – Einführung; 47,795,14–19 – Demut unter den Predigern; 47,795,20f – Demut in den anderen Ständen; 47,795,21–797,15 – Demut unter den Jugendlichen und Ermahnung an sie; 47,797,15–798,14 – Hochmut nach der ersten Tafel des Gesetzes, gerichtet an die Amtsträger; 47,798,14–799,2 – Hochmut nach der zweiten Tafel des Gesetzes, gerichtet an Menschen der anderen Stände; usw. Luther wird zu dieser Differenzierung durch I Petr 5 geführt; die Ältesten (I Petr 5,1–4) bleiben eine gesonderte Gruppe auch in Bezug auf die Ermahnung zur Demut. Wir haben bereits anhand von Pr. 1882 gesehen, dass Luther auch differenzierte Gruppen und differenzierte Anrede in I Petr 4,8–11 zu erkennen meint; siehe 6.2.2 (besonders dort um Anm. 195–198). 19 Pr. 1885 [R] WA 47,795,12f. 20 Pr. 1885 [R] WA 47,795,19: „[…] vestrum regimen non est herrschaft.“; die Anrede an die Prediger (47,795,18f) könnte in der Form einer Nachahmung des Petrus aus der Epistellesung geschehen sein, gilt dennoch als eine Anrede an Amtsträger und zukünftige Amtsträger unter den Zuhörern Luthers. Für eine weitere Anrede an sie siehe [R] WA 47,799,19f. 21 Pr. 1885 [S] WA 47,795,32: „omnibus aliis“. 22 Pr. 1885 [R] WA 47,795,20f: „Sic omnes alii, qui non praedicatores nec im Geistlichen, sed seid, wer ir seid, das jung volck sol sich demütigen, die jugent sol ehren das alter.“

276

Der Aspekt der Predigtanrede und des Gegenübers

Unterscheidung bzw. Differenzierung und Gegenüber spielen wieder eine bedeutsame Rolle in Pr. 1891, in der Luther über I Petr 5,8ff predigt. Wachsam zu sein gegen den Teufel zeigt sich nach Luther auf unterschiedliche Art und Weise. Die weltliche Obrigkeit und die, die im Hausstand regieren, haben dem mordenden Teufel mit dem „Schwert“ und mit der „Rute“ zu widerstehen, die ihnen jeweils anvertraut sind.23 Ein Unterschied und ein Gegenüber existieren zwischen denen, die im weltlichen Regiment für die Abwehr des Mordens des Teufels zuständig sind, und denen, die im Geistlichen Regiment für die Abwehr seiner Lügen zuständig sind.24 Vom weltlichen Regiment sagt Luther dabei: „Zu diesem Zweck [dient diese] geordnete Gewalt, [nämlich] dass sie wehrt, […] nicht so, dass du nur Ehre suchst. Das geht uns nicht sonderlich an.“25 „Du“ bezieht hier sich auf die Hörer im Allgemeinen, „uns“ auf die Amtsträger. Es ist nicht Aufgabe der Amtsträger, im staatlichen Bereich zum Beispiel Mord durch Gesetz und Strafe zu unterbinden; sie sollen andererseits in ihrem geistlichen Regiment nicht erwarten, dass das Volk der schwärmerischen Irrlehre von sich aus widerstehen wird. Vielmehr fällt es den Amtsträgern zu, das Wort zu führen und das Volk vor Irrlehrern zu schützen.26 In dieser Hinsicht meint Luther, „Also warnt er [i. e. der Apostel] ernstlich, besonders die Prediger.“27 Im Kampf mit dem Teufel, dem die Christen „im Glauben, das ist im Wort Gottes“28 zu widerstehen haben, wird die Schrift als Wort Gottes durch die Predigt als Wort Gottes geschützt.29 Die Schrift, die nicht immer mit der Vernunft in Einklang zu bringen ist,30 wird durch die Predigt verteidigt. Nach Pr. 1891 ist es eindeutig, 23 Pr. 1891 [R] WA 47,840,9–21 und [S] WA 47,840,33–841,21 ([R] 47,840,19f: „parentibus virgam, magistratui gladium“). Wenn von den „Magistratus politici und Oeconomici“ ([S] WA 47,840,35) die Rede ist, ist es gleichzeitig klar, dass ein weiterer Stand selbstverständlich im Hintergrund steht, nämlich die ecclesia. Vgl. [S] WA 47,841,20f: „Die staatliche Obrigkeit kann nicht zum ewigen Leben fördern, sondern nur Mordtaten im Staat verbieten und bestrafen.“ („Magistratus Civilis non potest promovere ad vitam aeternam, sed tantum civiles caedes prohibet et punit.“). 24 Morden und Lügen als die zwei Werke des Teufels hat Luther aus Joh 8,44. 25 Pr. 1891 [R] WA 47,840,12–14 (Hervorhebung JM): „Hinc ordinata potestas, ut wehre, die sollen nuchtern und wacker sein, sed des ampts warten, will nicht hernach gehen, ne tantum quaeras honorem. Das gehet uns sonderlich nicht an.“. 26 Pr. 1891 [R] WA 47,843,21–844,8. Die Amtsträger werden von dem „populus“ und „omnes homines“ in dieser Hinsicht unterschieden; siehe [S] WA 47,844,27f und 32f. Vgl. Pr. 1923 [R] WA 49,137,15–20: Implizit haben „wir“ – im Unterschied zu den Juristen und der weltlichen Obrigkeit – vom Regiment zu lehren, das Christus in Joh 20,19–23 stiftet. 27 Pr. 1891 [R] WA 47,846,11f: „Ideo warnet er ernstlich, praesertim praedicatores.“ 28 Pr. 1891 [R] WA 47,846,12: „fide i. e. verbo Dei“. 29 Pr. 1891 [R] WA 47,844,18f: „Daher werdet ihr den Teufel nicht abwehren ohne das Wort; ohne es legt er Hand an das Wort und reißt die Sakramente nieder.“ („Ideo non werdet Diabolo wehren nisi verbo, sine eo affert verbum et reisset sacramentis.“; Hervorhebung JM). 30 Im Unterschied zu der politia und der oeconomia, wo Schrift und Vernunft übereinstimmen,

Momente des Gegenübers

277

dass die Predigt den Amtsträgern zusteht,31 die durch ihr Predigen aus der Schrift die Zuhörer im Glauben befestigen und sie vor den Lügen des Teufels schützen. Gerade dadurch, dass Christen einen Prediger haben, der ihnen das Wort Gottes zuspricht und predigt, werden sie vor dem Teufel bewahrt und im Glauben gestärkt. Das Gegenüber von Amtsträgern zu anderen Christen, das in Luthers Predigten sowohl implizit in seinen unterscheidenden Anreden als auch explizit in seiner thematisch-differenzierten Rede über sie zu Tage tritt, setzt einen Unterschied zwischen Amtsträgern und anderen Christen voraus. Das ist kein Unterschied von quantitativ begriffener Heiligkeit – ein Unterschied also im Heiligkeitsgrad, sondern ein apostolischer Unterschied, nämlich der mit dem apostolischen Amt geschenkte Unterschied. „Gleichwie [mich] der Vater [gesandt hat, so sende ich euch.]“ Das ist, [„Ich sende euch,] damit ihr Apostel und [eure] Nachfolger dasselbe Werk tut, das ich [getan habe], deswegen auch ich gekommen bin[. Dieses Werk ist] aber, dass Leute, die sich wollen helfen lassen, vom Tod geholfen [und gerettet werden], [aber] die nicht, [die sich] im Gegenteil [nicht wollen helfen lassen]. Das tut ihr auch. Das ist euer Regiment.[“]32

Der Unterschied zwischen Amtsträgern und anderen Christen besteht aus seiner Sicht fort. Aber [sein Zorn] geht am meisten über {die} Pfarrer, die [ein]gesetzt wurden, damit sie regieren und {zu anderen} predigen. Er schilt uns {Prediger} mehr als den Haufen. Liebe Prediger und Pfarrer, es ist genug, dass Menschen {uns} für Christi Diener und Haushalter [über] Gottes Geheimnis[se] halten.33 stimmen sie nicht in der ecclesia überein: Siehe besonders Pr. 1891 [R] WA 47,843,21–845,9/ [S] WA 47,843,35–845,34. In der ecclesia kommt der Teufel mit vernünftigen Argumenten; so sind seine Lügen: Siehe Pr. 1891 [R] WA 47,841,11f: „Denn Satan kommt mit einem süßen, lieblichen Wein, der [,]menschliche Vernunft[‘] heißt.“ („Nam Satan venit mit eim sussen, lieblichem wein. Das heisst ratio humana.“); [R] WA 47,842,16f: „Also mit unserer Vernunft bekämpft [der Teufel] den Glauben. Die Vernunft ist des Teufels Braut.“ („Sic nostra ratione impugnat fidem. Ratio ist des Teuffels Braut.“); [R] WA 47,845,14f: „Is Wasser bei dem lieben Gott[?!] Wasser ist [doch nur] Wasser[!]“ („Ist aqua bey dem lieben Gott, Aqua est aqua.“). Siehe auch Pr. 1891 [R] WA 47,842,2–15 (hier werden die Lehren der Wiedertäufer zur Taufe, zur Absolution und zum Sakrament des Altars als vernünftige Lügen laut) sowie [R] WA 47,844,4–6/[S] WA 47,844,30–32 (Taufe, Trinität, Jungfrauengeburt, Auferstehung des Leibes). 31 Siehe besonders Pr. 1891 [R] WA 47,840,20–842,15: Laut diesem Abschnitt sind die Prediger und Pfarrer Boten und Wächter im Haus Gottes, die es vor falscher Lehre zu schützen haben. 32 Pr. 1923 [R] WA 49,138,26–29 (Hervorhebung JM): „,Sicut pater‘ i. e. ut idem opus faciatis vos Apostoli et posteri, quod ego, propter quod et veni, sed quod den leuten vom Tod geholffen, qui inen haben wollen helffen lassen, qui non, econtra. Das thut ir auch. Das sey vestrum regiment.“. 33 Am Rand wird an dieser Stelle „Mysteria dei“ angegeben; Pr. 1577 [R] WA 41,468,9–12 (Hervorhebung JM): „Sed ghet am meisten uber pfarherr, qui positi, ut regant et praedicent. Er schilt uns mher denn den hauffen. Lieben prediger und pfarherr, satis, quod homines da

278

Der Aspekt der Predigtanrede und des Gegenübers

Prediger und Pfarrer werden dem „Haufen“ – also allen anderen Christen – gegenübergestellt. Die Regierenden und Amtsinhaber in der Kirche, nämlich die Bischöfe, Pfarrer und Prediger, stehen dem Volk der Kirche gegenüber.34 Die zwei Positionen oder Punkte des Gegenübers bestehen nicht, damit die der einen Position über die der anderen Position herrschen können oder dürfen. Vielmehr schafft das Gegenüber mit den zwei ihm innewohnenden Positionen oder Punkten den Rahmen, in dem Dienen und Schenken geschehen können. In einer homogenen, nicht differenzierten Gemeinschaft, die einem monolithischen Block ähnelt, ohne Gegenüber wären Dienen, Geben und Schenken unmöglich. Damit Schenken besteht und geschieht, gibt es ein Gegenüber. Fasst man nun das Liturgische, das Gottesdienstliche ins Auge, so werden das Gegenüber und das, wozu es dient, noch klarer. Pr. 1555 macht deutlich, dass die Gerechtigkeit des Glaubens mit einem Kultus verbunden ist, der durch ein Gegenüber gekennzeichnet ist.35 Vom wahren Kultus, bei dem Gott anwesend ist,36 sagt Luther : „Unser Kultus aber [ist] ein reiner Tempel, wenn ich predige, die Taufe spende und absolviere. Dann wird Gottes Name heilig gebraucht.“37 Der rechte Kultus und die göttliche Gerechtigkeit werden durch die Predigt von der Kanzel,38 durch die Taufe, durch die Absolution und durch das Sakrament des Altars definiert.39 Dieser Kultus und diese Gerechtigkeit haben je zwei Seiten und weisen ein Gegenüber auf: Der eine predigt, der andere hört; der eine tauft, der andere wird getauft; der eine absolviert und reicht das Sakrament dar, und der andere wird absolviert und empfängt das Sakrament.40 So wie in der Predigt, so auch im Sakrament des Altars, in der Absolution und in der Taufe41 – in all diesen vermittelnden Handlungen, die für den christlichen Gottesdienst zentral sind und aus denen der ganze Gottesdienst erwächst, – ist das Gegenüber, das den

34 35 36 37 38 39 40

41

fur halten, quod Christi diener et Oeconomi inn gottes geheimnis, […]“ (Ausgangspunkt ist der erste Brief des Paulus an die Korinther.). [R] WA 41,468,9–18 ist hauptsächlich Anrede an Amtsträger und zukünftige Amtsträger ; 41,468,19–28 Rede über sie. Eine weitere Nachahmung des Paulus und Anrede an die Amtsträger steht bei [R] WA 41,469,5–11. Für die „{}“-Klammern siehe Anm. 7 oben. Pr. 2018 [R] WA 51,96,17–19. Pr. 1555 [R] WA 41,347,23ff: Der Kultus der Gerechtigkeit des Gesetzes; 41,348,27ff: Der Kultus der Gerechtigkeit des Glaubens. Pr. 1555 [R] WA 41,348,19 und 41,349,30f; vgl. 41,348,31. Pr. 1555 [R] WA 41,348,32–349,2: „Sed noster cultus rein templum, quando praedico, baptismum administro, absolvo, Ibi sancte nomen dei wird gebraucht.“ Vgl. Pr. 1555 [R] WA 41,349,7f. S.o. Anm. 37 und Pr. 1555 [R] WA 41,349,21. Pr. 1555 [R] WA 41,349,1 und 21. Luther macht auch gleichzeitig klar, dass er selbst nicht dadurch gerecht wird, dass er predigt, tauft, absolviert und das Sakrament darreicht, sondern in dieser Hinsicht ordnet er sich auf der empfangenden Seite des Gegenübers ein; vgl. [R] WA 41,349,15. Pr. 1881 [Dr] WA 47,775,17–21 (Sakrament des Altars); 47,775,23–26 (Absolution); vgl. 47,775,14–16 (ein Wortspiel mit der Taufformel).

Anrede und Gegenüber und das Evangelium als Evangelium

279

Rahmen des mittelbaren Gebens und Schenkens ausmacht, unübersehbares Charakteristikum. In Gottes Haus, in dem er mittelbar und gnädig spricht und handelt, ist der Christ als Christ in erster Linie im Dativ, im Akkusativ oder hinter einem „für“: „Dir sind deine Sünden vergeben“; „Ich taufe dich […]“; „[…] für euch vergossen“. „,Die Gewalt ist uns geben [euch] zu erbauen, […]‘“42 Dem Christen als Christen stehen die ordinierten Amtsträger gegenüber, denn Christus, der durch sie spricht und handelt, soll ihm gegenüberstehen.43

7.2

Anrede und Gegenüber und das Evangelium als Evangelium

Nachdem wir nun ein Gegenüber im Predigen Luthers festgestellt haben, gilt es zu fragen, wie dieses Gegenüber zu verstehen und wie es theologisch zu bewerten ist. Das Gegenüber, das Luthers Predigen kennzeichnet, stellt sich uns nicht einfach als ein Relikt aus vergangener Zeit dar, sondern hat in den letzten Jahrzehnten in den ökumenischen Diskussionen zwischen der römisch-katholischen Kirche und den lutherischen Kirchen Bedeutung gewonnen. Der MaltaBericht erklärt: „Beide [Katholiken und Lutheraner] stimmen aber darin überein, daß das Amt sowohl gegenüber der Gemeinde wie in der Gemeinde steht.“44 Diese Feststellung ist auch im Dokument „Das geistliche Amt in der Kirche“ ausdrücklich übernommen worden.45 Im Lima-Dokument wird ebenfalls an einem Gegenüber von Amtsträgern und der Gemeinschaft festgehalten.46 Und auch wenn ein Gegenüber nicht immer ausdrücklich genannt wird, sind die zwei Seiten bzw. die Zweiseitigkeit, die dem Gegenüber innewohnt, oft zu finden: „Amt und Gemeinde sind sich also wechselseitig zugeordnet.“47 Zu unterschiedlichen Positionen kommt es aber dann, wenn die Meinung vertreten wird, dass allein das Wort Gottes der Gemeinde gegenüberstehe,48 nicht aber das Amt oder die Amtsträger. 42 Apol XII,176f (BSLK 291,20f); I Kor 10,8 wird zitiert: „t/r 1nous_ar Bl_m Gr 5dyjem b j}qior eQr oQjodolµm ja· oqj eQr jaha_qesim rl_m, […]“ (Hervorhebung JM). Das Objekt ist in der Apol impliziert. 43 Siehe Pr. 1577 [R] WA 41,468,28–469,4. 44 Ev.-luth./Röm.-kath. Studienkommission, „Malta-Bericht“, S. 261 (§50). 45 Gemeinsame Röm.-Kath./Ev.-Luth. Kommission, „GAK“, S. 337 (§23). 46 Kommission […] des Ökumenischen Rates der Kirchen, „Lima-Dokument“, S. 570 (§11): „Als Herolde und Botschafter sind die ordinierten Amtsträger Repräsentanten Jesu Christi gegenüber der Gemeinschaft und verkünden seine Botschaft der Versöhnung.“ 47 Ökumenischer Arbeitskreis, „Evangelium – Sakramente – Amt“, S. 188. Vgl. Kinder, Glaube und Kirche, S. 160: „wechselseitige Beziehung auf einander“; S. 161: „Amt und Gemeinde in ihrer wechselseitigen Bezogenheit aufeinander und Zuordnung zueinander“. 48 VELKD, „Allgemeines Priestertum, Ordination, Beauftragung“, 16,25–17,2; Vgl. auch Jün-

280

Der Aspekt der Predigtanrede und des Gegenübers

Das Gewicht des umstrittenen Punktes ist nicht zu übersehen. Bei der Frage nach dem Verhältnis von Amt und Gemeinde steht nicht weniger als „das ganze Verständnis der Kirche“ auf dem Spiel.49 Bei der Frage, was bzw. wer der Gemeinde gegenüberstehe, ergibt sich aus den hier untersuchten und dargestellten Predigten, dass die Behauptung, dass allein das Wort Gottes der Gemeinde gegenüberstehe, den Befund nicht abdecken kann: Dass nur das Wort der Gemeinde gegenüberstehe, wäre eine Verkürzung von Luthers Amtsverständnis und des Gegenübers, wie es in seinem Predigen zum Ausdruck kommt. Stünde allein das Wort Gottes der Gemeinde gegenüber, nicht aber zugleich der Amtsträger, dann liefe die Verkündigung des Wortes auf eine lediglich gegenseitige Verkündigung der Kirchglieder hinaus. Verstünde man das Gegenüber lediglich als eine gegenseitige Verkündigung des Wortes, die jeder Christ seinen Mitchristen schuldet, dann könnte dieses Verständnis nur ein ich/du–Gegenüber – höchstens ein ich/ihr-Gegenüber – theologisch verantworten.50 Ein wir/ ihr-Gegenüber wäre jedoch nicht möglich. In einem solchen System wäre es theologisch inkonsequent, dass ein Wir sich je bilden sollte, das der Gemeinde oder den Zuhörern einer Predigt gegenüber stünde,51 denn ein der Gemeinde und den Zuhörern gegenüberstehendes Wir überschreitet die Grenze eines nur gegenseitig verkündigten Wortes. Luthers Predigten weisen aber nicht nur ein ich/du- und ein ich/ihr- sondern auch ein wir/du- und ein wir/ihr-Gegenüber auf. Folglich ist es nach Luther nicht lediglich ein gegenseitig zu verkündigendes

gel, „Kirche als Sakrament?“, S. 452. Für eine ausführliche Diskussion der unterschiedlichen Verständnisse des Gegenübers sowie ihre theologischen Folgerungen siehe Dietz, „Ordination und Ordinationsvollmacht“ und Wilckens, „Kirchliches Amt und gemeines Priestertum“. 49 Sasse, „Verhältnis von Amt und Gemeinde“, S. 126. Vgl. Wilckens, „Kirchliches Amt und gemeines Priestertum“, S. 242: Das Gegenüber von Amt und Gemeinde als Tatsache sine qua non für die ökumenischen Dialoge. 50 So würden Amtsträger als eine Art Muster-Christen verstanden, die von anderen nur dadurch unterschieden wären, dass sie beruflich das machen, was jeder Christ seinem Mitchristen zu leisten hätte, nämlich ihm das Wort Gottes zu sagen. Wollten evangelische Christen in der Tat solche Position vertreten, dann hieße das, ein Amtsverständnis vorzugeben, nach dem Amtsträger lediglich in höherem beruflichem Maß das tun, was jeder Christ tun sollte; das entspräche aber paradoxerweise einem Amtsverständnis des späteren Mittelalters, wie es sich mit dem Mönchtum verband und das Luther so heftig kritisiert hat. 51 Dass sich auch in einem solchen System Amtsträger finden, muss nicht als logisch inkonsequent gelten. Man kann das geordnete Amt auch logisch mit der Notwendigkeit sozialer oder gemeinschaftlicher Ordnung begründen. Theologisch inkonsequent aber wäre es, wenn in diesem System ein Wir der Amtsträger der Gemeinde gegenübergestellt würde und zur Sprache gebracht werden soll. Der Prediger müsste vielmehr der Gemeinde und den Zuhörern als ein Ich unter allen anderen gegenüberstehen. Ein Amtsverständnis, das einem wir/ ihr-Gegenüber nicht gerecht werden kann, ist eine Verkürzung von Luthers homiletisch vermitteltem Amtsverständnis.

Anrede und Gegenüber und das Evangelium als Evangelium

281

Wort, das der Gemeinde und den Zuhörern gegenübersteht, sondern eben das Amt und die Amtsträger,52 denen das Predigen dieses Wortes anvertraut ist. So wie die Kirche als eine Versammlung der Gläubigen nicht aus sich selbst entsteht und nicht sich selbst ihr Wesen verdankt, so kann das Wort, dessen Kreatur die Kirche ist, nicht aus ihr geschöpft werden. „The church as a concrete historical phenomenon is therefore irreducibly the assembly called together by apostolic messengers, […] [T]his Gegenüber of pastor and people is an essential, concrete form of the church’s ontologically crucial dependence on the gospel, […]“53 Insofern ist das Gegenüber von Amt und Gemeinde, von Amtsträgern und Zuhörenden oder Empfangenden ein Kennzeichen einer „ur-evangelische[n] Wahrheit“, nach der das Evangelium der Kirche gegenübersteht.54 Schließlich gehen Überlegungen zum Verhältnis von Amt und Gemeinde auf das Verhältnis von Christus und Gemeinde zurück. Er ist zwar einerseits in ihr und mit ihr, aber nicht nur das: Seine Person bleibt andererseits unterschieden von der Kirche. Obwohl er in ihr ist, geht er nicht in ihr auf, sondern er steht ihr vielmehr auch als Schenkender und Gebender gegenüber. Das Amt und die Amtsträger sind Mittel seines konkreten Gegenüberstehens. Sie repräsentieren die Person Christi, wenn sie das Wort und die Sakramente darreichen, und ihr Ort und ihre Stätte sind der Ort und die Stätte, an der Christus zu finden ist, an dessen Stelle („vice et loco“) sie sprechen und handeln.55 Das Gegenüber, dem man immer wieder in Luthers Predigen begegnet, bringt uns zu der Einsicht, dass ein „leibliches“ Wort56 so lange noch nicht leiblich ist, so lange nicht ein bestimmter Leib es vorträgt, und ein „mündliches“ Wort nicht mündlich, so lange es nicht aus einem konkreten Mund kommt. Äußerlichkeit bliebe ein abstraktes Konzept. Die Bestimmungen „leiblich“ und „mündlich“ bringen zwar unter anderem die Äußerlichkeit des Wortes zum Ausdruck; doch von einem „äußerlichen“ Wort zu reden, bliebe lediglich eine abstrakte Redeweise, wenn dieses Wort nicht von einem konkreten Gegenüber ausginge, das „von außen“ auf die Hörenden und Empfangenden träfe. Das extra nos-Moment 52 Luther schließt keineswegs aus, dass Christen einander das Wort Gottes sprechen und sich gegenseitig trösten können und sollen; besonders im Notfall wird jeder Christ aufgefordert, dies zu tun. Doch dieses gegenseitige Sprechen des Wortes Gottes ist weder das Fundament noch der Gegenpol des Gegenübers, das die Amtsträger bilden. Die zwei stehen nicht einmal in einer Spannung! Menschen, die den Glauben durch das verkündigte Wort, dessen Predigt dem Amt und den Amtsträgern anvertraut ist, empfangen haben, legen Nichtchristen Zeugnis vom ihrem Glauben ab und trösten gerne ihre Mitchristen durch das Wort, durch das sie selbst getröstet worden sind. 53 Yeago, „The Papal Office“, S. 104. Yeagos Folgerung, dass die universale Kirche nur unter einem universalen Hirten zu einigen sei, ist nicht zwingend. 54 Kasper, „Kirchenverständnis und Kircheneinheit“, S. 57. 55 Apol VII,28 (BSLK 240f). Siehe auch Kretschmar, „Gegenüber von Amt und Gemeinde“, in dieser Hinsicht S. 95f. 56 Vgl. CA V,4 Deutsch (BSLK 58,12f).

282

Der Aspekt der Predigtanrede und des Gegenübers

des Evangeliums, ohne das das Evangelium kein Evangelium ist, existiert nur, wenn es eine Instanz gibt, die den vom Evangelium abhängigen Christen tatsächlich äußerlich gegenüber steht. Ein äußerliches Wort, das für sich der Gemeinde (angeblich) gegenübersteht, ist kein leibliches, kein mündliches und insofern dann auch kein der Gemeinde „äußerliches“ Wort; es ist und bleibt ein Konzept, eine Idee, die als evangelisches Prinzip angepriesen wird, aber in der Wirklichkeit das Evangelium als Evangelium auflöst. Im echten Gegenüber zwischen Amt und Gemeinde, zwischen den Amtsträgern und den Zuhörenden oder Empfangenden gibt es dagegen Raum für das Evangelium als Evangelium. Wenn Luthers eigene reformatorische Wende in einem Übergang von einer Aussage- zu einer Zusage-Theologie vollzogen wurde,57 kann es nicht angehen, dass ein reformatorisches Verständnis des Amtes und schließlich der Kirche im Sinne Luthers gerade Zusagen gegen Aussagen eintauschen sollte. Aus-sagen können bei einem homogenen Punkt oder einem undifferenzierten Wesen geschehen, aber zu einer Zu-sage gehören zwei Punkte; Aus-sagen bedürfen nicht notwendigerweise eines Gegenübers, aber Zu-sagen sind ohne ein Gegenüber nicht denkbar. Das Moment des Gegenübers, das im Predigen Luthers vorausgesetzt ist, schafft Platz für Zusage – für das Evangelium als Evangelium. Indem der Hausherr (d. h. der HErr) einen bestimmten Diener von den anderen Dienern aussondert und ihn als Haushalter über das Hausgesinde setzt (d. h. eine Amtseinsetzung), wird eine Instanz geschaffen, durch die der Hausherr den Seinen seine Gaben geben und zu ihnen sprechen kann.58 Auch in der Zeit seiner Abwesenheit (d. h. zwischen Himmelfahrt und dem Jüngsten Tag) ist der Hausherr nicht einfach abwesend oder lediglich anwesend in der Erinnerung an Aufgaben, die nun erledigt und erfüllt werden müssen. Vielmehr ist er als Gebender, der den Seinen nach wie vor schenkend und fürsorgend gegenübersteht, noch immer mit den Seinen. Das Gegenüber von Amt und Gemeinde, von Amtsträgern und Zuhörenden oder Empfangenden macht Raum für An-rede und Zu-spruch, für ein Sprechen, das unmissverständlich ein Handeln ist, da es unmissverständlich von außen kommt, und für ein Handeln, das Gottes guten Willen unmissverständlich zusagt, und für alle seine Gaben, die im konkreten Akt des Gebens nicht als Aufgaben missverstanden werden können. Für die Theologie ist die Predigt eine primäre Sprachform, und vom Inhalt und der Form des Predigens Luthers her wird deutlich, dass Predigen in einem Gegenüber geschieht, und zwar nicht nur in einem gegenseitigen Gegenüber zwischen einzelnen Christen, sondern in einem Gegenüber, das sich in einer wir/ 57 Vor allem eine Aneignung eines Grundgedankens von Oswald Bayer; siehe z. B. Bayer, Schöpfung als Anrede, S. 36–39 als kurze Zusammenfassung von Bayer, Promissio. 58 Vgl. Pr. 2018 [R] WA 51,96,20–97,6.

Passives und aktives Haben des Amtes

283

ihr-Form der Anrede ausdrückt. Nimmt man den Ausgangspunkt vom Predigen Luthers, dann wird deutlich, dass es in der Gemeinde um mehr als konstatierende Sätze und in der Kirche um mehr als feststellende Aussagen über die Kirche geht. Denn in der Kirche und in der Gemeinde handelt eine Instanz, die ihr auch gegenübersteht, durch deren Sprechen und Handeln – es ist das Sprechen und Handeln Christi! – sie konstituiert und geschaffen wird. Weder Gemeinde noch Kirche müssen erst das Wort Gottes erzeugen, noch die leibliche und mündliche Vermittlung dieses Wortes aus sich heraus entwickeln, um creatura dieses verbum zu sein (das wäre ein theologischer Widerspruch!). Es gehört zum Wesen der Kirche, zum Wesen der Gemeinde, dass es in der Kirche und in der Gemeinde eine Instanz gibt, die der Kirche und der Gemeinde gegenübersteht. Diese Instanz findet sich im Amt der Kirche und in den Amtsträgern.59 Insofern stimmt der Befund der untersuchten Predigten mit den Formulierungen ökumenischer Dokumente überein, nach denen das Amt sowohl in der Gemeinde als auch ihr gegenüber steht.60 Nach Luther können „in“ und „gegenüber“ näher bestimmt werden: „In“ drückt die Dienst-Bestimmtheit des Amtes aus; das Amt existiert nicht für sich selbst und also nicht ohne Gemeinde. Es ist der Gemeinde ständig dienend zugeordnet – oder es ist nicht das Amt. „Gegenüber“ drückt die Gabe-Bestimmtheit des Amtes aus: Das Amt existiert nicht als eine Projektion der Gemeinde, um Aufgaben an ihrer Statt auszuführen, sondern steht der Gemeinde gegenüber an Christi Statt, damit sie von ihm durch das Amt beschenkt wird.

7.3

Die Möglichkeit zweifachen Habens: Passives und aktives Haben des Amtes

So wie jedes Gegenüber zwei Punkte hat, und so wie Geben und Schenken zumindest zwei Entitäten bedingen, so zeigen sich in den Predigten Luthers weitere Relationen dieser Art, nicht zuletzt ein zweifaches Haben. Es ist nach Luther möglich, dass ein einziges Ding auf zweifache Weise gegeben und folglich gehabt wird. Unter anderem wird das Amt auf zweifache Weise gegeben und folglich auf zweifache Weise gehabt. Anhand von Pr. 1601 kann das Moment eines zweifachen Habens deutlich erkannt werden. In dieser Predigt vom Pfingstmontag61 über Act 2,14–24 wird 59 Bezüglich dieses Abschnitts vgl. Bayer, Gott als Autor, S. 1–18. 60 S.o. Anm. 44–46. 61 Für eine Zusammenfassung von Luthers Verständnis von Pfingsten und den Geschehnissen dieses Tages, wie er es zwischen 1535 und 1546 gepredigt hat, siehe 4.2.2.

284

Der Aspekt der Predigtanrede und des Gegenübers

zuerst ein zweifaches Ausgießen des Heiligen Geistes angesprochen. Der Heilige Geist wird einerseits auf die Zwölf und die 120 „äußerlich“ ausgegossen und andererseits auf die Volksmenge „innerlich“ ausgegossen. In einer Rekapitulation der Predigt des Petrus sagt Luther : […] [Z]uerst soll dies geschehen, nämlich der Heilige Geist wird kommen, und [wird] nicht gegossen oder geregnet, sondern [er wird] ausgeschüttet, so dass [er] noch [wie] Paulus [sagt]: „reichlich [über uns ausgegossen wird],“ ohne Unterschied der Personen. […] [Petrus62] meint nicht nur das äußerliche Gießen des Heiligen Geistes – wie er mit den Zungen[63] [ausgegossen wurde], sondern das innerliche [Gießen – nämlich], dass die Herzen durch das Wort [den Heiligen Geist] empfangen. Denn nicht alle waren im Haus, sondern nur die 120. Vorher [geschah es] nur durch eine Sprache; nachher auf allerlei Sprachen unter den Juden und nachher [unter] den Heiden. Denn ohne den Heiligen Geist und feurige Zungen und Zeugnis wird niemand das Evangelium rein predigen.64

Das erste Ausgießen des Heiligen Geistes an Pfingsten, das Luther als ein „äußerliches“ Ausgießen beschreibt, bezog sich auf eine begrenzte Gruppe, die 120. Insofern sagt Luther, dass der Geist erst nur „ausgeschüttet“ wurde. Dieses Ausschütten oder Ausgießen wird in Blick auf den Bereich seiner Wirkung „äußerlich“ genannt: Es ist ein Ausgießen sichtbarer und hörbarer Zungen, das äußerlich bewiesen wurde in ihrer Fähigkeit, in allerlei Sprachen65 zu sprechen. Dieses erste, „äußerliche“ Ausschütten oder Ausgießen geschieht, damit das zweite Ausgießen – das „innere“ – folgen kann. Den 120 werden der Geist und die feurigen Zungen gegeben, damit sie „das Evangelium rein predigen“. Wiederum wird das zweite Ausgießen „innerlich“ genannt in Blick auf den Bereich seiner Wirkung: Es ist ein Ausgießen des Heiligen Geistes, das die Herzen der Menschen berührt und Glauben weckt.66 Doch weder das „äußerliche“ Ausgießen noch das „innerliche“ Ausgießen geschieht unvermittelt: Das „äußerliche“ erfolgt in einem Gottesdienst früh am Tag, als Joel 3,1–5 gelesen oder gepredigt wurde,67 und das „innere“ geschieht wie zitiert „durch das Wort“ und die Taufe.68 62 Oder „Gott“ oder „Joel“. 63 Oder „Sprachen“. 64 Pr. 1601 [R] WA 41,605,17–19 und 23–28: „[…] sol das vor geschehen, scilicet spiritus sanctus veniet non gegossen et geregnet, sed ausgeschut, ut etiam Paulus: ,reichlich‘, sine discrimine personarum. […] Non meint solum das euserlich giessen spiritus sancti, ut cum linguis, sed internam, quod corda acceperunt per verbum, quia non omnes fuerunt in domo, sed tantum 120. Prius tantum una loquela, postea auff allerley sprach inter Iudaeos et postea gentes. Sine spiritu sancto enim et feurige zungen und zeugnis nemo pure praedicabit Euangelium.“ 65 Unter den Sprachen, in denen die Zwölf und die 120 reden konnten, versteht Luther nicht eine charismatische Glossolalie, sondern die normalen verständlichen Sprachen der Länder, aus denen die Juden nach Jerusalem zum Pfingstfest gekommen waren. 66 Vgl. Pr. 1601 [R] WA 41,606,18–21. 67 S.o. Anm. 61 und 64.

Passives und aktives Haben des Amtes

285

Neu in dem neuen Regiment des Neuen Testaments ist, dass alle haben; denn nach Luther gab es unter dem alten, harten Regiment des Alten Testaments Menschen, die nichts hatten.69 [70]

[„]Ich werde so einen Unterschied nicht machen. [Jeder] junge [Mensch], [jeder] alte [Mensch], [jeder] Mann, [jede] Frau, [jeder] Knecht, [jede] Magd – einer soll [mir] so lieb sein wie [der] andere. Moses und die Natur hat [es so] geordnet, dass es einen Unterschied unter diesen [gibt]. Aber ich will alles gleich machen und so ein Regiment stiften, wo ein Knecht genau so viel wie ein Herr [hat] – jeder ohne Rücksicht auf die Person, sei er ein König, [sei er] ein Knecht. Denn einer wird [das] haben und auch der andere, nämlich meinen Heiligen Geist, den ich reichlich ausgießen werde. Ich werde [unter den] Menschen nicht unterscheiden, aber ich werde [jeden Mensch] in seinem Stand belassen.[“] Es ist noch so und bleibt [so] bis zum Jüngsten Tag. Denn jeder Christ hat meinen Glauben. Das Evangelium, die Taufe, das Sakrament gehören mir nicht unter Ausschluss der anderen, sondern [sie sind] dasselbe [Evangelium, dieselbe Taufe und dasselbe Sakrament, die alle Anderen haben], so lange wir glauben. [Gott] hat die ganze Welt zusammengebracht in eine einzige Kirche, so dass alle gleich sind. Jedoch bleiben verschiedene Gaben, wie [hier] folgt. Aber in dieser Hinsicht sind sie nicht verschieden, dass [sie alle] denselben Heiligen Geist und [denselben] Glauben, [dasselbe] Wort [haben], die [Gott] in [ihre] Herz[en] gibt.71

Die Gleichheit der Christen im neuen Regiment, das mit Pfingsten anfängt, ist eine Gleichheit des Habens, und dieses Haben, nach dem alle gleich sind, lässt sich näher bestimmen. Alle haben den Heiligen Geist, denselben Glauben, sowie das Evangelium oder das Wort, die Taufe und das Sakrament des Altars. Der Kontext macht klar, dass sie den Geist, das Wort, die Taufe und das Sakrament passiv haben. Alle Christen sind gleich, indem sie alle gleich von Gott geliebt werden. Die Menschen, deren Gleichheit hier benannt wird, werden in ihrer Passivität erfasst: Sie sind diejenigen, die Gott aus der ganzen Welt in seine Kirche bringt. Das Wort, die Taufe und das Sakrament sind die Mittel, durch die der Heilige Geist den Glauben in ihren Herzen wirkt. Insofern ist das Ausgießen, 68 „[R]eichlich über uns ausgegossen“ ist ein Zitat von Tit 3,6; Luther interpretiert Tit 3,5f in Bezug auf die Taufe (vgl. den Kl. Kat., BSLK 516,18–28). Vgl. Act 2,41. 69 Pr. 1601 [R] WA 41,605,35–39. 70 Luther ahmt Gott nach. 71 Pr. 1601 [R] WA 41,605,39–606,9: „Sic non faciam distinctionem. Es sol mir der jung, alt, herr, frau, knecht, magd, eins so lieb als ander. Moses et natura ordinavit, ut sit discrimen inter hos. Sed ich wils als gleich machen, Et tale regnum instituam, ubi servus tam viel ut Herr et quisque unangesehen personam, sive sit Rex, servus, quod alius habet, etiam alius, scilicet spiritum sanctum meum, quem abunde effundam. Homines non discernam, sed retinebo in suo statu. Das ist noch so et manet usque ad extremum diem, quia fidem meam habet quisque Christianus, Non proprium Euangelium, baptismum, Sacramentum, sed idem, modo credentes simus. Totum mundum zusamen gebracht in unicam Christianam Ecclesiam, ut omnes similes, Et tamen manent dissimilia dona, ut sequitur. Sed in hoc non dissimiles, quod eundem spiritum sanctum et fidem, verbum, quae dat in cor, […]“.

286

Der Aspekt der Predigtanrede und des Gegenübers

nach dem alle Christen gleich sind, das mittelbare, „interne“ Ausgießen des Heiligen Geistes, durch das der Glaube in das Herz eines Menschen gepflanzt wird. Christen als Christen haben den Geist, das Wort, die Taufe und das Sakrament als geschenktes Gut; sie haben sie passiv und sind Gott gegenüber in ihrem Geliebt-Sein auch passiv. Ihr Status vor ihm hat nichts mit irgendeinem Tun ihrerseits zu tun, sondern ist allein Gottes Werk.72 Der einzige Unterschied unter diesen Menschen, die getauft sind, gespeist und getränkt werden, zu denen gepredigt wird und denen der Heilige Geist gegeben wurde, ist ein Unterschied des Standes,73 ein Unterschied verschiedener (aktiver) Gaben: […] [S]päter geschieht eine Ungleichheit unter den Gleichen: Einige weissagen, andere [sehen] Gesichte, [und andere] haben Träume. Obwohl wir im Geist gleich sind, und kein [Christ] besser als [ein anderer] Christ [ist], gibt es nichtsdestoweniger einen Unterschied der Gaben, [wie man bei] I Kor 12 [sieht]. [Wir haben] denselben Herrn, [aber] nicht [dieselben] Werke – [denselben] Geist, aber die Ämter sind ungleich. Diese Unterscheidung bleibt unter den Christen. Einer ist ein Prediger, ein anderer tauft, ein anderer ermahnt, weist zurecht [und] heilt. Dies ist der Unterschied der Gaben, durch die der Heilige Geist äußerlich erkannt wird. Aber innerlich [gibt es] keine Trennung. Denn ein Kind, das jetzt getauft ist, hat denselben Christus, den ich habe. Christus [ist derselbe], und sie sind [auch] dasselbe. Wenn ich gelehrter als du bin und predige,[74] [und] du nicht [predigst], ist es eine sonderliche Zugabe und eine Gabe des Heiligen Geistes, damit ich diene, damit die Kirche in einen Leib zusammenwächst. Die Schrift und die Gnade des Predigens sind nicht gegeben, damit ich erhoben werde und Geld [für] mich suche. [Die Gnade des Predigens] soll dazu dienen, dass Menschen glauben, Christus erkennen – sie soll zu diesem Zweck dienen, zu dem christlichen Wesen, das in dem einen Glauben besteht. Weissagen ist Predigen oder Gottes Wort reden. Ich habe nicht die hohe Weisheit, damit ich von zukünftigen Sachen predige, aber das Predigen habe ich.75 72 Siehe auch Pr. 1727 [R] WA 46,408,14–17. Inhaltlich steht Pr. 1601 [R] WA 41,605,39–606,9 der Erklärung des dritten Artikels des Apostolischen Glaubensbekenntnisses im Kl. Kat. sehr nahe. Siehe BSLK 511,45–512,13; der Heilige Geist ist aktiv, die Christen passiv. Vgl. „vita passiva“ als Bestimmung der Existenz des Christens in Bayer, Theologie, S. 42–49 und Bayer, Martin Luthers Theologie, S. 38–40. 73 Es ist von Bedeutung, dass der Unterschied des Standes nicht bloß ein Unterschied notwendiger Ordnung und an sich ein a-theologischer Punkt ist, sondern in Nachahmung Gottes (s. o. Anm. 70) wird der Unterschied der Stände bestätigt. Dieser Unterschied geht auf Gott selbst zurück. 74 Vgl. Pr. 1885 [R] WA 47,797,19 im Kontext von 47,797,15–798,14; während nach Pr. 1601 ein Gelehrt-Sein zum Amt der Amtsträger gehört, kann Luther genauso leicht nach Pr. 1885 das Gelehrt-Sein als verachtenswerten Hochmut verwerfen, sobald dieses Gelehrt-Sein als eine selbst erwachsene Fähigkeit statt als eine Gabe Gottes gesehen wird. Siehe auch 6.4.2. 75 Pr. 1601 [R] WA 41,606,9–22: „[…] postea inter similes fit dissimilitudo, quidam prophetant, alii gesicht, trewme habent, quanquam nos in spiritu equales, et nullus meliorem Christum, et tamen est discrimen donorum 1. Cor. 12. Idem dominus, non opera, Geist, sed empter dissimilia. Ista distinctio manet inter Christianos. Alius praedicator, alius baptisat, alius

Passives und aktives Haben des Amtes

287

Ohne die Gleichheit der von Gott geliebten Christen vor Gott zu leugnen, kehrt Luther wieder zum „externen“ Ausgießen des Heiligen Geistes zurück, und betont, dass er selbst das Predigen auf eine Weise hat, nach der nicht alle Christen das Predigen haben. Luther predigt und andere Christen predigen nicht.76 Der Unterschied ist nach Pr. 1601 ein Unterschied des Standes, ein Unterschied der Gaben. Luther führt sein Predigen auf eine eigenständige Mitteilung und Gabe des Heiligen Geistes – „die prophetische Gabe Gottes“77 – zurück. Luther hat das Predigen, das alle Christen passiv haben, auch aktiv. Zu der Gabe des Heiligen Geistes, der zufolge er nicht mehr und nicht weniger heilig ist als ein eben getauftes Kind, kommt eine eigenständige Gabe des Heiligen Geistes hinzu, nach der er zu dienen hat – zu predigen und zu taufen hat –, damit andere Menschen Christus erkennen und zum einen christlichen Glauben gebracht werden. Das Schema ist in der Gegenwart genauso, wie er Pfingsten schildert: Der Heilige Geist wird auf einige besonders und „äußerlich“ ausgegossen, damit eben dieser Geist durch das Wort, das sie predigen, und die Taufe, die sie verwalten, auf andere „innerlich“ ausgegossen wird. „Er [i. e. Jesus Christus] regiert, tauft und lehrt uns durch die Diener ; er hört nicht auf, den Heiligen Geist über Jünglinge [und] Männer auszugießen und aller Unterschied der Personen [ist] aufgehoben.“78 Die Diener, die Prediger, haben den Geist, das Wort, die Taufe und das Sakrament des Altares aktiv. In dieser Hinsicht sind sie zwar nicht heiliger, aber sie gehören zum Gesamtgefüge des mittelbaren Handelns Gottes, durch das andere Menschen geheiligt werden. So wie Luthers Amtsverständnis ein Gegenüber aufweist, nach welchem monet, corripit, sanat. Haec discrimina donorum, per quae spiritus sanctus agnoscitur externe. Sed intus nulla zertrennung, quia puer iam baptisatus habet eundem Christum, quem ego, Christus, et sunt idem. Si doctior te et praedico, tu non, ist ein sonderlich zugabe et donum spiritus sancti, ut serviam, ut in corpus unum coalescat Ecclesia. Non datur scriptura et gnad praedicandi, ut extollar und gelt, mich suche. Sed sol mit dienen, ut homines credant, agnoscant Christum, ad hoc serviat, ad Christlich wesen, quae besthet in una fide. Weissagen est predigen vel reden Gottes wort. Die hoh weisheit, ut de futuris praedicem, quam non habeo, sed predigen habeo.“ Vgl. auch Bonhoeffer, Ethik, S. 402: Zum Gebot Gottes im „Mandat“ der Kirche gehören zwei unterschiedliche Gnaden. 76 Nach Pr. 1601 [R] WA 41,605,33f ist ein Resultat des „internen“ Ausgießens des Heiligen Geistes in das Herz der Vielen, dass sie „weissagen“ können. Und Luther erklärt, dass das Weissagen Predigen ist (41,606,21; s. o. Anm. 75). Dennoch ist es nicht der Fall, dass alle einfach predigen wie Luther und die Kirchendiener predigen. Die Stände werden beibehalten und die Amtsträger machen einen bestimmten und ausgesonderten Stand aus. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Luther Weissagen, Gesichte-Sehen und Träume-Haben (Act 2,17; Joel 3,1) nicht als Fähigkeiten und Begabungen deutet, die alle aktiv haben und ausüben sollen, sondern vielmehr als Offenbarungsmittel, durch die diejenigen, die sie empfangen, getröstet und gewiss gemacht werden; siehe [R] 41,606,21–607,7. Ohne Unterschied der Person werden sie passiv gehabt, auch das Weissagen. 77 Pr. 1601 [R] WA 41,606,33: „Ista est propheticum donum dei.“ 78 Pr. 1601 [R] WA 41,607,4–6: „Is nos regit, baptisat, docet per ministros, non cessat effundere spiritum sanctum super iuvenes, viros und all discrimen personarum auffgehoben.“

288

Der Aspekt der Predigtanrede und des Gegenübers

Christus nicht nur in der Gemeinde präsent ist, sondern ihr auch durch das Amt gegenübersteht, so vertritt er auch ein zweifaches Haben. Zum Wort, zur Taufe, zur Absolution, zum Sakrament des Altars, zum Heiligen Geist, zum Amt gibt es sowohl ein passives wie ein aktives Verhältnis. Ein Mensch kann zum Beispiel einerseits den Heiligen Geist für sich und seine Person zu seinem eigenen Heil haben, und ein Mensch kann andererseits den Heiligen Geist für das Amt zum Heil anderer Menschen haben.79 Das zweifache Haben entspricht der zweifachen Heiligung, die das Ordinationsformular H. aufweist.80 Sowohl nach „Von den Konziliis und Kirchen“ (1539) als auch nach „Wider das Papsttum zu Rom“ (1545) gibt es ein zweifaches Haben der Schlüssel.81 Luthers Rede vom Haben der Taufe, der Absolution, der Predigt, des Altarsakraments, vom Haben des Heiligen Geistes und vom Haben des Amtes ist eine differenzierte und unterscheidende Rede. Diese differenzierte und unterscheidende Rede verlangt von heutigen Interpreten der Lutherschriften besondere Aufmerksamkeit. Mangelt es an Differenzierung, dann führt das auf beiden Seiten zu theologischen Positionen, die Luther fremd sind, ja die er selbst immer wieder ausdrücklich abgelehnt hat. Hieße das aktive Haben des Geistes oder der Taufe, dass der aktiv-Habende irgendwie den Geist (fester, mehr oder in höherem Maße) in seinem Herz habe 79 Vgl. Pr. 1002 WA 28,467,40–468,6 und 28,468,28f: „SO mache nu diese Unterscheid und sprich: Den heiligen Geist mag ein Mensch zweierley Weise haben, Einmal für sich selbs und für seine Person, das der heilige Geist dieselb Person durchs Wort erleuchte, heilige, gerecht und selig mache, Ob schon die Person nicht im Ampt ist noch mit dem Wort zu regieren hat. Das ist die beste und seligste Weise den heiligen Geist zu haben. Zum andern mal kan ein Mensch den heiligen Geist haben nicht für sich selbs noch für seine Person, Sondern für das Ampt, Gleich wie böse Pfarherr, Rottengeister und Ketzer den heiligen Geist haben mügen nicht für sich selbs, das sie selig wuerden, Sondern für jr Ampt das sie füren. […] DAraus ist klar und offenbar das ich gesagt hab, Ein Mensch möge zweierley Weise den heiligen Geist haben, Für seine Person und für sein Ampt.“ Hier, sowie bei Pr. 1601 (das Predigen wird anhand eines äußerlichen Ausgießens des Heiligen Geistes aktiv gehabt und nicht anhand des selig-machenden innerlichen Ausgießens), fällt Luther nicht in die Irrlehre der Donatisten, indem er deutlich macht, dass Menschen, die den Geist nicht für ihre Person haben, ihn doch für das Amt haben können; während das passive und selig-machende Haben des Geistes durch das Amt und das, was es predigt und verwaltet, gewirkt wird, wird das aktive Haben des Geistes keineswegs vom passiven Haben abgeleitet. Das wäre Donatismus; vgl. 9.4.3. 80 WA 38,424,18–425,5; Mittermeier 78 [22]. Siehe 6.3.4.1 und 6.6.1. 81 WA 50,631,36–632,34 („Von Konziliis und Kirchen“, 1539): Ein Christ hat die Schlüssel als einer, der durch sie gebunden oder losgesprochen wird (50,632,1–3); die Pfarrer (50,632,6 und 8; vgl. 50,632,25f) haben die Schlüssel aktiv – zu binden und zu lösen, sowohl öffentlich als auch „sonderlich“ (vgl. 50,633,1). WA 54,250,3–25 („Wider das Papsttum zu Rom): „[…] die Schlüssel und solche macht Sünde, zu binden und zu lösen, […] ist gegeben den Aposteln […] allein den Sündern zu gut und nutz.“ (Zitat – 54,250,3–5); sie sind den Aposteln und Bischöfen, die als Diener der Kirche bestimmt werden, als beneficium für Sünder und nicht als dominium über Sünder gegeben.

