Die polizeiliche Nacheile über die deutsch-polnische Grenze: Zu den Voraussetzungen und der Ausübung grenzüberschreitender Verfolgungen. Dissertationsschrift 9783161558344, 9783161561627, 3161558340

Aleksandra Ligocka untersucht den Rechtsrahmen für eine polizeiliche Verfolgung über die deutsch-polnische Grenze und li

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German Pages 335 [360] Year 2018

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Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
A. Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit
B. Gegenstand, Methode und Gang der Untersuchung
1. Teil Rechtsgrundlagen für die polizeiliche Nacheile über die deutsch-polnische Grenze
A. Das Schengener Durchführungsübereinkommen
I. Überblick über die Entstehungsgeschichte
II. Überführung des sog. Schengen-Besitzstandes in den EU-Rahmen
1. Mechanismus der Einbindung
2. Auswirkung auf den Rechtscharakter der Schengener Nacheileregelung
3. Auswirkung auf die Auslegung der Schengener Nacheileregelung
4. Auswirkung auf die deutsch-polnische Zusammenarbeit
B. Das Polizeiabkommen (2014)
2. Teil Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile
A. Der erste Nacheilegrund: Betreffen auf frischer Tat
I. Nacheilefähige Straftaten
1. Für die Begriffserläuterung maßgebliche Vorschriften
a. Allgemeines
b. Folgerungen für die Nacheile über die deutsch-polnische Grenze
2. Mindesthöchststrafdrohung
a. Beurteilungsgrundlage
b. Mindesthöchststrafe im Lichte der deutschen Umsetzungsvorschriften
c. Mindesthöchststrafe im Lichte der polnischen Umsetzungsvorschriften
d. Ordnungswidrigkeiten
3. Beiderseitige Strafbarkeit
a. Bedeutung der (abstrakten) beiderseitigen Strafbarkeit für die Nacheile über die deutsch-polnische Grenze
aa. Problematik sog. halbierter Delikte
(1) Vermögens- bzw. Eigentumsdelikte
(2) Trunkenheitsfahrt
(3) Öffentliche Aufforderung zu Straftaten und Billigung der Straftatenbegehung
bb. Verkehrsunfallflucht
b. Beiderseitige Strafbarkeit im Lichte der Auslieferungsbestimmungen
aa. Klassischer Auslieferungsverkehr
bb. Auslieferungsverkehr auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls
(1) Rahmenbeschluss 2002/584/JI
(2) Umsetzungsvorschriften
cc. Übertragung der Erkenntnisse auf die Nacheileregelung
c. Beiderseitige Strafbarkeit im Lichte der Nacheileregelung
aa. Rückschlüsse aus Art. 41 Abs. 4 lit. a SDÜ
bb. Teleologische Erwägungen
(1) Auslieferung als primärer Zweck der Nacheile
(2) Einwände gegen die Notwendigkeit der beiderseitigen Strafbarkeit
cc. Notwendigkeit einer Einschränkung unter Souveränitätsgesichtspunkten?
dd. Fazit
4. Schlussfolgerung für die Nacheile über die deutsch-polnische Grenze
5. Alternativen für die Voraussetzung der Auslieferungsfähigkeit im Rahmen der deutsch-polnischen Zusammenarbeit?
II. Das Merkmal „auf frischer Tat betroffen“
1. Entscheidung zwischen autonomem und nationalem Verständnis der Formulierung „auf frischer Tat betroffen“
2. Sprachfassungsvergleichende Bedeutungserkundung
a. Die Urfassungen
aa. „Auf frischer Tat betroffen“
bb. „Prise en flagrant délit“ und „op heterdaad betrapt“
cc. Zwischenfazit
dd. Rückschlüsse aus der Formulierung „bei der Begehung“
ee. Ergebnis der Wortlautauslegung der Urfassungen
b. Die polnische Fassung
c. Zusammenfassung der Schlussfolgerungen aus dem Wortlaut
3. Bedeutungserkundung anhand systematischer und teleologischer Argumente
4. Bewertung der Voraussetzung „auf frischer Tat betroffen“
III. Verdachtsgrad
1. Anforderungen an die Tat bei der Aufnahme einer inländischen Verfolgung in Deutschland
a. Einschreitebefugnis bzw. Einschreitepflicht der deutschen Polizeibeamten
b. Anforderungen an den Verdachtsgrad bei der inländischen Identitätsfeststellung und der vorläufigen Festnahme
2. Anforderungen an die Tat bei der Aufnahme einer inländischen Verfolgung in Polen
3. Schlussfolgerung für die Nacheile über die deutsch-polnische Grenze
IV. Besondere Erscheinungsformen der nacheilefähigen Straftat
1. Versuch
a. Nacheilefähiger Versuch
b. Versuchskonstellationen auf der Grundlage des Art. 41 Abs. 1 SDÜ
2. Beteiligungsformen
a. Allgemeines
b. Grenzüberschreitende Verfolgung eines Hintermannes
c. Grenzüberschreitende Verfolgung eines Anstifters und eines Gehilfen
B. Der zweite Nacheilegrund: Flucht aus der Untersuchungs- oder Strafhaft
I. Anwendungsbereich des Art. 41 Abs. 1 Unterabs. 2 SDÜ
1. Begriff der Untersuchungshaft
2. Begriff der Strafhaft
3. Flucht aus der Haft
4. Teleologische Einschränkung der Nacheilebefugnis
II. Erweiterung des Nacheilerechts aus Art. 41 Abs. 1 Unterabs. 2 SDÜ auf bilateraler Ebene
C. Grenzüberschreitende Nacheile als Ultima-Ratio-Instrument
3. Teil Ausübung des Nacheilerechts
A. Verfahrensregelungen
I. Rechtsregime für das Handeln im Ausland und die Rechtsstellung der Beamten
1. Bindung an das fremde Recht und Pflicht zur Befolgung von Anordnungen der örtlichen Behörden
2. Gleichstellung der Beamten im Bereich des Strafrechts
a. Inhalt und Bedeutung der Gleichstellungsklausel
b. Gleichstellung bei einer Nacheile auf dem polnischen Hoheitsgebiet
c. Gleichstellung bei einer Nacheile auf dem deutschen Hoheitsgebiet
d. Fazit
3. Bindung an das Recht des Herkunftsstaates
II. Sprachregime für Amtshandlungen gebietsfremder Polizeibeamter
III. Informationspflichten
1. Die Schengener Grundregel
2. Modifizierung der Informationspflicht auf bilateraler Ebene – rechtsvergleichender Überblick
3. Benachrichtigungspflicht nach Art. 25 Abs. 2 PolAbk
a. Die zu benachrichtigenden Stellen
b. Inhalt der Benachrichtigung
c. Zeitpunkt der Benachrichtigung
d. Kritische Stellungnahme
4. Informationspflicht im Zuge der Verfolgung
IV. Einstellungspflicht
1. Einstellungsverlangen des Gebietsstaates
2. Sonstige Quellen der Einstellungspflicht
3. Folgen der Verletzung der Einstellungspflicht
V. Aufklärungs- und Unterstützungspflichten
VI. Äußere Erkennbarkeit der nacheilenden Beamten
B. Umfang der Verfolgung auf dem fremden Staatsgebiet
I. Art und Weise der Verfolgung
II. Räumliche Reichweite der Verfolgung
1. Nacheilewege
2. Nacheilegebiet
3. Betretensverbote
III. Zeitlicher Rahmen der Verfolgung
C. Festhalterecht und Begleitbefugnisse
I. Festhalten des Verfolgten nach Art. 41 Abs. 2 lit. b SDÜ
1. Terminologische Anmerkungen
2. Voraussetzungen und Umfang des Zugriffs
3. Pflichten im Zusammenhang mit dem Festhalten: Übergabe des Festgehaltenen
4. Schengener Festhalterecht als hoheitliche Eingriffsbefugnis?
5. Zweckmäßigkeit des Festhalterechts – rechtsvergleichende Bemerkungen
II. Festhalten des Verfolgten nach den Vorschriften des Gebietsstaates
III. Begleitmaßnahmen nach Art. 41 Abs. 5 lit. f SDÜ
1. Sicherheitsdurchsuchung
a. Personendurchsuchung nach dem deutschen Recht
b. Personendurchsuchung und durchsuchungsähnliche Maßnahmen nach dem polnischen Recht
c. Schlussfolgerung für die Durchsuchung auf der Grundlage des Art. 41 Abs. 5 lit. f SDÜ
aa. Zweck der Durchsuchung
bb. Art und Weise der Durchsuchung
cc. Kritische Anmerkungen zur Schengener Durchsuchungsregelung
(1) Durchsuchungsbefugnis im Falle der Übergabe am Festhalteort?
(2) Taugliche Durchsuchungsobjekte
2. Sicherstellung mitgeführter Gegenstände
D. Einsatz von Schusswaffen und (sonstigen) Mitteln des unmittelbaren Zwangs
I. Einleitende Bemerkungen
II. Maßgebliches Recht
1. Nacheile auf dem deutschen Hoheitsgebiet
2. Nacheile auf dem polnischen Hoheitsgebiet
III. Begriffsbestimmungen
IV. Schusswaffengebrauch nach Art. 36 Abs. 2 Nr. 2 PolAbk
1. Schusswaffeneinsatz im Fall der Notwehr oder Nothilfe
a. Wortlautorientierte Erwägungen
b. Voraussetzungen des Schusswaffengebrauchs
aa. Deutsches Recht
(1) Notwehrlage
(2) Notwehrhandlung
(a) Erforderlichkeit des Schusswaffengebrauchs
(b) Gebotenheit des Schusswaffengebrauchs
bb. Polnisches Recht
(1) Notwehrlage
(2) Notwehrhandlung
c. Schusswaffeneinsatz und Gefährdung bzw. Verletzung Dritter
d. Zusammenfassung der Erkenntnisse
2. Schusswaffeneinsatz mit Zustimmung des sachleitenden Beamten
a. Anforderungen an die Erweiterung der Einsatzbefugnis
b. Einsatz auf dem deutschen Hoheitsgebiet
aa. Rechtsgrundlagen für den Schusswaffengebrauch
bb. Grundsätze des Schusswaffengebrauchs
c. Einsatz auf dem polnischen Hoheitsgebiet
aa. Rechtsgrundlagen für den Schusswaffengebrauch gegen Personen
bb. Rechtsgrundlagen für den Schusswaffengebrauch gegen Sachen
cc. Grundsätze des Schusswaffengebrauchs
V. Einsatz von (sonstigen) Mitteln des unmittelbaren Zwangs
1. Allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzungen
a. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
b. Androhung
2. Besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen
E. Sonder- und Wegerechte
I. Einleitende Bemerkungen
II. Nacheile auf dem deutschen Hoheitsgebiet
1. Sonderrecht nach § 35 StVO
a. Inhalt des Sonderrechts
b. Formelle Anforderungen an die Inanspruchnahme des Sonderrechts
c. Materielle Anforderungen an die Inanspruchnahme des Sonderrechts
2. Wegerecht nach § 38 StVO
III. Nacheile auf dem polnischen Hoheitsgebiet
1. Voraussetzungen der Privilegierung im Straßenverkehr
2. Sonderstellung eines privilegierten Fahrzeugs: Rechte und Pflichten
IV. Schlussbemerkungen
1. Wortlautunterschiede in den Sprachfassungen des Abkommens
2. Umfang der Befreiung
F. Anhalten von Fahrzeugen
G. Mitwirkung der örtlich zuständigen Behörden an der Verfolgung
4. Teil Strafverfolgungsmaßnahmen im Anschluss an das Ergreifen des Verfolgten
A. Tatsachen- und Rechtsgrundlage für Maßnahmen der örtlich zuständigen Behörden
I. Verdacht einer Auslandstat
1. Eigene Ermittlungsbefugnis der Beamten des Gebietsstaates
a. Strafverfolgungskompetenz der deutschen Beamten
b. Strafverfolgungskompetenz der polnischen Beamten
2. Handeln auf Ersuchen der nacheilenden Beamten
II. Verdacht einer Straftatbegehung nach dem Grenzübertritt
B. Identitätsfeststellung
I. Nacheile nach Deutschland
1. Allgemeine Grundsätze
2. Festhalten
3. Durchsuchung und erkennungsdienstliche Maßnahmen
II. Nacheile nach Polen
C. Festnahme
I. Rechtsgrundlagen und Pflichten der festnehmenden Polizeibehörden
1. Nacheile nach Deutschland
2. Nacheile nach Polen
II. Vernehmung
1. Festhalten zum Zwecke der Vernehmung und Vernehmungszweck
2. Vernehmungsberechtigte Behörden
a. Vernehmungsbefugnis der örtlich zuständigen Behörden
aa. Vernehmungsbefugnis der deutschen Polizeibeamten
bb. Vernehmungsbefugnis der polnischen Polizeibeamten
b. Hinzuziehung der nacheilenden Polizeibeamten
aa. Einflussnahme außerhalb der Vernehmung
bb. Gemeinsame Vernehmung durch örtlich zuständige und nacheilende Bedienstete
3. Vernehmungsregeln
a. Vernehmungsregeln im deutschen Recht
b. Vernehmungsregeln im polnischen Recht
c. Schlussfolgerung für die Vernehmung nach Art. 41 Abs. 6 SDÜ
III. Freilassung des grenzüberschreitend Verfolgten
1. Eigene Staatsangehörige
2. Fremde Staatsangehörige
a. Deutsches Recht
b. Polnisches Recht
c. Bilaterale Fristverlängerung
Zusammenfassung
Schlussbemerkung
Literatur- und Quellenverzeichnis
Stichwortverzeichnis
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Die polizeiliche Nacheile über die deutsch-polnische Grenze: Zu den Voraussetzungen und der Ausübung grenzüberschreitender Verfolgungen. Dissertationsschrift
 9783161558344, 9783161561627, 3161558340

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Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung herausgegeben von der Gesellschaft für Rechtsvergleichung e.V.

54

Aleksandra Ligocka

Die polizeiliche Nacheile über die deutsch-polnische Grenze Zu den Voraussetzungen und der Ausübung grenzüberschreitender Verfolgungen

Mohr Siebeck

Aleksandra Ligocka, geboren 1989; Studium der Rechtswissenschaft an der Adam-Mickiewicz-Universität in Posen, Magister des Rechts, und an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), Bachelor und Master of German and Polish Law; 2017 Promotion Frankfurt (Oder); wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Polnisches Strafrecht an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder).

ISBN 978-3-16-155834-4 / eISBN 978-3-16-156162-7 DOI 10.1628/978-3-16-156162-7 ISSN 1861-5449 / eISSN 2569-426X (Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018  Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen aus der Times New Roman gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden. Printed in Germany.

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2017 von der Juristischen Fakultät der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung wurden die Änderungen von Gesetzgebung und Literatur bis einschließlich Oktober 2017 berücksichtigt. In erster Linie danke ich meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Maciej Małolepszy, der das Thema dieser Arbeit angeregt und mich stets gefördert hat. Sehr verbunden bin ich auch Herrn Professor Dr. Dr. h. c. Jan C. Joerden für hilfreiche Hinweise und die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Dank schulde ich ferner meinen Gesprächspartnern vom Gemeinsamen Zentrum der deutsch-polnischen Polizei- und Zollzusammenarbeit in Świecko, vom Polizeipräsidium des Landes Brandenburg, von den angrenzenden Woiwodschaftskommandanturen der Polizei, der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) sowie den Bezirksstaatsanwaltschaften in Szczecin und Gorzów Wielkopolski, die mir einen Einblick in die Praxis polizeilicher Verfolgungen ermöglicht ­haben. Mein besonderer Dank gebührt meinem Ehemann, der jederzeit zur Diskussion bereit war, das Manuskript mehrmals kritisch durchgelesen und mich auf dem Promotionsweg mit Geduld, Vertrauen und Ermutigung begleitet hat. Für die Diskussionsbereitschaft danke ich auch Herrn Professor Dr. Michael Soiné. Danken möchte ich schließlich allen anderen, ohne die die Realisierung dieses Promotionsvorhabens nicht möglich gewesen wäre: meiner Familie und meinen Freunden, insbesondere dem unlängst verstorbenen Herrn Dr. Richard Pyritz, für ihre unermüdliche Unterstützung, der Gesellschaft für Rechtsvergleichung e.V. für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe „Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung“, den Mitarbeitern des Verlags Mohr Siebeck für die reibungslose Zusammenarbeit sowie der Europa-Universität Via­drina und dem Bundesministerium des Innern für die gewährten Druck­ kostenzuschüsse. Gewidmet ist diese Arbeit meinen Eltern. Frankfurt (Oder), den 19. April 2018

Aleksandra Ligocka (geb. Żurakowska)

Inhaltsübersicht Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . 1 B. Gegenstand, Methode und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . 3

1. Teil Rechtsgrundlagen für die polizeiliche Nacheile über die deutsch-polnische Grenze A. Das Schengener Durchführungsübereinkommen . . . . . . . . . . 7 I. Überblick über die Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . 7 II. Überführung des sog. Schengen-Besitzstandes in den EU-Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 B. Das Polizeiabkommen (2014) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

2. Teil Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile A. Der erste Nacheilegrund: Betreffen auf frischer Tat . . . . . . . . 25 I. Nacheilefähige Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 II. Das Merkmal „auf frischer Tat betroffen“ . . . . . . . . . . . . 68 III. Verdachtsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 IV. Besondere Erscheinungsformen der nacheilefähigen Straftat . . 109 B. Der zweite Nacheilegrund: Flucht aus der Untersuchungs- oder Strafhaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 I. Anwendungsbereich des Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 2 SDÜ . . . . 118 II. Erweiterung des Nacheilerechts aus Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 2 SDÜ auf bilateraler Ebene . . . . . . . . . . . . . . 124 C. Grenzüberschreitende Nacheile als Ultima-Ratio-Instrument . . . 125

VIII

Inhaltsübersicht

3. Teil Ausübung des Nacheilerechts A. Verfahrensregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 I. Rechtsregime für das Handeln im Ausland und die Rechtsstellung der Beamten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 II. Sprachregime für Amtshandlungen gebietsfremder Polizeibeamter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 III. Informationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 IV. Einstellungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 V. Aufklärungs- und Unterstützungspflichten . . . . . . . . . . . 155 VI. Äußere Erkennbarkeit der nacheilenden Beamten . . . . . . . . 156 B. Umfang der Verfolgung auf dem fremden Staatsgebiet . . . . . . . 160 I. Art und Weise der Verfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 II. Räumliche Reichweite der Verfolgung . . . . . . . . . . . . . . 161 III. Zeitlicher Rahmen der Verfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . 171 C. Festhalterecht und Begleitbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . 171 I. Festhalten des Verfolgten nach Art.  41 Abs.  2 lit.  b SDÜ . . . . 171 II. Festhalten des Verfolgten nach den Vorschriften des Gebietsstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 III. Begleitmaßnahmen nach Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ . . . . . . . . 183 D. Einsatz von Schusswaffen und (sonstigen) Mitteln des unmittelbaren Zwangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 I. Einleitende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 II. Maßgebliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 III. Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 IV. Schusswaffengebrauch nach Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 PolAbk . . . . 211 V. Einsatz von (sonstigen) Mitteln des unmittelbaren Zwangs . . . 236 E. Sonder- und Wegerechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 I. Einleitende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 II. Nacheile auf dem deutschen Hoheitsgebiet . . . . . . . . . . . . 247 III. Nacheile auf dem polnischen Hoheitsgebiet . . . . . . . . . . . 253 IV. Schlussbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 F. Anhalten von Fahrzeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 G. Mitwirkung der örtlich zuständigen Behörden an der Verfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260

Inhaltsübersicht

IX

4. Teil Strafverfolgungsmaßnahmen im Anschluss an das Ergreifen des Verfolgten A. Tatsachen- und Rechtsgrundlage für Maßnahmen der örtlich zuständigen Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 I. Verdacht einer Auslandstat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 II. Verdacht einer Straftatbegehung nach dem Grenzübertritt . . . 268 B. Identitätsfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 I. Nacheile nach Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 II. Nacheile nach Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 C. Festnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 I. Rechtsgrundlagen und Pflichten der festnehmenden Polizeibehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 II. Vernehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 III. Freilassung des grenzüberschreitend Verfolgten . . . . . . . . . 297

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Literatur- und Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333

Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . 1 B. Gegenstand, Methode und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . 3

1. Teil Rechtsgrundlagen für die polizeiliche Nacheile über die deutsch-polnische Grenze A. Das Schengener Durchführungsübereinkommen . . . . . . . . . . 7 I. Überblick über die Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . 7 II. Überführung des sog. Schengen-Besitzstandes in den EU-Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1. Mechanismus der Einbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2. Auswirkung auf den Rechtscharakter der Schengener Nacheileregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 3. Auswirkung auf die Auslegung der Schengener Nacheileregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 4. Auswirkung auf die deutsch-polnische Zusammenarbeit . . . 20 B. Das Polizeiabkommen (2014) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

2. Teil Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile A. Der erste Nacheilegrund: Betreffen auf frischer Tat . . . . . . . . 25 I. Nacheilefähige Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1. Für die Begriffserläuterung maßgebliche Vorschriften . . . . 26 a. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

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Inhaltsverzeichnis

b. Folgerungen für die Nacheile über die deutsch-polnische Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2. Mindesthöchststrafdrohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 a. Beurteilungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 b. Mindesthöchststrafe im Lichte der deutschen Umsetzungs­ vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 c. Mindesthöchststrafe im Lichte der polnischen Umsetzungs­ vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 d. Ordnungswidrigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3. Beiderseitige Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 a. Bedeutung der (abstrakten) beiderseitigen Strafbarkeit für die Nacheile über die deutsch-polnische Grenze . . . . 39 aa. Problematik sog. halbierter Delikte . . . . . . . . . . 39 (1) Vermögens- bzw. Eigentumsdelikte . . . . . . . . 40 (2) Trunkenheitsfahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 (3) Öffentliche Aufforderung zu Straftaten und Billigung der Straftatenbegehung . . . . . . . . . . 44 bb. Verkehrsunfallflucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 b. Beiderseitige Strafbarkeit im Lichte der Auslieferungsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 aa. Klassischer Auslieferungsverkehr . . . . . . . . . . . 49 bb. Auslieferungsverkehr auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls . . . . . . . . . . . . . . . . 51 (1) Rahmenbeschluss 2002/584/JI . . . . . . . . . . . 51 (2) Umsetzungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . 53 cc. Übertragung der Erkenntnisse auf die Nacheileregelung 55 c. Beiderseitige Strafbarkeit im Lichte der Nacheileregelung 57 aa. Rückschlüsse aus Art.  41 Abs.  4 lit.  a SDÜ . . . . . . . 57 bb. Teleologische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . 58 (1) Auslieferung als primärer Zweck der Nacheile . . . 58 (2) Einwände gegen die Notwendigkeit der beiderseitigen Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . 59 cc. Notwendigkeit einer Einschränkung unter Souveränitätsgesichtspunkten? . . . . . . . . . . . . . 63 dd. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 4. Schlussfolgerung für die Nacheile über die deutsch-polnische Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 5. Alternativen für die Voraussetzung der Auslieferungsfähigkeit im Rahmen der deutsch-polnischen Zusammenarbeit? . . . . 65 II. Das Merkmal „auf frischer Tat betroffen“ . . . . . . . . . . . . 68

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XIII

1. Entscheidung zwischen autonomem und nationalem Verständnis der Formulierung „auf frischer Tat betroffen“ . . 69 2. Sprachfassungsvergleichende Bedeutungserkundung . . . . 73 a. Die Urfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 aa. „Auf frischer Tat betroffen“ . . . . . . . . . . . . . . 73 bb. „Prise en flagrant délit“ und „op heterdaad betrapt“ . . 79 cc. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 dd. Rückschlüsse aus der Formulierung „bei der Begehung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 ee. Ergebnis der Wortlautauslegung der Urfassungen . . . 83 b. Die polnische Fassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 c. Zusammenfassung der Schlussfolgerungen aus dem Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 3. Bedeutungserkundung anhand systematischer und teleologischer Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 4. Bewertung der Voraussetzung „auf frischer Tat betroffen“ . . 94 III. Verdachtsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 1. Anforderungen an die Tat bei der Aufnahme einer inländischen Verfolgung in Deutschland . . . . . . . . . . . 97 a. Einschreitebefugnis bzw. Einschreitepflicht der deutschen Polizeibeamten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 b. Anforderungen an den Verdachtsgrad bei der inländischen Identitätsfeststellung und der vorläufigen Festnahme . . . 100 2. Anforderungen an die Tat bei der Aufnahme einer inländischen Verfolgung in Polen . . . . . . . . . . . . . . . 103 3. Schlussfolgerung für die Nacheile über die deutsch-polnische Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 IV. Besondere Erscheinungsformen der nacheilefähigen Straftat . . 109 1. Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 a. Nacheilefähiger Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 b. Versuchskonstellationen auf der Grundlage des Art.  41 Abs.  1 SDÜ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 2. Beteiligungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 a. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 b. Grenzüberschreitende Verfolgung eines Hintermannes . . 114 c. Grenzüberschreitende Verfolgung eines Anstifters und eines Gehilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 B. Der zweite Nacheilegrund: Flucht aus der Untersuchungs- oder Strafhaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

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I. Anwendungsbereich des Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 2 SDÜ . . . . 118 1. Begriff der Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . 118 2. Begriff der Strafhaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 3. Flucht aus der Haft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 4. Teleologische Einschränkung der Nacheilebefugnis . . . . . 121 II. Erweiterung des Nacheilerechts aus Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 2 SDÜ auf bilateraler Ebene . . . . . . . . . . . . . . 124 C. Grenzüberschreitende Nacheile als Ultima-Ratio-Instrument . . . 125

3. Teil Ausübung des Nacheilerechts A. Verfahrensregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 I. Rechtsregime für das Handeln im Ausland und die Rechtsstellung der Beamten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 1. Bindung an das fremde Recht und Pflicht zur Befolgung von Anordnungen der örtlichen Behörden . . . . . . . . . . 127 2. Gleichstellung der Beamten im Bereich des Strafrechts . . . 130 a. Inhalt und Bedeutung der Gleichstellungsklausel . . . . . 130 b. Gleichstellung bei einer Nacheile auf dem polnischen Hoheitsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 c. Gleichstellung bei einer Nacheile auf dem deutschen Hoheitsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 d. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 3. Bindung an das Recht des Herkunftsstaates . . . . . . . . . 136 II. Sprachregime für Amtshandlungen gebietsfremder Polizeibeamter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 III. Informationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1. Die Schengener Grundregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2. Modifizierung der Informationspflicht auf bilateraler Ebene – rechtsvergleichender Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . 142 3. Benachrichtigungspflicht nach Art.  25 Abs.  2 PolAbk . . . . 143 a. Die zu benachrichtigenden Stellen . . . . . . . . . . . . . 143 b. Inhalt der Benachrichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . 145 c. Zeitpunkt der Benachrichtigung . . . . . . . . . . . . . . 145 d. Kritische Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 4. Informationspflicht im Zuge der Verfolgung . . . . . . . . . 149 IV. Einstellungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 1. Einstellungsverlangen des Gebietsstaates . . . . . . . . . . . 150 2. Sonstige Quellen der Einstellungspflicht . . . . . . . . . . . 153

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3. Folgen der Verletzung der Einstellungspflicht . . . . . . . . 154 V. Aufklärungs- und Unterstützungspflichten . . . . . . . . . . . 155 VI. Äußere Erkennbarkeit der nacheilenden Beamten . . . . . . . . 156 B. Umfang der Verfolgung auf dem fremden Staatsgebiet . . . . . . . 160 I. Art und Weise der Verfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 II. Räumliche Reichweite der Verfolgung . . . . . . . . . . . . . . 161 1. Nacheilewege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 2. Nacheilegebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 3. Betretensverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 III. Zeitlicher Rahmen der Verfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . 171 C. Festhalterecht und Begleitbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . 171 I. Festhalten des Verfolgten nach Art.  41 Abs.  2 lit.  b SDÜ . . . . 171 1. Terminologische Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . 172 2. Voraussetzungen und Umfang des Zugriffs . . . . . . . . . . 175 3. Pflichten im Zusammenhang mit dem Festhalten: Übergabe des Festgehaltenen . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 4. Schengener Festhalterecht als hoheitliche Eingriffsbefugnis? 179 5. Zweckmäßigkeit des Festhalterechts – rechtsvergleichende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 II. Festhalten des Verfolgten nach den Vorschriften des Gebietsstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 III. Begleitmaßnahmen nach Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ . . . . . . . . 183 1. Sicherheitsdurchsuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 a. Personendurchsuchung nach dem deutschen Recht . . . . 184 b. Personendurchsuchung und durchsuchungsähnliche Maßnahmen nach dem polnischen Recht . . . . . . . . . 187 c. Schlussfolgerung für die Durchsuchung auf der Grundlage des Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ . . . . . . . . . . . . . . . . 191 aa. Zweck der Durchsuchung . . . . . . . . . . . . . . . . 191 bb. Art und Weise der Durchsuchung . . . . . . . . . . . 193 cc. Kritische Anmerkungen zur Schengener Durchsuchungsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . 194 (1) Durchsuchungsbefugnis im Falle der Übergabe am Festhalteort? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 (2) Taugliche Durchsuchungsobjekte . . . . . . . . . . 195 2. Sicherstellung mitgeführter Gegenstände . . . . . . . . . . . 196 D. Einsatz von Schusswaffen und (sonstigen) Mitteln des unmittelbaren Zwangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 I. Einleitende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198

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II. Maßgebliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 1. Nacheile auf dem deutschen Hoheitsgebiet . . . . . . . . . . 201 2. Nacheile auf dem polnischen Hoheitsgebiet . . . . . . . . . . 206 III. Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 IV. Schusswaffengebrauch nach Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 PolAbk . . . . 211 1. Schusswaffeneinsatz im Fall der Notwehr oder Nothilfe . . . 212 a. Wortlautorientierte Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . 212 b. Voraussetzungen des Schusswaffengebrauchs . . . . . . . 214 aa. Deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 (1) Notwehrlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 (2) Notwehrhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 (a) Erforderlichkeit des Schusswaffengebrauchs . . 215 (b) Gebotenheit des Schusswaffengebrauchs . . . . 217 bb. Polnisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 (1) Notwehrlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 (2) Notwehrhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 c. Schusswaffeneinsatz und Gefährdung bzw. Verletzung Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 d. Zusammenfassung der Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . 226 2. Schusswaffeneinsatz mit Zustimmung des sachleitenden Beamten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 a. Anforderungen an die Erweiterung der Einsatzbefugnis . 227 b. Einsatz auf dem deutschen Hoheitsgebiet . . . . . . . . . 228 aa. Rechtsgrundlagen für den Schusswaffengebrauch . . . 228 bb. Grundsätze des Schusswaffengebrauchs . . . . . . . . 230 c. Einsatz auf dem polnischen Hoheitsgebiet . . . . . . . . . 232 aa. Rechtsgrundlagen für den Schusswaffengebrauch gegen Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 bb. Rechtsgrundlagen für den Schusswaffengebrauch gegen Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 cc. Grundsätze des Schusswaffengebrauchs . . . . . . . . 234 V. Einsatz von (sonstigen) Mitteln des unmittelbaren Zwangs . . . 236 1. Allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . 237 a. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . 237 b. Androhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 2. Besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . 240 E. Sonder- und Wegerechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 I. Einleitende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 II. Nacheile auf dem deutschen Hoheitsgebiet . . . . . . . . . . . . 247

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1. Sonderrecht nach §  35 StVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 a. Inhalt des Sonderrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 b. Formelle Anforderungen an die Inanspruchnahme des Sonderrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 c. Materielle Anforderungen an die Inanspruchnahme des Sonderrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 2. Wegerecht nach §  38 StVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 III. Nacheile auf dem polnischen Hoheitsgebiet . . . . . . . . . . . 253 1. Voraussetzungen der Privilegierung im Straßenverkehr . . . 253 2. Sonderstellung eines privilegierten Fahrzeugs: Rechte und Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 IV. Schlussbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 1. Wortlautunterschiede in den Sprachfassungen des Abkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 2. Umfang der Befreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 F. Anhalten von Fahrzeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 G. Mitwirkung der örtlich zuständigen Behörden an der Verfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260

4. Teil Strafverfolgungsmaßnahmen im Anschluss an das Ergreifen des Verfolgten A. Tatsachen- und Rechtsgrundlage für Maßnahmen der örtlich zuständigen Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 I. Verdacht einer Auslandstat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 1. Eigene Ermittlungsbefugnis der Beamten des Gebietsstaates 264 a. Strafverfolgungskompetenz der deutschen Beamten . . . 264 b. Strafverfolgungskompetenz der polnischen Beamten . . . 265 2. Handeln auf Ersuchen der nacheilenden Beamten . . . . . . 267 II. Verdacht einer Straftatbegehung nach dem Grenzübertritt . . . 268 B. Identitätsfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 I. Nacheile nach Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 1. Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 2. Festhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 3. Durchsuchung und erkennungsdienstliche Maßnahmen . . . 275 II. Nacheile nach Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 C. Festnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278

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I. Rechtsgrundlagen und Pflichten der festnehmenden Polizeibehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 1. Nacheile nach Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 2. Nacheile nach Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 II. Vernehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 1. Festhalten zum Zwecke der Vernehmung und Vernehmungszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 2. Vernehmungsberechtigte Behörden . . . . . . . . . . . . . . 286 a. Vernehmungsbefugnis der örtlich zuständigen Behörden . 286 aa. Vernehmungsbefugnis der deutschen Polizeibeamten . 288 bb. Vernehmungsbefugnis der polnischen Polizeibeamten 289 b. Hinzuziehung der nacheilenden Polizeibeamten . . . . . . 289 aa. Einflussnahme außerhalb der Vernehmung . . . . . . 291 bb. Gemeinsame Vernehmung durch örtlich zuständige und nacheilende Bedienstete . . . . . . . . . . . . . . 292 3. Vernehmungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 a. Vernehmungsregeln im deutschen Recht . . . . . . . . . . 293 b. Vernehmungsregeln im polnischen Recht . . . . . . . . . 295 c. Schlussfolgerung für die Vernehmung nach Art.  41 Abs.  6 SDÜ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 III. Freilassung des grenzüberschreitend Verfolgten . . . . . . . . . 297 1. Eigene Staatsangehörige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 2. Fremde Staatsangehörige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 a. Deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 b. Polnisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 c. Bilaterale Fristverlängerung . . . . . . . . . . . . . . . . 302

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Literatur- und Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333

Abkürzungsverzeichnis a. A. anderer Ansicht am angegebenen Ort a. a. O. a. F. alte Fassung ABl. Amtsblatt Abs. Absatz Abt. Abteilung Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union AEUV allg. M. allgemeine Meinung Alt. Alternative Anm. Anmerkung (-en) Art. Artikel ASOG Bln Allgemeines Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin Allgemeiner Teil AT Aufl. Auflage Bayerisches Oberlandesgericht BayObLG BBG Bundesbeamtengesetz Bbg­J VollzG Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe, der Jugendstrafe und der Untersuchungshaft im Land Brandenburg Bbg­PolG Gesetz über die Aufgaben, Befugnisse, Organisation und Zuständigkeit der Polizei im Land Brandenburg Bd. Band Beamt­StG Gesetz zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern BeckRS Beck-Rechtsprechung Bene­lux­Ausl­Ü bk Benelux-Übereinkommen über Auslieferung und Rechtshilfe in Strafsachen vom 27. Juni 1962 BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGHSt Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen BKAG Gesetz über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten BMI Bundesministerium des Innern BPolG Gesetz über die Bundespolizei BR-Drs. Bundesratsdrucksache BT-Drs. Bundestagsdrucksache BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

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bzw. beziehungsweise CIC Code d’instruction criminelle (ehemalige französische Strafprozessordnung) Code de procédure pénale (französische Strafprozessordnung) CPP das heißt d. h. Deutsches Autorecht DAR ders. derselbe dies. dieselbe (-n) dm Dezimeter DÖV Die öffentliche Verwaltung dt. deutsch Demokratie und Recht DuR DVBl. Deutsches Verwaltungsblatt Dziennik Ustaw (Gesetzblatt) Dz. U. Dz. Urz. KGP Dziennik Urzędowy Komendy Głównej Policji (Amtsblatt der Hauptkommandantur der Polizei) Europäische Gemeinschaft EG EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft EGV EJCCLCJ European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice EKMR Europäische Kommission für Menschenrechte EL Ergänzungslieferung Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten EMRK vom 4. November 1950 endg. endgültig engl. englisch EU Europäische Union Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die EU-AuslÜbk Europäische Union über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 27. September 1996 Gerichtshof der Europäischen Union EuGH EuR Europarecht Europäisches Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 EurAuslÜbk Übereinkommen – gemäß Artikel 34 des Vertrags über die EuropäiEU-RhfÜbk sche Union – über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 29. Mai 2000 EurRhfÜbk Europäisches Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 EUV Vertrag über die Europäische Union EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft folgend (-e/-r) f. ff. und die folgenden Fn. Fußnote franz. französisch FS Festschrift Goltdammer’s Archiv für Strafrecht GA GewO Gewerbeordnung

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GG Grundgesetz GVG Gerichtsverfassungsgesetz h. M. herrschende Meinung Heidelberger Kommentar zur Strafprozessordnung HK-StPO Heidelberger Kommentar zum Straßenverkehrsrecht HK-StVR Hrsg. Herausgeber Hs. Halbsatz HSOG Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung HT Hauptteil i. S. v. im Sinne von i. V. m. in Verbindung mit Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen IRG JA Juristische Arbeitsblätter JGG Jugendgerichtsgesetz JR Juristische Rundschau JURA Juristische Ausbildung Juristische Schulung JuS JZ Juristenzeitung KG Kammergericht KK-StPO Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung KZS Krakowskie Zeszyty Sądowe (polnische juristische Fachzeitschrift) l Liter Abkommen über die erweiterte Zuständigkeit der Polizei der Länder LänderPolAbk bei der Strafverfolgung LEX/el. Online-Ausgabe der LEX-Kommentare Lfg. Lieferung lit. Litera Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch LK-StGB Löwe/Rosenberg, Kommentar zur Strafprozessordnung LR mit weiteren Nachweisen m. w. N. Monatsschrift für Deutsches Recht MDR mg Milligramm Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch MK-StGB niederl. niederländisch NJOZ Neue Juristische Online-Zeitschrift NJW Neue Juristische Wochenschrift NK-StGB Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch Nowe Prawo (polnische juristische Fachzeitschrift) NP Nr. Nummer NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ-RR Neue Zeitschrift für Strafrecht Rechtsprechungsreport Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht NZV o. Ä. oder Ähnliches OLG Oberlandesgericht OSA Orzecznictwo Sądów Apelacyjnych (Rechtsprechung der Appellationsgerichte) Orzecznictwo Sądu Najwyższego – Izba Karna i Wojskowa OSNKW (Rechtsprechung des Obersten Gerichts – Straf- und Militärkammer)

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Orzecznictwo Sądu Najwyższego – Wydawnictwo Prokuratury Generalnej (Rechtsprechung des Obersten Gerichts – Verlag der Generalstaatsanwaltschaft) Orzecznictwo Sądu Najwyższego w Sprawach Karnych (RechtspreOSNwSK chung des Obersten Gerichts in Strafsachen) Orzecznictwo Trybunału Konstytucyjnego – Seria A (RechtspreOTK-A chung des Verfassungsgerichtshofs – Reihe A) OWiG Gesetz über Ordnungswidrigkeiten PiP Państwo i Prawo (polnische juristische Fachzeitschrift) PJZS Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen Pkt. Punkt polnisches Gesetzbuch über Ordnungswidrigkeiten (poln. Kodeks plOWiGB wykroczeń) polnisches Polizeigesetz (poln. Ustawa o Policji) plPolG plStGB polnisches Strafgesetzbuch (poln. Kodeks karny) plStPO polnische Strafprozessordnung (poln. Kodeks postępowania karnego) plStVO polnische Straßenverkehrsordnung (poln. Ustawa – Prawo o ruchu drogowym) plStVollzGB polnisches Strafvollzugsgesetzbuch (poln. Kodeks karny wykonaw­ czy) plUZwSwG polnisches Gesetz über Mittel des unmittelbaren Zwangs und Schusswaffen (poln. Ustawa o środkach przymusu bezpośredniego i broni palnej) plVerf polnische Verfassung (poln. Konstytucja Rzeczypospolitej Polskiej) Abkommen vom 15. Mai 2014 zwischen der Regierung der BundesPolAbk republik Deutschland und der Regierung der Republik Polen über die Zusammenarbeit der Polizei-, Grenz- und Zollbehörden Policja Kwartalnik Kadry Kierowniczej Policji (polnische juristische Policja KKKP Fachzeitschrift) poln. polnisch Prok. i Pr. Prokuratura i Prawo (polnische juristische Fachzeitschrift) Prokuratura i Prawo – wkładka (polnische juristische FachzeitProk. i Pr. - wkł. schrift) PS Przegląd Sądowy (polnische juristische Fachzeitschrift) RbEuHb Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten vom 13. Juli 2002 RG Rspr. Rechtsprechung des Reichsgerichts RGSt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen RiStBV Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen RiVASt Angelegenheiten Rn. Randnummer RPEiS Ruch Prawniczy, Ekonomiczny i Socjologiczny (polnische juristische Fachzeitschrift) Rs. Rechtssache RStPO Reichsstrafprozeßordnung vom 1. Februar 1877 OSNPG

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S. Satz/Seite SächsPolG Polizeigesetz des Freistaates Sachsen SächsVwVG Verwaltungsvollstreckungsgesetz für den Freistaat Sachsen Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von SDÜ Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen vom 19. Oktober 1990 SEV Sammlung Europäischer Verträge SIS Schengener Informationssystem SK-StGB Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch Systematischer Kommentar zur Strafprozessordnung SK-StPO Slg. Sammlung Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes SOG LSA Sachsen-Anhalt SOG M-V Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern SPolG Saarländisches Polizeigesetz StGB Strafgesetzbuch StPO Strafprozessordnung StraFo Strafverteidiger Forum StV Strafverteidiger StVG Straßenverkehrsgesetz StVO Straßenverkehrsordnung StVollStrO Strafvollstreckungsordnung StVollzG Strafvollzugsgesetz StVZO Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung Übereinkommen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der SÜ Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen Sv. Wetboek van Strafvordering (niederländische Strafprozessordnung) SVR Straßenverkehrsrecht Tab. Tabelle TH PAG Thüringer Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei u. und u. a. unter anderem/und andere und Ähnliche u. Ä. Unterabs. Unterabsatz UVollzO Untersuchungshaftvollzugsordnung UZwG Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes UZwG Bln Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwangs bei der Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Landes Berlin v. vom Var. Variante verb. verbundene VG Verwaltungsgericht

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Abkürzungsverzeichnis

vgl. vergleiche VO Verordnung VRS Verkehrsrechtssammlung vs. versus VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Brandenburg VwVfGBbg VwVfGBln Gesetz über das Verfahren der Berliner Verwaltung VwVG Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz WPP Wojskowy Przegląd Prawniczy (polnische juristische Fachzeitschrift) WÜK Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen vom 24. April 1963 WVK Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 Y.B. Eur. Legal Stud. Yearbook of European Legal Studies z. B. zum Beispiel Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht ZaöRV ZEuS Zeitschrift für Europarechtliche Studien Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik ZIS ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik ZStW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

Einleitung A.  Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit Verfolgungen stehen auf der Tagesordnung der polizeilichen Arbeit. Sie stellen hoch dynamische Einsatzlagen dar, die einer erfolgreichen Beendigung der Zielmaßnahme – der Ingewahrsamnahme, vorläufigen Festnahme, Sicherstel­ lung u. Ä. – dienen, der sich „ein polizeiliches Gegenüber“ entzogen hat.1 Die Verfolgungsbefugnis hängt mit strafprozessualen und polizeigesetzlichen Ein­ griffsrechten der Polizei zusammen und soll deren Durchsetzung im Falle der Flucht des Betroffenen ermöglichen. Die deutschen und die polnischen Beam­ ten, die in ihrem Land eine Person verfolgen, dürfen die Verfolgung jedoch nicht selbstverständlich über die Grenze fortsetzen. Denn diese fixiert räumlich die staatliche Souveränität, mit der Folge, dass an ihr die polizeiliche Zugriffs­ macht grundsätzlich endet.2 Der unbewachte Personenverkehr, den es seit der Abschaffung der stationären Grenzkontrolle gibt, erleichtert es indes Kriminel­ len, sich dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden zu entziehen. Dieser in der Ära des Schengener Freiraums misslichen Lage soll Art.  41 des Schengener Durchführungsübereinkommens vom 10. Juni 1990, der die Fortsetzung einer inländischen Nacheile auf dem Gebiet eines anderen Staates ohne dessen vor­ herige Zustimmung zulässt, entgegenwirken. Für Verfolgungen über die deutsch-polnische Grenze bietet Art.  41 SDÜ die primäre Rechtsgrundlage. Sei­ ne Bestimmungen ergänzt das 2015 in Kraft getretene bilaterale Abkommen vom 15. Mai 2014 über die Zusammenarbeit der Polizei-, Grenz- und Zollbehör­ den3 [im Folgenden: Polizeiabkommen (2014)]. Borsdorff, in: Möllers (Hrsg.), S.  1300 und Lensch, in: Möllers (Hrsg.), S.  2094. Rupprecht/Hellenthal, in: Rupprecht/Hellenthal, S.  23 (131). Das im Völkergewohn­ heitsrecht verankerte Prinzip der Ausschließlichkeit der territorialen Hoheitsmacht besagt, dass jeder Staat die ausschließliche Kompetenz zum Setzen von Hoheitsakten innerhalb sei­ nes Gebiets hat. Spiegelbildlich ist kein Staat berechtigt, seine eigene Hoheitsgewalt auf dem Territorium eines anderen Staates ohne dessen Zustimmung auszuüben. Siehe dazu etwa Klinke, Bestimmungsmerkmale, S.  9; Ambos/Poschadel, in: Ambos/König/Rackow (Hrsg.), 1. HT 1. 1 Rn.  2. 3  BGBl.  2015 II S.  234, 235; 2015 II S.  834. 1 Vgl. 2 

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Einleitung

Entgegen teilweisen Prognosen einer Bedeutungslosigkeit des Nacheile­ instruments für den polizeilichen Alltag4 steigt die Anzahl von Verfolgungen über die Oder und die Neiße kontinuierlich5. Alleine im Jahr 2015 wurden 55 Fälle registriert. Gleichwohl ist der Inhalt bzw. Umfang des Nacheilerechts nach wie vor Gegenstand einer Kontroverse zwischen den Polizeibehörden beider Staaten. Dabei geht es nicht oder nicht nur um die Erweiterung der bestehenden Regelung, sondern um die Klärung der Auslegungsfragen, die sich im Zusam­ menhang mit der derzeitigen Normierung der Voraussetzungen einer grenzüberschreitenden Nacheile und der Befugnisse der nacheilenden Amtsträger stellen.6 Es unterliegt keinem Zweifel, dass sowohl die Bedingungen, unter denen die Grenze passiert werden darf, als auch die den Beamten obliegenden Pflichten und die ihnen zustehenden Befugnisse samt der Art und Weise ihrer Wahrneh­ mung im betretenen Nachbarland (im Folgenden auch als „Gebietsstaat“ be­ zeichnet) vollkommen klar sein müssen. Denn erstens findet die polizeiliche zwischenstaatliche Zusammenarbeit im Spannungsfeld zwischen der nationalen Souveränität und der effektiven Bekämpfung transnationaler Kriminalität statt. Das Tätigwerden ausländischer Hoheitsträger stellt einen Eingriff in die Ho­ heitsrechte des Gebietsstaates dar und muss deshalb in zeitlicher, räumlicher und materieller Hinsicht hinreichend bestimmt sein. Zweitens kann der Beamte, der die Grenzen des Zulässigen überschreitet, im betretenen Nachbarstaat straf­ rechtlich zur Verantwortlichkeit gezogen werden und ist dabei gemäß Art.  42 SDÜ den Beamten des Gebietsstaates gleichgestellt. Die nebulöse Rechtslage kann ihn von der Vornahme einer Tätigkeit abhalten und sich negativ auf den Ausgang der Verfolgung auswirken. Die Klarheit darüber, wer, wann und in welchem Umfang handlungsbefugt ist, erleichtert schließlich die Durchführung der Nacheilemaßnahmen und trägt zu deren erfolgreichem Abschluss bei. Die bestehenden Abhandlungen zum SDÜ bieten lediglich einen vagen Über­ blick über die transnationalen Kooperationsformen oder widmen sich einigen 4  Kattau, Strafverfolgung, S.  75; Kühne, Kriminalitätsbekämpfung, S.  47; Birzele, in: Theobald (Hrsg.), S.  89 (100 f.); vgl. auch Wehner, in: Achermann/Bieber/Epiney/Wehner, S.  129 (159); vgl. ferner Liebl, in: Frevel/Asmus (Hrsg.), S.  105 (114), der aus den dargestellten Fallzahlen (S.  110–114) den Schluss zieht, „dass die Nacheile ‚viel Prozess und wenig prakti­ schen Nutzen‘ gebracht hat“. 5  Ein Rückgang wurde im Jahr 2013 verzeichnet: von 54 auf 33 Maßnahmen. Auch da­ mals war also die Zahl der Verfolgungsfahrten keinesfalls marginal. Zu Ursachen siehe Buschmann, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  211 (215). 6  Dass die Handhabung des Nacheileinstruments noch nicht hinreichend geklärt ist, hat die wissenschaftliche Tagung zur deutsch-polnischen Zusammenarbeit im Bereich der gren­ züberschreitenden Nacheile vom 16.10.2015 bestätigt, siehe hierzu die Beiträge der Ta­ gungsteilnehmer in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.).

B.  Gegenstand, Methode und Gang der Untersuchung

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wenigen singulären Anwendungsproblemen. Hinzu kommt, dass sich die meis­ ten davon auf die – nun überholte – Rechtslage vor der Überführung des Schen­ gen-Besitzstandes in das Unionsrecht beziehen und die mit dem Lissaboner Vertrag erfolgte Supranationalisierung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, innerhalb dessen die Schengener Nacheileregelung angesiedelt wurde, nicht berücksichtigen. Darüber hinaus können Ausführungen zur Interpretation der Bestimmungen des Art.  41 SDÜ ohnehin nur einen begrenzten Ertrag zur Frage der Ausübung des Nacheilerechts über die deutsch-polnische Grenze mit sich bringen. Denn Art.  41 SDÜ setzt der grenzüberschreitenden Nacheile einen nur allgemeinen Rechtsrahmen. Seinen Inhalt ergänzen Erklärungen (Abs.  9), in denen jeder Schengen-Staat die Modalitäten der Ausübung des Nacheilrechts auf seinem Territorium durch die Bediensteten der benachbarten Länder festlegt. Auf bila­ teralem Wege kann man überdies die Nacheilegrundlagen erweitern und zusätz­ liche Durchführungsbestimmungen erlassen (Abs.  10), wovon jeweils unter­ schiedlich Gebrauch gemacht worden ist. Schließlich sind die Beamten bei der Ausübung der Nacheilebefugnis an das Recht des betretenen Staates gebunden (Abs.  5 lit.  a SDÜ). All dies hat zur Folge, dass sich der Inhalt und der Umfang des Nacheilerechts im Zwei-Länder-Verhältnis herauskristallisieren. Eine Ab­ handlung, die sich eingehend mit der Problematik polizeilicher Verfolgungen über die deutsch-polnische Grenze auseinandersetzt, ist hingegen nicht vorhan­ den. Ziel der Arbeit ist es, die bestehenden Auslegungszweifel hinsichtlich der Voraussetzungen und der Ausübung des Nacheilerechts auszuräumen. Zugleich soll die derzeitige Regelung auf ihre Praktikabilität überprüft werden. Sofern im Rahmen der Untersuchung Defizite festgestellt werden, sind konkrete Lö­ sungs- bzw. Modifizierungsansätze zu erarbeiten, welche die polizeiliche Zu­ sammenarbeit auf diesem Gebiet effektiver machen könnten.

B.  Gegenstand, Methode und Gang der Untersuchung Gegenstand der Untersuchung sind die Voraussetzungen, unter denen eine in­ ländische polizeiliche Verfolgung über die deutsch-polnische Grenze hinweg fortgeführt werden darf, Pflichten und Befugnisse der nacheilenden Beamten im Zusammenhang mit der Nacheile sowie die unmittelbar im Anschluss an das Ergreifen des Verfolgten vorgenommenen Maßnahmen der Identitätsfeststel­ lung und der vorläufigen Festnahme. Den Ausgangspunkt bildet jeweils die Auslegung der Schengener Bestim­ mungen. Hinzugezogen werden die Vorschriften des Polizeiabkommens (2014),

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Einleitung

welche das SDÜ im betreffenden Bereich ergänzen. Zurückgegriffen wird auch auf die einschlägigen Regelungen, die in den Kooperationsverträgen Deutsch­ lands und Polens mit den anderen Nachbarländern enthalten sind.7 Ihre Berück­ sichtigung soll eine komplexere Bewertung der Instrumente, über welche die Polizeibeamten bei der Verfolgung über die Oder und die Neiße verfügen, sowie Vorschläge de lege ferenda ermöglichen. Schließlich wird der Rechtsrahmen der Nacheilebefugnis durch die Heranziehung der innerstaatlichen Vorschriften ausgefüllt, die die nacheilenden Beamten bei der Ausübung des Nacheilerechts beachten müssen. Analysiert und gegenübergestellt werden die maßgeblichen Vorschriften des deutschen und des polnischen Straf- und Strafprozessrechts, Polizeirechts sowie Straßenverkehrsrechts. Eine rechtsvergleichende Betrach­ tungsweise dient vor allem der Feststellung, ob und inwieweit die beiden Rechts­ ordnungen in nacheilerelevanten Bereichen voneinander abweichen. Sie ermög­ licht es aber auch, diejenigen Probleme zu identifizieren, die auf Systemunter­ schiede zurückzuführen sind, und Schlussfolgerungen für die zwischenstaatliche Zusammenarbeit zu ziehen. Zu Beginn der Untersuchung ist ein Blick auf die Entstehung der Schengener Nacheileregelung und ihre Überführung ins Unionsrecht zu werfen, um daraus Folgerungen für die Auslegung der betreffenden Bestimmungen zu ziehen. Da­ nach wird schwerpunktmäßig der Frage nachgegangen, bei welchen Sachverhal­ ten eine inländische Verfolgung über die (deutsch-polnische) Grenze hinweg fortgesetzt werden darf. Zu untersuchen ist hier u. a., ob die „auslieferungsfähi­ ge Straftat“ als eine der Nacheilevoraussetzungen eine Überprüfung der beider­ seitigen Strafbarkeit durch die nacheilenden Beamten erfordert und ob die Tat­ begehung offensichtlich sein muss oder ob ein (dringender) Tatverdacht genügt. 7 

Abkommen v. 24.10.1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großher­ zogtum Luxemburg (BGBl.  1996 II S.  1203); Abkommen v. 9.10.1997 zwischen der Bundes­ republik Deutschland und der Französischen Republik (BGBl.  1998 II S.  2479, 2480); Ab­ kommen v. 27.4.1999 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft (BGBl.  2001 II S.  946); Abkommen v. 27.3.2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien (BGBl.  2002 II S.  1532); Abkommen v. 21.3.2001 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark (BGBl.  2002 II S.  1536); Abkommen v. 10.11./19.12.2003 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich (BGBl.  2005 II S.  858); Abkommen v. 2.3.2005 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande (BGBl.  2006 II S.  194); Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Re­ publik v. 28.4.2015 (BGBl.  2016 II S.  474, 476); Abkommen zwischen der Republik Polen und der Republik Litauen v. 14.3.2006 (Dz. U. 2007 Nr.  177, Pos. 1244); Abkommen zwischen der Republik Polen und der Tschechischen Republik v. 21.6.2006 (Dz. U. 2007 Nr.  177, Pos. 1246); Abkommen zwischen der Republik Polen und der Slowakischen Republik v. 23.3.2004 (Dz. U. 2006 Nr.  79, Pos. 547) in der durch den Vertrag v. 12.5.2010 geänderten Fassung (Dz. U. 2011 Nr.  249, Pos. 1497).

B.  Gegenstand, Methode und Gang der Untersuchung

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Besonderes Augenmerk ist ferner auf die Ermittlung des Inhalts der Pflichten, die den nacheilenden Beamten gegenüber den Behörden des Gebietsstaates ob­ liegen, sowie der Reichweite der den Ersteren eingeräumten Befugnisse und der Art und Weise ihrer Ausübung zu legen. Zu klären ist auch, ob und ggf. in wel­ chem Umfang die örtlichen Behörden zur Mitwirkung an der Verfolgung ver­ pflichtet sind. Des Weiteren wird auf die im Anschluss an die Verfolgung ergrif­ fenen Maßnahmen – die Feststellung der Identität und die vorläufige Festnahme – eingegangen, die das SDÜ den örtlichen Hoheitsträgern vorbehält. Diese Maßnahmen haben nach dem Schengener Konzept den Charakter von Rechts­ hilfe, können aber in bestimmten Fällen im Strafverfolgungsinteresse des Ge­ bietsstaates vorgenommen werden, was zu Beginn aufgezeigt wird. Danach werden die für die Durchführung dieser Maßnahmen einschlägigen deutschen und polnischen Bestimmungen im nacheilerelevanten Kontext analysiert. Unter die Lupe genommen wird dabei insbesondere die – bereits auf den ersten Blick – praxisfremde Befristung der vorläufigen Freiheitsentziehung auf grundsätzlich sechs Stunden, die das SDÜ in Bezug auf das Ergreifen eines fremden Staatsan­ gehörigen vorsieht. Schließlich werden die wesentlichsten Arbeitsergebnisse zusammengefasst.

1. Teil

Rechtsgrundlagen für die polizeiliche Nacheile über die deutsch-polnische Grenze Das Nacheilerecht als unionales Instrument der grenzüberschreitenden (poli­ zeilichen) Zusammenarbeit geht auf das Jahr 1997 zurück, als das Schengener Durchführungsübereinkommen mit seinem Art.  41, der diese Maßnahme nor­ miert, in den rechtlichen und institutionellen Unionsrahmen eingebettet wurde. Mit dem Beitritt Polens zum Schengen-Raum am 21. Dezember 2007 hat sich die Möglichkeit einer Verfolgung über die deutsch-polnische Grenze eröffnet. Eine Erweiterung der Nacheilebefugnis hat das Polizeiabkommen (2014) ge­ bracht. Im Folgenden werden der Hintergrund der Schengener Nacheilerege­ lung, ihre Überführung in das Unionsrecht und die daraus resultierenden Fol­ gen für die Auslegung des Art.  41 SDÜ sowie für die deutsch-polnische Zusam­ menarbeit dargestellt. Anschließend wird auf die für die Ausübung des Nacheilerechts maßgeblichen Bestimmungen des Polizeiabkommens (2014) Bezug genommen.

A.  Das Schengener Durchführungsübereinkommen I.  Überblick über die Entstehungsgeschichte Der den Schengener Übereinkommen zugrunde liegende Gedanke der Abschaf­ fung von Grenzkontrollen1 und der intergouvernementalen polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit hat seine Wurzeln in Art.  220 EWG-Vertrag.2 Die ersten Versuche seiner Durchsetzung reichen bis in den Europäischen Gipfel 1974 zurück.3 Die Kommission schlug in den darauffolgenden Jahren ein zwei­ aktiges Vorgehen zur Verwirklichung einer Passunion4 vor: Im ersten Schritt Geschichte des Abbaus der Grenzkontrollen siehe im neueren Schrifttum Pudlat, Schengen, S.  151 ff. 2  Haas, Die Schengener Abkommen, S.  29; König/Pechstein, Der Vertrag von Maastricht, Kapitel 5 Rn.  28. 3  Epiney, in: Achermann/Bieber/Epiney/Wehner, S.  21 (22 f.). 4  Mit einer Passunion ist die Aufhebung der Grenzkontrollen an den gemeinsamen Gren­ 1  Zur

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1. Teil: Rechtsgrundlagen für die polizeiliche Nacheile

sollten die Grenzkontrollen (lediglich) erleichtert, im zweiten tatsächlich abge­ baut werden.5 Die ausgearbeiteten Vorschläge fanden jedoch keine Zustimmung der Mitgliedstaaten, denn sie würden – wie man argumentierte – „dem Terroris­ mus, der Kriminalität Tor und Tür öffnen; der Drogenhandel würde blühen und gedeihen“.6 Die befürchteten Sicherheitsdefizite gewannen die Oberhand über die erwarteten, für die Bürger wahrnehmbaren positiven Effekte der Abschaf­ fung von Personenkontrollen.7 Man konnte sich nur auf eine Verkürzung der Wartezeiten und der Dauer der Kontrollen einigen.8 Die Zurückhaltung auf gemeinschaftlicher Ebene führte dazu, dass erste konkrete Maßnahmen zur Verwirklichung des Konzepts des freien Personen­ verkehrs außerhalb des institutionellen EG-Rahmens getroffen wurden. Im Juli 1984 unterzeichneten Deutschland und Frankreich einen bilateralen Vertrag über den schrittweisen Abbau der Kontrollen an der gemeinsamen Grenze9 (Saarbrückener Abkommen10). Mit dem Abschluss des Übereinkommens be­ treffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen am 14. Juni 1985 (Schengener Übereinkommen) wurde die Passunion um die Beneluxstaaten erweitert. Gegenstand der Vereinbarung waren „kurzfristig durchzuführende Maßnahmen“ (Titel I) zur Erleichterung der Grenzkontrollen sowie „langfristig durchzuführende Maßnahmen“ (Titel II), deren Durchset­ zung eine vollständige Beseitigung der Kontrollen ermöglichen sollte.11 Mit Rücksicht auf das Thema der vorliegenden Abhandlung ist in diesem Kontext auf zwei Vorschriften aufmerksam zu machen. Art.  17 SÜ formuliert eine Be­ mühenspflicht der Parteien, erforderlichenfalls ergänzende Maßnahmen zum Schutz der inneren Sicherheit zu ergreifen. Art.  18 lit.  c SÜ ordnet hingegen ausdrücklich an, die Einführung eines Rechts der polizeilichen Nacheile zu er­ wägen. Aufbauend auf dem Maßnahmenkatalog unterzeichneten die beteiligten Parteien am 19. Juni 1990 das Übereinkommen zur Durchführung des Überein­ kommens von Schengen betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen vom 14. Juni 1985 (Schengener Durchführungs­ übereinkommen). zen der beteiligten Staaten gemeint, durch die sie zu Binnengrenzen werden, Haas, Die Schengener Abkommen, S.  30. 5 Eingehend Taschner, Schengen, S.  9 ff. 6 Nach Taschner, Schengen, S.  10. 7  Epiney, in: Achermann/Bieber/Epiney/Wehner, S.  21 (23). 8  Epiney, in: Achermann/Bieber/Epiney/Wehner, S.  21 (23); siehe die Entschließung 84/C 159/01 des Rates und der Regierungsvertreter v. 7.6.1984 (ABl.  C 159 v. 19.6.1984, S.  1). 9  BGBl.  1984 II S.  767. 10  Haas, Die Schengener Abkommen, S.  31. 11  Epiney, in: Achermann/Bieber/Epiney/Wehner, S.  21 (24 f.).

A.  Das Schengener Durchführungsübereinkommen

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Bereits die Signierung des SÜ beunruhigte die Polizeikreise. Der Vorsitzende der deutschen Polizeigewerkschaft warnte: „Auf dem Altar Europas wird die Sicherheit unserer Staaten geopfert“.12 Man sprach von „polizeilicher Kleinstaa­ terei in einem vereinten Europa“ und von der „Euro-Spur für Rechtsbrecher“.13 Die Botschaft mag eindeutig gewesen sein: Freizügigkeit darf keine „freie Fahrt“ für die Kriminellen schaffen14. In Titel III des SDÜ wurden deshalb kon­ krete Instrumente der polizeilichen (Kapitel  1) und justiziellen (Kapitel  2) Zusammen­arbeit vorgesehen, die die prognostizierten Sicherheitsverluste kom­ pensieren sollten.15 Das Schengener Konzept beruht insoweit auf einer Doppel­ strategie: Kontrollfreiheit an den Binnengrenzen einerseits, taugliche Aus­ gleichsmaßnahmen andererseits.16 Die Umsetzung der polizeilichen Erwartungen war freilich nicht vollumfäng­ lich möglich. Denn in die Debatte flossen ebenfalls staatliche Souveränitätsein­ wände mit ein.17 In den Brennpunkt der Verhandlungen rückte die grenzüber­ schreitende Nacheile.18 Da die Grenzkontrollstellen eine Aufhaltefunktion ge­ genüber unmittelbar verfolgten Tatverdächtigen bzw. Tätern erfüllten, wurde die Einräumung des Nacheilerechts als unabdingbar für deren Abbau empfun­ den.19 Die Nachdrücklichkeit, mit der die polizeilichen Kreise die Einführung einer entsprechenden Regelung forderten, mag in erster Linie darin begründet gewesen sein, dass die Verfolgungsübernahme durch Beamte des Nachbarstaa­ tes nicht in jedem Fall möglich ist, etwa aufgrund ihrer personellen Besetzung bzw. Belastung oder unzureichenden Ausrüstung oder wegen ungünstiger Ver­ kehrsbedingungen.20 Auch das Bild eines ins Ausland flüchtenden Verbrechers und eines ihm hilflos hinterherschauenden Bediensteten sorgte für Skepsis.21 Taschner, Schengen, S.  17. Boge, Kriminalistik 1987, 413 (413). 14  Schelter, in: Theobald (Hrsg.), S.  15 (17); vgl. auch Sturm, Kriminalistik 1995, 162 (162). 15  Denkschrift zum Übereinkommen, BT-Drs. 12/2453, S.  91; Kattau, Strafverfolgung, S.  68; Kühne, Kriminalitätsbekämpfung, S.  10; Wehner, in: Achermann/Bieber/Epiney/Weh­ ner, S.  129 (132); Gleß/Lüke, JURA 1998, 70 (72 f.); Sturm, Kriminalistik 1995, 162 (164). 16  Schelter, in: Theobald (Hrsg.), S.  15 (16); Dt. Bundestag, Überführung des Schen­ gen-Besitzstandes, S.  14 f. 17 Vgl. Kattau, Strafverfolgung, S.  60 ff. 18  Eingehend zum Werdegang der Verhandlungen Brammertz, Grenzüberschreitende po­ lizeiliche Zusammenarbeit, S.  239 ff. 19 Nach Kattau, Strafverfolgung, S.  74 f.; vgl. Kühne, Kriminalitätsbekämpfung, S.  18; Ingenerf, Kriminalistik 1989, 341 (343). 20  Rupprecht/Hellenthal, in: Rupprecht/Hellenthal, S.  23 (202). 21  Kattau, Strafverfolgung, S.  75; Rupprecht/Hellenthal, in: Rupprecht/Hellenthal, S.  23 (202); Kühne, Kriminalitätsbekämpfung, S.  18 (siehe dort Fn.  44); vgl. auch Sturm, Krimina­ listik 1995, 162 (166). 12 Nach 13 Nach

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1. Teil: Rechtsgrundlagen für die polizeiliche Nacheile

Sowohl für die Polizei als auch für einen Großteil der Gesellschaft wäre es un­ verständlich gewesen, dass die Verfolgung an der Grenze abgebrochen werden müsste, der Verfolgte diese ungehindert überschreiten und sich der Festnahme entziehen könnte.22 Die Verhandlungen erwiesen sich in der Praxis als äußerst schwierig.23 Wäh­ rend sich die deutsche Delegation für ein uneingeschränktes Nacheilerecht aus­ sprach, standen die französischen Vertreter der Möglichkeit einer grenzüber­ schreitenden Fortsetzung der Verfolgung generell kritisch gegenüber.24 Im Ok­ tober 1987, als der erste Textentwurf vorgelegt wurde, konnte man nur an einem Punkt Einigung erzielen: Das Nacheilerecht sollte ein Ultima-Ratio-Mittel dar­ stellen und somit lediglich bei der Unmöglichkeit einer Verfolgungsübernahme durch die Behörden des anderen Staates ausgeübt werden dürfen. Weitere Ar­ beitssitzungen brachten keinen Durchbruch. Grundlegende Fragen der Ausge­ staltung der Nacheilebefugnis, etwa in Bezug auf die nacheilefähige Tat, die Reichweite der Verfolgung auf dem fremden Hoheitsgebiet, die Erkennbarkeit der ausländischen Beamten, den Einsatz von Dienstwaffen und das Festhalte­ recht, wurden in den folgenden Jahren heftig diskutiert. Insbesondere die letzt­ genannte Modalität wurde zu einem Stolperstein bei den Verhandlungen, denn Frankreich widersetzte sich noch im September 1989 kategorisch der Einräu­ mung des Festhalterechts. Die anderen Delegationen waren indes unter Beru­ fung auf die Zwecklosigkeit der Nacheile ohne Festhaltemöglichkeit nicht be­ reit, in diesem Punkt Zugeständnisse zu machen. Als Kompromiss zwischen den maximalistischen deutschen Aspirationen und dem minimalistischen fran­ zösischen Standpunkt entschlossen sich die beteiligten Parteien letztendlich dazu, die strittigsten Nacheilemodalitäten alternativ zu formulieren. Im Hin­ blick auf die Kategorie der Tat, die zur Nacheile berechtigt, ist demnach zwi­ schen Katalogstraftaten und nacheilefähigen Straftaten zu wählen. Das Nach­ eilerecht kann ferner entweder schrankenlos eingeräumt oder räumlich und/ oder zeitlich begrenzt werden. Jeder Schengen-Staat hat schließlich zu entschei­ den, ob und in welchem Umfang er das Festhalterecht gewährt. Der allgemeine Rahmen für die grenzüberschreitende Nacheile wurde in Art.  41 SDÜ festgelegt. Die Vorschrift nennt die Voraussetzungen, unter denen die Verfolgung auf einem fremden Territorium fortgesetzt werden darf (dazu 2.  Teil), und regelt das Verfahren während der Nacheile (dazu 3.  Teil) sowie Rupprecht/Hellenthal, in: Rupprecht/Hellenthal, S.  23 (202). nachfolgende Darstellung des Verhandlungsprozesses orientiert sich an Brammertz, Grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit, S.  239–242. 24  Die französische Delegation versuchte sogar, eine Alternativlösung durchzusetzen: Bildung gemeinsamer Einsatzgruppen in den Grenzregionen; der Vorschlag wurde verwor­ fen, Brammertz, Grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit, S.  240. 22 

23 Die

A.  Das Schengener Durchführungsübereinkommen

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nach ihrer Beendigung (dazu 4. Teil). Seinen Inhalt ergänzen Erklärungen, in denen jeder Schengen-Staat die drei oben erwähnten Modalitäten der Ausübung des Nacheilrechts in seinem Hoheitsgebiet durch die Bediensteten benachbarter Länder bestimmt. Im Wege bilateraler Vereinbarungen kann man überdies den Anwendungsbereich der Vorschrift erweitern und zusätzliche Durchführungs­ bestimmungen erlassen. Art.  42 SDÜ normiert die Rechtsstellung der nachei­ lenden Beamten in Bezug auf Straftaten, die sie begangen haben oder deren Opfer sie geworden sind. Art.  43 SDÜ formuliert Haftungsregeln für von den fremden Beamten verursachte Schäden.

II.  Überführung des sog. Schengen-Besitzstandes in den EU-Rahmen 1.  Mechanismus der Einbindung Das Ziel der Verwirklichung des Binnenmarktes wurde auf der Gemeinschafts­ ebene erst im EWG-Vertrag niedergeschrieben: Der durch die Einheitliche Eu­ ropäische Akte25 eingeführte Art.  8a war darauf gerichtet, bis zum 31. Dezem­ ber 1992 einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Wa­ ren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen des Vertrages gewährleistet ist, zu schaffen. Da es jedoch an einer Umsetzung durch Sekundärrecht fehlte,26 traten dem Schengener Verbund mittlerweile weitere Mitgliedstaaten bei27. Einen Umbruch brachte der Amsterdamer Vertrag, mit dem der sog. Schengen-Besitzstand in den institutionellen und rechtlichen Rah­ men der EU eingebettet wurde.28 Die formale Abwicklung erfolgte durch ein dem Vertrag beigefügtes Protokoll Nr.  229 und hatte zwei Dimensionen: eine Übernahme des bestehenden Schengen-Besitzstandes und seine Weiterentwick­

25  ABl.  L 169 v. 29.6.1987, S.  1. Einheitliche Europäische Akte wurde am 17.2.1986 in Luxemburg bzw. am 28.2.1986 in Den Haag unterzeichnet und ist am 1.7.1987 in Kraft getre­ ten (ABl.  L 169 v. 29.6.1987, S.  29). 26  Schauer, Schengen, S.  196. Den letzten Versuch zur Herstellung der Personenfreizü­ gigkeit innerhalb der Gemeinschaft hat die Kommission am 21.3.1997 mit einem Richtlinien­ vorschlag zur Beseitigung der Personenkontrollen an den Binnengrenzen unternommen; der Vorschlag hat sich im Rat nicht durchgesetzt, Schauer, Schengen, S.  197. 27  Italien 1990, Spanien und Portugal 1991, Griechenland 1992, Österreich 1995, Däne­ mark, Finnland und Schweden 1996, Schauer, Schengen, S.  197. 28  Leidenmühler, The European Legal Forum 5–2002, 253 (254). Eingehend zur Einbezie­ hung des Schengen-Besitzstandes in den EU-Rahmen Schauer, Schengen, S.  204 ff.; Peers, 2 Cambridge Y.B. Eur. Legal Stud. (1999–2000), 87; Wagner, Legal issues of European integra­ tion 25 (1998/2), 1 (11 ff.). 29  Protokoll zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europäi­ schen Union (ABl.  C 340 v. 10.11.1997, S.  93).

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1. Teil: Rechtsgrundlagen für die polizeiliche Nacheile

lung.30 Der Besitzstand wurde im Anhang zum Protokoll definiert; er umfasst danach das SÜ und das SDÜ, die dazu gehörenden Beitrittsprotokolle und -übereinkommen sowie die Beschlüsse und Erklärungen des Exekutivausschus­ ses und die Rechtsakte anderer Organe, denen der Exekutivausschuss Entschei­ dungsbefugnisse übertragen hat.31 Hinsichtlich der Überführung des bestehenden Schengen-Besitzstandes sah das Protokoll in seinem Art.  2 zwei Etappen vor bzw. es formulierte zwei Grundregeln. Zum einen wurde eine sofortige Anwendbarkeit des Schen­ gen-Besitzstandes für 13 Mitgliedstaaten 32 ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Vertrages von Amsterdam angeordnet.33 Da das Schengener Regelwerk auf völkerrechtlicher Ebene damals bereits anwendbar war, muss es sich hierbei um eine Anwendbarkeit als im Rahmen der Union erlassenes Recht gehandelt ha­ ben.34 Die Inkraftsetzung des SDÜ sollte allerdings – entsprechend der durch die Unterzeichnerstaaten vereinbarten Praxis35 – für den jeweiligen Staat erst dann erfolgen, wenn er „die Schengener Standards vollständig und nachweislich erfüllt“.36 Die Bestimmungen und Beschlüsse des Schengen-Besitzstandes wurden als auf den Titel VI des EUV gestützte Rechtsakte qualifiziert. Diese Zuordnung war nur vorübergehend. Denn Art.  2 des Protokolls verpflichtete gleichzeitig den Rat, im Einklang mit den Verträgen die Rechtsgrundlage für jede Bestim­ mung und jeden Beschluss festzulegen. Zu diesem Zweck definierte der Rat den Schengen-Acquis zunächst umfassend, d. h. durch Auflistung aller ihn bilden­ den Rechtsakte,37 und anschließend ordnete er ihn den entsprechenden Vor­ 30 Vgl. Epiney, in: Breuss/Griller (Hrsg.), S.  127 (135); dies., in: Hummer (Hrsg.), S.  103 (109). 31  Anhang zum Protokoll zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstandes in den Rahmen der Europäischen Union (ABl.  C 340 v. 10.11.1997, S.  96); siehe auch die vollständige Auflis­ tung in Schengen-Besitzstand gemäß Artikel 1 Absatz 2 des Beschlusses 1999/435/EG des Rates v. 20.5.1999 (ABl.  L 239 v. 22.9.2000, S.  1). 32  Es handelt sich hier um diejenigen Staaten, die zum Zeitpunkt der Überführung bereits Mitglieder der EU waren, mit Ausnahme von Großbritannien und Irland. 33  Die Vorschrift sieht gleichzeitig eine institutionelle Änderung vor: Mit dem Inkrafttre­ ten des Amsterdamer Vertrags tritt der Rat an die Stelle des Exekutivausschusses. 34  Epiney, in: Breuss/Griller (Hrsg.), S.  127 (135); Schauer, Schengen, S.  214. 35  Siehe Gemeinsame Erklärung zu Art.  139 SDÜ, abgedruckt etwa in Achermann/Bieber/Epiney/Wehner, Schengen und die Folgen, S.  238. 36  Dt. Bundestag, Überführung des Schengen-Besitzstandes, S.  22. Gemäß Art.  2 Abs.  2 des Protokolls ist die Bestimmung des Zeitpunkts, ab dem der Schengen-Besitzstand für einzelne Staaten zur Anwendung kommen soll, dem Rat vorbehalten. Für die Mitgliedstaa­ ten, in denen das SDÜ bereits in Kraft war, war der Schengen-Besitzstand sofort mit dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrags als Unions- bzw. Gemeinschaftsrecht anwendbar. 37  Beschluss 1999/435/EG des Rates v. 20.5.1999 zur Bestimmung des Schengen-Besitz­

A.  Das Schengener Durchführungsübereinkommen

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schriften des Titels IV EGV und des Titels VI EUV zu 38. Die die grenzüber­ schreitende Nacheile regelnden Art.  41–43 SDÜ wurden innerhalb der dritten Säule (PJZS) angesiedelt und auf Art.  34 und Art.  32 EUV gestützt. Die völker­ rechtlich geprägte Nacheileregelung wurde somit zum intergouvernementalen Unionsrecht.39 In Bezug auf die Weiterentwicklung stellte das Protokoll in Art.  5 Abs.  1 Unter­abs. 1 die Regel auf, dass sämtliche auf den Schengen-Besitzstand gestütz­ ten Vorschläge und Initiativen den einschlägigen Bestimmungen der Verträge unterliegen. Der am 1. Dezember 2009 in Kraft getretene Lissabonner Reformvertrag hob die Säulenstruktur auf.40 Die ehemalige dritte Säule der Union wurde in die den „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ normierenden Regelungen des neuen Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (Titel V AEUV) aufgenommen41 und somit supranationalisiert42. Seit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon stellt Art.  89 AEUV die einschlägige Rechtsgrund­ lage für die Modifizierung und Erweiterung der oben genannten Vorschriften zum Nacheilerecht dar.43 2.  Auswirkung auf den Rechtscharakter der Schengener Nacheileregelung Die Überführung des SDÜ in den Unionsrahmen wirft die Frage nach seinem Stellenwert in der Normenhierarchie auf. Bedenkt man, dass das Protokoll zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstandes, das in der konsolidierten Fassung des Vertrags von Lissabon als Protokoll Nr.  19 über den in den Rahmen der Europäischen Union einbezogenen Schengen-Besitzstand fortbesteht, auf der­ selben Stufe wie der EUV und der AEUV steht, also zum Primärrecht gehört stands zwecks Festlegung der Rechtsgrundlagen für jede Bestimmung und jeden Beschluss, die diesen Besitzstand bilden, nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Vertrags über die Europäische Union (ABl.  L 176 v. 10.7.1999, S.  1). 38  Beschluss 1999/436/EG des Rates v. 20.5.1999 zur Festlegung der Rechtsgrundlagen für die einzelnen Bestimmungen und Beschlüsse, die den Schengen-Besitzstand bilden, nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Vertrags über die Europäische Union (ABl.  L 176 v. 10.7.1999, S.  17). 39 Vgl. König/Pechstein, Die Europäische Union, Rn.  351 ff. u. 365. 40  Breitenmoser/Weyeneth, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Vorbemerkung zu den Artikeln 67 bis 76 Rn.  14; Weiß/Satzger, in: Streinz (Hrsg.), Art.  67 AEUV Rn.  8. 41  Nowak, Europarecht nach Lissabon, S.  258 m. w. N. 42  Rosenau/Petrus, in: Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Art.  67 AEUV Rn.  3; Weiß/Satzger, in: Streinz (Hrsg.), Art.  67 AEUV Rn.  8. 43  Dannecker, in: Streinz (Hrsg.), Art.  89 AEUV Rn.  7; Suhr, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Art.  89 AEUV Rn.  1.

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1. Teil: Rechtsgrundlagen für die polizeiliche Nacheile

(Art.  51 EUV),44 könnte man davon ausgehen, dass alle übernommenen Schen­ gener Rechtsakte den gleichen Rang und die gleiche Wirkung haben. Das SDÜ wurde zwar nicht im Protokoll, sondern in dessen Anhang genannt. Aber auch dieser Anhang dürfte den Verträgen normhierarchisch gleichstehen.45 Dies er­ gibt sich nicht aus dem Wortlaut des Art.  51 EUV, wohl aber aus seinem Zweck.46 Da der Anhang die Protokollbestimmungen erläutert bzw. den Anwendungsbe­ reich des Protokolls konkretisiert,47 hat keiner der Akte für sich gesehen er­ schöpfenden Charakter; sie sind derart miteinander verwoben, dass sich eine isolierte Betrachtung verbietet. Gegen die Zuordnung des SDÜ zum Primärrecht spricht jedoch die Art und Weise seiner Einbeziehung. Das Protokoll hat den Schengen-Besitzstand nicht „neben“ den Verträgen – als weitere Primärrechtsquelle – angesiedelt, sondern den Rat mit der Aufgabe betraut, alle Bestimmungen und Beschlüsse des Be­ sitzstandes auf die bestehenden vertraglichen Rechtsgrundlagen zu stützen. Durch diese primärrechtliche Verankerung weist der in die unionale Rechtsord­ nung integrierte Schengen-Acquis eine Parallele zum Sekundärrecht auf.48 Da die Schengener Rechtsakte aber nicht von den Unionsorganen erlassen, sondern in das Unionsrecht bloß überführt wurden, und auch nicht auf den herkömmli­ chen sekundärrechtlichen Handlungsformen, wie Verordnungen oder Richtlini­ en, beruhen, nimmt der Schengen-Besitzstand gegenüber dem klassischen Se­ kundärrecht eine Sonderstellung ein.49 Insoweit lässt sich das SDÜ als unionales Sekundärrecht sui generis qualifi­ zieren.50 Seine Bestimmungen haben am Vorrang des EU-Rechts teil und kön­ nen in den beteiligten Mitgliedstaaten nach den allgemeinen Regeln, d. h. bei hinreichender Bestimmtheit und inhaltlicher Unbedingtheit, unmittelbar an­ 44 Vgl. Epiney, in: Breuss/Griller (Hrsg.), S.  127 (133); Haas, Die Schengener Abkommen, S.  46; Leidenmühler, The European Legal Forum 5–2002, 253 (254). 45  So ausdrücklich in Bezug auf den Anhang zum Schengener Protokoll Schauer, Schen­ gen, S.  208. 46 Vgl. Dörr, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art.  51 EUV Rn.  8. 47  Dörr, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art.  51 EUV Rn.  8. 48  Auch im Schrifttum wird angenommen, dass der überführte Schengen-Besitzstand mit der Überführung zum Sekundärrecht geworden ist, so Heesen, Interne Abkommen, S.  53; Elsen, in: Hummer (Hrsg.), S.  39 (45); Thym, ZaöRV 66 (2006), 863 (895); Peers, 2 Cam­ bridge Y.B. Eur. Legal Stud. (1999–2000), 87 (120 f.); Bender, ZaöRV 61 (2001), 729 (759); Epiney, in: Breuss/Griller (Hrsg.), S.  127 (136); dies., in: Hummer (Hrsg.), S.  103 (111); wohl auch Leidenmühler, The European Legal Forum 5–2002, 253 (255 f.). 49  Vgl. Vorschlag für eine Verordnung des Rates über den Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen, KOM (2004) 391, S.  5 f.; Heesen, Interne Ab­ kommen, S.  54 f.; Schauer, Schengen, S.  216 f. 50  So auch Schauer, Schengen, S.  216; Heesen, Interne Abkommen, S.  55.

A.  Das Schengener Durchführungsübereinkommen

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wendbar sein.51 Die die grenzüberschreitende Nacheile regelnden Art.  41–43 SDÜ sind rechtlich vollkommen. Sie begründen konkrete Rechte und Pflichten für die nationalen (Polizei-)Behörden, deren Wahrnehmung bzw. Erfüllung we­ der einer Konkretisierung bedarf noch von weiteren Rechtsakten der EU oder der Mitgliedstaaten abhängt noch unter einem Vorbehalt steht. Darum sind sie subsumtions- sowie vollzugsfähig und dürfen mithin im unionsinternen Raum ohne Weiteres (unmittelbar) angewandt werden.52 3.  Auswirkung auf die Auslegung der Schengener Nacheileregelung Seit der Integrierung der Schengener Nacheileregelung in den supranational ge­ prägten Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts kommen nicht nur die obigen in der unionsgerichtlichen Rechtsprechung etablierten Phänomene des Anwendungsvorrangs vor nationalem Recht der Mitgliedstaaten und der unmit­ telbaren Wirkung zum Tragen.53 Es gelten seitdem auch andere Auslegungs­ grundsätze. Das völkerrechtliche Prinzip der autonomen Vertragsinterpretation durch die Vertragsparteien wird zugunsten der letztverbindlichen Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof aufgegeben (Art.  19 Abs.  3 lit.  b EUV und Art.  267

Weiß/Satzger, in: Streinz (Hrsg.), Art.  67 AEUV Rn.  40; Röben, in: Grabitz/Hilf/Net­ tes­heim, Art.  67 AEUV Rn.  140; siehe auch Heesen, Interne Abkommen, S.  55; vgl. ferner EuGH EuR 2003, 929 Rn.  32 zu Art.  54 ff. SDÜ (verb. Rs. Gözütok u. Brügge). Zur unmittel­ baren Anwendbarkeit des Unionsrechts siehe das grundlegende Urteil des EuGH Slg. 1963, 1 (van Gend & Loos) sowie Slg. 1964, 1251 (Costa/ENEL); Slg. 1978, 629 (Simmenthal II); Slg. 1979, 2729 (Schaffleisch). 52  Der Umstand, dass die Modalitäten des Nacheilerechts von den Mitgliedstaaten festzu­ legen sind, ändert daran nichts. Denn die betreffenden Erklärungen gemäß Art.  41 Abs.  9 SDÜ waren bereits bei der Unterzeichnung des Übereinkommens abzugeben bzw. sind bei der Übernahme des Schengen-Besitzstandes durch den jeweiligen Beitrittsstaat abzugeben. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Art.  41 SDÜ in den einzelnen Mitgliedstaaten werden die Grundlagen des grenzüberschreitenden Tätigwerdens für die zuständigen Behörden der benachbarten Länder vollkommen klar und vollständig sein. Zu beachten ist auch, dass noch vor der Überführung des SDÜ in den Unionsrahmen die Regelungen des Art.  41 SDÜ als eigenständige Eingriffsbefugnisse qualifiziert wurden, so Würz, Das Schengener Durchfüh­ rungsübereinkommen, Rn.  23. 53 Vgl. Schauer, Schengen, S.  212 und EuGH, Gutachten 1/91, EWR I, Slg. 1991, I-6079 Rn.  20 ff.: „Die Gemeinschaftsverträge haben eine neue Rechtsordnung geschaffen, zu deren Gunsten die Mitgliedstaaten ihre Souveränitätsrechte eingeschränkt haben und deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch deren Bürger sind. Die wesentli­ chen Merkmale der so verfaßten Rechtsordnung der Gemeinschaft sind ihr Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten und die unmittelbare Wirkung zahlreicher für ihre Staatsangehö­ rigen und für sie selbst geltender Bestimmungen.“ 51 

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1. Teil: Rechtsgrundlagen für die polizeiliche Nacheile

AEUV).54 Der EuGH sieht das supranationale Unionsrecht nicht als klassisches Völkerrecht, sondern als „eine neue Rechtsordnung des Völkerrechts“55 an, die eigenen Regeln unterliegt56. Die völkerrechtlichen Auslegungsmethoden gemäß Art.  31 ff. WVK 57 dürfen deshalb für die Interpretation des Art.  41 ff. SDÜ grundsätzlich nicht mehr58 bzw. nicht alleine59 nutzbar gemacht werden. In der unionsgerichtlichen Rechtsprechung wird zwar auf die klassischen Kanones re­ kurriert, diese werden aber entsprechend dem Charakter des Unionsrechts als „Integrationsrechtsordnung“60 modifiziert.61 Insbesondere treten die die Deu­ tung der völkerrechtlichen Verträge stark prägenden – da der Teleologie von Anfang an Grenzen setzenden – Souveränitätsgesichtspunkte62 hinter den von der Union verfolgten Zielen zurück.63 Ihr Erreichen soll dadurch gewährleistet werden, dass die Auslegung zum einen dem Effektivitätsgrundsatz64 folgt, d. h. auf die größtmögliche Wirkung der unionalen Bestimmungen ausgerichtet ist 65, und zum anderen dynamischen Charakter66 hat, d. h. der fortschreitenden Ent­ Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber (Hrsg.), §  7 Rn.  6. EuGH Slg. 1963, 1, 25 (van Gend & Loos). 56  Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber (Hrsg.), §  7 Rn.  6 u. 12. 57  BGBl.  1985 II S.  927. 58  Im Zeitraum zwischen der Überführung des Schengener Nacheilerechts in die dritte Säule und seiner Supranationalisierung war der Rückgriff auf die völkerrechtlichen Ausle­ gungsregeln nicht verwehrt, sondern gerade geboten, weil die dritte Säule „eine völkerrecht­ lich vereinbarte Form der Zusammenarbeit“ darstellte, so Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  188 f., die Art.  41 SDÜ nach den Vorgaben des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens auslegt; übereinstimmend Eicker, Transstaatliche Strafver­ folgung, S.  90 ff. in Bezug auf die Auslegung des Art.  54 SDÜ, der bei der Überführung in den Unionsrahmen so wie Art.  41 SDÜ dem Titel VI EUV zugeordnet wurde; abweichend Thym, NStZ 2003, 334 (334): „Der europarechtliche Charakter des Schengener Rechts be­ wirkt, das völkerrechtliche Auslegungsgrundsätze nicht länger maßgeblich sind.“ Zur An­ wendbarkeit der völkerrechtlichen Auslegungsmethoden im Bereich des intergouvernemen­ talen Unionsrechts siehe auch Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber (Hrsg.), §  7 Rn.  43 ff. 59  Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber (Hrsg.), §  7 Rn.  6 u. 12. 60  Begriff nach Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber (Hrsg.), §  7 Rn.  6. 61  Streinz, ZEuS 2004, 387 (401); vgl. Mayer, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art.  19 EUV Rn.  53. 62  Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber (Hrsg.), §  7 Rn.  3 u. 45. 63  Bleckmann, EuR 1979, 239 (241); Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber (Hrsg.), §  7 Rn.  12 f. u. 27. 64  Eingehend zum Effektivitätsgrundsatz im Unionsrecht Anweiler, Die Auslegungsme­ thoden, S.  219 ff. 65  Anweiler, Die Auslegungsmethoden, S.  219; Mayer, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art.  19 EUV Rn.  57 f. 66  Zur dynamischen Auslegung des Unionsrechts siehe u. a. Anweiler, Die Auslegungsme­ thoden, S.  238 ff.; Bleckmann, EuR 1979, 239 (255 ff.); ders., NJW 1982, 1177 (1180 f.). 54  55 

A.  Das Schengener Durchführungsübereinkommen

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wicklung und Sachverhaltsänderungen Rechnung trägt 67. Diese Vorgaben müs­ sen bei der Ermittlung des Sinngehalts der Nacheileregelung beachtet werden. Besondere Schwierigkeiten im Anschluss an die Supranationalisierung des Art.  41 SDÜ bereitet jedoch nicht die teleologische, sondern die grammatikali­ sche Auslegung der Vorschrift. Das SDÜ wurde laut seiner Schlussformel in deutscher, französischer und niederländischer Sprache abgefasst, wobei jeder Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist. Das Unionsrecht gilt demgegenüber in den Sprachfassungen aller Mitgliedstaaten mit der Folge, dass jede Fassung die gleiche Authentizität und Verbindlichkeit beansprucht.68 Darin manifestieren sich die unionalen Grundprinzipien der Gleichberechtigung aller Mitgliedstaa­ ten,69 der Achtung der nationalen Identität und der rechtsstaatlichen Grundsätze wie der Bestimmtheit und der Normenklarheit70 (vgl. Art.  2 und 4 Abs.  2 EUV). In Bezug auf die Verträge ist die Gleichwertigkeit der Sprachen primärrecht­ lich in Art.  55 Abs.  1 EUV und Art.  358 AEUV gewährleistet. Die Wirkung dieser Vorschriften erstreckt sich bei Fehlen einer anderweitigen Bestimmung auch auf sonstige Normen des Unionsrechts „mit demselben Geltungsgrund und Rang“.71 Für die Parität der sprachlichen Fassungen des Sekundärrechts sorgt dagegen die auf der Grundlage des ursprünglichen Art.  217 EWGV (jetzt Art.  342 AEUV) erlassene Verordnung Nr.  1 des Rates vom 15. April 1958 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft72. Nach ihrem Art.  4 sind Verordnungen und andere Schriftstücke von allgemeiner Geltung in den Amtssprachen abzufassen. Diese werden in Art.  1 VO Nr.  1 fest­ gelegt und entsprechen (gegenwärtig73) den in Art.  55 EUV genannten Ver­ tragssprachen.74 Auch das Amtsblatt der Europäischen Union, in dem das Se­ Grundmann, Die Auslegung, S.  341 f.; Anweiler, Die Auslegungsmethoden, S.  238 f. Dies gilt nicht nur für das Primär-, sondern auch für das Sekundärrecht, Anweiler, Die Auslegungsmethoden, S.  146 f.; Groh, in: Müller/Burr (Hrsg.), S.  263 (269); Luttermann, EuZW 1999, 401 (402); Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschaftsrecht, S.  59; Herrmann, in: Streinz (Hrsg.), Art.  342 AEUV Rn.  35. 69  Braselmann, EuR 1992, 55 (72); Groh, in: Müller/Burr (Hrsg.), S.  263 (269); Grundmann, Die Auslegung, S.  218; Mayer, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art.  342 AEUV Rn.  12. 70  Mayer, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art.  342 AEUV Rn.  11 f. 71  Dörr, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art.  55 EUV Rn.  7. 72  ABl.  17 v. 6.10.1958, S.  385, zuletzt geändert durch die Verordnung Nr.  517/2013 des Rates v. 13.5.2013 (ABl.  L 158 v. 10.6.2013, S.  1, 71); siehe dazu Mayer, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, Art.  342 AEUV Rn.  26 ff. 73  Bei jeder Erweiterung der Union wird die Verordnung geändert, um die wesentlichen Amtssprachen der Beitrittsstaaten im Katalog des Art.  1 zu berücksichtigen, Bieber, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Art.  342 AEUV Rn.  13. 74  Das sind: Bulgarisch, Dänisch, Deutsch, Englisch, Estnisch, Finnisch, Französisch, Griechisch, Irisch, Italienisch, Kroatisch, Lettisch, Litauisch, Maltesisch, Niederländisch, Polnisch, Portugiesisch, Rumänisch, Schwedisch, Slowakisch, Slowenisch, Spanisch, Tsche­ 67 

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1. Teil: Rechtsgrundlagen für die polizeiliche Nacheile

kundärrecht veröffentlicht wird,75 erscheint in den Amtssprachen (Art.  5 VO Nr.  1). Die gleiche Verbindlichkeit aller Sprachfassungen des Unionsrechts verbietet es, eine einzelne Sprachfassung zur alleinigen Auslegungsgrundlage zu ma­ chen; der Ausgangspunkt der Bedeutungsermittlung soll vielmehr eine Zusam­ menschau sämtlicher sprachlichen Fassungen der zu interpretierenden Norm sein.76 Auch wenn der EuGH in der Regel keinen umfassenden Textvergleich vornimmt,77 ist zu klären, ob bei der Auslegung des Art.  41 SDÜ über die drei originären Sprachfassungen hinaus alle weiteren gleichberechtigt herangezogen werden dürfen. Weder das Schengen-Protokoll78 noch die Ratsbeschlüsse zur Bestimmung des Schengen-Besitzstandes und zur Festlegung der Rechtsgrundlagen für seine Bestimmungen und Beschlüsse enthalten Vorgaben hinsichtlich des Sprachregi­ mes des überführten Regelwerkes.79 Der Umstand, dass das Protokoll Nr.  2 zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstandes diesen für anwendbar erklärte und den Rat lediglich zur Festlegung der Rechtsgrundlagen für die bestehenden Schengener Regelungen ermächtigte, legt die Vermutung nahe, dass ihre inhalt­ liche Modifizierung ausgeschlossen war bzw. die Übernahme des Besitzstandes als solcher angestrebt wurde.80 Insoweit könnte man argumentieren, dass das chisch und Ungarisch. Keine eigenen Sprachfassungen sind zwar für Belgien, Luxemburg, Österreich und Zypern vorhanden, ihre Amtssprachen stimmen aber mit denjenigen anderer Mitgliedstaaten überein. 75  Veröffentlichungspflicht gilt dabei für die Gesetzgebungsakte, die gemäß einem or­ dentlichen oder besonderen Gesetzgebungsverfahren erlassen wurden (Art.  297 Abs.  1 Un­ terabs. 3 S.  1 AEUV) sowie für Verordnungen, Richtlinien und für die an keinen bestimmten Adressaten gerichteten Beschlüsse (Art.  297 Abs.  2 Unterabs. 2 S.  1 AEUV), Gallermann, in: Streinz (Hrsg.), Art.  297 AEUV Rn.  5 f. 76  Anweiler, Die Auslegungsmethoden, S.  148 f.; Groh, in: Müller/Burr (Hrsg.), S.  263 (269); Luttermann, EuZW 1999, 401 (403); Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschafts­ recht, S.  230 f. Diese Pflicht zum Sprachfassungsvergleich trifft ebenfalls die nationalen Rechtsanwender, siehe dazu EuGH Slg. 1982, 3415 Rn.  18 (C.I.L.F.I.T.) und die umfassenden Ausführungen bei Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschaftsrecht, S.  321 ff. 77  Siehe dazu Beispiele bei Anweiler, Die Auslegungsmethoden, S.  149 f. 78  Gemeint sind damit sowohl das Protokoll Nr.  2 zur Einbeziehung des Schengen-Besitz­ stands in den Rahmen der Europäischen Union als auch das Protokoll Nr.  19 über den in den Rahmen der Europäischen Union einbezogenen Schengen-Besitzstand. 79  Dabei ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass der Rat die Schlussformel des SDÜ weder auf eine unionale Rechtsgrundlage gestützt noch diese im Katalog der Bestimmungen angesiedelt hat, für die die Festlegung der Rechtsgrundlagen „nicht erforderlich oder nicht passend ist“, siehe die Ratsbeschlüsse 1999/435/EG und 1999/436/EG. 80 So Epiney, in: Breuss/Griller (Hrsg.), S.  127 (137 f.); dies., in: Hummer (Hrsg.), S.  103 (114). Weitgehend zustimmend Schauer, Schengen, S.  211 f., nach dessen Ansicht aber eine materielle Abänderung der Bestimmungen, „welche gegen den EG- respektive EU-Vertrag

A.  Das Schengener Durchführungsübereinkommen

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SDÜ in den Unionsrahmen „nur“ eingegliedert worden ist, mit der Folge, dass seine Schlussformel, wonach nur die deutsche, französische und niederländi­ sche Textfassung verbindlich sind, an Wirksamkeit nicht verloren hat. Für diese Sichtweise könnte zudem angeführt werden, dass das Übereinkommen als Gan­ zes – in der ursprünglichen Form mitsamt der Schlussformel – im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht worden ist und im Amtsblatt der EU unverändert fortbesteht. Man darf andererseits nicht übersehen, dass die angeordnete Anwendbarkeit des überführten Besitzstandes die Anwendbarkeit als Unionsrecht bedeutet. Dieses gilt bekanntlich in allen seinen sprachlichen Fassungen, die bei der Aus­ legung den gleichen Grad an Verbindlichkeit genießen. Diese Regel trifft auch auf diejenigen Texte zu, die keine originären Texte, sondern „bloße“ Überset­ zungen sind.81 Denn ein Vorrang der ursprünglichen Sprachfassungen ließe sich mit der im Unionsrecht etablierten Gleichwertigkeit der Sprachen nicht verein­ baren.82 Jede Erweiterungsrunde setzt somit voraus, dass der gesamte Acquis in den neuen Amtssprachen wiedergegeben und in Spezialausgaben des Amts­ blatts veröffentlicht wird.83 Da seit dem Amsterdamer Vertrag ebenfalls das SDÜ zum Unionsbesitzstand gehört, werden auch seine Bestimmungen anläss­ lich der Beitritte neuer Mitgliedstaaten in deren Amtssprachen übersetzt. Das Schengener Sprachregime wurde also mit der Überführung des SDÜ in das Unionsrecht in natürlicher Weise aufgehoben und durch den Grundsatz der Gleichbehandlung aller Sprachen ersetzt. Folgerichtig sind bei der Auslegung des Art.  41 SDÜ sämtliche amtssprachlichen Fassungen gleichermaßen zu be­ rücksichtigen.84 Nichtsdestoweniger darf die Bedeutung der drei Urfassungen nicht unterschätzt werden. Bedenkt man, dass Recht „in der Sprache und durch die Sprache [lebt]“85, spiegeln gerade diese Sprachfassungen das Nacheilerecht verstoßen und daher nicht überführt werden können bzw. keine Rechtsgrundlage in den Ver­ trägen finden“, statthaft war. 81  Berteloot, in: Müller/Burr (Hrsg.), S.  179 (186), der als Beispiel das Urteil des EuGH Slg. 1977, 1999 (Bouchereau), anführt, in dem der Gerichtshof bei der Auslegung der in Fra­ ge stehenden Richtlinie gleichberechtigt auf ihre englische und dänische Fassung Bezug ge­ nommen hatte, obwohl die Richtlinie sieben Jahre vor dem Beitritt Großbritanniens und Dä­ nemarks erlassen worden war. Siehe auch Dörr, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art.  55 EUV Rn.  5; Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschaftsrecht, S.  97 ff. 82  Dörr, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art.  55 EUV Rn.  5. 83  Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschaftsrecht, S.  98 f. (siehe dort vor allem Fn.  286). 84  So auch Thym, NStZ 2003, 334 (334). Davon scheint ebenfalls der EuGH Slg. 2006, I-233 Rn.  44 (van Esbroeck), auszugehen, der – ohne auf die oben geschilderte Problematik einzugehen – bei der Auslegung des Art.  54 SDÜ auch auf seine späteren Sprachfassungen (Übersetzungen) der mittlerweile beigetretenen Mitgliedstaaten rekurriert. 85  Braselmann, EuR 1992, 55 (55).

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1. Teil: Rechtsgrundlagen für die polizeiliche Nacheile

am treuesten wider, in denen es „geboren“ ist. Denn sie verkörpern den Willen der „Väter“ des Übereinkommens und können am ehesten Aufschluss über den Sinngehalt der einzelnen Bestimmungen geben. Zwar spielt die objektive Zweck­ermittlung bei der Auslegung der Unionsnormen die größte Rolle, der EuGH greift aber im Bereich des Sekundärrechts – dem man, wie bereits erör­ tert, das SDÜ zuordnen muss – auch auf die Entstehungsgeschichte und den wirklichen Willen des Urhebers zurück.86 4.  Auswirkung auf die deutsch-polnische Zusammenarbeit Laut Art.  6 des Protokolls Nr.  2 bzw. Art.  7 des Protokolls Nr.  19 muss der über­ führte und fortentwickelte Schengen-Besitzstand von den der EU beitretenden Staaten vollständig übernommen werden. Dies erfolgt in einem zweistufigen Verfahren. Bereits zum Zeitpunkt des Mitgliedschaftserwerbs müssen die Be­ stimmungen zum Überschreiten der Außengrenzen, zur Visapolitik, zum Da­ tenschutz sowie zur polizeilichen Zusammenarbeit ohne grenzübergreifenden Bezug umgesetzt werden.87 Bei den zuletzt genannten Bestimmungen handelt es sich um Art.  39 und Art.  44 bis 47 SDÜ.88 Der zweite Teil des Schengen-Be­ sitzstandes, insbesondere die Regelungen der grenzüberschreitenden Observa­ tion und Nacheile sowie des Betriebes des Schengener Informationssystems zweiter Generation (SIS II), sollte zeitgleich mit dem Wegfall der stationären und systematischen Grenzkontrollen anwendbar werden.89 Dies beschließt der Rat einstimmig und gesondert für jeden neuen Mitgliedstaat nach Abschluss des Schengen-Evaluierungsverfahrens mit einem positiven Ergebnis.90

86  Anweiler, Die Auslegungsmethoden, S.  252 ff.; Bleckmann, NJW 1982, 1177 (1178 f.); Grundmann, Die Auslegung, S.  257 ff.; eingehend zur Bedeutung der subjektiv-historischen Auslegung im Gemeinschaftsrecht Leisner, EuR 2007, 689. 87  Siehe dazu Art.  3 Abs.  1 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Tschechi­ schen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Repu­ blik Slowenien und der Slowakischen Republik und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (ABl.  L 236 v. 23.9.2003, S.  33) sowie Anhang I (ABl.  L 236 v. 23.9.2003, S.  50). 88  BMI, Schengen – Erfahrungsbericht 2004, S.  7. 89  BMI, Schengen – Erfahrungsbericht 2004, S.  1. 90  Siehe Art.  3 Abs.  2 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowe­ nien und der Slowakischen Republik und die Anpassungen der die Europäische Union be­ gründenden Verträge (ABl.  L 236 v. 23.9.2003, S.  33).

B.  Das Polizeiabkommen (2014)

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Für Polen ist der Schengen-Besitzstand am 21. Dezember 2007 vollständig anwendbar geworden.91 Damit haben sich die Rahmenbedingungen für die Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben im deutsch-polnischen Grenzgebiet wesent­ lich geändert. Insbesondere hat sich die im Polizeiabkommen vom 18. Fe­bruar 200292 nicht vorgesehene Möglichkeit einer grenzüberschreitenden Nacheile eröffnet. Deutschland und Polen haben sich dabei in den Erklärungen gemäß Art.  41 Abs.  9 SDÜ für eine praxisfreundliche Festlegung der Nacheile­ modalitäten entschieden: Als Anlasstaten der Nacheile wurden alle ausliefe­ rungsfähigen Straftaten genannt (Art.  41 Abs.  4 lit.  b), das Verfolgungsrecht auf dem fremden Hoheitsgebiet wurde weder zeitlich noch räumlich eingeschränkt (Art.  41 Abs.  3 lit.  b) und den nacheilenden Beamten wurde die Befugnis zum Festhalten des Verfolgten eingeräumt (Art.  41 Abs.  2 lit.  b).93

B.  Das Polizeiabkommen (2014) Auf bilateraler Ebene wurde die polizeiliche Nacheile über die deutsch-polni­ sche Grenze erst im Abkommen über die Zusammenarbeit der Polizei-, Grenzund Zollbehörden vom 15. Mai 2014 normiert.94 Die Aufnahme der Regelung in das bilaterale Rechtsinstrument wurde in zweierlei Hinsicht begründet. Zum einen schwebte den Vertragsparteien das Anliegen vor, sämtliche Formen der Zusammenarbeit in einem Rechtsakt zusammenzutragen, um den vor Ort han­ delnden Amtsträgern ihre Handhabung zu erleichtern.95 Zum anderen wollte man den rechtlichen Rahmen der Nacheilebefugnis über das SDÜ hinaus erwei­ tern.96 Dementsprechend bietet das Polizeiabkommen (2014) in Art.  25 keine eigenständige Rechtsgrundlage für grenzüberschreitende Verfolgungen, son­ 91  Beschluss 2007/801/EG des Rates v. 6.12.2007 über die vollständige Anwendung der Bestimmungen des Schengen-Besitzstands in der Tschechischen Republik, der Republik Est­ land, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Mal­ ta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik (ABl.  L 323 v. 8.12.2007, S.  34). 92  BGBl.  2003 II S.  218. 93  Die Erklärungen wurden im Handbuch über grenzüberschreitende Einsätze gesam­ melt, siehe Manual on cross-border operations – national fact sheets, S.  66 (deutsche Erklä­ rung) sowie S.  320 u. 322 (polnische Erklärung in Bezug auf Deutschland). 94  Das Abkommen wurde in Zgorzelec unterzeichnet und ist nach dem Abschluss der notwendigen Ratifikationsverfahren in Deutschland und Polen am 9.7.2015 in Kraft getreten (BGBl.  2015 II S.  834). 95  Bavendamm, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  225 (228); dies., Krimina­ listik 2016, 38 (40). 96  Bavendamm, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  225 (228); dies., Krimina­ listik 2016, 38 (40).

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1. Teil: Rechtsgrundlagen für die polizeiliche Nacheile

dern modifiziert und ergänzt die Bestimmungen des Art.  41 SDÜ.97 Über die Ausgestaltung des Art.  25 PolAbk wurde intensiv verhandelt.98 Im Endeffekt konnten sich die Vertragsparteien auf einige Änderungen bzw. Erleichterungen der Durchführung des Nacheilerechts einigen.99 Entgegen den Erwartungen der deutschen Seite gelang es aber nicht, den Anwendungsbereich des Art.  41 Abs.  1 SDÜ, d. h. die Grundlagen für die Fortsetzung einer Nacheile auf dem fremden Territorium, auszudehnen.100 Es ist zu bemerken, dass das Polizeiabkommen (2014), anders als die meisten Kooperationsverträge Deutschlands mit anderen Nachbarländern, die zum Zwecke der Regelung des Nacheilerechts ebenfalls auf den Art.  41 SDÜ zurück­ greifen, die (Weiter-)Anwendbarkeit der nationalen Erklärungen gemäß Art.  41 Abs.  9 SDÜ zum Festhalterecht, zur räumlichen und zeitlichen Beschränkung der Nacheile sowie zur nacheilefähigen Straftat nicht expressis verbis vor­ sieht.101 Und es regelt die Modalitäten des Nacheilerechts nur rudimentär. Le­ 97  Art.  25 Abs.  1 PolAbk stellt ausdrücklich fest, dass die Nacheile nach den Bestimmun­ gen des Art.  41 SDÜ „mit den in diesem Artikel niedergelegten Ergänzungen“ ausgeübt wird. Eine solche Regelungstechnik gehört zur gängigen Praxis. Derartige Verweisungen auf das SDÜ sind in den meisten Polizeiverträgen zu finden, die die Bundesrepublik mit ihren Nach­ barländern geschlossen hat, und zwar mit Luxemburg (Art.  6), Frankreich (Art.  16), Däne­ mark (Art.  9), Belgien (Art.  10), Österreich (Art.  12) und den Niederlanden (Art.  12). Eine autonome Regelung dieser Kooperationsmaßnahme im Vertrag mit der Schweiz lässt sich wohl damit erklären, dass die Schweiz zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses dem Schen­ gen-Raum noch nicht angehörte. Dennoch stimmen die Regelungen des Art.  16 des deutsch-schweizerischen Polizeivertrags mit Art.  41 SDÜ in erheblichem Maße wortwörtlich überein. Auch im deutsch-tschechischen Kooperationsvertrag wurde die Nacheile ohne Be­ zugnahme auf die Schengener Regelung normiert. Dies mag darin begründet sein, dass die Vertragsparteien weit über den Schengener Rahmen hinausgehen wollten bzw. hinausgegan­ gen sind. Die grenzüberschreitende Nacheile ist ebenfalls in den Kooperationsverträgen Po­ lens mit Tschechien (Art.  11) und der Slowakei (Art.  8a) eigenständig geregelt; deren Bestim­ mungen sind aber stark an Art.  41 SDÜ ausgerichtet. Gleiches gilt für Art.  11 des polnisch-li­ tauischen Vertrags, der allerdings Art.  41 SDÜ ausdrücklich als Anknüpfungspunkt nennt. 98  Bavendamm, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  225 (226). 99  Umfassende Regelung der Informationspflichten (dazu 3. Teil A. III), Zulassung der Nacheile auch über Luft- und Wassergrenzen (dazu 3. Teil B. II. 1), Festschreiben des Rechts zur vorläufigen Festnahme mit der Übergabepflicht (dazu 3. Teil C. I) und zum Anhalten von Fahrzeugen (dazu 3. Teil F), Verzicht auf die Notwendigkeit der Verfolgungsübernahme durch die Beamten des Gebietsstaates zu Gunsten einer Mitwirkungsoption (dazu 3. Teil G). 100  Bavendamm, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  225 (233); dies., Krimina­ listik 2016, 38 (43). 101  Ausnahmen bilden lediglich das deutsch-niederländische und das deutsch-österreichi­ sche Polizeiabkommen. In diesen beiden Fällen sind jedoch die Varianten der Ausübung der Nacheilebefugnis vertraglich festgelegt. Der deutsch-österreichische Polizeivertrag gibt den Inhalt der nationalen Erklärungen beider Nachbarländer zu Art.  41 Abs.  2, 3 und 4 SDÜ wie­ der. Der deutsch-niederländische Polizeivertrag geht hingegen über die niederländische Er­

B.  Das Polizeiabkommen (2014)

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diglich der räumlich-zeitliche Umfang der Verfolgung wurde ausdrücklich fest­ gelegt (Art.  25 Abs.  3 Nr.  2 PolAbk). Auf eine Einräumung des Festhalterechts könnte man zwar daraus schließen, dass die Vorschrift zur unverzüglichen Übergabe einer vorläufig festgenommenen Person verpflichtet (Art.  25 Abs.  3 Nr.  4 PolAbk). Die Frage einer zur Verfolgung berechtigenden Tat wurde aber gar nicht aufgegriffen und blieb demnach ohne Bezugnahme auf die nationalen Erklärungen offen. Berücksichtigt man die Rolle der Erklärungen innerhalb des Art.  41 SDÜ, so erübrigt sich eine separate bzw. ausdrückliche Verweisung auf deren Inhalt. Die Vorschrift setzt in ihren Absätzen 2, 3 und 4 nur einen Rah­ men für die Ausformung der Nacheile in den drei dargelegten Bereichen und verpflichtet die Parteien, die einzelnen Modalitäten bezüglich jedes Staates, mit dem sie eine gemeinsame Grenze haben, gerade im Wege einer Erklärung fest­ zulegen. Diese stellt somit eine notwendige Bedingung für die Durchführung des Art.  41 SDÜ dar. Die Weiteranwendbarkeit der deutschen und der polni­ schen Erklärung wird demzufolge bereits durch eine Verweisung auf die Be­ stimmungen des Art.  41 SDÜ gewährleistet. Man könnte insoweit von einer Kettenverweisung ausgehen: Art.  25 Abs.  1 PolAbk verweist auf Art.  41 SDÜ, der seinerseits hinsichtlich der Nacheilemodalitäten auf die nationalen Erklä­ rungen verweist. Als Rechtsgrundlage für das grenzüberschreitende Tätigwerden der nachei­ lenden Polizeibeamten sind schließlich solche Regelungen des Polizeiabkom­ mens (2014) heranzuziehen, die allgemeinen Charakter haben und bei allen Ko­ operationsformen zum Tragen kommen können. Dazu gehören insbesondere die Vorschriften des Kapitels IV zur Verantwortlichkeit der Bediensteten (Art.  35) und zu den ihnen zustehenden Befugnissen im Hoheitsgebiet der anderen Ver­ tragspartei (Art.  36).102

klärung hinaus, die den deutschen Beamten die Nacheile und das Festhalterecht nur auf ­einem Gebiet von 10 km ins Landesinnere gewährt. 102  Von der Anwendbarkeit der allgemeinen Regelungen im Bereich der Nacheile gehen ohne Weiteres Sokołowski, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  119 (119) und Szustakiewicz, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  195 (203 f. u. 206) aus.

2. Teil

Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile Art.  41 SDÜ ermächtigt die Bediensteten eines Staates zur Fortsetzung einer im Inland aufgenommenen Verfolgung auf dem Gebiet eines anderen Staates ohne dessen vorherige Zustimmung. Andere taktische Maßnahmen als die Verfol­ gung, wie Fahndungen im ausländischen Nahbereich, fallen nicht unter den An­ wendungsbereich der Vorschrift.1 Darüber hinaus darf nicht jede inländische Nacheile grenzüberschreitend durchgeführt werden. Art.  41 Abs.  1 SDÜ be­ schränkt diese Möglichkeit auf zwei Fallkonstellationen, d. h. auf die Verfol­ gung einer Person, die entweder auf frischer Tat bei der Begehung von oder bei der Teilnahme an einer der in Art.  41 Abs.  4 SDÜ genannten Straftaten betrof­ fen wurde oder aus der Untersuchungs- oder Strafhaft geflohen ist. Schließlich wird verlangt, dass die zuständigen Behörden des Gebietsstaates wegen beson­ derer Dringlichkeit der Angelegenheit nicht vorher mithilfe eines der in Art.  44 SDÜ bezeichneten Kommunikationsmittel informiert werden können oder trotz einer vorherigen Unterrichtung nicht imstande sind, die Verfolgung rechtzeitig zu übernehmen. Insoweit ist das Nacheilerecht über die Grenze hinweg an strenge Zulässigkeitsvoraussetzungen geknüpft.

A.  Der erste Nacheilegrund: Betreffen auf frischer Tat I.  Nacheilefähige Straftaten Die flüchtende Person muss auf frischer Tat bei der Begehung von oder der Teil­ nahme an einer der in Art.  41 Abs.  4 SDÜ bezeichneten Straftaten betroffen werden. Dabei kann es sich entweder um eine Tat aus dem „Straftatenkatalog“ (lit.  a) oder um eine „auslieferungsfähige Straftat“ (lit.  b) handeln. Das SDÜ räumt den Parteien einen Entscheidungsspielraum ein. In den gesonderten Er­ klärungen nach Art.  41 Abs.  4 i. V. m. Abs.  9 SDÜ haben sich Deutschland und Polen für die zweite Option entschieden. Im Folgenden ist zu ermitteln, was sich unter dem Terminus „auslieferungsfähige Straftat“ verbirgt. 1 

Mokros, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil O Rn.  240.

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

1.  Für die Begriffserläuterung maßgebliche Vorschriften a. Allgemeines Der Begriff „auslieferungsfähige Straftat“ entstammt dem Auslieferungsrecht und wird in der Fachliteratur als strafbares Handeln oder Unterlassen definiert, dessentwegen der Täter kraft einschlägiger vertraglicher oder gesetzlicher Be­ stimmungen ausgeliefert werden kann.2 Die Einordnung der Tat als ausliefe­ rungsfähig erfolgt entweder nach einem Straftatenkatalog (sog. Enumerations­ methode) oder nach einem bestimmten Kriterium (z. B. Strafandrohung), dessen Vorliegen die Auslieferungsfähigkeit impliziert (sog. Eliminationsmethode).3 Der Auslieferungsverkehr unterliegt unterschiedlichen Regimen multi- und bi­ lateraler Natur, je nach den daran beteiligten Staaten. Um festzustellen, welche Straftaten unter den Anwendungsbereich des Art.  41 Abs.  1 i. V. m. Abs.  4 lit.  b SDÜ fallen, wird zunächst untersucht, nach welchen Vorschriften die Ausliefe­ rungsfähigkeit zu beurteilen ist. Das SDÜ enthält in Kapitel 4 Regelungen zum Auslieferungsverkehr, be­ zweckt jedoch keine Harmonisierung der Auslieferungsvoraussetzungen und stellt somit auch keine Kriterien für die Abgrenzung zwischen Auslieferungsund Nichtauslieferungsdelikten auf. Bereits aus diesem Grund scheidet es als Grundlage für die Bestimmung des Begriffs „auslieferungsfähige Straftat“ in Art.  41 Abs.  4 lit.  b SDÜ aus. Im Schrifttum wird der Schlüsselbegriff zum Teil unter Bezugnahme auf die Definition im Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 erläutert.4 Sein Art.  2 Abs.  1 S.  1 lautet wie folgt: „Ausgeliefert wird wegen Handlungen, die sowohl nach dem Recht des ersuchenden als auch nach dem des ersuchten Staates mit einer Freiheitsstrafe oder die Freiheit beschränkenden Maßregel der Sicherung und Besserung im Höchstmaß von mindestens einem Jahr oder mit einer schwereren Strafe bedroht sind.“

Das Abstellen auf Art.  2 Abs.  1 S.  1 EurAuslÜbk dürfte auf den Umstand zu­ rückgehen, dass das SDÜ in Art.  59 ff. Regelungen vorsieht, die das Europäi­ sche Auslieferungsübereinkommen „ergänzen und seine Anwendung erleich­ tern [sollen]“. Der Schluss, dass sich der Begriff einer auslieferungsfähigen Wierzbicki, O azylach i ekstradycji, S.  107; vgl. auch v. Moock, Auslieferungsrechtliche Probleme, S.  88. 3  Płachta, Prok. i Pr. 7–8/2000, 23 (28 f.); Murschetz, Auslieferung, S.  123 f.; v. Moock, Auslieferungsrechtliche Probleme, S.  90. 4  Würz, Das Schengener Durchführungsübereinkommen, Rn.  89; Krüger, Kriminalistik 1994, 773 (775); Haas, Die Schengener Abkommen, S.  84. Aus dem neueren Schrifttum siehe Mokros, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil O Rn.  242 u. 260; Buschmann, in: Małolepszy/ Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  211 (217). 2 

A.  Der erste Nacheilegrund: Betreffen auf frischer Tat

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Straftat aus Art.  41 Abs.  4 lit.  b SDÜ nach der Begriffsbestimmung in Art.  2 EurAuslÜbk richte, ist freilich verfrüht. Denn Art.  59 SDÜ schreibt in seinem Absatz 1 Satz  2 fest, dass die Schengener Auslieferungsbestimmungen eben­ falls den Auslieferungsverkehr auf der Grundlage des für die Mitgliedstaaten der Benelux-Wirtschaftsunion maßgeblichen Benelux-Übereinkommens über Auslieferung und Rechtshilfe in Strafsachen vom 27. Juni 19625 vereinfachen sollen. Darüber hinaus lässt Art.  59 Abs.  2 SDÜ die zwischen den Vertragspar­ teien geltenden weitergehenden Bestimmungen aufgrund bilateraler Abkom­ men unberührt. Eine fallunabhängige Bezugnahme auf das Europäische Auslie­ ferungsübereinkommen findet insoweit im SDÜ keine Stütze. Sie kann aber auch unter Zugrundelegung des Zwecks einer grenzüberschrei­ tenden Verfolgung nicht überzeugen. Die Fortsetzung der Nacheile auf dem fremden Hoheitsgebiet zielt auf das Festhalten des Flüchtenden und seine an­ schließende Auslieferung zur Durchführung eines inländischen Ermittlungs­ verfahrens ab (vgl. Art.  41 Abs.  6 SDÜ). Über die Zulässigkeit des Grenzüber­ tritts sollen deshalb diejenigen Vorschriften entscheiden, nach denen sich das spätere Auslieferungsverfahren richten wird. Die Auslegung des Art.  41 Abs.  4 lit.  b SDÜ im Sinne eines Verweises auf das Europäische Auslieferungsüberein­ kommen ohne Rücksicht auf die aktuell geltenden zwischenstaatlichen Auslie­ ferungsregelungen stünde außerdem einer Anpassung des Nacheilerechts an die fortschreitende Vereinfachung des Auslieferungsverkehrs zwischen den Mit­ gliedstaaten entgegen.6 Um den Nacheilebestimmungen zur vollen Effizienz zu verhelfen, ist der Begriff der auslieferungsfähigen Straftat i. S. v. Art.  41 Abs.  4 lit.  b SDÜ nicht in abstracto, sondern in Anlehnung an die Gesamtheit der zwi­ schen dem Tatort- und dem Gebietsstaat geltenden auslieferungsrechtlichen Re­ gelungen zu definieren.7 Die Plausibilität der vorgeschlagenen Vorgehensweise wird auch dadurch be­ kräftigt, dass der Wirkungsbereich des Nacheileinstruments gerade auf Zwei-Länder-Verhältnisse zugeschnitten ist. Art.  41 SDÜ statuiert keine Befug­ nis zur Durchführung einer europaweiten Verfolgung. Das Nacheilerecht er­ schöpft sich in der Zulässigkeit der Fortsetzung einer inländischen Verfolgung auf dem Territorium des Nachbarstaates. Es wird den zuständigen Behörden aller Vertrags- bzw. EU-Mitgliedstaaten eingeräumt, kann aber jeweils nur be­ 5 

In der Fassung des Protokolls v. 11.5.1974. Siehe Art.  2 Abs.  1 EU-AuslÜbk sowie Art.  2 RbEuHb, die den unionsinneren Ausliefe­ rungsverkehr gegenüber Art.  2 Abs.  1 EurAuslÜbk erleichtert haben. 7  Im Ergebnis Gleß, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, III. E. 1. Art.  41 SDÜ Rn.  5 i. V. m. Art.  40 SDÜ Rn.  9; so auch in Bezug auf den Begriff „auslieferungsfähige Straftat“ aus Art.  40 SDÜ Hecker, Europäisches Strafrecht, Teil II Kapitel 5 Rn.  37; vgl. auch Joubert/ Bevers, Schengen Investigated, S.  260. 6 

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

züglich eines Nachbarstaates in Anspruch genommen werden. Zwar spricht Art.  41 SDÜ in seinem Absatz 1 von einer Verfolgung auf dem Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei, er präzisiert jedoch in Absatz 9, dass die Modali­ täten der Nacheile in Bezug auf die Vertragsparteien festzulegen sind, mit de­ nen eine gemeinsame Grenze besteht. Eine Durcheile über das benachbarte Land in einen anderen an den Ursprungsstaat nicht grenzenden Schengen-Staat stellt daher keine zulässige Nacheile dar.8 Anders sollte die Situation bewertet werden, in der die Beamten die Verfol­ gung zunächst auf dem Gebiet eines Nachbarstaates fortsetzten, dann die Gren­ ze wieder überschritten und infolgedessen nicht auf das Territorium eines Dritt­ staates, sondern seines anderen Nachbarstaates gelangten.9 Nach Art.  41 Abs.  1 SDÜ sind zur Fortsetzung der Nacheile auf dem anderen Hoheitsgebiet zwar diejenigen Beamten befugt, die in ihrem Land eine Person verfolgen. In der fraglichen Konstellation würde dagegen der zweite Nachbarstaat von den Be­ amten betreten, die den Flüchtenden nicht im eigenen, sondern in einem frem­ den Land verfolgen. Die Zulässigkeit einer solchen „Dreieck-Nacheile“ kann man jedoch – praxisgerecht und den Regelungszweck fördernd – bejahen, ohne dass Friktionen im Zusammenhang mit Art.  41 Abs.  9 i. V. m. Abs.  2, 3 und 4 SDÜ entstehen. Die Beamten müssten sich nämlich innerhalb des für jeden der beiden Staaten geltenden (Nacheile-)Rechtsrahmens halten,10 da beim jeweili­ gen Grenzübertritt Art.  41 SDÜ „erneut“ zur Anwendung kommt. Deshalb spielt es für die Möglichkeit der Durchführung einer Nacheile über die deutsch-polnische Grenze keine Rolle, auf welche Art und Weise auf dem fran­ zösischen oder italienischen Hoheitsgebiet nachgeeilt werden darf oder welchen Voraussetzungen und Einschränkungen das Nacheilerecht im deutsch-tschechi­ schen und polnisch-tschechischen Verhältnis unterliegt. b.  Folgerungen für die Nacheile über die deutsch-polnische Grenze Der Auslieferungsverkehr zwischen Deutschland und Polen wird durch den Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäi­ schen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten ge­ prägt. Seine Vorgaben wurden in das deutsche Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen und in die polnische Strafprozessordnung implemen­ So auch Mokros, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil O Rn.  240; v. Bubnoff, ZRP 2000, 60 (61); abweichend Gleß, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, III. E. 1. Art.  41 SDÜ Rn.  17; Kubiciel, in: Ambos/König/Rackow (Hrsg.), 4. HT Art.  41 SDÜ Rn.  231. 9  So im Ergebnis und insoweit zutreffend Kubiciel, in: Ambos/König/Rackow (Hrsg.), 4. HT Art.  41 SDÜ Rn.  231. 10 Vgl. Kubiciel, in: Ambos/König/Rackow (Hrsg.), 4. HT Art.  41 SDÜ Rn.  231. 8 

A.  Der erste Nacheilegrund: Betreffen auf frischer Tat

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tiert.11 Im Lichte des Vorgenannten soll die Auslieferungsfähigkeit einer frisch begangenen Tat im Rahmen der deutsch-polnischen Zusammenarbeit unter Zu­ grundelegung dieser Umsetzungsbestimmungen beurteilt werden.12 Der Rahmenbeschluss spricht zwar von einem Europäischen Haftbefehl und nicht von der Auslieferung bzw. von einer auslieferungsfähigen Straftat. Er er­ setzt aber gemäß Art.  31 Abs.  1 im unionsinneren Auslieferungsverkehr Be­ stimmungen folgender Übereinkommen: a)  des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957, des dazugehö­ rigen Zusatzprotokolls vom 15. Oktober 1975, des dazugehörigen Zweiten Zusatzprotokolls vom 17. März 1978 und des Europäischen Übereinkommens zur Bekämpfung des Terroris­ mus vom 27. Januar 1977; b)  des Übereinkommens zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über die Vereinfachung und Modernisierung der Verfahren zur Übermittlung von Ausliefe­ rungsersuchen vom 26. Mai 1989; c)  des Übereinkommens vom 10. März 1995 über das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union; d)  des Übereinkommens vom 27. September 1996 über die Auslieferung zwischen den Mit­ gliedstaaten der Europäischen Union; e)  des Titels III Kapitels 4 des Übereinkommens vom 19. Juni 1990 zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen.

Ein Rückgriff auf die obigen Regelungen zur Erläuterung des Begriffs einer auslieferungsfähigen Straftat wäre kaum nachvollziehbar. Die angestrebte Übergabe des Verfolgten würde letztendlich nach den Vorschriften über den Europäischen Haftbefehl erfolgen, die notabene die Voraussetzungen für die Auslieferung und mithin auch für die grenzüberschreitende Fortsetzung der Nacheile entschärft haben.13 Aus den Erwägungsgründen 5, 7 und 11 geht darüber hinaus hervor, dass der Rahmenbeschluss zum Ziel hat, das bisherige multilaterale Auslieferungssys­ tem zwischen den Mitgliedstaaten durch ein Übergabeverfahren zwischen den Justizbehörden zu ersetzen, um die Komplexität und Verzögerungsrisiken, die den überkommenen Auslieferungsverfahren innewohnen, zu beseitigen. Der Erwägungsgrund 11 stellt klar: „Der Europäische Haftbefehl soll in den Bezie­ hungen zwischen Mitgliedstaaten alle früheren Instrumente bezüglich der Aus­ lieferung ersetzen.“ Zwar hat der EuGH den Rückgriff auf die oben genannten 11 

Nach ex-Art.  34 Abs.  2 lit. b EUV mussten die Rahmenbeschlüsse in die nationalen Rechtsordnungen umgesetzt werden. 12  Die Anwendbarkeit des Rahmenbeschlusses für die Erläuterung des Begriffs einer aus­ lieferungsfähigen Straftat bejahen Steinborn, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  73 (74 f.); Daman, EJCCLCJ 16 (2008), 171 (181); Soiné, ZIS 2016, 319 (320). 13  Dazu unten I. 2 und 3.

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

Rechtsakte nicht vorab ausgeschlossen. Sie bleiben aber nur „in den Fällen rele­ vant, die von einer von einem Mitgliedstaat gemäß Art.  32 des Rahmenbe­ schlusses abgegebenen Erklärung14 erfasst werden“15, die eine zeitliche Be­ schränkung der Anwendung des Rahmenbeschlusses bewirkt, sowie „in ande­ ren Situationen, in denen die Regelung des Europäischen Haftbefehls keine Anwendung findet“16, etwa für die vor dem 1. Januar 2004 eingegangenen Aus­ lieferungsersuchen (Art.  32 Abs.  1 S.  1 RbEuHb). Die beiden Ausnahmen bezie­ hen sich auf Übergangsbestimmungen. Im Bereich der Nacheile kommt ihnen daher keine Bedeutung zu.17 Der am 17. Juli 2003 zwischen den beiden Nachbarländern geschlossene Ver­ trag über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 und die Erleichterung seiner Anwendung18 ist trotz der An­ nahme des Rahmenbeschlusses in Kraft geblieben, kommt jedoch nur in dem Umfang zum Tragen, in dem er den Auslieferungsverkehr gegenüber dem Rah­ menbeschluss noch weiter vereinfacht bzw. erleichtert.19 Dies ist unter Umstän­ den in Bezug auf die Auslieferung zur Strafvollstreckung, nicht aber zur Straf­ verfolgung der Fall. Da der Flüchtende in der besprochenen Nacheilevariante erst bei der Begehung von oder der Teilnahme an der Tat betroffen wird, dienen für die Auslegung des Art.  41 Abs.  4 lit.  b SDÜ die Regelungen über die Auslie­ ferung zwecks Strafverfolgung als Maßstab. Einschlägig sind demnach alleine die den Rahmenbeschluss 2002/584/JI implementierenden Vorschriften. Weder der Rahmenbeschluss noch die Umsetzungsbestimmungen definieren den Begriff einer auslieferungsfähigen Straftat. Die Ermittlung ihres Sinnge­ haltes erfordert also eine nähere Analyse der betreffenden Regelungen. Als 14  Eine solche Erklärung haben Frankreich, Österreich und Italien abgegeben, Stellung­ nahmen bestimmter Mitgliedstaaten zur Annahme des Rahmenbeschlusses (ABl.  L 190 v. 18.7.2002, S.  1 [19]). 15  EuGH Slg. 2008, I-6324 Rn.  58 (Santesteban Goicoechea). 16  EuGH Slg. 2008, I-6324 Rn.  58 (Santesteban Goicoechea). 17  So auch Steinborn, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  73 (75). 18  BGBl.  2004 I S.  522. 19  Art.  31 Abs.  2 Unterabs. 4 RbEuHb verpflichtete die Mitgliedstaaten, den Rat und die Kommission binnen drei Monaten nach Inkrafttreten des Rahmenbeschlusses von den beste­ henden Abkommen oder Übereinkünften zu unterrichten, die sie weiterhin anwenden wol­ len. Es lässt sich allerdings weder überprüfen, inwieweit dieser Pflicht nachgekommen wur­ de, noch feststellen, welche Konsequenzen eine fehlende Unterrichtung hat, Schomburg/ Suominen-Picht, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, II. A. f. Rn.  5. Von der Fortgeltung des Ergänzungsvertrags im Auslieferungsverkehr zwischen Deutschland und Polen wird aber im Fundstellennachweis B 2016 des BGBl.  2017 II S.  174 ausgegangen; dagegen offen gelassen durch BGH NStZ 2008, 635. Die grundsätzliche Anwendbarkeit der auslieferungs­ freundlicheren Regelungen aus den bilateralen und multilateralen Verträgen bejaht Böse, NStZ 2008, 635 (636 ff.); ders., in: Grützner/Pötz/Kreß (42. Lfg.), §  78 IRG Rn.  13.

A.  Der erste Nacheilegrund: Betreffen auf frischer Tat

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Ausgangspunkt ist der Rahmenbeschluss heranzuziehen, denn die nationalen Implementierungsvorschriften müssen in seinem Lichte, d. h. rahmenbeschluss­ konform, ausgelegt werden.20 Art.  2 RbEuHb legt ausweislich seiner Über­ schrift den Anwendungsbereich des Europäischen Haftbefehls fest. In Absatz 1 werden Mindestsanktionen als Voraussetzung für den Erlass eines Europäi­ schen Haftbefehls genannt, wobei zwischen der abstrakten Strafdrohung – im Falle der Überstellung zur Strafverfolgung, und dem Maß der bereits angeord­ neten Strafe – bei der Überstellung zur Strafvollstreckung, unterschieden wird. Die Absätze 2 bis 4 befassen sich mit dem Erfordernis der beiderseitigen Straf­ barkeit. Zur Auslotung der Bedeutung des Begriffs „auslieferungsfähige Straf­ tat“ aus Art.  41 Abs.  4 lit.  b SDÜ wird die getrennte Behandlung dieser beiden, den Anwendungsbereich des Europäischen Haftbefehls bestimmenden Elemen­ te der Übersichtlichkeit halber beibehalten. 2. Mindesthöchststrafdrohung Zu untersuchen ist zunächst das Kriterium der Mindesthöchststrafdrohung, mit dem die Auslieferung- und Nichtauslieferungsdelikte voneinander abgegrenzt worden sind. Es ist also der Frage nachzugehen, mit welcher (Mindest-)Strafe eine Straftat im Höchstmaß bedroht sein muss, damit der (grenzüberschreitend verfolgte) Täter aus Deutschland nach Polen und umgekehrt zum Zwecke der Strafverfolgung ausgeliefert werden kann. a. Beurteilungsgrundlage Art.  2 Abs.  1 RbEuHb schreibt fest, dass ein Europäischer Haftbefehl bei Hand­ lungen ausgestellt werden kann, die nach dem Recht des erlassenden Mitglied­ staats mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von mindestens zwölf Monaten bedroht sind. Ein sol­ cher Haftbefehl soll nach dem Konzept des Rahmenbeschlusses im Vollstre­ ckungsstaat grundsätzlich anerkannt und vollstreckt werden (Art.  1 Abs.  2 RbEuHb). Im Gegensatz zur Regelung der herkömmlichen Auslieferungsüber­ einkommen richtet sich die Zulässigkeit der Überstellung bzw. die Abgrenzung zwischen Auslieferungs- und Nichtauslieferungsdelikten nach der Mindest­ höchststrafe nicht in beiden beteiligten Staaten, sondern lediglich im Ausstel­ lungsstaat. Diese Grundregel hat in den deutschen und den polnischen Imple­ mentierungsvorschriften Niederschlag gefunden. §  81 IRG, der die allgemeinen Auslieferungsbestimmungen des §  3 IRG zum Zwecke der Anpassung an die Vorgaben des Rahmenbeschlusses modifiziert 20 

EuGH Slg. 2005, I-5285 Rn.  43 (Pupino).

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

(„§  3 findet mit den Maßgaben Anwendung“), sieht in Nummer 1 vor, dass die Auslieferung zur Verfolgung nur zulässig ist, wenn die Tat nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaats mit einer Freiheitsstrafe oder sonstigen Sanktion im Höchstmaß von mindestens zwölf Monaten bedroht ist. Der Verweis auf §  3 IRG, nach dessen Absatz 2 die Auslieferung an einen anderen Staat zur Straf­ verfolgung es erfordert, dass die Tat nach deutschem Recht im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht ist oder bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts mit einer solchen Strafe bedroht wäre, könnte auch dahin verstanden werden, dass §  81 Nr.  1 IRG eine zusätzliche Voraussetzung der Überstellung darstellte, sodass das Mindesthöchstmaß der Strafe in beiden Staaten zu berücksichtigen wäre.21 Der klare Wortlaut und der Zweck des Rah­ menbeschlusses stehen jedoch einer solchen Interpretation entgegen. Indessen wurde in Polen der Grundsatz der Maßgeblichkeit der Strafandro­ hung im Ausstellungsstaat für die Zulässigkeit der Vollstreckung eines Europä­ ischen Haftbefehls derart umgesetzt, dass keine der Vorschriften des Kapitels 65b der polnischen Strafprozessordnung, das die Verfahrensweise bei eingehen­ den Europäischen Haftbefehlen festsetzt, die Überstellung davon abhängig macht, ob die Tat ebenfalls nach polnischem Recht mit einer bestimmten Min­ desthöchstsanktion bedroht ist bzw. nach sinngemäßer Umstellung des dem Haftbefehl zugrunde liegenden Sachverhalts bedroht wäre. Daraus ergeben sich für die nacheilenden Beamten zwei Konsequenzen. Ers­ tens, die Auslieferungsfähigkeit der verfolgten Tat hängt von der Art und Höhe der Strafe ab, die im Strafrahmen des verwirklichten bzw. des für verwirklicht gehaltenen Tatbestandes vorgesehen ist.22 Da es auf die gesetzliche Strafandro­ hung ankommt, bleibt für die Zulässigkeit der Nacheile ohne Bedeutung, welche Strafe im konkreten Fall zu erwarten ist.23 Zweitens, eine Beurteilungsgrundla­ ge für das Vorliegen der erforderlichen drohenden Mindesthöchststrafe bildet ausschließlich das Recht des Tatortstaates. Der Verfolgte muss also bei der Be­ gehung einer solchen Tat betroffen werden, derentwegen nach den Vorschriften des Tatortstaates der Erlass eines Europäischen Haftbefehls zulässig ist. Nach dem Rahmenbeschluss genügt es, wenn für das inkriminierte Verhalten eine 21  Auf die Möglichkeit einer solchen Auslegung weist Lagodny, in: Schomburg/Lagodny/ Gleß/Hackner, §  81 IRG Rn.  3, hin, er lehnt diese aber wegen der fehlenden Rahmenbe­ schlusskonformität zu Recht ab. Siehe auch die Begründung zum ersten Europäischen Haft­ befehlsgesetz v. 21.7.2004, BT-Drs. 15/1718, S.  16: „In Nummer 1, mit der Artikel 2 Abs.  1 RbEuHb umgesetzt wird, wird der Kreis der auslieferungsfähigen Taten bei der Auslieferung zur Strafverfolgung unter dem Gesichtspunkt der Mindesthöhe der Strafandrohung be­ stimmt. Zur Bestimmung dieser Mindesthöhe wird nunmehr einzig auf das Recht des ersuchenden Staates abgestellt.“ (Hervorhebung der Verfasserin). 22  Zu den Anforderungen an die „Tat“ i. S. v. Art.  41 SDÜ siehe unten A. II. 3 und A. III. 23 Vgl. Meyer, in: Ambos/König/Rackow (Hrsg.), 2. HT §  81 IRG Rn.  874.

