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German Pages [499] Year 2019
Markus M. Totzeck
Die politischen Gesetze des Mose Entstehung und Einflüsse der politia-judaicaLiteratur in der Frühen Neuzeit Academic Studies
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Refo500 Academic Studies Herausgegeben von Herman J. Selderhuis In Kooperation mit Christopher B. Brown (Boston), Günter Frank (Bretten), Bruce Gordon (New Haven), Barbara Mahlmann-Bauer (Bern), Tarald Rasmussen (Oslo), Violet Soen (Leuven), Zsombor Tóth (Budapest), Günther Wassilowsky (Frankfurt), Siegrid Westphal (Osnabrück)
Band 49
Markus M. Totzeck
Die politischen Gesetze des Mose Entstehung und Einflüsse der politia-judaica-Literatur in der Frühen Neuzeit
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: 3w+p, Rimpar Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-0165 ISBN 978-3-666-57073-5
Meiner Mutter Edeltraud Marion Totzeck (1944–2017)
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Relevanz des Themas . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsüberblick und methodische Probleme Ansatz und Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . Prolegomena: Gottes Gesetz und Moses Gesetz .
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1. Moses Gemeinwesen: die antike Vorstellung von Mose als Gesetzgeber und ihre Renaissance in der Frühen Neuzeit . . . . . . . . 1.1 Die frühneuzeitliche Literatur de politia judaica . . . . . . . . . . . 1.2 Orientierungen am Rechtsvorbild des mosaisch-jüdischen Gemeinwesens in den Schriften de politia judaica . . . . . . . . . . 1.3 Das antike Erbe der politia Mosis und ihre Renaissance durch den Humanismus in der Frühen Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Das Idealbild von Mose als Gesetzgeber und des mosaischen Gemeinwesens in antiker jüdischer und christlicher Apologetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Die Verbreitung der Werke Philos, Josephus’ und Eusebs als wesentlicher Faktor einer Renaissance des Idealbildes der politia Mosis in der Frühen Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Ursprung oder Ursprünge von Recht und Weisheit? Prisca theologia, Hermetismus und christliche Kabbala im Florentiner Renaissance-Humanismus . . . . . . . . . . . . . 1.3.3.1 Mose und die mosaischen Gesetze im Deutungshorizont hermetischer Traditionen ausgehend von Marsilio Ficino . . . . . . . . . . . . . 1.3.3.2 Mose und die mosaischen Gesetze im Deutungshorizont der christlichen Kabbala ausgehend von Giovanni Pico della Mirandola . . . .
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8 2. Debatten über die Geltung und politische Relevanz der mosaischen Gesetze in der Reformationszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Forderungen nach Umsetzung der mosaischen Gesetze und spiritualistische Deutungshorizonte als Ausgangspunkt reformatorischer Debatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Die sog. Zwickauer Propheten und die Wittenberger Unruhen von 1521 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Andreas Karlstadt: ewiges Gesetz und „figürliche Gebot“ . . 2.1.3 Jakob Strauß, Wolfgang Stein und die Frage nach der Geltung der mosaischen Judizialgesetze . . . . . . . . . . . . 2.2 Entwicklungen und Profilierung einer Wittenberger Haltung zur mosaischen Gesetzgebung durch die Reformatoren Martin Luther und Philipp Melanchthon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Relative Offenheit Luthers und Melanchthons in Geltungsfragen des mosaischen Rechts bis 1521 . . . . . . . . 2.2.2 Profilierung einer Wittenberger Haltung zum mosaischen Recht ab 1525 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Melanchthons Lehre der custodia utriusque tabulae des Dekalogs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Auswirkungen auf die Rechts- und Geschichtsdeutung des mosaisch-jüdischen Gemeinwesens im lutherischen Bereich?. 2.3 Heinrich Bullingers Eigenbeitrag in der reformierten Gesetzeslehre gegenüber Ulrich Zwingli in Zürich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Zur Bedeutung von Zwinglis Unterscheidung zwischen dem göttlichen Gesetz (lex Dei) und den mosaischen Gesetzen . . 2.3.2 Heinrich Bullingers Konzeption der prisca theologia und des mosaischen Ursprungs der guten Gesetze auf Erden . . . . . 2.3.2.1 Prisca-theologia-Vorstellungen in Bullingers frühen Schriften der 1530er Jahre und Bezüge zur antiken christlichen und jüdischen Apologetik . . . . . . . . . 2.3.2.2 Kontinuitäten zu Bullingers reifer Gesetzeslehre: die Vorbildlichkeit der mosaischen lex scripta . . . . . . . 2.4 Straßburg „zwischen“ Wittenberg und Zürich: Martin Bucers Zugänge zum mosaischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Der „Egyptisch Moses“: Sebastian Francks Anknüpfung an hermetisches Gedankengut im Umfeld der Reformation in Straßburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Martin Bucers Festhalten an der geistig-substantiellen Bedeutung und äußerlichen Nützlichkeit der mosaischen Gesetze für Christen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Inhalt
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Inhalt
2.4.3 Florentiner Neuplatonismus und christliche Kabbala als Deutungshintergrund in Bucers Römerbriefkommentar (1536) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Von Straßburg nach Genf, von Johannes Calvin zu Theodor Beza: auf dem Weg zur Auslegung von Moses politischen Gesetzen . . . 2.5.1 Calvins Haltung zur politischen Relevanz der mosaischen Gesetze 1536–1559 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2 Calvins Profilierung der lex scripta Mosaica gegenüber Michael Servet und Sebastian Castellio . . . . . . . . . . . . . 2.5.3 Calvins späte „Harmonie“ der mosaischen Gesetze (1559– 62/1563) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.4 Theodor Bezas Anknüpfung und Neuausrichtung gegenüber Calvins Verständnis und Auslegung der mosaischen Gesetze . 2.5.4.1 Bezas Bezüge zur juristischen Methodik und zu Calvin im Werk Lex Dei, moralis, ceremonialis, et politica (1577) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.4.2 Bezas Aufwertung der mosaischen Judizialgesetze im Streit mit Sebastian Castellio als Hintergrund der Schrift Lex Dei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Zwischenfazit: Ein Spektrum reformatorischer Ansichten über die Geltung und politische Relevanz der mosaischen Gesetze . . . . . . 3. Konzeptionen eines mosaischen Ursprungs des Rechts in der humanistischen Jurisprudenz und Historiographie der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Nachzeichnung eines Diskurses über den mosaischen Ursprung des Rechts unter humanistischen Gelehrten . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Humanistische ars historica und universalhistorische Orientierung am Recht der Völker . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Wiederentdeckung und biblische Deutung der Lex Dei (Collatio legum Mosaicarum et Romanarum) . . . . . . . . . 3.2 Die rechtskomparative Orientierung an der mosaischen Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Die Leges politicae (1577) François Ragueaus und ihre Rezeptionsgeschichte in konfessioneller und transkonfessioneller Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Henri Estienne, Iuris civilis fontes et rivi (1580) . . . . . . . . 3.2.3 William Welwood, Iuris divini Iudaeorum ac iuris civilis Romanorum parallela (1594) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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10 3.2.4 Johann Kahl (Calvinus/Calvus), Themis Hebraeo-Romana (1595) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5 Zwischenfazit: Resonanz der Orientierung am Ideal der mosaischen Gesetzgebung unter protestantischen, vornehmlich reformierten Autoren . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Die rechtsgeschichtliche Orientierung am jüdisch-mosaischen Gemeinwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Corneille Bertram, De politia judaica (1574) . . . . . . . . . . 3.3.1.1 Kirchlich-weltliche Grundunterscheidung der politia judaica und das Ideal einer gemäßigten mosaischen Verfassungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.2 Innerkonfessionelle Einordnung und transkonfessionelle Aspekte des Werkes (Bertrams Rückgriff auf jüdisch-hebräische Quellen) . . . . . . . 3.3.2 Carlo Sigonio, De republica Hebraeorum libri VII (1582) . . . 3.3.2.1 Das mosaische Recht als strukturell-argumentative Grundlage in Sigonios Darstellung der respublica Hebraeorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2.2 Vermittlungen von aristotelischer Politiklehre und augustinischer Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2.3 Christlich-humanistische Orientierung und konfessionelle Leerstellen: Zensuren der römischen Kurie gegen Sigonios Werk . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Joachim Stephani, De iurisdictione, et qualis fuit in politia Judaica (1582) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3.1 Moses omnis iurisdictionis fons et origo: die mosaisch-jüdische iurisdictio . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3.2 Konfessionelle Fragestellungen: die politia judaica und die Gesetzgebung des Mose als Argument im deutschen ius publicum unter lutherischen Juristen . . 3.3.4 Zwischenfazit: Corneille Bertrams und Carlo Sigonios Bedeutung für die politischen Debatten und Literaturtitel de republica Hebraeorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die politischen Gesetze Moses als Modell in der calvinistisch-reformierten Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Aufwertungen des mosaischen Judizialgesetzes unter calvinistischen Theologen: Nachzeichnung eines Diskurses . . . . 4.2 „Policie of the Iewes“: konfessionelle und transkonfessionelle Aspekte in Edmund Bunnys The scepter of Iudah (1584) . . . . . .
Inhalt
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Inhalt
4.3 Franciscus Junius’ De politiae Mosis observatione (1593) in der Debatte über die Geltung der mosaischen Judizialgesetze . . . . . . 4.3.1 Zur Gesetzessystematik: ewiges Gesetz (lex aeterna) und mosaische Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Einzigartigkeit und Vorbildlichkeit der politischen Gesetze des Mose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Wilhelm Zepper, Legum Mosaicarum forensium explanatio (1604) . 4.4.1 Der mosaische Ursprung der Gesetze der Völker und der Römer: Vermittlung hermetischer Tradition . . . . . . . . . 4.4.2 Innerprotestantische Konsensbemühungen und calvinistisch-reformierte Eigenarten . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3 Zeppers Schrift im Kontext des Streites der Herborner Theologen mit Johannes Althusius über die Geltung der mosaischen Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Ausbau einer theologischen Lehre von den mosaischen Gesetzen in Werken des schottischen Theologen und Hebraisten John Weemes (ca. 1579–1636) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.1 Ansatz und Systematik der Lehre von den mosaischen Gesetzen: Anschluss an eine calvinistisch-reformierte Tradition und hebraistische Ausdeutung . . . . . . . . . . . 4.5.2 Umfassendes christlich-hebraistisches Programm mit Bezügen zum kontinentaleuropäischen Wissensbestand . . . 4.5.3 Eigenarten calvinistisch-reformierter Theologie und Fundamentalopposition gegen den römischen Katholizismus 4.5.4 Transkonfessionelle Aspekte: Toleranz gegenüber dem Judentum im christlichen Gemeinwesen . . . . . . . . . . . . 5. Transformationen: das mosaische Gemeinwesen als politisches Programm für das 17. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Hugo Grotius’ unveröffentlichter Traktat De republica emendanda 5.2 Petrus Cunaeus, De republica Hebraeorum libri III (1617) . . . . . 5.2.1 Moses lex scripta, christliche Kabbala und Messianismus . . 5.2.2 Das mosaische Gemeinwesen (politia Mosis) als Theokratie: politische und religiöse Einheitsstiftung . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Transkonfessionelle Aspekte: Ambivalenzen im Verhältnis von Judentum und Christentum . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
Ergebnisse und Ausblick: Moses Gesetz und Gemeinwesen als politisches Konzept am Beginn der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abkürzungsverzeichnis (mit Quellen, Quelleneditionen, Bibliographien und Lexika) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Antike Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Frühneuzeitliche Bibelausgaben, exegetische Hilfsmittel und Bibliographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonstige Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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444 445 454
Register . . . . . . . . . . Namensregister . . . . . Sachregister . . . . . . . Register der Bibelstellen
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Vorwort
Es gibt viele Möglichkeiten, die Entstehung moderner Staaten in Europa zu beschreiben, aber an der Frage der rechtlichen Grundlagen führt bei der Beschreibung kein Weg vorbei. Wer dies geschichtlich tut und noch dazu in die Jahrhunderte zurückgeht, die wir Frühe Neuzeit nennen, wird schnell feststellen, dass das Verhältnis von Recht und Religion bzw. genauer: von Recht und den sich ausbildenden Konfessionen in dieser Zeit entscheidend für das politische Denken und die Staatenformierung war. Konfessionelle Betrachtungen sind somit unabdingbar, reichen zugleich aber auch nicht aus, um die Verzahnung von Recht und Religion hinreichend beschreiben zu können. Auf den folgenden Seiten wird dies anhand der Entstehung und Geschichte eines Schrifttums (politia-judaica-Literatur) nachvollzogen, in dem es im Kern um ein politisches Verständnis der Gesetze des Mose als Vorbild ging und damit genau um die Schnittstelle von Recht, Religion und Politik. Das vorliegende Buch stellt dabei eine noch einmal in den letzten beiden Hauptteilen und im abschließenden Ausblick erweiterte Fassung der kirchengeschichtlichen Dissertation dar, die im Sommersemester 2015 unter dem Titel Moses politische Gesetze. Humanistische Kontexte, konfessionelle Eigenarten und transkonfessionelle Aspekte eines Rechtsvorbildes in Schriften der Frühen Neuzeit von der Theologischen Fakultät Heidelberg angenommen wurde. Meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Christoph Strohm, danke ich für die jahrelange Betreuung und das Erstgutachten zur Arbeit. Mein Dank gilt ebenfalls Herrn Prof. Dr. Johannes Ehmann für die Erstellung des Zweitgutachtens zur Dissertation. Der damaligen Dekanin Prof. Dr. Ingrid Schoberth danke ich für ihre Unterstützung in den letzten Tagen vor Abgabe der Dissertation. Für die Aufnahme der Druckfassung in die Buchreihe Refo500 Academic Studies habe ich den Herausgebern der Reihe, namentlich Herrn Prof. Dr. Herman J. Selderhuis, zu danken. Bereits vor Erscheinen der Buchfassung ist die Dissertation im März 2017 von der Gesellschaft für die Geschichte des reformierten Protestantismus e.V. mit dem J. F. Gerhard Goeters-Preis ausgezeichnet worden. Dem Vorstand des Ver-
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Vorwort
eins, vor allem Herrn Dr. J. Marius J. Lange van Ravenswaay, danke ich für diese Auszeichnung und die Möglichkeit, meine Arbeit auf der Internationalen Emder Tagung zur Geschichte des reformierten Protestantismus vorstellen zu dürfen. Ein Anstoß für die Thesen der Arbeit erfolgte bereits im Jahr 2009 während meines Auslandsstudiums und Forschungsaufenthaltes am Center for the Study of Law and Religion (CSLR) der Emory University in Atlanta, Georgia (USA). Danken möchte ich dafür Herrn Prof. Dr. John Witte, Jr. und den Mitarbeitenden am CSLR sowie der Studienstiftung des deutschen Volkes für die finanzielle Unterstützung. Ein wichtiger nächster Schritt waren danach für mich die Arbeitstage im Workshop der LOEWE Junior Research Group im Frühjahr 2013 an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Für hilfreiche Diskussionen habe ich Herrn Prof. Dr. Wim Decock (KU Leuven) und Herrn Dr. Tyler C. Lange (UC Berkeley) zu danken. Mehrfach mit kritischen Rückfragen und Rat haben mich ebenfalls die Mitstreiterinnen und Mitstreiter des kirchengeschichtlichen Doktorandenkolloquiums in Heidelberg unterstützt, darunter besonders Herr Dr. Michael Becker. In der folgenden Einleitung wird deutlich werden, dass schließlich zwei Forschungsarbeiten für die Entstehung des Buches entscheidenden waren: zum einen die wichtigen Studien von Prof. Dr. Lea Campos Boralevi (Università degli Studi di Firenze) und zum anderen das Buch The Hebrew Republic. Jewish Sources and the Transformation of European Political Thought (2010) von Prof. Dr. Eric Nelson (Harvard University), der an Lea Campos Boralevis Arbeiten anschließt. Für die Gelegenheit zum längeren Austausch am Rande der Internationalen Tagung der Johannes-Althusius-Gesellschaft in Rotterdam 2013 und bei der Verleihung des Erwin-Stein-Preises im Jahr 2015 in Gießen bin ich beiden Forschern und denen, die die Gespräche ermöglicht haben, sehr dankbar. Ich verstehe das vorliegende Buch sowohl als Bestätigung als auch Ergänzung zu ihren Arbeiten. Für die Arbeit an der Buchfassung während meines Vikariats in der Evangelischen Kirche von Westfalen blieb nur in einzelnen Etappen über viele Monate hinweg Zeit. Für viel Verständnis danke ich meinem Gemeindementor, Pfr. Karsten Malz, und allen, die mich vorher und bei diesen letzten Schritten unterstützt haben. Mein größter Dank gilt aber meinen Eltern Edeltraud und Baldur und meinen Geschwistern Christina, Matthias und Andreas, ohne die ich alle Arbeit nicht hätte leisten können. Das Buch ist meiner Mutter gewidmet, die das Buch leider nicht mehr in der Hand halten wird, aber in jeglicher Hinsicht ein liebevolles Vorbild für mich bleiben wird. Wetter (Ruhr) im Juli 2017
Markus M. Totzeck
Einleitung
Relevanz des Themas Die politischen Gesetze des Mose – in der Frühen Neuzeit verstand man dies im Sinne einer Eingrenzung: Zwar kann jedes Gesetz in irgendeiner Form als politisch verstanden werden, aber hier ging es um einen bestimmten Bereich des Rechts, der in Moses Gesetzen formuliert war, und im weitesten Sinne die politische Rechtsordnung, im engsten Verständnis die Gerichtsbarkeit betraf. Die Autoren der Frühen Neuzeit, die in der vorliegenden Studie untersucht werden, gingen davon aus, dass sich aus der mosaischen Gesetzgebung indirekt oder direkt ein Vorbild für ihr gegenwärtiges Gemeinwesen ableiten ließ. Einige dieser Autoren formulierten dies sogar in der Weise, dass die Gesetze des Mose als Ursprung aller guten Gesetze auf Erden angesehen werden könnten. Thema der vorliegenden Arbeit sind somit Texte und Autoren des 15. bis 17. Jahrhunderts, die sich mit dem Ursprung allen Rechts beschäftigt haben und die mosaische Gesetzgebung als Rechtsvorbild für ihr damaliges politisches Gemeinwesen verstanden. Gegenstand ist hingegen nicht der historische Ursprung des Rechts an sich. Es geht vielmehr um einen historischen Einblick in die Texte und Autoren, die sich wiederum selbst mit einem solchen idealen Ursprung des Rechts beschäftigten. Eine solche historische Perspektive muss nicht weniger Relevanz als das Fragen nach dem historischen Ort und der Vergleichbarkeit der mosaischen Gesetze selbst haben. Eine Beschreibung der Zusammenhänge und Differenzen der betreffenden Schriften mit ihren je eigenen Kontexten kann vielmehr dazu beitragen, heutige Debatten über die Fundierungen des Rechts historisch zu erhellen. Wieso aber sollten für diese Debatten gerade solche vor hunderten von Jahren verfasste Schriften, die von einem Ideal der mosaischen Gesetze ausgingen, relevant sein? Eine erste Antwort kann sich allgemein auf die Bedeutung der Gestalt Mose und der mosaischen Gesetze in den drei großen Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam beziehen. Mit Mose verbindet sich in zentraler Weise im jüdischen und christlichen Glauben die Offenbarung des Gesetzes Gottes,
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Einleitung
wenngleich Mose nach biblischer Schilderung weit mehr ist als der Gesetzesmittler Gottes.1 In der Hebräischen Bibel (dem Alten Testament der Christen) kann Mose zum Propheten schlechthin erhoben werden,2 ist Wundertäter,3 Priester,4 Anführer des jüdischen Volkes in der Erfahrung des Exodus5 und dessen Fürsprecher vor Gott,6 erscheint als Lehrer und auch als Knecht Gottes.7 Im Neuen Testament wird Mose vor allem als Typos des späteren Christus8 gedeutet und zur Verkörperung des Gesetzes schlechthin.9 Die Schnittmengen in der Gestalt von Mose zum Islam hin sind besonders groß: Im Koran ist Mose die biblische Gestalt, die mit großem Abstand noch vor Abraham, dem „Urvater“ der sog. abrahamitischen Religionen, oder Jesus am häufigsten erwähnt wird und ebenfalls als Gesetzesmittler im Auftrag Gottes handelt.10 Diese gemeinsamen Grundlagen, die nach jüdischem, christlichem und muslimischem Glauben damit in den Gesetzen Moses zu finden sind, haben in jüngerer Zeit unter anderem die Suche nach „allgemein-ethischen Kriterien“ der Weltreligionen angeregt, um z. B. im Namen eines „Projekts Weltethos“ (Hans Küng) dabei „gerade vor dem Horizont des Absoluten das wahrhaft Menschliche, das Humanum wirksam zur Geltung zu bringen.“11 Könnten z. B. in diesem Sinne die Zehn Gebote wirklich, wie Thomas Mann im Exil während des Zweiten Weltkrieges und der Zeit des deutschen Nationalsozialismus formulierte, als das „BündigBindende“ gelten, die „das ABC des Menschenbenehmens“12 formulieren? Ist 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Ex 24,12; 31,18. Dtn 18,15ff; 34,10. Ex 4,21; 7,1ff. Ex 24,3–8. Ex 17,8–16. Dtn 9,18ff; Jer 15,11. Dtn 34,5; Ps 77,21; 99,6. 2Kor 3,5–18; Hebr 3,1–6 u. ö. Joh 1,17; 2Kor 3,15; Hebr 9,19; 10,28. Eißler, Mose im Islam, 112f. Küng, Projekt Weltethos, 114; vgl. mit Bezug auf Küng bereits Böttrich, Mose im Christentum, 107f. In dem 1990 zum ersten Mal erscheinenden Buch Projekt Weltethos von Küng finden sich neben der genannten Stelle erst noch relativ wenige konkrete Bezugnahmen auf die Zehn Gebote. Hier und vor allem in der Chicagoer Erklärung zum Weltethos des Council des Parlaments der Weltreligionen von 1993 wird vor allem die Goldene Regel als ethische Gesamtgrundlage der Weltreligionen gedeutet. Vgl. dagegen die am Vergleich von „jüdischchristlichem Dekalog“ (aus Ex 20,1–21) und „islamischem Pflichtenkodex“ (Sure 17,22–38) orientierte Konstruktion eines gemeinsamen Grundethos von Judentum, Christentum und Islam in Küng, Das Judentum, 72; dazu auch Küng, Weltethos aus jüdischen Quellen, 21–23. Im zuletzt genannten Aufsatz geht Küng auch näher auf die jüdische Tradition der noachidischen Gebote ein und bringt diese bemerkenswerterweise für die christliche Seite mit dem im 17. Jahrhundert schreibenden englischen Universalgelehrten und Orientalisten John Selden in Verbindung (vgl. aaO., 24–27). Selden wird am Ende der vorliegenden Untersuchung noch einmal in Betracht kommen. 12 Mann, Das Gesetz, 93.
Relevanz des Themas
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dies heute überhaupt noch in einer Zeit, in der international anerkannte Menschenrechte existieren, von Belang? Benötigen diese noch eine historische Fundierung, die in irgendeiner Weise mit Religion(en) zu tun hat?13 Geschichtlich gesehen könnte man dem die viel diskutierte These des Heidelberger Ägyptologen Jan Assmann entgegenhalten, dass am Anfang der Religionsstiftung unter Mose doch nicht das Gemeinsame stand, sondern gerade die Differenz in Form der „mosaischen Unterscheidung“.14 Assmann sieht gerade darin den Beginn des Monotheismus gegeben. Doch dies führt letztlich nur wieder zurück zu der Frage, ob in den mosaischen Gesetzen etwas formuliert wird, das so tief religiös verwurzelt ist, dass es sich erst gar nicht für die Begründung allgemein-ethischer Kriterien oder universaler Rechte eignet. Zweitens, angesichts aktueller internationaler Konfliktlagen und auch religiös motivierter kriegerischer Auseinandersetzungen scheint die angesprochene Frage nach gemeinsamen ethischen, rechtlichen, religiösen und politischen Grundlagen und Werten aktueller denn je zu sein. Dabei geht es in entscheidender Weise auch um eine säkulare Legitimierung des staatlichen Gewaltmonopols, die in den sog. westlichen Kulturen oft als Errungenschaft der Aufklärung wahrgenommen wird. Wie dies mit der Themenstellung dieser Arbeit zusammenhängt, kann an einem Beispiel illustriert werden: In dem politischen Essay Gegen den Strom. Für eine säkulare Republik Europa (2013) spricht sich der deutsche Geschichtswissenschaftler Egon Flaig nicht nur für eine universale Geltung von „Regeln der Rationalität“ und Menschenrechte „ohne göttliche Garantie“ aus, die als Erbe der griechischen Antike und Aufklärung in Europa beschrieben werden – einem Europa, das ganz nebenbei die Auflösung der Europäischen Union verlange.15 Hinter den Bedrohungsszenarien, die vor allem gegenüber einer Gefahr der islamischen Religion konstruiert werden und in vermehrt oberflächlichen Äußerungen münden, steht auch die verallgemeinernde Wahrnehmung, dass die „gängige Meinung, es habe der Monotheismus eine besondere ‚Rationalisierung‘ in den von ihm erfaßten Kulturen bewirkt“, 13 Eine aktuelle differenzierte Rechtsperspektive auf das Verhältnis von religiösen Freiheiten, Demokratie und internationalen Menschenrechten bietet Green/Witte, Jr., Religious Freedom, bes. 590–595 mit einem Überblick. 14 Bei der mosaischen Unterscheidung geht es letztlich um eine „Identifizierung von Moses mit einer verschobenen Erinnerung an Echnaton“, Pharao Amenophis IV. (Assmann, Moses der Ägypter, 48), wobei Assmann Mose als eine Figur der Erinnerung des kollektiven Gedächtnisses deutet, Echnaton hingegen als Figur der Geschichte. Allerdings führt diese Identifizierung von Mose Assmann selbst zu weitreichenden und zuletzt viel debattierten Aussagen über den Monotheismus und die Unterscheidung zwischen wahr und unwahr in der Religion (vgl. aaO., 17–23; 47–82; dazu Assmann, Mosaische Unterscheidung mit kritischen Diskussionsbeiträgen). 15 Flaig, Gegen den Strom, 231–242. Das ganze Buch beginnt mit einem „Plädoyer für die Auflösung der Europäischen Union“ als Vorwort (aaO., 9–16).
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Einleitung
schließlich „ein Märchen“ sei.16 „Republikanische Verfassungen, kodifiziertes Recht und die Wissenschaft als besondere Episteme entstanden außerhalb der monotheistischen Reichweite.“17 Man könnte nun solche Thesen leicht mit der polemischen Ausrichtung eines politischen Essays erklären, bauten sie nicht auch auf historischen Beschreibungen auf, die bereits als von der Forschung widerlegt gelten können. Dies betrifft z. B. Ergebnisse der Debatten um das Konfessionalisierungsparadigma vor allem in der deutschen Forschungslandschaft ebenso wie die Arbeiten, die das jüdische und biblische Erbe in der Frühen Neuzeit und Aufklärung zuletzt unterstrichen haben.18 Zu beiden Bereichen wurden positive Beiträge der Religionen (z. B. aus biblischen oder jüdisch-rabbinischen Quellen) und Konfession(en) (z. B. auch in Konkurrenzkonstellationen) für die Entstehung republikanischer Verfassungen, kodifizierten Rechts und für das, was Flaig als „Rationalität“ bezeichnet, herausgearbeitet. Für die Vorstellung einer Theokratie („Gottesstaat“), die begrifflich auf den späthellenistischen jüdischen Geschichtsschreiber Flavius Josephus zurückgeht und die von Flaig als Gegenfolie und „Feind der Republik“ gewertet wird,19 konnte z. B. gezeigt werden, dass sie fester Bestandteil in der republikanischen Ideengeschichte seit der Frühen Neuzeit wurde und aus ihr Gedanken von Toleranz und 16 AaO., 173. 17 Ebd. 18 Vgl. die klassischen Ansätze von Reinhard und Schilling zur Konfessionalisierung, die sich auf die Formierung und Verdichtung von Staatlichkeit in der Verzahnung mit den Konfessionen konzentrieren (Reinhard, Zwang zur Konfessionalisierung; Schilling, Konfessionalisierung im Reich). Vgl. außerdem Schmidt, Konfessionalisierung im 16. Jahrhundert; Schubert, Kommunikation und Konkurrenz und neuerdings auch den Überblick bei SchornSchütte, Gottes Wort. In der vorliegenden Arbeit wird eine trans- und binnenkonfessionelle Perspektive auf das Konfessionalisierungsparadigma gewählt, die bereits angezeigt ist bei Kaufmann, Einleitung. „Transkonfessionelle Aspekte“ betreffen im Folgenden darüber hinaus die Aspekte, die über eine konfessionelle Betrachtung hinausführen und z. B. nicht nur Formen des Humanismus, sondern auch – gerade angesichts des zu behandelnden Themas – die Verhältnisse zum Judentum einbeziehen. Letzteres wird allerdings auch nur dann im Hauptteil zu untersuchen sein, wo dies die Quellenschriften nahelegen, siehe bes. Abschn. 4.5.4 u. Abschn. 5.2.3. Vgl. ansonsten die allgemeinen Perspektiven bei Nirenberg, „Jüdisch“ als politisches Konzept; ders., Anti-Judaism; Goodman-Thau/Oz-Salzberger, Tradition und Säkularisierung; Totzeck, Politischer Hebraismus, 218–222. 240f. Für die Frühe Neuzeit, insbesondere die Reformationszeit und Reformatoren, sind diesbezüglich bereits zahlreiche Untersuchungen erschienen, vgl. etwa Bodian, Reformation and the Jews; Detmers, Reformation und Judentum; ders., Vom „Judaismus“ zum „Antijudaismus“; ders., Calvin, the Jews, and Judaism; ders./Lange van Ravenswaay, Bundeseinheit und Gottesvolk; Lange van Ravenswaay, Calvin und die Juden; Kirn, Zwingli, the Jews, and Judaism; ders., Luther und die Juden; Kaufmann, Luthers „Judenschriften“; Wendebourg, Juden und Martin Luther; Wengert, Melanchthon and the Jews; Hobbs, Bucer, the Jews, and Judaism; Oberman, Wurzeln des Antisemitismus; Rummel, Humanists; Carlebach, Jewish Responses; Schreiner, Jüdische Reaktionen. 19 Vgl. Flaig, Gegen den Strom, 91–104.
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Religionsfreiheit entsprangen.20 Der Theokratie-Gedanke aber wird uns im Weiteren noch ausführlicher beschäftigen, nicht zuletzt weil damit unweigerlich die Gestalt von Mose und die mosaischen Gesetze verbunden sind. Ein dritter Gedankengang führt noch einmal zurück in die Gegenwart, allerdings zu einer noch einmal etwas anderen Sichtweise auf die unterschiedlichen Kulturwirkungen der Gesetze Moses, die auch gegenwärtig noch bis in das Alltagsgeschehen hineinreichen können: Lebe ich heute in Deutschland, so gilt am Sonntag eine gesetzlich geregelte Arbeitsruhe, derzufolge in der Regel auch die Geschäfte geschlossen bleiben.21 Die lange Wirkungsgeschichte des Sabbatgebotes22 hat hier unübersehbar andere Verläufe genommen als in anderen Ländern. In den Vereinigten Staaten von Amerika, wo eine rechtliche Klärung religiöser Freiheiten und das Verhältnis von Kirche und Staat maßgeblich von der Auslegung des Ersten Zusatzartikels der Verfassung abhängt, stellt sich die Lage beispielsweise anders und auch nicht weniger komplex dar: So entschied der Oberste Gerichtshof (Supreme Court) im Jahr 1963, dass einer Siebenten-TagAdventistin, die ihre Arbeitsstelle verlor, weil sie sich weigerte, am Samstag (dem Tag des Sabbats in ihrem religiösen Glauben) zu arbeiten, staatliche Rekompensation in Form von Sozialhilfe zuzugestehen ist, weil anders ihre Rechte auf freie Religionsausübung eingeschränkt würden.23 In einem anderen Fall aus dem Jahr 1980 dagegen wurde eine staatliche Verordnung, die das Aufhängen einer Tafel mit den Zehn Geboten in öffentlichen Schulen vorsah, vom Obersten Gerichtshof wieder aufgehoben, weil der Staat damit selbst in die Belange der Religion eingegriffen habe.24 Dies zeigt, dass die Fragen der Geltung der mosaischen Gesetze auch heute in unterschiedlichen Formen nicht aus dem Bewusstsein der Menschen verschwunden sind und auch nur vor dem Hintergrund unter20 Vgl. zuletzt bes. Nelson, Rise of Republican Exclusivism; ders., Hebrew Republic. Siehe auch weiter unten, die Diskussion im folgenden Abschn. 2 zum Forschungsüberblick. 21 Vgl. Art. 140 des Deutschen Grundgesetzes und schon Art. 139/141 Weimarer Verfassung; zum Sabbatgebot auch Deuser, Zehn Gebote, 62–71. 22 Deuser kommt angesichts der Arbeitsruhe zu folgendem theologisch-ethischem Urteil: „Die Verbindung von Feiertag als Zwang zur Arbeitsruhe und öffentlicher Stille einerseits und christlichem Gottesdienst andererseits war theologisch gesehen nicht ursprünglich, ist historisch immer uneinheitlich gewesen und in der heute in Deutschland geläufigen Form erst Ende des 19. Jahrhunderts durchgesetzt worden. Trotzdem: Gegenüber naiver Säkularisierung, rücksichtsloser Profanisierung und der Totalisierung des platt Alltäglichen hilft die Besinnung auf den übergeordneten Schöpfungs- und Lebenszusammenhang, der sich als solcher im Rhythmus der Woche darstellt“ (aaO., 69). 23 Sherbert v. Verner, 374 U.S. 398 (1963); vgl. Witte, Jr., American Constitutional Experiment, 159. 24 Stone v. Graham, 449 U.S. 39 (1980); vgl. aaO., 206f: Die Tafeln mit den Zehn Geboten wurden von privaten Gruppen finanziert und aufgehängt. Das Verlesen der Gebote von den Lehrern oder Angestellten der Schule war nicht vorgesehen und die Tafeln selbst trugen die Aufschrift „The secular application of the Ten Commandments is clearly seen in its adoption as the fundamental legal code of Western Civilization and the Common Law of the United States.“
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schiedlich großer zeitlich-kultureller Unterschiede und komplexer Rechtssysteme geklärt werden können. Der Graben von mehr oder weniger als einem halben Jahrtausend darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Geltungsfragen zu den mosaischen Gesetzen auch in der Frühen Neuzeit – gleichwohl unter ganz anderen historischen Rahmenbedingungen – zur Debatte standen. Auch wenn die heutige Komplexität anerkannter und geltender Gesetze, Rechte und Freiheiten sich natürlich nicht mehr mit der frühneuzeitlichen deckt, so nehmen die Diskurse in der Frühen Neuzeit, die im Folgenden zum Thema werden, vieles von dem vorweg, was auch heute noch Aktualität hat: so z. B. die Frage nach dem Alter und der Vergleichbarkeit des Rechts der Völker, des Verhältnisses von Kirche und Staat, des Naturrechts und der Begründung von Herrschafts- und Souveränitätsrechten. In alle diese Bereiche und darüber hinaus reichen in der Frühen Neuzeit die Debatten über die mosaischen Gesetze hinein. Am Anfang solcher Debatten konnte die scheinbar einfache Frage stehen, welchen Umfang die Gesetze haben, die dem mosaischen Gesetzeskorpus zugeschrieben werden. Weitergehende Fragen fügten sich direkt daran an: Ist nicht Gott der eigentliche Gesetzgeber, der dem israelitischen Volk seine Weisungen offenbart hat – welchen Sinn ergibt es dann, von Mose als dem Gesetzgeber zu sprechen? Wenn Mose einst Gesetzgeber des jüdischen Volkes war, warum sollte das, was spezifisch für dieses Volk in seiner Gesetzgebung formuliert war, noch für andere Völker, Gemeinwesen und Staaten von Belang sein? Sollte – wenn überhaupt – lediglich das „Bündig-Bindende“ der Zehn Gebote noch weiterhin Geltung haben oder nicht doch auch noch andere Gebote, die in den ersten fünf Büchern Moses in der Bibel niedergeschrieben sind? Schließlich: Was trieb Gelehrte in der Frühen Neuzeit dazu, ganze Bücher und Bände über eben jenes Vorbild der mosaischen Gesetze zu schreiben?
Forschungsüberblick und methodische Probleme Zunächst ist zu konstatieren, dass die Auffassungen und Debatten über die Geltung und politische Relevanz der mosaischen Gesetze in der Frühen Neuzeit bisher nur unzureichend erforscht sind. Dies erstaunt zunächst vielleicht, weil demgegenüber die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der verschiedenen Mose-Traditionen und der mosaischen Gesetze bereits in der Breite aufgearbeitet wurde.25 Eine heute nur noch wenig beachtete kleinere Studie von Pieter J. Ver25 Den neuesten Stand der Forschung gibt der im Jahr 2014 erschienene Sammelband Beal, Illuminating Moses wieder. Die darin enthaltenen Beiträge reichen zeitlich von der Antike bis in die Renaissance. Einen kurzen und präzisen Überblick bietet Otto, Mose; zur interreligiösen Perspektive vgl. auch genauer Böttrich/Ego/Eißler, Mose in Judentum, Christentum
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dam mit dem Titel Mosaic Law in Practice and Study throughout the Ages widmet sich dem im Titel formulierten Thema in einem kühnen Durchgang von der Antike bis zum „triumph of the comparative study of law“26 im 19. und 20. Jahrhundert. Im Mittelpunkt steht, wie sich damit leicht erahnen lässt, eine rechtskomparative Perspektive, wobei Verdam in der Antike bei zwei unterschiedlichen jüdischen und christlichen Entwicklungslinien ansetzt.27 Durch den intendierten Überblick beschränken sich die Ausführungen über die Frühe Neuzeit aber lediglich auf zwölf Seiten28 und können deswegen zur vorliegenden Untersuchung nicht allzu viel beitragen. Die wenigen Darstellungen aber, die sich auf das 15. bis 17. Jahrhundert richten, lassen entweder viele Fragen offen oder beschränken sich auf einzelne Aspekte und Autoren. Den einzigen und zugleich wenig befriedigenden jüngeren Überblick über die (frühe) Reformationszeit beispielsweise bietet eine Dissertation aus dem Jahr 2012.29 Hinzu kommen ältere Einzeluntersuchungen wie die 1955 erschienene Arbeit Luthers Streit mit den Schwärmern um das rechte Verständnis des Gesetzes Mose (1955) von Hayo Gerdes, die als vorbelastet gelten können.30 Schließlich ist noch mit Graham Hammills The Mosaic Constitution. Political Theology and Imagination from Machiavelli to Milton ein erst im Jahr 2012 erschienenes Buch hervorzuheben, das allein vom Titel her gelesen eine enge Parallele zur vorliegenden Studie nahelegt. Allerdings unterscheidet sich Hammills Ansatz bei der politischen Theologie, in der zeitlichen Einschränkung und Auswahl an Autoren grund-
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und Islam. Vgl. außerdem Assmann, Moses der Ägypter und die kritischen Bemerkungen zum Stand der Forschung zum historischen Mose bei Smend, Mose als geschichtliche Gestalt. Eine Philosophiegeschichte der Idee des göttlichen Gesetzes (also nicht spezifisch der mosaischen Gesetze) ist von Brague, Law of God geschrieben worden. Allerdings sind die philosophischen Betrachtungen in den meisten Fällen so allgemein gehalten, dass sie, gerade angesichts der Entwicklungen in der Frühen Neuzeit, zur folgenden Untersuchung nicht viel beitragen. Schließlich ist abschließend darauf zu verweisen, dass wirkungsgeschichtlich natürlich die Zehn Gebote als Teil der mosaischen Gesetze das meiste Interesse in der Forschung gefunden haben, vgl. die Zugänge bei Köckert, Zehn Gebote; Deuser, Zehn Gebote; Graf, Moses Vermächtnis. Vgl. Verdam, Mosaic Law in Practice and Study, 43–49. Vgl. aaO., 3–7 mit 7–15. Vgl. aaO., 27–39. Vgl. McDurmon, Rejections of Mosaic Civil Law. Gerdes geht es vorrangig darum, das rechte Verständnis der mosaischen Gesetze von Martin Luther gegenüber den falschen Lehren eines Andreas Bodenstein von Karlstadt oder Thomas Müntzer zu profilieren. Vgl. z. B. Gerdes, Luthers Streit mit den Schwärmern, 30 („Wie sich hier Karlstadt fast im selben Atemzug widerspricht, so ist sein ganzes System ein einziger Widerspruch in sich selbst.“); 79 („Während also bei Karlstadt die unverbrüchliche Schriftautorität das Grunddatum seines Systems ist und die Geistlehre ein wenig durchdachtes Mittel zu dessen Durchführung, steht die Sache bei Müntzer ganz anders. Zur Schrift hat er überhaupt kein sicheres Verhältnis.“).
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sätzlich von dem der folgenden Untersuchung.31 Zu klären gilt es, warum und in welchem Zusammenhang Werke über das Vorbild der mosaischen Gesetzgebung in der Frühen Neuzeit verfasst wurden, bevor Rückschlüsse auf deren Einflüsse möglich werden. Gerade die Frage nach den Entstehungshintergründen ist nämlich in der bisherigen Forschung unterschiedlich beantwortet worden und hat damit teilweise auch schon zu abweichenden Wahrnehmungen hinsichtlich möglicher Wirkungen auf die Politik-, Theologie- und Rechtsgeschichte geführt, wie sie Hammill beschreibt. In aller Kürze gesagt, wird es in der vorliegenden Studie vor allem darum gehen, solche Schriften in den Debatten über die politische Relevanz der mosaischen Gesetze in der Frühen Neuzeit wahrzunehmen, die bisher in den meisten Fällen in den allgemeinen und politischen Geschichtswissenschaften unter anderen Gesichtspunkten oder noch gar nicht in den Blick gekommen sind. Drei dieser Gesichtspunkte stechen dabei besonders hervor und bilden zugleich gegenwärtige Diskussionen in der Forschung, die aufs Engste zusammengehören: die Diskussion über den sog. politischen Hebraismus und eine Orientierung am jüdischen Gemeinwesen als politisches Modell, die Theokratie-Vorstellungen der Frühen Neuzeit und schließlich der allgemeine Gebrauch und die Verwendung der Bibel in einem politischen Sinn. Im Jahr 1996 veröffentlichte Lea Campos Boralevi unter dem Titel Per una storia della Respublica Hebraeorum come modello politico einen programmatischen Aufsatz, der zur Rückbesinnung in der Forschung auf die „Republik der Hebräer“ als Modell in der Geschichte des politischen Denkens, insbesondere der republikanischen Tradition, aufrief.32 Adressiert wird mit der respublica He31 Hammill geht es mit der „mosaischen Verfassung“ („Mosaic constitution“) in erster Linie um ein imaginatives Gebilde, das Autoren der Frühen Neuzeit als eine Form von politischer Theologie hervorgebracht hätten (Hammill, Mosaic Constitution, 11–20 mit 3–11 zur „political theology, metaphor, imagination“; vgl. auch aaO., 25: „As a figure that binds politics and religion through imagination, the Mosaic constitution persists well beyond its early modern manifestations and continues into the modern world as well.“). Hier in der vorliegenden Arbeit geht es dagegen vor allem um einen historischen Zugang zu den Formen und Hintergründen der frühneuzeitlichen Schriften, die sich an der mosaischen Gesetzgebung in rechtlich-politischer Hinsicht orientierten. Hammills Werk setzt einen historischen Sprung von Machiavelli ins frühneuzeitliche England des ausgehenden 16. Jahrhunderts voraus, der dann weiter über Spinoza und Hobbes bis zu James Harrington, John Milton und anderen Denkern gezogen wird (vgl. aaO., 21–25. 67–73. 103–105. 208–211). Schon John Pocock hatte in seinem einschlägigen Werk The Machiavellian Moment eine Entwicklungslinie von Machiavelli zu Harrington gezogen. In ähnlicher Weise wurde diese These dann auch von Alison Brown aufgenommen (zu Brown und Pocock siehe die einleitenden Bemerkungen zu Abschn. 1.3.3). Ziel dieser Arbeit jedoch soll es sein, die (vielleicht vergessenen) Texte in dem ausgeblendeten Zeitraum „dazwischen“ wahrzunehmen, die wohl überhaupt erst einen breiten Diskurs über das Vorbild der mosaischen Gesetzgebung im 17. Jahrhundert ermöglichten. 32 „La storiografia recente ha visto crescere in modo notevolissimo gli studi sul pensiero politico repubblicano […]. In tutto questo panorama complesso e ancora dinamico, tuttavia, non è mai stata trattata sistematicamente la questione della Respublica Hebraeorum, ossia del
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braeorum ein Verständnis des antiken Israels als Verfassungsmodell, das frühneuzeitliche Autoren vor allem auf Grundlage der Bibel (besonders des Alten Testaments) als Quelle der Legitimation, Inspiration und ethisch-politischer exempla entwickelten.33 Campos Boralevis thesenreicher Aufsatz ging vor allem aus ihrer Arbeit an einer Neuausgabe der englischen Werkfassung The Commonwealth of the Hebrews (1653, zuerst: De republica Hebraeorum libri III, Leiden 1617) des niederländischen Gelehrten Peter van der Cun (Petrus Cunaeus) hervor.34 Dieses Werk entfaltete im Laufe des 17. Jahrhunderts eine enorme Wirkung und inspirierte viele weitere Denker zu einer Beschäftigung mit dem antiken Gemeinwesen Israels. Von Bedeutung war es auch für die Entfaltung einer republikanischen Tradition, die ihre Wurzeln, wie Campos Boralevi auswies, eben in antiken Verfassungsmodellen nicht nur der Griechen und Römer, sondern auch der Hebräer hatte.35 Weitere Arbeiten Campos Boralevis gingen dann spezifischer den Fragen nach, die bereits mit dem Aufsatz von 1996 gestellt waren, nämlich zum einen, welche Rolle die Bibel selbst spielte, wenn Autoren auf das antike jüdische Gemeinwesen (politia judaica) als politisches Modell zurückgriffen,36 und zum anderen, welche Bedeutung außerbiblischen (vor allem jüdischen) Quellen zukam.37 Oft übersehen wird abgesehen von Campos Boralevis Beiträgen, dass bereits zu Beginn der 1990er Jahre um diese beiden Fragestellungen Klärungsansätze für das Aufkommen einer politischen Konzeptualisierung des antiken jüdischen Gemeinwesens in der Frühen Neuzeit kreisten. So beinhaltete die in vielerlei Hinsicht für die Erforschung des christlichen Hebraismus und Judaismus inhaltsreiche Studie von Frank E. Manuel The Broken Staff. Judaism through Christian Eyes (1992) bereits ein Unterkapitel über die Anatomy of the Republic of the Hebrews, das sich auf das 17. Jahrhundert
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modello costituzionale dell’antico Israele desunto dalla lettura della Bibbia: non si è mai tentato cioè di delinearne le origini e la diffusione nell’Europa umanistica, come fonte di legittimazione di dottrine ed istituzioni esistenti, o di ispirazione per progetti politici concreti e/o utopici, all’interno della tradizione repubblicana. In breve, non si è mai cercato finora di valutare l’importanza del ‚modello di repubblica ebraica‘ nella storia del repubblicanesimo moderno in generale, e non solo in alcune aree geografiche e all’interno di determinati contesti religiosi“ (Campos Boralevi, Per una storia della Respublica Hebraeorum, 17). Vgl. aaO., 17f. Vgl. ausführlich einleitend zum Neudruck der Schrift Campos Boralevi, Introduzione; zum niederländischen Kontext der Schrift und mit weitergehenden Hinweisen zur Geschichte des Republikanismus Campos Boralevi, Classical Foundational Myths, bes. 248–254. Vgl. Campos Boralevi, Per una storia della Respublica Hebraeorum, 19. Vgl. hierzu vor allem die einzelnen Beiträge in dem Sammelband Campos Boralevi/Quaglioni, Politeia Biblica. Vgl. Campos Boralevi, Mosè legislatore, wo vor allem mit Bezug auf die Arbeiten von Heinrich Schreckenberg, Arnaldo Momigliano und Christopher Ligota von einer Verbreitung der Werke des späthellenistischen jüdischen Geschichtsschreibers Flavius Josephus im Sinne einer „Flavius-Josephus-Renaissance“ des 16. Jahrhunderts die Rede ist.
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konzentrierte, aber zeitlich gesehen auch weit darüber hinausging.38 Manuel bietet in diesem Unterkapitel ein Panorama von Gelehrten von Jean Bodin bis Thomas Hobbes, die sich mit dem „antiken jüdischen Gemeinwesen als politische Einheit“ beschäftigten.39 Teils nur stichwortartig und ohne genaue Klärung einer historischen Genese werden einschlägige Werke von Autoren wie John Selden, Jean Bodin, Petrus Cunaeus, Cotton Mather, Carlo Sigonio, Corneille Bertram, John Spencer, Baruch de Spinoza, George Hickes bis hin zu dem erst Mitte des 18. Jahrhunderts schreibenden Moses Lowman in einem Durchgang abgehandelt.40 Dabei wird von Manuel vor allem der Beitrag, den christliche Hebraisten beim Rückgriff auf jüdisch-hebräische Quellen leisteten, betont41 und eine Entwicklung beschrieben, an deren Ende im Christentum auch das alte jüdische Gemeinwesen nicht mehr gegen den „säkularen Geist“ („secular spirit“) immun geblieben sei.42 Einen anderen zeitlichen wie kontextuellen Rahmen setzt ein Aufsatz Bernard Roussels, ebenfalls aus dem Jahr 1992. Roussel bezieht sich zum Teil auf dieselben Werke wie Frank E. Manuel, spricht aber von einer Kenntnis und Interpretation des „antiken Judaismus“ durch „christliche Biblisten“ („biblistes chrétiens“).43 Dabei konzentriert er sich auf das 16. Jahrhundert. Gegenüber Manuel berücksichtigt Roussel zudem viel stärker die konfessionellen Zugehörigkeiten der Autoren und stellt Einflüsse auf die einzelnen Werke fest.44 Roussels Arbeit gehört in einen Zusammenhang mit den umfangreichen Erforschungen der frühneuzeitlichen Auslegungsgeschichte des Alten Testaments und ihrer politischen Dimensionen von François Laplanche, der ebenfalls schon auf die konfessionellen Eigenarten der Autoren eingegangen 38 Das genannte Unterkapitel behandelt Manuel im Rahmen des übergeordneten Aspekts von Seventeenth-Century Uses of Historical Judaism, so der Titel des fünften Kapitels seines Werkes (vgl. Manuel, Broken Staff, 108–161). 39 Vgl. aaO., 115. 40 Die Liste der hier genannten Autoren orientiert sich an der Reihenfolge, die Manuel selbst in dem Kapitel wählt (vgl. insgesamt aaO., 115–128). 41 „In a Christian world, the one government directly decreed by God and described in action in the Old Testament could be accepted as the most perfect, rejected as completely superseded by the law of Christ and thus of no contemporary validity, or respected as a historical experience from which there was still wisdom to be drawn. Christian Hebraists sought to reconstitute a political and institutional history of ancient Israel from its beginnings to the time of Jesus, and those with a knowledge of Hebrew appealed to rabbinic commentators as authorities to bolster views of the ideal polity that Christians had derived from Aristotle and to a lesser degree from Plato. The framework and the nomenclature remained Hellenic, but the infusion of examples from ancient Jewish history altered the spiritual content and force of the theory“ (aaO., 115). 42 Vgl. aaO., 119. 43 Vgl. Roussel, Connaissance et interprétation du judaisme antique, 21 mit Anm. 1 zur Terminologie. 44 Vgl. z. B. aaO., 39f die innerkonfessionellen und transkonfessionellen Aspekte zu Corneille Bertrams Werk De politia judaica (1574).
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war.45 Auch wenn die historischen Zugänge und Ergebnisse von Forschern wie Lea Campos Boralevi, Frank E. Manuel, Bernard Roussel oder François Laplanche im Einzelnen somit voneinander abwichen, war die Konsequenz doch, dass in der Politikgeschichte seit den 1990er Jahren wieder vermehrt nach den Anteilen des jüdisch-hebräischen Erbes im politischen Denken gefragt wurde. Nur so lässt es sich erklären, dass schließlich auch ein eigener Forschungsstrang entstand, der sich mit dem sog. politischen Hebraismus („political Hebraism“) auseinandersetzte. Dass sich unter der Bezeichnung „politischer Hebraismus“ ein Forschungsfeld etablieren konnte, ist maßgeblich auf eine internationale Tagung zurückzuführen, die unter diesem Leitbegriff 2004 in Jerusalem stattfand.46 Die Konferenz stellte vor allem die Frage nach dem Stellenwert der hebräischen Sprache, alttestamentlicher Bilder, rabbinischer Quellen und generell jüdischer Themen im politischen Denken der Frühen Neuzeit.47 Bereits Frank E. Manuel hatte in der erwähnten Darlegung zur Anatomy of the Republic of the Hebrews von einer „Hebraic political theory“ gesprochen und diese mit der biblischen und rabbinischen Tradition, die christliche Hebraisten aufnahmen und weiterentwickelten, verbunden.48 Im Weiteren hat sich dann der Begriff „political Hebraism“ vor allem in der englischsprachigen Forschung etabliert. Dies kann daran verdeutlicht werden, dass im Jahr 2005 unter dieser Bezeichnung Political Hebraism ein eigenes wissenschaftliches Zeitschriftenorgan ins Leben gerufen wurde, dessen Spektrum an Beiträgen zeitlich von der Antike bis in die Neuzeit reicht. Dahinter steht das Programm einer Aufarbeitung der „Hebraic political tradition“ gegenüber einer griechischen und römischen Tradition des politischen Denkens.49 Soweit ich erkennen kann, liegt aber überhaupt bisher erst ein Aufsatz von Kalman Neuman vor, in dem genau festgelegt wird, was unter „politischem Hebraismus“ verstanden werden soll: Literarisch gesehen umfasse der politische Hebraismus Texte, die Bezüge auf die Hebräische Bibel und nachbiblische jüdische Texte in einem politischen Kontext herstellen, ohne dass diese Bezüge auf
45 Vgl. Laplanche, Tradition et modernité au XVIIe siècle; Laplanche, L’écriture, le sacré et l’histoire. Roussels Aufsatz stammt selbst aus dem von François Laplanche mitherausgegebenen Tagungsband Grell/Laplanche, La république des lettres et l’histoire du judaïsme. In jüngerer Zeit ist von ihm auch eine ältere Studie über die Respublica-Hebraeorum-Literatur neu in englischer Sprache erschienen, vgl. Laplanche, Christian Erudition, 5–18. 46 Der aus dieser Forschungstagung entstandene Sammelband Schochet/Oz-Salzberger/Jones, Political Hebraism gibt insgesamt einen Einblick in das weite Forschungsfeld, das sich allein für die Frühe Neuzeit unter dem Leitbegriff des politischen Hebraismus ausgebildet hat. 47 Vgl. einleitend zu dem Sammelband der Tagung Jones, Introduction, vii–xix, hier: x. 48 Vgl. Manuel, Broken Staff, 126. 49 Vgl. die Gründe für die Einrichtung und Ziele, die auf der Internetseite der Zeitschrift formuliert sind: http://www.hpstudies.org/20/aboutus.asp (Stand: 10. 4. 2015).
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Grundlage des eigentlichen hebräischen Textes zustande kommen müssen.50 Eine erste Frage, die einem gleich in den Sinn kommen mag, warum dann überhaupt noch von „Hebraismus“ gesprochen werden sollte, wenn der Bezug zum Hebräischen nicht als konstitutiv erachtet wird, wird noch im weiteren Verlauf zu diskutieren sein. Zunächst ist noch auf Neumans zwei weitere Zuspitzungen einzugehen: Zum einen verbinde sich mit dem politischen Hebraismus ein mehr systematischer Rückgriff auf die Bibel als Quelle für politische Ideen und nicht bloß z. B. ein Gebrauch von Bildern oder Beispielen.51 Zum anderen fügt Neuman noch an, dass der politische Hebraismus nicht als eine spezifische politische Position (z. B. ein bestimmtes Staatsmodell oder eine Verfassungsform) zu verstehen sei, sondern als ein „gemeinsamer Diskursmodus“.52 Neumans Definition des politischen Hebraismus lässt damit viele literarische Anschlussmöglichkeiten zu und ermöglicht es, im Grunde genommen jeden systematischen Bezug auf das Alte Testament, der politisch gemeint ist, als politischen Hebraismus zu interpretieren. Demgegenüber lässt sich aber doch beobachten, dass gerade im Bereich der Geschichte der Frühen Neuzeit eher eine bestimmte Form des „gemeinsamen Diskursmodus“ über die letzten Jahre in den Vordergrund getreten ist, und zwar genau die Literatur, die Lea Campos Boralevi mit dem politischen Modell der respublica Hebraeorum verbunden hatte. Auf die Respublica-Hebraeorum-Literatur bezieht sich Neuman selbst, nur dass deren Entstehung anders als bei Campos Boralevi nun als ein Phänomen des (christlichen) Hebraismus beschrieben wird.53 Zudem bleibt die Anzahl von Werken, die sich spezifisch dieser Literaturform zuordnen ließen, für Neuman stark begrenzt.54 Genannt werden von ihm lediglich sieben Schriften, die von Corneille 50 „For our purposes ,Hebraic political writing‘ refers to texts that convey readings of the Hebrew Bible (or postbiblical Jewish texts) in a political context, whether or not the author read those texts in the original Hebrew“ (Neuman, Political Hebraism, 58). Neumans Begründung dafür, dass trotz möglicher Missverständnisse auf den Begriff des „Hebraism“ zurückgegriffen wird (vgl. aaO., 66 mit Anm. 3f), ist nicht ganz plausibel, denn schließlich hätten auch andere Umschreibungen zur Verfügung gestanden. Insgesamt will Neuman vom theoretischen Ansatz her ausdrücklich an die sog. „Cambridge School“ um Quentin Skinner und John Pocock in der Neueren politischen Ideengeschichte anschließen (vgl. genauer aaO., 63 Anm. 20). 51 Vgl. aaO., 58. 52 „Political Hebraism is as a whole better seen as a common mode of discourse than as a defense of a specific political position“ (aaO., 60). 53 Dies geschieht vor allem mit Rückgriff auf die Vorarbeiten Frank E. Manuels (vgl. aaO., 59. 61). Den anderen Kontext, den Neuman noch mit Berufung auf die Studien von Arnoldo Momigliano und Anthony Grafton angibt, ist „the context of early modern antiquarianism“, und schließlich wird für die Tendenzen biblischer Studien des 17. Jahrhunderts auch mit Peter Miller von „the antiquarianization of biblical scholarship“ gesprochen (vgl. aaO., 61f mit 70 Anm. 30f). 54 So wäre zu fragen, warum nach den literarischen Ausschlusskriterien, die Neuman trifft, Werke wie z. B. Johann Kahls Themis Hebraeo-Romana, id est iurisprudentia Mosaica (1595)
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Bertrams Werk De politia judaica (1574) bis John Seldens De Synedriis (1650–55) reichen. Andere Arbeiten, die sich mit der Respublica-Hebraeorum-Literatur beschäftigt haben, weichen aber wiederum von dieser Titelliste ab. So verortet Sina Rauschenbach die Schriften de republica Hebraeorum als Geschichtsschreibung „zwischen“ den Phänomenen der „hebraica veritas“ und der Utopie.55 Sie spricht dann einerseits von „zahlreichen Bücher[n], die zwischen dem Ende des 16. und dem Beginn des 18. Jahrhunderts unter dem Titel ‚De Republica Hebraeorum‘“ publiziert worden seien, beschränkt sich aber andererseits insgesamt lediglich auf eine Liste von neun Werken in ihrer Studie. Neu, allerdings zugleich wenig überzeugend, in der Deutung der Respublica-Hebraeorum-Literatur, ist ihr Ansatz, dass die „Hebräischen Republiken“ als eine Form von „Utopia“ (wie Thomas Morus’ gleichnamiges Werk) gelesen werden könnten.56 Adam Sutcliffe betont dagegen die Rolle der Respublica-Hebraeorum-Literatur auf dem Weg zur Aufklärung und dem Republikanismus vor dem Hintergrund eines „philosemitischen Moments“57 und Abraham Melamed sucht wiederum stärker den Erklärungszusammenhang zum Aufleben des christlichen Hebraismus im frühneuzeitlichen Europa.58 Gerade bei diesen letzten beiden Arbeiten
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oder Giovanni Stefano Menochios De republica Hebraeorum libri octo (1648) nicht berücksichtigt werden. Bei der Auswahl der betreffenden Schriften wird, abgesehen von Corneille Bertrams Erstedition von De politia judaica (1574) – einem Werk, das nur wenig zur Sprache kommt –, streng nach den Übereinstimmungen in den Titeln verfahren, so dass entsprechende Texte von Bertram (Erstausgabe 1574), Carlo Sigonio (1582), Petrus Cunaeus (1617), Philipp Carolus (1627), Hermann Conring/Martin Müller (1648 – eine Dissertation!), Giovanni Stefano Menochio (1648), Joachim Ludwig Reimer (1657) und schließlich Melchior Leydekker (1704/ 1710) zusammengestellt werden (vgl. den bibiographischen Anhang in: Rauschenbach, Geschichtsschreibung, 35). „Dass die ‚Hebräischen Republiken‘ als Antworten auf die Suche nach einer vollkommenen Gesellschaft ebenfalls wie Utopien gelesen werden können, ist von der Forschung bisher nicht wahrgenommen worden. Und doch sind die Parallelen auffällig. Alle angeführten Autoren, von Sigonius und Bertram über Cunaeus, Menochius und Leydekker, beschreiben Gegenentwürfe zu oder Vorbilder für die Gesellschaften ihrer Zeit, stellen einen Zustand der Perfektion vor, der nur möglich ist durch das unmittelbare Eingreifen Gottes“ (aaO., 30f). Außer einer (wenig aussagekräftigen) Äußerung von John Toland aus dem Jahr 1710(!) liefert Rauschenbach allerdings keine konkreten Quellenhinweise, die eine Verbindung mit den Utopielehren eines Thomas Morus, Tommaso Campanella oder Francis Bacon zuließen. Gegen einen Vergleich mit der Utopie-Literatur spricht außerdem der primäre historische Zugang der Respublica-Hebraeorum-Literatur, der sich von dem fiktiven Gesellschaftbild in der Utopie z. B. eines Thomas Morus unterscheidet (vgl. zuletzt auch die genaueren literarischen Klärungen zu den Utopielehren in der umfangreichen Studie von Schölderle, Utopia und Utopie). Die hebräische Republik zur Zeit Moses wird in den Texten de republica Hebraeorum zwar zu einem Idealbild, aber doch vor allem deshalb, weil dieses Idealbild selbst aus anderen antiken Quellen neben dem biblischen Text übernommen wird, um es gleichzeitig für die politische Gegenwart (in unterschiedlichen Formen) relevant werden zu lassen. Vgl. Sutcliffe, Judaism; ders., Philosemitic Moment. Vgl. Melamed, Revival. Melamed hat sich zudem allgemeiner mit der Frage beschäftigt, ob es
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steht dann auch wieder die Entwicklung seit dem 17. Jahrhundert im Mittelpunkt. In der Folge hat die Auseinandersetzung mit dem Phänomen des sog. politischen Hebraismus dann auch die Arbeit an Modernisierungsthesen angeregt. Die am weitesten reichenden Thesen wurden sicherlich von Eric Nelson in seinem im Jahr 2010 erschienen Buch The Hebrew Republic. Jewish Sources and the Transformation of European Political Thought formuliert. Wie der Titel bereits andeutet, knüpft das Werk an die Respublica-Hebraeorum-Literatur an. Dabei wird vor allem die Verknüpfung mit jüdisch-rabbinischen Quellen in den Vordergrund gestellt und das Wiederaufleben der hebräischen Sprache und Studien („Hebrew Revival“) als Entstehungshintergrund der hebräisch-politischen Modelle ausgedeutet.59 Dieser Zugang wird von Nelson genutzt, um vor allem gegen eine traditionelle Darstellung in der Geschichte des politischen Denkens zu argumentieren, nach der das Aufkommen moderner Staaten im Westen als ein Prozess der Säkularisierung, genauer einer Loslösung vom Zeitalter der „politischen Theologie“ im 17. Jahrhundert, zu gelten habe.60 Nelsons Auffassung von dem „Hebrew Revival“ steht dem gegenüber, und zwar in dem Sinne, dass die bedeutenden Veränderungen im politischen Denken Europas gerade mit und von der Bibel her zu deuten seien. Für Christen habe die Hebräische Bibel mehr und mehr eine konstitutive Bedeutung für das politische Denken gewonnen. Welchen Einfluss dies auf das gesamt-europäische(!) politische Denken hatte, zeichnet Nelson diskursiv in drei Entwicklungen nach: Erstens sei nur vor dem Hintergrund biblischer königskritischer Stellen wie 1Sam 8 und rabbinischer Auslegungen hierzu zu erklären, wie es zu der Annahme kam, dass die Monarchie eine illegitime Verfassungsform sei und dass alle legitimen Verfassungsformen republikanisch zu sein hätten.61 Zweitens seien die biblischen Sabbat- und Jobeljahrgebote und ihre Auslegungen durch jüdische Gelehrte mitverantwortlich für einen am Wohlfahrtsstaat orientierten Eigentumsbegriff.62 Und schließlich lasse sich auch nur mit Bezug auf biblische und rabbinische Quellen erklären, wie sich
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so etwas wie eine jüdische Tradition im politischen Denken gegeben habe, und zeigt zumindest für das Mittelalter eine eigenständige jüdische politische Philosophie auf, die sich von der hellenistischen Philosophie und Tradition abhebe (vgl. Melamed, Jewish Political Thought; dazu jetzt auch Zank, Jüdische Religionsphilosophie, 270ff). Demgegenüber arbeitet sich Steven Grosby am Problem der „biblischen Nation“ ab und zeichnet nach, wie die hebräisch-jüdische Tradition des politischen Denkens partikularistische und universalistische Tendenzen in sich vereint habe (Grosby, Biblical ‘Nation’, bes. 7f. 17–23). Vgl. insgesamt Nelson, Hebrew Republic, 1–22. Vgl. hierzu aaO., 1f. 5. Er beruft sich hier v. a. auf die einflussreichen Werke Carl Schmitts, aber auch Hans Blumenbergs, Leo Strauss’, Crawford B. Macphersons, Michael J. Oakeshotts und John Rawls’ (vgl. aaO., 141 Anm. 1f). Vgl. genauer aaO., 3. 23ff. Vgl. aaO., 3f. 57.
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religiöse Toleranz im europäischen politischen Denken etablierte. Dies sei nämlich nicht vor dem Hintergrund säkularisierender Tendenzen, sondern gerade in der Verbindung von Staat und Kirche, wie sie der sog. Erastianismus im einstigen jüdischen Gemeinwesen verwirklicht gesehen habe, zu erklären.63 Eben diese drei Entwicklungslinien beschreiben für Nelson entscheidend den Weg hin zur Moderne und nehmen damit die „moderne Welt“ vorweg.64 Nelsons Werk kann als eine Form der Neuschreibung politischer Ideengeschichte verstanden werden und hat so auch Gehör gefunden, allerdings wurde ebenfalls verschiedentlich Kritik an dem Werk geübt.65 Abgesehen von den unter anderem zu weitgehenden Folgerungen in dem Buch66 wurde auch hinterfragt, ob Nelson nicht letztlich in der Konstruktion von Entwicklungslinien hin zum modernen Staat selbst in die traditionellen Bahnen einer bestimmten angloamerikanischen Geschichtsschreibung zurückfällt, die den Weg zur Moderne von den Niederlanden über England bis in die Neue Welt Amerikas beschreibt.67 Darüber hinaus zeigt sich z. B. an einem Forschungsbeitrag Philip Gorskis, dass die politischen Dimensionen des frühneuzeitlichen Hebraismus, die in Nelsons Arbeit im Mittelpunkt stehen, auch mit anderen historischen Entwicklungen verbunden und ausgedeutet werden können: Gerade für die in Nelsons Darstellung am stärksten berücksichtigte politische Geschichte der Niederlande und Englands im ausgehenden 16. und im 17. Jahrhundert zeichnet Gorski breite und wirkungsreiche Diskurse nach, die für ihn einen „hebräischen Nationalismus“ („Hebraic nationalism“) und ein „mosaisches Moment“ („Mosaic moment“) in der Geschichte ausweisen.68 Unter anderem anhand von Bildmaterial und Motiven in politischen Pamphleten und auf Münzen stehen diese Diskurse für Gorski für eine Form von „hebräischem Mythos“, der einer Identifikation des „Neuen Israels“ mit der holländischen Republik diente. Ein ähnlicher hebräischer Mythos sei von Protestanten in England, allen voran Puritanern, vertreten worden und sowohl für den niederländischen als auch den englischen Kontext
63 Vgl. hierzu aaO., 4. 88ff. 64 „Once we are talking about a world in which a republican constitution is seen as a requirement for legitimacy, in which the state uses its coercive power to redistribute wealth, and in which broad toleration is the rule, we are recognizably talking about the modern world“ (aaO., 5). 65 Vgl. die ausführliche Besprechung von Gregory, Jewish Roots, 372–380. 66 Vgl. u. a. Strohm, Theokratisches Denken, 401. 67 Vgl. bes. Sorkin, Review: The Hebrew Republic, 624. Adam Sutcliffe z. B. sprach schon zuvor in Anlehnung an John G. A. Pococks einflussreichem Werk The Machiavellian Moment von folgender Entwicklung: „A loosely parallel lineage of Hebraic scholarship and identification is readily apparent, from the roots of this scholarly endeavor in Renaissance Italy, via the politicized biblicism of seventeenth-century England, through to the covenantal language of early America. Hebraism also […] permeated seventeenth-century Dutch political culture […]“ (Sutcliffe, Philosemitic Moment, 70). 68 Vgl. Gorski, Mosaic Moment, 1433. 1435. 1452. 1455.
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könne hier von einer frühen Form des Nationalismus gesprochen werden.69 Dies führt zu einem anderen Punkt, in dem sich Eric Nelsons und Philip Gorskis Beschreibungen der politischen Dimension von Hebraismus zu unterscheiden scheinen. Gorski verweist gegenüber Nelson mehr auf die mittelalterlichen Wurzeln des hebräisch-politischen Diskurses und ist für die Frühe Neuzeit zurückhaltender, was konfessionelle Zuschreibungen angeht.70 Für Nelson waren es dagegen in erster Linie die europäischen Protestanten, die die Hebräische Bibel im 16. und 17. Jahrhundert zum Maßstab der Politik machten.71 Die beiden Beiträge von Nelson und Gorski, die auf ihre Weise unterschiedliche Modernisierungsthesen zur Geltung bringen, machen somit deutlich, dass die Einflüsse, die einem politischen Hebraismus zugeschrieben werden, zunächst davon abhängig sind, was unter ‚politischem Hebraismus‘ verstanden werden soll. Nelson setzt vor allem den Bezug zu jüdischen Quellen und zur hebräischen Sprache voraus und bezieht sich maßgeblich auf die Respublica-Hebraeorum-Literatur, Gorski dagegen versteht unter den politischen Dimensionen des Hebraismus auch schon lose Bezüge zu alttestamentlichen Motiven und Texten. Eine ähnliche Beobachtung lassen die gegenwärtigen Forschungen zu den frühneuzeitlichen Theokratie-Konzeptionen zu. Dabei ist zunächst festzustellen, dass deren Begriffs- und Diskursgeschichte selbst gut aufgearbeitet wurde.72 Das gilt nicht nur für die Antike, sondern auch für die Geschichte der Vormoderne, in der der griechische Terminus bzw. seine Übersetzungen wieder auftauchen: Als der um das Jahr 94 n. Chr. schreibende jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus den Begriff der Theokratie (θεοκρατία) das erste Mal in seinem Werk Contra Apionem nutzte, wollte er damit ganz bewusst eine Differenz zu den Staatsformen bzw. Verfassungen seiner antiken Umwelt setzen.73 Mit ‚Theokratie‘ wählte Josephus einen Ausdruck für die vom Gesetzgeber Mose gestiftete Staatsverfassung, in der die Herrschaft (ἀρχή) und Gewalt (κράτος) Gott zukomme. Die mosaische Staatsverfassung selbst ist dabei als eine zentrale jüdische Priesterherrschaft konzipiert.74 Sie wird an anderer Stelle von Josephus als Aristokratie bezeichnet und hat nach ihm in der Geschichte des jüdischen Volkes seit Mose über die Richterzeit bis zum Beginn der Königsherrschaft unter Samuel in idealer Weise existiert.75 An diese Idealvorstellung schließt dann in der Frühen 69 Vgl. aaO., 1436–1442. 1444–1450. 1452–1455. 70 Vgl. aaO., 1442. 1455f. 71 „For roughly 100 years – from the time of Bertram until the time of Spinoza – European Protestants made the Hebrew Bible the measure of their politics“ (Nelson, Hebrew Republic, 139). 72 Vgl. vor allem die Beiträge in dem Sammelband Taubes, Theokratie; zum begriffsgeschichtlichen Stand auch Trampedach/Pecˇar, Einleitung, 5–7. 73 Vgl. bes. den Abschnitt Joseph., c. Ap. II,164–168. Siehe ausführlicher dazu Abschn. 1.3.1. 74 Vgl. Cancik, Theokratie und Priesterherrschaft, 72–77. 75 Vgl. Joseph., Ant. VI,36.88.268.
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Neuzeit eben gerade auch die Respublica-Hebraeorum-Literatur an. Genau genommen war es, wie die Untersuchung von Wolfgang Hübener zeigt, zuerst der schon erwähnte niederländische Gelehrte Petrus Cunaeus mit seinem Werk De republica Hebraeorum libri III, der den eigentlichen Ausdruck der ‚Theokratie‘ explizit wieder nutzte und damit den Weg ebnete für eine ganze Reihe weiterer Autoren des 17. Jahrhunderts, die auf den Begriff zurückgriffen.76 Alle Texte, die in ähnlicher Weise zeitlich vor Cunaeus eine Konzeption von Gottesherrschaft in der Frühen Neuzeit entwickeln, können also (im besten Fall) nur als Umschreibungen des ursprünglichen Theokratiebegriffes gelten. Doch wird in der neueren Forschung explizit der Theokratiebegriff auch in einem viel allgemeineren Sinne verwendet, um ihn damit nicht „als festgefügte Staatsform oder als Epochencharakteristik aufzufassen oder für eine bestimmte Zeitdimension zu reservieren“, sondern als „Diskursstrategie“ zu verstehen, als einen „Rückgriff auf göttlich fundierte Normen, an denen gesellschaftliche und politische Zustände gemessen werden konnten.“77 Solch ein in den Geschichtswissenschaften bewusst eingesetztes allgemeines Verständnis der Theokratie und die Rede von „theokratischen Argumenten“ und „theokratischen Konzeptionen“, wie von Andreas Pecˇar und Kai Trampedach vertreten, soll der Rede von der Gottesherrschaft in Untersuchungen „zum gegenseitigen Bedingungsverhältnis von Politik und Religion“ einen eigenen wissenschaftlichen Platz geben.78 Der Reiz liegt darin, mit einem (heute auch in der Alltagssprache genutzten) Theokratiebegriff eine breitere Debatte z. B. über die göttliche Legitimation von Herrschaft in interreligiöser und interkultureller Perspektive zu führen. Für die folgende Untersuchung wird aber eine zu allgemeine Verwendung des Theokratiebegriffs vermieden, da Texte in Betracht kommen, die in bestimmter Weise von ‚Theokratie‘ sprechen und deren unterschiedliche Füllung des Theokratiebegriffs dann undurchsichtig wird, wenn ein möglichst allgemeines Verständnis von Theokratie vorausgesetzt wird. Deswegen soll auch, soweit dies möglich ist, im weiteren Verlauf erst dann von ‚Theokratie‘ gesprochen werden, wenn ein Zusammenhang mit dem Verständnis von Theokratie des Flavius Josephus in Frage kommt oder konkret geäußert wird. Ähnlich verhält es sich mit einem anderen Forschungsstrang, der in den Themenbereich dieser Arbeit fällt, nämlich den Untersuchungen zum Gebrauch der „Bibel als politisches Argument“79. Auch hier haben in jüngerer Zeit die Arbeiten von Kai Trampedach und von Andreas Pecˇar zur Diskussion beigetragen. Vorausgegangen ist allerdings bereits eine Vielzahl anderer wichtiger 76 77 78 79
Vgl. Hübener, Dossier: Texte zur Theokratie, 78–126, hier: 79. Trampedach/Pecˇar, Einleitung, 6. Vgl. aaO., 5. Vgl. Pecˇar/Trampedach, Die Bibel als politisches Argument.
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Beiträge, etwa neben den schon erwähnten Beiträgen von François Laplanche und Lea Campos Boralevi80 in diesem Bereich auch Henning Reventlows Monographie Bibelautorität und Geist der Moderne.81 In aller Kürze gesagt, geht es in den genannten Arbeiten um die Frage, auf welche Weise der Bibel eine kulturmächtige Bedeutung im politischen Denken des 16. und 17. Jahrhunderts zugekommen ist.82 Natürlich hatte die Bibel schon vorher in der Antike über das Mittelalter bis zur Frühen Neuzeit eine wichtige – in vielen Fällen die wichtigste – Rolle in politischen Argumentationen als heilige Quelle von Beispielen und geschichtlichen Darstellungen (sacra exempla et historia), in ihren prophetischen Worten, apokalyptischen Bildern, Motiven, Geboten und Verheißungen gespielt. Doch es sprechen gute Gründe dafür, dass der politische Gebrauch der Bibel in der Frühen Neuzeit noch einmal einen entscheidenden Wandel durchgemacht hat. Die Erfindung des Buchdrucks ermöglichte eine Verbreitung volkssprachlicher Bibelübersetzungen, die ein primäres Anliegen der Reformatoren war und maßgeblich auf Grundlage humanistischer Studien geschah. Zurecht ist festgestellt worden, dass diese Bibelübersetzungen zum Teil als erste nationale Literaturdokumente überhaupt entstanden und die eindrucksvolle Zahl von 430 Teilund Gesamtausgaben der „Lutherbibel“, die zwischen 1522 und 1546 (ca. eine halbe Million Exemplare insgesamt) bereits gedruckt wurden, mag die Relevanz ansatzweise belegen.83 Sie wurden z. B. genutzt, um den Geschichtsverlauf zu deuten, um politische Herrschaft zu beurteilen oder zu legitimieren, politische Vorbilder zu kreieren oder auch zu kritisieren und zu polemisieren, um sich an einer guten Gestaltung des christlichen Gemeinwesens zu orientieren oder auch rechtliche Definitionen und Ableitungen zu treffen. Man nahm auch die biblische Prophetie und apokalyptische Bilder auf, um politische Verhältnisse zu deuten und in den Geschichtsverlauf einzuordnen. Die literarische Verarbeitung reichte unter anderem von politischen Traktaten, Pamphleten und Gelegenheitsschriften über philosophische, juristische und theologische Disputationen (z. B. in den Loci de magistratu oder de legibus) und Lehrbücher bis zu Fürstenspiegeln, den sog. Policeyordnungen und zur Politica-Literatur.84 Angesichts der Fülle an Literaturen und Diskursen, die sich anbieten, ist wie im Fall des Theokratie-Konzepts eine Eingrenzung für die vorliegende Untersuchung 80 81 82 83 84
Siehe bereits oben, Anm. 36 u. Anm. 45 in diesem Kapitel. Vgl. Reventlow, Bibelautorität. Vgl. zum Folgenden bereits Totzeck, Ideal des alttestamentlichen Gemeinwesens, 2f. 5–7. Vgl. Kaufmann, Luther, 70. 72; vgl. auch den Überblick bei Gordon, Shaping the Bible. Vgl. zum Literaturfeld der „Guten Policey“ im frühneuzeitlichen deutschen Sprachraum die ausführliche Studie von Simon, Ordnungsleitbilder; außerdem die einschlägigen Darstellungen bei Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre; ders., Polizei als politische Theorie; Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, 334–365; zuvor auch Schmelzeisen, Polizeiordnungen. Eine Übersicht über die frühneuzeitliche Politica-Literatur liefert neuerdings Friedeburg, Politics.
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zwingend. Dabei muss die eigentliche Weite der frühneuzeitlichen politischen Diskurse, die sich auf die Bibel beziehen, nicht unangesprochen bleiben. Eine Beschränkung der zu untersuchenden Quellen kann aber wie folgt ansetzen: Von den Texten, die sich auf die Bibel als politisches Argument beziehen, müssen nicht nur noch einmal diejenigen Quellen abgegrenzt werden, die sich stärker auf das Alte Testament beziehen; wie eingangs vorgegeben, geht es auch dann noch einmal spezifischer um die Schriften, die sich an der mosaischen Gesetzgebung als Rechtsvorbild orientieren und dahingehend eine rechtlich-politische Sichtweise auf das Alte Testament entwickeln. Anders ausgedrückt: Es geht nicht vordergründig um Werke, die sich (nur) in politischer Weise auf das Alte Testament mit seinen Beispielen und seiner Geschichte beziehen, sondern es geht um solche Werke, die sich auf die Rechtstexte des Alten Testaments konzentrieren und diese als ein Vorbild darstellen. Allerdings wird die folgende Untersuchung auch nicht auf die spezifische Hinterfragung der Bibeltexte selbst verzichten können, denn, wie zu sehen sein wird, wurden in die frühneuzeitlichen Bibelausgaben die Debatten über die politische Relevanz der mosaischen Gesetze eingetragen. Die bisher dargestellten Forschungsbeiträge lassen damit insgesamt zwei Problemhorizonte deutlich werden: Erstens hat die Erforschung der RespublicaHebraeorum-Literatur seit Frank E. Manuel, Lea Campos Boralevi, Bernard Roussel oder François Laplanche nicht hinreichend klären können, aus welchen Zusammenhängen heraus und in welchen Kontexten sich das Interesse an dem jüdischen Gemeinwesen als politisches Modell in der Frühen Neuzeit entwickelt hat. Die Rede vom sog. politischen Hebraismus hat dahingehend in der Folge – trotz aller achtenswerten neuen Erkenntnisse – nicht immer zur weiteren Klärung beitragen können, weil an betreffende Quellentexte das übergeordnete Phänomen eines (christlichen) Hebraismus herangetragen wurde, ohne dass man dies in vielen Fällen so einfach akzeptieren könnte. An zwei Beispielen sei dies demonstriert: Der in der Frühen Neuzeit bekannte reformierte Theologe und Hebraist Franciscus Junius verfasst 1593 einen maßgeblich auf einer Disputation fußenden Traktat De politiae Mosis observatione, der schon im Titel auf eine Nähe zum sog. politischen Hebraismus schließen ließe. Allerdings verzichtet er in dieser Schrift – trotz ausgewiesen guter Hebräischkenntnisse – sowohl auf das Hebräische als auch Bezüge auf jüdisch-hebräische Quellen. Stattdessen wird bewusst der Bezug zur griechischen (stoischen und aristotelischen) Philosophie gesucht. Der italienische Historiograph Carlo Sigonio, der noch Mitte des 19. Jahrhunderts in der deutschen Literatur als „einer der größten Humanisten des 16. Jahrhunderts“85 bezeichnet wurde, war Autor des Werkes De republica 85 So der Titel der 1840 gedruckten Monographie Johann Philipp Krebs’ über Carlo Sigonio, die aus Anlass des dreihuntertjährigen Stiftungsfestes des Gymnasiums Weilburg in dem ge-
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Hebraeorum libri VII. Er hatte selbst aber wahrscheinlich keine Hebräischkenntnisse und bezog sich in dieser Schrift in zentraler Weise auf die Septuaginta, die griechische Fassung des Alten Testaments.86 Weitere Beispiele könnten angeführt werden, um zu veranschaulichen, dass erstens ein christlicher Hebraismus nicht zwingend Voraussetzung dafür war, dass Autoren im 16. Jahrhundert Werke über das politische Vorbild der respublica Hebraeorum bzw. des alten jüdisch-mosaischen Gemeinwesens schrieben, und zweitens in diesen Texten insbesondere die Vermittlung gegenüber der griechischen Philosophie, dem römischen Recht und sogar ägyptischen Gesetzesüberlieferungen, nicht aber die Vermittlung gegenüber jüdisch-hebräischen Überlieferungen in den Vordergrund treten musste.87 Ein zweites, bisher nicht geklärtes Problem der Forschung stellen die unterschiedlichen Wahrnehmungen der konfessionellen Einflüsse dar. Dies ist bereits in der Gegenüberstellung von Eric Nelsons und Philip Gorskis Thesen erkennbar geworden. Wenn es vom ausgehenden 16. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts wirklich die europäischen Protestanten waren, die die Hebräische Bibel zum Maßstab der Politik machten, wie Nelson resümiert, womit hing das in konfessioneller Hinsicht zusammen? Auch wurde in anderen Studien, die bereits stärker auf konfessionelle Zugehörigkeiten eingingen,88 nicht durchweg ersichtlich, worin nun die konfessionellen Eigenarten bestanden haben könnten oder – andersherum gefragt – ob es wirklich entscheidend war, ob ein Autor, der römisch-katholischen, reformierten oder lutherischen Konfession angehörte, sofern sich dies überhaupt aus seiner Biographie und seinem Werk erschließen lässt. Haben die Konfessionen und theologischen Lehren überhaupt einen eigenen Anteil an den Entwicklungen gehabt oder nicht?
Ansatz und Vorgehen Aus den offenen Fragen der Forschung, die im zurückliegenden Überblick zum Vorschein gekommen sind, ergibt sich ein erster wichtiger Neuansatz, der in dieser Arbeit gewählt wird: Bei der Sichtung und Auswahl der Quellen werden nannten Jahr bewusst aus dem Geist des Humanismus verfasst wurde (vgl. auch die Vorrede Krebs, Carl Sigonius, V–X). 86 Siehe Abschn. 3.3.2. 87 Die folgenden Untersuchungen werden zudem indirekt die Frage aufwerfen, inwiefern eine solche Trennung (z. B. einer jüdisch-hebräischen gegenüber einer griechischen oder römischen Tradition) als künstlich erscheinen muss, wenn sie nämlich schon für viele frühneuzeitliche Autoren nicht trennscharf war. 88 Vgl. z. B. den Beitrag von Rauschenbach, Geschichtsschreibung, der die konfessionellen Zugehörigkeiten bereits zu berücksichtigen sucht.
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Schriften berücksichtigt, die sich thematisch an der mosaischen Gesetzgebung als Rechtsvorbild orientieren. Schon damit aber wird teilweise ein anderer Zugang zu den Quellentexten gewählt als dies in der bisherigen Forschung geschehen ist.89 So wird z. B. nicht ein bestimmtes Textgenre der respublica Hebraeorum oder ein breiter Theokratie-Diskurs als Bezugsrahmen vorausgesetzt. Die Konzentration auf die Haltungen zur politischen Relevanz der mosaischen Gesetze ermöglicht es zuallererst, Zusammenhänge der Entstehung der betreffenden Schriften genauer zu beschreiben. Die Bezüge dieser Schriften unter- und aufeinander werden sich aber auch erst im Fortgang der Untersuchung als solche erweisen können. In der Gliederung der Arbeit sind sie bereits berücksichtigt. Dadurch ergibt sich auch ein zeitlicher Schwerpunkt auf dem ausgehenden 15. und vor allem 16. Jahrhundert, der von den meisten der bisher vorgestellten Studien abweicht. Das Hauptaugenmerk wird also auf der Genese eines Schrifttums liegen, das dem Vorbild der mosaischen Gesetzgebung in der Frühen Neuzeit zugewandt war und in der Gegenwart weitgehend in Vergessenheit geraten ist.90 Die Arbeit gliedert sich in ihrem Hauptteil insgesamt in fünf Kapitel. Kapitel 1. beschäftigt sich mit der Frage, woher die Vorstellungen von einem Idealbild der mosaischen Gesetzgebung bzw. von einem Gemeinwesen oder einer Verfassung Moses (politia Mosis/respublica Mosaica) in der Frühen Neuzeit stammten. Zuerst werden die zu untersuchenden Schriften des 16. und 17. Jahrhunderts, die sich an dem jüdisch-mosaischen Gemeinwesen als Rechtsvorbild orientieren, vorgestellt. Ausschlaggebend für die Quellenauswahl sind nicht nur die entsprechenden Titel der Werke, sondern in den meisten Fällen auch die zugehörigen Paratexte. Zudem wird meist erst aus den Schriften selbst ersichtlich, ob und wie sie in einem Zusammenhang stehen. Eine solche Quellenauswahl ist vor dem Hintergrund eines umfassenden frühneuzeitlichen Schrifttums über das Judentum für das weitere Vorgehen notwendig. Sie ermöglicht dann, im Verlauf von Kapitel 1. in Betracht zu ziehen, welche Quellen und antiken Überlieferungen 89 Ergebnisse von einzelnen Forschungsbeiträgen haben zu diesem Neuansatz angeregt. Bereits genannt wurde Campos Boralevi, Mosè legislatore, daneben ist auf einen kurzen Abschnitt mit der Überschrift Il diritto mosaico zu verweisen in Bartolucci, La repubblica ebraica, 177– 184, wo der Autor weitere Linien im Hinblick auf das mosaische Recht in seiner Untersuchung von Carlo Sigonios De republica Hebraeorum libri VII zieht, und schließlich Ross, Distinguishing Eternal from Transient Law. In dieser breit angelegten Untersuchung theologischer Gesetzeslehren in der Frühen Neuzeit kommt Ross zu dem Ergebnis, dass es einen grundsätzlichen Unterschied zwischen einem naturrechtlichen Zugang zum Gesetz Gottes und dem der „Mosaic legalists“ gegeben habe. 90 In diesem Sinne könnte man auch mit Martin Mulsow von einem „prekären Verhältnis“ zur Wissens- und Ideengeschichte sprechen, in dem sich die zu untersuchenden Quellen befinden (vgl. Mulsow, Prekäres Wissen). Vgl. darüber hinaus aber auch die kritischen Gedanken bei: Zank, Jüdische Religionsphilosophie, 270–285 u. ö.; Nirenberg, „Jüdisch“ als politisches Konzept.
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über Mose, auf die sich die betreffenden Schriften stützten, entscheidend waren. Am Ende von Kapitel 1. soll dann ersichtlich geworden sein, in welcher Weise das Schreiben über Mose und die mosaischen Gesetze unter christlichen Gelehrten bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts einen Einschnitt erfahren hatte. Antike Idealbilder von Mose, dem Gesetzgeber, und dem alten jüdisch-mosaischen Gemeinwesen fielen bereits im Florentiner Renaissance-Humanismus auf fruchtbaren Boden und sollten sich so auf das politische, theologische und rechtliche Denken der Frühen Neuzeit auswirken. Kapitel 2. führt die beschriebenen Überlieferungsbestände und Vorstellungen über die mosaische Gesetzgebung aus dem Eingangskapitel weiter. Gefragt wird nun danach, wie diese die Debatten, die sich im 16. Jahrhundert um die politische Relevanz der mosaischen Gesetze drehten, beeinflussten. Diese Debatten werden vor allem als ein Phänomen der Reformation beschrieben. Damit soll nicht gesagt sein, dass es nicht auch ähnliche Debatten im römisch-katholischen Bereich gegeben hätte. Auch römisch-katholische Theologen werden an den gegebenen Stellen zur Sprache kommen.91 Um dies aber bereits vorwegzunehmen: Die Argumentation wird in diesem Kapitel darauf hinauslaufen, dass es im 16. Jahrhundert vor allem Theologen aus dem reformierten Bereich waren, die einen gewichtigen Anteil an der Entstehung eines Schrifttums über das Vorbild der mosaischen Gesetzgebung hatten, das so wirkmächtig für das politische Denken des 17. Jahrhunderts werden sollte. Die Orientierung an Hauptakteuren der Reformation in Kapitel 2. versucht in diesem Sinne nachzuzeichnen, wie es dazu kommen konnte. Erst in Kapitel 3. beginnt die eigentliche Untersuchung der frühneuzeitlichen Schriften, die sich am Rechtsvorbild der mosaischen Gesetzgebung orientierten. Hierbei wird der Bezug zu einer bestimmten Form des Humanismus gesucht, die sich unter der Bezeichnung „humanistische Jurisprudenz“ subsumieren lässt. Was genau darunter zu verstehen ist, wird eingangs von Kapitel 3. zu beschreiben sein. Vorab sei aber wenigstens darauf hingewiesen, was im Folgenden allgemein unter „Humanismus“ verstanden wird. Vorausgesetzt wird ein Formalbegriff, der sich auf die studia humanitatis bezieht: Die studia humanitatis waren im gewissen Sinne das, was man als eine Bildungsreformbewegung in der Zeit des ausgehenden Mittelalters bezeichnen könnte.92 „Humanisten“ („umanista“) 91 Siehe vor allem unten, Abschn. 3.3.2. 92 Der letzte umfangreiche deutschsprachige Forschungsüberblick, der eine Diskussion zur Problematik des Humanismusbegriffs mit einschließt, ist bei Schirrmeister, Renaissance – Humanismus, bes. 259–262. 289–291 zu finden; vgl. auch Maissen/Walther, Funktionen des Humanismus, wo Funktionen und Inhalte des Humanismus unterschieden und in verschiedenen Beiträgen herausgearbeitet werden. Einen Überblick der Begriffsgeschichte und Konzepte von Humanismus bieten auch Scheible, Art.: Humanismus; Spitz, Art.: Humanismus/Humanismusforschung; Landfester, Art.: Humanismus und klassisch Garin, L’umane-
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waren im 15. Jahrhundert ursprünglich nach dem Jargon italienischer Studenten Professoren, später auch Studenten, die in den „humanistischen Studien“ (studia humanitatis oder auch bonae litterae) tätig waren.93 Neben anderen lokalen Größen lassen sich Spuren dieser neuen Bildungsreformbewegung der studia humanitatis bereits beim Dichter und Geschichtsschreiber Francesco Petrarca (1304–1374) und dessen intensivem Studium der klassischen Literatur aufweisen.94 Seine Schüler und spätere Gelehrte wie Caluccio Salutati (1331–1406), der mit Petrarca bekannt war,95 begründeten die studia humanitatis in Florenz mit dem Fächerkanon der Grammatik, Rhetorik, Dichtkunst, Geschichte und Moralphilosophie, der sich somit grundsätzlich von dem mittelalterlichen Studienaufbau (den septem artes liberales) unterschied.96 Ein Hauptanliegen der Humanisten war nun eine vor allem sprachlich orientierte Rückbesinnung auf die antiken Quellen (ad fontes), die auch im Studium Ausdruck finden sollte. Mit dem Studium der antiken Quellen ging die Orientierung an deren Idealen einher, so dass auch der Moralphilosophie und Geschichte ein größerer Platz in der Ausbildung und Lehre eingeräumt wurde. Wenn im Weiteren von „Humanismus“ und „Humanisten“ gesprochen wird, so ist eine Beziehung der jeweiligen Autoren zu den studia humanitatis oder bonae litterae mitgedacht. Neben der eigenen Ausbildung der Autoren spielt die Orientierung an den Arbeiten von anderen Humanisten hier eine wesentliche Rolle. Eine spezifische späte Form des Humanismus, in der die Jurisprudenz ihr eigenes Gewicht erhält, kommt schließlich in Kapitel 3. dann genauer in Betracht. Kapitel 4. wendet sich wieder den frühneuzeitlichen Theologen zu. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts spitzte sich die Debatte über die politische Relevanz der mosaischen Gesetze noch einmal auf die Frage nach der Geltung der
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simo italiano, 7–46; Kristeller, Humanismus und Renaissance. Vgl. auch Buck, Humanismus, 154–176; Augustijn, Humanismus, H47–H58, der noch einmal stärker eine Differenzierung zwischen dem „Bibelhumanismus“ bzw. „christlichen Humanismus“ und einem umfassenderen „Renaissance-Humanismus“ trifft. Ähnlich versteht Thompson, Humanists and Reformers, 3–20 die Renaissance als einen weiteren Epochenbegriff, der sich ungefähr auf die Jahre 1300–1600 eingrenzen ließe, und „humanism“ neben „classicism“ und „history of discontinuous“ als Aspekte dieser Renaissance. In den Hauptteilen dieser Arbeit wird die Bezeichnung „Renaissance-Humanismus“ lediglich gewählt, wenn auf den italienischen Humanismus und hier genauer auf Facetten des Florentiner Renaissance-Humanismus Bezug genommen wird. Dies scheint mir angebracht, um danach die Kontinuitäten und Eigenarten eines vorrangig juristisch ausgerichteten, späten Humanismus im 16. Jahrhundert (humanistische Jurisprudenz) benennen zu können. Im allgemeinen Sinne bleibt ansonsten durchgehend ein Bezug zu den studia humanitatis im Hintergrund, wenn von „Humanismus“ gesprochen wird. Vgl. Kristeller, Humanismus und Renaissance, 16f. Vgl. Scheible, Art.: Humanismus, 1941f; zu den Bezügen zu Cicero und seinem rhetorischen Bildungsideal in den humaniora Spitz, Art.: Humanismus/Humanismusforschung, 640. Vgl. Garin, L’umanesimo italiano, 25–42; Thompson, Humanists and Reformers, 173–175. Vgl. Kristeller, Humanismus und Renaissance, 26–28.
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Rechtssatzungen (leges iudiciales), die in Moses Gesetzen formuliert waren, zu. Resultat dieser Auseinandersetzungen war eine Reihe von Schriften, in denen diese Rechtssatzungen und Moses Gesetzgebung insgesamt in ihrer Vorbildlichkeit hervorgehoben wurden. Reformierte Theologen konnten nun auch ganz offen von den „politischen Gesetzen“ Moses sprechen, die im gegenwärtigen christlichen Gemeinwesen Anwendung finden sollten. Damit verschwammen in einigen Fällen sogar die Fächergrenzen zwischen Theologie und Rechtslehre und manch Gelehrter sah sich dazu genötigt, diese Grenzen abzustecken.97 Auf der anderen Seite wurden die theologischen Lehren von den mosaischen Gesetzen unter reformierten Theologen noch mehr zu einer politischen Angelegenheit und fanden immer ausführlichere Erörterungen. Exemplarisch soll am Ende des Kapitels veranschaulicht werden, in welcher Weise sich hier auch Möglichkeiten einer Vermittlung gegenüber dem christlichen Hebraismus ergaben.98 Kapitel 5. widmet sich den bis hierhin schon mehrfach erwähnten De republica Hebraeorum libri III von Petrus Cunaeus, die in ihrer Bedeutung für das frühneuzeitliche politische Denken gar nicht überschätzt werden können. Die Schrift bündelt die bis dahin in den vorausgegangenen Kapiteln gezogenen Entwicklungslinien, weicht aber auch durch die explizite politische Ausrichtung und Grundkonzeption von vergleichbaren früheren Werken ab. Cunaeus’ mehrfach neu aufgelegtes und in mehrere Sprachen übersetztes Werk wurde damit für die Autoren, die sich im 17. Jahrhundert mit der respublica Hebraeorum auseinandersetzten und diese als politisches Argument nutzten, zur wichtigen und oft zitierten Referenz. Die Entwicklungen im 17. Jahrhundert und darüber hinaus werden schließlich in einem Ausblick im abschließenden Ergebnisteil noch kursorisch nachgezeichnet.
Prolegomena: Gottes Gesetz und Moses Gesetz Zwecks Klärung der gewählten Rechtsterminologie seien zunächst einige Vorbemerkungen getroffen, die das Verhältnis von Gottes Gesetz und mosaischen Gesetzen betreffen: Erstens: Die frühneuzeitlichen Autoren, die im Folgenden zu Wort kommen werden, sehen das göttliche Gesetz (lex divina/lex Dei) oder das göttliche Recht (ius divinum) – nicht alle machen hier einen klaren terminologischen Unterschied, wie das z. B. im überkommenen römischen oder kanonischen Recht der Fall war und ist – in unterschiedlicher Weise als übereinstim97 Siehe z. B. Abschn. 4.3 zu Franciscus Junius und Abschn. 4.4.3 zur Auseinandersetzung von Johannes Althusius mit den Herborner Theologen. 98 Siehe Abschn. 4.5 zum schottischen Theologen und Hebraisten John Weemes.
Prolegomena: Gottes Gesetz und Moses Gesetz
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mend mit dem Gesetz Moses an.99 Obwohl alle davon ausgehen, dass das mosaische Gesetz eine Offenbarung Gottes darstellt, gibt es unterschiedliche Ansichten darüber, wie weit es deckungsgleich mit dem göttlichen Gesetz ist, was dann wiederum auch zu abweichenden Haltungen hinsichtlich der Geltung der mosaischen Gesetze führen konnte. Zweitens: Gerade in der systematischen Aufteilung der mosaischen Gesetze zeigen die meisten Autoren eine Verbindung zur theologischen Tradition, und zwar in erster Linie zur mittelalterlich-scholastischen Theologie. Alle kennen und verarbeiten die von hier aus weitergegebene Aufteilung des göttlichen bzw. „alten“ Gesetzes (lex vetus) aus den Mose-Büchern in das Moralgesetz (lex moralis) bzw. die Sittengebote, das Judizialgesetz (lex iudicialis sive forensis) bzw. die Rechtssatzungen und das Zeremonialgesetz (lex caerimonialis) als die Kultvorschriften. In der Forschungsliteratur wird in der Mehrheit diese Dreiteilung des Gesetzes auf Thomas von Aquin (um 1224–1274) zurückgeführt.100 Allerdings kann die Dreiteilung, auf die Thomas’ Gesetzeslehre dann systematisch aufbaute, nicht als Alternative zu den biblischen Vorgaben gedeutet werden, denn auch Thomas wählte seine Gesetzeseinteilung ja im Sinne einer Übereinstimmung mit der Bibel (v. a. Dtn 6,1; Röm 7,12).101 Otto H. Pesch hat die Diskussion um die theologische Originalität der Dreiteilung dahingehend entschieden, dass trotz aller Vorläufer Thomas gegenüber der gängigen mittelalterlichen Lehre vor allem den Rechtssatzungen (lex iudicialis) zum ersten Mal einen eigenen Platz eingeräumt habe.102 Auch dies lässt allerdings nicht immer Rückschlüsse auf eine konkrete Rezeption zu. In den allermeisten Fällen wird die Dreiteilung ohne Verweise (auf Thomas) übernommen, was bereits auf einen Commonsense hindeutet. Ähnlich wird mit der aus dem römischen Recht stammenden, übergeordneten Unterscheidung zwischen göttlichem (ius divinum), natürlichem (ius naturale) und menschlichem Recht (ius humanum) verfahren. Drittens: Schon die frühen Kirchenväter und insbesondere Augustin waren beeinflusst von der Vorstellung einer umfassenden lex divina, die ausgehend von der Stoa seit dem 1. Jahrhundert v. Chr. auch die römische Rechtslehre beeinflusst hatte; Unterscheidungslehren zwischen ius divinum und ius humanum wurden damit Teil der Theologie, in der die Vorstellung und Forderung forciert 99 Die für die frühneuzeitlichen Autoren gängige Bezeichnung des mosaischen Gesetzes war lex Mosis oder lex Mosaica mit ihren eigenen leges. Im Weiteren wird nach dem deutschen Sprachgebrauch weitgehend synonym von „mosaischem Recht“ oder „mosaischem Gesetz“ gesprochen, nur wenn die spezifisch schriftliche Form gemeint ist, „mosaisches Gesetz“ oder lex scripta (Mosaica)/ius scriptum bevorzugt. 100 Th. v. Aquin, Summ. theol., I–II 99, 2–5. So z. B. Chenu, La théologie de la loi, 485ff. Zur Dreiteilung des Gesetzes bei Thomas vgl. auch die Perspektiven bei Casselli, Threefold Division of the Law u. Schall, Polity and Economy. 101 Vgl. Pesch, Sittengebote, 492–494. 102 Vgl. aaO., 504–510.
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Einleitung
wurde, dass die positiven menschlichen Gesetze (leges humanae) dem göttlichen Recht entsprechen müssten.103 Für die Autoren der Frühen Neuzeit, die sich mit der Frage der Geltung der mosaischen Gesetze beschäftigten, spielte die Unterscheidung zwischen göttlichem und menschlichem Recht eine Schlüsselrolle. Sie stand hinter den verschiedenen Auffassungen über die politische Relevanz der mosaischen Gesetze.
103 Vgl. Graf, Moses Vermächtnis, 25f; Brague, Law of God, 24f.
1.
Moses Gemeinwesen: die antike Vorstellung von Mose als Gesetzgeber und ihre Renaissance in der Frühen Neuzeit
Dieses erste Kapitel stellt in aller Kürze die frühneuzeitlichen Werke vor, die das Rechtsvorbild des mosaisch-jüdischen Gemeinwesens (politia Mosis/Mosaica) zum Thema haben (Abschn. 1.2). Dabei erfolgt eine literarische Eingrenzung, die in den ersten Abschnitten dieses Kapitels begründet wird (1.1). Im Weiteren steht dann die Erschließung der antiken Quellen, die für das Idealbild der politia Mosis wesentlich waren, im Mittelpunkt (1.3.1). Auch kommt in Betracht, wie diese antiken Quellen über den Gesetzgeber Mose unter humanistischen Gelehrten in der Frühen Neuzeit in Umlauf kamen (1.3.1–2) und welche Konzeptionen von Recht und Weisheit damit verknüpft wurden (1.3.3). Ersten Aufschluss über das Schrifttum, das im weiteren Verlauf untersucht wird, liefern Bibliographien, die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstanden und entsprechend Autoren und Titel unter dem Lemma politia judaica und respublica Hebraeorum/hebraica und Synonymen wie politia Israelitorum oder respublica Israelis führen. Dass die Begrifflichkeit nicht unbedingt immer eindeutig ist, hat zunächst einmal damit zu tun, dass der Begriff politia judaica in der Frühen Neuzeit vielschichtig und in der politischen Sprache von daher kaum auf einen Nenner zu bringen ist. Einen ersten wichtigen Bezugspunkt bildet natürlich die Bibel. Frühneuzeitliche Theologen, Juristen, Geschichtsschreiber und Autoren anderer Provenienz konnten demnach unter dem lateinischen Begriff politia judaica schlicht (und in vielen Fällen vorrangig) das Gemeinwesen verstehen, wie es vor allem (aber nicht unbedingt ausschließlich) in den ersten Teilen des Alten Testaments, also dem Pentateuch und den anschließenden Geschichtswerken, beschrieben wird. Der Begriff kann auf der anderen Seite auch genauso verwendet werden, um Bezug auf das gegenwärtige Gemeinwesen von Juden zu nehmen. So also oszilliert der Begriff politia judaica mit seinen Synonymen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, was man besonders gut an seinem Gebrauch in der frühneuzeitlichen juristischen Fachliteratur nachvollziehen kann.
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1.1
Moses Gemeinwesen: die antike Vorstellung von Mose als Gesetzgeber
Die frühneuzeitliche Literatur de politia judaica
In späteren Bibliographien lässt sich die Schwierigkeit erahnen, die Bibliographen seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert hatten, die Schriften, die sich allgemein mit der politia judaica befassten, zu gruppieren und in Gattungen einzuordnen. So fasst der aus Mailand stammende Zisterziensermönch und Orientalist Carlo Giuseppe Imbonati1 am Ende des 17. Jahrhunderts in seiner Bibliotheca Latino-Hebraica (1694)2 insgesamt 80 Autoren und 86 Werke (zwei davon anonym) unter dem Eintrag De republica, synagoga, legibus et ritibus Iudaeorum zusammen.3 Aufgenommen in die Liste werden aber auch Autoren und Werke aus der Antike (wie z. B. die sog. Adversus-Iudaeos-Literatur) und dem Mittelalter (z. B. Thomas von Aquin). Der französische Bibliograph Jacques Lelong (1665–1721) führt im zweiten Band seiner Bibliotheca sacra: seu Syllabus omnium Sacrae Scripturae editionum in binos syllabos distincta, die zuerst 1709 und danach noch mehrfach neu erschien, im 14. Artikel Autoren auf, die Schriften de politia judaica verfasst haben.4 Aufgelistet werden Autorennamen, deren Werke sich in der Bibliotheca sacra einzeln erschließen lassen. Lelongs Bibliographie offenbart dabei zugleich konfessionalistische Tendenzen, denn die entsprechenden Autoren werden jeweils mit einem „O.“ für orthodox (dem römisch-katholischen Glauben zugehörig), „H.“ für heterodox (vor allem protestantisch), und „J.“ für jüdisch versehen.5 Entsprechend der Gliederung des 14. Artikels De politia judaica sieht das dann wie folgt aus: Zuerst werden 38 Autoren ohne weitere Untergliederung genannt. Dann folgen drei Unterrubriken (De jure Regio, De militia Judaïca und De politica sacra) mit noch einmal 22 Autoren, die zum Teil bereits genannt wurden. Ein Einschnitt wird im 14. Artikel durch die Oberrubrik De legibus gesetzt, die noch einmal Autoren und Schriften ohne Autorenangabe in 10 Unterrubriken unterteilt. In der folgenden Übersicht werden die einzelnen Rubriken, in die die jeweiligen Schriften eingeordnet werden, und die Oberrubriken mit der Angabe der Autorenzahl aufgeführt. Insgesamt ergibt sich diese Aufstellung:
1 Zu den wenigen überlieferten biographischen Informationen über Imbonati vgl. Vitti, Art.: Imbonati. 2 Imbonati, מגן וחרב ומלחמהBibliotheca Latino-Hebraica sive de scriptoribus latinis, Qui ex diuersis nationibus Iudaeos, vel de re Hebraica vtcumque scripsere: additis Obseruationibus Criticis, & Philologico-Historicis, quibus quae circa patriam, aetatem, vitae institutem, […] Loco Coronidis adventus Messiae ac Iudaeorum blasphemiis, ac haereticorum calumniis vindicatus, Rom 1694. 3 Vgl. aaO., 531–533. 4 Lelong, Bibliotheca sacra, 1068–1070. Zit. wird im Folgenden nach einer späteren Pariser Ausgabe aus dem Jahr 1723. 5 Vgl. das Monitum am Anfang des zweiten Teils von aaO., 1028f.
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Die frühneuzeitliche Literatur de politia judaica
J. Lelong, Bibliotheca sacra: seu Syllabus omnium Sacrae Scripturae editionum in binos syllabos distincta (1723), 1068–1070. Articulus Decimus-Quartus. De politia judaica (46 Autoren) De jure Regio. 13 Autoren De militia Judaïca. De politica sacra. De Legibus. De praeceptis Mosaïcis.
6 3 6 Werke ohne Autorennamen, 44 überwiegend jüdische Autoren
De legibus Forensibus. De Synedriis. De iudiciis & poenis De judicio adversus Christum Dominum
23 Autoren 11
De Juramentis vet. Hebraeorum De jure asylorum
2 3
De legibus connubialibus. De moribus Hebraeorum
15 16
De vita functis apud Hebraeos
9
13 4
Von den insgesamt 162 Autorennennungen beziehen sich nur 33 auf „orthodoxe“ Autoren, also diejenigen, die Lelong noch dem römisch-katholischen Glauben verbunden sah. Zieht man darunter die doppelten Nennungen ab – allein der jesuitische Theologe Giovanni Stefano Menochio wird sechs Mal genannt, obwohl sich seine beiden relevanten Werke eigentlich nicht in jeder genutzten Rubrik unterbringen lassen – so fiele diese Zahl noch einmal geringer aus. Auffällig ist zudem, dass die Schriften, die insgesamt noch dem Rahmen der Gesetzeslehre (De legibus) zugeordnet werden, klar in der Überzahl sind. Eine ähnliche Zuordnung von Gesetzeslehren und Schriften, die sich im Allgemeinen mit dem jüdischen Gemeinwesen beschäftigen, findet sich auch in der Bibliotheca realis juridica (1679),6 die seit der ersten Ausgabe des Bibliographen Martin Lipenius (1630–1692) kontinuierlich bis in das 18. Jahrhundert weitergeführt wird. In einer späteren korrigierten und erweiterten Fassung aus dem Jahr 17577 6 Lipenius, Bibliotheca realis juridica, omnium materiarum, rerum, et titulorum, in universo universi juris ambitu occurrentium. Ordine alphabetico sic disposita, ut primo aspectu tituli, et sub titulis autores justa serie collocati in oculos statim incurrant. Cui accedit autorum &c. passim allegatorum copiosissimus index, Frankfurt a.M. 1679. 7 Zit. wird folgende Ausgabe: Lipenius, Bibliotheca realis iuridica. Post Virorum Clarissimorum Friderici Gottlieb Struvii et Gottlob Augusti Jenichenii Curas Emendata, 2 Bd., Hildesheim/ New York 1970 (Nachdr. d. Ausg. Leipzig 1757). Insgesamt erschienen in den Jahren 1679–1685 vier Teile der Bibliotheca realis universalis quadripartita, Frankfurt a.M. 1685 („Real-Bibliothek“) über die Jurisprudenz, Medizin, Philosophie und Theologie, die später noch umfangreich revidiert wurden. Bereits Franck, Art. Lipen, 726 wies zwar auf viele fehlerhafte Angaben
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Moses Gemeinwesen: die antike Vorstellung von Mose als Gesetzgeber
wird die betreffende Rechtsliteratur über das Judentum und das jüdische Gemeinwesen ab dem Eintrag Iudaei bis Iudaeorum synagogae platziert, darunter fallen auch die Rubriken Iudaeorum leges sive leges Mosaicae und Iudaeorum respublica.8 Insgesamt können für diesen Abschnitt 102 Werke (ohne zusätzliche Auflagen) gezählt werden. In der Rubrik Iudaeorum leges sive leges Mosaicae werden 19 Werke mit 6 zusätzlichen Editionen aufgelistet, zur Gruppe der Schriften über die Iudaeorum respublica werden 16 gezählt. Schließlich fällt diese letztgenannte Schriftenzahl in einem letzten Beispiel noch einmal geringer aus: Im französischen Catalogue des livres imprimez de la Bibliothèque du Roy (1739) werden unter „Traitez de la République et de la Police des Juifs“ insgesamt 9 (mit Zählung der Neuauflagen 12) Werke für den Zeitraum zwischen 1546–1710 aufgeführt.9 Zusammengefasst variiert also die Anzahl an frühneuzeitlichen Schriften, die dem Stichwort politia judaica und seinen Synonymen zugeordnet wird, in den Bibliographien stark. Darüber hinaus lässt sich aber auch beobachten: Die Bibliographen seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts sahen eine enge Verbindung zwischen den Werken de politia judaica und Schriften, die sich explizit und vom Titel her mit den (mosaischen) Gesetzen befassten. Zudem überwiegt die Anzahl der protestantischen Autoren und Werke die der katholischen. Die hohe Schriftenzahl, die die Bibliographen zählen, verringert sich noch einmal erheblich, wenn man sich auf das 16. Jahrhundert beschränkt. Auch dann aber ist man darauf angewiesen, von den Werken selbst auszugehen, um das Literaturfeld abstecken und die textuellen und kontextuellen Bezüge der Schriften untereinander klären zu können.
in der Real-Bibliothek hin, aber auch darauf, dass die spätere Fassung der Bibliotheca realis iuridica aus dem 18. Jahrhundert durch die Korrekturen und Erweiterungen in einen besseren Zustand gelangte. 8 Vgl. Lipenius/Jenichen/Struve, Bibliotheca realis iuridica, Bd. 1, 664–667, wo die Rechtsliteratur dann folgendermaßen eingeteilt wird (in Klammern Anzahl der aufgeführten Werke): Iudaei (27), Iudaeus creditor (1), Iudaeus miles (1), Iudaeus testis (2), Iudaeus tutor (1), Iudaeorum iura et privilegia (11), Iudaeorum iuramentum (13), Iudaeorum leges sive leges Mosaicae (19 und zusätzlich 6 aufgeführten Editionsarbeiten in dem Eintrag zur Mosaicarum et Romanarum legum collatio), Iudaeorum receptio (4), Iudaeorum respublica (16 ohne Zählung weiterer Aufl. der Werke), Iudaeorum synagogae (1). 9 Dazu bereits Laplanche, Christian Erudition, 5.
Orientierungen am Rechtsvorbild des mosaisch-jüdischen Gemeinwesens
1.2
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Orientierungen am Rechtsvorbild des mosaisch-jüdischen Gemeinwesens in den Schriften de politia judaica
Grundsätzlich können in der Literatur über das Judentum Schriften, die sich in halbwegs „neutraler“ bis polemischer Weise von einem christlichen Standpunkt aus mit dem Judentum, seinen Bräuchen, Gesetzen und seiner Kultur in Geschichte und Gegenwart befassen, von solchen unterschieden werden, die in positiver Weise an das Recht und die Geschichte des jüdischen Gemeinwesens anknüpfen. Im ersten Fall sind Bereiche der Kontroversliteratur sowie die Schriften mit einbezogen, die man gewöhnlich unter der Bezeichnung „Ethnographie“ des Judentums zusammenfasst.10 Die zwei bedeutendsten Werke in der Frühen Neuzeit waren in dieser Hinsicht Der gantz Jüdisch glaub (1530) des jüdischen Konvertiten Antonius Margaritha und der Traktat Synagoga Iudaica/ Das ist Jueden Schul (1603) des reformierten Theologen und einflussreichen Hebraisten Johannes Buxtorf d.Ä. (1564–1629).11 Das zuerst genannte Werk Margarithas wird 1617 noch einmal in das Buch Politia Judaica, Das ist/ Ein warhafftige Summarische beschreibung der Jüdischen Regierung/ in dreyen theilen beschrieben von Johann Homberg12 aufgenommen und illustriert damit die Schwierigkeiten, die sich ergäben, wenn man sich bei der Textauswahl für die folgende Untersuchung nur nach den jeweiligen Werktiteln de politia judaica richtete. Diese Schrift war nämlich gerade nicht darauf ausgerichtet, die politia judaica als Rechtsvorbild für das christliche Gemeinwesen darzustellen, sondern in einer Außenperspektive über den jüdischen Glauben und das Judentum zu informieren und sich davon abzugrenzen. Da auch in den genannten frühneuzeitlichen Bibliographien diese Schriften nicht immer klar von solchen unterschieden werden, die in positiver Weise an die politia judaica anknüpfen, ist man auf inhaltliche Vergleiche der Schriften selbst angewiesen. 10 Die Erforschung dieser frühneuzeitlichen „Ethnographien“ des Judentums ist erst in jüngerer Vergangenheit vorangeschritten. Vgl. vor allem Deutsch, Judaism in Christian Eyes, der insgesamt 75 entsprechende Schriften für die Frühe Neuzeit zählt. 11 Die Bedeutung dieser beiden Werke für die Frühe Neuzeit wird hervorgehoben von Burnett, Distorted Mirrors, 275–287 mit einer Einordnung zu den „Jewish ethnographies“ in dieser Zeit. 12 Homberg/Margaritha, Politia Judaica, Das ist/ Ein warhafftige Summarische beschreibung der Jüdischen Regierung/ in dreyen theilen beschrieben; In deren Erstem theil/ deß Jüdischen Reichs umbstände/ […] was für unterschiedliche veränderunge sich dabey zugetragen/ warumb/ und wie es endlich zerstöret/ […] und das Jüdische volck durch die gantze Welt zerstrewet worden/ Und Im Andern theil die vornembste Mosaische Jüdische Gesetz nach dem Alphabeth disponiret/ erzehlet werden/ Durch Johannem Hombergium, […] Im Dritten theil aber werden der jetzigen Juden Gebett/ Ceremonien/ gebreuch und gewonheiten/ durch Weiland Herrn Antonium Margaritam, einem bekehrten Juden/ […] beschrieben/ erhohlet, 3 Bd., Frankfurt a.M./Neustadt a. d. Hardt 1617; vgl. auch Osten-Sacken, Martin Luther und die Juden.
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Moses Gemeinwesen: die antike Vorstellung von Mose als Gesetzgeber
So lohnt zunächst ein Einblick in zwei Werke, die heute nur noch wenig bekannt sind, etwa zur gleichen Zeit in den Jahrzehnten vor 1600 aber in ihren unterschiedlichen Kontexten von politischer und rechtlicher Relevanz wurden. Im Jahr 1577 wurde eine Schrift des französischen Juristen François Ragueau (auch: Raguel) mit dem Titel Leges politicae, ex sacrae iurisprudentiae fontibus haustae gedruckt.13 In diesem juristischen Werk stellte Ragueau einzelne Gesetze Moses dem römischen Recht gegenüber und deutete sie so auf das gegenwärtige Zivilrecht hin. Ragueaus Werk erschien noch mehrfach unter anderem Titel in deutscher und schließlich schwedischer Übersetzung. Fünf Jahre nach der Erstveröffentlichung der Leges politicae schrieb Joachim Stephani (1544–1623), Professor der Rechte in Greifswald, die Schrift De Iurisdictione, et qualis fuit in politia Judaica, ein Werk, das zunächst im Titel und im methodischen Aufbau nur wenig Verwandtschaft zum Werk Ragueaus nahelegen würde. Bei genauer Betrachtung der Vorreden und des Inhalts beider Werke werden aber doch übereinstimmende Argumentationsweisen ersichtlich: In beiden Schriften wird der Grundgedanke entwickelt, dass sich das römische Recht und letztlich gute Gesetze auf Erden aus den mosaischen Gesetzen speisen. In dieser Hinsicht legen beide Autoren nah, dass die Respublica Iudaeorum (Ragueau) bzw. politia Iudaica (Stephani) mit den Gesetzen Moses in politischer Hinsicht als Vorbild verstanden werden sollte. Beide Autoren stehen außerdem zugleich für zwei Ansätze und Gruppierungen von Schriften, die sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in der Orientierung am Vorbild der mosaischen Gesetzgebung unter Gelehrten herauskristallisieren: 1.) ein eher historiographisch orientiertes und 2.) ein rechtsvergleichend angelegtes Schrifttum. 1.) 1574 erschien das Werk De politia judaica des französischen Hebraisten und Theologen Corneille Bonaventurus Bertram (1531–1594), das in der Leidener Neuausgabe 1641 durch Constantijn L’Empereur den Titel De republica Ebraeorum erhielt.14 In Bologna wurden acht Jahre später Carlo Sigonios (um 1522–1584) De republica Hebraeorum libri VII gedruckt.15 Beide Schriften avancierten in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu Klassikern, was sich
13 Ragueau, Leges politicae, ex sacrae iurisprudentiae fontibus haustae, collectaeque & ob commodiorem usum, ad formam Iustinianei Codicis digestae, ac per Titulos, Edictique perpetui seriem concinnatae, Frankfurt a.M. 1577. Zu Ragueau und den mehrfach neu aufgelegten Übersetzungen der Schrift siehe unten, Abschn. 3.2.1. 14 Bertram, De politia judaica, tam Ciuili quam Ecclesiastica: iam inde a suis primordijs, hoc est, ab Orbe condito, repetita, Genf 1574. Die spätere Aufl. aus dem 17. Jahrhundert trägt den Titel: De republica Ebraeorum. Recensitus commentarioque illustratus opera Constant. l’Empereur, Leiden 1641. Aus Platzgründen werden die Schriften der in diesem Abschnitt vorgestellten Autoren in den folgenden Fußnoten nur mit den jeweiligen Erstausgaben genannt. 15 Carlo Sigonio, De republica Hebraeorum libri VII, Bologna 1582.
Orientierungen am Rechtsvorbild des mosaisch-jüdischen Gemeinwesens
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bereits anhand der Druckgeschichte nachweisen lässt.16 Sie unterschieden sich jedoch auch grundlegend im Aufbau und Ansatz voneinander und entstanden in gänzlich unterschiedlichen Kontexten. Bertrams Werk ist zum einen in den Kontext Frankreichs mit seinen Religionskriegen des 16. Jahrhunderts einzuordnen. Es ist aber zum anderen in Genf gedruckt worden und entstand an der Genfer Akademie in der Nachfolgezeit des Reformators Johannes Calvin.17 Sigonios Werk war gegenüber der chronologischen Ausrichtung von Bertrams Schrift De politia judaica systematisch angelegt. Der humanistische Historiograph Sigonio adressierte sein Werk zwar an Papst Gregor XIII., sah sich aber in Bologna, wo selbst eine aristokratische Bürgerschicht gegen den Kirchenstaat aufstrebte, zugleich einer ständigen Auseinandersetzung mit der römischen Zensur ausgesetzt.18 1582 erschien dann das weiter oben erwähnte Buch De Iurisdictione, et qualis fuit in politia Judaica von Joachim Stephani. Es war nur der erste Band zu einem vierteiligen Gesamtwerk De Iurisdictione, das 1604 in Druck ging. In den übrigen Teilen stellte Stephani der alten jüdisch-mosaischen Jurisdiktion und Rechtsordnung die griechische, römische und kirchliche zur Seite. Im ersten Buch De Iurisdictione, et qualis fuit in politia Judaica ging Stephani wie Bertram und Sigonio von einem Idealbild der mosaischen Gesetzgebung aus, konzentrierte sich aber bei der Darstellung noch mehr als die anderen beiden Autoren auf das römische Recht und die Rechtsprechung im engeren Sinn.19 So unterschiedlich die Werke Bertrams, Sigonios und Stephanis im Ansatz und Aufbau auch waren, führt ihre Entstehung doch auf einen gemeinsamen Bezug zu einer humanistisch ausgerichteten Jurisprudenz zurück.20 Bevor sich Autoren wie sie mit der politia judaica oder respublica Hebraeorum als Rechtsgröße in ganzen Schriften befassten, wurde diese Thematik von Humanisten in universalrechtlichen Geschichtsschreibungen seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bereits in eigenen Kapiteln erläutert: die prominentesten Beispiele sind hier François Baudouin (1520–1573) und Jean Bodin (1529/30– 1596).21 Verfolgt man hingegen die Entwicklung des rechtsgeschichtlich orientierten Schrifttums nach Bertram, Sigonio und Stephani weiter, stößt man als Nächstes auf Petrus Cunaeus’ De republica Hebraeorum libri III (1617).22 Cu16 17 18 19
Siehe die Drucknachweise im Quellenverzeichnis am Ende dieser Arbeit. Siehe Abschn. 3.3.1. Siehe Abschn. 3.3.2. Stephani, De Iurisdictione, et qualis fuit in politia Judaica, liber primus, Greifswald 1582; wieder aufgen. und erw. zu: De Iurisdictione Judaeorum, Graecorum, Romanorum, & Ecclesiasticorum Libri Quatuor, Frankfurt a.M. 1604. Die gesonderten Drucke der einzelnen Teile sind im Literatur- und Quellenverzeichnis aufgeführt. 20 Siehe Abschn. 3.1. 21 Siehe Abschn. 3.1.1. 22 Cunaeus, De republica Hebraeorum Libri III. Hebraea & Graeca omnia verbo tenus reddita Latine sunt: aut, postquam relata abunde sententia eorum est, apponuntur: ut tardare haec
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Moses Gemeinwesen: die antike Vorstellung von Mose als Gesetzgeber
naeus knüpft bewusst an Bertram und Sigonio an und sein Werk kann zu einem gewissen Grad auch als Kommentar und Erweiterung zu den Arbeiten seiner beiden Vorgänger verstanden werden. Wahrscheinlich konnte sich auch erst durch den Erfolg von Cunaeus’ Schrift eine eigene Art von Respublica-Hebraeorum-Literatur im 17. Jahrhundert verbreiten: Dazu zählen in erster Linie Traktate, die in Aufbau und Inhalt vermehrt nach dem Dreißigjährigen Krieg an die früheren Titel anschließen und diese auch rezipieren: 1648 erschienen die De republica Hebraeorum libri octo des jesuitischen Exegeten und Moraltheologen Giovanni Stefano Menochio (1575–1655).23 Menochio wollte zwar an das Werk Sigonios anknüpfen, blieb aber viel mehr als dieser der römisch-katholischen Theologie verpflichtet. Die Schrift erlebte insgesamt nur eine Auflage. Mit Menochios Werk, das fast 800 Seiten zu je zwei Spalten umfasste, und seinem orthodox-reformierten Pendant, dem Werk De republica Hebraeorum. Libri XII (1704) des niederländischen Theologen Melchior Leydecker (1642–1721), erreichte die Respublica-Hebraeorum-Literatur vom Umfang her gesehen ihren Höhepunkt.24 Bereits früher entstanden kürzere Schriften des Altdorfer Professors für Geschichte und Sprachen Philipp(us) Caroli (Carolus, gest. 1639)25 und des holsteinischen Pfarrers Joachim Ludwig Reimer (gest. 1680).26 Das Werk Reimers verweist schon im Titel darauf, dass es auf Grundlage der Vorarbeiten Bertrams, Sigonios und Cunaeus’ konzipiert war. Im deutschen Bereich sind außerdem in diesem Zeitraum einige Disputationen de republica Hebraeorum nachweisbar, die sich ebenfalls auf die einschlägigen Vorläuferwerke bezogen.27 Beteiligt an diesen Disputationen war unter anderem Hermann Conring (1606– 1681), der als Begründer der deutschen Rechtsgeschichte gilt.28 Ohne enge gattungsspezifische Maßstäbe für die historiographisch orientierte RespublicaHebraeorum-Literatur anzulegen, steht man im Hinblick auf das 17. Jahrhundert vor einem umfangreichen Literaturfeld. Dann müssten nämlich auch Werke
23 24 25 26 27
28
res lectorem non possit, Leiden 1617. Der Schrift Cunaeus’ vorausgegangen war ein unveröffentlichter Traktat mit dem Titel De republica emendanda von Hugo Grotius, dem Vater des Völkerrechts. Siehe dazu unten, Abschn. 5.1. Menochio, De republica Hebraeorum libri octo, Paris 1648. Neben De republica Hebraeorum. Libri XII […], Amsterdam 1704 veröffentlichte Leydecker auch noch De vario Reipublicae Hebraeorum statu libri novem. Theologici, Philologici, Historici […], Amsterdam 1710. Carolus, Sceptrum Judae sive de Republica Hebraeorum Dissertatiuncula, Altdorf 1627. Reimer, Respublica Ebraeorum ex Sigonio, Bertramo, Cunaeo aliisque ita concinnata; Ut sententiae illorum succincte proponantur; largiter adaugeantur; & dextre dijudicentur, Havnia [=Kopenhagen] 1657. Hermann Conring, De Politia Sive Republica Hebraeorum Exercitatio, Helmstedt 1648; Michael Wendeler/Johann Honter, Disputatio Politica De Republica Hebraeorum, Wittenberg 1655; Abraham Calov/Johann Georg Wilke, De Statu Judaeorum Ecclesiastico Et Politico […], Dissertatio Historico-Theologica Prior, Wittenberg 1656. Vgl. Döhring, Art. Conring.
Orientierungen am Rechtsvorbild des mosaisch-jüdischen Gemeinwesens
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berücksichtigt werden, die jeweils nur historischen Einzelaspekten der politia judaica gewidmet waren, zum Teil aber doch darüber hinausgingen und meist in einem Rezeptionsverhältnis zu den früheren Schriften de republica Hebraeorum standen. Mit der allgemeinen Tendenz, dass im 17. Jahrhundert noch in größerem Maße als im vorausgehenden Jahrhundert christliche Hebraisten am Werk waren, gehören die Arbeiten von Wilhelm Schickard,29 John Selden30 und später John Spencer31 neben vielen anderen sicherlich zu den einflussreichsten. 2.) Auch für das Schrifttum, das für einen rechtskomparativen Zugang zum Vorbild des jüdisch-mosaischen Gemeinwesens stand, lassen sich die Entwicklungen für die Anfänge im 16. Jahrhundert noch leichter nachzeichnen als für den weiteren Verlauf im 17. Jahrhundert. Wie im historiographisch angelegten Schrifttum waren hier am Anfang Arbeiten juristisch orientierter Autoren entscheidend. Johannes Calvin und sein Nachfolger Theodor Beza, die selbst beide ausgebildete Juristen waren, konzentrierten sich in ihren theologischen Werken noch auf vergleichende Zusammenstellungen innerbiblischen, mosaischen Rechts. Beza folgte in seiner Kompilation Lex Dei32 noch der gängigen Unterscheidung zwischen Moral-, Zeremonial- und Judizialgesetz. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts aber suchten Juristen nun vermehrt Vergleichsmöglichkeiten mit dem römischen Recht und anderen antiken Rechtsquellen, nicht ohne deren Herkommen aus der alten Gesetzgebung Moses zu folgern. Zum Teil wurde hierzu auch auf eine Edition der antiken Collatio legum Mosaicarum et Romanarum eines unbekannten Autors aus dem 4. Jahrhundert zurückgegriffen, die 1573 vom französischen Juristen Pierre Pithou (1539–1596) besorgt wurde.33 Pithous Edition wurde bald mit Bezas Lex Dei-Sammlung abgedruckt.34 Die Vergleiche und Kompilationen mosaischen Rechts mit außerbiblischen antiken Rechtsquellen, die beim Vorbild der politia Mosis ansetzten, beginnen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts dann mit dem schon erwähnten Werk Leges politicae (1577) von François Ragueau. In den nächsten Jahren folgen Henri Estiennes Kompilation Iuris civilis fontes et rivi (1580),35 die Iuris divini Iudaeorum ac iuris civilis Romanorum parallela (1594) des schotti-
29 Schickard, המלך משפט. Jus regium Hebraeorum e tenebris rabbinicis erutum & luci donatum, Straßburg 1625. 30 Vgl. zu Selden zuletzt ausführlich Barbour, John Selden; Rosenblatt, Renaissance England’s Chief Rabbi; Toomer, John Selden. 31 Spencer, De Legibus Hebraeorum ritualibus et earum rationibus, libris tres, Cambridge 1685. 32 Beza, Lex Dei, moralis, ceremonialis, et politica, ex libris Mosis excerpta, & in certas classes distributa, [Genf] 1577. 33 Siehe insgesamt Abschn. 3.1.2. 34 Siehe Abschn. 3.1.2. 35 Estienne, Iuris civilis fontes et rivi. Iurisconsultorum veterum quidam loci, ex integris eorum voluminibus ante Iustiniani aetatem excerpti, [Paris] 1580.
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Moses Gemeinwesen: die antike Vorstellung von Mose als Gesetzgeber
schen Juristen William Welwood36 und die Themis Hebraeo-Romana (1595) des in Heidelberg lehrende Juristen Johann Kahl.37 Eine Reihe weiterer Kollationen entsteht im 17. Jahrhundert und noch danach und wird später durch den christlichen Hebraismus beeinflusst.38 Thematische Überschneidungen mit der rechtsvergleichenden Literatur, die beim Vorbild der politia Mosis ansetzt, bestehen schließlich gegenüber einzelnen theologischen Schriften, die am Ende des 16. Jahrhunderts der Debatte über die Geltung der mosaischen Judizialgesetze entspringen.39 An erster Stelle ist hier Franciscus Junius’ Werk De politiae Mosis observatione (1593)40 zu nennen, das in der reformierten Theologie und darüber hinaus einflussreich wurde. Elemente aus der rechtsgeschichtlichen und rechtsvergleichenden Literatur werden von Wilhelm Zepper in seiner umfangreichen Arbeit Legum mosaicarum forensium explanatio (1604) übernommen.41 In der Theologie findet dann im 17. Jahrhundert das Schrifttum, das vom Rechtsvorbild der mosaischen Gesetze ausgeht, einen ersten Höhepunkt in den Werken des schottischen Theologen und Hebraisten John Weemes (ca. 1579–1636).42
1.3
Das antike Erbe der politia Mosis und ihre Renaissance durch den Humanismus in der Frühen Neuzeit
In diesem Abschnitt wird der Frage nachgegangen, auf welcher quellenmäßigen Grundlage ein Schrifttum in der Frühen Neuzeit entstehen konnte, das sich an der mosaischen Gesetzgebung als Idealvorstellung orientierte. Zu fragen ist, unter welchen antiken Autoren und Schriften der Begriff der politia Mosaica in diesem Sinne aufzuspüren ist. In einem kurzen Überblick soll darlegt werden, wie sich in antiken Quellen überhaupt der Begriff des „mosaischen Gemeinwesens“, 36 Welwood, Iuris divini Iudaeorum ac iuris civilis Romanorum parallela, Leiden 1594. 37 Kahl [Calvinus], Themis Hebraeo-Romana, id est iurisprudentia Mosaica, et iuris tum canonici, tum civilis, Romana, inuicem collata; et methodice digesta: […], Hanau/Frankfurt a.M 1595. 38 Siehe den Überblick in Abschn. 3.2.5. 39 Siehe ausführlich Kap. 4. 40 Junius, De politiae Mosis observatione; Quid in populo Dei observari, quid non observari ex ea oporteat, postquam gratia & veritas per Christum facta est, & Euangelio promulgata, Leiden 1593. 41 Zepper, Legum mosaicarum forensium explanatio. Ubi quaestio, an et quatenus abolitae illae sint, ventilatur; equae legibus illis, circa personas, res & actiones versantibus, in que harmoniae porro formam, juxta praeceptorum Decalogi seriem, digestis, multae quaestiones & materiae; viris tam ecclesisticis, quam politicis, in administratione regni Christi ecclestiastica & politica, scitu necessariae & iucundae eruuntur & evolvuntur: quaeum indicem generalem & specialem, proximae post dedicatoriam paginae exhibent, Herborn 1604. 42 Siehe Abschn. 4.5.
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nämlich als ein Konnex zwischen der Vorstellung von Mose als Gesetzgeber und dem jüdischen Gemeinwesen mit seinen Gesetzen, erklären lässt. Seinen stärksten Ausdruck fanden die positiven Beschreibungen der politia Mosaica in Form von antiken jüdischen und christlichen Apologien,43 die ihrerseits auf Schriften über Mose und das jüdische Gemeinwesen aus der paganen Umwelt reagierten. Im Renaissance-Humanismus werden diese positiven Würdigungen der politia Mosaica neu entdeckt, in Druck gebracht und selbst in Schriften verarbeitet.
1.3.1 Das Idealbild von Mose als Gesetzgeber und des mosaischen Gemeinwesens in antiker jüdischer und christlicher Apologetik Ein verwandter Begriff des mosaischen Gemeinwesens (politia Mosis/Mosaica) im Hebräischen ist im Alten Testament nicht belegt. Die dahinterstehenden Vorstellungen außerbiblischen Ursprungs von Mose als Gesetzgeber haben aber insgesamt wiederum das biblische Bild von Mose und den mosaischen Gesetzen, insbesondere der späten alttestamentlichen Schriften und des Neuen Testaments beeinflusst. Die komplexen antiken biblischen und außerbiblischen Überlieferungen über Mose, die im Folgenden in einem Überblick skizziert werden, verdienten eigentlich eine längere Ausführung. Da dies allerdings an anderer Stelle bereits geleistet wurde,44 wird es möglich sein, sich im Folgenden auf die begrifflichen Entwicklungen und Quellen zu beschränken, die für die Texte entscheidend waren, die in der Frühen Neuzeit ein Idealbild der mosaischen Gesetzgebung zum Thema hatten. Dazu bleibt der folgende Aspekt entscheidend: Die politia judaica mit ihren mosaischen Gesetzen wird mit anderen Gemeinwesen und Rechtstraditionen verglichen und als Idealbild beschrieben, am ehesten in dem Sinne, dass die mosaischen Gesetze als älteste Rechtsquelle und Ursprung anderer (guter) Gesetze und Rechte gedeutet werden. Der folgende Abschnitt fragt also nach antiken Quellen und Traditionen, die hierfür ent43 Im Folgenden werden die Ausdrücke „Apologie“ und „Apologetik“ in einem möglichst weiten Sinn verwendet und nicht als engere Gattungsbezeichnungen, die auch in der Kirchengeschichte üblich sind. Es geht vor allem um eine verteidigende und ausdrücklich positive Darstellung von Mose als Gesetzgeber und der politia Mosis gegenüber der nicht-jüdischen und nicht-christlichen Umwelt, die von jüdischen und christlichen antiken Autoren gewählt wurde. 44 Vgl. zuletzt die 2014 erschienenen Beiträge in Beal, Illuminating Moses. Des Weiteren seien unter den zahlreichen Forschungsarbeiten für die folgenden Ausführungen als wichtigste genannt: Otto, Mose; Timpe, Mose als Gesetzgeber; Schäfer, Judeophobia, bes. 15–33; Assmann, Moses der Ägypter, bes. 17–82; Gager, Moses in Greco-Roman Paganism; Najman, Seconding Sinai; Gertz, Mose und die Anfänge; Ego, Mose im Judentum; Zenger, Art. Mose; Oberhänsli-Widmer, Art. Mose.
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scheidend waren, weil sie in der Frühen Neuzeit neu rezipiert und in diesem Sinne verarbeitet wurden. An dieser Stelle ist für die nachfolgende Untersuchung vorweg bereits zu bedenken: Der Gedanke des Ursprungs oder der Genese der Gesetze – in diesem Fall ausgehend vom mosaischen Gesetzeskorpus – setzt bereits eine rechtliche und geschichtliche Vergleichbarkeit voraus. Vereinfacht ausgedrückt: Soll dargelegt werden, dass das von Gott gegebene mosaische Gesetz wirklich das älteste und ideale Rechtskorpus auf Erden ist, von dem sich andere Gesetze, Rechte, Rechtskorpora und -vorstellungen ableiten lassen oder dazu in Relation stehen, so setzt das schon voraus, dass auch andere (spätere) Rechtsformen und Rechtsbestände existieren oder existiert haben müssen. Hierzu sind noch einmal zwei Hinweise angebracht: In der Thora bzw. dem Pentateuch, den ersten fünf Büchern der Bibel, wird die Richtung für eine solche Argumentation bereits dadurch vorgegeben, dass Mose selbst bekanntermaßen als Mittler des göttlichen Gesetzes (Dtn 1,1.3; 4,44f; 5,1ff) und als dessen Schreiber (Dtn 31,9–13.24–26) auftaucht. Nur so konnte Mose auch als Verfasser des Pentateuchs, in dem der Weltanfang, die Genealogie der Völker und die Geschichte Israels bereits vor die Gesetzesgabe am Sinai (bzw. Horeb nach dem Deuteronomium) rücken, verstanden werden, was sich bis heute daran zeigt, dass die Bücher des Pentateuchs unter seinem Namen gezählt werden. Die mosaische Autorschaft der ersten Bücher der Bibel, die sich nach Abschluss des Kanons der Hebräischen Bibel im 2. Jahrhundert v. Chr. durchsetzte,45 wurde auch weithin in der Frühen Neuzeit nicht angezweifelt, wie die Quellen erkennen lassen, die im Folgenden in den Mittelpunkt rücken. Es war hier gewiss den Quellen nach eine geringe Minderheit von christlichen und jüdischen Denkern, die die mosaische Autorschaft hinterfragten.46 In den heutigen Bibelwissenschaften dagegen kann es als Konsens gelten, dass die komposito45 Vgl. Otto, Mose, 83. 46 Vgl. zum Folgenden die detaillierten Informationen bei Houtman, Pentateuch, 6–57: Schon der in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts wirkende Wittenberger Jurist und Reformator Andreas Bodenstein von Karlstadt meldete in seiner Schrift De canonicis scripturis Libellus (1520) Zweifel an der mosaischen Verfasserschaft des Pentateuchs an (zu Karlstadt siehe unten, Abschn. 2.1.2). Vergleichbare kritische Stimmen hatte es bereits sowohl auf jüdischer wie auf christlicher Seite seit der Antike gegeben, freilich in welchem Umfang ist schwierig zu sagen. Die Kritik konnte mit einer allgemeinen Abwertung der alttestamentlichen Schriften einhergehen, wie sie „häretische“ Strömungen vertraten, oder von außen an Juden und Christen herangetragen werden. Theologen und Gelehrte der Frühen Neuzeit schließlich konnten bereits an die dann im Mittelalter allgemein vertretene mosaische Verfasserschaft der ersten fünf biblischen Bücher anschließen, obwohl auch hier einzelne Gegenstimmen wie z. B. die von Rabbi (Abraham ben Meir) Ibn Esra bekannt sind. Dennoch lässt sich in der Summe festhalten, dass eine breite wirkungsreiche Diskussion über die mosaische Pentateuch-Autorschaft erst mit dem 17. Jahrhundert einsetzte. Auf diese wird noch einmal im Ergebnisteil dieser Arbei in einem kurzen Ausblick eingegangen.
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rische Anlegung der ersten fünf biblischen Bücher (Gen–Dtn) auf die Autorschaft Moses späterer Natur ist. Mehr noch: Das heute vielleicht dominanteste Bild von Mose als Gesetzgeber scheint gar nicht den ältesten Überlieferungen über Mose zu entsprechen, die sich aus den biblischen Schriften noch rekonstruieren lassen, vielmehr habe zunächst eine von Moses Lebensanfängen über den Exodus Israels bis zur Landnahme reichende Erzählung existiert, in der die Geschichte des Mose als Führungsgestalt zwar mit dem Ursprung Israels verwoben war, aber die Gesetzgebung noch keine Rolle spielte.47 Stimmt man dieser These zu oder nicht, in jedem Fall muss die Figur des Mose früh eine solche identitätsstiftende Bedeutung für Israel gewonnen haben,48 dass sie schließlich auch zu einem Kristallisationspunkt für die Kanonbildung wurde. Dies wiederum hätte nicht ohne eine (zuvor erfolgte) Verbindung mit der Vorstellung von Mose als Offenbarungsmittler der Thora (des Gesetzes) geschehen können. Das Deuteronomium geht schon einen Schritt weiter und stellt Mose nicht nur als Vermittler, sondern auch eigentlichen Lehrer des Gesetzes dar (Dtn 1,5; vgl. Ex 24,12), durch den die Weisung Gottes schließlich in Schriftform gesichert wurde. Auch in den Geschichtswerken und andernorts im Alten Testament wird auf Moses Mittlerschaft des Gottesgesetzes Bezug genommen (Jos 1,7f.13; 1Kön 2,3; 8,9; 1Chr 6,34; 15,15; 2Chr 24,9; Neh 1,7f; Ps 103,6f u. a.). Auf die weiteren Mosebilder, die der erste Teil der christlichen Bibel noch kennt, wie z. B. das Bild von Mose als hervorragendem Propheten (Dtn 18,18; 34,10–12) und die neuen Facetten, die im Neuen Testament z. B. in Typologien (Mk 9,22ff; Apg 7,35ff; Hebr 3,1–6; 11,23–29) oder dem Bild von Mose als Repräsentant der Thora bzw. des Gesetzes (Joh 1,17; vgl. Mt 19,7f; Mk 10,3f) hinzutreten,49 muss hier nicht weiter eingegangen werden. Vielmehr gilt auch für die abgeschlossene, heute vorliegende Form des biblischen Kanons, dass ihm Elemente fehlen, die erst gänzlich das Idealbild der mosaischen Gesetzgebung und des mosaischen Gemeinwesens hervortreten lassen. Es ist dies vor allem der feste Konnex zwischen dem Gesetzgeber Mose und dem jüdischen Gemeinwesen als politisches und rechtliches Gebilde und dann die dadurch ermöglichte Vergleichbarkeit mit anderen Gemeinwesen, Völkern und Rechtsvorstellungen. Die Entfaltung dieser Elemente liegt auch gar nicht im Anliegen der heutigen Schriften des Alten und Neuen 47 Vgl. Gertz, Mose und die Anfänge, 3–11, hier: 5: „Gehört also die Mose-Tora des Alten Testaments ganz auf die Seite des späteren Judentums, so stehen die alttestamentlichen Überlieferungen eines vorgesetzlichen Mose eindeutig auf der Seite der altisraelitischen Religion. Der in den ältesten Überlieferungen noch erkennbare geschichtliche Mose kann in diesem Rahmen dann als der Begründer eines ‚geistigen Gemeinbewußtseins‘ gelten, das der Etablierung eines politischen Gemeinwesens in Israel vorausgeht.“ 48 Vgl. den aufschlussreichen Aufsatz von Dieter Timpe, Mose als Gesetzgeber, hier: 72. 49 Wesentliche Aspekte hierzu sind zusammengefasst bei Böttrich, Mose im Christentum, 74– 100.
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Testaments, sondern es bedurfte einer Geschichtsschreibung, Philosophie und Theologie, die ihrerseits auch bereits auf Grundlage alttestamentlicher Schriften argumentieren konnte, um solch einer Vorstellung Konturen zu geben: Ausschlaggebend war das, was Eckart Otto treffend als „Symbiose von Judentum und griechischer Kultur“ bezeichnet hat: Diese verlieh der Mosegestalt ein neues Profil.50 Vor allem die in der griechischen Antike aufkommende, umfassende Vorstellung vom Gesetz (νόμος) und Gesetzgeber (νομοθέτης), die eine „Kategorie der Völkerbetrachtung und ein Schlüssel zur geschichtlichen Individualität eines Volkes“51 wurde, ermöglichte es, Mose, die mosaischen Gesetze und das jüdische Gemeinwesen in einen universalen Zusammenhang zu stellen und damit der philosophischen, rechtlichen und politischen Vergleichbarkeit auszusetzen. In dieser im Hellenismus und dann bei den Römern verbreiteten Auffassung entsteht der Konnex zwischen Gesetzgeber, Gesetzgebung und Gemeinwesen eines Volkes, der erklärbar macht, warum das mosaische Gemeinwesen (politia Mosaica) zu einem der politia judaica gleichzusetzenden Begriff werden konnte, wie das schließlich auch in der weiter oben skizzierten frühneuzeitlichen Literatur abzusehen ist. Schon die älteste Erwähnung Moses nicht-jüdischen und außerbiblischen Ursprungs, die auf den frühptolemäischen Geschichtsschreiber Hekataios von Abdera und seine Aegyptiaca um 300 v. Chr. zurückgeht und durch den griechischen Geschichtsschreiber Diodorus Siculus in dessen Bibliotheca historica (Βιβλιοθήκη Ἱστορική) aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. überliefert ist, beschreibt Mose als einen politischen Führer und Gesetzgeber (νομοθέτης), ohne ihm spezifische religiöse oder prophetische Attribute zuzuschreiben.52 Der Schwerpunkt des Erzählten liegt auf der Darstellung des Exodus und der Neuansiedlung der Hebräer in einer Kolonie: Als eine Seuche in Ägypten wütet, sehen die Ägypter 50 Otto, Mose, 82. Dass im Folgenden dabei, abgesehen von Philo und Josephus, die antike und dann mittelalterliche rabbinische Tradition (auch Talmud und Mischnah) nicht ausführlicher behandelt werden, hat bereits mit der Auswahl des zu untersuchenden Quellenkorpus zu tun. Verweise darauf sind einzelnen Abschnitten zu entnehmen, siehe bes. Abschn. 1.3.3.1 u. Abschn. 1.3.3.2 sowie Abschn. 3.3.1.2, Abschn. 4.5.2 u. Abschn. 5.2. 51 „Die Nomotheten sind hier eine Kategorie der Völkerbetrachtung und ein Schlüssel zur geschichtlichen Individualität eines Volkes; sie bieten einen Maßstab des Vergleichens und erlauben, kulturelle Abhängigkeiten zu bestimmen, ja, sie geben geradezu das personale Gerüst einer Kulturverbreitungslehre und ein ethnographisches Ordnungssystem. Diese Anschauung vom Gesetzgeber traf nun auf eine Moses-Deutung, die es nahelegte, auch den Gottesmann vom Sinai in die Reihe der Kulturstifter und Gründer zu stellen, sie erlaubte damit der hellenistischen Wissenschaft, das jüdische Volkstum vergleichend zu verstehen und zu beurteilen“ (Timpe, Mose als Gesetzgeber, 73). 52 Vgl. Eus., pr. ev. IX,4; dazu Schäfer, Judeophobia, 15–17. Schäfer gibt mit Assmann, Moses der Ägypter, 60 an, dass es sich bei der Darstellung Hekataios’ von Abdera um die älteste ExodusÜberlieferung außerhalb der Bibel handelt. Vgl. außerdem Otto, Mose, 85 mit Schäfer, Judeophobia, 21.
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dies als ein Zeichen des Zorns der Götter, der durch den Kult und Brauch fremder Völker unter ihnen entbrannt sei. Folglich werden diese Fremden aus dem Land vertrieben und siedeln sich in Palästina und Griechenland an. In Palästina werden unter Mose verschiedene Städte, darunter Jerusalem, gegründet, eine bildlose Verehrung eines allumfassenden Gottes eingeführt und weitere Gesetze erlassen. Die Gesetze der Hebräer enden nach Hekataios’ Schilderung mit den Worten „nachdem Mose es von Gott gehört hatte, sagte er es zu den Juden“.53 Offenbar spielte für Hekataios der Aspekt der Gesetzgebung in der Person des Mose eine wichtige Rolle. Mose wird dabei zu einem Gründer des politischreligiösen Gemeinwesens, ohne dass dabei der Aspekt der Gottesoffenbarung eine Rolle spielt. Auch die Entstehung Jerusalems und des Tempelkultes, die Hekataios auf Mose zurückführt, entsprechen dabei nicht den biblischen Schilderungen. Die komplexen Überlieferungen und Bezüge, die sich dann seit Hekataios von Abdera in nicht-jüdischen, außerbiblischen Quellen über Mose finden, lassen sich für den Fortgang in drei wesentlichen Punkten zusammenfassen: Zum einen ist zu erkennen, dass Mose, wie Louis H. Feldman resümiert hat, „die eine Person der jüdischen Tradition gewesen ist, die der paganen antiken Umwelt wohlbekannt war.“54 Dies ist deswegen von Relevanz, weil in den Anschauungen der hellenistischen und römischen Umwelt die Durchsetzungskraft und Vermittelbarkeit einer religiösen und philosophischen Bewegung spätestens seit Platons Konzeption des Philosophen-Königs von der Gründungsfigur bzw. dem Gesetzgeber abhing.55 Zweitens, auch wenn Mose so weitreichend in paganen antiken Quellen vertreten war, lässt dies keine einfachen Schlüsse auf eine dazugehörige (positive) Darstellung des Judentums zu. Vielmehr konnten positive Darstellungen des Gesetzgebers Mose zugleich mit Abwertungen des Judentums oder mit dem, was von einigen Forschern als Beginn des Antisemitismus in der Antike gesehen wird,56 einhergehen. Im Zeitraum 300 v. Chr. bis in die ersten 53 Brague, Law of God, 102 verweist hier auf die Nähe zu den Enden der biblischen Bücher Levitikus und Numeri. Der Verweis auf solche Parallelen würde für eine Form von „Gegengeschichte“ („counterhistory“) sprechen, die auf eine jüdisch-biblische Fassung reagiert hätte. Für Timpe, Mose als Gesetzgeber, 74 dagegen steht fest, dass Hekataios das Judentum aus der biblischen Tradition nicht kannte, sondern nur aus dessen Präsenz in der ägyptischen Diaspora. Eine gesicherte Antwort auf Hekataios’ mögliche Kenntnis biblischer Schriften in seiner Darstellung, die gleichwohl grobe Parallelen in der Darstellung der Mose-ExodusLandnahme-Erzählung aufweist, lässt sich, soweit ich sehe, auf Grundlage des überkommenen Quellenmaterials gar nicht geben. 54 Feldman, Jew and Gentile, 233. 55 Vgl. Plat., rep. V, 473. Feldman zeigt, dass bereits hinter der besagten Mose-Erzählung Hekataios’ von Abdera eine platonische Konzeption des Philosophen-Königs steckte (vgl. Feldman, Jew and Gentile, 233–236). 56 Vgl. grundlegend Schäfer, Judeophobia, 1–11. 197–211 (zur Diskussion). 15ff; dazu Assmann, Moses der Ägypter, 61. Nirenberg, Anti-Judaism, 13–47 wählt bewusst nicht den Begriff des
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Jahrhunderte n. Chr. hinein entstanden viele weitere Schilderungen, die wie die Hekataios’ von Abdera den Exodus im Zusammenhang mit Mose in den Mittelpunkt stellten.57 Von dem ägyptischen Priester Manetho (ca. 300–250 v. Chr.), der kurz nach Hekataios eine Aegyptiaca schrieb, sind sogar durch Josephus zwei unterschiedliche Exodus-Versionen überliefert.58 Eine Version bezieht sich auf die Fremdherrschaft der sog. Hyksos („Hirten-Könige“) und die Gründung Jerusalems in Ägypten. In dieser Version fehlen jegliche expliziten Bezüge auf Mose und die Juden. Die zweite Version dagegen nimmt Motive auf, die bereits in Hekataios’ Exodus-Darstellung mit den Hebräern verbunden waren (gesetzliche Verbote der Verehrung fremder Götter und des Umgangs mit Fremden). Mose wird hier – wenn auch nur in einem Nachsatz – mit Osarsiph, einem Priester aus Heliopolis, gleichgesetzt, der seinerseits wiederum die Rolle des Anführers und Gesetzgebers übernimmt.59 Dadurch wird seine ägyptische Herkunft ebenso bekräftigt wie z. B. in den Mose-Exodus-Darstellungen des griechischen Geschichtsschreibers Strabon (ca. 63 v. Chr. bis nach 23 n. Chr.)60 und des stoischen Geschichtsschreibers Chaeremon von Alexandrien aus dem 1. Jahrhundert n. Chr.,61 die beide Mose als ägyptischen Priester (Strabon) und Schriftgelehrten
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Antisemitismus als Ausgangspunkt für seine Untersuchung der Geschichte des Antijudaismus (vgl. aaO., 1–12). Ebach, Art. Antisemitismus, 495–499, hier bes. 495f hält aber den Begriff Antisemitismus trotz seines diffusen Bedeutungsgehalts immer noch für die brauchbarste Bezeichnung, um alle Formen der Judenfeindschaft seit der Antike Rechnung tragen zu können. Vgl. auch Frey, Antijudaismus; Dan, Art. Antisemitismus/Antijudaismus mit Weinrich, Art. Antisemitismus, 34–39; und die Betrachtungen bei Assel/Kinzig, Judentum; Kinzig, Nähe und Distanz. Jan Assmann unterscheidet fünf leitende Momente der Mose-Exodus-Darstellungen: 1. Ausgangssituation eines Mangels, 2. Maßnahmen zur Abwendung, 3. Organisation unter einem Führer, Gesetzgebung, 4. Die Schrecken der Gegenreligion und 5. Vertreibung (vgl. Assmann, Moses der Ägypter, 54–72, hier: 56–59; vgl. neuerdings auch Assmann, Exodus). Die betreffenden Abschnitte aus Manethos Aegyptiaca sind lediglich überliefert in Joseph., c. Ap. I,73–91 und c. Ap. I,228–252. Ein hier nicht möglicher genauer Vergleich der beiden Fassungen unter Gesichtspunkten der historischen Einordnung ist bereits von Schäfer, Judeophobia, 17–21 (mit weiterer Lit.) und Assmann, Moses der Ägypter, 54–60 geleistet worden. Es ist umstritten, ob dieser Nachsatz, laut dem Osarsiph den Namen Moses annimmt, nicht eine Glosse ist. Fällt der Nachsatz nämlich weg, so fehlen in dem Bericht jegliche Bezüge auf Mose und das Judentum. Assmann vertritt hierzu nun die originelle These, dass schon durch Manetho selbst der Namenswechsel Osarsiphs zu Mose in den Text eingefügt wurde, um die Mose-Exodus-Darstellung Hekataios’, die ihm bekannt gewesen sei, mit einer älteren Quelle über die Vertreibung der ägyptischen Hyksos in der Zeit König Amenophis zu vermitteln (vgl. Assmann, Moses der Ägypter, 59f). Vgl. Strab., geogr. XVI,2,35–37. Seine Aussagen über Mose und den Exodus sind lediglich bei Joseph., c. Ap. I,289–292 als Fragment überliefert. Demnach beschrieb Chaeremon, wie der Exodus auf eine Isis-Vision König Amenophis’ hin angeordnet und unter den heiligen Schriftgelehrten Mose, der den ägyptischen Namen Tisithen getragen habe, und Joseph mit dem ägyptischen Namen Peteseph erfolgte.
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(Chaeremon) beschreiben. Für Strabon aber ist Mose nicht allein nur ägyptischer Priester, sondern zugleich auch als Gesetzgeber in einen Rang mit den mythischen Gesetzgeber-Vorbildern, König Minos von Kreta und Lykurg von Sparta, zu stellen. Er habe Jerusalem und das jüdische Gemeinwesen gegründet und gehöre zugleich in die Liste der ältesten Propheten-Könige.62 Die Anfänge unter Mose und seinen Nachfolgern werden demnach positiv gewürdigt, wobei Strabon, wie eine Vielzahl der anderen paganen Mose-Exodus-Überlieferungen, den Mose-Anhängern einen monotheistischen Gottesglauben und die bildlose Gottesverehrung zuordnet.63 Allerdings wird der Verfall des jüdischen Gemeinwesens unter abergläubischen Priestern und Tyrannen nach Mose dann ebenso veranschaulicht wie der entstehende Aberglaube, der sich in Bräuchen wie der Beschneidung zeige.64 Strabons Schilderungen über Mose und das jüdische Gemeinwesen gehören damit genauso wie die Chaeremons, bei dem jegliche negative Hinweise fehlen, nicht zu den scharfen antijüdischen bzw. antisemitischen Mose-Exodus-Schilderungen, die bei anderen antiken Autoren mit der Darstellung des jüdischen Gemeinwesens verbunden sind. Solche Abwertungen gegenüber dem Judentum zeigen sich z. B. in dem schon bei Hekataios von Abdera angelegten, aber erst bei Manetho begrifflich ausgeführten und wirkungsreich gewordenen Misanthropie-Vorwurf gegen die Juden.65 Manetho selbst und nach ihm unter anderem der alexandrinische Grammatiker Apion, stellen die Juden und Mose, zumindest nach den noch überlieferten Fassungen,66 als aussätzige leprakranke Ägypter dar. Ihre Schilderungen stehen dabei aber auch nur in einer ganzen Reihe von antijüdischen bzw. antisemitischen Darstellungen und polemischen Tönen, die mit den Historien des römischen Historikers Tacitus (ca. 54– 116 n. Chr.) am Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. ihren einstweiligen Höhepunkt finden. Tacitus, der zeitlich zwischen dem für das jüdische Volk verhängnisvollen jüdisch-römischen Krieg (66–74 n. Chr.) und dem Bar-Kochba-Aufstand der alexandrinischen Juden gegen die Römer (132–135 n. Chr.) schreibt, setzt den Exodus Moses und des jüdischen Volkes in der Zeit König Bakenrenefs (griech. Bokchoris),67 des Begründers der 24. Herrscherdynastie der Ägypter, an.68 62 Vgl. Strab., geogr. XVI,2,36.39 (ed. Radt). Schäfer, Judeophobia, 25 hält Strabons MoseExodus-Überlieferung für die positivste und judenfreundlichste unter den paganen antiken Überlieferungen. 63 Vgl. Strab., geogr. XVI,2,36.38f (ed. Radt). 64 Vgl. aaO., XVI,37 mit 39f. 65 Vgl. Schäfer, Judeophobia, 15–21; Nirenberg, Anti-Judaism, 21–24. 30–33. 66 Da Apions Aegyptiaca verloren gegangen ist, kann man sich bei seiner Mose-Exodus-Version nur auf die Zitate in Josephus’ Schrift Contra Apionem beziehen. Dabei ist natürlich allein deswegen hier Vorsicht in Fragen der Echtheit geboten, weil Josephus ja seine Schrift ganz gegen die Ausführungen Apions richtet. 67 Auch Lysimachos, dessen Aegyptiaca in der Überlieferung bei Josephus ebenfalls in einem
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Nachdem neues Land unter Mose besiedelt, eine Hauptstadt und Tempelkult gegründet wurden, so Tacitus, gab Mose dem Volk, um sich späterer Nachkommen zu versichern, […] neue Kultbräuche, die im Gegensatz stehen zu denen aller übrigen Menschen. Unheilig ist dort alles, was bei uns heilig, andererseits ist erlaubt bei ihnen, was für uns als Schande gilt. […] Diese Kultbräuche, auf welche Weise auch immer eingeführt, werden durch ihr hohes Alter gerechtfertigt: die übrigen Einrichtungen, unsinnig und abstoßend, kamen zur Geltung eben wegen ihrer Abscheulichkeit. Es waren gerade die Schlechtesten, die ihren Väterglauben aufgaben und Tempelabgaben und Spenden dort zusammenhäuften; daher wuchs die Macht der Juden, und auch deshalb, weil unter ihnen unverbrüchliche Treue waltet und hilfsbereites Mitleid, gegen alle anderen aber feindseliger Haß (hostile odium). […] Solange der Orient unter der Herrschaft der Assyrer, Meder und Perser stand, waren sie der verachtetste Teil der Unterworfenen. Als die Makedonen die Vorherrschaft besaßen, versuchte der König Antiochus, ihnen den Aberglauben zu nehmen und griechische Bräuche zu geben; aber dieses in allem ekelerregende Volk zum Besseren zu wandeln, daran hinderte ihn der Krieg mit den Parthern; denn zu dieser Zeit war Arsakes abgefallen. Daraufhin – die Makedonen waren geschwächt, die Parther noch nicht erstarkt und die Römer waren weit weg – setzten sich die Juden selbst Könige ein. Diese wurden von dem Wankelmut des Volkes vertrieben, gewannen aber mit Waffengewalt die Herrschaft zurück: Verbannung von Bürgern, Zerstörung von Städten, Mord an Brüdern, Gattinnen, Eltern, und alles, was unter Königen üblich ist – dazu erkühnten sie sich, förderten aber den Aberglauben, da sie die Hohepriesterwürde als Stütze ihrer Macht nutzten.69
Tacitus’ Beschreibung des jüdischen Gemeinwesens unter Moses Führung stellt den bildlosen Gottesglauben der Juden, ihre Gebote und Kultur dermaßen in ein negatives Licht, dass eine kulturelle Isolation in der antiken Umwelt mit all ihren negativen Folgen letztlich als selbst verschuldet erscheint. Dies zeigt sich in dem
besonders anti-jüdischen bzw. antisemitischen Licht erscheint, verlegt den Exodus in die Zeit der Herrschaft Bokchoris (vgl. Joseph., c. Ap. I, 304–311). 68 Vgl. Tac., hist. V,3,1. 69 „Moyses quo sibi in posterum gentem firmaret, novos ritus contrariosque ceteris mortalibus indidit. Profana illic omnia quae apud nos sacra, rursum concessa apud illos quae nobis incesta. […] Hi ritus quoquo modo inducti antiquitate defenduntur: cetera instituta, sinistra foeda, pravitate valuere. Nam pessimus quisque spretis religionibus patriis tributa et stipes illuc congerebant, unde auctae Iudaeorum res, et quia apud ipsos fides obstinata, misericordia in promptu, sed adversus omnes alios hostile odium. […] Dum Assyrios penes Medosque et Persas Oriens fuit, despectissima pars servientium: postquam Macedones praepolluere, rex Antiochus demere superstitionem er mores Graecorum dare adnisus, quo minus taeterrimam gentem in melius mutaret, Parthorum bello prohibitus est; nam ea tempestate Arsaces desciverat. Tum Iudaei Macedonibus invalidis, Parthis nondum adultis – et Romani procul erant – sibi ipsi reges imposuere; qui mobilitate vulgi expulsi, resumpta per arma dominatione fugas civium, urbium eversiones, fratrum coniugum parentum neces aliaque solita regibus ausi superstitionem fovebant, quia honor sacerdotii firmamentum potentiae adsumebatur“ (Tac., hist. V,4,1; 5,1; 8,2f; Übers. nach ed. Borst).