Passives und aktives Haben des Amtes

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oder zu höherer Würde getauft und geheiligt sei, so landete man bei einem spätmittelalterlichen Amtsverständnis, wie es Luther immer wieder angegriffen hat. Man ist nicht (in höherem Maße) getauft, weil man anderen die Taufe spendet. Man hat nicht den Heiligen Geist im Herzen und wird nicht dadurch gerechtfertigt, dass man vom Heiligen Geist für die Rechtfertigung anderer Menschen gebraucht wird. Man hat das Amt nicht auf passive Weise, weil man es auf aktive Weise hat: Das Zelebrieren einer Messe vermittelt nicht die Vergebung der Sünden für den Zelebranten; dies kommt vielmehr durch den Empfang des Leibes und des Blutes Christi. Hieße aktives Haben des Heiligen Geistes zugleich auch passives Haben, würde man bei einer subtilen Form der Werkgerechtigkeit und bestimmten Amtsmissbräuchen enden, die Luther explizit verworfen hat. Umgekehrt, hieße das passive Haben des Heiligen Geistes oder der Taufe, dass der passiv-Habende irgendwie den Geist und die Taufe auch aktiv – das heißt zur Amtsausübung – habe, landete man bei einer ebenfalls von Luther verworfenen Amtslehre. Es war gerade die von Luther immer wieder verworfene Position der Donatisten, dass der Geist nur durch diejenigen handeln könne, die ihn im Herz haben;82 Voraussetzung für ein aktives Haben des Heiligen Geistes – und insofern eine für ein aktives und effektives Haben des Amtes – war nach ihnen das passive Haben. Die Irrlehre der Donatisten fand Luther wieder bei den Wiedertäufern und dem linken Flügel der Reformation,83 die sich aufgrund ihres inneren Habens des Geistes zum Taufen und Predigen berechtigt und sogar verpflichtet fühlten. Nach Luther aber darf man weder predigen, nur weil das Herz vom Geist bewegt ist, noch lässt er das Predigen und die Sakramentsverwaltung vom Glauben des Amtsträgers abhängig sein. Luthers gepredigtes Amtsverständnis schließt den Rückschluss vom passiven auf das aktive Haben des Amtes ebenso aus wie den Rückschluss vom aktiven auf das passive Haben des Amtes; er lässt sich weder von den damaligen Missbräuchen der spätmittelalterlichen Kirche des Westens noch von der Irrlehre der Donatisten und Schwärmer fangen. Wenn Luther also von einem aktiven wie auch von einem passiven Haben des Geistes, des Amtes und der durch das Amt ausgeteilten Heilsmittel reden kann, dann ist es für den Interpreten von Luthertexten unerlässlich, genau zu prüfen, was wem auf welche Weise (für wen) gegeben ist. Denn nach Luther hat nicht nur 82 Diese theologische Kenntnis, die er aus der Kirchengeschichte gewinnt, bildet den Hintergrund für Stellen, wie die bei Pr. 1601 [R] WA 41,605,23–30: In dieser oben angesprochenen Predigt vom Pfingstmontag hängt Luther das Predigen ausschließlich an das externe Ausgießen (d. h. in Zungen) des Heiligen Geistes; ein Amtsverständnis, das einen Kaiphas und einen Bileam nicht als Amtsträger ertragen könnte, bliebe Luthers Amtsverständnis fremd und würde nach seiner Auffassung schließlich im Donatismus enden. Vgl. CA VIII (BSLK 62,13–16). 83 Siehe z. B. Pr. 1574 [R] WA 41,455,30–32.

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Der Aspekt der Predigtanrede und des Gegenübers

die Kirche Amtsträger, sondern die Amtsträger haben auch die Kirche.84 Voraussetzung für das zweifache Haben ist das Geben Gottes, des Gebers, und die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, die in Luthers Predigten mit dem sich wiederholenden Gabemotiv zu Tage tritt. Die Zuhörer und Empfänger als Zuhörer und Empfänger haben das Amt – haben die Amtsträger – als eine Gabe, als ein Geschenk Gottes, durch das er für sie und für ihr Heil sorgt.85 Die Amtsträger als Amtsträger haben das Amt als eine Aufgabe, die sie zu vollziehen haben, die aber in der Gewissheit, dass sie ihr Amt von Gott haben und dass er selbst dadurch spricht und handelt, auch für sie als eine Gabe wirken kann. Zusammenfassung In den untersuchten Predigten belegt die Form der Rede und der Anrede Luthers, dass er die Amtsträger für eine ausgesonderte Gruppe hält, die der Gemeinde gegenübersteht: Die Kirche ist für Luther eine differenzierte Größe. Das Gegenüber von Amt bzw. Amtsträgern und Gemeinde definiert zunächst den Rahmen, in dem das Evangelium ekklesiologisch als Evangelium wirken kann. Aus dem zweipoligen Gegenüber erschließt sich für Luther, dass es einerseits möglich ist, das Amt aktiv zu haben, und andererseits, es passiv zu haben.

84 Pr. 1577 [R] WA 41,470,3f. 85 Siehe Pr. 2018 [R] WA 51,97,25–28.

8.

Der Aspekt der Gewissheit

So wie das für das Evangelium wesenhafte Gegenüber zwei Punkte hat, und wie ein Mensch auf zweierlei Weise den Heiligen Geist haben kann, so ergibt sich aus den Predigten Luthers auch eine zweifache Gewissheit. Damit sind wir zur Reflexion über ein Charakteristikum reformatorischer Theologie und zugleich über ein Merkmal des Lebens und Werkes Luthers vorgestoßen. Es kann gezeigt werden, dass Luthers Verständnis des Amtes kein bloßes Anhängsel seiner Theologie ist, sondern zu deren Kern gehört: Die Amtsgewissheit, die Luther von der Kanzel vermittelt, wirkt und zielt gerade auf die Heilsgewissheit.

8.1

Die treibende Frage?

„Wie finde ich einen gnädigen Gott?“ Nach landläufiger Meinung und auch nach Meinung mancher Wissenschaftler ist dies die berühmte Frage, die Luther angetrieben und seine Theologie bestimmt hat.1 Auch wenn Luther rückblickend gegen Ende seines Lebens sein unruhiges Gewissen nicht als den einzigen treibenden Impetus seiner frühen Arbeit oder als alleinigen Ansporn bezeichnet für das, was seine „reformatorische Wende“ genannt wird,2 ist es dennoch klar, dass sein nicht zu beruhigendes Gewissen3 eine große Rolle in den frühen Jahren seiner theologischen Tätigkeit gespielt hat und dass die nicht zu unterdrü-

1 Z.B. Yeago, „The Catholic Luther“, S. 14: Unter diese Frage kann Yeago „the standard Protestant way of reading Luther“ subsumieren. Vgl. auch Pfürtner, Luther und Thomas, S. 138, 139. 2 Siehe WA 54,185,12–186,20 („Vorrede Luthers zum ersten Band der Gesamtausgabe seiner lateinischen Schriften“, 1545). Für einen Überblick der umstrittenen Deutung der „reformatorischen Wende“ siehe Leppin, Martin Luther, S. 107–117. 3 WA 54,185,21f („Vorrede“, 1545): „Ich fühlte mich vor Gott, ein Sünder von unruhigstem Gewissen zu sein.“ („[…] sentirem coram Deo esse peccatorem inquietissimae conscientiae […]“).

292

Der Aspekt der Gewissheit

ckenden Fragen seines Gewissens ihn auf die Bahn zu einer enormen Wende brachten. Der Versuch liegt nahe, Luther und sein theologisches Anliegen auf diese Weise kurz zusammenzufassen. Denn Luthers Weg zur reformatorischen Wende entstammt nicht einem rein logischen oder theologischen Gedankengang, wie er sich einfach in der einen oder anderen Schrift darlegen ließe, sondern dieser Weg war ein auch biographisch bestimmter Werdegang, der aufs Engste mit den Ängsten seines Gewissens verwoben war. Die Frage, „Wie finde ich einen gnädigen Gott?“ lässt sich biographisch verorten4 und ist der Versuch, einen ganzen Fragenkomplex zu verdichten. Zu Luthers reformatorischer Wende gehört mehr als nur das, was die Vorrede zum ersten Band seiner lateinischen Schriften von 1545 angibt.5 Entsprechend ist auch Luthers theologisches Anliegen komplexer als dass es sich in einer einzigen Frage zusammenfassen ließe. Auf jeden Fall aber ist der Prediger und Theologe Luther ein Mensch, dessen Gewissen ihm zu schaffen gemacht hat und für den das Thema des Gewissens und der Gewissheit lebenslang äußerst wichtig bleibt.6 Das Ringen um den Status vor Gott bei dem jungen Mönch und Professor hat wesentlich das Auge des reifen Predigers geschärft, so dass die Frage, wie man vor Gott bestehen könne, für ihn und also für seine Zuhörer immer aktuell bleibt:7 Gewissen und Gewissheit sind immer im Blick. In biographischem Rückblick auf seine frühere Arbeit und seinen Werdegang kann der ältere Luther gewonnene Erkenntnisse nennen, die ihm früher unter dem Papsttum gefehlt haben. Die passive Gerechtigkeit Gottes, durch die der gnädige Gott Sünder durch den Glauben gerecht macht, war ihm zum Beispiel lange verborgen geblieben.8 Ebenso waren ihm verbum und promissio als Begriffe unbekannt.9 Ein getröstetes Gewissen und Gewissheit waren ihm fremd geblieben: Auch in der so reformbedürftigen Beichtpraxis der damaligen Kirche des Abendlandes war er immer auf seine eigene „ungewisse Reue und Buße“

4 Kittelson, Luther the Reformer, S. 40–142; Yeagos pointierte Fassung hätte genau so von Kittelson gewonnen werden können (s. o. Anm. 1). Siehe auch Pfürtner, Luther und Thomas, S. 18–20. 5 S.o. Anm. 2. Bayer, Martin Luthers Theologie, S. 41–61; Bayer, Promissio; vgl. auch Pesch, Hinführung zu Luther, S. 80–153. 6 Vgl. WA 32,328,21–329,18 („Das fünfte, sechste und siebente Kapitel Matthaei gepredigt und ausgelegt“, 1532): Gewissheit und das Haben eines gnädigen Gottes kommen in diesem Kontext zusammen. 7 Pr. 1532 [R] WA 41,78,15f; vgl. 41,74,24 und 41,77,22 („consolatio“) sowie 41,78,18 („certe“). Siehe auch Ebeling, Luther: Einführung, S. 131. 8 S.o. Anm. 2. 9 WA 44,719,18–23 (Genesis-Vorlesung, 1535–1545); siehe Bayer, Martin Luthers Theologie, S. 44, Anm. 6.

Amtsgewissheit und Heilsgewissheit

293

hingewiesen worden.10 Und weitere Erkenntnisse, bezogen auf das Gewissen und auf Gewissheit, fehlten auch. In Bezug auf Gal 1,1 sagt Luther : Einst, als ich ein unerfahrener Theologe und Doktor war, schien es mir, dass Paulus närrisch handele, dass er in allen seinen Briefen sich so oft seiner Berufung rühmte. Ich verstand seine Einsicht nicht, denn ich wusste nicht, dass das Amt des Wortes etwas so Großes wäre. Ich wusste nichts von der Lehre des Glaubens noch von einem rechten Gewissen, weil nichts Gewisses gelehrt wurde, weder in den Schulen noch in den Kirchen […]. Daher konnte niemand den Wert und die Kraft dieses heiligen und geistlichen Rühmens von der Berufung erkennen, […]11

Zu dem, was früher für Luther ungewiss war, aber später gewiss geworden ist, gehört die Lehre vom Amt.

8.2

Zweifache oder doppelseitige Gewissheit: Amtsgewissheit und Heilsgewissheit

Gewissheit darf bei Luther nicht einfach als eine subjektive Einstellung oder sogar eine subjektive Erfahrung missverstanden werden. Luther hat Gewissheit zwar erfahren und sie auch entsprechend gefördert, doch diese Gewissheit folgt aus einer objektiven Heilsbotschaft,12 aus der Verheißung Gottes, die als konstituierendes Wort Gottes das, was sie sagt und verheißt, auch schafft.13 Heilsgewissheit bedeutet keineswegs eine Orientierung an subjektivem Erleben, sondern vielmehr Ausrichten an dem externen Wort Gottes sowie an seinem konkreten Handeln und Tun, die gerade gegen das subjektiv Erlebte kämpfen.14 Denn Gott handelt mit uns auch durch äußerliche Zeichen, dass wir gewiss werden, er sei unser gnädiger Gott. Denn da hat er das Evangelium, die Taufe, das Sakrament des Altars, die Gewalt der Schlüssel gegeben. Wo diese Stücke sind, da ist wahrlich Gott.15 10 Pr. 1923 [R] WA 49,142,12 im Kontext von 49,142,4–14: „ungewis Rew und busse“. 11 WA 40/I,63,19–26 (Galaterbriefvorlesung, 1535): „Olim cum essem novus Theologus et Doctor, videbatur mihi Paulus ineptire, quod in omnibus Epistolis toties gloriaretur de sua vocatione. Non intelligebam ipsius consilium. Ignorabam enim tantam rem esse ministerium verbi. Nihil sciebam de doctrina fidei et conscientia vera, quia nihil certi docebatur neque in scholis, neque in templis, sed omnia plena erant sophisticis nugis et naeniis canonistarum et sententiariorum. Ideo nemo potuit intelligere vim et potestatem istius sanctae et spiritualis iactantiae de vocatione, […]“. 12 Pfürtner, Luther und Thomas, S. 161f. 13 Bayer, Martin Luthers Theologie, S. 46–48. 14 Pesch, Hinführung zu Luther, S. 121. 15 Pr. 1851 [A] WA 47,576,24–27 (Hervorhebung JM): „Den Gott handelt mitt uns auch durch eusserliche Zeichen, das wir gewiss weren, ehr sei unser gnediger Gott. Den do hat ehr das Euangelium, die Tauffe, das Sacrament des altars, die gewalt der Schlussel gegeben. Wo die Stucke sein, da ist warlich gott.“

294

Der Aspekt der Gewissheit

Die Gewissheit, dass Gott mir gnädig ist, ist nach Luther in dem gepredigten Wort und den Sakramenten zu finden. Vorreformatorisch ist vorsakramentstheologisch;16 das reformatorische und also gewisse und gnädige Sprechen und Handeln Gottes verortet Luther im gepredigten Wort, in den Schlüsseln, in der Taufe und im Altarsakrament. Diese Mittel des konkreten Sprechens und Handelns Gottes sind nicht statisch, sondern aktiv und in Gang; wo sie eingesetzt werden, implizieren sie ein Gegenüber, wie dies in Kapitel 7 dargestellt wurde. Bei diesen Mitteln ergibt sich Gewissheit in zweifacher Hinsicht. Anhand von Joh 20,19ff erläutert Luther diese zweifache Gewissheit: Sowohl der Beichtvater als auch der Beichtende soll der Absolution gewiss sein, dieser passiv und jener aktiv. Den Aposteln und ihren Nachfolgern wird durch den Befehl Christi Macht und Autorität gegeben, Sünden zu binden und zu lösen. Sie dürfen wissen, dass das, was sie sagen und tun, nicht aus eigener Macht und Autorität gesprochen und getan wird, sondern dass Christus durch sie spricht und handelt – dass er selbst durch sie Sünden vergibt. Aber ihre Sendung und Ausrüstung mit Autorität wirken nicht nur auf sie, sondern daraus folgt auch, dass das Gewissen des Beichtenden aufgerichtet wird.17 Der Befehl Christi, durch den die Apostel und ihre Nachfolger Macht und Autorität haben, dient dazu, alle Ungewissheit bei den Beichtenden zu beseitigen. Luther will auf jeden Fall vermeiden, dass der Beichtende seinen Prediger und Pfarrer einfach als einen Menschen betrachtet und an der Gültigkeit seiner Absolution zweifelt, besonders in der Stunde des Todes: Wenn du von mir hörst: [„]Dir sind deine Sünden vergeben,[“] so hörst du, dass Gott [dir] gnädig sein will, [dass] er [dich] rechtfertigen und selig machen [will und dich] von Sünde und Tod [erretten will], damit du gerecht bist und lebst. Wenn du mich nur als einen Menschen ansiehst, [so] ist dir nicht geholfen. Sondern du sagst: [„]Der Prediger sagte mir die Absolution zu. Wer weiß [aber], ob [es] wahr [ist], dass [meine] Sünden vergeben sind?[“] Wenn ich es getan habe, kannst du sagen: [„]Ich weiß nicht, ob [es] wahr [ist].[“] Ich habe viele gehört, die in [ihrer] letzten Stunde gesagt haben: [„]Ich wollte all mein Gut dafür geben, dass ich wüsste, dass [es] wahr wäre.[“] Wenn auch der Mensch, der absolviert, wahrhaftig und gerecht ist, so verhält es sich [doch] nicht [so], dass die Absolution auf seine Würde gegründet ist. Damit du also sicher bist – und ich [auch] –, geziemt es sich in [aller] Gewissheit zu sagen und festzustellen: [„] Nicht der Pfarrer absolviert mich. Der Prediger hat mir so zu glauben nicht befohlen. Sondern Gott hat durch ihn gesprochen. Deshalb bin ich gewiss, ja so gewiss, dass ich keinen Heller darum geben würde, damit ich dies glaube […].[“]18 16 Pesch, Hinführung zu Luther, S. 149. 17 Pr. 1923 [R] WA 49,138,26–139,6. 18 Pr. 1923 [R] WA 49,139,8–18: „Si audis ex me: Remittuntur tibi peccata, so hörestu, quod Deus velit propicius esse, iustificare te et selig machen a peccato et morte, ut iustus sis et vivas. Si tantum me respicis ut hominem, nihil te iuvat. Sed dicis: praedicator dixit mihi absolutionem, quis scit, an verum, quod peccata remissa? So ichs gethan hab, potes dicere:

Amtsgewissheit und Heilsgewissheit

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Christi Mandat gibt der Absolution Gewissheit nach beiden Seiten; sowohl für die Prediger und Pfarrer als Prediger und Pfarrer, als auch für die Beichtenden als Beichtende ist es unerlässlich, vom Absolvieren sicher wissen zu können: [„]Deshalb sende ich [euch], damit ihr durch die ganze Welt lauft und andere Prediger einsetzt, die auch laufen, predigen und tun, denn ich und ihr [gehen zusammen] bis ans Ende der Welt. Ich will dabei sein, damit ihr wisst, dass ihr nicht, sondern ich durch euch handle bis zum jüngsten Tag.[“] Aus dem Befehl haben auch wir die Autorität, damit wir, wenn [wir] Sünden vergeben und binden, wissen, dass nicht wir, sondern ja Gott selbst [dies] tut, [weil] wir von Gott gesandt sind. Deshalb sollst du [den] Pfarrer nicht wie einen Menschen anhören, sondern wie Gott. Wenn du doch wissen willst, dass du gewiss absolviert bist, sollst du [dem] nicht misstrauen.19

Der absolvierende Amtsträger und der absolvierte Christ dürfen jeweils der Absolution gewiss sein. Der Gewissheit des Christen vor Gott tritt die Gewissheit des Amtsträgers zur Seite, eine Gewissheit des Instruments und Werkzeugs. Es liegt auf der Hand, dass Luther von der Kanzel Heilsgewissheit vermittelt, doch seine Predigten zeigen, dass neben ihr auch eine Amtsgewissheit vermittelt wird. Die Amtsgewissheit ist eine conditio sine qua non für die Amtsträger : „Diese Zuversicht müssen wir haben[!]“ sagt Luther bei der Einführung regelmäßiger Ordinationen in Wittenberg.20 Ohne diese Zuversicht soll man „das Predigen anstehen“ lassen,21 doch mit ihr „tue ich alle [Amtshandlungen] mit fröhlichem Herzen und du empfängst durch mich als durch eine Maske Christi.“22 Aktive, handelnde Amtsgewissheit verbindet Luther mit passiver, empfangender Heilsgewissheit. Ein Amtsträger braucht nach Luther die Gewissheit, dass Gott ihm das Vermögen gibt für das, was er in seinem Amt sagt und tut. „Wenn du nicht gewiss bist, dass das Vermögen von Gott [kommt], höre auf[!] […] Wenn du Sünden

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Nescio, an verum. Multos audivi, qui dixerunt in extrema hora: Ich wolt all mein gut drumb geben, ut scirem, das war were. Si etiam homo, qui absolvit, est verax et iustus, non helt sich, ut fundetur absolutio in eius dignitatem. Ut ergo tu certus sis et ego, oportet dicere et statuere certo: Non pfarherr me absolvit, praedicator non sic iussit me credere. Sed Deus per ipsum locutus. Ideo sum certus et sic, das ich nicht ein heller wolt drumb geben, ut crederem hoc.“ Pr. 1923 [R] WA 49,140,32–39: „Ideo mitto, ut curratis per totum mundum et constituatis alios praedicatores, qui auch lauffen, predigen und thun, quod ego et vos usque ad finem mundi. Et ego wil dabei sein, ut sciatis vos non facere, sed me per vos usque ad extremum diem. Aus dem befelh haben wir auch potestatem, ut remittentes peccata et absolventes sciamus, quod nos non, sed a Deo missi, ipse met faciat. Ideo non debes pfarherr audire ut hominem, sed ut deum. Si libenter velis scire, quod certum sit te absolutum, noli diffidere.“. Das Zitat in der ersten Hälfte hat Luther aus Act 1,8 und Mt 28,20. Siehe auch das Bekenntnis des Absolvierten: „Ich zweifele nicht“ („non dubito“; WA 49,141,13). Pr. 1574 [R] WA 41,456,28: „Den trotz mussen wir haben.“ „Trotz“ wird im Kontext von 41,456,23–37 vier Mal verwendet. Pr. 1574 [R] WA 41,456,32: „vel las predigen ansthen“. Pr. 1574 [R] WA 41,456,36f: „[…] thue omnia mit frolichem hertzen, et tu accipis per me ut per Christianam larvam.“ (Hervorhebung JM).

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Der Aspekt der Gewissheit

vergeben würdest, [könntest du den Beichtenden] gegenüber Gott beruhigen?“23 Doch weil Gott durch den Amtsträger spricht und handelt, darf auch der Beichtende wie der Täufling getrost sein.24 Zum reformatorischen Gewinn gehört für Luther, dass er nunmehr sich seines Amts rühmen konnte.25 Liebe Prediger und Pfarrer, es ist genug, dass Menschen {uns} für Christi Diener und Haushalter [über] Gottes Geheimnis[se] halten. {Wir} haben Ehre genug daran, wenn Menschen die Zuversicht[26] bezüglich ihrer Pfarrer und Prediger haben, dass sie Gottes Haushalter sind. Was mehr [könnte man wünschen]? Sollte einer wünschen, dass er im Haus Christi eine Sau, eine Ofenkrücke, [oder] ein Fußschemel [sei?] Die Ehre ist viel größer, dass {wir} Prediger und Pfarrer uns [als Christi Diener und Haushalter] rühmen und, dass die Menschen uns für Christi Diener und Haushalter halten, denen der Schatz des HErrn anvertraut ist, den er ein Geheimnis nennt.27

Sowohl der amtstheologische Inhalt wie die Redeweise des Apostels, die Luther anfangs so fremd vorkamen, gehen schließlich in sein Predigen ein; er übernimmt beide und vermittelt damit von der Kanzel ein deutliches und durchaus reformatorisches Amtsverständnis. Die Amtsgewissheit, die die Amtsträger haben sollen, dient und zielt auf die mittelbar zu verleihende Heilsgewissheit der Zuhörer und Empfänger. Es kommt darauf an, dass derjenige, der seinen Pastor hört und die Taufe, die Absolution und das Abendmahl von ihm empfängt, weiß, dass Christus ihn dadurch anspricht und an ihm handelt. Ebenso {das Evangelium, das ich vom Pastor höre,} halte ich nicht für das Evangelium des Pastors, sondern für Gottes Geheimnis, das ist [sein] Schatz. Gott tut es durch ihn. Er gibt das Sakrament, [und] ich empfange [es] aus seiner Hand, nicht als sein [Sakrament]. Es ist nicht der Bäcker und der Mundschenk, der [dies] tut. Vielmehr [ist] Christus der wahre Täufer, Absolvierende, Lehrer, Prediger und Sakramentspeiser.28 23 Pr. 1882 [R] WA 47,783,34–38: „Wenn nicht gewis bist, quod a Deo virtus, höre auff. […] Num tu remitteres, peccata, gegen Got zu frieden setzen?“ 24 Pr. 1882 [R] WA 47,783,35–37. 25 Für Rühmen und Trotzen vgl. WA 36,516,25–519,13 (Pr. 1372, 1532); vgl. Frick, „Luther als Prediger“, S. 33. Siehe auch WA 51,517,19–34 („Wider Hans Worst“, 1541). Vgl. auch Kretschmar, „Wiederentdeckung“, S. 237: Das Amt als eine persönliche In–Dienst-Nahme, die Gewissheit und Autorität verleiht. 26 Für diese Übersetzung von „Wahn“ siehe StA 6,176. 27 Pr. 1577 [R] WA 41,468,12–18 (Hervorhebung JM): „Lieben prediger und pfarherr, satis, quod homines da fur halten, quod Christi diener et Oeconomi inn gottes geheimnis, haben ehr gnug dran, quando homines den wahn habent de suis parochis et praedicatoribus, quod dei oeconomi, quid magis? Solt einer wündschen, quod in domo Christi esset saw, offen krücke, fus schemel. Multo maior gloria, quod praedicatores et parochos rhumen et homines da fur halten, quod Christi diener und haushalter, quibus commissus thesaurus domini, quem vocat Mysterion.“ 28 Pr. 1577 [R] WA 41,469,11–15: „Item non habeo pro Euangelio pastoris, sed deo mysterio i. e.

Reformatorische Auswirkungen der „selige[n] Hoffart“ des Amtes

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Dass Amtsträger sich als Haushalter des HErrn rühmen, ist einerseits ein Merkmal der Amtsgewissheit, durch die sie zur rechten Ausübung ihres Amtes geführt werden. Doch andererseits dient dieses Rühmen des Amtes der Heilsgewissheit der Hörer und Empfänger. Amtsträger werden als Amtsträger nicht beziehungslos und isoliert gerühmt; eine Seite des Gegenübers gibt es nicht ohne die andere:29 Amtsträger werden vielmehr als Haushalter gerühmt und dürfen sich als solche rühmen, damit Zuhörer und Empfänger wissen, dass Christus selbst durch diese Amtsträger oder Haushalter zu ihnen spricht und an ihnen handelt. Der Schatz des HErrn wird dem Haushalter anvertraut und bleibt immer noch des HErrn Schatz. In der Predigt, der Lehre, der Taufe, der Absolution und im Abendmahl haben die Hörer und Empfänger nicht mit Gaben oder Schätzen ihres Pastors zu tun, sondern mit den Gaben Christi selbst; er tauft, absolviert, lehrt, predigt und speist, und er tut dies durch bestimmte und – für das Gewissen der Hörer und Empfänger wichtig! – zuverlässige Werkzeuge, nämlich durch die Pastoren. Die Ordination, die in Pr. 1577 genannt wird, dient der Gewissheit auf beiden Seiten.30 Der Ordinierte darf wissen, dass Christus ihn durch die Ordination in das Amt eingesetzt hat und ihn zu einem Haushalter in seinem Haus gemacht hat; andererseits dürfen alle wissen, dass der HErr selbst nunmehr durch die Predigt des Ordinierten und durch die von ihm gespendeten Sakramente spricht und handelt. Amtsgewissheit die der Heilsgewissheit dient – Luther vernachlässigt weder die eine noch die andere.

8.3

Reformatorische Auswirkungen der „selige[n] Hoffart“ des Amtes

„Denn wenn wir selbst [daran] wanken oder zweifeln wollten, ob wir rechte Prediger sind, so muss der ganze Haufen hiernach wanken und der Sache ungewiss werden.“31 Die Gewissheit des Amtes, die nach Luther für die Amtsträger thesauro, deus per eum facit, dat Sacramentum, accipio ex eius manu, non ut suum, non est pistor et pincerna, qui facit, Sed Christus verus baptisator, absolutor, lerer, prediger et Sacramentspeiser.“ 29 In Pr. 1577 [R] WA 41,470,13–17 (im weiteren Kontext der Predigt) kann das Gegenüber mit dessen zwei Seiten in der zweiseitigen „Ehre“, die Luther schildert, gesehen werden. Die Amtsträger haben die aktive „Ehre“, dass sie wissen, ihre Predigt und Sakramente seien Gottes Predigt und Sakramente, denn sie sind Christi Diener und Haushalter. Umgekehrt hat die Kirche dieselbe Ehre, aber passiv ; sie darf die Predigt und Sakramente der Amtsträger als die Predigt und Sakramente Christi empfangen und setzt Amtsträger dafür ein. 30 Pr. 1577 [R] WA 41,468,28–469,1; siehe 6.3.2 (dort bei Anm. 337). Vgl. auch Anm. 20–24 oben: alles Angaben aus Predigten, die im Kontext einer Ordination gehalten wurden. Vgl. Dietz, „Ordination und Ordinationsvollmacht“, S. 101 und 113–115: Die Ordination als nachhaltige Entlastung und ständige Vergewisserung für die Ordinierten. 31 WA 36,521,15–17: „Denn wo wir selbs wancken odder zweiveln wolten, ob wir rechte prediger

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Der Aspekt der Gewissheit

tragende Kraft hat, korrespondiert mit der Gewissheit der Zuhörer und Empfänger ; Amtsgewissheit ist eine dienende Gewissheit. Luther nennt sie „eine selige Hoffart“, die „um der Leute Heil und Seligkeit willen“ existiert.32 Die Frage, „Wie finde ich einen gnädigen Gott?“ war ohne Zweifel für Luther eine treibende Kraft. Sie kann sogar als Zusammenfassung eines für ihn wesentlichen Anliegens ebenso wie als Zusammenfassung bestimmter Züge seiner theologischen Arbeit gelten. Ihren bedeutsamen Platz behält sie indes nur bis zu seiner reformatorischen Wende. Denn die Frage, wie der Mensch einen Gott findet, der ihm gnädig gesinnt ist, konnten schon die spätmittelalterlichen Theologen der via moderna stellen.33 Reformatorisch ist nicht die Antwort auf eine solche Frage, wie man einen gnädigen Gott finde, sondern die Auflösung dieser Art der Fragestellung überhaupt. Alle Vorstellungen, nach denen im Gottesverhältnis der Mensch Gott entgegenkommen und ihn finde müsse, werden beseitigt, gesprengt. Das Anliegen des Reformators auf der Kanzel ist es nicht, seinen Zuhörern zu sagen, wie sie einen gnädigen Gott finden können und finden sollen, sondern vielmehr immer wieder klar zu machen, wie Gott sie findet, wie er zu ihnen kommt, wie er mit ihnen spricht und an ihnen handelt. In dieser Hinsicht verweist Luther ständig auf die Predigt, die Beichte, die Taufe und das Sakrament des Altars und auf die Amtsträger, durch die Christus predigt, absolviert, tauft, speist und tränkt. Wenn der Mensch Gott finden soll, wenn Gott selbst nicht alle Trennung und allen Abstand selbst beseitigt und zu den Menschen kommt, müsste der Mensch immer ungewiss bleiben. Doch für Luther ist das Kommen, Finden, Sprechen und Handeln Gottes gewiss, sowohl für die Menschen, die Empfänger seines Heils sind, weil er sie anredet und an ihnen handelt, als auch für die Menschen, die als Amtsträger seine Werkzeuge sind, durch die er redet und handelt. Diese doppelseitige Gewissheit ist reformatorische Gewissheit. Löste man die eine oder die andere Seite dieser Gewissheit auf, verlöre man schließlich die Gewissheit ganz. Sucht man Gewissheit bei den Amtsträgern, ohne dass sie ihnen durch ihr Amt und die Ordination zugesprochen wurde, so wird zum Beispiel die Predigt schließlich von der Person des jeweiligen Predigers und seinen rhetorischen oder didaktischen Fähigkeiten oder seiner Überzeugungsseien, so mus der gantze hauff hinach wancken und der sach ungewis werden.“ (Pr. 1372, 1532). 32 WA 36,520,19–21: „Und hat doch ein selige hoffart bey sich, so nicht auff sich noch auff menschen pochet odder vermisset, sondern auff Gottes werck und gnade, Und thuts alles umb der leute heil und seligkeit willen, […]“ (Pr. 1372, 1532); vgl. die Fassung von Rörer (36,520,5–521,1). 33 Kittelson, Luther the Reformer, S. 69: „[H]ow could God who was truly righteous be cajoled into being merciful to miserable, weak, and transient human beings who continually violated his laws?“; S. 70: „How could this righteous God be begged, cajoled, or propitiated into being merciful to individual sinners?“

Reformatorische Auswirkungen der „selige[n] Hoffart“ des Amtes

299

kraft abhängig gemacht und einem Religionsbegriff untergeordnet, in dem es anabatisches oder zwischenmenschliches Reden gibt, von dem aber ein klares katabatisches Anreden Gottes ausgeschlossen bleibt.34 Luther dagegen vermittelt eine doppelseitige Gewissheit von der Kanzel: Die Amtsträger dürfen gewiss sein, dass Gott durch sie spricht und handelt, und die Zuhörer und Empfänger dürfen gewiss sein, dass Gott durch die Amtsträger sie anredet und an ihnen handelt. Zu den reformatorischen Erkenntnissen, die Luther im Laufe der Zeit gewonnen hat, gehört ein Verständnis des Amtes, wonach Gott durch dieses Amt als ein gnädiger Gott konkret und mittelbar handelt, so dass das menschliche Gewissen zu wirklicher Gewissheit vor ihm kommen kann. Daher konnte niemand die Kraft und die Macht dieses heiligen und geistlichen Rühmens von der Berufung verstehen. Dasselbe zielt erstens auf den Ruhm Gottes ab, ferner auf die Ehre unseres Amtes, [und] ebenso auf unseren und des Volkes Nutzen. […] Weil wir aber in göttlicher Berufung und in der Arbeit Gottes sind, und [weil] die Gewissheit unserer Berufung für das Volk höchst vonnöten ist, damit sie wissen, dass unser Wort Gottes Wort ist, darum rühmen wir [uns der Berufung] mit Stolz. Daher ist es kein leerer, sondern ein überaus heiliger Stolz wider den Teufel und die Welt und eine rechte Demut vor Gott.35

Zusammenfassung Das zweifache Haben des Amtes spiegelt sich wider in einer zweifachen Gewissheit. Nach Luther dürfen sowohl die Zuhörer und Empfänger als auch die Amtsträger sich dessen gewiss sein, dass Christus selbst durch die Amtsträger spricht und handelt. Also soll das Amt „gerühmt“ werden, denn die Amtsgewissheit, die Luther homiletisch vermittelt, dient schließlich der Heilsgewissheit.

34 Zu diesem Ergebnis kommt Hirsch, „Luthers Predigtweise“, S. 19–23. 35 WA 40(1),63,25–64,13 (Galaterbriefvorlesung, 1535): „Ideo nemo potuit intelligere vim et potestatem istius sanctae et spiritualis iactantiae de vocatione, Quae primum valet ad gloriam Dei, deinde ad honorem ministerii nostri, Item ad nostram ed populi utilitatem. […] Sed quia sumus in vocatione divina et opere Dei, et populus maxime opus habet certitudine nostrae vocationis, ut sciat nostrum verbum esse Dei verbum, ideo superbe eam iactamus. Quare non est vana, sed sanctissima superbia contra Diabolum et Mundum et vera humilitas coram Deo.“ Ein Rühmen der Berufung ist ein Rühmen des Amtes; s. o. Anm. 11.

9.

Der ekklesiologische Aspekt

Bevor die Ergebnisse der untersuchten Predigten in den weiteren Horizont der Theologie Luthers eingeordnet werden, bleibt noch, das Motiv der Präsenz Christi im Amt aus der Perspektive der Ekklesiologie zu betrachten. Im Gegensatz zu vielen Darstellungen der Ekklesiologie Luthers zeigt sich in den untersuchten Predigten ein Verständnis von Kirche, das in erster Linie alles andere als ein abstrakter Begriff ist. Die Kirche, von der die Zuhörer von der Kanzel Luthers ab 1535 hörten, ist die einerseits reformbedürftige und andererseits die sich reformierende, institutionelle Kirche, die er selbst vor Augen hatte, die nach ihm aus dem Wort und den Sakramenten hervorgeht und durch sie erhalten wird, die zu regieren den Amtsträgern zukommt.

9.1

Das homiletisch vermittelte Kirchenverständnis: Kirche als institutionelle Lebenswirklichkeit in der Welt

Luther fand sich lebenslang mit einer Kirche konfrontiert, die äußerst reformbedürftig war. Nicht nur der junge Mönch und Professor übte beißende Kritik an ihr ; sie blieb von der Verurteilung des älteren Predigers auch nicht verschont. Die Amtsträger und alle, die im damaligen Regiment der Kirche saßen, hat er immer wieder in seine Kritik einbezogen. Gerade die Inhaber des kirchlichen Amtes waren für ihn zu Feinden der Kirche geworden. [A]n dieser Stelle sagt der Herr : „[Sie], die das Predigtamt haben, – die werden des Teufels Zeugen werden.“ Solches siehst du jetzt an allen unseren Bischöfen und Domherren. […] [K]einer predigt, keiner tauft, keiner von ihnen wartet die Kirche, und sie wollen auch, dass niemand der heiligen Schrift glauben soll, sondern, dass sie allein allem glauben sollen, was sie vorgeben und sagen.1 1 Pr. 1849 [A] WA 47,564,26–31 (in Bezug auf Mt 24,11): „[…] alhier saget der Herr : Die das Predigtampt haben, die werden des Teuffels Zeuge werden. Solches sihestu itzt an allen unsern Bisschoffen und thumbherrn. Sie sitzen im rechten Regiment und im Stuel der Aposteln es

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Der ekklesiologische Aspekt

Luther sieht es als eine Warnung vom HErrn an, dass „Also auch im geistlichen Regiment, Bischöfe, Prediger [und] Pfarrer […] sollen auch Gottes Feinde sein, […] [Sie] fahren also fort, verbieten das Abendmahl unter beiderlei Gestalt und wollen, [dass] jeder es also halten soll, weil man der Obrigkeit gehorsam sein muss.“2 Sollte es in einer solchen Situation nicht das Ziel sein, das Feld zu bereinigen und eine befriedete Kirche, in der einträchtig gelebt werden kann, aufzubauen?3 Obwohl es keinen Mangel an Kritik und Polemik hinsichtlich des Zustands der Kirche und ihrer Amtsträger in Luthers Äußerungen gibt, und auch wenn man seinem reformatorischen Wirken diese Zielsetzung gelegentlich unterstellte, ist Luther jenen Weg nicht gegangen, der aus seiner Sicht die Radikalen kennzeichnete.4 Um im ekklesiologischen Ringen Luthers sein Kirchenverständnis aufzudecken, muss man gleichsam hinter die Bühne schauen, auf der eine Satire gespielt wird, oder nach dem noch intakten Gerüst fragen, an dem er seine oft sehr polemischen und provokanten Aussagen aufhängt. In der gerade zitierten Pr. 1849 geht Luther zum Beispiel noch 1539 von einer Kirche aus, deren Amt von Gott befohlen und von ihm den Amtsträgern übertragen ist und in der die Bischöfe Nachfolger der Apostel und die Regenten dieser Kirche sind.5 In seinem Ringen mit der Kirche seiner Zeit und also mit der Ekklesiologie konnte Luther auf allgemein verbreitete Ansichten sowie auf Positionen seiner Kontrahenten reagieren,6 aber Stellung zu einer Lehre der Kirche nehmen – oder sogar auf sie zurückgreifen – konnte er nicht, da die Ekklesiologie am Anfang des 16. Jahrhunderts noch ein ziemlich unentfaltetes theologisches Thema war. Auf diesem Gebiet weist die spätmittelalterliche Theologie ein deutliches Defizit auf: Erst nach Luther – ja, wegen Luther und der Reformation – wurde die Ekklesiologie zu einem wesentlichen Locus der abendländischen Theologie.7 Die Situation, auf die Luther mit seiner Kritik stößt, war reif für einen Aufbruch, denn es gab keine befriedigenden theologischen Antworten auf brennende Fragen in der Kirche und über die Kirche. Luthers Konzeption von Kirche – wie die

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predigt keiner, es teuffet keiner, es warttet ihrer keiner der kirchen, die wollen auch, es sol niemands der heiligen schriefft gleuben, sondern allein gleuben allem, was sie furgeben und sagen.“ Pr. 1849 [A] WA 47,564,31–39: „Also auch im Geistlichem regiment, Bisschofe, Prediger, Pfarherr, […] die sollen auch Gottes feinde sein, […] Fharen den zu, verbieten beide gestalt des abendmals und wollen, jederman solle es also halten, den man musse der oberckeit gehorsam sein.“ Siehe Pr. 1849 [A] WA 47,561,12–562,17. S.o. Anm. 3: Geschildert als die Position Müntzers und der Rottengeister. Pr. 1849 [A] WA 47,563,17–564,42; 47,564,28f: „Sie sitzen im rechten Regiment und im Stuel der Aposteln, […]“ ist ein Verweis auf Mt 23,2. Yeago, „,A Christian, Holy People‘“, S. 105f (auf Congar aufbauend). Aurelius, „Notae ecclesiae“; Lohse, „Luther und die Kirche“; Pesch, „Luther und die Kirche“. Siehe auch Jedin, „Ekklesiologie um Luther“.

Das homiletisch vermittelte Kirchenverständnis

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Konzeptionen von Kirche im Abendland zu dieser Zeit – stellt eine Lehre im Werden und in der Entfaltung dar und keinen schon abgeschlossenen Gesamtentwurf. Seine Kirche war die Kirche des spätmittelalterlichen Abendlandes, die an der Schwelle zu einer neuen Epoche stand; in ihr arbeitete er und wollte er arbeiten. Seine Lehre von der Kirche entfaltete sich aus polemischer Korrektur an dieser Kirche und nicht als eine eigenständige, dogmatische Konstruktion.8 Insofern ist vieles – wenn auch nicht alles – der gegenwärtigen Vorstellungen über die Kirche auszuklammern, um Luthers ekklesiologische Überlegungen kontextgemäß zu verstehen und sachgemäß zu werten.9 Andernfalls müssten bestimmte Züge seines Kirchenverständnisses unklar oder sogar ganz verdeckt bleiben, wie z. B. die Tatsache, dass nach Luther die Institution Kirche nicht einfach eine notwendige und vielleicht sogar bedauerliche Entwicklung der Geschichte sei, sondern dass sie eine vorgegebene Realität ist, die er theologisch zu schätzen weiß.10 Nach Luthers Auffassung ist die Kirche – die institutionelle Kirche11 – der leibliche Wohnsitz Gottes auf Erden. „So wie Jerusalem Gottes Wohnung genannt ward, die er für sich selbst erwählt hatte, [wie er sagt]: [,]Hier ist mein Herd, Haus und Wohnung,[‘] so werden noch heutzutage die Kirchen um des Wortes und der Sakramente willen Gottes Wohnungen genannt werden.“12 Dort, wo sein Wort gepredigt wird und seine Sakramente gereicht werden, ist Gott selbst präsent. Hierin sind die Anhänger der Wittenberger Reformation und die „Papisten“ eins.13 Die Kirche, institutionell geordnet und ordnend, ist nicht etwas Äusserliches oder Sekundäres, sondern der Modus des Herabkommens Gottes.14 Luther kennt weder eine andere oder neue Kirche, noch beabsichtigt er, sie zu etablieren, sondern erhebt in großer Übereinstimmung mit der abendländischen Kirche seiner Zeit den Anspruch, bei der „rechte[n], uralte[n], wahrhaftig apostolische[n] Kirche“ zu sein.15 Die Kirche, an die er denkt und die

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Lønning, „Luther und die Kirche“, bes. S. 96–100; Pesch, „Luther und die Kirche“. Pesch, Hinführung zu Luther, bes. S. 204f. Kinder, Glaube und Kirche, S. 87, Anm. 1 im weiteren Kontext. Pr. 1881 [Dr] WA 47,773,29f: Nur eine institutionelle Kirche kann „ordnen“. Nur von einer leiblichen, lokalen und institutionellen Kirche kann im Plural („Kirchen“) gesprochen werden; s. u. Anm. 12. Siehe auch Pr. 1863 [R] WA 47,653,2–654,7: Pfarrei als Ort durch Wort und Sakramente definiert. Pr. 1881 [Dr] WA 47,773,15–18: „Als Jerusalem ward Gottes Wohnung genant, das er jhm selber erwehlet hatte: Hier ist mein Herdt, Hauß und Wonung: wie noch heutigs tages die Kirchen genant werden Gottes Wohnungen umb des Worts und Sacaments willen.“; vgl. Jes 31,9. Siehe auch WA 47,775,6–26 und 47,778,3–6. Pr. 1881 [Dr] WA 47,773,28–34. Pr. 1881 [Dr] WA 47,773,35–38. Pr. 1881 [Dr] WA 47,778,11f: „die rechte, uhralte und warhafftige Apostolische Kirche“; im Kontext wird weder der Glaube noch die Versammlung gegen das gepredigte Wort und die

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Der ekklesiologische Aspekt

er homiletisch vermittelt, ist historisch: Sie ist in der konkreten Verheißung Christi begründet und ihr historisches Fortbestehen sowie ihre empirische Existenz fungieren als ein Beweis für seine Allmacht.16 Die Kritik der früheren katholischen Lutherforschung mag ein gewisses protestantisches Lutherbild getroffen haben, aber Luthers Kirchenverständnis ist weder an einen Idealismus noch an einen Spiritualismus gebunden; statt in erster Linie ein abstrakter Begriff zu sein, ist sie für ihn eine „Lebenswirklichkeit“.17 Auch von Luthers direkten Beiträgen zu den Bekenntnisschriften kann mit Recht gesagt werden: „The only church that the Symbols concern themselves with is the church that exists on earth in time.“18 Nach Luther ist die Kirche zwar eine geistliche – oder, noch zutreffender : eine pneumatische – Wirklichkeit, aber sie ist zugleich und immer auch eine empirische Wirklichkeit; so spricht Luther ekklesiologisch von Kirchen, also im Plural.19 Die Kirche, das sind „die heiligen Gläubigen“, aber theologisch lassen sich diese Gläubigen nicht von den Kirchen – sprich: von den Pfarreien, Bistümern und Diözesen – trennen.20 In der Theologie wird die Kirche häufig mit den Begriffen „sichtbar“ und „unsichtbar“ beschrieben, was sicherlich unangebracht ist, wenn dies im Sinne einer Dichotomie von „innerlich“ und „äußerlich“ oder „geistlich“ und „körperlich“ verstanden wird, als ob die Kirche sich aktualisiert in dem von den Gläubigen innerlich und geistlich vollzogenen Akt des Glaubens.21 Obwohl Luther vereinzelt auch diese Begrifflichkeiten verwendet, spricht er doch weit mehr von der „Verborgenheit“ der Kirche und wie sie offenbart wird.22 Die Züge

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Sakramente ausgespielt. Denselben Anspruch erhebt Luther auch eindrucksvoll in „Wider Hans Worst“, 1541 (WA 51,469–572): siehe bes. 51,478,34–479,19. Pr. 1724 [R] WA 46,393,15f: Mt 28,20 als Verheißung an die Kirche christologisch angewendet (maiestas et virtus in infirmitate). WA 46,392,22–393,17: Beweisführung anhand empirischer Größen (Taufe, Sakrament des Altars, die Predigt, das Lesen der Schrift, das Vaterunser, die Zehn Gebote und das Credo als Bestandteile der Liturgie). Höhne, Luther über Kontinuität der Kirche, S. 53, Anm. 17 (er nennt Maritain, Lortz und Congar) und S. 51. Piepkorn, „Symbols about the Church“, S. 20 (außer FC-SD II,50; BSLK 891,35). Vgl. CA VII,1: „una sancta ecclesia perpetuo mansura sit“ (BSLK 61,1f; Hervorhebung JM). Piepkorn, „Symbols about the Church“, S. 27–36. In Bezug auf den reifen Luther, vgl. Yeago, „,A Christian, Holy People‘“, S. 105: „[…] [T]he definition of church as a ,spiritual, inward unity‘ is unsatisfactory on Luther’s own terms; […]“ Vgl. SA-III,XII,2 (BSLK 459,21f; hier zitiert) mit SA-Vorrede,10 (BSLK 411,17–412,7). Auch bei WA 50,575–581 („Von den Konziliis und Kirchen“, 1539) und WA 54,255,29–31; 54,276,15–28; 54,291,9f („Wider das Papsttum zu Rom“, 1545) ist es z. B. klar, dass Luther von Bistümern oder Diözesen redet, wenn er von diesen Kirchen spricht. Siehe auch „Der 82. Psalm ausgelegt“, 1530 (WA 30/I,183–218): Die Kirche wird weltweit konzipiert und lokal geordnet; auf alle Fälle ist sie auch geographisch als eine Entität zu verstehen, die in Bistümer und Pfarreien gegliedert ist. Als Beispiel dieser typischen Deutung siehe Pauck, „Luther’s Conception of the Church“, S. 36–39. Piepkorn, „Symbols about the Church“, S. 20 (von den Bekenntnisschriften): „Nowhere do

Das homiletisch vermittelte Kirchenverständnis

305

platonischer Metaphysik und ihres Dualismus, die solche Überlegungen über Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit oft immer noch beherrschen, sind besonders für den älteren Luther nicht charakteristisch.23 Während die so genannte Doppelschichtigkeit im Kirchenbegriff des jüngeren Luther mit zwei Kirchen zu tun hatte, die eine „sichtbar“ und die andere „unsichtbar“, hat die Zweischichtigkeit der Kirche nach dem älteren Luther vielmehr mit dem Unterschied zwischen der wahren und der falschen Kirche zu tun, die beide sowohl sichtbar als auch unsichtbar sind.24 „Je mehr […] die Aussicht schwindet, in der Auseinandersetzung mit Rom zu einem positiven Ergebnis zu kommen, desto mehr wird die Unterscheidung zwischen verborgener und sichtbarer Kirche überkreuzt von der Unterscheidung zwischen wahrer und falscher Kirche.“25 Der Unterschied zwischen der wahren und der falschen Kirche, den Luther von Augustinus übernimmt,26 kommt auch in seinen späteren Predigten zur Sprache. Jeweils „Kain“ und „Abel“ genannt,27 gebrauchen beide Kirchen den Namen Gottes, aber die falsche Kirche, die Luther mit dem Papsttum assoziiert, missbraucht ihn, indem sie seine Heiligkeit mit einer von Menschen aus sich selbst geschöpften und erfundenen Heiligkeit ersetzt.28 Der Unterschied zwischen Kain und Abel, zwischen der falschen und der rechten Kirche, wird anhand des Unterschieds zwischen falschem und rechtem Gottesdienst festgestellt und schließlich an diesem Unterschied festgemacht,29 dem unten weiter nachgegangen wird.30 Theologisch kann die eine von der anderen abgesondert werden, doch weil Luther anhand II Thess 2,4 davon ausgeht, dass der Antichrist sich gerade im Tempel Gottes festsetzt und sich dort über allen Gottesdienst erhebt, fallen diese zwei Kirchen historisch und empirisch gesehen immer zusammen.31

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the Symbols describe the church either as visibilis, sichtlich, sichtbar, or as invisibilis, unsichtlich, unsichtbar. Far less is there an antithesis between a ,visible church‘ and an ,invisible church.‘“ Kinder, Glaube und Kirche, S. 93–97; für die Kontroverse über Genossenschaftlichkeit und Anstaltlichkeit in Bezug auf den Charakter der Kirche und ihr Verhältnis zur Kirchen- und Amtsdebatte des 19. Jahrhunderts siehe S. 91, Anm.1. Pelikan, „Die Kirche nach Luthers Genesisvorlesung“, S. 105–108; Pesch, „Luther und die Kirche“, S. 127f. Für den jüngeren Luther siehe z. B. Vajta, „Kirche als communio“, der sich der Arbeit von Ferdinand Kattenbusch anschließt. Pesch, Hinführung zu Luther, S. 210. Höhne, Luther über Kontinuität der Kirche, S.158; siehe auch S. 76–78 (mittels der Unterscheidung zwischen wahrer und falscher Kirche hielt Luther an der Kontinuität der Kirche fest) und 160. Weiter : Wendebourg, „Kirche“, S. 412–414. Pr. 1883 [R] WA 47,786,15–790,25. Siehe auch WA 51,477,30f und 51,513,26–514,26 („Wider Hans Worst“, 1541). Pr. 1657 [R] WA 45,135,21–136,21. Siehe die Angaben zu Pr. 1883 oben bei Anm. 27. Siehe 9.5 unten. Siehe WA 51,505,24–506,2 („Wider Hans Worst“, 1541). Es ist aber nicht so, dass Luther die

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Der ekklesiologische Aspekt

Auch wenn er nicht immer die Vokabel „Volk“ verwendet, darf „Gottes Volk“ als der von dem späteren Luther bevorzugte Begriff für die Kirche gelten.32 Sie ist das Volk, das Gott selbst versammelt. Wollen wir dismal einfeltiglich bey dem Kinderglauben bleiben, der da sagt: Jch gleube eine heilige Christliche Kirche, Gemeinschafft der heiligen. Da deutet der glaube klerlich, was die Kirche sey, nemlich eine gemeinschafft der Heiligen, das ist, ein hauffe oder samlung solcher Leute, die Christen und heilig sind, das heisst ein Christlicher heiliger hauffe oder Kirchen, […] [H]eist Ecclesia oder Kirche nichts anders, denn ein versamlet Volck, ob sie wol Heiden und nicht Christen waren, […] Aber die Christen sind ein besonder beruffen Volck und heissen nicht schlecht Ecclesia, Kirchen oder Volck, sondern sancta Catholica Christiana, das ist ein Christlich heilig Volck, […]33 […] [E]s weiß gottlob ein Kind von 7 Jahren, was die Kirche sei, nämlich die heiligen Gläubigen und „die Schäflin, die ihres Hirten Stimme hören“; denn also beten die Kinder : „Ich gläube [an die] eine heilige christliche Kirche.“34

Dass die Kirche ein Volk, die Versammlung der an Christus glaubenden Menschen, ist, schließt den institutionellen Charakter der Kirche nicht aus, sondern vielmehr ein, wie diese berühmten Beschreibungen35 der Kirche zeigen, wenn ihr literarischer und historischer Kontext berücksichtigt wird. In „Von den Konziliis und Kirchen“ macht Luther deutlich, von wem die Kirche versammelt und wodurch sie geheiligt wird. Ferner ist es historisch gesehen klar, dass Luther den gebeteten Kinderglauben und das ausgerechnet siebenjährige Kind nicht einfach beliebig erwähnt. Zur Zeit Luthers war sieben Jahre das jüngste kanonische Alter, in dem man Kinder Vernunft beimisst (annus discretionis); Luther nennt hier also ein katechisiertes und dann auch kommunizierendes Kind.36 Das Credo ist ein laut gesprochener Teil der Liturgie. Zu ihr gehören die Mittel, durch die der Heilige Geist das christliche heilige Volk heiligt. Das Heiligen ist das Werk

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36

ganze unter Rom stehende Kirche mit der falschen Kirche Satans schlicht und einfach gleichsetzt, sondern die Unterscheidung zwischen der wahren und der falschen Kirche geht durch die römische Kirche hindurch: Siehe WA 54,233,34–234,3 („Wider das Papsttum zu Rom“, 1545). Siehe auch WA 38,218,15–224,2 und 38,250,25–251,36 („Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe“, 1533); es gibt nicht nur wahre und falsche Kirche, sondern auch rechte und falsche Weihe, Pfaffen (38,204,12: „Gottes Pfaff“) und Messen. Kantzenbach, „Ekklesiologie des älteren Luther“, S. 51; auch „christliches Volk“ und „Christenheit“ werden häufig gebraucht. WA 50,624,14–18 und 24–29 („Von den Konziliis und Kirchen“, 1539). SA-III,XII,2f (BSLK 459,20–460,2). In Bezug auf die Schmalkaldischen Artikel zeigt Piepkorn, „Symbols about the Church“, S. 32f, dass es sich hier um keine vollständige Definition handelt, sondern um eine Ablehnung der Position der Kontrahenten, nämlich, dass nur die gehorsamen Anhänger des Papstes die Kirche seien (vgl. SA-III,XII,1; BSLK 459,18–20); die Antithese muss auch berücksichtigt werden. Von SA-Vorrede,10 (BSLK 411,17–412,7) erfährt man genauso viel über Luthers Verständnis der Kirche wie bei SA-III,XII; s. o. Anm. 20. Piepkorn, „Symbols about the Church“, S. 32–34.