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Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von mindestens zwölf Monaten droht. Zu klären ist nun, wie sich die Ausstellungsmöglichkeit nach den nationalen Implementierungsbestimmungen darstellt. b.  Mindesthöchststrafe im Lichte der deutschen Umsetzungsvorschriften Der deutsche Gesetzgeber hat die Vorgaben des Rahmenbeschlusses – weitge­ hend unter Aufrechterhaltung der bisherigen Struktur des Auslieferungsverfah­ rens24 – im neuen „Achten Teil“ des Gesetzes über die internationale Rechtshil­ fe in Strafsachen umgesetzt.25 Seine Vorschriften dienen jedoch im überwiegen­ den Maße der Behandlung eingehender Europäischer Haftbefehle.26 Das Verfahren bei ausgehenden, also deutschen, Ersuchen um Überstellung wurde nur fragmentarisch geregelt: in Art.  83h IRG, der den Grundsatz der Spezialität betrifft, und in Art.  83i IRG, der die Mitteilungspflicht der Bundesregierung bei wiederholten Verzögerungen bei der Auslieferung durch einen anderen Mit­ gliedstaat begründet. In Bezug auf den Erlass eines Europäischen Haftbefehls sind von den deutschen Behörden die Regelungen des „Achten Teils“ spiegel­ bildlich heranzuziehen.27 Die verfolgte Tat muss also mit einer Freiheitsstrafe 24  Zum einen wird im Geltungsbereich der §§  78 ff. IRG weiterhin mit den bisher übli­ chen, von der Terminologie des Rahmenbeschlusses abweichenden Begriffen („Ausliefe­ rung“, „ersuchender/ersuchter Staat“) gearbeitet. Siehe dazu Begründung zum ersten Euro­ päischen Haftbefehlsgesetz v. 21.7.2004, BT-Drs. 15/1718, S.  9 f: „Hierfür spricht auch, dass die Praxis mit den Begriffen des IRG vertraut ist und die Verwendung gleichlautender Be­ griffe mit unterschiedlicher Bedeutung im internationalen Rechtshilfeverkehr zur Verwir­ rung bei der Zusammenarbeit führen würde.“ Zum anderen ist das Auslieferungsverfahren auf der Grundlage Europäischer Haftbefehle grundsätzlich wie ein klassisches Ausliefe­ rungsverfahren in Bewilligungsverfahren und Zulässigkeitsverfahren geteilt. Siehe dazu Be­ gründung zum zweiten Europäischen Haftbefehlsgesetz v. 20.7.2006, BT-Drs. 16/1024, S.  12: „Dieses System hat sich in der Vergangenheit bewährt. Es gestattet, alle Umstände des Ein­ zelfalls angemessen zu berücksichtigen und auch zwischen widerstreitenden Interessen, etwa bei konkurrierender Gerichtsbarkeit, eine ausgewogene Balance herzustellen.“ Siehe aber kritische Anmerkungen etwa bei Meyer, in: Ambos/König/Rackow (Hrsg.), 2. HT Vor §§  78 ff. IRG Rn.  755 f. 25  BGBl.  2006 I S.  1721. Darüber hinaus ist eine Umsetzung in den Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (RiVASt) erfolgt, die sich aber auf diejenigen Bestimmungen des Rahmenbeschlusses bezog, die bereits in das deutsche Recht (IRG) implementiert waren „und nur einer Klarstellung in der Form von Verwaltungs­ vorschriften“ bedurften, Begründung zum ersten Europäischen Haftbefehlsgesetz v. 21.7.2004, BT-Drs. 15/1718, S.  11. 26  Siehe Abschnitte 2 und 3 betreffend die Auslieferung und die Durchlieferung an einen anderen Mitgliedstaat. 27  Begründung zum ersten Europäischen Haftbefehlsgesetz v. 21.7.2004, BT-Drs. 15/1718, S.  11.

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

oder sonstigen Sanktion im Höchstmaß von mindestens zwölf Monaten bedroht sein, wobei die „sonstige Sanktion“ unter Berücksichtigung des Wortlauts des Rahmenbeschlusses als eine freiheitsentziehende zu verstehen ist. Im deutschen Strafrechtssystem werden unter dem Begriff „Freiheitsstrafe“ neben der zeitigen oder lebenslangen Freiheitsstrafe im Sinne des §  38 StGB die Jugendstrafe des Jugendstrafrechts (§§  17 ff. JGG) und der Strafarrest des Wehr­ strafrechts (§§  9 ff. WStG) erfasst.28 Als sonstige freiheitsentziehende Sanktio­ nen gelten die in §  61 Nr.  1–3 StGB vorgesehenen Maßregeln der Besserung und Sicherung: die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Nr.  1), in einer Entziehungsanstalt (Nr.  2) und in der Sicherungsverwahrung (Nr.  3). Da sich die Möglichkeit ihrer Anordnung jedoch nicht aus dem Strafrahmen einzel­ ner Straftatbestände ergibt, sondern sich erst im Zuge der Hauptverhandlung in Anlehnung an eine Gefährlichkeitsprognose eröffnet,29 bilden sie bei der Nach­ eile keinen Anknüpfungspunkt für die Feststellung der Auslieferungsfähigkeit. Aufgrund der Tatsache, dass die vorausgesetzte Strafandrohung von mindes­ tens zwölf Monaten das Höchstmaß betrifft, können die deutschen Behörden den Europäischen Haftbefehl bei allen Verbrechen erlassen, da diese bereits im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind (§  12 Abs.  1 StGB). Erfasst sind ebenfalls nahezu alle Vergehen. Insbesondere im Be­ reich des Kernstrafrechts ist nämlich eine Freiheitsstrafe von bis zu 6 Monaten eine Ausnahme. Sie wurde ausschließlich für die Fälschung von Wahlunterla­ gen nach §  107b StGB, die Verleitung zur Falschaussage laut §  160 Abs.  1 Hs. 2 StGB, die Ausübung der verbotenen Prostitution gemäß §  184f StGB sowie für die Beteiligung am unerlaubten Glücksspiel nach §  285 StGB vorgesehen. Auf dem Gebiet des Nebenstrafrechts ist beispielsweise das in §  21 Abs.  2 Nr.  1 StVG pönalisierte fahrlässige Führen eines Kraftfahrzeugs ohne Fahrerlaubnis oder trotz eines Fahrverbots oder das fahrlässige Anordnen oder Zulassen eines solchen Führens durch den Fahrzeughalter zu nennen.

Dünkel, in: NK-StGB, §  38 Rn.  21. Die zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung vorliegende Gefahr weiterer Straftaten ist eine Anordnungsvoraussetzung aller Maßregeln, van Gemmeren, in: MK-StGB, §  61 Rn.  3. Ob sie im konkreten Fall besteht, richtet sich nach der Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat. Die Grundlage für die richterliche Gesamtwürdigung bildet ein Sachverständi­ gengutachten, in dem festzustellen ist, wie hoch die Wahrscheinlichkeit liegt, dass der Ange­ klagte wiederholt Straftaten begehen wird, um welche Art von Straftaten es sich dabei han­ deln wird, welche Häufigkeit und welchen Schweregrad sie haben werden, Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, §  64 Rn.  12. 28  29 

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c.  Mindesthöchststrafe im Lichte der polnischen Umsetzungsvorschriften Die Grundregel aus Art.  2 Abs.  1 RbEuHb gilt für die nacheilenden polnischen Polizeibeamten mit einer gewissen Einschränkung. Das Verfahren bei ausge­ henden Europäischen Haftbefehlen wurde in Kapitel 65a plStPO geregelt. Der dort verortete Art.  607b plStPO formuliert die Zulässigkeitsvoraussetzungen für den Erlass eines Europäischen Haftbefehls in negativer Weise: „Der Erlass des Haftbefehls zum Zwecke der Verfolgung wegen einer Straftat, die mit einer Freiheitstrafe bis zu einem Jahr bedroht ist, ist nicht statthaft“30 (Art.  607b S.  2 Nr.  1 plStPO).31 Eine solche Abweichung von der Regelung des Rahmenbe­ schlusses ist europarechtlich nicht zu beanstanden.32 Denn Polen hat dadurch nur seine Befugnis zur Ausstellung des Europäischen Haftbefehls limitiert, ohne aber die Voraussetzungen für die Vollstreckung fremder Haftbefehle zu verschärfen und dadurch den Auslieferungsverkehr zwischen den EU-Mitglied­ staaten zu beeinträchtigen.33 Die Modifizierung der Ausstellungsgrundlage wirkt sich gleichwohl ein­ schränkend auf die Möglichkeit der Fortsetzung einer grenzüberschreitenden Nacheile aus. Sie entsteht erst dann, wenn die der Verfolgung zugrunde liegen­ de Handlung nach dem polnischen Recht mit einer Freiheitsstrafe über einem Jahr bedroht ist. Zu nicht auslieferungsfähigen, da nur mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bedrohten Straftaten gehören beispielsweise der Hausfrie­ densbruch (Art.  193 plStGB), die Verunglimpfung von Staatssymbolen (Art.  137 plStGB), ferner minder schwere Fälle, etwa von Diebstahl (Art.  278 §  3 plStGB), von Unterschlagung (Art.  284 §  3 plStGB) und von Sachbeschädigung (Art.  288 §  2 plStGB), sowie bestimmte fahrlässige Straftaten, wie etwa fahrlässige Kör­ perverletzung (Art.  157 §  3 plStGB). Als taugliche Sanktionen kommen die zeitige Freiheitsstrafe, die Freiheits­ strafe in Höhe von 25 Jahren sowie die lebenslange Freiheitsstrafe in Betracht. Die zeitige Freiheitsstrafe wird gemäß Art.  37 plStGB in Höhe von einem Monat bis zu 15 Jahren verhängt, wobei zur grenzübergreifenden Nacheile nur diejeni­ gen Straftaten berechtigen, bei denen das Höchstmaß der Freiheitsentziehung ein Jahr überschreitet. Die mit einer anderen Strafe als der Isolierungsstrafe 30  Die Übersetzungen in der vorliegenden Arbeit sind, soweit nichts anderes vermerkt, solche der Verfasserin. 31  Die Vorschrift korrespondiert mit Art.  259 §  3 plStPO, wonach die Anordnung einer vorläufigen Verhaftung (Untersuchungshaft) unzulässig ist, wenn die dem Verdächtigen bzw. Angeklagten zur Last gelegte Straftat mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bedroht ist, Jaworski, in: Jaworski/Sołtysińska, Art.  607b Rn.  2. 32  Steinborn, in: Paprzycki (Hrsg.), Art.  607b Rn.  2; siehe auch: Jaworski, in: Jaworski/ Sołtysińska, Art.  607b Rn.  2. 33 Vgl. Steinborn, in: Paprzycki (Hrsg.), Art.  607b Rn.  2.

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bedrohten Straftaten sind nicht auslieferungsfähig.34 Ausgeklammert ist über­ dies der Wehrarrest i. S. v. Art.  322 plStGB. Er besteht zwar in einer Freiheits­ entziehung, stellt jedoch eine eigenständige Sanktion dar, was mit der Formulie­ rung „für die Strafe des Wehrarrests finden die Vorschriften über die Freiheits­ strafe entsprechende Anwendung“ verdeutlicht wird (Art.  322 §  1 Hs. 2 plStGB). Anders als Art.  607b S.  2 Nr.  2 plStPO, der die Zulässigkeit der Übergabe zur Vollstreckung auch bei Verhängung einer anderen freiheitsentziehenden Maß­ regel bejaht, stellt der hier einschlägige Art.  607b S.  2 Nr.  1 plStPO ausschließ­ lich auf die Freiheitsstrafe ab. Für alle mit dem Wehrarrest bedrohten Straftaten ist freilich auch eine Freiheitsstrafe vorgesehen. Der Katalog der auslieferungs­ fähigen Straftaten wird somit durch den Ausschluss des Wehrarrests nicht ver­ ringert. d. Ordnungswidrigkeiten Außer Straftaten, die nach dem Recht des Tatortstaates mit der für die Ausstel­ lung eines Europäischen Haftbefehls erforderten Mindesthöchststrafe nicht be­ droht sind, fallen auch Ordnungswidrigkeiten aus dem Anwendungsbereich des Art.  41 SDÜ heraus. Auch wenn die in der französischen, niederländischen und englischen Fassung verwendeten Bezeichnungen „les infractions“, „de straf­ bare feiten“ und „offences“, die anstelle des deutschen Begriffs „Straftaten“ bzw. des polnischen „przestępstwa“ fungieren, als Oberbegriffe für „verbotene Handlungen“ Ordnungswidrigkeiten nicht von vornherein ausschließen, stellen Ordnungswidrigkeiten weder nach deutschem noch nach polnischem Recht aus­ lieferungsfähige Taten dar. Sie werden gemäß §  1 Abs.  1 OWiG mit einer Geld­ buße geahndet bzw. sind nach Art.  1 §  1 plOWiGB mit einer Arreststrafe35, Frei­ heitsbeschränkungsstrafe, Geldbuße bis zu 5.000 Zloty oder einer Verwarnung bedroht. Die für den Erlass eines Europäischen Haftbefehls und damit für die Auslieferungsfähigkeit vorausgesetzte Freiheitsstrafe ist im Ordnungswidrig­ keitenrecht gar nicht vorgesehen. An dieser Stelle darf die Regelung des Art.  1 Abs.  3 PolAbk nicht unerwähnt bleiben. Die Vorschrift enthält eine Verpflichtung der Vertragsparteien zur Zu­ sammenarbeit bei der Verhütung, Aufdeckung und Bekämpfung von bestimm­ ten enumerativ aufgelisteten Taten,36 die entweder nach dem Recht beider Ver­ 34  Urteil des Obersten Gerichts v. 24.6.2008, III KK 49/08, OSNwSK 2008/1/1289; Steinborn, in: Paprzycki (Hrsg.), Art.  607b Rn.  2. 35  Die Arreststrafe dauert nach Art.  19 plOWiGB von 5 bis zu 30 Tagen. 36  Im Katalog wurden erfasst: Diebstahl oder Unterschlagung; Beschädigung oder Zer­ störung von Vermögen; Verursachung einer Sicherheitsgefahr im Straßenverkehr; Führen eines Fahrzeugs ohne Berechtigung oder ohne Dokumente; vorschriftswidriger Grenzüber­ tritt; Aufenthalt eines Ausländers im Hoheitsgebiet einer Partei ohne Rechtstitel; Nichterfül­

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tragsparteien als Ordnungswidrigkeiten gelten oder nach dem Recht einer Partei als Ordnungswidrigkeiten und nach dem Recht der anderen Partei als (beliebi­ ge) Straftaten qualifiziert werden. Hinsichtlich der Katalogtaten besteht also die Kooperationspflicht ungeachtet deren Strafbarkeit bzw. beiderseitiger Strafbar­ keit. Ein Rückgriff auf Art.  1 Abs.  3 PolAbk bei der Überprüfung der Zulässig­ keit einer grenzüberschreitenden Nacheile ist jedoch nicht statthaft. Art.  1 Pol­ Abk legt, wie aus seiner Überschrift erhellt, den „Umfang der Zusammenar­ beit“ fest. Er bestimmt also den Handlungsraum der zuständigen – in Art.  2 PolAbk genannten – Behörden und ähnelt insoweit den polizeigesetzlichen Auf­ gabennormen37. Die Zuweisung von Befugnissen erfolgt erst in weiteren Be­ stimmungen, die die einzelnen (Kapitel III und IV) oder alle im Abkommen vorgesehenen Kooperationsmaßnahmen (z. B. Art.  36) betreffen. Erst in diesen Bestimmungen wird geregelt, welche Maßnahmen und unter welchen Voraus­ setzungen zu den in Art.  1 PolAbk genannten Zwecken ergriffen werden dürfen. Die Grundsätze der Ausübung des Nacheilerechts wurden in Art.  25 PolAbk festgeschrieben. Da die Vorschrift eine eigene Regelung zu nacheilefähigen Ta­ ten nicht trifft, sondern auf Art.  41 SDÜ und damit auch auf die gegenseitigen Erklärungen zu den Nacheilemodalitäten verweist38, sind grenzüberschreitende Verfolgungen in der derzeitigen Rechtslage nur bei auslieferungsfähigen Straf­ taten zulässig.39

lung der Pflicht zum Verlassen des Hoheitsgebietes einer Partei durch einen Ausländer; ille­ gale Ein-, Durch- und Ausfuhr von Waren, die aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung oder Sicherheit zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen, des nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäo­ logischem Wert oder des gewerblichen und kommerziellen Eigentums Verboten und Be­ schränkungen unterliegen; Einfuhr oder vorschriftswidriges Verbringen von Waren unter Verletzung von Zoll- oder Verbrauchssteuervorschriften. 37  Vgl. beispielsweise §  1 Bbg­PolG. Zum Begriff „Aufgabennorm“ siehe etwa Kingreen/ Poscher, in: Pieroth/Schlink/Kniesel (Hrsg.), §  5 Rn.  10. 38  1. Teil B. 39  Anders verhielte es sich freilich, wenn Art.  25 PolAbk auf Art.  1 Abs.  3 PolAbk (aus­ drücklich) verweisen und dadurch den Anwendungsbereich des Art.  41 SDÜ erweitern (vgl. Art.  41 Abs.  10 SDÜ) würde. Ein solcher Verweis ist in Art.  7 PolAbk enthalten, der den In­ formationsaustausch in Ordnungswidrigkeitsangelegenheiten bzw. „[i]m Rahmen der Zu­ sammenarbeit nach Artikel 1 Absatz 3“ regelt. Nach der Begründung zum polnischen Ratifi­ zierungsgesetz stellt der Informationsaustauch die einzige Kooperationsform dar, die (auch) in dem in Art.  1 Abs.  3 PolAbk festgelegten Umfang zum Tragen kommt, Sejm-Druck Nr.  2827, S.  3.

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3.  Beiderseitige Strafbarkeit Da Art.  2 RbEuHb nicht nur von der für den Erlass eines Haftbefehls erforder­ lichen Mindesthöchststrafdrohung, sondern auch von der beiderseitigen Straf­ barkeit handelt, ist im zweiten Schritt auszuloten, welche Bedeutung der beider­ seitigen Strafbarkeit für die Frage der Auslieferungsfähigkeit einer Straftat zu­ kommt. Nach dem Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit muss das Verhalten des Verfolgten, das dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegt, nach dem Recht sowohl des ersuchenden als auch des ersuchten Staates strafbar sein.40 Entschei­ dend ist dabei, ob sich der mitgeteilte Sachverhalt irgendeiner Strafnorm des ersuchten Staates subsumieren lässt.41 Auf die Identität der materiell-rechtli­ chen Beurteilung42 , etwa auf die gleiche Deliktsbezeichnung43, kommt es nicht an. In Bezug auf den Prüfungsmaßstab wird zwischen der beiderseitigen Straf­ barkeit in abstracto44 und in concreto45 unterschieden. Im ersten Fall kommt es lediglich auf die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens an, im zweiten müssen

Lagodny, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, §  3 IRG Rn.  2; Wierzbicki, O azylach i ekstradycji, S.  107. Eingehend zum Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit Zeidler, Der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit, S.  61 ff.; Murschetz, Auslieferung, S.  118 ff. (in Bezug auf das klassiche Auslieferungsrecht) sowie S.  315 ff. (in Bezug auf den Europäischen Haftbefehl); Płachta, in: Jareborg (Hrsg.), S.  84 (104 ff.); Steinborn, in: Wiliński (Hrsg.), S.  1732 ff. 41  Lagodny, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, §  3 IRG Rn.  13; Vogel/Burchard, in: Grützner/Pötz/Kreß (42. Lfg.), §  3 IRG Rn.  29; Steinborn, in: Wiliński (Hrsg.), S.  1744. 42  Lagodny, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, §  3 IRG Rn.  13 unter Berufung auf OLG Stuttgart, GA 1966, 188 (188 f.); Vogel/Burchard, in: Grützner/Pötz/Kreß (42. Lfg.), §  3 IRG Rn.  29. 43  Heger/Wolter, in: Ambos/König/Rackow (Hrsg.), 2 HT 5. 1 Rn.  1074; Wierzbicki, O azylach i ekstradycji, S.  107. 44  Siehe z. B. Art.  3 Abs.  1 lit.  e des Übereinkommens über die Überstellung verurteilter Personen v. 21.3.1983, SEV Nr.  112: „Eine verurteilte Person kann nach diesem Übereinkom­ men nur unter den folgenden Voraussetzungen überstellt werden: (e) dass die Handlungen oder Unterlassungen, derentwegen die Sanktion verhängt worden ist, nach dem Recht des Vollstreckungsstaats eine Straftat darstellen oder, wenn sie in seinem Hoheitsgebiet began­ gen worden waren, darstellen würden.“ Zu weiteren Beispielen Płachta, in: Jareborg (Hrsg.), S.  84 (125). 45  Siehe z. B. Art.  4 Abs.  1 des Europäischen Übereinkommens über die internationale Geltung von Strafurteilen v. 28.5.1970, SEV Nr.  70: „Eine Sanktion kann von einem anderen Vertragsstaat nur vollstreckt werden, wenn die Handlung, derentwegen die Sanktion ver­ hängt worden ist, nach dem Recht dieses Staates und im Fall der Begehung in diesem Staat eine strafbare Handlung darstellen und der Täter dort strafbar sein würde.“ (Hervorhebung der Verfasserin). Zu weiteren Beispielen Płachta, in: Jareborg (Hrsg.), S.  84 (125). 40 

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auch Rechtfertigungs-, Entschuldigungs- und Schuldausschließungsgründe so­ wie Strafaufhebungs- und Strafausschließungsgründe berücksichtigt werden.46 Behandelte man die beiderseitige Strafbarkeit als Bestandteil der Ausliefe­ rungsfähigkeit, müsste ein Polizeibeamter, der im eigenen Staat eine Person auf frischer Tat betrifft und verfolgt, vor dem Grenzübertritt die Tat nach den Vor­ schriften des Nachbarlandes qualifizieren. Die Fortsetzung der Verfolgung auf dem benachbarten Hoheitsgebiet hinge davon ab, ob die dem Flüchtenden vor­ geworfene Straftat auch in diesem Staat bei abstrakter bzw. konkreter Betrach­ tungsweise – erforderlichenfalls nach sinngemäßer Umstellung des Sachver­ halts47 – als Straftat gewertet werden kann. a.  Bedeutung der (abstrakten) beiderseitigen Strafbarkeit für die Nacheile über die deutsch-polnische Grenze Die Beantwortung der Frage, ob bei der Überprüfung der Auslieferungsfähig­ keit ausschließlich die (abstrakte) Strafandrohung im Ausstellungsstaat zu be­ rücksichtigen ist oder ob diese auch durch die (abstrakte bzw. konkrete) beider­ seitige Strafbarkeit mitbestimmt wird, hat für die deutsch-polnische Zusam­ menarbeit große praktische Relevanz. Bereits das Erfordernis der abstrakten beiderseitigen Strafbarkeit würde den Anwendungsbereich des Art.  41 SDÜ ei­ nengen. Ein und dasselbe Verhalten kann nämlich nach dem deutschen Recht eine unter dem Gesichtspunkt des Strafrahmens auslieferungsfähige Straftat und nach dem polnischen Recht dagegen eine nicht nacheilefähige Ordnungs­ widrigkeit darstellen. Umgekehrt kann eine bestimmte Handlung nur in Polen als Straftat verfolgt, in Deutschland dagegen lediglich als Ordnungswidrigkeit geahndet oder gar nicht sanktioniert werden. Die entstehenden Friktionen sol­ len im Folgenden anhand ausgewählter Delikte illustriert werden, die für die Ausübung des Nacheilerechts relevant sein können.48 aa.  Problematik sog. halbierter Delikte Die meisten und für grenzüberschreitende Verfolgungen wohl gewichtigsten Divergenzen sind im Bereich der Vermögensdelikte49 zu verzeichnen. Dies Vogel, in: Grützner/Pötz/Kreß (38. Lfg.), Vor §  1 IRG Rn.  75; Zeidler, Der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit, S.  63; Steinborn, in: Wiliński (Hrsg.), S.  1743 f. 47 Vgl. Vogel/Burchard, in: Grützner/Pötz/Kreß (42. Lfg.), §  3 IRG Rn.  33; Murschetz, Auslieferung, S.  128 f. 48  Siehe hierzu auch Małolepszy, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  83. 49  Als Vermögensdelikte gelten nach den Wertungen des polnischen Gesetzgebers (Kapi­ tel XXXV plStGB und Kapitel XIV plOWiGB) solche Taten, die im deutschen Strafrecht teils als Eigentumsdelikte (z. B. Diebstahl, Eser/Bosch, in: Schönke/Schröder, §  242 Rn.  1/2 und 46 

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hängt mit der Existenz der Kategorie der sog. halbierten Delikte (czyny prze­ połowione) im polnischen Rechtssystem zusammen. Dabei handelt es sich um solche Taten, die bei (fast) identischen Tatbestandsmerkmalen sowohl im Straf­ gesetzbuch als auch im Ordnungswidrigkeitsgesetzbuch sanktioniert werden.50 Die normative Entscheidung, ob die jeweilige Tat zu einer Straftat auf- oder aber zu einer Ordnungswidrigkeit abgestuft wird, erfolgt anhand eines sachlichen bzw. quantitativen Kriteriums,51 etwa des Werts und der Art des Tatobjekts, des Schadenswerts,52 oder mithilfe eines wertenden Kriteriums53. Ausschlaggebend sind beim Letztgenannten die Art und Weise der Tatbegehung54 sowie die Tat­ folgen55. (1)  Vermögens- bzw. Eigentumsdelikte Die zahlreichste Gruppe der halbierten Delikte bilden gegen das Vermögen ge­ richtete Taten. Wer eine fremde bewegliche Sache in Zueignungsabsicht weg­ nimmt, kann entweder nach Art.  278 §  1 plStGB bestraft oder nach Art.  119 §  1 Alt. 1 plOWiGB geahndet werden. Die Unterschlagung stellt eine Straftat aus Art.  284 plStGB, aber auch eine Ordnungswidrigkeit nach Art.  119 §  1 Alt. 2 plOWiGB dar. Gleiches gilt für Sachbeschädigung und Hehlerei. Wer eine frem­ de Sache vorsätzlich beschädigt, zerstört oder unbrauchbar macht, begeht eine Straftat aus Art.  288 plStGB oder eine Ordnungswidrigkeit aus Art.  124 ­plOWiGB. Wer vorsätzlich oder fahrlässig eine durch Diebstahl oder Unter­ schlagung erlangte Sache ankauft oder absetzen hilft oder in der Absicht, einen Vermögensvorteil zu erlangen, sie sich verschafft oder sie verbergen hilft, ver­ wirklicht die Tatbestandsmerkmale der Straftat aus Art.  291 bzw. Art.  292 ­plStGB (vorsätzliche bzw. fahrlässige Hehlerei) oder der Ordnungswidrigkeit aus Art.  122 §  1 bzw. §  2 plOWiGB. Sachbeschädigung, Stree/Hecker, in: Schönke/Schröder, §  303 Rn.  1), teils als Vermögensde­ likte (z. B. Hehlerei, Altenhain, in: NK-StGB, §  259 Rn.  1; BT-Drs. 7/550, S.  252 f.) eingeord­ net werden. 50  Szyprowski, Prokurator 1 (25)/2006, 92 (92); Raglewski, in: Michalska-Warias/Nowi­ kowski/Piórkowska-Flieger (Hrsg.), S.  287 (287). Zu Abgrenzungsproblemen Raglewski, a. a. O., S.  287 (288 ff.); Liżyńska, in: Kalisz (Hrsg.), S.  253 (255 ff.). 51  Szyprowski, Prokurator 1 (25)/2006, 92 (94); vgl. Ferenz, Na wokandzie 3 (17)/2013, 16 (16); Nowicka, Białostockie Studia Prawnicze 6 (2009), 72 (74). 52  Raglewski, in: Michalska-Warias/Nowikowski/Piórkowska-Flieger (Hrsg.), S.  287 (287). 53  Ferenz, Na wokandzie 3 (17)/2013, 16 (16); Nowicka, Białostockie Studia Prawnicze 6 (2009), 72 (74). 54  Raglewski, in: Michalska-Warias/Nowikowski/Piórkowska-Flieger (Hrsg.), S.  287 (287); Liżyńska, in: Kalisz (Hrsg.), S.  253 (253). 55  Liżyńska, in: Kalisz (Hrsg.), S.  253 (253).

A.  Der erste Nacheilegrund: Betreffen auf frischer Tat

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Die endgültige Tatqualifizierung erfolgt mithilfe eines sachlichen Kriteri­ ums, um welches die betreffenden Ordnungswidrigkeitstatbestände explizit er­ gänzt wurden. Die geschilderten Verhaltensweisen stellen Ordnungswidrigkei­ ten dar, sofern der Wert des Tatobjekts bzw. des entstandenen Schadens ein Viertel des Mindestlohns nicht überschreitet. Der als Maßstab hinzuzuziehende Mindestlohn bildet keine konstante Größe. Er soll vielmehr nach dem Gesetz vom 10. Oktober 200256 jährlich für das kommende Jahr festgelegt werden. Das Gesetz sieht hierfür zwei Termine vor: den grundsätzlichen bis zum 15. Juli (Art.  2 Abs.  3) und einen „Nottermin“ bis zum 15. September für den Fall, dass die fristgemäße Festlegung des Mindestlohnes durch die dafür zuständige Drei­ erkommission scheitert (Art.  2 Abs.  5). Dann obliegt seine Bestimmung dem Ministerrat. Für das Jahr 2017 wurde der Mindestlohn in einer Höhe von 2.000 Zloty festgesetzt.57 Eine Tat, bei welcher der Schadenswert 500 Zloty nicht übersteigt, wird also im Laufe dieses Jahres als Ordnungswidrigkeit qualifi­ ziert, mit der Folge, dass eine bei der Begehung von oder der Teilnahme an dieser Tat betroffene Person von den polnischen Polizeibeamten nicht über die Grenze verfolgt werden darf.58 Würde eine der genannten Taten auf dem deutschen Hoheitsgebiet begangen, wäre sie unabhängig vom Wert des Tatobjekts bzw. des herbeigeführten Scha­ dens dem Straftatbestand des Diebstahls aus §  242 StGB, der Unterschlagung aus §  246 StGB, der Sachbeschädigung aus §  303 StGB oder der Hehlerei aus §  259 StGB zu subsumieren.59 Allein unter Zugrundelegung der Strafandrohung wären die deutschen Amtsträger dann befugt, ihre Verfolgung grenzüberschrei­ tend durchzuführen, weil die in diesen Vorschriften vorgesehene Höchststrafe die für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls vorausgesetzten zwölf Monate überschreitet.60 Der Fall läge anders, wenn man für die Bejahung der 56 

Dz. U. 2002 Nr.  200, Pos. 1679. Dz. U. 2016, Pos. 1456. 58  Im Jahr 2018 wird der Schwellenwert etwas höher – bei 525 Zloty – liegen, da der Min­ destlohn dann 2.100 Zloty betragen wird (Dz. U. 2017, Pos. 1747). 59  Eine Ausnahme stellt fahrlässige Hehlerei dar, die im deutschen Recht nicht generell, sondern nur bei gewerbsmäßigen Edelmetall- und Edelsteinhändlern gemäß §  148b GewO unter Strafe gestellt ist. 60  Die Strafandrohung für Sachbeschädigung beträgt im Höchstmaß zwei Jahre, für Un­ terschlagung drei Jahre, und für Diebstahl und Hehlerei fünf Jahre, für fahrlässige Hehlerei von Edelmetallen und Edelsteinen ein Jahr. Zu beachten ist dabei, dass Diebstahl und Unter­ schlagung geringwertiger Sachen nach §  248a StGB nur auf Antrag verfolgt werden, es sei denn, daß die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. Gleiches gilt gemäß §  259 Abs.  2 StGB für die Hehlerei. Bei der Feststellung der Geringwertigkeit kommt es auf den Verkehrswert der Sache zum Zeitpunkt der Tat an, BGH NStZ 1981, 62 (63); Eser/Bosch, in: Schönke/Schröder, §  248a Rn.  7. Die Grenze wird teilweise bei ca. 25 Euro, teilweise bei 57 

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

Auslieferungsfähigkeit die beiderseitige Strafbarkeit fordern würde. Dann müsste die deutsche Nacheile an der Grenze abgebrochen werden. In diesem Kontext darf die Regelung des Art.  130 plOWiGB nicht übersehen werden. Die Vorschrift benennt drei Fälle, in denen die Tat nicht als Ordnungs­ widrigkeit, sondern als Straftat qualifiziert wird, obgleich der Wert des Tatob­ jekts bzw. des entstandenen Schadens unterhalb der Schwelle von einem Viertel des Mindestlohns liegt. Soweit die oben erwähnten Taten des Diebstahls, der Unterschlagung, der Sachbeschädigung oder der Hehlerei Waffen, Munition, Sprengstoffe oder Sprenggeräte zum Gegenstand haben, werden sie als Strafta­ ten behandelt. Auch der Einbruchsdiebstahl sowie der Diebstahl, bei dem der Täter an einer Person Gewalt verübt oder mit ihrer sofortigen Anwendung droht, um sich im Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten, gelten unabhängig vom Schadenswert als Straftaten. Wird schließlich eine fremde bewegliche Sache in Zueignungsabsicht weggenommen, so ist die Tat immer dann als Straftat einzu­ stufen, wenn der Täter an einer Person Gewalt verübt oder mit ihrer sofortigen Anwendung droht oder eine andere Person in den Zustand der Bewusstlosigkeit oder Wehrlosigkeit bringt. Das Vorliegen dieser qualifizierenden Merkmale er­ öffnet den polnischen Polizeibeamten die Möglichkeit der grenzüberschreiten­ den Fortsetzung einer im Inland aufgenommenen Verfolgung, da es sich dann angesichts des Strafrahmens jeweils um eine Straftat handelt, derentwegen ein Europäischer Haftbefehl erlassen werden kann. Da diese Verhaltensweisen auch in Deutschland strafbar und dabei mit einer für die Auslieferung notwendigen Strafe bedroht sind,61 gestaltet sich die Nacheilebefugnis für die deutschen und die polnischen Polizeibeamten auf die gleiche Art und Weise. (2) Trunkenheitsfahrt Die Rechtsfigur der halbierten Delikte kommt auch bei Trunkenheitsfahrten zum Zuge.62 Führt jemand ein Kraftfahrzeug im Land-, Wasser- oder Luftver­ kehr auf einer öffentlichen Straße, in einer Wohngegend oder in einer Ver­ ca. 50 Euro angesetzt, siehe Nachweise bei Kindhäuser, in: NK-StGB, §  248a Rn.  6. Auch die Sachbeschädigung stellt ein relatives Antragsdelikt dar, und dies unabhängig vom Wert der Sache (§  303c StGB). Der Charakter dieser Straftaten hebt die Einschreitepflicht der Polizei aus §  163 StPO jedoch nicht auf. Die Polizei hat den Sachverhalt so weit zu erforschen, dass die Staatsanwaltschaft verifizieren kann, ob ein öffentliches Interesse an der Verfolgung von Amts wegen vorliegt, Griesbaum, in: KK-StPO, §  163 Rn.  10; Erb, in: LR, §  163 Rn.  27 f.; vgl. RiStBV Nr.  86. 61  Siehe im StGB §§  242 und 246 (Diebstahl und Unterschlagung), §  244 Abs.  1 Nr.  3 (Wohnungseinbruchsdiebstahl), §  252 (räuberischer Diebstahl) und §§  249 f. (Raub und schwerer Raub). 62  Ähnliche Abgrenzungsprobleme ergeben sich auch im Bereich der Drogenfahrten.

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kehrszone in einem Zustand nach dem Genuss von Alkohol, d. h., wenn er von 0,1 mg bis 0,25 mg Alkohol in 1 dm³ der Atemluft oder von 0,2 Promille bis 0,5 Promille im Blut oder eine Alkoholmenge im Körper hat, die zu einer solchen Atem- oder Blutalkoholkonzentration führt63, handelt er gemäß Art.  87 §  1 ­plOWiGB ordnungswidrig. Werden aber die angegebenen Werte überschritten („Trunkenheitszustand“64), so begeht der Täter eine Straftat aus Art.  178a §  1 plStGB, die (u. a.) mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren bedroht ist. Eine grenzüberschreitende Verfolgung wäre in diesem Fall also nicht von vorn­ herein ausgeschlossen. Anders gestaltet sich die Verantwortung eines alkoholisierten Kraftfahrers im deutschen Recht. Zwar kann auch hier seine Tat eine Ordnungswidrigkeit oder eine Straftat darstellen. Unterschiedlich ist aber die Art und Weise der Abgrenzung. Gemäß §  24a Abs.  1 StVG handelt ordnungswidrig, wer im Stra­ ßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt, obwohl er 0,25 mg/l oder mehr Alkohol in der Atemluft oder 0,5 Promille oder mehr Alkohol im Blut oder eine Alkohol­ menge im Körper hat, die zu einer solchen Atem- oder Blutalkohol­konzentra­tion führt. Strafbar macht sich indes derjenige, der infolge des Genusses alkoholi­ scher Getränke nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen (§  316 StGB). Nach der Rechtsprechung des BGH setzt der Straftatbestand mit dem Merkmal der Fahrunsicherheit voraus, dass „die Gesamtleistungsfähigkeit des Fahrzeug­ führers infolge geistiger und/oder körperlicher Mängel soweit herabgesetzt ist, dass er nicht mehr fähig ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Stre­ cke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern“.65 Die Qua­ lifizierung der Tat als Ordnungswidrigkeit oder Straftat erfolgt insoweit nicht wie im polnischen Recht nach einer gesetzlich festgesetzten Promille-Grenze, sondern grundsätzlich mithilfe eines wertenden Kriteriums. Grundsätzlich, denn bei einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,1 ‰ wird die Fahr­ unsicherheit unwiderleglich vermutet (sog. absolute Fahrunsicherheit).66 Die obigen Darstellungen führen in Bezug auf die grenzüberschreitende Nacheile zu folgenden Schlüssen: Falls die 0,5-Promille-Grenze nicht über­ schritten wird und der Fahrer das Fahrzeug immer noch sicher führen kann, besteht weder für die deutschen noch für die polnischen Polizeibeamten die 63 

Nach Art.  46 Abs.  2 des Gesetzes v. 26.10.1992 über die Erziehung in Nüchternheit und die Bekämpfung der Trunksucht (Dz. U. 1982 Nr.  35, Pos. 230). 64  Nach Art.  46 Abs.  3 des Gesetzes v. 26.10.1992 über die Erziehung in Nüchternheit und die Bekämpfung der Trunksucht (Dz. U. 1982 Nr.  35, Pos. 230). 65  BGH NZV 2008, 528 im Anschluss an BGHSt 13, 83 (90); so auch die Lehre, siehe etwa Sternberg-Lieben/Hecker, in: Schönke/Schröder, §  316 Rn.  3; Burmann, in: Burmann/Heß/ Hühnermann/Jahnke/Janker, §  316 StGB Rn.  21. 66  BGHSt 37, 89 (99); BGH DAR 2007, 272 (272); BayObLG NZV 1996, 75.

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

Möglichkeit einer Fortsetzung der Verfolgung auf dem fremden Hoheitsgebiet. Liegt bei dieser Grenze die Fahrunsicherheit vor, so ist die Tat nach polnischem Recht nur als Ordnungswidrigkeit, nach deutschem Recht bereits als Straftat zu qualifizieren. Die deutschen Beamten könnten ihre Nacheilebefugnis aus Art.  41 SDÜ aber nur dann wahrnehmen, wenn die beiderseitige Strafbarkeit keine Voraussetzung der Auslieferungsfähigkeit wäre. In der umgekehrten Konstella­ tion, wenn die 0,5-Promille-Grenze überschritten wird und der Fahrer das Fahr­ zeug sicher führen kann, wird sein Verhalten nach polnischem Recht eine Straf­ tat, nach deutschem Recht dagegen eine Ordnungswidrigkeit darstellen. Die Frage der beiderseitigen Strafbarkeit würde sich diesmal auf die Nacheilemög­ lichkeiten der polnischen Polizisten auswirken. Nur wenn die 0,5-Promil­ le-Grenze überschritten wird und der Fahrer das Fahrzeug nicht sicher führen kann, wird eine Straftat nach dem Recht beider Nachbarländer vorliegen. (3)  Öffentliche Aufforderung zu Straftaten und Billigung der Straftatenbegehung Schließlich kann die öffentliche Aufforderung zur Begehung einer Straftat oder einer Finanzstraftat oder eine öffentliche Billigung der Straftatenbegehung ent­ weder dem Ordnungswidrigkeiten- (Art.  52a Nr.  1, 3) oder dem Strafgesetzbuch (Art.  255) zugeordnet werden.67 Nach Art.  52a plOWiGB werden die Verhal­ tensweisen als Ordnungswidrigkeiten geahndet, wenn das Ausmaß der Tat oder deren Folgen nicht erheblich waren.68 Die Abgrenzung erfolgt somit nicht an­ 67 

Auch wenn die Nacheilerelevanz dieser Delikte gering erscheint, dürfen sie, vor allem im Kontext der gegenwärtigen gesellschaftlichen Wandlungen, nicht unterschätzt werden. 68  Jankowski, in: Grzegorczyk (Hrsg.), Art.  52a Rn.  7 sieht zwar die Formulierung „wenn das Ausmaß der Tat oder deren Folgen nicht erheblich waren“ als durch die Gesetzesnovelle vom November 2009 nur auf Art.  52a Nr.  3 (öffentliche Billigung der Straftatenbegehung) bezogen an und stellt demzufolge zur Abgrenzung der Straftat und der Ordnungswidrigkeit der öffentlichen Aufforderung zur Straftatenbegehung (Art.  52a Nr.  1) auf den Grad der sozi­ alen Schädlichkeit ab. Diese Sichtweise findet aber keine normative Stütze. Vor der Novelle lautete die Vorschrift wie folgt: „Wer: 1) zur Begehung einer Straftat, einschließlich einer Finanzstraftat, öffentlich auffordert oder sie billigt, 2) zum Ungehorsam oder zum Wieder­ stand mit Gewalt gegen ein Gesetz oder eine Rechtsverordnung eines Staatsorgans öffentlich auffordert, sofern das Ausmaß der Tat oder deren Folgen nicht erheblich waren, unterliegt einer Arreststrafe, einer Freiheitsbeschränkungsstrafe oder einer Geldbuße“ (Dz. U. 2007 Nr.  109, Pos. 756). Bereits auf der Grundlage dieser Vorschrift nahm man im Schrifttum an, dass sich der Passus auf beide Tatbestände erstreckte, siehe Jankowski, a. a. O; Mozgawa, in: Mozgawa (Hrsg.), Kodeks wykroczeń, Art.  52a Rn.  11; Kotowski, Kodeks wykroczeń, Art.  52a Rn.  2; Stefański, Prok. i Pr. 1/2006, 7 (24); anders aber Liżyńska, in: Kalisz (Hrsg.), S.  253 (257). Der novellierte Wortlaut der Vorschrift lautet nun: „Wer: 1) zur Begehung einer Straftat oder einer Finanzstraftat öffentlich auffordert, 2) zum Wiederstand mit Gewalt ge­ gen einen Rechtsakt, der eine Quelle des allgemein geltenden Rechts der Republik Polen

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hand eines starren sachlichen Kriteriums, sondern hängt von einer wertenden Betrachtung des konkreten Falles ab.69 Es ist zu bemerken, dass in Bezug auf die öffentliche Billigung der Straftatenbegehung die Möglichkeit einer grenz­ über­schreitenden Fortsetzung der Verfolgung für die polnischen Bediensteten auch dann nicht besteht, wenn die Tat als eine Straftat qualifiziert wird. Denn Art.  255 §  3 plStGB sieht hierfür als Höchstsanktion eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr vor, die im Lichte des Art.  607b S.  2 Nr.  1 plStPO zum Erlass ei­ nes Europäischen Haftbefehls nicht ausreicht. In Deutschland wird die öffentliche Aufforderung zu einer rechtswidrigen Tat in §  111 StGB und deren öffentliche Billigung in §  140 Nr.  2 StGB70 pönali­ siert. Hinsichtlich der Strafbarkeit des Auffordernden wird danach differen­ ziert, ob die Aufforderung erfolgreich war, also zu einer Straftat geführt hat71, oder unbefolgt geblieben ist. In der ersten Variante ist der Täter dem Anstifter gleichzustellen (§  111 Abs.  1 StGB), sodass er gemäß §  26 StGB mit der Strafe der Tätertat zu belegen ist.72 In der zweiten Variante unterliegt das inkriminier­ te Verhalten zwar einem eigenen Strafrahmen, der eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe beinhaltet; die Obergrenze steckt aber der Strafrahmen der angesonnenen Tat ab (§  111 Abs.  2 StGB).73 Die Möglichkeit einer Nacheile nach Art.  41 Abs.  1 SDÜ wird sich insoweit in beiden Konstella­ tionen nach der Strafandrohung für diejenige Straftat richten, die Gegenstand der Aufforderung war. Sofern aber die beiderseitige Strafbarkeit für die Be­ darstellt, öffentlich auffordert, 3) die Begehung einer Straftat öffentlich billigt, sofern das Ausmaß der Tat oder deren Folgen nicht erheblich waren, unterliegt einer Arreststrafe, einer Freiheitsbeschränkungsstrafe oder einer Geldbuße“ (Dz. U. 2009 Nr. 206, Pos. 1589). Die Novelle hat somit im fraglichen Bereich nur die öffentliche Billigung der Straftatenbegehung von der öffentlichen Aufforderung zur Straftatenbegehung abgetrennt und als Nummer 3 normiert. Da im Ergebnis die Schlussformulierung nicht mehr Nummer 2, sondern Nummer 3 folgt, lässt sich nicht bestreiten, dass diese nicht dem konkreten Inhalt zugeschrieben ist, sondern sich auf alle drei (vorher zwei) Tatbestände erstreckt. 69 Vgl. Mozgawa, in: Mozgawa (Hrsg.), Kodeks wykroczeń, Art.  52a Rn.  10. 70  Die Strafbarkeit der öffentlichen Billigung von Straftaten ist, anders als im polnischen Recht, auf die abschließend genannten Delikte beschränkt. Dabei handelt es sich um die in §  138 Abs.  1 Nr.  2 bis 4 u. 5 letzte Alternative und in §  126 Abs.  1 StGB genannten rechtswid­ rigen Taten sowie um bestimmte Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§  176 Abs.  3, §§  176a und 176b, §  177 Abs.  4 bis 8 sowie §  178 StGB). 71  Eser, in: Schönke/Schröder, §  111 Rn.  20; Bosch, in: MK-StGB, §  111 Rn.  26. 72 Nach Eser, in: Schönke/Schröder, §  111 Rn.  14 u. 20 darf aber die Aufforderung zur (bloßen) Beihilfe nicht wie die Anstiftung zur Haupttat sanktioniert werden; vielmehr müs­ sen in diesem Fall die für die Bestrafung wegen Anstiftung zur Beihilfe vorgesehenen Grundsätze, d. h. die obligatorische Strafmilderung nach §  27 Abs.  2 S.  2 i. V. m. §  49 Abs.  1 StGB, Anwendung finden. 73  Eser, in: Schönke/Schröder, §  111 Rn.  21. Darüber hinaus ist die Strafe obligatorisch nach §  49 Abs.  1 Nr.  2 zu mildern (§  111 Abs.  2 S.  2 Hs. 2 StGB).

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jahung der Auslieferungsfähigkeit zwingend sein sollte, dürften die deutschen Bediensteten die Grenze nur dann überschreiten, wenn das Täterverhalten nach dem polnischen Recht als Straftat und nicht als Ordnungswidrigkeit zu qualifi­ zieren wäre. Diese Schlussfolgerung ist auch auf die Zulässigkeit der grenzüber­ schreitenden Durchführung einer Verfolgung im Falle des Betreffens bei der öffentlichen Billigung der Straftatbegehung gemäß §  140 Nr.  2 StGB zu übertra­ gen, die mit einer für den Erlass eines Europäischen Haftbefehls tauglichen Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bedroht ist. bb.  Verkehrsunfallflucht Auch außerhalb der halbierten Delikte weichen das deutsche und das polnische Strafrechtssystem voneinander ab. Als Beispiel kann die sog. Verkehrsunfall­ flucht74 aus §  142 StGB herangezogen werden. Das mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bedrohte Verhalten besteht zum einen im Sich-Entfernen eines am Unfall Beteiligten vom Unfallort, ohne zugunsten der anderen Unfall­ beteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahr­ zeugs und der Art seiner Beteiligung ermöglicht zu haben. Die Vorschrift be­ gründet kein generelles Gebot zur Förderung der Unfallsaufklärung,75 sondern erlegt dem Unfallbeteiligten (lediglich) eine Feststellungsduldungspflicht auf,76 der er durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt ist, nachkommen kann bzw. muss (Abs.  1 Nr.  1). Strafbar macht sich auch der Unfallbeteiligte, der im Falle der Abwesenheit einer feststellungsberei­ ten Person den Unfallort verlässt, ohne eine nach den konkreten Umständen angemessene Zeit gewartet zu haben (Abs.  1 Nr.  2). Der Straftatbestand wird schließlich dann verwirklicht, wenn sich der Unfallbeteiligte zwar straflos77, d. h. nach Ablauf der Wartefrist (Abs.  2 Nr.  1) oder berechtigt oder entschuldigt (Abs.  2 Nr.  2), vom Verkehrsunfallort entfernt, es aber unterlässt, die Feststel­ lungen unverzüglich nachträglich zu ermöglichen. Als Unfallbeteiligter kommt jeder in Betracht, der am Unfallort anwesend ist und dem äußeren Anschein nach möglicherweise den Unfall im Straßenverkehr mitverursacht hat (vgl. Abs.  5).78 Unter dem Unfall wird ein plötzliches Ereignis im öffentlichen Ver­ Begriff nach Kretschmer, in: NK-StGB, §  142 Rn.  1. Pflieger, in: Dölling/Duttge/Rössner (Hrsg.), §  142 StGB Rn.  23; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, §  142 Rn.  29; siehe auch BGHSt 7, 112 (117). 76  Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, §  142 StGB Rn.  16; Zopfs, in: MK-StGB, §  142 Rn.  64; Pflieger/Quarch, in: Dölling/Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  142 StGB Rn.  12; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, §  142 Rn.  28. 77  Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, §  142 Rn.  48. 78  BGH NJW 1960, 2060 (2601); BayObLG NStZ-RR 2000, 140 (141); Zopfs, in: MKStGB, §  142 Rn.  36. 74 

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kehr verstanden, das mit dessen typischen Gefahren ursächlich zusammenhängt und „zur Tötung oder Verletzung eines Menschen oder zu einer nicht völlig belanglosen Sachbeschädigung führt“.79 Bei Personenschäden verlangt man einen tatbestandlichen Erfolg i. S. v. §  223 StGB.80 Bei Sachschäden wird darauf abgestellt, ob die Geltendmachung von Ersatzansprüchen vernünftigerweise zu erwarten ist.81 Die Wertgrenze wird jedoch unterschiedlich angesetzt: teils bei 25 Euro, teils bei 50 Euro, teils aber auch bei 150 Euro.82 Ob der maßgebliche Schaden eingetreten ist, ist zur Tatzeit nach objektiven Kriterien zu beurteilen.83 Anders gestaltet sich die Verantwortlichkeit eines Unfallbeteiligten im polni­ schen Recht. Art.  44 Abs.  1 Nr.  4 plStVO verpflichtet den Führer eines Fahr­ zeugs bei Beteiligung an einem Straßenverkehrsunfall, auf Verlangen einer un­ fallbeteiligten Person die eigenen Personalien und die des Fahrzeugeigentümers oder -halters mitzuteilen sowie Angaben über die Versicherungsanstalt, mit der eine abgeschlossene Haftpflichtversicherung besteht, zu machen. Diese Pflich­ ten gelten unabhängig von der Art und dem Ausmaß des eingetretenen Scha­ dens84 und treffen auch andere Unfallbeteiligte (Art.  44 Abs.  3 plStVO), soweit sie entsprechendes Wissen haben.85 Der Verstoß gegen Art.  44 Abs.  1 Nr.  4 ­plStVO stellt eine Ordnungswidrigkeit dar, die gemäß Art.  97 plOWiGB mit einer Geldbuße von bis zu 3.000 Zloty oder einer Verwarnung geahndet wird.86 Freilich kann das pflichtwidrige Entfernen vom Unfallort eine Strafverantwor­ tung zur Folge haben. Das polnische Strafgesetzbuch kennt zwar einen §  142 StGB entsprechenden Straftatbestand nicht. Nach Art.  177 plStGB macht sich jedoch derjenige strafbar, der die Regeln der Sicherheit des Straßen-, Schiffsoder Luftverkehrs mindestens fahrlässig verletzt und dadurch fahrlässig einen Unfall verursacht, bei dem eine andere Person eine mittlere Körperverletzung Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, §  142 StGB Rn.  4; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, §  142 Rn.  6; mit Einschränkung auf Fremdschäden Zopfs, in: MK-StGB, §  142 Rn.  25. Aus der Rechtsprechung siehe etwa BGHSt 8, 263 (264 f.); 24, 382 (383); BGH NJW 2002, 626 (627). 80  Zopfs, in: MK-StGB, §  142 Rn.  26; Kretschmer, in: NK-StGB, §  142 Rn.  35; Rudolphi/ Stein, in: SK-StGB, §  142 Rn.  9. 81  BayObLG NJW 1960, 832 (833); Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, §  142 Rn.  8 f.; Pflieger/Quarch, in: Dölling/Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  142 StGB Rn.  4. 82  Siehe Nachweise bei Zopfs, in: MK-StGB, §  142 Rn.  26, der selbst einer Verknüpfung der Belanglosigkeit des Schadens mit einer festen Wertgrenze widerspricht. 83  Zopfs, in: MK-StGB, §  142 Rn.  25; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, §  142 Rn.  11 f.; Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, §  142 StGB Rn.  5 mit Verweis auf die Rechtsprechung. 84  Stefański, Prawo o ruchu drogowym, Art.  4 4 Rn.  4. 85  Stefański, Prawo o ruchu drogowym, Art.  4 4 Rn.  11. 86  Kotowski, Prawo o ruchu drogowym, Art.  4 4 Rn.  2; Stefański, Prawo o ruchu dro­ gowym, Art.  44 Rn.  18. 79 

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

i. S. v. Art.  157 §  1 plStGB87 (§  1) oder den Tod oder eine schwere Körperverlet­ zung i. S. v. Art.  156 §  1 plStGB88 (§  2) erlitten hat. Ergreift der Unfallverursa­ cher die Flucht, kann er grenzüberschreitend verfolgt werden, weil die Tat, da sie mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren (§  1) bzw. mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu acht Jahren (§  2) bedroht ist, auslieferungsfähig ist. Insoweit wird das Problem der (abstrakten) beiderseitigen Strafbarkeit nicht vi­ rulent. Anders verhält es sich bei den Verkehrsunfällen, infolge deren eine an­ dere Person eine leichte Körperverletzung i. S. v. Art.  157 §  2 plStGB89 erleidet oder nur ein Sachschaden eintritt. Denn der Unfallverursacher, der sich vom Unfallort unter Verletzung der Mitteilungspflichten entfernt, verwirklicht dann nur den Tatbestand des Art.  97 plOWiGB.90 b.  Beiderseitige Strafbarkeit im Lichte der Auslieferungsbestimmungen Es gilt nun zu untersuchen, in welchem Verhältnis die Auslieferungsvorausset­ zungen „auslieferungsfähige Straftat“ und „beiderseitige Strafbarkeit“ zuein­ ander stehen. Da der Begriff „auslieferungsfähige Straftat“ den herkömmlichen multi- und bilateralen Auslieferungsvorschriften entstammt, ist zunächst ein Blick auf den klassischen Auslieferungsverkehr zu werfen. Anschließend sind die Vorgaben des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI sowie die deutschen und die polnischen Umsetzungsvorschriften, nach denen der Auslieferungsverkehr ge­ genwärtig abgewickelt wird, zu beleuchten. 87 

Dabei handelt es sich um eine andere als in Art.  156 §  1 plStGB genannte Störung der Organfunktion oder eine Gesundheitsschädigung, die über sieben Tage dauert. 88  Eine schwere Gesundheitsschädigung liegt danach vor, wenn der Betroffene das Seh­ vermögen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert, oder eine andere schwere Verkrüppelung, schwere unheilbare oder langdauernde Krankheit, kon­ kret lebensbedrohende Krankheit oder dauerhafte geistige Krankheit, vollständige oder er­ hebliche dauerhafte Berufsunfähigkeit oder dauerhafte, wesentliche Körperentstellung oder -deformation erleidet. 89  Gemeint ist hier eine andere als in Art.  156 §  1 plStGB genannte Störung der Or­ ganfunktion oder eine Gesundheitsschädigung, die nicht länger als sieben Tage dauert. 90  Die Strafbarkeit wegen Sachbeschädigung aus Art.  288 plStGB scheidet aus, weil die Tat nur vorsätzlich begangen werden kann. Im Lichte der Rechtsprechung des Obersten Ge­ richts darf der Unfallverursacher dann auch nicht wegen fahrlässiger leichter Körperverlet­ zung nach Art.  157 §  2 und §  3 plStGB bestraft werden, denn durch den Rückgriff auf die Straftatbestände des Kapitels XIX plStGB würde der klare Wille des Gesetzgebers unterlau­ fen, der bestimmte Verhaltensweisen gegen die Sicherheit im Verkehr separat in Kapitel XXI vertatbestandlicht und dort bewusst Verkehrsunfälle mit leichten Körperverletzungen nicht unter Strafe gestellt hat, Beschluss v. 8.11.1998, I KZP 16/98, OSNKW 1998/11–12/48 mit kritischen Anm. von Korniłowicz, PiP 6/1999, 108 und von Marcinkowski, PS 5/2000, 119; kritisch auch Marek, Kodeks karny, Art.  177 Rn.  11.

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aa.  Klassischer Auslieferungsverkehr Die beiderseitige Strafbarkeit und die Auslieferungsfähigkeit werden im klassi­ schen Auslieferungsverkehr überwiegend als unabhängige Zulässigkeitsvoraus­ setzungen der Auslieferung angesehen.91 Das Kriterium der auslieferungsfähi­ gen Straftat setzt Untergrenzen, „ab denen sich die Rechtshilfemaßnahmen ‚lohnen‘ bzw. gegenüber dem Individuum legitimieren lassen“92 und engt somit den mit dem ersten Erfordernis festgelegten Kreis der Verhaltensweisen, de­ rentwegen die Auslieferung in Betracht kommt, ein 93. Eine Vielzahl multi- und bilateraler auslieferungsrechtlicher Vereinbarungen behandelt diese beiden Voraussetzungen zusammen, indem sie die ausliefe­ rungsfähige Straftat – entweder direkt im Inhalt der betreffenden Norm 94 oder mithilfe der amtlichen Überschrift95 – als Tat definiert, die nach dem Recht des ersuchenden und des ersuchten Staates mit einer bestimmten Strafe bedroht ist. Die beiderseitige Strafbarkeit ist insoweit im Begriff der auslieferungsfähigen Straftat enthalten.96

91  Lagodny, in: Sieber/Satzger/v. Heintschel-Heinegg (Hrsg.), §  31 Rn.  33 ff.; ders., in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, §  3 IRG Rn.  1; Płachta, Prok. i Pr. 7–8/2000, 23 (28 f.); Wierzbicki, O azylach i ekstradycji, S.  106 f.; Górski/Sakowicz, in: Hofmański (Hrsg.), S.  38; wohl auch Zeidler, Der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit, S.  69. Vergleiche auch Art.  5 Abs.  1 EurRhfÜbk, der die Erledigung von Rechtshilfeersuchen um Durchsuchung oder Beschlagnahme von Gegenständen (u. a.) an die beiderseitige Strafbarkeit (lit.  a) oder/ und an die Auslieferungsfähigkeit der Tat (lit.  b) knüpft und insoweit diese Voraussetzungen als voneinander unabhängige behandelt. 92  Lagodny, in: Sieber/Satzger/v. Heintschel-Heinegg (Hrsg.), §  31 Rn.  35. 93  Lagodny, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, §  3 IRG Rn.  23. 94  Siehe z. B. Art.  2 Abs.  1 S.  1 des Vertrages v. 27.6.2001 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Indien über die Auslieferung (BGBl.  2003 II S.  1634, BGBl.  2004 II S.  787): „Auslieferungsfähige Straftaten nach diesem Vertrag sind Straftaten, die nach dem Recht beider Vertragsstaaten strafbar sind“ und dessen Abs.  3 S.  1: „Ausgelie­ fert wird wegen Straftaten, die nach dem Recht beider Vertragsstaaten mit Freiheitsstrafe oder anderer Freiheitsentziehung im Höchstmaß von mindestens einem Jahr bedroht sind“; Art.  4 Abs.  1 S.  1 des Auslieferungsabkommens v. 25.6.2003 zwischen der EU und den Ver­ eingten Staaten von Amerika (ABl.  L 181 v. 19.7.2003, S.  27): „Ausgeliefert wird wegen Straftaten, die nach dem Recht des ersuchenden und des ersuchten Staates mit einer Frei­ heitsstrafe im Höchstmaß von mindestens einem Jahr oder einer strengeren Strafe bedroht sind.“ 95  So z. B. Art.  2 Abs.  1 S.  1 EurAuslÜbk; Art.  2 Abs.  1 S.  1 Bene­lux­Ausl­Ü bk; Art.  2 Abs.  1 EU-AuslÜbk. Zu dem Letztgenannten siehe den Erläuternden Bericht des Rates v. 26.5.1997 (ABl.  C 191 v. 23.6.1997, S.  13), aus dem sich ausdrücklich ergibt, dass die Auslie­ ferungsfähigkeit einer Straftat von der Strafandrohung im ersuchenden und ersuchten Staat abhängig ist. 96 Vgl. Mörsberger, Das Prinzip der identischen Strafrechtsnorm, S.  53.

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

Die Beantwortung der oben aufgeworfenen Frage, ob die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Verfolgung von der Strafbarkeit des inkriminierten Ver­ haltens auch nach dem Recht des Zielstaates abhängt, setzt deshalb eine Über­ prüfung voraus, mit welchen Kriterien die auslieferungsfähigen Delikte nach den im Einzelfall maßgeblichen Auslieferungsbestimmungen von allen (beid­ seitig) strafbaren Handlungen abgehoben wurden. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des SDÜ wurde der Auslieferungsverkehr zwischen den Unterzeichnerstaaten nach dem Europäischen Auslieferungsüber­ einkommen vom 13. Dezember 1957 und, soweit es sich um die Auslieferung im Innenverhältnis zwischen den Benelux-Ländern handelte, nach dem Bene­ lux-Übereinkommen vom 27. Juni 1962 über Auslieferung und Rechtshilfe in Strafsachen97 abgewickelt. Der Begriff einer auslieferungsfähigen Straftat i. S. v. Art.  41 Abs.  4 lit.  b SDÜ musste damals im Lichte jener Bestimmungen definiert werden. Nach Art.  2 Abs.  1 S.  1 EurAuslÜbk wird wegen Handlungen ausgeliefert, die sowohl nach dem Recht des ersuchenden als auch nach dem des ersuchten Staates mit einer Freiheitsstrafe oder die Freiheit beschränkenden Maßregel der Sicherung und Besserung im Höchstmaß von mindestens einem Jahr oder mit einer schwereren Strafe bedroht sind. Der Kreis der auslieferungs­ fähigen Straftaten wird somit mithilfe des Kriteriums der Strafdrohung in beiden beteiligten Ländern festgelegt. Gleiches ergibt sich aus Art.  2 Abs.  1 S.  1 Bene­lux­Ausl­Ü bk mit dem Unterschied, dass die vorausgesetzte Strafrah­men­ obergrenze sechs Monate beträgt.98 Die Fortsetzung der Nacheile, die im Gel­ tungsbereich dieser Übereinkommen durchgeführt wurde bzw. wird99, setzt demzufolge das Vorliegen der (abstrakten) beiderseitigen Strafbarkeit voraus.100 97  Siehe Vorbehalte/Erklärungen der Benelux-Staaten zu Art.  28 EurAuslÜbk, abge­ druckt in: Schwaighofer/Ebensperger, Internationale Rechtshilfe, S.  138, sowie Erklärungen gemäß Art.  41 Abs.  9 SDÜ, wonach für den Begriff einer auslieferungsfähigen Straftat aus­ drücklich auf Art.  27 Bene­lux­Ausl­Ü bk verwiesen wird. 98  „Art.  2 (Extraditable offences): 1. Extradition shall be granted in respect of offences punishable under the laws of the requesting Party and of the requested Party by deprivation of liberty or under a detention order for a maximum period of at least six months or by a more severe sentence or order.“ (Hervorhebung der Verfasserin). 99  Beispielsweise wird in Bezug auf die Schweiz, die der EU nicht angehört, der Ausliefe­ rungsverkehr nach wie vor nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen abgewi­ ckelt, siehe RiVASt, Anlage II – Länderteil: Schweiz, Pkt.  I.1. 100 Vgl. Heger/Wolter, in: Ambos/König/Rackow (Hrsg.), 2 HT 5. 1 Rn.  1073: Die Auslie­ ferungsfähigkeit einer Straftat setze nach Art.  2 EurAuslÜbk grundsätzlich das Vorliegen beiderseitiger Strafbarkeit und die Androhung bzw. Verhängung einer Mindeststrafe voraus; vgl. auch Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  288 f., die sich in ihrem Regelungsvorschlag für die unionsweite Zulässigkeit der Nacheile bei allen ausliefe­ rungsfähigen Straftaten ausspricht, zugleich aber auf die Schwierigkeiten im Zusammen­ hang mit der Feststellung der beiderseitigen Strafbarkeit und der Mindeststrafdrohung ab­

A.  Der erste Nacheilegrund: Betreffen auf frischer Tat

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Eine andere Sichtweise würde dem Wortlaut widersprechen, zumal die Über­ schrift „Auslieferungsfähige strafbare Handlungen“, mit der die Vorschriften versehen sind, klarstellt, dass sie den Schlüsselbegriff definieren. bb.  Auslieferungsverkehr auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls (1)  Rahmenbeschluss 2002/584/JI Der Rahmenbeschluss 2002/584/JI behandelt die Frage der beiderseitigen Strafbarkeit abweichend von den herkömmlichen multi- und bilateralen Auslie­ ferungsvereinbarungen. Art.  2 Abs.  1 RbEuHb knüpft die Möglichkeit der Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls an eine bestimmte Mindesthöchst­ strafdrohung im Ausstellungsstaat. Damit wird jedenfalls das Erfordernis einer qualifizierten Strafbarkeit im Vollstreckungsstaat aufgehoben. Einen Schritt weiter geht Art.  2 Abs.  2 RbEuHb, wonach von der Überprüfung der beidersei­ tigen Strafbarkeit abzusehen ist, soweit die dem Europäischen Haftbefehl zu­ grunde liegende Tat nach dem Recht des Ausstellungsstaates eine der aufgelis­ teten Katalogstraftaten101 und in diesem Staat mit einer Freiheitsstrafe oder ­einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von min­ destens drei Jahren bedroht ist. Die Entscheidung, ob sich die Tat dem Katalog subsumieren lässt, trifft der Ausstellungsstaat.102 Seine Wertung muss von der vollstreckenden Justizbehörde anerkannt werden, unabhängig davon, ob die in­ kriminierte Handlung in ihrem Land strafbar oder legal wäre, weil die Über­ prüfung der Strafbarkeit nach innerstaatlichen Vorschriften in diesem Fall un­ zulässig ist.103 Bei nicht erfassten Straftaten kann die Übergabe gemäß Art.  2 Abs.  4 RbEuHb davon abhängig gemacht werden, ob das dem Haftbefehl zu­ grunde liegende Verhalten eine Straftat nach dem Recht des Vollstreckungs­ mitgliedstaats darstellt, unabhängig von den Tatbestandsmerkmalen oder der Bezeichnung der Straftat. Soweit also keine Katalogtat vorliegt oder die dafür vorgesehene Strafrahmenobergrenze nicht erreicht wird, eröffnet sich für die hebt; vgl. ferner die an Art.  2 Abs.  1 S.  1 EurAuslÜbk orientierte Auslegung des Begriffs „auslieferungsfähige Straftat“ als Nacheilevoraussetzung aus Art.  16 Abs.  1 des deutschschweizerischen Kooperationsvertrags bei Häfele, Rechtsschutz gegen Nacheilemaßnahmen, S.  15. 101  Zur Problematik der Unbestimmtheit des Katalogs siehe etwa Murschetz, Ausliefe­ rung, S.  317 ff.; Heger/Wolter, in: Ambos/König/Rackow (Hrsg.), 2 HT Art.  2 RbEuHb Rn.  654 ff. 102  Schwaighofer, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), S.  73 (77). 103  Murschetz, Auslieferung, S.  320. Im Schrifttum wird aber aus den allgemeinen Über­ prüfungsmöglichkeiten (Art.  15 Abs.  2 RbEuHb) die Möglichkeit einer Willkürkontrolle in Bezug auf die vom ausstellenden Richter durchgeführte Subsumtion abgeleitet, Murschetz, a. a. O.; Schwaighofer, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), S.  73 (78).

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

Vollstreckungsbehörde die Möglichkeit, die beiderseitige Strafbarkeit zu über­ prüfen und bei ihrem Fehlen die Auslieferung abzulehnen. Verpflichtet dazu ist sie nach dem Rahmenbeschluss aber nicht, was Art.  4 Nr.  1 Hs. 1 RbEuHb klarstellt: „Die vollstreckende Justizbehörde kann die Vollstreckung des Euro­ päischen Haftbefehls verweigern, wenn […].“104 Der Rahmenbeschluss ordnet die fehlende beiderseitige Strafbarkeit somit den fakultativen Ablehnungs­ gründen zu.105 Wenngleich der Wortlaut des Art.  2 Abs.  4 RbEuHb darauf schließen lässt, dass es im Ermessen der Mitgliedstaaten steht, bei der Umsetzung des Rahmen­ beschlusses die fehlende beiderseitige Strafbarkeit entweder als obligatorischen oder als fakultativen Ablehnungsgrund zu regeln,106 bringt Art.  4 Nr.  1 RbEuHb deutlich zum Ausdruck, dass nach dem Konzept des Rahmenbeschlusses die beiderseitige Strafbarkeit keine zwingende Übergabevoraussetzung mehr dar­ stellt. Auch bei fehlender Strafbarkeit des inkriminierten Verhaltens im Voll­ streckungsstaat soll der Europäische Haftbefehl nicht aussichtslos sein, denn die Geltendmachung dieses „Makels“ liegt im Ermessen der Bewilligungsbehör­ de.107 Mit anderen Worten schließt ein als fakultativ ausgestaltetes Vollstre­ ckungshindernis die potenzielle Möglichkeit der Übergabe nicht aus. In Bezug auf die Taten, die im Ausstellungsstaat mit einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren im Höchstmaß bedroht sind und einem der in Art.  2 Abs.  2 RbEuHb aufgelisteten Delikte bzw. einer der Deliktsgruppen zugeordnet werden können, soll die beiderseitige Strafbarkeit sogar gar nicht überprüft werden dürfen. Freilich findet der Auslieferungsverkehr nicht (direkt) nach dem Rahmenbe­ schluss statt, sondern nach den innerstaatlichen Vorschriften, die seine Vorga­ ben umsetzen.108 Die Mitgliedstaaten sind ihrer Implementierungspflicht auf unterschiedliche Art und Weise nachgekommen.109 Im Folgenden ist zu untersu­ 104 

Hervorhebung der Verfasserin. Schwaighofer, in: Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), S.  73 (75). 106  Vom Entscheidungsspielraum geht Murschetz, Auslieferung, S.  321, aus. Anders Steinborn, in: Paprzycki (Hrsg.), Art.  607p Rn.  22, der jedoch konstatiert, dass sich die Ausfor­ mung eines fakultativen Übergabehindernisses als ein obligatorisches noch in den Grenzen des Umsetzungsspielraums hält, denn die Vollstreckungsbehörde könnte die Übergabe ohne­ hin in jedem Fall verweigern, ohne dabei gegen den Rahmenbeschluss zu verstoßen. 107  Murschetz, Auslieferung, S.  316; Meyer, in: Ambos/König/Rackow (Hrsg.), 2. HT §  83b IRG Rn.  949 f.; Steinborn, in: Paprzycki (Hrsg.), Art.  607r Rn.  3. 108  Siehe ex-Art. 34 Abs. 2 lit. b EUV; vgl. auch v. Heintschel-Heinegg, in: Sieber/Satzger/ v. Heintschel-Heinegg (Hrsg.), §  37 Rn.  14. 109  Siehe den Bericht der Kommission auf der Grundlage von Art.  34 des Rahmenbe­ schlusses des Rates v. 13.6.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfah­ ren zwischen den Mitgliedstaaten, KOM(2006)8 endg., SEC(2006)79, S.  5; eingehend zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses in den EU-Mitgliedstaaten Górski, in: Hofmański (Hrsg.), S.  81 ff. 105 

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chen, welche Bedeutung der beiderseitigen Strafbarkeit nach den deutschen und den polnischen Umsetzungsvorschriften zukommt. (2) Umsetzungsvorschriften In Bezug auf Personen, die nicht Deutsche i. S. v. Art.  116 Abs.  1 GG sind, hat der deutsche Gesetzgeber die beiderseitige Strafbarkeit – jenseits der Fälle aus Art.  2 Abs.  2 RbEuHb – als zwingende Voraussetzung der Auslieferung nor­ miert (§  81 Nr.  1, 4 i. V. m. §  3 Abs.  1 IRG).110 Die beiderseitige Strafbarkeit liegt gemäß §  3 Abs.  1 IRG vor, wenn die Tat auch nach deutschem Recht eine rechts­ widrige Tat ist, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht, oder wenn sie bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts auch nach deutschem Recht eine solche Tat wäre. Das dem Europäischen Haftbefehl zugrunde liegende Ver­ halten muss demnach nach deutschem Recht – jedenfalls sinngemäß – straftat­ bestandsmäßig und rechtswidrig sein.111 Liegt bzw. läge ein Rechtfertigungs­ grund vor, kommt die Auslieferung mangels beiderseitiger Strafbarkeit nicht in Betracht.112 Da aber (nur) von einer rechtswidrigen Tat die Rede ist, erübrigt sich die Prüfung von Entschuldigungs- und Schuldausschließungs- sowie Strafaufhebungs- und -ausschließungsgründen; auch objektive Bedingungen der Strafbarkeit bleiben außer Betracht.113 Für deutsche Staatsangehörige enthält §  80 IRG eine Sonderregelung. Die Vorschrift differenziert die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung nach dem Kriterium des Tatbezugs. Weist die Tat einen maßgeblichen Bezug zum Ausstellungsstaat auf, ist die Auslieferung bei gesicherter Rücküberstellung des Verfolgten regelmäßig114 zulässig (Abs.  1). Auf die beiderseitige Strafbarkeit des inkriminierten Verhaltens kommt es inso­ weit nicht an.115 Umgekehrt ist die Auslieferung eines Deutschen von vornherein ausgeschlossen, wenn die Tat einen maßgeblichen Inlandsbezug aufweist (Abs.  2 S.  1 Nr.  2 e contrario). Das Gesetz legt fest, wann ein maßgeblicher Auslandsoder ein maßgeblicher Inlandsbezug in der Regel vorliegt. Ausschlaggebend ist Lagodny, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, §  81 IRG Rn.  1 u. 16. Lagodny, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, §  3 IRG Rn.  12; Vogel/Burchard, in: Grützner/Pötz/Kreß (42. Lfg.), §  3 IRG Rn.  46; Kubiciel, in: Ambos/König/Rackow (Hrsg.), 2. HT §  3 IRG Rn.  26 f. 112  Lagodny, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, §  3 IRG Rn.  12; Kubiciel, in: Am­ bos/König/Rackow (Hrsg.), 2. HT §  3 IRG Rn.  27 mit Nachweisen in der Rechtsprechung. 113  Vogel/Burchard, in: Grützner/Pötz/Kreß (42. Lfg.), §  3 IRG Rn.  46; Lagodny, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, §  3 IRG Rn.  15 f. 114  Meyer, in: Ambos/König/Rackow (Hrsg.), 2. HT §  80 IRG Rn.  853. Die weiteren Zu­ lässigkeitsvoraussetzungen ergeben sich aus §  83 IRG. 115 Vgl. Meyer, in: Ambos/König/Rackow (Hrsg.), 2. HT §  80 IRG Rn.  856, 868. 110 Vgl. 111 

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

danach, auf wessen Hoheitsgebiet die Tathandlung vollständig oder in wesentli­ chen Teilen begangen wurde und der Erfolg zumindest in wesentlichen Teilen eingetreten ist.116 Die beiden Anknüpfungspunkte müssen kumulativ vorlie­ gen.117 Die Bejahung eines Regelbeispiels entbindet freilich nicht von einer Ge­ samtwürdigung.118 Es ist stets zu prüfen, ob „besondere erhebliche atypische Umstände“ vorliegen, die die Indizwirkung des Regelbeispiels im konkreten Fall beseitigen.119 Führt die Analyse dagegen zu dem Schluss, dass weder ein maßgeblicher Auslands- noch ein maßgeblicher Inlandsbezug vorhanden ist, darf ein deutscher Staatsangehöriger nur dann ausgeliefert werden, wenn: (1) die Rücküberstellung gesichert ist, (2) die Tat auch nach deutschem Recht eine rechtswidrige Tat ist oder bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts eine solche wäre und (3) bei konkreter Abwägung der widerstreitenden Interessen das schutzwürdige Vertrauen des Verfolgten in seine Nichtauslieferung nicht überwiegt (§  80 Abs.  2 IRG). Die beiderseitige Strafbarkeit stellt also in diesen sog. Mischfällen120 eine zwingende Auslieferungsvoraussetzung dar.121 Anders wurde die Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit in den pol­ nischen Umsetzungsvorschriften ausgestaltet, obwohl auch hier die betreffende Voraussetzung mit der Staatsangehörigkeit des Auslieferungsbetroffenen zu­ sammenhängt. Die Auslieferung eines polnischen Bürgers ist nach Art.  607p §  2 zulässig, wenn die Tat, die dem Europäischen Haftbefehl zugrunde liegt, nicht im Gebiet der Republik Polen, auf einem polnischen Schiff oder in einem polnischen Flugzeug begangen worden ist und nach dem polnischen Recht eine Straftat dargestellt hat oder dargestellt hätte, wenn sie im Gebiet der Republik Polen begangen worden wäre. Dies gilt auch dann, wenn die Tat vom Ausstel­ lungsstaat als eine Katalogstraftat i. S. v. Art.  2 Abs.  2 RbEuHb qualifiziert wur­ de (Art.  607w plStPO).122 Das (zwingende) Erfordernis der beiderseitigen Straf­ 116  Mit dem Merkmal „wesentlich“ wird gefordert, dass der Schwerpunkt der Tat „unter Berücksichtigung des Handlungs- und Erfolgsunrechts“ im Ausstellungsstaat liegt, Böse, in: Grützner/Pötz/Kreß (42. Lfg.), §  80 IRG Rn.  24. Bei der Abwägung ist auch der Normzweck zu berücksichtigen, Meyer, in: Ambos/König/Rackow (Hrsg.), 2. HT §  80 IRG Rn.  852. 117  Meyer, in: Ambos/König/Rackow (Hrsg.), 2. HT §  80 IRG Rn.  848. 118  BT-Drs. 16/1024, S.  16; Meyer, in: Ambos/König/Rackow (Hrsg.), 2. HT §  80 IRG Rn.  856; Böse, in: Grützner/Pötz/Kreß (42. Lfg.), §  80 IRG Rn.  31; vgl. auch OLG Karlsruhe NJW 2007, 617 (617). 119  Meyer, in: Ambos/König/Rackow (Hrsg.), 2. HT §  80 IRG Rn.  856. 120 Vgl. Meyer, in: Ambos/König/Rackow (Hrsg.), 2. HT §  80 IRG Rn.  857. 121  Insofern wurde die durch die Zuordnung zum Straftatenkatalog antizipierte beidersei­ tige Strafbarkeitsbewertung rahmenbeschlusswidrig eingeschränkt, v. Heintschel-Heinegg, in: Sieber/Satzger/v. Heintschel-Heinegg (Hrsg.), §  37 Rn.  43 u. 53; Heger/Wolter, in: Ambos/ König/Rackow (Hrsg.), 2 HT 4. 2. C. V Rn.  627; Böse, in: Grützner/Pötz/Kreß (42. Lfg.), §  80 IRG Rn.  15 m. w. N. 122  Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat Polen in diesem Bereich einen

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barkeit ist hier in abstracto aufzufassen; gefordert wird somit ausschließlich die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens – ggf. bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts.123 In Bezug auf fremde Staatsangehörige ist zu unterscheiden: Liegt dem Europäischen Haftbefehl eine Katalogstraftat zugrunde, darf seine Vollstreckung wegen mangelnder beiderseitiger Strafbarkeit nicht verweigert werden (Art.  607w plStPO); in den übrigen Fällen handelt es sich beim Fehlen beiderseitiger Strafbarkeit um einen fakultativen Ablehnungsgrund (Art.  607r §  1 Nr.  1 plStPO).124 cc.  Übertragung der Erkenntnisse auf die Nacheileregelung Es bleibt nun zu untersuchen, wie sich die gewonnenen Erkenntnisse auf die Zulässigkeit der grenzüberschreitenden Verfolgung auswirken. Macht man die im klassischen Auslieferungsverkehr zur Frage der Auslieferungsfähigkeit eta­ blierten Grundsätze fruchtbar, ist für die Annahme einer auslieferungsfähigen Straftat alleine das Vorliegen eines bestimmten gesetzlich oder vertraglich fest­ gelegten Kriteriums entscheidend, mit dessen Hilfe die Straftaten, derentwegen die Auslieferung generell in Betracht kommt (Auslieferungsdelikte), von den Umsetzungsmangel vorgeworfen, Bericht der Kommission über die seit 2005 erfolgte Um­ setzung des Rahmenbeschlusses des Rates v. 13.6.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten [SEK(2007) 979]/KOM/2007/0407 endg., S.  9. Siehe auch die kritischen Ausführungen von Górski/Sakowicz, Analizy nato­ lińskie 7 (11)/2006, 1. 123  So jedenfalls Steinborn, in: Paprzycki (Hrsg.), Art.  607p Rn.  25. Die übrigen Kom­ mentatoren gehen auf die Frage des Prüfungsmaßstabs nicht ein. Für Steinborns Auffassung dürfte ein Vergleich mit dem Wortlaut des Art.  604 §  1 Pkt.  2 plStPO sprechen, der die Vor­ aussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit für den klassischen Auslieferungsverkehr formu­ liert. Eine Auslieferung ist danach unzulässig, wenn die Tat die Merkmale einer verbotenen Tat nicht erfüllt oder wenn das Gesetz besagt, dass die Tat keine Straftat darstellt oder der Täter keine Straftat begeht oder nicht bestraft wird. Im Schrifttum wird zutreffend angenom­ men, dass es sich dabei um die beiderseitige Strafbarkeit in concreto handelt, so Steinborn, in: Paprzycki (Hrsg.), Art.  604 Rn.  9; Mozgawa-Saj, Ekstradycja, S.  139; Górski, in: Sako­ wicz (Hrsg.), Art.  604 Rn.  6, der zur Begründung auf die Passage „keine Straftat begeht oder nicht bestraft wird“ hinweist; vgl. auch Jaworski, in: Jaworski/Sołtysińska, Art.  604 Rn.  6. Da der Wortlaut des Art.  607p §  2 plStPO von jenem des Art.  604 §  1 Pkt.  2 plStPO deutlich abweicht, kann grundsätzlich nicht davon ausgegangen werden, dass auch in der ersten Vor­ schrift von der beiderseitigen Strafbarkeit in concreto die Rede ist. Eine solche Deutung wi­ derspräche der Direktive der terminologischen Konsequenz, die u. a. die Annahme verbietet, dass der Gesetzgeber unterschiedlichen Ausdrücken dieselbe Bedeutung zuschreibt (sog. Verbot synonymischer Auslegung; vgl. auch §  10 der Grundsätze der Gesetzgebungstechnik, Anhang zur Verordnung des Ministerpräsidenten v. 20.6.2002, Dz. U. 2002 Nr.  100, Pos. 908) und der die polnische Rechtsprechung bei der Auslegung großen Wert beimisst, einge­ hend dazu Małolepszy, Auslegungs- und Argumentationskultur, S.  177 ff. 124  Steinborn, in: Paprzycki (Hrsg.), Art.  607w Rn.  2.

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

Straftaten, bei denen die Auslieferung von vornherein ausgeschlossen ist (Nichtauslieferungsdelikte), abgegrenzt werden. Sowohl das Europäische Aus­ lieferungsübereinkommen als auch das Benelux-Auslieferungsübereinkommen legen den Kreis der Auslieferungsdelikte hinsichtlich der Mindesthöchststraf­ drohung im ersuchenden und ersuchten Staat fest. Im Rahmenbeschluss 2002/584/JI bzw. in den mitgliedstaatlichen Implementierungsvorschriften wird indes einzig auf die Mindesthöchststrafdrohung im Ausstellungsstaat ab­ gestellt. Als „auslieferungsfähig“ i. S. v. Art.  41 Abs.  4 lit.  b SDÜ ist danach jede Straftat anzusehen, die nach den Vorschriften des Tatortstaates mit einer Frei­ heitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Höchst­ maß von mindestens zwölf Monaten bzw. bei der Nacheile aus Polen von über einem Jahr125 bedroht ist. Die beiderseitige Strafbarkeit ist bzw. kann hingegen – je nach Implementierungsvorschriften – eine weitere Auslieferungsvorausset­ zung sein.126 Man könnte zwar einwenden, dass bei Fehlen der als obligatorisch vorgesehe­ nen beiderseitigen Strafbarkeit der Europäische Haftbefehl aussichtslos ist. Da in diesem Fall die Vollstreckung unzulässig sei, liege im Ergebnis keine Tat vor, derentwegen der Täter bzw. der Tatverdächtige ausgeliefert werden kann. Bei dieser Lesart müsste man jedoch konsequenterweise die Auslieferungsfähigkeit vom Vorliegen aller positiven Voraussetzungen und vom Nichteintreten sämtli­ cher zwingenden Ablehnungsgründe abhängig machen. Denn nur fakultative Hindernisse stehen der Übergabe nicht notwendig im Wege. Diese Sichtweise würde die Grenze zwischen der Auslieferungsfähigkeit, bei der es auf die bloß potenzielle Möglichkeit der Auslieferung ankommt, und der Vollstreckungsfä­ higkeit, die sich erst nach der Überprüfung und Bejahung sämtlicher Zulässig­ keitsvoraussetzungen herauskristallisiert, verwischen. Während im Geltungs­ bereich der herkömmlichen Auslieferungsübereinkommen die Überprüfung der (abstrakten) beiderseitigen Strafbarkeit im Rahmen der Auslieferungsfähigkeit vom Wortlaut dieser Regelungen gedeckt ist, ist die Anknüpfung der Ausliefe­ rungsfähigkeit an die beiderseitige Strafbarkeit auf der Grundlage des Rahmen­ beschlusses 2002/584/JI bzw. der nationalen Umsetzungsvorschriften nicht zwingend. Vielmehr lassen sich infolge der Abschaffung des Erfordernisses der bestimmten Mindesthöchststrafdrohung im Vollstreckungsstaat die beiderseiti­ 125 

Siehe oben I. 2. c. Auch im Schrifttum wird in Bezug auf den Auslieferungsverkehr nach den Vorgaben des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI die strikte Differenzierung zwischen Auslieferungsfä­ higkeit, bei der ausschließlich auf die Strafandrohung bzw. auf die zu vollstreckende Strafe ankommt, und der beiderseitigen Strafbarkeit aufrechterhalten, Lagodny, in: Schomburg/ Lagodny/Gleß/Hackner, §  81 IRG Rn.  6 u. 8; Böse, in: Grützner/Pötz/Kreß (42. Lfg.), §  81 IRG Rn.  2 f. u. 8 ff.; siehe auch Murschetz, Auslieferung, S.  124. 126 

A.  Der erste Nacheilegrund: Betreffen auf frischer Tat

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ge Strafbarkeit und die Auslieferungsfähigkeit sauber auseinanderhalten. Es liegt deshalb nahe, dass die Frage der Ausgestaltung der beiderseitigen Straf­ barkeit als obligatorische oder fakultative Voraussetzung der Übergabe die Vollstreckungsfähigkeit des Haftbefehls, nicht aber die Auslieferungsfähigkeit der Tat beeinflusst. c.  Beiderseitige Strafbarkeit im Lichte der Nacheileregelung Vor dem Hintergrund des Umstandes, dass zum Zeitpunkt des Abschlusses des SDÜ die (abstrakte) beiderseitige Strafbarkeit in den Begriff einer ausliefe­ rungsfähigen Straftat, wie aufgezeigt, einbezogen war, empfiehlt es sich den­ noch zu überlegen, ob das Abstellen alleine auf die Strafandrohung im Tatort­ staat mit der Nacheileregelung im Einklang steht. Das Ergebnis der Auslegung des Art.  41 Abs.  4 lit.  b SDÜ im Lichte der Auslieferungsbestimmungen ist im Folgenden durch den Rückgriff auf die Systematik und den Zweck der Nach­eile­ bestimmungen bzw. auf das Wesen des Nacheileinstruments zu verifizieren. aa.  Rückschlüsse aus Art.  41 Abs.  4 lit.  a SDÜ Ein Blick auf Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 1 i. V. m. Art.  41 Abs.  4 lit.  a SDÜ lässt konstatieren, dass sich die Qualifizierung des Verhaltens des Flüchtenden als Katalogstraftat i. S. v. Art.  41 Abs.  4 lit.  a SDÜ alleine nach dem Recht des Tat­ ortstaates richtet. Dies ergibt sich eindeutig aus der Zusammenstellung der ge­ nannten Normen:127 Über die Grenze kann danach eine Person verfolgt werden, die auf frischer Tat bei der Begehung von oder der Teilnahme an einer in Ab­ satz 4 lit.  a aufgelisteten Straftat betroffen wird. Es genügt, wenn die nacheilen­ den Beamten die Täterhandlung irgendeinem Straftatbestand zu subsumieren vermögen, der seinerseits als eine der Katalogstraftaten qualifizierbar ist. Auf die Frage, ob diese Handlung auch im Nachbarstaat pönalisiert wird, geschwei­ ge denn im konkreten Fall tatsächlich – d. h. unter Erörterung eventueller Recht­ fertigungs-, Entschuldigungs-, Schuldausschließungs- sowie Strafausschlie­ ßungs- oder -aufhebungsgründe – strafbar wäre, kommt es gar nicht an. Die Anbindung der Zulässigkeit einer Nacheile nach Art.  41 Abs.  4 lit.  b SDÜ an die Überprüfung der Strafbarkeit in beiden Nachbarländern würde insoweit zu ei­ ner Disproportion zwischen den Anforderungen führen, die im Rahmen der beiden Modalitäten von den Beamten zu erfüllen sind.128 Die Schwere der Ka­ talogstraftaten legt jedoch die Vermutung nahe, dass es sich bei diesen in jedem

127 

128 

So auch Steinborn, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  73 (77). Steinborn, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  73 (77).

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

Schengen-Staat ohnehin um strafbare Handlungen handelt.129 Das angeführte systematische Argument beantwortet somit nicht die Frage, ob für die Möglich­ keit der grenzüberschreitenden Fortsetzung der Verfolgung das Vorliegen der beiderseitigen Strafbarkeit erforderlich ist. bb.  Teleologische Erwägungen (1)  Auslieferung als primärer Zweck der Nacheile Sinn und Zweck des Nacheileinstruments besteht darin, dem Tatortstaat die Möglichkeit einzuräumen, seinen Strafverfolgungsanspruch in den Fällen zu sichern, in denen sich der im Inland verfolgte Täter der Festnahme durch Flucht ins Ausland zu entziehen versucht. Nach Art.  41 Abs.  6 Unterabs. 2 SDÜ muss der nach einer grenzüberschreitenden Nacheile Festgenommene, wenn er nicht die Staatsangehörigkeit des Gebietsstaates hat, nach Ablauf der festgesetzten Frist freigelassen werden, sofern die zuständigen Behörden kein Ersuchen um seine vorläufige Festnahme zum Zwecke der Auslieferung erhalten. Nach dem Regelungskonzept des SDÜ stellt die Auslieferung des Verfolgten das primäre Ziel der grenzüberschreitenden Nacheile dar.130 Kommt die Auslieferung, wie es zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des SDÜ in Bezug auf die eigenen Staats­ angehörigen der Fall war, nicht in Betracht, kann die Anlasstat der Nacheile ggf. im Gebietsstaat verfolgt werden.131 Art.  41 SDÜ sieht zwar in Abs.  1 Unterabs. 3 S.  3 und Abs.  2 lit.  b. SDÜ vor, dass das Ergreifen des Flüchtenden durch die inländischen oder die ausländi­ schen132 Beamten nicht nur der Festnahme, sondern auch der Identitätsfeststel­ lung dienen kann. Der Zweck der beiden Maßnahmen ist jedoch der gleiche und besteht in der Sicherung des Strafverfahrens im Tatortstaat. Auch wenn der Flüchtende nach der Feststellung seiner Personalien freigelassen werden soll, was in der Praxis wohl eine Ausnahme sein wird, wird er später ohnehin zur Strafverfolgung überstellt werden müssen. Die obige Erkenntnis untermauert auch die Tatsache, dass als Taten, derent­ wegen die Nacheile durchgeführt werden kann, gerade Auslieferungsdelikte gewählt wurden.133 Der Unterschied zwischen den unter lit.  a und unter lit.  b des 129 

Die meisten Taten sind sogar im Katalog des Art.  2 Abs.  2 RbEuHb vorgesehen. So auch Grotz, in: Grützner/Pötz/Kreß (11. Lfg.), Teil III 25 Fn.  21 (zu Art.  41 SDÜ). 131  Dazu unten 4. Teil C. III. 1. 132  Soweit ihnen das Festhalterecht zugestanden wurde und die Voraussetzungen des Art.  41 Abs.  2 lit.  b SDÜ vorliegen, siehe dazu 3. Teil C. I. 2. 133  Kritisch dazu Rupprecht/Hellenthal, in: Rupprecht/Hellenthal, S.  23 (203), die auf die Anklagemöglichkeit im Gebietsstaat hinweisen und deshalb die Notwendigkeit der Ausliefe­ rung des Verfolgten infrage stellen. Nicht zu übersehen ist aber, dass die Möglichkeit der 130 

A.  Der erste Nacheilegrund: Betreffen auf frischer Tat

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Art.  41 Abs.  4 SDÜ erfassten Modalitäten besteht in der Methode der Benen­ nung auslieferungsfähiger Straftaten und wirkt sich im Ergebnis nur auf den Umfang des Nacheilerechts aus.134 Während die erste Modalität auf eine „Lis­ tenlösung“ zurückgreift, verweist die zweite abstrakt auf die auslieferungsfähi­ gen Straftaten und setzt insoweit eine Subsumtion unter Bezugnahme auf die inter partes geltenden Auslieferungsregelungen voraus.135 Die Vertrags- bzw. Mitgliedstaaten haben also die Möglichkeit, die grenzüberschreitende Verfol­ gungsbefugnis entweder in Bezug auf die ausgewählten (Art.  41 Abs.  4 lit.  a SDÜ) oder auf alle (Art.  41 Abs.  4 lit.  b SDÜ) auslieferungsfähigen Straftaten einzuräumen. Da die Ausformung der Nacheileregelung durch die Auslieferung des Ver­ folgten als Ziel determiniert ist, könnte man argumentieren, dass die Verfol­ gung nur dann über die Grenze fortgesetzt werden darf, wenn die künftige Aus­ lieferung zum Zeitpunkt der Aufnahme der Nacheile nicht ausgeschlossen ist. Handelte es sich bei der beiderseitigen Strafbarkeit nach dem Recht des Gebiets­ staates um eine zwingende Auslieferungsvoraussetzung und setzten die Beam­ ten die Verfolgung trotz fehlender beiderseitiger Strafbarkeit fort, würden die Nacheilemaßnahmen ihren Zweck verfehlen. Die Auslieferung käme dann nicht in Betracht. Auch wäre die Einleitung eines Strafverfahrens im Gebietsstaat mangels einer Straftat nach dem nationalen Recht unzulässig. Der Festgenom­ mene, selbst wenn er die Staatsangehörigkeit des Gebietsstaates hätte (vgl. Art.  41 Abs.  6 Unterabs. 2 SDÜ), müsste dann freigelassen werden. (2)  Einwände gegen die Notwendigkeit der beiderseitigen Strafbarkeit Die Frage, ob es sich bei der beiderseitigen Strafbarkeit um eine zwingende oder fakultative Auslieferungsvoraussetzung handelt, hängt nach den polnischen Vorschriften von der Staatsangehörigkeit des Betroffenen ab.136 Da die fehlende beiderseitige Strafbarkeit der Überstellung eines polnischen Bürgers von vorn­ herein im Wege steht, dürften die deutschen Polizeibeamten – der obigen „aus­ lieferungsorientierten“ Auslegung zufolge – die Nacheile nur dann grenzüber­ Einleitung eines Strafverfahrens im Gebietsstaat nicht in jedem Fall gegeben sein wird. Bei­ spielsweise dürfte der Täter, der im Tatortstaat eine Straftat beginge, die im Gebietsstaat nicht strafbar wäre, sondern etwa eine bloße Ordnungswidrigkeit darstellen würde, nur im Tatortstaat angeklagt werden. 134  Grotz, in: Grützner/Pötz/Kreß (11. Lfg.), Teil III 25 Fn.  24 (zu Art.  41 SDÜ). 135  Diese Lösung resultiert aus den verschiedenen Einschätzungen der fünf verhandeln­ den Vertragsparteien in Bezug auf die Frage, welche Kenntnisse man bei den handelnden Polizeibeamten „ohne vertiefte Fortbildung im Bereich des Auslieferungsrechts“ verlangen kann, Grotz, in: Grützner/Pötz/Kreß (11. Lfg.), Teil III 25 Fn.  24 (zu Art.  41 SDÜ). 136  Siehe oben 3. b. bb. (2).

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

schreitend fortsetzen, wenn sie das sichere Wissen hätten, dass der Flüchtende kein polnischer Staatsangehöriger ist. Die Staatsbürgerschaft erweist sich indes normalerweise erst nach dem Ergreifen des Verfolgten im Zuge der Identitäts­ feststellung. Die Notwendigkeit der Überprüfung der Staatsangehörigkeit des Flüchtenden vor dem Passieren der Grenze würde den Umstand verkennen, dass die Nacheilemaßnahmen gerade auf die Sachverhaltsklärung gerichtet sind. Auch das deutsche Gesetz unterscheidet zwischen der Auslieferung eigener und fremder Staatsangehöriger. Vom Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit sieht es aber grundsätzlich nur im Fall der Überstellung eines Deutschen ab und nur sofern die ihm vorgeworfene Tat einen maßgeblichen Auslandsbezug auf­ weist.137 Ungeachtet dessen, ob es den polnischen Beamten gelänge, die deut­ sche Staatsangehörigkeit des Verfolgten noch vor dem Grenzübertritt zu bestä­ tigen, erhebt sich die Frage, ob die Tatsache der Tatbegehung in Polen für die Annahme eines maßgeblichen Auslandsbezugs i. S. v. §  80 Abs.  1 S.  1 Nr.  2 IRG ausreichend wäre. Die Indizwirkung des – in Nacheilfällen regelmäßig erfüllten – Regelbeispiels aus §  80 Abs.  1 S.  2 IRG befreit, wie oben dargelegt, nicht von einer Gesamtabwägung. Die Verfolgung stellt indes einen typischen Dringlich­ keitsfall dar.138 Entscheidungen müssen augenblicklich getroffen werden; von ihrer Schnelligkeit und Richtigkeit hängt der Ausgang der Maßnahme ab. Selbst ein geringes Zögern kann die Festnahme des Verfolgten vereiteln – vor allem wenn er ins Ausland flüchtet. Der Nacheilemechanismus muss deshalb mög­ lichst einfach sein. Für eine zeitaufwändige Analyse gibt es keinen Raum. Ein weiteres Problem, das die erwogene Auslegung nach sich zöge, hängt mit der Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit durch gebietsfremde Amtsträger zu­ sammen. Bei abstrakter Betrachtung des Erfordernisses der beiderseitigen Strafbarkeit müssten die nacheilenden Beamten die Anlasstat der Nacheile den Strafnormen des Gebietsstaates subsumieren. Wäre die Auslieferung an die bei­ derseitige Strafbarkeit in concreto gekoppelt, wäre überdies zu untersuchen, ob nach dem fremden Recht Rechtfertigungs-, Entschuldigungs- oder sonstige Gründe, die der Bestrafung entgegenstehen, eingreifen.139 Die entsprechende Tatqualifizierung setzt eine zureichende Kenntnis des fremden Strafrechtssys­ tems voraus.140 Eine Ad-hoc-Einholung der Information bei der Verfolgung ist 137 

Siehe oben 3. b. bb. (2). Steinborn, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  73 (77); Buschmann, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  211 (212). 139  Bei Nacheilen nach Deutschland gälte dies mit der Einschränkung, dass in die Prüfung neben der Tatbestandsmäßigkeit nur die Rechtswidrigkeit des inkriminierten Verhaltens ein­ bezogen werden müsste, siehe oben 3. b. bb. (2). 140  Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  289; vgl. auch Steinborn, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  73 (77 f.). Der Verdacht, dass die 138 

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in Anbetracht der Eilbedürftigkeit der Maßnahme wesentlich erschwert oder sogar unmöglich. Dies trifft insbesondere zu, wenn zwischen der Aufnahme der Verfolgung und dem Grenzübertritt eine geringe Zeitspanne liegt. Die Aussagekraft dieses Arguments schwächt zum Teil der Umstand ab, dass die Beamten ohnehin über hinreichende Kenntnisse verfügen müssen, da sie gemäß Art.  41 Abs.  5 lit.  a SDÜ bei der Ausübung der Nacheile an das Recht des Gebietsstaates gebunden sind.141 Die Dringlichkeit der Sache entbindet sie nicht von der Pflicht, vor jeder Einzelmaßnahme, etwa vor dem Zwangseinsatz, zu überprüfen, ob und ggf. in welchem Umfang die Maßnahme auf dem fremden Hoheitsgebiet in der konkreten Situation ergriffen werden darf. Nicht zu ver­ kennen ist aber, dass das Nacheileinstrument seine Ausgleichsfunktion142 nur dann erfüllen kann, wenn vom ihm tatsächlich Gebrauch gemacht wird. Dies erfordert wiederum, dass die Beurteilung der Nacheilevoraussetzungen prompt und ohne Zweifel erfolgen kann.143 Die Schwierigkeiten bei der Tatqualifizie­ rung nach dem fremden Recht und die daraus resultierende Unsicherheit hin­ sichtlich der Zulässigkeit des Grenzübertritts werden die Beamten von der grenz­über­greifenden Fortsetzung der Verfolgung regelmäßig abhalten. Davon wird freilich nur der Verfolgte profitieren. Ferner kann die Auslieferung nicht nur an der mangelnden beiderseitigen Strafbarkeit scheitern. Sowohl der Rahmenbeschluss 2002/584/JI als auch die deutschen und die polnischen Umsetzungsvorschriften sehen weitere Ausliefe­ rungshindernisse vor.144 Argumentierte man unter Bezugnahme auf den Zweck der grenzüberschreitenden Nacheile, dass die Auslieferung des Verfolgten nicht ausgeschlossen sein sollte, müsste man von den nacheilenden Beamten auch die Überprüfung der anderen Zulässigkeitsvoraussetzungen bzw. zwingenden Ab­ lehnungsgründe verlangen. Ein solches für Nacheilesachverhalte relevantes Hindernis stellt die Strafunmündigkeit dar. Nach §  83 Abs.  1 Nr.  2 IRG darf der Europäische Haftbefehl nicht vollstreckt werden, wenn der Verfolgte zur Tatzeit nach §  19 StGB schuldunfähig war. Schuldunfähig ist im Sinne dieser Vor­ schrift, wer bei Begehung der Tat noch nicht vierzehn Jahre alt ist. Das entspre­ chende Hemmnis ist im polnischen Recht in Art.  607p §  1 Pkt.  4 plStPO enthal­ ten. Die Grenze der Strafmündigkeit ist jedoch von der deutschen Regelung verfolgte Tat nach dem Recht des Gebietsstaates strafbar ist bzw. nach der Umstellung des Sachverhalts strafbar wäre, würde hier nicht ausreichen, da es sich bei der Prüfung der bei­ derseitigen Strafbarkeit um eine rechtliche (und nicht eine tatsächliche) Würdigung handelt, Goy, a. a. O. 141  Dazu 3. Teil A. I. 1. 142  1. Teil A. I. 143 Vgl. Steinborn, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  73 (78). 144  Art.  3 RbEuHb; §§  80, 83 IRG; Art.  607p §  1 plStPO.

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

abweichend angesetzt. Gemäß Art.  10 §  1 plStGB darf eine Person nicht straf­ rechtlich zur Verantwortung gezogen werden, die bei der Tatbegehung noch nicht 17 Jahre alt ist.145 Fraglich ist, auf welche Art und Weise die nacheilenden Beamten im Dringlichkeitsfall das Alter eines maskierten Täters oder eines beim Diebstahl Betroffenen, der dem äußeren Anschein nach ebenso gut 16 wie 17 oder sogar 19 Jahre alt sein kann, feststellen sollten. Hinsichtlich der Beur­ teilung der Strafmündigkeit des Verfolgten tauchen also ähnliche Probleme wie bei der Überprüfung der Staatsangehörigkeit im Zusammenhang mit dem Er­ fordernis der beiderseitigen Strafbarkeit auf. Auf die dort erhobenen Einwände kann daher verwiesen werden. Die Notwendigkeit der Verifizierung der beiderseitigen Strafbarkeit, soweit diese eine zwingende Auslieferungsvoraussetzung darstellt, würde demnach die Effektivität des Nacheileinstruments konterkarieren. Die Anknüpfung der Zulässigkeit der grenzüberschreitenden Nacheile an dieses Erfordernis wäre aber auch nicht ausreichend, um die angestrebte Auslieferung zu sichern. Man müsste folgerichtig auch die Strafmündigkeit als zwingende Überstellungsvor­ aussetzung in die Prüfung einbeziehen. Im Ergebnis wäre der Begriff „ausliefe­ rungsfähige Straftat“ im Sinne einer „vollstreckungsfähigen“ Straftat auszule­ gen. Die Überprüfung der Zulässigkeit des Grenzübertritts würde mithin eine Vorwegnahme der Feststellungen verlangen, die im Auslieferungsverfahren durch eine zuständige Behörde des Vollstreckungsstaates zu klären sind.146 Schließlich zeigt ein Blick auf die Regelung des Art.  14 Abs.  1 lit.  a des deutsch-tschechischen Kooperationsvertrags, dass der Zweck der Nacheile es nicht zwingend erfordert, die Zulässigkeit des Grenzübertritts von der Zulässig­ keit der künftigen Auslieferung abhängig zu machen. Zur grenzüberschreiten­ den Nacheile sind danach Polizeibeamte befugt, die eine Person verfolgen, die der Begehung oder Teilnahme an einer Straftat, die „nach dem innerstaatlichen Recht ihres Vertragsstaates“ mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von min­ destens zwölf Monaten bedroht ist, verdächtig ist. Die Nacheilefähigkeit einer Straftat richtet sich somit alleine nach der Strafdrohung im Tatortstaat. Der glei­ che Grundsatz war auch im Vorschlag der Kommission vom 18. Juli 2005 für einen Beschluss des Rates zur Verbesserung der polizeilichen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, vor allem an den Bin­ nengrenzen, und zur Änderung des Übereinkommens zur Durchführung des 145 

Handelt es sich um eine Tat aus dem Katalog des Art.  10 §  2 plStGB, kann auch eine Person, die bei der Tatbegehung 15 Jahre alt ist, strafrechtlich verantworten, sofern die Ta­ tumstände sowie der Entwicklungszustand des Täters, seine persönlichen Verhältnisse und Bedingungen dafür sprechen. Der Katalog erfasst schwerwiegende Straftaten wie etwa Tot­ schlag, schwere Körperverletzung und Raub. 146 Vgl. Steinborn, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  73 (78 f.).

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Übereinkommens von Schengen147 festgeschrieben. Sein Art.  11 Abs.  2 zielte darauf, die Unterscheidung zwischen den Katalogstraftaten und auslieferungs­ fähigen Straftaten aus Art.  41 SDÜ zur Effektivierung grenzüberschreitender Einsätze148 aufzuheben und stattdessen die Nacheile bei jeder Straftat zuzulas­ sen, „für die es eine Gefängnisstrafe oder einen Freiheitsentzug von mindestens zwölf Monaten geben kann“. cc.  Notwendigkeit einer Einschränkung unter Souveränitätsgesichtspunkten? Zu überlegen ist weiterhin, ob der völkerrechtliche Grundsatz der Achtung fremder Hoheitsgewalt es nicht gebietet, dass die nacheilenden Beamten vor dem Grenzübertritt die beiderseitige Strafbarkeit, falls diese für die Ausliefe­ rung konstitutiv ist, wenigstens abstrakt überprüfen müssen. Freilich ist jede (grenzüberschreitende) Verfolgung mit dem Risiko des Misslingens behaftet. Die Festnahme des Flüchtenden kann aus mehreren Gründen scheitern, auf die die nacheilenden Beamten keinen Einfluss haben (etwa Verwicklung in einen Verkehrsunfall oder Notwendigkeit des Abbruchs der Maßnahme wegen Ge­ fährdung von Leib oder Leben der Beamten oder von Unbeteiligten). Soweit aber die Anlasstat der Nacheile im Gebietsstaat gar nicht pönalisiert würde, die beiderseitige Strafbarkeit für die Überstellung dagegen obligatorisch wäre, hät­ te die Nacheile von vornherein keine Aussicht auf Erfolg. Auch wenn man den Souveränitätsargumenten vor den praktischen Erwägungen den Vorrang gibt, ist die Anknüpfung der Nacheilebefugnis an die beiderseitige Strafbarkeit nicht erforderlich. Denn für die aus der Perspektive des Gebietsstaates sachgerechten Ergebnisse sorgt Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 3 S.  2 SDÜ, der den zuständigen Be­ hörden des betretenen Staates das Recht einräumt, die Einstellung der Verfol­ gung zu verlangen.149 Die offensichtliche Zwecklosigkeit der Nacheile stellt zweifellos einen Einstellungsgrund dar. dd. Fazit Die Notwendigkeit der Überprüfung, ob es sich bei der Anlasstat der Nacheile ebenfalls im benachbarten Staat, sei es auch nur bei abstrakter Betrachtungs­ weise, um eine Straftat handelt bzw. handeln würde, würde die Wirksamkeit des Nacheileinstruments infrage stellen. Für die Einbeziehung der beiderseitigen Strafbarkeit in die Prüfung der Nacheilevoraussetzungen gibt es indes, auch 147  KOM/2005/0317 endg. - CNS 2005/0013. Der Vorschlag wurde zurückgezogen, siehe Mitteilung 2009/C 71/07 der Kommission, Rücknahme überholter Kommissionsvorschläge (ABl.  C 71 v. 25.3.2009, S.  17). 148  Vgl. Erwägungsgrund Nr.  14. 149  Dazu 3. Teil A. IV.

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

wenn diese nach den Vorschriften des Gebietsstaates die Auslieferungszuläs­ sigkeit prägt, – wie gezeigt – keine zwingenden Gründe. Der Begriff „ausliefe­ rungsfähige Straftat“ i. S. v. Art.  41 Abs.  4 lit.  b SDÜ ist demnach im Unions­ raum ausschließlich unter Bezugnahme auf die Mindesthöchststrafdrohung im Tatortstaat zu definieren.150 Nichtsdestoweniger bietet es sich an, von der Nach­ eile in solchen Fällen abzusehen, in denen die nacheilenden Beamten sicheres Wissen von einem zwingenden Auslieferungshindernis haben. Das Überschrei­ ten der Grenze wäre dann von vornherein zwecklos und müsste wohl als unbe­ gründeter Eingriff in die Gebietshoheit des Nachbarstaates angesehen werden. 4.  Schlussfolgerung für die Nacheile über die deutsch-polnische Grenze Der Begriff „auslieferungsfähige Straftat“ ist in Bezug auf Nacheilen über die deutsch-polnische Grenze nach den Vorschriften zu definieren, mit denen der Rahmenbeschluss 2002/584/JI in die nationalen Rechtsordnungen umgesetzt wurde. Zur Überprüfung der Auslieferungsfähigkeit ist alleine auf die Mindest­ höchststrafdrohung im Tatortstaat abzustellen. Für die Zulässigkeit einer Nach­ eile aus Deutschland genügt es, wenn die Anlasstat mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens zwölf Monaten bedroht ist. Die polnischen Polizei­ beamten dürfen die Grenze dagegen dann überschreiten, wenn das der Verfol­ gung zugrunde liegende Verhalten nach dem eigenen Recht mit einer Freiheits­ strafe von über einem Jahr bedroht ist. Die beiderseitige Strafbarkeit stellt keine Nacheilevoraussetzung dar und muss deshalb von den nacheilenden Beamten nicht überprüft werden.151 Es ist allerdings unbestreitbar, dass die Maßnahme dann die größte Aussicht bzw. überhaupt Aussicht auf Erfolg haben wird, wenn die sie veranlassende Tat in beiden Nachbarländern eine Straftat darstellt oder bei Umstellung des Sachver­ halts darstellen würde. Bei Nacheilen aus Deutschland wird in diesem Fall der zwingende Ablehnungsgrund der Überstellung eines polnischen Staatsangehö­ rigen und der fakultative Ablehnungsgrund der Übergabe eines fremden Bür­ gers entfallen. Darüber hinaus wird sich die Möglichkeit der Einleitung eines Strafverfahrens im Gebietsstaat eröffnen, die besonders dann von Bedeutung sein wird, wenn die deutschen Behörden nicht rechtzeitig ein Ersuchen um vor­ läufige Auslieferungshaft einreichen und der Verfolgte gemäß Art.  41 Abs.  6 150 So im Ergebnis auch Steinborn, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  73 (76 ff.); wohl auch Soiné, ZIS 2016, 319 (320); abweichend Gleß, in: Schomburg/Lagodny/ Gleß/Hackner, III. E. 1. Art.  41 SDÜ Rn.  5 i. V. m. Art.  40 SDÜ Rn.  9, die für die Ausliefe­ rungsfähigkeit der verfolgten Straftat „die abstrakte beiderseitige Strafbarkeit und das Straf­ höchstmaß“ verlangt; eine Begründung fehlt jedoch. 151  Bei sicherem Wissen um die Zwecklosigkeit der Nacheile aufgrund fehlender beider­ seitiger Strafbarkeit wäre aber die Verfolgung an der Grenze abzubrechen.

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Unterabs. 2 SDÜ freigelassen werden muss.152 Bei Nacheilen aus Polen kann dagegen der Zweck der Maßnahme grundsätzlich153 nur dann erreicht werden, wenn die Anlasstat auch nach deutschem Recht eine rechtswidrige Tat ist bzw. nach sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts eine solche wäre. 5.  Alternativen für die Voraussetzung der Auslieferungsfähigkeit im Rahmen der deutsch-polnischen Zusammenarbeit? Die Einräumung des Nacheilerechts in Bezug auf auslieferungsfähige Strafta­ ten führt im deutsch-polnischen Verhältnis zu einem gewissen Missverhältnis im Bereich der Möglichkeiten der grenzüberschreitenden Fortsetzung der Ver­ folgung. Bei einer Reihe von Taten, die in beiden Strafsystemen mithilfe glei­ cher oder weithin vergleichbarer Tatbestandsmerkmale erfasst wurden, sind die deutschen Polizeibeamten zur Nacheile berechtigt, die polnischen müssen hin­ gegen vor der Grenze Halt machen. Dieser Umstand ergibt sich zum einen daraus, dass Deutschland und Polen die für die Auslieferungsfähigkeit maßgebliche Mindesthöchststrafdrohung ab­ weichend festlegen. Während es nach deutschem Recht genügt, wenn eine Straftat mit einer Freiheitsstrafe oder einer sonstigen Sanktion bis zu einem Jahr bedroht ist, setzt das polnische Gesetz voraus, dass das Höchstmaß der Frei­ heitsentziehung zwölf Monate überschreitet. Beispielsweise wird der in beiden Rechtssystemen mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von einem Jahr sanktionierte Hausfriedensbruch (§  123 StGB, Art.  193 plStGB) nur den deutschen Amtsträger eine Fortsetzung der Verfolgung über die Grenze hinweg ermögli­ chen. Ein weiterer Grund für die Diskrepanz liegt darin, dass einige Straftaten bei­ derseits der Oder und der Neiße unterschiedlich sanktioniert werden, und zwar im polnischen Strafrecht mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr und im deutschen mit einer höheren Freiheitsstrafe bedroht sind, sodass deren Täter wiederum nur von Deutschland aus verfolgt werden können. Exemplarisch kann die Verunglimpfung von Staatszeichen (§  90a StGB, Art.  137 plStGB) ge­ nannt werden. Zum dritten verfolgen Deutschland und Polen teilweise unterschiedliche kri­ minalpolitische Konzepte. In dem hier relevanten Kontext ist auf die Existenz der dem deutschen Recht unbekannten halbierten Delikte im polnischen Rechts­ system hinzuweisen. Die Konsequenz dieses Unterschiedes ist, dass bestimmte Verhaltensweisen in Deutschland als Straftaten, in Polen (nur) als Ordnungs­ 152  153 

(2).

Dazu 4. Teil C. III. 2. b. Siehe Anmerkungen zur Auslieferung deutscher Staatsangehöriger oben unter 3. b. bb.

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

widrigkeiten qualifiziert werden, deren Begehung zur grenzüberschreitenden Nacheile nicht berechtigt. Die geschilderten Divergenzen hätte man neutralisieren können, wenn man die grenzüberschreitende Nacheile nur in Bezug auf die in Art.  41 Abs.  4 lit.  a SDÜ aufgelisteten Straftaten zugelassen hätte, so wie dies Dänemark, Frank­ reich und Luxemburg gegenüber Deutschland getan haben.154 Gegenwärtig ist aber eine derartige Modifikation ausgeschlossen. Berücksichtigt man, dass die meisten Straftaten in dem deutschen und in dem polnischen Strafgesetzbuch auslieferungsfähig sind und somit zur Nacheile berechtigen, hätte die Einfüh­ rung eines geschlossenen Katalogs von lediglich 14 Straftaten eine erhebliche Beschränkung dieser Kooperationsform zur Folge. Art.  41 Abs.  9 Unterabs. 2 SDÜ lässt zwar eine Änderung der abgegebenen Erklärung zu jedem Zeitpunkt zu, allerdings unter der Bedingung, dass die neue Erklärung die Tragweite der früheren nicht begrenzt. Ungeachtet dessen ist die Anwendung des Straftaten­ katalogs nicht begrüßenswert. Indem er nur wegen einiger weniger ausgewähl­ ter Delikte die Verfolgung in das fremde Land hinein zulässt, limitiert er die effektive Strafverfolgung.155 Das kann wiederum dazu verleiten, die Tat „hö­ her“ einzustufen, etwa eine Körperverletzung als einen versuchten Totschlag zu qualifizieren, um sich die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Verfolgung zu verschaffen.156 Die Diskrepanz zwischen den Nacheilemöglichkeiten der deutschen und der polnischen Polizeibeamten könnte auf bilateralem Wege minimiert werden, wenn man den Anwendungsbereich des Art.  41 Abs.  1 SDÜ vertraglich auf Ta­ ten erstrecken würde, die nach dem Recht einer der Parteien Ordnungswidrig­ keiten und nach dem Recht der anderen Partei Straftaten darstellen. Eine solche Lösung ist zwar im Lichte des Art.  41 Abs.  10 SDÜ zulässig, jedoch mit folgen­ dem Nachteil behaftet: Die Nacheile zielt auf die Sicherung des Strafverfahrens im Tatortstaat ab. Der im Ausland Festgehaltene darf von den verfolgenden Be­ amten nicht sofort auf ihr Hoheitsgebiet zurückgeführt werden,157 sondern er wird erst im Rahmen eines (formellen) Auslieferungsverfahrens überstellt (vgl. Art.  41 Abs.  6 Unterabs. 2 SDÜ). Die grenzüberschreitende Fortsetzung einer 154  Siehe die Erklärungen dieser Staaten gemäß Art.  41 Abs.  9 SDÜ. Deutschland gewährt aber auch ihren Bediensteten das Nacheilrecht bei allen auslieferungsfähigen Straftaten, so­ dass hier die Disproportion zwischen den Möglichkeiten zur Vornahme einer grenzüber­ schreitenden Verfolgung noch größer ist als im deutsch-polnischen Verhältnis. 155  So zutreffend Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  288. 156  Brammertz, Grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit, S.  248 f. spricht in diesem Zusammenhang vom Risiko „einer ‚Überqualifizierung‘ der festgestellten Straftat“. 157  Mokros, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil O Rn.  254; Würz, Das Schengener Durch­ führungsübereinkommen, Rn.  148; Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  205; Gleß, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, III. E. 1. Art.  41 SDÜ Rn.  11.

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Verfolgung wird deshalb grundsätzlich nur in Bezug auf die Straftaten zweck­ mäßig sein, die eine Grundlage für den Europäischen Haftbefehl darstellen können.158 Zwar könnte der Nacheilezweck in einem einheitlichen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts auch dadurch erreicht werden, dass der Gebiets­ staat durch Einleitung eines eigenen Strafverfahrens den Strafverfolgungsan­ spruch des Tatortstaates „in dessen Vertretung“ geltend machen würde. Voraus­ setzung hierfür wäre die eigene Jurisdiktionsgewalt in Bezug auf die im Aus­ land verübte Tat. In der hier behandelten Konstellation der halbierten Delikte müsste man fragen, ob die deutschen Behörden wegen der in Polen begangenen Ordnungswidrigkeit in eigener Zuständigkeit Ermittlungstätigkeiten durchfüh­ ren könnten. Dies ist zu verneinen, weil die deutsche Strafgewalt nur für solche Auslandstaten besteht, die gegen bestimmte inländische (§  5 StGB) oder inter­ national geschützte Rechtsgüter (§  6 StGB) gerichtet waren oder am Tatort mit Strafe bedroht sind oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt (§  7 StGB). Eine Verhaltensweise, die in Polen eine Ordnungswidrigkeit und in Deutsch­ land eine Straftat darstellt, lässt sich keiner der Rechtsgrundlagen zuordnen. Insbesondere genügt die Einordnung der Tat im Tatortstaat als Ordnungswid­ rigkeit nicht dem Erfordernis der Strafbedrohung.159 Beim Festhalten einer grenzüberschreitend verfolgten Person, die bei Begehung einer Ordnungswid­ rigkeit betroffen wurde, könnten im Ergebnis weder polnische Behörden um ihre Überstellung ersuchen, noch wären die deutschen Behörden befugt, gegen sie ein Strafverfahren einzuleiten. Die Zwecklosigkeit der Nacheile liegt in die­ sem Fall auf der Hand. Es muss weiterhin überlegt werden, ob die Nacheilefähigkeit auf bilateraler Stufe nicht an die Bedingung der (abstrakten) beiderseitigen Strafbarkeit ge­ knüpft werden sollte. Auf eine solche Lösung haben sich Polen und Tschechien geeinigt, indem sie in Art.  11 Abs.  1 lit.  a des Kooperationsvertrags160 festgelegt haben, dass die Fortsetzung der Verfolgung über die Grenze hinweg in Bezug auf diejenigen Straftaten bzw. vorsätzlichen strafbaren Handlungen zulässig ist, die nach den Vorschriften der beiden Vertragsparteien mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens einem Jahr oder einer strengeren Strafe bedroht sind. Die Annahme der beiderseitigen Strafbarkeit als Nacheilevoraussetzung hätte zur Folge, dass bei den Delikten, die nach dem deutschen Recht als Straf­ Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  289. BGHSt 27, 5 (8 f.); BayObLG DAR 1981, 228 (228); Werle/Jeßberger, in: LK-StGB, §  7 Rn.  27 ff. 160  Der Vertrag wurde am 21.6.2006, also noch vor dem Beitritt Polens und Tschechiens zum Schengen-Raum und vor der (vollständigen) Übernahme des Schengen-Besitzstandes, abgeschlossen. 158 Vgl. 159 

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

taten, nach dem polnischen Recht als Ordnungswidrigkeiten qualifiziert wer­ den, die Bediensteten beider Länder die Nacheile an der Grenze abbrechen müssten. Die oben geschilderte Asymmetrie von Nacheilemöglichkeiten würde somit aufgehoben. Der Einführung einer Art.  11 Abs.  1 lit.  a des polnisch-tschechischen Koope­ rationsvertrags nachgebildeten Bestimmung in das Polizeiabkommen (2014) ist aber eine Absage zu erteilen. Die Notwendigkeit der Qualifizierung einer Tat nach dem Recht des Nachbarstaates würde, wie oben erörtert, das Wesen der polizeilichen Verfolgung verkennen und die Zusammenarbeit in kaum nach­ vollziehbarer Weise erschweren. Die erwogene Vertragsklausel verstieße aber auch gegen die Regelung des Art.  41 Abs.  10 SDÜ. Die Vorschrift gestattet es, den Vertrags- bzw. Mitgliedstaaten, den Anwendungsbereich des Absatzes 1 zu erweitern. Das für die deutschen und polnischen Polizeibeamten geltende Erfor­ dernis der beiderseitigen Strafbarkeit würde indessen die Anzahl der Fälle, in denen eine in Deutschland aufgenommene Verfolgung über die Oder und die Neiße fortgesetzt werden kann, im Vergleich zu der gegenwärtigen Rechtslage unstreitig beschränken. Die im deutsch-polnischen Verhältnis von Anfang an geltende Regelung, wo­ nach das Nacheilerecht gegenseitig in Bezug auf alle auslieferungsfähigen Straftaten eingeräumt wird, ist unter Bezugnahme auf den Zweck und den Cha­ rakter der Nacheile trotz einiger Unzulänglichkeiten begrüßenswert. Deren Be­ seitigung auf bilateraler Ebene ist im Lichte des Vorgenannten ausgeschlossen. Denkbar wäre lediglich eine Änderung der innerstaatlichen Vorschriften im Bereich des materiellen Strafrechts und/oder des Auslieferungsrechts.

II.  Das Merkmal „auf frischer Tat betroffen“ Die Fortsetzung der Verfolgung auf dem fremden Hoheitsgebiet setzt voraus, dass der Täter „auf frischer Tat betroffen“ wird. Was darunter zu verstehen ist, muss mangels einer Begriffsbestimmung im SDÜ im Wege der Auslegung er­ mittelt werden. Klärungsbedürftig sind dabei zwei Fragen. Erstens, welche An­ forderungen sind an die Tat zu stellen: Muss sie objektiv vorliegen oder genügt ein, ggf. qualifizierter, Tatverdacht? Zweitens, in welchen Fällen kann vom Be­ treffen auf frischer Tat gesprochen werden: Reicht hierfür ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Tatbegehung und dem Betreffen aus oder muss ein Konnex auch in räumlicher Hinsicht bestehen? Um diese Fragen beantwor­ ten zu können, muss im ersten Schritt geklärt werden, ob der Ausdruck „auf frischer Tat betroffen“ unionsweit einheitlich und autonom oder jeweils unter Rückgriff auf das nationale Recht bzw. auf die Begriffsbestimmungen der Mit­ gliedstaaten zu definieren ist.

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1.  Entscheidung zwischen autonomem und nationalem Verständnis der Formulierung „auf frischer Tat betroffen“ Der Bestand und die Funktionsfähigkeit der Union fußen darauf, dass das pri­ märe und das sekundäre Unionsrecht in allen Mitgliedstaaten einheitlich ausge­ legt und angewandt werden.161 Die einheitliche Rechtsauslegung und -anwen­ dung setzen zwangsläufig voraus, dass die Termini des Unionsrechts autonom – ohne Rückgriff auf die ihnen in den mitgliedstaatlichen Rechtssystemen zu­ geschriebene Bedeutung, sondern mit Rücksicht auf den Regelungszusammen­ hang und den mit den betreffenden Regelungen verfolgten Zielen162 – interpre­ tiert werden.163 Das Prinzip der autonomen und einheitlichen Auslegung ist je­ doch nicht zu verabsolutieren. Der EuGH bekennt, dass es durchaus Fälle gibt, in denen die im Unionsrecht verankerten Begriffe im Lichte einzelstaatlicher Auffassungen erläutert werden müssen. Dies betrifft nicht nur die Rechtsakte, in denen zum Zwecke der Bedeutungserkundung auf das nationale Recht aus­ drücklich verwiesen wird, sondern gilt auch dann, wenn ein solcher Verweis erst im Wege der Auslegung ermittelt werden kann.164 Selbst wenn die autonome und die rechtsverweisende Begriffsbestimmung in der unionsgerichtlichen Judikatur in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis zuein­ ander stehen,165 hat der Gerichtshof in einem seiner Urteile166 festgestellt, dass keiner der beiden Definierungsmöglichkeiten unter Ausschluss der anderen Vorrang gebühre, weil eine sachgerechte Lösung nur für jede unionale Bestim­ mung gesondert getroffen werden könne. Maßgebliches Entscheidungskriteri­ um ist die Sicherstellung der vollen Wirksamkeit der fraglichen Regelung.167 161  So in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschafts­ recht, S.  250; vgl. auch Grundmann, Die Auslegung, S.  210; aus der Rechtsprechung siehe u. a. EuGH Slg. 1980, 3881 Rn.  19 (Kommission/Belgien); Slg. 1980, 75 Rn.  6 (Jordens-Vosters/Bedrijfsvereiniging voor de Leder- en Lederverwerkende Industrie). 162  Schroeder, JuS 2004, 180 (185) spricht insoweit von der Auslegung der im Unionsrecht gebrauchten Rechtsbegriffe „in ihrem jeweiligen Funktionszusammenhang“. 163  Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschaftsrecht, S.  129 u. 250; vgl. auch Bleckmann, NJW 1982, 1177 (1179 f.); Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber (Hrsg.), §  7 Rn.  18; aus der Rechtsprechung siehe nur EuGH Slg. 1974, 1337 Rn.  18/19 (van Duyn); Slg. 1980, 3881 Rn.  19 (Kommission/Belgien); Slg. 2005, I-885 Rn.  27–30 (Junk); Slg. 2008, I-685 Rn.  26 (Tele2 Telecommunication/Telekom-Control-Kommission). 164  Exemplarisch EuGH Slg. 1972, 23 Rn.  6 (Hagen/Einfuhr- und Vorratsstelle Getreide); Slg. 1984, 107 Rn.  14 (EKRO/Produktschap voor Vee en Vlees); Slg. 1985, 2639 Rn.  22–27 (Danmols Inventar). 165  Von einem „Regel-Ausnahme-Verhältnis“ geht auch Schübel-Pfister, Sprache und Ge­ meinschaftsrecht, S.  256 aus und zieht daraus den Schluss, dass die Bezugnahme auf natio­ nale Begriffsinhalte ausschließlich „in zwingenden Fällen“ gerechtfertigt werden kann. 166  EuGH Slg. 1976, 1473 Rn.  11 (Industrie Tessili). 167  EuGH Slg. 1976, 1473 Rn.  11 (Industrie Tessili).

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

Würde die Ausgestaltung des Sinngehalts der strittigen Begriffe nach dem Er­ messen der Mitgliedstaaten den Regelungszweck gefährden und die Anwend­ barkeit des Unionsrechts vereiteln, ist eine auf die Begriffsbestimmungen des nationalen Rechts verweisende Auslegung verwehrt.168 Eine einheitliche, autonome Auslegung ist dann vonnöten, wenn eine einheit­ liche Rechtsanwendung gewährleistet werden soll.169 Die Zulässigkeit einer ein­ seitigen Festlegung des Inhalts des fraglichen Ausdrucks würde den Vereinheit­ lichungszweck ernsthaft gefährden. Eine Analyse des Art.  41 SDÜ führt zu der Feststellung, dass sein Zweck nicht in einer schengenweiten Harmonisierung von Verfolgungsmaßnahmen besteht; vielmehr stellt die Vorschrift nur die Möglichkeit der Fortsetzung einer im Inland aufgenommenen Verfolgung si­ cher. Die Grundsätze der Bindung an das Recht des betretenen Staates sowie der Festlegung der Nacheilemodalitäten im Wege einseitiger Erklärungen, die hin­ sichtlich jedes Nachbarlandes abgegeben werden, haben zur Folge, dass sich der Wirkungsbereich des Nacheileinstruments nur auf Zwei-Länder-Verhältnisse beschränkt.170 Der Umstand, dass die Nacheilebefugnis in den Hoheitsgebieten der einzel­ nen Mitgliedstaaten nicht einheitlich, sondern auf unterschiedliche Art und Weise bzw. im unterschiedlichen Umfang ausgeübt wird, lässt jedoch nicht per se den Schluss zu, dass auch die Umschreibung der Fälle, in denen eine inländi­ sche Verfolgung über die Grenze hinweg fortgesetzt werden kann, im Gestal­ tungsspielraum der nationalen Gesetzgeber und Rechtsanwender steht. Art.  41 SDÜ bringt, indem er nur zwei Nacheilegründe anführt (Abs.  1) und eine Er­ weiterung seines Anwendungsbereiches bilateralen Absprachen überlässt (Abs.  10), eindeutig zum Ausdruck, dass auf seiner Grundlage nicht jede im Inland aufgenommene Verfolgung grenzübergreifend durchgeführt werden darf. Demzufolge sollten die Konstellationen, auf die sich die Nacheilebefugnis bezieht, unions- bzw. schengenweit einheitlich bestimmt werden. Dafür sprechen auch die Souveränitätsgesichtspunkte, die einerseits der Stan­ dardisierung der einzelnen, im Rahmen der Verfolgung ergriffenen Maßnah­ men entgegenstehen, andererseits aber eine Gleichberechtigung der Hoheitsträ­ ger aller Mitgliedstaaten in dem Sinne erfordern, dass jeder Bedienstete die gleiche Möglichkeit haben soll, eine inländische Verfolgung grenzüberschrei­ 168  Exemplarisch EuGH Slg. 1980, 3881 Rn.  19 (Kommission/Belgien); Slg. 1982, 1035 Rn.  11–15 (Levin/Staatssecretaris van Justie). 169  Vgl. nur EuGH Slg. 1985, 2639 Rn.  26–28 (Danmols Inventar), wo der Gerichtshof von einer autonomen Begriffsbestimmung mit der Begründung abgesehen hat, dass die Richtli­ nie „kein für die gesamte Gemeinschaft aufgrund gemeinsamer Kriterien einheitliches Schutzniveau schaffen [will]“; vgl. auch Riesenhuber, in: Riesenhuber (Hrsg.), §  10 Rn.  6 f. 170  Siehe oben I. 1. a.

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tend fortzusetzen. Ein Rückgriff auf das nationale Rechtsverständnis könnte dagegen zur Folge haben, dass die Zulässigkeit der Inanspruchnahme des Nach­ eileinstruments von Staat zu Staat variieren würde. Dies wäre nicht nur dann der Fall, wenn die zur Bezeichnung der Nacheilegründe verwendeten Begriffe in verschiedenen sprachlichen Fassungen des Art.  41 SDÜ nicht übereinstim­ men würden und sich somit von Anfang an auf unterschiedliche Konstellationen bezögen. Auch bei formeller Konkordanz besteht die Gefahr, dass der grenz­ über­schreitenden Verfolgung ganz unterschiedliche Sachverhalte zugrunde lie­ gen, weil der jeweilige Rechtsanwender den betreffenden Begriffen eine andere Bedeutung zuschreiben kann. Begriffs- und Bedeutungsdivergenzen sind un­ vermeidbar, was zum einen aus Übersetzungsfehlern, zum anderen aus Systemunterschieden zwischen den Rechtsordnungen resultiert.171 Bereits der Um­ stand, dass das SDÜ in der französischen, niederländischen und deutschen Sprache abgefasst wurde,172 mittlerweile aber in den Amtssprachen aller Mit­ gliedstaaten gilt, lässt vermuten, dass die einzelnen Fassungen voneinander mehr oder weniger abweichen. Die praktische Wirksamkeit des Art.  41 SDÜ kann im Lichte des Vorgenann­ ten nur über eine einheitliche Bestimmung der Prämisse „auf frischer Tat betrof­ fen“ hergestellt werden.173 Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Bedeutung eines Unionsbegriffs „nicht aus dem Nichts [entsteht]“174. Das Unionsrecht stellt keine einheitliche Rechtsordnung in dem Sinne dar, dass alle Rechtsakte auf einer eigenständigen, kohärenten und speziell für die neuen unionalen Rechts­ konzepte entwickelten Terminologie basieren; vielmehr bedienen sie sich in der Regel der Begriffe, die den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen entlehnt sind.175 Um diese national gefärbten Termini in die autonomen unionalen Be­ griffe umzuwandeln, muss man bei der Auslegung der Unionstexte zunächst dennoch rechtsvergleichend auf die Rechtssprachen und Rechtssysteme der Mit­ gliedstaaten rekurrieren.176 Das heißt freilich nicht, dass die nationale Bedeu­ 171  Zum Begriff und zu den Entstehungsgründen der Begriffs- und Bedeutungsdivergen­ zen im Unionsrecht eingehend Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschaftsrecht, S.  104 ff.; siehe auch Burr/Gallas, in: Müller/Burr (Hrsg.), S.  195. 172  Auch das SDÜ wurde freilich nicht gleichzeitig bzw. nicht parallel in drei Sprachen gefasst. So stellt der deutsche Text eine Übersetzung der französischen Fassung dar, nach Würz, Das Schengener Durchführungsübereinkommen, Rn.  130. 173 Im Ergebnis auch Bavendamm, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  225 (229); dies., Kriminalistik 2016, 38 (40). 174  Christensen/Sokolowski, in: Müller/Burr (Hrsg.), S.  113 (126). 175  Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschaftsrecht, S.  115 f. 176  Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschaftsrecht, S.  116; vgl. EuGH Slg. 1985, 2639 Rn.  23 (Danmols Inventar): „Unstreitig enthält die Richtlinie 77/187 keine ausdrückliche De­ finition des Begriffs ‚Arbeitnehmer‘. Um seine Bedeutung zu ermitteln, muss daher auf die

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tung bei der Ermittlung des Sinngehalts der fraglichen Bestimmung inhaltlich berücksichtigt werden muss; sie ist aber in die Argumentation aufzunehmen.177 Der EuGH lässt sich bei der Auslegung des Unionsrechts vom Geist der Vor­ schriften, von ihrer Systematik und von ihrem Wortlaut leiten.178 Die Aufzäh­ lung stellt keine bei der Interpretation zu beachtende Reihenfolge dar, sondern setzt die Tragweite einzelner Methoden fest.179 In nahezu jeder unionsgerichtli­ chen Entscheidung steht der Wortlaut am Anfang des Interpretationsvorgangs.180 So wie im nationalen Recht wird im Rahmen der grammatikalischen Auslegung des Unionsrechts der Sinngehalt eines Begriffs im unmittelbaren Zusammen­ hang des Satzes, Absatzes oder des ganzen Artikels erforscht.181 Die Besonder­ heit besteht darin, dass die fragliche Formulierung nicht isoliert in einer Fas­ sung, sondern im Lichte aller Sprachfassungen ausgelegt werden muss,182 die gemeinsam den Wortlaut einer unionalen Rechtsnorm bilden und somit auch „zu einem gemeinsamen ‚EU-Wortsinn‘ verschmolzen werden [müssen]“183. Der Gerichtshof begnügt sich jedoch nicht mit der wörtlichen Auslegung, son­ dern greift – auch im Falle der sprachlichen Übereinstimmung der Textversio­ nen – zu weiteren Interpretationsinstrumenten, um die Einheitlichkeit der Aus­ legung und letztendlich der Anwendung des Unionsrechts sicherzustellen.184 Die primäre Bedeutung kommt dabei der Teleologie zu,185 die nach dem Sinn

allgemeinen anerkannten Auslegungsgrundsätze zurückgegriffen werden, wobei vom ge­ wöhnlichen Sinn dieses Begriffs in dem betreffenden Zusammenhang auszugehen ist und die Anhaltspunkte, die sich möglicherweise aus den gemeinschaftsrechtlichen Texten sowie den den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamen Auffassungen ergeben, zu berücksichtigen sind “ (Hervorhebung der Verfasserin). 177  Christensen/Sokolowski, in: Müller/Burr (Hrsg.), S.  113 (126). 178  EuGH Slg. 1963, 1, 24 (van Gend & Loos); Schroeder, JuS 2004, 180 (183). 179  Schroeder, JuS 2004, 180 (183). 180  Grundmann, Die Auslegung, S.  192; Schroeder, JuS 2004, 180 (182); Pechstein/ Drechsler, in: Riesenhuber (Hrsg.), §  7 Rn.  17. 181  Anweiler, Die Auslegungsmethoden, S.  145; Schübel-Pfister, Sprache und Gemein­ schaftsrecht, S.  128. 182  Statt aller siehe aus jüngerer Rechtsprechung EuGH Slg. 2008, I-2115 Rn.  22 (Endendijk). 183  Anweiler, Die Auslegungsmethoden, S.  146 u. 164. 184  Anweiler, Die Auslegungsmethoden, S.  164; Luttermann, EuZW 1999, 401 (404); Riesenhuber, in: Riesenhuber (Hrsg.), §  10 Rn.  18. Aus der Rechtsprechung siehe exemplarisch EuGH Slg. 1982, 3415 Rn.  19 f. (C.I.L.F.I.T.). 185  Anweiler, Die Auslegungsmethoden, S.  199; Schroeder, JuS 2004, 180 (183); Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschaftsrecht, S.  130; Streinz, ZEuS 2004, 387 (404); Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber (Hrsg.), §  7 Rn.  27.