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hier zitierten Abschnitt z. B. daran, dass auch ein von oben gesteuerter Kulturvermittlungsversuch gegenüber den Bräuchen der Griechen (mores Graecorum) unter dem König Antiochus – gemeint ist der letzte Seleukidenkönig Antiochus VII. (138–129 v. Chr.) – nicht erfolgreich verläuft. Ihr Gegenstück hatten diese polemischen Wendungen gegen Mose und das Judentum auf jüdischer Seite beispielsweise in den Darstellungen des Geschichtsschreibers Aristobulos und des aus Alexandrien stammenden (wahrscheinlich jüdischen) Autors Artapanos, die beide im 2. Jahrhundert v. Chr. wirkten. Für Aristobulos bauen die griechischen Philosophien von Homer über Hesiod, Pythagoras, Sokrates und Platon allesamt auf den Lehrer des Mose und der Thora auf.70 Artapanos dagegen stellt Mose, indem er ihn als Lehrer des Orpheus schildert, als jüdischen Begründer nicht nur der griechischen Kultur, sondern auch der ägyptischen Religion und Kultur dar und kehrt damit die bereits kennengelernten Berichte über die ägyptische Herkunft des Mose um.71 Es dürfte außer Frage stehen, dass solche positiven und apologetischen Vermittlungen der jüdischen Kultur und Religion gegenüber der griechisch-römischen Umwelt in der Antike schließlich in dem Werk Philos von Alexandrien (ca. 20/13 v.Chr–45 n. Chr.), der als „der erste jüdische Philosoph und Exeget, dessen Schriften in nennenswertem Umfang durch die christliche Kirche erhalten wurden,“72 gelten kann, und der Geschichtsschreibung des Flavius Josephus’ (37/38 bis nach 100 n. Chr.) ihren wirkungsreichsten Ausdruck finden. Bevor im nächsten Abschnitt die folgenreiche Verbreitung ihrer Werke in der Frühen Neuzeit beschrieben wird, lohnt zunächst ein kurzer Einblick in die Werke selbst, um deren Bedeutung für die Vorstellung und das Idealbild der politia Mosaica zu verdeutlichen. Für beide, Philo wie Josephus, bilden die zuvor skizzierten antiken Überlieferungen, die aus Mose einen Ägypter machen, den Hintergrund ihrer apologetisch ausgerichteten Schriften über Mose und das Judentum. Beide lassen dabei die Mose-Gestalt nach der antiken Form der Aretologie in tugendreichem Glanz erscheinen73 und pochen auf seine bis auf die Erzväter Israels zurückrei70 Vgl. Eus., pr. ev. XII,12; dazu Otto, Mose, 84. 71 Zu den unterschiedlichen überlieferten Fragmenten und Artapanos selbst vgl. Schimanowski, Juden und Nichtjuden in Alexandrien, 70–75. Nach Assmann, Moses der Ägypter, 63f kann die Mose-Darstellung des Artapanos im Sinne Amos Funkensteins als „counterhistory“ bzw. „Gegengeschichte“ begriffen werden (vgl. ders., Jüdische Geschichte), in der nun nicht mehr der Ägypter Mose den Juden eine ursprünglich ägyptische Religion vermittelt, sondern Mose explizit als Jude erscheint, der sogar die ägyptische Kultur stiftet. Zweifel an der These, dass Artapanos ein Jude gewesen sein könnte, meldet v. a. Feldman, Philo’s portrayal of Moses, 5f an. Die Identifizierung des Mose mit der ursprünglich ägyptischen Figur des Offenbarungsmittlers und Kulturstifters Hermes Trismegistos drückt dies vielleicht am eindrucksvollsten aus (siehe unten, Abschn. 1.3.3.1). 72 Mach, Art.: Philo, 529. 73 Zum Hintergrund der Aretologie bei Philo und zum antiken Kontext vgl. Najman, Seconding
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chende Abstammung.74 Für Philo und Josephus verkörpert Mose das Idealbild des Gesetzgebers, für Josephus sogar den ältesten Gesetzgeber überhaupt.75 Beiden Autoren liegt daran, Mose als einen alten Weisen und Philosophen zu beschreiben, von dem die nachfolgende (griechische) Philosophie selbst abhängt.76 Und dennoch unterscheiden sich Philos und Josephus’ Darstellungen von Mose auch voneinander. Dies lag besonders an dem Vorrang historischen Interesses, dem Josephus gegenüber Philo in seinen Werken mehr Ausdruck verlieh. Letzterer hatte in seinen Schriften nämlich eher einen exegetischen und philosophischen Schwerpunkt.77 Philo entstammt dem ägyptischen Alexandrien und damit einem Ort in der Zeit des Hellenismus, der von einer vielschichtigen kulturellen Gemengelage geprägt war, in der auch eine große jüdische Diasporagemeinde ihren Platz hatte. Das einzige gesicherte Datum aus Philos Vita ist seine Beteiligung im fortgeschrittenen Lebensalter an der Gesandtschaft alexandrinischer Juden, die (letztlich erfolglos) in den Jahren um 39/40 n. Chr. ihre alten jüdischen Sonderrechte vor dem römischen Kaiser Caligula wieder einfordern wollten.78 Seine apologetischen Darstellungen des Judentums und Moses hatten somit zeitnah ihren brisanten politischen Hintergrund. Zugleich durchzieht sowohl seine Exegese wie auch Philosophie eine bis dahin wahrscheinlich einzigartige Syntheseleistung zwischen griechisch-hellenistischem Denken und biblisch-jüdischer Orientierung,79 die sich auch in seinem Werk De Vita Mosis zeigt. Dabei geht Philo in dieser Mosebiographie noch in einigen Aspekten über das spätere Mosebild Josephus’ hinaus, wenn er den „Mann Gottes“ und den „größten und vollkommensten Menschen“ Mose80 in vierfacher Weise als idealen König, Gesetzgeber, Priester und Propheten beschreibt.81 In der Vita Mosis wird Mose so
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Sinai, 89–94, dort Anm. 34 mit weiterer Lit.; zu Josephus vgl. Feldman, Jew and Gentile, 243f, der noch einmal die Bedeutung des Begriffs der ἀρετή für Josephus in der Mose-Darstellung hervorhebt. Mose wird, was so nicht im Alten Testament angeführt wird, auf die siebte Generation nach Abraham zurückgeführt (vgl. Phil., vit. Mos. I,2,7; Joseph., Ant. II,229; dazu Feldman, Jew and Gentile, 245). Vgl. Joseph., c. Ap. II,154. Vgl. Phil., opif. mund., II,8; ders., leg. all., II,5,15. Üblicherweise werden die Werke Philos in drei unterschiedliche Textgruppen eingeteilt: einen siebenteiligen fortlaufenden Kommentar zum Pentateuch und einen exegetischen Kommentar zum Pentateuch, bei denen die Bücher Genesis und Exodus einen Schwerpunkt bilden, sowie drittens eine Gruppe von philosophischen und zeitgeschichtlichen Schriften. Vgl. hierzu und zur Problematik der Einteilung in aller Kürze Mach, Art.: Philo, 524f. Vgl. aaO., 523f. Vgl. ähnlich auch Ego, Mose im Judentum, 35–37. Vgl. Phil., vit. Mos. I,1,1. Vgl. aaO., II,1.
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zum königsgleichen Gesetzgeber für alle Völker, der Züge des Göttlichen trägt, und die mosaischen Gesetze dürfen somit universale Geltung beanspruchen.82 In Josephus’ Schriften wird dann bereits die Kenntnis derjenigen Philos vorausgesetzt.83 Anders als über Philos sind über Flavius Josephus’ Leben und Wirken durch seine Eigendarstellung der Vita (griech. Titel Ἰωσήπου βίος)84 viele Informationen erhalten geblieben. Der aus Jerusalem von angesehener priesterlicher Herkunft stammende Josephus lebte zur Zeit des jüdisch-römischen Krieges, der mit der Zerstörung des Jerusalemer Tempels 70 n. Chr. seinen desaströsen Höhepunkt für Jüdinnen und Juden fand. Durch seine eigene Gefangennahme und die seiner Familie war Josephus, der zunächst Befehlshaber im Krieg auf jüdischer Seite war, existenziell vom Krieg betroffen.85 Ausdruck findet dies auch in seinen sieben Büchern De bello Iudaico, die mit der Seleukidenherrschaft unter Antiochus IV. Epiphanes einsetzen und inhaltlich bis in Josephus’ Gegenwart reichen. Doch Josephus hatte zu diesem Zeitpunkt bereits sozusagen die Seiten gewechselt, da er nach seiner Gefangennahme die Möglichkeit bekam, unter dem Kaiser nach Rom zu ziehen, und dort das römische Bürgerrecht erwerben konnte.86 Von daher erklärt sich die Josephus eigene Form der jüdischen Apologetik, die vor allem auf die Bildungsschicht Roms zielte. In diesem Kontext sind auch seine Darstellungen von Mose, der mosaischen Gesetzgebung und dem jüdischen Gemeinwesen wahrzunehmen, die in zwei weiteren Werken Josephus’ vorzufinden sind: In seinem großen Geschichtswerk Jüdische Altertümer (Antiquitates Iudaicae) entfaltet Josephus in 20 Büchern die Geschichte des jüdischen Volkes seit der Schöpfung bis zu den jüdischen Aufständen 66 n. Chr. in einem universalgeschichtlichen Zusammenhang. Der ursprünglich griechische Titel Ἀρχαιολογία („alte Geschichte“), den Josephus selbst wählte, zielte auf eine Archäologie des Judentums und jüdischen Gemeinwesens, die eine zeitliche Vergleichbarkeit von Staatsformen, Gesetzgeber, Gesetzen und Kultur schaffen sollte.87 Das andere Werk Gegen Apion (Contra Apionem) richtet 82 Die Superiorität der mosaischen Gesetze über andere Gesetze ist u. a. auch hervorgehoben in Phil., spec. IV,1571; dazu auch Otto, Mose, 86f. Najman, Seconding Sinai, 70–107 hat detailliert Philos Konzeption von Mose und der Thora im hellenistischen Kontext der zweiten Tempelperiode herausgearbeitet und dabei gezeigt, dass Philo die jüdische Thora mit dem griechischen Naturrechtsdenken zu vermitteln suchte, um ihre universale Geltung plausibel zu machen. 83 Vgl. auch Joseph., Ant. XVIII,259f, wo auf Philos Teilnahme an der jüdischen Gesandtschaft zu Gaius Caligula eingegangen wird. 84 Das Werk wurde erst in der Überlieferung zu einer eigenständigen Schrift Josephus’. Josephus’ Autobiographie befand sich zunächst als Anhang an den Jüdischen Altertümern, wird aber dann auch in den Josephus-Werkausgaben der frühen Neuzeit einzeln im Titel aufgeführt (siehe Abschn. 1.3.2). 85 Vgl. Mayer, Art.: Josephus, 259f. 86 Vgl. aaO., 260; Ego, Mose im Judentum, 41f. 87 Vgl. Mayer, Art.: Josephus, 261f.
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sich gegen die Mose-Exodus-Darstellung und anti-jüdische Ausrichtung des schon einmal erwähnten Apion von Alexandrien, um in erster Linie das hohe Alter der Juden zu beweisen. Hier finden sich aber auch ganz ähnliche Gedanken wie in den Jüdischen Altertümern: Bei Josephus wird der Gesetzgeber Mose wie bei Philo zwar in allen Facetten der griechisch-römischen Tugenden heroisiert und auch zum hervorragenden Lehrer, Poeten, Kriegsführer und Propheten gemacht.88 Doch anders als Philo beschreibt Josephus Mose niemals als König oder Priester.89 Diese Beobachtungen führen schon zu den Unterschieden, die sich bei beiden in der Verfassung des mosaischen Gemeinwesens auftun und die bei beiden Autoren natürlich auch ihren unterschiedlichen Kontexten geschuldet sind. Für Philo wie für Josephus ist πολιτεία Μωυσῆς ein Begriff, um den eigentlichen „staatlichen“ Beginn des unter dem Gottesgesetz lebenden jüdischen Volkes, an dessen Spitze der Anführer und Gesetzgeber Mose steht, zu benennen. Im Grund genommen taucht schon in einigen weiter oben paraphrasierten nicht-jüdischen Mose-Exodus-Berichten – so bei Hekataios, Manetho und Strabon – der Begriff der πολιτεία im Zusammenhang mit der mosaischen Stiftungs- und Gesetzgeberfunktion auf.90 Aber in Philos und Josephus’ Werken erhält nun der Begriff der πολιτεία Μωυσῆς seine mit dem Gesetzgeber (νομοθέτης) Mose und dem jüdischen Gemeinwesen verbundenen positiven geschichtlichen Darstellungen, die im 16. Jahrhundert umfangreich rezipiert und transformiert werden. Sie entsprechen der identitätsstiftenden Bedeutung, die der Gesetzgeber nach der hellenistisch-römischen Vorstellung für ein Gemeinwesen hatte. Doch bei aller Idealisierung des Gesetzgebers Mose bei Philo und Josephus wird doch zugleich deutlich, dass für beide jüdisch-hellenistischen Autoren der eigentliche Ursprung der πολιτεία Μωυσῆς bzw. seiner Gesetze als „Verfassung“ selbst nicht in der Person Mose liegt, sondern in Gott.91 So etwa kann Mose für Josephus, auch wenn er dessen tugendreiches Ansehen als Gesetzgeber lobt und die πολιτεία nach seinem Namen bezeichnet, doch im eigentlichen Sinne „nur“ eine Vermittlerrolle übernehmen. Das Ende von Buch III. der Jüdischen Altertümer, zugleich der 88 Vgl. Feldman, Jew and Gentile, 243–285. 89 Vgl. die Ausführungen von Ego, Mose im Judentum, 42f. 90 Eine detaillierte Studie zum Begriff und zur Vorstellung der πολιτεία bei Philo mitsamt dem verwendeten Wortfeld existiert bereits. In dieser werden auch die Vorläufer, die die πολιτεία auf das jüdische Gemeinwesen beziehen, untersucht: Carlier, La cité de Moïse, hier: 35ff. 91 Dies steht natürlich nicht in allen Einzelheiten ausdrücklich im Widerspruch zur Gesetzgeber-Vorstellung der Antike. Schon in Platons späten sokratischen Dialogen, allen voran den Nomoi, wird die Idee einer Übereinstimmung des göttlichen Gesetzes mit den gemeinschaftlichen Gesetzen der Polis entworfen. Der Gesetzgeber (νομοθέτης) zeichnet sich dabei im platonischen Sinn durch eine den alten mythischen Vorstellungen entsprechende Nähe und Kontakte zur Gottheit aus (vgl. Hernández de la Fuente, Mythische Vorbilder, bes. 105– 108; ders., Oracles as Sources of Law, 7–11; Brague, Law of God, 19–29).
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Abschluss von Moses langer Abschiedsrede, die an diejenige aus dem Deuteronomium erinnert, kann dies besonders gut illustrieren. Josephus schreibt hier: Übrigens wurde Moyses nicht bloß zu seiner Zeit bewundert wegen seiner seltenen Tugend und wegen der ihm eigentümlichen Gabe, seinen Worten Glauben zu verschaffen, sondern auch heute noch gibt es keinen Hebräer, der nicht seine Gesetze befolgte, selbst wenn er sich unbeobachtet wüsste, gleich als sei Moyses selbst noch gegenwärtig, um die Ungehorsamen zu strafen. Auch noch manches andere liefert den Beweis dafür, dass Moyses ein übermenschliches Ansehen besessen habe. […] So haben die Gesetze, die Moyses von Gott erhalten hat, ihm ein übermenschliches Ansehen verschafft. […] Deshalb ist es nicht zu verwundern, dass Moyses so Großes geleistet hat, da seine Schriften noch heute eine solche Kraft und so hohes Ansehen besitzen, dass sogar unsere Feinde zugeben, Gott selbst habe uns unsere Lebensregeln durch Vermittlung des Moyses gegeben.92
Die Vorstellung, dass Gott selbst der eigentliche Stifter und Autor der Gesetze eines Gemeinwesens ist, wie es im obigen Zitat heißt, wird heute zumeist mit dem sog. Theokratiebegriff umschrieben. Meiner Ansicht nach ist dieser Begriff verallgemeinernd für Josephus, auf den der Begriff Theokratie (θεοκρατία) zurückgeht (Philo hatte ihn noch nicht genutzt), und für einen Großteil der im Folgenden zur Diskussion stehenden frühneuzeitlichen Quellen zumindest teilweise irreführend. Josephus nutzt diesen Begriff in seinem Werk Contra Apionem ganz bewusst, um einen Unterschied zu den Staatsformen seiner Umwelt zu setzen.93 „Unser Gesetzgeber“ – gemeint ist Mose – habe demnach die Staatsverfassung (πολίτευμα) als Theokratie entworfen, die sich dadurch auszeichnet, dass in ihr die Herrschaft (ἀρχή) und Gewalt (κράτος) Gott zukomme. Die Theokratie ist damit weder Monarchie, Aristokratie oder Ochlokratie, schon gar keine Demokratie oder eine andere „entartete“ Staatsverfassung im aristotelischen Sinne. Doch verfolgt man Josephus’ Ausführungen weiter, wird ersichtlich, dass die in Mose angelegte Stiftung der Theokratie letztlich als eine zentrale jüdische Priesterherrschaft konzipiert ist.94 Sie wird an anderer Stelle als Aristokratie bezeichnet und habe nach Josephus in der Geschichte des jüdischen Volkes seit Mose über die Richterzeit bis zum Beginn der Königsherrschaft unter Samuel in idealer Weise existiert.95 Josephus’ Konzeption der Theokratie, die um das Jahr 94 n. Chr. entsteht, ist anti-monarchisch ausgerichtet und gehört damit insgesamt in die römische Zeit des flavianischen Kaisertums (69–96 n. Chr.): Dem Judentum sollte nach Josephus ohne monarchische und militärische Ausrichtung eine Möglichkeit der politischen Koexistenz geboten werden, in der die herrschenden jüdischen Priester zugleich abhängig vom Schutz und der Au92 93 94 95
Joseph., Ant. III,317f.320.322; zit. in dt. Übers. nach ed. Clementz, 147f. Vgl. bes. den Abschnitt Joseph., c. Ap. II,164–168. Vgl. Cancik, Theokratie und Priesterherrschaft, 72–77. Vgl. Joseph., Ant. VI,36.88.268.
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ßenpolitik des römischen Staates blieben.96 In diesem spezifischen Sinne aber hat die Theokratie als verfassungsrechtlicher Begriff einen begrenzten Bedeutungshorizont. Der Begriff des mosaischen Gemeinwesens ist demgegenüber in seinem Bedeutungsgehalt bei Philo und Josephus weitergefasst und von größerer Bedeutung, wenn es um den Zusammenhang von göttlichem (bzw. mosaischem) Gesetz und jüdischem Gemeinwesen geht. Die Gedanken von Philo und Josephus über die πολιτεία Μωυσῆς bzw. politia Mosis/Mosaica fanden dann in der Antike bereits Eingang in die christliche Theologiegeschichte. An erster Stelle kommen hier die Kirchenväter in Betracht. Die lateinischen und griechischen Kirchenväter auf christlicher Seite nehmen den Begriff πολιτεία Μωυσῆς auf, nutzen ihn nun aber in der antiken Umwelt ihrerseits zur Plausibilisierung und Apologie der christlichen Identität, die mit der Geschichte des jüdischen Volkes verbunden war. Es ist klar, dass gerade für die griechischen Kirchenväter die hellenistischen Mose-Interpretationen Josephus’ und Philos ihren besonderen Reiz hatten. Natürlich wurden Idealvorstellungen von Mose als Gesetzgeber auch unabhängig von Josephus und Philo unter den Kirchenvätern formuliert, aber auch dann blieben die Nähen zu den formulierten Idealbildern der beiden antiken jüdischen Autoren bestehen. Von Origenes (ca. 185–253 n. Chr.) über Clemens von Alexandrien (265–340 n. Chr.) bis Euseb von Caesarea (ca. 265–340 n. Chr.) ist die Tendenz zu erkennen, Platon und seine Anhänger zu Schülern Moses zu machen und damit die platonische und neuplatonische Philosophie in die Nachfolge Moses zu stellen.97 Gregor von Nyssa (ca. 335–394 n. Chr.) schließlich lehnt sich mit seiner eigenen Vita Moysis ganz an das entsprechende Werk Philos an und auch auf der lateinischen Seite der Kirchenväter, so schon zu beobachten bei Justin Martyr (gest. 165), findet man ähnliche Gedanken. Tertullian entwickelt in seinem Apologeticum den Gedankengang, dass Mose nicht nur der älteste Prophet in der Geschichte war, sondern auch, dass durch ihn das Gottesgesetz den Juden vermittelt wurde, von dem andere Rechtssysteme abhingen, weil Mose noch den ersten Weisen und Gesetzgebern vorausging.98 Unter allen Kirchenvätern insgesamt aber ist die Bedeutung von Euseb von Caesarea in diesem Zusammenhang gar nicht zu überschätzen. Er verwendet zunächst den Begriff der πολιτεία in Buch VII. seiner Praeparatio evangelica, um den Beginn des jüdischen Gemeinwesens unter seinem Stifter und Gesetzgeber Mose zu beschreiben und um zugleich festzustellen, dass das jüdische Gemeinwesen dann mit dem Kommen Christi sein Ende gefunden habe.99 Eusebs eigentlicher großer Beitrag besteht aber angesichts dessen 96 97 98 99
Vgl. Cancik, Theokratie und Priesterherrschaft, 75. Vgl. Otto, Mose, 91–94. Vgl. Tert., apol. XIX,109. Vgl. Eus., pr. ev. VII,8f.
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darin, dass in seiner Praeparatio evangelica die wahrscheinlich größte Zusammenstellung von antiken paganen und jüdischen Überlieferungen über die Juden (bzw. Hebräer) und Mose vorzufinden ist, von denen weiter oben einige in Form der Exodus-Berichte bereits wiedergegeben wurden. Seine Darstellungen zielen auf einen Alters- und Heiligkeitserweis der Hebräer und ihrer Schriften, die letztlich vorrangig mit der Philosophie Platons und des Neuplatonismus sowie der christlichen Theologie vermittelt werden sollen,100 doch waren die langen Exzerpte aus später verlorengegangenen Schriften über Mose, die Hebräer und ihre Geschichte natürlich auch anderweitig von enormem historischen Wert.
1.3.2 Die Verbreitung der Werke Philos, Josephus’ und Eusebs als wesentlicher Faktor einer Renaissance des Idealbildes der politia Mosis in der Frühen Neuzeit 1470 erscheint die lateinische Editio princeps der Praeparatio evangelica Eusebs in Venedig.101 In demselben Jahr wird die erste Edition von Handschriften der lateinischen Josephus-Werkausgabe, die auf Betreiben Cassiodors im 6. Jahrhundert n. Chr. entstanden war, in Augsburg gedruckt, 1475 folgt die bekanntere Platina-Edition der Josephus-Werke in Rom.102 Zu einem ersten lateinischen Sammeldruck von einzelnen Schriften Philos kommt es demgegenüber erst später, 1527 in Basel.103 Durch die Übersetzungs- und Editionsarbeiten von Humanisten an diesen antiken Quellen ist davon auszugehen, dass die Verbreitung zunächst vor allem in Humanistenkreisen erfolgte. Mit ihrer Verbreitung aber nimmt die Geschichte der politia Mosis als Rechtsideal in der Frühen Neuzeit ihren Gang. Durch die volkssprachliche Herausgabe der Werke, die im Fall von Josephus bereits im Jahr 1482 mit einer spanischen104 und einer niederländischen,105 1492 100 Vgl. insbesondere die anschließenden zwei Bücher Eus., pr. ev. VII,10f. 101 Die mir vorliegende lateinische Ausgabe enthält kein Titelblatt und keine Seitenzählung. Sie beginnt mit den Worten „EVSEBIUM Pamphili de euangelica praeparatione latinum ex graeco beatissime pater iussu tuo effeci.“ Außerdem fehlt in der Ausgabe eine Kapitel- und Abschnittszählung, so dass die Edition einen provisorischen Eindruck hinterlässt, wenn ihr doch auch ein Gedicht von Antonius Cornazanus beigegeben ist. 102 Vgl. Schreckenberg, Bibliographie, 1. 103 Philonis Iudaei Alexandrini Libri: Antiquitatum, Quaestionum et solutionum in Genesin, De Essaeis, De nominibus Hebraicis, De mundo, Basel 1527, gedruckt von Adam Petris; vgl. Katalog GG Nr. 108. 104 Historia dos Judeos, o. A. 1482. 105 Hier beghint die tafel van desen boeck dat spreect väde destructien van iherusalem […], o. A. 1482.
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dann mit einer französischen106 und 1493 schließlich mit einer italienischen107 Erstausgabe einsetzen, wird der Ausdruck πολιτεία Μωυσῆς dann zu einer Frage der Übersetzung. Dass der Begriff weiterhin auch in der Frühen Neuzeit als zentral in diesem Zusammenhang erachtet wurde, zeigt sich z. B. an dem Titel Mosis institutio reipublicae. Graecolatina, ex Iosepho (1546),108 den Sebastian Castellio für sein griechisch-lateinisches Josephus-Exzerptebuch wählte, das für den humanistischen Unterricht der alten Sprachen konzipiert war. Im Vergleich dazu kann nur noch einmal wiederholt werden, dass der heute populärere und von Josephus stammende Begriff Theokratie (θεοκρατία) erst 1614 in dem schon einmal erwähnten Werk De republica Hebraeorum libri III von Petrus Cunaeus rezipiert wird und erst dann wirklich in der politischen Sprache Verbreitung findet.109 Vor diesem Zeitpunkt von Theokratie-Konzeptionen oder einer entsprechenden Literatur zu sprechen, birgt also auch die Gefahr, eine begriffsgeschichtliche Genauigkeit zu verlieren. Die Verbreitung der Schriften Josephus’ und Philos in der Frühen Neuzeit, die im Folgenden immer wieder eine Rolle spielen wird, dürfte wesentlich dazu beigetragen haben, dass der Begriff des mosaischen Gemeinwesens im 16. Jahrhundert in der politischen Sprache dagegen schon zuvor Akzeptanz gewonnen hatte. Dies soll natürlich nicht auf eine einlinige Erklärung hinauslaufen. Zum einen setzte schon die fortlaufende Zitierung von Josephus und Philo in der Antike und im Mittelalter nicht voraus, dass damit die positiven Darstellungen zu Mose und dem Judentum übernommen werden mussten. Auch in der Geschichtsschreibung der Frühen Neuzeit z. B. bedeutete der Rückgriff auf die Werke Josephus’ nicht zwingend, dass man auch eine Aufwertung von Mose und des mosaischen Rechts von ihm übernahm.110 Die 106 L’Hystoire de Josephus de la bataille Judaique, Paris 1492. Herausgeber bzw. Übersetzer sind Claude de Seyssel und Jean Courtecuisse. 107 Proemio in laude della historia […] Incomincia il proemio di Josepho Ebreo nel libro della historia della Guerra Hebbono Igiudei Coromani […], Florenz 1493. 108 Der volle Titel lautet: Mosis Institutio Reipublicae Graecolatina: ex Iosepho in gratiam puerorum decerpta, ad discendam non solum Graecam, verum etiam Latinam linguam, una cum pietate ac religione, Basel [1546]; weitere Ausg.: Helmstedt 1616. Schreckenberg, Bibliographie, 12 datiert die Basler-Ausgabe richtig auf das Jahr 1546. Die mir vorliegende Ausgabe trägt im Titelblatt lediglich die Angabe des Erscheinungsortes, darunter findet sich aber die handschriftliche Notiz „Sum Basilij Amerbachij Basiliensis. Anno 1547.“, die also auf Basilius Amerbach zurückgehen dürfte. Da die Widmung zu dem Werk aber auf den 4. Januar 1546 datiert (vgl. aaO., f. a2v), ist eine Drucklegung noch im Jahr 1546 wahrscheinlich. 109 Die genauen Nachweise sind zu finden bei Hübener, Dossier: Texte zur Theokratie, hier: 79f. 110 Das Werk von Johann Homberg/Anton Margaritha, Politia Judaica, Das ist/ Ein warhafftige Summarische beschreibung der Jüdischen Regierung/ in dreyen theilen beschrieben […], Frankfurt a.M./Neustadt a. d. Hardt 1617 enthält z. B. eine Fülle an Verweisen auf Josephus’ Geschichtswerke, aber keine spezifische Übernahme eines Idealbildes von der politia Mosis oder von Mose als Gesetzgeber. Zur literarischen Einordnung siehe bereits oben, Abschn. 1.2.
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Rezeptions- und Wirkungsgeschichte von Josephus’ und Philos Werken bleibt eben vielschichtig, wie bei anderen Autoren auch.
1.3.3 Ursprung oder Ursprünge von Recht und Weisheit? Prisca theologia, Hermetismus und christliche Kabbala im Florentiner Renaissance-Humanismus Für die Auffassung von den mosaischen Gesetzen und der politia Mosis bilden die Voraussetzungen und Arbeiten der italienischen Renaissance-Humanisten im Florenz der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts einen wichtigen Denkhorizont für das 16. Jahrhundert. Dies gilt insbesondere für die unterschiedliche Rezeption oder auch Abgrenzung unter protestantischen Theologen und die Auseinandersetzung mit der Materie, die in der humanistischen Jurisprudenz und Geschichtsschreibung in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erfolgte. Bevor dies in den nächsten beiden Kapiteln zum Thema wird, soll in diesem Abschnitt die Spur der Diskurse des 16. Jahrhunderts auf das Florenz der Medici in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zurückverfolgt werden. Was ich in diesem Abschnitt beschreiben werde, sind in erster Linie Neuentdeckungen alter Traditionsbestände, die das Bild von Mose als Gesetzgeber und Repräsentant einer ältesten Weisheit und Theologie betrafen, sei es als Erschließung „neuer“ antiker Quellenbestände, die sich auf Mose selbst bezogen, oder von Quellen, die indirekt und nachhaltig jenes Bild beeinflussten, indem sie in eine Form von Deutungskonkurrenz treten konnten. Die daraus resultierenden Veränderungen in der Art und Weise, wie christliche Gelehrte über Mose und die Ursprünge von Gesetz und Weisheit schrieben, werden somit als eine Facette des Florentiner Renaissance-Humanismus dargestellt. Die These, dass der Florentiner Renaissance-Humanismus zu einem wichtigen Wandel in den Vorstellungen über Mose und insbesondere seine Rolle als Gesetzgeber führte, ist nicht neu. In ihrer Studie The Medici in Florence widmete Alison Brown dieser These ein eigenes Kapitel und sprach von einem wichtigen „Moment des Wandels“, der im Florenz der Medici in der langen Geschichte der mosaischen Tradition eingetreten sei.111 Brown konzentrierte sich dabei auf die
111 „Moses is all things to all men: holy prophet and warrior chieftain to popes and kings, constitutional head of a mixed government to Thomist theologians, ancient magus to Renaissance philosophers and a contractual sovereign to Hobbes. So chameleon a character must be approached with caution: an unstable model for imitation but a useful index of changing attitudes and values. From this point of view, the Savonarolan period in Florence is important as a moment of change, an unexpected cataract in the slow meanderings of the Mosaic tradition, from which the holy man re-emerges as a tough and all-powerful ruler
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Bedeutung, die der Gesetzgeber (legislator) Mose für den dominikanischen Bußprediger Girolamo Savonarola (1452–1498) als führende politische Gestalt im Florenz des ausgehenden 15. Jahrhunderts einnahm, und die Reaktionen darauf im politischen Denken Niccolò Machiavellis (1469–1527). Brown zufolge habe Mose durch Savonarola und Machiavelli einen modernen Anstrich erhalten und sei dem Verständnis nach zum bürgerlichen Gesetzgeber und Volksdemagogen geworden; damit aber könne er zugleich als ein Vorläufer des Hobbes’schen Mose gelten.112 Bereits 1975 hatte John Pocock in seinem einschlägigen Werk The Machiavellian Moment ähnliche Verbindungslinien zwischen dem Florenz Machiavellis und dem „Mosaic commonwealth“, das später James Harrington und Thomas Hobbes im englischen Republikanismus entwarfen, gezogen.113 Mit diesen Thesen dürfte zusammenhängen, dass auch in jüngerer Zeit mehrfach das Mosebild Machiavellis untersucht worden ist und Steven Marx etwa festhalten konnte, dass Machiavelli einer der Ersten gewesen sei, der seiner Lektüre der Bibel nicht ein Offenbarungsverständnis zugrunde legte, sondern sie wie andere antike Geschichtswerke las.114 Wie Graham Hammill an die Thesen über Machiavellis Mose in jüngster Zeit wieder Anschluss gesucht hat, ist bereits in der Einleitung beschrieben worden. Solche Überlegungen zur geschichtlichen Relevanz Savonarolas und Machiavellis werden am Ende dieses Kapitels noch einmal aufgenommen. Vorerst kann im Falle Savonarolas und Machiavellis von einem politischen Gebrauch der Mose-Gesetzgeber-Vorstellung gesprochen werden, der wahrscheinlich aber auch deswegen für beide von Interesse und überhaupt brisant war, weil eine breite Diskussion über die Ursprünge von Gesetz und Weisheit unter Gelehrten dieser Zeit im Gange war. Dabei wird in aller Kürze in eine Thematik eingeführt, die nicht nur in der Renaissance-Forschung, sonprepared to murder ‘infinite numbers of men’ to impose his law“ (Brown, The Medici in Florence, 263). Vgl. insgesamt die Ausführungen aaO., 263–279. 112 Vgl. aaO., 275–279; hierzu 278: „Transformed by Savonarola and Machiavelli, Moses begins to look recognisably ‘modern’ – no longer a holy prophet or magus but a civic lawgiver and popular demagogue, forerunner of Hobbesian Moses, who ruled by popular contract according to a civil decalogue that had to be learnt by children and people alike.“ 113 Vgl. Pocock, The Machiavellian Moment, 388ff. 396–399. 114 Vgl. Marx, Moses and Machiavellism, 551–571; hierzu 551: „Machiavelli was one of the first people to read the Bible not as a revelation but as a secular text, the same way he read classical histories. Its God was no more or less real to him than the Greek or Roman deities. Such a humanist approach allowed him to recognize a wealth of fact, plot, and character in the Bible’s account of the birth of the Israelite nation.“ Diese Beobachtungen sind zuletzt zum Teil durch Christopher Lynch gestützt worden, der Machiavellis Hermeneutik und Gebrauch der Hebräischen Bibel untersucht hat und auf seinen vermehrten Gebrauch „hebräischer Figuren“ („hebraic figures“) verwiesen hat, dabei aber nicht weiter gefragt hat, was Machiavelli unter „hebräisch“ verstand, inwieweit er Hebräischkenntnisse hatte und welches (reale) Verhältnis zum Judentum bestand (vgl. Lynch, Machiavelli on Reading the Bible, bes. 162–165. 184f). Einen Überblick über Fragen der Religion bei Machiavelli gibt Ottmann, Geschichte, 11–62, hier: 14–16. 26–30. 35f.
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dern auch in der heutigen sog. Esoterik-Forschung unter den Stichworten Prisca theologia, Hermetismus, Neoplatonismus und christliche Kabbala untersucht wird. Worum handelt es sich hierbei? Eine Facette und zugleich Kehrseite der humanistischen Orientierung an den alten Sprachen und Quellen im Rahmen der studia humanitatis, die weiter oben in der Einleitung als Formalbegriff des Humanismus definiert wurde, war das, was Cesare Vasoli einst eine „Erwartung einer gründlichen allgemeinen renovatio“ der Kultur genannt hat.115 Für eine solche renovatio, die mannigfaltigen politischen Ausdruck finden konnte, wurden auch unterschiedliche Gründungsmythen, Überlieferungen und Traditionen, die manche Renaissance-Humanisten für noch älter als die biblische Überlieferung und jüdisch-christlichen Ursprünge hielten, in Anspruch genommen. Es waren an vorderster Front nun gerade die humanistischen Gelehrten der Florentiner Renaissance, die sich dabei intensiv mit platonischen und neuplatonischen Quellen und Ideen beschäftigten und diese nicht mehr nur als philosophische Quellen verstanden, sondern auch mit religiösen Lehren und teilweise einem geheimen, „esoterischen“ Wissen verbanden. Hierbei spielte eine wesentliche Rolle, dass diese Form von göttlicher Weisheit und Wahrheit auf eine Urtheologie oder Urweisheit (prisca theologia oder prisca sapientia) zurückgeführt wurde.116 Dass sich damit sowohl Übereinstimmungen als auch Konvergenzen zu den biblischen Ursprungs- und Schöpfungsvorstellungen andeuten, sollte im Folgenden erkennbar werden. Grundsätzlich kann deswegen gefragt werden: Stellten die verschiedenen Auffassungen von der prisca theologia/sapientia eine Verbindung zu Schilderungen aus der Bibel und jüdisch-christlichen Traditionen her oder bestanden hierbei geschichtliche Unabhängigkeiten voneinander? Diese Frage betraf nämlich in besonderer Weise die geschichtliche 115 Vgl. Vasoli, Mythos der „Prisci Theologi“, 19. Vasoli geht es insgesamt darum, die breiten kulturellen und religiösen Hintergründe der italienischen Renaissance herauszuarbeiten und damit über die „humanistische Philologie“ als Wesensmerkmal der Renaissance hinauszugehen. So wird der Renaissancezeit z. B. ein „wachsendes religiöses Unwohlsein“ attestiert, das eben nicht nur auf Gelehrtenkreise beschränkt blieb, sondern auch andere Gesellschaftsschichten erfasste (vgl. aaO., 19–21). Außerdem werden Verbindungslinien zum damaligen krisenhaften Verhältnis von Religion und Staat in der byzantinischen Kultur gezogen, die im Wissens- und Kulturtransfer für die italienische Renaissance von außerordentlicher Wichtigkeit war (vgl. aaO., 26–43). 116 Vgl. Idel, Prisca Theologia. Einen sehr ergiebigen Überblick liefert immer noch Walker, Ancient Theology. Parallelen in den prisca-theologia-Konzeptionen bestehen zu Vorstellungen einer „ewigen Philosophie“ (philosophia perennis), die allerdings begrifflich erst im 16. Jahrhundert aufkommen und auf Agostino Steucos Werk De perenni philosophia libri X, das zuerst 1540 in Lyon erschien, zurückzuführen sind (vgl. Schmidt-Biggemann, Apokalypse und Philologie, 247–264). Schmidt-Biggemanns Thesen über die sog. philosophia perennis sind unterschiedlich von der Forschung aufgenommen, zum Teil auch einfach nicht beachtet worden. Da ich für die folgenden Quellentexte, die in den weiteren Kapiteln behandelt werden, konkrete (rezeptionelle) Einflüsse der philosophia perennis nicht erkennen kann, kann dieser Aspekt im Weiteren vernachlässigt werden.
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Gestalt des Mose, denn nicht nur galt Mose weiterhin ja als Verfasser der ersten fünf Bücher der Bibel, die sich mit den Anfängen von Mensch, Welt und Geschichte befassten, sondern auch als Empfänger und Vermittler göttlichen Wissens – zuallererst des göttlichen Gesetzes. So wird es um Texte gehen, die andere Ursprünge von Recht und Weisheit beschrieben und damit die Vorstellungen von Mose und den mosaischen Gesetzen auf kürzere oder längere Sicht hin beeinflussten. Untersucht werden Werke der beiden führenden Gelehrten des Florentiner Renaissance-Humanismus, Marsilio Ficino (1433–1499) und Giovanni Pico della Mirandola (1463–1494). Auch weitere Humanisten, die priscatheologia/sapientia-Konzeptionen vertraten, sollen zur Sprache kommen, um Entwicklungstendenzen für die Frühe Neuzeit für die folgenden Kapitel dieser Arbeit nachzeichnen zu können. 1.3.3.1 Mose und die mosaischen Gesetze im Deutungshorizont hermetischer Traditionen ausgehend von Marsilio Ficino In der Auffassung, was nun diese prisca theologia/sapientia inhaltlich darstellte und auf welche antiken Vorbilder und Ideen sie genau zurückzuführen war, unterschieden sich die Florentiner Renaissance-Gelehrten untereinander genauso wie spätere christliche Denker. Es ist eine Form der prisca theologia/ sapientia, verbunden mit der Bezeichnung „Hermetismus“, die schon von den Textüberlieferungen her in der Weise in eine zeitliche Nähe zu Mose tritt, dass sie das Bild von Mose und den mosaischen Gesetzen besonders zu beeinflussen vermochte. Dies war in der Antike bereits den Kirchenvätern wie Augustin oder Laktanz bewusst. Seit der Antike existierten unterschiedliche jüdische, arabische und christliche Traditionen des Hermetismus. Auch wenn es mittlerweile als erwiesen gelten kann, dass es auch mittelalterliche hermetische Traditionen gab, so stellten die Arbeiten der Florentiner Renaissance-Humanisten doch einen Einschnitt für die christlichen Traditionen dar. Worin war dieser Einschnitt begründet und als was lässt sich „Hermetismus“ überhaupt verstehen? Durch die Fülle an Quellentexten und -fragmenten, losen Bezügen und unterschiedlichen Traditionen, die seit der Antike überliefert sind, ist es schwierig, den Hermetismus in seinem inhaltlichen Wesen zusammenfassen.117 Grundlegend ist der Bezug auf die Figur des Hermes 117 Ebeling führt in der bisher einzigen Überblicksdarstellung zum Hermetismus aus: „Bei genauerer Lektüre erscheint der Begriff ‚Hermetismus‘ zunehmend unverständlich: Manche Autoren verstehen darunter die Geschichte der Alchemie oder verschiedene historische Ausprägungen eines Analogiedenkens, andere die Rezeption der Schriften des Corpus Hermeticum in der italienischen Renaissancephilosophie. Eine ‚Philosophie des Abgrundes‘ bedient sich dieses Namens, und vielen gilt er einfach als Synonym für Esoterik, Magie und Okkultismus. Einige sehen den Hermetismus als anthropologische Konstante, die sich be-
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Trismegistos, der seinerseits eine Verschmelzung zweier Götterbilder des altägyptischen und griechischen Pantheons darstellt, nämlich die des ägyptischen Gottes Toth, der zu den ältesten Göttern Ägyptens überhaupt zu zählen ist, und die des Götterboten Hermes aus der griechischen Mythologie. Wie Hermes in der griechischen, so hatte Thot in der altägyptischen Mythologie unterschiedliche Bedeutungen und Funktionen: Er wurde nicht nur als eine Art Kultur-, Weisheits- und Schutzgottheit, sondern auch als Mondgott verehrt und schließlich wie Hermes mit dem Geleit der Verstorbenen in das jenseitige Reich der Toten in Verbindung gebracht.118 Wie dem Gott Thot wurden auch Hermes bzw. seinem römischen Äquivalent Mercurius, der in ähnlicher Weise wie Hermes in hermetischen Schriften genannt wird,119 noch andere Kulturleistungen, wie z. B. die Sorge für den Verkehr, Handel oder Hirten, und magische Attribute zugeschrieben. Die Übereinstimmungen in den Attributen und Bildern der beiden Götter Thot und Hermes führte dazu, dass es in der hellenistischen Zeit Ägyptens in den letzten vorchristlichen Jahrhunderten zu einer Verschmelzung beider Gottesbilder kam. Im 2. Jahrhundert v. Chr. erhielt die Thot-Hermes-Gestalt den Beinamen „dreimal Größter“ (Trisgemistos), was die herausragende Rolle dieser mystischen Gestalt als Offenbarungsempfänger und -vermittler in den Überlieferungen bereits anzeigt.120 Beziehen diese Überlieferungen sich auf die Autorschaft des Hermes Trismegistos, so ist es sinnvoll, von hermetischen Schriften oder Hermetica zu sprechen. Das hermetische Schrifttum wiederum entstand in der Zeit des Hellenismus und blieb stets mit dem Ursprung in Ägypten verknüpft. Schon in der Antike aber existierte eine Vielzahl an hermetischen Schriften, von denen das sog. Corpus Hermeticum, eine Sammlung von 18 Traktaten in griechischer Sprache aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. bis 4. Jahrhundert n. Chr., neben dem nur noch fragmentarisch überlieferten Traktat Asclepius und verschiedenen Zitaten der Kirchenväter die heute noch bekannteste ist.121 Die besondere Leistung der Florentiner Renaissance-Humanisten, und hier in erster Linie Ficinos, lag darin, das Corpus Hermeticum (CH) der europäischen Gelehrtenwelt in lateinischer Übersetzung zugänglich gemacht zu haben. Ein
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reits mit der Menschwerdung abzeichnet, und manche halten ihn für die grundlegende geistige Matrix unserer Gegenwart“ (Ebeling, Geschichte des Hermetismus, 16; vgl. auch aaO., 23–26). Vgl. aaO., 19–23. In der lateinischen Sprache identifizierte der Kirchenvater Tertullian in seiner Schrift Gegen die Valentinianer (Adversus Valentinianos) am Anfang des 3. Jahrhunderts n. Chr. Mercurius mit dem „Trismegistus“ (vgl. Moreschini, Hermes Christianus, 28). Vgl. Tröger, Art. Hermetica, 749. Zur Problemlage des Begriffs Hermetismus und zur Eingrenzung des hermetischen Schrifttums Moreschini, Hermes Christianus, 1–9 (mit weiterer Lit.); Tröger, Art. Hermetica, 749–751.
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Manuskript des CH wurde 1460 unter Cosimo de’ Medici nach Florenz gebracht und bis 1463 von Ficino ins Lateinische übersetzt. Die Druckfassung aus dem Jahr 1471 trug den Titel Pimander nach dem ersten Traktat des CH. Die Wiederentdeckung des CH wurde als eine Art Renaissance des Hermetismus in Europa von den Florentinern verbreitet.122 Ficino hatte nicht bloß ein humanistisch-philologisches Interesse an der Übersetzung und Vermittlung der antiken Traktate des CH. Seine Rezeption der hermetischen Schriften fügte sich vielmehr auch in sein philosophisches System ein, das platonisch-neuplatonische Philosophie und christliche Theologie vermittelte. Die Figur des Hermes Trismegistos, die Ficino bevorzugt nach seinem lateinischen Äquivalent Merkur nannte, bekommt schon in Ficinos Vorrede, die der lateinischen Übersetzung des CH beigefügt war und deswegen weithin im Umlauf kam, einen hervorragenden Platz in der Geschichte zugesprochen. Gleich am Anfang folgt eine zeitliche Einordnung gegenüber Mose, die für unser Thema relevant ist: In der Zeit, in der Moses geboren wurde, stand Atlas, der Astrologe, Bruder des Physikers Prometheus und mütterlicherseits Großvater des älteren Merkur, dessen Enkel Mercurius Trismegistus war, in der Blüte seiner Jahre. Dies aber schreibt Augustinus über jenen, doch Cicero und Laktanz behaupten, dass es fünf Mercurii der Reihe nach waren und dass es jener fünfte gewesen sei, der von den Ägyptern Theut, von den Griechen jedoch Trismegistus genannt worden sei. Sie fügen hinzu, er habe Argus getötet, den Ägyptern vorgestanden und ihnen Gesetze und Buchstaben überliefert.123
Bemerkenswert an den Formulierungen Ficinos ist, dass er unterschiedliche hermetische Überlieferungen aus der Antike nebeneinanderstellt und zunächst unkommentiert lässt. Nach dem Kirchenvater Augustin (354–430 n. Chr.), den Ficino zuerst zitiert, war Hermes bzw. Mercurius Trismegistus der Enkel eines älteren Mercurius.124 Damit würde Hermes Trismegistos definitiv jünger als Mose sein und indirekt die Sinai-Offenbarung des jüdischen Volkes als älter im Vergleich zur hermetischen Offenbarung gelten. Cicero und Laktanz kannten dagegen vier Merkur-Vorläufer des Mercurius Trismegistus. Ficino bezieht sich dann auch im Weiteren auf die Versionen dieser beiden Autoren und daneben Platon, wenn von ihm die Herkunft des Mercurius Trismegistus und damit die 122 Vgl. Ebeling, Geschichte des Hermetismus, 88f. 123 Zit. wird aus Ficinos Vorrede im Folgenden nach d. Ausg. Paris 1505 von Jacques Lefèvre d’Étaples, die mit dem Dialog Crater Hermetis Ludovico Lazzarellis (1447–1500) und dem Traktat Asclepius des Pseudo-Apuleius weitere hermetische Schriften enthielt: „O tempore/ quo Moses natus est: floruit Atlas astrologus Promethei Physici frater/ ac maternus auus maioris mercurij/ cui[us] nepos fuit Mercurius Trismegistus. Hoc autem de illo scribit Augustinus. quamq[uam] Cicero atq[ue] Lactantius mercurios quinq[ue] per ordinem fuisse volunt/ quintumq[ue] fuisse illum qui ab egyptijs theut: a grecis autem Trismegistus appellatus est. Hunc asserunt occidisse. Argum: egyptijs prefuisse/ eisq[ue] leges ac litteras tradidisse“ (Ficino/Lefèvre d’Étaples/Lazzarelli, Pimander, f. aijr). 124 Vgl. Aug., civ. XVIII,39 (CCSL 48, S. 634,1–635,33).
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Ursprünge der Kultur im alten Ägypten verortet werden. Zitiert wird dann eine Vielzahl an hervorragenden Eigenschaften, die Hermes Trismegistos zugeschrieben wurden: Er sei von den Ägyptern in einen Rang mit den Göttern erhoben und verehrt worden, sei Namensträger einer eigenen Stadt (Hermopolis) geworden und habe schließlich seine Bezeichnung „Dreimalgrößter“ erhalten, weil er größter Philosoph (philosophus maximus), größter Priester (sacerdos maximus) und größter König (rex maximus) gewesen sei.125 Als erster Philosoph und erster Urheber (primus auctor) der ursprünglichen Theologie (prisca theologia), die von ihm über Orpheus, Aglaophamos, Pythagoras, Philolaos bis auf „unseren göttlichen Lehrer Platon“ (divus noster Plato praeceptor) reiche, habe ihn nicht nur eine besondere Kenntnis der natürlichen, sondern auch der göttlichen Dinge ausgezeichnet.126 Dies machte es sogar möglich, von ihm als einem Propheten zu sprechen, der auf Christus und den christlichen Glauben vorausdeute. Insgesamt werden damit Verbindungslinien von einem philosophischtheologischen Ursprung in Hermes Trismegistos zur platonischen Philosophie als auch zu christlichen Glaubensinhalten gezogen, die für Ficinos Lehren charakteristisch sind. Als kritisch gegenüber der biblisch-christlichen Überlieferung konnten aber schon Ficinos Zeitgenossen und noch nachfolgende Generationen beurteilen, dass damit gerade nicht die biblische Offenbarung und die Anfänge, wie sie die ersten biblischen Bücher Moses schilderten, zum Ursprung von Kultur und Weisheit avancierten. Dies betraf auch im engeren Sinn das Verhältnis zu den Ursprüngen des Rechts, denn Ficino rezitiert hermetisches Gedankengut, nach dem Hermes Trismegistos den Ägyptern die Gesetze und Schrift schenkte und als rex maximus ruhmreiche Fähigkeiten in der Gesetzesregelung gehabt haben soll.127 Sprachen die hermetischen Überlieferungen damit nun schlicht gegen die Hebräische Bibel als Fundament des Glaubens für Juden und Christen oder waren sie in irgendeiner Form mit der biblischen Tradition vermittelbar? Schon die christlichen Kirchenväter in der Antike hatten hierüber verschiedentlich 125 Vgl. Ficino/Lefèvre d’Étaples/Lazzarelli, Pimander, f. aijr. 126 „Hic [Mercurius] inter philosophos primus [est]: a Physicis ac mathematicis ad diuinorum contemplationem se contulit. Primus de maiestate dei/ demonum ordine/ animarum mutationibus sapientissime disputauit: Primus igitur theologi[a]e appellatus est auctor. eum sequutus: orpheus secundas antiqu[a]e theologi[a]e partes obtinuit. Orphei sacris initiatus est Aglaophemus. Aglaophemo successit in theologia Pythagoras: quem philolaus sectatus est diui Platonis nostri pr[a]eceptor[.] Itaq[ue] vna prisc[a]e theologi[a]e undiq[ue] sibi consona secta: ex theologis sex miro quodam ordine conflata est/ exordia sumens a Mercurio/ a diuo Platone penit[us] absoluta. Scripsit autem Mercurius libros ad diuinarum rerum cognitionem pertinentes q[uam]plurimos in quibus (proh deus immortalis) q[uam] arcana mysteria q[uam] stupenda panduntur oracula. nec vt philosophus tantum: sed vt propheta s[a]epenumero loquitur canit[que] futura. Hic ruinam pr[a]euidit prisc[a]e religionis hic ortum nou[a]e fidei. hic aduentum C[h]risti. hic futurum iudicium/ resurrectionem sa[e]culi/ beatorum gloriam/ supplicia peccatorum.“ (aaO., f. aijv). 127 Vgl. aaO., f. aijr–v.
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geurteilt. Bei Augustin und Laktanz, die im obigen Zitat beide nicht ohne Grund von Ficino aufgeführt werden, lassen sich einerseits eine positive Integration (Laktanz) ebenso feststellen wie andererseits eine ablehnende Haltung (Augustin), die in der kirchlichen Tradition gleichwohl bedeutender wurde.128 Eine Antwort im Fall Ficinos selbst kann allerdings nicht strikt bejahend oder verneinend ausfallen. Für das Weitere kann hier zwischen der Wirkungsgeschichte insbesondere des CH und Ficinos eigenen literarischen Verarbeitungen hermetischer Gedanken unterschieden werden. Nicht zu leugnen sind die weite Verbreitung des CH in Europa und die Inspirationen, die das Werk besonders unter Gelehrten noch bis weit in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts hervorrief. Kristeller zählt 25 Neuauflagen des CH, die noch bis in das Jahr 1641 nach der Erstausgabe Ficinos unter dem Titel Pimander oder Liber de potestate et sapientia Dei veröffentlicht wurden.129 Daneben fand das CH in einer frühen Phase schnelle Verbreitung durch mindestens 34 Manuskripte auf Grundlage der lateinischen Version Ficinos und durch sechs weitere, ausgehend von einer italienischen Übersetzung Tommaso Benicis (ebenfalls 1463), die kurz nach der lateinischen entstanden war.130 Für die folgenden Ausführungen im nächsten Kapitel ist von allem von Interesse, dass es mit der Pariser Ausgabe des CH aus dem Jahr 1494, die auf den Humanisten Jacques Lefèvre d’Étaples (Jacobus Faber Stapulensis, ca. 1460–1536) zurückgeht, zu einer Verbreitung der Hermes-Traktate nördlich der Alpen in Frankreich kam, die ihrerseits bereits Möglichkeiten der Vermittlung gegenüber der biblisch-mosaischen Tradition und die vielfältige Rezeptionsgeschichte des CH vorauszeigt. Lefèvre d’Étaples hatte neben seiner Kenntnis der aristotelischen Philosophie und der mittelalterlichen Mystik 1491/92 auf seiner Italienreise den Gelehrtenkreis um Ficino kennengelernt und ein Interesse an dessen Lehren entwickelt.131 Seine Pariser Ausgabe beruhte zwar auf der lateinischen Übersetzung Ficinos, enthielt aber ihrerseits eigene Kommentierungen, die Vermittlungen zwischen hermetischen und biblisch-mosaischen Gedanken leisteten und weiter als in Ficinos ursprünglicher Edition führten. Bereits nach dem ersten der 14 Dialoge des CH fügt Lefèvre d’Étaples einen Kommentar an das Ende, der dies veranschaulichen kann: Dabei wird Hermes Trismegistos konsequent zum Interpreten der mosaischen Mysterien.132 Gemeint sind in diesem Fall theologische Ausdeutungen des biblischen Schöpfungsberichts auf die Geschichte des Geistes 128 Vgl. Ebeling, Geschichte des Hermetismus, 63–71. 129 Vgl. Kristeller, Humanismus und Renaissance, Bd. 2, 101–114; vgl. auch Stengel, Reformation, 38–42. 130 Zu den Manuskriptzahlen vgl. Muccillo, Der ‚scholastische‘ Hermetismus, 66f Anm. 13. 131 Vgl. Vanderjagt, Early Humanist Concern, 174–179; Augustijn, Humanismus, H72–H75. 132 „IN hoc primo ex quattuordecim dialogis (salua semper religionis pietate/ videtur Mercuri[us] mosaica misteria tractare“ (Ficino/Lefèvre d’Étaples/Lazzarelli, Pimander, f. 8v).
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(mens) und Wortes (verbum) hin. Mose wird demnach selbst zum Betrachter und Verkünder eines Wortgeschehens, das bei der Finsternis über den Tiefen und dem Geist Gottes auf den Wassern (vgl. Gen 1,2) seinen Anfang nimmt. Neben den mystischen Einflüssen, die hier bei Lefèvre eine Rolle gespielt haben dürften, wird nun seine Verarbeitung christlicher Theologumena wie der Trinität, der Gottesebenbildlichkeit des Menschen und des Ursprungs des Bösen im Rahmen einer Logos-Theologie vordergründig.133 Zugleich steht Mose als von Gott unterrichteter Führer der Hebräerschar neben dem Mercurius der Ägypter, der durch seine eigene heilige Unterweisung sowohl für die Vita contemplativa als auch die Vita activa des Menschen fruchtbar gemacht werden kann.134 Lefèvres Arbeiten an der CH-Ausgabe Ficinos zeigen somit schon am Ende des 15. Jahrhunderts Vermittlungsleistungen zwischen biblisch-mosaischen und hermetischen Traditionen des 16. Jahrhunderts an, zu denen auf anderer Seite in der Folge auch Abgrenzungen parallel verliefen. Von Bedeutung ist dabei, dass der Humanist Lefèvres d’Étaples später nicht nur zu einem einflussreichen Lehrer Johannes Calvins wurde, sondern auch, dass seine Ausgaben entscheidend zur Zirkulation hermetischer Texte nördlich der Alpen beitrugen. Der humanistische Theologe und Spiritualist Sebastian Franck wird dann in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in ähnlicher Weise wie Lefèvres d’Étaples Hermes Trismegistos neben Mose stellen und sogar von einem „Egyptisch Moses“ gegenüber einem Moses der Hebräer sprechen.135 Auf katholischer Seite wird z. B. der italienische Franziskaner Annibale Roselli ausführliche Kommentare zu hermetischen 133 „Moses enim tenebras vidit super faciem abyssi & spiritum domini ferri super aquas: hic vero vmbram horrendam in hunudam [haec nudam?] naturam migrantem: quamquidem humidam naturam verbum domini fouebat. Ille potenti verbo domini cuncta creata nunciat: hic vero verbum illud lucens (q[uod] omnia illuminet) germen mentis/ filium dei esse asseuerat: et mentem partrem et verbum mentis filium natura non distare. consubstantiale inquit erat. vidit et horum esse vnionem. Et si plenius desideras et fas est viris ante verbi carneum velamen tantum diuine cognitionis ascribere: vidit filium ex patre nascentem et spiritum ex patre/ filioque miro modo procedentem/ cum dixit. Mens autem deus vtriusque sexus fecunditate plenissimus vita et lux/ cum verbo suo mentem alteram opificem peperit. […] mox hominem ad ipsius similitudinem & imaginem factum: cuius vsui vniversa sensibilia mens opifex subiecit. qui mox de intelligibili spera ad corporeorum concupiscibiliumque speram pro lapsus est. hinc quoq[ue] fomitis malorum contraxit originem […]“ (ebd.). In ähnlicher Weise (z. B. Nutzung des Begriffs des Werkmeisters, opifex) hatte schon Giovanni Pico della Mirandola, den Lefèvre d’Étaples selbst kennengelernt hatte, in seiner berühmten Oratio de dignitate hominis Gedanken aus dem Schöpfungsbericht verarbeitet. Siehe zu Pico weiter unten, Abschn. 1.3.3.2. 134 „Mox Mercurius nos instruit qua pateat aditus ad mentem et quis nos ab ea tandem malus auferat error. et quibus mens abunde bonorum largitrix assit […]. Moses diuino instituto dux fit hebr[a]ei gregis. Mercurius [A]egyptij. et nunc sancta institutione gregem suum pascit actiuam vitam viuens: nunc vero hymnis gratiarumq[ue] actionibus rerum patrem collaudans/ in contemplationis vitam lumenq[ue] assurgit/ h[a]ec Pimandri summa est“ (ebd.). 135 Zu Sebastian Franck siehe Abschn. 2.4.1.
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Schriften verfassen, um dadurch gegenüber der scholastischen Theologie zu vermitteln.136 Im 16. Jahrhundert finden hermetische Texte, lose Traditionen und Motive eine Verdichtung, die sie insbesondere in Gelehrtenkreisen zu einem Supplement der geschichtlichen Figur Moses und zu einem wichtigen Gesichtspunkt der Debatten über das mosaische Recht machten. Ein „Ende des Hermetismus“, das sich um 1580 anbahnte und mit Isaac Casaubons umfassender historischer Kritik am Alter des CH im Jahr 1614 beschlossen wurde, war insofern nur ein Ende, als damit Verbindungen des Hermes Trismegistos mit der prisca-theologia-Vorstellung erschwert und vermehrt aufgegeben wurden.137 Andere hermetische Strömungen, die auf einer arabischen Hermetismustradition beruhten und in alchemistischen und paracelsistischen Schriften fortexistierten, blieben aber auch darüber hinaus präsent.138 Ficinos lateinische Übersetzung des CH und die Verbreitung weiterer hermetischer Schriften ausgehend von Humanisten bedeutete insgesamt, trotz aller vorherigen und alternativen hermetischen Strömungen, einen entscheidenden Einschnitt, der auch die Art und Weise betraf, wie unter Gelehrten und vor allem unter Humanisten im weiteren 15. und 16. Jahrhundert über Mose und die mosaischen Gesetze geschrieben wurde. Dabei gilt es zunächst zu bedenken, dass Ficinos eigene Überlegungen zum Hermetismus eine Entwicklung durchgemacht haben und dass weitere Vorstellungen der prisca theologia in seinen Werken ein einheitliches Bild erschweren. In späteren Schriften wie in seiner christlichen Apologetik De christiana religione (1468) hat Ficino, anders als in der oben zitierten Vorrede zum CH, die persisch-iranische Priestergestalt Zarathustra (lt. Zoroaster) mit den Anfängen 136 Vgl. hierzu ausführlich Muccillo, Der ‚scholastische‘ Hermetismus. 137 „In den Jahren zwischen 1580 und 1614 endete der Hermetismus im Sinne einer von der Elite historisch-philologisch akzeptierbaren uralten Offenbarung; nicht aber im Sinne einer Ansammlung von Motiven, Ideen und Geschichtsmythen. Viel zu lange hatte das Corpus bereits auf die intellektuelle Entwicklung der frühen Neuzeit gewirkt, hatte sich mit anderen Traditionen verbunden und neue Entwürfe provoziert. So blieb denn auch nach Causaubon ein komplexes Konglomerat von hermetischen Ideen. Die philosophische Avantgarde ging zwar bald in großen Teilen zu mechanistischen Auffassungen über und kehrte nur noch sehr partiell zu hermetischen Theoremen zurück, doch erwies sich ein lebhafter Strang von Hermetismus und ‚prisca sapientia‘-Vorstellungen in den weniger gelehrten Schichten und im alchemo-paracelsistischen Milieu als dauerhaft“ (Mulsow, Ideologien der Anciennität, 13). Wirkungen des Hermetismus über 1614 hinaus halten auch Ebeling, Geschichte des Hermetismus, 130ff; Stengel, Reformation, 39 u. die verschiedenen Beiträge in Trepp/Lehmann, Antike Weisheit nach. 138 Ebeling hat zum ersten Mal den sich vom CH relativ unabhängig entwickelnden arabischen Hermetismus, der vor allem durch Hugo von Santallas lateinische Übersetzung der hermetischen Tabula Smaragdina aus dem 12. Jahrhundert nördlich der Alpen Verbreitung fand, herausgearbeitet. Vgl. hierzu und zu hermetischen Traditionen in alchemistisch-paracelsischen Schriften ausführlich Ebeling, Geschichte des Hermetismus, 76–79. 101–107. 120–125.
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der prisca gentilium theologia verbunden und Hermes ihr nachgeordnet. Auch hier verläuft dann eine von der Bibel und jüdischen Geschichte unabhängige Tradierung der prisca theologia von Zarathustra über Platon bis zur christlichen Theologie.139 In Ficinos Hauptwerk Theologia Platonica (1482) steht Zarathustra ebenfalls am Anfang einer Reihe der bedeutendsten prisci theologi.140 Somit lassen sich zwar Belege für Veränderungen der prisca-theologia-Konzeption bei Ficino finden, allerdings kann dies schwerlich als ein Einschnitt in Ficinos Gesamtkonzeption gedeutet werden. Es blieb sein Hauptanliegen, eine Synthese von christlicher Theologie und platonischer Philosophie bzw. dem Neuplatonismus, auf die schon der Titel seines Hauptwerkes aus dem Jahr 1482 hindeutet, zu schaffen.141 Konstruktionen einer Kette von vorsokratischen Mittlern der Ursprungstheologie zielen gerade darauf, führen auf der anderen Seite aber auch dazu, dass nicht-biblische/-jüdische Genealogien von Weisheit und Theologie der mosaisch-jüdischen Tradition gegenübertreten. Die Einzigartigkeit der Geset139 „Iudaei ante Christi aduentum (ut plurimum) legis Mosaicae Prophetarumque suorum superficiem attingebant, Christus autem eiusque discipuli, perfectissime docuerunt profundos diuinae mentis sensus linceis, imo diuinis oculis penetrare, quod etiam Iudaeus Philo testatur, ubi de contemplatione disputans commendat acumen, & sanctimoniam Christianorum. Prisca Gentilium Theologia, in qua Zoroaster, Mercurius, Orpheus, Aglaophemus, Pythagoras consenserunt, tota in Platonis nostri uoluminibus continetur. Mysteria huiusmodi Plato in Epistolis uaticinatur, tandem post multa secula hominibus manifesta fieri posse. Quod quidem ita contigit, nam Philonis, Numenijque temporibus primum coepit mens priscorum Theologorum in Platonicis chartis intelligi, uidelicet statim post Apostolorum, Apostolicorumque discipulorum conciones & scripta. Diuino enim Christianorum lumine usi sunt Platonici ad diuinum Platonem interpretandum. Hinc est quod magnus Basilius, & Augustinus probant, Platonicos Ioannis Euangelistae mysteria sibi usurpauisse. Ego certe reperi praecipua Numenij, Philonis, Plotini, Iamblici, Proculi mysteria, ab Ioanne, Paulo, Yerotheo, Dionysio Areopagita accepta fuisse. Quicquid enim de mente diuina angelisque, & caeteris ad Theologiam spectantibus magnificum dixere, manifeste ab illis usurpauerunt“ (Ficino, De christiana religione, 25). 140 Im Zusammenhang mit der für Ficinos Philosophie zentralen Lehre von der Unsterblichkeit der Seele redet er von den „prisci theologi: Zoroaster, Mercurius, Orpheus, Aglaophemus, Pythagoras, Plato, quorum vestigia sequitur plurimum physicus Aristoteles“ (Ficino, Theologia Platonica, lib. VI, c. 1 [190]). An anderer Stelle spricht er von den „summi theologici“ und führt wiederum Zarathustra noch vor Hermes Trismegistos, den „princeps sacerdotum Aegyptiorum“ (aaO., XVII, 1 [728]), an und nennt Zarathustra schließlich auch ausdrücklich „priscae illius inventor theologiae“ (aaO., XVII, 4 [753]). 141 Siehe das längere Zitat in Anm. 139 in diesem Kapitel, in dem die Synthese der Lehren der prisci theologi, Platon, Neuplatonisten, der Apostel und christlicher Autoren zu erkennen ist: Demnach waren Zarathustra, Hermes Trismegistos, Orpheus, Aglaophamus und Pythagoras Vorboten der platonischen Philosophie. Zur göttlichen Interpretation des göttlichen(!) Platon (divinus Platon) im Licht der Christen und zum Verständnis der Mysterien der prisci theologi kamen die Neuplatonisten Numenius, Philo, Plotin, Jamblichos und Prokul dann, indem sie Mysterien des Johannes, Paulus, Hierotheus und (Pseudo-)Dionysius Areopagita adoptierten. Zur Synthese von Christentum und platonischer Philosophie bzw. dem Neuplatonismus bei Ficino vgl. auch Edelheit, Evolution of Humanist Theology, 206–210.
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zesgabe Gottes an Mose kann dementsprechend eine Relativierung finden. Hier mussten die hermetischen Bezüge den schwerwiegendsten Anteil unter Ficinos unterschiedlichen und sich weiter entwickelnden prisca theologia-Vorstellungen haben, denn die Gestalt des Hermes Trismegistos wurde, wie zu sehen war, in den von Ficino referierten hermetischen Traditionen in die Zeit Moses datiert, dem „Dreimalgrößten“ wurde auch ein Attribut der Gesetzesgabe zugesprochen und schließlich wurde das Ganze noch mit den kulturellen Ursprüngen Ägyptens verbunden, das der biblischen Überlieferung nach gerade Ort der Unterdrückung des Gottesvolkes und Wiege der Exodus-Erfahrung war. Ficino geht sogar so weit, dass er Verständnis dafür aufbringt, dass man Hermes Trismegistos in der Antike sogar mit Mose identifiziert hatte.142 Eine besondere Schwierigkeit bei der Interpretation von Ficinos Schriften besteht letztendlich darin auszumachen, an welchen Stellen der Autor „selbst spricht“ oder inwiefern er lediglich als Kompilator antiker Zitate agiert. Dies kann exemplarisch am 26. Kapitel Über die Autorität der Propheten, Bekanntheit des Alten Testaments und Vorzüglichkeit des Neuen Testaments (De authoritate Prophetarum, nobilitate Veteris Testamenti, excellentia Novi) der schon erwähnten Apologie De christiana religione nachvollzogen werden: Hier demonstriert Ficino eine Fülle diverser antiker Quellenüberlieferungen, die sich mit Mose, dem „Hebräer“, der alten „mosaischen Lehre“ (doctrina mosaica) und „jüdischen Lehrsätzen“ (Iudaica dogmata) beschäftigen.143 Ziel dessen ist es zunächst, das Alter, die Heiligkeit und Wunder der Juden und ihrer alten Propheten zu erweisen. Nicht alle der antiken Autoren, die Ficino hierfür zitiert, verbanden aber einen hervorragenden Charakter, die Ursprünge der Kultur und spezifischer der Gesetze mit der Geschichte der Hebräer, sondern wie z. B. Strabon, der Mose als einen rebellierenden ägyptischen Priester zeichnete, mit Ägypten.144 Zu vermuten ist, dass Ficino in den meisten Fällen auch von den antijüdischen Grundtendenzen einiger dieser Autoren wusste. In seiner Apologie De christiana religione werden aber in geschickter Weise auch diese in eine lange Reihe mit anderen gestellt, um schließlich doch einen Alters- und Heiligkeitserweis für die Juden zu erbringen:
142 Ficino beruft sich dabei in seiner Theologia Platonica auf Interpretationen des hellenistischen Geschichtsschreibers Artapanus (2./3. Jh. v. Chr.): „Neque mirum videri debet hunc talia cognovisse, si homo idem Mercurius fuit atque Moyses, quod Artapanus historicus coniecturis multis ostendit“ (Ficino, Theologia Platonica, XVIII, 1 [763]). Auch in De christiana religione bezieht sich Ficino hierauf: „Artabanus quaecunque de Mercurio Trismegisto dicuntur, ostendit fuisse in Mose, & a Mose gesta, eumque Mercurium ipsum fuisse appellatum, insuper esse Museum“ (Ficino, De christiana religione, 29). 143 Vgl. u. a. aaO., 29f. 144 Siehe bereits Abschn. 1.3.1.
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Dionysius Areopagita schreibt dem weisen Polykarp, die Perser, Babylonier und Ägypter hatten in ihren Annalen verzeichnet, dass sie in ihren Heiligtümern das, was die Hebräer über Gottes Schöpfung vom Stand und der Wiederkehr der Himmelsgestirne für sich erzählten, gleichsam wie Wunder und göttliche Dinge verehrt hätten und jene Wunderzeichen [weiter] verehren. Platon verschweigt nicht den Rückgang der Sonne, die Überschwemmung (des Wassers) und Verwüstung durch Feuer. Von Josephus, Aristobolus, Tertullian und Eusebius werden dazu viele Zeugen der Heiden zitiert: nämlich der Chaldäer Berosus, der Ägypter Manetho, Hieronymus, König der Phönizier und Karthager, Mendesius, Ptolomaeus, Menander von Ephesus, Demetrius Phalerius, König Iuba, Thallus, Apion, Molos, Nikolaos von Damaskos, Hesiod, Hekateus, Elanicus, Acusilaus, Ephorus, Theophilus, Manasse, Aristophanes, Hermogenes, Euhemerus, Comon, Zophyrus, Abidenus, Estieus, Sibylla, Eupolemon, Alexander, Artapanus, Melon, Theodorus, der Heide Philo, Aristaeus, Ezechielus, Timochares, Polyhistor, Numenius, Chorilus, [Sextus Iulius?] Africanus aus Sakonien, Alpheus, Megasthenes. Diese Einzelnen bekräftigen fast jede Einzelheit, jeder aber sicher alle Dinge, die eine frühere alte Zeit als alle übrigen, die Wundertaten, die gesamte Lehre der Hebräer und Wunder der Bibel betreffen. Aus diesen wird sichtbar, was der attische Platoniker Clemens von Alexandrien, Eusebius und Aristobolus beweisen, dass nämlich, wenn sie wirklich hervorragende Lehren und Mysterien hatten, sie sich diese von den Juden angeeignet haben.145
Schon bei Josephus, dem Juden Aristobolus (2. Jh. v. Chr.) und den Kirchenvätern Tertullian, Euseb von Caesarea und Clemens von Alexandrien werden Zeugen für den Alterserweis und hervorragenden Charakter jüdischer Lehren und Mysterien aufgezählt, auf die sich Ficino berufen kann. Auffällig ist, wie eng Ficino hierbei vor allem die Werke Tertullians (Apologeticum) und Eusebs von Caesarea (Praeparatio Evangelica) zitieren kann.146 Direkte Zitate und indirekte 145 „Dionysius Areopagita ad sapientem Polycarpum scribit, Persas, Babylonios, Aegyptios in Annalibus suis annotauisse tanquam miracula, & quasi diuina in sacris suis coluisse, ac colere prodigia illa, quae Hebraei de statu regressioneque coelestium a Deo facta per suos narrarunt. Plato Solis retrogressionem & illuuionem aquae ignis[q]ue uastationem non tacuit. Ab Iosepho, Aristobolo, Tertulliano, Eusebio testes ad haec Gentilium multi citantur. Berosus scilicet Chaldaeus, Manetus Aegyptius, Hieronymus Phoenicis, Tyrij Rex, Mendesius, Ptolemaeus, Menander, Ephesius, Demetrius Phalerius, Rex Iuba, Thallus Appion, Nicolaus Molus, Damascenus, Hesiodus, Ecateus, Elanicus, Acusilaus, Ephorus, Theophilus, Manasses, Aristophanes, Hermogenes, Euemerus, Comon, Zophyrus, Abidenus, Estieus, Sibylla, Eupolemon, Alexander, Artapanus, Melon, Theodorus, Philon Gentilis, Aristaeus, Ezechielus, Timochares, Polyhistor, Numenius, Chorilus, Sachoniato Africanus, Alpheus, Megastenes. Hi singuli ferme singula, cuncti certe cuncta, quae pertinent ad antiquitatem caeteris priorem, mirabilia gesta, doctrinam summam Hebraeorum, & miracula Bibliorum confirmarunt. Ex quibus apparet, quod Clemens Alexandrinus & Atticus Platonicus, & Eusebius, & Aristobolus probant. Gentiles uidelicet, si qua habuerunt egregia dogmata & mysteria, a Iudaeis usurpauisse“ (Ficino, De christiana religione, 29). 146 Vgl. mit dem Zitat aus der vorherigen Anm. 145 die Zeugenliste, die Ficino von Tertullian übernimmt und die hier unterstrichen hervorgehoben ist: „Ceteri quoque prophetae etsi Moysi postumant, extremissimi tamen eorum non retrosiores deprehenduntur primoribus uestris sapientibus et legiferis et historicis? Haec quibus ordinibus probari possint non tam
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Verweise älterer Autoren, die Ficino dann im Folgenden zusammenstellt, werden bei diesen Kirchenvätern derartig ausführlich zitiert, dass gefragt werden kann, ob Ficino nicht schlicht aus diesen sekundären Quellen die Aussagen älterer Autoren zu großen Teilen übernimmt. In der Konsequenz werden dann in der hier aufgeführten langen Zeugenliste teils schwer miteinander in Einklang zu bringende pro-jüdische Autoren wie Josephus und Aristobolus neben den ägyptischen Priester Manetho und den alexandrinischen Rhetor Apion gestellt, die beide in ihren judenfeindlichen Schriften Mose als Ägypter dargestellt hatten. Dem Zweck des Alters- und Heiligkeitserweises können für Ficino auch diese dienen – wie es im Übrigen bei den Kirchenvätern nicht anders war. Die Neueditionen der Kirchenväter, wie Eusebs Praeparatio evangelica, aus der Ficino im 26. Kapitel von De christiana religione am ausführlichsten zitiert, stellen dabei eine eminent wichtige Quelle dar. Nicht nur das Alter und die Heiligkeit der Juden werden in alten Zeugen und Orakeln nachgewiesen (z. B. die heilige und himmlische Herkunft der Juden in den Zeugnissen der griechischen Sibyllen147), sondern auch auf die Kongruenz der griechischen Philosophie und der Lehre der alten jüdischen Vorväter bzw. Propheten wird verwiesen.148 In diesem Sinne kann z. B. auch die Wendung des Pythagoräers und Neuplatonikers Numenius von Apamea (2. Jh. n. Chr.) zitiert werden, dass Platon nichts anderes sei als Mose, der des Griechischen mächtig gewesen sei.149 Obwohl Ficino auch Bezüge zu Aristoteles und zur römischen Philosophie herstellt, lag doch sein vorrangiges Interesse (wie wiederum bei Euseb und anderen Kirchenvätern) in einer Verbindung zur platonisch-neuplatonischen Tradition. All dies könnte auch einen Erklärungsansatz für die Beobachtung Ernst Feils liefern, dass entgegen der Wahl difficile est nobis exponere, quam enorme, nec arduum, sed interim longum [dinumerare]. Multis instrumentis cum digitorum supputatoriis gesticulis adsserendum est, reseranda antiquissimarum etiam gentium archiua, Aegyptiorum, Chaldaeorum, Phoenicum; aduocandi, per quos notitia subministrata est, aliqui Manethon Aegyptius et Berosus Chaldaeus, sed et Hieromus Phoenix, Tyriorum rex, sectatores quoque ipsorum, Mendesius Ptolemaeus et Menander Ephesius et Demetrius Phalereus et rex Iuba et Apion et Thallus, qui istos aut probat aut reuincit, Iudaeus Iosephus, antiquitatum Iudaicarum uernaculus uindex“ (Tert., apol. XIX,4–6). 147 „Libri […] Sibyllini Iudaeorum genus coeleste beatumque appellauerunt“ (Ficino, De christiana religione, 30). 148 Ficino sieht zwischen solchen philosophischen und orakelhaften Bezeugungen keinen näheren qualitativen Unterschied, was wiederum in Einklang steht mit der archaischen und klassischen antiken Wahrnehmung. In der Philosophie Platons, die Ficino durch die Übersetzung des Corpus Platonicum bestens vertraut war, spielte die Legitimation durch Orakel und Mysterien ebenso eine besondere Rolle. Bei Ficino wie bei Platon wird der Gesetzesbegriff (lex) dabei signifikant und wie für Platon stehen auch bei Ficino orakelhafte Bezeugungen und göttliche Wunder mit der Person des Gesetzgebers (z. B. Ficinos Mose) in einem Zusammenhang. 149 „Plato usque adeo Iudaeos imitatus est, ut Numenius Pythagoricus dixerit, Platonem nihil aliud fuisse quam Mosen Attica lingua loquentem“ (Ficino, De christiana religione, 29).
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des Titels für Ficinos Apologie De christiana religione der Religionsbegriff (religio) nur eine untergeordnete Rolle in diesem Werk spielt.150 Mehr als der Begriff der religio wird von Ficino der Gesetzesbegriff (lex) neben der christlichen fides, doctrina oder auch sapientia zu einem Schlüsselbegriff, um apologetische Aussagen im Vergleich und in Abgrenzung zum Judentum, Islam („Mohammedaner“) und Heidentum zu treffen.151 Dies aber trifft sich wiederum mit der Tendenz patristischer Apologetik, auch in praktisch-moralischer Hinsicht (z. B. in der Betrachtung der biblischen Gebote) die Vorrangigkeit der alten biblischjüdischen Tradition gegenüber den nicht-christlichen Fronten zu verteidigen. Die Kirchenväter konnten hier an die hellenistisch-jüdische Apologetik anschließen, allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass nun das Ziel bzw. die Vervollkommnung und Überbietung der alten jüdischen Lehre und Praxis durch die christliche ausgedrückt wurde. Dies entspricht dann dem Ziel des 26. Kapitels von De christiana religione: Nachdem Zeugnisse über das Judentum und die alten Propheten bis zum Untergang Jerusalems nachgehalten wurden, schließt Ficino mit einem Verweis auf das himmlische Jerusalem: „Unser wahres Vorhaben aber war es, nicht über die Vorzüge jener irdischen Stadt, sondern über die im Himmel zu sprechen.“152 Dann folgt ein Aufruf zur nochmaligen Lektüre und Relektüre aller Schriften der zuvor aufgeführten antiken Autoren, nur um noch einmal die große Autorität der Propheten hervorzuheben, an deren Gesetze und Orakel die Juden, Christen und Mohammedaner seit so vielen Zeitaltern glaubten – wie im Übrigen auch alle Nationen auf Erden. Diese Feststellung wird allerdings nicht zum Ausgangspunkt eines pluralen religiösen Wahrheitsverständnisses, sondern im Nachsatz folgt die schroffe Formulierung: „Um wahrlich so viel übertrifft die christliche Lehre die mosaische, wie die bürgerliche Tugend (civilis virtus) das Fegefeuer (purgatorium) übertrifft.“153
150 Vgl. Feil, Religio, Bd. 1, 191f. 151 Vgl. aaO., 192. 199f. 152 „Verum non erat propositum nostrum de terrenis urbis illius, sed de coelestibus dotibus disputare. Quod quidem siquis cognoscere uult, non modo quae supra narrauimus, cogitet, uerum etiam & multo magis eorum scripta legat, atque relegat. Reperiet tandem quam grauis sit authoritas Prophetarum, quorum legibus, oraculisque tot seculis credunt, & parent Iudaei, Christiani, Mahumethenses, & ut summatim dicam, omnes quas terra substinet, nationes“ (Ficino, De christiana religione, 30). 153 „Tantum uero superat Christiana doctrina Mosaicam, quantum ciuilem uirtutem superat purgatoria“ (ebd.). Es folgen dann anschließend Beispiele dieser Überbietung der mosaischen Lehre durch die christliche aus der Bergpredigt Jesu, so dass abschließend zu diesem Kapitel nicht die bleibenden Kontinuitäten zwischen dem Alten und Neuen Testament hervorgehoben werden, sondern die Abgeschlossenheit jenes und seine Überbietung durch das Neue Testament. „Sunt & alia multa generis eiusdem, ex quibus apparet testamentum nouum esse absolutum finem ueterim testamenti, tantoque praestantius illo, quantum ea, quae sunt ad finem, finis excedit“ (ebd.).
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Über das Kapitel 26 seiner christlichen Apologie hinaus konturiert Ficino diesen Gegensatz zwischen mosaischer und christlicher Lehre, indem er in aller Ausführlichkeit das Verhältnis des alten mosaischen Gesetzes (lex vetus Mosaica) zum neuen christlichen Gesetz (lex nova Christi) erörtert. Hier verbinden sich Bezüge zur mittelalterlich-scholastischen Gesetzeslehre mit einer am Messiasgedanken ausgerichteten Geisttheologie platonischen Einschlags. So wird die gängige scholastische und maßgeblich durch Thomas von Aquin geprägte Systematik des göttlichen Gesetzes, einschließlich der Unterscheidung zwischen der lex vetus und der lex nova Christi, übernommen: Ficino unterscheidet dabei zwischen den direkt von Gott gegebenen Dekalogtafeln und den von Mose selbst geschriebenen Geboten.154 Dann erfolgt eine ausführliche Erläuterung, warum das alte mosaische Gesetz im Hinblick auf das neue Gesetz Christi nur noch als „eitel und leer“ gelten könne.155 Im Mittelpunkt stehen fünf Kernargumente,156 154 Die Systematik der mosaischen Gesetze wird in einem gesonderten Abschnitt (Distinctio praeceptorum Mosis) des 34. Kapitels von De christiana religione entfaltet: Die Zehn Gebote sind als die prinzipiell wichtigsten Gebote von Gott selbst auf steinernen Tafeln überreicht worden und haben in der Bundeslade und dem Allerheiligsten Israels Platz gefunden, wohingegen die Gebote, die von Mose selbst aufgeschrieben wurden, von geringerer Relevanz gewesen seien und nicht in den Bereich des Allerheiligsten Israels gehörten. Diese enthielten gleichwohl auch Moralgesetze, die, sofern sie mit dem Naturrecht übereinstimmten, ebenfalls wie die Zehn Gebote ewige Geltung besitzen. Dies gelte jedoch nicht für die anderen beiden Teile des von Mose stammenden Gesetzes: Seine Rechtssatzungen seien den Umständen bedingt gewesen und nicht nach dem Urteil der Billigkeit festgelegt. Von geringster Bedeutung seien die Zeremonialgesetze gewesen, die von Ficino sogar mit Erscheinungen (figurae) von pythagoreischer Symbolhaftigkeit verglichen werden: „Mosis praecepta praecipua illa sunt, quae in Decalogo continentur, data enim a Deo sunt absque medio in tabulis lapideis populo uniuerso, deinde tanquam perpetua in arca Testamenti in sancto sanctorum inclusa. Caetera uero minutiora sunt, ac data per Mosem, & ab eo chartis inscripta, atque extra sanctorum sancta posita. Inter haec autem alia simpliciter moralia sunt, & quia naturae legem imitantur, sempiterna sunt ferme, sicut praecipua. Alia ad iudicia pertinent, quae neque in aequitatis arbitrio posita, prout rerum usus exigit, uariantur. Alia rursus ad ceremonias, quae quidem parui momenti sunt, nam tanquam figurae quaedam Pythagoricorum simbulorum instar, ad aliud portendendum, significandumque referuntur“ (aaO., 67). 155 Ausgangspunkt ist die Betrachtung der Aufhebung der alttestamentlichen Zeremonien durch das Kommen Christi (vgl. den Titel von Kap. 34: Probatio quod Testamenti Veteris c[a]erimoniae merito consumptae, consummataeque sunt adveniente novo, ex Iudaicis contra Iudaeos), die allerdings zu allgemeinen Formulierungen über das mosaische Gesetz führt. Dem mosaischen Gesetz wird lediglich noch eine gewisse Vorbereitung (praeparatio quaedam) auf das christliche Gesetz zugestanden und mit dem Verhältnis der Form (forma) zum vollendeten Habitus (habitus perfectus) verglichen. Wer aber den Habitus besitze, brauche die Vorbereitung durch das mosaische Gesetz nicht mehr: „Videtis ergo legem Messiae esse a lege Mosi differentem, caeremoniasque Mosaicas in Messiae conspectu penitus euanescere. Vana uero Mosis lex appellatur, non absolute, sed ad Christi legem, caeteris enim praestantior est. Sed cur uana? quia per ciuiles uirtutes tantum humanum genus, non ad coelestis beatitudinis finem, sed uiam dumtaxat dirigere potest. Christiana per purgatorias purgatique animi uirtutes ad exemplares uirtutes, coelestemque felicitatem
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die Ficino mit biblischen Belegen unterstreicht: Erstens werde das alte durch das neue Gesetz übertroffen, weil es nicht länger auf steinerne und vergängliche Tafeln geschrieben sei (wie die Zehn Gebote), sondern in das Herz und den Sinn des Menschen (Jer 31,33) und so also von höherer geistiger Art und schlicht besser sei. Zweitens, abgesehen von den im Dekalog enthaltenen Geboten, die mit dem Naturrecht übereinstimmen, sei das alte mosaische Gesetz nur für das Volk Israel verpflichtend gewesen (Ps 147,19f; Jes 42,4). Drittens seien die alten Gebote, ausgenommen die wiederum, die dem Naturrecht zugehörig sind, nicht an allen Orten bindend, sondern für das verheißene Land vorgesehen gewesen (Dtn 4,5.14; 5,31). Die lex nova Christi dagegen sei, nicht weniger als das Naturrecht, von allen einzuhalten. Viertens verheiße und verbiete das alte Gesetz dasjenige Gute und Schlechte, was fleischlich und zeitlich ist, das neue Gesetz dagegen, das, was geistig und ewig sei (Mal 1,10f). Schließlich befördert fünftens die lex vetus die bürgerlichen und gemeinen Tugenden zur Beseitigung von Unruhen, das neue Gesetz Christi bewirke aber reinigende Tugenden, die den schlechten Affekten Einhalt gebieten und den Zunder der Sünden ersticken. Damit ergibt sich insgesamt eine zeitliche und qualitative Diastase zwischen der lex vetus mosaica und der lex nova Christi, die lediglich in Teilen noch über den (hier wenig konkretisierten) Naturrechtsgedanken vermittelbar scheint und die Vorrangigkeit des Geistes vor dem Geschriebenen betont. Wurde auf der einen Seite, wie zunächst zu sehen war, ein Alters- und Heiligkeitserweis für die Juden, die alttestamentlichen Propheten und hier insbesondere Mose erbracht, so liegt für Ficino perfecte perducit. Non enim datur perfecta felicitas, nisi animis perfecte purgatis, hoc non Mosaica, sed Christiana lex efficit. Praeparatio igitur quaedam est Mosaica lex ad Christi legem, quasi formam, habitumque perfectum, cum uero quis possidet habitum, praeparatione non indiget. Quo autem sub Mosi lege Sancti Paradisum non ingrediantur, sed Messiae legem, gratiamque expectent, uos, ut in superioribus diximus, confitemini“ (aaO., 65). 156 Die von mir in Klammern ergänzten Bibelverse zitiert Ficino für seine Beweisführung direkt aus der Vulgata, ohne allerdings Angaben zu den Stellen zu machen. Sie werden im folgenden Zitat nicht mehr aufgeführt: „Si quis autem qua in re perfectior noua sit quam uetus, inquirat, consideret quinque praecipuas, quantum ad propositum spectat, nouae, id est, Christianae legis excellentias esse. Prima est, Lex Mosaica in tabulis lapideis corruptibilibusque tradita fuit: Lex noua erat, ut Hieremias ait, cordibus, & mentibus inurenda. Quod quidem significat, nouam hanc disciplinam magis spiritalem esse, adde & aeternam, quoniam naturalis legis instar aeternis mentibus imprimitur in aeternum. Vetus autem temporali subiecta data fuit ad tempus. Secunda, Vetus illa constitutio praeter illa, quae ad legem pertinent naturalem, solum Gentem Israëliticam, (cui data est) obligauit. […] Tertia, Prisca decreta, (his exceptis, quae ad naturale ius pertinent) etiam subiectum populum, non ubique, sed in sola promissionis regione alligasse dicuntur. […] Quarta, Lex uetus sola corporalia, temporaliaque bona pollicetur, & mala minatur, ut in Leuitico, & alibi saepe patet. Noua, spiritalia & aeterna. Quinta, Vetus, ciuiles uirtutes communesque dumtaxat inducit, quibus perturbationes amputat. Noua, purgatorias animique purgati, quibus affectus extirpat, & obliuioni tanquam igni tradit fomites uitiorum. Sed cur istud? quia Deus rudem adhuc populum, sicuti par erat, leuioribus disciplinis erudiret, manifestioribusque tam bonis quam malis mouere statuerat […]“ (aaO., 66f).
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an dieser Stelle nun alles an der Überbietung der mosaisch-jüdischen Tradition durch die neue Lehre und das Gesetz Christi. Der christlich-apologetische Argumentationsgang verläuft dabei so, dass Ficino auch verstärkt aus jüdischen Quellen christliche Wahrheiten als erwiesen darstellt. So werden z. B. messianische Gedanken des großen mittelalterlichen jüdischen Gelehrten Maimonides auf die lex nova Christi hin gedeutet.157 Überhaupt wird Maimonides neben Flavius Josephus und Philo von Alexandrien unter den jüdischen Autoren am häufigsten zitiert.158 Darunter beruft sich Ficino auch auf andere mittelalterliche jüdische Gelehrtenautoritäten wie Rabbi Levi ben Gerson (Gersonides, 1288– 1344) und Moses ben Nachman (Gerundensis, 1194–1270).159 Die daraus resultierende Aneignung jüdischer Quellen bei gleichzeitiger Abgrenzung gegenüber dem Judentum und dem jüdischen Glauben tritt insgesamt neben weniger in die Tiefe gehende Bemerkungen, die positiv z. B. in der verwendeten Bezeichnung sancta gens Hebraea oder vera Hebraeorum religio160 oder negativ gegenüber dem Judentum ausfallen, wenn z. B. vom Aberglauben der Juden (superstitiones Iudaeorum) oder schmutzigsten Albernheiten des Talmuds (spurcissima Talmut deliramenta) die Rede ist. Ähnlich scharfe Formulierungen fallen auch gegen die „Mohammedaner“ und Heiden. Insgesamt aber ist auffällig, dass Abgrenzungen gegenüber dem Judentum am subtilsten und am umfangreichsten in eigenen Kapiteln geführt werden.161 Dies hängt zum einen sicherlich mit den Quellen zusammen, auf die Ficino sich stützte. Da er – auch aus zweiter und dritter Hand 157 „Merito igitur, accedente lege noua tanquam forma, uetus ueluti praeparatio uel abit, uel transit in nouam, impleturque in noua. Quod quid omnino tacere non potuit Rabi Moses in Deuteronomio, Vbi mundi aetatem in secula duo distribuit, seculum uidelicet praesens, seculum[q]ue Messiae. Ac Talmutici interpretes, sicut alias diximus, seculum praesens, & futurum legis, & Messiae secula esse uolunt, uanamque seculi huius legem, ad Messiae legem esse fatentur, quasi in seculo legem Christi, seculum lexque uetus finiatur, atque expleatur“ (aaO., 67). 158 Vgl. zu Maimonides, der von Ficino „Rabbi Moses“ und „Moses Aegyptus“ genannt wird, mit mehrfachen Zitierungen aaO., 31f. 35. 47. 49. 66f. Am häufigsten wird der „vernaculus Iudaeorum scriptor“ Flavius Josephus aaO., 9. 13. 16. 30. 32–35. 51–56 zitiert, dessen Zeugnis aus den Antiquitates Judaicae in einem Abschnitt auf eine Stufe mit dem Johannes’ des Täufers gestellt wird (vgl. aaO., 56). Zu Philo vgl. aaO., 25. 53. 159 Vgl. zu Levi Gersonides aaO., 33, zu Moses Gerundensis aaO., 32–34. 42. 58. 62. 160 Vgl. aaO., 30. 75. 161 Dies zeigen bereits durchgängig die Titel einzelner Kapitel im letzten Teil von De christiana religione (hier in leicht angepasster Schreibweise wiedergegeben), so zu Kap. 29: Contra Iudaeos quod miseri sunt in Christi vindictam, Kap. 30: Confirmatio rerum nostrarum ex Iudaicis contra Iudaeos de sacris libris, Kap. 31: Confirmatio Trinitatis Dei [et] divinitatis Christi ex Iudaicis, Kap. 32: Confirmatio passionis Messiae contra Iudaeos, ex Iudaicis, Kap. 33: Confirmatio peccati originalis et ob hoc passionis Messiae, ex Iudaicis contra Iudaeos, Kap. 34: Probatio quod Testamenti Veteris cerimoniae merito consumptae, consummataeque sunt adveniente novo, ex Iudaicis contra Iudaeos. Nur das letzte Kap. 37: Causa erroris Iudaeorum, Mahumethensium, Gentilium vollzieht noch einmal gleichrangig Abgrenzungen gegenüber dem Islam und Heidentum.
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– Quellen antiker und mittelalterlicher jüdischer Autoren in seine Argumentation einbezog, sah er es wahrscheinlich als nötig an, hier zugleich die Fronten aus christlicher Perspektive am deutlichsten zu ziehen. Genauso entspricht dieses Vorgehen auch bereits Tendenzen der antiken christlichen Apologetik, die Ficino, wie zu sehen war, rezipierte. Auf der anderen Seite wird man aber vielleicht auch in Rechnung stellen können, dass die Beziehungen zur jüdischen Bevölkerung einen Effekt gehabt hatte. Jüdinnen und Juden lebten seit 1437 in einer eigenen Gemeinde in Florenz unter der Gunst der Medici. Sie standen im Austausch mit einzelnen Humanisten, mussten aber zugleich in Ficinos Zeit auch eine Vertreibung aus der Stadt und Anfeindungen römischer Theologen fürchten. Alles dies bildete den Hintergrund der Ambivalenzen im Verhältnis zum Judentum, die sich in Ficinos Deutungen der mosaisch-jüdischen Ursprünge von Weisheit und Recht im Rahmen seiner prisca theologia-Vorstellungen in seinem Hauptwerk De christiana religione auftaten. Zusammenfassend zeigt sich somit ein spannungsreiches Bild der prisca theologia-Vorstellungen in Ficinos Werken. Ist Ficino mit seinem Werk De christiana religione schließlich nicht zu Ansichten gelangt, die der Schultheologie und Kirche näherstanden (theologische Lehre vom Gesetz, Rezeption der Kirchenväter)? Man wird angesichts der Spannungen in Ficinos eigenen priscatheologia-Vorstellungen doch zu dem Schluss kommen müssen, dass dadurch eine plurale Sicht auf die Ursprünge von Recht und Weisheit in der Frühen Neuzeit zumindest begünstigt wurde. Zu dieser Pluralität hat ein weiterer wichtiger Florentiner Renaissance-Humanist beigetragen. Es handelt sich mit Giovanni Pico della Mirandola um einen Gelehrten aus dem direkten Umfeld und Kreis um Ficino. 1.3.3.2 Mose und die mosaischen Gesetze im Deutungshorizont der christlichen Kabbala ausgehend von Giovanni Pico della Mirandola Trotz späterer Differenzen verbinden Giovanni Pico viele Gemeinsamkeiten mit Ficino, zu dessen Gelehrtenkreis in Florenz er sich selbst seit 1483 zählte.162 Beide teilten ein großes Interesse an prisca-theologia/sapientia-Vorstellungen. Nachdem Pico zunächst sein Kirchenrechtsstudium in Bologna abgebrochen hatte und 1479 nach Ferrara gewechselt war, um sich dort den studia humanitatis und seit 1480 zusätzlich intensiven philosophischen Studien in Padua zu widmen, folgte ein erster Aufenthalt im Florenz der Medicis. Nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in Paris 1585, den er vor allem zum Studium der großen Werke der mittelalterlich-scholastischen Theologie nutzte, und einem folgenreichen Besuch 162 Zu den folgenden biographischen Notizen vgl. Fumagalli Beonio Brocchieri, Pico della Mirandola; Euler, Theologie und Religion, 26–31; Schmidt-Biggemann, Kabbala, 70–85.
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in Rom, auf den noch näher einzugehen ist, scheinen die letzten Lebensjahre Picos vor allem von einer Vertiefung seines Glaubenslebens und einer Nähe zum dominikanischen Bußprediger Girolamo Savonarola geprägt gewesen zu sein. Diese Nähe zur charismatischen Florentiner Führungsgestalt Savonarola trennte Pico später von Ficino. Von mehr Relevanz für uns ist aber der spezifische geistige Hintergrund, durch den sich Pico noch einmal von Ficino und anderen Renaissance-Humanisten abhob: Hier sind erstens seine Kenntnisse des Hebräischen, Aramäischen (damals als Chaldäisch bezeichnet) und Arabischen zu nennen, die sich Giovanni Pico durch jüdische Gelehrte aneignen konnte und die diejenigen anderer Humanisten im Umkreis Ficinos und von Ficino selbst übertrafen. Zweitens zeichnete Pico sich durch eine vergleichsweise sehr produktive und bis dahin in einigen Bereichen unerreichte Kooperation mit jüdischen Gelehrten aus. Drei jüdische Gelehrtenautoritäten163 sind hier zu allererst zu nennen: Elija Delmedigo (Helias Cretensis, ca. 1460–1493/7), ein Philosoph, der die averroistische Auslegungstradition des Aristoteles vertrat und neben den Hebräischstudien164 ebenso Picos philosophische Orientierung beeinflusst haben könnte; der humanistisch gesinnte Exeget und Hebräischlehrer Johanan Alemanno (ca. 1434 bis nach 1504), der zur gleichen Zeit wie Pico einen Genesiskommentar herausgab; schließlich vor allem der aus Sizilien stammende jüdische Konvertit Raimundo Moncada, besser bekannt unter dem latinisierten Namen Flavius Mithridates, der seit 1486 von Pico persönlich beauftragt wurde, hebräische Werke für ihn ins Lateinische zu übersetzen. Mithridates übersetzte für Pico dabei geradezu eine ganze Bibliothek an Werken, die der jüdischen Kabbala zuzuschreiben sind, was zur Folge hatte, dass Pico als vielleicht erstem christlichen Gelehrten überhaupt diese Literatur in großem Umfang zugänglich wurde. Picos philologische Fähigkeiten und die Nähe zur jüdischen Kabbala hatten schließlich Auswirkungen auf seine eigenen Darstellungen von Mose und der mosaischen Tradition. Was ist genauer unter ( jüdischer) Kabbala und was wiederum unter christlicher Kabbala im engeren Sinne zu verstehen? Der Etymologie nach lässt sich ‚Kabbala‘ auf das hebräische Wort ( קבלhebr. Pi’el: „aufnehmen“, „empfangen“) zurückführen.165 Noch in der heutigen hebräischen Sprache ist es in substantivierter Form z. B. gebräuchlich für den Empfang in einem Hotel.166 Mit Bezug auf 163 Vgl. die kurze Zusammenstellung zum Folgenden bei Black, Pico’s Heptaplus, 12–19. 164 Crofton Black geht näher auf einen Brief Delmedigos an Pico ein, der aufschlussreich ist, weil er Vorschläge zu Werken jüdischer Autoren und auch kabbalistischer Literatur enthält, die an Pico adressiert waren. Allerdings kann Black nicht klären, inwieweit Pico selbst darauf antwortete (vgl. aaO., 13–15). 165 Zum Kabbala-Begriff und seiner Geschichte vgl. bes. Dan, Kabballah, 1–10, hier: 1–3; dazu Schmidt-Biggemann, Kabbala, Bd. 1, 1. 166 Vgl. Dan, Kabballah, 1.
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den jüdischen Glauben steht קבלim weiteren Sinne zunächst für den auf einen göttlichen Ursprung zurückgeführten und in erster Linie nicht personengebundenen Empfang, der eine weitere Tradierung mit einschließt.167 In diesem Sinne legt beispielsweise der aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. stammende jüdische Mischnatraktat pirke avoth zugrunde, wie Mose die göttliche Weisung, die Thora, von Gott empfing ( )קבלund wie diese Weisung auch in mündlicher Form über Josua und die Ältesten Israels hinaus weiter tradiert wurde. Erst im Mittelalter setzte sich ausgehend von Vorstellungen der jüdischen Mystik eine Entwicklung in Gang, die dazu führte, dass ‚Kabbala‘ nun nicht mehr nur mit einer allgemeinen Tradition im religiösen Sinne gleichgesetzt, sondern auf einen bestimmten Personenkreis bezogen wurde. Die Konsequenz war eine Unterscheidung zwischen exoterischer und esoterischer Tradition, zwischen einem Kreis „Eingeweihter“ der Kabbala und einem Kreis Nicht-Eingeweihter. Vor allem dieses engere Verständnis müssen wir zu Grunde legen, wenn Pico unter dem Eindruck der Vermittlung jüdischer Quellen von Kabbala spricht. Picos nicht zu überschätzender Beitrag aber bestand nun darin, dass er als wahrscheinlich erster christlicher Denker überhaupt Vorstellungen der jüdischen Kabbala systematisch zu einer christlichen Kabbala-Lehre umformte. Hinweise hierauf finden sich in zentralen Schriften Picos, allerdings in unterschiedlichem Maße. Ausschlaggebend für festzustellende Veränderungen in der Darstellung der kabbalistischen Lehre dürfte nicht zuletzt das Verhältnis zum Papst und zur römischen Kurie gewesen sein. Hierbei stehen zunächst drei Werke, die eng miteinander zusammenhängen und am folgenreichsten für Pico werden sollten, im Mittelpunkt: seine 900 Thesen (Conclusiones nongentae, 1486) mit einer dazugehörigen Apologie (Apologia tredecim quaestionum, 1487) und einer Oratio, die im Rahmen der Disputation der 900 Thesen entstanden war, aber zu Lebzeiten unveröffentlicht blieb.168 In den Zeitraum zwischen der Arbeit an den Conclusiones und der Apologia fällt auch sein heute vielleicht weniger bekannter Kommentar zu einem Werk des humanistischen Dichters und Freund Picos Girolamo Benivieni (Commento sopra una canzona de amore, 1486/7).169 Im Commento wird die Thematik der Kabbala und mosaischen Tradition ebenfalls – und ganz ähnlich wie in den bereits genannten drei Werken – auf167 „‚Kabbalah‘ in the Hebrew religious vocabulary means nonindividual, nonexperiential religious truth, which is received by tradition“ (aaO., 3). 168 Zwei Jahre nach Giovanni Picos Tod veröffentlichte sein Neffe Gianfrancesco Pico della Mirandola Schriften, die der gerade einmal 31 Jahre alt gewordene Gelehrte hinterlassen hatte. Erst die Baseler Gesamtausgaben 1557, 1572/3 und 1601 enthielten alle heute bekannten Werke Giovanni Picos vollständig. Allerdings waren bereits lange vorher einzelne Werke auch nördlich der Alpen unter Gelehrten bekannt und verbreitet. 169 Zu Girolamo Benivieni (1453–1542) im Kreis der Florentiner Gelehrten um Marsilio Ficino und Giovanni Pico und zum Commento vgl. Fumagalli Beonio Brocchieri, Pico della Mirandola, 6f. 16–18. 56–58.
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genommen. Allerdings gehört sie nicht zum hauptsächlichen Argumentationsgang, so dass diese Schrift gegenüber den anderen im Folgenden vernachlässigt werden kann.170 Anders sieht es jedoch bei Picos letztem Werk, dem noch vor seinem Tod veröffentlichten Genesis-Kommentar Heptaplus de septiformi sex dierum Geneseos enarratione (1489), aus. Pico schließt mit diesem Werk an eine bis auf die Kirchenväter zurückreichende Auslegungstradition an, die sog. Hexaemeron-Literatur, in der das Sechstagewerk aus dem ersten Schöpfungsbericht der Bibel (Gen 1,1–27) ausgelegt wurde.171 Dabei stand die allegorische Deutung von Gottes Erschaffung der Welt in sechs Tagen und des Sabbats am siebten Tag im Vordergrund. Pico deutete nun alles auf eine mosaische Weisheit hin, die eine Grundordnung der Welt bereits in sich abbilde, verzichtete aber auf den Begriff der Kabbala. Der Terminus ‚Kabbala‘ findet aber im Gegensatz zu Picos früheren Werken, wie zu sehen sein wird, nicht mehr Verwendung. Beibehalten werden jedoch typische Aussagen und Listen zur prisca theologia/sapientia, wie sie auch Marsilio Ficino vertreten konnte. Gegenüber Ficino zeigt sich besonders später 170 Der enge literarische Zusammenhang von prisca theologia, Kabbala und mosaischer Tradition bei Pico ist zuletzt von Crofton Black, Pico’s Heptaplus, 95–147, bes. 95–102 sehr genau entlang des Commento, der Apologia und des Genesis-Kommentars Heptaplus untersucht worden und hinsichtlich antiker und mittelalterlicher Vorläufer esoterischen Denkens eingeordnet worden. Im Commento, auf den Crofton nicht mehr näher eingeht, finden sich zunächst an drei Stellen lose Verweise auf die Kabbala. So wird an einer Stelle im Zusammenhang johanneischer Theologie und der jüdisch-kabbalistischen Vorstellung der göttlichen Emanationen (Sefirot) von den „secreti misterii de’ cabbalisti“ (im Druck des Commento von 1519 ist dagegen von „sacri misteri delli ebrei“ die Rede, vgl. Pico della Mirandola, Commento, 549f mit Anm. 6) gesprochen. An einer zweiten Stelle werden die „sapienti cabbalisti“ mit Enoch und einer Form jüdischer Engelslehre (Metatron) in Verbindung gebracht (aaO., 554) und schließlich noch drittens die Vorstellung der „antiqui cabalisti“ vom Gottesnamen erwähnt (aaO., 559). Der entscheidende längere Einschub im Commento zur Kabbala als Wissenschaft („scienza“), der den Darstellungen in den anderen betreffenden Werken Picos sehr ähnelt, folgt ganz am Schluss: „Fu opinione degli antiqui teologi non si dovere temeramente publicare le cose divine e e’ secreti misterii, se non quanto di sopra n’era permesso. […] Scrive Origine avere Iesu Cristo revelato molti misterii a’ discepoli, e’ quali loro non volsono scrivere, ma solo a bocca, a chi loro ne parea degno, gli comunicarono; e questo Dionisio Areopagita conferma avere osservato di poi e’ sacerdoti nostri, che per suscessione l’uno dall’altro ricevessi la intelligenzia de’ secreti che non era lecito a scrivere; e Dionisio a Timoteo, esponendo de’ nomi di Dio e della gerarchia angelica e ecclesiastica molti profundi sensi, gli comanda che tenga el libro nascoso e non lo comunichi se non a pochi, che di tale cognizione siano degni. Questo ordine appresso gli antiqui ebrei fu santissimamente osservato e per questo la loro scienzia, nella quale la esposizione delli astrusi e asconditi misterii della legge si contiene, Cabala si chiama, che significa recezione, perchè non per scritti ma per successione a bocca l’uno dall’ altro la ricevono. Scienza per certo divina e degna di non participare se non con pochi, grandissimo fundamento della fede nostra, el desiderio solo del quale mi mosse all’assiduo studio della ebraica e caldaica lingua, sanza le quali alla cognizione di quella pervenire è al tutto impossibile“ (aaO., 580f). 171 Zu Picos Kommentarwerk Heptaplus vgl. den Überblick bei Euler, Theologie und Religion, 156–184 und jetzt grundlegenden Black, Pico’s Heptaplus. Zur Hexaemeron-Literatur vgl. Euler, Theologie und Religion, 157f Anm. 189 mit weiterer Lit.
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bei Pico noch einmal eine stärkere Zuspitzung auf Mose als Mittler der uralten Weisheit, die als Geheimlehre nur einem bestimmten Personenkreis eröffnet wurde. Formulierungen diesbezüglich in diesen Werken zeigen sehr nahe Übereinstimmungen, besonders in der Apologia und Oratio, die beide in einen gemeinsamen Entstehungszusammenhang mit den Conclusiones nongentae gehören. Die Entstehung dieser drei Texte ist zunächst genauer zu klären, bevor Veränderungen in Picos Spätschrift Heptaplus beschrieben werden. Die Conclusiones nongentae, die Oratio und Apologia sind Ausdruck von Picos Vorhaben, einen philosophischen Frieden (pax philosophica) auf Grundlage eines universalen philosophisch-religiösen Synkretismus zu erreichen. Pico entwarf hierzu 900 Disputationsthesen, die 1486/7 in Rom Gelehrten aus ganz Europa die fundamentale Übereinstimmung der großen philosophischen und religiösen Strömungen der Geschichte aufzeigen sollten. Diese Wahrheiten blieben für Pico schließlich im Christentum versammelt, doch die Ausführungen zielten darauf, die übereinstimmenden Wahrheitsgehalte der verschiedenen Strömungen zu erweisen. Einer (nicht streng durchgehaltenen) übergeordneten Zweiteilung zwischen der Meinung anderer Autoren und der eigenen Meinung folgend werden Thesen zusammengestellt aus der mittelalterlich-scholastischen Theologie, der arabischsprachigen und teils jüdischen mittelalterlichen Philosophie, aus Aristoteles und aristotelischen Philosophen, Platon und den Neuplatonikern und dazu Thesen, die sich lose bestimmten Themenbereichen wie der Metaphysik, Mathematik und Zahlenlehre zuordnen lassen. Gesondert erscheinen auch die Thesen, die mit den prisci theologi verbunden sind: so die Thesen der „chaldäischen Theologen“ und Zarathustras, der Lehrsätze des Pythagoras, der orphischen Orakel, des Hermes Trismegistos (in zehn Thesen mit deutlichem Bezug auf Ficinos Übersetzung des CH bezogen) und schließlich auch der Kabbala und Magie.172 Es gehört zu den Eigenarten von Picos KabbalaVerständnis in den Conclusiones, dass er die kabbalistische Lehre mit einer Vorstellung von Magie (magia) in ein enges Verhältnis setzt und beide als eine auf die Gottheit Christi zielende Wissenschaft (scientia),173 die Magie aber auch als eine Form von Kunst bezeichnen kann.174 Im ersten Hauptteil beschäftigen sich entsprechend 47 Thesen mit der jüdisch-kabbalistischen Kosmologie und den Seinsemanationen entspringenden Gottesprädikaten (Sefirot) und im zweiten Hauptteil 26 eigene Thesen vor allem mit einem damit verbundenen Magie172 Die Thesen sind zusammengestellt unter dem Titel Conclvsiones secvndvm priscam doctrinam Mercvrii Trismegisti Aegyptii Nvmero .X., (Pico della Mirandola, Conclusiones nongentae, 27.1–10 [ed. Farmer 1998; 340–343]). Vgl. auch Ebeling, Geschichte des Hermetismus, 96. 173 „Nulla est scientia quae nos magis certificet de diuinitate Christi quam magia et cabala“ (Pico della Mirandola, Conclusiones nongentae, 9>9 [ed. Farmer 1998; 496]). 174 Vgl. aaO., 9>10f (ed. Farmer 1998; 498).
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Konzept. Hier wird eine magische Kunst beschrieben, die nur wenig mit einem heutigen supranaturalen Verständnis von Magie zu tun hat, sondern am ehesten als natürlich-praktische Seite der scientia (für Pico auch der Kabbala) verstanden werden kann. In diesem Sinne geht die Vorstellung von einer „natürlichen Magie“ (magia naturalis) auf Platon und später Plotin zurück und ist erst durch Ficino und Pico selbst im humanistischen Gelehrtendiskurs etabliert worden.175 Pico unterscheidet in den Conclusiones sogleich zwischen einer falschen Magie, die sich mit den „dunklen Mächten“ beschäftige, und einer erlaubten, „guten“ Form von Magie, die auch als magia naturalis als praktischer und – und gleichsam nobelster (noblissima) – Teil der Naturwissenschaft (pars practica scientiae naturalis) bezeichnet wird.176 Sowohl durch die Magie als auch die Kabbala könnten wundersame Werke vollbracht werden. Durch die Magie geschehe dies, indem Kräfte (virtus) im Himmel und auf Erden wirksam gemacht und verbunden würden.177 Magie sei so gesehen nichts anderes als „sich mit der Welt zu vermählen“, doch die Effektivität magischer Handlungen hänge explizit oder zumindest implizit vom Werk der Kabbala ab.178 Beiden nämlich, Kabbala und Magie, ist gemein, dass sie von einer Urstimme Gottes selbst (vox est dei) ausgehen, die zugleich in sich die Schöpfungs- und Heilsordnung abbilde.179 Noch in Zahlen und Namen, die auf jener uralten hebräischen Sprache beruhen – so deuten die Thesen Picos an – lasse sich diese bewundernswerte Ordnung entziffern und steuern. Pico liegt daran, diese Form von magischer und kabbalistischer Wissenschaft, die wie keine andere Wissenschaft damit auch auf die Göttlichkeit Christi hindeutete, von Christi eigenem Handeln und seinen Wundern zu unterscheiden,180 doch es waren gerade seine Konzeptionen von Kabbala und Magie, die in Rom auch auf theologischen Widerstand stießen. Schon zur eigentlichen Disputation aller 900 Thesen kam es schließlich nicht mehr. Vielmehr wurden 13 Thesen der Conclusiones von einer durch den Papst eingesetzten Kommission verurteilt und drei weitere für häretisch erklärt – darunter auch die genannte These, dass keine Wissenschaft einen mehr der Göttlichkeit Christi versichere als Magie und Kabbala.181 Picos selbst reagierte mit einer umfassenden 175 Vgl. ausführlich zum magia-naturalis-Topos bei Ficino und Pico mit den jeweiligen Bezügen auf die betreffenden platonischen und neuplatonischen Quellen Otto, Magie, 413–491. 176 Vgl. aaO., Pico della Mirandola, Conclusiones nongentae, 9>1–4 (ed. Farmer 1998; 494). 177 Vgl. aaO., 9>5 (ed. Farmer 1998; 496). 178 „Magicam operari non est aliud quam maritare mundum. […] Nulla potest esse operatio magica alicuius efficaciae nisi annexum habeat opus cabalae, explicitum uel implicitum“ (aaO., 9>13.15 [ed. Farmer 1998; 498]). 179 Vgl. aaO., 9>6.19–26 (ed. Farmer 1998; 496.500.502). 180 Vgl. aaO., 9>7f mit 9>9 (ed. Farmer 1998; 496). 181 Vgl. Buck, Einleitung, XXII und ausführlich zu den Hintergründen Farmer, Syncretism in the West, 1–18, bes. 17 mit der Einschätzung, dass Picos esoterische Thesen auf die größten Widerstände stießen.
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Verteidigungsschrift, die noch im Mai 1487 unter dem Titel Apologia gedruckt wurde.182 In der Folge wurden schließlich alle 900 Thesen durch Papst Innozenz VIII. für häretisch erklärt und ihre Verbrennung angeordnet. Pico konnte nur durch die Unterstützung König Karls VIII. von Frankreich der Haft entgehen und kehrte anschließend unter dem Schutz Lorenzo de’ Medicis nach Florenz zurück. Die von Pico verfasste Apologia und die Oratio de dignitate hominis, sein wahrscheinlich bekanntestes Werk, das allerdings nicht mehr zu Lebzeiten gedruckt, sondern erst in die posthumen Werkausgaben aufgenommen wurde, enthalten wichtige Erläuterungen, die schließlich den Zusammenhang von Kabbala und Magie mit Bezug auf Mose und die an ihn ergehende Gesetzesoffenbarung verständlicher machen. Pico hatte die Oratio noch für die Eröffnung seiner geplanten Disputation in Rom geschrieben und sie kann deswegen, zeitlich noch vor der Apologia verfasst, als wesentliches Grundsatzprogramm, das hinter den 900 Thesen stand, verstanden werden. In den Augen Ernst Cassirers enthält sie zudem die „Quintessenz aller Grundgedanken Picos“.183 Der „bekannteste und zugleich bedeutendste der Traktate über die Menschenwürde“184 der Renaissancezeit, der den Menschen in seiner Gott geschenkten, aber gleichwohl nur ihm ganz eigenen würdevollen Freiheit in den Mittelpunkt des Kosmos stellte,185 entfaltet in Kurzform Ideen der prisca theologia/sapientia und geht noch einmal über die Conclusiones nongentae in der Unterscheidung zwischen Magie und Kabbala in ihrem Verhältnis zur mosaischen Gesetzesüberlieferung hinaus. Pico erwähnt an einer Stelle die prisca theologia des Hermes Trismegistos, zeigt sich als guter Kenner hermetischer Schriften,186 bezieht sich aber daneben, seinen Conclusiones entsprechend, auf weitere traditionelle Gestalten alter Weisheit und Wahrheit wie Orpheus, Zarathustra, Pythagoras, chaldäische Überlieferungen und eben auch Mose. In insgesamt vier Passagen geht Pico auf Mose ein, zwei davon sind von besonderer Relevanz: In dem Bild der himmlischen Cherubim und Seraphim, mit dem Pico den Stufen zur Erlangung göttlicher Weisheit Ausdruck verleiht, wird Mose an einer Stelle zum Idealbild der Gottesliebe und Gerechtigkeit unter dem Volk durch 182 Vgl. Euler, Theologie und Religion, 124; dort 122–128 findet sich auch Näheres zum Entstehungskontext der Apologia und Picos Reaktion auf die Verurteilung seiner Thesen. 183 Ernst Cassirer, „Über die Würde des Menschen“ von Pico della Mirandola, in: Agorà. Eine humanistische Schriftenreihe 12,5 (1959), 48 zit. nach Buck, Einleitung, XIII. 184 AaO., VII. 185 Vgl. Pico della Mirandola, De hominis dignitate, 4. 6. 186 Pico zitiert an einer Stelle z. B. den hermetischen Traktat Asclepius (vgl. aaO., 6) und rezipiert das hermetisch-neuplatonische Werk des Jamblichos aus Chalkis (gest. um 330) an mehreren Stellen (Pico della Mirandola, De hominis dignitate, 44. 64; vgl. auch d. Nachw. S. 69f Anm. 5; S. 71 Anm. 16; S. 72 Anm. 31; S. 73 f Anm. 40–42; S. 81 Anm. 97; S. 82 Anm. 104).
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seine Gottesschau gemacht.187 Im kultischen Bild des israelitischen Stiftszelts, das Pico nutzt, um den Weg von den philologischen Fächern der humanistischen Studien zur Philosophie und zur Höhe der himmlischen Theologie des Geistes zu beschreiben, reicht der „ehrwürdige Richter“ Mose selbst an die „Fülle des Quells hochheiliger und unaussprechlicher Erkenntnis“ heran, ermahnt, ruft auf und spornt dazu an, sich „durch die Philosophie den Weg zur zukünftigen himmlischen Herrlichkeit“ zu bahnen.188 In einem längeren Abschnitt mit nachhaltiger Wirkungsgeschichte führt Pico dann aus, welche Nähe zur göttlichen Offenbarungsquelle Mose auszeichnete: Er habe auf dem Berg nicht nur das Gesetz Gottes erhalten, das er dann in seinen fünf Büchern der Bibel der Nachwelt überlieferte, sondern auch dessen geheimere und wahre Auslegung (secretiora quoque et vera legis enarratio) in mündlicher Form empfangen.189 Der Empfang (receptio) dieser enarratio oder interpretatio legis, den die Hebräer Kabbala (Cabala) nennen, enthülle, so Pico weiter, die geheimeren Mysterien der höchsten Gottheit unter der Schale des Gesetzes, die aber nur einem begrenzten Kreis Eingeweihter weitervermittelt wurden. Picos lateinische Übersetzung von Cabala mit receptio traf also die ursprüngliche hebräische Bedeutung sehr genau, doch sollte dies nun einer systematischen Vermittlung der ursprünglich jüdischen Konzeption von Kabbala mit dem christlichen Denken dienen. So führt er in der Oratio weiter aus: Mose habe die mündliche Gesetzestradition nur Jesus 187 „Amavit Moses Deum quem vidit, et administravit iudex in populo quae vidit prius contemplator in monte“ (Pico della Mirandola, De hominis dignitate, 12). 188 „Citemus et Mosem ipsum a sacrosanctae et ineffabilis intelligentiae fontana plenitudine, unde angeli suo nectare inebriantur, paulo deminutum. Audiemus venerandum iudicem nobis in deserta huius corporis solitudine habitantibus leges sic edicentem: qui polluti adhuc morali indigent, cum plebe habitent extra tabernaculum sub divo, quasi Thessali sacerdotes interim se expiantes. Qui mores iam composuerunt, in sanctuarium recepti, nondum quidem sacra attractent, sed prius dialectico famulatu seduli levitae philosophiae sacris ministrent. Tum ad ea et ipsi admissi, nunc superioris Dei regiae multicolorem, idest sidereum aulicum ornatum, nunc caelestem candelabrum septem luminibus distinctum, nunc pellicea elementa, in philosophiae sacerdotio contemplentur, ut postremo per theologicae sublimitatis merita in templi adita recepti, nullo imaginis intercedente velo, divinitatis gloria perfruantur. Haec nobis profecto Moses et imperat et imperando admonet, excitat, inhortatur, ut per philosophiam ad futuram caelestem gloriam, dum possums (sic!), iter paremus nobis“ (aaO., 20. 22). 189 „Scribunt non modo celebres Hebraeorum doctores, sed ex nostris quoque Esdras, Hilarius et Origenes, Mosem non legem modo, quam quinque exaratam libris posteris reliquit, sed secretiorem quoque et veram legis enarrationem in monte divinitus accepisse; praeceptum autem ei a Deo ut legem quidem populo publicaret, legis interpretationem nec traderet libris, nec invulgaret, sed ipse Iesu Nave tantum, tum ille aliis deinceps succedentibus sacerdotum primoribus, magna silenti religione, revelaret. […] Hoc eodem penitus modo cum ex Dei praecepto vera illa legis interpretatio Moisi deitus tradita revelaretur, dicta est Cabala, quod idem est apud Hebraeos quod apud nos receptio; ob id scilicet quod illam doctrinam, non per litterarum monumenta, sed ordinariis revelationum successionibus alter ab altero quasi hereditario iure reciperet“ (aaO., 56. 58. 60).
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Nave und dieser dann den Hohepriestern anvertraut. Mit Jesus Nave bezieht sich Pico auf die Übersetzung und Deutung Josuas als Sohn Nuns, wie sie nicht nur Sir 46,1, sondern auch die Interpretation der Kirchenväter wie Origenes nahelegte. Die Autorität des Kirchenvaters Origenes nimmt Pico auch neben der Esras und Hilarius’ in Anspruch, um den Nutzen der Kabbala für den christlichen Glauben (catholica fides) zu unterstreichen, denn es handele sich ja nicht lediglich um Vorstellungen der berühmten Lehrer der Hebräer (celebres Hebraeorum doctores), sondern auch „von den Unsrigen“ (ex nostris). Die christliche Tradition wird damit in ein Gegenüber zur hebräisch-jüdischen gestellt, ja die Auseinandersetzung mit der Kabbala stellte sogar eine apologetische Notwendigkeit gegenüber den „frechen Verleumdungen der Hebräer“ (contra Hebraeorum importunas calumnias) dar.190 Picos Auffassung von der Kabbala führt so auf zwei Ebenen zu einer inneren, „esoterischen“ Grenzziehung. Zum einen musste für Pico die mündliche Geheimlehre zur Auslegung des mosaischen Gesetzes auf wenige beschränkt bleiben, denn die Geheimnisse der höchsten Gottheit dem Volk aufzudecken, was wäre das anderes gewesen als das Heilige den Hunden zu geben und Perlen zwischen die Schweine zu streuen?191
Paulus, Pythagoras, Platon, Aristoteles, Dionysius Areopagita und selbst Jesus, wie Origenes schildere, hätten nicht alle Mysterien und Lehren schriftlich verbreitet, sondern in gesprochener Form auf einen bestimmten Kreis begrenzt.192 Eine zweite Grenzziehung erfolgt zwischen der Tradition der Hebräer und der catholica fides oder, wie es in der Oratio ähnlich wie bei Ficino heißt, zwischen der „mosaischen“ und „christlichen Religion“ (religio Mosaica/Christiana).193 Sie geschieht letztlich als eine Form der Aneignung und wird schon dadurch signalisiert, dass Pico sich für seine Unterscheidung zwischen exoterischer und esoterischer Lehre auf Jesus selbst, dann auch Paulus und Dionysius beruft: Um die wahre, bis auf Mose rückführbare Gesetzesauslegung in unsicheren Zeiten des Volkes Israel zu erhalten, sei die reine mündliche Tradierung der Kabbala nach der 70 Jahre andauernden babylonischen Gefangenschaft durch die Initiative Esras in 70 Büchern gesichert worden.194 Pico kombiniert dabei Schilde190 191 192 193 194
Vgl. aaO., 56. Zit. nach aaO., 59. Vgl. aaO., 58. 60. AaO., 62 (Kasus im Lt. veränd., MT). „Verum postquam Hebraei a Babylonica captivitate restitua per Cyrum et sub Zorobabel instaurato templo ad reparandam legem animum appulerunt, Esdras, tune ecclesiae praefectus, post emendatum Moseos librum, […] constituit ut, convocatis qui tunc supererant sapientibus, afferret unusquisque in medium quae de mysteriis legis memoriter tenebat, adhibitisque notariis in septuaginta volumina (tot enim fere in Synedrio sapientes) redigerentur“ (aaO., 60).
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rungen aus dem Esrabuch aus dem heutigen biblischen Kanon mit denen aus dem pseudepigraphischen 4. Esrabuch (4Esr), einer jüdische Apokalypse, die über Visionen und schließlich die Entrückung des Schriftgelehrten und Priesters Esra im 30. Jahr nach der Zerstörung Jerusalems 587 v. Chr. berichtet. 4Esr ist wahrscheinlich in die Zeit 30 Jahre nach der Jerusalemer Tempelzerstörung 70 n. Chr. zu datieren.195 Durch die Bedeutung, die dem Priester Esra (Esr 7,1ff) in der Bibel als Gesetzeskundigem (Esr 7,6.10) und bei der Etablierung des Gesetzes in Jerusalem und Juda unter persischer Herrschaft als Schreiber (Esr 7,12–26) zugesprochen wird, erklären sich die späteren biblischen und außerbiblischen Ausgestaltungen seines Idealbildes. Erst den protestantischen Bibeln und dem durch das Konzil von Trient (Beginn 1546) festgelegten Kanon der Vulgata war 4Esr nicht mehr zugehörig. Pico bezieht sich nun ausführlich auf die Schlussvision (4Esr 14,23–47), nach der Esra durch göttliche Inspiration 40 Tage lang insgesamt 94 Bücher diktierte. Von diesen 94 Büchern standen 24 unwürdigen und würdigen Lesern offen, 70 weitere Bücher aber sollten geheim gehalten und nur 70 Weisen aus dem Volk zugänglich sein.196 Gegenüber der Schilderung nach Esr 7 und 4Esr 14 enthält Picos Synthese aber auch eine wichtige Ergänzung: Die Zahl der 70 geheimen Bücher wird mit der Anzahl von 70 Weisen des jüdischen Synedriums identifiziert (in Esr 7,25 fehlt die Zahl 70). Demnach seien die noch übrigen Weisen des Volkes in einer Zeit der Repressionen in der Gefangenschaft von Esra zusammengerufen worden und das, was diesen Weisen noch über die Mysterien des mosaischen Gesetzes im Gedächtnis war, sei durch Schreiber (notarii) in 70 Bänden zusammengetragen worden. Diese Bücher stellten damit 195 Vgl. Schreiner, Einleitung, 301–306 (307–309 weitere Lit.). 196 Der betreffende Abschnitt 4Esr 14,37–47 lautet: „Dann nahm ich die fünf Männer mit, wie er mir befohlen hatte. Wir gingen auf das Feld und blieben dort. Am folgenden Tag, siehe, da rief mich eine Stimme und sagte: Esra, öffne deinen Mund und trinke, was ich dir zu trinken gebe. Ich öffnete meinen Mund, und siehe, ein voller Becher wurde mir gereicht; er war wie mit Wasser gefüllt, dessen Farbe aber war dem Feuer gleich. Ich nahm ihn und trank. Als ich aber getrunken hatte, sprudelte mein Herz Verständnis hervor und meine Brust schwoll an von Weisheit. Mein Geist aber bewahrte die Erinnerung. Mein Mund öffnete sich und schloß sich nicht wieder. Der Höchste gab den fünf Männern Einsicht. So schrieben sie das Gesagte der Reihe nach in Zeichen auf, die sie nicht kannten, und saßen vierzig Tage lang da. Sie schrieben am Tag und aßen in der Nacht ihr Brot. Ich redete am Tag und schwieg nicht in der Nacht. In den vierzig Tagen wurden vierundneunzig Bücher geschrieben. Als die vierzig Tage zu Ende waren, redete der Höchste mit mir und sagte: Die ersten Bücher, die du geschrieben hast, leg offen hin. Würdige und Unwürdige mögen sie lesen. Die letzten siebzig aber sollst du verwahren, um sie den Weisen aus deinem Volk zu übergeben. Denn in ihnen fließt die Quellader der Einsicht, die Quelle der Weisheit und der Strom des Wissens. Und ich tat so im siebten Jahr, in der sechsten Woche nach fünftausend Jahren der Schöpfung und drei Monaten und zwölf Tagen. Damals wurde Esra entrückt und an den Ort derer geführt, die ihm gleichen, nachdem er alles dieses geschrieben hatte. Und er wurde Schreiber der Erkenntnis des Höchsten genannt bis in die Ewigkeit der Ewigkeiten. Zu Ende ist die erste Rede Esras“ (zit. nach Apokalypsen. Das 4. Buch Esras [S. 404f, ed. Schreiner]).
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geradezu die „Quellader des Intellekts, die Quelle der Weisheit und den Strom der Wissenschaft“ (vena intellectus et sapientiae fons et scientiae flumen) dar, die von den Juden bis in die Gegenwart weiterhin in Ehrfurcht verehrte würden.197 Nach 4Esr 14 dagegen war es der göttlich inspirierte Esra selbst, der Schreibern die Gottesworte diktierte.198 Durch die Konnotierung der Siebzigzahl der geheimen Bücher mit der Anzahl der Weisen im Synedrium, an die spätere Denker anschlossen, rückt die Kabbala zunächst näher in den Bereich der jüdischen Rechtsgeschichte. Sollte die auf Mose zurückgeführte Geheimlehre aber in die christliche Theologie integriert werden, so musste Pico nun in einer nächsten Schrift ihren Nutzen für die christliche Seite erweisen. Dies geschieht erstens dadurch, dass ein Interesse Papst Sixtus’ IV., Vorgänger des amtierenden Innozenz VIII., an einer lateinischen Übersetzung der 70 geheimen Bücher für den öffentlichen Nutzen des christlichen Glauben vorgegeben wird, das auch schon teilweise realisiert worden sei.199 Die lateinische Übersetzung der Bücher der Hebräer bzw. Kabbalisten, so kann man indirekt daraus schließen, ist also sinnvoll. Zweitens führt Pico einen kurzen Eigenbericht an, in dem er davon berichtet, dass er selbst unter Mühen in den Besitz der 70 Bücher gelangte sei, nur um eben festzustellen, dass diese mehr über die christliche Religion als über die mosaische zu sagen hätten. Mysterien des christlichen Glaubens wie unter anderem die Trinität, die Inkarnation und Göttlichkeit des Messias, mit denen Paulus, Dionysius Areopagita, Hieronymus und Augustin übereinkämen, träten darin ebenso zu Tage, wie die philosophischen Lehren Pythagoras’ und Platons. Damit entsprachen in Picos Augen die Wahrheiten der kabbalistischen Bücher also den christlichen und ließen in den Kontroversen mit den Hebräern keinen Rückzugswinkel mehr für diese übrig. Dies verstärkt Pico schließlich drittens noch, indem er von seinem Kollegen Antonius Cronicus erzählt, der Zeuge geworden sei, dass ein in der Kabbala kundiger Hebräer namens Daktylus, möglicherweise ein jüdischer Konvertit, bei einem Gastmahl der christlichen Trinitätslehre gänzlich zugestimmt habe.200 Auf dem Weg der konzeptionellen Aneignung und gleichzeitigen Verteidigung gegenüber dem Judentum wird die Gesetzesgabe an Mose somit in Giovanni Picos Darstellung zu einer doppelten Offenbarung. Die zunächst mündliche, geheime und wahre Auslegung der mosaischen Gesetze wird zur Quelle höchster 197 Vgl. Pico della Mirandola, De hominis dignitate, 60. 62. 198 Siehe oben, Anm. 196 in diesem Kapitel zu 4Esr 14,37–47, wo von fünf Schreibern die Rede ist. Nach 4Esr 14,24 hießen die fünf Schreiber Sareja, Dabria, Selemja, Ethan und Asiel. 199 Drei der 70 Bücher seien nämlich unter Papst Sixtus IV. schon ins Lateinische übersetzt worden (vgl. Pico della Mirandola, De hominis dignitate, 62). 200 „[…] In plenum nulla est ferme de re nobis cum Hebraeis controversia, de qua ex libris Cabalistarum ita redargui convincique non possint, ut ne angulus quidem reliquus sit in quem se condant“ (aaO., 62. 64).
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Weisheit, die letztlich den später offenbarten christlichen Wahrheiten entspricht. Zwei neue aufschlussreiche Tendenzen ergeben sich dabei in der Oratio gegenüber Picos eigentlichen 900 Thesen: Auffällig ist erstens in der Oratio, dass Pico, anders als in den Conclusiones, nun nicht mehr die Erläuterungen zur Magie in ein enges Verhältnis zur Kabbala rückt. Noch mehr als in den Conclusiones wird die natürliche Magie (μαγεία), sozusagen als höchste und vollkommene Weisheit oder Naturphilosophie, mit ihrer dämonischen Abart, die nun als γοητεία bezeichnet wird, kontrastiert. Die μαγεία aber wird auf die mythische Gestalt des Zalmoxis, der durch Abaris nachgeahmt worden sei, und Zarathustra, Sohn des Oromasius, als Urheber zurückgeführt.201 Im Vordergrund steht die Erläuterung der μαγεία auf Grundlage der platonischen Philosophie und ihre Deutung von dem griechischen συμπαθεία-Gedanken her. Die natürliche Magie befasst sich damit insgesamt mit der Betrachtung (contemplatio) der tiefsten Mysterien und der Erkenntnis der gesamten Natur (totius naturae cognitio) und steht allen Weisen und Völkern offen. Auch der Gedankengang über die Magie endet aber wieder in einem Lobpreis der Schöpfung, die auf christliche Gedanken zusteuert. Zweitens, Pico nutzt die Ausdrücke prisca theologia/sapientia nicht für die mosaischen und christlichen Mysterien, sondern nur für andere uralte Weisheiten und Theologien: So verwendet er diese Ausdrücke, wenn er die prisca theologia des Hermes Trismegistos neben den Lehren der Chaldäern und Pythagoräern meint, von den uralten Theologen (prisci theologi) Pythagoras, Aglaophamos, Philolaos, Platon und den frühen Platonikern spricht oder die Bedeutung von Zarathustra und Orpheus als Väter und Begründer der uralten Weisheit bei den Chaldäern und Griechen (priscae sapientiae crediti patres et auctores) aufnimmt.202 Damit kommt es also zu einer multilinearen Tradition von mosaisch/ jüdisch-christlicher und priscae theologiae/sapientiae anderen Ursprungs, die aber gleichwohl christlichen Wahrheiten zugeordnet werden. Diese zwei Beobachtungen zeigen also, dass Picos – am deutlichsten in den Conclusiones nongentae angelegtes – Programm eines Synkretismus, nach dem alle bekannten philosophischen und theologischen Schulen und Autoren wahre und gültige Einsichten enthalten, die miteinander vereinbar sind und es deswegen verdienen, wiederaufgenommen und verteidigt zu werden,203
und das noch einmal über Ficino hinausgeht, in der Oratio zumindest tendenziell gemindert wurde. Als Grund dürfte in erster Linie die Vermittlung gegenüber dem christlichen Publikum bzw. Rom auf der Hand liegen. In der Apologia 201 Vgl. zu Picos Konzeption von Magie in der Oratio Otto, Magie, 473–480. 202 Vgl. Pico della Mirandola, De hominis dignitate, 46. 50 (Kasus im Lt. veränd., MT). 64. 203 Kristeller, Acht Philosophen, 51. Schmidt-Biggemann spricht auch noch spezifischer von einem „topischen Synkretismus“ (vgl. seine Ausführungen Schmidt-Biggemann, Kabbala, 128–130).
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schließlich verändert sich diese Vermittlungsbemühung zu einer Verteidigung gegen Vorwürfe, die selbst noch einmal zu neuen Erklärungen und Abgrenzungen führt. Obwohl Pico bis in wörtliche Formulierungen hinein in der Apologia identische Gedanken über die Kabbala, Magie und die prisca theologia/sapientiaVorstellung wie in der Oratio an den Tag legt,204 sind einige markante Veränderungen gegenüber der Oratio zu beobachten, die auch die Conclusiones nongentae in ein profilierteres Licht rücken. Dies betrifft zunächst vor allem die Frontstellungen gegenüber dem Judentum bei gleichzeitiger Verteidigung seiner These, Magie und Kabbala versicherten als Wissenschaft am besten der Göttlichkeit Christi – und den christlichen Glauben und den rechten geistig-geistlichen Schriftsinn, wie Pico nun ausführt. Dabei wird die Kabbala, anders als noch in der Oratio, auf einen anagogischen Schriftsinn (sensus anagogicus) zugespitzt, der für die Christen am effektivsten der Bekehrung von Juden diene.205 Die vier Schriftsinne entsprächen der traditionellen christlichen Bibelauslegung (Literalsinn, mystischer oder allegorischer, tropologischer und anagogischer Schriftsinn) jeweils vier der jüdisch-hebräischen Traditionen (Peschat, Midrasch, Sechel und Kabbala). Parallel dazu geht die Apologia auch noch über die Oratio und die Conclusiones hinaus, indem nun eine scharfe Abgrenzung gegenüber dem Talmud und den Talmudisten gezogen wird: Diese Lehrform bzw. „Sekte der Hebräer“ entspreche neben der der jüdischen Philosophie eben nicht der wahren, auf die Gottesoffenbarung an Mose zurückgehenden Form der Kabbala, auf die 204 „Venio nunc ad ea quae ex antiquis Hebraeorum mysterijs eruta, ad sacrosanctam & catholicam fidem confirmandam, attuli, quae ne forte ab his quib[us] sunt ignota, commentitiae nugae, aut fabulae circulatorum existiment, uolo intelligant omnes, quae & qualia sint, unde petita, quibus & quod claris authoribus confirmata, quam reposita quam diuina quam nostris hominibus, ad propugnandam religionem contra Hebraeorum importunas calumnias sint necessaria. Scribunt non modo celebres Hebraeorum doctores, sed ex nostris quoque Esdras, Hilarius, & Origines, Mosem non legem modo, quam quinque exaratam libris posteris reliquit, sed secretiorem quoque, & ueram legis enarrationem, in monte diuinitus accepisse: Praeceptum autem ei a Deo, ut legem quidem populo publicaret, legis interpretationem nec traderet literis nec inuulgaret, sed ipse Iesu Naue tantum, tum ille, alijs deinceps succedentibus sacerdotum primoribus, magna silentij religione reuelaret. & merito quidem. satis enim erat uulgaribus, & per simplicem historiam nunc Dei potentiam, nunc in improbos iram, in bonos clementiam, in omnes iustitiam agnoscere, & per diuina salutariaque praecepta, ad bene beateque uiuendum & cultum uerae religionis institui, at mysteria secretiora, & sub cortice legis rudique uerborum praetextu latitantia, altissimae diuinitatis arcana, plebi palam facere, quid erat aliud, quam dare sanctum canibus, & inter porcos spargere margaritas?“ (Pico della Mirandola, Apologia, 122). Auch wenn Pico formuliert, dass die Geheimlehren der Hebräer (Hebraeorum mysterijs) der Bekräftigung des sakrosankten katholischen Glaubens dienten und zur Verteidigung gegen die „frechen Verleumdungen der Hebräer“ (contra Hebraeorum importunas calumnias) notwendig seien, folgt er teilweise sehr genau den Formulierungen in der Oratio. 205 Vgl. aaO., 178.
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Pico sich beruft und die auch schon die Kirchenväter zu unterscheiden gewusst hätten.206 Mit dem Anliegen, die Rechtgläubigkeit seiner Thesen zu erweisen, dürfte auch zusammenhängen, dass Pico in der Apologia auf die Entfaltung einzelner jüdisch-kabbalistischer Topoi und Themen (wie z. B. zum Gottesnamen oder Sefirot) weitestgehend verzichtet, während die äußere formale Beschreibung der Kabbala beibehalten und noch erweitert wird. So bekräftigt Pico schließlich seine schon in den vorherigen Werken zu findende Beschreibung der Verschriftlichung der auf Mose zurückgeführten Kabbala, beruft sich aber nun, anders als zuvor, auch noch auf das rabbinische Werk Seder Olam (Liber saeculorum), in dem genau jene Zusammensetzung und Ordnung des Ältestenrates beschrieben sei, der in der Zeit Esras für die Abfassung der 70 kabbalistischen Bücher die Verantwortung getragen habe.207 In Picos letztem noch zu Lebzeiten gedruckten Werk, dem Genesis-Kommentar Heptaplus, wird dann noch einmal auf eine andere Schrift in Verbindung 206 Die talmudische Lehre, deren Beginn zeitlich 150 Jahre nach dem Tod Christi eingeordnet wird, sei absolut gegen die Christen (totaliter contra nos) und die Anfänge der jüdischen Philosophie werden erst in das Mittelalter mit dem ersten Philosophen Maimonides („Rabbi Moses“) verlegt. Allein die Kabbala, die auf die Gottesoffenbarung und Mose zurückgeführt wird, wird mit der alten Tradition (antiqua traditio) identifiziert, die Pico selbst in den Conclusiones nongentae zur Bekräftigung des christlichen Glaubens gegen die Hebräer genutzt habe: „[E]st enim omnis schola Hebraeorum in tres sectas diuisa: in philosophos, in Cabalistas & in Talmuticos. Talmuticos allegari ab antiquis doctoribus nostris, non est credendum, tum quia Clemens & multi alij, qui Hebraeos allegant, fuerint ante compositionem ipsius Talmut, quae fuit post Christi mortem, plus quam per 150. annos, tum quia doctrina Talmutica est totaliter contra nos, conficta ab ipsis Hebraeis iam contra Christianos pugnantibus, quare illi doctrinae talem honorem non detulissent nostri, ut tunc maxime aliquid dictum ab eis firmum putarent, cum Iudaeorum testimonio corroboratur. Philosophos pariter certum est eos non allegare, quia & isti qui, scilicet secundum philosophiam exponere ceperunt Bibliam ceperunt, a modico tempore. Primus enim fuit Rabbi Moyses de Aegypto, quo adhuc uiuente floruit Auerrois Cordubensis. nondum autem fluxerunt trecenti anni a morte Auerrois. Relinquitur ergo, ut haec Hebraeorum doctrina, cui doctores Catholici ex Hieronymi testimonio tantum deferunt, & quam adeo approbant, sit illa, quam ipsimet nostri doctores fatentur, & credunt a Deo Moysi, & a Moyse per successionem alijs sapientibus fuisse reuelatum, & est illa quae ex hoc modo tradendi, dicitur Cabala, quam saepe etiam uideo a nostris authoribus, hoc modo designari, dicendo: Vt dicit antiqua traditio. Haec est prima & uera Cabala, de qua credo me primum apud Latinos explicitam fecisse mentionem, & est illa, qua ego utor in meis conclusionibus, quas cum expresse ponam contra Hebraeos, ad confirmationem fidei nostrae […]“ (aaO., 180). 207 „Statuit ergo Esdras, ut scriberentur adhibitis adhoc specialiter notarijs, & quia erant 70. seniores siue consiliarij, inter quos erat haec doctrina, iussit ut redigerentur omnia illa secreta in 70. uolumina principalia, quae tamen deinde, etiam non nisi sapientibus communicarentur. […] Habetur autem de isto Concilio, in quo fuerunt scripti isti libri mentio lata & diffusa, apud Hebraeos in libro qui dicitur Sederolam, id est Liber saeculorum, ubi habetur qui sederunt in concilio, & denique totius concilij gesta & ordo“ (aaO., 177f). Dieser Aspekt wird in den Untersuchungen zur Kabbala bei Pico von Black, Pico’s Heptaplus; Schmidt-Biggemann, Kabbala, Bd. 1, 2. Kap. und auch von Euler, Theologie und Religion, 99ff nicht mehr erfasst.
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mit einer geheimen (esoterischen) Bedeutung des mosaischen Gesetzes verwiesen, die Sapientia Salomonis. Mit diesem Titel bezieht Pico sich allerdings nicht auf die apokryphe biblische Schrift der Weisheit Salomons, die nach der LXXÜberlieferung in den römisch-katholischen Kanon aufgenommen wurde und die Pico mit der Autorschaft Philos von Alexandrien zu verbinden scheint, sondern auf ein Buch, das Jerusalemer Weisheit (Sapientia hierosolyma) genannt werde und in einer geheimen Sprache verfasst worden sei. In diesem Buch gestehe ein Mann, der selbst für einen Deuter natürlicher Erscheinungen gehalten wird, er habe seine gesamte Lehre aus dem Innersten des mosaischen Gesetzes erhalten (Mosaicae legis penetralibus). Pico rückt auch damit von seiner Konzeption und Verteidigung einer christlichen Kabbala, die noch Bestandteil seiner vorherigen Werke bis zu seiner Apologia gewesen war, ab. In dem gesamten Spätwerk Heptaplus wird der Begriff Kabbala genauso wie der der Magie sogar vermieden. Zudem werden die Bezüge zu jüdisch-kabbalistischen Auslegungsmethoden, die Pico noch in seinen Conclusiones nongentae angeführt hatte, nun nicht mehr expliziert.208 Will man die Kontinuitäten zu Picos vorherigen Werken betonen, so könnte z. B. an die bereits angeschnittenen schöpfungstheologischen Aspekte in der programmatischen Oratio de dignitate hominis gedacht werden oder noch spezifischer an das Bild Gottes als wahrem Werkmeister (opifex) dieser Schöpfung,209 an das Verhältnis von Makrokosmos und Mikrokosmos (Mensch)210 bis hin zu einzelnen biblischen Bezügen wie die Ausdeutung des Stiftszeltes Israels, des siebenarmigen Leuchters und der Cherubim im Allerheiligsten des Stiftszeltes,211 die neben weiteren Parallelen nun im Kommentar Heptaplus wieder aufgenommen und fortgeführt werden. Picos Ausführungen im Genesiskommentar Heptaplus gewinnen dennoch einen neuen systematischen Charakter, indem hinter allem nun konsequenter als vorher eine Vier-Welten-Theorie zu Grunde gelegt wird, die an die antike Vorstellung dreier Welten (mundi), nämlich einer Engels- oder Intellektwelt, einer himmlischen und irdischen Welt, anschließt und dieser den Mikrokosmos des Menschen hinzusetzt.212 Diese Ein208 In den Genesiskommentaren der mittelalterlichen jüdisch-kabbalistischen Literatur, die Pico durch die Vermittlung und Übersetzung seines Mitarbeiters Mithridates kannte, spielten Auslegungsmethoden wie die Exegese nach den Sefirot, der Gematria oder der Ars combinandi eine prominente Rolle. Pico hatte diese in seine Conclusiones nongentae noch aufgenommen. Lediglich im abschließenden Kapitel des Kommentars Heptaplus zum ersten Wort der Bibel בראשיתbezieht sich Pico auf die Ars combinandi, aber auch hier wird nichts von der Kabbala bzw. einer kabbalistischen Auslegungsmethode erwähnt (vgl. genauer die Ausführungen bei Black, Pico’s Heptaplus, 140–144). 209 Vgl. Pico della Mirandola, Heptaplus, 192 („omnipotens Deus opifex“). 242. 250 mit ders., De hominis dignitate, 4 („optimus opifex“). 10. 12. 56. 210 Vgl. Pico della Mirandola, Heptaplus, 184f. 192 mit ders., De hominis dignitate, 4ff. 211 Vgl. Pico della Mirandola, Heptaplus, 186 mit ders., De hominis dignitate, 20ff. 212 In die Unterscheidung der vier Welten führt das zweite Proömium von Heptaplus aus-
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teilung der vier Welten gibt die Struktur von Heptaplus zusammen mit der Orientierung an dem Sechstagewerk und der Sabbatruhe der Genesis vor. Vorausgesetzt wird bei alldem, dass sich hinter dem Literalsinn dieses Bibeltextes tiefere Bedeutungen verbergen, die die jeweilige Natur dieser vier Welten betreffen. Pico geht es dabei vor allem um eine Orientierung an den Figuren (figurae) und dem allegorischen Sinn (allegoricus sensus) des ersten biblischen Schöpfungsberichtes213 – und nicht am anagogischen Schriftsinn, wie man vielleicht noch infolge seiner Ausführungen in der Apologia vermuten könnte. Die besondere Erleuchtung der Gottesoffenbarung, die an Mose erging und von diesem niedergeschrieben wurde, kann und soll damit im Text der Genesis als Abbild der (gesamten) Welt (imago mundi) wahrgenommen werden, die Deutungen auf alle vier Welten (oder Weltteile) ermöglicht: Wenn wir folglich von diesen vier Welten ausgehen, ist es glaubhaft, dass Mose, wenn er über die Welt erschöpfend zu sprechen beabsichtigte, über alle diese gesprochen haben sollte. Und weil ein Schriftsteller die Natur formt, wenn er ein Kundiger der Natur ist – was wir von diesem Unsrigen eher als von irgendeinem anderen meinen – ist es glaubhaft, dass die Lehre über jene [Welten] nicht anders eingerichtet wurde als der allmächtige Werkmeister Gott jene [Welten] in sich selbst eingerichtet hat, so dass wahrlich diese Schrift Moses ein Abbild der Welt darstellt. Gleichfalls lesen wir auch, dass ihm auf dem Berg, wo ihm dies gelehrt wurde, befohlen wurde, dass er alles nach dem Vorbild gestalten solle, das er auf dem Berg gesehen hatte.214
Damit rückt ein anderer Aspekt der mosaischen Gesetzesgabe im Kommentar Heptaplus in den Mittelpunkt als in Picos vorherigen Werken. Von Interesse ist nicht mehr so sehr eine mosaische Geheimlehre, die neben dem Bibeltext seit der Gesetzesgabe tradiert wurde. Zwar übernimmt Pico, abgesehen von den Überlegungen zum Liber Sapientiae, wieder Vorstellungen von der prisca sapientia Moses, die ihn an den Anfang der Philosophie stellen. Der Aspekt der mündlichen mosaischen Tradition, auf der vorher noch die Konzeption der Kabbala beruhte, tritt nun aber in den Hintergrund und die tieferen Bedeutungen der auf Mose zurückgehenden Überlieferung werden in den Text selbst verlagert. Desführlich ein, vgl. hier bes. Pico della Mirandola, Heptaplus, 184–194. Bereits in der Oratio de dignitate hominis spricht Pico von einer Dreiteilung der Schöpfung in obere, mittlere und untere Ordnungen („omnia summis, mediis, infimisque ordinibus fuerant distributa“) und schließt dann seine Ausführungen über den Mikrokosmos des Menschen daran an (ders., De hominis dignitate, 4). 213 Vgl. Pico della Mirandola, Heptaplus, 192. 214 „Quattuor igitur hos mundos si statuamus, credibile est Mosem, dicturum de mundo sufficienter, de his omnibus disseruisse, et cum naturam sciptor effigiet, si sit naturae consultus, qualem hunc nostrum si quem alium credimus, credibile doctrinam de illis non aliter dispositam, quam in se ipsis illos omnipotens Deus opifex disposuit, ut sit vere sciptura haec Moseos imago mundi expressa, quemadmodum legimus etiam ei praeceptum in monte ubi haec didicit, ut omnia faceret secundum exemplar quod in monte viderat“ (aaO., 192. 194).
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wegen liegt Pico so sehr am folgenden Argument: Wenn die Lektüre von Mose als gewöhnlich und roh (vulgaris, rudis) abgetan würde, müsste ebenso auch mit den verehrten alten Philosophen wie Pythagoras, Origenes, Plotin, Herennius oder Platon verfahren werden, die ihre Lehren ebenfalls in einfachen Darstellungsformen und Mysterien (mysteria) verborgen hielten und vermittelten.215 Gleiches gelte auch für die Lehre in der Kirche, wie etwa Jesus selbst, die Evangelisten Matthäus und Johannes, der Apostel Paulus und Dionysius Areopagita demonstrierten.216 Unter diesen alten Weisen und in der Reihe der prisci theologi und antiqui philosophi nimmt Mose einen hervorragenden Platz ein. So findet Pico in Euseb von Caesareas Praeparatio Evangelica Belege dafür, dass die Lehren Platons wie auch Pythagoras’ von Mose abhängig seien. Mose selbst sei nach dem Evangelisten Lukas (Apg 7,22) und Philo von Alexandrien in der gesamten Lehre der Ägypter unterwiesen gewesen, was auch für die großen griechischen Lehrer wie Pythagoras, Platon, Empedokles und Demokrit gelte: Das Alter der mosaischen und ägyptischen Lehren und ihre Ursprünge lässt Pico allerdings ungeklärt. Auch geht es ihm im Weiteren nicht darum, sich an den antiken und mittelalterlichen Autoren zu orientieren, die sich schon von jeher mit Moses Schrift befasst hatten,217 sondern eine Art Pionierarbeit mit der neu angelegten Textinterpretation zu erreichen, durch die Mose als Archetyp in der Nachahmung und Darstellung der gesamten Natur erwiesen wird.218 Dass Mose dabei nicht mehr nur als Gesetzgeber (legis lator),219 Prophet220 und Schriftsteller begriffen wird, sondern eben auch als archetypischer Imitator der Natur, hat wiederum Auswirkungen auf Picos Gesetzesbegriff. Genau genommen beginnt die Geschichte des göttlichen Gesetzes für Pico nicht mit der Gesetzesgabe am Sinai, sondern mit jenem alten Gesetz, das seine Wurzeln und Grundlage im Abrahambund und der Beschneidung hat.221 Abraham wird damit zum Stifter der vera religio, der sich vom Naturgesetz löste, über 215 Vgl. aaO., 172. 174. 216 Vgl. aaO., 174. 176. 217 Das gesamte Werk zeigt sehr wohl, wie sehr Pico sich an außerbiblischen Quellen und eben nicht nur dem Bibeltext an sich konzentriert. Vgl. so auch Euler, Theologie und Religion, 161, der noch mehr betont, Pico verliere im Kommentar Heptaplus „über weite Passagen hinweg den alttestamentlichen Text aus dem Blick“. 218 „In quo illius, qui de hac materia, idest de mundi creatione, absolutissime ad naturae ipsius aemulationem sit scripturus, ideam pingentes, conabimur tum in sequentibus re comprobare Prophetam nostrum [sc. Mosem] ab illa nihil quasi archetypo decidisse“ (Pico della Mirandola, Heptaplus, 182). 219 Vgl. aaO., 198. 220 Dies ist in Picos Heptaplus die gängigste Bezeichnung (häufig auch: „noster Propheta“), die für Mose gewählt wird (vgl. aaO., 170. 182. 196. 198. 220. 224. 236. 266. 272. 274. 286. 290. 298. 310. 312. 318. 326 u. ö.). 221 „Accipiendum igitur legis principium ab Abraam, cui datum foedus circumcisionis, totius antiquae legis radix et firmamentum […]“ (aaO., 354).
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das göttliche Gesetz nachsann und für die Verehrung des Ein-Gott-Glaubens eintrat.222 In Periodisierung der biblischen Geschichte, die an eine Weissagung Elias’ nach dem Talmud anschließt,223 markiert Abraham deswegen auch einen wichtigen Einschnitt. Mit ihm beginnt nach 2000 Jahren Leere die 2000–jährige Zeit des Gesetzes, die schließlich durch die messianische Zeit abgelöst wird. Trotz der Bedeutung Abrahams bleibt in Picos Kommentar Heptaplus doch Mose mit seinem Schrifttum der prophetische Offenbarungsmittler, der nur noch durch Christus selbst überboten wird. Nur an ihn erging das Gesetz, das selbst durch Gottes Geist geschrieben und Mose durch Engel übergeben wurde; und nur durch ihn wird das gesamtkosmische Abbild (imago mundi nach Ex 25,40) in jenen fünf Gesetzesbüchern überliefert, die in sich alles menschliche und göttliche Wissen um die Künste und Weisheit enthielten, wie Pico zeigen will.224 Ohne dass es zu einer eigentlichen systematischen Gesetzeslehre kommt, ergibt sich im Ganzen ein mehrdimensionaler Begriff des mosaischen Gesetzes, weil in Moses Gesetzesbüchern zugleich die weisheitliche Grundordnung der Welt (sapientia) und die rechte Lebensweise (pietas) zusammenfallen und im mosaischen Text verborgen liegen. Trotz gewisser Uneindeutigkeiten zum natürlichen Gesetz im Kommentar Heptaplus225 steht hinter allem doch die Vorstellung einer kosmischen Einheit (unitas) und Liebesordnung Gottes in der vielfältigen Schöpfung,226 die sich im göttlichen Gesetz widerspiegelt. Folglich wird dann auch kein Bruch zwischen dem alten (mosaischen) Gesetz und Christus bzw. dem Gesetz 222 „Abraam scilicet ille sapientissimus, fundator primus verae religionis, primus qui et naturae legem absolveret et de divina lege meditaretur, primus qui cultum unius Dei adversus idola et gentes hominibus persuaderet […]“ (aaO., 342). 223 Vgl. die Abschnitte der Talmudtraktate Aboda zara 9a; Sanhedrin 97a mit Zohar I, 25a (aaO., 352 mit Anm. 1). 224 Vgl. aaO., 248. 342 mit der Formulierung aus der abschließenden Expositio primae dictionis, idest „in principio“: „Firma est sententia omnium veterum, quam ut indubiam uno ore confirmant, omnium artium, omnis sapientiae et divinae et humanae, integram cognitionem in quinque libris mosaicae legis includi; dissimulatam autem et occultatam in litteris ipsis quibus dictiones legis contextae sunt […]“ (aaO., 374). 225 So wird einerseits veranschlagt, dass das Naturgesetz (im Fall Abrahams) durch das göttliche Gesetz abgelöst wurde (vgl. aaO., 342), auf der anderen Seite formuliert Pico aber auch, dass das göttliche Gesetz „auf die Tafeln der Natur“ (naturae tabulis) geschrieben worden sei, was die Dekalogtafeln meinen dürfte (vgl. aaO., 310). Hier wäre also gerade keine Form von Ablösung des Naturgesetzes zu verstehen. Insgesamt bleibt somit das Verhältnis von natürlichem und göttlichem Gesetz in dem Werk Heptaplus wenig ausdifferenziert. 226 Zur Verbindung der Vorstellung der kosmischen Einheit in Vielheit und der Ordnung universaler Liebe mit der Trinität Gottes vgl. bes. aaO., 308. 310. 382. Euler, Theologie und Religion, 165f spricht explizit von der Vorstellung einer den gesamten Kosmos durchströmenden Harmonie und deutet Picos unitas-Begriff auf den συμπαθεία-Gedanken hin, den Pico in der Oratio de hominis dignitate mit der natürlichen Magie verbunden hatte. Allerdings findet sich der Ausdruck Harmonie (harmonia) so nicht im Werk Heptaplus und Pico meidet ebenfalls den Begriff der συμπαθεία, was wiederum für einen Abstand von der vorherigen Lehre einer natürlichen Magie sprechen würde.