Wirkmittel im Regiment

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des Geistes, und dieses Werk tut er nicht vor oder neben, sondern gerade in der Struktur der institutionellen Kirche.37 Das versammelte Volk ist ein in der Liturgie und durch die Bestandteile der Liturgie versammeltes Volk,38 das durch bestimmte Mittel geheiligt wird, so dass der deutliche und „normgebende Akzent“ der ekklesiologischen Überlegungen des älteren Luther bei dem gepredigten Wort und den ausgeteilten Sakramenten liegt.39 Gottes Selbstoffenbarung und die Präsenz Jesu Christi in der Welt sind mit dem mittelbaren Regieren der Kirche und mit den in ihr sichtbar und hörbar gespendeten und fassbaren Gnadenmitteln unlösbar verbunden.40 Sie ist die „andere Mutter“, in der die gestifteten Gnadenmittel Christi zu finden sind und von der Christen als Christen geboren werden.41

9.2

Wirkmittel im Regiment: Die Kirche hervorgebracht, verortet und bewahrt durch das gepredigte Wort und die ausgeteilten Sakramente

9.2.1 Die Gnadenmittel als die Wirkmittel der Kirche Bereits oben wurde erwähnt, dass die Kirche durch die Gnadenmittel, das Wort und die Sakramente geboren, regiert und geschützt wird.42 Insofern gehören diese gestifteten Mittel als vorgegebene Größen zum Wesen der Kirche:43 Sie ergeben sich nicht aus der Kirche, sondern die Kirche ergibt sich aus ihnen und durch sie wird die Existenz der Kirche gesichert. Von diesen Mitteln, die oft in Luthers Predigten genannt und aufgelistet werden,44 kann er als von „Stücken“ sprechen, die zu einem größeren Ganzen gehören.45 Sie sind in einem Regiment

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41 42 43 44 45

Siehe Pelikan, Spirit vs. Structure, S. 134–138. Siehe Yeago, „,A Christian, Holy People‘“, S. 110. Kinder, Glaube und Kirche, S. 92, 103–115. Pr. 1729 [R/S] WA 46,423–427 (besonders [R] 46,423,5f; 46,424,6–14; 46,426,11–14; 46,427,13–17; [S] 46,423,31–424,30); das Einführen irgendeines Abstands zwischen dem dreieinigen Gott und der Kirche oder den Gnadenmitteln ist kein Merkmal des Denkens Luthers, sondern nach ihm ist es ein Kennzeichen der Enthusiasten, Häretiker und Täufer, von solchem Abstand auszugehen ([R] WA 46,425,15–427,2; [S] 46,425,26–427,23). Pr. 1698 [R] WA 46,176,8: „ut ex alia matre regeneremur“; 46,176,6: Die Taufe als „lavacrum institutum“. Siehe 6.2.3.4 (dort bei Anm. 292); auch Pr. 1848 [A] WA 47,555,28–556,40. Kinder, Glaube und Kirche, S. 87, Anm. 1 (s. o. Anm. 10). Siehe 6.2.3.2 (dort bes. Anm. 256). Pr. 1532 [R] WA 41,77,24–78,1; für „Stücke“ siehe 41,77,15 (wie bei 4.1.2, dort Anm. 83); Pr. 1851 [A] WA 47,576,24–34 (wie bei 6.2.3.2, dort Anm. 254); WA 38,221,9–11 und 18–35 et passim („Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe“, 1533); WA 50,643,6 (= „Hauptstücke“) in

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Der ekklesiologische Aspekt

verortet.46 So wie das jüdische Volk in der Zeit des Alten Testaments das Wort Gottes als wesenhaften Bestandteil eines von Gott geordneten Regiments hatte, so hat nun auch die Kirche das Wort und die Sakramente in einem von Gott geordneten Regiment. Der geordnete Gottesdienst und die Orte, an denen das jüdische Volk Gott begegnen konnte – vor allem der Tempel –, markierten zur Zeit des Alten Testaments den Unterschied zwischen dem jüdischen Volk und den anderen Völkern, denen eine „geordnete kirchliche Obrigkeit“ fehlte.47 Den neuen Ort der gnädigen Begegnung mit Gott verbindet Luther mit dem Dienst der Pfarrer und Prediger ; wenn sie in einer bestimmten Gegend ausgehungert oder hinausgedrängt werden, gibt es dort nicht mehr das Himmelreich.48 Das Regiment der Kirche involviert das geordnete Predigen des Wortes und die geordnete Austeilung der Sakramente im gottesdienstlichen Rahmen.49 Diese „Stücke“ schweben nicht im luftleeren Raum, sondern sind konkret in dem Gottesdienst und der Liturgie als leiblich gesprochene und dargereichte Güter verortet. Diese Stücke lokalisieren nicht nur oder in erster Linie die Kirche,50 sondern sie lokalisieren vor allem und zuerst den dreieinigen Gott in seinem mittelbaren und gnädigen Handeln. Wo diese Stücke sind, da ist Gott,51 und folglich ist Gott

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Bezug auf 50,628,16–643,5 („Von den Konziliis und Kirchen“, 1539); vgl. WA 51,536,12 in Bezug auf 51,479,20–485,24 („Wider Hans Worst“, 1541). Obwohl der Terminus „Regiment/Regieren“ heute eher mit der Begrifflichkeit „Leitung/ Leiten“ ausgedrückt würde, bleiben wir zunächst bewusst bei dem Sprachgebrauch Luthers; siehe z. B. oben Anm. 1, 2 und 5 und unten 49 und 112. Pr. 1732 [R] WA 46,441,10–17 und [S] 46,441,25–30; Zitat 46,441,28: „ordinatum Magistratum Ecclesiasticum“. Pr. 1732 [R] WA 46,445,10–448,11 (siehe auch [S]), besonders deutlich bei 46,445,20f und 46,447,14f. Für Weiteres über Pr. 1732 siehe 4.2.1 und 5.1.2 (dort bei Anm. 9–11 und 13). Pr. 1851 macht erstens deutlich, dass die Stücke (für eine Auflistung siehe [A] WA 47,576,24–32) mit einem Regiment verbunden sind, und zweitens, dass das Regiment die Austeilung dieser Stücke bedingt. Unter dem Papst gibt es ein beeinträchtigtes Regiment: Die Stücke des Regiments sind zwar da, aber die Lehre strebt gegen diese Stücke (WA 47,574,28–575,9 und 47,576,29–577,15); Widerspruch kennzeichnet das Regiment unter dem Papst. Unter den Türken gibt es doch Christen, aber kein Regiment (WA 47,575,27–29). Es muss unter den Türken zumindest das Wort und die Taufe geben; sonst gäbe es keine Christen unter ihnen, und dennoch fehlt das Regiment. Es ist mehr als die einzelnen Stücke; es ist das Ganze der Stücke samt ihrer Austeilung in geordnetem und gottesdienstlichem Rahmen. In „Von den Konziliis und Kirchen“ (1539) kommt Luther zu seiner Behandlung der sieben Heiligtümer durch die Frage, „Wo?“: WA 50,624,8 und 50,628,20ff. Das Glossar zur Luthersprache in StA 6:89 setzt für „Heiltum“ oder „Heiligtum“ den Begriff „Heiligungsmittel“. Dies wäre an sich nicht falsch, wenn „Heiligungsmittel“ als Mittel, durch das Menschen geheiligt werden, verstanden wird. Um den Sachverhalt aber zu verdeutlichen, dass es ein von Gott kommendes Heil und Heiligung schenkendes Mittel ist, wählen wir den Begriff „Heilsmittel“. Pr. 1851 [A] WA 47,576,24–32.

Wirkmittel im Regiment

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im Regiment der Kirche präsent.52 Er bringt sich nahe und ist vor Ort in der lokalen Pfarrei, wo Gottesdienst gefeiert wird und die Stücke des Regiments ausgeteilt werden.53 Nach dem Sich-Nahe-Bringen Gottes in den Stücken ist die Kirche ein Wesen, das christologisch zu verstehen ist. Sie ist jedoch nicht durch eine unbestimmte Analogie zu den zwei Naturen Christi christologisch – als könne man Leibliches und Geistliches in ihr unterscheiden. Sie ist vielmehr christologisch dadurch, dass Gott in den konkreten Stücken oder Mitteln christologisch handelt: Er lässt sich herab und verbirgt sich in leiblichen Mitteln, die zu einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort und nach einer bestimmten Ordnung gegeben und ausgeteilt werden.54 Der Skandal der Partikularität und Bestimmtheit seiner Präsenz in diesen Mitteln ist genauso brisant, wie es war – und ist! – im Fleisch Christi. Die Inkarnation wurde nicht mit der Himmelfahrt Christi aufgehoben, sondern kommt in Verbindung mit Pfingsten durch das Ausgießen des Geistes zu ihrer vollen Geltung.55 Das Geistliche an der Kirche ist also nicht nach einem platonischen Schema zu verstehen, nach dem das Geistliche den Gegensatz zum von ihm entfernten Leiblichen bildet, sondern vielmehr pneumatisch: Der Heilige Geist durchwaltet und erfüllt das LeiblichÄußerliche, so wie die Trinität das Verhältnis vom Leiblichen und Geistlichen durch die Inkarnation des Sohnes endgültig festgelegt hat. Die pneumatische Wirklichkeit, welche die Kirche ist, manifestiert sich im Leiblichen, Kreatürlichen und Geschichtlichen. Sie wird durch konkrete, leibliche, kreatürliche Mittel vom Geist des dreieinigen Gottes versammelt und ins Leben gerufen.56 Die Mittel, welche die Kirche markieren und kennzeichnen, woran sie dann auch zu erkennen ist, sind systematisch-theologisch gesehen erst dadurch die Mittel, durch die die Kirche geschaffen wird, weil Gott selbst in ihnen präsent ist und handelt: Die notae, welche die ecclesia lokalisieren und sie zu erkennen geben, sind theologisch erst die Wirkmittel, mit denen Gott sich verbunden hat, um durch sie die Kirche hervorzubringen und zu bewahren.

9.2.2 Die Wirkmittel als die so genannten „notae ecclesiae“ Ernst Kinder betont, dass die Stücke, die oft lediglich als die „notae ecclesiae“ bezeichnet werden, nicht einfach Kennzeichen oder Merkmale der Kirche sind, 52 Pr. 1851 [A] WA 47,576,29; siehe dazu Anm. 45, 46, 49 und 51 oben. 53 Pr. 1863 [R] WA 47,653,2–654,7. Siehe auch Pr. 1852 [A] WA 47,580,18f: „[…] in der kirchen und bej den pfarrern ist noch die Tauffe geblieben.“ 54 Pelikan, „Die Kirche nach Luthers Genesisvorlesung“, S. 106f. 55 Höhne, Luther über Kontinuität der Kirche, S. 103f: Die Inkarnation als der Grund für die Geschichtlichkeit der Kirche 56 Für die Kirche als pneumatische Wirklichkeit siehe Kinder, Glaube und Kirche, S. 95–97.

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Der ekklesiologische Aspekt

sondern die Mittel, durch die Gott die Kirche schafft und bewirkt. Das ist eine zutreffende Einschätzung der in den späteren Predigten und Schriften Luthers aufgelisteten Mittel.57 Alle Glieder des Gottesvolkes des Neuen Testaments sind einander gleichgestellt im passiven Haben, sind aber zugleich unter demselben Christus, da sie ja denselben Christus durch dieselben Mittel empfangen: Die Taufe, das Sakrament des Altars und die Absolution der Schlüssel sind Mittel des Heiligen Geistes, durch die er sie gleich macht und sie als das neue Volk Gottes konstituiert.58 Ohne diese Mittel, die den Menschen widerfahren, gäbe es kein solches Volk Gottes – gäbe es keine Kirche. Insofern läuft es auf eine Verkürzung von Luthers Verständnis der Kirche hinaus, wenn der kennzeichnende Charakter der so genannten „notae ecclesiae“ als ein Oberbegriff gesetzt wird, unter dem sie ausschließlich oder sogar in erster Linie zu verstehen seien. Weil die Kirche gerade aus der Taufe, der Absolution, der Predigt und dem Abendmahl geboren und am Leben gehalten wird, können diese „notae“ theologisch gesehen in erster Linie nicht als Kennzeichen einer vor ihnen existierenden Kirche verstanden werden. Sie sind mehr als nur „äußere Bedingungen“, unter denen die Kirche existiert; mehr als nur Abbildung der Wirkmittel des Heiligen Geistes, durch die die Kirche im Glauben erkannt werden kann;59 Taufe, Absolution, Predigt und Abendmahl sind vielmehr selbst die konkreten Wirkmittel, durch die der Heilige Geist die Kirche überhaupt erst ins Leben ruft.60 Theologisch gesehen gehen diese Stücke des Reiches Christi dem Glauben, den Gläubigen und der Kirche voraus.61 Wie die Beweisführung in „Von den Konziliis und Kirchen“62 zeigt, wird das „Wer“ bzw. das „Was“ der Kirche vom „Wo“ der Wirkmittel hergeleitet – die 57 Kinder, Glaube und Kirche, S. 85–88 und 103–115. 58 Pr. 1727 [R] WA 46,408,8 und 13–18 im weiteren Kontext der Predigt; selbstverständlich gehört die Predigt auch dazu: Vgl. z. B. 46,409,6. Für passives Haben vgl. 7.3. 59 Vgl. Beyer, „Luthers Ekklesiologie“, S. 114f. 60 Dies gegen die im Protestantismus weit verbreitete Meinung, dass die Kirche sich selbst realisiert, unabhängig von solchen Mitteln – außer dem Wort, das durch persönliche Verpflichtung angeeignet werden muss; exemplarisch bei Pauck, „Luther’s Conception of the Church“. Für eine Diskussion angemessenerer Bestimmungen siehe Kantzenbach, „Ekklesiologie des älteren Luther“. 61 WA 38,221,31–35 („Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe“, 1533). 62 Wir werden uns hier hauptsächlich auf „Von den Konziliis und Kirchen“ konzentrieren mit gelegentlichem Bezug auf andere Schriften. Sehr oft wird diese Schrift zusammen mit „Wider Hans Worst“ dargestellt. Obwohl es sicherlich Gemeinsamkeiten zwischen diesen zwei Schriften gibt, die eine solche Vorgehensweise begründen lassen, ist die Absicht Luthers in den jeweiligen Schriften etwas unterschiedlich. In „Wider Hans Worst“ will Luther anhand bestimmter Merkmale zeigen, dass die Anhänger der Wittenberger Reformation der rechten, alten Kirche angehören, während im dritten Teil von „Von den Konziliis und Kirchen“ Luther die Frage nach dem Wesen, der Identität und dem Ort der Kirche stellt. Für eine weitergehende Diskussion, die die zwei Schriften vergleicht, siehe Kantzenbach, „Ekklesiologie des älteren Luther“, S. 60–70. Für „Wider Hans Worst“ siehe auch 5.3.

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Heiligen von den Mitteln, durch die sie geheiligt werden, und nicht umgekehrt.63 In dieser Schrift – ein „Ergebnis ausgereifter Überlegungen“64 – ist die Kirche (das „Was“) als „ein christliches, heiliges Volk“ (ein „Wer“) definiert, das durch die Heilsmittel konstituiert und lokalisiert wird (das „Wo“).65 Alle aufgelisteten und diskutierten Heilsmittel sind auf die zum Gottesdienst versammelte Gemeinde und die Liturgie bezogen: Alle die „public practices“, durch die die Kirche identifiziert wird, sind öffentlich und kommunal.66 Entscheidend zu berücksichtigen aber ist die oft von der Wissenschaft ausgelassene Tatsache, dass alle sieben dargestellten Merkmale der Kirche „Heiltümer“ genannt werden, also Heilsmittel; durch sie wird das Volk Gottes geheiligt.67 Indem dieses Volk ein christliches, heiliges Volk ist, konstituieren die Heilsmittel das Volk, weil sie es heilig machen. Wäre der Begriff nicht in Missbrauch geraten, hätte Luther sie „Sakramente“ genannt.68 Wenn alle sieben Heiltümer oder Heilsmittel dazu dienen, das christlichheilige Volk zu heiligen, dann wird es auch durch das Weihen und Berufen von Dienern und das Bestellen von Ämtern geheiligt. Diese Deutung steht nicht nur mit „Von den Konziliis und Kirchen“ im Einklang, sondern auch mit anderen Schriften des reifen Luther. Bereits oben wurde erwähnt, dass die so genannten „Stücke“ des Regimentes nicht nur die Kirche, sondern in erster Linie Gott selbst lokalisieren.69 In seiner Auslegung des 82. Psalms aus dem Jahr 1530 verbindet Luther die Gegenwart Gottes mit den Predigern und Pfarrern, durch die er in der Gemeinde und in einem Land anwesend ist;70 seine heiligende Präsenz ist mit ihnen verbunden. Nach „Wider das Papsttum zu Rom“ ist die selig-machende Gewalt der Schlüssel, die den Sündern zugute und zum Heil gegeben ist, in der Kirche bei den Bischöfen zu finden.71 In den Schmalkaldischen Artikeln ist die 63 WA 50,624,5–644,11; „Wer“, „Wo“ und „Was“ alle bei 50,624,7–9. WA 50,624,29: „ein Christlich heilig Volck“. Für „Heilthüm(b)er“ als „Heilsmittel“ siehe Anm. 50 oben. 64 Kantzenbach, „Ekklesiologie des älteren Luther“, S. 61. 65 WA 50,624,29: „ein Christlich heilig Volck“. Die Kirche ist nicht ein „Wer“ im Sinne einer Versammlung von Individuen. Sie ist ein Volk und bleibt insofern auch immer noch ein „Was“ mit „Wer“-Obertönen. Die Frage nach dem örtlich-lokalisierten „Wo“ der Kirche ist Luther genauso wichtig wie die Tatsache, dass die Kirche unaufhörlich ist – WA 50,628,19–28 also genauso wichtig wie das oft zitierte 50,628,16–19. 66 Lønning, „Luther und die Kirche“, S. 111 und Yeago, „,A Christian, Holy People‘“, S. 109f (Zitat S. 110). 67 Siehe: WA 50,642,32–35 und auch 50,629,2–4; 50,630,24; 50,631,9f; 50,632,15f; 50,634,20–25 (indem das Amt die ersten vier Stücke ausgibt, wird das Volk auch durch selbiges indirekt geheiligt); 50,641,26–29; 50,642,20f und 26f; vgl. mit 50,649,7–15. 68 WA 50,643,2–5. Darüber hinaus bezieht Luther sie alle auf die erste Tafel des Gesetzes: WA 50,642,34f, vgl. 50,643,6–8. 69 S.o. bei Anm. 51–52. 70 WA 31/I,196,4–14 und 31/I,199,11–200,4. 71 WA 54,250,3–25 (1545); das Motiv von den Gulden wiederholt wesentlich den Inhalt der Ordinationspredigt Pr. 1574 (siehe 6.1.1).

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Der ekklesiologische Aspekt

heiligende Stimme des Hirten, die die heiligen Gläubigen hören, eine empirische Stimme,72 denn Hören impliziert das äußerliche, mündliche Wort.73 Das Evangelium kann auf eine gewisse Weise „per mutuum colloquium et consolationem fratrum“ zugesprochen werden, aber das mündlich gepredigte Wort wird zusammen mit der Taufe, dem Sakrament des Altars, den Schlüsseln und der Beichte behandelt,74 und diese leiblichen Mittel stehen den Kirchendienern oder Amtsträgern zu, die auch die Gewalt haben, von der Gemeinschaft der Kirche auszuschließen, indem sie unbußfertigen Sündern diese Mittel vorenthalten.75 Nach den Schmalkaldischen Artikeln ist die heiligende Stimme Christi im mündlich gepredigten Wort die Stimme eines Amtsträgers.76 Es ist also ganz im Sinne des späteren Luther, dass Gottes Präsenz mit den Amtsträgern verbunden wird, durch die als Prediger des Wortes und Spender der Sakramente er sein Volk indirekt heiligt. Doch Luthers Behandlung der sieben Heilsmittel in „Von den Konziliis und Kirchen“ kann gelesen werden, als ob Luther einen bedeutsamen Unterschied zwischen den ersten vier und den letzten drei Heilsmitteln annähme. Hauptsächlich wird dieser Unterschied durch das Adverb „äußerlich“ festgestellt;77 die Kirche wird „äußerlich“ durch Ämter und Amtsleute sowie deren Bestellung, durch Gebet und durch das heilige Kreuz erkannt. Ob dabei aber ein markanter Unterschied vorliegt, den viele Wissenschaftler hier sehen, lässt sich jedoch bezweifeln.78 Denn auch das erste Heilsmittel, das äußerliche Wort, ist ein „äußerliches Zeichen“, an dem man Gottes Kirche oder christliches, heiliges Volk in der Welt erkennen kann.79 Ferner werden die Taufe, das Wort, das Sakrament des Altars und die Schlüssel als „äußerliche Dinge“ bezeichnet, durch die Gott seine Kirche heiligt.80 Anhand des weiteren Kontexts darf das Adverb

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79 80

SA-III,XII,2f (BSLK 459,21f und 460,2–5); s. o. Anm. 34. SA-III,IV (BSLK 449,8–10). SA-III,IV–VIII (BSLK 449,5–456,18); Zitat: SA-III,IV (BSLK 449,12f). SA-III,IX (BSLK 456,19–457,5). Der Verweis auf die Amtsträger zieht sich auch durch die Artikel X (Weihe und Vokation) und XI (Priesterehe) bis in den XII. Artikel hinein (Kirche). WA 50,632,35; 50,641,20 und 35. Für eine Diskussion siehe Kantzenbach, „Ekklesiologie des älteren Luther“, S. 48–53: Die ersten vier notae bzw. Heilsmittel werden oft als wesensbegründende notae verstanden, die letzten drei als signifikativ notwendige Lebensäußerungen. Ähnlich werden die ersten vier notae als Wirkmittel der Kirche und die letzten drei als ihre Lebensäußerungen und Dienste begriffen. Wiederum werden die ersten vier notae bzgl. des Wesens der Kirche gedeutet, während die letzten drei als Wesensäußerungen dieses Wesens erklärt werden. (Die hier dargestellten wissenschaftlichen Positionen betrachten „Von den Konziliis und Kirchen“ und „Wider Hans Worst“ zusammen.) WA 50,629,16–20. WA 50,644,14f; „& c.“ (50,644,15) weist dann auf die letzten drei Heilsmittel.

Wirkmittel im Regiment

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„äußerlich“ nicht so überbewertet werden, wie es in der Regel in der Forschung geschieht. Wenn man der Diskussion dieser Heilsmittel in „Von den Konziliis und Kirchen“ nachgeht, dann scheint der Hauptunterschied zwischen den ersten vier und den letzten drei zu sein, dass bei den ersten vier die Christen als Christen in erster Linie passiv sind, während sie bei den letzten drei als aktiv beschrieben werden. Bei dem gepredigten Wort, der Taufe, dem Sakrament des Altars und den Schlüsseln ist es klar, dass die Kirche als ein differenzierter Organismus verstanden wird. Es gibt Prediger und Hörer ; Täufer und Täuflinge; die, die das Sakrament reichen, und die, die es empfangen; sowie absolvierende Pfarrer und Absolvierte.81 Christen als Christen hören, werden getauft, empfangen das Sakrament und werden von Schuld freigesprochen; geheiligt durch diese Mittel bekennen sie ihren Glauben vor der Welt. Bei dem Gebet – die Bezeichnung, die Luther hier verwendet für all das, was zum Liturgisch-Katechetischen gehört, – wird das Volk nicht differenziert dargestellt; es betet zusammen.82 So kommt das heilige Kreuz sozusagen undifferenziert auf das gesamte Volk, weil es sich zu Christus und Gottes Wort hält.83 Auch bei dem Weihen und Berufen von Kirchendienern, bei der Bestellung der Ämter in der Kirche, ist das ganze Volk aktiv beteiligt. Diese Aktivität wird jedoch ziemlich locker beschrieben: „einem befelhen oder lassen befolhen sein“.84 Das Berufen zum Predigtamt ist ein heiliges Geschehen, das in der Kirche seinen Ort hat, durch das sie aber selbst mit einer 81 Das Wort Gottes: Es wird einerseits von den Predigern mündlich gepredigt (WA 50,629,16–20; vgl. 50,631,3–5) und andererseits gehört, geglaubt und vor der Welt bekannt (50,629,20–23 und 50,629,36–630,2); das Bekennen resultiert daraus, dass die Christen geheiligt werden (vgl. 50,631,9f). Die Taufe: Sie gehört dem Täufling und nicht dem Täufer ; es gibt beide, Täufling und Täufer (WA 50,631,1–3). Das Sakrament des Altars: Es gibt die, die reichen, und die, denen gereicht wird (WA 50,631,22–25); im weiteren Kontext deutet „zweyweibig“ (50,631,22) eindeutig auf die Amtsträger (siehe 50,635,4–641,4). Die Schlüssel: Die Pfarrer werden als die Absolvierenden (sowohl „sonderlich“ bzw. „in Sonderheit“ als auch öffentlich) angegeben (WA 50,632,6 und 8 im Kontext von 50,632,3–11). Das passive Haben, das bei 7.3 erläutert wurde, sieht man hier in aller Deutlichkeit; zusammenfassend, siehe WA 50,634,24f: „Denn es ist alles gegeben, nicht dem, ders hat, sondern dem, ders durch sein ampt kriegen sol, […]“ Die Christen als Christen werden als Passiv-Habende des zweiten bis vierten Heilsmittels bestimmt: WA 50,593,11–14. 82 WA 50,641,20–34: Gebet heißt nicht einfach Bitten an Gott, sondern all das, was die Gemeinde ausspricht oder sagt im Gottesdienst. Gerade weil dieses Gebet nicht nebulös ist, sondern einen bestimmten Inhalt hat, wird das Volk Gottes durch dieses Gebet geheiligt. Vgl. WA 38,221,29–31 („Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe“, 1533). Ausführlicher : 6.3.2, dort bei Anm. 327. 83 Bes. WA 50,642,4–6. 84 WA 50,633,7. Luther deutet hiermit an, dass nicht immer das ganze Volk das Amt befehlen wird. Dies entspricht den historischen Umständen der damaligen Bestellung von Amtsträgern. Vgl. WA 54,298,29–33 („Wider das Papsttum zu Rom“, 1545): Bischöfe z. B. können allein durch die Wahl der Stifte und die Handauflegung benachbarter Bischöfe eingesetzt werden.

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Der ekklesiologische Aspekt

fremden Heiligkeit geheiligt wird; das Amt wird der Kirche geschenkt als eine Größe „extra nos“.85 Dasjenige, was jedoch jedem aktiv zukommt, der nicht als ein Diener der Kirche berufen und geweiht wird, ist mit dem Anbefehlen des Amtes an die jeweiligen Amtsträger „zufrieden [zu] sein und drein [zu] willigen“.86 Schließlich kann die Kirche selbst daran erkannt werden, dass es Amtsträger gibt.87 Wie auch immer das Gebet, das Kreuz und die Amtsträger sowie ihre Bestellung verstanden werden, nach „Von den Konziliis und Kirchen“ gelten sie nicht als etwas, das der Kirche unwesentlich sei,88 nur ein äußerliches Ding, oder als ob sie von selbst aus der Kirche resultieren.89 Vielmehr wird die Kirche durch sie erst geheiligt und ist durch sie „ein christlich, heiliges Volk“.

9.2.3 Kritische Würdigung einer typischen Darstellungen der Ekklesiologie Luthers Die Bestimmung der so genannten „notae ecclesiae“ als Heils- oder Wirkmittel der Kirche und ihre sorgfältige Analyse in „Von den Konziliis und Kirchen“ bieten die Möglichkeit, typische Darstellungen der Ekklesiologie Luthers kritisch zu würdigen. In einer solchen Darstellung90 stehen die Gläubigen an erster Stelle, und die Kirche wird in erster Linie als die Gemeinschaft der an Christus Glaubenden definiert. Vor allem wegen der Verborgenheit des Gläubig-Seins der Glaubenden wird die Kirche als ein im Wesentlichen unsichtbares oder verborgenes Wesen definiert, bleibt jedoch als „Geschöpf des Evangeliums“ an bestimmten Kennzeichen oder notae, welche formae des Wortes oder des Evangeliums sind, erkennbar. Der Gedanke des allgemeinen Priestertums, nach dem alle Christen gleich sind und unmittelbare Gemeinschaft mit Gott haben, wird stark hervorgehoben, und die Amtsträger und ihre Bestellung ergeben sich aus der Notwendigkeit der öffentlichen Verkündigung, die geordnet erfolgen muss unter den Christen, die ihrerseits als Priester grundsätzlich alle als 85 86 87 88

Siehe WA 40/I,70,17–22 (Galaterkommentar, 1535); das Haben des Amtes als passives Haben. WA 50,633,10. WA 50,641,16–19. Siehe WA 50,641,19f: „Denn die Kirche kan on solche Bisschove, Pfarrer, Prediger, Priester nicht sein, Und widerumb sie auch nicht on die Kirche, […]“ (Hervorhebung JM). 89 In Bezug auf die Amtsträger und WA 50,633,3–5: Nach Tr 67 (BSLK 491,11–21) wird Eph 4,11 so verstanden, dass die Pfarrer und Lehrer selbst die Gaben sind, die der Kirche gegeben werden. Siehe auch Hamann, „Ephesians 4:12 – necessary revision“; vgl. Hamann, „Church and Ministry“. 90 Als Muster liegt der Aufsatz von Wendebourg, „Kirche“ der folgenden Zusammenfassung zugrunde. Diesem Aufsatz muss man wissenschaftliche Formvollendung attestieren; insofern ist er nicht „typisch“. Er wurde als Beispiel ausgewählt, weil er ein typisches Verständnis der Ekklesiologie Luthers mit einer vergleichsweise hohen Schätzung des Amtes sachkundig vertritt.

Wirkmittel im Regiment

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gleichberechtigt gelten und von Gott bevollmächtigt sind, das Wort zu verkündigen und die Sakramente zu spenden. An dieser Stelle kann den Einzelheiten dieses ekklesiologischen Bildes nicht nachgegangen werden. Wir beschränken uns auf zwei Hauptprobleme, eines von historischer, das andere von systematischer Art, die wir unter Bezugnahme auf Luther erörtern. Das historische Problem liegt darin, dass ein einheitliches Bild der Ekklesiologie Luthers präsentiert werden soll. Dafür werden seine früheren Schriften – hauptsächlich die bis 1523 – zu Grunde gelegt, durch die seine späteren Schriften interpretiert werden. Kurzum: Die späteren Schriften Luthers werden durch die Brille der früheren Schriften gelesen. Diese Art der Beweisführung ist unter anderem deshalb fragwürdig, weil der gesamte ekklesiologische Inhalt der späteren Schriften – zumindest derjenige ab 1530 – sich nicht durch die Brille der früheren Schriften erkennen lässt, wenngleich sich allemal beliebige Zitate für die auf die frühen Schriften gebaute Position finden und gegebenenfalls verdrehen lassen.91 Solche Beweisführung ist auch problematisch, weil sie die für die Kirche konstruktive und strukturierende Ekklesiologie Luthers, wie sie in der Situation nach dem Beginn der Visitationen und dem enttäuschenden Ausgang des Augsburger Reichstages artikuliert wurde, nicht ernst genug nimmt, und nicht angemessen zur Sprache kommen lässt. Aber gerade diese Ekklesiologie ist es, die den zukünftigen Amtsträgern der Anhänger der Wittenberger Reformation von Kanzel und Lehrstuhl her mitgeteilt und in Luthers späteren Schriften vertreten wurde. Würde man die späteren Schriften allein lesen oder sogar die früheren Schriften durch die Brille der reifen, späteren Schriften betrachten, würde man zu anderen Ergebnissen kommen. Das systematische Problem einer typischen Darstellung der Ekklesiologie Luthers liegt darin, dass sie von einem Sachverhalt ausgeht, den es nach dem reifen Luther nicht gibt und – theologisch gesehen – nie gab, nämlich die Kirche als eine nicht differenzierte Größe. Nach den untersuchten Predigten und nach 91 Z.B.: Wendebourg, „Kirche“, S. 410 interpretiert WA 50,632,36–633,10 („Von den Konziliis und Kirchen“, 1539) durch WA 7,28,34f („Von der Freiheit eines Christenmenschen“, 1520) und WA 6,407,14f („An den christlichen Adel deutscher Nation“, 1520). Dafür ist in Bezug auf den Text von 1539 viel „Eisegese“ nötig: Eine Priestertumsthematik ist dort nicht vorhanden, und der oft angenommene Übertragungsgedanke wird nicht ausdrücklich formuliert (vgl. oben bei Anm. 84 und 86), ganz zu schweigen von der Vorstellung, dass alle Christen irgendwie gleichberechtigt seien und als Christen Vollmacht hätten, zu predigen und die Sakramente zu spenden, welche Rechte und Vollmacht sie dann einem bzw. einigen aus ihrer Mitte delegierten. Darüber hinaus ist das Argument, wonach sich die Einsetzung von Amtsträgern aus der Notwendigkeit der Ordnung ableite, auch nicht ausdrücklich erwähnt – ein Argument, das andere hier vielleicht sehen würden (Wendebourg vertritt diese Position im Aufsatz nicht, oder zumindest nicht direkt). Erst bei der Behandlung von Feiertagen, Zeiten, Ausstattung der Kirchen sowie anderen Gebräuchen und Zeremonien führt Luther Nützlichkeit und Ordnung als Begründungsargumente an (WA 50,649,7–651,14).

316

Der ekklesiologische Aspekt

den späteren Schriften Luthers ist die Kirche aber gerade differenziert zu verstehen und darzustellen: Es gibt in ihr sowohl Prediger wie Hörer, Sakramentsspender wie Sakramentsempfänger,92 und dies war immer und „vom Anfang“ an so.93 Die Kirche bleibt dabei immer noch die Gemeinschaft der an Christus Glaubenden, aber diese Glaubenden glauben deshalb, weil sie Hörende und Empfangende sind. Das konkret in der Zeit verkündigte Evangelium geht diesen Glaubenden als Glaubenden voraus, und das Gegenüber, in dem das Evangelium zugesprochen wird, entsteht nicht erst aus der Versammlung der Glaubenden, sondern ist wesentlicher Bestandteil des Evangeliums, das die Versammlung erst sammelt und den Glaubenden erst den Glauben schenkt. Glaubende ohne Prediger gibt es nicht, und wiewohl Prediger aus dem Volk gewonnen werden, gehen die Prediger den Glaubenden als Glaubenden systematisch-theologisch und auch chronologisch voran. Weil aber eine typische Darstellung Luthers Kirchenverständnisses, die als geordnete Präsentation theologischen Inhalts notwendigerweise systematisch wirkt, die Kirche zunächst als eine wesentlich homogene und undifferenzierte Größe versteht und behandelt, kommt sie in systematisch-theologische Widersprüche. Man kann von der „Vorordnung des Evangeliums vor der Kirche“ reden oder die Kirche als „Geschöpf des Evangeliums“ bezeichnen, wenn aber die Verkündigung des Evangeliums dabei als ein Kennzeichen der Kirche verstanden wird und die Kennzeichen der Kirche als „bestimmte Dinge“ erläutert werden, die die an Christus Glaubenden „gemeinsam tun“, dann wird umgekehrt die Kirche dem Evangelium vorgeordnet und zum Selbstgeschöpf.94 Dies ist ein systematischer

92 S.o. bei Anm. 81. 93 WA 50,580,1f („Von den Konziliis und Kirchen“, 1539): „Denn die Empter müssen allezeit in der Kirchen von anfang gewest sein und bis zu ende bleiben, […]“ Siehe auch WA 54,253,20–36 („Wider das Papsttum zu Rom“, 1545): Apostel (an erster Stelle) stiften Kirchen und „ordnen“ Bischöfe gleichzeitig. 94 Zitate von Wendebourg, „Kirche“, S. 406, 407 und 408. Entsprechendes gilt, wenn die Kennzeichen der Kirche tatsächlich „Wirkmittel […] der Kirche“ (S. 408) sind; dann können sie nicht unter die „bestimmte[n] Dinge“ eingeordnet werden, die die Glaubenden „gemeinsam tun“. Allein die Tatsache, dass das Gläubig-Sein der Glaubenden, welches aller empirischen Überprüfung notwendigerweise entgeht, an erster Stelle steht, widerspricht dem ganzen Duktus der Beweisführung Luthers in „Von den Konziliis und Kirchen“ und „Wider Hans Worst“: Obwohl Adjektive wie „wahr“ und „falsch“ doch Platz für analytischtheologische Diskussion einräumen, beantwortet Luther die Fragen nach dem „Wer/Was?“ und dem „Wo?“ der Kirche bzw. nach dem „Wer?“ der rechten alten Kirche allein durch empirische Kennzeichen. Auch in der Beweisführung der Schmalkaldischen Artikel steht das Gläubig-Sein der Glaubenden nicht theologisch vor ihrem (empirischen) Hören und Empfangen (s. o. den Text bei Anmerkungen 72–76). Vgl. Lønning, „Luther und die Kirche“, S. 111: „Kirche des Glaubens (= des Glaubensbekenntnisses)“. Die Überlegungen von Kinder, Glaube und Kirche, S. 93–103 in Bezug auf eine nähere Bestimmung der Verborgenheit der Kirche sind hier lesenswert; „der Glaube [ist] kein ontischer Zustand“ (S. 100).

Regieren in der Kirche

317

Widerspruch in einer typischen Darstellung der Ekklesiologie Luthers, der sich bei dem reifen Luther selbst jedoch nicht findet.

9.3

Regieren in der Kirche

Die Kennzeichen der Kirche, durch die die Kirche nicht nur erkennbar ist, sondern gewirkt wird, – die Wirkmittel der Kirche – befinden sich in den Händen der Amtsträger, die die Kirche durch das Wort und die Sakramente zu regieren haben. Bereits oben bei 6.2.2 wurde erklärt, dass die Amtsträger im geistlichen Regiment zu regieren haben: Sie sind die gubernatores in der Kirche.95 Die Amtsträger haben das Mandat, Sünden zu vergeben, zu trösten und zu lehren.96 Ihnen sind „der Predigtstuhl und das Regiment der Kirche“ zugeordnet.97 Nicht nur die Predigt des Wortes und die Spendung der Taufe, der Absolution und des Altarsakraments stehen ihnen zu, sondern auch der Ausschluss davon durch den kleinen oder geistlichen Bann. Ferner gehören zum Regieren der Amtsträger in der Kirche die Ordination und Konfirmation von weiteren Amtsträgern.98 Die Bischöfe, Pfarrer und Prediger haben ihr Amt von Gott und führen es in der Kirche mit göttlicher Autorität. Wie Kaiser, Könige, Fürsten, Herren, Adel, Bürger, Bauer und Richter, die „im öffentlichen Amt“ und „im ordentlichen Regiment“99 sind, so sind die Bischöfe, Prediger und Pfarrer im öffentlichen Amt des geistlichen Regiments.100 So wie es der Fall ist im weltlichen Regiment,101 so gebührt den Amtsträgern der Kirche Gehorsam nach Gottes Gebot.

95 Für Bischöfe, Pfarrer und Prediger als „gubernatores“ siehe Pr. 2018 [R] WA 51,96,17–19 (vgl. auch 51,96,9–12 und 51,97,8f; siehe 6.2.2, dort Anm. 242); das Verhältnis von dem Amt, den zwei Regimenten und den drei Ständen wurde bereits bei 6.2.2 geschildert. Für das weiter entfaltete Verhältnis zwischen den Amtsträgern und den anderen Mitteln bzw. den Wirkmitteln der Kirche, siehe auch 6.2.3.1–3. „[R]egirer“ ist durchaus ein Titel, den Luther auf die Amtsträger der Kirche beziehen kann; siehe WA 50,651,21 („Von den Konziliis und Kirchen“, 1539; Regieren im weltlichen Regiment bei 50,651,23). Siehe auch Pr. 1888 [R] WA 47,818,26–820,2. 96 Pr. 2018 [R] WA 51,97,4–6. 97 Pr. 1851 [A] WA 47,574,28–575,35; 47,575,1f: „der Predigtstuel und das Regiment der kirchen“. 98 SA-III,IX–X (BSLK 456,19–458,15); s. o. bei Anm. 75. 99 Pr. 1849 [A] WA 47,563,19: „im offentlichem ampt“ (siehe auch 47,563,29) und 47,563,30f: „im ordentlichem regiment“. 100 Pr. 1849 [A] WA 47,563,17–564,2. 101 Siehe Pr. 1885 [R] WA 47,795,14–19 und [S] 47,795,27–29: Die Amtsträger sind das Pendant im geistlichen Regiment zu dem, was Eltern und Fürsten im weltlichen Regiment sind (siehe 6.2.2, dort bei Anm. 239).

318

Der ekklesiologische Aspekt

Ebenso [soll es] auch im geistlichen Regiment [sein:] Bischöfe, Prediger [und] Pfarrer, die Gottes Gebot zu predigen haben und sich rühmen können, dass sie Prediger sind und dass jedermann ihnen gehorsam sein soll, sollen auch Gottes Feinde sein[. Es verhält sich mit ihnen] ebenso wie [es sich mit] ein[em] weltliche[n] Regent [verhält, der] sich rühmen und sagen kann: [„]Ich bin ein Fürst, von Gott aufgestellt[. D]u musst mir gehorsam sein, denn alle Obrigkeit ist von Gott und Gottes Ordnung und man soll ihr gehorsam sein.[“].102

Ähnlich wie er das weltliche Regiment versteht, versteht Luther auch das geistliche Regiment: Die Amtsträger haben ihr Amt und ihre Autorität von Gott. Er kommt zu diesem theologischen Punkt nicht auf dem Umwege einer Gleichberechtigung aller, zu regieren, oder der Notwendigkeit einer Ordnung unter Gleichberechtigten. Er hängt nicht den Prinzipien späterer Zeitalter an – z. B. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit –, die für seine historischen Erben weithin selbstverständlich geworden sind. Die, die Autorität haben, haben ihre Autorität von Gott; die Welt ist von oben nach unten geordnet und nicht umgekehrt. Wiewohl die Amtsträger die Regierenden im geistlichen Regiment bzw. in der Kirche sind und andere Christen in der Kirche in erster Linie passiv und empfangend sein dürfen, spielen Menschen, die ihren Stand in der oeconomia und der politia des weltlichen Regiments haben, auch eine aktive Rolle in und für die Kirche und ihr geistliches Regiment. Es fällt ihnen zu, zu beten, die Amtsträger zu versorgen und Schulen zu unterstützen, in denen unter anderem zukünftige Amtsträger ausgebildet werden.103 So wie es kein Evangelium und insofern keine Christen ohne die Amtsträger geben würde, so würde es keine Amtsträger geben, 102 Pr. 1849 [A] WA 47,563,31–37: „Also auch im Geistlichem regiment, Bisschofe, Prediger, Pfarherr, welche Gottes Gebot haben, das sie predigen sollen, und konnen sich ruhmen, sie sind prediger und das jederman ihnen sol gehorsam sein, die sollen auch Gottes feinde sein, gleichwie sich ein weltlicher Regent ruhmen und sagen kan: Ich bin ein furst, von Gott verordent, du must mir gehorsam sein, den alle oberckeit ist von Gott und gottes ordnung, und man sol ihr gehorsam sein.“ (Hervorhebung JM). Dass sie solche Autorität beanspruchen, gehört nach Luther zu einem notwendigen Sich-Rühmen des Amtes; siehe den weiteren Kontext bei WA 47,563,31–564,2. Dass die Amtsträger ihre Autorität missbrauchen und die Kirche verfolgen werden, ändert nichts daran, dass sie „im rechten Regiment und im Stuel der Aposteln“ sitzen (WA 47,564,28f). 103 Die Versorgung der Pfarrer und die Unterstützung der Schulen wurden bereits bei 5.1.2 angesprochen. Siehe auch dazu Pr. 1854 [A] WA 47,596,13–20 und 47,600,19–27 (das passive Haben der Christen als Christen im geistlichen Regiment in Bezug auf die Predigt, die Taufe, die Schlüssel und das Sakrament des Altars); 47,596,39–597,15 (aktiv im Gebet); vgl. 47,596,10f (implizit aktiv in der Versorgung der Pfarrer). Für ihr Leben in der oecnonomia und der politia des weltlichen Regiments siehe 47,595,25f; 47,596,1–3 und 16; 47,600,22–24; 47,601,19–32 und 36–38. Über das Beten, die Versorgung der Amtsträger und die Unterstützung von Schulen hinaus haben die, die nicht im Amt der Kirche sind, eine Rolle bei einem Konzil der Kirche: Siehe SA-Vorrede,12–13 (BSLK 412,11–413,12) und WA 50,522,14f („Von den Konziliis und Kirchen“, 1539).