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und Zweck der Vorschrift bzw. des gesamten Rechtsaktes, in dem sie enthalten ist, fragt186 und sich insoweit mit systematischen Argumenten verflicht187. 2.  Sprachfassungsvergleichende Bedeutungserkundung a.  Die Urfassungen aa.  „Auf frischer Tat betroffen“ Die in der deutschen Fassung des Art.  41 SDÜ verwendete Formulierung „auf frischer Tat betroffen“ ist dem deutschen Strafrechtssystem188 nicht fremd; sie nimmt vielmehr eine Doppelfunktion wahr: als Tatbestandsmerkmal der Straftat des räuberischen Diebstahls aus §  252 StGB und als Festnahmevoraussetzung nach §  127 Abs.  1 StPO. Die erstgenannte Vorschrift bedroht denjenigen, der bei einem Diebstahl auf frischer Tat betroffen, gegen eine Person Gewalt verübt oder Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben anwendet, um sich im Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten, mit der gleichen Strafe wie einen Räuber. Mittels des Merkmals „betroffen“ wird ein raumzeitliches Zusammentreffen des Täters mit dem Opfer oder einem Dritten hergestellt.189 Das Merkmal der „Frische“ der Tat schränkt dieses Zusammentreffen auf die Fälle ein, in denen ein enger örtlicher und zeitlicher Konnex mit der Vortat noch besteht,190 und dient insoweit einer Begrenzung des Tatbestandes auf die Situationen, die sich noch als raubähnlich kategorisieren lassen191. Es wird erfüllt, wenn der Täter bei der Tat­ Schroeder, JuS 2004, 180 (183). Anweiler, Die Auslegungsmethoden, S.  200 f.; Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschaftsrecht, S.  130. 188  Darüber hinaus ist sie etwa in §  859 Abs.  2 BGB zu finden, nach dem der Besitzer, dem eine Sache mittels verbotener Eigenmacht weggenommen worden ist, diese Sache dem „auf frischer Tat betroffenen oder verfolgten Täter“ mit Gewalt wieder abnehmen darf. In diesem Zusammenhang kann auch auf die dem Wortlaut nach zum Teil vergleichbaren Vorschriften des §  104 Abs.  1 StPO und des Art.  46 Abs.  2 GG hingewiesen werden, die von einer „Verfolgung auf frischer Tat“ und Festnahme eines Abgeordneten „bei Begehung der Tat“ sprechen. 189  BGHSt 26, 95 (96); Sinn, in: SK-StGB, §  252 Rn.  9; Kindhäuser, in: NK-StGB, §  252 Rn.  8 f.; Duttge, in: Dölling/Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  252 StGB Rn.  14 f. Nach herrschender Auffassung muss der Täter weder in Bezug auf sein strafbares Verhalten, also als Tatverdächtiger, noch als Person wahrgenommen werden („Betroffenwerden“); vielmehr genügt es, wenn er davon ausgeht, bereits bemerkt worden zu sein oder alsbald bemerkt zu werden, und dem aus seiner Sicht unmittelbar bevorstehenden Bemerktwerden durch Einsatz von Raubmitteln zuvorkommt („Betroffensein“), siehe BGHSt 26, 95 (96 f.); Eser/Bosch, in: Schönke/Schröder, §  252 Rn.  4; Sinn, in: SK-StGB, §  252 Rn.  10 f. m. w. N. 190  Statt aller BGHSt 26, 95 (96); h. M. im Schrifttum, siehe nur Sinn, in: SK-StGB, §  252 Rn.  7 f.; Duttge, in: Dölling/Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  252 StGB Rn.  10. 191  Sander, in: MK-StGB, §  252 Rn.  8; vgl. Eser/Bosch, in: Schönke/Schröder, §  252 186  187 

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ausführung192 oder alsbald danach am Tatort oder in dessen unmittelbarer Nähe betroffen wird bzw. ist193. Die Tat kann also ihre „Frische“ zum einen durch die räumliche Entfernung zwischen dem Tatort und dem Ort des Betroffenwerdens bzw. Betroffenseins und zum anderen durch Zeitablauf zwischen der Vollendung und dem Betroffenwerden bzw. Betroffensein verlieren.194 Der Voraussetzung des Betreffens auf frischer Tat wird insbesondere dann nicht entsprochen, wenn sich der Täter unbemerkt vom Tatort und von dessen unmittelbarer Umgebung entfernt und erst im Rahmen einer Nacheile oder einer Fahndung als Tatverdächtiger ermittelt wird.195 Die präsentierte Auslegung der in Frage stehenden Formulierung gilt auch auf der Grundlage des §  127 Abs.  1 Alt. 1 StPO.196 Die Vorschrift ermächtigt Rn.  4; siehe ferner BGHSt 26, 95 (96): „Das Merkmal des ‚Betreffens auf frischer Tat‘ dient mithin nur dazu, die Voraussetzungen, unter denen ein Dieb einem Räuber gleichzustellen ist, zeitlich und örtlich einzugrenzen.“ 192  BGH NJW 1958, 1547 (1547); Fischer, StGB, §  252 Rn.  6; Kühl, in: Lackner/Kühl, §  252 Rn.  4; Vogel, in: LK-StGB, §  252 Rn.  38; Sander, in: MK-StGB, §  252 Rn.  9; Duttge, in: Dölling/Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  252 StGB Rn.  16. 193  BGHSt 9, 257 (257); 26, 95 (95 f.); BGH NJW 1956, 1487 (1487); Fischer, StGB, §  252 Rn.  5; Kühl, in: Lackner/Kühl, §  252 Rn.  4; Eser/Bosch, in: Schönke/Schröder, §  252 Rn.  4; Vogel, in: LK-StGB, §  252 Rn.  38; Sander, in: MK-StGB, §  252 Rn.  12; Duttge, in: Dölling/ Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  252 StGB Rn.  10. 194  Vogel, in: LK-StGB, §  252 Rn.  38. In der Regel werden sich die zeitliche und die räumliche Komponente überlappen. Denkbar sind gleichwohl Fälle, in denen die Strafbarkeit aus §  252 StGB alleine an der fehlenden zeitlichen Nähe zur Vortat scheitert (siehe Vogel, a. a. O.), so etwa wenn sich der Täter in der unmittelbaren Gegend des Tatortes verbirgt und erst am nächsten Tag beim Verlassen seines Verstecks betroffen wird; vgl. auch BGH StV 2013, 445 (445). 195  Vogel, in: LK-StGB, §  252 Rn.  37 f.; Kindhäuser, in: NK-StGB, §  252 Rn.  15; Sander, in: MK-StGB, §  252 Rn.  12; vgl. auch BGH NStZ 2015, 700 (700 f.). Diese Auffassung wird nach BGHSt 28, 224 (230) durch die Entstehungsgeschichte bekräftigt: „Die Vorschrift geht zurück auf §  230 des preußischen StGB von 1852, in den die Wendung des Entwurfs ‚auf frischer Tat verfolgt‘ aus dem Grunde nicht aufgenommen wurde, weil Entwendung und Gewalt sehr weit auseinanderliegen könnten (Goltdammer, Materialien zum StGB für die Preußischen Staaten, Teil II [1852], S.  516 f.). Auch die in RGSt 73, 343 dargestellte Begründung für den Entwurf eines StGB für den Norddeutschen Bund, den Vorläufer des Reichsstrafgesetzbuches von 1871, läßt das Bestreben erkennen, eine Gleichstellung des später gewalttätig werdenden Diebes mit dem Räuber durch das Erfordernis des Betroffenseins auf frischer Tat einzuschränken.“ Siehe ferner die Anm. von Bindokat, NJW 1956, 1686 (1686 f.) und Becker, NStZ 2015, 700 (702). Nach Sinn, in: SK-StGB, §  252 Rn.  8 kann eine Nacheile die vorausgesetzte räumlich-zeitliche Verbindung herstellen, sofern der Verfolgende dem Täter auf die Spur gekommen ist, sodass seine Entdeckung – bald und in räumlicher Nähe zum Tatort – hoch wahrscheinlich ist. 196  Siehe die mit der aus §  252 StGB übereinstimmende Erläuterung des Begriffs „auf frischer Tat betroffen“ etwa bei Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, §  127 Rn.  5; Hilger, in: LR, §  127 Rn.  14; Bülte, ZStW 121 (2009), 377 (401).

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jedermann zur vorläufigen Festnahme einer auf frischer Tat betroffenen oder verfolgten Person, wenn sie der Flucht verdächtig ist oder sich ihre Identität nicht sofort feststellen lässt. Soweit die Festnahme der Anwesenheitssicherung dienen soll, gilt diese Ermächtigung ebenfalls für die Polizeibeamten.197 Da jede Nacheile, auch die grenzüberschreitende, gerade das Ergreifen eines Flüchten­ den anstrebt, kann die Vorschrift einen wichtigen Orientierungsmaßstab für die Feststellung des Inhalts des ersten Nacheilegrunds und somit der Reichweite des Schengener Nacheilerechts bieten. In diesem Zusammenhang darf nicht übersehen werden, dass die Festnahmebefugnis aus §  127 Abs.  1 StPO über das Betreffen auf frischer Tat hinausgeht und auch gegenüber einer auf frischer Tat verfolgten Person in Anspruch genommen werden darf (§  127 Abs.  1 StPO Alt. 2). Der zweite Flagranzfall deckt die Konstellationen ab, in denen der Täter nicht mehr am Tatort anwesend ist, sichere Anhaltspunkte (etwa Tatspuren198, am Tatort verlorene Papiere199, auffällige Kleidung oder benutztes Fluchtfahr­ zeug200) aber auf ihn als Täter hinweisen und seine Verfolgung zum Zwecke seiner Ergreifung aufgenommen wird.201 Die Verfolgungsmaßnahmen müssen zwar „unmittelbar nach Entdeckung der kurz zuvor verübten Tat“ eingesetzt werden,202 sie brauchen aber nicht sofort zu beginnen. Vielmehr kann sich der Verfolger auf die Nacheile zunächst vorbereiten, etwa Hilfskräfte hinzuziehen oder Hilfsmittel besorgen.203 Darüber hinaus genügt es, wenn er die Tat nicht selbst entdeckt hat, sondern vom Entdecker informiert worden ist („haltet den Dieb“204) oder die von diesem unmittelbar nach der Tatbegehung aufgenomme­ ne Verfolgung übernommen hat.205 197  So die h. M., siehe etwa Schultheis, in: KK-StPO, §  127 Rn.  22; Paeffgen, in: SK-StPO, §  127 Rn.  5; Hilger, in: LR, §  127 Rn.  26; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, §  127 Rn.  7; Frister, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil F Rn.  197; Dittmer, Die vorläufige Festnahme, S.  25; anders Schubert, Die vorläufige Festnahme, S.  49, der eine polizeiliche Festnahme auf der Grundlage des §  127 Abs.  1 StPO für rechtsmissbräuchlich hält. Für die Identitätsfeststel­ lung sind dagegen §  163b Abs.  1 (vgl. §  127 Abs.  1 S.  2) und §  163c StPO als Rechtsgrundlage heranzuziehen, siehe nur Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, §  31 Rn.  1 f. 198  Paeffgen, in: SK-StPO, §  127 Rn.  14a. 199  Kramer, Grundlagen des Strafverfahrensrechts, Rn.  57. 200  Hilger, in: LR, §  127 Rn.  15. 201  Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, §  127 Rn.  6; Paeffgen, in: SK-StPO, §  127 Rn.  14a; Bülte, ZStW 121 (2009), 377 (402); Hilger, in: LR, §  127 Rn.  15. 202  Schultheis, in: KK-StPO, §  127 Rn.  12; Paeffgen, in: SK-StPO, §  127 Rn.  14a; Hilger, in: LR, §  127 Rn.  15. 203  Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, §  127 Rn.  6; Hilger, in: LR, §  127 Rn.  15; Schult­ heis, in: KK-StPO, §  127 Rn.  12; Paeffgen, in: SK-StPO, §  127 Rn.  14a. 204  Hilger, in: LR, §  127 Rn.  16. 205  Hilger, in: LR, §  127 Rn.  16; Paeffgen, in: SK-StPO, §  127 Rn.  14a; Schultheis, in: KKStPO, §  127 Rn.  13.

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

Die Festnahmebefugnis ist folglich an einen unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang zwischen der Tatbegehung und dem Betreffen oder der Verfolgung geknüpft,206 wodurch eine korrekte Zuordnung des Täters zum Tatgeschehen abgesichert werden soll.207 Hinsichtlich der Frage, ob ein solcher Unmittelbarkeitszusammenhang (noch) besteht, wird in Rechtsprechung und Lehre auf Umstände des konkreten Falles abgestellt.208 Welche Anforderungen an die Tat i. S. v. §  127 Abs.  1 StPO zu stellen sind, ist umstritten.209 Nach teilweise vertretener Ansicht wird das Vorliegen einer we­ nigstens nach den objektiven Merkmalen tatsächlich begangenen Straftat gefor­ dert;210 zum Teil lässt man einen dringenden Tatverdacht ausreichen, der durch erkennbare äußere Umstände vermittelt wird 211 bzw. für den das sichtbare Tat­ geschehen die einzige Beweis- und Erkenntnisquelle darstellt212. Der Meinungs­ streit bezieht sich jedoch auf eine private Flagranzfestnahme. Die festnehmen­ Bülte, ZStW 121 (2009), 377 (402); Kühl, Strafrecht AT, §  9 Rn.  88; siehe auch die Entstehungsgeschichte des §  127 StPO: Die Regierungsvorlage zu §  116 RStPO (nun: §  127 StPO) sowie der Kommissionsentwurf enthielten im Anschluss an den Ausdruck „auf fri­ scher Tat“ den Zusatz „oder unmittelbar nachher“, dessen Streichung eine bloß redaktionelle Anpassung an die anderen Vorschriften des Entwurfs und keine inhaltliche Änderung bewir­ ken sollte, Hahn/Mugdan, Die gesamten Materialien, Abt.  2, S.  1289 u. 2196. Nach dem Wil­ len des Gesetzgebers kann die Tat also nur während des Tathergangs oder unmittelbar danach als „frisch“ angesehen werden. 207  Bülte, ZStW 121 (2009), 377 (402). 208  BGHSt 9, 255 (257); BGHSt 28, 224 (229); Hilger, in: LR, §  127 Rn.  13; Reuss, Bedeu­ tung und Umfang der Festnahmerechte, S.  87. Meincke, Betreffen oder Verfolgen auf frischer Tat, S.  72 ff. postuliert dagegen in Anlehnung an den Begriff der handhaften und der über­ nächtigen Tat im altdeutschen Recht sowie die Auslegungspraxis des Art.  41 CIC, dem die deutschen Partikulargesetze nachgebildet waren, den Ausdruck „frische Tat“ in §  127 Abs.  1 StPO schematisch als 24-Stunden Frist zu verstehen. Siehe dazu kritische Bemerkungen hin­ sichtlich der Bezugnahme auf die französische Auslegungspraxis bei Goy, Vorläufige Fest­ nahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  103 (Fn.  467); kritisch auch Reuss, Bedeutung und Umfang der Festnahmerechte, S.  88. Einzuwenden ist vor allem, dass Meinckes Postulat das Merkmal „auf frischer Tat“ – dem Willen des Gesetzgebers zuwider –mit dem Merkmal „bei Begehung der Tat oder im Laufe des folgenden Tages“ aus Art.  46 Abs.  2 GG gleichsetzt, siehe Hahn/Mugdan, Die gesamten Materialien, Abt.  1, S.  690. 209  Zum Meinungsstand siehe etwa Satzger, JURA 2009, 107 (109 f.) und Bülte, ZStW 121 (2009), 377 (386 ff.). 210  OLG Hamm NJW 1972, 1826 (1827); Posthoff, in: HK-StPO, §  127 Rn.  8; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, §  127 Rn.  4; Schlüchter, JR 1987, 309 (310); Satzger, JURA 2009, 107 (110); Kramer, Grundlagen des Strafverfahrensrechts, Rn.  60. 211  BGH NJW 1981, 745 (745); Schultheis, in: KK-StPO, §  127 Rn.  9; Pfeiffer, StPO, §  127 Rn.  2; Laue, in: Dölling/Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  127 StPO Rn.  4; Reuss, Bedeutung und Umfang der Festnahmerechte, S.  43 u. 73 f. 212  BGH GA 1974, 177; BayObLG MDR 1986, 956 (956 f.); Hilger, in: LR, §  112 Rn.  9; Ebert, Der Tatverdacht, S.  154; Borchert, JA 1982, 338 (343). 206 

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den Polizeibeamten orientieren sich hingegen stets am dringenden Tatverdacht. Dies lässt sich wohl aus Art.  104 Abs.  2 S.  1 GG ableiten. Danach ist nur der Richter befugt, über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung zu befinden. Die polizeiliche Festnahme – auch auf der Grundlage des §  127 Abs.  1 StPO – erfolgt somit stellvertretend und ist schon von Verfassungs wegen nur dann statthaft, wenn der zur Entscheidung berufene Richter im betreffenden Sachverhalt einen Haftbefehl erlassen dürfte.213 Der dringende Tatverdacht ist zugleich das Höchste, was man von einem Polizeibeamten verlangen kann.214 Die Rechtmäßigkeit der polizeilichen Festnahme erfordert es nicht, dass die Sachlage, an welche die Festnahmebefugnis anknüpft, objektiv vorliegt; viel­ mehr genügt es, wenn der Amtsträger sie nach pflichtgemäßer Prüfung bejaht.215 Ein solches Irrtumsprivileg liegt im Interesse einer funktionsfähigen Straf­ rechtspflege,216 denn die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben wäre ohne das „große Vorrecht des Staates zu irren“217 vielfach nicht möglich 218. Es stellt auch ein notwendiges Korrelat zu dem Spannungsfeld zwischen der Begrenztheit menschlicher Erkenntnisfähigkeit und der polizeilichen Pflicht zum ersten Zu­ griff aus §  163 Abs.  1 StPO dar, deren Verletzung eine strafrechtliche Verant­ wortung des Beamten zur Folge haben kann.219 Die beiden Flagranzfälle aus §  127 StPO überlappen sich nur teilweise. In der Regel wird eine auf frischer Tat verfolgte Person vorher auf frischer Tat betrof­ fen, sei es von ihrem Verfolger, sei es von einem Dritten. Man kann aber ebenso gut auf frischer Tat verfolgt werden, ohne zunächst auf frischer Tat betroffen worden zu sein. Denn eine Verfolgung kann alleine auf der Grundlage der hin­ terlassenen Spuren aufgenommen werden, sofern sie auf eine kurz vorher be­ gangene Straftat hinweisen und eine bestimmte Person als Täter identifizieren lassen. Insoweit erscheint der Anwendungsbereich des Art.  41 Abs.  1 SDÜ in deutscher Fassung, da er sich lediglich der Formulierung „auf frischer Tat be­ troffen“ bedient, enger. Käme dem Begriff des Betroffenseins aus §  127 StPO Frister, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil F Rn.  198. Reuss, Bedeutung und Umfang der Festnahmerechte, S.  41; Dünkel, Festnahme, S.  48; Fincke, JuS 1973, 87 (89 ff.); Schumann, JuS 1979, 559 (560 f.); Hellmann, Strafpro­zess­ recht, Rn.  266; anders Kramer, Grundlagen des Strafverfahrensrechts, Rn.  60 (siehe dort Fn.  155), der eine wirklich begangene Tat fordert. 215  Reuss, Bedeutung und Umfang der Festnahmerechte, S.  41; Wiedenbrüg, JuS 1973, 418 (420); Fincke, JuS 1973, 87 (90); Schumann, JuS 1979, 559 (561); Borchert, JA 1982, 338 (342); vgl. auch BGHSt 21, 334 (363); 24, 125 (130); vgl. ferner RG Rspr. 6, 807 (808). 216  Schlüchter, JR 1987, 309 (310). 217  Jellinek, Verwaltungsrecht, S.  294; Schumann, JuS 1979, 559 (561). 218  Schumann, JuS 1979, 559 (561). 219  Wiedenbrüg, JuS 1973, 418 (420); vgl. auch Borchert, JA 1982, 338 (340) und Satzger, JURA 2009, 107 (110). 213 

214 Vgl.

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

und dem aus Art.  41 Abs.  1 SDÜ eine identische Bedeutung zu, müsste die in­ ländische Nacheile an der Grenze dann abgebrochen werden, wenn der Flücht­ ende zwar auf frischer Tat aufgrund der auf ihn hindeutenden Indizien verfolgt würde, aber bei der Tatbegehung oder unmittelbar danach am Tatort oder in dessen unmittelbarer Nähe nicht „ertappt“ worden wäre. Zum konträren Schluss könnte man allerdings gelangen, wenn man mit Meincke220 annähme, dass „der Verdächtige in jedem Fall zulässiger Festnahme auf frischer Tat betroffen wird“. Bedenke man, dass der Verdächtige – damit er überhaupt festgenommen werden kann – zunächst angetroffen worden sein muss, liege auf der Hand, dass er auch in der Verfolgungsvariante „betroffen“ werde. Indem §  127 Abs.  1 StPO nicht vom Betreffen „auf der Tat“, sondern vom Betreffen „auf frischer Tat“ spreche, bringe er zum Ausdruck, dass der Täter nicht unbedingt am Tatort betroffen werden müsse. Diese Formulierung sei nicht räumlich, sondern zeitlich und dabei weit aufzufassen. Auf frischer Tat betroffen sei somit derjenige, der während der Frische der Tat am beliebigen Ort als Tatverdächtiger angetroffen werde bzw. als Verantwortlicher für die Tat er­ scheine. Meincke lässt insoweit die beiden in §  127 Abs.  1 StPO vorgesehenen Flagranzsituationen zum Betreffen auf frischer Tat verschmelzen. Der Zusatz „oder verfolgt“ soll nach seiner Auffassung nur den Fall der sog. Verfolgung durch öffentliches Geschrei als Indiz einer frischen Tat hervorheben. Auch wenn sich Meinckes vereinendes Konzept weder im Schrifttum noch in der Rechtsprechung durchgesetzt hat,221 kann es für die Auslegung des Art.  41 Abs.  1 SDÜ fruchtbar gemacht werden, weil sie nicht durch die nationale Geset­ zessystematik und das nationale Begriffsverständnis der herrschenden Mei­ nung determiniert ist. Die Formulierung „auf frischer Tat betroffen“ könnte demgemäß grammatikalisch dahin gehend interpretiert werden, dass lediglich das Antreffen, Ertappen 222 während der frischen, also eben erst ausgeführten 223 Tat vorausgesetzt wird. Für die Zulässigkeit einer grenzüberschreitenden Nach­ eile wäre also entscheidend, ob zum Zeitpunkt des Betreffens ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang mit der Tat noch besteht; auf die räumliche Nähe käme es dagegen nicht an. Folgerichtig müsste die (inländische) Verfolgung 220  Folgende Ausführungen beziehen sich auf Meincke, Betreffen oder Verfolgen auf fri­ scher Tat, S.  78–85. 221  Siehe aber Schubert, Die vorläufige Festnahme, S.  46, der Meinckes These, dass die Festnahme in beiden Fällen des §  127 Abs.  1 StPO „auf frischer Tat“ erfolgt, für zutreffend hält, und die – im Grunde überflüssige – gesetzliche Unterscheidung zwischen dem Betreffen und Verfolgen damit begründet, dass die Vorschrift an einen „praktisch und juristisch wenig vorgebildeten Laien“ adressiert ist. 222  „Betreffen“, in: Duden, S.  305. 223  „Frisch“, in: Duden, S.  6 47.

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auch nicht unbedingt vom Tatort aus aufgenommen werden; sie könnte am Ort des Betreffens beginnen, sofern nur die äußerlich vermittelten Umstände des Einzelfalles den Betroffenen als Täter bzw. Tatverdächtigen einer Straftat er­ kennen ließen. bb.  „Prise en flagrant délit“ und „op heterdaad betrapt“ Die soeben vorgestellte weite Auslegung der Prämisse des Betreffens auf fri­ scher Tat wird durch den Blick auf die übrigen Urfassungen untermauert. Art.  41 Abs.  1 SDÜ in französischer Sprachversion enthält den Begriff „prise en flagrant délit“. Dieser findet seine normative Widerspiegelung in Art.  53 CPP, der die Voraussetzungen eines gesonderten Flagranzverfahrens für den Fall der unmittelbaren Entdeckung einer Straftat festlegt und insoweit ermöglicht, auf das kriminelle Verhalten schnell zu reagieren und die Spuren der noch frischen Tat effektiv zu verfolgen.224 Es wird dabei weder eine wirklich begangene Straf­ tat noch „die absolute Sicherheit bzw. quasi Sicherheit“ des Festnehmenden ge­ fordert, sondern es genügt, wenn objektive Anhaltspunkte vorliegen, „die die Tat als wahrscheinlich erscheinen lassen“, auch wenn der Handelnde noch Zwei­ fel hat.225 Während §  127 Abs.  1 StPO nur zwei Flagranzfälle kennt, beschreibt Art.  53 CPP vier Konstellationen 226 als flagrant und geht weit über den Anwendungsbe­ reich der deutschen Festnahmeregelung hinaus. Die erste Flagranzsituation liegt vor, wenn ein „Delikt gerade begangen wird“ (Art.  53 Abs.  1 S.  1 Hs. 1 CPP), wobei die Tat bzw. ein Indiz dafür sinnlich wahrgenommen werden muss. Als flagrant gilt ferner eine Situation, „wenn eine Straftat gerade begangen wor­ den ist“ (Art.  53 Abs.  1 S.  1 Hs. 2 CPP). Zwischen der Tatbegehung und der Tatentdeckung muss ein sehr kurzer Zeitraum bestehen. In der Praxis wird die Grenze üblicherweise „nach einigen Stunden als überschritten angesehen“. Ein weiterer Flagranzfall visiert diejenigen Konstellationen an, in denen der Täter „in enger zeitlicher Nähe aufgrund öffentlichen Aufschreis“ verfolgt wird (Art.  53 Abs.  1 S.  2 Hs. 1 CPP). Die Bestimmung des zeitlichen Rahmens der Flagranz steht im Ermessen des Richters. In aller Regel wird er weiter angesetzt als im zweiten Flagranzfall und lässt unter Umständen zu, auch einen erst einige Tage später von seinem Opfer angetroffenen Täter aufgrund des „anschuldigen­ den Schreis“ zu verfolgen. Schließlich liegt eine Flagranzsituation vor, wenn Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  42 f. Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  48 m. w. N. 226  Folgende Ausführungen orientieren sich an den Darstellungen von Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  43–47 zur Flagranzsituation im französi­ schen Recht. 224  225 

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der Täter in zeitlicher Nähe zur Tatbegehung „im Besitz von Gegenständen an­ getroffen wird oder Spuren bzw. Indizien aufweist“, die auf seine Beteiligung an der Tat schließen lassen (Art.  53 Abs.  1 S.  2 Hs. 2 CPP). Die niederländische Fassung des Art.  41 SDÜ verwendet den Begriff „op heterdaad betrapt“ und korrespondiert insoweit mit Art.  128 §  1 Sv., der das Ent­ decken (ontdekking) op heterdaad legal definiert. Dieses liegt dann vor, „wenn die Straftat entdeckt wird, während sie begangen wird oder unmittelbar nach­ dem sie begangen ist“.227 Erfasst werden soll damit nur eine „frische Situa­ tion“.228 Es ist jedoch nicht erforderlich, dass der Täter bei der Tatbegehung be­ obachtet bzw. dass die Tat sinnlich wahrgenommen wird. Es genügt, wenn Tat­ sachen oder Umstände ein Schließen auf die Tat zulassen, solange daraus die zeitliche Nähe (die „Frische“ der Tat) abgeleitet werden kann. Die in Art.  128 §  1 Sv. beschriebene Situation des Entdeckens in flagranti bezieht sich somit auch auf die Konstellationen, in denen der Täter „red-handed“ angetroffen wird, d. h., wenn er bei Betreffen noch Tatspuren aufweist.229 cc. Zwischenfazit Orientiert man sich alleine an der auf der Grundlage des §  127 Abs.  1 StPO (und §  252 StGB) etablierten Auslegung der Formulierung „auf frischer Tat betrof­ fen“, gelangt man zu dem Schluss, dass die inländische Verfolgung nur dann über die Grenze fortgesetzt werden kann, wenn der Täter am Tatort oder in dessen unmittelbarer Nähe ertappt worden ist. Den Ausdrücken „priseen flagrant délit“ und „op heterdaad betrapt“ aus der französischen und nieder­ ländischen Fassung des Art.  41 Abs.  1 SDÜ kommt dagegen eine weitere nor­ mative Bedeutung zu, weil sie einen engen räumlichen Zusammenhang zwi­ schen dem Tatort und dem Ort des Betreffens nicht voraussetzen. Nach Würz hat diese Diskrepanz ihre Ursache darin, dass der französische Text fehlerhaft – ohne Bezugnahme auf „entsprechende juristische Begriffe“ – in die deutsche Sprachversion übersetzt wurde.230 Um eine Synthese zwischen voneinander ab­ weichenden, aber gleichermaßen verbindlichen Fassungen zu finden, stellt er auf den wirklichen Willen der Urheber und den von ihnen anvisierten Zweck ab. Die zu Beginn der vorliegenden Ausführungen begründete Notwendigkeit einer autonomen Auslegung des in Frage stehenden Merkmals ermöglicht, ja gebietet Übersetzung von Scholten, in: Strafprozeßordnung der Niederlande. Wetboek van Strafvordering, S.  179. 228  Folgende Ausführungen orientieren sich an den Darstellungen von Joubert/Bevers, Schengen Investigated, S.  269 f. 229  Joubert/Bevers, Schengen Investigated, S.  268. 230  Würz, Das Schengener Durchführungsübereinkommen, Rn.  130. 227 

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es, sich vom nationalen Recht und von den nationalen Begriffsbestimmungen zu lösen. Folgt man indes der oben vorgeschlagenen, an Meinckes Erwägungen orientierten rein grammatikalischen Interpretation der Voraussetzung „auf fri­ scher Tat betroffen“, kommt man bereits im Rahmen der Wortlautauslegung in Bezug auf alle drei Urfassungen zum gleichen Ergebnis. dd.  Rückschlüsse aus der Formulierung „bei der Begehung“ Der Schluss, dass für die Zulässigkeit der grenzüberschreitenden Fortsetzung einer inländischen Nacheile ausreichend ist, dass die Beamten den Flüchtenden in zeitlicher Nähe zur Tat am beliebigen Ort angetroffen und seine Verfolgung aufgrund der auf ihn als Täter hindeutenden Indizien unmittelbar danach aufge­ nommen haben, könnte jedoch voreilig sein. Im Rahmen einer Wortlautausle­ gung ist der zu interpretierende Ausdruck, wie oben erwähnt, nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit dem ganzen Satz, Absatz oder Artikel zu be­ trachten. Es muss darum eruiert werden, wie sich auf die Reichweite der Aus­ drücke „auf frischer Tat betroffen“, „priseen flagrant délit“ und „op heterdaad betrapt“ der Umstand auswirkt, dass sie durch die Formulierungen „bei der Begehung von oder der Teilnehme an [einer nacheilefähigen Straftat – Anm. der Verfasserin]“, „de commission […] ou de participation à“ und „bij het plegen van of deelneming aan“ flankiert werden. Eine Schlüsselrolle spielt hier die Präposition „bei“. Denn die Wörter „Begehung“ und „Teilnahme“ sind als Hin­ weise darauf zu verstehen, dass sowohl die Verübung einer eigenen Straftat als auch die Beteiligung an einer fremden Straftat im Falle des Betreffens eine grenzüberschreitende Nacheile veranlassen können.231 Nähme man an, dass das Wort „bei“ in der Funktion einer temporalen Präpo­ sition angewandt wurde, also zur Angabe eines Zeitpunkts bzw. eines Zeit­ raums, in dem der hier behandelte Nacheilegrund eingreift,232 müsste die Passa­ ge „auf frischer Tat bei der Begehung […] einer Straftat […] betroffen wird“ derart verstanden werden, dass sich die Zulässigkeit der Nacheile auf die Fälle beschränkt, in denen der Verfolgte in der Phase der Tatbegehung betroffen wur­ de. Aus §  8 StGB ergibt sich, dass die Tat zu der Zeit begangen ist, zu welcher der Täter oder der Teilnehmer gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hät­ te handeln müssen; auf den Zeitpunkt des Eintritts des Erfolgs kommt es nicht an. Bei der Begehung einer Straftat würde demnach derjenige betroffen, der eine tatbestandsmäßige Handlung gerade vollzieht oder – bei Unterlassungsde­ likten – seine strafbewehrte Handlungspflicht verletzt.233 Entsprechendes gälte 231 

Dazu unten IV. 2. Vgl. „Bei“, in: Duden, S.  276. 233  Böse, in: NK-StGB, §  8 Rn.  2; Eser, in: Schönke/Schröder, §  8 Rn.  3 f. 232 

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für das Betreffen auf frischer Tat bei der Teilnahme an einer Straftat, wobei hier auf die Teilnehmerhandlung abzustellen wäre.234 Da die Tat auch (unmittelbar) nach der Ausführung als „frisch“ angesehen werden kann, würde der Zusatz „bei der Begehung“ den Anwendungsbereich des Art.  41 Abs.  1 SDÜ in zeitli­ cher Hinsicht begrenzen. Denkbar wäre auch eine an §  252 StGB orientierte Auslegung, der Art.  41 Abs.  1 SDÜ insoweit strukturell ähnelt, als er von einem bei einem Diebstahl auf frischer Tat Betroffenen spricht. Die Rechtsprechung und die überwiegende Lehre halten die Phrase „bei einem Diebstahl“ für eine Zeitrahmenbestimmung und nehmen folglich die materielle Beendigung der Vortat als Endpunkt an, jenseits dessen der Täter nicht mehr „auf frischer Tat betroffen“ werden kann.235 Auch bei einer solchen Deutung würde es sich beim Ausdruck „bei der Bege­ hung […] einer Straftat“ um eine (weitere) zeitliche Begrenzung des Nacheile­ rechts handeln. Grammatikalisch betrachtet könnte aber die Präposition „bei“ ebenso gut im Sinne von „im Falle“, „verbunden mit“, „anlässlich“ oder „in Bezug auf“236 ver­ wendet worden sein, also als Bindewort, das eine Verbindung der frischen Tat mit der Begehung von oder der Teilnahme an einer Straftat nach Art.  41 Abs.  4 SDÜ als Bezugsobjekt herstellt. Demzufolge müsste Art.  41 Abs.  1 SDÜ derart ausgelegt werden, dass die Fortsetzung der Verfolgung über die Grenze hinweg beim Betreffen im Zusammenhang mit – und nicht zur Zeit – der Tatbegehung zulässig ist. Die Reichweite des Nacheilegrunds würde sich in diesem Fall nach der Tatfrische bestimmen. Auch wenn man das Blickfeld erweitert und für die grammatikalische Ausle­ gung der fraglichen Passage weitere Sätze bzw. Absätze des Art.  41 SDÜ heran­ zieht, kommt man zu keinem eindeutigen Ergebnis. Insbesondere dem aus Ab­ satz 1 ableitbaren Erfordernis der räumlich-zeitlichen Nähe zwischen dem Ver­ folgten und den Verfolgern lässt sich kein Interpretationshinweis entnehmen. Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 1 in fine SDÜ besagt, dass die Verfolgung über die Grenze hinweg nur dann zulässig ist, wenn die zuständigen Behörden des Ge­ bietsstaates nicht zuvor unterrichtet werden konnten oder nicht rechtzeitig zur Stelle sind, um die Verfolgung zu übernehmen. Daraus folgt, dass die nach­ BGH NStZ-RR 2005, 151; Eser, in: Schönke/Schröder, §  8 Rn.  5. Statt aller OLG Hamm MDR 1969, 238; BGHSt 28, 224 (229); Sinn, in: SK-StGB, §  252 Rn.  5; Duttge, in: Dölling/Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  252 StGB Rn.  8; Fischer, StGB, §  252 Rn.  4; Kindhäuser, in: NK-StGB, §  252 Rn.  12; Eser/Bosch, in: Schönke/Schrö­ der, §  252 Rn.  3 f.; anders Kühl, in: Lackner/Kühl, §  252 Rn.  4, der bemerkt, dass Fälle denk­ bar sind, etwa Diebstähle aus den Nachbarwohnungen, in denen der zeitlich-räumliche Zu­ sammenhang so eng ist, dass eine bereits beendete Tat noch frisch sein kann. 236  Vgl. „Bei“, in: Duden, S.  276. 234  235 

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eilenden Beamten überhaupt imstande sein müssen, den zuständigen Behörden der anderen Partei den genauen Ort des Grenzübertritts des Flüchtenden anzu­ geben.237 Eine mangelnde Unterrichtung ist nicht auf das Fehlen des diesbezüg­ lichen Wissens, sondern auf die Dringlichkeit der Angelegenheit zurückzufüh­ ren.238 Ein solches Wissen ist wiederum nur beim Sichtkontakt gewährleistet.239 Dieser muss im Lichte der genannten Norm jedenfalls in der Grenznähe gege­ ben sein.240 Auf die Notwendigkeit eines fortwährenden Kontakts ab dem Zeit­ punkt des Betreffens auf frischer Tat kann dagegen nicht geschlossen werden.241 Die Passage „Beamte einer Vertragspartei, die in ihrem Land eine Person ver­ folgen, die auf frischer Tat […] betroffen wird“ stellt klar, dass der Verfolgte nicht unbedingt von den nacheilenden Beamten bei der Tatbegehung wahrge­ nommen und bereits vom Tatort aus verfolgt werden muss. Unbeantwortet bleibt allerdings die Hauptfrage, ob das Betreffen, ggf. von einem Dritten, nur am Tatort bzw. bei der Tatbegehung oder – solange die Tat noch „frisch“ ist – auch an einem anderen Ort erfolgen kann. Keinen eindeutigen Aufschluss gibt auch Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 2 SDÜ, der als zweiten Nacheilegrund die Flucht aus der Untersuchungs- oder Strafhaft nennt. Einerseits setzt er weder das Betreffen bei der Flucht noch in der unmit­ telbaren zeitlich-räumlichen Nähe des Haftortes voraus. Andererseits werden die Beamten in diesem Fall sicheres Wissen sowohl hinsichtlich der Tatsache des Entweichens als auch der Identität des Entwichenen haben, was ggf. geringere Anforderungen an die Umstände der Verfolgungsaufnahme rechtfertigen dürfte. ee.  Ergebnis der Wortlautauslegung der Urfassungen Die Auslegung des Wortlauts des Art.  41 SDÜ in den drei Urfassungen führt, wie dargelegt, zu unterschiedlichen Ergebnissen. Welches sachgerecht ist, wird im Weiteren ermittelt. Da die vorliegende Abhandlung der polizeilichen Nach­ eile über die deutsch-polnische Grenze gewidmet ist, empfiehlt es sich, zunächst So auch Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  190. Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  190. 239  Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  190. 240  Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  190; vgl. auch Mokros, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil O Rn.  241; Breitenmoser, in: Breitenmoser/Gleß/ Lagodny (Hrsg.), S.  25 (Fn.  122) und Suhr, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Art.  89 AEUV Rn.  10, die den Sichtkontakt zum Zeitpunkt des Grenzübertritts verlangen. 241  Die Dynamik der Nacheile legt es nahe, dass ein fortwährender Kontakt nicht erfor­ derlich ist, solange der Flüchtende den nacheilenden Beamten nicht langfristig aus dem Blickfeld verschwindet. In letzterem Fall verliert die Verfolgung nämlich ihren Charakter und geht in eine Fahndung über. So im Ergebnis auch Goy, Vorläufige Festnahme und grenz­ über­schreitende Nacheile, S.  190 und Mokros, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil O Rn.  241; anders Brammertz, Grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit, S.  250. 237 

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einen sprach- und rechtsvergleichenden Blick auf die polnische Textversion zu werfen, die hinsichtlich der unionalen Sprachwertigkeitsregel gleichermaßen Verbindlichkeit bei der Auslegung genießt. b.  Die polnische Fassung Eine §  127 Abs.  1 StPO gewissermaßen entsprechende Regelung enthält Art.  243 §  1 plStPO. Die Vorschrift statuiert ein Jedermann-Recht zur vorläufigen Fest­ nahme einer Person auf frischer Tat oder bei der Verfolgung, die unmittelbar nach der Tatbegehung aufgenommen wurde, wenn die Befürchtung besteht, dass sich diese Person verbergen wird, oder wenn ihre Identität nicht festgestellt werden kann.242 Die Festnahme auf frischer Tat (in flagranti crimine comprehensi) findet in zwei Fällen statt. Erstens, wenn der Täter zum Zeitpunkt der Tatbegehung, also während der Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale er­ griffen wird.243 Zweitens, wenn die Festnahme zwar erst nach der Tatbegehung erfolgt, aber der Täter noch am Tatort verbleibt.244 Die Festnahme in flagranti erfasst somit nur die Konstellationen, in denen ein enger zeitlich-räumlicher Zusammenhang mit der verübten Straftat besteht. Gemäß Art.  243 §  1 plStPO kann der Täter auch außerhalb des Tatortes im Zuge einer unmittelbar nach der Tatbegehung aufgenommenen Verfolgung gestellt werden. Für diese quasi in flagranti crimine comprehensi verlangt man, dass die Nacheile sofort begonnen und ununterbrochen durchgeführt wird.245 Ebenfalls hier muss die räum­ lich-zeitliche Nähe gewahrt sein.246 Das Erfordernis der Unmittelbarkeit wird auch dann erfüllt, wenn der Täter zwar nicht am Tatort bemerkt wurde, aber der Verfolgende in der Lage ist, die Fluchtrichtung zu bestimmen und jenem zu folgen.247 Ein ständiger Sichtkontakt ist aber nicht nötig.248 242  Die Vorschrift lautet: „Każdy ma prawo ująć osobę na gorącym uczynku przestępstwa lub w pościgu podjętym bezpośrednio po popełnieniu przestępstwa, jeżeli zachodzi obawa ukrycia się tej osoby lub nie można ustalić jej tożsamości.“ 243  Boratyńska, in: Sakowicz (Hrsg.), Art.  243 Rn.  2; Grzeszczyk, Kodeks, Art.  243 Rn.  3; Grzegorczyk, Kodeks postępowania, Art.  243 Rn.  1. 244  Boratyńska, in: Sakowicz (Hrsg.), Art.  243 Rn.  2; Grzeszczyk, Kodeks, Art.  243 Rn.  3; Grzegorczyk, Kodeks postępowania, Art.  243 Rn.  1. 245  Boratyńska, in: Sakowicz (Hrsg.), Art.  243 Rn.  3; Grzeszczyk, Kodeks, Art.  243 Rn.  3; Hofmański/Sadzik/Zgryzek, Kodeks, Art.  243 Rn.  2; Grzegorczyk, Kodeks postępowania, Art.  243 Rn.  1. 246  Boratyńska, in: Sakowicz (Hrsg.), Art.  243 Rn.  3. 247  Urteil des Appellationsgerichts in Szczecin v. 3.7.2008, II Aka 78/08, OSA 2010/6/ 3–25; Paprzycki, in: Paprzycki (Hrsg.), Art.  243 Rn.  7; Hofmański/Sadzik/Zgryzek, Kodeks, Art.  243 Rn.  2. 248  Paprzycki, in: Paprzycki (Hrsg.), Art.  243 Rn.  7; Boratyńska, in: Sakowicz (Hrsg.), Art.  243 Rn.  3; Grzegorczyk, Kodeks postępowania, Art.  243 Rn.  1.

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Die Zulässigkeit der Festnahme nach Art.  243 §  1 plStPO wird im Schrifttum einhellig an sicheres Wissen der Tatbegehung geknüpft. Die Tat darf keinen Zweifel erwecken 249 bzw. muss offensichtlich sein 250, was objektiv zu beurteilen ist251. Ob Art.  243 §  1 plStPO eine Rechtsgrundlage für die polizeiliche Festnah­ me bietet, wird nicht einheitlich beurteilt. Zum Teil wird davon ausgegangen, dass diese auch im Flagranzfall gemäß Art.  244 §  1 plStPO erfolgt,252 der die sog. eigentliche Festnahme bzw. Festnahme sensu stricto regelt253. Die Festnah­ me ist danach statthaft, wenn eine begründete Vermutung („uzasadnione przypuszczenie“) besteht, dass der Betroffene eine Straftat begangen hat und (kumu­ lativ) befürchtet wird, dass er die Flucht ergreifen, sich verbergen oder die Tat­ spuren verwischen wird oder seine Identität nicht festgestellt werden kann oder wenn die Voraussetzungen zur Durchführung eines beschleunigten Verfahrens nach Art.  517b §  1 plStPO erfüllt sind, d. h., wenn er auf frischer Tat oder unmit­ telbar danach betroffen wird und diese Tat der Aufklärung im Rahmen des Er­ mittlungsverfahrens nach Art.  325a ff. plStPO unterliegt.254 Die materielle Vor­ aussetzung der polizeilichen (Flagranz-)Festnahme ist somit die begründete Vermutung, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat.255 Nichts­ destoweniger wird angenommen, dass – soweit der Täter auf frischer Tat oder im Zuge der Verfolgung, die unmittelbar nach ihrer Begehung aufgenommen Paprzycki, in: Paprzycki (Hrsg.), Art.  243 Rn.  4. Hofmański/Sadzik/Zgryzek, Kodeks, Art.  243 Rn.  2; Eichstaedt, in: Świecki (Hrsg.), Art.  243 Rn.  5; Kudrelek, Policja KKKP 1/2009, 32 (35); Grzeszczyk, Kodeks, Art.  243 Rn.  3; Cora, Zatrzymanie, S.  116 m. w. N. 251  Hofmański/Sadzik/Zgryzek, Kodeks, Art.  243 Rn.  2. 252  Kudrelek, Policja KKKP 1/2009, 32 (35); Stefański, in: Gostyński (Hrsg.), Art.  243 Rn.  3; Paprzycki, in: Paprzycki (Hrsg.), Art.  243 Rn.  1; Eichstaedt, in: Świecki (Hrsg.), Art.  243 Rn.  5. 253  Stefański, in: Gostyński (Hrsg.), Art.  244 Rn.  5. 254  Es handelt sich um die Straftaten, die in die Zuständigkeit des Bezirksgerichts fallen und: – im Höchstmaß maximal mit einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren bedroht sind und – wenn es sich um eine Straftat gegen Vermögen handelt – der Wert des Tatobjekts oder der zugefügte oder drohende Schaden 200.000 Zloty nicht überschreitet, wobei die in Art.  155, Art.  156 §  2, Art.  157a §  1, Art.  165 §  2, Art.  168, Art.  174 §  2, Art.  175, Art.  181–184, Art.  186, Art.  201, Art.  231 §  1 u. 3, Art.  240 §  1, Art.  250a §  1–3, Art.  265 §  3, in Kapitel XXXVI (ausgenommen Art.  297 und Art.  300) sowie in Kapitel XXXVII plStGB vorgesehenen Straf­ taten ausgeklammert sind; – in Art.  159, Art.  254a und Art.  262 §  2 StGB vorgesehen sind; – in Art.  279 §  1, Art.  286 §  1 und 2 sowie Art.  289 §  2 StGB vorgesehen sind, sofern der Wert des Tatobjekts oder der zugefügte oder drohende Schaden 200.000 Zloty nicht über­ schreitet. 255  Stefański, in: Gostyński (Hrsg.), Art.  244 Rn.  7; Kudrelek, Policja KKKP 1/2009, 32 (36). 249 

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wurde, durch die Polizei betroffen wird – die Tatsache der Tatbegehung offen­ sichtlich ist.256 Nach Art.  41 Abs.  1 SDÜ in polnischer Fassung darf nur eine während der Begehung einer Straftat betroffene oder an der Begehung einer Straftat teilneh­ mende Person grenzüberschreitend verfolgt werden („osoba złapana podczas popełnienia lub uczestnicząca w popełnieniu przestępstwa“). Hinsichtlich der verwendeten Begriffe orientiert sich der polnische Wortlaut nicht an der inner­ staatlichen Regelung der Flagranzfestnahme, wie es auf der Grundlage der Ur­ fassungen sonst üblich ist, sondern wohl am englischen Text: „caught in the act of committing or of participating in one of the offences“. Diesen gibt er aller­ dings insoweit missglückt wieder, als er die Verfolgung eines Teilnehmers nicht explizit an das Betreffen „während der Teilnahme“ koppelt. Das Wort „wäh­ rend“ wird in der polnischen Sprachwissenschaft als eine Präposition qualifi­ ziert, die mitteilt, dass ein Ereignis zum selben Zeitpunkt geschehen ist wie ein anderes.257 Bei dieser Lesart schränkt die Passage „während der Begehung“ das Nacheilerecht auf die Situationen ein, in denen der Täter zu der Zeit betroffen wurde, zu welcher er gehandelt oder die Handlung unterlassen hat, zu der er verpflichtet war (vgl. Art.  6 §  1 plStGB). Bei Begehungsdelikten könnte folglich nur derjenige grenzüberschreitend verfolgt werden, der im Zeitpunkt des Ent­ deckens zur Tatbestandsverwirklichung unmittelbar angesetzt bzw. mit der tat­ bestandsmäßigen Ausführungshandlung bereits begonnen, diese aber noch nicht vollzogen hat.258 Bei Unterlassungsdelikten müsste der Täter dagegen im Zeitraum zwischen dem Eintritt der Handlungspflicht und dem Verstreichenlas­ sen der letzten Möglichkeit zur Pflichterfüllung betroffen werden.259 Jenseits dieser (Begehungs- bzw. Unterlassungs-)Zeitpunkte wäre eine Inanspruchnah­ me des Nacheilerechts bei dieser streng wortlautorientierten Auslegung nicht möglich. Für die Verfolgung eines Teilnehmers wäre eine solche Einschränkung vom Wortlaut her zulässig, aber nicht zwingend. c.  Zusammenfassung der Schlussfolgerungen aus dem Wortlaut Die polnische Fassung spricht für die enge Auslegung der hier diskutierten Nacheilevoraussetzung. Art.  41 SDÜ soll danach nur dann in Anspruch genom­ men werden können, wenn der Täter zum Zeitpunkt des Handelns bzw. des Kudrelek, Policja KKKP 1/2009, 32 (36); vgl. auch Grzegorczyk, Kodeks postępowa­ nia, Art.  244 Rn.  2. 257  „Podczas“, in: Dubisz (Hrsg.), Bd.  3, S.  222. 258 Vgl. Lachowski, in: Konarska-Wrzosek (Hrsg.), Art.  6 Rn.  4. 259 Vgl. Lachowski, in: Konarska-Wrzosek (Hrsg.), Art.  6 Rn.  5; Zoll, in: Wróbel/Zoll (Hrsg.), Art.  6 Rn.  10 u. 14; Marek, Kodeks karny, Art.  6 Rn.  4. 256 

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Unterlassens der gebotenen Handlung ertappt wurde. Zum gleichen Resultat würde man gelangen, wenn man das Wort „bei“ in der deutschen Fassung des Art.  41 SDÜ im temporalen Sinne begriffe. Dies ist aber, wie angedeutet, sprachlich nicht obligatorisch. Sollte die Passage „bei der Begehung von oder der Teilnahme an“ nur der Klarstellung dienen, dass der Täter bzw. Teilnehmer im Zusammenhang mit einer Katalogstraftat oder einer auslieferungsfähigen Straftat verfolgt werden muss, bliebe nur zu fragen, welche Konstellationen mit dem Erfordernis des Betreffens auf frischer Tat erfasst sind. Ein Vergleich des deutschen Wortlauts der Schengener Vorschrift mit §  127 Abs.  1 StPO suggeriert, das Nacheilerecht raumzeitlich auf das Ertappen bei der Tatbegehung oder alsbald danach am Tat­ ort oder in dessen unmittelbarer Nähe zu beschränken. Indes ermöglicht es eine autonome grammatikalische Auslegung der Formulierung „auf frischer Tat be­ troffen“, den Anwendungsbereich des Art.  41 SDÜ auch auf Fälle zu erstrecken, in denen der Täter aufgrund von am Tatort hinterlassenen Tatspuren verfolgt oder an einem beliebigen Ort „red-handed“ betroffen wird, soweit nur die äu­ ßeren Umstände den Verdacht einer noch „frischen“ Tat vermitteln. Eine solche Auslegung dürfte auch im Lichte der niederländischen und französischen Fas­ sung berechtigt sein, weil sie von Begrifflichkeiten Gebrauch machen, denen im nationalen Recht gerade eine extensive Bedeutung zukommt. Dies trifft insbe­ sondere auf den französischen Terminus „flagrant délit“ zu, der gemäß Art.  53 CPP vier Flagranzfälle erfasst und in zeitlicher und räumlicher Hinsicht weit über die mit §  127 Abs.  1 StPO, geschweige denn mit Art.  243 §  1 plStPO erfass­ baren Situationen hinausgeht. Goy bemerkt jedoch, dass das in der französi­ schen Fassung verwendete Wort „commettre“ in Art.  53 CPP nur im Bereich der flagrance proprement dite, nicht aber der flagrance par présomption und par assimilation auftaucht, und folgert daraus, dass in Art.  41 SDÜ bewusst ein en­ gerer Wortlaut zugrunde gelegt worden sei.260 Nicht einbezogen sollen demnach die Fälle sein, in denen der Täter „red-handed“ angetroffen wird.261 Auch wenn die Formulierung „auf frischer Tat bei der Begehung […] betrof­ fen“ bzw. „prise en flagrant délit de commission“ bzw. „op heterdaad betrapt bij het plegen“ bzw. „złapaną podczas popełnienia“ unionseinheitlich autonom auszulegen ist, bieten die auf der Grundlage der innerstaatlichen Regelungen gewonnenen Erkenntnisse eine gewisse Orientierung hinsichtlich des Inhalts des ersten Nacheilegrunds. Die grammatikalische Auslegung beseitigt jedoch, wie gezeigt, die geschilderten Zweifel nicht. Auf einen Vergleich der übrigen Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  191. Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  191. Nach Joubert/ Bevers, Schengen Investigated, S.  268 ist dagegen diese Konstellation vom Wortlaut aller drei Urfassungen erfasst. 260  261 

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

Sprachfassungen des Art.  41 SDÜ wird an dieser Stelle verzichtet, da dies den Rahmen der Abhandlung sprengen würde. Ein solcher Vergleich erscheint aber auch nicht notwendig, denn auch der EuGH folgt im Falle von Widersprüchen weder dem „Mehrheitsprinzip“, d. h., er zieht nicht automatisch diejenige Be­ deutung vor, die in den meisten mitgliedstaatlichen Rechtssystemen gängig ist, noch der Regel eines gemeinsamen Nenners, d. h., er sucht nicht nach einem allen Fassungen immanenten Minimalgehalt.262 Stattdessen greift er zu syste­ matischen und vornehmlich teleologischen Argumenten.263 3.  Bedeutungserkundung anhand systematischer und teleologischer Argumente Die Einräumung des Nacheilerechts basierte auf der Überzeugung, dass die aus dem Abbau von Grenzkontrollen resultierenden Sicherheitsverluste „im Interes­ se der Bürger nicht hingenommen werden können“.264 Die Möglichkeit der Fort­ setzung der Verfolgung auf dem fremden Hoheitsgebiet sollte die „Chancen“ zwischen Polizeibeamten und Straftätern ausgleichen.265 Dieses dem histori­ schen Regelungsgeber vorschwebende Ziel bleibt trotz der Integrierung des SDÜ in das Unionsrecht unverändert. Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, den die EU gemäß Art.  3 Abs.  2 EUV ihren Bürgerinnen und Bür­ gern bietet, ist auf die Gleichwertigkeit seiner Bausteine angelegt.266 Begleitend 262  Anweiler, Die Auslegungsmethoden, S.  153 ff.; Christensen/Sokolowski, in: Müller/ Burr (Hrsg.), S.  113 (123 f.). 263  Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber (Hrsg.), §  7 Rn.  19; Christensen/Sokolowski, in: Müller/Burr (Hrsg.), S.  113 (124); Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschaftsrecht, S.  233 ff. Statt aller EuGH Slg. 1977, 1999 Rn.  13/14 (Bouchereau). Zur Begründung der unionsgericht­ lichen Verfahrensweise siehe EuGH Slg. 1977, 425 Rn.  11/12 (Kerry Milk/Minister für Landwirtschaft und Fischereiwesen): „Die Beseitigung sprachlicher Unstimmigkeiten im Wege der Auslegung kann unter gewissen Umständen dem Ziel der Rechtssicherheit zuwiderlau­ fen, insofern nämlich, als einer oder mehrere der betreffenden Texte in einer Weise ausgelegt werden müssen, die zu der natürlichen und gewöhnlichen Bedeutung der Worte in Wider­ spruch steht. Folglich ist es besser, die Möglichkeiten zu erkunden, wie die streitigen Fragen gelöst werden können, ohne dass irgendeinem der betreffenden Texte der Vorzug geben wird.“ 264  Denkschrift zum Übereinkommen, BT-Drs. 12/2453, S.  91. Ob der Wegfall der Grenz­ kontrollen Sicherheitsdefizite tatsächlich nach sich ziehen bzw. ob die Grenze tatsächlich eine Schutzfunktion vor grenzüberschreitenden Gefahren und international betätigter Kri­ minalität erfüllen würde, wurde gleichwohl heftig diskutiert. Von einer Filter- und Schutz­ funktion gingen etwa Rupprecht/Hellenthal, in: Rupprecht/Hellenthal, S.  23 (42 ff.) aus; an­ ders aber Weichert, DuR 1990, 251 (258). Eingehend zum damaligen Meinungsstand Kühne, Kriminalitätsbekämpfung, S.  9 ff. 265  Mehr dazu im 1. Teil A. I. 266  Meyer, EuR 2011, 169 (189); Böse, in: Schwarze (Hrsg.), Art.  82 AEUV Rn.  6.

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zur Gewährleistung des freien Personenverkehrs im Binnenraum ist die „rechts­ staatliche Sicherheit“ herzustellen.267 Einerseits gilt es also, die Freizügigkeit zu gewährleisten, andererseits müssen die Straftäter daran gehindert werden, da­ von deliktisch zu profitieren.268 Unter Zugrundelegung dieser Zielrichtung ist das Merkmal „auf frischer Tat betroffen“ so auszulegen, dass den handelnden Beamten ein möglichst breites operatives Feld gesichert wird. Man muss somit zunächst der sich aus der polni­ schen Textfassung ergebenden und auf der Grundlage der deutschen Fassung vertretbaren Einschränkung des Nacheilerechts auf Fälle des Betreffens in der Tatbegehungsphase widersprechen. Die diskutierte Einschränkung könnte im Ergebnis den Tatverdächtigen, dem es gelingt, vor dem Betroffensein die Tat auszuführen, demjenigen gegenüber privilegieren, der bereits bei der Tataus­ führung ertappt wird. Bildlich gesprochen könnte die Person grenzüberschrei­ tend verfolgt werden, die auf ihr Opfer mit einem Messer weiterhin einsticht, nicht aber diejenige, die ihr Opfer bereits erstochen und somit die Tat begangen hat. Eine solche Differenzierung kann nicht überzeugen und war von den Unter­ zeichnerstaaten mit Gewissheit auch nicht gewollt. Aber auch die Auslegung der Voraussetzung „auf frischer Tat betroffen“ in Anlehnung an die für §  127 Abs.  1 StPO anerkannten Grundsätze würde der bezweckten „Chancengleichheit“ nicht hinreichend Rechnung tragen. Es ließe sich sachlich kaum begründen, dass eine bereits am Tatort oder in dessen un­ mittelbarer Nähe betroffene Person über die Grenze verfolgt werden könnte (in­ sofern der erste Flagranzfall des §  127 Abs.  1 StPO), nicht aber der Täter, der sich vom Tatort zwar unbemerkt entfernen würde, aber aufgrund der unmittel­ bar nach der Entdeckung der kurz zuvor verübten Straftat getroffenen polizeili­ chen Verfolgungsmaßnahmen mit Tatspuren angetroffen und die Flucht nicht abbrechen bzw. sie neu ergreifen würde (der zweite Flagranzfall des §  127 Abs.  1 StPO). Die Quelle der Kenntnisnahme von der Tat ist in beiden Konstel­ lationen identisch. Das ist der Tatort. Auch die „Frische“ der Tat wird in den beiden Varianten vom Tatort abgeleitet. Es besteht somit kein qualitativer Un­ terschied, der die Zulassung der grenzüberschreitenden Nacheile im ersten, nicht aber im zweiten Fall rechtfertigen würde. Von solch einer Differenzierung würden nur die Straftäter profitieren, und vor allem organisierte Tätergruppen, die bei der Straftatenbegehung verdeckt und planmäßig vorgehen und den Tat­ ort meistens noch vor der Tatentdeckung verlassen. Es dürfte nicht mehr von einer Ausgleichsfunktion des Nacheilerechts die Rede sein, wenn dessen Inan­ spruchnahme auf einige wenige seltene Fälle reduziert würde. 267 

268 

Röben, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art.  67 AEUV Rn.  56. Röben, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art.  67 AEUV Rn.  56.

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

Aus denselben Gründen müsste als „auf frischer Tat betroffen“ auch derjeni­ ge angesehen werden, der weder am Tatort noch in dessen Gegend bemerkt noch vom Tatort aus verfolgt, sondern „red-handed“, etwa mit Blutspuren und Waffe oder mit Diebesgut269, angetroffen wird. Zwar würden sich in diesem Fall die Nacheilemaßnahmen auf einen Verdacht stützen, der nicht nur täter-, sondern auch tatbezogen ist. Es lässt sich aber nicht bestreiten, dass auch beim Ertappen des Verfolgten bei der Ausführungshandlung die Polizeibeamten nicht imstande sein werden, festzustellen, ob eine verfolgbare (auslieferungsfähige) Straftat tatsächlich vorliegt. Ob die Tat vorsätzlich oder fahrlässig begangen wurde, ob zur Tatzeit ein tatbestandsausschließendes Einverständnis oder etwa eine recht­ fertigende Einwilligung vorhanden war, lässt sich vor Ort nicht mit „Sicherheit“ beurteilen. Gleiches betrifft die Ermittlung, ob die durch ein quantitatives Kri­ terium festgelegte Schwelle einer Straftat bei den im polnischen Recht existie­ renden halbierten Delikten überschritten wurde. Schließlich sind normative Tatbestandsmerkmale für ein spontanes und dennoch festes Urteil ungeeig­ net.270 Beispielsweise wird das Fahren in Schlangenlinie allenfalls den Verdacht einer Trunkenheitsfahrt begründen, weil seine Ursache auch in anderen Grün­ den als in einer alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit bestehen könnte.271 Die Ve­ rifizierung des Tatverdachts stellt aber die primäre Aufgabe des Strafverfahrens dar,272 auf dessen Sicherung die grenzüberschreitende Nacheile abzielt. Es wäre unverständlich, zu Beginn der Ermittlungen ein „Mehr“ an Gewissheit der Tat­ feststellung als am Ende des Strafverfahrens zu fordern.273 Selbst der Tatrichter fällt das Urteil nicht aufgrund sicheren Wissens, sondern seiner subjektiven Überzeugung, die aus den mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellten, die Strafbarkeit begründenden Umständen erwächst.274 Zwar spricht Art.  41 Abs.  1 SDÜ von einer in flagranti ertappten Person und nicht von einem Tatverdächtigen. Das Merkmal „auf frischer Tat betroffen“ besagt aber nichts weiter, als dass die Nacheilevoraussetzung nicht eine irgendwann began­ gene, sondern eine „frische“ Straftat ist, und erfordert somit lediglich einen engen Konnex zwischen der Tat und dem Betreffen.

Vgl. in Bezug auf das nationale Recht Kay, Allgemeines Verwaltungs- und Eingriffs­ recht, Bd.  1, S.  123. 270 Vgl. Marxen, in: FS-Stree/Wessels, S.  705 (712 f.) und Kargl, NStZ 2000, 8 (11) mit Beispielen „grob verkehrswidrig“ und „rücksichtslos“. 271 Vgl. Marxen, in: FS-Stree/Wessels, S.  705 (712); Kargl, NStZ 2000, 8 (11). 272  Frister, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil F Rn.  6. 273  Vgl. in Bezug auf die Festnahme nach §  127 Abs.  1 StPO Fincke, JuS 1973, 87 (89). 274  Fincke, JuS 1973, 87 (Fn.  9). 269 

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Die Auslegung des Begriffs „Tat“ im Sinne des Tatverdachts275 wird durch den Blick auf den Straftatenkatalog aus Art.  41 Abs.  4 lit.  a SDÜ untermauert. Der Katalog erfasst Totschlag, nicht aber (schwere) Körperverletzung. Da Art.  41 SDÜ auf die „Begehung“, d. h. auf das Handeln bzw. Unterlassen, ab­ stellt, und somit keine vollendete Tat erfordert,276 ist eine Nacheile auch beim versuchten Totschlag zulässig. Die Verfolgung eines Täters, der aufgrund sich annähernder Schritte von seinem blutenden Opfer abgelassen hat und vom Tat­ ort geflüchtet ist, ohne den Tötungsplan zu Ende gebracht zu haben, würde hier lediglich auf dem Verdacht gründen, dass der Flüchtende einen versuchten Tot­ schlag und nicht (nur) eine (schwere) Körperverletzung begangen hat. Eine andere Frage ist, welcher Erkenntnisquelle der Tatverdacht entstammen darf. In der hier diskutierten Konstellation des Antreffens einer Person „red-handed“ rührt der tat- und zugleich der täterbezogene Verdacht von dem Verfolgten her, ohne dass der Tatort bekannt ist. Die Tat selbst wird hier somit gar nicht wahrgenommen. Gegen die Einbeziehung solcher Fälle könnte die Entstehungsgeschichte der Vorschrift sprechen. Die Regelung erschien den ver­ handelnden Parteien – außer Deutschland, das die Initiative zu ihrer Ausarbei­ tung selbst ergriffen hatte – wegen der entstehenden Souveränitätseinbußen „eher abwegig und sogar unerwünscht“.277 Die Verhandlungen verliefen äußerst schwierig und waren durch die Angst vor grenzüberschreitender Kriminalität einerseits und durch das fehlende Vertrauen in den Sicherheitsapparat der be­ nachbarten Staaten andererseits gekennzeichnet.278 Als Kompromisslösung setzte man einer grenzüberschreitenden Verfolgung in Art.  41 SDÜ lediglich einen allgemeinen Rahmen und man überließ die tatsächliche Gestaltung des Nacheilerechts der zwischenstaatlichen Praxis. Der angestrebte Zweck war also nicht das einzige Kriterium, das den Inhalt der Vorschrift prägte; er wurde viel­ mehr durch Souveränitätsvorbehalte überspielt. Unter diesem Gesichtspunkt darf man vermuten, dass sich die Unterzeichnerstaaten auf die Verletzung ihrer Gebietshoheit nur unter der Bedingung einigen wollten, dass die Tat entdeckt wird, d. h. der Tatverdacht vom wahrgenommenen Tatverhalten oder Taterfolg herrührt. Wollte man den Wortlaut der Urfassungen im Lichte der Entstehungs­

Im Ergebnis auch Brammertz/Colling, in: Nachbaur (Hrsg.), S.  73 (81); Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  192; Kalthoff, in: Małolepszy/Soiné/Żura­ kowska (Hrsg.), S.  99 (105); Woźniewski, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  107 (116 f.). 276  Würz, Das Schengener Durchführungsübereinkommen, Rn.  129; Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  191. 277  Haas, Die Schengener Abkommen, S.  87. Siehe auch 1. Teil A. I. 278  Haas, Die Schengener Abkommen, S.  87. 275 

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

geschichte auslegen, wäre die grenzüberschreitende Nacheile nach Goy 279 nur in den Fällen des Betreffens am Tatort oder in dessen unmittelbarer Nähe oder im Zuge einer Verfolgung, die am Tatort aufgrund eindeutiger Tatspuren unmittel­ bar nach der Tatentdeckung aufgenommen wurde, zulässig. Beim Antreffen des Täters „red-handed“ müsste die Nacheilemöglichkeit mangels Wahrnehmung der Tat verwehrt sein. Auch wenn die vorstehende Schlussfolgerung im Ansatz richtig sein mag, gilt das SDÜ als Unionsrecht. Der Effektivitätsgrundsatz („effet utile“) gebietet es, die fragliche Norm hinsichtlich ihrer Zwecke so auszulegen, dass sie „ergiebig“ ist und ihre Wirkung am besten entfalten kann.280 Das mit Art.  41 SDÜ ins Auge gefasste Ziel, den Polizeibeamten ein effektives Strafverfolgungsinstrument als Ausgleich für den Wegfall der Grenzkontrollen an die Hand zu geben, wider­ spricht einer Einschränkung des Nacheilerechts auf Fälle, in denen die Beamten die Tat selbst entdeckt oder davon anderweitig – etwa durch eine mündliche Strafanzeige über den Polizeinotruf – Kenntnis erlangt haben. Ein in diesem Sinne „sicherer Verdacht“ der Tatbegehung dürfte im Polizeialltag eine Aus­ nahme sein.281 Wenn aber das Nacheileinstrument als Kompensationsmaßnah­ me konzipiert war, muss es auf Regelsachverhalte anwendbar sein. Den Beam­ ten muss es deshalb möglich sein, die aufgenommene Verfolgung über die Grenze auch dann fortzusetzen, wenn sie die Tat zwar weder mit eigenen Augen gesehen haben noch davon unterrichtet worden sind, aber die Zusammenschau aller äußerlich wahrnehmbaren Umstände im konkreten Fall auf eine frisch be­ gangene Straftat schließen lässt. Es ist dabei zu bedenken, dass dem Kriterium der Frische der Tat eine die Nacheilebefugnis einengende Funktion zukommt. Es wäre verfehlt, dieses Merkmal derart zu handhaben, dass es praktisch leerliefe und die Regelung des Art.  41 Abs.  1 SDÜ so zu lesen wäre, als würde sie jeden Fall des Betreffens eines Tatverdächtigen bei der Begehung von oder der Teilnahme an einer Straf­ tat erfassen. Vor diesem Hintergrund darf vom Vorliegen eines Tatverdachts nicht automatisch auf die Frische der Tat geschlossen werden. Die Umstände, die die Tatbegehung nahelegen, müssen zusätzlich die Annahme legitimieren, die präsumtiv begangene Tat liege dem Akt des Betreffens unmittelbar voraus, weshalb der zeitliche Konnex gewahrt ist. Der Bedeutungsgehalt des Kriteri­ ums der Frische der Tat lässt sich anhand eines Beispiels illustrieren: Nimmt der Beamte eine rennende Person, die ein Messer in der Hand hält und deren Klei­ dung mit deutlichen frischen Blutspuren verschmutzt ist, wahr und hält die Per­ 279 

Siehe oben II. 2. c. Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber (Hrsg.), §  7 Rn.  30. 281  Bavendamm, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  225 (229 f.); dies., Krimi­ nalistik 2016, 38 (41). 280 

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son auf Anordnung nicht an, darf der Beamte davon ausgehen, dass eine Straftat gegen Leben oder Leib begangen worden ist. Aufgrund der äußerlich sichtbaren Umstände, im Einzelnen des Umstands, dass der Rennende ein Messer hält und seine Kleidung frische Blutflecken aufweist, darf er zusätzlich annehmen, dass die mutmaßliche Tat unmittelbar davor begangen wurde. Das Vorliegen eines engen zeitlichen Zusammenhangs impliziert die Tatsache, dass der Betroffene es nicht geschafft hat, die Spuren der mutmaßlichen Tat zu beseitigen. Die Problematik der Bestimmung der Frische der Tat wird in einem praktisch relevanten Fallbereich besonders virulent. Die Möglichkeit einer Inanspruch­ nahme des Nacheilerechts scheint vor allem im Bereich der Bekämpfung orga­ nisierter Diebstahlskriminalität und der Kfz-Verschiebung von Bedeutung zu sein. Man denke etwa an die Schnelligkeit, mit der gestohlene oder gehehlte Fahrzeuge ins Ausland verbracht werden. Die Wegnahme zur späten Nachtzeit, insbesondere in Abwesenheit des Eigentümers, reduziert die Wahrscheinlich­ keit, dass der Diebstahl noch vor dem Grenzübertritt angezeigt und der Täter festgehalten wird, auf ein Minimum. Die an den Kontrollstellen in Grenznähe gewonnenen Erkenntnisse bieten dann die einzigen Ansatzpunkte für Ermitt­ lungen.282 Geht man davon aus, dass in einem Fall, in dem der Autofahrer bei einer unmittelbar beim Grenzübergang stattfindenden Verkehrskontrolle nicht anhält, hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme eines Tatverdachts des Diebstahls vorliegen, muss man sich weiter fragen, ob der Verdacht auch die Frische der Tat umfasst. Regelmäßig ist dies zu verneinen, da der Beamte auf der Grundlage der äußeren Umstände keinen Anlass haben wird, von einer dem Betreffen unmittelbar vorausgegangenen Begehung auszugehen. Es besteht vielmehr im Normalfall die gleichermaßen berechtigte Option, dass die präsum­ tive Tat vor langer Zeit begangen wurde. Im Unterschied zum vorher genannten Fall lässt sich diesmal aufgrund der Beschaffenheit des Fahrzeugs keine Aussa­ ge zum Zeitpunkt der möglichen Begehung treffen. Zu überlegen wäre aller­ dings, ob der erforderliche Verdacht bezüglich der Frische aufgrund der polizei­ lichen Erfahrung, nach der – hypothetischerweise – frisch gestohlene Fahrzeu­ ge sofort über die Grenze verbracht werden, eine anderweitige Beurteilung zulassen könnte. Soweit eine solche Praxis in der Tat vorliegt,283 erscheint ein darauf gestützter Verdacht nicht ausgeschlossen.284 Hitz, Die Polizei 1993, 148 (149). Siehe hierzu Buschmann, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  211 (217 f.). 284  Vgl. zum Ganzen Kalthoff, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  99 (101 ff.), der die Zulässigkeit einer Nacheile in Fällen der sog. Kontrollflucht ohne Weiteres auf den durch äußere Umstände vermittelten Tatverdacht stützen will. Nach Daman, EJCCLCJ 16 (2008), 171 (191) ist dagegen die grenzüberschreitende Fortsetzung der Verfolgung bei sol­ chen Sachverhalten auf der Grundlage des Art.  41 SDÜ unzulässig. 282 Vgl. 283 

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Eingedenk des Vorgenannten ist der Begriff der Straftat i. S. v. Art.  41 Abs.  1 SDÜ prozessual im Sinne eines Tatverdachts zu verstehen. Für das Merkmal „auf frischer Tat betroffen“ genügt ein enger zeitlicher Zusammenhang zwi­ schen der Tatbegehung und dem Betreffen. Die Tatfrische muss sich aus den wahrgenommenen, den Tatverdacht begründenden Indizien ergeben. Es liegt auf der Hand, dass sowohl das Erfordernis des sicheren Wissens der Tatbege­ hung als auch die Notwendigkeit der Herstellung einer Nähe zur Tat vom Tatort aus das Nacheilerecht seiner praktischen Wirksamkeit berauben würden. 4.  Bewertung der Voraussetzung „auf frischer Tat betroffen“ Unter dem Gesichtspunkt der effektiven polizeilichen Zusammenarbeit ist die Einschränkung des Nacheilerechts auf das Betreffen auf frischer Tat – selbst bei der postulierten, vom Effizienzgebot getragenen weiten Auslegung – kritisch zu bewerten. Es lässt sich nicht bestreiten, dass die polizeiliche Zusammenarbeit in Europa zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des SDÜ noch in den Kinderschu­ hen steckte.285 Im Lichte der historisch bedingten Vorurteile gegenüber Deutsch­ land und des daraus resultierenden Misstrauens muss bereits die Zulassung des exekutiv-polizeilichen Handelns auf dem Gebiet eines anderen Staates ohne dessen Zustimmung als Meilenstein bewertet werden. Zwischenzeitlich ist aber die grenzüberschreitende Polizeikooperation zum Alltag geworden. Selbst im deutsch-polnischen Grenzgebiet verwundert ein Anblick eines fremden Polizei­ wagens oder einer gemischten Streife nicht mehr. Bedauerlich ist daher, dass im neuen deutsch-polnischen Kooperationsvertrag von der in Art.  41 Abs.  10 SDÜ vorgesehenen Möglichkeit der Erweiterung der Nacheilegrundlagen kein Ge­ brauch gemacht wurde, zumal die in dieser Hinsicht praxisfreundlicheren Be­ stimmungen in die Abkommen mit einigen anderen Nachbarländern aufgenom­ men wurden. So spricht das polnisch-litauische Abkommen von einer Verfolgung im Zu­ sammenhang mit einer verbotenen Tat (Art.  11 Abs.  1). Im Vertrag mit Tsche­ chien ist hingegen von der Verfolgung eines der Begehung einer vorsätzlichen 285  Die Anfänge der modernen Polizeikooperation in Europa datieren seit dem Jahr 1975, als der Europäische Rat auf einem Treffen in Rom eine engere Kooperation im Gebiet Inneres und Sicherheit beschlossen hat, um der Bedrohung durch den Terrorismus effektiver entge­ genwirken zu können. Zur Umsetzung dieses Konzepts wurde in den folgenden Jahren eine hochkomplexe dreistufige Gremienstruktur für die sog. TREVI-Kooperation entwickelt, Würz, Das Schengener Durchführungsübereinkommen, Rn.  6. Diese stellte jedoch keine völ­ kerrechtlich verbindliche Form der Zusammenarbeit dar, König/Pechstein, Der Vertrag von Maastricht, Kapitel 5 Rn.  30. Ein entscheidender Schritt wurde deshalb erst mit der Errich­ tung der EU im Jahr 1992 und der Institutionalisierung der polizeilichen Zusammenarbeit unter ihrem Dach gemacht.

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strafbaren Tat Verdächtigen 286 oder einer tatverdächtigen Person 287 die Rede (Art.  11 Abs.  1). In beiden Fällen wird die Möglichkeit der Fortsetzung der Nacheile nicht an das Vorliegen einer zeitlichen, geschweige denn einer vom Tatort aus herzustellenden räumlichen Nähe mit der Tatbegehung geknüpft. Das polnisch-tschechische Abkommen stellt dabei ausdrücklich klar, dass für die Nacheile ein Tatverdacht genügt. Nach dieser Regelung kann deshalb ohne Wei­ teres derjenige grenzüberschreitend verfolgt werden, der sich einer polizeili­ chen Kontrolle entzieht, soweit der Beamte nach den Umständen des konkreten Falles den Verdacht hegt, dass der Fahrer beispielsweise das geführte Fahrzeug gestohlen hat. Das Abkommen gewährt den handelnden Beamten nicht nur ein breiteres operatives Feld, sondern beseitigt die Zweifel, die bei der Auslegung des Wortlauts des Art.  41 Abs.  1 SDÜ entstehen. Die Klarheit der Rechtsgrund­ lagen für das grenzüberschreitende Tätigwerden stellt wiederum die primäre Voraussetzung einer effektiven Zusammenarbeit dar. Die beiden Kooperations­ verträge wurden zwar kurz vor dem Beitritt der Signatarstaaten zum Schen­ gen-Raum geschlossen. Entsprechend der polnischen Erklärung gemäß Art.  41 Abs.  9 SDÜ gelten sie aber fort und sind als Vereinbarungen i. S. v. Art.  41 Abs.  10 SDÜ anzusehen. Eine massive Erweiterung des Nacheilerechts stellen die Bestimmungen des Art.  14 des neuen deutsch-tschechischen Kooperationsabkommens dar. Über die Grenze hinweg kann erstens eine Person verfolgt werden, die der Begehung von oder der Teilnahme an einer Straftat, die nach dem innerstaatlichen Recht des Tatortstaates mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens zwölf Monaten bedroht ist, verdächtig ist oder deswegen strafrechtlich verfolgt wird. Auf die einschränkende Voraussetzung der „Tatfrische“ wird hier, so wie im polnisch-tschechischen Vertrag, verzichtet. Darüber hinaus besteht das Nach­ eilerecht in Bezug auf Personen, die sich einer durch die Polizei- oder Zollbe­ hörden in den Grenzgebieten durchgeführten Kontrolle oder einer in Überein­ stimmung mit dem Recht der Europäischen Union zeitweilig durchgeführten Grenzkontrolle an den Binnengrenzen entziehen. Über den Wortlaut des Art.  41 Abs.  1 SDÜ hinaus geht auch das deutsch-ös­ terreichische Abkommen. Das Nacheilerecht ist dort an zwei Stellen geregelt. Art.  12 ergänzt die Schengener Bestimmungen. Danach kann nicht nur der auf 286  Als Verdächtiger gilt nach Art.  71 §  1 plStPO eine Person, der gegenüber ein Beschluss über die Erhebung eines Tatvorwurfs erlassen wurde, oder welcher, ohne dass ein solcher Beschluss erlassen wurde, die Tat anlässlich der Vernehmung als Verdächtiger vorgeworfen wurde. 287  Als tatverdächtige Person wird eine solche Person angesehen, hinsichtlich deren eine begründete Vermutung besteht, dass sie eine Straftat begangen hat, Paprzycki, in: Paprzycki (Hrsg.), Art.  244 Rn.  4; Grzegorczyk, Kodeks postępowania, Art.  71 Rn.  2.

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frischer Tat Betroffene grenzüberschreitend verfolgt werden, sondern auch eine Person, die sich auf dem Gebiet von maximal 150 Kilometern vor der Grenze einer Kontrolle zum Zweck der Fahndung nach Personen entzieht, die der Bege­ hung einer auslieferungsfähigen Straftat verdächtig sind oder zu einer freiheits­ entziehenden Sanktion verurteilt worden sind, derentwegen eine Auslieferung zulässig erscheint. Die Regelung erweitert somit das Zugriffsrecht der Polizei­ beamten räumlich auf Tatverdächtige, die etwa erst einige Zeit nach der Tatent­ deckung ermittelt und zur Fahndung ausgeschrieben wurden. Denn nach Art.  41 Abs.  1 SDÜ ist die Nacheile wegen des Erfordernisses der Tatfrische in diesem Fall ausgeschlossen. Darüber hinaus wurde in Art.  17 eine grenzüberschreiten­ de Nacheile als besondere Form der Zusammenarbeit zur polizeilichen Gefah­ renabwehr geregelt. Sein Absatz 1 lässt die Verfolgung von Personen zu, die sich einer Grenzkontrolle entziehen, welche gemäß Art.  2 Abs.  2 SDÜ mit Rücksicht auf die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit vorüberge­ hend wieder aufgenommen wurde. Absatz 2 erstreckt diese Befugnis auf die Fälle, in denen sich eine Person einer polizeilichen oder zollamtlichen Kontrolle innerhalb einer Entfernung von höchstens 150 Kilometern bis zu der Grenze entzieht, sofern dabei eindeutig Anhaltezeichen missachtet werden und in der Folge eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit herbeigeführt wird. Auf der Grundlage des Art.  41 Abs.  1 SDÜ würde sich in der zuletzt genannten Konstel­ lation die Verfolgungsmöglichkeit über die deutsch-polnische Grenze erst dann eröffnen, wenn der Betroffene bei Missachtung der Kontrolle die Tatbestands­ merkmale einer auslieferungsfähigen Straftat verwirklichen würde. Denn das Nichtbefolgen polizeilicher Anhaltesignale sowie die Überschreitung der zuläs­ sigen Höchstgeschwindigkeit stellen – bekanntlich nicht nacheilefähige – Ord­ nungswidrigkeiten dar. Wortgleiche Bestimmungen enthält das deutsch-niederländische Kooperati­ onsabkommen (Art.  12 Abs.  1 Nr.  1 und Art.  17 Abs.  1, 2288). Eine ähnliche Re­ gelung sieht der deutsch-schweizerische Vertrag vor, indem er die grenzüber­ schreitende Nacheile auch in den Fällen gestattet, in denen sich der Verfolgte einer Grenzkontrolle oder innerhalb eines Gebietes von dreißig Kilometern ent­ lang der Grenze einer polizeilichen Kontrolle zum Zwecke der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität oder der Fahndung nach Straftätern ent­ zieht (Art.  16 Abs.  7).289 Die vorgenannten Lösungen verdienen Zustimmung. Die Polizeibeamten sollten gleichermaßen auf Verdächtige zugreifen können, die ins Ausland geflo­ 288  Mit dem Unterschied, dass sich Art.  17 Abs.  2 des deutsch-niederländischen Koopera­ tionsvertrags nur auf eine polizeiliche (und nicht auch auf eine zollrechtliche) Kontrolle be­ zieht. 289 Dazu Häfele, Rechtsschutz gegen Nacheilemaßnahmen, S.  22 f.

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hen sind, wie auch auf diejenigen, die im Zuge der Flucht die Grenze nicht überschritten haben. Dies entspricht dem alle Ausgleichsmaßnahmen unterfüt­ ternden Gedanken, dass die Straftäter von der Öffnung der Binnengrenzen zum Nachteil des Staatsapparats und von Opfern nicht profitieren sollen. Es lässt sich nicht bestreiten, dass sowohl die Durchsetzung des staatlichen Strafverfol­ gungsanspruchs als auch eine eventuelle Genugtuung zugunsten des Geschä­ digten im Falle der Auslandsflucht des Verdächtigen wesentlich erschwert sein werden. Und der Schutz der staatlichen Hoheitsbefugnisse erfordert nicht unbe­ dingt dermaßen eng gefasste Nacheilevoraussetzungen, sondern ihm kann auch durch anderweitige, für die Ausübung des Nacheilerechts geltende Mechanis­ men Genüge getan werden.

III. Verdachtsgrad Nun steht fest, dass Art.  41 SDÜ den Verdacht einer frischen auslieferungsfähi­ gen Straftat genügen lässt. Es muss zudem geklärt werden, welche Anforderun­ gen an die Verdachtsstufe zu stellen sind. Bedenkt man, dass der Ausgangs­ punkt einer grenzüberschreitenden Nacheile ein inländischer Sachverhalt ist und Art.  41 SDÜ gerade zur Fortsetzung einer im Inland aufgenommenen Ver­ folgung ermächtigt, bietet es sich an, zunächst zu überprüfen, welcher Intensi­ tätsgrad des Verdachts eine inländische Nacheile als Reaktion auf eine frische Straftat legitimiert. Darauf aufbauend könnte dann eine Schlussfolgerung für Nacheilemaßnahmen über die deutsch-polnische Grenze formuliert werden. 1.  Anforderungen an die Tat bei der Aufnahme einer inländischen Verfolgung in Deutschland a.  Einschreitebefugnis bzw. Einschreitepflicht der deutschen Polizeibeamten Die Rechtmäßigkeit der strafprozessualen Grundrechtseingriffe setzt – neben einer Ermächtigungsgrundlage – die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs gegen­ über dem Strafverfolgungsinteresse voraus.290 Diesem Erfordernis tut das Ge­ setz u. a. dadurch Genüge, dass es den Verdachtsgrad an die Intensität der Ver­ letzung anpasst.291 §  152 Abs.  2 StPO knüpft das aufklärende und strafverfol­ gende Tätigwerden der Staatsanwaltschaft an „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“ an, womit der sog. Anfangsverdacht umschrieben wird.292 Die Vornahme eingriffsintensiver verdeckter Ermittlungsmaßnahmen, wie der Tele­ 290 

Vgl. BGHSt 24, 125 (130); BVerfG NJW 2004, 999 (1012). Frister, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil F Rn.  119; vgl. BVerfG NJW 2004, 999 (1012). 292  Siehe nur Beulke, in: LR, §  152 Rn.  21; Weßlau/Deiters, in: SK-StPO, §  152 Rn.  12. 291 

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fonüberwachung (§  100a Abs.  1 Nr.  1 StPO), erfordert es, dass „bestimmte Tat­ sachen“ den Verdacht begründen. Die Eröffnung des Hauptverfahrens setzt nach §  203 StPO voraus, dass der Angeschuldigte einer Straftat „hinreichend verdächtig“ erscheint. Die Untersuchungshaft darf nur angeordnet werden, wenn der Beschuldigte der Tat „dringend verdächtig“ ist (§  112 Abs.  1 S.  1 StPO). Da das Gesetz keine nähere Bestimmung enthält, was unter den einzel­ nen Verdachtsgraden zu verstehen ist, kann ihr Inhalt nur im Rahmen einer Gegenüberstellung unter dem Rückgriff auf den jeweiligen Zweckbezug und die Eingriffsschwelle ermittelt werden. Für das polizeiliche Handeln im repressiven Bereich bietet §  163 Abs.  1 S.  1 StPO die primäre Rechtsgrundlage. Die Vorschrift räumt der Polizei ein sog. Recht des ersten Zugriffs ein und verpflichtet sie, selbstständig, d. h. ohne Ersu­ chen oder Auftrag der Staatsanwaltschaft,293 Straftaten zu erforschen und alle keinen Aufschub gestattenden Anordnungen zu treffen, um die Verdunkelung der Sache zu verhüten. Die damit zusammenhängende (Teil-)Zuweisung der Er­ mittlungsaufgabe der Staatsanwaltschaft beinhaltet u. a. die Bindung an den Anfangsverdacht.294 Sein Vorliegen eröffnet nicht nur die Möglichkeit zum Ein­ schreiten; es löst auch eine Sachverhaltserforschungspflicht in Bezug auf alle verfolgbaren Straftaten aus (§§  152 Abs.  2, 160 Abs.  2 StPO). Der Anfangsver­ dacht muss in konkreten Tatsachen bestehen, die nach kriminalistischer Erfah­ rung den Schluss auf ein strafbares Verhalten zulassen.295 Nicht erforderlich ist jedoch, dass sie bereits eine präzise straftatbestandliche Subsumtion ermögli­ chen.296 Für die Annahme eines Anfangsverdachts genügt eine gewisse Wahr­ scheinlichkeit einer Straftat, auch geringen Grades, bei der die Zweifel an der Richtigkeit des Verdachts (noch) überwiegen dürfen.297 Zur Konkretisierung dieser allgemeinen Erkenntnis ist ein Blick auf die An­ forderungen, die an die sonstigen Verdachtsgrade gestellt werden, nötig. Der hinreichende Tatverdacht ist Voraussetzung für den Erlass eines Eröffnungsbe­ schlusses. Da dieser – im Gegensatz zum Urteil – am Beginn des Hauptverfah­ rens steht, kann sich die ihm zugrunde liegende vorläufige Tatbewertung im Zuge der Hauptverhandlung „als unzulänglich oder falsch erweisen“.298 Für den Griesbaum, in: KK-StPO, §  163 Rn.  1; Pfeiffer, StPO, §  163 Rn.  1. Wohlers/Albrecht, in: SK-StPO, §  163 Rn.  1; Erb, in: LR, §  163 Rn.  17; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, §  163 Rn.  9; Patzak, in: Graf (Hrsg.), §  163 Rn.  4. 295  Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, §  152 Rn.  4; Beulke, in: LR, §  152 Rn.  25; Weßlau/ Deiters, in: SK-StPO, §  152 Rn.  12 ff.; Kay, Allgemeines Verwaltungs- und Eingriffsrecht, Bd.  1, S.  124; siehe auch BGH NJW 1989, 96 (97). 296  Beulke, in: LR, §  152 Rn.  23. 297  Beulke, in: LR, §  152 Rn.  23; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, §  152 Rn.  4. 298  BGHSt 23, 304 (305 f.); zustimmend Stuckenberg, in: LR, §  203 Rn.  8 m. w. N. aus der Rechtsprechung. 293 

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hinreichenden Tatverdacht genügt deshalb, wenn die spätere Verurteilung im Lichte der zum Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses zu treffenden Abwägung der be- und entlastenden Tatsachen wahrscheinlich ist.299 Der dringende Tatver­ dacht liegt vor, wenn nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand eine große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Beschuldigte als Täter oder Teilneh­ mer eine rechtswidrige und schuldhafte Straftat begangen hat (retrospektive Prognose)300 und daher seine Verurteilung zu erwarten ist (prospektive Progno­ se)301. Folgerichtig muss der Anfangsverdacht – als Impuls zur Einleitung eines zunächst an der Verdachtsklärung orientierten Verfahrens – im Vergleich zum hinreichenden und dringenden Tatverdacht durch eine geringere Intensität bzw. einen geringeren Wahrscheinlichkeitsgrad gekennzeichnet sein.302 Dies trifft auch auf sein Verhältnis zum begründeten Tatverdacht zu,303 der „konkrete und in gewissem Umfang verdichtete Umstände als Tatsachenbasis“ erfordert304. Die Verdachtslage, auf der das Recht des ersten Zugriffs basiert, darf somit weniger konkretisiert sein.305 Bloße Vermutungen genügen jedoch nicht.306 Hinsichtlich der Frage, ob der gewonnene Verdacht ausreicht, steht dem han­ delnden Beamten ein Beurteilungsspielraum zu.307 Wertet er die im Einzelfall vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte nach seiner polizeilichen Erfahrung als einen Anfangsverdacht begründend, so ist er zum Einschreiten zum Zwecke die h. M., siehe etwa Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner/Schmitt, §  203 Rn.  2; Ritscher, in: Graf (Hrsg.), §  203 Rn.  4; Kay, Allgemeines Verwaltungs- und Eingriffsrecht, Bd.  1, S.  125; weitere Nachweise bei Paeffgen, in: SK-StPO, §  203 Fn.  56, der selbst aber eine hohe Wahrscheinlichkeit für notwendig erachtet, in: SK-StPO, §  203 Rn.  11. 300  Allg. M.; siehe z. B. BVerfG NJW 1996, 1049 (1050); Paeffgen, in: SK-StPO, §  112 Rn.  4; Hilger, in: LR, §  112 Rn.  17 jeweils m. w. N. 301  In Bezug auf die prospektive Prognose wird überwiegend große Wahrscheinlichkeit der Verurteilung verlangt, siehe OLG Brandenburg StV 1996, 157 (157); Paeffgen, in: SKStPO, §  112 Rn.  4 m. w. N.; im Ergebnis zustimmend Hilger, in: LR, §  112 Rn.  17; vgl. auch BGH NJW 1992, 1975 (1976); anders aber BGH NStZ 1981, 93 (94). Zum Teil wird die Mög­ lichkeit der Verurteilung für ausreichend gehalten, so Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, §  112 Rn.  5; Graf, in: KK-StPO, §  112 Rn.  3. 302 Vgl. Beulke, in: LR, §  152 Rn.  21; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, §  152 Rn.  4. 303  Siehe BVerfG NJW 2004, 999 (1012); Beukelmann, in: Graf (Hrsg.), §  152 Rn.  4.1. Frister, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil F Rn.  121 bemerkt aber, dass die Grenze zum einfachen Verdacht (bzw. Anfangsverdacht) sehr unscharf ist und in der Praxis verschwindet, denn auch der einfache Verdacht bedarf einer Tatsachenbasis. 304  BVerfG, NJW 2004, 999 (1012); Wolter, in: SK-StPO, §  100c Rn.  41 m. w. N. 305 Vgl. Ebert, Der Tatverdacht, S.  105. 306  Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, §  152 Rn.  4; Beulke, in: LR, §  152 Rn.  22. 307  BGH NJW 1989, 96 (97); BGHSt 38, 214 (228); vgl. auch BVerfG NStZ 1984, 228 (228); Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, §  152 Rn.  4; Beulke, in: LR, §  152 Rn.  28; Weßlau/ Deiters, in: SK-StPO, §  152 Rn.  16. 299  So

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der Sachverhaltserforschung verpflichtet.308 §  163 Abs.  1 StPO enthält dabei nicht nur eine Aufgabenzuweisung, sondern auch eine Ermächtigungsgrundla­ ge in Form einer Befugnisgeneralklausel,309 wonach die Polizei im Rahmen des ersten Zugriffs Ermittlungen jeder Art vornehmen darf. Diese generelle Ermitt­ lungsbefugnis findet allerdings ihre Grenze dort, wo spezielle Eingriffsermäch­ tigungen bestehen,310 und beschränkt sich somit auf Handlungen, deren Ein­ griffsintensität hinter jener der gesetzlich normierten zurückbleibt 311. Führt man sich vor Augen, dass eine polizeiliche Verfolgung nicht das Ziel, sondern ein Mittel zur Zielverwirklichung darstellt, stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen hinsichtlich des Verdachtsgrades die mit der Verfol­ gung intendierten Maßnahmen nach dem Stellen des Flüchtenden ergriffen wer­ den dürfen. Augenmerk soll hier auf die Identitätsfeststellung und die vorläufige Festnahme im Flagranzfall gelegt werden, denn Art.  41 SDÜ sieht gerade diese als unmittelbare Anschlussmaßnahmen vor. b.  Anforderungen an den Verdachtsgrad bei der inländischen Identitätsfeststellung und der vorläufigen Festnahme Die Identitätsfeststellung gehört zu den typischen Ermittlungstätigkeiten des ersten Zugriffs.312 Sie stützt sich auf §  163b StPO, der zur Identitätsfeststellung eines Verdächtigen (Abs.  1) und – wenn und soweit dies zur Aufklärung einer Straftat geboten ist – eines Nichtverdächtigen (Abs.  2) ermächtigt. Im ersten Fall handelt es sich somit um einen täterbezogenen, im zweiten um einen tatbe­ zogenen Verdacht.313 Der Anfangsverdacht, der die Einschreitepflicht der Poli­ zei auslöst, muss sich zwar nicht gegen eine bestimmte Person richten.314 Die Aufnahme einer Verfolgung bringt aber zwangsläufig zum Ausdruck, dass die 308  Im Schrifttum betont man dabei, dass beim Einschreiten trotz fehlenden Anfangsver­ dachts ein Vorwurf des strafbaren Handelns nach §  344 StGB oder §  164 StGB droht, Eisenberg/Conen, NJW 1998, 2241 (2241); im umgekehrten Fall kann sich der Beamte aus §§  258, 258a StGB strafbar machen, Schlüchter, JR 1987, 309 (310); vgl. auch Eisenberg/Conen, NJW 1998, 2241 (2241). 309  Der zunächst als bloße Aufgabezuweisung verstandene §  163 StPO a. F. wurde durch das Strafverfahrensänderungsgesetz aus dem Jahr 1999 ausdrücklich als Befugnisgeneral­ klausel formuliert, Frister, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil F Rn.  114; Erb, in: LR, §  163 Rn.  6. 310  So ausdrücklich §  163 Abs.  1 S.  2 in fine StPO: „soweit nicht andere gesetzliche Vor­ schriften ihre Befugnisse besonders regeln“. 311  Erb, in: LR, §  163 Rn.  6; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, §  163 Rn.  1; Frister, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil F Rn.  115. 312  Erb, in: LR, §  163 Rn.  25; Wohlers/Albrecht, in: SK-StPO, §  163 Rn.  14. 313  Ebert, Der Tatverdacht, S.  117 u. 126. 314  Weßlau/Deiters, in: SK-StPO, §  152 Rn.  13; Ebert, Der Tatverdacht, S.  105.

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Verdachtsmomente nicht nur auf ein strafbares Verhalten, sondern bereits auf den Verfolgten als möglichen Täter hinweisen. Darum soll im Fokus weiterer Ausführungen ausschließlich die Identitätsfeststellung eines Verdächtigen nach §  163b Abs.  1 StPO stehen. Die Vorschrift spricht von jemandem, der einer Straftat verdächtig ist, und begnügt sich insoweit mit einem einfachen Tatver­ dacht.315 Dieser muss durch Tatsachen dahin gehend konkretisiert sein, dass der Schluss auf eine Straftat gerechtfertigt ist und der Betroffene als Täter oder Teilnehmer in Betracht kommt.316 Angesichts der Schwere der Eingriffe, die im Rahmen der Identitätsfeststellung erfolgen, namentlich des Festhaltens, der Durchsuchung und erkennungsdienstlicher Maßnahmen, wird zum Teil ver­ langt, dass die der Beurteilung zugrunde liegenden Anhaltspunkte die Stärke des Anfangsverdachts erreichen, also zureichend sind.317 Höheren Anforderungen unterliegt der Verdacht bei der vorläufigen Festnah­ me. Eine primäre Rechtsgrundlage für die polizeiliche Freiheitsentziehung stellt §  127 Abs.  2 StPO dar, wonach die Beamten des Polizeidienstes befugt sind, bei Gefahr im Verzug eine Person vorläufig festzunehmen, wenn die Voraussetzun­ gen eines Haftbefehls (§§  112 ff. StPO) oder eines Unterbringungsbefehls (§  126a StPO) vorliegen. Der erste erfordert hinsichtlich der Verdachtsschwelle einen dringenden Tatverdacht, der zweite das Vorliegen dringender Gründe für die Annahme, dass jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfä­ higkeit oder verminderten Schuldfähigkeit (§§  20, 21 StGB) begangen hat und dass seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt angeordnet werden wird. Trotz einer abweichenden Formu­ lierung handelt es sich auch im letzten Fall um den dringenden Tatverdacht.318 Die polizeiliche Festnahme kann, wie oben angedeutet, auch auf der Grundlage des §  127 Abs.  1 StPO erfolgen. Eine eigenständige Bedeutung gegenüber §  127 Abs.  2 StPO kommt der Vorschrift jedoch nur in wenigen Situationen zu,319 Ebert, Der Tatverdacht, S.  126. Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, §  163b Rn.  4; Griesbaum, in: KK-StPO, §  163b Rn.  9; vgl. auch BVerfG NJW 1995, 3110 (3112): „Zur Begründung eines Tatverdachts i. S. von §  163b StPO reicht jedoch die subjektive Annahme des Amtsträgers, daß ein Straftatbe­ stand erfüllt worden sei, nicht aus. Es muß vielmehr mindestens möglich sein, daß der Ver­ dächtige durch das Verhalten, das ihm vorgeworfen wird, eine nach materiellem Strafrecht strafbare Tat begangen hat“ und BGH NJW 2000, 84 (85) in Bezug auf die Anforderungen an den Verdacht bei §  102 StPO, der dem Verdacht ebenfalls keine Attribute hinzufügt und bloß von einem „Verdächtigen“ spricht: Es reiche ein auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützter konkreter Verdacht aus. 317  Wolter, in: SK-StPO, §  163b Rn.  16; Zöller, in: HK-StPO, §  163b Rn.  4; im Ergebnis auch Erb, in: LR, §  163b Rn.  10. 318  H. M., siehe etwa Paeffgen, in: SK-StPO, §  126a Rn.  5; Hilger, in: LR, §  126a Rn.  6. 319  Kay, Allgemeines Verwaltungs- und Eingriffsrecht, Bd.  2 , S.  351; vgl. auch Schubert, 315  316 

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

etwa wenn der Festnahme ein Bagatelldelikt zugrunde liegt320 oder wenn die Bediensteten außerhalb ihrer örtlichen Zuständigkeit handeln 321. Auch hier stellt der dringende Tatverdacht eine notwendige, aber auch ausreichende Fest­ nahmevoraussetzung dar.322 Der dringende Tatverdacht muss sich auf eine prozessual verfolgbare Straftat beziehen.323 Rechtfertigungs-, Schuld- und Strafausschließungsgründe sowie nicht behebbare Prozesshindernisse beseitigen den Verdacht, auch wenn ihr Vorliegen nicht feststeht, sondern (nur) wahrscheinlich ist.324 Darüber, ob die verfügbaren Verdachtsmomente so schwer wiegen, dass eine Festnahme ge­ rechtfertigt ist, befindet der Bedienstete nach pflichtgemäßem Ermessen.325 Da­ bei ist zu erinnern, dass sich die Frage des dringenden Tatverdachts nach dem jeweiligen Ermittlungsstand richtet.326 Ein zu Beginn antizipierter dringender Tatverdacht kann sich im Laufe des Verfahrens abschwächen oder im Ganzen entfallen.327 Bei einer die Ermittlungen einleitenden Festnahme kann der drin­ gende Tatverdacht deshalb auch dann begründet werden, „wenn die Indizien­ kette noch nicht geschlossen ist“ und die Möglichkeit besteht, dass sich die Lü­ cken im Indizienbeweis durch weitere Ermittlungsmaßnahmen nicht ausfüllen lassen.328 Die vorläufige Festnahme, S.  48 (siehe dort Fn.  121) und Frister, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil F Rn.  197. 320  Da die Untersuchungshaft zu der Bedeutung der Sache und zu der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung verhältnismäßig sein muss (§  112 Abs.  1 S.  2 StPO), wird in diesem Fall die Festnahmemöglichkeit nach §  127 Abs.  2 StPO in der Regel ausscheiden, da sie an das Vorliegen der Voraussetzungen eines Haftbefehls gekoppelt ist. Ungeachtet des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes stellt §  113 StPO ausdrücklich Haftein­ schränkungen in Bezug auf diejenigen Taten auf, welche mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu einhundertachtzig Tagessätzen bedroht sind. Da die Aus­ lieferungsfähigkeit eine Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens einem Jahr erfordert, sind diese Schranken für die vorliegenden Ausführungen irrelevant. 321  Auf §  127 Abs.  2 StPO kann die Festnahme nur dann gestützt werden, wenn der Beam­ te innerhalb seines Amtsbezirkes tätig ist, Hilger, in: LR, §  127 Rn.  26; Schultheis, in: KKStPO, §  127 Rn.  22; Dittmer, Die vorläufige Festnahme, S.  34. 322  Siehe oben II. 2. a. aa. 323  Der Verdacht einer Ordnungswidrigkeit genügt nicht, siehe §  46 Abs.  3 S.  1 OWiG; Dittmer, Die vorläufige Festnahme, S.  38. 324  Graf, in: KK-StPO, §  112 Rn.  4; Hilger, in: LR, §  112 Rn.  16; Schmitt, in: Meyer-Goß­ ner/Schmitt, §  112 Rn.  5. 325  Dünkel, Festnahme, S.  14. 326  OLG Celle StV 1986, 392 (392); OLG Brandenburg StV 1996, 157 (157); Graf, in: KKStPO, §  112 Rn.  6. 327  BGH NJW 1959, 35 (37 f.); OLG Köln StV 1999, 156 (157); Graf, in: KK-StPO, §  112 Rn.  6. 328  OLG Köln StV 1999, 156 (157); Hilger, in: LR, §  112 Rn.  19; Dünkel, Festnahme, S.  14.

A.  Der erste Nacheilegrund: Betreffen auf frischer Tat

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Die unterschiedlichen Anforderungen an den Verdachtsgrad bei der Identi­ tätsfeststellung und vorläufigen (Flagranz-)Festnahme werden sich somit in Nacheilefällen auf den Umfang der Anschlussmaßnahmen auswirken. Das Vor­ liegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte, die nicht nur den Schluss auf eine Straftat zulassen, sondern auch auf einen möglichen Täter hindeuten, kann die polizeiliche Verfolgung zum Zwecke einer Personalienkontrolle in Gang setzen. Steht diese Person bereits unter dringendem Tatverdacht, kann die Maß­ nahme von Anfang an auf ihre vorläufige Festnahme gerichtet sein. Der Ver­ dachtsgrad kann sich freilich auch im Zuge der Nacheile oder unmittelbar da­ nach (etwa im Rahmen der Identitätsfeststellung) ändern. So können die zurei­ chenden tatsächlichen Anhaltspunkte durch weitere Tatsachen ergänzt werden, deren Zusammentreffen einen dringenden Tatverdacht vermitteln und im Er­ gebnis die zu Verfolgungsbeginn nicht bestehende Möglichkeit der vorläufigen Festnahme eröffnen wird. 2.  Anforderungen an die Tat bei der Aufnahme einer inländischen Verfolgung in Polen Wie im deutschen Recht ist auch im polnischen gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt, unter welchen Voraussetzungen hinsichtlich des Verdachtsgrades eine inländische Nacheile als Reaktion auf eine (frische) Straftat aufgenommen wer­ den kann. Aufschluss darüber gibt mittelbar die auf der Grundlage des Art.  7 Abs.  1 Pkt.  2 plPolG329 erlassene Anordnung Nr.  1355 des Hauptkommandanten der Polizei vom 20. Dezember 2007 über die Methoden und Formen der Aus­ übung von Verfolgungen und organisierten Verfolgungsmaßnahmen durch die Polizei330. Die Anordnung konkretisiert, gegen wen Verfolgungsmaßnahmen ergriffen werden dürfen. Eine solche Befugnis besteht in Bezug auf eine Person, welcher gegenüber die Voraussetzungen für eine Festnahme331 vorliegen (§  6 i. V. m. 4 lit.  a der Anordnung), ferner im Hinblick auf eine verurteilte, vorläufig 329  Die Vorschrift ermächtigt den Hauptkommandanten der Polizei zur Festlegung der Methoden und Formen der Wahrnehmung von Aufgaben durch einzelne Polizeibehörden in dem Umfang, in dem die betreffenden Fragen nicht durch sonstige auf der Gesetzesgrundlage erlassene Vorschriften geregelt worden sind. 330  Dz. Urz. KGP 2008 Nr.  1, Pos. 1. 331  Die Vorschrift bezieht sich auf die Festnahmegrundlagen aus Art.  15 Abs.  1 Pkt.  2 , 2a und 3 plPolG. Danach ist die Freiheitsentziehung zulässig: in den in der Strafprozessordnung oder sonstigen Gesetzen vorgesehenen Fällen und nach dem dort bestimmten Verfahren (Pkt.  1); gegenüber einem Gefangenen, der die Untersuchungs- oder Strafhaft aufgrund der Bewilligung einer zuständigen Behörde verlassen hat und am angegebenen Termin nicht zu­ rückgekehrt ist (Pkt.  2a); gegenüber einer Person, die offensichtlich eine unmittelbare Gefahr für Leben oder Gesundheit sowie Vermögen schafft (Pkt.  3).

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

verhaftete oder festgehaltene Person, die von einem Isolierungsort oder einer Eskorte entkommen ist (§  6 i. V. m. §  4 lit.  b der Anordnung), und schließlich in Bezug auf eine gesuchte Person (§  6 i. V. m. §  4 lit.  c der Anordnung). Da der auf frischer Tat Betroffene weder in die zweite noch in die dritte Kategorie fällt, ist zur Ermittlung des erforderlichen Tatverdachtsgrads für die Aufnahme seiner Verfolgung auf die Voraussetzungen einer polizeilichen (Flagranz-)Festnahme abzuheben. Die maßgebliche Rechtsgrundlage bietet hierfür, wie bereits ange­ deutet, Art.  244 §  1 plStPO. Die Festnahme erfordert in materieller Hinsicht eine begründete Vermutung („uzasadnione przypuszczenie“), dass die tatverdächtige Person 332 eine Straftat begangen hat. Zur Entschlüsselung des Sinngehalts dieser Prämisse empfiehlt es sich, inhaltlich ähnliche Ausdrücke heranzuziehen, deren sich der Gesetzgeber bei der Festlegung des Wahrscheinlichkeitsgrades bedient hat.333 So hat er etwa die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens an das Vorliegen eines begründeten Verdachts („uzasadnione podejrzenie“) der Straftatbegehung geknüpft (Art.  303 plStPO). Der Beschluss über die Eröffnung des Tatvorwurfs darf nach Art.  313 §  1 plStPO erst dann erlassen werden, wenn die bestehenden Anhaltspunkte den Verdacht, dass die Tat von einer bestimmten Person verübt wurde, hinreichend begründen („uzasadniają dostatecznie podejrzenie“). Die Anwendung von Vor­ beugungsmaßnahmen, einschließlich der Untersuchungshaft, setzt wiederum voraus, dass die gesammelten Beweise auf eine große Wahrscheinlichkeit („duże prawdopodobieństwo“) hinweisen, dass der Verdächtige334 bzw. der An­ geklagte335 die Straftat begangen hat (Art.  249 §  1 plStPO). Der Vergleich der im Mittelpunkt stehenden Begriffe: „Vermutung“, „Ver­ dacht“ und „Wahrscheinlichkeit“ unter Bezugnahme auf ihre lexikalische Be­ deutung sowie die Intensität der Eingriffe, für welche sie Grundlagen bilden, legt nahe, dass die rigidesten Anforderungen an die Tatsachenbasis im Bereich der Anwendung von Vorbeugungsmaßnahmen gelten.336 Die Voraussetzung der großen Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass die Begehung der Straftat durch den Verdächtigen bzw. Angeklagten nicht nur möglich ist; diese Möglichkeit bzw. Wahrscheinlichkeit muss an Sicherheit grenzen.337 Schwer fällt die Trennung 332 

Zum Begriff siehe Fn.  287. Cora, Zatrzymanie, S.  120 ff. 334  Zum Begriff siehe Fn.  286. 335  Als Angeklagter gilt nach Art.  71 §  2 plStPO eine Person, gegen die eine Anklage beim Gericht eingereicht wurde, sowie eine Person, der gegenüber der Staatsanwalt den An­ trag auf eine bedingte Einstellung des Verfahrens eingereicht hat. 336  So auch Cora, Zatrzymanie, S.  121 u. 123 f. 337  Cora, Zatrzymanie, S.  123; Paprzycki, in: Paprzycki (Hrsg.), Art.  249 Rn.  11; Grzegorczyk, Kodeks postępowania, Art.  249 Rn.  5. 333 Eingehend

A.  Der erste Nacheilegrund: Betreffen auf frischer Tat

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zwischen „Vermutung“ und „Verdacht“, zumal die beiden Termini im gewöhn­ lichen Sprachgebrauch häufig synonym verwendet werden. Im Schrifttum nimmt man überwiegend an, dass der begründete Verdacht ein strengeres Erfor­ dernis ist als die begründete Vermutung.338 Ersterer ist gegeben, wenn objektive Anhaltspunkte in subjektiver Überzeugung einer Strafverfolgungsbehörde auf die Möglichkeit339 bzw. die Wahrscheinlichkeit340 der Begehung einer Straftat hindeuten. Die bestehenden Anhaltspunkte müssen eine Umschreibung der Tat und ihre rechtliche Qualifizierung ermöglichen.341 Aber auch die Vermutung darf nicht aus dem Nichts erwachsen, sondern hat auf konkrete Umstände342 bzw. konkrete Beweise343 gestützt zu sein, welche die Tatsache der Tatbegehung wahrscheinlich machen. Zum Teil erachtet man hier sogar eine große Wahr­ scheinlichkeit, die jedoch nicht an Sicherheit grenzen muss, für nötig.344 Die in der Lehre entwickelten Grundsätze schließen eine saubere Trennung von begründetem Verdacht und begründeter Vermutung aus. Man führt zwar aus, dass der Verdacht einer Bezichtigung gleichbedeutend ist, während die Vermutung einer Mutmaßung oder Hypothese ähnelt.345 In beiden Fällen ver­ langt man jedoch eine Tatsachengrundlage, an die freilich keine qualitativ oder quantitativ ausdifferenzierten Anforderungen gestellt werden. Ausschlagge­ bend für die Zulässigkeit einer polizeilichen Festnahme nach Art.  244 §  1 ­plStPO ist, dass die Tatsachenbasis nicht so ausgebaut sein muss wie für die Eröffnung des Tatvorwurfs, die an das Vorliegen eines hinreichend begründe­ ten Verdachts anknüpft.346 Die Beamten brauchen somit nicht über ein Beweis­ material zu verfügen, das die Einleitung des Verfahrens gegen die festgenom­ 338  Cora, Zatrzymanie, S.  121; Eichstaedt, in: Świecki (Hrsg.), Art.  244 Rn.  2; Stefański, in: Gostyński (Hrsg.), Art.  303 Rn.  4; Grzegorczyk, Kodeks postępowania, Art.  303 Rn.  2. 339  Grajewski/Steinborn, in: Paprzycki (Hrsg.), Art.  303 Rn.  1 f. 340  Grzegorczyk, Kodeks postępowania, Art.  303 Rn.  2. 341  Cora, Zatrzymanie, S.  121; Grzegorczyk, Kodeks postępowania, Art.  303 Rn.  2; Stefański, in: Gostyński (Hrsg.), Art.  303 Rn.  4. 342  Cora, Zatrzymanie, S.  125; Grzeszczyk, Kodeks, Art.  244 Rn.  3; Stefański, Prok. i Pr. 10/1997, 32 (41); ders., in: Gostyński (Hrsg.), Art.  244 Rn.  7; Kudrelek, Policja KKKP 1/2009, 32 (36). 343  Paprzycki, in: Paprzycki (Hrsg.), Art.  244 Rn.  4; ders., NP 9/1989, 34 (38); Boratyńska, in: Sakowicz (Hrsg.), Art.  244 Rn.  5; Hofmański/Sadzik/Zgryzek, Kodeks, Art.  244 Rn.  12. 344  Paprzycki, NP 9/1989, 34 (38); Kudrelek, Policja KKKP 1/2009, 32 (36); Cora, Zatrzy­ manie, S.  125; Stefański, Prok. i Pr. 10/1997, 32 (41); ders., in: Gostyński (Hrsg.), Art.  244 Rn.  7; kritisch dazu Hofmański/Sadzik/Zgryzek, Kodeks, Art.  244 Rn.  12. 345  Cora, Zatrzymanie, S.  125; Kudrelek, Policja KKKP 1/2009, 32 (36); Stefański, Prok. i Pr. 10/1997, 32 (41); ders., in: Gostyński (Hrsg.), Art.  244 Rn.  7. 346  Boratyńska, in: Sakowicz (Hrsg.), Art.  244 Rn.  5; siehe auch EGMR, Entscheidung v. 12.1.2010 – Nr.  69122/01 (Bernatowicz vs. Polen).

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

mene Person ermöglicht. Denn die Festnahme bzw. die anschließende Befra­ gung kann gerade der Verifizierung der Festnahmegrundlagen dienen und die begründete Vermutung zum hinreichend begründeten Verdacht (Art.  313 §  1 StPO) oder der großen Wahrscheinlichkeit (Art.  249 §  1 plStPO) erstarken las­ sen oder aber auch aufheben.347 Dabei ist zu beachten, dass sich die Anforde­ rungen an die begründete Vermutung i. S. v. Art.  244 §  1 plStPO – so wie im deutschen Recht – je nach dem Stadium des Verfahrens, in dem die Festnahme zu erfolgen hat, unterscheiden.348 Eine Flagranzfestnahme wird sich, da sie die erste Tätigkeit in der Sache darstellt, auf die Wahrnehmungen und Beobachtun­ gen der Polizeibeamten bzw. auf frisch erlangte Informationen stützen.349 Im Kontext der Flagranzfestnahme, die im Mittelpunkt der hiesigen Erwä­ gungen steht, muss noch geklärt werden, in welchem Verhältnis die begründete Vermutung, dass eine festzunehmende Person eine Straftat begangen hat, zu dem begründeten Verdacht, dass die Straftat begangen worden ist, steht. Es spricht einiges dafür, dass die Festnahme nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn die Voraussetzungen für die Einleitung eines Strafverfahrens erfüllt sind. Im ersten Schritt sollte also die Frage beantwortet werden, ob ein begründeter Tatverdacht gegeben ist, im zweiten – ob die bestehenden Anhaltspunkte in begründeter Weise vermuten lassen, dass diese Tat von einer bestimmten Per­ son verübt worden ist.350 Die Umkehrung dieser Reihenfolge würde zur Vorver­ lagerung der strafprozessualen Zwangsmaßnahmen führen, die nicht nur unter dem Gesichtspunkt des verfassungsrechtlichen Schutzes der Fortbewegungs­ freiheit bedenklich wäre, sondern gegen die klare Anordnung des Art.  307 §  2 plStPO verstieße. Art.  307 plStPO normiert ein sog. Überprüfungsverfah­ ren, das im Vorfeld eines Strafverfahrens stattfindet und auf die Verifizierung der in einer Strafanzeige enthaltenen Angaben (§  1) oder der Informationen, die von den Strafverfolgungsbehörden selbst gewonnen wurden und die Vermutung der Straftatbegehung nahelegen (§  5), gerichtet ist. Art.  307 §   2 plStPO stellt klar, dass im Rahmen des Überprüfungsverfahrens die Erhebung eines Bewei­ ses durch Gutachten eines Sachverständigen verwehrt ist und die Tätigkeiten, die der Niederschrift eines Protokolls bedürfen, nicht vorgenommen werden dürfen. Eine Ausnahme gilt lediglich für die Aufnahme der mündlichen Straf­ anzeige oder des Antrags auf Verfolgung sowie für die Vernehmung der anzei­ genden Person als Zeugen zwecks Ergänzung der Angaben aus der Strafanzei­ Vgl. EGMR, Entscheidung v. 12.1.2010 – Nr.  69122/01 (Bernatowicz vs. Polen). Paprzycki, NP 9/1989, 34 (38); Hofmański/Sadzik/Zgryzek, Kodeks, Art.  244 Rn.  13. 349 Vgl. Hofmański/Sadzik/Zgryzek, Kodeks, Art.  244 Rn.  13; Paprzycki, NP 9/1989, 34 (38). 350  So zu Recht Kmiecik, Prok. i Pr. 7–8/2000, 17 (20); zustimmend Kudrelek, Policja KKKP 1/2009, 32 (37). 347 

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ge. Die polizeiliche Festnahme, die gemäß Art.  244 §  3 plStPO der Protokollie­ rungspflicht unterliegt, kann somit nicht als eine bloße Überprüfungsmaßnahme qualifiziert werden. Dies führt zu dem Schluss, dass die Festnahme entweder im Zuge des bereits eingeleiteten Strafverfahrens zu erfolgen hat oder – was die Flagranzfälle betrifft – wenigstens das Strafverfahren faktisch einleiten muss.351 Die oben aufgeworfene Frage gewinnt freilich dann an Bedeutung, wenn man der im Schrifttum überwiegend vertretenen Position folgt und den für die Ein­ leitung eines Strafverfahrens vorausgesetzten Verdacht nach dem Wahrschein­ lichkeitsgrad höher als die die Festnahme bedingende Vermutung einstuft. Geht man dagegen – etwa in Hinsicht auf die Intensität der beiden Eingriffe – von einer umgekehrten Reihenfolge aus,352 wird der begründete Verdacht der Tatbe­ gehung durch die begründete Vermutung der Tatbeteiligung des Betroffenen ohnehin eingeschlossen. 3.  Schlussfolgerung für die Nacheile über die deutsch-polnische Grenze Die Besonderheit einer grenzüberschreitenden Nacheile besteht darin, dass die mit der zunächst rein inländischen Verfolgung angestrebten Maßnahmen nicht auf dem eigenen, sondern auf dem fremden Hoheitsgebiet ergriffen werden. Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 3 S.  3 SDÜ stellt klar, dass die anschließende Identi­ tätsfeststellung oder die vorläufige Festnahme den örtlich zuständigen Behör­ den vorbehalten sind und von diesen auf Ersuchen der ausländischen Bedienste­ ten durchgeführt werden.353 Dies gilt auch, wenn den fremden Hoheitsträgern ein Festhalterecht zugebilligt wird (Art.  41 Abs.  2 lit.  b in fine SDÜ). Art.  41 SDÜ regelt nicht, unter welchen Bedingungen um die genannten Anschluss­ maßnahmen ersucht werden darf. Es erscheint aber einsichtig, dass die nachei­ lenden Polizeibeamten zum Ersuchen um Identitätsfeststellung oder vorläufige Festnahme nur dann berechtigt sind, wenn sie die ersuchte Tätigkeit im eigenen Hoheitsgebiet vornehmen dürften. Die Nacheilebefugnis der polnischen Polizis­ ten ist an die Festnahmevoraussetzungen geknüpft. Im Falle der Fortsetzung der Verfolgung über die Staatsgrenze sind sie somit stets ermächtigt, um eine vor­ läufige Festnahme des Flüchtenden und – umso mehr – um die Feststellung seiner Personalien zu ersuchen.354 351  Im Ergebnis auch Kmiecik, Prok. i Pr. 7–8/2000, 17 (20); Kudrelek, Policja KKKP 1/2009, 32 (37). 352 So Paprzycki, NP 9/1989, 34 (38). 353  Siehe dazu 4. Teil A. I. 2. 354  Bei der Identitätsfeststellung handelt es sich in Polen um eine verdachtsunabhängige Maßnahme, die die Polizei bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergreifen darf (Art.  15 Abs.  1 Pkt.  1 i. V. m. Art.  14 plPolG); siehe dazu 4. Teil B. II.

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

Anders könnten sich die Befugnisse der deutschen Polizeibeamten gestalten, denn die Möglichkeit der Aufnahme einer inländischen Verfolgung eröffnet sich für sie bereits bei Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte, die auf die Tatsache der Tatbegehung und Beteiligung einer bestimmten Person hin­ deuten. Soweit jedoch der tat- und täterbezogene Anfangsverdacht im Zuge der Verfolgung nicht zum dringenden Tatverdacht wird, werden sie nach dem Stel­ len des Flüchtenden lediglich um die Feststellung seiner Identität ersuchen dür­ fen. Eine solche Konstellation wird jedoch in der Praxis wohl die Ausnahme sein. Der dringende Tatverdacht erfordert zwar eine hohe Wahrscheinlichkeit; diese beurteilt sich aber nach dem jeweiligen Ermittlungsstand. Der dringende Tatverdacht, der einer (Flagranz-)Festnahme zugrunde liegt, kann zwangsläufig geringer sein als der dringende Tatverdacht, auf den sich ein Untersuchungs­ haftbefehl stützen wird, oder als ein hinreichender Verdacht zum Zeitpunkt der Klageerhebung, der grundsätzlich auf unterer Wahrscheinlichkeitsstufe als der dringende Tatverdacht steht.355 Mithin kann unter Umständen bereits die Tatsa­ che, dass der Verdächtige, statt die polizeilichen Anordnungen zu befolgen, die Flucht ergreift, im Zusammentreffen mit den Anhaltspunkten, die den Anfangs­ verdacht begründet haben, einen dringenden Tatverdacht vermitteln. Ungeachtet dessen, dass in den meisten, wenn nicht in allen, Fällen der Ver­ folgte bereits zu Beginn der Verfolgung dringend verdächtig sein wird, ist es geboten, die Nacheile tatsächlich nur bei dringendem Tatverdacht über die Grenze fortzusetzen. Zum einen stellt die Ausübung der Schengener Nacheile­ befugnis einen Eingriff in die Souveränitätsrechte des Nachbarstaates dar. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, sollen die nacheilenden Beamten die Ent­ scheidung über den Grenzübertritt auf konkrete Indizien stützen, die mit großer Wahrscheinlichkeit auf die Begehung einer auslieferungsfähigen Straftat und auf den Flüchtenden als Beteiligten hindeuten, und nicht nur einen Schluss auf das Vorliegen dieser Tatsachen zulassen. Zum anderen wird der dringende Tat­ verdacht den deutschen Bediensteten es ermöglichen, die polnischen Behörden um die vorläufige Festnahme des Verfolgten zu ersuchen. Die vorläufig festge­ nommene Person darf wiederum gemäß Art.  41 Abs.  6 SDÜ vernommen wer­ den, was zur schnelleren Sachverhaltsklärung beitragen und eine wichtige Be­ weisgrundlage für den Erlass eines inländischen und anschließend eines Euro­ päischen Haftbefehls schaffen kann. Schließlich hätte die Anknüpfung des Rechts der deutschen Polizeibeamten zur grenzüberschreitenden Fortsetzung der Nacheile an den für die inländische Festnahme vorausgesetzten Verdachts­ grad zur Folge, dass die Bediensteten beider Länder unter gleichen Bedingun­ gen zur Inanspruchnahme des Art.  41 SDÜ berechtigt wären. Dies ist für eine 355 Vgl.

Dittmer, Die vorläufige Festnahme, S.  39.

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effektive auf Partnerschaft und gegenseitiges Vertrauen gestützte Kooperation sicherlich nicht ohne Belang.

IV.  Besondere Erscheinungsformen der nacheilefähigen Straftat Wie bereits klargestellt wurde, setzt Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 1 SDÜ keine voll­ endete Straftat voraus.356 Es reicht ein Versuch aus, sofern er strafbar ist.357 Unter den Begriff einer „Straftat“ im Sinne dieser Norm fallen auch Vorberei­ tungsdelikte. Dabei handelt es sich um solche Verhaltensweisen, die zwar weit im Vorfeld der Verwirklichung des geplanten Deliktstatbestandes liegen, aber vom Gesetzgeber für strafwürdig erachtet und deshalb unter Strafe gestellt wor­ den sind,358 und zwar im deutschen Recht mittels einer eigenen Strafvorschrift, im polnischen – durch spezielle Strafbarkeitsanordnungen im Besonderen Teil, deren Voraussetzungen durch Art.  16 §  1 plStGB vorgezeichnet sind 359. Sonsti­ ge – straflose – Vorbereitungshandlungen sind vom Anwendungsbereich des Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 1 SDÜ freilich nicht erfasst. Indem die Vorschrift auf das Betreffen bei der Begehung von oder der Teil­ nahme an einer Straftat abstellt, macht er überdies deutlich, dass nicht nur der­ jenige grenzüberschreitend verfolgt werden kann, der die eigene Tat (selbst oder mit den anderen, unmittelbar oder mittelbar) begeht, sondern auch derjenige, der an der Begehung einer fremden Tat teilnimmt. Der Zusatz „oder bei der Teilnahme“ kann sich als überflüssig erweisen, wenn man in der Teilnahme an einer (fremden) Straftat eine eigenständige – wenn auch mit der Haupttat ver­ knüpfte – Straftat ansieht, die von einem Teilnehmer (der fremden Straftat) begangen wird. Die Differenzierung zwischen der Begehung und der Teilnahme kann jedoch damit begründet werden, dass die Beteiligungssysteme von Staat zu Staat variieren; das SDÜ hat hingegen allen Modellen Rechnung zu tragen, damit seine Bestimmungen in jedem Staat volle Wirkung entfalten. Im Folgenden werden die deutschen und die polnischen Regelungen zur Ver­ suchsstrafbarkeit und zu den Beteiligungsformen miteinander verglichen. Ob­ wohl eine eingehende Problemdarstellung wegen des Rahmens der vorliegen­ den Abhandlung unterbleiben muss, ist eine komprimierte Schilderung unab­ dingbar. Anhand dieser wird ermittelt, auf welche Art und Weise sich die 356 

Zu Nachweisen siehe Fn.  276. Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  191. 358  Eser/Bosch, in: Schönke/Schröder, Vorbemerkungen zu den §§  22 ff. Rn.  13 f.; Marek, Kodeks karny, Art.  16 Rn.  4. 359  Gemäß Art.  16 §  2 plStGB ist die Vorbereitung nur dann strafbar, wenn das Gesetz dies so bestimmt. Die Verweisnormen sind u. a. in Art.  140 §  3 plStGB (terroristischer An­ griff) und Art.  189a §  2 plStGB (Menschenhandel) enthalten. 357 

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

innerstaatlichen Lösungen auf die Zulässigkeit der Fortsetzung einer Nacheile über die Grenze hinweg auswirken. 1. Versuch a.  Nacheilefähiger Versuch Die Frage, ob die Inanspruchnahme des Nacheilerechts einen auslieferungsfähigen Versuch einer auslieferungsfähigen Straftat erfordert, oder ob auch ein als solcher nicht auslieferungsfähiger Versuch einer auslieferungsfähigen Straftat genügen würde, ist in Bezug auf die Zusammenarbeit über die deutsch-polni­ sche Grenze obsolet.360 Da für den Versuch nach dem Recht beider Staaten der für die vollendete Tat gesetzte Strafrahmen gilt,361 ist jeder strafbare Versuch einer auslieferungsfähigen Straftat an sich auslieferungsfähig. Die Zulässigkeit der grenzüberschreitenden Verfolgung einer auf frischer Tat betroffenen Person in den Fällen, in denen die Tat nicht vollendet wurde, hängt folglich von der Feststellung ab, dass die versuchte Tat auslieferungsfähig362 und deren Versuch strafbar ist. Die Strafbarkeit eines Versuchs gestaltet sich im deutschen Recht je nach der Einordnung der versuchten Tat nach Maßgabe des §  12 StGB als Verbrechen oder als Vergehen. Während der Versuch eines Verbrechens stets strafbar ist, bedarf es für die Strafbarkeit eines Vergehens einer ausdrücklichen gesetzli­ chen Anordnung (§  23 Abs.  1 StGB). Für eine solche Differenzierung hat sich der polnische Gesetzgeber nicht entschieden, vielmehr stellt er alle Deliktsver­ suche unter Strafe (Art.  14 §  1 plStGB). Ohne Bedeutung für die Verfolgungsmöglichkeiten der deutschen und der polnischen Beamten ist dieser Unterschied hinsichtlich solcher Taten, deren Versuch zwar in Deutschland straflos ist, die aber ebenfalls nach dem polni­ schen Recht wegen der für die Auslieferungsfähigkeit unzureichenden Strafan­ 360  Auf Letzteres lässt der Wortlaut des Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 1 i. V. m. Abs.  4 lit.  b SDÜ schließen, der von der Begehung, also auch vom Versuch, einer auslieferungsfähigen Straftat spricht. Dagegen könnte man einwenden, dass die Überstellung des Täters zum Zwecke sei­ ner Strafverfolgung nur dann möglich wäre, wenn das ihm vorgeworfene Verhalten – der Versuch einer Straftat – mit einer tauglichen, also für die Auslieferungsfähigkeit vorausge­ setzten Strafe bedroht wäre. 361  §  23 Abs.  2 StGB ordnet an: „Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollen­ dete Tat.“ Hieraus geht hervor, dass sich die Strafe für ein versuchtes Delikt nach dem Straf­ rahmen eines vollendeten Delikts richtet, Hoffmann-Holland, in: MK-StGB, §  23 Rn.  10. Dies wurde in Art.  14 §  1 plStGB eindeutig zum Ausdruck gebracht: „Das Gericht verhängt die Strafe für den Versuch innerhalb der für die betreffende Straftat vorgesehenen Strafan­ drohung.“ 362  Dazu oben I.

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drohung nicht nacheilefähig sind. Zu erwähnen ist etwa versuchter Hausfrie­ densbruch (§  123 StGB), der gemäß Art.  193 i. V. m. Art.  13, 14 plStGB sanktio­ niert wird. Da er allerdings im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bedroht ist und die Auslieferungsfähigkeit Mindesthöchststrafdrohung von über einem Jahr voraussetzt (Art.  607b S.  2 Nr.  1 plStPO), stellt er nach dem polnischen Recht keine nacheilefähige Straftat dar. Das Gleiche gilt für die Trunkenheitsfahrt nach §  316 StGB, aber nur insoweit, als der Fahrzeugführer von 0,1 mg bis 0,25 mg Alkohol in 1 dm³ der Atemluft oder von 0,2 Promille bis 0,5 Promille im Blut oder eine Alkoholmenge im Körper hat, die zu einer ­solchen Atem- oder Blutalkoholkonzentration führt. Dann wird seine Tat in Po­ len lediglich eine (nicht nacheilefähige) Ordnungswidrigkeit gemäß Art.  87 ­plOWiGB darstellen. Die nicht deckungsgleiche Ausgestaltung der Versuchsstrafbarkeit könnte in Bezug auf solche Vergehen von Bedeutung sein, deren Versuch in Deutschland nicht sanktioniert wird, in Polen aber mit einer für die Auslieferungsfähigkeit tauglichen Sanktion bedroht ist. Exemplarisch sind versuchte Vorteilsannahme (vgl. §  331 Abs.  1 StGB) oder versuchte Trunkenheitsfahrt (vgl. §  316 StGB) an­ zuführen, wenn die Alkoholmenge im Körper über 0,25 mg Alkohol in 1 dm³ der Atemluft oder über 0,5 Promille im Blut beträgt oder zu einer solchen Atemoder Blutalkoholkonzentration führt.363 Die grenzüberschreitende Fortsetzung der Verfolgung durch die polnischen Beamten wäre in diesen Fällen grundsätz­ lich zulässig.364 Der Nacheilezweck könnte jedoch allenfalls dann erreicht wer­ den, wenn es sich bei dem Verfolgten um einen Deutschen handeln würde. Die Verfolgung eines fremden Staatsangehörigen wäre von vornherein aussichtslos, weil seine spätere Überstellung an fehlender beiderseitiger Strafbarkeit schei­ tern würde. Um dem Grundsatz der Achtung fremder Gebietshoheit gerecht zu werden, müssten dann die polnischen Beamten, sofern ihnen das Auslieferungs­ hindernis bekannt wäre, die Nacheile an der Grenze abbrechen. Die praktische Relevanz dieser Straftaten für die Ausübung des Nacheilerechts tendiert aller­ dings – besonders aufgrund der Voraussetzung des Betreffens auf frischer Tat – gegen Null. b.  Versuchskonstellationen auf der Grundlage des Art.  41 Abs.  1 SDÜ Auf der Grundlage des Art.  41 Abs.  1 SDÜ sind zwei Versuchskonstellationen denkbar. Im ersten Fall wird eine Person gerade bei der Verwirklichung des 363  Diese Taten werden in Polen in Art.  228 §  1 plStGB mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu acht Jahren im Höchstmaß und in Art.  178a §  1 plStGB mit einer Freiheits­ strafe bis zu zwei Jahren im Höchstmaß bestraft. 364  Siehe oben I. 3. und 4.