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Christi gesehen, sondern vor allem die Vollendung des Gesetzes in Christus betont. Solches gilt auch für die Gebote (praecepta) und Zugeständnisse Moses, die noch zeitlich bedingt am Zustand des Volkes der Hebräer ausgerichtet waren. In der insgesamt immer wiederkehrenden Lichtmetaphorik und der allegorischen Deutung des Himmelsgewölbes (firmamentum) auf das Gesetz (lex) hin wird das Verhältnis von mosaischem Gesetz zu Christus besonders greifbar: Das Himmelsgewölbe […] bildet das Gesetz (lex). Und das Himmelsgewölbe war auf eine Weise unförmig, so auch einfach nicht vollendet, solange bis es mit der Sonne, dem Mond und Sternen ausgestattet wurde, wie auch das Gesetz wirklich nicht schlecht war (wie die Manichäer sagen), aber auch einfach nicht gut war – das heißt vollendet – bis zum Kommen Christi, der es erfüllt hat. Wenn das Himmelsgewölbe schlecht gewesen wäre, hätte es nicht die Sonne aufgenommen, wenn es gut gewesen wäre, hätte es der Sonne nicht bedurft. Aber das Himmelsgewölbe war insofern gut, als es empfänglich war für die Sonne und die anderen Gestirne. Gleichsam war auch insofern das Gesetz gut als es uns ein Erzieher in Christus war, und vieles erlaubte Mose ob der Härte des Volkes, was das Evangelium später nicht erlaubte.227
Pico betont damit mehr die Kontinuität zwischen altem und neuem Gesetz als die Auflösung des alten mosaischen Gesetzes. Mit dem Bild von Christus als Sonne werden an anderer Stelle aber auch schroff die messianischen Frontstellungen gegenüber den konvergierenden jüdischen Auslegungen markiert. Das Gesetz selbst wird als der besondere Identitätsmarker der „Hebräer“ beschrieben, zugleich aber auch der Glaube an Christus bereits in die Geschichte der Erzväter Israels zurückverfolgt. Picos Aufwertung des mosaischen Gesetzes erfolgt damit insgesamt parallel zu der stetigen Bezugnahme auf den christlichen Glauben. Zusammenfassend sind damit die Entwicklungstendenzen in Picos Denken über Mose und die mosaischen Gesetze angezeigt, die auch seine Konzeption der christlichen Kabbala betreffen. Diese wird in seinem letzten zu Lebzeiten gedruckten Werk Heptaplus nicht mehr erwähnt. Pico bleibt im Rahmen der Vorstellung zur prisca theologia/sapientia, auch wenn das geistig-weisheitliche Verständnis von Moses Gesetz sich wieder mehr dem Geschriebenen zuwendet. Wilhelm Schmidt-Biggemann hat darauf verwiesen, dass dabei auch zum Teil noch kabbalistische Auslegungsmethoden verwendet, diese jedoch nicht mehr
227 „Firmamentum […] legem figurat. Et erat firmamentum uti informe, ita neque perfectum simpliciter, donec sole, luna ac stellis fuit instructum; quemadmodum neque lex non quidem mala (ut dicunt Manichaei), sed neque bona erat simpliciter, id est perfecta, donec Christus venit, qui legem implevit. Si malum fuisset firmamentum, solem non recepisset; si fuisset bonum, sole non eguisset. Sed firmamentum eatenus bonum, quatenus solis ceterorumque siderum erat capax, sicut eatenus bona erat lex quatenus pedagogus nobis erat in Christo, et multa permisit Moses ob duritiam populi, quae Evangelium postea non permisit“ (Pico della Mirandola, Heptaplus, 370).
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als solche benannt werden.228 Ausschlaggebend dürfte gewesen sein, dass Picos Verteidigung einer dem christlichen Glauben dienenden Kabbala in der Apologia kein Erfolg beschert war, sondern sie vielmehr zur Verurteilung seiner gesamten 900 Thesen, zum Kirchenbann und zur Flucht führten. Auch Änderungen wie der Verzicht auf die Themen Kabbala und Magie im Kommentar Heptaplus erreichten aber letztlich keine vollständige Rehabilitierung Picos unter Papst Innozenz VIII. mehr. Erst 1493, kurz vor Picos Tod im Jahr 1494, bestätigte der neue Papst Alexander VI. wiederum die Rechtgläubigkeit Picos und hob die bestehenden Verurteilungen gegen ihn wieder auf. Auch in seinen letzten Lebensjahren blieb Pico in Kontakt mit dem dominikanischen Bußprediger Girolamo Savonarola, zu dessen Kreis von Gelehrten sich Pico selbst zählte. Glaubt man der Darstellung von Giovanni Picos Neffen, Gianfrancesco Pico della Mirandola, der posthum dessen Werke herausgab, so starb sein Onkel im Schoß der katholischen Kirche. Dafür spricht auch, dass Savonarola selbst Pico im Dominikanerkloster San Marco beerdigte. Allerdings ist in biographischer Hinsicht ansonsten nicht sehr viel über Giovanni Picos letzte Lebensjahre bekannt. Seine geplante Disputation und Apologie von 900 Thesen reichte jedenfalls aus, dass in den Anfängen der Reformation in Wittenberg Andreas Bodenstein von Karlstadt auf die 13 Thesen Giovanni Picos, die von Papst Innozenz VIII. für häretisch erklärt wurden, zurückgriff, um dies gegen die römisch-katholische Seite zu wenden.229 Nach der Rückkehr von einer Romreise hielt Karlstadt demnach im Jahr 1516 in einem Kolleg eine Disputation über die 13 Thesen Picos ab. Eine überarbeitete Mitschrift dieser Disputation trägt den Titel „Thesen Johannes Picos, Grafen zu Mirandola, welche scholastische Theologen und Sophisten zu Unrecht und ohne Kenntnis verurteilten, aber jener in der Apologia trefflich verteidigt hat.“ Einem Brief Karlstadts an den großen deutschen Hebraisten Johannes Reuchlin ist zu entnehmen, wie angetan Karlstadt von Giovanni Picos Konzeption der christlichen Kabbala war und diese neben Reuchlins eigene kabbalistische Lehren stellte. Es war vor allem Johannes Reuchlin selbst, der maßgeblich für die Verbreitung der Lehren über eine christliche Kabbala nördlich der Alpen sorgte. In seiner Beschreibung, wie die mündliche Gesetzeslehre von Mose in der Zeit Esras in 70 geheimen Bücher von 70 Weisen niedergeschrieben wurden, bis hin zur Identifizierung dieser Geheimlehre mit der vena intellectus et sapientiae fons
228 Vgl. Schmidt-Biggemann, Kabbala, Bd. 1, 82f mit Anm. 41 ergänzt Black, Pico’s Heptaplus, 140–144. 229 Vgl. die vorläufige Fassung Bubenheimer, Einleitung; mittlerweile sind die 13 Thesen auch in einer im Erscheinen befindlichen Karlstadt-Gesamtausgabe ediert worden: Vgl. Bodenstein von Karlstadt, 13 Conclusiones Giovanni Picos della Mirandola [1516, Sommersemester], KGK I,1 Nr. 26 (365)370–372.
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et scientiae flumen folgt Reuchlin Pico detailliert und benennt ihn als Vorbild.230 Abgesehen von Reuchlins grundlegender Bedeutung für die frühneuzeitliche Hebräischlehre nördlich der Alpen ist ihm auch die Verbreitung der Vorstellung einer christlichen Kabbala wesentlich auf ihn zurückzuführen (wichtigste Schrift: De arte Cabalistica, 1517).231 Ein weiterer Vertreter, der in besonders umfangreicher Weise Inspiration in den Werken Picos fand, war Paulus Ricius (gest. 1541).232 Ausgehend von Picos Vorstellung einer christlichen Kabbala griff Ricius auch in seiner Gesetzeslehre wieder auf kabbalistische Argumentationen zurück, um sich zugleich von den jüdischen Auslegungen und der Gesetzeslehre des großen jüdischen Gelehrten des Mittelalters Maimonides abzugrenzen. In einer Unterscheidung von unveränderlicher Substanz und veränderlichen Abbildungen (figurae) des Gesetzes, bei der der Dekalog als der eigentliche unveränderliche Teil des mosaischen Gesetzes, der mit dem Naturgesetz übereinstimmt, verbleibt, scheint er zunächst ganz in den Bahnen Thomas von Aquins und Marsilio Ficinos zu argumentieren. Ricius geht aber zugleich einen Schritt weiter, wenn er formuliert, dass das mosaische Gesetz selbst weiterhin Geltung besitze, in der Form, dass es mit Christi Kommen nicht abgeschafft, sondern verändert sei. Ricius versteht damit die Verkündigung Christi nicht mehr als lex nova, als ein neues Gesetz, wie es Thomas oder Ficino taten, sondern als eine Änderung in der Reichweite des mosaischen Gesetzes bzw. der Thora, die selbst die einzige schriftliche Gesetzesverkündigung darstellt, die von Gott ausgegangen ist.233 Mit Johannes Reuchlin, Andreas Bodenstein von Karlstadt und Paulus Ricius seien wenigstens drei christliche Denker genannt, die die weitere Rezeption der Konzeption einer
230 Die Ausführungen finden sich u. a. in seinem bekannten Rechtsgutachten im Judenbücherstreit zur Frage, ob Bücher von Juden eingezogen und vernichtet werden dürften. Reuchlin differenziert hier sieben Literaturgattungen jüdischer Bücher. Eine davon betrifft die Kabbala. Auch bei der Behandlung des jüdischen Talmuds greift Reuchlin auf Giovanni Pico della Mirandolas Erläuterungen zurück (vgl. Reuchlin, Gutachten, 36–40). Zum sog. „Judenbücher-Streit“ vgl. ausführlich O’Callaghan, Preservation of Jewish Religious Books, 49–69 u. die Beiträge in: Lorenz/Mertens/Seck, Johannes Reuchlin u. Price, Campaign. 231 Die Bedeutung Reuchlins ist schon herausgestellt worden von Geiger, Johann Reuchlin und Brod, Johannes Reuchlin und sein Kampf. Reuchlins Verhältnis zum Judentum ist aufgearbeitet in Herzig, Reuchlin und die Juden. 232 So das Urteil von Bernd Roling, Kabbalah im Werk des Paulus Ritius, 17: „Giovanni Pico della Mirandola wird zum wesentlichen Bezugspunkt der Arbeiten Riccis. Als Protagonist der Cabala christiana, als Vertreter eines philosophischen Synkretismus, der aristotelische und platonische und christliche und pagana Strömungen zu einer neuen Lehre zu vereinigen versucht, und als Fürsprecher einer Versöhnung der Religionen liefert Pico in fast allen Fragen, die Ricci in seinem Leben beschäftigt haben, eine Vorlage.“ Vgl. aaO., 1–10. 543–547 auch die biographischen Informationen und abschließenden Betrachtungen in der ansonsten sehr ergiebigen Studie Rolings. 233 Vgl. aaO., 252f.
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christlichen Kabbala Picos im 16. Jahrhundert andeuten sollen. Sie wird uns auch in den folgenden Kapiteln noch begleiten. Am Anfang dieses Abschnitts standen Thesen Alison Browns und John Pococks, die beide die Bedeutung hervorgehoben haben, die Mose in politischer Hinsicht im Renaissance-Humanismus Florenz’ von Savonarola bis Machiavelli gespielt hatte. Nunmehr rückblickend kann gesagt werden: Savonarola und Machiavelli gebrauchten wahrscheinlich überhaupt erst die Gestalt des Mose in politischer Hinsicht, weil Diskussionen unter Humanisten über Mose und die mosaischen Gesetze bereits im vollen Gange waren. Angeregt von den Vorstellungen der prisca theologia/sapientia tritt durch Marsilio Ficino in dieser Hinsicht die altägyptische Gestalt des Hermes Trismegistos neben Mose und mit Pico della Mirandola beginnt die Auseinandersetzung unter christlichen Gelehrten über eine mündliche Tradition der Gesetze des Mose, die christliche Kabbala. Diese zwei Sachverhalte finden auch immer wieder Erörterung in den Schriften, die das Vorbild der mosaischen Gesetzgebung in der Frühen Neuzeit zum Thema haben.
2.
Debatten über die Geltung und politische Relevanz der mosaischen Gesetze in der Reformationszeit
Die Reformationszeit kann als ein Einschnitt in der Geschichte von Recht und Religion gelten.1 Die Debatten über die politische Relevanz der mosaischen Gesetze in der Frühen Neuzeit sind ein wesentlicher Teil davon.2 Sie tragen ebenso zur Ausdifferenzierung verschiedener reformatorischer Bewegungen bei wie sie die dahinterstehenden Theologien beeinflussen. Die Frage nach der politischen Relevanz der Gesetze Moses erlaubt im Folgenden die Konzentration auf die rechtlichen Geltungsfragen für den weltlich-zivilen Bereich zu richten, so dass nicht die theologischen Gesetzeslehren im Ganzen berücksichtigt werden. In diesem Kapitel wird auch keine umfassende Darstellung der Lehren vom mosaischen Gesetz in der Reformationszeit geboten. Vielmehr werden knapp die wichtigsten Positionen und die wirkungsreichsten Kontroversen in dieser Sache vorgestellt. Folgende Fragen sind dann von besonderem Interesse: Wie wurde das mosaische Recht ins Verhältnis zu anderen außerbiblischen Rechtsquellen gesetzt? Gaben die Reformatoren dem mosaischen Recht gegenüber anderen zivilen Rechtsquellen einen Vorrang oder war das Gegenteil der Fall? In welchen Fällen kam es zu einer Aufwertung der mosaischen Gesetze und wurde dadurch die mosaische Gesetzgebung als Rechtsvorbild gedeutet? Das Kapitel orientiert sich an den Städten, von denen die größten Wirkungen der Reformation aus1 Vgl. Berman, Law and Revolution II, bes. 5–10 und die Arbeiten von Bermans Schüler Witte Jr., God’s Joust, 38–41; ders., Reformation of Rights; ders., Law and Protestantism. Aktuelle Debatten in der Forschung über die rechtlichen Kulturwirkungen der Reformation fasst der Sammelband von Strohm, Reformation und Recht, gut zusammen. Einen kurzen zusätzlichen Überblick für die frühneuzeitlichen Entwicklungen im katholischen Bereich bieten Decock/ Birr, Recht und Moral in der Scholastik. 2 Es muss an dieser Stelle nicht ausführlich darauf eingegangen werden, dass natürlich die Debatte zur Geltung der mosaischen Gesetze seit den frühen Christus-Anhängern Bestandteil der Kirchengeschichte ist und schließlich auch ihren Anteil in der Loslösung der frühen Kirche vom Judentum hatte. Insofern gehört das ständige Ausloten der Extreme eines Legalismus auf der einen Seite und einer evangelischen Freiheit vom Gesetz Gottes (Antinomismus, Libertinismus) natürlich nicht erst in die Reformationszeit (vgl. Casselli, Threefold Division of the Law, 175f).
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Debatten über die Geltung und politische Relevanz der mosaischen Gesetze
gingen. Es erfolgt ein Gang von Wittenberg (Abschn. 2.2) über Zürich (2.3) bis nach Straßburg (2.4) und Genf (2.5). Berücksichtigung finden die wichtigsten Reformatoren, die Darstellung bleibt aber nicht auf sie beschränkt. Dies ist gar nicht möglich, wenn wie im Folgenden die reformatorischen Eigenarten der politischen Auffassung von den mosaischen Gesetzen herausgearbeitet werden sollen. Die Gegenpositionen müssen dann auch in den Blick kommen. Schon am Beginn der reformatorischen Auseinandersetzungen über die politische Relevanz der mosaischen Gesetze spielten radikale Umsetzungsbestrebungen, die zum Teil von spiritualistischen Tendenzen geprägt waren (2.1), eine wichtige Rolle.
2.1
Forderungen nach Umsetzung der mosaischen Gesetze und spiritualistische Deutungshorizonte als Ausgangspunkt reformatorischer Debatten
Dass sich die Positionen der führenden Köpfe der Wittenberger Reformation, Martin Luther und Philipp Melanchthon, in Fragen zur Geltung der mosaischen Gesetze vor allem in der Auseinandersetzung mit dem sog. linken Flügel der Reformation ausformen, bezeugen ihre eigenen späteren Aussagen.3 Als strittig kann in der Forschung allerdings gelten, welche Auseinandersetzungen hierbei genau entscheidend waren und in welchen Zeiträumen diese stattfanden.
2.1.1 Die sog. Zwickauer Propheten und die Wittenberger Unruhen von 1521 Nachdem gegen Luther am 30. April 1521 in der Folge des Reichstags zu Worms das Achtedikt des Kaisers ergangen war und er sich im Anschluss auf der Wartburg versteckt hielt, nahmen in Wittenberg in seiner Abwesenheit die angestrebten Kirchenreformen selbst ihren Gang. Noch im Jahr 1521 traten mit Nikolaus Storch, Markus Thomae (gen. Stübner) und Thomas Drechsel spiritualistisch gesinnte Prediger aus Zwickau („Zwickauer Propheten“) auf, die mit Vehemenz die Kindertaufe ablehnten,4 nachdem zuvor schon eine Neuordnung
3 Vgl. z. B. Luthers Aussage aus dem Jahr 1525: „Das sage ich umb der Schwermergeister willen, Denn yhr sehet und hoeret, wie sie den Mosen lesen, ziehen yhn hoch an und bringen erfuer, wie Moses das volck mit gepotten hab regirt, woellen klug seyn, woellen etwas weiters wissen denn ynn dem Euangelion begriffen ist, achten fuer klein den glauben, bringen etwas newes auff, rhuemen sich und geben fuer, es stehe ym alten Testament, woellen nach dem buchstaben des gesetzes Mose das volck regiren, als ob mans vor nie gelesen habe […]“ (WA 24, 6,16–23). 4 Offenbar war es die Wahrnehmung Melanchthons, dass sich die Einstellungen der sog. Zwi-
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der Messe initiiert worden war.5 Am 6. Februar 1522 kam es schließlich in Wittenberg zu einem kirchlichen Bildersturm. Dieser wurde noch im selben Jahr von dem Juristen und Archidiakon der Wittenberger Stadtkirche, Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt, theologisch in einer eigenen Schrift gerechtfertigt. Karlstadt argumentierte, dass Christus nach dem Neuen Testament dem Gesetz Moses keinen Abbruch getan habe, sondern es vielmehr erfüllt und seine Jünger darin unterwiesen habe.6 Neben diesem Argument sprach für die Geltung des Bilderverbotes nach Karlstadt außerdem, dass es gleich am Anfang des Dekalogs steht und sich dadurch noch einmal gegenüber den anderen Geboten auf den zwei Tafeln in seiner Bedeutung abhebe.7
2.1.2 Andreas Karlstadt: ewiges Gesetz und „figürliche Gebot“ In einem älteren umfangreicheren Forschungsbeitrag zum Thema attestierte Hayo Gerdes Luther, er habe sich in seiner Auffassung zum mosaischen Gesetz „unter allen Schwärmern“ eben in erster Linie gegen diesen Karlstadt gerichtet.8
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ckauer Propheten zur Kindertaufe untereinander auch unterschieden (vgl. MBW.R 1,120 [Nr. 204]). Vgl. im Weiteren zur Einführung der Wittenberger Stadtreformation und den Unruhen der Jahre 1521/22 Kaufmann, Geschichte, 379–392 und insgesamt zur radikalen Reformation ders., Theokratische Konzeptionen. „Wir volgen dem alten gesetze nit. ader nhemen eß nit ahn/ dan das gehort den vnchristen tzu. vnd bricht vnd verkleindt die laher Christi. Dan Christus beweyßet seyne laher aus Moise/ vnd Propheten. Vnd spricht das ehr nicht komen sey/ das gesetz tzu brechen/ sonder tzu erfullen. Ehr hat auch seyne Junger gelert/ wie das er hab mussen leben vnd leyden/ auff das die schrifften erfulth wurden/ Christus hat ouch nicht den allerkleynsten buchstaben/ ym Moyse verbrochen. Ehr hat auch keynen tzusatz/ vnd keynen abbruch dem gesetz Moysi gethan. Kürtzlich Christus hat nichts nyder gelegt/ das gott ym alten gesetz behagt hat. Christus ist im willen vnd inhalt altes gesetzes bestanden. Wer disse tzwen sprüch tzesamen fügen kann. Nemlich. Fide legem antiquamus. Fide vel gratia legem stabilimus. Der versteht Moysen Propheten/ Christum/ vnd Paulum“ (Karlstadt, Von abtuhung der Bylder, f. D[iv]–Diir). „Lieber gesell/ du sprichst/ das alte gesetz verbeutt bylder. Der wegen wiltu yhn stadt gebenn in gottis hewßern/ vnd wilt soliches verbott gering achten. Warumb sprichestu nicht auch/ das wir Vater vnd Muter nicht schuldig seyn tzu eheren/ weyl das ym alten gesetz verbotten ist? Mher todschlagk/ vnkeuscheyt/ dyeberey/ vnnd der gleychen myssetath/ seynd yn den taffeln verbotten/ darynn bylde verbotten seynd/ Vnd verbott der bylder statt oben ahn/ alß das meynste vnd groste. Verbott der vnkeuscheyt/ vnd dyeberey etc. steht vnthen ahn/ alß das mynder vnnd kleynste“ (aaO., f. Diir). „Unter allen Schwärmern, die zu seinen Lebzeiten aufgetreten sind, hat Luther sich über Schriftautorität und Gesetz Mose am gründlichsten mit Karlstadt auseinandergesetzt. […] Für Luther hatte Karlstadt schon einfach darum Gewicht, weil er der ältere und geachtete Kollege an der Universität Wittenberg und zeitweise Dekan seiner Fakultät war. Unter Luthers schwärmerischen Gegnern ist er der einzige Universitätslehrer“ (Gerdes, Luthers Streit mit den Schwärmern, 24f). Diese Einschätzungen Hayo Gerdes’ sind zwar nachzuvollziehen, aber nicht durchweg in seiner Arbeit belegt. Hinzukommen tendenziöse Passagen seiner Arbeit, die
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Gerdes’ Ausführungen legen zudem nahe, dass die Haltungen Luthers und Karlstadts zum mosaischen Gesetz früh divergieren mussten. Diese These hat für sich, dass eine Auseinandersetzung mit Karlstadt als Theologieprofessor der Wittenberger Universität, der bis dahin auch seine juristische Ausbildung abgeschlossen hatte, für Luther und auch Melanchthon von Anfang an nahegelegen hätte. Dagegen spricht jedoch, dass Luther in der Schrift, in der er alleine die Geltung der mosaischen Gesetze behandelt, nämlich in der 1525 verfassten und zwei Jahre später gedruckten Predigt Ein unterrichtung wie sich die Christen ynn Mosen sollen schicken (1527)9 Karlstadt an keiner Stelle erwähnt. Luthers Ausführungen richten sich hier ganz im Allgemeinen gegen die sog. Schwärmer („Schwermergeister“, „Rottengeister“ u. a.), die den Buchstaben des mosaischen Gesetzes aufrichten und so das Volk regieren wollten.10 In dem Werk Wider die himmlischen Propheten, von den Bildern und Sakrament, das ebenfalls aus dem Jahr 1525 stammt, grenzt sich Luther dagegen bereits in seinen einleitenden Worten namentlich gegen Karlstadt ab und entwickelt die maßgeblichen Positionen zur Frage der Fortgeltung der mosaischen Gesetze im Gegenüber zu Karlstadt.11 Luther sieht vor allem „mörderische“ Konsequenzen, die sich aus Karlstadts falschem Verständnis der mosaischen Gesetze ergäben.12 Auch für Melanchthon stand Karlstadt für die Propagierung einer an Mose ausgerichteten Rechtslehre. Melanchthons späteren Stellungnahmen machen Karlstadt sogar zum Hauptbefürworter einer Ersetzung des römischen Zivilrechts durch das mosaische Recht.13 Offensichtlich hat der Theologe und Jurist Karlstadt, der
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Karlstadt als „ehrgeizige[n] Querulanten“, dem es an „der eigentlichen Tiefe und Originalität“ im Gegenüber zu Luther fehle (vgl. ebd.), herausstreichen. WA 24, 2,30–16,6. „Die Rottengeister woellen uns Mosen auff den hals legen mit allen gepotten, das wollen wir lassen […]“ (WA 7,11–13). So heißt es gleich eingangs: „Doctor Andreas Carlstad ist von uns abgefallen, dazu unser ergester feynd worden“ (WA 18, 62,6f). Luther bezieht sich insgesamt 100 Mal namentlich auf Karlstadt in der Schrift Wider die himmlischen Propheten, dabei wird aber nicht nur sein Schriftverständnis bzw. genauer seine Auffassungen zu Gesetz und Evangelium aufgegriffen, sondern auch die Abendmahlsthematik und die Vertreibung Karlstadts aus Sachsen (vgl. aaO., 85,1ff). „Wenns nu gleych war were und ich gleuben muste, das D. Carlstad nicht mord noch auffrur ym synn hette, so mus ich doch sagen, das er eynen auffrurischen und mordischen geyst hat, wie der zu Alsted, so lange er auff dem frevel bildestu˚rmen bleybt und den unordigen poefel an sich zeucht. Ich sehe wol, das er nicht hawe noch steche, aber weyl er das mord messer tregt und nicht ablegt, so trawe ich yhm nicht, Er mocht auff zeyt und stet lauren und denne thun, was ich furchte, Das mord messer meyne ich aber den falschen synn und verstand des gesetzs Mose, der aus dem teuffel kompt, da durch der pofel erregt, frech und stoltz wird“ (aaO., 88,22–30). So in Melanchthon, Commentarii in aliquot politicos libros Aristotelis (1530), CR 16, 448: „Sed nonnulli praetexunt huic causae pietatem, negant Christiano utendum esse legibus ethnicorum. Itaque aut novas conantur ferre, aut revocant nos ad Mosaicas leges, ut Carolostadius, qui vehementissime contendebat, explosis Romanis legibus, Mosaicas recipiendas
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später in Orlamünde an der Saale Kirchenreformen umsetzte, in den entscheidenden Fragen zu den mosaischen Gesetzen für Luther und Melanchthon die falschen Antworten gegeben und dadurch einen schlechten Einfluss ausgeübt. Nun hat Ulrich Bubenheimer jedoch in seiner grundlegenden Arbeit zu Theologie und Recht bei Karlstadt darauf verwiesen, dass sich in Karlstadts eigenen Schriften keine hinreichenden Belege dafür finden ließen.14 Bubenheimer übergeht aber eine Schrift Karlstadts aus dem Jahr 1524, in der diese Thematik sehr wohl aufgenommen, wenn auch nicht vollkommen geklärt wird. In Ob man gemacht faren und des ergernüssen der schwachen verschonen soll, die Karlstadt dem Stadtschreiber Joachimstals, Bartel Bachen, widmet, wird die Geltung und Durchsetzung des Gesetzes Gottes eingehend behandelt. Karlstadts Betonung liegt hier ganz darauf, dass Gottes Gebote ohne Rücksicht auf Schwache im Glauben eingehalten werden müssten.15 In diesem Zusammenhang wird dann auch eine Systematik der mosaischen Gesetze entwickelt: Karlstadt unterscheidet zwischen raumzeitlich begrenzten und ewiglichen Gesetzen Gottes. Im Fall der nur begrenzt geltenden Gebote spricht Karlstadt auch von „figürlichen Geboten“ und es ist nicht ganz eindeutig, ob er sich damit nun im herkömmlichen Sinne auf das mosaische Zeremonialgesetz bezieht oder mehr einschließt. Der Definition „figurliche bedeüt es zu˚ gebürlicher vnnd benembter zeit“16 steht hier gegenüber, dass Karlstadt sich konkret ausschließlich auf die alttestamentlichen Kultvorschriften („den Sabbat/ vnd andere feyer vnnd fleischliche gerechtigkeiten/ als wasser bade etc.“17) bezieht. Deutlicher ist die
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esse. Verum nos sciamus praesentes leges retinendas et colendas esse.“ Vgl. ähnlich CR 12, 1051; dazu insgesamt bereits Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, 110, Anm. 18. Vgl. Bubenheimer, Consonantia, 246–250. „Also auch ist es mit dem thu˚n/ das wir alle gebot gottes/ nach unserm vermoegen thu˚n/ vnd nicht warten sollen/ biß die vnuerstendige oder schwachen nach lauffen. Denn gott hat vns ie allen das gebotten/ das wir seinen bund leren sollen/ vnd darnach thu˚n. Es steht ie geschrieben/ lernet sie/ vnd behaltet sie/ das ir dar nach thu˚t. Das thu˚n ist vns allen befolhen/ vnd ein iglicher sol das thu˚n/ das gott gebüt/ ob gleich die gantz welt an sich hielt vnnd nicht nach folgen woelt“ (Karlstadt, Ob man gemach faren, f. Aiijv). AaO., f. C[iv]. Schon in den zeitlichen Determinierungen, die in einzelnen mosaischen Geboten mit enthalten sind, wird für Karlstadt ihre begrenzte Geltung erkennbar. Dies gilt z. B. für den Festkalender, wenn der Sabbat nur auf den siebten Tag der Woche, das Jobeljahr auf einen Zeitraum von allen fünfzig Jahren fällt usw. (vgl. aaO., f. [Biiijv]–Cr). AaO., f. C[iv]. Die figürlichen Gebote entstammen für Karlstadt zwar dem Wort Gottes, sie entsprechen aber nicht seinem ewigen Willen, nur der gegebenen Situation. Ihre Einhaltung richtet sich an den Schwachen aus: „Die figürliche gebott fahen vnn verstricken nu˚r die schwachen/ vnnd von wegen der schwachen ist es gu˚t das man die figürliche gebot gehalten hat/ vnd noch helt/ als Paulus spricht. Alle ding zimen/ aber alle ding bawhen nit. Item ob du ein rechte kunst oder verstand hast/ so ist er doch nicht in allen. Auch weisest du nicht/ als du solst wissen. Weil dan veiler Juden verstand klein war/ vnd ir blindheit groß/ so waren sie vnfrey vnnd gefangen/ vnnd schuldig gottes figürliche reden zu˚ halten/ wie wol gottes meinung anders war/ denn seine rede lautten/ vnnd die schwachen des ewigen willen gottes feleten“ (ebd.).
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Zuordnung der ewigen Gesetze, denn hier führt Karlstadt die Zehn Gebote an. Diesen müsse man „ewiglich nachgehen vnnd kein zeit davorn ablassen“, während die anderen Gebote Gottes „ein zeit/ ein stedt/ oder gelegenheit erfordern“, nach denen man sich richtet.18 Auch diese – und hier liegt der besagte Impetus der Schrift, der sich biblisch vor allem am Deuteronomium orientiert – müssten aber alle Tage eingehalten werden, sofern es eben der Fall erfordert. An einem Beispiel: Der Dienst an der Armen und Bedürftigen soll zwar von jedem nach dem Gesetz Gottes versehen werden, doch gilt auch „haben wir keine dürftigen/ so ru˚get die hand“19. Karlstadt vermittelt auf diese Weise eine fortwährende Geltung der Gottesgesetze, die er an seinem fortdauernden Bund nach dem Deuteronomium festmacht, mit ihrer kasuistischen Anwendung. Dass dabei sehr wohl auch entgegen Bubenheimer an einigen Stellen die Umsetzung der mosaischen Gesetze in das gemeine Recht angedacht wird, belegt folgende Stelle: Got hat ein gemein gesetz geben/ nach welchem sich das gantz gleübig volck/ vnd ein iglich gemein/ vnd ein iglich person/ halten vnnd richten solt/ Vnd das selb gesetz/ welches gott auch einen bund nendt/ ist wol dem gantzen volck fürgesagt oder gelesen/ nicht das die gantze menge oder commun/ ein solicher todter leib sein solt/ als die blinden Juristen eynen leib der commun erdichten […]. Das aber gottes bund alle sonderliche gemeinen/ unn dazu einigliches hauß belang/ das auch kein gemeinde oder hauß still halten sol/ biß andere stet klu˚g vnnd geschefftig werden/ ist so offt/ allein jm deuteronomio/ angezeiget/ das ichs von unnoeten acht/ ein beweisung für zu˚legen.20
Melanchthons Auffassung, dass Karlstadt an einer Durchsetzung der mosaischen Gesetze im Zivilrecht gelegen war, fände in solchen Äußerungen Anhaltspunkte. Auffällig ist auf Seiten von Karlstadt die Kontinuität zum alttestamentlichen Bund, die er mehrfach in seiner Schrift betont. Jedoch fehlen eingehende theologische Explikationen hierzu genauso wie eine ausführliche Entfaltung der Gesetzessystematik entlang des Bibeltextes.21 Welche allgemeinen Schlüsse lässt damit das bisher Gesagte bereits zu? 18 19 20 21
Ebd. AaO., f. C[ir]. AaO., f. Bijr–v. Karlstadt beschreibt vor allem in anthropologischen Kategorien, wonach sich die rechte Gesetzesanwendung zu richten habe. Ein „ewig vnnd vnuerrücklich gedechtnüs“ des Gotteswortes und seiner Geschichte spielt dabei genauso eine Rolle wie die „weißheit unn verstand“, die dem der Tat vorausgeht (vgl. aaO., f. Biijv–[Biiijr]. Hierbei ist ein Hang zum Intellektualismus unverkennbar: „Unn gott hat seinen bund/ der unser weißheit unn verstand inhelt/ vns der halben fürgelegt/ dz wir/ in allen vnsern wercken thu˚n vnnd lassen/ klüglich vnd verstendiglich wirckten/ lebten vnnd richten. Denn gott wil in allen stucken verstendige knechte haben/ die wissen/ was sie thu˚nd oder lassen/ warumb sie es thu˚nd oder lassen/ wem zu˚ eeren (aaO., f. Biijv). Ob auch in der Schrift Ob man gemacht faren ein Einfluss der Mystik in Formulierungen über die Offenbarung der göttlichen Weisheit und das „verstendig werden/ vernym durch die gelassenheit“ (aaO., f. [Biiijv]) zu deuten ist, muss offen bleiben, da die Belege insgesamt zu wenig konkret sind.
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Mit Karlstadt kam ein wichtiger Mitverfechter der Wittenberger Reformation, selbst Theologe und einflussreicher Jurist an der dortigen Universität, zu einer anderen Systematik der mosaischen Gesetze, mit der vor allem an deren Fortgeltung festgehalten werden sollte. Diese Unterschiede hatten sich bereits früh 1521/22 in den Wittenberger Unruhen und in dem Bildersturm, der von Karlstadt theologisch untermauert wurde, angekündigt.
2.1.3 Jakob Strauß, Wolfgang Stein und die Frage nach der Geltung der mosaischen Judizialgesetze Anteil an den Wittenberger Auseinandersetzungen über die Geltung der mosaischen Gesetze hatte auch der aus Basel stammende Prediger und Doktor der Theologie Jakob Strauß (ca. 1480/85–1527/32).22 Strauß hatte sich in den Jahren 1521/22 in Hall in Tirol gegen die kirchliche Messlehre und Frömmigkeitspraxis gewandt und das Abendmahl unter beiderlei Gestalt gefordert. Dies stieß sowohl beim Volk als auch beim Haller Rat auf Zustimmung, rief jedoch zugleich ein Vorgehen des Bischofs von Brixen und der politischen Führung Innsbrucks gegen ihn hervor. Noch im Jahr 1522 gelangte Strauß über Umwege nach Wittenberg. Dass „der Geistverwandte Karlstadt“ auf Strauß „besondern Eindruck gemacht zu haben“ scheint,23 lässt sich allerdings an den Quellen, soweit ich sehe, nicht belegen. Am Jahresende nahm Strauß eine Predigerstelle in Eisenach an. Seine reformatorischen Wirkungen sind vor allem hier, nämlich im Kontext der von Eisenach ausgehenden Kirchenreformen, zu verorten.24 Gustav Bossert zufolge aber habe sich Strauß dann dadurch hervorgetan, dass er zusammen mit dem Weimarer Hofprediger Wolfgang Stein in Weimar versucht haben soll, die „gesamte gesellschaftliche Ordnung umzugestalten“ durch die Wiederherstellung des mosaischen Rechts.25 Die Hinweise des Briefverkehrs lassen dagegen einen anderen Rückschluss zu: In den Positionen von Strauß und dem Hofprediger Stein wurden zwei unterschiedliche Fragen zur Geltung der mosaischen Gesetze unabhängig voneinander an Luther herangetragen, ein Bemühen von beiden zusammen zur Wiederherstellung des mosaischen Rechts in Weimar wird dagegen nicht erkennbar.26 Jakob Strauß’ Position betraf das Problem des Wu22 Vgl. zu den folgenden biographischen Angaben Bossert, Art. Strauß; Buckwalter, Art. Strauß u. ausf. Barge, Jakob Strauß. 23 Bossert, Art. Strauß, 537. 24 Vgl. Buckwalter, Art. Strauß, 247. 25 Vgl. Bossert, Art. Strauß, 537. 26 Ein Indiz dafür, dass Wolfgang Stein mit der Auseinandersetzung zwischen Luther und Strauß diesbezüglich wenig zu tun hatte, ist, dass Luther in seinen Briefen an Stein in diesem Zeitraum nicht darauf eingeht (vgl. WA.BR 3, [Nr. 704] 233f. [Nr. 718] 252f. [Nr. 774f] 342–
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chers; in zwei Werken vertrat er die Position, dass sowohl der Zinskauf als auch das Zinszahlen dem mosaischen Gesetz und Evangelium widersprachen. Luther sah gegenüber Strauß nicht ein, dass sich ein Gläubiger, der seine Zinsen zahlte, des Wuchers mitschuldig mache.27 Zudem lag Luther daran, deutlich zu machen, dass ein Vorgehen gegen Wucher letztlich eine Sache der weltlichen Obrigkeit war und nicht der Privatperson und ein Widerstand mit Gewalt um jeden Preis abzulehnen sei.28 Im April fand dann ein Treffen zwischen Melanchthon und Jakob Strauß statt, in dem Melanchthon offensichtlich schlichten sollte.29 Allerdings geriet dieses Gespräch den eigenen Schilderungen Melanchthons nach zu einer allgemeinen Debatte über das Entscheiden politischer Angelegenheiten nach dem mosaischen Gesetz, wobei Melanchthon sich für eine evangeliumgemäße Freiheit im Umgang mit dem zivilen und dem römischen Recht aussprach zur Wahrung des öffentlichen Friedens.30 Etwa im gleichen Zeitraum spitzte sich die Frage nach der Geltung der mosaischen Judizialgesetze noch einmal zu und wurde wieder an Luther herangetragen. Aus einem Briefwechsel Herzog Johann Friedrichs von Sachsen mit Luther im Juni 1524 erfahren wir, dass der Hofprediger Stein die Position vertreten haben muss, dass man nach dem mosaischen Gesetz und nicht dem kaiserlichen Recht richten solle, und dies wohl auch Eindruck auf Kurfürst Friedrich gemacht haben muss.31 Luther vertrat in seiner Antwort an den Herzog die Ansicht, dass dort, wo kaiserliches Recht gelte, man sich danach und nicht nach Moses Gesetz zu richten habe.32 Das zentrale Argument Luthers war auch hier, dass gläubige Christen sich dem gegebenen Recht aus Liebe zum Nächsten unterordnen. Wenn kaiserliches Recht aber dem göttlichen Recht widerspreche, habe man sich nicht daran zu halten. Luther betont zwar, dass „weltlich Rechten ein äußerlich Ding ist wie Essen und Trinken, Kleider und Haus“ und Sache der weltlichen Obrigkeit, er spielt aber eben auch die Möglichkeit durch, dass, wenn Kaiser und Fürsten „einträchtiglich Moses Recht annähmen“, „Prediger und Mosestreiber Kaiser werden und die Welt zu eigen kriegen“, man sich auch daran zu halten habe.33 Aus diesen Sätzen kann allerdings nicht herausgelesen werden, dass Luther nun
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345). So liegt es nahe, dass Luther wahrscheinlich erst durch den Brief Herzog Johann Friedrichs von Sachsen vom 24. Juni 1524 voll über Wolfgang Steins Position zum mosaischen Gesetz unterrichtet wurde (vgl. aaO., [Nr. 754] 309,8–22). Vgl. aaO., [Nr. 674] 178f. Vgl. aaO., 179,8–16. Vgl. MBW.R Nr. 321. „Postea disputatum est de lege Mosi, ubi ego multis verbis adfirmavi non oportere nos secundum legem Mosi res politicas iudicare, quia evangelium permittit nobis libertatem utendi legibus civilibus vel Rhomanis vel aliis, prout pax publica postularit“ (MBW.T 321,2). Vgl. WA.BR 309,8–22. Vgl. aaO., [Nr. 753] 306,17–20. AaO. 9f.20–23.28–307,2.
Entwicklungen und Profilierung einer Wittenberger Haltung
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insgesamt die Umsetzung mosaischen Rechts im weltlichen Bereich unterstützt hätte. Noch einige Monate zuvor hatte Luther im Austausch mit Georg Spalatin (1484–1545), selbst Berater und engster Vertrauter des Kurfürsten, hervorgehoben, dass diejenigen, die die mosaischen Judizialgesetze hervortäten, zu verachten seien: „Wir haben unser Zivilrecht, unter dem wir leben!“34 Das mosaische Judizialgesetz habe nur das jüdische Volk an dem Ort seiner Wahl gebunden. Sonst, wenn das Judizialgesetz wirklich zu halten wäre, warum ließen wir uns dann auch nicht beschneiden und hielten alle Zeremonialgesetze?
2.2
Entwicklungen und Profilierung einer Wittenberger Haltung zur mosaischen Gesetzgebung durch die Reformatoren Martin Luther und Philipp Melanchthon
Auch wenn die Bedeutung Karlstadts in den reformatorischen Debatten zu den mosaischen Gesetzen nicht unterschätzt werden sollte, so ergibt sich doch schon aus den vorhergehenden Abschnitten, dass sich eine Haltung der Wittenberger Reformatoren zur politischen Relevanz der mosaischen Gesetze nicht nur aus der Gegnerschaft zu ihm oder etwa zum oft zitierten Allstedter Reformator und Anführer im Bauernkrieg, Thomas Müntzer, herleiten lassen kann.35 Dagegen sprechen folgende Sachverhalte: Erstens kann von der später teils stilisierten Gegnerschaft (die „Karlstadtschen“ usw.) in den Auseinandersetzungen über die Geltung der mosaischen Gesetze aus der Sicht Luthers und Melanchthons nicht automatisch der Rückschluss gezogen werden, Luther und Melanchthon hätten von Anfang an eine gegenteilige Meinung vertreten. Dies ergibt sich schon zum Teil aus der schwierigen Quellenlage, die mehr als für Karlstadt36 noch z. B. für einen Thomas Müntzer zu konstatieren ist.37 Damit zusammen hängt zweitens, dass der Entwicklung des Gesetzesverständnisses bei Luther und Melanchthon auch eine eigene Dynamik zugestanden werden muss. So begannen die Aus34 „Qui Iudicialia Mosi iactant, condemnendi sunt. Nos habemus nostra iura ciuilia, sub viuimus. Sic Nec Naeman Syrus Nec Hiob Nec Ioseph Neque Daniel neque vlli alii iudei exta terram suam suas leges, sed gentium, inter quas erant, servauerunt. Leges Mosi solum Iudeum populum in loco, quem elegisset, ligabant, nunc libere sunt: alioqui si iudicialia seruanda sunt, nulla est ratio, cur non circumcidamur quoque, & omnia ceremonialia seruemus.“ (Brief Luthers an Spalatin vom 14. 3. 1524., aaO., [Nr. 720] 254,21–27). Den Hintergrund des Briefes und dieser Äußerung bildet wiederum Karlstadts Auftreten in Orlamünde. Spalatin versah den Brief selbst noch einmal mit einer handschriftlichen Notiz „De Carolostadio. De Legi[bus] Mosaicis“ (aaO. 3f). 35 Gegen Gerdes, Luthers Streit mit den Schwärmern, passim. 36 Vgl. die Einschätzungen bei Bubenheimer, Consonantia, 249f. 37 Die Werke Müntzers, sein Briefverkehr und die Quellen über ihn, die heute zur Verfügung stehen, umfassen insgesamt nicht mehr als drei Bände.
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Debatten über die Geltung und politische Relevanz der mosaischen Gesetze
einandersetzungen mit radikaleren Reformern ab den Jahren 1521/22 bereits in deutlichen Diskontinuitäten zu einem scholastischen Verständnis der lex vetus, die vor allem aus der reformatorischen Rechtfertigungslehre und der Dialektik von Gesetz und Evangelium resultierten. Im Folgenden sollen wenigstens die groben Entwicklungslinien für Luther und Melanchthon nachvollzogen werden.
2.2.1 Relative Offenheit Luthers und Melanchthons in Geltungsfragen des mosaischen Rechts bis 1521 Luthers Gesetzesverständnis steht in den Jahren bis 1521 vor allem unter dem Bann der Entwicklung seiner Rechtfertigungslehre.38 Dies demonstrieren auch die scharfen Dualismen zwischen dem Evangelium und geistlichen Gesetz (lex spiritus) und dem alten Gesetz des Mose (lex vetus/Mosis),39 das dem Menschen nur seine durch ihn selbst veranlasste Ungerechtigkeit vor Gott vor Augen führt und wiederum auf den alleinigen Glauben an das Evangelium verweist. Die erste ausführliche Beschäftigung Luthers mit Mose an der Wittenberger Universität erfolgt mit seinen Vorlesungen und Predigten zur Genesis (1519–21).40 Daneben hatte er unter anderem schon 1518 eine kurze Schrift über die Auslegung des Dekalogs verfasst,41 ein Thema, das er in seinem bekannten Sermon Von den guten Werken (1520) wieder aufnimmt. Der Fokus liegt hier ganz auf der Wahrnehmung der Zehn Gebote aus der Perspektive des christlichen Glaubens, der sich aller Werkgerechtigkeit entzieht: Es gibt für Luther nur ein gutes Werk, nämlich den Glauben selbst.42 Wichtige Differenzierungen im Hinblick auf einen Geltungsanspruch der mosaischen Gesetze im zivilen Bereich setzen allerdings dann erst im Zusammenhang der Wittenberger Unruhen ab 1521/22 ein, auf die 38 Vgl. Ebeling, Art. Luther, 508. 39 Vgl. z. B. folgenden Stelle zur Kommentierung von Gal 2,1f aus Luthers Kommentar zum Galaterbrief (1519), WA 2, 499,20–500,2: „Lex spiritus est, quae nullis prorsus scribitur literis, nullis profertur verbis, nullis cogitatur cogitationibus: sed est ipsa viva voluntas vitaque experimentalis, res quoque ipsa quae scribitur digito solo dei in cordibus. R[öm. 5, 5.] v. Charitas dei diffusa est in cordibus nostris per spiritum sanctum. […] Haec, inquam, intellectualis lux mentis et flamma cordis est lex fidei, lex nova, lex Christi, lex spiritus, lex gratiae, iustificans, omnia implens et carnis concupiscentias crucifigens. […] Lex literae est quaecunque scribitur literis, dicitur verbis, cogitatur cogitationibus, sive sit tropologia, allegoria, anagogia aut cuiuscunque tandem mysterii doctrina. Haec est lex operum, lex vetus, lex Mosi, lex carnis, lex peccati, lex irae, lex mortis, damnans omnia, reos faciens omnes, concupiscentias augens, et occidens, eoque magis, quo fuerit spiritualior […], quia sine lege spiritus nullum opus bene fit sed semper simulatur.“ 40 Vgl. WA 9, 329ff. Einen Überblick zu Luthers Werken, die sich mit dem Alten Testament beschäftigen, liefert Bornkamm, Luther und das Alte Testament, 229–234. 41 Luther, Eine kurze Erklärung der zehn Gebote (1518), WA 1,(247)250–256. 42 Luther, Von den guten Werken (1520), WA 6,(196)202–276, hier: 204,25; 206,15ff.
Entwicklungen und Profilierung einer Wittenberger Haltung
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bereits eingegangen wurde. In dieser Zeit deuten sich bereits zwei Tendenzen für die weitere Entwicklung der führenden Wittenberger Reformatoren Luther und Melanchthon in der Folgezeit an. In der Zeit der Unruhen und Unsicherheiten, die selbst bis in die Kreise der Wittenberger Theologen um Luther hineinreichten, wird es zu einem wichtigen Anliegen für Luther, die Ordnungsfunktion der weltlichen Obrigkeit zu betonen. Von dem Zeitpunkt an war damit auch eine Vorentscheidung im Sinne einer Orientierung am Fürstenhaus für den geordneten Gang der Reformation gefallen.43 Anscheinend war Luther gerade dahingehend auch schon bereit, die Frage nach der Geltung der Gesetze des Mose zu relativieren. Welche Haltung aber ist bei Melanchthon festzustellen? Bereits zu diesem Zeitpunkt lag ein erster systematischer Entwurf der Wittenberger Bewegung vor, in dem die Geltung des mosaischen Gesetzes diskutiert wird. Es handelt sich dabei um die erste „reformatorische Dogmatik“ überhaupt: Melanchthons Loci Communes aus dem Jahr 1521. Melanchthon gehört zu den Reformatoren, bei denen das Lemma politia judaica mit seinen synonymen und ähnlichen Varianten (deutsch z. B. „das weltlich regiment in Israel“44) sehr häufig im Schrifttum auftaucht. Bereits auf den Zusammenhang mit der Gesetzesthematik deutet hierbei hin, dass politia judaica von ihm auch oft synonym mit politia Mosis/Mosaica gebraucht werden kann.45 Die bei Melanchthon später eintretenden Bedeutungsverschiebungen hängen mit der Debatte um die Geltung der mosaischen Gesetze zusammen, deren Anfänge im Folgenden mit einer ausführlicheren Erläuterung zu den Loci Communes (LC) von 1521 dargestellt werden sollen. In Betracht kommen hier das dritte Kapitel (De lege) und das siebte (De discrimine veteris ac novi testamenti. item de abrogatione legis). Systematischer als bisher Luther widmet sich Melanchthon in seiner Gesetzeslehre den mosaischen Gesetzen, indem er grundsätzlich zwischen lex und ius sowie natürlichem, göttlichem und menschlichem Gesetz unterscheidet.46 Während die Erörterung des Naturrechts deutlich von der stoischen Lehre der notiones communes, der aristotelischen Affektenlehre, und platonischen Einflüssen geprägt ist und somit Melanchthons humanistische Orientierung veranschaulicht, folgt die Erörterung des göttlichen Gesetzes der Unterscheidung zwischen Moral-, Zeremonial- und Judizialgesetz.47 Die Moralgesetze identifi43 So auch Kaufmann, Geschichte, 388f. 44 Melanchthon, Heubtartikel, 313,18. 45 Vgl. z. B. das Nebeneinander in Melanchthon, In Danielem Prophetam Commentarius (1543), CR 13, 884. 894f. 901f. 46 „Est autem lex sententia, qua bona tum prescipiuntur tum mala prohibentur. Ius est auctoritas agendi secundum legem […]. Legum aliae naturales sunt, aliae divinae, aliae humanae“ (Melanchthon, Loci communes 1521, 3,4f [100]). 47 „Divinae leges sunt, quae per scripturas canonicas a deo sancitae sunt. Ordines earum tres fecerunt: sunt enim aliae morales, aliae iudiciales, aliae ceremoniales“ (aaO., 3,46 [110]).
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ziert Melanchthon mit den Zehn Geboten, auf die alle anderen Gebote, die mit Bräuchen und Sitten (mores) zu tun haben, rückführbar seien, und die Zeremonialgesetze mit Vorschriften zum Opferwesen, dem Kalender, zur Kleidung und zu ähnlichen Dingen.48 Gerade die Ausführungen zu den Zeremonialgesetzen bleiben so insgesamt wenig systematisch. Die Judizialgesetze werden zudem auf das reduziert, was man aus heutiger Sicht das „Justizwesen“ (Gerichtswesen, Urteile, Strafen) nennen könnte.49 Die scholastisch anmutenden Ausführungen zum göttlichen Gesetz und die humanistischen Einflüsse dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Melanchthons LC (1521) insgesamt und eben auch seine Gesetzeslehre einen starken Einfluss Luthers zeigen. Dies beginnt bereits mit der vorangestellten Definition des Gesetzes als „Erkenntnis der Sünde“, die die soteriologische Ausrichtung der folgenden Erörterungen ankündigt.50 Ferner müssen die Frontstellungen gegenüber dem Papsttum, dem monastischen Leben und auch den scholastischen Spitzfindigkeiten beachtet werden. In der Konsequenz ergibt sich dann eine Gesetzeslehre, die alles entscheidend von der Dialektik von Gesetz und Evangelium, fleischlicher bzw. ziviler (iustitia carnis/civilis) und geistlicher Gerechtigkeit (iustitia spiritualis), Reich Christi und Reich der Welt geprägt ist. In Melanchthons eigenen Worten zusammengefasst: „Wir sind freie Menschen, sofern wir glauben, wenn wir aber misstrauen, sind wir unter dem Gesetz.“51 Entscheidend für die christliche Freiheit ist allein der Glaube an Christus, der vor Gott rechtfertigt, nicht das Gesetz, das Melanchthon durch das Neue Testament bzw. den Glauben an das Evangelium aufgehoben sieht.52 Das Leben im Glauben entspricht einem Leben im Geist nach der Aufhebung des Gesetzes, das Leben ohne Glauben aber einem fleischlichen Leben unter dem Gesetz. Die Aufhebung des Gesetzes betreffe dabei auch die göttlichen Moralgesetze (den Dekalog), nicht 48 Vgl. aaO., 3,47 (110); 3,110 (130). 49 „Iudiciales de iudiciis, poenis adeoque de forensibus causis in literis divinis populo Iudaico proditae sunt“ (aaO., 3,108 [130]). 50 „Locus de legibus non paulo clarius aperiet vim rationemque peccati, siquidem peccati cognitio lex esse dicitur“ (aaO., 3,1 [98]; vgl. auch 7,63 [308] u. ö.). 51 „In summa, quatenus credimus, liberi sumus, quatenus diffidimus, sub lege sumus“ (7,33 [300]). 52 Vgl. aaO., 7,42 (302). Das Alte Testament wird von Melanchthon nicht als Gesetz an sich definiert, sondern in Abgrenzung dazu als eine Verheißung leiblicher Güter, die mit der Forderung des Gesetzes verbunden ist (vgl. 7,3 [288]). Im Unterschied dazu wird über das Neue Testament ausgeführt: „Contra novum testamentum non aliud est nisi bonorum omnium promissio citra legem, nullo iustitiarum nostrarum respectu.“ (7,5 [290]) An anderer Stelle definiert Melanchthon das Neue Testament auch als öffentliche Promulgation christlicher Freiheit (vgl. 7,17 [294]). Durch diese schroffe Differenz zwischen Altem und Neuem Testament, die wenig die Kontinuitäten zwischen beiden betont (vgl. aber 7,28 [298]), werden beide Teile der einen Bibel letztlich aber doch enger dem Verhältnis von forderndem Gesetz (Altes Testament) und zugesprochenem Evangelium (Neues Testament) zugeordnet.
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nur – wie von einigen scholastischen Theologen angenommen – die Judizial- und Zeremonialgesetze des Alten Testaments, denn nicht alle Teile des göttlichen Gesetzes konnten erfüllt werden.53 Christlicher Glaube kann für Melanchthon nicht unter das Gesetz fallen, ja kurz gesagt: „Christentum heißt Freiheit.“54 Melanchthon ist aber – auch schon im Jahr 1521 – weit davon entfernt, den christlichen Glauben ohne Gesetz zu denken. So wird das Gesetz nämlich nicht nur, wie bereits angeführt, negativ als Erkenntnis der Sünde definiert, sondern fortwährend auch positiv als Wille Gottes: „Voluntas dei lex est.“55 Dies hat nicht nur Folgen für die Menschen, die weiter „ungläubig“ unter dem Gesetz leben, also für das weltliche Reich oder die iustitia civilis, sondern eben auch für das Leben im Glauben. In Anlehnung an Paulus (Röm 8,2) spricht Melanchthon in seinen LC (1521) im Fall des Gesetzesgebrauchs unter gläubigen Christen von einer lex spiritus vitae und lex motio spiritus vivificantis, an anderer Stelle von einem Prozess der Rechtfertigung, dann wieder von der nicht gegebenen Freiheit, das Gesetz nicht zu befolgen (libertas est non, ne faciamus legem).56 Die Freiheit vom Gesetz und Freiheit für das Gesetz werden somit aufs Engste zusammengedacht, wobei die Bedeutung der alttestamentlichen Moral-, Zeremonial- und Judizialgesetze für Gläubige nach Melanchthon unterschiedlich gewichtet wird. Hatte er zuvor noch das Moralgesetz (den Dekalog) durch die Freiheit des Evangeliums für aufgehoben erklärt, führt Melanchthon aber im Weiteren auch aus, dass der Dekalog Gläubige nicht mehr verdamme, er aber doch im Glauben erfüllt werden kann.57 Etwas weiter geht die Formulierung, in der es heißt, dass der Dekalog notwendig (necessario) im Glauben getan werde. Die Zeremonial- und Judizialgesetze werden dagegen nicht notwendig im Glauben getan. Diese Notwendigkeit im Tun 53 „Et cum legis tres partes sint, exsequamu, quatenus singulae sint abrogatae, praesertim cum non videantur eodem antiquatae modo. Et consensus scriptorum obtinuit iudicialia et ceremonialia exolevisse, moralia novata esse.“ Wie im Zitat zu erkennen, spricht Melanchthon nicht von „scholastischen Theologen“, sondern nur vom „consensus scriptorum“. Mit diesem Konsens dürften allerdings die gängigen Lehrmeinungen scholastischer Theologen wie die des Thomas von Aquin gemeint sein (vgl. aaO., 291 Anm. 924). In der Argumentation hierzu beruft sich Melanchthon vor allem auf die Vorstellung vom Neuen Bund in Jer 31,31–34, Hebr 8,8–13, den paulinischen Römer- und Galaterbrief (vgl. Röm 3,21.28; 5,20; 7,6; 8,1–3; 10,4; Gal 2,11–5,15), aber auch 1Tim 1,9, um dann zu der Schlussfolgerung zu kommen: „Necesse est itaque fateri decalogum etiam antiquatum esse“ (aaO., 7,11 [292]; vgl. 7,53 [306]). Vgl. ebenfalls aaO., 7,45 (304): „Et ut propius ad rem accedamus, una eademque causa est, cur universa lex abrogata sit, non ceremomiae tantum et iudiciorum formae, sed et decalogus, quod praestari non potuerit.“ 54 „Postremo, libertas est christianismus“ (aaO., 7,21 [294]; vgl. 7,77 [312]). 55 AaO. 7,22 [296]. 56 Vgl. aaO., 7,23.26 (296). „Nam iustificari hic coepimus, nondum absolvimus iustificationem“ (7,34 [300]). 57 Vgl. aaO., 7,53 (306).
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des Dekalogs auf der einen Seite und die relative Freiheit im Glauben gegenüber den alttestamentlichen Zeremonial- und Judizialgesetzen andererseits sieht Melanchthon in der zeit-, orts- und personenunabhängigen Darlegung des Dekalogs, die sich allein schon in den Prohibitiven („negativen“ Geboten bzw. Verboten) zeige. Für die Zeremonial- und Judizialgesetze, für die dies nicht gelte, betont Melanchthon die Freiheit im Glauben und Gewissen, sie zu tun oder nicht. So geht die Freiheit im Umgang mit den mosaischen Zeremonialgesetzen sogar so weit, dass Melanchthon auch die Beschneidung oder die Speisevorschriften zur Wahl christlicher Freiheit macht. Eine andere wichtige und theologisch gängige Funktion von ihnen für Christen ist aber, dass sie als Schemen (figura) oder schattenhaften Mysterien (adumbrata mysteria), wie es der Hebräerbrief beschreibe, auf das Evangelium hindeuten,58 dies die mosaischen Judizialgesetze in der Weise aber nicht tun. Melanchthon hat somit die grundsätzlichen Unterschiede zwischen dem mosaischen, „übergeschichtlich“ fortbestehenden Moralgesetz und dem geschichtlich-gebundenen Judizial- und Zeremonialgesetz auf der einen Seite markiert, um daran das richtige Verhalten eines Christen zu ergründen. Zum anderen verlässt Melanchthon aber auch den Bereich der Ausdifferenzierung des innerbiblischen Rechts in den LC (1521) und stellt Überlegungen an, die das mosaische Recht zu nicht-biblischen Rechtsquellen ins Verhältnis setzen. Beachtet werden sollte dabei, dass Melanchthon an diesen Stellen immer von Christen spricht, wenn es heißt: Bei den für das Leben notwendigen Rechtsprozessen und Zeremonien sollten die mosaischen gegenüber heidnischen Gesetzen und „papistischen“ Zeremonien bevorzugt werden.59 An anderer Stelle verweist Melanchthon auf das Ölbaumgleichnis aus Röm 11,17–24, um die Nähe der Christen zum mosaischen Erbe der Judizialgesetze, das dem Wort Gottes entspreche, und nicht etwa zu den heidnischen Gesetzen als bloßen menschlichen Verordnungen, zu unterstreichen.60 Gerade diese positiven Bewertungen des mosaischen Rechts im Gegenüber zu nichtbiblischen Rechtsquellen traten dann infolge der innerprotestantischen 58 Vgl. aaO., 7,54 (306). 62 (308). 59 „Ceterum optarim etiam uti christianos ea forma iudiciorum, quam Moses prodidit, item plerisque ceremoniis. Praestaret enim, quandoquidem iudiciis carere necessitas huius vitae non potest nec, ut opinor, ceremoniis, uti Mosaicis illis quam tum gentilibus legibus tum papisticis ceremoniis“ (aaO., 7,44 [304]). 60 „Haec ideo recensui, ut intelligatur ad iustitiam spiritus nihil pertinere civilem illam et externam rerum dispensationem, non aliter atque agrum fodere aut aedificare aut suere calceos nihil referunt iustitiae spiritus, esseque penes christianos uti vel non uti formis iudicandi Mosaicis, quamquam optarim, pro gentilibus et saepe stultis legibus Mosaicae recipi. Sumus enim oleae illi inserti. Et verbum dei decebat praeferre humanis constitutionibus. Nec hodie alius fere Romani illius iuris usus est quam in litigando, ut habeant, unde se alant rabulae forenses“ (aaO., 7,71f [310]).
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Auseinandersetzung mit Theologen, die radikalere Folgerungen aus den Gesetzen Moses für das Leben zogen, zurück. Noch im Februar 1522 berichtet Melanchthon in einem Brief davon, dass er an einem Werk über den Gebrauch des Alten Testaments (De usu veteris testamenti) arbeite.61 Dieses Werk erschien jedoch nicht mehr. Dafür schlugen sich die Debatten rund um die mosaischen Gesetze auf andere Weise in Melanchthons Gesetzeslehre nieder: Melanchthons frühe Lehre vom Gesetz Gottes zeigt eine deutliche Betonung des göttlichen Geistes und stand damit der Karlstadtschen Gesetzeslehre gar nicht sehr fern. Möglich ist, dass Melanchthon in dieser frühen Phase auch – vielleicht vermittelt über Karlstadt – den Florentiner Renaissance-Platonismus näher kennenlernte. Karlstadt hatte 1521 seine Schrift De legis litera sive carne et spiritu noch mit großem Lob Melanchthon gewidmet und dessen Leitung der gesamten Wittenberger Gemeinde („primus dux“) neben seinen philologischen Fähigkeiten hervorgehoben.62 Wie bereits gesehen, spielte schon in Melanchthons Loci communes von 1521 der paulinische Dualismus von Geist und Fleisch eine zentrale Rolle in der Gesetzeslehre. Zwar fehlen bei Melanchthon die legalistischen Tendenzen, die schon früh bei Karlstadt sichtbar geworden waren.63 Sowohl in seinen Loci von 1521 als auch in der Schrift Unterschidt zwischen weltlicher und Christlicher Fromkeyt, die wahrscheinlich zeitnahe zu datieren ist,64 führt die starke Betonung des geistig-geistlichen Glaubenslebens eines Christen aber dahin, dass die äußerliche, „fleischliche“ Ordnung eine deutliche Abwertung erfährt („Ausserliche Ordnung zergon mit dem fleysch und haben kheyn leben“65). Parallel dazu wird auch die mosaische lex scripta für einen gläubigen Christen nachrangig: In beiden genannten Schriften wird der Dekalog als verinnerlicht und in die Herzen der Menschen geschrieben (Jer 31,31) aufgegriffen. Zusammen 61 Vgl. MBW.R 1, 125 (Nr. 216). 62 „Non ignorat vniversa VVittembergensis Ecclesia, in qua, tu [d.i. Melanchthon] primus dux, agis, quam raro, & mirabili sis iuditio, id quod tibi, experientia permoti, tribuunt multi. Ego autem ex causis summum esse dinoui. […] Imo nihil est quod tibi non obtemperet, rigidos flectis, erectos inclinas, iacentem erigis, aduersantem & repugnantem capis, Doces, dedoces. Incendis, restinguis, Omnia tue vehemtie cedunt. Id quod ex animo loquor. Neque blandiri volo. Fortitudinem ista in multo congressu sensi. Id quod noui attestor […]“ (Karlstadt, De legis litera sive carne & spiritu, [f. Aiv]). Die Widmung ist auf den Namenstag des Hieronymus datiert, also Wittenberg, den 30. September 1521 vor den weiter oben beschriebenen Unruhen der kommenden Monate; vgl. auch MBW.R 1, 106 (Nr. 170). 63 Exemplarisch sei verwiesen auf Karlstadts 46 axiomata de fide et operibus, die in die Jahre 1521/22 fallen, zit. in: Jäger, Carlstadt, 207–209. 64 Das spricht gegen eine spätere zeitliche Einordnung der Schrift in das Jahr 1522 nach MWA 1, 168–75: Die Auslegung des Dekalogs in den Loci (1521) zeigt nämlich Nähen zu derjenigen in der Frömmigkeitsschrift und weicht von den weiter unten genannten Themata ad sextam feriam discutienda (25. Juli 1522) ab. 65 MWA I, 173,37–174,1. „[W]o auch solch ausserlich Fromkeyt alleyn ist, ist nur heucheley“ (vgl. aaO, 174,3f).
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genommen war damit aber eine tendenzielle Offenheit gegenüber den Lehren einer individuellen Geistbegabung (z. B. Zwickauer Propheten) und den reformerischen Eigeninitiativen (Bildersturm im Sinne Karlstadts) gegeben. Um dem entgegentreten zu können, verlief die Antwort der Reformatoren Luther und Melanchthon, die beide im stetigen Austausch standen, auf zwei Ebenen: einer Einschränkung vorheriger Äußerungen, die die mosaische lex scripta als Ideal bzw. Orientierungspunkt für die kirchlich-zivile Gesetzgebung herausstrichen, und einer Eintragung eines Ordnungsgedankens in die Gesetzeslehre. Bereits in einer Neuauflage der Loci, die Melanchthon 1522 herausgab, sind die Passagen, in denen das mosaische Recht als vorbildlich für die Gesetzgebung dargestellt wurde, von ihm reduziert worden.66 Zudem verfasste Melanchthon im Sommer 1522 die Thesenreihe Themata ad sextam feriam discutienda (25. Juli 1522), die dadurch noch einmal Gewicht erhielt, dass Melanchthon sie an die neue Loci-Ausgabe anhängte.67 Der Fleisch-Geist-Dualismus, der auch seine Schriften vorher durchzogen hatte, wird nun mit einer Regimenten- bzw. Ordnungslehre verbunden: Schöpfungstheologisch findet die Unterscheidung zwischen der Gerechtigkeit des Geistes (iustitia spiritus) und der Gerechtigkeit des Fleisches (iustitia carnis) somit seine Entsprechung zur Unterscheidung zwischen einem geistlichen Regiment (regimen spirituale) und einem körperlichweltlichen Regiment (regimen corporale) bzw. der bürgerlichen Verwaltung (civilis administratio), die bereits seit der Urgeschichte im Paradies existiert habe.68 Das regimen corporale wird in der Schöpfung dadurch konstituiert, dass Adam Eva zur Seite gestellt wurde.69 Nach der Sintflut (Gen 9) habe auch die Todesstrafe auf Mord nach Anordnung Gottes seine Berechtigung. Melanchthon leitet so einerseits materialiter Rechtssätze wie das Elterngebot, das Schadensersatzrecht (Talion) oder das Recht von Eltern gegen ungehorsame Kinder (Dtn 21,18–21) aus der schöpfungstheologischen Grundkonstellation ab. Auf der anderen Seite wird aus dem seit Adam und Eva existierenden regimen corporale die weltlichpolitische Ordnung gefolgert. Dies geschieht, indem Lehrer, Magistrate und Fürsten in einer Stellvertreterrolle von Eltern aufgefasst werden und zugleich die weltliche Obrigkeit neutestamentlich (Röm 13!) als Anordnung Gottes (ordinatio 66 Darauf verweist bereits Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, 106f mit Anm. 10. 67 MWA 1,168–170 [=CR 1,595f]. Respondent der Disputation war der spätere Schulmeister in Joachimstal und Koburg Philipp Eberbach (vgl. MWA 1,168). 68 „1. Duplex est regimen, spirituale et corporale. 2. Corporale regimen de externo rerum usu constituit. 3. Estque civilis administratio, qua cohercetur corpus. res dividuntur, vis prohibetur“ (aaO., 168,1–5). 69 Vgl. zu den weiteren Ausführungen folgende Thesen: „4. Deus commisit Adae regimen corporale, cum ei subiecit Hevam praecipitque occidi homicidas. Gen.9 5. Ea lex postea confirmata est, et lege de talione, et praecepto: Honora patrem et matrem. 6. Proinde iure divino commissum est parentibus, ut familiam corporaliter regant. 7. Di quod testatur lex, quae ius facit occidendi contumacem filium. Deut 21.“ (aaO. 6–14).
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dei) untermauert wird. Die Entwicklung hin zu einer positiven Würdigung der weltlich-politischen Ordnung im Vergleich zu Melanchthons früherer Position aus dem Jahr 1521 wird hier besonders gut greifbar. Diese Entwicklung geschah im Einvernehmen und mit Einfluss Luthers, wie der leider nicht mehr vollständig erhaltene Briefverkehr zur Thematik in diesem Zeitraum belegt. Melanchthons Fragen zur Vereinbarkeit von christlichem Glauben und dem Strafvollzug weltlicher Obrigkeit (ius gladii), die ja die Auffassung zum politisch-weltlichen Bereich insgesamt betreffen mussten, hatte Luther in einem Brief aus dem Jahr 1521 an Melanchthon bereits mit zum Teil ähnlichen Argumenten beantwortet wie Melanchthon in seinen Themata 1522.70 Wesentlich für die Antworten, die Melanchthon selbst mit dieser Thesenreihe fand, scheint mir dabei bereits vorausdeutend auf die weitere Entwicklung zu sein, dass durch die biblisch-schöpfungstheologische Argumentation zwar die weltliche Ordnung positiv aufgewertet wurde, nicht aber zugleich das überlieferte göttliche Gesetz, sprich das ius divinum scriptum bzw. die lex scripta Mosaica.71 Wenn Melanchthon in Folge der schroffen Entgegensetzung von regimen corporale und regimen spirituale schließlich auch noch die kirchlichen Traditionen in den Bereich des regimen corporale rückt und sie als bürgerliche Gesetze (civiles leges) definiert, dürfte deutlich werden, dass aus diesen Thesen auch eine Legitimation der Reformation unter fürstlicher Instanz gedeutet werden konnte.
2.2.2 Profilierung einer Wittenberger Haltung zum mosaischen Recht ab 1525 Neben den bereits erläuterten konkreten Anfragen und abweichenden Ansichten über die Geltung der mosaischen Gesetze in der Frühphase der reformatorischen Bewegung führen die Bauernaufstände (1524/25) im Reich dazu, dass eine Haltung zur politischen Relevanz der mosaischen Gesetze unter den führenden Wittenberger Reformatoren weiter an Konturen gewinnt und profiliert wird. Als Gegner werden in späteren Äußerungen Luthers und Melanchthons immer wieder Andreas Karlstadt und Thomas Müntzer genannt. Noch mehr als für Karlstadt72 ist aber für Müntzer diesbezüglich eine schwierige Quellenlage zu konstatieren.73 Von Thomas Müntzer, in dessen Gesetzesverständnis sich mystische und spiritualistische Tendenzen mischen, ist, soweit ich sehe, überhaupt 70 Vgl. den Hintergründen und Positionen in diesem Brief Müller, Luther und Melanchthon, 235–239. 71 „8. Quia enim lex dei non iustificat, ideo iustitiae carnis in lege traditae sunt“ (MWA 1, 168,15f). 72 Vgl. die Einschätzungen bei Bubenheimer, Consonantia, 249f. 73 Die Werke Müntzers, sein Briefverkehr und die Quellen über ihn, die heute zur Verfügung stehen, umfassen insgesamt nicht mehr als drei Bände.
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keine ausführliche Lehre von den mosaischen Gesetzen überliefert. Gleichwohl wird gerade er von Luther und Melanchthon auch noch in späteren Schriften in negativer Weise immer wieder mit denen in Verbindung gebracht, die eine Durchsetzung der mosaischen Gesetze im weltlich-zivilen Bereich gefordert hatten.74 Dies hängt damit zusammen, dass Luther und Melanchthon in Müntzer den Hauptverantwortlichen für die Eskalation der Bauernaufstände (1524/25) sahen. Die Forderungen der Bauern und Müntzers beriefen sich nun gleichwohl auch auf das göttliche Recht, blieben dabei in den meisten Fällen aber wenig spezifisch in Bezug auf das mosaische Gesetz.75 Schließlich ist darüber hinaus hervorzuheben, dass hinter den reformatorischen Auseinandersetzungen um die Fortgeltung der mosaischen Gesetze konkrete Anfragen und Konflikte standen, die schon auf Wittenberger Seite nicht nur mit Karlstadt oder Müntzer zu tun hatten. Solche Folgerungen zieht Luther dann auch in den zwei Werken, in denen die Geltung der mosaischen Gesetze die bis dahin umfangreichste Erörterung und die Diskussionen der vorhergehenden Jahre ihren abschließenden Niederschlag finden. Bekannt ist Luthers Äußerung, dass das Gesetz des Mose lediglich „der Juden Sachsenspiegel“ sei, die sowohl in seiner Schrift Wider die himmlischen Propheten, von den Bildern und Sakrament (1525) 76 fällt als auch in seiner zwei 74 Vgl. allgemein im Zusammenhang mit Karlstadt: Luther, 2. Galatervorlesung (1531), WA 40/ 1, 681,1–9; Reihenpredigten über Johannes (1538), WA 46,498,22–32 u. ö.; Melanchthon, Heubtartikel, 177,1–3 („Thomas Muntzers und Straussen fantasey fall, die sagten, ein christ mußte nach dem gesetze Moisi urteil sprechen in erbschafften und allen andern sachen“); 198,1–5; 210,5–14 (Müntzer im Zusammenhang mit dem Täuferreich in Münster); 260,6–8 („Muntzer und Storken [d.i. Nikolaus Storch]“); 312,2–5 („Thomas Muntzer zu Muhlhausen, Straus und andre tolle menschen, welche schryen, mann sollt in weltlichen gerichten nach dem gesetz Moise sprechen und nit nach keisarlichen rechten“); 376,24f („damit man nicht aus der Kirchen ein weltlich Königreich mache, wie Thomas Müntzer und ernach die Widerteuffer zu Münster im 1534. iar.“); 462,1–2 („Als Straus und die zeit sein fürnemester Rat Wicelius [d.i. Georg Witzel], Thomas Müntzer wolten die Leute frey machen von Zinsen etc.“). 75 So geben z. B. die Elf Artikel mit biblischer Begründung eines Stadtregimentes, das dem Willen Gottes entspricht (22./24. Sept. 1524) aus der Feder Müntzers und Heinrich Pfeiffers und adressiert an das Mühlhäuser Reichsterritorum keinen spezifischen Bezug zum mosaischen Gesetz und Mose her. Argumentiert wird mit Bibelstellen aus dem Alten und Neuen Testament (vgl. TMA 2 [Nr. 105,2] 373–383). Über Müntzers Verständnis des göttlichen Gesetzes informiert ein Brief von ihm vom 30. Mai 1524 an Christoph Meinhard, in dem er sich ausgehend von Paulus sowohl vom Wittenberger als auch vom scholastischen Gesetzesverständnis distanziert und selbst mystisch-spiritualistische Tendenzen zeigt: „Das gesetze Gottes ist klar, erleuechtet die augen der ausserwelten, macht starblint die gottlosen, ist eyn vntadliche lere, wenn der geyst der rechten reynen forcht Gottes dadurch ercleret wirdt, welchs geschicht, wenn eyn mensche seynen hals fur die warheyt setzet […]“ (aaO. [Nr. 75] 240–252, hier zit.: 248,4–7). Auffällig ist, dass Müntzer auch in diesem Brief an keiner Stelle auf die mosaischen Gesetze näher eingeht. 76 WA 18, (37)62–125. (126)134–214.
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Jahre später 1526 gedruckten Predigt Ein unterrichtung wie sich die Christen ynn Mosen sollen schicken, die ebenfalls schon in das Jahr 1525 zu datieren ist.77 Um den systematischen Ort dieser Aussage in der Lehre vom mosaischen Gesetz bei Luther verständlich zu machen, seien die für den Fortgang wichtigsten Aspekte aus diesen beiden Schriften an dieser Stelle zusammengefasst: Den Ausgangspunkt bildet die Unterschiedlichkeit, in der sich Gott öffentlich und bisher nur zwei Mal offenbart habe, bei der Gesetzesgabe vor dem Volk Israel und durch den Heiligen Geist am Pfingsttag. Diese „zwo sonderliche und oeffentliche predigten“, wie es in Luthers Ein unterrichtung heißt, zielen darauf ab, Gesetz und Evangelium in der Geschichte unterscheidbar zu machen.78 Eine dritte öffentliche Gottesrede werde sich erst mit Gottes Wiederkunft ereignen.79 Durch die geschichtliche Scheidung zeigt Luther nicht nur an, dass sich Gesetz und Evangelium kategorial voneinander unterscheiden, sondern auch, dass eine geschichtliche Ablösung stattgefunden hat: „Moses ist tod, sein regiment ist aus gewesen, da Christus kam, er dienet weiter hierher nicht.“80 Mose ist und bleibt für Luther damit ein Mittler und Gesetzgeber des jüdischen Volkes und das geschriebene Gesetz des Mose ist nur für das Volk bestimmt, das Gott für diese Form der Verkündigung erwählt hat.81 Die Partikularität des Reiches der Juden, das sich durch „gepotten und eusserlichen Ceremonien“, mit denen Gott die Juden „zwingen, fassen und eintreiben wollte“, konstituierte, liegt darin begründet, dass es für Luther eine charakteristische Zwischenstellung zwischen Weltlichem und Geistlichem einnimmt, weil es „halb geistlich und halb weltlich“ gewesen sei.82 Die Aufdringlichkeit des mosaischen Gesetzes wird sogar überhaupt zu einem jüdischen Identitätsmarker gemacht.83 Der Partikularität der lex scripta Mosis und des jüdischen Reiches aber steht die Universalität der Verkündigung des Evangeliums („nicht an dem odder an diesem ort der welt, sondern allen Creaturen“) gegenüber.84 Die Formulierung, dass Moses „der Juden Sachsenspiegel“ sei, hat in dieser Partikularität und Zeitgebundenheit des mosaischen Gesetzes ihren Ort.85 77 78 79 80 81 82 83
WA 24, 2,30–16,6. Zu dieser Äußerung vgl. WA 18, 81,8–17 u. WA 24, 8,30–9,5. Vgl. aaO., 3,6–28, hier zit.: 3,25; vgl. 4,5–21. Vgl. aaO., 3,29–4,4. AaO., 7,5f.; vgl. 13,10–24; WA 18, 81,7–12. Vgl. WA 24, 9,28–10,11. AaO., 5,12–14; 6,4–7. „Wenn nu dir einer Mosen furhelt mit seinen gepotten und wil dich dringen die zu halten, so sprich: Gehe hyn zu den Jueden mit deinem Mose, Ich bin kein Juede, las mich unverworren mit Mose“ (aaO., 7,32–34). „Wollen sie aber durch Mosen aus uns Juden machen, so wollen wyrs nicht leyden“ (WA 18, 76,7f). 84 WA 24, 13,3–21, hier zit: 13,16; vgl. 14,19–24. 85 Johannes Heckel bezieht fälschlicherweise die Formulierung „der Juden Sachsenspiegel“ nur auf den Dekalog, was sich wahrscheinlich daraus ergibt, dass er sich auf die Wiedergabe aus
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Luther bleibt dennoch nicht dabei stehen und möchte dem mosaischen Gesetz überhaupt seine Relevanz für Heiden und Christen absprechen. Drei gesetzeshermeneutische Überlegungen sprechen dagegen: erstens, die Übereinstimmung von dem, was Gott ohnehin von jeher den Menschen in die Herzen geschrieben hat, also dem Naturrecht, mit dem ius scriptum des Dekalogs. Aber das heißt nur, weil „Moses alhie gleich mit der natur uberein stymmet“, und nicht, weil es von Mose geboten wurde, haben die Zehn Gebote weiterhin Geltung.86 An keiner anderen Stelle aber sei das Naturgesetz in schriftlicher Form so gut zusammengefasst wie im Dekalog.87 Besteht aber eine Kongruenz von Neuen Testament, natürlichem Gesetz und dem, was in Mose gesagt ist, so kann Luther auch hier wieder „von unsern gesetzgeber“ Mose reden; ansonsten bleibt Mose für ihn vor allem ein Lehrer.88 Eine zweite Überlegung betrifft die Zusammengehörigkeit des gesamten mosaischen Gesetzeskorpus: In der Schrift Wider die himmlischen Propheten begreift Luther die mosaischen Zeremonial- und Judizialgesetze in ihrem Zusammenhang mit dem Dekalog. Aus diesem „fließen“ nämlich für Luther alle anderen Gebote und andererseits sind auch noch Bestandteile des Judizial- und des Zeremonialgesetzes im Dekalog vorhanden.89 Einen solchen
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der Schrift Wider die himmlischen Propheten konzentriert (vgl. Heckel, Lex charitatis, 169 mit Anm. 888). In der Predigt Ein unterrichtung wie sich die Christen ynn Mosen sollen schicken ist dagegen der Bezug zum ganzen mosaischen ius scriptum gegeben (vgl. WA 24, 8,25–9,13). Vgl. aaO., 9,14–10,11, hier zit.: 10,5; dazu WA 18, 80,28–81,6. Vgl. aaO., 81,18–20. „Die Rottengeister woellen uns Mosen auff den hals legen mit allen gepotten, das woellen wir lassen, Mosen woellen wir halten fuer einen lerer, aber fuer unsern gesetzgeber wollen wir yhn nicht halten, Es sey denn das er gleich stymme mit dem newen Testament und dem natuerlichen gesetze“ (WA 24, 7,11–15). Luther nennt Mose außer „Gesetzgeber“ auch „Regent“ (6,23–28) und stellt ihn als „Meister und Doctor der Jueden“ „unser[m] meister Christum“ (15,23–25) gegenüber. Die Rolle Moses als Lehrer hängt eng damit zusammen, dass Luther aus den Büchern Moses vor allem exemplarische Stücke bzw. die eigentlichen Lehrstücke herauslesen will, ohne diesen einen Gesetzescharakter zusprechen zu wollen. Zudem muss bedacht werden, dass Mose weiterhin von fast allen Reformatoren auch als Autor der ersten fünf Bücher der Bibel begriffen wurde, der neben den Gesetzestexten dann eben auch Exempel, Geschichten und Verheißungen auf das Evangelium in diesen Büchern zusammengefasst hat (10,30ff; 15,1ff; 15,25–31). Dies schließt zugleich die Besonderheit der Gesetzesgabe durch Gott ein (3,6–10; 14,8f; in der Gesetzesvermittlung übernehmen Engel bei Luther eine besondere Rolle, vgl. 4,22–5,25). „Ja, sprichstu, das were wol war von den cerimonien und iudicialibus, das ist was von eusserlichem Gotts dienst und von eusserlichem regiment Moses leret, Aber der Decalogus, das ist die zehen gebot, sind ia nicht auff gehaben, darynnen nichts von cerimonien und iudicialibus steht. Antwort ich: Ich weys fast wol, das dis eyn gemeyner alter unterscheyd geben ist, aber mit unverstand, Denn aus den zehen gebotten fliessen und hangen alle ander gebot und der gantze Mose. Denn darumb, das er will Gott seyn alleyne und keyne ander goetter haben .&c.. hat er so mancherley und viel cerimonien, odder Gottes dienste gestellet und also das erste gepot durch die selbigen ausgelegt und, wie es zu halten sey, geleret. Item darumb das er elltern gehorsam, keynen ehebruch, moerd, dieberey, falsch zeugnis leyden wil, hat er die iudicialia odder von eusserlichem regiment geben, damit solchhe gebot verstanden und
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Zusatz des Zeremonialgesetzes in den Zehn Geboten weist Luther dann auch – gegen Karlstadt gerichtet – im Bilder- und im Sabbatgebot, die beide im NT aufgehoben würden, nach. Schließlich hängt auch dieser Gedankengang mit der bereits anklingenden Position Luthers zusammen, dass die Einforderung der Geltung einzelner Bestandteile des mosaischen Gesetzes zwangsläufig auf das gesamte mosaische Gesetz hinauslaufen muss; etwas anderes wäre für Luther zumindest nicht zu rechtfertigen.90 Mit dieser zweiten Überlegung hat Luther freilich noch nicht positiv beantwortet, worin für ihn noch die Relevanz der Zeremonial- und Judizialgesetze besteht. Die Antwort lautet hier: in ihrem exemplarischen Charakter und in ihrer Zusage und Verheißung auf den Glauben hin. Die mosaischen Gesetze stehen in den fünf Büchern Mose zum einen neben Verheißungen auf das Evangelium hin und Beispielen für den Glauben (z. B. in den Geschichten der Erzväter). Zum anderen liefern die Zeremonial- und Judizialgesetze bereits selbst positive Beispiele zu Gesetzen, die im Gemeinwesen übernommen werden können, aber nicht müssen: z. B. das Sabbat- und Jobeljahr, das Zehntgebot und das mosaische Scheidungsrecht.91 Aussagekräftig ist, dass diese Orientierung am exemplarischen Charakter des mosaischen Gesetzes in einem antiken Vergleich mündet, wie sich die Römer in der Abfassung des ZwölfTafel-Gesetzes, des ältesten Rechtstextes Roms, am griechischen Vorbild orientiert hätten.92 In solch einer Äußerung kann von Luther her auch eine relative Offenheit gegenüber einer rechtskomparativen Integration des mosaischen Rechts im weltlichen Recht herausgelesen werden. Mit den dargelegten Positionen, die Luther 1525 nach den unterschiedlichen Auseinandersetzungen formulierte und mit denen Melanchthon im Einklang stand, sind bereits die wesentlichen Merkmale für eine Wittenberger Linie zum mosaischen Recht für die kommenden Jahre vorgezeichnet. Von einer Wittenberger Linie sollte allerdings nur dann gesprochen werden, wenn zugleich anerkannt wird, dass ja auch in Wittenberg selbst, vor allem in der Person Karlstadts, Divergenzen diesbezüglich existiert hatten. Von einer spezifisch lutherischen Haltung kann und sollte meiner Ansicht nach nur dann gesprochen werden, wenn dabei der große Anteil, den Melanchthon in der Ausbildung und Profilierung der Wittenberger Lehre zum mosaischen Recht hatte, nicht übergangen wird. Wie zu sehen sein wird, sprechen sogar gute Gründe dafür, materialiter bei der Profilierung und Durchsetzung der Lehre zum mosaischen Recht vollnbracht worden. Darumb ist das nicht war, das keyne cerimonien ynn den zehen gebotten sind odder keyne iudicialia, Sie sind und hangen alle drynnen und gehoeren hyneyn“ (WA 18, 76,19–77,5). 90 Vgl. WA 24, 6,30–7,4. 91 Vgl. WA 18, 81,18–25; WA 24, 8,10–26. 92 Vgl. WA 18, 81,24–26.
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Melanchthon gegenüber Luther einen größeren Anteil zuzusprechen. Gleichwohl sind auch hier die Unterschiede gegenüber Luther zu berücksichtigen. Profiliert wurde die Lehre zum mosaischen Gesetz erstens dadurch, dass sie auch im Fortgang in unterschiedlichen Auseinandersetzungen mit teils veränderten Fronten verfestigt und ausgebaut wurde. Zwei hervorstechende Beispiele hierfür seien genannt: der Aufstieg und der grausame Niedergang des sog. Täuferreiches in Münster 1533–35 und der Antinomerstreit 1537–40. Das Beispiel des Täuferreiches zeigt, wie eine Gruppe des Täufertums in Endzeiterwartung unter der Führung Jan van Leidens (1509–36), Jan Matthys’ (ca. 1500–34) und Bernhard Rothmanns (ca. 1495–1535) in der Reformationszeit versuchte, dem jüdischen Gemeinwesen nach dem Vorbild des Alten Testaments reale Gestalt zu verleihen. Bernhard Rothmann demonstriert hierbei besonders eindrücklich, wie sich ein figurativ-spiritualistisches Verständnis des Alten Testaments mit der Auslegung mosaischer Gesetze verbinden konnte; dadurch sollten die bereits in Münster eingeführten Bräuche und Institutionen wie Bilderverbote oder Polygamie, die sich am alttestamentlichen Vorbild orientierten, gerechtfertigt werden.93 Diesbezüglich hat Achim Detmers aufgezeigt, dass der blutig endende Konflikt in Münster auch als Teil eines breiteren Phänomens „judaisierender Irrlehren“, die in der ersten Hälfte der 1530er Jahre aufkamen, verstanden werden kann.94 Darunter wären dann auch der Täufer Melchior Hoffmann (ca. 1500–43) zu zählen, der Straßburg für das „Neue Jerusalem“, in das Christus wiederkehren werde, hielt und mit seiner Auslegung des Alten Testaments wiederum die Münsteraner Täufer beeinflusste,95 und die Gruppe der „Sabbatarier“ um Oswald Glaidt und Andreas Fischer. Letztere vertraten mit endzeitlichen Erwartungen an einen ewigen Sabbat die rigorose Einhaltung des Sabbatgebotes. Es ist verständlich, dass Luther seinen Standpunkt zum mosaischen Gesetz als Gegenreaktion darauf nicht verändern musste; allerdings trat in Schriften wie Wider die Sabbather (1538) nun auch eine scharfe anti-jüdische Polemik hinzu und der nicht wieder rückgängig zu machende Untergang des jüdischen Reiches wurde in den Vordergrund gerückt („Und ligt also jr gesetze mit Jerusalem und allem Juedischen Reich jnn der asschen“).96 Ein zweites Beispiel zeigt, wie die Wittenberger Position zum mosaischen Gesetz gegenüber einer entgegengesetzten Front von Luther und Melanchthon gesichert wurde: In dem sog. Antinomerstreit ab 1527 und dann ab 1537 hatten sich erst Melanchthon und dann Luther mit den Positionen Agricolas und seiner späteren 93 94 95 96
Vgl. Goertz, Radical Reformers, 594. Vgl. Detmers, Reformation und Judentum, 80–85. Vgl. aaO., 83f; Goertz, Radical Reformers, 593f. Luther, Ein Brief D. Mart. Luther. Wider die Sabbather an einen guten Freund (1538), WA 50, (309)312–337, hier zit.: 313,14f; vgl. 323,9–324,26 und zur Aufhebung des mosaischen Gesetzes 330,28–331,36.
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Anhänger auseinanderzusetzen. Agricola stellte die konstitutive Bedeutung des Gesetzes für das Glaubensleben (Sündenerkenntnis und Buße) in Frage und betonte stattdessen nur das Verhältnis zu Christus und dem Evangelium.97 In Luthers Disputationen gegen die Antinomer finden sich sowohl neue Perspektiven, um die Bedeutung des Gesetzes für den Glauben zu deuten, als auch einige pointierte Aussagen zum mosaischen Gesetz.98 Ein zweiter Punkt, der für die Durchsetzung und Profilierung der Wittenberger Position zum mosaischen Recht spricht, betrifft den Platz und die Funktion in Bekenntnis und Lehre: Die Erinnerung an die Gegner und Auseinandersetzungen, insbesondere der Jahre 1521–25, wurde im Sinne der eigenen Lehre weiter aufrechterhalten. Es ist bekannt, dass das Augsburger Bekenntnis (Confessio Augustana, CA), die erste und grundlegende lutherische Bekenntnisschrift aus dem Jahr 1530, keinen Artikel zum Gesetz Gottes enthält. Eine Lehre zum mosaischen Gesetz sucht man also in der CA vergebens. Schon in Melanchthons Apologie der CA (1531), die ebenfalls zu denjenigen lutherischen Bekenntnisschriften zählt, die später im Jahr 1580 mit den drei altkirchlichen Symbolen im lutherischen Konkordienbuch versammelt wurden, wird die Thematik des mosaischen Gesetzes aber wieder aufgenommen. Sie hat ihren festen Platz in der Erörterung des Verhältnisses von Gesetz und Evangelium99 und die Systematik der mosaischen Gesetze wird angeschnitten. Obwohl Melanchthon betont, dass er nicht näher auf das mosaische Zeremonial- und Judizialgesetz eingehen will,100 wird das Zeremonialgesetz mehrfach typologisch auf Christus hin ausgelegt sowie die Umsetzung der mosaischen Judizialgesetze im Gemeinwesen abgelehnt, indem an Karlstadt erinnert wird.101 Die neu bearbeiteten Ausgaben der Loci-Lehrbücher Melanchthons der Jahre 1535102, 1543 und 97 Einen kurzen, präzisen Überblick über den Antinomerstreit gibt Schwarz, Luther, 233–235; ausführlich zum Gesetzesverständnis bei Luther im Antinomerstreit Schulken, Lex efficax, 101–114. 138–149. 98 Vgl. Luther, Die erste Disputation gegen die Antinomer (1537), WA 39/1, 374,1–10; 387,1–11; 393,2–15; ders., Die dritte Disputation gegen die Antinomer (1538), WA 39/1, 541,1–3 u. ö. 99 Mose wird zur Personifizierung des Gesetzes schlechthin (vgl. Melanchthon, Apologia Confessionis Augustanae [1531], BSLK, 269,25–32). Zur Ablehnung der scholastischen Lehre einer lex nova bzw. einer lex Christi, die die lex Mosi abgelöst habe (vgl. aaO., 382,2– 15.36ff). 100 Vgl. aaO., 159,40–160,5. 101 „Insaniebat enim Carolostadius, qui nobis imponebat leges iudiciales Moysi“ (aaO., 308,13f). Genauso wird auch eine Ableitung von neuen Gesetzen aus dem Evangelium für das Zivilrecht abgelehnt: „Nec fert evangelium novas leges de statu civili, sed praecipit, ut praesentibus legibus obtemperemus, sive ab ethnicis sive ab aliis conditae sint, et hac obedientia caritatem exercere“ (aaO., 308,8–12). 102 Anders als in den Loci communes (1521) definiert Melanchthon die leges divinae nun als solche, die sowohl in den Mosebüchern als auch den Evangelien als leges auftauchen: „Leges divinae sunt leges, quae ubicunque extant cum in Mose tum in libris Evangelii“ (Melanchthon, Secunda aetas locorum theologicorum [1535], CR 21, 390). Demgegenüber wird die
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schließlich 1559103 manifestieren die lutherischen Grundpositionen zum mosaischen Gesetz weiter, und noch in den Heubtartikeln Christlicher Lere (1553), einer deutschen Fassung von Melanchthons Loci und zugleich das längste erhaltene deutsche Autograph von ihm, werden die alten Gegner wie Strauß, Stein und Müntzer oder die Münsteraner Täufer noch einmal ins Gedächtnis gerufen. Ein dritter und letzter Punkt, der für ein zunehmendes Profil der Wittenberger Lehre zum mosaischen Gesetz ab 1525 spricht, lenkt die Aufmerksamkeit noch einmal intensiver auf Melanchthon. Besonders drei Aspekte sind hier zu nennen: Zum einen wird die politia Mosis oder politia Mosaica bei Melanchthon noch mehr als bei Luther zu einem Schlüsselbegriff um das historisch gewordene Rechtsgebilde, wie es die mosaischen Gesetze beschreiben, zusammenzufassen, gleichzeitig aber auch eine Orientierung daran immer weiter einzuschränken, dann abzusprechen. Melanchthon hat zunehmend ab 1525 an vielen Stellen seiner Lehrwerke, Reden, Disputationen und Kommentare ähnlich wie Luther immer wieder betont, dass das mosaische Gemeinwesen uns nichts mehr angehe und eine Orientierung daran nicht nötig sei, weil nicht uns das Gesetz des Mose gegeben wurde, sondern dem jüdischen Volk (die Nähe zu Luthers Formulierung, dass das mosaische Gesetz der Juden Sachsenspiegel sei, ist hier offensichtlich).104 Das Gesetz Moses gehe uns ebenso wenig an wie die Gesetze des antiken griechischen Gesetzgebers Solon105 und andere alte Gesetzgebungen, solange damit nicht das Naturgesetz bzw. das göttliche Moralgesetz gemeint sind. Die ceremoniae et iudicialia Moysi sind dagegen nur externae et corporales ordinationes eines bestimmten Volkes, die mit der Offenbarung des Evangeliums ausgedient haben.106 So hat sich z. B. ein christlicher Richter für Melanchthon
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Lex Dei wie folgt zusammengefasst: „Lex Dei est doctrina divinitus ostensa, praecipiens, quales nos esse quae facere, quae omittere oportet, et requirens perfectam obedientiam erga Deum, ac damnans eos, qui non praestant hanc perfectam obedientiam“ (aaO., 388). Vgl. außerdem zur Systematik und Geltung der mosaischen Gesetze aaO., 390–392 u. dazu: „Quanquam autem postea dicemus, quomodo intelligi debeat, quod Christiani dicuntur liberi ab his legibus [die Judizial- und Zeremonialgesetze]; tamen nunc in summa sciendum est, iudiciales et ceremoniales leges Mosi prorsus nihil ad nos pertinere, nisi si quae in illis sunt naturales […]“ (aaO., 391). Vgl. auführlich zur Aufhebung der Judizial- und Zeremonialgesetz bzw. der politia Mosaica aaO., 459–462. Vgl. Melanchthon, Tertia aetas locorum theologicorum (1543/59), CR 21, 687f. 803–805. 1041–1043. „Politia Moisi ideo non est necessaria, quia nobis non est data lex Mosi, sed tantum populo Israel“ (CR 12, 474, Th. 21; vgl. dazu auch Th. 11). „Lex Moisi nihilo magis ad nos pertinet, quam leges Solonis, itaque tenemur lege, non propter Moisen, sed quia in natura scripta est“ (CR 12, 473, Th. 8). Mit Berufung auf den Hebräerbrief: „Ceremoniae et iudicialia Moysi sunt externae et corporales ordinationes certae gentis, et ad tempus traditae, ac desiturae post Evangelii revelationem, ut in Epistola ad Hebraeos scribitur. Evangelium autem cum de vita spirituali et aeterna concionetur non requirit illas externas ordinationes Mosaicas, quia ad vitam corporalem pertinent“ (CR 21, 461). „Darumb ist auch dise grosse unterschied der gesetz wol zu
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auch nicht mehr am mosaischen Judizialgesetz zu orientieren, sondern lieber am geltenden Gesetz seines Volkes und der politischen Herrschaft.107 Der Dekalog dagegen verliert für das gegenwärtige Gemeinwesen nicht seine Bedeutung – dies aber nicht deswegen, weil er auf Mose zurückgehe, sondern weil er durch göttliche Fügung in den Geist der Menschen (in animis/mentibus) und der Natur eingeschrieben sei.108 Hier nun kann ein weiterer Aspekt genannt werden, an dem sich ein Unterschied gegenüber Luther hervortut. Melanchthon steht wie kein anderer im lutherischen Bereich für die Etablierung und den Ausbau der Naturrechtslehre in der Theologie und den Rechtswissenschaften mit einem konsequenten Rückgriff auf die Antike wie z. B. die Werke Aristoteles’.109 Dadurch aber war zugleich auch ein Weg gefunden, die mosaische lex scripta in ihrer Bedeutung für rechtliche Argumentationen, Komparationen und Kompilationen in den Hintergrund treten zu lassen. Ein anderer, abschließender Aspekt scheint hierbei mindestens genauso wichtig gewesen zu sein: Melanchthons Zuwendung zum römischen Recht ab Mitte der 1520er Jahre auf Kosten des mosaischen Rechts. Schon Guido Kisch hat darauf verwiesen, dass bereits in Melanchthons De legibus oratio, die auf die Jahre 1523–25 zu datieren ist, die Tendenz sichtbar wird, dass Melanchthon zunächst noch die Wahl für die positive weltliche Rechtsgestaltung zwischen mosaischem und (römischem) zivilem Recht offen ließ, dann aber eine Abkehr vom mosaischen Recht erfolgte.110 Die Ausführungen Kischs sind noch zuzuspitzen: Melanchthon erinnert schon in dieser Rede daran, dass das römische Recht in kluger Weise von den Vorfahren gewählt wurde, und nennt das römische Zwölftafelgesetz (duodecim illae tabulae) die Quelle „unseres Rechts“ (fons iuris nostri).111 Die Rede Melanchthons passt zudem in ei-
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merken: Die Ceremonien und burgerlichen sitten sind vergengliche ordnung gewesen und uff ein zeit bestimmet, wie das weltlich regiment in Israel nur uff ein bestimpte zeit hatt stehen sollen. Und sind vom außzug aus Aegypto biß uff die letzte zerstorung Ierusalem 1582 Iar“ (Melanchthon, Heubtartikel, 313,16–20). „Deinde ne superstitione quadam nos alligemus ad Mosaicam politiam. Christianus iudex debet haereditates dividere, res iudicare iuxta leges suae gentis, quia singuli debent suis magistratibus parere“ (CR 21, 462). „4. Etiamsi certi quidam mores Mosaici non durant, qui fuerunt instituti ad discernendum illum populum ab aliis gentibus. 5. Durat tamen Decalogus scriptus in mentibus hominum. Manent et apud nos nostrae πολιτείαι. 6. Lex non ideo durat, quia Mosi data est, sed quia divinitus in animis scripta est. 7. Itaque donec manet hominum natura, manet lex“ (Melanchthon, Alia disputatio de abrogatione legis, CR 12, 473f, hier zit.: 473). „4. Etsi politia Mosaica desiit, nihil enim ad gentes pertinebat: tamen praecipua pars legis, quae vocatur moralis, et Decalogo continetur, non desiit, quia in natura scripta est“ (Melanchthon, Alia disputatio: de discrimine veteris et novi Testamenti, deque legis abrogatione, CR 12, 469– 472, hier zit.: 469f). Vgl. hierzu v. a. Strohm, Naturrecht bei Melanchthon; außerdem Deflers, Lex und ordo, 55– 60. 72–76. Vgl. Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, 102–115, bes. 106f. Melanchthon, De legibus oratio (1523–25), CR 11, 66–86, hier zit.: 67f.
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nigen Passagen sehr genau zu den Positionen, die Melanchthon bereits 1522 in seinen Themata ad sextam feriam discutienda entwickelt hatte (so z. B. die Ableitung des Tötungsgebotes aus Gen 9).112 Melanchthons Position wandelt sich dann ab dieser Rede von bevorzugenden Tendenzen des römischen Rechts hin zu einer propagierten Ablehnung des mosaischen Rechts für den weltlich-zivilen Rechtsbereich zugunsten des römischen Rechts, bei der der Jurist Hieronymus Schurff (od. Schürpf, 1481–1554) Melanchthon zur Seite trat.113 Das mosaische Gesetzeskorpus aber wird konsequent zu einem Gesetzestext der Vergangenheit neben vielen anderen. Diese Konstellation von mosaisch-rechtlicher Ablehnung und römisch-rechtlicher Wertschätzung findet ihren Ausdruck in einer langen Reihe weiterer Reden Melanchthons.114 Zuletzt muss noch einmal auf die Spannungen verwiesen werden, auf die Melanchthons Ablehnung der politia Mosaica als Rechtsvorbild für Christen in seinem geschichtlichen Bild von Israel hinausläuft. So verliert doch das geschichtliche jüdische Gemeinwesen (politia judaica) bei Melanchthon nicht seinen heiligen Charakter in der Geschichte. Sie ist fester Bestandteil der historia sacra, die seit der Urgeschichte von der historia profana zu unterscheiden ist. Dabei bezeichnet Melanchthon in vielen Fällen die politia judaica auch als ecclesia, sofern ihr eine vorausweisende Funktion auf Christus und seine Kirche zukomme und einige wenige Erwählte wie die biblischen Erzväter die Kontinuität der Kirche bis zum Kommen Christi sicherten.115 Gleichwohl unterscheidet Melanchthon für das ganze Alte Testament zwischen den Verheißungen, die die ecclesia aller Völker als Ort der Gnade zu allen Zeiten und an allen Orten betreffen, und den Verheißungen, die nur singulär dem jüdischen Volk galten und die politia Mosaica betrafen.116 Wie bei Luther, so werden auch bei Melanchthon zugleich Tendenzen deutlich, das zeitliche Nacheinander von Gesetz und Evangelium insgesamt auch auf das Verhältnis des Alten zum Neuen Testament zu 112 Vgl. aaO., 76f. 113 Zu Schurff ausführlich Schaich-Klose, D. Hieronymus Schürpf; vgl. zur Wertschätzung und Rolle des römischen Rechts bei Melanchthon Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, 116–126. 114 Vgl. noch einmal zu den mosaischen Gesetzen u. a.: Oratio in promotione cuiusdam iurisconsulti […] (1532), CR 11, 215–218, hier: 216f.; De dignitate legum oratio (1538), CR 11, 357–364, hier: 357–359; Oratio de veris legum fontibus et causis […] (1550?/1560), CR 11, 917–924, hier: 921f. 115 Vgl. zur Israel-Lehre Melanchthons Detmers, Reformation und Judentum, 120–130; vgl. hier: 122f. Die wesentlichen Aspekte zu Melanchthons Deutung der Kirche im Alten Testament sind ausführlich dargestellt bei Sick, Melanchthon als Ausleger, 82–144. 116 „In totius veteris Testamenti lectione prudenter discerni oportet promissionem generalem gratiae, pertinentem ad omnium temporum, locorum et gentium Ecclesiam, et alteram promissionem singularem de politia Mosaica certi populi lsraël, quae etsi et ipsa est ingens beneficium Dei, tamen immensum discrimen est inter aeternorum rerum et praesentis politiae promissionem“ (CR 13, 815).
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beziehen.117 Als Geschichtsquelle aber unterscheidet sich das Alte Testament dann eben doch von nicht-biblischen Quellen. Dies kann exemplarisch an Melanchthons Oratio de studio linguae Ebreae (1549) veranschaulicht werden. Mit dieser Rede hebt Melanchthon die Wichtigkeit des hebräischen Sprachstudiums für das rechte Verständnis und die Auslegung der Bibel hervor. An einer Stelle wird dann ausführlicher Bezug auf den italienischen Renaissance-Humanismus genommen und die Kritik Angelo Ambroginis (genannt Poliziano, 1454–94) an Giovanni Pico della Mirandola (1463–94).118 Poliziano hatte gegen Pico die Weisheit der Philosophie und griechischen Historie gegenüber den hebräischen Wissenschaften hervorgehoben. Melanchthon nimmt Polizianos Position auf und hält ihr entgegen: Der jüdische Staat sei besser als der „barbarische“ attische ausgestattet gewesen und Mose, Samuel, David, Elia, Elisa, Jesaja und Jeremia seien doch wohl bedeutendere Männer zu nennen als Solon, Themistokles und Aristides.119 Der politischen Klugheit und Tugend der Griechen steht die Wertschätzung Gottes und die außergewöhnlich große Weisheit „der Unseren“ entgegen, womit Melanchthon das jüdische Volk als Kirche Gottes meint. Melanchthons Rede zielt also damit auf die Unterscheidung zwischen der historia sacra und der historia profana und wertet in diesem Sinne die alttestamentliche Geschichte und mit ihr die Rolle der politia judaica auf. Dies war bei allem betonten Abschied von dem jüdisch-mosaischen Gemeinwesen als forthin geltendem Rechtsideal die Grundvoraussetzung, um weiterhin die historia sacra des jüdischen Volkes und die aus ihr abzuleitenden Exempel und Prinzipien würdigen zu können.
117 „Vetus Testamentum dicitur lex Mosi, quia prius revelata est eum publico testimonio quam Evangelium. 2. Novum Testamentum est Evangelium, quia etsi Evangelium ab initio mundi revelatum fuit, tamen illa revelatio fuit apud paucos, et Evangelium publice sparsum est in totum mundum, longe post revelatam legem Mosi“ (CR 12, 473, Th.1f). 118 Vgl. Melanchthon, Oratio de studio linguae Ebraeae (1549), CR 11 [Nr. 109], 867–877, hier: 875. 119 „Postremo quod de sapientia et barbarica Republica Politanus dixit, valde errat. Longe antecelluit veris ornamentis respublica Iudaica Atticae: nec concedo ei, Solonem, Themistoclem, Aristiden maiores viros fuisse, Moise, Samuele, Davide, Elia, Eliseo, Esaia, Ieremia. Fuit in Graecis politica sapientia et magna virtus, sed in his nostris agnitio Dei, et peculiaris sapientiae gradus fuit, qua res dubias et superiores humanis consiliis et viribus vocationem suam et Dei praesentiam gerebent. […] Hanc sapientiam maiorem et magis salutarem Themistoclea discetis ex lectione Repub[licae] Iudaicae, quam, cum fuerit Ecclesia Dei, non sinamus barbaricam vocari. Haec enim domicilium fuit agnitionis Dei sapientiae summae inter homines, prudentiae politicae, fortitudinis, castissimorum morum, disciplinae, et earum artium quae inter philosophicas praecipuae sunt. Sed nunc collationem gentium omittam“ (aaO., 876).
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2.2.3 Melanchthons Lehre der custodia utriusque tabulae des Dekalogs Die Lehre der custodia utriusque tabulae bezieht sich auf die Pflicht der christl[ichen] Obrigkeit zur Durchsetzung des Dekalogs in der externa disciplina, d. h. zur äußeren Erhaltung der Welt durch die weltliche Gewalt, um ihrer Erlösung durch die Evangeliumsverkündigung der geistl[ichen] Gewalt zu dienen.120
Gerade bei der Verhältnisbestimmung von weltlicher und geistlicher Gewalt kam ihr im protestantischen Bereich im Laufe des 16. Jahrhunderts eine Schlüsselfunktion zu: Hier ging es einerseits um die Abwehr und Sanktionierung von Häresie und Blasphemie (Ketzerrecht) und andererseits um die Wahrung der Gewissens- und Glaubensfreiheit in geistlichen Dingen. Melanchthon hat die Lehre von der custodia utriusque tabulae des Dekalogs seit Mitte der 1530er Jahre in unterschiedlichen Briefen und Schriften eingebracht und sie ist danach als Argumentationsgerüst von anderen Reformatoren wie Martin Bucer oder Johannes Calvin, aber auch in der Jurisprudenz übernommen worden. Durch die Assoziation mit Mose, der nach den Schilderungen des Alten Testaments die zwei Tafeln des göttlichen Gesetzes dem Volk Israel überbringt, liegen nun die Fragen auf der Hand: Musste Melanchthons Lehre, dass die weltliche Obrigkeit Aufseherin über beide Tafeln des Dekalogs sei, nicht mit seiner schon erörterten Ablehnung einer rechtlichen Orientierung an der politia Mosis in Konflikt kommen? Fehlte der Lehre ihre historische Basis oder Legitimation? Melanchthons eigene Aussagen lassen zum Teil erkennen, dass ihm solche Fragen bewusst gewesen sein mochten. Melanchthon wählte schließlich einen anderen Weg, als die Lehre von der custodia utriusque tabulae des Dekalogs insgesamt mit einem Idealbild der mosaischen Gesetzgebung und der politia Mosis zu verknüpfen. Die Hinweise aus den Quellen sprechen zunächst einmal dafür, dass sich Melanchthons Argumentation aus konkreten Rechtsanfragen entwickelte und sich dann in seinen Lehrschriften wiederfand. Die Vorstellung von der Obrigkeit als Hüterin des Dekalogs taucht, wenn auch nicht dem genauen Wortlaut nach, zum ersten Mal in einem Brief Melanchthons an Martin Bucer im März 1534 auf.121 Hier spricht Melanchthon nicht von custos, sondern von tutela und bezieht sich dabei auf die Rolle des magistratus als „tutela totius legis, quod attinet ad externam disciplinam et externa facta“.122 Gemeint ist aber auch schon hier der 120 Heckel, Art. custodia utriusque tabulae, 507. 121 Meine eigene Durchsicht bestätigt damit die Einschätzung von Heckel, Cura religionis, 229. 122 „Sed complexus sum etiam blasphemos. De hac parte scio, quosdam solere dubitare. Voci autem blasphemos, qui articulos habent, qui proprie non pertinent ad civilem statum, sed continent θεωρίας ut de divinitate Christi et similes. Etsi enim gradus quidam sunt, tamen hoc etiam refero baptismum infantum. Pronuntio itaque: blasphemas doctrinas a Magistru prohibendas, arcendas et puniendas esse. Ratio est, quia Magistratui commissa est tutela totius legis, quod attinet ad externam disciplinam et externa facta. Quare delicta externa
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externe Bereich der Religionsausübung und im Nachsatz wird dies daran deutlich, dass von der ersten Tafel (prima tabula) – also von einer Herleitung der Rechtskompetenz der Obrigkeit in religiösen Angelegenheiten aus der ersten Dekalogtafel – die Rede ist. Den Kontext der Erläuterungen Melanchthons bilden die Auseinandersetzungen mit dem Täufertum, über die er mit dem Straßburger Reformator Martin Bucer im Austausch stand. Melanchthon unterscheidet hier unterschiedliche Grade blasphemischer Lehre (blasphemas doctrinas oder θεωρίας), zählt aber letztlich auch die Ablehnung der Kindertaufe dazu. Dadurch aber, dass ihm Blasphemie als Infragestellung oder Angriff auf die erste Tafel des Dekalogs, die zur externa disciplina gehöre, gilt, müsse folgerichtig ein Verbot und eine Bestrafung (prohibere ac punire) folgen. Melanchthon fügt dann noch an, dass Strafen auf Blasphemie und falschen Schwur in Gesetzen aller Völker nachweisbar sind, er verzichtet aber vielsagender Weise dann auf Beispiele aus dem mosaischen Gesetz. Auch im Kontext des sog. Frankfurter Anstandes 1539 verfasste Melanchthon eine Schrift, in der die Lehre von der custodia utriusque tabulae zum Tragen kam, und zwar wieder in der Frage der Rechtsbefugnisse eines Fürsten bzw. der weltlichen Obrigkeit, gegen Ketzerei vorzugehen und den rechten Gottesdienst und christliche Lehre durchzusetzen. Melanchthon führt wiederum zunächst eine strenge Scheidung zwischen den Ämtern (officia) der Kirchen bzw. Bischöfe und der politischen Macht ein, um dann aber das Ketzerrecht und die cura religionis der Fürsten und Magistrate zu belegen. Er entfaltet dabei drei Argumente: In einem wird der Magistrat als „custos primae et secundae tabulae“ benannt.123 Melanchthon betont hier, dass es nicht darum geht, die politia Mosis contra primam tabulam prohibere ac punire debet. Nec vero hoc dubium est. Vides in omnium gentium legibus extare poenas periurii, item blasphemiarum. Etsi autem possum allegare Mosaicae legis exemplum, tamen eo omisso videamus alia“ (Brief Melanchthons an M. Bucer, 15. März 1534, CR 2, 710–713 [No. 1175], hier zit.: 711). 123 „Est ergo haec prima ratio sumpta a necessitate confessionis, de qua nihil dubium est mandatum communicandae doctrinae simpliciter necessarium esse et partem esse confessiones, sicut dicit Christus: „Luceat lux vestra, ut glorificetur Pater vester“ etc.“ (MWA 389,19–23). „Secunda ratio. Nominatim praecepit Deus his, qui praesunt, ut obtemperent Evangelio et propagari sinant. […]“ (aaO. 31–33). Dann folgt das dritte Argument, das hier ausführlich zitiert wird: „Tertia ratio, sumpta ab officio magistratus. Magistratus est custos primae et secundae tabulae legis, quod ad externam disciplinam attinet, hoc est, prohibere externa scelera et punire sontes debet et proponere bona exempla. Manifestum est autem in primo et secundo praecepto prohiberi idolatriam et blasphemias. Ergo necesse est magistratum externam idolatriam et blasphemias tollere et curare, ut pia doctrina et pii cultus proponantur. Etsi enim magistratus non mutat corda nec habet ministerium spiritus, tamen habet suum officium externae disciplinae conservandae etiam in iis, quae ad primam tabulam pertinent. Confirmat igitur maiorem Paulus cum inquit: Lex est iniustis posita, impiis et prophanis, scilicet cohercendis. Nec revocamus politiam Mosi, sed lex moralis perpetuae est et omium aetatum. Morale et naturale mandatum est prohibere et punire idolatriam et blasphemias, quia prohibentur in primo et secundo praecepto, quae sunt moralia, sicut
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neu hervorzurufen, sondern es vielmehr beim Ketzerrecht der Obrigkeit um die Bewahrung des ewigen (mosaischen) Moralgesetzes gehe. Weitere ähnliche Stellen könnten hinzugenommen werden. Im Jahr 1555 beispielsweise schreibt Melanchthon: Der Magistratus politicus sei ein Diener Gottes (minister Dei) und ein Hüter der Lehre (disciplina) jeder Tafel des Dekalogs. Auf jene barbarische Ausrede, jene Gesetze beträfen das mosaische Gemeinwesen (pertinere ad politiam Mosaicam) und nicht unsere, ist nicht zu hören. So wie der Dekalog selbst alle betrifft, so soll der Richter (iudex) alle Aufgaben des Dekalogs in der äußeren Disziplin versehen.124
Zu diesem Zeitpunkt hat Melanchthon die Lehre von der custodia utriusque tabulae der weltlichen Obrigkeit bereits in seine theologische Lehre (die späteren Loci) aufgenommen und sie ist dann auch gleich von anderen Reformatoren übernommen worden. Insgesamt ging es Melanchthon mit dieser Lehre aber gerade nicht um eine Idealisierung der politia Mosis/Mosaica. Dies betonte er vielfach in seinen Äußerungen.
2.2.4 Auswirkungen auf die Rechts- und Geschichtsdeutung des mosaisch-jüdischen Gemeinwesens im lutherischen Bereich? Im Jahr 1570 hält der gerade erst in sein Amt eingeführte Dekan der philosophischen Fakultät der Universität Wittenberg, Edo Hilderich von Varel (1533– 1599), eine Rede Über das Gemeinwesen und die Hierarchie des jüdischen Volkes (De politia et hierarchia populi iudaici). Der aus dem ostfriesischen Adel stammende Hilderich hatte sich ab 1554 in Wittenberg selbst vor allem den philosophischen und mathematischen Studien gewidmet, bevor er sich der Theologie und den Sprachen zuwandte und danach Professor der Mathematik in Jena wurde.125 In seiner Rede richtet sich Hilderich nun explizit an die „jungen omnes gentes puniverunt periuria, et haud dubie magistratus deberet punire prophanos seu atheus, qui delectantur Epicureis sermonibus de Deo et de providentia“ (aaO. 13–34). 124 „Neque illa barbarica excusatio audienda est, leges illas pertinere ad politiam Mosaicam, non ad nostras. Ut Decalogus ipse ad omnes pertinet, ita iudex ubique omnia Decalogi officia in externa disciplina tueatur“ ([De Serveto.] Explicatio questionum scripta a Phlippo Melanthone. De officio politici Magistratus, No. 5826, CR 8, 520–523, hier zit.: 520). 125 Vgl. zu Edo Hilderich (Hildericus) von Varel näher Jöcher 2, 1603; Günther, Lebensskizzen, 165; Tschackert, Art.: Varel. In der neueren Literatur hat sich lediglich Peter Barker auf Hilderich bezogen und ihn in seinen wissenschaftlichen Vermittlungsbemühungen in der Astronomie gewürdigt (vgl. dazu Barker, Role of Religion, 68–72). Ausführliche Informationen finden sich bei Zeltner, Vitae theologorum Altorphinorum, 26–42 u. Tiaden, Das Gelehrte Ost Friesland, 160–169. Tiaden zeichnet Hilderich als einen „Mann von ausgebreiteten Einsichten in allen Wissenschaften“, insbesondere in der Orientalistik und in den
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Männer“ (iuniores), sprich Studenten: Es gehe ihm weniger darum, dem Brauch einer Festrede nachzukommen oder noch einmal den gesamten Zusammenhang der jüdischen Geschichte zu wiederholen, sondern um einen lehrreichen Überblick über die wichtigsten Teile der Hierarchie und des Gemeinwesens des jüdischen Volkes.126 Verschiedene Beweggründe konnten Hilderich dazu gebracht haben, die politia judaica zu behandeln. Durch seine Hebräischkenntnisse, die er auch in seiner Rede nachweist, und seinen wissenschaftlichen Schwerpunkt lag eine Beschäftigung mit diesem Thema vielleicht nahe. So sollte Hilderich später noch eine Professur für Geschichte und Hebräisch in Frankfurt (Oder) antreten und auch danach in Heidelberg und ab 1580 in Altdorf, seiner letzten, wahrscheinlich bedeutendsten Wirkstätte, Theologie und hebräische Sprache lehren.127 Spezifischere Gründe für die Wahl des Themas der Rede liefert aber ein genauerer Blick in die Rede selbst: Es ging Hilderich nicht bloß darum, eine informative Synopse für die Studenten bereitzustellen. Gottes Handeln sollte in der Geschichte erkannt werden und das geschichtspolitische Modell des jüdischen Gemeinwesens wurde bewusst in Bezug zur Kirche und zum christlichen Gemeinwesen der Gegenwart gesetzt.128 Auf der einen Seite hebt Hilderich durch seinen am Gesetz orientierten Gang zu den Quellen Israels das Einheit stiftende Moment gegenüber einer dunklen Zeit schwerster Lehrstreitigkeiten hervor.129
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mathematischen Wissenschaften. Er sei „zu den groeßten Gelehrten seiner Zeit zu rechnen“ (aaO., 169). „Cum autem consuetudo Scholae postulet, vt in hac publica festiuitate proponatur aliquid, quod erudiat iuniores: Constitui dicere aliquid de hierarchia & politia gentis Iudaicae: Idque faciam non Panegyricorum more, nec toto historiae contextu repetito, sed velut in transcursu recitabo partes praecipuas, vt gradus, & discrimina personarum distinctaque officia in vtroque statu, politico, & hierarchico, ordo iudiciorum, & appellationes innotescant adolescentibus, quarum consideratio lucem mirificam adfert lectioni totius historiae Biblicae, atquae Euangeliae in primis“ (Hilderich von Varel, Oratio de politia et hierarchia, f. A3v). Vgl. Tschackert, Art.: Varel; Günther, Lebensskizzen, 165. 1582 war Hilderich von Varel auch Rektor in Altdorf. „Hanc Politiae & Hierarchiae in populo Israel historiam, cum mihi hoc tempore publice dicendum esset, & propter cognitionem, vt iunioribus quasi σύνοψις quaedam in conspectu esset, rerum diuersis temporibus gestarum, & propter necessarias de multis magnis rebus commonefactiones, de ira & misericordia Dei, de calamitatibus, liberationibus Ecclesiae, repetere volui. Quam si ad eius temporis historiam conferamus, quae Christum & Apostolos secuta est, ad has mundi feces vsque, quid dissimile reperiemus? Nonne mox post Apostolos, ambitione docentium accensa certamina horribiliter Ecclesiam diuulserunt?“ (Hilderich von Varel, Oratio de politia et hierarchia, f. C[1v]). „Ab his votis vt ordirer orationem, non solum pia Scholae consuetudo, sed & meae me coscientiae (sic!) sensus impulit: quae cum non fore irrita certo confidam, spero visurum me breui multo maiore cum voluptate, ac dilectatione, talem aliarum plurium Ecclesiarum cum hac nostra coniunctionem, qualem Dei beneficio in his terris conspicamur, quae se ex tetra dogmatum confusione, & diris certaminum infinitorum conflictibus eluctatas, certum verarum & firmarum consolationum portum, quem praeceptorum nostrorum scripta in
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Auf der anderen Seite stechen aber auch seine Frontstellungen gegen die „päpstliche Idolatrie“ und den „mohammedanischen Wahnsinn“ in der Rede hervor.130 Hilderich reaktiviert dabei bewusst die jüdische Politikgeschichte, um aus ihr Lehren für die Bewahrung des „christlichen Erdkreises“ (orbis Christianus) und des „Lichts des Evangeliums“ zu ziehen. Zwar positioniert er sich bereits zu Anfang in einer Reihe mit Luther, Melanchthon und der Wittenberger Schule,131 spezifische dogmatische Lehrinhalte und Unterscheidungen außer den historischen und philologischen Erörterungen zur politia judaica bleiben aber außen vor, ja sie decken sich nicht unbedingt mit dem, was Luther und Melanchthon so ohne Weiteres gelehrt hätten: Die „Fundamente“ (fundamenta) der politia judaica wurden für Hilderich durch Mose mit der Gesetzgebung Gottes für sein Volk gelegt,132 und die Systematik der Gesetze stützt Hilderich auf eine jüdisch-hebräische Terminologie. Deren Begrifflichkeit sowie die Bezeichnungen der politischen Institutionen des jüdischen Gemeinwesens (z. B. wird das jüdische Synedrium mit dem römischen Senat verglichen) werden zugleich mit dem Lateinischen und dem Griechischen (der Septuaginta) vermittelt.133 Diese Gesetze und Institutionen lassen sich für Hilderich von Varel in weltlich-politische und geistlich-priesterliche unterscheiden und beschreiben.134 Dann wird insgesamt die Geschichte der politia judaica seit ihren mosaischen Ursprüngen bis auf die Geburt Christi weiterverfolgt, wobei auch die innerjüdischen Religionspar-
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fontibus Israel demonstrant, rursus arripuisse laetabuntur, & gratae beneficia redditae uerae, constantisque, & consentientis doctrinae praedicabunt“ (aaO., f. A3v). Hilderich spricht von einer „Pontificia Idolatria vel Mahometica vesania ac tyrannis“ (aaO., f. [A2v], geänderter Kasus, MT; vgl. dazu auch aaO., f. C[1v]). Vgl. aaO., f. [A2r–v]. „Prima politiae Iudaicae & hierarchiae fundamenta iecit Moses, cum populum duce Filio Die ereptum tyrannidi ac saeuiciae Pharaonis eduxisset ex Aegypto per mare rubrum. Leges enim tulit populo acceptas ex patefactione & praescriptio Dei in monte Sinaei, quibus quae ad politiam & hierarchiam pertinent, complexus est & senatum constituit, pens esset: & collegia Sacerdotum, ac Leuitarum instituit, quibus procurationem, administrationemque rerum sacrarum pertinentium ad doctrinae propagationem & exercitia rituum ac ceremoniarum commendauit“ (aaO., f. [A4r]). Hilderich unterscheidet nach gängiger Weise drei Klassen (tres classes) der göttlichen Gesetze: Den Dekalog und das Moralgesetz ordnet er dann der מצוהzu, die in der LXX auch ἔντολάς (praecepta seu mandata) genannt werden; die leges ceremoniales werden mit den חקיםund im Griechischen den δικαιώματα identifiziert und die forensischen Gesetze schließlich mit den משפתיםund nach der LXX mit κρίματα (vgl. aaO., f. [A4r–v]). Zu den trilingualen Bezeichnungen für die politischen Institutionen des jüdischen Gemeinwesens vgl. z. B. aaO., f. [A4v]–B[1r] u. ö. Ein Einschnitt in den inhaltlichen Ausführungen der Rede wird mit folgenden Worten markiert: „Dixi de Politia, addam aliquid & de Hierarchia, quae mandato diuino a Mose ex Sacerdotibus & Leuitis fuit constituta“ (aaO., f. B2v–B3r). Unter hierarchia wird, der altgriechischen Bedeutung entsprechend, vor allem noch die geistlich-priesterliche Rangordnung verstanden, wobei Hilderich aber auf den dann folgenden Seiten z. B. auch auf die Rolle der Propheten oder den unterschiedlichen Tempelbau eingeht.
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teien zur Zeit Jesu thematisiert werden.135 So zeigt sich schließlich ein Interesse, die unterschiedlichen Regierungsformen, die in der Geschichte des jüdischen Gemeinwesens wechselten, zu beschreiben und diese teilweise auch zu bewerten. Hilderichs Rede spiegelt damit im Kleinformat wider, womit sich einige Jahre später Autoren in ganzen Werken über die politia judaica bzw. respublica Hebraeorum auseinandersetzen werden. Wie ist allerdings nun der Sachverhalt zu deuten, dass Hilderich eine solche Rede gerade in Wittenberg hält und sich in der Rede auf das Erbe Luthers und Melanchthons bezieht? Steht dies nicht im Widerspruch zu deren Abwendung von der politischen Bedeutung der mosaischen Gesetzgebung? Man wird wohl bei der Beantwortung dieser Fragen am ehesten bei Hilderich von Varels eigentümlichen geistig-akademischen Hintergründen und auch seiner binnenkonfessionellen Einordnung anzusetzen haben. Schon in Jena hatte er in einer programmatischen Rede über das biblische Studium in den alten Sprachen den Wert der hebräischen, aramäischen und griechischen Sprache betont.136 Später gehörte er zu den Begründern der Hebraistik (seit 1577) an der Hohen Schule in Altdorf und lehrte Grundlagen des Syrischen, Aramäischen und wohl auch Arabischen.137 Diese humanistische und hebraistische Orientierung ist auch in seinem Unterricht der Philosophie und Theologie stärker zu gewichten. Sie unterscheidet sich von der verbreiteten Lehre lutherischer Theologen in seiner Zeit. Ein Chronist der Universität Altdorf schreibt, Hilderich sei „ein billiger sanftmuethiger Theolog“ gewesen.138 Auch findet sich hier und in anderen Zeugnissen über Hilderich der Hinweis, dass er seine spätere Wirkungsstätte Heidelberg verlassen hatte, weil er sich weigerte, das lutherische Bekenntnis, die Konkordienformel, zu unterzeichnen. Hilderich fügt sich damit in einen konfessionellen Grenzbereich des sog. Kryptocalvinismus ein. Eine Inanspruchnahme des Erbes der Wittenberger Reformatoren – seine Rede fällt zeitlich in das Todesjahr des von ihm verehrten Melanchthon – gegen die „päpstliche Idolatrie“ und den „mohammedanischen Wahnsinn“ ist ihm hier ebenso möglich wie die Ablehnung späterer lutherischer Bekenntnis- und Lehrformulierungen. Die demgegenüber abschließend noch einmal allgemeiner zu stellende Frage nach der geschichtlichen Deutung des jüdischen Gemeinwesens im lutherischen Bereich hat insbesondere Melanchthons Gewicht zu berücksichtigen. In der 135 Vgl. aaO., f. B2v, f. C[1r]–C2r. 136 Hilderich von Varel, Oratio de instituenda in Academiis christianis publica praelectione trium biblicarum linguarum, Hebraicae, Chaldaicae, et Graecae, ac sacrorum fontium biblicorum utriusque instrumenti, cum veteris Hebraici, tum novi Graeci, [Jena] 1567. 137 Dies geben die Vorlesungsverzeichnisse an, ansonsten ist aber nur relativ wenig über seinen Unterricht bekannt (vgl. Mährle, Academia Norica, 266f). 138 Vgl. Will/Nopitsch, Geschichte und Beschreibung, 75; ebenso Günther, Lebensskizzen, 165 und Tschackert, Art.: Varel, 485f zur Ablehnung der Konkordienformel.
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umfangreichsten Studie zur lutherischen Kirchen- und Universalgeschichtsschreibung der letzten Jahre hat Matthias Pohlig zurecht herausgestellt, dass die „wichtigsten Konzeptionen und Begriffe der lutherischen Geschichtsschreibung“ auf Melanchthon zurückzuführen sind.139 Welche Auswirkungen dies für die Geschichtsdarstellung hatte, kann in aller Kürze an Melanchthons historiographischem Hauptwerk Chronicon Carionis, das zugleich eines der wirkungsreichsten Geschichtswerke der Reformationszeit darstellt, erörtert werden. Melanchthon baute in dem Werk auf den Vorarbeiten seines Schülers, des Hofastronomen Johannes Carion (eig. Nägelin, 1499–1537), auf, der im Jahr 1532 eine Chronica veröffentlicht hatte. Erst in den Jahren 1558 und 1560 erschienen die ersten zwei Bände des Chronicon Carionis Melanchthons, die die Weltgeschichte von der Schöpfung bis zu Kaiser Karl dem Großen behandelten. Fortgeführt wurde die Schrift Chronicon Carionis in zwei weiteren Bänden (1562/65), die geschichtlich bis auf die Reformationszeit reichten, durch Kaspar Peucer (1525–1602), Melanchthons Schwiegersohn, der ihm auf die Geschichtsprofessur in Wittenberg nachfolgte.140 Obwohl Melanchthon die Chronica Johannes Carions als Vorlage nutzte, kommen die von ihm verfassten zwei Bände einer Neuschreibung gleich.141 Doch bestanden im methodischen Ansatz zwischen beiden allein dadurch erhebliche Nähen, weil Carion ein Schüler Melanchthons war. Schon in der methodischen Vorrede, die Johannes Carion seiner Chronica voranstellte, wird deutlich, dass das historische Vorgehen und die Gliederung des Stoffes wie bei Melanchthon biblisch orientiert sind. Die Struktur wird nämlich von der Danielprophetie der vier Reiche (Dan 2,27–49; 7) geprägt, die Carion auf die Reiche der Assyrer, Perser, Griechen und Römer bezieht.142 Dieser liegt zugleich eine Unterscheidung zwischen den „heidnischen“ und „heiligen schrifft historien“ zugrunde.143 Auch die Bibel hat dabei für Carion „furnemlich zuthun/ mit den Regimenten“, weil sie nicht nur Gottes Wort und Willen lehrt und das Reich Christi, sondern auch Lehren über das weltliche Reich in Form von Exempeln, die der Tugendlehre (vor allem der Fürsten) und Christen zum Glauben
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Vgl. Pohlig, Gelehrsamkeit, 175. Zum ersten Mal vollständig wurde das Chronicon Carionis erst im Jahr 1572 gedruckt. Vgl. ausführlich Münch, Chronicon Carionis Philippicum; Pohlig, Gelehrsamkeit, 177. Für die Strukturierung des historischen Stoffes nach den vier Reichen sprach für Carion nicht nur die zugängliche Form der Darstellung, die das Verständnis und Memorieren leichter machen sollte, sondern auch die Nützlichkeit, politische Veränderungen und ihre Ursachen zu erkennen, vgl. Carion, Chronicon, f. [Aviijr–v]. 143 „Denn nicht allein die heidnischen/ sondern auch der heiligen schrifft historien/ haben furnemlich zuthun/ mit den Regimenten. Die schrifft leret vns von Gottes willen vnd wort/ vnd von dem ewigen Reich Christi/ doch leret sie daneben auch vom weltlichen reich/ vnd stellet vns fur viel schoener Exempel/ im regiment nuetzlich und dienstlich […]“ (aaO., f. [Aiijv]).
Heinrich Bullingers Eigenbeitrag in der reformierten Gesetzeslehre
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und zur Gottesfurcht dienen, enthält.144 Schon von daher ist die Konzentration auf Monarchien und Fürstenherrschaften, die einen wesentlichen Teil des Werkes ausmachen, verständlich. In dem Werk selbst wird ausgehend von der VierReiche-Lehre dann auch kein Idealbild der politia Mosis mehr entworfen. Ähnliches ließe sich für andere Geschichtswerke konstatieren, die sich dem lutherischen Bereich zuordnen lassen: so z. B. Paul Ebers mehrfach wieder neu aufgelegtes und in andere Sprachen übersetzes Geschichtswerk Contexta populi Iudaici historia a reditu ex Babylonico exilio (1548)145 oder auch das Monumentalwerk der Magdeburger Centurien (1559–1574), das im Gelehrtenkreis um Matthias Flacius entsteht und die lutherische Dogmatik146 (also auch die Wittenberger Lehre von den mosaischen Gesetzen) mit einer Geschichtsdarstellung verbindet.
2.3
Heinrich Bullingers Eigenbeitrag in der reformierten Gesetzeslehre gegenüber Ulrich Zwingli in Zürich
Durch Ulrich Zwingli (1484–1531) erhielt die Reformation in Zürich ein zweites frühes Zentrum in Europa neben Wittenberg. Nicht nur stellte der genossenschaftliche Kontext Zürichs und der Schweiz eine andere Voraussetzung für die Reformation gegenüber Wittenberg dar,147 sondern Zwinglis Theologie verlief auch trotz aller reformatorischen Übereinstimmungen mit Luther in anderen Bahnen.148 Wesentliche Unterschiede in Zwinglis Theologie gegenüber Luther waren vor allem in Zwinglis starken humanistischen Prägungen begründet. Seit dem Frühjahr 1516 gehörte Zwingli dem Humanisten-Kreis um Erasmus von Rotterdam (um 1469–1536)149 an. Die Autorität des Humanistenfürsten Erasmus hat Zwingli zeitlebens gewürdigt und schon früh vermerkt, dass er mit Hilfe des „Philosophen und herausragenden Theologen“ Erasmus zu einem neuen Verständnis von Christus gelangt sei.150 Schon in den frühen Zürcher Jahren hatte 144 Vgl. aaO., f. [Aiijv]–Avr. 145 Die Übersetzungen und Neuauflagen der Schrift sind im Quellenverzeichnis dieser Arbeit aufgeführt. 146 Vgl. zum Hintergrund Lyon, Magdeburg Centuries. 147 Die Kontexte und Eigenarten der Zürcher Reformation sind herausgearbeitet bei Locher, Die Zwinglische Reformation; Gordon, Swiss Reformation; zur Lehrentwicklung immer noch eingängig Neuser, Dogma und Bekenntnis. 148 Vgl. die Überblicksdarstellungen zur Theologie Zwinglis bei Locher, Zwingli in neuer Sicht; Stephens, Introduction; Gäbler, Huldrych Zwingli; Leppin, Art. Zwingli, 798–804. 149 Vgl. Augustijn, Humanismus, H75–H78. 150 Von Erasmus als „Philosoph und herausragenden Theologen“ sprach Zwingli schon in einem Dankesbrief an ihn vom 29. April 1516 (vgl. Christ-von Wedel, Erasmus und die Zürcher Reformatoren, 77f).
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Debatten über die Geltung und politische Relevanz der mosaischen Gesetze
Zwingli sich aber darüber hinaus mit einer anderen Form des Humanismus auseinandergesetzt: dem Florentiner Renaissance-Humanismus. Durch seine Randbemerkungen lässt sich heute noch nachvollziehen, dass Zwingli Giovanni Pico della Mirandolas Werke, darunter auch dessen Genesis-Kommentar Heptaplus, besonders intensiv studiert hat.151 Irena Backus kam jedoch in ihrer Auswertung dieser Glossen und Texteinträge zu dem Schluss, dass Zwingli an den eigentlichen Hauptthemen in den Werken Picos wie die Menschenwürde, Magie oder die Harmonisierung Platons mit Aristoteles gar nicht so sehr interessiert zu sein schien.152 Zwar ging somit Zwinglis Offenheit gegenüber der antiken heidnischen Philosophie in entscheidenden Formulierungen weiter als die des Erasmus, aber seine „vergeistigte“ Gesetzeslehre deutet darauf hin, dass hier Prägungen durch Erasmus vielleicht stärker vermutet werden dürfen.
2.3.1 Zur Bedeutung von Zwinglis Unterscheidung zwischen dem göttlichen Gesetz (lex Dei) und den mosaischen Gesetzen Obwohl Zwinglis Gesetzesverständnis, gerade im Vergleich zu anderen Reformatoren wie Luther, Melanchthon oder Calvin, bisher nur unzureichend erforscht ist, lässt die Quellenlage zumindest einen Schluss zu, der für die vorliegende Untersuchung entscheidend ist: Zwingli unterscheidet implizit und stellenweise explizit zwischen einer umfassenden lex Dei auf der einen Seite und dem enger umgrenzten mosaischen Gesetz auf der anderen Seite. Zu einer umfassenden Würdigung der mosaischen Gesetzgebung und der lex scripta Mosaica kommt Zwingli, soweit ich sehen kann, dabei nicht. Dieser Unterschied wird in besonderer Weise erst im nächsten Abschnitt im Vergleich mit seinem Nachfolger Heinrich Bullinger offensichtlich werden. Die folgenden Beobachtungen können sich darauf beschränken, die Konturen von Zwinglis Verständnis der lex Dei und lex Mosis wiederzugeben. Erstens, Zwingli vertritt in seinen Schriften ein voluntaristisches Gesetzesverständnis: Lex nihil aliud est quam aeterna Dei voluntas.153 Das Gesetz ist Gottes ewiger Wille, in dem für die Menschen Gott abseits von einem spekulativen Wissen um Gott wahrzunehmen ist. Dieses Gesetzesverständnis hängt selbst eng mit seinem eigenen Gottesbegriff zusammen, denn er geht von einem 151 Vgl. aaO., 139. 152 Vgl. Backus, Randbemerkungen Zwinglis, 304f. 153 Zwingli, De vera et falsa religione commentarius (1525), Z 3, (590)628–912, hier zit.: 707,1. Vgl. auch ders., Auslegen und Gründe der Schlußreden (1523), Z 2, (1)14–457, hier: 232,2f; ders., Eine kurze christliche Einleitung (1523), Z 2, (626)628–663, hier: 647,5f: „Das gsatz ist ein gu˚t ding für sich selb; denn es zeigt den willen gottes an […].“ Vgl. zu Zwinglis Verständnis des Gesetzes als aeterna Dei voluntas auch Eisinger, Gesetz und Evangelium, 12–24.
Heinrich Bullingers Eigenbeitrag in der reformierten Gesetzeslehre
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höchsten Gut (summum bonum) aus, das Gott selbst ist. Daraus entspringt das Gute und Gerechte, dem wiederum auch nur der Wille Gottes entsprechen kann: Gott ist das ewig, einig, unverwandelbarlich gu˚t, uß dem alles gu˚t kumpt. Also mu˚ß sin will nüt anderst sin, denn ein ewiger brunn des rechten und gu˚ten. Nach dem volgt, das alles, so uns got ze wissen thu˚t, daß dasselb gu˚t ist und recht; denn von dem brunnen oder boum mu˚ß nüt dann gu˚te frucht kummen.154
Hinter dem biblischen Motiv vom Baum und den guten Früchten verbirgt sich dann die Folgerung, […] daß das gsatzt, so es von got kumpt, gu˚t ist; denn es kumpt uß dem willen gottes, der ein ewige regel oder schnu˚r ist des rechten und gu˚ten. Wyter volgt: So das gsatzt uß dem willen gottes kumpt, das es ouch ewigklich recht und gu˚t ist, so es von got selbs nit wirdt abgethon; und welcher thu˚t das, so das gsatzt heißt, recht und gu˚tes thu˚t; denn er thu˚t, das got wil; das mu˚ß ouch gu˚t sin, das er wil.155
Wenn dieses Gesetz wirklich eine Eröffnung und Anzeige von Gottes Willen ist, dann sollte die Fassung des Gesetzes in Geboten nichts anderes bezwecken, als sichtbar zu machen, was Gott will und erfordert.156 Wie gesehen, konnte auch Melanchthon eine voluntaristische Definition der lex Dei vertreten, in Zwinglis Fall hat dieses voluntaristische Verständnis aber andere Konsequenzen für seine ganze Theologie. Das Fragen nach der fortwährenden Geltung der lex Dei rückt in den Mittelpunkt. Dies hängt vor allem auch damit zusammen, dass Zwingli eine Dialektik von Gesetz und Evangelium der Wittenberger Reformatoren Luther und Melanchthon nicht vertritt. So weist Walther Eisinger in seiner Untersuchung Gesetz und Evangelium bei Huldrych Zwingli zwar auf den Umstand hin, dass Zwingli die Absicht erwähnte, ein kurzes Buch in Latein über das Verhältnis von Gesetz und Evangelium zu schreiben.157 Angesichts dessen, dass diese Absicht nie realisiert wurde, lässt sich aber nur eine Beschäftigung Zwinglis mit diesem Thema folgern, zumal er einschlägige Schriften Luthers studiert hatte. Allerdings kommt Eisinger insgesamt zu dem Schluss, dass Zwingli zwar den Gegensatz von Gesetz und Evangelium kannte, aber nicht als einen innerhalb der Heiligen Schrift, sondern als einen zwischen dem gehörten Wort ohne hinzutretenden Geist und dem Wort, das Menschen durch den Geist vermittelt wird.158 154 Zwingli, Schlußreden, Z 2, 230,26–32; vgl. dazu auch ähnlich im Zusammenhang mit dem Naturgesetz aaO., 326,4–13. 155 AaO., 231,1–7. 156 Zwingli kann außerdem feststellen, dass Gott überhaupt nur drei Formen der Mitteilung an die Menschen wählt: Gebot, Verbot und Verheißung (vgl. aaO., 78,17–21). 157 Eisinger bezieht sich auf folgende Angabe bei Zwingli: „[H]ab wol im sinn, nach der zyt ein eigen buechlin in latin ze schryben vom gsatz und euangelio“ (aaO., 230,25f mit Anm. 6; dazu Eisinger, Gesetz und Evangelium, 247–252). 158 Vgl. aaO., 333; dazu auch das folgende Resümee zu Zwinglis Verständnis von Gesetz und
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Debatten über die Geltung und politische Relevanz der mosaischen Gesetze
Eisingers Resümee hebt dann zurecht die Bedeutung des Geistes in Zwinglis Theologie hervor, die sich auch auf sein Gesetzesverständnis auswirken musste. So kann Zwingli sogar vorschlagen, dass die Gebote Gottes als sichtbares Zeugnis von Gottes Willen besser Evangelium als Gesetz genannt werden: „Were nun das selbig nit ein gu˚te botschafft, wenn der will gottes dem mentschen kund gethon wurde?“159 Daran angefügt wird zwar, dass beides, Gesetz und Evangelium, auch nicht miteinander vermischt werden sollten.160 Aber der Unterschied zwischen beidem weicht jetzt dem Gegensatz von Fleisch (lehnt sich auf gegen das Gesetz) und Geist im Menschen. Nur ein geistlicher Mensch kann, so Zwingli, dem Gesetz gerecht werden und es erfüllen.161 Was aber bedeutet das für die Auffassung vom Gesetz selber? So viel als dass das Gesetz selbst, wie Zwingli in Anlehnung an Paulus (Röm 7,14) formuliert, geistlich ist. Bei Zwingli führt dieses spiritualistische Gesetzesverständnis also zurück zum Ursprung im ewigen Willen Gottes. Das bei ihm für das Verständnis vom Gesetz vorausgesetzte „höchste, grechtest, heligest gu˚t“ meint nichts anderes als den göttlichen Geist.162 Zweitens, was dies spezifisch für das engere Verständnis der lex Dei als lex Mosis bedeutet, lässt sich wie folgt erhellen: Zum einen kann Zwingli bei seiner Auffassung der lex Dei positiv an die jüdische Vorstellung der Thora anknüpfen, womit das Gesetz, das Mose selbst als Lehre bezeichnet habe, benannt ist.163 Diese Lehre meint nichts anderes als die Weisung Gottes, weswegen Zwingli den Begriff doctrina de voluntate Dei auch synonym für die lex (Dei) gebrauchen kann.164 Allerdings kann dies bei Zwingli nicht so verstanden werden, als seien die Gesetze
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Evangelium: „Der innerbiblisches Gegensatz ‚Gesetz – Evangelium‘ ist transportiert in die Antithese ‚Glaube – Unglaube‘, so wie aus der Unterscheidung (Luthers) zwischen ‚äußerem‘ und ‚innerem‘ Wort die zwischen ‚äußerem‘ und ‚innerem‘ Menschen geworden ist“ (aaO., 334f). Dazu passt, dass eine Äußerung Zwinglis wie die, dass „das gsatz, das heilig, gu˚t und gerecht ist“ seinem Wesen nach gar nicht den Hörer erschrecken, bedrücken oder traurig machen kann, sondern die Ursache im Fleisch der Menschen liege (Zwingli, Schlußreden, Z 2, 232,14–18), auch als Kritik an einem lutherischen Verständnis des Gesetzes interpretiert werden kann. AaO., 232,9f. „Diß red ich nun zu˚ gu˚tem verstand; wil darumb nit, das man die namen ‚gsatz und euangelium‘ durch einander vermische, das man tweders [keines von beiden] vor dem andren kenne“ (aaO., 233,3–5). „Wir nennent ’s aber darumb ein gsatz, das sich unser fleisch darunder windet und undultig ist; aber das gsatz ist an im selbs geistlich und grecht, und mag im ouch nieman zu˚kummen noch erfüllen, denn der geistlich ist“ (aaO., 233,7–10; vgl. zur Bibelstelle 232,25–27). Vgl. aaO., 232,27–30. „Und wir nennend ’s ein gsatz, das doch von Moysen ein leer genennet würdt; denn thorah []תורה, das wir gsatzt vertütschend, das kumpt von iarah []ירה, das heißt unter andren bedütnussen: wysen, fueren oder richten, darumb, das uns das gsatz von got geben ist, daß es uns lere, was der will gottes sye, uns wyse, uns richte und fu˚re“ (vgl. aaO., 232,30–233,2). „Lex ergo nihil aliud est quam doctrina de voluntate dei, per quam scilicet intelligimus, quid ille velit, quid nolit, quid exigat, quid vetet“ (Zwingli, De vera et falsa religione, Z 3, 707,20– 22).
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Moses und die lex Dei identisch. Zunächst dient Zwinglis Bezug auf die ThoraVorstellung in erster Linie einer philologischen Veranschaulichung im Hebräischen (die Rückführung auf das Verb )ירה, um den Weisungscharakter des Gesetzes zu unterstreichen. Darüber hinaus lässt sich aber auch anhand von anderen Aussagen der Unterschied veranschaulichen, den Zwingli zwischen der lex Dei und der lex Mosis ziehen konnte. Solche Aussagen finden sich z. B. in deutlicher Weise in seinen Streitschriften gegen die Täufer wieder. Die Gesetzgebung des Mose bekam hier durch die Frontstellung gegenüber den Täufern einen anderen Stellenwert, die lex Mosis in ihrer schriftlichen Form einen beschränkten Charakter. Um Argumente für die Kindertaufe zu finden, sucht Zwingli die Bezüge zum Alten Testament. Der Vergleich zwischen Taufe als Neuen Bund und dem Abrahambund wird so forciert, dass das Gesetz Moses zu einem Spezifikum des Alten wird. Auch Paulus habe ja immer von „uns“ als „Kindern Abrahams“ und nicht „Kindern Moses“ gesprochen. Abraham, der 400 Jahre vor der Gesetzgebung Moses gelebt habe, habe mit seinem Bund für ein neues Volk der Heiden den Weg der Erlösung vom Gesetz Moses durch Christus vorgegeben.165 Zwingli hält somit insgesamt die Gesetzgebung durch Mose nur für einen Abschnitt in der viel umfassenderen Geschichte der lex Dei, die ihre Vollendung erst in Christus findet. Die lex Mosis wird hingegen als eine bestimmte schriftliche Form der lex Dei gedeutet, die aber an sich geistlich ist. Drittens, dieses geistliche Verständnis der lex Dei führt Zwingli nun auch dazu, die mosaischen Gesetze nach diesem Kriterium einzuteilen, nämlich je nachdem, ob sie den äußeren Menschen (exterior homo) oder den inneren Menschen (interior homo) betreffen. In seinem Hauptwerk De vera et falsa religione commentarius setzt Zwingli dieses Kriterium voraus, wenn er sich in dem (nur sehr kurz gehaltenen!) Abschnitt De lege mit der Geltung der verschiedenen Formen der lex Dei beschäftigt.166 Hier stehen die leges civiles und leges caeremoniales, 165 „Hie reychend wir alleyn dahin, das wir eben in den pundt, den Abraham mit gott gehept hat, nit in das gsatzt Moses yngelassen unnd angenommen sygind […]. Darumb Paulus allenthalben uns kinder Abrahams, nit Moses kinder, macht; nitt, das Moses nitt im pundt Abrahams gewäsen sye, sunder das wir erlernind, daß wir nit in das lyplich gsatzt mit dem pundt getrungen werdind; denn Abraham ist 400 jar vor dem gesatzt gewäsen, das Mosen ggeben ist. […] Sprichst: ‚Was underscheyds ist dann zwüschend dem alten und nüwen testament?‘ Der, das der pundt Abrahams mit eim nüwen volck ist gmachet: mit den heyden; und das Christus yetz geleystet ist, der im noch nun verheissen was, der uns vom gsatzt Moses erlößt hat.“ (Zwingli, Antwort über Balthasar Hubmaiers Taufbüchlein [1525], Z 4, [577]585–642, hier zit.: 636,33–637,7; 637,15–19). 166 Die Kürze des Abschnitts liegt darin begründet, dass Zwingli die Gesetzeslehre (genauso wie die Sündenlehre) durch Andere bereits mehr als genug behandelt sieht (vgl. Zwingli, De vera et falsa religione, Z 3, 706,35f), was wiederum den Eindruck erweckt, dass er sich selbst nur einer verbreiteten Lehre vom Gesetz anschließen will. Bei allen Differenzen, die Zwingli ja auch selbst für das innerreformatorische Lager benennt und auch gegenüber der verbreiteten römisch-katholischen Lehre schärfen kann, deutet der Abschnitt De lege in seinem
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also das Judizial- und Zeremonialgesetz, die den exterior homo betreffen, den wahrhaft göttlichen Gesetzen, die sich auf den interior homo beziehen, gegenüber. Während diese fortwährende Geltung haben und deshalb auch als ewige göttliche Gesetze (leges divinae aeternae) bezeichnet werden, werden die leges civiles und leges caeremoniales in ihrer Geltung eingeschränkt: Weil Zwingli sie erst überhaupt nicht ausführlich behandeln will, wird lediglich knapp angefügt, dass die nur den äußeren Menschen betreffenden Gesetze je nach den zeitlichen Verhältnissen variieren, was oft an den leges civiles beobachtet werden könne, und dass die Zeremonialgesetze insgesamt durch Christus aufgehoben wurden.167 Dies stimmt mit anderen Äußerungen Zwinglis überein, in denen er vor allem unterstreicht, dass das Zeremonialgesetz aufgehoben ist, beim mosaischen Judizialgesetz dahingehend aber weniger konkret wird.168 Mehrfach wird für beide Gesetzesteile aber ihre zeitliche Bedingtheit herausgestellt und werden so auf der anderen Seite die leges divinae aeternae profiliert. Diese ewigen Gesetze Gottes finden für Zwingli schließlich in der von Jesus geäußerten Goldenen Regel (Mt 7,12) und dem Gebot der Nächstenliebe (Röm 13,9) Ausdruck,169 die zugleich die Schnittmenge mit dem Naturgesetz markieren (Röm 2,14).170 Die Goldene Regel und das Nächstenliebe-Gebot als Naturgesetz werden dann selbst wiederum zur Richtschnur, um andere Gesetzesarten, so auch einzelne biblische Gebote, aber auch Menschensatzungen auf ihre Angemessenheit und Geltung zu prüfen.171 So ergibt sich für Zwingli aus dem Gebot der Nächstenliebe zwangsläufig, dass Diebstahl, Meineid und Totschlag für immer als Sünde gelten werden,172 was wiederum im menschlichen Gesetz Ausdruck finden sollte. Dann wird aber auch zugleich wieder der Unterschied zwischen innerem und äußerem Menschen, göttlichem und menschlichem Gesetz erkennbar: Folgt man Zwinglis Beispiel des Begehrensverbots aus dem Dekalog, so ist es gerade deswegen als göttliches Gesetz zu bezeichnen, weil es auch die innere Absicht des Menschen
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Hauptwerk also eher darauf hin, dass er diese kurzgefasste Lehre vom Gesetz für konsensfähig hielt. „Nam de legibus civilibus aut caeremonialibus hic nihil dicturi sumus, quod eae ad exteriorem hominem adtinent; nos autem de interiore nunc loquimur. Adde, quod hea leges pro temporum ratione variantur, ut in civilibus videmus saepe fieri; et caeremoniales per Christum in universum sublatae sunt; positae enim fuerant, ut aliquando corrigerentur, quod et suo tempore factum est, Hebr. 9 [Hebr 9,10]. Divinae vero leges quae ad internum hominem pertinent, aeternae sunt“ (aaO., 707,1–8). Vgl. z. B. Zwingli, Schlußreden, Z 2, 231,10–32, wo auch von den Gesetzen, die nur bis zur Ankunft Christi Geltung hatten, die Rede ist und dies unter Verweis auf Ez 20 und Jes 1 nur auf die Zeremonien und Riten bezogen wird. Vgl. Zwingli, De vera et falsa religione, Z 3, 707,22–32. Vgl. aaO., 707,11–20. Vgl. aaO., 707,33–708,8 mit Zitierung von Mt 22,39; Röm 10,4; 1Tim 1,5; 1Joh 4,8 und 1Kor 13,3. Vgl. aaO., 707, 8–11.
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mit einschließt. Das äquivalente menschliche Gesetz aber bezieht sich erst auf einen äußeren Tatbestand bei einem Verstoß (z. B. Diebstahl oder Raub). Es ist klar, dass Zwingli bei diesem Gegensatz von Innerem und Äußerem, innerem und äußerem Menschen, Fleisch und Geist auch offener von einer zeitlichen Relativierung des mosaischen Judizialgesetzes sprechen kann, weil es, obwohl es einst von Gott geboten wurde, doch eher in den Bereich der menschlichen Gesetze gehört. Pointiert zusammengefasst: Zwingli ist eher interessiert an der geistlichen lex Dei und ihrer Geschichte und Bedeutung im christlichen Gemeinwesen, weniger an der lex scripta Mosis und dem einstigen jüdisch-mosaischen Gemeinwesen als Rechtsvorbild. In diesem Sinne wird man am ehesten Bezüge zu Erasmus sehen können, mit dem Zwingli gerade im Verständnis der lex spiritualis auf einer Linie liegt. Zugleich zeigt Zwingli Übereinstimmungen in der Lehre von der lex Dei mit dem Florentiner Renaissance-Platonismus um Ficino und Pico della Mirandola, deren Werke er so eifrig studiert hatte. Im Vergleich zu den Florentiner Gelehrten entwickelte Zwingli aber nicht in gleicher Weise eine Hochschätzung des mosaischen Gesetzes und seiner Weisheit.
2.3.2 Heinrich Bullingers Konzeption der prisca theologia und des mosaischen Ursprungs der guten Gesetze auf Erden Heinrich Bullinger wird zwar oft als „Vater der reformierten Kirche“ bezeichnet, kann bis in die heutige Zeit aber als eine seiner Bedeutung nach am meisten unterschätzte Führungsgestalt der reformatorischen Bewegungen der ersten und zweiten Generation gelten. Auch wenn dem die neuere Forschung entgegenwirken konnte,173 so liegen doch auch weiterhin Bereiche seines reformatorischen Wirkens im Dunkeln. Als Bullinger 1531 endgültig die Nachfolge Zwinglis als Antistes der Zürcher Kirche antrat, hatte er bereits seit fast zehn Jahren auf der Seite der Reformation gestanden.174 Bullingers Eigenbericht zufolge kam es im Jahr 1522 zu seiner 173 Eine lange fehlende moderne Biographie hat zuletzt in den Jahren 2004 und 2005 Büsser, Heinrich Bullinger, 2 Bd., vorgelegt. Viele neue Forschungserträge sind zudem in der zweibändigen Aufsatzsammlung von Campi/Opitz, Heinrich Bullinger. Life – Thought – Influence aus dem Jahr 2007, der auf einen internationalen Kongress anlässlich des 500. Geburtstages Bullingers zurückgeht, zusammengetragen. Allerdings muss auch weiterhin konstatiert werden, dass die Bedeutung Bullingers gegenüber der Calvins sich gerade in der englischsprachigen theologischen und historischen Forschungsliteratur nicht genügend abbildet. 174 Hilfreiche, wenn auch im Einzellfall zu prüfende, Informationen zum Leben und Werk Bullingers finden sich immer noch in der Biographie von Pestalozzi, Heinrich Bullinger. Zum im Folgenden skizzierten Werdegang und geistigen Hintergrund Bullingers vgl. auch
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definitiven Abwendung von der römisch-katholischen Kirche.175 Einen nachhaltigen Eindruck auf Bullinger hinterlassen hatten vor allem die Verurteilung Luthers und seiner Schriften durch die Theologen der Universität in Köln im Jahr 1520, wo Bullinger seit 1519 studierte, und der dadurch entfachte Gelehrtenstreit, der Bullinger selbst zur Hinterfragung des eigenen Glaubens und der katholischen Lehre drängte. Als Sohn eines Priesters hatte Bullinger selbst jedoch nie Theologie an der Universität studiert. Gleichwohl zeigen aber seine ersten wirkungsreichen Stationen, zunächst als Lehrer an der Klosterschule der Zisterzienserabtei Kappel am Albis und dann seit 1529 als Pfarrer in seiner Heimatstadt Bremgarten, dass sich Bullinger sehr bald in das Studium der Bibel und theologischer Schriften vertiefte. Insbesondere eine intensive Auseinandersetzung mit den Schriften der Wittenberger Reformatoren Luther und Melanchthon (Loci communes von 1521), aber auch Zwinglis und des Humanistenfürsten Erasmus von Rotterdam sind auffällig. Ein Studium der Kirchenväterliteratur kann bei Bullinger schon für seine Zeit an der Kölner Universität veranschlagt werden, Begegnungen und Einflüsse der humanistischen Studien schon früher. Vor allem aber unterscheiden sich die Einflüsse des Humanismus und der Gebrauch antiker Quellen in Bullingers Werken, gerade in Anbetracht der Gesetzeslehre, doch noch einmal von dem, was Ulrich Zwingli zeit seines Lebens verfasste. Dies wird im Folgenden anhand dreier früherer Werke Bullingers aus den 1530er Jahren veranschaulicht: zum einem an seiner frühen Zürcher Schrift De testamento seu foedere Dei unico et aeterno expositio (1534), die als erste reformierte Monographie über die Bundestheologie gelten kann,176 seiner Schrift Der alt gloub (1537) und schließlich seinem dem englischen König Heinrich VIII. gewidmeten Werk De scripturae sanctae authoritate, certitudine, firmitate et absoluta perfectione, deque Episcoporum, qui verbi dei ministri sunt, institutione et functione (1538). Trotz des Kontextes England und englisches Könighaus, in dem vor allem das letzte Werk stand, erlebte die Schrift Der alte Glaube177 eine erfolgreichere Druckgeschichte in der englischen Übersetzung (The olde fayth, 5. Aufl. 1541–1844178) als De scripturae sanctae authoritate, das mehr als 60 Jahre später noch einmal in englischer Sprache erschien.179 Übertroffen werden beide Schriften aber noch einmal von der wirkungsreichen Druckgeschichte von Bul-
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Campi, Bullinger und seine Zeit, bes. 14–18; Büsser, Art. Bullinger und ausführlicher Müller, Heinrich Bullinger; Büsser, Heinrich Bullinger. Der Hinweis findet sich in Bullingers Diarium und der diesem beigefügten Vita im Teil über seine Studienzeit, vgl. Campi, Bullinger und seine Zeit, bes. 14 mit Anm. 16. Vgl. HBS 1, 51. Vgl. HBBibl 1, Nr. 99. Vgl. aaO., Nr. 104–108. Unter dem Titel: A most godly and learned Discourse of the woorthynesse, authoritie and sufficiencie of the holy Scripture, London 1579; vgl. HBBibl 1, Nr. 565f.