Regieren in der Kirche

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wenn sie nicht versorgt würden, sondern man sie hungern ließe. In genau dieser Hinsicht wertet Luther alle Stände auf: auch diejenigen, die in den Ständen der oeconomia und der politia im weltlichen Regiment sind, „müssen viel sein“,104 damit das Reich Christi weitergeht.105 Obwohl Luther das Regieren der Kirche, das aus seiner Sicht durch die Predigt des Wortes, das Spenden der Sakramente und die Ausübung der Schlüssel geschieht, den Amtsträgern zuschreibt, verkennt er dennoch keineswegs ihre Defizite und Fehler. Er weiß, dass Amtsträger ihr Amt und ihre Autorität missbrauchen werden.106 Auch die, die das Regiment der Kirche führen und predigen und lehren, können sich gegen die Kirche stellen, aber auch in diesem Falle geistlicher „Pestilenz“, wie sie Luther selbst erleben musste,107 kam es ihm nicht in den Sinn, das Regiment der Kirche neu zu erfinden. Einer Verfassung, die die Kirche dauerhaft unter dem Landesherrn organisieren würde, der gegebenenfalls in der Zukunft das Evangelium sogar verbieten könnte, lag außerhalb seiner Vorstellung.108 Die Unterstellung der Kirche unter den Landesherrn blieb für ihn eine Notlösung, und obwohl Gott die Kirche auf „wunderbarliche“ Weise erhalten kann,109 geht Luther von einer episkopalen Verfassung der Kirche aus;110 das Kirchenregiment und die Kirchenverfassung, so wie er sie versteht, sind ein System, in dem die Amtsträger durch das Wort, die Sakramente und die Schlüssel zu regieren haben und das unter der Aufsicht der Bischöfe organisiert ist.111 Kollegiale Verfassungsgedanken – obwohl unter den 104 Pr. 1905 [R] WA 49,39,20: „mussen viel sein“; Weiteres aus dieser Predigt bei 5.1.2. 105 Siehe auch „Der 82. Psalm ausgelegt“ (1530) für Weiteres zum Verhältnis von dem weltlichen (WA 31/I,190,11) und dem geistlichen (31/I,190,21) Stand: Der weltliche Stand oder die weltliche Obrigkeit, die auch eine heilige und ehrenwerte Ordnung Gottes ist (31/ I,191,32f), schafft sozusagen Raum für Gottes Wort (31/I,192,18–32); sie kann aber umgekehrt von Gott durch die Prediger und Propheten gestraft werden (31/I,193,3–27 mit 31/ I,191,5–8). Nach „Wider das Papsttum zu Rom“ (1545) geschieht die Versorgung der Amtsträger durch den weltlichen Stand, aber nicht so, als ob die Amtsträger das Evangelium verkaufen (WA 54,280,16–27). Für Weiters zur Ständelehre siehe 31/I,217,10–17 („Der 82. Psalm ausgelegt“, 1530). Für Weiteres über Schulen und die Stände siehe SA-II,III,1 (BSLK 426,10–16) und WA 50,651,15–653,15 („Von den Konziliis und Kirchen“, 1539). 106 Pr. 1849 [A] WA 47,563,34–41 und 47,564,24–31. 107 Siehe Pr. 1851 [A] WA 47,574,28–575,42. 108 Vgl. Pr. 1849 [A] WA 47,562,35–37. Siehe auch WA 31/I,190,10–191,18 und 31/ I,195,10–196,18 („Der 82. Psalm ausgelegt“, 1530). 109 Pr. 1851 [A] WA 47,575,15–17 und 33–35. „Wunderbarlich“ heißt nicht ohne Amtsträger, sondern durch Pfarrer und Schulmeister in einer Situation, in der Papst, Kardinäle, Bischöfe und viele Pfarrer gegen die Kirche sind. 110 Siehe Beyer, „Luthers Ekklesiologie“, S. 108 (in der Notsituation hatte sonst nur der Kurfürst einen Stand göttlicher Autorität inne); Lønning, „Luther und die Kirche“, S. 103; Pesch, „Luther und die Kirche“, bes. S. 129; Sander, Ordinatio Apostolica, bes. S. 70–160; Wendebourg, „Die Reformation in Deutschland und das bischöfliche Amt“. 111 Hardt, „Ecclesiology of the Smalcald Articles“, S. 43f; Wendebourg, „Das Amt und die Ämter“, bes. S. 23; Piepkorn, „Symbols about the Church“, S. 43–45: Die Apol sagt aus-

320

Der ekklesiologische Aspekt

historischen Erben Luthers heute weit verbreitet – stützen sich eher auf demokratische Ideen der Moderne, spielen aber bei Luther keine Rolle, schon gar nicht in seinen späteren Predigten und Schriften.112

9.4

Dogmengeschichtlich verwandte Überlegungen und systematisch-theologische Implikationen

In Bezug auf die in den Predigten dargestellte Ekklesiologie sind noch drei verwandte Themen zu erwähnen, die Luthers Verständnis der Kirche und und wie sich dies zum Amt verhält vervollständigen: Priestertum, Not und Donatismus.

9.4.1 Priestertum Von der Taufe aus und in Bezug auf ihren Glauben betonte Luther die Geistbegabung und insofern die Gleichheit aller Christen. [Der Geist] wird auf alles Fleisch ausgegossen und so, dass [er] auch über die [ausgegossen wird], die im Alten Testament weder die Kirche noch den Staat zu regieren tüchtig waren: Söhne, Töchter, Knechte, usw. und alle, die ihnen gleich [sind, bekommen] denselben Geist. Einer ist nicht besser als der Andere.113 drücklich und wiederholt, dass sie die schon existierende „ecclesiasticam et caononicam politiam“ behalten möchten (Apol XIV,1–5; BSLK 296,9–297,30; zu Apol XIV,1 siehe Sander, Ordinatio Apostolica, S. 69f, Anm. 182), und die CA schreibt den Bischöfen eine reale potestas in ihrem XXVIII. Artikel zu. Das Problem bestand nicht in einer bischöflichen Verfassung der Kirche – die ganze Schrift, „Wider das Papsttum zu Rom“ (1545) zeigt, dass Luther immer noch von einer solchen Verfassung ausgeht –, sondern darin, dass der Bischof von Rom sich über alle anderen Bischöfe der Kirche erhoben hat; siehe auch SA-II,IV,9 (BSLK 430,5–13). 112 Die Bemerkung von Lohse, „Luther und die Kirche“, S. 147, dass der Gedanke des allgemeinen Priestertums kaum Konsequenzen für die Kirchenverfassung nach Luther hat, ist noch ein Grund zu fragen, was dieser Gedanke damals gewesen war, gegenüber dem, was er in der Moderne geworden ist. Siehe auch Pesch, Hinführung zu Luther, S. 207. Stellen wie WA 31/I,200,5–204,20 (bes. 31/I,200,10f und 31/I,204,14–16) und 31/I,207,1–15 („Der 82. Psalm ausgelegt“, 1530) lassen wirklich daran zweifeln, dass demokratische Grundideen von Luther positiv angesehen werden könnten. Vgl. Pr. 1888 [R] WA 47,819,15: „[Es ist als ob man sagt:] ,Die untergeordneten Grade sollen sich selber regieren!‘ [So] funktioniert es [aber] nicht; Gott weiß das.“ („Inferiores gradus sollen sich selber regieren. Non fit, Deus hoc novit.“). Für eine Diskussion von „kollegialen,“ „episkopalen“ und „territorialen“ Kirchenverfassungen siehe Stahl, Kirchenverfassung, S. 5–46. 113 Pr. 1546 [R] WA 41,264,14–17: „effundetur super omnem carnem et sic, ut etiam super eos, qui in veteri Testamento nec zu regirn Ecclesiam et politiam thüchtig waren, filii, filiae, servi & c. et omnes similes eundem spiritum, non alius melior alio.“.

Dogmengeschichtlich verwandte Überlegungen

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Weil alle Christen durch die Taufe zu Priestern gemacht wurden, sah Luther den Unterschied zwischen dem so genannten geistlichen und dem so genannten weltlichen Stand aufgehoben. Jeder Christ ist ein Priester und fähig, das Wort zu verkündigen und die Sakramente zu verwalten. Das Sakrament, das Predigtamt ist für uns alle bestimmt. Jedoch[, besteht ein Unterschied, nämlich,] dass einer das Wort ausüben muss. Hier gibt es keinen Weiheunterschied. Der Papst will [aber], dass seine gemachte Priesterschaft besser sein soll als das geborene, erbliche [Priestertum], welches wir durch den Heiligen Geist haben; die [se] ist die rechte Weihe und Priesterschaft.“114

Weil eine Unordnung entstehen würde, wenn jeder Christ das Predigtamt ausübte, werden die Rechte aller Christen, das Wort zu verkündigen und die Sakramente zu spenden, auf einige übertragen: „Wir sind Gottes Diener dazu, denn der ganze Haufen {kann nicht} dazu kommen, dass er tauft, predigt [und] das Sakrament reicht. Darum sollen einige eingesetzt werden, […]“115 Diese predigen nicht zu, sondern im Namen ihrer Mitchristen, so, dass man sagen kann, „Der Mund des Pfarrers ist unser aller Mund.“116 Diejenigen, die jedoch auf einen besonderen Status angesichts ihrer Ordination pochen und behaupten, „Wir [sind] Gottes Diener. […] Wir sind von Gott ordiniert, usw.“,117 verursachen durch ihr Beharren auf festgelegten, institutionellen Formen, dass sich Menschen von Christus abwenden. Schon zu Lebenszeiten klagte Luther, dass seine Schriften missbraucht würden, um theologische Positionen zu untermauern, die er selbst nicht vertrat und nicht vertreten wollte.118 Wenn der vorangegangene Paragraph, der nichts anderes als eine willkürliche Kombination beliebig ausgesuchter Zitate unter einer systematisch-theologischen Scheinordnung ist,119 Menschen heute lutherisch vorkommt, dann nicht deshalb, weil die darin vermittelte Ansicht für das homiletisch vermittelte Verständnis des kirchlichen Amtes beim reifen Luther repräsentativ wäre. Vielmehr ist der Gedanke des allgemeinen Priestertums der 114 Pr. 1907 [R] WA 49,47,28–31: Sacramentum, predigamt ist gemein uns allen. Tamen quod unus mus das wort furen. Non unterscheid weihe da. Sed papa wil, das sein gemacht priesterschafft sol besser sein quam das angeborne und erblich, quod habemus per Spiritum sanctum, die ist die rechte weihe und priesterschafft.“. Für die Übersetzung von „ist gemein uns allen“ vgl. StA 6, 75 („gemein“ = „für alle bestimmt“). 115 Pr. 1577 [R] WA 41,469,16f: „Nos dei diener dazu, quia totus hauff dazu komen, ut baptiset, praedicet, administret Sacramentum. Ideo quidam constituendi.“ Für die „{}“ Klammern siehe 4.1.1 (dort Anm. 54). 116 Pr. 1907 [R] WA 49,47,2: „Des pfarrers mund ist unser aller mund.“ 117 Pr. 1657 [R] WA 45,135,24: „Nos dei ministri, […] nos ordinati a deo & c.“. 118 Siehe z. B. SA-Vorrede,4 (BSLK 409,24–410,9). 119 Für eine angemessene Darstellung von Pr. 1907, s. u. Anm. 133 und 136; für Pr. 1577 s.u. z. B. Anm. 144; für Pr. 1546 siehe 6.2.3.4 (dort bei den Anm. 291 und 298–301); das Zitat von Pr. 1657 ist auch aus seinem Zusammenhang gerissen.

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Der ekklesiologische Aspekt

Getauften als Basis für die Amtslehre der evangelischen Theologie heute so allgemein axiomatisch120 geworden, dass er kaum noch hinterfragt wird. Nach den untersuchten Predigten Luthers wird das Amt der Kirche eben nicht aus dem allgemeinen Priestertum systematisch abgeleitet. Vielmehr wird das allgemeine Priestertum auch in einer gewissen systematisch-theologischen Hinsicht als Resultat des Sprechens und Handelns Gottes durch das Amt dargestellt: Nicht das Amt kommt aus dem Priestertum, sondern das Priestertum kommt durch das Amt. Besonders aufschlussreich für Luthers Verständnis einiger dafür zentraler Schriftstellen ist Pr. 1724: Anhand des Glaubensartikels der Himmelfahrt Christi dürfen die Zuhörer wissen, dass Christus nicht untätig dort oben sitzt, sondern dass er „hier“ ist und zwar tätig.121 Als promissorischer Beweis für die anwesende Tätigkeit und tätige Anwesenheit Christi werden Joh 21,15–17; Joh 20,23 und Mt 28,20 einfach nacheinander aufgelistet.122 Diese Schriftstellen, in denen Luther das Amt begründet sieht,123 bezeugen und verheißen die Präsenz und Tätigkeit Christi nach seiner Himmelfahrt unter denen, die er für die kommende Gnade erwählt hat, „so dass [sie] seine Tugend [verkündigen].“124 Das verkündigte Lob des Volkes in I Petr 2,9 resultiert aus Christi Präsenz im Amt und seiner Tätigkeit durch das Amt, die er in Mt 28,20; Joh 20,23 und Joh 21,15–17 verheißen hat und die dort bezeugt wird.125 Luther bestätigt 120 Körtner, „Ordination und Priestertum aller Gläubigen“, S. 031: „Der geradezu axiomatische Charakter des allgemeinen Priestertum[s] aller Getauften für die evangelische Theologie und Amtslehre […]“ und „[…] der axiomatische Rang, der der Lehre vom Priestertum aller Gläubigen nicht nur für die evangelische Ekklesiologie im allgemeinen, sondern auch für die Ämterlehre bzw. die Lehre vom ordinierten Amt im besondern zugesprochen wird, […]“ Obwohl seine Position fragwürdig ist, ist Körtners Ehrlichkeit sehr begrüßenswert. 121 Für den Glaubensartikel siehe Pr. 1724 [R] WA 46,392,9f; für Präsenz siehe 46,393,18: „Sondern[,] dass er hier [ist].“ („Sed ut hic:“). 122 Pr. 1724 [R] WA 46,393,19. Mt 28,20 wird auch bei 46,393,15 und 46,394,4 angegeben; Mt 28,18 bei 46,392,19f. 123 Siehe 3.3. 124 Pr. 1724 [R] WA 46,393,18–20: „Sciamus ergo ex isto articulo, quod non otiosus supra. Sed ut hic: Petre, ,weide‘, ,Quorum remiseritis‘, Item ,vobiscum ero‘. Ascendit et tamen cum istis manet, qui electi ad gratiam venturam, ut eius virtutem. Pet.“ 125 Die Deutung passt zum Inhalt des weiteren Kontexts in Pr. 1724. Luther wiederholt gerade das, was er in der Reihenfolge von dem Abschnitt [R] WA 46,392,7–22 und dem Abschnitt 46,392,22–393,17 schon gesagt hat: Erst wird die Predigt des Evangeliums im Mandat des auferstandenen und dann in den Himmel aufgefahrenen HErrn begründet; sie schafft Glauben an diesen HErrn Christus (46,392,7–22). Dieser erste Schritt korrespondiert mit der Bibelstellenmatrix von Joh 21,15–17; Joh 20,23 und Mt 28,20. Dann wird die Existenz der Kirche, die aus Menschen besteht, deren Glaube durch die Predigt entstanden ist, als Beweis für die Gewalt oder Tugend Christi angeführt, der durch das gepredigte Wort, die Schlüssel und die Sakramente (vgl. WA 46,394,10f) auch unter äußerst schwierigen Umständen ein Volk für sich behalten kann (46,392,22–393,17). Dieser zweite Schritt korrespondiert mit I Petr 2,9. Zuerst sagen Joh 21,15–17; Joh 20,23 und Mt 28,20, wie und

Dogmengeschichtlich verwandte Überlegungen

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sehr wohl, dass das getaufte Volk ein Volk von nun gesalbten Priestern ist.126 Doch das Amt dieser Priester wird vom Amt der Amtsträger unterschieden.127 Das priesterliche Volk entsteht aus dem Predigen, Taufen, Absolvieren und Darreichen des Sakraments und wird dadurch erhalten, und dies wird dem konkreten Predigtamt zugeschrieben.128 Das „Priestertum“, ein in erster Linie liturgischer Begriff, der auf den gesamten Kultus Gottes hinweisen kann, entsteht daraus, dass Gott konkret und mittelbar zu den Menschen spricht und mit ihnen handelt durch das Amt, so dass „das Priestertum der Prediger“ als ein genitivus subiectivus zu verstehen ist.129 Das Werk der Prediger und Pfarrer, die Tätigkeit Gottes durch das Amt, ist katabatischer Art: Darin kommt der selbst herabsteigende und inkarnierte Gott zu den Menschen. Die Richtung ist von oben nach unten. Das Amt der getauften Priester bildet den Gegenpart zum Amt der Amtsträger : Das priesterliche Amt

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wodurch Christus anwesend und tätig ist. Dann erklärt I Petr 2,9, unter wem und für wen er anwesend und tätig ist und was aus dieser anwesenden Tätigkeit und tätigen Anwesenheit resultiert. In dem Predigtamt, das den Aposteln – und offensichtlich Luther auch – gegeben wurde, und durch das von ihnen gepredigte Wort Gottes und die von ihnen dargereichten Sakramente ist Christus jetzt auf Erden anwesend und tätig. Unter seinen Auserwählten und für sie ist er tätig. Durch sein tätiges, gnädiges Anwesendsein unter den Auserwählten sorgt er selbst für ihre fortdauernde Existenz. Und indem seine Auserwählten, seine Kirche, existieren, ist das Resultat das Lob seiner Tugend oder Gewalt. Das, was Luther in I Petr 2 sieht, ist unterschiedlich zu dem und mehr als das, wofür diese Schriftstelle nun sooft gebraucht wird: Siehe z. B. WA 54,245,1–17 und 54,249,6–8 („Wider das Papsttum zu Rom“, 1545). Für I Petr 2,9 siehe auch Anm. 140 unten. Siehe z. B. Pr. 1907 [R] WA 49,47,4–8 im weiteren Kontext der gesamten Predigt. Pr. 1907 [R] WA 49,46,31f: „Bis hierhin [haben wir von] dem Amt des Königs [gehört].“ („Hactenus offitium Regis.“). Das Amt des Königs Christus ist das Predigtamt, das er behält; siehe WA 49,46,10f: „er sitzt [auf seinem Thron bzw. zur Rechten Gottes des Vaters] und herrscht [nun seit] 1500 [Jahren] und erhält immer noch [die] Taufe, [das] Sakrament, [das] Predigtamt, [und die] Absolution, […]“ („Sedet et regnat 1500 et adhuc erhelt Tauff, Sacramentum, predigtampt, Absolutionem, […]“). Pr. 1907 [R] WA 49,46,19–22: Die Erhaltung des Amtes und des Wortes ist die Erhaltung von Predigern, Pfarrern und Schulen (s. o. Anm 103). Pfarrer und Prediger werden erhalten, damit die christliche Kirche erhalten wird (WA 49,46,27f); die systematisch-theologische Reihenfolge ist nochmals deutlich. So wie der Glaube kein ontischer Zustand ist (s.o Anm. 94), so ist das Volk keine statische Größe, die theologisch irgendwie apriori existiert, sondern etwas ist diesen bestimmten Menschen widerfahren, das sie zum Volk Gottes gemacht hat; sie sind die, die lebendig gemacht worden sind (WA 49,46,33: „vivificati“), die vom externen und schöpferischen Evangelium Gottes erreicht worden sind (WA 49,49,28: „in illo populo facta promissio“). Nur wenn man das „Rechtfertigungsgeschehen“ apriorisch-abstrakt statt promissorisch-konkret versteht, kann das priesterliche Volk dem Amt in der Amtslehre vorgeordnet werden (wie z. B. bei Goertz und Härle, „II. Allgemeines Priestertum“). Siehe Pr. 1844 [A] WA 47,523,27–524,23. Entscheidend für die Existenz dieses Kultus sind die Propheten: Es gibt einen Kultus dadurch, dass es Botschafter gibt, die von Gott gesandt sind. WA 47,527,4: „das Priesterthumb der Prediger“.

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Der ekklesiologische Aspekt

ist anabatischer Art. Es besteht aus Loben, Beten und Opfern,130 und diese Tätigkeiten steigen auf von den Menschen zu Gott; die Richtung ist von unten nach oben. Die liturgische Verortung von t±r !qest\r 1nacce_kgte (I Petr 2,9)131 ist Luther offenbar nicht entgangen. Loben und Beten werden weiter entfaltet; sie drücken sich aus im Beten des Vaterunsers sowie im Singen und Danken; der Inhalt ist der des Credos:132 In erster Linie hat Luther liturgisches Loben und Beten im Blick, das im Rahmen des Gottesdienstes geschieht, wo getaufte Priester vor Gott treten und ihm ihr Lob und ihr Gebet als Opfer darbringen. In dieser Hinsicht – und nicht in Bezug auf die Predigt des Gottesdienstes! – sagt Luther, „Ihr müsst vor dem Altar mitbeten. Der Mund des Pfarrers ist unser aller Mund.“133 In Bezug auf das Anabatische haben getaufte Christen direkten Zugang zu Gott, und das Beten des Pfarrers ist nicht höher oder heiliger als das Beten jedes Christen,134 auch wenn er im Namen der ganzen Gemeinde betet. Voraussetzung dafür, dass es überhaupt ein Gott gefälliges Anabatisches gibt, ist jedoch das Katabatische, und bei ihm bleibt die Beziehung zwischen Gott und den Seinen immer mittelbar.135 Während es in Bezug auf das anabatische Amt der Priester keinen Unterschied unter den Christen gibt, gibt es jedoch einen Unterschied in Bezug auf den katabatischen Dienst des Pfarrers: Der Unterschied zwischen Predigern und Hörern in der Kirche bleibt genauso bestehen wie der Unterschied zwischen Mann und Frau im weltlichen Regiment.136 Wenn die getauften Christen ihr priesterliches „Amt zur Erde wenden und predigen“, dann heißt dieses Predigen nicht, dass sie nun alle auf die Kanzel steigen, sondern dass das, was sie betend im Gottesdienst in der Kirche gesprochen haben, zu Hause wiederholt wird: „[Das, was] wir in der Kirche sagen, [sagen wir] zu Hause zu der Familie, damit das Evangelium ausgebreitet wird, zuerst [aber] im Tempel.“137 Dieses Nicht-Stillschweigen-Können ist „doing homology“ und

130 Pr. 1907 [R] WA 49,46,31–47,33. 131 Siehe Nagel, „Luther and Priesthood of Believers“, S. 277, Anm. 1 und S. 290, Anm. 14. 132 Pr. 1907 [R] WA 49,47,15 und 49,46,39f: Vaterunser ; 49,47,20f: Singen und Danken; 49,47,21–23.33: Credo. Vgl. Anm. 82 oben. 133 S.o. Anm. 116; in vollständigerer Form lautet das Zitat: „Sed ihr müst mit beten in altari. Des pfarrers mund ist unser aller mund.“ (Pr. 1907 [R] WA 49,47,2). 134 Pr. 1907 [R] WA 49,47,14–18: Zugang zu Gott; 49,46,41: „Das heisst alles gebetet.“ 135 Siehe 6.5. 136 Pr. 1907 [R] WA 49,47,26f; dies gibt den richtigen Kontext für [R] WA 49,47,28–31 (s. o. Anm. 114). 137 Pr. 1907 [R] WA 49,47,34–36,: „da wenden wir unser ampt zur Erden et praedicamus, loquimur in Ecclesia, domo ad familiam, ut Euangelium werde ausgebreitet, praecipue in templo.“ Der nächste Satz deutet auf Dtn 6,1–9, wo es um die Worte Gottes geht, über die im Haus bei jeder Gelegenheit geredet werden soll, welche die Eltern ihren Kindern einschärfen sollen. Anstelle dieser Worte, die das Sch’ma beinhalten, werden das Vaterunser und das Credo gesetzt.

Dogmengeschichtlich verwandte Überlegungen

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entspricht dem Sinne des Kleinen Katechismus.138 So wie das Priesteramt Christi „zu den Leuten“ gewendet sich im Anbefehlen seiner Mutter an seinen geliebten Jünger andeutet,139 so spielt sich auch das priesterliche Amt der Christen, „zur Erde“ gewendet, innerhalb der oeconomia (und der politia) ab. Der Dienst der Christen an ihren Mitmenschen, der in ihren jeweiligen Ständen ausgeübt wird, entsteht aus dem Dienst Gottes an ihnen im Gottesdienst140 – „Liturgy into living“.141 Ihr Reden in ihrem jeweiligen Stand ist ein lobendes, dankendes, den Glauben bekennendes Sprechen, das Luther von der Predigt im Gottesdienst unterscheidet.142 Zu der Tatsache, dass Luthers homiletische Verwendung von I Petr 2,9 nicht zu einem axiomatischen Bild passt und dass er einen wesentlichen (und nicht nur organisatorischen) Unterschied zwischen dem Amt der Prediger, Pfarrer und Bischöfe und dem Amt der getauften Priester sieht, kommt noch die Beobachtung hinzu, dass Luthers homiletische Darstellung des Amtes einfach und direkt ist, so dass sie sozusagen keine Umwege geht: Luther findet zum kirchlichen Amt nicht über dessen Ableitung aus dem allgemeinen Priestertum und entsprechender Übertragung auf einen Einzelnen aus Ordnungsgründen. Die Amtsträger im geistlichen Regiment – ebenso wie die weltliche Obrigkeit – sind das, was sie sind, aus einem Befehl Gottes heraus, und haben die Autorität, die sie haben, aus göttlichem Befehl.143 Man wird ein Haushalter im Hause Gottes, indem der Hausherr selbst dazu bestellt;144 man wird nicht Haushalter durch eine Delegation der Haushalterschaft der gleichberechtigten Mitglieder des Hausgesindes. Wiewohl die Taufe und der Glaube für den Status vor Gott bestimmend sind, hat keiner seinen Stand im Sinne der Drei-Stände-Lehre aus der 138 Nicht-Stillschweigen-Können: siehe Pr. 1907 [R] WA 49,47,37. „[D]oing homology“: Nagel, „Luther and Priesthood of Believers“, S. 287. Für den Kl. Kat. siehe BSLK 507,34–38; 510,25–27; 512,15–17; 515,20–22; 519,36–38; 521,12–14; 522,23–25. 139 Pr. 1916 [R] WA 49,91,24–27; „zun leuten“ (49,91,26). 140 So ordnet Luther I Petr 2,9 in Pr. 1555 [R] ein: WA 41,346,32 (besonders im Kontext von 41,346,26–347,22). Für die Stände siehe z. B. WA 41,346,28f. 141 Nagel, „Luther and Priesthood of Believers“, S. 298. 142 Pr. 1555 [R] WA 41,346,29–32: „docere“ (41,346,28) und „praedicare“ (41,347,1) werden durch „credo in dominum, qui me illuminavit“ (41,346,29) spezifiziert. Für die Predigt im Gottesdienst siehe WA 41,348,32–349,1 und 41,349,7f. 143 Siehe das Zitat bei Anm. 102 oben. Pr. 1849 zeigt keineswegs den Gedanken, dass dieser Predigtbefehl irgendwie von einem allgemeinen Befehl an alle Christen abgeleitet ist. Wenn eine Ableitung der Fall wäre, dann müsste Luther laut seiner eigenen Darstellung an dieser Stelle von einer solchen Ableitung auch im weltlichen Regiment ausgehen, um konsequent zu sein: Etwa, dass alle (Christen-)Menschen den Befehl zu regieren und das Schwert zu führen haben, und, dass das Regieren des Kaisers, der Könige und der Fürsten von diesem allgemeinen Befehl – vielleicht als eine notwendige Ordnungsmaßnahme – abgeleitet ist. Wenn dies Luthers Position wäre, hätte er kaum die Position bei dem Bauernkrieg vertreten können, die er vertrat. 144 Pr. 1577 [R] WA 41,468,16–28; siehe auch 6.2.2; vgl. mit Anm. 115 oben.

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Der ekklesiologische Aspekt

Taufe oder aus dem Glauben. Denn Beruf und Befehl machen Prediger und Pfarrer: Luther sieht es als ein Argument der Winkelprediger und Schleicher an, dass alle Christen predigen dürfen, weil sie Priester sind.145 Weil sich Luthers Verständnis des kirchlichen Amtes mit der Drei-Stände-Lehre verknüpft, die nicht nach einem demokratischen Modell entfaltet wird, sind der homiletischen Darstellung des reifen Luther die Gedanken von Ableitung und Übertragung zumindest fremd, wenn nicht sogar gottlos.146 Er geht ebenso wenig von einem demokratischen Modell in der ecclesia aus, wie er in der oeconomia und politia von ihm ausgeht. Untertanen haben nach Luther kein Recht, sich selbst zu regieren; der Magistrat oder der Kurfürst hat sein Amt nicht, weil seine Untertanen eine Wahl gehalten haben und ihr Recht zu regieren auf ihn übertragen haben. So haben auch in der oeconomia Eltern ihr Amt nicht, weil alle gleichberechtigten Glieder der jeweiligen Familie abstimmen und ihr eigenes ElternSein-Recht auf die älteren Elternteile übertragen. Ebenso wenig geht Luther von einer Übertragung im Rahmen der ecclesia aus. Prediger sind Prediger. Pfarrer sind Pfarrer. Ihr Amt ist ein göttliches Amt, weil es ihnen von Gott zukommt, und weil er durch dieses Amt auf eine sehr bestimmte – ja, einzigartige – Art und Weise spricht und handelt. So viel kann festgestellt werden.

9.4.2 Not Luther konnte das Sprichwort, „Not hat kein Gebot“ sehr wohl zitieren.147 Anhand seiner späteren Predigten lässt sich auch feststellen, dass er aus einer Not auch kein Gebot ableiten wollte. Denn Luther leitet keine Amtslehre oder eine Regel für normale Praxis von dem ab, was ein Christ in einer bestimmten Notsituation tun darf. Vielmehr bestimmen fundamentale Grundzüge seiner Theologie, wie ein Christ in der jeweiligen Notsituation zu handeln hat. Alle Christen – nach Luther besonders Frauen, die zur Zeit Luthers bei der Geburt assistierten, – sollen in einem Notfall bereit sein, zu taufen. Sie sollen die Spendeformel auswendig kennen und nicht an die Armut der Worte oder des Wassers denken, sondern an das Mandat der Taufe und dessen Geber, so dass, wenn die Situation es erfordert, sie ein Kind in Lebensgefahr taufen.148 Wenn [ein Kind] neulich geboren ist und so schwach ist, dass man Sorgen macht, dass es nicht überleben kann[, ist das Kind zu taufen]. [Mit] dieser [Taufe] sind die Mütter 145 Siehe WA 31/I,211,11–22 („Der 82. Psalm ausgelegt“, 1530). 146 Siehe Pr. 1880 [R] WA 47,771,2–23 und [S] 47,770,39–771,36. 147 WA 10/II,35,11: „Not hat keyn gepott, […]“ („Von beider Gestalt des Sakraments zu nehmen“, 1522). 148 Pr. 1697 [R] WA 46,168,2–6 und [S] 46,168,28–30.

Dogmengeschichtlich verwandte Überlegungen

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beauftragt, welche Expertinnen sind. Wenn die Gefahr also besteht[, dass das Kind sterben könnte,] tauft ihr es unter einander dort. Die Taufe ist wahr, vorausgesetzt, dass es mit diesen Worten geschieht: „Ich taufe [dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes,]“ egal [ob das Kind] von der Hebamme oder von einer anderen Hausfrau [getauft wird]. Und diese Taufe soll so geschehen, dass mindestens zwei Frauen und die Mutter dabei sind; es geht diese [anwesenden Frauen] am meisten an. In solchen Notsituationen müssen die Weiber Bischöfinnen sein, damit sie [die Taufe] bezeugen können.149

Wenn das Kind, das so getauft wurde, lebt, soll es nachher zum Pfarrer gebracht werden, der diese Taufe unter Handauflegung bestätigen soll.150 Für die vorliegende Untersuchung ist es von Interesse, wie Luther implizit argumentiert und wie er nicht argumentiert. Der Grund, dass die Frauen das Kind im Notfall taufen, ist nicht ein Recht oder Fähigkeit ihrerseits zu taufen, sondern vielmehr die Heilsnotwendigkeit der Taufe für das Kind:151 Das Kind soll getauft werden, und die anwesenden Frauen sind die einzigen, die zur Stelle sind. Zudem werden die Amtsträger nicht dargestellt als diejenigen, die in der Regel nur das tun, was alle Christen gleichermaßen tun können – also als handelten sie nur stellvertretend für ihre Mitchristen –, sondern die taufenden Frauen werden als die Stellvertreter des nicht zu erreichenden Pfarrers dargestellt. Die „Bischöfinnen“ wirken stellvertretend für den Ortspfarrer, der die Taufe nachher bestätigen soll. Es kann auch nicht behauptet werden, dass des Pfarrers Taufe eine öffentliche sei, während die Frauen (in diesem Fall) privat tauften. Für Luther gibt es keine private Taufe, die als Taufe anerkannt werden kann; eine Taufe ist allemal öffentlich (oder sie ist schließlich – im Falle eines überlebenden Kindes – keine Taufe).152 Weder die Nottaufe noch die Notabsolution, von Laien erteilt, werden durch den Gedanken des allgemeinen Priestertums begründet, nicht zuletzt, weil Luther gar keine Begründung für sie braucht, da sie schon längst feste Bestandteile

149 Pr. 1863 [R] WA 47,657,10–17: “Wens nu geborn ist und ist so schwach, ut sorget, das nicht kan erleben. Hoc commissum sit mulieribus, quae expertae. Si ergo periculum, taufft irs unternander her. Baptismus est verus, modo istis verbis fiat: ,Ego baptiso‘, sive per obstetricem sive per aliam matronam. Et hoc fiat, ut adsint ad minus 2 mulieres et mater, die es am meisten angeht. In talibus necessitatibus müssen die weiber Episcopae sein, ut possint testari.” 150 Pr. 1863 [R] WA 47,657,18–20 und [S] 47,657,34–658,12. 151 Siehe Pr. 1863 [R] WA 47,654,17f und [S] 47,654,37–39; vgl. Kl. Kat.-Taufe,5f (BSLK 515,36–516,2). 152 Siehe Pr. 1863 [R] WA 47,657,21–659,3 und [S] 47,658,13–36. Die Frauen taufen öffentlich; deshalb sollen mindestens drei Frauen immer dabei sein. Es ist eben nicht die Meinung Luthers, dass alle Christen das zu Hause tun dürfen, was der Pfarrer in der Kirche tut: Es sind die Schwärmer, die so viele Kirchen aufmachen, wie sie Häuser haben (Pr. 1577 [R] WA 41,469,25f).

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Der ekklesiologische Aspekt

der kirchlichen Praxis gewesen sind.153 Von einer Situation, in der es keinen ordinierten Priester bzw. Amtsträger gibt, der den Sterbenden durch die Absolution trösten will, ohne nach seinem Geld und Besitz zu fragen, sagt Luther, „Da hat Christus uns alle geweiht und uns zu Priestern gemacht[, damit wir] ohne den Priester zu den Kranken [gehen sollen].“154 Hier ist es wiederum der Notfall selbst, der den Laien dazu bringt, die Absolution zu spenden; er wird in dieser Hinsicht durch die Situation selbst und die Grundbestimmung Christi für das Heil des Sterbenden geweiht und zu einem Priester – im Sinne von Amtsträger – gemacht.155

9.4.3 Donatismus auf Makro-Ebene „Vor Zeiten [sagten] die Donatisten und heute [sagen] die Wiedertäufer : [,]Wenn der Diener nicht heilig wäre, könnte die Taufe nicht recht sein.[‘]“ erklärt Luther in der Ordinationspredigt von 20. 10. 1535.156 Er sah in der donatistischen Irrlehre nicht ein abgeschlossenes Kapitel der Kirchengeschichte; er sah sie vielmehr von den Wiedertäufern, Rottengeistern und Enthusiasten neu belebt.157 Diese verhielten sich zum leiblichen Dienst der Amtsträger nicht anders als wie zum äußeren Wort und den Sakramenten.158 In Folge ihrer spiritualistischen Ausrichtung wurde die Wirkung der leiblichen Mittel (in denen doch Luther mit der großen Tradition der Kirche das mittelbare und effektive Sprechen und Handeln Gottes fand) von der Würde des Spenders und/oder der Würde des Empfängers abhängig gemacht, so dass die Mittel in ihrem konkreten Vermitteln schließlich theologisch überflüssig waren. Die beibehaltenen Riten wurden wesentlich anders gedeutet, so dass das Wirken Gottes von der Würde, der Heiligkeit, dem Glauben, der Geistesbegabung – also von irgendeiner inneren Einstellung oder Kapazität – des Empfängers und/oder des Spenders abhängig gemacht wurde.159 Sowohl pneumatologisch als auch ekklesiologisch verkehren die neuen Donatisten einen für Luther unverzichtbaren systematisch153 Vgl. Pr. 1697 [R] WA 46,170,3–9; s. o. 4.2.3, Anm. 194. 154 Pr. 1923 WA 49,141,5f: „Ibi Christus hat uns alle geweihet und zu priestern gemacht a priester usque ad infimos, […]“; hier lesen wir „infirmos“ für „infimos“. 155 Siehe die ausführliche Behandlung dieser Stelle oben bei 4.2.3 (dort bei Anm. 187–195); die Taufe wird als Grund für diese Weihe nicht genannt. 156 Pr. 1574 [R] WA 41,455,30f: „Olim Donatistae et hodie Anabaptistae: quando diener nicht heilig were, kund Tauff nicht recht sein,“; für Pr. 1574 siehe 6.1.1 und die weiteren Ausführungen in Kap. 6. Vgl. CA VIII,3 (BSLK 62,13f). 157 Für diese Gruppen siehe z. B. Pr. 1729 [R] WA 46,425,16; 46,426,10; [S] 46,427,22. Weiteres zum Thema im Allgemeinen: Wright, „Donatists in the Sixteenth Century“. 158 Pr. 1729 [R] WA 46,425,15–426,11. 159 Siehe z. B. Pr. 1697 [R] WA 41,167,20–23 und 41,169,16–170,6.

Dogmengeschichtlich verwandte Überlegungen

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theologischen Punkt in sein Gegenteil: Unter ihnen werden das innerliche Wirken des Heiligen Geistes und die innerlichen Einstellungen der Christen dem konkreten Regieren des Heiligen Geistes in der Kirche und seinem externen Handeln durch das Wort und die Sakramente über- und vorgeordnet. Luther beteuert genau das Gegenteil.160 Eine Darstellung des Amtsverständnisses Luthers bliebe unvollständig und insofern irreführend, wenn nicht das effektive Amtshandeln auch ungläubiger Amtsträger verantwortet werden kann. Ein Amtsverständnis, das Judas und falsche Apostel nicht verantworten kann, ist kein lutherisches Amtsverständnis. Diese Fälle sind eine Art Prüfstein für Luthers Amtsverständnis, denn er kann gerade die ungläubigen und verräterischen Amtsträger als tröstenden Beweis für das effektive Sprechen und Handeln Christi in dem und durch das Amt gebrauchen.161 Wenn also Georg Rietschel, der die bis heute noch vertretene Position J. W. F. Höflings fortsetzte, seine folgenreiche Monographie über Luther und die Ordination mit dem Satz beendet, „Rechte Pastoren sind wir nur dann, wenn und soweit als wir lebendige Christen sind,“162 so hat das nach Luther als ein fundamentaler Fehler zu gelten. Der Geist der Donatisten lebt bei Rietschel und in der Schule Höflings fort. In der Sakramentslehre der Kirche wurde dem als donatistisch gebrandmarkten Prinzip ex opere operantis das ex opere operato entgegengehalten. Als sie das damalige Sakramentsverständnis läuterten und reformierten, haben Luther und die Wittenberger Reformatoren ein ex opere operato-Verständnis des gepredigten Wortes und der Sakramente mit der großen Tradition der westlichen Kirche gegenüber der Irrlehre der Donatisten bejaht, und in Bezug auf den Empfänger sogar verstärkt.163 Weil die Aufgaben des Amtes gerade in der Predigt des Wortes und der Verwaltung der Sakramente liegen, erweist sich die oben geschilderte Linie, die Höfling, Rietschel und andere vertreten, als eine verfeinerte und fortentwickelte Form der alten donatistischen Lehre. Man könnte von einem Makrodonatismus reden, denn sie schiebt die donatistische Intention, die Wirksamkeit sakramentalen Sprechens und Handelns vom Glauben abhängig zu 160 Pr. 1729 [S] WA 46,427,26–28 mit [R] 46,427,12–17 im weiteren Kontext der Predigt. Vgl. WA 18,136,9–137,4 („Wider die himmlischen Propheten“, 1525); siehe auch die Ausführungen zu Pr. 1601 bei 7.3. Die Verwaltung des Wortes und der Sakramente dürfen nach Luther weder dem Willen der Amtsträger noch dem Willen der Gemeinde untergeordnet werden; dass gepredigt wird und die Sakramente verwaltet werden, ist nur im Willen Gottes zu begründen: Siehe Pr. 1844 [A] WA 47,525,2–30. 161 Pr. 1574 [R] WA 41,455,34; Pr. 1601 [R] WA 41,605,26–29; Pr. 1903 [R] WA 49,28,40–29,30. Siehe auch WA TR 1,137,28–138,5 (Nr. 342) und 1,285,7–286,12 (Nr. 605). 162 Rietschel, Luther und die Ordination, S. 112. Für Rietschel siehe 1.2 oben. Für den Hauch Speners, der sich in dem Wort „lebendige“ erkennen lässt, siehe Nagel, „Luther and Priesthood of Believers“, S. 295, Anm. 24. 163 Oberman, „Preaching in the Reformation“, bes. S. 14–18; Martens, „Ex opere operato“.

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Der ekklesiologische Aspekt

machen, auf eine höhere Ebene: Die Wirksamkeit des Wortes und der Sakramente wird abhängig nicht nur von der Gläubigkeit oder Heiligkeit des einzelnen Dieners, sondern vom ganzen glaubenden und heiligen Volk – oder dessen delegierenden Teil. Eine menschliche Instanz, die Glauben und Heiligkeit aufweisen muss, der effektiven und wirksamen Spende der Sakramente vorzuschalten, ist aber die Tendenz der donatistischen Irrlehre.164 Wer der Linie Höflings und Rietschels folgt, wird zwar in der Regel beteuern, dass er CA VIII keineswegs leugnen will. Er entgeht aber der Verwerfung dieses Artikels nur dadurch, dass er eine weitere Position einnimmt, die ebenfalls mit den lutherischen Bekenntnisschriften unvereinbar ist: Er versteht nämlich das Wort und die Sakramente nicht als aus sich heraus wirksame, kräftige Mittel, sondern eher als andeutende Zeichen, deren Wirksamkeit – wenn sie überhaupt etwas bewirken – vom Glauben des Empfängers abhängt.165 Kurz gesagt: Die Wirksamkeit des Wortes und der Sakramente sind nur deshalb nicht vom Glauben des Spenders abhängig, weil sie ohnehin nicht wirksam sind. Solche Gedanken fand Luther schon zu seiner Zeit bei den Wiedertäufern und Enthusiasten, die er nahe bei den Donatisten der alten Kirche sieht.

9.5

Das Amt als Ausgangspunkt der Kirche

In seiner Genesis-Vorlesung betonte Luther : „Die Kirche ist die Tochter des Wortes, vom ihm geboren, und nicht dessen Mutter.“166 Luther konstatiert eine systematisch-theologische Reihenfolge. Die Mittel, durch die Gott spricht und handelt, sind die Mittel, durch die er die Kirche ins Dasein ruft. Nicht um abstrakte Konzepte geht es dabei, noch in erster Linie um Begriffe, die sich erst im Rahmen der schon existierenden Kirche bilden, sondern um das leibliche, gepredigte Wort und die konkreten, externen Sakramente, die durch das Amt vermittelt werden und den Amtsträgern anvertraut sind. Gottes konkretes Geben und Handeln gehen der Kirche voraus. Sie setzt Sprechen zum Hören und Handeln zum Empfangen nicht erst aus ihrem schon existierenden Sein heraus, sondern sie hat ihr Sein aus Hören und Empfangen heraus.167

164 Lieberg, Amt und Ordination, S. 50 gibt bei bestimmten Schriften eine gewisse „Schwierigkeit“ zu, wenn Luthers Amtsbegriff auf dem allgemeinen Priestertum aufgebaut sein soll; er löst das Problem aber nicht. 165 Siehe 11.2 unten: J. W. F. Höfling (dort Anm. 6), Georg Rietschel (dort Anm. 10), und Harald Goertz (dort Anm. 12–17). 166 WA 42,334,12 (1535–1545). 167 Beweise dieser systematischen und höchst bedeutsamen ekklesiologischen Reihenfolge sind überall zu finden. Als Beispiel kann WA 38,221,18–35 genannt werden („Von der

Das Amt als Ausgangspunkt der Kirche

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Sein aus Hören und Empfangen bedeutet, dass das gepredigte Wort Gottes und die gespendeten Sakramente die Kirche lokalisieren – sie sagen, wo die Kirche ist, indem sie die Kirche aus sich heraussetzen – und nicht umgekehrt setzt die Kirche das Wort und die Sakramente.168 Es ist geradezu ironisch, dass manche der historischen Erben Luthers eine theologische Position vertreten, die er mit dem damaligen Papsttum identifiziert hat, indem sie das Amt und insofern das konkret gepredigte Wort und die konkret gespendeten Sakramente von den Gläubigen, die sie als die Kirche definieren, ableiten; ecclesia matrix verbi. Nach Luther gab es und gibt es immer Menschen, die behaupten, zur Kirche zu gehören, aber eigentlich nicht in der Kirche sind. Auf Kain und Abel führt Luther den Unterschied zwischen der falschen und der wahren Kirche zurück,169 den er als einen Unterschied des Gottesdienstes versteht. Kain ist Kain, weil nicht er von Gott empfängt, sondern weil Gott von ihm empfangen soll. Sein Hass auf Abel beruht darauf, dass Abel von Gott empfängt.170 Der Gottesdienst Abels ist einer, bei dem Gnade, Barmherzigkeit und Liebe Gottes empfangen werden, während bei Kain der Gottesdienst durch Opfern konstituiert ist.171 Zwar kommt dem priesterlichen Amt des allgemeinen Priestertums, das Luther bis in seine späteren Jahre betont, ein opfernder Charakter zu.172 Aber das Opfern und das Anabatische können nach Luther nicht der Ausgangspunkt oder das Fundament der wahren Kirche sein. Die ecclesia, deren Ekklesiologie unter dem Oberbegriff des Opferns organisiert wird, ist wohl noch ecclesia, aber nicht ecclesia vera sondern ecclesia falsa. In den Getauften, auf die der Heilige Geist ausgegossen ist,173 ist die ganze Kirche heilig und opfernd. Diese äußerst wichtige Feststellung Luthers ist aber nicht der Ausgangspunkt für seine Ekklesiologie, sondern vielmehr ein Ergeb-

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Winkelmesse“, 1533): Die Stücke des Reiches Christi gehen den Christen und der Kirche voraus; es heißt eben nicht „Wo nun die Kirche und etliche Heiligen noch geblieben sind, da sind gewisslich die Stücke“, sondern gerade umgekehrt. Für „Stücke“ siehe Anm. 45 oben. Pelikan, „Die Kirche nach Luthers Genesisvorlesung“. Pelikan, Spirit vs. Structure, bes. 135–138 (das Vorgehen ist von Struktur zum Geist). Pr. 1845 [A] WA 37,533,7–537,22: Heiligkeit ist nicht eine Sache des Seins, sondern eine Sache des Hörens; ein heiliges Sein kommt nur aus dem Hören des gepredigten Wortes der Propheten und Apostel. Apostel, Propheten und Prediger sind nicht von der Kirche abhängig oder durch sie bestimmt, sondern die Kirche ist von dem durch die Apostel, Propheten und Prediger gepredigten Wort abhängig und dadurch bestimmt. Wenn nach dieser Predigt Propheten und Apostel nicht von der Königlichkeit oder Priesterlichkeit des Volkes abzuleiten sind, wie sollen nach Luther Prediger von der Königlichkeit und Priesterlichkeit des allgemeinen Priestertums abgeleitet werden? S.o. bei Anm. 26–31. Pr. 1883 [R] WA 47,786,15–787,7f. Pr. 1883 [R] WA 47,787,7–27. S.o. 9.4.1. Pr. 1542 [R] WA 41,243,12 und 28 und 41,244,1f.