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Tatbestandes „ertappt“ und an der Tatbestandsvollendung gehindert, da diese aufgrund der nach der Entdeckung ergriffenen Flucht ausbleibt. In einer zwei­ ten Variante führt der Täter die Tat aus, entfernt sich aber vom Tatort, bevor er wahrgenommen worden ist, etwa aus Angst vor dem Festhalten oder in der irr­ tümlichen Vorstellung, dass die Tat bereits vollendet worden sei oder die Voll­ endung ohne sein weiteres Zutun eintreten werde. Die Maßnahmen der Nach­eile werden alleine aufgrund der auf den Täter hinweisenden Spuren unmittelbar nach der Tatentdeckung getroffen. Das Merkmal „auf frischer Tat betroffen“ aus Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 1 SDÜ erfordert zwar nicht, dass der Tatverdacht aus den Indizien am Tatort geschöpft wird.365 Die Verfolgung wegen eines Ver­ suchsdelikts setzt jedoch denknotwendig voraus, dass entweder das dem Ver­ folgten vorgeworfene straftatbestandsmäßige Verhalten wahrgenommen wurde oder die äußeren Umstände den Schluss gerade auf eine versuchte (und nicht vollendete) Straftat zulassen. 2. Beteiligungsformen a. Allgemeines Der deutsche Gesetzgeber hat die Formen der Beteiligung an einer Straftat in ein dualistisches System eingebettet und eine Differenzierung zwischen Täter­ schaft und Teilnahme getroffen (vgl. §  28 Abs.  2 StGB).366 Gemäß §  25 StGB wird als Täter bestraft, wer die Straftat selbst oder durch einen anderen oder mit einem anderen gemeinschaftlich begeht. Als Teilnehmer (vgl. §  28 Abs.  1 StGB) wird derjenige angesehen, der vorsätzlich einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt (Anstiftung, §  26 StGB) oder ihm da­ bei Hilfe leistet (Beihilfe, §  27 StGB). Anstelle eines solchen dualistischen Beteiligungssystems herrscht im polni­ schen Recht eine Teilung in Täterschaft, Anstiftung und Beihilfe vor. Die nor­ mative Auffassung der Rechtsfiguren der Anstiftung und der Beihilfe als Betei­ ligungsformen sui generis loziert das polnische Beteiligungssystem als Misch­ konstrukt zwischen dem Einheitstätermodell und dem Teilnahmesystem.367 Als Täter wird laut Art.  18 §  1 plStGB nicht nur derjenige bestraft, der die verbotene Tat selbst oder gemeinsam und in Absprache mit einem anderen verübt, sondern auch derjenige, der die Tatausführung durch einen anderen steuert oder die Ab­ hängigkeit eines anderen von sich ausnutzt und ihm die Begehung der Straftat aufträgt. Nach Art.  18 §  2 plStGB wird wegen Anstiftung bestraft, wer mit dem 365 

Oben II. 3. Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, Vorbemerkungen zu den §§  25 ff. Rn.  1. 367  Kardas, in: Wróbel/Zoll (Hrsg.), Art.  18 Rn.  7 f. 366 

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Willen368, dass ein anderer die verbotene Tat begeht, ihn dazu bestimmt. Als Gehilfe gilt nach Art.  18 §  3 plStGB, wer mit dem Vorsatz, dass ein anderer eine verbotene Tat begeht, mit seinem Verhalten oder – falls ihm eine besondere rechtliche Pflicht zur Nichtzulassung der Begehung einer verbotenen Tat obliegt – durch sein Unterlassen die Begehung einer solchen Tat durch den anderen er­ leichtert. Da sich die Strafbarkeit für die Teilnahme im deutschen und für die Anstif­ tung und Beihilfe im polnischen Recht nach dem für die Täterschaft festgesetz­ ten Strafrahmen richtet (§§  26, 27 Abs.  2 S.  1 StGB und Art.  19 §  1 plStGB), ergeben sich bei der Feststellung der Auslieferungsfähigkeit der Tat, die von einem Anstifter oder Gehilfen begangen wurde, keine Besonderheiten. Die Ge­ setzgeber beider Länder haben zwar für den Gehilfen eine obligatorische (§  27 Abs.  2 S.  2 StGB) bzw. eine fakultative (Art.  19 §  2 plStGB) Strafmilderung vor­ gesehen. Diese Vorschriften kommen jedoch erst bei der Strafzumessung zum Tragen. Darum beeinflussen sie nicht die Auslieferungsfähigkeit, für die eine abstrakte Strafandrohung ausschlaggebend ist.369 Die Aufnahme der Verfolgung und ggf. deren grenzübergreifende Fortset­ zung beruhen auf einer sofortigen Entscheidung, der konkrete, einen Tatver­ dacht begründende und auf den Flüchtenden als Tatverdächtigen hinweisende Umstände zugrunde liegen. Eine Person wird somit dann als Täter oder als Teil­ nehmer bzw. Anstifter oder Gehilfe identifiziert, wenn ihr Beitrag zur Tat sinn­ lich wahrnehmbar ist. Regelmäßig unkompliziert ist das in den Fällen der Al­ leintäterschaft, weil der Täter die Tat selbst ausführt. Bei der Mittäterschaft er­ bringen die einzelnen Mittäter die durch den gemeinsamen Plan festgelegten Beiträge zur Tatbestandsverwirklichung.370 Wann der Tatbeitrag wesentlich ist, d. h., wann er eine Mittäterschaft und nicht eine sonstige Beteiligungsform, in aller Regel eine Beihilfe, begründet, wird sowohl im deutschen als auch im polnischen Recht heftig diskutiert.371 Eine Entscheidung zu dieser Debatte kann an dieser Stelle unterbleiben, da die grenzüberschreitende Nacheile bei allen Formen der Beteiligung an einer Straftat zulässig ist.

368  Vorausgesetzt wird dolus directus, siehe u. a. Stefańska, in: Stefański (Hrsg.), Art.  18 Rn.  17. 369  Siehe oben I. 2. a. 370  Stellvertretend in Bezug auf das deutsche Recht Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, §  25 Rn.  62, und auf das polnische Sakowicz, in: Królikowski/Zawłocki (Hrsg.), Art.  18 Rn.  19. 371  Zum heutigen Meinungsstand im deutschen Recht Heine/Weißer, in: Schönke/Schrö­ der, Vorbemerkungen zu den §§  25 ff. Rn.  55, und im polnischen Recht Kardas, in: Wróbel/ Zoll (Hrsg.), Art.  18 Rn.  46 ff.

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Die Aufdeckung (anderer) in die Tat verwickelter Personen erfolgt grundsätz­ lich erst im Rahmen des Strafverfahrens. Dies gilt nicht nur in Bezug auf einen „Hintermann“, der sich zur Tatbegehung eines anderen als „Werkzeug“ bedient (mittelbare Täterschaft, §  25 Abs.  1 Alt. 2 StGB), die Ausführung der Tat durch einen anderen gesteuert (lenkende Täterschaft, Art.  18 §  1 Var. 3 plStGB) oder diese einem anderen aufgetragen (beauftragende Täterschaft, Art.  18 §  1 Var. 4 plStGB) hat. Auch die Feststellung eines am Tatort nicht anwesenden Mittäters, eines Anstifters oder eines Gehilfen bedarf in der Regel weiterer Ermittlungen. Dies bedeutet nicht, dass die Verfolgung der genannten Tatbeteiligten über die Grenze hinweg praktisch ausgeschlossen ist. Freilich kann in diesen Fällen nicht nur auf die vollendete oder versuchte Tat des unmittelbaren Täters abge­ stellt werden, sondern auch auf die Handlung eines Hintermannes (Einwirkung auf den „Vordermann“) oder eines Anstifters bzw. eines Gehilfen (Bestimmen, Hilfeleisten). Handelt es sich bereits bei dieser um eine Straftat, kann ihm – falls er auf frischer Tat betroffen wird – grenzüberschreitend nachgeeilt werden. b.  Grenzüberschreitende Verfolgung eines Hintermannes Die Konstruktion der mittelbaren sowie der lenkenden und beauftragenden Tä­ terschaft beruht, vereinfacht gesagt, auf der Zurechnung der Tatausführungs­ handlungen des Vordermannes an den Hintermann. Die Tat des Hintermannes wird erst dann vollendet, wenn der Vordermann das tatbestandliche Verhalten setzt.372 Ist das der Fall, wird in der Regel nicht der Hinter-, sondern der Vorder­ mann unter Umständen auf frischer Tat betroffen, da gerade er die – äußerlich erkennbare – Ausführung vornimmt. Daran scheint auch die – wohlgemerkt nicht zu erwartende – Anwesenheit des Hintermannes am Tatort nichts zu än­ dern, wenn etwa zwischen seiner Einwirkungshandlung und der Tatausführung durch den Tatmittler ein enger räumlich-zeitlicher Zusammenhang vorläge. Sein kriminelles Verhalten (die Einwirkung auf den Vordermann, die Steuerung seines Verhaltens oder die Beauftragung des Vordermannes mit der Tatbege­ hung) wäre nämlich für einen Dritten, der die Tat des Vordermannes bemerkt, sinnlich nicht wahrnehmbar und würde keinen Tatverdacht begründen. Im Vorfeld der Tatausführung kommt hingegen allenfalls eine Versuchsstraf­ barkeit des Hintermannes in Betracht. In der deutschen Strafrechtslehre ist um­ stritten, ob bzw. wann die für die Konstruktion gemäß §  25 Abs.  1 Alt. 2 StGB erforderliche Einwirkung auf den Tatmittler für sich gesehen eine strafbare Handlung darstellt. Während die Gesamtlösung den Versuch erst mit dem un­ 372 Vgl. Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, §  25 Rn.  8; Sakowicz, in: Królikowski/Za­ włocki (Hrsg.), Art.  18 Rn.  41 u. 69.

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mittelbaren Ansetzen des Tatmittlers eintreten lässt,373 bejaht die Einzellösung den Versuch schon dann, wenn der Hintermann auf jenen einzuwirken an­ fängt374. Die wohl herrschende Meinung verweist hingegen zu Recht auf die allgemeinen – ihrerseits freilich streitigen – Grundsätze zur Bestimmung des Versuchsbeginns.375 Das unmittelbare Ansetzen eines mittelbaren Täters soll nicht anders bewertet werden als das eines Alleintäters. Wendet man die An­ satzformel des BGH an, versucht mittelbar-täterschaftlich „eine Straftat derje­ nige, der nach seiner Vorstellung die erforderliche Einwirkung auf den Tatmitt­ ler abgeschlossen hat, so dass nach dem Tatplan dieser im unmittelbaren An­ schluß die Tat ausführen soll und das geschützte Rechtsgut damit bereits in diesem Zeitpunkt gefährdet ist“.376 Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann der bei der Einwirkungshandlung Betroffene nach Maßgabe des Art.  41 SDÜ wegen einer versuchten Straftat in das polnische Hoheitsgebiet hinein verfolgt werden. Auch die polnischen Polizeibeamten dürfen Nacheilemaßnahmen gegen den flüchtenden Hintermann ggf. auch dann ergreifen, wenn der Vordermann die Tat (noch) gar nicht versucht hat. Denn die Versuchsstrafbarkeit des steuernden Täters wird bereits durch die Vornahme der Maßnahmen begründet, die direkt darauf abzielen, dass der Vordermann zur Tatbestandsverwirklichung unmittel­ bar ansetzt.377 Der beauftragende Täter kann sich hingegen schon dann wegen Versuchs strafbar machen, wenn er den Auftrag erteilt hat.378 Nach alledem kann ein Hintermann nicht nur dann (grenzüberschreitend) verfolgt werden, wenn der Vordermann auf frischer Tat bei der Tatbestandsver­ wirklichung betroffen und der Tatbeitrag des Hintermannes wahrgenommen wird. Bei Vorliegen der oben genannten Voraussetzungen kann bereits die Ein­ wirkungs-, Steuerungs- oder Beauftragungshandlung des Hintermannes eine (grenzüberschreitende) Nacheile begründen.

Hoyer, in: SK-StGB, 9. Aufl., §  25 Rn.  147; Kühl, in: Lackner/Kühl, §  22 Rn.  9 m. w. N. Baumann, JuS 1963, 85 (92 f.); Herzberg, MDR 1973, 89 (94 f.). 375  Ingelfinger, in: Dölling/Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  25 StGB Rn.  35; Eser/Bosch, in: Schönke/Schröder, §  22 Rn.  54a; Hillenkamp, in: LK-StGB, §  22 Rn.  157 ff. m. w. N 376  BGHSt 30, 363 (365). 377  Kulik, in: Mozgawa (Hrsg.), Kodeks karny, Art.  18 Rn.  19 m. w. N.; vgl. auch Kardas, in: Wróbel/Zoll (Hrsg.), Art.  18 Rn.  79. 378  Sakowicz, in: Królikowski/Zawłocki (Hrsg.), Art.  18 Rn.  69; Kardas, in: Wróbel/Zoll (Hrsg.), Art.  18 Rn.  112; so auch Kulik, in: Mozgawa (Hrsg.), Kodeks karny, Art.  18 Rn.  27, der aber die Versuchsstrafbarkeit des beauftragenden Täters sogar dann annimmt, wenn der Auftrag den Adressaten nicht erreicht hat. 373  374 

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c.  Grenzüberschreitende Verfolgung eines Anstifters und eines Gehilfen Die auf der Grundlage der §§  26, 27 StGB geltende limitierte Akzessorietät setzt für die strafbare Anstiftung und Beihilfe eine vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat voraus,379 wobei deren Versuch genügt, soweit er als solcher strafbar ist380. Demnach begründet das Bestimmen oder das Hilfeleisten alleine noch keine strafrechtliche Verantwortung. Dies gilt freilich nicht ausnahmslos. §  30 Abs.  1 S.  1 StGB ordnet die Strafbarkeit der versuchten Anstiftung zu ei­ nem Verbrechen sowie zu einer Verbrechensanstiftung (sog. versuchte Ketten­ anstiftung) nach Maßgabe der Vorschriften über den Versuch des Verbrechens an.381 Durch die Verweisungsnormen im besonderen Strafrecht (z. B. §  159 StGB) wird der Anwendungsbereich dieser Norm auf einige Vergehenstatbe­ stände (z. B. §§  153 und 156 StGB) ausgedehnt. Ebenso bestraft werden laut §  30 Abs.  2 StGB weitere Vorbereitungshandungen 382: das – im Vorfeld der Bestim­ mungshandlung liegende – Sich-Bereiterklären zur Verbrechensanstiftung, die Annahme des Erbietens eines anderen zu einem Verbrechen oder zur Verbre­ chensanstiftung383 sowie die Verabredung der gemeinsamen Begehung eines Verbrechens oder einer gemeinsamen Verbrechensanstiftung384. Eine versuchte Beihilfe bleibt hingegen in jedem Fall straflos. Nach dem polnischen Recht hat die Strafbarkeit eines Anstifters und eines Gehilfen keinen akzessorischen Charakter – sie hängt nicht davon ab, ob der von ihm bestimmte oder unterstützte Täter die Straftat vollendet oder gar ver­ sucht hat (vgl. Art.  22 §  2 plStGB im Umkehrschluss).385 Nach der überwiegen­ den Auffassung liegt eine strafbare Anstiftung gleichwohl nicht mit der bloßen Vollziehung der Bestimmungshandlung vor;386 vorausgesetzt wird – als Tater­ folg –, dass der Anstifter beim Adressaten den Tatentschluss hervorgerufen

379  Joecks, in: MK-StGB, Vorbemerkung zu §  26 Rn.  18 f.; Heine/Weißer, in: Schönke/ Schröder, Vorbemerkungen zu den §§  25 ff. Rn.  2. 380  Kühl, in: Lackner/Kühl, §  26 Rn.  7 und §  27 Rn.  8. 381  Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, §  30 Rn.  16. 382  Zaczyk, in: NK-StGB, §  30 Rn.  7; Joecks, in: MK-StGB, §  30 Rn.  42. 383  Dabei handelt es sich um einen Speziallfall der versuchten Anstiftung, weil durch die Annahme „der Tatentschluss des sich Erbietenden endgültig gefasst wird“, Zaczyk, in: NKStGB, §  30 Rn.  43 m. w. N. 384  Joecks, in: MK-StGB, §  30 Rn.  53; Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, §  30 Rn.  24. Diese Variante vereinigt die Elemente des Sichbereiterklärens und der versuchten Anstif­ tung, Heine/Weißer, in: Schönke/Schröder, §  30 Rn.  21. 385  Eine gewisse Anbindung an die Haupttat findet nur auf der Ebene der Strafzumessung statt (Art.  19, 22 plStGB). 386  So aber Sakowicz, in: Królikowski/Zawłocki, Art.  18 Rn.  79 und Zoll, in: Buchała/ Zoll, Art.  18 Rn.  42, die in der Anstiftung ein schlichtes Tätigkeitsdelikt sehen.

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hat387. Entsprechendes gilt für die Beihilfe: Diese wird vollendet, wenn der Ge­ hilfe sich auf eine solche Art und Weise verhält, die die Tatbegehung objektiv (also nicht nur nach seiner Vorstellung) erleichtert.388 Treten die genannten Er­ folge nicht ein, kommt eine Versuchsstrafbarkeit in Betracht.389 Der Vergleich der Regelungen zeigt, dass sich die Möglichkeit der Aufnahme einer (grenzüberschreitenden) Verfolgung eines Anstifters oder eines Gehilfen in Deutschland und in Polen unterschiedlich gestaltet. Im deutschen Recht ist sie fast auf „null“ reduziert, denn das Bestimmen bzw. Hilfeleisten alleine stellt, ausgenommen die Fälle nach §  30 Abs.  1 S.  1 und Abs.  2 StGB, noch keine Straftat dar. Nach dem polnischen Strafgesetzbuch muss zwar die Haupttat nicht einmal versucht worden sein, damit der Anstifter oder Gehilfe bestraft werden kann. Die Nacheile könnte aber auf dem fremden (in diesem Fall: deut­ schen) Territorium nur dann fortgesetzt werden, wenn der Beteiligte auf fri­ scher Tat betroffen würde. Er müsste also von einem Dritten (etwa einem Poli­ zeibeamten) als Anstifter oder Gehilfe wahrgenommen worden sein. Soweit die Handlung auf dem „Bestimmen“ oder dem „psychischen Hilfeleisten“ beruht, ist das fernliegend, aber nicht völlig ausgeschlossen. Beispielsweise kann ein polnischer Polizeibeamter, der zufällig390 ein fremdes Gespräch mithört, im Laufe dessen einer der Gesprächspartner bei dem anderen den Tatentschluss zu einem Raub oder Totschlag hervorruft bzw. hervorzurufen versucht, den An­ stifter – falls er die Flucht ergreift – ohne Weiteres verfolgen, unter den Voraus­ setzungen des Art.  41 Abs.  1 SDÜ auch grenzüberschreitend. Da es sich beim Raub bzw. Totschlag um ein Verbrechen handelt, lässt sich das obige Beispiel wohl auf den deutschen Boden übertragen: Die versuchte Anstiftung stellt in diesem Fall eine nach §  30 Abs.  1 S.  1 StGB strafbare Tat dar. Denkbar ist ferner die Aufnahme einer Verfolgung aufgrund der Anzeige seitens der Person, die 387  Beschluss des Obersten Gerichts in einer Besetzung von sieben Richtern v. 21.10.2003, I KZP 11/03, OSNKW 2003/11–12/89; Urteil des Obersten Gerichts v. 28.11.2006, III KK 156/06, OSNwSK 2006/1/2264; Beschluss des Obersten Gerichts v. 22.9.2009, III KK 58/09, OSNKW 2010/3/28; Giezek, in: Giezek (Hrsg.), Art.  18 Rn.  51; Kardas, in: Wróbel/Zoll (Hrsg.), Art.  18 Rn.  140 u. 161; Marek, Kodeks karny, Art.  18 Rn.  14; Kulik, in: Mozgawa (Hrsg.), Kodeks karny, Art.  18 Rn.  31; Stefańska, in: Stefański (Hrsg.), Art.  18 Rn.  19. 388  Marek, Kodeks karny, Art.  18 Rn.  17; Kardas, in: Wróbel/Zoll (Hrsg.), Art.  18 Rn.  183; Giezek, in: Giezek (Hrsg.), Art.  18 Rn.  51 u. 63. 389  Beschluss des Obersten Gerichts in einer Besetzung von sieben Richtern v. 21.10.2003, I KZP 11/03, OSNKW 2003/11–12/89; Urteil des Obersten Gerichts v. 28.11.2006, III KK 156/06, OSNwSK 2006/1/2264; Marek, Kodeks karny, Art.  18 Rn.  15 u. 17. 390  Bei einem geplanten polizeilichen Abhören im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens oder zum Zwecke der Verhinderung einer auslieferungsfähigen Straftat werden in der Regel die Vorschriften über die grenzüberschreitende Observation vorrangig zum Tragen kommen (Art.  22 PolAbk i. V. m. Art.  40 SDÜ).

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der Anstifter erfolglos zu bestimmen versucht hat und die diesen insoweit auf frischer Tat betroffen hat. In Deutschland wäre hier abermals grundsätzlich das Bestimmen zur Begehung eines Verbrechens erforderlich. Trotz der Zulässigkeit einer grenzübergreifenden Nacheile in Bezug auf einen Hintermann, Anstifter oder Gehilfen erscheint die praktische Relevanz der skizzierten Konstellationen allerdings gering, insbesondere aufgrund des Erfordernisses des Betreffens auf frischer Tat.

B.  Der zweite Nacheilegrund: Flucht aus der Untersuchungs- oder Strafhaft I.  Anwendungsbereich des Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 2 SDÜ Außer dem oben besprochenen Fall des Betreffens auf frischer Tat ist eine grenz­über­schreitende Nacheile laut Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 2 SDÜ in Bezug auf eine Person zulässig, die sich in Untersuchungshaft oder Strafhaft befand und aus der Haft geflohen ist. 1.  Begriff der Untersuchungshaft Der Begriff „Untersuchungshaft“ verweist auf §§  112 ff. StPO, die formelle und materielle Voraussetzungen einer Untersuchungshaft festlegen. Diese stellt eine Freiheitsentzugsmaßnahme dar, die durch einen Richter und nur dann angeord­ net werden kann, wenn ein dringender Tatverdacht vorliegt und ein gesetzlich normierter Haftgrund besteht.391 Gemäß §  1 UVollzO zielt sie darauf ab, durch sichere Verwahrung des Beschuldigten die Durchführung eines geordneten Strafverfahrens zu gewährleisten oder der Gefahr weiterer Straftaten zu begeg­ nen. Der gleiche Sinngehalt kommt dem Ausdruck „z aresztu tymczasowego“ („aus der Untersuchungshaft“) in der polnischen Fassung zu. Denn dieser be­ zieht sich auf die in Kapitel 28 der polnischen Strafprozessordnung vorgesehene Präventivmaßnahme, die zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens oder aus­ nahmsweise zur Verhinderung der Begehung einer Straftat gegen das Leben, die Gesundheit oder die öffentliche Sicherheit durch den Verdächtigen oder An­ 391  Die Voraussetzungen der Haftgründe des §  112 Abs.  2 StPO gelten trotz des Wortlauts des §  112 Abs.  3 StPO auch in Bezug auf die dort genannten schwerwiegenden Straftaten, werden aber auf dem Boden dieser Norm gelockert, Graf, in: KK-StPO, §  112 Rn.  42; BVerfG NJW 1966, 243 (244); BVerfG NJW 1966, 772 (772): Bei Anwendung von §  112 Abs.  4 StPO – als Haftgrund – „müssen Umstände vorliegen, die die Gefahr begründen, daß ohne Fest­ nahme des Beschuldigten die alsbaldige Aufklärung und Ahndung der Tat gefährdet sein könnten.“

B.  Der zweite Nacheilegrund: Flucht aus der Untersuchungs- oder Strafhaft

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geklagten angewandt wird (Art.  249 §  1 plStPO). Die Untersuchungshaft darf nur richterlich beim Vorliegen einer großen Wahrscheinlichkeit der Tatbege­ hung und nur in gesetzlich vorgesehenen Fällen angeordnet werden. 2.  Begriff der Strafhaft Die Bezeichnung „Strafhaft“ ist dem deutschen Rechtssystem fremd. Seman­ tisch betrachtet muss es sich dabei um eine Haft handeln, in der eine Strafe verbüßt wird. In Betracht kommt nur eine Freiheitsstrafe, da keine der übrigen in §§  40 ff. StGB vorgesehenen Strafen mit einer Verhaftung verbunden ist. Dies bringt die Formulierung „podczas odbywania kary pozbawienia wolności“ der polnischen Fassung des Art.  41 SDÜ eindeutig zum Ausdruck; in einer wortge­ treuen Übersetzung heißt das: „während der Verbüßung einer Freiheitsstrafe“. Ebenfalls im Kontext der in der niederländischen und der französischen Urfas­ sung verwendeten Termini „gevangenisstraf“ und „peine privative de liberté“ ist Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 2 Alt. 2 SDÜ dahin zu verstehen, dass er sich auf sämtliche Arten gerichtlich verhängter Freiheitsstrafen bezieht.392 Die Flucht aus einer psychiatrischen Anstalt, in der eine in Art.  93a §  1 Pkt.  4 plStGB ge­ nannte Sicherungsmaßregel (środek zabezpieczający) vollzogen wurde, bzw. aus einem psychiatrischen Krankenhaus, einer Entziehungsanstalt oder einer Sicherungsverwahrung, in denen die Unterbringung nach §§  63, 64, 66 oder 66b StGB angeordnet wurde, berechtigt demnach nicht zur grenzübergreifenden Nacheile. Nicht erfasst wird auch die Flucht aus dem Polizeigewahrsam im Sin­ ne der Polizeigesetze der Länder393 und des Art.  15 Abs.  1 Pkt.  7a i. V. m. Pkt.  2–3 plPolG, bei dem der betroffenen Person zwar die Freiheit entzogen wird, dies aber keine richterliche, sondern eine polizeiliche Eingriffsmaßnahme darstellt. In der Bundesrepublik wird die Freiheitsstrafe laut §  139 i. V. m. §  141 Abs.  2 StVollzG in geschlossenen oder offenen Anstalten der Landesjustizverwaltun­ gen (Justizvollzugsanstalten) vollzogen. In Polen kann sie gemäß Art.  69 ­plStVollzGB in einer der vier Strafanstalten verbüßt werden:394 für Heranwach­ sende, für eine Freiheitsstrafe zum ersten Mal Verbüßende, für eine Freiheits­ strafe wiederholt Verbüßende und für eine Wehrarreststrafe Verbüßende, die nach Art.  70 plStVollzGB jeweils als Anstalten des geschlossenen, halboffenen oder offenen Vollzugs organisiert werden können. Verbüßt der Täter eine Frei­ heitsstrafe in einer der genannten (deutschen oder polnischen) Strafanstalten, so

Joubert/Bevers, Schengen Investigated, S.  263 ff. Siehe z. B. §  17 Bbg­PolG; §  22 SächsPolG; §  55 SOG M-V; §  30 ASOG Bln. 394  Eine zusätzliche Möglichkeit ist in Art.  69 i. V. m. Art.  87 §  4 plStVollzGB für zur Frei­ heitsstrafe verurteilte Mütter mit Kindern vorgesehen. 392 Vgl. 393 

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

kann er, falls er aus dieser Anstalt geflohen ist, bei Vorliegen sonstiger Nachei­ levoraussetzungen in beiden Richtungen grenzüberschreitend verfolgt werden. 3.  Flucht aus der Haft Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 2 SDÜ lässt die grenzüberschreitende Verfolgung nur solcher Personen zu, die sich in der Haft befanden und aus dieser geflohen sind. Diese Doppelvoraussetzung wird in den Fällen nicht erfüllt, in denen der im Inland Verfolgte die Haft mit Erlaubnis einer zuständigen Behörde verlassen hat und am angegebenen Termin nicht zurückgekehrt ist. Vom Wortlaut her sind auch Verfolgungen von Personen aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift ausgeklammert, die zu einer Haftstrafe verurteilt worden sind, sich aber auf freiem Fuß befunden und der Ladung (§  27 StVollstrO) bzw. der Aufforderung (Art.  79 plStVollzGB) zum Strafantritt keine Folge geleistet haben. Hinsichtlich der Art und Weise der Flucht stellt die Norm keine Anforderun­ gen. Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass dadurch bzw. dabei eine Straftat begangen wird. Die Zulässigkeit des Grenzübertritts hängt alleine von der Fest­ stellung ab, dass der Verdächtige oder der Verurteilte aus der Untersuchungs­ haft oder der Strafvollzugsanstalt entkommen ist. Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 2 SDÜ sichert somit das Interesse der Schengen-Staaten an der Wiederergreifung des Entwichenen ungeachtet dessen, ob sie die Selbstbefreiung pönalisieren. Dass die Staaten in dieser Hinsicht unterschiedliche kriminalpolitische Konzep­ te verfolgen, zeigt ein Blick auf das deutsche und das polnische Strafrechtssys­ tem. Während in Deutschland die Flucht aus der Haft nur unter den engen Vor­ aussetzungen des §  121 Abs.  1 Nr.  2 StGB bestraft wird,395 d. h., wenn sich min­ destens zwei396 Gefangene397 zusammenrotten und mit vereinten Kräften gewaltsam ausbrechen, handelt es sich im polnischen Rechtssystem bereits bei einer schlichten Selbstbefreiung um eine Straftat (Art.  242 §  1 plStGB)398.

Zum Selbstbefreiungsprivileg siehe etwa Eser, in: Schönke/Schröder, §  120 Rn.  15. H. M., siehe etwa BGH NJW 1966, 555 (556); Eser, in: Schönke/Schröder, §  121 Rn.  4; Heger, in: Lackner/Kühl, §  121 Rn.  3; kritisch Ostendorf, in: NK-StGB, §  121 Rn.  8. 397  Gefangene im Sinne dieser Norm sind Personen, denen durch einen hoheitlichen Akt die Freiheit entzogen wurde, darunter Straf- und Untersuchungsgefangene, Eser, in: Schön­ ke/Schröder, §  121 Rn.  3 i. V. m. §  120 Rn.  3; Ostendorf, in: NK-StGB, §  121 Rn.  6 i. V. m. §  120 Rn.  6. 398  Wenn der Täter im Einvernehmen mit anderen Personen handelt, Gewalt anwendet oder mit einer Gewaltanwendung droht oder den Gewahrsamsraum beschädigt, kann er aus dem Qualifikationstatbestand des Art.  242 §  4 plStGB zur Verantwortung gezogen werden. 395 

396 

B.  Der zweite Nacheilegrund: Flucht aus der Untersuchungs- oder Strafhaft

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4.  Teleologische Einschränkung der Nacheilebefugnis Vor dem Hintergrund des lakonischen Wortlauts des Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 2 SDÜ drängt sich die Frage auf, ob die Zulässigkeit der Nacheile von der der Haft zugrunde liegenden Tat bzw. von der zu erwartenden oder verhängten Strafe abhängig ist. Von einem Teil des Schrifttums wird die Ansicht vertreten, dass die Verfol­ gung in den Fällen des Unterabsatzes 2 ohne Rücksicht auf die Schwere der Tat, welcher der Entwichene verdächtig ist oder wegen deren er verurteilt wurde, sowie ohne Berücksichtigung der Dauer der (noch) zu verbüßenden Haftstrafe grenzüberschreitend fortgesetzt werden darf.399 Die Gegenmeinung fordert demgegenüber auch hier eine Katalogstraftat (Art.  41 Abs.  4 lit.  a SDÜ) bzw. eine auslieferungsfähige Straftat (Art.  41 Abs.  4 lit.  b SDÜ).400 Für die zweite Auffassung ließe sich anführen, dass in Unterabsatz 2 durch die Formulierung „[g]leiches gilt“ auf Unterabsatz 1 verwiesen wird, sodass bei erstem Hinschauen auf diesem Wege auch Absatz 4 als einbezogen erachtet werden könnte. Dagegen spricht aber, dass Art.  41 Abs.  4 SDÜ festlegt, bei wel­ cher Art von Straftaten die Schengen-Staaten einer Fortsetzung der Verfolgung auf ihrem Hoheitsgebiet zustimmen können. Indes wird die Zulässigkeit einer grenzüberschreitenden Nacheile in Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 2 SDÜ – anders als in Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 1 SDÜ – gar nicht an die Tatbegehung geknüpft; die Nacheilemaßnahmen beruhen hier auf der Feststellung, dass eine in der Unter­ suchungs- oder Strafhaft befindliche Person entwichen ist.401 Der Ausdruck „[g]leiches gilt“ ist deshalb als Rechtsfolgenverweisung, und nicht als Rechts­ grundverweisung, zu sehen. Mit anderen Worten stellt Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 2 SDÜ eigene tatbestandliche Voraussetzungen (Flucht aus der Untersuchungsoder Strafhaft) auf, bei deren Vorliegen eine inländische Verfolgung nach den in Unterabsatz 1 verankerten Grundsätzen auf dem fremden Territorium fortge­ setzt werden darf, d. h. ohne vorherige Zustimmung und soweit die zuständigen Behörden des betretenen Staates aufgrund der besonderen Dringlichkeit nicht unterrichtet werden konnten oder die Verfolgung an der Grenze nicht überneh­ men können.402 Die obige Feststellung führt jedoch nicht automatisch zu dem Schluss, dass die Art der vorgeworfenen Straftat bzw. der verhängten Strafe für die Zulässig­ Joubert/Bevers, Schengen Investigated, S.  261; Steinborn, in: Małolepszy/Soiné/Żura­ kowska (Hrsg.), S.  73 (74). 400  Kattau, Strafverfolgung, S.  73 u. 116; Grotz, in: Grützner/Pötz/Kreß (11. Lfg.), Teil III 25 Fn.  21 (zu Art.  41 SDÜ). 401 Vgl. Steinborn, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  73 (74). 402  Dazu unten C. 399 

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

keit der Nacheile in den Fällen des Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 2 SDÜ von keiner Bedeutung sind. Denn von diesen Momenten hängt die Möglichkeit des Erlas­ ses eines Europäischen Haftbefehls und der Überstellung des Entwichenen zum Zwecke der Strafverfolgung bzw. der Strafvollstreckung ab. Wird die Bagatell­ grenze, bei der von der Leistung zwischenstaatlicher Rechtshilfe abgesehen wird, nicht überschritten, kommt eine spätere Auslieferung des grenzüber­ schreitend Verfolgten nicht in Betracht. Vor diesem Hintergrund erscheint es geboten, die Möglichkeit der Fortsetzung der Nacheile auch in den Fällen des Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 2 SDÜ nur bei auslieferungsfähigen Delikten zuzulas­ sen. Wie vorher erörtert wurde, bestimmt sich die Frage der Auslieferungsfä­ higkeit im deutsch-polnischen Verkehr nach den Vorschriften des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen und der polnischen Strafprozess­ ordnung, innerhalb deren der Rahmenbeschlusses 2002/584/JI umgesetzt wur­ de, sowie nach dem Auslieferungsvertrag vom 17. Juli 2003.403 Im Falle der Flucht aus der Untersuchungshaft wird der Sachverhalt in einem staatsanwaltschaftlichen bzw. polizeilichen oder einem gerichtlichen Verfahren erst erforscht. In Betracht kommt insoweit eine Auslieferung zur Strafverfol­ gung. Für diesen Bereich kann auf die oben dargestellten Grundsätze verwiesen werden.404 Flüchtet hingegen eine Person aus der Strafhaft, also wurde sie bereits verur­ teilt, ist zu differenzieren: Soweit durch die Flucht oder bei der Flucht eine Straftat begangen wird, kann die Auslieferung des Flüchtenden sowohl zum Zwecke der Vollstreckung der noch zu verbüßenden Freiheitsstrafe als auch zum Zwecke der Verfolgung wegen einer neuen Straftat erfolgen; anderenfalls kommt nur die Auslieferung zur Strafvollstreckung in Betracht. Die deutsche Seite könnte einen Europäischen Haftbefehl zu diesem Zwecke dann erlassen, wenn das Maß der freiheitsentziehenden Sanktion nach deutschem Recht min­ destens vier Monate beträgt (§  81 Nr.  2 IRG, der hier spiegelbildlich zur Anwen­ dung kommt 405); die polnische Seite, wenn das Maß der verhängten Strafe vier Monate überschreitet (Art.  607b S.  2 Nr.  2 plStPO). Da in den Fluchtfällen des Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 2 Alt. 2 SDÜ die Sanktion bereits zum (auch wenn nur geringen) Teil verbüßt worden ist, ist die Frage des maßgeblichen Anknüpfungspunkts für die Feststellung der Auslieferungsfähig­ keit von Bedeutung. Nach dem mittlerweile herrschenden Standpunkt der Ober­ landesgerichte ist beim Erlass des Europäischen Haftbefehls nicht auf den noch 403 

A. I. 1. b. A. I. 2 u. 3. 405  Begründung zum ersten Europäischen Haftbefehlsgesetz v. 21.7.2004, BT-Drs. 15/1718, S.  11. 404 

B.  Der zweite Nacheilegrund: Flucht aus der Untersuchungs- oder Strafhaft

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verbleibenden Rest der Strafe, sondern auf die verhängte Strafe abzustellen.406 In der polnischen Lehre wird das Problem, wenn es überhaupt behandelt wird, meistens abweichend gelöst, und zwar unter Berufung auf das mit Art.  2 Abs.  1 RbEuHb erstrebte Ziel, die Einleitung eines komplizierten Übergabeverfah­ rens, einschließlich der Einbeziehung der Behörden fremder Mitgliedstaaten, in Bagatellfällen zu vermeiden.407 Dieser – wenn auch an sich einleuchtenden – Argumentation stehen jedoch der klare Wortlaut des Art.  2 Abs.  1 RbEuHb und der ihn implementierenden oben angeführten Vorschriften entgegen. Anzuneh­ men ist folglich, dass die Auslieferung auch dann möglich ist, wenn das Maß der noch ausstehenden Strafe die Schwelle des §  81 Nr.  2 IRG bzw. des Art.  607b S.  2 Nr.  2 plStPO nicht überschreitet, sofern dies in Bezug auf die gesamte ver­ hängte Strafe zu bejahen ist. Da der Rahmenbeschluss 2002/584/JI nach seinem Art.  31 Abs.  2 Unterabs. 1 die Anwendung der multi- und bilateralen Bestimmungen zulässt, die den Aus­ lieferungsverkehr noch weiter erleichtern, muss noch auf die Regelung des deutsch-polnischen Auslieferungsvertrags vom 17. Juli 2003 hingewiesen wer­ den. Sein Art.  1 ermöglicht die Überstellung einer Person zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, wenn das Maß der noch zu vollstreckenden Freiheitsstrafe, Ersatzfreiheitsstrafe oder bei mehreren noch zu vollstreckenden Freiheitsstra­ fen, Ersatzfreiheitsstrafen deren Summe mindestens drei Monate beträgt. So­ weit sich aus der Vorschrift im Einzelfall geringere Anforderungen an die Stra­ fe ergeben,408 erscheint deren Heranziehung zur Festlegung der Auslieferungs­ Meyer, in: Ambos/König/Rackow (Hrsg.), 2. HT §  81 IRG Rn.  874 verweisend auf OLG Stuttgart NStZ-RR 2005, 115 (116); OLG Köln BeckRS 2005, 06964; OLG Koblenz BeckRS 2010, 01054; KG NJOZ 2013, 830 (830); so auch Böse, in: Grützner/Pötz/Kreß (42. Lfg.), §  81 IRG Rn.  3. Allenfalls dann, wenn der noch zu verbüßende Strafrest „im Bagatell­ bereich“ liegt, bejaht KG NJOZ 2013, 830 (831) die Möglichkeit einer Überprüfung, ob die Auslieferung den wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung i. S. v. §  73 IRG nicht widerspräche; gleichzeitig bemerkt es, dass im Hinblick auf die vertraglichen Regelun­ gen zwischen Polen und Deutschland der ausstehende Strafrest erheblich unter drei Monaten liegen müsste. 407  Steinborn, in: Paprzycki (Hrsg.), Art.  607b Rn.  4; Nita-Światłowska, in: Skorupka (Hrsg.), Art.  607b Rn.  10; anders Jaworski, in: Jaworski/Sołtysińska, Art.  607b Rn.  5, der sich gleichwohl mit der Auslegungsproblematik nicht auseinandersetzt. 408  Dies mag aber nur bei Nacheilen aus Deutschland der Fall sein. Art.  1 des deutsch-pol­ nischen Auslieferungsvertrags kommt gegenüber §  81 Nr.  2 IRG bzw. Art.  607b S.  2 Nr.  2 plStPO selbstständige Bedeutung in einem sehr schmalen Umfang zu, und zwar, wenn die verhängte Freiheitsstrafe vier Monate unterschreitet und (noch) mindestens drei Monate zu verbüßen sind. Da nach dem polnischen Recht eine Freiheitsstrafe lediglich in vollen Mona­ ten und Jahren verhängt wird (Art.  37 Hs. 2 plStGB), bleibt bei Nacheilesachverhalten kein Raum für die Heranziehung des Art.  1 des deutsch-polnischen Auslieferungsvertrags. An­ ders verhält es sich nach dem deutschen Recht: §  39 Hs. 1 StGB sieht in Bezug auf die Frei­ 406 

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

fähigkeit und somit zur Verifizierung der Nacheilevoraussetzungen im Lichte des Art.  31 Abs.  2 Unterabs. 1 gerechtfertigt.409

II.  Erweiterung des Nacheilerechts aus Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 2 SDÜ auf bilateraler Ebene Das Polizeiabkommen (2014) geht über die Schengener Regelung nicht hinaus. Das betrifft auch die meisten Polizeiverträge, die Deutschland mit den übrigen Nachbarländern geschlossen hat. Eine Ausnahme stellt Art.  16 Abs.  1 Nr.  2 des deutsch-schweizerischen Abkommens dar, wonach die Nacheile auch in Bezug auf Personen zulässig ist, die aus der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, der Sicherungsverwahrung oder amtlichem Gewahrsam geflohen sind.410 In eine ähnliche Richtung geht der Vertrag mit Tschechien und gestattet das Nacheilerecht wegen der Flucht aus dem Maßregelvollzug oder der Siche­ rungsverwahrung sowie in den Fällen, in denen sich der Betroffene einer mit der Einschränkung seiner persönlichen Freiheit verbundenen Maßnahme ent­ zieht (Art.  14 Abs.  1 lit.  b).411 Den Anwendungsbereich des Art.  41 Abs.  1 SDÜ erweitern auch die von Po­ len mit Tschechien, der Slowakei und Litauen geschlossenen Kooperationsver­ träge. Nach Vorgaben der ersten beiden ist die Verfolgung auch einer Person möglich, die aus einer Besserungsanstalt oder aus einer psychiatrischen Anstalt, in der sie kraft einer Gerichtsentscheidung untergebracht war, geflohen ist (Art.  11 Abs.  1 des polnisch-tschechischen Vertrags; Art.  8 Abs.  1 des pol­ nisch-slowakischen Vertrags). Der polnisch-slowakische Vertrag lässt ferner die Nacheile bei einer Flucht vom Festnahmeort („z miejsca zatrzymania“) zu. Stellt man diese Bezeichnung den übrigen erwähnten „Aufenthaltsorten“ ge­ genüber (Untersuchungshaft, Straf-, Besserungs-, psychiatrische Anstalt), so heitsstrafen unter einem Jahr die Möglichkeit vor, die Strafe auch nach vollen Wochen zu bemessen. Würde also z. B. ein zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von drei Monaten und drei Wochen Verurteilter nach der Verbüßung der ersten zwei Wochen entweichen, wäre seine Auslieferung zum Zwecke der Strafvollstreckung nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI ausgeschlossen; in Betracht käme aber die Auslieferung nach Art.  1 des deutsch-polnischen Auslieferungsvertrags. 409  Zur Anwendbarkeit des Vertrages nach der Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI siehe oben A. I. 1.b. 410 Dazu Häfele, Rechtsschutz gegen Nacheilemaßnahmen, S.  18 ff. 411  Fast wortgleich war bereits Art.  18 Abs.  1 S.  2 des deutsch-tschechischen Ergänzungs­ vertrags zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen (BGBl.  2001 II S.  733) formuliert, wonach auch derjenige über die Grenze verfolgt werden durfte, der aus dem Maßregelvollzug geflohen ist oder der sich einer anderen strafrechtlichen freiheitsent­ ziehenden Maßnahme durch Flucht entzogen hat.

C.  Grenzüberschreitende Nacheile als Ultima-Ratio-Instrument

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muss sie als Ort der auf der Festnahme beruhenden Maßnahme verstanden wer­ den, und als Ort, an dem der Betroffene nach der Festnahme bis zur gerichtli­ chen Entscheidung festgehalten wurde (Polizeigewahrsam). Um diese Grundla­ ge ist ebenfalls Art.  11 Abs.  1 des polnisch-litauischen Abkommens erweitert. Auch wenn die Situationen, die durch die genannten Regelungen erfasst sind, in der Praxis nur selten vorkommen, ist die Einschränkung des Nacheilerechts nach Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 2 SDÜ auf die Untersuchungshaft und die Straf­ haft nicht nachvollziehbar.

C.  Grenzüberschreitende Nacheile als Ultima-Ratio-Instrument In beiden Nacheilevarianten, d. h. des Betreffens auf frischer Tat und der Flucht aus der Untersuchungs- oder Strafhaft, wurde die Zulässigkeit der Fortsetzung einer Verfolgung auf dem Territorium des Nachbarstaates ohne dessen vorheri­ ge Zustimmung auf äußerste Fälle beschränkt. Die Beamten dürfen die Staats­ grenze ausschließlich dann überschreiten, wenn die zuständigen Behörden der anderen Vertragspartei wegen der besonderen Dringlichkeit der Angelegenheit nicht zuvor mit einem der in Art.  44 SDÜ vorgesehenen Kommunikationsmittel unterrichtet werden konnten oder nicht rechtzeitig zur Stelle sind, um die Ver­ folgung zu übernehmen (Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 1 in fine SDÜ). Die Ausgestaltung des Nacheileinstruments als Ultima Ratio412 ist Ausdruck des Souveränitätsgedankens.413 Die grenzüberschreitende Fortsetzung der Ver­ folgung stellt eine Durchbrechung der Gebietshoheit und somit einen Eingriff in die staatliche Souveränität dar.414 Dieser Eingriff kann nach dem Regelungs­ konzept des SDÜ nur dann hingenommen werden, wenn die inländischen Be­ hörden im konkreten Fall selbst nicht tätig werden (können). Im Übrigen muss das Recht zur Ausübung eigener hoheitlicher Befugnisse auf dem fremden Ter­ ritorium vor der örtlichen Hoheitsgewalt zurückweichen. Daher haben die nach­ eilenden Beamten in erster Linie die Behörden des anderen Staates über eine Verfolgung in die Grenzrichtung zu unterrichten und ihnen dadurch eine Ver­ folgungsübernahme zu ermöglichen. Nur wenn die Unterrichtung vor dem Grenzübertritt oder die Verfolgungsübernahme am Grenzübertritt nicht mög­ lich ist, darf die Maßnahme ohne vorherige Zustimmung des benachbarten Staates über die Grenze fortgesetzt werden. 412  Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  193; Rupprecht/ Hellenthal, in: Rupprecht/Hellenthal, S.  23 (167). 413  1. Teil A. I. 414  Siehe dazu die Bemerkungen in der Einleitung.

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2. Teil: Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Nacheile

Die Benachrichtigung soll auf einem der in Art.  44 SDÜ vorgesehenen Kom­ munikationswege erfolgen. Die Vorschrift nennt direkte Telefon-, Funk- und Telexverbindungen, wobei die Aufzählung nicht abschließend ist. Gleichzeitig verpflichtet sie die Parteien, solche Verbindungen, insbesondere in den Grenz­ regionen, zur Erleichterung der Kooperation und zur Sicherstellung einer recht­ zeitigen Informationsübermittlung im Zusammenhang mit der Nacheile und Observation zu schaffen.415 Auch in dieser Verpflichtung spiegelt sich der Ge­ danke wider, dass die grenzübergreifenden Maßnahmen der Hoheitsträger eine Ausnahme darstellen sollen: Die Schengen-Staaten treffen entsprechende tech­ nische Vorkehrungen, um eine rechtzeitige Unterrichtung der Behörden des be­ nachbarten Staates vom voraussichtlichen Grenzübertritt zu sichern und damit die Verfolgungsübernahme bereits an der Grenze zu ermöglichen. Freilich kann die Verfolgungsübernahme trotz erfolgter Benachrichtigung fehlschlagen. Dies wird in der Regel der Fall sein, wenn die inländische Verfol­ gung in unmittelbarer Grenznähe aufgenommen wurde und die entsprechende Information deshalb erst kurz vor dem Grenzübertritt übermittelt werden konn­ te. Das Eintreffen der zuständigen Behörden des Nachbarstaates an der Stelle des Grenzübertritts kann auch aufgrund ihrer augenblicklichen Besetzung bzw. Belastung ausgeschlossen sein oder an einer ungünstigen Verkehrslage schei­ tern.416 In solchen und ähnlichen Fällen steht den Beamten das Recht zu, den Flüchtenden in das fremde Land hinein zu verfolgen. Der Grund, aus welchem die Verfolgung an der Grenze nicht übernommen wurde, spielt für die Zulässig­ keit des Grenzübertritts gleichwohl keine Rolle. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut des Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 1 SDÜ: „Beamte einer Vertragspartei […] sind befugt, die Verfolgung auf dem Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei ohne deren vorherige Zustimmung fortzusetzen, wenn die zuständi­ gen Behörden der anderen Vertragspartei […] nicht rechtzeitig zur Stelle sind, um die Verfol­ gung zu übernehmen.“

415  Vgl. auch Art.  17 PolAbk, wonach die Vertragsparteien eine unmittelbare sichere tech­ nische Kommunikation gewährleisten und vor allem gemeinsame Funkfrequenzen vereinba­ ren. 416  1. Teil A. I.

3. Teil

Ausübung des Nacheilerechts Art.  41 SDÜ nennt nicht nur die Voraussetzungen, unter denen die Grenze pas­ siert werden darf, sondern setzt auch einen allgemeinen Rahmen fest, in dem die ausländischen Amtsträger vom Nacheilerecht Gebrauch machen dürfen. Da­ bei handelt es sich allerdings um einen Mindeststandard, eine Art Kompromiss zwischen der Wahrung der territorialen Herrschaftsmacht des betretenen Staa­ tes und dem grenzüberschreitenden Verfolgungsinteresse des Ausgangs­staates.1 Die endgültige Ausprägung der Nacheilebefugnis ist ein Resultat der Bereit­ schaft der einzelnen Mitgliedstaaten zur teilweisen Preisgabe der Ausschließ­ lichkeit der territorialen Hoheitsmacht zugunsten wirksamer Kriminalitätsbe­ kämpfung. Sie variiert folglich von Staat zu Staat.

A. Verfahrensregelungen I.  Rechtsregime für das Handeln im Ausland und die Rechtsstellung der Beamten 1.  Bindung an das fremde Recht und Pflicht zur Befolgung von Anordnungen der örtlichen Behörden Art.  41 Abs.  5 lit.  a SDÜ formuliert drei Grundregeln der Ausübung des Nach­ eilerechts: Bindung der nacheilenden Beamten an die Bestimmungen dieses Ar­ tikels, an das Recht der Vertragspartei, auf deren Hoheitsgebiet sie auftreten, und an Anordnungen der örtlich zuständigen Behörden. Art.  41 SDÜ in Verbindung mit den nationalen Erklärungen der Vertragsbzw. Mitgliedstaaten legt fest, welche Maßnahmen und in welchem Umfang auf dem fremden Hoheitsgebiet ergriffen werden dürfen. Die nationalen Befugnisse der nacheilenden Beamten werden insoweit in materieller, zeitlicher und ggf. auch räumlicher Hinsicht limitiert. Die Grenze des Zulässigen wird zum Teil auf bilateraler Ebene ausgedehnt. Aber auch hier gilt der Schengener Grund­ satz, dass die Wahrnehmung der Befugnisse im Einklang mit dem örtlichen 1 Vgl.

Sturm, Kriminalistik 1995, 162 (165).

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

Rechtsregime erfolgen muss.2 Dies wiederum setzt die Kenntnisse der einschlä­ gigen materiell- und verfahrensrechtlichen Regelungen 3 des Gebietsstaates vor­ aus, weil die Dynamik der Nacheile die Einholung von Informationen ad casum ausschließt. Die Unsicherheit hinsichtlich der Rechtslage kann die verfolgenden Beamten von einem grenzüberschreitenden Tätigwerden abhalten und sich ne­ gativ auf die Kriminalitätsbekämpfung auswirken. Mit praktischen Schwierig­ keiten ist ebenfalls die Weisungsbefugnis der örtlich zuständigen Behörden bzw. die Befolgungspflicht 4 der nacheilenden Beamten behaftet, da sie im Grun­ de genommen voraussetzt, dass sich die beiden Seiten miteinander sprachlich verständigen können. Das Kommunikationsproblem kann zwar weitgehend durch Einschaltung des Gemeinsamen Zentrums nivelliert werden. Es lässt sich aber nicht bestreiten, dass die Schnelligkeit, mit der die Anordnungen übermit­ telt und die darauf beruhenden Tätigkeiten vorgenommen werden, den Erfolg der Verfolgungsmaßnahmen beeinflusst. Die skizzierten Erschwernisse im Zusammenhang mit den in Art.  41 Abs.  5 lit.  a SDÜ formulierten Grundsätzen der Ausübung des Nacheilerechts werfen die Frage auf, ob für grenzüberschreitende Einsätze nicht das Recht des Her­ kunftsstaates gelten sollte.5 Sämtliche Maßnahmen gegen den Verfolgten wären im Ergebnis an derjenigen Rechtsordnung zu messen, deren Verhaltensnorm er verletzt hat. Gegen diese Lösung spricht aber, dass sowohl die Bindung an das örtliche Recht als auch die Pflicht, die Anordnungen der lokalen Behörden zu befolgen, eine besondere Ausprägung des Souveränitätsgedankens darstellen und dem mit der Fortsetzung einer Verfolgung auf dem Territorium eines ande­ ren Staates einhergehenden Eingriff in dessen Hoheitsrechte Rechnung tragen. Die Beamten, die die Grenze überschreiten und im anderen Staat bestimmte Maßnahmen ergreifen wollen, treten – trotz der ihnen zustehenden Befugnisse – 2  Siehe nur Art.  36 Abs.  1 S.  1 PolAbk; Art.  23 Abs.  1 S.  1 des deutsch-tschechischen Ko­ operationsvertrags. 3  Da Art.  41 Abs.  5 lit.  a SDÜ von der Bindung an das Recht des Gebietsstaates spricht, sind bei der Ausübung der Nacheile nicht nur gesetzliche Regelungen, sondern auch die Ver­ waltungsvorschriften, die die Gesetzesnormen konkretisieren und sich auf die Rechtsposi­ tion der Bürger auswirken können, zu beachten, so zutreffend Sokołowski, in: Małolepszy/ Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  119 (148 f.). 4  Art.  41 Abs.  5 lit.  a SDÜ knüpft die Befolgungspflicht an keine Bedingungen, insbeson­ dere nicht an die Bedingung der Rechtmäßigkeit der Anordnung. Die nacheilenden Beamten haben also den Anordnungen Folge zu leisten, ungeachtet dessen, ob die anordnende Behörde des Gebietsstaates die Anordnung im Einklang mit ihrem innerstaatlichen Recht erlassen hat. Vgl. hierzu Häfele, Rechtsschutz gegen Nacheilemaßnahmen, S.  64 f. in Bezug auf den deutsch-schweizerischen Kooperationsvertrag. 5  Vgl. in diesem Kontext die umfassenden Ausführungen von Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  292.

A. Verfahrensregelungen

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lediglich in der Gastrolle auf. Sie sollen sich deshalb dem fremden Rechtsregi­ me unterordnen und Weisungen der „gastgebenden“ Beamten beachten. Die Möglichkeit, grenzüberschreitend nach eigenem Recht eigenständig strafpro­ zessuale und polizeiliche Eingriffsmaßnahmen vorzunehmen, würde den Kern­ bereich der Souveränität des betretenen Nachbarlandes berühren. Indes sieht Art.  89 AEUV, auf dessen Grundlage die Nacheileregelung auf der Unionsebe­ ne fortentwickelt werden kann,6 ausdrücklich vor, dass die zuständigen Behör­ den der Mitgliedstaaten im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats (nur) in Verbindung und in Absprache mit dessen Behörden tätig werden dürfen.7 Die Befolgungspflicht stellt insoweit eine natürliche Folge des Grenz­über­t ritts dar. Aber auch ihrer Aufrechterhaltung bei gleichzeitiger Anwendbarkeit des Rechts des Herkunftsstaates müsste man widersprechen. Die Geltung zweier Rechts­ ordnungen würde die Kooperation der ausländischen und inländischen Beamten erschweren. Die Bindung der örtlichen Hoheitsträger an das fremde Recht wür­ de dagegen die Anwendungsprobleme, die sich auf der Grundlage des Art.  41 Abs.  5 lit.  a SDÜ ergeben, nicht beseitigen, sondern nur verlagern: In diesem Fall wären es die Beamten des Gebietsstaates, die sich in den Rechtsnormen des anderen Staates hinreichend auskennen müssten. Außerdem wären von der hier diskutierten Klausel unbeteiligte Dritte betroffen, die – anders als der Verfolgte – in keiner Beziehung zum fremden Rechtssystem stehen8 und denen der Staat bzw. die einheimische Rechtsordnung nicht nur bestimmte Gebote und Verbote auferlegt, sondern auch Schutz gewährleistet. Im Lichte dieser Erwägungen ist an der Regelung des Art.  41 Abs.  5 lit.  a SDÜ trotz der Unzulänglichkeiten festzuhalten. Einen Ausgleich zwischen den Interessen des Herkunfts- und des Gebietsstaates dürfte nur eine unionsweite Harmonisierung der Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden im Bereich von Nacheilemaßnahmen bringen. Diese ist jedoch nicht, zumindest nicht in abseh­ barer Zeit, zu erwarten. Zu Recht bemerkt Goy, dass die Vereinheitlichung der betreffenden Regelungen Auswirkungen auf das gesamte Strafverfahren, dar­ unter auf das Verhältnis von Polizei und Staatsanwaltschaft, hätte; betroffen würde auch das materielle Recht – man denke etwa an die Notwehrregelungen im Kontext des Waffeneinsatzes (Art.  41 Abs.  5 lit.  e SDÜ).9 Indes hält das Uni­ onsrecht Rechtsgrundlagen nur für eine punktuelle Mindestharmonisierung im 6 

1. Teil A. II. 1. Eine gleichlautende Klausel war bereits in Art.  32 EUV a. F. enthalten, auf dessen Grundlage die Nacheileregelung nach der Überführung des Schengener Besitzstandes in den Unionsrahmen gestützt wurde und bis zum Lissabonner Vertrag weiterentwickelt werden konnte, vgl. 1. Teil A. II. 1. 8  So zutreffend Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  292. 9  Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  293 f. 7 

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

Bereich des Straf- und Strafprozessrechts (siehe Art.  82 und 83 AEUV) bereit und weist dabei jedem Mitgliedstaat ein Einspruchsrecht zum Schutz grundle­ gender Aspekte seiner Strafrechtsordnung zu.10 Darin kommt die besondere Sensibilität dieser Politikbereiche zum Ausdruck, die sowohl aus ihrer Grund­ rechtsrelevanz als auch aus „ihrer Bedeutung für das Souveränitätsverständnis der Mitgliedstaaten“ resultiert.11 2.  Gleichstellung der Beamten im Bereich des Strafrechts a.  Inhalt und Bedeutung der Gleichstellungsklausel Die Polizeibeamten, die die Verfolgung auf dem fremden Hoheitsgebiet fortset­ zen, werden in Bezug auf die Straftaten, die sie begehen oder denen sie zum Opfer fallen würden, den Bediensteten des Nachbarlandes gleichgestellt (Art.  42 SDÜ; siehe auch Art.  35 Abs.  1 PolAbk). Bei der Bewertung strafrechtlicher Sachverhalte unter Beteiligung gebietsfremder Beamter wird folglich so verfah­ ren, als ob ein inländischer Amtsträger gehandelt hätte.12 Da sich die Klausel ausdrücklich auf Straftaten bezieht, darf nicht von einer generellen Gleichstel­ lung der ausländischen und inländischen Bediensteten ausgegangen werden.13 Sie stünde im Widerstreit zu Art.  41 SDÜ14 sowie Art.  25 und Art.  36 Abs.  2 PolAbk, die den ausländischen Beamten nur punktuelle und dabei in vielfacher Hinsicht eingeschränkte Befugnisse einräumen. 10  Dabei handelt es sich um die sog. Notbremse zur Aussetzung des ordentlichen Gesetz­ gebungsverfahrens: Soweit der Richtlinienentwurf nach der Auffassung eines Ratsmitglieds grundlegende Aspekte seiner Strafrechtsordnung berühren würde, kann es die Befassung des Europäischen Rats beantragen, der binnen vier Monaten nach Aussetzung des Verfah­ rens eine Aussprache herbeizuführen hat. Wird kein Einvernehmen erzielt, scheitert das Ver­ fahren. Eine Gruppe von mindestens neun Mitgliedstaaten kann dann in erleichterter Weise auf der Grundlage des Richtlinienentwurfs eine Verstärkte Zusammenarbeit i. S. v. Art.  20 EUV begründen (Art.  82 Abs.  3 und Art.  83 Abs.  3 AEUV). Zum „Notbremse“-Mechanis­ mus siehe z. B. Vogel/Eisele, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art.  82 AEUV Rn.  114 ff. und Meyer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Art.  82 AEUV Rn.  49 ff. 11  Herrnfeld, in: Schwarze (Hrsg.), Art.  67 AEUV Rn.  4; siehe auch BVerfG NJW 2009, 2267 (2287 ff.): „Wegen der besonders empfindlichen Berührung der demokratischen Selbst­ bestimmung durch Straf- und Strafverfahrensnormen sind die vertraglichen Kompetenz­ grundlagen für solche Schritte strikt – keinesfalls extensiv – auszulegen, und ihre Nutzung bedarf besonderer Rechtfertigung.“ (Rn.  358). 12  Ein polnischer Polizeibeamter wird in Deutschland als Amtsträger i. S. v. §  11 Nr.  2 StGB betrachtet, ein deutscher Polizeibeamter genießt in Polen die Rechtsstellung eines Amtsträgers i. S. v. Art.  115 §  13 plStGB, vgl. die Begründung zum polnischen Ratifizie­ rungsgesetz, Sejm-Druck Nr.  2827, S.  7. 13  Harings, Grenzüberschreitende Zusammenarbeit, S.  261; vgl. auch Cremer, ZaöRV 60 (2000), 103 (117). 14  Harings, Grenzüberschreitende Zusammenarbeit, S.  261.

A. Verfahrensregelungen

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Die Gleichstellungsklausel erfüllt nach Harings eine Doppelfunktion: Sie dient einerseits dem Schutz der Personen, die den Straftaten der gebietsfremden Beamten zum Opfer fallen, andererseits dem Schutz dieser Beamten durch die Rechtsordnung des Gebietsstaates.15 Diese Auffassung erscheint auf den ersten Blick als zutreffend, bedarf aber einer Konkretisierung durch den Rückgriff auf das Schutzgut der einschlägigen Strafnormen. Im Bereich der Amtsdelikte ist auf die nacheilerelevante Kompetenzüber­ schreitung einzugehen. Diese wird in Deutschland in §  132 Alt. 2 StGB und in Polen in Art.  231 plStGB pönalisiert. Sinn und Zweck dieser Vorschriften ist es, der Beeinträchtigung der Autorität des Staates und seiner Behörden entgegen­ zuwirken16 bzw. die Funktionsfähigkeit und Autorität staatlicher Einrichtungen zu schützen17. Bezogen auf Deutschland und Polen bringt die Gleichstellungs­ klausel folglich zum Ausdruck, dass die staatliche Autorität bzw. Funktionser­ füllung auch dadurch beeinträchtigt werden kann, dass der Staat den ausländi­ schen Amtsträgern das Handeln auf seinem Territorium gestattet, ohne es aber seiner Kontrolle zu unterziehen.18 In dieser Hinsicht wirkt die Klausel zuguns­ ten der Interessen des Gebietsstaates. Aus der polnischen Perspektive dient sie aber auch mittelbar dem Schutz eines von Maßnahmen der nacheilenden (deut­ schen) Beamten Betroffenen, da die polnische Lehre im Gegensatz zur deut­ schen h. M. auch Individual- und Rechtsgüter der Allgemeinheit als mitge­ schützt ansieht.19 Durch die Gleichstellung in Bezug auf die Straftaten gegen die nacheilenden Beamten kommt es hingegen zur Einbeziehung fremder Rechtsgüter in den An­ wendungsbereich der Strafnormen des Gebietsstaates.20 Mit Blick auf §  113 StGB und Art.  222 ff. plStGB handelt es sich dabei nicht nur um Rechtsgüter der Beamten, sondern auch bzw. vornehmlich um Interessen des Ausgangsstaates der Nacheile: Mit der deutschen Vorschrift wird die staatliche Vollstreckungs­ handlung geschützt;21 die polnische Regelung dient der Sicherung der Funk­ Harings, Grenzüberschreitende Zusammenarbeit, S.  261. So die h. M. in Deutschland, siehe etwa BGH NJW 1953, 73; 2011, 1979 (1981); Weiler, in: Dölling/Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  132 StGB Rn.  1; Sternberg-Lieben, in: Schön­ ke/Schröder, §  132 Rn.  1. 17  So in Bezug auf das polnische Recht u. a. Lach, in: Konarska-Wrzosek (Hrsg.), Art.  231 Rn.  1; Kulik, in: Mozgawa (Hrsg.), Kodeks karny, Art.  231 Rn.  1; Barczak-Oplustil, in: Zoll (Hrsg.), Art.  231 Rn.  2. 18  Vgl. für das deutsche Recht Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, §  132 Rn.  1. 19  Siehe die Nachweise oben in Fn.  17. 20  Wohl aus diesem Grund sieht Grotz, in: Grützner/Pötz/Kreß (11. Lfg.), Teil III 25 Fn.  36 (zu Art.  42 SDÜ) in der Regelung des Art.  42 SDÜ eine „versteckte ‚Assimilierungsklausel‘“. 21  H. M., siehe nur BGH NJW 1953, 1032 (1032); Eser, in: Schönke/Schröder, §  113 Rn.  2; Heinrich, in: Dölling/Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  113 Rn.  1; siehe auch BT-Drs. 646/10, 15  16 

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tions­f ähigkeit staatlicher Einrichtungen, einschließlich der ungestörten Dienst­ aus­übung22. Eine nähere Betrachtung der erwähnten Straftatbestände würde über das Thema der vorliegenden Arbeit hinausgehen. Im Folgenden werden jedoch die einschlägigen Vorschriften kurz dargestellt, um aufzuzeigen, wie weit der Rechtsschutz in Polen und Deutschland reicht. b.  Gleichstellung bei einer Nacheile auf dem polnischen Hoheitsgebiet Ein deutscher Polizeibeamter, der bei der Ausübung des Nacheilerechts auf dem polnischen Hoheitsgebiet seine Befugnisse überschreitet oder seine Pflichten verletzt und dadurch zum Nachteil eines öffentlichen oder privaten Interesses handelt, kann aus Art.  231 §  1 plStGB strafrechtlich zur Verantwortung gezo­ gen und mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bestraft werden. Die tatbestandsmäßige Befugnisüberschreitung liegt nicht nur dann vor, wenn der Beamte eine über seine Kompetenzen hinausgehende Handlung vornimmt, son­ dern auch dann, wenn die vorgenommene Handlung zwar in seine Zuständig­ keit fällt, aber zu ihrer Vornahme im konkreten Fall keine tatsächliche oder rechtliche Grundlage vorhanden war.23 Als Befugnis- und Pflichtenquellen gel­ ten vor allem Rechtsvorschriften.24 Es erscheint offensichtlich, dass in Bezug auf die Maßnahmen der nacheilenden Beamten auf dem fremden Hoheitsgebiet auf die Bestimmungen des Art.  41 SDÜ und des Polizeiabkommens (2014), die ihre Befugnisse festlegen, sowie auf das Recht des Gebietsstaates, an das sie bei der Wahrnehmung dieser Befugnisse gebunden sind, abzustellen ist. Die Befug­ nisse und Pflichten können sich auch aus Dienstanweisungen ergeben,25 was für die nacheilenden Beamten im Kontext der Befolgungspflicht aus Art.  41 Abs.  5 lit.  a SDÜ von Belang ist. Handelt der Beamte fahrlässig, so droht ihm eine Geldstrafe, Freiheitsbeschränkungsstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren, sofern er durch seine Tat einen wesentlichen Schaden verursacht S.  3; kritisch zur Annahme des doppelten Schutzzwecks aber Bosch, in: MK-StGB, §  113 Rn.  2. 22  Siehe etwa in Bezug auf die Straftaten aus Art.  222 f. plStGB und Art.  226 plStGB Marek/Konarska-Wrzosek, Prawo karne, Rn.  944, 948 u. 950; Potulski, in: Gardocki (Hrsg.), Kapitel VII Rn.  43, 54 u. 109, und in Bezug auf die Straftaten aus Art.  224 plStGB Barczak-Oplustil, in: Zoll (Hrsg.), Art.  224 Rn.  1 f., Kulik, in: Mozgawa (Hrsg.), Kodeks karny, Art.  224 Rn.  1. 23  Marek, Kodeks karny, Art.  231 Rn.  2; Giezek, in: Giezek (Hrsg.), Art.  231 Rn.  9; Barczak-Oplustil, in: Zoll (Hrsg.), Art.  231 Rn.  10. 24  Giezek, in: Giezek (Hrsg.), Art.  231 Rn.  10; Kulik, in: Mozgawa (Hrsg.), Kodeks karny, Art.  231 Rn.  5; Barczak-Oplustil, in: Zoll (Hrsg.), Art.  231 Rn.  5. 25  Giezek, in: Giezek (Hrsg.), Art.  231 Rn.  10; Kulik, in: Mozgawa (Hrsg.), Kodeks karny, Art.  231 Rn.  5; Barczak-Oplustil, in: Zoll (Hrsg.), Art.  231 Rn.  5.

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(Art.  231 §  3 plStGB). Nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung soll die Be­ urteilung bei ausschließlich materiellen Schäden einerseits von der Vermögens­ lage des Geschädigten abhängen, andererseits aber durch die Festlegung des geschätzten Schadenswerts unter Bezugnahme auf die Legaldefinition des er­ heblichen Schadens aus Art.  115 §  7 i. V. m. §  5 plStGB objektiv zum Ausdruck kommen.26 Danach gilt ein solcher Schaden als erheblich, dessen Wert zum Zeitpunkt der Tatbegehung 200.000 Zloty übersteigt. Da der Begriff „wesentli­ cher Schaden“ nicht nur Sachschäden erfasst, können bei der Beurteilung wei­ tere Gesichtspunkte in Betracht gezogen werden.27 Infolge der Gleichstellung genießen die nacheilenden deutschen Beamten und die von ihnen ergriffenen Maßnahmen auch einen besonderen Strafrechts­ schutz, der durch höhere Bestrafung bestimmter Verhaltensweisen zum Aus­ druck kommt, die bei oder im Zusammenhang mit der Erfüllung von Dienst­ pflichten vorgenommen werden. Ein tätlicher Angriff auf einen Amtsträger, sofern er gemeinsam und in Absprache mit einer anderen Person oder unter Anwendung von einer Schusswaffe, einem Messer oder einem anderen ähnlich gefährlichen Gegenstand oder einem Überwältigungsmittel verübt wird, ist ge­ mäß Art.  223 §  1 plStGB mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bedroht. Beim Eintritt einer schweren Gesundheitsschädigung ist die Strafe eine Freiheitsstrafe von zwei bis zu zwölf Jahren (Art.  223 §  2 plStGB). Die Tötung eines Amtsträgers stellt kraft des Novellierungsgesetzes vom 26. November 2010 eine Qualifikation des Totschlags dar und wird nach Art.  148 §  3 mit Freiheitsstrafe von mindestens zwölf, 25 Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. Der polnische Gesetzgeber hat auch die Verletzung der körperlichen Unversehrtheit (Art.  222 plStGB) sowie die Beleidigung (Art.  226 plStGB) eines Amtsträgers eigens vertatbestandlicht und mit einer jeweils höhe­ ren Strafandrohung versehen. Eine Ausnahme von dieser strafschärfenden Ten­ denz ergibt sich für den Tatbestand des Art.  224 §  2 plStGB: Wer Gewalt oder eine rechtswidrige Drohung anwendet, um einen Amtsträger zur Vornahme oder zum Unterlassen einer rechtlichen Amtshandlung zu nötigen, wird mit Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bestraft, also mit der gleichen Strafe, die im allgemeinen Nötigungstatbestand des Art.  191 §  1 plStGB vorgesehen ist.28 Art.  224 plStGB enthält allerdings in seinem §  3 eine Erfolgsqualifikation,29 wo­ 26 

Beschluss des Obersten Gerichts v. 29.1.2004, I KZP 38/03, OSNKW 2004/2/14. Beschluss des Obersten Gerichts v. 29.1.2004, I KZP 38/03, OSNKW 2004/2/14. 28  Ebenso bestraft wird gemäß Art.  224 §  1 plStGB derjenige, der mit Gewalt oder mit rechtswidriger Drohung auf Amtshandlungen eines staatlichen Verwaltungsorgans, eines anderen Staatsorgans oder eines Organs der territorialen Selbstverwaltung Einfluss nimmt. 29  Marek, Kodeks karny, Art.  224 Rn.  9; Barczak-Oplustil, in: Zoll (Hrsg.), Art.  224 Rn.  20. 27 

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nach der Täter mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren zu bestra­ fen ist, wenn seine Tat eine schwere (Art.  156 §  1 plStGB) oder eine mittlere (Art.  157 §  1 plStGB) Körperverletzung zur Folge hat. c.  Gleichstellung bei einer Nacheile auf dem deutschen Hoheitsgebiet Etwas anders gestaltet sich die strafrechtliche Verantwortung wegen einer Kompetenzüberschreitung nach dem deutschen Recht. Das in §  132 Alt. 2 StGB mit Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bedrohte Verhalten besteht in der unbefugten Vornahme einer Handlung, welche nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf. Die sog. Amtsanmaßung kann von einem Amtsträger begangen werden, wenn er seine sachliche oder nicht nur dienstrechtlich bestimmte örtliche Zuständigkeit überschreitet.30 Da die polni­ schen Polizisten das Nacheilerecht ohne räumliche Schranken ausüben dürfen, erstreckt sich ihre örtliche Zuständigkeit in Bezug auf die ihnen zustehenden Befugnisse auf das gesamte Bundesgebiet. In Betracht kommt daher allenfalls eine Strafbarkeit wegen der Vornahme einer Handlung, zu der sie weder nach Art.  41 SDÜ noch nach dem Polizeiabkommen (2014) ermächtigt wurden und die insoweit den deutschen Behörden vorbehalten ist (z. B. eigenmächtige Fest­ stellung der Identität des Festgehaltenen). Vorausgesetzt ist dabei, dass die Be­ amten wenigstens mit bedingtem Vorsatz agieren.31 Im Kontext der eventuellen Verantwortung der nacheilenden polnischen Bediensteten ist noch auf §  340 StGB hinzuweisen, wonach ein Amtsträger, der während der Ausübung seines Dienstes oder in Beziehung auf seinen Dienst eine Körperverletzung begeht oder begehen lässt, mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren be­ straft wird. In minder schweren Fällen kann eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe verhängt werden. In der umgekehrten Konstellation, in der gegen die polnischen Beamten eine Straftat begangen wird, kann kraft der Gleichstellungsklausel §  113 StGB zur Anwendung kommen, dessen Tatbestandsmerkmale sich zum Teil mit denjeni­ gen des Art.  224 plStGB überschneiden. Strafbar macht sich nach §  113 StGB derjenige, der einem Amtsträger bei der Vornahme einer Vollstreckungshand­ lung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand leistet. Die Tat ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe (Abs.  1) und in besonders schweren Fällen, etwa wenn der Täter durch eine Gewalttätigkeit den Angegrif­

30  Hohmann, in: MK-StGB, §  132 Rn.  23; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, §  132 Rn.  15; aus der Rechtsprechung siehe nur BGHSt 12, 85 (86). 31  Ostendorf, in: NK-StGB, §  132 Rn.  14; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, §  132 Rn.  13/14.

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fenen (vorsätzlich32) in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheits­ schädigung bringt, mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren (Abs.  2) bedroht. Bei §  113 StGB handelt es sich um eine lex specialis im Ver­ hältnis zum allgemeinen Nötigungstatbestand des §  240 StGB.33 Diesem gegen­ über enthält er einerseits eine Verschärfung in Form des Verzichts auf den nach §  240 Abs.  2 StGB erforderlichen Verwerflichkeitsnachweis.34 Andererseits kann §  113 StGB dem Täter insoweit zugutekommen, als er in seinem Absatz 3 günstigere Irrtumsregeln aufstellt.35 Einen besonderen Schutz36 der körperlichen Unversehrtheit verleiht den Voll­ streckungsbeamten dagegen §  114 StGB, der den tätlichen Angriff auf diese Beamten mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bedroht (Abs.  1).37 Die Vorschrift erfasst nicht nur Angriffe gegen Vollstreckungshand­ lungen, sondern schützt die Vollstreckungsbeamten – anders als §  113 StGB – auch bei der Ausübung allgemeiner Diensthandlungen.38 Für besonders schwere Fälle gilt zudem die Strafverschärfung aus §  113 Abs.  2 StGB entsprechend (§  114 Abs.  2 StGB). d. Fazit Aus der Gegenüberstellung der einschlägigen deutschen und polnischen Straf­ vorschriften ergibt sich, dass die beiden Nachbarländer im Bereich der Amtsde­ likte und der Delikte gegen Amtsträger prinzipiell unterschiedliche kriminalpo­ 32  Heinrich, in: Dölling/Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  113 Rn.  38; Paeffgen, in: NKStGB, §  113 Rn.  87a. 33  BGH StraFo 2017, 247 (247); Heinrich, in: Dölling/Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  113 Rn.  40; Paeffgen, in: NK-StGB, §  113 Rn.  90. Vor der Anhebung der Strafrahmenober­ grenze mit dem Gesetz v. 1.11.2011 (BGBl.  2011 I S.  2130) von zwei auf drei Jahre konnte in §  113 ein Privilegierungstatbestand gesehen werden, da die Höchststrafe des §  113 StGB hin­ ter der in §  240 StGB vorgesehenen Höchststrafe von drei Jahren zurückblieb, Eser, in: Schönke/Schröder, §  113 Rn.  3. 34  Eser, in: Schönke/Schröder, §  113 Rn.  4; Pflieger, in: Dölling/Duttge/Rössner (Hrsg.), §  113 Rn.  1. 35  Eser, in: Schönke/Schröder, §  113 Rn.  3; vgl. auch Bosch, in: MK-StGB, §  113 Rn.  2. 36  Siehe BT-Drs. 18/11161, S.  8. 37  Vor dem Inkrafttreten des Gesetzes v. 23.5.2017 (BGBl.  2017 I S.  1226) waren tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte in §  113 StGB (neben dem Widerstandleisten) geregelt und damit mit einer milderen Strafe bedroht. Da aber, wie man argumentierte, die körperli­ che Integrität des Amtsträgers ebenso schutzwürdig wie die jeder anderen Person sei (Eser, in: Schönke/Schröder, §  113 Rn.  4), war die Tateinheit mit den insoweit schärferen §§  223 ff. StGB nach überwiegender Ansicht nicht ausgeschlossen, RGSt 41, 82 (84); Eser, in: Schönke/ Schröder, §  113 Rn.  68; Heinrich, in: Dölling/Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  113 Rn.  43; Bosch, in: MK-StGB, §  113 Rn.  68. 38  BT-Drs. 18/11161, S.  8 mit Beispielen.

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litische Konzepte verfolgen. Besonders sichtbar ist dies in Bezug auf den Rechtsschutz, der eigenen und – kraft der Gleichstellungsklausel – auch gebiets­ fremden Beamten gewährt wird. Während der polnische Gesetzgeber Angriffe auf Amtsträger in besonderen Tatbeständen umschreibt und diese regelmäßig mit höherer Strafe bedroht, genießen die (deutschen und nacheilenden polni­ schen) Beamten nach dem deutschen Recht grundsätzlich den gleichen straf­ rechtlichen Schutz wie jede andere Person. 3.  Bindung an das Recht des Herkunftsstaates Das SDÜ trifft ausdrücklich keine Aussage zu der Frage, ob die nacheilenden Beamten bei der Fortführung einer Verfolgung im Nachbarland, einschließlich der Inanspruchnahme der damit korrespondierenden Befugnisse, weiterhin an das Recht (auch) des Herkunftsstaates gebunden sind. In Kollisionsfällen, wenn das Handeln im Einklang mit dem eigenen Recht gegen das örtliche Recht ver­ stieße, muss das Letztgenannte vorgehen, da der oben angeführte Grundsatz aus Art.  41 Abs.  5 lit.  a SDÜ sonst inhaltlich ausgehebelt würde.39 Fraglich ist dagegen, wie in der umgekehrten Konstellation, wenn das Recht des Herkunfts­ staates eine bestimmte Materie restriktiver regelt, verfahren werden soll. Aus­ schlaggebend ist hier das Wesen des Nacheileinstruments. Art.  41 SDÜ ermäch­ tigt nicht konstitutiv zur Vornahme von Maßnahmen auf dem fremden Territo­ rium, sondern zur grenzüberschreitenden Fortsetzung der im Inland begonnenen Handlung.40 Da die Beamten im Nachbarstaat eigene Aufgaben wahrnehmen, die sie im Normalfall auf dem eigenen Hoheitsgebiet erfüllen würden, liegt es nahe, dass der Grenzübertritt keine (vorläufige) Außerkraftsetzung des Rechts des Herkunftsstaates bewirkt, sondern das polizeiliche Handeln zusätzlich ei­ nem weiteren – fremden – Rechtsregime unterwirft.41 Es steht zudem außer Zweifel, dass die Amtsträger eines Staates unabhängig von der Art des grenzüberschreitenden Einsatzes die Beamteneigenschaft die­ ses Staates beibehalten und diesem gegenüber dienstrechtlich verantwortlich Im Ergebnis auch Harings, Grenzüberschreitende Zusammenarbeit, S.  277 f.; Goy, Vor­ läufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  253 (dort Fn.  466); so auch Häfele, Rechtsschutz gegen Nacheilemaßnahmen, S.  31 in Bezug auf den deutsch-schweizerischen Kooperationsvertrag. 40  Harings, Grenzüberschreitende Zusammenarbeit, S.  277. 41  Harings, Grenzüberschreitende Zusammenarbeit, S.  277; ebenso Häfele, Rechtsschutz gegen Nacheilemaßnahmen, S.  29 f. in Bezug auf den deutsch-schweizerischen Kooperati­ onsvertrag; im Ergebnis auch Fastenrath/Skerka, ZEuS 2009, 219 (252); Wolff, in: Mało­ lepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  19 (40); vgl. auch Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefah­ renabwehr, S.  115 in Bezug auf die Nacheile innerhalb der Bundesrepublik; offen gelassen von Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  253 (dort Fn.  466). 39 

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sind.42 Dies bringt Art.  35 Abs.  2 PolAbk klarstellend zum Ausdruck43, wonach die Bediensteten der für die Zusammenarbeit zuständigen Behörden, darunter der Polizeibehörden (Art.  2 Abs.  1, 3 PolAbk), „in disziplinar- und haftungs­ rechtlicher Hinsicht dem innerstaatlichen Recht ihrer Partei unterliegen“. Nach der Grundvorschrift des §  47 Abs.  1 S.  1 Beamt­StG begehen die Beam­ ten der Länderpolizeien ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen ob­ liegenden Pflichten verletzen. Angedacht werden damit die Pflichten aus den vorangehenden §§  33 bis 42 Beamt­StG,44 darunter die Pflicht zum rechtmäßigen Handeln, also zur Beachtung von Gesetzen und Verordnungen,45 sowie zur Aus­ führung von Anordnungen der Vorgesetzten und zur Befolgung deren allgemei­ ner Richtlinien46. Eine entsprechende Regelung enthält §  77 Abs.  1 S.  1 BBG für Beamte der Bundespolizeien. Im polnischen Polizeigesetz wurde das Dienstver­ gehen im Grunde genommen inhaltlich gleich definiert: Es beruht entweder auf der Verletzung der Dienstdisziplin, die im schuldhaften Überschreiten von Be­ fugnissen oder im Unterlassen der Erfüllung von Pflichten besteht, die aus Rechtsvorschriften, Befehlen oder Anordnungen der auf der Grundlage dieser Vorschriften ermächtigten Vorgesetzten resultieren, oder auf der Missachtung der Berufsethik (Art.  132 Abs.  1, 2 plPolG). Ein deutscher bzw. ein polnischer Beamter, der gegen Vorschriften seines Herkunftsstaates, die den Rechtsrahmen der Dienstausübung festlegen, schuld­ haft verstößt, begeht im Lichte des Vorgenannten ein Dienstvergehen. Dieses Vergehen kann mit Blick auf Art.  35 Abs.  2 PolAbk auch dann verfolgt wer­ den,47 wenn die Verletzung der einschlägigen Rechtsvorschriften bei Wahrneh­ mung der Dienstaufgaben auf dem fremden Hoheitsgebiet erfolgt. Jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der eventuellen Diensthaftung müssen also die nach­ eilenden Beamten nach dem Grenzübertritt (auch) das Recht ihres Herkunfts­ staates beachten. Zu prüfen ist nun, ob eine (Weiter-)Bindung der nacheilenden Beamten an das Recht des Ausgangsstaates der Nacheile auch in strafrechtlicher Hinsicht be­ steht. Dafür könnten in Bezug auf die deutsch-polnische Zusammenarbeit die 42 

Dies gilt selbst dann, wenn die Beamten einer fremden Dienststelle unterstellt werden (siehe Art.  13 PolAbk), Fastenrath/Skerka, ZEuS 2009, 219 (248). 43  Vgl. BT-Drs. 18/3696, S.  40: „Absatz 2 stellt klar […]“. 44  Reich, Beamtenstatusgesetz, §  47 Rn.  3. 45  Reich, Beamtenstatusgesetz, §  36 Rn.  3. 46  Dies gilt aber nach §  35 Abs.  2 Beamt­StG nicht, soweit die Beamten nach besonderen gesetzlichen Vorschriften an Weisungen nicht gebunden und nur dem Gesetz unterworfen sind. 47  Die Verfolgung der Dienstvergehen von Polizeibeamten wird in Deutschland in den landesrechtlichen Disziplinargesetzen bzw. im Bundesdisziplinargesetz und in Polen im Po­ lizeigesetz (in Art.  132 ff. plPolG) geregelt.

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Regelungen des §  5 Nr.  12 StGB und des Art.  109 i. V. m. Art.  111 §  3 plStGB sprechen. Diese Vorschriften ermöglichen es, einen deutschen bzw. einen polni­ schen Amtsträger, der während eines dienstlichen Aufenthalts oder in Bezie­ hung auf den Dienst (§  5 Nr.  12 StGB) bzw. im Zusammenhang mit der Dienstausübung im Ausland (Art.  111 §  3 plStGB) eine Straftat begeht, unab­ hängig vom Recht des Tatorts strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Von den Personen, die mit bestimmten staatlichen Aufgaben betraut sind, wird also erwartet, dass sie das innerstaatliche Recht auch dann beachten, wenn sie au­ ßerhalb des eigenen Staatsgebiets in ihrer amtlichen Funktion agieren.48 Fraglich ist, ob der Anwendung der erwähnten Vorschriften die Gleichstel­ lungsklausel aus Art.  42 SDÜ und Art.  35 Abs.  1 PolAbk nicht entgegensteht. Dies wäre dann der Fall, wenn die Gleichstellung der nacheilenden Beamten mit den Beamten des Gebietsstaates in Bezug auf durch sie oder gegen sie begange­ ne Straftaten eine Strafbarkeit nach dem Recht des Ausgangsstaates der Nach­ eile ausschließen würde. Ob der Klausel eine solche Funktion zukommt, lässt sich dem Wortlaut des Art.  42 SDÜ und des Art.  35 Abs.  1 PolAbk nicht entneh­ men.49 Denn besagt wird hier nichts weiter, als dass die nacheilenden Amtsträ­ ger, die im Gebietsstaat eine Straftat begehen, dort nach denselben Strafvor­ schriften bestraft werden wie die inländischen Amtsträger.50 Die Klausel be­ stimmt also nicht im Sinne einer Strafanwendungsnorm, welches bzw. wessen Strafrecht auf Taten der nacheilenden Beamten anwendbar ist, sondern bewirkt „lediglich“, dass Straftaten der ausländischen und der inländischen Beamten im Tatortstaat einheitlich behandelt werden. Der volle Sinngehalt der Gleichstellungsklausel kann freilich nur dann ermit­ telt werden, wenn man bei ihrer Auslegung auch diejenigen Regelungen berück­ sichtigt, auf die sie sich bezieht. Die Interpretation der Klausel im Lichte des Zwecks und des Wesens des Nacheileinstruments ergibt aber nichts anderes. Bekanntlich handelt es sich bei der grenzüberschreitenden Nacheile um eine besondere Form der zwischenstaatlichen Kooperation, da die Beamten eines Staates auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Staates weder zur Wahrnehmung dessen Strafverfolgungs- oder Gefahrenabwehrinteressen noch im Rahmen ei­ nes gemeinsamen Einsatzes tätig sind. Mit der Fortsetzung der Nacheile über die Staatsgrenze hinaus zielen sie vielmehr auf die Durchsetzung des Strafver­ Ambos, in: MK-StGB, §  5 Rn.  36; Marek, Kodeks karny, Art.  111 Rn.  2. So auch in Bezug auf die fast wortgleiche Gleichstellungsklausel in Art.  15 EURhfÜbk Rackow, Die Polizei 2013, 305 (309). 50  Vgl. BT-Drs. 15/4233, S.  25 in Bezug auf die Gleichstellungsklausel aus Art.  15 EU-Rh­ fÜbk: „Artikel 15 stellt sicher, dass Beamte, denen ein anderer Mitgliedstaat eine Tätigkeit auf seinem Hoheitsgebiet gestattet, dort strafrechtlich wie Beamte des Einsatzstaates behan­ delt werden.“ (Hervorhebung der Verfasserin). 48 Vgl. 49 

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folgungs- oder Strafvollstreckungsanspruchs ihres Staates ab. Es ist nicht er­ sichtlich, warum die auf dem fremden Hoheitsgebiet nacheilenden Beamten gegenüber den Beamten, die die gleichen staatlichen Aufgaben im Inland erfül­ len, in strafrechtlicher Hinsicht privilegiert werden sollten. In Bezug auf die Nacheileregelung muss folglich die Gleichstellungsklausel derart gedeutet wer­ den, dass sie eine eventuelle Strafbarkeit der nacheilenden Beamten nach dem Recht ihres Herkunftsstaates nicht ausschließt.51 Zusammenfassend: Die nacheilenden Beamten sind nach dem Grenzübertritt nach wie vor (auch) an das Recht des Ausgangsstaates der Nacheile gebunden. Bei Vorliegen von Systemunterschieden kann sich die Bindung an die örtliche Rechtsordnung auf die Befugnisse der ausländischen Beamten behindernd aus­ wirken, da in Kollisionsfällen dem Recht des Gebietsstaates der Vorrang ge­ bührt. Umgekehrt kann auch das eigene Recht eine Schranke für die im Ausland ergriffenen Maßnahmen darstellen52 und seine Verletzung kann eine Diensthaf­ tung oder strafrechtliche Verantwortung zur Folge haben.

II.  Sprachregime für Amtshandlungen gebietsfremder Polizeibeamter Soweit die Inanspruchnahme der Befugnisse nach dem Recht des Gebietsstaa­ tes mit Belehrungs-, Aufforderungs- oder Warnungspflichten zusammenfällt, stellt sich die Frage, ob diese Pflichten in der Amtssprache des Gebietsstaates oder derjenigen der handelnden (gebietsfremden) Beamten erfüllt werden müs­ sen. §  23 Abs.  1 VwVfG stellt klar, dass die Amtssprache deutsch ist.53 Amtliche Äußerungen müssen folglich „gegenüber anderen Hoheitsträgern sowie gegen­ über den Bürgern in deutscher Sprache“ vorgenommen werden.54 In diese Pflicht nimmt das Gesetz ausschließlich die deutschen55 – in Art.  1 Abs.  1 ge­ nannten – Behörden. Auch das Gesetz über polnische Sprache56 legt Polnisch Zu einem anderen Ergebnis gelangt Sinn, Strafbarkeit grenzüberschreitend operieren­ der verdeckter Ermittler, S.  42 ff. im Hinblick auf den gemeinsamen Einsatz verdeckter Er­ mittler nach Art.  14 EU-RhfÜbk. Dies überzeugt, da die Regelung, wie Sinn zutreffend be­ merkt, nur dann ihre volle Wirkung entfalten kann, wenn die verdeckten Ermittler eines Staates, die auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Staates zur Unterstützung dessen strafrechtlicher Ermittlungen eingesetzt werden, alle im Einsatzstaat gestatteten Handlungen vornehmen dürfen, ohne sich der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung im Herkunftsstaat auszusetzen. Dies gilt insbesondere für die Begehung „einsatzbedingter Straftaten“. 52  Fastenrath/Skerka, ZEuS 2009, 219 (252). 53  Diese Regel gilt auch nach dem Landesrecht, Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, §  23 Rn.  85; siehe z. B. §  1 Abs.  1 VwVfGBbg. 54  Schübel-Pfister, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, §  23 Rn.  13. 55  Schübel-Pfister, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, §  23 Rn.  13. 56  Dz. U. 1999 Nr.  90, Pos. 999. 51 

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

als Amtssprache nur der abschließend aufgelisteten polnischen Behörden fest (Art.  4 und Art.  5 des Gesetzes). Indes werden die nacheilenden polnischen Po­ lizeibeamten auf dem deutschen Territorium nicht in die deutsche Verwaltung eingegliedert, sondern sie behalten für den Zeitraum der Nacheile ihre Stellung als polnische Amtsträger bei. Gleiches gilt für die auf dem polnischen Hoheits­ gebiet nacheilenden deutschen Beamten. Eine Eingliederung in die fremde Staatsorganisationsstruktur wäre über die völkerrechtliche Figur der Organlei­ he grundsätzlich möglich, würde aber voraussetzen, dass der entliehene Be­ dienstete als Organ des Ausgangsstaates der Nacheile im Namen, auf Weisung und unter Kontrolle des Gebietsstaates öffentliche Funktionen ausübt.57 Die nacheilenden Beamten müssen zwar Anordnungen der örtlich zuständigen Be­ hörden beachten, sie nehmen jedoch ihre eigenen Aufgaben wahr und handeln dabei in alleiniger Verantwortung, was besonders deutlich in der Regelung der Entschädigungsansprüche nach Art.  43 Abs.  2 SDÜ (siehe auch Art.  34 Abs.  4 PolAbk) zum Ausdruck kommt: Die Gewährleistung eines Regressanspruchs des Gebietsstaates gegen den Ausgangsstaat der Nacheile wäre im Falle der Or­ ganleihe unverständlich.58 Da von der Eingliederung der nacheilenden Beamten in die Verwaltung des Gebietsstaates nicht ausgegangen werden kann, liegt die Annahme nahe, dass sie bei der Wahrnehmung der ihnen zugewiesenen Befugnisse die in den Vor­ schriften des Gebietsstaates vorgesehenen Belehrungs-, Aufforderungs- oder Warnungspflichten in ihrer Amtssprache erfüllen dürfen. Die Rechtsbindungs­ klausel aus Art.  41 Abs.  5 lit.  a SDÜ bzw. aus Art.  36 Abs.  1 S.  1 PolAbk stellt diese Auslegung nicht infrage, da sie inländische und ausländische Beamte nicht gleichstellt, sondern nur besagt, dass das materiell anwendbare Recht das des Gebietsstaates ist.59

57  Fastenrath/Skerka, ZEuS 2009, 219 (250); Harings, Grenzüberschreitende Zusammen­ arbeit, S.  252; allgemein in Bezug auf die völkerrechtliche Organleihe Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), §  29 Rn.  20. 58  Eingehend zum Ganzen Harings, Grenzüberschreitende Zusammenarbeit, S.  253 f. Die Annahme der Organleihe bei der Nacheile lehnen auch Fastenrath/Skerka, ZEuS 2009, 219 (250); Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  229 f.; Wolff, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  19 (28 ff.); Baldus, Transnationales Polizeirecht, S.  263 f. ab. 59 Vgl. Fastenrath/Skerka, ZEuS 2009, 219 (252).

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III.  Informationspflichten 1.  Die Schengener Grundregel Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 3 S.  1 SDÜ gebietet es den nacheilenden Beamten, spä­ testens beim Grenzübertritt Kontakt mit der zuständigen Behörde des Gebiets­ staates aufzunehmen. Die Auferlegung dieser Pflicht ist vom Souveränitätsge­ danken getragen. Sie bringt zum Ausdruck, dass die Befugnis zur Fortsetzung der inländischen Verfolgung auf dem fremden Territorium die örtlich zuständi­ ge Behörde aus ihrer Herrschaftsposition nicht verdrängt. Zwar kann die Gren­ ze bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 1, 2 SDÜ auch ohne vorherige Zustimmung jener Behörde passiert werden. Sie verliert dadurch aber nicht die Einwirkungsmöglichkeit auf die auf ihrem Gebiet ergrif­ fenen Maßnahmen der ausländischen Beamten. Ganz im Gegenteil, das Über­ einkommen räumt ihr das Recht ein, die Einstellung der Verfolgung zu verlan­ gen (Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 3 S.  2 SDÜ)60, und behält ihr die Feststellung der Identität des Verfolgten sowie seine Festnahme vor (Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 3 S.  3 in fine und Art.  41 Abs.  2 lit.  b in fine SDÜ)61. Die Ausübung der Kontrolle und die Mitwirkung an der Verfolgung setzen freilich voraus, dass die Behörden des Gebietsstaates von der Nacheile Kenntnis erlangt haben. Insoweit kann die Notwendigkeit der Kontaktaufnahme als sol­ che keine Bedenken auslösen. Nicht nachvollziehbar ist aber, dass sie „spätes­ tens beim Grenzübertritt“ zu erfolgen hat. Vor dem Hintergrund des Wortlauts des Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 3 S.  1 SDÜ62 scheint es zwar zu genügen, wenn die nacheilenden Bediensteten mit der zuständigen Behörde des Gebietsstaates schlicht in Verbindung treten bzw. eine Verbindung im technischen Sinne her­ stellen und dabei einen Gedanken- bzw. Informationsaustausch vornehmen, ohne aber einzelne sachverhaltsbezogene Angaben machen zu müssen. Bei wortlautgetreuer Lektüre muss beim Grenzübertritt lediglich ein kommunikati­ ver Prozess in Gang gesetzt werden,63 in dessen Zuge – unter Umständen bereits auf dem fremden Territorium – nacheilerelevante Informationen übermittelt werden.64 60 

Dazu sogleich unten IV. 1. Dazu 4. Teil. 62  Auch in anderen Sprachfassungen des Art.  41 SDÜ ist von der Kontaktaufnahme und nicht von der Benachrichtigung die Rede, siehe etwa die Begriffe „font appel“ (franz.), „treden […] in contact“ (niederl.), „skontaktują się“ (poln.) und „contact“ (engl.). 63 Vgl. Isak, in: Nachbaur (Hrsg.), S.  52 (58), der in diesem Kontext von der Pflicht zur Herstellung des Kontakts spricht. 64  Bezeichnenderweise enthält Art.  41 SDÜ keine Hinweise auf den Inhalt der Benach­ richtigung. In Ansehung der Kontrollfunktion des Gebietsstaates müssten solche Informati­ 61 

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

Es sei gleichwohl daran erinnert, dass die Befugnis zur Fortsetzung einer inländischen Verfolgung im Ausland unter dem Vorbehalt steht, dass wegen einer besonderen Dringlichkeit der Angelegenheit die vorherige rechtzeitige Unterrichtung der zuständigen Behörden des betretenen Staates oder ihr recht­ zeitiges Erscheinen am rechten Ort zum Zwecke der Verfolgungsübernahme unmöglich ist. Das Erfordernis der Kontaktaufnahme kann in der ersten Varian­ te problematisch sein. Die Unmöglichkeit der Unterrichtung schließt zwar die Möglichkeit der Kontaktaufnahme nicht aus. Denn die erstgenannte Tätigkeit beruht bereits auf einer Informationsübermittlung,65 die aber für die Erfüllung der Pflicht aus Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 3 S.  1 SDÜ (noch) nicht verlangt wird. Es besteht aber die Gefahr, dass im Falle der Vornahme einer Verfolgung in unmittelbarer Grenznähe auch eine Kontaktaufnahme beim Grenzübertritt scheitern kann. 2.  Modifizierung der Informationspflicht auf bilateraler Ebene – rechtsvergleichender Überblick Gemäß Art.  41 Abs.  10 SDÜ können die Vertrags- bzw. Mitgliedstaaten auf bi­ lateralem Wege zusätzliche Bestimmungen zur Durchführung der Schengener Nacheileregelung erlassen. Bezogen auf das Erfordernis aus Art.  41 Abs.  1 Un­ terabs. 3 S.  1 SDÜ wurde von dieser Möglichkeit nur im gegenseitigen Verhält­ nis Deutschlands zu den Niederlanden, zu Luxemburg und Dänemark kein Ge­ brauch gemacht. Im Rahmen der deutsch-österreichischen Zusammenarbeit ist eine Differenzierung je nach dem Zweck der Nacheile vorzufinden. Wird sie auf der Grundlage von Art.  12 des deutsch-österreichischen Vertrages ausgeübt, so sind die Informationspflichten nach Maßgabe des Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 3 S.  1 SDÜ zu erfüllen. Bei der Nacheile zur polizeilichen Gefahrenabwehr haben hin­ gegen die verfolgenden Beamten mit der zuständigen Stelle des anderen Ver­ tragsstaates unverzüglich, nach Möglichkeit noch vor Grenzübertritt, in Verbin­ dung zu treten (Art.  17 Abs.  3 des deutsch-österreichischen Vertrages). Art.  14 Abs.  2 des deutsch-tschechischen Polizeiabkommens legt fest, dass die nach­ eilenden Bediensteten unverzüglich, im Regelfall bereits vor dem Grenzüber­ tritt, Kontakt mit der zuständigen Behörde des anderen Vertragsstaates aufneh­ men.66 Eine wortgleiche Regelung ist in Art.  16 Abs.  1 des deutsch-schweizeri­ onen mitgeteilt werden, die den örtlich zuständigen Beamten eine Orientierung über den Verfolgungsablauf verschaffen und ein jederzeitiges Eingreifen ermöglichen, insbesondere also solche zur Anzahl der verfolgten Personen, zu ihrer Gefährlichkeit, zum Ort des Grenz­ über­t ritts und zur aktuellen (geographischen) Lage. 65  Vgl. „unterrichten“, in: Duden, S.  1862; „powiadomić“, in: Dubisz (Hrsg.), Bd.  3, S.  459. 66  Daneben ist das Gemeinsame Zentrum zu benachrichtigen (Art.  14 Abs.  2 des deutsch-tschechischen Vertrages).

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schen Vertrags zu finden. Das deutsch-belgische Abkommen sowie Polens Verträge mit Litauen, der Slowakei und Tschechien stellen zwar auf eine über die bloße Kontaktaufnahme hinausgehende Benachrichtigung ab. Diese muss jedoch unverzüglich67, also nicht unbedingt vor bzw. bei Grenzübertritt erfolgen. Den besagten Regelungen zufolge müssen sich die nacheilenden Beamten mit den zuständigen Behörden des Gebietsstaates unverzüglich, d. h. umge­ hend und ohne Zeitverzug68, in Verbindung setzen. Ist die Erfüllung der Pflicht den Umständen nach vor dem Grenzübertritt nicht zumutbar, kann sie zeitlich verschoben werden. Eine solche Ausgestaltung des Erfordernisses aus Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 3 S.  1 SDÜ verdient Zustimmung. Sie knüpft die Kontaktauf­ nahme nicht an einen festen Zeitpunkt, sondern passt sie an die konkrete Lage an und trägt somit der Dynamik der Nacheile besser Rechnung. In die Gegen­ richtung gehen indes die Bestimmungen des Art.  16 Abs.  2 des deutsch-franzö­ sischen Kooperationsvertrags und des Art.  25 Abs.  2 PolAbk. Die dort artiku­ lierte Pflicht besteht in der Benachrichtigung der zuständigen Stellen spätes­ tens beim Grenzübertritt. Anders als auf der Grundlage des SDÜ genügt somit die bloße Kontaktaufnahme nicht. Notwendig ist eine Informationsübermitt­ lung, die bereits vor dem Einschreiten ins fremde Hoheitsgebiet bzw. zu dessen Zeitpunkt zu erfolgen hat. Darüber hinaus verpflichtet Art.  25 Abs.  2 PolAbk die nacheilenden Beamten, unverzüglich das Gemeinsame Zentrum zu be­ nachrichtigen.69 3.  Benachrichtigungspflicht nach Art.  25 Abs.  2 PolAbk a.  Die zu benachrichtigenden Stellen Art.  25 Abs.  2 S.  1 PolAbk verpflichtet die nacheilenden Beamten zur Benach­ richtigung der „zuständigen Behörden“ der anderen Partei und nennt auf Seiten der Republik Polen den für den Ort des Grenzübertritts zuständigen Komman­ danten der Grenzschutzabteilung, den Hauptkommandanten der Polizei, den Chef des Zolldienstes sowie den Chef der Agentur für Innere Sicherheit (Nr.  1). 67 

Art.  10 Abs.  2 des deutsch-belgischen Abkommens. In den Verträgen Polens mit den genannten Nachbarländern wurde der Zeitpunkt der Benachrichtigung präzisiert. Diese muss unverzüglich, in der Regel (Art.  11 Abs.  2 des polnisch-tschechischen Abkommens so­ wie Art.  11 Abs.  2 des polnisch-litauischen Abkommens) bzw. nach Möglichkeit (Art.  8a Abs.  2 des polnisch-slowakischen Abkommens) noch vor dem Grenzübertritt erfolgen. 68  Vgl. „unverzüglich“, in: Duden, S.  1867; „niezwłocznie“, in: Dubisz (Hrsg.), Bd.  2 , S.  998. 69  Nach dem deutsch-französischen Abkommen fungieren die gemeinsamen Zentren als die auf Seiten der Französischen Republik zu benachrichtigenden zuständigen Stellen, die ihrerseits damit betraut sind, den örtlich zuständigen Staatsanwalt zu benachrichtigen (Art.  16 Abs.  2 Nr.  2).

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Als zu benachrichtigenden Stellen auf deutscher Seite fungieren die für den voraussichtlichen Ort des Grenzübertritts zuständigen Polizei- oder Zollbehör­ den (Nr.  2). Aufschluss darüber, welche Stellen hier im Einzelnen in Betracht kommen, gibt Art.  2 Abs.  3 Nr.  2 PolAbk, der festlegt, welche Polizei-, Bundes­ polizei- und Zollbehörden als Grenzbehörden im Sinne des Abkommens auf Seiten der Bundesrepublik Deutschland anzusehen sind. Der Wortlaut des Art.  25 Abs.  2 S.  1 PolAbk lässt jedoch nicht erkennen, wel­ che der Behörden in der konkreten Situation zu informieren ist. Da die Benen­ nung alternativ („oder“) erfolgt, brauchen auf jeden Fall nicht alle unterrichtet zu werden. Fraglich ist aber, ob dem Benachrichtigungserfordernis bereits dann entsprochen wird, wenn die nacheilenden Beamten eine beliebige von den auf­ gelisteten Behörden in Kenntnis setzen oder ob der Begriff „die zuständigen Behörden“ derart zu verstehen ist, dass jeweils diejenige Stelle unterrichtet wer­ den muss, in deren Kompetenzbereich der der Nacheile zugrunde liegende Sachverhalt fällt. Für Letzteres könnten die Bestimmungen zur Durchführung einer grenzüberschreitenden Verfolgung sprechen. Die anschließende Identi­ tätsfeststellung und die Festnahme des Flüchtenden (Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 3 S.  3, Abs.  2 lit.  b SDÜ) sind den „zuständigen Behörden“ des Gebietsstaates vorbehalten. Dabei kommt es nicht lediglich auf die örtliche, sondern auch auf die sachliche Zuständigkeit an.70 Art.  41 SDÜ in deutscher Fassung spricht zwar von den „örtlich zuständigen Behörden“. Dies dient allerdings nur einer Ab­ grenzung zu den Behörden des Tatortstaates bzw. der Klarstellung, dass die Maßnahmen nur durch die „örtlichen Beamten“ (so Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ), also die Beamten des betretenen Staates ergriffen werden dürfen. Besonders markant ist das in der polnischen und in der englischen Textfassung: Die Aus­ drücke „właściwe organy lokalne“ und „competent local authorities“ stehen für „zuständige örtliche Behörden“ und nicht für „örtlich zuständige Behörden“. Welche Stelle für die Bearbeitung eines konkreten Sachverhalts zuständig ist, richtet sich nach dem innerstaatlichen Recht des Gebietsstaates. Insoweit lässt Art.  41 SDÜ die Kompetenzverteilung zwischen den nationalen Strafverfol­ gungsbehörden unberührt. Neben der Informationsübermittlung an eine der aufgelisteten zuständigen Stellen des Gebietsstaates setzt Art.  25 Abs.  2 S.  1 PolAbk eine Benachrichti­ gung des Gemeinsamen Zentrums voraus. Gemeint ist damit das Gemeinsame Zentrum der Polizei-, Grenz- und Zollzusammenarbeit in Świecko.

So auch Soiné, ZIS 2016, 319 (321). Bei der Überprüfung der sachlichen Zuständigkeit ist zu fragen, in wessen Aufgabenbereich die konkrete Maßnahme originär fällt, Soiné, a. a. O. 70 

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b.  Inhalt der Benachrichtigung Gegenstand der Mitteilung an die zuständige Behörde des Gebietsstaates sind gemäß Art.  25 Abs.  2 S.  1 PolAbk voraussichtlicher Ort und Zeit des Grenz­ über­tritts durch die verfolgte Person und die verfolgenden Beamten sowie die von ihnen mitgeführten Waffen und technische Ausrüstung. An dieser Aufzäh­ lung ist nichts auszusetzen. Die ersten zwei Angaben sind unentbehrlich, damit die örtlich zuständigen Behörden die Nacheile übernehmen, an dieser mitwir­ ken oder diese koordinieren können. Die beiden weiteren ermöglichen es, das Risiko eines lebens- oder gesundheitsgefährdenden Einsatzes unter Beteiligung fremder Beamter einzuschätzen. Darüber hinaus dienen sie einer erfolgreichen Durchführung der Nacheile: Nationale Kräfte können sich auf die Konfronta­ tion mit dem Flüchtenden und auf seine Festnahme besser vorbereiten. Es wird unterschiedlich verfahren je nachdem, ob der Verfolgte unbewaffnet ist oder aber ob eine bewaffnete und angriffsbereite Bande verfolgt wird. Der Inhalt der Benachrichtigung beschränkt sich somit auf Mindestangaben, die für die Wahr­ nehmung der staatlichen Aufgaben sowie Inanspruchnahme der Befugnisse im Zusammenhang mit einer grenzüberschreitenden Nacheile notwendig sind. Die Unterrichtungspflicht gegenüber dem Gemeinsamen Zentrum wurde hin­ gegen in Art.  25 Abs.  2 S.  2 PolAbk inhaltlich nicht konkretisiert. Unklar ist deshalb, ob für ihre Erfüllung eine bloße Mitteilung der Tatsache einer Nach­eile genügt oder die gleichen Informationen, die an eine zuständige Behörde des Gebietsstaates herangetragen werden, übermittelt werden müssen. Für Letzte­ res sprechen die Mittler- und Unterstützungsfunktion des Zentrums, die sich aus seiner Aufgabenstellung nach Art.  27 Abs.  2 PolAbk ergibt, sowie der Wort­ laut des Art.  25 Abs.  2 S.  2 PolAbk, wonach „auch“ das Zentrum zu „benach­ richtigen“ ist. c.  Zeitpunkt der Benachrichtigung Die Erfüllung der Informationspflichten wurde unterschiedlichen zeitlichen Re­ gimen unterstellt. Die zuständigen Behörden des Gebietsstaates sind „spätes­ tens bei Grenzübertritt“ zu informieren. Die Unterrichtung des Gemeinsamen Zentrums muss „unverzüglich“ erfolgen. Im ersten Fall wurde nur der letztmög­ liche Zeitpunkt einer Benachrichtigung starr bestimmt. Diesen stellt der Gren­ zübertritt dar. Art.  25 Abs.  2 S.  1 PolAbk genügt es somit, wenn die zuständige Stelle in irgendeinem Zeitpunkt zwischen der Aufnahme der Verfolgung und dem Grenzübertritt informiert wird. Insoweit handelt es sich um eine objektive Frist. Der in Art.  25 Abs.  2 S.  2 PolAbk verwendete Begriff „unverzüglich“ weist hingegen eine subjektive Komponente auf. Die Unterrichtung muss umge­ hend und ohne Zeitverzug erfolgen. Das heißt nicht „sofort“ und auch nicht

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unbedingt „beim Überschreiten der Grenze“. Dem Erfordernis ist vielmehr ent­ sprochen, sobald die Informationsübermittlung den nacheilenden Beamten nach den Umständen des Einzelfalles möglich wird. Es unterliegt dabei keinem Zweifel, dass die Benachrichtigungspflicht erst dann entsteht, wenn die Fortset­ zung der Verfolgung auf dem fremden Hoheitsgebiet in Aussicht steht. Art.  25 Abs.  2 S.  2 PolAbk spricht nämlich von der Benachrichtigung durch die Beam­ ten, die die grenzüberschreitende Nacheile durchführen. Die in Rechnung zu stellende Möglichkeit einer Auslandsflucht richtet sich nach den konkreten Gegebenheiten,71 von denen die Entfernung von der Grenze und die Fluchtrichtung die größte Rolle spielen. Dabei liegen die Dinge anders, wenn ein Flüchtender in der Grenzregion verfolgt wird, einerseits, und wenn er in einem zentral gelegenen Bundesland oder in einer östlichen Woiwodschaft betroffen wurde, andererseits. Im ersten Fall begründet die räumliche Grenznä­ he bereits zum Zeitpunkt der Aufnahme der Verfolgung einen konkreten Flucht­ verdacht, auch wenn der Verfolgte zunächst nicht eindeutig auf die deutsch-pol­ nische Grenze zuläuft oder zufährt, sondern etwa die Fahrtrichtung ständig wechselt. Das Gemeinsame Zentrum ist deshalb unverzüglich nach der Verfol­ gungsaufnahme in Kenntnis zu setzen. Werden die Maßnahmen einer inländi­ schen Nacheile zwar im Grenzgebiet i. S. v. Art.  3 PolAbk ergriffen, bewegt sich aber der Flüchtende offensichtlich ins Landesinnere, so ist auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem die Beamten tatsächliche Anhaltspunkte für die Auslands­ flucht zur Kenntnis nehmen. Das Gleiche gilt im Falle des Betreffens eines Tat­ verdächtigen bzw. eines geflüchteten Straftäters in anderen (also nicht angren­ zenden) Bundesländern bzw. Woiwodschaften. Die Reihenfolge der Erfüllung der Benachrichtigungspflichten aus Art.  25 Abs.  2 S.  1 und S.  2 PolAbk richtet sich nach den Umständen des konkreten Falles. Erkennen die nacheilenden Beamten, dass die verfolgte Person in die Grenzrichtung flüchtet, müssen sie grundsätzlich zunächst das Gemeinsame Zentrum kontaktieren, da insoweit eine unverzügliche Benachrichtigung ver­ langt wird. Wird die Verfolgung jedoch in unmittelbarer Grenznähe aufgenom­ men, kann sich aufgrund der geringen Zeitspanne bis zum Grenzübertritt die Notwendigkeit ergeben, in erster Linie die zuständige Behörde des Gebietsstaa­ tes zu benachrichtigen. Die zeitliche Schranke für die Erfüllung der Benach­ richtigungspflicht dieser gegenüber stellt nämlich der Grenzübertritt dar. Mit dem Unverzüglichkeitserfordernis wird an keinen fixen Zeitpunkt angeknüpft, sondern an die vom Einzelfall abhängige Möglichkeit der Informationsüber­ 71 

Eine abstrakte Gefahr der Auslandsflucht liegt bereits beim Verfolgungsbeginn vor. Besonders im Raum ohne Grenzen kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Person, die vom Tatort geflohen ist bzw. flieht, sich durch eine Flucht ins Ausland retten will.

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mittlung durch die nacheilenden Polizeibeamten. In der dargestellten Konstella­ tion würde diese an der dringend vorliegenden Notwendigkeit der Unterrich­ tung einer zuständigen nationalen Stelle scheitern. Das Gemeinsame Zentrum könnte also anschließend, unter Umständen bereits nach dem Überschreiten der Grenze, benachrichtigt werden. Die Erfüllung der Pflicht aus Art.  25 Abs.  2 S.  1 PolAbk erfordert, dass sich die Bediensteten des Tatortstaates und die zuständige Behörde des Gebietsstaa­ tes sprachlich verständigen können und eine gemeinsame Funkfrequenz be­ nutzt wird. Eine unmittelbare Kontaktaufnahme und Mitteilung ist grundsätz­ lich nur bei Vorliegen dieser Bedingungen möglich. Während sich die Parteien in Art.  17 PolAbk zur Verbesserung der direkten technischen Kommunikation, insbesondere zur Vereinbarung gemeinsamer Funkfrequenzen, verpflichtet ha­ ben, ist ein vollständiger Abbau der Sprachhürde realitätsfern. Es liegt deshalb nahe, dass in den meisten Nacheilefällen die Benachrichtigung der zuständigen Stelle unter Einschaltung des Gemeinsamen Zentrums erfolgen wird. Das Zen­ trum wurde als gemischt besetzte Dienststelle eingerichtet mit der Folge, dass „unter einem Dach“ (in einem Geschäftszimmer) sowohl deutsche als auch pol­ nische Polizei-, Grenz- und Zollbehörden vertreten sind. Als Arbeitssprachen gelten Deutsch und Polnisch, sodass sprachbedingte Kommunikationsprobleme vermieden werden. Die Einrichtungsvereinbarung vom 17. Februar 201172 be­ traut die im Zentrum tätigen Amtsträger gerade mit der Unterstützung bei der Koordinierung von Einsätzen, darunter von Nacheilemaßnahmen, und bei der Kontaktaufnahme zwischen den zuständigen Behörden der Vertragsparteien (Pkt.  4 lit.  d, f der Einrichtungsvereinbarung; vgl. auch Art.  27 Abs.  2 PolAbk). Zur Wahrnehmung dieser Aufgaben verfügen sie über Zugangsmöglichkeiten zu ihren nationalen polizeilichen Datenbanken und zu den erforderlichen Kon­ taktdaten. Dabei funktioniert das Zentrum 24 Stunden täglich an sieben Tagen in der Woche. Es stellt also eine spezialisierte Vermittlungseinheit dar, die den gegenseitigen Benachrichtigungspflichten ohne Weiteres nachkommen kann.73 72  Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regie­ rung der Republik Polen über die Einrichtung eines Gemeinsamen Zentrums der deutsch-pol­ nischen Polizei- und Zollzusammenarbeit (BGBl.  2011 II S.  731; Dz. U. 2012, Pos. 1252). Die Vereinbarung wurde zwar auf Grundlage des Art.  12 Abs.  4 des vorher geltenden Polizeiab­ kommens (2002) geschlossen, bleibt aber gemäß Art.  45 Abs.  2 PolAbk für die Geltungsdau­ er dieses Abkommens oder bis zum Zeitpunkt seines Ersetzens durch neue Vereinbarung in Kraft. 73  Bei der Einschaltung des Gemeinsamen Zentrums wird die Benachrichtigung einen Kettencharakter haben: Die nacheilenden Bediensteten benachrichtigen die Leitstelle ihrer Polizeieinheit über die Verfolgung und die damit zusammenhängenden Umstände. Diese lei­ tet die Meldung an einen Leiter vom Dienst im Gemeinsamen Zentrum weiter, der einen ihm funktional entsprechenden, in demselben Geschäftsraum sitzenden Bediensteten der anderen

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Bezogen auf die praktischen Erwägungen und Gesichtspunkte einer zügigen Zusammenarbeit kann die Zweckmäßigkeit einer solchen Übertragung der Be­ nachrichtigungspflicht aus Art.  25 Abs.  2 S.  1 PolAbk an das Gemeinsame Zen­ trum nicht infrage gestellt werden. Vor dem Inkrafttreten des Polizeiabkom­ mens (2014) gehörte diese zu einer gängigen Praxis,74 aber auch bei der gegen­ wärtigen Rechtslage kann ihre Zulässigkeit nicht bestritten werden. Die genannte Vorschrift ist zwar an nacheilende Beamte adressiert, setzt aber keine direkte Kontaktaufnahme mit den zuständigen Stellen voraus. Bei der gegen­ sätzlichen Sichtweise würde die Geltungskraft des Art.  27 Abs.  2 Nr.  2 PolAbk, in dessen Lichte das Zentrum zur Unterstützung bei der Durchführung aller vertraglich vorgesehenen Kooperationsformen eingeschaltet werden kann, ab­ geschwächt. d.  Kritische Stellungnahme Die für die Erfüllung der Unterrichtungspflicht nach Art.  25 Abs.  2 S.  1 PolAbk festgelegte zeitliche Vorgabe „spätestens bei Grenzübertritt“ verdient keine Zu­ stimmung, da sie den Anforderungen einer effektiven polizeilichen Zusammen­ arbeit nicht genügt. In vielen Fällen kann sich aufgrund der geographischen Lage die zum Überschreiten der Grenze verbleibende Zeit als zu kurz für die vertragsgemäße Benachrichtigung erweisen. Das betrifft in erster Linie die Verfolgungen, die in den an der Grenze liegenden Ballungsgebieten durchge­ führt werden, etwa in den Zwillingsstädten: Frankfurt (Oder)-Słubice, Gu­ ben-Gubin und Görlitz-Zgorzelec. Die Einschaltung des Gemeinsamen Zent­ rums als Vermittler schafft dagegen keine Abhilfe, denn sie hebt die Unterrich­ Seite in Kenntnis setzt. Dieser unterrichtet seinerseits eine örtlich zuständige Polizeieinheit bzw. eine sonst zuständige Behörde, die anschließend ihre Einsatzkräfte informiert. Siehe hierzu Buschmann, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  211 (213). 74  Die Dienstanweisung des Präsidenten des Polizeipräsidiums Brandenburg „Polizeiliche Nacheile über Staatsgrenzen“ v. 16.3.2012 gibt ausdrücklich vor, dass die Unterrichtung und die weitere Kommunikation mit den zuständigen polnischen Behörden im Grunde über das Gemeinsame Zentrum abgewickelt werden. Der Leiter vom Dienst hat in jedem Fall eine detaillierte Erstmeldung anzufordern, um das Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen einer Verfolgung nach Polen zu verifizieren. Falls dies bejaht wird, übernimmt er in der Re­ gel die Einsatzführung und benachrichtigt davon alle beteiligten Kräfte über Funk. Bereits bei der Kenntnisnahme von einer Verfolgung auf dem deutschen Hoheitsgebiet, insbesondere wenn diese voraussichtlich in das polnische Hoheitsgebiet hinein führen wird, ist die Leit­ stelle der Polizei in Landsberg/Warthe (Gorzów Wlkp.) bzw. Stettin (Szczecin) durch unver­ zügliche Übersendung des Informations- und Fahndungsblattes zu unterrichten. Weitere In­ formationen müssen zum Zeitpunkt des Grenzübertritts erfolgen. Auch wenn die Grenze nicht passiert wird, ist die polnische Seite sofort zu verständigen (Pkt.  1.1.2.2 der Dienstan­ weisung).

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tungspflicht nach Art.  25 Abs.  2 S.  1 PolAbk samt der hierfür vorgeschriebenen Frist nicht auf. Die nacheilenden Polizeibeamten kommen also ihren beiden Pflichten erst dann nach, wenn sie das Zentrum unverzüglich in Kenntnis setzen und wenn dieses die zuständige Stelle des Gebietsstaates bis zum Grenzüber­ tritt benachrichtigt. Fraglich ist auch die Vereinbarkeit der deutsch-polnischen Regelung mit dem SDÜ. Zwar stellt Art.  25 Abs.  2 S.  1 PolAbk bezüglich der zeitlichen Vorgabe keine weitergehenden Anforderungen als Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 3 S.  1 SDÜ, er setzt aber inhaltlich mehr voraus. Wie bereits erörtert, geht das Benachrichti­ gungserfordernis, da es die Informationsübermittlung verlangt, über die Pflicht zur Kontaktaufnahme hinaus, der bereits beim bloßen In-Verbindung-Treten entsprochen ist. Art.  41 Abs.  10 Hs. 2 SDÜ berechtigt die Vertrags- bzw. Mit­ gliedstaaten, zusätzliche Regelungen zur Durchführung dieses Artikels zu tref­ fen. Der Wortlaut bezieht sich allgemein auf Durchführungsvorschriften und beschränkt somit die Zulässigkeit der zwischenstaatlichen Vereinbarungen nicht auf solche, deren Bestimmungen die Anwendung der Nacheileregelung bzw. die polizeiliche Kooperation in diesem Bereich erleichtern. Darauf könnte man allerdings kommen, wenn man die Norm mit den sonstigen Schengener Vorgaben zusammen betrachtet. Bereits Art.  41 Abs.  10 SDÜ sieht in seinem ersten Halbsatz die Möglichkeit vor, auf bilateralem Weg den Anwendungsbe­ reich des Absatzes 1 zu erweitern, und nicht zu begrenzen. Art.  41 Abs.  9 Unter­ abs. 2 SDÜ lässt eine Ersetzung einer bereits abgegebenen nationalen Erklärung zur Feststellung der Nacheilemodalitäten zu, aber nur unter dem Vorbehalt, dass diese nicht die Tragweite der früheren Erklärung einschränkt. Die Befugnis zur Einführung strengerer Voraussetzungen, die die Zusammenarbeit nach Art.  41 SDÜ erschweren, ließe sich mit dem Verbot der Limitierung der bestehenden Möglichkeiten kaum in Einklang bringen. Unter diesen Gesichtspunkten löst das Benachrichtigungserfordernis aus Art.  25 Abs.  2 S.  1 ernsthafte Bedenken gegen seine Vereinbarkeit mit Art.  41 SDÜ aus. Im Kontext der oben geschilderten, auf praktische und rechtliche Erwägun­ gen gestützten Zweifel wäre es geboten, die zeitliche Vorgabe „spätestens bei Grenzübertritt“ durch „unverzüglich“ zu ersetzen. 4.  Informationspflicht im Zuge der Verfolgung Das Informationserfordernis soll sich nicht auf eine Mitteilung der Fortsetzung der Verfolgung über die Grenze hinweg beschränken.75 Die Pflicht einer fortlau­ fenden Berichterstattung im Zuge der Maßnahme ist zwar nicht ausdrücklich 75 So auch Häfele, Rechtsschutz gegen Nacheilemaßnahmen, S.  31 in Bezug auf den deutsch-schweizerischen Kooperationsvertrag.

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normiert, scheint aber eine unvermeidbare, durch Souveränitätsgesichtspunkte vorgezeichnete Folge des Grenzübertritts zu sein. Zum einen hat der betretene Staat als Hoheitsträger und „Gastgeber“ einen Anspruch auf alle Informationen, die mit der Ausübung fremder Hoheitsgewalt auf seinem Territorium im Zu­ sammenhang stehen, vor allem dann, wenn – wie bei einer Verfolgung einer tatverdächtigen oder einer bereits verurteilten Person oft der Fall – die öffentli­ che Ordnung bzw. die öffentliche Sicherheit gefährdet werden kann. Zum ande­ ren stellt die grenzüberschreitende Nacheile, auch wenn sie einer vorherigen Zustimmung des betretenen Staates nicht bedarf, keine eigenständige Strafver­ folgungsmaßnahme der Behörden des Tatortstaates, sondern eine Form der bi­ lateralen polizeilichen Zusammenarbeit dar, in deren Rahmen arbeitsteilig76 vorgegangen wird. Ab dem Zeitpunkt des Grenzübertritts unterliegen die aus­ ländischen Beamten dem örtlichen Rechtsregime und müssen sich an Weisun­ gen der örtlichen Behörden halten (Art.  41 Abs.  5 lit.  a SDÜ). Die Letztgenann­ ten können eine Einstellung der Verfolgung verlangen (Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 3 S.  2 SDÜ) oder sich dieser anschließen (vgl. Art.  25 Abs.  3 Nr.  1 PolAbk). Auch das Festhalten des Flüchtenden setzt eine fortdauernde Kommunikation zwischen beiden Seiten voraus, weil es grundsätzlich den zuständigen Beamten des Gebietsstaates vorbehalten ist (Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 3 S.  3, Abs.  2 SDÜ). Die Meldungen im Zuge der Nacheile vermitteln den örtlichen Behörden einen Überblick über die Lageentwicklung und ermöglichen, weitere Schritte zu pla­ nen und die Maßnahmen der in- und ausländischen Bediensteten aufeinander abzustimmen. Insoweit sind sie für eine wirksame Wahrnehmung der Hoheits­ rechte und eine zügige Durchführung der Zusammenarbeit unerlässlich. Für die Abwicklung der Kommunikation bietet es sich an, auf den für die Benachrichti­ gungspflichten nach Art.  25 Abs.  2 PolAbk vorgesehenen Weg, einschließlich der Einschaltung des Gemeinsamen Zentrums, zurückzugreifen.

IV.  Einstellungspflicht 1.  Einstellungsverlangen des Gebietsstaates Nach Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 3 S.  2 SDÜ stellen die nacheilenden Beamten die Nacheile ein, sobald die andere Seite dies verlangt. In der deutschen Normfas­ sung handelt es sich dabei um die Vertragspartei, auf deren Hoheitsgebiet die Verfolgung stattfinden soll, in der polnischen – um die Vertragspartei, auf deren Hoheitsgebiet die Verfolgung stattfindet („Umawiająca się Strona, na której terytorium pościg ma miejsce“).77 Der Unterschied ist gravierend. Die Formu­ 76 

77 

Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  310. Hervorhebungen der Verfasserin.

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lierung „stattfinden soll“ meint ein erst intendiertes Betreten des fremden Ho­ heitsgebiets. Die Aufforderung muss deshalb noch vor dem Grenzübertritt er­ folgen. Das Wort „stattfindet“ deutet dagegen darauf hin, dass sich die Regelung auf die Phase nach dem Grenzübertritt bezieht. Das Einstellungsverlangen kann also zu jedem beliebigen Zeitpunkt während des Hergangs der Nacheile auf dem betretenen Territorium ausgesprochen werden.78 Die rechtsvergleichende Her­ anziehung anderer Sprachfassungen lässt keine eindeutigen Schlüsse zu, denn auch diese weichen voneinander ab. Beispielsweise entspricht die französische Fassung („doit avoir lieu“) der deutschen, während die englische („is taking place“) und die dänische („finder sted“) mit der polnischen konform gehen. Zentral sind daher systematische und teleologische Argumente. Die Inanspruchnahme der Befugnis zum Einstellungsverlangen innerhalb des nach dem deutschen Wortlaut implizierten zeitlichen Rahmens setzt voraus, dass die zuständige Stelle des benachbarten Staates über die mögliche Verfol­ gung auf ihrem Gebiet rechtzeitig benachrichtigt wird. Indes lässt Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 1 SDÜ es zu, die inländische Nacheile ohne Zustimmung über die Grenze hinweg fortzusetzen, wenn die vorangehende Unterrichtung wegen der besonderen Dringlichkeit der Angelegenheit nicht möglich war. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass die Zustimmung dann erforderlich ist, wenn die Gegensei­ te zuvor kontaktiert werden kann. Wird dann bei Grenzübertritt kein Einver­ ständnis erteilt, ist die Maßnahme abzubrechen. Gerade das bringt aber Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 3 S.  2 SDÜ zum Ausdruck, wenn man ihn im Lichte der deut­ schen Fassung auslegt. Verlangt das Nachbarland die Einstellung der Verfol­ gung, stimmt es dem Grenzübertritt nicht zu. Ein nach erfolgter Kontaktauf­ nahme nicht geäußertes Einstellungsverlangen stellt hingegen eine stillschwei­ gende Zustimmung dar. Die Regelung würde insoweit nur den Grundsatz aus Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 1 SDÜ widerspiegeln, was ihre Zweckmäßigkeit infra­ ge stellen müsste. Zweifelhaft wäre auch der Wortlaut des Art.  41 Abs.  2 lit.  b SDÜ, der die Aus­ übung des Festhalterechts, falls es in der nationalen Erklärung nach Art.  41 Abs.  9 SDÜ eingeräumt wurde, an zwei Bedingungen koppelt: ein mangelndes Einstellungsverlangen und die Unmöglichkeit einer rechtzeitigen Heranziehung der Beamten des Gebietsstaates. Müsste die Aufforderung zum Abbruch der Nacheile bis zum Grenzübertritt erfolgen, hätten die ausländischen Bedienste­ ten gar keine Chance, den Verfolgten auf dem fremden Territorium zu ergreifen, da ihnen bereits das Einschreiten untersagt wäre. Die erste Negativvorausset­ zung liefe somit praktisch leer.

78 

So auch Rakowski, in: Grzelak/Królikowski/Sakowicz (Hrsg.), S.  723.

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

Vor diesem Hintergrund ist die Fassung des Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 3 S.  2 SDÜ im deutschen Übereinkommenstext als missglückt79 anzusehen und nicht im Sinne einer Einschränkung des Einstellungsverlangens zu deuten. Auf eine solche Einschränkung könnte man zwar e contrario daraus schließen, dass eini­ ge von Deutschland abgeschlossene Polizeiabkommen eine eigene Einstellungs­ regelung enthalten, wonach diese von jeweils zuständigen Behörden (Art.  10 Abs.  3 des deutsch-belgischen Vertrags) bzw. jeweils örtlich zuständigen Poli­ zeibehörden (Art.  6 Abs.  3 des deutsch-luxemburgischen Vertrags) bzw. vom Vertragsstaat, auf dessen Hoheitsgebiet die Verfolgung stattfinden soll oder be­ reits stattfindet (Art.  14 Abs.  2 S.  2 des deutsch-tschechischen Vertrags) gefor­ dert werden kann. Darin muss man aber nicht zwingend eine Modifikation, oder exakter: eine Erweiterung des Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 3 S.  2 SDÜ, sehen. Es ist genauso wahrscheinlich, dass die Vertragsparteien mittels dieser klarstellenden Bestimmungen die bestehenden Interpretationszweifel entsprechend dem Wil­ len der Urverfasser eindeutig ausräumen wollten. Ungeachtet der Aussagekraft der Argumente kann die Befugnis zum Einstel­ lungsverlangen nach dem Betreten des fremden Hoheitsgebiets aus Art.  41 Abs.  5 lit.  a SDÜ abgeleitet werden, wonach die ausländischen Beamten Anord­ nungen der örtlich zuständigen Behörden zu befolgen haben. Die Vorschrift setzt dem Weisungsrecht weder inhaltliche noch zeitliche Schranken, sodass auch das Absehen von weiteren Verfolgungsmaßnahmen angeordnet werden kann. Dafür spricht das Souveränitätsprinzip, dessen Tragweite Art.  41 SDÜ an mehreren Stellen verdeutlicht. Die Einräumung des Rechts zur grenzüber­ schreitenden Fortsetzung der Nacheile erlegt dem betretenen Staat keine uferlo­ se Duldungspflicht des Tätigwerdens der ausländischen Beamten auf. Er bleibt weiterhin „Herr in seinem Hause“. Auch wenn man also auf dem Boden des Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 3 S.  2 SDÜ die Möglichkeit zum Einstellungsverlangen nach dem Grenzübertritt ablehnt, muss man diese jedenfalls nach Art.  41 Abs.  5 lit.  a SDÜ bejahen. Die Gründe, aus welchen ein Abbruch der Nacheile verlangt werden kann, sind weder im SDÜ noch im Polizeiabkommen (2014) geregelt. Die Entschei­ 79  Besonders misslungen ist in dieser Hinsicht der Wortlaut des Art.  16 Abs.  1 des deutsch-schweizerischen Polizeivertrags, der vor dem Beitritt der Schweiz zum Schen­ gen-Raum geschlossen wurde und Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 3 S.  2 SDÜ wortwörtlich wieder­ gibt. Gleichzeitig ist dort die Pflicht zur Kontaktaufnahme aufgelockert; sie muss nicht bei Grenzübertritt, sondern unverzüglich, im Regelfall bereits bei Grenzübertritt erfolgen. Set­ zen sich die Bediensteten erst nach dem Grenzübertritt mit der zuständigen Stelle des Ge­ bietsstaates in Verbindung, was nach dieser Regelung unter Umständen zulässig sein mag, so wird dieser Behörde die Möglichkeit entzogen, auf dieser Grundlage die Einstellung zu ver­ langen, da die Verfolgung auf ihrem Territorium bereits stattfindet, und nicht – wie vorgese­ hen – erst stattfinden soll.