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lingers De testamento seu foedere Dei, deren etwa 25 Jahre andauernde Verbreitung in Europa eng mit ihrem Thema des für die reformierte Theologie zentralen Bundesgedankens zusammenhängt.180 Auch in den anderen beiden Schriften stößt man auf Äußerungen zur Bundestheologie, die, wie bei anderen reformierten Autoren immer wieder in der Forschung herangezogen wurden, um die Lehre von den mosaischen Gesetzen zu erklären. Ich werde im Folgenden darüber hinausgehen und Bullingers Interesse an der Gestalt des Mose und der mosaischen Gesetze im Rahmen seiner biblisch-überformten prisca-theologia/ sapientia-Konzeption herausarbeiten, um dies dann als Hintergrund seiner reifen Gesetzeslehre zu veranschaulichen. Um es vorwegzunehmen: Mit Heinrich Bullinger und seinem Hauptwerk, den sog. Dekaden (Sermonum Decades quinque), erreichte die reformierte Gesetzeslehre bis zum Beginn der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, soweit ich sehen kann, ihre umfangreichste lehrbuchmäßige Gestalt. Wir stoßen hier auch auf ein Votum in der Frage der Geltung der mosaischen Gesetze, das sich grundsätzlich von dem der Wittenberger Reformatoren unterschied.
2.3.2.1 Prisca-theologia-Vorstellungen in Bullingers frühen Schriften der 1530er Jahre und Bezüge zur antiken christlichen und jüdischen Apologetik Bullingers De testamento seu foedere Dei war und blieb zwar seine einzige theologische Themenschrift zum Bundesgedanken, Äußerungen darüber finden sich aber auch verstreut in anderen Werken und schon in seiner frühesten theologischen Schaffenszeit, so dass man sagen kann, dass Bullinger Mitte der 1520er Jahre etwa zeitgleich mit Zwingli begann, seine bundestheologischen Vorstellungen zu entfalten.181 Parallel dazu lassen sich auch schon in Bullingers früher bundestheologischer Schrift einige Merkmale erkennen, die auch später für seine Gesetzeslehre kennzeichnend werden: zum einen ein Interesse an dem bis auf die antike Apologetik zurückzuverfolgenden Alters- und Heiligkeitserweis des christlichen Glaubens bzw. der christlichen Religion, wobei Bullingers wichtigste Quelle die Kirchenväterliteratur darstellt. Zum anderen ein spezifisches Interesse an der Schriftlichkeit der jüdisch-christlichen Tradition. In beiden Fällen spielen die Gestalt des Mose und die mosaischen Gesetze eine entscheidende Rolle. 180 Detlef Roth sieht in seiner Einleitung zur Edition der Schrift einen engen Zusammenhang zwischen der Druckgeschichte von De testamento seu foedere Dei, Bullingers einziges Werk zum Thema Bundestheologie, die von der ewigen Bundeseinheit ausgeht, und der Durchsetzung einer Konzeption des doppelten Bundes (nach Wolfgang Musculus, Zacharias Ursinus, Caspar Olevian und Franciscus Junius), die sich etwa seit der Hälfte des 16. Jahrhunderts im reformierten Bereich durchsetzt (vgl. HBS 1, 56). 181 Vgl. HBS 1, 51.
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Nachdem sich Bullinger im ersten Teil seiner Schrift De testamento seu foedere Dei mit den Begrifflichkeiten von „Testament“ und „Bund“, „neu“ und „alt“ befasst hat,182 um vor allem mit Berufung auf die Bibel und Kirchenväter (Augustin, Tertullian) die Bundeseinheit zwischen Altem und Neuem Testament zu erweisen, widmet er sich in einem zweiten Abschnitt inhaltlich näher dem eigentlichen Bundesglauben der Christen. Dieser stehe in Kontinuität zum Ursprung im Abrahambund (Gen 17) und dem Glauben der Väter, aber nach der Befreiung von den Zeremonien unter dem Gesetz und der Erfüllung der alten Verheißungen durch das Kommen Christi werde der alte Glauben der Väter doch noch einmal durch den Glauben der Christen überboten.183 Die Zeremonien stellen dabei für Bullinger den negativ konnotierten Teil der mosaischen Gesetze dar, der von Gott selbst(!) gering erachtet worden sei und nur den Nutzen gehabt habe, die Abkehr der Israeliten von den Göttern zu stützen, den Bund zu bestätigen und bildhaft und in verhüllter Form das Mysterium Christi anzukündigen.184 Doch auch wenn die Zeremonien damit noch ihren Geist und ihren wahren Sinn hatten, reichten sie nicht an die Bedeutung des Dekalogs und der bürgerlichen Gesetze heran. Bullingers originäre Auslegung besteht darin, sowohl den Dekalog als eine Umschreibung des vorher geschlossenen Abrahambundes als auch das mosaische Judizialgesetz bereits auf den Rechtsmaßstab zu deuten, an den sich schon Abraham selbst im äußeren bürgerlichen Bereich gehalten habe.185 So werden der Dekalog und das mosaische Judizialgesetz zum 182 Vgl. Bullinger, De testamento, f. 2r–6r. Auffälligerweise zieht Bullinger in diesem ersten Teil seiner Schrift nicht nur einen Humanisten wie Lorenzo Valla zur terminologischen Klärung sowie das antike Hauptwerk Noctes Atticae von Aulus Gellius (ca. 130–nach 170 n. Chr.), das er schon während seiner Hinwendung zu den humanistischen Studien in der Kölner Zeit studiert hatte (dazu Opitz, Bullinger als Theologe, 34), heran, sondern bezieht sich auch explizit dabei auf die antike römische Jurisprudenz und Rechtstexte aus dem Corpus Iuris Civilis (vgl. bes. Bullinger, De testamento, f. 2r–3r mit HBS 1, 58 Anm. 2–6). Der Rückgriff auf das römische Recht stellt eine Eigenart der Gesetzeslehre Bullingers auch in späteren Werken dar, die er z. B. mit dem Straßburger Reformator Martin Bucer teilt. Dies wäre noch einmal eingehender zu untersuchen, auch unter der Fragestellung, ob Beziehungen zur humanstischen Jurisprudenz bestanden. Vgl. zur allgemeinen Bedeutung des Humanismus für Bullinger auch schon Junghans, Erbe des Humanismus. 183 Vgl. Bullinger, De testamento, f. 34v–35v. 184 Vgl. aaO., f. 29v–30r. 185 Vgl. aaO., f. 17v–18r mit folgender entscheidender Passage, in der auch der Umfang der mosaischen Judizial- bzw. Zivilgesetze umschrieben wird: „Iudicialia siue Ciuilia quae praecipiunt de conseruanda pace & tranquillitate publica, de puniendis fontibus, de bello inferendo & hostibus propulsandis, de defensione libertatis, oppressorum, uiduarum, pupillorum, patriaeque, de iustitiae & aequitatis legibus, de emptione, mutuo, possessionibus, haereditate, deque alijs id genus titulis Iuridicis, an non & ipsa in ea foederis conditione comprehensa sunt quae integritatem praescribit, iubetque ut coram Deo ambulemus: Quod si cui haec sententia nostra parum uidetur firma aut aperta, ipsa Abrahae expendat facta qui ab Apostolo credentium pater appellatus certo in foedere Dei fideliter perstitit & coram ipso integre ambulauit. Is autem, quod iudicialia res ciuiles aut externas attinet, certas rationes in
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eigentlichen Element der Kontinuität für den christlichen Glauben, während durch Christus die einstigen Zeremonien erfüllt worden seien.186 Dass dieser evangelische Glaube der Christen, der zugleich schon der Glaube Adams und Abrahams war, wiederum der älteste von allen sei, will Bullinger in einem letzten kurzen Abschnitt von De testamento seu foedere Dei belegen. Man kann diesen Abschnitt als eine kurze historische Erörterung zur prisca theologia/sapientia verstehen, auch wenn der Glaube (fides) – Bullinger verwendet demgegenüber häufiger den Begriff „Religion“ (religio) – der eigentliche (begriffliche) Gegenstand bleibt. Ganz ähnlich jedoch wie bei anderen Autoren, die über die prisca theologia schreiben, werden antike Quellen offen gegeneinander gehalten, um nun nach der ersten Religion überhaupt zu fragen. Hierbei wird letztlich doch eine Spannung erkennbar, die, soweit ich sehen kann, erst in späteren Werken ausführlich geklärt wird: Nicht etwa liege nach Herodot und Strabons Geographika der Anfang der Gottesverehrung (und gleichzeitig der Idolatrie) in Ägypten,187 ja nicht einmal die jüdische Religion der Beschneidung und des Gesetzes Abrahams und Moses sei die erste gewesen, sondern eben die christliche Religion, die bis auf den Glauben Adams zurückreiche.188 Die Kontinuität im Bundesglauben der „uralten Väter“ (prisci patres) mit dem christlichen Glauben soll damit gewahrt werden, auf der anderen Seite will Bullinger aber doch, wie bereits beschrieben, ebenso an der positiven Geltung des Dekalogs und der Judizialgesetze als Ausdruck dieses uralten Glaubens festhalten. Mose, zugleich ja für Bullinger auch Identitätsfigur der jüdischen Religion, wird dabei schon in dieser frühen Zürcher Schrift Bullingers zur entscheidenden Schwelle zwischen dem „rechten“, ins Herz der uralten Väter eingeschrieben Bundesglauben und dessen testamentlicher Bekundung in Schriftform, zunächst auf den Bundestafeln des Dekalogs und dann in vollständigen Büchern darüber, also dem Pentateuch. Auf diese Weise aber schien bisher noch die Frage nicht geklärt, inwiefern die Gesetze des „Mose der jüdischen Religion“, abgesehen von den mit Christi Kommen aufgehobenen Zeremonien, für Christinnen und Christen Geltung besitzen. In seinen späteren Schriften profiliert Bullinger demgegenüber puniendis fontibus, in pangendis foederibus, in inferendo bello, in possessionibus & pace publica conseuanda, uidetur sequutus, nec alias quam quas dictabat animi integritas, fidei synceritas, amorque recti ac proximi, imo quas ipse longa post saecula Moses (quantum attinet ipsam rei substantiam ac summam) dictante Deo tradidit populo Iudaico seruandas“ (aaO., f. 18r–19r). 186 Vgl. auch mit aaO., f. 31r: „Iam ergo quod attinet Decalogum imo & ciuilia nulla enata est testamento & populo Dei diuersitas.“ Vgl. demgegenüber zur Geltung der Zeremonien aaO., f. 31v: „[E]x eo quod omnes ceremoniae a Christo, quem unice praedicat, impletae sint, quatenus typi & umbrae erant rerum aeternarum, eatenus enim obsoleuere (sic!).“ 187 Vgl. aaO., f. 47r–v mit Verweis auf Herod., hist. 2,37–76; Strab., geogr. 17,29, Bd. 3, 376 aus Pol. Verg., invent. 1,5, 25f; vgl. HBS 1, 96 Anm. 35. 188 Vgl. Bullinger, De testamento seu foedere dei, f. 47r–48r.
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dann mehr das Alter von Mose selbst und der mosaischen Gesetze und entwickelt dabei systematisch den Gedanken, gute Gesetze auf Erden ließen sich auf das mosaische Recht als Quelle zurückführen. Dieses Verständnis wird bereits in weiteren Schriften der 1530er Jahre grundgelegt. In mancherlei Hinsicht kann so die Schrift Der alt gloub (1537) als Anknüpfung an die Grundgedanken seiner bundestheologischen Schrift aus dem Jahr 1534 und zugleich als Weiterführung verstanden werden. Nicht der Bund selbst, sondern der uralte, orthodoxe evangelische Christus-Glaube seit Adam, dem seit Kain auch eine Geschichte des Irrglaubens zur Seite tritt, rückt nun in den Mittelpunkt. Bullinger legt dabei, besonders in Anklang an Euseb und Augustin, die Schöpfungsgeschichte auf Grundbegriffe des christlichen Glaubens hin aus189 und verfolgt diese weiter bis zum Kommen Christi und in die weitere Entwicklung der christlichen Kirche bis zu ihren gegenwärtigen Irrlehren hinein. Wie in De testamento seu foedere Dei will Bullinger mit diesem heilsgeschichtlichen Durchgang den evangelischen Glauben damit von der „päpstischen Religion“, die vor rund 600 Jahren entstanden sei, der Religion Mohammeds vor 900 Jahren und der jüdischen Religion mit den Identitätsmarkern der Beschneidung und des Gesetzes,190 die erst mehr als zwei Jahrtausende nach dem christlichen Glauben entstanden seien,191 historisch abgrenzen. Neu ist nun, dass auch – gleichwohl weniger direkt und scharf in der Abgrenzung als gegenüber den „Päpstlichen“ und „Mohammedanern“ – die Frontstellungen gegenüber den Inhalten lutherischer Theologie und den Täufern mit ihrer obrigkeitskritischen Haltung eine Rolle spielen und so die sich fortschreitend verändernde konfessionelle Binnenlage widerspiegeln.192 Auch Bullingers Verständnis der mosaischen Gesetze 189 Vgl. dazu Bullinger, Der alt gloub, f. [Avijr]–Biiijr den Abschnitt „Der erst und recht grund unsers heiligen Christnen gloubens.“ 190 Vgl. dazu bereits die polemischen Herabstufungen in den Alterserweisen der „papistischen Religion“, der Religion der Juden und „Mohammedaner“ in Bullinger, De testamento, f. 48r– 50r. 191 Bullingers Berechnungen zufolge sei die Beschneidung 2048 Jahre (HBS 1, 205 abweichend mit 2043), das Gesetz 2449 Jahre nach dem christlichen Glauben entstanden (vgl. Bullinger, Der alt gloub, f. [Cvir]). 192 Das Werk Der alt gloub, das in Folge einer konkreten Anfrage entstanden war, muss dabei in einem Zusammenhang mit der Beanspruchung der Rechtgläubigkeit der römisch-katholischen Partei in Folge des Sieges ihres Bündnisses in der Schlacht bei Kappel, mit erstarkten Kräften des Täufertums (Aufstieg und Untergang des sog. Täufertums zu Münster 1535) und der fortschreitenden reformierten Bekenntnisbildung (Erstes Helvetisches Bekenntnis, 1536) gesehen werden (vgl. HBS 1, 173–175). Roland Diethelm betont hier in seiner Einleitung zur Quellenedition der Schrift, dass die Lutheraner in Der alt gloub als dritte Front gegenüber den Altgläubigen und Täufern hervortreten (vgl. aaO., 174). Die einzige Stelle, an der er dies aber festmacht, bezieht sich nicht konkret auf die Lutheraner, sondern entwickelt lediglich anlehnend an Gen 3,15/Röm 16,20 den Gedanken, dass der in den Christusgläubigen gegenwärtige Same des Glaubens einem fortwährenden Kampf gegen den Teufel ausgesetzt ist und man sich dagegen treu an den Willen Gottes im Leben zu halten habe:
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erhält in dieser konfessionellen Perspektive ihre charakteristischen Züge. Dies gilt insbesondere für die weiterhin positive Bewertung der mosaischen Judizialgesetze, die Bullinger als den „von burgerlicher policy“ handelnden Gesetzesteil bezeichnet, bedenkt man, dass die Wittenberger Haltung dem zu diesem Zeitpunkt bereits deutlich widersprach193 und auch die obrigkeitskritischen Tendenzen im Täufertum davon betroffen sein mussten,194 denn mit ihnen ging eine Aufwertung der Obrigkeit und des Gemeinwesens nach alttestamentlichem Vorbild und mosaischem Recht einher. In der Schrift Der alt gloub bezieht Bullinger diese bürgerlich-politischen Gesetze Moses auf die zweite Tafel des Dekalogs, die von der Nächstenliebe handelt, wenn er schreibt „vnd dienet alles zu˚ erlüterung der sechs gebotten der andern tafel.“195 Hier zeigt sich bereits der später sehr ausführlich in der Gesetzeslehre Anwendung findende Grundgedanke, das mosaische Gesetzeskorpus auf den Dekalog hin auszulegen und so an der bleibenden Geltung festzuhalten. Überhaupt stellen die fünf Bücher, die „vns von Gott durch Mosen [ge]geben“ wurden, den „gantz grund vnsers heiligten gloubens“ dar.196 Es ist also nicht verwunderlich, dass die Person Mose für Bullingers Glaubens- und Schriftverständnis von besonderem Interesse ist. Bemerkenswert ist zudem, dass bei der Verschriftlichung der Gesetze durch Mose nicht nur auf die Inspirierung durch den Heiligen Geist und auf die Tradierung
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„Dann denen die da sprechen: Ists dann gnuog unn alles außgericht/ wenn ich bekenn das ich ein sünder bin/ vnd allein durch den bene dyten samen sälig wird? Wirt hie geantwort vnnd klar zeuerston geben/ das alle/ die jren trost uff den benedytenn samen setzend/ des samens art/ das ist sünd und laster/ hassend/ ouch für vnd für in jrem laeben wider die waelt vnn den Tüfe strytend/ ouch zum trüwlichsten sich des flyssend das Gottes will ist“ (Bullinger, Der alt gloub, f. Biijv). Da diese Vorstellung der lutherischen Theologie nicht fern steht, ist überhaupt zu bedenken, ob die Stelle als anti-lutherische Wendung gegen eine „Rechtgläubigkeit“, wie Diethelm interpretiert, aufgefasst werden kann, unabhängig davon, dass die Abgrenzung gegenüber Punkten der lutherischen Theologie in diesem Zeitraum für Bullinger zunehmend wichtiger wurde. Dagegen werden die Fronten gegenüber den Täufern konkret benannt („Widerteouffischen schwindelgeist“, f. Eiiijv), treten aber insbesondere auch noch einmal gegenüber der – teils apokalyptisch gefärbten – Schärfe zurück, mit der sich Bullinger allein im ganzen letzten Abschnitt von der Der alt gloub gegen die Missbräuche und Irrtümer des Papstes und seiner Anhänger wendet (vgl. aaO., f. [Hviv]–[Hviijr]). Siehe weiter oben, Abschn. 2.2.2. Vgl. bes. Bullinger, Der alt gloub, f. Eiiijv–Evv mit folgender indirekter Abgrenzung gegenüber den Täufern: „Darumb sol man aber das alte Testament nit hinwerffen// wie etlich unwüssend ungeleerteeouch thund/ sund vil in hoehen eeren haben/ diewyl wir yetzund durch Christum erlernt/ wz yelichs dütet/ vnn warumm yetlichs also vnn also yngsetzt/ gebrucht vnn geredtz ist: yetzund wirteinem yedn erst lustig werden das gesatz vnn die propheten relesen/ so er nun sicht waruf ein yetlich ding gadt“ (aaO., f. Giiijv–Gvr). AaO., f. E[iv]. Das mosaische Judizialgesetz bzw. die Gesetze betreffen insgesamt das, was „im gsatz gschriben ist von burgerlicher policy/ von ordnung/ recht/ frydlich vnd wol in statt vnd land zeleben/ von kouffen vnd verkouffen/ von krieg vnd friden/ von erb vnd eigen/ von eerechten/ von straaf der boesen/ von gericht vnn radt/ von lyhen vnd elechnen“ (ebd.). AaO., f. Eijv.
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durch die Glaubensväter rekurriert wird, sondern auch noch angefügt wird, dass Mose dabei „etlichs in buechern der Egyptiern funden hat.“197 Bullinger geht in diesen Formulierungen also noch einmal über den Bibeltext hinaus, denn in Apg 7,22 heißt es – und in dieser Weise singulär in der Bibel – ja lediglich, dass Mose in der Weisheit der Ägypter gelehrt gewesen sei. Man würde die Deutung dieser kurzen Passage überstrapazieren, wollte man in ihr eine Auseinandersetzung mit altägyptischen prisca-theologia/sapientia-Vorstellungen oder gar dem Hermetismus sehen. Nicht zu leugnen ist allerdings, dass Bullinger sehr wohl die antiken Überlieferungen, die das Bild von Mose als Ägypter zeichneten, auch gekannt hat. Gerade deswegen war die Frage nach dem Alter von Mose und den mosaischen Gesetzen für Bullinger von Relevanz. Eine umfassende Antwort darauf gab er in der Schrift De scripturae sanctae authoritate im Jahr 1538. Dieses, Bullingers Schriftverständnis in umfassender Weise offenlegendes Werk kennzeichnet der programmatische Gedanke, dass einem König nicht nur die Sorge für die politisch-weltlichen Dinge, sondern auch die der Religion und Glaubenssachen zukomme. Dem machtgierigen Alleinanspruch des Papstes auf das göttliche Gesetzbuch wird bereits im Widmungsbrief zu dem Werk an den englischen König Heinrich VIII. auf Grundlage des alttestamentlichen Königgesetzes (Dtn 17,18–20) und weiterer biblischer und historischer Belege entgegengehalten, dass die königliche Macht- und Rechtskompetenz sich nicht lediglich auf die bürgerlichen Gesetzbücher und das Schwertrecht beschränke, sondern das ganze Gesetzbuch Gottes mit seinen Vorsehungen für die cura religionis umfasse und diese sogar Priorität habe.198 Streng genommen beginnt die rechte Religionsfürsorge aber nicht mit der Königszeit des Volkes Israel, sondern mit Gottes Gesetzbuch selbst, das schon von Josua und in der Richterzeit als 197 AaO., f. Eijr. 198 „Quos autem reperias, rex serenissime, affectus, id est: animi perturbationes amore, cupiditate, avaritia et ambitione saeviores? Huiusmodi autem affectionibus pravis in transversum distractos esse certissimum est illos, quicunque e pontificibus ad se rapuerunt librum legis dei, regibus tantum reliquerunt librum legum politicarum et gladium, quo feriant noxios mortemque commeritos. […] Si quid ergo aliud propter affectus graviores suspectum nullaque fide dignum videtur, id citra controversiam falsum sit oportet, quod dicitur ad episcoporum ministerium pertinere modo religionis sive rerum spiritualium curam, ad regum administrationem pertinere iudicia inferiora, temporalium scilicet curam et ius gladii. Nam primum et potissimum, quod ad regum cura pertinet, est religio ac fides“ (HBW III/4,3,7–12.16–21). An diese Passage schließt dann die ausführliche Zitierung und Kommentierung von Dtn 17,18–20 (aaO., 3,21ff) an, die als biblisches Hauptargument in dem Widmungsbrief gelten kann, aber auch nur in einer Reihe mit weiteren biblischen Bezügen steht (vgl. aaO., 4,13ff mit größtenteils direkten Verweisen auf Jos 1,8; Ri 6,25; 2Chr 17,3– 10.12; 2Kön 18,4; 23,4–20; 1Sam 10,11; Röm 12,6–8). Menschliches und göttliches Gesetz weisen schließlich die cura religionis als vorrangige Aufgabe des Herrschers aus, was Bullinger anhand der biblischen, aber auch außerbiblischen Geschichte zeigen will: „Proinde non tam divina quam humana lege confirmatum est regum officium primarium esse religiosos esse et religionem accurate et ante omnia curare“ (aaO.,6,5–7).
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Maßstab für die rechte Gottesverehrung weitergereicht wurde: Die rechte Gottesverehrung schließt dabei für Bullinger die doppelte Rolle des Herrschers in seinem Glaubensleben als Mensch (homo) und seine Gesetzgeberfunktion als König (rex) ein. Aber nicht nur biblisch wird diese cura religionis des Königs begründet, sondern es werden auch das römische Recht (Codex Iustinianus) und altpersische und altägyptische religiöse Herrschaftsideale als Parallelen aufgegriffen.199 Letzteres zeigt, dass Bullinger nicht davor zurückscheute, auch Vorstellungen einer außerbiblischen prisca theologia schon in seinem Widmungsbrief positiv zu würdigen: So wird die durch den Florentiner Neuplatonismus neu eröffnete Rezeption der platonischen Magiekonzeption – hier anlehnend an die magia Zoroastri, wie sie Platon im Dialog Alkibiades beschreibt – positiv integriert.200 Wie Giovanni Pico della Mirandola nimmt Bullinger dabei ein positives Magieverständnis auf, das sich auf die rechte Gottesverehrung bei der Staatsführung – hier der persischen Könige – bezieht, spricht aber nicht wie Pico explizit von einer divinorum scientia.201 Bullingers eigentliches Interesse liegt in der Beispielhaftigkeit gottgemäßer Staatsführung über die biblische Geschichte hinaus, nicht in einer systematischen Entfaltung einer Lehre von der natürlichen Magie, wie sie in Picos Werken vorzufinden war. Solche Nähen zum Florentiner Neuplatonismus unterscheiden Bullinger aber insbesondere von den Wittenberger Reformatoren Luther und Melanchthon, gerade weil sie nicht nur auf einzelne exemplarische Stellen beschränkt bleiben, sondern sich auf Bullingers Auffassung vom göttlichen Gesetz und priscus theologus Mose auswirken. So werden die positiven Bezüge auf eine nicht-biblische Gottesverehrung für Bullinger zugleich in ein Offenbarungsverständnis eingebettet, das an dem Alter und den besonderen Attributen Moses orientiert ist, wie wir sie bereits aus der antiken jüdischen und christlichen Apologetik kennengelernt haben: Demnach wurde den biblischen Vätern seit den Anfängen der Welt auf göttliche Inspiration hin das Gotteswort vermittelt und durch ihre Hände bis auf Mose überliefert, der aber unter allen Schriftstellern der Welt der erste gewesen sei.202 Mehr noch, Mose sei damit nach der Erfindung der Schrift 199 Vgl. aaO.,5,23–25 mit Anm. 7; 5,25–6,7. 200 Vgl. aaO.,5,25–6,2 mit Anm. 9, zit. aus Plat., Alkib. 1, 121b–122a. 201 „Huc pertinere videtur, quod apud veteres reges etiam erant sacerdotes. Persarum rex, ubi attigisset annum vitae XIV, tradebatur paedagogis. Erant illi ex Persis delecti praecipuique quatuor sapientissimi, iustissimi, temperantissimi atque fortissimi viri, quorum primus magicam Zoroastri docebat, non impiam quidem illam et superstitiosam, sed quae tradebat dei cultum et instituta regia“ (HBW III/4,5,25–29). Vgl. dies mit Pico della Mirandola, De hominis dignitate, 52. 54. 202 Vgl. dazu HBW III/4,5, 22–28, Kap. 1: Scripturam esse verbum dei. Traditi autem a patribus et scripti a prophetis eandem omnino rationem esse tantaque ex se ipsa authoritate pollere, ut nulla confirmatione egeat humana und Kap. 2: Primum scriptorem sanctae scripturae Mosen fuisse, de vocatione eius divinaeque legis et propheticae scripturae indubitata fide mit
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zugleich der erste Poet, Geschichtsschreiber, Gesetzgeber und Philosoph. Das 11. Kapitel von Buch 2. zielt darauf, dies anhand antiker, eben vorrangig nichtbiblischer Quellenbefunde zu belegen, um dann schließlich den Alters- und Heiligkeitserweis auf alle kanonischen Schriften auszudehnen.203 Zu den am häufigsten zitierten antiken Autoritäten, auf deren Schriften Bullinger sich in seiner Argumentation stützt, zählen die apologetischen Werke Josephus’ und Eusebs von Caesarea, wobei Bullinger sich sowohl mehrfach auf die Praeparatio evangelica als auch das Chronikon Eusebs bezieht.204 Eine andere Quelle verdeutlicht zugleich noch einmal den wichtigen Überlieferungszusammenhang mit dem Florentiner Renaissance-Humanismus: Bullinger exzerpiert im besagten 11. Kapitel sehr ausführlich aus der antiken apologetischen Schrift Cohortatio ad Graecos, deren Verfasser Justin der Märtyrer (gest. 165) heute als unecht gelten kann.205 Dieses Werk Pseudo-Justins war 1538, im Jahr der Erscheinung von Bullingers De scripturae sanctae authoritate selbst noch einmal neu in einem gesonderten Druck aufgelegt worden, und zwar in der lateinischen Übersetzung Gianfrancesco Pico della Mirandolas, Giovanni Picos Neffen, den Bullinger selbst namentlich anführt.206 Auch an anderer Stelle in seinem Werk erwähnt Bullinger
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Kap. 11, das mit folgenden Worten beginnt: „Per consequentia videtur nonnihil etiam dicendum esse de antiquitate verbi dei et scripturae canonicae deque sacris scriptoribus. Solet enim vetustas et authorum prisca celebritas rebus quibuslibet haud modicam conciliare aestimationem. Docui autem per huius libri principium verbum dei statim ab ipso mundi exordio per dei inspirationem patribus revelatum et ab hisque per manus traditum esse posteris, donec instinctu dei Moses ille, scriptor in orbe omnium primus, istud referret in literas. Nunc ergo vel ex gentilium codicibus seu testimoniis ostendam Mosen hunc nostrum antecessisse omnes illorum poetas, historicos, legumlatores et philosophos“ (aaO.,53,13–21). „Ex iis autem, quae hactenus tradidi, colligere licet scripturam, quae verbum dei est, philosophia gentili non modo vetustiorem esse, sed scriptores etiam canonicos longo post se intervallo omnes gentium scriptores relinquere“ (aaO.,67,7–9). Vgl. die Nachw. zu Zitaten aus Flavius Josephus’ Antiquitates Iudaicae und seiner Schrift Contra Apionem aaO., 54 Anm. 154; 55 Anm. 182; 56 Anm. 190; 60 Anm. 247; 61 Anm. 248/ 252/254; Nachw. zu Eusebs Praeparatio evangelica und dem Chronikon aaO., 54 Anm. 156/ 158–161; 56 Anm. 202f; 57 Anm. 212/215; 61 Anm. 252. Außerdem bezieht sich Bullinger auch in Kapitel 11 daneben noch auf Eusebs Historia ecclesiastica, vgl. aaO., 65 Anm. 280/ 283/285; 66 Anm. 297. Vgl. aaO., 57 mit Anm. 216. „[A]scribam tamen in gratiam studiosorum, quid de eodem argumento Iustinus ille, martyr Christi gloriosissimus et idem clarissimus philosophus, scripserit. De Mosis enim antiquitate disputans in admonitorio suo ad gentes, quem Latinum fecit Ioan[nes] Franc[iscus] Picus Mirandulanus […].“ Gianfrancesco Pico della Mirandola hatte sich verstärkt seit den 1490er Jahren mit den christlichen Apologeten auseinandergesetzt und sich als Übersetzer der griechischen Texte hervorgetan. Die lateinische Übersetzung der Cohortatio ad Graecos bzw. des Admonitorius gentium liber, wie die pseudo-justinische Schrift auch genannt wurde, erschien bereits 1506/7 in der Straßburger Ausgabe der Opera omnia Giovanni Picos, der auch im zweiten Band die Werke seines Neffen und Herausgebers Gianfrancesco Pico della Mirandolas beigefügt waren (vgl. dazu auch Granada, Apologétique platonicienne, 43
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Gianfrancesco lobend und bezieht sich auf dessen eigene Arbeit. Dessen Edition der pseudo-justinischen Cohortatio war insofern sehr relevant für Bullingers eigenes Werk De scripturae sanctae authoritate, als dieser sich in seiner Beweisführung immer wieder darauf stützt und es naheliegt, dass Zugänge zu MoseDarstellungen anderer antiker Autoren wie jener des Geschichtsschreibers Diodor, erst dadurch ermöglicht wurden. Dies führt zu der bereits bei anderen frühneuzeitlichen Autoren festgestellten Reiteration von apologetisch ausgerichteten Listen antiker Schriftsteller über das Alter und die Heiligkeit der mosaischen Tradition, die auf das Christentum zugespitzt wird. Am Ende von Kapitel 11. steht der sogar entlang von populären Bekehrungsbeispielen aus dem Altertum untermauerte Gedanke, dass die Wahrheit des Gotteswortes alle Weisheit der Welt besiege. 2.3.2.2 Kontinuitäten zu Bullingers reifer Gesetzeslehre: die Vorbildlichkeit der mosaischen lex scripta Die Gesetzeslehre war Teil seiner Dekaden (Sermonum Decades quinque), einer Zusammenstellung von je 10 Lehrpredigten in fünf Büchern, die zwischen 1549 und 1551 von ihm in Zürich verfasst wurden und in vier Etappen zunächst einzeln erschienen, dann zuerst im Jahr 1552 in einer Gesamtausgabe. Die insgesamt ca. 800 Folioseiten umfassende Behandlung der Gemeinplätze des christlichen Glaubens und Lebens gilt als Bullingers Hauptwerk und zählt zu den wichtigsten theologisch-katechetischen Schriften des reformierten Protestantismus.207 Englische, französische, niederländische und deutsche Übersetzungen von Bullingers Werk sind Ausdruck seines europaweit bedeutenden Einflusses. Dies kann man sich dadurch verdeutlichen, dass Geistliche in der anglikanischen Kirche dazu angehalten waren, die Dekaden für ihre Predigtvorbereitung hinzuzuziehen. Gerade im englischsprachigen Raum ist deswegen von einem direkten Einfluss Bullingers in der Theologie auszugehen, der in der Forschung bisweilen durch ein unterstelltes Allgemeinphänomen des Calvinismus überblendet wird. Die Lehre vom Gesetz nimmt die gesamte zweite Dekade und große Teile der dritten Dekade ein.208 Bullinger teilt zunächst allgemein in der Systematik und mit Anm. 91). Die 1538 von Carolus Guillard gesondert gedruckte pseudo-justinische Schrift trug dann den Titel: Iustini philosophi & martyris admonitorius Gentium liber, Ioanne Francisco Pico Mirandulae domino, interprete: nunc denuo ad exemplar Graecum collatus, & qua licuit fide, recognitus, Paris 1538. 207 Zum europäischen Kontext der Dekaden knapp Opitz, Bullinger als Theologe, 23–26. 208 Die Thematik wird mit einer Predigt zum ersten Mal in der zweiten Dekade mit dem Titel De Legibus, & primum quidem de lege naturae, deinde uero de legibus humanis. Sermo I. (ab f. 36r) aufgenommen. Alle weiteren 9 Predigten, die dann noch in der zweiten Dekade auf diese allgemeine Systematik der Gesetze folgen, haben einen näheren oder weiteren Bezug zum Dekalog: De Lege Diuina, ac duobus primis primae tabulae seu Decalogi praeceptis.
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den Grundbegriffen der Gesetzeslehre viele Gemeinsamkeiten mit anderen Reformatoren. Diese betreffen z. B. die Gleichsetzung des göttlichen Gesetzes mit dem Willen Gottes (voluntas Dei); die überkommene Grundunterscheidung zwischen göttlichen, natürlichen und menschlichen Gesetzen; die Einteilung des göttlichen Gesetzes in Moral-, Judizial- und Zeremonialgesetz und schließlich die Vorrangstellung des Dekalogs als Inbegriff des Moralgesetzes.209 Originell ist es aber bereits, wie Bullinger seine Darlegungen zum Dekalog in den Fortgang der Gesetzeslehre integriert. Er geht zunächst wie andere Reformatoren davon aus, dass Gott allen Menschen von jeher ein ungeschriebenes Gesetz der Natur („Buch der Natur“) eingeprägt bzw. in die Herzen der Menschen geschrieben habe (Röm 2,14–16), das damit vom ius scriptum der Bücher des Mose und den prophetischen Schriften zu unterscheiden ist. Der Unterschied des Naturgesetzes gegenüber dem geschriebenen Gesetz des Mose liegt für Bullinger darin, dass es eben nicht in Schriftform, sondern als Handeln oder Wirkung (opus legis) im Menschen angelegt ist.210 Dessen zwei Hauptpunkte bestehen in der GotteserSermo II. (ab f. 39r), De tertio primae tabulae seu decalogi praecepto: & de Iure iurando. Sermo III. (ab f. 44v), De quarto primae tabulae seu Decalogi praecepto, nempe de ratione & obseruatione sabbati. Sermo IIII. (ab f. 48r), De primo secundae tabulae praecepto, quod ordine in Decalogo quintum est, de honorandis parentibus. Sermo V. (ab f. 51r), De secudo secundae tabulae praecepto, quod ordine in Decalogo sextum est, Non occides. Item de Magistratu. Sermo VI. (ab f. 57r), De officio magistratus, quae ordinet, an cura religionis ad ipsum pertineat: an de religione constituat, & de legibus eius. Sermo VII. (ab f. 62r), De Iudicio & officio Iudicis. Iudicia non esse Christianis prohibita. De vindicta & poena. An liceat magistratui caedere fontes? Quare, quando, quomodo & quid puniat? An propter religionem punire poßit? Sermo VIII. (ab f. 66v), De Bello. An liceat magistratui gerere bellum? Quid tradat de bello scriptura. An magistratum gerere poßit homo Christianus? Et de officio subditorum. Sermo IX. (ab f. 71v). De tertio secundae tabulae praecepto, quod in Decalogo septimum est, Non moechaberis. Coniugio, constra adulterium & omnem intemperantiam, de Continentia. Sermo X. (ab f. 76v). Wie an den Titeln zu sehen ist, weitet Bullinger das Tötungsgebot, das nach der reformierten Zählung der Zehn Gebote dem sechsten Gebot entspricht, aus zu vier Predigten (Sermo VI–IX) über klassische Themenfelder der Politiklehre: das weltliche Amt und die Person des Magistrats, die obrigkeitlichen Religionsrechte, das Gerichts- bzw. Rechtswesen und Kriegsrecht, wobei auch hier bei letzteren weiter vom Magistrat her argumentiert wird. In diesen Predigten taucht auch das Modell der politia Mosis auf, wie zu sehen sein wird. Die letzten drei Gebote des Dekalogs werden in der dritten Dekade weiter ausgeführt (Sermo I–IV), bevor dann auch die mosaischen Judizial- und Zeremonialgesetze noch zu Wort kommen. 209 Vgl. aaO., f. 36r, f. 39r–v. Zur Einteilung der menschlichen Gesetze in politische oder bürgerliche Gesetze (leges politicae), kirchliche Gesetze (leges ecclesiasticae) und menschliche Traditionen oder Satzungen (traditiones humanae) vgl. aaO., f. 38r–v. 210 „Licet enim legem Mosis scriptam non habuerint, fecerunt tamen natura quae legis sunt. Legist est revelare die uolutatem quid agas aut quid omittas. Id habent a natura, id est, it norunt ex lege naturae. Sequitur enum quod hoc exponat, Cum habent legem, eae sibiipsis sunt lex. Nimirum habent in seipsis quod scriptum est in lege. Sed quomodo habent in seipsis? Sequitur iterum interpretatio, Quippe ostendunt opus legis inscriptum cordibus suis. Quis autem inscribit in cora, nisi solus deus quid est cordium scrutator? Quid autem
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kenntnis und -verehrung sowie der Liebe zum Nächsten. Der Leser der Dekaden wird in der Folge dann von selbst feststellen, dass damit zugleich die zwei Prinzipien benannt sind, die den Zehn Geboten in ihrer Anordnung auf zwei Tafeln entsprechen. Zwar kommt Bullinger auch zunächst auf die Verdorbenheit der natürlichen Fähigkeiten (ingenium) des Menschen in Folge des Sündenfalls zu sprechen,211 ihm liegt aber dann im Folgenden daran, schon in den Philosophien und Gesetzeslehren (Cicero, Plutarch, Seneca, Marcus Terentius Varro u. a.) sowie den alten Gesetzeskorpora der Antike (vor allem dem römischen Corpus Iuris Civilis und dem älteren Zwölf-Tafel-Gesetz) durch ein vergleichendes Vorgehen nachzuweisen, dass nicht nur diese zwei Grundprinzipien, sondern auch ihre ausgedehnte Form im Dekalog auf natürliche Weise NichtChristen einsichtig waren.212 Erst dann folgt die ausführliche Auslegung des Dekalogs, in der Bullinger verschiedene Formen der Schriftauslegung von der wörtlich-historischen bis hin zur topologischen und allegorischen nutzt. Die ausgesprochene Wertschätzung Bullingers für die mosaische lex scripta aber besteht nicht lediglich in der Übereinstimmung des Dekalogs mit dem Naturgesetz, was so ja auch noch z. B. Luther und Melanchthon tragen konnten. Bullinger weicht von den Wittenberger Reformatoren ab, wenn er Mose zum ältesten der berühmten Gesetzgeber (legislatores celebriores) vergangener Zeiten erklärt und so den mosaischen Ursprung fast aller guten Gesetze auf Erden herausstellt.213 Dabei nimmt er auch die vom italienischen Renaissance-Humainscribit? Opus legis ipsam inquam legem praecipientem bona & uetantem mala, ut fine lege scripta ex dictamine naturae, id est ex impressis a deo naturae notionibus intelligant quid bonum sit, quid matum, quid appetendum, quid fugiendum“ (aaO., f. 36r–v). 211 Auch hier dient diese Argumentation letztlich dem Nachweis, das Naturgesetz nicht auf eigene angeborene Fähigkeiten des Menschen zurückzuführen, sondern auf Gott selbst, den alleinigen Urheber bzw. Autor. 212 Vgl. aaO., f. 36v–38r. 213 „[S]ufficit omnibus sapientibus nationibus & populis, si tantum quibusque sit legum, quantum satis est ad conseruationem pacis, honestatis, tranquillitatisque publicae. Tantum uero fuisse populo Izraelis testatur uniuersa historia sacra. Sunt autem antiquissimae hae leges, & fontes quidam omnium fere aliarum in mundo bonarum legum. Praecessit Moses omnes alios legislatores celebriores. Vetustissimi ex his Mercurius ille trismegistus & Rhadamanthus Licius. Aegyptij legislatorem suum Mercurium appellarunt Thoth, qui &, authore Lactantio, Argum multiocolum illum occidit, & in Aegyptum profugit. Vixit autem Argus & Athlas circa Cecropis Diphys tempora. Cecrops autem coaeteneus fuisse dicitur Mosis. Rhadamanthus uero putatur uixisse post tempora Iosue. At longissimo interuallo post Mosem succedunt legislatores famosissimi maximarum & antiquissimarum gentium, Draco & Solon Athenienses, Minos Cretensium, Charondas Tyriorum, Phoronaeus Argiuorum, Lycurcus Lacedaemoniorum, Pythagoras Italorum, Romulus & Numa Romanorum. Plato de Legibus commentatur paulo ante regnum Philippi Macedonum regis, Alexandri illius magni patris. Cicero quoque 2.lib. de Legibus, Hanc igitur, inquit, uideo sapientissimorum fuisse sententiam, legem neque hominum ingenijs excogitatam, nec scitum aliquod esse populorum, sed aeternum quiddam, quod uniuersam mundum regeret imperandi prohibendique sapientia, Ita principem legem illam & ultimam mentem esse
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nismus forcierten Diskussionen zum hermetischen Gedankengut auf, die vor allem durch Marsilio Ficino (1433–99) in lateinischer Sprache in Umlauf kamen.214 Ficino hatte das sog. Corpus Hermeticum, eine Zusammenstellung antiker Geheimlehren, die einem sagenumwobenen Weisen Hermes Trismegistos aus Ägypten zugeschrieben wurden, ins Lateinische übersetzt, sein Schüler Giovanni Pico della Mirandola hatte die Hermetik dann darüber hinaus mit der jüdischen Kabbala vermittelt.215 Ficino zog bereits seinerseits zumindest Vergleiche zwischen Mose und Hermes Trismegistos, während es in der Antike aber auch bereits Ansätze gegeben hatte, Mose vollkommen mit Hermes zu identifizieren.216 Diesen Weg geht Bullinger nicht, obwohl er bestens (so auch Zwingli, wie gesehen) mit den Werken Ficinos und Picos und dem Florentiner Renaissance-Humanismus vertraut war. Sein vorrangiges Anliegen aber war es, Mose an die erste Stelle einer langen Reihe der Gesetzgeber großer und bekannter Völker zu stellen. Dazu nutzt er insbesondere Passagen aus den Institutiones Divinae des christlichen Apologeten und Kirchenvaters Laktanz (ca. 250–320 n. Chr.) und aus der Chronik des Geschichtsschreibers und Kirchenvaters Euseb von Caesarea (ca. 263–339 n. Chr.).217 Auf Grundlage dieser Schriften konstruiert Bullinger nach, dass Mose selbst noch den ältesten Gesetzgebern vorausgehe. Für diese stehen Mercurius Trismegistos, für den Bullinger die ägyptische Namensvariante Mercurius Thot kennt, und Rhadamanthus, Sohn des Zeus und der Europa aus der griechischen Mythologie, auf den wichtige Grundlagen des griechischen Prozesswesens zurückgeführt wurden. Mercurius Thot wird in die Zeit Moses eingeordnet, Rhadamanthus erst nach Josuas Lebenszeit. Mit größerem zeitlichen Abstand in der Kette der ältesten Gesetzgeber folgen dann im siebten vorchristlichen Jahrhundert die Athener Drakon und Solon, Minos von Kreta, Charondas von Katane, Phoroneus von Argos, der legendäre Staatsbegründer Spartas Lykurg, Pythagoras (ca. 570–480 v. Chr.) bis hin zu Romulus und Numa Pompilius, die den Anfang des römischen Staats- und Rechtswesens signalisieren sollen. Platon und Cicero bilden mit ihren Gesetzeslehren den philosophischen Anknüpfungspunkt und Abschluss dieser Entwicklungslinie des ius scriptum. Nun muss schließlich noch auf den besonderen Ort von Bullingers Erörterungen hingewiesen werden: Obwohl sich mit dem beschriebenen mosaischen
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dicebant omnia ratione aut cogentis aut uetantis dei. Ex quo illa lex, quam dij humano generi dederunt, recte est laudata: est enim ratio mensque sapentis ad iubendum & ad detrahendum idonea“ (aaO., f. 132r). Das abschließende längere Zitat stammt aus Cic. leg. 2,8, der Verweis zu Platon bezieht sich auf den lateinischen Titel seines Spätwerkes Nomoi (vgl. Bullinger, Dekaden ed. 2006, Bd. 4, 53f mit Anm. 34f). Vgl. Garin, L’umanesimo italiano, 94–132. Vgl. Dan, Kabballah, 62. Siehe bereits oben Abschn. 1.3.3.1 u. 1.3.3.2. So z. B. beim jüdischen Autor aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. Artapanos (vgl. Assmann, Moses der Ägypter, 63). Vgl. Bullinger, Dekaden ed. 2006, Bd. 4, 53 mit Anm. 29. 31f.
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Ursprung der Gesetze natürlich Konsequenzen für das gesamte Verhältnis von weltlichem und göttlichem Recht ergeben, gehören die Ausführungen im engeren Sinne zur Behandlung der Judizialgesetze Gottes (7. Sermon der 3. Dekade). Gerade mit den Judizialgesetzen nimmt Bullinger aber die Thematik des weltlichzivilen Rechts insgesamt auf; er versteht sie nämlich nicht bloß im strikten Sinne als nur auf das Justizwesen beschränkt, sondern auch in einem allgemeinen politischen Sinne als Instruktionen für ein ehrbares und heiliges Leben im Gemeinwesen (politia) und Haushalt (oeconomia).218 Der argumentative Zusammenhang ist folgender: Mit dem betriebenen Altersbeweis, dass Mose der älteste Gesetzgeber sei, wird letztlich auf die Vermittelbarkeit des mosaischen Judizialgesetzes mit anderen Gesetzeskorpora gezielt, die ja auf diese eine „gute“ Quelle zurückführen. Gut aber kann diese Quelle auch nur deswegen sein, weil sie auf die Urheberschaft Gottes (authoritate divina) zurückgeht und von ihm durch Mose vermittelt wurde.219 Vergleicht man nun das mosaische Judizialgesetz mit anderen gegenwärtigen Gesetzen, so wird auch dann noch ihre Abstammung und Verwandtschaft deutlich. Bullinger tut dies, indem er sich dem für das Zivilrecht maßgeblichen römischen Corpus Iuris Civilis zuwendet und aus seinen Teilen (Codex Iustinianus, Digesten bzw. Pandekten und Novellen) einzelne Gesetze als Beispiele zusammenstellt, die Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen aufweisen mit den Judizialgesetzen, die er vorher systematisch entfaltet hat.220 Die Unterschiede zur späteren Position eines Melanchthon sind hier offensichtlich: Während dieser eine rechtliche Orientierung am mosaischen Judizialgesetz für das Gemeinwesen ablehnte und vom geltenden römischen Recht ausging, geht Bullinger den umgekehrten Weg und schließt von den mosaischen leges iudiciales auf das römische Recht. Für beide hat die äußere Wahrung von Frieden und Gerechtigkeit im Gemeinwesen oberste Priorität,221 aber Bullinger bewahrt sich zusätzlich eine Freiheit für die mosaischen Judizialgesetze, solange diese der Zeit, dem Ort und den Personen angemessen seien, und betont dann auch, dass am Wesentlichen von ihnen festgehalten werden solle.222 Dies führt noch einmal auf Bullingers systematische Antwort auf die Frage nach der Geltung der mosaischen Gesetze insgesamt zurück. Er stimmt mit allen 218 „Iudicialia instruunt & oeconomiam & politiam, ut uiuere possimus honeste & sancte“ (Bullinger, Decades, f. 137v). Für die striktere Definition vgl. seine Erläuterungen entlang der Begriffe iudex, iudicium und iudicare aaO., f. 132v–133r. 219 Vgl. aaO., f. 132r. 220 „Quod si quis conferat legex uel constitutiones principum, regum uel imperatorum uel magistratuum Christianorum ex ipso Codice, ex lib. Digestorum seu Pandectarum, atq[ue] ex Nouellarum constitutionum opere, aut ex alijs uariarum Gentium legum bonarum libris, cum hisce iudicialibus dei legibus, fatetur oportet magnam esse omnium istarum similitudinem atq[ue] conuenientiam“ (aaO., f. 145r–v; vgl. dazu f. 132v–136r). 221 Vgl. aaO., f. 145r. 222 Vgl. aaO., f. 145r mit 145v.
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anderen bisher betrachteten Reformatoren darin überein, dass mit Paulus und dem Neuen Testament das alte Gesetz Moses abgeschafft wurde bis auf das Moralgesetz (den Dekalog), was sich ja bereits, wie gesehen, aus der Übereinstimmung mit dem Naturgesetz ergibt. Signifikante Unterschiede zu anderen Reformatoren, die besonders gegenüber der Wittenberger Linie Luthers und Melanchthons ins Auge fallen, zeigen sich aber dann doch in der Einordnung und Behandlung der Zeremonial- und Judizialgesetze. Ihre Behandlung fällt gerade deswegen so ausführlich aus, weil beide zwar für Bullinger dem christlichen Glauben entsprechend als abgeschafft gelten können, aber doch nicht ihre Orientierung als ius scriptum verloren haben. Dies stellt wiederum einen Unterschied z. B. zum betont geistig-geistlichen Gesetzesverständnis bei Bucer dar. Bullinger erörtert zum mosaischen Zeremonialgesetz, dass die Zeremonien zwar selbst abgeschafft seien, nicht aber die Schriften darüber, die vom Geist Gottes ausgegangen sind.223 Die weitere Orientierung am Judizialgesetz geht, wie dargelegt, noch etwas weiter. Beide Teile des Gesetzes, die Zeremonial- und Judizialgesetze, haben aber ihre übereinstimmende Schriftform für Bullinger darin, dass sie als Hinzufügungen zur Erklärung und Befestigung des Dekalogs wahrzunehmen sind.224 Bullingers Verständnis und Konzeption der lex scripta Mosaica markiert einen wesentlichen Unterschied zu anderen Reformatoren. Ein Rechtsvergleich und -bezug zwischen mosaischem Recht und außerbiblischen Rechtsquellen wie dem römischen Recht wird erleichtert und angestrebt – dies demonstriert Bullinger ja selbst schon. Zum anderen wird eine Auslegung der mosaischen Gesetze untereinander ermöglicht, indem die Zeremonial- und Judizialgesetze als Hinzufügungen des Dekalogs verstanden werden. Dass das geschriebene Gesetz des Mose eine solche Bedeutung bei Bullinger gewinnt, ist letztlich nicht nur mit seiner Bundesvorstellung, in der die Kontinuität des Glaubens vom Alten zum Neuen Testament betont wird, erklärbar, sondern hat auch seine Gründe in Vorstellungen zum „ältesten Gesetzgeber“ Mose, die ihm v.a. durch das humanistische Schrifttum (v.a. Neuplatonismus, italienischer Humanismus) präsent gewesen sein dürften.
223 Vgl. aaO., f. 140v. 224 „Quemadmodum vero Caeremoniales leges, sic & iudiciales a deo adiectae sunt decalogo ad explicandum & muniendum decalogum“ (aaO., f. 132v; vgl. f. 136r).
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Straßburg „zwischen“ Wittenberg und Zürich: Martin Bucers Zugänge zum mosaischen Recht
In der deutschen Reichsstadt Straßburg setzte sich relativ früh in den Jahren 1523/24 die Reformation durch. Die sich hier versammelnden reformatorischen Strömungen hatten grundsätzlich ein anderes Gepräge und unterschieden sich dadurch von denen der Wittenberger und Zürcher sowie auch der späteren Genfer Reformation.225 Dies lag zum einen daran, dass in Straßburg seit Ende des 15. Jahrhunderts die Zünfte große politische Mitwirkungsrechte im Rat der Stadt erlangen konnten, die Stadt weniger von sozialen Ungleichgewichten geprägt war und zudem – von Fernhandel weitgehend unabhängig – eine gewisse sozioökonomische Stabilität erreichte. Dies begünstigte zum anderen wohl auch, dass in den 1520er Jahren zunächst ein allgemeines Klima religiös-konfessioneller Toleranz herrschte, das auch radikal-reformatorischen Gruppierungen und Denkern Platz bot. Einer dieser radikaleren Denker, dessen Werk über die Stadtgrenzen Straßburgs hinweg Einfluss in der Reformationszeit erlangte, Sebastian Franck (1499–1543), wird im Folgenden kurz vorgestellt (Abschn. 2.4.1), um zu verdeutlichen, wie der im vorherigen Kapitel dargestellte Florentiner Neuplatonismus, in diesem Fall insbesondere der Hermetismus in Folge Marsilio Ficinos,226 an theologischem Einfluss im Umkreis der Straßburger Reformation gewinnen konnte. Als Franck Ende des Jahres 1530 nach Straßburg gelangte, verlor das religiös-konfessionelle Klima bereits wieder an Offenheit. Die Bedeutung Martin Bucers als „dritter deutscher Reformator“ neben Luther und Melanchthon in Straßburg blieb weiter bestehen. Im Folgenden wird dargestellt, dass sich Bucers Verständnis und Behandlung der mosaischen Gesetze „zwischen“ den Lehren der Wittenberger und Zürcher Reformatoren bewegte (Abschn. 2.4.2 und 2.4.3).
2.4.1 Der „Egyptisch Moses“: Sebastian Francks Anknüpfung an hermetisches Gedankengut im Umfeld der Reformation in Straßburg Für Sebastian Franck hatten neben der hermetischen Tradition auch Ficinos christlicher (Neu-)Platonismus und seine Bezüge auf die prisci theologi eine gewisse Attraktivität: Hermes Trismegistos reiht sich wie schon bei Ficino in eine Reihe uralter Vorväter der Weisheit und Theologie der Heiden ein wie Zarathustra, Pythagoras, die Sibyllen und schließlich Platon, der Christus richtig 225 Zum kurz dargestellten Kontext Straßburgs im Folgenden vgl. Wagner, Falsche der Religionen, 361–364. 226 Siehe oben, Abschn. 1.3.3.1.
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erkannt habe. Ebenfalls wie schon bei Ficino, tut das der umfassenden Berufung auf die Kirchenväter keinen Abbruch, geht vielmehr damit Hand in Hand. In seinem Werk Die Guldin Arch (1538) gewinnt Francks prisca-theologia/sapientia-Konzeption an Konturen. Zusammengehalten wird seine Konzeption vor allem durch ein spiritualistisches und verinnerlichtes Glaubensverständnis, das das geschriebene Wort der Schrift als nachrangig erscheinen lässt.227 Das alles hat natürlich auch Auswirkungen auf die Gesetzeslehre in der Schrift Die Guldin Arch. Diese wird vor allem in dem Abschnitt „Von dem Gsatz/ seiner vbersetzung/ brauch vnd mißbrauch/ Zeücknus der Schrifft“228 nach der Schriftlehre entfaltet. Wie auch in anderen Teilen des Werkes lässt sich nicht immer direkt entnehmen, welche Lehre Franck selbst vertritt, weil ganze Abschnitte aus Zitaten-Sammlungen bestehen. Rückschlüsse ergeben sich durch die Überschriften der Abschnitte und ihre Struktur, Glossen und teils kurze eigene Kommentierungen. Im Fall der Gesetzeslehre überwiegen neben den Bibelzitaten vor allem die Kirchenväterzitate, wobei Augustin und Hieronymus am häufigsten vertreten sind.229 Doch kommen auch noch Cicero (De legibus) und Valerius Maximus (Facta et dicta memorabilia) zu Wort. Mit Cicero geht es um die Identifikation des göttlichen Gesetzes mit dem Naturgesetz vor aller Schrift.230 Aufschlussreich für Francks Haltung zu den mosaischen Gesetzen ist dagegen ein Bezug auf Isidor von Sevillas (gest. 636 n. Chr.) Hauptwerk Etymologiae, ein enzyklopädisch und etymologisch angelegtes Werk, das wie Francks Guldin Arch zum großen Teil selbst aus Exzerpten antiker Quellen besteht. Franck hält sich hier in seiner deutschen Übersetzung an ein Kapitel der Etymologiae über Moses, in dem Isidor die antike Überlieferung über die ältesten Gesetzgeber (Mose, König Phoronens, Mercurius Trismegistus, Solon, Lykurg, Numa Pompilius und Romulus bis zum Zwölf-Tafel-Gesetz der Römer) entfaltet.231 In dem betreffenden Zitat steht 227 Vgl. auch Wels, Manifestationen des Geistes, 29f, der auch noch die Verbindung mit der mittelalterlichen Logosmystik herausstellt. 228 Vgl. Franck, Guldin Arch, f. CXCVIIv–CCIIIIr. 229 Neben Exzerpten aus Augustins und Hieronymus’ Werken werden auch noch Johannes Chrysostomus (aaO., f. CCIIv–CCIIIr), Ambrosius, Cyprian und Isidor von Sevilla (f. CCIIIr–v) zitiert. Ein kurzes Briefzitat von Bernhard von Clairvaux (f. CCIr–v) wird ebenfalls noch eingefügt. 230 Vgl. die Glossen „Dz gesatz von ewikait vor aller schrifft“ und „Gottes gsetz ist der natur gsetz“ aaO., f. CCIIIv neben dem Zitat aus Cic., De leg., II,11 (ed. Nickel, 80–83). 231 „Isidorus lib. v. Ethymologiarum, & habetur Dis. vij, cap. Moyses. Moses hat dem Hebreischen volck/ erster vor all anderen gesatz fürgeschriben/ vnd in hailiger Schrifft verfasset/ Phoronens der Künig/ hatt erster den Griechen gsatz geben/ Mercurius Trismegistus den Egyptern/ Solon den Atheniensern/ Lycurgus den Lacedemoniern/ auß der ansag vnnd ansehen Appollinis/ Numa Pompilius/ der Romulo im reich hat nachgefolget/ hatt erster den Römern gsatz geben. Darnach als der magistrat das auffwegig volck nit mocht dulden/ haben sie zehen menner erwölt/ die gesatz auß den buechern Solonis solten in latein verwenden/
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Mercurius Trismegistus in einer Reihe deutlich nach Mose. Allerdings hat dies nun insgesamt keine besonderen Auswirkungen auf Francks geringschätzige Haltung gegenüber dem geschriebenen Gesetz. Dies kann man merkbar an dem Abschnitt nachvollziehen, in dem die „Nammen des Gesatzes.“ behandelt werden: Aufgeführt werden zehn Namen, die die Hebräer für das Gesetz wählten und alle meinen im Grunde genommen einen negativen Aspekt.232 Abgewertet wird gerade die Buchstabentreue. Allem Interesse an den prisci theologi und dem Alter der Gesetze der Hebräer zum Trotz steht also am Ende ein spiritualistisches Gesetzesverständnis bei Sebastian Franck im Vordergrund, das den geschriebenen Gesetzen Moses abwertend gegenüberstand. Damit hatte sich ein anderer Theologe in Straßburg, der zum bedeutendsten Reformator der Stadt anvancierte, auseinanderzusetzen. Dieser wurde auch zu einer der einflussreichsten Gestalten der protestantischen Reformation.
2.4.2 Martin Bucers Festhalten an der geistig-substantiellen Bedeutung und äußerlichen Nützlichkeit der mosaischen Gesetze für Christen Der Straßburger Reformator Martin Bucer (1491–1551) hat sich wie kein anderer Reformator der ersten Generation mit den weltlichen, nicht-biblischen Rechtsquellen und Argumentationsweisen auseinandergesetzt, und teilt mit Melanchthon hierbei eine Faszination für das römische Recht.233 Seit Mitte der 1530er Jahre lässt sich bei ihm ein Anstieg der Bezüge auf das römische und kanonische Recht beobachten,234 der vor allem mit Bucers reformatorischer Vermittlungsarbeit auf Ebene des deutschen Reiches und auch mit seiner umfassenden Rechtsgutachtertätigkeit zusammenhängt. Allerdings kommt Bucer mit dem gesteigerten Rückgriff auf das römische und kanonische Recht nicht zu einer vergleichbaren programmatischen Absage an das mosaische Recht wie die Wittenberger Theologen: Für Bucer geht es nicht wie für Melanchthon seit Mitte der 1520er Jahre um eine Aufwertung des römischen Rechts auf Kosten einer zivilrechtlichen Bedeutung der mosaischen Gesetze. Insgesamt ist von einer Auffassung von den mosaischen Gesetzen auszugehen, die zwar Schnittmengen mit der der Wittenberger Reformatoren hatte, sich aber grundsätzlich doch noch vnd in zwölff tafeln verfassen/ Die menner aber seind gewesen Appius/ Claudius […]“ (Franck, Guldin Arch, f. CCIIIr–v). 232 Vgl. aaO., f. CXCIXr. 233 Vgl. Zwierlein, Reformation als Rechtsreform, 29. Einen Überblick über die Bucers Rechtslehre liefert das Spektrum an Beiträgen in dem Sammelband Strohm/Jürgens, Bucer und das Recht. 234 Bis zum Anfang der 1530er Jahre hatten diese Bezüge auf das römische und kanonische Recht noch eine ganz untergeordnete Rolle gespielt (vgl. Strohm, Berufung, 123f).
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einmal von ihnen unterschied. Hat dies mit Bucers humanistischer Orientierung zu tun, die in der Forschung auf unterschiedlichen Ebenen immer wieder als Erklärungsmodell für die Eigenarten seines reformatorischen Profils herangezogen wurde? Verschiedene Einflüsse sind hier hervorgehoben worden wie der des Humanistenfürsten Erasmus auf Bucers Theologie,235 der Kontext einer von Humanisten geprägten „rheinischen Schule der Exegese und Theologie“236 oder die Nähe von Bucers Gesetzeslehre und rechtspraktischen Stellungnahmen zu einer Jurisprudenz, die dem Humanismus verbunden war.237 Die eigentliche Schwierigkeit im Falle Bucers besteht nun darin, diese humanistischen gegenüber seinen reformatorischen Ansichten, aber auch mittelalterlich-scholastischen Orientierungen und Prägungen, die einen weiteren Horizont seines Denkens seit seinen Frühschriften bilden,238 zu gewichten. Um dies zu veranschaulichen, sei zunächst auf Bucers frühe Phase seines Lebens vor seinem Wirken als Reformator verwiesen. Bucer hatte nach seiner Zeit in einem Dominikanerkloster, in dem ihm vor allem die thomistische Theologie vermittelt wurde, 1516 die Priesterweihe empfangen und war danach im Jahr 1517 nach Heidelberg zum Theologiestudium gegangen. Neben der humanistisch geprägten Lateinschule in seiner Heimatstadt Schlettstadt (Sélestat) im Elsass, an der er ausgebildet worden war, dürfte Bucer in Heidelberg weitere Kontakte zur humanistischen Bildungsreformbewegung und ihren Kreisen gesammelt haben. 1518 wandte er sich dann unter dem Eindruck der Heidelberger Disputation Luther und der Reformation
235 Vgl. Amos, Bucer Among the Biblical Humanists, 138–142, hier: 140: „In many ways, Bucer was an Erasmian before he was a Reformer.“ Amos gewichtet Bucers offene Identifikation mit Erasmus stärker als seine Prägungen durch die scholastische Theologie Thomas v. Aquins. Seine Gesetzeslehre betreffend kann dies allerdings hinterfragt werden, insbesondere auch hinsichtlich zusätzlicher Einflüsse durch den Florentiner Renaissance-Platonismus und -Neuplatonismus (siehe nächsten Abschn. 2.4.3). Vgl. zu den humanistischen Einflüssen insgesamt auch Müller, Bucers Hermeneutik. 236 Vgl. Amos, Bucer Among the Biblical Humanists, 142–153. 237 Verbindungen zur humanistischen Jurisprudenz zeichnet vor allem Zwierlein, Reformation als Rechtsreform nach. Siehe auch weiter unten, die einleitenden Worte zu Kap. 3. 238 Schon die erste überlieferte Schrift Bucers in Druckfassung Das ym selbs niemant, sonder anderen leben soll, und wie der mensch dahyn kummen moeg (1523), BDS 1, (28)44–67, die gerade zu dem Zeitpunkt entstand, als Bucer in der Stadt Straßburg als Prediger Fuß fasste, veranschaulicht das Spektrum der unterschiedlichen geistigen Vorprägungen Bucers: zum einen eine an Thomas von Aquin anlehnende Seinstheologie, die auf eine Wiederherstellung der göttlichen Liebesordnung durch das Werk des Heiligen Geistes im Menschen als Ebenbild Gottes zielt; dann eine eng an Luthers Formulierungen bleibende Regimentenlehre; das von Cicero herstammende und von Humanisten oft formulierte Lebensideal des bene et beate vivere und dies schließlich gepaart mit einer spiritualistisch ausgerichteten Theologie, die sowohl bei Erasmus Anklänge fand, aber auch bei Zwingli, dessen Schriften Bucer ebenfalls studierte.
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zu.239 Kennzeichnend für die weitere Entwicklung ist aber bereits zu diesem Zeitpunkt, dass Bucer Luther ganz aus einer humanistischen Sicht wahrnimmt. Trotz des schroffen Gegensatzes zwischen Gesetz und Evangelium, den Luthers Thesen der Heidelberger Disputation aus der Perspektive existenziellen Heils hervorheben, sah Bucer zwischen ihm und Erasmus, dessen Schriften Bucer intensiv studierte, in erster Linie die Gemeinsamkeiten ihrer Anliegen. Luther setze sich lediglich energischer für die praktische Umsetzung der reformatorischen Anliegen ein als Erasmus.240 Bucer ist auch in der Folge in seiner Theologie nicht zu einem schroffen Gegensatz von Gesetz und Evangelium gelangt, wie ihn Luther und Melanchthon vertraten. Ihn allerdings deswegen einen „Pietisten unter den Reformatoren“ oder „ersten Anfänger und Vater des Pietismus“ zu nennen, wie August Lang es tat,241 wird den geistigen Prägungen in der Theologie Bucers nicht gerecht. Im Folgenden geht es mir nicht darum, Bucers Gesetzeslehre diesbezüglich in seiner ganzen theologischen Breite zu erfassen, sondern ich widme mich wiederum spezifischer der Ausgangsfrage nach der politischen Relevanz der mosaischen Gesetzgebung.242 In einem kurzen Überblick können nur die wesentlichen Entwicklungslinien verdeutlicht werden, die Bucers Antworten in den Fragen der Geltung des mosaischen Rechts gegenüber anderen Reformatoren zu perspektivieren helfen. Dabei werden verschiedene literarische Bereiche berücksichtigt: 1.) seine exegetischen Arbeiten, 2.) seine deutschen und lateinischen Gelegenheits- und theologischen Programmschriften.243 Im Anschluss daran (Abschn. 2.4.3) wird ein Aspekt der humanistischen Orientierung Bucers zur Sprache gebracht, der bisher kaum bis gar keine Beachtung in der Bucer-Forschung gefunden hat, aber bei einer Einordnung von Bucers Lehre von den mosaischen Gesetze relevant ist: seine Rezeption des Florentiner Renaissance-Humanismus (Marsilio Ficino, Giovanni Pico della Mirandola) und die
239 Ein aussagekräftiges Beispiel dafür, wie sehr sich Bucer auf der Seite der Unterstützer Luthers und der Reformation wähnte, ist ein von seiner Hand erhaltenes und nicht veröffentlichtes Gutachten, das bis 1524 verfasst wurde und in dem Bucer in insgesamt zwölf Artikeln zu Allgemeinplätzen des christlichen Glaubens die Positionen aus Wittenberg als christlich und evangeliumsgemäß verteidigte (vgl. BDS 1/B6 [304]310–344, hier: 304. 306 zum Kontext). 240 Vgl. Strohm, Protestant Concepts of Law, 241. 241 Lang, Evangelienkommentar, 137. 242 Damit angesprochen werden soll noch einmal der Sachverhalt, dass Bucer ein viel weiteres Verständnis der lex Dei hat als das der Bezug auf die mosaischen Gesetze ausdrückt. Letzterer aber steht im Folgenden im Vordergrund. 243 Hinsichtlich seiner Gesetzeslehre bilden die deutschen Schriften Bucers den literarischen Bereich des Reformators, der von der Forschung bisher noch weniger berücksichtigt wurde. Dies liegt zum Großteil daran, dass erst über die letzten die Editionsarbeiten hier weiter fortgeschritten ist, ohne aber bisher abgeschlossen zu sein. Deswegen bleibt ein Teil der im Weiteren folgenden Einschätzungen auch noch unter Vorbehalt.
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damit verbundenen Bezüge zu prisca-theologia/sapientia-Vorstellungen, zum Neuplatonismus bzw. Platonismus und zur christlichen Kabbala. 1.) Bucers exegetische Arbeiten bilden den definitorisch aufschlussreichsten Bereich seines Werkes zum Thema mosaisches Recht. Bucer hat sich mehrfach in gesonderten Abschnitten entsprechend einer Loci-Methode in der fortlaufenden Exegese zur Frage des göttlichen Gesetzes (lex Dei) und der mosaischen Gesetze geäußert: Aufschlussreich sind entsprechende Erörterungen in seinem frühen Kommentar zum Epheserbrief, dem sukzessiv entstehenden Evangelienkommentar (1527–1536),244 den August Lang noch als Bucers theologisches Hauptwerk verstand, in seinem Psalmenkommentar (1529) und schließlich im Römerbriefkommentar (1536). Diese dogmatischen Abschnitte im Rahmen der Bibelexegese sind in erster Linie Ausdruck einer Theologie, die sich zuallererst als konsequente Schriftauslegung verstand, aus der sich jene christliche Lehre (doctrina) herleitet,245 die nach praktischer Umsetzung in Kirche und Gemeinwesen verlangt.246 Wenn Bucer die Bibel in öffentlichen Vorlesungen, die bald im Karmeliterkloster und dann im Dominikanerkloster in Straßburg stattfanden, auslegte, dann kommt er hier in Bezug auf die mosaischen Gesetze zu folgenden Auffassungen: Den Ausgangspunkt bildet stets ein umfassendes Verständnis des 244 Dem alle vier Evangelien umfassenden Kommentar In sacra quatuor Evangelia, enarrationes perpetuae (1536) vorausgegangen waren zunächst zwei Kommentarbände über die synoptischen Evangelien Matthäus, Markus und Lukas: Bucer, Ennarationum in Evangelia Matthaei, Marci & Lucae, libri duo. Loci communes syncerioris Theologiae supra centum, ad simplicem scripturarum fidem, citra ullius insectationem aut criminationem, excussi, Straßburg 1527 und ders., Ennarationum in evangelion Matthaei, quibus verbotim simul, & quae Maecus atque Lucas cum hoc habent communia explicantur, Liber Secundus. Item Loci communes Theologiae alquot excussi, Straßburg 1527. Die Bände hatten ihren deutlichen Schwerpunkt auf dem Matthäusevangelium (vgl. dazu Lang, Evangelienkommentar, 49–57). Das Hauptaugenmerk hinsichtlich der Geltung der mosaischen Gesetze verdient dabei der dogmatische Einschub in der Auslegung von Mt 5,17–20 über die Stellung Jesu zum Gesetz („Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen“), an dem sich wesentliche Aspekte zur allgemeinen Auffassung Bucers von der lex Dei und spezifischer zur lex Mosis nachvollziehen lassen. Der Kommentarband über das Johannesevangelium erschien erst ein Jahr später unter dem Titel: Ennaratio in evangelion Johanns, praefatio, summam Disputationis & Reformationis Bern. complectens, Straßburg 1528. Im Jahr 1530 erschienen alle vier Evangelien dann zum ersten Mal zusammen in einem Band, 1536 schließlich in der erwähnten revidierten Fassung. Ein Vergleich der beiden Fassungen des Evangelienkommentars von 1530 und 1536 findet sich bei Lang aaO., 80–93: Die Ausgabe von 1536 stand vor allem unter dem Eindruck der Verhandlungen um die sog. Wittenberger Konkordie (1536) und ist deswegen in einigen Punkten um Konsensformulierungen bemüht. Veränderungen gegenüber 1530 ergeben sich hier vor allem bei der Lehre von den Sakramenten und kirchlichen Ämtern (vgl. aaO., 80. 88–93). Auch in der Gesetzeslehre sind einige Veränderungen von Lang festgestellt worden, die aber insgesamt weniger substanziell ausfielen. 245 Vgl. Spijker, Recht und Kirchenzucht bei Martin Bucer, 223. 246 Vgl. Amos, Bucer Among the Biblical Humanists, 146f.
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göttlichen Gesetzes (lex Dei), das im weitesten Sinne die Lehre (doctrina) für das Leben und die wahre Frömmigkeit (vera pietas) umfasst. Bucer kann dabei an die jüdische Vorstellung vom Gesetz als Weisung Gottes anschließen und bewusst den hebräischen Begriff der Thora übernehmen.247 Dieses Verständnis der lex Dei korreliert andererseits wiederum mit einer weiten Definition jeglichen (guten) Gesetzes, das sich auf den Anreiz zum Guten und die Vermeidung des Bösen beschränkt. Genau genommen kann ein Gesetz, das in diesem Sinne ganz humanistisch auch als ratio recte et ordine vivendi verstanden wird, gar keinen anderen Urheber als Gott haben, und das umfassende Verständnis der lex Dei ermöglicht dann auch, das Gesetz Gottes als in anderen Rechtstexten enthaltend zu deuten. Für Bucer wird somit das Gesetz Gottes zu einer dynamischen geschichtlichen Größe, so dass z. B. auch Christi Unterweisungen ebenso als lex Dei verstanden werden können.248 Zum anderen ist dadurch auch die Tendenz gegeben, die gesamte Heilige Schrift gesetzlich als Weisung aufzufassen,249 wenngleich die Differenzen zwischen dem Amt des Mose und Amt Christi bestehen bleiben.250 Dabei wird nun der von Christus geschenkte Heilige Geist zum eigentlichen Kriterium der Unterscheidung, welche Gesetze des Alten Testaments für Christen noch Geltung haben und welche nicht.251 Daraus resultiert wiederum 247 Vgl. bereits die 1527 getroffene Definition in seinem Kommentar zum Epheserbrief: „Lex Dei, id est, vitae & pietatis doctrina, quae fere תורהin scripturis vocatur, nequaquam abrogata, sed per Christum, qui suis et recte intelligendi eam, et sinceriter perficiendi, spiritum donat, impleta est & confirmata“ (Bucer, Epistola D. Pauli ad Ephesios, 62). 248 „[E]xistimo legem[, id est] rationem recte & ordine uiuendi, quae sola proprie lex dicitur, nequaquam naturae, ne humanae quidem, sed diuini esse opus spiritus. Hunc Deus, cum non sit Iudaeorum tantum, sed & gentium, Deus, pluribus ab initio orbis adflauit, ij saepe rerum potiti, iustas religiones & leges uitae constituerunt, publicamque uirtutis curam, ita plantarunt, ut qui ab ea animo etiam abhorrebant simulare tamen aliquod studium eius, uel aestimationem coacti sint“ (Bucer, S. Psalmorum libri quinque, f. 15r; vgl. Zwierlein, Reformation als Rechtsreform, 45). Diese Formulierungen wählt Bucer, nachdem er vom Apostel Paulus ausgehend zunächst das ius naturae erörtert hat und direkt daran anschließend auf das ius gentium nach dem römischen Recht eingegangen ist. 249 Zu diesen Tendenzen bei Bucer bereits aaO., 48f. 250 Vgl. Bucer, In sacra quatuor Evangelia, enarrationes, 126C–127B; dazu auch Bucer, Metaphrases et enarrationes, 204–206, wo Bucer auf die abrogatio legis et ministerii Moseos (2Kor 3; Hebr 8 u. a.) für Gläubige zu sprechen kommt. Den Schlüsselbegriff bildet auch hier die doctrina pietatis, dem der Begriff der religio beigestellt wird: „Nec procedit illa consequentia, Ministerium Mose abolitum est, abrogata est ratio doctrinae sanctae, conditio administrandae religionis: ergo ipsa doctrina & religio, hoc est, lex et testamentum abolitum & abrogatum est. Nam utramque & legem & religionem etiam Euangelicum ministerium administrat“ (aaO., 205[a]). 251 Bucer hält vom Apostel Paulus ausgehend fest: „Lex docet, uitare mala, & sectari bona, hoc isti, docti per spiritum Christi pridem strenue student, non recte igitur doctos docere quaeritis. Proponite illam potius, iniustis, immorigeris, & istiusmodi malis obnoxijs: a quibus lex reuocat, & permittite qui iam ista summe odio habent & toti iustitiae sese dediderunt, meliore magistro, spiritu Christi, liberos“ (Bucer, In sacra quatuor Evangelia, enarrationes, 126D).
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eine Dialektik von Äußerem (externa) und Innerem bzw. Geistlichem (spiritualia), die sich von der Wittenberger Dialektik von Gesetz und Evangelium unterscheidet.252 Für Bucer ist damit auch der Unterschied zwischen dem Alten und dem Neuen Testament nur ein zeitlich-gradueller: Der Alte Bund bleibt in seiner Substanz (substantia) unverändert, Christus ist – entgegen der scholastischen Lehre des Thomas – kein neuer Gesetzgeber, sondern ein Erneuerer des Gesetzes, in dem Sinne, dass seine Unterweisung und der Heilige Geist nun zum eigentlichen Kern wahrer Frömmigkeit (nucleus verae pietatis) zurückführen. Diesen Kern aber stellen die Gottes- und Nächstenliebe, Glaube (fides) und Liebe (dilectio) dar, wohingegen die externa an die äußeren Umstände (Ort, Person, Zeit) gebunden bleiben. Damit ist für Bucer dann auch die Möglichkeit gegeben zu unterscheiden, welche mosaischen Gesetze etwa noch mit dem Kern wahrer Frömmigkeit zusammenhängen und damit für Christen weiter Geltung beanspruchen (wie z. B. der Dekalog) und welche nicht. Im Weiteren verlässt Bucer damit auch die später von Melanchthon und Luther immer wieder eingeschärfte Ausgrenzung der mosaischen Judizial- und Zeremonialgesetze als Teile unter den Gesetzen Moses, die keine Geltung für Christen mehr haben. 2.) Auch in Bucers theologischen Traktaten und Gelegenheitsschriften werden hinsichtlich der mosaischen Gesetze seit der frühen Phase seines Schaffens grundsätzliche Gemeinsamkeiten, aber auch erste Unterschiede gegenüber den Ansichten Luthers und Melanchthons erkennbar, die später in seinen Programmschriften teilweise noch mehr Konturen gewinnen: So geht Bucer zwar in seinem ersten gedruckten Werk Das ym selbs niemant, sonder anderen leben soll (1523)253 von einer Unterscheidung des weltlichen und geistlichen Regiments aus, wie sie Luther in demselben Jahr am deutlichsten in seiner Schrift Von weltlicher Oberkeit (1523) zugrunde gelegt hat. Wie Luther bereits in seinen Invokavitpredigten, so war auch Bucer dazu bereit, Fragen zur Durchsetzung des mosaischen Rechts aus Rücksicht auf die Schwachen und des Gebotes der Nächstenliebe zu relativieren.254 Aber von Anfang an – blickt man auf Bucers erste gedruckte Schrift – hatte die Umsetzung des göttlichen Gesetzes durch die christliche Obrigkeit und das Vorbild eines (homogenen) christlichen Gemeinwesens für Bucer eine noch größere Bedeutung als für Luther oder Melanchthon.255 So heißt es bereits in Bucers Erstlingswerk Das ym selbs, dass die 252 Vgl. schon Zwierlein, Reformation als Rechtsreform, 48. 253 Vgl. zu dieser Schrift und den verschiedenen geistig-theologischen Prägungen, die in diesem frühen Werk hervortreten BDS I, 29ff. 254 So kann Bucer der strikten Befolgung von Dtn 5,7 Jesu Gebot der Nächstenliebe (Joh 13,43; Gal 5,14) entgegenhalten und das rechte christliche Verhalten am Vorgehen des Paulus in Athen belegen: Paulus habe in Athen zwar gegen den Aberglauben gepredigt, aber dort nie einen Altar niedergerissen (BDS 1, 224,3–12). 255 Vgl. bereits die Hinweise in der Einleitung zu Bucers Das ym selbs von Johannes Müller aaO.,
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weltliche Obrigkeit zwar nicht der Gemeinde schuldig sei, das göttliche Wort und Gesetz zu predigen, wohl aber nach göttlichem Gesetz zu regieren und ihren Beitrag zum „uffgang goetlichs worts“ zu leisten.256 Auch kann ganz ausdrücklich formuliert werden: Wie Gott alle menschliche Weisheit und Klugheit übertreffe, so müsse doch auch eine göttliche Ordnung und Satzung alle menschlichen Ordnungen und Satzungen in den Bemühungen um eine „rechte, eerliche, fridliche und gantz wol angestelte politzey“ übertreffen.257 Doch ist ja bereits entlang von Bucers exegetischen Schriften sein sehr weites Verständnis vom göttlichen Gesetz ersichtlich geworden. Wie verhält es sich nun mit den mosaischen Gesetzen im engeren Sinne? Ein Hinweis findet sich in einem weiteren frühen literarischen Zeugnis, das dem heftigsten Disput der Straßburger reformatorischen Bewegung dieser Jahre mit der Papstkirche in Person des Provinzials der Augustiner-Eremiten, Conrad Treger, entspringt.258 Bucer vertritt hier die Ansicht, dass mit dem Anfang des Priestertums Christi „das alt Mosi leiblich gesatz“ aufgehoben sei.259 Biblisch begründet wird das wie bei den Wittenberger Reformatoren mit den einschlägigen Bibelstellen (Jer 31,31f; Hebr 7,11f; Gal 3,1ff; Kol 2,16ff). Wie Luther und Melanchthon sieht Bucer dabei aber die Kontinuitäten zu den Glaubensvätern wie Mose, Samuel und David durch eine
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37f mit Anm. 16, den neben Nähen und ersten Abweichungen zu Luther auch Erasmus als Einflussfaktor in Bucers Obrigkeitslehre anführt. Vgl. aaO., 55,22–25. AaO., 57,10–14. Bucer, Ein kurtzer wahrhafftiger bericht von Disputationen und gantzem handel, so zwischen Cu˚nrat Treger, Provincial der Augustiner, und den predigern des Evangelii zu˚ Straßburg sich begeben hat (1524), BDS 2, (15)37–173, hier: 18 zur Bedeutung des Disputs. Vgl. aaO., 156,14–20. In einer anderen Schrift aus demselben Jahr von Bucer, Grund und ursach auß gotlicher schrifft der neüwerungen an dem nachtmal des herren (1524), BDS 1, (185)194–278, werden ähnliche Äußerungen über die „leyplichen satzungen Mose“ erkennbar. Bucer formuliert hier, dass diese mit dem Beginn der öffentlichen Predigt des Evangeliums, dem Anfang des Reiches Christi, nicht mehr für Gott, sondern für die Menschen gehalten werden. Es sei Aberglaube, sie weiter für nötig zu halten und ihre Einhaltung fand schon zu Zeit des Apostels überhaupt nur ihre Rechtfertigung in der Rücksicht auf die Schwachen (vgl. aaO., 220,16–221,21). Die Bezüge auf die „leiblichen Satzungen“ bzw. das „leibliche Gesetz“ des Mose in Bucers Frühschriften zeigen, dass zunächst vor allem die mosaischen Zeremonien aus unterschiedlichen Anlässen zu einem Streitpunkt wurden. In Auseinandersetzung mit der römisch-katholischen Seite und dem Papsttum scheut Bucer dabei nicht davor zurück, einen Vergleich zu ziehen zwischen den „ceremonie[n] Mose[s] und des Bapst“, wenngleich zwischen beiden dem Ursprung nach ein großer Unterschied sei, „so ist die schwachheyt des glaubens gleich, dann die schwachen zun zeiten Pauli sye für noethig zum heil hielten, das nit war, nit anders ist jetz manig gu˚thertzig mensch gegen den Baepstlichen satzungen gesynnet“ (aaO., 220,36–40). In der Auseinandersetzung mit den Täufern gewinnt die Frage der Geltung der mosaischen Zeremonien noch einmal neue Bedeutung durch den Bezug, den Bucer zwischen der Taufe und dem Gebot der Beschneidung sieht, vgl. u. a. Bucer, Handlung in dem offentlichen gesprech zu˚ Straßburg juengst im Synodo gehalten gegen Melchior Hoffman […] (1533), (43)49–107, hier: 99,4–100,5; 102,4– 21.
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seit diesen alten Zeiten existierende Kirche (ecclesia) gegeben.260 Dennoch deuten sich auch hier Unterschiede gegenüber den Wittenbergern an: Wenn Bucer nämlich davon spricht, dass das mosaische Gesetz aufgehoben sei, so tut er das doch gleichzeitig nicht, indem er wie Luther und Melanchthon eine scharfe Trennlinie zwischen Gesetz und Evangelium zieht, sondern er redet davon, dass sich das Gesetz durch das Priestertum Christi verändert habe („das gesatz veraendret worden“261). Das umfassende Verständnis der lex Dei einschließlich der Möglichkeit eines geschichtlichen Wandels in seiner Form bezieht Bucer hier also auch auf das „alt Mosi leiblich gesatz“. Dies lässt natürlich zunächst einmal viel Interpretationsspielraum, inwieweit der geschichtliche Wandel der lex Dei die Anwendbarkeit der mosaischen Gesetze im politischen Bereich betrifft. Tatsächlich kommt Bucer in diesen Fragen erst in der ersten Hälfte der 1530er Jahre in seinen theologischen Traktaten über die weltliche Obrigkeit zu differenzierten Antworten. Bucers Obrigkeitslehre war zwar schon in kürzeren Abschnitten seiner Frühwerke und Äußerungen aus den 1520er Jahren angelegt,262 aber eine systematische Vermittlung hinsichtlich einer politischen Relevanz der mosaischen Gesetze ließen diese bis dahin noch vermissen. Vieles spricht dafür, dass ein wesentlicher Faktor die erschreckenden Nachrichten waren, die vom Münsteraner Täuferregiment nach Straßburg zu Bucer vordrangen und eine Antwort auf die in Frage gestellte Legitimität der weltlichen Obrigkeit verlangte. Eine erste Antwort gab Bucer mit seiner Schrift Bericht auß der heyligen geschrift von der recht gottseligen anstellung haußhaltung Christlicher gemeyn nun zum ersten Mal ein Gedanke (1534),263 in der nun auch ein Gedanke Entfaltung findet, der an das Theokratie-Konzept des Flavius Josephus erinnert, auch wenn der konkrete Begriff „Theokratie“ hier nicht fällt. Der „ordentlich oberer“ Mose wird als „furbild und exempel“ bezeichnet, der sowohl in geistlichen als auch weltlichen Angelegenheiten über das Volk Israel gestellt war und dabei aus Gottes Befehl heraus so gehandelt habe, dass dem Volk Gott selbst vor Augen gestanden habe.264 Ein Jahr später widmete sich Bucer dann im Zusammenhang der Obrig260 Im Deutschen wird für „ecclesia“ auch „heylige kirch“, „Gemeyn Christi“, im Hebräischen entsprechend „Kehal adonai“, im Lateinischen „concio dei“ und Altgriechischem „ecclesia Theu“ verwendet (vgl. BDS 2, 40,19–41,5 mit 112,30–113,26; 122,13–16; 125,16–20). 261 AaO., 156,16. 262 So auch Walter Delius, Einleitung, BDS 6, 44. 263 BDS 5, (109)119–258. 264 „So saehe man nun das eingefueret furbild und exempel an! Moses, der ordentlich oberer, handelt hier auß Gottes befelch, und dieweil das solte von dem volck dafur verstanden und auffgenommen werden, handlet ers vor dem volck, das volck hatt Gott vor augen, laßt im seine ordnung und willen, durch seinen oberen furgetragen, gefallen. Es wurt do niemants von der menge darumb gefragt, sy disputieren nichts davon, das man im so oder sunst thu˚n solte, auff Gottes befelch lassend sy sich. Warumb solten dann wir Christen diß nit so vyl
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keitslehre explizit der Frage nach der politischen Anwendung der mosaischen Gesetze. Seine Dialogi oder Gesprech (1535)265 entstanden zu einem kritischen Zeitpunkt vor der Einführung der Reformation in Augsburg. Auch hier aber bildete die Frage des Vorgehens gegen die Täufer einen Bezugspunkt, als die Kompetenzen des Augsburger Rates bei den Kirchenreformen zu klären waren. Die Dialogi sind in origineller Weise in zehn Gespräche gegliedert und drehen sich insgesamt um die zentrale Frage der Fürsorge und Rechtskompetenz weltlicher Obrigkeit in Religions- und Kirchenfragen. Die Dialogform bringt es mit sich, dass auch abweichende und gegenteilige Meinungen zur Sprache kommen, und zwar in der Gestalt eines klaren Reformationsanhängers (mit Namen Hartmut) und einer Mittelposition zwischen der protestantischen und katholischen Seite (Sinnprecht), hinter der mit guten Gründen Sebastian Franck vermutet wird. Tonangebend und letztlich in den Gesprächen den anderen überlegen ist ein dritter Gesprächspartner namens Fridlieb, durch den Bucer, wie wir annehmen dürfen, sich selbst eine Stimme in den Gesprächen verleiht. Im siebten der zehn Gespräche, das insgesamt mit dem sechsten Dialog am ausführlichsten ausfällt und dessen Bedeutung schon in der Vorrede der Dialogi unterstrichen wird, erfolgt eine kleine Zäsur durch eine sehr ausführliche Antwort Fridliebs über die Geltung der mosaischen Gesetze. Vorausgegangen war Sinnprechts Frage, ob sich die Obrigkeit in der Sanktionierung falscher Religionslehre und -praxis streng an die Gebote Moses zu halten habe. Dies wird von Fridlieb grundsätzlich bejaht, die Strenge aber von der jeweiligen Gelegenheit abhängig gemacht, in der die Obrigkeit handele. Doch bestehe die Möglichkeit, auf Grund der größeren Christus-Erkenntnis und -Liebe, dass „unsere Christlichen oberen mit irem eyfer und ernst dem gesatz Mose vil naeher kommen dann bey den alten ye geschehen ist.“266 Die Versehung des „waren gottesdienst mit gesunder leere mehr thu˚n, so vil uns Gott mit seiner erkantnuß weiter begabet hat? Wo die oberkeit nach Gottes befelch handlet und uns diener des worts fursetzet, die uns Christum predigen, haben wir gewisse anzeig, das sy da auß Gottes befelch gehandlet hatt […]. So lere man nun eben auß disem exempel, das der priester und prediger ampt als das hoechst und wichtigest soelle furnemlich durch die oberkeit versaehen und bestellet werden. Moses war je der ordentlich oberer uber das volck in geistlichen und weltlichen sachen“ (aaO., 151,1–14). Begründet wird die Orientierung an Israel für das eigene Handeln in der Kirche wiederum mit der Dialektik von Innerem und Äußerem: „Man mu˚ß, so wir noch leiblich und eusserlich seind, auch in eusserlichem leiblichem thu˚n uff Gott sehen und uns lassen vorbild sein, das Got mit den alten gehandlet und uns darumb hat beschreiben und zukommen lassen, das wird dadurch zu allem gueten innerlich und eusserlich geleret und angefueret werden, wie wir diß auß Paulo 1. Corinth. 10 hell und klar zu lernen haben“ (aaO., 150,34–39). Zu Josephus’ Konzept der Theokratie siehe Einleitung, Abschn. 2 u. Abschn. 1.3.1. 265 Bucer, Dialogi oder Gesprech. Von der gemainsame vnnd den Kirchen uebungen der Christen Vnd was yeder Oberkait von ampts wegen auß Goettlichem befelch an den selbigen zu˚uersehen vnd zu˚ besseren gebüre (1535), BDS 6/2, 52. 266 AaO., 139,28–33. Diese Formulierung lässt offen, ob die christliche Obrigkeit nun wirklich
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und ernster haußhaltung“ und der Schutz vor Gegenteiligem seien ja bei allen gottesfürchtigen Heiden, Juden und Christen stets als vortreffliche Tugend und „gantz hailsam, lieblich und loblich werck“ angesehen worden.267 Auf der anderen Seite sei „den gotlosen, unhailigen und ungeistlichen und allen, die der hailsamen leer des hailigen Evangelii zuwider leben“, das Gesetz gerade nicht aufgehoben, sondern sollte gegen sie angewendet werden.268 Sinnprecht, der eher mit „freyhait des gaists aufs gesatz Mose“ blicken möchte und der Meinung ist, dass das Gesetz des Mose „allain den Juden gegeben“ sei, entgegnet Fridlieb nun in besagter ausführlicher Weise mit einer Lehre über die Geltung des mosaischen Gesetzes.269 Die „ordnungen der policey“ werden hier neben den Zeremonien des Gottesdienstes und der leiblichen Reinigung weiterhin zum besonderen Recht der Juden gezählt, soweit sie im Hinblick auf „zeyt, statt, zal, weysen, personen“ für besondere Umstände verfasst sind.270 Das Gesetz des Mose könne aber doch „alß ain allgemaine leer Gottes wider alle ungerechten“271 im äußeren Bereich eingesetzt werden. Welche Hinweise finden sich abschließend noch beim „späten“ Bucer? Die verheerende Niederlage der Protestanten im Schmalkaldischen Krieg (1546/7) und der Beginn des Augsburger Interims im Jahr 1548 führten zu einem herben Rückschlag der Reformation, gerade in den oberdeutschen Städten wie Straßburg. Bucer wanderte noch im Jahr 1549 nach England aus und entging so der vom Kaiser durchgesetzten katholischen Zwischenreligion mit ihren wenigen Zugeständnissen der Priesterehe und des Abendmahls unter beiderlei Gestalt an die Protestanten.272 Während sich in Straßburg Jakob Sturm mit dem kaiserlichen Interim politisch zu arrangieren versuchte, hoffte Bucer, seine Idealvorstellung eines christlichen Gemeinwesens unter König Edward VI. in England verwirklichen zu können.273 Ein theologisches und politisches Programm hierfür entfaltete Bucer in seinem letzten, zu seinen Lebzeiten gedruckten Werk De regno Christi (1550),274 das er wenige Monate vor seinem Tod dem englischen König
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der strengen Anwendung der lex scripta Mosaica näher kommen könne als die alten Glaubensväter oder ob im Bucerschen Sinne wieder eine bessere Annäherung an den eigentlichen Kern des mosaischen Gesetzes gemeint ist. AaO., 140,8–12. AaO., 140,19–22. Die Entfaltung dieses Gedankens hatte sich bei Bucer bereits in seinen früheren Schriften angekündigt. Vgl. aaO., 139,8; 140,29–31 mit dem längeren Redeabschnitt Fridliebs aaO., 140,35–142,18. Vgl. aaO., 140,35–141,7. AaO., 142,14; vgl. dazu insgesamt aaO., 142,7–21. Vgl. Greschat, Martin Bucer, 270–276. De regno Christi kann als eine späte reformatorische Programmschrift Bucers verstanden werden, die, wie Martin Greschat formuliert, zugleich eine „Zusammenfassung des Denkens und Wollens Bucers […], eine Synthese, die er selbst als sein Vermächtnis begriff“ (aaO., 270), darstellt. Vgl. Müller, Monarchie als Gottesstaat, 6. Im Folgenden wird nach der kritischen Ausgabe von François Wendel zitiert: Bucer, De
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widmete. Der Erfolg der Programmschrift blieb aus und es steht noch nicht einmal fest, ob König Edward VI. das Werk überhaupt zu Gesicht bekam.275 Allerdings schließt sich mit dem Werk ein Bogen, der auf den zurückliegenden Seiten vor allem als ein gradueller Unterschied gegenüber Luther und Melanchthon in der Auffassung von den mosaischen Gesetzen beschrieben wurde. Bucer hatte ein vordergründiges Interesse an einem (homogenen) christlichen Gemeinwesen, das für ihn unweigerlich mit der Frage nach der Geltung des göttlichen – und spezifischer mosaischen – Rechts zusammenhing. Auch in seiner letzten großen Schrift kam Bucer dabei zu Unterscheidungslehren, die er bereits viel früher in seinen exegetischen Arbeiten präsentiert hatte, nämlich denen zwischen dem Äußeren und Inneren, den körperlichen und geistlichen Dingen. Wie die Zeremonien, so betreffen für Bucer auch Moses Zivilgesetze nur die äußeren Umstände (externae circumstantiae) und Elemente der Welt (elementa mundi) und Christen sind in ihrer Freiheit nicht daran gebunden, sie zu halten.276 Zu diesen Äußerungen kommt Bucer in Fragen des Eherechts, das er den äußeren Dingen (externa) zurechnet.277 Exemplarisch ist in Buch 2 im 17. Kapitel Bucers Behandlung der Frage, mit welcher Person in welchem Verwandtschaftsgrad rechtlich gesehen eine Eheschließung gestattet ist. Nach Belegen vor allem aus dem römischen Corpus Iuris Civilis, aus dem kanonischen Recht, Augustins Werk De civitate Dei und dem Alten Testament (Lev 18,7–18; Gen 20,12; 24,40; 29,10–28) empfiehlt Bucer in der Summe (einem angesprochenen Herrscher), sich nach dem göttlichen, genauer mosaischen, Recht und dem Beispiel der Patriarchen zu richten. Das Kapitel mündet dann in einer allgemeinen Beurteilung der Geltungsfrage des mosaischen Rechts:278 Ja, die von
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regno Christi Libri Duo (1550), BOL 15. Eine deutsche Ausgabe erschien erst einige Jahre später unter dem Titel: Martin Bucer, Vom Reich Christi unsers Herren und Heilands: Wie das selbige von allen Christlichen Oberkeiten anzustellen, und ins werck zubrigen seye […], Straßburg 1563. Vgl. Müller, Monarchie als Gottesstaat, 6. „Fateor, Mosi legibus ciuilibus sicut et caeremonialibus datis ueteri populo nos libertate Christi donatos non teneri, quod quidem ad externas attinet circumstantias et mundi elementa, tamen, cum nullae possint leges magis esse honestae, iustae ac salutares, quam quas Deus ipse tulit, aeterna sapientia et bonitas, si modo ex Dei sententia nostris rebus atque actionibus applicentur, non uideo, cur Christiani in rebus, quae ad ipsorum quoque usum pertinent, non debeant magis Dei, quam ullorum hominum leges sequi“ (Bucer, De regno Christi Libri Duo, BOL 15, 156). Vgl. aaO., 170. Vgl. zum Folgenden aaO., 156. Als Beispiele werden hier auch das Beschneidungsgebot sowie die Opfer- und Reinheitsgebote, die Körper und äußerliche Praxis betreffen, genannt. Diese habe Gott zwar durch Mose den Juden gegeben, aber aus ihnen könne für Christen genauso auf den reinen und sittlichen äußeren Gebrauch der Sakramente Taufe und Abendmahl geschlossen werden. Eine ähnliche Argumentation verwendet Bucer auch schon, wenn er in Buch I. im 11. Kapitel auf die Bestimmung der Zeit für den christlichen Gottesdienst eingeht: Auch hier wird daran erinnert, dass Christen nicht mehr an die „Pä-
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Christi Freiheit Beschenkten seien nicht mehr an die Zivilgesetze des Mose gebunden. Diese Gebote stammten zwar auch von Gott und sie seien durch Mose den Juden gegeben worden, sie beträfen aber nur den Körper und die äußerliche Praxis. Da es aber, so Bucer dann weiter, keine Gesetze geben könne, die ehrenhafter, gerechter und heilsamer sind als diejenigen, die Gott selbst als ewige Weisheit und Güte hervorgebracht habe, warum sollten die Christen dann für ihren eigenen Gebrauch nicht eher Gottes Gesetzen als denen irgendwelcher Menschen folgen dürfen?
2.4.3 Florentiner Neuplatonismus und christliche Kabbala als Deutungshintergrund in Bucers Römerbriefkommentar (1536) Bucers Auslegung des paulinischen Römerbriefes aus dem Jahr 1536 zählt sicherlich alleine wegen des Umfangs neben seinem Evangelienkommentar zu seinen exegetischen Hauptwerken. Wie schon der Titel Metaphrases et enarrationes perpetuae epistolarum D. Pauli Apostoli und die Vorreden durchblicken lassen, war das Werk ursprünglich als eine Auslegung des gesamten paulinischen Briefkorpus gedacht, musste aber letztlich unvollendet bleiben. Entsprechend wird auch die posthume Neuauflage des Kommentarwerkes aus dem Jahr 1562 im Titel dann allein auf den Römerbrief zugespitzt.279 Die Ausführlichkeit der Erörterungen, die mehr als 500 Seiten zu je zwei Kolumnen (ohne die noch hinzukommenden Vorreden) füllen, lässt in jedem Fall an eine längere Abfassungszeit denken, die – wie Bucer selbst vermerkt – schließlich mit einigen zeitbedingten Mängeln ein Ende fand.280 Neben innerreformatorischen Einigungsbemühungen zwischen den Wittenberger und den oberdeutschen innerdagogik Moses“ (Mosae paedagogia) gebunden seien, die neben dem Sabbatgebot auch einen Festkalender einschloss. Dennoch hätten sie, weil ja jene alte Gottesverehrung von Christen sogar überboten werde, doch weiterhin auch noch die Pflicht, an einem bestimmten Tag der Woche für den Gottesdienst festzuhalten (vgl. aaO., 81f). Eine Frontstellung markiert insgesamt weiterhin die scholastische Lehre von der lex nova und eine entsprechende Zuordnung zum Neuen Testament (neues Gesetz Christi) gegenüber dem Alten Testament (altes mosaisches Gesetz). Bucer hebt diese Unterscheidung auf, indem sowohl das Alte wie auch das Neue Testament als Verkündigungen von Gesetz und Evangelium gedeutet werden. 279 Die von Petrus Perna in Basel neu in Druck gebrachte Edition trägt den Titel: Metaphrasis et enarratio in epist. d. Pauli apostoli ad Romanos, in quibus singulatim apostoli omnia, cum argumenta, tum sententiae & verba, ad autoritatem divinae scripturae, fidemque ecclesiae Catholicae tam priscae quam praesentis, religiose ac paulo fusius excutiuntur, Basel 1562. Die Seiten der Neuauflage sind nicht mehr in zwei Kolumnen aufgeteilt, so dass die Seitenzahlen gegenüber der Ausgabe von 1536 abweichen. Außerdem enthält die posthum erschienene Basler Ausgabe ein Register. 280 Hintergründe zum Römerbriefkommentar Bucers finden sich auch bei Parker, Commentaries, 34–65.
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reformatorischen Parteien (Wittenberger Konkordie von 1536), die vor allem eine Konsensformulierung in der umstrittenen Abendmahlslehre mit sich brachte, bildet die Einführung der Reformation unter König Heinrich VIII. von England einen wichtigen Hintergrund des Kommentars.281 Ähnlich wie bei Bullinger, so existierten auch auf Seiten von Bucer ernsthafte Hoffnungen auf eine umfassende Reform des christlichen Gemeinwesens unter dem englischen König. Dies bringt vor allem das Widmungsschreiben der Metaphrases an den Erzbischof von Canterbury, Thomas Cranmer (1489–1556), zum Ausdruck.282 Bucer entwickelt unter der in den 1530er Jahren zunehmenden Anzahl an Römerbriefkommentaren einen eigenständigen Auslegungstypus.283 Für Theologen bot der Römerbrief seit jeher eine Möglichkeit, nicht nur die dogmatischen Themen von Glaube und Rechtfertigung, sondern eben auch die Gesetzeslehre entlang des Kommentars zu behandeln. Überblickt man Bucers Lehre vom Gesetz in den Metaphrases, könnten wiederum viele Übereinstimmungen mit den bisher behandelten Schriften benannt werden, wie z. B. die Aufnahme des Begriffs der Thora als doctrina Dei284 oder die Bucerschen Unterscheidungslehren in Fragen der Geltung der mosaischen Gesetze.285 Doch bietet gerade Bucers Römerbriefkommentar bei genauerer Betrachtung der von ihm verwendeten Quellen die Möglichkeit, sein Verständnis der mosaischen Gesetze weiter zu klären. Es geht hier noch einmal spezifischer um Erklärungsansätze für sein universales Verständnis der lex Dei und wie dieses mit der Gesetzesüberlieferung durch Mose zusammenfällt. Bereits in den Vorreden der Metaphrases formuliert Bucer, dass das Gesetz Moses für sich (lex Mose per se) genommen nicht schlecht sein könne, vielmehr geradezu eine kosmische Bedeutung als Thora, Weisheit (sapientia) und Lehre Gottes (doctrina Dei) erreiche.286 Mose schreibt letztlich für Bucer über nichts 281 Vgl. Lang, Evangelienkommentar, 27–32. 282 Vgl. Bucer, Metaphrases et enarrationes, Praefatio f. ijr–[vjr]. 283 Vgl. die Untersuchung der Römerbriefkommentare der Jahre 1532–1542 bei Parker, Commentaries. 284 Vgl. Bucer, Metaphrases et enarrationes, Praefata 23[b]–24[a]. 285 „Abrogatur & aboletur Lex, quae iudicatur iam uel debere, uel non oportere obseruari. Sic abrogatae sunt leges cerimoniarum, non autem quibus iubemur credere Deo, diligere proximum, caste uitam instituere. Inde & Dominus ait: Non ueni ut legem soluerem, sed ut implerem [Mt 5,17]“ (aaO., Praefata 27[b] zur Glosse „Legis abrogatio quid“). 286 „Lex enim Dei tradita per Mosen, de qua agit, dum contendit fide nos, non lege iustificari (nam legis nomine alicubi etiam totam scripturam diuinam intelligit […]) ea lex est, quae simplex & absoluta est, & animam sibi studentium restituit, testimonium de Deo certum, quo sapientiam confert rudioribus, edicta recta, quae exhilarent cor, praecepta pura, quae illuminant oculos, doctrina religionis casta, quae aeternum perstat, decreta uera, in quibus nihil est iniquitatis, expetibilia prae auro & gemmis praeciosissimis, dulciora melle, & distillante fauo, quibus solis seruus Dei rite instituitur, cumque illis studet, mercedem accipit infinitam. Psal. xix. Haec enim sacer Vates de lege, quam per Mosen populus Dei
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anderes als die gesamte Geschichte des Gotteswortes, das Jesus als Herr selbst ist und das Paulus weiterführt.287 Wie zu sehen war, führte dies bei den Fragen der Geltung der mosaischen Gesetze für Christen bei Bucer auch dazu, dass er den fortwährend „guten“ Kern der Gesetze des Mose nie anzweifelte. Ausgehend von einer Dialektik von interna und externa wurde die gesamte lex Dei von Bucer vielmehr als historisch wandelbare Größe interpretiert.288 Die Metaphrases legen nun nahe, dass dieses Verständnis der lex Dei und der mosaischen Gesetze mit Bucers Vorstellung einer prisca sapientia zusammenhängt und diese stark am Florentiner (Neu-)Platonismus orientiert ist. Erste entscheidende Hinweise darauf finden sich bereits in Passagen der Vorrede zu den Metaphrases, die das Verhältnis von Glaube, Gesetz und Philosophie beschreiben. Bucer bezieht sich hier ausführlich auf die Schriften der Kirchenväter, und zwar vor allem auf Eusebs Praeparatio evangelica, Augustins De civitate Dei, Clemens von Alexandriens Stromata und schließlich Laktanz’ Divinae institutiones. Aus dem letztgenannten Werk Laktanz’ wird auffällig häufig zitiert. Insgesamt ist es aber wahrscheinlich, dass Bucer die Kirchenväter-Zitate aus zweiter Hand von Marsilio Ficino und Giovanni Pico della Mirandola übernommen hat.289 Alleine dadurch ergeben sich einige Übereinstimmungen im Gesetzesverständnis und den prisca-theologia/sapientia-Konzeptionen zwischen Bucer und den Florentiner Renaissance-Humanisten: Für Bucer repräsentiert die Theologie, die von der Heiligen Schrift ausgeht, die höchste Weisheit (suprema sapientia). Die Philosophie sei aber ebenso Studium der Weisheit, sofern sie mit dem Wahren acceperat. cecinit, quibus similia & alibi, maxime Psal. cxix. memorat. תורהenim [, id est] doctrina illa Dei, quam per Mose acceperant, eiusmodi sapientiam continet, ut Hebraei hoc dono praecelluerint Gentes uniuersas. Deut. iiij. Solam namque eam cognitionem Dei, nostri ipsorum, ac omnium quae nosse refert, suppeditat, qua nobis constat aeterna uita, hoc est solida & perennis iustitia, uita Dei. Hinc fons uitae, & uita ipsa dicitur a Salomone, & Paulo erudire nos ad salutem praedicatur. Quae prophetae scripta reliquerunt, siue historias, siue sacras suas conciones & uaticinia, siue sacra carmina, omnia haec nihil aliud quam legem per Mosen datam explicant“ (aaO., Praefata 23[b]–24[a] in dem Abschn. „Qvid Pavlo lex et opera Legis.“ beginnend mit der Randbemerkung „Quid de lege Mose per se sentiendum.“). 287 „Hic etenim est ille יהוהDeus nobis existens, & omnipotens, qui uerbo virtutis suae portat omnia, qui e sinu patris, quem nemo uidit unquam, prodijt, & enunciauit nobis. Hinc ab initio Geneseos ad finem usque sacrae scripturae, hoc in primis pollicetur, se uelle nobis אלוהיםesse, hoc est, unum eum qui quod a supremis potestatibus expectatur, praestet. nempe tueatur nos, seruet & beet: cui cum sit in omnia saluandi, & perdendi aequa potentia, bonitate tamen sua replet uniuersa. […] Hic est Dominus Iesus noster, uerbum quod initio erat, imago Dei inuisibilis, per quem & in quem sunt omnia condita, ipse est ante omnia, & in ipso consistunt omnia. Hic ut caetera uniuersa, ita & legem dedit, propter se dedit, atque ut ad se traheret omnia. de ipso Moses scripsit. Hoc ut praedicaret Paulus in mandatis acceperat, studebatque summis uiribus“ (aaO., Praefata 24[b]). 288 Vgl. dazu in den Metaphrases auch aaO., 295[b]–296[a]. 289 Dies vermutete schon Roussel, Lecteur de l’Épître aux Romains, Bd. 1, Note 126.
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übereinstimme und es zur Kongruenz mit den Heiligen Schriften komme. Zwar mussten die (heidnischen) Philosophen wie Platon, Aristoteles, Cicero und Seneca angesichts der rechten Gotteserkenntnis und -verehrung zu Fall kommen,290 aber dies schmälert nicht ihre eigenen Kenntnisse für Bucer. Für ihn ist unter allen Philosophen Platon derjenige mit der vollständigsten und glänzendsten Philosophie.291 Platons Einsichten trafen sich mit dem, was Mose einst als von Gott offenbarte Weisheit empfangen hatte.292 In den Metaphrases kann Bucer hier sogar so weit gehen, dass er fast wortwörtlich Giovanni Pico della Mirandolas Formulierungen über die christliche Kabbala und ihre Tradierung übernimmt.293 Wie Pico stellt Bucer dabei eine Synthese mit Gedanken aus 4Esr her und alles zielt letztlich darauf, eine Kontinuität zur Lehre Christi als gegeben darzustellen. Schließlich wird auch Giovanni Pico an einer Stelle selbst mit ausgesprochenem Lob bedacht: Er sei unter den „Gelehrten der Religiöseste und unter den Religiösen der Gelehrteste“294 gewesen. Es kann deswegen als erwiesen angesehen werden, dass Bucer sich in seinem Römerbriefkommentar an den Lehren der Florentiner Renaissance-Humanisten und dem (Neu-)Platonismus, insbesondere aber Giovanni Pico della Mirandola orientierte. Alles dies bildete für Bucer
290 Vgl. aaO., Bucer, Metaphrases et enarrationes, Praef. 29[b]. 291 Vgl. aaO., Praefata 30[a]. 292 Vgl. aaO., Praefata 30[a–b] (auch Bezug auf die Pythagoreer, äyptischen Priester, Magier der Perser und indischen Gymnosophisten) u. 33[b]–34[a]. 293 „Mihi itaque omnino id uerum apparet, quod superius in quaestione de incarnatione domini, in primum caput attigi, quodque D. Hilarius, ac alij ueteres tradiderunt, & in. 4.Esdrae legitur. Populo Dei, praeter legem & prophetas, etiam mysteriorum quae in his continentur, ueram traditam intelligentiam: Primum per manus absque scripto, unde קבלה. id est. Cabalam eam uocarunt: deinde ab Esdra relatum in literas. D. Hilarius hac de re sic scripsit in expositione Psal. 2. Erat autem iam a Moyse ante institutum, in omni synagoga septuaginta esse doctores. Nam idem Moyses quamuis ueteris testamenti uerba in literis condidisset: tamen separatim quaedam ex occultis legis secretiora mysteria, septuaginta senioribus, qui doctores manerent, intimauerat. Esdras uero lib.4. cap.14. introducit Deum in hunc modum sibi loquutum. Reuelans reuelatus sum super rubum, & locutus sum Moysi quando populus meus seruiebat in Aegypto: & misi eum & eduxi populum meum de Aegypto: & adduxi eum super montem Syna, & detinebam eum apud me diebus multis, & enarraui ei mirabilia multa: & ostendi ei temporum secreta & finem, & praecepi ei dicens: Haec in palam facies uerba, & haec abscondes. Ea uero quae abscondere dominus praecepit, se iussum conscribere testatur eodem capite, haec memorans dicta sibi diuinitus. Et uenies huc, & ego accendam in corde tuo lucernam intellectus, quae non extinguetur quo ad usque finiantur quae incipies scribere. Et tunc perfectis quaedam palam facies, quaedam sapientibus absconse trades. Et ad finem capitis. Priora quae scripsisti in palam pone, & legant digni & indigni: nouissimos autem septuaginta conseruabis, ut tradas eos sapientibus de populo tuo. In his enim est uena intellectus, & sapientiae fons, & scientiae flumen. Et feci sic. De autoritate libri huius noui quid orthodoxi sentiant: nec ego ea nitor ultra id, quod coniecturis quas suppeditant diuinae literae, licet colligere“ (aaO., 193[b]–194[a]). 294 AaO., 194[b] („Ioannes Picus inter doctos religiosissimus, & inter religiosos doctissimus“).
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einen wichtigen Deutungshintergrund für die alte weisheitliche Tradition der mosaischen Gesetze.
2.5
Von Straßburg nach Genf, von Johannes Calvin zu Theodor Beza: auf dem Weg zur Auslegung von Moses politischen Gesetzen
Der Aufenthalt Johannes Calvins in Straßburg 1538–1541 war ein Zeitraum entscheidender theologischer Prägung und Entwicklung für ihn. Calvin war schon in seiner Schulzeit auf verschiedene humanistische Einflüsse gestoßen und hatte später in Orléans und Bourges, der damaligen Hochburg der humanistischen Jurisprudenz Frankreichs, die Rechte studiert. In seinen Straßburger Jahren, in denen Calvin als Pastor einer Flüchtlingsgemeinde und Lehrer wirkte, kam er in engen Kontakt mit Martin Bucer und seiner Theologie. Beeinflusste dieser Kontakt auch Calvins Auffassung von der Geltung und politischen Relevanz der mosaischen Gesetze? Eine Antwort auf diese Frage wird sich in diesem Abschnitt auf die Entwicklung in seinem Hauptwerk Institutio Christianae religionis konzentrieren, die zugleich Rückschlüsse auf Calvins gesamte Theologie zulässt.295 Weitere exegetische Werke werden hinzugezogen, eine weitergehende Auseinandersetzung mit diesen und mit Calvins kontroverstheologischem Schrifttum erfolgt aber erst in den beiden nächsten Abschnitten.
2.5.1 Calvins Haltung zur politischen Relevanz der mosaischen Gesetze 1536–1559 Schwer zu leugnen ist, dass Calvins humanistisches Erbe während und in Folge seiner Straßburger Jahre in seinem Werk neuen Ausdruck findet, was sich insbesondere an der stark erweiterten Neuauflage seiner Institutio Christianae religionis (Erstausgabe 1536) aus dem Jahr 1539 zeigt. Exemplarisch wird das an dem Eingangskapitel zur Institutio über das Verhältnis von Gotteserkenntnis (cognitio Dei) und unserer menschlichen Erkenntnis (cognitio nostri) verdeutlicht, das seit der Neuauflage der Institutio von 1539 in den späteren Ausgaben immer umfangreicher entfaltet wird und eine für christlich-humanistische Autoren typische Auseinandersetzung mit der paganen antiken Philosophie bie295 Unterschiede der verschiedenen französischen und lateinischen Ausgaben von Calvins Opus Magnum bleiben zu beachten. Wichtige Entwicklungsstadien und die Diskussionen darum sind knapp zusammengefasst bei Neuser, Dogma und Bekenntnis, 240–243.
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tet.296 Neben der Bedeutung der antiken Stoa und des Stoizismus in Calvins Naturrechtslehre haben Calvin-Forscher Bezüge auf die platonischen Philosophie bei Calvin aufgezeigt,297 die für Calvin nicht nur durch seine umfassende Augustin-Rezeption und dessen platonisch-neuplatonisches Denken298 präsent war. Allerdings kommt Calvin nicht zu einer so weitreichenden Würdigung antiker Philosophie in religiösen Angelegenheiten wie das bei Martin Bucer der Fall ist und sich beispielsweise in der Redeweise vom „göttlichsten Platon“ in seinem Römerbriefkommentar zeigte. Calvin hatte Martin Bucers Kommentar zum Römerbrief studiert und ihn ausdrücklich im Widmungsbrief seines eigenen Römerbriefkommentars, der noch in seiner Straßburger Zeit im Jahr 1540 veröffentlicht wurde, gelobt: Nach Würdigung der sachlichen Anfänge eines Melanchthon, der sich in seiner Auslegung zum Wohle der Leser kurzgefasst und einiges übergangen habe, und dem Verdienst Heinrich Bullingers sei der eigentliche Schlussstein vom überaus gebildeten Martin Bucer gesetzt worden.299 Auch von Calvin wird Platon hier als besonnenster unter den Philosophen aus296 Vgl. zuletzt dazu ausführlich Neuser, Calvin’s Theological Leitmotif. In der Erstausgabe von 1536 wird die cognitio Dei ac nostri wie in den späteren Ausgaben (mit Abweichungen in der Formulierung) als „zwei Teile nahezu der gesamten heiligen Lehre“ verstanden: „Summa fere sacrae doctrinae duabus his partibus constat: Cognitione Dei ac nostri. Haec vero de Deo nobis in praesentia discenda sunt“ (Calvin, Christianae religionis institutio [1536], CO 1, 27). Vgl. demgegenüber die Formulierung in der nächsten lateinischen Ausgabe der Institutio (1539): „Tota fere sapientiae nostrae summa, quae vera demum ac solida sapientia censeri debeat, duabus partibus constat: cognitio Dei, et nostri“ (ders., Institutio christianae religionis [1539–54], CO 1, 279). In der Institutio von 1536 wird das Leitmotiv von Gottesund Selbsterkenntnis im Anfangskapitel über das Gesetz, das eine Behandlung der Zehn Gebote liefert, vorangestellt. Die näheren Ausführungen zur cognitio Dei ac nostri beschränken sich lediglich auf einige Paragraphen bis die Auslegung der einzelnen Gebote des Dekalogs einsetzt. In der Institutio von 1539 dagegen sind aus dem Leitmotiv zwei eigenständige Kapitel geworden und die Ausführungen entspechend länger. 297 Vgl. Babelotzky, Platonische Bilder, dort: 53–76 werden insgesamt 19 Erwähnungen Platons in der Institutio (1559) aufgeführt, die allerdings angesichts des Umfangs dieses Hauptwerkes Calvins nicht allzu hoch zu gewichten sind. Vgl. außerdem Partee, Calvin and Classical Philosophy, 105–116. 298 Die Bedeutung von augustinischer Theologie in Calvins Denken tritt z. B. in seinen ausführlichen, teils exzerptartigen Zitationen aus Augustins Werken in seinem Hauptwerk Institutio Christianae religionis offen zu Tage. 299 Vgl. Calvins Widmungsbrief an den Humanisten und Basler Reformator Simon Grynäus (1493/94–1541), in: CO 10b, Nr. 191, Sp. 402–406, hier: 403f. Zu Bucer heißt es hier genauer (aaO., 404): „Bucer hat schließlich durch die Herausgabe seiner Studien gleichsam den Schlussstein gesetzt. Dieser Mann ist, wie du weißt, abgesehen von seiner tiefen Bildung, seiner reichen Kenntnis auf verschiedenen Wissensgebieten, seinem scharfsinnigen Geist, seiner umfassenden Literaturkenntnis und seinen vielen anderen unterschiedlichen Leistungen, in denen ihn heute kaum jemand übertrifft, mit ganz wenigen zu vergleichen und überragt die meisten. Er kann das Lob für sich verbuchen, dass keiner zu unserer Zeit eine ausgeprägtere Sorgfalt auf die Auslegung der Schrift verwandt hat“ (zit. nach CStA 5/1, 21,18–23,2). Calvins Römerbriefkommentar erlebte noch zwei weitere stark erweiterte und revidierte Fassungen in den Jahren 1551 un 1556 (vgl. Einleitung aaO., 3).
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drücklich gewürdigt, doch dies geschieht gerade unter dem Vorbehalt eines verfehlten Gottesbegriffes heidnischer Philosophie.300 Calvin zeigt sich aber nicht wie Bucer in seinem Römerbriefkommentar vom Florentiner (Neu-)Platonismus beeindruckt und übernimmt auch nicht die Gedankengänge zur prisca theologia und zur christlichen Kabbala. Trotz dieser Unterschiede und Abweichungen gegenüber Bucer wird man auch dessen Einflüsse auf Calvin in der Gesetzeslehre – und spezifischer in der Auffassung vom mosaischen Gesetz – erkennen können: So bilden diese einen plausiblen Erklärungsansatz für die Veränderungen in dem Kapitel De lege von der Erstausgabe seiner Institutio von 1536 zur zweiten, erweiterten Straßburger Neuauflage von 1539: Diese kommt prägnant in Calvins Betonung des Nutzens des Gesetzes für die Wiedergeborenen im Glauben, ähnlich dem Verständnis der lex spiritus von Martin Bucer, zum Ausdruck. Calvin meint damit ein geistliches Verständnis des Gottesgesetzes, das auch als praecipuus usus legis bezeichnet und vom theologischen, die Sünden aufweisenden und schließlich vom politischen Nutzen des Gesetzes unterschieden wird.301 Doch ein in dieser Hinsicht plausibler Einfluss Bucers ist eher wenig aussagekräftig für die hier zur Diskussion stehende politische Relevanz der mosaischen Gesetze. Geht man von den reifen Formulierungen Calvins in der letzten Ausgabe seines Hauptwerkes Institutio Christianae religionis (1559) aus, so kommt in dieser Frage vor allem das letzte Kapitel über die politische Verwaltung (Inst. IV,20: De politica administratione) in Betracht. In der Erstausgabe der Institutio (1536) bildet die Behandlung der politica administratio noch kein eigenständiges Kapitel,302 sondern erst seit der zweiten Institutio-Ausgabe (1539).303 Eine 300 In der Auslegung von Röm 1,23 bezieht sich Calvin unter den Philosophen auf den „maxime sobrius Plato, formam ipse quoque in Deo vestigat“ (Calvin, Commentarius in epistolam Pauli ad Romanos, CO 49, Sp. 1–292, hier zit.: 33). Den Hintergrund bilden aber gerade die „krassen und törichten Phantasien“ (crassae et stultae phantasiae) heidnischer Priester, Gesetzgeber und Philosophen über Gott, die Paulus im Römerbrief anprangere (vgl. aaO., 32f). 301 Zum dreifachen Nutzen des Gesetzes bei Calvin in seiner letzten maßgebenden Ausgabe der Institutio von 1559 vgl. auch Calvin, Inst. II,7,6–13. Bekanntlich unterscheidet sich Calvin durch diese Lehre vom dreifachen Nutzen des Gesetzes von Luther, nicht aber von Melanchthon, der in den späteren Ausgaben seiner Loci communes, einen dritten Gebrauch des Gesetzes beschrieben hatte. 302 Die Behandlung der politica administratio fällt im letzten Kapitel der Institutio (1536) zusammen mit den Themen der christlichen Freiheit und kirchlichen Machtbefugnis. Die Kapitelüberschrift lautet hier entsprechend zu Kapitel 6: De libertate Christiana, potestate ecclesiastica et politica administratione, CO 1, 195–248. 303 CO 1, 1099–1124. In der Institutio von 1539 bildet De politica administratione noch das 15. Kapitel, mit der Auflage von 1543 dann das 20. Kapitel (vgl. aaO., Synopsis editionum Institutionis Calvinianae, LI–LVIII, hier: LVII–LVIII). Beachtet werden muss aber natürlich noch die nachfolgende Veränderung der Disposition des gesamten Werkes mit der 1559 hinzukommenden Einteilung in vier Bücher.
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Durchsicht der Ausgaben 1539–1554 zeigt, dass, abgesehen von der Veränderung in der Reihenfolge der Kapitel und Disposition des gesamten Werkes, in diesem Zeitraum in dem betreffenden Kapitel selbst nur noch punktuell an drei Stellen ausführliche Hinzufügungen vorgenommen wurden, darunter unter anderem die hinzugekommene kurze Lehre von den Regierungsformen, in der Calvins Präferenz der Aristokratie Ausdruck findet.304 Auffällig ist aber, dass bereits seit der Erstausgabe in die Obrigkeitslehre dieses Kapitels auch eine kurze Lehre von den mosaischen Gesetzen und ihrer Geltung eingeflochten und bis in die letzte Ausgabe beibehalten wurde. Drei Aspekte müssen hier berücksichtigt werden: Erstens: Eine Lehre von den mosaischen Gesetzen im letzten Teil drängt sich zunächst wegen des engen Zusammenhangs von Obrigkeits- und Gesetzeslehre, den Calvin zugrunde legt, auf. Die Behandlung der politica administratio erfolgt, wie er selbst angibt, dabei in einem Dreischritt: Zunächst wird das Amt der Obrigkeit als Gesetzeshüterin mit ihren rechtlichen Kompetenzen und Aufgaben, dann die Gesetzgebung für ein christliches Gemeinwesen (politia Christiana) und schließlich der Nutzen der Gesetzgebung für das Volk und dessen Widerstandsrecht behandelt.305 Schon diese Grundstruktur zeigt, wie eng Calvins Obrigkeitslehre, für die stets eine Unterscheidung von geistlichem und weltlichem Regiment bestimmend bleibt, mit seiner Gesetzeslehre zusammengehört. Dass Calvin sich also nun auch mit der politischen Relevanz der Gesetze Moses im letzten Kapitel der Institutio beschäftigt, hängt eng mit seiner Beschreibung der Gesetzgebung weltlicher Obrigkeit zusammen. Diese Frage selbst aber war in den vorhergehenden Teilen der Institutio bis dahin nur am Rande aufgetaucht. So setzt sich Calvin zwar im zweiten Buch der Institutio schon mit der Systematik, dem Nutzen und der Geltung der mosaischen Gesetze (Inst. II,7) auseinander. Vorausgesetzt wird dann die gängige Dreiteilung des Gesetzes in Moral-, Zeremonial- und Judizialgesetze.306 Calvin beschränkt sich aber in diesem Kapitel praktisch nur auf das Verständnis der Zeremonien und des Moralgesetzes.307 Das Moralgesetz wird mit dem Dekalog identifiziert, der für Calvin im Glaubensle304 Vgl. aaO., 1105f. Weitere ausführlichere Hinzufügungen in der Ausgabe der Institutio von 1543 betreffen noch den Gedankengang zum Verteidigungskrieg aus Gründen der natürlichen Billigkeit zusammen mit der Argumentation vom Neuen Testament her (aaO., 1109) und ein indirektes Zitat aus der augustinischen Briefliteratur (August., Epist. 5 [138] ad Marcell; vgl. CO 1, 1115 mit Anm. 1). 305 Vgl. Inst. IV,20,3. 306 Calvin spricht in diesem Fall an anderer Stelle selbst von „jener verbreiteten Einteilung“ (illa vulgata partitio), die von ihm übernommen wird: „Est autem observanda vulgata illa partitio, quae universam Dei Legem per Mosen promulgatam in mores, ceremonias, iudicia distribuit“ (aaO., IV,20,14). Vgl. auch Inst. 1536, CO 1, 237; Inst. 1539–1554, aaO., 1111. 307 Vgl. aaO., II,7,1f.16f (Zeremonien) mit aaO., II,7,3–15 (Moralgesetz/Dekalog). Das Kapitel beginnt mit der Feststellung, dass Mose als Gesetzgeber vierhundert Jahre nach Abraham zur Erneuerung des Gnadenbundes gesandt wurde (vgl. Inst. II,7,1).
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ben, in der Politik und Ethik eine zentrale Rolle einnimmt. Dies wird sowohl an dem anschließenden Kapitel mit einer ausführlichen Auslegung jedes einzelnen der Zehn Gebote (Inst. II,8) ersichtlich als auch in der immer wiederkehrenden Formulierung, dass der Dekalog als Ausdruck des Moralgesetzes in sich eine wahre und ewige Richtschnur der Gerechtigkeit (vera et eterna regula iustitiae) darstelle.308 Diese gelte universal für alle Völker, weil und indem es Zeugnis des Naturgesetzes ist, das allen Mensch in das Gewissen eingeschrieben ist.309 Das Gesagte über die mosaischen Moral- und Zeremonialgesetze nimmt Calvin dann in Kurzform wieder im abschließenden Kapitel über die politica administratio auf, nur dass nun auch das mosaische Judizialgesetz und seine Geltung nähere Erläuterung finden. Zweitens: Die Behandlung der mosaischen Gesetze liegt zwar durch die Verflechtung der Obrigkeitslehre mit der Gesetzeslehre nahe, Calvin kehrt in diesem abschließenden Kapitel aber überhaupt erst ausdrücklich zu einer allgemeinen Lehre über die mosaischen Gesetze zurück, weil er seinen eigenen Angaben zu Folge auf viele stößt, die sich in der Frage der politischen Anwendung der mosaischen Gesetze in einem Gemeinwesen (respublica) verirrten. Calvin meint in diesem Fall gezielt eine „gefährliche und Unruhe stiftende Meinung“ (sententia periculosa et turbulenta), nach der ein Gemeinwesen nicht recht geordnet sei, in dem die Gesetze der Völker (leges gentium) regieren, Mose dagegen in den gemeinen politischen Angelegenheiten missachtet wird.310 Ohne eine konkrete Benennung der Gegner geht Calvin also eher von einer Relativierung der mosaischen Gesetze gegenüber den gemeinen leges gentium aus. Die Identifikation der Gegner lässt sich zumindest insoweit klären, als dass Calvin diese Abgrenzung den genauen Formulierungen nach bereits in seiner Erstausgabe der Institutio (1536) vorgenommen hatte. Zu diesem Zeitpunkt liegt die blutige Niederschlagung des sog. Täuferreiches von Münster gerade ein Jahr zurück. Möglicherweise geht die Abgrenzung von der „gefährlichen und Unruhe stiftenden Meinung“ auf seine Orientierung an den Wittenberger Theologen zurück. Diese liegt auch für die Erstausgabe der Institutio nahe, weil Calvin die melanchthonianische Lehre von der custodia utriusque tabulae übernimmt.311 Steht 308 Vgl. IV,20,15. 309 Vgl. IV,20,16. 310 „Paucis tantum et quasi in transcursu, notabo quibus legibus pie coram Deo uti possit, et inter homines rite administrari. Quod etiam ipsum prorsus silentio transmittere maluissem, nisi intelligerem periculose hic a multis aberrari. Sund enim qui recte compositam esse rempublicam negent, quae neglectis Mose politicis communibus Gentium legibus regitur. Quae sententia quam periculosa sit et turbulenta, viderint alii, mihi falsam esse ac stolidam, demonstrasse satis erit“ (aaO., IV,20,14). 311 Die Formulierung „magistratus, qui praeses est legum et custos“ findet sich bereits im abschließenden 6. Kapitel der Erstfassung der Institutio (1536), CO 1, Sp. 230, und wird dann in den folgenden Ausgaben 1539–1554 bis in die letzte Fassung von 1559 hin übernommen
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diese Bindung der weltlichen Obrigkeit an den Dekalog vor Gott (coram Deo) und unter den Menschen (inter homines) dann aber nicht im Widerspruch zu Calvins Relativierung der politischen Geltung der mosaischen Gesetze? Diese Frage kann in ähnlicher Weise wie bei Melanchthon eingeschränkt werden, denn Calvin hatte ja zuvor bereits eingeschärft, dass der Dekalog Ausdruck des Naturgesetzes und so als ewiges Regelwerk der Gerechtigkeit fortwährend für alle Menschen und Völker Geltung beansprucht. Auch bei Calvin steht hier die augustinische und in einer breiten Tradition vertretene Rückführung der Gebotsaufteilung der beiden Dekalogtafeln auf das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe im Hintergrund. Nur unterscheidet Calvin jetzt spezifischer zwischen der Gottesverehrung in Glauben (fides) und Frömmigkeit (pietas) einerseits und Liebe (dilectio) andererseits, was wiederum mit den rechtlichen Kompetenzbereichen der weltlichen Obrigkeit korrespondiert. Diese Differenzierung hängt dann auch mit der Klärung der Geltungsfrage des mosaischen Zeremonial- und Judizialgesetzes zusammen, in der Calvin sich doch von der späteren Linie der Wittenberger Reformatoren weg bewegt: Calvin fasst zusammen, dass das Zeremonialgesetz nach dem Erscheinen Christi aufgehoben sei; es habe bis dahin Gottes Erziehung des jüdischen Volkes gedient, sei aber für sich noch als Deutungsbezug wirksam für den christlichen Glauben.312 So kann aber auch differenziert werden zwischen der Lehre der Frömmigkeit (doctrina pietatis), die zur Ausführung der Zeremonien des jüdischen Volkes gehörte, und der Frömmigkeit (pietas) selbst. Eine analoge Unterscheidung wird schließlich für das mosaische Judizialgesetz getroffen, wenn die Form der Rechtssatzungen (forma iudiciorum) auseinandergehalten wird von dem eigentlichen Gebot der Liebe (dilectionis praeceptum), das gleichwohl in bester Weise durch die Form des Judizialgesetzes gewahrt geblieben sei. Das Judizialgesetz aber überliefere Formeln der Billigkeit und Gerechtigkeit (aequitatis et iustitiae formulae), während der Dekalog bereits die ewige Richtschnur der Gerechtigkeit und Liebe enthalte und somit die Billigkeit selbst festlege. Die formelhafte Gesetzeskonstitution (constitutio legis) wird (vgl. CO 1, 1102; Inst. IV,20,3). Den genaueren Bezug zur Beaufsichtigung beider Tafeln des Dekalogs fasst Calvin unter den Begriff der „Amtspflicht der Magistrate“ (officium magistratuum, Inst. IV,20,9), kann aber z. B. in der Diskussion des Strafrechts weltliche Obrigkeiten auch als „Aufseher und Hüter des Gesetzes“ (legum custodes et assertores, aaO., IV,20,11) bezeichnen. Eine begriffliche Abgrenzung sollte entsprechend nicht zu eng gezogen werden: So wird z. B. in den Sachregistern eines Nachdrucks der letzten Ausgabe von Calvins Institutio unter dem Lemma „Magistratus“ auch der Ausdruck „utriusque tabulae legis Dei vindices“ für die Aufgaben der Magistrate in dem betreffenden Abschnitt IV,20,9 gewählt (vgl. die im 17. Jahrhundert von Johannes Jakob Schipper herausgegebene Amsterdamer Ausgabe der Werke Calvins: Ioannis Calvini Noviodunensis opera omnia; in novem tomos digesta, Amsterdam 1671; darin: Ioannis Calvini, magni theologi, Institutionum Christianae religionis libri quatuor. Editio postrema, innumeris mendis quibus priores hactenus scatuere, liberata […], Amsterdam 1667, hier: ad indicem materiarum). 312 Vgl. aaO., IV,20,15 mit zuvor bereits II,7,16f.
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folglich von der natürlichen Billigkeit (aequitas naturalis) unterschieden, wobei letztere selbst schon ihre konstitutive Form im Dekalog angenommen hat. So suggeriert Calvin schließlich mit dieser Unterscheidungslehre der drei mosaischen Gesetzesteile bereits eine Zuordnung des Zeremonial- und Judizialgesetzes auf das im Dekalog dargelegte Moralgesetz hin, ohne eine solche Zuordnung an dieser Stelle selbst näher zu erläutern. Erst nach der letzten maßgeblichen Ausgabe der Institutio von 1559 wird Calvin dann darüber hinausgehen und in seinem Kommentar zu den vier letzten Büchern Moses auch näher erläutern, wie genau das Zeremonial- und das Judizialgesetz mit dem Moralgesetz zusammenhängen. Dieser Schritt auf eine Vermittlung innerhalb des biblischen Rechts hin erfolgt in der Institutio noch nicht. Auch erfährt das mosaische Judizialgesetz keine besondere Aufwertung mehr. Calvin spricht vielmehr wie im Fall der Zeremonialgesetze auch weiterhin von dessen Abrogation; die Einführung des Billigkeitsgedankens und die Zuordnung auf das ewige Liebesgebot hin zielen damit gerade auf eine Freiheit für die Gesetzgebung der Völker, solange diese nützlich ist und die Richtschnur des Moralgesetzes (Dekalogs) beachtet wird, und eben nicht auf das Beharren auf den mosaischen Judizialgesetzen.313 Dies wird exemplarisch am abweichenden Strafrecht bei Mord, Diebstahl, Ehebruch und falschem Zeugnis der politia Iudaeorum gegenüber strafrechtlichen Bestimmungen anderer Völker vorgeführt.314 Drittens: Die im letzten Kapitel der Institutio gegebene Relativierung des mosaisch-jüdischen Gemeinwesens als Rechtsvorbild für die Gegenwart, die bis auf die Erstausgabe des Jahres 1536 zurückgeht, steht schließlich in Spannung zu Calvins expliziten Würdigungen der politia Iudaeorum und der Gesetze Moses. Solche Würdigungen tauchen nicht nur in seinen exegetischen und kontroverstheologischen Werken auf, sondern haben auch den Weg in die späteren Ausgaben der Institutio gefunden. Bereits in seinen 1910 erschienen Studien zur Staatsanschauung Calvins kam Gisbert Beyerhaus zu dem Ergebnis, dass Calvins Auffassung vom israelitischen Staat dabei grundsätzlich eine Doppelbödigkeit zeige: Einerseits knüpft Calvin doch auf Grundlage der Bibel positiv an das „hohe religiöse Ideal“ der israelitischen Königsherrschaft an und werde nicht müde, „einzelne Herrschergestalten wie Josias und Hiskia den Königen der Gegenwart als Vorbilder reiner Frömmigkeit zu empfehlen.“315 Auch gerade die Vorbild313 So wird das Moralgesetz in seiner Billigkeit auch als lex Dei selbst bezeichnet, das als Ziel (scopus), Regel (regula) und Grenze (terminus) aller Gesetzgebung fungieren soll: „Proinde sola quoque ipsa legum omnium, scopus, regula et terminus sit oportet. Ad eam regulam quaecunque formatae erunt leges, quae in eum scopum directae, quae eo termino limitatae, non est cur a nobis improbentur, utcunque vel a Lege Iudaica, vel inter se ipsae alias differant“ (aaO., IV,20,16). 314 Vgl. ebd. 315 Beyerhaus, Staatsanschauung Calvins, 130–145, hier zit.: 143f.
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haftigkeit des Königtums Davids und der Monarchie Judas vertrete Calvin, allerdings blieben solche Aussagen über die israelitische Monarchie doch immer unter dem geschichtlichen Vorbehalt, dass mit dem Kommen Christi „die geschichtliche Mission des israelitischen Königtums abgeschlossen“ und als Typologie und schattenhafte Vorausdeutung auf die Königsherrschaft Christi zu verstehen ist.316 Auf der anderen Seite stehen die sich über die Jahre steigernde Kritik an der Monarchie in Calvins Staatslehre und seine Auffassung, dass die aristokratische Staatsform der alttestamentlichen Richterzeit „den ursprünglichsten und glücklichsten politischen Zustand, den Gott selbst seinem Volke bereitet hat“317, darstelle. Dieses Ideal der richterzeitlichen Aristokratie lasse aber nur wenig Spielraum zu typologischen Ausdeutungen im Gegensatz zum israelitischen Königtum zu und verschärfe damit als neues Element die MonarchieKritik.318 In einem kurzen Ausblick zieht Beyerhaus dann wirkungsgeschichtliche Linien von Calvins Idealvorstellung der richterzeitlichen Aristokratie bis zu den monarchomachischen Widerstandslehren eines John Knox, John Major, François Hotman, Theodor Beza und Philippe Duplessis-Mornay.319 Beyerhaus’ Ausführungen können noch dahingehend ergänzt werden, dass im reformierten Bereich ähnliche Idealvorstellungen von der richterzeitlichen Aristokratie bereits vor, neben und nach Calvin existierten (z. B. Martin Bucer, Petrus Martyr Vermigli). Stattdessen ist nun aber auf den Zusammenhang mit der Gesetzeslehre zurückzukommen. Welchen Stellenwert haben Calvins Deutungen der politischen Geschichte Israels im Zusammenhang mit seinem Verständnis der mosaischen Gesetze? Vor allem in seiner Auseinandersetzung mit dem Täufertum wird diese Frage für Calvin kritisch. Mit Calvins theologischer Streitschrift Gegen die Irrtümer der Anabaptisten (Briève Instruction pour armer tous bons fideles contre les erreurs des Anabaptistes, 1544) erreicht diese Auseinandersetzung ihren Höhepunkt und auch gleichzeitig einen weitgehenden Abschluss.320 Die Streitschrift argumentiert dabei auf Grundlage der sog. Schleitheimer Täuferartikel Michael Sattlers (um 1490–1527), stand aber auch unter dem Eindruck neuer Entwicklungen im Täufertum in der Grafschaft Neuenburg und der Umgebung der Stadt Bern.321 Von dort aus gelangten die 1527 entstandenen Schleitheimer Täuferartikel in einer französischen Übersetzung zusammen mit Berichten über den Prozess und die Hinrichtung Sattlers über den Reformator der Westschweiz und Wegge316 317 318 319 320
AaO., 143; vgl. 137–141. AaO., 144; vgl. 132–137. Vgl. aaO., 144f. Vgl. aaO., 145–147. Vgl. die Einschätzung von Hans Scholl in der Einleitung zur Edition von Gegen die Irrtümer der Anabaptisten (1544), CStA 3, (267) 280–367, hier: 269. 321 Vgl. aaO., 269f.
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fährten Calvins, Guillaume Farel (1489–1565), an Calvin. Calvin befasst sich in der Briève Instruction selbst dann unter anderem auch mit der täuferischen Auffassung von der weltlichen Obrigkeit. An dieser Stelle ist von Interesse, wie Calvin die zivile Obrigkeit des Volkes Israel (gouvernement civil du peuple d’Israel) auf die Gegenwart bezieht. Calvin will den Vorwurf der Täufer entkräften, diese habe nur noch eine geistliche Bedeutung nach dem Kommen Christi: Sie sagen jetzt möglichweise, daß diese ganze zivile Obrigkeit des Volkes Israel nur eine Art Vorschatten des geistlichen Reiches Jesu Christi sei und nur bis zu seinem Kommen in Kraft stand. Ich gebe gerne zu, daß es zum Teil eine Figura war, aber daß es überhaupt nichts anderes gewesen sei, bestreite ich, und das nicht ohne gute Gründe. Es war ja in sich eine politische Herrschaft, wie sie nötig ist, wo immer es um ein Volk geht. Und da es so sein soll, wird von der levitischen Priesterschaft gesagt, daß sie aufhören und ein Ende nehmen müsse bei der Ankunft unseres Herrn Jesu (Hebr 7,12ff.). Wo aber wird so etwas von der äußeren Ordnung gesagt? Es ist wahr, daß Zepter und Herrschaft von der Linie Juda und vom Hause David weggenommen werden sollte, aber daß es überhaupt keine politische Ordnung (gouvernement) mehr geben soll, das ist eindeutig gegen die Schrift.322
Das Zitat zeigt gut den Problemhorizont an, den bereits Beyerhaus in seiner weiter oben referierten Studie über Calvins Staatsanschauung beschrieben hatte: dass Calvins Deutung der politia Iudaeorum sich nicht in einer bloßen Figürlichkeit nach dem Erscheinen Christi auflöst. Allerdings ist es angebracht, sich an dieser Stelle den Kontext des Gesagten zu verdeutlichen. Calvin geht vom sechsten der Schleitheimer Artikel über den Magistrat aus, in dem das Strafrecht der Obrigkeit (das ius gladii) zwar als eine Anordnung Gottes anerkannt wird, aber nur insofern es zugleich nicht Ausdruck der Vollkommenheit Christi ist. In der Vollkommenheit Christi sei die Exkommunikation die äußerste Strafe weltlicher Obrigkeit, nicht aber die leibliche Todesstrafe. Calvin nun weist diesen Artikel (der auch nur einem Anteil der täuferischen Meinung entspricht!323), nicht nur auf Grundlage des Neuen Testaments als nicht evangeliumsgemäß zurück, sondern argumentiert auch ausgehend vom Alten Testament und den mosaischen Gesetzen. Die Haltung der Täufer würde letztlich nur zu der Ausflucht führen, Christus habe für die christliche Kirche eine höhere Vollkommenheit verlangt als im jüdischen Volk. Dies könne aber nur im Hinblick auf die Zeremonien, nicht aber im Hinblick auf das Moralgesetz als Lebensregel (reigle de vivre) gelten, denn diese bestehe aus der Zeit des jüdischen Volkes fort.324 Jesus habe gerade, wie Mt 5 zeigt, nichts dem Gesetz hinzugefügt, sondern es dem
322 Zit. nach aaO., 341,14–26. 323 Es gab auch durchaus Obrigkeitslehren unter den Täufern wie die Balthasar Hubmaiers, die denen der Reformatoren näher standen (vgl. aaO., 335 Anm. 59). 324 Vgl. CO 7, 81; CStA 3, 338,1–7; 338,15–340,6.
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Verständnis nach in seiner Ganzheit wieder aufgerichtet.325 In einem nächsten Schritt wird dann auch die Folgerung im obigen Zitat gezogen, dass vom Fortbestehen des Gesetzes auch der Stand der zivilen Gerechtigkeit (l’etat de iustice civile) betroffen sein muss. Eine vergleichbare Aufhebung, die für die mosaischen Zeremonien beschrieben wird, gibt es für Calvin in biblischer Hinsicht für das gouvernement civil du peuple d’Israel auch nach Erscheinen Christi und dem Beginn seiner Königsherrschaft nicht. Unter anderem aus den Psalmworten (Ps 2,12) und prophetischen Verheißungen (Jes 49,23; 60,3) ergebe sich vielmehr, dass Christi Königsherrschaft der Einsetzung von Königen und Fürsten gerade nicht entgegensteht, sondern diese als Beschützer seiner Kirche (protecteurs de son Eglise) bestätige.326 Schon die vorbildlichen alttestamentlichen Herrscher waren auch auf das geistliche Leben ausgerichtet. In ihrer Reihe wird Mose sowohl als „Prinz unter den Propheten“ (Prince des Prophetes) als auch derjenige in Leitung des gouvernement civil du peuple beschrieben. In der Briève Instruction führt Calvin aber nicht weiter systematisch aus, welche Konsequenzen dies in Bezug auf das Zivilrecht hat. Das mosaische Judizialgesetz wird im Gegensatz zum Moral- und Zeremonialgesetz nicht weiter aufgegriffen und es bleibt somit lediglich bei Calvins Aufwertung des israelitischen gouvernement civil, die die Fortgeltung der Strafgewalt bis hin zur Todesstrafe mit einschließt.327 Es ist genau dieser Aspekt, der auch noch einmal wenige Jahre später in Calvins Streit mit Michael Servet in den Mittelpunkt rücken wird und Auswirkungen auf Calvins Auffassung über die Gesetze Moses und schließlich die seiner Nachfolger hinterlassen wird. Zusammenfassend lässt sich somit feststellen, dass Calvin schon Mitte der 1530er Jahre im Streit mit den Täufern einen positiven Bezug zum zivilen Vorbild des mosaisch-jüdischen Gemeinwesens und den mosaischen Judizialgesetzen gesucht hat. In der Erstausgabe der Institutio von 1536 argumentiert Calvin aber von einer anderen Seite her: Die Unterscheidung, dass das Judizialgesetz Formeln 325 Diese Aussage jedoch erfolgt nicht ohne antijudaistische Wendung gegen die falschen Glossen der Rabbiner: „Mais que nous ayons autre reigle de vivre, quant à la loy morale, qu’on appelle, que n’a eu le peuple ancien: c’est une faulse opinion. Ceux qui l’ont pensé, ont prins occasion du cinquiesme de sainct Matthieu: où il semble bien advis de prime face, que nostre Seigneur Iesus adiouste quelque chose à ce qu’il avoit desia commandé au peuple. Mais quand on regardera ce que la Loy de Moyse contient, et qu’on rapportera l’un à l’autre, pour en faire comparaison, on cognoistra que l’intention de nostre Seigneur Iesus n’a pas esté de faire addition aucune: mais seulement de remettre la vraye intelligence de la loy en son entier, laquelle avoit esté depravée par les faulses gloses des Rabins“ (CO 7, 81; dazu CStA 3, 338,5–15). 326 Vgl. CO 7, 82. 92; CStA 3, 340,26–342,9; 360,9–15. 327 Dies hängt auch damit zusammen, dass sich Calvin in seinen Widerlegungen zum Großteil auf Argumente der Täufer ausgehend vom Neuen Testament konzentriert (vgl. CO 7, 83–92; CStA 3, 342,10–362,3, wo sich nur noch vier Stellenverweise auf das Alte Testament finden, nämlich Ps 82,6; Spr 8[,15]; Dan 12,9.13 und Jes 60,3).
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der Billigkeit und Gerechtigkeit liefere, während der Dekalog bereits die ewige Richtschnur der Gerechtigkeit und Liebe enthält, steht hier unter dem Vorzeichen, die Forderung nach Umsetzung der mosaischen Gesetze im bürgerlichen Bereich einzugrenzen. Allerdings führt Calvin diese Deutung der politischen Relevanz der mosaischen Gesetze in den späten Ausgaben der Institutio (1550– 54) noch einmal in zweifacher Hinsicht weiter: Zwei Zusätze sind hier von Bedeutung. Zum einen formuliert Calvin in den späten Ausgaben die Lehre von der custodia utriusque tabulae, die er von Melanchthon schon seit der Erstausgabe von 1536 übernommen hatte, weiter aus, und zwar in der Weise, dass nun die Religionsfürsorge der Obrigkeit, bezogen auf die erste Tafel des Dekalogs, konkret beschrieben wird als eine bürgerliche Ordnung, die auch Häresie abzuwehren hat. Dieser Zusatz ist in der maßgeblichen Fassung der Institutio (1559) in Inst. IV,20,3 übernommen. Zum anderen befindet sich eine längere Einfügung in den späten Institutio-Ausgaben (1550–54) gleich am Anfang in der Behandlung der Gotteserkenntnis,328 aus der in der Institutio (1559) eine ganze Schriftlehre geworden ist. Der Zusatz betrifft hier dann die Abschnitte Inst. I,8,3– 10. Calvin verfolgt in dieser längeren Einfügung eine ähnliche Argumentation wie Bucer und Bullinger, die das Alter von Mose und der mosaischen Gesetze gegenüber anderen antiken Überlieferungsbeständen profilierten. Dazu beruft sich Calvin nun auch auf Josephus’ Schrift Contra Apionem: Außer dem, was ich schon erwähnte, ist von besonderem Gewicht auch das hohe Alter der Schrift. Denn obwohl griechische Schriftsteller über die ägyptische Theologie (aegyptiaca theologia) viel fabulieren, so besteht doch keine einzige Religionsurkunde, die nicht lange nach der Zeit des Mose entstanden wäre. Und auch Mose redet ja nicht von einem neuen Gott, sondern bringt nur vor, was wiederum in langer Zeitfolge die Israeliten als Lehre über den ewigen Gott von ihren Vätern wie von Hand zu Hand empfangen hatten! Was tut denn Mose anders, als dass er sie zu dem Bunde zurückruft, der einst mit Abraham geschlossen war? […] Wenn also nun Mose, der doch selbst soviel älter ist als alle anderen Schriftsteller, seine Lehre aus so langer Überlieferungsreihe herleitet, wie ragt dann die Heilige Schrift an Alter über alle anderen hinaus! Oder man müsste den Ägyptern glauben, die schon bis zu sechstausend Jahren vor der Erschaffung der Welt dagewesen sein wollen! Aber dieses Geschwätz war schon weltlichen Schriftstellern stets ein Gespött und verdient nicht die Mühe der Widerlegung. Dagegen bringt Josephus gegen den Appion einige sehr denkwürdige Zeugnisse aus den ältesten Schriftstellern vor, nach welchen die im Gesetz niedergelegte Lehre nach
328 Vgl. Inst. I,8,9f mit CO 1, 298,§30 („Quin etiam quaestionem movere audent, fueritne unquam aliquis Moses? At si quis in dubium revocet, queritne unquam vel Plato aliquis, vel Aristoteles, vel Cicero, quis non colaphis aut flagellis castigandam talem insaniam dicat?“). 299,§31 („Nam qualiscunque, eorum opinione, sit religio iudaica, Mosen tamen ipsius esse autore fatentur“).
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übereinstimmendem Zeugnis aller Völker schon seit der ältesten Zeit hochberühmt gewesen sei, wenn man sie auch damals noch nicht gelesen oder recht gekannt habe.329
Die dann folgenden Abschnitte stellen eine kleine Geschichte des jüdischen Volkes und seiner Schriften dar, deren Überlieferung auf die Tradierung der Väter zurückreicht. Darin eingeflochten ist auch die Überlieferungsgeschichte des Gesetzes, fest verbunden mit Mose, der doch allgemein als Stifter der jüdischen Religion anerkannt worden sei und der so sicher wie Platon, Aristoteles oder Cicero gelebt habe. Gute Gründe sprechen dafür, dass die zwei späten Einfügungen, die beide Mose und die mosaischen Gesetze betreffen, mit Calvins später Auseinandersetzung mit Servet und Castellio zusammenhängen, die nun im Anschluss weiterverfolgt wird. Erst in den späteren Ausgaben der Institutio (1550–54) hat Calvin sie demnach noch als sinnvoll erachtet. Möglicherweise lässt sich so auch eine Erklärung dafür finden, dass Calvin sich in dem oben wiedergegebenen Zitat explizit auch von einer ägyptischen Theologie (aegyptiaca theologia) abgrenzt,330 über die griechische Schriftsteller fabulierten. Spielt Calvin damit vielleicht auch auf hermetisches Gedankengut an, wie es Servet vertreten hatte?
2.5.2 Calvins Profilierung der lex scripta Mosaica gegenüber Michael Servet und Sebastian Castellio Der Streit zwischen Michael Servet (1511–1553) und Calvin ist vor allem in die Geschichte eingegangen, weil Servets Leugnung der Trinität zu seiner Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen geführt hat und der daraus hervorgehende Streit um Häresie und Toleranz auf einer breiteren Ebene weitergeführt wurde.331 Die Zuständigkeit der weltlichen Obrigkeit in Glaubensfragen und ihr Strafrecht gegen Häretiker stand zur Diskussion. Als führender Gegner der Genfer um Johannes Calvin trat dabei der Humanist Sebastian Castellio hervor. Calvin hatte Castellio bereits in seiner Straßburger Zeit kennengelernt und sich später dafür eingesetzt, dass der in den alten Sprachen äußerst begabte Castellio Rektor der 329 Calvin, Inst. I,8,3f.; dt. Übers. (mit kleineren Änderungen) zit. nach Calvin, Unterricht in der christlichen Religion, 29. 330 Vgl. Inst. I,8,3. 331 Vgl. zu Calvins Streit mit Servet und seinen Auswirkungen jetzt ausführlich Plath, Der Fall Servet; daneben unter anderem mit einem kurzen, aber präzisen Überblick Greef, Johannes Calvin, 212–219. Laplanche, L’écriture, le sacré et l’histoire, 138ff, bezieht sich in seiner Darstellung des Servet-Falls vor allem auf den Streit Castellios mit den Genfer Reformatoren, aus dem exegetische Folgerungen für das Verständnis des Alten Testaments und der mosaischen Gesetze gezogen werden, übersieht dabei aber den Anteil, den Servet selbst gehabt haben konnte.
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Lateinschule in Genf wurde.332 Unterschiedliche Konflikte zwangen Castellio schließlich dazu, Genf zu verlassen. In späteren Jahren wirkte er vor allem in Basel als Professor für Griechisch und Rhetorik. In Basel – einer Stadt, in der verschiedene innerprotestantische und humanistische Strömungen unter Gelehrten kulminierten, – fand Castellios Schrift De haereticis an sint persequendi (1554), die als Reaktion auf Servets Verurteilung und Hinrichtung entstand, Zustimmung. Kurz zuvor im Februar desselben Jahres hatte Calvin die gegen Servet verhängte Todesstrafe in seiner Defensio orthodoxae fidei de sacra Trinitate contra prodigiosos errores Michaelis Serveti Hispani333 gerechtfertigt. Castellio argumentierte hingegen gegen die Anwendung der Todesstrafe für Ketzer und entwickelte in Ansätzen Gedanken von Toleranz und Glaubensfreiheit, die Stefan Zweig 1936 in der Zeit des Nationalsozialismus in einem wirkungsreichen Buch auf nicht unproblematische Weise dann als „ein Gewissen gegen die Gewalt“ stilisierte.334 In der Argumentation, die später auf Genfer Seite vor allem von Theodor Beza mit Castellio geführt wurde, spielte die Frage nach der Anwendung der mosaischen Gesetze, genauer der Rechtssatzungen gegen Gotteslästerung und Idolatrie (z. B. Dtn 13; Ex 32) eine entscheidende Rolle. Weniger bekannt ist allerdings, dass zuvor bereits schärfste Vorwürfe gegen Calvins Verständnis der mosaischen Gesetze von Servet selbst erhoben wurden. Bereits im Jahr 1546 setzte ein Briefwechsel zwischen Servet und Calvin ein, in dem zunächst theologische Fragen zur Gottessohnschaft Jesu, dem Reich Gottes und der Taufe von Servet an Calvin ausgingen.335 Nach erhaltener Antwort Calvins, der unter dem Pseudonym Charles d’Espeville schrieb, schickte Servet seinerseits einen ganzen Abschnitt aus seiner Arbeit an der Schrift Christianismi Restitutio, in der es um die Kindertaufe ging, und Calvin erwiderte mit dem betreffenden Kapitel aus seiner Institutio.336 Im Gegenzug schließlich versah Servet den ihm zugeschickten Abschnitt aus der Institutio nicht nur mit kritischen Anmerkungen, sondern sandte auch eine eigene Sammlung von 30 Briefen an Calvin,337 in denen weitreichende Kritik in ganz verschiedenen Bereichen der Theologie offenbar wird. Calvin beantwortete die Briefsammlung selbst nie, würde aber später feststellen, dass Servet die 30 Briefe mit in sein 1553 anonym338 veröffentlichtes Werk Christianismi Restitutio aufgenommen hatte. Drei dieser 332 333 334 335 336 337
Die biographischen Informationen sind entnommen: Guggisberg, Sebastian Castellio. CO 8, 453–644. Vgl. Stefan Zweig, Calvin gegen Castellio oder ein Gewissen gegen die Gewalt, Wien 1936. Vgl. Greef, Johannes Calvin, 212f. Vgl. aaO., 213. Vgl. ebd. Im Folgenden wird die kritische Ausgabe Epistolae nach CO 8 genutzt. Vgl. auch den entsprechenden Abschnitt in Servet, Christianismi restitutio, 577–664. 338 Am Ende der Schrift befinden sich in diesem Fall nämlich lediglich die Initialen M.S.V. (vgl. aaO., 734).
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Briefe der Epistolae triginta ad Ioannem Calvinum gebennensium concionatorem beschäftigen sich dabei näher mit Calvins Gesetzesverständnis. Im 23. Brief steht das Verhältnis von Geist und Buchstabe, Gesetz und christlicher Freiheit im Mittelpunkt. Servets Argumente können zu einem Großteil als direkte Entgegnungen der calvinischen Gesetzeslehre verstanden werden und lassen sich in folgenden Gesichtspunkten zusammenfassen: Erstens ist zeitlich gesehen für Servet das Gesetz, und zwar im eigentlichen Sinne das geschriebene mosaische Gesetz, mit der Zeit Johannes’ des Täufers, der der alttestamentlichen Prophetie zufolge als gekommener Elias gedeutet wird, aufgehoben.339 Zweitens: Calvins soteriologisch relevanter Deutung, dass Christus nicht gekommen sei, das Gesetz aufzulösen, sondern es stellvertretend für alle Menschen zu erfüllen, die dies eben nicht vollbringen konnten, setzt Servet seine eigene Auffassung des Gegensatzes von Geist und Buchstaben und der Freiheit vom Gesetz entgegen: Wenn Calvin, so könnte man paraphrasieren, wirklich in Christus die volle Erfüllung des Gesetzes sieht, so sei doch auch nur die Annahme folgerichtig, dass der Befreier Christus (liberator) jegliche Kraft des Gesetzes (vis legis) aufgelöst habe und so auch der Dekalog nicht mehr Geltung beanspruchen könne. Wenn etwas in christlicher Freiheit getan wird, was im Gesetz Moses inbegriffen ist, so geschehe das doch nicht mehr nach dieser vis legis, sondern weil es der Geist lehre.340 Servet greift damit auch ganz spezifisch Calvins bereits beschriebenes Verständnis des Dekalogs als vera et aeterna regula iustitiae oder, wie dieser in der Widerlegung täuferischer Argumente formuliert hatte, seit der Geschichte des Volkes Israel forthin geltende Lebensregel (reigle de vivre) an. Ein solches, durch Buchstaben in Stein entstelltes (literis in saxo deformatis) Gesetz, wie Calvin es für Servet vertrete, führt nun zum Vorwurf gegen Calvin, er mache sich selbst damit zum „Mohammedaner“ oder „Pseudojuden“.341 Nun könnte
339 Vgl. Servet, Epistolae ad Calvinum, CO 8, 695, wo lediglich auf die Bibelstelle Jer 3 und den Propheten Maleachi verwiesen wird, im Hintergrund stehen aber Mt 11,13f und Lk 16,16. 340 Calvins später vor allem in Inst. II,7f dargelegten Ausführungen zum Zeremonial- und Moralgesetz werden von Servet direkt adressiert: „Ais tu: Donec coelum et terra transeunt, non praeteriturum apicem ex lege, quin omnia facta sint, et quotidie fiant. Respondeo: Omnia per Christum sunt facta, et omnia in nobis semper fiunt, iuxta spiritum, non iuxta literam. Adhuc tu contendis, legis vim esse duntaxat in quibusdam sublatam, in caeremonialibus, non in decalogi praeceptis. Ad hoc ego Christum dico esse perfectum liberatorem. Ab omni vinculo, et servitute legis, nos in libertatem integram Christus vindicavit. Sublata ergo penitus est ipsa vis legis. Vim legis intellige, autoritatem ligandi, iugum servitutis, vinculum obligationis, quo necessario adstringimur sub certis poenis. Quamvis pleraque nos faciamus contenta in lege Mosis, [ea] tamen non facimus ex vi legis, sed quia spiritus nos, quae sint facienda, docet“ (Servet, Epistolae ad Calvinum, CO 8, 696). 341 „Mosaicam legem in eadem nobis qua et Iudaeis fore observatione contendis, iniuriam ei et contumeliam fieri dicens, si de eius regula sit quidquam immutatum. Videor hic mihi Mahometum audire, aut pseudoiudaeum aliquem. Sed cui ais fieri iniuriam? Lapidi? literis in
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man meinen, Servet übergehe damit, dass Calvin ja gerade die Gebote des Dekalogs nicht nur an ihre schriftliche Form band, sondern sie naturrechtlich begründete, doch Servet scheint es vor allem darum zu gehen, sich von jedem Begründungszusammenhang mit dem mosaischen Gesetz zu lösen. So ergibt sich drittens für ihn, dass alles, was von Natur aus ewig ist, nicht von Mose stammen kann, weil es vor Mose gewesen ist; umgekehrt sei die Rechtfertigung vor Gott allein durch Glauben (sola fide) eben auch möglich für jemanden, der das Gesetz Moses nicht kannte.342 All dies löst sich schließlich insgesamt auf in Servets Unterscheidung zwischen einem eingeborenen Gesetz der Mitglieder (lex membrorum innata), womit die Christusgläubigen gemeint sind, die durch Christus nicht mehr dem Zwang des geschriebenen Gesetzes ausgesetzt sind, und dem Gesetz, dem Gebote hinzugefügt sind (lex mandatorum superaddita), zu denen eben auch der Dekalog gehört.343 An die Stelle der lex scripta tritt ein universal lehrender Geist.344 Für dieses stark spiritualistische Gesetzesverständnis aber findet Servet nicht nur einen Gewährsmann in Paulus, sondern auch eine Bestätigung in der alttestamentlichen Rede vom ins Herz geschriebenen Neuen Bund (Jer 31[,31–34]), der die steinernen Tafeln der Zehn Gebote als alte Bundesurkunde abgelöst habe.345 Im folgenden 25. Brief verfolgt Servet eine andere Strategie bei der Widerlegung von Calvins Gesetzeslehre, die auch positive Äußerungen über die anderen Teile des mosaischen Gesetzes als den Dekalog mit einschließt. Er setzt sich vor allem mit der von Calvin vertretenen Unerfüllbarkeit des mosaischen Gesetzes auseinander, die für Servet bei Calvin auf einer Linie mit Luther ist (cum Luthero tuo) und auch mit dessen Lektüre Augustins zusammenhängt.346 Mit Berufung auf den Apostel Paulus hält Servet dem entgegen, dass die Erfüllung des Gesetzes nur teilweise, nicht aber vollkommen unmöglich gewesen sei.347 Dahinter steht die Ansicht, dass in jedem Menschen sowohl fleischliche als auch geistliche Lüste herrschen, die die Erfüllung des rationalen und der Zeit angepassten Gesetzes
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saxo deformatis? Si scires, legem illam tendere ad gloriam Christi, non esses tu ita Christo contumeliosus“ (aaO., 694f). „Ex hac sola fide poterat quis iustificari, etiam ignorans legem Mosis. Sunt qui decalogi vim sustinent, moralia dicentes esse leges naturae perpetuas. Quibus illud obiicimus: Quod ex natura perpetuum est, non est ex Mose, quum fuerit ante Mosen. Si haec naturae dictamina dicas, non dabis eis vim legis maledicentis, quum nesciretur maledictio talis, nisi per legem, nec ira talis, nisi per legem. Sublata ergo est lex, et nos non sumus sub lege, nec sub eius ira“ (aaO., 698). Vgl. mit Bezug auf den Römerbrief des Paulus aaO., 698f. Vgl. aaO., 699 („spiritus sanctus universaliter docens“) mit 697: „Saxea lex rigida est. Spiritus suaviter docet et vires dat, [ut ita] nos adiuti, et meliora docti, multo minus peccemus.“ Vgl. aaO., 699f. Vgl. aaO., 702f. 705. „Non ex toto, sed ex parte erat impossibile legem servare, ut ait ibi Paulus“ (aaO., 704 mit Bezug auf Röm 8[,6–8]).