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Der ekklesiologische Aspekt

nis, zu dem diese Ekklesiologie kommt. Das mündliche, gepredigte Wort, das den Predigern und Pastoren zugeschrieben ist, ist die Voraussetzung für die Existenz des Volkes Gottes, gewährleistet von Gott selbst durch das Amt.174 Der heilige Schmuck des heiligen Volkes ist nicht ihr eigenes Opfern, sondern liegt in den Amtshandlungen, die den Menschen widerfahren.175 Indem die Kirche durch das Amt der Prediger entsteht, kann Luther sogar sagen, dass der Prediger die ganze Kirche opfert,176 denn durch sein Reden und Tun ist die Kirche erst ein opferndes Wesen geworden, dessen Opfer Gott gefällt; erst indem ihr Wesen, ihre Identität und ihr Status vor Gott konkret geschenkt werden, wird die Kirche zu einem „Volk, das freiwillig opfert“.177 Die Kirche muss nicht erst opfern, um das zu werden, was sie ist. Sondern weil sie das ist, was sie ist, opfert sie. Die Kirche, das heilige Volk Gottes, opfert, indem sie leidet, vieles um Christi willen verliert, sowie keusch und züchtig lebt.178 Das Zeuge-Sein der Christen versteht Luther auch als eine Art des Opferns: Ihr Predigen ist eine bekennende Rede, für die sie gegebenenfalls auch leiden müssen.179 Für das, was die Kirche als die wahre Kirche tut, – eine vielseitige und allumfassende Fülle! – ist Voraussetzung Gottes konkretes, gnädiges Reden und Tun, das der Kirche äußerlich zukommt durch das Amt. Der Aussage des Tractatus von Melanchthon, der Luthers Schmalkaldischen Artikeln angehängt wurde, nämlich dass die Kirche auf das Amt gebaut ist, stimmte Luther in seinen Predigten zu.180 Das Amt ist nach Luther kein Anhängsel der Ekklesiologie, sondern vielmehr ihr Ausgangspunkt, von dem aus die Kirche zu dem wird, was sie ist, nämlich ein christliches heiliges Volk. Mittelbar heiligt Christus seine Kirche durch dieses Amt.

Zusammenfassung In Luthers homiletischer Darstellung ist die Kirche nicht in erster Linie ein Begriff, sondern vielmehr die institutionelle, ekklesiale Lebenswirklichkeit, die er vor Augen hat. Die „Stücke“ der Kirche, anhand denen Luther Fragen nach dem „Wer?“, „Was?“ und „Wo?“ der Kirche beantwortet, sind die Mittel, durch die die Kirche ins Leben gerufen und erhalten wird, und haben deshalb in zweiter Linie ihre Funktion als Kennzeichen der Kirche (notae). Zu ihnen zählen 174 Pr. 1542 [R] WA 41,245,5f; 41,247,4–14; 41,246,10–16. 175 Pr. 1542 [R] WA 41,246,11–20 und 41,247,16f; vgl. auch 41,247,19f mit 41,246,1f. 176 Pr. 1542 [R] WA 41,245,22f. Das priesterliche Volk ist mit dem Hohenpriester, Christus, durch das Amt der Prediger verbunden: Siehe WA 41,247,24. 177 Pr. 1542 [R] WA 41,245,15f: „Es soll populus sein ens freywilligen opfers, […]“ (Hervorhebung JM); siehe Ps 110,3. 178 Pr. 1542 [R] WA 41,245,6–26. 179 Pr. 1542 [R] WA 41,245,3–5 und 15–26; 41,246,4. 180 Tr 25 (BSLK 479,13–21). Siehe auch Piepkorn, „Symbols about the Church“, S. 42.

Das Amt als Ausgangspunkt der Kirche

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auch das Wort und die Sakramente, die den Amtsträgern von Gott aktiv anvertraut sind und durch die sie die Kirche zu regieren haben. Die Wirkmittel der Kirche (genitivus objectivus) gehen der Kirche systematisch-theologisch voraus und sind den Amtsträgern als einer ausgewählten Gruppe anvertraut. Beachtet man dies, dann verfängt man sich nicht in Widersprüchen, die ein ekklesiologisches System hat, das die Kirche als Versammlung der Gläubigen für creatura euangelii halten will, aber sie gleichzeitig und notwendigerweise als ihre eigene Schöpferin darstellt. Darüber hinaus tragen Nebenthemen zur weiteren Entfaltung des ekklesiologischen Aspekts in Luthers Amtsverständnis bei: Erstens, das kirchliche Amt entsteht nicht aus dem allgemeinen Priestertum, sondern das allgemeine Priestertum entsteht vielmehr aus Gottes Sprechen und Handeln durch das Amt. Zweitens, die Nottaufe (und Notbeichte) wird nicht durch irgendwelche Grundrechte der Gläubigen auf eigenen Vollzug von Amtshandlungen begründet, sondern allein durch ihre Heilsnotwendigkeit für das zu taufende Kind; in solchen Notsituationen handeln anwesende Christen anstatt der abwesenden Amtsträger. Drittens, ordnet man systematisch-theologisch den Glauben dem Amt vor, so liegt die alte Irrlehre der Donatisten nahe; diese Tendenz kann man wohl manchen der historischen Erben Luthers zuschreiben, nicht aber Luther selbst. Für Luther ist hingegen vielmehr das Amt der Kirche, also der Versammlung der Gläubigen, vorgeordnet.

10. Einordnung des amtstheologischen Inhalts der untersuchten Predigten in den weiteren Horizont der Theologie Luthers

Nachdem das Zentralmotiv der Präsenz Christi im Amt aus mehreren Blickwinkeln untersucht und dargestellt wurde (Kapitel 3–9), soll nun der Versuch gemacht werden, die amtstheologischen Ergebnisse der vorigen Kapitel in den breiteren Horizont von Luthers Theologie einzuordnen. Aufbauend auf die vorangegangenen Kapitel, übernimmt das folgende Kapitel in gewisser Hinsicht die Funktion einer Zusammenfassung. Dennoch ist primärer Zweck nicht, das Bisherige kurz darzustellen, sondern anhand des ausführlicheren Befunds der Kapitel 2–9 gezielt zu zeigen, welchen Platz das Amt und die Amtsträger in Luthers Theologie einnehmen – so wie er sein Verständnis davon in den Jahren 1535 bis 1546 homiletisch präsentiert hat. Anders als in den vorigen Kapiteln, wo wir bemüht waren, den Rahmen, die Gliederung und den Inhalt des jeweiligen Kapitels so weit wie möglich direkt aus den untersuchten Predigten abzuleiten und erst in zweiter Linie Sekundärliteratur heranzuziehen, wird sich das 10. Kapitel notwendigerweise in höherem Maß auf die Arbeit anderer Wissenschaftler beziehen müssen. Gegenüber dem 11. Kapitel, das eine breitere systematische Auswertung anstrebt, will das 10. Kapitel soweit wie möglich nur die Theologie Luthers in den Blick nehmen.

10.1 Amt und Rechtfertigung: Der kommende Gott Darüber, dass die Rechtfertigung des Sünders vor Gott das Zentrum der Theologie Luthers ausmacht, besteht in der Wissenschaft Konsens:1 „[D]er schuldige und verlorene Mensch und der rechtfertigende Gott oder Retter“ also „de[r] sündigend[e] Mensch“ und „de[r] rechtfertigend[e] Gott“ sind für Luther das Thema der Theologie,2 und dieses zentrale subiectum der Theologie durchzieht 1 Bayer, Martin Luthers Theologie, S. 27–40; Ebeling, Luther: Einführung, S. 120–136 (bes. 124); Lohse, Luthers Theologie, S. 47–54 und 274–282. 2 WA 40/II,327,11–328,2 („Ennarratio Psalmorum LI“, 1538): „Cognitio dei et hominis est

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Einordnung in den Horizont der Theologie Martin Luthers

das Ganze. Der Mensch wird allein aus Gnade, allein durch den Glauben selig und vor Gott gerecht. Dies schließt aber nicht aus, sondern vielmehr ein, dass Menschen durch das Wirken des Amtes und der Amtsträger selig werden: „Nachdem er sagt[, ,]Wer ist Petrus? [Wer ist] Paulus?[‘] [sagt er, ,Wir sind] Haushalter Christi, durch die ihr geglaubt habt. Christus sandte [uns] als seine Diener, die das Amt verwalten, durch das ihr selig werdet.[‘]“3 Es besteht also die Aufgabe, nach dem Verhältnis zwischen der Rechtfertigung und dem Amt zu fragen. Zunächst muss aber Luthers Verständnis der Rechtfertigung näher bestimmt werden. Sie ist allein Gottes Werk – ein schöpferisches Werk, bei dem Gott aus dem Nichts (ex nihilo) schafft.4 Dieses schöpferische Werk ist nicht als ein zeitloses Prinzip zu verstehen, sondern als ein dramatisches Geschehen, das sich in einer kommunikativen Konfrontation zwischen Gott und dem sündigen Menschen ereignet, der vom Gesetz Gottes erschrocken und getötet und durch sein Evangelium lebendig gemacht und in gerechte Beziehung mit ihm gesetzt wird.5 Anhand der untersuchten Predigten Luthers ist das konkrete und insofern mittelbare Kommen Christi rechtfertigungstheologisch entscheidend, denn dieses Kommen sichert die Rechtfertigung ab als ein schöpferisches Werk Gottes, das ihm allein zusteht, sowie den Unterschied zwischen einem sich gebenden Gott und einem Gott, der ein Entgegenkommen irgendwelcher Art von den Menschen fordert, – also der Unterschied zwischen dem Evangelium und dem Gesetz.6 Das primäre Moment im Kommen Gottes zu den Menschen, welches das Ganze seines konkreten und mittelbaren Kommens prägt und bestimmt, liegt in der Inkarnation des Sohnes.7 In der Inkarnation wird der durch die Sünde

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sapientia divina et proprie theologica, Et ita cognitio dei et hominis, ut referatur tandem ad deum iustificantem et hominem peccatorem, ut proprie sit subiectum Theologiae homo reus et perditus et deus iustificans vel salvator.“ Pr. 2018 [R] WA 51,97,24–26: „Post dicit: Quid Petrus, Paulus? Oeconomi Christi, per quos credidistis. Christus emisit ut suos ministros, qui funguntur offitio, per quod salvamini.“ Siehe I Kor 3,5 und 4,1. Für die Überschneidung der Anrede des Apostels und der Anrede Luthers sowie die allgemeine Verschränkung von Aposteln und Amtsträgern siehe 4.1.1 und 2.2.1. Althaus, Theologie Martin Luthers, S. 109–118 (bes. S. 110f). S.u. bei Anm. 53. Bayer, Martin Luthers Theologie, S. 27 und 37f; die Verbindung, ja, sogar das Identisch-Sein der Rechtfertigung und der sich ereignenden Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium betont auch Ebeling, Luther: Einführung, S. 124. Für das Kommen Gottes siehe WA 26,506,4 und 11 (das Kommen der Gnade und des Heiligen Geistes in trinitarischer und rechtfertigungstheologischer Perspektive nach „Vom Abendmahl Christi, Bekenntnis“, 1528); vgl. Prenter, Spiritus Creator, S. 40f. Vgl. Luthers Lied, „Nu frewt euch lieben Christen gmeyn“, 1523 (Evangelisches Gesangbuch [EG], 341; WA 35,422–425): Vor den Strophen 7 und 8, in denen „der Schlüssel zum Ver-

Amt und Rechtfertigung: Der kommende Gott

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entstandene Abstand zwischen Gott und Menschen tödlich ernst wahrgenommen. Gott selbst entäußert sich und nimmt menschliches Fleisch an; er kommt „herunter“:8 Die Kenosis ist katabatisches Geschehen; die Initiative liegt bei Gott; die Richtung ist von Gott zu den Menschen – von oben nach unten.9 Die Inkarnation, die auf die Kreuzigung hinauslief, ist Gottes definitive Antwort auf die Frage, ob Menschen ihm nachlaufen müssen, oder ob er nicht vielmehr ein Gott ist, der den Menschen nachläuft und selbst allen Abstand zwischen sich und ihnen überwindet.10 „Ich muss zu euch kommen,“ sagt Christus.11 Muss nun aber der Mensch nicht irgendwie Gott entgegenkommen, um mit ihm und vor ihm gerecht zu sein? Muss er sich nicht als würdig erweisen, sich vorbereiten12 oder die Verdienste eines sich vor anderen Menschen auszeichnenden Lebensweges aufweisen können?13 Muss er nicht – und zwar in der Tat – schließlich seine Antwort auf die Frage, „Wie finde ich einen gnädigen Gott?“ geben?14 Ohne die treibende und erschütternde Stimme des Gesetzes, das hinter solchen Fragen steckt, vom Tisch zu wischen, beruhigt Luther diejenigen, die ein geängstigtes Gewissen haben, indem er zeigt, wie Gott sie findet – wie, wann, wo und wodurch er zu ihnen kommt. „Er kommt zu uns und sagt uns, wie er mit uns sein will […]. Durch unser Predigtamt.“15 Er kommt, indem er sendet: „[,]Ich muss zu euch kommen und Propheten senden.[‘] […] [E]r kommt zu uns durch seine Gesandten und Diener […].“16

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ständnis der Rettungsgeschichte“ (Bayer, „Sein Christi im Glauben“, S. 105) zu finden ist, steht das inkarnatorische Kommen Christi in der Strophe 6. Pr. 1881 [Dr] WA 47,773,35f; siehe auch besonders 3.4. Vgl. Prenter, Spiritus Creator, S. 35–42 für Luthers Unterschied zur augustinischen Tradition der westlichen Kirche und zur „aufwärtsführende[n] Linie“ in ihrer Gottesvorstellung. Nach Luther ist Gott kein ruhender Punkt oder Ziel, zu dem der Mensch kommen muss, sondern kämpfend sucht Gott den Menschen auf; in dieser Hinsicht vgl. Vajta, Theologie des Gottesdienstes, bes. S. 141–148. Pr. 1843 [A] WA 47,518,24: „Ehr wil ihnen nachlauffen.“ (vgl. 47,519,22; 47,520,24); 47,521,27f: „[…] ehr zu uns kompt und uns nachleufft.“ Siehe auch Kleinig, „Ordered Community“: Aufgrund von Inkarnation und Tod Christi verweisen die apostolische Schriften auf „a spiritual revolution downwards“ (S. 406). Für das Gegenteil vgl. SA-II,II,18 (BSLK 422,14f). Pr. 1843 [A] WA 47,521,31: „Ich mus zu euch kommen […].“ Die Erklärung zum dritten Artikel im Kl. Kat. betont denselben Punkt von der anderen Seite: „Ich glaube, daß ich nicht […] zu ihm [i. e. Jesus Christus, meinem HErrn] kommen kann, […]“ (BSLK 511,46–512,1). Pr. 1881 [Dr] WA 47,776,5–8, 17, 24 und 27. Pr. 1854 [A] WA 47,597,16–600,17: Luther wirft den Mönchsorden vor, die Menschheit Christi nicht verstanden zu haben (siehe bes. 47,598,6–20). Siehe 8.1; vgl. Pr. 1843 [A] WA 47,521,13: „einen gnedigen Gott zu suchen“. Pr. 1926 [R] WA 49,168,34–36: „venit ad nos und sagt uns, quomodo velit nobiscum esse […]. Durch unser ministerium.“ Siehe 2.1 und 2.2.3. Pr. 1843 [A] WA 47,521,31–33: „Ich mus zu euch kommen und senden Propheten; sonst werden wirs nicht finden. Aber es kompt zu uns durch seine gesanthen und diener, als durch die Tauffe, Predigtstuel, Sacrament des altars.“ (im Kontext weist „es“ auf Gott sowie auf den Himmel). Vgl. auch Pr. 1926 [R] WA 49,168,11, 34 und 37, und 49,169,3 und 34 mit 49,168,36.

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Einordnung in den Horizont der Theologie Martin Luthers

Das Evangelium als Evangelium umfasst seine eigene Zueignung,17 ist mit dem Modus seiner eigenen Vermittlung und Austeilung verbunden; wird aber dabei eine Aneignung seitens des Menschen gefordert oder zur Bedingung gemacht, ist das Evangelium nicht mehr das Evangelium. Durch Zueignung beseitigt Gott als der Geber,18 der Fleisch angenommen hat, jede Frage nach Aneignung und bringt sich und sein Heil nahe: „[…] [E]r will nachlaufen und Prediger schicken und den Leuten die Seligkeit ins Haus bringen.“19 Die Vermittlung und Zueignung seines Heilswerkes erfolgen durch äußere, leibliche Mittel, die seiner eigenen Inkarnation entsprechen:20 In der Taufe, im Sakrament des Alters, in der Predigt sowie in der Absolution „[…] schlägt er den Jahrmarkt seiner Gnade vor der Tür auf“, so dass Menschen seine Gnade „hart vor den Nasen und daheim“ haben.21 Die Heils- oder Gnadenmittel, die auch Wirkmittel

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Siehe auch WA 45,519–527 („Das 14. und 15. Kapitel S. Johannes“, 1538), wo die christologische Herunterlassung Gottes mit dem Amt und den Gnadenmitteln gekoppelt wird, während das Hinauf-Klettern des Menschen abgelehnt wird. Siggins, Luther’s Doctrine of Christ, S. 54 und 57; für „Zueignung“ siehe Bayer, Martin Luthers Theologie, S. 216. Für eine programmatische Definition von Gott als Geber siehe WA 26,505,38–506,9 („Vom Abendmahl Christi, Bekenntnis“, 1528); vgl. Anm. 6 oben. Pr. 1843 [A] WA 47,519,22f: „[…] ehr wil nachlauffen und prediger schiecken und ins haus den leuthen die seligkeit bringen.“ Vgl. Pr. 1851 [A] WA 47,573,37–575,35: Weil Gott seine Gnadenhandlungen nahe bringt, muss der Mensch nirgendwo hingehen; er darf bleiben wo er ist, also zu Hause, in seinem Stand. Siehe auch Pr. 1651 [R] WA 45,113,18–40: In diesem Abschnitt, in dem man keinen Unterschied zwischen der Anrede des Predigers und der Anrede Gottes feststellen kann, ist es nicht nur klar, dass Luther sich als ein heilshandelndes Instrument Gottes versteht, sondern auch, dass Luther von einer göttlichen Autorität und Wirksamkeit der Predigt ausgeht, die keiner Aneignung seitens der Zuhörer bedarf. Luther versteht sein Predigen als erfüllt von göttlicher, selbstständiger Autorität, der nicht von den Zuhörern zugestimmt werden muss, um wahr, gültig und effektiv zu sein. Siehe 3.2 und 6.2.3.2. Vgl. auch Pr. 1964 [R] WA 49,454,3 und 7f (im weiteren Kontext der Predigt): Gerade indem er Mittel verwendet, hat Christus vom Erwerb bis zur Zueignung des Heils alles in der Hand. Vgl. auch Kleinig, „Luther on God’s Self-Localization“ und Wingren, „Träger des fleischgewordenen Wortes“. Siehe auch WA 42,626,4–8 (Genesis-Vorlesung, 1535–45): „Gleichwie ich von keiner anderen Kirche vor der Ankunft Christi weiß, außer derjenigen, die im Haus Abrahams war und durch die Beschneidung gekennzeichnet war, so [auch] nach der Ankunft Christi weiß ich von nichts, außer Christus – und ihn gekreuzigt –, der sich uns in sichtbaren Formen zugänglich macht, im Gebrauch der Schlüssel, in der Eucharistie. Dort weiß ich, dass ich Gott finde; dort und sonst nirgendwo bekomme ich Vergebung der Sünden.“ („Ego sicut nescio ante adventum Christi aliquam Ecclesiam praeter illam, quae fuit in domo Abrahae, et circumcisione notata fuit: Ita post Christi adventum nihil scio, quam Christum, eumque crucifixum, qui se patefacit nobis in visibilis formis, in usu clavium, in Eucharistia: Ibi scio, quod Deum invenio, ibi remissionem peccatorum consequor, et alibi nusquam.“). Pr. 1843 [A] WA 47,521,8–14: „[…] die gnade, das ehr den jarmarckt seiner gnade fur der thur auffschlegt, als die Tauffe, Sacrament des altars und den Predigtstuel, Ehestand, das kinder und gesinde wissen, wie sie sich in ihrem beruff halten sollen, und gedenke, es sej dein stand Gottes ordnung, alleine das du dich drinnen fur sunden, laster und schanden hutest, und darffst do nicht gen Rhom lauffen, einen gnedigen Gott zu suchen, den hardt fur den

Amt und Rechtfertigung: Der kommende Gott

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der Kirche sind,22 schweben nicht sozusagen ungebunden im freien Raum und fordern gleichsam von Einzelnen oder von der Kirche, dass diese sie erst ausüben müssen, sondern sind von Anfang an mit denen verbunden, denen sie anvertraut wurden, die sie zuzusprechen und auszuteilen haben, nämlich den Aposteln und ihren Nachfolgern, den Amtsträgern der Kirche.23 Auch in Bezug auf sie scheut sich Luther nicht vor leiblicher, christologischer Bestimmtheit: Christus selbst macht sie zu Amtsträgern der Kirche durch die mittelbare, leibliche Handlung der Ordination.24 Nach Luther ist die Gerechtigkeit des Glaubens in einem von Gott geordneten Kultus verortet, in dem Gott selbst nicht nur verhüllt und verborgen präsent ist, sondern auch mittelbar spricht und handelt.25 In diesem Kultus ist das katabatische Reden und Tun Gottes von der anabatischen Tätigkeit der Christen zu unterscheiden.26 Es gehört also zu der gnädigen Präsenz Gottes, zur Präsenz Christi zwischen seiner Himmelfahrt und seiner Wiederkunft, dass die Amtsträger in diesem Kultus predigen, absolvieren und die Sakramente spenden, dass er durch sie konkret, mittelbar und also gewiss spricht und handelt. Die Amtsträger sind Instrumente und Organe, in denen Christus redend und han-

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nasen und doheime hastu ihnen.“ Vgl. Pr. 1854 [A] WA 47,596,6–20 (im weiteren Kontext der Predigt): Christus ist mit den Gnadenmitteln in der lokalen Pfarrei zu finden. Siehe auch Yeago, „The Catholic Luther“, S. 27 für Luthers „strategy of particularity“. Siehe 9.2. Für die Amtsträger als Nachfolger der Apostel siehe 4.1.1–2; für die Verwobenheit der Amtsträger mit den Gnadenmitteln siehe besonders 6.2.3.3. Siehe auch Masaki, „Response to Rosin“. Siehe 6.3. Siehe u. a. Pr. 1555 [R] WA 41,345–349: Wie die Gerechtigkeit des Gesetzes, so ist die Gerechtigkeit des Glaubens mit einem Kultus verbunden (41,347,23ff und 41,348,27ff). Die Gerechtigkeit des Gesetzes ist mit einem Kultus verbunden, bei dem Gott abwesend ist (41,348,30f). Weil Gott abwesend ist, so ist der Glaube, die Ursache für alle Gott gefallenden Dienste an den Mitmenschen, auch abwesend (WA 41,348,7; vgl. 41,348,11: „ablata“; für das Gegenteil: 41,348,13). Beim wahren Kultus ist Gott anwesend (WA 41,348,19 und 30f und 41,349,30f). WA 41,348,30–349,2: „Unser Kultus aber [ist] ein reiner Tempel, wenn ich predige, die Taufe spende und absolviere. Dann wird Gottes Name heilig gebraucht.“ („Sed noster cultus rein templum, quando praedico, baptismum administro, absolvo, Ibi sancte nomen dei wird gebraucht.“) Der rechte Kultus und die göttliche Gerechtigkeit, die durch die Predigt, die von der Kanzel geschieht (WA 41,349,7f), durch die Taufe, durch die Absolution und durch das Sakrament definiert werden (41,348,30–349,2 und 41,349,21), sind ein Kultus und eine Gerechtigkeit, die mit der ersten Tafel des Gesetzes zu tun haben (41,349,16). Dieser Kultus und diese Gerechtigkeit der ersten Tafel haben eine gewisse Doppelseitigkeit: Einer predigt, und einer hört; einer tauft, und einer wird getauft; einer absolviert und reicht das Sakrament dar, und einer wird absolviert und empfängt das Sakrament (WA 41,349,1.21). Hieraus folgt gerechtes Leben nach der zweiten Tafel des Gesetzes (siehe WA 41,349,27). In Bezug auf sein Amt ist Luther der, der predigt, tauft, absolviert und das Sakrament darreicht. Als Sünder und Christ ist Luther der, der die Predigt hört, getauft und absolviert wird und das Sakrament empfängt (vgl. WA 41,349,15 wo beide Seiten zum Ausdruck kommen). S.u. bei Anm. 69 für den anabatischen Gegenpart von Pr. 1555.

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delnd anwesend ist.27 Sie bilden mit den Gnadenmitteln ein größeres Ganzes,28 das dem Einzelnen sowie der Gemeinde gegenübersteht, das diesen extern bleibt und in Bezug auf das Heil all ihr Werk und Tun ausschließt.29 Dass Christus in den Amtsträgern aktual – redend und handelnd – präsent ist,30 schließt menschliche Aneignungstätigkeit aus und göttliche Zueignung ein.31 Es versichert, dass die Gaben der Predigt, der Taufe, der Absolution und des Abendmahls – auch von der Kirche – als Gaben empfangen und nicht als Aufgaben verstanden werden. Christi Präsenz im Amt und seine Tätigkeit durch das Amt ist der Modus seines Kommens, der sowohl von Seiten des Einzelmenschen als auch von Seiten der Gemeinde ausschließt, dass sie ihrerseits erst kommen müssen. Für Luther bildet das „nur die Apostel“ und „nur durch die Predigt der Apostel“ das Pendant zu „ohne alle unsere Verdienste [und] Werke“.32

10.2 Konkretes Kommen und partikulare Präsenz oder apriorische Existenz?: Die Präsenz Christi im Amt und im Glauben Im Einklang mit der Apologie des Augsburger Bekenntnisses hat Luther behauptet und homiletisch vermittelt, dass „Gott […] im Amt gegenwärtig [ist].“33 27 Siehe besonders 6.2.1. Siehe auch z. B. WA 43,32,21–23 (Genesis-Vorlesung, 1535–45): „So ist Gott in der Taufe, im Abendmahl [und] im Gebrauch der Schlüssel präsent: Sein Wort ist da. Also, auch wenn wir ihn nicht sehen und hören, sondern den Diener, dennoch ist Gott selbst wahrhaftig gegenwärtig, tauft und absolviert.“ („Sicut in Baptismo, in coena, in usu clavium praesens est, est ibi verbum ipsius, etsi igitur eum non videmus nec audimus, sed ministrum, tamen ipse Deus revera adest, baptisat et absolvit.“). 28 Siehe besonders 6.2.3. 29 Siehe besonders 7.1–2. Vgl. Bayer, „Sein Christi im Glauben“, S. 103: „im Dativ des Beschenktseins“. 30 Vgl. WA 31/I,199,11–200,4 („Der 82. Psalm ausgelegt“, 1530), wo Luther die Amtsträger mit dem Tempel, dem Ort der Präsenz Gottes, vergleicht. Diese Schrift macht deutlich, dass Gott mittels der Amtsträger in der Gemeinde ist: WA 31/I,196,4–8. 31 Vgl. Oberman, „Preaching in the Reformation“, S. 15: „[…] Luther […] teaches an ex opere operato doctrine […] as the certain presence of the Word of God in the mouth of the preacher.“ 32 Pr. 1546 [R] WA 41,263,14: „[…] nur die Apostel machen ihren Mund auf; sie hören [nur] usw.“ („[…] tantum aperiunt Apostoli os, ipsi audiunt & c.“; Hervorhebung JM); 41,263,10–12: „[…] das ganze Buch bezeugt überall, dass der HErr während des Pfingstfests den Heiligen Geist den Würdigen und den Unwürdigen nur durch die Predigt der Apostel gab, [oder] wenn Paulus, Barnabas und Petrus [sonst gepredigt haben] kam er herab auf die Heiden.“ („[…] totus liber per totum testatur, quod dominus dedit spiritum sanctum in pentecostes feriis dignis et indignis tantum per praedicationem Apostolorum, quando Paulus, Barnabas et Petrus ipse descendit ad gentes, […]“; Hervorhebung JM); 41,263,7f: „ohne alle unsere Verdienste [und] Werke“ („sine omnibus nostris meritis, operibus“; Hervorhebung JM). 33 Apol XIII,12 (BSLK 294,6–8): „[…] Deum […] adesse in ministerio.“

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Die Präsenz Christi im Amt ist jedoch nicht die einzige Art seiner Präsenz, sondern sie ist nur eine Präsenzweise unter anderen Präsenzweisen. Eine davon muss an dieser Stelle besonders berücksichtigt werden, nämlich die Gegenwart Christi im Glauben. „[…] In diesem Glauben ist Christus präsent.“ konstatiert Luther in seinem großen Galaterkommentar.34 Diese Ansicht konnte er bereits 1519 vertreten, als er über Gal 3,20 sagte: „[…] durch den Glauben wohnt Christus in [ihm d. h. dem Gerechten] […].“35 Ähnlich sprach Luther auch von der Vereinigung Christi mit der Seele des Glaubenden: Die Seele des Glaubenden wird durch den Glauben mit Christus vereinigt.36 Es ist also klar, dass nach dem Verständnis Luthers Christus im Glauben und im Glaubenden präsent ist. Von den jeweiligen Kontexten dieser Belegstellen her, die die Gegenwart Christi im Glauben bezeugen, ist es auch deutlich, dass die Präsenz Christi im Amt und seine Präsenz im Glauben keineswegs einander widersprechen oder unvereinbar bleiben, sondern zwei Seiten ein und derselben Sache sind, die sich schließlich auch systematisch-theologisch einander zuordnen lassen. Sowohl in seinem Kommentar über den Galaterbrief von 1519 und dem von 1535 spricht Luther vom Glauben und von der Präsenz Christi im Glauben nicht als von einer vorgegebenen und schon immer existierenden Sache, sondern er erläutert ausdrücklich, wie der Glaube entsteht oder wie er zu dem Glaubenden gekommen ist. „Der Glaube aber [kommt] durch das Wort Christi, durch das der Name des HErrn gepredigt wird, […]“37 Dennoch ist Christus einmal zur vorherbestimmten Zeit gekommen; auch der Glaube ist einmal gekommen, als die Apostel das Evangelium durch die ganze Welt predigten. Sodann kommt Christus noch täglich auf geistliche Weise; auch der Glaube kommt täglich durch das Wort des Evangeliums.38 34 WA 40/I,229,15 (1535): „[…] in ipsa fide Christus adest.“. Andere Stellen aus der Vorlesung (1531) und dem Kommentar (1535) belegen wörtlich bzw. faktisch diese Ansicht: WA 40/ I,165,3 und 19; 40/I,233,3 und 17f; 40/I,235,4 und 22. Aus diesen Schriften hat bekanntlich Mannermaa, Der im Glauben gegenwärtige Christus Titel und Ansatz gewonnen; siehe besonders S. 11–93 (für WA 40/I,229,15 besonders S. 36–39 und 91). Es muss hier dieser Hinweis genügen. Eine Untersuchung der weiteren Luther-Forschung Mannermaas und der sogenannten finnischen Luther-Interpretation würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. 35 WA 2,502,12f (Galaterkommentar, 1519): „Tum vivit iustus non ipse, sed Christus in eo, quia per fidem Christus inhabitat et influit gratiam, […]“. 36 WA 7,25,26–26,12 („Von der Freiheit eines Christen Menschen“, 1520), mit Bezug auf den „frölich wechßel und streytt“, bei dem die Seele die Güter und Seligkeit Christi empfängt und er die Untugend und Sünde der Seele annimmt. Einen ähnlichen Vereinigungsgedanken findet man auch bei WA 2,490,17–20 (Galaterkommentar, 1519), wo das Herz des Anrufenden und Gottes Name ein Ding sind und zusammenhängen. 37 WA 2,490,20f (Galaterkommentar, 1519): „Fides autem per verbum Christi, quo praedicatur nomen domini, […]“ 38 WA 40/I,538,29–31 (Galaterkommentar, 1535): „Tamen semel Christus venit praefinito

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Auch nach der Freiheitsschrift hängt der Glaube, der die Seele mit Christus vereint, vom gepredigten Evangelium ab, das den Christenmenschen frei und fromm (= gerecht) macht.39 In diesen Schriften ist (systematisch gesehen) dem Glauben und der Präsenz Christi im Glauben das äußere, gepredigte Wort vorgeordnet, und dieses Wort zusammen mit den Sakramenten ist dem apostolischen Amt zugeordnet. Es gibt keinen Glauben ohne das gepredigte Wort und die gespendeten Sakramente;40 es gibt keine Präsenz Christi im Glauben ohne das Kommen Christi zu dem dann Glaubenden, was wiederum das apostolische Amt und die gesandten Amtsträger bedingt.41 Indem Jesus Christus im Amt präsent ist, ist er dem Glaubenden und der Kirche als Kommender präsent. Tritt er den Glaubenden gegenüber, dann erfolgt tempore, semel venit et fides, cum Apostoli Evangelium per totum mundum praedicaverunt. Deinde quotidie etiam venit spiritualiter Christus, Venit et per verbum Evangelii quotidie fides, […]“. Bei 40/I,537,35–538,16 wird das ständige Kommen Christi in der Gegenwart mit dem (gepredigten) Evangelium, der Absolution und den Sakramenten verbunden. In Bezug auf „spiritualiter“ haben wir bereits gesehen, dass das innerliche oder geistliche Handeln Christi nicht Wort und Sakramente, die durch die Amtsträger gepredigt und gespendet werden, ausschließt, sondern vielmehr einschließt und durch sie bedingt wird: Siehe 7.3 (Pr. 1601: „innerliches Ausgießen“). Siehe auch WA 40/I,262,12–263,15 (Galaterkommentar, 1535): Christus ist durch die Predigt des Apostels, in der das Evangelium vom Gesetz unterschieden wird, in das Gewissen gekommen und hat sich dort niedergelassen. Für die apostolische Kontinuität des Amtes im großen Galaterkommentar siehe 4.1.3.1 (dort bei Anm. 85 und 91) sowie 4.2.1 (dort bei Anm. 152). 39 Es ist äußerst wichtig, dass dieser Abschnitt im weiteren Kontext des ersten Teils der Freiheitsschrift (WA 7,20,24–30,10) gelesen wird. Wenn Luther betont, dass kein äußerliches Ding den inwendigen, geistlichen Menschen frei oder fromm machen kann (WA 7,21,20–22), rechnet Luther dabei das gepredigte (und insofern leibliche und äußerliche!) Wort keineswegs zu solchen „äußerlichen“ Dingen. Denn es ist gerade das gepredigte, zugesprochene Evangelium, so wie es in der Schrift gefunden wird, das den Christenmenschen frei und fromm macht (WA 7,22,3–5; vgl. auch 7,22,26; 7,24,12; 7,29,13–22). Der Glaube hängt an dem gepredigten Evangelium (WA 7,24,22–31f); der Glaube hängt von der Predigt ab. Die Predigt ist nach Luthers Darstellung auch nicht abstrakt, sondern konkret. Denn das Wort Gottes, das dem Menschen hilft, ist ein Wort, das Gott sendet. Es ist ein Wort, das mit einem Amt verbunden ist, das Christus innehat und mit den Aposteln und den Amtsträgern teilt (WA 7,22,15–22). Diese ministri, servi, oeconomi (Diener, Knechte und Haushalter) sollen den anderen Christus, Glauben und christliche Freiheit predigen (WA 7,28,30–37). 40 So wie Rechtfertigung sola fide das Wort, die Sakramente und das Predigtamt nicht aussondern einschließt (vgl. Apol IV,73f [BSLK 174,45–175,22]), so schließt auch Christi Präsenz im Glauben seine Präsenz im Amt ein. 41 Die hier dargelegte Ordnung dieser zwei Präsenzweisen bleibt der systematisch-theologischen Reihenfolge treu, die Luther in einer von seinen Bekenntnisschriften auslegt: das Äußere vor dem Inneren; siehe SA-III,VIII,3 (BSLK 453,16–454,2). Vgl. Hamann, „Smalcald Articles as Systematic Theology“. Im Bild gesprochen sind die Amtsträger die gebende Hand Gottes (siehe besonders Pr. 1574 bei Kap. 6), die das Wort und die Sakramente, in denen Christus seine Heilsgüter schenkt, austeilt; der Glaube ist die leere, empfangende Hand (siehe Althaus, Theologie Martin Luthers, S. 202, Anm. 45), die ihr essenzielles Charakteristikum – das Empfangen – im von Gott vorgenommenen und vollzogenen Akt des Gebens bekommt.

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auch die Rechtfertigung als ein von außen kommendes – als ein schöpferisches – Geschehen, bei dem das Evangelium vom Gesetz klar unterschieden wird. Sehr oft aber werden diese zwei Präsenzweisen umgekehrt zugeordnet, so dass die Präsenz Christi im Glauben bzw. im Glaubenden und also dann auch in der Kirche, die allein als die Versammlung der Gläubigen verstanden und ausschließlich von daher konzipiert wird, seiner Präsenz im Amt (wenn man überhaupt davon spricht!) systematisch-theologisch vorgeordnet wird. Wenn diese Luther-Deutung, die den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung direkt widerspricht, konsequent zu Ende verfolgt wird, ergibt sie einen statischen, existentialistisch verfassten Rechtfertigungsbegriff und führt zu einem „Evangelium“, welches die Eigenschaft der Externalität, die dem Evangelium wesentlich ist, einbüßt. Wenn der Glaube den unhinterfragbaren und unhintergehbaren Ausgangspunkt für die Beziehung zwischen Gott und dem Menschen bildet, tauschen Gott und Mensch ihre Stellen. So wie die Kirche nicht mehr Geschöpf des Evangeliums sein kann, wenn alles Predigen des Evangeliums systematisch-theologisch aus dem Glauben der schon existierenden Gläubigen hervorgeht, die die Versammlung der Kirche bilden,42 so ist der Glaube zusammen mit der Rechtfertigung durch den Glauben nicht mehr ein von außen kommendes schöpferisches Werk Gottes, wenn der Glaube dem gepredigten Wort und den gespendeten Sakramenten vorausgeht, die nach Luther von Christus gestiftet und dem apostolischen Amt aktiv anvertraut worden sind. Ist der Glaube eine Art Urdisposition, eine stumme Erfahrung, die der Mensch macht, eine Größe, die auf einer vorsprachlichen Ebene existiert, so wird er in der Tat zu einem schöpferischen und kreativen Vollzug des Menschen und schließlich zur Schöpferin der Gottheit.43 Eine solche systematische Deutung täte den Luther-Texten, auf die sie sich bezieht, Gewalt an,44 und widerspräche auch dem Kern von Luthers Theologie. Für Luther handelt Theologie vom sündigenden Menschen und dem rechtfertigenden Gott, und damit ist die Rechtfertigung nicht eine positivistisch verfasste Gegebenheit noch gilt die Sünde als immer schon überwunden.45 Der sündigende und also sterbende Mensch wird mit dem ihn tötenden Wort des Gesetzes konfrontiert und erfährt seine Rechtfertigung durch das Evangelium, das ihm konkret und leiblich zugesprochen und zugeeignet wird. So kommt Luther – im Vergleich zu der oben dargestellten Luther-Deutung – weder in

42 Siehe 9.5 und 9.2.3. 43 Als prägnantes Beispiel siehe Slenczka, „Fides creatrix divinitatis“. 44 Slenczka, „Fides creatrix divinitatis“, S. 177f und 184f gesteht ein, dass die Grammatik der für seinen angegebenen Aufsatz programmatischen Stelle (WA 40/I,360,17–30; Galaterkommentar, 1535) eigentlich gegen seine Deutung dieser Stelle tendiert. 45 Siehe Bayer, Martin Luthers Theologie, S. 37 und Bayer, „Sein Christi im Glauben“, S. 109f.

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seiner eigenen Frömmigkeit noch in seiner theologischen Reflexion je von den Gnadenmitteln los.46 Wenn die seit Jahrhunderten anhaltende Debatte über Luthers Verständnis des Amtes in Beziehung zu seiner hier dargestellten Rechtfertigungslehre gebracht und im Licht dieser Lehre geprüft wird, gewinnt die Sache erheblich an Klarheit. Denn eine gewisse Luther-Deutung versteht das allgemeine Priestertum oder das Priestertum der Gläubigen als den axiomatischen47 Ausgangspunkt für Ekklesiologie und Amtslehre in der evangelischen Tradition. Dieses Priestertum steht an erster Stelle als ein nicht hinterfragtes Apriori; man kann nicht – man darf nicht hinter die Gläubigen, hinter den Glauben zurückgehen.48 Die oft unausgesprochene Annahme eines unmittelbaren Verhältnisses zu Gott ist entweder Voraussetzung oder Folge dieses theologischen Systems.49 Gott wird domestiziert und die drohende Konfrontation zwischen dem sündigen Menschen und dem heiligen Gott wird vorzeitig, vorsprachlich und ehe ihn die Mittel erreichen, beseitigt. Wenn nicht unbedingt der einzelne Mensch, so werden doch die Menschen gemeinsam kreativ : Auch im Bereich des Gottesdienstes, der zumindest das praktische Zentrum der Theologie Luthers ausmachte, werden die Gläubigen zu Gestaltern, auch zu Selbst-Gestaltern. Weil die Gläubigen dem Amt systematisch-theologisch vorangestellt sind, müssen sie – zumindest kollektiv – „immer Subjekt und Objekt zugleich“ sein.50 Damit geht die Unterscheidung zwischen den katabatischen und den anabatischen Elementen des christlichen Gottesdienstes verloren, ebenso die Unterscheidung zwischen Ge46 Anders Slenczka, „Fides creatrix divinitatis“, S. 193: Vom Standpunkt der angeblich neutralen theologischen Reflexion sind die Medien, die der Glaube als Mittel von Gottes Handeln empfunden hat, nicht eigentlich Medien. 47 Obwohl die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung die allzu typische Position in Frage stellen, muss z. B. Ulrich Körtner für die Ehrlichkeit, die er in Bezug auf das Fundament dieser von ihm vertretenen Position zeigt, gedankt werden. Er gibt offen zu: Der Ausgangspunkt oder die Grundlage ist „axiomatisch“, also ein theologisches Apriori: Körtner, „Ordination und Priestertum aller Gläubigen“, S. 031 (siehe 9.4.1, dort bei Anm. 120). 48 Der Richtigkeit dieses Punktes kann man nicht durch die an sich wahre Bemerkung, dass weder Luther noch die lutherischen Bekenntnisschriften von einem „Priestertum aller Gläubigen“ sprechen, entgehen. Denn sobald man stattdessen vom „allgemeinen Priestertum“ oder vom „Priestertum der Getauften“ spricht, wird man mit der Frage nach dem Modus des Priester-Werdens oder nach der leiblichen und zeitlichen Spendung der Taufe konfrontiert, und diese Frage muss hinter diese Priester gehen, die dann systematischtheologisch nicht den Ausgangspunkt für die Kirche und das Amt bilden können. Vgl. 5.3. 49 Siehe 6.5. Vgl. Kinder, Glaube und Kirche, S. 86: „die scharfe Abweisung alles selbsterwählten Spiritualismus in der Heilsaneignung“ als „Grundzug lutherisch-reformatorischen Denkens“. Die Lutherische Kirchenverfassung lehnt eine „reine spirituelle Unmittelbarkeit“ ab. 50 Zitat aus Aus dem Wörterbuch des Unmenschen, das von Wannenwetsch, „Lob der Äußerlichkeit“, S. 398 zitiert wird; auf seine scharfsinnige Diagnose der pietas des modernen Protestantismus, dessen Innen-Apriori durch diesen Aufsatz pointiert entlarvt wird, sind manche Gedanken dieses Abschnitts zurückzuführen.

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setz und Evangelium, die ohne klaren Hinweis auf das Reden und Tun Gottes – auf etwas, das eindeutig außerhalb der Tätigkeit des Menschen und der Menschen steht – nicht bestehen kann.51 Dass auch eine Unterscheidung zwischen Amt und Person in diesem System ausbleibt, allen entgegengesetzten Behauptungen zum Trotz, kann auch nicht überraschen.52 Weder einzeln noch kollektiv werden jedoch der Christ bzw. die Christen als solche dem konkreten Sprechen und Handeln Gottes vorgeordnet, das den Glauben schafft und erhält. Wenn nach Luther die Rechtfertigung, die durch den Glauben geschieht, ein schöpferisches Werk Gottes ist (ex nihilo),53 kann Glaube nicht Voraussetzung für den Glauben sein. Diese Aussage scheint so klar und einleuchtend, dass man erst innehalten und sich klar machen muss, dass gerade ein solcher Widerspruch in breiten Kreisen der evangelischen Kirchen explizit oder implizit vertreten wird: Wenn das allgemeine Priestertum, das seitens der evangelischen Theologie als ein Priestertum der Gläubigen verstanden wird, als Voraussetzung dafür gilt, dass Glaube (weiter)gegeben wird, dann ist der Glaube nicht ein schöpferisches Werk und reines Geschenk Gottes. Denn das Existieren von Glauben kann nicht selbst Voraussetzung dafür sein, dass Gott Glauben schafft und durch diesen Glauben den Menschen rechtfertigt. Der Kleine Katechismus macht es deutlich: Das, was für „mich“ – einen Einzelnen – gilt, gilt auch für „die ganze Christenheit auf Erden“, für „all[e] Gläubigen“; auch kollektiv sind sie nicht dem Berufen, Erleuchten, Heiligen und Erhalten („im rechten Glauben“) Gottes – seinem Sprechen und Handeln – vorangestellt.54 Dass am Anfang der Mensch bzw. die Menschen etwas zu ihrer Rechtfertigung schaffen sollten, oder dass am Anfang der Glaube existiere, kann nach Luther

51 Als Beispiel der verlorenen Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium sei hier Hirsch, „Luthers Predigtweise“ genannt. Hirsch, dessen Aufsatz jedenfalls wertvollen Stoff enthält, versteht die Predigt offenbar als eine Funktion, die nicht mit dem Amt in erster Linie verbunden ist. Dies führt zu Widersprüchen: Einerseits soll die Predigt allein Gottes Werk sein, aber sie wird andererseits als ein (anabatischer) Lobpreis verstanden (S. 19f). Statt dem Prediger Gewissheit zu verleihen, verlangt das dargestellte Amtsverständnis von ihm Gewissheit, und der Verfasser landet bei einer donatistischen Position, die keineswegs Judas und die falschen Apostel als Amtsträger verantworten könnte: „Denn nur der, vor dem Gott gegenwärtig ist, nur in dem ist Gott gegenwärtig.“ (S. 23); vgl. 9.4.3. 52 Es wird oft der Vorwurf laut, dass ein Amtsbegriff, der das Amt an bestimmte Personen gebunden sieht, zwischen Amt und Person nicht unterscheiden kann, aber man merkt z. B. bei Hirsch (s. o. Anm. 51), dass die Sache eigentlich gerade umgekehrt ist: Diejenigen, die das Amt in erster Linie abstrakt verstehen, machen es schließlich von den Menschen, die es ausüben, abhängig, so dass zwischen Amt und Person nicht unterschieden wird. Einen klaren Blick in das Verhältnis zwischen Amt und Person bietet z. B. das von Luther unterzeichnete Ordinationszeugnis von Georg III. von Anhalt: Siehe Sander, Ordinatio Apostolica, S.142f. 53 S.o. bei Anm. 4. 54 Luthers Erklärung zum Dritten Artikel im Kl. Kat. (BSLK 511,46–512,13).

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nicht gelten. Wie ein tranzendentales „Ich“ ausgeschlossen ist,55 so auch ein tranzendentales „Wir“. Weder der einzelne Christ noch Christen zusammen können an ihren HErrn glauben oder zu ihm kommen.56 Er kommt zu ihnen, und zwar ständig und fortdauernd. Der große Galaterkommentar macht deutlich, dass die Gegenwart Christi im Glauben nicht ohne sein konkretes Kommen durch Wort und Sakrament verstanden werden kann, die vom apostolischen Amt gepredigt und gespendet werden. Ebenso aber auch, dass dieses Kommen kein einmaliges und insofern abgeschlossenes Geschehen ist; vielmehr kommt Christus ständig zu den Seinen. So kommt er auf geistliche Weise zu uns ohne Unterlass[…]. Dies sage ich, damit du zu antworten weißt, wenn man erwidert: [„]Christus ist doch in die Welt gekommen und hat alle unsere Sünden ein für allemal hinweggenommen, indem er uns mit seinem Blut reinigte: Warum hören wir denn das Evangelium? Was bedarf es der Absolution und des Sakraments?[“] Es ist wahr : Sofern du Christus ansiehst, sind das Gesetz und die Sünde wirklich abgetan. Aber Christus ist noch nicht zu dir gekommen, oder wenn er gekommen ist, so sind doch noch Reste der Sünde in dir. Du bist doch noch nicht ganz durchsäuert. Denn wo noch die Fleischeslust, Traurigkeit des Geistes, Angst vor dem Tod usw. ist, da ist noch das Gesetz und die Sünde. Christus ist noch nicht richtig da. Wenn er kommt, treibt er die Furcht und Traurigkeit aus und bringt Frieden und Sicherheit des Gewissens.57

Kein Christ hat seine Existenz in einer unmittelbaren und unangefochtenen Gottesbeziehung. So wie dem Christen die Rechtfertigung geschichtlich widerfährt und er sie in der Erfahrung empfängt, so wird er sein Leben lang ständig angefochten und sein Status vor Gott wird immer wieder in Frage gestellt.58 So wie die Gerechtigkeit ihm von außen zukam, so behält sie für ihn auf Dauer eine „bleibende Fremdheit“ und kommt ihm ständig von außen zu, so dass sein Sein ein „exzentrisches Sein“ ist.59 Gerade in dieser Hinsicht ist es klar, warum ein gewisses „Lob der Äußerlichkeit“ das ausgeprägteste Moment der homiletischen 55 Bayer, „Sein Christi im Glauben“, S. 109. 56 S.o. Anm. 54. 57 WA 40/I,537,33–538,19 („In epistolam S. Pauli ad Galatas commentarius […]“, 1535): „Ita spiritualiter sine intermissione ad nos venit […]. Haec dico, ut noris respondere, cum obiicitur : Tamen Christus venit in mundum et semel abstulit omnia peccata nostra, mundans nos sanguine suo, Quid igitur audiamus Evangelium, quid opus est Sacramento et absolutione? Verum est, quatenus Christum inspicis, re vera lex et peccatum abolita sunt. Sed Christus nondum venit tibi, aut si venit, tamen adhuc reliquiae peccati in te sunt, nondum fermentatus es totus. Ubi enim est concupiscentia, tristitia spiritus, pavor mortis etc., ibi adhuc lex et peccatum est, Christus nondum vere adest qui veniens expellit timorem et tristitiam et adfert pacem et securitatem conscientiae.“ Vgl. Anm. 38 oben. 58 Siehe Bayer, Martin Luthers Theologie, S. 29. 59 Bayer, „Sein Christi im Glauben“, S. 109.