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dung ist dem betroffenen Land überlassen, was dem Souveränitätsgrundsatz am besten Rechnung trägt.80 Durch den Ermessensgebrauch darf die Nacheilebe­ fugnis jedoch nicht ins Leere gehen. Denn das Recht zur Fortsetzung der Ver­ folgung auf dem fremden Hoheitsgebiet bei Vorliegen der Voraussetzungen aus Art.  41 Abs.  1 SDÜ stellt eine Regel dar, während es sich bei der Möglichkeit des Einstellungsverlangens um eine Ausnahme handelt. In solchen Fällen muss deshalb eine Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgen, in deren Rahmen das durch den angeordneten Abbruch beeinträchtigte Verfolgungsrecht des Ausgangsstaa­ tes und die durch die Fortsetzung der Maßnahme gefährdeten Rechte bzw. In­ teressen des Gebietsstaates abzuwägen sind. Als Orientierungsmaßstab kann im deutsch-polnischen Verhältnis Art.  39 PolAbk herangezogen werden, nach dem jede Vertragspartei die Durchführung der Zusammenarbeit im Ganzen oder zum Teil verweigern kann, soweit diese ihre Souveränität beeinträchtigt, ihre Sicherheit oder sonstige wesentliche Interessen gefährdet, ihr innerstaatli­ ches Recht verletzen könnte oder laufende Ermittlungen oder ein laufendes Strafverfahren erschweren oder die Sicherheit der an diesen Ermittlungen oder diesem Strafverfahren beteiligten Personen gefährden könnte. Die Prüfung er­ übrigt sich hingegen, wenn die inländische Verfolgung unter Verstoß gegen die Zulässigkeitsvoraussetzungen über die Grenze hinweg fortgesetzt wird, bei­ spielsweise wenn die Anlasstat nicht auslieferungsfähig ist. Das Gleiche gilt bei der Verletzung der Ausübungsregel, etwa beim Unterlassen der Benachrichti­ gungspflicht, sofern die örtlich zuständigen Behörden die gerade stattfindende Nacheile anderweitig zur Kenntnis nehmen. Insoweit handelt es sich um eine rechtswidrige grenzüberschreitende Nacheile, deren Durchführung durch Art.  41 Abs.  1 bzw. Art.  25 PolAbk nicht gestattet wird. 2.  Sonstige Quellen der Einstellungspflicht Die Pflicht zur Einstellung der Verfolgung muss sich nicht unbedingt aus einem Verlangen des Gebietsstaates ergeben. Sie kann auch auf die Anordnung einer zuständigen Behörde des Ausgangsstaates zurückgehen, der die nacheilenden Beamten dienstlich untergeordnet sind und die trotz des Grenzübertritts diesen gegenüber weiterhin weisungsberechtigt ist (vgl. Art.  35 Abs.  2 PolAbk). Als Pflichtquellen kommen ferner in Schriftform erlassene Dienstanweisungen oder Siehe aber Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  201, die das Recht zum Einstellungsverlangen auf die Fälle beschränkt, in denen entweder die Vor­ aussetzungen für eine Nacheile nicht erfüllt sind oder die Modalitäten der Ausübung des Nacheilerechts nicht eingehalten werden; so auch Häfele, Rechtsschutz gegen Nacheilemaß­ nahmen, S.  61 in Bezug auf die Einstellung der Nacheile nach dem deutsch-schweizerischen Kooperationsvertrag. 80 

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sonstige innerstaatliche Verwaltungsvorschriften in Betracht, die die Wahrneh­ mung der polizeilichen Aufgaben regeln und deren Verletzung eine disziplinäre Haftung zur Folge haben kann. Ein geeignetes Beispiel stellt in dieser Hinsicht die vorher erwähnte Anordnung Nr.  1355 des Hauptkommandanten der Polizei dar, die es den (sei es im Inland, sei es grenzüberschreitend) verfolgenden Poli­ zisten gebietet, die Nacheile im Falle einer unmittelbaren Gefährdung für das Leben oder die Gesundheit Dritter abzubrechen (§  12 Abs.  2 i. V. m. §  10 Abs.  1). An dieser Stelle kann auch die Dienstanweisung des Präsidenten des Polizeiprä­ sidiums Brandenburg „Polizeiliche Nacheile über Staatsgrenzen“ vom 16. März 2012 genannt werden, die für die deutschen Polizeibeamten eine Einstellungs­ pflicht beim tatsächlichen oder „absehbar“ bevorstehenden Abbruch der Kom­ munikationsverbindungen zum Einsatz- und Lagezentrum und bei einem nicht nur kurzzeitigen Verlust des Sichtkontakts zum Verfolgten vorsieht (Pkt.  1.1.2.2.3). Schließlich kann das besprochene Erfordernis von vertraglichen (Ergänzungs-)Bestimmungen zur grenzüberschreitenden Nacheile herrühren. Von den Polizeiabkommen Deutschlands und Polens mit den Nachbarländern stellen nur zwei eine Pflichtquelle im obigen Sinne dar, wobei sie sich auf die gesondert geregelte Nacheile bei polizeilichen Kontrollen beziehen. Der deutsch-niederländische Vertrag ordnet eine Einstellung an, wenn die Fortset­ zung der Maßnahme zu einer konkreten Gefährdung von Leib oder Leben der verfolgten Person oder Dritter führt und diese Gefährdung in einem offenkun­ digen Missverhältnis zu der abzuwehrenden Gefahr steht (Art.  17 Abs.  3 S.  2). Der deutsch-österreichische Vertrag enthält eine wortgleiche Bestimmung, er ergänzt sie um die Gesundheitsgefährdung (Art.  17 Abs.  3 S.  2). 3.  Folgen der Verletzung der Einstellungspflicht Die Folgen der Missachtung der Einstellungspflicht sind von ihrer Quelle ab­ hängig. Die durch den Gebietsstaat ausgesprochene Aufforderung zur Aufgabe der Maßnahme entzieht der Nacheile den Boden: Die durch die Übernahme des Schengener-Besitzstandes generell erteilte Befugnis zur Ausübung fremder Strafverfolgungsrechte auf dem eigenen Territorium erlischt in concreto, sodass die Fortsetzung der Maßnahme nicht mehr durch Art.  41 SDÜ gedeckt ist und in einen rechtswidrigen Eingriff in die Souveränität des Gebietsstaates umschlägt. Gleiches gilt für die Verletzung der bilateralen Ergänzungsregelungen. Der Ein­ tritt eines vertraglich vorgesehenen Einstellungsfalles steht dem Einstellungs­ verlangen des Gebietsstaates gleich. Auch hier entfällt die rechtliche Grundlage der Nacheile, weshalb ihre Fortführung vertragswidrig ist. Dagegen ändert ein Verstoß gegen die für die nacheilenden Polizisten verbindlichen Vorschriften des Tatortstaates oder gegen Weisungen ihrer Vorgesetzten, aus denen sich das

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Abbruchserfordernis ergibt, nichts an der Rechtmäßigkeit und Zulässigkeit der Nacheile. In diesem Fall ist lediglich das Innenverhältnis zwischen dem Tatort­ staat und seinen Beamten betroffen, was die Wirksamkeit der im Einklang mit den unions- und völkerrechtlichen Kooperationsregeln ergriffenen Maßnahmen unberührt lässt. Die Zuwiderhandlung kann freilich eine disziplinäre Verant­ wortlichkeit zur Folge haben.81

V.  Aufklärungs- und Unterstützungspflichten Art.  41 Abs.  5 lit.  g SDÜ verpflichtet die nacheilenden Beamten, sich nach je­ dem Einschreiten gemäß den Absätzen 1, 2 und 3 bei den örtlich zuständigen Behörden zu melden, Bericht zu erstatten und, soweit darum ersucht wird, sich bis zur Klärung des Sachverhalts bereitzuhalten. Diese Pflichten sind laut der genannten Norm vom Ausgang der Nacheile unabhängig, greifen also auch, wenn die flüchtende Person nicht festgenommen wurde. Auch hier kommt der die Gestaltung der Nacheilebefugnis flankierende Souveränitätsgedanke zum Ausdruck: Dem betretenen Staat gebührt das Recht auf umfassende Informa­ tion, aus welchen Gründen und in welchem Umfang auf seinem Territorium fremde Hoheitsgewalt ausgeübt wurde.82 Eine eingehende Darlegung der Umstände, unter denen die Verfolgung durchgeführt wurde, einschließlich der ergriffenen Maßnahmen, ermöglicht eine nachträgliche Kontrolle, ob in irgendeinem Stadium die Vorgaben des SDÜ bzw. eines bilateralen Ergänzungsabkommens verletzt wurden. Da die auslän­ dischen Bediensteten dem Sachverhalt am nächsten stehen und die Tat vielfach selbst beobachtet haben, können die im Bericht gemachten Angaben auch für Maßnahmen im Anschluss an die Verfolgung von Gewicht sein, etwa für die Vernehmung des Verfolgten oder für das einzuleitende eigene Ermittlungsver­ fahren. Schließlich könnten sie zu statistischen Zwecken weiter bearbeitet 83 und zur Effektivierung der Zusammenarbeit auf diesem Gebiet herangezogen wer­ den (z. B. im Rahmen des Evaluierungsverfahrens nach Art.  42 PolAbk). Die Berichterstattung im Falle einer Nacheile über die deutsch-polnische Grenze wurde standardisiert und erfolgt mithilfe beiderseitig abgestimmter zweisprachiger Formulare: „Achtung – Nacheile/Uwaga – pościg transgraniczny“ und „Festhalte-/Übergabebericht/Sprawozdanie z zatrzymania i prze­ kazania“.84 81 

Siehe dazu oben I. 3. Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  236. 83  Vgl. Schengen police cooperation handbook, Pkt.  3.5. 84  Auskunft der Woiwodschaftskommandantur der Polizei in Landsberg/Warthe (Gorzów Wlkp.). Auch auf der Unionsebene wurde ein standardisierter Fragebogen zur Verfügung 82 Vgl.

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Art.  41 Abs.  5 lit.  h SDÜ statuiert überdies eine Pflicht zur Unterstützung der nachträglichen Ermittlungen einschließlich gerichtlicher Verfahren des Ge­ bietsstaates. Im Gegensatz zu den obigen Aufklärungsgeboten ist sie nicht an die nacheilenden Beamten, sondern an die Behörden der Vertragspartei, aus deren Hoheitsgebiet die nacheilenden Beamten kommen, adressiert. Mangels einer Spezifizierung kann es sich dabei auch um Justizbehörden handeln. Die Unterstützung erfolgt auf Ersuchen und hat somit den Charakter einer – je nach der Unterstützungsform und den innerstaatlichen Zuständigkeitsregeln – poli­ zeilichen oder justiziellen Rechtshilfe. Da die Vorschrift von nachträglichen Ermittlungen des Gebietsstaates spricht, könnte man davon ausgehen, dass sie die Unterstützungspflicht nur auf diejeni­ gen Ermittlungsmaßnahmen bezieht, die die örtlich zuständigen Behörden im eigenen Strafverfolgungsinteresse nach der Beendigung des Nacheilehergangs ergreifen. Dagegen spricht aber, dass diese Pflicht unter den Bestimmungen lo­ ziert wurde, die gerade die Ausübung der Nacheile regeln. Sie erstreckt sich folgerichtig auf jegliche Ermittlungstätigkeiten des Gebietsstaates im Zusam­ menhang mit einer grenzüberschreitenden Verfolgung. Darunter fallen auch die Maßnahmen, die durch örtliche Behörden in Stellvertretung des Tatortstaates ergriffen werden:85 die Identitätsfeststellung, die Festnahme und die Verneh­ mung. In diesem Fall ergibt sich eine Besonderheit: Die Behörden des Tatort­ staates leisten eine Hilfe zu den Ermittlungen, die für ihr eigenes Land vorge­ nommen werden.86 Anders also als bei einer klassischen Rechtshilfe87 unterstüt­ zen sie im Ergebnis nicht ein fremdes, sondern ein eigenes Strafverfahren.

VI.  Äußere Erkennbarkeit der nacheilenden Beamten Nach Art.  41 Abs.  5 lit.  d SDÜ müssen die nacheilenden Beamten jederzeit im­ stande sein, ihre amtliche Funktion nachzuweisen. Die Vorschrift präzisiert nicht, auf welche Art und Weise dies geschehen muss. Denkbar ist deshalb die Vorlage eines Dienstausweises88 oder einer (Kriminal-)Dienstmarke89, soweit sie eine Legitimationswirkung entfaltet. Die Beamten müssen darüber hinaus gestellt, der aber weniger detailliert ist als die im deutsch-polnischen Verkehr verwendeten Formulare, siehe dazu Schengen police cooperation handbook, Pkt.  3.5. i. V. m. Anhang 4. 85  So zutreffend Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  236. 86  Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  236 spricht von ei­ ner „Hilfe zur Rechtshilfe“. 87  Zur Definition Ambos/Poschadel, in: Ambos/König/Rackow (Hrsg.), 1. HT 1. 3 Rn.  4. 88  Würz, Das Schengener Durchführungsübereinkommen, Rn.  150; Müller, SVR 2010, 325 (326). 89  Müller, SVR 2010, 325 (326).

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als solche eindeutig erkennbar sein, entweder durch eine Uniform, eine Arm­ binde oder durch an dem Fahrzeug angebrachte Zusatzeinrichtung; das Tragen von Zivilkleidung unter Benutzung eines getarnten Polizeifahrzeugs ohne die vorgenannte Kennzeichnung ist nicht zulässig. Dem Erkennbarkeitserfordernis kann also auf zweierlei Weise entsprochen werden: erstens durch Tragen einer Uniform oder Benutzen eines kolorierten Funkstreifenwagens; zweitens durch Befestigung einer Armbinde an der Zivilkleidung oder durch Anbringen von Zusatzeinrichtungen am zivilen (Dienst-)Fahrzeug, die es als Polizeifahrzeug eindeutig identifizieren lassen. Im Schrifttum werden beispielsweise das Blau­ licht und die Magnet-Haftleuchte genannt.90 Gewisse Zweifel erweckt an dieser Stelle die polnische Fassung des Art.  41 Abs.  5 lit.  d SDÜ, die nicht von „Zusatzeinrichtungen“, sondern von einer „Kennzeichnung“ („oznakowania“) spricht. Der Begriff legt nahe, dass das zur Nacheile eingesetzte Fahrzeug bereits entsprechend gekennzeichnet sein muss, etwa durch einen auf die Verfolgungsbehörde hinweisenden Anstrich und die Aufschrift: „Polizei“ bzw. „Policja“91. Das Anbringen der (blauen) Rundum­ kennleuchte oder sonstigen erkennungsdienlichen Zubehörs an ein getarntes Fahrzeug im Anschluss an die Verfolgungsaufnahme wäre somit nicht ausrei­ chend. Der Rückgriff auf weitere Sprachfassungen bestätigt diese Sichtweise jedoch nicht. Die französische Formulierung „dispositifs accessoires“, die nie­ derländische „voorzieningen“ oder die englische „accessories“ entsprechen dem deutschen Begriff „Zusatzeinrichtungen“. Die Einschränkung auf gekenn­ zeichnete Fahrzeuge findet auch keine Stütze in der Systematik der Norm. Art.  41 Abs.  5 lit.  d Hs. 2 SDÜ verbietet eine Nacheile, wenn die Bediensteten zivil gekleidet sind und sich mit einem getarnten Fahrzeug ohne Zusatzeinrich­ tungen bewegen. Daraus folgt, dass die Maßnahme über die Grenze fortgesetzt werden kann, wenn die Polizisten Zivilkleidung tragen, aber ein koloriertes oder ein getarntes (Dienst-)Fahrzeug mit angebrachten Zusatzeinrichtungen be­ nutzen sowie wenn sie von uniformierten Beamten in einem zivil ausgestalteten Fahrzeug durchgeführt wird. Die Beschränkung der Erkennbarkeitspflicht auf das Minimum lässt sich mit dem Zweck der Schengener Ausgleichsmaßnahmen erklären, den Strafverfol­ gungsbehörden wirksame Mittel zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Würz, Das Schengener Durchführungsübereinkommen, Rn.  150. Die aktuell geltenden Anforderungen an die Farbgebung und Beschriftung der Dienst­ fahrzeuge ergeben sich in Deutschland aus der Technischen Richtlinie „Funkstreifenwagen (Fustw)“, Stand: Mai 2010 (siehe dort Pkt.  2.2. i. V. m. Anlage 2), und in Polen aus der Verord­ nung v. 31.12.2002 des Ministers der Infrastruktur über die technischen Bedingungen der Fahrzeuge und den Umfang deren unentbehrlicher Ausstattung, in der Fassung des Gesetz­ blattes Dz. U. 2016, Pos. 2022 (siehe dort §  31). 90  91 

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Kriminalität zur Verfügung zu stellen und eine „Waffengleichheit“ herzustel­ len. Die Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben erfordert nicht selten ein heimli­ ches Vorgehen. Denkbar sind deshalb Fälle, in denen etwa die in Zivil agieren­ den Beamten bei Durchführung einer Streife92 den Täter auf frischer Tat betref­ fen und unmittelbar danach die Verfolgung aufnehmen. Es wäre nicht einsichtig, wenn die Nacheile vor der Grenze nur deshalb abgebrochen werden müsste, weil die Polizisten im Einklang mit dem innerstaatlichen Recht den Flüchtenden in Zivilkleidung bzw. im Zivilwagen verfolgen. Von einem Ausgleich für den Wegfall der Grenzkontrollen kann allerdings nur insoweit die Rede sein, als die Bediensteten über die erforderliche Ausrüstung – eine zu befestigende Armbin­ de oder eine an das Fahrzeug anzubringende Zusatzeinrichtung – überhaupt verfügen. Unter dem Gesichtspunkt der effektiven Strafverfolgung wäre es des­ halb geboten, vom Schengener Erkennbarkeitserfordernis im Ganzen abzuse­ hen.93 Erwähnenswert ist, dass die Anordnung Nr.  1355 des Hauptkommandan­ ten der Polizei in die Gegenrichtung geht und die Erkennbarkeitspflicht restrik­ tiv handhabt.94 Die polnischen Bediensteten dürfen danach die Nacheile auf dem fremden Hoheitsgebiet nur in Dienstkleidung und nur mithilfe von gekenn­ zeichneten Dienstfahrzeugen fortsetzen (§  13 Pkt.  1).95 Fraglich ist, von welchen Erwägungen das Erkennbarkeitserfordernis getra­ gen wird. Die Souveränitätsgesichtspunkte könnten dafür sprechen, dass die Präsenz der fremden Hoheitsträger offensichtlich sein muss. Die Urverfasser des SDÜ haben jedoch in Art.  40 SDÜ die grenzüberschreitende Fortsetzung einer Observation zugelassen und diese nicht an die Erkennbarkeit der observie­ renden Bediensteten geknüpft. Ein Blick auf diese Vorschrift lässt den Schluss zu, dass der Souveränitätsgedanke bei der Auferlegung der Erkennbarkeits­ pflicht nicht die entscheidende Rolle gespielt hat. Es ist aber nicht zu verkennen, dass sich die beiden Kooperationsformen in Charakter und Dynamik stark un­ terscheiden. Hinter dem Erkennbarkeitserfordernis, besonders in der gesteiger­ ten Form, dürften deshalb praktische Gründe stehen. Zum einen kann der Ver­ folgte den Anhaltesignalen erst dann Folge leisten, wenn er diese als polizeili­ 92  Die Zivilstreifen kommen in der Regel zur verdeckten Aufklärung, Überwachung, Ob­ servation oder Ermittlung zum Einsatz, vor allem „wenn ihr Wirken unerkannt bleiben soll“; überdies wenn die „uniformierte Präsenz“ die Bevölkerung verunsichern würde, Lensch, in: Möllers (Hrsg.), S.  2311. 93 Im Ergebnis auch Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  291. 94  Ein Verstoß gegen höherrangiges Unionsrecht liegt hier nicht vor. Denn die Anordnung beschränkt nur das Nacheilerecht der polnischen Polizisten, ohne in die in Art.  41 Abs.  5 lit.  d SDÜ vorgesehenen Befugnisse der ausländischen Bediensteten einzugreifen. 95 Begrüßend Szustakiewicz, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  195 (207).

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che Aufforderung zum Anhalten wahrnimmt.96 Zum anderen hängt der Erfolg der Verfolgungsmaßnahmen in gewissem Grad ebenfalls vom Verhalten Drit­ ter, etwa anderer Fahrer, ab. Damit sie diese erleichtern oder zumindest nicht behindern, muss ihnen die Tatsache einer polizeilichen Nacheile bekannt sein. Besonderer Wert ist dem Erkennbarkeitserfordernis im Kontext der Inanspruch­ nahme der Sonder- und Wegerechte beizumessen, zu der die ausländischen Be­ diensteten nach Art.  36 Abs.  2 Nr.  5 PolAbk befugt sind.97 Eine leichte Erkenn­ barkeit der fremden Bediensteten ermöglicht schließlich den Unbeteiligten, sich aus dem Gefahrenbereich zu entfernen,98 und eliminiert das Risiko, dass die Zeugen der Nacheile und des eventuellen Zugriffs die Polizeibeamten mit Tat­ verdächtigen bzw. Straftätern verwechseln.99 Die Aussagekraft dieser Argu­ mente wird jedoch dadurch abgeschwächt, dass sie ohne Weiteres auf nationale Verfolgungsmaßnahmen übertragen werden können, für die keine Erkennbar­ keitspflicht vorgesehen ist. Zweifelhaft ist, ob die Schengener Vorgaben mit dem Interesse der Öffentlichkeit an der Wahrnehmbarkeit der Präsenz fremder Ho­ heitsträger begründet werden können. Es ist nicht ersichtlich, warum die Bürger hinsichtlich der Erkennbarkeit der nacheilenden ausländischen Polizeibeamten schützenswerter sein sollen als gegenüber inländischen.100 Die Regelung dürfte jedoch dem Schutz der handelnden Beamten dienen, für die die grenzüber­ schreitende Nacheile – aufgrund der faktischen und rechtlichen Gegebenhei­ ten – eine größere Herausforderung als ein inländischer Einsatz darstellt.101 96  Es gab einen Nacheilefall aus Deutschland nach Polen, bei dem der Betroffene der polnischen Polizei mitgeteilt hat, nicht angehalten zu haben, weil ihn ein ziviles Fahrzeug mit aufgesetztem blauem Blinklicht und mit darin befindlichen Zivilpersonen verfolgt habe. Dass es sich um deutsche Polizeibeamte handelte, war für ihn nicht erkennbar: „Ein blaues Blinklicht könne man sich auch auf jeder Tankstelle kaufen“, nach Buschmann, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  211 (219). 97  Dazu unten E. 98  Schober, Europäische Polizeizusammenarbeit, S.  105 weist in diesem Zusammenhang auf die „Gefahr, in einen Verkhersunfall verwickelt oder vom flüchtenden Straftäter als Gei­ sel genommen zu werden“ hin. 99  Brammertz, Grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit, S.  251; vgl. Joubert/ Bevers, Schengen Investigated, S.  247. 100  Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  291. Joubert/Bevers, Schengen Investigated, S.  247 machen vielmehr darauf aufmerksam, dass die offen­ sichtliche Präsenz fremder Polizeikräfte ebenso Beunruhigung der Öffentlichkeit zur Folge haben kann. Nach Daman, EJCCLCJ 16 (2008), 171 (180) kann dagegen die ständige Auffäl­ ligkeit eine aggressivere Fahrweise der nacheilenden Beamten und im Ergebnis ein erhöhtes Unfallrisiko zur Folge haben. 101 Vgl. Rupprecht/Hellenthal, in: Rupprecht/Hellenthal, S.  23 (204), die die betreffende Beschränkung des Nacheilerechts „angesichts der rechtlichen Risiken eines hoheitlichen Einsatzes auf rechtsfremdem Territorium“ für zweckmäßig erachten.

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

Die Erkennbarkeitspflicht schließt freilich den Einsatz von Tarnmitteln aus. Dies wird durch Art.  23 PolAbk bestätigt, der ihre Anwendung nur für die Zu­ sammenarbeit im Rahmen einer verdeckten Ermittlung, einer kontrollierten Lieferung sowie einer grenzüberschreitenden Observation vorsieht. Daraus folgt e contrario, dass eine getarnte grenzüberschreitende Nacheile untersagt ist.

B.  Umfang der Verfolgung auf dem fremden Staatsgebiet I.  Art und Weise der Verfolgung Lexikalisch wird das „Verfolgen“ als „durch Hinterhergehen, -eilen zu erreichen [u. einzufangen] suchen“; „[einer Spur o.  Ä.] nachgehen, folgen“ erläutert.102 Der polnische Begriff „pościg“ wird als „sich schnell hinterher bewegen“ definiert, um jemanden einzuholen, zu ergreifen oder ihm vorauszueilen.103 Die Verfol­ gung kann somit als das Der-Spur-eines-Flüchtenden-Nachgehen aufgefasst werden. Im Unterschied zu einer Fahndungsaktion wird eine Person nicht ge­ sucht, sondern ihrem Weg wird bereits gefolgt. Die deutschen Polizeibeamten, die einen Flüchtigen innerhalb der Bundesrepublik verfolgen, sind jedoch nicht auf das bloße Hinterherlaufen angewiesen. Der Begriff der Verfolgung wird sowohl auf der Grundlage des §  127 Abs.  1 StPO als auch des §  167 GVG weit verstanden und umschließt alle Maßnahmen, die darauf abzielen, „den Täter zu ergreifen, dies zumindest zu ermöglichen, zu erleichtern oder zu sichern“.104 Erfasst werden deshalb auch taktische Maßnahmen, etwa das Vorauseilen, um dem Verfolgten den Weg abzuschneiden oder einen für seine Ergreifung ­g ünstigen Ort zu besetzen.105 Das Verfolgen auf „Sicht und Gehör“ ist nicht er­ forderlich.106 Auf die gleiche Art und Weise kann auf dem polnischen Hoheitsgebiet nach­ geeilt werden. Nach der mehrmals erwähnten Anordnung Nr.  1355 des Haupt­ kommandanten der Polizei wird eine inländische Verfolgung in einer der vier Varianten durchgeführt: als eine unmittelbare, parallele oder gemischte Verfol­ gung sowie als eine Sperrwache. Im ersten Fall trifft man Maßnahmen auf ei­ „Verfolgen“, in: Duden, S.  1890. „Ścigać“, in: Dubisz (Hrsg.), Bd.  3, S.  1569. 104  RGSt 30, 386 (388); Hilger, in: LR, §  127 Rn.  15; Paeffgen, in: SK-StPO, §  127 Rn.  14a; Heinrich, NStZ 1996, 361 (364). 105  RGSt 30, 386 (388); Heinrich, NStZ 1996, 361 (363); Franke, in: LR, §  167 GVG Rn.  7; Mayer, in: Kissel/Mayer, §  167 GVG Rn.  4. 106  Heinrich, NStZ 1996, 361 (363); Mayer, in: KK-StPO, §  167 GVG Rn.  5. 102  103 

B.  Umfang der Verfolgung auf dem fremden Staatsgebiet

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nem feststehenden Fluchtweg (§  3 Pkt.  6 der Anordnung). Es handelt sich hier­ bei um ein klassisches Nacheilen (Hinterherlaufen). Im zweiten Fall verfolgen die Bediensteten einen Flüchtenden auf parallelen Wegen, um ihm vorauszuei­ len, ihm den Weg abzuschneiden oder ihn festzunehmen (§  3 Pkt.  7 der Anord­ nung). In der dritten Variante können die dargestellten Formen kombiniert wer­ den (§  3 Pkt.  8 der Anordnung). Denkbar ist zu guter Letzt die Errichtung einer Polizeisperre zum Festhalten einer mit dem Auto fliehenden Person (§  3 Pkt.  11 der Anordnung). Daraus folgt, dass der Begriff der Verfolgung auf der nationalen Ebene nicht nur das wörtliche Nacheilen, sondern auch andere Maßnahmen zum Ergreifen eines Flüchtenden, etwa das Vorauseilen, erfasst. Indes legen weder das SDÜ noch das Polizeiabkommen (2014) fest, welche taktischen Maßnahmen unter den Verfolgungsbegriff i. S. v. Art.  41 Abs.  1 SDÜ fallen. Keiner der Bestim­ mungen lässt sich jedoch entnehmen, dass die Beamten nach dem Grenzüber­ tritt auf bloßes Hinterhergehen bzw. -fahren angewiesen sind. Selbst die Einräu­ mung des Festhalterechts nach Art.  41 Abs.  2 SDÜ in Verbindung mit der Be­ fugnis zum Einsatz der Zwangsmittel, einschließlich der Dienstfahrzeuge, nach Art.  36 Abs.  2 PolAbk legt nahe, dass die deutschen und polnischen Bedienste­ ten dem Flüchtenden auch vorauseilen dürfen, um ihm den Weg abzuschneiden und ihn anzuhalten.

II.  Räumliche Reichweite der Verfolgung Hinsichtlich des räumlichen Umfangs des Nacheilerechts sind drei Fragen anzu­ sprechen. Erstens, welche Staatsgrenzen dürfen überschritten werden? Zwei­ tens, auf welchem Territorium bzw. in welcher Entfernung von der Grenze darf die Verfolgung fortgesetzt werden? Drittens, welche Gebiete bzw. Räumlichkei­ ten dürfen von den ausländischen Bediensteten nicht betreten werden? 1. Nacheilewege In Bezug auf die erste Frage nach den zulässigen Nacheilewegen stellt Art.  41 Abs.  5 lit.  b SDÜ klar, dass die Nacheile lediglich über die Landgrenzen stattfin­ det. Da die Norm von Land- und nicht von Landesgrenzen spricht, sind Wasserund Luftgrenzen, die ebenfalls das Staatsgebiet markieren107, ausgeklammert. Dies bekräftigt ein rechtsvergleichender Blick auf die in anderen Sprachfassun­ gen verwendeten Begriffe, etwa polnisch: „granice lądowe“, französisch: „frontières terrestres“ oder englisch: „land borders“. Außerdem wäre das auf eine Einschränkung hindeutende Wort „lediglich“ sonst inhaltsleer. Über diese 107 

Epping, in: Ipsen (Hrsg.), §  5 Rn.  5 ff.; Doehring, Völkerrecht, Rn.  96 ff.

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

Regelung geht Art.  25 Abs.  3 Nr.  2 PolAbk hinaus, indem er die Verfolgung auch über die Wasser- und Luftgrenzen gestattet. Von den von Deutschland und Polen mit den anderen Nachbarländern geschlossenen Kooperationsverträgen sehen nur das deutsch-österreichische (Art.  12 Abs.  1 Pkt.  2), das deutsch-nie­ derländische (Art.  17 Abs.  4) und das deutsch-tschechische (Art.  14 Abs.  4) Ab­ kommen die gleiche Möglichkeit vor. Im deutsch-polnischen Verhältnis ist insbesondere der Einbeziehung der Wassergrenzen ein großer Wert beizumessen, denn die gemeinsame Grenze ist gerade durch die Oder und die Neiße markiert.108 Dass diese bereits nach Art.  41 Abs.  5 lit.  b SDÜ überschritten werden kann, erscheint ausgeschlossen. Im Schrifttum wurde zwar in Bezug auf den Rhein die Ansicht vertreten, dass dieser ebenfalls eine Landgrenze darstellt; eine Begründung fehlt aber.109 Frei­ lich könnte die Flussgrenze an denjenigen Stellen rechtmäßig überschritten werden, an denen sie durch das Festland oder eine künstliche Einrichtung, etwa eine Brücke, geschnitten ist. Insoweit wird auf dem Landweg verfolgt. Die Zu­ lässigkeit einer Nacheile mit einem Motorboot ist aber wegen des Wortlauts des Art.  41 Abs.  5 lit.  b SDÜ höchst zweifelhaft.110 Die Vorschrift lässt die Nacheile nur über die Landgrenze zu. Indes qualifiziert Art.  1 des deutsch-polnischen Vertrags über die Vermarkung und Instandhaltung der gemeinsamen Grenze111 die Grenzflüsse, oder exakter fließende Oberflächengewässer, auf denen die Grenze verläuft, als Grenzgewässer (Abs.  4) und unterscheidet diese ausdrück­ lich von den Festlandabschnitten (Abs.  1). Eine solche Abgrenzung spricht ge­ gen die Subsumtion der Oder und der Neiße unter den Begriff der Landgrenze 108  Art.  1 Abs.  1 des Vertrags v. 16.9.2004 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Vermarkung und Instandhaltung der gemeinsamen Grenze auf den Festlandabschnitten sowie den Grenzgewässern und die Einsetzung einer Ständigen Deutsch-Polnischen Grenzkommission (BGBl.  2009 II S.  826) i. V. m. Art.  1 des Vertrags v. 14.11.1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenze (BGBl.  1991 II S.  1329) i. V. m. Art.  1 des Abkommens v. 6.7.1950 zwischen der Republik Polen und der Deutschen Demokrati­ schen Republik über die Markierung der festgelegten und bestehenden deutsch-polnischen Staatsgrenze (Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik 1950 S.  1205). 109  Würz, Das Schengener Durchführungsübereinkommen, Rn.  150. Auch nach der Dienstanweisung des Polizeipräsidiums Brandenburg „Polizeiliche Nacheile über Staats­ grenzen“ v. 16.3.2012 stellen Flussläufe eine Landgrenze dar und sind deshalb kein Hindernis für eine Nacheile (Pkt.  1.1.2.1.1). 110  Die Möglichkeit der Einbeziehung der Flussgrenze lehnen wegen des klaren Wortlauts des Art.  41 Abs.  5 lit.  d SDÜ auch Joubert/Bevers, Schengen Investigated, S.  246 f. ab; so wohl auch Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  195; abwei­ chend Schober, Europäische Polizeizusammenarbeit, S.  105 u. 691 mit einem unklaren Hin­ weis auf die „Systematik des SDÜ“. 111  Siehe Fn.  108.

B.  Umfang der Verfolgung auf dem fremden Staatsgebiet

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i. S. v. Art.  41 Abs.  5 lit.  b SDÜ. Die Auslegungszweifel räumt eindeutig Art.  25 Abs.  3 Nr.  2 PolAbk aus. Darüber hinaus eröffnet er den Polizeibeamten des Landes Mecklenburg-Vorpommern und der Woiwodschaft Westpommern neue Verfolgungsmöglichkeiten. Eine Nacheile wird nämlich nicht nur über die Flussgrenze gestattet, sondern auch über die Grenze, die auf den sonstigen Grenzgewässern, d. h. auf den stehenden Oberflächengewässern112 , ferner auf dem Stettiner Haff und dem Neuwarper See als inneren Gewässern113 sowie auf dem Küstenmeer114 verläuft. Die in Art.  25 Abs.  3 Nr.  2 PolAbk vorgesehene Möglichkeit der Nacheile auf dem Luftweg verdient auch Zustimmung. Eine Begleitung der auf dem Land ergriffenen Maßnahmen „von oben“ vergrößert die Chance auf ein Festhalten des Flüchtenden. In der Praxis werden die mit einem Funkstreifenwagen nach­ eilenden Beamten nach der Grenzüberschreitung den Flüchtenden auf Sicht und Gehör verfolgen, was auf Unkenntnis der geographischen Lage, insbesondere der Straßenverteilung und der Straßenverkehrsstruktur im Gebietsstaat, zurück­ zuführen ist. Wird aber die Nacheile parallel auf dem Luft- und Landweg erfol­ gen, können die Bediensteten in einem Hubschrauber, die die gesamte Situation (Staus, Umleitungen, Sperrungen, mögliche Fluchtwege usw.) besser überbli­ cken, den mit einem Auto nacheilenden Kollegen empfehlen, in eine Nebenstra­ ße abzubiegen, um den Flüchtenden schneller zu erreichen oder ihm den Weg abzuschneiden. Auch wenn er ihnen dauerhaft außer Sicht gerät, muss die Maß­ nahme nicht abgebrochen werden, solange ihm auf dem Luftweg gefolgt werden kann. Die Informationen „von oben“ erleichtern überdies den örtlich zuständi­ gen Behörden, eine Verfolgungsübernahme vorzubereiten bzw. die Mitwirkung der inländischen und ausländischen Polizeikräfte zu koordinieren. Die Luft­ nacheile wirft freilich einige technisch-organisatorische Fragen auf, etwa die nach den anzuwendenden Funkkanälen sowie nach Landungs- und Betankungs­ orten. Das Polizeiabkommen (2014) greift sie gar nicht auf. Selbst wenn sich entsprechende Verfahrensregeln in der Praxis herausbilden können, wäre eine klarstellende bilaterale Durchführungsregelung geboten, um eine zügige Zu­ sammenarbeit zu sichern und eventuelle Missverständnisse zu eliminieren.115 112  Art.  1 Abs.  4 des Vertrages über die Vermarkung und Instandhaltung der gemeinsa­ men Grenze. 113  Vgl. Art.  2 Abs.  1 Pkt.  2 des Vertrages über die Vermarkung und Instandhaltung der gemeinsamen Grenze. 114  Vgl. Art.  1 Abs.  4 des Vertrages über die Vermarkung und Instandhaltung der gemein­ samen Grenze i. V. m. Art.  1, 2 des Abkommens über die Markierung der festgelegten und bestehenden deutsch-polnischen Staatsgrenze. 115  Als Vorbild könnte die Regelung in Art.  22 Abs.  3 –5 des deutsch-tschechischen Poli­ zeiabkommens herangezogen werden: „(3) Luftfahrzeuge müssen im Herkunftsstaat für die jeweilige Einsatzart zugelassen sein. (4) Bei Flügen nach Sichtflugregeln entfällt bei Tag die

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

Die Öffnung der Luftgrenze wird nur in denjenigen Fällen relevant sein, in denen die Verfolgung bereits auf dem Gebiet des Tatortstaates unter Einsatz eines Hubschraubers oder eines anderen Luftfahrzeugs durchgeführt wurde. Ihre Heranziehung (erst) nach dem Überschreiten der Grenze von den auf dem Land- oder Wasserweg nacheilenden Bediensteten ist unzulässig. Art.  41 SDÜ normiert das Nacheilerecht wie folgt: „Beamte einer Vertragspartei, die in ih­ rem Land eine Person verfolgen […] sind befugt, die Verfolgung auf dem Ho­ heitsgebiet einer anderen Vertragspartei […] fortzusetzen“. Im Lichte des ein­ deutigen Wortlauts darf die Staatsgrenze also ausschließlich von denjenigen Beamten überschritten werden, die bereits im Inland an der Verfolgung mitge­ wirkt haben. Systematisch betrachtet modifiziert Art.  25 Abs.  3 Nr.  2 PolAbk nicht die Möglichkeit des Grenzübertritts, die in Art.  41 Abs.  1 SDÜ festgelegt wurde, sondern er erweitert die Nacheilewege im Vergleich zur Regelung des Art.  41 Abs.  5 lit.  b SDÜ. 2. Nacheilegebiet Hinsichtlich der räumlichen Reichweite der Verfolgung ist ferner auf Art.  41 Abs.  3 SDÜ hinzuweisen. Die Vorschrift setzt selbst keine Grenzen, berechtigt aber die Vertrags- bzw. Mitgliedstaaten im Wege einer Erklärung nach Ab­ satz 9 dazu, die Nacheilebefugnis auf ein bestimmtes Gebiet einzuschränken. Deutschland und Polen haben im gegenseitigen Verhältnis von dieser Möglich­ keit keinen Gebrauch gemacht (siehe auch Art.  25 Abs.  3 Nr.  2 PolAbk). Die Verfolgung kann demnach jeweils auf dem gesamten Staatsterritorium stattfin­ den. Eine solche Ausgestaltung der räumlichen Modalität stellt eine gängige Praxis bei der Zusammenarbeit mit den übrigen Nachbarländern dar. Ausnah­ men ergeben sich lediglich im deutsch-dänischen und im polnisch-litauischen Verhältnis. Dänemark erlaubt die Ausübung des Nacheilerechts nur auf einem Gebiet bis zu 25 Kilometer von der deutsch-dänischen Grenze, und den däni­ schen Bediensteten steht in Deutschland eine in dieser Hinsicht uneinge­

Flugplanpflicht. Flüge nach Instrumentenflugregeln dürfen nur im kontrollierten Luftraum durchgeführt werden und werden von der zuständigen Flugverkehrskontrollstelle überwacht. Vor Einflug des Luftfahrzeugs in den Flugabschnitt nach Instrumentenflugregeln oder vor Einflug in den Luftraum der Klasse C oder D sind der zuständigen Flugverkehrskontrollstel­ le die erforderlichen Flugplandaten zu übermitteln und eine Flugverkehrskontrollfreigabe zum Einflug einzuholen. Gleiches gilt auch für Flüge nach Sichtflugregeln bei Nacht. (5) Unter Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dürfen Luftfahrzeuge auch außerhalb von Flugplätzen oder dazu bestimmter Flächen starten und landen sowie von der festgelegten Mindestflughöhe abweichen, soweit dies zur Wahrnehmung der Aufgaben nach diesem Vertrag erforderlich ist.“

B.  Umfang der Verfolgung auf dem fremden Staatsgebiet

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schränkte Nacheilebefugnis zu.116 Art.  11 Abs.  4 des polnisch-litauischen Ko­ operationsvertrags limitiert die Möglichkeiten der Bediensteten beider Staaten und lässt die Verfolgung jeweils auf einem Gebiet bis zu 100 Kilometer von der Grenze zu. Die Begrenzung der Ausübung des Nacheilerechts auf ein bestimmtes Terri­ torium, auch wenn zulässig, steht einer effektiven polizeilichen Kooperation entgegen. Sie berücksichtigt weder das Wesen noch die Dynamik der Nacheile. Als eine Maßnahme, die darauf beruht, dass den Spuren des Flüchtenden ge­ folgt wird, verlangt sie eine unmittelbare zeitlich-räumliche Nähe zwischen den Bediensteten und dem Flüchtenden. Dies bedeutet wiederum, dass die Erstge­ nannten mit der Fortsetzung der Verfolgung tatsächlich Aussicht auf Erfolg ha­ ben. Ihr Abbruch lediglich aufgrund der zurückgelegten Kilometerzahl ist un­ verständlich. Die Einräumung des Nacheilerechts auf einem geringen Gebiet, etwa von 10 km oder 25 km von der Grenze, wäre hingegen in vielen Fällen il­ lusorisch, weil diese Strecke auf der Autobahn in wenigen Minuten erreicht werden kann.117 Der räumlichen Einschränkung laufen auch praktische Erwägungen zuwider. Von einem nacheilenden Beamten kann man kaum verlangen, dass er etwa ne­ ben der Erfüllung der Informationspflichten, der Bewältigung der Verkehrsvor­ gänge oder der Abwehr einer ggf. vom Verfolgten ausgehenden Gefahr, auch noch den Kilometerzähler unter ständiger Kontrolle hat. Setzt er aber die Ver­ folgung auf einem Gebiet fort, auf das sich die Verfolgungsbefugnis nicht er­ streckt, handelt er rechts- bzw. vertragswidrig. Zu Recht wurde im Schrifttum in diesem Zusammenhang die Frage aufgeworfen, wer – „der Dienstvorgesetz­ te, der Staatsanwalt oder der Strafrichter“? – die Einhaltung der Restriktionen überhaupt zu überprüfen hat.118 Man könnte zwar bereits den Dienstleiter mit der Kontrollaufgabe betrauen, da er den Einsatz koordiniert und über den Gang des Geschehens auf dem Laufenden gehalten wird. Gleichzeitig müssten aber die Haftungsregeln aufeinander abgestimmt werden, insbesondere für den Fall einer unbewussten bzw. schuldlosen Zuwiderhandlung gegen die einschränken­ den Bestimmungen, etwa aufgrund eines vorübergehenden Abbruchs der Kom­ munikationsverbindung. Ferner sollte normiert werden, inwiefern sich diese Verstöße auf die Wirksamkeit der von den örtlich zuständigen Behörden ergrif­ fenen Anschlussmaßnahmen auswirken: Soll der Festgenommene unverzüglich freigelassen werden? Dürfen die im Zuge der Vernehmung gewonnenen Infor­ 116 

Siehe Erklärungen Dänemarks und Deutschlands gemäß Art.  41 Abs.  9 SDÜ. Rupprecht/Hellenthal, in: Rupprecht/Hellenthal, S.  23 (181) sprechen in diesem Zu­ sammenhang von einer „Farce“. 118  Brammertz, Grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit, S.  254. 117 

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

mationen als Beweismittel verwertet werden? Art.  41 SDÜ lässt diese Fragen ohne Antwort. Zur „Rechtfertigung“ der räumlichen Einschränkung des Nacheilerechts kann selbstverständlich der Souveränitätsgedanke herangezogen werden. Es ist aber nicht zu verkennen, dass der betretene Staat bereits mit der Überschreitung der Grenze von den ausländischen Bediensteten eine gewisse Souveränitätsein­ buße erleidet. Ob die Fortsetzung der Verfolgung in das Landesinnere sie ver­ tieft, ist zweifelhaft. Jedenfalls kann sich der Umstand, dass die fremden Poli­ zeikräfte nicht „sogar“ auf dem ganzen Hoheitsgebiet, sondern „nur“ auf einem Teil davon tätig werden dürfen, psychologisch auf die öffentliche Meinung im Gebietsstaat auswirken. Das Ausmaß der Souveränitätsverletzung ist hingegen eher durch die Art der eingeräumten hoheitlichen Befugnisse und die Intensität der im Zuge der Verfolgung ergriffenen Maßnahmen bedingt als durch ihren räumlichen Umfang. Überdies beraubt die Einräumung des in dieser Hinsicht unbegrenzten Nacheilerechts die Behörden des Gebietsstaates nicht der Mög­ lichkeit, die Einstellung der Verfolgung in jedem Moment zu verlangen. Vor diesem Hintergrund ist das im deutsch-polnischen Verhältnis angenom­ mene Modell positiv zu bewerten.119 3. Betretensverbote In räumlicher Hinsicht muss schließlich auf das in Art.  41 Abs.  5 lit.  c SDÜ sta­ tuierte Verbot des Betretens von Wohnungen und öffentlich nicht zugänglichen Grundstücken hingewiesen werden. Eine autonome Definition der Begriffe gibt es nicht; diese ist aber auch nicht geboten. Der Sinn und Zweck der Regelung liegt im Schutz des Hausrechts unbeteiligter Dritter vor Eingriffen fremder Ho­ heitsträger. Wohl in jedem EU-Mitgliedstaat wird die Unverletzlichkeit der Wohnung verfassungsrechtlich gewährleistet und deren Verletzung strafrecht­ lich bewehrt. Unterschiedlich mag aber der Umfang der Pönalisierung sein. Eine unionsweit einheitliche Ausfüllung des Inhalts der fraglichen Termini wäre mit der Gefahr behaftet, dass die innerstaatlichen, voneinander abwei­ chenden Schutzstandards nicht gleichermaßen berücksichtigt würden und könnte die Schutzwirkung der Norm aufheben. Die Bindung an das Recht des Gebietsstaates, die Art.  41 Abs.  5 lit.  a SDÜ als einen der Leitgrundsätze der Ausübung des Nacheilerechts statuiert, bedeutet in dieser Hinsicht auch die Bindung an das nationale Verständnis der Begriffe „Wohnung“ und „öffentlich nicht zugängliche Grundstücke“. 119 

Für die Einräumung des Nacheilerechts ohne räumliche und zeitliche Beschränkun­ gen, auch über die Wasser- und Luftgrenzen spricht sich ebenfalls Goy, Vorläufige Festnah­ me und grenzüberschreitende Nacheile, S.  290 f. aus.

B.  Umfang der Verfolgung auf dem fremden Staatsgebiet

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Zur Erleichterung der Anwendung der Schengener Regelung hat jeder EU-Mitgliedstaat im Handbuch für grenzüberschreitende Einsätze erläutert, was nach seinem Recht unter den Schlüsselbegriffen bzw. dem Schlüsselbegriff zu verstehen ist. Die deutsche Definition lautet wie folgt: „A home is any place which is actually occupied for living, working, operating or trading purposes, together with any other vacant property (such as a fenced-in enclosure). The term ‚home‘ also includes mobile property used for the same purpose, such as boats, caravans, tents and berths (sleeping cabins) in heavy goods vehicles. In principle, any premises termed as a home that is accessible to the public may be entered. A place is considered accessible to the public if as a rule anybody may visit by reason of actual or presumed consent of the pro­ prietor, as is the case, for example, with public houses, theatres, department stores, business or commercial premises that have opening hours.“

Im polnischen Merkblatt ist zu lesen: „The definition of ‚home‘ includes dwelling, yard, stairway, holiday house and premises ac­ tually occupied for living, e.g. hotel room, caravan, tent, vessel. Factories and offices are also protected against unlawful intrusion.“

Es erscheint angebracht, die Erläuterungen unter dem Blickwinkel der Folgen der Missachtung des Eintrittsverbots zu verifizieren bzw. zu konkretisieren. Er­ gänzungsbedürftig ist vor allem die polnische Definition, weil sie sich nicht auf den Begriff „öffentlich nicht zugängliche Grundstücke“ bezieht. In Deutschland wird die Unverletzlichkeit des Hausrechts in §  123 StGB strafrechtlich gewährleistet. Die Vorschrift pönalisiert das widerrechtliche Ein­ dringen in die Wohnung, in die Geschäftsräume oder in das befriedete Besitz­ tum eines anderen oder in abgeschlossene Räume, welche zum öffentlichen Dienst oder Verkehr bestimmt sind sowie das Verweilen darin trotz der Auffor­ derung des Berechtigten zum Sich-Entfernen. Eine entsprechende Regelung enthält Art.  193 plStGB: Tatbestandsmäßig handelt, wer in ein fremdes Haus, eine fremde Wohnung, ein fremdes Lokal, eine fremde Räumlichkeit oder ein fremdes umfriedetes Gebiet eindringt oder entgegen der Aufforderung des Be­ rechtigten einen solchen Ort nicht verlässt. Unter dem Wohnungsbegriff i. S. v. §  123 StGB ist eine abgeschlossene, we­ nigstens teilweise überdachte Räumlichkeit zu verstehen, „die dem Zweck dient, einem oder mehreren Menschen ausschließlich oder überwiegend jedenfalls vo­ rübergehend Unterkunft zu gewähren“.120 Darunter fallen auch Nebenräume, wie Flure, Treppen, Keller und (an das Haus angebaute oder freistehende) Gara­ gen, sofern sie dem Wohnungsbereich erkennbar zugehörig sind.121 Nicht erfasst Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, §  123 Rn.  4; Schäfer, in: MK-StGB, §  123 Rn.  11. 121  Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, §  123 Rn.  4; Schäfer, in: MK-StGB, §  123 120 

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

sind hingegen Hausgärten und Hofräume, die gleichwohl als befriedetes Besitz­ tum den strafrechtlichen Schutz genießen.122 Bei diesem handelt es sich um ein bebautes oder unbebautes Grundstück, das in äußerlich erkennbarer Weise mit­ tels zusammenhängender, nicht unbedingt ganz lückenloser Schutzwehren123 (z. B. Mauern, Hecken oder Zäunen) gegen beliebiges Betreten durch Dritte ge­ sichert ist, oder das eine solche Einfriedung zwar nicht besitzt, aber für jeder­ mann erkennbar mit einem der sonst geschützten Örtlichkeiten räumlich-funk­ tional eng verbunden ist.124 Dem strafrechtlichen Wohnungsbegriff unterfallen auch nicht die in §  123 StGB gesondert genannten Geschäftsräume, d. h. „Be­ triebs- und Verkaufsstätten, die vorübergehend oder dauernd gewerblichen, künstlerischen, wissenschaftlichen oder ähnlichen Zwecken dienen“.125 Schließ­ lich stellen die abgeschlossenen, zum öffentlichen Dienst oder Verkehr be­ stimmten Räume von der Wohnung abweichende Schutzobjekte dar. Gemeint sind damit die Räume, in denen öffentliche Angelegenheiten gemäß entspre­ chenden öffentlichrechtlichen Vorschriften erledigt werden, sowie die der All­ gemeinheit zugänglichen und dem Transportverkehr dienenden Flächen.126 Das Betreten der in §  123 StGB genannten Objekte stellt nur dann ein tatbe­ standsmäßiges Eindringen dar, wenn es gegen den Willen des Berechtigten er­ folgt.127 Dieser Wille kann ausdrücklich oder schlüssig durch ein (körperliches) Hindernis (z. B. Türen, Schlösser, Zäune, Mauern) sowie auch durch für die konkrete Situation übliche Verkehrsformen erklärt werden.128 Während die Wohnung ex definitione kein öffentlich zugängliches Grundstück darstellt und deren Betreten folglich einer einzelfallbezogenen Erlaubnis bedarf, stehen die übrigen, in §  123 StGB genannten Objekte oftmals aufgrund eines Generalein­ verständnisses dem allgemeinen Publikumsverkehr offen. Man denke etwa an Warenhäuser, Gaststätten oder Banken,129 die zum Eintritt schlechthin auffor­ dern130. Gleiches gilt für Räumlichkeiten, die ihrem Zweck nach der Allgemein­ Rn.  12. Heger, in: Lackner/Kühl, §  123 Rn.  3 spricht hier von erkennbarer räumlich-funktio­ naler Zuordnung. 122  Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, §  123 Rn.  6. 123  Bloß psychisch wirkende Hindernisse, wie Warn- und Verbotsschilder, genügen den Anforderungen einer Umfriedung nicht, Lilie, in: LK-StGB, §  123 Rn.  17. 124  Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, §  123 Rn.  6; Schäfer, in: MK-StGB, §  123 Rn.  14 f.; Heger, in: Lackner/Kühl, §  123 Rn.  3. 125  Fischer, StGB, §  123 Rn.  7; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, §  123 Rn.  5. 126  Lilie, in: LK-StGB, §  123 Rn.  22 f.; Schäfer, in: MK-StGB, §  123 Rn.  22 f. 127  Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, §  123 Rn.  11; Lilie, in: LK-StGB, §  123 Rn.  45; Schäfer, in: MK-StGB, §  123 Rn.  27. 128  Fischer, StGB, §  123 Rn.  18. 129  Heger, in: Lackner/Kühl, §  123 Rn.  7. 130  Ostendorf, in: NK-StGB, §  123 Rn.  29.

B.  Umfang der Verfolgung auf dem fremden Staatsgebiet

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heit zu dienen haben, wie Bahnhofshallen und -warteräume, S-Bahn-Stationen oder öffentliche Transportmittel.131 Die generelle Zutrittserlaubnis kann freilich auf bestimmte Personenkreise, bestimmte Zeiten oder bestimmte Räume be­ schränkt oder von bestimmten Voraussetzungen (z. B. Eintrittskarten) abhängig gemacht werden.132 Für die auf dem deutschen Hoheitsgebiet nacheilenden Poli­ zeibeamten ergibt sich daraus Folgendes: Grundstücke, Gebäude und sonstige Räumlichkeiten sind nur insoweit und nur solange als öffentlich zugänglich und damit als vom Schengener Eintrittsverbot nicht erfasst anzusehen, als deren Be­ treten vom Generaleinverständnis des Hausrechtsinhabers gedeckt ist. Die obige Regel kann ohne Weiteres auf die umgekehrte Konstellation, d. h. auf die Ausübung des Nacheilerechts durch die deutschen Beamten auf dem polnischen Staatsgebiet, übertragen werden. In den Schutzbereich des Art.  193 plStGB fallen fremde Häuser, Wohnungen, Lokale, Räume oder umfriedete Ge­ lände, wobei deren Betreten nur dann eine Straftat darstellt, wenn es gegen den ausdrücklichen oder konkludenten Willen des Berechtigten erfolgt.133 Häuser und Wohnungen bedürfen, da sie zur zumindest vorübergehenden Unterkunft von Menschen dienen, ex definitione eines einzelfallbezogenen Einverständnis­ ses134 und fallen somit automatisch unter das Schengener Eintrittsverbot. Glei­ ches gilt für die „Räume“,135 unter denen sonstige – andere als Häuser, Wohnun­ gen und Lokale – in Disposition einer Person stehende Räumlichkeiten zu ­verstehen sind,136 wie beispielsweise Gartenlauben, Landwirtschaftsgebäude, Wohnanhänger, Keller oder Garagen137. Ebenfalls stellt das „umfriedete Gelän­ de“ kein öffentlich zugängliches Grundstück dar. Denn gerade die Umfriedung weist darauf hin, dass der Eintritt eines Dritten vom Eigentümer oder vom Be­ sitzer nicht gewollt ist.138 Der Begriff „umfriedetes Gelände“ ist etwas enger als „befriedetes Besitztum“ i. S. v. §  123 StGB, da es zum einen Gebäude nicht er­ fasst und zum anderen eine tatsächliche Umfriedung fordert. Nicht notwendig ist allerdings, dass die Umfriedung eine unüberwindbare Absperrung des Ge­ biets bezweckt.139 In Betracht kommen u. a. Zäune, Gitter, Drähte oder He­ Mehr dazu Heger, in: Lackner/Kühl, §  123 Rn.  8. Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, §  123 Rn.  23. 133  Kłączyńska, in: Giezek (Hrsg.), Art.  193 Rn.  8; Marek, Kodeks karny, Art.  193 Rn.  2; Mozgawa, in: Mozgawa (Hrsg.), Kodeks karny, Art.  193 Rn.  3. 134  Kłączyńska, in: Giezek (Hrsg.), Art.  193 Rn.  8. 135  Kłączyńska, in: Giezek (Hrsg.), Art.  193 Rn.  8. 136  Marek, Kodeks karny, Art.  193 Rn.  4. 137  Kłączyńska, in: Giezek (Hrsg.), Art.  193 Rn.  10. 138  Beschluss des Obersten Gerichts v. 9.7.2013, III KK 73/13, LEX Nr.  1353965; Mozgawa, in: Mozgawa (Hrsg.), Kodeks karny, Art.  193 Rn.  9. 139  Królikowski/Sakowicz, in: Królikowski/Zawłocki (Hrsg.), Art.  193 Rn.  23; Kosonoga, in: Stefański (Hrsg.), Art.  193 Rn.  13. 131 

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

cken.140 Nicht ausreichend ist dagegen eine Kennzeichnung des Geländes mit Grenzzeichen und Schildern „Eintritt verboten“.141 Auch ein Graben verwirk­ licht das Tatbestandsmerkmal „umfriedet“ nicht.142 In Bezug auf Gewerberäu­ me (z. B. Werkstätten, Büros, Läden), die als „Lokale“ den Schutz des Art.  193 plStGB genießen143, kann differenziert werden: Soweit sie dem Berechtigten ausschließlich zu privaten Zwecken dienen, unterliegen sie – wie die oben ge­ nannten Örtlichkeiten – dem Schengener Verbot; dienen sie der Allgemeinheit, kann man von einer schlüssig erteilten Eintrittserlaubnis ausgehen, sofern und solange der Ausschlusswille nicht deutlich (etwa durch Festlegung von Öff­ nungszeiten) zum Ausdruck gebracht wird.144 Fraglich ist, wie sich eine ad hoc erteilte Erlaubnis des Berechtigten zum Betreten seiner Wohnung oder eines sonstigen privaten Geländes, die die Straf­ barkeit aus §  123 StGB bzw. Art.  193 plStGB ausschließt, auf die Befugnisse der nacheilenden Beamten auswirkt. Hält man sich streng am Wortlaut des Art.  41 Abs.  5 lit.  c SDÜ, hebt die Erlaubnis das Schengener Betretensverbot nicht auf, weil es sich bei den genannten Objekten, wie dargelegt, um öffentlich nicht zu­ gängliche Grundstücke handelt. Zu einem anderen Ergebnis gelangt man je­ doch, wenn man mit dem Schutzzweck der Norm argumentiert: Soweit und so­ lange der Berechtigte mit dem Betreten einverstanden ist, kann von der Miss­ achtung bzw. Verletzung seines Hausrechts nicht die Rede sein. Es wäre in diesen Fällen kaum nachvollziehbar, auf dem Verbot zu beharren. Die Regelung des Art.  41 Abs.  5 lit.  c SDÜ ist im Schrifttum zum Teil auf Kritik gestoßen, da „jeder Sprung des Verfolgten über einen Zaun“ die Erfolgs­ aussichten der Nacheile auf Null reduziert.145 Die praktische Relevanz des Ein­ wands erscheint gering, da sich die meisten Verfolgungsfälle auf die mit dem Auto flüchtenden Tatverdächtigen beziehen. Im Übrigen muss die Ausgestal­ tung der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit nicht nur den Effektivitäts-, son­ dern auch den Souveränitätsgesichtspunkten Rechnung tragen. Mit Rücksicht auf die Letztgenannten verwundert es nicht, dass der Gebietsstaat, der selbst die Ausübung fremder Hoheitsgewalt zu dulden hat, die Inländer, die für die Maß­ 140  Królikowski/Sakowicz, in: Królikowski/Zawłocki (Hrsg.), Art.  193 Rn.  23; Kosonoga, in: Stefański (Hrsg.), Art.  193 Rn.  13. 141  Beschluss des Obersten Gerichts v. 9.7.2013, III KK 73/13, LEX Nr.  1353965; vgl. auch Kosonoga, in: Stefański (Hrsg.), Art.  193 Rn.  13. 142  Beschluss des Obersten Gerichts v. 9.7.2013, III KK 73/13, LEX Nr.  1353965. 143  Marek, Kodeks karny, Art.  193 Rn.  4; Kłączyńska, in: Giezek (Hrsg.), Art.  193 Rn.  10. 144 Vgl. Mozgawa, in: Mozgawa (Hrsg.), Kodeks karny, Art.  193 Rn.  5 f. 145  Krüger, Kriminalistik 1994, 773 (775). Rupprecht/Hellenthal, in: Rupprecht/Hellen­ thal, S.  23 (204) halten dagegen das Schengener Verbot in Hinsicht auf rechtliche Risiken eines Hoheitshandelns auf „rechtsfremdem“ Staatsterritorium für zweckmäßig.

C.  Festhalterecht und Begleitbefugnisse

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nahmen fremder Hoheitsträger selbst keinen Grund geschaffen haben, vor Ein­ griffen schützen will.

III.  Zeitlicher Rahmen der Verfolgung Neben der Festlegung der räumlichen Modalität steht es den Schengen-Staaten gemäß Art.  41 Abs.  3 SDÜ frei, das Nacheilerecht in zeitlicher Hinsicht auszu­ formen. Nach den diesbezüglichen Erklärungen Deutschlands und Polens sowie gemäß Art.  25 Abs.  3 Nr.  2 PolAbk darf die Verfolgung auf beiden Seiten der Oder und der Neiße schrankenlos ausgeübt werden. Die gleiche Befugnis steht den deutschen und den polnischen Bediensteten im Rahmen der Zusammenar­ beit mit den übrigen Nachbarländern zu. Nur nach dem polnisch-litauischen Kooperationsverstrag darf die Maßnahme nicht länger als eine Stunde ab dem Grenzübertritt fortgeführt werden (Art.  11 Abs.  4). Diese Lösung überzeugt freilich wenig. Wie die räumliche steht auch die zeitliche Limitierung des Nach­ eilerechts einer effektiven grenzübergreifenden Strafverfolgung im Wege. Ob hinter der objektiv festgelegten, von den Umständen des Einzelfalles unabhän­ gigen 1-Stunde-Grenze zwingende Souveränitätsgründe stehen, ist zweifelhaft. Diesbezüglich kann auf die früheren Überlegungen verwiesen werden.146

C.  Festhalterecht und Begleitbefugnisse I.  Festhalten des Verfolgten nach Art.  41 Abs.  2 lit.  b SDÜ Das Festhalterecht nach Art.  41 Abs.  2 lit.  b SDÜ bezieht sich auf einen der grenzüberschreitenden Nacheile zugrunde liegenden Sachverhalt und dient der Sicherung der Strafverfolgung, falls die Person auf frischer Tat betroffen wurde oder aus einer Untersuchungshaft geflohen ist, oder, wenn es sich um einen aus der Strafhaft Entwichenen handelt, der Strafvollstreckung147. Deutschland und Polen haben einander in den Erklärungen gemäß Art.  41 Abs.  9 SDÜ das Fest­ halterecht eingeräumt.148 Zu ermitteln ist nun, was damit gestattet wird: Handelt 146 

Oben II. 2. Soweit es sich bei der Flucht aus der Strafvollzugsanstalt um eine Straftat handelt, kann mit dem Festhalten des Flüchtenden auch in diesem Fall seine Strafverfolgung be­ zweckt werden; vgl. hierzu 2. Teil B. I. 4. 148 Diese Erklärungen wirken für die Befugnis der nacheilenden Beamten konstitutiv. Denn aus der Zusammenstellung der Absätze 2 und 9 des Art.  41 SDÜ ergibt sich eindeutig, dass das Festhalten des Verfolgten auf dem fremden Hoheitsgebiet wegen der Anlasstat der Nacheile kumulativ erfordert, dass der Gebietsstaat den nacheilenden Beamten das Festhal­ terecht in einer Erklärung nach Art.  41 Abs.  9 SDÜ eingeräumt hat und die in Art.  41 Abs.  2 147 

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

der ausländische Beamte beim Festhalten des Verfolgten wie ein Jedermann? Oder entspricht die Schengener Festhaltebefugnis den innerstaatlichen polizei­ lichen Festnahmebefugnissen, mit der Folge, dass die Belehrungs- und Proto­ kollierungspflichten, mit denen die Festnahme durch Hoheitsträger bei rein na­ tionalen Sachverhalten einhergeht, auch die grenzüberschreitend handelnden Bediensteten beim Festhalten nach Art.  41 Abs.  2 lit.  b SDÜ treffen? Oder ist das Schengener Festhalterecht eine sonstige Zugriffsbefugnis? 1.  Terminologische Anmerkungen Art.  41 SDÜ unterscheidet zwischen Freiheitsentziehungsbefugnissen der aus­ ländischen und der inländischen Polizeibehörden, allerdings terminologisch nicht stringent. Gemäß Absatz 2 kann den nacheilenden Beamten das Festhalterecht eingeräumt werden. Dieses kann nur solange ausgeübt werden, bis die örtlichen Beamten die Identitätsfeststellung oder die Festnahme vornehmen. Absatz 5 lit.  f legt die Maßnahmen fest, denen die durch die nacheilenden Poli­ zisten ergriffene Person unterzogen werden darf. Die örtlich zuständigen Be­ hörden sind hingegen verpflichtet149, die fliehende Person auf Ersuchen der ver­ folgenden Bediensteten zu ergreifen, um ihre Identität festzustellen oder sie festzunehmen (Abs.  1 Unterabs. 3 S.  1). Ferner können sie die gemäß Art.  41 Abs.  2 lit.  b SDÜ festgenommene Person zum Zwecke der Vernehmung festhalten (Abs.  6 Unterabs. 1 S.  1). Aus der Zusammenstellung des Absatzes 2 lit.  b und des Absatzes 5 lit.  f ergibt sich, dass für die Befugnis der fremden Polizei­ kräfte zwei Bezeichnungen – „festhalten“ (Abs.  2 lit.  b) und „ergreifen“ (Abs.  5 lit.  f ) – stehen. Da Absatz 5 lit.  f ausdrücklich auf Absatz 2 lit.  b verweist, ob­ wohl sich die erstgenannte Vorschrift des Wortes „ergreifen“ bedient, in der zweiten aber von „festhalten“ die Rede ist, muss diesen Begriffen in dieser Hin­ sicht die gleiche Bedeutung zukommen. Insoweit beziehen sich die Begriffe „festhalten“ und „ergreifen“ sowohl auf Maßnahmen der ausländischen als auch der inländischen Bediensteten. Die „Festnahme“ schließt sich dagegen dem Festhalten bzw. dem Ergreifen durch die nacheilenden Beamten oder dem Er­ greifen durch die örtlich zuständigen Behörden an und ist den Letztgenannten vorbehalten. lit.  b SDÜ festgeschriebenen Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen. Für die gegenteilige Auffassung von Wehner, in: Achermann/Bieber/Epiney/Wehner, S.  129 (167) und Hetzer, in: Sieber/Satzger/v. Heintschel-Heinegg (Hrsg.), §  41 Rn.  59 lässt die Vorschrift keinen Raum. So wie hier u. a.: Haas, Die Schengener Abkommen, S.  88; Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  202; Breitenmoser, in: Breitenmoser/Gleß/Lagodny (Hrsg.), S.  25 (47); Hackner, in: Breitenmoser/Gleß/Lagodny (Hrsg.), S.  277 (290); Schober, Europäische Polizeizusammenarbeit, S.  103. 149  So auch Hackner, in: Breitenmoser/Gleß/Lagodny (Hrsg.), S.  277 (290).

C.  Festhalterecht und Begleitbefugnisse

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Auch im deutschen Recht wird zwischen dem Festhalten, dem Ergreifen und dem Festnehmen differenziert. Das Festhalten taucht etwa im Zusammenhang mit der Identitätsfeststellung nach §§  163b i. V. m. 163c StPO auf und besteht in einer „gegen den Willen des Betroffenen vorgenommene[n] Einschränkung sei­ ner Bewegungsfreiheit über die Zeit hinaus, die notwendigerweise für jede als­ bald mögliche Identitätsfeststellung benötigt wird“, oder in dessen unfreiwilli­ ger Verbringung an einen anderen Ort.150 Das Festhalten beginnt, wenn „der Betroffene gehindert wird, sich zu entfernen“, wobei bereits die eindeutige Auf­ forderung zum Verbleiben am Ort genügt.151 Vom Ergreifen im Sinne einer Ein­ schreitebefugnis152 ist in §  167 GVG die Rede. Die Vorschrift ermächtigt die Polizeibeamten, die eine innerdeutsche Nacheile durchführen, den Flüchtigen auf dem Gebiet eines anderen Bundeslandes zu ergreifen (Abs.  1), verpflichtet aber zugleich zu dessen unverzüglicher Abführung an das nächste Gericht oder die nächste Polizeibehörde des Landes, in dem er ergriffen wurde (Abs.  2). Das Ergreifen kann in der vorläufigen Festnahme des Flüchtenden bestehen oder aber nur dem Zweck der Feststellung seiner Identität dienen, soweit dadurch die Festnahme überflüssig wird.153 Mit dem Begriff „festnehmen“ wird die vorläu­ fige Freiheitsentziehung durch Bürger (§  127 Abs.  1 StPO) sowie durch Ho­ heitsträger (z. B. §§  127 Abs.  1, 2, 127b StPO) umschrieben. Im Schrifttum weist man darauf hin, dass die Wahl des Begriffs „festhalten“, mit dem das Zugriffsrecht der nacheilenden Bediensteten bezeichnet wurde, auf die Vorschläge der deutschen Delegation zurückgeht, die aufgrund der Zurück­ haltung der anderen Vertragsparteien „bewusst von einem hoheitlichen ‚fest­ nehmen‘ abrücken und eher auf die ‚Jedermannsrechte‘ entsprechend §  127 Griesbaum, in: KK-StPO, §  163b Rn.  15; Wolter, in: SK-StPO, §  163b Rn.  30 f. Griesbaum, in: KK-StPO, §  163b Rn.  16; Wolter, in: SK-StPO, §  163b Rn.  30 f.; Pfeiffer, StPO, §  163b Rn.  7. 152  In der deutschen Strafprozessordnung taucht das Wort „ergreifen“ in §  9 (Gerichts­ stand des Ergreifungsortes), §  103 (Durchsuchung zur Ergreifung des Beschuldigten), §  115 (Vorführung des aufgrund eines Haftbefehls Ergriffenen) und in §  163c (Freiheitsentziehung zur Identitätsfeststellung) auf. In den zwei ersten Fällen bedeutet es eine Festnahme durch Strafverfolgungsbeamte oder Privatpersonen, insbesondere nach §  127 Abs.  1 und Abs.  2 StPO, Bosbach, in: Dölling/Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  9 StPO Rn.  2; Scheuten, in: KK-StPO, §  9 Rn.  2; Pfeiffer, StPO, §  103 Rn.  4; im dritten Fall – eine Festnahme „durch die öffentliche Gewalt“, Laue, in: Dölling/Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  115 StPO Rn.  2; Hilger, in: LR, §  115 Rn.  3. In §  163c StPO ist mit dem Ergreifen der Beginn des Festhaltens i. S. v. §  163b StPO gemeint, vgl. Griesbaum, in: KK-StPO, §  163c Rn.  9. Alle diese Vor­ schriften stellen keine Rechtsgrundlagen für das Ergreifen dar, sondern sie knüpfen an das Ergreifen, das seine Legitimation aus Festnahme- oder Festhaltenormen schöpft, bestimmte Rechtsfolgen, Befugnisse oder Pflichten. 153  Heinrich, NStZ 1996, 361 (364); Franke, in: LR, §  167 GVG Rn.  7. 150  151 

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

StPO abstellen“ wollte.154 Dies spiegelt sich auch in der französischen Fassung wider. Art.  41 Abs.  2 lit.  b SDÜ verwendet das Wort „interpeller“, das keine Entsprechung in der einheimischen Strafprozessordnung findet, und in dem mit der Vorschrift korrespondierenden Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ wird der Begriff „appréhender“ herangezogen, der in Art.  73 CPP gerade das Jedermann-Fest­ nahmerecht beschreibt.155 Indes verwendet die polnische Fassung für die deut­ schen Entsprechungen „festhalten“ und „ergreifen“ das Wort „zatrzymanie“, mit dem im polnischen Strafprozess- und Polizeirecht die polizeiliche Festnah­ me bezeichnet (z. B. Art.  244 plStPO; Art.  15 Abs.  1 Pkt.  2–3 plPolG) und von der Jedermann-Festnahme aus Art.  243 plStPO („ujęcie“) abgegrenzt wird. In der niederländischen Version wird die Befugnis der nacheilenden Bediensteten mit dem Ausdruck „staande houden“ beschrieben, der im nationalen Recht als Maßnahme im Rahmen der Identitätsfeststellung vorkommt (Art.  52 Sv.).156 Art.  41 Abs.  5 lit.  b SDÜ bedient sich allerdings der Formulierung „aanhouding“, die sich in der einheimischen Strafprozessordnung sowohl auf die Jeder­ mann-Flagranzfestnahme (Art.  53 Sv.) als auch die polizeiliche Festnahme (Art.  54 Sv.) bezieht.157 Auffallend ist dabei, dass dieser Begriff in Art.  41 SDÜ auch zur Bezeichnung der Befugnisse der Beamten des Gebietsstaates verwen­ det wird (so in Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 3 S.  3 und in Art.  41 Abs.  2 lit.  b in fine SDÜ). Auch wenn die in den einzelnen Sprachfassungen angewandte Terminologie verwirrend ist, bietet sie eine erste Orientierung für die Ermittlung des Inhalts des Festhalterechts der nacheilenden Bediensteten. Denn in allen Fällen werden in Art.  41 Abs.  2 lit.  b SDÜ für die Maßnahme der ausländischen und der inlän­ dischen Beamten unterschiedliche Ausdrücke verwendet.158 Dies lässt den Schluss zu, dass die Arten des Zugriffs nicht deckungsgleich sind. Grotz, in: Grützner/Pötz/Kreß (11. Lfg.), Teil III 25 Fn.  21 (zu Art.  41 SDÜ). Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  203 f.; Joubert/Bevers, Schengen Investigated, S.  305. Als „jedermann“ gilt auch der Polizeibeamte, Goy, Vor­ läufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  36; Joubert/Bevers, a. a. O. 156  Joubert/Bevers, Schengen Investigated, S.  300. 157  Die Festnahme nach Art.  54 Sv. bezieht sich auf andere Fälle als das Betreffen auf frischer Tat und ist – je nach der Dringlichkeit der Angelegenheit – Staatsanwälten, deren Hilfsbeamten und Polizeibeamten vorbehalten (Abs.  1–3). Art.  54 Abs.  4 stellt dagegen eine Rechtsgrundlage für die Festnahme durch gebietsfremde Hoheitsträger dar, die im Einklang mit dem internationalen Recht grenzüberschreitend agieren, Joubert/Bevers, Schengen In­ vestigated, S.  301 f. 158  Siehe etwa „festhalten“ und „festnehmen“ in der deutschen Fassung, „zatrzymanie“ und „aresztowanie“ in der polnischen, „interpeller“ und „arrestation“ in der französischen, „staande houden“ und „aanhounding“ in der niederländischen oder „detain“ und „arrest“ in der englichen Sprachfassung des Art.  41 Abs.  2 lit.  b SDÜ. 154  155 

C.  Festhalterecht und Begleitbefugnisse

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Im Kontext der deutsch-polnischen Zusammenarbeit muss man sich im Rah­ men wortlautorientierter Vorbemerkungen dem Inhalt des Art.  25 Abs.  3 Nr.  4 PolAbk zuwenden. Die Vorschrift verpflichtet zur unverzüglichen Übergabe einer „vorläufig festgenommenen“ („ujęta“) Person an die Beamten des Gebiets­ staates und weicht somit von den in der deutschen und in der polnischen Fas­ sung des Art.  41 Abs.  2 lit.  b SDÜ verwendeten Begriffen „festhalten“ und „zatrzymanie“ ab. Die deutsche Seite stellt klar, dass mit dem Begriff „vorläufige Festnahme“, der im Polizeiabkommen (2014) auch an weiteren Stellen zur Be­ zeichnung der Befugnis der gebietsfremden Bediensteten auftaucht159, auf §  127 Abs.  2 StPO Bezug genommen wurde.160 Das in der polnischen Fassung ver­ wendete Wort „ujęta“ korrespondiert indes mit der Regelung der Bürger-Fest­ nahme aus Art.  243 plStPO, was auch in der Begründung zum Ratifizierungsge­ setz ausdrücklich hervorgehoben wurde.161 Der hinter der Wahl des Begriffs „vorläufige Festnahme“ bzw. „ujęcie“ stehende Gedanke ist für die Ausübung des Nacheilerechts allerdings insoweit ohne Belang, als die Vorschrift des Art.  25 Abs.  3 Nr.  4 PolAbk die Regelung des Art.  41 Abs.  2 lit.  b SDÜ nicht ersetzt. Die in Absatz 3 enthaltenen Bestimmungen stellen ausweislich seines Wortlauts lediglich eine Ergänzung des Art.  41 Abs.  5 SDÜ dar, also der Art und Weise der Durchführung der Nacheile. Die in Art.  41 Abs.  2 lit.  b SDÜ for­ mulierten Grundsätze, die das Wesen des Festhalterechts prägen, finden somit nach wie vor Anwendung. Es fällt außerdem auf, dass Art.  25 Abs.  3 Nr.  4 Pol­ Abk den Beamten keine Befugnis zur vorläufigen Festnahme des Verfolgten einräumt, sondern (lediglich) zur Übergabe einer vorläufig festgenommenen Person verpflichtet und somit zwangsläufig an die Ermächtigungsgrundlage aus Art.  41 Abs.  2 lit.  b SDÜ anknüpft. Im Folgenden ist der Frage nachzugehen, welche weiteren Schlussfolgerun­ gen aus der Regelung des Art.  41 SDÜ gezogen werden können bzw. worin das Schengener Festhalterecht besteht. 2.  Voraussetzungen und Umfang des Zugriffs Art.  41 Abs.  2 lit.  b SDÜ legt die Voraussetzungen fest, unter denen das Festhal­ terecht in Anspruch genommen werden darf. Danach sind die nacheilenden Be­ 159 

Und zwar bei der Regelung gemeinsamer Streifen (Art.  9 Abs.  3 Nr.  4), polizeilicher Nothilfe (Art.  10 Abs.  2 Nr.  3) und grenzüberschreitender Observation (Art.  22 Abs.  4 Nr.  3). 160  Bavendamm, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  225 (231); dies., Krimina­ listik 2016, 38 (41). 161  Sejm-Druck Nr.  2827, S.  4: „Der Bedienstete wird auf dem Hoheitsgebiet der anderen Partei nicht befugt sein, eine Person vorläufig festzunehmen, sondern sie nur zu ergreifen, und zwar im Sinne der sog. ‚Bürger-Festnahme‘ nach Art.  243 §  1 des Gesetzes vom 6. Juni 1997 – Strafprozessordnung.“

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

amten zum Festhalten des Verfolgten berechtigt, wenn eine Einstellung der Ver­ folgung nicht verlangt wurde und eine rechtzeitige Heranziehung der örtlichen Behörden nicht möglich ist (Art.  41 Abs.  2 lit.  b in principio SDÜ). Die Festhal­ tebefugnis darf dabei nur bis zur Vornahme der Identitätsfeststellung oder der Festnahme durch die Bediensteten des Gebietsstaates, die unverzüglich zu be­ nachrichtigen sind, ausgeübt werden (Art.  41 Abs.  2 lit.  b in fine SDÜ). Die Norm bringt eindeutig zum Ausdruck, dass das Festhalterecht der auslän­ dischen Hoheitsträger gegenüber den Maßnahmen der örtlichen Behörden sub­ sidiär ist. Dies entspricht konstruktiv den nationalen Jedermann-Festnahme­ rechten. Denn diese enden, wenn die Polizei selbst gegen den Täter einschreitet und dadurch ein Handeln des Privaten überflüssig wird.162 Auch die Zweckrich­ tung ist die gleiche: Die Jedermann-Festnahme dient einer Identifizierungsoder Anwesenheitssicherung des Täters zum Zwecke seiner Strafverfolgung.163 Mit dem Festhalten nach Art.  41 Abs.  2 lit.  b SDÜ soll die Feststellung der Iden­ tität oder die Festnahme des Verfolgten ermöglicht und dadurch die angestrebte Auslieferung gesichert werden. Da die beiden Eingriffsmaßnahmen den örtli­ chen Beamten vorbehalten wurden, besteht das Festhalten durch die nacheilen­ den Beamten – wie die vorläufige Festnahme bzw. ujęcie durch eine Privatper­ son nach §  127 Abs.  1 StPO und nach Art.  243 §  1 plStPO164 – ausschließlich im Anhalten des Flüchtenden und im Verhindern eines Sich-Entfernens.165 3.  Pflichten im Zusammenhang mit dem Festhalten: Übergabe des Festgehaltenen Die inhaltliche Ausformung des Schengener Festhalterechts nach dem Vorbild der Jedermann-Festnahmerechte hat zur Folge, dass die Bediensteten nach dem Ergreifen des Verfolgten auf dem fremden Hoheitsgebiet nicht diejenigen Pflich­ ten erfüllen müssen, die mit einer polizeilichen Festnahme verwoben sind. Sie sind nur zur unverzüglichen Unterrichtung der örtlich zuständigen Behörden vom Festhalten und zur Übergabe des Festgehaltenen verpflichtet. Im Zusam­ menhang mit der letztgenannten Pflicht stellt sich die Frage, ob die nacheilenden Beamten die ergriffene Person zu den Beamten des Gebietsstaates verbringen dürfen oder aber ob sie eine Verbleibepflicht trifft. Schultheis, KK, §  127 Rn.  21; Hilger, in: LR, §  127 Rn.  27; Schmitt, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, §  127 Rn.  7; Paprzycki, in: Paprzycki (Hrsg.), Art.  243 Rn.  2; Stefański, in: Gos­ tyński (Hrsg.), Art.  243 Rn.  1. 163  Pfeiffer, StPO, §  127 Rn.  1; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, §  31 Rn.  1; vgl. auch Schultheis, KK, §  127 Rn.  6. 164  Schultheis, KK, §  127 Rn.  24; Paprzycki, in: Paprzycki (Hrsg.), Art.  243 Rn.  3. 165  In diesem Sinne auch Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  204 und Joubert/Bevers, Schengen Investigated, S.  292. 162 

C.  Festhalterecht und Begleitbefugnisse

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Art.  41 Abs.  2 lit.  b SDÜ gibt in dieser Hinsicht nichts her. Insbesondere lässt die Passage „bis die Beamten des Gebietsstaates, die unverzüglich zu unterrich­ ten sind, die Identitätsfeststellung oder die Festnahme vornehmen“ nicht ein­ deutig darauf schließen, dass die fremden Bediensteten am Festhalteort bis zum Eintreffen der örtlichen Hoheitsträger verharren müssen. Denn weder die Be­ nachrichtigungspflicht noch die Begrenztheit des Festhalterechts stehen für sich gesehen einer Verbringung des Betroffenen zur nächstgelegenen Polizeidienst­ stelle im Wege. Aufschlussreich ist Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ, der es den gebietsfremden Be­ amten gestattet, den Betroffenen im Hinblick auf seine „Vorführung vor die örtlichen Behörden“ einer Sicherheitsdurchsuchung zu unterziehen und ihm „während der Beförderung“ Handschellen anzulegen. Das Wort „vorführen“ wird als „vor jemanden bringen“ definiert166 und schließt somit einen Ortswech­ sel ein. In §  1 Abs.  3 Nr.  3 der Anordnung Nr.  360 des Hauptkommandanten der Polizei über die Methoden und Formen der Ausführung von Eskorten und Vor­ führungen durch die Polizisten167 wird die Vorführung (doprowadzenie) sogar ausdrücklich als Verlegung einer Person an einen anderen Ort erläutert. Inso­ weit sind die nacheilenden Beamten nicht auf das bloße Warten angewiesen, sondern sie dürfen den Betroffenen zu den zuständigen Beamten des Gebiets­ staates verbringen, damit diese die Identitätsfeststellung oder die Festnahme vornehmen.168 Dieses Ergebnis wird durch die Tatsache bekräftigt, dass dem Festgehaltenen Handschellen gerade während der Beförderung angelegt werden können. Die polnische Fassung spricht zwar an dieser Stelle von einer Übergabe (przekazanie). Es liegt aber die Vermutung nahe, dass es sich dabei um eine missglückte Übersetzung des Wortes „transfer“ aus der englischen Fassung handelt. Der Begriff ist sowohl im Sinne einer Übergabe als auch einer Verlegung („przeniesienie“, „przemieszczenie“) übersetzbar. In Bezug auf den für die Vorschrift maßgeblichen Kontext, d. h. transfer of person, kommt ihm die zweite Bedeu­ tung zu („process of moving“).169 Auch in den übrigen originären Sprachfassun­ gen geht es eindeutig um eine mit einem Ortswechsel verbundene Tätigkeit. „Vorführen“, in: Duden, S.  1954; „doprowadzić“, in: Dubisz (Hrsg.), Bd.  1, S.  666. Dz. Urz. KGP 2009 Nr.  6, Pos. 29. Die Anordnung wurde auf der Grundlage des bereits erwähnten Art.  7 Abs.  1 Pkt.  2 plPolG erlassen (zum Inhalt der gesetzlichen Ermächtigung siehe 2. Teil Fn.  329). 168  Im Ergebnis auch Mokros, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil O Rn.  254; Brammertz, Grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit, S.  253; Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  204. Anders Daman, EJCCLCJ 16 (2008), 171 (194), der aus der Zusammenstellung der Regelungen des Absatzes 2 lit.  b und Absatzes 5 lit.  f auf eine Wartepflicht am Festhalteort schließt. 169  Das Wort „transfer“ im Sinne der „Übergabe“ wird in einem anderen Bedeutungskon­ 166  167 

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

Das französische „transfert“ und das niederländische „overbrenging“ bedeu­ ten – soweit sie durch ein Subjekt begleitet werden bzw. sich auf eine Person beziehen – eine „Verlegung“ und „Überführung“ und werden etwa im nacheile­ bezogenen Kontext der Verlegung/Überführung eines Gefangenen verwendet. Ungeachtet der sprachvergleichenden Analyse liegt im Interesse des Betrof­ fenen, möglichst schnell den örtlich zuständigen Beamten vorgeführt und über seine Rechte und Pflichten belehrt zu werden. In eine solche Pflicht nimmt die deutschen und die nacheilenden polnischen Bediensteten ausdrücklich Art.  25 Abs.  3 Nr.  4 PolAbk. Die „unverzügliche“ Übergabe kann indes in der konkre­ ten Fallgestaltung gerade eine Beförderung zur nächsten Polizeidienststelle er­ fordern.170 Man denke vor allem an die momentane personelle Besetzung der örtlichen Behörden, die ihre Ankunft am Festhalteort und im Ergebnis die Übergabe des Betroffenen verzögern könnte. Andererseits wäre es verfehlt, aus der Übergabepflicht auf eine generelle Überführungspflicht zu schließen. Das Verbleiben am Ort des Ergreifens kann dann vonnöten sein, wenn Tatspuren oder sonstige Beweismittel dort vorhanden sind, die von den örtlich zuständigen Bediensteten gesichert werden sollen. Das Sich-Entfernen zum Zwecke der Beförderung des Betroffenen kann deren Ver­ lust oder Entstellung zur Folge haben.171 Die Zulässigkeit und die Zweckmäßig­ keit eines Ortswechsels müssen insoweit strikt voneinander abgegrenzt werden. Die erste bestimmt sich nach Rechtsvorschriften und kann nicht infrage gestellt werden. Denn weder Art.  41 SDÜ noch Art.  25 PolAbk gebieten das Verbleiben am Ort bzw. verbieten die Überführung des Ergriffenen. Die Zweckmäßigkeit wird dagegen durch Umstände des Einzelfalles determiniert und erfordert eine Abwägungsentscheidung. Die nacheilenden Beamten haben ihre Vorgehens­ weise an die konkrete Sachlage anzupassen und den Festgenommenen entweder zum nächsten Polizeirevier unverzüglich zu verbringen oder mit ihm bis zum Eintreffen der örtlich zuständigen Behörden am Festhalteort zu warten.

text, etwa der Macht- oder der Informationsübergabe („transfer of power“, „transfer of information“), angewandt. 170  Bedenklich ist vor diesem Hintergrund die Regelung des §  15 der Anordnung Nr.  1355 des Hauptkommandanten der Polizei, wonach die Sicherungsmaßnahmen nach dem Festhal­ ten der verfolgten Person bis zum Eintreffen der zuständigen Behörden des Gebietsstaates vorgenommen werden, was eine Wartepflicht für die nacheilenden polnischen Beamten sta­ tuiert. 171  Das Argument der Beweissicherung entfällt allerdings in den Fällen, in denen eine Maßnahme unter Beteiligung mehrerer ausländischen Bediensteten durchgeführt wird, so­ dass eine den Umständen nach angemessene Verteilung der Polizeikräfte in Betracht kommt.

C.  Festhalterecht und Begleitbefugnisse

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4.  Schengener Festhalterecht als hoheitliche Eingriffsbefugnis? Zu überlegen ist, ob die Parallelen zwischen dem Schengener Festhalterecht und den innerstaatlichen Jedermann-Festnahmebefugnissen zur Folge haben, dass die nach Art.  41 Abs.  2 lit.  b SDÜ agierenden ausländischen Bediensteten nicht hoheitlich, sondern wie Privatpersonen handeln. Die Durchsetzung des Festhalterechts dient dem Strafverfolgungs- oder Strafvollstreckungsinteresse des Staates, in dem die Verfolgung aufgenommen wurde. Für die Frage, ob es sich um eine hoheitliche Befugnis handelt, kommt es jedoch nicht bzw. nicht alleine darauf an, ob die wahrzunehmende Aufgabe eine Staatsaufgabe darstellt, denn eine solche kann auch von Privatpersonen erfüllt werden.172 Selbst die Jedermann-Festnahme kann im öffentlichen Inte­ resse liegen.173 Entscheidend ist deshalb, ob der Staat im konkreten Fall über ein exklusives Recht verfügt oder ob die Maßnahme bei hypothetischer Betrach­ tung ebenfalls durch Privatpersonen vorgenommen werden könnte.174 Diese Frage beantwortet Art.  41 SDÜ eindeutig im ersteren Sinne. Die Vorschrift be­ gründet besondere Rechte und Pflichten, die sich an die „Beamten einer Ver­ tragspartei“, auf deren Gebiet die Verfolgung begonnen hat, bzw. an „die nach­ eilenden Beamten“ richten. Der Kreis dieser „Beamten“ wurde dabei unmittel­ bar in Art.  41 SDÜ festgelegt und somit auf ausgewählte (gebietsfremde) Hoheitsträger begrenzt (Abs.  7 SDÜ). Insoweit handelt es sich bei den Nacheile­ befugnissen, einschließlich des Festhalterechts, um keine Jedermann-Rechte, sondern um Hoheitsrechte,175 die lediglich im Vergleich zu den Befugnissen, die den Polizeibeamten bei rein inländischen Sachverhalten zustehen bzw. zu­ stünden, in materieller, zeitlicher und ggf. räumlicher Hinsicht eingeschränkt wurden. Dass die Vertragsparteien von hoheitlichem Handeln ausgegangen sind, zeigt sich auch an der Gleichstellung fremder Bediensteter mit Bediensteten des Ge­ bietsstaates in Bezug auf Straftaten, denen diese Beamten zum Opfer fallen oder die sie begehen würden (Art.  42 SDÜ). Denn damit wird ausdrücklich an Amtsdelikte bzw. Delikte gegen Amtsträger angeknüpft. Darüber hinaus ist der von den nacheilenden Bediensteten nach dem Grenzübertritt verursachte Scha­ Gramm, DVBl 1989, 1237 (1240); vgl. auch Maurer, in: Maurer/Waldhoff, §  3 Rn.  11. Gramm, DVBl 1989, 1237 (Fn.  33); Baldus, Transnationales Polizeirecht, S.  264. 174  Gramm, DVBl 1989, 1237 (1241); vgl. auch Maurer, in: Maurer/Waldhoff, §  3 Rn.  13. 175  Im Ergebnis Baldus, Transnationales Polizeirecht, S.  263 ff.; Goy, Vorläufige Festnah­ me und grenzüberschreitende Nacheile, S.  231; Harings, Grenzüberschreitende Zusammen­ arbeit, S.  146 f.; Gleß, NStZ 2000, 57 (61); Mokros, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil O Rn.  197; Fastenrath/Skerka, ZEuS 2009, 219 (246); Hetzer, in: Sieber/Satzger/v. Heint­ schel-Heinegg (Hrsg.), §  41 Rn.  62; Wolff, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  19 (39 ff.). 172  173 

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

den vom Gebietsstaat so zu ersetzen, wie er ihn ersetzen müsste, wenn seine eigenen Beamten ihn herbeigeführt hätten (Art.  43 Abs.  2 SDÜ). Er kann dann von dem Staat, in dem die Verfolgung aufgenommen wurde, und nicht von dem Beamten als Privatperson Regress nehmen (Art.  43 Abs.  3 SDÜ). Auch die in den bilateralen Kooperationsverträgen eingeräumten Befugnisse zum Einsatz von Zwangsmitteln und der Inanspruchnahme der Sonder- und Wegerechte bei der Durchführung einer grenzüberschreitenden Verfolgung spiegeln die hoheit­ liche Stellung der Bediensteten wider. Das Schengener Festhalterecht bezieht sich weiterhin auf Konstellationen, die von den Jedermann-Festnahmerechten nicht abgedeckt werden könnten. Dabei handelt es sich nicht nur um die Befugnis zum Ergreifen eines aus der Untersu­ chungs- oder Strafhaft Flüchtigen, deren Ausübung im nationalen Recht nur bestimmten Staatsbehörden vorbehalten ist.176 Auch bei der Verfolgung einer auf frischer Tat betroffenen Person wären die innerstaatlichen Jedermann-Fest­ nahmerechte nicht in jedem Fall einschlägig, sondern lediglich dann, wenn die der Nacheile zugrunde liegende Tat der Gewalt des Gebietsstaates unterliegen würde.177 Das deutsche Recht erstreckt mit §  19 S.  2 IRG die Jedermann-Fest­ nahmebefugnis aus §  127 Abs.  1 StPO auf Taten, die zu einer Auslieferung An­ 176  In Deutschland steht ein sog. Wiederergreifungsrecht (Verrel, in: Laubenthal/Nestler/ Neubacher/Verrel, Teil M Rn.  70) der Vollzugsbehörde (Vollzugsanstalt) zu, siehe die dem bisherigen §  87 Abs.  1 StVollzG entsprechenden (Goerdeler, in: Feest/Lesting/Lindemann [Hrsg.], Teil II §  77 LandesR Rn.  1 f.) landesrechtlichen Vorschriften, etwa §  89 Bbg­J VollzG. Auf ihre Veranlassung hin kann die Festnahme von den Polizeibeamten vorgenommen wer­ den, Verrel, in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, Teil M Rn.  73; vgl. auch die Verwal­ tungsvorschrift zu §  87 StVollzG, die in ihrem Absatz 1 Satz  2 ausdrücklich gebietet, die Hilfe der Polizei und ggf. anderer Stellen in Anspruch zu nehmen, sofern die der Anstalt zur Verfügung stehenden Mittel nicht ausreichen. Erlischt das Wiederergreifungsrecht der Voll­ zugsanstalt und wird ein Vollstreckungshaftbefehl nach §  457 Abs.  2 S.  2 StPO erwirkt, so kann die Polizei gemäß §  33 Abs.  5 S.  1 StVollStrO mit seiner Durchsetzung beauftragt wer­ den. Zum eigenmächtigen Einschreiten ist sie nach den Vorschriften des Strafvollstreckungs­ rechts nicht ermächtigt, Riegel, DÖV 1979, 201 (202); Verrel, in: Laubenthal/Nestler/Neuba­ cher/Verrel, Teil M Rn.  73. Die meisten Polizeigesetze enthalten allerdings eine ausdrückli­ che Rechtsgrundlage für die Ingewahrsamnahme von Personen, die aus dem Vollzug von Untersuchungshaft, Freiheitsstrafen oder freiheitsentziehenden Maßnahmen der Besserung und Sicherung entwichen sind (z. B. §  17 Abs.  3 Bbg­PolG). Bei einer strafbaren Entweichung kann auch §  127 StPO als Festnahmegrundlage herangezogen werden, Verrel, in: Lauben­ thal/Nestler/Neubacher/Verrel, Teil M Rn.  73. Nach polnischem Recht fällt die Festnahme eines Entwichenen primär in den Zuständigkeitsbereich der Beamten des Vollzugsdienstes (Art.  18 Abs.  1 Pkt.  7 lit.  a des Gesetzes über den Vollzugsdienst). Da die Selbstbefreiung eine Straftat (Art.  242 §  1 plStGB) darstellt, ist auch die Polizei zum Einschreiten befugt (vgl. §  6 i. V. m. §  3 Pkt.  4 lit.  b der Anordnung Nr.  1355 des Hauptkommandanten der Polizei). Die Festnahme erfolgt nach Art.  244 §  1 plStPO. 177 Vgl. Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  231.

C.  Festhalterecht und Begleitbefugnisse

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lass geben können,178 sodass die Konstellationen des Betreffens auf frischer Tat dennoch erfasst werden könnten.179 Nicht in allen Schengen-Staaten sind aber vergleichbare Regelungen vorhanden. Selbst das polnische Recht lässt eine Festnahme durch Private ausschließlich auf der Grundlage des Art.  243 §  1 plStPO zu. Bei Nacheilesachverhalten könnte diese Vorschrift nur dann zur An­ wendung kommen, wenn die Anlasstat eine der in Art.  110 oder Art.  113 plStGB genannten Straftaten wäre,180 und würde somit nicht sämtliche denkbaren Fälle der Nacheile erfassen. In Bezug auf die Auslandsstraftaten polnischer Staatsan­ gehöriger gälte diese Einschränkung zwar nicht (Art.  109 plStGB).181 Die Staats­ angehörigkeit wird aber in der Regel erst nach dem Ergreifen bekannt, und das Einschreiten nach Art.  243 plStPO erfordert sicheres Wissen hinsichtlich der Begehung einer Straftat (die der polnischen Strafgewalt unterliegt).182 Schließlich wurden die in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen vorgese­ henen Jedermann-Festnahmerechte jeweils an unterschiedliche Anforderungen hinsichtlich der Flagranzsituation gekoppelt, die mit dem Sinngehalt des Merk­ mals „auf frischer Tat betroffen“ i. S. v. Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 1 SDÜ nicht unbedingt deckungsgleich sind.183 Die Behauptung, dass das Schengener Fest­ halterecht keine hoheitliche Befugnis darstelle, weil der Verfolgte auch von ei­ nem Privatmann festgenommen werden könnte,184 lässt sich also auch aus die­ sem Grund nicht halten. 5.  Zweckmäßigkeit des Festhalterechts – rechtsvergleichende Bemerkungen Deutschland und Polen haben in den Erklärungen nach Art.  41 Abs.  9 i. V. m. Abs.  2 SDÜ den nacheilenden Polizeibeamten aller Nachbarländer das Festhal­ terecht eingeräumt – in den meisten Fällen nach dem Prinzip der Gegenseitig­ keit.185 Lediglich Frankreich und Dänemark verweigern es in Relation zu deut­ 178  König, in: Ambos/König/Rackow (Hrsg.), 2. HT §  19 IRG Rn.  248; Schomburg/Hackner, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, § 19 IRG Rn.  14 unter Verweis auf §  16 Abs.  1 Nr.  2 IRG. 179  Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  231. 180  Siehe dazu 4. Teil A. I. 1. b. 181  Siehe dazu 4. Teil A. I. 1. b. 182  2. Teil A. II. 2. b. 183  Dies gilt nicht nur für den Fall, dass man das Merkmal des Betreffens auf frischer Tat – wie hier – autonom auslegt, sondern auch dann, wenn man es jeweils im Lichte der inner­ staatlichen Bestimmungen des Tatortstaates definiert. Ein Beispiel dafür stellt die Nacheile aus Frankreich nach Deutschland dar, die in einem der vier Flagranzfälle des Art.  53 CPP aufgenommen wurde, den §  127 Abs.  1 StPO gerade nicht kennt. 184  In dem Sinne Kattau, Strafverfolgung, S.  116 f. 185  Art.  12 Abs.  1 Pkt.  3 und Art.  17 Abs.  4 des deutsch-österreichischen Abkommens; Art.  16 Abs.  2 des deutsch-schweizerischen Abkommens; Art.  14 Abs.  3 des deutsch-tsche­

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

schen Bediensteten. Belgien gewährt es mit einer zeitlichen Beschränkung: Es kann nur während der ersten 30 Minuten nach dem Grenzübertritt ausgeübt werden. Die in den drei letztgenannten Ländern angenommenen Lösungen überzeugen wenig. Da Frankreich keine räumlichen und zeitlichen Einschrän­ kungen der Nacheile vorsieht, könnte diese theoretisch über das gesamte Ho­ heitsgebiet geführt werden. Aufgrund der mangelnden Befugnis zum Festhalten wäre sie aber auf ein bloßes Hinterherfahren bzw. Hinterherlaufen reduziert. Dies stellte die Zweckmäßigkeit der grenzübergreifenden Fortsetzung der Ver­ folgung infrage.186 Sind die örtlich zuständigen Behörden erst unterwegs und befindet sich der Tatverdächtige in Reichweite der ausländischen Bediensteten, dürfen diese nicht einschreiten. Im Zuge der weiteren Verfolgung kann es an einer abermaligen Gelegenheit zum Festhalten fehlen, beispielsweise wenn die Beamten ihn dauerhaft aus den Augen verlieren. Im Verhältnis zu Dänemark löst die Effektivität der Nacheile noch größere Bedenken aus, und zwar wegen der territorialen Begrenzung des Nacheile­ rechts. Die inländischen Bediensteten sollten die Verfolgung innerhalb von 25  k m von der Grenze übernehmen bzw. den Flüchtenden ergreifen, um seine Identität festzustellen oder ihn festzunehmen. Die räumliche Schranke gilt zwar für die nacheilenden Polizisten. Das Festhalten des Verfolgten auf einem weite­ ren Gebiet scheint jedoch erschwert zu sein. Mit Zurücklegen des 25. Kilome­ ters müssen die deutschen Polizisten die Nacheile einstellen. Im Ergebnis wer­ den sie nicht mehr imstande sein, die dänischen Behörden über die Lage bzw. den Geschehensablauf zu benachrichtigen. Davon wird nur der Tatverdächtige profitieren, da sich seine Chancen auf Flucht oder Verbergung deutlich vergrö­ ßern können. Auch die Befristung des Festhalterechts nach dem belgischen Vorbild kann nicht auf Zustimmung stoßen. Es sind keine Gründe dafür ersichtlich, dass das Festhalten während der ersten 30 Minuten nach der Überschreitung der Grenze zulässig sein sollte, nicht aber in der 31. Minute. Ein solch zeitlicher Vorbehalt stellt eine künstliche Hürde dar. Die oben geschilderten Modelle genügen nicht den Anforderungen einer ef­ fektiven zwischenstaatlichen Kooperation im Bereich der Strafverfolgung. Die grenzüberschreitende Nacheile bezweckt das Ergreifen des Flüchtenden und chischen Abkommens; Art.  12 Abs.  1 Pkt.  3 und Art.  17 Abs.  4 des deutsch-niederländischen Abkommens; Erklärung Luxemburgs gemäß Art.  41 Abs.  9 SDÜ; Art.  11 Abs.  6, 7 des pol­ nisch-tschechischen Abkommens; Art.  11 Abs.  5 Pkt.  2 des polnisch-litauischen Abkom­ mens; Art.  8a Abs.  6, 7 des polnisch-slowakischen Abkommens. 186  So auch Birzele, in: Theobald (Hrsg.), S.  89 (101); Rupprecht/Hellenthal, in: Rupprecht/ Hellenthal, S.  23 (182); Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  243.

C.  Festhalterecht und Begleitbefugnisse

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seine anschließende Übergabe. Die Beschränkung des Nacheilerechts auf das bloße Verfolgen erschwert die Verwirklichung dieses Zieles. Es leuchtet nicht ein, warum die ausländischen Beamten bei einer günstigen Gelegenheit vom Ergreifen des Flüchtenden absehen sollen, wenn die örtlich zuständigen Behör­ den nicht rechtzeitig herangezogen werden können, zumal Art.  41 SDÜ dem Festhalterecht der nacheilenden Bediensteten einen engen Rahmen setzt und dadurch dem Eingriff in die nationalen hoheitlichen Befugnisse Rechnung trägt.

II.  Festhalten des Verfolgten nach den Vorschriften des Gebietsstaates Unabhängig vom Festhalterecht im Sinne des Art.  41 Abs.  2 lit.  b SDÜ sind die nacheilenden Bediensteten befugt, die flüchtende Person nach Maßgabe des Rechts des Gebietsstaates vorläufig festzunehmen, wenn diese im Zuge der Ver­ folgung auf frischer Tat bei der Begehung einer neuen, der Nacheile nicht zu­ grunde liegenden Straftat betroffen wird.187 Insoweit finden die nationalen Je­ dermann-Festnahmerechte Anwendung.188 Die Bediensteten üben dann nicht ihre eigene Hoheitsgewalt aus, sondern „vertreten“ die örtlichen Hoheitsträger bei der Wahrnehmung deren öffentlicher Aufgaben, und zwar in einem Um­ fang, in dem jeder Private tätig werden darf. Die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Jedermann-Festnahmerechte ist jedoch nur dann relevant, wenn den nacheilenden Bediensteten kein Festhalte­ recht nach Art.  41 Abs.  2 lit.  b SDÜ zusteht oder es im konkreten Fall – etwa aufgrund der zeitlichen Schranke – nicht mehr ausgeübt werden darf. Denn das Schengener Festhalterecht dient der Durchsetzung bzw. der Sicherung des Strafverfolgungs- oder Strafvollstreckungsinteresses des Ausgangsstaates, das durch die Begehung eines neuen Delikts im Gebietsstaat nicht beseitigt wird.

III.  Begleitmaßnahmen nach Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ Die von den nacheilenden Beamten festgehaltene Person darf gemäß Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ im Hinblick auf ihre Vorführung vor die örtlich zuständigen 187  Würz, Das Schengener Durchführungsübereinkommen, Rn.  139 u. 147; Goy, Vorläufi­ ge Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  204; Daman, EJCCLCJ 16 (2008), 171 (195); Bavendamm, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  225 (231); dies., Krimina­ listik 2016, 38 (41); siehe auch Schengen police cooperation handbook, Pkt.  3.3. 188  Ebenda. Die Festnahme in Deutschland würde sich dann nach §  127 Abs.  1 StPO rich­ ten. Läge der (neue) Tatort in Polen, wäre Art.  243 plStPO maßgeblich. Die beiden Vorschrif­ ten setzen voraus, dass der Betroffene der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht so­ fort festgestellt werden kann. Zumindest die Bejahung der ersten Voraussetzung dürfte keine Schwierigkeiten bereiten, da der Verfolgte bereits einmal die Flucht ergriffen hat.

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

Behörden lediglich einer Sicherheitsdurchsuchung unterzogen werden; es dür­ fen ihr während der Beförderung Handschellen angelegt werden; die von der verfolgten Person mitgeführten Gegenstände dürfen sichergestellt werden. Die Vorschrift nennt abschließend die das Festhalterecht begleitenden Befugnisse, die in Abwesenheit der örtlichen Amtsträger von den gebietsfremden Bediens­ teten wahrgenommen werden dürfen. Weitere Befugnisse können sich aus den bilateralen Vereinbarungen i. S. v. Art.  41 Abs.  10 SDÜ ergeben. Im Folgenden ist zu untersuchen, was den Beamten mit dem Recht zur Si­ cherheitsdurchsuchung des Verfolgten und zur Sicherstellung der von ihm mit­ geführten Sachen gestattet wird. Auf die Befugnis zum Anlegen von Hand­ schellen wird anlässlich der Besprechung des Zwangseinsatzes eingegangen.189 1. Sicherheitsdurchsuchung Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ spricht von einer „Sicherheitsdurchsuchung“ bzw. „prze­szukaniu“ (Durchsuchung), ohne diese Befugnis zu präzisieren. Es stellt sich die Frage nach ihrem Inhalt. a.  Personendurchsuchung nach dem deutschen Recht In Deutschland sind die Rechtsgrundlagen für eine Personendurchsuchung so­ wohl im Strafprozessrecht als auch im Polizeirecht verankert,190 wobei jeweils von einer „Durchsuchung“ gesprochen wird. Die Einordnung der Maßnahme als eine strafprozessuale oder polizeirechtliche richtet sich allein nach ihrer Zwecksetzung. Im ersten Fall dient die Durchsuchung dem Auffinden von Be­ weismitteln (sog. Ermittlungsdurchsuchung, §§  102, 103 StPO) oder der Sicher­ stellung von Verfalls- und Einziehungsgegenständen (§  111b Abs.  4 i. V. m. §§  102, 103 StPO).191 Die Strafprozessordnung differenziert zwischen der Durchsuchung eines Verdächtigen (§  102 StPO) und eines Nichtverdächtigen (§  103 StPO).192 189 

Siehe unten D. V. Darüber hinaus enthält das Strafvollzugsgesetz in §  84 eine Grundlage für die Durch­ suchung Gefangener. 191  Tsambikakis, in: LR, §  102 Rn.  2; Bruns, in: KK-StPO, §  102 Rn.  2; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, §  102 Rn.  13 f. Die Durchsuchung gemäß §  102 f. StPO kann auch dem Ergreifen eines Beschuldigten dienen (sog. Ergreifungsdurchsuchung). In diesem Fall bezieht sich die Durchsuchung jedoch nicht auf eine Person (und auf die ihr gehörenden Sa­ chen), sondern auf Wohnungen und andere Räume, Bruns, in: KK-StPO, §  102 Rn.  7. 192  §  103 StPO nennt zwar ausdrücklich nur Wohnungen und andere Räume. Indem er aber in Absatz 1 den Begriff „Durchsuchung“ verwendet, bezieht er sich auf die Durchsu­ chung i. S. v. §  102 StPO und meint somit dieselben Durchsuchungsobjekte wie §  102 StPO, darunter also auch die Personen, Pfeiffer, StPO, §  103 Rn.  2; Bruns, in: KK-StPO, §  103 Rn.  3. 190 

C.  Festhalterecht und Begleitbefugnisse

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Die Polizeigesetze enthalten Ermächtigungsgrundlagen für die Durchsu­ chung aus Anlass der Gefahrenabwehr.193 Die Durchsuchung stellt dort eine Vorbereitungsmaßnahme zur Sicherstellung von Gegenständen194 und eine Be­ gleitmaßnahme zum Festhalten bzw. zur Ingewahrsamnahme195 dar.196 Sie kann auch die Identitätsfeststellung begleiten197 oder zu deren Durchsetzung198 vor­ genommen werden. In allen Fällen dient sie denselben Schutzgütern wie die Maßnahme, die sie begleitet, vorbereitet oder durchsetzt.199 Darüber hinaus ist die Durchsuchung von Personen vorgesehen, die sich in hilfloser Lage befin­ den 200, an gefährlichen und gefährdeten Orten aufhalten 201 oder im Rahmen bestimmter Kontrollmaßnahmen bzw. an Kontrollstellen angetroffen werden 202. Insoweit dient die Durchsuchung dem Schutz subjektiver Rechtsgüter oder der Unverletzlichkeit der Rechtsordnung.203 Der Katalog der tauglichen Gründe va­ riiert in Einzelheiten je nach Bundesland. Berücksichtigt man den situativen Kontext der Durchsuchung im Rahmen des Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ, ist beson­ deres Augenmerk auf die zweitgenannte Grundlage zu richten, d. h. auf die Durchsuchung bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Freiheitsentziehung oder -beschränkung.204 Der Zweck der Maßnahme besteht darin, den Schutz des Festgehaltenen vor einer Selbstverletzung oder Selbsttötung, eine Eigensiche­ rung des einschreitenden Bediensteten und den Schutz von Sachen zu gewähr­ leisten sowie die Maßnahme (Durchsetzung des Festhaltens) und den Maßnah­ meerfolg (Fluchtvereitelung) zu sichern.205 Gesucht wird also nach Sachen, die Kay, Allgemeines Verwaltungs- und Eingriffsrecht, Bd.  2, S.  560 f. Z. B. §  21 Abs.  1 Nr.  2 Bbg­PolG; §  59 Abs.  1 Nr.  1 SOG M-V; §  34 Abs.  1 Nr.  1 ASOG Bln; §  23 Abs.  1 Nr.  2 SächsPolG; §  43 Abs.  1 Nr.  2 BPolG. 195  Z. B. §  21 Abs.  1 Nr.  1 Bbg­PolG; §  59 Abs.  1 Nr.  2 SOG M-V; §  34 Abs.  2 Nr.  1 ASOG Bln; §  23 Abs.  1 Nr.  1 SächsPolG; §  43 Abs.  1 Nr.  1 BPolG. 196  Kingreen/Poscher, in: Pieroth/Schlink/Kniesel, §  18 Rn.  6. 197  Z. B. §  21 Abs.  2 Bbg­PolG; §  53 Abs.  1 Nr.  3 SOG M-V; §  34 Abs.  3 ASOG Bln; §  23 Abs.  2 SächsPolG; §  43 Abs.  3 BPolG. 198  Z. B. §  21 Abs.  1 Hs. 1 Bbg­PolG; §  59 Abs.  1 Hs. 1 SOG M-V; §  34 Abs.  2 Hs. 1 ASOG Bln; §  43 Abs.  1 Hs. 1 BPolG. 199  Kingreen/Poscher, in: Pieroth/Schlink/Kniesel, §  18 Rn.  6. 200  Z. B. §  21 Abs.  1 Nr.  3 Bbg­PolG; §  34 Abs.  1 Nr.  2 ASOG Bln; §  43 Abs.  1 Nr.  3 BPolG. 201  Z. B. §  21 Abs.  1 Nr.  4 u. 5 Bbg­PolG; §  59 Abs.  1 Nr.  3 SOG M-V; §  34 Abs.  2 Nr.  2 u. 3 ASOG Bln; §  23 Abs.  1 Nr.  4 u. 5 SächsPolG; §  43 Abs.  1 Nr.  4, Abs.  2 BPolG. 202  Z. B. §  21 Abs.  1 Nr.  1 Bbg­PolG; §  34 Abs.  2 Nr.  1 ASOG Bln. 203  Kingreen/Poscher, in: Pieroth/Schlink/Kniesel, §  18 Rn.  7 f. 204  Mit dem Festhalten im Sinne der polizeirechtlichen Durchsuchungsermächtigungs­ grundlagen ist sowohl die Freiheitsentziehung i. S. v. Art.  104 Abs.  2 GG als auch die Frei­ heitsbeschränkung gemeint, Rachor, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil E Rn.  581. Einige Polizeigesetze unterscheiden ausdrücklich zwischen Anhalten und Festhalten (§  53 Abs.  1 S.  2 SOG M-V) bzw. Festhalten und Gewahrsam (§  23 Abs.  1 Nr.  1 SächsPolG). 205  Kay, Allgemeines Verwaltungs- und Eingriffsrecht, Bd.  2 , S.  563. Vgl. auch §  53 193 

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

als Angriffs- oder Fluchtmittel verwendet werden können.206 Die Einräumung der Befugnis wird schließlich „von einem hohen Eigensicherungsbedürfnis der Polizei bei Transporten in engen räumlichen Verhältnissen“ getragen.207 Einige Polizeigesetze enthalten für die Durchsuchung angesichts der Vorführung oder Verbringung sogar eine besondere Ermächtigungsgrundlage: Soweit dies nach den Umständen zum Schutz des Polizeivollzugsbediensteten oder eines Dritten gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich erscheint, kann eine vorzu­ führende oder zu verbringende Person nach Waffen, anderen gefährlichen Werkzeugen und Explosivmitteln durchsucht werden.208 Durch die Personendurchsuchung, sei es auf der strafprozessualen, sei es auf der polizeirechtlichen Grundlage, sollen körperfremde209 Gegenstände aufge­ funden werden, die sich „in oder an der Kleidung des Betroffenen, an seiner Körperoberfläche oder in den ohne Hilfsmittel einsehbaren Körperöffnungen oder Körperhöhlen“ befinden.210 Gestattet wird demnach eine Nachschau in den Jacken-, Mantel- oder Hosentaschen einer Person, das Abtasten ihres Körpers211 sowie die Einsicht in den Mund, die Ohren oder die Achseln.212 Nicht erfasst ist hingegen eine Personenuntersuchung,213 die auf die Feststellung der Beschaf­ fenheit und des Zustandes des Körpers und seiner Organe abzielt214 und über das bloße Betrachten oder Ertasten des Äußeren eines Menschen hinausgeht215. Abs.  1 Nr.  2 SOG M-V, wonach die Durchsuchung bei Vorliegen der Voraussetzungen für ein Festhalten oder Anhalten dann durchgeführt werden kann, wenn sie „zum Schutz der Person oder zur Eigensicherung des Amtsträgers erforderlich ist“. 206  Götz/Geis, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn.  50. 207  Rachor, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil E Rn.  582. 208  Z. B. §  21 Abs.  2 S.  2 Bbg­PolG; §  34 Abs.  3 ASOG Bln. 209  Rachor, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil E Rn.  594; Kay, Allgemeines Verwal­ tungs- und Eingriffsrecht, Bd.  2, S.  554; Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S.  201. 210  Legaldefinition in §  19 Abs.  2 BremPolG; vgl. auch §  54 Abs.  1 SOG M-V: „Bei der Durchsuchung einer Person können der Körper, die Kleidung, der Inhalt der Kleidung und die sonstigen am Körper getragenen Sachen durchsucht werden.“ Siehe ferner die damit über­ einstimmenden Definitionen bei Niehörster, Brandenburgisches Polizeigesetz, Pkt.  1.9.1.1 S.  73; Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S.  201; Rachor, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil E Rn.  574 f.; Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn.  245 und – in Bezug auf eine strafprozessuale Durchsuchung – bei Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, §  102 Rn.  9; Tsambikakis, in: LR, §  102 Rn.  37; Bruns, in: KK-StPO, §  102 Rn.  10; Pfeiffer, StPO, §  102 Rn.  2. 211  Rachor, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil E Rn.  574. 212  Kay, Allgemeines Verwaltungs- und Eingriffsrecht, Bd.  2 , S.  554. 213  Bruns, in: KK-StPO, §  102 Rn.  10; Pfeiffer, StPO, §  102 Rn.  2; Tsambikakis, in: LR, §  102 Rn.  37; Rachor, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil E Rn.  594. 214  Rachor, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil E Rn.  594; Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S.  201. 215  Rachor, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil E Rn.  575.

C.  Festhalterecht und Begleitbefugnisse

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Unter die Personendurchsuchung fällt ebenso wenig die Durchsuchung von Sachen, da sie in §  102 StPO neben der „Person“ genannt wurden und ihre Durchsuchung in Polizeigesetzen auf eine separate Rechtsgrundlage gestützt ist. Es liegt jedoch nahe, dass im Regelfall nicht nur der Betroffene selbst, son­ dern auch die ihm gehörenden Sachen 216 (so §  102 StPO) bzw. die von ihm mit­ geführten Sachen 217 (so die polizeigesetzlichen Rechtsgrundlagen) durchsucht werden. §  102 (i. V. m. §  111 b Abs.  4) StPO lässt dies unter der allgemeinen Voraussetzung zu, d. h., wenn zu vermuten ist, dass die Maßnahme zur Auffin­ dung von Beweismitteln oder von Verfalls- oder Einziehungsgegenständen füh­ ren werde. Im Rahmen des Polizeirechts eröffnet hingegen bereits die Befugnis zur Personendurchsuchung die Möglichkeit, ebenfalls die Sachen, die die Per­ son mitführt, zu durchsuchen.218 Als taugliche Durchsuchungsobjekte kommen etwa Gepäckstücke, Hand- und Aktentaschen, (nicht am Körper getragene) Kleidungsstücke sowie Fahrzeuge in Betracht.219 Im deutschen Recht muss jede Durchsuchungshandlung daraufhin überprüft werden, zu welchem Zweck bzw. mit welcher Absicht sie vorgenommen wurde bzw. vorzunehmen ist. Aus der Sicht eines deutschen Polizeibeamten muss also gefragt werden, ob die Durchsuchung gemäß Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ der Be­ weisauffindung oder Sicherungszwecken dient. Im ersten Fall wären bei der Ausübung der Befugnis in Deutschland die Vorschriften der Strafprozessord­ nung, im zweiten des anwendbaren Polizeigesetzes zu beachten. b.  Personendurchsuchung und durchsuchungsähnliche Maßnahmen nach dem polnischen Recht Art.  15 Abs.  1 Nr.  4 plPolG ermächtigt die Polizei zur Durchsuchung (przeszukanie) von Personen auf die Art und Weise und in den Fällen, die die Vorschrif­ ten der polnischen Strafprozessordnung und anderer Gesetze regeln. Die Durch­ 216  Das Durchsuchungsrecht erstreckt sich dabei auf alle Sachen, die im (Mit-)Gewahr­ sam des Verdächtigen stehen, unabhängig davon, ob sie sich in seiner Nähe befinden, Bruns, in: KK-StPO, §  102 Rn.  11; Hartmann, in: Dölling/Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  102 StPO Rn.  8. 217  Vom Mitführen ist dann die Rede, wenn der Betroffene zu jedem Zeitpunkt auf die Sache zugreifen kann, Rachor, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil E Rn.  613. 218  Z. B. §  22 Abs.  1 Nr.  1 Bbg­PolG; §  57 Nr.  1 SOG M-V; §  35 Abs.  1 Nr.  1 ASOG Bln; §  24 Nr.  1 SächsPolG. 219  In Bezug auf polizeigesetzliche Durchsuchung Rachor, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil E Rn.  609; Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn.  248; in Bezug auf strafprozessuale Durchsuchung Bruns, in: KK-StPO, §  102 Rn.  11; Hartmann, in: Dölling/Duttge/König/ Rössner (Hrsg.), §  102 StPO Rn.  8; Tsambikakis, in: LR, §  102 Rn.  36; Pfeiffer, StPO, §  102 Rn.  2.

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

suchung stellt eine prozessuale Tätigkeit dar,220 die gemäß Art.  219 §  1 und 2 plStPO zum Zwecke der Ermittlung oder der Festnahme oder der zwangsweisen Vorführung einer tatverdächtigen Person sowie zum Zwecke der Auffindung von beweisdienlichen oder beschlagnahmefähigen Gegenständen vorgenom­ men wird. Als legitime Durchsuchungsobjekte fungieren Räumlichkeiten und andere Orte (Art.  219 §  1 plStPO) sowie eine Person, ihre Kleidung und die von ihr mitgeführten Gegenstände (Art.  219 §  2 plStPO), wobei in drei letzten Fällen die Maßnahme alleine auf das Auffinden von beweisdienlichen oder beschlag­ nahmefähigen Sachen gerichtet ist (Art.  219 §  2 plStPO).221 Die Aufnahme von „Kleidung“ in den Katalog durchsuchungstauglicher Objekte lässt darauf schließen, dass sich die Personendurchsuchung – anders als im deutschen Straf­ prozessrecht – lediglich auf den Körper des Betroffenen bezieht.222 Im Gegen­ satz zur Augenscheinnahme nach Art.  207 f. plStPO erfasst wird hier aber nicht nur die Durchsuchung der Körperoberfläche, sondern auch der Körperöffnun­ gen.223 Es liegt nahe, dass eine Personendurchsuchung üblicherweise durch eine Durchsuchung der am Körper getragenen Kleidungsstücke und der mitgeführ­ ten Gegenstände begleitet wird.224 Voraussetzung für die Durchführung jeder dieser Maßnahmen ist jedoch das Vorliegen triftiger Gründe für die Annahme, dass sich die beweisdienlichen oder beschlagnahmefähigen Sachen beim Be­ troffenen, in seiner Kleidung oder in den von ihm mitgeführten Gegenständen befinden (Art.  219 §  2 i. V. m. Art.  219 §  1 in fine plStPO). Als „mitgeführte Ge­ genstände“ werden im Schrifttum Koffer, Hand-, Reise- und Aktentaschen so­

220  Grzegorczyk/Tylman, Polskie postępowanie, Rn.  1224; Karaźniewicz, in: Hofmański (Hrsg.), S.  275 (277). 221  Grzegorczyk, Kodeks postępowania, Art.  219 Rn.  2; Stefański, in: Gostyński (Hrsg.), Art.  219 Rn.  1, 3. 222 Anders Skorupka, in: Skorupka (Hrsg.), Art.  219 Rn.  5, der die Personendurchsuchung auf die Durchsuchung der Kleidung erstreckt. 223  Waltoś/Hofmański, Proces karny, Rn.  766; Hofmański/Sadzik/Zgryzek, Kodeks, Art.  223 Rn.  4; Grzegorczyk, Kodeks postępowania, Art.  223 Rn.  3. Nicht überzeugend ist hingegen die Ansicht, nach der im Rahmen der Durchsuchung eine Röntgendurchleuchtung, eine Ultraschalluntersuchung sowie das Verabreichen von Brechmitteln zulässig sind (so aber Waltoś/Hofmański, Proces karny, Rn.  766; Hofmański/Sadzik/Zgryzek, Kodeks, Art.  223 Rn.  4; siehe auch Kaznowski, WPP 3/2008, 63 [70]), auch wenn sie von einem Arzt durchge­ führt werden sollen und nur dann, wenn sie die Gesundheit nicht gefährden und ihre Durch­ führung unerlässlich ist (mit dieser Einschränkung Waltoś/Hofmański, Proces karny, Rn.  766). Diese Auffassung verkennt die vom Gesetzgeber vorgenommene Abgrenzung zwi­ schen einer Durchsuchung nach Art.  219 plStPO und einer körperlichen Untersuchung nach Art.  74 §§  2, 3 plStPO, vgl. Grzegorczyk, Kodeks postępowania, Art.  223 Rn.  3. 224 Vgl. Grzegorczyk, Kodeks postępowania, Art.  219 Rn.  2.

C.  Festhalterecht und Begleitbefugnisse

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wie sonstige Packungen qualifiziert,225 nicht dagegen Fahrzeuge, die dem Be­ griff „andere Orte“ aus Art.  219 §  1 plStPO subsumiert werden 226. Des Weiteren kann die Polizei gemäß Art.  15 Abs.  1 Nr.  5 plPolG im Rahmen der Wahrnehmung ihrer Aufgaben eine persönliche Kontrolle (kontrola osobista) durchführen. Laut §  14 Abs.  1 Nr.  2 der Verordnung des Ministerrates vom 29. September 2015 über die Vorgehensweise bei der Ausübung einiger Polizei­ befugnisse227 werden im Rahmen der persönlichen Kontrolle der Inhalt der Kleidung des Betroffenen sowie die Gegenstände, die sich an seinem Körper befinden, überprüft, ohne dass die mit Kleidung bedeckte Körperoberfläche entkleidet wird. Die Kontrolle zeichnet sich somit durch eine im Vergleich zur Durchsuchung geringere Eingriffsintensität aus.228 Sie beschränkt sich auf ein bloß oberflächliches Abtasten einer Person. Im nächsten Schritt229 ist der Inhalt des Handgepäcks sowie anderer Gegenstände, die die kontrollierte Person mit sich führt, zu überprüfen (§  14 Abs.  1 Nr.  3 der Verordnung). Im Anschluss da­ ran werden dem Betroffenen die Waffe oder andere gefährliche Gegenstände, die zur Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit dienen können, oder Gegenstände, die als Beweismittel im Verfahren dienen können oder die der Einziehung unterliegen, abgenommen (§  14 Abs.  1 Nr.  4 der Verordnung). Vor­ aussetzung für die Vornahme einer persönlichen Kontrolle ist das Vorliegen eines begründeten Verdachts einer verbotenen Tat.230 Die Kontrolle stellt gleich­ wohl eine außerprozessuale Maßnahme dar;231 sie darf nur im Vorfeld und nicht Grzegorczyk, Kodeks postępowania, Art.  219 Rn.  1. Waltoś/Hofmański, Proces karny, Rn.  767; Grzegorczyk, Kodeks postępowania, Art.  219 Rn.  1; Grzegorczyk/Tylman, Polskie postępowanie, Rn.  1212; Skorupka, in: Skorup­ ka (Hrsg.), Art.  219 Rn.  5; Młynarczyk, Prok. i Pr. 4/1996, 97 (100). 227  Dz. U. 2015, Pos. 1565. Die gesetzliche Ermächtigung zur Festlegung der Art und Weise der Durchführung persönlicher Kontrolle im Wege einer Verordnung des Ministerra­ tes ist in Art.  15 Abs.  8 plPolG verankert. 228  Babieracki/Konewko/Młynarski, Sprawdzenie osoby, S.  11. 229  §  14 der Verordnung des Ministerrates v. 29.9.2015 legt eine bestimmte Reihenfolge der im Rahmen einer persönlichen Kontrolle durchzuführenden Maßnahmen fest. 230  Der Moment, in dem sich die Möglichkeit der persönlichen Kontrolle eröffnet, kann sich folglich mit dem Moment überschneiden, in dem nach Art.  303 plStPO ein Grund für die Einleitung eines Strafverfahrens (Waltoś/Hofmański, Proces karny, Rn.  770) und für die Vor­ nahme entsprechender Handlungen, darunter einer (prozessualen) Durchsuchung, entsteht. Die Letztgenannte kann nämlich bei Gefahr im Verzug, soweit dies zur Sicherung von Spu­ ren und Beweisen einer Straftat vor Verlust, Verunstaltung oder Zerstörung unerlässlich ist, bereits vor der (formellen) Einleitung des Verfahrens durchgeführt werden (Art.  308 §  1 plSt­ PO). Kritisch dazu Szumiło-Kulczycka, PiP 3/2012, 34 (36 f.); Karaźniewicz, in: Hofmański (Hrsg.), S.  275 (280 f.); Młynarczyk, Prok. i Pr. 4/1996, 97 (105 f.); Kaznowski, WPP 3/2008, 63 (71 f.). 231  Grzegorczyk/Tylman, Polskie postępowanie, Rn.  1224. Die persönliche Kontrolle wird im Schrifttum überwiegend als eine administrativ-ordentliche Tätigkeit qualifiziert, so Ba225 

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im Rahmen eines Strafverfahrens durchgeführt werden.232 Ohne Bedeutung ist dabei, ob das Strafverfahren formal oder tatsächlich, etwa durch eine Flagranz­ festnahme, eingeleitet wurde. Eine weitere durchsuchungsähnliche Maßnahme – die Personenüberprüfung (sprawdzenie osoby) – wurde in der bereits erwähnten Anordnung Nr.  360 des Hauptkommandanten der Polizei, also in einem Rechtsakt untergesetzlichen Rangs, vorgesehen. §  36 Abs.  1 der Anordnung gebietet es, vor dem Vorfüh­ rungsbeginn genau zu überprüfen, ob die vorzuführende Person Gegenstände mit sich führt, die ihren Eigenschaften nach eine Gefährdung für das Leben oder die Gesundheit eines Menschen herbeiführen können. Die Überprüfung hat insoweit präventiven Charakter.233 Die Vorführung ist in §  1 Abs.  3 Nr.  3 der Anordnung legal definiert, und zwar als Gesamtheit der Tätigkeiten, die mit der Verbringung einer Person, der die Freiheit entzogen wurde, zu einer Polizei­ dienststelle oder zu einer anderen Stelle, die durch Rechtsvorschriften oder von einer berechtigten Behörde bestimmt wurde, verbunden sind. Die Überprü­ fungspflicht bezieht sich somit auch auf Fälle, in denen eine Person auf frischer Tat oder im Anschluss an eine Verfolgung festgenommen wurde und der Be­ dienstete sie in eine Polizeieinheit überführt, um sie in einen für die festgenom­ menen Personen vorgesehenen Raum zu verbringen oder ihre Teilnahme an prozessualen Tätigkeiten zu ermöglichen (vgl. §  34 Abs.  1 Nr.  2 lit.  a und c der Anordnung Nr.  360).234 Die Anordnung Nr.  360 normiert nicht die Art und Weise, auf die die Maß­ nahme durchzuführen ist bzw. durchgeführt werden darf. Es besteht kein Zwei­ fel, dass die vollständige Eliminierung von Gefahrenquellen im Interesse der Bediensteten liegt, da sie während der Beförderung begrenzte Abwehr- bzw. Reaktionsmöglichkeiten haben. Das Erreichen des Sicherungszwecks kann un­ ter Umständen auch eine Entkleidung bestimmter Körperteile erfordern, zumal Gegenstände geringerer Größe, wie etwa eine Rasierklinge, unter der Kleidung gar nicht spürbar sein müssen.235 Problematisch ist jedoch, dass die Überprü­ fung – anders als die Durchsuchung und die persönliche Kontrolle – nicht auf einer gesetzlichen Grundlage, sondern auf einem Durchführungsakt basiert. bieracki/Konewko/Młynarski, Sprawdzenie osoby, S.  11; Karaźniewicz, in: Hofmański (Hrsg.), S.  275 (276); Karczmarczyk, in: Czyżyk/Karczmarczyk/Kosiński, S.  39; anders Młynarczyk, Prok. i Pr. 4/1996, 97 (105), der darin eine operativ-erkennungsdienstliche Maßnah­ me sieht. 232  Babieracki/Konewko/Młynarski, Sprawdzenie osoby, S.  16; Karaźniewicz, in: Hof­ mański (Hrsg.), S.  275 (281); vgl. auch Grzegorczyk/Tylman, Polskie postępowanie, Rn.  1224. 233  Karczmarczyk, in: Czyżyk/Karczmarczyk/Kosiński, S.  35; Babieracki/Konewko/Młynarski, Sprawdzenie osoby, S.  7 ff. 234 Vgl. Babieracki/Konewko/Młynarski, Sprawdzenie osoby, S.  9 f. 235  Babieracki/Konewko/Młynarski, Sprawdzenie osoby, S.  8.

C.  Festhalterecht und Begleitbefugnisse

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Die Einschränkung der Rechte, einschließlich der in diesem Fall tangierten Rechte auf körperliche Unversehrtheit aus Art.  41 Abs.  1 plVerf und auf Schutz der Privatsphäre aus Art.  47 plVerf,236 kann indes nur im Gesetz erfolgen (Art.  31 Abs.  3 S.  1 plVerf). Selbst ein bloß oberflächliches Abtasten des Festge­ nommenen, und exakter seiner Bekleidung im Rahmen der Personenüberprü­ fung, wäre folglich mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht konform.237 Eine gesetzliche Regelung ist zwingend geboten, da sich die Personenüberprü­ fung als natürliche Konsequenz der Festnahme eines Tatverdächtigen darstellt. Man darf den Polizeibeamten nicht vor die Wahl stellen, den Festgenommenen entweder nach Waffen und sonstigen gefährlichen Gegenständen verfassungs­ widrigerweise zu durchsuchen oder von der Maßnahme abzusehen und sich oder einen Dritten hierdurch einer Gefahr für Leib oder Leben auszusetzen.238 c.  Schlussfolgerung für die Durchsuchung auf der Grundlage des Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ aa.  Zweck der Durchsuchung Vor dem Hintergrund der nationalen Regelungen zur Personendurchsuchung (im weiteren Sinne) ist zu fragen, auf die Durchführung welcher Maßnahmen sich die Befugnis aus Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ erstreckt. Der in der deutschen Normfassung angewandte Begriff „Sicherheitsdurchsuchung“ korrespondiert mit dem polizeirechtlichen Verständnis der Durchsuchung als eine präventive Tätigkeit, die im Falle der Festnahme bzw. Vorführung zur Eigen- oder Fremd­ sicherung vorgenommen wird. Der Wortteil „Sicherheit“ des Kompositums legt nahe, dass der Schwerpunkt der Maßnahme darin liegt, die Sicherheit zu ge­ währleisten, und nicht – was für die strafprozessuale Durchsuchung typisch ist – Beweismittel aufzufinden. Die Lektüre der polnischen Fassung führt zum umgekehrten Schluss: Mit „przeszukanie“ verwendet Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ einen Begriff, der grund­ 236  Vgl. Urteil des Verfassungsgerichtshofs v. 29.10.2013, U 7/12, OTK-A 2013/7/102 zu verfassungsrechtlichen Anforderungen an die persönliche Kontrolle. 237 Siehe aber Karczmarczyk, in: Czyżyk/Karczmarczyk/Kosiński, S.  36 ff. Der Autor stellt klar, dass der Umfang der Personenüberprüfung von der Art der Maßnahme abhängt, die sie einleitet. Den weitestgehenden Eingriff stelle die Überprüfung anlässlich einer Ver­ bringung in einen Raum für festgenommene Personen dar, die u. a. die Suche in natürlichen Körperöffnungen und das vollständige Entkleiden umfasse. Beim Festhalten und bei der Vor­ führung müsse sich der überprüfende Polizist auf ein genaues Abtasten der Person über ihrer Kleidung beschränken. Die „verkürzte“ Form der Überprüfung lasse sich wohl mit techni­ schen Gegebenheiten erklären, etwa bei der Festnahme an einem öffentlichen Ort. 238  Vgl. kritische Anmerkungen von Kudrelek, Policja KKKP 2/2009, 24 (28), siehe dort vor allem Fn.  24.

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sätzlich eine prozessuale Tätigkeit bezeichnet. Die Sicherungszwecken dienen­ de Personenüberprüfung fällt nicht darunter. Die Bedenken bestärkt der Inhalt des an die polnischen grenzüberschreitend verfolgenden Bediensteten adres­ sierten §  15 Abs.  2 der Anordnung Nr.  1355 des Hauptkommandanten der Poli­ zei. Er legt fest, dass die nacheilenden Polizisten eine Kontrolle der Person durchführen, um ihr eine Waffe oder sonstige gefährliche Gegenstände abzu­ nehmen sowie die Beweise einer Straftat vor ihrem Verlust oder ihrer Entstel­ lung zu schützen. Die Vorschrift bedient sich zwar des Begriffs „Kontrolle“ anstatt „Durchsuchung“. Aus ihrer Zielsetzung könnte man aber auf die Zuläs­ sigkeit der Durchsuchung sowohl zur Eigen- bzw. Fremdsicherung als auch zur Beweissicherung schließen. Die französische Formulierung „fouille de sécurité“, die niederländische „veiligheids fouillering“ oder die englische „security search“ aus Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ verdeutlichen wiederum den präventiven Charakter der Maßnahme. Denn der Begriff der Durchsuchung wird jeweils durch den Zusatz „Sicherheit“ (sécurité, veiligheid, security) begleitet und insoweit präzisiert. Im Schrifttum wird vertreten, dass die ausländischen Bediensteten den Be­ troffenen nur aus Sicherheitsgründen und nicht zum Zwecke der Beweisauffin­ dung durchsuchen dürfen.239 Diesem Standpunkt ist zuzustimmen. Zum einen entspricht er dem Willen der „Väter“ des Übereinkommens, der im Wortlaut der drei originären Sprachfassungen vermittelt wird; zum anderen wird er durch die Systematik und Ratio des Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ untermauert. In den Vorder­ grund der Anschlusstätigkeiten rückt ihr präventiver Charakter. Die Vorschrift lässt die (Sicherheits-)Durchsuchung nur im Zusammenhang mit der Vorfüh­ rung des Festgehaltenen vor die lokalen Behörden zu. Handschellen dürfen ihm nur während der Beförderung angelegt werden. Diese Maßnahmen werden ein­ deutig von der „Notwendigkeit zur Sicherstellung der polizeilichen Vorfüh­ rung“ getragen.240 Eine über den Sicherungszweck hinausgehende, bewusst auf die Beweiserlangung gerichtete Kontrollmaßnahme würde daher mit dem Sinn und Zweck des Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ konfligieren. 239  Joubert/Bevers, Schengen Investigated, S.  380 f.; Harings, Grenzüberschreitende Zu­ sammenarbeit, S.  79; Mokros, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil O Rn.  254; Schober, Euro­ päische Polizeizusammenarbeit, S.  106; so auch Häfele, Rechtsschutz gegen Nacheilemaß­ nahmen, S.  34 in Bezug auf den Begriff „Sicherheitsdurchsuchung“ aus Art.  16 Abs.  4 Nr.  3 S.  1 des deutsch-schweizerischen Kooperationsvertrags. Vgl. auch die mit Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ korrespondierenden Regelungen des Art.  8a Abs.  7 S.  1 des polnisch-slowakischen Ko­ operationsvertrags und des Art.  11 Abs.  7 S.  1 des polnisch-tschechischen Kooperationsver­ trags, wonach die nacheilenden Beamten die festgehaltene Person durchsuchen können, um ihr Waffen und sonstige gefährliche Gegenstände abzunehmen. 240  Kattau, Strafverfolgung, S.  117.

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bb.  Art und Weise der Durchsuchung Im Lichte des Vorgenannten ist unter dem Begriff „Sicherheitsdurchsuchung“ bzw. „przeszukanie“ aus Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ eine solche Maßnahme zu verstehen, die in der Suche nach Gegenständen besteht, von denen Gefahren ausgehen oder die gefährlich eingesetzt werden können, und die auf die Sicher­ stellung der Vorführung der ergriffenen Person gerichtet ist. Denselben Zwe­ cken dient in Deutschland die in den Polizeigesetzen des Bundes und der Länder vorgesehene Durchsuchungsbefugnis im Zusammenhang mit dem Festhalten bzw. mit der Vorführung, sodass die polnischen Bediensteten bei der Ausübung des Rechts aus Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ auf dem deutschen Hoheitsgebiet die für die polizeigesetzlichen Durchsuchungen geltenden Grundsätze beachten müs­ sen (Art.  41 Abs.  5 lit.  a SDÜ). Zulässig sind danach nicht nur das Abtasten und die Überprüfung des Inhalts der Bekleidung und sonstiger am Körper getrage­ ner Sachen, sondern auch das Abtasten der Körperoberfläche sowie die Suche in den ohne Weiteres zugänglichen Körperhöhlen und -öffnungen. Die ergriffenen Maßnahmen müssen gleichwohl dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspre­ chen, d. h. zum Erreichen des (Sicherungs-)Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen sein. Angesichts dessen ist insbesondere das Verlangen, sich zu entkleiden, nur bei Aussichtslosigkeit des bloßen Abtastens des Äußeren zuläs­ sig, wobei auch dann das Entkleiden stufenweise zu erfolgen hat.241 Die Durch­ suchung ist grundsätzlich von Bediensteten gleichen Geschlechts oder von Ärz­ ten durchzuführen, um dem Schamgefühl und der Würde Rechnung zu tra­ gen.242 Dies gilt allerdings nicht, wenn die sofortige Durchsuchung zum Schutz gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist.243 Die Beurteilung hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Im umgekehrten Fall der Fortsetzung einer in Deutschland aufgenommenen Verfolgung in Polen ist die Feststellung der einschlägigen Durchsuchungsregeln schwieriger. Die Befugnis der nacheilenden Polizeibeamten entspricht einer Personenüberprüfung i. S. v. §  36 Abs.  1 der Anordnung Nr.  360. Sie dient gera­ de der Feststellung, ob die vorzuführende Person gefährliche Gegenstände mit sich führt und ist insoweit auf die Sicherheitsgewährleistung bei der Wahrneh­ mung polizeilicher Aufgaben im Zusammenhang mit der Festnahme gerichtet. Da die Personenüberprüfung den verfassungsrechtlichen Anforderungen zuwi­ 241  Rachor, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil E Rn.  593. Der Grund dafür ist, dass eine mit der Entkleidung verbundene Durchsuchung einen schwerwiegenden Eingriff in das Per­ sönlichkeitsrecht darstellt, BVerfG, NJW 2004, 1728 (1729). 242  Rachor, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil E Rn.  591. 243  Z. B. §  21 Abs.  3 Hs. 2 Bbg­PolG; §  54 Abs.  2 Hs. 2 SOG M-V, wobei hier von einer bevorstehenden Gefahr die Rede ist; §  34 Abs.  4 Hs. 2 ASOG Bln; §  23 Abs.  3 Hs. 2 Sächs­ PolG; §  43 Abs.  4 BPolG.