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Gottes nicht vollkommen versperren. In diesem Sinne werden von Servet auch positive Aussagen über die Erfüllung des Gesetzes aus dem Alten und dem Neuen Testament miteinander verbunden.348 Diese positiven Aussagen werden aber dann in zweifacher Hinsicht relativiert: Zum einen sei trotz der möglichen Erfüllung des Gesetzes das Gesetz selbst erst durch Christus vollendet worden, was Servet wiederum in antijudaistischen Formulierungen eine Überbietung der Gerechtigkeit der Juden (unterschieden wird noch einmal zwischen der Einsicht gewöhnlicher Juden und derjenigen der einstigen Propheten) durch die Gerechtigkeit der Christen folgern lässt. Zum anderen wird die zeitliche Angemessenheit und Stimmigkeit der lex Dei aber doch positiv gewürdigt – so auch das mosaische Judizialgesetz, das so stimmig zum „rebellischen Volk“ gepasst habe, wie es sich andere antike Gesetzgeber wie Phoroneus, Lykurg, Solon oder Numa Pompilius gar nicht hätten ausdenken können.349 Auch über die Zeremonien der Israeliten kann mit Berufung auf den großen jüdischen Gelehrten des Mittelalters Maimonides gesagt werden, dass sie die ägyptischen übertrafen und den Zweck hatten, von der Idolatrie des ägyptischen Volkes abzuhalten.350 Eine Würdigung des Dekalogs, wie sie Calvin vertrat, wird unter diesem Gesichtspunkt aber nicht erkennbar. Dies liegt neben der im vorherigen Brief von Servet vertretenen Abwertung des steinernen Gesetzes auch unter anderem daran, dass Servet das Liebesgebot in anderen Geboten Moses (Dtn 30,6), nicht aber im Dekalog wiedergegeben sieht und dies mit seiner eigenen Lektüre Augustins entgegen der Calvins verbindet.351 348 Vgl. aaO., 702f, wo unter anderem Mt 19[,17]; Ex 20[,5f]; Ez 18[,5ff] und Röm 10[,5–9] zitiert oder darauf lose verwiesen wird. 349 „Si tu singula bene discernas, videbis plane, nihil incommodum, nihil inconsonum in lege Dei fuisse praeceptum. Omnia erant commoda, viribus facultatibusque consona, ad sanctam viam inducentia. Imo et iudicialia praecepta populo illi rebelli erant ita consona, ut nec Phoronaeus, nec Lycurgus, nec Solon, nec Pompilius, talia potuisset tunc excogitare“ (aaO., 705). 350 „Si de caeremoniarum immensis ambagibus conqueraris, rudem illum aegyptiacum populum cogita, idololatriae fuisse deditum: a qua ut diverteretur, est iustissime aliis sublimioribus occupatus. Rabbi Moses Aegyptius, mysteriorum Christi praefigurationem ibi non cogitans, caeremonialia illa sacrificia ait non fuisse populo data, nisi ut retraheretur a sacrificiis idolorum“ (aaO., 705f). Servet bezeichnet Maimonides in gängiger Weise als Rabbi Moses Aegyptius und dürfte sich auf seinen Führer der Unschlüssigen (Dux neutrorum) beziehen. Servets Bezug auf Maimonides erfolgt, so auch im Zitat, nicht ohne die implizite Abgrenzung: Maimonides habe die Geheimnisse der Präfigurierungen Christi in den Zeremonien nicht erwägt. 351 Servet beruft sich auf Augustins Rectractiones und das anti-manichäische Werk De duabus animabus: „Augustinum tu soles audire, cuius haec sunt verba lib. 1 Retractat. cap. 15 et lib. de Duabus animabus contra Manichaeos: Peccati reum quem teneri, quia non fecit quod facere non potuit, summae iniquitatis et insaniae est. Ibidem ait, non dici peccatum, nisi a quo liberum est abstinere: liberum quoque esse ait, praeceptum implere, iuvante Deo. Adde, quod praeceptum de dilectione illa non erat in foedere decalogi, nec est a Deo ita datum,
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Auch der anschließende 26. Brief der Epistolae ad Calvinum offenbart eine gewisse Doppelbödigkeit in der Argumentation gegen Calvin und so zum Teil auch in der Gesetzeslehre Servets selbst. In diesem Brief geht es nun genauer um die Frage der Geltung der mosaischen Judizialgesetze, die Servet folgendermaßen auf den Punkt bringt: Wenn die Rechtssatzungen (iudicia) von Gott selbst als Hilfsmittel der Streitschlichtung vorgetragen wurden und doch so stimmig waren, weshalb sollten wir sie nicht beibehalten und in unseren Gerichten verwenden?352
Wie in den vorherigen Briefen steht als Antwort Servets darauf die Betonung der spirituellen Freiheit vom Gesetz im Mittelpunkt. Christus als Befreier habe selbst die harten Rechtssatzungen, die einst einem harten Volk gegeben wurden, aufgehoben.353 Mit erneuter Berufung auf den Apostel Paulus hält Servet fest, jenes gesamte Gemeinwesen Moses (tota illa Mosis politia) sei abgeschafft und solle von „uns“ (Christen) nicht mehr neu aufgerichtet werden.354 Christi Milde (clementia) habe nicht nur das Urteil (iudicium infernalis mortis) über den höllischen Tod Adams aufgelöst, sondern eben auch jene Todesstrafen Moses (Mosis ad mortem iudicia) für die Gläubigen. Christi eigene Zusammenfassung aller Judizialgesetze laute, dass wir uns nicht selbst zum Richter machen und dass wir gegenüber anderen das tun sollen, was wir von ihnen selbst zu tun verlangen (Goldene Regel, vgl. Mt 7,12).355 Exemplarisch für den Fall eines Diebstahls zeigt Servet, dass das Wiedererstattungsrecht, das noch das rigorose mosaische Judizialgesetz vorschreibe, in diesem christlichen Sinne damit auch aufgehoben sei,
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quando data est lex. Sed a Mose in Deuteronomio est postea exhortatione quadam adiunctum. Imo ait: Circumcidit dominus cor tuum, ut diligas eum ex toto corde (Deut. 30[,6]). Quibus verbis possibilem esse docet dilectionem illam, efficiente in te Deo, ut ita diligas. Magnum mandatum dicitur hoc a Christo, quia proxime accedit ad evangelicam perfectionem. Non tamen erat mandatum decalogi, nec maledicebat eum, qui non integre perficiebat“ (Servet, Epistolae ad Calvinum, CO 8, 705). „Quaeramus ergo. Si iudicia illa a Deo ipso prolata dirimendis litibus, erat tam consona, quare nos ea non servamus, ut in iudiciis nostris utamur?“ (aaO., 706). „Iudicialium illorum obligatio cessat, per liberatorem sublata“ (ebd.). „Deleta est tota illa Mosis politia, ut non liceat nobis ea quae destructa sunt reaedificare, teste Paulo. Lex puero aut servo data cessat, ubi ex servo fit liber, aut a puero transit in virum, a paedagogi et domini prioris exemptus potestate. Si iudicium illud infernalis mortis, in Adam prolatum, est per Christum in credentibus sublatum, multo magis tolluntur illa Mosis ad mortem iudicia, ad tempus correctionis rigore quodam prolata“ (aaO., 707). Vgl. ebd. Servet beruft sich dabei auch auf die Haltung der Apostel gegenüber den jüdischen Geboten auf dem Jerusalemer Apostelkonzil, wie sie im zwölften Kapitel eines dritten Buches des Kirchenvaters Irenaeus beschrieben werde. Damit dürfte sein apologetisches Hauptwerk Adversus Haereses gemeint sein. Allerdings findet sich Iren., adv. haer. III,12 nur Irenaeus’ Abgrenzung gegen die Irrlehren über den Neuen und Alten Bund bzw. die mosaische Gesetzgebung von Simon Magus, Marcion und Valentinus. Die Bezugnahme auf das Apostelkonzil in diesem Zusammenhang findet sich erst in Iren., adv. haer. III,14.
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und zwar in der Form, dass wir, wie Christus sage, mit dem eigenen Besitz zufrieden sein sollten, ohne dass man sich an fremden Besitztümern bereichere, und die Goldene Regel fortgelte.356 Bis dahin hat sich Servet damit ausschließlich für die vollkommene Abrogation der mosaischen Judizialgesetze ausgesprochen, was wiederum in Spannung steht zu den bereits festgestellten partiellen Aufwertungen der Judizialgesetze Moses. Zu dieser Spannung kommt es aber auch noch am Ende des 26. Briefes. Servet bezieht sich noch einmal auf Paulus, der gesagt habe, selbst die Geringsten (minimi) in der Kirche seien dazu fähig, Streitsachen in der Kirche zu beenden. Dort, wo der Geist des Herrn sein wird, wird auch immer das rechte Urteil (iudicium) sein. Dann klappt aber ein Satz nach, in dem formuliert wird, dass aus den Rechtssatzungen des Gesetzes (ex iudiciis illis legis) einige Erwägungen (aliquae rationes) wie z. B. über die Ehrung der Eltern, Inzest, über eine entehrte Jungfrau und Schadenszufügung aneinandergefügt werden, die bei „uns“ (der wahren Kirche im Geist des Herrn) einen ähnlichen Stellenwert haben.357 Diese festgestellte Spannung zeigt sich dann auch in Servets Erwägungen zum Strafrecht gegen Häretiker, das ja wiederum die mosaischen Judizialgesetze (vgl. z. B. Ex 32 mit Dtn 13) betraf. Diese wurden für ihn selbst einige Jahre später zu einer existentiellen Angelegenheit, als er im Prozess aus Anlass seiner Trinitätsleugnung wegen Häresie angeklagt wurde. Servet trifft dabei Erwägungen zum sog. Ketzerrecht im 27. Brief. Den Rahmen gibt hier die in der Reformationszeit intensiv geführte Diskussion zur Vereinbarkeit des ius gladium mit dem Glauben eines Christen in einem politischen oder richterlichen Amt vor. Servets Urteil fällt wie folgt aus: Wo Hoffnung auf Besserung bestehe, habe Christus insgesamt ein rigides Todesurteil abgeschafft. Stattdessen sei von ihm Exilierung befürwortet worden und in der Kirche bestehe seit apostolischer Zeit das Mittel 356 „Hic vides, quanta erga nos sit Christi clementia. Nihil ille suis non condonat, et condonari a nobis vult iudicialium rigorem. Si cui sit quidquam furto sublatum, non concedam accipere quadruplum, aut quintuplum, ut lex habet rigoris: sed suo esse contentum, ne cum aliena iactura locupletetur, et ne alteri faciat, quod sibi fieri nolet“ (aaO., 707). Die genaue Formulierung „ne quis cum aliena iactura locupletetur“ findet sich auch als Prohibition im römischen Recht in den Digesten (D. 12,6,14) wieder. 357 „[…] Paulus ait, etiam minimos in ecclesia esse ad lites inter Christianos dirimendas idoneos, absque ethnicis aut mosaicis iudiciis. Daturus est Deus ut veram ecclesiam alicubi tandem videamus. Ibi semper erit rectum iudicium, ubi erit spiritus Domini.“ Dann folgt der letzte Satz des 26. Briefes: „Ex iudiciis illis legis rationes aliquae colliguntur, ut de parentum veneratione, de eo qui habet uxorem patris, de virgine violata, de damno dato, et aliis, quorum ratio similem in nobis locum habet“ (ebd.). Mit der Formulierung „de eo qui habet uxorem patris“ könnten die Inzestverbote wie Lev 18,8 in der Terminologie der VulgataFassung gemeint sein. Der Sachverhalt, dass Servet in dem letzten Satz seines 26. Briefes außerdem solche losen Rechtsbezüge ohne Bibelstellenangabe nennt, kann auch als ein Indiz dafür gewertet werden, dass dieser Satz, der in der Argumentation des Briefes sowieso als wenig konsistent erscheint, später noch hinzugefügt wurde.
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der Exkommunikation als Strafe für Schismen und Häresien.358 Außerhalb von Glaubensangelegenheiten entspreche das Strafrecht nicht nur dem gängigen Recht der Völker, sondern auch dem Naturgesetz und kann für Servet auch von Christen vollzogen werden, allerdings weiß er dafür auch zu unterscheiden: Es gehe nicht gegen das Evangelium (contra evangelium), jedoch an dem Dienst des Evangeliums vorbei (praeter ministerium evangelii).359 In diesem Fall gehen also die Meinungen Servets und Calvins kaum auseinander, denn Servet kann wie Calvin entsprechend noch das Schwertrecht mit dem Evangelium vereinbaren. Die Abweichung erfolgt in der Frage, inwieweit demgegenüber Calvin auch in seiner späteren Defensio orthodoxae fidei de sacra Trinitate (1554) Servet mit einer Rechtfertigung des Strafrechts gegen Häretiker auf Grundlage des Alten und Neuen Testaments begegnet. Unterschieden werden von Calvin dann drei unterschiedliche Grade an Irrlehren, deren angemessene Reaktion von der Tolerierung über moderate Bestrafung bis zur Todesstrafe in besonders schweren Fällen reichen.360 Solche äußerst schweren Fälle seien dann gegeben, wenn die Fundamente der Religion angegriffen werden, Gotteslästerung vorliege und andere Seelen offen ins Verderben gezogen werden. Die Argumentation Calvins sowie die Entwicklung des Streites um Häresieverfolgung und Toleranz, der dann zwischen Genf und Basel und besonders Calvin und Sebastian Castellio ausbrach, muss hier nicht weiterverfolgt werden. Er ist an anderer Stelle bereits in detaillierter Form dargestellt.361 In einem Kreis von Gelehrten in Basel, in dem verschiedene konfessionelle und humanistische Prägungen zusammentrafen, rief Calvins Haltung Empörung hervor,362 während sie unter den führenden anderen Reformatoren wie Melanchthon, Bullinger und Bucer befürwortet wurde und auch mit dem geltenden römischen und gemeinen Recht übereinstimmte. Von Interesse für den Fortgang ist aber nunmehr, welche Bewertung in diesem Zusammenhang das mosaische Recht erfährt. Calvin jedenfalls bezieht sich, um eine Todesstrafe für Häretiker im äußersten Fall zu rechtfertigen, eben explizit auch auf Verordnungen im Pentateuch außerhalb des Dekalogs, die dem mosaischen 358 Vgl. aaO., 708. Ein mögliches Gegenbeispiel aus dem Neuen Testament wie das von Hananias und Saphira (Apg 5,1–11), die auf Ankündigung des Apostels Petrus für ihren Betrug an Gott zu Tode kommen, wird hier als Sondererweis des Heiligen Geistes entkräftet. 359 Vgl. aaO., 708f. 360 Vgl. Calvin, Defensio orthodoxae fidei, CO 8, 477. 361 Vgl. hierzu jetzt vor allem Plath, Der Fall Servet, bes. 138–176 mit ausführlicher Wiedergabe der Argumentationen; dazu auch Laplanche, L’écriture, le sacré et l’histoire, 140ff. 362 Plath hat die heterogene geistige und religiös-konfessionelle Zusammensetzung des „Basler Kreises“ um Celio Secondo Curione, Martin Borrhaus (Cellarius), den Täufer David Joris, den italienischen Glaubensflüchtling Lelio Sozzini, Pietro Paolo Vergerio und neben Weiteren auch Sebastian Castellio selbst, herausgestellt. Die Erfahrung der Verfolgung aus Glaubensgründen mischte sich bei einzelnen Personen mit humanistischen Prägungen, mystischen und spiritualistischen Tendenzen oder auch Nähen zum Täufertum (Plath, Der Fall Servet, 46–54, hier: 50f).
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Judizialgesetz zugeordnet werden können wie Dtn 13,1–5 (Tod für Propheten und Träumer, die zur falschen Götterverehrung verführen).363 Die Wichtigkeit hebt Calvin noch einmal durch seine Beschreibung hervor, wie Mose eine solche Verordnung direkt „aus dem Munde Gottes“ vernommen habe und sie selbst auch mit Strenge vorgelebt und durchgesetzt habe.364 In welche Richtung argumentierte diesbezüglich nun die eingangs dieses Abschnitts schon einmal erwähnte Schrift De haereticis an sint persequendi (1554)? Diese Schrift erschien zwar anonym, es gilt aber mittlerweile als Konsens in der Forschung, dass sie auf Sebastian Castellio zurückgeht. Die Schrift selbst entstand als unmittelbare Reaktion auf Servets Verurteilung und Verbrennung, wohl aber nicht auf Calvins erst einen Monat zuvor gedruckte Defensio.365 Mit hoher Wahrscheinlichkeit verbirgt sich hinter allen drei Pseudonymen „Basilius Monfort“, „Georg Kleinberg“ und dem Herausgeber „Martin Bellius“, die sich in De haereticis zu Wort melden, Sebastian Castellio.366 Im letzten Abschnitt des Werkes erhält schließlich Basilius Monfort das Wort und seine Aussagen über die Anwendung des mosaischen Judizialgesetzes stehen dem, was Calvin in seiner Defensio gefolgert hatte, direkt entgegen: Die Berufung auf Dtn 13,1–5 als Beleg für das Kapitalverbrechen der Häresie wird allein durch die Hinterfragung einer Gleichsetzung von Häretikern mit falschen Propheten aus der alttestamentlichen Zeit zurückgewiesen. Ähnliches wird auch über die Verordnungen aus dem Buch Leviticus geäußert.367 Der hinter dem Pseudonym Monfort stehende Castellio kommt schließlich zu einer ganz ähnlich begründeten Ablehnung der Geltung des mosaischen Judizialgesetzes, wie sie Servet, dessen Werk Castellio bekannt gewesen sein dürfte, vertreten hatte: Das geistige Vorbild Christi hat für Castellio das mosaische Judizialgesetz abgelöst und ein Unterschied zwischen geistigem und weltlichem Schwert wird dahingehend profiliert, dass ein Eingriff der weltlichen Obrigkeit in Glaubens- und Lehrfragen der Kirche zurückgewiesen wird. Wie Servet deutet auch Castellio z. B. ein neutestamentliches Beispiel wie das von Hananias und Saphira nicht mehr als eine Bestätigung für die Bestrafung von Häresie bis zum Tode. 363 Vgl. Calvin, Defensio orthodoxae fidei, CO 8, 475. 364 Vgl. aaO., 477. 365 Dies legt vor allem Castellios eigene Angabe in dem unveröffentlichten Manuskript seines auf März 1555 datierten Werkes De haereticis a civili magistratu non puniendis nahe, das eine Entgegnung auf Theodor Beza, Reformator neben und nach Calvin in Genf, war: „Quid quod dicit nos scripsisse post editum librum Calvini, cum eodem plane tempore impressi sint, etiamsi typographus (ut solet) editionis tempus in serius retulerit. Crede mihi, Beza, si Calvini librum ante vidissemus, vos longe aliud Bellii bellum habuissetis, quemadmodum in hisce legendis facile cognoscetis“ ([Castellio], De haereticis a civili magistratu non puniendis, 26; vgl. Plath, Der Fall Servet, 168 mit Anm. 566). 366 Vgl. aaO., 168. 367 Vgl. bereits zum Folgenden die Zusammenfassung aaO., 160–176.
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Servet und Castellio vertreten sicherlich keine Theologie, die deckungsgleich ist, nur weil sie auf einer Seite gegen Calvin stehen. Beide waren jedoch gewillt, die lex scripta Mosis vom Neuen Testament und von Christi Geboten aus zu relativieren. Beide kamen dabei entgegen Calvin zu dem Schluss, dass die Obrigkeit kein Recht auf die Verhängung einer Todesstrafe gegen Häretiker habe.368 Was Servet und Castellio zudem noch miteinander gegenüber Calvin verband, war eine besondere Wertschätzung der nicht-christlichen antiken Literatur, die größere Freiheiten gegenüber der biblischen Tradition mit einschloss. Bei beiden führte dies allerdings insgesamt nicht zu einer generellen Abwertung in ihrem Bild von Mose oder den mosaischen Gesetzen, wohl aber zu einer größeren Freiheit im Umgang mit den außerbiblischen Überlieferungen über Mose als bei Calvin. Castellio verfasste in dem Jahr, in dem der Briefwechsel zwischen Calvin und Servet einsetzte, gleich zwei Schriften, die Mose zum Thema hatten: zum einen die im ersten Kapitel schon einmal erwähnte Mosis Institutio Reipublicae Graecolatina (1546), ein Josephus-Exzerptebüchlein, das ganz im humanistischen Sinn für das Erlernen des Griechischen und Lateinischen, aber auch gleichzeitig als Unterweisung in Frömmigkeit (pietas) und Religion (religio) gedacht war.369 Die Juden könnten in dieser Sache doch zum Vorbild in der Unterweisung der Jugend genommen werden, weil sie bei ihnen mit der Heiligen Schrift anfängt und nicht bei den Verdorbenheiten, die die paganen antiken lateinischen und griechischen Schriftsteller (Lukian, Terenz) schildern.370 Dar368 Schon 1546 lehnte Castellio die Verhängung der Todesstrafe durch die weltliche Obrigkeit ab, allerdings hier mit einem anderen Hintergrund: Er kritisierte die Todestrafe für Diebstahl, die in den mittelalterlichen Gesetzen Friedrich I. Barbarossa vorgesehen waren (vgl. Castellio, Moses Latinus ex Hebraeo factus, 488f; dazu Guggisberg, Sebastian Castellio, 58). 369 Dieses Anliegen ist schon im Titel formuliert: Mosis Institutio Reipublicae Graecolatina: ex Iosepho in gratiam puerorum decerpta, ad discendam non solum Graecam, verum etiam Latinam linguam, una cum pietate ac religione, Basel [1546]. 370 „Solet pueris ad discendam linguam Graecam Lucianus, ad Latinam Terentius praelegi: quorum ille, nihil nisi Iouis adulteria, Mercurij furta, & caetera huiusmodi: hic, improbos adolescentum amores, meretricum nequitiam, lenonum impuritatem docet. Quaeso quid aliud faceret, si quis uellet pueros ad omnem improbitatem ita instituere, aut uitijs primum occupati eorum animi, nullius postea uirtutis eßent capaces? aut in quo differimus a gentilibus? aut quid grauius nobis possunt imprecari religionis hostes, quam ut profanis plena libris gymnasia, pietatem omnem, bonosque mores respuant? O Iudaei, caeteris in rebus caeci, hac una in re nobis cordatiores, qui pueros uestros a teneris (ut aiunt) unguiculis in sacris literis instituendos curatis. Quamobrem sic iudico, pueros principio in literis sacris esse instituendos: ab impuris autem et spurcis omnino, tanquam a peste quadam, abstinendos: in quibus qui sunt educati, cum postea ad sacra transferuntur, stupent, attonitique insolentia, & tanquam in alieno coelo versantes, mannam fastidiunt, cepasque & alia desiderat Aegyptia. Quod si quis putat, illa quoque ethnica esse aliquando gustanda, meminerit, ea quae in teneris discuntur, non gustari, sed penitus imbibi. Ad mala nunquam satis sero, ad bona nunquam satis mature uenitur. Hanc ob causam, quo pueri possent graecam linguam, & religionem, eadem opera discere, decerpsi ex Iosepho, autore ualde bono, & in primis eleganti, Mosis institutionem reipublicae, quam ille a Mose sparsim descriptam, in ordinem
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über hinaus könnte aus Josephus’ Werk nicht nur das Griechische, sondern auch die Religion in Moses Unterweisung der öffentlichen Dinge (Mosis institutio reipublicae) gelernt werden. Zum anderen wendet sich Castellio noch im selben Jahr auch der biblischen Überlieferung Moses zu: Mit dem Werk Moses Latinus gab er Annotationen zum Pentateuch heraus, die ausgehend vom hebräischen Text (für Castellio der Urtext) eine Übersetzung des Pentateuchs ins klassische Latein boten.371 In einem Lehrstück zu den mosaischen Gesetzen,372 das im Moses Latinus enthalten ist, werden schließlich einige Gemeinsamkeiten, aber doch auch die Differenzen zu Calvin erkennbar: Beide zeigen eine besondere Wertschätzung dem Dekalog gegenüber, aber Castellio deutet sowohl den Dekalog wie das gesamte mosaische Gesetz anders als Calvin. Für ihn kann mit dem Kommen Christi die lex Mosis gar nicht aufgehoben sein, weil sie vom Schöpfer und Leiter aller Dinge, Gott selbst, stamme und damit göttlich, ewig und der Natur angemessen, vor und nach Mose sei.373 Von Christus selbst konnte und durfte dieses Gesetz nach Castellio nicht abgeschafft werden, sondern es musste bekräftigt, bewahrt und erklärt werden. Darin eingeschlossen sind aber auch noch einmal solche tradierten Gesetze, die von Mose ihren Anfang genommen haben und schließlich in Christus verblassten (desinant), wie die Zeremonien und Sonstiges, was nur dem Volk der Juden überliefert war.374 Castellio argumentiert stark von einem Naturrechtsgedanken und Paulus’ Rede von dem allen Menschen ins Herz geschriebenen Gesetz (in omnium animis inscripta lex) aus.375 Hier liegt der Unterschied zu Calvin auch in einer hierarchischen Form von Ausdeutung des Dekalogs, der das Naturrecht für Castellio damit in der Rangfolge von Geboten
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redegit. eamque latine reddidi, quam fieri potuit familiarißime: sic tamen, ut nusquam graecisarem“ (Castellio/Josephus, Mosis Institutio Reipublicae, Epist. f. a3r–v). Vgl. dazu Guggisberg, Sebastian Castellio, 56–58. Vgl. auch die allgemeinen Bemerkungen bei Augsburger, Castellio and the Mosaic Law, 168– 175. „Nam quod rectum est, in omnibus nationibus rectum est. Atqui hanc esse eam quae a Mose lata est, uel ex eo patet, quod est accepta diuinitus: uel quod est naturae conueniens: uel quod, quanto quaeque gentium lex sapientum iudicio rectior est, tanto magis cum hac Mosis lege congruit. Haec igitur a Mose lata lex, quia recta est, & naturae conueniens, ante Mosem semper fuit, & post Mosem tamdiu futura est, quamdiu coeli terris imminebunt: est enim diuina, & a diuino illo aeternoque rerum conditore & gubernatore Deo profecta. quam quidem perfectam esse ostendit, dum uetat quicquam addi: nihil autem in ea esse superuacaneum, dum uetat quicquam detrahi. Quamobrem haec lex a Christo abrogari neque potuit, neque debuit, estque potius ab eo confirmata, conseruata, atque explicata“ (Castellio, Moses Latinus ex Hebraeo factus, 485). „Sed ne sermonis errore labamur, animaduertendum est, in his [leges] quae sunt a Mose traditae, inesse quaedam, quae ut a Mose principium habeant, sic in Christum desinant, ut sunt ceremoniae, & caetera quae fuerunt soli Iudaeorum tradita nationi, ut eis Christum, qui ex eorum genere, & apud eos futurus erat, adumbrarent“ (ebd.). Vgl. aaO., 486.
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(ordo praeceptorum) abbilde, also das Elterngebot z. B. in seiner Bedeutung über das Diebstahlverbot stellt.376 Für Servet wiederum spielte in der Deutung von Mose und den mosaischen Gesetzen stets seine Orientierung am platonisch-neuplatonischen Denken eine wesentliche Rolle. Diese führt zurück auf die Arbeiten der Florentiner Renaissance-Humanisten Marsilio Ficino und Giovanni Pico, die wahrscheinlich auch über spätere Autoren vermittelt wurden. Nicht nur vertrat Servet die Vorstellung einer prisca theologia und christlichen Kabbala, sondern zog ausgiebig das Corpus Hermeticum, das Ficino am Ende des 15. Jahrhunderts der Gelehrtenwelt durch seine lateinische Übersetzung zugänglich gemacht hatte, in seinem Werk Christianismi restitutio heran.377 Servet und Castellio wichen also in einigen entscheidenden Punkten von Calvins Auffassung von den mosaischen Gesetzen ab, auch weil sie in unterschiedlichem Maße auf außerbiblische Überlieferungen und Vorstellungen über Mose zurückgriffen. Für Calvin war eine Integration von christlich-kabbalistischen und hermetischen Konzeptionen in seiner Gesetzeslehre, die Servet zeigte, keine Möglichkeit. Auch Castellio traf mit seiner Vorstellung, dass das ganze mosaische Gesetz ewig sei, aber gleichwohl auch Teile in sich trug, die auf Christus hin verblassten, nicht Calvins Ansichten. Castellios Differenzierung ermöglichte es ihm, genauer von einem Naturrechtsgedanken und den Lehren im Neuen Testament zu unterscheiden, welche Gesetze denn nun an Geltung verloren hatten und welche nicht. Dies verlangte später von Beza in seiner Entgegnung gegen Castellio eine Weiterentwicklung von Calvins Gesetzeslehre. Calvin selbst kam durch seine späten Zusätze in seiner Institutio (1550–54) zu einer stärkeren Betonung der lex scripta Mosis. Wenn er hier nun die Religionsfürsorge der christlichen Obrigkeit bezogen auf das Vorgehen gegen Häretiker weiter ausformulierte und sich in Inst. I,8,3f auch gegen die ägyptische Theologie (aegyptiaca theologia) griechischer Schriftsteller abgrenzte, womit hermetische Überlieferungen gemeint sein könnten, dann haben die Auseinandersetzungen mit Servet und Castellio wohl ihre Spuren hinterlassen. In seiner letzten Lebensphase nimmt Calvin dann auch noch einmal eine neue Deutung und Behandlung der Gesetze des Mose in Angriff.
376 Vgl. aaO., 486f. 377 Vgl. bereits die Nachweise bei Bainton, Michael Servet, 86 Anm. 9.
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2.5.3 Calvins späte „Harmonie“ der mosaischen Gesetze (1559–62/1563) Die Jahre 1555–1563 im Leben Calvins und Fortgang der Genfer Reformation werden gewöhnlich als eine Phase der Konsolidierung beschrieben: In dieser Phase ist Calvins Position in Genf und seine kirchenpolitische Ordnung nun gefestigt und die Reformation in Lehre und Praxis gewinnt an Ausstrahlungskraft, wie nicht zuletzt die Gründung der Genfer Akademie 1559 zeigt.378 Diese letzten, für Calvin durch Krankheiten erschwerten Lebensjahre stellten zugleich die produktivste Schaffenszeit in seinem Leben dar. Ausdruck davon sind die vielen Bibelkommentare, die nun entstehen. So erscheinen 1563 schließlich in lateinischer Fassung beim Drucker und Humanisten Henri Estienne und dann 1564 in französischer Fassung bei François Estienne auch Kommentare zu den fünf Büchern Mose (Mosis libri quinque cum commentariis/Commentaires sur les cinq libres de Moyse).379 In den letzten Jahren sind diese Kommentare mehrfach untersucht worden, und zwar insbesondere die Auslegungsmethode der letzten vier Bücher Moses (Ex–Dtn), die in Calvins eigenen Worten in eine harmonische Form aufgeteilt (in formam harmoniae digesti) wurden.380 Da die Entstehung und Hintergründe zu Calvins Kommentaren der Mosebücher zuletzt von Erik de Boer noch einmal umfassend untersucht wurden,381 seien die wesentlichen Aspekte zuerst knapp zusammengefasst und der Diskussionsstand der Forschung wiedergegeben. Eigene Beobachtungen im Hinblick auf die Gesetzeslehre schließen dann daran an. Erstens: Der Kommentar zur Genesis und jener zu den letzten vier Büchern Mose sind gesondert entstanden und erst in der lateinischen Fassung von 1563 das erste Mal zusammengebracht worden. Der Genesis-Kommentar wurde bereits 1554 gedruckt, der Kommentar der Bücher Ex–Dtn dagegen entstand im engen Zusammenhang mit den sog. Kongregationen (congrégations) oder auch Bibelkonferenzen, in denen einmal pro Woche im Pfarrkollegium unter Zulassung der Öffentlichkeit Bibeltexte ausgelegt wurden.382 In den Jahren 1559–1563 wurden die vier Bücher Ex–Dtn in den Kongregationen ausgelegt, in deren Kontext Calvins Kommentare über diese Mosebücher gehören. Zweitens gibt ein noch erhaltenes Manuskript mit einer Exposition Calvins zu gerade diesen Kongregationen der Jahre 1559–1563 einen Einblick in das Vor378 Vgl. Spijker, Calvin, J 185–202; Strohm, Johannes Calvin, 89–100, bes. 93f zur Genfer Akademie. 379 Calvin, Commentarii in quinque libros Mosis, CO 23–25. 380 Vgl. Blacketer, Calvin as Commentator, 30–52; Opitz, Exegetical and Hermeneutical Work, 438–451, bes. 444–448; Pitkin, Calvin’s Mosaic Harmony. 381 Vgl. Boer, Genevan School, 163–187 und zuvor Boer, Origin and Originality. 382 Vgl. Boer, Genevan School, 186 zu den Genfer congrégations jetzt ausführlich De Boer selbst aaO., 20–112.
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gehen in der Auslegung der Bücher.383 Allerdings ergeben sich keine konkreten textuellen Übereinstimmungen zwischen diesem noch erhaltenen Manuskript und den späteren lateinischen und französischen Kommentaren, von denen der lateinische zuerst entstand. Wahrscheinlich ist zudem, dass Calvin von Anfang an einen Plan für das Vorgehen bei der Auslegung vorgestellt hat, der allerdings heute nicht mehr überliefert ist.384 Dieser Plan war nötig, weil die Auslegungsmethode gerade nicht einen sukzessiven Durchgang durch die vier letzten Mosebücher Ex–Dtn vorsah. Drittens: Verschiedene Deutungsansätze für Calvins Neuansatz in der Auslegung der Mosebücher sind in der Forschung vorgebracht worden. Zum einen hat Erik de Boer selbst vor allem den Bezug zu Calvins Evangelienharmonie gesucht und auf diese Weise die Auslegung der Mosebücher als „Harmonie der mosaischen Gesetze“ interpretiert.385 Auf der anderen Seite hat Barbara Pitkin vor allem mehr die Verbindungslinien zur Methode der humanistischen Jurisprudenz Frankreichs gezogen, auf die in der vorliegenden Arbeit näher im anschließenden Kapitel eingegangen wird. Sie konnte sich dabei vor allem auf Vorarbeiten von Christoph Strohm stützen.386 Raymond Blacketer hat demgegenüber auch noch die jüdische Auslegungstradition der Thora als Hintergrund von Calvins Vorgehen in seinem Kommentar vorgeschlagen.387 Diese Deutungen erfordern zunächst, noch einmal genauer nachzuhalten, was Calvin selbst über seine Auslegungsmethode der Mosebücher Ex–Dtn angegeben hat. Dazu dient sein kurzes Vorwort zu den Kommentaren: Zugrunde gelegt wird, dass sich die Bücher Ex–Dtn grundsätzlich aus zwei Teilen (partes) zusammensetzen, der 1.) historischen Erzählung (historiae narratio) und der 2.) Lehre (doctrina), die, ganz entsprechend Calvins Lehrbegriff, sich als Unterweisung der Kirche in wahrer Frömmigkeit (vera pietas), Furcht und Verehrung Gottes (timor et cultus Dei) versteht sowie die Regeln zum heiligen und gerechten Leben (sancte iusteque vivendi regula) überliefert und jeden Einzelnen dazu drängt, seine Pflicht (officium) zu erfüllen.388 Schon in dieser 383 Vgl. Boer, Origin and Originality; ders., Genevan School, 170–176. 384 Vgl. aaO., 166–168. 385 Genau genommen spricht Calvin aber, wie Erik de Boer auch selbst erkennt (aaO., 172), an keiner Stelle von einer „harmonia legis“, sondern von einer „harmonischen Form“, in die die letzten vier Bücher Moses in seinem Kommentar gebracht werden, was allerdings wiederum nicht gegen eine Nähe zu Calvins Harmonie der Evangelien sprechen muss. 386 Pitkin, Calvin’s Mosaic Harmony, 452–466, wo Pitkin sich besonders auf das Werk des französischen Humanisten François Baudouin bezieht (zu Baudouin siehe unten, Abschn. 3.1.1). Vgl. außerdem 264 mit Anm. 101. 387 Vgl. Blacketer, Calvin as Commentator, hier: 42f. 388 „Duae sunt horum quatuor librorum partes, historiae narratio, et doctrina qua instituitur ecclesia in vera pietate, (quae fidem et invocationem in se continet) item in timore et cultu Dei: atque ita sancte iusteque vivendi regula traditur, et urgetur unusquisque ad praestandum officium. Hanc distinctionem non tenet Moses in suis libris, quia nec historiam uno
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inhaltlichen Füllung des Lehrbegriffs kann man die bereits in der Institutio festgestellte Perspektive coram Deo und inter homines wiedererkennen, die Calvin bereits dort auf die erste und zweite Tafel des Dekalogs bezogen hatte. Wie aber wird die Unterscheidung zwischen historiae narratio und doctrina gezogen? 1.) Die historiae narratio hat für Calvin einen zweifachen Nutzen (duplex utilitas): Zum einen erzeigt sich in ihr die Größe von Gottes Macht, seine Barmherzigkeit und Gnade im Hinblick auf die Entstehung der Kirche. Dies soll der Nährung des Vertrauens und der Zuversicht (materia fiducia) im Glauben dienen. Dem gegenüber stehen die Berichte über die Strafen Gottes (criminae) des Volkes Israel, die der Kirche zur Gottesfurcht und Demut dienen sollen. 2.) Die doctrina wird von Calvin wiederum in vier Hauptteile (capita) aufgeteilt: a) Vorreden (praefationes), die selbst noch auf die Würde des Gesetzes reflektieren; b) den Dekalog, der entsprechend der auch ansonsten häufig iterierten Definition als Regel für ein heiliges und gerechtes Leben verstanden wird; c) Anhänge zum Dekalog (lat. appendices/franz. dependances): im Fall der ersten Tafel des Dekalogs die Zeremonien und im Fall der zweiten Tafel die politischen Gesetze bzw. Rechtsstatuten; d) Verheißungen, die selbst das Ziel und den Nutzen des Gesetzes anzeigen. Für Barbara Pitkin hängt die damit skizzierte gesonderte Betrachtung Calvins von historischer Erzählung und Gesetz eng mit dem Umfeld und Calvins Schulung in der humanistischen Jurisprudenz zusammen, und zwar vor allem mit deren Methode eines Vergleichs von römischem und biblischem Recht und einer historisch ausgerichteten Erschließung der Rechtstexte. De Boer nimmt diesen Erklärungsansatz Pitkins auf und sieht darin eine Übereinstimmung mit dem systematisch-theologischen Zugang bei Calvins Auslegung der Evangelien auf eine harmonische Form hin. Diesen Erklärungsansätzen ist grundsätzlich zuzustimmen, allerdings können sie meines Erachtens, gerade hinsichtlich von Calvins Gesetzeslehre in mehrfacher Hinsicht präzisiert werden: Zunächst drängt sich die Entscheidung, zwischen der historischen Erzählung und den Gesetzestexten der Bücher Ex–Dtn zu trennen, aus exegetischer Hinsicht auf, zumal es Calvin mit dieser Unterscheidung insbesondere um den Nutzen der doctrina für die Kirche geht, ganz ähnlich der Disposition in seiner Institutio. Vor allem aber sind wesentliche Züge von Calvins Gesetzeslehre, die in den Kommentaren zu den Mosebüchern entfaltet werden, bereits in seinem Hauptwerk angelegt. Schon hier spricht Calvin von Vorreden zu den Gesetzen (2.a.) und unterscheidet zwicontextu refert: doctrinam vero ipsam sparsim tradit prout tulit occasio“ (CO 24, Praef. Sp. 7f). Vgl. zum Folgenden weiter ebd.
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schen den Gesetzen selbst und den Verheißungen (2.d.). Wie zu sehen war, setzt Calvin in der Institutio auch die gängige Dreiteilung der mosaischen Gesetze in Dekalog, Zeremonien und Judizialgesetze (2.b./2.c.) voraus und deutet auf den Zusammenhang der Zeremonien und Judizialgesetze mit der ersten und zweiten Tafel des Dekalogs hin. Allerdings geht Calvin nun in entscheidender Weise über die Institutio hinaus, indem er eine systematische Deutung der Zeremonial- und Judizialgesetze als Anhänge (appendices) des Dekalogs vornimmt. Vor Calvin aber sprach bereits Bullinger im reformierten Bereich ganz in diesem Sinne von hinzugefügten Gesetzen (adiectae leges), die den Dekalog erklären und festigen.389 Calvins spezifischer Beitrag zu der Auslegung der mosaischen Gesetze kann darin gesehen werden, dass er diese Differenzierung zwischen Dekalog und Anhängen des Dekalogs nun systematisch entlang der Zehn Gebote ausführt und mit seiner Strukturierung nach den vier Hauptstücken (2.a.–2.d.) in Einklang bringt. Dieser Neuansatz bot späteren calvinistisch-reformierten Theologen eine Art Schablone oder Strukturvorgabe, an die in der Gesetzeslehre und Exegese der Mosebücher angeknüpft und weitergearbeitet werden konnte.390 Nun ist abschließend aber noch über diese Feststellung zu Calvins Systematik der mosaischen Gesetze hinaus danach zu fragen, ob auch die Auseinandersetzungen über die Geltung der mosaischen Gesetze an irgendwelchen Stellen Spuren in seinem Kommentar über die Mosebücher hinterlassen haben.391 Zunächst ist auffällig, dass Calvin im Vorwort zum Kommentar in Bezug auf die Abschaffung der Zeremonialgesetze sehr deutlich wird, im Bezug auf die Judizialgesetze aber weniger. Hier heißt es ganz ähnlich wie bei Bullinger, dass beide, die Zeremonial- wie die Judizialgesetze als Hilfen verstanden werden können für den rechten Gottesdienst (Zeremonien) und die Durchsetzung von Gerechtigkeit (Judizialgesetze). Sie fügen der Richtschnur des Dekalogs weder etwas hinzu noch nehmen sie ihr etwas. Dann folgt aber die Ablehnung einer Notwendigkeit oder gar Nützlichkeit der Zeremonialgesetze für die Gesetzgebung, während dies von den Judizialgesetzen nicht ausgesagt wird. Für sie wird lediglich der Gedanke wiederholt, dass sie der Vollendung der zweiten Tafel des Dekalogs nichts hinzufügten und dass insgesamt nichts über die Zehn Gebote hinaus gefragt sei, was zu einem guten und gerechten Leben nötig sei. Das Thema der Gesetzgebung aber wird hier ausgeblendet. Calvin fordert an keiner Stelle eine Form von politischer Geltung der mosaischen Judizialgesetze in der Gesetzgebung, lehnt diese aber auch nicht explizit ab.
389 Dazu bereits oben, Abschn. 2.3.2.2. 390 So z. B. zu erkennen bei dem im 4. Kapitel behandelten schottischen Theologen und Hebraisten John Weemes (siehe Abschn. 4.5.1). 391 Vgl. zum Folgenden Calvin, Commentarii in quinque libros Mosis, CO 24, Sp. 7f.
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2.5.4 Theodor Bezas Anknüpfung und Neuausrichtung gegenüber Calvins Verständnis und Auslegung der mosaischen Gesetze Calvins Nachfolger als Moderator der Vénérable Compagnie des Pasteurs in Genf, Theodor Beza (Théodore de Bèze, 1519–1605),392 führte einerseits die theologischen Lehren seines Vorgängers konsequent weiter, setzte dabei aber zugleich eigene Akzente. Wie Calvin erfuhr der aus einer Adelsfamilie in Vézelay (Burgund) stammende Beza in seinen frühen Jahren eine Ausbildung bei dem deutsch-protestantischen Humanisten Melchior Volmar und studierte später, ebenfalls wie Calvin, die Rechte in Orléans und Bourges, einer Hochburg der damaligen humanistischen Jurisprudenz. Anders als Calvin aber arbeitete Beza zunächst für längere Zeit (1539–1548) im juristischen Bereich in Paris und ging währenddessen seiner Vorliebe für lateinische Dichtung nach. Damit demonstrierte Beza jene philologischen Fähigkeiten in den alten Sprachen, die später in seine wichtigen textkritischen Arbeiten am Neuen Testament und Übersetzungen der Bibel (Genfer Bibel, 1588) einflossen. 1548 folgte Beza Calvin nach Genf und arbeitete 1549–1557 an der Akademie von Lausanne als Professor für griechische Sprache. Die längste Zeit (1557–1599) aber wirkte Beza als Theologieprofessor und Rektor an der neu eingerichteten Genfer Akademie und blieb darüber hinaus noch bis zu seinem Tod im Jahr 1605 führender Pastor in Genf. Wie bei Calvin werden in Bezas Werken juristische Schulung und Theologie zusammengeführt: Wirkungsreich geworden ist seine Begründung des Widerstandsrechts unterer politischer Autoritäten und religiöser Freiheiten (Du droit des Magistrats sur leurs subiets, 1574), die in einen Zusammenhang mit den Hugenottenverfolgungen und ihrem gewaltvollen Höhepunkt der blutigen Bartholomäusnacht am 24. August 1572 gehören.393 Ebenso gewichtig ist Bezas Einfluss bei der Konsolidierung des reformierten Protestantismus im Übergang zur theologischen Orthodoxie gewesen.394 Bei der theologischen Konzeptualisierung der mosaischen Gesetze wird Bezas juristische Schulung noch einmal besonders eindrücklich. Hier ging Beza auch wiederum deutlich über Calvin hinaus. In mancher Hinsicht kam es durch Beza zu einer Annäherung gegenüber der Züricher reformatorischen Theologie. Die Beziehungen zwischen Bullinger und Beza waren in den Jahren kurz vor Bullingers Tod im Jahr 1575 besonders durch Meinungsverschiedenheiten über die Kompetenz weltlicher Obrigkeit in Kirchenfragen – und hier spezifisch in der
392 Vgl. zu den folgenden knappen biographischen Hinweisen Heppe, Theodor Beza; Farthing, Beza, 153f. 393 Vgl. ausführlich Witte, Jr., Reformation of Rights, 81–141. 394 Vgl. die zusammenfassenden Aspekte bei Farthing, Beza.
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Frage nach der Exkommunikation – belastet worden.395 Als Beza allerdings im Februar 1577 sein neues Werk über die mosaischen Gesetze mit dem Titel Lex Dei, moralis, ceremonialis, et politica in Druck brachte,396 muss er es sogleich auch nach Zürich geschickt haben und erfuhr dort positive Resonanz. Schon im März nämlich schreibt Bullingers Nachfolger als Antistes der Zürcher Kirche, Rudolf Gwalther (1519–1586), in einem Brief an Beza über den äußerst positiven Eindruck, den sein Kollationswerk der mosaischen Gesetze hinterließ, und sprach ihm im Namen aller Theologiestudenten und der ganzen Kirche Dank aus.397 2.5.4.1 Bezas Bezüge zur juristischen Methodik und zu Calvin im Werk Lex Dei, moralis, ceremonialis, et politica (1577) Gleich zu Beginn in der Vorrede zu seinem Werk Lex Dei, moralis, ceremonialis, et politica stellt Beza einen Bezug zur Jurisprudenz her, der für seine theologische Konzeptualisierung der mosaischen Gesetze ausschlaggebend war. Allerdings kann hier genau genommen nur eine konkrete Stelle angeführt werden. In den ersten Sätzen der Vorrede heißt es: Es war mir durchaus nicht eine Absicht, dass ich die Reihenfolge der heiligen Geschichte [in der Bibel], in der der Herr nicht einfach so ohne weiteres seine Gesetze einfügen wollte, auseinandergerissen hätte oder das, was mehrmals und noch so sehr wiederholt wird, herausgeschnitten hätte, weil ich bekenne, so etwas könnte nicht ohne großen Frevel geschehen: Aber um dieses eine war ich bemüht gewesen, dass ich nach der Einteilung des Gesetzes des Herrn in jene seine drei Hauptpunkte es danach in seine nachfolgenden Klassen und (wie die Juristen sagen) in seine Rubriken zusammentrage, überall wo sie sich auf irgendeinen einzigen Inhalt beziehen.398 395 Vgl. Rudolf, Heidelberg nach den letzten Briefen Bullinger-Beza, 98–107. Zu der in diesen Fragen wichtigen Schrift Corneille Bertrams siehe Abschn. 3.3.1. Dort ist auch der Zusammenhang mit den divergierenden Ansichten über die Kirchenzucht und Exkommunikation zwischen Genf, Zürich und Heidelberg angesprochen. 396 Eine an den christlichen Leser gerichtete Vorrede der Schrift datiert auf Genf, den 24. Februar 1577 (vgl. Beza, Lex Dei, f. ¶ijr). 397 Rudolf Gwalther schreibt bereits am 26. März 1577 aus Zürich an Beza: „Tibi vero, mi dilecte et observande frater, gratias ago pro tuis lucubrationibus, quas ad me per D. Lochmannum misisti. Legis Mosaicae distributionem in certas classes, statim ut accepi, inspexi avide, quia jampridem optavi aliquem prodire qui hoc faceret, quod te felicissime praestitisse video. Debent ergo tibi multam gratiam omnes sacrarum literarum studiosi, et cum his tota Ecclesia“ (Beza, Corresp. Bd. 18, Nr. 1248, S. 67). 398 „[…] Nihil minus mihi propositum fuisse quam ut seriem historiae Sacrae, cui Dominus leges suas inseri non temere voluit, ullo modo abrumperem: aut quae aliquoties sunt repetita tanquam redundantia resecarem, quod sine magno scelere fieri non posse fateor: sed hoc unum studuisse me, ut lege Domini in tria illa sua capita distributa, in suas postea classes, & (sicut Iurisconsulti loquitur) in suas rubricas congererem, quaecunque ad unum aliquod argumentum referuntur“ (Beza, Lex Dei, f. ¶ijr).
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Beza geht es also zunächst um eine Rechtfertigung seiner systematischen Darstellung der mosaischen Gesetze, die auf eine Einbettung in die sacra historia einschließlich vorhandener Wiederholungen verzichtet. Er beschreibt, wie er ausgehend von der gängigen Dreiteilung der mosaischen Gesetze – er spricht hier von Hauptpunkten (capita) – zu weiteren feineren Einteilungen in Klassen (classes) und Rubriken (rubricae) gelangen wollte,399 und bezieht sich dabei gerade für diese Feingliederung auf die Juristen. Es liegt deswegen nahe, Bezas methodischen Ansatz auch in einem Zusammenhang mit der humanistischen Jurisprudenz Frankreichs zu sehen, durch die Beza in seinem Studium geprägt wurde. Bezas Werk selbst allerdings bietet neben diesem einen Verweis auf die Juristen keine konkreten Hinweise mehr, die für eine genauere Einordnung hilfreich wären. Eher wird dagegen der Bezug zur Theologie thematisiert. Rückschlüsse ergeben sich aber trotzdem, wenn man genauer betrachtet, auf welche Weise Beza das von ihm selbst vorgegebene Einteilungsverfahren mosaischen Rechts zur Anwendung bringt. Bis auf eine Ausnahme, einen Verweis auf das Buch Josua, bietet Bezas Schrift Lex Dei zunächst nur Rechtstexte aus dem Pentateuch und keine weiteren außerbiblischen Quellen. Auch die eigenen Erklärungen zur Kollation des biblischen Rechts abgesehen von der Vorrede haben nur einen sehr beschränkten Umfang von etwas mehr als einer Seite.400 Dies führt im ersten Teil des Buches zu einer Synopse des Moralgesetzes, die zum Großteil auf eine Synopse der zwei voneinander abweichenden Dekalogfassungen in Ex 20,1–17 und Dtn 5,1–21 unter Hinzuziehungen von Rechtsvorschriften aus dem Buch Leviticus hinausläuft.401 Viel ausführlicher fallen die zwei weiteren Teile des Werkes über die zeremonialen und politischen Gesetze Moses aus. Erst hier bringt Beza den von ihm in der Vorrede beschriebenen methodischen Ansatz der Einteilung des mosaischen Rechts nach Klassen und Rubriken zur Geltung, der von ihm mit juristischen Verfahrensweisen verglichen wird, nun aber in der Theologie Anwendung finden soll. Der Sinn und Zweck dieses Einteilungsverfahrens wird in drei Punkten gesehen: Zum einen soll die Zusammenstellung nicht nur schlicht den praktischen Zweck haben, auf einen Blick die betreffenden Stellen zu einem Bereich mosaischen Rechts wie z. B. heilige Orte (de loco sancto) oder das Kriegsrecht (de iure belli) parat zu haben. Vielmehr soll das Ganze auch als Gedächtnisstütze (ad memoriam adiuvandam) nützlich sein und die Möglichkeit schaffen, durch einen wechselseitigen Vergleich die wahre Interpretation der Bibelstellen zu erschließen. Als sinnvoll erscheint dies für Beza, weil Gott sich 399 Auch Calvin hatte in seinem Vorwort zu den Mosis libri quinque cum commentariis die Terminologie von caput und classes gewählt (vgl. Calvin, Mosis libri quinque cum commentariis, CO 24f). 400 Vgl. Beza, Lex Dei, 1. 61 (mit einer Überleitung zur lex politica). 401 Vgl. aaO., 2–6.
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selbst in seinen Gesetzestexten dem Fassungsvermögen seines Volkes angepasst habe und so das Gesetz an einer Stelle mal kürzer und dunkler (brevius et obscurius), an einer anderen Stelle mal vollständiger und heller (plenius et dilucidius) in der Bibel dargelegt sei. Damit wird also eine wechselseitige textimmanente Interpretation der Rechtstexte des Pentateuchs anvisiert. Diesem Einteilungs- und Zuordnungsverfahren liegt aber auch noch einmal ein höheres Strukturprinzip zugrunde, denn letztlich werden sowohl die zeremonialen als auch die politischen Gesetze Moses auf den Dekalog hin zugeordnet, weil dieser als Zusammenfassung des gesamten ethischen Gesetzes (lex omnis ἠθικὴ) verstanden wird.402 Die Dreiteilung des Gesetzes, das Gott durch Mose seinem Volk vermittelte, entspricht somit der Aufteilung zwischen einem ethischen (lex ἠθικὴ), einem priesterlichen (lex ἱερατικὴ) und einem politischen Gesetz (lex πολιτικὴ). Auffällig ist aber, dass Beza die Rückführung auf den Dekalog lediglich im Teil über die politischen Gesetze Moses auch konkretisiert, denn hier erfolgt die Einteilung in Klassen und Rubriken zusammen mit einer Zuordnung zu den Zehn Geboten in der Aufteilung der beiden Dekalogtafeln. So beginnt der Teil zur lex politica mit den Rechtstexten zur Idolatrie, zu Wahrsagern und Pseudopropheten sowie Bündnissen, die den ersten beiden Geboten zugeordnet werden.403 Es folgen dann die politischen Gesetze zur Blasphemie und Verletzung des Sabbatgebotes, die auf die Gebote drei und vier der ersten Dekalogtafel rückbezogen werden, bevor dann die Zuordnung zu den Geboten der zweiten Tafel mit dem Magistratsrecht aufgenommen wird. Gerade hier aber werden dann doch noch einmal die Bezüge zur Jurisprudenz erkennbar, denn die Titel der classes und rubricae sind mit Rechtstiteln vergleichbar, die Beza insbesondere aus dem römischen Recht bekannt waren. Konsequenter als zuvor wird das lateinische „de“ für die Titelangabe gewählt. Bei genauerer Betrachtung ergeben sich im dritten Teil der Schrift über die mosaischen Zivilgesetze für den politischen Bereich auch exakte Übereinstimmungen mit vier Titeln des Corpus Iuris Civilis (De patria potestate = I. 1,9; De termino moto = D. 47,21; De commodato = C. 4,23; De testibus = D. 22,5404). Weitere, zumindest indirekt anklingende Titel des Corpus Iuris Civilis könnten angeführt werden. Allerdings sind die damit insgesamt erkennbaren Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten natürlich dahingehend zu relativieren, dass diese sich als Namen für die classes und rubricae schlichtweg durch die Bibeltexte thematisch aufdrängten und darüber hinaus an keiner Stelle von Beza auf einen 402 Vgl. aaO., 1. 403 Vgl. aaO., 61f (De idololatris apostatis). 62f (De abolenda idololatria). 63 (De divinis et pseudoprophetis). 64 (De foederibus). 404 Vgl. aaO., 67. 78. 82. 84.
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Zusammenhang mit dem römischen Recht hingewiesen wird. Abgesehen von dem Bezug zur Jurisprudenz findet sich in Bezas Werk Lex Dei dann noch eine weitere Besonderheit. Namentlich führt Beza nämlich in diesem Werk nur Calvin als seinen Lehrer und sein Vorbild bei der Gesetzeslehre an. Worin aber sieht Beza hierbei die konkreten Übereinstimmungen mit seinem einstigen Lehrer Johannes Calvin? Genannt wird insbesondere ein programmatischer Punkt: die Vorstellung, dass der Dekalog als Summe des ethischen Gesetzes wahrzunehmen sei und sowohl die Zeremonial- wie die Zivilgesetze darauf zurückgeführt werden könnten.405 Doch so sehr Beza auch Calvin als Lehrer würdigt und seine eigene Lehre auf ihn zurückführt, so bleiben doch letztlich Unterschiede zwischen Calvin und ihm bestehen. Erstens führt Beza in der Schrift Lex Dei konsequenter als Calvin ein Zuordnungsverfahren der im Pentateuch verstreuten mosaischen Gesetze auf den Dekalog hin aus und kommt so selbst zu einer eigenständigen Zusammenstellung biblisch-mosaischen Rechts. Calvin war ja demgegenüber daran gelegen, in seiner Harmonie der mosaischen Gesetze den Fortgang der biblischen Geschichte noch mit einzubeziehen.406 Vielleicht muss auch die eingangs dieses Abschnitts zitierte Passage aus Bezas Vorrede, in der er ein solches Vorgehen als sein eigenes rechtfertigt, so verstanden werden, dass er seine Abweichung gegenüber seinem Lehrer sogleich gegenüber potentiellen Vorwürfen verteidigen wollte. Schwerer aber wiegt dabei zweitens, dass die bei Beza ganz im Vordergrund stehende ethische Ausrichtung letztlich auch zu anderen Konsequenzen in der Gesetzeslehre führt als bei Calvin. Calvin hatte ja nicht nur in seinem Hauptwerk, der Institutio Christianae religionis noch hervorgehoben, dass die Zeremonien- und Judizialgesetze Moses abgeschafft seien, sondern auch gleich in seinem Vorwort zu seinem späten Kommentar zu den letzten vier Büchern Moses noch betont, dass die Judizialund Zermonialgesetze dem Dekalog nichts hinzufügten, sondern Verständnishilfen für das Moralgesetz darstellten. Für die Zeremonialgesetze stellt Beza nun eine doppelte Bedeutung als Abbild sowohl der Verdammung aller Menschen durch ihre Übertretung des ethischen Gesetzes als auch der Befreiung auf den
405 „Sum autem hoc quicquid est operae, eo maiore fiducia aggressus, quod praeeuntem mihi summum illum & omni laude maiorem hominem D. Johannem Calvinum habeam, praeceptorem olim meum, cuius tanti semper iudicium feci, ac merita quidem, ut quod ipso auctore facerem, bonis & doctis hominibus vix posse displicere, mihi persuaserim. Neque tamen ordinem ab eo institutum, per omnia sum sequutus, quoniam aliquantulum fuit ipsius consilium ab hoc meo instituto diversum. Neque enim illi fuit aliud propositum quàm ut ad decem illa praecepta, quibus Lex omnis ἠθική continetur, caeteras leges tum ceremoniales tum civiles sine discrimine revocaret: mihi vero praeterea consilium fuit leges ipsas in sua capita, suasque classes sigillatim distribuere, ut & ad quod praeceptum ἠθικὸν singulae sint referendae, & qua de re perscriptae sint, omnes statim intelligant“ (aaO., f. ¶ijr). 406 Siehe Abschn. 2.5.3.
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zukünftigen Messias hin fest.407 Vorausgesetzt wird eine Unterscheidung zwischen einem inneren Kult, der Gott geschuldet wird, und einem äußeren, dem die Israeliten unter der Erziehung (paedagogia) Gottes einst folgten. Auch wenn man damit auf eine Abrogation der Zeremonialgesetze durch die christologische Zuspitzung schließen kann, die sich wenig von Calvin und andere Reformatoren unterschied, wird diese doch nicht weiter in extenso erläutert. Größere Abweichungen im Vergleich zu Calvin aber ergeben sich demgegenüber noch einmal in der Behandlung der mosaischen Judizialgesetze bzw. politischen Gesetze in der Schrift Lex Dei: Gerade bei diesen geht es Beza anders als Calvin darum, ihre positive ethische Bedeutung für das Gemeinwesen noch hervorzuheben. Sie zeigten dem Verständnis nach nicht nur den ethischen Gebrauch im Zusammenleben der Menschen in einer Gesellschaft an, sondern bewaffneten auch den Magistrat im Kampf gegen Gesetzesübertreter.408 Dass die zerstreuten Gesetze des Pentateuchs von Gott in verschiedenen Zeiten und Orten übergeben und von Mose nicht in einem Zug beschrieben wurden, führt gerade nicht zu einer Relativierung durch ihre Zeitgebundenheit, sondern befördert Bezas Motivation einer Darstellung in einem eigenständigen Rechtskorpus.409
2.5.4.2 Bezas Aufwertung der mosaischen Judizialgesetze im Streit mit Sebastian Castellio als Hintergrund der Schrift Lex Dei Nicht weniger als 23 Jahre vor der Drucklegung des Buches Lex Dei, moralis, ceremonialis, et politica veröffentlichte Beza ein Libell, das in die Auseinandersetzung Calvins mit Sebastian Castellio gehörte, aber bereits wichtige Weichenstellungen für seine spätere Gesetzeskollation enthielt. Genau genommen legte Beza mit dem Werk De haereticis a civili magistratu puniendis libellus, adversus Martini Bellii farraginem, et novorum Academicorum sectam (1554), das sechs Jahre später durch den Genfer Pastor und Mitarbeiter Nicolas Colladon auch ins Französische übersetzt wurde, sogar eine ausführlichere Antwort an Castellio als Calvins Defensio vor. Bezas Libell war, wie der Titel verrät, explizit gegen den 407 „Ἱερατικὴ cultus interioris quem DEO debemus, veluti pictura quaedam externis sensibus obiecta, praeterquam quod exercuit Israelitas in externa verae religionis professione, exhibuit populo DEI, sub ipsius paedagogia constituto, veram imaginem tum damnationis, quam omnes homines propter ἠθικῆς legis trangressionem merentur, tum eius liberationis, quae a venturo Messia expectabatur“ (Beza, Lex Dei, 1). 408 Im Bezug auf die politischen Gesetze heißt es lediglich knapp: „Πολιτικὴ ostendit quis sit τῆς ἠθικῆς usus in communi hominum societate, & adversus transgressores eius magistratum armat“ (ebd.). 409 „Istae vero leges sparsim, ut sunt variis temporibus & locis a DEO traditae: sic etiam a Mose non eodem tenore descriptae, mihi videntur non incommodè in haec capite distribui, & quasi in unum corpus componi posse“ (ebd.).
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unter dem Pseudonym schreibenden Castellio gerichtet410 und erörterte in aller Breite das Strafrecht der Obrigkeit gegen Häretiker und Sanktionierung von Sekten, ohne dabei auf ausführliche Widerlegungen von Castellios einzelnen theologischen Thesen zu verzichten. Schon die melanchthonianische Lehre von der custodia utriusque tabulae des Dekalogs, die Beza später in seinem Werk Lex Dei im Teil über die politischen Gesetze Moses aufnimmt, taucht hier bereits auf. Von Interesse ist aber vor allem ein ausführlicher Abschnitt,411 der in nuce Bezas Lehre von den mosaischen Gesetzen enthält und diese auf die Frage ihrer weiteren Geltung zuspitzt. Diese Frage wurde von Beza nicht nur deswegen ausführlich behandelt, weil Castellios eigene Auffassung von den mosaischen Gesetzen erheblich von der Calvins und Bezas abwich, sondern weil es dabei ja zugleich auch um die rechtliche Begründung eines Vorgehens gegen Häretiker (als der Castellio von Calvin und Beza angesehen wurde) ging. Beza geht wie in seinem späteren Werk Lex Dei von der gängigen Dreiteilung des göttlichen bzw. mosaischen Gesetzes aus, wählt aber nun noch nicht eine völlig deckungsgleiche Terminologie.412 Dies hängt zunächst damit zusammen, dass für die drei Gesetzesteile die griechischen Begriffe noch fehlen. Doch dies führt dann doch noch einmal zu anderen Nuancen bei der näheren Beschreibung: In dem Libell von 1554 fehlt noch der umfassende Ethik-Begriff, der später im Werk Lex Dei mit der Gesetzesterminologie verbunden wird. Aber bei näherer Betrachtung ergeben sich gleichwohl Übereinstimmungen mit dem, was dann 23 Jahre später in der Schrift Lex Dei formuliert wird. Dies gilt zunächst für die besondere Wertschätzung des Dekalogs, die in De haereticis noch ausführlicher ausfällt. Wie bei Calvin wird die lex moralis mit dem Dekalog identifiziert und erfährt eine besondere Aufwertung als akkurate Beschreibung des Naturgesetzes und Gewissenszeugnis, das mit dem ewigen Willen Gottes übereinstimme.413 Auf diese Weise kann auch von einer „Richtschnur der Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit“ (iustitiae et iniustitiae regula) unter allen Völkern und für alle Zeiten gesprochen werden. Auch bei den Zeremonialgesetzen zeigen sich Nähen zu den 410 Bruno Becker hat nachgewiesen, dass Sebastian Castellio in seinen Schriften nicht nur das Pseudonym Martin Bellius nutzte, sondern auch die Namensvarianten Basil Monfort und Georg Kleinberg (Becker/Valkhoff, Comm. zu [Castellio], De haereticis, 205). Beza richtet sich gegen diese. 411 Der Abschnitt beginnt mit der Glosse „De Legis abrogatione“ ab Beza, De haereticis, 219ff. 412 „Sed quum Legis per Mosen datae tres sint partes, una scilicet quam Moralem sive Decalogum: altera quam Ceremonialem: tertia quam Iudicialem vocant, singulae istae partes peculiari consideratione indigent“ (aaO., 219f). 413 „Decalogus enim sive lex Moralis, quia est Naturalis legis accurata descriptio, & conscientiae testimonium cum perpetua illa Dei voluntate consentiens, agnoscere nos oportet tantam esse huius Legis auctoritatem, ut certa esse debeat omnibus gentibus & cunctis aetatibus iustitiae & iniustitiae regula, neque prius interire possit quam natura ipsa extinguatur“ (aaO., 220).
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späteren Formulierungen in dem Werk Lex Dei. Der Unterscheidung zwischen einem äußeren und inneren Gotteskult entspricht in De haereticis diejenige zwischen einem vom Dekalog vorgeschriebenen wahren geistlichen Kult (ein demütiges Herz, Glaube, Hoffnung, Liebe) und jenem äußeren Kult, der dem israelitischen Volk gegeben war.414 Die Zeremonialgesetze waren damit auf bestimmte Anwendungen eines einzigen Volkes und einer bestimmten Zeit angepasst gewesen und hatten so einen pädagogischen Zweck415 (sub legis paedagogia) wie auch einen Abbildcharakter auf die Erfüllung und Abschaffung in Christus hin. Auch dieser Erziehungs- und Abbildcharakter der Zeremonialgesetze in De haereticis trifft sich so mit der späteren Darstellung. Schließlich ist im Fall der Behandlung der Judizialgesetze in De haereticis nicht nur von einzelnen vorausdeutenden Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen mit Bezas späterem Werk Lex Dei auszugehen, sondern es bietet sich hier ein wichtiger Verstehenshorizont für seine später konsequent weiterverfolgte Aufwertung der mosaischen Judizialgesetz für das politische Gemeinwesen. 1554 sieht Beza gerade in diesem Punkt der Behandlung der mosaischen Gesetze die größten Differenzen zu seinem unter Pseudonym schreibenden Gegner Castellio416 und gibt den Erklärungen dazu den größten Raum. Zunächst werden einzeln Unterscheidungslehren zwischen dem Dekalog bzw. Moralgesetz und dem Judizialgesetz und dann zwischen dem Zeremonialgesetz und dem Judizialgesetz eingeführt, die letztlich auf die Geltungsfrage zielen. Demnach unterscheidet sich zunächst der Dekalog von dem Judizialgesetz dadurch, dass jener alle Gerechtigkeit (iustitia) und Billigkeit (aequitas) zu jeder Art von Pflichten (officium) in Kürze umfasse.417 Das Judizialgesetz aber versteht Beza nun als einzelne Explikationen dieses Teils der Gerechtigkeit und Billigkeit, der in dem, was die Rechtsvorschriften festlegen, enthalten ist. Der nächste Punkt ist 414 „Fuerunt [Ceremoniae] enim illae uni tantum genti ad certos usus & certum tempus accommodatae. Suo igitur tempore Ceremoniarum umbrae, Christi tanquam Solis exortu depulsae sunt: mansit tamen Dei cultus a Decalogo perscriptus, spiritualis nimirum, qualem semper Deus requisivit: adeo ut quo etiam tempore Ceremoniae vigebant, saepe sit testatus per Prophetas sese illas abominari, propterea quod ad externum illum cultum populus ea non afferebat quae praecipue Deus requirebat, & quae per Ceremonias ipsas adumbrabantur: cor scilicet contritum, fidem, spem, charitatem, in quibus verus Dei cultus consistit“ (ebd.). 415 Vgl. zu dieser Formulierung aaO., 221 mit Beza, Lex Dei, 1. 416 „Sed rursus de Iudiciali, de qua nunc quaeritur a nobis, aliter quam de Decalogo aut Ceremoniis constituendum est. Eius enim discriminis ignoratio vel dissimulatio tibi, Monforti, occasionem praebuit Iudicialem legem non aliter quam Ceremonialem repudiandi: in quo gravissime a te peccari nos, ut spero, ostendemus“ (Beza, De haereticis, 220). 417 „Hoc igitur dico, Iudicialem legem a Decalogo differre, quod Decalogus omnem iustitiam & aequitatem in omni officiorum genere paucis comprehendit: Iudicialis autem lex eam dumtaxat iustitiae & aequitatis partem sigillatim explicat, quae in iis rebus versatur de quibus iudicia constituta sunt“ (aaO., 220f).
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etwas schwierig zu fassen und lässt sich nur unter Hinzuziehung der jeweils neutestamentlichen Aussagen verstehen. So geht Beza davon aus, dass der Dekalog als vollkommenste Beschreibung des Naturrechts klar (diserte) im Evangelium allen Menschen auf ewig bekräftigt und niedergeschrieben wurde, die Judizialgesetze aber im Hinblick auf ein einziges Gemeinwesen (ad unius Reipublicae rationem) angepasst waren.418 Daraus folgert Beza aber: „Deswegen, weil sie für uns niemals geschrieben worden waren, können sie doch aber nicht für abgeschafft erklärt werden.“ Dieser Schluss wird aus einem exegetischen Zwischenschritt gezogen, bei dem sich Beza auf die einschlägige paulinische Begründung für den Gehorsam und eine Unterordnung gegenüber der weltlichen Obrigkeit aus dem Römerbrief (Röm 13,2.5) bezieht. Dort heißt es, dass eine solche Unterordnung nicht allein um des Zornes (propter iram – Luther übersetzte hier „Strafe“), sondern auch um des Gewissens willen (propter conscientiam) geschehen solle (Röm 13,5). Wenn man aber nun wie Beza den Dekalog als Gewissenszeugnis versteht, durch das, wie nun hier formuliert wird, die Gesetze des Gewissens eingesetzt werden, dann kann auch hier ein indirekter Zusammenhang mit den Judizialgesetzen, die für Beza als Gesetze der weltlichen Obrigkeit zu verstehen sind, postuliert werden. Bezogen auf Röm 13,5 folgt dann, dass die Judizialgesetze das Gewissen nicht einfach, aber demgemäß (non simpliciter sed κατα) betreffen. Die Unterscheidung zwischen Judizial- und Zeremonialgesetz erfolgt ebenfalls in zweifacher Hinsicht: Erstens überlieferten die Zeremonialgesetze das, was dem äußeren Religionskult zugehört, die Judizialgesetze enthielten demgegenüber aber zum einen Gesetze zur Bewahrung (conservatio) dieses äußeren Religionskultes und zum anderen zu den zivilen Tätigkeitsfeldern in diesem Leben. Zweitens galten die Zeremonialgesetze nicht im eigentlichen Sinne (non proprie) einem einzigen Volk, sondern für einen bestimmten Zeitraum, die Judizialgesetze dagegen – zumindest zum allergrößten Teil (maxima quidem ex parte) – aber galten zwar einem einzigen Volk, aber nicht nur für eine bestimmte Zeit.419 Zur Verdeutlichung führt Beza aus, dass die Zeremonialgesetze während der Zeit, in der die aus Juden und einzelnen Völkern zusammengesetzte Kirche noch unter dem Gesetz erzogen wurde, die mosaischen Zeremonien wie die Beschneidung, Beobachtung des Sabbatgebots und der Speisegebote auch für die418 „Praeterea Decalogus quum sit legis Naturalis absolutissima descriptio, & diserte in Evangelio confirmetur, omnibus in perpetuum est conscriptus: Leges autem iudiciales ad unius Reipublicae rationem fuerunt accommodatae. Itaque quum nobis nunquam scriptae fuerint, ne abrogatae quidem dici possunt. Decalogus denique conscientiae leges imponit: Iudiciales autem, quanvis Magistratui non modo propter iram, sed etiam propter conscientiam parendum sit, tamen conscientiam non simpliciter sed κατα respiciunt“ (aaO., 221). 419 Vgl. ebd.
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jenigen verpflichtend waren, die keine Juden waren und nicht in Judäa lebten.420 Dieses Joch der Zeremonien sei aber durch Christus aufgehoben worden. In die Judizialgesetze hingegen waren nur die Israeliten einbezogen und auch nur diejenigen, die in Judäa niedergelassen waren, eben weil diese Gesetze nur einem Gemeinwesen (respublica) angepasst waren.421 Wenn aber diese jüdische respublica auch noch heute in der Weise existierte, wären auch diese Judizialgesetze als spezifische politische Gesetze Moses (politicae leges Mosis) dieses Gemeinwesens in Gebrauch, da sie im Evangelium, abgesehen von den Judizialgesetzen, die mit der Sanktion der Zeremonialgesetze zusammenhängen, an keiner Stelle verändert oder abgeschafft worden seien. Für Beza eröffnet sich aber damit einmal mehr die Möglichkeit für christliche Fürsten, die mosaischen Judizialgesetze als Rechtsquelle zu nutzen, eben weil – trotz aller Gebundenheit an die respublica judaica – im Neuen Testament ihre Abschaffung nicht vorgesehen ist und sie deswegen doch auch mit anderen alten Rechtsquellen wie denen der Griechen und Römer vergleichbar werden.422 Was die (politischen) Gesetze Moses aber für Beza so besonders macht ist, dass Gott selbst als gerechtester und billigster Gesetzgeber (iustissimus & aequissimus Legislator) ihr Autor ist und es dadurch möglich und nötig ist, an dem Vorbild des mosaischen Gemeinwesens (politia Mosis) festzuhalten.423 Bezas Unterscheidungslehren der drei mosaischen Gesetzesteile haben damit mehrere weiterreichende Konsequenzen, die auch als Hintergrund seines späteren Werkes Lex Dei aus dem Jahr 1577 verstanden werden können: Zunächst 420 Vgl. aaO., 221f. 421 „[…] Iudicialibus legibus soli Israelitae tenebantur, id est qui in Iudaea habitabant: quia scilicet huic uni Reipublicae erant accommodatae. Quod si adhuc hodie consisteret illa Respublica (exceptis quibusdam quae ad Ceremoniarum violatarum vindicationem pertinebant, quas nunc abolitas esse diximus) iisdem adhuc legibus uteretur, quum alioquin Evangelium nihil in ipsis immutarit, aut de ipsis detraxerit. Quid igitur? dicet aliquis, quum hic agamus de poenae modo quo sunt haeretici a civili Magistratu puniendi, quorsum nobis Politicas leges Mosis proponis? Ego vero respondeo, quanvis politiae Mosaicae formulis non teneamur, tamen quum Iudiciales istae leges iudiciorum aequitatem praescribant, quae pars est Decalogi, nos, ut illis non obligemur quatenus a Mose uni populo perscriptae sunt, eatenus tamen ad eas observandas teneri, quatenus generalem illam aequitatem complectuntur, quae ubique valere debet. Videntur enim hac ratione non a Mose uni Israelitarum populo, sed a Natura universae hominum nationi positae“ (aaO., 222). 422 Vgl. aaO., 223. 423 In einer exemplarischen Erörterung, inwieweit die Erstattung anvertrauten Gutes und Bestrafung von Diebstahl, die das mosaische Judizialgesetz vorsieht, noch Geltung habe, kommt Beza zu folgenden Aussagen: „Sciendum est vero quamuis istae Legum particulares formulae nunquam ad nos pertinuerint, tamen quum earum author sit Deus ipse iustissimus & aequissimus Legislator, rectissime facere Magistratus, qui, quoties peculiaris aliqua circunstantia vel temporis, vel loci, vel personarum non impedierit, ad Mosaicarum legum perfectissimum exemplar in condendis suis legibus respiciunt. Ita enim fit ut Mosis iugum nobis non imponatur, & tamen iudicia summa cum moderatione exerceantur“ (ebd.).
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war es für Beza im Jahr 1554 ein primäres Ziel gewesen, im Zuge der Hinrichtung Servets ein Vorgehen der weltlichen Obrigkeit gegen Häretiker und damit zugleich Calvins Rechtfertigung der Todesstrafe für Servet gegen publizistische Angriffe eines Sebastian Castellio zu verteidigen. Durch Bezas Differenzierung der mosaischen Gesetze werden die Judizialgesetze, die die Todesstrafe gegen Häresie, genauer: gegen den Abfall von der gotteswort-gemäßen Religion oder Aufwiegelung dazu, vorsehen wie die Gebote in Dtn 13,424 durch die Argumentation vom aequitas-Gedanken und den Rückbezug auf den Dekalog als vollgültig für die christliche Obrigkeit ausgewiesen.425 Damit erfolgt also eine Verteidigung des Ketzerrechts christlicher Magistrate gegen Servet und Castellio auf Grundlage göttlichen Rechts, die damals schon in gängiger Weise mit dem gemeinen und römischen Recht zu rechtfertigen gewesen wäre, und nebenbei setzt Beza dabei auch noch Seitenhiebe gegen die „Papisten“, Libertinisten und Täufer.426 Tatsächlich nimmt die Verteidigung des Ketzerrechts einen viel breiteren Raum ein als Bezas Unterscheidungslehre der mosaischen Gesetze, denn die Gegenargumente werden einzeln auseinander dividiert und nicht nur mit dem Alten und Neuen Testament,427 sondern dem kanonischen und römischen Recht, den Beispielen aus der Kirchengeschichte und schließlich Bezügen auf Calvins Institutio428 und sogar ausführlicher auf Heinrich Bullingers Decades429 widerlegt. Zum anderen haben Bezas Ausführungen zur Geltung der mosaischen Gesetze, auch wenn diese doch ihrerseits unter dem engeren Ziel einer rechtlichen Verteidigung des Strafrechts der weltlichen Obrigkeit in Belangen von Häresie stehen, umfassende Konsequenzen für die Lehre von den mosaischen Gesetzen und hier insbesondere für die Judizialgesetze bzw. die politischen Gesetze des Mose. In Bezas Formulierung, dass „uns“ (Christen) die politischen Gesetze Moses doch nicht mehr betreffen und Mose mit seinen Vorschriften von „unserer“ Obrigkeit zu unterscheiden ist, trifft Beza noch ganz die Vorstellung der Wittenberger Theologen um Luther und am ehesten Melanchthon, von dem Beza 424 In Deutungsfragen des Ketzerrechts nimmt Dtn 13 auch durch Servets und Sadolets Bezüge darauf eine wichtige Stellung ein, vgl. aaO., 227. 231–234. 425 Vgl. aaO., 224. 426 Vgl. z. B. zur – für Beza – Fehlauffassung von den Zeremonien auf päpstlicher Seite (aaO., 222) und weitere Wendungen gegen die „Papisten“ (aaO., 229). Zu Bezas Abgrenzungen gegenüber den „Libertini“ und „Anabaptistae“ vgl. aaO., 228. 427 Die Argumentationen auf Grundlage des Bibeltextes werden einerseits durch Auslegungen bestimmter Bibelstellen von Bezas Gegenseite bestimmt. Auf der anderen Seite stehen neben Bezas eigenen Widerlegungen und biblisch-rechtlichen Erörterungen im engeren Sinne z. B. auch Listen von exempla aus dem Neuen und Alten Testament, zu denen dann teilweise noch einmal längere Erklärungen folgen, vgl. aaO., 234f (Exempla Veteris testamenti). 243f (Exempla profanorum regum ex Vetere Testamento). 244–247 (Exempla Novi testamenti). 428 Der Bezug auf Calvin findet sich lediglich in einer Marginalie aaO., 256. 429 Heinrich Bullinger wird viel ausführlicher zitiert als Calvin.
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die Lehre der obrigkeitlichen custodia utriusque tabulae des Dekalogs übernimmt. In der gleichzeitigen Aufwertung der politischen Gesetze Moses unterscheidet er sich aber doch gänzlich von den Wittenbergern und geht dabei auch über Calvin hinaus. Für Calvin nämlich lassen sich auch in der letzten Ausgabe seiner Institutio im Jahr 1559 solche Aussagen nicht nachweisen. Im gewissen Sinn kommt es damit aber zugleich auch zu einer Annäherung zwischen Beza und dem Reformator und Antistes der Zürcher Kirche Heinrich Bullinger, auf dessen Decades sich Beza in seinem Buch De haereticis bezieht. Bullinger hatte ja schon viel früher in den 1530er Jahren auf die Vorbildlichkeit der mosaischen Judizialgesetze bestanden und diese in den Decades dann mit dem aequitasGedanken in Geltungsfragen verbunden. Bei allen Einschränkungen einer direkten Übertragung der politischen Gesetze Moses auf das gegenwärtige christliche Gemeinwesen durch politische Autoritäten, die noch an Melanchthon, Luther oder Calvin erinnern mögen, hält Beza aber doch an dem rechtlichen Vorbild der politia Mosis im Vergleich mit den Gesetzen der Römer und Griechen fest. Beza selbst wendet seine Lehre von den mosaischen Gesetzen dann programmatisch in seinem Werk Lex Dei an. Hieran und bereits an die grundlegende Unterscheidungslehre zu den mosaischen Gesetzen in Bezas De haereticis konnten dann auch andere calvinistisch-reformierte Theologen wie Franciscus Junius, Wilhelm Zepper oder John Weemes, die im Fortgang in Kapitel 4. in den Mittelpunkt rücken werden, anschließen und auch eigene Beiträge in der Debatte über die politischen Gesetze Moses hinzufügen. Diese Autoren sahen sich dabei – genauso wie Beza selbst – in der lehrmäßigen Nachfolge Calvins, auch wenn die zurückliegenden Abschnitte bereits einzelne Unterschiede zwischen Calvin und Beza in Fragen des mosaischen Rechts offengelegt haben. Der Theologe und Humanist, der dabei eine besondere Wirkungskraft auf nachfolgende Theologengenerationen haben sollte, war Franciscus Junius.
2.6
Zwischenfazit: Ein Spektrum reformatorischer Ansichten über die Geltung und politische Relevanz der mosaischen Gesetze
Das Kapitel hat ein Spektrum reformatorischer Ansichten über die politische Relevanz der mosaischen Gesetze herausarbeiten können. Die Beteiligten, die schließlich doch den geschriebenen mosaischen Gesetzen, meist durch Unterscheidungslehren, eine positive politische Bedeutung abgewinnen konnten, betonten stets das Alter und die Würde von Mose und der mosaischen Gesetzgebung.
Zwischenfazit: Ein Spektrum reformatorischer Ansichten
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Luther beschäftigte sich bis 1521 mit dem Gesetz Moses vor allem aus der Perspektive der Rechtfertigung und Heilslehre. Bei Melanchthon war bis 1521 (1. Ausg. d. Loci communes) sogar eine relative Offenheit und Aufwertung der mosaischen Gesetze feststellbar. Eine (teilweise neue) Positionierung von beiden setzte 1521–25 durch konkrete Fragestellungen zum mosaischen Recht ein, die an beide herangetragen wurden (Andreas Bodenstein von Karlstadt, Jakob Strauß, Wolfgang Stein, weniger konkret: Thomas Müntzer). Karlstadt entwickelte als Theologe und Jurist an der Wittenberger Universität eine andere Systematik der mosaischen Gesetze als Luther und Melanchthon (räumlich und zeitlich begrenzt geltende gegenüber ewigen Gesetzen Gottes; deuteronomische Theologie). In Wittenberg setzte sich diese Position gegenüber Luther und Melanchthon aber nicht durch. Ab 1525 hatten Luther und Melanchthon eine feste Haltung zu den mosaischen Gesetzen gefunden, die eine rechtliche und geschichtliche Orientierung an der politia judaica/Mosis einschränkte. Nicht gesetzlich sollte das mosaische Recht im Gemeinwesen angewandt werden, sondern (höchstens) exemplarisch und lehrhaft. Eine Ausnahme bildete der Dekalog, aber nicht deswegen, weil er mosaisches Recht darstelle, sondern weil er mit dem Naturrecht übereinstimme. Gegenüber Luther ist der direkte Einfluss Melanchthons bei der konsequenten Eintragung der Wittenberger Haltung zum mosaischen Recht in die Rechtswissenschaft und Geschichtsschreibung wahrscheinlich als höher zu erachten. Ab 1525 wertete Melanchthon das römische Recht kontinuierlich auf Kosten des mosaischen auf. Im Geschichtsdenken bleibt die politia judaica als ecclesia zwar Teil der sacra historia, eine Idealisierung des mosaischen Gemeinwesens (politia Mosis) mit seinem Rechtskorpus wird aber strikt abgelehnt. Zwingli hebt die Bedeutung des Gesetzes Gottes im Glauben hervor und trennt nicht scharf zwischen Gesetz und Evangelium („Das gsatzt ist dem gotshulder ein euangelium“, ZS II, 232,13f) wie Luther und Melanchthon. Im Mittelpunkt steht aber das Verständnis des Gesetzes als geistliches Gesetz (innerer vs. äußerer Mensch). Die Hauptwerke beschäftigen sich nicht ausführlich mit einer Lehre der mosaischen Gesetze. Das mosaische Zeremonial- und Judizialgesetz wird lediglich für abgeschafft erklärt. Insgesamt wird so die lex scripta Mosaica also nicht aufgewertet. Bullinger, Zwinglis Nachfolger in Zürich, entwickelte eine umfangreiche Lehre zu den mosaischen Gesetzen in seinen Dekaden (1549–51) und erst unter ihm kommt es zu einer positiven Integration der lex scripta Mosaica in die Gesetzeslehre. Dies geschieht, indem der mosaische Ursprung aller guten Gesetze auf Erden herausgearbeitet wird (Mose als ältester Gesetzgeber). Bucer hat ein sehr weit gefasstes Verständnis der lex Dei, was teilweise zu Spannungen in seiner Gesetzeslehre führt und auch gegen die strikte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium bei Luther und Melanchthon läuft. Er lehnt einerseits ab, dass Christen an die mosaischen leges civiles und caeremoniae gebunden seien, will sie aber doch in ihrer Substanz (substantia) und ihrem
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Debatten über die Geltung und politische Relevanz der mosaischen Gesetze
Zweck (finis) weiter befolgt wissen. Nähen zu Luther und Melanchthon zeigen sich aber genauso, wenn Bucer davon spricht, dass es auf die Lehren und Exempel der lex Dei für einen Christen ankomme. Im Vordergrund steht dabei die Ausrichtung auf die pietas. Calvin weist noch in seiner letzten Ausgabe der Institutio (1559) die Durchsetzung mosaischen Rechts im Gemeinwesen (Inst. IV,20,14.16) zurück und lehnt die Geltung des mosaischen Judizialgesetzes ab. Seine nuancierte Lehre vom mosaischen Gesetz fällt erst in die Zeit danach und ist eng verbunden mit seinem Kommentar der Mose-Bücher, mit dem er zugleich einen Neuansatz in der Auslegung der mosaischen Gesetze im Pentateuch schuf. Seine Auslegung stand später neben der seines Nachfolgers Theodor Beza, der in seiner Akzeptanz der Relevanz der mosaischen Gesetze weiter ging als Calvin und dafür juristische Methodik in Anspruch nahm. Durch seine innerbiblische Rechtskollation Lex Dei und Calvins harmonische Form der Auslegung der mosaischen Gesetze war in der Folge der Weg bereitet für Arbeiten im calvinistisch-reformierten Bereich, die sich ganz der politischen Dimension der mosaischen Gesetze mit dem Ansatz der beiden Reformatoren Genfs widmeten.
3.
Konzeptionen eines mosaischen Ursprungs des Rechts in der humanistischen Jurisprudenz und Historiographie der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts
Wesentliche Impulse für die Vorstellungen der mosaischen Gesetzgebung als Rechtsvorbild und deren Ausformungen zu einem eigenen Schrifttum gingen in der Frühen Neuzeit von einer humanistisch orientierten Jurisprudenz aus. Zeitlich gesehen handelt es sich damit um eine späte Facette und Form des Humanismus.1 Ausgehend von der Jurisprudenz waren die Grenzen zur Historiographie und historiographischen Literatur fließend, was insgesamt auch an der explizit historischen Ausrichtung der humanistischen Jurisprudenz lag.2 Nach Wegbereitern wie dem französischen Philologen und Juristen Guillaume Budé (1467–1540), dem Italiener Andrea Alciato (1492–1550) und dem deutschen Juristen Ulrich Zasius (1461–1535) entwickelten sich dann im 16. Jahrhundert vor allem in Frankreich neue Zentren der humanistischen Jurisprudenz in Angers, Toulouse und besonders Bourges, wo Alciato später selbst unterrichtete. Hier kam es in diesem Zeitraum zur Ausbildung des sog. mos gallicus im Bereich des römischen Rechts. Im Mittelpunkt standen nun nicht mehr die Worterklärungen, Fallbesprechungen und kasuistischen Erörterungen, die die italienische Schule (mos italicus) des römischen Rechts kennzeichneten, son1 Im Weiteren wird auf den Begriff des „Späthumanismus“ verzichtet. Aus literaturwissenschaftlicher Sicht verstand Erich Trunz unter Späthumanismus 1931 noch eine vor allem unter protestantischen Gelehrten verbreitete „Standeskultur“ des Heiligen Römischen Reiches, wohingegen Gerhard Oestreich 1974 von einer „Wissenschaftsbewegung“ sprach, der es vor allem „um eine konstitutive Stellung zur Überwindung der tiefen staatlichen und religiösen Krise im Zeitalter der Konfessionskämpfe“ ging (Oestreich, Strukturprobleme, 364; vgl. die bilanzierenden Bemerkungen bei Walther, Art.: Späthumanismus, 303f). Der Späthumanismus fällt zeitlich gesehen in die Zeit der Konfessionalisierung, so dass konfessionelle und teils in besonderem Maße eben auch transkonfessionelle Aspekte zu berücksichtigen sind. Da aber in diesem Kapitel vor allem die methodischen Ansätze einer humanistisch geprägten Jurisprudenz und Historiographie in den Mittelpunkt rücken sollen, kann ein übergeordneter Begriff „Späthumanismus“ vernachlässigt werden. 2 Vgl. unter den grundlegenden Arbeiten zur humanistischen Jurisprudenz in der Frühen Neuzeit Troje, Wissenschaftlichkeit und System; ders., Die europäische Rechtsliteratur; ders., Arbeitshypothesen; ders., Zur Humanistischen Jurisprudenz; Strohm, Calvinismus und Recht, 28–32.
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Konzeptionen eines mosaischen Ursprungs des Rechts
dern, ganz im Sinne humanistischer Anliegen, die philologischen und historischen Erklärungen.3 Diese humanistische Verfahrensweise des mos gallicus, wie sie in hervorragender Weise durch nachfolgende Gelehrte wie etwa François Douaren (1509–1559), François Baudouin (1520–1573), Jacques Cujas (1522– 1590), François Hotman (1524–1590) und Hugues Doneau (1527–1591) in Bourges und anderswo vertreten wurde, sollte auch Auswirkungen auf den Umgang mit dem mosaischen Recht haben. Zwei weitere Tendenzen, die mit den Ansätzen von humanistischen Juristen oder Historiographen, die ein Interesse an einem humanistischen Zugang zur Rechtslehre und -geschichte hatten, zusammenhingen, lassen sich vorab in aller Kürze hervorheben: Zum einen bestand ein antiquarisches Interesse unter humanistisch orientierten Juristen, älteste rechtliche Zeugnisse der Völker zusammenzutragen und vergleichend nebeneinanderzustellen (rechtskomparative Ausrichtung). Den Ausgangspunkt der Betrachtungen bildete in den meisten Fällen das römische Recht. Zum anderen geschah dies in vielen Fällen mit dem Anliegen, die Geschichte antiker Staaten und Gemeinwesen in ihren Rechtsordnungen und sonstigen kulturellen Zeugnissen umfangreich zu studieren und aufzuarbeiten (antiquitates-Gedanke).4 Es lag so auch nah, dass bei der Vielzahl an rechtlichen Überlieferungen aus dem Altertum, die von den Humanisten dazu in Anspruch genommen wurden, auch die Frage nach den ältesten Rechtsquellen überhaupt in den Blick kam. Hierunter fiel dann auch die mosaische Gesetzgebung. Im Folgenden wird zunächst nachgezeichnet, wie die Autoren, die schließlich in ihren Schriften die Bedeutung der mosaischen Gesetzgebung besonders hervorhoben, in den Kontext einer humanistisch ausgerichteten Jurisprudenz eingeordnet werden können (Abschn. 3.1). Dann werden zwei Zugänge (3.1.1–2) herausgearbeitet, die das Vorgehen der zu behandelnden Autoren erklären helfen sollen. Schließlich erfolgt die eigentliche Behandlung der Schriften in der schon eingeführten Unterscheidung zwischen einer rechtskomparativen (3.2) und einer eher rechtsgeschichtlichen Orientierung (3.3), die die jeweiligen Autoren wählten.
3 Vgl. Meder, Rechtsgeschichte, 201. 4 Zur universal ausgerichteten Wissenschaft in der Frühen Zeit vgl. auch Thomas, Wissen und Universalität.
Nachzeichnung eines Diskurses über den mosaischen Ursprung des Rechts
3.1
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Nachzeichnung eines Diskurses über den mosaischen Ursprung des Rechts unter humanistischen Gelehrten
Die Autoren, die in den folgenden Abschnitten des Kapitels ausführlicher behandelt werden, lassen sich alle mehr oder weniger deutlich in den Bereichen humanistische Jurisprudenz und Historiographie ansiedeln. Es handelt sich um den vielleicht heute nur noch wenig bekannten französischen Juristen François Ragueau (Franciscus Raguellus, gest. 1605), den Buchdrucker und humanistischen Gelehrten Henri Estienne (1528–1598); die Juristen William Welwood (gest. 1622) und Johann Kahl (gest. 1614); den in Genf lehrenden Orientalisten und Hebräischlehrer Cornelius Bonaventura Bertram (1531–1594); den italienischen Historiker Carlo Sigonio (um 1522–1584) und den Professor der Rechte in Greifswald Joachim Stephani (1544–1623). Die Auswahl dieser humanistischen Gelehrten ergibt sich aus der bereits im Eingangskapitel beschriebenen Auswahl der Schriften, die in der vorliegenden Arbeit untersucht werden sollen. Zum anderen soll in diesem Kapitel der Anteil von Nicht-Theologen herausgearbeitet werden, um Einflüsse, die von der Theologie ausgingen oder auf sie einwirkten, zu verdeutlichen. Bei den Autoren handelt es sich nämlich in der Mehrzahl um Juristen, nur im Fall Carlo Sigonios um einen Historiker, bei dem keine juristischen Vorprägungen bekannt sind. Gleichwohl spannt sich auch bei Sigonio ein Bogen zur Rechtslehre. François Ragueaus’ Leges politicae, ex sacrae iurisprudentiae fontibus haustae, die zwar zuerst 1577 in Frankfurt a.M. gedruckt wurden, aber bereits 1576 in Frankreich entstanden waren,5 gehören in die direkte Nähe der französischen humanistischen Rechtslehre. Ragueau hatte nämlich unter dem großen humanistischen Rechtsgelehrten Frankreichs Jacques de Cujas in Bourges und ab 1567 dann in Valence studiert, bevor er selbst 1584 zum Professor der Rechte in Bourges ernannt wurde.6 Auch die Biographien der anderen Gelehrten Henri Estienne, William Welwood und Johann Kahl offenbaren klare Bezüge zur humanistischen Jurisprudenz.7 Schwieriger zu rekonstruieren sind dagegen die Bezüge der Autoren, die in ihren Schriften einen rechtsgeschichtlichen Zugang zur politia Mosis wählten. 1574 erschien Bertrams De politia judaica, tam civili quam ecclesiastica in Genf und in Bologna wurden acht Jahre später Carlo Sigonios De republica Hebraeorum libri VII gedruckt. Bertram, der selbst in Toulouse, einer Hochburg 5 Das Vorwort ist auf das Jahr 1576 datiert, der Frankfurter Druck aber erst auf das Jahr 1577. Zudem ist dem Werk vorne ein Privileg für den Druck vom französischen König beigegeben (Ragueau, Leges politicae, f. A4r). 6 Vgl. La Thaumassière, Histoire, 1107; Jöcher 3 (1961 [=1751]), 1875f; 6 (1961 [=1819]), 1252 u. Totzeck, Ideal des alttestamentlichen Gemeinwesens, 12. 7 Siehe Abschn. 3.2.2, 3.2.3 u. 3.2.4.
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Konzeptionen eines mosaischen Ursprungs des Rechts
der humanistischen Jurisprudenz Frankreichs, die Rechte studiert hatte,8 weist in der Widmung zu seinem Werk darauf hin, dass François Roaldès (Franciscus Rhoaldus, 1519–1589), Professor für römisches Recht und Altertümer in Cahors, ihn zu einem Werk über das jüdische Gemeinwesen und dessen zweifache Jurisdiktion drängte.9 François Roaldès selbst ist der humanistischen Jurisprudenz zuzuordnen. Bertram führt in der Widmung dann noch weiter aus, dass Roaldès’ Anfrage vor 13 Jahren erfolgt sei. Setzt man voraus, dass die Widmung zeitgleich mit dem Druck von De politia judaica verfasst wurde, so ließe sich der Austausch zwischen Bertram und Roaldès auf das Jahr 1561 datieren.10 Bertram gibt zudem an, dass ihn der Historiker der römischen und griechischen Antike Carlo Sigonio zur Diskussion seiner Argumente aufgefordert habe.11 Diese Angabe muss so gedeutet werden, dass Sigonios Werk De republica Hebraeorum, das ja erst 1582 erschien, wohl eine lange Entstehungszeit hinter sich hat.12 Außerdem zeigt sich, dass Bertram und Sigonio über die Thematik im Austausch waren. Bei Joachim Stephani, der die längste Zeit vor allem als Juraprofessor in Greifswald gewirkt hatte und noch vor Sigonio im Jahr 1582 die Schrift De Iurisdictione, et qualis fuit in politia Judaica veröffentlichen ließ, ist es schwieriger, humanistische Einflüsse aus seiner Vita zu erschließen, da nur wenige biographische Informationen zur Verfügung stehen. Dennoch lässt sich neben einer philosophischen Schulung vor allem ein Interesse am römischen Recht und seiner historischen Erörterung, wie es für die humanistische Jurisprudenz typisch war, in seinem Œuvre erkennen. Zudem deuten die von ihm häufig zitierten humanistischen Juristenautoritäten wie vor allem Zasius und Alciato in diese Richtung.
8 Siehe Abschn. 3.3.1. 9 „Tertius & decimus agitur annus, Vir Clarissime, quum Franciscus Rhoaldus Iurisconsultus Legum Romanarum totiusque Antiquitatis consultissimus, Cadurci meam in discutienda Iudaica Politia, eiusq[ue] duplici Iurisdictione operam efflagitavit“ (Bertram, De politia judaica, f. a.ij.r). 10 Vgl. auch Bartolucci, La repubblica ebraica, 21. 11 „Praetexebam videlicet me iam per sex annos quibus Tholosae Iuri operam dedissem, Sacrarum literarum atque Hebraicarum ex quibus huius quaestionis explicatio penderet, studia potius abiecisse quam intermisisse: mihique videri tantam tamque insolentem illius argumenti magnitudinem & difficultatem, vt eam viris in Theologia & exterarum Gentium historia exercitatis reliquendam existimarem. Quod & ille iam tum ita agnoscebat, vt facile meas illas excusationes acciperet. Itaque dum vterque nostrum expectamus quoad aliquis exoriretur qui haec pertractaret, ecce Sigonius vir doctissimus & historiae Romanae iuxta ac Graecae peritissimus peculiarem eius argumenti disputationem pollicetur. Sed quum nihil dum ille proferret, nullusque existeret qui eiuscemodi remtentaret (sic!) […]“ (Bertram, De politia judaica, f. a.ijr–v). 12 Siehe weiter unten, Abschn. 3.3.2.
Nachzeichnung eines Diskurses über den mosaischen Ursprung des Rechts
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3.1.1 Humanistische ars historica und universalhistorische Orientierung am Recht der Völker Wenn eingangs dieses Kapitels von einem entscheidenden Anteil humanistischer Jurisprudenz bei der Entstehung der politia-judaica-Literatur die Rede war, so ist dies nun noch einmal zu präzisieren: Entscheidende Autoren wie François Baudouin (1520–1573) oder Jean Bodin (1529/30–1596) kamen zwar eindeutig aus diesem Umfeld humanistischer Jurisprudenz, gingen aber in ihrer Programmatik doch auch über das hinaus, was man als eine historisch-kontextualisierende Rechtswissenschaft im Sinne des mos gallicus verstehen könnte. Auch wenn hier die Grenzen fließend waren, würde man die Ansätze der Geschichtsschreibung Baudouins und Bodins aus heutiger Sicht vielleicht am ehesten mit einer universalen Rechts- und Kulturgeschichtsschreibung assoziieren. Dahinter steckten aber wiederum humanistische Wahrnehmungen des Rechts, die auf eine historische Erschließung ausgerichtet waren. Beide, Baudouin und Bodin, lasen und deuteten Rechtsquellen in einer universal-geschichtlichen Perspektive. Dabei muss daran erinnert werden, dass Geschichte als Fach an der Universität vor allem durch die studia humanitatis etabliert wurde.13 Reden sowie Lehrschriften geben neben der Praxis Zeugnis davon, dass auch im Späthumanismus eine Vielzahl von methodischen Neuansätzen in unterschiedlichen Themenbereichen existierte und Diskussionen über die Geschichte und Geschichtswissenschaft im Sinne humanistischer Anliegen geführt wurden. Humanisten sprachen dabei seit dem Ausgang des Renaissance-Humanismus im 14. und 15. Jahrhundert in Anlehnung an Cicero, der die Geschichte als Höhepunkt der Rhetorik und als magistra vitae bezeichnet hatte, von einer historischen Kunst (ars historica). Unter diesem Titel entwickelte sich ein eigenes Schrifttum, in dem Formen und Gebrauch der Historie behandelt wurden.14 Grundsätzlich kann zwischen einer früher einsetzenden ars historica Italiens, die noch stärker rhetorisch-poetisch und pädagogisch-moralisch ausgerichtet war, und einer französischen ars historica, die ihrerseits Verbindungen zur deutschen Geschichtsmethodologie aufweist, unterschieden werden.15 In der Forschung wird 13 „[I]t was largely through the studia humanitatis that history began to gain a foothold in the universities and, in the company of these disciplines, to achieve independence of the professional faculties – even some control over them, to the extent that they were invaded by humanists in the name of philology“ (Kelley, Historia Integra, 40). 14 Donald R. Kelley spricht in diesem Fall eher von einem „complex of rhetorical topoi“ als von einem „literary genre“ (aaO., 39), etwas anders Grafton, The Art of History, passim: Wichtig für die Ausbildung der Begrifflichkeit für das Schrifttum wurde eine Sammlung von insgesamt 18 Schriften der ars historica, die Johann Wolf im Jahr 1579 unter dem Titel Artis historicae penus octodecim scriptorum tam veterum quam recentiorum monumentis herausgab. 15 Vgl. Grafton, The Art of History, 62–126, hier: 67f; Kelley, Historia Integra, 36–39.
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Konzeptionen eines mosaischen Ursprungs des Rechts
dabei gerade der „revolutionäre“ Neuansatz der französischen ars historica betont,16 die nach Ansicht Donald Kelleys „die Klimax historischen Bewusstseins vor der Aufklärung auf dem Kontinent“17 darstellt. Im Rahmen der französischen ars historica entstanden „empirische“ Geschichtsmethoden (methodus wurde hierfür ebenso wie ars gebraucht), und in ihrem engen Bezug von Universalhistorie und römischer Rechtswissenschaft beeinflussten sie auch das Denken über die Geschichte und Rechtsgeschichte der politia judaica. Im Jahr 1561 veröffentlichte François Baudouin sein Prolegomenon über die Unterweisung in der Universalgeschichte in zwei Büchern (De institutione historiae universae, et eius cum iurisprudentia coniunctione, ΠΡΟΛΕΓΟΜΕΝΩΝ libri II), die als erste ars historica in Frankreich gelten kann.18 In Arras geboren, kam Baudouin früh in Kontakt mit den humanistischen Studien am Collegium trilingue und der Universität Löwen, wo eine Wende zum Humanismus erst relativ spät erfolgt war und vor allem von Erasmus geprägt wurde.19 1539 wurde er dort zum Doktor beider Rechte promoviert und stieß noch im selben Jahr in Paris zum Kreis humanistischer Jurisprudenz um Charles Dumoulin und Guillaume Budé.20 Baudouin kann im Weiteren geradezu als ein Musterbeispiel für humanistische Gelehrte gelten, die zwischen die konfessionellen Fronten in der Reformationszeit gerieten; er selbst wechselte mehrfach zwischen den Glaubensrichtungen der Reformierten und Lutheraner und landete schließlich wieder auf der römisch-katholischen Seite.21 Baudouins Werke durchzieht ein ausgesprochenes Interesse an den alten Rechtsquellen und ihrer Geschichte, das er mit der humanistischen Jurisprudenz teilt. Schon vor der Veröffentlichung der Schrift De institutione historiae universae hatte Baudouin mehrere römisch-rechtliche Werke vorgelegt.22 Nach 16 Vgl. Franklin, Bodin and the Sixteenth-Century Revolution. 17 „Indeed they represent, in my opinion, the highest point of historical consciousness before the continental Enlightenment“ (Kelley, Historia Integra, 37). 18 Vgl. aaO., 38. 19 Vgl. Erbe, François Bauduin, 33–36. 20 Vgl. aaO., 37. 21 Gregory Lyon hat zuletzt gezeigt, wie Baudouin brieflich in die Arbeiten an den Magdeburger Centurien eingebunden wurde, gerade im Fortgang der konfessionellen Ausdifferenzierungen aber die Differenzen etwa zu einem Flacius auf lutherischer Seite immer größer wurden (vgl. Lyon, Magdeburg Centuries, 264–272). Zu den Magdeburger Centurien siehe bereits oben, Abschn. 2.2.4. 22 Vgl. zum Folgenden das Schriftenverzeichnis nach Erbe, François Bauduin, 210–239, hier: 210–218 mit den Drucken bis 1561: Darunter fallen (hier nur nach Erstausgabe zitiert) mit Ιουστινιάνου βασιλέως νόμοι γεωργικοί. Καὶ τοῦ αὐτοῦ Ιουστινιάνου νέαρα. Α. περὶ κληρομένων και Φαλκιδίου. Iustiniani Sacratissimi Principis Leges de Re Rustica […], Paris 1542, ein Kommentar zu den Leges de re rustica, die Justinian zugeschrieben wurden; die Annotationes in libros quatuor Institutionum Iustiniani […], Paris 1545; die Breves Commentarii in praecipuas Iustiniani Imp. Novellas sive Authenticas constitutiones, Lyon 1548; ein Kommentar zu den Gesetzen des Romulus und den Zwölf-Tafel-Gesetzen: Libri duo ad Leges Romuli Rom.
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Aufenthalten in Paris, Straßburg und Genf, wo er in engen persönlichen Kontakt mit Calvin kam, hatte Baudouin in den Jahren 1548–1555 in einem der Zentren humanistischer Jurisprudenz, in Bourges, zuletzt seinen juristischen Doktorgrad erworben und als Professor der Rechte gewirkt, bevor er für ein Jahr nach Straßburg und dann auf einen Lehrstuhl für römisches Recht in Heidelberg wechselte. Noch bevor Baudouin 1561 Heidelberg wieder verließ und nach Paris ging, dürften die Arbeiten an seiner wahrscheinlich wichtigsten Schrift De institutione historiae universae abgeschlossen gewesen sein, da diese auf Vorlesungen aus seiner Heidelberger Zeit basierte.23 Sie war Anton von Bourbon (1518–1562), König von Navarra aus dem französischen Königshaus, und Michel de L’Hôpital, der in dieser Zeit Rektor an der Pariser Universität war, gewidmet und ist damit zugleich in den politischen Kontext Frankreichs einzuordnen. In seiner Widmung an Michel de L’Hôpital verweist Baudouin bereits auf die Unzertrennlichkeit und den Nutzen einer Verbindung der Rechtswissenschaften (genauer des ius civile) mit der Geschichte. Diese Verbindung hatte er selbst bereits verwirklicht, indem er morgens über das ius civile gelehrt und am Nachmittag über die Universalhistorie Vorlesungen gehalten hatte,24 und auch kontinuierlich in seinem Schrifttum betont.25 Jurisprudenz bedeutet für Baudouin eine „sämtliche Lebensbereiche umfassende Wissenschaft“ so, wie die Historie eine Gesamterkenntnis der Welt beinhaltet.26 Beide betreffen sowohl die res humanae wie die res divinae und aus ihrem symbiotisch verstandenen Verhältnis27 ergibt sich auch der Aufbau von Baudouins De institutione historiae
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Leg XII. Tabularum […], Lyon 1550; und unter anderem auch Kommentare zu den klassischen römischen Juristen wie die kleinere Schrift Ad Paulum de Cautione lecta in auditorio Papiniani, Lyon 1554. Vgl. zur Heidelberger Zeit Baudouins und zu den Hintergründen der Schrift ausführlich Erbe, François Bauduin, 95–121. „Ergo me continere non potui, quin vbi scholam, in qua mei Iuris eram, nactus essem (etsi comparatum ad rem tam magnam fortasse auditorium non esset) aggressus sim ad eam Iurisprudentiae atque historiae coniunctionem, quam necessariam esse duco ad ciuilium studiorum & dignitatem tuendam, & explicanda vtilitatem. Atque vt Aristotelis, cum ἀκροαματικὰ καὶ ἐξωτερικὰ doceret, audieram olim duplicem fuisse πολί πατου, ἐω θινὸυ καὶ δει λινὸυ, vt Veteres loquebantur: sic cum mane in auditorio Ius Ciuile docuissem, pomeridianam quandam historiae vniversae praelectionem institui“ (Baudouin, De institutione historiae universae, f. aiijr–v). Vgl. Erbe, François Bauduin, 109. Vgl. 109f. „[A]d certum Ius recurrendum est, & cum historia coniugenda est Iurisprudentia: illam dico Iurisprudentiam, quae est esseque debet, qualis esse dicitur, rerum diuinarum atque humanarum noticia, iusti atque inusti scientia. Quo vero magis inquiremus, cur haec coniunctio requiratur, magis sentiemus tam eam esse necessariam, quam vnius corporis indiuisae partes aut membra diuelli neque possunt neque debent. Ego quidem nondum satis statuere potui, plusne lucis historia ex Iurisprudentiae libris, an Iurisprudentia ex historicis monumentis accipiat“ (Baudouin, De institutione historiae universae, 104f).
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universae: In einem ersten Teil wird die wissenschaftliche Grundlegung der Historie behandelt und im zweiten Teil dann, wie die Historie und Jurisprudenz im Ganzen zusammengehören und sich gegenseitig bereichern können. Diese Zusammengehörigkeit, die einen roten Faden im Werk bildet, kann zumindest an einem vergleichenden Bild verdeutlicht werden, das mehrfach und immer wieder in der Auseinandersetzung mit den antiken Philosophen und Geschichtsschreibern auftaucht: Gleich zu Anfang beschreibt Baudouin, dass wir von Gott erschaffen und in diese Welt gestellt wurden, gleich wie in einem großartigsten Amphitheater, zuerst als Zuschauer, dann als Akteure und auch sogar, dass wir gewissermaßen Richter seien.28
Schon die Zuschauer allerdings betrachten nicht nur die Gegenwart, sondern haben ein Erinnerungsvermögen.29 In dem Zusammenspiel zwischen Zuschauer, Akteur und Richter in Gegenwart und Erinnerung geht das Verhältnis von Geschichts- und Rechtswissenschaft als universaler Wissenschaft auf. Die besondere conditio humana in der Schöpfung, die Baudouin in diesem Bild gleich zu Beginn betont, führt zu einer Darlegung des Genus humanum und divinum der Geschichte, die über die historia naturalis hinausgehen.30 Neben den vielen Beschreibungen und Definitionen der Geschichte, die Baudouin im Sinne der ars historica antiken Autoren entnimmt,31 läuft die Programmatik deswegen auf eine ganzheitliche (historia integra) bzw. vollendete Historie (historia perfecta) hinaus, die aus heutiger Sicht als Ausdruck einer universalen – die Rechts- und Kirchengeschichte im engeren Sinne einschließende – Kulturgeschichte gedeutet werden könnte. Es ist zurecht darauf verwiesen worden, dass trotz aller Weltbezogenheit (Afrika, türkische Geschichte, Ägypten etc.) hinter Baudouins humanistischer Programmatik letztlich die Einheit der christlichen respublica befördert werden 28 „Conditi a Deo sumus & collocati in hoc mundo, tanquam in amplissimo quodam amphitheatro, primum vt spectatores, deinde vt actores, atq[ue] etiam vt iudices quodammodo simus“ (aaO., 1). 29 „Spectatores dico, non earum modo rerum, quae in oculos nostros incurrunt: sed & earum, quas memoria nostra comprehendit, & iam olim praeteritas nobis tanquam praesentes sistit“ (ebd.). 30 Vgl. aaO., 2. 4f. Baudouin redet an dieser Stelle dann auch vom Gott, der hinter der menschlichen Ordnung (und Rechtsordnung) waltet: „Sunt certe in hominum vt aliorum animalium genere tetra veluti monstra, & multi eorum vasti confusique coetus occurrent, non iam dico simiarum, sed ferarum agminibus & immanium belluarum gregibus persimiles, qui & maiorem olim orbis partem occuparunt, & adhuc possident. Sed sunt etiam, fueruntque semper vel regna & Respublicae, vel familiae, in quibus aliquod literarum, humanitatis, iuris & ordinis semper fuit domicilium: neque non omnibus seculis habuit Deus in hoc globo telluris aliquam regni quoque sui sedem, & suae cum hominibus consuetudinis testificationem“ (aaO., 6). 31 Er zitiert z. B. Cicero mit seinen Bezeichungen der historia als „testis temporum, lux veritatis, vitae memoriae, magistra vitae, nuncia vetustatis“ (aaO., 16).
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soll, das Amphitheater, um im Bild zu bleiben, letztlich eines der Christen ist.32 Doch sucht man nach dem geschichtlich-rechtlichen Fundament dieser universal gedachten respublica, so fällt die Ursprünglichkeit ausgehend von Gottes Regierung des jüdischen Volkes33 und insbesondere Moses ins Auge. Gerade der gesamte letzte Abschnitt seiner Methodologie der Unversalhistorie kann als eine Apologie verstanden werden, die die mosaischen Ursprünge der universalen historia und damit auch des Rechts verteidigt.34 In Bezug auf die Einleitung oder das Vorspiel (proëmium) der Universalgeschichte, müsse gar nicht lange gehandelt werden, da Mose die Ursprünge kurz und klar anzeigt.35 Dem spätantiken Aristoteles-Kommentator und Philosophen Simplicius, der die mosaische Schöpfungsgeschichte als ägyptische Fabel bezeichnet habe, und dem antiken griechischen Arzt und Philosophen Galen, der das, was Mose in religiöser Weise über die Schöpfung des Menschen gesagt hatte, voll Ekel abgelehnt habe, hält Baudouin entgegen: Es seien doch Platon und andere gescheite Philosophen gewesen, die, weil sie die Prinzipien der geschaffenen Dinge studieren wollten, sich keine anderen Gelehrten und Lehrer als Mose wählten und seine Erzählungen in den Büchern des Ägypters Mercurius Trismegistus gelesen hätten.36 32 „Non enim ille Deus est aliquod Homericum numen. Saltem quod dico, vtcumque agnoscemus, si vniuersitatis historiam recte & sapienter perlustrauerimus, in eaque etiam, vt debemus, perpetuam ecclesiae atque religionis conditionem eiusque statum obseruauerimus. Non enim praeterire debemus, quam in primis oberuare oportet illam praecipuam vt humanae societatis, sic & historici corporis partem: ne non caput modo, sed & cor & animam negligere videamur. Ergo cum de historia loquor, de integra & perfecta loquor: in qua dico diuinae prouidentiae rationem habendam esse, vt recte spectemus res in orbe terrarum maximas, & quidem diuinas cum humanis admirabili ordine atque ratione commixtas. Quod vt faciamus, danda opera est, vt quam valde olim Christiani Theatro circoque Romano sibi interdictum esse sentiebant, tam ad illa, de quibus nunc ago, historica spectacula contendendum nobis esse […]“ (aaO., 9f). 33 „Et vero nunquam ea erit, esse quae debet, maiestas historiae, neque tam valde nos, quam debet, afficiet, nisi si in hoc theatro ad summum illum supremumque veluti choragum respiciam. Equidem soleo dicere, Deum primis seculis, in vnius sui populi Iudaici gubernatione familiarem & expressam & prope aspectabilem edidisse effigiem praesentis suae atque assiduae moderationis. Licet autem ille interea haerere in vna Republica, neque praeterea aut curare aut respicere reliquum genus humanum forte videatur: tamen quod in una parte cernimus, illud etiam superesse in toto atque in vniuerso, cogitare debemus“ (aaO., 8f). 34 Vgl. aaO., 198ff. 35 „Superest vt ad ipsum veluti proëmium historiae vniuersae, quod continet historiam orbis hominisq[ue] primum conditi, accedamus, vt & theatri, in quod ingredimur, & in quo gesta sunt, quae narrare instituimus, structuram: & hominis, qui in eo illud agit, quod audituri sumus, conditionem & naturam, tanquam personam, imprimis consideremus. Ne vero diutius hic haerere cogamur, vnus statim Moses efficiet, qui origines, quas quaerimus breuiter liquidoque indicat“ (aaO., 198f). 36 Zu Simplicius und Galen vgl. aaO., 199. Dazu: „Atqui Plato & alij cordati Philosophi, cum discere vellent rerum conditarum principia, non alium sibi doctorem vel magistrum delegerunt quam Mosem, cuius narrationem legebant in libris Mercurij Trismegisti Aegyptij“ (ebd.).
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Baudouin nimmt hiermit also hermetisches Gedankengut auf und interpretiert die Geheimlehren des Hermes Trismegistos im Sinne einer ursprünglich auf Mose zurückzuführenden Offenbarungsvermittlung. Erinnern wir uns daran, dass Marsilio Ficino nicht nur das Corpus Hermeticum ins Lateinische übersetzt, sondern gleich im Vorwort zu dieser Ausgabe einen nicht ganz eindeutigen Vergleich zwischen Mose und Hermes Trismegistos gezogen hatte. Baudouin, der sich auf diese lateinische Deutung des Hermes als Mercurius Trismegistus stützt, geht es weniger um diese Gestalt oder hermetische Geheimlehren, sondern darum, Mercurius Trismegistus bereits als denjenigen darzustellen, der Lehren von Mose übernommen habe. „Unser Mose“ (noster Moses), wie Baudouin mehrfach sagt,37 wird damit vom antiken Ägypten über die griechischen Philosophen bis hin zu den römischen Poeten an den Anfang der historia universa gestellt. Man wird in dieser Konzeption am ehesten an Einflüsse Jacques Lefèvres, vielleicht auch Giovanni Pico della Mirandolas denken können, die Mose in ähnlicher Weise wie Baudouin an den Anfang der Schöpfung gestellt hatten. Ein weiterer Autor, der ähnlich wie Baudouin die Universalgeschichte der Völker mit einer rechtsgeschichtlichen Sicht verbindet, war Jean Bodin. Einschlägig geworden im politischen Denken ist Bodin bis heute vor allem durch seine systematische Konzeption einer staatlichen Souveränitätslehre in seinen Six livres de la république (1576).38 Auch wenn vieles über den Lebensweg Bodins im Dunkeln liegt, so ergibt doch schon seine Rede an den Senat und das Volk von Toulouse über die Unterweisung der Jugend in der Republik (Oratio de instituenda in republica juventute ad senatum populumque Tolosatem, 1559) einen frühen Hinweis auf die humanistischen Anliegen Bodins. In Toulouse hatte Bodin die Rechte studiert und seine Oratio ist nichts anderes als ein programmatischer Appell für die studia humanitatis bzw. „Les Belles Lettres“, in der auch die humanistische Jurisprudenz zur Geltung kommt.39 Viele Gemeinsamkeiten zwischen Baudouin und Bodin ergeben sich durch ihre ars historica-Konzeptionen. 1566 wurde Bodins Methodus ad facilem historiarum cognitionem in Paris veröffentlicht, die neben Baudouins De institutione historiae universae als die wirkmächtigste frühe ars historica Frankreichs bezeichnet werden darf. Die Parallelen zwischen beiden Autoren sind erheblich: 37 Vgl. aaO., 199. 202 u. ö. 38 Es ist nicht zu bestreiten, dass sich die Sekundärliteratur (der Politik- und Rechtsgeschichte) insbesondere hierauf konzentriert hat, vgl. die Überblicke bei Loughlin, Foundations of Public Law, 56–73; Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, 170–186; Ottmann, Geschichte, 213f. 216–222. 228–230 (Lit.), wo Bodin als „der bedeutendste politische Denker im Frankreich des 16. Jh.s.“ (aaO., 213), hervorgehoben wird. Eine gute Perspektivierung von der mittelalterlichen Legistik und Kanonistik her, ohne die systematischen Erträge der Souveränitätslehre zu schmälern, bietet Pennington, The Prince and the Law, 276–284 (weitere Lit.). 39 Ein Beispiel ist die Hochschätzung, die Bodin Guillaume Budé entgegenbringt (vgl. Bodin, Oratio de instituenda, 35[A],32–37). Vgl. auch aaO., 37[A]15–20.
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Beide brachten ihre Anliegen aus der humanistischen Jurisprudenz ein,40 beide entwarfen ein Programm einer universalen Geschichte,41 wollten in dieser historia universa die natürliche, menschliche und heilige Geschichte mit bestem enzyklopädischen Vorgehen vereinigen und beide betonten schließlich den großen Nutzen einer Verbindung der Historie mit der Jurisprudenz.42 Hierbei trieb Bodin aber seine vergleichende Studie auf das Quellenmaterial bezogen noch weiter als Baudouin. In der Schrift Methodus behandelt Bodin in den ersten fünf Kapiteln vor allem die methodologischen Fragen zur Historie im engeren Sinne.43 In den folgenden Kapiteln werden dann die Regierungsformen (Kap. 6) behandelt, die sog. Vier-Monarchien-Lehre nach der biblischen Prophetie des Danielbuches abgelehnt (Kap. 7), ein universales System der Zeit (Kap. 8) sowie Kriterien für die Abstammungen von Völkern (Kap. 9) entworfen und schließlich eine Chronologie von Universalgeschichtswerken (Kap. 10) angelegt. Die Bedeutung der geschichtlichen Gestalt Moses geht für Bodin über bloße verstreute Kommentare wie z. B. den, dass Moses Autorität vor allen Philosophen zu schätzen sei,44 hinaus. Das betrifft zunächst die Behandlung des hebräischjüdischen Gemeinwesens im sechsten Kapitel über die Regierungsformen (status Rerumpublicarum). Schon in der Widmung zur Methodus hatte Bodin die Wichtigkeit dieses Kapitels betont.45 Hier verfolgt ein eigener Abschnitt in dem Kapitel auch die historischen Entwicklungen des Gemeinwesens der Hebräer (Status et conversiones imperii Hebraeorum). Zuvor ist bereits die Diskussion über die unterschiedlichen Auslegungen von Dtn 17 und 1Sam 8 zum Ver40 Für Bodin sollte nicht nur ein ausgeglichenes Verhältnis von angereicherter Gesetzeskenntnis und Rechtspraxis in der Rechtswissenschaft im Vordergrund stehen, sondern die Vervollkommnung im humanistischen Sinne durch die feinen Künste (praeclares artes) und fundierte Philosophie (solida philosophia). Die natürliche Gerechtigkeit sollte nicht in den veränderlichen Willen der Menschen, sondern im ewigen Gesetz (lex aeterna) gesucht, Normen der Billigkeit (aequitas) kundig behandelt, Ursprünge des Rechts von letzten Prinzipien hergeleitet und alles Wissen um die Antike akkurat überliefert werden. Genauer sollte dies verbunden sein mit einer Kenntnis der historischen Rechtsinstitutionen, der philosophischen Staats- und Rechtslehre und überhaupt der alten Sprachen und der überlieferten Rechtsstatuten; erst so könne die angereicherte universale Kunst (ars universa) begrenzt und in ihre Genera und Teile gegliedert und mit Beispielen versehen werden – ein Vorgehen, das Bodin selbst anzuwenden suchte (vgl. zu allem Bodin, Methodus, ad facilem historiarum cognitionem, 108[A],51–108[B],43). 41 Gleich zu Anfang schreibt Bodin, dass Künste und Wissenschaften sich nicht mit den partikularen Dingen, sondern mit den universalen befassten (vgl. aaO., 107[B],5–7). 42 Vgl. auch Grafton, The Art of History, 32f. 69f. 76. 43 Quid historia sit, & quotuplex, cap. 1; De ordine historiarum, cap. 2; De locis historiarum recte instituendis, cap. 3; De historicorum delectu, cap. 4; De recto historiarum judicio, cap. 5 (vgl. Bodin, Methodus, ad facilem historiarum cognitionem, 111). 44 „[A]c tanti est apud me Mosis unius auctoritas, ut eam omnibus omnium philosophorum scriptis ac sententiis longe anteponam“ (aaO., 228[B],43–46). 45 Vgl. aaO., 109[B],23–28.
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ständnis des Königtums aufgenommen worden. Bodin hält Josephus entgegen, dass die Monarchie als Regierungsform gottgewollt sei.46 Der Abschnitt über das Gemeinwesen der Hebräer beginnt dann auch mit der konstitutiven Rolle, die Mose mit seiner königlichen Macht gehabt habe. Diese beinhaltete frei von anderen Mitbestimmungsinstanzen die Erlassung von Gesetzen, die Wahl des Hohen Rats (senatus) und der Magistrate, die Einrichtung einer Priesterschaft, die Richtgewalt zur Verhängung der Todesstrafe und die Ernennung Josuas zum Prinzen.47 Die mosaische Form der Monarchie wurde erst durch die aristokratische Zeit der Richter abgelöst.48 Bodin zitiert dann im Weiteren vor allem Josephus und den jüdischen Talmud-Traktat Sanhedrin neben einigen wenigen Bibelstellen, um die Kompetenzen der politisch-rechtlichen Instanzen des jüdischen Gemeinwesens im Wandel der Jahrhunderte wiederzugeben. Auch hier wird betont, dass nach dessen Einrichtung durch Mose, der Hohe Rat (Sanhedrin) die Macht des Monarchen nicht eingeschränkt habe.49 Errechnet werden 160 Jahre Monarchie, 244 Jahre Aristokratie, 496 Jahre geteilte Monarchie und der weitere Weg der respublica Hebraeorum bis zur römischen Besatzung.50 In dieser knappen Form, in der die respublica Hebraeorum in die universalgeschichtlichen Betrachtungen der Staatenentwicklung von Bodin eingetragen wurde, zeigt sich bereits die typische Themenschablone, die spätere Autoren wie Corneille Bertram oder Carlo Sigonio wieder aufnehmen werden, um ganze Bücher damit zu füllen. Ein weiterer Aspekt, der damit zusammenhängt, kann anhand des neunten Kapitels der Methodus verdeutlicht werden: Hier wird die Frage nach der Beurteilung der Abstammung von Völkern (Qua ratione populorum origines haberi possint) zum Thema. Keine Frage habe Historiker mehr bewegt und sei als Be46 Bodin bezieht sich an dieser Stelle auch auf Melanchthon, Philo und den Talmudtraktat Sanhedrin: „[R]efellenda est igitur Josippi ac eorum opinio, qui Deum putant regnum in sacris litteris execrari, & optimatum imperium apud Hebraeos constituisse. sic enim tradit Josippus libro VI. cap. VI. antiq. Quanquam Philo Hebraeus in libro de creatione Principis, unius Principis dominatum Dei jussu stabilitum esse docet. Josippi tamen opinionem refellamus. quod igitur attinet ad verba Samuelis, non regnum ab eo, sed tyrannis describitur: contra quam putat Melanchtho. quis enim mediocriter in Hebraïca lingua versatus, ignorat מלךregem aeque ac tyrannum significare? sic enim dicitur Abraham reversus a caede regum. vox autem משפטnon jura regis significat eo loco, sed morem & consuetudinem, ut optimi quique interpretes aiunt. ac nisi tyrannus describeretur, cur Moses Deuter. XVII. juberet Regem singula praecepta legis condiscere, populumque ex lege divina moderari? nam ex eo capite non solum popularis & optimatum potestas rejicitur, sed etiam regia probatur. tum etiam illud; Principi populi non maledices, unius imperium capit. & in libro Sanedrim cap. II. regia majestas quae fuit apud Hebraeos copiose describitur (aaO., 219[A],31–55). 47 Vgl. aaO., 219[A],57–219[B],5. 48 Bodin stimmt in diesem Fall dem reformierten Theologen Petrus Martyr Vermigli zu (vgl. aaO., 219[B],5–8). 49 Vgl. aaO., 219[B],27–38. 50 Vgl. aaO., 220[A],25–51.
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gründung für den Untergang von Staaten (reipublicae) und Kriegsverläufen hinzugezogen worden.51 Genauso sieht Bodin aber auch in nichts anderem als in den gemeinsamen Abstammungslinien eine bessere Möglichkeit, Wohlwollen und stabile Freundschaften unter Menschen zu stiften. Auf die Weise avanciert Mose zu einer Art humanem Einheitsstifter: Wenn Mose in den heiligen Schriften über Abstammungen geschrieben habe, dann doch nur deswegen, um den Menschen ihren eigenen Ursprung vor Augen zu führen.52 Als weiteres Beispiel hält Bodin den griechischen Gesetzen des Lycurgus und Platon auch das mosaische Fremden- bzw. Asylrecht entgegen, das Ausdruck dieser Humanität sei.53 Dieser Weltoffenheit in den mosaischen Gesetzen steht aber eine andere geschichtliche Beobachtung Bodins entgegen: Er sieht es als Konsens unter den Gelehrten an, dass der Ursprung aller Völker auf die Chaldäer zurückzuführen ist, aber die Juden seien das Volk gewesen, das sich seit frühester Zeit isolierter als andere vom Austausch unter den Völkern entwickelt habe.54 Ihre kulturelle Relevanz weist Bodin aber allein dadurch nach, dass er Wörter aus unterschiedlichen Sprachen etymologisch zurück auf das Hebräische verfolgt. So wird die Partikularität des Judentums von dem Einfluss hebräischer Sprache entkoppelt. Zugleich wird die übergreifende Bedeutung Moses in der Weltgeschichte gewahrt, denn er wird neben seiner Rolle als Gesetzgeber55 auch an den Anfang der Universalgeschichtsschreibung überhaupt gestellt.56
51 „Nulla quaestio magis exercuit historiarum scriptores, quam quae habetur de origine populorum: nec plures interitus Rerumpublicarum aut bella civilia saepius gesta memorantur, quam pro generis claritate ac spendore: cum alii opibus, aut scelere, aut majorum virtutibus parta nobilitate, seipsos ab aliis sponte divellerent, & eorum affinitatem repuriarent“ (aaO., 241[A],49–56). 52 „[V]eteres sane quodammodo venia digni sunt: hi vero, vel magno errore, vel scelere obligantur: tum quod ea quae Moses in sacris libris de originibus testata reliquit, aperte oppugnant (quantuam nulla subjecta ratione) tum etiam quod nulla gentibus illis origine quam a patrio solo tributa, eas ab aliarum societate & amicitia omnino divellunt. cum enim multa divinitus as origines scribendas Mosem impulerunt, tum illud etiam opinor, ut omnes homines as quos ea fama pervenisset, plane intelligerent se esse consanguineos, & eadem generis conjectione sociatos qua persuasione haud scio an ad hominum coluntasates & amicitias stabiliendas ac retinendas ulla major esse videatur“ (aaO., 241[B],27–42). 53 „Quare nec Lycurci, nec Platonis leges eas probare possum, qui suos cives a commercio peregrinorum omnino se junxerunt: tum etiam domesticarum rerum ad exteros evectionem, aut invectionem peregrinarum ad suos prohibuerunt, nam quid hoc aliud est quam tollere de rebus humanis hominum societatem? si meliores illi, peregrinos suis virtutibus informare ac beare, non arcere debuerunt, sane Moses non minore benevolentia peregrinum quam civem prosequendum putavit: & peregrinorum injurias gravius quam civium vindicari mandavit“ (aaO., 242[A],10–22). 54 Vgl. aaO., 252[A],27–31; 253[A],27–31. 55 Vgl. aaO., 243[B],59–244[A],2. 56 Vgl. die Chronologie der Universalhistoriker, an deren Anfang Mose gestellt wird: aaO., 254 [A],42–47.
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Die Relevanz der universalgeschichtlichen Ansätze Baudouins und Bodins lässt sich nicht nur in der schnellen Verbreitung der Schriften messen – allein im 16. Jahrhundert wurde Bodins Methodus noch zwölf Mal neu aufgelegt!57 Ihre besondere Bedeutung dürfte gerade auch in ihren politischen Implikationen liegen. Als sich in Frankreich in den 1560er Jahren die Religionskonflikte verschärften und schließlich in kriegerischen Auseinandersetzungen gipfelten, deren traurigen Höhepunkt die blutigen Massaker der Bartholomäusnacht 1572 bildeten, sah man auch unter Humanisten zunehmend die Dringlichkeit von konsensfähigen religiösen Fundamenten. Eine rechtsgeschichtlich ausgerichtete Antwort konnte hierbei auch konfessionelle Gegensätzlichkeiten überbrücken. Bodin ging später den Weg, die Monarchie in dieser Hinsicht in seinen Six livres noch zu verstärken, ein Ansatz, der z. B. in seiner Vorstellung einer gottgewollten mosaischen Monarchie schon angelegt war. Auf der anderen Seite waren es auch die französischen Monarchomachen wie Theodor Beza, die rechtsgeschichtliche Argumente aus der politia judaica entspringen ließen, wie zu sehen sein wird.
3.1.2 Wiederentdeckung und biblische Deutung der Lex Dei (Collatio legum Mosaicarum et Romanarum) Zurecht ist darauf hingewiesen worden, dass die sog. Lex Dei in ihrer Wiederentdeckung in der Frühen Neuzeit eine Art Sensation dargestellt haben musste.58 Der Titel Lex Dei, der als Kurzform auch weiterhin in den juristischen Werken der Zeit gängig blieb, war eine Abkürzung für Lex Dei quam praecepit Dominus ad Moysen. Diesen Titel tragen drei bis heute aufgefundene Manuskripte, die auf ein Werk eines unbekannten Autors aus dem späten 4. Jahrhundert n. Chr. zurückgehen, das mithin als eines der frühesten Zeugnisse eines Rechtsvergleichs gelten kann.59 Die Bezeichnung Collatio legum Mosaicarum et Romanarum, die auf Louis Le Caron im Jahr 1572 zurückgeht,60 ist die heute gebräuchlichere Betitelung und trifft auch den Kern der Sache eher, da es sich bei der Kompilation um einen Rechtsvergleich zwischen dem biblisch-mosaischen und dem römischen Recht handelt. Gleichwohl ist der Titel der Handschriften „Gesetz Gottes, das der Herr Mose anbefohlen hat“ (Lex Dei quam praecepit Dominus ad Moysen) 57 Vgl. Blair, Authorial Strategies, 138. 58 Vgl. Campos Boralevi, Politia Judaica, 290. 59 Frakes, The Lex Dei, 426 mit Anm. 6 hat zuletzt als Konsens der Forschung den Entstehungszeitraum 392–395 n. Chr. eingegrenzt. 60 Vgl. Frakes, Compiling the Collatio, 49. Im Weiteren wird die Bezeichnung Collatio Legum Mosaicarum et Romanarum – oder kurz: Collatio – und nicht Lex Dei verwendet, weil sie sich in der Forschung durchgesetzt hat und so eine Verwechslung mit dem gleichnamigen Werk Theodor Bezas umgangen werden kann.
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aussagekräftig, da hier bereits die Konzentration auf Mose als Rechtsinstanz, die in den Handschriften auftaucht, angezeigt wird. Die Gelehrten der humanistischen Jurisprudenz hatten zunächst vor allem ein historisches Interesse an der Collatio, denn sie lieferte ihnen wertvolle Rechtszeugnisse aus der vorjustinianischen Zeit. Damit gemeint ist die Zeit vor der Kodifizierung des römischen Rechts unter Kaiser Justinian (reg. 527–565 n. Chr.). Dieses Gesetzeskorpus erhält im 12./13. Jahrhundert n. Chr. den heute noch gebräuchlichen Titel Corpus Iuris Civilis.61 So ist die Collatio insgesamt wie folgt aufgebaut: In einer Anordnung von 16 Titeln wird jeweils mit der vorangestellten Formulierung Moyses dicit eine Bibelstelle aus dem Pentateuch angeführt, auf die dann Auszüge aus dem römischen Recht folgen. Die Quellen römischen Rechts, auf die Bezug genommen wird, sind: der Codex Gregorianus, der Codex Hermogenianus, die Schriften der großen römischen Juristen der hoch- bis nachklassischen Zeit, Iulius Paulus, Ulpianus, Papinianus, Gaius und Modestinus, sowie zeitgenössische Konstitutionen.62 Für die Bibelzitate, denen durch die Aufführung jeweils am Anfang der 16 Titel eine wichtige Stellung zukommt, konnte Robert M. Frakes zuletzt plausibel darlegen, dass der unbekannte Autor wahrscheinlich eine Vetus LatinaAusgabe des Pentateuchs (also nicht etwa den hebräischen Bibeltext, die Septuaginta oder die Hieronymus-Ausgabe) nutzte, was wiederum zusammen mit anderen Argumenten für die Autorschaft eines Christen sprechen würde.63 Die Gelehrten, die im 16. Jahrhunderts die Collatio neu entdeckten, waren sich in jedem Fall zum größten Teil einig, dass es sich um einen christlichen Verfasser handeln musste, und die Mehrheit sprach sich für Licinius Rufinus, einen Juristen aus dem dritten Jahrhundert aus, was heute allein wegen des später anzusiedelnden Quellenmaterials, auf das der Autor der Collatio zurückgriff, als unwahrscheinlich gelten muss.64 Während die erste bis heute feststellbare explizite Bezugnahme auf die Collatio auf Hinkmar von Reims aus dem Jahr 860 zurückgeht und man durch seine Formulierung und spätere Nachweise auf eine Zirkulation der Collatio im Mittelalter schließen kann,65 führt die Wiederentdeckung der Collatio im 16. Jahrhundert zum humanistisch gesinnten Jean du Tillet d.J. (gest. 1570), Bischof von St. Brieux (1553–64) und später Meaux
61 Vgl. Düll, Einleitung zu: Corpus Iuris, 5. 62 Vgl. zuletzt den Überblick bei Frakes, Compiling the Collatio, 66–82; dazu vorher: Hyamson, Mosaicarum et Romanarum legum collatio, 277–280. Für die Einordnung der Schrift ist eine Referenz eines Gesetzes Theodosius’ I. aus dem Jahr 390 als späterer Zeitrahmen wichtig (vgl. hierzu Jörs, Collatio, 368f; Frakes, Compiling the Collatio, 81f). 63 Vgl. Frakes, The Lex Dei, 426–441, bes. 438–441. 64 Vgl. Hyamson, Mosaicarum et Romanarum legum collatio, li–lii. 65 Zur Verbreitung im Mittelalter ausführlich Frakes, Compiling the Collatio, 36–48.
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(1564–70).66 Bischof Jean du Tillet d.J., ein akribischer Sammler und Herausgeber alter historiographischer und rechtlicher Handschriften, wird des Öfteren verwechselt mit seinem älteren gleichnamigen Bruder Jean du Tillet d.Ä., der als Pronotar, Sekretär und Archivar des Königs von Frankreich arbeitete und außerdem Schriftführer des Parlaments war.67 Die Brüder Du Tillet standen beide dem König von Frankreich nahe und waren auch mit François und Pierre Pithou befreundet.68 Alle vier verband ein ausgesprochenes Interesse an alten Quellen. Der Jüngere der beiden Du Tillets frönte dabei seinem Interesse an alten Manuskripten, darunter auch Rechtsüberlieferungen. Auch er schrieb Licinius Rufinus die Autorschaft der Collatio zu, als er Fragmente der Collatio im Jahr 1544 in Klöstern Nordfrankreichs entdeckte, wie Pierre Pithou (1539–1596) später berichtet.69 Nicht aber durch Du Tillet d.J., sondern durch Pierre Pithou, der seinerseits dem Milieu der humanistischen Jurisprudenz Frankreichs zuzuordnen ist, kam die Collatio in größeren Umlauf. Pithou sprach, obwohl auch er Licinius Rufinus’ Autorschaft für möglich hielt, nicht nur von der Lex Dei, sondern in Briefen auch von einer Collatio Legis Judaicae.70 Dies hätte aber bedeutet, dass ein christlicher Autor in der Antike eine Sammlung jüdischer Gesetze mit dem römischen Recht zu vermitteln suchte. Die Fragen, die sich schon hier für die jüdische oder christliche Identität des Autors aus dem 4./ 5. Jahrhundert ergeben, werden in der heutigen Forschung ohne neue Befunde kaum mehr anhand einer bestimmten Personenzuschreibung zu lösen sein, sondern bieten andersherum eher die Möglichkeit, den „Autor und sein Werk als ein Fenster seines Zeitalters“71 wahrzunehmen. An dieser Stelle soll allerdings der Fensterblick in die andere Richtung gehen: Was brachte Pithou dazu, das Werk eines akzeptiert christlichen Verfassers als Collatio jüdischen Rechts zu bezeichnen? Zunächst ist zu bedenken, dass die Collatio selbst dazu beigetragen haben konnte: An keiner Stelle stellt der unbekannte Verfasser einen direkten Bezug zur christlichen Religion her und zudem zitiert er ausschließlich Stellen aus dem Pentateuch bzw. der Thora, also dem für Juden mit Abstand wichtigsten Teil des biblischen Kanons. Über die Formulierungen Moyses dicit mit den darauffolgenden Bibelzitaten hinausgehend wird zumindest an einer Stelle noch die Ur66 Zu Du Tillet d.J. vgl. genauer Kelley, Jean Du Tillet, 340f. 67 Vgl. aaO., 339f. 68 Vgl. zu den Brüdern Du Tillet und Pithou, die zur Gelehrtengruppe „der historischen Schule des Pariser Parlaments“ (Friedrich von Bezold) gezählt werden, ebenfalls aaO., 339 mit Anm. 6. 69 Vgl. schon Blume, Ueber Pithou’s Handschrift. 70 So in einer Angabe aus dem Jahr 1579 zit. bei Hyamson, Mosaicarum et Romanarum legum collatio, l. 71 Frakes, Compiling the Collatio, 6 mit eigener Übers., MT.
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sprünglichkeit der mosaischen Gesetze gegenüber dem römischen Recht suggeriert. An einer der wenigen Stellen, an denen sich der Verfasser auch selbst zu Wort meldet (Coll. 7.1.1.), wird über das Todesgebot für einen Diebstahl bei Nacht aus dem Zwölf-Tafel-Gesetz, der frühen konstitutiven Grundlage des römischen Rechtslebens, gesagt: „[…] hört doch, Juristen, dass Moses dies früher angeordnet hat, wie eine genaue Lektüre [der biblischen Gebote] zeigt.“72 Das mosaische Gebot geht also dem römischen voraus. Überblickt man schließlich dazu noch insgesamt die thematische Zusammenstellung mosaischen und römischen Rechts der 16 Titel der Collatio, so ergibt sich noch ein anderer Befund: Es werden Mord (Meuchelmord) und Totschlag, (schwere) Körperverletzung im Streitfall, das Recht über und Vergehen an Sklaven, Ehebruch, Unzucht bezogen auf Homosexualität, Inzucht Geehelichter, Diebstahl und dessen Bestrafung, falsches Zeugnis, Verweigerung der Zeugenschaft aus familiären Gründen, Haftung für fremdes Eigentum, Viehdiebstahl, Brandstiftung, Verstöße gegen das Grenzrecht, Menschenraub, Zauberei und Prophetie (einschließlich Manichäismus) und das Erbrecht behandelt.73 Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf dem Strafrecht, nur der letzte Titel ist rein privatrechtlicher Natur.74 Diesbezüglich haben Forscher hervorgehoben, dass sich eine Mehrzahl der zusammengestellten biblischen Gebote in der Collatio auf die zweite Tafel des Dekalogs rückbeziehen lassen.75 Dies setzt jedoch einen Interpretationsschritt voraus, den, wie zu sehen sein wird, erst einzelne frühneuzeitliche Autoren konsequent im Hinblick auf das biblische Recht vollzogen: Wie bereits im vorherigen Kapitel erkennbar wurde, bestand unter Theologen – und dies gilt für beide konfessionelle Lager – ein Grundkonsens über die universelle Geltung des Dekalogs unter den mosaischen Gesetzen, nicht aber über eine fortbestehende Geltung der mosaischen Judizial- und Zeremonialgesetze. Ein großer Teil der Theologen hielt daran fest, dass diese Teile der mosaischen Gesetze von Christus abgeschafft worden seien. Die Collatio bezog sich nun aber gerade auch auf Gebote, die nach der gängigen Dreiteilung dem mosaischen Judizial- und Zeremonialgesetz, mehrheitlich darunter vor allem 72 „7.1.1. Quod si duodecim tabularum nocturnum furem[, quoquo modo diurnum] autem si se audeat telo defendere, interfici iubent, scitote, iuris consulti, quia Moyses prius hoc statuit, sicut lectio manifestat“ (Coll. ed. Frakes 2013, 175). 73 Die einzelnen Titel der Collatio lauten numerisch aufgeführt: Coll. 1. De Sicariis et Homicidis casu vel voluntate, Coll. 2. De Atroci Iniuria, Coll. 3. De Iure et Saevitia Dominorum, Coll. 4. De Adulteriis, Coll. 5. De Stupratoribus, Coll. 6. De Incestis Nuptiis, Coll. 7. De Furibus et de Poena eorum, Coll. 8. De Falso Testimonio, Coll. 9. De Familiaris Testimonio Non Admittendo, Coll. 10. De Deposito, Coll. 11. De Abactoribus, Coll. 12. De Indendiariis, Coll. 13. De Termino Amoto, Coll. 14. De Plagiariis, Coll. 15. De Mathematicis, Maleficis et Manichaeis, Coll. 16. De Legitima Successione (vgl. die Fassung nach Coll. ed. Frakes 2013). 74 So auch Jörs, Collatio, 368f. 75 Vgl. unter anderem Campos Boralevi, Politia Judaica, 289.
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dem Judizialgesetz zuzuordnen wären. Damit einhergehend legte die Collatio nahe, dass das mosaische ius scriptum dem römischen Recht vergleichbar und sogar vorgängig war.76 Einige der Autoren, deren Werke nun im Fortgang vorgestellt werden, nahmen dies auf und interpretierten die Collatio weiter auf den Dekalog hin. Damit gingen sie über die humanistischen Juristen hinaus, die ein bloßes historisches Interesse an der Collatio als Quelle des vorjustinianischen römischen Rechts hatten. In den Mittelpunkt traten nun die mosaische Gesetzgebung und ihre konzentrierte Fassung in Form des Dekalogs. Alle im Weiteren vorgestellten Autoren, die einen rechtskomparativen Ansatz in der Auslegung der mosaischen Gesetze wählten, verband außerdem ein Bezug zur calvinistischreformierten Theologie, der sich aber teilweise erst durch nähere Betrachtung der genutzten Textvorlagen ergibt. Sie nahmen Ansätze in der Auslegung der mosaischen Gesetze von Johannes Calvin und Theodor Beza auf, gingen aber zugleich durch Vergleiche mit außerbiblischen Rechtsquellen über sie hinaus. Bezas Werk Lex Dei, moralis, ceremonialis, et politica, ex libris Mosis excerpta blieb ja genauso wie Calvins „Harmonie der mosaischen Gesetze“ auf das innerbiblische Recht beschränkt.77 Bezas Kompilationswerk kommt für sich genommen die Besonderheit zu, dass zumindest in drei Fällen Übereinstimmungen mit den Titelnamen der antiken Collatio legum Mosaicarum et Romanarum bestehen. Dies betrifft die Titel De atroci iniuria (= Coll. 2) und De deposito (= Coll. 10) und De termino moto (= Coll. 13), der mit dem späteren Digestentitel übereinstimmt (D. 47,21).78 Im ersten Fall wird in Coll. 2 aus Ex 21,18f zitiert, in Bezas Schrift aber ausführlicher Ex 21,18–36 den Abschnitten aus Lev 24,19–21 und Dtn 25,11 gegenüberstellt; im anderen Fall nimmt Coll. 10 Bezug auf Ex 22,7– 11, Beza aber wiederum ausführlicher auf Ex 22,7–13.79 Beza wird wahrscheinlich von Pierre Pithous Edition der Collatio vor der Veröffentlichung seines eigenen Werkes Lex Dei Notiz genommen haben. Diese Möglichkeit reicht aber natürlich nicht aus, um Bezas Werk Lex Dei in direkte Verbindung mit der Collatio legum Mosaicarum et Romanarum zu bringen. Auf der anderen Seite zeigt dann aber doch die weitere Text- bzw. Druckgeschichte sowohl von Bezas als auch von Calvins Auslegung der mosaischen Ge76 Die Collatio Legum Mosaicarum et Romanarum markiert damit möglicherweise einen wichtigen Anstoß zu dem, was Richard Ross erst kürzlich als einen grundlegenden Unterschied in der Rechtsargumentation der Frühen Neuzeit zwischen den mosaischen Legalisten („Mosaic legalist“) und Naturrechtlern („natural lawyers“) beschrieben hat, ohne die eigentlichen theologischen und rechtlichen Ausgangsstellungen dieser Unterscheidung wahrgenommen zu haben (Ross, Distinguishing Eternal from Transient Law, hier: 79). 77 Siehe bereits weiter oben, Abschn. 2.5.3 u. 2.5.4.1. 78 Vgl. Beza, Lex Dei, 69f. 82. 79 Vgl. ebd. mit Pithou, Fragmenta, f. a.iijr (Index titulorum); dazu 6. 28. 39. Vgl. auch Frakes, Compiling the Collatio, 161. 179. 187, wo Coll. 13 anders als in den Fragmenta von Pithou mit dem Titel De Termino Amoto wiedergegeben wird.
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setze, dass Zeitgenossen sehr wohl eine Verbindungslinie zur Collatio gezogen haben: Im Jahr 1603 erscheint nämlich Pithous Edition der Collatio, nun unter dem Titel Mosaicarum et Romanarum Legum Collatio, zusammen mit Bezas Werk Lex Dei und schon im Titel wird dies mit der Ähnlichkeit der Argumente beider Werke („propter argumenti similitudinem“) begründet.80 Bereits ein Jahr zuvor wurden diese beiden Werke zusammen mit Calvins „Harmonie der mosaischen Gesetze“, also seinem Kommentar zu den letzten vier Büchern Moses, gedruckt. Ein Druck der Werke beider Reformatoren zusammen lag insofern nah, weil Beza ja eingangs seiner Kompilation Calvin als seinen Lehrer und sein Vorbild bei der Gesetzeslehre angibt. Im selben Jahr der Publikation von Bezas Werk Lex Dei erscheinen auch die Ethices Christinae libri tres von Lambert Daneau (1530–1595). Daneaus Ethik, die erste im Bereich des reformierten Protestantismus überhaupt,81 stellt bereits im Widmungsbrief explizit eine Verbindung zwischen der Collatio legum Mosaicarum et Romanarum und dem Dekalog her.82 Außerdem kannte Daneau natürlich die Werke Bezas,83 also auch dessen Kompilation Lex Dei, und er zitiert Calvins „Harmonie“ der letzten vier Bücher in seinen Ethices.84 In Daneaus Ethices wird schließlich das Programm einer theologisch-ethischen Ausdeutung und Anwendung des Dekalogs auf das Leben eines Christen konsequent entfaltet. Insgesamt ist deswegen davon auszugehen, dass innerhalb der calvinistischreformierten Tradition Genfs die Collatio legum Mosaicarum et Romanarum als Erstes biblisch auf den Dekalog weiter ausgedeutet wurde und ihre Vermittlung
80 Der volle Titel lautet: Mosaycarvm et Romanarvm legvm collatio. Ex Integris Papiniani, Pauli, Vlpiani, Gaij, Modestini, aliorumque veterum Iuris auctorum libris ante tempora Iustiniani Imp. desumpta. Eiusdem Imp. Iustiniani Nouella Constitutiones III. Iuliani Antecessoris C. P. Dictatum de Consiliariis. Eiusdem Iuliani Collectio de contutoribus. Ex Bibliotheca Pithoei IC cuius etiam Notae emendatiores adiectae sunt. Acceßit Propter argumenti similitudinem Lex Dei moralis, ceremonialis et Politica. Ex Libris Mosis excerpta & in certas classes distributa, [Genf] 1603. 81 „Daneaus ist der erste Protestant, welcher die christliche Ethik als ein besonderes Ganze[s] wissenschaftlich dargestellt hat“ (Schweizer, Entwickelung des Moralsystems, 23; vgl. auch 7). So lautet auch das Urteil von Strohm, Protestant Concepts of Law, 245. Von ihm sind Daneaus Ethices Christinae libri tres bereits umfangreich untersucht worden (vgl. Strohm, Ethik). 82 „Nam satis mihi fuit in quoque Decalogi praecepto locos Communes, qui dicuntur, tantum attigisse, vel duntaxat indicasse. Quod autem ad Iuris Diuini & Romani collationem attinet, in ea compendio maiore sum quoque delectatus, quod nuper apud vos degentis P. Pithaei I. C. opera, Mosaicarum & Romanarum legum consensus editus est: elegans sane libellus, sed magis iam ob ipsius Pithaei eruditissimi viri notas & vtilis & legendus“ (Daneau, Ethices Christianae libri tres, Epist. f. [vijr]). Gleich daran anschließend erinnert Daneau auch an die Bedeutung des Juristen François Hotman und dessen zivil- und römisch-rechtliche Arbeiten. Zur Autorität François Hotmans in der damaligen Rechtslehre vgl. auch Strohm, Ethik, 274ff. 83 Beza wird z.B. in Daneau, Ethices Christianae libri tres, f. 154r, 172r, 212r zitiert. 84 Vgl. aaO., f. 154r („Caluinus in Harm[onia] Mosis“).
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mit dem römischen Recht dann in der Folge zu weiteren Vergleichen mit antiken Überlieferungen außerbiblischen Rechts angeregt hat.
3.2
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Solche Vergleiche von mosaischem und römischem Recht mit weiteren antiken Rechtüberlieferungen, die Pithous Edition der Collatio legum Mosaicarum et Romanarum integrieren, bilden einen Teil der in diesem Abschnitt zu untersuchenden rechtskomparativen Literatur. Programmatisch wird dies in Henri Estiennes Kollation Iuris civilis fontes et rivi (1580) zum ersten Mal verwirklicht und später in Johann Kahls Themis Hebraeo-Romana, id est iurisprudentia Mosaica (1595). In den anderen beiden Arbeiten von François Ragueau und William Welwood, die in diesem Abschnitt vorgestellt werden, bleibt es lediglich beim Vergleich von mosaischem und römischem Recht. Estienne und Kahl lassen aber die Vermittlung der mosaischen Gesetze mit dem römischen Recht zumindest noch als eigentlichen Schwerpunkt in der Darstellung bestehen. Außerdem kann insgesamt für alle Autoren argumentiert werden, dass die Art und Weise, wie sie als Juristen im römischen Recht humanistisch geschult waren, ihre methodischen Zugänge bestimmt. Inwieweit dies möglicherweise auch für ihren Bezug zur calvinistisch-reformierten Tradition Genfs gilt, soll im Weiteren hinterfragt werden.
3.2.1 Die Leges politicae (1577) François Ragueaus und ihre Rezeptionsgeschichte in konfessioneller und transkonfessioneller Betrachtung Über den Lebensweg des Juristen François Ragueau (Franciscus Raguellus) ist nur relativ wenig überliefert.85 Ragueau wurde in Mehun-sur-Yèvre geboren und starb 1605 in Bourges. Gerade auf Grund der nur wenigen überlieferten biographischen Informationen fällt eine konfessionelle Einordnung Ragueaus schwer. Für eine Zugehörigkeit zum Katholizismus könnte sprechen, dass er in Mehun als Amtsverwalter in einer führenden politischen Position tätig war und 85 Vgl. zu den folgenden biographischen Angaben: Thaumas de La Thaumassière, Histoire de Berry, 1107; Jöcher 3 (1961 [=1751]), 1875f; 6 (1961 [=1819]), 1252. Eine Kurzfassung einiger Ergebnisse dieses Abschn. 3.2.1 über Ragueau finden sich bei Totzeck, Ideal des alttestamentlichen Gemeinwesens, 12–14, wo jedoch noch nicht auf die Bibeltextfassung, die Ragueau nutzte, hingewiesen ist. Vor allem diese deutet auf eine Nähe Ragueaus zur calvinistisch-reformierten Tradition hin.
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für seine Schriften das königliche Privileg zur Publikation erhielt.86 Allerdings wird im Folgenden vor allem in Anbetracht seines Ansatzes und der herangezogenen Quellen in seiner Rechtskompilation Leges politicae, ex sacrae iurisprudentiae fontibus haustae, collectaeque & ob commodiorem usum, ad formam Iustinianei Codicis digestae, ac per Titulos, Edictique perpetui seriem concinnatae (1577) vorgeschlagen, dass Verbindungen zur reformierten Tradition Genfer Prägung bestanden haben müssen. Als gesichert kann gelten, dass Ragueau der humanistischen Jurisprudenz Frankreichs zuzuordnen ist: Er studierte unter dem großen humanistischen Rechtsgelehrten Frankreichs, Jacques de Cujas, in Bourges und ab 1567 dann in Valence, bevor er 1584 selbst zum Professor der Rechte in Bourges ernannt wurde. Schwerpunkte seiner juristischen Tätigkeit bildeten die Aufarbeitung bzw. lexikalische Erarbeitung des französischen und des römischen Rechts.87 Die Beschäftigung mit dem römischen Recht schlägt bereits die Brücke zu Ragueaus erwähnten Leges politicae, ex sacrae iurisprudentiae fontibus haustae, die er bis 1576 geschrieben hatte und die 1577 in Frankfurt am Main erschienen.88 Die Schrift markiert die Anfänge der weiter oben beschriebenen Rechtsvergleiche, die von einer Idealvorstellung mosaischen Rechts ausgingen. Ragueau selbst verweist darauf, dass ein ähnliches Vorhaben vor ihm noch nicht versucht und durchgeführt worden sei.89 Im Mittelpunkt steht die Vermittlung von göttlichem (insbesondere mosaischem) und römischem Recht. Dabei ordnet er biblische Gesetze 46 Titeln der Digesten des Corpus Iuris Civilis zu. Den breitesten Raum nehmen die Bibelzitate ein, nur in wenigen Fällen kommt es zu kommentierenden Einfügungen. Nur das, was den bürgerlichen Gesetzen dient und annehmbar ist, soll hinzugefügt werden, und schon in seiner Vorrede bringt Ragueau dabei seine ausgesprochene Wertschätzung für die mosaischen Gesetze und die respublica des jüdischen Volkes90 zum Ausdruck. Dabei sind drei Aspekte91 hervorzuheben: Zum einen geschieht eine Vermittlung zwischen dem göttlichen und zivilen Recht vor allem über den Billigkeitsgedanken (aequitas) bei Ragueau. Zweitens wird dabei betont, dass jegliches Gesetz, das der Billigkeit des mosaischen Rechts entgegensteht, verwerflich und deswegen abzulehnen sei. Schließlich wird drittens insgesamt noch einmal spezifischer die Bedeutung des 86 Vgl. Ragueau, Leges politicae, f. A1r. 87 Weite Verbreitung fand sein Glossaire du droit français. Daneben hat Ragueau u. a. ein Kommentarwerk zur justinianischen Gesetzgebung verfasst (vgl. Jöcher 6, 1252). 88 Das Vorwort ist auf das Jahr 1576 datiert, der Frankfurter Druck aber erst auf das Jahr 1577 (vgl. Ragueau, Leges politicae, f. A4r). 89 „Itaq[ue] ex Sacrae Scripturae fontibus collegi hoc Opus, quod antehac ab alijs ne tentatum quidem fuisse, existimo […]“ (aaO., f. A2r). 90 Vgl. aaO., f. A3v–A4r. 91 Vgl. aaO., f. A2v–A4r.