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Seelsorge Luthers ausmacht.60 Die Externität der Rechtfertigung wird nicht durch den Glauben aufgehoben, sondern vom Glauben bestätigt, der vom verbum externum und den media salutis ohne Unterlass gespeist wird, auf die Luther ständig in seinen Predigten verweist. Der Gottesdienst selbst ist der primäre und reguläre Ort der konkreten Rechtfertigung und die Heilsmittel sind der unhintergehbare Halt der Gewissheit. Hier haben die Amtsträger, in denen Christus präsent ist, den primären Bereich ihrer Amtstätigkeit, und seine Präsenz in ihnen versichert, dass die Predigt eine „Zuwendung und demütige Selbstmitteilung Gottes“61 an die Zuhörer und die Sakramente gnädige Handlungen Gottes an den Empfängern bleiben62 – dass das Katabatische vom Anabatischen unterschieden bleibt, dass das Evangelium als Evangelium nicht durch den Verlust eines unmissverständlichen und unvermischten Redens und Handelns Gottes verloren wird, dass „Gottesdienst“ in erster, schöpferischer Linie ein genitivus subiectivus sei und nicht als von Menschen zu gestaltender Akt missdeutet wird, die ohnehin vor ihm schon gerecht sind. Sicherlich ist Christus im Glauben und im Glaubenden präsent, wenn der Glaubende in den außerhalb seiner selbst gegenwärtigen Christus versetzt wird. Der Glaube ist sicher, wenn er Halt außerhalb seiner selbst hat. Hierfür steht in der Theologie Luthers die Präsenz Christi im Amt: Die Amtsträger sind die von ihm gesandten Instrumente und Organe, Botschafter an seiner Statt, Haushalter in seinem Haus, die sein Wort zu predigen und seine Sakramente zu spenden haben, durch die er konkret und geschichtlich Menschen rechtfertigt und sie in neugeschaffene Beziehung zu sich stellt und erhält. Das hier dargelegte Verhältnis zwischen der Präsenz Christi im Amt und seiner Präsenz im Glauben wird auch vom Verständnis des Gottesdienstes untermauert, das die untersuchten Predigten ergeben haben. Das Anstößige an Christus und an seiner zu uns sprechenden und uns zu-dienenden Präsenz im Amt ist, dass er sich „zu nahe“ bringt.63 Indem er allen Abstand zwischen Gott und dem durch die Sünde von Gott entfremdeten Menschen überwindet, schließt er ein Zu-Gott-Kommen oder Auf-Gott-Zugehen des Menschen aus. Dies will der Mensch aber nicht: Die natürliche Einstellung des in Sünde gefallenen Menschen gleicht der von Kain, der in seinem Gottesdienst nicht mit einem solchen Gott zu tun haben wollte, dem er nicht etwas bringen und opfern müsste, vor dem sein Status nicht von dem abhängt, was er von sich aus aufbringt und vorbringt.64 Luther macht aber eine andere systematisch-theologische Reihenfolge deutlich: Zuerst Gottes Reden und Tun, durch das er sich nahe 60 61 62 63 64

Der (auch) für Luther zutreffende Ausdruck von Wannenwetsch, „Lob der Äußerlichkeit“. Bayer, „Das Wort predigen“, S. 390. Für Gewissheit siehe 8.2–3. Pr. 1843 [A] WA 47,521,37 (Hervorhebung JM). Pr. 1883 [R] WA 47,786,15–787,28.

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bringt und den Menschen in gerechte Beziehung zu sich setzt; dann das ihm dienende Reden und Tun der Menschen. Gottes caritas und beneficium gehen voran; aus ihnen entsteht dann die delectatio und das benefacere der Christen.65 Seine gratia ist dem gratias agere der Christen vorgeordnet.66 Die „großen Taten Gottes“ an uns gehen dem, was er „durch uns“ wirkt, voraus.67 Der Kultus der Glaubensgerechtigkeit, in dem Gott aktual in Reden und Handeln präsent ist, wird durch seine mittelbare Präsenz und katabatische Tätigkeit definiert;68 aus dem klaren katabatischen Dienst Gottes geht das anabatische Lob der Christen hervor. Das geschieht dann spontan, freudig, frei von aller Angst und vollzieht sich in den jeweiligen Ständen der Christen, in denen sie wiederum ihren Mitmenschen dienen. Genau in diese Abfolge ordnet Luther I Petr 2,9 systematischtheologisch ein – und nicht als Ausgangspunkt für die Präsenz und Tätigkeit Gottes im Amt und durch die Amtsträger.69 Auf diese Weise spricht Luther von der Präsenz Gottes in allen Ständen.70

10.3 Geordnete Welt – geschenkte Welt Der Mensch, den der auf uns zukommende Gott gefunden hat, muss Gott nicht seinerseits suchen. Da seine Suche nach einer gerechten Beziehung zu seinem Schöpfer vom sich inkarnierenden und mittelbar handelnden Schöpfer selbst beendet wird,71 darf er dort bleiben, wo er ist.72 Weder in einem geographischen 65 66 67 68 69

Pr. 1883 [R] WA 47,785,3–786,15. Pr. 1905 [R] WA 49,40,4–22. Pr. 2000 [R] WA 49,760,17–761,3. S.o. Anm. 25 (Pr. 1555). Pr. 1555 [R] WA 41,346,32 im Kontext von 41,346,26–347,22. Wenn WA 7,27,17–28,25 im Kontext (s. o. Anm. 39) berücksichtigt wird, ist auch nach der Freiheitsschrift das allgemeine Priestertum (I Petr 2,9 wird ausdrücklich genannt) systematisch-theologisch vom apostolischen Amt abhängig. 70 Pr. 1880 [R/S/Dr] WA 47,757–771: Wenn von einer Anwesenheit Christi im Predigtamt geredet werden kann, wie es aufgrund von [R] WA 47,771,2–23 erlaubt sein muss, kann angesichts des weiteren Horizonts von Luthers Ständelehre auch von einer Anwesenheit Gottes in allen Ständen, die nicht gegen sein Wort streben sondern damit übereinstimmen, geredet werden. Gott ist im Elternamt, im Magistrat, in Hausherren anwesend (siehe [R] WA 47,770,20). Er handelt durch sie. Doch seine Anwesenheit ist nicht allgemein oder einheitlich, sondern differenziert. In normalen Situationen (außer einem Notstand) gebührt es Eltern und Hausherren so wenig zu predigen, zu taufen oder zu absolvieren, wie es dem Pfarrer gebührt, Diebe einzusperren. Die Fassung von Stoltz empfiehlt den Christen, Acht zu haben auf das, was zu ihrem jeweiligen Stand gehört – was sie betrifft und was nicht ([S] WA 47,770,39–771,36). Siehe auch 6.2.2 (dort bei Anm. 206). 71 S.o. bei Anm. 14–16. 72 Pr. 1888 [S] WA 47,821,33f und [R] 47,821,14f (im weiteren Kontext der Predigt): Der Stand eines Christen ist sozusagen der Ort in dieser Welt, an dem er alle seine Sorgen auf Gott werfen kann, weil Gott zu ihm kommt.

Geordnete Welt – geschenkte Welt

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Sinne noch in seinem Tätigkeitsbereich muss er irgendeinen Ortswechsel vornehmen, auch nicht, um dem ihn rechtfertigenden Gott zu dienen. Der Lebensort eines Christen ergibt sich aus seinem jeweiligen Stand.73 Da die Stände, die in drei Haupthierarchien geordnet sind (ecclesia, oeconomia, politia),74 nicht etwa Wege zur Seligkeit sind,75 verlangen sie von einem Christen nicht, den Ort zu verlassen, an dem er sich vorfindet, oder nach zusätzlicher, höherer, geistlicherer Tätigkeit zu streben. Luthers Ethik trägt vielmehr den Charakter einer „Haustafelethik“;76 man dient Gott dort, wo man schon ist. Die Stände schaffen geordnete und geschützte Lebensrahmen „schicksalhaften Charakters“ für die Menschen und verleihen dem Leben Stabilität, gerade weil sie der Willkür der Menschen entzogen sind und ihnen etwas gegenübersetzen.77 Jeder Stand hat sein Gegenüber. In den Ständen wird jeder in eine hierarchische Ordnung eingegliedert.78 Dort wird dem Christen der Platz innerhalb der Schöpfungsordnung Gottes angewiesen, einer Ordnung, durch die die gefallene Welt weiter erhalten wird. Durch das Evangelium, das ihm in einer von Gott geordneten Weise widerfährt, wird der Mensch zu der und auch für die ganze Schöpfung befreit. Die Welt, die er als existenzbedrohend erleben kann, wird ihm zur Schöpfung, aus der ihm Gottes Fürsorge und Versorgung zukommen. Die schöpferische Verheißung, der er in der Predigt und in den Sakramenten begegnet, öffnet seine Ohren auch dafür, Gottes Verheißungen in der Schöpfung zu hören, und seine Augen dafür, Gottes Freigebigkeit zu sehen. Der in sich verschlossene Mensch wird aufgeschlossen, auch seine Hände werden geöffnet.79 Der, der sich be73 Asendorf, „Glaube als Kraft“, S. 153: Die drei Hierarchien als der „dreifach gestaffelt[e] Raum“ des Dienstes des Gerechtfertigten. 74 Nach Elert, Morphologie, 2,52 konnte Luther auch gelegentlich von mehr als drei Ständen oder Hierarchien sprechen. 75 WA 26,504,30–505,28 („Vom Abendmahl Christi Bekenntnis“, 1528), bes. 26,505,16. 76 Bayer, „Natur und Institution“, bes. S. 362–369. Das Moment der Liebe, die zu einer „Nachfolgeethik“ passt, hat seinen Ort gerade im jeweiligen Stand. 77 Elert, Morphologie, 2,49–65; Zitat von 2,60, vgl. 2,51. Vgl. Manns, „Zwei-Reiche- und DreiStände-Lehre“, bes. S. 20f. Siehe auch Pr. 1843 [A] WA 47,520,24–521,6. 78 Siehe Pr. 1843 [A] WA 47,518,2–4 und 47,521,14f und Schwarz, „Lehre von den drei Ständen“, bes. S. 15–17 (auf W. Maurer aufbauend). Vgl. auch Piepkorn, „Symbols about the Church“, S. 35: „preside over“ mit Hinweis auf Gr. Kat. I,158 (BSLK 601,24–31). Vgl. Asendorf, „Glaube als Kraft“, S. 152: Sie sind Ordnungen Gottes, die „von oben“ kommen. Vgl. auch Kleinig, „Ordered Community“, S. 408: „a chain of transmission from the Trinune God for the delivery of blessings through his appointed agents in the church and the world.“. „[E]in unaufhebbares Oben und Unten“ machen auch einen wesentlichen Teil der Ständelehre aus, so wie diese von Bonhoeffer rezipiert wird: Bonhoeffer, Ethik, S. 58, Anm. 81 und S. 392–403 (Zitat S. 394). 79 Siehe Pr. 1961 [R/S] WA 49,415–422, bes. [R] 49,421,4–7 und 18 und Pr. 1741 [R] WA 46,493–495, bes. 46,495,2–40; das „Verhalten“ (= vorenthalten, einbehalten; 46,495,35, vgl. 46,494,15–17) der Früchte der Ernte bildet den Gegensatz zu einem Menschen, der

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Einordnung in den Horizont der Theologie Martin Luthers

schenkt weiß, weiß auch, dass sein Wohl und seine Versorgung nicht mehr in seinen Händen liegen. Er wird aufgeschlossen, seinen Mitmenschen zu dienen, sie wahrzunehmen und für sie zu sorgen. Derjenige, dem von Gott gedient wird, dient seinen Mitmenschen und Mitgeschöpfen. Das Predigtamt gehört zum Wesen der „Hierarchie“ der ecclesia. Durch dieses Amt, in dem Christus aktual präsent ist, werden Menschen gerecht gemacht und als neue Geschöpfe in neugeschaffene Beziehung zur ganzen Schöpfung gesetzt. Dies ist ein katabatischer Dienst Gottes, auf den Christen wiederum lobend, betend, bekennend und auch dienend antworten. Ihre anabatische Antwort auf den katabatischen Dienst Gottes, die die andere Seite des christlichen Kultus ausmacht, wirkt sich im jeweiligen Stand eines Christen aus, da, wo er Gott dient, indem er dem Mitmenschen dient, für ihn betet, Gott lobt und seinen Glauben durch Wort und Tat bekennt. Im Bereich der ecclesia, zu dem alle Christen gehören, fällt es denjenigen zu, die nicht im Predigtamt – also nicht Amtsträger – sind, die Amtsträger zu versorgen und darüber hinaus christliche Schulen zu unterstützen, in denen unter anderem künftige Amtsträger ausgebildet werden.80 Dies ist die aktive Rolle in der ecclesia für alle, die ihre Berufe in der oeconomia und der politia haben. Die Amtsträger der Kirche, deren Amt keinen direkten wirtschaftlichen Beitrag leistet und keine direkte politische Macht ausübt, von denen aber der historisch-kontingente Lauf des Evangeliums abhängt, sind auf Versorgung durch die angewiesen, die ihre Berufe und Ämter in der oeconomia und der politia haben.81 Ihre Mitchristen, die ihre Ämter im weltlichen Regiment haben, antworten aus Dankbarkeit82 für das gnädige und rechtfertigende Reden und Tun Gottes an ihnen durch das Amt; sie sorgen für den leiblichen Unterhalt der Amtsträger und die Ausbildung von neuen Amtsträgern und dürfen gewiss sein, dass sie auch in dieser Hinsicht Instrumente und Mittel Gottes sind.83

80 81

82 83

sozusagen geöffnet wurde. Auch der Hand des Menschen ruft der Prediger, „Tue dich auf!“ zu. Derjenige, der nicht begreift, dass Gott zu ihm kommt, schließt seine Hand in Bezug auf seinen Pfarrer : Pr. 1843 [A] WA 47,520,14 und 23 im Kontext von 47,519,24–520,23. Siehe Anm. 79 oben. Vgl. auch Pr. 1905 [R] WA 49,36,13–40,22. Siehe 5.1.2–3. Vgl. die Angaben zu Pr. 1905 bei Anm. 80 oben. Siehe auch Pr. 1964 [R] WA 49,453,22–454,5 und 49,454,23–25: Freies Geben antwortet auf das von Gott umsonst Gegebene. Für die ökonomische Lage der Pfarrer der Wittenberger Reformation siehe KarantNunn, Luther’s Pastors, S. 38–52. Siehe auch Brecht, „Durch Amt Reich Gottes“. Siehe 5.1.2. Vgl. 6.4.2 oben: Dankbarkeit ist das Pendant zu Gabe; für Gabe(n) und Demut siehe Pr. 1885 [R/S] WA 47,795–802. Siehe auch die Angaben zu Pr. 1905 bei Anm. 80 und zu Pr. 1964 bei Anm. 81 oben. Pr. 1882 (siehe 6.2.2, dort bei Anm. 224–226) bestätigt Gottes Präsenz in allen Ständen sowie die Instrumentalität aller Stände. Siehe auch Wingren, Luthers Lehre vom Beruf, S. 86–95 und Gr. Kat. I,26–27 (BSLK 566,12–37). Pr. 2011 [R] WA 51,59,3–60,26: Ohne die Erkenntnis, dass jeder Mensch in seinem Stand bloß ein Werkzeug in der Hand Gottes ist, will der Mensch sich immer erheben, dient nicht seinem Nächsten in der Liebe und schadet schließlich auch der Einigkeit der Kirche.

Geordnete Welt – geschenkte Welt

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Was steht aber dem entgegen, dass alle Christen predigen?84 Einerseits kann Luther das Reden und Tun der Christen, das den Glauben bekennt, in der oeconomia und der politia durchaus „predigen“ nennen; es gilt nicht darum, dass Christen so predigen dürfen – sie tun es ohnehin.85 Wenn Luther aber andererseits mit Menschen oder Gruppen konfrontiert wird, die Anspruch erheben, unbedingt zu predigen – sei es in der Kirche oder im Winkel –, die aus ihrer Taufe ein Recht dazu ableiten, kommt Luther zu dem Schluss, dass sie offenbar den christlichen Glauben nicht verstanden haben.86 Nicht nur verbietet er ihnen das Predigen, sondern er stellt ihr Christsein in Frage:87 Diejenigen, die solche religiöse Selbst-Realisierung anstreben, sind nicht diejenigen, die das Evangelium vom Gesetz befreit hat. Luther erkennt hier in dem Argument, dass Predigen vom Priester-Sein aller Christen bzw. von der Taufe abzuleiten sei, ein Merkmal der Winkelprediger.88 84 Siehe Pr. 1727 [R] WA 46,409,12–410,1. 85 Siehe 9.4.1 (dort bei den Amn. 130–142) und 9.5 (dort bei der Anm. 178–180). 86 Pr. 1727 [R] WA 46,411,15–17: „Das ist der Schluss [zu der Sache]: ,[J]eder, der [den Namen des HErrn anrufen wird, soll selig werden]‘, egal ob sie gelehrt oder ungelehrt sind usw. So ist allerlei Unterschied aufgehoben. Wenn du das verstanden hast, werdest du nicht ringen um das Predigtamt [und um diese Frage].“ („Schlus: ,Omnes, qui‘, sive docti, indocti & c. Sic auffgehaben allerley unterschied. Si hoc intelligis, wirstu nicht dringen umbs predigtamt & c.“). Dem Christen wird nicht nur sein Status vor Gott geschenkt, sondern auch sein Ort angewiesen, sein Stand unter seinen Mitmenschen und in der ganzen Schöpfung. Im Gegensatz zu dem modernen Begriff des Status, der durch Leistung errungen wird, war der Stand eines Menschen zur Zeit Luthers nicht einfach Sache eigener Leistung, sondern vielmehr Sache der Bestellung oder des Erbes (siehe Bayer, „Natur und Institution“, S. 352–354). Nach Luther sind die Stände und die Ämter, in die sie hineingesetzt werden, schon vor den Menschen da (vgl. Wingren, Luthers Lehre vom Beruf, S. 91). Insofern widerspricht die heute so oft in protestantischen Kreisen vertretene Position, die den wesentlichen Unterschied zwischen Amtsträgern der Kirche und anderen Christen in der theologischen Ausbildung erkennen will, einem wichtigen Aspekt des allgemeinen Ämter- und Standesverständnisses Luthers. Wäre das nämlich der Fall, würde man das Amt der Kirche – nachdem z. B. ein bestimmtes theologisches Examen bestanden wurde – als einen selbst erlangten Stand antreten können, um – sei es als geistlich gelehrterer oder als theologisch gebildeterer – den anderen als Leiter in christlich-religiösen Übungen – seien sie gottesdienstlicher, frömmigkeits-, reflexionsoder bildungsmäßiger Art – auf ihren Glaubenswegen voranzuhelfen. Ein Vergleich mit der Zwei-Stände-Gesellschaft von „Geistlichen“ und „Weltlichen“ liegt auf der Hand, auch wenn die protestantischen Erben Luthers meinen, sie schon endgültig abgeschafft zu haben. 87 Pr. 1727: Im Streben nach einem angeblich höheren Stand sieht Luther nicht nur ein Problem, sondern er fragt sogar nach dem Christsein des Aufstrebenden: „Wenn sie den Heiligen Geist haben […]. Aber zuerst müssen sie doch zeigen, dass ihn haben.“ ([R] WA 46,409,17f: „Si habent spiritum sanctum, so wollen wirs thun, sed tamen prius ostendere debent se habere.“). Vgl. [S] 46,411,21: „Es heißt den Teufel anrufen, […]“ („Es heist den Teuffel anrruffen, […]“), sowie [R] 46,411,6f.: „Aber [um] diese Gaben zu haben, sind Leib und Seele verloren worden und niemand kann mir helfen.“ („Sed ista dona habere ist verloren leib und seele, nemo potest me iuvare.“). 88 WA 31/I,211,11–22 („Der 82. Psalm ausgelegt“, 1530). Kein Amt oder Stand wird von der

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Einordnung in den Horizont der Theologie Martin Luthers

Es kommt nicht jedem Christen zu, im Gottesdienst der Kirche das Wort Gottes zu predigen und die Sakramente zu verwalten. Dass nicht alle Christen predigen und die Sakramente spenden, liegt nach Luther nicht einfach an einer soziologisch zu erklärenden Notwendigkeit der Ordnung, sondern geht vielmehr auf einen Unterschied des Amtes und des Standes zurück. Im Bereich der ecclesia ist es Auftrag der Amtsträger, zu predigen und die Sakramente zu verwalten, und die Kirche wird durch ihr Predigen und ihre Verwaltung der Sakramente regiert.89 Die ecclesia selbst – wie die anderen Stände oder Hierarchien – ist hierarchisch gegliedert, und diese hierarchische Gliederung, vor der sich Luther bei keiner der Hierarchien scheut, erstreckt sich in gewisser Hinsicht auch auf das Amt und die Amtsträger selbst. Denn die von Luther verstandene und bevorzugte Verfassung der Kirche war und blieb die bischöfliche Verfassung.90 In einer Notsituation, in der die Bischöfe ihr eigentliches Amt nicht wahrnahmen, keine Amtsträger für die Anhänger der Reformation ordinierten und den Reformern keine Freiheit gewährten, das Evangelium zu lehren, mussten andere Amtsträger Amtsfunktionen zumindest vorübergehend übernehmen, die in der Regel den Bischöfen zufielen.91

Taufe abgeleitet: Wenn das Prediger-Sein eines Predigers aus der Taufe abgeleitet sein soll, dann müssten auch das Fürst-Sein eines Fürsten und das Bäcker-Sein eines Bäckers genauso aus ihr ableitbar sein. 89 Siehe 6.2.2 und 9.3. 90 Z.B. SA-II,IV,9 (BSLK 430,5–13); vgl. Apol IV,1–2 (BSLK 296,10–297,13). Siehe auch 9.1 (dort bei Anm. 20). Vgl. Sander, Ordinatio Apostolica, bes. S. 70–90 und 233–235; Wendebourg, „Die Reformation in Deutschland und das bischöfliche Amt“; Wendebourg, „Das Amt und die Ämter“, bes. S. 17–20; Elert, „Grundsätze für Kirchenverfassung“, bes. S. 113–122. 91 SA-III,IX,1–3 (BSLK 457,6–458,15); vgl. Apol XXVIII,12–14 (BSLK 399,39–400,28). Siehe auch Pr. 1574 [R] WA 41,457,33–458,8 sowie die Erläuterungen dazu in Kap. 6. Man tut gut, sich daran zu erinnern, dass Luther nicht aus der „katholischen“ Kirche ausgetreten ist, sondern, dass die damalige Kirche unter dem Papst den Bann auf ihn gelegt hat und ihn insofern aus der Kirche ausgeschlossen hat; man sieht aus Stellen wie z. B. SA-II,I,5 (BSLK 417,20–22), dass Luther glaubte, dass bestimmte Missbräuche einfach verschwinden würden, wenn man bloß gegen sie lehren dürfe. Nach ihm bedürfe das Evangelium keines eigenen, abgetrennten Rahmens, sondern es würde genügen, dass es nicht gehindert werde.

11. Systematisch-theologisches Resümee

11.1 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse Die vorstehende Untersuchung hatte unter anderem das Ziel, den Nachweis zu erbringen, dass die in der Lutherforschung im Allgemeinen nicht ausreichend wahrgenommenen Predigten Luthers einschlägigen Stoff auch für sein Verständnis des kirchlichen Amtes bieten (Kap. 1). Luthers Predigten machten einen großen Teil des theologischen Alltagsgeschäfts in Wittenberg zur damaligen Zeit der Reformation aus: Ohne Zweifel machte Luther ab 1535 die zukünftigen Amtsträger als Hörer seiner Predigten von der Kanzel herab regelmäßig – sowohl direkt als auch indirekt – mit seinem Amtsverständnis vertraut. Verschiedene Aspekte eines zentralen Motivs treten dabei ans Licht, nämlich der Präsenz Christi im Amt. Die Übersetzung und Bearbeitung von Pr. 1926 (Kap. 2) zeigt alle in der Untersuchung behandelten Aspekte dieser Präsenz, ihr paralleles Auftreten in einer einzigen Predigt, dazu das Verflochten-Sein ihrer theologischen Inhalte: Ein facettenreiches Verständnis des kirchlichen Amtes wird in dieser Predigt vermittelt, das die Präsenz Christi im Amt ebenso als aktuale wie als personale Präsenz auffassen lässt. Wichtige sowie fundamentale Aspekte der von Luther verstandenen und homiletisch vermittelten Präsenz Christi im Amt können unter einem übergreifenden Moment der Kontinuität zusammengefasst werden. Das amtstheologisch prägende Kontinuitätsmoment hat sein Fundament in der Christologie Luthers (Kap. 3). Von der Betonung her, die Luther auf die unio personalis legt, und von der tragenden Rolle her, die für ihn die Lehre der communicatio idiomatum spielt, lässt sich erklären, warum er der Menschheit Christi so große Bedeutung beimisst – sowohl vor der Inkarnation als auch nach seiner Himmelfahrt: Zu allen Zeiten verbirgt sich Christus unter konkreten und leiblichen Formen, wie sie seinem eigenen Fleisch und seiner Inkarnation entsprechen. Die Macht Christi und des Heiligen Geistes ist in leiblichen Mitteln verborgen, die den Amtsträgern weiterzuvermitteln anvertraut sind: In der institutionellen Kirche, die der „leibliche“ Wohnsitz Gottes auf Erden ist, sind sie untergeordnete

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Systematisch-theologisches Resümee

Haushalter. In Luthers homiletischer Präsentation verbindet sich Christus selbst mit ihnen. Der Geber der Mandate, der sein gepredigtes Wort und die Sakramente sowie ihre Vermittlung und Zueignung durch bestimmte Menschen gestiftet hat, führt selbst in der Tätigkeit der geordneten Amtsträger, die er sendet, seine eigenen Mandate aus. Christus, der Erhöhte, ist dabei immer zugleich der (Herab)Kommende. Das in der Christologie begründete Moment der Kontinuität entfaltet sich in zwei weiteren Aspekten, nämlich in der apostolischen und der historischen Kontinuität (Kap. 4 und 5). Das, was in dieser Arbeit die apostolische Kontinuität des Amtes genannt wird, wird darin deutlich, dass Luther sich und die Amtsträger seiner Zeit in einer Linie mit den Propheten, Johannes dem Täufer, den Aposteln und ihren Schülern und Nachfolgern sieht. Dazu gehört auch Christus selbst, als Gesandter des Vaters. In der homiletischen Darstellung werden Luther und die zeitgenössischen Amtsträger mit ihnen verschränkt – sind sie doch deren Nachfolger und führen dasselbe Amt. Dieses Amt setzt sich durch seine Träger fort; vorhandene Amtsträger setzen Nachfolger ein. Von einer bzw. „der“ apostolischen Sukzession bei Luther zu sprechen, wäre vorschnell und unangemessen, besonders wegen der historisch-theologischen Befrachtung, die der Begriff inzwischen erfahren hat. Aber Luther vermittelt zweifellos das Verständnis einer apostolischen Kontinuität des Amtes. Die Amtsträger bilden eine ausgewählte Gruppe; sie sind von Gott gesandte Boten und ermächtigte Haushalter, denen sein Wort und seine Sakramente aktiv anvertraut sind, durch die sie in seinem geistlichen Regiment zu regieren haben. In diesen von Christus Gesandten ist der sendende Christus selbst aktual – redend und handelnd – präsent. Eine historische Kontinuität zeigt sich unter anderem in den auch amtstheologisch fundierten Vergegenwärtigungen, die immer wieder in Luthers Predigten zu finden sind. Das Wort, das durch die Zeiten hindurch ergeht, ist ein leibliches Wort, das von leiblichen, kontingenten Amtsträgern gepredigt wird und also von ihnen kontingent abhängt; so wie die Kirche für ihre Existenz vom kontingenten Wort durch kontingente Amtsträger abhängt, so hängen die Amtsträger davon ab, dass sie von der Kirche versorgt werden. Luthers Amtsverständnis und seine Ekklesiologie sind also nicht metaphysisch abgesichert; sie sind vielmehr von den stiftenden Verheißungen Gottes gestützt, der ein geordnetes Regiment und eine lokalisierte, kultische Präsenz zu allen Zeiten auf Erden beibehält. Man kann Luthers Verständnis der Geschichte und seine Auffassung von der Kirche, die eine geschichtliche Größe ist, als historisch-kontinuierlich beschreiben. Das kirchliche Amt ist auch von historischkontinuierlicher Art, und wenn Luther Missbräuche in dem Amt und durch das Amt immer wieder verurteilt, bleibt sein Verständnis vom Amt doch stets in Einklang mit der großen Tradition der abendländischen Kirche und ist kein Novum.

Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse

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Die personale Dimension der Präsenz Christi im Amt tritt am klarsten zu Tage, wenn Luther von den Amtsträgern als Instrumenten, Organen, Mitteln und Werkzeugen spricht (Kap. 6). Christus redet und handelt nicht einfach durch ein abstrakt begriffenes und rein funktional aufgefasstes Amt, sondern vielmehr durch konkrete Amtsträger – durch die Prediger, Pfarrer und Bischöfe. Christus spricht und handelt (aktuale Präsenz) durch bestimmte Personen (personale Präsenz), und Luther nennt sie Haushalter, Vorsteher und die Regierenden der Kirche. In der homiletischen Darstellung des reifen Luther sind die Amtsträger so mit den Mitteln des Heils verknüpft, dass die Amtsträger gar nicht ohne Taufe, Absolution, Sakrament des Altars und Predigt gedacht werden und wiederum diese Mittel nicht ohne die Amtsträger gedacht und präsentiert werden. Sie gehören alle zusammen zu dem größeren Ganzen des mittelbaren Sprechens und Handelns Gottes. Der als Geber konkreter Gaben verstandene Christus steht im Zentrum dieser Amtslehre: Er sorgt für eine vermittelte und also sichere Beziehung des Menschen zu Gott. Das in Wittenberg gottesdienstlich vermittelte Verständnis der Ordination lässt sich aus zwei bestimmten ordinationsbezogenen Predigten Luthers (Pr. 1574 und Pr. 1882) erheben. Es besagt, dass die Ordination eine theologisch qualifizierte Handlung ist, durch die die Ordinanden in das kirchliche Amt eingesetzt werden. Auch wenn eine „Berufung“ im Sinne einer ausgesprochenen Bitte um einen Prediger oder Pfarrer dem Ritus der Ordination vorausgegangen ist, geschieht die Berufung im Ritus der Ordination selbst, wie es in der Liturgie erkenntlich wird. Da handelt Gott selbst nach seinen in den Schriftlesungen lautwerdenden Verheißungen. Auch die Art der homiletischen Anrede Luthers erläutert und vermittelt sein Verständnis des Amtes (Kap. 7). Indem er in differenzierter Form von den Amtsträgern und von anderen Christen spricht und wenn er seine Zuhörer in einer „ich/du“- bzw. „wir/ihr“-Anredeform anspricht, tritt eine deutliche Gegenüberstellung ans Licht. Die Amtsträger als Amtsträger stehen den Hörern und Empfängern als ebensolche, nämlich als Hörer und Empfänger gegenüber. Gottes gnädiges Reden und Handeln durch sie bringt das extra-nos-Moment des Evangeliums zum Ausdruck, ohne welches das Evangelium kein Evangelium ist. Erkennt man die Zweiseitigkeit, die in diesem Gegenüber erscheint, dann lässt sich auch feststellen, dass man nach Luther das Amt sowohl aktiv als auch passiv haben kann. Die Amtsträger, denen das Amt aktiv zukommt, sollen die für ihr Amt notwendige Gewissheit haben, dass Gott durch sie spricht und handelt. Andererseits sollen alle Christen gewiss sein, dass Gott durch die Amtsträger zu ihnen kommt und mit ihnen mittelbar und verbindlich spricht und handelt, so dass sie ihres Heils gewiss sein dürfen (Kap. 8). Fragt man nach der mit diesem Amtsverständnis verbundenen Ekklesiologie (Kap. 9), so wird klar, dass Luther in seinen Predigten die Kirche in erster Linie als eine institutionelle Lebenswirklichkeit in der Welt auffasst und eben nicht als

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Systematisch-theologisches Resümee

einen abstrakten Begriff. Die Kennzeichen oder notae, die die Existenz und das Vorhandensein der Kirche Christi markieren, sind mehr als hinweisende Zeichen; sie sind vielmehr die Mittel, durch die die Kirche geboren und erhalten wird. Zu diesen Mitteln gehören die Amtsträger, die nun die Kirche durch Wort und Sakrament zu regieren haben. Systematisch-theologisch gesehen gehen der Kirche das Amt und die Amtsträger voraus. Will man sich diesem Faktum der Theologie des reifen Luther nicht stellen, muss man die Kirche in erster Linie als abstrakten Begriff und undifferenzierte oder homogene Größe verstehen. So gesehen wäre die Kirche eine Art Selbstgeschöpf und der damit eingeschlagene Weg würde zu Verengungen und Widersprüchen in amtstheologisch verwandten Themen (Priestertum, Notsituationen, Donatismus) führen. Luther vermeidet sie. Wie seine Predigtweise deutlich macht, ist Luthers Verständnis vom kirchlichen Amt weit mehr als ein Anhängsel an die Ekklesiologie und steht nicht am Rand seines – wenn auch nicht immer systematisch erläuterten – theologischen Systems. Das konkret verstandene und präsentierte Amt ist vielmehr Modus des Kommens Gottes, der Menschen rechtfertigt, indem er die Früchte des Heilswerkes Christi mittelbar austeilt, zu dem Empfänger bringt und ihm zueignet, ohne von den Empfängern das Aneignen und Hinzukommen zu fordern: Gottes Gaben werden nicht zu Aufgaben (Kap. 10). Die Präsenz Christi im Amt, in welchem er selbst mittelbar spricht und handelt, predigt und Sakramente austeilt, geht seiner Präsenz im Glauben und in den Glaubenden voraus, so dass die Beziehung des Glaubenden zu Gott sich einer Tat – einem fortdauernden Handeln – Gottes verdankt und nicht einfach als theologisches Apriori existiert. Von Gott gerechtfertigte Menschen werden in den ihnen zugeordneten Berufen aktiv, wie Luther das im Rahmen der Drei-Stände-Lehre immer wieder aufzeigt. Die Predigten des reifen Luther bringen die Präsenz Christi im Amt zum Ausdruck. Das homiletisch vermittelte Verständnis des Amtes nimmt die Amtsträger als Personen wahr, in denen Christus aktualpräsent ist. Gottes Kommen zu den Menschen geschieht durch das Reden und Handeln der Amtsträger, so dass ihnen eine theophore Instrumentalität zugeschrieben wird: Die, die das Amt Christi tragen, tragen als Instrumente Christi Christus zu den Menschen.

11.2 Kritische Einschätzung der Amtsdebatte Bereits zu Anfang haben wir angemerkt, dass die Debatte um das Amt im deutschen Protestantismus hinter die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreicht.1 1 Siehe 1.2.1 oben.

Kritische Einschätzung der Amtsdebatte

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So bedeutsam diese Amtsdebatte des 19. Jahrhunderts für die folgende Zeit auch sein mag, man täuscht sich, wenn man denkt, dass der Streit über diese Thematik einfach durch eine Entscheidung zwischen einer „Stiftungstheorie“ und einer „Übertragungstheorie“ gelöst werden könne. Ist das konkrete kirchliche Amt von Gott gestiftet, dann hat man mit einer theologischen und ekklesialen Wirklichkeit zu tun. (Ähnliches gelte, wenn nur Amtsfunktionen von Gott gestiftet und durch Delegation auf bestimmte Personen zu übertragen wären.) Schon in einem Ansatz, der theologische Klarheit in der Abwägung verschiedener Theorien zu schaffen meint, liegt eine Vorgehensweise vor, in der das Theophore als realer Träger des Göttlichen kaum Platz haben kann. Grundlegender noch ist die Frage: „[I]st im Amt nach evangelischem Verständnis sich vermittelnde Gegenwart Gottes möglich?“.2 Zumindest ab 1535 gibt Luther von der Kanzel auf diese Frage eine eindeutige Antwort, aber Luthers Auffassung und das „evangelische Verständnis“ könnten durchaus unterschiedlich sein. Eine unoder sogar anti-theophore Amtsauffassung muss dogmengeschichtlich gesehen als Sieger im „evangelischen Verständnis“ des Amtes gelten.3 Während es den Rahmen der vorliegenden Untersuchung sprengen würde, dem sich weiter entwickelnden Kontext – ja, den historischen Kontexten – der Amtsdebatte unter den historischen Erben Luthers eingehend nachzugehen und sie zu präsentieren, muss doch im Folgenden auf die eine oder andere Grundtendenz einiger Ansätze und gewisser an der Debatte Beteiligten hingewiesen werden, die sich auf Luther berufen oder Inhalt vorbringen, der mit Ergebnissen dieser Untersuchung sich überschneidet oder sich davon unterscheidet. Eine für die Amtsdebatte unter den historischen Erben Luthers bedeutsame Grundtendenz besteht darin, eine unmittelbare Beziehung jedes einzelnen Christen oder Gläubigen zu Gott als eine Art Ausgangspunkt anzunehmen, und erst von diesem Punkt ausgehend amtstheologisch zu formulieren. Aber dass ein Amtsverständnis z. B. sich auf ein (oder das) „protestantisches Prinzip“ beruft, bedeutet noch nicht, dass es sich auf Luther zurückführen ließe. Besonders wenn eine auch katabatische Gottesunmittelbarkeit4 zu diesem Prinzip gehört, wi2 Baur, „Amt im Protestantismus“, S. 122. 3 Baur, „Amt im Protestantismus“, S. 125: „Das Gewicht des Theophoren gehört zum protestantischen Amte nicht. Dies ist das im Streit mit Philipp Nicolai eingebrachte Votum des vergessenen, aber geschichtlich siegreichen Pierius. Er glaubte sich im Rechte des protestantischen Prinzips.“ (Hervorhebung JM). Das Gewicht dieses Aufsatzes ist kaum zu überschätzen: Baur verweist auf eine Kontinuität des Theophoren im Amtsverständnis Luthers und späterer Lutheraner, die jedoch nach und nach abgeschwächt und beseitigt wurde. In seiner Darstellung von T. Thumm, P. Nicolai und V. E. Löscher lassen sich Überschneidungen mit den Ergebnissen dieser Arbeit feststellen; den genannten Theologen stehen vor allem reformierte und pietistische Kontrahenten gegenüber. 4 Oder eine Unmittelbarkeit, bei der das Anabatische vom Katabatischen nicht unterschieden wird. Bei Luther kann man eine anabatische Unmittelbarkeit des Christen erkennen (vor Gott

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Systematisch-theologisches Resümee

derspricht es – unseren Ergebnissen zufolge – grundsätzlich dem Amtsverständnis Luthers. Diese theologisch bedeutsame Tendenz zeigt sich in der Arbeit J. W. F. Höflings. Höfling zitiert zwar Luther, aber in der Analyse seiner Arbeit zeigt sich, dass er sich von vornherein nicht nur Luther, sondern in erster Linie einem protestantischen Prinzip Schleiermachers verpflichtet weiß. Höfling nimmt dessen Gedanken von einer (undifferenzierten) Unmittelbarkeit der Beziehung zwischen Gott und dem Christen auf.5 Für den reifen Luther ist nicht nachzuweisen, dass er die Beziehung des Christen zu Christus im Glauben gegen das Verhältnis des Christen zu den das Heil und die Gnade Gottes vermittelnden notae der institutionellen Kirche ausspielt.6 treten, beten, usw.), aber eine katabatische Unmittelbarkeit (nach der Gott unmittelbar an den Menschen handelt und der Christ sich irgendwann der Mittel des Handelns Gottes entledigen kann) ist Luthers gesamten theologischen Verständnis entgegen. 5 Höfling, Grundsätze, S. 2 (§3); „[…] der Katholizismus mache das Verhältniß des Einzelnen zu Christo von seinem Verhältnisse zur Kirche, der Protestantismus aber das Verhältniß des Einzelnen zur Kirche von seinem Verhältnisse zu Christo abhängig, […]“; Schleiermacher, Der christliche Glaube, S. 99 (§28). Siehe auch Höfling z. B. S. 4, (§4): „die Unmittelbarkeit des Verhältnisses der Gläubigen zu Christo und dem Heile in ihm“; S. 14 (§10): „[…] Alles von dem inneren persönlichen Verhältnisse des Individuums zu Christo abhängig macht, […]“; und S. 26 (§17). Offen bleibt der Modus des Verhaltens Christi zu dem Christen. Vgl. Dietz, „,Ächt lutherisch?‘ Echt protestantisch!“, bes. S. 99, Anm. 4 und S. 106, Anm. 24, sowie Fagerberg, Bekenntnis, Kirche und Amt, S. 229 und 236–239. 6 Auch entgegen dem, was wir bei Luther gesehen haben (siehe 9.4.1, dort bei Anm. 125 und 128; 9.5; und 10.2, dort bei Anm. 41), ist die Bewegung im System Höflings eindeutig von innen nach außen, so dass das Innerliche ständig theologische Priorität behält. Erst setzt er die Gemeinschaft der Gläubigen, und von daher kommt er zu den „Gnadenmitteln“, die als äußerliche Merkmale [vgl.: „societas externorum signorum ecclesiae“] bestimmt werden. Das Wort und die Sakramente, angeblich Entstehungsgrund der Gemeinschaft, fallen bei Höfling jedoch in den Betätigungsbereich der Gemeinschaft, so dass er nicht sagen kann, wie sie der Gemeinschaft tatsächlich vorausgehen. Die innere Gemeinschaft der Gläubigen konstituiere sich in eine äußere Gemeinschaft, bei der das gepredigte Wort und die ausgeteilten Sakramente überhaupt erst einen Platz finden (Höfling, Grundsätze, S. 5ff [§6]). Der Glaube als vorgegebener Zustand gehe allen äußeren Mitteln voraus. Dann aber haben die sogenannten „Gnadenmittel“ keine vermittelnde Funktion, zumindest nicht für die Gemeinschaft der Gläubigen; eine effektive Wirksamkeit der Schlüssel wird z. B. aberkannt (S. 76 [§30]). In dieser Konstruktion ist Höflings Auffassung der Ordination schon vorgegeben, deren Wirksamkeit – wie bei allen Handlungen in der Kirche – von „der rechten inneren Disposition dessen, für den sie stattfindet“, abhängig gemacht wird (S. 47 [§24]). In der konstituierten Gemeinde, die der Betätigungsbereich der Kirche sei, bleibe die Gemeinschaft auch beim Sakramentalen immer Subjekt und Objekt zugleich (S. 58 [§27]), so dass eine klare Position der Passivität unter dem Handeln Gottes ausbleibt. Ein Donatismus auf der Makro-Ebene liegt auf der Hand (S. 7 [§4]; auch 1851 Ausgabe, S. 22 [Anm. zu §11]): Die moralische Person der ganzen Kirchengemeinschaft wird als handelndes Subjekt im christlichen Kultus bestimmt. „[…] so kann sie ihr Subjektsein für dasselbe [i. e. das Amt oder Handeln] […] nur in ihrer Eigenschaft als moralische Person, durch von der Gemeinschaft zum Gemeinschaftsdienste besonders bestellte und berufene Individuen ausüben.“ (S. 35 [§19]). Sein theologischer Ansatz, der von einer Unmittelbarkeit ausgeht und keine vermittelnden Instanzen anerkennt, vermag nicht, das Wort und die Sakramente als wirksame Gnadenmittel organisch zu inte-

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In der Debatte um die Kirche und das Amt im deutschen Protestantismus des 19. Jahrhunderts ging es freilich und berechtigterweise nicht einfach um eine (gerechte) Rezeption des Amtsverständnisses Luthers. Dabei wurde Luther jedoch mal mehr, mal weniger zitiert. Auf jeden Fall hat sich Höfling aber um eine Rezeption oder den Anschein einer Rezeption des Amtsverständnisses Luthers bemüht.7 Dennoch stand mancher, der nicht Luther-Zitat an Luther-Zitat reihte, oftmals Luthers theologischer Gedankenwelt näher als Höfling. Dieses könnte wesentlich damit zu tun haben, dass mancher an dieser Debatte Beteiligte im grieren; vgl. Brunner, „Amt des Bischofs“, S. 238: Bei Höfling ist die unsichtbare Kirche schlechterdings vorgegeben; das Vorausgehen des Amtes und das leiblich-geschichtliche Geschehen, durch das diese Kirche zustande kommt, werden unbeachtet gelassen. Ferner wird das Verhältnis von Individuen und der Gemeinschaft als durch Wahrnehmung von (aktiv verstandenen) Rechten und Pflichten abgestufte Mitgliedschaft verstanden (S. 15–17 [§12]), so dass besonders fähige und willige Mitglieder zu einer besonderen Klasse erhoben werden (S. 17 [§13]) und sogar zu einem besonderen Kern der Gemeinde durch einen kirchlichen Benediktionsakt geweiht werden könnten (eine Art Ordination!) (S. 21 [§14]). Hier ist nicht nur die ecclesiola in ecclesia der Pietisten zu finden, sondern es wird auch das Fundament für die Einführung einer erneuten Zwei-Stände-Lehre gelegt. Nach diesem Muster wird die Tüchtigkeit und Geschicktheit der Pfarrer und Prediger verstanden (S. 31 [§19]), so dass es im ekklesiologischen System Höflings notwendigerweise „zur Kreirung eines besonderen geistlichen Standes“ kommen muss (1851 Ausgabe, S. 59 [Anm. zu §19]). Anhand innerlich gespürter und irgendwie festzustellender Begabung stehen „gewisse[n] Individuen vor anderen“ (1851 Ausgabe, S. 61 [Anm. zu §19]). Nicht zuletzt ist Höflings Amtsverständnis mit einem, an Luther gemessen, mangelhaften Apostelbegriff verbunden: Die Apostel seien nicht als Amtsträger, sondern vielmehr als diejenigen zu verstehen, die durch ihr Zeugnis als Vermittler des Kanonischen gelten (1851 Ausgabe, S. 41–46 [Anm. zu §17]). Würde man die Apostel auch als Amsträger in einer kontinuierlichen Reihe begreifen, so wie es bei Luther zu finden ist, der demgemäß auch den Predigern und Pfarrern das Regieren der Kirche zuschreibt, wären die Konsequenzen für Höflings System katastrophal: „Wenn wir […] den Presbyterat als eine göttliche Einsetzung anerkennen sollten, so müssen wir […] einen göttlich eingesetzten Kirchenregierstand anerkennen, […]“ (1851 Ausgabe, S. 89 [Anm. zu §24]). Die Vorstellung eines sich fortsetzenden oder fortpflanzenden Amtes kann Höfling im Prinzip nur polemisch zurückweisen (S. 43f [§23]), und seine Bestimmung der Gemeinschaft als primäre Inhaberin des Amtes und der „Diene[r] der Gemeinschaft“ als sekundäre Inhaber (1851 Ausgabe, S. 69 [Anm. zu §21]; auch S. 40 [§22]) kann nach dem gepredigten Amtsverständnis Luthers viel besser durch die Bestimmung eines passiven und eines aktiven Habens abgelöst werden (vgl. 7.3 oben). Es stellt sich nach und nach heraus, dass Höfling in seiner Bestimmung der Kirche und ihrer Verfassung von einer fundamentalen Trennung des Göttlich-Himmlischen vom Menschlich-Irdischen ausgeht, die auf eine christologische Grundüberzeugung zurückgeht, die mit Luther keineswegs zu vereinbaren ist: „Jedes ,divino jure‘ bestehende oder handelnde Kirchenregiment würde im katholischen Sinne ein gesetzlicher ,vicarius‘ des nicht mehr auf Erden gegenwärtigen, sondern in den Himmel aufgestiegenen Christus seyn (Vgl. §. 29); das von Gemeinschaftswegen handelnde aber ist das Organ des von der Allgegenwart und Allwirksamkeit Christi erfüllten allgemeinen Priesterthums der Gläubigen.“ (S. 81 [§31], Unterstreichung JM). Die Grundausrichtung seiner Kirchenverfassung – von unten nach oben – schließt aus, dass das Göttlich-Katabatische und das Institutionelle (und insofern Äußere) je zusammenfallen könnten (S. 14 [§10]). 7 Zur Zitierweise Höflings siehe Dietz, „,Ächt lutherisch?‘ Echt protestantisch!“, S. 101, Anm. 9: „umfänglichen Lutherzitaten (die jedoch nicht interpretiert, nur assortiert werden)“.