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der jedoch keine Stütze im Gesetz findet, besteht kein Raum für eine Diskussion über ihren Umfang bzw. die Art und Weise ihrer Durchführung. Die missliche Rechtslage in Polen scheint gleichwohl für die Wahrnehmung der Schengener Durchsuchungsbefugnis durch die nacheilenden deutschen Beamten keine Rol­ le zu spielen, weil die Überprüfung, ob der Betroffene gefährliche Gegenstände mitführt, nicht auf den innerstaatlichen Rechtsgrundlagen, sondern auf der Grundlage des Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ erfolgt. Die Überprüfung muss zwar gemäß Art.  41 Abs.  5 lit.  a SDÜ nach Maßgabe des polnischen Rechts durchge­ führt werden. Mangels entsprechender einfachgesetzlicher Vorgaben dürfte man aber die Grenzen des Zulässigen in diesem Fall wohl in den verfassungs­ rechtlichen Grundsätzen der Achtung der Menschenwürde (Art.  30 S.  3 plVerf) und der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs gegenüber seinem Zweck (Art.  31 Abs.  3 S.  2 plVerf) sehen.244 cc.  Kritische Anmerkungen zur Schengener Durchsuchungsregelung (1)  Durchsuchungsbefugnis im Falle der Übergabe am Festhalteort? Im deutschen Recht impliziert die Tatsache des Festhaltens bzw. Festnehmens die Befugnis zu einer polizeirechtlichen Durchsuchung. Auch die Personen­ überprüfung soll sich, obwohl sie keine verfassungsmäßige Maßnahme dar­ stellt, nach der Anordnung Nr.  360 des Hauptkommandanten der Polizei der prozessualen Festnahme anschließen. Indes ist das Durchsuchungsrecht aus Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ ausweislich des Wortlauts an die in Aussicht stehende Vorführung geknüpft. Diese Zielsetzung scheint die Möglichkeit der Durchsu­ chung auszuschließen, wenn die nacheilenden Bediensteten, etwa auf Verlan­ gen der lokalen Beamten, mit dem Ergriffenen bis zu ihrem Eintreffen am Fest­ halteort bleiben. Eine solche Lösung überzeugt freilich nicht. Das Risiko, dass der Verfolgte eine Waffe oder eine andere gefährliche Sache mitführt und zur Flucht zu dieser greift, sollte nicht nur bei seiner Vorführung, sondern auch bei der Übergabe am Festhalteort eliminiert werden. Es sind keine Gründe für diese differenzierende Betrachtungsweise ersichtlich. Die Annahme einer Durchsu­ chungsbefugnis würde insbesondere den Sicherungscharakter der Maßnahme nicht beseitigen. Es spricht daher einiges dafür, dass es sich um keine bewusste Regelungslücke handelt, sondern um ein bloßes Übersehen der anderen Überga­ bemöglichkeit neben der Vorführung. Um zu einem sachgerechten Ergebnis zu 244  Durch die Rechtsbindung i. S. v. Art.  41 Abs.  5 lit.  a SDÜ bzw. Art.  36 Abs.  1 S.  1 ­ olAbk wird auch die Grundrechtsbindung erfasst, Wolff, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska P (Hrsg.), S.  19 (35); siehe auch Cremer, ZaöRV 60 (2000), 103 (117 f.) in Bezug auf den deutsch-schweizerischen Kooperationsvertrag.

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kommen, müsste man den Begriff „Vorführung“ nicht im Sinne der Tätigkeit eines Ortswechsels, sondern ihres Erfolgs, d. h. der Übergabe, auslegen. (2)  Taugliche Durchsuchungsobjekte Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ berechtigt die nacheilenden Bediensteten, die „ergrif­ fene Person“ zu durchsuchen. Nach dem deutschen Polizeirecht bezieht sich eine solche Maßnahme auf den Betroffenen selbst (auf seinen Körper) und auf seine Bekleidung. Die Überprüfung der von ihm mitgeführten Sachen fällt un­ ter die Durchsuchung von Sachen und ist gesondert geregelt. Die Befugnis zur Personendurchsuchung impliziert jedoch die Möglichkeit, auch die Gegenstän­ de zu durchsuchen, welche die betroffene Person bei sich hat.245 Gleiches ergibt sich aus §  36 Abs.  1 der Anordnung Nr.  360 in Bezug auf die Personenüberprü­ fung: Dem Gebot der Überprüfung, ob die vorzuführende Person gefährliche Gegenstände „mitführt“, lässt sich entnehmen, dass sich die Maßnahme in der Annahme des Hauptkommandanten der Polizei auch auf die nicht direkt am Körper getragenen griffbereiten Sachen erstreckt.246 Der Einbeziehung der vom Festgehaltenen mitgeführten Objekte in die Durchsuchung nach Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ könnte der Wortlaut entgegenste­ hen, wonach die „ergriffene Person“ – und nicht etwa die „ergriffene Person und die von ihr mitgeführten Gegenstände“ – einer Sicherheitsdurchsuchung unter­ zogen werden kann. Andererseits kann der Zweck der Maßnahme nur dann er­ reicht werden, wenn sie sich auch auf die Sachen erstreckt, auf die der Kontrol­ lierte jederzeit zugreifen kann.247 Plakativ gesprochen: Das Recht, den über die Grenze verfolgten Attentäter zu durchsuchen, ohne den Inhalt seines mögli­ cherweise mit weiteren Sprengmitteln gefüllten Rucksacks überprüfen zu dür­ fen, würde zu der mit Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ angestrebten Sicherheitsgewähr­ leistung und Sicherstellung der Vorführung kaum beitragen. Die Ratio der Re­ gelung spricht also für die Annahme der Durchsuchungsbefugnis im weiten Sinne: Die nacheilenden Beamten sind demnach berechtigt, nach Maßgabe des Rechts des Gebietsstaates sowohl die festgehaltene Person samt ihrer Beklei­ dung als auch die Gegenstände, die sie bei sich hat, zu überprüfen. Es ist in diesem Kontext daran zu erinnern, dass die deutsche Lehre dem Begriff „mitgeführte Sachen“ aus den polizeigesetzlichen Durchsuchungsrege­ 245 

Siehe z. B. §  22 Abs.  1 Nr.  1 Bbg­PolG. Auch die persönliche Kontrolle i. S. v. Art.  15 Abs.  1 Pkt.  5 plPolG umfasst, wie oben dargelegt, die Überprüfung eines Handgepäcks und anderer Gegenstände, die die kontrol­ lierte Person mit sich führt. 247  Vgl. in Bezug auf das nationale Recht Rachor, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil E Rn.  613; Kay, Allgemeines Verwaltungs- und Eingriffsrecht, Bd.  2, S.  576. 246 

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lungen ebenfalls Fahrzeuge subsumiert. Die Zulässigkeit deren Überprüfung bei Nacheilen nach Polen müsste man dagegen infrage stellen. Denn das Fahr­ zeug genießt in Art.  50 S.  2 plVerf einen separaten verfassungsrechtlichen Schutz.248 Auch im Strafprozessrecht wird, wie oben angedeutet, zwischen der Durchsuchung von Fahrzeugen (Art.  219 §  1 plStPO) und der Durchsuchung von Gegenständen, die der Betroffene bei sich hat (Art.  219 §  2 plStPO), unter­ schieden. Da sich die Befugnis zur Fahrzeugdurchsuchung nicht ausdrücklich aus der Schengener Regelung ergibt249 und im polnischen Recht eine gesetz­liche Grundlage für die Durchsuchung des Fahrzeugs eines Festgenommenen aus Si­ cherheitsgründen fehlt, ist zu bedauern, dass die Frage der Sicherheitsdurchsu­ chung im Polizeiabkommen (2014) nicht normiert wurde. Gerade auf der bilate­ ralen Ebene könnte man die Schengener Durchsuchungsbefugnis derart präzi­ sieren, dass sie sich je nach dem Willen der Parteien auf die ergriffene Person und die von ihr mitgeführten Sachen, unter Ein- oder Ausschluss des von ihr geführten Fahrzeugs, erstreckt. 2.  Sicherstellung mitgeführter Gegenstände Art.  41 Abs.  5 lit.  f. SDÜ ermächtigt ferner dazu, die von der verfolgten Person mitgeführten Gegenstände sicherzustellen. Er lässt seinem Wortlaut nach die Abnahme aller Sachen zu, die der Festgehaltene zum Zeitpunkt des Ergreifens bei sich führt. Berücksichtigt man den Sicherungszweck der übrigen Begleit­ maßnahmen, so liegt es auf der Hand, dass die Sicherstellung primär auf die Abnahme von denjenigen Gegenständen gerichtet sein soll, von denen Gefah­ ren ausgehen oder die als Angriffs- oder ggf. Fluchtmittel gebraucht werden können. Eine solche Befugnis ist in den Polizeigesetzen des Bundes und Länder vor­ gesehen. Voraussetzung für die Sicherstellung einer Sache, die vom Festgehal­ tenen mitgeführt wird, ist, dass diese verwendet werden kann, um sich zu töten oder zu verletzen, Leben oder Gesundheit anderer zu schädigen, fremde Sachen zu beschädigen oder die Flucht zu ermöglichen oder zu erleichtern.250 Es ge­ nügt, wenn der mitgeführte Gegenstand geeignet ist, einen der genannten Erfol­ ge zu fördern („verwendet werden kann“); auf die konkrete Gefahr bzw. Ver­ 248  Diese Verfassungsnorm legt fest, dass das Fahrzeug nur in den im Gesetz genannten Fällen und auf die gesetzlich bestimmte Art und Weise durchsucht werden darf. 249  Von der Zulässigkeit der Durchsuchung des Fahrzeugs des Verfolgten auf der Grund­ lage des Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ geht aber ohne Weiteres Hecker, Europäisches Strafrecht, Teil II Kapitel 5 Rn.  47 aus. 250  Z. B. §  25 Nr.  3 Bbg­PolG; §  61 Nr.  2 SOG M-V; §  38 Nr.  3 ASOG Bln; §  27 Abs.  1 Nr.  2 SächsPolG; §  47 Nr.  3 BPolG.

C.  Festhalterecht und Begleitbefugnisse

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wendungsabsicht kommt es nicht an.251 Als taugliche Objekte können erlaubnis­ pflichtige Waffen und verbotene Gegenstände im Sinne des Waffengesetzes, Taschenmesser, Schnürsenkel,252 Hosengürtel253, Rasierklingen sowie Werk­ zeuge254 genannt werden. Die Abnahme persönlicher Sachen, etwa von Klei­ dungsstücken, darf jedoch „nicht zum Druck- oder Disziplinierungsmittel wer­ den“, damit sie den Festgehaltenen nicht zu solchen Verhaltensweisen veran­ lasst, auf deren Verhinderung die Sicherstellung gerade abzielt.255 Im Übrigen haben die handelnden Bediensteten – wie bei allen polizeilichen Eingriffen – den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten.256 Im polnischen Recht fehlt eine entsprechende Regelung hinsichtlich der Si­ cherstellung vom Tatverdächtigen mitgeführter Gegenstände im Zusammen­ hang mit dessen Festhalten und anschließender Überprüfung i. S. v. §  36 Abs.  1 der Anordnung Nr.  360 des Hauptkommandanten der Polizei.257 Die Maßnah­ men der nacheilenden deutschen Beamten müssten daher auch hier unmittelbar am Gebot der Achtung der Menschenwürde und am Verhältnismäßigkeits­ grundsatz gemessen werden. Da Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ von „mitgeführten“ und nicht „gefährlichen“ Sa­ chen spricht, liegt die Annahme nahe, dass die Sicherstellung auch der Beweis­ sicherung dienen kann.258 Werden also bei der Sicherheitsdurchsuchung beweis­ dienliche Objekte zufällig entdeckt, dürfen sie dem Betroffenen abgenommen werden,259 damit sie nicht verloren gehen oder entstellt werden. Zu bemerken 251  Kay, Allgemeines Verwaltungs- und Eingriffsrecht, Bd.  2 , S.  411; Rachor, in: Lisken/ Denninger, 5. Aufl., Teil E Rn.  698; Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn.  285. 252  Kay, Allgemeines Verwaltungs- und Eingriffsrecht, Bd.  2 , S.  411. 253  Kay, Allgemeines Verwaltungs- und Eingriffsrecht, Bd.  2 , S.  411; Rachor, in: Lisken/ Denninger, 5. Aufl., Teil E Rn.  701. 254  Rachor, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil E Rn.  701. 255  Rachor, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil E Rn.  701. 256  Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S.  210. 257 Im Schrifttum wird die Befugnis zur Sicherstellung gefährlicher Gegenstände aus dem Zweck der Überprüfung, die auf deren Auffinden gerichtet ist, abgeleitet. Werden Ge­ genstände aufgefunden, die eine Gefahr für Leben oder Gesundheit eines Menschen oder für Vermögen schaffen, ist der handelnde Polizist verpflichtet, der Gefahr entgegenzuwirken (vgl. Art.  1 Abs.  1, Abs.  2 Pkt.  1 plPolG) und diese Gegenstände abzunehmen, Kudrelek, Po­ licja KKKP 2/2009, 24 (27); vgl. auch Karczmarczyk, in: Czyżyk/Karczmarczyk/Kosiński, S.  37 f. Dies begegnet aber deshalb Bedenken, weil selbst die Personenüberprüfung in der gegenwärtigen Rechtslage keine recht- bzw. verfassungsmäßige Maßnahme darstellt. 258  Mokros, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil O Rn.  254; vgl. auch Joubert/Bevers, Schengen Investigated, S.  378; so im Ergebnis auch Häfele, Rechtsschutz gegen Nacheile­ maßnahmen, S.  37 in Bezug auf die Befugnis zur Sicherstellung aus Art.  16 Abs.  4 Nr.  3 S.  3 des deutsch-schweizerischen Kooperationsvertrags. 259 Vgl. Joubert/Bevers, Schengen Investigated, S.  378.

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

ist, dass es bei einem Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ zugrunde liegenden Sachverhalt auch zu einer Überschneidung des präventiven und des repressiven Zwecks kommen kann. Eine Waffe, die bei einer des Totschlags verdächtigen, gren­ züberschreitend verfolgten Person aufgefunden wird, stellt eine Sache dar, die zur Eigen- oder Fremdschädigung oder zur Flucht verwendet werden kann; sie kommt aber ebenso gut als Beweismittel in Betracht. Die von den nacheilenden Bediensteten sichergestellten Gegenstände sind den Behörden des Gebietsstaates anlässlich der Übergabe des Festgehaltenen auszuhändigen.260 Dies ergibt sich zwar nicht aus Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ, wohl aber aus dem Schengener Konzept, wonach die gebietsfremden Beamten ihre eigene Hoheitsgewalt ausüben können, solange die örtlich zuständigen Ho­ heitsträger selbst tätig werden. So wie das Festhalten des Verfolgten hat also auch die Sicherstellung der von ihm mitgeführten Sachen einen vorläufigen Charakter.

D.  Einsatz von Schusswaffen und (sonstigen) Mitteln des unmittelbaren Zwangs I.  Einleitende Bemerkungen Die Anwendung von Zwangsmitteln zielt auf die Vornahme, Duldung oder Un­ terlassung einer bestimmten Tätigkeit durch den Betroffenen und dient damit der wirksamen Durchsetzung einer polizeilichen Maßnahme. Bei der Verfol­ gung eines Tatverdächtigen oder eines Straftäters erweist sich der Zwangsmit­ teleinsatz regelmäßig als unvermeidlich. Die Flucht im Anschluss an das Be­ troffenwerden bei der Tatbegehung bzw. der Ausbruch aus der Haft lassen be­ fürchten, dass der Verfolgte polizeilichen Anordnungen nicht widerstandslos Folge leisten wird.261 Trotz der unbestrittenen Bedeutung der Zwangsmittel für den Erfolg jeder Nacheile sieht Art.  41 SDÜ ihren Gebrauch lediglich in sehr geringem Umfang vor. Nach Absatz 5 lit.  e dürfen die nacheilenden Beamten ihre Dienstwaffe nur in Notwehr einsetzen. Soweit ihnen das Festhalterecht zu­ steht, dürfen sie dem Betroffenen gemäß Absatz 5 lit.  f während der Beförde­ rung zu den örtlichen Behörden Handschellen anlegen. Diese punktuelle Rege­ 260  So ausdrücklich Art.  8a Abs.  7 S.  2 des polnisch-slowakischen Kooperationsvertrags; Art.  11 Abs.  7 S.  3 des polnisch-tschechischen Kooperationsvertrags; Art.  16 Abs.  4 Nr.  3 S.  3 des deutsch-schweizerischen Kooperationsvertrags; vgl. auch Art.  14 Abs.  5 lit.  d S.  3 des deutsch-tschechischen Kooperationsvertrags. 261  So auch Sokołowski, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  119 (119).

D.  Einsatz von Schusswaffen und (sonstigen) Mitteln

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lung legt nahe, dass der Einsatz sonstiger Zwangsmittel verwehrt ist.262 Die hoheitliche Stellung fremder Bediensteter ändert daran nichts, denn sie dürfen ihre eigene Hoheitsgewalt nur in dem von Art.  41 SDÜ normierten Rahmen ausüben. Dies folgt bereits aus dem Grundsatz der Ausschließlichkeit der terri­ torialen Hoheitsmacht, von dem nur mit ausdrücklicher Zustimmung des betrof­ fenen Staates abgewichen werden darf. Die minimalistische Schengener Regelung löst Bedenken im Zusammenspiel mit dem Festhalterecht aus.263 Die Befugnis zum „Festhalten“ erfasst begriffs­ notwendig solche körperlichen Einwirkungen, die mit der Beschränkung der Fortbewegungsfreiheit zwangsläufig verbunden sind,264 wie etwa das Halten im Polizeigriff, das Nötigen des Festgehaltenen zum Einsteigen in den Streifenwa­ gen 265 oder sein „Fixieren“ am Boden 266. Einfache physische Gewalt, die in ih­ ren Folgen über leichte Körperverletzungen nicht hinausgeht, dürfte also als noch vom Wortlaut gedeckt angesehen werden.267 Es fragt sich aber, auf welche Art und Weise die nacheilenden Bediensteten einen mit dem Auto Flüchtenden überhaupt zum Fluchtabbruch bringen sollen, ohne das eigene Fahrzeug zum Abschneiden des Fluchtweges einsetzen zu dürfen. Wie sollten sie den Ergriffe­ nen an einer weiteren Flucht hindern, wenn die Übergabe am Festnahmeort zu erfolgen hätte? Bei einer wortlautgetreuen Auslegung des Art.  41 Abs.  5 lit.  f Brammertz, Grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit, S.  253; Brammertz/ Colling, in: Nachbaur (Hrsg.), S.  73 (81); Mokros, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil O Rn.  249; Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  243; Daman, EJCCLCJ 16 (2008), 171 (188); wohl auch Meuters, Leitung und Kontrolle grenzüberschrei­ tender Ermittlungen, S.  172 f. 263 Vgl. dazu Brammertz, Grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit, S.  253; Brammertz/Colling, in: Nachbaur (Hrsg.), S.  73 (81); Goy, Vorläufige Festnahme und grenz­ über­schreitende Nacheile, S.  243; Daman, EJCCLCJ 16 (2008), 171 (188). 264 Vgl. Häfele, Rechtsschutz gegen Nacheilemaßnahmen, S.  32 f. in Bezug auf den deutsch-schweizerischen Kooperationsvertrag. 265 Vgl. Dittmer, Die vorläufige Festnahme, S.  120 in Bezug auf den Begriff „Festnahme“ i. S. v. §  127 Abs.  2 StPO. 266  Vgl. BGH NStZ 2000, 603 (603) in Bezug auf den Begriff „Festnahme“ i. S. v. §  127 Abs.  1 StPO. 267  So die h. M. in Bezug auf die vorläufige Festnahme gemäß §  127 Abs.  1 StPO, siehe etwa BGH NStZ 2000, 603 (603); OLG Karlsruhe, NJW 1974, 806 (807); Schultheis, in: KKStPO, §  127 Rn.  27 f.; Schmidt/Schöne, NStZ 1994, 218 (220); abweichend Dittmer, Die vor­ läufige Festnahme, S.  119 f., der Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit, welche über die bloße Beschränkung der Fortbewegungsfreiheit hinausgehen, als von der Festnahmebefug­ nis nicht erfasst sieht. Auch lässt die polnische Lehre den Einsatz physischer Gewalt bei der Festnahme nach Art.  243 plStPO zu, soweit diese zur Durchführung der Maßnahme unum­ gänglich und zum Festnahmezweck angemessen ist, Paprzycki, in: Paprzycki (Hrsg.), Art.  243 Rn.  3; Stefański, in: Gostyński (Hrsg.), Art.  243 Rn.  2. 262 

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

SDÜ dürften sie dem Betroffenen dann keine Handschellen anlegen, weil die Vorschrift deren Gebrauch nur während der Beförderung gestattet. Der – unter dem Gesichtspunkt der Polizeipraxis – mangelhaften und schwer nachvollziehbaren Schengener Regelung trägt Art.  36 Abs.  2 Nr.  3 PolAbk Rechnung und ermächtigt gebietsfremde Bedienstete, bei grenzüberschreiten­ den Einsätzen Zwangsmittel mitzuführen und nach dem innerstaatlichen Recht des Gebietsstaates einzusetzen.268 Der Gebrauch von Dienstwaffen bleibt grundsätzlich auf Fälle der Notwehr bzw. der Nothilfe beschränkt. Der sachlei­ tende Beamte des Gebietsstaates kann aber einer darüber hinausgehenden An­ wendung zustimmen.269 Im Folgenden wird untersucht, unter welchen Voraussetzungen und auf ­welche Art und Weise die deutschen und die polnischen Polizeibeamten auf dem fremden Gebiet ihre Dienstwaffen und (sonstigen) Zwangsmittel einsetzen ­dürfen. 268  Dementsprechende Klauseln sind auch in den Kooperationsverträgen Deutschlands mit Tschechien (Art.  23 Abs.  2 lit.  b), den Niederlanden (Art.  32 Abs.  1 spricht von der dienst­ lichen Bewaffnung und Ausstattung) und Belgien (Art.  16 Abs.  2) sowie im polnisch-tsche­ chischen (Art.  14 Abs.  2 lit.  c) und im polnisch-litauischen Kooperationsvertrag (Art.  20 Abs.  2 S.  2 in fine) enthalten. Der deutsch-dänische Vertrag gibt den Inhalt des Art.  41 im betreffenden Umfang wieder. Es ist aber zu bemerken, dass die fehlende Regelung zum Ein­ satz von Zwangsmitteln für die deutschen Bediensteten keine größere Bedeutung hat, weil sie nach der dänischen Erklärung gemäß Art.  41 Abs.  9 SDÜ nicht befugt sind, die verfolgte Person festzuhalten. Die übrigen Kooperationsabkommen sehen expressis verbis die Mög­ lichkeit des Mitführens von (sonstigen) Zwangsmitteln vor, schweigen allerdings hinsichtlich deren Anwendung. Da sie – nach dem Vorbild der Schengener Regelung – eine Gebrauchsbe­ schränkung ausschließlich für Dienstwaffen einführen, könnte man von der Zulässigkeit des Einsatzes der (übrigen) Zwangsmittel ausgehen. Eine solche Deutung ist aber nicht zwin­ gend: Der Sinn und Zweck der ausdrücklichen Zulassung des Mitführens von Zwangsmitteln mag darin liegen, den nacheilenden Beamten die grenzüberschreitende Verfolgung zu gestat­ ten, ohne dass sie ihre dienstliche Ausrüstung auf eigenem Hoheitsgebiet zurücklassen müs­ sen. Für die zweite Interpretationsvariante spricht auch der aus dem Grundsatz der Achtung fremder Gebietshoheit fließende Gedanke, dass die Eingriffsbefugnisse der gebietsfremden Beamten ausdrücklich normiert werden müssen. 269  Ebenfalls in den Verträgen Deutschlands mit Tschechien (Art.  23 Abs.  3), den Nieder­ landen (32 Abs.  3) und Österreich (Art.  27 Abs.  3 S.  3 in fine) ist die Möglichkeit des Einsat­ zes von Schusswaffen in über die Notwehr bzw. die Nothilfe hinausgehenden Fällen vorgese­ hen; die dafür vorausgesetzte Zustimmung darf allerdings – anders als nach Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 PolAbk – nicht bei Nacheilemaßnahmen erteilt werden: Im Vertrag mit Tschechien wird die erweiterte Einsatzmöglichkeit auf die Durchführung gemeinsamer Streifen und anderer gemeinsamer Einsätze nach Art.  10 sowie auf Fälle der Unterstellung der Bediensteten nach Art.  12 eingeschränkt; die Verträge mit den Niederlanden und Österreich schließen dagegen eine solche Möglichkeit ausdrücklich in Bezug auf die grenzüberschreitende Observation und Nacheile aus.

D.  Einsatz von Schusswaffen und (sonstigen) Mitteln

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II.  Maßgebliches Recht 1.  Nacheile auf dem deutschen Hoheitsgebiet Ebenso wenig wie eine allgemeine Polizei gibt es in der Bundesrepublik ein allgemeines bzw. für alle Polizeibehörden einheitliches Polizeirecht. Regelun­ gen zu den Befugnissen sowie zur Art und Weise ihrer Ausübung sind sowohl auf der Bundes- als auch auf der Landesebene verankert. Für die Bundespolizei bietet das Gesetz über die Bundespolizei270 die primäre Rechtsgrundlage. Die Befugnisse des Bundeskriminalamtes normiert in erster Linie das Gesetz über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten.271 Weitere Befugnisnormen enthält das Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei der Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes.272 Hinzu kommen die Polizeigesetze der 16 Bundesländer. Da die hier maßgeblichen Regelungen zum Zwangseinsatz trotz weitgehender Angleichung durch den „Musterentwurf eines einheitlichen Poli­ zeigesetzes des Bundes und der Länder“ an einigen Stellen voneinander abwei­ chen, stellt sich die Frage, welches Rechtsregime für die nacheilenden polni­ schen Polizisten bei der Ausübung des Nacheilerechts zur Anwendung gelangt. Zu bemerken ist zunächst, dass bei der grenzüberschreitenden Nacheile – im Gegensatz zum gemeinsamen Streifendienst nach Art.  9 PolAbk oder zur Selbstvornahme von Maßnahmen zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben auf der Grundlage des Art.  10 PolAbk – nicht fremde, sondern eigene Aufgaben auf dem fremden Staatsgebiet wahrgenommen werden. Nichts anderes ist anzunehmen, wenn die Polizeibeamten eines Bundeslandes, dessen Polizeigewalt grundsätzlich nur bis zur Landesgrenze reicht,273 in einem ande­ ren Bundesland gemäß §  167 GVG die Verfolgung eines Flüchtenden fortsetzen oder in diesem Land nach Maßgabe des Art.  1 LänderPolAbk 274 im eigenen Strafverfolgungsinteresse bestimmte Ermittlungsmaßnahmen vornehmen. Nach Art.  2 LänderPolAbk stehen den landesfremden Bediensteten bei der Wahrnehmung eigener Strafverfolgungsaufgaben die gleichen Befugnisse wie den Beamten des Gebietslandes zu. Materiell gilt das örtliche Landes-Polizei­

270 

BGBl.  1994 I S.  2978. BGBl.  1997 I S.  1650. 272  BGBl.  1961 I S.  1474. 273  BGHSt 4, 110 (113); Heinrich, NStZ 1996, 361 (361); Mayer, in: Kissel/Mayer, §  167 GVG Rn.  1. 274  Abkommen v. 8.11.1991 über die erweiterte Zuständigkeit der Polizei der Länder bei der Strafverfolgung. Das Abkommen wurde in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bre­ men, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein ratifiziert. 271 

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

recht.275 Die Regelungen zum Tätigwerden der Polizei(vollzugs)beamten ande­ rer Länder sind ebenfalls in den landesgesetzlichen Vorschriften enthalten. Auch hier kommt die Gleichstellungsklausel nicht nur bei der „grenzüberschrei­ tenden Nachbarhilfe“276 zum Tragen, sondern auch bei eigenverantwortlichen Einsätzen, etwa zur Verfolgung von Straftaten auf frischer Tat sowie zur Verfol­ gung und Wiederergreifung Entwichener, wenn die zuständige Behörde die er­ forderlichen Maßnahmen nicht rechtzeitig treffen kann (siehe z. B. §  77 Abs.  1 Nr.  3, Abs.  2 Bbg­PolG). Die Parallele zwischen bundesländerübergreifenden Amtshandlungen und der grenzüberschreitenden Verfolgung nach Art.  41 SDÜ liegt auf der Hand: Wenn die Bediensteten einer Landespolizei, die im eigenen Interesse aufgrund der Dringlichkeit der Angelegenheit außerhalb des eigenen örtlichen Zustän­ digkeitsbereichs agieren, an die polizeirechtlichen Vorschriften des Gebietslan­ des gebunden sind, dürfte auch für die nacheilenden polnischen Beamten das Polizeirecht des entsprechenden Landes das maßgebliche Rechtsregime darstel­ len. Einige Polizeigesetze legen ausdrücklich fest, dass die Regelungen zum Tätigwerden landesfremder Bediensteter – unter dem Vorbehalt einer völker­ rechtlichen Vereinbarung oder der Zustimmung einer zuständigen Behörde – auch auf Maßnahmen der Bediensteten ausländischer Staaten mit polizeilichen Aufgaben anwendbar sind (z. B. §  77 Abs.  3 S.  2 i. V. m. Abs.  1, 2 Bbg­PolG). In­ soweit wird u. a. unmittelbar auf die Schengener Nacheileregelung Bezug ge­ nommen.277 Alleine aus dem Umstand, dass die polnischen Polizeibeamten nach dem Grenzübertritt die Verfolgung auf dem Gebiet eines Bundeslandes fortsetzen, kann jedoch nicht geschlossen werden, dass für sie die landesrechtlichen Vor­ schriften einschlägig sind. Denn das Staatsgebiet eines Bundeslandes stellt zu­ gleich ein Staatsgebiet der Bundesrepublik dar.278 Auf dem Gebiet eines Landes treffen somit die Bundes- und Landesgewalt, das Bundes- und Landesrecht zu­ sammen.279 Die Kompetenz der Länderpolizeien erfasst sachlich die allgemeine Gefahrenabwehr sowie die allgemeine Strafverfolgung280 und erstreckt sich ört­ 275 

Im Übrigen bleibt das Recht des Heimatlandes anwendbar – Art.  3 Abs.  2 LänderPol­ Abk: „Die Rechte und Pflichten in dienstrechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht bestimmen sich für die Polizeivollzugsbeamten, die in einem anderen Land tätig werden, nach den Ge­ setzen und den sonstigen Bestimmungen ihres eigenen Landes.“ 276  Begriff nach Wagner/Ruder, Polizeirecht, Rn.  128. 277  Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, §  9 III 3 Fn.  83; vgl. auch Wagner/Ruder, Poli­ zeirecht, Rn.  127. 278  Vgl. Präambel des Grundgesetzes. 279 Vgl. Knape/Schönrock, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht für Berlin, §  7 Rn.  3. 280  Fehn, Die Polizei 2001, 8 (12); vgl. Wehr, Bundespolizeigesetz, §  1 Rn.  16 f.; siehe fer­ ner §  1 Abs.  3 BKAG: „Die Verfolgung sowie die Verhütung von Straftaten und die Aufgaben

D.  Einsatz von Schusswaffen und (sonstigen) Mitteln

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lich auf das jeweilige Landesgebiet281. Aus der sachlichen Zuständigkeit sind sonderpolizeiliche Aufgaben ausgeklammert, die den Polizeien des Bundes ge­ setzlich zugewiesen wurden.282 Die Vollzugsbeamten des Bundeskriminalam­ tes sind bei der Vornahme von Strafverfolgungsmaßnahmen auf der Grundlage des §  4 BKAG auf dem gesamten Bundesgebiet örtlich zuständig (§  19 Abs.  1 S.  1 BKAG).283 Die örtliche Zuständigkeit der Bundespolizei orientiert sich ebenfalls an ihrer sachlichen, räumlich gleichwohl auf bestimmte Objekte bzw. Örtlichkeiten begrenzten Zuständigkeit.284 Sie ist insoweit nicht geographisch, sondern aufgabenbezogen zu sehen.285 Soweit die Bediensteten der Bundespoli­ zei oder des Bundeskriminalamtes in einem Land im Rahmen ihrer originären Zuständigkeit handeln, sind sie an das für sie maßgebliche Bundesrecht gebun­ den. Nehmen sie Amtshandlungen im Zuständigkeitsbereich dieses Landes vor, sei es auf Veranlassung, sei es aus eigener Initiative, so gilt für sie das jeweilige Landesrecht.286 Bei polizeilichen Nacheilen aus Polen kommt das Landesrecht folglich nur insoweit zum Tragen, als die Nacheile bzw. der ihr zugrunde liegende Sachver­ halt in den Zuständigkeitsbereich der Landespolizei fällt.287 Dies wird wohl die der sonstigen Gefahrenabwehr bleiben Sache der Länder, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist.“ 281  Wehr, Bundespolizeigesetz, §  1 Rn.  17; siehe auch Nachweise oben Fn.  273. 282  Wehr, Bundespolizeigesetz, §  1 Rn.  16 f.; im Einzelnen Fehn, Die Polizei 2001, 8. Im repressiven Bereich handelt es sich um die Fälle des §  12 BPolG bzw. des §  4 BKAG. 283  Kugelmann, BKA-Gesetz, §  19 Rn.  1; Graulich, in: Schenke/Graulich/Ruthig (Hrsg.), §  19 BKAG Rn.  4; Knape/Schönrock, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht für Berlin, §  8 Rn.  25. 284  Wehr, Bundespolizeigesetz, §  1 Rn.  17; Graulich, in: Schenke/Graulich/Ruthig (Hrsg.), §  1 BPolG Rn.  23. Siehe §§  1 Abs.  3, 2 Abs.  2, 3 Abs.  1, 4 und 5 Abs.  2 BPolG. Eine Ausnah­ me stellt lediglich das Nacheilerecht nach §  58 Abs.  3 BPolG: „Beamte der Bundespolizei können die Verfolgung eines Flüchtigen auch über die in §  1 Abs.  7 und §  6 bezeichneten räumlichen Zuständigkeitsbereiche der Bundespolizei hinaus fortsetzen und den Flüchtigen ergreifen.“ 285 So Fehn, Die Polizei 2001, 8 (8) in Bezug auf die bahnpolizeiliche Zuständigkeit des Bundesgrenzschutzes (heute: Bundespolizei). 286  Wehr, Bundespolizeigesetz, §  65 Rn.  4; Knape/Schönrock, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht für Berlin, §  8 Rn.  42. Statt aller siehe §  77 Abs.  3 S.  1 i. V. m. Abs.  2 Bbg­PolG und §  8 Abs.  2 ASOG Bln, wonach Polizeivollzugsbeamte des Bundes die gleichen Befugnis­ se wie die des Landes haben. In welchem Umfang eine solche polizeiliche (Not-)Hilfe zuläs­ sig ist, ergibt sich aus dem jeweiligen Landes-Polizeigesetz. 287 Nach Sokołowski, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  119 (144 f.) stellt dage­ gen das Landesrecht bei jeder polizeilichen Nacheile das maßgebliche Rechtsregime dar. Bei der Ermittlung des anwendbaren Gesetzes fragt er nicht, in wessen Zuständigkeitsbereich die Nacheile fällt. Aus dem Umstand, dass Art.  2 PolAbk die Grenzbehörden auf der deutschen und polnischen Seite in Polizei-, Grenzschutz- und Zollbehörden aufteilt und jede Gruppe

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

Regel sein. Denn die ohnehin auf bestimmte Straftaten begrenzte Strafverfol­ gungskompetenz der Bundespolizei wird grundsätzlich erst dann begründet, wenn die Straftat in ihrem räumlichen Zuständigkeitsbereich (§  1 Abs.  7) be­ gangen wurde (§  12 Abs.  2 S.  1 BPolG). Diese Einschränkung führt dazu, dass die polnischen Beamten die für die Bundespolizei maßgeblichen Vorschriften zum Zwangseinsatz nur dann beachten müssen, wenn es sich bei der Anlasstat um ein Vergehen i. S. v. §  12 Abs.  2 S.  1 Nr.  1–4 BPolG288 handelt, das an der Grenze (selbst) verübt wurde.289 Auch die Nacheile im Zuständigkeitsbereich auf beiden Seiten mit denselben Texteinheiten (Buchstaben) versieht, schließt er, dass die Vertragsparteien für die jeweiligen Behörden ausländische Entsprechungen gefunden haben. So sei z. B. der polnische Grenzschutz (Art.  2 Abs.  3 Nr.  1 lit.  b PolAbk) mit der Bundespoli­ zei (Art.  2 Abs.  3 Nr.  2 lit.  b PolAbk) zusammengestellt worden, mit der Folge, dass die pol­ nischen Grenzschutzbehörden beim Handeln auf dem deutschen Hoheitsgebiet dem Bundes­ recht unterlägen; die Beamten der polnischen Polizei (Art.  2 Abs.  3 Nr.  1 lit.  a PolAbk), die mit den Landespolizeibehörden (Art.  2 Abs.  3 Nr.  2 lit.  a PolAbk) zusammengestellt worden seien, seien dagegen an das Landesrecht gebunden. Der Vorteil dieser Lösung ist eine einfa­ che Handhabbarkeit. Sie führt jedoch nicht zu sachgerechten Ergebnissen. Denn der polni­ sche Beamte kann im Ergebnis ein Bundesgesetz beachten müssen, obwohl er im Zuständig­ keitsbereich einer Landespolizei handelt und die an der Maßnahme mitwirkenden – örtlich zuständigen – Bediensteten der Landespolizei das Landesrecht anwenden. Aufgrund der Weisungsbefugnis der Behörden des Gebietsstaates sind Friktionen nicht auszuschließen. Selbst Sokołowski räumt ein, dass das Abstellen auf das Kriterium der „bilateralen Zuord­ nung“ zur Rechtsunsicherheit führen kann. Dieser Einwand soll nach seiner Auffassung zwar deshalb nicht erhoben werden dürfen, weil die Anpassung „aufgrund der ausdrückli­ chen Bestimmungen des Kooperationsvertrags“ erfolgt. Ob die Vertragsparteien bei der Auf­ listung der für die Zusammenarbeit zuständigen Behörden tatsächlich den Zweck verfolgt haben, die Kooperationspartner gegenseitig zuzuordnen und darüber hinaus das für sie maß­ gebliche Recht zu bestimmen, darf aber bezweifelt werden. 288  Gemeint sind hier die Straftaten im Zusammenhang mit dem Grenzschutz, eingehend Graulich, in: Schenke/Graulich/Ruthig (Hrsg.), §  12 BPolG Rn.  4 ff. Ihre (ggf. grenzüber­ schreitende) Verfolgung liegt in erster Linie in der Kompetenz der polnischen Grenzschutz­ behörden (Art.  1 Abs.  2 Pkt.  4 des Gesetzes über den Grenzschutz), was den Ausnahmecha­ rakter einer polizeilichen Nacheile im Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei noch strärker beweist. 289  Durch den Verweis auf §  1 Abs.  7 BPolG sind zwar unter dem „räumlichen Zuständig­ keitsbereich“ für Strafverfolgung diejenigen räumlichen Bereiche zu verstehen, in denen die Bundespolizei ihre präventiven Aufgaben wahrnimmt, Graulich, in: Schenke/Graulich/Rut­ hig (Hrsg.), §  12 BPolG Rn.  3 u. 18. Die originäre Strafverfolgungskompetenz der Bundespo­ lizei besteht also nicht nur in Bezug auf die an der Staatsgrenze verübten Straftaten (i. S. v. §  12 Abs.  1 S.  1 BPolG), sondern auch auf diejenigen, die innerhalb einer Entfernung von 30 km bis zur Grenze (§  2); ferner auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahn des Bundes (§  3), auf dem Flugplatzgelände (§  4), an Bord eines deutsches Flugfahrzeugs (§  4a) oder auf dem Grundstück des Amtsitzes eines Verfassungsorgans oder eines Bundesministeriums (§  5) begangen worden sind, Graulich, a. a. O. Nur im Falle der Tatbegehung an der Grenze treffen aber die Voraussetzungen für die grenzüberschreitende Nacheile – eine im Ausgangs­

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des Bundeskriminalamtes ist praktisch kaum denkbar. Denn dieser umfasst be­ stimmte erhebliche Straftaten (siehe §  4 Abs.  1 BKAG), wobei die Zulässigkeit ihrer Verfolgung vom Vorliegen zusätzlicher – zum Teil inhaltlich komplexer – Voraussetzungen abhängt, deren Feststellung beim Betreffen auf frischer Tat regelmäßig nicht möglich sein wird.290 In aller Regel wird darüber nicht hin­ weghelfen, dass ein Tatverdacht genügt, weil den verfolgenden Beamten die erforderlichen, verdachtsbegründenden Informationen ohne vorherige Kennt­ niserlangung nicht vorliegen werden. Da die polnischen Polizeibeamten nach dem Grenzübertritt im Regelfall dem polizeirechtlichen Regime der Länder unterworfen sind, werden zum Rechts­ vergleich landesrechtliche Vorschriften herangezogen, wobei stellvertretend auf das Brandenburgische Polizeigesetz zurückgegriffen wird.291 Es muss noch bemerkt werden, dass es sich bei den Normen des Polizeirechts um solche mit präventiver Zielsetzung handelt.292 Indes kommt es bei der Aus­ übung des Nacheilerechts zur Überschneidung des repressiven und des präven­ tiven Bereichs. Während die Durchsuchung des Festgehaltenen durch nachei­ lende Beamte Sicherungscharakter hat und – wie oben ausgeführt – der Gefah­ renabwehr zuzuordnen ist, geht es beim Festhalten selbst um eine Maßnahme der Strafverfolgung. Die Strafprozessordnung enthält jedoch keine ausdrückli­ che Ermächtigung zur zwangsweisen Durchsetzung der vorläufigen Festnahme, ebenso wenig Regelungen zu den Arten von Zwangsmitteln und den Grundsät­ zen ihrer Anwendung. Abhilfe schafft §  10 Abs.  2 S.  2 Bbg­PolG: Erfüllt die Po­ lizei die ihr durch andere Rechtsvorschriften zugewiesenen Aufgaben, hat sie, soweit diese Vorschriften die Befugnisse der Polizei nicht regeln, die Befugnis­ se, die ihr nach dem Polizeigesetz zustehen.293 Damit wird den deutschen Poli­ zeibeamten bei der Wahrnehmung der strafprozessualen Festnahmerechte ein staat der Nacheile vollendete bzw. versuchte auslieferungsfähige Straftat – und für das Tätig­ werden der Bundespolizei im repressiven Bereich zusammen. 290 Dies gilt z. B. für das Merkmal der „internationalen Organisation von Straftaten“ i. S. v. Art.  4 Abs.  1 Nr.  1 u. 3 BKAG, das eine planmäßige Tatbegehung durch mehrere Tat­ beteiligte, einen orgnisatorischen Zusammenhang „von einigem Bestand und einigermaßen gefestigter Struktur“ zwischen ihnen und das Betroffensein eines Landes von der Tatbege­ hung und eines weiteren Landes von der Tatbegehung oder Tatplanung erfordert, Graulich, in: Schenke/Graulich/Ruthig (Hrsg.), §  4 BKAG Rn.  7. 291  In den Fußnoten werden parallel die für Polizeibeamte der Länder Mecklenburg-Vor­ pommern und Berlin sowie des Freistaates Sachsen maßgeblichen Vorschriften angegeben. 292  Kingreen/Poscher, in: Pieroth/Schlink/Kniesel (Hrsg.), §  2 Rn.  8. 293  Eine solche Klausel wurde von den Innen- und Justizministern der Länder im „Mus­ terentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder“ eingeführt und hat in viele Polizeigesetze der Länder und des Bundes Eingang gefunden (z. B. §  17 Abs.  2 S.  2 ASOG Bln; §  14 Abs.  3 S.  2 BPolG), mehr dazu Dittmer, Die vorläufige Festnahme, S.  120 f.

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

Rückgriff auf die polizeigesetzlichen Zwangsbefugnisse expressis verbis ge­ stattet.294 Gleiches gilt über Art.  36 Abs.  1 S.  1 i. V. m. Art.  36 Abs.  2 PolAbk für die nacheilenden polnischen Beamten. 2.  Nacheile auf dem polnischen Hoheitsgebiet Die Polizeibeamten des Bundes und der Bundesländer werden bei einer Nachei­ le nach Polen die Vorschriften des Gesetzes über Mittel des unmittelbaren Zwangs und Schusswaffen 295 beachten müssen. Das Gesetz regelt die Art und Weise des Zwangseinsatzes einheitlich für alle Behörden, die mit Strafverfol­ gungsaufgaben betraut und mit Zwangsbefugnissen ausgestattet sind. Seine Vorschriften sind für die (polnischen) Polizeibeamten über Art.  16 plPolG an­ wendbar und werden im Folgenden im nacheilerelevanten Kontext dargestellt.

III. Begriffsbestimmungen Art.  36 Abs.  2 PolAbk unterscheidet begrifflich zwischen Dienstwaffen, Muni­ tion, Ausrüstungsgegenständen (Nr.  2) und Zwangsmitteln (Nr.  3), ohne sie zu definieren. Da es sich jeweils um Elemente der dienstlichen Ausstattung gebiets­ fremder Bediensteter handelt, bietet sich zunächst ein Rückgriff auf die betref­ fenden innerstaatlichen Vorschriften des Ausgangsstaates der Nacheile an. Das Brandenburgische Polizeigesetz regelt den „Zwang“ in Kapitel 4 und nennt als Zwangsmittel die Ersatzvornahme, das Zwangsgeld und den unmittel­ baren Zwang (§  54 Abs.  1 Bbg­PolG).296 Die Ersatzvornahme besteht in der Aus­ führung einer vertretbaren Handlung anstelle und auf Kosten des Betroffenen, wenn dieser seiner Handlungspflicht nicht nachkommt.297 Das Zwangsgeld stellt „ein psychisches Beugemittel zur Herbeiführung eines künftigen planmäßigen Verhaltens/Zustandes durch drohende finanzielle Belastung“ dar.298 Seine Fest­ 294 

Die Rechtsprechung und h. M. im Schrifttum gehen ungeachtet vom Vorliegen einer ausdrücklichen Regelung wie in §  10 Abs.  2 S.  2 Bbg­PolG von der Zulässigkeit der Anwen­ dung der polizeigesetzlichen Zwangsbefugnisse bei repressiven Sachverhalten aus, siehe nur RGSt 65, 392 (394); BGHSt 26, 99 (101); OLG Karlsruhe NJW 1974, 806 (807); BayObLG NStZ 1988, 518 (519); Schultheis, KK, §  127 Rn.  40; Laue, in: Dölling/Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  127 StPO Rn.  8; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, §  127 Rn.  20; kritisch Dittmer, Die vorläufige Festnahme, S.  124 ff. mit einer umfassenden Darstellung des Meinungs­ standes auf S.  122 ff. 295  Dz. U. 2013, Pos. 628. 296  Siehe auch §  86 Abs.  1 SOG M-V; §  30 Abs.  1 SächsPolG i. V. m. §  19 Abs.  2 SächsVw­ VG; §  8 Abs.  1 S.  1 VwVfGBln i. V. m. §  9 Abs.  1 VwVG. 297  Vgl. §  55 Abs.  1 S.  1 Bbg­PolG; §  89 Abs.  1 SOG M-V; §  24 Abs.  1 S.  1 SächsVwVG; §  10 VwVG. 298  Kay, Allgemeines Verwaltungs- und Eingriffsrecht, Bd.  1, S.  298.

D.  Einsatz von Schusswaffen und (sonstigen) Mitteln

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setzung soll den Betroffenen bewegen, die gebotene Handlung auszuführen oder die zu duldende Maßnahme zu gestatten.299 Der unmittelbare Zwang ist dagegen als Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, ihre Hilfsmittel und durch Waffen in §  61 Abs.  1 Bbg­PolG legal definiert.300 Absatz 2 enthält einen offenen Katalog („insbesondere“) von Hilfsmitteln kör­ perlicher Gewalt.301 Ausdrücklich erwähnt werden Fesseln, Wasserwerfer, tech­ nische Sperren, Diensthunde, Dienstpferde, Dienstfahrzeuge, Reiz- und Betäu­ bungsstoffe sowie zum Sprengen bestimmte explosionsfähige Stoffe (Spreng­ mittel).302 Auch Waffen stellen im Grunde Hilfsmittel körperlicher Gewalt dar.303 Da ihr Einsatz besonders schwerwiegende Wirkungen entfaltet, wurden sie in Absatz 3 separat und dabei abschließend 304 geregelt.305 Die Aufzählung umfasst: Schlagstöcke, Pistolen, Gewehre, Revolver und Maschinenpistolen 306 sowie Distanz-Elektroimpulsgeräte307. Bei der körperlichen Gewalt muss es sich um jede unmittelbare körperliche Einwirkung handeln.308 Der Zwang wird also nicht durch bestimmte Gegenstände „vermittelt“, sondern erfolgt durch di­ rekte Anwendung von Körperkräften eines Polizeibeamten.309 Bereits bei erstem Hinsehen ist der Begriff „Zwangsmittel“ aus Art.  36 Abs.  2 Nr.  3 PolAbk mit dem polizeigesetzlichen nicht kongruent. Da die Vorschrift das „Mitführen“ von Zwangsmitteln gestattet und nur Gegenstände mitgeführt werden können, ist der Schlüsselbegriff auf der Grundlage des Polizeiabkom­ mens (2014) sachbezogen zu verstehen. Von den in §  54 Abs.  1 i. V. m. §  61 Bbg­ PolG vorgesehenen Zwangsmitteln kämen demnach nur Hilfsmittel der körper­ lichen Gewalt und Waffen als Mittel, mit denen der unmittelbare Zwang ausge­ übt wird, in Betracht. Eine weitere Einschränkung ergibt sich aus Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 PolAbk, der besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen u. a. für den Einsatz von Dienstwaffen formuliert. Damit diese Sondervorschrift nicht leerläuft, 299 

Vgl. §  56 Abs.  3 S.  2 Bbg­PolG; §  88 Abs.  1 SOG M-V; §  11 Abs.  1, 2 VwVG. Siehe auch §  102 Abs.  1 SOG M-V; §  2 Abs.  1 UZwG Bln. In §  31 Abs.  1 SächsPolG wurde die obige Definition leicht modifiziert, indem von „jeder“ Einwirkung auf Personen oder Sachen und einer „einfachen“ körperlichen Gewalt die Rede ist. 301  Niehörster, Brandenburgisches Polizeigesetz, Pkt.  3.3.1 S.  101. 302  Siehe auch §  2 Abs.  3 UZwG Bln. In §  31 Abs.  2 SächsPolG und §  102 Abs.  3 SOG M-V wurden die Betäubungsstoffe nicht explizit genannt. 303  Rachor, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil E Rn.  847. 304  Siehe aber §  55 Abs.  4 S.  2 HSOG, §  59 Abs.  4 S.  2 TH PAG und §  49 Abs.  5 S.  2 SPolG, wonach auch andere Waffen zugelassen werden dürfen, soweit sie keine größere Wirkung als Schusswaffen entfalten; vgl. auch §  58 Abs.  4 S.  2 SOG LSA. 305  Rachor, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil E Rn.  847. 306  Siehe auch §  102 Abs.  4 SOG M-V; §  31 Abs.  3 SächsPolG; §  2 Abs.  4 UZwG Bln. 307  Siehe auch §  102 Abs.  4 SOG M-V. 308  So die Legaldefinition in §  102 Abs.  2 SOG M-V. 309  Rachor, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil E Rn.  831. 300 

208

3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

müssen Waffen i. S. v. §  61 Abs.  3 Bbg­PolG aus der Regelung des Art.  36 Abs.  2 Nr.  3 PolAbk ausgeklammert werden. Zum gleichen Ergebnis gelangt man bei der Erläuterung des Begriffs „Mittel des unmittelbaren Zwangs“ („środki przymusu bezpośredniego“) aus der polni­ schen Normfassung unter Bezugnahme auf die nationalen Vorschriften. Die Mittel des unmittelbaren Zwangs wurden in Art.  12 plUZwSwG im Wege einer (grundsätzlich) enumerativen Aufzählung legal definiert und umfassen: – körperliche Gewalt in Gestalt von Transport-, Verteidigungs-, Angriffs- und Überwältigungstechniken; – Handschellen, Fußschellen und eine Kombination davon; – Zwangsjacken; – Fixiergurte; – Fangnetze; – Sicherungshelme; – Dienstschlagstöcke; – Wasserwerfer; – Diensthunde; – Dienstpferde; – nicht durchdringende Geschosse (Gummigeschosse); – chemische Überwältigungsmittel in Gestalt von in der Hand oder auf dem Rücken getragenen Werfern von Überwältigungsmitteln, Tränengranaten und anderen für das Schleudern von Überwältigungsmitteln bestimmten Ge­ räten; – für die Überwältigung von Personen mithilfe von Strom bestimmte Geräte; – Nagelbänder und andere Mittel, die dem Anhalten oder dem Stilllegen von Fahrzeugen dienen; – Dienstfahrzeuge; – für die Überwindung von Bauverschlüssen und anderen Hindernissen be­ stimmte Mittel, darunter Sprengstoffe; – pyrotechnische Mittel, die betäubend oder leuchtend wirken.310 Bis auf körperliche Gewalt handelt es sich dabei um Mittel, die ohne Weiteres mitgeführt und somit dem Begriff „Zwangsmittel“ aus Art.  36 Abs.  2 Nr.  3 ­PolAbk subsumiert werden könnten. Unter „Dienstwaffen“ i. S. v. Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 PolAbk fielen dann ausschließlich Schusswaffen, die das polnische Gesetz

310  Als

Zwangsmittel fungieren auch Sicherungszellen, Isolationsräume und Isolations­ zimmer (Art.  12 Abs.  1 Nr.  14–16 plUZwSwG); sie finden aber kraft Art.  16 Abs.  1 plPolG auf polizeiliche Maßnahmen keine Anwendung.

D.  Einsatz von Schusswaffen und (sonstigen) Mitteln

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– anders als das brandenburgische – nicht den Mitteln des unmittelbaren Zwangs (Kapitel 2) zuordnet, sondern selbstständig in Kapitel 3 regelt. Die Auslegung des Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 und 3 PolAbk im Sinne eines Verwei­ ses auf die nationalen Begriffsbestimmungen führt jedoch zu keinem sachge­ rechten Ergebnis. Erstens sieht weder die deutsche noch die polnische Regelung eine Kategorie von „Ausrüstungsgegenständen“ vor, die in Art.  36 PolAbk ne­ ben Dienstwaffen und Zwangsmitteln genannt und die an qualifizierte Einsatz­ voraussetzungen geknüpft wurden. Fraglich ist also, wie dieser Begriff auszu­ füllen wäre. Zweitens würden sich die Diskrepanzen zwischen dem deutschen und dem polnischen Verständnis von „Waffen“ auf die Befugnisse der nach­ eilenden Bediensteten nicht unerheblich auswirken. Während ein Distanz-Elek­ troimpulsgerät nach dem polnischen Gesetz ein Mittel des unmittelbaren Zwangs darstellt und somit unter den Anwendungsbereich des Art.  36 Abs.  2 Nr.  3 PolAbk fiele, handelt es sich bei diesem im deutschen Polizeirecht um eine Waffe, deren Einsatz gemäß Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 PolAbk grundsätzlich nur im Fall der Notwehr bzw. Nothilfe zulässig wäre. Gleiches gälte für den Schlagstock. Indes werden Schlagstöcke selbst in der Begründung zum deutschen Ratifizie­ rungsgesetz unter den Zwangsmitteln i. S. v. Art.  36 Abs.  2 Nr.  3 PolAbk exem­ plarisch aufgeführt.311 Daraus folgt, dass die innerstaatlichen Definitionen für die Abgrenzung bzw. inhaltliche Ausfüllung der Begriffe „Dienstwaffen“, „Ausrüstungsgegenstände“ und „Zwangsmittel“ nicht geeignet sind. Aufschluss könnten die Erklärungen Deutschlands und Polens zu Art.  19 Abs.  2 des Beschlusses 2008/615/JI des Rates v. 23.6.2008 zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität312 (weiter als Prüm-Be­ schluss) geben,313 an dem sich die Regelung des Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 PolAbk eindeutig orientiert314. Im Lichte der deutschen Erklärung sind mit „Dienstwaf­ fen“ Waffen im Sinne der Polizeigesetze zu verstehen; mit den „Ausrüstungsge­ genständen“ werden dagegen Hilfsmittel der körperlichen Gewalt angedacht.315 311 

BT-Drs. 18/3696, S.  40. ABl.  L 210 v. 6.8.2008, S.  1. Die Erklärungen aller Mitgliedstaaten wurden in Manual on cross-border operations – national fact sheets gesammelt. 313  So auch Sokołowski, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  119 (122 f.). 314  Vgl. den Wortlaut des Art.  19 Abs.  2 des Prüm-Beschlusses: „Die Mitgliedstaaten ge­ ben Erklärungen gemäß Artikel 36 ab, in denen sie die Dienstwaffen, Munition und Ausrüs­ tungsgegenstände aufführen, die nur im Fall der Notwehr oder der Nothilfe gebraucht wer­ den dürfen. Der sachleitende Beamte des Aufnahmemitgliedstaats kann nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts im Einzelfall einer über Satz  1 hinausgehenden Anwendung von Dienstwaffen, Munition und Ausrüstungsgegenständen zustimmen.“ Siehe auch die Begrün­ dung zum polnischen Ratifizierungsgesetz, Sejm-Druck Nr.  2827, S.  8. 315  Manual on cross-border operations – national fact sheets, S.  83 f. 312 

210

3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

Wollte man diese Begriffsbestimmungen für das Polizeiabkommen (2014) fruchtbar machen, so gelangte man zu einem abwegigen Ergebnis: Die Befug­ nis, Zwangsmittel mit sich zu führen und einzusetzen (Art.  36 Abs.  2 Nr.  3 Pol­ Abk), wäre inhaltlich leer, weil der Gebrauch von Waffen und Hilfsmitteln als Mittel des unmittelbaren Zwangs durch den Anwendungsbereich des Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 PolAbk in vollem Umfang erfasst wäre. Anders verhält es sich in Bezug auf die Erklärung Polens, die in dieser Hin­ sicht auf die Vorschriften des Gesetzes zur Umsetzung des Prüm-Beschlusses316 verweist.317 Als Dienstwaffen, Munition und Ausrüstungsgegenstände, die nur im Fall der Notwehr oder der Nothilfe gebraucht werden dürfen (Art.  19 Abs.  1 S.  1 des Prüm-Beschlusses) bzw. deren darüber hinausgehender Anwendung der sachleitende Beamte des Aufnahmestaates im Einzelfall zustimmen kann (Art.  19 Abs.  1 S.  2 des Prüm-Beschlusses), wurden nur Schusswaffen genannt (Art.  9 Abs.  1 Nr.  3 des Umsetzungsgesetzes). Die Anwendung der Mittel des unmittelbaren Zwangs unterliegt hingegen den allgemeinen Zulässigkeitsvor­ aussetzungen, die sich aus dem Gesetz über Mittel des unmittelbaren Zwangs und Schusswaffen ergeben (Art.  9 Abs.  1 Nr.  4 des Umsetzungsgesetzes). Die obige Differenzierung ließe sich unproblematisch auf die Regelung des Art.  36 Abs.  2 PolAbk übertragen: Mit den „Mitteln des unmittelbaren Zwangs“ aus Nr.  3 wären die in Art.  12 plUZwSwG aufgelisteten Gegenstände gemeint; als „Dienstwaffen“ gälten die Schusswaffen; dem Begriff „Ausrüstungsgegenstän­ de“ käme hingegen keine selbstständige Bedeutung zu. Um die beiden Sprachfassungen des Polizeiabkommens (2014) in Einklang zu bringen, müsste der Begriff „Dienstwaffen“ aus der deutschen Fassung da­ hin gehend ausgelegt werden, dass es sich bei diesen nur um Schusswaffen han­ delt. Eine solche Einschränkung gegenüber dem nationalen polizeigesetzlichen Waffenbegriff scheint dem Willen der Vertragsparteien zu entsprechen. Dieser Wille spiegelt sich nicht nur in der Zuordnung der Schlagstöcke zu den Zwangs­ mitteln und somit deren Ausklammerung aus dem Anwendungsbereich des Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 PolAbk wider, wie dies in der Begründung zum deutschen Ratifizierungsgesetz erfolgt ist. Er kommt vielmehr auch im Wortlaut des Art.  36 Abs.  4 PolAbk zum Ausdruck, der den zuständigen Behörden eine Un­ terrichtungspflicht hinsichtlich der zulässigen Kategorien von Dienstwaffen und deren Munition sowie Zwangsmitteln auferlegt. Die Formulierung „Dienst­ waffen und deren Munition“ lässt den Schluss zu, dass es sich gerade um Schusswaffen handelt. Sonstige Waffen sind folgerichtig den Zwangsmitteln 316  Das Gesetz v. 7.2.2014 über die Beteiligung der ausländischen Bediensteten oder Be­ amten an den gemeinsamen Einsätzen oder gemeinsamen Rettungsmaßnahmen auf dem Ho­ heitsgebiet der Republik Polen (Dz. U. 2014, Pos. 295). 317  Manual on cross-border operations – national fact sheets, S.  334 u. 326.

D.  Einsatz von Schusswaffen und (sonstigen) Mitteln

211

i. S. v. Art.  36 Abs.  2 Nr.  3 PolAbk zu subsumieren und können – so wie die Hilfsmittel der körperlichen Gewalt – unter den allgemeinen, im Recht des Ge­ bietsstaates vorgesehenen Zulässigkeitsvoraussetzungen gebraucht werden. Art.  36 Abs.  2 Nr.  4 PolAbk, der zum Mitführen und zum Einsatz von Dienst­ hunden – die sowohl im polnischen als auch im deutschen Recht als Mittel des unmittelbaren Zwangs qualifiziert werden – separat ermächtigt, stellt die Rich­ tigkeit dieser Zuordnung nicht infrage. Denn die Regelung schafft eine Rechts­ grundlage für einen weitergehenden Einsatz von Diensthunden, und zwar nicht als bloße Zwangsmittel, sondern im Zusammenhang mit und zum Zwecke der Verrichtung des Dienstes, z. B. zur Fahndung. Der Schwerpunkt der Vorschrift liegt somit woanders. Entsprechendes gilt für Art.  36 Abs.  2 Nr.  5 PolAbk, der den gebietsfremden Bediensteten den Einsatz von Dienstfahrzeugen, insbeson­ dere unter Inanspruchnahme von Sonder- und Wegerechten, gestattet. An dieser Stelle ist noch anzumerken, dass der sachbezogene Begriff der Zwangsmittel körperliche Gewalt nicht erfasst. Geht man davon aus, dass die körperliche Gewalt als jede unmittelbare physische Einwirkung auf den Körper des Betroffenen oder eine Sache zwangsläufig mit bestimmten polizeilichen Be­ fugnissen (etwa Festhalten, Anlegen von Handschellen, Sicherheitsdurchsu­ chung) verbunden ist, erscheint eine separate Ermächtigung entbehrlich.318 Dies entbindet freilich nicht von der Beachtung des Rechts des Gebietsstaates, das die Grenzen des Zulässigen festlegt. Zum gleichen Ergebnis gelangt man mit einem argumentum a maiore ad minus: Wenn die Bediensteten einen Schlagstock oder einen Reizstoff einsetzen dürfen, kann ihnen umso weniger die Anwen­ dung körperlicher Gewalt verwehrt sein, soweit damit der Zweck des Zwangs­ gebrauchs auf eine für den Betroffenen weniger belastende Art und Weise er­ reicht werden kann. Die Aussagekraft dieses Arguments verstärkt der Umstand, dass sich die Zulässigkeit des Zwangs nach dem Brandenburgischen Polizeige­ setz und nach dem polnischen Gesetz über Mittel des unmittelbaren Zwangs und Schusswaffen am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientiert.319

IV.  Schusswaffengebrauch nach Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 PolAbk Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 PolAbk ermächtigt die nacheilenden Beamten zum Mitfüh­ ren von Schusswaffen, lässt deren Einsatz jedoch „nur im Fall der Notwehr oder der Nothilfe“ bzw. „uprawnionej obrony siebie lub innej osoby“ zu (S.  1). Zu­ gleich stellt er fest, dass der sachleitende Beamte des Gebietsstaates nach Maß­ gabe des innerstaatlichen Rechts im Einzelfall einer weitergehenden Anwen­ 318 

319 

Vgl. oben I. Siehe unten IV. 2. b. bb. und c. cc. sowie V. 1. a.

212

3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

dung zustimmen kann (S.  2). Aus der Zusammenstellung dieser Normen ergibt sich, dass der eigenmächtige Schusswaffeneinsatz durch gebietsfremde Be­ dienstete grundsätzlich untersagt ist. Eine einzige Ausnahme betrifft den Not­ wehr- und Nothilfefall. 1.  Schusswaffeneinsatz im Fall der Notwehr oder Nothilfe a.  Wortlautorientierte Erwägungen Der Begriff „Notwehr“ wird in §  32 StGB als Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden, definiert. Eine nahezu wortgleiche Regelung enthalten §  227 BGB und §  15 OWiG. Im Strafrechtssystem stellt die Notwehr einen Rechtfertigungs­ grund dar, der dem Täter das Recht gibt, zur eigenen Verteidigung (Notwehr) oder zur Verteidigung eines Dritten (Nothilfe) Rechtsgüter des rechtswidrig Angreifenden zu beeinträchtigen.320 Umgekehrt wird der Letztere verpflichtet, die Gegenwehr zu dulden, soweit diese erforderlich und geboten ist.321 §  32 StGB folgt dabei dem Grundsatz „Recht braucht dem Unrecht nicht zu wei­ chen“,322 sodass als Notwehrhandlung nicht nur die Schutzwehr, sondern auch die Trutzwehr in Betracht kommt323. Es ist zu bedenken, dass Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 PolAbk Fälle des Schusswaffen­ gebrauchs festlegt, und nicht seine Art und Weise. Die Regelung könnte deshalb dahin ausgelegt werden, dass sie auf §  32 StGB ausschließlich zum Zwecke der Feststellung einer Notwehrlage verweist, in der Dienstwaffen gebraucht werden dürfen; für ihren Einsatz bzw. für die Reichweite ihres Einsatzes blieben hinge­ gen die speziellen polizeirechtlichen Vorschriften anwendbar. Eine solche Auf­ spaltung mag unter dem Gesichtspunkt der Übersichtlichkeit des polizeilichen Handelns geboten erscheinen: Die Polizeigesetze – im Gegensatz zu den allge­ meinen Vorschriften über die Notwehr – formulieren klare Grundsätze des Schusswaffengebrauchs. Gegen eine solche Deutung spricht aber, dass sich die Norm ausdrücklich auf die „Notwehr“ bzw. die „Nothilfe“ bezieht, in der – aus­ weislich des Wortlauts des §  32 StGB – die Verteidigungskomponente bereits inbegriffen ist. Es liegt deshalb die Annahme nahe, dass sämtliche Notwehrvo­ raussetzungen damit erfasst sind: Die Schusswaffen dürfen nur in einer Not­ wehrlage gebraucht werden und ihr Gebrauch muss eine erlaubte Notwehrhand­ lung i. S. v. §  32 StGB darstellen. Günther, in: SK-StGB, 8. Aufl., §  32 Rn.  1; Rönnau/Hohn, in: LK-StGB, §  32 Rn.  1. Günther, in: SK-StGB, 8. Aufl., §  32 Rn.  1; Rönnau/Hohn, in: LK-StGB, §  32 Rn.  1. 322  Perron, in: Schönke/Schröder, §  32 Rn.  1; Günther, in: SK-StGB, 8. Aufl., §  32 Rn.  86. 323  Perron, in: Schönke/Schröder, §  32 Rn.  30; Kühl, Strafrecht AT, §  7 Rn.  78 f. 320  321 

D.  Einsatz von Schusswaffen und (sonstigen) Mitteln

213

Bezieht man in die Auslegung die polnische Fassung ein, entstehen Unsicher­ heiten. Das Rechtsinstitut der Notwehr ist im polnischen Strafrecht in Art.  25 plStGB unter der Bezeichnung „obrona konieczna“ geregelt. In Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 PolAbk ist hingegen von „uprawniona obrona“ („berechtigte Verteidi­ gung“) die Rede. Berücksichtigt man den Inhalt des in §  32 StGB verankerten Rechts und greift man auf den Wortlaut des Art.  41 Abs.  5 lit.  e SDÜ zurück, der den Schusswaffeneinsatz nur in „Notwehr“ zulässt, die aber in diesem Fall in der polnischen Fassung des SDÜ als „obrona konieczna“ übersetzt wurde, kann man meinen, dass die Formulierung „uprawniona obrona“ in Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 PolAbk gerade auf die Notwehr i. S. v. Art.  25 plStGB Bezug nimmt. An­ dererseits orientiert sich der Wortlaut des Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 PolAbk, wie be­ reits angedeutet, an der Vorschrift des Art.  19 Abs.  2 des Prüm-Beschlusses. Auch hier taucht anstelle des deutschen Begriffs „Notwehr“ der Begriff „uprawniona obrona“ auf. Art.  9 Abs.  1 Nr.  1 lit.  a des Gesetzes über die Beteiligung fremder Bediensteter, in dem die betreffende Regelung umgesetzt wurde, ist dagegen deutlich enger gefasst als Art.  25 plStGB und korrespondiert mit Art.  45 Nr.  1 lit.  a plUZwSwG324: „Die ausländischen Bediensteten […] sind be­ fugt, Schusswaffen […] zum Zwecke der Abwehr eines unmittelbaren und rechtswidrigen Angriffs auf Leben, Gesundheit oder Freiheit des ausländischen Bediensteten oder Beamten oder einer anderen Person zu gebrauchen.“ Die Vor­ schrift sieht dabei vor, dass für die Art und Weise des Einsatzes das Gesetz über Mittel des unmittelbaren Zwangs und Schusswaffen gilt. Ob mit dem Begriff „uprawniona obrona“ bewusst von der Notwehrregelung des Art.  25 plStGB abgewichen wurde, lässt sich der Begründung zum polni­ schen Gesetz zur Ratifizierung des Polizeiabkommens (2014) nicht entnehmen. Auch geben die deutschen Gesetzesmaterialien den Wortlaut des Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 PolAbk wieder, ohne diesen zu erläutern. Darum dürfte es sich bei der polnischen Fassung lediglich um einen sprachlichen Lapsus handeln, der bereits auf die missglückte – da die Rechtsterminologie missachtende – wörtliche Übersetzung des englischen Ausdrucks „in legitimate self-defence or in the defence of others“ aus Art.  19 Abs.  2 des Prüm-Beschlusses zurückzuführen ist. Hätten nämlich die Vertragsparteien die Befugnis zum Schusswaffengebrauch nach dem Vorbild des Art.  9 Abs.  1 Nr.  1 lit.  a des Gesetzes über die Beteiligung fremder Bediensteter gestalten wollen, hätten sie ihren Willen in den Gesetzes­ materialien deutlich zum Ausdruck gebracht. Zudem hätten sie bereits den Wortlaut des Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 PolAbk derart modifizieren können, dass der Gebrauch einer Dienstwaffe nur in der Notwehrlage oder nur zur Abwehr eines 324  Die Vorschrift stellt eine der Rechtsgrundlagen für den Schusswaffeneinsatz dar, siehe unten IV. 2. c. aa.

214

3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

rechtswidrigen gegenwärtigen Angriffs auf irgendein Rechtsgut (oder ein­ schränkend auf aufgezählte Rechtsgüter) von sich oder einer anderen Person zulässig ist.325 Dann verwiese die Vorschrift auf §  32 StGB bzw. Art.  25 plStGB nur zur Festlegung der Umstände, unter denen Waffen eingesetzt werden dürf­ ten; für die Art und Weise des Einsatzes wären hingegen die speziellen polizei­ rechtlichen Vorschriften anwendbar. Vor dem Hintergrund des deutschen Wortlauts des Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 ­PolAbk und der vorstehenden Erwägungen ist anzunehmen, dass mit dem Be­ griff „uprawniona obrona“ aus der polnischen Fassung „obrona konieczna“ gemeint war. Wann und wie die nacheilenden Bediensteten auf dem fremden Hoheitsgebiet ohne Zustimmung des sachleitenden Beamten des Gebietsstaates Schusswaffen verwenden dürfen, richtet sich folglich nach den Vorschriften des §  32 StGB und des Art.  25 plStGB. b.  Voraussetzungen des Schusswaffengebrauchs aa.  Deutsches Recht (1) Notwehrlage Der Schusswaffengebrauch unter Inanspruchnahme des Notwehrrechts aus §  32 StGB erfordert das Vorliegen eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs. Unter Angriff wird eine Verletzung rechtlich geschützter Interessen durch menschliches Verhalten verstanden.326 Da §  32 StGB auf die Abwehr eines An­ griffs von sich oder einem anderen abstellt, sind unbestritten alle Individual­ rechtsgüter notwehrfähig.327 Rechtsgüter der Allgemeinheit scheiden aus, da diese kein Rechtssubjekt und mithin kein „anderer“ im Sinne der Vorschrift ist.328 Gegenwärtig ist der Angriff, wenn er unmittelbar bevorsteht, gerade statt­ findet oder noch andauert.329 Die erste Variante bezieht sich auf das Verhalten, „das unmittelbar in die eigentliche Verletzungshandlung umschlagen soll“ (vor­ sätzlicher Angriff) oder „in eine solche umzuschlagen droht“ (fahrlässiger An­ griff).330 Die Rechtsprechung lässt in diesem Zusammenhang genügen, dass der 325  Vgl. Art.  20 Abs.  2 S.  2 des polnisch-litauischen Kooperationsvertrags, wonach die Schusswaffen nur zur Abwehr eines unmittelbaren und rechtswidrigen Angriffs auf Leben oder Gesundheit der Bediensteten oder einer anderen Person gebraucht werden dürfen. 326  Kindhäuser, in: NK-StGB, §  32 Rn.  26; Kühl, in: Lackner/Kühl, §  32 Rn.  2; Duttge, in: Dölling/Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  32 StGB Rn.  5. 327  Hoyer, in: SK-StGB, 9. Aufl., §  32 Rn.  14; Perron, in: Schönke/Schröder, §  32 Rn.  5; zu Beispielen aus der Rechtsprechung Kindhäuser, in: NK-StGB, §  32 Rn.  36. 328  Hoyer, in: SK-StGB, 9. Aufl., §  32 Rn.  15; Perron, in: Schönke/Schröder, §  32 Rn.  8. 329  Erb, in: MK-StGB, §  32 Rn.  104; Rönnau/Hohn, in: LK-StGB, §  32 Rn.  140. 330  Perron, in: Schönke/Schröder, §  32 Rn.  14.

D.  Einsatz von Schusswaffen und (sonstigen) Mitteln

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Angreifer erst zur mitgeführten Waffe in die Brusttasche greift331 oder „in dro­ hender Haltung“ auf den anderen zugeht332. Der bereits ausgeführte Angriff ist so lange gegenwärtig, wie eine Herbeiführung oder Vertiefung der Rechtsgut­ beeinträchtigung noch unmittelbar zu befürchten ist.333 Bei Straftaten gegen Eigentum oder Vermögen gilt das, bis die Beute gesichert worden ist, sodass auch einem flüchtenden Dieb gegenüber die Notwehr bzw. die Nothilfe geübt werden kann.334 Auch bei einem Dauerdelikt können die Verteidigungsmittel bis zu dessen Beendigung eingesetzt werden.335 Des Weiteren muss der Angriff rechtswidrig sein, d. h. „objektiv im Widerspruch zur Rechtsordnung stehen“.336 Eine „Notwehr gegen Notwehr“ kann es folglich nicht geben.337 An der Rechts­ widrigkeit fehlt es auch bei Angriffen, die durch andere – straf-, zivil- oder öf­ fentlich-rechtliche – Erlaubnissätze, etwa den rechtfertigenden Notstand nach §  34 StGB, gerechtfertigt sind.338 (2) Notwehrhandlung Der Schusswaffengebrauch wird durch die Regelung des §  32 StGB gedeckt, wenn er eine erforderliche und gebotene Verteidigung darstellt. (a)  Erforderlichkeit des Schusswaffengebrauchs Mit dem Merkmal der Erforderlichkeit wird zum einen vorausgesetzt, dass der Schusswaffeneinsatz aus der objektiven ex-ante-Sicht zur Abwehr des Angriffs geeignet ist.339 Es genügt, wenn der Abwehrerfolg, auch wenn in Gestalt einer Abschwächung oder eines Hinausschiebens des Angriffs bzw. einer Verringe­ rung der Verletzungsgefahr, nicht von vornherein aussichtslos erscheint.340 Zum zweiten wird gefordert, dass der Schusswaffengebrauch unter mehreren alterna­ tiv zur Verfügung stehenden und jeweils den gleichen Abwehrerfolg verspre­ 331 

BGH NJW 1973, 255. BGH NStZ 2000, 365. 333  Erb, in: MK-StGB, §  32 Rn.  110; Hoyer, in: SK-StGB, 9. Aufl., §  32 Rn.  4 4. 334  Fischer, StGB, §  32 Rn.  18; Duttge, in: Dölling/Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  32 StGB Rn.  12; Hoyer, in: SK-StGB, 9. Aufl., §  32 Rn.  45; vgl. BGHSt 48, 207 (209). 335  Fischer, StGB, §  32 Rn.  18; Rönnau/Hohn, in: LK-StGB, §  32 Rn.  149; Erb, in: MKStGB, §  32 Rn.  112. 336  Perron, in: Schönke/Schröder, §  32 Rn.  19/20; vgl. Rönnau/Hohn, in: LK-StGB, §  32 Rn.  108. 337  RGSt 54, 196 (198 f.); BGHSt 39, 374 (376); Günther, in: SK-StGB, 8. Aufl., §  32 Rn.  58. 338  Günther, in: SK-StGB, 8. Aufl., §  32 Rn.  58; Kindhäuser, in: NK-StGB, §  32 Rn.  61. 339  Kühl, Strafrecht AT, §  7 Rn.  107; Rönnau/Hohn, in: LK-StGB, §  32 Rn.  171 u. 180; Fischer, StGB, §  32 Rn.  28. 340  Perron, in: Schönke/Schröder, §  32 Rn.  35; Fischer, StGB, §  32 Rn.  28. 332 

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

chenden Mitteln das mildeste darstellt.341 Maßgeblich ist immer die „konkrete Kampflage“, die vor allem durch die Stärke und die Gefährlichkeit des Angriffs einerseits und bestehende Verteidigungsmöglichkeiten und ihre Erfolgschancen andererseits gekennzeichnet ist.342 Der Verteidiger braucht das Risiko des Ein­ satzes einer zwar weniger gefährlichen Maßnahme, deren Abwehrwirkung aber zweifelhaft ist, nicht einzugehen.343 Deshalb kann der Schusswaffengebrauch im Einzelfall ein erforderliches Notwehrmittel selbst dann darstellen, wenn der Angreifer unbewaffnet ist.344 Für die Art und Weise des Schusswaffeneinsatzes hat sich in der höchstge­ richtlichen Rechtsprechung „eine abgestufte Reaktionsfolge“345 etabliert. Dem Einsatz muss eine Androhung vorausgehen, es sei denn, sie würde eine wirksa­ me Abwehr behindern oder ist aufgrund der bedrohlichen Lage nicht mehr mög­ lich.346 Sofern die Androhung nicht genügt, ist ein „ungezielter“ Warnschuss abzugeben,347 der die mündliche Ankündigung jedoch ersetzen kann 348. Vom Warnschuss kann abgesehen werden, wenn er wirkungslos bliebe oder aufgrund Zeitverlusts die weitere Verteidigung riskanter machen bzw. zu einer weiteren Eskalation führen würde.349 Gewisse Einschränkungen gelten ebenfalls für den gezielten Einsatz der Schusswaffe. Geschossen werden soll zunächst, soweit möglich und Erfolg versprechend, auf nicht lebenswichtige Körperteile,350 d. h. Beine oder Arme351. Da sich die Erforderlichkeit auf die Verteidigungshandlung und nicht auf ihren Ausgang bezieht,352 werden auch ungewollte Auswirkungen einer erforderlichen Abwehrmaßnahme durch Notwehr gedeckt,353 darunter so­ Erb, in: MK-StGB, §  32 Rn.  129; Perron, in: Schönke/Schröder, §  32 Rn.  36 ff. Perron, in: Schönke/Schröder, §  32 Rn.  36; Kühl, Strafrecht AT, §  7 Rn.  101. 343  BGH NStZ-RR 2007, 199 (200); Perron, in: Schönke/Schröder, §  32 Rn.  36c; Kindhäuser, in: NK-StGB, §  32 Rn.  91. 344  Perron, in: Schönke/Schröder, §  32 Rn.  37 m. w. N. 345  Die Bezeichnung nach Günther, in: SK-StGB, 8. Aufl., §  32 Rn.  96. 346  Kindhäuser, in: NK-StGB, §  32 Rn.  140; Perron, in: Schönke/Schröder, §  32 Rn.  37; Günther, in: SK-StGB, 8. Aufl., §  32 Rn.  96, jeweils unter Bezugnahme auf die Rechtspre­ chung. 347  BGH NStZ 1987, 172; BGH NJW 2001, 1075 (1076); Günther, in: SK-StGB, 8. Aufl., §  32 Rn.  96. 348  Kindhäuser, in: NK-StGB, §  32 Rn.  140; Perron, in: Schönke/Schröder, §  32 Rn.  37; vgl. BGH NStZ-RR 2010, 140. 349  BGH NStZ 2012, 272 (274); Perron, in: Schönke/Schröder, §  32 Rn.  37. 350  BGH NStZ 1987, 172; Perron, in: Schönke/Schröder, §  32 Rn.  37; Duttge, in: Dölling/ Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  32 StGB Rn.  21. 351  Kindhäuser, in: NK-StGB, §  32 Rn.  140. 352  Kindhäuser, in: NK-StGB, §  32 Rn.  92; Günther, in: SK-StGB, 8. Aufl., §  32 Rn.  97. 353  Anders wäre es zu beurteilen, wenn der Notwehrübende „das besondere Risiko min­ dern konnte und dies in vorwerfbarer Weise nicht getan hat“, BGHSt 27, 313 (314). 341 

342 

D.  Einsatz von Schusswaffen und (sonstigen) Mitteln

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gar der Tod des Angreifers354. Ein lebensgefährdender Schusswaffengebrauch, etwa in Form eines Schusses in den Oberkörper, ist erst als Ultima Ratio erfor­ derlich i. S. v. §  32 StGB.355 (b)  Gebotenheit des Schusswaffengebrauchs Während die „Erforderlichkeit“ einen Vergleich der bestehenden Abwehrmittel unter dem Gesichtspunkt ihrer Tauglichkeit und Intensität betrifft, bezieht sich die „Gebotenheit“ auf das „Verhältnis von Abwehrmittel und Abwehrzweck“.356 Es sollen diejenigen (erforderlichen) Verteidigungsmaßnahmen aus dem An­ wendungsbereich des §  32 StGB ausgeschlossen werden, die aus sozialethischen Gründen „keine Rechtfertigung verdienen“.357 Hinsichtlich des Schusswaffen­ gebrauchs stellt sich die Frage nach dessen Gebotenheit insbesondere bei An­ griffen auf Sachwerte. Da mit dem betreffenden Merkmal nicht die Güterpro­ portionalität verlangt,358 sondern eine missbräuchliche Rechtsausübung verbo­ ten wird,359 muss nach einer verbreiteten Ansicht auf den Einsatz der Schusswaffe nur im Fall eines krassen Missverhältnisses zwischen den auf dem Spiel stehenden Rechtsgütern verzichtet werden 360. Ein solches Missverhältnis liegt vor, wenn der Eingriff in die Interessen des Angreifers nach einer Gesamt­ abwägung „im extremen Maße außer Verhältnis“ zur drohenden Rechtsgutver­ letzung steht.361 Unter Umständen dürften folglich auch lebensgefährdende Maßnahmen zum Schutz von Eigentums- und Vermögenswerten gerechtfertigt werden.362 Es mehren sich allerdings Stimmen, die mit Blick auf Art.  2 Abs.  2 lit.  a EMRK für eine Einschränkung des Notwehrrechts bei der Verteidigung von Sachgütern plädieren. Die Vorschrift sieht vor, dass die Tötung eines Menschen in einer Notwehrlage nur dann nicht als Verletzung des Rechts auf Leben be­ 354  Etwa infolge einer Verletzung des Rumpfes beim gezielten Schuss auf die Beine, dazu BGH NStZ 2005, 31 (31); Perron, in: Schönke/Schröder, §  32 Rn.  39. 355  Günther, in: SK-StGB, 8. Aufl., §  32 Rn.  96; Kindhäuser, in: NK-StGB, §  32 Rn.  140; Perron, in: Schönke/Schröder, §  32 Rn.  37; exemplarisch BGHSt 26, 143 (146); BGH NStZ 1987, 172. 356  Günther, in: SK-StGB, 8. Aufl., §  32 Rn.  103. 357  BT-Drs. V/4095, S.  14. 358  Kindhäuser, in: NK-StGB, §  32 Rn.  112; Perron, in: Schönke/Schröder, §  32 Rn.  50. 359  BGH NJW 1962, 308 (309); Günther, in: SK-StGB, 8. Aufl., §  32 Rn.  102; Fischer, StGB, §  32 Rn.  36 u. 39. 360  Günther, in: SK-StGB, 8. Aufl., §  32 Rn.  110 ff.; Fischer, StGB, §  32 Rn.  39; Mitsch, NStZ 1989, 26 (27). 361  Rönnau/Hohn, in: LK-StGB, §  32 Rn.  233; Perron, in: Schönke/Schröder, §  32 Rn.  50. 362 Zum Ganzen Günther, in: SK-StGB, 8. Aufl., §  32 Rn.  114 ff. mit Nachweisen aus Rechtsprechung und Lehre.

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

trachtet wird, wenn sie durch eine Gewaltanwendung verursacht wird, die unbe­ dingt erforderlich ist, um jemanden gegen rechtswidrige Gewalt zu verteidigen. Daraus wird zu Recht abgeleitet, dass die Tötung363 nur zum Schutz von Leben, Gesundheit und allenfalls von Freiheit legitim sein kann.364 Eine Verteidungs­ maßnahme, die der Abwehr eines Angriffs auf Sachwerte dient und den Angrei­ fer erkennbar in eine Lebensgefahr bringt, muss unterbleiben.365 Die bisher h. M. im strafrechtlichen Schrifttum wendet zwar ein, dass sich die in Deutschland mit einfachgesetzlichem Rang geltende Konvention nur im ver­ tikalen Verhältnis auswirkt, sodass Art.  2 Abs.  2 lit.  a EMRK auf die private Notwehr nicht anwendbar ist.366 Bedenkt man aber, dass der Notwehrübende 363  Trotz des wenig präzisen Wortlauts erfasst Art.  2 Abs.  2 EMRK nicht nur Tötungsakte mit direktem Vorsatz, sondern bezieht sich auch bzw. vorrangig auf die Gewaltanwendung mit „unbeabsichtigter Todesfolge“, EKMR, Entscheidung v. 10.7.1984 – Nr.  10044/82 (Stewart vs. Großbritanien), Rn.  15; aus jüngster Zeit siehe EGMR, Urteil v. 24.9.2008 – Nr.  44587/98 (Isaak vs. Türkei). Unter den Anwendungsbereich des Art.  2 Abs.  2 EMRK fällt insoweit auch die Abwehr eines Angriffs mit bedingtem Tötungsvorsatz, Frowein/Peukert, EMRK, Art.  2 Rn.  1; Alleweldt, in: Dörr/Grote/Marauhn (Hrsg.), Kapitel 10 Rn.  5 u. 40; Grabenwarter/Pabel, EMRK, §  20 Rn.  1 u. 13; Meyer-Ladewig, EMRK, Art.  2 Rn.  46; Perron, in: Schönke/Schröder, §  32 Rn.  62; Rönnau/Hohn, in: LK-StGB, §  32 Rn.  236; a. A. Krey, JZ 1979, 702 (709); Duttge, in: Dölling/Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  32 StGB Rn.  24; Günther, in: SK-StGB, 8. Aufl., §  32 Rn.  117. 364  Perron, in: Schönke/Schröder, §  32 Rn.  50; Grabenwarter/Pabel, EMRK, §  20 Rn.  14 f.; Frister, GA 1985, 553 (563); Alleweldt, in: Dörr/Grote/Marauhn (Hrsg.), Kapitel 10 Rn.  62; Peters/Altwicker, EMRK, §  5 Rn.  16; Lagodny, in: Pabel/Schmahl (Hrsg.), Art.  2 EMRK Rn.  83; so auch Rönnau/Hohn, in: LK-StGB, §  32 Rn.  236, wobei sie die Wirkung des Art.  2 EMRK nur auf das Verhältnis zwischen Staat und Bürger beziehen. Die Gegenansicht, die mit dem Begriff „Gewalt“ aus Art.  2 Abs.  2 lit.  a EMRK auch Angriffe auf Sachgüter erfassen will (siehe etwa Ergänzende Vorschläge und Bemerkungen der Sachbearbeiter des Bundesjustizministeriums zum Thema Notwehr, Notstand und Nötigungsnotstand, in: Nie­ derschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Anhang Nr.  26, S.  79 [81 f.]; Lange, MDR 1974, 357 [359]), verdient keine Zustimmung. Verfehlt ist insbesondere der Einwand, dass der Ausschluss der Sachgüter zu den Wertungswidersprüchen mit Art.  2 Abs.  2 lit.  b EMRK führte (Lange, a. a. O.). Denn im Lichte der Straßburger Judikate kann ein lebensgefährdender Schusswaffeneinsatz auch nach dieser Vorschrift nicht gerechtfertigt werden, soweit der Betroffene keine Gefahr für Leib oder Leben schafft, siehe etwa EGMR, Urteil v. 6.7.2005 – Nr.  43577/98 (Natchova u. a. vs. Bulgarien), Rn.  95. Mit dem Ausdruck „unbedingt erforderlich“, der sich auf alle Fälle des Art.  2 Abs.  2 EMRK bezieht, werden nämlich Eingriffe in das Rechtsgut „Leben“ an strenge Verhältnismäßigkeitsanforderungen geknüpft, EGMR, Urteil v. 27.9.1995 – Nr.  18984/91 (McCann u. a. vs. Großbritannien), Rn.  149; Alleweldt, in: Dörr/Grote/Marauhn (Hrsg.), Kapitel 10 Rn.  68; Peters/Altwicker, EMRK, §  5 Rn.  17; Frowein/Peukert, EMRK, Art.  2 Rn.  11; Meyer-Ladewig, EMRK, Art.  2 Rn.  47; Grabenwarter/Pabel, EMRK, §  20 Rn.  13 u. 15. 365  Perron, in: Schönke/Schröder, §  32 Rn.  50. 366  Ergänzende Vorschläge und Bemerkungen der Sachbearbeiter des Bundesjustizminis­ teriums zum Thema Notwehr, Notstand und Nötigungsnotstand, in: Niederschriften über die

D.  Einsatz von Schusswaffen und (sonstigen) Mitteln

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(eigentlich) in Vertretung der zur Abwehr von Angriffen berufenen Staatsorga­ ne tätig wird, lassen sich der Regelung die Grenzen entnehmen, in denen „auch der Bürger als Verteidiger des angegriffenen Rechts“ handeln darf.367 Der EGMR betont im Übrigen, dass Art.  2 EMRK im Sinne eines effektiven Le­ bensschutzes zu deuten ist und dem Staat über das Verbot der nicht gerechtfer­ tigten Tötung hinaus die positive Pflicht auferlegt, die Rechtsetzung und Rechts­ ausübung an dem Gebot des Lebensschutzes zu orientieren.368 Diese Pflicht kann wohl auch darin bestehen, bei „rein privaten“ Beeinträchtigungen des Rechts auf Leben einzuschreiten bzw. diese zu bestrafen.369 In Bezug auf die Ausübung des Nacheilerechts durch nacheilende polnische Beamte ist die Frage nach der Auswirkung des Art.  2 Abs.  2 lit.  a EMRK im horizontalen Verhältnis ohnehin belanglos. Denn beim Einschreiten nach Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 S.  1 PolAbk erlischt deren hoheitliche Stellung370 nicht; viel­ mehr wurde diese Vorschrift als öffentlich-rechtliche Ermächtigungsgrundlage ausgeformt.371 Dies ergibt sich aus der Zusammenstellung der folgenden Nor­ men: Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Anhang Nr.  26, S.  79 (81); Fischer, StGB, §  32 Rn.  40; Krey, JZ 1979, 702 (708 f.); Rönnau/Hohn, in: LK-StGB, §  32 Rn.  237; Günther, in: SK-StGB, 8. Aufl., §  32 Rn.  117; Hoyer, in: SK-StGB, 9. Aufl., §  32 Rn.  108 m. w. N. Siehe auch die umfassende Darstellung des Meinungsstandes bei Erb, in: MK-StGB, §  32 Rn.  19 ff. 367  So zu Recht Kindhäuser, in: NK-StGB, §  32 Rn.  104. 368  Statt aller siehe EGMR, Urteil v. 28.10.1998 – Nr.  23452/94 (Osman vs. Vereinigtes Königreich), Rn.  115; EGMR, Urteil v. 14.6.2011 – Nr.  19776/04 (Ciechońska vs. Polen), Rn.  60 ff.; Garlicki, in: Garlicki (Hrsg.), Art.  2 Rn.  38; Beschluss des Obersten Gerichts v. 15.4.2015, IV KK 409/14, OSNKW 2015/9/78. 369  So das Oberste Gericht in einem Beschluss v. 15.4.2015, IV KK 409/14, OSNKW 2015/9/78. 370  Vgl. hierzu C. I. 4. 371 Abweichend Sokołowski, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  119 (135), nach dessen Ansicht Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 S.  1 PolAbk – im Gegensatz zu Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 S.  2 PolAbk – keine öffentlich-rechtliche Ermächtigung enthält, sondern vom natürlichen Ab­ wehrrecht des Beamten als Menschen spricht, mit der Folge, dass eine wirksame Inanspruch­ nahme des Notwehrrechts nur die persönliche Strafbarkeit des Beamten ausschließt. Soko­ łowski stellt ferner fest, dass dem Gebietsstaat im Schadensfall kein Regressanspruch gegen den Herkunfststaat der nacheilenden Bediensteten zusteht, da es sich beim Schusswaffenein­ satz in Notwehr um eine vertraglich geregelte Maßnahme handelt. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Zum einen lässt sich die Annahme des Privathandelns in den Fällen des Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 S.  1 PolAbk, wie dargelegt, weder mit dem Wortlaut noch mit der Struk­ tur des Art.  36 PolAbk vereinbaren. Zum anderen findet der Ausschluss von Regressansprü­ chen keine Stütze in Art.  34 PolAbk, der eine Ausnahme von der Rückerstattungspflicht (Abs.  4 S.  2) nur für den Fall vorsieht, dass der Bedienstete der zuständigen Behörde, der den Schaden verursacht hat, unter unmittelbarer Leitung eines Bediensteten der anderen Partei gehandelt und den Schaden nicht vorsätzlich herbeigeführt hat (Abs.  4 S.  3).

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

„Ihnen [Den gebietsfremden Beamten – Anm. der Verfasserin] stehen keine hoheitlichen Befugnisse zu, sofern dieses Abkommen nichts anders bestimmt.“ (Art.  36 Abs.  1 S.  2 ­PolAbk) „Die Beamten sind im Rahmen der Durchführung dieses Abkommens im Hoheitsgebiet der anderen Partei befugt, Dienstwaffen, Munition und Ausrüstungsgegenstände mit sich zu führen und von diesen nur im Fall der Notwehr oder der Nothilfe Gebrauch zu machen.“ (Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 S.  1 PolAbk)

Die erste Norm stellt klar, dass die einzige Quelle, aus der sich (hoheitliche) Befugnisse der ausländischen Beamten ergeben, das Polizeiabkommen (2014) ist, wobei im Bereich des Nacheilerechts freilich auch die Bestimmungen des Art.  41 SDÜ heranzuziehen sind. Bei der zweiten Norm handelt es sich – syste­ matisch betrachtet – um eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Bediens­ teten auf dem fremden Hoheitsgebiet über hoheitliche Befugnisse nicht verfü­ gen, d. h. also um eine Kompetenzzuweisung i. S. v. Art.  36 Abs.  1 S.  2 PolAbk. Der Schusswaffengebrauch durch die polnischen Polizeibeamten in Notwehrund Nothilfefällen stellt folglich eine hoheitliche Maßnahme dar und ist – unge­ achtet dessen, welcher der oben dargestellten Auffassungen man folgt, an Art.  2 Abs.  2 lit.  a EMRK zu messen. Die praktische Bedeutung der Vorschrift als Schranke für die Inanspruchnahme des Notwehrrechts durch nacheilende Ho­ heitsträger erscheint jedoch gering. Denn in der Verfolgungssituation ist vor allem mit Angriffen auf Leben oder Leib der Beamten, einer Geisel oder eines unbeteiligten Dritten zu rechnen. Und bei solchen Angriffen kommt der lebens­ gefährdende Schusswaffengebrauch bereits nach der rein innerstaatlichen Deu­ tung des §  32 StGB nur als Ultima Ratio in Betracht. Im praxisrelevanten Fall der grenzüberschreitenden Verfolgung eines Autodiebes, der bei der Wegnah­ me auf frischer Tat betroffen worden ist, bleibt der Angriff auf das Eigentum zwar während der gesamten Nacheile gegenwärtig. Schwer vorstellbar ist je­ doch eine Situation, in der die Schusswaffenanwendung zur Beseitigung dieses Angriffs als erforderlich im Sinne der Notwehrregelung gewertet werden könn­ te, weil dem Polizeibeamten aufgrund seiner Ausbildung, dienstlichen Ausrüs­ tung und Erfahrung in der Regel andere gleich wirksame und dabei schonende­ re Verteidigungsmittel zur Verfügung stehen werden.372 bb.  Polnisches Recht (1) Notwehrlage Die Inanspruchnahme des Notwehrrechts aus Art.  25 §  1 plStGB setzt einen unmittelbaren rechtswidrigen Angriff auf irgendein rechtlich geschütztes 372 Vgl.

Perron, in: Schönke/Schröder, §  32 Rn.  42c.

D.  Einsatz von Schusswaffen und (sonstigen) Mitteln

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Rechtsgut voraus. Das Wort „irgendein“ deutet darauf hin, dass sich der Anwen­ dungsbereich dieser Vorschrift – anders als ihres deutschen Pendants – nicht auf Individualrechtsgüter beschränkt.373 Nichtsdestotrotz bringt Art.  36 Abs.  2 Pkt.  2 PolAbk in der polnischen Fassung eindeutig zum Ausdruck, dass Schuss­ waffen zur Abwehr von Angriffen von sich selbst oder von anderen Personen gebraucht werden dürfen („w przypadku uprawnionej obrony siebie lub innych osób“). Insoweit begrenzt er das Eingriffsrecht der nacheilenden Beamten zwei­ felsfrei auf Individualrechtsgüter. In Bezug auf die Auslegung des Begriffs ei­ nes unmittelbaren rechtswidrigen Angriffs kann auf die obigen Ausführungen zu §  32 StGB verwiesen werden.374 Dies betrifft auch das Erfordernis der Un­ mittelbarkeit, dem die polnische Judikatur und Lehre die gleiche Bedeutung zuschreiben, die dem Merkmal der Gegenwärtigkeit aus §  32 StGB zukommt. Als zur Notwehr berechtigender Angriff gilt insoweit auch nach dem polni­ schen Recht jedes – vorsätzliche oder fahrlässige – menschliche Verhalten, das im Widerspruch zur Rechtsordnung steht und in einer realen Gefährdung oder in einer gerade erfolgenden oder noch andauernden Verletzung eines Rechts­ guts besteht. (2) Notwehrhandlung Art.  25 §  1 plStGB gewährt dem Notwehrübenden das Recht auf eine effektive Verteidigung, d. h. eine solche, „die den Schutz des angegriffenen Rechtsguts vor dessen Beeinträchtigung oder Vernichtung gewährleistet“375 bzw. „die dem Verteidiger einen hinreichenden Vorsprung vor dem Angreifer gibt“376. Nach der in Rechtsprechung und Lehre herrschenden Auffassung von der Eigenstän­ digkeit der Notwehr ist der Angegriffene nicht darauf angewiesen, sich mit der Flucht in Sicherheit zu bringen, sich zu verstecken oder einen Dritten bzw. eine Polizei- oder Ordnungsbehörde um Hilfe zu rufen.377 Stattdessen kann er sich auch u. a. Daniluk, in: Stefański (Hrsg.), Art.  25 Rn.  12; Zontek, in: Królikowski/ Zawłocki (Hrsg.), Art.  25 Rn.  7. In Bezug auf die Staatsnothilfe wohl einschränkend Zoll, in: Wróbel/Zoll (Hrsg.), Art.  25 Rn.  38. 374  Siehe die in dieser Hinsicht mit dem deutschen Schrifttum zu §  32 StGB übereinstim­ menden Ausführungen von Daniluk, in: Stefański (Hrsg.), Art.  25 Rn.  4 ff.; Zontek, in: Króli­ kowski/Zawłocki (Hrsg.), Art.  25 Rn.  14 ff.; Marek, Kodeks karny, Art.  25 Rn.  10 ff.; Zoll, in: Wróbel/Zoll (Hrsg.), Art.  25 Rn.  10 ff.; Giezek, in: Giezek (Hrsg.), Art.  25 Rn.  5 ff. jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des Obersten Gerichts. 375  Marek, Kodeks karny, Art.  25 Rn.  26. 376  Zoll, in: Wróbel/Zoll (Hrsg.), Art.  25 Rn.  59. 377  Siehe z. B. Urteil des Obersten Gerichts v. 4.2.1972, IV KR 337/71, OSNKW 1972/5/83; Urteil des Obersten Gerichts v. 19.4.1982, II KR 67/82, OSNPG 1982/11/143; Urteil des Ober­ sten Gerichts v. 9.4.2002, V KKN 266/00, LEX Nr.  52941; Beschluss des Obersten Gerichts v. 16.11.2009, IV KK 105/09, OSNwSK 2009/1/2257; Daniluk, in: Stefański (Hrsg.), Art.  25 373  So

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

mit allen verfügbaren Mitteln, die erforderlich sind, um den Angreifer zum Rückzug zu zwingen, (aktiv) verteidigen.378 Die Abwehrmaßnahmen müssen gleichwohl angemessen sein. Dies ergibt sich im Umkehrschluss aus Art.  25 §  2 plStGB, wonach im Falle der Überschreitung der Notwehrgrenzen, insbesonde­ re bei einer im Verhältnis zur Gefährlichkeit des Angriffs unangemessenen Verteidigungsweise, das Gericht die Strafe außerordentlich mildern oder von Strafe absehen kann. Die Beurteilung des Gefährlichkeitsgrades und folglich der Angemessenheit der Verteidigung ist eine Resultante mehrerer Faktoren, zu denen u. a. die Art des angegriffenen Rechtsguts, Intensität, Wiederholbarkeit und Dynamik des Angriffs, dessen Zeit und Ort sowie Eigenschaften des Angreifers und des An­ gegriffenen gehören.379 Unter den zur Verfügung stehenden, gleich wirksamen Abwehrmaßnahmen sind vorrangig die mildesten zu ergreifen.380 Sollte es sich dabei im Einzelfall um eine Schusswaffe handeln, hat der Einsatz – soweit mög­ lich und Erfolg versprechend – stufenweise zu erfolgen: Ein lebensgefährdender Schuss wird nur als letztes Mittel durch die Notwehr gedeckt.381 Das Risiko des Eintritts einer schweren, im Ergebnis über die Grenze der erforderlichen Vertei­ digung hinausgehenden Folge trägt allerdings der Angreifer.382 Rn.  32; Marek, Obrona konieczna, S.  96 ff.; ders., Kodeks karny, Art.  25 Rn.  7 m. w. N. Ab­ weichend Zoll, in: Wróbel/Zoll (Hrsg.), Art.  25 Rn.  52, der den Grundsatz einer relativen Subsidiarität annimmt: Das Recht auf Gegenwehr sei auf die Fälle beschränkt, in denen es keine andere rationale Möglichkeit zur Vermeidung des Angriffs und zum Schutz der Rechts­ ordnung gibt. 378  Urteil des Obersten Gerichts v. 4.2.1972, IV KR 337/71, OSNKW 1972/5/83; Urteil des Obersten Gerichts v. 19.4.1982, II KR 67/82, OSNPG 1982/11/143; Beschluss des Obersten Gerichts v. 16.11.2009, IV KK 105/09, OSNwSK 2009/1/2257. 379  Urteil des Obersten Gerichts v. 14.6.1984, I KR 123/84, OSNPG 1985/4/51; Urteil des Appellationsgerichts in Gdańsk v. 19.5.2014, II Aka 96/14, LEX Nr.  1473941; Zontek, in: Królikowski/Zawłocki (Hrsg.), Art.  25 Rn.  44; Marek, Kodeks karny, Art.  25 Rn.  28; ders., Obrona konieczna, S.  106 ff. 380  Urteil des Obersten Gerichts in einer Besetzung von sieben Richtern v. 11.7.1974, VI KRN 34/74, OSNKW 1974/11/198; Urteil des Obersten Gerichts v. 21.5.1975, II KR 372/74, OSNPG 1975/10/94; Urteil des Obersten Gerichts v. 6.9.1989, II KR 39/89, OSNPG 1990/2/16; Urteil des Appellationsgerichts in Lublin v. 11.8.2009, II Aka 99/09, KZS 2010/1/32; Marek, Obrona konieczna, S.  116. 381  Siehe Beschluss des Obersten Gerichts v. 17.6.2003, II KK 42/03, OSNwSK 2003/1/1305 und Urteil des Appellationsgerichts in Lublin v. 28.9.1999, I AKa 101/99, OSA 2000/7–8/60, aus denen die gleichen Grundsätze abzuleiten sind, die in der deutschen Judikatur und Lehre entwickelt wurden. 382  Urteil des Obersten Gerichts v. 12.2.1973, I KR 346/72, OSNKW 1973/7–8/94; Be­ schluss des Obersten Gerichts v. 7.10.2014, V KK 116/14, LEX Nr.  1532784; Zoll, in: Wróbel/ Zoll (Hrsg.), Art.  25 Rn.  57 ff.; Mozgawa, in: Mozgawa (Hrsg.), Kodeks karny, Art.  25 Rn.  14; Marek, Kodeks karny, Art.  25 Rn.  30.

D.  Einsatz von Schusswaffen und (sonstigen) Mitteln

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Ebenso wenig wie §  32 StGB formuliert Art.  25 plStGB den Grundsatz der Güterproportionalität, sodass der Notwehrübende grundsätzlich ein gewichti­ geres Rechtsgut als das von ihm geschützte beeinträchtigen kann.383 Auch hier wird aber bei einem krassen Missverhältnis zwischen dem geschützten und dem infolge der Verteidigung beeinträchtigten Rechtsgut die Rechtfertigung ver­ sagt.384 Denn die Grenzen der Notwehr sind, wie man im Schrifttum und in der Rechtsprechung betont, auch unter einem „humanistischen“ und „axiologi­ schen“ Aspekt aufzufassen.385 Eine besondere Bedeutung wird in dieser Hin­ sicht Art.  2 Abs.  2 lit.  a EMRK zugeschrieben, der sich nach der in Polen h. M., nicht nur vertikal, sondern auch horizontal auswirkt.386 Da die Konvention als ratifizierter völkerrechtlicher Vertrag eine Quelle des allgemein geltenden Rechts darstellt (Art.  87 Abs.  1 plVerf), unmittelbar anwendbar ist und vor ein­ fachen Gesetzen Vorrang genießt (Art.  91 Abs.  1, 2 plVerf), muss folglich auch die innerstaatliche Notwehrregelung konventionskonform ausgelegt werden.387 Der Passage „in Verteidigung irgendeiner Person vor rechtswidriger Gewalt“ aus der polnischen Fassung des Art.  2 Abs.  2 lit.  a EMRK („w obronie jakiejkolwiek osoby przed bezprawną przemocą“) wird entnommen, dass die vorsätzli­

383  Giezek, in: Giezek (Hrsg.), Art.  25 Rn.  22; Marek, Kodeks karny, Art.  25 Rn.  31; Berent/Filar, in: Filar (Hrsg.), Art.  25 Rn.  12 ff.; aus der Rechtsprechung siehe exemplarisch Urteil des Appellationsgerichts in Lublin v. 18.2.2014, II AKa 19/14, LEX Nr.  1451731; Urteil des Appellationsgerichts in Wrocław v. 23.9.2015, II Aka 201/15, LEX Nr.  1927498. 384  Giezek, in: Giezek (Hrsg.), Art.  25 Rn.  24; Marek, Kodeks karny, Art.  25 Rn.  31; Zoll, in: Wróbel/Zoll (Hrsg.), Art.  25 Rn.  54; Urteil des Appellationsgerichts in Lublin v. 2.3.2010, II Aka 3/10, LEX Nr.  583684: „Im Rechtsinstitut der Notwehr gilt der Grundsatz der Güter­ proportionalität nicht. […] Dies bedeutet jedoch nicht, dass ein krasses Missverhältnis zwi­ schen diesen Rechtsgütern zulässig ist. […] Über das Ausmaß der Überschreitung der Gren­ zen der Notwehr entscheidet insbesondere das Missverhältnis zwischen dem Wert des ange­ griffenen Rechtsguts und dem infolge der Verteidigung verletzten Rechtsgut des Angreifers sowie das Missverhältnis zwischen Intensität und Art des Angriffs und der Verteidigung.“ 385  Marek, Kodeks karny, Art.  25 Rn.  31; ders., Obrona konieczna, S.  104; Beschluss des Obersten Gerichts v. 15.4.2015, IV KK 409/14, OSNKW 2015/9/78. 386  Hofmański, Konwencja Europejska, S.  144; Daniluk, in: Stefański (Hrsg.), Art.  25 Rn.  35; Marek, Kodeks karny, Art.  25 Rn.  31, der bemerkt, dass weder der Wortlaut des Art.  2 EMRK noch seine Platzierung in der Konvention den Schluss zuließen, dass er nur im Ver­ hältnis zwischen Staat und Bürger Anwendung finde; Kulesza, in: Paprzycki (Hrsg.), System prawa, §  2 Rn.  233 m. w. N.; a. A. Berent/Filar, in: Filar (Hrsg.), Art.  25 Rn.  14. 387  Beschluss des Obersten Gerichts v. 1.2.2006, V KK 238/05, OSNKW 2006/3/29; Be­ schluss des Obersten Gerichts v. 15.4.2015, IV KK 409/14, OSNKW 2015/9/78; Urteil des Appellationsgerichts in Katowice v. 25.6.2015, II Aka 194/15, KZS 2015/10/60; Marek, Ko­ deks karny, Art.  25 Rn.  31; Zontek, in: Królikowski/Zawłocki (Hrsg.), Art.  25 Rn.  36; Zoll, in: Wróbel/Zoll (Hrsg.), Art.  25 Rn.  55; allgemein zur Bedeutung der Konvention für die Auslegung des innerstaatlichen Rechts Garlicki, in: Garlicki (Hrsg.), Art.  1 Rn.  13.

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

che388 Tötung in Notwehr nur dann gerechtfertigt werden kann, wenn der An­ griff gegen den Angegriffenen als Person gerichtet war und gewaltsam erfolgt ist.389 Eine vorsätzliche Tötung zum Schutz anderer Rechtsgüter als Leben, Ge­ sundheit oder Freiheit des Angegriffenen wird deshalb als Notwehrexzess be­ trachtet.390 Aus dem Merkmal „unbedingt notwendig“ („bezwzględnie konieczne“), an das die Konvention die Rechtfertigung einer tödlich wirkenden Verteidigung anknüpft, wird überdies zum Teil geschlossen, dass die vorsätzliche Tötung nur dann legitim ist, wenn es keine andere rationale Möglichkeit zur Vermeidung des Angriffs gibt.391 Damit wird für den in Art.  2 Abs.  2 lit.  a EMRK normier­ ten Fall der vorsätzlichen Tötung zur Abwehr einer rechtswidrigen Gewalt von dem in der Rechtsprechung und Lehre etablierten Grundsatz der Eigenständig­ keit der Notwehr zugunsten des Grundsatzes der relativen Subsidiarität der Not­ wehr abgewichen. Einer solchen Deutung hat aber neuerdings das Oberste Ge­ richt widersprochen: Das fragliche Merkmal stelle die Möglichkeit der Trutz­ wehr nicht infrage, sondern beziehe sich auf das Erfordernis der Angemessenheit der Verteidigung zur Gefährlichkeit des Angriffs.392 Der Notwehrübende darf folglich zu lebensgefährlichen Abwehrmitteln – falls mildere, gleich wirksame nicht vorhanden sind – auch zum Schutz ande­ rer Rechtsgüter als Leben, Gesundheit oder Freiheit greifen, soweit ihr Einsatz

388  Siehe etwa Zoll, in: Wróbel/Zoll (Hrsg.), Art.  25 Rn.  55; Daniluk, in: Stefański (Hrsg.), Art.  25 Rn.  35; Marek, Obrona konieczna, S.  103; Hofmański, Konwencja Europejska, S.  144; Zontek, in: Królikowski/Zawłocki (Hrsg.), Art.  25 Rn.  36; Urteil des Appellationsgerichts in Lublin v. 19.10.1999, II AKA 151/99, Prok. i Pr. - wkł. 2000/3/23; Urteil des Appellationsge­ richts in Rzeszów v. 30.12.2010, II AKa 115/10, KZS 2011/7–8/59. 389  Hofmański, Konwencja Europejska, S.  145; Zoll, in: Wróbel/Zoll (Hrsg.), Art.  25 Rn.  55; Garlicki, in: Garlicki (Hrsg.), Art.  2 Rn.  18; Mozgawa, in: Mozgawa (Hrsg.), Kodeks karny, Art.  25 Rn.  16; Daniluk, in: Stefański (Hrsg.), Art.  25 Rn.  35; Marek, Kodeks karny, Art.  25 Rn.  31. 390  Marek, Kodeks karny, Art.  25 Rn.  31; vgl. auch Mozgawa, in: Mozgawa (Hrsg.), Ko­ deks karny, Art.  25 Rn.  16; Daniluk, in: Stefański (Hrsg.), Art.  25 Rn.  35 f.; Kulesza, in: Paprzycki (Hrsg.), System prawa, §  2 Rn.  233 f. 391  Urteil des Appellationsgerichts in Rzeszów v. 30.12.2010, II AKa 115/10, KZS 2011/7– 8/59; Urteil des Appellationsgerichts in Gdańsk v. 4.6.2014, II Aka 124/14, LEX Nr.  1511636; Urteil des Appellationsgerichts in Katowice v. 25.6.2015, II Aka 194/15, KZS 2015/10/60; Zoll, in: Wróbel/Zoll (Hrsg.), Art.  25 Rn.  55; Zontek, in: Królikowski/Zawłocki (Hrsg.), Art.  25 Rn.  36; vgl. auch Urteil des Obersten Gerichts v. 9.4.2002, V KKN 266/00, LEX Nr.  52941. 392  Beschluss des Obersten Gerichts v. 15.4.2015, IV KK 409/14, OSNKW 2015/9/78; so auch Marek, Obrona konieczna, S.  97 (siehe dort Fn.  357); Daniluk, in: Stefański (Hrsg.), Art.  25 Rn.  36; Kulesza, in: Paprzycki (Hrsg.), System prawa, §  2 Rn.  233 f.

D.  Einsatz von Schusswaffen und (sonstigen) Mitteln

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zur Gefährlichkeit des Angriffs angemessen ist, insbesondere das Leben des Angreifers nicht erkennbar in Gefahr bringt.393 c.  Schusswaffeneinsatz und Gefährdung bzw. Verletzung Dritter Unter den Begriff „Verteidigung“ i. S. v. §  32 StGB und Art.  25 §  1 plStGB fal­ len nur die Maßnahmen, die sich gegen Rechtsgüter des Angreifers richten.394 Eine zeitgleiche Gefährdung von Rechtsgütern eines Dritten oder der Allge­ meinheit steht der Ausübung des Notwehrrechts nicht im Wege.395 Kommt es jedoch zu deren straftatbestandsmäßiger Beeinträchtigung, erfolgt diesbezüg­ lich eine separate Strafbarkeitsprüfung im Lichte sonstiger Rechtfertigungsoder Entschuldigungsgründe.396 Dieser Grundsatz muss freilich auch für die nacheilenden Beamten gelten. Eine Interpretation des Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 S.  1 PolAbk dahin gehend, dass er zum Schusswaffengebrauch nur insoweit ermächtigt, als aus der Sicht des han­ delnden Amtsträgers Rechtsgüter eines Unbeteiligten nicht gefährdet sein wer­ den, würde nicht nur das Wesen des Notwehrrechts verkennen, sondern auch den Zweck der Vorschrift konterkarieren, den gebietsfremden Beamten ein wirksames Schutzinstrument zu gestatten. Ein nacheilender Bediensteter sollte daher unter den Voraussetzungen des §  32 StGB bzw. Art.  25 plStGB Schuss­ waffen gegen den Angreifer auch dann gebrauchen dürfen, wenn er mit der beiläufigen Verletzung der Rechtsgüter eines anderen rechnet oder wenn die Beschädigung einer als Angriffsmittel eingesetzten Sache des Angegriffenen oder eines Dritten das einzige Abwehrmittel darstellt. Denkbar wäre beispiels­ weise die Abgabe von Schüssen auf die Reifen eines Wagens, dessen Führer auf frischer Tat beim Diebstahl dieses Fahrzeugs betroffen wurde und nach dem Grenzübertritt geradewegs auf die eine Straßensperre aufbauenden Beamten des Gebietsstaates zusteuert. In einem solchen Fall würde die Rechtmäßigkeit des Schusswaffeneinsatzes zum einen davon abhängen, ob der Einsatz eine 393  In dem dem oben genannten Beschluss des Obersten Gerichts v. 15.4.2015, IV KK 409/14, OSNKW 2015/9/78 zugrunde liegenden Sachverhalt hatte der Angeklagte zum Schutz des Hausfriedens auf den Angreifer mit einem Messer eingestochen; der Angreifer ist infolge der erlittenen Verletzung gestorben. Das Oberste Gericht hat nicht die Zulässigkeit des Einsatzes des Messers, sondern dessen – unangemessene – Einsatzweise beanstandet. 394  In Bezug auf das deutsche Recht Perron, in: Schönke/Schröder, §  32 Rn.  31; Kindhäuser, in: NK-StGB, §  32 Rn.  80; in Bezug auf das polnische Recht Daniluk, in: Stefański (Hrsg.), Art.  25 Rn.  34; Zoll, in: Wróbel/Zoll (Hrsg.), Art.  25 Rn.  40. 395  Krüger, Kriminalistik 1975, 385 (388); Rupprecht, JZ 1973, 263 (264); Fechner, Gren­ zen polizeilicher Notwehr, S.  21. 396  In Bezug auf das deutsche Recht Günther, in: SK-StGB, 8. Aufl., §  32 Rn.  84; Perron, in: Schönke/Schröder, §  32 Rn.  31; in Bezug auf das polnische Recht Daniluk, in: Stefański (Hrsg.), Art.  25 Rn.  34; Zoll, in: Wróbel/Zoll (Hrsg.), Art.  25 Rn.  40.

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

taugliche Notwehr- oder Nothilfehandlung darstellt, und zum anderen, ob der Eingriff in die Rechtsgüter eines Dritten (im Beispiel: des Eigentümers des ge­ stohlenen Fahrzeugs) unter den Notstandsgesichtspunkten (§  228 BGB bzw. Art.  26 §  1 plStGB) gerechtfertigt werden kann. Der Rückgriff auf innerstaatliche Notstandsrechte ist allerdings ausschließ­ lich im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme des Notwehr- oder des Nothilferechts statthaft. Im Übrigen sind die nacheilenden Beamten nicht be­ rechtigt, die Notstandsrechte in Anspruch zu nehmen, denn anderenfalls liefe die punktuelle Regelung der hoheitlichen Befugnisse gebietsfremder Amtsträ­ ger leer. d.  Zusammenfassung der Erkenntnisse Die sich aus §  32 StGB und Art.  25 plStGB ergebenden Voraussetzungen für den Schusswaffengebrauch in Notwehr- und Nothilfefällen stimmen weitge­ hend überein. Die nacheilenden Beamten dürfen Schusswaffen gegen den An­ greifer nur dann einsetzen, wenn sich der Angriff mithilfe der ihnen zur Verfü­ gung stehenden Mittel des unmittelbaren Zwangs nicht wirksam abwenden lässt, darunter insbesondere, wenn sich diese Mittel in der konkreten Lage als zur Abwehr ungeeignet erweisen (etwa Anwendung körperlicher Gewalt oder eines Schlagstocks gegen einen weit entfernten, zu einer Schusswaffe greifen­ den Flüchtenden). Der Einsatz ist grundsätzlich anzudrohen, wobei hierfür die Abgabe eines Warnschusses genügt, und soll stufenweise erfolgen. Ein Schuss auf lebenswichtige Körperteile kommt nur als Ultima Ratio in Betracht. Notwehrfähig sind grundsätzlich alle Individualrechtsgüter. Ein lebensge­ fährdender Einsatz ist aber mit Rücksicht auf Art.  2 Abs.  2 lit.  a EMRK nur zur Abwehr von Angriffen auf Leben, Leib bzw. Gesundheit und allenfalls auf Frei­ heit zulässig. Selbst wenn nicht zu erwarten ist, dass der Schusswaffengebrauch durch nacheilende Beamte zum Schutz anderer Rechtsgüter, namentlich des Ei­ gentums, im Einzelfall den Anforderungen an die Erforderlichkeit und Gebo­ tenheit bzw. Angemessenheit gerecht wird,397 bietet es sich an, das Eingriffs­ recht der Bediensteten gerade auf die Verteidigung der drei oben genannten höchstrangigen Rechtsgüter zu beschränken. Der Ausschluss der Möglichkeit eines auch nicht lebensgefährdenden Schusswaffeneinsatzes gegen einen flüchtenden Dieb scheint nämlich dem Willen der Vertragsparteien zu entspre­ chen. In einem solchen Fall dient der Einsatz nicht nur der Abwehr des Angriffs auf Eigentum, sondern zugleich auch dem Anhalten eines Tatverdächtigen. In­ 397 

Es lässt sich nämlich nicht leugnen, dass auch ein Schuss auf die Reifen des rasenden Fahrzeugs, mit dem sich der Verfolgte bewegt, aufgrund möglichen Kontrollverlusts einen lebensgefährdenden Einsatz darstellen würde.

D.  Einsatz von Schusswaffen und (sonstigen) Mitteln

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des stützt sowohl das Brandenburgische Polizeigesetz als auch das polnische Gesetz über Mittel des unmittelbaren Zwangs und Schusswaffen den Schuss­ waffengebrauch zum zweitgenannten Zweck auf eine von der Gefahrenabwehr separate Ermächtigungsgrundlage und knüpft ihn an weitere Bedingungen.398 Dies spricht für die Annahme, dass zum Anhalten eines flüchtenden Diebes die Schusswaffen nicht unter dem Deckmantel der Abwehr eines Angriffs auf Ei­ gentum, sondern nur dann angewandt werden dürfen, wenn der sachleitende Beamte dem Einsatz zugestimmt hat. 2.  Schusswaffeneinsatz mit Zustimmung des sachleitenden Beamten a.  Anforderungen an die Erweiterung der Einsatzbefugnis Während Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 S.  1 PolAbk gebietsfremden Beamten eine auf Notwehr- bzw. Nothilfefälle begrenzte Befugnis zum eigenmächtigen Schuss­ waffeneinsatz einräumt, sieht Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 S.  2 PolAbk die Möglichkeit einer darüber hinausgehenden Anwendung mit Zustimmung des sachleitenden Beamten des Einsatzstaates vor. Die Regelung stellt eine Kann-Vorschrift dar; mithin trifft der Beamte in aller Regel eine Entscheidung nach eigenem pflichtgemäßem Ermessen. Er ist jedoch an das nationale Recht, darunter insbesondere an die öffentlich-rechtlichen Be­ fugnisnormen, gebunden („nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts“). Die Verweisung auf innerstaatliche Vorschriften bedeutet, dass die nacheilenden Beamten nur in solchen Fällen zum Schusswaffengebrauch ermächtigt werden können, in denen auch die inländischen Polizeibehörden zum Einsatz befugt wären. Der Verweis auf öffentlich-rechtliche Ermächtigungsgrundlagen ist un­ ter dem Gesichtspunkt des Gesetzesvorbehalts unerlässlich, denn auf diese Art und Weise wird das Eingriffsrecht fremder Amtsträger hinreichend konkreti­ siert. Mit anderen Worten dürfen die deutschen und polnischen Bediensteten Schusswaffen auch in den in Art.  45 und 47 plUZwSwG bzw. in §§  66 Abs.  1, 67 Bbg­PolG abschließend genannten Fällen gebrauchen, soweit der sachleitende Beamte des Gebietsstaates einem Einsatz im Einzelfall zustimmt. Da die Zu­ stimmung für die Inanspruchnahme der betreffenden innerstaatlichen Ein­ griffsbefugnisse konstitutiv ist, kann es keinen Zweifel geben, dass sie noch vor dem Einsatz erteilt werden muss. Eine Interpretation des Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 S.  2 PolAbk dahin gehend, dass der Schusswaffengebrauch zu anderen Zwecken als der Abwehr eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs auch nachträglich gebilligt werden darf, verstieße gegen die Regelung des Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 S.  1

398 

Siehe unten 2. b. aa. und c. aa.

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

PolAbk, der die Fälle des eigenmächtigen Schusswaffengebrauchs abschließend festlegt. Hinzuweisen ist noch auf die Art und Weise, wie das Wort „zustimmen“ in Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 S.  2 PolAbk verwendet wurde. Lexikalisch bedeutet es „mit etwas einverstanden sein; etwas billigen, gutheißen, akzeptieren“.399 Da die Vorschrift es nicht auf ein Ersuchen,400 sondern allein auf die Anwendung der Schusswaffen bezieht, liegt nahe, dass der sachleitende Beamte die Zustim­ mung sowohl auf Anregung der gebietsfremden oder der vor Ort mitwirkenden örtlichen Bediensteten als auch proprio motu erteilen kann. Eine solche Deu­ tung wird durch teleologische Erwägungen gestützt. Nicht hinwegzudenken sind Fälle, in denen sich ein inländischer Beamter zwar am Ereignisort befindet, aber selbst – etwa aus technischen (klemmende Waffe, Patronenmangel) oder taktischen Gründen (ungünstige Schussposition, Gefährdung Dritter) – nicht zu schießen vermag. Die Erteilung einer Zustimmung darf nur davon abhängen, ob der Entscheidungsträger nach einer Gesamtbetrachtung des Einzelfalles einen über Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 S.  1 PolAbk hinausgehenden, nach dem innerstaatli­ chen Recht zulässigen Schusswaffengebrauch durch die ausländischen Beamten für erforderlich hält. Wer einen Anstoß zu der Entscheidung gibt, darf hierbei keine Rolle spielen.401 Im Folgenden ist auszuloten, auf welche polizeirechtlichen Ermächtigungs­ grundlagen der Schusswaffengebrauch in Deutschland und in Polen gestützt ist und welche von ihnen für die nacheilenden Beamten von Bedeutung sein kön­ nen. b.  Einsatz auf dem deutschen Hoheitsgebiet aa.  Rechtsgrundlagen für den Schusswaffengebrauch §  67 Abs.  1 Bbg­PolG lässt einen Schusswaffeneinsatz gegen Personen zu fol­ genden Zwecken zu: (1) Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Le­ „Zustimmen“, in: Duden, S.  2105. Die gleiche Bedeutung wird dem Wort „zgoda“ aus der polnischen Textfassung zugeschrieben, siehe „zgoda“, in: Dubisz (Hrsg.), Bd.  4, S.  981. 400  Eine solche Formulierung der Vorschrift wäre nicht unüblich, da selbst Art.  41 SDÜ einige Maßnahmen der örtlich zuständigen Behörden von einem Ersuchen abhängig macht, etwa die Identitätsfeststellung. 401  Nichtsdestoweniger können sich daraus, von wem eine Anregung ausgegangen ist, Unterschiede hinsichtlich der Schadenshaftung ergeben. Wenn der Einsatz nicht aus der Ini­ tiative der gebietsfremden Beamten, sondern auf Anordnung und unter unmittelbarer Lei­ tung eines örtlichen Amtsträgers erfolgt, steht dem Einsatzstaat im Schadensfall kein Re­ gressanspruch gegen den Herkunftsstaat des handelnden Beamten zu, es sei denn, der Beam­ te hat den Schaden vorsätzlich herbeigeführt (Art.  34 Abs.  4 S.  3 PolAbk). 399 

D.  Einsatz von Schusswaffen und (sonstigen) Mitteln

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ben,402 (2) Verhinderung einer unmittelbar bevorstehenden Begehung oder Fort­ setzung eines Verbrechens oder eines Vergehens unter Anwendung oder Mit­ führung von Schusswaffen oder Explosivmitteln,403 (3) Anhalten eines dringend Tatverdächtigen, der sich der Festnahme oder Identitätsfeststellung durch Flucht zu entziehen versucht,404 (4) Vereitelung der Flucht oder Ergreifung einer Per­ son, die in amtlichem Gewahrsam zu halten oder ihm zuzuführen ist 405 und schließlich (5) Verhinderung der gewaltsamen Befreiung einer Person aus amt­ lichem Gewahrsam406. Bereits auf den ersten Blick ergibt sich, dass die letzte Eingriffsgrundlage in einem Nacheilefall keinen Anlass zu einem über Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 S.  1 ­PolAbk hinausgehenden Einschreiten geben kann, denn verfolgt wird eine Person, die entweder der Tat erst verdächtig ist oder die gerade aus der Haft entwichen ist. Die ersten beiden Eingriffsgrundlagen beziehen sich dagegen auf Fälle, die un­ technisch als „polizeiliche Notwehrlage“ bezeichnet werden können. Da diese Grundlagen zum Teil die durch §  32 StGB gedeckten Konstellationen überla­ gern, bieten sie eher wenig Raum für eine Erweiterung der Befugnis der nach­ eilenden Beamten zum Schusswaffengebrauch. Von praktischer Bedeutung sind die Vorschriften des §  67 Abs.  1 Nr.  3 und 4 Bbg­PolG, da sie gerade den Einsatz zu dem mit der Nacheile angestrebten Zweck der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs bzw. der Sicherung des Straf(vollstreckungs)verfahrens zulassen.407 Die polnischen Bediensteten könn­ ten folglich – mit Zustimmung des deutschen sachleitenden Beamten – Schuss­ waffen zum (Wieder-)Ergreifen des Verfolgten anwenden. Bezöge sich der Tat­ verdacht auf ein Vergehen,408 dürften sie zum Einsatz allerdings nur dann er­ mächtigt werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Flüchtende Schusswaffen oder Explosivmittel mit sich führt (§  67 Abs.  1 Nr.  3 lit.  b Bbg­PolG), d. h. über funktions- und gebrauchsfähige Schusswaffen oder Explosivmittel verfügt und auf diese jederzeit zugreifen kann409.

402  Vgl. §  109 Abs.  2 Nr.  1 SOG M-V. In SächsPolG und UZwG Bln ist dagegen diese Eingriffsgrundlage nicht vorgesehen. 403  Vgl. §  109 Abs.  2 Nr.  2 SOG M-V; §  34 Abs.  1 Nr.  1 SächsPolG; §  11 UZwGBln. 404  Vgl. §  109 Abs.  2 Nr.  3 SOG M-V; §  34 Abs.  1 Nr.  2 SächsPolG; §  12 UZwG Bln. 405  Vgl. §  109 Abs.  2 Nr.  4 SOG M-V; §  34 Abs.  1 Nr.  3 SächsPolG; §§  13 f. UZwG Bln. 406  Vgl. §  109 Abs.  2 Nr.  5 SOG M-V; §  34 Abs.  1 Nr.  4 SächsPolG; §  15 UZwG Bln. 407 Vgl. Burkart, in: Ley/Burkart, S.  161 u. 165. 408  Die Einstufung der Tat als Verbrechen oder Vergehen erfolgt nach §  12 Abs.  1, 2 StGB; maßgeblich ist der Regelstrafrahmen (§  12 Abs.  3 StGB), Niehörster, Brandenburgisches Po­ lizeigesetz, Pkt.  3.4.2.1 S.  110; Neuwirth, Polizeilicher Schusswaffengebrauch, S.  34. 409  Burkart, in: Ley/Burkart, S.  154; Neuwirth, Polizeilicher Schusswaffengebrauch, S.  36.

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

bb.  Grundsätze des Schusswaffengebrauchs Bei der Anwendung von Schusswaffen im Fall des Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 S.  2 ­PolAbk sind neben dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aus §  3 Bbg­PolG,410 an dem jedes polizeiliche Handeln zu messen ist,411 besondere öffentlich-rechtliche Gebote und Verbote zu beachten (Art.  36 Abs.  1 S.  1 PolAbk; Art.  41 Abs.  5 lit.  a SDÜ). Der Schusswaffengebrauch ist grundsätzlich anzudrohen, wobei die Abgabe eines Warnschusses hierfür genügt (§  64 Abs.  1 S.  1, 3 Bbg­PolG).412 Das Gesetz entbindet die Beamten von dieser Pflicht, wenn der sofortige Vollzug zur Ab­ wehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist.413 Diese Ausnahmeklausel ist für die nacheilenden polnischen Bediensteten dennoch ir­ relevant. Denn soweit sie in eine Notwehr- oder Nothilfelage geraten, richtet sich die Zulässigkeit des Schusswaffengebrauchs alleine nach Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 S.  1 PolAbk i. V. m. §  32 StGB. Beim Einsatz gegen eine Person in einer Menschenmenge darf von der Androhung nicht abgesehen werden; sie muss vielmehr wiederholt werden (§  64 Abs.  3 S.  2 Bbg­PolG).414 Weitere Voraussetzungen enthält §  66 Bbg­PolG. Die Vorschrift lässt den Ein­ satz einer Schusswaffe nur als Ultima Ratio zu, und zwar wenn andere Maßnah­ men des unmittelbaren Zwanges erfolglos angewendet sind oder offensichtlich keinen Erfolg versprechen (Abs.  1 S.  1).415 Das Merkmal „offensichtlich“ impli­ ziert sehr hohe Anforderungen an die Notwendigkeit des Schusswaffenge­ 410  Niehörster, Brandenburgisches Polizeigesetz, Pkt.  3.5. S.  27. Zur Voraussetzung der Verhältnismäßigkeit des Schusswaffeneinsatzes siehe auch Neuwirth, Polizeilicher Schuss­ waffengebrauch, S.  103 ff. 411 Vgl. Ley, in: Ley/Burkart, S.  29 ff. 412  Siehe auch §  111 Abs.  1 S.  1, 3 SOG M-V, wobei hier nicht von einer Androhung, son­ dern von einer Warnung gesprochen wird; §  32 Abs.  2 S.  1, 3 SächsPolG; §  10 UZwG Bln. Im Schrifttum wird zu Recht verlangt, dass der Warnschuss für den Betroffenen als eine an ihn gerichtete Warnung wahrnehmbar sein muss, Rachor, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil E Rn.  893; Kay, Allgemeines Verwaltungs- und Eingriffsrecht, Bd.  1, S.  336. Der Warnschuss soll deswegen in der Regel durch eine mündliche Androhung begleitet werden, Rachor, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil E Rn.  893. Bei eindeutigen Sachlagen soll dies allerdings keine Voraussetzung sein; sonst wäre die gesetzliche Regelung, die den Warnschuss als An­ drohung zulässt, inhaltsleer. 413  §  6 4 Abs.  2 Bbg­PolG. Siehe auch §  111 Abs.  2 SOG M-V und §  32 Abs.  3 SächsPolG. UZwG Bln enthält keine Bestimmungen für den Androhungsverzicht in Bezug auf den Schusswaffengebrauch. 414  Siehe auch §  111 Abs.  3 S.  2 SOG M-V; §  32 Abs.  4 S.  2 SächsPolG; §  16 Abs.  2 UZwG Bln. Die Regelung dient dem Schutz Unbeteiligter, Rachor, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil E Rn.  894. 415  So auch §  108 Abs.  1 SOG M-V und §  9 Abs.  1 S.  1 UZwG Bln. Die gleiche Bedeutung kommt dem anders gefassten §  33 Abs.  1 S.  1 SächsPolG zu.

D.  Einsatz von Schusswaffen und (sonstigen) Mitteln

231

brauchs.416 Auf Personen darf erst dann geschossen werden, wenn der Zweck nicht durch eine Einwirkung gegen Sachen erreicht werden kann (Abs.  1 S.  2).417 Der Schusswaffeneinsatz gegen eine Person liegt dabei nicht nur dann vor, wenn die Waffe „gezielt mit der Inkaufnahme“ einer Verletzung oder Tötung gebraucht wird,418 sondern auch, wenn zwar direkt auf eine Sache geschossen wird, aber mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit (ebenfalls) eine Person betrof­ fen sein kann419. Die Abgabe von Schüssen auf die Reifen des Fluchtfahrzeugs wäre somit regelmäßig – aufgrund des möglichen Kontrollverlusts über das Auto – lediglich unter besonderen Voraussetzungen des Schusswaffengebrauchs gegen Personen zulässig.420 §  66 Abs.  2 S.  1 Bbg­PolG legitimiert einen solchen Einsatz nur zur Herbeiführung der Angriffs- oder Fluchtunfähigkeit des Be­ troffenen.421 Ein Schuss, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich wirken kann, ist grundsätzlich422 ausgeschlossen. Insbesondere zum Zwecke der Strafverfolgung scheidet er aus, da sonst der mit ihm angestrebte Zweck (die Durchführung eines Strafverfahrens) nicht mehr erreicht werden könnte.423 Untersagt ist ferner der Schusswaffengebrauch gegen Personen, die dem äu­ ßeren Eindruck oder der Kenntnis nach noch nicht vierzehn Jahre alt oder er­ kennbar oder der Kenntnis nach schwanger sind (§  66 Abs.  3 S.  1 Bbg­PolG).424 Gleiches gilt, wenn für den handelnden Beamten erkennbar Unbeteiligte mit 416  417 

Bln.