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mosaischen Moralgesetzes hervorgehoben. Diese Schwerpunkte in der Gesetzeslehre aber stehen ganz denjenigen Johannes Calvins nahe. Hinzukommt, dass Ragueau bewusst darauf verzichtet, die Vulgata als Bibelübersetzung zu benutzen, aber nicht benennt, welche Ausgabe er nutzt – dies hat seinen Hintergrund. Textnahe Bibelstellenzitate geben jedenfalls Hinweise darauf, dass Ragueau Calvins Kommentare zu den fünf Büchern Mose genutzt haben muss.92 In Frankfurt am Main erschien vier Jahre später eine deutsche Übersetzung und Bearbeitung der Leges politicae Ragueaus mit dem Titel Leges Politicae Divinae: Das ist/ Von Allen Buergerlichen Satzungen oder Rechten/ erklaerung (1581). Die Edition stammt von dem Juristen Abraham Saur (geb. 1545), der ab 1565 die Rechte in Wittenberg und Marburg studiert hatte und selbst in verschiedenen höheren juristisch-politischen Ämtern tätig war.93 Saurs Übersetzung und Bearbeitungen gehen teils weit über den Text Ragueaus hinaus. Dies betrifft zum einen die Glossierung des Textes, die Saur vornimmt, die neben Paraphrasierungen einzelner Abschnitte auch zusätzliche Textverweise auf das römische Recht und die gesamte Bibel liefert. Hinzu kommen eine Anzahl antiker Zitate und vor allem eine Reihe von in den Text eingefügten Bildern. Eine Nähe zu der Gattung der Emblembücher, die in der Frühen Neuzeit Bedeutung gewann, wird dabei augenscheinlich. Von besonderem Interesse sind aber darüber hinaus die längeren Texteinfügungen, die Saur gegenüber der Vorlage Ragueaus vornimmt. So fügt Saur Ragueaus oben bereits erwähnter Vorrede an den Leser ganze drei weitere Vorreden hinzu: eine erste in Form einer Widmung an Landgraf Ludwig von Hessen, die genauso eine allgemeine Bibelhermeneutik und theologische Positionierung gegenüber dem Judentum enthält wie die folgenden zwei Vorreden mit den Titeln Betrachtung/ dreyer vornemer sachen. Warumb der guetige und weise Gott/ das Israelitisch Volck erweckt habe94 und Gottselige betrachtung und Vorrede auff das alte und neuwe Testament.95 Durch die Vorreden kommt es zu wesentlichen Veränderungen gegenüber Ragueau, die insbesondere das Gesetzes- und Bibelverständnis betreffen. Hervorgehoben werden können sowohl konfessionelle wie transkonfessionelle Aspekte, die sich allerdings schwerlich gesondert voneinander betrachten lassen:
92 „Non sum autem secutus vulgatam Editionem Latinam Bibliorum, quae vetus, & in multis admodum obscura est translatio, sed vsus sum interpretationibus recentiorum, quae tanquam magis dilucidae probantur ab eruditis“ (aaO., f. A2r–v). Vgl. u. a. aaO., 5 (Dtn 5,16) u. 5f (Dtn 21,18ff), mit Calvin, Commentarii in quinque libros Mosis, CO 24, Sp. 601 (Dtn 5,16); Sp. 607 (Dtn 21,18–21) u. ö. 93 1568 wurde Saur kaiserlicher Notar und war danach noch u. a. als Advokat und Prokurator am hessischen Hofgericht zu Marburg tätig (vgl. Reimer, Art.: Saur, 419f). 94 Vgl. Ragueau/Saur, Leges Politicae Divinae, f. [Aviijr]. 95 Vgl. aaO., f. B[ir].
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Aus transkonfessioneller Sicht ergeben sich signifikante Verschiebungen im Verhältnis zum Judentum, die vor allem mit der christologischen Aufladung des Gesetzesbegriffes zu tun haben, die bei Saur gegenüber Ragueau zu beobachten ist. So beginnt Saur gleich mit dem Thema der Erwählung und Verwerfung des jüdischen Volkes, die für ihn unmittelbar mit der Frage nach der Geltung des Gesetzes und Evangelium zusammenhängen.96 Die Zerstreuung Israels wird als zeitliche Strafe bzw. als Erweis göttlicher Gerechtigkeit, die sich gegen die Gegner Christi und der Kirche richtet, gedeutet. Dem Zerfall des israelitischen Regiments stehe auf der anderen Seite die Sendung des Messias gegenüber, dessen Reich nicht weltlich sei, sondern „das ewige Gut, so durch die ersten Eltern verloren warde […].“97 Dies äußert sich darin, dass Saur zwar Mose und das mosaische Gesetzeswerk hervorhebt, denn Mose sei „Brunn aller Weißheit“, aus dem schließlich auch das Neue Testament fließt. Gegenüber Christus bleibt Mose für Saur aber derjenige, der „in seinen Buechern/ treibet/ dringet/ dreuwet/ schlegt/ vnnd strafft greuwlich/ Denn er ist ein Gesetzschreiber vnd treiber.“98 So ergibt sich bei Saur eine Dialektik von Gesetz und Evangelium, in der das Gesetz vor allem auf das Evangelium und den Glauben an Christus hin geordnet wird. Juden wird in der Konsequenz ein irriges Gesetzesverständnis unterstellt. Die Hochschätzung der jüdischen respublica bei Ragueau wird somit gemindert. Aus konfessioneller Sicht lässt sich feststellen, dass Saur in seinen eigenen Hinzufügungen an keiner Stelle auf die konfessionelle Orientierung Ragueaus eingeht. Allerdings wird man Saurs Ausdeutungen und Hinzufügungen selbst leicht in Verbindung mit seinem Studium in Wittenberg und der dortigen theologischen Schule, die auch die Rechtswissenschaften beeinflusste, bringen können.99 Zu verweisen ist hier insbesondere auf Martin Luthers und Philipp Melanchthons Ablehnung einer fortwährenden Geltung des mosaischen Rechts im zivilen Bereich in Folge der Auseinandersetzungen mit dem radikalen Flügel der Reformation.100 Dadurch wurde der Zugang zu einem Rechtsvergleich mit dem geschriebenen mosaischen Recht (lex scripta Mosaica) erschwert. Das macht aber nicht genügend erklärbar, warum Saur in allen drei hinzugefügten Paratexten das Verhältnis von Christen und Juden in den Mittelpunkt rückte. Hierbei kommt als Erklärungsansatz vor allem die Situation des Judentums in Frankfurt Vgl. aaO., [Aviijr]–Br. Vgl. aaO., [Aviijv]. AaO., f. Cvr. Gerade die Dialektik von Gesetz und Evangelium, die in den juristischen Bereich hineinwirkte, zeigt Nähe zum Humanisten und Reformator Philipp Melanchthon. Dies gilt auch für einzelne Formulierungen wie die, dass das Evangelium kein Gesetzbuch sei, sondern „eigentlichen eine Predigt von den wolthaten Christi“ (aaO., f. Cvr). 100 Zu Melanchthons Wandel in der Auffassung von den mosaischen Gesetzen und seiner späteren Aufwertung des römischen Rechts gegenüber dem mosaischen Recht siehe bereits oben, Abschn. 2.2.1–2. 96 97 98 99
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am Main in Frage, der Stadt, in der die Edition Saurs noch mehrfach nachgedruckt wurde. In Frankfurt wuchs gerade in diesen Jahrzehnten die Bevölkerung des jüdischen Ghettos, das bald zur größten deutsch-jüdischen Gemeinde wurde, was wiederum Unruhen in den Jahren nach 1600 hervorrief.101 Die Situation des Judentums in Frankfurt hat auch Niederschlag in Saurs Glossierung gefunden.102 In dieser Form der Bearbeitung Saurs und in einer schwedischen Übersetzung führte der Weg der Leges politicae François Ragueaus schließlich sogar noch bis nach Schweden an den königlichen Hof Karls IX. im 17. Jahrhundert.103 Unter den in diesem Abschnitt betrachteten Rechtskompilationen stellt Ragueaus Werk von der Druck- und Rezeptionsgeschichte her das am weitesten verbreitete Werk dar.
3.2.2 Henri Estienne, Iuris civilis fontes et rivi (1580) Mit seiner Schrift Iuris civilis fontes et rivi geht es Henri Estienne (Étienne/ Henricus II. Stephanus, 1528–1598)104 um einen umfangreichen Vergleich der ältesten antiken Rechtsquellen der Völker. Dazu wird die Vorstellung von einem mosaischen Ursprung der Gesetzeskorpora anderer Völker mit eingebracht – und zwar auch auf wesentlicher Grundlage der Collatio legum Mosaicarum et Romanarum. Diese wird außerdem in der Fassung der 1573 zum ersten Mal in Paris erschienenen Edition Pierre Pithous einschließlich einiger Emendationen in vollem Umfang ans Ende von Estiennes eigener Rechtskollation gestellt. Eine 101 Vgl. Israel, European Jewry, 56f. 102 Bezeichnenderweise fügt Saur z. B. unter dem Titel XVII. De Usuris et Foenore dem Werk Ragueaus in seiner eigenen Übersetzung eine Tabellenkalkulation zur Zinsnahme nach der Frankfurter Währung hinzu (Ragueau/Saur, Leges, 85f) und setzt noch vorher eine Glosse: „Die Jueden solten heutiges tages von vns Christen billich keinen Wucher nemen/ sintemal sie bey vn vnter vns wohneten: sonder jrer hende arbeit solten sie sich nehren […]“ (aaO., 84). 103 François Ragueau/Abraham Saur/Conrad Saur, Lex politica Dei, thet är: Gudz regementz ordning […], übers. v. Henrik Jönsson Careell, Rostock 1607 (weitere Aufl.: Stockholm 1635; ebd. 1638; ebd. 1651). 104 Die heutige Sekundärliteratur über Henri Estienne ist nicht sehr ergiebig. Biographisches ist noch bei Hausmann, Französische Renaissance, 154–156 im Wesentlichen wiedergegeben, die Standardreferenz ist Feugères Essai sur la vie et les ouvrages de Henri Estienne (1853). Eine Vielzahl an Hinweisen zum Werdegang und intellektuellen Hintergrund Henri Estiennes mit einem umfassenden Einblick in die damaligen italienischen, französischen und deutschen humanistischen Milieus liefert auch eine heute nicht mehr beachtete Kurzbiographie von Paul Adolf Grautoff mit dem Titel Henricus Stephanus. Eine Skizze seines Lebens und seiner Bedeutung (1862). Sie ist abgedruckt in einem Programm des Königlichen Evangelischen Gymnasiums zu Groß-Glogau für das Schuljahr 1861/62. Grautoffs Lebensskizze Estiennes ist selbst im humanistischen Geist verfasst. Dieser färbt natürlich auch zum Teil auf Estiennes Lebensdarstellung ab (vgl. Grautoff, Henricus Stephanus).
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Verbindung zu Pithou erschließt sich schon dadurch, dass die Pariser CollatioAusgabe Pithous selbst in den Offizinen der Familie Estienne gedruckt worden war.105 Für Henri Estienne ist damit bereits ein erster wichtiger Aspekt der Entstehung seines eigenen Werkes Iuris civilis fontes et rivi benannt, nämlich der Zugang zu antiken Überlieferungen des Rechts, der durch seine eigene Arbeit als Drucker, Herausgeber und Übersetzer antiker griechischer und lateinischer Quellen begünstigt wurde. Estienne hatte drei Jahre seiner Jugend in Italien verbracht und danach weite Teile Europas von England über Flandern, im Heiligen Römischen Reich bis nach Wien und Ungarn bereist auf der Suche nach alten Handschriften und Quellen in privaten und öffentlichen Bibliotheken, die dann von ihm bearbeitet wurden. Durch seine humanistische Bildung verfügte Estienne über ausgezeichnete Kenntnisse der tres linguae sanctae. Obwohl er somit also auch entsprechend gute Hebräischkenntnisse gehabt haben muss, dringen diese jedoch in seinem Werk Iuris civilis fontes et rivi nicht durch. Eher bleibt das Griechische bestimmend. So nimmt Estienne eigene Übersetzungen griechischer Quellenstücke in die lateinische Sprache vor. Vor allem durch seine hervorragenden philologischen Fähigkeiten als Gräzist war Estienne ja auch in den humanistischen Kreisen weithin anerkannt. Seine Edition des Corpus Platonicum hat bis heute ihre Bedeutung durch die von ihm gesetzte Zählung (sog. Stephanus-Zählung) behalten und sein Griechisch-Wörterbuch mit lateinischen Erläuterungen, der Thesaurus graecae linguae (1572) in fünf Bänden, wurde zu einem Standardwerk.106 Zweitens steht als weiterer Hintergrund von Estiennes Iuris civilis fontes et rivi der konfessionelle Aspekt zur Debatte: Er betrieb seit dem Tod seines Vaters im Jahr 1559 dessen Genfer Offizin und führte damit das große Erbe einer Druckerdynastie fort, das 1502 mit der Druckerei von Henri Estiennes Großvater (Henricus I.) in Paris begonnen hatte. 1551 floh Henri Estienne mit seinem Vater Robert nach Genf, weil sich sein Vater der Anhängerschaft Calvins verdächtig gemacht hatte. Die dortige Druckerei ging 1559 dann in die Hände Henri Estiennes nur unter der Bedingung über, dass er wie sein Vater im reformierten Glauben und in Genf bleibe.107 Steht sein Werk in irgendeiner Beziehung zu den im vorherigen Kapitel beschriebenen Gesetzeslehren der Genfer Reformatoren Calvin und Beza? Zumindest ein enges persönliches Verhältnis zu Beza pflegte Henri Estienne. Eine Antwort muss in diesem Fall aber auch seine fortbestehenden Beziehungen nach Frankreich mit in den Blick nehmen: Sein Bruder
105 Vgl. hierzu die Angabe auf dem Titelblatt zu Pithou, Fragmenta: „Lvtetiae, Ex officina Roberti Stephani. m. d. lxxiii. cvm privilegio regis et senatvs.“ 106 Vgl. Feugère, Essai, 61f; Hausmann, Französische Renaissance, 154–156. 107 Vgl. Grautoff, Henricus Stephanus, 10f.
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Robert II. Estienne stand auf römisch-katholischer Seite.108 Die genannte Collatio-Edition Pierre Pithous, die Henri Estienne in sein Werk Iuris civilis fontes et rivi aufnahm, wurde 1573 in der Druckerei, die nun sein Bruder in Paris im Auftrag der Krone führte, gedruckt.109 Für Henri Estienne blieb auch nach dem Tod seines Vaters der Bezug zu seinem Heimatland charakteristisch. Er war selbst, wie David Cowling gezeigt hat, ein Verfechter eines frühen französischen Nationalgedankens und der französischen Sprache.110 Estiennes eigenen humanistischen Interessen treten dabei nicht unbedingt in den Hintergrund, wenn er beispielsweise auf Basis der philologischen Fähigkeiten eines Humanisten demonstrieren will, wie das Französische noch ursprünglicher das alte Latein oder Griechisch als andere europäische Sprachen wiedergebe.111 Es ist nicht ganz gesichert, ob seine Rechtskollation Iuris civilis fontes et rivi nun 1580 das erste Mal in Paris oder in Genf erschien, da im Titelblatt kein Drucker oder Erscheinungsort genannt ist.112 Denkbar wäre auch, dass das Werk an beiden Orten gedruckt wurde, denn Henri Estienne hatte bereits seit 1578 damit begonnen, seinen Lebens- und Arbeitsmittelpunkt nach Paris zu verlegen und war nur noch von Zeit zu Zeit in Genf.113 Auch in seine eigenen Werke mischen sich dabei antikatholische und zum Teil anti-italienische und -spanische Züge. Dass die rechtliche Seite in Henri Estiennes Werken heute kaum noch wahrgenommen wird, dürfte damit zu tun haben, dass schon die umfangreichste biographische Darstellung über ihn, die auf Mitte des 19. Jahrhunderts datiert, das Werk Iuris civilis fontes et rivi lediglich auf einer Seite würdigt und man dem Titel nach nicht unbedingt auf den eigentlichen Inhalt schließen kann, sondern vielleicht eher an eine Studie über das römische Recht denken könnte. Estienne setzt aber bei einem Vergleich der mosaischen Gesetze mit den alten Gesetzge108 Grautoff (vgl. aaO., 11) gibt an, dass Robert II. Estienne in Paris verblieben sei, wohingegen wohl richtigerweise nach Angabe von Cowling, Constructions of Nationhood, 75, gestützt auf Feugère, Essai, 29–31, berichtet wird, dass Robert II. Estienne aus Genf geflohen war. Bei Feugère finden sich genau genommen folgende Angaben: „L’imprimerie parisienne de Robert Ier ne tarda point à passer aux mains de son second fils, Robert IIe du nom. Celui-ci, peu après son arrivée à Genève, s’en était échappé pour revenir dans la capitale: il demeura fidèle à l’Église romaine. Le père, injustement irrité, le déshérita dans la suite, mais sans lui infliger toutefois un préjudice notable, puisqu’il avait reçu par avance, en prenant la direction de la typographie qui lui fut cédée par Charles, sa portion de patrimoine“ (aaO., 30f). 109 Siehe vorherige Anm. 105 in diesem Kapitel. 110 Vgl. Cowling, Constructions of Nationhood, 73f. 111 Vgl. aaO., 79–83. 112 Vgl. das Titelblatt zu Estienne, Iuris civilis fontes et rivi. Das mir vorliegende Exemplar stammt aus der Bibliothèque de Genève (Signatur: BGE Db 2012), in der auch als Erscheinungsort Genf nachgehalten wurde. Andere Bibliothekskataloge geben allerdings Paris an. Das Emblem auf dem Titelblatt lässt sich zumindest eindeutig der Offizin der Estiennes zuordnen. 113 Vgl. Grautoff, Henricus Stephanus, 28.
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bungen der Ägypter, Griechen, Römer und anderer Völker an, die aus unterschiedlichen antiken Quellen rekonstruiert werden. Direkt am Anfang nutzt Estienne ganz im humanistischen Geiste ein Zitat aus Ovids Briefen aus der Verbannung (Epistolae ex Ponto), das in einem Bild, das auch im Titel auftaucht, den folgenden Inhalt seines Werk vorausdeutet – die uralten Quellen und Ströme des Zivilrechts: „Dass das, was einst Naso erklingen ließ, ‚Süßer werden aus der Quelle die Wasser getrunken‘, von großer Wahrheit ist, zeigt uns täglich die Erfahrung.“114 Die wichtigsten Quellen, auf die Estienne dann in seinem Werk zurückgreift, seien zunächst genannt: Bei den leges Aegyptiorum bezieht sich Estienne vor allem auf Überlieferungen aus der Universalgeschichte Bibliotheca historica (Βιβλιοθήκη Ἱστορική) des Geschichtsschreibers Diodorus Siculus aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert. Für die Gesetzgebung der Griechen stellt Platon die wichtigste Referenz dar. Für die Römer reichen Estiennes Rekonstruktionen zurück bis auf die Zwölf-Tafel-Gesetze und weitere vorjustinianische Gesetzesüberlieferungen, darunter auch die klassischen Juristen. Für die Quellen dieser römischen Juristen stand Estienne Pierre Pithous Collatio legum-Edition zur Verfügung. Häufig wird außerdem auf die Schriften Ciceros (vor allem die Werke De legibus und De natura deorum) für Kommentierungen zurückgegriffen, die wiederum ja auch fragmentarisch die Zwölf-Tafel-Gesetze wiedergaben. Der Vergleich erfolgt im ersten Teil der Schrift, in dem Estienne von den einzelnen Geboten des Dekalogs als Struktur ausgeht, die sowohl aus der Überlieferung in Ex 20,2–17 als auch Dtn 5,2–22 übernommen werden. Ausgespart wird lediglich das Sabbatgebot. Der Bibeltext wird dabei zum Teil in den zwei Dekalogfassungen im Lateinischen harmonisiert115 oder auch verkürzt und ohne Vers- oder Gebotszählung angegeben. Auch bei den Angaben sonstiger Texte biblischen Rechts beschränkt sich Estienne auf die Angabe der Kapitelzahlen und paraphrasiert den Bibeltext zum Teil noch. Dies dient vor 114 „QVOD olim Naso cecinit, Dulcius ex ipso fonte bibuntur aquae, id quam verum sit, quotidiana nobis experientia ostendit. Ac eodem sane modo vsu uenire videmus vt, siquam aliunde sciamus deriuatam esse doctrinam, fontem eius monstrantibus magnam gratiam habeamus, atque ad eum curriculo contendamus. Quod si hoc omni in doctrina longe est (vt esse debet) gratissimum, quis in ea quae omnes dicnitate antecellit, idem futurum non speret? Ea est quam Graeci Politicen, Latini, verbum verbo reddentes, Ciuilem nominauerunt. Quae civilis doctrina atque adeo scientia priusquam emergeret, veluti submersam fuisse iustitiam satis constat. Sed quemadmodum luci contrariae tenebrae, eae sunt demum quae maximam ac praestantissimam illius vim arguunt, ita vbi omni politia destiuimur, tum vero quanta sit politicae scientiae vis, quantaque praestantia, gemebundi pariter & admirabundi conoscimus“ (Estienne, Iuris civilis fontes et rivi, f. ¶ijr). 115 So wird das Begehrensverbot am Ende des Dekalogs folgendermaßen zitiert: „Exodi xx, Et Devt. v, Neque concupiscito domum proximi, be concupiscito vxorem proximi tui, neque seruum eius, neque ancillam eius: neque bouem eiusm neque asinum eius, ne crem vllam proximi tui“ (aaO., 96).
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allem der Vergleichbarkeit der biblischen und außerbiblischen Rechtstexte, die Estienne zitiert. Nach Angabe des jeweiligen Dekaloggebotes in den zwei Fassungen kommt es zum Teil zur direkten Hinzufügung entsprechender weiterer Gebote aus dem Pentateuch oder zur Anfügung entsprechender Gebote in zugeordneten Rechtstiteln, die als Ausdehnung (extensio) des jeweiligen Dekaloggebotes beschrieben werden. Dies entspricht relativ genau dem calvinistisch-reformierten Ansatz der Ausdeutung eines einzelnen Dekaloggebotes durch die Zeremonial- und Judizialgesetze als Anhang. Ein Bezug in der Methodik zu Genf lässt sich sogar noch weiter konkretisieren: Wenn man zum einen die Disposition der Ausdeutung durch Rechtstitel ausgehend von der zweiten Tafel des Dekalogs und zusätzlich noch den Bibeltext, der zugrunde gelegt wird, genauer betrachtet, so lässt sich zeigen, dass Estienne mit Theodor Bezas drei Jahre zuvor erschienener Kollation Lex Dei, moralis, ceremonialis, et politica, ex libris Mosis excerpta gearbeitet haben muss. Ein grober Überblick über die Anordnung der Rechtstitel, die für die Anhänge zur zweiten Dekalogtafel gewählt wurden, verdeutlicht zunächst, dass Estienne zwar nicht die genaue Reihenfolge der Titel Bezas beibehalten, sich aber dennoch grundsätzlich daran orientiert hat. Die Hinzufügungen und Veränderungen in der Reihenfolge in Estiennes Zusammenstellung lassen sich zudem mit seiner vorrangigen Ausrichtung auf den Vergleich mit anderen antiken Rechtsquellen erklären, die bei Beza, wie zu sehen war, nicht gegeben ist. Noch eindrücklicher zeigt sich, dass Estienne Bezas Lex Dei nicht nur zur groben Orientierung, sondern auch als direkte Vorlage genutzt haben muss, bei den Übereinstimmungen im Bibeltext. So zitiert Estienne wie Beza als Anhang zum Diebstahlverbot unter dem gleichlautenden Titel De poenis furti die exakten Abschnitte Ex 22,1–5116 und Num 5,5–7, Estienne jedoch nur, wie durchgehend in seinem Werk, ohne Verszählung. In der folgenden Gegenüberstellung sind die wenigen textuellen Abweichungen (die Überschriften und Bibelstellenverweise ausgeschlossen) bei Estienne markiert. Die Varianten, die sich leicht durch einen etwas anderen Schrifttypus erklären lassen, sind unterstrichen, die Stellen, an denen Estienne noch einmal in Bezas Text eingegriffen hat, sind hervorgehoben:
116 Die Verszählung weicht heute in der revidierten Fassung der Lutherbibel (1984) ab: Ex 22,1–5 entspräche hier Ex 21,37 mit Ex 22,1–4. Die letzte, noch zu Lebzeiten Luthers erschienene Lutherbibel (Biblia: das ist: Die gantze heilige Schrifft: Deudsch. Auffs new zugericht. D. Mart. Luth. Begnadet mit kurfürstlicher zu Sachssen Freiheit, Wittenberg 1545) entsprach noch den Versangaben, die Beza an der betreffenden Stelle wählt. Im Weiteren wird die ältere Verszählung berücksichtigt.
Die rechtskomparative Orientierung an der mosaischen Gesetzgebung
Beza, Lex Dei, moralis, ceremonialis, et politica, ex libris Mosis excerpta […], 1577, 76. AD QUARTVM PRAECEPTVM. DE POENIS FURTI.
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Estienne, Iuris civilis fontes et rivi. Iurisconsultorum veterum quidam loci […], 1588, 72f. De Poenis Fvrti.
Exodi xxii, Quum furatus fuerit quis bouem aut pecudem, & iugulauerit eum: aut vendiderit illum: quinque boues reddet pro illo boue, & quatuor pecudes pro pecude illa. Si in effoßione inuentus fuerit fur, & percussus fuerit, mortuúsque fuerit, non erit percussor morti obnoxius. Si ortus fuerit sol super eu¯, erit morti obnoxius, reddendo reddet: si non sit ei, vendetur propter furtum suum. Si deprehendatur in manu eius furtum, à boue vsque ad asinum, vsque ad pecus: viua duo reddet. Si depasci fecerit aliquis agrum vel vineam, & immiserit iumentum suum, pauerítque in agro alterius: bonitatem agri sui & bonitatem vineae suae reddet. Num. cap. v. vers. v. Nvmer v, LOquutus est praeterea Iehouáh ad Moséh, Loquutus est praeterea Dominus ad dicendo, Mosem, dicendo, Alloquere filios Israel, Vir, siue mulier, 6 Alloquere filios Israél, Vir siue mulier quum fecerint aliquod ex omnibus peccatis quum fecerint [aliquod] ex omnibus peccatis hominum, prae-uaricando prahominum, praeuaricando praevaricationem in Iehouam, & deliquerit anima illa: evaricationem in Dominum, & deliquerit 7 Fatebuntur peccatum suum quod feceru¯t, anima illa: & restituet delictum suum in solidum, & Fatebuntur peccatum suum quod fecerunt: quintam eius partem addet super illam, & restituet delictum suum in solidum, & quintam eius partem addet super illam, dabítque ei in quem peccauerit. dabítque ei in quem peccauerit.
Exod. cap. XXII. vers. 1. QVum furatus fuerit quis bouem aut pecudem, & iugulauerit eu¯: aut vendiderit illum: quinque boues reddet pro illo boue, & quatuor pecudes pro pecude illa. 2 Si in effosione inuentus fuerit fur, & percussus fuerit, mortuúsque fuerit, non erit percussor morti obnoxius. 3 Si ortus fuerit sol super eu¯, erit morti obnoxius, redde¯do reddet, si non sit ei, vendetur propter furtum suum. 4 Si deprehendatur in manu eius furtum, à boue vsque ad asinum, vsque ad pecus: viua duo reddet. 5 Si depasci fecerit aliquis agrum vel vinea¯, & immiserit iumentum suum, pauerítque in agro alterius: bonitatem agri sui & bonitatem vineae suae reddet.
Wie zu sehen, betreffen die einzigen größeren Eingriffe Estiennes in den Bezas Lex Dei entnommenen Bibeltext – abgesehen von der Klammersetzung zum ‚aliquod‘ in Num 5,6, die als Hinweis auf eine eigene textkritische Kursivsetzung bei Beza zu sehen ist – die zweimalige Ersetzung der Transkription des Eigennamens Gottes ‚Iehova‘ bei Beza durch ‚Dominus‘ (Num 5,5f) und die Angleichung der an das Hebräische anlehnenden Schreibweise ‚Moseh‘ an die latinisierte Form ‚Mosem‘. Ansonsten erfolgt die Übernahme des Bibeltextes aus Bezas Lex Dei dermaßen originalgetreu bei Estienne, dass sogar einzelne lateinische Akzentuierungen (Ex 22,2: ‚mortuúsque‘; Ex 22,5: ‚pauerítque‘) übernommen werden.
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Konzeptionen eines mosaischen Ursprungs des Rechts
Die Orientierung an Bezas Lex Dei fällt in diesem Fall besonders auf, wenn man die für Estiennes eigenes Werk maßgebliche Collatio legum Mosaicarum et Romanarum in der Edition Pierre Pithous als Quellenvorlage vergleicht. Der in diesem Fall betreffende 7. Titel der Collatio (De Furibus et de Poena eorum) lehnt sich im Bibeltext lediglich an Ex 22,2–3a an und stellt so den Bezug auf das römische Zwölf-Tafel-Gesetz noch einmal den Aspekt der Verletzung eines nächtlichen Diebes (nocturnus fur) mit Todesfolge heraus.117 Die weiteren Regelungen zur Wiedererstattung im Fall von überführten Dieben, wie sie Ex 22,3b– 5 formulieren, werden in der Collatio nur noch zum Teil in einem anderen Titel berücksichtigt,118 Num 5,5–7 wird gar nicht mehr aufgenommen.119 Dies zeigt, dass Estienne beim Bibeltext also die Präferenz deutlich auf Bezas Lex Dei legt. Die Überlieferungen aus dem römischen Recht werden von Estienne aber maßgeblich aus der Collatio in der Edition Pithous übernommen. Die Untersuchung der Disposition in der Titulatur und nach möglichen Vorlagen von Henri Estiennes rechtsvergleichender Schrift Iuris civilis fontes et rivi lässt damit insgesamt auf enge Bezüge zum Genfer Modell der Auslegung der mosaischen Gesetze schließen. Dieses von Calvin in späten Jahren und schließlich Beza fortentwickelte Modell, das es ermöglichte, politisch relevante Gebote aus dem Pentateuch auf den Dekalog zurückzubeziehen, nutzte Estienne für seinen Rechtsvergleich. Bezas Kollation biblischen Rechts in dem Werk Lex Dei für die politischen Gesetze, die sich der zweiten Tafel des Dekalogs zuordnen ließen, stellte für Estienne einen hilfreichen Grundstock dar. Während Beza auf das innerbiblische Recht im Pentateuch (mit einer Ausnahme aus dem Buch Josua) beschränkt blieb, konzentrierte sich Estienne auf einen Vergleich des Zivilrechts in den für ihn ältesten Überlieferungen der Völker. Den Beginn dieser Verrechtlichung markiert dabei die Gesetzgebung Moses, die – um im Bilde zu bleiben – als Quelle der verschiedenen Strömungen von Gesetzen und Gesetzgebungen anderer Völker wie der Ägypter, Griechen und Römer gedeutet wird. Estiennes Eigenbeitrag lag vor allem in diesem universalgeschichtlich ausgerichteten Vergleich von antiken Rechtsquellen, der auf einen Ursprung im mosaischen Gesetz zugespitzt wird. Hier konnte er seine humanistischen Interessen 117 Die betreffende Passage aus der Collatio lautet hier: „7.1.1. Quod si duodecim tabularum nocturnum furem[, quoque modo, diurnum] autem si se audeat telo defendere, interfici iubent, scitote, iuris consulti, quia Moyses prius hoc statuit, sicut lectio manifestat. Moyses dicit: Si perfodiens nocte parietem inventus fuerit fur et percusserit eum alius et mortuus fuerit hic, non est homicida is qui percusserit eum. 2. si autem sol ortus fuerit super eum, reus est mortis percussor: et ipse morietur“ (Coll. ed. Frankes 2013, 175). Vgl. Pithou, Fragmenta, 22, wo anstatt „si se audeat telo“ in Coll. 7.1.1. „si se aut telo“ gelesen wird. 118 So bezieht sich der 11. Titel der Collatio noch auf Ex 22,1.3 (vgl. genauer Coll. 11.1.1–2; ed. Frankes 2013, 182). 119 Vgl. die tabellarische Übersicht zu den zitierten Bibelstellen in der Collatio bei Frakes, Compiling the Collatio, 315.
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an den alten Rechtsüberlieferungen und den antiken Klassikern (vor allem Platon und Cicero) einbringen. Am weitesten führte Estienne diesen Rechtsvergleich für das mosaische und römische Recht aus, indem er umfangreich auf die von Pierre Pithou herausgegebene Edition der antiken Collatio legum Mosaicarum et Romanarum zurückgriff. Deren Relevanz wird noch dadurch unterstrichen, dass diese Edition einschließlich Estiennes eigener kleineren Emendationen im vollen Umfang ans Ende von Iuris civilis fontes et rivi gestellt wurde. Aber auch den Vergleich mit den alten Gesetzgebungen der Ägypter, Griechen und anderer Völker ausgehend von den (teils gestrafften) Geboten des Dekalogs und korrespondierend mit weiteren Geboten aus dem Pentateuch trieb Estienne voran. Sein Werk Iuris civilis fontes et rivi demonstriert auf diese Weise, wie methodische Anteile und Quellen aus der calvinistisch-reformierten Theologie (denn darauf war ja Bezas Lex Dei in erster Linie ausgerichtet) mit den humanistischen Interessen an den ältesten Quellen (fontes) vermittelbar waren.
3.2.3 William Welwood, Iuris divini Iudaeorum ac iuris civilis Romanorum parallela (1594) Die rechtsvergleichende Kollation Iuris divini Iudaeorum ac iuris civilis Romanorum parallela des schottischen Juristen und Mathematikers William Welwood (1578–1622) scheint zunächst in ihrer Bedeutung hinter seine drei Schriften zum Seerecht120 zurückzutreten. Vor allem nämlich durch die juristischen Auseinandersetzungen mit Hugo Grotius (1583–1645) über die Freiheit der Meere, an der Welwood noch vor John Selden (1584–1654) publizistisch beteiligt war,121 ist Welwood der Nachwelt in Erinnerung geblieben. Welwoods Erstlingswerk The Sea Law of Scotland (1590) stellt überhaupt die erste Schrift zu dieser Rechtsmaterie auf den britischen Inseln dar.122 Darüber hinaus ist durch die grundlegende Studie von John Cairns zuletzt aber auch die bedeutende und zugleich fast tragische Rolle herausgearbeitet worden, die Welwood insgesamt in der Rechtsgeschichte Schottlands spielte: Bis zur Reformation konzentrierte sich dort die juristische Ausbildung im kanonischen und zivilen Recht auf die Universität Glasgow, das King’s College von Aberdeen und die Universität St An120 William Welwood, The Sea-Lavv of Scotland, Shortly Gathered and Plainly Dressit for the Reddy Use of All Sea-Fairingmen, Edinburgh 1590; ders., An Abridgement of all Sea-Lawes, London 1613 (weitere Aufl.: ebd. 1636 in erw. Fassung; ebd. 1686 zus. mit: Gerard de Malynes, Consuetudo vel Mercatoria Lex); ders., De Dominio Maris Juribusque ad Dominium praecipue spectantibus Assertio brevis et methodica, London 1615–16 (weitere Aufl.: Den Haag 1653). 121 Vgl. ausführlich Ittersum, Propriety of the Seas. 122 Vgl. Carlyle, Art. Welwood.
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drews. Die reformatorischen Bestrebungen in Schottland, die im First Book of Discipline von 1561 Ausdruck fanden, sahen dann die Ausbildung im gemeinen und römischen Recht in juristischen Colleges vor. Unter dem Einfluss des schottischen Humanisten George Buchanan und schließlich des Humanisten und Reformators Andrew Melville (1545–1622) entwickelte sich St Andrews zum Zentrum der universitären Rechtslehre in Schottland.123 Diese Entwicklung war eigentlich schon durch die Verordnungen des First Book of Discipline angezeigt. Nun aber scheint auch im Laufe der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die juristische Ausbildung in Aberdeen und Glasgow eingestellt worden zu sein und ein Versuch der Gründung einer juristischen Fakultät in Edinburgh unter König James VI. von Schottland (später 1603–1625 auch König von England) scheiterte.124 Diese Umstände brachten es mit sich, dass William Welwood am Ende des 16. Jahrhunderts nunmehr noch den einzigen existierenden Lehrstuhl für Zivilrecht in Schottland innehatte. Dieser aber wurde 1597 abgeschafft und Welwood seiner Professur enthoben.125 Ausschlaggebend dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Familienfehde gewesen sein, in deren blutige Racheaktionen die wohlhabende bürgerliche Familie Welwood verwickelt wurde.126 Ein wichtiger Faktor, der in die Konfrontationen, denen sich Welwood ausgesetzt sah, mit hineinspielte, war seine presbyterianische Gesinnung, die sich nicht zuletzt in einem freundschaftlichen Verhältnis zu Andrew Melville selbst zeigte.127 Dies musste zu einem Konflikt mit den Parteien führen, die sich für eine episkopale Kirchenverfassung in Anlehnung an die anglikanische Kirche aussprachen, und zu deren Verfechter schließlich König James VI. selbst zählte. Im Laufe des ersten Jahrzehnts des 17. Jahrhunderts wurde dieser Episkopalismus unter dem König in Schottland durchgesetzt und Welwood sah sich erneut Anfeindungen und Schwierigkeiten ausgesetzt, nachdem er im Jahr 1600 zunächst wieder auf Anweisung des Königs die erneut geschaffene Rechtsprofessur übernahm.128 Nun könnte man versuchen, auf Grund dieses binnenkonfessionellen Milieus, dem Welwood anscheinend zuneigte, auch Rückschlüsse im Hinblick auf die Abfassung der Schrift Iuris divini Iudaeorum ac iuris civilis Romanorum parallela zu ziehen. Allerdings gehört zu den wenigen überkommenen Informationen über Welwoods Ausbildung und seinen akademischen Werdegang, dass er seinen Doktor beider Rechte in Wittenberg unter dem dor-
123 124 125 126
Vgl. Cairns, Academic Feud. Part I, 163f. 167–173. Vgl. aaO., 164. Vgl. Cairns, Academic Feud. Part II, 269. Vgl. ausführlich Cairns, Academic Feud. Part I, hier: bes. 166; ders., Academic Feud. Part II, bes. 285–287. 127 Vgl. Cairns, Academic Feud. Part II, 280. 128 Vgl. aaO., 276.
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tigen Professor Matthias Wesenbeck (Matthaeus Wesenbeccius, 1531–1586)129 erlangte. John Cairns These, die er in seiner Studie über den Juristen Welwood – allerdings ohne genauere Untersuchung der Iuris divini Iudaeorum ac iuris civilis Romanorum parallela – entwickelt, lautet nun, dass Welwood in Wittenberg im Anschluss an Luther und Melanchthon zu dem Vergleichsverfahren von mosaischem und römischem Recht gekommen sei.130 Dies scheint aber nach den Erläuterungen des vorherigen Kapitels wenig plausibel. Gerade Melanchthon machte ja spätestens ab 1525 immer wieder deutlich, dass das mosaische Recht für Christen nicht länger Geltung habe und an seine Stelle das römische Recht getreten sei.131 Ein Vergleich oder gar eine Ableitung des römischen aus dem mosaisch-jüdischen Rechts – Welwood spricht explizit vom ius humanum Romanorum und ius divinum Iudaeorum – stand deswegen gerade nicht im Vordergrund. Im Folgenden wird auf andere Weise versucht, Welwoods Vorgehen in seiner kurzen rechtsvergleichenden Studie Iuris divini Iudaeorum ac iuris civilis Romanorum parallela mit Wittenberg zu verbinden, nämlich mit Wesenbecks Kommentierungen römischer Rechtstexte. Welwoods Vorstellung allerdings, dass Mose als ältester Gesetzgeber zu gelten habe, an dem sich die uralten Gesetzgeber anderer Völker wie die der Römer orientierten, ist davon wiederum gesondert zu betrachten. Einen wichtigen Erklärungsansatz für die Entstehungszusammenhänge bildet meines Erachtens der Sachverhalt, dass Welwoods Parallela nicht nur in Leiden in der Offizin des aus Flandern stammenden Druckers Frans van Ravelingens (Franciscus Raphelengius, 1539–1597) gedruckt wurden. Dieser gehörte selbst nicht nur der bekannten Druckerfamilie Raphelengius an, sondern hatte auch den Lehrstuhl für Hebräisch an der Universität von Leiden inne. Aussagekräftiger ist noch, dass Welwood sich im Sommer 1594 selbst in Leiden aufgehalten hat und dass darüber hinaus eine Verbindung zum calvinistisch-reformierten Theologen Franciscus Junius bestand, der 1592 Heidelberg und die Kurpfalz verließ, um in Leiden selbst bis 1602 eine Professur für Theologie zu übernehmen. Welwoods 1594 in Leiden gedruckte Parallela enthielten auch einen Appendix zur Kirchengerichtsbarkeit (Ad expediendos processus in iudiciis ecclesiasticis, Appendix Parallelorum Iuris diuini humanique), die wiederum einen Brief von Welwood an Franciscus Junius mit einschloss.132 Zudem hatte sich Junius erst ein Jahr zuvor selbst mit der Thematik des Verhältnisses von menschlichem und göttlichem Recht in seiner Schrift De politiae Mosis observatione (1593) beschäftigt, die sich in Welwoods Parallela und Appendix auf129 130 131 132
Vgl. Ritter von Eisenhart, Art. Wesenbeck, 134–136. Vgl. Cairns, Academic Feud. Part I, 160. 162. Siehe Abschn. 2.2.2. Darauf verweist schon Cairns, Art. Welwood.
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drängte.133 Auf der anderen Seite bleibt Welwoods Werk auch an den akademischen und (kirchen-)politischen Kontext Schottlands gebunden, denn seine Widmung an schottische Fürsten (an den Earl von Cassillis John Kennedy und John Lindsay, Lord Lindsay) verweist auf die Universität St Andrews („ex Academia Andreana“) als Abfassungsort.134 Mit dem Earl von Cassillis und John Lindsay widmete Welwood sein Werk Fürsten mit einer presbyterianischen Gesinnung,135 die Widmung selbst und eine Vorrede zu seinen Parallela spricht dann allgemein die Studenten göttlichen Rechts sowohl des juristischen als auch des theologischen Seminars an. Die Zwischenstellung zwischen Theologie und Jurisprudenz sowie dem Studium göttlichen und menschlichen Rechts von Welwoods Werk ist damit deutlich. Insbesondere die Vorrede mit dem darin beschriebenen methodischen Vorgehen und Welwoods Verständnis von biblisch-mosaischem und römischem Recht sowie die Bibelausgabe, die verwendet wird, lassen noch weitere Rückschlüsse auf konfessionelle und transkonfessionelle Aspekte des Werkes zu. Wie François Ragueau in seiner ursprünglichen Praefatio zu den Leges politicas, so legt auch Welwood in seiner Vorrede erstens eine besondere Wertschätzung des Dekalogs an den Tag: In den Zehn Geboten liegt für ihn die Vollendung (perfectio) der leges divinae begriffen, die sich auch noch einmal auf zwei Worte reduzieren ließen, nämlich Frömmigkeit (pietas) und universale Gerechtigkeit (iustitia universa) mit ihren jeweiligen Einsichten und Vorschriften.136 Dahinter kann man die gängige Zuordnung der beiden Dekalogtafeln auf das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe hin erkennen. Allerdings bezieht sich zweitens die eigentliche Zusammenstellung von mosaisch-jüdischem und römischem Recht im Weiteren nicht auf eine Vorgabe des Dekalogs als Ordnungsschema. Vielmehr wird insgesamt von den 59 Rechtstiteln, aus denen der gesamte Vergleich aufbaut, der Großteil direkt aus der Titel-Architektur des Corpus Iuris Civilis übernommen. Aber auch dann noch lassen sich einige Anreihungen von Titeln bestimmten thematischen Schwerpunkten zuordnen: Die ersten sieben Titel (Tit. I.–VII.) beschäftigen sich insgesamt mit den Verordnungen zur Gerichtsbarkeit im mosaischen und römischen Recht, die von den Bestimmungen zu den Gerichten und Richtern selbst bis zu denen über die Zeugenschaft reichen. Auch den Titel über den Eidesschwur (Tit. VIII. De iureiurando137) könnte man hier noch hinzurechnen. Dann folgen sieben Titel, die man allgemein dem ökono133 Zu Franciscus Junius und dessen Werk De politiae Mosis observatione siehe unten, Abschn. 4.3. 134 Vgl. Welwood, Iuris Iudaeorum, ac iuris civilis Romanorum parallela, f. *2v. 135 Vgl. Cairns, Art. Welwood. 136 Vgl. Welwood, Iuris Iudaeorum, ac iuris civilis Romanorum parallela, f. *3r. 137 AaO., 9f enthält eine der ganz wenigen Bezüge auf den Dekalog (Ex 20,7; Dtn 5,11) selbst. Zitierung der Rechtstitel werden im Weiteren leicht vereinheitlicht, MT.
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mischen Bereich und dem Handel zurechnen kann (Tit. IX.–XV.). Die nächsten Titelreihen beziehen sich auf das Strafrecht in verschiedenen Schadensfällen (Tit. XVI.–XIX.), Diebstahl bzw. Eigentumsvergehen (Tit. XX.–XXIII.), das Ehe- und Familienrecht (Tit. XXIV.–XXXII.) und Strafen für Tötungsdelikte, die auch die Bestimmungen von Asylstädten138 mit einschließt (Tit. XXXIII.–XXXV.). Dann folgen Rechtstitel (Tit. XXXVI.–LIX.), die sich nur noch schwer unter gemeinsamen Rechtsbereichen subsumieren lassen. Die meisten betreffen die Gesetze, die man im weitesten Sinne der sozialen und politischen Ordnung139 und dem Hausstand140 zuordnen könnte, auch wenn dann immer noch einzelne Titel wie z. B. zum Talionsrecht (XLII. De talione), Opfer von Heiden und Götzendiensten (XLVI. De sacrificiis paganorum & idololatrarum) und zu Gelübden (XLVII. De votis) herausfallen.141 Der zweitgenannte Titel bildet thematisch gesehen eine gewisse Ausnahme unter allen von Welwood behandelten Bereichen des Rechts, da religiöse Themen und Fragen insgesamt deutlich vernachlässigt werden. Dies dürfte drittens mit der bereits in seiner Vorrede geäußerten Ansicht zusammenhängen, dass das römische Recht trotz seines immensen und lange gewachsenen Umfangs nichts über Gott und die Verehrung Gottes sage, also wenig zum ersten Teil des göttlichen Gesetzes unter dem Stichwort pietas beizutragen habe. Damit deutet sich bereits Welwoods Bewertung des römischen Rechts im Vergleich zum mosaischen an: Einerseits kann Welwood in einer Nebenbemerkung die Gesetze der Römer als diejenigen würdigen, die die aller Völker in Reichtum, Würde und Vielfalt übertreffen, andererseits können die Stifter des römischen Rechts doch auch als Verächter des wahren göttlichen Willens bezeichnet werden, die diesen aber doch wenigstens in seinem Licht würdigten.142 Auch wenn Widersprüche zwischen römischem und mosaischem Recht angemerkt werden, ist Welwood doch selbst nach eigener Darstellung durch sein Studium der beiden Rechtskorpora zur lieblichen Übereinstimmung (suavis consensus) beider vorgedrungen. Die Übereinstimmungen und Abweichungen werden letztlich viertens durch einen Ableitungsgedanken zusammengehalten, der es ermöglicht, das römische Recht gegenüber dem ius divinum noch einmal 138 Tit. XXXIV. De iure asyli (aaO., 34f) mit Verordnungen zu den Asylstädten aus Dtn 19 und Num 35, die im biblischen Text in einem Zusammenhang mit dem Schutz vor Blutrache aus Anlass von Tötungsdelikten stehen. 139 Vgl. z. B. Tit. XXXVIII. De principi vel magistratui maledicentibus (aaO., 38) mit Bezug auf Ex 22,28 und Tit. LIX. De rege et principe populi (aaO., 53f), wo vor allem ein längeres Exzerpt aus dem sog. Königsgesetz (Dtn 17) vorangestellt wird. 140 Vgl z. B. Tit. XXXIX. De obsequio parentibus praestando (aaO., 39f); Tit. XLI. Ne pater pro filio aut filius pro patre (aaO., 41) mit Bezug auf Dtn 24,16; Tit. XLV. De haereticis (aaO., 43f); Tit. LI. De iure primogeniturae (aaO., 47), wo lediglich das Recht der Erstgeborenen nach Dtn 21,17 aufgeführt wird, und Tit. LIV. De servis (aaO., 49f). 141 Vgl. aaO., 41f. 44. 45. 142 Vgl. aaO., f. *3r–v.
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abzustufen, aber zugleich von seinem geschichtlichen Ursprung in der mosaischen Gesetzgebung zu deuten. Dem antiken Geschichtsschreiber Diodor folgend, deute das Zwölf-Tafel-Gesetz auf die griechischen Gesetzgeber Solon, Lykurg und Drakon, diese wiederum auf die Ägypter und Mercurius Trismegistus und dieser dann auf den ersten aller Gesetzgeber Mose wie mit einem Zeigefinger (digito velut) zurück.143 Die Frage, wie Welwood schließlich den Übereinstimmungen zwischen mosaischem und römischem Recht nachgeht, führt zu einem letzten, fünften Gesichtspunkt: Welwoods methodischem Ansatz im Rechtsvergleich. Welwoods komparatistische Methodik fällt insofern gegenüber den anderen in diesem Kapitel behandelten Autoren aus der Reihe, weil sie eine gewisse Freiheit gegenüber dem Bibeltext zeigt. Wie er selbst in der Vorrede zu den Parallela beschreibt, setzt seine Methodik nicht nur beim Sammeln (colligere), sondern auch beim Zerteilen (digerere) der Rechtstexte an, was für die Herstellung des Zusammenhangs auch Änderungen erfordern konnte.144 Im Umgang mit dem Bibeltext muss man sich das so vorstellen, dass nicht stets einzelne Gebote und Gesetzestexte im Ganzen übernommen werden, sondern Verse und Versabschnitte aus den Gesetzesbestimmungen aus den letzten vier Büchern Moses (Ex–Dtn) unter dem jeweiligen Rechtstitel zusammengefügt werden. Nur ganz selten wird auch ein Bibelzitat außerhalb des Pentateuchs noch aufgenommen, ohne dass dies dem eigentlichen Rechtsvergleich dient.145 Zu den gesammelten und zugeschnittenen mosaischen Gesetzestexten finden sich die Bibelstellenverweise am Textrand in Marginalien wieder. Dies ist anhand von hochgestellten Kleinbuchstaben, die jeweils nach dem zitierten Bibeltext gesetzt werden, nachzuvollziehen. Tilgungen innerhalb von zitierten Bibelversen werden eigens ausgezeichnet. Genauso wird mit der Zusammenstellung des römischen Rechts verfahren, die im Vergleich zu den mosaischen Gesetzen in den allermeisten Fällen den größeren Umfang haben. Hochgestellte Zahlen in der Kompilation dienen dann dem Nachweis von Analogien und Ähnlichkeiten 143 „Et quamquam ea quae traditur legum omnium fere origo, consensus istius quem inquiro rationem aliquam ostendere videatur; nempe quod XII. Romanorum tabulae Solonem, Lycurgum & Draconem Graecorum, hi denuo AEgyptios, AEgyptij Mercurium Trismegistum, ac iste denique Mosen, omnium, teste Diodoro, legislatorum primum, velut digito demonstrent: Tenuia nimis tamen sunt heac vt obstent quo minus ineffabilem Dei indulgentiam, iuris Romani conditores, magna licet parte veri numinis contemptores, tanta nihilominus vi lucis suae dignantem, mirabundi laudemus“ (aaO., f. *3v). 144 „In quo labore, praeter laborem nihil meum esse profiteor: Dispersa enim vndecumue collegi, cunctaque prout animm induxi, denuo digessi. Verba authorum prorsus retineo, neque quicquam muto, nisi copula aut aliquid simile, contextu dictionis ita exigente, quandoque interuenit“ (aaO., f. *3r–v). 145 Diese Zitate beziehen sich allesamt auf das Buch der Sprichwörter und stehen illustrierend am Ende von drei Rechtstiteln: vgl. aaO., 40 (Prov 1 = corr. 3,30 u. Prov 20[,3]). 45 (zit. Prov 3 [,9–10a]). 53 (Prov 20[,28a]).
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zwischen den mosaischen und römischen Gesetzestexten. Im Folgenden wird dies anhand des ersten Rechtstitels De iudicibus veranschaulicht: Die untenstehende Übersicht gibt in der linken Spalte möglichst originalgetreu die erste Hälfte (also den Teil mosaisch-jüdischen Rechts) des Titels De iudicibus wieder. In der rechten Spalte werden die Bibelstellenverweise in den Marginalien ergänzt durch den Bibeltext. Unterstreichungen heben die Verse und Versabschnitte hervor, die in den eigentlichen Titeln übernommen wurden. Nach Durchsicht lateinischer Bibelausgaben, die Welwood zur Verfügung gestanden haben könnten, ergibt sich eindeutig, dass Welwood mit der 1575–1579 zum ersten Mal in Frankfurt bei Andreas Wechel gedruckten lateinischen Übersetzung des Alten Testaments von Immanuel Tremellius und Franciscus Junius gearbeitet haben muss. Diese Übersetzung wird hier in einer zweiten, in London erschienenen Auflage von 1580 zitiert. Damit ergibt sich ein weiterer wichtiger Hinweis für die konfessionelle Eigenart, die man mit Welwoods Gesetzeskompilation verbinden kann. Die in der späteren Auflage betitelte Testamenti veteris Biblia sacra sive libri canonici priscae Iudaeorum Ecclesiae a Deo traditi von Tremellius und Junius gehören nicht nur zu den wichtigsten protestantischen Bibelausgaben der Frühen Neuzeit in lateinischer Sprache. Beide Übersetzer lassen sich trotz aller transkonfessionellen, humanistischen (im Fall von Junius auch gerade irenischen) Tendenzen eindeutig dem Bereich der calvinistisch-reformierten Theologie zuordnen.146 Diese konfessionelle Prägung und Orientierung aber hatte selbst auch Auswirkungen auf die Testamenti veteris Biblia sacra. So kamen in den Paratexten zu der Bibel-Übersetzung bereits die beiden calvinistisch-reformierten Herausgeber Tremellius und Junius auf das Gesetz Gottes zu sprechen, dem Welwood dann später ein ganzes Werk widmen wird. Dies bestätigt neben den schon angeführten biographischen Hinweisen zu Welwoods Kontakten zu Franciscus Junius und seinen Aufenthalt in der Stadt Leiden nunmehr einen calvinistisch-reformierten Hintergrund von Welwood und seinen Parallela. Die im Folgenden aufgeführte Aufschlüsselung der von Welwood verwendeten Bibelstellen aus der Testamenti veteris Biblia sacra kann außerdem exemplarisch vor Augen führen, wie Welwood methodisch vorging und wie dies mit seiner juristischen Schulung im Einklang stand:
146 Vgl. Ney, Art. Tremellius u. zu Junius weiter unten, Abschn. 4.3.
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Konzeptionen eines mosaischen Ursprungs des Rechts
W. Welwood, Iuris divini Iudaeorum ac iuris civilis Romanorum parallela […], Leiden 1594, 1.
Aufschlüsselung der Bibelstellenverweise in den Marginalien (M) aus: I. Tremellius/ F. Junius, Testamenti veteris Biblia sacra […], London 21580.
Tit. i. de ivdicibvs.
a Ex 18,21: Tu autem provideto ex toto hoc populo de viris strenuis, timentibus Dei, Provideto ex toto hoc populo de viris viris veracibus, osoribus turpis lucri, quos 1 constituas super eos praefectos millenis, strenuis timentibus Dei, 2 veracibus, 3 osoribus turpis lucri, quos constituas praefectos centenis[,] praefectos quinqusuper eos. aExhibete homines, 4 sapientes & genis, & praefectos denis:147 prudentes & 5 cognitos per tribus vestras, vt b Dtn 1,13: Exhibete homines sapientes & constituam illos in promores vestros,b prudentes & cognitos per tribus vestas, ut praefectos millenis, praefectos centenis, constituam illos in primores vestros.148 c 6 c &c. Iudices & moderatores in singulis Ex 18,22 = corr. Ex 18,21/25 […] praportis,d vt iudicent populum hunc omni efectos millenis, praefectos centenis, pratempore.e efectos quinqugenis, & praefectos denis:149 d Dtn 16,18: Judices & moderatores constituito tibi in singulis portis tuis quas Jehova Deus tuus dat tibi, per tribus tuas, qui judicent populum judicio justo.150 e Ex 18,24 = corr. Ex 18,26: Qui judicarent populum ipsum omni tempore, rem quae difficilis erat referebant ad Moschen, rem vero quae parva erat judicabant ipsi.151
Die Übereinstimmungen mit dem Text der Testamenti veteris Biblia sacra könnten noch an anderen Stellen demonstriert werden.152 Die beiden Fehler in den Versangaben der Marginalien Mc und Me in dem obigen Beispiel deckten sich mit den auch an anderen Stellen feststellbaren, kleineren Abweichungen in der Zitierung, die sich aber wahrscheinlich einfach nur aus dem Arbeitsgang ergeben.153 Auffällig ist, dass sonst die Rezeption des Bibeltextes teilweise bis in übernommene Zeichensetzungen hineinreicht.
147 148 149 150 151 152
Tremellius/Junius, Testamenti veteris Biblia sacra, 85. AaO., 187. AaO., 85f. AaO., 202. AaO., 86. Sehr offensichtlich wird Welwoods Abschrift aus der Ausgabe des Alten Testaments von Tremellius und Junius natürlich in längeren Zitaten wie z. B. aus Dtn 17[,15–20] unter Tit. LIX. De rege et principe pupuli. Vgl. Welwood, Iuris Iudaeorum, ac iuris civilis Romanorum parallela, 53 mit nur noch ganz wenigen, meist Satzzeichen betreffenden stilistischen Veränderungen in Tremellius/Junius, Testamenti veteris Biblia sacra, 203. 153 So zeigen ja z. B. auch die oben in Anm. 145 genannten Zitate aus dem Buch der Sprichwörter, die einzigen Bibelzitate außerhalb des Pentateuchs in Welwoods Werk, ähnliche Verweisfehler, bleiben aber genauso eng an der Vorlage der Bibelübersetzung, vgl. Tremellius/Junius, Testamenti veteris Biblia sacra, 188. 209.
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Die rechtskomparative Orientierung an der mosaischen Gesetzgebung
Mit der bezifferten Aufteilung des zusammengefügten mosaisch-jüdischen Rechts in sechs Abschnitte lässt sich dann ein Vergleich im zweiten Abschnitt des Rechtstitels De iudicibus mit dem ius humanum Romanorum verfolgen. Zitiert werden insgesamt neun Gesetzestexte aus dem Corpus Iuris Civilis, die sich im Vergleich mit dem zitierten Text aus den Marginalien wie folgt entschlüsseln lassen: Marginalien
Quellen
l. honores 7. de decurio
Pseudo-Paulus, Sententiae, 1
l. 1 de off. praef. praet. l. observandum de offic. praesid.
Aurelius Arcadius Charisius, Liber singularis de officio praefecti praetorio Callistratus, De cognitionibus libri IV
D. 1,11,1
l. honor. 14. de muner. & honor. l. rescripto cod.
Callistratus, De cognitionibus libri IV, 1: „De honoribus sive muneribus gerendis […]“ Ulpian, Liber de officio proconsulis, 4: „Rescripto divorum fratrum ad rutilium lupum […]“
D. 50,4,14,3
l. decurionib. de decur. l. per omnes C. de defensorib. civitat.
Codex Hermogenianus / Iuris Epitomae, lib. 1
D. 50,2,8
Codex Theodosianus 1,29,7
C. 1,55,6
Pseudo-Ulpian, Opiniones, lib. 2
D. 50,4,3,15
Ulpian, Liber de officio proconsulis, 3: „Si quis magistratus in municipio […]“
D. 50,4,9
l. 3. § praes. de munerib. l. Si quis. cod.
Corpus Iuris Civilis D. 50,2,7pr.
D. 1,18,19
D. 50,4,6pr.
Die Übersicht der von Welwood im ersten Titel De iudicibus genutzten römischen Rechtsquellen zeigt vor allem ein das gesamte Werk leitendes Interesse an den Digesten Kaiser Justinians innerhalb des Corpus Iuris Civilis. In diesem – auch Pandekten genannten – Teil des Corpus Iuris Civilis waren vor allem Gesetzesbestimmungen und Lehrmeinungen der klassischen Juristen der ersten nachchristlichen Jahrhunderte gesammelt, die für einen historisch-kontextualisierenden Zugang zum römischen Recht, wie ihn die humanistische Jurisprudenz wählte und entwickelte, von großem Wert waren. Vier der neun Quellenzitate beziehen sich auf Werke der großen, aus dem 2. und 3. Jh. n. Chr. stammenden, klassischen Juristen Iulius Paulus und Domitius Ulpianus. Von diesen vier können heute zwei Werke, Ulpians Opiniones und das Mitte des 4. Jh. n. Chr. weit verbreitete juristische Handbuch Sententiae als pseudepigraphisch gelten, wurden aber von den Verfassern der justinianischen Digesten beide noch als au-
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Konzeptionen eines mosaischen Ursprungs des Rechts
thentisch erachtet.154 Zwei Mal zitiert Welwood mit mehreren Tilgungen außerdem den ebenfalls im 2. bis 3. Jh. n. Chr. wirkenden Juristen Callistratus155 im ersten Buch seiner De cognitionibus libri IV. Diese Quelle war an die richterliche Praxis in Zivil- und Strafrechtsverfahren gerichtet und enthielt unter anderem in der überlieferten Form des Digestentitels (D. 1,18,19) Maßregelungen für das Verhalten von Beamten.156 In solchen Maßregelungen sah Welwood Parallelen zur Unbestechlichkeit, wie sie für Richter in Ex 18,21 angeordnet wurde. Andere Fähigkeiten wie Weisheit und Klugheit, die ebenfalls Ex 18,21 für das Richteramt vorsah, werden z. B. mit den Voraussetzungen sapientia ac lux dignitatis (vgl. D. 1,11,1), die der in der Kaiserzeit Diokletians schreibende Jurist Aurelius Arcadius Charisius in seinem Liber singularis de officio praefecti praetorio für römische Ämter beschrieben hatte, verglichen. Die einzelnen Punkte, in denen Welwood zwischen mosaischem und römischem Recht alleine in dem ersten Titel De iudicibus Parallelen zieht und dann noch in weiteren 58 Rechtstiteln, können und müssen hier nicht weiter ausgeführt werden, weil das methodische Vorgehen unverändert beibehalten wird. Vor allem ein Bemühen, die ältesten Überlieferungen römischen Rechts wie die Fragmente zum Zwölf-Tafel-Gesetz157 für die Vergleichung mit dem mosaisch-jüdischen Recht aufzunehmen, lässt sich insgesamt beobachten. Das Interesse an den Digesten und wahrscheinlich auch zu einem wesentlichen Teil das editorische Vorgehen an den Rechtstexten selbst lässt sich vor allem mit dem Rechtsstudium von Welwood in Wittenberg unter Matthias Wesenbeck erklären. Wesenbeck hatte mit dem Commentarius in Pandectas vulgo Paratitla (1565) einen Pandekten-Kommentar vorgelegt, der bis zum Ende des 16. Jahrhunderts zu einem der am meisten zitierten juristischen Lehrbücher überhaupt wurde.158 In der Glossierungen der Paratitla mag man zudem auch Nähen zu dem Verweissystem in Welwoods Parallela sehen. Allerdings gilt dies, soweit ich sehen kann, nicht für Wesenbecks sich stark vom Naturrechtsgedanken herleitende Auffassung vom ius divinum und den mosaischen Gesetzen, die man dem Wittenberger Einfluss Melanchthons zuordnen kann. Welwoods Eigenbeitrag in seinem Werk Iuris Iudaeorum, ac iuris civilis Romanorum parallela wird man deswegen vor allem darin sehen können, sein juristisches Wittenberger Erbe mit den Anliegen calvinistisch-reformierter 154 Vgl. zur Unechtheit der Verfasserschaft und den Sententiae des Paulus und Opiniones Ulpians selbst Wieacker, Römische Rechtsgeschichte, Bd. 2, 174f. 155 Vgl. Kotz-Dobrzˇ, Art. Callistratus, 225f. 156 Vgl. aaO., 228f. 157 Welwood, Iuris Iudaeorum, ac iuris civilis Romanorum parallela, f. *3v u. S. 18. 24. 44 u. ö. 158 Vgl. auch das Urteil von Ritter von Eisenhart, Art. Wesenbeck, 137: „Neben den bekannten ‚Disputationes‘ von Hieronym[us] Treutler wurden die ‚Paratitla‘ rasch das angesehenste und am meisten verbreitete Lehrbuch, welches in keiner besseren juristischen Bibliothek fehlte.“
Die rechtskomparative Orientierung an der mosaischen Gesetzgebung
261
Theologie verbunden zu haben: seine Kompilation war als Arbeit eines Juristen sowohl auf die juristische wie die theologische Fakultät ausgerichtet.
3.2.4 Johann Kahl (Calvinus/Calvus), Themis Hebraeo-Romana (1595) Mit seiner Rechtskompilation, die vom Rechtsvorbild der mosaischen Gesetze ausgeht, steht der aus dem hessischen Wetter stammende Jurist Johann Kahl (Calvinus/Calvus, gest. 1614)159 zunächst in einer Reihe mit den anderen bisher behandelten Juristen humanistischer Prägung dieses Kapitels. Beurteilt man sein 1595 erschienenes Werk Themis Hebraeo-Romana, id est iurisprudentia Mosaica et iuris tum canonici, tum civilis, Romana, inuicem collata; et methodice digesta nach seinen theologischen Einflüssen, so spräche manches dafür, dass sich die Schrift eigentlich auch gut in das anschließende vierte Kapitel der vorliegenden Arbeit einordnen ließe, weil der Bezug zur calvinistisch-reformierten Theologie bei Kahl deutlich in den Vordergrund tritt. Einen ersten Hinweis darauf bietet schon der Sachverhalt, dass Johann Kahl lange Zeit als Professor zunächst für Ethik (1688–1605) und dann für römisches Recht (1605–1614) an der Universität Heidelberg wirkte, die in diesen Jahren eben nicht nur ein Zentrum des Späthumanismus, sondern auch calvinistisch-reformierter Lehre war.160 Nach anfänglichem Studium in Marburg war er bereits 1576 nach Heidelberg gewechselt, um dort unter anderem unter dem bekannten französischen Juristen und Humanisten Hugo Donellus (Hugues Doneau, 1527–1591) zu studieren.161 Christoph Strohm hat in seiner Untersuchung der Werke Kahls zeigen können, dass für Kahl (wie auch Donellus) ein rationales, an der recta ratio ausgerichtetes humanistisches Erbe gerade nicht im Widerspruch, sondern im Einklang mit seiner Orientierung am reformierten Protestantismus stand. Kahl war einerseits dazu bereit und gewillt, in bestimmten Bereichen seines juristischen Œuvres diese reformierte Ausrichtung zurückzunehmen. Exemplarisch hierfür ist Kahls Lehrbuch des römischen Rechts De jurisprudentiae Romanae studio recte conformando (1600), in dem das historische und das rationale methodische Vorgehen der humanistischen Jurisprudenz ganz im Vordergrund stehen und die christlich-biblische Orientierung in den Hintergrund tritt.162 In anderen Schriften konnte Kahl aber auch die Frontstellungen gegenüber der römisch-katholi159 Sein Geburtsjahr ist nicht bekannt. Kahls Werk Themis Hebraeo-Romana wird bereits bei Strohm, Calvinismus und Recht, 132–142 behandelt. Zu den biographischen Angaben im Folgenden vgl. aaO., 132; Steffenhagen, Art. Calvinus; Stintzing, Geschichte, 682f. 160 Vgl. den differenzierten Überblick, gerade in Bezug auf die juristische Fakultät, an der Kahl wirkte, und darüber hinaus bei Strohm, Calvinismus und Recht, 53–163, bes. 53–58. 161 Vgl. Steffenhagen, Art. Calvinus, 715. 162 Vgl. Strohm, Calvinismus und Recht, 139f.
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Konzeptionen eines mosaischen Ursprungs des Rechts
schen Seite und dem Papsttum scharf ziehen und die Übereinstimmung in der Lehre sowohl mit der lutherischen als auch mit der reformierten Theologie betonen. Dann stehen eben Reformatoren reformierter Provenienz wie unter anderem Zwingli, Bucer, Calvin, Vermigli, Bullinger mit Luther und Melanchthon selbst in einer Reihe von magni illi viri et heroes, die sich in der Verteidigung der evangelischen Religion gegen den römischen Antichristen hervorgetan hätten.163 Die Relevanz konfessioneller Orientierung verdeutlicht schließlich auch das wirkungsreichste Werk Johann Kahls, das Lexicon juridicum, das im selben Jahr erschien und allein zwischen 1600 und 1673 mindestens 14 weitere Auflagen erlebte: Seit 1659 war das Lexicon juridicum auf dem römischen Index librorum prohibitorum, wohingegen es noch 1734 das letzte Mal in Genf in zwei Teilen gedruckt wurde.164 Im Folgenden steht die Frage im Fokus, wie sein Werk Themis Hebraeo-Romana genauer im Bereich des reformierten Protestantismus zu verorten ist und welche Zusammenhänge mit seinen Prägungen und Orientierungen durch die humanistische Jurisprudenz bestehen. Das gesamte Werk Themis Hebraeo-Romana setzt sich zusammen aus 1.) einem ausführlichen, 55 Seiten umfassenden Widmungsbrief an den pfälzischen Kurfürsten Friedrich IV. (1574–1610, reg. ab 1592), in dem Johann Kahl seine Gesetzeslehre, insbesondere im Hinblick auf das mosaische Recht, entfal163 Die Liste der Theologen ist eigentlich noch weit ausführlicher. Sie findet sich in einer 1591 gedruckten Rede wieder, die Johann Kahl anlässlich des Todes des reformierten Theologen Georg Sohn gehalten hat. Auf diese Rede hat sich bereits Christoph Strohm bezogen, um damit vor allem die Einschätzung Dagmar Drülls (vgl. Drüll, Gelehrtenlexikon, 594) zu widerlegen, dass Kahl nicht zum Kreis reformierter Juristen zu zählen sei: „Etenim quoties recordor: recordor autem saepius qui et quam excellentes viri, ac praesertim religionis Euangelicae fortissimi contra Antichristum Romanum, et ejus assectas, patroni, hisce 30 aut 40 annis, adeoque tam brevi tempore, tam incommodo tempore, cum in aliis, tum vero et in nostra Republ. ex hac vita decesserint, toties commoveor animo et perturbor gravissime. Magnos illos viros et heroas intelligo. D. Lutherum intelligo. D. Zvuinglium, Oecolampadium, Bucerum, Capitonem, Thomam Cranmerum, Petrum Viretum, Augustinum Marloratum intelligo. D. Philip. Melanchthonem, Justum Jonam, Casparum Crucigerum, Calvinum, Martyrem, Pellicanum, VVolfgangum Musculum, Andream Hyperium, Simlerum, Bullingerum, Victorinum Strigelium, Tremellium, Boquinum, ac nuper D. Ursinum, Lavaterum, Gualtherum, Herdessianum, Olevianum, VVidebramum: et nuperrime optimum illum ac beatissimum senem, D. Sturmium. Hos, inquam, et alios complures intelligo, qui tam brevi tempore, tam incommodo tempore, non ita multo ante ex hac vita decesserunt“ (Johann Kahl, Oratio de vita et obitu […] D. Georgii Sohn, etc., in: Opera Georgii Sohnii, Bd. 1, Herborn 1591, f. a ivv–a vr; vgl. Strohm, Calvinismus und Recht, 133f Anm. 346). Georg Sohn wird direkt daran anschließend an das Ende dieser Reihe protestantischer Theologen gestellt. Neben der Betonung des reformatorischen Erbes über die binnenkonfessionellen Grenzen hinaus, die in dem Zitat offensichtlich ist, geht es mir in diesem Abschnitt hingegen vor allem darum, spezifischer nach den genauen Bezügen zur reformierten Gesetzeslehre zu fragen, um diese dann mit den Anteilen humanistischer Jurisprudenz zu vergleichen, soweit dies möglich ist. 164 Die Angabe zum letzten Druck findet sich bei Steffenhagen, Art. Calvinus, 715.
Die rechtskomparative Orientierung an der mosaischen Gesetzgebung
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tet; 2.) der in Kapitel (caput) mit jeweiligen Abschnitten (τμῆμα) gegliederten Gesetzeskompilation mit ausführlichen Kommentierungen und schließlich 3.) einem Appendix, in dem Kahl nach einem Frage-Antwort-Schema (quaeritur – responditur) mit Einwendungen (obiicitur) zu der Gesetzeskompilation mit ihren jeweiligen Kapiteln verfährt. 1.) Im Widmungsbrief steht die Frage im Mittelpunkt, ob die mosaischen Gesetze und, wenn ja, welche, warum und in welchem Umfang heute die Christenmenschen weiterhin binden.165 Gerade die hier entfaltete Gesetzeslehre zeigt enge Verbindungen zur calvinistisch-reformierten Theologie, weil sich Kahl fast durchgehend und bis in einzelne Formulierungen hinein auf den reformierten Theologen Franciscus Junius bezieht, auch wenn nicht durchweg immer Referenzen vermerkt sind. Junius hatte selbst die Rechte an den humanistisch geprägten Universitäten von Bourges und Lyon in Frankreich studiert, bevor er zum Theologiestudium nach Genf wechselte, um dort 1562 an der erst drei Jahre alten Genfer Akademie noch unter Johannes Calvin und Theodor Beza Theologie zu studieren. In den Jahren 1584–1592 wirkte Junius als Professor der Theologie an der Universität Heidelberg, während Kahl seit 1588 dort als Professor für Ethik lehrte, so dass ein Austausch und Kontakt zwischen beiden unterstellt werden kann. Ein Indiz dafür bietet schon das ausführliche Lob, mit dem Junius am Ende der Widmungsrede an den kurpfälzischen Fürsten von Kahl bedacht wird.166 Zwei Jahre vor Erscheinen von Kahls Themis Hebraeo-Romana war Junius’ schon zuvor erwähntes Werk De politiae Mosis observatione (1593) erschienen, das sich der Frage nach der Geltung der mosaischen Judizialgesetze widmete und im anschließenden Kapitel noch näher untersucht wird. In seinem Werk bot Junius aber nicht nur eine spezifische Behandlung des mosaischen Judizialgesetzes, sondern auch eine allgemeine Gesetzeslehre und eine Systematik des mosaischen Rechts, die Kahl in seinem langen Widmungsbrief nun übernimmt: Wie Junius geht Kahl von einer umfassenden lex aeterna aus, die der rationalen und ge165 Vgl. bereits den Abschnitt aus dem langen Untertitel zu der Themis Hebraeo-Romana, in dem allerdings genau genommen von einer Praefatio und nicht wie sonst von einer Epistola Dedicatoria die Rede ist: „In praefatione, nobilissima illa & scitu necessaria discutitur quaestio: An leges Mosaicae, & quaenam, & cur, & quatenus, hodie Christianos homines obligent.“ 166 „Sed quoniam haec vniuersa; de quibus omnino ac ferme necessario in hoc Themidos Hebraeo-Romanae instituto, aliquid mihi praemittendum erat ad illa quae plurima inibi ex Mose citantur, rectius distinguenda; & fuse & accurate praestantissimus ille F. Iunius noster pro insigni pietate, ac singulari acumine atque eruditione, iam pridem pertractauit ac perscripsit: […] In huius vero opusculi laborem, & in hanc materiem (quam non minus in Iurisprudentia Christiana; & in politia, quam in Theologia et ecclesia, expeditam, promptam ac perspicuam vigere conuenit) propterea tanto libentius incubui: quod multi iam pridem tale aliquid desiderarent: & quod hanc vtilißimam diuinae & humanae Iurisprudentiae collationem, a tyronibus politici ac iuridici studi omnino ac perperam negligi perspicerem […]“ (Kahl [Calvinus], Themis Hebraeo-Romana, Epist. Ded. f. d3v–[d4r]).
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Konzeptionen eines mosaischen Ursprungs des Rechts
setzmäßigen Ordnung Gottes entspricht, an der der Mensch qua Naturrecht in seiner Vernunft (ratio), seinem Intellekt (intellectus), Gewissen (conscientia) und Geist (mens) durch praktische Prinzipien (principia practica) partizipiert. Trotz Kahls betont positiver Ausrichtung an der recta ratio in seinem Werk geht er doch wie Junius und andere an Calvin orientierte Autoren zugleich von einer allgemeinen Verderbnis dieser praktischen Prinzipien bzw. der Vernunft nach dem Sündenfall des Menschen aus, deren Resultat letztlich auch eine Unmenge an verschiedenen menschlichen Gesetzen, Unvollkommenheit und Instabilität im politischen Bereich ist.167 Auf der anderen Seite steht dem aber das vollendete Vorbild (exemplar) der mosaischen Gesetze entgegen, das bereits Beza und später Junius betonten. Ganz wie Junius spricht Kahl hier von dem Prototyp (πρωτότυπος) der ratio et lex aeterna, der in der in drei Teile gegliederten lex Mosaica abgebildet sei.168 Wie Junius es getan hatte, so wird nun die einzigartige Autorität und Vorbildlichkeit der mosaischen Gesetzgebung den Mutationen der menschlichen Gesetze als sichere Grundlage entgegengehalten: Über Mose als Gesetzgeber und -stifter der Israeliten, dem Diener in Gottes Haus (administer Dei, fidelis servus), steht nur noch der wahre ewige Gesetzgeber Gott selbst als Stifter (auctor) und Verordner (sancitor).169 Neben diesen Parallelen in den 167 „Nec n. intellectus noster communia illa principia nun incorrupta & expedita habet vt olim ante quinam illam primorum parentum funestißimam per quam illa rubigine quadam obducta & obliterata fuerunt; neque etiam volintas intellectui inseruit, moremque gerit, videcebat. Deinde ratio turbata per lapsum ac depravata, satis languida nun atque interdum inepta est ad conclusiones firemas & immotas ex perincipiis illis eliciendas. Tum vero vt maxime conclusione aliquando iustas exinde eliciat; res tamen ipsae, quae sensuales ac particulaes sunt, ac de quibus ratio ex sensuum indicio ac iudicio statuere ebet, nobs plerumque plus satis obscurae ac dubiae sunt: tum ad infirmitatem nostram, sensuumque hebetudunem, tum ob naturam ipsarum numerumque & infinitam partim copiam, partim varietatem. Etenim non solum res ipsae natura sua & generatim, & secundum idipatheisa speciatim vaiantur, sed etiam modus, circumstantiae & conditiones in illis variae varias & aßiduaes mutationes pariunt […]“ (aaO., f. a3v–a4r). 168 „Quod vt rectius diiudicetur, firmiter tenenda est vetus illa & iam olim recepetißima Mosaicae legis distinctio in Moralem, Ceremonialem ac Forensem; quarum commune, πρωτότυπον, viuum, & immutabile exemplar ac fundamentum est ratio & lex aeterna mentis ac iustitiae aeternae in creatore, supremo legislatore“ (aaO., f. [a5v]). Vgl. Junius d.Ä., De politiae Mosis observatione, Sp. 1485 th. VIII. [„perfectum exemplum est in lege Mosis“]. 169 Zu den nach dem Sündenfall mutierten menschlichen Gesetzen heißt es: „At vero ista & uniuersa & singula de iure diuino ac lege Mosaica longe secus habent. Neque enim haec varia & vaga, sed vna, certa, constans, ac definita est. Neq[ue] porro istis vel restrictionibus, vel ampliationibus, vel modificationibus, aliisque mutationibus obnoxia. Deinde aeterna sanctis illis institutis atque immota, adeoque omni exceptione maior & ratio constat & auctoritas. Quicquid enim Moses lege vlla sanxit, id certissime a ratione aeterni legislatoris aeterna profectum est. At vero & in minutis pene quibusque rebus Deum ille consuluit. Itaque rationis perfectio hic summa est. Quod autem Moses se accomodauit populo illi, cui ferebantur leges; & illis insuper temporibus: id imperfectionem nullam arguit rationis, sed perfectionem potius eximiam. Adhaec auctoritatem lex Mosis vtramque habuit, nempe & diuinam & humanam: & vtramque summam. Auctor namque & sancitor legis illius publica testificatione Deus erat:
Die rechtskomparative Orientierung an der mosaischen Gesetzgebung
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Formulierungen ist außerdem auffällig, dass Kahl im Weiteren vor allem die komplexe Unterscheidungslehre zu den mosaischen Gesetzen von Junius übernimmt und die altüberlieferte Dreiteilung beibehalten wird. Jene entspricht einer Unterscheidung zwischen universalen und partikularen, unwandelbaren (ewigen) und wandelbaren sowie unvermischten und vermischten mosaischen Gesetzen,170 die letztlich eben darauf hinausläuft, auch die mosaischen Judizialgesetze bzw. politischen Gesetze (leges politicae) über den Billigkeitsgedanken mit dem Dekalog zu vermitteln und so an ihrer (indirekten) Geltung festzuhalten. 2.) Auch die Gesetzeskompilation selbst in Kahls Themis Hebraeo-Romana zeigt seinen Anschluss an die calvinistisch-reformierte Theologie. In dem eigentlichen Hauptteil des Werkes sind aber gerade die juristische Ausrichtung und die Interessen, die ihn mit der humanistischen Jurisprudenz verbinden, unverkennbar. So stützt sich Kahl z. B. auf Vorarbeiten Jacques Cujas’, eines der Begründer dieser humanistischen Richtung der Rechtslehre, François Hotmans und Pierre Pithous.171 Dadurch, dass Kahl am Ende der bisher behandelten Juristen steht, die einen rechtsvergleichenden Ansatz ausgehend vom mosaischen Recht wählten, bietet sich zudem eine kurze Zuordnung an: Im Gegensatz zu den zuvor bereits behandelten Juristen François Ragueau und William Welwood, die sich in ihren Rechtskompilationen vorrangig an den Rechtstiteln des Corpus Iuris Civilis orientierten, bildet bei Johann Kahl ähnlich wie bei Henri Estienne der Dekalog das Strukturprinzip der Zusammenstellung der Rechtstexte. Ein Unterschied zwischen Letzteren ist dadurch gegeben, dass sich Kahl im Gegensatz zu Henri Estienne auch durchgängig auf das kanonische Recht bezieht und dieses in die Kollation des mosaischen und römischen Rechts mit einbezieht. Wie bei Estienne erfolgt aber außerdem auch eine Auseinandersetzung mit den uralten Gesetzen der Ägypter und Griechen (prisces leges Aegyptorum et Graecorum). Wie bei Estienne bleibt dabei im Sinne der Anliegen der humanistischen JurisMoses autem administer Dei, ac fidelis seruus in tota domo ac politia ipsius; Israelitarum ductor ac legislator; ipsorummet consensu; eximius, Deuteron.33.Exod.20,&24“ (Kahl [Calvinus], Themis Hebraeo-Romana, Epist. Ded. f. a4r–v). Die Bedeutung des Moralgesetzes in der Gesetzgebung des Mose wird im Hinblick auf eine Erneuerung der principia practica anschließend in folgender Weise unterstrichen: „Nil igitur in ista Dei per Mosen lege desiderari potest: vtpote quae rationem occaecatam illuminat, corruptam instaurat, imperfectam diuinitus perficit ac firmat. Principia quoq[ue] practica, quae nunc mire in nobis deprauata in νομοθεσίᾳ Mosis per legem moralem eiusque explicationem perfectione summa a corruptione ista vindicantur & instaurantur, Christo ipso Matth.5 teste atq[ue] interprete“ (aaO., f. a4v–[a5r]). 170 Siehe dazu weiter unten, Abschn. 4.3.1. 171 Vgl. Kahl [Calvinus], Themis Hebraeo-Romana, 262–264. 318 mit Bezügen auf Cujas’ Edition der Sententiae des klassischen römischen Juristen Iulius Paulus. Zu Hotmans Librum de usuris vgl. aaO., 290. Mit dem Bezug auf die editorischen Arbeiten Pithous ist vor allem Kahls Nutzung von Pithous Edition der Collatio Legum Mosaicarum et Romanarum gemeint, die weiter unten noch einmal aufgegriffen wird.
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Konzeptionen eines mosaischen Ursprungs des Rechts
prudenz die historische Erschließung der Rechtsquellen ein primäres Anliegen und drückt sich in der Weise aus, dass – vergleichbar mit einer Orientierung an der prisca theologia und sapientia – nun nach den ältesten Gesetzgebungen gefragt wird. Diesen Anfang allen Rechts sehen beide Autoren wie im Übrigen auch William Welwood (weniger deutlich François Ragueau172) in der mosaischen Gesetzgebung. Wie Welwood in seiner Vorrede, so übernimmt auch Kahl – allerdings in abweichender Form – ein Zitat über die ältesten Gesetzgeber von Diodorus Siculus, um das Alter Moses herauszustellen; er schließt damit an die außerbiblischen Mose-Traditionen an.173 In ihrer Bedeutung treten Bezüge auf die alten Gesetzgebungen der Ägypter und Griechen insgesamt zugunsten ausführlicher Zitierungen aus dem römischen und kanonischen Recht beim Vergleich mit dem mosaischen Recht zurück. Am häufigsten zitiert wird ansonsten aus den Werken Ciceros, die auch kommentierend zu den Gesetzestexten hinzugezogen werden. Danach folgt gleich Platon. Wie Estienne, so bezieht sich auch Kahl ausführlich auf die Collatio legum Mosaicarum et Romanarum in der Edition Pierre Pithous, stellt allerdings nicht wie jener eine vollständig bearbeitete Fassung noch einmal an das Ende des Werkes. In alldem könnte man die Verbindungen zur Theologie deutlich zurücktreten sehen, allerdings baut doch auch die Gesetzeskompilation selbst auf theologischen Vorarbeiten auf: Kahl verfolgt konsequent die Auslegung der politischen Gesetze Moses als Appendix des Dekalogs im calvinischen Sinne weiter. Doch steht dahinter wie bei Henri Estienne ein Gebrauch von Theodor Bezas Kollation Lex Dei (1577). Dies wird noch im Überblick über die Titulatur und die bei Beza gewählten Bibeltexte zu den einzelnen Rechtstiteln erkenntlich. Um dies zu veranschaulichen, wähle ich im Folgenden wie bei Estienne die Behandlung der Delikte und Strafen bei Diebstahl als Appendix zum achten Gebot (in der Zählung Bezas zum vierten Gebot der zweiten Dekalogtafel). Im Fall von Kahl werden alle weiteren Rechtsquellen außer den zitierten biblischen 172 Siehe Abschn. 3.2.1. Für Ragueau stand weniger ein Altersvergleich des Rechts im Vordergrund, sondern eher die Einzigartigkeit der mosaischen Gesetze und der jüdischen respublica. Es bleibt dann bei der Feststellung, dass auch die politischen Gesetze des jüdischen Volkes auf Gott als Autor zurückführen. 173 „At enim quamquam Romanas cum Sacrosanctis Hebraeorum legibus suaui admodum consensu in plurimis subinde conspirare obseruatu facillimum est: (nec mirum: primigeniam quippe originem ac fontem, vltimi ac remotißimi riuuli quadantenus resipiunt: XII Romanorum tabulae Graecos illos, Draconem, Solonem, ac Platonem: hi vero AEgyptios: AEgyptii Mercurium Trismegistum: sed hic denique Mosen, legislatorum omnium, vel Diodoro illo etiam Siculo teste, primum: erecto velut digito demonstrant) in illis tamen non pauca quoq[ue] ab his dissonantia deprehendi compertum est. Quapropter accuratam & sedulam vtriusque illius: Romanae, inquam, & Mosaicae Iurisprudentiae collationem, & politicae πραγματείας & Iurisprudentiae studioso hisce temporibus, non iucundam tantum, non fructuosam tantum, sed necessariam quoq[ue] existimant praestantißimi quiq[ue]“ (Kahl [Calvinus], Themis Hebraeo-Romana, Epist. Ded. f. a2v–a3r).
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Die rechtskomparative Orientierung an der mosaischen Gesetzgebung
Geboten ausgelassen, so dass die Auswahl und Zuordnung von Rechtstiteln und jeweiligem Bibeltext miteinander verglichen werden können. Die Übereinstimmungen in den Namen der Rechtstitel und im zitierten Bibeltext sind hervorgehoben: Beza, Dei moralis, ceremonialis, et Kahl, Themis Hebraeo-Romana, id est iurisprupolitica, ex libris Mosis excerpta dentia Mosaica […], 1595, 228–304. […], 1577, 76. Lev 19,11.13.33; Ad quartum Praeceptum Cap. 8. Ad legem VIII. tabulae Ex 22,21 divinae, Τμῆμα I. Ex 20; Dtn 5; Mt 19,16; Röm 13,9. Furtum ne facito. (1) De poenis Ex 22,1–5; Num II. De poena furti in genere Ex 22,1ff; Num furti 5,5–7 5,5[–7] III. Furti nocturni ac diurni dis- Ex 22,2f tincta quaedam consideratio, ac poena est IV. Furta domestica o. A.174 (2) De sacrile- Jos 7,10–26 gio
V. De sacrilegio
Jos, 7,11ff.24f
VI. Quaeritur: an sacrilegium in o. A.175 materia furti tantum usurpetur?
(10) De incendio fortuito
Ex 22,6
VII. De rapina grassatorum: & (qui gravius adhuc grassantur latronum ac piratarum) VIII. De incendiariis IX. De magia illiberali X.–XII. …
o. A.
XIII. De abigeis
*Ex 21,16176; Dtn 24,7 Ex 22,1
Dtn 19,14
XIV. De termino moto
Dtn 19,14
Lev 19,35f; Dtn 25,13–16
XV. De falsariis: dolo malo, fraude: iniustis ponderibus, mensuris, & c.
Lev 19,35 19,11 (vgl. Ex 23,7); Dtn 25,13ff
XVI. o. A.
o. A.177
(11) De plagio Ex 21,16; Dtn 24,7 XII. De plagiariis
(6) De termino moto (5) De aequis ponderibus
Ex 22,6
174 Enthält nur eingangs den Kommentar: „Furta domestica tanto grauius puniri solent, quanto aegrius ab iis nobis cauere possumus, levius tamen, si omnino vilia sint“ (vgl. aaO., 242). 175 Enthält als Antwort ein indirektes Zitat aus Philos Werk De decalogo (vgl. aaO., 248). 176 Korrigiert die Angabe Ex 21,7 (vgl. aaO., 256). 177 Kommentar über Diebstahl im Verborgenen (vgl. aaO., 267).
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Konzeptionen eines mosaischen Ursprungs des Rechts
(Fortsetzung) Beza, Dei moralis, ceremonialis, et politica, ex libris Mosis excerpta […], 1577, 76. (19) De depo- Ex 22,7–13 sito (15) De piEx 22,26[f]; Dtn gnore 24,6.10–13.17
Kahl, Themis Hebraeo-Romana, id est iurisprudentia Mosaica […], 1595, 228–304. XVII. Furtum rei depositae; vel quod fit inficiando depositum XVIII. De pignore
Ex 22,7[–13]
(18) De commodato (4) De mercenariis non fraudandis
Ex 22,14f
XIX. De commodato
Ex 22,14[f]
Lev 19,13; *Dtn 24,14f 178; 25,4
XX. De locato
Ex 22,10; Lev 19,13; Dtn 24,14f; Prov 1
(8) De aberrantibus pecudibus
Ex 22,5; 23,4f; Dtn XXI. De negociis gestis 22,1–4
Ex 22,26[f]; Dtn 24,6.10ff[.17]
Ex 23,4f; Dtn 22,1[–4]
XXII.–XXV. …179 XXVI. De damno infecto: si metuatur laesio & damnum: nempe bonorum, non corporis XXVII. De damno sine iniuria: seu pauperie (20) De heaeredibus
Num 26,1.56; 27,1–12; 33,54f; 36,1–9; Dtn 21,15– 17 (3) De extran- Ex 22,21–24; 23,9; eis iniuria non Lev 19,33f; Dtn afficiendis 10,17–19
Ex 21,33; 22,5; *22,6180; 23,24 [f]; Lev 24,18.21 Ex 21,35[f]; 23,4 [f]; Dtn 22,1–4
XXVIII. De successione legitima, Num 27,8–10 seu ab intestato. [.11] XXIX. De personis miserabiliEx 22,21–24; Lev bus, seu commiseratione dignis, 19,9.10.13.33; ut sunt pauperes, mendici: viDtn 24,14 duae: pupilli: peregrini: mercenarii pauperes
Die Übersicht legt nahe, dass Kahl mit Bezas Kollation Lex Dei als Vorlage gearbeitet haben muss. Dies ergibt sich teilweise durch die Übereinstimmungen in der Auswahl und den Namen der Rechtstitel, die als Teilstücke zum achten Gebot des Dekalogs verstanden werden, vor allem aber in den Zuordnungen des Bibeltextes entsprechend den jeweiligen biblischen Geboten. Gleichfalls lässt sich aber auch beobachten, dass Kahl mit seiner Vorlage aus der Lex Dei relativ frei 178 Korr. d. Ang. Dtn 26,16f (vgl. Beza, Lex Dei, 77). 179 Diese vier Titel sind ausgelassen, weil sie (so Τμῆμα XXII. De aleatoribus und Τμῆμα XXIV. De foenere nautico) keinen Bibeltext anführen, wie Τμῆμα XXIII. De usuris, foenore, foeneratoribus eher systematisch angelegt sind oder, wie Kahl zu Τμῆμα XXV. De damno iniuria dato, scilicet in bonis alterius schreibt, sich mehr dem Tötungsverbot im Dekalog zuordnen ließen (Kahl [Calvinus], Themis Hebraeo-Romana, 281–290). 180 Korr. d. Ang. Ex 21 (vgl. aaO., 291).
Die rechtskomparative Orientierung an der mosaischen Gesetzgebung
269
umgegangen ist, was auch seinem eigenen juristischen Interesse geschuldet ist. So wird ein Titel, den Beza rein deskriptiv für den Bibeltext wählte, wie der „Über verirrtes Vieh“ (De aberrantibus pecudibus zu Ex 22,5; 23,4f; Dtn 22,1–4), von Kahl nicht übernommen, sondern stattdessen ein Rechtstitel aus dem römischen Recht gewählt, in diesem Fall der Digestentitel De negociis gestis (D. 3,5; vgl. bei Kahl das Τμῆμα VIII.). Für den Vergleich mit Ex 23,4f und Dtn 22,1–4 werden dann auch Zitate zusammengestellt, die sich unter anderem diesem Digestentitel zuordnen lassen und von da aus mit dem kanonischen Recht verglichen werden.181 Zudem zeigen die dann folgenden Teilstücke Kahls (vor allem Τμῆμα XXVI. und XXVII.) eine fortgeführte juristische Durchdringung des Bibelabschnitts zu Fragen des Schadensersatzrechts. Kahls Gebrauch von Bezas Kollation Lex Dei ist auch dadurch geprägt, dass er insgesamt die darin enthaltene Ordnung aufgibt und freier mit dem dortigen Bibeltext umgeht.
3.2.5 Zwischenfazit: Resonanz der Orientierung am Ideal der mosaischen Gesetzgebung unter protestantischen, vornehmlich reformierten Autoren In allen vier Fällen der im zurückliegenden Abschnitt untersuchten Texte sind für die Autoren Verbindungen zur calvinistisch-reformierten Theologie oder zumindest Auslegungsmethodik deutlich geworden. Johann Kahls Werk bietet vorerst einen ersten Abschluss der am Rechtsvorbild der mosaischen Gesetzgebung ausgerichteten rechtskomparativen Literatur im engeren Sinne. Dies bedeutet aber nicht, dass die aus der humanistischen Jurisprudenz entstammende Methodik mit ihren eigenen Überschneidungen zur calvinistisch-reformierten Theologie nicht auch noch den Weg in andere Schriften gefunden hätte. Im nächsten Kapitel soll verdeutlicht werden, welche Rückwirkungen dies auch auf die calvinistisch-reformierte Lehre selbst mit einschloss. Eine erste Beobachtung sei bereits an dieser Stelle erlaubt: Die für die Werke von François Ragueau, Henri Estienne, William Welwood und Johann Kahl maßgebliche Frage nach der Anwendung der mosaischen Gesetze im christlichen Gemeinwesen drehte sich stets um die Bereiche des Zivil- und Strafrechts. Es ist dieser, nach der klassischen schulmäßigen Einteilung Judizialgesetze, in der Nachfolge auch vermehrt leges forensium oder leges politicae benannte Rechtsbereich, dem in der Folge das größte Interesse unter den Autoren, die einen rechtskomparativen Ansatz weiter 181 Die Zitate aus dem römischen Recht (vgl. aaO., 280f) lassen sich folgendermaßen zuordnen: ein Zitat stammt aus dem dritten Buch De verborum obligationibus des Gaius’ (D. 3,5,38), dann folgen zwei Zusammenschnitte aus Zitaten, einmal aus Varus’ De aqua pluma arcenda und eins aus Ulpians Buch Ad edictum (vgl. D. 3,5,1).
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Konzeptionen eines mosaischen Ursprungs des Rechts
verfolgten, zugekommen ist. Die Werke Legum mosaicarum forensium explanatio (1604) des Herborner Theologieprofessors und Hofpredigers Wilhelm Zepper (1550–1607)182 und De legibus Ebraeorum forensibus von Constantijn L’Empereur (1591–1648), der zunächst als Theologieprofessor und seit 1627 in Leiden als Professor für Hebräisch und orientalische Sprachen wirkte,183 drücken diese Konzentration auf die Frage der Geltung des mosaischen Judizialgesetzes bereits in ihren Werktiteln aus. Beide Autoren sind dem calvinistisch-reformierten Bereich zuzuordnen und zeigen ein ähnliches Verfahren einer Konzentration auf den Dekalog als Strukturprinzip, wie wir es bereits bei Henri Estienne und Johann Kahl kennengelernt haben. Wilhelm Zeppers Werk, das im anschließenden Kapitel noch einmal in seinem engeren Kontext in den Blick genommen wird, veranschaulicht dabei aber zugleich auch, wie letztlich die systematischen Antworten auf die Geltungsfragen der mosaischen leges forenses die eigentlichen rechtsvergleichenden Abschnitte überlagerten. Constantijn L’Empereurs genanntes Werk deutet auf der anderen Seite entscheidend auf die weiteren Tendenzen des 17. Jahrhunderts, den vom Rechtsvorbild der mosaischen Gesetzgebung ausgehenden Rechtsvergleich mit dem christlichen Hebraismus und jüdischen Quellen zu vermitteln, voraus: So hat bereits Boaz Cohen darauf verwiesen, dass L’Empereurs Schrift De legibus Ebraeorum forensibus als erste umfassende Vergleichung von römischem Recht und talmudischer Rechtslehre angesehen werden kann.184 Sie stellt nämlich den Text des Mischnatraktats Bava qama ( )בבא קמאin lateinischer Übersetzung jeweiligen Parallelen aus dem römischen Recht gegenüber. Schließlich zeigt das Beispiel Johann Samuel Strycks (1668–1715) und seiner S. S. Leges forenses Mosaicae cum jure Romano collectae (1745?), dass noch weit darüber hinaus im 18. Jahrhundert an den Vergleich der mosaischen leges forenses mit dem römischen Recht angeschlossen werden konnte. Ein Werk, das wieder enger dem eigentlichen Textgenre einer Rechtskompilation folgt, ist die Collatio Legum Mosaicarum forensium & Romanarum, Canonici item & Saxonici iurium von Philipp Zepper (1592–1655), selbst Jurist und Sohn des bereits genannten Wilhelm Zepper. Vergleichbar umfassende Werke entstanden erst wieder seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wie das Werk Manuale legum Mosaicarum, in quo catalogus legum ex partitione Judaeorum et Christianorum, Sensus literalis & Mystici expositio (1666) von Josua Arnd (auch: Arndt, 1626–1678), Johann Nicolais (1665–1708) Diatribe de Juramentis Hebraeorum, Graecorum, Romanorum (1700), Christopher Wolles (1700–1761) 182 Zu Wilhelm Zepper siehe Abschn. 4.4. 183 Vgl. zu den biographischen Angaben Jöcher 2, 341. 184 Vgl. Cohen, Jewish and Roman Law, 7. Die folgende Aufführung der Schriften bezieht sich auf Cohens Zusammenstellung.
Die rechtsgeschichtliche Orientierung am jüdisch-mosaischen Gemeinwesen
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Epistola critica de Hebraismus Ulpiani juris consulti (1739) und schließlich Johann Gottlieb Heineccius’ (1681–1741) De Ulpiani icti hebraismis (1746).
3.3
Die rechtsgeschichtliche Orientierung am jüdisch-mosaischen Gemeinwesen
Zeitlich parallel zu den rechtskomparativen Werken entwickelt sich im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts ein eigenständiger Typus der Geschichtsschreibung, der aus heutiger Sicht am ehesten als eine Rechtsgeschichte des jüdischen Gemeinwesens (politia judaica), in der dieses zugleich als ein rechtlich-politisches Ideal herausgearbeitet wird, beschrieben werden kann. Durch diese Ausrichtung steht in der Geschichtsdarstellung der Werke das mosaische Gemeinwesen (politia Mosis) ganz im Vordergrund. Daneben stößt man aber auch auf viele weitere Aspekte, die in der Darstellung der jüdischen Geschichte nicht unbedingt mit der Rechtsthematik im engeren Sinn zu tun haben wie z. B. Erläuterungen über Sektenbildungen im jüdischen Volk oder die Kriegsführung. Und doch sprechen genügend Argumente dafür, die Werke in ihrer gemeinsamen Rechtsperspektive wahrzunehmen. Diese stand, wie bereits die Nachzeichnung des Diskurses am Anfang dieses Kapitels eröffnet hat, in einem Zusammenhang mit humanistischen Anliegen. Die rechtsgeschichtlichen Werke de politia judaica oder (de republica Hebraeorum) waren zunächst Projekte der humanistischen Geschichtsschreibung und Jurisprudenz und nicht eines allgemeinen Phänomens des sog. „politischen Hebraismus“.185 Die drei Werke von Corneille Bertram, Carlo Sigonio und Joachim Stephani, die im Folgenden vorgestellt werden, gehören in diesen humanistischen Kontext.
3.3.1 Corneille Bertram, De politia judaica (1574) In der Nachzeichnung des Diskurses über das mosaische Recht in der humanistischen Jurisprudenz am Anfang dieses Kapitels ist deutlich geworden, dass auch Bertrams zuerst 1574 veröffentlichte Schrift De politia judaica in diesen Kontext mit hineingehört. Ursprünglicher Beweggrund des Werkes war nach 185 Jonathan Ziskind, Political Scientists hat dagegen Corneille Bertram und Carlo Sigonio ausdrücklich als „die ersten politischen Wissenschaftler des christlichen Hebraismus“ bezeichnet. In einem rein-formalen Verständnis des Hebraismus ist dies aber alleine deswegen schon schwierig ist, weil Sigonio wohl keine Hebräischkenntnisse hatte und seine Werke keine hebräische Schrift aufweisen. Der christliche Hebraismus und die hier vorgestellte Literatur ist insgesamt als ein Teilaspekt des Humanismus wahrzunehmen und nicht andersherum.
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Konzeptionen eines mosaischen Ursprungs des Rechts
Bertrams eigenen Angaben der an ihn gerichtete Vorschlag des in Cahors lehrenden Professors für römisches Recht und Altertümer, François Roaldès, sich in einer Schrift mit der zweifachen Jurisdiktion des jüdischen Gemeinwesens auseinanderzusetzen.186 Bertram hatte außerdem in der Phase ausgehend von diesem Vorschlag bis zur Fertigstellung seines Werkes von der Arbeit Carlo Sigonios über diese Materie Notiz genommen. Zwei weitere äußere Gesichtspunkte sind darüber hinaus für einen kontextuellen Zugang zu Bertrams De politia judaica relevant: Zum einen hebt sich Bertram von den anderen beiden Autoren, die kurz nach ihm ähnliche Werke verfassten (Carlo Sigonio, Joachim Stephani), durch seine hervorragenden Hebräisch- und Aramäischkenntnisse ab. Dies war natürlich wiederum ausschlaggebend für die Quellen, auf die Bertram in De politia judaica zurückgriff. Zum anderen hatte Bertram zwar die Rechte in Frankreich studiert, die längste Zeit verbrachte er aber als Pastor und Hebräischlehrer in Genf, wo er zu einem wichtigen Mitarbeiter Calvins, vor allem aber von dessen Nachfolger Theodor Beza, wurde. Dass Bertram sein Werk De politia judaica Beza im Jahr 1574 widmete, mag abgesehen von der akademischen und beruflichen Nähe auch schlicht damit zu tun gehabt haben, dass Bertram durch seine Heirat bald nach der Ankunft in Genf Beza familiär nahestand.187 Bevor die Schrift De politia judaica im Folgenden genauer untersucht wird, sind so zunächst einige biographische Informationen über den ausgebildeten Juristen, christlichen Hebraisten und Theologen Bertram angebracht. Corneille Bonaventure Bertram(us) (eig. Bertrand)188 wurde 1531 in Thouars im Westen Frankreichs geboren. Zwischen 1552 und 1556 ist ein Studium der alten Sprachen am humanistisch ausgerichteten Collège Royal von Paris belegt, wo er von den bekannten Hebraisten Jean Mercier (ca. 1510–1570) und Angelo Canisi (Angelus Canisius, 1521–1557) unterrichtet wurde.189 In den kommenden sechs Jahren schloss Bertram das Studium der Rechte in Toulouse daran an. Während dieser Zeit bekannte Bertram sich auch öffentlich zur Reformation und 186 Siehe bereits oben, Abschn. 3.1. 187 Vgl. Borgeaud, Histoire de l’Universitè de Genève, 102. 188 Autobiographische Angaben über Bertram finden sich in der Vorrede zu seinem späteren Werk Lucubrationes Franktallenses seu specimen aliquod interpretationum et expositionum quas plurimas in difficillima quaeque utriusque Testamenti loca meditatus est, Speyer 1588. Vgl. zu den folgenden biographischen und bibliographischen Angaben (zum Teil in einzelnen Jahreszahlen voneinander abweichend): Senebier, Histoire littéraire de Geneve, 309– 311; Borgeaud, Histoire de l’Universitè de Genève, 102–104; Bartolucci, La repubblica ebraica, 45–48, dort 48–65 mit einem Vergleich der politischen und rechtlichen Konzeptionen Bertrams, der französischen Monarchomachen und Jean Bodins. Zur Latinisierung des Nachnamens und Hinzufügung Corneille zum eigentlichen Vornamen Bonaventure vgl. Borgeaud, Histoire de l’Universitè de Genève, 103 mit Anm. 1. 189 Das Collège Royal in Paris war 1530 unter dem französischen König Franz I. und auf Initiative Guillaume Budés als Reaktion auf das Collegium Trilingue in Löwen entstanden und hatte einen humanistischen Schwerpunkt beim Studium der drei alten Sprachen.
Die rechtsgeschichtliche Orientierung am jüdisch-mosaischen Gemeinwesen
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predigte in der Stadt Toulouse.190 Seine Orientierung am evangelischen Glauben brachte ihn schließlich auch in einer Zeit anhaltender Protestantenverfolgungen in Frankreich in Gefahr. Noch im Jahr 1561 hielt sich Bertram in Cahors auf, wo es zu dem schon angesprochenen Kontakt mit François Roaldès kam. Cahors aber wurde mit dem Massaker an den Protestanten noch im November desselben Jahres zum Ausgangspunkt des ersten in der Reihe der französischen Religionskriege. Bertram musste nach Genf fliehen, wo ihm bald das Bürgerrecht zugestanden wurde und er als Pastor zunächst ab 1562 in Chancy und dann ab 1566 in der Stadt Genf selbst tätig war. Womöglich schon zum Jahreswechsel hin übernahm er eine Vertretung der Hebräischprofessur an der Genfer Akademie für Antoine Chevalier, hatte dann aber seit 1567 einen eigenen Lehrstuhl für orientalische Sprachen inne.191 Aus finanziellen Gründen musste die Genfer Akademie in ihrer Zeit der Krise 1586/7 neben anderen Professoren auch Corneille Bertram entlassen.192 An sein Wirken in Genf schloss dann ein kurzer Aufenthalt im kurpfälzischen Frankenthal an, wo Bertram auf die dortige reformierte Flüchtlingsgemeinde aus den Niederlanden getroffen sein muss. Sein 1588 zuerst in Speyer erschienenes Werk Lucubrationes Franktallenses, das der Klärung schwieriger exegetischer Fragen zu einzelnen Textpassagen des Alten und Neuen Testaments gewidmet ist, blickt bereits auf die Frankenthaler Zeit zurück und ist außerdem durch eine persönlich gehaltene und Landgraf Wilhelm von Hessen gewidmete Vorrede von Wert für die ansonsten eher wenigen biographischen Hinweise zu Bertram.193 Nach der Frankenthaler Zeit arbeitete Bertram noch über einen längeren Zeitraum bis zu seinem Tod im Jahr 1594 als Professor für Hebräisch an der Akademie von Lausanne. Seine wichtigsten Werke aber waren allesamt bereits vorher entstanden und haben ihren Schwerpunkt, abgesehen von seinem bekanntesten Werk De politia judaica, in der Sprachlehre (Hebräisch, Aramäisch und Arabisch) und Bibelübersetzung. Neben einer 1574 zuerst gedruckten vergleichenden Grammatik des Hebräischen und Aramäischen194 hat Bertram 1575 auch das einschlägige hebräisch-lateinische Wörter190 Borgeaud, Histoire de l’Universitè de Genève, 103 schreibt dazu: „Puis, quittant les lettres pour le droit, il avait consacré six ans, à Toulouse, à des études juridiques, au cours desquelles il avait publiquement embrassé la Réforme et commencé des prédications dans cette ville.“ 191 Vgl. dazu aaO., 102. Bertram selbst spricht davon, dass er in der Genfer Akademie Hebräisch und Aramäisch unterrichtet habe („in Schola Geneuensi Hebraeam linguaem & Aramicam publica docui“, Bertram, Lucubrationes Franktallenses, Praef. f. *3r). 192 Vgl. Borgeaud, Histoire de l’Universitè de Genève, 193. 193 Die Praefatio zu dem Werk Lucubrationes Franktallenses bleibt in neueren Forschungsarbeiten über Bertram oftmals unbeachtet, obwohl sie unter anderem interessante Aspekte zu Bertrams Lehrern, seine Arbeiten und Beziehungen zu Calvin und seinem Nachfolger Theodor Beza enthält. 194 גלעדComparatio grammaticae Hebraicae et Aramicae, atque adeo dialectorum Aramicarum
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Konzeptionen eines mosaischen Ursprungs des Rechts
buch Thesaurus Linguae Sanctae des italienischen Dominikaners Sante(s) Pagnini (1470–1541) und von Jean Mercier überarbeitet und mit eigenen Zusätzen und denen von Antoine Chevalier herausgegeben.195 Umfangreich war außerdem Bertrams Mitarbeit an der Genfer Bibel in französischer Sprache, die ausgehend von einer Übersetzung Pierre-Robert Olévitans (1535) seit 1540 in Genf mehrfach überarbeitet wurde und 1588 unter Theodor Beza ihre maßgebliche Form (Bible des Pasteurs et Professeurs de Genève, 1588) erhielt. Bertram steuerte hierzu Übersetzungen des Alten Testaments bei.196 Schließlich ist es sehr wahrscheinlich, dass sich Bertram auch als Herausgeber einer weiteren interlinearen Bibel, der sog. Heidelberger polyglotten Bibel (sog. Polyglotta Sanctandreana oder Biblia Polyglotta Vetabli, 1586) hervorgetan hat, in der der hebräische Text des Alten Testaments, die Septuaginta- und die Vulgatafassung sowie schließlich eine weitere lateinische Übersetzung synoptisch aufgeführt werden.197 Es liegt nahe, dass die philologischen Fähigkeiten Bertrams und die Einbindung in die Genfer Akademie und Compagnie des Pasteurs sich auf die Konzeption und die Inhalte der Schrift De politia judaica (1574) auswirkten. Wenn ich deswegen im Folgenden zunächst genauer die Rechtskonzeption der politia judaica hinterfrage (3.3.1.1), so wird dieser Genfer Kontext ebenso zu berücksichtigen sein wie der des französischen Humanismus: Hierbei kommt zum einen die humanistische Sprachausbildung Bertrams in den Blick, die ihm die Verwendung jüdisch-hebräischer Quellen in De politia judaica ermöglichte (3.3.1.2), und zum anderen werden die Verbindungen zur humanistischen Jurisprudenz Frankreichs betrachtet, die Bertram in der Person François Roaldès’ ja den ursprünglichen Anstoß zur Abfassung des Werkes gab. Demgegenüber ergibt sich ausgehend vom Genfer Kontext bereits aus den Reaktionen, die das Werk im reformierten Bereich relativ kurzfristig hervorrief, die Frage nach den inter se: concinnata ex Hebraicis Antonij Ceuallerij praeceptionibus, Aramicisque doctorum aliorum virorum obseruationibus: quibus & quamplurimae aliae in utraque lingua adiectae sunt, Genf 1574 (Druck: Eustache Vignon). Außer dieser Grammatik ist bei Senebier, Histoire littéraire de Geneve, 311 und in anderen lexikalischen Einträgen auch noch eine ebenfalls in Genf erschienene Grammatica Hebraica & Arabica aufgeführt, die ich allerdings nicht mehr ausfindig machen konnte. 195 אוצר לשון הקדשHoc est, Thesaurus linguae sanctae, siue lexicon Hebraicum […] authore Sancte Pagnino […] nunc demum cum doctissimis quibusque Hebraeorum ac aliorum scriptis quam accuratissime collatum, & ex ijsdem auctum ac recognitum, opera Ioannis Merceri, Ant. Ceuallerij & B. Cornelij Bertrami, Lyon 1575 (Druck: Bartholomaeus Vincentius). 196 Vgl. Borgeaud, Histoire de l’Universitè de Genève, 319. 197 Biblia sacra. Hebraice, Graece, & Latine. Latina interpretatio duplex est, altera vetus, altera noua; cum annotationibus Francisci Vatabli Hebraice linguae Lutetiae quondam professoris Regij. Omnia cum editione Complutensi diligenter collata, additis in margine, quos Vatablus in suis annotationibus nonnun quam omiserat, idiotismis, verborumque difficiliorum radicibus, [Heidelberg] 1586 (Druck: ex officina Sanctandreana).
Die rechtsgeschichtliche Orientierung am jüdisch-mosaischen Gemeinwesen
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konfessionellen Aspekten des Werkes (ebenfalls 3.3.1.2). Aufschlüsse darüber gibt zunächst der Briefwechsel zwischen den beiden Reformatoren und Kirchenvorstehern Theodor Beza in Genf und Heinrich Bullinger in Zürich. Bertrams Werk muss zunächst im Kontext der Auseinandersetzungen um die Kirchenzucht und Exkommunikation, die zwischen den reformierten Zentren Genf und Zürich sowie Heidelberg entbrannt waren, wahrgenommen werden. Wenn Bertram in seinem Widmungsbrief zu De politia judaica Theodor Beza lobt und ihm einen großen Anteil an seiner Arbeit zugestand, standen auch diese Auseinandersetzungen im Hintergrund.198 Noch am 12. März 1574 schickte Beza ein Exemplar des Werkes an Bullinger in der Meinung, dass das Werk von Bullinger gebilligt werden würde.199 Das Gegenteil war jedoch der Fall. Bereits in den unmittelbar vorhergehenden Monaten hatte es zwischen Genf und Zürich Unstimmigkeiten in Fragen der Kirchenzucht gegeben.200 Umstrittene Punkte waren dabei insbesondere die Einrichtung eines Konsistoriums und dessen Kompetenz zur Exkommunikation von Kirchenmitgliedern. Beides schloss das konsistoriale Genfer Modell von Kirche mit ein, das Zürcher Modell, das an einer staatskirchlichen Einheit orientiert war, jedoch nicht. Der diesbezügliche Briefwechsel zwischen Beza und Bullinger ist nicht mehr vollständig überliefert. An den erhaltenen brieflichen Reaktionen lässt sich aber gut ablesen, dass man zunächst einerseits darum bemüht war, keinen allzu großen Zorn auf der jeweils anderen Seite hervorzurufen, ohne andererseits die eigene Meinung in der Kirchenzuchtfrage aufzugeben. So ermahnt sich Bullinger in einem Brief an Beza (8. Mai 1574) nicht nur quasi selbst zur Rücksicht gegenüber Beza, sondern führt auch zugleich sein geschichtliches Wissen um die Kirchenzucht seit den Aposteln und seine eigene 44–jährige Erfahrung in den zurückliegenden Diskussionen darüber unter den führenden reformierten Köpfen (Petrus Martyr Vermigli, Ulrich Zwingli, Johannes Oekolampad, Martin Bucer und Wolfgang Capito) ins Feld, 198 Bertram, De politia judaica, 7f = f. a.ij.v formuliert in seinem Widmungsbrief an Beza: „[R]ursum tu, cum turbae de nostrarum Ecclesiarum disciplina quae cum hac quaestione omnino cohaeret, a nonnullis excitarentur, onus quod ego valentiorum humeris reseruabam, in meipsum quantumuis imbecillum reiecisti. Hoc ergo tuis auspiciis ita aggressus sum, vt tuo consilio tuaque opera assidue vterer: non solum dum institutum opus primum meditarer, sed & vbi iam ad summum perduxissem. adeo vt mihi profiteri necesse sit, quae in hunc libellum congesta sunt, non modo tuo iudicio comprabata fuisse, sed & a te aucta atque cumulata: imo ita expolita & adornata omnia, vt iam fere nihil in eo quod meum sit, agnoscam, sed tua omnia esse palam praedicem: nec tam hic libellus in tuo nomine apparere, quam tuus dici debeat.“ 199 „Editus hic est nuper libellus ab Haebraeo nostro professore de Judaïca Politia, quem si inspexeris, tibi probatum iri arbitror. Idcirco unum ejus exemplar ad te mitto“ (Beza, Corresp., Bd. 15, Nr. 1054 [Beza an Bullinger, Genf: 12. 3. 1574], 50–53, hier zit.: 51). Inhaltlich ging Beza in diesem Brief nicht näher auf Bertrams Schrift ein und erwähnt auch nicht einen thematischen Zusammenhang mit der Kirchenzucht. 200 Vgl. aaO., Nr. 1043 (Bullinger an Beza) mit aaO., Nr. 1051 (Beza an Bullinger).
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Konzeptionen eines mosaischen Ursprungs des Rechts
um schließlich abschließend zu bemerken, dass sein Vorgänger Zwingli doch Recht hatte.201 Bezas Antwort auf Bullingers Brief nur eine Woche später zeigt, dass Beza die zurückliegenden Streitigkeiten überwinden wollte, die sich auf die Exkommunikation zugespitzt hatten (er hätte bei der Veröffentlichung von De politia judaica nicht mehr an die Exkommunikation gedacht als an das Königreich der Inder!).202 Stattdessen stellte er in der Sache ein persönliches Gespräch zwischen Bullinger selbst und seinem Mitarbeiter Rudolf Gwalther (1519–1586), dem späteren Nachfolger Bullingers in Zürich, im Interesse des freundschaftlichen Verhältnisses in Aussicht. Allerdings scheint sich so schnell keine Verbesserung der Lage eingestellt zu haben, denn bereits im September 1574 ist dann wiederum von Beza zu vernehmen, dass die Unruhen in der Frage der Kirchenzucht noch lange nicht beigelegt seien.203 Jedenfalls kam es zu diesem Zeitpunkt auch nicht zu einem geplanten Treffen zwischen Beza und dem Heidelberger Professor für Medizin, Thomas Erastus (eig. Lüber, 1524–1583), der mit seinen zunächst 1568 handschriftlich verbreiteten Thesen über die Exkommunikation ein Staatskirchen-Modell vertreten hatte, das in Zürich Anerkennung gefunden hatte.204 Beza hatte damals in den wieder aufflammenden Streitigkeiten über die Exkommunikation unter den Reformierten seine eigene Antwort auf die Thesen des Erastus nicht publik gemacht.205 Dass er nun aber wiederum das 201 „Quod si cogitare potuissem meam admonitionem ita tibi fore ingratam, tacuissem plane. Scio, mi frater, qualis fuerit Ecclesiae doctrina de disciplina ab Apostologrum temporibus ad Novati usque fere seculum, et quam varia inde coeperint a Graecis et Latinis Ecclesiarum ministris recipi, ut Novati conatibus, accusationibus et calumniis obviarent. Ipse quoque cum D. Martyre contuli multa de hac re. Ipse etiam interfui colloquio de excommunicatione habito inter Zwinglium et Oecolampadem, praesentibus Capitone et Bucero. Ac intra hosce 44 annos experientia didici Zwinglium bene et prudenter de ea tunc disseruisse. Sed desino de his amplius commentari, postquam sentio his animum tuum exacerbari magis magisque“ (aaO., Nr. 1066 [Bullinger an Beza, Zürich: 8. 5. 1574], 85–87, hier zit.: 85). Die Tatsache, dass Bullinger auf sein Wissen über die Geschichte der Kirchenzucht seit den Aposteln bis zu den Novatianern in der Antike hinweist, deutet darauf hin, dass möglicherweise Argumente darüber schon in vorherigen Briefen zwischen Bullinger und Beza ausgetauscht worden waren, die nicht mehr erhalten sind. 202 „Tantum velim te aequius de me judicare, ut de eo qui, quum libellus ille [De politia judaica] ederetur, non magis de excommunicatione vel statuenda vel tollenda, quam de Indorum regno cogitari. Ad rem autem ipsam quod attinet, nihil magis cupiverim quam hoc mihi tribui ut coram et tecum et cum D. Gualthero nostro in primis colloquar, priusquam aut tu, mit pater quem opto quam diutissime superstitem esse, aut ego ad Dominum demigremus. Multa enim sunt de quibus uno verbo coram inter amicos transigi potest, quae ex scripto vix explicari aut admitti quaeant“ (aaO., Nr. 1067 [Beza an Bullinger, Genf: 14. 5. 1574], 88–91, hier zit.: 88). 203 Vgl. aaO., Nr. 1086 (Beza an Bullinger, Bâle: 10. 9. 1574), 156–161, hier: 157. 204 Vgl. Rudolf, Heidelberg nach den letzten Briefen Bullinger-Beza, 98f; zu Erastus nun auch detailliert Gunnoe, Thomas Erastus, hier: 163–209 zur Kontroverse über die Kirchenzucht und den Heidelberger Kontext. 205 Vgl. Beza, Corresp., Bd. 15, 159f Anm. 8.
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Gespräch mit Erastus im Jahr 1574 suchte, zeigt sowohl, dass die Debatten um die Kirchenzucht unter den Reformierten fortbestanden, als auch, dass Beza im Zuge der Veröffentlichung von Bertrams Buch De politia judaica nun neue Vermittlungen aufzunehmen suchte. Im Folgenden bleibt dies deswegen besonders zu berücksichtigen, wenn die Verbreitung und die Resonanz auf Bertrams Werk abschließend in Aussicht gestellt werden.
3.3.1.1 Kirchlich-weltliche Grundunterscheidung der politia judaica und das Ideal einer gemäßigten mosaischen Verfassungsform Bertrams rechtsgeschichtliche Darstellung des jüdischen Gemeinwesens (politia judaica) basiert auf einer grundsätzlichen Zweiteilung des Rechts und des politischen Gemeinwesens. Demnach haben alle guten Gesetze, ob schriftlich oder nicht-schriftlich, ein zweifaches Ziel: Sie beschäftigen sich entweder mit der Frömmigkeit (pietas) des Menschen gegenüber Gott oder beschreiben die Pflichten (officia) der Menschen untereinander.206 Daraus aber entfaltet sich wiederum das doppelte Genus des Gemeinwesens (politiae genus), das einerseits als göttlich, andererseits als menschlich, dem gemeinen Sprachgebrauch aber auch einfach als kirchlich (ecclesiastica) und zivil (civilis) bezeichnet werden könne. Die Ursprünge der Gesetze selbst werden von Bertram in aller Kürze in Kapitel I. schöpfungstheologisch erläutert und auf eine anthropologische Sichtweise des Gesetzes (lex) vor und nach dem Fall zugespitzt. Demnach bestanden bereits im Urzustand des Menschen vor dem Fall die leges in der Gottesebenbildlichkeit des Menschen in Form von Einprägungen.207 Der Mensch lebte mit Gott selbst in Harmonie (hominis cum ipso Deo convenientia), weil das Licht seiner Erkenntnis (lux intelligentiae) nicht verdunkelt und der Wille (voluntas) nicht von Unordnung befallen war.208 Bezogen auf das zweifache Ziel des Gesetzes bedeutete dies, dass der Mensch aus eigenem Antrieb erkennen und willentlich hervorbringen konnte, was er dem Schöpfer und anderen gegenüber 206 „Legvm omnium bonarum, siue sint scriptae, siue non scriptae, duplex est scopus. Aut enim hominis erga Deum pietatem respiciunt, aut hominum inter se officia describunt. Hinc duplex nascitur politiae genus, quarum vnam quae ad pietatem refertur, diuinam: alteram quae hominum inter se officia continet, humanam, merito vocemus. Nos tamen ex communi loquendi more illam quidem Ecclesiasticam, istam vero Ciuile appellabimus“ (Bertram, De politia judaica, 9f = f. a.iij.r). 207 „Caeterum vna cum homine condito leges illas coepisse fatendum est, animo videlicet illius ad imaginem Opificis ipsius conditi, insculptas“ (aaO., 9–12 = f. a.iij.r–v). 208 „Quum enim neq[ue] intelligentiae lux vllis tenebris obscurata esset, neque voluntatem vlla ἀταξία inuasisset, imo quaedam admirabilis esset hominis cum ipso Deo conuenientia, efficitur hominem hoc fuisse ipso creationis beneficio adeptum, vt & quod Opifici deberet, & quod hominis cuiusuis in alterum officium esset, sua sponte perspiceret, & quo illum intellectus deduceret, eo quoque tota voluntas ferretur“ (aaO., 11f = f. a.iij.v).
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an Pflichten schuldig war. Jedoch sei schon damals eine äußerliche Kundgebung des göttlichen Willens, zugleich ein Gesetz zur Ehrerbietung Gottes, nötig gewesen, das noch vor dem Sündenfall in Gottes Verbot, vom Baum der Erkenntnis zu essen, in Geltung kam. Bertram unterstreicht damit, dass sowohl innerlich als auch in geäußerter Form das Gesetz Gottes bereits im Stand der Unschuld bestanden habe. Nach dem Sündenfall sei es dann zur Verfinsterung der menschlichen Erkenntnis und Verkehrung des Willens gegen Gott gekommen. Übrig geblieben sei nach dem Sündenfall das Gewissen (conscientia), das, wenn auch eine Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht, Anstand und Schändlichem, so doch niemals wahre Selbst- und Gotteserkenntnis ermögliche. Hierbei wird im Griechischen der Gewissensbegriff mit den Ausdrücken συντήρεσις καὶ συνείδησις wiedergegeben und mit angeborenen Ideen (κοιναὶ ἔννοιαι) gleichgesetzt. Der mehrfach wiederkehrende Dualismus von Licht (lux) und Finsternis (tenebrae) erinnert auf den ersten Blick an das Genfer Reformationsmotto post tenebras lux gegen den Aberglauben des Papsttums. Anklänge finden sich auch in der Terminologie der stoischen Philosophie, womit Bertram mit Calvin und Beza auf einer Linie wäre. Die Hinweise bleiben hier aber wenig konkret, da Bertram keinen Naturrechtsbegriff entfaltet. Dies mag nicht nur an der Kürze dieser einführenden Gesetzeslehre liegen, sondern auch daran, dass sich Bertram vorrangig am biblischen Text – und hier vor allem an Paulus und den ersten beiden Kapiteln des Römerbriefes – orientiert. So zielt das kurz gehaltene Kapitel I. letztlich darauf, einen positiven Gesetzesbegriff für die Schöpfung und Urgeschichte und damit auch für die Ursprünge der politia judaica zu schaffen.209 Dies wird dadurch erreicht, dass Mose als von Gott beauftragter Schriftsteller dargestellt wird. Er habe auf heiligste Weise (divinissime) die Beispiele (exempla) und Zeugnisse (testimonia) der alten Weltgeschichte, die schon die Geschichte des ewigen Wortes mit einschließt, und die Gesetze (leges), die seit den frühesten Gesetzesoffenbarungen von Hand zu Hand weitertradiert worden seien, nie209 „Itaque conscientiam quoque, vtpote quae ab illo caeco duce regatur, aberrare in plurimis necesse est: vt illam affectuum ἀταξίαν plane nostris nunquam viribus perdomitam praeter mittam. Dubium ergo non est, quin aeternus ille λόγος φιλάνθρωπος iam tum partim arcano sui Spiritus afflatu, partim etiam externis alloquutionibus, quarum exempla Moses non pauca suppeditat, homines quomodo intus & foris coli vellet, & quae alij aliis officia deberent, perspicue docuerit. Quas Leges qui primi a Deo acceperunt, suis etiam nepotibus veluti per manus tradebant. Harum rerum testimonia nobis subministrat vetus mundi historia vsque ad Legem in Sinai monte & aliis deserti (sic!) regionibus perlatam: sicuti nobis est a Mose diuinissime ex ipsius Dei mandato perscripta“ (aaO., 13f = f. [a.iiij.r]). Der Affektenbegriff wird in der Behandlung des postlapsarisch zwanghaft irrenden Gewissens lediglich gestreift und der Gedanke des ewigen λόγος φιλάνθρωπος in der Schöpfung des Menschen, der an Clemens von Alexandrien und eine Logos-Theologie denken lässt, ebenfalls nicht weiter ausgeführt.
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dergeschrieben. So werden z. B. schon zwei Darstellungen von Gesetzen (duo monumenta legum) nach dem Fall und vor der Sintflut identifiziert, nämlich der (rechte) Opferbrauch (Abels Glaube, vgl. Hebr 11,4) und die Unterscheidung von reinen und unreinen Tieren für die Opferung nach dem göttlichen Gesetz (Gen 8,20ff), die beide das äußere kirchliche Gemeinwesen betrafen.210 Allerdings setzt dies nicht voraus, dass alle Gesetze der Väter aus der vormosaischen Zeit in das mosaische Gesetzeskorpus aufgenommen worden seien: Dies ergibt sich durch Bertrams Klarstellung, dass es durchaus zivile Gesetze (civiles leges) dieser Frühzeit gegeben habe, die zwar auf Grundlage des Gotteswortes und Gemeinsinns in Kraft getreten, aber den Zeitbedingungen angepasst gewesen seien (so z. B. der Eheritus, das Leviratsrecht und die Strafe für Ehebruch) und danach Veränderungen – auch zum Schlechten hin! – erfahren konnten.211 Nach dem einführenden Kapitel beginnt ein chronologischer Durchgang, der sich der einführenden Gesetzeslehre entsprechend sowohl an einzelnen materialrechtlichen Aspekten als auch am Wandel der politischen Form der politia judaica orientiert. Nach einem kurzen Überblick über den Aufbau des Gesamtwerkes, sei dann kurz skizziert, mit welchem methodischen Ansatz Bertram in seiner historischen Darstellung vorgeht und wie dies mit der übergeordneten Frage nach den rechtlichen Aspekten zusammenhängt. Bertram geht in seinem rechtsgeschichtlichen Durchgang nicht in aller Konsequenz so vor, dass er jeweils abwechselnd den kirchlich-geistlichen und dann den zivilen-weltlichen Bereich behandelt. Zur Mitte des Werkes hin wird zunächst vor allem den Erörterungen zur politia civilis ausgehend von den politischen Bedingungen seit der Landnahme des Volkes Israel viel Raum gegeben. Eine erste Zäsur in der Chronologie erfolgt damit nach der Gesetzesgabe am Sinai mit der Landnahme. Bis dahin befassen sich wechselnd jeweils drei Kapitel mit der politia ecclesiastica (Kap. II., IIII., VII.) und der politia civilis (Kap. III., V., VI.) in der Zeit der Erzväter ausgehend von der Urgeschichte, in Ägypten und am Berg Sinai bis zur Landnahme Kanaans. Bei der vorgezogenen Konzentration behandeln einzelne Kapitel die politischen und zivilrechtlichen Entwicklungen unter Josua (Kap. VIII.), in der Richterzeit (Kap. IX.), unter den Königen bis zur politischen Spaltung der 10 Stämme (Kap. X.), die Wiederherstellung der politia 210 Vgl. aaO., 13–16 = f. [a.iiij.r–v]. Bertram bezieht sich mit dem Opfer Noahs (Gen 8,20ff) ja auf eine Bibelpassage, die eigentlich schon nach der Sintflut spielt. Das Gebot der Unterscheidung von reinen und unreinen Tieren für ein Opfer aber müsste demnach schon vor der Sintflut bestanden haben. 211 „Quibus legibus & a quo institutis hae politiae administratae fuerunt, non plane constat, si illas exceperis quae extant initio capitis noni Geneseos. Sed verisimile videtur primos Patres ex verbi Dei interpretatione atque ex ipsis communibus notionibus & praesenti necessitate ciuiles leges statuisse (inter quas pono Nuptiarum ritus, Leuirationis ius, & Adulterij poenam) quae postea a quibusdam eorum posteris auctae & suis locis ac temporibus accommodatae fuerunt, ab aliis corruptae & omnino peruersae“ (aaO., 30f).
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ecclesiastica und politia civilis im Königreich Juda (Kap. XI.), die politia civilis im Königtum der zehn Stämme nach der Abspaltung von Juda (Kap. XII.) und schließlich – in dem mit Abstand längsten Kapitel des gesamten Werkes – die weitere politische Entwicklung nach der Eroberung Jerusalems durch Nebukadnezar II. (Kap. XIII.). Die Behandlung der politia civilis des antiken Diasporajudentums wie vor allem im ägyptischen Alexandria oder griechischen Kyrenaika (Kap. XIII.) fällt demgegenüber nur noch sehr knapp aus. Auffällig bei den folgenden Kapiteln, die sich dann dem chronologischen Durchgang der Geschichte der politia ecclesiastica seit der Besiedlung Kanaans widmen (Kap. XV.), ist demgegenüber dann die Einführung einer schematischen Darstellungsweise, die z. B. nicht nur Chroniken des Priestertums, sondern auch grafische Unterscheidungen zu geistlichen Aufgaben, der Priesterordnung und -familien einführt.212 Nach Behandlung des geistlich-kirchlichen Bereichs der zehn Stämme des Nordreichs Israel (Kap. XVI.), während der Babylonischen Gefangenschaft (Kap. XVII.) und nach der Rückkehr aus dem Exil (Kap. XVIII.) schließt das gesamte Werk schließlich mit einem letzten Kapitel über jüdische Schismen, Apostasien und Sekten (Kap. XIX.). Eine strikte sachliche Trennung zwischen den Erläuterungen zur politia ecclesiastica und zur politia civilis wird allein schon deswegen für Bertram nicht möglich, weil er an mehreren Stellen das Verhältnis beider politiae zueinander erläutert und sie außerdem in der Geschichte der politia judaica nicht immer getrennt waren. Im methodischen Ansatz zeigen sich aber Unterschiede, auf welche Weise Bertram die zwei Bereiche der politia judaica beschreibt. Für die Behandlung der politia ecclesiastica wählt Bertram gleich in Kapitel II. einen systematischen Zugang, der seine juristische Schulung veranschaulicht: Unterschieden wird zwischen Personen, Ort, Zeit, Sachen sowie Riten bezogen auf Personen (ritus circa personas) und Sachen (ritus circa res).213 In den anschließenden Kapiteln über die politia ecclesiastica wird diese systematische Unterscheidung aber nicht streng weitergeführt, vielmehr ist eine Zuspitzung auf bestimmte Loci classici des Kirchenrechts auffällig, deren Anfänge bereits im frühesten Zeitalter der Menschen und politia judaica gesehen werden: Schon in Kapitel II. erfährt man, dass die politia ecclesiastica der ersten Menschen und Erzväter Israels sich erstens nicht nur durch Gottesorakel an bestimmten Stätten, Opferwesen (Dank- und Sühneopfer mit weiteren Unterarten), die Einhaltung der Sabbatruhe und -heiligung, oder die Abkehr vom Götzendienst (idolomania) auszeichnete,214 sondern auch schon ein konkretes Toten- und Bestattungs212 Vgl. aaO., 118–128. 145f. 213 „In Ecclesiastica Patrum politia primum de personis, postea de loco, deinde de tempore, quarto de rebus, quinto de ritibus, tum circa personas, tum circa res, agendum est“ (aaO., 17). 214 Vgl. aaO, 19f. 26–28.
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recht215 und zweitens eine bestimmte kirchliche Ordnung existierten. Dieser Ordnung habe eine Zweiteilung zwischen einem leitenden/moderierenden und lehrenden Teil und einem Teil, der sich demgegenüber gehorsam zeigen soll, zugrunde gelegen.216 Drittens, an der Spitze dieser Ordnung stehe seit Adam ein moderierender Vorsteher (praefectus), der sowohl Prophet als auch Priester sei.217 Viertens, seit der Urgeschichte und zur Zeit der Erzväter bestand zudem bereits die Praxis der Exkommunikation, und zwar in einer einfachen Weise (Gen 17,14) oder in Form eines Anathemas, also eines Kirchenbanns, der zum ersten Mal an Kain ergangen sei (Gen 4,14.16).218 Sie impliziert eine Unterscheidung zwischen der Zugehörigkeit zum Gottesvolk (populus Dei) und der Völker (populi), die von göttlichen und menschlichen Gesetzen gelenkt werden. Im für die gesamte Argumentation wichtigen Kapitel VII. wird dann die Exkommunikation als ein Teil von kirchlicher Jurisdiktion (iurisdictio) und Sanktionsrecht (legis sanctio) dargestellt.219 Diese Sanktionen reichen in drei Stufen von dem Verweis über die Exkommunikation bis zum Ausspruch des Anathemas zum ewigen Tod.220 An dieser Stelle nimmt Bertram ausdrücklich den Vergleich zur kirchlichen Gegenwart („in unseren Kirchen“) auf und stellt die drei Sanktionsstufen jeweils dem Ausschluss von den Sakramenten, der öffentlichen Exkommunikation und dem nur eher selten vollzogenen Kirchenbann parallel gegenüber.221 Fünftens 215 Rechtlich betrachtet wird beim ritus circa mortuos zwischen dem humandi praeceptum (Gen 3,19) sowie der pura humandi cura und dem sepulchri ius (Gen 23) unterschieden (vgl. aaO., 23). 216 „Corporis istius partes duae fuerunt: vna eius quae moderando & docendo coetui praefuit, altera eius quae monenti & docenti parere debuit. Nam in ea increpatione qua Dominus Adamum & Heuam perstrinxit, Adamum ipsum gubernandae reliquae Ecclesiae praeficit, vel ipsam Heuam alloquens“ (aaO., 17f). 217 „Adami seu praefecti Ecclesiae moderandae duplex fuisse videtur officium: vnum Prophetiae, alterum Sacerdotij“ (aaO., 18). 218 „Excommunicatio duplex iam tum fuisse videtur: Excommunicatio simplex, & Anathema. Excommunicationis simplicis formula extare videtur Genes.17.14, Et excindetur anima illa ex populis suis. quod idem esse videtur atque si diceretur, Eiuscemodi homo amplius non censebitur in populo Dei. Populi enim nomine intelligitur (sic!) aggregatio plurium hominum qui iisdem legibus diuinis & humanis reguntur. Praxis istius excommunicationis extitit in Caino. Gen. 4.14,& 16“ (aaO., 21f). 219 „Iurisdictio vel nudas reprehensiones, vel eas coniunctas cum Legis Sanctione. Legis Sanctio triplex ex Legis ipsius interpretatione a veteribus Rabbinis deriuata est, longe ante Legem Patribus probata, & postea ab Apostolis rata habita“ (aaO., 45). 220 Die drei Stufen werden mit folgenden hebräischen und entsprechenden lateinischen Begriffen wiedergegeben: 1.) נרוי: „Auersatio, Amolitio & Amandatio“; 2.) חרם: „Deuotio extremo cuidam exitio, Excommunicatio“; 3.) שמתא: „Adiudicatio ad mortem Aeternam, Anathema“ (aaO., 45f). 221 Vgl. mit den drei Punkten der vorherigen Anm. 220: „Primae illi speciei respondet quod in Ecclesiis nostris vocamus prohibitionem seu suspensionem a Sacramentis: secundae Excommunicatio publice facta: tertiae Anathema, cuius vt non ita semper nota est nobis ratio, vsus est etiam rarissimus“ (aaO., 46).
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wird dabei die kirchliche Jurisdiktion der politia judaica als eine Funktion in der Lehrtätigkeit der Priester beschrieben neben der bloßen Explikation des Gotteswortes.222 Alle Priester, wie Bertram im Anschluss an die Beschreibung der levitischen Priesterhierarchie darlegt, aber hatten neben der Lehre noch drei weitere Aufgabenbereiche: das Gebet, das Opfern sowie die Herrichtung und Bedienung der Opfergeräte in den Heiligtümern. Insgesamt sind diese kirchenrechtlichen Aspekte im nächsten Abschnitt noch einmal mit den spezifischen Eigenarten des Genfer Kirchenmodells zu vergleichen. Sie basieren letztlich auf der ursprünglichen Stiftung Gottes in der Schöpfung, in der Gott das Corpus ecclesiae nach dem Fall und der Verwerfung Adams und Evas bei einer neuen Vereinigung (coetus) wieder erwählt und mit seiner göttlichen Verheißung versehen hat.223 Hier unterscheidet sich die Geschichte der politia ecclesiastica, wie sie Bertram schildert, von derjenigen der politia civilis, denn auf deren göttliche Stiftung seit den Anfängen der Menschheit geht Bertram nicht mehr ein. Die Ausführungen zur politia civilis setzen lediglich mit dem zeitlichen Bezug ein, dass die Verwaltung der politia civilis bis zum Zeitalter Nimrods224 denjenigen zukam, die auch die politia ecclesiastica lenkten, weswegen auch von einer Monarchie im frühesten jüdischen Gemeinwesen gesprochen werden könne.225 Der Verweis auf die Monarchie deutet bereits auf ein Charakteristikum hin, das Bertrams Darstellung der politia civilis von derjenigen der politia ecclesiastica unterscheidet, nämlich das Interesse am Wandel der Verfassungsformen mit ihren politischen Ämtern. Bertram bezieht sich dabei auf das Schema der Verfassungsformen des Aristoteles und anderer antiker Autoren wie Polybius und Herodot. Aristoteles 222 „Commune omnibus sacerdotibus officium erat docere, precari, & offerre ac proinde sanctuarij vasa adornare & instruere. Docendi munus vel nudam verbi Dei explicationem spectabat, vel coniunctam etiam cum Iurisdictione“ (aaO., 44f). 223 „Quod igitur ad totum Ecclesiae corpus spectat, ex ipso Dei verbo constat Adamum & Heuam a Deo abalienatos, & postea illi conciliatos, ab ipso Deo Ecclesiae coetum lectos fuisse. Ita enim post lapsum senserunt ex Dei increpatione se primam naturae lucem & iustitiam amisisse, vt rursus ex Dei promissione intellexerint se ab eo in suos recipi, & vitam sibi reddi“ (aaO., 17). Der Begriff coetus wird u. a. auch schon für die Versammlungen am siebten Tag der Woche bzw. Sabbat (Ex 16,5.26f) vor der Sinai-Gesetzesoffenbarung verwendet (vgl. aaO., 19). 224 Ein Bibelstellenverweis fehlt hier, gemeint sein dürfte aber der bis dahin unvergleichliche Machtzuwachs Nimrods, den Gen 10,8f in der Völkertafel (par. 1Chr 1,10) formuliert: „Kusch aber zeugte den Nimrod. Der war der Erste, der Macht gewann auf Erden, und war ein gewaltiger Jäger vor dem Herrn. Daher spricht man: Das ist ein gewaltiger Jäger vor dem Herrn wie Nimrod“ (zit. nach rev. Luther-Bibel, 1984). 225 „Ciuilis politiae administratio ante Nimrodum, penes eos fuit, penes quos erat & Ecclesiasticae. Nam veteribus ordinarium & quasi perpetuum fuit, vt qui Reges essent, iidem etiam Sacerdotio fungerentur. Hinc efficitur istam priorem politiam Monarchicam fuisse. Politiae quae Nimrodi aetate inualuit, duplex fuit administratio, Priuata & Publica“ (Bertram, De politia judaica, 29).
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hatte drei guten Verfassungen drei Entartungen gegenübergestellt.226 Bertram schließt hieran an und nimmt im Fortgang ebenfalls den aristotelischen Gedanken der gemischten Verfassung auf. Allerdings fehlen Verweise auf Aristoteles gänzlich, was wiederum aber auch nur Bertrams Vorgehen entspricht, auf Quellen- und Autorenhinweise nicht-christlicher und nicht-jüdischer Referenzen gänzlich zu verzichten. Mit dem Zeitalter Nimrods setzt nun gleichzeitig eine Scheidung zwischen der privaten und der öffentlichen Verwaltung des Gemeinwesens ein, wobei die private den Familienoberhäuptern (patresfamilias) und deren Erstgeborenen (primogeniti) zukam, und bei der öffentlichen zwischen einer monarchischen und demokratischen Form unterschieden werden könne.227 Diesen Formen der öffentlichen Verwaltung seien die Ältesten (seniores) bzw. Senatoren (senatores) gemein gewesen, die man in der Monarchie nur irgendwann begann als Diener (servi) des Königs zu bezeichnen, in der demokratischen öffentlichen Verwaltung jedoch nicht. Bertram führt die Unterscheidung zwischen der demokratischen und der monarchischen öffentlichen Verwaltung relativ früh in seinem Werk ein, obwohl sie für die Urgeschichte und Zeit der Erzväter noch keine Relevanz zu haben scheint, denn schließlich sei sowohl die öffentliche als auch die private Verfassungsform des Gemeinwesens der Väter Israels monarchisch gewesen.228 Schon die Zeit nach der Sintflut und der Zerstreuung der Völker wird als von Stammesfürstentümern geprägt gesehen, in der die Regelung der öffentlichen Verwaltung und des Gottesdienstes in den Händen der Fürsten einer Sippe und ihrer Erstgeborenen gelegen habe.229 Eine tragende Rolle kommt den Ältesten für Bertram erst mit der politia civilis Hebraeorum in Ägypten zu. Aus ihrer Mitte seien die Präfekten (lt. praefecti; hebr. )שוטריםhinzugekommen, deren Beratungs- und Richteramt sich nicht lediglich auf das hebräische Volk beschränkt habe, sondern auch dem Pharao in der Steuereintreibung und Aufsicht dienlich gewesen sei.230 Die Siebzigzahl der Ältesten und Präfekten vor der Gesetzesgabe am Sinai hält Bertram für wahrscheinlich und stellt terminologisch eine Verbindung zu den Optimaten (lt. magnates/optimates; hebr. אצילי בני ישראל/ )גדוליher.231 Die optimates aber bilden der lateinischen Übersetzung nach wiederum einen aristotelischen Schlüsselbegriff der Aristokratie. Im Resultat ergibt sich nach Bertrams Darstellung damit schon für das früheste Gemeinwesen der Hebräer in Ägypten eine aristokratische 226 Der Königsherrschaft (Monarchie), Aristokratie und Politie auf der Seite der guten Verfassungsformen stehen die Tyrannis, Oligarchie und Demokratie (Ochlokratie) auf Seite der Entartungen gegenüber (vgl. Arist., Pol. III,6–8,1279a–b). 227 Vgl. Bertram, De politia judaica, 29f. 228 Vgl. aaO., 31. 229 Vgl. aaO., 25. 230 Vgl. aaO., 34f. 231 Vgl. aaO., 35f.
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Verfassungsform, oder sicher eine Mischverfassung aus aristokratischen und demokratischen Elementen, die dann durch das spätere ägyptische Tyrannentum unterdrückt wurde.232 Schon vor der Gesetzesoffenbarung habe die Mischverfassung oder Aristokratie einen führenden Kopf in der Person Mose gehabt, der sowohl an der Spitze der Rechtsprechung stand als auch vor Aarons Priesterweihe selbst in führender Rolle als Priester fungierte.233 Auf Jitros Rat hin setzte Mose bald zusätzliche Richter ein, die jeweils 1000, 100, 50 und 10 Familien vorstanden und nun die Aufgabe hatten, nicht schwerwiegende Fälle zu beurteilen.234 Irgendwann wurden dann auch den Anführern der 13 Stämme alleine Urteile anvertraut und diesen Richtern insgesamt fügte Mose noch seine Präfekten hinzu.235 Doch auf Gottes Anordnung hin traten schließlich in den wirklich schwerwiegenden Rechtsfällen Mose jene 70 Ältesten zur Seite, die schon als Älteste und Präfekten in Ägypten vor dem Exodus zu hohem Ansehen gekommen waren.236 In einem kurzen Exkurs stellt Bertram daraufhin variierende Bibelstellen zusammen, um den Erweis zu erbringen, dass dieses richterliche Gremium (senatus) kontinuierlich aus den 70 Ältesten bestand, aber je nach Besetzung auch 71 oder 72 Befugte umfassen konnte.237 Hier liegt für Bertram auch der Ursprung für das spätere jüdische Synedrium.238 Der senatus als richterliches Gremium unterschied sich aber schließlich noch einmal von jener Versammlung des ganzen Volkes (lt. universus coetus, hebr. u. a. )קהל, die im eigentlichen Sinne das demokratische Element in Bertrams Darstellung der politia judaica bildet und dem selbst eine Partizipation an wichtigen Entscheidungen zugeschrieben wird.239 Diese besondere Form, die das Gemeinwesen der Hebräer mit dem Exodus aus Ägypten und damit mit der Befreiung der Rechtsinstitutionen von der Tyrannis
232 „Atque illa prior Hebraeorum politia in Aegypto Aristocratica fuisse videtur, vel certe mixta ex Aristocratica & Democratica. Posterior Tyrannica fuit regum Aegypti aduersus eos. Priuatam autem alteram in Aegypto continuatam verisimile est“ (aaO., 36). 233 „Videtur etiam ibidem sedisse pro tribunali ipse Moses, vt ius diceret. vnde subiicit populum eo ad se venire sciscitatum ipsum Dominum. […] Mosem initio.i.ante consecratum Aharonem apud populum sacerdotio functum, certum est, suosque ad eam rem administros habuisse, non solum Iosuam, sed & certos iuuenes ex famliis quibusque delectos, quos arbitrantur Hebraei fuisse primogenitos“ (aaO., 33f). 234 Vgl. aaO., 37. An dieser Stelle fehlt ein Bibelstellenverweis, gemeint ist aber Ex 18,21. In diesem Bibelvers ist allerding nicht von Familien oder Sippen (familiae) die Rede, wie es Bertram ausdrückt. 235 Vgl. aaO., 38. 236 Vgl. ebd. 237 Vgl. aaO., 39–42. 238 Vgl. aaO., 39. 239 Vgl. aaO., 30. 42f, wo auch Überschneidungen in der Terminologie mit dem coetus senatorum besprochen werden.
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des Pharao erreichte,240 stellt Bertram an zwei Stellen in seinem Werk heraus. Zunächst ist von einem Zwischenspiel die Rede, in der die Verfassung unter Mose von königlicher Art (politia instar regiae), allerdings unter Gott, gewesen sei.241 Mose habe hier Recht gesprochen, indem er aus dem Mund Gottes selbst antwortete und dies durch die Ältesten und Präfekten zur Kenntnis gebracht wurde. Noch an einer weiteren Stelle betont Bertram ganz ähnlich, dass nicht von einer Monarchie Moses im eigentlichen Sinne gesprochen werden könne, sondern von einer Gottesherrschaft, geht dann aber noch genauer auf die gemäßigte Verfassungsform (politia modo temperata) unter Mose und die Verschriftlichung der mosaischen Gesetze ein: Diese Verfassung (politia) jedoch scheint eben auf dieselbe Art gemäßigt gewesen zu sein, die die Spartaner die hervorragendste nennen, insofern Mose gewissermaßen königliche Macht innehatte, jedoch unter Oberbefehl Gottes, des damals wahren und einzigen Königs der Israeliten. Die Siebzig, die Herrscher über Tausend, über Hundert, über Fünfzig und über Zehn [hatten] eine aristokratische, die Bürger aber – Gemeinde ( )קהלgenannt –, die das Heer zusammenführten, eine demokratische [Macht] inne. Die Gesetze, aus deren Regel hin Recht für die Juden gesprochen wurde, werden von Mose weitläufig beschrieben. Wenn sie jemand einteilend deuten will, wird er dies am zweckmäßigsten leisten können, wenn er jenen wichtigsten zehn folgt, die du eine Quelle der übrigen Gesetze nennen könntest.242
Auch wenn Bertram nicht an Vergleichen mit anderen Rechtskorpora oder einer Plausibilisierung durch konkrete philosophische Lehrsysteme nicht-jüdischchristlicher Herkunft in seinem Werk De politia judaica gelegen ist, wird in der hier wiedergegebenen Passage eine Ausnahme gemacht, indem die gemäßigte Verfassung unter Mose mit der vorzüglichsten (perfectissima) Verfassungsform nach Meinung der Spartaner gleichgesetzt wird. Dieser an Polybius anschließende Vergleich243 um die beste Verfassungsform wird dabei auf eine nur gewissermaßen gegebene Königsherrschaft Moses zugespitzt, hinter der in Wirk240 Vgl. aaO., 36f. 241 „Ius igitur a Mose dicebatur, rerumque summa praescribebatur, quae postea per Seniores & Praefectos populo significabatur. Atque intermedii istius temporis politia instar Regiae fuit, sed sub Domino: cum Moses nihil nisi ex ore Domini responderet“ (aaO., 37). 242 „Haec autem politia eodem modo temperata videtur, quo dicitur Lacedemonum illa perfectissima, ita vt Moses Regiam quodammodo potestatem habuerit, sub Dei tamen veri tunc & vnici Israelitarum Regis, auspiciis. Septuaginta vero, Chiliarchi, Centuriones, Quinquagenarii, & Decuriones Aristocraticam: Ciues autem qui קהל.i.agmen conficiebant, Democraticam. Leges ex quarum praescripto ius dicebatur Iudaeis, fusissime a Mose describuntur. Eas si quis digerere velit, commodissime praestare illud poterit, si sequatur decem summa ipsa praecepta, quae reliquarum legum fontem vocare possis“ (aaO., 42f). 243 Vgl. die Formulierung zur politia temperata perfectissima aus der vorherige Fußnote mit Polyb. 6,10; vgl. auch schon Ziskind, Political Scientists.
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lichkeit die eigentliche Alleinherrschaft Gottes steht, die sich durch die Einhaltung seines Rechts auszeichnet. Damit kommt Bertram sehr nahe an Flavius Josephus’ Beschreibung der θεοκρατία als spezifische Verfassungsform des jüdischen Gemeinwesens.244 Allerdings fällt der Begriff der Theokratie weder an dieser entscheidenden Stelle noch in dem gesamten Werk. Genauso ist Bertram mit den herausragenden Attributen der Gesetzgeberschaft Moses zurückhaltend: Mose markiert für ihn die Klammer zwischen der Frühzeit Israels und der Gesetzesoffenbarung am Sinai, weil durch ihn die Gesetze, Zeugnisse und Beispiele aus diesen vorhergehenden Zeiten der politia judaica zusammengeführt und niedergeschrieben werden. Ebenso zeichnet Mose sich durch eine besondere Gottesnähe bei Rechtsprechung, Rat und geistlichem Kult aus,245 aber die universalgeschichtlich und philosophisch angelegten Superlative der mosaischen Gesetzgeberschaft übernimmt Bertram von Josephus nicht, obwohl er dessen Werk, vor allem die Jüdischen Altertümer, umfangreich rezipiert.246 Im Gegensatz zu Josephus’ Portrait von Mose und zu ägyptenfreundlichen Mose-Darstellungen der Antike werden außerdem keine gehaltvollen Verbindungen des Gesetzgebers Mose mit Ägypten in Betracht gezogen: Ja vielmehr formuliert Bertram, dass alle (!) Geschichtswerke die „Depravation der wahren Weisheit“ und „Vergiftung der Religion durch abscheulichsten Aberglauben“ bald nach Abrahams Zeiten in Ägypten bezeugten.247 Bertram meidet somit also jegliche Entfaltung einer prisca-theologia/sapientia-Vorstellung, vielmehr wird die universale Geltung der mosaischen Gesetze durch die schöpfungstheologisch orientierte Gesetzeslehre eingangs des Werkes unterlegt und vorrangig an die Geschichte der politia judaica gebunden. Die Gesetze, die in diesem Gemeinwesen zur Rechtsgeltung kamen, sind von Mose ausführlich beschrieben worden und ihre Summe finden sie in den Zehn Geboten, die wiederum als Quelle aller übrigen Gesetze bezeichnet (legum fons) werden könnten.248 Mit dem jüdischen Gemeinwesen unter Mose ist nach Bertrams Darstellung ein Idealzustand in der Geschichte erreicht, an dem sich die nachfolgenden 244 Zu Josephus’ Theokratiebegriff siehe bereits oben, Einleitung, Abschn. 2. u. Abschn. 1.3.1. 245 Vgl. bes. Bertram, De politia judaica, 32–34 und vorherige Anm. 241 in diesem Kapitel. 246 Zur Verwendung jüdisch-hebräischer Quellen in Bertrams De politia judaica siehe genauer den nächsten Abschn. 3.3.1.2. 247 „[A]d Abrahami tempora non solum in Aegypto perseuerauit aliquis Dei timor, (vbi tamen mox deprauatam fuisse veram sapientiam, ac religionem foedissimis superstitionibus contaminatam ex omnibus historiis constat) […]“ (Bertram, De politia judaica, 26). Bertram scheint es gerade an dieser Stelle darum zu gehen, die Bedeutung seiner Aussage noch mit dem Verweis auf andere Geschichtswerke zu unterstreichen. Auch an dieser Stelle bleibt ein konkreter Verweis auf Quellen aber aus, was wiederum dem schon erwähnten Vorgehen entspricht, auf die Nennung nicht-jüdisch-christlicher Autoren und Quellen zu verzichten. 248 Zum Zusammenhang und Rückverweis der im Pentateuch verstreuten Gebote auf den Dekalog vgl. neben der weiter oben zitierten Passage aaO., 43; dazu auch aaO., 47.
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rechtlichen und politisch-institutionellen Entwicklungen der politia judaica messen lassen können. Dabei kommen für die politia civilis vor allem die Veränderungen in den Blick, die die drei Verfassungsebenen der obersten Leitung, des Senats und der aristokratischen Führung sowie der demokratischen Volksebene betreffen. In den Kriegen unter Josuas Führung dauerte die Ordnung, die von Mose bewahrt worden war, an.249 Auch deswegen kann Josua mit Mose zu der Zeitspanne gehörig gezählt werden, aus der „jene eleganteste Gestalt der heiligen Republik“ (facies illa elegantissima Sanctae Reipublicae) entsprungen war.250 Eine der wichtigsten Veränderungen in der Folge Josuas und der Richterzeit war die Etablierung von Richtern und Präfekten in den Städten neben den Stämmen, die mit zu den Veränderungen in der Verfassung der politia judaica beitrugen.251 Bertram gebraucht dabei eine politische Terminologie, die an die aktuellen Debatten um die Legitimation von Herrschaft in seiner eigenen Zeit erinnert, wenn er auf dieser unteren Ebene des jüdischen Gemeinwesens den französischen Begriff Seigneurs verwendet und von inferiores iudices spricht, die eigentlichen Richter Israels aber seit der Zeit der Richterin Deborah als summi & supremi magistratus bezeichnet.252 Als auf dieser höheren Ebene Richter zur Macht kamen, hatten sie mit Mose und Josua eine mit einem Leiter (gubernator) und Fürsten (dux) vergleichbare Machtposition gemein, die letztlich nicht an die eigentliche Macht eines verehrten und schutzbietenden Königs ( )מלךheranreichte; doch schon die Richter vereinigten als Fürsten nicht mehr alle Hebräer, wie es noch Mose oder Josua getan hatten.253 So wird die Verfassungslage in der Richterzeit dahingehend zusammengefasst, dass unter den Richtern entweder eine am mosaischen Gesetz orientierte Mischverfassung existierte, solange die Israeliten bei diesem Recht blieben, oder aber ein Tyrannentum mit einem gewissen aristokratischen Recht ohne völlige Freiheit, solange die Israeliten den Kanaanäern dienten.254 Auch in der Behandlung der zeitlich daran anschließenden Königszeit bleiben Bertrams thematische Vorgaben zu seiner Schrift entsprechend die Rechtsinstanzen der Jurisdiktion und die entsprechende politische Form der politia civilis im Vordergrund und weniger die ersten Könige Saul, David und Salomo als Akteure selbst. Dies beginnt schon damit, dass Sauls Königtum zunächst vor allem in seiner Abhängigkeit von Samuel betrachtet wird: Solange der Prophet und Richter Samuel noch lebte, habe Saul sich stets nach seinem Rat (consilium)
249 250 251 252 253 254
Vgl. ebd. AaO., 55; vgl. auch aaO., 51f. Vgl. aaO., 49–52. Vgl. aaO., 56. 58f. Vgl. aaO., 55. Vgl. aaO., 60.
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und seiner Autorität (authoritas) gerichtet.255 Sauls Königtum ist zudem gleich am Anfang mit der königskritischen Partie aus 1Sam 8 als völlige Tyrannenherrschaft (iure plane tyrannico), zu der sich das Volk entschlossen habe, gekennzeichnet.256 Im Fall Davids und Salomos nehmen die Zusammenstellung ihrer Mitarbeiter (administros) und deren Aufgaben- und Kompetenzbereichen, für die vor allem auf das erste Chronikbuch zurückgegriffen wird, den breitesten Raum ein.257 Auch wird die Bestätigung ihres Königtums durch das ganze Volk betont.258 Alle diese Beschreibungen des Königtums laufen nie dem Bibeltext entgegen, aber gerade in der Auswahl der biblischen Referenzen setzt Bertram seine eigenen Akzente, die letztlich Tendenzen einer Beschränkung königlicher Macht anzeigen. Diese Beobachtung wird auch bestätigt durch den weiteren Gang durch die Geschichte der politia judaica civilis in beiden Königreichen Juda und Israel nach der Herrschaft Salomos, weil es sich auf beiden Seiten eigentlich – und abgesehen von den tyrannischen Entartungen in der Geschichte – weiterhin um Mischverfassungen gehandelt habe, die dann entsprechend den drei Verfassungsebenen monarchische, aristokratische und demokratische Elemente eingeschlossen haben, wobei besonders noch einmal die aristokratische und demokratische Mitwirkung belegt werden.259 Das aristokratische Element in der Jurisdiktion tritt am deutlichsten in der Einrichtung des Synedriums zutage. Wie gesehen, lagen die Ursprünge des Synedriums nach Bertrams Darstellung bereits in Ägypten (noch vor der Gesetzesgabe am Sinai!), und zwar in der Institution der 70 (bzw. 71 oder 72) Ältesten. Nach wichtigen Rechtsreformen unter David war es vor allem die Restaurationszeit unter Joschafat im Königreich Juda, die hier noch einmal tiefgreifende Veränderungen mit sich gebracht habe: Neben den Stadtgerichten unter beiden Königen wurde die höchste Ebene der Rechtsprechung für den zivilen, aber auch den kirchlichen Bereich(!) in Jerusalem zentralisiert, wobei die 70 Ältesten, die für zivilrechtliche Angelegenheiten zuständig waren, also das Synedrium, sich nun nicht mehr aus den Ältesten der einzelnen Familien zusammensetzte, sondern aus den Köpfen der Familien, die direkt Joschafat unterstanden und schließlich und endlich aus dem Geschlecht Davids stammten. Wie es nun auch David verfügt hatte, kam ein Teil dieser Ältesten des Synedriums von den Leviten und der Priesterschaft.260 Für diejenigen, die in zivilen Angele255 Vgl. ebd. 256 „Samuel hanc rem aegerrime ferens ad Dominum retulit, qui Prophetam suum consolatur, populumque ab hoc instituto dehortari iubet, proposito Regis iure plane tyrannico. Vbi vero populus pertinaciter obfirmasset se in petendo rege, Propheta ex Dei iussu regem designat Saulem“ (aaO., 59f). 257 Vgl. aaO., 62–67. 258 Vgl. aaO., 61. 65f. 259 Vgl. aaO., 74 mit 71–74 u. 76. 260 Vgl. aaO., 63. 69.