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Systematisch-theologisches Resümee

Unterschied zu Höfling ein Prinzip der undifferenzierten Gottesunmittelbarkeit als theologischen Ausgangspunkt nicht setzt und als kontrollierende Dynamik nicht ohne Weiteres akzeptiert. Indem sie ein konkret vermitteltes Handeln Gottes durch äußere, leibliche und institutionelle Größen und Instanzen nicht etwa von vornherein ausschlossen, sondern theologisch zu würdigen und einzuordnen wussten, teilten manche an der damaligen Debatte Beteiligten eine Grundausrichtung der Theologie Luthers. Stünde diese fundamentale Tendenz als Gemeinsamkeit statt als Unterschied, könnten auch weitere amtstheologische Überzeugungen sich mit anderen Aspekten des Amtverständnisses Luthers decken. Es bestehen solche Gemeinsamkeiten – wenn auch jeweils unterschiedlich nach Theologen und Kirchenrechtlern – in den Werken einiger, denen es oft nicht direkt darum ging, Luther zu rezipieren.8 Soweit sie sich auf Luther bezog, fand die Amts- und Ordinationsdebatte des 19. Jahrhunderts einen gewissen wissenschaftlichen Abschluss in den Arbeiten 8 Dies gilt z. B. für F. J. Stahl, W. Löhe, T. Kliefoth und A. F. C. Vilmar. Allein die Tatsache, dass Stahl die Welt nach hierarchischen Ordnungen versteht, deren Autoritätsstrukturen von oben nach unten fungieren, rückt seine ekklesiologischen Gedanken viel dichter an Luther und dessen amtstheologisch relevante Drei-Stände-Lehre heran als die gut demokratisch angehauchte Denkweise Höflings (vgl. in dieser Hinsicht Fagerberg, Bekenntnis, Kirche und Amt, S. 106). Dies tritt besonders in Stahls Bestimmung der Kirche als einer über den Individuen stehenden Anstalt hervor, die ihrerseits Platz für ein vermitteltes Handeln Gottes und das Amt als sein Werkzeug hat; Stahl, Kirchenverfassung, bes. S. 47–99 (vgl. 1862 Ausgabe, S. 50). Vgl. weiter Fagerberg, Bekenntnis, Kirche und Amt, S. 197–225 und 299–308; Slenczka, „Diskussion um das Amt“, S. 126–134. Löhes ernsthaftes Fragen nach den Ämtern und Amtsträgern des Neuen Testaments kommt Luther sehr nahe. Dass z. B. das auch personal verstandene Amt sich fortpflanzt (Löhe, „Aphorismen“, S. 292–298; „Kirche und Amt“, S. 560–562) gehört zum Amtsverständnis Luthers; ein Aspekt der im 4. Kapitel erläuterten apostolischen Kontinuität des Amtes ist, dass die vorangehenden Amtsträger ihre Nachfolger einsetzen. Die systematisch-theologische Reihenfolge von Amt und Gemeinde, die in Luthers Predigten gefunden werden kann (siehe 9.5 oben) nimmt Löhe auf (z. B. Löhe, „Aphorismen“, 262f). Zu Löhe vgl. weiter Heubach, Die Ordination, S. 14–23 (bes. S. 14–16); Nüssel, „Evangelisches Bischofsamt in der Neuzeit“, S. 175–181; Pannenberg, „Das kirchliche Amt“, S. 290f; Fagerberg, Bekenntnis, Kirche und Amt, S. 225–239 und 273–285. Schon mit seinem Begriff „Gnadenmittelamt“ zeigt Kliefoth eine Nähe zu Luther (Kliefoth, Acht Bücher, S. 132ff: „Zweites Buch. Von den Gnadenmitteln und ihrem Amte“), der eine Verwobenheit des konkreten Amtes mit dem Wort und den Sakramenten zum Ausdruck bringt (vgl. 6.2.3.3). Kliefoth versteht die Kirche als eine differenzierte Größe (vgl. bes. 4.2 und Kap. 7) und bestimmt das Amt als einen instrumentalen Dienst, bei dem Gott katabatisch an den Menschen handelt (vgl. bes. 6.2, 9.4.1 und Kap. 10) (Acht Bücher, S. 187–212 und 309f). Als ausgezeichneter Kenner der Liturgie und der Kirchenordnungen weiß er das Sakramentale vom Sakrifiziellen zu unterscheiden. Siehe weiter Fagerberg, Bekenntnis, Kirche und Amt, S. 286–299. Zu Kliefoths Nachfolgern ist Heubach zu rechnen; siehe Heubach, Die Ordination. Besonders Vilmar hat die in seiner eigenen Verheißung begründete Gegenwart Christi im Amt betont (v. a. Vilmar, Dogmatik, S. 272f und 281f; siehe auch Vilmar, Lehre vom geistlichen Amt, S. 6) und auch die christologische und apostolische Kontinuität des Amtes aufgezeigt (vgl. Fagerberg, Bekenntnis, Kirche und Amt, S. 308–312).

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von Georg Rietschel,9 dessen Grundposition (unter anderem eine Negierung des theophoren Momentes) deutlich der Linie zuneigt, die sich aus Höflings Ansatz herleitet. Rietschels Auffassung von der Ordination ist schon mit seiner Auffassung von den Sakramenten vorgegeben: Wenn sein theologischer Ansatz keinen Platz lässt für das effektiv mittelbare Handeln Gottes durch das mündliche Wort der Absolution und den äußeren Ritus der Taufe, dann ist das Ordinationverständnis bereits weithin vorgefasst.10 Gott wird abgelöst von den äußeren Riten und Zeremonien des kirchlichen Gottesdienstes. Es zeigt sich, dass hinter dieser sogenannten „Amtsdebatte“ zwei unterschiedliche Grundausrichtungen der Theologie aufeinander stoßen.11 Apriorische Gottesunmittelbarkeit kennzeichnet auch die Arbeit von Harald Goertz. Problematisch ist bei Goertz, dass seine metaphern-analytische Perspektive am Ende wenig Platz für sakramental-reale Handlungen lässt. Seine Betrachtungsweise ist von einem Gottesbild geprägt, das dem reifen Luther – besonders in seiner Christologie – fern steht. Das Göttliche gehört zu einer tranzendentalen Ebene und kann nur bild- oder modellhaft zum Ausdruck

9 Heubach, Die Ordination, S. 33–37. Rietschel, Luther und die Ordination und Rietschel, Lehrbuch der Liturgik 2,405–439. 10 Nach Rietschel werden in der Taufe – zumindest in der Taufe von Kindern – keine Sünden vergeben, noch die Gnade Gottes durch die Taufe erwirkt (Rietschel, Lehrbuch der Liturgik 2,128; vgl. aber Kl. Kat. Taufe,5–6 [BSLK 515,35–516,2], Gr. Kat. IV,2,23–27, 64 und 83 [BSLK 691,11–14; 695,33–696,16; 704,19–23 und 707,14–20] und darüber hinaus CA IX,1f [BSLK 63,2–7], Apol IV,103 [BSLK 181,49–51], IX,2 [BSLK 247,18–26], XXIV,18 [BSLK 354,16–22]). Die Absolution sei nicht wirksam, sondern bedingt, und Rietschel behauptet, dass allein der Glaube – in dieser Hinsicht als eine Art „psychologische Bedingung“ verstanden – als Mittel bestimmt werden darf, durch das man der Zusage der Gnade Gottes teilhaftig wird (2,382; vgl. aber Kl. Kat. IV,16 [BSLK 517,12–16] und Luther, „Von den Schlüsseln“, 1530 [WA 30/ II,498,34–40]). Die Prämisse ist die einer undifferenzierten Gottesunmittelbarkeit im Glauben. Nach Rietschel hätten die christliche Religion und der christliche Gottesdienst ihren besonderen Charakter gerade in ihrer Innerlichkeit und Geistlichkeit. Der (alte) geordnete Kultus sei aufgehoben und durch einen als Erziehungsmittel verstandenen Kultus ersetzt worden, in dem es um Anbetung und Erbauung gehe (1,23–67); ein katabatisch leibliches Handeln Gottes an den Menschen aber bleibt aus. Wenn „Gottes-Dienst“ überhaupt als ein genitivus subiectivus zu verstehen wäre, dann nur in einem äußert abgeleiteten Sinne: Keineswegs ist Gott aktualpräsent – sprechend und handelnd durch äußere, leibliche Mittel. Bedauerlich ist, dass der Verfasser eines Lehrbuches der Liturgik, das eine Zeit lang fast als das Lehrbuch schlechthin in diesem Gebiet galt, „kein Verständnis“ „für eine Theologie des Gottesdienstes“ hatte (Heubach, Die Ordination, S. 33, Anm. 140). 11 Siehe Kinder, „Zur Sakramentslehre“, bes. S. 160, Anm. 28: Neuprotestantische Sakramentsfeindlichkeit gegenüber dem Sakramentsrealismus Luthers, dessen Auffassung der Sakramente auch durch das Alte Testament geprägt war. Wie tief die Kluft ist, kann beispielhaft in einer Antwort der Göttinger Fakultät auf die Arbeit des Ökumenischen Arbeitskreises Evangelischer und Katholischer Theologen gesehen werden: Die Göttinger wollen die Inkarnation als ein „abgeschlossenes Gotteshandeln“ verstanden wissen (Lange, Überholte Verurteilungen?, S. 117); vgl. dagegen Kap. 3.

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Systematisch-theologisches Resümee

kommen.12 Zwischen dem Reden und Tun Gottes und dem Reden und Tun des Menschen besteht ein kategorischer und apriorischer Unterschied, so dass es zwischen beiden immer einen Abstand gibt. Diese christologische Verkürzung minimiert die Wahrnehmung des vermittelten Sprechens und Handelns Gottes.13 Goertz’ Auffassung der Sakramente entspringt einer defizitären LutherDeutung. Die Taufe, die „die Bedeutung eines Heilsmittels“ hat, wird als ein Zeichen für Gottes Verheißung verstanden, die ihrerseits auch selbst schwer fassbar bleibt.14 Der im System inhärente Abstand wird durch den Glauben überwunden, der als die Antwort des Menschen auf das Versöhnungswerk Gottes gilt sowie als ein (aktives) Sich-Indentifizieren mit dem Opfer Christi und Sich-Einlassen auf seinen priesterlichen Dienst.15 Der Glaube selbst – und nicht etwa der von dem Wort und den Sakramenten konstituierte Raum – wird schließlich zum Ort des gnädigen und versöhnenden Handelns Gottes,16 und der Gläubige steht in einer unvermittelten Beziehung zu Gott.17 Unter diesen Voraussetzungen ist auch für Goertz schon im Vorfeld eine 12 Goertz, Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt, S. 47: „Der Kategoriensprung […] liegt zwingend vor, wenn Aussagen über einen transzendenten Sachverhalt gemacht werden sollen. Da hierfür prinzipiell kein direktes Vokabular vorhanden ist, bedienen sich solche sog. katachrestischen Aussagen v. a. Metaphern anthropomorpher bzw. soziomorpher Kategorien. Als Modellwelt z. B. für das Wirken Gottes dient dann das Handeln der Menschen etc.“ Man braucht nur die christologischen Implikationen des folgenden Zitats zu überlegen: „[D]ie metaphorische Redeweise [ist] […] aufgrund der fundamentalen Differenz von Göttlichem und Irdischem prinzipiell notwendig, um (zumindest im Blick auf den erhöhten Christus) überhaupt theologische Aussagen machen zu können.“ (S. 80). 13 Direkt gegen die Ergebnisse von 3.2 oben. 14 Goertz, Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt, S. 105 (Unterstrich JM); vgl. S. 147f. Die Überzeugung, dass der erhöhte Christus durch äußere Mittel nicht tatsächlich handelt, erstreckt sich sogar auf eine doketische Bestimmung der Predigt und des Wortes: Das externe, leibliche Wort ist nicht das Sprechen Gottes. Nur das innere Wort, in dem Christus zu dem Herzen spricht und Glauben erweckt, verdient bei Goertz diese Bezeichnung (S. 90f; vgl. 138); dies steht freilich in Widerspruch zu Goertz’ eigener Arbeit, die nicht an einer gewissen Mittelbarkeit völlig vorbei kommt (z. B. S. 137–144; S. 137, Anm. 184 wäre zu begrüßen, wenn „das Wort“ irgendwie konkret definiert worden und nicht stattdessen schwer zu fassen wäre). Gegen den Vorwurf einer donatistischen Amtsauffassung versucht sich Goertz zu schützen mit einem Rekurs auf das „göttlich[e] Wort“ und dessen Wirksamkeit (S. 262), aber das Wort, auf das er weist, ist nicht ein abstrakter Begriff (wie in Goertz’ eigener Argumentation), sondern es sind bestimmte Mandats- oder Stiftungsworte (vgl. S. 262, Anm. 347). Vgl. zu Mandat 3.3, 4.1.2, 4.1.3.3, 4.2.2, 4.2.3, 4.3 und 6.2.3.3. Weil bei Goertz das „Wort“ nur abstrakt zur Geltung kommt, ist auch die etwas künstlich ausgearbeitete Unterscheidung zwischen dem aktiven Vollmacht(-Haben) einzelner Christen und ihrer Befähigung hinfällig (S. 260–266), so dass letztlich nicht einzusehen ist, warum das funktional aufgefasste Amt nicht doch von der gläubigen Person als gläubiger Person abhängig ist (eine donatistische Position). 15 Goertz, Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt, S. 100 und 102; vgl. auch 104: „,in Anspruch nehmen‘“, und S. 139: „sich von dieser Predigt im Herzen erreichen lassen“. 16 Goertz, Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt, S. 102 und 262. Vgl. 5.2. 17 Goertz, Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt, S. 97–99, 134, 148.

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Entscheidung über die Bestimmung der Ordination gefällt: Wenn Menschen in einer unmittelbaren Beziehung zu Gott stehen, der seinerseits immer Abstand zu allen leiblichen Mitteln hält, ist es kategorisch unmöglich, im Ritus der Ordination Gott als den zu erkennen, der dabei leiblich spricht und handelt. Es liegt auf der Hand, diesen Ritus hauptsächlich oder ausschließlich unter rechtlichgesetzlichen statt unter pneumatischen Kategorien zu verstehen.18 In der immer noch um Luthers Verständnis des kirchlichen Amtes kreisenden Debatte sind nicht nur die kritische Abwägung wissenschaftlicher Ansätze und die Überprüfung der Quelleninterpretation von Bedeutung, sondern auch die Berücksichtigung von theologischen Tendenzen bei den jeweiligen Luther-Interpreten, die noch tiefer reichen; sie mögen sich zum Teil nicht unter normalen amtstheologischen Stichworten erfassen lassen, sind aber dennoch für das Amtsverständnis relevant. Es gibt eine Grundtendenz in der Interpretation von Luthers Amtsverständnis, die sich nicht primär auf die Gewichtung einer sogenannten Übertragungs- gegenüber einer so genannten Stiftungstheorie richtet, sondern bei der es vielmehr um eine apriorisch angenommene, undifferenzierte Gottesunmittelbarkeit geht, die leibliches und mittelbares Sprechen und Handeln Gottes ausschließt. Es handelt sich um eine bedeutsame aber bisher nicht ausreichend beachtete theologische Tendenz bei manchen LutherInterpreten. Sie haben mit ihrer Luther-Deutung das amtstheologische Fundament für eine ganze ökumenische Schule gelegt.19 Das widerspricht aber nicht 18 Goertz, Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt, S. 310f („Berechtigung und Verpflichtung“). Nicht anders ordnet auch Rietschel die Ordination ein – nämlich unter die „mit der kirchenrechtlich organisierten Gemeinde zusammenhängenden Handlungen“ (Rietschel, Lehrbuch der Liturgik 2,405). Höflings Erörterung ist zwar polemischer, aber inhaltlich gleich (Höfling, Grundsätze, S. 42–57 [§23–25]; vgl. Anm. 6 oben). Es entbehrt nicht der Ironie, dass eine Position, die alles mit einem Hauch vom „[Z]eremonialgestzlich[en]“ (Höfling, S. 2 [§3] et passim) aus der Kirche fernhalten wollte, schließlich keine anderen Kategorien für den Ordinationsritus (eine Zeremonie) fand als die des Kirchenrechtes (d. h. gesetzliche). Vgl. Dietz, „Ordination und Ordinationsvollmacht“, S. 105: „juridische Verengung“. Diese in der Tat zeremonialgesetzliche Sicht ist prägend: Auch Krarups Untersuchung übersieht die verheißende Rolle der Schriftlesungen im Ordinationsritus (siehe 6.3.4.2). 19 Das, was Heubach, Die Ordination, S. 33–58 zu der Auswirkung Rietschels (der sich inhaltlich Höfling anschloss) in der deutschen evangelischen Theologie feststellen konnte, konnte neuerdings auch Dietz, „Ordination und Ordinationsvollmacht“, S. 123 in Bezug auf den Einfluss von Goertz bemerken: „[…] der gesamte Modus des liturgischen Vollzugs wird krampfhaft ausgeklammert und keiner theologischen Interpretation zugeführt.“ Ein u. a. von Höfling, Rietschel und Goertz herausgearbeitetes Amts- und Ordinationsverständnis, das in der Prämisse einer undifferenzierten Gottesunmittelbarkeit und in der Ablehnung eines leiblich vermittelten Handelns von Gott Vertreter unter den Pietisten und Reformierten früher hatte (siehe oben Anm. 2–3 sowie 1.2.1), ist nun für die VELKD auf ihrem Weg zu einer gemeinsamen Bestimmung (des Amtes und) der Ordination maßgebend (vgl. 1.2.2, dort bei Anm. 46–47; siehe auch Dietz, „,Ächt lutherisch?‘ Echt protestantisch!“). Diese Position folgt dem Kurs einer inner-protestantischen Ökumene im Sinne der Leuenberger

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Systematisch-theologisches Resümee

nur dem homiletisch vermittelten Amtsverständnis des reifen Luther, sondern auch der Grundausrichtung seiner Theologie, wie sie durch seine Christologie bestimmt ist.

11.3 Überschneidung und Übereinstimmung mit Ergebnissen ökumenisch-theologischer Forschung, besonders denen der Evangelisch-lutherischen/Römisch-katholischen Forschung Obwohl die Predigten Luthers aus den Jahren, in denen es regelmäßig Ordinationen in Wittenberg gab, für die Erforschung seines Amtsverständnisses bisher nicht ausreichend untersucht worden sind, decken sich die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit in mancher Hinsicht mit Folgerungen, Feststellungen und Äußerungen ökumenisch-theologischer Forschung, die an dieser Stelle kurz angegeben werden sollen.20 Die Lehre vom Amt gilt bereits seit Jahrzehnten als das Hauptproblem für ökumenische Verständigung zwischen Römisch-Katholiken und Lutheranern. Bedeutsame Fortschritte der theologischen Annäherung können aber nicht übersehen werden.21 Eine wesentliche ökumenische Erkenntnis, die diese Arbeit teilt, liegt darin, dass der göttlichen Initiative gegenüber der Kirche durch das Amt Priorität zugemessen wird. Gott ist der konkret Kommende, indem er Botschafter und Haushalter sendet; das Werk der Rechtfertigung ist sein.22 Das Konkordie. Als beispielhaften Vertreter siehe Körtner, „Ordination und Priestertum aller Gläubigen“, bes. S. 029f; aber auch Führer, Das Amt der Kirche; vgl. dazu Sander, „Rezension von Führer“. Das Amtsverständnis der Leuenberger Kirchengemeinschaft, für das das Priestertum aller Gläubigen an erster Stelle steht (Ökumenischer Arbeitskreis, „Abschließender Bericht“, S. 235; vgl. dagegen 9.2.3 und 9.4.1), wird u. a. dem des Lima Dokuments (Kommission […] des Ökumenischen Rates der Kirchen, „Lima-Dokument“) und dem aus der Gemeinsame[n] Röm.-Kath./Ev.-Luth. Kommission, „GAK“ entgegengehalten. Nicht nur gegenüber dem gepredigten Amtsverständnis des reifen Luther erweist sich diese Position als defizitär, sondern es lässt sich grundsätzlich in Frage stellen, wie sie die Schriften Luthers auswertet und das Ereignis der Reformation interpretiert; vgl. Dieter, „Luthers Lehre vom Amt“; Sander, „Ordination im Luthertum“; Kasper, Harvesting the Fruits, S. 192 (§98). 20 Wir müssen uns auf Arbeiten von bzw. zwischen römisch-katholischen und lutherischen Theologen beschränken. Als aktuelle Standardwerke siehe z. B. Wenz, Schneider und Sattler, Das kirchliche Amt in apostolischer Nachfolge, 3 Bd., Luth./Röm.-kath. Kommission, Apostolizität der Kirche, und die einschlägigen Teile von Kasper, Harvesting the Fruits. 21 Siehe Braaten, „Introduction: New Lutheran Church“, S. 1. Erst im 20. Jahrhundert hat die römisch-katholische Theologie zu einer positiven Beschäftigung mit Luther gefunden: Decot, „Luthers Bedeutung“, S. 232. 22 Gemeinsame Röm.-Kath./Ev.-Luth. Kommission, „GAK“, S. 335f (§20), vgl. Kasper, Harvesting the Fruits, S. 110 (§56) und Ökumenischer Arbeitskreis, „Abschließender Bericht“, S. 236 (§75); siehe auch Luth./Röm.-kath. Kommission, Apostolizität der Kirche, S. 104 (§206). Vgl. v. a. 3.4, 4.3 und Kap. 10.

Überschneidung und Übereinstimmung mit Ergebnissen ökum.-theolog. Forschung

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Amt – und mit ihm die konkreten Träger desselben – verdankt seine Existenz einer göttlichen Einsetzung und ist nicht von der Gemeinde abgeleitet oder ableitbar.23 Vielmehr existiert die Gemeinde der Gläubigen als Gläubigen nur dank des konkreten Handelns Gottes durch das Amt: Das Amt ist notwendig für die Existenz der Kirche.24 Durch die Amtsträger, die in der Gemeinde sind, ihr aber zugleich auch gegenüberstehen, wird für die unverzichtbare Externität des Wortes und des Evangeliums gesorgt.25 Das Amt hat, „das ,Prae‘, das ,Voraus‘, das ,Gegenüber‘ Christi zur Kirche […] öffentlich darzustellen und institutionell zu leben.“26 Die Amtsträger sind Werkzeuge, Organe und Instrumente Christi, durch die er mittelbar spricht und handelt.27 Das kirchliche Amt befindet sich weiterhin in einer diachronen Kontinuität,28 und seine Träger werden durch die ganze Geschichte der Kirche hin bis zur Reformation als die Nachfolger vorausgegangener Amtsträger und also in einer gewissen Hinsicht auch als Nachfolger der Apostel verstanden.29 In das kirchliche Amt wird durch die Ordination 23 Luth./Röm.-kath. Kommission, Apostolizität der Kirche, S. 135 (§276) (vgl. S. 76 [§147]); Gemeinsame Röm.-Kath./Ev.-Luth. Kommission, „GAK“, S. 336 (§20) (vgl. S. 337 [§23]), vgl. Ökumenischer Arbeitskreis, „Amt: Zu den konfessionellen Gegensätzen“, S. 158, und Kasper, Harvesting the Fruits, S. 110 (§56). Vgl. v. a. 3.3, 5.2, und Kap. 9. 24 Zur systematisch-theologischen Reihenfolge: Luth./Röm.-kath. Kommission, Apostolizität der Kirche, S. 102f (§201–203) und S. 182 (§383) (vgl. S. 76 [§147]); vgl. dazu bes. Kap. 9. Zu dem Amt und der Existenz der Kirche: Luth./Röm.-kath. Kommission, Apostolizität der Kirche, S. 135 (§276), vgl. Kasper, Harvesting the Fruits, S. 111 (§56) und auch Piepkorn, „Sacred Ministry and Holy Ordination“, S.111f; vgl. dazu v. a. 5.1. Zur Bestimmung des allgemeinen Priestertums siehe ferner : Luth./Röm.-kath. Kommission, Apostolizität der Kirche, S. 101 (§198) und S. 126f (§253); vgl. dazu 9.4.1 und 10.3. 25 Zum Gegenüber : Ev.-luth./Röm.-kath. Studienkommission, „Malta-Bericht“, S. 261 (§50), Gemeinsame Röm.-Kath./Ev.-Luth. Kommission, „GAK“ S. 337 (§23); Kommission […] des Ökumenischen Rates der Kirchen, „Lima-Dokument“, S. 570 (Amt §11); Ökumenischer Arbeitskreis, „Abschließender Bericht“, S. 236 (§75); Luth./Röm.-kath. Kommission, Apostolizität der Kirche, S. 127 (§255) und S. 135 (§275); Kasper, Harvesting the Fruits, S. 111 (§56) (auch S. 79 [§41], vgl. S. 151 [§76]); vgl. auch Ökumenischer Arbeitskreis, „Amt: Zu den konfessionellen Gegensätzen“, S. 188 sowie Piepkorn, „Sacred Ministry and Holy Ordination“, S.102; hierzu siehe v. a. Kap. 7. Zur Externität des Wortes und des Evangeliums: Luth./Röm.-kath. Kommission, Apostolizität der Kirche, S. 127 (§255f); Kasper, „Anerkennung der Ämter“, S. 109; hierzu siehe bes. 7.2. 26 Pesch, „Auf dem Weg“, S. 163. 27 Gemeinsame Röm.-Kath./Ev.-Luth. Kommission, „GAK“, S. 336 (§21); Luth./Röm.-kath. Kommission, Apostolizität der Kirche, S. 105f (§209f); Kasper, Harvesting the Fruits, S. 110 (§56); siehe auch Piepkorn, „Sacred Ministry and Holy Ordination“, S. 104. Vgl. dazu 6.2. 28 Ökumenischer Arbeitskreis, „Abschließender Bericht“, S. 210 (§47) und S. 177f (§10d); vgl. Gemeinsame Röm.-Kath./Ev.-Luth. Kommission, „GAK“, S. 332 (§7: handelnde Gegenwart des erhöhten Christus in der Geschichte); Luth./Röm.-kath. Kommission, Apostolizität der Kirche, S. 71f (§131: historische kontingente Ausdrucksweisen des Evangeliums und des Amtes). Vgl. dazu Kap. 5. 29 Generell z. B. Ökumenischer Arbeitskreis, „Abschließender Bericht“, S. 207–223 (§42–66); siehe auch Pannenberg, „Das kirchliche Amt“. Der Sukzessionsgedanke, den wir beim späteren Luther gesehen haben (siehe Kap. 4), steht in der großen Tradition der Kirche – z. B.

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eingesetzt, in der Christus selbst durch menschlichen Vollzug zum Dienst der Kirche beruft und sendet.30 Die Ordination fällt den Bischöfen zu, kann aber auch durch Presbyter vollzogen werden.31 Im Amt, dessen Träger Christus repräsentieren, ist Christus selbst präsent.32 Das für heutige ökumenische Gespräche und Bestrebungen sehr hilfreiche Amtsverständnis des reifen Luther wurzelt, wie bereits gezeigt, in einer Christologie, die eine überraschende Wahrnehmung der Mensch- und Fleischwerdung Gottes zeigt: Christus begegnet den Menschen zu allen Zeiten in leiblichen – also hörbaren und sichtbaren – Formen, wie es seiner Inkarnation gemäß ist. Die Amtsträger, denen es befohlen ist, sein Wort zu predigen und seine Sakramente zu verwalten und dadurch die Kirche zu regieren, gehören zu dem ganzen Komplex der Christus vermittelnden Formen. Luther widersteht zwar der Bindung der heilsamen Aktualpräsenz Gottes an eine bestimmte Ausprägung der dem 1. Clemensbrief sehr ähnlich: Kommission […] des Ökumenischen Rates der Kirchen, „Lima-Dokument“, S.580 (Kommentar zu §36); Ökumenischer Arbeitskreis, „Abschließender Bericht“, S. 208 (§44); Luth./Röm.-kath. Kommission, Apostolizität der Kirche, S. 94 (§184). Freilich bleibt die Bedeutung und die Verbindlichkeit bestimmter Formen der personalen Sukzession in den ökumenischen Diskussionen noch strittig, aber auch in dieser Hinsicht hat die Forschung bereits manche Zerrbilder abbauen können, nicht zuletzt das der bischöflichen Sukzession als bloß lückenloser Kette bischöflicher Handauflegungen: z. B. Luth./Röm.-kath. Kommission, Apostolizität der Kirche, S. 47 (§67), Kasper, „Apostolische Sukzession als ökumenisches Problem“, S. 337, und Wiedenhofer, „Begriff ,successio apostolica‘“. 30 Zur Ordination als Einsetzung ins Amt: Gemeinsame Röm.-Kath./Ev.-Luth. Kommission, „GAK“, S. 340f (§32f). Siehe auch Piepkorn, „Sacred Ministry and Holy Ordination“, bes. S. 112–116. Zu Christus als Ordinator: Kommission […] des Ökumenischen Rates der Kirchen, „Lima-Dokument“, S. 581, (Amt §39); Luth./Röm.-kath. Kommission, Apostolizität der Kirche, S. 136 (§277); vgl. Gemeinsame Röm.-Kath./Ev.-Luth. Kommission, „GAK“, S. 341 (§34). Siehe dazu 6.3. 31 Die Ausbildung des Verhältnisses von Presbyterat und Episkopat, das seit je Entwicklungen und Verschiebungen durchgemacht hat, war in der spätmittelalterlichen Kirche des Westens und zu Luthers Lebzeiten nicht zu einem Abschluss gelangt. Ein Abschluss findet sich zunächst im Tridentinischen Konzil und in der Gegenwart beim Zweiten Vatikanischen Konzil der römisch-katholischen Kirche. Die Meinung, dass die Ordination durch Inhaber des presbyteralen Amtes (Priester, Pfarrer, Prediger) vollzogen werden könnte, wurde bis auf die Zeit der Wittenberger Reformation weithin vertreten: Gemeinsame Röm.-Kath./Ev.Luth. Kommission, „GAK“, S. 354 (§76); siehe auch Kasper, „Anerkennung der Ämter“ und Piepkorn, „Validity of Lutheran Orders“; vgl. Luth./Röm.-kath. Kommission, Apostolizität der Kirche, S. 132 (§267) und 138 (§282), und Ökumenischer Arbeitskreis, „Abschließender Bericht“, S. 212–230 (§51–69), sowie Wenz, „Episkope im Dienst der Apostolizität“, S. 57f, und Wenz, „Bischofsamt in ökumenischer Perspektive“, S. 259, und auch Walter, „Episkopat und Presbyterat“. Siehe dazu v. a. 4.1.3. 32 Kasper, Harvesting the Fruits, S. 111 (§56): „[…] the ministry […] makes him present, […]“; er zitiert die englische Fassung der Gemeinsame[n] Röm.-Kath./Ev.-Luth. Kommission, „GAK“, S. 337 (§23): „[D]as Amt“ wird „als Vergegenwärtigung Jesu Christi ausgeübt“. Ökumenischer Arbeitskreis, „Amt: Zu den konfessionellen Gegensätzen“, S. 158 mit Hinweis auf Apol 7,28 (BSLK 240,40–49).

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kirchlichen Gewalt – nämlich an das durch Missbräuche gekennzeichnete Papsttum des späten Mittelalters mit den an ihn gebundenen Fürstbischöfen im Heiligen Römischen Reich.33 Aber eine verheißende Selbstbindung Gottes an das Amt in der historisch kontinuierlichen Kirche, ebenso die Selbstvermittlung Gottes durch dieses Amt in dieser Kirche, sind für Luther von entscheidender Bedeutung, besonders angesichts der Entäußerung und Selbsterniedrigung Christi.34 Da das homiletisch vermittelte Amtsverständnis des reifen Luther nicht von einer undifferenzierten Unmittelbarkeit des Einzelgläubigen zu Gott ausgeht, widerspricht es einer inzwischen zum Grundprinzip gewordenen Überzeugung wesentlicher Teile des Protestantismus. Die institutionelle Kirche, das kirchliche Amt und die Amtsträger sind nach Luther nicht einfach soziologisch, funktionalistisch oder ordnungsnotwendig zu erklärende Phänomene, sondern heilsrelevante weil heilsvermittelnde Größen. In dieser Hinsicht kann z. B. Kardinal Walter Kasper nur zugestimmt werden, wenn er sagt, dass ökumenische Gespräche um das Amt in einem weiteren theologischen Kontext geführt werden müssen, der die sakramentale Grundstruktur und heilsvermittelnde Bedeutung der Kirche thematisiert.35

33 Zu Luther und den Wittenberger Reformatoren in Bezug auf diese Ausprägung des bischöflichen Amtes siehe Wendebourg, „Die Reformation in Deutschland und das bischöfliche Amt“; vgl. auch Wendebourg, „Das Amt und die Ämter“, bes. S. 17–30. 34 So ist es notwendig, Luther von einem nach ihm entfalteten und sich immer noch weiter entfaltenden Protestantismus zu unterscheiden. Wird eine solche Unterscheidung vollzogen, dann kann seine Einordnung in gegenwärtige ökumenische Diskussionen geradezu erstaunlich sein: Siehe z. B. Ratzinger, „Protestantismus“ gegenüber Wenz, „Ratzinger und Protestantismus“ (der sich mit Ratzingers Artikel in seinem Aufsatz auseinandersetzt). Wenn die Inkarnation in der Spiritualität des heutigen Protestantismus nicht ausreichend zum Ausdruck kommt (vgl. Ratzinger, S. 814f), gilt dies keineswegs für Luther. Wenz würde nach seinen weiteren Ausführungen zu Individualität und Sozialität nicht erklären können, wie die Kirche Geschöpf eines leiblichen Wortes sein sollte, weil er das ordinationsgebundene Amt implizit erst als einen Aspekt vorgegebener kirchlicher Sozialität versteht (vgl. dagegen 9.2, 9.4 und 10.2). Die vorliegende Arbeit zeigt, dass seine Bemerkung, „Von einer sichtbaren Präsenz Jesu Christi in den Amtsträgern […], welche mit der realen Gegenwart des Herrn in den ins Wort gefassten sakramentalen Wirkzeichen auch nur annähernd oder ansatzweise vergleichbar wäre, kann unter protestantischen Bedingungen nicht die Rede sein.“ (Wenz, S. 5), dem homiletisch vermittelten Amtsverständnis Luthers nicht gerecht wird. Denn Luther geht von einer verborgenen (und insofern sichtbaren!) Präsenz Jesu Christi in den Amtsträgern aus, die seiner Inkarnation entspricht und zu dem größeren Ganzen seiner vermittelten Präsenz nach der Himmelfahrt gehört. 35 Kasper, „Apostolische Sukzession als ökumenisches Problem“. Vgl. Kasper, Harvesting the Fruits, S. 154 (§79).

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11.4 Auseinandersetzung im ökumenischen Horizont Auch wenn es manche Ergebnisse und Folgerungen aus der ökumenischen Amtsforschung gibt, die sich mit unserer Untersuchung decken, so lassen sich zugleich theologische Tendenzen und Ansätze feststellen, die Aspekte des Amtsverständnisses des späten Luther ausschließen oder verkürzen. An dieser Stelle sollen die wichtigsten dieser Unterschiede in Kürze angezeigt werden. Zunächst besteht ein wesentlicher Unterschied im Verständnis von Predigt, Taufe, Absolution und Abendmahl. Für Luther sind diese „Stücke“ des Reiches Christi nicht nur sichtbare Zeichen der verborgenen Kirche, sondern vielmehr die Mittel, durch die die Kirche überhaupt erst geboren und dann erhalten wird.36 Weit verbreitet in der heutigen ökumenischen Diskussion ist dagegen ein theologischer Ansatz, der diese Mittel nicht als solche, sondern nur als Zeichen auffasst, als sichtbare Äußerungen der unsichtbaren Kirche, denen die Kirche systematisch-theologisch vorgeordnet ist.37 Bei dieser Tendenz kann eine reformierte Sakramentsfassung festgestellt werden, die das distributive, vermittelnde und zueignende Moment eines lutherischen Verständnisses der Gnadenoder Heilsmittel verneint.38 Das bestimmt dann auch das Verständnis der Ordination.39 Es droht zugleich eine theologische Verkürzung der Taufe: Sie wird primär als Befähigung zum Dienst in der Kirche gesehen, um überhaupt einen theologischen Wert zu behalten.40 36 Siehe 9.2. 37 Siehe Gemeinsame Röm.-Kath./Ev.-Luth. Kommission, „GAK“, S. 333–337 (§10–22), vor allem im abstrakten Präsenzbegriff von S. 20f (§19): Systematisch-theologisch ist eine abstrakte Präsenz im Volk oder in der als Volk verstandenen Kirche der Diskussion aller anderen Präsenzweisen vorgeordnet. Ähnlich VELKD, „Allgemeines Priestertum, Ordination, Beauftragung“, 4,15–21: Geist, Kraft und innerliches Wirken bilden die Grundlage der Existenz der Kirche, von der alles andere abgeleitet wird. Undeutlichkeit in dieser Hinsicht sieht man z. B. bei Wenz, „Bischofsamt in ökumenischer Perspektive“, S. 251: Wenn Evangeliumsverkündigung und Sakramentsverwaltung „Lebensäußerungen und Lebensbetätigungen“ der Kirche sind, sind sie nicht der Kirche „zuvor“. Ohne anabatische und katabatische Unmittelbarkeit näher zu erklären und zu differenzieren, ist es widersinnig, von „vermittelt[er] Unmittelbarkeit“ zu reden: Wenz, „Ratzinger und Protestantismus“, S. 6. Vgl. dagegen Kinder, „Evangelische Katholizität“, S. 72 zu „communio sanctorum“ in erster Linie als Anteilhaben am Heiligen. 38 Siehe v. a. Kinder, „Zur Sakramentslehre“. Siehe auch Lieberg, Amt und Ordination, S. 118, Anm. 78. Wir haben bereits anhand Pr. 1577 und Pr. 2018 sowie anhand des Ordinationsformulars beobachten können, wie Luther „dispensatores mysteriorum Dei“ (I Kor 4,1) versteht (siehe bes. 4.2.3). 39 S.o. Anm. 6, 10, 12–18. 40 Diagnostisch vgl. Dietz, „Ordination und Ordinationsvollmacht“, bes. S. 136f. Exemplarisch in der bereits dargestellten Linie von Höfling, Rietschel und Goertz (s. o. Anm. 6, 10, 12–18) ist Körtner, „Kirchenleitung und Episkop¦“, S. 227: Die Taufe fordert „den individuellen Glauben“; S. 222: „Die Taufe ist […] die für den Dienst der Verkündigung notwendige Berufung[…].“; siehe auch Grünwaldt, „Ordnungsgemäß berufen“, S. 73: Priesterwürde =

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Neben der Tendenz, den Gnaden- oder Heilsmitteln eine vermittelnde Funktion abzuerkennen, tritt eine Neigung zu einem gewissen Verbismus oder Verkündigungsreduktionismus zu Tage. Dabei wird „die Verkündigung“ beziehungsweise „die Predigt“ als eine Art theologischer Oberbegriff genommen, Taufe, Abendmahl und Absolution als deren Funktionen oder Formen verstanden. Dementsprechend kann nichts von der Taufe, der Absolution oder dem Abendmahl ausgesagt werden, was nicht auch als Aussage über „die Verkündigung“ gilt.41 Die Neigung zu solchem Verkündigungsreduktionismus ermöglicht es, die theologisch kontrollierende Terminologie in die Nähe von I Petr 2,9 zu ziehen: Ist die Verkündigung allen Christen zugeschrieben, dann müssen ihnen notwendigerweise auch alle Amtsfunktionen zustehen.42 Ist erst einmal die Richtung vorgegeben durch die Prämisse der (undifferenzierten) Gottesunmittelbarkeit der Gläubigen und durch den auf I Petr 2,9 bezogenen Verkündigungsoberbegriff, dann kann das Priestertum aller Gläubigen zum Ausgangspunkt der weiteren Entfaltung der Ekklesiologie und Amtstheologie werden. Über exegetische und bekenntnisbezogene Schwächen43 Vollmacht-Haben. Siehe auch z. B. Evangelische Kirche in Deutschland, Das Abendmahl, S. 53. Hier ist auch Kinders Bemerkung angebracht, dass in der lutherischen Lehre die Sakramente mit dafür stehen, dass der christliche Glaube reines Empfangen bleibt; Kinder, „Zur Sakramentslehre“, S. 144. 41 Siehe z. B. VELKD, „Allgemeines Priestertum, Ordination, Beauftragung“, S. 5: „die öffentliche Verkündigung durch Predigt und Sakrament“; Luth./Röm.-kath. Kommission, Apostolizität der Kirche, S. 79 (§158): „[…] das verkündigte Evangelium […] findet seinen Ausdruck in der Taufe, dem Sakrament des Altars und dem Amt der Schlüssel […].“, S. 135 (§276): „das Wort Gottes und seine öffentliche Verkündigung in Wort und Sakrament“; Körtner, „Kirchenleitung und Episkop¦“, S. 228: „Amt der Evangeliumsverkündigung in Wort und Sakrament“; Wenz, „Episkope im Dienst der Apostolizität“: S. 45: „den Vollzug der Verkündigung in der differenzierten Einheit von Wort und Sakrament“; Wenz, „Rite vocatus/ a“, S. 85: „Verkündigung in Predigt und Sakrament“. Wenn das ordinationsgebundene Amt der Kirche „seinem Wesen nach der Dienst der Verkündigung ist“ und diese „Verkündigung“ zugleich in Verbindung mit I Petr 2,9 gebracht wird, kann das kirchliche Amt nur als eine in seiner Öffentlichkeit höhere Stufe des allen Christen gemeinsamen Amtes verstanden werden; Ökumenischer Arbeitskreis, „Abschließender Bericht“, S. 234 (§75) (aus den Leuenberger Texten). Siehe auch Krarup, Ordination in Wittenberg, S. 270f, 313 und 317. 42 Exemplarisch: VELKD, „,Ordnungsgemäß berufen‘“, S. 18 (Zeile 23–25). Allein die Tatsache, dass 1nacc]kky von I Petr 2,9 ein hapax legomenon im Neuen Testament ist, weist auf die „eisegetischen“ Kunstgriffe, die hier notwendig werden. Vgl. Dieter, „Luthers Lehre vom Amt“, S. 83f; wir haben aber Grund zu bezweifeln, dass der reife Luther diesen Fehler so glatt begeht: Siehe 9.4.1 (dort Anm. 125 und 140). Manns, „Amt und Eucharistie“, S. 114, 123 und Anm. 82 zeigt wie schon Luther selbst auf Verbismus und Verkündigungsreduktionismus reagiert hat: Dass ein Vater das Wort in seinem Haus verkündigt, schließt keineswegs Recht und Befähigung ein, die Sakramente – vor allem das Altarssakrament – zu verwalten. Direkt zu Verbismus siehe Kinder, „Zur Sakramentslehre“, S. 155–166; Verkündigungsreduktionismus ist eine amtsbezogene Variante des generelleren Phänomens des Verbismus. 43 Exegetisch: Wenn man z. B. zur Apostolizität der als Volk verstandenen Kirche kommen will, muss irgendwie ein Begriff von der Apostolizität der Kirche entwickelt werden, die als Volk verstanden wird, so dass u. a. von einem Gesandt-Sein der Kirche bzw. des Volkes gesprochen

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hinaus erweist sich dieser Ansatz mit seiner Neubelebung der angeblich von ihm verworfenen Zwei-Stände-Lehre des späten Mittelalters als fehlerhaft: Obwohl der Terminus „Stand“ schon fast völlig aus dem allgemeinen Sprachgebrauch verschwunden ist,44 hat man es dennoch mit einer hierarchischen Wertabstufung von Christen zu tun, sobald die Rede ist von einem „besonderen“ und einem „(all)gemeinen“ Amt oder Priestertum. Bis jetzt ist diese Redeweise noch gang und gäbe unter denjenigen, die das Amt der Kirche im allgemeinen Priestertum der Gläubigen begründet sehen.45 Der Begriff des allgemeinen Priestertums wird weiter missdeutet: Unter diesem Begriff hat man heute nicht werden kann; ein Gesandt-Sein der Kirche hat aber rein sprachlich gesehen keinerlei Anhalt im Neuen Testament. Die Annahme des Gesandt-Seins der Kirche, die mit der Entwicklung des Amtsbegriffs aus dem Priester-Sein des Volkes zusammenfällt, ist aber Standardsprachgebrauch in ökumenischer Literatur: Gemeinsame Röm.-Kath./Ev.-Luth. Kommission, „GAK“, S. 333 (§12); Kommission […] des Ökumenischen Rates der Kirchen, „LimaDokument“, S. 567f (Amt-1 und -4–6); Ökumenischer Arbeitskreis, „Abschließender Bericht“, S. 255 (§109); Kasper, Harvesting the Fruits, S. 99f (§50, in Bezug auf „mission“), vgl. S. 81 (§42); vgl. Yeago, „The Papal Office“, S. 106–108. I Petr 2,9 hat wenig mit dem heutigen Verständnis des allgemeinen Priestertums zu tun: „Was in der heutigen Ämterfrage mit der Rede vom Priestertum aller Gläubigen gemeint ist, lässt sich biblisch-theologisch sachgemäßer aus der paulinischen Charismenlehre entwickeln.“ (Körtner, „Kirchenleitung und Episkop¦“, S. 221 [seines Abschnitts 2.2.3]). Bekenntnisbezogen: Körtner, „Ordination und Priestertum aller Gläubigen“, S. 030: Weder die lutherischen noch die reformierten Bekenntnisschriften leiten das ordinationsgebundene Amt vom allgemeinen Priestertum ab; vgl. Körtner, „Kirchenleitung und Episkop¦“, S. 221 (seines Abschnitts 2.2.2). Gegen Körtners Meinung, dass eine solche Ableitung den lutherischen Bekenntnisschriften doch nicht zuwider sei, siehe Pannenberg, „Das kirchliche Amt“, dessen historisch fundierte Position sich nicht widerlegen lässt; siehe auch Kühn, „Die Ordination“, S. 339–342. 44 Siehe Bayer, „Natur und Institution“, S. 352. 45 Siehe z. B. VELKD (Ökumenischer Ausschuss), „Frage der Apostolischen Sukzession“, S. 73; VELKD, „,Ordnungsgemäß berufen‘“ (S. 13, Anm. 40 brauchte man nicht, wenn kein solcher Fehler diesem Sprachgebrauch innewohnen würde); Ökumenischer Arbeitskreis, „Abschließender Bericht“, S. 222f (§65f; der Sprachgebrauch scheint auf die Reformierten zurückzugehen), 234 (§75; Leuenberger Texte), und 256 (§111); vgl. auch Axt-Piscalar, „Apostolische Amtssukzession“, S. 44; Wenz, „Rite vocatus/a“, S. 75; Meyer-Blanck, „Was macht die Ordination?“, S. 32. Das Problem war bereits bei Höfling präsent: Höfling, Grundsätze, S. 15–22 (§12–14) und 47f (§24); 1851 Ausgabe S. 59 [Anm. zu §19] und 84 [Anm. zu §24] (s. o. Anm. 6); vgl. Dietz, „,Ächt lutherisch?‘ Echt protestantisch!“, S. 109. Siehe auch Stein, Das kirchliche Amt bei Luther, S. 213: „die Einsicht von Ende 1519 – Amt ist nicht in besonderer Weise Priestertum“. Obwohl „essentia et non gradu“ (Lumen Gentium 10) kritische Diskussion erfordert, ist ein lutherisches Verständnis des Unterschieds zwischen Amtsträgern und anderen Christen auch nicht einfach in dessen Gegenteil zu finden, aber im Prinzip kommen viele protestantische Theologen gerade auf das „gradu et non essentia“ hinaus: Vgl. VELKD, „Allgemeines Priestertum, Ordination, Beauftragung“, S. 17, mit Ausbildung als erworbener Qualifikation zum Öffentlichkeitsunterschied; auch VELKD, „,Ordnungsgemäß berufen‘“, S. 19; siehe dazu Wenz, „Rite vocatus/a“, S. 76: „Graduelle Abstufungen im Sinne einer geistlichen Kompetenzenhierarchie“, auch S. 82–84. Gegen die Tendenz, das Gegenüber (den Unterschied) als ein akademisches Gegenüber zu verstehen, siehe Kretschmar, „Gegenüber von Amt und Gemeinde“, S. 105.

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mit „the great religious principle of the Reformation“46 zu tun, sondern vielmehr mit dem demokratischen Interesse der Politik und Kultur des Westens nach der französischen Revolution, die sich aller Autorität entgegenstellt und Autorität durch Macht ersetzen will.47 Das theologische Gewicht der Drei-Stände-Lehre in Luthers Amtsverständnis und Ekklesiologie fällt aus der Diskussion und wird durch einen verwandelten Priesterbegriff ersetzt, der dem demokratischen Geist angepasst ist. Eine Art kopernikanische Wende vollzieht sich: Autoritätsstrukturen werden nicht von oben nach unten konzipiert – wie bei Luther –, sondern von unten nach oben.48 Zusätzlich zu diesen vom Amtsverständnis Luthers abweichenden Momenten ist anzumerken, dass der derzeitige Umgang mit den kanonischen Schriften des Neuen Testaments in der ökumenischen Diskussion oft durch das faktische Aufstellen eines Kanons im Kanon gekennzeichnet ist.49 Dadurch bleiben Momente von Luthers Amtsverständnis unberücksichtigt oder werden bewusst ausgeschlossen. Denn amtstheologisch und ekklesiologisch gesehen kann Luther die Apostelgeschichte, den Epheserbrief und die Pastoralbriefe nicht geringer einstufen als den Römerbrief und den 1. Korintherbrief, und also werden institutionelle Momente des Neuen Testaments nicht gegen charismatische ausgespielt, wie heute oft üblich. 46 Siehe Braaten, „Introduction: New Lutheran Church“, S. 5 (Hervorhebung JM). 47 Vor allem die diagnostische Analyse von Carl Braaten: Braaten, „Introduction: New Lutheran Church“; Braaten, „Problem of Authority“; Braaten, Mother Church, bes. S. 67–81 und 133–148; Braaten, „Special Ministry of the Ordained“. Vgl. dagegen Axt-Piscalar, „Apostolische Amtssukzession“, S. 50; noch direkter ist Körtner, „Kirchenleitung und Episkop¦“, S. 217 (seine[r] Abschnitt[e] 1.1.2), 221 (2.2.2) und 224 (3.1.2.2). Ob das geistliche Leitungsamt der Kirche immer nach dem gängigen Modell der jeweiligen Politik aufgebaut worden ist, ist zwar eine andere, aber doch bedenkenswerte Frage; siehe Pesch, „Hermeneutik des Ämterwandels“, S. 315. 48 Vornehmlich in der presbyteral-synodalen Ordnung evangelischer Kirchen zu sehen; dazu vgl. Körtner, „Kirchenleitung und Episkop¦“, S. 219 (seine[n] Abschnitt[e] 1.2.5), 223 (2.3.1), 230f (4.1.1–4.1.3). Zur Drei-Stände-Lehre siehe oben 6.2.2. 49 Siehe z. B. Führer, Das Amt der Kirche, S. 464 (Zum „biblisch-reformatorische[n]“ Amtsverständnis [S. 407 et passim] gehören nicht Elemente der Pastoralbriefe, die als unvereinbar mit „der Grundlage der Theologie des Paulus“ eingeschätzt werden; sie anzunehmen wäre „biblizistisch“ [S. 464]. Marcions Schriftansatz war ähnlich.); Meyer-Blanck, „Was macht die Ordination?“, S. 33; Grünwaldt, „Ordnungsgemäß berufen“, S. 84, Anm. 26; Ökumenischer Arbeitskreis, „Abschließender Bericht“, S. 181–206 (§19–39) (Zu S. 200 [§30]: „klar[e] Über- und Unterordnungsverhältniss[e]“, wie man sie in den Pastoralbriefen findet, sind ein wesentlicher Bestandteil der amtstheologisch relevanten Drei-Stände-Lehre Luthers). Vgl. dagegen Luth./Röm.-kath. Kommission, Apostolizität der Kirche, S. 39 (§51): „[…] der Begriff des Charismas [kommt] in den Pastoralbriefen nur in Verbindung mit einem Ordinationsakt [vor].“; Braaten, „Special Ministry of the Ordained“, bes. S. 128–130 und 134. Siehe auch Sander, „Ordination im Luthertum“, S. 221f, bes. Anm. 62; Kretschmar, „Gegenüber von Amt und Gemeinde“, S. 90, und Piepkorn, „Validity of Lutheran Orders“, S. 214 („to enable“ ist – gegen Führer [S. 464] – gerade „evangeliozentrisch“).