Rachor, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil E Rn.  895. Siehe auch §  109 Abs.  1 SOG M-V; §  33 Abs.  1 S.  2 SächsPolG; §  9 Abs.  1 S.  2 UZwG

Kay, Allgemeines Verwaltungs- und Eingriffsrecht, Bd.  1, S.  323. Benfer/Bialon, Rechtseingriffe, Rn.  1630; Kay, Allgemeines Verwaltungs- und Ein­ griffsrecht, Bd.  1, S.  323 f. 420  Rachor, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil E Rn.  896; Benfer/Bialon, Rechtseingriffe, Rn.  1631 f. 421  So ausdrücklich auch §  109 Abs.  1 SOG M-V und §  9 Abs.  2 S.  1 UZwG Bln. 422  §  66 Abs.  2 S.  2 Bbg­PolG lässt einen solchen „finalen Rettungsschuss“ bzw. „finalen Todesschuss“ zu, sofern er das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr oder der gegenwärtigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der körperlichen Unver­ sehrtheit ist (so auch §  34 Abs.  2 SächsPolG). Es ist allerdings daran zu erinnern, dass sich die Befugnis zum Schusswaffengebrauch der nacheilenden Beamten in einem solchen Notwehr­ fall bereits aus Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 S.  1 PolAbk ergäbe, sodass die Zulässigkeit des Einsatzes nicht nach den Vorgaben des Brandenburgischen Polizeigesetzes, sondern nach §  32 StGB zu beurteilen wäre. 423  Kay, Allgemeines Verwaltungs- und Eingriffsrecht, Bd.  1, S.  325 f.; vgl. auch Niehörster, Brandenburgisches Polizeigesetz, Pkt.  3.4.2.1 S.  111. 424  Vgl. §  108 Abs.  3 S.  1 SOG M-V und §  9 Abs.  3 UZwG Bln, die aber das Einsatzverbot ausdrücklich nur auf Personen beziehen, die tatsächlich oder dem äußeren Eindruck nach noch nicht 14 Jahre alt sind (SOG M-V) bzw. die sich dem äußeren Eindruck nach im Kindes­ alter befinden (UZwG Bln). Vgl. ferner §  32 Abs.  1 S.  4 SächsPolG, wonach das angewandte 418 

419 

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet werden (§  66 Abs.  4 S.  1 Bbg­PolG),425 wie es insbesondere bei Schüssen auf Fahrzeuge im fließenden Verkehr426 oder in belebten Gegenden427 üblich ist. Von diesen Verboten darf nur dann abgewi­ chen werden, wenn der Schusswaffengebrauch das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben (§  66 Abs.  3 S.  2 Bbg­PolG)428 bzw. einer gegenwärtigen Lebensgefahr (§§  66 Abs.  4 S.  2, 68 Abs.  1 S.  2 Bbg­ PolG)429 ist.430 c.  Einsatz auf dem polnischen Hoheitsgebiet aa.  Rechtsgrundlagen für den Schusswaffengebrauch gegen Personen Das Gesetz über Mittel des unmittelbaren Zwangs und Schusswaffen legt de­ tailliert Fälle fest, in denen Schusswaffen gegen Personen (Art.  45) und gegen Sachen (Art.  47) gebraucht werden dürfen. Als Rechtsgrundlagen für polizeili­ che Einsätze gelten nach Art.  16 Abs.  2 plPolG die Vorschriften des Art.  45 Pkt.  1 lit.  a–c, e, Pkt.  2, 3 und Pkt.  4 lit.  a, b sowie des Art.  47 plUZwSwG. Mit Zustimmung des sachleitenden polnischen Beamten dürften die nach­ eilenden deutschen Bediensteten die Schusswaffen gegen Personen in folgenden Fällen bzw. zu folgenden Zwecken gebrauchen: Mittel des unmittelbaren Zwangs, also auch der Schusswaffeneinsatz, nach Art und Maß dem Verhalten, dem Alter und dem Zustand des Betroffenen angemessen sein muss. 425  Als Unbeteiligte im Sinne dieser Norm sind alle Personen anzusehen, bei denen die Voraussetzungen für den Schusswaffengebrauch im konkreten Fall nicht erfüllt sind, siehe Niehörster, Brandenburgisches Polizeigesetz, Pkt.  3.4.1.1 S.  109; Benfer/Bialon, Rechtsein­ griffe, Rn.  1644 sowie Rachor, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil E Rn.  898 m. w. N. Vgl. auch §  108 Abs.  2 S.  1 SOG M-V, wobei hier auf die Merkmale „erkennbar“ und „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ verzichtet worden ist; §  33 Abs.  2 S.  1 SächsPolG; §  9 Abs.  2 S.  2 Hs. 1 UZwG Bln. Das gleiche Einsatzverbot formuliert §  68 Abs.  1 S.  1 Bbg­PolG, der – als speziel­ le Regelung – dann zur Anwendung kommt, wenn Schusswaffen gegen Personen in einer Menschenmenge gebraucht werden. Der Begriff des Unbeteiligten wurde hier legal definiert, und zwar negativ: Kein Unbeteiligter ist, wer sich aus einer Menschenmenge, die Gewaltta­ ten begeht oder durch Handlungen erkennbar billigt oder unterstützt, trotz wiederholter An­ drohung nicht entfernt, obwohl ihm dies möglich ist (§  68 Abs.  2 Bbg­PolG). Vgl. auch §  34 Abs.  4 S.  1, Abs.  5 SächsPolG. 426  Rachor, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil E Rn.  896. 427  Benfer/Bialon, Rechtseingriffe, Rn.  1645. 428  Vgl. §  108 Abs.  3 S.  2 SOG M-V. 429  Vgl. §  108 Abs.  2 S.  2 SOG M-V; §  33 Abs.  2 S.  2 u. §  34 Abs.  4 S.  2 SächsPolG. Vgl. auch §  9 Abs.  2 S.  2 Hs. 2 UZwG Bln, der den Schusswaffeneinsatz zulässt, wenn sich die Gefährdung erkennbar Unbeteiligter beim Einschreiten gegen eine Menschenmenge oder eine bewaffnete Gruppe nicht vermeiden lässt. 430  Wie bereits oben angedeutet wurde, kommt dieser Ausnahmeklausel aufgrund der Re­ gelung des Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 S.  1 PolAbk keine besondere Bedeutung zu.

D.  Einsatz von Schusswaffen und (sonstigen) Mitteln

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(1) Abwehr eines unmittelbaren rechtswidrigen Angriffs auf abschließend auf­ gezählte Rechtsgüter (Art.  45 Pkt.  1 lit.  a–c, e plUZwSwG),431 wobei in die­ sem Fall die Zustimmung für den Einsatz nicht konstitutiv ist, weil die deut­ schen Beamten zum eigenmächtigen Schusswaffengebrauch nach Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 S.  1 PolAbk i. V. m. Art.  25 plStGB befugt sind; (2) Sich-Widersetzen einer Person, die der Anordnung zur sofortigen Aufgabe einer Waffe, eines Sprengstoffs oder eines anderen gefährlichen Gegenstan­ des, dessen Anwendung Leben, Gesundheit oder Freiheit des Bediensteten oder eines anderen gefährden kann, oder einer Person, die rechtswidrig ver­ sucht, die Schusswaffe dem Bediensteten oder einem anderen Besitzberech­ tigten wegzunehmen (Art.  45 Pkt.  2 plUZwSwG); (3) unmittelbare Verfolgung einer Person, der gegenüber der Schusswaffenge­ brauch in den unter Art.  45 Pkt.  1 lit.  a–c und Pkt.  2 erfassten Fällen zulässig war, oder der gegenüber ein begründeter Verdacht vorliegt, dass sie eine Straftat nach Art.  115 §  20, Art.  148, Art.  156 §  1, Art.  163–165, Art.  197, Art.  252 oder nach Art.  280–282 plStGB432 begangen hat (Art.  45 Pkt.  3 plUZwSwG); (4) Ergreifen einer Person, der gegenüber der Schusswaffengebrauch in den un­ ter Art.  45 Pkt.  1 lit.  a–c und Pkt.  2 erfassten Fällen zulässig war, oder der gegenüber ein begründeter Verdacht vorliegt, dass sie eine der oben genann­ ten Straftaten begangen hat, oder die einen Angriff auf die Sicherheit einer Eskorte oder einer Vorführung verübt, oder die sich an einem schwer zu­ gänglichen Ort verborgen hat, und sich aus den Umständen ergibt, dass sie eine Schusswaffe oder einen anderen gefährlichen Gegenstand gebrauchen kann (Art.  45 Pkt.  4 lit.  a plUZwSwG); (5) Ergreifen oder Vereitelung der Flucht eines Entwichenen, soweit die Flucht das Leben oder die Gesundheit des Berechtigten oder eines anderen gefähr­ det, oder ein begründeter Verdacht vorliegt, dass der Entwichene Explosi­ onsstoffe, eine Schusswaffe oder einen anderen gefährlichen Gegenstand gebrauchen kann, oder wenn ihm die Freiheit aufgrund des berechtigten 431 

Dabei handelt es sich um: Leben, Gesundheit oder Freiheit des Berechtigten oder einer anderen Person (lit.  a); wichtige Objekte, Anlagen oder Gelände (lit.  b); Vermögen, wobei der Schusswaffeneinsatz nur dann zulässig ist, wenn der Angriff auf Vermögen zugleich eine unmittelbare Gefahr für Leben, Gesundheit oder Freiheit des Berechtigten oder einer ande­ ren Person schafft (lit.  c); Sicherheit einer Eskorte oder einer Vorführung (lit.  e). 432  Dabei handelt es sich um: terroristische Straftat (Art.  115 §  20); Totschlag (Art.  148); vorsätzliche schwere Körperverletzung (Art.  156 §  1); Straftaten gegen die öffentliche Si­ cherheit, die auf Herbeiführung eines bestimmten gefährlichen Ereignisses oder einer be­ stimmten Gefahr für Leib oder Leben mehrerer Menschen oder für Vermögen großen Aus­ maßes beruht (Art.  163–165); Vergewaltigung (Art.  197); Geiselnahme (Art.  252); Raub (Art.  280); räuberischen Diebstahl (Art.  281); räuberische Erpressung (Art.  282).

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

Verdachts oder der Feststellung der Begehung einer der oben genannten Straftaten entzogen wurde (Art.  45 Pkt.  4 lit.  b plUZwSwG). Die nacheilerelevante Zulässigkeit des Schusswaffeneinsatzes im Zuge der Ver­ folgung bzw. zum Ergreifen des flüchtenden Tatverdächtigen oder Entwichenen ist entweder an das Vorliegen einer (unmittelbaren) Gefahr für Leben oder Ge­ sundheit oder eines begründeten Verdachts einer schwerwiegenden Straftat bzw. an die Feststellung deren Begehung geknüpft. Die Möglichkeit der Ertei­ lung einer Zustimmung zu einem über die Notwehr oder Nothilfe hinausgehen­ den Einsatz wird folglich vor allem von der Art der Straftat, die der Nacheile zugrunde liegt, abhängen. Man denke etwa an die Verfolgung einer Person, die eines terroristischen Angriffs verdächtig ist. Besteht die dringende Gefahr, dass sich der Flüchtende der Festnahme entzieht und die polnischen Bediensteten nicht rechtzeitig zur Stelle sein können, so kann sich die Ermächtigung der nacheilenden deutschen Beamten zum Schusswaffengebrauch als unerlässlich erweisen. bb.  Rechtsgrundlagen für den Schusswaffengebrauch gegen Sachen Das polnische Gesetz formuliert – anders als das Brandenburgische Polizeige­ setz – in Art.  47 plUZwSwG auch die Voraussetzungen des Schusswaffenge­ brauchs gegen Sachen. Dabei handelt es sich um: (1) Anhalten eines Fahrzeugs, das bestimmte Rechtsgüter und Objekte gefährdet; (2) Überwinden eines Hin­ dernisses, das die Festnahme einer Person oder die Rettung des Lebens oder der Gesundheit oder die Rettung des Vermögens unmöglich macht oder erschwert, oder im Falle der Verletzung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit durch eine Person, der die Freiheit entzogen ist; (3) Alarmieren oder Hilferufen; (4) Neutralisierung der Gegenstände oder Geräte, die eine Explosionsgefahr bei gleichzeitiger unmittelbarer Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit her­ beiführen können; (5) Unschädlichmachen eines Tieres, das unmittelbar das Leben oder die Gesundheit gefährdet; (6) Abgabe des Warnschusses. Ob im Nacheilefall ein Rückgriff auf diese Ermächtigungsgrundlagen – zur Erweiterung der Schusswaffeneinsatzbefugnis der deutschen Beamten über Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 S.  1 PolAbk hinaus – notwendig sein wird, darf jedoch be­ zweifelt werden. cc.  Grundsätze des Schusswaffengebrauchs Der Schusswaffengebrauch kommt nur als Ultima Ratio in Betracht. Art.  6 Abs.  2 plUZwSwG lässt ihn dann zu, wenn sich die Anwendung der Mittel des unmittelbaren Zwangs als nicht ausreichend zur Erreichung des Zieles erwie­

D.  Einsatz von Schusswaffen und (sonstigen) Mitteln

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sen hat oder wegen der Umstände nicht möglich ist. Der Einsatz muss auf eine solche Art und Weise erfolgen, die einen möglichst geringen Schaden zufügt (Art.  7 Abs.  1 plUZwSwG). Art.  7 Abs.  4 plUZwSwG ergänzt, dass der Schuss­ waffeneinsatz gegen Personen immer als letztes Mittel zu betrachten ist. Das Gesetz verbietet dabei, Schusswaffen gegen Frauen, die schwanger sind, sowie gegen Personen, die dem äußeren Eindruck nach höchstens 13 Jahre alt oder die erkennbar behindert sind, zu gebrauchen (Art.  9 Abs.  1 ­plUZwSwG). Eine Ausnahme sieht es nur für den Fall vor, dass die Abwehr ­eines unmittelbaren gegenwärtigen Angriffs auf Leben oder Gesundheit notwendig ist und der Ein­ satz von körperlicher Gewalt in Gestalt einer Überwäl­tigungstechnik nicht ausreichend oder nicht möglich ist (Art.  9 Abs.  2 ­plUZw­SwG). Anders als das Brandenburgische Polizeigesetz statuiert das polnische Ge­ setz kein Verbot eines Schusswaffengebrauchs, wenn aus der Sicht des ein­ schreitenden Polizeibeamten Unbeteiligte gefährdet werden können. Greift man jedoch auf den alten Rechtsstand zurück, so ist zu bedenken, dass ex-Art.  17 plPolG, der die Grundlagen und die allgemeinen Grundsätze der Anwendung von Schusswaffen regelte, in Absatz 3 ein solches Verbot vorsah: „Der Einsatz einer Schusswaffe soll auf eine solche Art und Weise erfolgen, die der Person, gegen welche die Schusswaffe eingesetzt wurde, einen möglichst geringen Schaden zufügt, und darf weder ihren Tod bezwecken noch andere Personen einer Gefahr des Verlusts des Lebens oder der Gesundheit aussetzen.“

Mit dem Gesetz vom 24. Mai 2002433 wurde der letzte Halbsatz („und darf ihren Tod […]“) gestrichen. Das Oberste Gericht 434 hat festgestellt, dass die Änderung nicht dahin gehend aufgefasst werden kann, dass Art.  17 Abs.  1 Pkt.  1 plPolG a. F. den Schusswaffengebrauch zur Abwehr eines unmittelbaren rechtswidri­ gen Angriffs auch dann legitimiert, wenn dies – als Nebenfolge – zwangsläufig oder höchstwahrscheinlich den Tod oder eine Körperverletzung eines Dritten verursacht. Die Vorschrift korrespondiert nach dem Obersten Gericht eindeutig mit der Notwehrregelung aus Art.  25 plStGB und kann einen straftatbestands­ mäßigen Waffeneinsatz nur im Verhältnis zum Angreifer rechtfertigen. Bei ei­ ner abweichenden Deutung würden unbeteiligte Personen zu bloßen Mitteln zur Abwehr von Gefahren für Rechtsgüter anderer.435 Eine solche Herabstufung des Menschen zu einem Objekt ließe sich mit dem in Art.  14 Abs.  3 plPolG etablier­ ten Grundsatz des Schutzes der Menschenwürde bei der Dienstausübung nicht vereinbaren. Die Gefährdung Unbeteiligter schließt jedoch, wie das Oberste Gericht betont hat, die Möglichkeit eines Schusswaffengebrauchs auf der 433 

Dz. U. 2002 Nr.  115, Pos. 996. Urteil des Obersten Gerichts v. 17.1.2013, V KK 99/12, OSNKW 2013/5/44. 435  Vgl. auch Urteil des Verfassungsgerichtshofs v. 30.9.2008, K 44/07, OTK-A 2008/7/216. 434 

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

Grundlage des Art.  17 Abs.  1 Pkt.  1 plPolG a. F. nicht aus. Die Strafbarkeit der eventuellen Verletzung deren Rechtgüter unterliegt dann aber einer separaten Bewertung unter den Notstandsgesichtspunkten (Art.  26 §  1 und §  2 plStGB). Mangels abweichender Regelungen liegt es nahe, dass diese Ausführungen wei­ terhin aktuell sind und für das Gesetz über Mittel des unmittelbaren Zwangs und Schusswaffen Geltung beanspruchen. Schließlich erlegt Art.  48 plUZwSwG dem Einschreitenden bestimmte Pflich­ ten im Vorfeld des Einsatzes auf. Zunächst hat er auf seine Formation durch lautes Ausrufen ihres vollständigen Namens oder ihrer gesetzlichen Abkürzung hinzuweisen und den Betroffenen zum rechtmäßigen Verhalten aufzufordern, insbesondere zum sofortigen Niederlegen einer Waffe oder eines anderen ge­ fährlichen Gegenstands, dessen Einsatz Leben, Gesundheit oder Freiheit ge­ fährden kann. Werden die Aufforderungen nicht befolgt, warnt der Berechtigte vor dem Schusswaffengebrauch mit dem Ruf „Stój, bo strzelam“ (Halt, oder ich schieße!). Erweist sich diese Aufforderung als erfolglos, hat er einen Warn­ schuss in eine sichere Richtung abzugeben. Von diesen Maßnahmen, insbeson­ dere von der Abgabe eines Warnschusses, kann zwar im Ganzen oder zum Teil abgesehen werden, wenn ihre Durchführung das Leben oder die Gesundheit des Berechtigten oder einer anderen Person unmittelbar gefährden würde. In die­ sem Fall ergibt sich aber für die deutschen Beamten die Befugnis zum Schuss­ waffeneinsatz aus Art.  36 Abs.  2 Nr.  2 S.  1 PolAbk, sodass sich die Rechtmäßig­ keit ihres Handelns alleine nach Art.  25 plStGB beurteilt.

V.  Einsatz von (sonstigen) Mitteln des unmittelbaren Zwangs Die Zulässigkeit und die Art und Weise des Einsatzes von anderen Zwangsmit­ teln als Schusswaffen richten sich in jedem Fall nach dem Recht des Gebiets­ staates. Im Folgenden werden deshalb die in dieser Hinsicht maßgeblichen deut­ schen und polnischen Regelungen verglichen. Im Fokus soll die Anwendung körperlicher Gewalt, eines Dienstschlagstocks, von Fesselungsmitteln und eines Dienstfahrzeugs stehen, denen im Rahmen einer polizeilichen Nacheile beson­ dere Bedeutung zukommen kann.436

436 

Siehe hierzu auch eine rechtsvergleichende Analyse des Einsatzes dieser Zwangsmittel in Deutschland und in Polen bei Sokołowski, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  119 (123 ff.).

D.  Einsatz von Schusswaffen und (sonstigen) Mitteln

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1.  Allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzungen a. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Aus der Legaldefinition des unmittelbaren Zwangs in §  61 Abs.  1 Bbg­PolG er­ gibt sich, dass er sowohl gegen Personen als auch gegen Sachen eingesetzt wer­ den kann. Dieser allgemeine Grundsatz wird im Weiteren nur in Bezug auf den Schusswaffengebrauch präzisiert (§  66 Abs.  1 S.  2 Bbg­PolG),437 sodass der han­ delnde Beamte nach pflichtgemäßem Ermessen (§  4 Abs.  1 Bbg­PolG) selbst zu entscheiden hat, welches Mittel und auf welche Art und Weise im Einzelfall angewandt wird. Dabei ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten, der in §  3 Bbg­PolG als Grundvoraussetzung für die Rechtmäßigkeit der polizeili­ chen Eingriffsmaßnahmen statuiert wurde und über die Rückverweisungsklau­ sel des §  60 Abs.  1 Bbg­PolG auch beim Zwangsmitteleinsatz zum Tragen kommt.438 Nach diesem Grundsatz hat die Polizei von mehreren möglichen und zur Zweckerreichung geeigneten Mitteln dasjenige zu wählen, das den Einzel­ nen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt (§  3 Abs.  1 Bbg­PolG).439 Die Reihenfolge, in der die Mittel des unmittelbaren Zwangs in §  61 Abs.  1 Bbg­PolG genannt wurden, deutet darauf hin, dass bloße körperliche Gewalt weniger belastend ist als bei Hinzuziehung von Hilfsmitteln der Gewaltanwendung und der Einsatz der Hilfsmittel wiederum den milderen Eingriff gegenüber dem Waffengebrauch darstellt.440 Diese dogmatische Be­ trachtung entbindet allerdings nicht von einer sorgfältigen Bewertung des kon­ kreten Falles.441 Unter bestimmten Umständen können massive Faustschläge oder Fußtritte schwerwiegender sein als der Einsatz eines Hilfsmittels.442 Ferner darf die Anwendung des unmittelbaren Zwangs keinen Nachteil nach sich zie­ hen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht (§  3 Abs.  2 Bbg­PolG).443 Das Gesetz setzt keine detaillierte Abwägung zwischen dem zu 437 

Anders verhält es sich auf der Grundlage des Sächsischen Polizeigesetzes, dessen §  32 Abs.  1 S.  3 ausdrücklich festlegt, dass der Einsatz des unmittelbaren Zwangs gegen Personen nur dann zulässig ist, wenn der polizeiliche Zweck durch unmittelbaren Zwang gegen Sachen nicht erreichbar erscheint. 438  Vgl. §  101 Abs.  1 i. V. m. §  15 SOG M-V; §  3 u. – als Sondervorschrift – §  32 Abs.  1 SächsPolG; §  4 UZwG Bln. 439  Vgl. §  15 Abs.  1 S.  1 SOG M-V; §  3 Abs.  2 SächsPolG; §  4 Abs.  1 S.  1 UZwG Bln. 440  Kay, Allgemeines Verwaltungs- und Eingriffsrecht, Bd.  1, S.  316. 441  Kay, Allgemeines Verwaltungs- und Eingriffsrecht, Bd.  1, S.  317. 442  Kay, Allgemeines Verwaltungs- und Eingriffsrecht, Bd.  1, S.  317. 443  Vgl. §  15 Abs.  2 SOG M-V; §  4 Abs.  2 UZwG Bln; §  3 Abs.  3 SächsPolG, wobei diese Vorgabe in §  32 Abs.  1 S.  4 SächsPolG konkretisiert wird: „Das angewandte Mittel muss nach Art und Maß dem Verhalten, dem Alter und dem Zustand des Betroffenen angemessen sein.“

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erwartenden Schaden und dem angestrebten Erfolg voraus, sondern erlaubt eine Beurteilung allein am Maßstab der Evidenz der Unverhältnismäßigkeit.444 Auch das polnische Gesetz über Mittel des unmittelbaren Zwangs und Schusswaffen bindet die handelnden Bediensteten an den Verhältnismäßigkeits­ grundsatz, überlässt ihnen aber deutlich weniger Spielraum. Insbesondere legt es ausdrücklich fest, welche Mittel nur gegen Personen, welche nur gegen Sa­ chen angewandt werden dürfen und welche eine doppelte Einsatzrichtung ha­ ben.445 Von mehreren im Einzelfall zur Verfügung stehenden Mitteln hat der Bedienstete möglichst das mildeste zu wählen (Art.  6 Abs.  1 in fine plUZw­ SwG). Soweit dies durch die Umstände gerechtfertigt ist, kann er gleichzeitig mehrere Mittel anwenden (Art.  8 plUZwSwG). Der Zwangseinsatz soll auf eine zur Erreichung des Einsatzzieles erforderliche Art und Weise, dem Gefahren­ grad entsprechend (Art.  6 Abs.  1 plUZwSwG) und unter Zufügung eines mög­ lichst geringen Schadens (Art.  7 Abs.  1 plUZwSwG) erfolgen. Dabei ist beson­ dere Sorgfalt walten zu lassen und die lebens- oder gesundheitsgefährdenden Eigenschaften des Mittels sind zu berücksichtigen (Art.  7 Abs.  3 plUZw­SwG). Das polnische Gesetz erfordert also im Unterschied zum deutschen, dass die Verhältnismäßigkeit positiv festgestellt wird.446 Darüber hinaus hat der polni­ sche Gesetzgeber in Art.  9 plUZwSwG ein relatives Einsatzverbot bzw. eine relative Einsatzeinschränkung in Bezug auf bestimmte Subjekte eingeführt: Gegen Frauen, die schwanger sind, sowie gegen Personen, die dem äußeren Ein­ druck nach höchstens 13 Jahre alt oder die erkennbar behindert sind, darf aus­ schließlich körperliche Gewalt und dabei nur in Gestalt von Überwältigungs­ techniken angewandt werden. Dies gilt nicht, soweit die Abwehr eines unmittel­ baren gegenwärtigen Angriffs auf Leben oder Gesundheit notwendig ist und der Gebrauch dieses Mittels nicht ausreichend oder nicht möglich ist. Aber auch dann darf die Anwendung eines anderen Zwangsmittels nur unter Berücksichti­ gung seiner Eigenschaften sowie des Zustands des Betroffenen erfolgen. Im polnischen Recht wurde der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz somit viel detail­ lierter geregelt als im Brandenburgischen Polizeigesetz. Obwohl ein deutscher Wehr, Unmittelbarer Zwang-Gesetz, §  4 Rn.  3. dazu die Tabelle unten V. 2. Das Gesetz unterscheidet zwischen „użycie“ und „wykorzystanie“ der Mittel des unmittelbaren Zwangs bzw. der Schusswaffen. Im ersten Fall handelt es sich um den Einsatz gegen eine Person (Art.  4 Pkt.  6) bzw. um die Schussabgabe auf eine Person unter Verwendung durchdringender Munition (Art.  4 Pkt.  7). Im zweiten Fall wird der Zwang gegen ein Tier oder zum Zwecke des Festhaltens, des Sperrens oder des Stilllegens eines Fahrzeugs oder zum Zwecke der Überwindung eines Hindernisses einge­ setzt (Art.  4 Pkt.  9) bzw. ein Schuss auf ein Tier, einen Gegenstand oder in eine andere Rich­ tung, die keine Gefahr für eine Person schafft, unter Verwendung durchdringender Munition abgegeben (Art.  4 Pkt.  10). 446  Sokołowski, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  119 (123). 444 

445  Siehe

D.  Einsatz von Schusswaffen und (sonstigen) Mitteln

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Beamter in vielen Fällen aufgrund der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach §  3 Bbg­PolG in Übereinstimmung mit dem polnischen Gesetz verfahren würde, können sich die starren gesetzlichen Vorgaben auf die Wahrnehmung seiner Zwangsbefugnisse auf dem polnischen Hoheitsgebiet erschwerend auswirken. b. Androhung Dem Einsatz von Mitteln des unmittelbaren Zwangs muss grundsätzlich447 eine Androhung448 vorangehen (§  64 Abs.  1 Bbg­PolG).449 Das Gesetz sieht die Mög­ lichkeit des Absehens von der Androhung vor, wenn die Umstände sie nicht zulassen. Exemplarisch („insbesondere“) wird auf die Notwendigkeit der sofor­ tigen Anwendung des Zwangsmittels zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr hingewiesen (§  64 Abs.  1 S.  2 Bbg­PolG).450 Ob die Voraussetzungen für einen Androhungsverzicht erfüllt sind, überprüft der Polizeibeamte nach pflichtgemä­ ßem Ermessen.451 Für die Schadensprognose sind die Umstände des Einzelfalls ausschlaggebend.452 Genauso lässt Art.  34 Abs.  1 plUZwSwG den Gebrauch der Mittel des unmit­ telbaren Zwangs grundsätzlich nur nach einer erfolglosen vorausgehenden An­ ordnung zum rechtmäßigen Verhalten und nach einer Androhung des Einsatzes zu. Anders als die deutsche Regelung nennt die Vorschrift abschließend die Fäl­ le, in denen von den Vorfeldmaßnahmen abgesehen werden kann. So braucht sich der Bedienstete an die Vorgaben des Absatzes 1 nicht zu halten, wenn eine unmittelbare Gefahr für Leben, Gesundheit oder Freiheit besteht oder wenn die 447 

§  64 Abs.  3 S.  3 Bbg­PolG lässt den Gebrauch von technischen Sperren und den Einsatz von Dienstpferden ohne Androhung zu; siehe auch §  32 Abs.  4 S.  3 SächsPolG; §  111 Abs.  3 S.  3 SOG M-V. 448  §  32 Abs.  2 –4 SächsPolG; §  111 SOG M-V spricht von einer Warnung. UZwG Bln normiert die Androhungspflicht ausdrücklich nur für den Einsatz von Hiebwaffen und Hilfs­ mitteln der körperlichen Gewalt (ausgenommen der technischen Sperren) gegen eine Men­ schenmenge – der Gebrauch muss wiederholt angedroht werden (§  21). Mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist aus dieser Regelung e contrario zu schließen, dass der Zwangseinsatz auch in anderen Fällen angedroht werden muss, wobei dann eine einmalige Androhung genügt. 449  Im Bereich der Ausübung des unmittelbaren Zwangs gegenüber einer Menschenmen­ ge ist die Regelung etwas präziser und ordnet an, den Einsatz möglichst so rechtzeitig anzu­ drohen, dass sich Unbeteiligte noch entfernen können (§  64 Abs.  3 S.  1 Bbg­PolG). Vgl. §  111 Abs.  3 S.  1 SOG M-V und §  32 Abs.  4 S.  1 SächsPolG. Siehe auch §  21 UZwG Bln, der für den Gebrauch von Hiebwaffen und Hilfsmitteln der körperlichen Gewalt mit Ausnahme der tech­ nischen Sperren gegen eine Menschenmenge eine wiederholte Androhung vorsieht. 450  Vgl. §  32 Abs.  2 S.  2 SächsPolG; §  111 Abs.  1 S.  2 SOG M-V, der aber von einer bevor­ stehenden Gefahr spricht. 451  Benfer/Bialon, Rechtseingriffe, Rn.  1678. 452  Benfer/Bialon, Rechtseingriffe, Rn.  1678.

240

3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

Mittel des unmittelbaren Zwangs präventiv gebraucht werden und der Verzug eine Gefahr für ein Rechtsgut herbeiführen würde. Der präventive Gebrauch ist allerdings nur zu den in Art.  13 Abs.  1 plUZwSwG festgelegten Zwecken zuläs­ sig und auf die dort genannten Mittel beschränkt, und zwar auf: körperliche Gewalt in Gestalt einer Beförderungstechnik, Hand- und Fußschellen sowie eine Kombination davon, Zwangsjacke, Fixiergurt und Sicherungshelm, und muss die Erreichung eines der dort bestimmten Zwecke anstreben. Für die nach­ eilenden Beamten könnte sich die Möglichkeit eines präventiven Einsatzes in Bezug auf die Verhinderung der Flucht eines vorläufig festgenommenen (d. h. eines nach Art.  41 Abs.  2 lit.  b SDÜ festgehaltenen) Flüchtenden ergeben. 2.  Besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen Noch gravierendere Unterschiede zwischen dem deutschen und dem polnischen Recht ergeben sich im Bereich der Rechtsgrundlagen bzw. der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Einsatzes des unmittelbaren Zwangs. Das brandenburgische Gesetz fordert hierfür generell eine gesetzliche Ermächtigung (§  60 Abs.  1 Bbg­ PolG) und knüpft nur die Fesselung von Personen (§  65 Bbg­PolG)453 an beson­ dere Bedingungen. Der polnische Gesetzgeber hat nicht nur ausdrücklich die Fälle genannt, in denen die Zwangsausübung zulässig ist (Art.  11 plUZwSwG), sondern für jedes Mittel des unmittelbaren Zwangs separat normiert, in welchen von diesen Fällen und auf welche Art und Weise es angewandt werden darf (Art.  14–33 plUZwSwG). Von primärer Bedeutung wird für die nacheilenden deutschen Bediensteten die Möglichkeit der Zwangsausübung zum Zwecke der vorläufigen Festnahme einer Person, der Verhinderung ihrer Flucht oder der Verfolgung dieser Person (Art.  11 Pkt.  10) sein. Ins Gewicht – besonders im Zusammenhang mit der Sicherheitsdurchsuchung und Vorführung vor die örtli­ chen Behörden – können aber auch folgende Einsatzgrundlagen fallen: Abwehr eines unmittelbaren, rechtswidrigen Angriffs auf Leben, Gesundheit oder Frei­ heit (Art.  11 Pkt.  2), Überwindung des Passiv- (Art.  11 Pkt.  12) oder des Aktiv­ widerstands (Art.  11 Pkt.  13) sowie Verhinderung der Autoaggression (Art.  11 Pkt.  14). Welche Mittel des unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung dieser Maßnahmen angewandt werden dürfen, wird in der nachfolgenden Tabelle dar­ gestellt.

453 

Eine besondere Regelung in Bezug auf die Fesselung von Personen ist – von den Bun­ desländern, die als Grenzgebiete i. S. v. Art.  3 PolAbk fungieren – nur in Sachsen nicht vor­ gesehen.

241

D.  Einsatz von Schusswaffen und (sonstigen) Mitteln

Art des Mittels des unmittelbaren Zwangs nach Art.  12 Abs.  1 plUZwSwG

Einsatzgrundlage nach Art.  11 plUZwSwG

Pkt.  2

Pkt.  10

Pkt.  12

Pkt.  13

Pkt.  14

gegen gegen gegen gegen gegen Körperliche Gewalt in Gestalt von Verkehrs-, Personen Personen Personen Personen Personen Verteidigungs-, Angriffs-, u. Sachen u. Sachen u. Sachen u. Sachen u. Sachen Überwältigungs­techniken gegen gegen Personen Personen

gegen gegen Personen Personen

Zwangsjacke

gegen Personen

gegen gegen Personen Personen

Fixiergurt

gegen Personen

gegen gegen Personen Personen

Hand- und Fußschellen, eine Kombination von Hand- und Fußfesseln

Überwältigungsnetz

gegen gegen Personen Personen u. Sachen u. Sachen gegen Personen

Sicherungshelm Dienstschlagstock

gegen gegen Personen Personen u. Sachen u. Sachen

Wasserwerfer

gegen Personen u. Sachen

Diensthund

gegen gegen Personen Personen

Dienstpferd

gegen Personen

Nicht durchdringende Geschosse (Gummigeschosse)

gegen gegen Personen Personen u. Sachen u. Sachen

gegen Personen u. Sachen gegen gegen Personen Personen u. Sachen u. Sachen gegen Personen gegen gegen Personen Personen gegen Personen u. Sachen

242

3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

Art des Mittels des unmittelbaren Zwangs nach Art.  12 Abs.  1 plUZwSwG

Einsatzgrundlage nach Art.  11 plUZwSwG

Pkt.  2

Pkt.  10

Pkt.  12

Pkt.  13

Pkt.  14

gegen gegen Chem. Überwältigungs­ Personen Personen mittel in Gestalt von: u. Sachen u. Sachen – in der Hand oder auf dem Rücken getragenen Werfern von Überwälti­ gungsmitteln, – Tränengranaten, – anderen für das Schleudern von Überwältigungsmitteln bestimmten Geräten gegen Für die Überwältigung gegen von Personen mithilfe von Personen Personen Strom bestimmte Geräte u. Sachen u. Sachen Sicherungszelle Isolationsraum Isolationszimmer

gegen Personen u. Sachen

Diese Zwangsmittel finden gemäß Art.  16 Abs.  1 plPolG auf die polizeilichen Maßnahmen keine Anwendung. gegen Sachen

Nagelbänder und andere Mittel, die dem Anhalten oder dem Stilllegen von Fahrzeugen dienen Dienstfahrzeuge

gegen Sachen

gegen Sachen

Für die Überwindung von Bauverschlüssen und anderen Hindernissen bestimmte Mittel, darunter Sprengstoffe

gegen Sachen

gegen Sachen

Pyrotechnische Mittel, die gegen gegen betäubend oder leuchtend Personen Personen wirken Tab. 1: Einsatz der Mittel des unmittelbaren Zwangs in ausgewählten Fällen.

gegen Sachen

gegen Personen

D.  Einsatz von Schusswaffen und (sonstigen) Mitteln

243

So lässt das polnische Gesetz eine Durchsetzung aller oben genannten Maßnah­ men mittels körperlicher Gewalt zu, verbietet es aber zugleich, Schläge zu ver­ setzen, es sei denn, der Berechtigte handelt zur Abwehr eines Angriffs auf Le­ ben, Gesundheit oder Vermögen oder zur Verhinderung der Flucht (Art.  14 Abs.  2 plUZwSwG). Außer zur Überwindung des Passivwiderstands und zur Verhinderung der Autoaggression wird ein deutscher Beamter auch den Dienst­ schlagstock einsetzen dürfen. Der Einsatz ist jedoch gegen Personen untersagt, die bereits mithilfe der in Art.  19 Abs.  2 plUZwSwG aufgezählten Mittel über­ wältigt wurden.454 Mit dem Dienstschlagstock dürfen ferner keine Schläge und Stöße gegen Kopf, Hals, Bauch sowie gegen nicht muskulöse und besonders empfindliche Körperteile versetzt werden, ausgenommen der Fälle, in denen die Abwehr eines das Leben oder die Gesundheit unmittelbar gefährdenden An­ griffs notwendig ist (Art.  19 Abs.  4 plUZwSwG). Von praktischer Relevanz ist bei den Verfolgungsfahrten die Möglichkeit des Einsatzes eines Dienstfahr­ zeugs – eine Möglichkeit, die auf der Grundlage des Art.  41 SDÜ kaum an­ nehmbar ist. Art.  31 plUZwSwG erlaubt einen Einsatz gerade zum Zwecke der Festnahme des Verfolgten bzw. zur Verhinderung seiner Flucht. Dienstfahrzeu­ ge dürfen dabei nicht gegen Personen, sondern nur zum Anhalten oder Sperren eines anderen Fahrzeugs eingesetzt werden.455 Im Zusammenhang mit dem Festhalterecht der nacheilenden Beamten nach Art.  41 Abs.  2 lit.  b SDÜ ist besonderes Augenmerk auf die Anwendung von Fesselungsmitteln zu richten. §  65 S.  1 Bbg­PolG lässt diese zu, soweit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Festgehaltene456 (1) Polizeivollzugsbe­ dienstete oder Dritte angreifen, Widerstand leisten oder Sachen von nicht gerin­ gem Wert beschädigen wird oder (2) fliehen wird oder befreit werden soll oder (3) sich töten oder verletzen wird.457 Die Prognose muss sich auf objektive Er­

454 

Es handelt sich dabei um Hand- und Fußschellen sowie eine Kombination davon, Zwangsjacken, Überwältigungsgürtel oder -netze, sowie für die Überwältigung von Perso­ nen mithilfe von Strom bestimmte Geräte. 455  Darüber hinaus ist der Einsatz zur Überwindung eines Hindernisses zulässig. 456  Die Vorschrift gilt nicht nur für Freiheitsentziehungen zur Gefahrenabwehr, sondern bezieht sich auch auf Freiheitsentziehungen nach anderen Rechtsvorschriften, kann also auch bei einer strafprozessualen Festnahme zum Tragen kommen, Niehörster, Brandenburgisches Polizeigesetz, Pkt.  3.3.5 S.  104. Satz  2 erweitert die Fesselungsbefugnis auf Fälle der Frei­ heitsbeschränkung (Niehörster, a. a. O.) im Zusammenhang mit der Vorführung oder Ver­ bringung. 457  Ähnlich werden die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen in §  106 SOG M-V und in §  20 Abs.  1 UZwG Bln formuliert, mit dem Unterschied, dass §  106 SOG M-V voraussetzt, dass der Festgehaltene (tatsächlich) Widerstand leistet, und §  20 Abs.  1 UZwG Bln auf die Gefahr des Eintritts der genannten Fallkonstellationen abstellt.

244

3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

kenntnisse („Tatsachen“) stützen.458 Zu beurteilen ist deshalb die Gesamtsitua­ tion und/oder das Verhalten des Festgehaltenen.459 Die Bewertung muss dem Bediensteten den Eindruck vermitteln („Annahme“), dass eine der genannten Handlungen unmittelbar bevorsteht.460 Die erste Fallkonstellation dient dem Schutz Dritter, der einschreitenden Polizeibeamten und von Sachen, deren Wert nicht nur geringfügig ist.461 Widerstand im Sinne der Ermächtigungsnorm ist nur der aktive.462 Die zweite Alternative soll verhindern, dass sich die betroffe­ ne Person unerlaubt der polizeilichen Maßnahme entzieht.463 Mit der letzten Fesselungsgrundlage wird der Festgehaltene selbst vor von ihm ausgehenden gefährdenden Angriffen auf sein Leben oder seinen Leib geschützt.464 Art.  15 Abs.  1 plUZwSwG ermächtigt zur Anwendung von Fesseln in allen in Art.  11 plUZwSwG genannten Fällen, außer zur Überwindung passiven Wider­ stands. Die wohl wichtigste Grundlage sind aber im Kontext der Nacheile gera­ de die Fluchtverhinderung (Pkt.  10) sowie die Eigen- oder Fremdsicherung (Pkt.  2) bzw. die Überwindung des aktiven Widerstands (Pkt.  13). Die Anwen­ dung darf dabei – so wie nach §  65 Nr.  1 Bbg­PolG – präventiv erfolgen (Art.  13 plUZwSwG).465 Die deutsche und die polnische Regelung gehen damit über Art.  41 Abs.  5 lit.  e SDÜ hinaus. Während die letztgenannte Vorschrift den nacheilenden Be­ amten das Anlegen von Handschellen ausdrücklich nur „während der Beförde­ rung“ des Betroffenen gestattet, können sie nach den innerstaatlichen Bestim­ mungen – kraft der Befugnisnorm des Art.  36 Abs.  2 Nr.  3 PolAbk – auch im Falle des Verbleibens am Festhalteort bis zum Eintreffen der zuständigen Be­ hörden angewandt werden, soweit etwa die Fluchtgefahr besteht. Für die deutschen Bediensteten, die über das im Einzelfall anzuwendende Mittel des unmittelbaren Zwangs und über seine Einsatzweise selbst – aller­ 458  Benfer/Bialon, Rechtseingriffe, Rn.  1623. Als eine solche Tatsache können die frühe­ ren Fluchtversuche des Festgehaltenen genannt werden, Niehörster, Brandenburgisches Poli­ zeigesetz, Pkt.  3.3.5 S.  104. 459  Benfer/Bialon, Rechtseingriffe, Rn.  1623. 460  Benfer/Bialon, Rechtseingriffe, Rn.  1623. 461  Kay, Allgemeines Verwaltungs- und Eingriffsrecht, Bd.  1, S.  318. 462  Kay, Allgemeines Verwaltungs- und Eingriffsrecht, Bd.  1, S.  318. 463  Kay, Allgemeines Verwaltungs- und Eingriffsrecht, Bd.  1, S.  319. 464  Kay, Allgemeines Verwaltungs- und Eingriffsrecht, Bd.  1, S.  319 f. 465  Art.  15 plUZwSwG enthält detaillierte Vorgaben hinsichtlich der Art und Weise des Einsatzes. Handschellen sollen hinten (Abs.  4) angelegt werden. Soweit sie präventiv ange­ wandt werden oder wenn die Fluchtgefahr gering ist, können sie ausnahmsweise vorne ange­ legt werden (Abs.  6). Gegen aggressive Personen oder gegen Personen, denen die Freiheit entzogen wurde oder die wegen des Verdachts einer im Gesetz genannten Straftat vorläufig festgenommen wurden, darf man Hand- oder Fußfesseln oder eine Kombination davon an­ wenden (Abs.  5, 7).

E.  Sonder- und Wegerechte

245

dings unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – entscheiden, kann die Notwendigkeit der Beherrschung sämtlicher Grundlagen mit detail­ lierten Einsatzvoraussetzungen und Ausnahmetatbeständen ein Hindernis für die effektive Durchführung der Kooperationsmaßnahmen auf dem polnischen Hoheitsgebiet darstellen. Eine vergleichbare Auswirkung kann aus Sicht polni­ scher Polizeibeamter die Erforderlichkeit der Kenntnis der entsprechenden Re­ gelungen der einzelnen Bundesländer haben, die trotz ihrer weitgehenden in­ haltlichen Übereinstimmung in manchen Punkten voneinander abweichen.

E.  Sonder- und Wegerechte I.  Einleitende Bemerkungen Mangels ausdrücklicher Regelung im SDÜ wird diskutiert, ob nacheilende Po­ lizeibeamte Sonder- und Wegerechte in Anspruch nehmen dürfen.466 Im Schrift­ tum wird dies teilweise mit Blick auf die Gleichstellung ausländischer und ört­ licher Bediensteter gemäß Art.  42 SDÜ in Bezug auf von ihnen oder zu ihrem Nachteil begangene Straftaten bejaht.467 Hat ein bestimmtes straßen­ verkehrswidriges Verhalten eines Beamten des Gebietsstaates keine Strafver­ antwortung zur Folge, gilt für einen nacheilenden Polizisten im Lichte der Gleichstellungsklausel nichts anderes. Hinsichtlich der deutsch-polnischen Zu­ sammenarbeit ist in diesem Kontext darauf hinzuweisen, dass bloße Zuwider­ handlungen gegen Straßenverkehrsvorschriften in beiden Nachbarländern Ord­ nungswidrigkeiten (vgl. §  40 StVO; Kapitel XI plOWiGB) und keine Straftaten, auf welche die Gleichstellungsregel explizit anwendbar ist, darstellen. Die An­ nahme der Zulässigkeit der Inanspruchnahme von Sonder- und Wegerechten unter Berufung auf Art.  42 SDÜ wäre insoweit nur bei einem argumentum a maiore ad minus denkbar. Nach einem anderen Begründungsansatz ergibt sich die betreffende Befugnis bereits aus dem Begriff „Nacheile“ selbst.468 Dies erscheint plausibel, weil die Verletzung von Verkehrsvorschriften jeder Verfolgung, die in einem Fahrzeug geführt wird, innewohnt. Der Flüchtende wird in aller Regel nicht das Risiko eingehen, wegen einer straßenverkehrsordnungsgemäßen Fahrt – insbesondere Würz, Das Schengener Durchführungsübereinkommen, Rn.  135; Joubert/ Bevers, Schengen Investigated, S.  272; Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  195; offen gelassen von Schneider, Kriminalistik 1998, 306 (311). 467  Joubert/Bevers, Schengen Investigated, S.  271 f.; Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  195. 468  Würz, Das Schengener Durchführungsübereinkommen, Rn.  135. 466 Bejahend

246

3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

wegen der Beachtung von Geschwindigkeitsbeschränkungen oder der Vor­ fahrtsregel – festgehalten zu werden. Die Bediensteten sind somit herausgefor­ dert, sich an die rechtswidrige Fahrweise des Verfolgten anzupassen. Eine Ein­ räumung des Nacheilerechts ohne die begleitende Befugnis der Inanspruchnah­ me von Sonder- und Wegerechten würde die über die Grenze nacheilenden Polizeibeamten vor das Dilemma stellen, den Sichtkontakt zu verlieren und im Ergebnis die Chance auf das Ergreifen des Flüchtenden zu verspielen oder ge­ gen die Verkehrsvorschriften des betretenen Staates zu verstoßen und dafür zur Verantwortung gezogen zu werden.469 Eine Deutung der Regelung des Art.  41 SDÜ, die von einer konkludenten Verleihung von Sonder- und Wegerechten ausgeht, ist jedoch zumindest deshalb fraglich, weil deren Inanspruchnahme bei sonstigen Verkehrsteilnehmern, die selbst keinen Anlass zur Nacheile gegeben haben, bestimmte Pflichten, etwa freie Bahn zu schaffen, auslösen und deren Verletzung geahndet werden könnte. Sollte das Übereinkommen auch Unbeteiligten Pflichten auferlegen, so wäre eine diesbezügliche – ausdrückliche – Regelung geboten. Zweifel daran, ob die Vertragsparteien von der Zulässigkeit der Wahrneh­ mung von Sonder- und Wegerechten ausgegangen sind, bekräftigt der Umstand, dass Deutschland zwei Jahre nach der Unterzeichnung des SDÜ, allerdings noch vor seinem Inkrafttreten, eine innerstaatliche Ermächtigungsgrundlage schuf: Mit der Elften Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrsordnung wurde das Sonderrecht aus §  35 Abs.  1 StVO durch Einfügung eines weiteren Absatzes 1a expressis verbis auf Polizeibeamte, die aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen zur Nacheile berechtigt sind, erstreckt.470 Sollte sich diese Be­ fugnis bereits aus Art.  41 Abs.  1 SDÜ ergeben, wäre ihre ausdrückliche Zuwei­ sung überflüssig, denn mit der Ratifizierung471 des Übereinkommens gemäß Art.  139 Abs.  1 SDÜ i. V. m. Art.  59 Abs.  2 S.  1 GG sind die Bestimmungen des Art.  41 SDÜ innerstaatliches Recht im Rang eines Bundesgesetzes geworden472 und stellen eigenständige Eingriffsbefugnisse dar473. Andererseits lässt sich nicht ausschließen, dass mit der Regelung nur eine rechtssichernd wirkende Klarstellung intendiert wurde.

Joubert/Bevers, Schengen Investigated, S.  271, die mit diesem Argument die Ein­ führung der innerstaatlichen Vorschriften über Sonder- und Wegerechte begründen. 470  BGBl.  1992 I S.  678. 471  Gesetz zu dem Schengener Übereinkommen v. 19.6.1990 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen v. 15.7.1993 (BGBl.  1993 II S.  1010). 472  Mokros, in: Lisken/Denninger, 2. Aufl., Teil N Rn.  57; Würz, Das Schengener Durch­ führungsübereinkommen, Rn.  20; vgl. auch Nettesheim, in: Maunz/Dürig, Art.  59 Rn.  184 f. 473  Würz, Das Schengener Durchführungsübereinkommen, Rn.  22 f. 469 Vgl.

E.  Sonder- und Wegerechte

247

Jenseits der Unsicherheiten über eine originäre Begründung der Befugnis zur Wahrnehmung von Sonder- und Wegerechten durch das SDÜ selbst könnten nacheilende Bedienstete diese Rechte jedenfalls dann in Anspruch nehmen, wenn dies ausdrücklich im nationalen Recht des Gebietsstaates oder in einem bilateralen (Ergänzungs-)Abkommen gemäß Art.  41 Abs.  9 SDÜ vorgesehen wäre. Die polnischen Polizisten dürften sich auf den oben angeführten §  35 Abs.  1a StVO berufen. Eine dementsprechende Bestimmung, die die Rechtspo­ sition der deutschen, in Polen verfolgenden Beamten regelt, kennen hingegen weder das polnische Polizeigesetz noch die polnische Straßenverkehrsordnung. Für Abhilfe sorgt Art.  36 Abs.  2 Nr.  5 PolAbk, indem er zur Inanspruchnahme von Sonder- und Wegerechten (deutsche Fassung) bzw. zur Gebrauchmachung von Attributen privilegierter Fahrzeuge (polnische Fassung: „korzystani[e] z atrybutów pojazdów uprzywilejowanych“) ermächtigt.474 Zugleich beseitigt er im deutsch-polnischen Verhältnis die auf dem Boden des SDÜ bestehenden Zweifel. Im Folgenden werden nun die nationalen Vorschriften verglichen, die beim Tätigwerden auf dem deutschen und auf dem polnischen Hoheitsgebiet gemäß der Grundregel des Art.  36 Abs.  1 PolAbk und des Art.  41 Abs.  5 lit.  a SDÜ für nacheilende polnische und deutsche Polizisten zum Tragen kommen.

II.  Nacheile auf dem deutschen Hoheitsgebiet 1.  Sonderrecht nach §  35 StVO a.  Inhalt des Sonderrechts Im Wesen der in §  35 Abs.  1–7a StVO verankerten Sonderrechte liegt die Privi­ legierung bestimmter Verkehrsteilnehmer, die in einer (Teil-)Befreiung von der Beachtung der Vorschriften der Straßenverkehrsordnung besteht. Am weitesten gehend sind die in den Absätzen 1 und 1a aufgezählten Hoheitsträger sowie die Hilfsorganisationen i. S. v. Absatz 2 im Bereich der Erfüllung hoheitlicher Auf­ gaben bevorrechtigt, denen der Rettungsdienst in rechtfertigenden Notstands­ fällen nach Absatz 5a gleichgesetzt wird.475 Absatz 6 sieht gewisse Sonderrech­ te für Bau, Unterhaltung und Reinigung von Straßen und Anlagen im Straßen­ raum und für Müllabfuhr vor. Absätze 7 und 7a richten sich an Messfahrzeuge der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post.476 474  Entsprechende Befugnisnormen sind auch in Kooperationsverträgen Deutschlands mit Tschechien (Art.  22 Abs.  1), Niederlanden (Art.  30 Abs.  3) und Österreich (Art.  27 Abs.  4) enthalten. 475  Heß, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, §  35 StVO Rn.  1. 476  Heß, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, §  35 StVO Rn.  1.

248

3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

Obgleich Art.  37 Abs.  2 Nr.  2 PolAbk die nacheilenden Bediensteten generell zur Inanspruchnahme von Sonderrechten ermächtigt, muss es sich dabei um das Sonderrecht nach §  35 Abs.  1 StVO handeln. Dafür spricht der bereits angeführ­ te §  35 Abs.  1a StVO, der den Anwendungsbereich des Absatzes 1 auf ausländi­ sche Beamte erweitert, die auf Grund völkerrechtlicher Vereinbarungen zur Nacheile im Inland berechtigt sind. Eine solche Befugnis räumt polnischen Po­ lizisten Art.  25 Abs.  1 PolAbk i. V. m. Art.  41 SDÜ ein. §  35 Abs.  1 StVO befreit von den Vorschriften dieser Verordnung, soweit das zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist. Gemeint sind sämtli­ che Verhaltensvorschriften der Straßenverkehrsordnung, einschließlich der Grundregeln des §  1.477 Die erste (Abs.  1) mahnt zur Vorsicht und Rücksicht im Straßenverkehr, also zu defensivem Fahren.478 Die zweite (Abs.  2) ordnet an, sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar behindert oder belästigt wird, und fungiert insoweit als Auffangtatbestand zur bußgeldrechtlichen Ahndung.479 Den nach­ eilenden polnischen Polizisten dürften demnach u. a. folgende Verhaltensweisen gestattet sein: Überschreiten der zulässigen Geschwindigkeit, Nichtbeachtung von Lichtzeichen, Nichteinhaltung der Wartepflicht, Fahren trotz eines Fahrver­ bots, Halten und Parken im Halteverbot, Rechtsüberholen, Linksfahren480 sowie Missachtung der Verkehrsregelungen durch die Polizei481 oder durch mechani­ sche Einrichtungen482. b.  Formelle Anforderungen an die Inanspruchnahme des Sonderrechts Die Privilegierung nach §  35 Abs.  1 StVO hängt nicht von der Kennzeichnung des Fahrzeugs oder der Person ab,483 sodass auch ein ziviles Einsatzfahrzeug sonderrechtstauglich ist 484. Zu bedenken ist aber, dass die Einräumung der Mög­ lichkeit, die Sonderrechte in Anspruch zu nehmen, die Erkennbarkeitspflicht aus Art.  41 Abs.  5 lit.  d SDÜ nicht modifiziert. Die Bediensteten dürfen sich auf die 477  Heß, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, §  35 StVO Rn.  13; Kullik, NZV 1994, 58 (59). 478  Heß, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, §  1 StVO Rn.  1. 479  Lempp, in: Haus/Krumm/Quarch (Hrsg.), §  1 StVO Rn.  1 f.; Walther, in: HK-StVR, §  1 StVO Rn.  2. 480  Aufzählung nach König, in: Hentschel/König/Dauer, §  35 StVO Rn.  4. 481  Koehl, in: Haus/Krumm/Quarch (Hrsg.), §  35 StVO Rn.  19; Jäger, in: HK-StVR, §  35 StVO Rn.  3. 482  Koehl, in: Haus/Krumm/Quarch (Hrsg.), §  35 StVO Rn.  19. 483  Kullik, NZV 1994, 58 (61). 484  Koehl, in: Haus/Krumm/Quarch (Hrsg.), §  35 StVO Rn.  7; Heß, in: Burmann/Heß/ Hühnermann/Jahnke/Janker, §  35 StVO Rn.  2.

E.  Sonder- und Wegerechte

249

in Art.  36 Abs.  2 Nr.  5 PolAbk aufgezählten Befugnisse nur im Rahmen der Durchführung dieses Abkommens berufen, also nur unter den in Art.  25 PolAbk i. V. m. Art.  41 SDÜ festgelegten Voraussetzungen. Art.  41 Abs.  5 lit.  d SDÜ setzt indes eine eindeutige Erkennbarkeit der nacheilenden Beamten oder des nacheilenden Fahrzeugs voraus.485 Eine Nacheile in einem – nach deutschem Recht sonderrechtstauglichen – zivilen Wagen ist ausschließlich dann zulässig, wenn der Fahrer seine Uniform trägt oder an dem Fahrzeug erkennungsdienli­ che Zusatzeinrichtungen zwischenzeitlich angebracht wurden.486 §  35 Abs.  1 StVO setzt ferner weder voraus, dass das Fahrzeug mit Blaulicht und Einsatzhorn ausgestattet ist, noch dass beide Signale benutzt werden.487 Die ihn flankierende Verwaltungsvorschrift sieht allerdings vor, dass die Inan­ spruchnahme von Sonderrechten, sofern möglich und zulässig, durch blaues Blinklicht zusammen mit dem Einsatzhorn angezeigt werden sollte. Dies erfor­ dern Sicherheitsgründe: Ohne diese Signale ist das Gebrauchmachen von Son­ derrechten für andere nicht erkennbar. §  35 StVO stellt bestimmte Institutionen von den Verkehrsregeln frei, ohne anderen Verkehrsteilnehmern Pflichten auf­ zuerlegen oder ihre Rechtsposition im Verkehr zu ändern.488 c.  Materielle Anforderungen an die Inanspruchnahme des Sonderrechts Die Sonderstellung gilt nicht schrankenlos. Das Abweichen von den Vorschrif­ ten der Straßenverkehrsordnung muss nach Maßgabe des §  35 Abs.  1 in fine StVO zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten sein. Dies ist zu bejahen, soweit bei der Einhaltung der Verkehrsregeln die hoheitlichen Aufga­ ben „nicht, nicht ordnungsgemäß oder nicht so rasch wie erforderlich“ wahrge­ nommen werden könnten.489 Die Feststellung der Dringlichkeit liegt im Beur­ teilungsspielraum des handelnden Beamten.490 Bei der grenzüberschreitenden Nacheile dürfte diese Prämisse im Regelfall erfüllt sein. Erstens ist bereits die 485 

Siehe oben A. VI. Für die nacheilenden polnischen Polizeibeamten ist die Zulässigkeit der Nacheile und der Wahrnehmung der Sonderrechte in solchen Fällen ohne größere Bedeutung, weil sie ge­ mäß §  13 Abs.  1 der Anordnung Nr.  1355 des Hauptkommandanten der Polizei die grenzüber­ schreitende Nacheile nur in Dienstuniform und unter Benutzung gekennzeichneter Dienst­ fahrzeuge ausüben dürfen. 487  Heß, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, §  35 StVO Rn.  2. 488  Kullik, NZV 1994, 58 (58 u. 60). 489  Koehl, in: Haus/Krumm/Quarch (Hrsg.), §  35 StVO Rn.  9; König, in: Hentschel/Kö­ nig/Dauer, §  35 StVO Rn.  5; Kullik, NZV 1994, 58 (59); siehe auch OLG Celle BeckRS 2007, 00334. 490  Koehl, in: Haus/Krumm/Quarch (Hrsg.), §  35 StVO Rn.  10; König, in: Hentschel/Kö­ nig/Dauer, §  35 StVO Rn.  5; Jäger, in: HK-StVR, §  35 StVO Rn.  14; KG NZV 2000, 510; OLG Celle BeckRS 2007, 00334. 486 

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

Möglichkeit einer Fortsetzung der Nacheile über die Grenze hinweg durch Dringlichkeit der Angelegenheit veranlasst. Zweitens haben die Verfolgungs­ maßnahmen keinen aufschiebbaren Charakter. Denn Art.  25 Abs.  1 i. V. m. Art.  41 SDÜ ermächtigt zur Fortsetzung der inländischen Nacheile und nicht zur Aufnahme einer Verfolgung im Ausland. Bei einem nicht nur kurzzeitigen Verlust des Sichtkontakts zum Tatverdächtigen muss die Nacheile eingestellt werden. Das Risiko, dass sich der Flüchtende der Festnahme entzieht, kann durch das Abweichen von Verkehrsregeln reduziert werden. §  35 StVO ist aller­ dings eine Ausnahmevorschrift.491 Es müssen daher konkrete Umstände festge­ stellt werden, die die Dringlichkeit der dienstlichen Aufgabe im Verhältnis zu den Gefahren, die aus der Verletzung der Verkehrsnormen resultieren können, beweisen.492 Darüber hinaus dürfen die Sonderrechte laut §  35 Abs.  8 StVO nur unter ge­ bührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden. Damit wird der Freistellung von der Generalklausel des §  1 StVO Rech­ nung getragen.493 Die Sonderrechtsstellung kann die Behinderung oder Belästi­ gung anderer in einem erweiterten Umfang rechtfertigen, sie entbindet den be­ vorrechtigten Fahrer jedoch nicht vom Verbot der konkreten Gefährdung,494 erst recht nicht vom Verbot der Verletzung anderer495. Mit der Formulierung „unter gebührender Berücksichtigung“ wird der allgemeine Verhältnismäßigkeits­ grundsatz zum Ausdruck gebracht.496 Zum einen darf die zu erfüllende hoheit­ liche Aufgabe zum Verstoß gegen Verkehrsregeln nicht außer Verhältnis ste­ hen.497 Zum anderen ist immer derjenige Eingriff in die Verkehrsordnung vor­ zunehmen, der die anderen Verkehrsteilnehmer am wenigsten belastet.498 Eine Fahrweise, die andere konkret gefährdet oder schädigt, etwa bei einer Verfol­ gungsjagd, muss auf eine Abwägung nach Notstandsgesichtspunkten gestützt

Koehl, in: Haus/Krumm/Quarch (Hrsg.), §  35 StVO Rn.  8; OLG Celle BeckRS 2007, 00334. 492  Heß, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, §  35 StVO Rn.  8; vgl. BGH NJW 1990, 632 (633). 493  Kullik, NZV 1994, 58 (58 f.). 494  Kullik, NZV 1994, 58 (59); Heß, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, §  35 StVO Rn.  13; vgl. BGH VRS 32, 321 (324); OLG Braunschweig NZV 1990, 198. 495  König, in: Hentschel/König/Dauer, §  35 StVO Rn.  4; Heß, in: Burmann/Heß/Hühner­ mann/Jahnke/Janker, §  35 StVO Rn.  13. 496  Koehl, in: Haus/Krumm/Quarch (Hrsg.), §  35 StVO Rn.  16; Kullik, NZV 1994, 58 (59 f.). 497  KG NZV 2005, 636 (636); Koehl, in: Haus/Krumm/Quarch (Hrsg.), §  35 StVO Rn.  16. 498  Koehl, in: Haus/Krumm/Quarch (Hrsg.), §  35 StVO Rn.  16; König, in: Hentschel/Kö­ nig/Dauer, §  35 StVO Rn.  8. 491 

E.  Sonder- und Wegerechte

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sein.499 Die (polnischen) nacheilenden Polizisten müssen deshalb in aller Regel das Maß an Wagnis zum Zwecke des Festhaltens der flüchtenden Person an die konkrete Verkehrslage anpassen.500 Die ihnen obliegende Sorgfaltspflicht ist umso größer, je gefährlicher das Abweichen von den Verkehrsvorschriften ist 501 bzw. je mehr dieses die Unfallgefahr erhöht502. Schließlich statuiert §  35 Abs.  2 StVO die Erlaubnispflicht für den Fall, dass die bevorrechtigten Organisationen mehr als 30 Kraftfahrzeuge im geschlosse­ nen Verband (§  27 StVO) fahren lassen wollen und im Übrigen bei jeder sonsti­ gen übermäßigen Straßenbenutzung mit Ausnahme der nach §  29 Abs.  3 S.  2 StVO. Dieser Schranke wird jedoch im Rahmen einer (grenzübergreifenden) Verfolgung keine Bedeutung zukommen. Da ein geschlossener Verband „eine geordnete, einheitlich geführte und als Ganzes erkennbare Personen- oder Fahr­ zeugmehrheit“ bildet,503 die nach den Verwaltungsvorschriften zu §  27 Abs.  2 StVO geschlossen bleiben muss, dürften sich die zum Verband gehörigen Poli­ zisten bzw. Polizeidienstwagen nicht verteilen, um dem Flüchtenden mögliche Fluchtwege abzuschneiden. Ein Hintereinanderfahren von über 30 anstelle von etwa drei Fahrzeugen würde die Festnahmeaussichten nicht vergrößern und wäre deshalb unter polizeieinsatztaktischen Gesichtspunkten kaum nachvoll­ ziehbar. Bei grenzüberschreitenden Nacheilen müsste es überdies als Verstoß gegen den Ultima-Ratio-Grundsatz angesehen werden.504 Bei einer sonstigen übermäßigen Straßenbenutzung handelt es sich dagegen um eine andere über den Gemeingebrauch hinausgehende Sondernutzung öffentlicher Straßen,505 die im Rückgriff auf §  29 Abs.  2 S.  1, Abs.  3 StVO506 in einer mehr als verkehrsüb­ lichen Inanspruchnahme von Straßen oder in einem Einsatz übergroßer oder 499  Heß, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, §  35 StVO Rn.  13; Kullik, NZV 1994, 58 (59 f.); Jäger, in: HK-StVR, §  35 StVO Rn.  14 f.; vgl. BGH VRS 32, 321 (324). 500  Vgl. BGH VRS 32, 321 (324); König, in: Hentschel/König/Dauer, §  35 StVO Rn.  8. 501  Heß, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, §  35 StVO Rn.  13a; König, in: Hentschel/König/Dauer, §  35 StVO Rn.  8. 502  KG BeckRS 2005, 06466; Koehl, in: Haus/Krumm/Quarch (Hrsg.), §  35 StVO Rn.  16. 503  Krumm, in: Haus/Krumm/Quarch (Hrsg.), §  27 StVO Rn.  2; siehe auch Definition in §  27 Abs.  3 StVO. 504  Weder das SDÜ noch das Polizeiabkommen (2014) bestimmen die zulässige Anzahl der über die Staatsgrenze nacheilenden Streifenwagen oder Polizeibeamten. In Anbetracht der Achtung der fremden Territorialhoheit sollte sich der Einsatz jedoch auf das zwingend notwendige Maß beschränken, so zutreffend Mokros, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil O Rn.  239. 505  Janker/Hühnermann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, §  29 StVO Rn.  1; Jäger, in: HK-StVR, §  29 StVO Rn.  2. Eingehend zum Begriff des Gemeingebrauchs Jäger, in: HK-StVR, §  12 StVO Rn.  30 ff. 506  Vgl. Verwaltungsvorschriften zu §  35 Abs.  2 StVO, die in Bezug auf die Erlaubnis auf §  29 Abs.  2 und Abs.  3 StVO verweisen.

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

überschwerer Fahrzeuge besteht507. Der erste Fall erfasst nach §  29 Abs.  2 S.  2 StVO die Veranstaltungen, bei denen die Benutzung der Straße für den Verkehr wegen der Zahl oder des Verhaltens der Teilnehmenden oder der Fahrweise der beteiligten Fahrzeuge eingeschränkt wird. Eine solche erlaubnispflichtige Inan­ spruchnahme von Straßen könnte unter Umständen bei polizeilichen Manövern oder Übungsfahrten vorliegen,508 nicht aber bei einer Nacheile. Denn der Zweck der Erlaubnispflicht sind „die Erhaltung der Straßensubstanz“ und der „Schutz der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs“.509 Diese Ziele kann eine polizei­ liche Verfolgung keineswegs gefährden. Überdies stellt sie als eine unmittelba­ re Reaktion auf die Flucht eines Tatverdächtigen bzw. eines Straftäters keine „Veranstaltung“, für die ein bestimmter „organisatorischer Aufwand und Um­ fang“ erfordert wird,510 sondern eine Ad-hoc-Maßnahme dar. Die Abnutzung von Straßen durch die nacheilenden Bediensteten lässt sich auch dem zweiten Fall nicht zuordnen. Verfolgt wird nämlich mit verkehrsüblichen Dienstwagen und nicht mit Fahrzeugen des Groß- und Schwerverkehrs. Insoweit wirkt sich die Erlaubnispflicht nach §  35 Abs.  2 StVO im Bereich der grenzüberschreiten­ den Nacheile kaum aus bzw. beeinträchtigt die Verfolgungsmöglichkeiten nicht. 2.  Wegerecht nach §  38 StVO Das Wegerecht nach §  38 Abs.  1 StVO stellt die Befugnis eines Einsatzfahrers dar, sich freie Bahn zu verschaffen und diese in Anspruch zu nehmen.511 Es wird wirksam begründet, wenn das blaue Blinklicht (§  52 Abs.  3 StVZO) und das Einsatzhorn (§  55 Abs.  3 StVZO) zusammen verwendet werden. Soweit dies der Fall ist, müssen alle anderen Verkehrsteilnehmer sofort freie Bahn schaf­ fen.512 Nachdem der Anordnung Folge geleistet worden ist, darf der Fahrer des Wegerechtsfahrzeugs unter Beachtung einer gesteigerten Sorgfaltspflicht die freie Bahn benutzen.513 Von der Einhaltung von Verkehrsregeln wird er jedoch nur dann entbunden, wenn er zugleich Hoheitsrechte i. S. v. §  35 Abs.  1 oder Abs.  5a StVO wahrnimmt.514 Kreusch, in: Haus/Krumm/Quarch (Hrsg.), §  29 StVO Rn.  9. Heß, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, §  35 StVO Rn.  3. 509  Jäger, in: HK-StVR, §  29 StVO Rn.  2. 510  König, in: Hentschel/König/Dauer, §  29 StVO Rn.  4. 511 Vgl. Koehl, in: Haus/Krumm/Quarch (Hrsg.), §  38 StVO Rn.  1 u. 8. 512  Das kann in erster Linie durch Anhalten erfolgen, aber auch durch äußerst rechtes Fahren oder durch Schaffung einer freien Gasse, Kullik, NZV 1994, 58 (60). 513  Koehl, in: Haus/Krumm/Quarch (Hrsg.), §  38 StVO Rn.  8. 514  Jäger, in: HK-StVR, §  38 StVO Rn.  2; König, in: Hentschel/König/Dauer, §  38 StVO Rn.  10. Dies muss auch für die Inanspruchnahme des Sonderrechts aus §  35 Abs.  1a StVO gelten, da die grenzüberschreitend nacheilenden und observierenden Beamten den in Abs.  1 507 

508 Vgl.

E.  Sonder- und Wegerechte

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Die gleichzeitige Einschaltung des blauen Blinklichts und des Einsatzhorns ist nur dann zulässig, wenn höchste Eile zur Rettung eines Menschenlebens oder zur Abwendung schwerer gesundheitlicher Schäden, zur Abwendung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, zur Verfolgung flüchtiger Personen oder zur Erhaltung bedeutender Sachwerte geboten ist. Die Pflicht, sofort freie Bahn zu schaffen, besteht jedoch unabhängig von der Eilbedürftig­ keit der Einsatzfahrt.515 Nehmen die polnischen Bediensteten das Wegerecht zur Nacheile missbräuchlich in Anspruch, ist dies (nur) für Haftungsfragen sowie für ordnungswidrigkeiten- und strafrechtliche Sanktionen von Bedeutung.516

III.  Nacheile auf dem polnischen Hoheitsgebiet 1.  Voraussetzungen der Privilegierung im Straßenverkehr Eine Sonderstellung im Verkehr genießen nach dem polnischen Recht sog. pri­ vilegierte Fahrzeuge. Entsprechend der Legaldefinition in Art.  2 Pkt.  38 plStVO sind darunter diejenigen Fahrzeuge zu verstehen, die Lichtsignale in Gestalt von blauem Blinklicht und gleichzeitig Tonsignale von verschiedener Grundfre­ quenz verwenden und daneben mit eingeschaltetem Abblend- oder Fernlicht fahren. Das blaue Blinklicht allein ist ausschließlich nach dem Anhalten zuläs­ sig. Die deutschen Vorschriften setzen hingegen für die Inanspruchnahme der Sonderrechte eine Betätigung weder des blauen Blinklichts noch des Einsatz­ horns voraus. Auch auf dem deutschen Hoheitsgebiet werden aber das Sonderund das Wegerecht häufig gleichzeitig in Anspruch genommen,517 da es ande­ renfalls kaum möglich ist, von sonstigen Verkehrsteilnehmern ein entsprechen­ des Verhalten, einschließlich der Vorfahrt, zu erzwingen. Wie im deutschen Recht ist eine anderweitige Kennzeichnung des Fahrzeugs, etwa mit Streifen oder Aufschriften, für die Privilegierung ohne Belang.518 Eine Erweiterung der Befugnisse der nacheilenden Bediensteten bzw. deren Befrei­ ung vom Erkennbarkeitserfordernis nach Art.  41 Abs.  5 lit.  d SDÜ ergibt sich daraus aber nicht.519

genannten Hoheitsträgern im Hinblick auf ihre Rechtsstellung im Straßenverkehr gleichge­ setzt worden sind. 515  Heß, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, §  38 StVO Rn.  5; Koehl, in: Haus/Krumm/Quarch (Hrsg.), §  38 StVO Rn.  7. 516  Heß, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, §  38 StVO Rn.  5; Koehl, in: Haus/Krumm/Quarch (Hrsg.), §  38 StVO Rn.  4. 517  Kullik, NZV 1994, 58 (58). 518  Kotowski, Prawo o ruchu drogowym, Art.  53 Rn.  1. 519  Siehe oben II. 1. b.

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

Im Gegensatz zum deutschen Pendant erfordert Art.  53 plStVO Dringlichkeit bzw. höchste Eile nicht ausdrücklich. Diese Bedingung kann allerdings seinem Absatz 2 entnommen werden, wonach das Abweichen von Verkehrsregeln dann zulässig ist, wenn der Fahrer an einer Aktion teilnimmt, die mit der Rettung von Leben, Gesundheit oder Vermögen oder mit der Notwendigkeit des Schutzes der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Zusammenhang steht (Pkt.  1 lit.  a).520 2.  Sonderstellung eines privilegierten Fahrzeugs: Rechte und Pflichten Gemäß Art.  53 Abs.  2 plStVO darf der Fahrer eines privilegierten Fahrzeugs unter Einhaltung einer besonderen Vorsicht von den Vorschriften über den flie­ ßenden (Art.  16–32 plStVO) und den ruhenden (Art.  46–49 plStVO) Straßenver­ kehr abweichen. Demnach braucht er sich nicht an die Regeln über Einfahren in den Verkehr, Abbiegen, Wenden, Rückwärtsfahren, Vorbeifahren und Überho­ len zu halten. Die an den Straßenkreuzungen, auf Fußgänger- und Fahrradüber­ wegen sowie Bahnübergängen geltenden Verhaltensnormen sind für ihn nicht verbindlich. Er darf auch die zulässige Geschwindigkeit überschreiten, Warn­ zeichen schrankenlos geben sowie die Regeln, die für das Bremsen und für die Fahrt bei verminderter Durchsichtigkeit der Luft aufgrund von Nebel, Nieder­ schlag oder sonstigen Ursachen zum Tragen kommen, außer Acht lassen. Schließlich ist er an die Vorschriften über das Anhalten und das Parken nicht gebunden. Art.  53 Abs.  2 plStVO stellt ferner von der Beachtung der Verkehrszeichen und -signale frei. Der Fahrer eines privilegierten Fahrzeugs ist allerdings – an­ ders als nach deutschem Recht – verpflichtet, sich an die Anordnungen und Sig­ nale zu halten, die von den den Verkehr regelnden oder zu seiner Kontrolle be­ rechtigten Personen gegeben werden (Art.  53 Abs.  3 plStVO). Weicht der Fahrer eines privilegierten Fahrzeugs von den Vorschriften über Fahrzeugverkehr, Anhalten oder Parken ab oder hält er sich nicht an Verkehrs­ zeichen oder -signale, muss er in jedem Fall besondere Vorsicht üben. Gemäß Art.  2 Pkt.  22 plStVO wird darunter die Vorsicht verstanden, die auf einer er­ höhten Aufmerksamkeit und einer Anpassung des eigenen Verhaltens an die sich verändernden Verkehrsverhältnisse und -situationen beruht, und zwar in einem solchen Maße, das ein hinreichend schnelles Reagieren ermöglicht. Die 520  Daneben kann die Sonderstellung bei der Teilnahme an der Durchfahrt eines Verban­ des privilegierter Fahrzeuge (Pkt.  1 lit.  b) und bei der Wahrnehmung von Aufgaben in An­ spruch genommen werden, die unmittelbar mit der Gewährleistung der Sicherheit von Perso­ nen verbunden sind, die staatliche Führungsstellen innehaben und denen der Schutz kraft besonderer Vorschriften zusteht (Pkt.  1 lit.  c).

E.  Sonder- und Wegerechte

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Art und Weise der Inanspruchnahme der Sonderrechte darf die Sicherheit ande­ rer Verkehrsteilnehmer nicht gefährden.521 Der (deutsche) Einsatzfahrer muss deshalb Rücksicht darauf nehmen, ob die anderen Verkehrsteilnehmer die von ihm gegebenen Signale wahrgenommen haben und ihm die Durchfahrt erleich­ tern werden.522 Das Gleiche obliegt einem (polnischen) Beamten, der die Rechte aus §§  35, 38 StVO in Anspruch nimmt. Mit der Privilegierung eines Fahrzeugs korrespondieren gewisse Pflichten auf Seiten anderer Verkehrsteilnehmer und anderer Personen, die sich auf der Bahn523 befinden. Art.  9 plStVO verpflichtet sie, die Durchfahrt eines privile­ gierten Fahrzeugs zu erleichtern, insbesondere unverzüglich freie Bahn zu schaffen, und stimmt weitgehend mit der Anordnung des §  38 Abs.  1 S.  2 StVO überein. Die notwendige Verhaltensweise hängt von den konkreten Umständen ab.524 Darüber hinaus dürfen privilegierte Fahrzeuge innerhalb einer geschlos­ senen Ortschaft nicht überholt werden (Art.  24 Abs.  11 plStVO).

IV. Schlussbemerkungen 1.  Wortlautunterschiede in den Sprachfassungen des Abkommens Es ist zu bemerken, dass Art.  36 Abs.  2 Nr.  5 PolAbk in der polnischen Variante im Unterschied zur deutschen nicht zur Inanspruchnahme von Sonder- und We­ gerechten bzw. von Befugnissen der privilegierten Fahrzeuge berechtigt, son­ dern zur Benutzung der Attribute privilegierter Fahrzeuge („do korzystania z atrybutów pojazdów uprzywilejowanych“). Da nach dem Abkommen jeder Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist, muss dieser Vorschrift eine identische Bedeutung zukommen. Lexikalisch stellt das „Attribut“ die Eigenschaft einer Sache, einer Person oder eines Ereignisses dar, die diese bzw. dieses aus den anderen hervorhebt; ein charakteristisches immanentes Merkmal eines Gegenstandes, ohne das die­ ser nicht existieren könnte oder nicht denkbar wäre.525 In der polnischen Stra­ ßenverkehrsordnung ist die Formulierung „Attribute der privilegierten Fahr­ 521  Kotowski, Prawo o ruchu drogowym, Art.  53 Rn.  9; vgl. Urteil des Obersten Gerichts v. 12.2.1957, I K 1042/56, OSN 1957/3/29. 522  Stefański, Prawo o ruchu drogowym, Art.  53 Rn.  9. 523  Darunter wird gemäß Art.  2 Pkt.  1 plStVO ein abgetrennter Geländestreifen verstan­ den, der sich aus der Fahrbahn, dem Randstreifen, dem Bürgersteig, einer Straße für Fußgän­ ger oder einer Straße für Fahrräder zusammensetzt, einschließlich des Gleisbettes für Schie­ nenfahrzeuge im Umfang dieses Streifens, und der für den fließenden und ruhenden Verkehr, den Fußgängerverkehr, das Reiten und das Tiertreiben bestimmt ist. 524  Stefański, Prawo o ruchu drogowym, Art.  9 Rn.  3. 525  „Atrybut“, in: Dubisz (Hrsg.), Bd.  1, S.  145 f.

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

zeuge“ nicht enthalten, hat also keinen normativen Charakter. In Anlehnung an die in Art.  2 Pkt.  38 plStVO verankerte Definition eines privilegierten Fahr­ zeugs muss es sich allerdings um Licht- und Tonsignale sowie eingeschaltetes Abblend- oder Fernlicht handeln. Es drängt sich die Frage auf, ob die gewähr­ leistete Sonderstellung der nacheilenden Bediensteten nur auf die Benutzung dieser privilegierten Fahrzeugen vorbehaltenen sonstigen äußeren Merkmale beschränkt ist oder ob sie ebenfalls eine Ausübung der Sonderbefugnisse im Verkehr erfasst. Die Benutzung der erwähnten Attribute stellt ein konstitutives Element privi­ legierter Fahrzeuge dar, von dem die polnische Straßenverkehrsordnung die Wahrnehmung der Sonderrechte nach Art.  53 Abs.  2, Art.  32 Abs.  5 und Art.  52 Abs.  3 abhängig macht und dessentwegen sie den anderen Verkehrsteilnehmern besondere Pflichten nach Art.  9 und 24 Abs.  11 auferlegt. Eine bloße Ermächti­ gung zum Gebrauch der Attribute privilegierter Fahrzeuge ohne Einräumung der dahinterstehenden Befugnisse bzw. der damit zusammenhängenden Son­ derstellung wäre darum ohne materiellen Gehalt. Eine solche Lesart stünde fer­ ner im Gegensatz zu dem Zweck der Regelung, die Nacheile auf dem fremden Hoheitsgebiet zu effektivieren. Demnach ist Art.  36 Abs.  2 Nr.  5 PolAbk in pol­ nischer Fassung dahin auszulegen, dass er die nacheilenden Bediensteten zur Inanspruchnahme der Attribute privilegierter Fahrzeuge berechtigt, mit der Fol­ ge, dass ihre Fahrzeuge zu den privilegierten Fahrzeugen gerechnet werden und als solche die Sonderstellung im Sinne der Vorschriften der polnischen Straßen­ verkehrsordnung genießen. 2.  Umfang der Befreiung Art.  53 plStVO bringt unzweideutig zum Ausdruck, dass die Privilegierung – anders als nach §  35 Abs.  1 StVO – nicht auf der Befreiung von allen Verkehrs­ vorschriften beruht. Dies stellt nur bei erstem Hinsehen einen für die Ausübung des Nacheilerechts gewichtigen Unterschied dar. Bei sorgfältiger Lektüre des polnischen Gesetzes kommt man zu dem Schluss, dass der Gesetzgeber bei der Freistellung gerade die für einen Einsatzfahrer relevantesten Regeln in den Blick genommen hat. Die von der Befreiung ausgenommenen Normen beziehen sich auf den Tier- und Fußgängerverkehr, bestimmen die Voraussetzungen für das Benutzen von besonderen Fahrzeuggruppen im Straßenverkehr (etwa für Fahrzeuge von Fahrschulen, der Straßenreinigung, -reparatur und -modernisie­ rung dienende Fahrzeuge, Schulbusse) oder betreffen technisch-organisatori­ sche und administrative Fragen. Von Bedeutung könnten jedoch die Vorschrif­ ten der Art.  3 und 44 plStVO sein, die die Pflichten im Bereich der Wahrneh­ mung des Vorsichtsprinzips und im Zusammenhang mit der Beteiligung an

E.  Sonder- und Wegerechte

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einem Verkehrsunfall normieren, an die die Sonderrechtsfahrer nach dem pol­ nischen Recht nach wie vor gebunden sind. Art.  3 Abs.  1 plStVO statuiert die Pflicht, Vorsicht bzw. – in den gesetzlich bestimmten Fällen (etwa des Art.  53 plStVO) – besondere Vorsicht walten zu lassen sowie von Handlungen (einschließlich des Unterlassens) abzusehen, die eine Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung im Straßenverkehr herbeiführen oder den Verkehr behindern oder im Zusammenhang mit dem Verkehr den öf­ fentlichen Frieden oder die öffentliche Ordnung stören und jemanden schädigen könnten. Hat ein Fahrzeugführer oder eine andere Person trotzdem eine Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs verursacht, muss er bzw. sie die erforder­ lichen Maßnahmen treffen, um die Gefahr unverzüglich zu beseitigen. Falls ihm bzw. ihr dies unzumutbar wäre, muss er bzw. sie andere Verkehrsteilnehmer vor der Gefahr warnen (Abs.  3). Kommt es zu einem Verkehrsunfall, richten sich die von einem Beteiligten (zusätzlich) zu erfüllenden Pflichten nach Art.  44 ­plStVO. Als Beteiligter gilt dabei ein Fahrer, ein Fahrgast, ein Fußgänger oder eine an­ dere Person, die den Unfall unmittelbar oder mittelbar verursacht hat, sowie ein Unfallgeschädigter. Soweit es keinen Verletzten oder Toten gibt, hat der Fahrer anzuhalten und das Fahrzeug vom Unfallort unverzüglich zu entfernen, es sei denn, das Absehen von diesen Maßnahmen zieht keine (auch nicht nur abstrak­ te) Gefährdung oder Behinderung des Verkehrs nach sich und dient der Beweis­ sicherung.526 Auf Verlangen muss er die eigenen Personalien und die Personali­ en des Fahrzeuginhabers oder -besitzers angeben sowie Angaben über die Haft­ pflichtversicherung machen. Im Falle des Todes oder der Verletzung eines anderen ist er überdies verpflichtet, den Unfallopfern die erforderliche Hilfe zu leisten, den Rettungsdienst und die Polizei zu verständigen, am Unfallort zu bleiben sowie von Maßnahmen abzusehen, die die Feststellung des Unfallver­ laufs erschweren könnten (Art.  44 Abs.  2 plStVO). Diese Pflichten gelten für andere Beteiligte entsprechend (Art.  44 Abs.  3 plStVO), d. h. in dem Umfang, in dem sie diesen nachkommen können.527 Nach dem deutschen Recht ist ein Sonderrechtsfahrer zwar auch von den Vor­ schriften des §  1 StVO und des §  34 StVO, die den oben angeführten polnischen Normen inhaltlich weithin gleichkommen, befreit. An die Stelle der Grundregel aus §  1 StVO tritt aber §  35 Abs.  8 StVO, der dem Einsatzfahrer besondere Sorg­ faltspflichten auferlegt.528 Insoweit hat der polnische Gesetzgeber keine höheren Anforderungen an einen bevorrechtigten Einsatzfahrer gestellt als der deutsche. Etwas anderes kann sich im Bereich der Wahrnehmung von Pflichten ergeben, Kotowski, Prawo o ruchu drogowym, Art.  44 Rn.  1. Stefański, Prawo o ruchu drogowym, Art.  44 Rn.  6. 528  Kullik, NZV 1994, 58 (59). 526  527 

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

die aus der Beteiligung an einem Verkehrsunfall erwachsen. Der Vorschrift des §  35 Abs.  8 StVO könnte man die Notwendigkeit der Erfüllung der in §  34 Abs.  1 Nr.  4 StVO vorgesehenen Pflicht entnehmen, einem im Verkehrsunfall Verletz­ ten Hilfe zu leisten. Die für die Ausübung der Sonderrechte vorausgesetzte ge­ bührende Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verbietet es nämlich, eine hoheitliche Aufgabe auf Kosten anderer wahrzunehmen, selbst wenn es sich bei dieser um die Rettung von Menschenleben handelt.529 Der Son­ derrechtsfahrer ist verpflichtet – auch bei der Straftatenverfolgung530 –, andere Verkehrsteilnehmer vor Schäden zu bewahren.531 Ob man aus §  35 Abs.  8 StVO ebenfalls die Erfüllung der weiteren Pflichten aus §  34 StVO, etwa der Halte­ pflicht (Abs.  1 Nr.  1), der Pflicht zur Angabe der Unfallbeteiligung (Abs.  1 Nr.  5a) oder der Ausweispflicht (Abs.  1 Nr.  5b), ableiten kann, hängt von dem konkreten Fall ab und bedarf – so wie es nach §  35 Abs.  8 StVO üblich ist – einer Abwägung unter den Notstandsgesichtspunkten.

F.  Anhalten von Fahrzeugen Nach Art.  25 Abs.  3 Nr.  3 PolAbk sind die nacheilenden Beamten auf dem frem­ den Hoheitsgebiet zum Anhalten von Fahrzeugen befugt. Nach dem deutschen „Wörterbuch der Polizei“ handelt es sich beim Begriff „Anhalten“ um eine tak­ tische Bezeichnung für jede polizeiliche Handlung, die ein polizeiliches Gegen­ über kurzfristig an seiner Fortbewegung hindert.532 Das Recht zum Festhalten des flüchtenden Tatverdächtigen bzw. Straftäters für die über die deutsch-polni­ sche Grenze verfolgenden Bediensteten ergibt sich bereits aus Art.  41 Abs.  2 lit.  b SDÜ. Zur Durchsetzung dieses Festhalterechts dürfen sie nach Maßgabe des Rechts des betretenen Staates Mittel des unmittelbaren Zwangs, einschließ­ lich der Dienstfahrzeuge, anwenden (sog. dynamische Festnahme533). Es stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob Art.  25 Abs.  3 Nr.  3 PolAbk nur eine klarstellende Funktion zukommen soll oder ob er den nacheilenden Beamten eine sonstige Befugnis einräumt.

OLG Braunschweig VRS 19, 230 (231); Heß, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/ Janker, §  35 StVO Rn.  14. 530  König, in: Hentschel/König/Dauer, §  35 StVO Rn.  4 u. 8; VG Frankfurt (Oder) BeckRS 2006, 21671. 531  König, in: Hentschel/König/Dauer, §  35 StVO Rn.  4. 532  Lensch, in: Möllers (Hrsg.), S.  90. Umgangssprachlich wird mit dem Begriff „Anhal­ ten“ das Halten gemäß §  12 StVO bezeichnet, Lensch, a. a. O. 533  Szustakiewicz, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  195 (206). 529 

F.  Anhalten von Fahrzeugen

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Im polnischen Schrifttum wurde die Ansicht vertreten, dass sich die betref­ fende Vorschrift auf die Regelungen zur Durchführung einer Verkehrskontrolle i. S. v. Art.  129 plStVO beziehen könnte, in deren Rahmen die Polizeibeamten nach den in der Verordnung des Verwaltungs- und Innenministers vom 18. Juli 2008 in Verkehrskontrollsachen534 festgelegten Grundsätzen den Fahrer anhal­ ten dürfen.535 Eine entsprechende Befugnis sieht auch §  36 Abs.  5 StVO vor. Für eine solche Auslegung könnte sprechen, dass Art.  25 Abs.  3 Nr.  3 PolAbk vom Anhalten von „Fahrzeugen“ und nicht des „Fahrzeugs der verfolgten Person“ spricht. Bedenkt man jedoch, dass die betreffende Befugnis im Rahmen der Ausübung der Nacheile wahrgenommen werden kann (Art.  25 Abs.  3 ab initio PolAbk i. V. m. Art.  41 Abs.  5 ab initio SDÜ) und dass die Verfolgung ihrem Wesen nach eine räumlich-zeitliche Nähe zwischen dem Verfolgten und den Verfolgenden erfordert, so unterliegt keinem Zweifel, dass nicht ein beliebiger Verkehrsteilnehmer, sondern nur der Verfolgte angehalten werden darf. Die un­ mittelbar auf das Anhalten eines Tatverdächtigen bzw. eines Straftäters gerich­ teten Maßnahmen fallen dagegen nicht unter die Regelung des §  36 Abs.  5 StVO. Denn bei der Verkehrskontrolle im Sinne dieser Vorschrift handelt es sich nicht um eine Maßnahme zur Strafverfolgung, sondern um eine rein „präventive, ver­ kehrsbezogene Maßnahme“.536 Aus der Perspektive des deutschen Rechts kann also die Befugnis zum Anhalten von Fahrzeugen aus Art.  25 Abs.  3 Nr.  3 ­PolAbk nicht als Befugnis zum Anhalten zum Zwecke der Durchführung einer Verkehrskontrolle gedeutet werden. Da die Vorschrift für die Beamten der bei­ den Vertragsparteien einheitlich auszulegen ist, muss diese Schlussfolgerung auch für die polnischen Bediensteten gelten. Das Anhalten des verfolgten Fahrzeugs dient also nur dem Festhalten des Verfolgten zum Zwecke der Gewährleistung der Feststellung seiner Identität oder seiner Festnahme durch die örtlich zuständigen Beamten.537 Es unterliegt damit nicht den innerstaatlichen Bestimmungen, die das Anhalten zum Zwecke der Durchführung einer Verkehrskontrolle regeln, sondern richtet sich nach den oben dargestellten Grundsätzen zur Ausübung des Schengener Festhalterechts und zum Einsatz von Mitteln des unmittelbaren Zwangs auf dem deutschen bzw. dem polnischen Hoheitsgebiet.

534 

Dz. U. 2008 Nr.  132, Pos. 841. Szustakiewicz, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  195 (206 f.). 536  Janiszewski, NStZ 1987, 112 (116); vgl. auch BGH NJW 1984, 1568 (1569). 537  Vgl. BT-Drs. 18/3696, S.  38: „Die nacheilenden Beamten sind ausdrücklich auch zum Anhalten von Fahrzeugen befugt.“ (Hervorhebung der Verfasserin); vgl. ferner Bavendamm, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  225 (231); dies., Kriminalistik 2016, 38 (41). 535 

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3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

G.  Mitwirkung der örtlich zuständigen Behörden an der Verfolgung Die grundsätzliche Pflicht zur Duldung fremder Hoheitsgewalt, die Art.  41 SDÜ dem Gebietsstaat auferlegt, entzieht dessen Behörden nicht die Möglichkeit der Einbeziehung eigener Einsatzkräfte in die Verfolgung; im Gegenteil ist eine solche Mitwirkung nach dem Schengener Konzept obligatorisch. Bereits die Zulässigkeit der grenzüberschreitenden Fortsetzung einer Nacheile ist an die Bedingung gekoppelt, dass die Beamten des Nachbarlandes, soweit sie trotz be­ sonderer Dringlichkeit der Angelegenheit noch vor dem Grenzübertritt benach­ richtigt worden sind, nicht rechtzeitig zur Stelle sind, um die Verfolgung zu übernehmen (Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 1 SDÜ). Darüber hinaus behält Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 3 S.  3 SDÜ das Ergreifen des Flüchtenden prinzipiell den ört­ lich zuständigen Behörden vor, verpflichtet diese aber zugleich, einem diesbe­ züglichen Ersuchen der nacheilenden Bediensteten zu entsprechen. Auch wenn den Letztgenannten, wie im deutsch-polnischen Verhältnis, ein eigenes Festhal­ terecht zusteht, kann es nur dann ausgeübt werden, wenn die örtlichen Behör­ den nicht rechtzeitig herangezogen werden können (Art.  41 Abs.  2 lit.  b SDÜ). Ein Blick auf diese Regelungen führt zu dem Schluss, dass die Meldung der ausländischen Beamten die Pflicht zur unverzüglichen Verlegung nationaler Einsatzkräfte und Mittel zum Zwecke der Verfolgungsübernahme auf Seiten des Gebietsstaates auslöst.538 Diese Pflicht stellt einen notwendigen Ausgleich für die Begrenztheit und Subsidiarität der Befugnisse ausländischer Bedienste­ ter dar und spiegelt insoweit den die Nacheileregelung prägenden Gedanken wider, unter gebührender Beachtung der Gebietshoheit des betretenen Nachbar­ staates eine effektive Durchsetzung des staatlichen Strafverfolgungs- respekti­ ve Strafvollstreckungsanspruchs in einem Raum ohne Grenzen zu sichern. Die Mitwirkung der örtlich zuständigen Behörden ist aber nicht nur aufgrund der rechtlichen Gegebenheiten von Bedeutung; auch „polizeieinsatztaktische Gesichtspunkte“ fallen ins Gewicht.539 Die nacheilenden Beamten müssen im Zuge der Verfolgung eine ständige Verbindung mit der nationalen Leitstelle der Heimatbehörde aufrechterhalten und ihren jeweiligen Standort melden.540 Über 538 

Vgl. §  21 der Anordnung Nr.  1355 des Hauptkommandanten der Polizei sowie Pkt.  1.2.2.2.2 der Dienstanweisung „Polizeiliche Nacheile über Staatsgrenzen“ des Präsiden­ ten des Polizeipräsidiums Brandenburg v. 16.3.2012, wonach die – entsprechend – polnischen bzw. deutschen Bediensteten nach der Kenntnisnahme von der Verfolgung zum Ort des (voraussichtlichen) Grenzübertritts zu entsenden sind und die Übernahme der Verfolgung zu organisieren ist. 539  Buschmann, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  211 (221). 540  In Bezug auf die deutschen Beamten Buschmann, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska

G.  Mitwirkung der örtlich zuständigen Behörden an der Verfolgung

261

die in den Streifenwagen befindlichen Funkgeräte ist dies aufgrund der gerin­ gen Ausstrahlung des Funknetzes in den Nachbarstaat hinein nur in unmittelba­ rer Grenznähe möglich.541 Soweit der Streifenwagen nicht zusätzlich mit einem Mobiltelefon ausgestattet ist, stellt sich die Einbeziehung der örtlichen Behör­ den im Falle einer Nacheile ins Landesinnere als unerlässlich dar. Nicht ohne Einfluss auf den Ausgang der Verfolgung sind auch fehlende Orts- und Sprach­ kenntnisse. Die letzteren erschweren das korrekte Ablesen der Ortsbezeichnun­ gen sowie anderer Hinweisschilder und im Ergebnis eine korrekte Standortmel­ dung und -lokalisierung.542 Bedenkt man schließlich, dass die Nacheile auf dem fremden Hoheitsgebiet nur von denjenigen Bediensteten fortgesetzt werden darf, die sie aufgenommen, übernommen oder sich dieser vor dem Grenzüber­ tritt angeschlossen haben, so kann die technische und personelle Unterstützung nur von Beamten des Gebietsstaates geleistet werden. Eine solche kann insbe­ sondere dann vonnöten sein, wenn ein gefährlicher, bewaffneter Täter (z. B. ein Attentäter) durch eine Doppelstreife verfolgt wird. Der Einsatz örtlicher Poli­ zeikräfte würde in diesem Fall nicht nur einen zahlenmäßigen Vorsprung ver­ schaffen, sondern auch neue taktische Möglichkeiten eröffnen, etwa in Form einer parallelen Verfolgung oder einer Straßenblockade zum Abschneiden des Fluchtwegs. Das Polizeiabkommen (2014) ersetzt in Art.  25 Abs.  3 Nr.  1 die Schengener Mitwirkungspflicht durch ein Mitwirkungsrecht der Bediensteten des betrete­ nen Staates. Hintergrund dieser Regelung „war die erhebliche Anzahl von Mel­ dungen einer möglichen Nacheile von Deutschland nach Polen, die in jedem Fall Vorbereitungsmaßnahmen der polnischen Behörden nach sich zogen und sich auch auf die Bewältigung alltagspolizeilicher Aufgaben auswirkten“.543 Seither können die zuständigen Stellen des Gebietsstaates selbst entscheiden, ob und auf welcher Etappe sie sich der Verfolgung anschließen. Im Mitwirkungsfall wird die Nacheile von den örtlichen Beamten koordi­ niert; die Beamten der anderen Partei richten sich dann nach deren Anweisun­ gen (Art.  25 Abs.  3 Nr.  1 S.  2 PolAbk). Diese Lösung trägt den Interessen des betretenen Nachbarlandes besser Rechnung, erscheint aber im Lichte des zu (Hrsg.), S.  211 (220); vgl. auch Pkt.  1.1.2.1.2 der Dienstanweisung „Polizeiliche Nacheile über Staatsgrenzen“ des Präsidenten des Polizeipräsidiums Brandenburg v. 16.3.2012. In Bezug auf die polnischen Beamten siehe §  11 Pkt.  2 und §  22 Abs.  3 Pkt.  4 der Anordnung Nr.  1355 des Hauptkommandanten der Polizei. 541  Bei einer Nacheile aus Deutschland scheitert der Funkverkehr höchstens nach 10 Ki­ lometern von der Grenze, Buschmann, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  211 (221). 542  Buschmann, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  211 (221). 543  Buschmann, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  211 (223).

262

3. Teil: Ausübung des Nacheilerechts

Anfang Gesagten nur dann zulässig, wenn den gebietsfremden Beamten – wie im Rahmen der deutsch-polnischen Zusammenarbeit – ein zeitlich und räum­ lich unbeschränktes Nacheilerecht, einschließlich der Befugnis zum Festhalten des Flüchtenden und zum Einsatz von Zwangsmitteln, zusteht. Im Übrigen scheint das eingeräumte Mitwirkungsrecht die örtlichen Behörden von einer Unterstützungspflicht nicht durchweg zu entbinden, insbesondere dann nicht, wenn das Ergreifen eines dringend Verdächtigen an Verbindungsstörungen zu scheitern droht, oder wenn etwa eine bewaffnete und einsatzbereite Tätergrup­ pe verfolgt wird, deren Überwältigung vermehrter Kräfte bedarf. Dies ergibt sich zwar nicht aus Art.  25 Abs.  3 Nr. 1 PolAbk, kann wohl aber aus der gene­ rellen Verpflichtung der Vertragsparteien zur Zusammenarbeit bei Verfolgung der Täter von Straftaten und zur Hilfeleistung nach Art.  1 Abs.  1 PolAbk abge­ leitet werden.

4. Teil

Strafverfolgungsmaßnahmen im Anschluss an das Ergreifen des Verfolgten Ziel jeder polizeilichen Nacheile ist das Ergreifen des Flüchtenden. Nach Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 3 S.  3 SDÜ sind die örtlich zuständigen Behörden verpflichtet, auf Ersuchen der nacheilenden Beamten den Betroffenen zu ergreifen, um seine Identität festzustellen oder ihn vorläufig festzunehmen. Können sie nicht recht­ zeitig herangezogen werden, dürfen die deutschen und die polnischen Beamten nach Art.  41 Abs.  2 lit.  b SDÜ den Verfolgten auf dem fremden Hoheitsgebiet selbst festhalten, bis die Beamten des Gebietsstaates die Identitätsfeststellung oder die Festnahme vornehmen. Aus der Zusammenstellung dieser Regelungen ergibt sich, dass die Art des ersten Zugriffs auf die verfolgte Person, durch die örtlichen oder die gebietsfremden Bediensteten, dieselbe ist:1 Der Verfolgte wird angehalten und an der weiteren Flucht gehindert. Seine anschließende Identitätsfeststellung sowie vorläufige Festnahme stehen im alleinigen Zustän­ digkeitsbereich der Beamten des betretenen Staates. Diese Kompetenzvorbehal­ te sind freilich nur insoweit von Bedeutung, als die Maßnahmen ausschließlich dem Interesse des Ausgangsstaates der Nacheile, d. h. der Sicherung des dorti­ gen Strafverfolgungs- oder Strafvollstreckungsverfahrens, zu dienen haben. Steht dem Gebietsstaat gegen den Ergriffenen ein eigener Strafverfolgungsan­ spruch zu, ergeben sich die betreffenden Befugnisse (Identitätsfeststellung, vor­ läufige Festnahme) für die örtlichen Beamten bereits aus den innerstaatlichen Vorschriften.

1 

Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  204.

264

4. Teil: Strafverfolgungsmaßnahmen

A.  Tatsachen- und Rechtsgrundlage für Maßnahmen der örtlich zuständigen Behörden I.  Verdacht einer Auslandstat Die Mitteilung des Nacheilesachverhalts, einschließlich der tatverdachtsbe­ gründenden Indizien, durch die gebietsfremden Beamten entspricht einer Straf­ anzeige i. S. v. §  158 Abs.  1 StPO bzw. Art.  304 plStPO und verpflichtet die ört­ lich zuständigen Polizeibehörden zur Überprüfung, ob die Anlasstat der Nach­ eile (ebenfalls) im Inland verfolgt werden kann.2 Liegt eine eigene Ermittlungsbefugnis nicht vor, haben alle Zugriffe auf den Betroffenen stellver­ tretenden Charakter3 und erfolgen im Rahmen von (polizeilicher) Rechtshilfe4. 1.  Eigene Ermittlungsbefugnis der Beamten des Gebietsstaates a.  Strafverfolgungskompetenz der deutschen Beamten Steht den deutschen Beamten eine eigene Ermittlungsbefugnis in Bezug auf die in Polen begangene, die Nacheile veranlassende Straftat zu, können sie auf der Grundlage des §  163 StPO tätig werden.5 Da der dem Legalitätsprinzip ent­ springende Verfolgungszwang bei Auslandstaten laut §§  153c Abs.  1 Nr.  1, 153f StPO gelockert ist,6 sind sie dann zwar befugt, aber nicht verpflichtet,7 ein ei­ genständiges Ermittlungsverfahren einzuleiten und entsprechende Maßnahmen in eigener Zuständigkeit zu treffen. Bei welchen Auslandstaten die deutsche So in Bezug auf das deutsche Recht Soiné, ZIS 2016, 319 (322); vgl. auch Würz, Das Schengener Durchführungsübereinkommen, Rn.  148; Meuters, Leitung und Kontrolle grenzüberschreitender Ermittlungen, S.  175; Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  222 u. 231. Eine Pflicht zur Benachrichtigung der Behörden des Nachbarstaates spätestens bei Grenzübertritt über die Umstände, die eine grenzüberschreitende Verfolgung veranlasst haben, sieht weder Art.  41 SDÜ noch Art.  25 PolAbk vor. Die Notwendigkeit einer solchen Mitteilung erscheint allerdings mit der Nacheilebefugnis verwoben zu sein. Denn die Mitteilung ermöglicht den örtlich zuständigen Behörden nicht nur, ihre eigene Zuständigkeit zu überprüfen, sondern auch das Vorliegen der Nacheilevoraussetzungen und damit die Zu­ lässigkeit des Grenzübertritts zu verifizieren. 3 Vgl. Schomburg/Hackner, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, §  19 IRG Rn.  5a. 4  Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  232 f.; vgl. auch Meuters, Leitung und Kontrolle grenzüberschreitender Ermittlungen, S.  176 und Isak, in: Nachbaur (Hrsg.), S.  52 (58), der von einer „Rechtshilfe im Zusammenhang mit Nacheile“ spricht. 5  So im Allgemeinen Meuters, Leitung und Kontrolle grenzüberschreitender Ermittlun­ gen, S.  175. 6  Eser, in: Schönke/Schröder, §  7 Rn.  28; Ambos, in: MK-StGB, §  7 Rn.  33. 7  Zu beachten sind aber die Ausnahmen in §  153f Abs.  1 StPO bezüglich der Verfolgung von Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch. 2 

A.  Tatsachen- und Rechtsgrundlage

265

Strafgewalt besteht, regeln die Vorschriften der §§  5 –7 StGB. Die §§  5 und 6 StGB erstrecken die eigene Ermittlungsbefugnis der deutschen Behörden über den Inlandsbereich des §  3 StGB hinaus auf katalogartig erfasste Taten gegen inländische (§  5 StGB) und international geschützte (§  6 StGB) Rechtsgüter. §  7 StGB dehnt die Schutzwirkung des deutschen Strafrechts auf im Ausland be­ findliche Deutsche aus (Abs.  1) und unterwirft diese zugleich der deutschen Strafgewalt (Abs.  2 Nr.  1).8 Die Vorschrift ermöglicht ferner die Verfolgung von Auslandstaten eines Ausländers9, sofern er im Inland betroffen und nicht ausge­ liefert wird, obwohl das Auslieferungsgesetz seine Auslieferung10 nach der Art der Tat zuließe (Abs.  2 Nr.  2). Die Entscheidung über die Nichtauslieferung trifft eine für den Auslieferungsverkehr zuständige Verwaltungsstelle.11 Die hierfür maßgeblichen Gründe sind gleichwohl im Gesetz enumerativ genannt: In Be­ tracht kommt die Nichtstellung eines Auslieferungsersuchens innerhalb ange­ messener Frist12 , die Ablehnung eines Auslieferungsersuchens oder die Unaus­ führbarkeit der Auslieferung (Art.  7 Abs.  2 Nr.  2 in fine StGB). Solange die Nichtauslieferung nicht feststeht, liegt ein Verfahrenshindernis vor, das von Amts wegen zu beachten ist.13 b.  Strafverfolgungskompetenz der polnischen Beamten Anders als das deutsche geht das polnische Recht vom Legalitätsprinzip auch bei Auslandstaten aus. Die sachlich unbeschränkte Strafverfolgungspflicht be­ steht in diesem Fall jedoch nur in Bezug auf Straftaten polnischer Staatsangehö­ riger (Art.  109 i. V. m. Art.  111 plStGB). Handelt es sich bei dem von Deutsch­ land aus Verfolgten – aus der polnischen Sicht – um einen Ausländer, unterliegt er nur dann (auch) der polnischen Strafgewalt, wenn die ihm vorgeworfene Tat eine i. S. v. Art.  110–113 plStGB darstellt. Gemeint sind Straftaten gegen die In­ teressen der Republik Polen, gegen einen polnischen Staatsangehörigen, gegen eine polnische juristische Person oder eine andere polnische Organisationsein­ Ambos, in: MK-StGB, §  7 Rn.  1. werden sowohl nicht-deutsche Bürger als auch Staatenlose erfasst, Ambos, in: MK-StGB, §  7 Rn.  27; Eser, in: Schönke/Schröder, §  7 Rn.  22. 10  Der Begriff der Auslieferung ist hier weit auszulegen und umfasst auch die Überstel­ lung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls, Ambos, in: MK-StGB, §  7 Rn.  28; Hartmann, in: Dölling/Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  7 StGB Rn.  12. 11  Eser, in: Schönke/Schröder, §  7 Rn.  26. 12  Die Frist wird nach den Umständen des konkreten Falles, d. h. „nach den Gepflogenhei­ ten im Verkehr mit den jeweiligen Staaten“ festgelegt; in der Praxis ist eine Frist von ca. drei Wochen üblich geworden, siehe BT-Drs. 15/3482 S.  25. 13  BGH NJW 1995, 1844 (1845); Hartmann, in: Dölling/Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  7 StGB Rn.  15; Werle/Jeßberger, in: LK-StGB, §  7 Rn.  118; Ambos, Internationales Straf­ recht, §  3 Rn.  123. 8 

9  Damit

266

4. Teil: Strafverfolgungsmaßnahmen

heit ohne Rechtsfähigkeit, ferner terroristische Straftaten (Art.  110 Abs.  1 ­plStGB) sowie Straftaten, zu deren Verfolgung Polen durch ein internationales Abkommen oder durch das Römische Statut des Internationalen Strafgerichts­ hofs vom 17. Juli 1998 verpflichtet ist (Art.  113 plStGB).14 Im Übrigen erstreckt sich die polnische Jurisdiktion auf durch Ausländer im Ausland begangene verbotene Taten, die nach dem polnischen Strafgesetz mit einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren bedroht sind, sofern ihr Täter sich auf dem Hoheitsgebiet der Republik Polen aufhält und nicht beschlossen wurde, ihn zu übergeben (Art.  110 §  2 plStGB). Das Wort „beschließen“ scheint darauf hinzuweisen, dass eine Auslandsstraftat im Sinne dieser Norm nur dann der polnischen Strafgewalt unterliegt, wenn ein entsprechendes Verfahren in Bezug auf das Auslieferungsersuchen durchgeführt und mit einem abschlägigen Be­ scheid („beschlossen“) beendet wurde.15 Wäre dem nicht so, müsste die Vor­ schrift etwa wie folgt lauten: „und der Täter […] nicht übergeben wurde bzw. nicht übergeben wird“. Andererseits knüpft die Vorschrift die polnische Straf­ gewalt an das Fehlen eines Bescheids hinsichtlich der Übergabe, und nicht an einen negativen bzw. abschlägigen Bescheid.16 Die erste Deutungsvariante trägt jedoch dem die Regelung prägenden Gedanken der stellvertretenden Rechts­ pflege17 besser Rechnung. Denn von der Durchsetzung des Verfolgungswillens des originär berechtigten Tatort- bzw. Herkunftsstaates kann grundsätzlich nur dann die Rede sein, wenn der Berechtigte seinen Willen – durch Stellung eines Auslieferungsersuchens bzw. durch Erlass eines Europäischen Haftbefehls – zum Ausdruck gebracht hat.18 Demgegenüber sehen viele Stimmen die fragliche Prämisse ebenfalls dann als erfüllt an, wenn die zuständige Stelle des Tatort­ staates um die Auslieferung bzw. Übergabe überhaupt nicht ersucht hat.19 Auch wenn dies im Schrifttum nicht thematisiert wird, spricht einiges für die Annah­ 14  In Bezug auf die in Art.  112 plStGB enumerativ genannten Straftaten gegen Interessen der Republik Polen besteht die polnische Strafgewalt unabhängig von der Strafbarkeit am Tatort. Dabei handelt es sich u. a. um Straftaten gegen die innere oder äußere Staatssicherheit der Republik Polen, gegen wesentliche polnische Wirtschaftsinteressen oder gegen polnische Ämter oder öffentliche Amtsträger. Bei Nacheilesachverhalten kommt diesen Vorschriften gegenüber Art.  110 §  1 plStGB keine eigenständige Bedeutung zu, da die Strafbarkeit am Tatort eine Voraussetzung der grenzüberschreitenden Nacheile darstellt. 15  Im Ergebnis Gardocka, in: Stefański (Hrsg.), Art.  110 Rn.  12. 16  Darauf weist zutreffend Hofmański, in: Filar (Hrsg.), Art.  110 Rn.  10 hin. 17  Kulik, in: Mozgawa (Hrsg.), Kodeks karny, Art.  110 Rn.  6; Raglewski, in: Wróbel/Zoll (Hrsg.), Art.  110 Rn.  1. 18  Vgl. von der gleichen Erwägung getragene Kritik an der Regelung des Art.  7 Abs.  2 Nr.  2 StGB bei Ambos, in: MK-StGB, §  7 Rn.  30; Schmitz, in: FS-Grünwald, S.  619 (636). 19  Marek, Kodeks karny, Art.  110 Rn.  3; Raglewski, in: Wróbel/Zoll (Hrsg.), Art.  110 Rn.  18; Łabuda, in: Giezek (Hrsg.), Art.  110 Rn.  7; Sakowicz, in: Królikowski/Zawłocki (Hrsg.), Art.  110 Rn.  15; Hofmański, in: Filar (Hrsg.), Art.  110 Rn.  10.

A.  Tatsachen- und Rechtsgrundlage

267

me, dass die polnische Gerichtsbarkeit im Falle der Nichtstellung eines Ersu­ chens erst dann eröffnet wird, wenn der ausländischen Behörde eine angemes­ sene Frist gesetzt worden und diese erfolglos verstrichen ist. Denn dem Tatortbzw. dem Herkunftsstaat muss die Möglichkeit gewährt werden, seinen Verfolgungsanspruch durchzusetzen. 2.  Handeln auf Ersuchen der nacheilenden Beamten Wo die eigenen Strafverfolgungskompetenzen des Gebietsstaates nicht hinrei­ chen oder von der Einleitung des eigenen Strafverfahrens abgesehen werden kann und abgesehen wird, kommen die Regelungen des Art.  41 SDÜ zum Tra­ gen. Die Feststellung der Identität des grenzüberschreitend Verfolgten sowie seine vorläufige Festnahme dienen in diesem Fall ausschließlich der Unterstüt­ zung eines fremden Straf- oder Strafvollstreckungsverfahrens und erfordern für ihre Rechtmäßigkeit ein Ersuchen der nacheilenden Beamten.20 Zwar sieht die Vorschrift ein solches Ersuchen nur für den Fall des Ergreifens des Flüchtenden durch die örtlich zuständigen Behörden vor (Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 3 S.  3 SDÜ). Berücksichtigt man aber die Zweckrichtung der Anschlussmaßnahmen, unterliegt keinem Zweifel, dass die Entscheidung darüber, ob eine Identitäts­ feststellung oder eine vorläufige Festnahme vorgenommen wird oder ob beide erfolgen, den nacheilenden Beamten auch dann vorbehalten ist, wenn sie den Verfolgten nach Art.  41 Abs.  2 lit.  b SDÜ selbst festhalten.21 Die Mitteilung des diesbezüglichen Willens stellt nichts anderes dar als ein Ersuchen um die Vor­ nahme einer der oder beider Maßnahmen. Das Ersuchen ist nicht formgebunden. Eine mündliche Aufforderung ist aus­ reichend und wegen der Dringlichkeit der Angelegenheit auch üblich. Zum Zwecke der Dokumentierung der Rechtmäßigkeit des Einschreitens im Rahmen einer Rechtshilfe erscheint die Zusendung eines Schriftstücks aus der Perspek­ tive des Gebietsstaates gleichwohl sinnvoll.22 Das Ersuchen kann von den nach­ eilenden Beamten unmittelbar gegenüber den örtlich zuständigen Behörden gestellt werden. Im Schrifttum spricht man daher von einem „kurzgeschlosse­ nen“ Rechtshilfeverkehr.23 Zwar sieht auch Art.  39 Abs.  3 SDÜ für Rechtshil­ feleistungen in Dringlichkeitsfällen einen direkten Geschäftsweg vor, d. h. ohne Einschaltung der zentralen Stellen. Art.  39 Abs.  1 SDÜ schreibt aber vor, dass Wehner, in: Achermann/Bieber/Epiney/Wehner, S.  129 (166). Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  231. 22  Vgl. Art.  5 Abs.  2 PolAbk, der die Zusammenarbeit in Dringlichkeitsfällen ebenfalls bei mündlichen Ersuchen zulässt, zugleich aber vorsieht, diese unverzüglich schriftlich nach­ zureichen. 23  Cremer, ZaöRV 60 (2000), 103 (115); Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschrei­ tende Nacheile, S.  232. 20 Vgl. 21 

268

4. Teil: Strafverfolgungsmaßnahmen

von den polizeilichen Ersuchen die Zwangsmaßnahmen, wie etwa die in Art.  41 SDÜ ausdrücklich vorgesehene Festnahme, stets ausgenommen sind. Insoweit handelt es sich bei Art.  41 SDÜ um eine Sonderregelung. Eine solche ist für die Abwicklung der Zusammenarbeit im Zusammenhang mit der Nacheile uner­ lässlich, weil der für die justizielle Rechtshilfe vorgesehene Weg für Ad-hoc-Maßnahmen kaum geeignet wäre.

II.  Verdacht einer Straftatbegehung nach dem Grenzübertritt Die Begehung einer (weiteren) Straftat nach dem Grenzübertritt durch den Ver­ folgten begründet eine originäre Strafgewalt des Gebietsstaates. Dies gilt im Lichte des §  3 StGB bzw. des Art.  5 plStGB unabhängig von der Art der Straftat und des verletzten Rechtsguts; ebenso wenig spielt die Staatsangehörigkeit des flüchtenden Täters eine Rolle24. Praxisnah erscheinen Eingriffe in den Straßen­ verkehr, etwa die Verursachung eines Verkehrsunfalls mit einem Schaden an Personen mit anschließender Flucht (§  142 StGB bzw. Art.  177 plStGB) sowie tätliche Angriffe auf die Polizeibeamten (§  113 StGB bzw. Art.  222 plStGB); ebenso denkbar ist eine Geiselnahme (§  239b StGB bzw. Art.  252 plStGB).25 Die Wahrnehmung der Tatbegehung nach dem Grenzübertritt, sei es durch die eige­ ne Beobachtung der bei der Nacheile mitwirkenden örtlich zuständigen Behör­ den, sei es aufgrund einer Mitteilung der nacheilenden Beamten, verpflichtet die Ersteren zur Einleitung des eigenen Ermittlungsverfahrens (§  152 Abs.  2 bzw. §  163 StPO; Art.  303 bzw. Art.  325a §  2 i. V. m. Art.  303 plStPO).26 Eines Rückgriffs auf die Schengener Regelung zur Legitimierung der Identitätsfest­ stellung oder der Festnahme bedarf es insoweit nicht.

B. Identitätsfeststellung I.  Nacheile nach Deutschland Die Ermächtigungsgrundlagen für die Identitätsfeststellung sind sowohl im Po­ lizei- als auch im Strafprozessrecht verankert. Da die Maßnahme dem fremden (polnischen) bzw. unter Umständen dem deutschen Strafverfahren zu dienen Stellvertretend für das deutsche Recht Ambos, in: MK-StGB, Vorbemerkung zu §  3 Rn.  17, und für das polnische Recht Zoll, in: Wróbel/Zoll (Hrsg.), Art.  5 Rn.  2. 25  Beispiele nach Würz, Das Schengener Durchführungsübereinkommen, Rn.  139; weite­ re Beispiele bei Soiné, ZIS 2016, 319 (Fn.  43). 26 Vgl. Würz, Das Schengener Durchführungsübereinkommen, Rn.  148; Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  222 f. u. 231; Soiné, ZIS 2016, 319 (322). 24 

B. Identitätsfeststellung

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hat und somit einen repressiven Zweck verfolgt, ist für ihre Durchführung §  163b StPO heranzuziehen. Bedenkt man, dass der Identitätsfeststellung im Anschluss an die grenzüberschreitende Nacheile der Verdacht einer Auslandsoder ggf. auch einer Inlandstat zugrunde liegt, kommt hierbei in jedem Fall der auf Tatverdächtige bezogene Absatz 1 (ggf. sinngemäß27) zur Anwendung.28 1.  Allgemeine Grundsätze Im Rahmen einer Identitätsfeststellung für Strafverfolgungszwecke sollen die­ jenigen Personaldaten ermittelt werden, die es erlauben, die Persönlichkeit des Betroffenen zweifelsfrei zu bestimmen und ihn später jederzeit „zuverlässig und ohne unverhältnismäßige Schwierigkeiten zu erreichen“.29 Die General­ klausel des §  163b Abs.  1 S.  1 StPO gestattet es den deutschen Polizeibeamten 30, zu diesem Zweck alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Eine Einschrän­ kung gilt in Bezug auf die in Satz  2 und 3 abschließend genannten schwerwie­ genden Eingriffe in die Rechtssphäre des Tatverdächtigen 31: Das Festhalten, die Durchsuchung und die Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen sind nur dann zulässig, wenn die Identität sonst nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann. Die Verletzung der persönlichen Freiheit aus Art.  2 Abs.  2 S.  2 GG muss unerlässlich sein, „darf also nur dann erfolgen, wenn die Polizei auf der Basis der bereits bekannten Daten berechtig­

27  Mokros, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil O Rn.  256. Dies gilt, wenn die Identitäts­ feststellung nicht in deutscher Zuständigkeit, sondern als Rechtshilfemaßnahme für das pol­ nische Strafverfahren vorgenommen wird, vgl. §  77 Abs.  1 IRG. 28  Würz, Das Schengener Durchführungsübereinkommen, Rn.  148; Goy, Vorläufige Fest­ nahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  210. 29  Erb, in: LR, §  163b Rn.  13; Griesbaum, in: KK-StPO, §  163b Rn.  11. Als erforderliche Personaldaten werden im Schrifttum Vor- und Nachname, Geburtsname, Geburtstag und -ort sowie in der Regel auch die Anschrift genannt, Griesbaum, in: KK-StPO, §  163b Rn.  11. Die Staatsangehörigkeit dürfte ausnahmsweise auch hierzu gehören, Erb, in: LR, §  163b Rn.  13; Griesbaum, in: KK-StPO, §  163b Rn.  11. Ihre Überprüfung bietet sich gerade bei Nachei­ lesachverhalten an. Stellt sich heraus, dass der Verfolgte Deutscher ist, können die weiteren Ermittlungsmaßnahmen durch die örtlichen Behörden in eigener Zuständigkeit ergriffen werden. Auch angesichts der eventuellen Auslieferung ist die Feststellung der Staatsangehö­ rigkeit von Bedeutung, da die Auslieferung der deutschen Staatsangehörigen besonderen Re­ geln unterliegt (§  80 IRG). 30  Zuständig für die Identitätsfeststellung ist nach §  163b Abs.  1 StPO ebenfalls die Staats­ anwaltschaft. Es liegt jedoch nahe, dass die Maßnahme von denjenigen Behörden angeordnet und durchgeführt wird, die den Verfolgten selbst ergriffen haben bzw. denen der nach Art.  41 Abs.  2 lit.  b SDÜ Festgehaltene übergeben wurde, d. h. also von den örtlich zuständigen Poli­ zeibehörden. 31  Griesbaum, in: KK-StPO, §  163b Rn.  12.

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4. Teil: Strafverfolgungsmaßnahmen

te Zweifel an der Identität der Person hat“.32 Für die Beurteilung sind stets die konkrete Lage und der Zeitpunkt der Identitätsfeststellung maßgeblich.33 Bei der ersten auf die Identitätsfeststellung gerichteten Tätigkeit ist dem Betroffe­ nen mitzuteilen, welche Tat ihm angelastet wird (§  163b Abs.  1 S.  1 Hs. 2 i. V. m. §  163a Abs.  4 S.  1 StPO). Die einschlägigen Strafvorschriften müssen nicht ge­ nannt werden.34 2. Festhalten Für den Fall des Festhaltens35 des Tatverdächtigen gelten gemäß §  163c Abs.  1 S.  3 StPO die Mitteilungs-, Belehrungs- und Benachrichtigungspflichten aus §§  114a–114c StPO entsprechend. Der Betroffene muss unverzüglich und in einer für ihn verständlichen Sprache über den Festhaltegrund und seine Rechte infor­ miert werden. Sofern der Untersuchungszweck 36 dadurch nicht gefährdet wird, ist ihm auch unverzüglich die Gelegenheit zu geben, seinen Angehörigen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen. Der Betroffene darf nicht länger festgehalten werden als zur Feststellung der Identität unerlässlich (§  163c Abs.  1 S.  1 StPO), jedenfalls nicht länger als insgesamt zwölf Stunden (§  163c Abs.  2 StPO). Die Festhalteanordnung ist formfrei; hinsichtlich der erwähnten Frist sollte allerdings der Beginn des Festhaltens (die genaue Uhrzeit) in einem Vermerk verzeichnet werden.37 §  163c Abs.  1 S.  2 StPO setzt eine unverzügliche Vorführung des Festgehaltenen vor einen Amtsrichter zum Zwecke der Entschei­ dung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung voraus, sieht zugleich aber eine Ausnahme für den Fall vor, dass die Herbeiführung der rich­ terlichen Entscheidung voraussichtlich längere Zeit in Anspruch nehmen würde, als es für die Identitätsfeststellung erforderlich wäre. Im Falle der Vorführung muss dem Betroffenen rechtliches Gehör gewährt werden.38 Über die Verneh­ mung ist ein Protokoll gemäß §§  168, 168a StPO aufzunehmen.39

32 

BVerfG NStZ 2011, 529 (530). Griesbaum, in: KK-StPO, §  163b Rn.  14. 34  Griesbaum, in: KK-StPO, §  163b Rn.  25; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, §  163b Rn.  3; Pflieger/Ambos, in: Dölling/Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  163b StPO Rn.  3. 35  Zu der Frage, ab wann die Frist zu laufen beginnt, d. h., ab wann vom Festhalten im Sinne dieser Vorschrift auszugehen ist, siehe oben 3. Teil C. I.1. 36  Es kommt dabei nicht nur auf die Identitätsfeststellung an; gemeint ist die aufzuklären­ de Straftat insgesamt, Erb, in: LR, §  163c Rn.  23; Griesbaum, in: KK-StPO, §  163c Rn.  16. 37  Erb, in: LR, §  163b Rn.  30; Griesbaum, in: KK-StPO, §  163b Rn.  17; Pfeiffer, StPO, §  163b Rn.  7. 38  Griesbaum, in: KK-StPO, §  163c Rn.  11; Pfeiffer, StPO, §  163c Rn.  3. 39  Griesbaum, in: KK-StPO, §  163c Rn.  11; Pfeiffer, StPO, §  163c Rn.  3. 33 

B. Identitätsfeststellung

271

Soweit die Identitätsfeststellung nicht in eigener – deutscher – Zuständigkeit erfolgt, stellt sich die Frage, ob die Zwölf-Stunden-Frist nach §  163c Abs.  2 StPO Anwendung findet. Sie ergibt sich daraus, dass Art.  41 Abs.  6 Unterabs. 2 SDÜ eine eigene Fristenregelung enthält: „Hat die Person nicht die Staatsangehörigkeit der Vertragspartei, in deren Hoheitsgebiet sie aufgegriffen wurde, wird sie spätestens sechs Stunden nach ihrer Ergreifung freigelassen, wobei die Stunden zwischen Mitternacht und neun Uhr nicht mitzählen, es sei denn, die ört­ lich zuständigen Behörden erhalten vor Ablauf dieser Frist ein Ersuchen gleich in welcher Form um vorläufige Festnahme zum Zwecke der Auslieferung.“40

Vom Anwendungsbereich der Vorschrift wurden zwar nur Staatsangehörige des Gebietsstaates ausgenommen; das Gleiche gilt aber zweifellos für fremde Bür­ ger bzw. Staatenlose, sofern die ihnen vorgeworfene Tat der Strafgewalt des Gebietsstaates unterliegt. Denn auch in diesem Fall stehen den örtlich zuständi­ gen Behörden eigene Ermittlungsbefugnisse zu, sodass zur Begründung einzel­ ner Maßnahmen die innerstaatlichen Ermächtigungsgrundlagen ohne Weiteres herangezogen werden können. Die Klärung der oben aufgeworfenen Frage setzt zunächst eine Bestimmung des Fristbeginns voraus. Art.  41 Abs.  6 Unterabs. 2 SDÜ stellt auf die Ergreifung der verfolgten Person ab. Das Wort „ergreifen“ taucht in Art.  41 SDÜ so­ wohl zur Bezeichnung des Zugriffsrechts der örtlich zuständigen (Abs.  1 Unter­ abs. 3 S.  3) als auch der nacheilenden Beamten (Abs.  5 lit.  f i. V. m. Abs.  2 lit.  b) auf.41 Dabei handelt es sich jeweils um den ersten Zugriff auf den Verfolgten, der die Identitätsfeststellung oder die Festnahme sichert bzw. vorbereitet. Sollte der Begriff „Ergreifung“ in Art.  41 Abs.  6 Unterabs. 2 SDÜ in diesem Sinne verwendet werden, liefe die dort vorgesehene Frist bereits ab dem Zeitpunkt der ersten Einwirkung auf die Fortbewegungsfreiheit des Verfolgten sei es durch die örtlichen (Ergreifen), sei es durch die gebietsfremden (Festhalten/Ergreifen) Bediensteten. Folgerichtig müsste die Frist aus §  163c Abs.  2 StPO ggf. entspre­ chend der Schengener Regelung verkürzt werden, weil das Ergreifen/Festhalten des Flüchtenden logischerweise der Feststellung seiner Identität zeitlich vorge­ lagert ist. Ein Blick auf Art.  41 Abs.  6 Unterabs. 1 S.  1 SDÜ stellt jedoch die Richtigkeit der angesprochenen Auslegung infrage. Dieser lautet wie folgt: „Die Person, die gemäß Absatz 2 durch die örtlich zuständigen Behörden festgenommen wurde, kann ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit zum Zwecke der Vernehmung fest­ gehalten werden.“ Im Gegensatz zu Unterabsatz 2 wird hier nicht von der Ergreifung, sondern von der Festnahme und vom Festhalten des Verfolgten ge­ 40  41 

Hervorhebung der Verfasserin. Siehe terminologische Bemerkungen in 3. Teil C. I.1.

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4. Teil: Strafverfolgungsmaßnahmen

sprochen. Der Umstand, dass die Fristenregelung nicht in einem separaten ­Absatz getroffen wurde, lässt systematisch mutmaßen, dass sie sich auf Unter­ absatz  1 bezieht und folglich nicht losgelöst von diesem interpretiert werden kann. Mit der für den Fristbeginn maßgeblichen Ergreifung (Unterabsatz 2) kann also entweder die Festnahme oder das Festhalten zum Zwecke der Verneh­ mung gemeint sein. Die Antwort liefern die übrigen Urfassungen: „Une personne qui, à la suite de l’action prévue au paragraphe 2, a été arrêtée par les autorités localement compétentes peut, quelle que soit sa nationalité, être retenue aux fins d’audition. Les règles pertinentes du droit national sont applicables par analogie. Si cette personne n’a pas la nationalité de la Partie Contractante sur le territoire de la­quelle elle a été arrêtée, elle sera mise en liberté au plus tard six heures après l’arrestation, les ­heures entre minuit et neuf heures non comptées, à moins que les autorités localement compé­ tentes n’aient reçu au préalable une demande d’arrestation provisoire aux fins d’extradition sous quelque forme que ce soit.“42 „Een persoon die na een optreden als bedoeld in lid 2 werd aangehouden, kan ongeacht zijn nationaliteit door de plaatselijk bevoegde autoriteiten voor verhoor worden opgehouden. De terzake geldende regels van nationaal recht zijn van overeenkomstige toepassing. Indien deze persoon niet de nationaliteit heeft van de overeenkomstsluitende partij op wier grondgebied hij is aangehouden, wordt hij uiterlijk zes uren na zijn aanhouding – de uren tussen middernacht en negen uur niet meegeteld – in vrijheid gesteld, tenzij de plaatselijk bevoegde autoriteiten voordien een verzoek tot voorlopige aanhouding ter fine van uitlever­ ing hebben ontvangen, in ongeacht welke vorm.“43

Die französische Sprachversion unterscheidet in Unterabsatz 1 zwischen „arrestation“ und „rétention“. In Unterabsatz 2, zur Festlegung des Fristbeginns, knüpft sie an „arrestation“ an. Damit verwendet sie den Begriff, der in Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 3 S.  3 und Abs.  2 lit.  b SDÜ die an das Ergreifen bzw. das Fest­ halten des Verfolgten anschließende Festnahme durch die örtlich zuständigen Behörden bezeichnet. Das trifft auch auf das niederländische Wort „aangehouding“ zu. Genauso stellen der polnische und der englische Wortlaut des Art.  41 Abs.  6 Unterabs. 2 SDÜ mit den Begriffen „aresztowanie“ und „arrest“ auf die Festnahme und nicht auf das Festhalten zum Zwecke der Vernehmung ab („zatrzymać“ und „hold“). Der maßgebliche Zeitpunkt, ab dem die Schengener Frist zu laufen beginnt, ist folglich die Festnahme durch die zuständigen Beamten des Gebietsstaates.44 42 

Hervorhebungen der Verfasserin. Hervorhebungen der Verfasserin. 44  Im Ergebnis ebenso Paluszkiewicz, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  165 (178). Im Übrigen ist fraglich, ob das „Festhalten“ überhaupt einen tauglichen Anknüpfungs­ punkt darstellt, d. h., ob ihm eine gegenüber der Festnahme selbstständige Bedeutung als Freiheitsentziehungsmaßnahme zukommt oder ob es nur als Hinweis auf die Vernehmungs­ befugnis zu deuten ist. Siehe dazu unten C.II.1. 43 

B. Identitätsfeststellung

273

Es bleibt nun zu untersuchen, ob das Festhalten zum Zwecke der Identitäts­ feststellung nach §  163b Abs.  1 S.  2 StPO unter die „Festnahme“ i. S. v. Art.  41 SDÜ fällt. Nach deutschem Recht umfasst der Begriff „Identitätsfeststellung“ alle zur Identifizierung einer Person erforderlichen Maßnahmen, einschließlich – sofern die Voraussetzungen aus §  163b Abs.  1 S.  2 StPO vorliegen – des Fest­ haltens des Betroffenen. Das Festhalten stellt eine Freiheitsentziehung i. S. v. Art.  104 Abs.  2 GG dar, ist aber noch keine vorläufige Festnahme i. S. v. §  127 Abs.  2 StPO.45 Von dieser unterscheidet es sich u. a. durch die Zweckrichtung. Während das Festhalten der Identitätsfeststellung dient, zielt die Festnahme auf die Haftsicherung ab.46 Für eine Übertragung des deutschen Verständnisses dieser Begriffe auf die Schengener Regelung spricht der Umstand, dass Art.  41 Abs.  6 Unterabs. 2 SDÜ die Freilassungspflicht für den Fall ausschließt, dass die örtlich zuständige Stelle innerhalb der angegebenen Frist ein Ersuchen um vor­ läufige Festnahme zum Zwecke der Auslieferung erhält. Nach dem Schengener Konzept soll also die Festnahme den Justizbehörden des Ausgangsstaates der Nacheile die Möglichkeit geben, ein Ersuchen um Auslieferungshaft vorzube­ reiten und zu stellen.47 Wird dagegen die Sicherung der Anwesenheit des Ver­ folgten für das weitere Strafverfahren nicht für erforderlich erachtet, kann allei­ ne um die Feststellung seiner Identität ersucht werden.48 Folglich ist das Festhal­ ten i. S. v. §  163b Abs.  1 S.  2 StPO als eine der Identifizierung dienende Freiheitsentziehung durch den Begriff „Identitätsfeststellung“ gedeckt und von der haftsichernden „Festnahme“ zu unterscheiden.49 Wolter, in: SK-StPO, §  163b Rn.  30; Pfeiffer, StPO, §  163b Rn.  7; Schmitt, in: Meyer-Goß­ ner/Schmitt, §  163b Rn.  7. 46  In Bezug auf §  127 Abs.  2 StPO spricht man im Schrifttum von der haftsichernden amtlichen Festnahme (Pfeiffer, StPO, §  127 Rn.  1; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, §  31 Rn.  1) bzw. von der haftsichernden Offizialfestnahme (Paeffgen, in: SK-StPO, §  127 Rn.  2). Die gleiche Bedeutung kommt freilich auch der Festnahme nach §  19 S.  1 IRG zu, wobei in diesem Fall mit der Festnahme die Auslieferungshaft gesichert werden soll. 47  Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  234 sieht darin den „primären“ Zweck der Festnahme; v. Bubnoff, ZRP 2000, 60 (61) erklärt damit den Sinn und Zweck der Fristenregelung. 48  Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  206. 49  Für diese Auslegung dürfte auch der französische Ausdruck „établir son identité“ sprechen, der anstelle der deutschen „Identitätsfeststellung“ verwendet wird und nach Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  207–212 als allgemeinerer Be­ griff sowohl die Identitätskontrolle (contrôle d’identité) als auch die Überprüfung der Perso­ nalien (vérification d’identité) einzubeziehen scheint. Die Letztere beinhalte gerade das Fest­ halten „am Ort der Kontrolle oder auf dem Polizeirevier“, das ebenso wie im deutschen Recht von der vorläufigen Festnahme (garde à vue) abzugrenzen sei. Die Höchstdauer des Festhal­ tens betrage vier Stunden ab Beginn der Identitätskontrolle, wobei unter Umständen eine Verlängerung in Form der garde à vue in Betracht komme. 45 

274

4. Teil: Strafverfolgungsmaßnahmen

Diese wortlautorientierte Auslegung führt zu dem Ergebnis, dass die Frist aus §  163c Abs.  2 StPO bei Nacheilesachverhalten unverändert zum Tragen kommt. Dies überzeugt wenig, wenn man bedenkt, dass die Rechtsposition des Festgehaltenen der eines vorläufig Festgenommenen grundsätzlich ähnelt: In beiden Fällen wird dem Betroffenen seine Fortbewegungsfreiheit entzogen, ihm werden aber zugleich bestimmte Rechte eingeräumt.50 Diese Rechte spiegeln sich wiederum in bestimmten Pflichten der eingesetzten Beamten wider. Dar­ über hinaus wird nicht in jedem Rechtssystem zwischen einer der Identifizie­ rung dienenden und haftsichernden Freiheitsentziehung unterschieden; vielfach stellt die Unmöglichkeit der Identifizierung eines Tatverdächtigen gerade eine der Festnahmevoraussetzungen dar.51 Erweist sich die Verbringung zu einer Dienststelle für die Überprüfung der Personalien des grenzüberschreitend Ver­ folgten als unerlässlich, wird dann auf die gleiche Art und Weise verfahren, wie verfahren würde, wenn die nacheilenden Beamten nicht um die Identitätsfest­ stellung, sondern um die (haftsichernde) Festnahme ersuchen würden. Die Schengener Frist käme dennoch – ausweislich des Wortlauts – nur im zweiten Fall zur Anwendung. Ob eine solche Differenzierung von den Urverfassern tat­ sächlich gewollt war bzw. von der Ratio der Regelung getragen wird, ist zwei­ felhaft. Denn als Hauptmotiv für die Einführung einer – bereits auf den ersten Blick praxisfremden – Sechs-Stunden-Frist drängt sich das Interesse des Ge­ bietsstaates an der zeitlichen Begrenzung der Rechtshilfemaßnahmen auf, die in seinen Verantwortungsbereich fallen.52 Wäre es so, sollte es im Lichte des Vor­ genannten bei der Frage der Fristanwendbarkeit eher nicht auf den Zweck, son­ dern alleine auf die Tatsache der Freiheitsentziehung ankommen. Im Rahmen einer Abwägung der vorstehenden Gesichtspunkte erscheint es vorzugswürdig, unter den Begriff „Ergreifung“ aus der deutschen Fassung des Art.  41 Abs.  6 Unterabs. 2 SDÜ jede von den örtlich zuständigen Behörden auf Ersuchen der nacheilenden Beamten vollzogene Freiheitsentziehung zu verste­ hen. Dementsprechend soll die maximale Zwölf-Stunden-Frist aus §  163c Abs.  2 StPO ggf. nach den Schengener Vorgaben verkürzt werden.53 Dies betrifft auch das Festhalten nach dem französischen Recht, Goy, Vorläufige Fest­ nahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  209. 51  Das ist gerade nach dem polnischen Recht der Fall (dazu unten II). Zu weiteren Beispie­ len Joubert/Bevers, Schengen Investigated, S.  308 ff. 52 So v. Bubnoff, ZRP 2000, 60 (61 f.), der das „zeitliche Begrenzungsinteresse“ mit „der schmalen tatsächlichen Beurteilungsgrundlage“ erklärt; übereinstimmend Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  344. Nach dem im Rechtshilferecht gel­ tenden Trennungsmodell muss der Betroffene „um Rechtsschutz in dem Staat nachsuchen, dessen Organe unmittelbar in seine Rechte eingegriffen haben“, Harings, Grenzüberschrei­ tende Zusammenarbeit, S.  223; Schmidt-Aßmann, in: FS-Bernhardt, S.  1283 (1303). 53  Von der Anwendbarkeit der Schengener Frist auf das Festhalten im Rahmen der Identi­ 50 

B. Identitätsfeststellung

275

3.  Durchsuchung und erkennungsdienstliche Maßnahmen Die Durchsuchung des Verdächtigen samt den von ihm mitgeführten Sachen 54 darf, soweit sie i. S. v. §  163b Abs.  1 S.  2 StPO unerlässlich und somit im Rah­ men der Identitätsfeststellung überhaupt zulässig ist, ausschließlich auf das Auffinden solcher Gegenstände oder Merkmale abzielen, welche zur Identifizie­ rung beitragen können.55 Werden bei Gelegenheit Beweismittel gefunden (sog. Zufallsfunde), sind diese nach §  94 StPO sicherzustellen und nach §  108 StPO zu behandeln.56 Den eingesetzten Beamten wird auch – unter den Voraussetzun­ gen des §  163b Abs.  1 S.  2 StPO – gestattet, erkennungsdienstliche Maßnahmen durchzuführen. Angedacht sind damit diejenigen Maßnahmen, die §  81b StPO vorsieht,57 d. h. insbesondere die Aufnahme von Lichtbildern und Fingerabdrü­ cken sowie Messungen. In der Regel wird der Tatverdächtige zum Zwecke ihrer Durchführung zu einer Dienststelle verbracht, die mit entsprechenden Einrich­ tungen ausgestattet ist.58 Nach der Feststellung der Identität ist der grenzüberschreitend Verfolgte frei­ zulassen, sofern die nacheilenden Beamten nicht zuvor um seine Festnahme ersuchen.59 In diesem Fall wird die Dauer der Freiheitsentziehung zum Zwecke der Identitätsfeststellung auf die Dauer der vorläufigen Festnahme angerechnet.60 tätsfeststellung geht, ohne sich jedoch mit der oben geschilderten Auslegungsproblematik auseinanderzusetzen, auch Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  209 u. 212 aus. 54  Zum Begriff bzw. zur Reichweite der Personendurchsuchung und zur Durchsuchung von mitgeführten Sachen im Rahmen eines Strafverfahrens siehe oben 3. Teil C. III.1. a. 55  Im Schrifttum werden beispielsweise Ausweispapiere, sonstige Schriftstücke, Tätowie­ rungen genannt, Griesbaum, in: KK-StPO, §  163b Rn.  21; Erb, in: LR, §  163b Rn.  39. Ob der Betroffene zur Eigen- oder Fremdsicherung nach Waffen oder sonstigen Gegenständen durchsucht werden darf, beurteilt sich dagegen nach dem Polizeirecht, Erb, in: LR, §  163b Rn.  9; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, §  163b Rn.  10; Griesbaum, in: KK-StPO, §  163b Rn.  8. So ermächtigt z. B. §  21 Abs.  2 S.  1 Bbg­PolG, den Betroffenen nach Waffen, anderen gefährlichen Werkzeugen und Sprengmitteln zu durchsuchen, wenn dies nach den Umstän­ den zum Schutz eines Polizeivollzugbediensteten oder eines Dritten gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich erscheint. Ein Rückgriff auf die polizeigesetzlichen Ermächti­ gungsgrundlagen kann bei den Nacheilesachverhalten besonders dann vonnöten sein, wenn der Verfolgte von den nacheilenden Beamten einer Sicherheitsdurchsuchung nach Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ nicht unterzogen wurde, weil er nicht von diesen, sondern direkt von den Beamten des Gebietsstaates ergriffen wurde. 56  Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, §  163b Rn.  22; Griesbaum, in: KK-StPO, §  163b Rn.  21. 57  Griesbaum, in: KK-StPO, §  163b Rn.  24; Pfeiffer, StPO, §  163b Rn.  9. 58  Griesbaum, in: KK-StPO, §  163b Rn.  24; Pfeiffer, StPO, §  163b Rn.  9. 59  Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  212. 60 Vgl. Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  209 in Bezug auf garde à vue.