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genheiten dem Synedrium vorgestanden hätten, habe sich unter den nachfolgenden Königen schließlich die Bezeichnung Fürsten (lat. principes, hebr. )שרים oder auch Patrizier (lat. patritii, hebr. )תוריםdurchgesetzt.261 An drei Beispielen aus dem Prophetenbuch Jeremia (Jer 26; 36; 37f) betont Bertram schließlich, wie sich diese principes in ihrer Entscheidungskompetenz vor dem König behauptet hätten.262 Später wird außerdem noch die Autonomie, die diese Jurisdiktion z. B. während der Zeit der römischen Herrschaft bewahrt habe, herausgestellt.263 Abgesehen von der einzigartigen Konstellation der mosaischen Führerschaft unter Gott liegt der Fokus in Bertrams Werk De politia judaica also insgesamt nicht bei der Würdigung der Alleinherrschaft und deren Kontinuitäten in der Geschichte. Auch tritt die Würdigung der weltlichen Obrigkeit bzw. politia civilis gegenüber der politia ecclesiastica dadurch zurück, dass ihre Geschichte nicht wie die der Kirche, dem Corpus ecclesiae, schon mit der Schöpfung und Gottes Stiftung erfolgte. Was dagegen von Bertram am Anfang seines Werkes in die Schöpfungsgeschichte verlagert wird, ist seine Betrachtung des Gesetzes. Seit frühester Zeit der Menschen findet dieses Gesetz in schriftlicher Form durch kontinuierliche Tradierung schließlich seine wichtigste Manifestation in Moses Gesetzen, deren Quelle selbst noch einmal die Zehn Gebote darstellen. Moses Gemeinwesen wird von Bertram, wie weiter oben beschrieben, als staatliches Idealbild einer gemäßigten Verfassungsform (politia modo temperata) dargestellt, deren höchster Herrscher eigentlich nicht Mose, sondern Gott selbst ist. Auch im Weiteren verfährt Bertram dann so, dass vor allem die gemischten Elemente der Verfassung der politia judaica betont werden, und hier vor allem die Rolle der Ältesten und principes in der politia civilis. Diese mittlere Herrschaftsebene ist neben den Priestern auch Teil des Synedriums, das für Kontinuität in der Geschichte der politia judaica steht. 3.3.1.2 Innerkonfessionelle Einordnung und transkonfessionelle Aspekte des Werkes (Bertrams Rückgriff auf jüdisch-hebräische Quellen) Abgesehen von dem Widmungsbrief ergeben sich in Bertrams De politia judaica keine offenen konfessionellen Bezüge oder Abgrenzungen. Dies hat insgesamt die Rezeption des Werkes über die konfessionellen Grenzen hinweg begünstigt, denn es wird noch im 17. Jahrhundert auch von Autoren zitiert, die sich gerade nicht dem reformierten Bereich zuordnen lassen.264 Aber darüber hinaus ist es auch nicht schwer zu vermuten, warum das Werk über die Jahrzehnte immer 261 262 263 264
Vgl. aaO., 71. Vgl. aaO., 71–75. Vgl. aaO., 102f. Zu einigen konfessionellen Aspekten der Schrift vgl. auch die Beobachtungen bei Laplanche, Christian Erudition, 11–14.
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wieder rezipiert wurde: Erstens war es durch die kurze und übersichtliche Darstellung leicht zugänglich und handhabbar, was wiederum daran denken lässt, dass es zunächst für den Gebrauch an der Genfer Akademie gedacht war. Zweitens bestand die Attraktivität dieser kleinen Schrift für Gelehrte besonders darin, dass Bertram mit „nicht-alltäglichen“ jüdisch-rabbinischen Quellen arbeitete, die er durch seine philologischen Fähigkeiten nutzen konnte. Zwar ist Flavius Josephus mit seinen Antiquitates der am meisten zitierte Autor in Bertrams De politia judaica, was zunächst einmal nicht ungewöhnlich sein muss. In einigen Abschnitten greift Bertram allerdings dermaßen ausführlich auf Josephus’ Darstellung der jüdischen Geschichte zurück, dass der Bibeltext dadurch quasi ersetzt wird. Daneben nutzt Bertram auch eine Fassung des Talmuds – er bezieht sich dann immer auf „talmudistae“ – und bezieht sich relativ häufig auf die Pentateuch-Kommentare des im 12. Jahrhundert schreibenden jüdischen Exegeten Rabbi Abraham ibn Esra. Die Bezüge auf diesen rabbinischen Kommentar sind von Bedeutung für Bertrams Gesamtdarstellung, weil Bertram an einigen Stellen nicht nur auf Interpretationen Abraham ibn Esras zurückgreift, sondern auch eine Stütze für seine Thesen findet.265 Abgesehen von diesen transkonfessionellen Aspekten des Werkes zeigen Einzelaspekte und die weitere Wirkungsgeschichte, dass Bertrams Werk dann vor allem doch in der reformierten Tradition anzusiedeln ist: Zum einen ist die Schrift eingeflossen in die Diskussionen über die politische Relevanz der mosaischen Gesetze, und hier insbesondere über die mosaischen Judizialgesetze unter reformierten Theologen seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert. Zum anderen spitzte sich diese Debatte und diejenige über die rechte Ordnung von Kirche und Staat unter reformierten Theologen auf die Frage zu, welchen Modellcharakter die Rechtsinstitution des jüdischen Synedriums für Christen in der Gegenwart besitzen könne. Der vorhergehende Abschnitt hat zeigen können, dass in Bertrams Werk De politia judaica die geschichtliche Darstellung zum jüdischen Synedrium besonders ausführlich geführt wurde. An ihr kristallisierte sich sowohl die Entscheidung über das Kirchenverfassungsmodell als auch über die rechtlichen Kompetenzen der weltlichen Obrigkeit heraus. 1580 wurde Bertrams Werk De politia judaica in einer erweiterten und korrigierten Fassung mit hinzugefügtem Index neu aufgelegt dann 1641 aufs Neue, mit Kommentaren Constantijn L’Empereurs versehen, unter dem Titel De republica Ebraeorum in Leiden publiziert.266 Constantijn L’Empereurs Bearbeitung geben Bertrams Studie über die Geschichte der politia judaica noch einmal einen deutlichen calvinistisch-reformierten Anstrich, den sie ursprünglich in dieser offenen Form nicht hatte. 265 Vgl. z. B. Bertram, De politia judaica, 20. 25. 33–35. 41. 266 Siehe auch weiter unten, Abschn. 3.3.4.
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3.3.2 Carlo Sigonio, De republica Hebraeorum libri VII (1582) Carlo Sigonio wurde 1522 oder 1523 in Modena geboren und starb in der Nähe desselben Ortes (Ponte Basso) am 28. August 1584.267 Nach Studien in Modena, Bologna und Pavia unterrichtete und wirkte Sigonio selbst in den wichtigsten kulturellen Zentren Norditaliens.268 In Modena gab Sigonio zunächst Griechischunterricht (1546–1552) und erfüllte danach unterschiedliche Lehraufträge in Venedig (1552–1559/60), Padua (1560–1563) und schließlich Bologna (ab 1563), seiner insgesamt bedeutendsten Wirkungsstätte, an der auch sein wichtigstes und letztes großes Werk De republica Hebraeorum (1582) entstand. Seine wissenschaftlichen Tätigkeiten verliefen mit seinen lateinischen philologischen Arbeiten, der Herausgabe der antiken Schriften des Livius und seinen eigenen historiographischen Werken ganz in den Bahnen eines Humanisten.269 Die – in dieser Zeit auch anderswo nicht untypischen – Streitigkeiten mit anderen Humanisten wie dem „Canis grammaticus“ Francesco Robortello (1516–1576), in denen neben der gängigen Gelehrtenpolemik nicht zuletzt auch eine persönliche Rivalität von Gewicht war, müssen für seine historischen und philologischen Arbeiten als wichtiger Einflussfaktor eingerechnet werden.270 Ausschlaggebend für seine historischen Arbeiten waren daneben aber auch seine ständigen Auseinandersetzungen mit der römischen Zensur und der nahe Kontext der Stadt Bologna. Bologna unterstand dem römischen Kirchenstaat ab 1506. Einem päpstlichen Legaten standen ein eigenständiger Senat der Stadt neben einem Richter und acht Konsuln gegenüber.271 Nicht erst zu Sigonios Lebzeiten war diese (kirchen-)politische Sonderlage von Spannungen zwischen Rom und der aufstrebenden und um Unabhängigkeit ringenden Aristokratie Bolognas bestimmt. Ein Protagonist war der spätere Kardinal Gabriele Paleotti (1522–1597), der ab 1566 als Erzbischof Bolognas vor allem für einen am Konzil von Trient orientierten Reformkatholizismus eintrat, der vielfach schwer mit der langen Tradition der Stadtautonomie Bolognas zu versöhnen war, auf die sich der Senat und die aristokratische Schicht der Stadt beriefen. Mit diesen divergierenden Positionen hatte Sigonio sich spätestens auseinanderzusetzen, als er 1568 damit beauftragt wurde, die Stadtgeschichte Bolognas aufzuarbeiten. Mit den Histo267 Vgl. Petrocchi, Art.: Sigonio und außerdem zu den folgenden biographischen Angaben bereits ausführlicher: McCuaig, Carlo Sigonio, 3–95; Krebs, Carl Sigonius; mit kürzeren Informationen: Bertoni, Art.: Sigonio. Bartolucci, Introduction, xi–xxi. 268 Vgl. dazu ausführlicher aaO., xiii; Bartolucci, Sigonio and the ‘Respublica Hebraeorum’, 36f. 269 Vgl. Vanek, Geschichte der Textkritik, 36. Schon seit den Anfängen des italienischen Renaissance-Humanismus, wie Francesco Petrarca (1304–1374) und Lorenzo Valla (1407– 1457) zeigen, spielten die Editionen des Livius eine bedeutende Rolle (vgl. aaO., 37). 270 Zur Rivalität und zum wissenschaftlichen Streit zwischen Robortello und Sigonio vgl. insgesamt aaO., 34–40. Vorher bereits McCuaig, Carlo Sigonio, bes. 43–49. 271 Vgl. die detaillierten Informationen bei Terpstra, Early Modern Bologna.
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riarum Bononiensium libri sex ab initio civitatis usque ad annum M.CC.LVIIl wendete sich Sigonio nun nicht mehr der antiken Welt zu wie in seinen vorherigen Werken, sondern der mittelalterlichen Geschichte. Das Werk wurde 1570/71 in Bologna gedruckt, dessen Verbreitung aber bald darauf von Papst Pius V. verboten.272 Tatsächlich markierte die Historia Bononiensis den Beginn von Sigonios anhaltenden Auseinandersetzungen mit der römischen Zensur,273 die sich in Sigonios großer mittelalterlichen Studie Historiarum de Regno Italiae ab anno 570 ad annum 1200 (11571)274 fortsetzten. Schon in seiner Historia Bononiensis schonte Sigonio das Papsttum nicht vor seiner skeptischen Manier eines humanistischen Historikers. Kontinuitäten zeigten sich gegenüber seinem späteren Werk De Regno Italiae dabei mitunter darin, dass die rechtlichen Kompetenzen und die Stellung des Papstes gegenüber dem Kaisertum historisch relativiert wurden und die für das spätere 16. Jahrhundert für die römisch-katholische Seite immer noch bedeutende sog. Konstantinische Schenkung, mit der die Suprematie des Papstes über weltliche Herrscher begründet wurde, gar als „Glaube frommer Männer“ abgetan wurde.275 Es kam deswegen einigermaßen überraschend, dass ausgerechnet Sigonio von Papst Gregor XIII. (1572–1585) mit der Abfassung einer Kirchengeschichte beauftragt wurde. Der Auftrag zur Arbeit an einer Kirchengeschichte deutet zunächst, wie Guido Bartolucci richtig festgestellt hat, auf eine Verbesserung von Sigonios Beziehung zur römischen Kurie hin.276 Doch das Werk, das von Gregor XIII. als eine Antwort gedacht war auf die sog. Magdeburger Centurien, die für die lutherische Kirchengeschichtsschreibung maßgeblich wurden, erfüllte in keiner Weise die Erwartungen der römischen Kurie an eine kirchenfreundliche Erwiderung und blieb unvollendet. In seiner Widmung des Werkes De republica Hebraeorum an Gregor XIII. vier Jahre später suchte Sigonio den erneuten Kontakt zum Papst und verweist hier explizit auf dessen Reformprogramm in Anlehnung an die Alte Kirche. Allerdings ergeben sich beachtliche Spannungen zwischen der Widmung und dem Werk selbst, in dem konkrete Bezüge zum Papst und zur römisch-katholischen
272 Vgl. McCuaig, Carlo Sigonio, 65f. 251–253. 273 Vgl. zu den Auseinandersetzungen bereits ausführlich aaO., 251–290. 274 Die Entstehungsgeschichte dieses Werkes ist schwer rekonstruierbar. Die Erstausgabe aus dem Jahr 1571 muss zunächst erst acht Bücher und nicht wie die abschließende Fassung 15 Bücher enthalten haben (vgl. hierzu aaO., 66 mit Anm. 205). 275 Vgl. aaO., 253f. 259f. Die Fälschung der sog. Konstantinischen Schenkung unterstrich Sigonio in seinem nächsten großen Werk, den Historiarum de Occidentali Imperio libri XX (1578), einer Geschichte des römischen Imperiums von Kaiser Diokletian bis Justinian (284– 565 n. Chr.). Auch sie wurde von der römischen Zensur beanstandet und konnte erst unter Zugeständnissen Sigonios gedruckt werden (vgl. Bartolucci, Introduction, xvi). 276 Vgl. Bartolucci, La repubblica ebraica, 70; ders., Introduction, xvi.
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Konfession fehlen.277 Eine allgemeine Einordnung des Spätwerkes wird zudem dadurch erschwert, dass die Widmung insgesamt nur wenige Hinweise auf die Entstehungshintergründe gibt und sich Sigonio auch anderswo, entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten, nur wenig über das Werk De republica Hebraeorum in seinen Schriften und Korrespondenzen geäußert hat.278 Paolo Prodi hat angesichts der wenigen Hinweise auf die Entstehungshintergründe einen anderen Zusammenhang herzustellen versucht, und zwar zu Sigonios Kommentar der spätantiken Historia Sacra des Sulpicius Severus (ca. 363–420/25 n. Chr.).279 In der Widmung zu dieser Schrift an den bereits genannten Kardinal Bolognas Gabriele Paleotti, mit dem Sigonio ohnehin im regen Austausch stand, hat Prodi ein übereinstimmendes Interesse beider an der heilsgeschichtlichen Deutung des Gottesvolkes von Adam bis Christus und einer Kontinuität zwischen alt- und neutestamentlicher Geschichte aufgedeckt und dies als Hintergrund von De respublica Hebraeorum gedeutet. Die Bezüge bleiben aber vage und müssen ohnehin entlang der Schrift selbst hinterfragt werden. Die heilsgeschichtliche Ausrichtung spielt nämlich in dem Werk insgesamt nur eine untergeordnete Rolle, im Hauptinteresse Sigonios liegt vielmehr eine historisch genaue Aufarbeitung des Gemeinwesens der Hebräer, in der die rechtlichen und politischen Aspekte in den Mittelpunkt rücken. Entsprechend nimmt die Geschichte der Hebräer vor Mose, also die eigentliche Ur- und Vätergeschichte, viel weniger Raum ein als die Geschichte seit der Begründung der respublica Hebraeorum, die mit der Gesetzesgabe Gottes an Mose ihren Anfang genommen hat. Ohne jeglichen Einfluss Gabriele Paleottis in Sigonios Geschichtskonzeption verneinen zu müssen, gehört Carlo Sigonios Konzeption der Geschichtsschreibung über das hebräische Gemeinwesen in den Kontext der humanistischen Jurisprudenz und Geschichtswissenschaft, in dem in dieser Zeit die Ursprünge des zivilen Rechts zur Debatte standen. Sigonio teilte dabei mit anderen humanistischen Gelehrten wie Estienne, Baudouin, Bodin, Bertram und – wie noch zu zeigen sein wird – auch mit Joachim Stephani eine Orientierung an der Vorbildlichkeit der uralten mosaischen Gesetze. Dies wird schon durch den Rahmen, den Sigonio seinem Werk gibt, erkennbar.280 Im Folgenden ist deswegen noch genauer darzulegen, welche Rolle das mosaische Recht in Sigonios Werk De respublica Hebraeorum 277 Zur Frage des konfessionellen Profils Sigonios siehe Abschn. 3.3.2.3. 278 „Un altro problema da affrontare è il silenzio che circonda quest’opera [De Republica Hebraeorum]: il metodo che Sigonio seguì sempre, nella composizione dei suoi lavori, comportava una richiesta di informazioni e un dialogo continuo con i colleghi; in questo caso, invece, non troviamo nessun accenno alla raccolta di materiale e all’elaborazione di un tale lavoro, né, e questo è ancora più singolare, troviamo accenni all’opera neppure nelle lettere ai suoi amici più cari […]“ (Bartolucci, La repubblica ebraica, 72). 279 Vgl. Prodi, Storia sacra, 80f. Zu Kardinal Gabriele Paleotti ausführlich ders., Gabriele Paleotti. 280 Zu den augustinischen Einflüssen, die dabei eine Rolle spielen, siehe Abschn. 3.3.2.2.
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spielt (3.3.2.1). Im nächsten Abschnitt werden dann Sigonios Bezüge zur aristotelischen Politiklehre zusammen mit seiner platonisierenden respublicaKonzeption (3.3.2.2), die am ehesten Anklänge bei Augustin findet, herausgearbeitet. Schließlich kommt dann zum Schluss noch die wichtige Frage in Betracht, wie die humanistischen Prägungen gegenüber Sigonios konfessioneller Orientierung in seinem Werk De respublica Hebraeorum zu gewichten sind (3.3.2.3).
3.3.2.1 Das mosaische Recht als strukturell-argumentative Grundlage in Sigonios Darstellung der respublica Hebraeorum Sigonio liegt bereits in seiner Widmung zu De republica Hebraeorum daran, einen Alters- und Heiligkeitserweis für das Gemeinwesen der Hebräer zu erbringen, der den Gedanken der ältesten Gesetzgebungen auf Erden aufnimmt.281 Auffällig ist hierbei, dass zunächst ein Graben zwischen den alten griechischen Gesetzgebern von Athen (Solon), Sparta (Lykurg) und Katana (Charondas) sowie Platon auf der einen Seite und der Gesetzgebung der respublica Hebraeorum gezogen wird. Mit dem Hinweis, dass Männer von Weisheit und Bildung in der Geschichte für die Gründung, Administration und Gesetzgebung von Gemeinwesen zuständig gewesen seien, spielt Sigonio dabei zwar auf die bereits kennengelernte antike Vorstellung des weisen Gesetzgebers an. Doch dies wird an dieser Stelle nur angeführt, um zu resümieren, dass die alten und weisen Gesetzgeber wie Solon, Lykurgus, Charondas oder Platon nicht von der ältesten (antiquissima) und hervorragendsten (praestantissima) Republik bzw. dem Gemeinwesen der Hebräer gewusst hätten. Hätten sie aber davon gewusst, hätten sie sich nach dem einen Recht gerichtet, das von Gott stammt, und es wäre dem menschlichen Geschlecht zugutegekommen. Die respublica Hebraeorum wurde 281 Im Folgenden wird Sigonio, De republica, 3–5 paraphrasiert wiedergegeben: „Si quidem qui sapientia atq[ue] eruditione caeteris praestiterunt, ferme aut nouas ciuitates instituerunt, aut sese administrandis veteribus tradiderunt, aut certe illarum optime gerendarum sibi praecepta relinquenda putarunt. Ex quo tantum honoris ac dignitatis adepti sunt, vt in hunc usq[ue] diem praeclaris mortalium vocibus illorum memoria celebretur. Quod cum ita sit, nemo tamen omnium contra dubitat, quin multo illorum industria humano generi vtilior, atq[ue] ad commendationem posteritatis illustrior futura fuerit, si, quod ipsi humano ingenio ac studio adumbrare conati fuerunt, id ipsum ab initio singulari ac praecipua summi Dei cura ac sapientia expressum fuisse intellexissent; atq[ue] ita ad eius vnius Iuris, quod ille statuisset, rationem & ipsi sua siue in formanda, siue in administranda ciuitate consilia conuertissent. Neq[ue] enim aut Solon, aut Lycurgus, aut Charondas, aut Plato, aut aliquis eorum alius, qui populos institutis & legibus instruxerunt, Remp[ublicam] Hebraeorum, quod ex eorum liqueat monumentis, cognitam habuerunt. quae tamen omnium non solum antiquissima, sed etiam praestantissima fuit: quippe quam ardens praesentis ipsius Dei consilium, verbumq[ue] descripsit: & perspecta diligenter ac tradita mirifica ad vitam constituendam ornamenta, atq[ue] ad sacras litteras intelligendas allatura praesidia fuit.“
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für Sigonio durch den „glühenden Rat und das Wort des gegenwärtigen Gottes“ selbst beschrieben, enthalte das erkannte und überlieferte bewundernswerte Rüstzeug für die äußere Gestaltung des Lebens und zugleich eine Verständnishilfe für die Heilige Schrift. Ohne einen konkreten Namen der Gegnerschaft in seiner Widmung anzugeben, wird bereits mit den ersten Zeilen seiner Schrift deutlich, dass Sigonio eine prisca-theologia/sapientia-Vorstellung ablehnt, die die Ursprünge von Gesetz und Kultur noch vor die Geschichte der Hebräer und vor die Gründung der respublica Hebraeorum situiert. Dazu nutzt Sigonio die Werke der „doctissimi viri“282 Josephus und Philo unter den außerbiblischen Quellen am weitaus häufigsten.283 Entsprechend argumentativ aufgebaut ist auch das Gesamtwerk Sigonios, denn in den ersten drei Kapiteln liegt Sigonio vor allem daran, das Alter der „Hebräer“ auf die Anfänge der Welt zurückzuverfolgen. Das hebräische Volk lasse sich demnach auf vier entscheidende Wurzeln (stirpes) oder Einschnitte durch Generationen (generationes) zurückführen: die erste Generation, die von Adam zu Noah reiche, die zweite von Noah zu Abraham (Bezeichnung „Hebräer kam hier auf), die dritte von Abraham bis David („Israeliten“) und die vierte schließlich von David bis Christus („Juden“).284 Erst in der zweiten Generation der Hebräer, die aller geschichtlichen Überlieferung nach das älteste Volk (gens antiquissima) darstellten, tauchten dann die Assyrer auf, die in der frühesten paganen Geschichtsschreibung so prominent vertreten seien.285 In der Beschreibung der Wurzeln des hebräischen Volkes kommt Mose keine besondere Bedeutung zu, wohl aber in der Geschichte des hebräischen Gemeinwesens. Das 4. Kapitel setzt eine Zäsur mit der Gesetzesgabe Gottes an Mose, um in den letzten drei Kapiteln die politische Form, die zugehörigen Bürger und die Hauptstadt der respublica hebraica allgemein zu erläutern. Sigonio hat den allgemeiner gehaltenen Betrachtungen dieses Buches I. den Titel „Form des Gemeinwesens“ (de forma reipublicae) gegeben. Nach Buch I. gibt dann im Weiteren die Unterscheidung zwischen Religiösem und Weltlichem bzw. zwischen der Geschichte der sakral-religiösen und der weltlich-zivilen Rechtsinstitutionen die Grundstruktur des Werkes vor. Buch II. beschreibt demnach die heiligen Orte (de locis sacris), Buch III. den Jahres- und Festkalender (de diebus sacris), Buch IV. die 282 AaO., 392, lt. Kasus geändert, MT. 283 So halten sich quantitativ gesehen die direkten und indirekten Zitate aus dem Neuen Testament mit denen aus den Werken Philos’ und Josephus’ in etwa die Waage. 284 Vgl. Sigonio, De republica, 14f. Die ersten Kapitel (Kap. 1: De populo Hebraeorum, Kap. 2: De populo Isaelitarum, & XII tribus eorum, Kap. 3: De populo Iudaeorum, Effraimitarum, & Samaritarum) sind dann eine Art Völker- und Stammeskunde, aber zugleich auch begriffsgeschichtlich (Hebräer/Israeliten/Juden) orientiert. 285 „Hebraei vero gens fuit omnium, de quibus litteris sit proditum, antiquissima, cum Assyria, quae regio in primis scriptis gentilium celebratur, secunda aetate tenuerit“ (ebd.).
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heiligen Riten und Bräuche (de ritibus sacris) und Buch V. die geistlichen Ämter und Personen (de personis sacris).286 In den letzten beiden Büchern handelt Sigonio die weltlich-zivile Seite der alttestamentlich-jüdischen Rechtsinstitutionen dadurch ab, dass in Buch VI. die Räte und Gerichte (de consiliis & iudiciis) beschrieben werden und in Buch VII. die politischen Ämter (de magistratibus). Sigonios vorgeschaltete Behandlung der Religion vor den letzten Büchern über die weltlich-politische Seite stimmt mit der christlich-antiken (hier genauer: augustininischen) Privilegierung der Religionssachen (res divines) vor der weltlichen civitas überein. Diesbezüglich kann Sigonio auch die pagane Geschichtsschreibung des „einst gelehrtesten Mannes“, des römischen Polyhistors Marcus Terentius Varro (116–27 v. Chr.) kritisieren, der in seinen 41 Büchern der Antiquitates rerum humanarum et divinarum zuerst die Darstellung mit den weltlichen Dingen der civitates begonnen habe, weil erst nach deren Gründung die Religion eingesetzt worden sei.287 Die somit theologisch begründete Trennung zwischen den Büchern über das Religiöse und denen über das Weltliche bzw. Politische wird dabei aber nicht in aller Stringenz durchgehalten: So wird z. B. die Ämterthematik aus Buch VII. bereits in der Diskussion über die Rechtsinstitutionen in Buch VI. aufgenommen. Außerdem klappen die jeweils letzten Kapitel der beiden Bücher mit der Behandlung des Strafrechts (VI.8 De poenis), der jüdischen Kriege (VII.14 De bellis Iudaicis) und der Zerstreuung der Juden (VII.15 De extremo statu Iudaeorum) dadurch nach, dass sie die hierarchisch angelegten Institutionen- und Ämterbeschreibungen der vorhergehenden Kapitel beiseitelassen.288 Sigonios Unterscheidung zwischen Weltlichem und Religiösem in der Darstellung der respublica Hebraeorum ist neben den Einflüssen Augustins auch mit Corneille Bertrams vorher veröffentlichter Schrift De politia judaica in Verbindung gebracht worden, denn Bertram hatte eine ähnliche rechtliche Zweiteilung methodisch im Aufbau seines Werkes angelegt.289 Ohne die Möglichkeit eines 286 Die lateinischen Titel der Kapitel, die hier und im Folgenden genannt werden, sind in der Schreibweise vereinheitlicht worden. 287 „Neq[ue] enim cum M. Varrone, eruditissimo quondam viro, sentimus, qui de rebus diuinis humanisq[ue] disputaturus, ab humanis propterea se ordiri testatus est, quod prius ciuitates extitissent, deinde religionem instituissent. cum potius contra sit, atq[ue] ille putauit. Vera enim, vt S. inquit Augustinus, religio non a terrena aliqua ciuitate instituta est, sed plane caelestem ipsam instituit ciuitatem“ (Sigonio, De republica, 287). Zum Augustinismus bei Sigonio siehe auch Abschn. 3.3.2.2. 288 Sigonio gibt bereits in seinem Vorwort dieses Themenspektrum vor. Demnach wolle er nicht nur das Wesen der hebräischen Bräuche und der Priesterschaft neben der Struktur der Räte, Gerichte und politischen Ämter darlegen, sondern eben auch die Unterweisung zu Krieg und Frieden: „Est enim mihi, vt dixi, consilium, his libris Hebraicorum sacrorum, sacerdotumq[ue] descriptionem, consiliorum, iudiciorum, & magistratuum rationem, totamq[ue] pacis belliq[ue] disciplinam ex sacris litterarum monumentis erutam aperire“ (aaO., 12). 289 Siehe oben, Abschn. 3.3.1.1. Bartolucci unterstreicht in diesem Sinne v. a., dass die Unter-
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Einflusses Bertrams in diesem Fall ausschließen zu müssen, sollte doch der traditionelle Aspekt dieser Einteilung hervorgehoben werden, der intrinsisch mit der Auffassung vom mosaischen Gesetz zusammenhängt. Sigonio redet auch von zwei Hauptstücken (capita), dem des religiösen Lebens (vita religiosa) und dem der weltlich-zivilen Ordnung (civilis disciplina), die der traditionellen theologischen Einteilung der beiden Tafeln des Dekalogs entsprechen, die wiederum an dem Doppelgebot der Gottesliebe (erste Tafel: Beziehung zu Gott) und Nächstenliebe (zweite Tafel: zwischenmenschliche Beziehungen) ausgerichtet ist.290 Auch in der Aufteilung der Gebote auf die Dekalogtafeln folgt Sigonio der theologischen Tradition, die keineswegs nur von der römisch-katholischen Seite vertreten wurde, sondern auch in lutherischen Bekenntnistexten Niederschlag gefunden hatte.291 Schon Augustin hatte nämlich wie Sigonio dann selbst der ersten Tafel der göttlichen Trinität entsprechend drei Gebote und der zweiten Tafel sieben Gebote – angefangen vom Elterngebot – zugeordnet. In einem weiteren Schritt differenziert Sigonio dann zwischen der Aufteilung der Gebote des Dekalogs und denen, die das ganze Gesetzeskorpus der ersten fünf Bücher Moses umfassen, sich aber auch einer entsprechenden Zweiteilung zuweisen lassen: Unterscheidbar sind einerseits Befehle (mandata) und Gebote (praecepta), die Gott, andererseits Rechtfertigungen (iustificationes) und Urteile (iudicia), die den Nächsten betreffen. Jedes selbst bestehe wiederum aus vielen Teilen.292 Die Vierteilung in der Gesetzessystematik wird dann folgendermaßen dargelegt: scheidung zwischen den sakral-religiösen und weltlich-zivilen Rechtsinstitutionen der politia mit einer „calvinistischen Lehre“ korrespondiere, die auch Bertram vertreten habe und an die Sigonio anschließen konnte (vgl. bes. Bartolucci, La repubblica ebraica, 48–54). Ich dagegen halte dies eher für zu kurz gegriffen, weil schon Sigonios Quellenbezüge eine breitere Kenntnis der Rechtslehre und Theologie in dem Fall erkennen lassen. 290 Der betreffende Abschnitt lautet wie folgt: „Haec igitur lex per Moysem a Deo data duo praecipue capita est complexa, vitam religiosam, & disciplinam ciuilem. Quarum ratio duobus potissimum iussis est comprehensa, cultu Dei; & caritate proximi. […] Ea vero dilatata ad decem numerum peruenerunt: quorum tria Deum attigerunt: vt vnus Deus coleretur, ne in vanum nomen eius appellaretur, & vt honos sabbatis haberetur, quod eo die ipse ab opere quieuisset“ (Sigonio, De republica, 29). Zu den Geboten der Gottes- und Nächstenliebe vgl. auch aaO., 162f. Im Zusammenhang der Gottgefälligkeit und der Einhaltung von Gottes Gesetz heißt es hier, letztere bestehe aus iudicium und iustitia: „Significat enim placere magis Deo, vt custodiatur lex; cuius partes duae sunt, Iudicium, & Iustitia […]“ (aaO., 163). 291 Vgl. zur unterschiedlichen Zählung der einzelnen Gebote des Dekalogs bzw. Aufteilung auf die zwei Dekalogtafeln in den Konfessionen Köckert, Zehn Gebote, 28–35, bes. 35 (Übersicht). 292 „Haec vero decem latius inde atque vberius explicata ad quattuor tantum iussa redacta sunt: quorum duo Mandata & Praecepta, duo Iustificationes & Iudicia nominata sunt, atq[ue] vt priora Deum, sic posteriora proximum attigerunt, multisque partibus singula constiterunt“ (Sigonio, De republica, 29).
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1. mandata293 (griech. ἐντολάς): das sog. apodiktische Recht, das in Imperativen oder Prohibitiven von Gott selbst angeordnet wurde und besonders ihn selbst betrifft (praecipue se ipsum attingeret). 2. praecepta294 (griech. προστάγματα): die Vorschriften, für die eine eigene Begründung im Bibeltext mit genannt wird. Mit einbezogen sind für Sigonio alle Zeremonialgesetze (Gebote, die das Stiftszelt, Opfer, die Festtage, das Priestertum und dessen Aufgaben betreffen), denn Gott habe nicht nur angeordnet, dass er über alles andere verehrt werden sollte, sondern auch die Art und Weise dieser Verehrung festgelegt. Entsprechend werde in der lateinischen Bibelfassung für προστάγματα bisweilen auch die Übersetzung caeremoniae gebraucht. 3. iustificationes295 (griech. δικαιώματα): die Anordnungen (iussa), „mit denen Gott lehrt, auf welche Weise über den Nächsten ein Freispruch zu fällen ist und welche Personen wir als unschuldig und gerecht handelnd erachten und erklären müssten.“ Diese Form der Rechtfertigung versteht Sigonio in einem strengen juridischen Sinn und grenzt sie strikt von der iustificatio caelestis ab, um die es im Evangelium gehe. 4. iudicia296 (lat. iudicare bezogen auf griech. κρίνειν): die Anordnungen, „mit denen Gott zeigt, auf welche Weise eine Verurteilung zu fällen ist und welche Personen man für schuldig und gegen das Recht verstoßend erachten und erklären sollte.“ Die damit erfolgte Vierteilung des mosaischen Gesetzes bringt zugleich eine Zweiteilung des gesamten Gesetzeskorpus mit sich: einerseits von 1.) mandata und 2.) praecepta, die das eigentliche sakrale Gottesrecht meinen, und auf der anderen Seite von 3.) iustificationes und 4.) iudicia, die der zwischenmenschlichen, zivilen Rechtssphäre entsprechen. Die Struktur ist, wie Sigonio selbst betont, das argumentative Grundgerüst seiner Darstellung der respublica he293 „Mandata, quae Graecus interpres ἐντολὰς vertit, verba fuisse videntur, quibus Deus iussit, aut prohibuit aliquid fieri, quod praecipue se ipsum attingeret“ (aaO., 32). 294 „Praecepta, quae ille προστάγματα vertit, quibus rationem, qua id fieret, ordinauit. nam in illa voce πρόσταγμα ordinatio quaedam insita est. vnde pro ea aliquando Latinus interpres caeremonias edidit. neque enim solum iussit Deus, vt se supra omnia colerent, sed etiam sui colendi ritum demonstrauit, nempe cum de tabernaculo, sacrificiis, diebus festis, sacerdotibus, & eorum officiis tradidit“ (ebd.). 295 „Iustificationes enim, quas Graeci δικαιώματα vertunt, iussa fuerunt, quibus Deus docuit, quo modo de proximo ad absolutionem iudicare, & quos innocentes ac iustos habere, & pronunciare deberemus; iuxta illud psalmi VII [Ps 7,9]: Iudica me Domine secundum iustitiam meam, & secundum innocentiam meam super me. Neq[ue] vero haec caelestis illa iustificatio est, de qua post in Euangelio disseretur, sed iudicialis, atq[ue] terrena“ (ebd.). 296 „Iudicia porro iussa fuerunt, quibus Deus ostendit, quemadmodum condemnationis sententiam ferre, & quos sontes, & iniustos habere, ac pronunciare oporteret. etenim κρίνειν, id est iudicare, vsurparunt pro condemnare […]“ (aaO., 33).
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braica.297 Die Gruppierung des gesamten mosaischen Gesetzeskorpus in vier Teile ist in der Forschung aber unterschiedlich eingeordnet worden. Obwohl Ziskind Sigonios Hebräischkenntnisse betreffend Zweifel angemeldet hat und seine Bibelexegese auf den Vulgata- und Septuagintatext begrenzt sieht, hat er dennoch eine Verbindung zur Unterscheidung nach einer vorgeprägten hebräischen Begrifflichkeit hergestellt.298 Bartolucci hat in der Folge aber noch einmal hervorgehoben, dass diese Unterscheidung in den jüdischen Quellen, die Sigonio studiert hatte, nicht zu finden sei. Durch seine fehlenden Hebräischkenntnisse wäre Sigonio zudem auf Hilfe angewiesen gewesen, doch ist es in den Augen Bartoluccis sehr wahrscheinlich, dass Sigonio Wörterbücher von Hebraisten hinzugezogen habe, um Vergleiche zwischen lateinischen, griechischen und hebräischen Begriffen leisten zu können. Diese Hypothese Bartoluccis hat zwei Schwächen. Zum einen kann nicht sicher gesagt werden, ob Sigonio diese Nachschlagewerke für seine Gesetzeslehre auch wirklich genutzt hat, zum anderen decken sich die Einträge in den von Bartolucci untersuchten Wörterbüchern der Hebraisten nicht exakt mit Sigonios begrifflicher Bestimmung.299 Außerdem kann dadurch auch insgesamt nicht geklärt werden, warum Sigonio zu einer Vierteilung des mosaischen Gesetzes kam, denn eine Orientierung an 297 Nachdem Sigonio seine Ausführungen zur Vierteilung des mosaischen Gesetzes beendet hat, heißt es noch einmal: „Ac de summa quidem legis haec dicta sint. quae ita praeponere libuit, quoniam ex his quattuor vocibus, tanquam ex summa legis, vniuersa haec nostra de rep[ublica] disputatio deducetur“ (aaO., 34f). 298 Vgl. Ziskind, Political Scientists, 8: „Based on an understanding of the biblical text that was limited to the Septuagint and the Vulgate, he [d.i. Sigonio] called one’s obligations to God ‘mandata’ and ‘praecepta,’ which was his Latin rendition of the Greek ‘ontolai’ and ‘prostagmata.’ The Hebrew equivalents for these terms, of which he was unaware, are ‘mitsvoth’ and ‘huqim,’ respectively. Based on the Greek ‘dikaiomata’ and ‘krinai,’ he called obligations to other human beings ‘iustificationes’ and ‘iudicia.’ The original Hebrew words for these terms are ‘mishpatim’ and ‘dinim,’ respectively. Sigonio used these terms throughout the work to delineate the various areas of ancient Israelite society that he was discussing.“ 299 Bartolucci vergleicht mit Sigonios Terminologie ausführlich Einträge in Santes Pagninos Thesaurus linguae sanctae (1529), einem Werk, das im Jahr 1575 von Corneille Bertram unter Verwendung von Antoine Chevaliers und Jean Merciers Arbeiten neu bearbeitet und herausgegeben wurde (vgl. zu den folgenden Ausführungen insgesamt Bartolucci, Introduction, xxi–xxvi). Allerdings kann Bartolucci eine Benutzung des Thesaurus linguae durch Sigonio nicht belegen. Ein Exemplar dieses Werkes war lediglich im Besitz seines engen Freundes Ulisse Aldrovandi, der Bücher seiner Bibliothek anscheinend auch anderen befreundeten Gelehrten zur Verfügung stellte. Ein anderes komparativistisch angelegtes Wörterbuch, das Dictionarium trilingue (1530) Sebastian Münsters, war anders als der Thesaurus sehr wohl in Sigonios eigenem Besitz. Auch hier passen die Ausführungen unter den einzelnen Lemmata aber nicht exakt zu Sigonios Systematik der mosaischen Gesetze: Das Substantiv iustificatio z. B. kommt gar nicht erst als eigenes Lemma in dem Dictionarium trinlingue vor. Somit ergibt sich insgesamt eine Reihe von Problemen in Bartoluccis späterer These, Sigonio habe in seiner Gesetzeslehre auf Werke von Hebraisten zurückgegriffen (vgl. noch seine früheren Arbeiten: Bartolucci, La repubblica ebraica, 86–99; ders., Sigonio and the ‘Respublica Hebraeorum’, 38f).
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den Einträgen der verschiedenen Gesetzesbegriffe in den Wörterbüchern der Hebraisten schließt nicht automatisch ein, dass sich das gesamte mosaische Gesetzeskorpus in vier Teile einteilen lasse, wie es Sigonio tut. Noch ein weiterer Aspekt spricht gegen die Verbindungen zur hebräischen Begrifflichkeit, wie sie Ziskind und Bartolucci nahelegen: Sigonio verweist im 4. Kapitel des I. Buches, in dem die Gesetzesthematik behandelt wird, an keiner Stelle explizit auf Bezüge zur hebräischen Terminologie oder zu jüdischen Quellen, wie er das z. B. an anderer Stelle tut.300 Stattdessen scheint lediglich die Terminologie nach der griechischen Septuagintaausgabe („Graecus interpres“) und lateinischen Vulgatafassung („Latinus interpres“) für ihn an dieser Stelle von Interesse zu sein. Ist deswegen auch ein anderer Weg denkbar, auf dem Sigonio zur Vierteilung des mosaischen Gesetzes, die den strukturellen und argumentativen Aufbau von De republica Hebraeorum bestimmt, gelangte? Sigonio stellt im betreffenden vierten Kapitel über die Gesetzeslehre ausführlich Bibelstellen zusammen, um auf die jeweils sich unterscheidenden Bezeichnungen für die Gesetzesteile zu verweisen und die lateinischen und griechischen Begriffe zu vergleichen. Die Fülle an Bibelzitaten belegt, dass Sigonio gerade in diesem Kapitel ausführlich am Bibeltext gearbeitet hat. So werden in dem gesamten Kapitel, das weniger als zehn Seiten umfasst, insgesamt 48 direkte Zitate aus der Bibel aufgeführt.301 Der Großteil dieser Bibelzitate, nämlich genau 40, fällt dabei in den ersten Teil des Kapitels, in dem die begriffliche Klärung zur Gesetzessystematik anhand des lateinischen und griechischen Bibeltextes erfolgt. Den übrigen zweiten Teil nimmt dann noch ein historischer Abriss zur Gesetzestradierung nach der Gesetzesgabe an Mose ein.302 Ein erster Blick auf den Anfang des ersten Teils deutet zunächst darauf hin, dass Sigonio eng am Bibeltext entlanggegangen ist, denn die ersten 20 Bibelzitate folgen der Reihenfolge der biblischen Bücher nach der Vulgataausgabe von den Mose-Büchern bis zu den Psalmen, die in der Vulgata die Geschichtsbücher beschließen. Danach wird die Reihenfolge von Sigonio aufgegeben. Auch wenn Sigonio bei sechs von den 48 Bibelzitaten in den Angaben (in der Regel Flüchtigkeits-) Fehler unterlaufen,303 300 Vgl. z. B. den Verweis auf die hebräische Terminologie in Sigonio, De republica, 265 oder auf seine jüdische Quelle aaO., 274. 301 Zählte man ein weiteres, sehr eng entlehntes indirektes Zitat aus der Bergpredigt Jesu (Mt 5,17) (vgl. aaO., 38) hinzu und die ausschnittsweisen Verse, die Sigonio aus den 48 direkten Bibelstellen aufführt jeweils einzeln, würde die Zahl an Bibelstellenverweisen noch höher ausfallen. 302 Dieser zweite Teil von Buch I., Kap. 4 wird eingeleitet mit „redeo ad legis historiam“ (vgl. aaO., 35). 303 Die Bibelzitate werden von Sigonio jeweils nur nach dem Namen und der Kapitelzahl der biblischen Bücher aufgeführt. Mit den ermittelten und hier zusätzlich angegebenen Verszahlen und korrigierten Angaben ergibt sich folgende Zusammenstellung (vgl. aaO., 29–38): Dtn 6,6/Lev 19,18; Ex 17,35f; 15,25f; Ex 21 = korr. Lev 25,18; Ex 26 = korr. Lev 26,3; Ex in
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so deutet doch einiges darauf hin, dass er die lateinische Bibelfassung mit der griechischen Septuaginta verglichen hat. Den leichtesten Zugang hätten ihm hier interlineare bzw. auch polyglotte Bibelfassungen liefern können. Dies führt nun zur bisher nicht berücksichtigten Frage, auf welche Bibeledition(en) Sigonio überhaupt zurückgriff.304 Von Interesse ist die Frage insbesondere angesichts der Septuaginta-Ausgaben, die Sigonio zur Verfügung gestanden haben könnten, denn im Vergleich zur griechischen Textausgabe des Neuen Testaments, für die früh die Edition des Erasmus aus dem Jahr 1516 maßgebend wurde, hatte die griechische Fassung des Alten Testaments im 16. Jahrhundert nicht annähernd eine gleichweite Verbreitung gefunden. Im Jahr 1518 erschien in Venedig in der Offizin Aldo Manuzios (1449–1515) der Erstdruck der Septuaginta (LXX), der in späterer Zeit als frühe Standardedition Aldina genannt wurde. Neben seiner Bedeutung als Drucker war Aldo Manuzio selbst eng in die humanistischen Kreise Italiens eingebunden und wurde für seine philologischen Fähigkeiten, die er mit seinen textkritischen Editionen nachwies, geachtet.305 In Kontakt mit der Aldina könnte Sigonio durch den Sohn Aldo Manuzios, Paolo, gekommen sein, der nach dem Tod des zwischenzeitlichen Leiters der Offizin, Andreas Asulanus, im Jahr 1529 vier Jahre später das Erbe der Druckerei seines Vaters antrat.306 Paolo Manuzio (geb. 1512), der auch selbst Werke Sigonios verlegte, zählte zu Sigonios engsten Freunden, jedoch verstarb er bereits 1574 und es ist nicht bekannt, dass die LXXAusgabe seines Vaters in diesem Zeitraum neu aufgelegt wurde. Dennoch ist ja extremo = korr. Lev 26,46; Num 36,13; Dtn 4,14; 4,5; 4,44f; 6,1; Jos 24,25; 1Kön 2,3; 2Kön 17,13; 2Chr 19,8.10; 2Chr 24 = korr. 2Chr 34,31; Ps 118,4f.14.16.24.27; 17,22; 104,45; 147,19; Neh 10,29; Ez 44,24; Ps 7,8; Ex 23,7; Jes 5,22; Lev 24,22; Dtn 25,1; Prov 17,15; Mt 12,37; Gen 15,14; 2Chr 20,10–12; Joh 4 = korr. Joh 12,47; Joh 7,51; o. A. = Ex 22,2f; o. A. = Dtn 19,4f; Jer 9 = korr. Neh 9,34; 2Kön 17,15; Ex 19,5f; Dtn 11,22f; Lk 1,6. Der zweite Teil des Kapitels enthält noch folgende Bibelzitate: Dtn 17,18f; 31,10–12; 2Chr 17,7.9; 2Kön 22,11; 23,3; Esr 7,10; indir. o. A. = Mt 5,17 und Mt 5,20. 304 Parente, Il De republica Hebraeorum arbeitet in seinem viele Forschungsergebnisse bündelnden Aufsatz v. a. die Bedeutung der LXX für Sigonios Werk De republica Hebraeorum heraus. Es ist aber nicht verständlich, warum er an keiner Stelle danach fragt, welche LXXEditionen Sigonio in der Zeit überhaupt zur Verfügung gestanden haben könnten. Danach fragt auch nicht Bartolucci, La repubblica ebraica, 92 (vgl. ders., Introduction, xxi–xxvi), obwohl auch er wie Parente, Il De republica Hebraeorum, 427 feststellt, dass Sigonio gelegentlich bewusst mit der LXX vom Vulgatatext abweicht. 305 Grundlegende Informationen zur Druckerfamilie Manuzio, insbesondere zu Aldo Manuzio und seinen Beziehungen zum Humanismus in Italien und nördlich der Alpen, liefert eine ältere Arbeit aus dem 19. Jahrhundert von Julius Schück, Aldus Manutius und seine Zeitgenossen. Vgl. außerdem Jaumann 434. 306 Nach dem Tod Andreas Asulanus’ war es unter seinen Kindern und denen Aldo Manuzios zu Streitigkeiten im Hinblick auf das Erbe der Druckerei gekommen, die erst im Jahr 1533 zugunsten Paolo Manuzios entschieden wurden, da von diesem Zeitpunkt an die Titelblätter der Druckwerke die Namen „in aedibus heredum Aldi Manutii et Andreae Asulani soceri“ tragen (vgl. aaO., 138f).
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bereits darauf verwiesen worden, dass Sigonios Arbeiten an De republica Hebraeorum einen längeren Zeitraum eingenommen hatten, und die engen Beziehungen zu der Aldus-Familie sprechen am ehesten dafür, dass Sigonio eine Möglichkeit des Rückgriffs auf die Aldina gehabt haben könnte. Ansonsten bleiben die Alternativen für eine mögliche Nutzung der LXX bis zum Druck von Sigonios De republica Hebraeorum im Jahr 1582 beschränkt. Nur fünf weitere Male307 erscheint die LXX vollständig im griechischen Druck: 1514–1522 in der polyglotten Bibelausgabe von Alcalá, 1524–1526 in einer rein griechischen Fassung in Straßburg, 1545 in einem von Johannes Herwagen besorgten Druck, der die LXX-Fassung der Aldina verbesserte,308 1550 bei Nicolaus Brylinger in Basel in einer griechisch-lateinischen Interlinearversion309 und schließlich 1569–1573 abgedruckt in der bekannten polyglotten Biblia Regia von Antwerpen, deren Verbreitung aber zunächst nur unter Schwierigkeiten erfolgte.310 Nun wird gerade anhand des vierten Kapitels über die Gesetzeslehre deutlich, dass Sigonio die teils ausführlich wiedergegebenen Bibelzitate im Kapitel nach der lateinischen Vulgata zitiert, was schon deswegen nahelag, weil Sigonio als katholischer Autor ja im Lateinischen schrieb. Dies ist aber zumindest an einer Stelle nicht der Fall, die hier exemplarisch Sigonios eigenes Vorgehen veranschaulichen kann: In seiner Darlegung zum biblischen Gesetzesbegriff der iustificationes, die Sigonio ja mit dem Griechischen δικαιώματα gleichsetzt, nutzt er in seinem Zitat aus Ex 23,7 die LXX. Dies wird deutlich, weil an dieser Stelle der Vulgatatext von der Fassung der LXX abweicht. Gleichzeitig wird aber auch erkennbar, dass Sigonio wahrscheinlich schon mit einer lateinischen Parallelübersetzung der LXX gearbeitet hat. Nachdem sich Sigonio in dem entsprechenden Passus zunächst von einem theologischen Verständnis der iustificatio aus den Evangelien abgegrenzt hat und hervorhebt, dass es um einen juridischen Begriff der weltlich-zivilen Seite des Rechts geht, heißt es: Id ita esse probatur ex ipso verbo δικαιῶ, quod iidem in sacris litteris vsurpauere pro iustifico, id est, iustum innocentemq[ue] pronuncio; vt Exodi XXIII in ipsamet lege, vbi
307 Vgl. Katalog GG Nr. 382. 308 ΤΗΣ ΘΕΙΑΣ ΓΡΑΦΗΣ, ΠΑΛΑΙΑΣ ΔΗΛΑΔΗ ΚΑΙ ΝΕΑΣ ΔΙΑΘΗΚΗΣ, ΑΠΑΝΤΑ. Divinae Scripturae, Veteris ac Novi Testamenti, omnia, innumeris locis nunc demum, & optimorum librorum collatione, & doctorum virorum opera, multo quam unquam antea emendatiora, in lucem edita, Basel 1545. Das Vorwort zu der Ausgabe stammt von Philipp Melanchthon und ist auf den 25. November 1544 datiert (vgl. aaO., Praef. f. *3v). In seiner Vorrede hebt Melanchthon die Nützlichkeit der LXX für das Studium und Verständnis der Bibel hervor, weil trotz Mängel in der Textüberlieferung angesichts des hebräischen Urtextes die LXX doch Grundlage der griechischen Apostel gewesen sei und auch Paulus daraus zitiere (vgl. aaO., f. *2v). 309 Biblia Graeca et Latina. Pars prima–quarta, Basel 1550. Vgl. auch Katalog GG Nr. 383. 310 Vgl. aaO. Nr. 382.
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de iustificationib[us] agitur: Non iustificabis impium, id est non absolues, Graece οὐ δικαιώσεις.311
In der Vulgata fehlt gerade der Teil des Verses, der sich auf das Futur „du wirst nicht den Frevelhaften rechtfertigen“ (non iustificabis impium) bezieht, und der Vers ist verkürzt auf: Mendacium fugies. Insontem et iustum non occides: quia aversor impium.312
Nach der LXX, die im Folgenden nach der Fassung der 1550 von Brylinger herausgegebenen Basler Biblia Graeca et Latina zitiert wird, wird Ex 23,7 dagegen folgendermaßen wiedergegeben: ἀπὸ παντὸς ῥήματος ἀδίκου ἀποστήσῃ. ἀθῷον καὶ δίκαιον οὐκ ἀποκτενεῖς. καὶ οὐ δικαιώσεις τὸν ἀσεβῆ ἕνεκον (sic!) δώρων […]313
In der Basler Bibelausgabe, an die sich möglicherweise auch spätere lateinische Übersetzungen angeschlossen haben, wird der griechische Text der LXX von Ex 23,7 dann auf diese Weise ins Lateinische übertragen: Ab omni iudicio iniquo recedes. Innocentem & iustum non occides. Et non iustificabis impium causa muneum, & dona non accipies.314
Es lässt sich also zunächst sagen, dass Sigonio für seine terminologischen Erörterungen zum mosaischen Gesetz entlang der Bibelstellen eine Ausgabe der LXX parat hatte und möglicherweise auch über eine lateinische Übersetzung der LXX wie die der Basler Biblia Graeca et Latina verfügte, die ihm einen Vergleich der verschiedenen Bibelstellen erleichterte. Wichtiger als die Feststellung, welche LXX-Ausgabe Sigonio nun genau nutzte, scheint mir aber zu sein, dass die obigen Ausführungen deutlich gemacht haben, dass er seine Gesetzessystematik auf philologischen Vergleichen zwischen dem allgemein gängigen Vulgatatext und dem weniger verbreiteten griechischen Text der LXX aufbaute und so zu einer Einteilung des mosaischen Gesetzes kam, die erstens mit der traditionellen theologischen Lehre brach und zweitens unmittelbar mit dem politisch-rechtlichen Idealbild von Mose als Gesetzgeber und der politia judaica verwoben ist. Der erste Punkt betrifft vor allem die Vierteilung des mosaischen Gesetzes, die der Teilung der Gesetzessystematik der Schultheologie entgegenlief. Besonders offensichtlich wird das in der Systematik des göttlichen Gesetzes bzw. spezifischer der lex vetus Mosaica in der Theologie Thomas von Aquins, die Sigonio 311 Sigonio, De republica, 32f. 312 Vulgata-Text zit. nach der Fassung Biblia Sacra Vulgata. Editio quinta, Stuttgart 2007. 313 Zit. nach Biblia Graeca et Latina. Pars prima, 237. Diese Basler Ausgabe enthält zudem keine Verseinteilung, was zusätzlich einen Hinweis darauf geben könnte, dass Sigonio vielleicht die Basler Biblia Graeca et Latina genutzt hat, denn auch bei ihm fehlen Versangaben. 314 Zit. nach ebd.
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selbst kannte und die ja, wie bereits zu sehen war, grundlegend wurde für die Dreiteilung von Moral-, Judizial- und Zeremonialgesetz in der christlichen Tradition. Interessanterweise diskutiert nun aber auch Thomas eine andere Aufteilung, indem er unter anderem die lateinischen Begriffe iustificatio, mandatum, praeceptum und iudicium, die auch Sigonio verwendet, vergleicht.315 Hier werden aber Definitionen getroffen, die gerade nicht denen Sigonios entsprechen: Die iustificationes werden streng-juridisch als Begriff für die Rechtsprechung verstanden, praecepta als die Gebote, die Gott selbst angeordnet hat, und mandata als die Anordnungen, die Gott durch andere angeordnet hat.316 Zudem läuft die Argumentation des Thomas ja gerade darauf hinaus, trotz aller unterschiedlichen Gesetzesbegriffe nach der Vulgata ihre übergeordnete Hinordnung auf die Dreiteilung von moralia, caeremonialia und iudicialia plausibel zu machen317 – was bei Sigonio nicht der Fall ist. Es wundert also nicht, dass gerade Sigonios Einteilung der mosaischen Gesetze unter katholischen Theologen auf Kritik gestoßen is, aber auch unter protestantischen Gelehrten Skepsis hervorrief.318 Zum anderen, nunmehr abschließenden Gesichtspunkt: In Sigonios Werk vereinigen sich unterschiedliche biblische und außerbiblische antike Vorstellungen von der mosaischen Gesetzgebung, die mit der systematischen Darstellung des Rechtsgebildes der politia judaica bzw. respublica Hebraeorum zusammenhängen. Zunächst ist anhand der Bibelstellenverweise zu beobachten, dass Sigonio auf den Pentateuch neben den Geschichtswerken Jos bis 2Kön sowie 1Chr und 2Chr am ausführlichsten Bezug nimmt.319 Entsprechend kann Sigonio biblisch zwischen dem unterscheiden, was im Gesetz, also dem Pentateuch (ex 315 Vgl. Th. v. Aquin, Summ. Theol., I–II, q. 99, a. 5: „Utrum aliqua alia praecepta contineantur in lege veteri praeter moralia, iudicialia et caeremonialia.“ 316 „Omnia vero praecepta legis possunt dici iustificationes, inquantum sunt quaedam executiones legalis iustitiae. Possunt etiam aliter mandata a praeceptis distingui, ut praecepta dicantur quae Deus per seipsum iussit; mandata autem, quae per alios mandavit, ut ipsum nomen sonare videtur“ (aaO., a. 5 resp.). 317 „Ex quibus omnibus apparet quod omnia legis praecepta continentur sub moralibus, caeremonialibus et iudicialibus, alia vero non habent rationem praeceptorum, sed ordinantur ad praeceptorum observationem, ut dictum est“ (ebd.). 318 Vgl. Bartolucci, La repubblica ebraica, 97–99, bezieht sich auf die Beispiele des calvinistischen Theologen Johannes Nicolai, der erst Ende des 17. Jahrhunderts (1685/1701) Sigonios Werk De republica Hebraeorum mit eigenen Kommentaren neu herausgibt, und Lorenzo Maffei auf katholischer Seite, dessen Reaktion gegen die Gesetzessystematik noch schärfer als die Nicolais ausfällt. Siehe auch zur Frage nach den konfessionellen Aspekten im Werk Sigonios Abschn. 3.3.2.3. 319 Unter den NT-Schriften sind v. a. die Evangelien und die Apostelgeschichte von Bedeutung. Die Briefliteratur des NT spielt in De republica Hebraeorum nur eine untergeordnete Rolle und die Apk wird überhaupt nicht einbezogen. Dies ist deswegen zu betonen, weil damit die – gerade in politischer Hinsicht – einschlägigen Stellen zur Begründung von Herrschaft wie z. B. Röm 13 oder 1Petr 2,13–17 ganz ausgespart werden.
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lege) steht, und dem außerhalb davon (omnia extra legem).320 Dahinter steckt insbesondere eine stark an das Deuteronomium angelehnte Auffassung von Mose als Gesetzgeber, in der Mose nicht nur als Mittler des Dekalogs – der an sich schon den gesamten „Verfassungsplan“ der respublica Hebraeorum für Sigonio enthält321 – erscheint, sondern auch als derjenige, der die Gesetze noch einmal in einem Buch zusammenfasst. Allerdings vereinigt Sigonio auch andere biblische und außerbiblische Vorstellungen von der Gesetzgebung: Zum einen wird an einigen wenigen Stellen auf das neue Gesetz Christi (lex nova Christi) und Christus als Gesetzgeber Bezug genommen und in diesem die eigentliche Vollendung des Gottesgesetzes in der Geschichte der respublica Hebraeorum gesehen.322 Die Ausführungen zur lex nova Christi bleiben aber im Gesamtwerk ohne systematische Konsequenz. Sigonio liegt vielmehr ganz an der Darstellung der mosaischen Gesetzgebung und seiner Geschichte, die stets institutionell an die respublica Hebraeorum gebunden bleibt. Dies wird dann besonders deutlich, wenn von einer cabala historica, einer mündlichen Tradition neben der lex scripta Mosaica, die Rede ist.323 Wie Giovanni Pico della Mirandola, dem – wie zu sehen war – eigentlichen Begründer der christlichen Kabbala, nimmt Sigonio die Vorstellung auf, dass es unter Esra schließlich zu einer Verschriftlichung der kabbalistischen Gesetzeslehre gekommen sei. Doch anders als Pico geht es Sigonio nicht um die Existenz einer den mosaischen Gesetzen zugehörigen Geheimlehre, sondern um die institutionelle Bindung dieser Gesetzeslehre an die Priester und Schriftgelehrten.324 Es ist aber diese institutionelle Form der respublica Hebraeorum, die im gesamten Werk auf die Stiftung durch den Gesetzgeber Mose zurückgeführt wird. Er ist zugleich der erste politische Führer bzw. Magistrat der Hebräer, mit dem die politische Geschichte der Juden im engeren 320 Vgl. u. a. Sigonio, De republica, 142. 172. 321 Vgl. aaO., 22. 322 Die lex nova ist für Sigonio mit der Lehre der Wahrheit in Christi Predigten gleichzusetzen (vgl. hierzu aaO., 37f). Sigonio versteht dies von Mt 5,17 her nicht als Auflösung des Gesetzes, sondern als Erfüllung. In zwei Beispielen aus der Bergpredigt (Feindesliebe und Radikalisierung des Verbots der Ehescheidung) wird dies in seinem Anspruch auf Gesetzeserfüllung verdeutlicht. 323 „VT porro prophetae voluntatem Dei praenunciarunt, sic Scribae legem eius interpretati sunt. Huius autem rei primordia ab ipso quoq[ue] Moyse sunt introducta. Is enim alia voce populo tradit, alia in scriptum contulit. Primae traditiones, secunda lex dicta. Quae vero voce Moyses docuit, ea primum cum Iosue communicauit, Iosue inde cum Senioribus, Seniores cum Prophetis, Prophetae cum Scribis. Has traditiones posterior Hebraeorum schola Cabalam historicam appellauit“ (aaO., 264f). Bartolucci, Introduction, xxxvii–xxviii hat hier die begriffliche Nähe zu dem Werk Chronographiae libri quatuor (1580) des französischen Hebraisten Gilbert Génébrard (1537–1597), das Sigonio zur Verfügung stand, herausgearbeitet, vielleicht aber die Abgrenzungen zu Pico und Johannes Reuchlin in der Konzeption der christlichen Kabbala etwas zu scharf gezogen. 324 Vgl. Sigonio, De republica, 269f. Der Begriff cabala historica taucht insgesamt nur zwei Mal in Sigonius’ Werk auf (vgl. auch aaO., 274).
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Sinne einsetzt. Wenn Sigonio diese Terminologie im letzten Buch von De republica Hebraeorum klärt, wird zum Ausdruck gebracht, dass die Magistrate (magistratus) in ihrer politischen Funktion den Räten und Gerichten des Gemeinwesens vorstehen, die Sigonio im vorhergehenden Buch VI. beschrieben hatte. Begrifflich sind die magistratus im Griechischen mit den ἄρχοντες und im Lateinischen mit den principes vergleichbar.325 Dem Magistrat werden zwei wesentliche Herrschaftskompetenzen (vis/potestas) im Gemeinwesen zugeordnet: Einerseits steht ein Magistrat dem Volk vor und leitet es, andererseits spricht er Recht – wie eben vergleichbar die Magistrate in der Bibel mal Führer des Volkes (duces populi), mal Richter (iudices) genannt werden.326 Magistrate sind dabei für die weltlich-zivile Seite der mosaischen Gesetze befugt, die Sigonio zuvor unter den Begriffen iustificationes und iudicia zusammengefasst hat. Ein Magistrat ist dabei zugleich das „belebte und sprechende Gesetz oder auch sein Ausführer und Beschützer“, was auch das Kriegsrecht mit einschließt.327 Diese Verkörperung der zivilrechtlichen Seite des jüdischen Gemeinwesens kommt schließlich zuerst Mose – und zwar auf Gottes Erwählung hin noch vor der Gesetzesgabe selbst – zu. In ihm ist also die eigentliche politische Seite des jüdischen Gemeinwesens begründet, die ich nun im Folgenden noch näher beschreiben werde.
325 „Consiliis ac Iudicijs subijciuntur ordine Magistratus: quippe qui Consilijs & Iudicijs praefuerunt, aut omnino sua auctoritate partem publicae Consultationis & Iudicationis aliquam attigerunt. Hi a Graeco interprete ἄρχοντες, a Latino Principes conuertuntur. Quoniam autem ἄρχειν est non solum praeesse, ac ducem esse, sed etiam imperare, atque iubere […]“ (aaO., 336f). 326 „[P]ropterea vis in magistratu insita duplex est; vna, vt populo praesit, eiq[ue] quae sunt facienda praescribat; altera, vt ius dicat, ac iudicet, siue (vt scriptura loquitur) iudicium ac iustitiam faciat. Quare magistratus in sacra historia aliquando duces populi, aliquando iudices appellantur. Id quod clare perspici potest in Regibus. Hi enim vere & populi duces fuisse, & populum iudicasse dicuntur“ (aaO., 337). 327 „Est enim magistratus animata & loquens lex, siue legis executor & vindex. Atq[ue] vtrum[ue] quidem ius in magistratum conuenire, & ducis, & iudicis, docuit etiam Aegyptius quidam Exodi secundo aduersus Moysem, qui hominem Aegyptium interfecerat, inquiens: Quis te constituit principem, aut vindicem super nos? Ducatum vero exercuerunt in bello gerendo, & de rep[ublica] consultando, iudicationem in iure reddendo. Haec autem potestats siue ducendi, siue iudicandi primum Moysi data est in populum Hebraeorum, etiam antequam lex scriberetur, tum cum Deus ei mandauit, vt populum seruitute regis oppressum ex Aegypto educeret“ (aaO., 338). Das Bibelzitat stammt aus Ex 2,14 im Zusammenhang mit der Begegnung Moses mit zwei hebräischen Männern. Sigonio redet aber nicht von zwei Hebräern, sondern nennt den Gesprächspartner von Mose einen Ägypter. Vielleicht soll dies die ihm u. a. durch Philo und Josephus bekannten antiken Debatten darüber, ob Mose ägyptischer Abstammung ist oder nicht, umkehren, so dass Mose indirekt über die Ägypter gestellt wird.
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3.3.2.2 Vermittlungen von aristotelischer Politiklehre und augustinischer Theologie Sigonio gebraucht die Begriffe der respublicas, politia, civitas und civilis societas weitgehend synonym. Diese offene begriffliche Terminologie bildet bereits ihrerseits die Aufnahme verschiedener antiker politischer Konzepte ab. Unter diesen lassen sich noch einmal unterschiedliche Gewichtungen beobachten. So liegt eine charakteristische Eigenart von Sigonios Werk De republica Hebraeorum in der Vermittlung einzelner politischer Lehrstücke des Aristoteles mit dem Bibeltext und vorrangig jüdisch-hellenistischer Quellen (Josephus und Philo). Dieser Vermittlung wird trotz allem Abstand von der Theologie in dem Werk letztlich doch durch die von Augustin geprägte Unterscheidung zwischen der civitas Dei und civitas terrena ein theologischer Rahmen gegeben. Das hebräische Gemeinwesen wird dabei zur bildlichen Vorausschau auf die „himmlischen Stadt“, auf das Leben nach dem Tod, wenngleich die hebräische Geschichte mit Christus an ihr Ziel gekommen sei.328 Sigonios originelle Verarbeitung des augustinischen Dualismus von himmlischer/göttlicher und irdischer civitas zeigt sich darin, dass diese (bereits entlang der Aufteilung des Dekalogs explizierte) Zweiteilung einerseits zu einem Strukturprinzip für den Aufbau seines Werkes wird, andererseits wird durch die damit verbundenen platonisierenden Einschübe dem christlichen Leser die Bedeutung der respublica hebraica als irdisches Abbild des geheimnisvollen ewigen Lebens vor Augen geführt – und zwar mit einem doppelten Zweck: zum einen als hermeneutisches Prinzip für die Lektüre der Heiligen Schriften und zum anderen als politisches Argument, indem die irdische Idealform betont wird. Es liegt nahe, dass Sigonio es bei beiden Zielen auch um eine Plausibilisierung gegenüber der römischen Kurie und Theologie ging, denn schließlich hatte er sein Werk auch Papst Gregor XIII. gewidmet. So fallen in einer Form von Rückblick ganz am Ende des Werkes die zugespitzten theologischen Formulierungen, die auch denen in seiner Widmung und dem Vorwort zum Werk De republica Hebraeorum ähneln: Fürwahr, ich erkenne die Mysterien, das himmlische und ewige Leben, das in diesem Gemeinwesen (in hac republica) vorher kennengelernt wird, wie der Heilige Augustin lehrt und dabei hinzufügt, dass das hebräische Volk in diesem einen Gemeinwesen versammelt ist, das ein Sakrament des ewigen Lebens darstelle. Denn alle Prophetien, sagt er, alle Gebote für das Leben, erst recht die Heiligtümer (sacra), Priesterämter, Zeremonien und Festtage, sind Kennzeichen (significata) und Vorankündigungen (praenunciata), von denen wir – durch das ewige Leben der Gläubigen in Christus – glauben, dass sie erfüllt worden sind, sehen, dass sie sich erfüllen, und darauf vertrauen, dass sie sich erfüllen werden. Wenn doch aber nur Gott selbst angesichts seiner unfassbaren Barmherzigkeit es geschehen lasse, dass wir, so wie wir die Stadt (civitas) 328 Vgl. aaO., 13.
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beschrieben haben, in der wir auf Erden wohnen, ihren Anblick nach dem Tod in den Himmeln voll genießen werden und ob dem, was uns gesagt ist, fröhlich sind, so wir in das Haus des Herrn gekommen sind und schließlich mit den Propheten sagen können: So wie wir es gehört haben, so haben wir es in der Stadt (civitas) der Heerscharen des Herrn gesehen, in der Stadt unseres Gottes. Glücklich sind diejenigen, die in Deinem Haus wohnen, Herr, sie werden dich immerdar loben.329
Der theologische Rahmen des Werkes De republica Hebraeorum findet biblisch gesehen viele Anklänge im Hebräerbrief, den Sigonio auch auffällig oft für die wenigen verstreuten theologischen Ausführungen seines Werkes nutzt und die respublica hebraica auf die jenseitige Stadt Christi deutet.330 Diesen theologischen Deutungen steht aber gegenüber, dass Sigonio auch eng an Aristoteles anlehnend politische Lehren formuliert hat, in denen es um die civitas als ratio administrandae a civibus reipublicae331 geht. Aristoteles wird dabei stets nur in der Darlegung der weltlich-zivilen Seite (res humanis) der respublica Hebraeorum aufgenommen, wobei Sigonio wie Aristoteles bei der Gemeinschaft der Bürger ansetzt. Übernommen wird von Aristoteles der politische Kernbegriff der Zivilgesellschaft (societas civilis). Sigonio schließt hier bereits an die lateinische Übersetzung societas civilis für den aristotelischen Ausdruck κoινωνία πoλιτική an, die der in Florenz wirkende Renaissance-Humanist Leonardo Bruni (gest. 1444) in seiner weit verbreiteten lateinischen Edition der Politik des Aristoteles gewählt hatte.332 Jede civilis societas vereinige in sich das Nützliche mit der Gemeinschaft der Gerechten.333 Wie Aristoteles sieht Sigonio außerdem allein den Menschen durch seine Sprachfähigkeit dazu in der 329 „Mysteria vero intelligo, caelestem vitam, atque aeternam, quam S. Augustinus hac praenotatam rep[ublica] docuit, asserens populum Hebraeum in vnam esse remp[ublicam] congregatum, quae aeternae vitae ageret sacramentum. omnes enim, inquit, prophetiae, omnia praecepta vitae, sacra demum, sacerdotia, caeremoniae, dies festi, significata, & praenunciata sunt, quae propter aeternam vitam fidelium in Christo & impleta credimus, & impleri cernimus, & implenda confidimus. Vtinam autem Deus ipse pro sua incredibili misericordia faxit, vt quam nos ciuitatem viui descripsimus in terris, eius post mortem conspectu perfruamur in caelis, vt laeti ob ea quae nobis dicta sunt, fore, vt in domum Domini veniremus, vere tandem dicere cum propheta possimus: Sicut audiuimus, sic vidimus in ciuitate Domini virtutum, in ciuitate Dei nostri. Beati qui habitant in domo tua Domine, in saecula saeculorum laudabunt te.“ (aaO., 392f). Am Ende werden Ps 48,9 und Ps 84,5 (hier in eigener Übersetzung) zitiert. 330 Der Hebräerbrief hat überhaupt, soweit ich sehe, den wichtigsten Stellenwert in den wenigen eigentlichen theologischen Deutungen im gesamten Werk De republica Hebraeorum. Dies betrifft vor allem die christologischen Ausdeutungen (vgl. aaO., 62. 214. 228). 331 AaO., 287. 332 Vgl. Mager, Respublica und Bürger, 77f; McCuaig, Carlo Sigonio, 129 mit Anm. 71. 333 Vgl. Arist., Pol. I,2,1253a mit Sigonio, De republica, 288: „Omnis ciuilis societas, vt inquit in Politicis Aristoteles, vtilis ac iusti communione conciliatur. Harum enim duarum rerum soli homines notionem adepti sunt, quod soli etiam sermonis compotes facti sint, quo illa inter se, re postulante, communicarent.“
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Lage, den Begriff (notio) von Nützlichkeit (utilitas) und Gerechtigkeit bzw. Billigkeit (aequitas) zu begreifen und untereinander zu kommunizieren. Ganz ähnliche Gedanken hatte Sigonio bereits in seinem Werk De republica Atheniensium libri IIII ausgeführt. Er schließt an dieses Werk auch weiterhin an, indem die dreiteilige Beschreibung der Athener Republik (consilia, iudicia und magistratus) nun auch für die Behandlung des weltlich-zivilen Teils der respublica hebraica zu Grunde gelegt wird. Sigonio ordnet dabei die utilitas dem Aufgabenbereich der Räte (consilia) und den Gerichten (iudicia) die aequitas zu.334 Dass die Räte und Gerichte eine Form von Anführer (dux/princeps) bräuchten, erkläre sich schon daher, weil jede Masse (multitudo) zur Regierung ein Haupt (caput) brauche. Bezeichnet werden diese Führungspositionen schließlich als magistratus, dessen geschichtliches Idealbild, wie bereits gesehen, in der Gestalt Moses vorweggenommen wurde. So ergibt sich im Aufbau die Behandlung der Räte (consilia), dann der Gerichte (iudicia) und Magistrate (magistratus). Sigonio konzentriert sich also wiederum stärker auf die institutionelle Seite des Rechts und folgt hier nicht mehr der aristotelischen Betrachtung des natürlichen Wachstums der Gemeinschaft aus der Ehe über den Hausstand, zur Dorf- und Stadtgemeinschaft bis zum umfassenden Staat, der sowohl die Bestimmung als auch das Ziel des Menschen nach Aristoteles ist.335 Der respublica Hebraeorum sei vielmehr eine spezifische Dreiteilung zwischen dem gesamten Volk (universum populum), den zwölf Stämmen (duodecim tribus) und den einzelnen Städten (civitates) dieser Stämme zu eigen gewesen.336 Diese berücksichtigt Sigonio dann, wenn er die verschiedenen Entscheidungsebenen und Zusammensetzungen der 1.) Räte, der 2.) Gerichte und 3.) Magistrate im Detail in den letzten beiden Büchern behandelt. 1.) Die Räte (consilia) beschäftigten sich, wie dann ausgeführt wird, mit dem Zustand des gesamten Gemeinwesens, und zwar auch mit den Dingen, die im Einzelnen nützlich erscheinen und nicht im Gesetz umfasst werden können wie z. B. Entscheidungen über Krieg und Frieden, Getreidebeschaffung, die Grenzen, die Einrichtung der Gesetze und die Erwählung von Magistraten. Grundsätzlich 334 „Vtilitatem autem Consilia, aequitatem Iudicia perscrutantur. Quoniam autem haec coetus quidam siue Consultorum, siue Iudicum sunt, propterea duce ac principe aliquo eguerunt qui eos conuocaret, atq[ue] ad eos, quae essent de vtilitate & iure discutienda, referret. Neq[ue] enim multitudo regi sine capite aliquo potest. Qui vero aut Consilijs, aut Iudicijs praefuerunt, Magistratus appellati sunt. Quamobrem duobus sequentibus libris ita ciuilem hanc Hebraeorum reip[ublicae] administrationem persequemur, vt haec tria praecipue, Consilia inquam, Iudicia, & Magistratus, edisseramus“ (ebd.). 335 Vgl. Arist., Pol. I,2,1252a–b. 336 „Est porro illud quoque tenendum, rempub[licam] Hebraeorum quodammodo tripartitam fuisse, vna enim fuit, quae vniuersum populum, id est XII tribus, complexa est; altera, quae singulas ipsius populi tribus; tertia, quae singulas singularum tribuum ciuitates“ (Sigonio, De republica, 43).
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seien zwei Formen der consilia zu unterscheiden: eine allgemeine Versammlung (lt.: concio/congregatio, gr.: συναγωγή) von einem Rat, der auf die Ältesten beschränkt war (lt.: senatus, gr.: βουλή).337 Beide Formen der Räte seien auf allen drei Ebenen des Gemeinwesens, also der allgemeinen Volksebene, der Ebene der zwölf Stämme und der Städte der Hebräer vertreten gewesen,338 obwohl dies zumindest im Fall des senatus der Stämme nicht ganz sicher ausgesagt werden könne.339 Auf der höchsten Volksebene habe ein Senat von 70 Ältesten (Num 15) in der Hauptstadt beim höchsten Fürsten (princeps) getagt und auch in Zeiten ohne Königsherrschaft Ratschlag gegeben. Biblische Bezüge machen deutlich, dass die Einrichtung der Räte ebenso auf die Mosezeit zurückgeht wie die der Gerichte. Die Initiative, diese Räteversammlungen zusammenzurufen, geht dabei jeweils von der höchsten Befehlsherrschaft (qui summo cum imperio fuit) bzw. Autorität (auctoritas) aus, die aber einst selbst (als Richter, König oder Fürst) von der allgemeinen Versammlung (concio) eingesetzt wurde.340 2.) Gegenüber den Räteversammlungen seien die Gerichte (iudicia oder tribunalia iudiciorum, nach der Vulgata auch concilia genannt) nicht auf drei, sondern nur auf zwei Ebenen des hebräischen Volkes organisiert gewesen, nämlich in den einzelnen Städten (gr. κρίσις) und in Jerusalem (lt. concilium Hierosolymitano, gr. συνέδριον). Nach der dargelegten Vierteilung der mosaischen Gesetze stand ja fest, dass sich die Gerichte in der Rechtsprechung mit den iudicia (bzw. iustitia) und den iustificationes, Verurteilungen (condemnationes) und Freisprüchen (absolutiones) beschäftigten.341 Nun wird in Buch VI. noch konkretisiert, dass die Sache der Gerichte insgesamt die am Individuum ausgerichtete Billigkeit (singularis aequitas) – also entsprechend: das Individualstrafrecht – gewesen sei, während alle Räteversammlungen sich am gemeinen Nutzen (utilitas civitatis) orientierten.342 Die zwei Kapitel über die Gerichte in den Städten und das Jerusalemer Synedrium zeigen, dass es Sigonio hier besonders genau um die historische Entwicklung, Rechtskompetenzen und Entscheidungsprozesse ging, wozu nun vor allem auch außerbiblische Quellen hinzugezogen werden (neben Josephus und Philo vor allem auch die entscheidenden Abschnitte aus dem Talmud, die Sigonio aus Werken von Petrus Galatinus zitiert). Das Kapitel über das Jerusalemer Synedrium fällt von allen Kapiteln
337 Vgl. aaO., 288f. Biblisch begründet wird dies mit begrifflichen Vergleichen auf Grundlage von Ps 111,1; Ps 107,32 u. Ps 26,5. Eine dritte Form des Rates sei, wie dann noch angefügt wird, der besonderen Bestimmung des Königs vorbehalten gewesen. 338 Vgl. aaO., 289f. 298. 339 Vgl. aaO., 300f mit Bezug auf 2Kön 23,1; 1Sam 30,26 u. Jer 19,7. 340 Vgl. aaO., 290. 292f. 294. 341 Vgl. aaO., 301f. 342 Vgl. aaO., 301.
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zu den weltlich-zivilen Rechtsinstitutionen in den letzten beiden Büchern am umfangreichsten aus. 3.) Die Magistrate sind in der Behandlung des mosaischen Gemeinwesens bereits aufgegriffen worden. Das Idealbild orientierte sich hier besonders an Mose. Zum ersten Mal zur Sprache gebracht wird diese Dreiteilung schon im für die allgemeinen politischen Aspekte zentralen fünften Kapitel de forma reipublicae Israelitarum von Buch I. Dort bietet Sigonio zunächst einen Abriss über die Verfassungsgeschichte des jüdischen Gemeinwesens. Der bereits deutlich gewordenen Bedeutung politischer Führung der societas civilis entspricht nun die Ausrichtung an der Frage, an welcher höchsten Stelle die Leitung aller Dinge eingerichtet ist, um die Form des Gemeinwesens zu bestimmen.343 Sigonio schließt dabei an die Lehre von den Staatsformen bzw. Verfassungen des Aristoteles an, der in seiner Politik drei gute Staatsformen jeweils drei Entartungen derselben gegenübergestellt hatte.344 Dass Sigonio dabei lediglich auf zwei dieser sechs Grundtypen eingeht, ist der realen Verfassungsgeschichte der respublica Hebraeorum geschuldet. Schon in seinem am alten römischen Recht ausgerichteten Werk De antiquo iure civium Romanorum hatte er sich dem historisch Gegebenen nach auf lediglich zwei Verfassungsformen beschränkt.345 Im Falle der respublica Hebraeorum habe die Leitung von höchster Stelle entweder bei den Besten (optimates), also im Sinne einer aristokratischen Führung, oder einem König gelegen.346 Geschichtlich scheidet Sigonio hierbei zwischen einer Aristokratie, die von Mose ausgehend bis zur Richterzeit existiert habe, und dem Königtum seit Saul. Als biblischer Beleg für die frühe Existenz der Aristokratie unter Mose wird Dtn 12,8f gewählt347 und allein der vorherige Abschnitt über die herausragende Bedeutung Moses und der mosaischen Gesetze dürfte schon erhellen, dass die Aristokratie als Staatsform überaus positiv (gegenüber dem Königtum) gewürdigt wird. Gestützt wird dies anhand weiterer Bibelstellen,348 mit Josephus und mit Aristoteles. Sigonio zieht diese Quellen hinzu, um als 343 „Ceterum cum de forma reip[ublicae] quaeritur, nihil aliud quaeritur, nisi penes quem principatum summa rerum fuerit constituta“ (aaO., 38). 344 Der Königsherrschaft (Monarchie), Aristokratie und Politie auf der Seite der guten Verfassungsformen stehen die Tyrannis, Oligarchie und Demokratie (Ochlokratie) auf Seite der Entartungen gegenüber (vgl. Arist., Pol. III,6–8,1279a–b). 345 Im Gegensatz zum Spätwerk De republica Hebraeorum libri VII erfolgt hier eine Beschränkung im historischen Durchgang auf die Oligarchie und Demokratie, wobei Sigonio damit auch an die Beschreibung der Verfassungen der griechischen Stadtstaaten nach Aristoteles selbst anknüpfte (vgl. McCuaig, Carlo Sigonio, 132). 346 „Haec vero apud Hebraeos primum penes optimates posita fuit, deinde penes reges. quorum principatuum illum Aristocratiam, hoc Regnum Graeci vocarunt. Aristocratia fuit sub Moyse, Iosue, Senioribus, & Iudicibus; Regnum sub regibus“ (Sigonio, De republica, 38). 347 AaO., 39. 348 Jos 1,7.16f; Jos 23; Ri 2,7 u. Ps 2,6–9.
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entscheidendes Kriterium für die beste Verfassungsform allein die Übereinstimmung mit dem durch Mose vermittelten Gesetz Gottes zu veranschlagen. Die Formulierung, dass Gott selbst die Herrschaft über die Hebräer innehatte (Deus ipse imperium tenuit),349 solange sein Gesetz über sie regiert habe, ist ganz nah an der eigentlichen Theokratie-Vorstellung nach Josephus. Der eigentliche Terminus θεοκρατία aus Josephus’ Werk Contra Apionem bzw. ein lateinisches Äquivalent wird aber nicht gebraucht, was zum einen den Bedenken vor der Zensur, zum anderen auch der angestrebten Vergleichbarkeit mit der antiken Staats- und Rechtslehre geschuldet gewesen sein mochte.350 Stattdessen bezieht sich Sigonio auf den Begriff aristocratia aus einem anderen Werk des Josephus, den Jüdischen Altertümern, und stellt so eine Verknüpfung mit Aristoteles’ Politik her. Dadurch und mit der antimonarchischen Schlüsselstelle 1Sam 8 wird die Aristokratie als beste Verfassungsform ausgezeichnet, die – im Gegensatz zum Königtum – mit dem Gesetz und Gott in Einklang stehe.351 An die Stelle des herrschenden Gesetzes sei dann seit dem Ende der Richterzeit Israels das Urteil (arbitrium) des Herrschenden, an die Stelle Gottes, der durch das Gesetz regierte, der König nach dem menschlichen Willen (voluntas) getreten. Genau genommen kennt Sigonio wie Aristoteles eine positive Form von Monarchie (regnum) und eine negative. Sigonio stützt sich bei letzterer aber nicht weiter auf die Betrachtung der Tyrannis nach Aristoteles, sondern konzentriert sich wiederum nur auf den ebenfalls von Aristoteles hinsichtlich der Einherrschaft diskutierten Maßstab der Übereinstimmung mit dem Gesetz. Aristoteles hatte gefolgert, dass es keine gesetzlich gebundene Monarchie im eigentlichen Sinn geben könne, da diese sich ja sonst mit anderen Verfassungsformen überschneide (z. B. in nicht-monarchischen 349 Vgl. Sigonio, De republica, 40. Sigonio bezieht sich dabei in diesen Formulierungen am häufigsten auf die Richterzeit, in der noch das Gesetz dominiert habe, bevor das Königtum einsetzte: „Significauit enim aperte, Iudicibus rerum summam ex lege habenditus regnasse Deum super Hebraeos, quia lex dominata esset; imperio vero ad regem gentium more translato, Deum non regnaturum, cum non penes legem, sed penes voluntatem vnius hominis summa rerum esset futura“ (aaO., 40f). 350 Zum Theokratiebegriff von Josephus siehe bereits oben, Abschn. 1.3.1. 351 „Hoc autem ita esse, probatur etiam ex Iosepho, qui libro IIII Antiquitatum legem Dei ad hunc locum pertinentem explicuit, sic loquentem faciens Moysem: Aristocratia, & vita, quae ex ea degitur, res optima est, nec vos capiat desiderium alterius reip[ublicae] sed hanc amate leges habentes dominas, ex ijs omnia facientes. satis enim est, vt Deus praesit. Quod si regis cupiditas vos incesserit, is ex eadem gente sit. Hanc vero aristocratiam, in qua lex potissimum cum Deo dominata est, Regnum ipsum excepit. Regnum autem appellarunt imperium summum vnius hominis non ex lege, sed ex arbitrio imperantis“ (Sigonio, De republica, 40; vgl. Joseph., Ant. IV,223). Es folgen dann kommentierende Einschübe des Bibeltextes mit den antimonarchischen Schlüsselstellen 1Sam 8,5.7.9, bevor die traditionell für die Staatsformenlehre bedeutungsvolle Passage aus Aristoteles’ Politik damit verknüpft wird: „[E]tenim, vt optime dixit Aristoteles in Politicis, Qui legem vult imperare, Deum vult imperare; qui regem, id est hominem, belluam: quod non semper ratione, sed plerunque cupiditate ducatur“ (Sigonio, De republica, 41; vgl. Arist., Pol. III,16,1287a).
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Staaten mit einer Person in der Spitze der Verwaltung), sondern nur eine absolute Einherrschaft. Hieran schließt Sigonio die terminologische Unterscheidung von Königsherrschaften (regis imperia) an, von denen eine mit dem Gesetz behauptet, die andere aber von den Gesetzen gelöst ist (qui lege tenetur, & qui legibus est solutus), erinnert dabei zugleich, auch wenn an dieser Stelle keine weiteren Autoritäten außer Aristoteles zitiert werden, an die römisch-rechtliche Parömie princeps legibus solutus nach Ulpian (D. 1,3,31) mit ihrer wirkungsreichen Auslegungsgeschichte.352 Dass Sigonio diese Differenzierung extra noch einmal ausführt, dürfte in zwei Richtungen zielen. Auf der einen Seite kann ein Zusammenhang zu den damals forcierten Gelehrtendebatten über die Herrschafts- und Widerstandsrechte, die ihr schillerndstes Beispiel schließlich in der Souveränitätslehre Jean Bodins fanden, als Subtext und Kontrapunkt vermutet werden. Andererseits wird durch die theoretische Betrachtung einer gesetzestreuen Monarchie noch eine Tür offen gelassen für die positiven Bezüge auf das Königtum, wie sie eben auch in der Bibel und der jüdischen Geschichte, die Sigonio darstellen will, auftauchen. Dabei stechen positive Bezüge auf das Königtum Davids und Salomons besonders hervor.353
352 Vgl. dazu ausführlich Wyduckel, Princeps legibus solutus. 353 So heißt es bereits in dem Vorwort von De republica Hebraeorum: Mose habe den Hebräern den wahren Gott und sein wahres Gesetz gezeigt, Josua das himmlische Kanaan, aber König David habe das himmlische Jerusalem erbaut und König Salomon zwar nicht den himmlischen Tempel mit Händen gemacht, aber doch den Gläubigen bereitet. König David wird schließlich in dem platonisierenden und sich mit augustinischer Theologie überschneidenden kosmischen Schema von irdischem Königtum und dem himmlischen Königtum Christi auch zum Repräsentanten der weltlich-irdischen Seite der Vorausschau: „Hic est enim Moyses, qui verum hominibus Deum, veramq[ue] illius legem ostendit. hic est Josue, qui deuictis aduersarijs caelestem eis Chananaeam distribuit. hic est Dauid, qui caelestem Hierusalem a Deo sibi ab initio destinatam aedificauit. hic est Salomon, qui caeleste templum, templum, inquam, non manufactum, eisdem credentibus, praeparauit. hic est demum rex ille, qui Iudaeos & proselytos eius aeque in caelo compotes reip[ublicae] fecit, cuius adumbrata imago a Deo Moysi in terris tradita fuit. Vt enim in hac terrestri rep[ublica] Dauid rex cum XII principibus tribuum Israëlitarum populum iudicauit: sic in illae caelesti Iesus rex cum XII Apostolis populum fidelium iudicabit“ (Sigonio, De republica, 13). Sigonio geht neben diesen typologischen Deutungen auch in seinen historischen Darstellungen z. B. auf die Würde des salomonischen Königtums ein: „Hae vero tribus omnes, postquam sedes firmas in Chananaea locarunt, republica, quam Deus praescipserat, instituta, primum Iudicibus paruerunt, deinde Regibus, Sauli Beniamitae, & Dauidi Iudaeo, qui sedem Hierosolymis vrbe Iudae posuit, ac Salomoni Dauidis filio, qui templum Hierosolymis condidit. quo tempore regnum Israelitarum gloria inter mortales excelluit, prout Deus aliquando spoponderat euenturum“ (aaO., 24). „Mortuo deinde Dauide regnauit Salomon, qui templum condidit, & Arcam in Sancto Sanctorum reposuit, atq[ue] opibus & gloria omnes longe superauit, vt scriptum est in secundo Paralipomenon“ (aaO., 349). Schließlich fallen auch allgemeine positive Aussagen über das Königtum, so z. B. wenn das Richteramt des Königs mit der Gerechtigkeit und dem Thron Gottes verglichen wird (vgl. aaO., 351).
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Gerade an den Stellen, die mit der aristotelischen Politiklehre kaum oder gar nicht vereinbar scheinen, zeigt sich noch einmal, dass es Sigonio in erster Linie darum geht, die aristotelischen Begrifflichkeiten für seine historische Darstellung zu nutzen, nicht aber einen politischen Traktat auf Grundlage aristotelischer Philosophie zu entwerfen. Während für Aristoteles die Behandlung der Priesterherrschaft in seiner Politiklehre keine wesentliche Rolle spielte, schließt Sigonio hier an Flavius Josephus’ Idealbild einer Priesterherrschaft an und hebt damit noch einmal eine der jüdischen Geschichte eigene Herrschaftsweise positiv hervor. So heißt es, dass man mit der Rückkehr der Juden in ihr Heimatland nach den 70 Jahren der babylonischen Gefangenschaft wieder einen Idealzustand (iterum ad optimatum statum) erreichte, in dem die Hohenpriester (pontifices) nicht nur das Priestertum, sondern auch die Jurisdiktion versahen, bis schließlich unter Antiochus die Hasmononäer an die Herrschaft kamen.354 Sigonio verweist darauf, führt aber an dieser Stelle keine neue Staatsform ein. Dies ist nun aus zwei Gründen besonders auffällig: Zum einen werden damit nicht nur, wie bereits gesehen, die sechs Grundtypen der Verfassungen nach Aristoteles auf lediglich zwei Verfassungsformen beschränkt, sondern auch die Diskussion um die Mischverfassung, auf der ja Aristoteles’ eigentliches politisches Ideal aufbaut,355 ganz beiseitegelassen. In seinen vorherigen Arbeiten aber hatte Sigonio noch die Mischverfassung nach Aristoteles z. B. positiv in seine Beschreibung der antiken römischen Republik integriert.356 Zweitens kann Sigonio hier mit seinem Bezug auf Buch XI. von Josephus’ Jüdischen Altertümern eigentlich nur eine Stelle 354 Die Erbmonarchie reichte im Reich Juda bis zum König Zedekia, „qui a Nabucdonosore rege cum populo captiuus in Babyloniam est abductus. Reuersis vero in patriam post annos septuaginta Iudaeis, res iterum ad optimatum statum est adducata. quo tempore, vt inquit Iosephus libro XI, pontifices, qui pro tempore fuerunt, & sacerdotum, & iudicum partes impleuerunt […] (aaO., 42). Im letzten Buch VII. von De republica Hebraeorum geht Sigonio dann noch einmal auf die Herrschaft der pontifices in Juda nach der Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft ein. Diese Priesterherrschaft habe in Juda unter Tributzahlung während der persischen, dann der ägyptischen und schließlich syrischen Herrschaft existiert. Sigonio zeigt dann durch historische Rekonstruktionen aus Teilen von Joseph., Ant. XII–XIVund 1Makk, wie unter der militärischen Auflehnung der Hasmonäer die Juden wieder zu einer Fürsten- und schließlich zu einer Königsherrschaft zurückgekehrt seien und wie sich die politischen Konstellationen und Macht unter der dreimaligen Herrschaft der Römer veränderte (vgl. insgesamt aaO., 351–355; dazu auch 213f). Diese Rekonstruktionen werden dann anhand einer langen chronologischen Liste aufgeführt, die auch an anderer Stelle als Mittel der Darstellung genutzt wird, vom ersten König Saul bis zur Tempelzerstörung durch Titus Caesar unter der dritten Herrschaft der Römer (vgl. aaO., 355–357). 355 Zur Mischung von Demokratie und Oligarchie als politisches Ideal nach Aristoteles vgl. Höffe, Aristoteles, 271–273. Zippelius, Staatsideen, 33–35 stellt lediglich die Stellen aus der Politik des Aristoteles zusammen, die entweder für den Nutzen der Einherrschaft oder für die Herrschaft von Mehreren und des Volkes sprechen. 356 Dieses Beispiel bezieht sich auf die Vorlesungen während seiner Zeit in Venedig über die Rhetorik des Aristoteles, mit deren Hilfe die römische Geschichte von Sigonio erläutert wurde (vgl. bereits McCuaig, Carlo Sigonio, 19–22; Bartolucci, Introduction, xxxv).
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meinen, in der gerade davon die Rede ist, dass in der Zeit nach der Rückkehr der Juden aus der babylonischen Gefangenschaft die Staatsverfassung gemischt war, nämlich teils oligarchisch, teils aristokratisch.357 Durch Sigonios Kenntnis der Josephus-Werke wusste er, dass dessen Idealvorstellung der Priesterherrschaft an anderer Stelle als Aristokratie entfaltet wurde,358 aber mit den Bezügen auf Aristoteles und die Jüdischen Altertümer wird deutlich, dass Sigonio bewusst auf eine Behandlung von Mischverfassungen verzichtete. Dies diente vor allem der Profilierung in der ausführlichen Beschreibung der verschiedenen Kompetenzen und Entscheidungsebenen der respublica Hebraeorum, in der Sigonio zwar auf die Beteiligung des Volkes eingeht, aber noch einmal betont, dass auf Grund von dessen geringen Machtkompetenzen nicht von einer Demokratie die Rede sein könnte, sondern sich nur eine aristokratische Staatsform mit einer monarchischen abgewechselt habe.359 Trotz der monarchiekritischen Passagen in Sigonios Werk De republica Hebraeorum ist die gesamte Schrift damit insgesamt kaum als eine politische Abrechnung mit dem Königtum zu deuten. Politisch gesehen konnte die Schrift durchaus als eine Stütze aristokratischer Positionen und damit im nahen Kontext auch der Stadtrepublik Bologna gelesen werden. Passagen wie die letztgenannte zum Vorbild der Priesterherrschaft konnten genauso gut auch positiv für höhere kirchenpolitische Ämter gelesen werden. Eine wesentliche politische Ausrichtung zieht sich dann aber doch als roter Faden durch das ganze Werk: Sie betrifft die Ablehnung einer absoluten Herrschaft, die nicht an die Gesetze gebunden ist. Dem steht geradezu das Interesse an Rechtsfragen Sigonios bzw. an dem Vorbild der mosaischen Verfassung der respublica Hebraeorum diametral gegenüber. Die aristotelische Politiklehre, die schon in Sigonios vorherigen Geschichtswerken eine bedeutende Rolle gespielte hatte, gab ihm ein Mittel an die Hand, die weltlich-zivile Seite (civitas) des Gemeinwesens der Hebräer in die Geschichte der Staatenwelt einzuordnen. Die nah an der Theologie Augustins verlaufende Unterscheidung zwischen einer irdischen und einer himmlischen civitas hob demgegenüber wieder die Einzigartigkeit der respublica Hebraica hervor und richtete sich an den christlichen Leser.
357 Vgl. Joseph., Ant. XI.,111. 358 Siehe dazu bereits Abschn. 1.3.1. 359 Vgl. Sigonio, De republica, 295.
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3.3.2.3 Christlich-humanistische Orientierung und konfessionelle Leerstellen: Zensuren der römischen Kurie gegen Sigonios Werk In der Beschreibung des politischen und kirchenpolitischen Kontextes der Schrift De republica Hebraeorum ist bereits auf das spannungsreiche Verhältnis Sigonios zur römischen Kurie verwiesen worden. Wohl auch dank der guten Kontakte zu höchsten kirchlichen Amtsträgern landeten Sigonios Werke nie auf dem Index verbotener Bücher, der mit dem Konzil von Trient als Reformmaßnahme wenige Jahre zuvor eingeführt wurde. Vier seiner Werke – darunter auch die am weitesten verbreitete Schrift De republica Hebraeorum – wurden aber Zensuren durch die römische Kurie unterzogen, die zu den umfangreichsten seiner Zeit überhaupt gehören.360 Durch die grundlegenden Arbeiten William McCuaigs sind hunderte Zensur-Anmerkungen und Sigonios verteidigenden Antworten darauf bereits erforscht worden.361 Auch hat zuletzt Fausto Parente einen Versuch unternommen, den eigentlich anonymen Protagonisten dieser Zensur der vier Werke Sigonios namentlich ausfindig zu machen.362 Durch die Forschungserträge ist es nicht mehr nötig, an dieser Stelle ausführlicher auf die Einzelaspekte der Zensurmaßnahmen einzugehen. Ich konzentriere mich daher auf die in meinen Augen für die vorliegende Untersuchung relevanten Schlussfolgerungen McCuaigs, der Sigonios Werk mit zeitlich parallel verlaufenden Tendenzen der katholischen Konfessionalisierung kontrastiert hat.363 Sigonio habe, so McCuaig, mit den De republica Hebraeorum libri VII ein vollkommen
360 Vgl. McCuaig, Tridentine Ruling, hier bes. 43f. 361 Vgl. McCuaig, Carlo Sigonio, 251–290; McCuaig, Tridentine Ruling. 362 Parente konzentriert sich auf die Zensur der Schrift De republica Hebraeorum libri VII und Sigonios Edition von Sulpicius Severus. Er verfolgt dabei die noch im 19. Jahrhundert festgehaltenen Vermutungen, dass die Zensur auf den Jesuiten Antonius Possevinus zurückgehen könnten, vgl. Parente, Il De republica Hebraeorum. 363 Gegenüber anderen römisch-katholischen Theologen wie Melchor Cano, Sisto da Siena und Alfonso Salmerón, die sich in ähnlicher Weise wie Sigonio mit der biblischen Geschichte im 16. Jahrhundert beschäftigten, sei Sigonios De republica Hebraeorum „no more than a handbook, but that was principally because it had no theological content at all“ (McCuaig, Tridentine Ruling, 45). Auch McCuaigs folgende Einschätzung kann ich nur eingeschränkt teilen: „Comparative historical research was the very essence of what Carlo Sigonio’s whole life had been dedicated to. Certainly his book on the history and customs of the ancient Hebrews was anything but a contribution to theology“ (aaO., 46). Ich sehe genauso wie McCuaig Sigonios De republica Hebraeorum vor allem als Resultat seiner komparativen historischen Methode und Orientierung. Ausgeschlossen werden sollte damit allerdings nicht, dass das Werk unter protestantischen Theologen sehr wohl rezipiert wurde und so (indirekt) einen nicht unerheblichen Beitrag für die Theologie darstellte, eben weil Sigonio nur eingeschränkt auf Theologisches einging. Auch ein jesuitischer Theologe wie Giovanni Stefano Menochio schloss mit seinen De republica Hebraeorum libri octo (1648) noch bewusst an Sigonios Schrift aus dem vorhergehenden Jahrhundert an. Siehe weiter unten, Abschn. 3.3.4.
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„nicht-theologisches“ Werk vorgelegt,364 das ganz seiner historisch-komparativen Grundorientierung entsprochen habe. McCuaig ist zuzustimmen, dass die möglichst glatte (planissime) und distinkte (distinctissime) Darstellung des historischen Sachverhalts,365 in diesem Fall eben des Gemeinwesens der Hebräer, im Vordergrund des methodischen Vorgehens Sigonios in De republica Hebraeorum steht. Wie zum Teil bereits angeklungen, lassen sich aber entgegen McCuaigs Beobachtung sehr wohl theologische Passagen, auch an argumentativ entscheidenden Stellen des Werkes, ausmachen. Vereinzelt finden sich theologische Allgemeinstücke wie z. B. ein Bezug auf den Sündenfall Adams oder die auch in anderen, bis hierhin behandelten Texten gängige Bezeichnung (noster) salvator Christus366 in seinem Werk wieder. So ließe sich McCuaigs Einordnung dahingehend präzisieren, dass diese verstreuten theologischen Äußerungen die De republica Hebraeorum libri VII noch lange nicht zu einem theologischen Werk machen und – bis auf den theologischen Rahmen – ohne systematische Konsequenz bleiben. Ohne sie freilich hätte Sigonio aber zugleich sein gesamtes Werk dem christlichen Leser und der römischen Kurie nur wenig plausibel machen können. Auch sein eigenes christliches Denken muss an dieser Stelle nicht hinterfragt werden. Gleichwohl hat Sigonio mit seinem Werk aber eben auch viel Kritik auf römisch-katholischer Seite hervorgerufen. Dies kann besonders gut an Sigonios Bibelhermeneutik und -gebrauch veranschaulicht werden, die für die Zensur zum schwerwiegendsten Stein des Anstoßes wurden. Für die am Konzil von Trient orientierte römisch-katholische Theologie zählte die Durchsetzung des aus dem Jahr 1546 stammenden Konzilsdekrets, das die Autorität der Vulgata als authentischer Bibelübersetzung festhielt, zu einem zentralen Reformvorhaben. Unter päpstlicher Aufsicht wurde eine Neuauflage der Vulgata aber erst im Jahr 1592 mit der sog. Vulgata SixtoClementina abgeschlossen. Dennoch warf der anonyme Zensor von De republica Hebraeorum Sigonio mehrfach vor, gegen die Autorität dieses Konzilsdekrets und der katholischen Kirche vorzugehen, indem Sigonio von dem Gebrauch und der Übersetzung der Vulgata abgewichen sei.367 Wie gesehen, nutzte Sigonio für seine Arbeit an De republica Hebraeorum nicht nur die Vulgata, sondern auch in aller Breite die LXX. Ein entscheidender Grund für Sigonio war dabei, dass dadurch das Dunkle (obscuritas) der lateinischen Vulgata-Bibelfassung durch die Klarheit (claritas) der LXX verständlicher würde. Diesem Zweck und der histo364 Vgl. aaO., 45. 365 Sigonio beginnt den abschließenden Teil seines Werkes mit den Worten: „Atqve haec quidem de rep[ublica] Hebraeorum inuenimus, quae quam planissime ac distinctissime potuimus, exlicuimus“ (Sigonio, De republica, 391). Ein sorgfältiger Sinn und die Vernunft spielen dabei eine entscheidende Rolle (vgl. ebenfalls ebd.). 366 Vgl. z. B. aaO., 13. 15. 367 Vgl. McCuaig, Tridentine Ruling, 45–51.
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rischen Rekonstruktion galt auch Sigonios verstärkter Rückgriff auf außerbiblische antike Quellen, die sich auf die biblisch-jüdische Geschichte bezogen – allen voran auf die Werke Josephus’ und Philos. Die markante Unterscheidung zwischen claritas und obscuritas bzw. Mysterischem gebraucht Sigonio auch in rhetorischer Hinsicht, wenn er seiner Leserschaft die Besonderheit der respublica hebraica und der heiligen biblischen Geschichte vor Augen führen will. Hier treffen sich also, anders ausgedrückt, die Bemühungen des Historikers (Sigonio), Licht ins Dunkel der historischen Quellen zu bringen, mit der Anerkennung des einzigartigen, geheimnisvoll-sakralen Charakters der biblischen Schriften und Geschichte. Die Bibel bleibt für Sigonio stets heilig (sacrae litterae).368 Die Schriften der Hebräer kämen zwar in ihrer Rhetorik und ihrer literarischen Eleganz nicht an die Werke der antiken Klassiker heran, aber im Gegensatz zu diesen seien jene durch eine Heiligkeit der Mysterien (sanctitas mysteriorum)369 gekennzeichnet. Lassen sich aber darüber hinaus auch konfessionelle Eigenarten in dem Werk ausmachen? Sigonio widmet das Werk Papst Gregor XIII. und doch wird man abgesehen von dem Widmungsschreiben keine spezifisch katholischen Lehraussagen oder positiven Bezugnahmen auf das Papsttum in der gesamten Schrift mehr finden. So ergibt sich eine Spannung: In der Widmung verweist Sigonio ausdrücklich darauf, dass das Werk im Zusammenhang mit der von Gregor XIII. veranlassten Abfassung einer Kirchengeschichte zu sehen sei.370 Sigonio sieht sich hierbei mit Gregor XIII. darin übereinstimmen, dass die biblisch-hebräische respublica hebraica als erstes und am höchsten zu preisendes Gemeinwesen ihre eigene Bedeutung für die Gestalt der christlichen Kirche habe.371 Nicht ohne Grund werden die an der antiken Kirche ausgerichteten Restaurationsbemühungen Gregors XIII., die unter anderem auf den Bibeltext und den Jahres- und Festkalender zielten, hervorgehoben. Das in diesem Zusammenhang angeführte ius pontificium superiorum hominum372 spielt im weiteren Verlauf aber keine Rolle mehr, ja die in der Widmung an den Papst betonte Nähe zur Kirche wird im Gesamtwerk nicht eingelöst. So hätten z. B. Vergleichspunkte zum päpstlichen 368 Vgl. Sigonio, De republica, 5. 46. 253 u. ö. 369 Vgl. aaO., 12 (lt. Kasus geändert, MT). 370 „Hoc ego iam tum intelligere coepi, cum quarto abhinc anno iussu Sanctitatis vestre ad Ecclesiasticam historia perlustrandam, atq[ue] ubi re postulare videretur, supplendam me contuli. Quod ipsum cum acriter obsequendi magis studio, quam perficiendi spe adhuc curauerum, sumsi initium edendi ab eo quod praeclaru huius mihi operis fundamentum est visum. quippe Hebraicam, quam caetri neglexerunt, Remp[ublicam] mihi pro virili pluribus describenda suscepi. Quae ut insignis fuit forma Ecclesiae Christianae, at[que] expressa ad viuum imago beatae vitae in coelesti ciuitate degendae; sic principum esse debet totius historiae, quam intendimus, Ecclesiasticae contexendae“ (aaO., 5). 371 Vgl. das Zitat in vorheriger Anm. 370. 372 Sigonio, De republica, 6.
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Amt, zur Kurie oder der Institution des Priestertums in Buch V. über die geistlichen Ämter und Personen (de personis sacris) nahegelegen. Doch Sigonio verzichtet darauf. Dieses Vorgehen fällt umso mehr auf, wenn Sigonios De republica Hebraeorum thematisch nahestehende Werke anderer katholischer Autoren in seinem Umfeld entgegengehalten werden, so z. B. der ebenfalls einige Jahre zuvor in Bologna erschienene Codex de Mosaico et vetere jure enucleando (1573) von Nicolò Mongiorgi. Dieses auf das mosaische Gesetzeskorpus ausgerichtete Werk bleibt sowohl in der Schultheologie als auch der Orientierung an der römisch-katholischen Kirchenordnung und dem Kirchenrecht in der Nachfolge des Trienter Konzils verhaftet.373 So lassen sich abschließend die konfessionellen und transkonfessionellen Aspekte in Sigonios De republica Hebraeorum folgendermaßen zusammenfassen: Die Schrift zeigt – abgesehen von der Widmung – weder protestantischernoch katholischerseits konfessionelle Ausrichtungen, vielmehr wäre von „konfessionellen Leerstellen“ zu sprechen, die auch die Rezeption des Werkes im protestantischen Bereich begünstigt haben. Die konfessionellen Leerstellen hängen für Sigonio selbst vorrangig mit der Motivation bzw. seiner historischen Methode zusammen, denn für ihn steht die historische Untersuchung der Antike im Vordergrund, nicht das Dogma.374 Dies entspricht auch im Allgemeinen Sigonios humanistischer Geschichtsauffassung. So bleibt es zwar bei einer biblischchristlichen Orientierung in Sigonios De republica Hebraeorum libri VII, doch genauso lassen sich immanent-rationale Tendenzen im Umgang mit der Bibel festhalten, wenn die Bibel konsequent als Geschichtszeugnis über die Hebräer neben anderen antiken Quellen ausgewertet wird.
3.3.3 Joachim Stephani, De iurisdictione, et qualis fuit in politia Judaica (1582) Joachim Stephani (1544–1623) ist bis in die heutige Zeit vor allem dafür bekannt, dass er als erster die Rechtsformel cuius regio, eius religio (zuerst 1612) prägte.375 Diese Formel bezieht sich bekanntlich auf die juristische Definition und Expli373 Ein indirekter Zusammenhang von Mongiorgis Codex de Mosaico et vetere jure enucleando und Sigonios De republica Hebraeorum wäre möglich, auch wenn der ebenfalls in Bologna wirkende Sigonio selbst Mongiorgi in seiner Schrift nicht erwähnt. Nicolò Mongiorgi veröffentlichte später u. a. auch einen Trattato sopra li contratti con li patti di francare overo di rivendere, Bologna 1587. 374 „[… Q]uidem cum non de dogmate vllo, sed de sola antiquitate disputaremus. quin etiam in veteribus institutis ac moribus declarandis lucem nos ex antiquissimo quoque monumento posse petere iudicauimus“ (Sigonio, De republica, 391f). 375 „‚Cuius regio, eius religio‘, der Satz des Joachim Stephani, ist so zum Gemeingut des geschichtlichen Bewußtseins geworden, wie wenige historische Thesen überhaupt“ (Heckel, Staat und Kirche, 1f).
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kation des landesherrlichen Kirchenregiments im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation in Folge des Augsburger Religionsfriedens von 1555. Stephanis Werke gehören damit zugleich in eine entscheidende Umbruchsphase in der deutschen Rechtswissenschaft und Politiklehre, in der sich diese Fächer an den deutschen Universitäten zunehmend ausdifferenzierten, sich das öffentliche Recht (ius publicum) in den Jahrzehnten um 1600 zu einer eigenständigen Disziplin herausbildete,376 und das deutsche evangelische Kirchen- und Staatskirchenrecht seine materiellen Lehrgrundlagen erhielt.377 Die wirkungsreichsten Werke Stephanis gehören dem heutigen Verständnis nach in den Bereich der Rechts- und Politikwissenschaften, die gleichwohl in jener Zeit noch wenig trennscharf gewesen waren. Für das gesamte, sich entwickelnde deutsche ius publicum, die Politiklehre und damit auch für alle Werke Stephanis war dabei insgesamt die (konfessions-)politische Lage im Reich ausschlaggebend für alle Argumentationen. Das Heilige Römische Reich deutscher Nation war zu Beginn des 17. Jahrhunderts weiterhin ein Verbund von vielen Territorien, die entweder von einem geistlichen oder weltlichen Fürsten regiert wurden. Ein Dualismus zwischen Kaiser und den Reichsständen mit ihren Kurfürsten, Fürsten und Reichsstädten war ebenso rechtliche Grundlage wie die konfessionelle Teilung zwischen Katholiken und Protestanten. Gerade für protestantische Juristen ging es einerseits darum, die konfessionspolitische Lage zu berücksichtigen und für das Reformationsrecht (ius reformandi) in den Territorien zu argumentieren, andererseits aber auch ein übergreifendes rechtliches Konzept anzubieten, das die Rechtsinstitutionen auf Reichsebene mit dem Kaiser einschloss. Die Grundlagen des Rechts mussten dabei ebenfalls immer wieder diskutiert werden. Hier setzte auch Stephanis De iurisdictione, et qualis fuit in politia Judaica (1582) an. Joachim Stephani wurde 1544 in Pyritz (Hinterpommern) geboren und wirkte die längste Zeit als Professor an der Universität Greifswald und in politischen Ämtern für das pommersche Fürstenhaus.378 Nach dem Studium an den lutherisch geprägten Universitäten in Wittenberg und Rostock, wo er den Magistergrad 1571 erwarb, hatte Stephani zunächst eine Professur für Philosophie und Mathematik in Greifswald inne. In diesen Zeitraum fällt Stephanis großes Erstlingswerk, die Demonstrationes politicorum (1576), ein politischer Traktat, der zwar auf aristotelischen Gedanken aufbaut, aber vor allem eine von platonischer
376 Vgl. bes. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, 126–133. 141–158; Wyduckel, Ius publicum u. allgemein zum Kontext Friedeburg/Seidler, Holy Roman Empire; Friedeburg, Civic Humanism. 377 Vgl. grundlegend M. Heckel, Staat und Kirche. 378 Zu den folgenden biographischen Ausführungen vgl. Ritter von Eisenhart, Art.: Stephani; Kosegarten, Universität Greifswald, 218.
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Philosophie geprägte Liebesethik entwarf.379 Die eingangs zitierte Rechtsformel cuius regio, eius religio entstammt dagegen Stephanis späterer Wirkungszeit als Jurist und Professor der Rechte. 1578 wurde Stephani zum Doktor beider Rechte promoviert und rückte sogleich in die vierte Rechtsprofessur der Universität auf. Mit Stephanis Rechtsprofessur waren weitere politische Aufgabenfelder als Geheimer Rat unter den pommerschen Fürsten Herzog Ernst Ludwig, Bogislaw XIV., Casimir und Philipp Julius verbunden. Hinzu kamen unterschiedliche universitäre Aufgaben: So war Stephani drei Mal (1587/88, 1602/3, 1610/11) Rektor der Universität380 und unter anderem auch Universitätssyndikus und Prorektor.381 Die langen Jahre an der Greifswalder Universität brachten es mit sich, dass Joachim Stephani dort noch zeitgleich mit seinem viel jüngeren Bruder Matthias (1576–1646) lehrte. Beide hatten je ihren wichtigen Anteil an den Entwicklungen des deutschen Kirchen- und Staatskirchenrechts dieser Jahrzehnte gehabt durch die Ausarbeitung der sog. Episkopaltheorie in ihren Rechtslehren.382 Die Episkopaltheorie, die im deutschen Reich verstärkt am Ende des 16. Jahrhunderts und zu Beginn des 17. Jahrhunderts in der Rechtsliteratur Aufnahme fand, legitimierte die Oberhoheit des Landesherren in Kirchenfragen mit dem Argument der Übertragung der Bischofsrechte an ihn.383 Durch die Bedeutung, die die beiden Brüder Stephani in der Ausformung der Theorie zugeschrieben wird, erklärt sich fast automatisch das Interesse in der Forschung an Joachim Stephanis (staats-)kirchenrechtlichen Arbeiten, die im kirchenrechtlichen Lehrbuch Institutiones iuris canonici (1599) gebündelt wurden.384 Vorausgegangen war ein früheres Lehrwerk, das ebenfalls im Zusammenhang mit dem juristischen Unterricht an der Universität entstanden war: die in vier Bücher gegliederte Schrift De iurisdictione Judaeorum, Graecorum, Romanorum et ecclesiasticorum libri IV (1604). In seiner endgültigen Form umfasst das Werk inklusive Index über 900 Seiten. Dabei blieb von der Forschung bisher unbe379 Stephani, Demonstrationes Politicorum. Cum Indice gemino Capitum et rerum memorabilium, Greifswald 1599. 380 Vgl. Friedländer, Ältere Universitäts-Matrikeln II., Bd. 1, 336. 377. 406. 381 Vgl. Ritter von Eisenhart, Art.: Stephani. 382 Vgl. M. Heckel, Staat und Kirche, bes. 83–109; außerdem Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, 83f. 103f. 383 Martin Heckel zählt Joachim Stephani „zu den vorwiegend kanonistisch Ausgerichteten“ (Heckel, Staat und Kirche, 11), ohne auf mögliche Bezüge zur humanistischen Jurisprudenz und die Auslegung des römischen Rechts einzugehen. Stattdessen konzentrieren sich M. Heckels Untersuchungen weitgehend auf die Institutiones iurius canonici nach der zweiten Auflage (Frankfurt a.M. 1612) und entsprechend das vierte Buch des Werkes De iurisdictione (Frankfurt a.M. 21604). 384 Das Werk wurde 1599 unter diesem Titel zum ersten Mal von dem Juristen Caspar Ziegler herausgegeben und erschien in einer erweiterten zweiten Fassung noch einmal 1612 in Frankfurt a.M.
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achtet, dass die Schrift über einen längeren Zeitraum von 22 Jahren hin entstanden war und die in ihr enthaltenen vier Bücher erst sukzessive zusammengefügt wurden. So erschien bereits 1582, im selben Jahr, in dem auch Carlo Sigonio seine De republica Hebraeorum libri VII veröffentlichte, das erste Buch De iurisdictione, et qualis fuit in politia Judaica in einem gesonderten Druck. Der Titelzusatz Liber primus in der Erstveröffentlichung deutet darauf hin, dass dieses erste Buch von Anfang an auf eine Fortsetzung in weiteren Büchern über die griechische, römische und kirchliche Jurisdiktion (iurisdictio) konzipiert war. Ein direkter Zusammenhang in der Abfassung der Werke Sigonios und Stephanis lässt sich, soweit ich sehen kann, nicht nachweisen. Stephani zitiert Sigonios Werk oder auch Corneille Bertrams bereits 1574 erschienene Schrift De politia judaica an keiner Stelle, was auch umgekehrt für Sigonio und Bertram gilt. Dennoch teilt Stephani mit Sigonio und Bertram viele Grundgedanken.385 Seine Schrift aus dem Jahr 1582 gehört, wie in einer ersten Annäherung bereits angezeigt, in einen Zusammenhang mit dem Interesse an den antiken Rechtsgebilden und Ursprungsfrage des Rechts, das in der zeitgenössischen humanistischen Jurisprudenz und Historiographie zu beobachten war. In Stephanis Werk tritt allerdings die fachjuristische Ausrichtung viel stärker in den Vordergrund als bei Sigonio oder Bertram. Doch auch hier kann noch einmal daran erinnert werden, dass auch Bertrams Werk De politia judaica ursprünglich auf der juristischen Frage nach der zweifachen Jurisdiktion des jüdischen Gemeinwesens fußte. Stephani aber unterscheidet sich vor allem in der umfangreichen Nutzung römischer Rechtstexte in dem Buch De iurisdictione, et qualis fuit in politia Judaica von Bertrams und Sigonios Ansätzen. Dies rückt ihn wieder näher in einen Zusammenhang mit den mosaisch-römischen Rechtsvergleichen eines Henri Estienne oder Johann Kahl. Wie bei letzterem werden die Gesetze der Juden, Griechen, Römer und das Kirchenrecht thematisiert, nun aber in einen historischen Abriss gestellt, wobei auch wie bei Estienne und Kahl (gleichwohl nicht so ausführlich) die alten Ägypter nicht unerwähnt bleiben.386 Ganz ähnlich wie Estienne und dann Kahl wird in Formulierungen (fons – rivuli) ein Ableitungsdenken von Rechtsströmungen der Völker aus der mosaischen Gesetzgebung entwickelt.387 Doch anders als bei jenen sind Stephanis Erläuterungen stärker geschichtlich an der Betrachtung bestimmter Rechtsinstitutionen ausgerichtet, was ihn wiederum mit Bertram und Sigonio verbindet. Das Rechtsgebilde der politia judaica wird bei Stephani hierbei ganz über den Begriff der 385 Siehe auch weiter oben, Abschn. 3.1. 386 Vgl. dazu Stephani, De iurisdictione, Epist. Ded. f. )(2v–)(3r =VIII–IX; I,VI,5–14 (79–81). 23f (82f); I,VII,23f (99); I,X,131–133. 140f (193–195). 387 So findet sich z. B. in den Summaria zum 5. Kapitel von Buch I. folgende Inhaltsangabe zum 4. Paragraphen, die ganz nach Henri Estienne klingt: „Graecorum & Romanarum legum riuuli ex fonte Moysis emanarunt“ (aaO., 160). Siehe auch folgenden Abschn. 3.3.3.1.
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iurisdictio vermittelt, der – anders als heutige engere Vorstellungen von Jurisdiktion – in typischer Weise die allgemeinen rechtlichen Klärungen von weltlicher und kirchlicher Herrschaft und Rechtskompetenzen miteinschloss. So verwundert es nicht, dass eine römisch-rechtlich orientierte und philosophisch vor allem an platonischem Gedankengut anlehnende Definitionslehre der iurisdictio das gesamte Werk eröffnet. Der Titel De iurisdictione, et qualis fuit in politia Judaica gibt schon die Zweiteilung dieses ersten von vier Büchern De iurisdictione von Stephani vor: Nach der iurisdictio-Lehre (Kap. I–V.) folgt die nähere Behandlung der iurisdictio Iudaeorum (Kap. VI.–X.). Diese geht von einer geschichtlich ausgerichteten Klärung der jüdischen Gerichtsbarkeit und Rechtszuständigkeiten (Kap. VI.) aus, wendet sich dann dem Synedrium als höchste Rechtsinstanz der Juden (Kap. VII.), der Synagogengerichtsbarkeit (Kap. VIII.) und schließlich der Stadt- bzw. Torgerichtsbarkeit (IX.) zu. Die anschließenden Kapitel entfalten dann vor allem die materielle Seite des Rechts unter dem Aspekt der Prozesse und Klagen (actiones). Ausführliche Vergleiche zwischen mosaischem und römischem Recht werden gezogen. Hier sind die Nähen zu den rechtsvergleichenden Ansätzen eines Ragueau, Estienne, Welwood oder Kahl besonders groß, zumal, wie zu sehen sein wird, wieder die Frage der Geltung der mosaischen Judizialgesetze (leges forenses) im Raum steht. So ist aber auch im Fall von Stephani genauer zu klären, warum er gerade nach den Prolegomena zu seinem Werk bei der jüdischen Geschichte ansetzt und dann die Betrachtung der iurisdictio der Römer, Griechen und der Kirche daran anschließt. Eine Begründung hierfür liefert Stephani schon in seinem Widmungsbrief zur Schrift De iurisdictione an die pommerschen Fürsten,388 wenn er ausführt, dass gerade unter den früh etablierten Gemeinwesen (politiae) die Reiche (imperii) der Juden, Griechen und Römer in ihrer Jurisdiktion hervorragten.389 Hier hätten die Gesetze (leges) mit Vernunft und Billigkeit in Einklang und Ansehen gestanden. Die Reiche der Chaldäer (Babylonier) und Perser dagegen hätten zwar durch Macht und Glanz an Reichtümern floriert, mit Gesetzen seien sie aber weniger vollkommen ausgeschmückt gewesen.390 Das jüdische Gemeinwesen respektive die mosaischen Gesetze und die daran gebundene Jurisdiktion bilden 388 Das Werk ist Herzog Barnimus X. von Pommern-Stettin (reg. 1600–1603, vorher ab 1569 Verwaltung des Amtes Rügenwalde) und dessen Bruder Philipp II. (reg. 1606–1618) gewidmet (vgl. zu den Regierungsdaten Pyl, Art.: Philipp II.). 389 „Explicata definitione Imperii & Iurisdictionis proximum est vt inquiratur qualis fuerit Iurisdictio in Politiis & Rebuspublicis. Certum est autem Iurisdictionis formam optimam ab eo tempore, quo Politiae primo constitutae sunt, in tribus Imperiis potissimum conspectam fuisse, vtputa Iudaeorum, Graecorum & Romanorum, cum in horum Imperiis leges rationi & aequitati congruentes, tantum viguerunt: & sine honestis legibus Iurisdictio non conficiatur“ (Stephani, De iurisdictione, I,VI,1 [79]). 390 „Chaldaeorum enim & Persarum Imperium licet potentia & opum splendore floruerit: legibus tamen exactis minus condecorata fuit“ (aaO., I,VI,2 [79]).
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für Stephani den eigentlichen historischen Ursprung der anderen Gemeinwesen und sind Ausgangspunkt seiner Erörterungen, so dass hier die nachfolgende Analyse ansetzt (Abschn. 3.3.3.1). Auch in Stephanis Rechtslehre lassen sich in diesem Zusammenhang wieder Ansätze von prisca-theologia/sapientia-Vorstellungen und platonisch-neuplatonisches Gedankengut ermitteln. Dies wirft Fragen auf, auf welche Weise Stephanis Werk unter Juristen, insbesondere lutherischen Juristen, eingeordnet werden kann (Abschn. 3.3.3.2).
3.3.3.1 Moses omnis iurisdictionis fons et origo: die mosaisch-jüdische iurisdictio Wie in Corneille Bertrams und Carlo Sigonios rechtsgeschichtlicher Orientierung am alten jüdischen Gemeinwesen, so nimmt auch in Stephanis Werk De iurisdictione die Gesetzgebung Moses eine Schlüsselrolle ein. Einher geht dies bei allen drei Autoren mit einer besonderen Wertschätzung für das jüdische Volk durch seine einstige Erwählung Gottes und sein Alter, vor allem aber auch seiner Bindung an die mosaischen Gesetze. Neben diesen ersten Gemeinsamkeiten ist aber noch einmal hervorzuheben, dass Stephanis Argumentationen im Buch De iurisdictione, et qualis fuit in politia Judaica viel spezifischer auf das römische Recht ausgerichtet ist. Die römisch-rechtlichen Definitionen der iurisdictio391 zu Beginn setzen dabei wie folgt an: Die iurisdictio wird in umfassender Weise als höchste Stelle (summa) und Gewalt (potestas), die Gott den Königen und Fürsten eigenhändig übertragen hat, definiert. Der entsprechende griechische Terminus aus der Heiligen Schrift ist die ἐξουσία. Im Hintergrund steht hier eine Auslegung des entsprechenden Titels de iurisdictione aus dem Corpus Iuris Civilis (C. 3,13; D. 2,1), die Stephani schon in der Widmung seiner Schrift (dort noch ohne 391 „Continet autem hoc opus descriptionem Iurisdictionis Iudaicae, Graecorum seu Atticae, Romanorum ac Ecclesiasticorum; cuius studii & laboris suscepti vt ratio expendatur, explicandum esse duxi. Iurisdictio enim summa & potestas, quam Deus Opt Max. Regibus & Principibus terrae de manu in manum dedit: Vnde & ἐξουσία a scriptura Sacra appellatur, quae a Iustitiae legibus pendet, atq[ue] nexibus Iuris huic colligata est. Vt igitur huius Iurisdictionis finitio cognosceretur, ex antiquo iure Romano eam primo explicui, & quod iuri magistratui tantum competat, tradidi: Propter quam Iurisdicundi potestatem Magistratus dicitur“ (aaO., Epist. Ded., f. )(2r–v =VII–VIII). Dass Joachim Stephani sich lediglich auf die kirchenrechtliche Seite der Jurisdiktion konzentriere, sein Bruder Matthias Stephani aber bei einer allgemeinen Lehre über die Jurisdiktion ansetze, wie Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, 161 angibt, kann ich deswegen nicht erkennen. Vielmehr bilden gerade die ersten Kapitel in Joachim Stephanis Werk De iurisdictione eine römisch-rechtliche Lehre über die iurisdictio. Und auch die folgenden Bücher beschäftigen sich nicht nur mit der kirchenrechtlichen Seite, auf die hin gleichwohl wesentliche Aspekte des gesamten Werkes dann im letzten Buch De iurisdictione ecclesiastica zielen. Insgesamt gilt, dass gerade die rechtsgeschichtlichen Zugänge und weite Teile von seinem Werk De iurisdictione bisher von der Forschung ignoriert wurden.
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direkte Nennung) aufnimmt, dann aber ausführlich in den ersten fünf Kapiteln von De iurisdictione et qualis fuit in politia iudaica entfaltet.392 Stephani nutzt damit wie andere Juristen seiner Zeit den römisch-rechtlichen de iurisdictioneTitel für eine rechtliche Beschreibung der politischen Herrschaftsrechte.393 In dem entsprechenden juristischen Schrifttum de iurisdictione kristallisierte sich dabei die Auslegung des auf Ulpian zurückgehenden Rechtssatzes über das imperium aut merum aut mixtum (D. 2,1,3) zu einer Schlüsselfrage heraus.394 Hier ging es entscheidend darum, ob dem Magistraten bzw. der Landeshoheit sowohl die Rechtsprechungsgewalt in zivilen Streitfällen (mixtum imperium) als auch die Strafgewalt (merum imperium) zukomme. Obwohl Stephani nun darauf hinweist, dass die Römer zwischen der iurisdictio als Rechtsprechung im engeren Sinne und der Strafgewalt bzw. dem Schwertrecht (imperium merum seu ius gladii) differenzierten und nicht in einer Person vereinigt wissen wollten, gelte Gleiches doch nicht mehr für die Gegenwart, weil nun vom Magistraten beide Rechtskompetenzen vereinigt und geregelt würden.395 Was es mit dem Verhältnis von iurisdictio und imperium auf sich hat, klärt Stephani dann im Fortgang seines Werkes nicht mehr nur in der Exegese des römischen Rechts, sondern in
392 Nach der allgemeinen Erörterung der iurisdictio, die allerdings stets im Zusammhang mit der Verwaltung des Magistrats bleibt, in Kapitel 1, werden dann in den folgenden Kapiteln jeweils die Definitionen und Systematiken des merum imperium und mixtum imperium erarbeitet, bevor in Kapitel 5 schließlich die iurisdictio im engeren Sinne auf den Bereich des Territoriums zugespitzt wird. Die Titel der ersten fünf Kapitel lauten demnach: Kap. 1: Iurisdictio cohaeret iustitiae & Reipublicae, quam magistratus administrat tantum, Kap. 2: Explicatur Definitio meri Imperii, Kap. 3: De Imperii Meri gradibus, Kap. 4: De Mixto Imperio, eiusq[ue] definitione, & gradibus und Kap. 5: De Iurisdictione Speciali. 393 Vgl. Hoke, Art. Imperium merum et mixtum mit Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, 156–166. Strohm, Calvinismus und Recht, 340–366 hat eingehend die konfessionellen Unterschiede zwischen den katholischen Juristen und der pluralen protestantischen Seite in der juristischen Literatur de iurisdictione, die seit den 1580er Jahren im deutschen Reich einen signifikanten Anstieg erlebte, herausgearbeitet. Demnach blieben die katholischen Autoren enger der Auslegung des römischen und teils kanonischen Rechts verhaftet, während im protestantischen Bereich um 1600 die Zahl der Disputationen de iurisdictione noch einmal zunimmt und daraus schließlich Gesamtdarstellungen des öffentlichen Rechts wurden. Stephanis umfangreiche Schrift De iurisdictione bietet hier einen eigenständigen Beitrag. 394 „Imperium aut merum aut mixtum est. Merum est imperium habere gladii potestatem ad animadvertendum facinorosos homines, quod etiam potestas appellatur. Mixtum est imperium, cui etiam iurisdictio inest, quod in danda bonorum possessione consistit. Iurisdictio est etiam iudicis dandi licentia“ (D. 2,1,3); vgl. Hoke, Art. Imperium merum et mixtum. 395 „Quamvis autem Romani hanc Iurisdictionem ab Imperio mero seu Iure gladii separarunt, ac vni & eidem personae vtrumq[ue] Ius cohaerere noluerunt; tamen hodie vtrumq[ue] Ius Imperii & Iurisdictionis a magistratu simul conficitur & expeditur“ (Stephani, De iurisdictione, Epist. Ded., f. )(2v =VIII).
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einem parallel verlaufenden rechtsgeschichtlichen Durchgang, der bei der politia judaica und der mosaischen Gesetzgebung ansetzt. Dem geschichtlichen Ursprung nach, so führt Stephani dann aus, fielen die iurisdictio und das merum imperium in der Person des „göttlichen Gesetzgebers Mose“ (divinus legislator Moyse) zusammen und geben der politia judaica die ihr eigentümliche Gestalt. Genau genommen habe bereits seit den Erzvätern Israels das merum imperium in der jüdischen Geschichte existiert: Der in der Theologiegeschichte weithin messianisch gedeutete Segen Jakobs über Juda in den Stammessprüchen („Es wird das Zepter von Juda nicht weichen noch der Stab des Herrschers von seinen Füßen, bis dass der Held komme, und ihm werden die Völker anhangen“, Gen 49,10) wird von Stephani nicht lediglich auf das Heil in der Nachkommenschaft Judas gedeutet, sondern auch ganz juridisch als Einführung der Strafgewalt, in der das Zepter Judas für das Urteil über Leben und Tod steht (sceptrum occidendi & vivificandi).396 Eine Kontinuität zwischen dieser frühen Zeit der Erzväter und Mose, der als Gesetzgeber für den eigentlichen politisch-rechtlichen Anfang des jüdischen Gemeinwesens steht, wird dann dadurch erreicht, dass Mose abweichend vom Bibeltext als Urenkel Jakobs nachgewiesen und erklärt wird, Mose habe die Traditionen der Väter Israels in Ägypten noch vor der Gesetzesgabe am Sinai aufgenommen.397 So habe mit Mose
396 Dies entspreche der vollsten Herrschergewalt (plenissimum imperium), die später die römischen Könige und der Kaiser hatten, vgl. mit ebd. noch aaO., I,7,8f (95f): „Hanc autem summam vitae rerumque potestatem Iudaei non Merum Imperium nec Ius gladii, sed Sceptrum occidendi & viuificandi vocarunt moti authoritate sancta Iacob patriarchae Genesis 49. qua appellatione plenissimum imperium significabant, vt non tantum vitae adimendae potestatem cui hoc sceptrum erat, sed etiam damnatos morti restituendi in vitam Ius haberet, quale Imperium plenissimum fuit in Regibus & Imperatore Romano, qui non tantum legis poena in facinorosos animaduertere, sed etiam sententiam passos & damnatos ex iusta caussa, vel proprio motu restituere aut plene aut plenissime potest, l.4.D poenis.“ 397 „A Moyse vero omnis iurisdictionis conficiendae ratio profecta est: quam ipse non solum primo in monte Synai a Deo, sed & antea traditionibus patrum qui in Aegypto fuerunt, accepit. Moysen enim abnepotem Iacob Patriarchae fuisse, Michaelus Glycas parte 2. Annalium, refert. Habuisse enim Iacob inter caeteros filios etiam Leuium, qui Caathum procreauit; Caathus Amramum; Amramus vero Moysen & Aaronem genuisse, idem scribit“ (aaO., I,6,12–14 [81]). Stephani bezieht sich hier auf Glyc., Annales II, P.146B–C (CSHB 24,275,18f; 276,6–9; ed. Bekker), wo wiederum eine Überlieferung nach Epiphanius wiedergegeben wird: „Καὶ γεννᾷ μέν, ὡς εἶρηται, τοὺς δώδεκα πατριάρχας ὁ Ἰακώβ ἀφ᾽ ὧν αἱ δώδεκα φυλαὶ τοῦ Ἱσραήλ […]. και Ἰακώβ μὲν γεννᾷ τὸν Λενί, Λενὶ δὲ τὸν Καάθ, Καὰθ δὲ τὸν Ἀμράμ, Ἀμρὰμ δὲ τὸν Μωσέα και τὸν Ἀαρών. καὶ Μωσῆς μὲν ἒκτος ἀπὸ Ἀβραάμ.“ Gegenüber der Vorlage der Annales, die mit dem Hinweis auf die Abstammung Moses von Abraham schließt, betont Stephani also noch mehr die direkte Abstammung von Jakob, was sich aus dem hier näher beschriebenen rechtlichen Zusammenhang ergibt. Vgl. die Genealogie nach Glykas, an die sich Stephani anlehnt, schließlich mit Num 26,59, wo nur davon die Rede ist, dass die Frau Amrams und Tochter Levis, Jochebed, Aaron, Mose und Mirjam gebar. Caathus ist die lateinische Namensversion für Kehat, der nach Gen 46,11 einer der drei Söhne
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eine vernünftige Einsicht (ratio) in die gesamte Jurisdiktion ihren Anfang genommen. Stephani beruft sich an dieser Stelle auf die bis dahin unter Gelehrten der Frühen Neuzeit wohl noch eher selten konsultierten Annales des byzantinischen Geschichtsschreibers und kaiserlichen Sekretärs Michael Glykas. Diese Mitte des 12. Jahrhunderts verfasste Weltchronik, dessen vier Teile von der Schöpfung bis zum Anfang der Regierungszeit des byzantinischen Kaisers Johannes II. Komnenos im Jahr 1118 n. Chr. reichen, wurde durch Handschriften im 16. Jahrhundert neu zugänglich und 1572 auch in Basel in lateinischer Übersetzung gedruckt,398 auf die sich Stephani beziehen konnte.399 Unter den wenigen nicht-antiken Autoren, die Stephani ansonsten direkt in seiner Darstellung der politia judaica zitiert, fällt noch der italienische Renaissance-Humanist Caelius Rhodiginus (Ludovico Ricchieri, 1469–1525) auf. Ricchieri hatte in Ferrara studiert und wurde dort Professor für Griechisch und Latein, später lehrte er auch noch in anderen Städten wie Bologna, Vincenza und Padua.400 Stephani bezieht sich auf Rhodiginus’ einflussreichstes Werk, die Antiquae Levis war. Eine direkte genealogische Linie von Abraham, Isaak, Jakob, Levi, Amram und Mose wird also in der Bibel nicht gezogen. 398 Vgl. die Angaben nach Katalog GG Nr. 273: Die erste lateinische Übersetzung Annales Michaeli Glycae Siculi, qui lectori praeter alia cognitu iucunda & utilia, Byzantinam historiam universam exhibent stammte von dem westfälischen Historiographen und Orientalisten Johannes Leunclavius (Löwenklaw, ca. 1541–1594), der ab 1555 noch unter Philipp Melanchthon in Wittenberg studiert hatte, später zum Studium aber nach Basel wechselte und sich dort mit der Herausgabe einiger bisher unveröffentlichter byzantinischer Geschichtswerke und Rechtsquellen hervortat. Diese wie auch die lateinische Übersetzung der Annales von Michael Glykas basierten auf Handschriften des aus Ungarn stammenden Arztes und humanistisch-gesinnten kaiserlichen Hofhistoriographen Johannes Sambucus (Zsàmbok, 1531–1584), der selbst nach Konstantinopel gereist war und besonders für seine Bearbeitung türkischer Quellen in Wien bekannt wurde (vgl. auch Harms, Art. Sambucus, 405f). Leunclavius geht in der Widmung zur Edition der Annales lobend auf Sambucus, der die zugehörige Handschrift für die Übersetzung zur Verfügung gestellt hatte, ein und gibt auch schon einen Überblick über die vier Teile des Werkes: Von denen behandelte der erste Teil das Sechstagewerk der Schöpfung, der zweite die Geschichte bis zur Zeit Jesu, der dritte die Geschichte der Kirche und des römischen Reiches und schließlich der vierte die Kirchengeschichte im byzantinischen Reich. Noch im ersten Teil des Werkes wird ersichtlich, dass Glykas hermetisches Gedankengut rezipiert, das Leunclavius in seiner lateinischen Edition mit einer Glosse („Hermes Trismegistus“, vgl. Glykas, Annales [ed. Leunclavius], 258) auch so kennzeichnet (vgl. dagegen Glyc., Annales II, P.113D–114C; CSHB 24,215,10– 216,22; ed. Bekker). Eine genauere Untersuchung des Werkes und seiner Wirkungsgeschiche wäre für die Forschung lohnenswert, zumal spätestens seit Vasolis Arbeiten die Bedeutung byzantinischer Quellen für die Renaissance und den Humanismus betont worden ist (vgl. Vasoli, Mythos der „Prisci Theologi“, 26–48). Siehe auch oben, Abschn. 1.3.3. 399 Stephanis Wiedergabe von Glykas’ Annales ist nah am Wortlaut der lateinischen Übersetzung von Leunclavius aus dem Jahr 1572. Vgl. mit der Texthervorhebung aus vorheriger Anm. 397 die Übersetzung nach Leunclavius: „Erat inter ceteros Iacobi filios Leuius, qui Caathum procreauit. Ex Caatho natus est Amramus. Amramus Mosem & Aaronem progenuit. Hoc modo sextus ab Abrahamo fuit Moses“ (Glykas, Annales [ed. Leunclavius], 203). 400 Vgl. Cessi, Art. Ricchieri.
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Lectiones (1516), die 1542 posthum in Basel und 1560 in Leiden noch einmal in stark erweiterter Form erschienen.401 Schwieriger einzuordnen sind Stephanis Bezüge auf jüdisch-rabbinische Quellen und den Talmud, weil die Verweise hier zum größten Teil nur sehr lose in den Text einfließen. Zu Beginn seiner Ausführungen über das jüdische Synedrium bezieht sich Stephani beispielsweise nur oberflächlich auf die „Talmudistae“, die die Herkunft dieses höchsten jüdischen Gerichts in ihrem Buch Sanhedrim behandelten,402 spricht danach von der Überlieferung eines Rabbi Salomon403 oder an anderer Stelle, ohne weitere Angaben, von den Einsichten der „Hebraei Doctores“ zum Talionsrecht.404 Ansonsten aber steht die Verarbeitung antiker Quellen in Stephanis Erörterung der politia judaica und ihrer Jurisdiktion ganz im Vordergrund. An erster Stelle sind hier die Werke des Flavius Josephus und Philos zu nennen, daneben treten die ebenfalls zahlreichen Bezüge auf die Kirchenväter, unter denen wiederum Augustin mit Abstand am häufigsten zitiert wird; danach folgt gleich Tertullian. Die häufig zitierten Werke Platons lassen die Aristoteles-Rezeption in den Hintergrund treten. Auffällig ist außerdem, dass Stephani auch Kenntnisse der nichtjüdischen und nicht-christlichen antiken Quellen über Mose zeigt, aber vorwiegend Josephus und Philo dagegen ins Feld führt, um das Alter und die Heiligkeit des Gesetzgebers Mose und der politia judaica gegen jegliche Vorstellungen ägyptischer Ursprünge abzusichern. So grenzt sich Stephani explizit von der Mose-Exodus-Schilderung des antiken Geschichtsschreibers Strabon ab, der Mose und seine religiöse Gegenbewegung als ursprünglich ägyptisch dargestellt hatte.405 Dem wird die tugendreiche Schilderung des Kriegsherrn Mose aus Josephus’ Jüdischen Altertümern gegen401 Vgl. Stephani, De iurisdictione, I,VI,15f (81f). Damiano Acciarino, Antiquarian studies, 106 hat das Werk Ricchieris zuletzt in einen Zusammenhang mit einer Reihe von lexikalisch ausgerichteten Anthologien der Renaissance-Humanisten gestellt. Vgl. auch die bei ihm geführte Bibliographie (aaO., 119). 402 Vgl. Stephani, De iurisdictione, I,VII,5 (94). 403 Vgl. aaO. (95). 404 In diesem Fall geht es um die Talion bei Vergehen gegen Sklaven nach Ex 21,20f (vgl. aaO., I,X,133f [193f]). 405 „Quod vero gentiles Iudaeis obiecerunt, tam leges, quam Reipublicae formam se abstulisse Aegyptiis, ac duce Moyse, vt Strabo ait, couocatis his qui a religione Aegyptiorum abhorrebant, nouam sedem sibi parasse in Palaestina, id veritati per omnia minime congruit: Verum est enim quod magna fuit authoritas Moysis apud Aegyptios, propter virtutem bellicam, cum Dux & Imperator belli electus a Rege contra Aethiopes fortissime dimicarat, & non solum eam Aethiopiae partem, quae Aegypto adiacet, deuastarat, sed etiam Sabam deu Meroen inexpugnabilem Ciuitatem ducta Regina Sabae, quam Tarbem vocat Iosephus, in Vxorem subiugauit, quam belli gerendi peritiam ac legum ferendarum prudentiam non ab Aegyptiis, sed a Deo singulari prouidentia haussit“ (aaO., I,6,4–6 [79f]). Zu Strabon siehe weiter oben, Abschn. 1.3.1. Stephani paraphrasiert hier ein ganzes Kapitel aus Josephus’ Jüdischen Altertümern, angefangen vom Kriegszug gegen die Äthiopier bis zur Heirat zwischen Mose und der äthiopischen Königstochter Tharbis (vgl. Joseph., Ant. II,238–253).
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übergestellt, der als Hebräer das ägyptische Heer im Krieg gegen die Äthiopier geführt habe. Doch es wird deutlich, dass Stephani dabei weniger am Bild von Mose als Kriegsherr interessiert ist als an der Überlegenheit, die dadurch Mose gegenüber den Ägyptern und der ägyptischen Kultur zugeschrieben wird. Ja noch mehr, die Juden erscheinen nun wiederum anlehnend an Josephus und Philo auch als diejenigen, die den Ägyptern die wahre Religion (vera religio) und eine Form von Wissenschaft (scientia), Recht und Stiftung eines Gemeinwesens lehrten, die auch die Griechen schließlich von den Juden übernahmen.406 Zwei mittlerweile vertraute Argumentationsmuster, die auch schon bei Bertram, Sigonio und anderen Autoren Platz fanden, nutzt Stephani: zum einen die Vorstellung von Mose als dem ältesten unter den hervorragenden alten Gesetzgebern wie Lykurg, Solon, Zeleucus und Platon, zum anderen den Erweis des heiligen und einzigartigen Charakters des jüdischen Volkes unter Mose. Das jüdische Volk sei nicht nur heilig, sondern sein Recht auch selbst in Wahrheit mit allen ehrenhaften Gesetzen, Statuten und Rechten, die unter den Völkern auf Erden existierten, verwandt. Diese stammten von den Gesetzen und Geboten des Mose gleichsam wie aus einer heiligen Quelle Gottes ab.407 Die politia judaica wird somit insgesamt in eine Art göttlicher Abstammungslinie der Staatenwelt gestellt: Das, was in anderen Gemeinwesen noch als ehrenhaft und ideal „durchschimmert“, wird auf die politia judaica rückführbar. Bei all dieser äußersten Würdigung der mosaischen Gesetzgebung und politia judaica (synonym damit verwendet Stephani auch den Begriff politia Mosaica408) trifft Stephani aber doch auch Beschränkungen der politischen Relevanz der mosaischen Gesetze, die zwar nur verstreut in seinem Werk zum Vorschein kommen, aber doch auch unweigerlich zu Spannungen im Buch De iurisdictione, et qualis fuit in politia Judaica führen. So wird erst im letzten Kapitel, in dem Stephani die materielle Seite des mosaischen Rechts ausführlicher entfaltet, die Frage nach der Geltung der mosaischen Gesetze eher en passant bei der Erörterung des Erbrechts näher geklärt. Dort heißt es, dass die Judizial- und Zere406 „Licet enim Iudaei hospitio excepti fuerant ab Aegyptiis, tamen omnes, vt meritis hospitii Ius exoluerunt Aegyptiis, eos tam religionem veram, quam scientias & legum & politiae constituendae formam docuerunt. Et vt Aegyptii a Iudaeis antequam ingressi sunt Palaestinam, sic & postea Graeci, quicquid habuerunt sapientiae & industriae in constituendis & gubernandis Politiis, ab his Iudaeis acceperunt, vt Iosephus & Philo praecipue contra gentes disseruerunt […]“ (Stephani, De iurisdictione, I,6,7f [80]). 407 „[…] Iudaeorum Iurisdictionem & Imperium, quod eorum Magistri sceptrum occidendi & viuifandi appellant, declarare suscepi. Haec enim gens sacrosancta, vt ab origine rerum prima, est, sic & veritate omnium legum, Statutorum & Iuris propinqua fuit, cum omnes leges honestae, quae per totum orbem terrae in gentes varias seu Imperia & Regna sparsae sunt, a legibus & praeceptis Moysis, tanquam ex augusto diuinitatis fonte emanarint“ (aaO., Epist. Ded., f. )(2v–)(3r =VIII–IX). 408 Vgl. aaO., I,VII,136f (128).
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monialgesetze, die anders als der Dekalog einst von Mose überbracht, geschrieben und außerhalb des Allerheiligsten (sanctum sanctorium im Stiftszelts) platziert wurden, für das jüdische Volk verpflichtend waren.409 Nur der Dekalog aber habe universale Gesetzeskraft (vis legis universalis), die alle Menschen binde. Die Dreiteilung des mosaischen Gesetzes findet für Stephani seine Entsprechung in Moses eigener Unterteilung seiner Gesetze in Gebote (praecepta), Jüdisches (iudaica) und Zeremonien (ceremoniae), obwohl die biblischen Bezüge dabei nicht so recht deutlich werden.410 Jedenfalls wird der universal geltende Dekalog mit dem identifiziert, was das römische Recht als ius naturale et primarium gentium ausweise (vgl. I. 1,2) und die scholastischen Theologen als Moralgesetz (ethica lex) bezeichneten.411 Bei der eher gängigen Aufwertung und naturrechtlichen Deutung des Dekalogs fragt man sich, warum nun aber ausgerechnet auch die mosaischen Judizialgesetze nur für das jüdische Volk bestimmt gewesen sein sollten, obwohl Stephani doch ein Werk vorlegt, das die Jurisdiktion und Rechtssatzungen der politia judaica zum Hauptinhalt hat. Läuft damit alles, was darüber gesagt ist, letztlich auf die Feststellung hinaus, dass die jüdische iurisdictio zwar insgesamt in ihren Gesetzen nachfolgende Völker beeinflusst hat, aber doch heute nicht mehr von politischer Relevanz ist? Eine Antwort darauf bietet Stephani selbst ein paar Paragraphen früher mit dem Einschub, dass die mosaischen leges iudiciales noch eine universale Gesetzeskraft haben, wenn sie denn im Neuen Testament Christi für billig befunden werden.412 Bezeichnenderweise beruft sich Stephani an dieser Stelle auf scholastische Theologen und Joannes Gersons Abhandlung De contractibus, wenig später folgt dann noch Marquardus de Susannis’ Tractatus de Judaeis. In dem kurzen Abschnitt, der Aufschlüsse zu den Geltungsfragen mosaischen Rechts gibt, fehlen jegliche Bezüge auf lutherische Theologen. Mit dem Anliegen, das gerade im abschließenden Kapitel X. verfolgt wird, nämlich im Einzelnen die mosaischen Rechtssatzungen mit den römischen und griechischen zu vergleichen, um auch 409 „Secus autem existimandum est de legibus quae in decalogo continentur: nam hae immediate a Deo latae & a se inscriptae lapideis tabulis ac postea in arca Testamenti insclusae & asseruatae fuerunt. Iudiciales vero & ceremoniales leges a Moyse latae, chartis tantum a Moyse inscriptae, & extra sanctum Sanctorium positae fuerunt, & obligabant tantum populum Iudaicum. Decalogus quoque habet vim legis vniuersalis, & omnes homines obligat […]“ (aaO., I,X,46f [175f]). Für den Dekalog wird dann auch noch einmal begrifflich zwischen Geboten (praecepta) und Aufträgen (mandata) differenziert. 410 Vgl. aaO. 47f (ebd.). Neben dem Hinweis auf noch andere biblische Belege (ohne genaue Angabe) beruft sich Stephani an dieser Stelle auf Ex 5, wo man allerdings eine solche Dreiteilung nicht vorfindet. 411 Vgl. aaO. 48f (176). 412 „Haec enim iudicialia Moysis vim legis vniuersalis habere non possunt, nisi quatenus in nouo Christi testamento approbata reperiantur, vt Theologi, Scholastici & Gerson in tractatu de contractu disputant, […] vt Marquardus in tractatu de Iudaeis tractat […]“ (aaO., I,X,45f [175]).
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Rückschlüsse auf ihre weitere Geltung anzubieten, steht Stephani in diesem Fall, wenn man einmal das bisher Gesagte Revue passieren lässt, sogar eher auf der Seite calvinistisch-reformierter Theologen. Noch ein weiterer Gesichtspunkt ist hier hinzuzurechnen, der für die Frage nach der politischen Relevanz der politia judaica in Stephanis Ausführungen Bedeutung hat. Zu Beginn der Behandlung der politia judaica, wenn Stephani die Verfassung der Juden allen Völkern voranstellt, wird damit auch eingeschlossen, dass in ihr die beste Gerichtsverfassung (optima iudiciorum ratio) von Gott selbst durch den göttlichen Gesetzgeber (divinus legislator) Mose schriftlich vermittelt wurde. Gleich darauf wird aber angefügt, dass die politia judaica von den Juden selbst eigentlich nicht als Herrschaft oder Königreich (regnum), sondern als Gottespriesterschaft, Heiligtum oder Priestertum Gottes bezeichnet wird.413 Diese Formulierung könnte an Josephus anschließen, schränkt aber zugleich auch die Schlüsse für den weltlich-politischen Bereich ein, die aus Stephanis Darstellung möglicherweise gezogen werden könnten. Eine weitere systematische Klärung fehlt an dieser Stelle. Insgesamt wird man in Stephanis Ausführungen die öffentlich- und kirchenrechtlichen Gegebenheiten seiner Gegenwart mit zu bedenken haben. Aber auch dahingehend wird Stephani nicht weiter konkret in Buch I. seiner Abhandlung De iurisdictione. Interpretiert man die Darstellungen in Buch I. weiter, liegt es nahe, einen Zusammenhang mit den rechtlichen Besonderheiten des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation zu sehen. Dabei ist die rechtliche „Doppelbödigkeit“ des Reiches, die „Staatlichkeit nicht nur auf Ebene der obersten politischen Organe, sondern zugleich auf der Ebene der Territorialgewalten“414 hervorbrachte, mit zu gewichten. Stephani musste es – auch in Diensten eines Territorialfürsten – zum einen darum gehen, die Jurisdiktion und Religionsrechte des Landesfürsten gegenüber dem Kaiser und Papst zu stärken, auf der anderen Seite aber auch darum, auf territorialer Ebene weltliche und geistliche Rechtskompetenzen genau zu differenzieren. Die Anknüpfung an das Vorbild der mosaischen Jurisdiktion konnte hier in beide Richtungen gedeutet werden. Mose und seine Gesetzgebung wurden von Stephani einerseits hoch gewichtet. Auf der anderen Seite ist es gerade das Synedrium nach Mose, dem 413 „Iudaeorum vero politia viuam effigiem omnibus Rebuspublicis praestat, ex qua veluti ex Augusto diuinitatis fonte, quicquid honestum & praeclarum in politiis est, maxime autem ad conficiendam iurisdictionem quod spectat, petendum est, cum a Deo ipso conditore optimam Iudiciorum rationem, per diuinum legislatorem Moysen scriptam acceperit, vt & ideo glorioso nomine haec politia, τοῦ θεοῦ ἱεροσύνη, hoc est, & sanctuarium seu sacerdotium Dei, non Regnum a Iudaeis dictum sit, ut Dion in vita Pompei refert, Et Sapientae 12. cap. ἀξία ἀποικια τοῦ θεοῦ παίδων, hoc est gloriosa Colonia filiorum Dei vocetur, quam Deus eo deduxit“ (aaO., I,VI,2–4 [79]). 414 Wyduckel, Ius publicum, 168.
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Stephani höchste Aufmerksamkeit schenkte. Deutungen im Hinblick auf die weltliche Obrigkeit mit ihrem Religionsrecht und Konsistorien innerhalb der Territorien lässt Stephanis Darstellung ebenso zu wie eine Interpretation für die Reichsebene auf den Kaiser und die Reichsstände hin. In jedem Fall ging es Stephani auf beiden Ebenen darum, die Hoheit des göttlichen Rechts (der mosaischen Gesetze) in geschichtlicher Hinsicht vor allen anderen Rechtsquellen wie dem kanonischen Recht und dem Reichsrecht zu sichern. 3.3.3.2 Konfessionelle Fragestellungen: die politia judaica und die Gesetzgebung des Mose als Argument im deutschen ius publicum unter lutherischen Juristen In der Annäherung an Stephani und sein Werk De iurisdictione ist bereits darauf verwiesen worden, dass die Jahre um 1600 zu einer entscheidenden Phase der Entwicklung des deutschen ius publicum wurden. Zunächst ist auffällig, dass ein weiteres Werk, das sich der politia-judaica-Literatur neben Stephanis Buch zuordnen ließe, in diesen Jahren, soweit ich sehe, bei lutherischen Juristen fehlt. Stephanis Traktat kommt hier also zunächst im lutherischen Bereich ein gewisser Sonderstatus in der Rechtsliteratur in jener Zeit zu. Die Thematik wurde aber gleichfalls auch von anderen Juristen kapitel- oder abschnittsweise in Traktaten, Lehrbüchern und später in Dissertationen abgehandelt. Hier steht eine gründliche Erforschung der Gelehrtenliteratur für das 17. Jahrhundert noch aus. Der lutherische Jurist Dietrich Reinking scheint zumindest der erste zu sein, der sich in einem einschlägigen juristischen Lehrbuch, dem Tractatus de regimine seculari et ecclesiastico (1619),415 eingehender mit der Thematik der politia judaica im deutschen ius publicum befasste. Aussagekräftig ist für seine Herangehensweise, dass zwei Linien der juristischen Erörterungen unter diesem Begriff zusammenfließen. Zum einen wird der Begriff der politia judaica gewählt, um die Frage nach der Geltung der politischen Gesetze des Mose abzuhandeln, zum anderen geht es auf dem Gebiet des Reichsrechts um die Duldung von Juden in einem christlichen Gemeinwesen bzw. im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation.416 Wie bei Joachim Stephani sind es im Rahmen der Gesetzeslehre und bei den 415 Die Verbreitung des Werkes belegen die mehrfachen Neuauflagen des Werkes, das im Umfang bis zum Tod Reinkings ständig anwächst: Reinking, Tractatus de regimine seculari et ecclesiastico; exhibens brevem et methodicam juris publici delineationem, ac praecipuarum controversiarum, circa hodiernum S. Imperii Romani Statum ac Gubernationem, tam secularem, quam in genere Ecclesiasticam, vertentium resolutionem, Gießen 1619 (weitere Aufl.: Basel 1622; Gießen 1632; Marburg 1641; Frankfurt a.M. 1651; ebd. 1659; Basel 1662; Frankfurt a.M. 1663; Augsburg 1717; Köln 1736). 416 Reinking nähert sich von der allgemeinen Gesetzeslehre (Reinking, Tractatus, liber II, classis 2, caput 1: De Legibus in genere & earum in Repub. utilitate [235f]) her den göttlichen Gesetzen (leges divinae) an, indem er der gängigen Dreiteilung nach zunächst nur die Moral-
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Ausführungen zu den politischen Gesetzen des Mose interessanterweise nicht vorrangig lutherische Theologen, auf die sich Reinking beruft, sondern auch Calvin und ein calvinistisch-reformierter Theologe wie Wilhelm Zepper.417 Dies diente natürlich der breiten Konsensbildung. Andererseits fand Reinking bei dieser Thematik auch in ihnen eher Gewährsmänner als bei Martin Luther oder Philipp Melanchthon. Gegenüber diesen beiden nimmt er sogar die aus der reformierten Tradition stammende Deutung der Judizialgesetze als Anhänge des Dekalogs auf.418 Reinking legte später mit seinem großen Spätwerk Biblische Policey (1653)419 eine politische Beratungslehre vor, die noch eher mit dem Gesetzesverständnis von Luther und Melanchthon vermittelbar war, denn hier stand nicht das politische Gesetz des Mose im Vordergrund, sondern die Orientierung an Lehren und Exempeln aus dem Alten Testament. Für die öffentlichrechtliche Argumentation wurden von ihm wie von anderen Juristen420 aber
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und Zeremonialgesetze (aaO., caput 2: De Legibus divinis & in specie de Legibus Moralibus & Ceremonialibus) behandelt. Hier bezieht er sich u. a. auch ausführlich auf den lutherischorthodoxen Theologen Martin Chemnitz (vgl. II,2,2,§3 [237]). Dann folgt die Behandlung der Judizialgesetze bzw. leges forenses, die das jüdische Gemeinwesen (politia judaica) und das Strafrecht/Prozesse und Gerichte (actiones & iudicia) betreffen. Der politische Umfang der leges forenses und der politia judaica begründet auch, dass Reinking die Duldung von Juden in einem Gemeinwesen in diesem ausführlichen Kapitel abhandelt (vgl. aaO., II,2,3,§6–§38 [238–241]). Vgl. zu Letzterem und der rechtlichen Stellung der Juden in der deutschen juristischen Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts insgesamt grundlegend: Güde, Die rechtliche Stellung der Juden. Reinking bezieht sich auf Calvin, Inst., IV,20, um die Zeitgebundenheit der leges forenses für das jüdische Volk unter der Gesetzgebung Gottes bis zur Ankunft des Messias zu unterstreichen: „Non enim Dominus eas [leges forenses] tradidit per manus Mosis ut in gentes gentes omnes promulgarentur & ubique vigerent, sed genti Judaicae, quam in fidem suam, cientelam & patrocinium susceperat, peculiariter legislator esse voluit, Syriacid.17.vers.14.15 Calvin.lib.4.instit c.20. Ideoq[ue] ad sceptrum Judae pertinent, quod ipso Messiae adventu translatum, Gen.49.v.10.“ (Reinking, Tractatus, II,2,3,§2 [237]). Gegenüber Wilhelm Zepper hält Reinking fest, er würde „dennoch teilweise nicht übereinstimmen“ („Zepper. de Legib. Mosaic.c.3.4.5. ubi tamen ex parte Dissentit“, vgl. aaO. §4 [238]). Diese Deutung hätte er durch den zitierten Calvin oder Wilhelm Zepper kennengelernt haben können: „Si forenses Leges in lege morali fundentur, tunc non ut forenses, sed ut morales & quatenus de iis participant, adhuc obilgant tanquam appendices legis morali & Decalogi.“ (aaO., II,2,3,§5 [238]). Das Vorhaben, das Reinking mit diesem Werk hatte, wird bereits am ausführlichen Titel deutlich: Reinking, Dietrich, Biblische Policey / Das ist: Gewisse / auß Heiliger Goettlicher Schrifft zusammen gebrachte / auff die drey haupt-Staende / Als Geistlichen / Weltlichen / und haeußlichen / gerichtete Axiomata, oder Schlußreden / Sonderlich mit Biblischen Spruechen und Exempeln / auch andern bestaercket / in allen Staenden nuetzlich / dienlich und anmuthig zulesen, Frankfurt a.M. 1653 (weitere Aufl.: ebd. 1656; ebd. 1663; ebd. 1670; ebd. 1681 [zwei Verlage]; ebd. 1701). Reinking kann in diesem Sinne auch ohne Weiteres von der „gantze[n] heilige[n] Schrifft“ als „Gesaetzbuch“ sprechen (vgl. aaO., Ded. f. ¶¶[ir] u. ö.). Vgl. insgesamt bereits ausführlich zu allen Aspekten Totzeck, A Lutheran Jurist, 322–356. Vgl. dazu den Überblick bei Dreitzel, Theorien des göttlichen Rechts u. insgesamt für den Monarchie-Diskurs ders., Monarchiebegriff.