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Systematisch-theologisches Resümee

Das konkrete und äußere Sprechen und Handeln Gottes wird durch die Prämisse der Gottesunmittelbarkeit eingeschränkt und die konkreten Mittel dieses Sprechens und Handelns im Rahmen eines generalisierten Verkündigungsbegriffs begrenzt; das allgemeine Priestertum wird zu einem Prinzip demokratischer Kirchenordnung ausgebaut und missdeutet; ein wesentlicher Teil des Neuen Testaments gilt als Geschichte der frühen Kirche, vom echt Apostolischen abweichend. In manchen Fällen findet die Ordination überhaupt erst in einem so planierten Umfeld Erwähnung: Ist sie ihres theologischen Inhalts beraubt, kann sie dann aufgenommen und als ein Akt nur juridischer und rechtlicher Bedeutung systematisch integriert werden. Als liturgische Inszenierung einer schon bestehenden Wirklichkeit habe sie nur zeichenhafte Bedeutung.50 Es ist insofern nur konsequent, dass die Ordination vom theologischen – wenn auch nicht ganz vom praktischen – Feld verdrängt wird und nicht mehr von einem „ordinationsgebundenen Amt“ gesprochen werden kann.51 50 Beispielhaft ist Meyer-Blanck, „Was macht die Ordination?“; dagegen Dietz, „Ordination und Ordinationsvollmacht“; gegen die Ordination als Inszenierung oder zeichenhafte Setzung göttlicher Realität vgl. Wannenwetsch, „Lob der Äußerlichkeit“ zu „Gestalten“. Die Deutungslinie haben wir bereits bei Höfling, Rietschel und Goertz erkannt; siehe oben 11.2 und den entsprechenden Teil (Goertz) oben 1.2.2. 51 VELKD, „,Ordnungsgemäß berufen‘“: Nach dem Text, der auf eine vereinheitlichte Ordinationsauffassung und -praxis innerhalb der EKD zielt, könnte man allenfalls von einem Amt sprechen, zu dem auch ordiniert wird. Siehe Sander, „Ordination im Luthertum“, bes. S. 213: „Sonderfall einer Beauftragung“. Die Deutungskunstgriffe in Bezug auf die lutherischen Bekenntnisschriften, die gegen ihren historischen Sinn uminterpretiert werden, sind erstaunlich; in Bezug auf VELKD, „Allgemeines Priestertum, Ordination, Beauftragung“ siehe Wenz, „Rite vocatus/a“, bes. S. 76–80; vgl. Körtner, „Ordination und Priestertum aller Gläubigen“, S. 030 (Hervorhebung JM): „Historisch kann kein Zweifel daran bestehen, daß in CA XIV die Ordination gemeint ist.“ Das in dem Papier (VELKD #136–2006) so genannte „reformatorische Schriftverständnis“ (6,1–13) legitimiert angeblich das historisch relativierende Deutungsmuster von CA XIV (16,15–40). Nun spricht man von dem „mit ordnungsgemäßer Berufung übertragene[n] Amt“ (z. B. VELKD #136–2006, S. 5, Anm. 11) und das heißt u. a. ein Amt, zu dem auch nicht ordiniert wird. Vgl. das Vorwort von Landesbischof Dr. Johannes Friedrich: „eine möglichst klare, stringente und theologisch konsequente Lösung“ – nämlich, dass alle diejenigen, die das „Verkündigungsamt“ ausüben, ordiniert sein sollten – erwies sich „als nicht konsensfähig“ (VELKD #136–2006 IV,1–7) mit Braaten, „Special Ministry of the Ordained“: Wenn Lutheraner mit „opposing answers to the fundamental questions about the office of the ministry, ordination and apostolic succession“ konfrontiert werden, stimmen sie darüber ab (S. 128); der „sensus fidelium“ wird als „a democracy of equally valid private opinions“ angesehen (S. 134). Man muss sich aber klar machen, dass es hier nicht um eine neue Praxis, sondern um die theologische Legitimierung einer längst gängigen Praxis geht: In den Mitgliedskirchen der VELKD – wie auch z. B. in lutherischen Kirchen in Amerika – haben Nicht-Ordinierte längst gepredigt und die Sakramente gespendet (siehe z. B. Pannenberg, „Das kirchliche Amt“, S. 288 in Bezug auf eine Stellungnahme des Theologischen Ausschusses der VELKD von 1970, und Schütte, „Kirche und Amt“, S. 111). Dennoch ist die Fragwürdigkeit des von der VELKD 2004 und 2006 eingeschlagenen Wegs im Blick auf seine ökumenische Auswirkung groß; siehe z. B. Grünwaldt, „Ordnungsgemäß berufen“, S. 81–83; Dietz, „,Ächt lutherisch?‘ Echt protestantisch!“,

Die Präsenz Christi im Amt als ökumenische Chance und Herausforderung

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11.5 Die Präsenz Christi im Amt als ökumenische Chance und Herausforderung Die dogmatische Konstitution Lumen Gentium und das Dekret Unitatis Redintegratio des Zweiten Vatikanischen Konzils haben in der Ökumene berechtigterweise erhebliche Aufmerksamkeit gefunden. In Bezug auf Luther und die ökumenischen Diskussionen um die Amtsfrage bietet jedoch die liturgische Konstitution des Konzils einen besonders verheißungsvollen Anknüpfungspunkt. Sacrosanctum Concilium befasst sich nämlich mit den Gegenwartsweisen Christi in der Liturgie, so dass die Diskussion seiner Präsenz im Gottesdienst nicht nur um der Frage der eucharistischen Realpräsenz kreist, sondern eine umfassendere Präsenz in verschiedenen Präsenzweisen anspricht.52 Von diesen Gegenwartsweisen gilt es, dass sie sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern „als Aspekte der einen umfassenden Gegenwart des Auferstandenen“ aufzufassen sind.53 Unter den Präsenzweisen Christi wird seine Gegenwart im Dienst des Priesters auch bedacht, die näher als eine Aktualpräsenz im liturgischen Dienst des Priesters beschrieben werden kann.54 Die Aktualpräsenz Christi im Dienst des Amtsträgers fußt auf Einsichten der Kirchenväter, die sich mit amtstheologischen Aussagen der Predigten des reifen Luther inhaltlich decken.55 Obwohl nach Eisenbach ein Verständnis der Aktualpräsenz Christi nie aus dem theologischen Denken der Kirche verschwand, wurde es besonders in der Mysterienlehre und Theologie Odo Casels neu belebt, die ihrerseits die Theologie des Konzils und seiner Liturgiekonstitution beeinflusst haben.56 Über die Texte des Konzils hinaus sind längst Versuche gemacht

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bes. S. 104–106; Sander, „Ordination im Luthertum“, S. 211–213; Ökumenischer Arbeitskreis, „Abschließender Bericht“, S. 243 (§83). Die wichtigste Arbeit zu diesem bedeutsamen Aspekt der liturgischen Konstitution ist Eisenbach, Gegenwart Jesu Christi im Gottesdienst. Für den Text der liturgischen Konstitution in lateinischer und deutscher Fassung siehe Hünermann, Die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils, S. 3–56. Lies, „Drei Weisen der Gegenwart“, S. 197. Eisenbach, Gegenwart Jesu Christi im Gottesdienst, S. 400–441, bes. 413–420. Siehe z. B. die Zitate von Johannes Chrysostomos bei Eisenbach, Gegenwart Jesu Christi im Gottesdienst, S. 63 (Anm. 225): „Durch seine priesterliche Handlung leiht ,er also Christus gleichsam seine Zunge und reicht ihm seine Hand‘“ (auch S. 75), und S. 414 (Anm. 253): „Wenn du aber siehst, wie der Priester dir (die Kommunion) reicht, dann meine nicht, der Priester sei es, der dies tut; sondern Christi Hand ist es, die sich dir entgegenstreckt.“ Vgl. u. a. Pr. 1574 [R] WA 41,456,12f: „Meine Hand, [mein] Mund [ist] sein Instrument, [seine] Masken, und nichtsdestoweniger vollzieht er selbst [die Amtshandlungen].“ („Mea manus, os sein instrumentum, larven, et tamen ipse facit.“; siehe 6.1.1). Zu Casel und der Mysterienlehre siehe auch Eisenbach, Gegenwart Jesu Christi im Gottesdienst, S. 38–57: „[E]s [ist] der erhöhte Herr selbst[,] der in der Liturgie sein Heilswerk für uns präsent macht, indem er zu uns spricht und sich in den Symbolen seiner Gegenwart zeigt und schenkt.“ (S. 55), und auch summarisch S. 124.

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Systematisch-theologisches Resümee

worden, diese Aktualpräsenz näher zu definieren und zu spezifizieren. In ihrem ökumenischen Potenzial bleiben sie nach Meinung des Verfassers dieser Zeilen noch begrenzt und müssen kritisch gewertet werden.57 An sich aber verdient die Aktualpräsenz Christi interkonfessionelle und ökumenisch-theologische Beachtung. Denn sie meint eine mittelbare und tätige Präsenz Christi im Gottesdienst, der die Amtsträger als Instrumente in Anspruch nimmt. Diese Gegenwart Christi ist eine personale Präsenz; und wenn man sie als eine solche versteht, kann man die menschliche Natur Christi und damit auch seine in Knechtsgestalt verborgene und gnädige Handlungsweise amtstheologisch wahrnehmen. Dementsprechend können die Amtsträger als Personen wahrgenommen werden, die Christus repräsentieren, ohne dabei in ontologische Verengungen zu fallen, weil sie ja gerade instrumental für das Sprechen und Handeln Christi – für das Aktuale – gebraucht werden. Die Aktualpräsenz Christi, die sich im Dienst der Amtsträger darstellt, wird also als ein Aspekt seiner Gegenwart verstanden, die sich in solchen sinnfälligen Formen vollzieht, die seiner eigenen Inkarnation entsprechen.58 Bestimmt man die Aktualpräsenz Christi auf diese Weise, dann liegt eine große Überschneidung mit den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung auf der Hand.59 Ökumenisch mag die so herausgestellte Aktualpräsenz Christi im Amt, wie sie in der Liturgiekonstitution und in der römisch-katholisch-theologischen Wissenschaft zu finden ist, verheißungsvoll sein. Von Luther her muss aber auch ein starker Vorbehalt ausgesprochen werden, denn die Aktualpräsenz Christi im 57 Vor allem sind Arbeiten von Johannes Betz und Lothar Lies in dieser Hinsicht zu nennen: Betz, Eucharistie – Griechische Väter ; Betz, „Eucharistie, VI. Systematik“; Betz, „Eucharistie“; Betz, „Eucharistie als zentrales Mysterium“; Lies, „Drei Weisen der Gegenwart“; Lies, „Verbalpräsenz – Aktualpräsenz – Realpräsenz“; Lies, „Praesentia Christi“. Betz kann von einer „prinzipalen Aktualpräsenz Christi“ sprechen, nach der Christus der prinzipal Handelnde und Hauptagent in der Feier der Eucharistie sei; kritisch zu würdigen wäre aber der Gegenpart – nämlich der Priester als der ministral Handelnde, der dann entsprechend einen Beitrag zum gemeinsamen Opferwerk leistet. Sowohl Betz als auch Lies versuchen, die Aktualpräsenz Christi in der Liturgie als eine kommemorative Aktualpräsenz näher zu spezifizieren, aber das anamnetische Moment dieser Definition ist von einem für Luther an sich problematischen Verständnis der Messe als Opfer kaum zu trennen (dazu mehr unten). Grundsätzlich aber lässt sich die Erläuterung zur kontinuierlichen Heilsgeschichte, die Betz z. B. im Vorwort zu Die Eucharistie in der Zeit der griechischen Väter (S. XXIII–XXVII) bietet, mit dem von uns in Kap. 5 diskutierten Moment der historischen Kontinuität sowie mit Christus als Geber und Vollzieher des göttlichen Mandats (siehe 3.3) vereinbaren; in dieser Hinsicht vgl. auch Eisenbach, Gegenwart Jesu Christi im Gottesdienst, S. 321f. 58 Vgl. hierzu Eisenbach, Gegenwart Jesu Christi im Gottesdienst, S. 305–322 und 348f. 59 Gerade weil er die theologischen Gedankengänge der Vormoderne noch verstand, ergeben sich bei Luther Gemeinsamkeiten mit theologischen Momenten, die erst wieder in der Mysterienlehre wach wurden; vgl. Betz, „Eucharistie als zentrales Mysterium“, S. 267f. Zu einer Aktualpräsenz Christi nach den lutherischen Bekenntnisschriften vgl. die Angaben bei Kinder, „Zur Sakramentslehre“, S. 154f, Anm. 14.

Die Präsenz Christi im Amt als ökumenische Chance und Herausforderung

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Dienst des Priesters wird hier nur mit und unter dem Oberbegriff des Messopfers diskutiert.60 Luther weiß von einer Präsenz Christi im Amt – davon, dass er selbst durch die Amtsträger mittelbar spricht und handelt. Die Messe als Opfer und der Amtsträger als das Messopfer mitvollziehender Priester sind jedoch mit seiner theologischen Ausrichtung unvereinbar.61 Ist es aber zwingend, dass sich die Aktualpräsenz Christi nur in Verbindung mit dem Messopferbegriff denken lässt? Gerade bei Luther finden wir das Gegenbeispiel. Bei seinem gepredigten Amtsverständnis, wie wir es untersucht haben, müssen wir die Präsenz Christi im Amt als eine reale, personale Aktualpräsenz katabatischer Art bestimmen. Dabei ist festzuhalten, dass das homiletisch vermittelte Amtsverständnis des reifen Luther, der das Kommen Christi zu den Menschen – das Katabatische – vom Kommen der Menschen zu Gott – dem Anabatischen – wohl zu unterscheiden weiß, nicht nur durch die Annahme eines am Messopfer haftenden Amtsbegriffs gefährdet wäre, sondern auch durch einen Ansatz, der seinen Ausgangspunkt bei dem allgemeinen Priestertum aller Christen setzt:62 So oder so kann und wird das Kommen Gottes zu den Menschen nicht klar vom Kommen der Menschen zu Gott unterschieden; so oder so wird das Sakramentale vom Sakrifiziellen und das Ministerium vom Sacerdotium nicht klar unterschieden;63 so oder so wird die Rechtfertigung nicht konsequent als alleiniges, schöpferisches Werk Gottes zu Ende gedacht;64 so oder so werden dann Gaben 60 Dies gilt für Betz und Lies sowie auch für die Ergebnisse von Eisenbach. Besonders deutlich wird diese Problematik in Eisenbachs Diskussion des dialogischen Charakters der Liturgie; siehe Eisenbach, Gegenwart Jesu Christi im Gottesdienst, bes. S. 235–240 und 322–327; vgl. Lies, „Praesentia Christi“, S. 419: „doppelte Bewegung“. Natürlich hat die Liturgie einen dialogischen Charakter ; die Frage ist aber, wie er zu verstehen ist: Siehe Lutheran Worship, S. 6. 61 Siehe z. B. zutreffend Manns, „Amt und Eucharistie“, S. 150, Anm. 148. Vgl. dazu einerseits Ökumenischer Arbeitskreis, „Amt: Zu den konfessionellen Gegensätzen“, S. 159 und andererseits Kasper, Harvesting the Fruits, S. 160 (§80) und 187 (§96), vgl. 191 (§97). 62 Für eine Diskussion des Anabatischen und Katabatischen in der reformatorischen Amtstheologie siehe Sander, Ordinatio Apostolica, S. 65–67, Anm. 170. 63 Diese Tendenz kann bereits bei Höfling bemerkt werden; Höfling, Grundsätze, S. 58 (§27): Bei der sakramentalen Seite ihres Lebens ist die Gemeinde Subjekt und Objekt zugleich; sie ist in den Sakramentshandlungen zugleich aktiv und passiv. Siehe auch Dietz, „Ordination und Ordinationsvollmacht“, S. 133, und Dietz, „,Ächt lutherisch?‘ Echt protestantisch!“, S. 104, sowie Ökumenischer Arbeitskreis, „Abschließender Bericht“, S. 219 (§59). 64 Siehe Jüngel, „Kirche als Sakrament?“, S. 441 für die Diagnose, dass nach der katholischen Theologie die Kirche ihr eigenes Sein (mit)vollzieht. Anhand der Erläuterungen Eisenbachs zur liturgischen Konstitution scheint diese Diagnose keineswegs unberechtigt; Eisenbach, Gegenwart Jesu Christi im Gottesdienst: Wenn die Kirche als Organ des priesterlichen Werkes Christi und Gehilfe in seinem Heilswerk verstanden wird (z. B. S. 244 und 576; vgl. 322–327: „Damit […] dieses Vollmaß der Verwirklichung [des Sinnes der Liturgie] erreicht wird, ist es notwendig, daß die Gläubigen […] mit der himmlischen Gnade zusammenwirken, um sie nicht vergeblich zu empfangen.“ [323]), ist sie aktiv am Zustandekommen ihres eigenen

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Systematisch-theologisches Resümee

zu Aufgaben65 gemacht und das Evangelium nicht klar vom Gesetz unterschieden. Durch sein spezifisches Verständnis der Präsenz Christi im Amt hebt sich Luther zugleich von gewissen amtstheologischen Gedanken in der römischkatholischen als auch in der gegenwärtigen evangelischen Theologie ab.

11.6 Schlusswort Wenn wir wollen, daß Luther zu uns spricht, müssen wir ihm erlauben, in seiner Sprache und mit seinen Begriffen zu reden, auch auf das Risiko hin, daß wir unerwartete Dinge hören. Es könnte sein, daß die unerwarteten Antworten uns hilfreicher sind, als lediglich eine erneute Bestätigung dessen, was wir schon immer dachten.66

Die ökumenische Suche nach „full visible communion in faith, sacramental life, apostolic ministry and mission“67 ist nichts weniger als das Bestreben nach Erneuerung der getrennten Kirchen, ihrer re-formatio. In der Geschichte der christlichen Kirche entstand Erneuerung und positive reformatio kaum jemals, ohne dass der Weg durch Buße ging. Am Ausgang der Reformation, die zur Spaltung der abendländischen Christenheit führte, hat Luther die Kirche seiner Zeit zur Buße gerufen. Er tat es durch Aufdeckung ihrer Missbräuche. Heute können seine Erben noch immer ein „metanoetisches Potential“ im dem finden, was er den zukünftigen Amtsträgern homiletisch vermittelte – und damit zu einer Erneuerung ihres eigenen Amtsverständnisses finden.68 Während historisch gesehen ein Amtsverständnis, das die theophore Dimension des Amtes ausschließt, über Luthers Ansatz gesiegt hat,69 können wir bei Luther selbst eine theophore Instrumentalität des Amtes und der Amtsträger sehen. Und während

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Seins beteiligt. Ähnliches haben wir bereits bei einer typischen, aber doch irreführenden Darstellung der Ekklesiologie Luthers (siehe 9.2.3) unter evangelischen Theologen festgestellt: Die Kirche soll angeblich Geschöpf des Evangeliums sein, aber indem sie in erster Linie als eine homogene und undifferenzierte Größe konzipiert wird, fällt ihr auch eine aktive Rolle am Zustandekommen ihres eigenen Seins zu. In beiden Fällen wird „das ,Prae‘, das ,Voraus‘, das ,Gegenüber‘ Christi zur Kirche, die ,Fundamentalunterscheidung‘ zwischen Christus und der Kirche“, die den Grundsinn des Amtes ausmacht (s. o. Pesch [und Ebeling], bei Anm. 26), verdunkelt. Mit Recht stellt Böntert, „Leben unter Geheimnis des Kreuzes“, S. 155 nicht nur eine erweiterte Rolle der Gemeinde in der Liturgie anhand der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils fest, sondern auch „die Forderung“ nach ihrer „tätigen Teilnahme“ („Forderung“ hervorgehoben, JM). Eine klare Passivität der Gläubigen und die als Gläubige verstandene Gemeinde bleibt aus; vgl. Höfling bei Anm. 6 oben. Sasse, „Luther und das Wort Gottes“, S. 323. Zum Unerwarteten bei Luther vgl. Bayer bei 1.5.1 (dort bei Anm. 161). Kasper, Harvesting the Fruits, S. 6. Manns, „Amt und Eucharistie“, S. 148 und Anm. 176 bestätigt die Notwendigkeit metanoetischer Haltung auch von Seiten des römischen Katholizismus. Vgl. Anm. 3 oben, Baur.

Schlusswort

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eine Präsenz Christi im Amt, die mit seiner Präsenz in den Gnaden- bzw. Heilsmitteln verbunden ist und sich auch mit ihr korrelieren lässt, von manchen apriorisch ausgeschlossen wird,70 haben wir feststellen können, dass das Amt und die Amtsträger zu dem Ganzen der mittelbaren, handelnden Gegenwart Christi gehören, so dass gesagt werden kann, er sei in ihm und in ihnen aktualpräsent. Dagegen scheinen solche historischen Erben Luthers, die mit ihm sowohl „protestantische Prinzipien“ in Frage stellen als auch ihre eigenen Bekenntnisschriften nicht nur rezipieren, sondern in der Praxis auch vertreten, von ihren römisch-katholischen Gesprächspartnern in der Ökumene gefragt zu sein.71 Vielleicht wird auch die römisch-katholische Kirche überdenken, ob nicht die früher einmal als gültig angesehene presbyterale Ordination in den lutherischen Kirchen anerkannt werden kann, wenn sich Luthers historische Erben einer Rückbesinnung auf das öffnen, was einmal für die Gemeinschaft und Kommunion der Kirche ausreichend war.72 So könnte es auch in Zukunft wieder ausreichend sein.

70 Wenz, „Ratzinger und Protestantismus“, S. 5; s.o Anm. 34. 71 Kasper, „Kirchenverständnis und Kircheneinheit“, S. 56, und Ratzinger, „Prognosen“, S. 39f; gewünscht wird u. a. ein Verständnis von CA XIV, das dem entspricht, was „zuerst ja auch gemeint war“ (S. 40). 72 Ratzinger, „Prognosen“; wenn Ratzinger in Bezug auf die Primatsfrage gegenüber den Orthodoxen sagen kann, dass „was ein Jahrtausend lang möglich war“ „nicht heute christlich unmöglich sein“ kann (S. 36), müsste dasselbe eigentlich auch für die für 15 Jahrhunderte offen gelassene Frage der episkopalen und presbyteralen Ordinationsvollmacht gelten. In Bezug auf die „Maximalforderung der Protestanten“, die er diskutiert (S. 35), stünde ein Verständnis der Kirche und des Amtes, das auf einen Verzicht auf apostolisch-sakramentaler Struktur beharrt, in klarem Widerspruch zu Luther und den lutherischen Bekenntnisschriften. Was „die apostolisch-sakramentale Struktur“ ist (S. 35, Hervorhebung JM), ist eben die Frage.

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Personen- und Sachregister

Abendmahl: 11, 13, 24, 69f , 75–77, 82, 86, 94f, 97, 101, 108, 113, 115, 129, 133f, 151f, 154, 160, 166, 181, 206, 212, 227, 232, 259, 261, 296f , 302, 310, 340, 368f (vgl. „Eucharistie/Eucharistisch“, „Kommunion“ und „Sakrament des Altars“) Absolution/Absolvieren: 40, 60, 69f, 75–77, 79f , 82–84, 86, 88–90, 97, 108f, 112, 115f, 118f, 126, 133–35, 138, 156, 160–62, 164f, 168, 181, 191, 193–96, 199, 208–11, 213, 219f, 225–30, 232, 236f, 239, 259, 262, 272f, 277f, 288, 294–98, 310, 313, 317, 323, 327f, 338–40, 342, 346, 348, 355, 361, 368f (vgl. „Beichte“ und „Schlüssel“) Allgegenwart: 98, 113f, 163 (vgl. „Ubiquität“) Amt: überall (vgl. „Predigtamt“) Amtsträger : überall Anreden/Anrede: 33–39, 48, 52, 63–66, 81–85, 88, 90, 96, 112, 117, 153, 205, 208–10, 217, 220, 227, 235, 254, 271–83, 290, 298f, 336, 338, 355 Anvertrauen: 40, 59, 81f, 100, 115, 117f, 134, 138, 147, 155, 159f, 162, 176, 179, 190, 192, 198, 210, 215–17, 225, 229, 233, 236, 238f, 251f, 258, 263, 266, 276, 281, 296f, 330, 333, 339, 343, 353f Anwesenheit: vgl. „Präsenz“ Apostel/apostolisch: 37f, 50, 55, 57, 60, 62–67, 71–77, 80–82, 86–88, 91, 100–04, 106f, 111f, 118–20, 123–26, 128–41,

144–51, 153–60, 162–71, 175–79, 182f, 185–87, 189f, 193, 197f, 200f, 210, 217, 223, 225, 227, 230, 232f, 238–40, 251f, 266, 271f, 275–77, 281, 288, 294, 296, 301–03, 316, 318, 323, 329, 331, 336f, 339–43, 345f, 348, 354, 359f, 365, 369, 372, 376f Augustinus: 30, 161, 174, 185, 213, 274, 305 Aurifaber, J.: 14, 42 Autorität: 19, 41, 89, 118, 145–47, 150f, 165, 168, 294–96, 317–19, 325, 338, 360, 371

Bayer, O.: 11, 282, 376 Befehl/Befehlen: 38, 59, 110, 112–116, 118, 125, 135–38, 140, 146f, 154f, 158, 162, 165, 168, 174–76, 182, 185, 191f, 197–99, 207, 210, 222, 227, 229, 232, 251–54, 261, 273, 294f, 302, 313, 325f, 366 (vgl. „Einsetzen/Einsetzung[en]“, „Mandat[e]“ und „Stiften/Stiftung (en)“) Beichte/Beichten: 43, 54, 56, 70, 73f, 76, 117, 119, 135, 137, 161f, 166, 182, 209, 227, 229, 232, 236, 260, 273, 292, 294–96, 298, 312, 333 (vgl. „Absolution“ und „Schlüssel“) Beruf/Berufen/Berufung: 19f, 22f, 42, 46, 131f, 136, 139, 141, 143, 154, 157, 184, 194, 216, 219f, 235f, 238, 240–54, 260–62, 266–69, 293, 299, 306, 311, 313f,

398 326, 338, 345, 350, 355f, 358, 366, 368, 372 (vgl. „Vokation“) Beten: 129, 135, 161, 184, 197–99, 204, 215, 225, 232, 235, 240, 243, 247f, 250, 254f, 306, 313, 318, 324, 350, 358 (vgl. „Fürbitte“ und „Gebet“) Bischof/Bischöfe: 24, 50, 53, 102, 128–34, 136f, 139–50, 159, 166, 183, 193f, 209f, 214, 216, 222f, 225, 240, 247, 253, 261, 263, 266, 273, 275, 278, 288, 301f, 311, 313f, 316–20, 325, 327, 352, 355, 366f Bote(n): 137, 151–55, 158, 163f, 277, 354 Botschafter : 38, 102, 166, 206, 279, 323, 347, 364 Bugenhagen, J.: 20, 32, 36, 43, 142, 254 Christologie: 13, 39f, 49, 68–74, 91, 93–123, 128, 167, 175, 177, 180, 182f, 189, 256–59, 274, 304, 309, 338f, 353f, 359–62, 364, 366, 374 Chrysostomos: 30, 373 Cranach, Lukas d.Ä.: 35f Dank/Danken/Dankbarkeit (auch Undankbarkeit): 56–58, 66, 73, 90, 120, 126, 161, 169–71, 179, 200, 204, 208, 217, 235, 324f, 350 Diekhoff, A. W.: 16 Disputation(en): 30, 95f, 98–100, 106, 140–43, 145–48, 164, 184 Donatismus/Donatist(en): 192, 230, 288f, 320, 328–30, 333, 345, 356, 358, 362 Einsetzen/Einsetzung[en]: 19f, 24, 46, 109, 113, 116, 118, 132–34, 137f, 141, 144, 146, 161, 165, 168, 185, 196, 199, 210, 228, 231, 236–246, 249–54, 263f, 266, 282, 294f, 297, 313, 315, 321, 355, 359f, 365f (vgl. „Befehl/Befehlen“, „Mandat[e]“ und „Stiften/Stiftung [en]“) Ekklesiologie/ekklesiologisch: 16, 23, 85f, 173, 180, 182, 215, 290, 301–33, 344, 354–56, 359f, 369, 371, 376

Personen- und Sachregister

Entäußern/Entäußerung: 101, 106, 182, 337, 367 „Enthusiast[en]“: 36, 182, 307, 328, 330 (vgl. „Schwärmer“) Erhöhen/Erhöhung: 13, 38, 49, 98, 106, 109, 118, 121, 272, 354, 362, 365, 373 Erniedrigen/Erniedrigung: 98, 101, 106, 109, 120, 367 Erwählen/Erwählung: 35, 106, 110, 129–32, 245, 303, 322 (vgl. „Wahl/ Wählen“) Eucharistie/Eucharistisch: 14, 115, 338, 373f (vgl. „Abendmahl“, „Kommunion“ und „Sakrament des Altars“) Evangelist(en): 189f, 247 Evangelium: 33, 59f, 66, 72, 74, 79, 82, 88f, 91, 102, 104–06, 108, 112–14, 118f, 124–26, 135f, 140, 142–49, 152, 154f, 157, 161, 164, 169–73, 178, 181, 186, 190–96, 199f, 206f, 209, 215–17, 224f, 227f, 232, 236, 250, 257, 259, 263, 271–73, 279–85, 290f , 293, 296, 312, 314, 316, 318f, 322–24, 333, 338, 341–43, 346f , 349, 350, 352, 355, 365, 368f, 376 (vgl. „Gesetz und Evangelium“) Flacius (Matthias Flacius Illyricus): 173 Fleischwerdung: 35, 68, 366 (vgl. „Inkarnation/Inkarnatorisch/Inkarnieren“) Fürbitte: 21, 119 (vgl. „Beten“ und „Gebet“) Gabe(n): 22, 27, 39, 56–59, 62, 64, 72, 76, 78, 82–88, 91, 111, 113, 152, 169, 171, 181, 189, 191–93, 196, 201–08, 211, 215–17, 223f, 235, 249, 254, 256, 259–64, 282f, 285–87, 290, 297, 314, 340, 350f, 355f, 375 Gebet: 17, 19, 21, 24, 49, 129, 184, 198, 200f, 240, 246–49, 254f, 268f, 306, 312–14, 318, 324 (vgl. „Beten“ und „Fürbitte“) Gegenüber : 81f, 135, 138, 158, 259, 271–83, 286–88, 290, 291, 294, 297, 316, 340, 342, 349, 355, 365, 370, 376

Personen- und Sachregister

Gegenwart: vgl. „Präsenz“ Gegenwartsweise(n): 13, 187, 373 (vgl. „Präsenzweise[n]“) Gehorchen/Gehorsam: 137, 140–43, 147, 175, 207, 302, 306, 317f Gerecht/Gerechtigkeit: 57, 62, 86, 88, 91, 118, 233, 266, 273, 278, 288f, 292, 294f, 336f, 339, 341f, 346–50, 356 (vgl. „Rechtfertigen/Rechtfertigung“) Geschichtlichkeit: 105, 147, 309 Gesetz und Evangelium: 71, 76, 87f, 92, 124, 157, 171, 222, 225, 254, 262f, 273, 290, 336, 342–45, 351, 375f (vgl. „Evangelium“) Gewalt: 24, 99, 114, 120f, 131–33, 138, 147, 155, 158, 178, 190, 202, 209–11, 222, 250, 260, 265, 276, 279, 293, 311f, 322f, 367 (vgl. „Macht“ und „Vollmacht“) Gewissheit: 41, 57, 65, 79–84, 89f, 92, 108, 116, 154, 161f, 166, 178, 209, 213, 219, 247, 254, 290–99, 339, 345, 347, 350, 355 (vgl. „Vertrauen“ und „Zuversicht“) Glaube: 16, 35, 39f, 56f, 64f, 80, 84–86, 89, 95, 100f, 126, 155, 171f, 178, 184f, 232, 249, 262, 265–69, 276–78, 281, 284–87, 289, 292f, 303f, 306, 310, 313, 316, 320, 322f, 325f, 328–30, 333, 336, 339–48, 350f, 356, 358, 361f, 368f Gläubige(n): 13, 17, 20f, 23f, 106, 133, 185, 216, 237, 265f, 281, 304, 306, 310, 312, 314–16, 322, 331, 333, 343–45, 357–59, 362, 364f, 367, 369f, 375f Gnadenmittel: 88, 101, 108, 162, 225, 232, 239, 307, 338–40, 344, 358, 360, 368f, 377 (vgl. „Instrument[e]“, „Mittel“, „Organ[e]“ und „Werkzeug[e]“) Goertz, H.: 17, 20–23, 26, 323, 330, 361–63, 368, 372 Gottesdienst/Gottesdienstlich : 14, 20, 31, 47, 112, 129, 156, 158, 173, 184, 186, 215f, 218, 221, 227, 229, 234–36, 238, 240, 242–47, 250, 252, 254f, 271, 278, 284, 305, 308f, 311, 313, 324f, 331, 344, 347, 351f, 355, 361, 373f Grabau, J. A. A.: 15 Gratian: 161

399 Gubernator(es): 98, 159, 223, 317 (vgl. „Regent[en]“)

Handauflegung: 17, 19, 22, 24, 56, 73, 88, 119, 131, 133, 149, 165, 209f, 225, 227, 229, 236f, 239, 241, 243, 246–49, 254f, 313, 327, 366 Härle, W.: 22, 323 Harleß, A. v.: 16 Harnack, T.: 16 Haushalter: 110f, 120, 151, 158–63, 166, 169, 198, 204f, 214–16, 223f, 228–30, 266–69, 277f, 282, 296f, 325, 336, 342, 347, 354f, 364, 368 Heubach, J.: 17, 19, 360 Hierarchie/Hierarchisch: 95, 147, 218, 222, 349f, 352, 360, 370 Hieronymus: 132, 143, 172 Himmelfahrt: 13, 39f, 49f, 63, 69, 71, 93, 96–99, 104–06, 109, 113–15, 120f, 129, 155–58, 163, 173, 175, 179, 182, 185f, 224, 235f, 257f, 282, 309, 322, 339, 353, 359, 367 Himmelreich: vgl. „Reich“ Höfling, J. W. F.: 16f, 21, 245, 264f, 329f, 358–61, 363, 368, 370, 372, 375f Hörer: 41, 98f, 101, 116, 276, 281, 297, 313, 316, 324, 353, 355 (vgl. „Zuhörer“)

Idiomenkommunikation: 13, 94f, 98, 100, 121, 353 Inkarnation/Inkarnatorisch/Inkarnieren: 36, 40, 68–72, 74, 92f, 96f, 99–102, 104–06, 108, 121, 165, 173f, 179, 182, 258, 309, 323, 336–38, 348f, 353, 361, 366f, 374 (vgl. „Fleischwerdung“) Instrument(e): 14, 25, 40, 56, 63, 71, 74f , 77, 83, 176, 186, 189, 191f, 194, 211–14, 221, 224, 228f, 233, 240f, 295, 338f , 347, 350, 355f, 365, 373f (vgl. „Gnadenmittel“, „Mittel“, „Organ[e]“ und „Werkzeug[e]“) Instrumentalität: 17, 74–79, 186, 189–270, 350, 356, 360, 374, 376

400

Personen- und Sachregister

Johannes der Täufer : 36–38, 50, 102, 126–29, 145, 154, 166, 176, 182, 202, 354 Jonas, J.: 20 Kempens, T. v.: 266 Kirche(n): 13f, 16–18, 20, 26, 30, 38, 41, 47f, 50, 57, 60, 79, 83, 85f, 88, 92, 104, 106–13, 120, 125, 129, 133, 136f, 140–42, 144–51, 157, 159–61, 166, 169, 171, 174f, 177–80, 182–87, 189f, 192–98, 201f, 204–06, 208–212, 214–24, 227, 229–32, 234, 237–40, 243–45, 247, 249–52, 255–59, 261–66, 271, 274, 278–83, 285–90, 292f, 297, 301–33, 337–40, 342–45, 350–56, 358–60, 363–73, 375–77 Kliefoth, T.: 16f, 252, 255, 360 Kommunion: 24, 151f, 222, 373, 377 (vgl. „Abendmahl“, „Eucharistie/Eucharistisch“ und „Sakrament des Altars“) Kontingent/Kontingenz: 101, 112, 168–74, 186, 350, 354, 365 Kontinuität: überall Konzil: 99, 141, 145–47, 199, 318 Konzil, von Trient: 366 Konzil, Zweites Vatikanisches: 14, 148, 366, 373–76 Krarup, M.: 18–20, 22, 46, 234, 236, 249, 363 Lange, J.: 17f Leuenberg: 363f Lieberg, H.: 24–26 Liturgie/Liturgisch: 14, 17, 20, 43, 48f, 96, 129, 179, 184, 189, 210, 215, 236, 238–40, 242–50, 252–55, 278, 304, 306–08, 311, 313, 323–25, 355, 360, 361, 363, 372–76 Löhe, W.: 16f, 360 Lokalisieren/Lokalisierung: 68, 71, 100, 109, 138, 163–65, 176, 178, 187, 232, 308f, 311, 331, 338, 354 Löscher, V. E.: 17f, 357 Luther, M.: überall Macht:

24, 57, 60, 84, 97, 100, 107f, 111,

113f, 121, 126–28, 130f, 144–47, 150, 155, 174–76, 191f, 196f, 199, 204, 208f, 229, 237, 258, 260–64, 288, 294, 299, 350, 353, 358, 371 (vgl. „Gewalt“ und „Vollmacht“) Mandat(e): 81, 98, 112–16, 118f, 121, 131, 134, 137f, 147, 155, 158, 160, 163f, 174–76, 179, 209, 219, 227f, 272, 287, 295, 317, 322, 326, 354, 362, 374 (vgl. „Befehl/Befehlen“ und „Stiften/Stiftung [en]“) Marburger Religionsgespräch: 43 Maske(n): 56, 58, 60, 67–70, 101, 182, 193–96, 214, 241, 258, 295, 373 Melanchthon, P.: 14, 20, 25, 146, 161, 332 Michel, P.: 20 Mittel: 40, 59, 73–75, 77f, 87–89, 92, 99f, 105, 107–09, 118, 124f, 139, 156, 176, 178, 181f, 184, 186, 189, 191f , 212f, 215, 224–33, 236f, 241, 251, 255, 261, 264, 266, 281, 285, 287, 289, 294, 306–17, 328, 330, 332f, 338, 344, 347, 350, 353, 355f, 358, 361–63, 368f, 372, 377 (vgl. „Gnadenmittel“, „Instrument“, „Organ“ und „Werkzeug“) Mittler : 40, 120 Mosemann, B.: 11 Mystik: 266 Nachfolger : 50, 119f, 133, 136f, 139–43, 145, 150, 155, 158, 160, 162–64, 166, 169, 171, 178f, 182, 223, 277, 294, 302, 339, 354, 360, 365 Nagel, N.: 11 Nicolai, P.: 18, 357 Not(-): 24f, 104, 117, 137, 149, 161f, 182, 192, 194, 217, 220, 227, 229, 240, 250, 273, 281, 319f, 326–28, 333, 348, 352, 356 Offenbaren/Offenbarung: 57, 69, 72, 100, 105, 124, 130, 135, 137, 175f, 178, 213, 219, 287, 304, 307 Ökumene/Ökumenisch: 12, 14, 26, 51, 139, 144, 148–50, 279f, 283, 363–76 Ordinand(en): 17, 20, 43, 47f, 112, 193,

Personen- und Sachregister

205, 208–10, 220, 234f, 238, 243, 246–55, 258, 267f, 274, 355 Ordinator : 241, 248, 254, 267f, 366 Ordinieren/Ordination: 15–22, 24f, 29, 42f, 45–50, 53, 94, 98, 102, 105, 116, 118f, 123, 129–32, 135f, 138, 143, 148, 150, 159, 174, 179, 184, 189, 194–98, 204, 210, 214, 216, 223, 227f, 231, 233–56, 262f, 266–69, 279, 288, 295, 297f, 311, 317, 321f, 328f, 339, 345, 352, 355, 358f, 360f, 363–72, 377 (vgl. „Weihe/Weihen“) Organ(e): 212, 224, 339, 347, 355, 359, 365 (vgl. „Gnadenmittel“, „Instrument[e]“, „Mittel“ und „Werkzeug[e]“) Pastor(en): 152–54, 194, 199, 212, 236, 272, 281, 296f, 329, 332 Pfarrer: 14, 32, 40f, 43, 50, 53, 56f, 66, 71–77, 81–84, 86, 88–90, 100, 105, 110f, 116, 118–20, 125f, 129, 133f, 136–38, 140, 143, 148, 152–56, 159f, 162f, 165f, 168–70, 177, 182, 191f, 195, 197, 212f, 220, 223, 225–27, 229, 232, 241–43, 247f, 253, 257f, 260f, 264, 266, 271–74, 277f, 288, 294–96, 302, 308f, 311, 313f, 317–19, 321, 323–27, 348, 350, 355, 359, 366 Pfingsten: 42, 49f, 96, 98, 105–07, 129, 133, 155–58, 169, 173–79, 181, 185, 187, 258, 283–85, 287, 289, 309, 340 Pierius, U.: 18, 357 Pneumatologie/Pneumatologisch : 96, 328 Präsenz: überall (vgl. Anwesenheit) Präsenzweisen: 13f, 38, 66–68, 70, 102, 176, 341–43, 368, 373 (vgl. „Gegenwartsweise[n]“) Predigen/Predigt: überall Prediger: überall Predigtamt: überall (vgl. „Amt“) Presbyter : 143, 148f, 155, 204, 210, 216, 227, 237–40, 242, 248, 251, 253f, 261, 263, 359, 366, 371, 377 Priester/Priesterlich: 16, 20f, 23, 120, 124, 129, 143, 161, 163, 174, 176, 179,

401 194–97, 227, 240, 242f, 251, 262, 266, 312, 314, 321, 323–26, 328, 331f, 344, 351, 362, 366, 368, 370f, 373–75 Priestertum (auch Priesterschaft): 15–17, 20–23, 25, 125, 127, 175f, 179, 314f, 320–27, 330f, 333, 344f, 348, 356, 359, 364f, 369f, 372, 375 Prophet(en)/Prophetisch: 36–38, 50, 101–05, 112, 120f, 123–26, 128f, 133, 135, 139f, 145, 147f, 151, 153f, 157, 163–66, 169, 177f, 182, 197, 201, 205f, 223, 287, 319, 323, 331, 337, 354 Rechtfertigen/Rechtfertigung: 35, 57, 88f, 92, 164, 233, 273, 289, 294, 323, 335–40, 342–47, 349f, 356, 364, 375 (vgl. „Gerecht/Gerechtigkeit“) Regent(en): 137, 178, 302, 318 (vgl. „Gubernator[es]“) Regieren/Regiment(e) (auch Zwei-Regimenten-Lehre und Regent[en]): 56, 67, 87–89, 100, 111, 119f, 130, 133, 137, 155, 159f, 162, 170f, 174–79, 181, 183, 186f, 189, 193, 196–99, 202, 204f, 211f, 214–26, 230, 232, 259f, 264, 275–78, 285, 287f, 301f, 307–20, 324–26, 329, 333, 350, 352, 354–56, 359, 366 Reich (auch Himmelreich): 96, 100–02, 111f, 115, 119, 127, 138, 151, 154–56, 160, 163, 170f, 179, 185, 190, 232, 308, 310, 319, 331, 368 Rietschel, G.: 16f, 19, 242, 244–52, 254–56, 268, 329f, 361, 363, 368, 372 Rörer, G.: 14, 19, 28, 36f, 41–46, 51, 53f, 64, 81, 116, 205, 298 Ruhm/Rühmen: 54–56, 64f, 71, 78, 84, 134f, 154, 159, 196, 208, 211, 272, 293, 296f, 299, 318 Sakrament(e): 13, 16, 21, 24, 40, 56, 58f, 67f, 70, 72f, 75, 78, 83, 86–88, 90, 97, 100, 102, 107–13, 115, 117f, 121, 126, 134, 137f, 140, 145, 147, 154, 156, 159f, 162, 170, 174, 178, 180–82, 186, 190f , 193, 195–99, 208, 210f, 213, 215f, 218, 222–27, 230–33, 236–40, 248, 257–59,

402 262f, 265–68, 272–76, 281, 286, 289, 294, 296f, 301, 303f, 307f, 311–13, 315–17, 319, 321–23, 328–31, 333, 339, 342f, 346f, 349, 352, 354, 356, 358, 360–62, 366–69, 372, 375 (siehe auch „Sakrament des Altars“) Sakrament des Altars: 24, 40, 74, 109, 121, 134f, 137f, 165, 178, 184, 191, 194, 196, 219, 226, 228–30, 239, 262, 277f, 285, 287f, 293f, 298, 304, 310, 312f, 317f, 337f, 355, 369 (vgl. „Abendmahl“, „Eucharistie“, „Kommunion“ und „Sakrament“) Sakramental(i)e(n): 210, 231, 237–39 Sander, A.: 12 Schleiermacher, F. D. E.: 245, 265, 358 Schlüssel(-): 58f, 65, 67f, 70, 72f , 77, 83, 108, 113, 134, 137f, 165, 168, 178, 184, 195f, 199, 209, 225, 227, 237, 257, 265, 288, 293–95, 310–13, 317–19, 322, 338, 340, 358, 369 (vgl. „Absolution“ und „Beichte“) Schöne, J.: 11 Schöpfung: 84, 90, 113, 174, 259, 349–51 Schwärmer : 54, 57, 104, 157, 231, 243, 276, 289, 327 (vgl. „Enthusiast[en]“) Schwöbel, C.: 11 Seelsorge/Seelsorger/Seelsorgerlich: 21, 88, 97, 163, 213, 257, 347 Senden/Sendung: 37f, 40, 49, 57, 61–63, 65f, 71–73, 76f, 90f, 102–06, 118–21, 123, 125f, 128f, 136f, 141, 145, 147, 151, 153–58, 160f, 163–66, 168f, 176f, 179, 182, 190, 197, 226, 228, 230, 234, 247, 250, 254, 272, 277, 294f, 323, 336f, 342, 347, 354, 364, 366, 369f Slenczka, N.: 11 Spener, P. J.: 17f, 329 Stahl, F. J.: 16f, 360 Stand/Stände (auch Drei-Stände-Lehre): 21, 23, 30, 111, 117, 128f, 163, 177, 201, 203f, 206–08, 211f, 214–24, 226, 235, 259–62, 264, 266, 275–77, 285–87, 317–21, 325f, 338, 348–52, 356, 359f, 370f Stein, W.: 23f

Personen- und Sachregister

Stiften/Stiftung(en): 17, 21, 23, 25, 57, 59, 70, 76, 87f, 109f, 112–21, 128, 134, 138, 161, 163, 174f, 178f, 182f, 185, 194f , 208, 211, 227f, 231f, 237–40, 258, 262f, 276, 285, 307, 316, 343, 354, 357, 362f (vgl. „Befehl/Befehlen“, „Einsetzen/ Einsetzung[en]“ und „Mandat[e]“) Stoltz, J.: 14, 36f, 42, 131, 220, 228, 348 Sukzession: 24, 50, 65, 138–51, 166, 170, 354, 365f, 372 Taufen/Taufe: 16, 24, 39f, 43, 54, 56, 58–60, 65–70, 72–77, 79f, 82f, 86–88, 90, 101, 108–10, 112f, 115–18, 121, 126, 133f, 136–38, 145, 154–56, 158, 160–62, 165f, 176–79, 181, 184, 191–97, 199, 208–10, 212f, 218–20, 223–30, 232, 236f, 239, 241, 248, 257, 259, 262, 267f, 277–79, 284–89, 293f, 296–98, 301f, 304, 307–10, 312f, 317f, 320–28, 331, 333, 337–40, 344, 348, 351f, 355, 361f, 368f Täufer : 56, 73, 76, 115f, 197, 209, 229, 232, 272, 296f, 307, 313 (vgl. „Wiedertäufer“) Ubiquität:

70, 97 (vgl. „Allgegenwart“)

Verkündigen/Verkündigung: 21, 27, 34, 38, 74, 96, 101, 103, 114, 147, 164, 173f, 176, 280f, 314–16, 321f, 368f, 372 Versorgen/Versorgung: 111, 119, 126, 128f, 154, 168–72, 179, 318f, 349f, 354 Vertrauen: 54f, 59, 65f, 80f, 161 (vgl. „Gewissheit“ und „Zuversicht“) Vilmar, A. F. C.: 16f, 360 Visitation(en): 43, 315 Vokation: 25, 243, 249, 312 (vgl. „Beruf/ Berufen/Berufung“) Vollmacht: 16, 21f, 60, 84, 87, 89f, 115, 132, 163, 280, 297, 315, 362f, 368f , 377 (vgl. „Gewalt“ und „Macht“) Wahl/Wählen: 20, 131, 205, 216, 244–46, 249–52, 313, 326 (vgl. „Erwählen/Erwählung“) Walther, C. F. W.: 16

Personen- und Sachregister

Weihe/Weihen: 130–32, 194, 196f, 210, 237, 239, 240–43, 306, 311–14, 321, 328, 359 (vgl. „Ordinieren/Ordination“) Werkzeug(e): 14, 25, 40, 56, 71, 74f, 77, 83f, 91, 186, 189, 191, 195f, 212, 224, 295, 297f, 350, 355, 360, 365 (vgl. „Gnadenmittel“, „Instrument[e]“, „Mittel“ und „Organ[e]“) Wiedertäufer : 191f, 199, 229f, 236f, 277, 289, 328, 330 (vgl. „Täufer“) Wort: 13, 21, 24, 27, 33, 36, 39f, 56–61, 65, 67, 69f, 72–78, 80, 82, 84, 86–88, 100–03, 105, 107f, 110–12, 115f, 124f, 127, 139–41, 145, 147, 152–54, 156 158–60, 170–74, 177f, 181, 186, 190f, 194f, 198–200, 205–08, 210–12, 215f, 219–27,

403 229f, 232f, 237–39, 247–59, 262f, 265–69, 272f, 275–77, 279–88, 293f, 299, 301, 303, 307f, 310–15, 317, 319, 321–24, 328–33, 338, 340–43, 346–48, 350, 352, 354, 356, 358, 360–62, 365–67, 369 Zuhörer : 30f, 34f, 37, 41, 47, 52, 63–66, 71f, 74f, 77–85, 88f, 96–99, 112, 120, 126, 130, 135f, 138, 152, 154, 158, 160f, 168f, 171, 174, 205, 213, 217, 227, 230, 240, 251, 257–59, 271–75, 277, 280–82, 290, 292, 296–99, 301, 322, 338, 347, 355 (vgl. „Hörer“) Zuversicht: 38, 41, 54, 59f , 65, 79, 81, 119, 129, 157, 159, 194f, 295f (vgl. „Gewissheit“ und „Vertrauen“)