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4. Teil: Strafverfolgungsmaßnahmen

II.  Nacheile nach Polen Eine §  163b StPO entsprechende Vorschrift besteht in der polnischen Strafpro­ zessordnung nicht. Ebenso wenig kennt das polnische Polizeigesetz eine solche komplexe Regelung zur Feststellung der Identität einer Person. Die primäre Rechtsgrundlage bietet in dieser Hinsicht Art.  15 Abs.  1 Pkt.  1 plPolG, wonach die Polizei im Rahmen der Wahrnehmung ihrer Aufgaben, also auch zur Straf­ verfolgung, Personen zum Zwecke der Identitätsfeststellung überprüfen („wylegitymować“) kann. Einzelheiten regelt die bereits erwähnte61 Verordnung des Ministerrates vom 29. September 2015 über das Vorgehen bei der Ausübung einiger Polizeibefugnisse. Während §  163b Abs.  1 S.  1 StPO generell von „erfor­ derlichen Maßnahmen“ spricht, legt die Verordnung die in Betracht kommen­ den Quellen der Personenidentifizierung detailliert fest. So erfolgt diese anhand eines Personalausweises, eines Passes, eines ausländischen Identitätsdoku­ ments, eines sonstigen Dokuments, das mit einem Foto versehen und mit einer Nummer oder Serie gekennzeichnet ist, oder anhand eines Fotos des Betroffe­ nen samt der Personenbeschreibung bzw. anhand der Fingerabdrücke, die in den polizeilichen Datenbanken oder in den Datenbanken, auf die die Polizei gemäß Art.  20 Abs.  15 und 16 plPolG zugreifen darf, oder anhand einer Erklärung ei­ ner anderen Person, deren Identität mithilfe der oben genannten Dokumente festgestellt wurde (§  4).62 Vor dem Beginn der Maßnahme hat der Beamte dem Betroffenen seinen Dienstgrad, seinen Vor- und Nachnamen sowie die Rechts­ grundlage und den Grund für das Überprüfen mitzuteilen (§  2 Abs.  1). Die Durchsuchung des Betroffenen und seiner Sachen ist – anders als in §  163b Abs.  1 StPO – nicht ausdrücklich als Maßnahme im Rahmen der Identi­ tätsfeststellung vorgesehen. Die Polizeibeamten sind jedoch nach Art.  15 Abs.  1 Pkt.  5 plPolG befugt, bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben eine persönliche Kontrolle durchzuführen. Einzige Voraussetzung hierfür ist das Vorliegen eines begründeten Verdachts einer verbotenen Tat, was bei Identitätsfeststellungen im Anschluss an eine grenzüberschreitende Nacheile stets zu bejahen ist.63 Weigert sich der Verfolgte, Ausweispapiere vorzulegen, kann der eingesetzte Beamte seine Kleidung sowie die von ihm mitgeführten Sachen, einschließlich des 61 

3. Teil C. III. 1. b. Die zuletzt genannte Möglichkeit der Identitätsfeststellung erscheint bei grenzüber­ schreitenden Nacheilesachverhalten unbedeutsam, aber nicht ganz ausgeschlossen. Man den­ ke vor allem an die Fälle, in denen im verfolgten Wagen mehrere Personen betroffen wurden, von denen eine weder über taugliche Ausweispapiere verfügt noch in den entsprechenden Datenbanken zu finden ist. 63  Soweit der Maßnahme der Verdacht einer Auslandstat zugrunde liegt, auf die sich die polnische Strafgewalt nicht erstreckt, kommt die Regelung des Art.  15 Abs.  1 Pkt.  5 plPolG – wie bei Rechtshilfeleistungen üblich – sinngemäß zur Anwendung. 62 

B. Identitätsfeststellung

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Handgepäcks, nach Identitätsdokumenten durchsuchen.64 Lässt sich seine Iden­ tität auch auf diesem Wege nicht feststellen, kann die Polizei gemäß Art.  15 Abs.  1 Pkt.  3a lit.  b plPolG Fingerabdrücke nehmen oder einen Wangenschleim­ hautabstrich machen. Diese Maßnahmen dürfen nur mithilfe der zu diesen Zwe­ cken besonders bestimmten „kriminalistischen Pakete“ bzw. daktyloskopischen Geräte durchgeführt werden (§  11 und §  13 der genannten Verordnung) und er­ fordern daher in der Regel die Verbringung des Betroffenen zu einer Dienststel­ le oder zu einer geeigneten Einrichtung. Anders als das deutsche Recht unterscheiden die polnischen Gesetze nicht zwischen dem einer Identifizierung dienenden „Festhalten“ und der haftsichern­ den „Festnahme“. In Rechtsprechung und Lehre wird darauf hingewiesen, dass eine vorläufige Entziehung der Fortbewegungsfreiheit zur Personenidentifizie­ rung, auch wenn sie mit der Verbringung zu einer Dienststelle verbunden ist, durch die Befugnis zur Identitätsfeststellung abgedeckt ist.65 Diese Auffassung scheint sich jedoch nur auf diejenigen Fälle zu beziehen, in denen die Vorausset­ zungen für eine Festnahme i. S. v. Art.  15 Abs.  1 Pkt.  2, 2a oder 3 plPolG66 nicht erfüllt sind. Es sei daran erinnert, dass die Unmöglichkeit der Feststellung der Identität einer tatverdächtigen Person bei Vorliegen der berechtigten Vermu­ tung, dass sie eine Straftat begangen hat, gerade eine eigenständige Festnahme­ voraussetzung nach Art.  244 §  1 plStPO darstellt. Anders als bei §  1b handelt es sich hier zwar um eine Kann-Vorschrift. Daraus lässt sich aber nicht schließen, dass der handelnde Beamte über den Charakter der vorläufigen Freiheitsentzie­ hung zum Zwecke der Identitätsfeststellung selbst entscheiden kann. Art.  244 §  1 plStPO nennt neben der berechtigten Vermutung der Tatbegehung alternativ vier Festnahmegründe. Art.  248 §  1 plStPO verpflichtet dagegen zur sofortigen Freilassung des Betroffenen bei Entfallen des Festnahmegrundes. Aus einer Zu­ sammenschau dieser Normen ergibt sich, dass die Festnahme nicht in jedem Fall die Vorführung vor Gericht mit dem Antrag auf die Anwendung der vorläu­ figen Verhaftung bezwecken muss. Sie kann auch alleine auf die Identifizierung des Tatverdächtigen gerichtet sein. Damit die Regelung des Art.  244 §  1 Var. 4 plStPO nicht leerläuft und die Schutzwirkung, die die Verfahrensvorschriften zugunsten des Betroffenen entfalten, nicht konterkariert wird, ist die Verbrin­ gung eines Tatverdächtigen, dessen Identität nicht vor Ort geprüft oder bestätigt werden kann, nicht als notwendige Begleitmaßnahme der Identitätsfeststellung, 64 

Hinsichtlich des Rechtscharakters und der Art und Weise einer solchen „Durchsu­ chung“ ist auf die früheren Erläuterungen zu verweisen, 3. Teil C. III. 1. b. 65  Stefański, Prok. i Pr. 10/1997, 32 (36); Pracki, Prok. i Pr. 7–8/1996, 107 (110); Urteil des Appellationsgerichts in Katowice v. 6.6.2012, II AKa 134/12, Prok. i Pr. 2013/2/33; vgl. auch Urteil des Obersten Gerichts v. 21.6.1995, I KZP 20/95, OSNKW 1995/9–10/59. 66  Zum Inhalt dieser Vorschrift siehe 2. Teil Fn.  331.

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4. Teil: Strafverfolgungsmaßnahmen

sondern bereits als strafprozessuale Festnahme zu betrachten.67 Gleiches muss bei Nacheilesachverhalten auch dann gelten, wenn die nacheilenden Beamten den Verfolgten zum örtlichen Polizeirevier selbst verbracht und den zuständi­ gen Behörden mitsamt einem Ersuchen um Feststellung seiner Identität überge­ ben haben, sofern sich seine Identität im Rahmen eines schlichten Überprüfens („wylegitymowanie“) nicht bzw. nicht zweifelsfrei feststellen lässt. Im Falle der Festnahme ist der grenzüberschreitend Verfolgte über den Fest­ nahmegrund und seine Rechte zu belehren (Art.  244 §  2 plStPO).68 Über die Festnahme ist ein Protokoll mit Personenbeschreibung aufzunehmen (Art.  244 §  3 plStPO). Mit der Feststellung der Identität entfällt der Festnahmegrund, so­ dass der Betroffene sofort freigelassen werden muss (vgl. Art.  248 §  1 plStPO). Soweit die polnischen Behörden nicht im eigenen Strafverfolgungsinteresse, sondern zur Unterstützung des deutschen Strafverfahrens handeln, ist zusätz­ lich die Schengener Fristenregelung zu beachten. Die Freiheitsentziehung darf also in diesem Fall sechs Stunden nicht überschreiten (wobei die Stunden zwi­ schen Mitternacht und neun Uhr nicht zählen). Liegt die polnische Strafgewalt vor, gilt die Frist aus Art.  248 §  1 plStPO: Der Festgenommene ist freizulassen, wenn er innerhalb von 48 Stunden nach der Festnahme nicht zur Verfügung des Gerichts samt dem Antrag auf vorläufige Verhaftung überlassen wird; das Ge­ richt oder der Staatsanwalt kann die Freilassung noch vor dem Ablauf dieser Frist anordnen.

C.  Festnahme I.  Rechtsgrundlagen und Pflichten der festnehmenden Polizeibehörden 1.  Nacheile nach Deutschland Die vorläufige Festnahme des grenzüberschreitend Verfolgten in eigener – deut­ scher – Zuständigkeit erfolgt nach §  127 Abs.  2 StPO. Wird stellvertretend für die polnischen Behörden gehandelt, ist die Maßnahme auf §  19 IRG zu stüt­ zen.69 Die Vorschrift ermächtigt die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes zur vorläufigen Festnahme, wenn die Voraussetzungen eines Auslieferungshaftbefehls vorliegen (S.  1), und stellt insoweit eine spezielle Re­ Im Ergebnis Klejnowska, Prok. i Pr. 7–8/2006, 236 (238). Siehe dazu unten C. I. 2. 69 Vgl. Würz, Das Schengener Durchführungsübereinkommen, Rn.  148; Schomburg/ Hackner, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, §  19 IRG Rn.  5a; Goy, Vorläufige Festnah­ me und grenzüberschreitende Nacheile, S.  223. 67 

68 

C. Festnahme

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gelung zur Vorbereitung und Sicherung der Auslieferung dar.70 Der Begriff „Auslieferungshaftbefehl“ ist in §  17 Abs.  1 IRG legal definiert und umfasst so­ wohl den endgültigen bzw. eigentlichen (§  15 IRG) als auch den vorläufigen (§  16 IRG) Auslieferungshaftbefehl.71 Da zum Zeitpunkt des Ergreifens des Verfolgten ein für die Anordnung der eigentlichen Auslieferungshaft erforderli­ ches Auslieferungsersuchen freilich (noch) nicht eingegangen sein wird, kann sich die vorläufige Festnahme nach §  19 S.  1 IRG nur auf die Voraussetzungen der vorläufigen Auslieferungshaft gründen. Diese erfordert gemäß §  16 Abs.  1 i. V. m. §  15 IRG, dass (1) die Auslieferung nicht von vornherein unzulässig er­ scheint, (2) ein entsprechendes Ersuchen einer zuständigen Stelle des ersuchen­ den Staates vorliegt oder ein Ausländer einer Tat, die zu seiner Auslieferung Anlass geben kann, auf Grund bestimmter Tatsachen dringend verdächtig ist und (3) ein Haftgrund, nämlich eine Flucht- oder eine Verdunkelungsgefahr, besteht.72 Darüber hinaus setzen der auch hier zu beachtende Verhältnismäßig­ keitsgrundsatz73 und Art.  104 Abs.  2 S.  2 GG74 voraus, dass das vorherige Er­ wirken des richterlichen Auslieferungshaftbefehls wegen des damit verbunde­ nen Zeitverlusts die Festnahme gefährden würde, was aber in Fällen des Art.  41 SDÜ aufgrund des Charakters der Nacheile als Dringlichkeitsmaßnahme stets zu bejahen wäre. Bei Nacheilesachverhalten aus Polen kann der dringende Verdacht einer zur Auslieferung veranlassenden Straftat bereits durch den Nacheilehergang ver­ mittelt werden: Die polnischen Beamten sind zur grenzüberschreitenden Fort­ setzung einer Verfolgung nur dann befugt, wenn sie eine berechtigte Vermu­ tung haben, dass der Flüchtende eine auslieferungsfähige Straftat begangen hat.75 Zwar ermöglicht Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 2 SDÜ auch die Verfolgung ei­ nes aus der Untersuchungs- oder Strafhaft Entwichenen. Nach dem polnischen Recht stellt eine solche Flucht aber ebenfalls eine Straftat (Art.  242 §  1 plStGB) dar, die u. a. mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bedroht und somit aus­ lieferungsfähig ist. Die Fluchtgefahr kann hingegen durch den Umstand be­ gründet sein, dass der Festzunehmende bereits einmal und dabei sogar ins Aus­ land geflüchtet ist.76 In Abweichung von §  127 Abs.  2 i. V. m. §§  112, 112a StPO Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  223. Wilkitzki, in: Grützner/Pötz/Kreß (11. Lfg.), §  19 IRG Rn.  5; Böhm, in: Grützner/Pötz/ Kreß (42. Lfg.), §  17 IRG Rn.  2. 72  Wilkitzki, in: Grützner/Pötz/Kreß (11. Lfg.), §  19 IRG Rn.  5. 73 So Schomburg/Hackner, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, §  19 IRG Rn.  4. 74 So Böhm, in: Grützner/Pötz/Kreß (42. Lfg.), §  19 IRG Rn.  5 f. 75  Zum dringenden Tatverdacht und zur berechtigten Vermutung als Nacheilevorausset­ zungen siehe 2. Teil A. III. 76  Vgl. OLG Stuttgart NStZ-RR 2005, 181 (182): Die Fluchtgefahr könne in der Regel angenommen werden, wenn sich der Verfolgte der Strafverfolgung im ersuchenden Staat 70  71 

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4. Teil: Strafverfolgungsmaßnahmen

setzt §  19 S.  1 i. V. m. §  16 Abs.  1 Nr.  2 i. V. m. §  15 Abs.  1 Nr.  1 IRG nicht vor­ aus, dass sich die Fluchtgefahr auf „bestimmte Tatsachen“ stützt; es genügt, wenn konkrete Anhaltspunkte zu der Überzeugung führen, dass der Betroffene sich der Auslieferung oder dem Auslieferungsverfahren entziehen wird.77 Die Indizwirkung der Nacheile entbindet die deutschen Beamten freilich nicht von einer Einzelfallprüfung sowohl hinsichtlich des Vorliegens eines dringenden Tatverdachts als auch einer Fluchtgefahr. Die Anforderungen an die Annahme beider Elemente sind aber geringer als zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Erlass eines vorläufigen Auslieferungshaftbefehls. Denn die vorläufige Festnahme nach §  19 S.  1 IRG im Anschluss an die grenzüberschreitende Ver­ folgung steht zu Beginn des Auslieferungsverfahrens und dient seiner Siche­ rung. Die Tatsachenbasis für die Beurteilung der Haftvoraussetzungen ist also zum Zeitpunkt der Festnahme zwangsläufig schmaler als im Moment der Haftanordnung.78 Sollten die Voraussetzungen des §  19 S.  1 IRG im konkreten Fall nicht erfüllt sein, könnte als Festnahmegrundlage §  19 S.  2 IRG herangezogen werden.79 Die Vorschrift statuiert ein Jedermann-Festnahmerecht und nimmt hinsichtlich sei­ ner Voraussetzungen auf §  127 Abs.  1 StPO Bezug. Als ungeschriebenes Merk­ mal kommt hinzu, dass die Tat zur Auslieferung Anlass geben können muss.80 Der Festgenommene wird grundsätzlich im Polizeigewahrsam der örtlich zu­ ständigen Behörden vorläufig untergebracht.81 Ihm ist der Festnahmegrund mit­ zuteilen, und zwar in einer für ihn verständlichen Sprache (§  127 Abs.  4 i. V. m. durch Flucht entzogen habe; so auch König, in: Ambos/König/Rackow (Hrsg.), 2. HT §  15 IRG Rn.  191; Schomburg, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, §  15 IRG Rn.  18. 77  Schomburg/Hackner, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, §  15 IRG Rn.  17 u. 19a; vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2009, 177 und die Regierungsbegründung, BT-Drs. 9/1338, S.  48. Es kommt also darauf an, welches Verhalten des Betroffenen – die Flucht oder das Sich-Zur-Verfügung-Halten – nach der Gesamtbetrachtung aller für die Prognose einschlägi­ gen Gesichtspunkte wahrscheinlicher ist, OLG Hamm StV 2003, 91 (92); Böhm, in: Grützner/ Pötz/Kreß (42. Lfg.), §  15 IRG Rn.  32. 78  Der zum Zeitpunkt der Festnahme angenommene dringende Tatverdacht kann z. B. durch die bei der Vernehmung gemachten Aussagen des Betroffenen oder durch die per Tele­ fax vom Tatortstaat übermittelten Erkenntnisse befestigt oder entkräftet werden, vgl. v. Bubnoff, ZRP 2000, 60 (62). 79 Vgl. Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  223; vgl. auch König, in: Ambos/König/Rackow (Hrsg.), 2. HT §  19 IRG Rn.  247; Böhm, in: Grützner/Pötz/ Kreß (42. Lfg.), §  19 IRG Rn.  27. 80  Schomburg/Hackner, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, §  19 IRG Rn.  14; Wilkitzki, in: Grützner/Pötz/Kreß (11. Lfg.), §  19 IRG Rn.  10; Böhm, in: Grützner/Pötz/Kreß (42. Lfg.), §  19 IRG Rn.  27. 81  Würz, Das Schengener Durchführungsübereinkommen, Rn.  148; Goy, Vorläufige Fest­ nahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  224.

C. Festnahme

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§  114a StPO; §  20 Abs.  1 IRG).82 Im Falle der vorläufigen Festnahme gemäß §  19 IRG ist er dabei nicht nur über die ihm zur Last gelegte Tat, sondern auch über die mögliche Auslieferung ans Ausland zu unterrichten.83 Der Betroffene muss nach §  127 Abs.  4 i. V. m. §  114b Abs.  1 StPO unverzüglich und schriftlich in einer für ihn verständlichen Sprache über seine Rechte belehrt werden. Hierzu gehört u. a. das Recht auf jederzeitige Befragung eines Wahlverteidigers (§  114b Abs.  2 Nr.  4 StPO) sowie auf Benachrichtigung84 eines Angehörigen oder einer Vertrauensperson (§  114b Abs.  2 Nr.  6 StPO). Die Parallele zwischen einer die Untersuchungshaft und einer die Auslieferungshaft sichernden Festnahme legt nahe, dass die Vorschrift des §  114b StPO über §  77 IRG auch im Falle des §  19 S.  1 IRG sinngemäß zum Tragen kommt.85 Dies muss insbesondere in Bezug auf die Belehrung über das Beistandsrecht gelten. §  40 Abs.  1 IRG sieht aus­ drücklich vor, dass sich der Verfolgte in jeder Lage des Verfahrens, d. h. also bereits bei der ersten auf ein Auslieferungsverfahren ausgerichteten behördli­ chen Maßnahme (einschließlich der vorläufigen Festnahme),86 eines Beistands bedienen kann.87 Damit er von diesem Recht Gebrauch machen kann, muss er freilich darauf hingewiesen werden. Handelt es sich beim Festgenommenen um einen Ausländer, ist er überdies nach Art.  36 Abs.  1 lit.  b S.  3 WÜK88 unverzüg­ lich darüber zu belehren, dass er eine unverzügliche Benachrichtigung seiner konsularischen Vertretung verlangen kann.89 82 

Im Unterschied zu §  114a StPO sieht §  20 IRG zwar die Pflicht zur Mitteilung in einer für den Festgenommenen verständlichen Sprache nicht vor, diese ist aber ein Ausfluss von Art.  5 Abs.  2 EMRK, Wilkitzki, in: Grützner/Pötz/Kreß (11. Lfg.), §  20 IRG Rn.  7 m. w. N.; siehe auch Regierungsbegründung, BT-Drs. 9/1338, S.  50. 83  Wilkitzki, in: Grützner/Pötz/Kreß (11. Lfg.), §  20 IRG Rn.  5. 84  Das Benachrichtigungsrecht wird dem Festgenommenen jedoch nur insoweit gestattet, als der Zweck der Untersuchung dadurch nicht gefährdet wird (§  114b Abs.  2 Nr.  6 in fine StPO; siehe auch §  114c Abs.  1 in fine StPO). 85  So ausdrücklich nur in Bezug auf die Pflicht zur Benachrichtigung von Angehörigen Schomburg/Hackner, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, §  20 IRG Rn.  4; Wilkitzki, in: Grützner/Pötz/Kreß (11. Lfg.), §  20 IRG Rn.  11; Böhm, in: Grützner/Pötz/Kreß (42. Lfg.), §  20 IRG Rn.  11; König, in: Ambos/König/Rackow (Hrsg.), 2. HT §  20 IRG Rn.  253; Regie­ rungsbegründung, BT-Drs. 9/1338, S.  50. 86  Lagodny/Schomburg/Hackner, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, §  40 IRG Rn.  8. 87  Zum Beistandsrecht nach §  40 IRG siehe Köberer, in: Ambos/König/Rackow (Hrsg.), 2. HT §  40 IRG Rn.  508 ff. 88  Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen v. 24.4.963 (BGBl.  1969 II S.  1585). 89  Schomburg/Hackner, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, §  19 IRG Rn.  16; König, in: Ambos/König/Rackow (Hrsg.), 2. HT §  20 IRG Rn.  253; siehe auch BVerfG NStZ 2007, 159. In Bezug auf die Festnahme nach §  127 StPO ist diese Pflicht ausdrücklich vorgesehen (§  127 Abs.  4 i. V. m. §  114b Abs.  2 S.  4 StPO).

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4. Teil: Strafverfolgungsmaßnahmen

Von der Festnahme nach §  19 IRG ist die Staatsanwaltschaft beim Oberlan­ desgericht unverzüglich zu verständigen (Nr.  36 Abs.  3 RiVASt). Ihr obliegt auch die unverzügliche Mitteilung der Zeit, des Ortes und des Grundes der Fest­ nahme an die zuständige ausländische Behörde, soweit sie nicht die Entlassung verfügt (Nr.  38 RiVASt).90 2.  Nacheile nach Polen Eine §  19 IRG entsprechende Ermächtigungsgrundlage für die Festnahme zum Zwecke der Vorbereitung des Auslieferungsverfahrens ist im polnischen Recht nicht gegeben. Bei der Festnahme des Verfolgten auf Ersuchen der nacheilenden deutschen Beamten sind daher die Vorschriften der Art.  244 ff. plStPO, nach denen sich die Festnahme bei nationalen Sachverhalten richtet, sinngemäß an­ zuwenden. Der Betroffene ist von den Festnahmegründen91 und seinen Rech­ ten92 in einer für ihn verständlichen Weise93 sofort in Kenntnis zu setzen 90  Die Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht ist ebenfalls verpflichtet, das Bundes­ kriminalamt zu benachrichtigen, wenn die Mitteilung nicht über es selbst erfolgt, sowie ihren Vorgesetzten Bericht nach Maßgabe der Nr.  39 RiVASt zu erstatten. 91  Dabei ist auf die faktische und die rechtliche Grundlage der Festnahme sowie auf die dem Festgenommenen zur Last gelegte Tat hinzuweisen, Stefański, in: Gostyński (Hrsg.), Art.  244 Rn.  9; Kudrelek, Policja KKKP 1/2009, 32 (40). 92  Der Festgenommene hat das Recht, eine Erklärung zur Sache abzugeben oder eine solche zu verweigern (Art.  244 §  2 plStPO). Auf sein Verlangen ist ihm unverzüglich zu er­ möglichen, mit einem Rechtsanwalt oder einem Rechtsberater in zumutbarer Form Kontakt aufzunehmen und ein unmittelbares Gespräch zu führen; in Ausnahmefällen kann, soweit es durch besondere Umstände begründet ist, der Festnehmende seine Anwesenheit vorbehalten (Art.  245 §  1 plStPO). Wenn der Betroffene der polnischen Sprache nicht hinreichend mäch­ tig ist, kann er unentgeltliche Hilfe eines Dolmetschers bzw. Übersetzers beanspruchen (Art.  72 §  1 plStPO). Ihm steht das Recht zu, die Benachrichtigung der in Art.  261 plStPO genannten Personen, insbesondere einer ihm nahestehenden Person sowie seines Arbeitge­ bers, zu verlangen (Art.  245 §  3 plStPO). Soweit es sich bei dem Festgenommenen um keinen polnischen Staatsangehörigen handelt, ist ihm auf sein Verlangen zu ermöglichen, in zumut­ barer Form mit dem zuständigen Konsulat oder der zuständigen diplomatischen Vertretung Kontakt aufzunehmen (Art.  612 §  2 plStPO). Er hat das Recht, erste medizinische Hilfe (Art.  244 §  2 plStPO) sowie eine Abschrift des Festnahmeprotokolls (Art.  244 §  3 plStPO) zu erhalten. Innerhalb von sieben Tagen nach der Festnahme kann er die Begründetheit, Recht­ mäßigkeit und Ordnungsgemäßheit der Festnahme gerichtlich überprüfen lassen (Art.  246 §  1 plStPO). 93  Paprzycki, in: Paprzycki (Hrsg.), Art.  244 Rn.  10; Kudrelek, Policja KKKP 1/2009, 32 (40). Die Pflicht zur Belehrung über die Festnahmegründe auf eine für den Festgenommenen verständliche Art und Weise ergibt sich aus Art.  5 Abs.  2 EMRK, der in Polen unmittelbar und mit Vorrang vor einfachen Gesetzen zur Anwendung kommt; zu Art.  5 Abs.  2 EMRK siehe z. B. EGMR, Entscheidung v. 30.8.1990 – Nr.  18/1989/178/234–236 (Fox, Campbell und Hartley vs. Großbritannien), Rn.  40.

C. Festnahme

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(Art.  244 §  2 plStPO).94 Die Belehrung muss auch einen Hinweis auf die Freilas­ sungsregeln aus Art.  248 plStPO enthalten (Art.  244 §  2 plStPO). Im Falle einer stellvertretenden Festnahme bedarf diese Pflicht insoweit einer Modifizierung, als der Betroffene nicht von den Fristen, die die erwähnte Vorschrift vorsieht,95 sondern von der besonderen Schengener Fristenregelung aus Art.  41 Abs.  6 Un­ terabs. 2 SDÜ zu unterrichten ist. Dies ergibt sich daraus, dass hier die Festnah­ mebefugnis nicht der originären polnischen Strafgewalt entspringt, sondern auf Art.  41 SDÜ fußt und folglich nur in dem von ihm festgelegten Rahmen ausge­ übt werden darf. Art.  244 §  2 plStPO verpflichtet ferner die Polizeibehörden, dem Festgenommenen sofort eine Äußerungsmöglichkeit zu geben. Dabei han­ delt es sich lediglich um eine bloße Anhörung (wysłuchanie), insbesondere hin­ sichtlich der tatsächlichen Grundlagen der Festnahme96, nicht aber um eine Ver­ nehmung im prozessualen Sinne.97 Soweit die Polizeibeamten den Verfolgten in eigener Zuständigkeit festge­ nommen haben, sind sie verpflichtet, unverzüglich nach der Festnahme „uner­ lässliche Angaben“ zu sammeln (Art.  244 §  4 S.  1 Hs. 1 plStPO). Damit sind die Informationen gemeint, die sich auf die Vermutung der Tatbegehung durch den Tatverdächtigen und auf die der Festnahme zugrunde liegende Befürchtung be­ ziehen, ggf. die Informationen, die auf die Identitätsfeststellung abzielen.98 Sie können im Rahmen prozessualer Beweistätigkeiten gewonnen werden (z. B. Durchsuchung, Vernehmung), wenn das Ermittlungsverfahren bereits eingelei­ tet wurde; anderenfalls (wenn z. B. die Festnahme, wie bei Nacheilesachverhal­ ten, die erste Maßnahme in der Sache darstellt) mithilfe der Überprüfungstätig­ keiten nach Art.  307 plStPO oder der sog. Ermittlung im unentbehrlichen Um­ fang gemäß Art.  308 plStPO.99 Im Ergebnis soll belastendes bzw. entlastendes Material gesammelt werden, auf dessen Grundlage man weitere Schritte unter­ nimmt, etwa die Abfassung eines Beschlusses über die Eröffnung des Tatvor­ 94 

Die aktuelle Vorlage der Belehrung nach Art.  244 §  2 plStPO enthält die Anlage zur Verordnung des Justizministers v. 3.6.2015 zur Festlegung einer Vorlage der Belehrung eines Festgenommenen im Strafverfahren, die auf der Grundlage des Art.  244 §  5 plStPO erlassen wurde (Dz. U. 2015, Pos. 835). Der Festgenommene hat die Empfangnahme der Belehrung durch seine Unterschrift zu bestätigen. Eingehend zu Belehrungspflichten bei einer polizeili­ chen Festnahme Cora, Zatrzymanie, S.  263 ff. 95  Siehe dazu unten III. 1. 96  Paprzycki, in: Paprzycki (Hrsg.), Art.  244 Rn.  13; Kudrelek, Policja KKKP 1/2009, 32 (40); Eichstaedt, in: Świecki (Hrsg.), Art.  244 Rn.  10. 97  Eichstaedt, in: Świecki (Hrsg.), Art.  244 Rn.  10; Kudrelek, Policja KKKP 1/2009, 32 (40). 98  Grzegorczyk, Kodeks postępowania, Art.  244 Rn.  6. 99  Hofmański/Sadzik/Zgryzek, Kodeks, Art.  244 Rn.  27; Paprzycki, in: Paprzycki (Hrsg.), Art.  244 Rn.  16; Kudrelek, Policja KKKP 2/2009, 24 (30).

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4. Teil: Strafverfolgungsmaßnahmen

wurfs, die Anordnung einer Präventivmaßnahme oder die Freilassung des Be­ troffenen.100 Im Falle einer stellvertretenden Festnahme scheint der Rückgriff auf Art.  244 §  4 S.  1 Hs. 1 plStPO versperrt zu sein. Wenn nämlich die polni­ sche Strafgewalt nicht begründet ist, stellt Art.  41 SDÜ die einzige Rechtsquelle dar, aus der sich die Eingriffsbefugnisse der polnischen Behörden ergeben. Die Erhebung von Beweisen für Zwecke eines fremden Ermittlungsverfahrens kann folglich nur auf Ersuchen im Rahmen der justiziellen Rechtshilfe (nach Maßga­ be der Art.  585, 587 plStPO) erfolgen.101 Eine Ausnahme macht Art.  41 SDÜ ausschließlich für die Vernehmung des grenzüberschreitend Verfolgten, die nach Absatz 6 Unterabsatz 1 im Anschluss an die Festnahme ohne Rechtshil­ feersuchen durchgeführt werden kann. Über die Festnahme ist ein Staatsanwalt zu unterrichten (Art.  244 §  4 S.  1 Hs. 2 plStPO) und ein Protokoll nach Maßgabe des Art.  244 §  3 plStPO anzufertigen.

II. Vernehmung 1.  Festhalten zum Zwecke der Vernehmung und Vernehmungszweck Der Verfolgte, der gemäß Art.  41 Abs.  2 SDÜ durch die örtlich zuständigen Be­ hörden festgenommen wurde, kann, wie bereits angedeutet, nach Absatz 6 Un­ terabsatz 1 Satz  1 ungeachtet seiner Staatsangehörigkeit „zum Zwecke der Ver­ nehmung102 festgehalten werden“. Der Wortlaut der Norm ist insoweit miss­ glückt, als er vom Festhalten einer bereits festgenommenen Person spricht. Bedenkt man, dass die Festnahme i. S. v. Art.  41 SDÜ auf einer vorläufigen Frei­ heitsentziehung beruht, so ist fraglich, worin sich das Festhalten des Verfolgten manifestieren soll. Das deutsche wie das polnische Strafprozessrecht kennen zwar eine auf der polizeilichen vorläufigen Festnahme beruhende Freiheitsent­ ziehung in Form der Untersuchungshaft; diese bedarf aber einer richterlichen Anordnung und dient nicht der Erstvernehmung des Beschuldigten, sondern der Sicherung eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Strafverfahrens. Paprzycki, in: Paprzycki (Hrsg.), Art.  244 Rn.  16; Kudrelek, Policja KKKP 2/2009, 24 (30). 101  Zur transnationalen Beweiserhebung vgl. Gleß, in: Sieber/Satzger/v. Heintschel-Hei­ negg (Hrsg.), §  38 Rn.  85 ff. 102 Nach Mokros, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil O Rn.  255 ist die Verwendung des Begriffs „Vernehmung“ missverständlich, weil der Verfolgte auch dann festgehalten werden darf, wenn seine Identität festgestellt werden muss oder die Anordnung der Untersuchungsbzw. Auslieferungshaft beantragt werden soll. Nach der hier vertretenen Auffassung ist die Befugnis zum Festhalten des Verfolgten zum Zwecke seiner Identifizierung durch das Recht zur Identitätsfeststellung gedeckt; die Möglichkeit einer haftsichernden Freiheitsentziehung ergibt sich dagegen aus der Festnahmebefugnis, siehe oben B. I. 2. 100 Vgl.

C. Festnahme

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Das „Festhalten“ i. S. v. Art.  41 Abs.  6 Unterabs. 1 S.  1 SDÜ ist demnach nicht als weitere Freiheitsentziehungsmaßnahme zu deuten, sondern im Kontext der Einräumung des Rechts zur Vernehmung des Festgenommenen zu sehen. Es wird damit lediglich klargestellt, dass es zulässig ist, im Anschluss an die Fest­ nahme – also während der Verfolgte festgehalten wird – eine Vernehmung vor­ zunehmen. Nach dieser Lesart kommt dem Ausdruck „festhalten“ keine materi­ elle Bedeutung zu, die über die Festnahme und den damit bewirkten Zustand hinausgeht. Art.  41 SDÜ regelt den Zweck und Umfang der Vernehmung nicht. Zu be­ rücksichtigen ist aber, dass die Vernehmungsbefugnis an die Festnahme eines grenzüberschreitend Verfolgten angehängt wurde. Die Vernehmung muss also der Frage dienen, ob die Festnahme in die (vorläufige) Auslieferungshaft über­ gehen soll oder ob der Verfolgte freizulassen ist. Die erlangten Informationen sollen den Behörden des Ausgangsstaates der Nacheile eine Überprüfung der Haftvoraussetzungen und den Erlass eines inländischen und demnächst eines Europäischen Haftbefehls ermöglichen.103 Wenn die Nacheile durch einen Tat­ verdacht veranlasst wurde, ist vor allem zu klären, ob sich dieser bestätigt. Da die Festnahme auf der Tatsache des Betroffenseins auf frischer Tat bzw. der Flucht aus der Untersuchungs- oder Strafhaft gründet, d. h. aus dem Nacheile­ hergang resultiert, darf sich die Vernehmung ausschließlich auf die der Nachei­ le zugrunde liegenden Sachverhalte beziehen.104 Besteht beispielsweise ein Ver­ dacht, dass der Verfolgte auch in andere Straftaten verstrickt ist, kann sich eine Vernehmung gemäß Art.  41 Abs.  6 Unterabs. 1 SDÜ nicht auf die Klärung die­ ses Verdachts erstrecken. Unberührt bleibt freilich das Recht der örtlich zustän­ digen Behörden, den Festgenommenen zu den nach dem Grenzübertritt began­ genen Taten in eigener Zuständigkeit zu vernehmen.105 Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  308. Ergebnis Würz, Das Schengener Durchführungsübereinkommen, Rn.  140; Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  214; Meuters, Leitung und Kontrolle grenzüberschreitender Ermittlungen, S.  173 f. 105  Art.  308 §  2 plStPO lässt die Vernehmung einer tatverdächtigen Person in der Eigen­ schaft eines Tatverdächtigen noch im Stadium vor der (formellen) Einleitung eines Ermitt­ lungsverfahrens zu, sofern die Sache keinen Aufschub duldet und die Voraussetzungen für den Erlass des Beschlusses über die Eröffnung des Tatvorwurfs erfüllt sind. Mit dem Verneh­ mungsbeginn wird die tatverdächtige Person zum Tatverdächtigen (vgl. Art.  71 Abs.  1 und Art.  325g §  1 S.  2 plStPO). Im Lichte des deutschen Rechts wird es sich hier um die Verneh­ mung eines Beschuldigten handeln. Die Beschuldigteneigenschaft resultiert aus einem Wil­ lensakt der zuständigen Strafverfolgungsbehörde, BGH NJW 1997, 1591 (1591); Diemer, in: KK-StPO, §  136 Rn.  4 m. w. N. Es genügt hierfür eine faktische Maßnahme, die erkennbar darauf abzielt, gegen die konkrete Person wegen einer Straftat zu ermitteln, BGH NJW 1997, 1591 (1591) m. w. N. Bei Nacheilesachverhalten manifestiert sich ein solcher Verfolgungswil­ 103 Vgl. 104 Im

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4. Teil: Strafverfolgungsmaßnahmen

Nicht zu übersehen ist, dass Art.  41 Abs.  6 Unterabs. 1 S.  1 SDÜ, anders als Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ, auf Absatz 2 und somit auf die beiden Buchstaben verweist. Einbezogen sind folglich nicht nur die Fälle, in denen der Verfolgte durch die nacheilenden Beamten nach Art.  41 Abs.  2 lit.  b SDÜ festgehalten wurde. Unter die Regelung fallen vielmehr auch die Konstellationen, in denen sein Ergreifen durch die örtlich zuständigen Behörden erfolgt ist (Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 3 S.  3 SDÜ), sei es deshalb, weil den gebietsfremden Beamten gemäß Art.  41 Abs.  2 lit.  a SDÜ kein Festhalterecht eingeräumt wurde, sei es deshalb, weil die örtlichen Amtsträger rechtzeitig herangezogen werden konnten, sodass die nacheilenden Beamten vom Einschreiten nach Art.  41 Abs.  2 lit.  b SDÜ ab­ sehen mussten.106 Für diese Auslegung spricht auch, dass die Festnahme in all diesen Fällen demselben Zweck dient, d. h. der Sicherung der Herbeiführung einer Haftentscheidung durch die Behörden des Ausgangsstaates der Nacheile. Die Vernehmungsbefugnis kann also nicht davon abhängen, ob der Flüchtende im Rahmen des ersten Zugriffs von den nacheilenden Beamten festgehalten (Art.  41 Abs.  2 lit.  b SDÜ) oder von den örtlich zuständigen Behörden ergriffen (Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 3 S.  3 SDÜ) wurde. 2.  Vernehmungsberechtigte Behörden a.  Vernehmungsbefugnis der örtlich zuständigen Behörden Art.  41 SDÜ behält die Vernehmung im Gegensatz zur Identitätsfeststellung oder Festnahme nicht ausdrücklich den örtlich zuständigen Behörden vor.107 Verfehlt wäre es allerdings, daraus den Schluss zu ziehen, dass die Verneh­ mungskompetenz sowohl den Beamten des Gebietsstaates als auch den nachei­ lenden Bediensteten zusteht. Gegen die selbstständige Durchführung der Maß­ nahme durch die Letztgenannten sprechen bereits die den Kooperationswillen flankierenden Souveränitätsvorbehalte.108 Die Nacheile fußt auf dem Ultima-Ratio-Grundsatz. In Bezug auf die Vernehmung liegt indessen keine Eilsi­ tuation vor. Art.  41 Abs.  6 Unterabs. 1 S.  1 SDÜ stellt klar, dass sich das Festhal­ le bereits in der Festnahme durch die örtlich zuständigen deutschen Behörden; die Festnahme begründet also den Beschuldigtenstatus des Flüchtenden, Soiné, ZIS 2016, 319 (322). 106  Wohl anders Mokros, in: Lisken/Denninger, 5. Aufl., Teil O Rn.  255, der die Bezug­ nahme auf Absatz 2 für „missverständlich“ hält. 107  Art.  41 Abs.  6 Unterabs. 1 SDÜ spricht vom Recht zum Festhalten einer durch die örtlich zuständigen Behörden festgenommenen Person zum Zwecke der Vernehmung, ohne die zur Vernehmung befugten Behörden zu bestimmen, vgl. Joubert/Bevers, Schengen In­ vestigated, S.  410; anders Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  225 u. 234 f. 108 Darauf weist auch Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  309 hin.

C. Festnahme

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ten zum Zwecke der Vernehmung der Festnahme durch die örtlich zuständigen Behörden anreiht. Der Betroffene befindet sich also bereits in ihrem Gewahr­ sam, sodass sich der stellvertretende Zugriff seitens der ausländischen Polizei­ beamten erübrigt.109 Gegen eine Auslegung des Art.  41 Abs.  6 Unterabs. 1 SDÜ dahin gehend, dass er das Vernehmungsrecht (auch) den nacheilenden Beamten einräumt, spricht ferner der Umstand, dass diese im Lichte der im Ausgangsstaat der Nacheile geltenden Zuständigkeitsregeln nicht unbedingt mit einer Verneh­ mungskompetenz ausgestattet sind.110 Dieses Problem betrifft zwar das deutsch-polnische Verhältnis nicht, da die zur Nacheile ermächtigten Polizeibe­ hörden nach den nationalen Bestimmungen auch zur Vernehmung Beschuldig­ ter befugt sind.111 Die Nacheileregelung ist jedoch nicht auf eine Rechtsordnung „gemünzt“, sondern muss als standardisierte Ausgleichsmaßnahme unter­ schiedlichen Verfahrensvorschriften Rechnung tragen. Der auf der Basis des Art.  41 Abs.  6 Unterabs. 1 SDÜ zu formulierende Grundsatz soll folglich für alle Mitgliedstaaten – und somit für verschiedene Rechtsordnungen – gelten. In Anbetracht dieser Erwägungen ist davon auszugehen, dass auch die Ver­ nehmung ausschließlich in den Kompetenzbereich der örtlich zuständigen Be­ hörden fällt.112 Die nacheilenden Beamten dürften diese nur mit ausdrücklicher Erlaubnis einer zuständigen Stelle des Gebietsstaates vornehmen.113 Aber auch beim Vorliegen der Genehmigung wäre die Durchführung der Vernehmung un­ ter völligem Ausschluss der lokalen Amtsträger nicht sinnvoll. Denn diese rich­ tet sich nach dem Recht des Gebietsstaates. Art.  41 Abs.  6 Unterabs. 1 S.  2 SDÜ folgt zwar dem Grundsatz locus regit actum nicht ausdrücklich,114 sondern er­ klärt bloß die einschlägigen Bestimmungen des nationalen Rechts für sinnge­ mäß anwendbar. Die Norm könnte auch derart ausgelegt werden, dass die für die Vernehmung geltende Rechtsordnung von der vernehmenden Behörde ab­ Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  309 (Fn.  770). Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  309. 111  Sogleich unten. 112  Im Ergebnis auch Joubert/Bevers, Schengen Investigated, S.  409 f.; Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  234 f.; Gleß/Lüke, JURA 1998, 70 (74); Soiné, ZIS 2016, 319 (322). 113  Soiné, ZIS 2016, 319 (324); ders., in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  181 (184); vgl. auch Müller, SVR 2010, 325 (326), der aber irrtümlich annimmt, dass es sich bei der Vernehmungsbefugnis um eine der Modalitäten handelt, die gemäß Art.  41 Abs.  9 SDÜ von den Schengen-Staaten festgelegt werden; allgemein zu den Voraussetzungen der Teil­ nahme ausländischer Strafverfolgungsorgane an prozessualen Eingriffsmaßnahmen Lagodny, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, §  59 IRG Rn.  39. 114  Davon geht aber ohne Weiteres Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  310 aus. 109 Vgl.

110 

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4. Teil: Strafverfolgungsmaßnahmen

hängt. Eine solche Deutung widerspräche allerdings dem Wortlaut des Art.  41 Abs.  5 lit.  a SDÜ, wonach die verfolgenden Polizisten an das Recht des betre­ tenen Staates gebunden sind.115 Unter dem „Recht“ i. S. v. Art.  41 Abs.  6 Unter­ abs.  1 S.  2 SDÜ ist damit das Recht des Gebietsstaates zu verstehen. Eine gänz­ lich selbstständige Durchführung der Vernehmung durch die nacheilenden Be­ amten wäre – vorbehaltlich einer diesbezüglichen Erlaubnis – nur dann möglich, wenn sie sich in den einschlägigen Vorschriften des betretenen Nachbarlandes auskennen würden. Denn deren Verletzung kann nicht nur die persönliche Strafverantwortung des Beamten, sondern auch die Unverwertbarkeit der im Zuge der Vernehmung gewonnenen Erkenntnisse zur Folge haben.116 Welche Behörden des Gebietsstaates zur Vernehmung berechtigt sind, ergibt sich aus den nationalen Zuständigkeitsregeln.117 aa.  Vernehmungsbefugnis der deutschen Polizeibeamten Die Strafprozessordnung stattet drei Akteure mit der Vernehmungskompetenz im Stadium vor dem Hauptverfahren aus: die Staatsanwaltschaft (§  163a Abs.  3 StPO), die Polizei (§  163a Abs.  4 StPO) und das Gericht (§§  115, 115a, 126a Abs.  2, 128, 162 StPO). §  128 Abs.  1 StPO sieht ausdrücklich die Vernehmung eines nach §  127 StPO vorläufig Festgenommenen durch einen Amtsrichter vor. Dasselbe ergibt sich aus §  22 IRG in Bezug auf die vorläufige Festnahme nach §  19 IRG.118 Die obligatorische richterliche Vernehmung schließt allerdings die Möglichkeit der vorangehenden Vernehmung durch die Polizeibehörden nicht aus. §  163 Abs.  1 StPO verpflichtet die Polizei, sobald sie vom Anfangsverdacht einer Straftat Kenntnis erlangt, den Sachverhalt selbstständig zu erforschen. In der Regel wird die Polizei gerade im Rahmen des ersten Zugriffs eine Verneh­ mung durchführen.119 Der BGH hat ausdrücklich festgestellt, dass die Ermitt­ 115  Denkbar wäre zwar, die Regelung des Art.  41 Abs.  6 Unterabs. 1 S.  2 SDÜ als lex specialis aufzufassen. Die Abweichung von dem Grundsatz müsste aber – angesichts des damit verbundenen Eingriffs in die Souveränität des Gebietsstaates – ausdrücklich festgeschrieben werden. 116  Zur Frage der Verwertbarkeit der im Zuge der Vernehmung erlangten Informationen beim Verstoß gegen die deutschen Vernehmungsregeln Soiné, ZIS 2016, 319 (324); ders., in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  181 (189 ff.). 117  Da sich aus Art.  41 Abs.  6 Unterabs. 1 S.  1 SDÜ bereits eine Ermächtigung zur Verneh­ mung ergibt, geht es bei der Frage nach der zuständigen Behörde nicht darum, welche Behör­ de die Vernehmung – als Rechtshilfemaßnahme – bewilligen darf (Bewilligungsbehörde), sondern darum, welche Behörde zu deren Durchführung nach dem nationalen Recht befugt ist (Vornahmebehörde). 118  Wobei hier vom Richter des nächsten Amtsgerichts die Rede ist, und nicht vom Richter beim Amtsgericht, in dessen Bezirk der Betroffene festgenommen wurde. 119  Griesbaum, in: KK-StPO, §  163a Rn.  6; Pfeiffer, StPO, §  163a Rn.  1.

C. Festnahme

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lungsbefugnis und -pflicht auch im Stadium zwischen der vorläufigen Festnah­ me und der Vorführung vor den Richter besteht: Die Ermittlungsbehörde „muss dem Beschuldigten Gelegenheit zur Beseitigung vorliegender Verdachtsgründe ge­ ben; sie hat zu prüfen, ob der vorläufig Festgenommene wieder freizulassen oder dem Ermitt­ lungsrichter vorzuführen ist; im letzteren Fall muss sie dem Richter eine möglichst umfas­ sende Grundlage für seine Entscheidung unterbreiten“.120

Dieses Urteil ist vor dem Hintergrund der §§  127, 128 StPO ergangen. Es spricht allerdings nichts dagegen, es – angesichts der Befugnisnorm des Art.  41 Abs.  6 Unterabs. 1 SDÜ – auf die Folgemaßnahmen der Festnahme nach §  19 IRG zu erstrecken. Unberührt bleibt aus denselben Gründen die Vernehmungsbefugnis der Staatsanwaltschaft, die als Herrin des Verfahrens alle Ermittlungen selbst vornehmen darf (§  161 Abs.  1 S.  1 StPO). bb.  Vernehmungsbefugnis der polnischen Polizeibeamten Die Polizei verfügt über die eigene Ermittlungsbefugnis in den Sachen, in de­ nen nach Maßgabe der Art.  325a ff. plStPO ermittelt wird („dochodzenie“). Wird der Sachverhalt gemäß Art.  309 ff. plStPO erforscht („śledztwo“), kann sie von der Staatsanwaltschaft mit der Durchführung des Verfahrens im Ganzen oder in einem bestimmten Umfang oder mit der Vornahme einzelner Ermitt­ lungstätigkeiten betraut werden. Die Kompetenzverteilung orientiert sich an der Art der begangenen Straftat. Auch wenn man diesen Maßstab bei der Unterstüt­ zung eines fremden, arbeitsteilig geführten Verfahrens als (ggf. entsprechend) anwendbar erachtet, ist die Vernehmungsbefugnis der Polizei in jedem Fall zu bejahen. Die prozessualen Tätigkeiten vor der formellen Einleitung des Ermitt­ lungsverfahrens dürfen nämlich sowohl von der Staatsanwaltschaft als auch von der Polizei durchgeführt werden (Art.  308 §  1 plStPO). Da die Festnahme eines grenzüberschreitend Verfolgten durch die Polizeibeamten erfolgt, ist davon aus­ zugehen, dass gerade sie vom Recht des ersten Zugriffs Gebrauch machen und den Festgenommenen vernehmen werden. Dies hindert die Staatsanwaltschaft nicht daran, sich an der Maßnahme zu beteiligen oder sie im Ganzen zu über­ nehmen. b.  Hinzuziehung der nacheilenden Polizeibeamten Die Vernehmungsbefugnis der örtlich zuständigen Behörden schließt die Mög­ lichkeit der Beteiligung der gebietsfremden Polizeibeamten an der Vernehmung nicht aus. Neben dem Recht bloß passiver Anwesenheit, ggf. verknüpft mit der 120 

BGH NStZ 1990, 195 (195).

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4. Teil: Strafverfolgungsmaßnahmen

Sprachmittlerfunktion121, sind zwei Modelle aktiver Beteiligung denkbar: (1) Einflussnahme außerhalb der Vernehmung sowie (2) gemeinsame Verneh­ mung durch örtliche und gebietsfremde Beamte.122 Die Formen der aktiven Teil­ nahme sind zu bevorzugen. Da die nacheilenden Beamten dem Sachverhalt am nächsten stehen, können sie gezielte Fragen stellen und die Glaubhaftigkeit der vom Beschuldigten gemachten Aussagen am besten beurteilen.123 Sie wissen dabei am ehesten, welche Informationen für die Justizbehörden des Ausgangs­ staates der Nacheile bei der Haftentscheidung relevant sind.124 Die Vernehmung kann deshalb von vornherein auf die Gewinnung von solchen Erkenntnissen gerichtet werden, was Nachtragsersuchen vermeidbar macht.125 Die Durchfüh­ rung der Maßnahme durch die örtlich zuständigen Behörden nach Maßgabe der Vorschriften des Gebietsstaates unter Mitwirkung der gebietsfremden Polizei­ beamten würde es im Ergebnis ermöglichen, den Souveränitätsgedanken und den Vernehmungszweck in Einklang zu bringen. Die Beteiligung der nacheilenden Bediensteten, sei es nur in Form der bloßen Anwesenheit, bedarf – mangels ausdrücklicher Ermächtigung in Art.  41 SDÜ bzw. Art.  25 PolAbk – einer Zustimmung der zuständigen Stelle des Gebiets­ staates.126 Um die Zusammenarbeit zu vereinfachen und zu beschleunigen, wäre eine diesbezügliche Regelung im Polizeiabkommen angebracht. Wünschens­ wert ist die Aufnahme eines ersuchensunabhängigen127 Mitwirkungsrechts, das nach einem der erwähnten Modelle ausgestaltet sein könnte.

121  Die Einbeziehung der gebietsfremden Beamten in die Vernehmung in der Funktion von Sprachmittlern kann besonders dann zweckmäßig sein, wenn der Beschuldigte freiwillig auf Dolmetscher bzw. Übersetzer verzichet, Soiné, ZIS 2016, 319 (324); ders., in: Małolepszy/ Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  181 (184). 122 Vgl. Soiné, ZIS 2016, 319 (325); ders., in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  181 (184 f.); Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  309. 123  So im Allgemeinen Brammertz, Grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit, S.  30; im Kontext der grenzüberschreitenden Nacheile Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  308. 124  Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  308 f. 125  Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  309. 126  Vgl. hinsichtlich des Anwesenheitsrechts Hertweck, Kriminalistik 1995, 721 (723) und hinsichtlich des Mitwirkungsrechts Soiné, ZIS 2016, 319 (325). Nach Joubert/Bevers, Schen­ gen Investigated, S.  410 sind dagegen die gebietsfremden Beamten bereits nach Art.  41 SDÜ zur aktiven Teilnahme an der Vernehmung berechtigt. 127  Der Verzicht auf den traditionellen Rechtshilfeweg scheint den Ad-hoc-Nacheilesach­ verhalten besser zu entsprechen und fügt sich in das Schengener Konzept der „kurzgeschlos­ senen Rechtshilfe“ bzw. der unmittelbaren Zusammenarbeit zwischen den nacheilenden Be­ diensteten und den örtlich zuständigen Behörden ein.

C. Festnahme

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aa.  Einflussnahme außerhalb der Vernehmung Nach dem ersten Modell könnte den nacheilenden Bediensteten neben dem An­ wesenheitsrecht die Befugnis zugestanden werden, außerhalb der Vernehmung, d. h. unmittelbar vor oder nach der Maßnahme oder während einer Unterbre­ chung, den vernehmenden Beamten Hinweise zu erteilen bzw. das Stellen von bestimmten Fragen zu initiieren.128 Dieses Modell greift auf eine Möglichkeit zurück, die im deutsch-polnischen Rechtshilfeverkehr bereits existiert, die aber an das bewilligte Ersuchen gekoppelt ist: Nach Art.  4 des Ergänzungsvertrags zum Europäischen Rechtshilfeübereinkommen129 wird den Vertretern der am Strafverfahren beteiligten Behörden auf Ersuchen der ersuchenden Vertrags­ partei die Anwesenheit bei der Vornahme von Rechtshilfehandlungen im Ho­ heitsgebiet der ersuchten Vertragspartei gestattet (Satz  1);130 die Vertreter kön­ nen ergänzende Fragen oder Maßnahmen anregen (Satz  2). Das Ersetzen der einzelfallbezogenen Zustimmung durch eine vertragliche Ermächtigungs­ grundlage würde der Bewilligungsbehörde die Entscheidungsgewalt grundsätz­ lich nicht entziehen, weil im Lichte des Art.  4 des Ergänzungsvertrags dem Er­ suchen ohnehin – vorbehaltlich des Art.  2 EurRhfÜbk – stattzugeben ist. Um diesem Vorbehalt, der primär auf den Schutz der inländischen öffentlichen Rechtsordnung abzielt, dennoch Rechnung zu tragen, könnten die örtlich zu­ ständigen Beamten zur unverzüglichen Benachrichtigung der Bewilligungsbe­ hörde verpflichtet werden und dieser könnte in den Fällen des Art.  2 EurRhf­ Übk ein Widerspruchsrecht eingeräumt werden.131

Brammertz, Grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit, S.  31. Vertrag v. 17.7.2003 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Po­ len über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens v. 20.4.1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen und die Erleichterung seiner Anwendung (BGBl.  2004 II S.  530). 130  Nach Art.  4 EurRhfÜbk können die Behörden des ersuchenden Staates bei der Erledi­ gung des Ersuchens vertreten werden, sofern der ersuchte Staat seine Zustimmung erteilt. Art.  4 des Ergänzungsvertrags modifiziert diese Vorschrift derart, dass dem Ersuchen auf die Anwesenheit stattzugeben ist. Davon unberührt bleibt aber Art.  2 EurRhfÜbk, wonach die Rechtshilfe verweigert werden kann, wenn sich das Ersuchen auf strafbare Handlungen be­ zieht, die vom ersuchten Staat als politische, als mit solchen zusammenhängende oder als fiskalische strafbare Handlungen angesehen werden (lit.  a), oder wenn der ersuchte Staat der Ansicht ist, dass die Erledigung des Ersuchens geeignet ist, die Souveränität, die Sicherheit, die öffentliche Ordnung (ordre public) oder andere wesentliche Interessen seines Landes zu beeinträchtigen (lit.  b). 131  Im Schrifttum wird das Widerspruchsmodell im Kontext der Verwertung von im Rah­ men der polizeilichen Rechtshilfe nach Art.  39 SDÜ übermittelten Informationen angespro­ chen und begrüßt, Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  352; Schomburg, Kriminalistik 2000, 13 (18 f.). 128 Vgl. 129 

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4. Teil: Strafverfolgungsmaßnahmen

bb.  Gemeinsame Vernehmung durch örtlich zuständige und nacheilende Bedienstete Die Vernehmung einer grenzüberschreitend verfolgten Person könnte alternativ am Modell der gemeinsamen Ermittlungsgruppe nach Art.  13 EU-RhfÜbk (§  93 IRG und Art.  589b–589f plStPO) orientiert werden.132 Solche Teams kön­ nen für einen bestimmten Zweck und einen begrenzten Zeitraum zum Zwecke der Durchführung strafrechtlicher Ermittlungen in einem oder mehreren betei­ ligten EU-Mitgliedstaaten gebildet werden. Der Gruppenleiter ist befugt, die in die gemeinsame Ermittlungsgruppe entsandten Mitglieder mit der Durchfüh­ rung bestimmter Ermittlungsmaßnahmen zu betrauen, sofern dies von den zu­ ständigen Behörden des Mitgliedstaats, in dem der Einsatz erfolgt, und von dem entsendenden Mitgliedstaat gebilligt worden ist (Art.  13 Abs.  6 EU-RhfÜbk). Die Gruppenmitglieder können im Einklang mit den Rechtsvorschriften ihres Landes und im Rahmen ihrer Befugnisse die Informationen unmittelbar ohne Rechtshilfeersuchen einander übermitteln, wenn der Zweck der Gruppe dies erfordert.133 Die rechtmäßig erlangten Informationen, die den zuständigen Be­ hörden der betroffenen Mitgliedstaaten nicht anderweitig zugänglich sind, dür­ fen für die Zwecke verwendet werden, für die die Gruppe gebildet wurde (Art.  13 Abs.  10 lit.  a EU-RhfÜbk).134 Die Bildung der Gruppe bedarf einer völkerrechtlichen Vereinbarung. Diese wird jedoch auf ein Ersuchen getroffen, dessen Übermittlung sich nach den Re­ geln der justiziellen Rechtshilfe bestimmt. Eine gemeinsame Vernehmungs­ gruppe im Anschluss an die grenzüberschreitende Nacheile kommt damit bei der derzeitigen Rechtslage nicht in Betracht. Diese Grundsätze könnten aber bei entsprechender Modifizierung im Wege einer bilateralen Vereinbarung, ggf. un­ ter Beteiligung der Justizbehörden, auf Nacheilesachverhalte übertragen wer­ den. Die Leitung der Vernehmung einschließlich der Belehrung und Protokol­ lierung könnte den örtlich zuständigen Behörden vorbehalten sein, da sie sich Dafür plädiert Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  309. Vgl. zu §  93 Abs.  3 IRG Wörner, in: Ambos/König/Rackow (Hrsg.), 4. HT §  93 IRG Rn.  524. 134  Darüber hinaus ist die Verwendung zulässig: „b) zur Aufdeckung, Ermittlung und Strafverfolgung anderer Straftaten vorbehaltlich der vorherigen Zustimmung des Mitglied­ staats, in dem die Informationen erlangt wurden. Diese Zustimmung kann nur in Fällen ver­ weigert werden, in denen die Verwendung die strafrechtlichen Ermittlungen im betreffenden Mitgliedstaat beeinträchtigen würde, oder in Fällen, in denen dieser Mitgliedstaat sich wei­ gern könnte, Rechtshilfe zu leisten; c) zur Abwehr einer unmittelbaren und ernsthaften Ge­ fahr für die öffentliche Sicherheit und unbeschadet des Buchstabens b), wenn anschließend eine strafrechtliche Ermittlung eingeleitet wird; d) für andere Zwecke, sofern dies von den Mitgliedstaaten, die die Gruppe gebildet haben, vereinbart worden ist“. 132 

133 

C. Festnahme

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zum einen mit den innerstaatlichen, auf die Beweisaufnahme anwendbaren Vorschriften am besten auskennen und zum anderen in der Rolle des „Gastge­ bers“ und nicht der „Gäste“ auftreten. Angesichts des Zwecks der Vernehmung und aufgrund der Beteiligung der nacheilenden Beamten am Nacheilegesche­ hen sollte ihnen das Recht eingeräumt werden, dem Beschuldigten unmittelbar Fragen zu stellen. Die unmittelbare ersuchensunabhängige Übermittlung der gewonnenen Informationen und deren Verwendung im Ausgangsstaat der Nacheile für den Zweck der Strafverfolgung bzw. Strafvollstreckung im Zu­ sammenhang mit der Nacheile, vor allem zum Erlass des Haftbefehls, wären vorzusehen. Die Kontrollfunktion der Bewilligungsbehörde könnte auch hier durch das Widerspruchsrecht gewährleistet werden. 3. Vernehmungsregeln Art.  41 SDÜ gibt über den Ablauf der Vernehmung eines über die Grenze Ver­ folgten nur insoweit Aufschluss, als er die einschlägigen Vorschriften des nationalen Rechts für sinngemäß anwendbar erklärt (Abs.  6 Unterabs. 1 S.  2). Ge­ meint ist damit, wie oben festgestellt, die lex loci actus. Im Folgenden ist zu überprüfen, welchen Regeln Vernehmungen in Deutschland und in Polen unter­ liegen und welche Schlüsse für die stellvertretende Vernehmung nach Art.  41 Abs.  6 Unterabs. 1 SDÜ gezogen werden können. a.  Vernehmungsregeln im deutschen Recht Vor der ersten polizeilichen Vernehmung muss geklärt werden, ob der Beschul­ digte die deutsche Sprache hinreichend beherrscht; anderenfalls ist für ihn un­ entgeltlich ein Dolmetscher oder ein Übersetzer heranzuziehen (§  163a Abs.  5 StPO i. V. m. §  187 Abs.  1 GVG). Die Vernehmung beginnt mit der Feststellung der Identität135 sowie der Vernehmungs-, Verhandlungs- und Verteidigungsfä­ higkeit136. Sodann hat der Vernehmende dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zur Last gelegt wird (§  163a Abs.  4 S.  1 StPO), und ihn auf die Aussage­ freiheit einschließlich des Rechts zum Schweigen sowie auf das Recht zur Ver­ 135  Diemer, in: KK-StPO, §  136 Rn.  6; Jäger, in: Dölling/Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  136 StPO Rn.  9 f.; Soiné, ZIS 2016, 319 (324). Die Vernehmung zur Person umfasst die Feststellung der richtigen Schreibweise des Familien- und Geburtsnamens des Beschuldig­ ten, seines Geburtstages und Geburtsortes sowie seiner Staatsangehörigkeit; bei Ausländern müssen überdies die Passnummer und die Namen der Eltern (einschließlich deren Geburtsna­ men) festgestellt werden, Soiné, ZIS 2016, 319 (324) in Anlehnung an Nr.  13 Abs.  1 S.  1 Hs. 1, S.  2 RiStBV; ders., in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  181 (183). 136  Jäger, in: Dölling/Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  136 StPO Rn.  10; Rogall, in: SKStPO, §  136 Rn.  33; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, §  25 Rn.  5.

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4. Teil: Strafverfolgungsmaßnahmen

teidigerkonsultation auch schon vor der Vernehmung zur Sache hinzuweisen (§  163a Abs.  4 S.  2 i. V. m. §  136 Abs.  1 S.  2 StPO). Er ist ferner über das Beweisantragsrecht und das Recht zur Bestellung eines Pflichtverteidigers zu belehren (§  163a Abs.  4 S.  2 i. V. m. §  136 Abs.  1 S.  5 StPO). In geeigneten Fällen soll er auch auf das Recht zur schriftlichen Äußerung und auf die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen werden (§  163a Abs.  4 S.  2 i. V. m. §  136 Abs.  1 S.  6 StPO). Da die Vernehmung dem Beschuldigten die Möglichkeit bie­ ten soll, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen (§  136 Abs.  2 StPO), hat ihm der Vernehmende die Verdachtsgründe mitzuteilen.137 Nach überwie­ gender Auffassung ist die Offenbarung gleichwohl nur in dem Umfang notwen­ dig, in dem der Ermittlungszweck nicht vereitelt wird.138 An die Eröffnung der Verdachtsgründe schließt sich die Vernehmung zur Sache an.139 Diese umfasst ebenfalls die Ermittlung persönlicher Verhältnisse des Beschuldigten (§  163a Abs.  4 S.  2 i. V. m. §  136 Abs.  3 StPO), die für die Schuld- und Straffrage von Bedeutung sein können.140 Erfolgt die Vernehmung nach dem Ermessen der Staatsanwaltschaft durch sie selbst,141 gelten die dargestellten Regeln mit dem Unterschied, dass bei der Eröffnung des Tatvorwurfs ebenfalls die in Betracht kommenden Strafvorschriften anzugeben sind (§  163a Abs.  3 S.  2 i. V. m. §  136 Abs.  1 StPO). Bei einer staatsanwaltschaftlichen Vernehmung – anders als bei einer polizeilichen142 – ist zudem dem Verteidiger die Anwesenheit gestattet (§  163a Abs.  3 S.  2 i. V. m. §  168c Abs.  1 StPO). §  136a StPO normiert bestimmte Verbote im Bereich der Vernehmungstech­ nik. Die Willensentschließung oder die Willensbetätigung antastende Maßnah­ men in Form der Misshandlung, Ermüdung, Verabreichung von Mitteln, Quä­ lerei, Täuschung, Hypnose oder eines körperlichen Eingriffs sowie das ­Erinnerungsvermögen oder die Einsichtsfähigkeit des Vernommenen beein­ trächtigende Maßnahmen sind untersagt.143 Die Drohung mit einer nach den 137  Diemer, in: KK-StPO, §  136 Rn.  18; Jäger, in: Dölling/Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  136 StPO Rn.  23. 138  Diemer, in: KK-StPO, §  136 Rn.  18; Jäger, in: Dölling/Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  136 StPO Rn.  24; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, §  136 Rn.  13; Rogall, in: SK-StPO, §  136 Rn.  69. 139  Jäger, in: Dölling/Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  136 StPO Rn.  9. 140  Jäger, in: Dölling/Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  136 StPO Rn.  28; Diemer, in: KKStPO, §  136 Rn.  21 f. 141  Griesbaum, in: KK-StPO, §  163a Rn.  6. 142  Soiné, ZIS 2016, 319 (323); Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, §  163 Rn.  16. 143  Die Zwangsanwendung ist nur in den Fällen zulässig, die durch das Strafprozessrecht vorgesehen sind, etwa in §§  51, 70, 77, 112 ff., 134, 163a Abs.  3 StPO und dabei nur für die dort bestimmten Zwecke, Pfeiffer, StPO, §  136a Rn.  9.

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strafprozessualen Vorschriften verbotenen Maßnahme sowie das Versprechen eines gesetzlich nicht festgesetzten Vorteils sind ausgeschlossen. Die staatsanwaltschaftliche Vernehmung ist gemäß §  168b Abs.  2 StPO in ein Protokoll aufzunehmen. Die Anfertigung unterliegt den für die richterlichen Niederschriften in §§  168, 168a StPO formulierten Regeln. Die Protokollierung der polizeilichen Vernehmung ist zwar ausdrücklich nicht vorgeschrieben, es wird aber auf die entsprechende Anwendung des §  168b StPO verwiesen.144 b.  Vernehmungsregeln im polnischen Recht Zu Beginn der ersten Vernehmung durch die Polizei ist dem Festgenommenen der Tatvorwurf zu eröffnen (Art.  325g §  2 plStPO). Bei einer staatsanwaltschaft­ lichen Vernehmung ist ebenso wie im deutschen Verfahrensrecht zudem auf die rechtliche Qualifizierung der Straftat hinzuweisen (Art.  313 §  1, 2 plStPO). Die vernehmende Behörde hat den Tatverdächtigen über seine Rechte sowie Pflich­ ten im Ermittlungsverfahren zu belehren. Der Katalog des Art.  300 §  1 S.  1 plStPO ist viel umfangreicher als der des §  136 Abs.  1 StPO. Der Tatverdächtige ist zum einen darüber zu unterrichten, dass er eine Aussage machen oder eine Aussage oder die Beantwortung von Fragen verweigern darf. Er ist auf sein Recht auf Information über den Inhalt des Tatvorwurfs und deren Änderung, auf das Recht zum Stellen von Beweisanträgen, zur Inanspruchnahme der Hilfe eines Verteidigers, darunter zur Beantragung der Bestellung eines Pflichtvertei­ digers nach Maßgabe des Art.  78 plStPO, sowie auf das Recht zum abschließen­ den Vertrautmachen mit dem Ermittlungsstoff hinzuweisen. Der Tatverdächtige ist ferner über folgende Rechte zu belehren: Beantragung der Zuweisung der Sache zur Mediation (Art.  23a §  1 plStPO), unentgeltlicher Beistand eines Über­ setzers, falls der Tatverdächtige die polnische Sprache nicht hinreichend be­ herrscht (Art.  72 §  1 plStPO), Akteneinsicht (Art.  156 §  5, 5a), Anwesenheit des Verteidigers bei der Vernehmung, sofern der Tatverdächtige dies verlangt (Art.  301 plStPO), Treffen einer Vereinbarung mit dem Staatsanwalt über die Verurteilung ohne Hauptverhandlung (Art.  335 plStPO) sowie Beantragung der Verurteilung und der Verhängung einer bestimmten Strafe oder Anordnung ei­ nes bestimmten Strafmittels, der Einziehung oder eines Kompensationsmittels ohne Beweisaufnahme (Art.  338a, 387 plStPO). Der Tatverdächtige ist schließ­ lich auf seine Pflichten im Ermittlungsverfahren und die Konsequenzen ihrer Verletzung (Art.  74, 75, 133 §  2, 138, 139 plStPO) hinzuweisen. Die Belehrung wird dem Betroffenen in Schriftform ausgehändigt; dieser bestätigt den Erhalt mit seiner Unterschrift (Art.  300 §  1 S.  2 plStPO). 144  BGH NStZ 1997, 611 (611); Griesbaum, in: KK-StPO, §  168b Rn.  1; Pfeiffer, StPO, §  163a Rn.  10; Soiné, ZIS 2016, 319 (324).

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4. Teil: Strafverfolgungsmaßnahmen

Die Vernehmung bedarf laut Art.  143 §  1 Pkt.  2 plStPO einer Protokollierung nach Maßgabe der Art.  144 ff. plStPO. Dem Vernommenen ist eine freie Äuße­ rung zum Vernehmungsgegenstand zu gestatten; erst danach kann er zum Zwe­ cke der Ergänzung, Erklärung oder Kontrolle der Aussage befragt werden (Art.  171 §  1 plStPO). Auf sein Verlangen oder ein solches seines Verteidigers ist ihm zu ermöglichen, sich schriftlich zu äußern, sofern dem keine wichtigen Gründe widersprechen (Art.  176 plStPO). Im Zuge der Vernehmung dürfen ­keine Fragen gestellt werden, die den Antwortinhalt nahelegen (Art.  171 §  4 ­plStPO). Es verbietet sich ferner, die Äußerung mittels Zwangs oder Drohung zu beeinflussen und den Betroffenen in Hypnose zu versetzen oder chemische oder technische Mittel anzuwenden, die sich auf psychische Vorgänge auswirken oder die eine Überwachung der unbewussten Reaktion des Organismus auf die Vernehmung beabsichtigen (Art.  171 §  5 plStPO). c.  Schlussfolgerung für die Vernehmung nach Art.  41 Abs.  6 SDÜ Für die Frage, in welchem Umfang die oben dargestellten Regeln bei der stell­ vertretenden Vernehmung eines grenzüberschreitend Verfolgten zu beachten sind, ist der Vernehmungszweck von entscheidender Bedeutung. Bedenkt man, dass die erlangten Informationen dem fremden Strafverfahren zu dienen haben, erscheinen die im polnischen Recht vorgesehenen Hinweise auf die Möglichkeit der Zuweisung der Sache zur Mediation, der Verurteilung ohne Hauptverhand­ lung nach Absprache mit einem Staatsanwalt, der Verurteilung ohne Beweis­ aufnahme sowie auf das Recht zum Bekanntmachen mit dem Ermittlungsstoff mit Blick auf das in Deutschland durchzuführende Strafverfahren überflüssig oder untauglich. Das Gleiche betrifft die Belehrung über die Pflichten des Tat­ verdächtigen. Denn sie zielt darauf ab, dem Tatverdächtigen über seine Rechts­ position im inländischen Ermittlungsverfahren Klarheit zu verschaffen. Anders verhält es sich mit der Unterrichtung über das Beweisantragsrecht. Angesichts dessen, dass der Vernommene auch im deutschen Strafverfahren Beweiserhebungen zu seiner Entlastung beantragen kann, würde ein diesbezüg­ licher Hinweis seinen Zweck nicht verfehlen. Eventuelle Anträge wären in die Vernehmungsniederschrift aufzunehmen.145 Die örtlichen Behörden dürften freilich über die Erhebung von Beweisen nicht eigenständig entscheiden, weil die „Stellvertretung“ nach dem Schengener Konzept punktuellen Charakter hat und lediglich die Identitätsfeststellung, die Festnahme des Verfolgten und seine Vernehmung umfasst. 145  Art.  148 §  1 Pkt.  2 plStPO. Gleiches gilt im deutschen Recht, siehe nur Diemer, in: KKStPO, §  136 Rn.  15 und Jäger, in: Dölling/Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  136 StPO Rn.  21.

C. Festnahme

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Bei Vernehmungen auf dem deutschen Hoheitsgebiet im Anschluss an eine polnische Nacheile könnte dagegen der Hinweis auf die Möglichkeit des Tä­ ter-Opfer-Ausgleichs wohl unterbleiben. Da der Ausgleich im Rahmen des pol­ nischen Strafverfahrens bzw. nach dem polnischen Recht zu erfolgen hätte, müsste eine solche Option im polnischen Recht vorgesehen sein, was nicht der Fall ist.146 Belanglos erscheint auch die an die staatsanwaltschaftlichen Vernehmungen gekoppelte Pflicht zur Angabe von Strafvorschriften bei der Eröffnung des Tat­ vorwurfs. Da das Strafverfahren im Ausland durchgeführt werden soll, müsste die Qualifizierung der Tat nach dem ausländischen Recht vorgenommen wer­ den, was weder der Vernehmungsbehörde zuzumuten noch angesichts der Ver­ fahrensherrschaft der Justizbehörden des Tatortstaates geboten ist. Die übrigen Vernehmungsregeln sind bei Vernehmungen von grenzüber­ schreitend Verfolgten zwingend zu beachten.

III.  Freilassung des grenzüberschreitend Verfolgten Die festgenommene Person, die nicht die Staatsangehörigkeit des Gebietsstaates hat, ist spätestens sechs Stunden nach ihrer Festnahme, ausgenommen der Stun­ den zwischen Mitternacht und neun Uhr, freizulassen, es sei denn, die örtlich zuständigen Behörden erhalten vor Ablauf dieser Frist ein Ersuchen gleich in welcher Form um vorläufige Festnahme zum Zwecke der Auslieferung (Art.  41 Abs.  6 Unterabs. 2 SDÜ). 1.  Eigene Staatsangehörige Art.  41 Abs.  6 Unterabs. 2 SDÜ statuiert eine zeitliche Beschränkung der Frei­ heitsentziehung nur in Ansehung fremder Staatsangehöriger. Dieser Regelung lag wohl ein – insbesondere in den kontinentaleuropäischen Staaten verbreite­ tes147 – verfassungsrechtliches Verbot der Auslieferung eigener Staatsangehöri­ ger zugrunde. Selbst das in Art.  16 Abs.  2 GG verankerte Auslieferungsverbot für Deutsche wurde erst mit dem Gesetz vom 29. November 2000148 relativiert, und zwar durch die Zulassung ihrer Auslieferung an einen Mitgliedstaat der EU oder an einen internationalen Gerichtshof. In der derzeitigen Rechtslage – nach 146  Im Übrigen ist anzumerken, dass der Hinweis dann sinnvoll ist, wenn mit der Bereit­ schaft des Geschädigten gerechnet werden kann, Diemer, in: KK-StPO, §  136 Rn.  17; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, §  136 Rn.  12a. Die fehlende Nähe zum Tatort (und zum Opfer) würde hingegen in den meisten Fällen die Beurteilung erschweren oder sogar unmöglich machen. 147 Vgl. Doehring, Völkerrecht, Rn.  906. 148  BGBl.  2000 I S.  1633.

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4. Teil: Strafverfolgungsmaßnahmen

der Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI – dürfte ein deutscher Staatsangehöriger nach Maßgabe des §  80 IRG an Polen übergeben werden. Auch die polnische Verfassung steht mittlerweile der Auslieferung eines pol­ nischen Staatsangehörigen, der nach einer Nacheile über die Oder und die Neiße in Polen festgenommen wurde, an Deutschland nicht von vornherein im Wege (Art.  55 Abs.  2 plVerf149). Das etwaige Übergabeverfahren richtet sich nach Art.  607k ff. plStPO unter besonderer Beachtung der Art.  607p §  2 und 607t plStPO, die die Voraussetzungen für die Vollstreckung des Europäischen Haft­ befehls gegen polnische Bürger bestimmen. Wird ein deutscher Staatsangehöriger grenzüberschreitend verfolgt und in Deutschland gemäß §  127 StPO festgenommen, ist er, sofern er nicht wieder in Freiheit gesetzt wird, unverzüglich, spätestens am Tage nach der Festnahme, dem Richter bei dem Amtsgericht, in dessen Bezirk er festgenommen worden ist, vorzuführen (§  128 Abs.  1 S.  1 StPO). Die deutschen Polizeibeamten, die die Festnahme vorgenommen haben, haben den Betroffenen freizulassen, wenn der Festnahmegrund zu Unrecht angenommen wurde bzw. entfallen ist150 oder die Verhaftung gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstieße151. Anderen­ falls wird der Betroffene dem Richter vorgeführt und von diesem gemäß §  115 Abs.  3 StPO vernommen. Der Richter ordnet die Freilassung an, wenn er die Festnahme nicht für gerechtfertigt oder ihre Gründe für beseitigt hält; sonst erlässt er – grundsätzlich152 auf Antrag der Staatsanwaltschaft – einen Haftbe­ fehl (§  128 Abs.  2 StPO).153 Bei der Festnahme eines polnischen Bürgers nach Art.  244 plStPO nach einer Nacheile aus Deutschland gilt für seine Freilassung – anstelle des Art.  41 Abs.  6 Unterabs. 2 SDÜ – Art.  248 plStPO. Der Festgenommene muss danach sofort entlassen werden, wenn der Grund für die Festnahme wegfällt. Gleiches gilt, 149  Die Ausnahmen vom in Art.  55 Abs.  1 plVerf normierten Auslieferungsverbot pol­ nischer Bürger wurden mit dem Gesetz v. 7.11.2006 eingeführt (Dz. U. 2006 Nr.  200,­ Pos. 1471). 150  Schultheis, in: KK-StPO, §  128 Rn.  2; Laue, in: Dölling/Duttge/König/Rössner (Hrsg.), §  128 StPO Rn.  2. 151  Schultheis, in: KK-StPO, §  128 Rn.  2. 152  Wenn ein Staatsanwalt nicht erreichbar ist, erlässt der Richter den Haftbefehl von Amts wegen. 153  §  128 StPO schweigt darüber, zu welchem Zeitpunkt der Richter über die Freilassung oder Inhaftnahme zu befinden hat. Art.  104 Abs.  3 S.  2 GG erfordert eine unverzügliche Ent­ scheidung. Im Schrifttum wird angesichts des hohen verfassungsrechtlichen Rangs des Grundrechts der persönlichen Freiheit eine analoge Anwendung des §  129 Hs. 2 StPO befür­ wortet: Die Entscheidung müsse spätestens bis zum Ablauf des Tages nach der Festnahme ergehen, so Schultheis, in: KK-StPO, §  128 Rn.  7; Hilger, in: LR, §  128 Rn.  11; Paeffgen, in: SK-StPO, §  128 Rn.  6; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, §  128 Rn.  13.

C. Festnahme

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wenn er innerhalb von 48 Stunden ab dem Zeitpunkt der Festnahme dem Ge­ richt mit dem Antrag auf Anordnung der Untersuchungshaft nicht zur Verfü­ gung gestellt wird. Der Betroffene ist außerdem auf Anordnung des Gerichts oder des Staatsanwalts freizulassen. Im Falle der Vorführung hat das Gericht über die Haftfrage binnen 24 Stunden zu befinden; wird dem Festgenommenen vor dem Ablauf dieser Frist kein Beschluss über seine vorläufige Verhaftung ausgehändigt, ist er zu entlassen (Art.  248 §  2 plStPO). 2.  Fremde Staatsangehörige Im Falle der vorläufigen Festnahme eines – aus der Perspektive des Gebietsstaa­ tes – fremden Staatsangehörigen macht Art.  41 Abs.  6 Unterabs. 2 SDÜ eine über sechs (plus maximal neun) Stunden hinausgehende Freiheitsentziehung von der Übermittlung eines Ersuchens um vorläufige Inhaftnahme zum Zwecke der Auslieferung abhängig. Obwohl die Vorschrift das Freilassungsgebot schlechterdings auf fremde Staatsbürger bezieht, besteht kein Zweifel daran, dass es in den Fällen nicht greift, in denen die Auslandstat des fremden Staats­ bürgers (auch) die Strafgerichtsbarkeit des Gebietsstaates begründet und die örtlichen Beamten seine Festnahme in eigener Zuständigkeit – gemäß §  127 StPO bzw. Art.  244 plStPO – vorgenommen haben. Ist das der Fall, kommen die oben geschilderten Freilassungsregeln zum Tragen. Erfolgt die Festnahme aus­ schließlich im Interesse des Ausgangstaates der Nacheile, bleibt es grundsätz­ lich bei der Schengener Regelung. a.  Deutsches Recht Das erfolglose Verstreichen der Schengener Frist bei Nacheilen nach Deutsch­ land muss nicht unbedingt eine Freilassung des Verfolgten zur Folge haben. Das deutsche Recht ermöglicht, wie vorher signalisiert, mit §  16 Abs.  1 IRG eine vorläufige auslieferungssichernde Inhaftnahme nicht nur auf Ersuchen einer zu­ ständigen Stelle des ersuchenden Staates (Nr.  1), sondern – über die Schengener Regelung hinausgehend – auch stellvertretend154, sofern ein Ausländer einer Tat, die zu seiner Auslieferung Anlass geben kann, auf Grund bestimmter Tat­ sachen dringend verdächtig ist (Nr.  2).155 Das Verfahren normiert §  22 IRG. Der Schomburg/Hackner, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, §  16 IRG Rn.  21. Im Schrifttum wird die Zulässigkeit eines Rekurses auf innerstaatliche Vorschriften ohne Weiteres bejaht, siehe Würz, Das Schengener Durchführungsübereinkommen, Rn.  148; Hertweck, Kriminalistik 1995, 721 (723); Schomburg, StV 1998, 153 (156); v. Bubnoff, ZRP 2000, 60 (62); Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  226; aus dem Schrifttum nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon siehe Gleß, in: Schom­ burg/Lagodny/Gleß/Hackner, III. E. 1. Art.  41 SDÜ Rn.  14; Schomburg/Hackner, in: Schom­ 154  155 

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4. Teil: Strafverfolgungsmaßnahmen

nach §  19 IRG vorläufig Festgenommene wird unverzüglich, allerdings nicht später als am Tag156 nach der Festnahme, dem Richter des nächsten Amtsge­ richts157 vorgeführt (§  22 Abs.  1 IRG) und von diesem nach Maßgabe des §  22 Abs.  2 IRG i. V. m. Nr.  40 RiVASt unverzüglich nach der Vorführung, spätes­ tens am nächsten Tag, vernommen. Die Vernehmung bezieht sich auf die per­ sönlichen Verhältnisse, insbesondere die Staatsangehörigkeit des Betroffenen, sowie auf den Gegenstand der Beschuldigung. Um dem in Art.  104 GG veran­ kerten verfassungsrechtlichen Gebot „einer richterlichen Prüfung der Zulässig­ keit und Fortdauer jeglicher Freiheitsentziehung“ gerecht zu werden, soll der Amtsrichter – „zumindest in Evidenzfällen“ – „auf der (schmalen) ihm zu die­ sem Zeitpunkt zugänglichen Erkenntnisgrundlage und daher notwendig in summarischer Weise auch die Haftvoraussetzungen der §§  15, 16 IRG“ über­ prüfen.158 Nach §  22 Abs.  3 IRG ordnet der Richter eine Freilassung des Festgenomme­ nen an, wenn sich herausstellt, dass er nicht identisch mit der Person ist, welche der der Festnahme zugrunde liegenden Straftat verdächtig ist. Die Freilassungs­ pflicht ist verfassungskonform auf die Fälle zu erweitern, in denen sich der Richter innerhalb der ihm gesetzten Frist nicht zweifelsfrei vom Vorliegen der die Freiheitsentziehung begründenden Voraussetzungen überzeugen kann.159 Ansonsten erlässt der Richter eine Festhalteanordnung bis zur Entscheidung des Oberlandesgerichts und veranlasst gemäß Nr.  40 Abs.  4 RiVASt die Überfüh­ rung des Betroffenen in die zuständige Untersuchungshaftanstalt. Die unver­ zügliche Herbeiführung der obergerichtlichen Entscheidung über die Anord­ burg/Lagodny/Gleß/Hackner, Vor §§  21, 22 IRG Rn.  35; Hackner, in: Breitenmoser/Gleß/ Lagodny (Hrsg.), S.  277 (291); Steinborn, in: Małolepszy/Soiné/Żurakowska (Hrsg.), S.  73 (Fn.  10). 156  Dies kann auch ein Samstag, Sonntag oder ein Feiertag sein, Wilkitzki, in: Grützner/ Pötz/Kreß (11. Lfg.), §  22 Rn.  7 i. V. m. §  21 IRG Rn.  11; Böhm, in: Grützner/Pötz/Kreß (42. Lfg.), §  22 IRG Rn.  11. 157  Der Begriff des Richters des nächsten Amtsgerichts ist entsprechend §  115a StPO aus­ zulegen, Böhm, in: Grützner/Pötz/Kreß (42. Lfg.), §  22 IRG Rn.  10. Gemeint ist der Richter des Amtsgerichts, „welches im Hinblick auf die Verkehrsmittel und -möglichkeiten am ra­ schesten erreicht werden kann“, OLG Frankfurt NStZ 1988, 471 (471); Hilger, in: LR, §  115a Rn.  1. Das muss also nicht das Gericht sein, in dessen Bezirk der Betroffene vorläufig festge­ nommen wurde, Böhm, a. a. O.; Wilkitzki, in: Grützner/Pötz/Kreß (11. Lfg.), §  22 IRG Rn.  6; vgl. Hilger, a. a. O. 158  BVerfG BeckRS 2010, 54123 Rn.  29; Schomburg/Hackner, in: Schomburg/Lagodny/ Gleß/Hackner, Vor §§  21, 22 IRG Rn.  26 ff.; Böhm, in: Grützner/Pötz/Kreß (42. Lfg.), §  22 IRG Rn.  17 f.; Wilkitzki, in: Grützner/Pötz/Kreß (11. Lfg.), §  22 IRG Rn.  26; Würz, Das Schen­ gener Durchführungsübereinkommen, Rn.  141; anders aber BGHSt 2, 44 (50). 159  BVerfG BeckRS 2010, 54123 Rn.  29; Schomburg/Hackner, in: Schomburg/Lagodny/ Gleß/Hackner, §  22 IRG Rn.  7.

C. Festnahme

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nung der Auslieferungshaft obliegt der Staatsanwaltschaft beim Oberlandesge­ richt (§  22 Abs.  3 S.  3 i. V. m. §  21 Abs.  4 S.  2 IRG; siehe auch Nr.  37 Abs.  1 S.  2 RiVASt). Sie kann allerdings auch stattdessen ggf. die Freilassung verfügen (§  22 Abs.  3 S.  3 i. V. m. §  21 Abs.  7 S.  2 IRG). b.  Polnisches Recht Das polnische Recht lässt mit Art.  607k §  3a plStPO die vorläufige Verhaftung einer Person, welcher gegenüber die polnische Strafgerichtsbarkeit nicht eröff­ net ist, vor dem Eintreffen des Europäischen Haftbefehls nur in dem Fall zu, in dem die zuständige Justizbehörde, die den Europäischen Haftbefehl erlassen hat, darum ersucht, und zwar durch eine SIS- oder Interpol-Ausschreibung, die Gewähr dafür bietet, dass dem Verfolgten gegenüber eine rechtskräftige Verur­ teilung oder eine sonstige Entscheidung, die eine Grundlage für die Freiheits­ entziehung bildet160, erlassen wurde. Die Haftdauer darf in diesem Fall sieben Tage nicht überschreiten.161 Dem Wortlaut nach ist erforderlich, dass zum Zeit­ punkt der Ausschreibung nicht nur der inländische, sondern auch der Europäi­ sche Haftbefehl erlassen worden ist („die zuständige Justizbehörde, die den Eu­ ropäischen Haftbefehl erlassen hat“162). Nach dem polnischen Recht stellt also das deutsche Ersuchen um die vorläu­ fige Verhaftung zum Auslieferungszwecke die notwendige Voraussetzung für eine über die Regelung des Art.  41 Abs.  6 Unterabs. 2 SDÜ hinausgehende – stellvertretende – Freiheitsentziehung dar. Der Erlass eines inländischen und anschließend eines Europäischen Haftbefehls und die Vornahme einer darauf gestützten SIS- oder Interpol-Ausschreibung innerhalb der kurzen – stark kriti­ sierten163 – Schengener Frist können indes vielfach scheitern, sodass sich der Festgenommene der Strafverfolgung entziehen kann.

160  Dabei kann es sich um einen Untersuchungshaftbefehl handeln, Nita-Światłowska, in: Skorupka (Hrsg.), Art.  607k Rn.  59. 161  Vergleichsweise war gemäß Art.  16 EuAlÜbk, der im deutsch-polnischen Ausliefe­ rungsverkehr vor dem Erlass bzw. der Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI un­ mittelbare Anwendung fand, eine wesentlich längere Verhaftung von bis zu 40 Tagen zuläs­ sig. 162  Hervorhebung der Verfasserin. 163  Hertweck, Kriminalistik 1995, 721 (724); Brammertz, Grenzüberschreitende polizeili­ che Zusammenarbeit, S.  253; Brammertz/Colling, in: Nachbaur (Hrsg.), 73 (82); Schomburg, Kriminalistik 2000, 13 (19); Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  243; v. Bubnoff, ZRP 2000, 60 (61), wobei nach diesem die „außerordentlich enge“ Befris­ tung „bei entsprechenden organisatorischen Vorkehrungen keine unüberwindbare Hürde darstellen [sollte]“.

302

4. Teil: Strafverfolgungsmaßnahmen

c.  Bilaterale Fristverlängerung Da die polnische Strafgewalt, die einen Rückgriff auf die Schengener Festnah­ megrundlage entbehrlich macht, nicht unbedingt in jedem Nacheilefall aus Deutschland begründet sein wird, erscheint eine Verlängerung der Schengener Frist im Wege einer zwischenstaatlichen Absprache als sinnvoll. Im Schrifttum wird die Zulässigkeit einer solchen Änderung gegenüber der Regelung des Art.  41 Abs.  6 Unterabs. 2 SDÜ zwar zum Teil mit dem Argument bestritten, die Befristung entfalte „eine Schutzwirkung bzw. zumindest eine Reflexwirkung“ zugunsten des Festgenommenen164 oder sie sei auch „individualschützend“165. Die Ausklammerung der Fristenregelung aus dem Anwendungsbereich des Art.  41 Abs.  10 SDÜ überzeugt jedoch nicht. Es ist nicht zu leugnen, dass Art.  41 SDÜ „die auslieferungsbezogene Zu­ griffsmöglichkeit“ auf die aus dem Ausland flüchtigen Tatverdächtigen und Verurteilten dem üblichen Auslieferungsverkehr gegenüber ausdehnt.166 Es liegt noch kein inländischer, geschweige denn ein Europäischer Haftbefehl vor. Die (stellvertretende) vorläufige Festnahme eines über die Grenze Verfolgten gründet allein auf der – von den fremden Hoheitsträgern herangetragenen – Tat­ sachenbasis des Betreffens auf frischer Tat oder der Flucht aus der Untersu­ chungs- oder Strafhaft.167 Art.  41 SDÜ normiert damit eine Befugnis der örtlich zuständigen Behörden zum Eingriff in das verfassungsrechtlich verankerte Recht eines grenzüberschreitend Verfolgten auf Freiheit.168 Die Vorschrift legt aber zugleich mit ihrem Absatz 6 Unterabsatz 2 den äußeren Rahmen dieses Eingriffs fest: Ohne Ersuchen um vorläufige auslieferungssichernde Inhaftnah­ me darf der Festgenommene nicht länger als sechs (plus maximal neun) Stun­ den ab seiner Ergreifung festgehalten werden. Obgleich die Norm an die Ho­ heitsträger adressiert ist und somit im horizontalen Verhältnis gilt, unterliegt keinem Zweifel, dass sie sich auch zugunsten des Festgenommenen auswirkt:169 Die den Beamten obliegende Pflicht zur Freilassung des Verfolgten geht mit dessen Recht einher, nach dem erfolglosen Fristablauf entlassen zu werden. Die Verletzung dieses Rechts kann er vor Gerichten des Gebietsstaates geltend ma­ v. Bubnoff, ZRP 2000, 60 (62). Gleß, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, III. E. 1. Art.  41 SDÜ Rn.  14. 166 Vgl. v. Bubnoff, ZRP 2000, 60 (62). 167 Vgl. v. Bubnoff, ZRP 2000, 60 (62). 168  Allgemein in Bezug auf das SDÜ Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreiten­ de Nacheile, S.  254. 169  Bezogen auf die Fristenregelung v. Bubnoff, ZRP 2000, 60 (62); Gleß, in: Schomburg/ Lagodny/Gleß/Hackner, III. E. 1. Art.  41 SDÜ Rn.  14; generell in Bezug auf die Schengener Bestimmungen Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  254 f.; Harings, Grenzüberschreitende Zusammenarbeit, S.  279 ff. 164  165 

C. Festnahme

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chen.170 Diese Erkenntnis führt gleichwohl nicht bzw. nicht automatisch zu der Annahme, dass von der Schengener Regelung nicht im Wege einer bilateralen Absprache abgewichen werden darf. Jede dem Nacheilerecht gesetzte Grenze wirkt sich reflexartig zugunsten des Verfolgten aus. Man denke etwa an das grundsätzliche Verbot des Einsatzes von Mitteln des unmittelbaren Zwangs (Art.  41 Abs.  5 lit.  e SDÜ). Nichtsdestoweni­ ger lässt Art.  41 Abs.  10 in fine SDÜ es zu, diese und weitere Schranken zu be­ seitigen und im Ergebnis weitergehende Eingriffsbefugnisse zu normieren.171 Man könnte die Passage „zusätzliche Regelungen zur Durchführung dieses Ar­ tikels“ zwar auf diejenigen Bestimmungen beziehen, die ausschließlich das ge­ genseitige Verhältnis zwischen den kooperierenden Staaten betreffen und keine Verschlechterung der Rechtsposition des Verfolgten zur Folge haben. Eine sol­ che Deutung widerspräche aber dem Regelungszweck, das durch Souveränitäts­ vorbehalte stark beeinflusste Nacheileinstrument auf bilateraler Ebene effektiv ausgestalten und die zwischenstaatliche Zusammenarbeit weiterentwickeln zu können. Relevant ist in diesem Zusammenhang auch Art.  41 Abs.  9 SDÜ, der die Möglichkeit der Abgabe einer neuen Erklärung zu den Modalitäten der Aus­ übung des Nacheilerechts unter die Bedingung stellt, dass sie die Tragweite der früheren Erklärung nicht beschränkt. Dies bedeutet, dass den nacheilenden Be­ amten das Festhalterecht auch nachträglich eingeräumt und damit ein weiterer Eingriff in die Rechte des Verfolgten gestattet werden kann.172 Schließlich kann auch der Anwendungsbereich des Art.  41 Abs.  1 SDÜ erweitert werden (Art.  41 Abs.  10 in principio SDÜ), sodass weitere Konstellationen, in denen der Betrof­ fene ins fremde Land hinein verfolgt werden darf, erfasst werden können. Wenn also einzelne Staaten berechtigt sind, durch die Erklärungsänderung oder eine bilaterale Absprache die Befugnisse der nacheilenden Beamten auszuweiten, lässt sich nicht begründen, dass dem Betroffenen multilateral unabdingbare Rechte verliehen worden sind.173 Auch ein Blick in den langwierigen Verhandlungsprozess über die Ausgestal­ tung des Nacheilerechts zeigt, dass die gesetzten Grenzen nicht auf den Schutz des Verfolgten gerichtet sind, sondern der Einschränkung des Eingriffs in die

Zur Einräumung einer einklagbaren Rechtsposition durch das SDÜ siehe Goy, Vorläu­ fige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  253 ff. 171  Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  281; vgl. auch Harings, Grenzüberschreitende Zusammenarbeit, S.  279. Deshalb ist die Zulassung des Einsat­ zes von Zwangsmitteln in Art.  36 Abs.  2 Nr.  2, Nr.  4 PolAbk im Rahmen der Nacheile recht­ lich nicht zu beanstanden. 172  Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  281. 173  Harings, Grenzüberschreitende Zusammenarbeit, S.  279. 170 

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4. Teil: Strafverfolgungsmaßnahmen

Souveränität des betretenen Staates zu dienen haben.174 Dies gilt ebenso für die Grundsätze der Ausübung der Nacheilebefugnis durch die gebietsfremden Be­ diensteten wie für die Fristenregelung. Die Vereinbarung des zeitlichen Rah­ mens der zu leistenden Rechtshilfe, d. h. des Festhaltens des Verfolgten, sichert die Souveränität des Gebietsstaates dadurch, dass dieser nur in dem von den Vertragsparteien zuvor vereinbarten Umfang zur stellvertretenden Freiheitsent­ ziehung verpflichtet ist.175 Art.  41 Abs.  6 Unterabs. 2 SDÜ ist folglich dahin gehend auszulegen, dass er den örtlich zuständigen Behörden eine Mindestpflicht zum Tätigwerden zu­ gunsten des Ausgangsstaates der Nacheile auferlegt. Der eigenverantwortlichen Anwendung des nationalen Rechts, das über die Schengener Bestimmungen hi­ nausgeht, steht die Vorschrift nicht im Wege.176 Ebenso wenig hindert sie die Nachbarstaaten daran, sich im Wege einer bilateralen Absprache zur Leistung der Rechtshilfe im Zusammenhang mit der Festnahme des Verfolgten in einem größeren Ausmaß zu verpflichten.177 Bei der Ausgestaltung der Fristenregelung ist freilich zu beachten, dass die Freiheitsentziehung einen Eingriff in das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf Freiheit darstellt. Von Art.  41 Abs.  6 Unterabs. 2 SDÜ kann zum Nachteil des Festgenommenen nur insoweit abgewichen werden, als dadurch dessen grundrechtlich geschützte Position nicht verletzt wird. Da die zeitliche Grenze der polizeilichen Freiheitsentziehungen in den einzelnen Staaten divergiert, stellt sich die Frage, ob der äußere Zeitrahmen einer stellvertretenden Freiheits­ entziehung durch das Recht des Ausgangstaates der Nacheile, in dem das Straf­ verfahren gegen den Verfolgten geleitet werden soll, oder aber durch das Recht des Gebietsstaates, in dem er vorläufig festgenommen wurde, bestimmt werden soll. Bedenkt man, dass die Freiheitsentziehung im Rahmen eines „internatio­ nal-arbeitsteiligen Strafverfahrens“ erfolgt, bietet es sich an, die Interessen aller drei Akteure des Verfahrens in praktische Konkordanz zu bringen.178 Zutref­ fend wird im Schrifttum festgestellt, dass der Betroffene „nicht allein dadurch, dass die Strafverfolgung in mehreren Staaten erfolgt, besser oder schlechter 174  Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nacheile, S.  254; vgl. auch Harings, Grenzüberschreitende Zusammenarbeit, S.  279. 175  Vgl. BGH NStZ 2013, 596 (598) in Bezug auf die Rechtshilfe im Allgemeinen. 176  Auch darin kommt die Staatssouveränität zum Ausdruck, vgl. BGH NStZ 2013, 596 (598). 177  Von der Zulässigkeit der Änderung der Schengener Fristenregelung im Wege einer bilateralen Absprache geht auch Goy, Vorläufige Festnahme und grenzüberschreitende Nach­ eile, S.  344 f. aus und schlägt dabei einen Zeitraum von 24 Stunden vor. 178 Vgl. Ahlbrecht/Lagodny, StraFo 2003, 329 (334); Lagodny, in: Sieber/Satzger/v. Heint­ schel-Heinegg, §  31 Rn.  46.

C. Festnahme

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gestellt werden [darf]“.179 Für die Ausgestaltung der Fristenregelung gilt also, dass die Freiheitsentziehung nicht länger dauern darf als nach dem Recht desje­ nigen der beteiligten Staaten, der in dieser Hinsicht dem Festgenommenen den am weitesten gehenden Schutz gewährt. Die Herabsetzung der dort festgelegten Höchstgrenze ist nicht erforderlich. Im polnischen Recht ist der zeitliche Rah­ men der polizeilichen Freiheitsentziehung starr bestimmt und beträgt 48 Stun­ den (Art.  248 §  1 plStPO). Nach deutschem Recht ist der Festgenommene unver­ züglich, spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen (§  128 Abs.  1 StPO), sodass sich die minimale Höchstfrist im Einzelfall auf knapp über 24 Stunden belaufen kann. Bezogen auf die Nacheile über die Oder und die Neiße wäre die Frist – dem obigen Grundsatz entsprechend – an der deutschen Regelung zu orientieren. Als Vorbild dürfte Art.  14 Abs.  6 des deutsch-tschechischen Kooperationsvertrags dienen: „Hat die Person, die durch die zuständigen Behörden des Vertragsstaates, auf dessen Ho­ heitsgebiet die Nacheile durchgeführt wurde, festgehalten oder festgenommen wurde, nicht die Staatsangehörigkeit dieses Vertragsstaates, ist sie spätestens zwölf Stunden ab dem Zeit­ punkt ihres Festhaltens oder ihrer Festnahme freizulassen, wobei die Stunden zwischen 21 Uhr und 9 Uhr nicht mitzählen, es sei denn, die zuständige Behörde dieses Vertragsstaates erhält vor Ablauf dieser Frist ein Ersuchen um vorläufige Festnahme zum Zwecke der Über­ gabe oder Auslieferung. Innerstaatliche Rechtsvorschriften, die aus anderen Gründen die Einschränkung der persönlichen Freiheit ermöglichen, sowie innerstaatliche Rechtsvor­ schriften über die Vorführung der festgehaltenen oder festgenommenen Person vor den Rich­ ter bleiben unberührt.“

179  Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Einlei­ tung Rn.  10; vgl. auch Lagodny, in: Sieber/Satzger/v. Heintschel-Heinegg, §  31 Rn.  40.

Zusammenfassung Im Folgenden werden die wichtigsten Arbeitsergebnisse, einschließlich der Mo­ difizierungsvorschläge, dargestellt. Der Übersichtlichkeit halber werden die Thesen den vier Problembereichen zugeordnet, die der Hauptgliederung der Ar­ beit zugrunde liegen. Rechtsgrundlagen 1. Bei der Schengener Nacheileregelung (Art.  41 ff. SDÜ) handelt es sich im Unionsraum um supranationales Sekundärrecht sui generis. Bei der Auslegung sind die in der Rechtsprechung des EuGH etablierten Grundsätze zu beachten. Die Auslegung muss auf die größtmögliche Wirkung des Unionsrechts und da­ mit auch des Nacheileinstruments gerichtet sein. Mithin ist diesem teleologi­ schen Argument Vorrang vor etwaigen Souveränitätseinwänden einzuräumen. Bei der Ermittlung des Wortsinnes genießen alle amtssprachlichen Fassungen des SDÜ Authentizität und Verbindlichkeit. Besondere Bedeutung kommt gleichwohl den drei Urfassungen zu, weil sie den Willen der „Väter“ des Über­ einkommens widerspiegeln und folglich über den Sinngehalt der einzelnen Be­ stimmungen am ehesten Aufschluss geben können. Voraussetzungen 2. Die deutschen und die polnischen Polizeibeamten dürfen eine inländische Verfolgung über die gemeinsame Staatsgrenze nur in den in Art.  41 Abs.  1 SDÜ genannten Fällen fortsetzen, d. h., wenn der Verfolgte auf frischer Tat bei der Begehung von oder der Teilnahme an einer auslieferungsfähigen Straftat betrof­ fen wurde oder aus der Untersuchungshaft oder Strafvollzugsanstalt geflohen ist. Zu bemängeln ist, dass die beiden Nachbarländer zum Zwecke der Effekti­ vierung der Polizeizusammenarbeit bzw. ihrer Anpassung an die heutigen Kri­ minalitätsphänomene von der Möglichkeit einer Erweiterung des Anwendungs­ bereichs der Vorschrift auf bilateraler Stufe keinen Gebrauch gemacht haben. Das Beharren auf der minimalistischen Schengener Regelung verwundert umso mehr, als solche praxisfreundlicheren Bestimmungen in die Kooperationsver­ träge mit einigen anderen Schengen-Staaten aufgenommen wurden, darunter

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dem gemeinsamen Nachbarland Tschechien. Ein besonders dringliches Postulat ist die Zulassung der grenzüberschreitenden Nacheile in Bezug auf jeden Tat­ verdächtigen, und nicht nur einen auf frischer Tat Betroffenen, sowie – ver­ dachtsunabhängig – im Falle der sog. Kontrollflucht, also wenn sich der Ver­ folgte einer polizeilichen Kontrolle entzogen hat. 3. Der Begriff „auslieferungsfähige Straftat“ aus Art.  41 Abs.  4 lit.  b SDÜ ist nicht abstrakt, sondern unter Zugrundelegung der zwischen dem Tatort- und dem Gebietsstaat geltenden auslieferungsrechtlichen Regelungen aufzufassen. Die Beurteilungsgrundlage in Bezug auf die deutsch-polnische Zusammenar­ beit stellen die Bestimmungen des deutschen Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen und der polnischen Strafprozessordnung dar, in de­ nen die Vorgaben des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten umgesetzt wurden. Bei der Feststellung der Auslieferungs­ fähigkeit einer die Nacheile veranlassenden Tat kommt es alleine auf die Min­ desthöchststrafdrohung im Tatortstaat an: Die Möglichkeit der grenzüberschrei­ tenden Fortsetzung einer Nacheile eröffnet sich für deutsche Bedienstete, wenn die Anlasstat nach deutschem Recht im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von mindestens zwölf Monaten bedroht ist, und für die polnischen, wenn die Tat nach polnischem Recht mit einer Freiheitsstrafe von über einem Jahr bedroht ist. Ob die der Nacheile zugrunde liegende Straftat im benachbarten Staat strafbar ist bzw. nach sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts strafbar wäre, muss von den nacheilenden Beamten nicht geprüft werden. Wenn aber die angestreb­ te Auslieferung des Verfolgten im konkreten Fall an fehlender beiderseitiger Strafbarkeit scheitern würde und den Beamten dieser Umstand bekannt wäre, müssten sie die Verfolgung mit Rücksicht auf den völkerrechtlichen Grundsatz der Achtung fremder Gebietshoheit an der Grenze abbrechen. 4. Das Merkmal „auf frischer Tat betroffen“ ist nicht über den Rückgriff auf die Begriffsbestimmungen der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, sondern uni­ onsweit einheitlich und autonom auszulegen. Die „Tat“ ist im Sinne eines Tat­ verdachts zu verstehen. Die Tatfrische muss sich aus den wahrgenommenen, den Tatverdacht begründenden Indizien ergeben. Als Erkenntnisquelle kommt nicht nur der Tatort, sondern auch der Verfolgte selbst in Betracht. Dem Effizi­ enzgebot zufolge ist das Merkmal „auf frischer Tat betroffen“ nämlich derart zu deuten, dass es nur einen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Tatbe­ gehung und dem Betreffen voraussetzt. Das Nacheilerecht besteht folglich so­ wohl in den Fällen, in denen der Täter bzw. der Teilnehmer zum Zeitpunkt der Tatausführung oder alsbald danach am Tatort oder in dessen unmittelbarer

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Nähe oder im Zuge einer unmittelbar nach der Tatentdeckung aufgenommenen Verfolgung betroffen wurde, als auch dann, wenn die Tat zwar nicht wahrge­ nommen wurde, die betroffene Person aber Spuren einer frisch begangenen Straftat aufweist. 5. Die Zulässigkeit der grenzüberschreitenden Verfolgung eines aus der Haft Entwichenen nach Art.  41 Abs.  1 Unterabs. 2 SDÜ wurde weder an die Art der ihm zur Last gelegten bzw. von ihm begangenen Straftat noch an die Art oder das Ausmaß der verhängten Strafe geknüpft. Mit Blick auf die angestrebte Aus­ lieferung des Verfolgten an den Ausgangsstaat der Nacheile zum Zwecke der Strafverfolgung respektive der Strafvollstreckung bietet sich eine Einschrän­ kung des Nacheilerechts auf die Fälle an, in denen eine spätere Auslieferung nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Die der Haft zugrunde liegende Tat muss folglich im Hinblick auf die drohende bzw. verhängte Strafe nach den in­ nerstaatlichen Umsetzungsvorschriften zum Rahmenbeschluss 2002/584/JI aus­ lieferungsfähig sein. In Bezug auf eine die Strafverfolgung sichernde Nacheile gelten für die Frage der Auslieferungsfähigkeit die Erläuterungen in These 3. Soll die Nacheile der Strafvollstreckung dienen, dürfen die deutschen Polizeibe­ amten die Verfolgung des Entwichenen grenzüberschreitend fortsetzen, wenn das Maß der freiheitsentziehenden Sanktion nach deutschem Recht mindestens vier Monate beträgt; die polnischen Bediensteten sind dann zur Nacheile berech­ tigt, wenn das Maß der verhängten Strafe vier Monate überschreitet. Dabei kommt es jeweils auf die ganzheitlich verhängte Freiheitsstrafe an. Bei der Fest­ stellung der Auslieferungsfähigkeit darf hier alternativ auf Art.  1 des deutsch-pol­ nischen Auslieferungsvertrags vom 17. Juli 2003 abgestellt werden, soweit sich aus diesem im Einzelfall geringere Anforderungen an die Strafe ergeben. Pflichten und Befugnisse der gebietsfremden Polizeibeamten 6. Die Pflicht zur Benachrichtigung der zuständigen Behörden des Gebietsstaa­ tes spätestens beim Grenzübertritt, die Art.  25 Abs.  2 S.  1 PolAbk den nachei­ lenden Polizeibeamten auferlegt, steht einer effektiven Durchsetzung des Nach­ eilerechts im Wege. Besonders bei den in den Zwillingsstädten aufgenommenen Verfolgungen kann sich die zum Überschreiten der Grenze verbleibende Zeit als zu kurz für die vertragsgemäße Informationsübermittlung erweisen. Ange­ bracht ist eine Modifizierung der Vorschrift dahin gehend, dass die Benachrich­ tigung „unverzüglich“ zu erfolgen hat. 7. Entgegen dem deutschen Wortlaut des Art.  41 Unterabs. 3 S.  2 SDÜ räumt die Vorschrift dem Gebietsstaat das Recht ein, eine Einstellung der Verfolgung

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nicht vor, sondern zu jedem Zeitpunkt nach dem Grenzübertritt zu verlangen. Eine solche Aufforderung entzieht der Nacheile ihre Berechtigung. Als Einstel­ lungsgründe kommen neben der Verletzung der Nacheilevoraussetzungen auch eine offensichtliche Zwecklosigkeit der Maßnahme bei fehlender Strafbarkeit der verfolgten Tat im Gebietsstaat, sofern dies die spätere Auslieferung aus­ schließt, sowie die Gefährdung wichtiger Interessen des Gebietsstaates i. S. v. Art.  39 PolAbk (sog. Souveränitätsklausel) in Betracht. Die Notwendigkeit der Einstellung der Nacheile kann sich darüber hinaus aus einer schriftlichen Dienstanweisung oder einer ad hoc getroffenen Anordnung des Dienstvorge­ setzten der nacheilenden Beamten ergeben. Ein Verstoß dagegen beeinflusst nicht die Rechtmäßigkeit der Nacheile (Außenverhältnis), kann aber eine diszi­ plinäre Verantwortlichkeit (Innenverhältnis) zur Folge haben. 8. Die Regelung des Art.  41 Abs.  5 lit.  d SDÜ, die eine Erkennbarkeitspflicht für die nacheilenden Beamten vorsieht, ist weder Ausfluss des Souveränitätsgedan­ kens noch lässt sie sich mit einem schutzwürdigen Interesse der Bürger des Gebietsstaates begründen. Ihr Sinn und Zweck könnte allenfalls im Schutz der handelnden Beamten bestehen, für die der Einsatz auf dem fremden Hoheitsge­ biet wohl eine größere Herausforderung darstellt als eine inländische Nacheile. Mit Rücksicht auf die effektive Strafverfolgung ist zu überlegen, ob an der Er­ kennbarkeitspflicht festgehalten werden sollte. Denn ihre Erfüllung – und damit die Zulässigkeit des Grenzübertritts – setzt voraus, dass die Beamten über die erforderliche Ausrüstung (Uniform, Armbinde o. Ä.) verfügen, was bei einer Zivilstreife nicht unbedingt der Fall sein wird. 9. Den nacheilenden Beamten stehen auf dem fremden Hoheitsgebiet nur die in Art.  41 SDÜ und Art.  25 i. V. m. Art.  36 Abs.  2 PolAbk punktuell geregelten Be­ fugnisse zu. Ein Rückgriff auf innerstaatliche Ermächtigungsgrundlagen des Gebietsstaates zum Zwecke der Legalisierung eines über den unionsrechtlich und bilateral abgesteckten rechtlichen Rahmen hinausgehenden Handelns ist nicht zulässig. Die Beamten müssen bei der Wahrnehmung der ihnen zugewie­ senen Befugnisse das Recht des Gebietsstaates beachten (Art.  41 Abs.  5 lit.  a SDÜ; Art.  36 Abs.  1 S.  1 PolAbk). Mit Blick auf das Wesen des Nacheilerechts, das darin besteht, dass die grenzüberschreitend verfolgenden Beamten im be­ nachbarten Staat eigene Aufgaben erfüllen können, die sie im Normalfall auf dem eigenen Hoheitsgebiet erfüllen würden, ist anzunehmen, dass sie nach dem Grenzübertritt weiterhin an das Recht ihres Herkunftsstaates gebunden sind. Bei einer Kollision, d. h., wenn das Handeln im Einklang mit dem eigenen Recht gegen das örtliche Recht verstößt, geht das Recht des Gebietsstaates vor.

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10. Trotz der Fortsetzung der Nacheilemaßnahmen auf dem fremden Hoheitsge­ biet behalten die deutschen und die polnischen Polizeibeamten die Beamtenei­ genschaft nach dem Recht ihres Herkunftsstaates bei. Gleichwohl sind sie in Bezug auf Straftaten, die sie begehen (würden), den Beamten des Gebietsstaates gleichgestellt (Art.  42 SDÜ und Art.  35 Abs.  1 PolAbk). Ein deutscher Polizei­ beamter genießt folglich in strafrechtlicher Hinsicht die Rechtsstellung eines Amtsträgers i. S. v. Art.  115 §  13 plStGB und kann sich im Falle einer Kompe­ tenzüberschreitung nach Art.  231 plStGB strafbar machen. Der polnische Poli­ zeibeamte wird als Amtsträger i. S. v. §  11 Nr.  2 StGB betrachtet und kann aus §  132 Alt. 2 StGB zur Verantwortung gezogen werden. Die Gleichstellung bringt zum Ausdruck, dass es aus der Perspektive des Schutzgutes der staatli­ chen Autorität keinen Unterschied macht, ob einer Privatperson ein inländi­ scher oder ein ausländischer Beamter in seiner amtlichen Funktion gegenüber­ tritt und die ihm zustehenden Befugnisse überschreitet. Andererseits wirkt sich die Regelung des Art.  42 SDÜ und des Art.  35 Abs.  1 PolAbk auch zugunsten gebietsfremder Hoheitsträger bzw. der Interessen des Ausgangsstaates der Nacheile aus. Durch die mit angeordnete Gleichstellung in Bezug auf Straftaten zum Nachteil der nacheilenden Beamten werden die den Schutz inländischer Rechtsgüter bezweckenden Strafvorschriften auch für entsprechende ausländi­ sche Rechtsgüter anwendbar. Zu beachten ist aber, dass Deutschland und Polen im Bereich der Amtsdelikte und der Delikte gegen Amtsträger unterschiedliche kriminalpolitische Konzepte verfolgen. Die maßgeblichen deutschen Vorschrif­ ten sind grundsätzlich sowohl in Bezug auf den Umfang der Pönalisierung als auch auf die Strafandrohung weniger repressiv als ihre polnischen Pendants. 11. Der Katalog der Befugnisse, die den über die deutsch-polnische Grenze nacheilenden Bediensteten eingeräumt wurden, entspricht im Wesentlichen den Anforderungen an eine effektive polizeiliche Zusammenarbeit und geht deut­ lich über die Lösungen hinaus, die in den Verträgen Deutschlands mit Frank­ reich oder Dänemark angenommen wurden. 12. Das Festhalterecht der nacheilenden Beamten aus Art.  41 Abs.  2 lit.  b SDÜ besteht im Anhalten des Flüchtenden und im Verhindern eines Sich-Entfernens und ist subsidiär gegenüber den Maßnahmen der örtlich zuständigen Behörden. Der Festgehaltene muss den Beamten des Gebietsstaates unverzüglich überge­ ben werden. Letzteren behält das SDÜ die anschließende Identitätsfeststellung und die Festnahme vor. Die nacheilenden Beamten trifft allerdings keine Ver­ bleibepflicht am Festhalteort. Das Schengener Festhalterecht ähnelt zwar konst­ ruktiv den Jedermann-Festnahmerechten aus §  127 Abs.  1 StPO und Art.  243

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§  1 plStPO, stellt aber eine autonome hoheitliche Befugnis der gebietsfremden Beamten dar. 13. Unter dem Begriff „Sicherheitsdurchsuchung“ bzw. „przeszukanie“ aus Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ ist eine Maßnahme präventiven Charakters zu verste­ hen, die der Sicherstellung der Vorführung des Festgehaltenen dient und in der Suche nach Gegenständen besteht, von denen Gefahren ausgehen oder die ge­ fährlich eingesetzt werden können. Werden dabei beweisdienliche Objekte zu­ fällig gefunden, dürfen sie dem Betroffenen abgenommen werden, damit sie nicht verloren gehen oder entstellt werden. Die sichergestellten Sachen sind den Beamten des Gebietsstaates bei der Übergabe des Festgehaltenen auszuhän­ digen. 14. Die Schengener Durchsuchungsregelung muss kritisch bewertet werden. Art.  41 Abs.  5 lit.  f SDÜ knüpft die Durchsuchungsbefugnis an die potenzielle Vorführung und schließt damit die Möglichkeit einer Durchsuchung in den Fäl­ len aus, in denen die nacheilenden Beamten, etwa auf Anordnung der örtlichen Behörden, mit dem Ergriffenen bis zu ihrem Eintreffen am Festhalteort bleiben. Zudem bezieht er sich nur auf die Durchsuchung der ergriffenen Person, und nicht zusätzlich der von ihr mitgeführten Sachen. Um der Durchsuchungsrege­ lung zu einer optimalen (Schutz-)Wirkung zu verhelfen, muss man zum einen den Begriff „Vorführung“ nicht im Sinne der (räumlichen) Verbringung des Er­ griffenen, sondern ihres Erfolgs, d. h. der Übergabe, verstehen. Zum anderen ist anzunehmen, dass die nacheilenden Beamten im Rahmen der Schengener Durchsuchungsbefugnis nach Maßgabe des Rechts des Gebietsstaates sowohl den Festgehaltenen und seine Bekleidung als auch die von ihm mitgeführten Gegenstände überprüfen dürfen. Um die Durchführung der Maßnahme zu er­ leichtern und eventuelle Missverständnisse zu eliminieren, wäre gleichwohl eine vertragliche Klarstellung zum Umfang der Durchsuchung bzw. zu den tauglichen Durchsuchungsobjekten geboten. 15. Die deutschen und die polnischen nacheilenden Beamten sind nach Art.  36 Abs.  2 PolAbk befugt, bei der Ausübung der Nacheile, darunter des Festhalte­ rechts, ihre „Dienstwaffen“ (Nr.  2) und „Zwangsmittel“ (Nr.  3) einzusetzen. Als „Dienstwaffen“ sind Schusswaffen zu qualifizieren, als „Zwangs­mittel“ sonsti­ ge Hilfsmittel körperlicher Gewalt. Zum eigenmächtigen Schusswaffeneinsatz sind die gebietsfremden Beamten nur im Fall von Notwehr und Nothilfe er­ mächtigt. Die Voraussetzungen des Einsatzes ergeben sich für die deutschen Polizeibeamten aus Art.  25 plStGB und für die polnischen aus §  32 StGB. Da Art.  36 Abs.  2 PolAbk eine Kompetenzzuweisung i. S. v. Art.  36 Abs.  1 S.  2 Pol­

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Abk darstellt, handelt es sich auch beim Schusswaffengebrauch in Notwehr bzw. Nothilfe um eine hoheitliche Maßnahme. Ein lebensgefährdender Einsatz ist als Ultima Ratio und – mit Rücksicht auf Art.  2 Abs.  2 lit.  a EMRK – nur zur Abwehr von Angriffen auf Leben, Gesundheit und Fortbewegungsfreiheit zu­ lässig. Schusswaffen dürfen dabei auch dann gebraucht werden, wenn der Be­ amte mit einer beiläufigen Verletzung der Rechtsgüter eines anderen rechnet. Die Rechtmäßigkeit des Einsatzes ist hier an das Vorliegen der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Notwehr- und des Notstandsrechts geknüpft. In anderen Konstellationen ist ein Rückgriff auf die innerstaatlichen Notstands­ rechte verwehrt. 16. Im Übrigen dürfen Schusswaffen nur mit Zustimmung des sachleitenden Beamten des Gebietsstaates gebraucht werden. Die Zustimmung darf nur vor dem Einsatz und nur in solchen Fällen erteilt werden, in denen auch die inländi­ schen Polizeibeamten zum Schusswaffengebrauch befugt wären. Die Art und Weise des Einsatzes richtet sich nach den Vorschriften des Gesetzes über Mittel des unmittelbaren Zwangs und Schusswaffen (bei einer Nacheile auf dem pol­ nischen Hoheitsgebiet) bzw. nach den einschlägigen bundes- oder landesrechtli­ chen Regelungen über den unmittelbaren Zwang (bei einer Nacheile auf dem deutschen Hoheitsgebiet). Ob ein Bundes- oder Landesgesetz zur Anwendung kommt, hängt davon ab, in wessen Zuständigkeitsbereich die Nacheile bzw. der ihr zugrunde liegende Sachverhalt fällt. 17. Nach den in These 16 erwähnten Regelungen ist auch zu bestimmen, ob und wie die nacheilenden Beamten im konkreten Fall sonstige Mittel des unmittel­ baren Zwangs anwenden dürfen. Da die hierfür einschlägigen deutschen und polnischen Bestimmungen nicht unwesentlich voneinander abweichen, müssen die Beamten über hinreichende Kenntnisse des Rechts des Nachbarstaates ver­ fügen. Maßnahmen der örtlich zuständigen Behörden 18. Die Mitteilung des Nacheilesachverhalts entspricht einer Strafanzeige und verpflichtet die örtlich zuständigen Behörden zur Überprüfung der eigenen Strafverfolgungskompetenz in Bezug auf die Anlasstat der Nacheile. Begeht der Flüchtende eine weitere Straftat nach dem Grenzübertritt, ergibt sich die Straf­ gewalt des betretenen Staates aus dem Territorialprinzip. Liegt eine eigene Er­ mittlungsbefugnis nicht vor, haben alle Maßnahmen der örtlichen Amtsträger Rechtshilfecharakter und richten sich – soweit das innerstaatliche Recht für einen solchen Fall keine Regelung bereithält – nach Art.  41 SDÜ.

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19. Die Befristung der stellvertretenden Freiheitsentziehung aus Art.  41 Abs.  6 Unterabs. 2 SDÜ ist nicht nur auf die vorläufige Festnahme des Verfolgten durch die örtlich zuständigen Beamten, sondern auch auf sein Festhalten zum Zwecke der Identitätsfeststellung zu beziehen. Die Festnahme dient der Sicherung der Anwesenheit des Verfolgten und soll nach dem Schengener Konzept den Behör­ den des Ausgangsstaates der Nacheile die Möglichkeit geben, ein Ersuchen um Auslieferungshaft vorzubereiten. Die grundsätzliche Sechs-Stunden-Frist kann sich allerdings als zu kurz für den Erlass eines inländischen Haftbefehls und die Übermittlung eines darauf gestützten Ersuchens um vorläufige Inhaftnahme erweisen. Begrüßenswert ist vor diesem Hintergrund die Regelung des §  19 i. V. m. §  22 IRG, die den Rückgriff auf Art.  41 SDÜ zum Zwecke der Legalisie­ rung der vorläufigen Festnahme und der darauffolgenden Auslieferungshaft ent­ behrlich macht. Da entsprechende Vorschriften im polnischen Recht fehlen, ist eine Verlängerung der Schengener Frist im Wege einer bilateralen Absprache gemäß Art.  41 Abs.  10 SDÜ zu überlegen. Mit Rücksicht auf das verfassungs­ rechtlich garantierte Recht auf Freiheit sollte die Freiheitsentziehung nicht über die Frist hinausgehen, die in dem Recht desjenigen der beteiligten Staaten vor­ gesehen ist, der dem Festgenommenen in dieser Hinsicht den weitergehenden Schutz gewährt. Im deutsch-polnischen Verhältnis wäre die Fristenregelung an §  128 Abs.  1 StPO zu orientieren. 20. Die Vernehmung des Festgenommenen nach Art.  41 Abs.  6 Unterabs. 1 S.  1 SDÜ soll eine Antwort auf die Frage ergeben, ob seine Festnahme in die (vor­ läufige) Auslieferungshaft münden soll oder ob er freizulassen ist. Die Verneh­ mungsbefugnis steht, ebenso wie die Identitätsfeststellung und die Festnahme, ausschließlich den örtlich zuständigen Behörden zu. Mit ihrer Zustimmung dür­ fen aber auch die nacheilenden Beamten an der Vernehmung teilnehmen. Mit Blick auf den Vernehmungszweck sowie zur Beschleunigung und Erleichterung der Kooperation ist die Aufnahme eines zustimmungsfreien Mitwirkungsrechts der nacheilenden Bediensteten in das Polizeiabkommen (2014) dringend zu empfehlen, das in einer gemeinsamen Durchführung der Vernehmung oder zu­ mindest in der Möglichkeit einer Einflussnahme außerhalb der Vernehmung bestünde.

Schlussbemerkung Die zwischenstaatliche polizeiliche Zusammenarbeit muss mit den sich rasch wandelnden Kriminalitätsphänomenen Schritt halten können. Die Staatsgrenze darf kein Hindernis für die Strafverfolgung sein. Denn in einem Raum der Frei­ heit, der Sicherheit und des Rechts ist die innere Sicherheit nicht national, son­ dern unional zu begreifen. Die Kriminalität muss als gemeinsames Problem und ihre Bekämpfung als gemeinsame Aufgabe aller Mitgliedstaaten angesehen werden. Dies gilt besonders für Nachbarländer. Die steigende Kriminalitätsrate spiegelt sich in der gesellschaftlichen Stimmung wider. Sie tastet das Sicher­ heitsgefühl der Bürger an und lässt alte Vorurteile wiederaufleben, was für ein friedliches Zusammenwachsen der europäischen Nationen und für die wirt­ schaftliche Entwicklung eng verflochtener Grenzregionen nicht ohne Belang ist. Die deutsch-polnische Regelung zur grenzüberschreitenden Nacheile weicht in vielen Gesichtspunkten nicht von den am weitesten gehenden Kooperations­ standards ab. Die aufgezeigten Mängel, namentlich das Festhalten an den mini­ malistischen Schengener Nacheilegrundlagen, haben jedoch zur Folge, dass das Nacheileinstrument heutzutage nur einen Teilbeitrag zur effektiven Kriminali­ tätsbekämpfung leisten kann. Änderungen sind vonnöten. Flankierend müssen aber auch die Kenntnisse des fremden Rechts vertieft werden. Der Erfolg der polizeilichen Zusammenarbeit hängt nämlich gleichermaßen von der praxis­ freundlichen Ausgestaltung des Rechtsrahmens wie von der reibungslosen Durchführung einzelner Maßnahmen ab. Und für diese ist die Klarheit über die eigenen Pflichten und Befugnisse sowie über die Art und Weise ihrer Wahrneh­ mung auf dem fremden Hoheitsgebiet unabdingbar.

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Stichwortverzeichnis Amtsdelikt – §  132 StGB  134 – Art.  231 plStGB  132 – Gleichstellung der Beamten  131 Auslieferung – deutscher Staatsangehöriger  53, 297 – polnischer Staatsangehöriger  54, 298 – zur Strafverfolgung  31 f. – zur Strafvollstreckung  31, 122 Auslieferungshaftbefehl  279 Auslieferungshaft, vorläufige  279 BeneluxAuslÜbk  50 Betreffen auf frischer Tat – Begrifssbestimmung  94 – einengende Funktion  92 – Erkenntnisquelle  89, 92 – „red-handed“  87, 90 f. Dienstvergehen  137 Dienstwaffen – Begriff 210 – eigenmächtiger Einsatz  212 – Einsatz mit Zustimmung des sachleiten­ den Beamten  227 Dringlichkeit, besondere  125, 151 – Sonder- und Wegerechte  249, 254 Durchsuchung – bei Identitätsfeststellung  275 f. – Personenüberprüfung 190 – persönliche Kontrolle  189 – Schengener Sicherheitsdurchsuchung  191 – von Personen  184, 187 – von Sachen  187 f. EMRK  218 f., 223 f., 226 Ergreifen  172, 271

Ersuchen um vorläufige Inhaftnahme zum Zwecke der Auslieferung  64, 299, 301 EurAuslÜbk  26, 50 EU-RhfÜbk  292 EurRhfÜbk  291 Fahndung  25, 83, 96 Festhalterecht – bei Identitätsfeststellung  270, 277 – bei Vernehmung  284 – der nacheilenden Beamten  176 – uneinheitliche Terminologie  172 Festnahme des Verfolgten – in Deutschland – Belehrungs- und Mitteilungspflich­ ten  280 – Voraussetzungen  278 – in Polen  282 Flagranzfestnahme – nach deutschem Recht  74 – nach französischem Recht  79 – nach niederländischem Recht  80, 174 – nach polnischem Recht  84, 106 Freiheitsentziehung, Dauer der  271, 297 – Anwendbarkeit der Schengener Fristen­ regelung  271, 274 – bilaterale Ausgestaltung der Fristenrege­ lung  304 – Fristbeginn  272 Gemeinsames Zentrum der Polizei-, Grenz- und Zollzusammenarbeit  144 f., 147 f. Grenze – Abschaffung von Grenzkontrollen  7, 20 – Sicherheitsverluste  8 f., 88 – Luftgrenze siehe Nacheile: auf dem Luftweg

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Stichwortverzeichnis

– Wassergrenze siehe Nacheile: auf dem Wasserweg Haftbefehl, Europäischer  31, 51, 301 Harmonisierung  70, 129 Hoheitshandeln  125, 179 – Einsatz von Zwangsmitteln  199, 220 – Schengener Festhalterecht  174, 179 – Sonder- und Wegerechte  248 ff., 258 Kfz-Verschiebung 93 Kompetenzüberschreitung siehe Amtsdelikt Kontrollflucht  93 Kooperationsabkommen siehe Koopera­ tionsvertrag Kooperationsvertrag – deutsch-belgischer  22, 143, 152, 182, 200 – deutsch-dänischer  22, 142, 164, 182, 200 – deutsch-französischer  22, 143, 181 – deutsch-luxemburgischer  22, 142, 152 – deutsch-niederländischer  22, 96, 142, 154, 162, 182, 200, 247 – deutsch-österreichischer  22, 95, 142, 154, 162, 181, 200, 247 – deutsch-schweizerischer  22, 96, 124, 143, 152, 181, 198 – deutsch-tschechischer  22, 62, 95, 124, 128, 142, 152, 162 f., 182, 198, 200, 247, 305 – polnisch-litauischer  22, 94, 125, 143, 165, 171, 182, 200, 214 – polnisch-slowakischer  22, 124, 143, 182, 192, 198 – polnisch-tschechischer  22, 67, 94, 124, 143, 182, 192, 198 locus regit actum  287 Nacheile – auf dem Luftweg  163 – auf dem Wasserweg  162 – „Dreieck-Nacheile“  28 – Durcheile  28 – in ein anderes Bundesland  173 Notstandsrechte, Inanspruchnahme der  226 Notwehr siehe Dienstwaffen: eigenmächti­ ger Einsatz

Ordnungswidrigkeiten – Abgrenzung zu Straftaten  40 – Erweiterung des Nacheilerechts  67 – Nacheilefähigkeit 36 – Sonder- und Wegerechte  245 Organleihe  140 RbEuHb – Art.  1  31 – Art.  2  31, 51 – Art.  4  52 – Art.  31  29, 30 – Art.  32  30 Rechtshilfe  156, 264, 267, 284, 290 ff., 304 Reflexwirkung zugunsten des Verfolg­ ten 303 Schuldunfähigkeit 61 SDÜ, Art.  41 – Abdingbarkeit 303 – Ausgleichsmaßnahme  9, 88, 92, 157 – Auslegung  15, 72 – autonome 69 – Fortentwicklung  13 – Gleichwertigkeit der Sprachfassungen  19 – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts  13, 88 – unmittelbare Anwendbarkeit  15 Souveränität  1 f., 70, 91, 125, 128, 141, 150, 155, 158, 170, 286, 290, 304 Strafbarkeit der nacheilenden Beamten – nach dem Recht des Gebietsstaates siehe Amtsdelikt – nach dem Recht des Herkunftsstaates  139 Straftat, auslieferungsfähige  64 Straftatenkatalog  25, 66, 91 Verfolgungsübernahme 125 siehe auch Zuständigkeit, örtliche: Mitwirkungs­ pflicht/Mitwirkungsrecht Verkehrskontrolle  93, 259 Wohnung 166 Zuständigkeit, örtliche  141, 144 – Mitwirkungspflicht  261 – Mitwirkungsrecht 261

Stichwortverzeichnis – Weisungsbefugnis  128 Zwangsmittel 210 Zwang, unmittelbarer – §  61 BbgPolG  207

– Art.  12 plUZwSwG  208 – Einsatz 236

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