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andererseits alle Register gezogen, um die protestantische Seite gegenüber der katholischen abzusichern. Und dazu zählte in seinem Tractatus dann auch beispielsweise die Hervorhebung von Mose und der mosaischen Gesetzgebung gegenüber dem kanonischen Recht und dem Papst,421 die über theologische Aussagen Luthers oder Philipp Melanchthons hinausging. Auch andere Juristen wie Henning Arnisaeus (ca. 1575–1636) schlossen an die Argumentationen der politia-judaica-Literatur an.422 Erst mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges scheint es dann aber zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit der politia-judaica-Literatur an deutschen Universitäten gekommen zu sein. Wahrscheinlich haben dabei zu dem Zeitpunkt, als Hermann Conring als Professor der juristischen Fakultät Helmstedt die Auseinandersetzung mit der Disputation De politia sive republica Hebraeorum exercitatio (1648) durch seinen Schüler wieder aufnimmt, neben dem Ende des schier ewigen Dreißigjährigen Krieges genauso die universitären Streitigkeiten mit orthodoxen Theologen eine Rolle gespielt.423 In jedem Fall können die dann folgenden juristischen Disputationen und Abhandlungen424 bereits auf einem gewachsenen Bestand der politia-judaica-Literatur aufbauen. 421 Das Recht des Magistrats steht in jeden Fall unter der lex divina, wie Reinking vor allem in Auseinandersetzung mit Jean Bodin herausstellt („lex divina […] omnem transcendit Magistratus potestatem“, vgl. Reinking, Tractatus, II,2,2,§5 [237]). In seinen späteren Bearbeitungen hat er aber u. a. mit Bezug auf Ex 4,16 das schon in der Erstausgabe entwickelte Argument noch ausgebaut, dass Mose bereits als Magistrat und Gesetzgeber über Aaron gestanden habe und folglich dies auch für das Verhältnis von Pontifex und Kaiser gelten müsse (vgl. aaO., I,2,5 [39–41], hier bes.: §§10–15 [40] mit der späteren Bearbeitung in: I,2,6,§§13ff [118f], ed. Frankfurt a.M. 1659, hier bes.: Summaria, aaO., 116: „13. Pontifex juris divini autoritate V. & N. Testamenti Imperatori subest. Moses Magistratus fuit politicus, & a Deo Aaroni sacerdoti in Deum constitutus. 14. Moses a Deo ordinatus non tantum populo, sed & sacerdotibus jura & mandata praescribit, & ob delicta poenas infligit.“). 422 Vgl. bereits Rauschenbach, Geschichtsschreibung, 24 Anm. 90, die auf den Abschnitt De statu Reipubl. Iudaicae, a Mose instituta & retentae usque ad novi Regis electionem in dem Werk von Henning Arninaeus, De Republica, seu Relictionis Politicae Libri Duo, Straßburg 1636, 760–765 verweist. 423 Vgl. Hübener, Unschuld der Theokratie, 42 u. Rauschenbach, Geschichtsschreibung, 23f. 424 Michael Wendeler (Preas.)/Johann Honter (Resp.), Disputatio politica De republica Hebraeorum, Wittenberg 1655; Wolfgang Christopher Wenner (Praes.)/Georg Kaspar Kirchmayer (Resp.), Rempublicam Hebraeorum publicae sistent disquisitioni, Wittenberg [1657]; Johann Reiske (Praes.)/Johann Christoph Fras (Resp.), Theocratia respublica sine exemplo, Jena 1670. Vgl. dagegen aus dem Bereich der Theologie: Friedrich Widebram, Ecloga de veteri politia judaica, et de regno Christi, Wittenberg 1554; Abraham Calov (Praes.)/Johann Georg Wilke (Resp.), De statu Judaeorum ecclesiastico et politico, Ab anno I. nativitatis Christi usque in praesentem, Wittenberg 1656, wo die politia-judaica-Literatur und der Theokratiebegriff ebenfalls rezipiert werden; Adam Rechenberg (Praes.)/Philipp Jacob Rehm (Resp.), De Ficta Hebraeorum Ante R. Saulem Monarchia Civili, Leipzig 1687; Gustav Georg Zeltner (Praes.)/Michael Eg (Resp.), Dissertationum de juramentis veterum Ebraeorum occasione locorum Matth. V, v. 33. sqq. c. XXIII, v. 16. sqq. et XXVI. 63. prior, Jena 1693. Zur Frage der Duldung von Juden im christlichen Gemeinwesen, vgl. Johannes Dün-
Die rechtsgeschichtliche Orientierung am jüdisch-mosaischen Gemeinwesen
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3.3.4 Zwischenfazit: Corneille Bertrams und Carlo Sigonios Bedeutung für die politischen Debatten und Literaturtitel de republica Hebraeorum Trotz aller Originalität in der rechtsgeschichtlichen Argumentation Stephanis hat sein Werk De iurisdictione doch nicht vergleichbare Wirkungen für die Gelehrtendiskurse und politischen Debatten entfaltet wie Sigonios und Bertrams Schriften, die ausführlicher im zurückliegenden Abschn. 3.3 behandelt wurden. Gleichwohl stehen sie in einem Zusammenhang, weil im Kern der rechtliche Ausgangspunkt, insbesondere das Vorbild der mosaischen Gesetzgebung, in den Werken aller drei Autoren im zurückliegenden Abschnitt herausgearbeitet werden konnte. Dieser Zusammenhang mit dem zeitgenössischen Rechtsdiskurs bzw. die Zugehörigkeit zur politia-judaica-Literatur blieb allerdings in der Folge nicht immer im Vordergrund. Dies lag wohl vor allem daran, dass sowohl Corneille Bertram als auch Carlo Sigonio mit ihren Schriften durch die weit verbreiteten De republica Hebraeorum libri III (1617) des Petrus Cunaeus für politische Debatten einschlägig wurden. Cunaeus berief sich explizit auf beide Autoren als Vorbilder für sein eigenes Werk. In der Folge wurden die Werke Bertrams und Sigonios dann beispielsweise verstärkt in der Staatsformenlehre diskutiert, die aber ursprünglich nur einen Teil ihrer Werke ausmachte. Dieser Zusammenhang wird bei keinem deutlicher als bei dem holsteinischen Prediger Joachim Ludwig Reimer (gest. 1680), der auch in Diensten des dänischen Königs wirkte. Sein in Kopenhangen erscheinendes Kommentarwerk Respublica Ebraeorum ex Sigonio, Bertramo, Cunaeo aliisq[ue] ita concinnata (1657)425 bezieht sich explizit auf Sigonio, Bertram und Cunaeus. Inwieweit Cunaeus selbst für solch eine Wahrnehmung verantwortlich war, wird noch im abschließenden Kapitel 5. genauer zu hinterfragen sein. Wegweisend war unter anderem, dass Cunaeus im Gegensatz zu Bertram und Sigonio den TheokratieBegriff wortwörtlich nutzte und mit seiner eigenen Ausdeutung Diskussionen unter Gelehrten hervorrief, mit denen sich auch Reimer vier Jahrzehnte später noch beschäftigte. Reimer war monarchisch orientiert und versuchte freilich in Auseinandersetzung mit Cunaeus einen eigenen Begriff der Hegemonie (hegemonia) für die besondere Regierungsform des Mose unter Gott zu etablieren.426 nehaupt (Praes.)/Conrad Friedrich Kollmann (Resp.), Judaeus in Christiana republica tolerandus, Wittenberg 1688; Dünnehaupt (Praes.)/Christian Friedrich Küsell (Resp.), Judaeus e Christiana republica exterminandus, Wittenberg 1688. 425 Reimer, Respublica Ebraeorum ex Sigonio, Bertramo, Cunaeo aliisque ita concinnata; Ut sententiae illorum succincte proponantur; largiter adaugeantur; & dextre dijudicentur, Havnia [=Kopenhagen] 1657 (weitere Aufl.: Altenburg 1671; Rostock 1710). 426 Die Hegemonie ist für Reimer gleichbedeutend mit der höchsten Gewalt (summa potestas) im weltlichen Bereich, verbunden mit einer Geistbegabung und dem Einsatz für den gemeinen Nutzen. In Auseinandersetzung mit der betreffenden Stelle bei Josephus und Petrus Cunaeus schreibt Reimer über die Staatsform unter Mose: „Verumenimvero cum id adhuc
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Konzeptionen eines mosaischen Ursprungs des Rechts
Auch die bereits angesprochenen Dissertationen lutherischer Juristen kamen auf das Thema der Staatsformen und die Form der respublica Hebraeorum zurück und setzten sich in ähnlicher Weise mit den Vorläufern auseinander. Unbestreitbar ist aber, dass vor allem Cunaeus mit seinem „politischen Klassiker“ die Rezeption der Schriften Bertrams und Sigonios nicht nur begünstigt hat, sondern nachfolgende Titel de republica Hebraeorum sich auch terminologisch daran orientierten.427 Bezeichnend dafür ist, dass Corneille Bertrams Schrift in einer kommentierenden Neuausgabe des deutschen reformierten Theologen und später in Leiden lehrenden, christlichen Hebraisten Constantijn l’Empereur van Oppyck (1591–1648)428 umbenannt und an den Titeln de republica Hebraeorum angepasst wurde. Auch die knappe Schrift Sceptrum Judae sive de Republica Hebraeorum Dissertatiuncula (1627) des Professors für Geschichte und Sprachen an der Universität Altdorf, Philipp Caroli (Carolus, gest. 1639), schloss inhaltlich und im Titel an die vorhergehenden Werke de republica Hebraeorum an. Caroli meidet in seinem Werk dabei den Theokratie-Begriff und verbindet stattdessen die respublica Hebraeorum mit dem „Szepter Judas“ aus Gen 49,10429 und seiner eigenen christlichen Ausdeutung.430 Ein Indiz für die Bedeutung von Sigonios und Bertrams Werken ist schließlich auch noch die Tatsache, dass die beiden ausführlichsten De-republica-Hebraeorum-Entwürfe, die einen langen Zeitraum später entstanden, an diese beiden Autoren anschlossen. Am auffälligsten bemerkbar machte sich das beim jesuitischen Exegeten und Moraltheologen Giovanni Stefano Menochio (1575– 1655)431 in seinen in Paris gedruckten De republica Hebraeorum libri octo (1648).
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obstet, quod Monarchia improprie dicta sensu Philosophico dicatur respublica, in qua unus hominum τὸ κύριον ita habet, ut legibus aliorum hominum illius potestats adstricta sit, quod Regimini Ducum tribui non potest: utpote qui in imperio suo a solo Deo dependerint: et vocabulum θεοκρατίας a Josepho effictum minus huc pertineat, aliud nomen ἐξαιρέτου et inusitatae hujus politiae quod locum religuorum omnium suppleat, excogitandum duco. Et illud fortasse erit HEGEMONIA, quam dico rem civilem, uni unus homo, singuaribus Spiritus sancti donis instructus, proxime Deum in gentem, quam ducit, et reliquos qui illi accensentur summam inter homines habet potestatem, et communem utilitatem respicit (Reimer, Respublica Ebraeorum, f. [E 10r–v]). Dies hat in der aktuellen Forschung den rechtlichen Kontext der politia-judaica-Literatur wiederum verunklart, weil die Literaturtitel de republica Hebraeorum anders eingeordnet wurden. Siehe bereits Einleitung, Abschn. 2., bes. Anm. 54f. Bertram/L’Empereur van Oppyck, De republica Ebraeorum. Recensitus commentarioque illustratus opera Constant. l’Empereur, Leiden 1641; ebd. 1651; Hebraeorum res publica sive de politia Judaica tam civili quam ecclesiastica: iam inde a suis primordiis, Genf 1655. „Es wird das Zepter von Juda nicht weichen noch der Stab des Herrschers von seinen Füßen, bis dass der Held komme, und ihm werden die Völker anhangen“ (zit. nach rev. Lutherbibel 1984). Auf den traditionell antijudaistischen Hintergrund dieser Ausdeutung weist bereits Rauschenbach, Geschichtsschreibung, 24f hin. Zu Menochio vgl. die biographischen Angaben bei Pirri, Art.: Menochio u. Carrozzini, Art.:
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Schon in der Einleitung bezieht sich Menochio auf Sigonio und versucht ihn als orthodoxen Autor, der der römisch-katholischen Lehre verpflichtet geblieben sei, darzustellen.432 Aber obwohl Menochios Titelarchitektur des Werkes in vielen Punkten noch Übereinstimmungen zeigt und weiterhin ein Hauptinteresse an einer rechtlichen Betrachtung besteht,433 haben seine De republica Hebraeorum libri octo doch nicht mehr sehr viel mit Sigonios Beitrag zu der Thematik gemein. Menochio schenkte neuen Themen wie z. B. den Gewohnheiten (consuetudines) und Riten der Hebräer434 Aufmerksamkeit und wählte insgesamt für die gesamte Darstellung im Gegenüber zu Sigonio ein Frage-Antwort-Schema (QuaestioMethode) für die Behandlung. Vor allem aber liegt Menochios römisch-katholisches Augenmerk auf einem unabhängigen Priestertum, das für ihn neben einem ebenfalls positiv dargestellten Königtum bereits unter den Hebräern existiert habe. Dies unterschied ihn natürlich von dem mehr als einem halben Jahrhundert später schreibenden calvinistischen Theologen Melchior Leydecker Menochio. Menochios Vater war der bekannte, aus Pavia stammende Jurist Giacomo Menochio (1532–1607), der die Rechte in Milan gelehrt hatte (vgl. Moreschini, Art.: G. Menochio). Mehr als 20 Jahre früher hatte Menochio bereits ein voluminöses Werk (956 Seiten Text ohne Indices, Widmung u. Vorwort) über die Priesterherrschaft verfasst, das den Titel trug: Hieropoliticon, sive institutionis politicae e sacris Scripturis depromptae libri tres, Lyon 1625. Neben den lateinischen Schriften erschienen auch Werke in seiner italienischen Muttersprache. Vielfach wieder neu aufgelegt und weithin rezipiert wurde seine Brevis explicatio sensus literalis totius Sacrae Scripturae ex optimis quibusque auctoribus per epitome collecta (1630). 432 „Quamquam vero non sum nescius argumentum hoc a Clarissimo viro Carolo Sigonio septem de Republica Hebraeorum libris fuisse comprehensum; tamen, quia latus est campus scripturarum, in quo plurium excurrere possit industria, nec crimen est ab aliis animadversa & notata; quasi actum agas, aut in alienam possessionem importunus inuoles, iterum tractare, praesertim si multa adhuc intacta addenda supersint; animum ad hanc scriptionem urgendam adieci. Nam Sigonius ipso fere sacrae scripturae textu, Iosepho, & Philone contentus, paucis rem absoluit, quam ipse idem plenius & locupletius insigni cum auctario exequi potuisset, si aut voluntas illi fuisset, aut otium, aut recentiorum doctissimorum scipturae interpretum, qui post illum scripserunt, ex quibus me profecisse diffiteor, adiumentis non caruisset. Et haec quidem de Sigonio orthodoxo, & nostrarum partium sciptore“ (Menochio, De republica Hebraeorum, f. aiiijv). 433 Vgl. die Titel der Kapitel im Index Capitum et Quaestionum, mit den Kapitelüberschriften im Überblick bei Sigonio, De republica, 8–10. Die Gewichtung der Rechtsthematik bei Menochio wird schon dadurch deutlich, dass er der Gesetzeslehre ein ganzes Buch in seinem Werk widmet (vgl. Liber Quintus, De legibus Hebraeorum, in: Menochio, De republica Hebraeorum, 423ff). Menochio folgt hier der in der mittelalterlichen Scholastik ausgebauten Unterscheidung zwischen altem Gesetz (lex vetus) und neuem Gesetz (lex nova), vertritt die gängige Dreiteilung der mosaischen Gesetze bzw. der lex vetus, konzentriert sich dann aber auf die Zeremonial- und Judizialgesetze (vgl. aaO., 423–425. 426ff). Er geht darüber hinaus auch von gemischten Gesetzen aus, die zum Teil moralisch, zeremonial oder judizial sein können (aaO., 483f). 434 Das sechste und siebte Buch tragen identische Titel (De Consuetudinibus et ritibus Hebraeorum, vgl. aaO., 485ff. 619ff). In diesen Kapiteln rückt das Werk näher an die Antiquitates-Literatur, in der selbst die Kulturgeschichte alter Völker zum Hauptthema wurde.
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(1642–1721), der als Professor an der Universität Utrecht lehrte.435 Dessen Werk De republica Hebraeorum. Libri XII (1704) hatte einen ähnlich ausufernden Umfang wie das Menochios, ging aber nicht so direkt wie Menochio nur von einem Vorbild für sein Werk aus.436 Leydeckers Entwurf zeigt vor allem schon durch den gemeinsamen niederländischen Kontext viele Nähen zu Petrus Cunaeus’ De republica Hebraeorum libri III. Leydecker griff aber nun noch offener als Cunaeus auf die grundlegenden Gesetze des Mose und das Vorbild der respublica Hebraeorum437 zurück, um die religiöse und politische Einheit der Republik der Vereinigten Niederlande zu beschwören.438 Im Gegensatz zu Cunaeus wird außerdem von ihm auch hermetisches Gedankengut aufgenommen.439 Eine entscheidende Voraussetzung für die Ausführungen Leydeckers und Menochios blieb insgesamt die Tatsache, dass die politia-judaica-Literatur und insbesondere Petrus Cunaeus’ Hauptwerk De republica Hebraeorum libri III politische Debatten im 17. Jahrhundert angestoßen hatten. Aber dies ist wiederum ein anderes, eigenes Kapitel.440
435 Vgl. Knappert, Art. Leydekker, wo allerdings nicht auf das Werk De republica Hebraeorum. Libri XII eingegangen wird. 436 Vgl. Leydecker, De Republica Hebraeorum, Praef. f. *5r–v mit Nennung vieler Namen von Vorgängern, auf dessen Arbeiten sich Leydecker in seinem Werk beziehen konnte. 437 Vgl. aaO., 3–7. 218–224; zu den mosaischen Gesetzen als leges fundamentales und zur theokratischen Form der respublica Hebraeorum vgl. auch aaO., 267–271. Leydecker folgt der gängigen Dreiteilung der mosaischen Gesetze in leges morales, leges ceremoniales und leges politicae (vgl. aaO., 218f). Mose ist für ihn Befreier, Führer (dux) und König (rex) in der Wüste, Gesetzgeber, Vermittler zwischen dem Volk und Gott, Prophet, ewiger Gelehrter der Kirche (perpetuus ecclesiae doctor) und Priester (aaO., 187–196, hier: 188), der den großen antiken Gesetzgebern Lykurg, Drakon, Solon und Zaleukos von Lokroi bekannt war, ja sogar von den Arabern gelobt worden sei (vgl. aaO., 195f). 438 Dies tut Leydecker bereits in der Widmung an die niederländischen Stände (vgl. aaO., Ded. f. *3r–*4v). Für die Republik der Vereinigten Niederlande wählt Leydecker die Bezeichnung Respublica Belgarum/Belgiae (zur Einordnung bereits Rauschenbach, Geschichtsschreibung, 27f Anm. 109). 439 Vgl. Leydecker, De Republica Hebraeorum, 140–145. 440 Siehe unten, Kap. 5. u. dazu das Kap. Ergebnisse und Ausblick, wo ein Überblick über diese politischen Debatten gegeben wird.
4.
Die politischen Gesetze Moses als Modell in der calvinistisch-reformierten Theologie
1563 wurden unter Königin Elisabeth I. von England die 39 Religionsartikel (Thirty-Nine Articles of Faith) verabschiedet, die in einer ganzen Reihe von Bekenntnisformulierungen seit der Regierungszeit Königs Heinrich VIII. bis heute eine wichtige Lehrgrundlage der Kirche von England darstellen. Im 7. Artikel (Of the Testament) der Thirty-Nine Articles findet sich auch folgender Abschnitt: […] Obgleich das Gesetz, welches Gott durch Mose gegeben hat, hinsichtlich der Zeremonien und Riten die Christen nicht bindet und auch die darin enthaltenen bürgerlichen Vorschriften in keinem Staate notwendig angenommen werden müssen, so ist doch nichstdestoweniger von dem Gehorsam gegen die sogenannten sittlichen Gebote niemand, auch kein Christ, befreit.1
Zu beachten ist die bewusst negative Formulierung in dem Bekenntnistext, dass keine Notwendigkeit für Christenmenschen bestehe, die bürgerlichen Vorschriften (civil precepts) des Mose im Staat einzuführen. Damit aber stehen die Thirty-Nine Articles Bekenntnistexten aus dem reformierten Bereich gegenüber, in denen die Frage nach der politischen Relevanz der Gesetze des Mose offener formuliert war, wie z. B. das Zweite Helvetische Bekenntnis, das auf Heinrich Bullinger zurückgeht. Schließlich wurde in The Westminster Confession of Faith (1646/47) die bindende Kraft der allgemeinen Billigkeit der mosaischen Judizialgesetze für den christlichen Glauben hervorgehoben.2 1 Vgl. Bekenntnisse, 238–248, hier zit.: 240. 2 „[…] 3. Neben diesem Gesetz, gemeinhin das Sittengesetz genannt, hatte es Gott gefallen, dem Volk Israel als einer minderjährigen Kirche Zeremonialgesetze zu geben, mancherlei vorbildliche Ordnungen enthaltend, die teils in Bezug auf den Gottesdienst Christus, seine Gnadengaben, Werke, Leiden und Wohltaten vorbilden und teils sich über verschiedene Anweisungen für sittliche Pflichten verbreiten, welche Zeremonialgesetze insgesamt jetzt unter dem Neuen Testament aufgehoben sind. 4. Ihnen gab er als einer politischen Körperschaft auch besondere Gerichtssatzungen, welche zusammen mit dem Staat jenes Volkes aufgehört haben und niemanden jetzt zu weiterem verpflichten, als was die allgemeine Billigkeit davon erfordern mag. 5. Das Sittengesetzt verpflichtet für immer alle, sowohl die Gerechtfertigten als
340 Die politischen Gesetze Moses als Modell in der calvinistisch-reformierten Theologie Im 16. Jahrhundert dagegen blieb in der Theologie meist noch die Beschreibung der Rechtskompetenzen weltlicher Obrigkeit in Religionsfragen (vor allem das Vorgehen gegen Häresie, Blasphemie und Irrglauben) der eigentliche Ausgangspunkt dafür, dass auch die Diskussion über das mosaische Judizialgesetz geführt oder allgemein die Frage nach der Geltung der Gesetze Moses im politischen Bereich gestellt wurde. In dieser Weise wurden z. B. die strafrechtlichen Bestimmungen aus dem Gesetz Moses von den englischen Reformatoren John Hooper (um 1495–1555), Hugh Latimer (1485–1555) und Thomas Becon (1512– 1567) aufgegriffen und das Recht der weltlichen Obrigkeit nach dem Rechtsvorbild der mosaischen Gesetzgebung diskutiert.3 Mit den einschränkenden Formulierungen der Thirty-Nine Articles waren aber wahrscheinlich noch einmal andere Haltungen hinsichtlich der Judizialgesetze Moses gemeint, nämlich die generellen Befürwortungen und auch Einforderungen, dass sich die politische Ordnung an ihnen zu orientieren habe. Diese Position wurde von einer Reihe von Theologen vertreten, die normalerweise unter dem Begriff „Puritanismus“ subsumiert werden. So hat Bernhard Capp eine eigene theologische Rechtstradition der Puritaner beschrieben, in der eine Fortgeltung und Anwendung der mosaischen Judizialgesetze ausdrücklich vertreten wurde. Hier ließe sich etwa bei Thomas Cartwright (1535–1603), dem Erzbischof von Canterbury, John Whitgift (um 1530–1604), und William Perkins (1558–1602) ansetzen.4 Eine Konsequenz dieser Haltungen englischer und schottischer Theologen war schließlich die späte positive Stellungnahme über die mosaischen Judizialgesetze in der erwähnten Westminster Confession.5 Befürwortungen der Geltung der Judizialgesetze Moses blieben eng mit der Tradition der Puritaner verbunden, auch bis in die Kolonialzeit Amerikas und zeitlich darüber hinausgehend. Die Autoren, die in den folgenden Abschnitten vorgestellt werden, gingen größtenteils gar nicht so weit in ihren Bewertungen der politischen Relevanz der mosaischen Gesetze wie die Puritaner. Sie fanden aber neue Vermittlungsmöglichkeiten, wie das mosaische Judizialgesetz in einem christlichen Gemeinwesen anzuwenden sei. Ihre Werke sind deswegen zur politia-judaica-Literatur zu zählen, weil die Vorbildlichkeit der mosaischen Gesetzgebung ihr eigentliches Hauptthema ist. Auch wenn eine strikte Zuordnung kaum möglich ist, so lehnen auch andere, zu seinem Gehorsam, und das nicht nur im Hinblick auf die in ihm enthaltenen Dinge, sondern auch im Hinblick auf die Autorität Gottes, des Schöpfers, der es gegeben hat. Diese Verpflichtung löst Christus im Evangelium auch nicht irgendwie auf, sondern verstärkt sie vielmehr“ (Das Westminster Bekenntnis, Kap. 19,3–5, zit. nach Bekenntnisse [ed. Goeters u. a.], 207–237, hier: 224f, eigene Hervorhebung, MT). 3 Vgl. Jordan, Calvinism, 39f. 4 Vgl. aaO., 40–42; zur Entwicklung in der reformierten Tradition nach Calvin Muller, After Calvin. 5 Siehe oben Anm. 2 in diesem Kapitel; dazu schon Jordan, Calvinism, 43f. Vgl. den Überblick bei Ross, Distinguishing Eternal from Transient Law.
Aufwertungen des mosaischen Judizialgesetzes unter calvinistischen Theologen
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sich die Werke eher an den rechtskomparativen Typ der politia-judaica-Literatur an, der im obigen Abschn. 3.2 vorgestellt wurde. In der Frühen Neuzeit war diese Nähe noch eher im Bewusstsein als in der Forschungsliteratur der Gegenwart.6 Darauf ist ebenso zu verweisen wie auf die Beobachtung, dass es sich bei den Autoren um calvinistische Theologen handelte. Diese, so wird erkennbar werden, konnten ihrerseits insbesondere an eine reformierte Tradition Genfer Prägung anschließen.
4.1
Aufwertungen des mosaischen Judizialgesetzes unter calvinistischen Theologen: Nachzeichnung eines Diskurses
Das damit in Betracht kommende Schrifttum lässt sich in einem Diskurs nachzeichnen, der von einer reformierten Theologie Genfer Prägung die wesentlichen Impulse erhalten hat. In England beginnt dieses Schrifttum mit Edmund Bunnys in London gedrucktem Werk The scepter of Iudah: or, what maner of government it was, that unto the common-wealth or Church of Israel was by the law of God appointed (1584). Diese kleine, 160 Seiten umfassende Schrift deutet in der Art und Weise, wie das alte jüdische Gemeinwesen („Iewish policie“) aus rechtlicher Perspektive wahrgenommen und mit dem Vorbild der mosaischen Gesetze verknüpft wird, auf Nähen zu Calvin und Theodor Bezas Konzept der politischen Gesetze des Mose hin. Vielleicht hat Bunny auch Corneille Bertrams Werk De politia judaica gekannt. Bunnys Werk veranschaulicht zugleich aber noch einmal, dass diese Orientierung am Rechtsvorbild des mosaischen Gemeinwesens sich auch unabhängig von einer Form von christlichem Hebraismus oder einem Gebrauch rabbinischer Quellen entwickelte, denn Bunny stützt sich nur auf den englischen Bibeltext und einige wenige weitere antike Quellen, aber keine hebräischen bzw. rabbinischen Texte (Abschn. 4.2). Daneben sei aber bereits angemerkt: Wenn in diesem Kapitel die Bezüge zur Genfer Theologie betont werden, so geschieht dies nur unter folgenden Vorbehalten: Erstens muss der Eigenanteil der im Folgenden besprochenen Theologen bei der Formierung einer eigenen calvinistisch-reformierten „Tradition“ in der Gesetzeslehre gewahrt und betont werden. Dies gilt insbesondere für einen reformierten Theologen und Hebraisten wie Franciscus Junius, der in diesem Abschnitt mit seinem Werk De politiae Mosis observatione (1593) vorgestellt 6 Siehe bereits die Hinweise in der Einleitung, Abschn. 2., S. 22–30 u. dazu Abschn. 1.1. Ein Zusammenhang der in diesem Kapitel behandelten Werke mit der in Abschn. 3.2 vorgestellten rechtskomparativen Literatur muss nicht immer so deutlich werden wie beispielsweise bei Wilhelm Zeppers Werk Legum Mosaicarum forensium explanatio aus dem Jahr 1604. Dies lag vor allem an der systematisch immer weiter differenzierten Behandlung der Frage, inwieweit die mosaischen Judizialgesetze im christlichen Gemeinwesen Geltung haben.
342 Die politischen Gesetze Moses als Modell in der calvinistisch-reformierten Theologie wird. Junius hatte 1559 sein Theologiestudium in Genf aufgenommen und so Calvin in seinen letzten Lebensjahren und Theodor Beza als Lehrer erlebt.7 Mit der Schrift De politiae Mosis observatione bietet Junius aber einen neuen systematischen Ansatz in der Deutung der politischen Gesetze Moses, der noch einmal über seine theologischen Lehrer hinausgeht (Abschn. 4.3). Zweitens kann es im Folgenden nicht darum gehen, eine calvinistisch-reformierte gegenüber anderen protestantischen, besonders reformierten, Lehren von den mosaischen Gesetzen auszuspielen. Dies verbietet sich schon deswegen, weil die im Folgenden vorgestellten Theologen gerade darum bemüht waren, eine möglichst breite protestantische Konsenshaltung in ihren Werken zum Ausdruck zu bringen. Und doch lassen sich auch dann spezifische calvinistisch-reformierte Eigenarten in der politischen Deutung der mosaischen Gesetze nachhalten. Das beste Beispiel hierfür ist der Herborner Theologieprofessor und Kirchenmann Wilhelm Zepper (Abschn. 4.4). Er greift, wie zu sehen sein wird, bereits auf Junius’ Schrift De politiae Mosis observatione als Quelle zurück. Aber in seiner Legum Mosaicarum forensium explanatio (1604) kommt ansonsten auch ein breites Spektrum von Theologen, vornehmlich des 16. Jahrhunderts, zum Vorschein, die sich mit der Frage beschäftigt hatten, ob die mosaischen Judizialgesetze im christlichen Gemeinwesen Geltung beanspruchen konnten. Zeppers Anspruch war es, aus den divergierenden Meinungen eine theologische Mitte zu formulieren. Wie zu sehen sein wird, kann Zepper sich dazu dann auch auf die (frühen) Haltungen Luthers und Melanchthons beziehen.8 Die bewusste Anknüpfung an die beiden vorbildlich wirkenden Reformatoren darf dann aber trotzdem nicht einer Beantwortung der Frage im Wege stehen, auf welche konkreten Einflüsse Zeppers politische Deutung der Gesetze des Mose zurückzuführen ist. Gleiches gilt – zumindest im Fall der Lehre von den mosaischen Gesetzen – auch für den schottischen Theologen und Hebraisten John Weemes (Abschn. 4.5). Mit seiner Lehre von den mosaischen Gesetzen in drei Teilen und insgesamt vier Büchern, übertrifft Weemes vom Umfang her alle anderen Werke, die bis hierhin vorgestellt wurden. Viel zu seiner Person und seinem geistig-theologischen Hintergrund ist heute nicht mehr bekannt. Zumindest indirekt aber lassen sich einige Rückschlüsse ziehen: Eine theologische Disputation über die Erbsünde (de originali peccato) aus dem Jahr 1599, die an der Universität Leiden unter keinem anderen als Franciscus Junius erfolgte, trägt den Respondentennamen ‚Ioannes Wimesius Scotus‘.9 Dies spricht dafür, dass Weemes unter 7 Vgl. Sarx, Franciscus Junius d.Ä., 45–47. 8 Siehe genauer Abschn. 4.4.2. 9 Junius (Praes.), Franciscus/Ioannes Wimesius [John Weemes] (Resp.), Theologicarum disputationum decima nona: de originali peccato, Leiden 1597.
„Policie of the Iewes“: konfessionelle und transkonfessionelle Aspekte
343
Franciscus Junius in Leiden Theologie studierte oder sich zumindest dort aufgehalten haben musste und mit ihm in Kontakt stand. So schließt sich auch hier wieder der Kreis im Hinblick auf die reformierte Theologie Genfer Prägung. Gewidmet ist die Schrift dem Humanisten und Theologen Andrew Melville, der selbst an der Genfer Akademie gelehrt hatte und dann für die Etablierung des Hebräisch-Unterrichts an den Universitäten in Schottland seit den 1570er Jahren gesorgt hatte.10 Auch Weemes – so wird zu sehen sein – gehörte zu den Vorreitern des christlichen Hebraismus auf den britischen Inseln. Entlang seiner Werke kann deswegen auch abschließend in diesem Kapitel exemplarisch gefragt werden, in welcher Weise die Orientierung am Vorbild der mosaischen Gesetzgebung mit einem christlichen Hebraismus vermittelbar war und welche Konsequenzen dies in konfessioneller und transkonfessioneller Hinsicht hatte.
4.2
„Policie of the Iewes“: konfessionelle und transkonfessionelle Aspekte in Edmund Bunnys The scepter of Iudah (1584)
Edmund Bunnys (1540–1618)11 Werk The scepter of Iudah: or, what maner of government it was, that unto the common-wealth or Church of Israel was by the law of God appointed (1584) steht für den eigentlichen Anfang der englischen politia-judaica-Literatur. Mit einem Einblick in die relativ kurz gehaltene Schrift soll in diesem Abschnitt illustriert werden, wie die calvinistisch-reformierte Lehre von den mosaischen Gesetzen und vom Rechtsvorbild des alten jüdischen Gemeinwesens durch Autoren wie Bunny auf den britischen Inseln wirksam werden konnte. Die Wirkungen, die von dem durchweg in englischer Sprache verfassten Werk ausgingen, sind vor allem in der theologischen Ausbildung zu suchen. Hier liegen auch die Schnittmengen zu Bunnys eigenem Leben und der Ausrichtung seiner theologischen Werke. Nach der Erlangung des Magistergrades im Jahr 1565 in Oxford blieb Bunnys Wirken sein Leben lang vor allem auf die Kirche und eine umfassende Predigertätigkeit beschränkt.12 Er arbeitete als kirchlicher Subdekan von York und 10 In den 1550er und 1560er Jahren gab es bereits Bestrebungen für die Einführung des Hebräischunterrichts an schottischen Universitäten. Dieser etablierte sich allerdings erst richtig in den 1570er Jahren mit der Rückkehr Andrew Melvilles, der in Paris und Genf studiert hatte. Als er 1580 nach St Andrews zog, kam es zur Einführung hebräischer Studien dort und um 1600 hatten schließlich alle vier schottischen Universitäten Hebräisch auf ihrem Lehrplan (vgl. Rex, Humanism and Reformation, 526f u. 512f mit weiterer Lit.; Totzeck, Politischer Hebraismus, 226). Die reformatorische Bedeutung des Humanisten Andrew Melville ist jetzt ausführlich gewürdigt von Reid, Andrew Melville. 11 Sheils, Art. Bunny führt Hinweise zum Todesjahr 1618 auf, wodurch die Angabe 1618–19 bei Gordon, Art.: Bunny, 271 präzisiert wird. 12 Zu den folgenden biographischen Angaben vgl. Gordon, Art.: Bunny.
344 Die politischen Gesetze Moses als Modell in der calvinistisch-reformierten Theologie 25 Jahre als Pastor in Bolton Percy, North Yorkshire. Durch eigene Pfründe finanziell abgesichert, bereiste er später das Land als Prediger und kehrte auch nach Oxford zurück. Diese Praxisnähe findet in seinen neun theologischen Werken13 ebenso Ausdruck wie die Orientierung an Calvin und der calvinistischreformierten Tradition. So gab Bunny beispielsweise eine eigene lateinische Kurzfassung von Calvins Hauptwerk Institutio Christianae religionis heraus, die auch noch in englischer Sprache erschien.14 Mehrfach neu aufgelegt wurde außerdem A Book of Christian Exercise, Appertaining to Resolution (1584), das sich an einer Erbauungsschrift des Jesuiten Robert Parsons (1546–1610) orientierte und für Streit zwischen Bunny und Parsons sorgte.15 Dieses Werk gehörte mit den bis zum Ende des Jahrhunderts erschienenen 24 Auflagen und sechs kürzeren Fassungen zu den am weitesten verbreiteten apologetischen Werken von Protestanten und es sollte später noch den jungen puritanischen Geistlichen Richard Baxter (1615–1691) beeinflussen.16 Auffällig ist ansonsten, dass sich Bunny neben The scepter of Iudah in weiteren exegetischen Werken vor allem mit dem Alten Testament beschäftigt hat. Auch in The scepter of Iudah findet Bunnys praxisnahe Theologie Ausdruck. Dies zeigt sich beispielsweise daran, dass das Werk einen umfassenden Apparat für die Erschließung der Bibelstellen und Themen enthält. Sowohl das angehängte ausführliche Bibelstellenregister als auch ein Personen- und Sachregister („Table of principal things in this booke contained“) orientieren sich dabei an der Nummerierung fortlaufender Paragraphen („sections“) und ihrer Unterabschnitte („letters“). Dies ermöglichte ein schnelles Nachschlagen. Auch konnte Bunnys Schrift für das Bibelstudium leicht als Handbuch dienen, weil eine vorgeschaltete dichotomische Aufgliederung des gesamten inhaltlichen Stoffes eine Orientierung erleichterte.17 Typisch für eine calvinistisch-reformierte Konzeption ist gleich der Beginn der Schrift, der ähnlich wie z. B. Corneille Bertrams De politia judaica zunächst mit der Fähigkeit und Störung der natürlichen (Handlungs-)Einsicht des Menschen seit dem Sündenfall einsetzt. Bunny umschreibt dies begrifflich mit einem von Gott gegebenen Naturinstinkt („instinct of nature“), Gemeinsinn („common sense“) und Gefühl der Billigkeit („feeling of aequitie“), hinter denen die Menschen dann selbst zurückblieben.18 Stärker noch 13 Die Werke sind mit den unterschiedlichen Auflagen erfasst, vgl. ebd. 14 Bunny/Calvin, Institutionis Christianae religionis, a Ioanne Calvino conscriptae, compendium simul, ac methodi enarratio, London 1576. 15 Vgl. ausführlich B. S. Gregory, True and Zealouse Service. 16 Vgl. Sheils, Art. Bunny. 17 Vgl. dazu die Übersicht The effect and method of the Treatise ensuing. (Bunny, The scepter of Iudah, f. [A.4.v]–[A.5.r]) nach dem Vorwort an den Leser, die durch dichotomische Aufteilung des inhaltlichen Stoffes vom Allgemeinen zum Einzelnen führt und stark an die ramistische Methodik erinnert. 18 Vgl. aaO., 1–12.
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als bei Bertram wird dann aber zwischen den eigentlichen Gesetzen, die den Juden gegeben wurden, und ihrer unzureichenden Umsetzung im Leben unterschieden („for the most part, it was verie much corrupted one way or other“19). Dies geht mit Abwertungen gegenüber dem Judentum einher. Bunny verzichtet auch insgesamt auf die Nutzung rabbinischer bzw. hebräischer Quellen. In binnenkonfessioneller Hinsicht kann Bunnys Darstellung noch in einigen Punkten mit Bertrams und Bezas Gesetzeskonzeption oder auch Calvins harmonischer Auslegung der Mosebücher verglichen werden: Gesetzeserklärungen werden in eine fortlaufende historische Beschreibung eingefügt und beschränken sich dabei zum Großteil auf die letzten vier Mosebücher. Auch werden Rechtssatzungen dem Dekalog zugeordnet.20 Mit seiner dichotomischen Gesamtgliederung bei der Behandlung der Regierung der Israeliten („the government of Israel“) ist Bunny aber eigene Wege gegangen.21 Die ersten fünf Paragraphen (sections 1–5) konzentrieren sich auf das Naturrecht, das allen Menschen gemein („common“) sei. Dann werden die Gesetze behandelt, die dem Volk Israel angemessen waren („that which they had proper to themselves“) und mit den geschriebenen Gesetzen Gottes unter dem Dienst und Regiment des Mose identifiziert werden. Eine mögliche Vermittlung zwischen den common laws und proper laws wird von Bunny in systematischer Weise in seiner Schrift nicht näher ausgeführt. So beschränkt sich ein nächster Teil des Werkes auf die Beschreibung der Landnahme, die erst die Errichtung der Regierung Israels ermöglichte. Dabei kommen die Gesetze in Betracht, die die Israeliten bei der Besiedlung des verheißenen Landes beachten sollten (sect. 6–19) wie z. B. Besitzrechte und die Aufteilung unter den Stämmen selbst. Anschließend geht es um die Gesetze, die die Israeliten in ihrem Verhalten beachten sollten. Im Fortgang wird dabei noch die gängige Dreiteilung der Gesetze des Mose in Moral-, Zeremonial- und Judizialgesetze im Groben erkennbar. Bunny spricht erstens von den Gesetzen, die das Privatleben zu Hause, vor Gott und den Menschen betreffen (sect. 20–30) und zweitens von denen, die auf die öffentliche Religionsausübung zielen, also das Opferwesen (sect. 31–49). Hierunter behandelt Bunny neben den Opfern auch das Priestertum und den Festkalender der Israeliten. Dann wird drittens schließlich das Strafrecht zum Thema. Dies führt Bunny auch dazu, die weltliche Obrigkeit („authority“) und richterlichen Instanzen, die unter der Regierung des Mose eingeführt wurden, zu beschreiben (sect. 50–62). In diesem Teil tauchen die für die politia-judaica-Literatur typischen Betrachtungen zur Form des mosaischen Gemeinwesens mit seinen Rechtsinstitutionen und Leitungsämtern auf.22 19 Vgl. aaO., 1. 20 Vgl. aaO., 143ff. 21 Siehe Anm. 17 in diesem Kapitel. Die folgenden Zitate im Text orientieren sich an dieser Übersicht. 22 Vgl. Bunny, The scepter of Iudah, 120–160.
346 Die politischen Gesetze Moses als Modell in der calvinistisch-reformierten Theologie An einer Betrachtung der nach-mosaischen Zeit ist Bunny dann nicht mehr interessiert, denn im Vordergrund stehen die Erklärungen zum Gesetz: Die Beschreibung der „policie of the Iewes“ speist sich entsprechend alleine aus den mosaischen Gesetzen.23 In Randglossen werden nur ganz vereinzelt Bibelverweise aus dem Neuen Testament ergänzt.24 Dass von Bunnys Schrift insgesamt nur eher wenige Wirkungen ausgegangen sind, dürfte damit zusammenhängen, dass er über den Bibeltext hinaus – ausgenommen ein paar Randglossen mit Bezügen auf antike Quellen25 – nicht auf andere Texte zurückgegriffen hat. Hier waren vorherige Arbeiten wie z. B. Bertrams De politia judaica viel weiter gegangen. Aussagekräftig ist – trotz aller Nähen zu Genfer theologischen Vorbildern –, dass Bunny als jüngere Quelle nicht etwa auf calvinistische Autoren zurückgreift, sondern den lutherischen Theologen und Reformator Württembergs Johannes Brenz zitiert.26 Binnenkonfessionelle Differenzen im protestantischen Bereich werden damit von Bunny also eher vermieden.
4.3
Franciscus Junius’ De politiae Mosis observatione (1593) in der Debatte über die Geltung der mosaischen Judizialgesetze
Das Werk De politiae Mosis observatione von Franciscus Junius (1545–1602), dessen Vorrede auf den 11. Oktober 1593 datiert und das in Leiden veröffentlicht wurde, gehört erstens in den Kontext der Niederlande. Dies verdeutlicht schon die Widmung an die holländischen Stände. Dieser politische Hintergrund der Schrift genauso wie die Universität Leiden als ein Zentrum der damaligen westeuropäischen Gelehrtenwelt werden im nächsten Kapitel noch einmal eine Rolle spielen. Erst ein Jahr vor dem Druck von De politiae Mosis observatione war Junius zum Ersten Professor für Theologie an der Leidener Universität berufen worden. Nachdem er zuvor unter anderem in diplomatischen Diensten tätig gewesen war, erlangte Junius bald weite Bekanntheit als reformierter Theologe und Bibelübersetzer. Zeugnis dessen sind vor allem seine immer wieder neu aufgelegte und zusammen mit Johannes Immanuel Tremellius (1510–1580) erarbeitete Übersetzung des Alten Testaments (1580),27 die in manchen späteren 23 24 25 26 27
Vgl. aaO., 1f. 125. Vgl. z. B. aaO., 28. 61. 71 u. ö. Vgl. aaO., 14f. Vgl. aaO., 44. Tremellius/Junius, Testamenti veteris Biblia sacra sive libri canonici priscae Iudaeorum Ecclesiae a Deo traditi, Latini recens ex Hebraeo facti, brevibusque scholiis illustrati […], Frankfurt a.M. 1579. Zur zweiten Ausgabe der Biblia sacra (London, 1580), mit der William Welwood gearbeitet hatte, siehe bereits Abschn. 3.2.3. Insgesamt erschienen bis in das Jahr
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Ausgaben auch mit Theodor Bezas Übersetzung des Neuen Testaments abgedruckt wurde, und die Sacrorum Parallelorum libri tres (Name erst mit der 3. Aufl. 1588),28 eine Kompilation und Kommentierung alttestamentlicher Bezüge im Neuen Testament. Mit diesen Werken und der später erschienenen De theologia vera (1594) ebnete Junius der reformierten Schultheologie der nächsten Jahrzehnte den Weg. Junius knüpfte mit De politiae Mosis observatione aber bereits genauso an die beschriebene Genfer reformierte Tradition in der Nachfolge Calvins und insbesondere Bezas an. Dies eröffnet einen zweiten wichtigen Zugang zu seinem Werk. Junius hatte, nachdem er 1562 zum Theologiestudium nach Genf gegangen war, Beza und auch noch Calvin in seinen letzten Lebensjahren als Lehrer erlebt, bevor er dann 1565 im belgischen Antwerpen Pastor wurde. Junius’ Schrift kann sogar in mehrfacher Hinsicht als eine Weiterführung der Argumente seines Lehrers Beza verstanden werden. Dies ergab sich unmittelbar aus der anhaltenden Debatte um die Geltung der mosaischen Judizialgesetze. Auch wenn der Titel des Werkes zunächst nicht an den Kontext dieser Debatte denken lässt, so zeugt der Untertitel zu den zwei Teilen der Schrift doch noch davon. Dieser Untertitel bezieht sich auf eine Thesenreihe, die einer vorhergehenden Disputation unter dem Vorsitz von Junius entstammt, und einen ausführlichen Observationsteil dazu.29 Der Begriff politia im späteren Werktitel muss daran anlehnend in einem engeren weltlich-zivilen Sinn verstanden werden, der sich für Junius von dem geistlich-kirchlichen Bereich (ecclesia) abgrenzen ließ, ohne dass die kooperativen Verbindungen beider Bereiche (communicatio statt confusio) in einem Gemeinwesen für ihn verloren gehen sollten.30 Die Orientierung an der politia 1764 mindestens 33 verschiedene Druckausgaben der Bibelübersetzung von Tremellius und Junius (vgl. Rester/McGinnis, Introduction, xxiii). 28 Der Titel lautete zuerst: Ad Testamenti Veteris Interpretationem, In Antiquissima Et Florentissima Heydelbergensi Academia nuper institutam & coeptam, prokatable¯ma, Heidelberg 1585. 29 Zit. wird im Folgenden aus der zweiten Auflage der Werkausgabe Opera theologica Francisci Iunii Biturigis, 2 Bd., Genf 21613 ([Genf] 11607/1608). Ein Gesamtverzeichnis der Schriften Junius’ bietet Sarx, Franciscus Junius d.Ä., 288–290. Die insgesamt 37 Thesen, die die Argumentation von De politiae Mosis observatione vorgeben, tragen den Titel Theses theologicae de legibus Mosis iudicialibus et earum observatione (Junius d.Ä., De politiae Mosis observatione, Sp. 1485–1488), der anschließende Buchteil hat den fast identischen Untertitel De legibus Mosis iudicialibus et earum observatione (aaO., Sp. 1490ff). Demgegenüber werden im vollen Titel der Erstausgabe des Werkes, der auch in den nachfolgenden Editionen übernommen wird, die mosaischen Judizialgesetze nicht spezifisch erwähnt, aber bereits die Adressierung an die christliche Leserschaft (das Gottesvolk) und die politischen Implikationen angesichts der Widmung an die holländischen Stände deutlich: De politiae Mosis observatione; Quid in populo Dei observari, quid non observari ex ea oporteat, postquam gratia & veritas per Christum facta est, & Euangelio promulgata, Leiden 1593; weitere erw. Aufl. ebd. 1602; [Heidelberg] 1603; aufgen. in: Opera theologica, [Genf] 1607/1608; Genf 1613. 30 Junius stellt in seiner Vorrede mehrfach den Magistrat als politische Instanz dem geistlichen
348 Die politischen Gesetze Moses als Modell in der calvinistisch-reformierten Theologie Mosis setzt also gerade keine Vereinheitlichung von Staat und Kirche für ihn voraus! Dies betont Junius bereits mehrfach in der Vorrede zu seinem Werk. Doch liegt die gemeinsame Quelle der guten gesetzlichen Ordnungen für beide Bereiche letztlich doch in Gott und muss zwangsläufig auch damit zusammenhängen, wie Gott sich in der Geschichte durch Mose in seinen eigenen Gesetzen offenbart hat. Wie Beza geht es Junius darum, den einzigartigen Vorbildcharakter der mosaischen Gesetze auch für die politische Gegenwart herauszuarbeiten. In einzelnen Formulierungen zeigen sich besondere Nähen zu Beza.31 Beide Theologen gelangten aber doch trotz dieser außerordentlichen Hochschätzung der mosaischen Gesetze zu keiner direkten Anwendung oder Übertragung der mosaischen Judizialgesetze auf das gegenwärtige Gemeinwesen. Dabei stimmen Junius’ Unterscheidungslehren in Fragen der Geltung der mosaischen Gesetze zum Teil mit denen Bezas überein, auch wenn Junius insgesamt zu detaillierteren Ausführungen kommt.32 Der Vorrede zu dem Werk De politiae Mosis observatione lässt sich entnehmen, dass es Junius um eine Beschwichtigung zwischen zwei Extrempositionen in der Frage der mosaischen Judizialgesetze ging: nämlich zwischen einer Partei, die es für notwendig erachtete, dass die mosaischen Judizialgesetze in einen christlichen Staat übertragen werden, und den Gegnern, die die Judizialgesetze auf eine Stufe mit den Zeremonialgesetzen Moses stellten
Vertreter, der auch „servus Dei“, „administer Christi“, „Minister Ecclesiastico“ und auch „Theologus“ genannt wird, gegenüber (vgl. aaO., Sp. 1481–1483). Der Magistrat regiere die „societas hominum“, während die Diener Gottes der „communio sanctorum“ vorstehen. In dieser Zweiteilung wird dann auch synonym zwischen politia und ecclesia unterschieden: „Atque haec quidem secundum naturam functionis suae communia sunt vtrique hominum generi, qui in politia, & Ecclesia praesunt: nam & regulam publico exhibent, & auctoritatem adiunctam habent“ (aaO., Praef. Sp. 1483). Sowohl der Magistrat wie die kirchlichen Vertreter sind letztlich auf den „Hafen des ewigen Heils“ ausgerichtet, aber in doch unterschiedlicher Weise: „Nam & Magistratus suo ordine politico ad portum salutis aeternae societatem suam adspirantem iuuat; & Minister Ecclesiastico, per fretum societatis humanae, opemque Magistratus boni: Magistratus in hac vita regit, Minister per hanc ad illam dirigit. Hinc fit, vt multarum quoq[ue] actionum aliqua sit inter hos ordines communicatio, non autem (ut ἀβδηρολόγοι & ambitiosi putant) confusio. Quid enim confusioni cum ordine? quid luci cum tenebris? Ordinem vnum altero iuuari volo, non perimi: vtrumque seruari, non perdi: cupio vt sua cuique natura, suus modus, & sui fines constent contra imprudentiam & improbitatem hominum temere in alto ludentium, tamquam si in portu agerent (aaO., Praef. Sp. 1483f). 31 So z. B., wenn Junius erklärt: „perfectum exemplum est in lege Mosis“ (aaO., 1485 th. VIII.; vgl. auch aaO., 1499) und Beza in seiner Diskussion über die Anwendung der mosaischen Judizialgesetze in seinem Traktat De haereticis a civili magistratu puniendis libellus (1554) in ähnlicher Weise von dieser Vorbildlichkeit der mosaischen Gesetze spricht („ad Mosaicarum legum perfectissimum exemplar”), siehe bereits zit. oben, Abschn. 2.5.4.2, Anm. 423. 32 Dies gilt insbesondere für Junius’ Integration eines umfassenden Verständnisses von der lex aeterna, die vor dem Hintergrund seines stoischen Erbes zu erklären ist (vgl. Sarx, Franciscus Junius d.Ä., 109ff).
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und an ihrer zwingenden Abschaffung festhielten.33 Das gesamte Werk ist deswegen auch als eine Antwort auf die aufeinandertreffenden Ansichten dieser zwei Parteien zu lesen, die es beide nicht nur neuerdings, sondern auch schon in der langen Geschichte des Christentums gegeben habe. Junius positioniert sich in diesem Streit ganz klar als Theologe. Doch kann ein Theologe auch so einfach über diese Streitigkeiten entscheiden, die eigentlich die politische Ordnung betreffen? Zur Klärung dieser Frage thematisiert Junius das Verhältnis von Jurisprudenz und Theologie bereits ausführlich in seiner Vorrede. Die bereits erwähnte Unterscheidung zwischen politia und ecclesia, die Junius in der Vorrede einbringt, findet hier ein Pendant zu der zwischen Magistraten und Juristen einerseits und Geistlichen und Theologen andererseits.34 Dies führt zu einem dritten Zugang, der dabei helfen kann, Junius’ Schrift kontextuell einzuordnen: Auch wenn Junius als Theologe in seinem Werk spricht, so hätte er sich biographisch doch genauso gut auch auf der Seite der Juristen verorten können. Wie Calvin und Beza hatte Junius zunächst die Rechte studiert. Hervorzuheben ist dabei sein Studium in Bourges unter Größen der humanistischen Jurisprudenz Frankreichs wie François Douaren und Hugues Doneau (Donellus), die bereits zurückliegend in Kapitel 3. vorgestellt wurden: Der Bezug zur humanistischen Jurisprudenz macht nicht nur die Zitaten-Fülle der antiken Rechtstradition in Junius’ Werk erklärbar, sondern zeigt sich noch spezifischer bei den immer wieder gesuchten Vergleichen zwischen dem mosaischen Recht und römischen Recht bzw. dem Corpus Iuris Civilis und liefert so auch wichtige Hinweise auf das methodische Vorgehen in seinem Werk, in das sich dann noch die mittelalterlich-scholastische Gesetzeskonzeption eines Thomas von Aquin mischt.35 Das Lehrgebäude der scholastischen Theologie wird nun nicht mehr gemieden, wie dies noch vermehrt protestantische Theologen der ersten Generation taten, sondern insbesondere für die Distinktionen der Gesetzeslehre genutzt. In Vermittlung des römischrechtlichen Erbes mit einer höchst rational orientierten Theologie dürfte auch die besondere Attraktivität von Junius’ Schrift für Nicht-Theologen wie den Juristen Johannes Althusius gelegen haben, die sich später explizit auf Junius 33 Junius bleibt relativ unspezifisch und nennt keine Namen. Zunächst werden die zwei Gruppen mit gegenteiliger Meinung allgemein im Hinblick auf ihre Gesetzestreue eingeführt, dann geht etwas genauer um die erwähnte Haltung zu den Judizial- und Zeremonialgesetzen, die entweder dem Willen zu einer Übertragung oder eben Abschaffung im christlichen Staat entspreche. Zumindest wird noch erkennbar, dass es dabei auch um eine gegenwärtige Debatte geht (vgl. Junius d.Ä., De politiae Mosis observatione, Praef. Sp. 1476f. 1480f). 34 Vgl. aaO., Praef. Sp. 1481f. 1484. 35 Vgl. zu seinem juristischen Studium in Frankreich: Rester/McGinnis, Introduction, xx. Zu den Vergleichen zwischen mosaischem und römischem Recht (dem Corpus Iuris Civilis) vgl. u. a. Junius, De politiae Mosis observatione, 1490,10–40; 1505,71–77; 1510,15–20; 1513,86–89; 1514,45–52; 1517,60–80.
350 Die politischen Gesetze Moses als Modell in der calvinistisch-reformierten Theologie bezogen. Junius’ eigenen Angaben ist noch zu entnehmen, dass er wohl auch von Juristen zu seiner Schrift angeregt wurde.36
4.3.1 Zur Gesetzessystematik: ewiges Gesetz (lex aeterna) und mosaische Gesetze Man merkt insgesamt, dass Junius in seinem Werk seinen juristischen und theologischen Wurzeln treu bleibt. In methodischer Hinsicht bleibt sein Werk nicht auf die Behandlung der Frage nach der Geltung der mosaischen Judizialgesetze beschränkt. Vielmehr wird in seiner Schrift auch eine allgemeine Gesetzeslehre geboten. Die inhaltsreiche Vorrede zeigt hier die zwei richtungsweisenden Gedankengänge an, um die Junius’ Beobachtungen zur politia Mosis kreisen. Zum einen geht es ihm um das menschliche Zusammenleben an sich in seinen gemeinschaftlichen und partikularen Formen und dann um eine allgemeine Lehre von den Gesetzen.37 Insgesamt folgt der ausführliche Observationsteil des Buches zu 38 Thesen dem Gang vom Allgemeinen zum Partikularen in der Gesetzeslehre. Alle Thesen werden zusammenhängend in acht Kapiteln erläutert. Nach dem 1. Kapitel (De iusta legis definitione & divisione) nimmt Junius am Ende des 2. Kapitels (De lege Mosis, et substantia illius in genere) bereits mit den Thesen X.–XII. die Behandlung der mosaischen Judizialgesetze auf, so dass sich auch der Großteil des Buches insgesamt damit beschäftigt. Allerdings werden in den folgenden sechs Kapiteln38 immer wieder auch Ausführungen zu den anderen Gesetzesarten in den Argumentationsgang eingeflochten und konkrete Anwendungsfälle vor dem Hintergrund einzelner biblischer Gebote dargelegt.
36 „Ego prior scribere institui, non forte rogatus prior; sed tamen a bonis etiam rogatus qui iuri dant operam“ (aaO., Praef. Sp. 1484). 37 Die Vorrede beginnt mit der πρακτικὴ disciplina, die auch als politica disciplina bezeichnet wird, und endet wiederum in der politischen Betrachtung des christlichen Gemeinwesens (vgl. aaO., Sp. 1473f. 1481–1484). Dazwischen erfolgt ein historischer Zugang zum mosaischen Recht und den Debatten darüber, die für Junius bereits ihren Ursprung in der Antike haben. Es entspricht hier ganz der humanistischen Ausrichtung Junius’, dass er zurück zu den verlässlichen antiken Quellen der Kirchenväter kehren will, um Antworten zu finden. Die entscheidende Antwort gibt für ihn Augustins De libero arbitrio, dessen Quellenzitat das längste im gesamten Werk De politiae Mosis observatione ist (vgl. aaO., Sp. 1479f). 38 Der Vollständigkeit halber und zur Orientierung seien an dieser Stelle auch noch die Titel dieser sechs Kapitel wiedergegeben: Cap. III. De ea parte, quae in Legibus Mosi, iudicialibus & humanis allijs est immutabilis. (aaO., Sp. 1503ff), Cap. IIII. De ea parte quae in legibus humanis est mutabilis, & de mutationum causis (Sp. 1508ff), Cap. V. De ea parte speciatim, quae in legibus Mosis est mutabilis. (Sp. 1512ff), Cap. VI. Quid iuris communis sit in lege Mosis mutabile. (Sp. 1517ff), Cap. VII. Quid sit iuris particularis in Mose mutatum aut mutabile simpliciter. (Sp. 1520ff), Cap. VIII. Quid sit mixti iuris in Mosis legibus mutabile (Sp. 1524ff).
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Der Gang vom Allgemeinen zum Partikularen ist streng systematisch ausgerichtet, so dass am Ende auch der Weg von der allgemeinen Gesetzeslehre hin zu den spezifischeren Erörterungen der mosaischen Judizialgesetze der gesamten Gesetzessystematik des Junius entspricht. Dies kann in Kurzform gut entlang der erwähnten Thesenreihe39 beschrieben werden, die dem Traktat De politiae Mosis observatione zugrundeliegt: Junius kommt nach einer Definition der lex (These I.), die eine rational am Gemeinwohl (bonum commune) orientierte Regelung ausdrückt, zunächst auf die umfassendste Form des Gesetzes, die lex aeterna, zu sprechen, die als Gottes gesetzesmäßige Ordnung des Kosmos vor und über aller Zeit verstanden und von dem zeitgebundenen Gesetz (lex informata & tradita in tempore) unterschieden wird (Th. II.). Die lex informata & tradita in tempore teilt sich nach Junius wiederum auf in das Naturgesetz (lex naturalis), das allen rationalen Kreaturen eingeboren ist und so an der lex aeterna partizipiert, und auf der anderen Seite dem Gesetz, das der Natur zukommt (naturae adveniens) (Th. III.–IV.), nämlich das göttliche und menschliche Gesetz. Das göttliche Gesetz (lex divina) kommt seinerseits der Natur zu, indem es eingeflößt (infunditur) wird, das menschliche Gesetz (lex humana), indem es nacherzeugt (adnascitur) wird (Th. V.). Das, was das Besondere der lex divina nach Junius ausmacht, ist, dass es wie das Naturgesetz den rationalen Kreaturen von Gott eingeflößt wird, aber über die Natur hinausreicht, nämlich durch eine übernatürliche Führung auf ein übernatürliches Ziel hin (Th. VI.).40 Durch ihre Vernunft haben Menschen die Möglichkeit, das menschliche Gesetz von dem natürlichen und göttlichen Gesetz her sowohl den allgemeinen Schlussfolgerungen (communes conclusiones), die gerecht, anständig, nützlich und notwendig sind, als auch den einzelnen Begrenzungen (particulares determinationes), die sich nach Personen, Sachen oder Umständen richten, anzupassen (Th. VII.).41 Hier nun setzt die eigentliche Erörterung zum mosaischen Gesetz ein, in dem ein vollendetes Beispiel und Vorbild (perfectum exemplum) für die lex naturae, lex divina und lex humana enthalten sei (Th. VIII.). Die nachfolgenden Thesen stehen in einem Gesamtzusammenhang mit der Geltungsfrage der mosaischen Gesetze, was in Fragen des natürlichen und göttlichen Rechts (Th. IX.) schnell geklärt werden kann, für Junius aber gerade bei der lex humana und den mosaischen Judizialgesetzen (Th. X.–XI.) weitere Differenzierungen (Th. XII.–XXXVII.) 39 Vgl. zu den folgenden Ausführungen zum ersten Teil dieser Thesenreihe aaO., Sp. 1485f. 40 „VI. LEX divina est, quae inspirata a DEO et infusa rationalibus creaturis informat eas notionibus communibus & singularibus supra naturam, ad finem supernaturalem supernaturali ductu transmittendas“ (aaO., Sp. 1485). 41 „VII. LEX humana est, quam ferunt homines ratione procedentes ab illis legibus, tum ad communes conclusiones iustas, honestas, vtiles, & necessarias, tum ad particulares determinationes conditioni personarum quarum bono fertur, rerum negotiorumve de quibus fertur, & circumstantiarum quae eis accidunt accommodas“ (ebd.).
352 Die politischen Gesetze Moses als Modell in der calvinistisch-reformierten Theologie verlangt. Wann immer Junius von einem Beispiel oder Vorbild (exemplum) der mosaischen Gesetze in diesem Sinne sprach, meinte er keine vorgefertigte Ausformulierung eines Gesetzes, sondern eher ein lenkendes Prinzip, das man jeweils den mosaischen Gesetzen entnehmen konnte. In diesem Fall nutze er z. B. eine griechische Terminologie und sprach von einem „Ektypus“ (ἔκτυπον) in den Gesetzen des Mose.42 Alle Differenzierungen laufen dann auf die Fragen hinaus, welche Gesetze bzw. Gesetzesteile unveränderlich (immutabilis) oder veränderlich (mutabilis), ewig oder zeitgebunden, allgemein oder partikular sind. Diese Fragen wiederum hängen dann auch mit Klärungen zu den anderen Teilen des mosaischen Gesetzes zusammen. Denn die mosaischen Gesetze, die der Leser in überlieferter Form in der Bibel vorfindet, können, wie Junius ausführt, auch „gemischt“ sein, d. h. anteilig moralisch/ethisch, zeremonial und judizial, in je verschiedenen Zusammensetzungen. Genau genommen sei es sogar so, dass der Großteil der mosaischen Gesetze nicht in „Reinform“ als Moral-, Zeremonialoder Judizialgesetz in der Bibel vorkomme, sondern in gemischter Form. Wie es sich mit dieser gemischten Form der Gesetzesüberlieferung verhält, soll wenigstens an einem Beispiel, das Junius wählt, im Folgenden illustriert werden: Das Asylrecht in Num 35,9–34 und Dtn 19,1–1043 wird von Franciscus Junius als ein Beispiel für die gemischte Form der mosaischen Gesetze angeführt, in denen sowohl moralische, zeremoniale als auch politische bzw. gerichtliche Anteile zusammenkommen. So unterscheidet Num 35,9–34/Dtn 19,1–10 zunächst nicht nur unterschiedliche Tötungsdelikte – im deutschen Recht wäre hier die Unterscheidung zwischen Mord, Totschlag und fahrlässiger Tötung betroffen –, sondern sieht auch unterschiedliche Prozessformen und Strafen für die Täter vor. Ein Tötungsdelikt, bei dem jemand z. B. durch Stoßen oder Werfen eines Gegenstandes aus Hass oder Hinterlist getötet wird (Num 35,20), ist von einem solchen Tötungsdelikt zu unterscheiden, bei dem in diesem Fall keine schlechte Absicht bzw. ein Versehen vorliegt (Num 35,22f). Das biblische Recht, auf das sich Junius hier bezieht, unterscheidet entsprechend auch zwischen der sog. Blutrache bzw. der Todesstrafe bei vorsätzlicher Tötung und der Bestrafung für Tötung ohne Vorsatz, bei denen den Tätern ein Asyl in Freistädten als Schutz für die Blutrache und ein ordentliches Verfahren gewährt werden sollen. In moralischer Hinsicht treffen sich Num 35,9–34/Dtn 19,1–10 für Junius in zwei Punkten mit dem gemeinen Recht, nämlich darin, dass auf vorsätzliche Tötung im geordneten Rechtsverfahren die Todesstrafe stehen sollte, dass aber genauso an42 Vgl. aaO., Sp. 1486–1488 u. Praef. Sp. 1477. Junius nutzte das Wort „Ektypus“ für die lex divina und die lex naturae. Bei einem exemplum, das die lex humana betraf, wählte er den Begriff „Antitypus“ (ἀντíτυπον), weil seiner Gesetzessystematik folgend die recht verstandene lex humana selbst nur eine Form von Replik bzw. Nachbildung zur lex divina und lex naturae sein konnte (aaO., Sp. 1500,68–83). 43 Vgl. zum Folgenden aaO., Sp. 1527,89–1528,41. Die Versangaben wurden ergänzt, MT.
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dererseits Täter, denen keine Absicht unterstellt werden kann, geschützt werden müssen. Das Judizialgesetz, das sich daraus ergebe, sieht nach Junius vor, dass das ordentliche Rechtsverfahren in der Hand der Gemeinde liege (Num 35,24f). Da dies schon aus dem Moralgesetz prinzipiell abgeleitet werden kann, kann es gar nicht zeitgebunden und partikular nur für das jüdische Volk gegolten haben, sondern muss gemeinrechtlich gelten.44 Anders verhält es sich allerdings mit der Vorschrift, die das Asylrecht an die Lebenszeit der Hohenpriester bindet (Num 35,25–27), denn hier hätte sich ein zeremonialrechtlicher Anteil mit diesem Judizialgesetz vermischt. Da aber durch das Kommen Christi die Zeremonialgesetze aufgehoben worden seien und nur noch figurativen Charakter hätten, könne dieser Teil von Num 35,9–34/Dtn 19,1–10 auch nicht mehr Geltung beanspruchen. Die Unterscheidungen in Junius’ Gesetzeslehre ermöglichen also letztlich, wie in diesem Fall gut ersichtlich, eine Methodik, bei der im gemeinen (zivilen) Recht an der Vorbildlichkeit sowohl der mosaischen Moralgesetze als auch der Judizialgesetze festgehalten werden kann. Um diese Vorbildlichkeit zu untermauern, ging Junius aber noch einmal einen anderen Weg als einige der bisher behandelten Autoren, die vorrangig historisch argumentierten und an die Überlieferungen über die uralten Gesetze und Gesetzgeber anknüpften.
4.3.2 Einzigartigkeit und Vorbildlichkeit der politischen Gesetze des Mose In Junius’ Werk rückt nicht der Altersbeweis der von Mose verfassten Gesetze und Schriften in den Vordergrund, wohl aber die Einzigartigkeit der mosaischen Gesetze. Dies lässt sich gut daran veranschaulichen, dass Junius zunächst positiv an die geschichtlichen Überlieferungen der alten ägyptischen Weisheit anknüpft: Alle Historien bekennen, dass die Weisheit der Ägypter (bei ihnen wurde auch Moses unterrichtet) einst groß gewesen ist, und alle Philosophen aus Griechenland haben sie von höchstem Wert geschätzt. Diese [Philosophen] wurden fast alle aus diesem Grund auch von den profanen Autoren gefeiert, weil sie vor allen Augen aus den Lehren der Ägypter geschöpft hatten. Ihre glänzenden Grundsätze stechen nicht wenig bei Herodot, Diodorus Siculus und anderen hervor; und jenes ist auch der Erinnerung wert, was Plutarch [dazu] erzählt: Die Könige der Ägypter ließen diejenigen, die bei der Rechtsprechung an der Spitze standen, nach dem Gesetz schwören, dass, selbst wenn ein König etwas Ungerechtes in der Rechtsprechung angeordnet hätte, sie dies nicht befolgten.45 44 Vgl. aaO., Sp. 1528,17–22. 45 „Magnam olim fuisse Aegyptiorum (apud quos Moses fuit institutus) sapientiam, omnes historiae confitentur: & quicunque ex Graecia philosophi in summo pretio exstiterunt (sic!), ij ferme omnes eo nomine ab auctoribus etiam profanis celebrantur, quod Aegyptiorum disciplinas hausissent coram. Exstant praeclara illorum instituta non pauca apud Herodo-
354 Die politischen Gesetze Moses als Modell in der calvinistisch-reformierten Theologie Die zitierte Passage zielt nicht nur auf die uralte Weisheit der Ägypter, die von der griechischen Philosophie hochgeachtet worden sei und von paganen Autoren gefeiert wurde, sondern kommt auch zu einer relativ positiven Darstellung der Gesetzgebung der Ägypter. Wie passt dies aber nun mit Junius’ Nebenbemerkung in dem Zitat zusammen, dass Mose in der Weisheit der Ägypter unterwiesen war? Junius hätte sich diesbezüglich auf Apg 7,22 beziehen können, der einzigen Bibelstelle, die auch formuliert, dass Moses in der Weisheit der Ägypter unterrichtet wurde. Ein Bibelstellenverweis aber fehlt an dieser Stelle. Stattdessen zitiert Junius mit Plutarch und ebenso mit Herodot und Diodorus Siculus weitere antike Autoren, die Mose selbst zu einem Ägypter machten und ihrerseits zur Abwertung gegenüber dem Judentum bzw. den „Hebräern“ kamen. Junius war also eine Reihe außerbiblischer Mose-Traditionen bekannt gewesen. Außerdem wird das Erbe Ägyptens zunächst dadurch noch zusätzlich positiv befördert, dass Junius seine Ausführungen über die vorbildlichen Gesetzgeber und Gesetzgebungen mit den Ägyptern beginnen lässt und somit zumindest das höchste Alter ägyptischer Weisheit und Gesetze mit ihrer umfangreichen Wirkung auf die griechische Philosophie und profane Autoren suggeriert. In der Konsequenz reichen aber solche positiven Aussagen über das ägyptische Erbe von Weisheit und Recht nicht sehr weit, denn sie werden gleich durch die schlichte Bemerkung relativiert, dass es ein Leichtes sei, die Unvollkommenheit (imperfectio) des ägyptischen Gesetzeskorpus klar zu demonstrieren.46 Ja wenn es denn noch ein Korpus menschlicher Gesetze (leges humanae) von Wert gibt, dann würde es mit Recht das Corpus Iuris Civilis sein, das von seinem Urheber, dem Kaiser Justinian, vor 1060 Jahren von Aufzeichnungen der weisesten und klügsten Männer zusammengefügt worden sei.47 Doch auch dieses justinianische Gesetzeskorpus habe seine eigene Unvollkommenheit, was allein die Juristen, die es mit dem alten vorjustinianischen Recht (ius vetus) vergleichen, aber auch die nachfolgenden Rechtsentwicklungen zeigten. Die Unvollkommenheit der Gesetzeskorpora der Ägypter und Römer ist für Junius in ihrer Autor- bzw. Urheberschaft selbst begründet. Vorausgesetzt wird eine enge Verbindung zwischen Gesetzgeber und seinen Gesetzen: Die Vollkommenheit bzw. der Modus der Reinheit (modus puritatis) der Gesetze, von tum, Diodorum Siculum, & alios: & illud memoratu dignum quod Plutarchus narrat, Reges Aegyptiorum secundum legem eos adiurasse qui iuri dicundo erant praefuturi; etiamsi rex ipse iuberet ab ipsis aliquid iniusti in iudicio pronunciari, vt id ne facerent“ (aaO., Praef. Sp. 1474f). 46 Vgl. aaO., Praef. Sp. 1475. 47 Vgl. ebd. Wenn Junius sich an dieser Stelle auf Juristen bezieht, die Vergleiche mit dem vorjustinianischen römischen Recht anstellten, ist wahrscheinlich der schon erläuterte Kontext der humanistischen Jurisprudenz Frankreichs gemeint, der für Junius selbst prägend wurde.
Franciscus Junius’ De politiae Mosis observatione (1593)
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dem Junius spricht, kann letztlich nur erreicht werden, wenn der Gesetzgeber selbst rein von Fehlern bleibt, was aber nach menschlichem Ermessen nicht möglich sei.48 Menschlichen Gesetzen ist also nach Junius immer eine Unvollkommenheit inhärent. Gerade hier zeigt sich aber im Vergleich die Einzigartigkeit der Gesetze des Mose, deren Autor Gott selbst ist. Ihnen komme göttliche Vollkommenheit zu und sie übertreffen für Junius ohne jede Ausnahme die ägyptischen und römischen Gesetze. Für Junius’ weitere Argumentation ist es wichtig, dass eben dies auch gleich für die politischen Gesetze Moses festgehalten wird. Zwar brachte Gott als Richter die Gesetze seinem Haus, nämlich seiner Kirche, die selbst die Schönheit der Vollkommenheit von Gott über aller sonstigen Schöpfung (perfectio pulcritudinis a Deo supra res creatas omneis) innehabe,49 aber die Gesetze des Mose, der selbst Gottes Diener in diesem Haus war, haben auch höchste politische Vorbildlichkeit: Dies zeige sich in politischen und juristischen Angelegenheiten im Vergleich der mosaischen Gesetze mit anderen menschlichen Gesetzen, insbesondere dem Zivilrecht. Junius führt in diesem Fall keinen Altersbeweis an, sagt aber, dass die mosaischen Gesetze von ihrer Autorität, Anordnung und Anwendung her alle anderen Gesetze über lange Zeit hin (longo intervallo) übertreffen, so dass schließlich für ihn auch der Vergleich angebracht ist: „In der Bildhauerei ragte der Kanon des Polyklet (κανὼν πολυκλείτειος) hervor, in politischen Dingen der mosaische.“50 Junius umgeht so mit seinem dann noch weiter ausgebauten Argument, dass Gott selbst der Gesetzgeber der mosaischen Gesetze ist, eine Legitimationsdebatte über die ältesten Gesetzgeber und Gesetze, die ihm aber, wie die Beispiele der ägyptischen Weisheit und römischen Rechtslehre zeigen, wohl bekannt war. Vielleicht wollte er auf diese Weise zugleich auch Antworten auf die Darstellung der außerbiblischen Mose-Traditionen eines Plutarch, Herodot und Diodorus Siculus, deren Namen in diesem Zusammenhang fallen, bieten. Jedenfalls bleibt er nicht lediglich bei der Gesetzgebung Gottes stehen. Genau genommen kennt Junius zwei Gesetzgeber von höchster Autorität, nämlich neben Gott selbst auch Mose als Gesetzgeber der Israeliten (Legislator Israëlitarum). Die Gesetzgebung des Mose zeichnet sich dabei für Junius durch ihre göttliche Anordnung, größte 48 Vgl. aaO., Praef. Sp. 1474. 49 Vgl. aaO., Praef. Sp. 1475. 50 „Sin autem ad leges Mosis comparandas cum illis omnibus veniamus; profecto iniqui in Deum auctorem illarum, & in Mosem fidelem seruum Dei in tota domo illius fuerimus, nisi perfectionem diuinam & omni exceptione maiorem in illis legibus agnoscamus. Nam etsi quod ad res politicas & forenses attinet, multa in humanis legibus, ac praesertim in iure ciuili scripto compareant, quae cum Mosis legib[us] (quas diuinas praedicamus esse) maximam habent conuenientiam; qua in re probanda aliquot praestantes Iuriscoss. non infeliciter memoria nostra desudarunt: hae tamen leges Mosaicae & auctoritate, & ordinatione sua atq[ue] applicatione longo interuallo caeteras omneis superant. In statuaria κανὼν πολυκλείτειος antecelluit, in politica Mosaicus“ (ebd.).
356 Die politischen Gesetze Moses als Modell in der calvinistisch-reformierten Theologie Bezeugungen, die Macht, die das Volk auf gemeinen Konsens und Beschluss des ganzen Volkes Mose übertrug (Ex 20; 24), und seine Führung in religiösen Angelegenheiten aus.51 Dementsprechend kann auch vom Gesetzgeber Mose als „Mann Gottes“ (Dtn 33,1) gesprochen werden, doch ausgesagt werden soll damit doch vor allem eine direkte Unterordnung des Gesetzgebers Mose unter Gott, dem öffentlich bezeugten eigentlichen Urheber (auctor) und Verordner (sancitor) des Gesetzes. So spricht Junius auch in betonter Weise eher von dem von Gott beauftragten Werkzeug (instrumentum) und Diener (administer) Mose, eine Formulierung, die wiederum ganz im Einklang mit Calvin steht. Doch Junius geht eben auch eigene Wege gegenüber seinen theologischen Vorbildern, die an einzelnen Stellen auch zu Spannungen in seinem Werk bzw. offenen Fragen führen. In der achten der 38 theologischen Thesen über die Judizialgesetze, die Junius’ Werk De politiae Mosis observatione zugrunde liegen, beginnt die eigentliche Erörterung zu den mosaischen Gesetzen mit der klassischen Dreiteilung in Moral-, Zeremonial- und Judizialgesetz. Nach der Formulierung, dass im Gesetz Moses ein vollendetes Vorbild (perfectum exemplum) der natürlichen, göttlichen und menschlichen Gesetze zu finden sei, folgt dann noch in der These selbst eine Zuordnung: Dieses Vorbild des mosaischen Gesetzes habe das natürliche Gesetz in Sittengeboten, das göttliche Gesetz in Zeremonialgeboten verbunden mit Zeugnissen von Gnade (documenta gratiae) und das menschliche Gesetz in politischen Geboten bzw. Judizialgeboten angezeigt. Diese Aufteilung darf allerdings nicht als exklusive Zuordnung missverstanden werden, wie Junius’ weiteren Ausführungen verdeutlichen. Dem steht schon die im vorherigen Abschnitt so betonte göttliche Urheberschaft der mosaischen Gesetze entgegen, die es natürlich erlaubt, von allen mosaischen Gesetzen als göttlichem Gesetz zu sprechen. Allerdings kennt Junius auch ein enger umgrenztes göttliches Gesetz, das in Zeugnissen von Gnade (documenta gratiae), klaren Geboten (praecepta perspicua), Typen (typi) und Zeremonien (ceremoniae) verfasst ist.52 51 „Auctoritatem vero lex Mosis vtramque habuit: quod nemo homo sibi potest assumere, fuit enim auctor & sancitor legis illius publica testificatione Deus, cuius summa est & ineluctabilis in ferendis legibus sanciendisque auctoritas, tum auctoritatem humanam & subordinatam (vt vocant) si in lege Mosis desideraueris, fuit Moses vir Dei, Legislator Israëlitarum, vt Deut. 33. nominatur. Qui auctoritatem illam obtinuit non solum institutione Dei, & signis contestantibus amplissimis, verum etiam consentione iudicioque communi Israëlitarum omnium, prout Exodi 20. & 24. populus auctoritatem in eum transtulit, & institutionem diuinam religione ductus comprobauit. Haec duo faciunt, vt rationem legislatoris illius in se affirmemus non potuisse proficere, quia ad rationem & auctoritatem illam diuinam respicimus, cuius instrumentum fuit & administer Moses“ (aaO., Sp. 1510,90–1511,22). 52 „Nam cum lex diuina supernaturalis sit a Deo proficiscens: lex autem Mosis sit ea ipsa lex quam Deus illis temporibus attribuit Ecclesiae suae, vt documenta supernaturalia gratiae, tum praeceptis perspicuis, tum etiam typis & ceremoniis exponeret; nec alia vlla lex fuerit olim a Deo data, aut post ipsius Christi Apostolorumque testimoniis confirmata; omnino ex eo statuimus perfectum exemplum diuinae legis illius, quam Deus inde a principio gratiose
Wilhelm Zepper, Legum Mosaicarum forensium explanatio (1604)
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Die so benannte lex divina meint im eigentlichen Sinne das übernatürliche göttliche Gesetz (lex divina supernaturalis), das schon immer auf die Kirche Gottes ausgerichtet war. Weiter erklärt wird aber nicht, was vor allem unter den praecepta perspicua zu verstehen ist. Denkbar wäre z. B. am ehesten der Dekalog. Von dieser spezifisch auf die Kirche bezogenen lex divina unterscheidet sich das universal geltende natürliche Gesetz, das Junius nicht konkret mit dem Dekalog allein identifiziert. Der besondere Mehrwert von Junius’ Schrift De politiae Mosis observatione erwuchs für Theologen, aber eben auch besonders für Juristen aus den darin enthaltenen rechtlichen Unterscheidungslehren, die mit der Vergleichbarkeit zwischen dem mosaischen und dem gemeinen (zivilen) Recht zusammenhing und von einer besondere Wertschätzung der mosaischen Gesetzgebung ausging. In dieser Hinsicht ist das Werk nicht nur in der reformierten Theologie einschlägig geworden, sondern wurde auch von den wichtigen Juristen und politischen Denkern Johannes Althusius und Hugo Grotius gelobt und genutzt.53
4.4
Wilhelm Zepper, Legum Mosaicarum forensium explanatio (1604)
Die im Jahr 1604 erscheinende Schrift Legum Mosaicarum forensium explanatio des Herborner Theologieprofessors und nassauischen Hofpredigers Wilhelm Zepper (1550–1607)54 führt mehrere Elemente aus dem rechtsvergleichenden oder rechtsgeschichtlichen Typ der politia-judaica-Literatur zusammen, die im vorherigen Kapitel vorgestellt wurden. Mit Zeppers Werk kommt es insgesamt zu einem einstweiligen „literarischen Höhepunkt“ in den Debatten um die politische Relevanz der mosaischen Gesetze, die sich unter Theologen vorrangig um die Anwendung der Judizialgesetze drehte. Zeppers eigene geschichtliche Bedeutung hängt, abgesehen von seinen pädagogischen Reformen im deutschen Schulwesen,55 vor allem mit dem Teil seiner Arbeiten zusammen, die als Anfänge der reformierten Kirchenrechtswissenschaft in Deutschland verstanden werden können.56 Zu nennen sind hier vor allem der bereits 1595 zum ersten Mal er-
53 54 55 56
communicauit cum Eccesia (sic!) sua, in lege Mosis exsistere, velut certissimo diuinae illius legis & supernaturalis symbolo, cui supernaturale testimonium multis saepissimeque perhibuit Deus“ (aaO., Sp. 1499,73–85). Vgl. bereits die Hinweise bei Campos Boralevi, Politia Judaica u. Sarx, Franciscus Junius d.Ä., 139. 277ff. Siehe auch Abschn. 4.4.3. Zum Leben und Werk Wilhelm Zeppers im Folgenden vgl. Cuno, Wilhelm Zepper; ders., Art. Zepper; Weerda, Zepper und die Anfänge; Thyen, Zur Biographie Zeppers; Sarx, Art. Zepper. Näheres hierzu findet sich bei Thyen, Von Anordnung deutscher Schulen. So formulierte es 1955 eine kirchenrechtlichen Studie von Jan Remmer Weerda, Zepper und
358 Die politischen Gesetze Moses als Modell in der calvinistisch-reformierten Theologie scheinende und 1607 noch einmal stark erweiterte Traktat De politia ecclesiastica, Zeppers wahrscheinlich bedeutendstes Werk, und die ebenfalls mit der Ordnung und dem Recht der Kirche befasste Schrift Von christlicher Disziplin (1596), das Pastoren und Kirchenältesten als Handbuch57 diente. Zeppers Werke standen von Anfang an in einem engen Bezug zur kirchlichen Praxis: Nach Abschluss des Theologiestudiums im Jahr 1570 und einer Lehrtätigkeit an der Lateinschule von Herborn, sollte sich Zepper später vor allem reformerisch bei der Umsetzung einer reformierten Kirchenordnung in der Grafschaft NassauDillenburg hervortun. Als erster Prediger in Dillenburg und am Hof von Johann VI. von Nassau-Dillenburg trat Zepper in ein enges und vertrauliches Verhältnis zum Fürsten und wirkte von dort aus auf die Kirchenreformen ein. Der enge Bezug zur Kirche ging auch nicht verloren, als Zepper 1594 einen Ruf auf die Professur für Praktische Theologie an der Hohen Schule zu Herborn annahm und gleichzeitig ein Inspektoren- und Oberpfarramt versah. Auch Zeppers Werk Legum Mosaicarum forensium explanatio befasst sich mit konkreten Fragen zum Kirchenrecht und zur Kirchenordnung, wie bereits der Verweis auf das Reich Christi im Untertitel („viris tam ecclesiasticis, quam politicis, in administratione regni Christi ecclesiastica & politica“) anzeigt. In erster Linie stehen aber Fragen zum mosaischen Recht im Mittelpunkt. In der Wirkungsgeschichte der in diesem Kapitel behandelten Texte tritt Zeppers Abhandlung nur noch hinter Junius’ Schrift De politiae Mosis observatione zurück. Junius’ Schrift wird von Zepper bereits vorausgesetzt und zitiert.58 Sein eigener Beitrag zum Thema umfasst fast 900 Seiten und reicht damit nicht nur in seinem Umfang, sondern insbesondere im Gegenwartsbezug und dem theologischen Spektrum, das Zepper erfassen und auf konsensfähige Regeln zuspitzen wollte, noch einmal über Junius’ Schrift hinaus. Zepper rezipiert auch sonst in größerem Umfang die in den zwei vorherigen Kapiteln vorgestellten Schriften von Theologen und Juristen, die von ihm zugleich im Sinne einer Konsensbildung genutzt werden. Dies darf nicht den Blick auf calvinistisch-reformierte Eigenarten verstellen (Abschn. 4.4.2). Parallel legt Zepper außerdem Vermittlungen zu priscatheologia/sapientia-Vorstellungen an den Tag und nimmt in seinen Ausführungen zu den ältesten Gesetzgebungen hermetische Überlieferungen auf (Abschn. 4.4.1). Neben diesen umfassenden Rezeptionsanteilen und Zeppers retrospektiver Wahrnehmung der Debatten um die Geltung der mosaischen Gesetze im 16. Jahrhundert lässt sich ein zweiter, engerer akademischer Hintergrund seines Werkes Legum Mosaicarum forensium explanatio benennen: ein Streit, der die Anfänge, 265–291. Seine Einschätzung findet danach unter anderem Zustimmung bei Münch, Zucht und Ordnung; Strohm, Calvinismus und Recht, 188; Sarx, Art. Zepper, 1538f. 57 Vgl. Cuno, Art. Zepper, 87. 58 Vgl. Zepper, Legum mosaicarum forensium explanatio, 110 u. ö.
Wilhelm Zepper, Legum Mosaicarum forensium explanatio (1604)
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sich um das Jahr 1601 zwischen Zepper und weiteren Herborner Theologen, namentlich Johannes Piscator (eigentl. Fischer) und Matthias Martinius, auf der einen Seite, und dem hervorragenden Juristen und politischen Denker Johannes Althusius auf der anderen Seite abspielte (Abschn. 4.4.3). Eine Klärung der Hintergründe und Argumente in diesem akademischen Streit ermöglicht es nicht nur, den engeren theologischen Kontext von Zeppers Schrift zu deuten, sondern gewährt auch einen Einblick in die Haltung zum mosaischen Recht bei den anderen beteiligten Personen. Der besagte Streit um das Jahr 1601 drehte sich nämlich gerade um das Thema der Geltung der mosaischen Gesetze im politischen Bereich. So ist es nicht verwunderlich, dass Zepper in seinem Widmungsbrief zur Explanatio an Landgraf Moritz von Hessen die Frage nach den politischen Gesetzen Moses (de forensibus Mosaicis quaestio) als einen von zwei Gründen für die Abfassung seiner Schrift nennt und diese dann bezeichnender Weise als genügend zweischneidig (anceps satis) beschreibt, weil sie von Theologen und Juristen nicht ohne viel Mühe auf beiden Seiten ausführlich behandelt werde.59 Da Zepper in dieser Frage um Konsens bemüht ist, betont er, dass die Argumente sachlich „ohne Beeinträchtigung verführerischer Vorurteile im Licht der Natur und Gnade“ erwogen werden sollten, zugleich aber auf die eigene Meinung nicht zu verzichten sei. Diese stimme jedoch nur mit den besten und vorzüglichsten Theologen überein. Der andere Grund für die Schrift fällt mit dieser Rechtsthematik zusammen und füllt den größeren Teil der Widmung aus: Sie verbindet sich mit Zeppers direktem Appell an die Fürsorge des Fürsten für die rechte christliche Lehre und orthodoxe Religion, die den Beschmutzungen und Verächtlichkeiten der Päpste (inquinamentes & sordes Pontificis) ausgesetzt sei. Um diese Religionsfürsorge des Fürsten zu veranschaulichen und geschichtlich zu untermauern, kann nicht nur eine Fülle von Beispielen aus der Kirchengeschichte, die Zepper mit dem lukanischen Geschichtswerk (Lukasevangelium und Apostelgeschichte) beginnen und bis auf die fälschlichen Verurteilungen von John Wyclif, Jan Hus und Martin Luther durch Papst und Konzilien reichen lässt,60 neben den biblischen exempla bemüht werden.61 Ganz im Sinne eines 59 „Unam habet Illustrissima Cels. Tua dedicationis hujus meae causam. Accedit huic altera, quod Tuae Cels. judicio accurato & perpolito scriptum hoc meum qualecunque subjicere, Tuamque Cels. ut illius patrocinium suscipere clementer dignetur, implorare humiliter volui, & ut implorarem necessarium etiam mihi esse vidi. Est enim haec de forensibus Mosaicis quaestio anceps satis, quae in utramque partem, non sine magno partium studio, a Theologis & Jureconsultis ventilatur. Cujus rei causam hanc non miniman esse existimo, quod quaestio haec non satis hactenus evoluta & enodata est. quaemadmodum in libri hujus praefatione rei illius causas pluribus significavi & ostendi“ (aaO., Epist. Ded. f. [b6v]–[b7r]). 60 Vgl. aaO., f. a2r–[a7r]. John Wyclif, Jan Hus und Martin Luther werden von Zepper als Beispiele für die Verbrennung von Büchern Rechtgläubiger genannt und dabei in eine Reihe gestellt mit dem Propheten Jeremia unter König Joachim (Jer 36,23), der Verfolgung unter
360 Die politischen Gesetze Moses als Modell in der calvinistisch-reformierten Theologie christlich-humanistischen Ideals kann parallel dazu auch an die Schulung in der heiligen und weltlichen Literatur (sacra et profana literatura), göttlichen und menschlichen Weisheit (sapientia divina quam humana) des Landgrafen Moritz selbst erinnert werden.62 Mit diesen zwei Gründen aus dem Widmungsbrief sind auch die miteinander zusammenhängenden Leitgedanken formuliert, die den Aufbau und die Argumentation von Zeppers Explanatio bestimmen: zum einen eine Klärung der Geltung des mosaischen Gesetze und spezifischer des Judizialgesetzes ausgehend vom Dekalog. Dafür wird auch die Grundeinteilung des römischen Rechts in Personen-, Sach- und Prozessrecht (circa personas, res et actiones) genutzt. Dies stellt wiederum die Grundlage für die genauere Beschreibung der Kompetenzen weltlicher Obrigkeit im weltlichen und kirchlichen Bereich dar. Es geht also grundsätzlich auch um eine Klärung des Verhältnisses von Kirche und Staat. Zeppers Werk ist insgesamt in fünf Bücher unterschiedlicher Länge unterteilt. In Buch I. entfaltet Zepper die für das gesamte Werk grundlegende Gesetzeslehre, nachdem er in guter calvinistischer Tradition zunächst von der unzureichenden menschlichen Erkenntnis nach dem Sündenfall ausgegangen ist. Der Schwerpunkt liegt dann im weiteren Verlauf von Buch I. bereits deutlich auf den Ausführungen zu den politischen Gesetzen des Mose (leges forenses). Am Ende von Buch I. erfolgt die geschichtliche Einordnung, dass die mosaischen Gesetze das älteste Gesetzeskorpus der Welt darstellten.63 Buch II. beschäftigt sich dann zunächst mit den politischen Gesetzen des Mose, die den kirchlichen Bereich betreffen, Buch III. mit denen, die sich auf den weltlich-politischen Bereich im engeren Sinn beziehen. So werden in Buch III. die institutionelle Seite der politia judaica (vor allem die politische Führung/Magistrate und Gerichte) und die Staatsformenlehre zum Thema. Auf die letzten beiden Bücher IV. und V. erstreckt sich schließlich die Erörterung der politischen Gesetze als Anhänge des Dekalogs, die im Sinne Calvins in eine „harmonische“ Form gebracht und noch ausführlicher als bei Beza und manch anderem humanistisch gesinnten Juristen in einer detailreichen Titelarchitektur zugeordnet werden.
Antiochus Epiphanes (1Makk 1,59f = corr. 1,56f), der Verbrennung der Bücher des Patriarchen von Konstantinopel Photius unter Papst Hadrian und schließlich der Bücher zur Abendmahlslehre von Johannes Scotus unter Papst Leo IX. (aaO., f. [a7r–v]). 61 Vgl. aaO., f. b5v–[b6v]; f. [a7v]–[a8r] u. ö. 62 Vgl. aaO., f. b[1r–v]. 63 Vgl. aaO., 121–134.
Wilhelm Zepper, Legum Mosaicarum forensium explanatio (1604)
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4.4.1 Der mosaische Ursprung der Gesetze der Völker und der Römer: Vermittlung hermetischer Tradition Zepper entwickelt gleich mehrfach in seinem Werk eine Systematik des göttlichen Gesetzes. In Kapitel I. des ersten Buches wird die gängige Dreiteilung der lex Dei in Moral-, Zeremonial- und Judizialgesetze (leges forenses genannt) eingeführt. Die lex Dei ist die Lehre (doctrina), die dem Volk Israel von Gott durch Mose vermittelt wurde. Eine Dreiteilung war bereits vom Gesetzgeber selbst vorgegeben (vgl. Dtn 6,1: praeceptum, statuta und judicia).64 In der dann ausführlich entwickelten Gesetzessystematik unterscheidet sich Zepper kaum von Franciscus Junius. Wie für Junius, so blieb auch für Zepper die Frage nach der Geltung der mosaischen Verfassung (politia Mosaica), die eben nicht nur auf den Dekalog beschränkt ist, entscheidend. In Zeppers Werk wird aber ein vielschichtigeres Bild der außerbiblischen Mose-Überlieferungen wiedergegeben als in Junius’ De politiae Mosis observatione. So nimmt Zepper beispielsweise auch explizit Gedanken der hermetischen Tradition auf, die für ihn bei einer zeitlichen Einordnung der mosaischen Gesetzgebung relevant wird: Von Mose, dem höchsten und ersten Gesetzgeber, sei Mercurius Trismegistus, dem bewundernswerten Philosophen der Ägypter, das Gesetz vermittelt worden, so dass diese Gesetzestradition schließlich von den Ägyptern über die Griechen bis an die Römer weiter überliefert werden konnte.65 Zepper setzt Mercurius Trismegistus mit dem griechischen Gott Hermes und dem ägyptischen Gott Thot gleich und ordnet ihn zeitlich kurz nach dem ältesten Gesetzgeber Mose ein.66 Dabei beruft er sich auf eine Fülle der antiken Überlieferungen über Hermes Trismegistos67 und zitiert auch aus dem Corpus Hermeticum.68 Mit diesem historischen Kernargument wird es Zepper erst möglich, die Harmonie zwischen den politischen Gesetzen des Mose und dem römischen Recht ausführlich in seinem Werk zu demonstrieren. Zepper geht sogar so weit zu behaupten, dass die Römer bei ihrem Zwölftafelgesetz nur noch zwei Gesetze zu den Zehn Geboten des Mose hinzu-
64 Vgl. aaO., 17. 65 „Quemadmodum Romanarum etiam legum originem ad Mosen, summum & primum legislatorem, historiae, & veterum monumenta referunt. Ab hoc enim Mose Mercurius Trismegistus, Aegyptiorum philosophus admirandus, qui circa annum mundi 2435, sub Josua, floruit; a Mercurio hoc Aegyptii; ab Aegyptiis Graeci, Draco, Solon & Plato; a Graecis Romani, missis Athenas legatis, & acceptis ab illis decem tabularum legibus, quibus duas ipsi addiderunt, legum suarum originem acceperunt, quemadmodum postremo libri hujus capite demonstrabitur. Unde magnam quoque legum Romanarum cum Mosaicis forensibus harmoniam, ad integras usq[ue] leges & sententias, hinc inde animadvertere est“ (aaO., 33). 66 Vgl. aaO., 124. 67 Vgl. aaO., bes. 124–127. 68 Vgl. u. a. aaO., 125f.
362 Die politischen Gesetze Moses als Modell in der calvinistisch-reformierten Theologie fügen mussten.69 Er folgt dabei methodisch wie die behandelten Juristen der humanistischen Jurisprudenz einem rechtskomparativen Ansatz.70 Für Zepper besteht dabei ein klarer Zusammenhang mit dem Ansatz von Theodor Beza, Heinrich Bullinger, William Welwood und Johann Kahl.71 Im Sinne einer Übereinstimmung in der Methodik und innerprotestantischen Konsensorientierung taucht in dieser Reihe auch der lutherische Jurist Johannes Oldendorp auf.72 Dies lässt noch einmal genauer nach den konfessionellen Eigenarten in Zeppers Werk fragen.
4.4.2 Innerprotestantische Konsensbemühungen und calvinistisch-reformierte Eigenarten Der eingangs dieses Abschnitts beschriebenen anti-katholischen Ausrichtung in seinem Werk entspricht Zeppers Betonung des protestantischen Erbes. Diese Ausrichtung führt ihn wahrscheinlich auch dazu, die Differenzen zur lutherischen Seite, die weiter oben in Kapitel 2. herausgearbeitet wurden, nicht zu sehr zu betonen. Doch auch wenn Zepper bewusst an Luther und Melanchthon anschließt und dahingehend vermitteln möchte, erhält am Ende die reformierte Lehrentwicklung ein Übergewicht mit Calvin, Franciscus Junius und Heinrich Bullinger angefangen über den oberdeutschen Reformator Wolfgang Musculus (1492–1563), Martin Bucer, Theodor Beza, den aus Italien stammende Hieronymus Zanchi, die beiden Heidelberger Theologen Zacharias Ursinus und Caspar Olevian bis hin zu dem Herborner Theologen Johannes Piscator (eigentl.: Fischer, 1546–1625).73 Zugleich bleiben ebenso innerprotestantische Frontstellungen bestehen. In dem beschriebenen Mittelweg, den Zepper in der Frage nach der Geltung der mosaischen Verfassung beschreitet, werden von ihm die Abgrenzungen gegenüber extremen Positionen wie denen der Täufer, die für eine strikte Orientierung an den Geboten des Neuen Testaments ständen, ebenso 69 70 71 72 73
Siehe bereits vorherige Anm. 65 in diesem Kapitel. Siehe Abschn. 3.2. Vgl. Zepper, Legum mosaicarum forensium explanatio, 132f. Vgl. aaO., 133. Die Reihe der genannten Theologen mit ausführlichen Belegstellen aus ihren Werken fügt Zepper in seinem Werk Legum Mosaicarum forensium explanatio in dem Abschnitt aneinander, der mit der Glosse beginnt „Politica Mosaica, quae in lege natura & decalogo fundatam habent rationem, manere.“ (108–118, hier zit.: 108). Für Luther wird eine Stelle beansprucht, in der es heißt: „verum est, Mosaicam politiam nihil ad nos pertinere“ – allerdings stellt Zepper gleich daneben ein Zitat aus einem ganz anderen Luther-Werk aus früherer Zeit, in dem noch die Freiheit für eine politische Anwendung der mosaischen Gesetze hervorgehoben wird (vgl. aaO., 108f). Melanchthon wird von Zepper mit dessen Bezug auf die levitischen Inzestverbote zitiert, obwohl in dem Fall eigentlich die an anderen Völkern anlehnende naturrechtliche Argumentation im Vordergrund stand (vgl. aaO., 109).
Wilhelm Zepper, Legum Mosaicarum forensium explanatio (1604)
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unübersehbar wie gegenüber den einstigen Haltungen Karlstadts und Castellios, die am anderen Ende des Meinungsspektrums für die Übertragung der mosaischen Gesetze in das christliche Gemeinwesen auf Kosten des römischen Rechts gestanden hätten.74 Die Mittelposition, die Zepper demgegenüber dann ausführt, muss dabei aber nicht nur in diesem Rückbezug auf die bereits beschriebenen reformatorischen Debatten des 16. Jahrhunderts gedeutet werden. Sie entwickelte sich auch im Kontext eines Streites mit dem Juristen Johannes Althusius und anderen Herborner Theologen.
4.4.3 Zeppers Schrift im Kontext des Streites der Herborner Theologen mit Johannes Althusius über die Geltung der mosaischen Gesetze Zeppers Werk Legum Mosaicarum forensium explanatio war nicht nur, wie er selbst beschreibt, eine lange theologische Debatte über die politischen Gesetze des Mose in der Reformationszeit, sondern auch in seinem direkten Umkreis vorausgegangen, in die Zepper selbst eingebunden wurde. Paul Münch hat sich darum verdient gemacht, diese Kontroverse, die in der Forschung als eine Art Auflehnung des bekannten politischen Denkers und Herborner Rechtsprofessors Johannes Althusius gegen die Vorherrschaft der Herborner Theologen fehlinterpretiert wurde, in ihrem eigentlichen Gehalt zu rekonstruieren.75 Den Quellenbelegen lässt sich entnehmen, dass der besagte Streit durch zwei Deklamationen hervorgerufen wurde, die Althusius zwei Studenten anlässlich einer Promotion im Jahr 1601 halten ließ.76 In diesen Deklamationen ging es um eben die politische Bedeutung des mosaischen Judizialgesetzes. Die erste Rede habe, so Althusius’ eigener Schilderung nach, die Meinung vertreten, dass die mosaischen leges forenses in einer christlichen Republik einzurichten und zu halten seien, und die zweite Deklamation habe dann, anders als es Althusius selbst wollte, nicht dagegen argumentiert, so dass er sich gezwungen sah, einzuschreiten. Dieser Vorgang hätte wahrscheinlich keine hohen Wogen geschlagen, wenn nicht Berichte über einen Streit zwischen Althusius und den Theologen sowie über ein eingetrübtes Verhältnis zwischen Althusius und dem zweiten Rechtsprofessor an der Herborner Hohen Schule, Anton Matthaeus (1564–1637), an den Hof des Grafen Johann VI. von Dillenburg vorgedrungen wären. Letzteres hatte wohl eher mit einer angespannten persönlichen Beziehung der zwei Rechtsprofessoren zutun,77 wohingegen der Streit zwischen Althusius und den 74 Vgl. aaO., 24. 75 Vgl. Münch, Göttliches oder weltliches Recht, hier: 30–32 mit einem Anhang zu den entscheidenden Briefen in diesem Streit. 76 Vgl. aaO., 23f. 77 Vgl. aaO., 18–21.
364 Die politischen Gesetze Moses als Modell in der calvinistisch-reformierten Theologie Theologen die Sache selbst betraf. Zunächst ist zu beobachten, dass beide Parteien in ihren Antwortschreiben an den fürstlichen Hof zu erkennen gaben, der Streit habe mehr auf Missverständnissen beruht und in der grundsätzlichen Haltung zur Frage der Geltung der mosaischen Judizialgesetze sei man sich einig. Nun ist jedoch auffällig, dass an dem Antwortbrief der Theologen Johannes Piscator und Matthias Martinius, nicht aber Wilhelm Zepper beteiligt gewesen sein müssen.78 In diesem Brief wurde auch der zweiten Deklamation gegenüber Verständnis geäußert – anders als es Althusius tat: Bei den Theologen fand das Argument der zweiten Deklamation Zustimmung, dass auch die mosaischen Judizialgesetze, die einst den spezifischen Gegebenheiten des jüdischen Volkes angepasst waren, wiederaufgenommen werden könnten, sofern ein solcher Zustand in gegenwärtigen Gemeinwesen wieder erreicht sei.79 Von den Theologen wird dies allerdings im Nachhinein nicht mehr als grundsätzlicher Dissens mit Althusius eingestuft, vielmehr gingen nach ihrer Darstellung nur noch in einer Spezialfrage die Meinungen auseinander, die das Verständnis von Diebstahl als Kapitalverbrechen betrafen. Hier bevorzugten die Herborner Theologen zusammen – dies lässt sich über den Brief hinaus feststellen und galt auch für Wilhelm Zepper – das mosaische Strafrecht gegenüber der Anwendung der Todesstrafe, wie es das Strafgesetzbuch im Heiligen Römischen Reich (Constitutio Criminalis Carolina) in Übereinstimmung mit dem Corpus Iuris Civilis ( justi78 Der Brief an die nassauischen Räte zu Dillenburg ist von Matthias Martinius verfasst worden und trägt die eigenhändige Unterschrift Piscators (vgl. aaO., 30 Anm. 76). 79 Martinius und Piscator schildern in ihrem auf den 17. Mai 1601 datierten Brief, dass sie sich „mit Doctor Althusio vnterredet vnd bericht von ihm begeret, was er in der schulen de legibus forensibus Mosaicis die zwo hirvon in actu promotionis classium gehaltene orationes zu refutiren vorgebracht, darauf er vns dan zuerkennen geben; als man in gemeltem actu zwo declamationes recitiret, deren die erste dieses inhalts, leges forenses Mosaicas ex curiis non esse removendas, sed secundum eas Rempublicam Christianam instituendam et regendam esse: Die andere aber quaedam argumenta contraria zurefutieren vnterstanden, So habe er eine notturfft zu sein erachtet, diesen errorem vnd paradoxon zu refutiren, vnd seye die summa desen, so er gelehret, dieses davon gewesen, quod in hisce illud, quod est morale atque dilectionem Dei et proximi concernit, sit immutabile, et hodie in Rebuspublicis Christianis retinendum: quod vero ratione et intuitu circumstantiarum loci, temporis, personarum, rerum, ac in politia Mosaica constitutum sit, illud sua natura inconstans et mutabile, imo pro circumstantiarum varietate saepe mutandum esse, ut lex moralis observari possit.“ Hierauf folgt dann die eigentliche Meinung der beiden Theologen die Deklamationen betreffend: „Darauf ist nuhn dieses vnser bericht, das wir die gemelten orationen etwas anders verstanden, das sie nemblich nicht von allen legibus forensibus sine exceptione gemeinet weren, sintemal die exceptio expresse in secunda oratiuncula mit diesen worten begriffen ist: Fateor quidem quasdam leges pertinuisse ad solum Judaicum populum propter circumstantias quasdam illi populo peculiares, quas leges abolitas esse lubentes concedimus: ita tamen, ut, si iidem, ut luquuntur, casus vel species recurrant, priores etiam leges vires suas resumant, welche meinung zwar wir als recht approbirt haben wie dan auch noch“ (Brief Piscator/Martinius vom 17. 5. 1601, Hess. Staatsarch. Wiesbaden 95, 2022, f. 8vf, zit. nach Münch, Göttliches oder weltliches Recht. Anhang, 30f).
Wilhelm Zepper, Legum Mosaicarum forensium explanatio (1604)
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nianische Novellen) vorsah. Es ging also nun in einem konkreten Fall darum, inwieweit das mosaische Judizialgesetz als Anhang mit dem Dekalog zusammenhing und inwieweit auch die im Judizialgesetz vorgesehenen Strafen als unwandelbar oder von der christlichen Obrigkeit veränderbar zu gelten haben. Das Antwortschreiben Althusius’ lässt erkennen, dass er klar auf calvinistischreformierter Seite stand und wie die Herborner Theologen (und auch schon Calvin!) das mosaische Moralgesetz zum entscheidenden Maßstab für die Beurteilung der Wandelbarkeit der mosaischen Judizialgesetze machte. Auf das Problem der Bestrafung von Diebstahldelikten geht er aber nicht näher ein, sondern zeigt sich eher überrascht davon, dass überhaupt ein Streit zwischen ihm und den Theologen bestehen sollte, der ihm eher böswillig angedichtet werde. Für einen Vergleich zwischen Althusius und den Herborner Theologen kann im Folgenden die Position eines Theologen exemplarisch dargestellt werden: Johannes Piscators Disputationen stehen in einem engen Bezug zu seinen exegetischen Arbeiten und hier ist insbesondere seine deutsche Bibel-Übersetzung, die sog. Piscator-Bibel, zu nennen. Wie im Fall von Franciscus Junius und Immanuel Tremellius in der Biblia Sacra oder Andreas Osiander in seiner Bibelübersetzung ist Piscators Gesetzeslehre in Paratexte der Piscator-Bibel geflossen. Dies geschah allerdings nicht wie im Fall von Junius, Tremellius und Osiander in Vorworten, sondern in Form von Kommentierungen am Ende eines biblischen Kapitels. Diese Kommentierungen beinhalten entweder „Erklärungen“ zum vorangehenden Bibeltext oder formulieren „Lehren“ und unterscheiden sich auf diese Weise von den kurzen Inhaltsangaben am Anfang eines Kapitels. So wird auch eine „Lehre“ am Ende des 21. Kapitels aus dem Exodusbuch gezogen, die bereits in der Marginalie „Weltliche Mosaische recht“ den Bezug zu den politischen Gesetzen des Mose erkennen lässt. Piscators Argumentation hinsichtlich der weiteren Geltung der mosaischen Judizialgesetze ist hier ganz ähnlich wie in den Disputationen: „Jüdische weltliche Recht“ seien demnach mit ihren auf Christus bezogenen Schatten und Vorausdeutungen zusammen mit der „Mosaischen policey“ im Neuen Testament aufgehoben.80 Dies gelte aber nicht für das
80 Die „Lehren aus dem XXI. Cap.“ Exodus können hier in den wichtigsten Punkten im Zusammenhang wiedergegeben werden: „DJe Jüdische weltliche Recht/ welche auf die sonderbare gelegenheit/ vnd zu˚stand der Jüdischen policey/ landes/ vnd volckes gerichet/ oder mit schatten/ vnd fürbilden auf Christum/ vnd sein reich zugleich vermischt gewesen: sind numehr im newen Testament mit der Mosaischen policey vnd schatten/ aufgehaben: welche weltliche Recht der Juden aber erklerungen seind des vnwandelbaren gesetzes der zehen gebotten: vnd beneben demselbigen auch in dem natürlichen gesetz ihren grund vnd vrsachen haben zu handhabung der zehen gebotten/ vnd der immerwerenden gerechtigkeit Gottes in straaffung der laster/ was zum wenigsten die straafen ins gemein belanget: auch zu erhaltung fridens/ ru˚he/ einigkeit vnd ehrbarkeit in disem leben/ noetig sind: die koennen so wenig als Gott selbst vnd seine gerechtigkeit/ so wenig als die zehen gebott/ der oberkeit
366 Die politischen Gesetze Moses als Modell in der calvinistisch-reformierten Theologie weltliche Recht der Juden, das eine Erklärung des unwandelbaren Gesetzes des Dekalogs darstelle und mit dem Naturgesetz im Einklang stehe. Auch hier bezieht Piscator dieses nicht aufgehobene „jüdische weltliche Recht“ auf das mosaische Strafrecht für Laster gegen die Gerechtigkeit Gottes. Diese „straaffung der laster“ schließen für Piscator auch die Gesetze, die der Erhaltung des Friedens, der Ruhe, Einigkeit und Ehrbarkeit im diesseitigen Leben dienten, ein. Sie seien so wenig aufgehoben wie Gott selbst und seine Gerechtigkeit, die Zehn Gebote und die weltliche Obrigkeit in ihrem Stand. Biblisch begründet wird das mit der Bestätigung des mosaischen Strafrechts für Laster im Neuen Testament (Mt 5,21; 26,52).81 Auch weitere Bestätigungen im Neuen und Alten Testament werden von Piscator ausgehend von Ex 21 noch gesucht.82 Zusammengenommen führte dies dazu, dass Piscator die Fortgeltung des mosaischen Judizialgesetzes vor allem theologisch-ethisch ausdeutete. Welche Auswirkungen hatte nun insgesamt der Streit zwischen Althusius und den Herborner Theologen auf Althusius’ Arbeiten selbst? Eine Antwort auf diese Frage ist allein deswegen reizvoll, weil es sich bei Althusius nicht nur möglicherweise um den „Ahnherr der Wissenschaft von der Politik“ (Otto Friedrich von Gierke) handelt, sondern auch um einen bedeutenden calvinistisch-reformierten Vertreter. Erst vor einigen Jahren hat wiederum John Witte, Jr. Johannes Althusius in eine Reihe mit Calvin, Theodor Beza, John Milton und den englischen Puritanern gestellt, deren „Reformation der Rechte“ am Beginn der Moderne bis in die Neue Welt Amerikas getragen worden sei.83 Ob Althusius wirklich so sehr Calvinist war, wie es Witte herausarbeitet, hinterfragen nicht erst heute Forscher. Im Vordergrund des Interesses bleibt dabei, wie schon bei Gierke, Althusius’ bedeutendstes Werk Politica methodice digesta et exemplis sacris et profanis illustrata (1603), das 1610 und 1614 noch einmal grundlegend überarbeitet wurde und danach auch noch bis 1625 auf bis zu 1000 Seiten anwuchs. Feststeht, dass Althusius in seinem Werk der politia-judaica-Literatur insgesamt einen besonderen Stellenwert beimaß.84 Bei einer Deutung der konfessionellen Eigenart bereitet aber vor allem die Einordnung der von ihm zitierten Quellen Schwierigkeiten: Der am häufigsten zitierte Autor in der Politica ist nicht etwa reformierter oder protestantischer Herkunft. Es handelt sich vielmehr um den in
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stand/ vnd die weltliche regiment selbst/ aufgehaben werden“ (Biblia, Das ist: Alle bücher der H. Schrift, Bd. 1, 235 [col. b]). Vgl. aaO., 235f [col. b–a]. So wird für Ex 21,2.8.10.20.26 auf Hi 31,13 im Alten und Eph 5,9 im Neuen Testament verwiesen sowie anschließend noch auf den Unterschied zwischen vorsätzlichen und fahrlässigen gegenüber versehentlichen Vergehen bzw. Sünden eingegangen, den die Obrigkeit bei der Bestrafung beachten müsse (vgl. aaO., 236 [col. a]). Vgl. Witte, Jr., Reformation of Rights, hier: 143–207 zu Althusius. Vgl. hierzu v. a. Campos Boralevi, Politia Judaica.
Wilhelm Zepper, Legum Mosaicarum forensium explanatio (1604)
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Toulouse lehrenden Jesuiten Pierre Grégoire (Petrus Tholosanus, 1540–1597), einen Schüler Jean Bodins.85 Generell kann natürlich nicht sofort von (der Anzahl von) Zitaten einzelner Autoren mit ihren konfessionellen Eigenarten auf eine konfessionelle Orientierung Althusius’ geschlossen werden. Fragt man dagegen nach den genauen Anliegen und der Methodik in der Gesetzeslehre, so lassen sich dann sehr wohl typische calvinistisch-reformierte Anteile feststellen, und die von Althusius an dieser Stelle zitierten Quellen legen zumindest einige Rückschlüsse nahe. Nach allen Beobachtungen der zurückliegenden Untersuchung dürfte bis hierhin bereits feststehen, dass in der zentralen Stellung, die der Dekalog als ewiges Moralgesetz für Althusius einnimmt, nur wenig Aussagekraft für konfessionelle Eigenarten bestehen dürfte. Gerade darin unterschieden sich ja die Rechtslehren in den großen konfessionellen Strömungen der Zeit wenig. Anders sieht es aber in der Beurteilung der politischen Bedeutung des Dekalogs aus, die für Althusius eng damit verbunden ist und extra als aktuelle Kontroverse von ihm in seinem Werk angesprochen wird.86 Für Althusius geht es hier um die Frage, ob sowohl die erste als auch die zweite Tafel des Dekalogs politische Bedeutung für das christliche Gemeinwesen haben. Daran ist für ihn auch die Geltung der mosaischen Judizialgesetze bzw. leges forenses zu messen. An dieser Stelle bleibt Althusius in guter reformierter – und eben besonders calvinistisch-reformierter – Tradition, denn für ihn stehen die mosaischen Judizialgesetze sowohl in einem Bezug zum gemeinen Recht als auch zu beiden Tafeln des Dekalogs als ewigem Moralgesetz. Schon deswegen kann das mosaische Judizialgesetz nicht so einfach als vollkommen aufgehoben für Christen gelten: Vielmehr sind die moralische Billigkeit (Dekalog) und ein harmonischer Bezug zum gemeinen Recht Kriterien für die weitere Anwendung.87 Gerade in den Unterscheidungslehren der mosaischen Gesetze, die dazu eingeführt werden, wird die calvinistisch-reformierte Tradition sichtbar: Franciscus Junius wird in allen betreffenden Punkten zum wichtigsten Gewährsmann für Althusius.88 Die Ausführungen zur Systematik der mosaischen Gesetze und ihrer möglichen gemischten Form dürften z. B. im Wesentlichen auf Junius zurückgehen.89 Daneben bezieht sich Althusius auch häufig in diesen Fragen auf Girolamo (Hiernonymus) Zanchi (1516–1590)90 und ist zugleich darum bemüht, einen Konsens reformierter Theologen herauszustellen: Junius und Zanchi stehen hier in einer Reihe mit anderen reformierten 85 Vgl. dazu und zur Diskussion der konfessionellen Eigenart in Althusius’ Schriften Strohm, Calvinismus und Recht, 189–226. 86 Vgl. Althusius, Pol. XXI,41 (423f). 87 Vgl. Althusius, Pol. XXII,3 (426). 88 Vgl. die teils mehrfachen Verweise auf Junius’ De politiae Mosis observatione in: aaO., XXI,40 (421f); XXII,1f (425f). 6 (427). 8 (428f). 9 (429f). 10 (430) u. ö. 89 Vgl. aaO., XXI,40 (421f); XXII,1f (425f). 9 (429f). 90 Vgl. aaO., XXI, 29 (414). 31–33 (414. 416); XXVIII,53 (597) u. ö.
368 Die politischen Gesetze Moses als Modell in der calvinistisch-reformierten Theologie Theologen von Martin Bucer angefangen über Calvin und Theodor Beza bis zu Lambertus Danaeus, Zacharias Ursinus und dem unter anderem in Bremen wirkenden reformierten Theologen Christoph Pezel (1539–1604).91 Hinzukommt als Jurist Johannes Goddaeus (1555–1632). Lediglich Thomas von Aquin und Philipp Melanchthon fallen aus der Reihe. Während Übereinstimmungen in der Gesetzeslehre zu Thomas von Aquin bereits bei Junius deutlich wurden, ist es offensichtlich, dass Althusius sich für eine entsprechende Haltung im Falle Melanchthons an dieser Stelle nur auf den frühen Melanchthon beziehen kann.92 Bei allen Konsensbemühungen ist aber auch zu beobachten, dass Althusius gerade in den entscheidenden Passagen zur politischen Bedeutung der mosaischen Gesetze (Judizialgesetze) in seiner Politica nicht auf die Herborner Theologen, mit denen einige Jahre zuvor gerade noch Streit in dieser Sache geführt wurde, eingeht. Das Monumentalwerk Legum Mosaicarum forensium explanatio von Wilhelm Zepper wird nicht zitiert, obwohl es in der Frage die ausführlichste Behandlung der Materie bot und Althusius zumindest in der erweiterten, zweiten Auflage der Politica darauf hätte zurückkommen können.93
91 AaO., XXII,10 (430), ist folgende längere Anmerkung über die leges forenses Mosaicae hinzugefügt: „Ita mecum sentit Martin. Bucer. in enarrat. in Matth.c.5.v.19 ubi ait, Quicquid pertinet ad pietatem & charitatem in legibus forensibus, (imo addo ego, & in ceremonialibus) illud adhuc hodie durare: at vero quod in hisce externum fuit, ut opus ipsum, locus, tempus, persona, numerus, qualitas, & aliae circumstantiae temporales & corporales, id Deum nunquam alicujus fecisse: Esa.c.1.10.11.12.&seqq. Idem sentit Joh. Calv. lib.4.Inst.c.20. sect.15.16. Zanch. in tomo de opere redempt. lib.1.c.10.de leg.Dei.thes.6 De legib. human. & de leg.Mosis,thes.1. & de legib.polit.Mosaic. Danae. lib.5.pol.c.2. Thomas Aquinas in prima parte secundae summae, quaest.104.artic.3. Pezelius in part.6. arg.Theolog.cap.de legib.polit. & part.3.c.de leg. ex Phil.Melanch. scriptis docet. Ursin. in explicat.Catech.Heidel.c. de leg. Dei.part.3. & idem latius in tract. Theolog.c.de leg.divina. Decian. lib.2.c.11. n.8.crim. tractat. Latissime & exactissime persequitur Francisc. Jun.in doctiss.libell.de pol.Mos.observ. Omitto plurimos alius tum Theologos, tum JCtos hujus sententiae approbatores & testes, quorum quosdam citat & sequitur Johan.Goeddaeus JCtus egregius in tract. de verbor. sign. & de verb. obligat.“ Diese längere Anmerkung ist auch schon aufgeführt in: Althusius, Pol. 1603 XVII (222f). 92 Die Abkürzung „part.3.c.de leg. ex Phil.Melanch. scriptis […]“ (Althusius, Pol. XXII,10 [430]) dürfte sich der Kapitelzahl nach auf Melanchthons frühe Ausgabe der Loci Communes von 1521 beziehen. Zu Veränderungen in Melanchthons Haltung zur politischen Geltung der mosaischen Gesetze siehe bereits oben, Abschn. 2.2. 93 Althusius beruft sich an anderen Stellen auf Zeppers Hauptschrift: De politia ecclesiastica. Sive forma, ac ratio administrandi, et gubernandi regni Christi, quod est ecclesia in his terris, Herborn 11595, vgl. z. B. Althusius, Pol. XXVIII,48 (594).
Ausbau einer theologischen Lehre von den mosaischen Gesetzen
4.5
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Ausbau einer theologischen Lehre von den mosaischen Gesetzen in Werken des schottischen Theologen und Hebraisten John Weemes (ca. 1579–1636)
John Weemes (auch Wemyss oder Weemse) wurde um das Jahr 1579 in Lathockar in Fife, nur wenige Kilometer südlich der Stadt St Andrews geboren.94 Eben dort, an der nächstgelegenen Universität St Andrews hat er auch studiert und im Jahr 1600 seinen Magister artium erworben. Nachdem Weemes 1608 als Pastor nach Hutton und 1613 nach Duns (beides in Berwickshire) berufen worden war, musste er sich im März 1620 vor dem Court of High Commission der schottischen Kirche für die unrechtmäßige Austeilung des Abendmahls rechtfertigen und war zum stillen Dasein in seinem Pfarrbezirk verurteilt worden. Im Jahr 1634 allerdings erlebte Weemes einen wahren Aufstieg, als er vom englischen König Karl I. auf eine Pfarrstelle der Kathedrale zu Durham berufen wurde. Diese Stelle hatte Weemes allerdings nicht mehr lange inne, da er zwei Jahre später 1636 verstarb. In den 1620er und 1630er Jahren erschien eine Reihe von theologischen Werken Weemes’, die heute noch in einer Werkausgabe der Jahre 1636/37 überliefert sind. Ein Überblick über die Werke zeigt vor allem zwei thematische Schwerpunkte: zum einen eine detaillierte Aufarbeitung des jüdischen Glaubens und Gemeinwesens (politia judaica) mit einem ständigen Bezug auf den christlichen Glauben, zum anderen eine damit verbundene Vergewisserung, wie die Heilige Schrift richtig zu verstehen sei, um sie konsequent auf das Leben anzuwenden. Wie weit die Werke Weemes’ wirklich im Umlauf waren, lässt sich nur schwer sagen. Beachtet werden muss dabei, dass Weemes seine Werke schottischen Fürsten widmete. Die Widmungen sind hierbei sehr persönlich gehalten. Andererseits dürften alle Werke eindeutig dem universitären Bereich zuzuordnen sein, denn es werden nicht nur Theologiestudenten gezielt adressiert, sondern die Werke sind auch deutlich als Lehrbücher angelegt.95 Dennoch dürfte auch eine Rolle gespielt haben, dass die Werkausgaben in London gedruckt wurden. Der Name John Bellamy, der in allen Ausgaben als Verleger genannt wird, steht auch für eine politisch orientierte Publizistik in dieser Zeit in London.96 94 Vgl. zu den folgenden biographischen und bibliographischen Angaben ausführlicher Row, The Historie of the Kirk of Scotland. Part I, 226–232; Carlyle, Art.: Wemyss; Stalker, John Weemse of Lathocker, 151–166; Wright, John Weemse, 861; Shim, Biblical Hermeneutics, 26– 66; Wells, Art.: Weemes, 940; Sytsma, John Weemes, 299–302. 95 Darauf deuten neben der Gesamtanlage der Bücher auch die einigen Werken vorangestellten programmatischen Vorreden hin, die sich an die Theologiestudenten und angehenden Pastoren wenden. 96 Vgl. Rostenberg, John Bellamy, 342–369; Liu, Puritan London, 63f.
370 Die politischen Gesetze Moses als Modell in der calvinistisch-reformierten Theologie So fällt die Herausgabe der Werkausgabe in den Jahren 1636/37 in eine Zeit politischer und kirchenpolitischer Umwälzungen, die sowohl England als auch Schottland betrafen: Nach dem Tod Elisabeths I. regierten seit 1603 zunächst Jakob VI. und seit 1625 dann Karl I. als Könige über England und Schottland zugleich, während vehement Auseinandersetzungen um Staat und Kirche geführt wurden. Die entstehende Covenanter-Bewegung bündelte die presbyterianische (benannt nach der Orientierung am Kirchenverfassungsprinzip) Gesinnung des schottischen Volkes und Adels nach dem National Covenant von 1638, gipfelte in kriegerischen Auseinandersetzungen mit England (den Bischofskriegen) und spielte schließlich auch eine einflussreiche Rolle im englischen Bürgerkrieg (1642–1649). Als Weemes’ Werke in London gedruckt wurden, waren damit theologische und in der Breite biblisch-orientierte Debatten über die Legitimation von Herrschaft und die rechte Gestalt der Kirche und Kirchenleitung in vollem Gange.97 Von Interesse für die folgenden Erörterungen ist insbesondere Weemes’ schon erwähnte dreiteilige mosaische Gesetzeslehre, die zuerst im Jahr 1632 veröffentlicht wurde: An Exposition of the Morall Law, or Ten Commandements in zwei Teilen,98 An Exposition of the Ceremoniall Lawes of Moses99 und An Exposition of the Iudiciall Lawes of Moses.100 Das zuerst genannte Lehrwerk über das Moralgesetz in zwei Büchern, die der Aufteilung der Dekalogtafeln entsprechen, übertrifft dabei die anderen beiden Gesetzeslehren im Umfang bei Weitem und deutet so bereits auf eine spezifische ethisch-moralische Konzentration in Weemes’ Theologie- und Gesetzesverständnis hin. Insgesamt gehen die vier Bände weit ausführlicher auf die mosaischen Gesetze ein als vergleichbare Werke dieser Zeit wie z. B. auch die Schrift De politiae Mosis observatione (1593) seines Doktorvaters Franciscus Junius. Weemes hat daneben sein Verständnis der mosaischen Gesetze aber auch an anderer Stelle entfaltet, und die werkimmanenten Übereinstimmungen, Abweichungen und Verweise sind dabei im Folgenden zusätzlich zu berücksichtigen: Hinzugezogen werden muss hier insbe97 Vgl. hierzu und zu den zuvor beschriebenen politischen und kirchlichen Konstellationen ausführlich Pecˇar, Macht der Schrift, 29–62. 162ff. 98 An Exposition of the Morall Law, or Ten Commandements of Almightie God […], 2 Tle., London 1636 (11632), in: The Workes of Mr. Iohn Weemse of Lathoker in Scotland, Bd. 2, London 1636/37. 99 An Exposition of the Ceremoniall Lawes of Moses, As They Are Annexed to the Tenne Commandements. Wherein are cleared divers customes of the Iewes, and also the customes of the Gentiles, as they have relation to the Iewish, out of the Originall Tongues, the Hebrew and Greeke, London 1636 (11632), in: The Workes of Mr. Iohn Weemse, Bd. 3. 100 An Exposition of the Iudiciall Lawes of Moses, Plainely discovering divers of their ancient Rites and Customes. As in their Governours, Government, Synedrion, Punishments, Civill Accompts, Contracts, Marriages, Warres, and Burials. Also their Oeconomics […], London 1636 (11632 u. d. Titel: An Explication of the Iudiciall Lawes of Moses), in: The Workes of Mr. Iohn Weemse, Bd. 3.
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sondere seine erste Monographie The Christian Synagogue aus dem Jahr 1623, die auch als sein Hauptwerk bezeichnet werden kann. Es erschien bis ins Jahr 1636 ganze fünf weitere Male und wurde noch im Jahr 1660 in Leiden unter dem Titel Synagoga Christiana ins Lateinische übersetzt.101 In den Prolegomena zu dem Werk geht Weemes von einer universalgeschichtlichen Periodisierung des Weltgeschehens aus. Buch I. geht darauf ein, wie Gott sich seinem Volk offenbart habe, und erläutert dahingehend die Entwicklung des biblischen Kanons und seiner unterschiedlichen Übersetzungen. Detailliert werden dann die Gesetze, Bräuche und Institutionen des jüdischen Volkes beschrieben. Buch II. konzentriert sich in der Folge auf das biblische Schriftverständnis selbst und darauf, wie es auf Grundlage der Bibel zur Lehrbildung („doctrines“) kommen sollte. Buch III. schließlich baut darauf auf und handelt davon, wie die Lehre ins Leben eines Christen umgesetzt werden kann und sollte. Weemes’ weitere Werke seien zudem noch kurz in einem Überblick dargestellt: Eine mehrfache Auflagenzahl erlebte The Portraiture of the Image of God in Man (1627),102 ein Werk, das sich auf die theologische Anthropologie und Schöpfungslehre konzentriert. Neben einer Bibelhermeneutik, die zunächst unter dem Titel The Right Understanding of the Scriptures (1632), dann als Exercitations Divine erschien,103 schrieb Weemes auch eine Art jüdischer Natur-, Moral- und Kulturkunde.104 In seinem Todesjahr 1636 wurde schließlich Weemes’ letzte Schrift A Treatise of the Foure Degenerate Sonnes105 gedruckt. Sie reiht sich in die lange Tradition des christlich-apologetischen Schrifttums ein und bezieht sich
101 Die lat. Fassung trägt den Titel: Johannes Wimesius, Synagoga Christiana, Docens S. Scripturæ I. Sensum genuinum. II. Confirmationem. Illustrationem. Applicationem. III. Legitimam ac compendiosam sensum indagandi rationem, Leiden 1660. Zit. wird im Folgenden: Weemes, The Christian Synagogue. Wherein is contained the diverse Reading, The right Pointing, Translation, and Collation of Scripture with Scripture. With the Customes of the Hebrewes and Proselytes, and of all those Nations, with whom they were conversant […], London 41633 (11623 u. insg. 5 korr. u. erw. Aufl. bis 1636), in: The Workes of Mr. Iohn Weemse, Bd. 1. 102 The Portraiture of the Image of God in Man. In his three estates, of Creation. Restauration. Glorification. […], London 31636 (11627; 21632 korr. u. erw.), in: The Workes of Mr. Iohn Weemse, Bd. 1. 103 Exercitations Divine: Containing diverse Questions and Solutions for the right understanding of the Scriptures: Proving the necessitie, majestie, integritie, perspicuitie, and sense thereof […], London 1634 (11632), in: The Workes of Mr. Iohn Weemse, Bd. 3. 104 Observations, Naturall and Morall: With a Short Treatise of the Numbers, Weights, and Measures, used by the Hebrewes; with the valuation of them according to the Measures of the Greekes and Romans, London 1636 (11633), in: The Workes of Mr. Iohn Weemse, Bd. 1. 105 Weemes, A Treatise of the Foure Degenerate Sonnes, viz: the Atheist, the Magician, the Idolater, and the Jew. Wherein are handled many profitable questions concerning Atheisme, Witchcraft, Jdolatry, and Iudaisme: and sundry places of Scripture, cleared out of the Originall Tongues, London 1636, in: The Workes of Mr. Iohn Weemse, Bd. 4.
372 Die politischen Gesetze Moses als Modell in der calvinistisch-reformierten Theologie auf eine Auseinandersetzung mit dem Atheismus, der Hexerei, der Idolatrie und dem Judaismus.
4.5.1 Ansatz und Systematik der Lehre von den mosaischen Gesetzen: Anschluss an eine calvinistisch-reformierte Tradition und hebraistische Ausdeutung Weemes legt in seinen vier Büchern über die mosaischen Gesetze die gängige Unterteilung des göttlichen Gesetzes in Moral-, Zeremonial- und Judizialgesetze zugrunde. Für Weemes korreliert diese Dreiteilung mit der jüdischen Auslegung der Thora in „( המצוהCommandements“), „( חקיםStatutes“) und משפטים („Judgements“).106 Bevor Weemes nun zwischen der jüdischen Auslegung einzelner Gebote selbst und christlich-theologischen Inhalten vermittelt, indem er diese Gesetzessystematik zugrunde legt, werden an mehreren Stellen allgemein die Unterschiede zwischen den drei mosaischen Gesetzesteilen herausgearbeitet: Für Weemes überragt das göttliche Moralgesetz alle anderen Gesetze. Dies macht er im Eingangskapitel zur Exposition of the Morall Law in Vergleichen zu anderen Gesetzesarten deutlich.107 Gegenüber den anderen mosaischen Gesetzen besitze das göttliche Moralgesetz universelle Geltung, binde den Menschen innerlich und äußerlich und fordere alle Menschen zur gleichen Einhaltung auf.108 Dementsprechend erfährt das göttliche Moralgesetz nicht nur die ausführlichste Erörterung in der Gesetzeslehre Weemes’, sondern der Dekalog wird zudem zum innerbiblischen Bezugspunkt, an dem auch die Geltung und Auslegung der anderen mosaischen Gesetze gemessen wird. Gegenüber dem Moralgesetz besitzt das mosaische Judizialgesetz für Weemes keine universelle Geltung, da es an die Juden – und auch nur an diejenigen in Judäa – gerichtet war; es betreffe auch nicht die innerliche Haltung, sondern den äußeren Zivilgehorsam.109 Es sei an das Können und Wesen des Menschen („estate“) angepasst und kenne schließlich auch im Gegensatz zum Moralgesetz Exemtionen. Die mosaischen Judizialgesetze werden insgesamt als Festschreibungen („Determinations“) des Moralgesetzes gedeutet, wobei diese entweder ius divinum oder ius humanum seien.110 Das ius humanum iudiciale teile sich wie 106 Weemes, Exercitations Divine, 164. 107 Der Titel des Kapitels lautet „Of the excellency of the Morall Law above other Lawes.“ (Weemes, Exposition of the Morall Law, Tl. 1, 1). Der vorangestellte biblische Bezugspunkt zu diesem Kapitel ist Jak 2,8, wo das Gebot der Nächstenliebe als „königliches Gesetz“ bezeichnet wird. 108 Vgl. aaO., 2. 109 Vgl. aaO., 2f; Weemes, Christian Synagogue, 255f. 110 Vgl. Weemes, Exposition of the Iudiciall Lawes, 1f.
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das ius divinum iudiciale auf in Gebote, Verbote, Erlaubnisse und Strafen. Zwar hebt Weemes hierbei hervor, dass das ius divinum iudiciale nicht einfach zu allen Nationen passe.111 Gleichwohl habe es durch seinen göttlichen Ursprung die Juden wie kein anderes gemeines Recht gebunden und alle leges humanae, die in ihrer Billigkeit jenem Judizialgesetz am nächsten kämen, seien daher Ausdruck von Perfektion („most perfect“). Weemes folgert, dass ein Magistrat die mosaischen Judizialgesetze den Zeitumständen entsprechend in die Gesetzgebung aufnehmen kann und ihre Billigkeit sogar alle Völker bindet.112 Auch an der Nützlichkeit der mosaischen Zeremonialgesetze hält Weemes fest, wenngleich sie für Christen im Neuen Bund nicht länger Geltung besäßen und selbst unter den Juden teils nur bestimmte Gruppen betrafen sowie von Ort und Zeit abhängig waren.113 Im Unterschied zum Moralgesetz sei das mosaische Zeremonialgesetz dem Stand und der Fähigkeit des Volkes („infants in the Church“) angepasst gewesen; es habe nur der Sühnung von Sünde (in expiationem peccati), nicht aber wie das Moralgesetz der Bestrafung von Sünde (in poenam peccati) gedient.114 Obwohl die mosaischen Kultvorschriften nicht mehr die christliche Kirche angehen und selbst nicht einmal mehr einen Schatten auf das Kommende werfen könnten, nachdem Christus leiblich erschienen ist,115 sieht Weemes dennoch in vierfacher Hinsicht ihre allgemeine Nützlichkeit116 gegeben: Erstens führten sie schlicht dazu, sich an ihrem Alter und ihrer Geschichte zu erfreuen. Zum Zweiten lehrten sie, von ihnen im neuen Licht des Evangeliums zu lernen und dankbar Gott gegenüber zu werden. Dies sei vergleichbar mit Hieroglyphen, die zu Buchstaben würden, oder mit den dunklen und mystischen Schriften Platons, die zur klaren einfachen Form des Aristoteles gewandelt werden. Drittens ließen sie auf die Erfüllung der Verheißungen Gottes sehen. Und schließlich machten sie den „miserable estate“ der Juden, die sich immer noch an die Kultvorschriften hielten, augenscheinlich. Auch hier werden antijudaistische Züge in Weemes’ Theologie deutlich.
111 Vgl. aaO., 2. 112 An dieser Stelle sieht Weemes wesentliche Übereinstimmung in der Gesetzeslehre mit Thomas von Aquin: „Thomas observeth well, that the Magistrate may adde to the judiciall Law of Moses according to the necessitie of the time, and greatnesse of the offence; and as the Municipall Lawes of other Countries oblige not men, but in the Countrey where they are made, so doth not Moses judiciall Law; […] but the equitie of Moses judiciall Lawes bindeth all people […]“ (aaO., 147). 113 Vgl. Weemes, Exposition of the Ceremoniall Lawes, 169–176; ders., Christian Synagogue, 254f. 114 Vgl. Weemes, Exposition of the Ceremoniall Lawes, 4; ders., Christian Synagogue, 257. 115 Vgl. Weemes, Exposition of the Ceremoniall Lawes, Epist. Ded. f. [Aaaaa5v]. 116 Vgl. zu den folgenden vier Gründen aaO., f. [Aaaaa5v]–[Aaaaa6r]; leicht abweichend: aaO., 172.
374 Die politischen Gesetze Moses als Modell in der calvinistisch-reformierten Theologie Weemes gelangt so insgesamt zu einer Lehre von den mosaischen Gesetzen, die sich durch ein vorrangiges Interesse am geschriebenen mosaischen Gesetz (lex scripta Mosaica) auszeichnet. Das göttliche Moralgesetz (der Dekalog) wird dabei zum entscheidenden Referenzpunkt, da sowohl das mosaische Judizial- als auch Zeremonialgesetz als Appendix des Dekalogs gedeutet werden und an ihrer weiteren Nützlichkeit festgehalten wird.117 Gerade im Rahmen der Behandlung des mosaischen Judizialgesetzes werden dann politische Themen behandelt und rechtlich erörtert: Neben der schon dargestellten Diskussion über die Regierungsform auch die Gerichtsbarkeit, das Ehe- und Scheidungsrecht, das Strafbzw. Prozess- und Vertragsrecht, das Recht auf Vergeltung (Talion) und Kriegsrecht, Bestattungen und schließlich die Ökonomie.118 Der Überblick über Weemes’ theologische Lehre von den mosaischen Gesetzen lässt die konkreten Bezüge zur reformierten Tradition offensichtlich werden. Drei Aspekte und zugleich theologische Autoritäten können in dieser Hinsicht noch einmal hervorgehoben werden. Wie in Kapitel 2. zu sehen war, hatte bereits Heinrich Bullinger von den mosaischen Zeremonial- und Judizialgesetzen als Zusätze zum Dekalog gesprochen.119 Erst in Calvins „Harmonie“ der letzten vier Bücher Moses erfolgt aber die konsequente Ausdeutung des Zermonialgesetzes und des Judizialgesetzes als Anhänge des Dekalogs, die Weemes dann in seinen theologischen Arbeiten übernimmt. Weemes vollzieht wie Calvin den Gedankengang von der allgemeinen Gesetzeslehre über den Dekalog, zu den Zeremonial- und Judizialgesetzen als Anhängen des Dekalogs („appendices“) bis hin zur Anwendung („application“) der Gesetze. Eine zweite wichtige Lehrautorität, die Weemes’ Gesetzeslehre maßgeblich beeinflusst, ist Calvins Nachfolger Theodor Beza. Die Nähe zu Beza spiegelt sich schon darin wider, dass ein Gebet Bezas an das Ende der Werkausgabe von Weemes gestellt ist.120 Wie schon bei anderen bisher untersuchten Autoren zu beobachten war, scheint dann in der Gliederung und Anlage der Auslegung der mosaischen Gesetzesteile ein Einfluss Bezas durch. Dies gilt insbesondere für An Exposition of the Iudiciall Lawes of Moses, in dem sich Weemes am Aufbau von Bezas Werk Lex Dei orientiert. Eine dritte wichtige Autorität in Weemes’ Lehre von den mosaischen Gesetzen stellt Franciscus Junius dar, unter dem Weemes in Leiden disputiert hatte. Junius hatte ja selbst noch in Genf unter Calvin und Beza studiert. Weemes orientierte sich in 117 Mit folgendem bildlichen Vergleich wird das Verhältnis der drei mosaischen Gesetzesteile untereinander ausgedrückt: „The Scripture compareth the morall Law to a prison, Gal 3.22. the Ceremoniall Law to a second Ward, and these Iudiciall Lawes to a Iailor to keepe the transgressors in close prison that none of them breake out“ (Weemes, Exposition of the Iudiciall Lawes, 3). 118 Vgl. schon den ausführlichen Titel in der vorhergehenden Anm. 100 in diesem Kapitel. 119 Siehe bereits oben, Abschn. 2.3.2.2. 120 Vgl. Weemes, Treatise of the Foure Degenerate Sonnes, f. [Cccccccccc1r].
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mehreren Punkten an der von Junius etablierten Unterscheidungslehre in Fragen der Geltung der mosaischen Gesetze für Christen im politischen Gemeinwesen. So übernimmt er neben einzelnen der weiter oben beschriebenen Differenzierungen auch Junius’ Unterscheidung zwischen anteilig zeremonialen und judizialen mosaischen Gesetzen. Wie bei Junius wird dann z. B. die Geltung von mosaischen Zeremonialgesetzen, die nicht gemischt sind, sondern ganz auf dem Boden der mosaischen Kultvorschriften stehen, für Christen abgelehnt.121 In der Gesetzeslehre Weemes’ zeigen sich also in erster Linie Einflüsse und Wirkungen der reformierten Theologie und Konfession Genfer Prägung. In der Vermittlung zur hebräischen Terminologie deuten sich bereits die Syntheseleistungen eines christlichen Hebraisten hinsichtlich hebräischer Quellen und jüdischer Lehren an, die in Weemes’ Werken noch an viel mehr Stellen wahrgenommen werden können.
4.5.2 Umfassendes christlich-hebraistisches Programm mit Bezügen zum kontinentaleuropäischen Wissensbestand Der enorme Anstieg im Umfang der theologischen Lehre von den mosaischen Gesetzen in John Weemes’ Arbeiten lässt sich nicht lediglich mit seinen Bezügen zu theologischen Vorbildern, auf die er sich im reformierten Bereich beziehen konnte, erklären. Zunächst einmal zeigen schon die eingangs genannten Werktitel ein Themenspektrum auf, das ein ausgesprochenes Interesse am Judentum und dessen Geschichte, Kultur und Rechtscorpora erkennen lässt. Daneben zeigt er in allen diesen Werken tiefe Kenntnisse und eine detailgetreue Wiedergabe hebräisch-jüdischer Quellen, die über die gängigen Fähigkeiten nach absolvierter theologischer Ausbildung hinausgehen. Hierzu zählen z. B. Rückgriffe auf Talmudtraktate und jüdisch-mittelalterliche Lehrwerke in seinen Arbeiten. Bereits in der Nachzeichnung eines Diskurses unter den in diesem Kapitel behandelten calvinistisch-reformierten Theologen ist eine Disputation von Weemes aus dem Jahr 1597 unter dem Vorsitz von Franciscus Junius in Leiden nachgewiesen worden. Im Folgenden soll nun zunächst nach den weiteren Bezügen zur Universität Leiden und allgemeiner zum kontinentaleuropäischen christlichen Hebraismus gefragt werden, die sich durch diese Disputation aufdrängen. Dies dient mir dann als Ansatzpunkt, um den weiteren Rahmen der mosaischen Rechtslehre von John Weemes abzustecken. Weemes’ Bezüge zum kontinentaleuropäischen christlichen Hebraismus bieten in erster Linie auch einen Erklärungsansatz, wie sich in Schottland, an einem Ort, der gewiss nicht zu den damaligen Zentren des christlichen Hebra121 Vgl. Weemes, Exposition of the Ceremoniall Lawes, 173.
376 Die politischen Gesetze Moses als Modell in der calvinistisch-reformierten Theologie ismus gehörte und an dem sich überhaupt schwerlich Kontakte zu jüdischen Gelehrten nachweisen lassen,122 Wissensbestände rund um die hebräische Sprache an sich und rabbinisch-jüdische Quellen etablieren konnten. Obwohl es schon in den 1550er und 1560er Jahren Bestrebungen für die Einführung des Hebräischunterrichts an schottischen Universitäten gegeben hatte, so sollte diesen doch erst richtig in den 1570er Jahren mit der Rückkehr Melvilles, der selbst in Paris und Genf studiert hatte, größerer Erfolg beschert sein.123 Als er 1580 nach St Andrews zog, kam es zur Einführung hebräischer Studien dort und um 1600 hatten schließlich alle vier schottischen Universitäten Hebräisch auf ihrem Lehrplan. An der Person Melville wird deutlich, wie wichtig der Wissenstransfer des christlichen Hebraismus vom europäischen Festland auf die Insel in dieser Zeit war. Gleiches gilt auch für John Weemes, wie exemplarisch eine Analyse der von ihm rezipierten Werke in seiner Schrift The Christian Synagogue verdeutlichen kann:
Auswertung der gekennzeichneten nicht-biblischen Quellenverweise und -zitate in The Christian Synagogue (41633)
Die hier prozentual in Diagrammform aufgeschlüsselte Auswertung der direkten und indirekten Quellenverweise und -zitate in Weemes’ Schrift The Christian Synagogue bezieht sich insgesamt auf eine Anzahl von 438 Belegen. Diese Zahl umfasst nicht Bibelzitate oder Verweise aus unterschiedlichen Bibelausgaben und auch nicht die Targumim bzw. Zitate aus überlieferten und von Weemes hinzugezogenen Bibelhandschriften, die er wahrscheinlich aus Werken anderer Hebraisten und kommentierten Bibelausgaben übernommen hat. Eine sekundäre Übernahme aus anderen Kommentar- und Lehrwerken wird in der Auswertung nicht berücksichtigt. Zudem ist die Auswertung auch nicht repräsentativ für jede seiner Schriften. So wird z. B. auf mittelalterliche (nicht-jüdische) 122 Dazu bereits Shim, Biblical Hermeneutics, 197–221. 123 Vgl. Rex, Humanism and Reformation, 512–535, hier: 526f. 512f (dort weitere Lit.); zur Rolle Melvilles ausführlich Reid, Andrew Melville.
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Quellen in der vier Bücher umfassenden Gesetzeslehre von Weemes weit häufiger Bezug genommen als in The Christian Synagogue. Dennoch sind die hier genannten Zahlen aufschlussreich. Sie zeigen nicht nur, dass ein beachtlicher Anteil von 19 Prozent insgesamt auf jüdische Quellen zurückgeht. Neben Talmudzitate und -verweise tritt hier die Rezeption von Werken mittelalterlicher jüdischer Gelehrter wie der großen Gelehrtenautorität Maimonides sowie David (ben Joseph) Kimchis (oder Qimchis), Rabbi Solomon (ben Isaak) Jarchis, Rabbi (ben Joseph) Bechais und Isaak (ben Judah) Abrabanels. Die Zahlen belegen zugleich, wie wichtig die im kontinentaleuropäischen christlichen Hebraismus zu verortenden Werke für Weemes waren: In dem Anteil von 40% frühneuzeitlicher Quellen der 438 Bezugsstellen entfällt ein Großteil auf christliche Hebraisten (137 gegenüber 57 Verweisen auf andere frühmoderne Werke). Unter diesen christlichen Hebraisten überwiegen dann auch diejenigen, die sich dem Umfeld der Leidener Universität zuordnen lassen, dem Ort, an dem Weemes’ Disputation aus dem Jahr 1597 nachzuweisen ist: Darunter nutzt und zitiert Weemes in Fragen der Schriftautorität und -auslegung häufig Werke Franciscus Junius’,124 der in der Disputation von 1597 ja den Vorsitz innehatte. Noch zahlreicher aber sind die Verweise auf Werke des ab 1593 an der Universität Leiden lehrenden Humanisten Joseph Justus Scaliger (1540–1609)125 und auf Johannes van den Driesche (Drusius, 1550–1616).126 Letzterer hatte zwar nur bis 1585 an der Leidener Universität orientalische Sprachen unterrichtet und wechselte danach an die Universität Franeker. Unbestritten aber dürfte sein, dass seine Lehrbücher auch weiterhin großen Einfluss ausübten, so dass auch Weemes schließlich auf sie zurückgreifen konnte. Eine Reihe weiterer Gelehrter aus Leiden, auf die Weemes in The Christian Synagogue zurückkommt, wie Petrus Cunaeus und der Genfer Humanist Isaac Casaubon (1559–1614), könnte genannt werden.127 Daneben sticht vor allem der große deutsche Hebraist Johannes Buxtorf der Ältere (1564–
124 Vgl. Weemes, Christian Synagogue, 31. 37f. 44f. 83. 144. 167. 173. 276. 125 Vgl. mit zum Teil mehrfachen Verweisen auf einer Seite aaO., 1. 15f. 18. 31f. 37. 48f. 53. 60. 65. 73. 81. 83. 86. 89. 92f. 100f. 113. 117. 123–125. 129. 131. 133f. 138f. 142. 152. 154f. 162. 165. 168f. 174f. 183f. 193f. 206. 209. 221. 223. 249. Weemes zitiert aus insgesamt mindestens fünf Werken Scaligers, darunter am häufigsten aus dem mehrfach neu herausgegebenen chronologischen Hauptwerk De emendatione temporum (1583) und Scaligers Editionsarbeiten zu den Geschichtswerken des Eusebius von Caesarea. 126 Vgl. aaO., 7–9. 34. 36. 82. 88. 112. 131f. 134. 139. 146f. 156. 158. 160. 176. 188. 220. 245. Vgl. zu Drusius im Folgenden: Slee, Art.: Drusius, 439f. 127 Weemes zitiert aus Petrus Cunaeus’ De republica Hebraeorum libri III (siehe Abschn. 5.2) in: Weemes, Christian Synagogue, 48. 64. 91. 104. 108. 113. 172. Gleichfalls wird die gegen Kardinal Baronius gerichtete Schrift Isaac Casaubons De rebus sacris et ecclesiasticis exercitationes XVI. Ad Cardinalis Baronii Prolegomena in annales (1614) zitiert aaO., 16. 123. 130. 134. 185. 187. 205. 215. 275. Vgl. zu Casaubon zuletzt die ertragreiche Arbeit von Grafton/Weinberg, Isaac Casaubon.
378 Die politischen Gesetze Moses als Modell in der calvinistisch-reformierten Theologie 1629) hervor, dessen Hauptwerk Synagoga Iudaica. Das ist/ Jueden Schul (1603)128 ja schon im Titel Nähen zu The Christian Synagogue verrät. Weemes rezipiert aber nicht nur umfassend Werke des kontinentaleuropäischen christlichen Hebraismus, er teilt auch mit den Gelehrten dieser Werke humanistische Interessen und Ausrichtungen. So wird zunächst ein Bemühen deutlich, allem vom Menschen ausgehenden Lernen („all humane learning“) in den Wissenschaften Raum zu geben, anders als es die Juden getan hätten.129 So wird der mittelalterliche Fächerkanon noch einmal auf die Kenntnis der alten Sprachen als vehicula scientiarum zugespitzt. Für die Theologie, die an der Spitze aller Wissenschaften steht, bleiben diese von grundlegender Bedeutung.130 Darüber hinaus demonstriert Weemes auch eine umfangreiche Kenntnis und Verarbeitung antiker Quellen. Zitate antiker Klassiker treten dabei an vielen Stellen gleichwertig neben Bibelzitate und Zitate christlicher Autoren. Aus dem großen Reservoir der Autoren antiker Literatur, die Weemes allein in The Christian Synagogue zitiert, seien nur aufgezählt: Platon, der griechische Komödiendichter Aristophanes, der griechische Historiker Polybius, Cicero und Seneca, der römische Dichter Ovid, der römische Rhetoriklehrer Quintilian, der Geschichtsschreiber und Philosoph Plutarch, Marcus Terentius Varro und schließlich Cornelius Tacitus. Durchgehend herangezogene antike christliche Quellen, auch in den weiteren Werken Weemes’, stellen die Kirchenväter dar: Hieronymus ist hier besonders häufig vertreten. Zahlreich sind außerdem Verweise auf Origenes und Augustin. Auch die frühen Kirchenväter wie Tertullian von Karthago werden neben späteren wie Ambrosius von Mailand und dem Kirchenlehrer des Ostens Johannes Chrysostomos aufgenommen. Unter der antiken jüdischen Literatur bezieht sich Weemes in The Christian Synagogue am häufigsten auf die Jüdischen
128 Weemes nutzte die erweiterte lateinische Fassung dieser zuerst 1603 in deutscher Sprache erschienenen Schrift Buxtorfs, vgl. Weemes, Christian Synagogue, 10. 91. 93. 97f. 169. 190. 270. Außerdem greift Weemes auf Buxtorfs Sprachhilfen, Einleitungs- und Kommentarwerke wie vor allem den Kommentar zur Masora Tiberias sive commentarius Masorethicus (1620) zurück. Vgl. insgesamt aaO., 10. 57. 91. 109. 112. 157. 210f. 246. 129 Moses sei in der Weisheit der Ägypter, Daniel in der der Chaldäer und Dionysius Areopagita in der Philosophie unterwiesen gewesen, aber die Juden hätten schließlich „all humane learning“ als Weisheit der Griechen (sapientia Graecorum) abgelehnt (vgl. Weemes, Exercitations Divine, Epist. Ded. f. [Aaaaaaa6r–v]). 130 „But to shut up this Schoole [of Arts and Sciences], and to take away all humane learning from a Divine, were in effect to make him no Divine. The knowledge of all Arts and Sciences is necessarie for him, as of Geometrie, Arithmetique, Geographie, the knowledge of Physicke, but above all the knowledge of the tongues is more necessary for him, because they are Vehicula scientiarum“ (aaO., f. [Aaaaaaa6v]). Vgl. dazu aaO., f. [Aaaaaaa7r–Aaaaaaa8v] und zur Bedeutung des Altgriechischen und Hebräischen Weemes, Christian Synagogue, Th. Epist. f. [A4r].
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Altertümer und die Geschichte des jüdischen Krieges des Historikers Flavius Josephus, die auch in Weemes’ anderen Werken eine wichtige Quelle darstellen.131 Über die somit deutlich gewordenen Schnittmengen mit dem (späten) christlichen Humanismus hinaus, der bei Weemes in erster Linie auf die Theologie ausgerichtet ist, bleiben Kennzeichen des Hebraismus in allen Werken Weemes’ augenfällig. Dies betrifft besonders seine Faszination für die hebräische Sprache. Diese Faszination scheint allein schon darin begründet, dass das Hebräische für Weemes die älteste Sprache der Welt ist, denn sie sei schließlich die Sprache, die das Wesen der Dinge und Affekte am klarsten und in den wenigsten Worten ausdrücken könne.132 Gott selbst habe mit Adam, Abraham und Mose Hebräisch gesprochen und in dieser Sprache die Zehn Gebote eigenhändig auf zwei Tafeln geschrieben.133 Die Gleichsetzung des Anfangs der Welt mit dem Anfang der von Gott selbst stammenden hebräischen Sprache hat Auswirkungen auf das Geschichtsdenken, das insgesamt dadurch an Geschlossenheit gewinnt: Im Grunde beginnt die Geschichte der Menschen mit dem Wort Gottes (dem Hebräischen) und endet damit. Die heidnische Geschichte ist darin „eingebettet“, behält aber auch ihre Bedeutung in der fortlaufenden Geschichte des Wortes Gottes. Dem entspricht ja zugleich die bereits festgestellte positive Integration antiker Klassiker und Philosophien nicht-christlicher Herkunft. Andererseits verläuft parallel zur Geschichte der hebräischen Sprache auch das Walten des Heiligen Geistes und die Niederschrift des Gotteswortes bis zum Hergang der Kanonisierung der biblischen Bücher. Die Bibel hat zwar für Weemes insgesamt Einflüsse der heidnischen Umwelt und ihrer Texte aufgenommen, aber die Autoren bzw. „Sekretäre“ („Secretaries“) der biblischen Bücher waren in ihren Niederschriften vom Heiligen Geist erfasst.134 Gerade in diesem Punkt steht 131 Zu Josephus vgl. aaO., 9. 12. 25. 35. 64. 69. 71. 86. 91. 107. 111. 114. 123f. 201. 224. 256. 132 „We may know the Hebrew was the first originall tongue; […] that language, which expresseth the nature of things, and their affections most clearely, and in fewest words; that must be the originall language: but the Hebrew doth this; therefore it is the first language“ (Weemes, Exercitations Divine, 92). Wie man dies aus heutiger sprachwissenschaftlicher Sicht auch bewerten mag, festzuhalten bleibt doch, dass einige seiner philologischen Untersuchungen ihn zu relativ modernen Erkenntnissen, die mit denen der heutigen Bibelwissenschaften vergleichbar sind, führen: so z. B. der Sachverhalt, dass er die samaritanischhebräische Schrift für älter hält als die hebräische Quadratschrift, dass er den Einfluss chaldäischer und ägyptischer Texte auf das Alte Testament mit einbezieht oder auch die Rezeption von Talmud-Zitaten (z. B. Mt 7,5 und Mt 19,24) und der apokryphen Literatur im Neuen Testament erkennt (vgl. aaO., 88ff). Es ist außerdem wahrscheinlich, dass Weemes Syrisch-Kenntnisse hatte, und er hat sich auch mit der Auslegung des Samaritanischen Pentateuchs beschäftigt (vgl. Bowman, A Seventeenth Century Bill, 380f mit Anm. 1). 133 Vgl. Weemes, Exercitations Divine, 92 mit Weemes, Christian Synagogue, 12f. 134 „The holy Ghost, borrowed somethings first from the Poets, and secondly, from the history of the Heathen; and the Secretaries of the holy Ghost insert them in the Booke of God“ (Weemes, Exercitations Divine, 96).
380 Die politischen Gesetze Moses als Modell in der calvinistisch-reformierten Theologie Weemes orthodoxen Strömungen der Theologie dieser Zeit, die von einer Verbalinspiration der Heiligen Schrift ausgingen, nahe. Mit den Argumenten eines christlichen Hebraisten, der im und „hinter“ dem biblischen Urtext und seiner Überlieferung eine göttliche Ordnung bis in die Buchstabenanordnung nachweist,135 kann er diese untermauern.
4.5.3 Eigenarten calvinistisch-reformierter Theologie und Fundamentalopposition gegen den römischen Katholizismus Im Hinblick auf Weemes’ konfessionelle Positionierungen sind insbesondere die an vielen Stellen von Weemes’ Werken immer wieder auftauchenden Abgrenzungen gegenüber der katholischen Lehre und Praxis und polemische Passagen gegen die römische Kirche zu nennen: Weemes spricht sich vehement gegen die Suprematie des Papstes136 und gegen eine Lehre der Unfehlbarkeit bzw. Sündlosigkeit des Papstes aus,137 hält mit reformatorischem Impetus das solus Christus in der Rechtfertigungslehre dem katholischen Ablasshandel entgegen,138 kritisiert das Keuschheitsgelübde von Priestern139 und ein weltfernes kontemplatives Klosterleben.140 Polemische Bemerkungen könnten neben weiteren Frontstellungen in der Lehre noch genannt werden, letztlich führen für Weemes die Fehler in der römischen Kirche aber doch auf den entscheidenden Punkt des falschen Schriftverständnisses zurück.141 Auch die innerprotestantischen Frontstellungen werden dementsprechend auf maßgeblicher Basis biblischer Argumentationen erhärtet. Am schärfsten fallen hier noch die Abgrenzungen gegenüber dem Täufertum aus, die aber genauso wie die nur ganz vereinzelte Kritik am Lu135 Vgl. z. B. die Illustrationen aaO., 114f. 136 Weemes, Exposition of the Iudiciall Lawes, 19f. Weemes argumentiert in diesem Abschnitt ausgehend von der reformierten Lehre von den drei Ämtern Christi. „The Pope claimeth to be aboue Kings in his anointing, in state, and wordly dignitie; therefore this sheweth him to be that man of sin, who exalteth himselfe aboue all that are called gods, 2Thess.2.4. that is, aboue all Princes and Kings“ (aaO., 22). Vgl. Weemes, Christian Synagogue, 10f. 137 Vgl. Weemes, Exposition of the Ceremoniall Lawes, 64. 138 „[I]t cost the chiefe Captaine a great summe of money to be made a free-man in Rome; but to bee made a free-man in the Church of GOD, it cost the price of Christs bloud“ (Weemes, Exposition of the Iudiciall Lawes, Epist. Ded. f. Aaaaaa3v). 139 Vgl. genauer Weemes, Exposition of the Ceremoniall Lawes, 44f. 140 Vgl. zugleich mit einer Kritik am Jesuitenorden Weemes, Exercitations Divine, 24f. 141 „All error proceedeth from ignorance of the Scriptures […]. We shall never understand the truth but out of the Scriptures; the Church of Rome is most injurious to the Laickes forbidding them to read the Scriptures, what mervaile is it that they be led into all errors, when they want this light of the Scriptures to direct them […]“ (Weemes, Exposition of the Ceremoniall Lawes, 208). Vgl. außerdem gegen die katholische Seite gerichtet u. a. Weemes, Christian Synagogue, 67. 76f. 261. 273ff. 278. 286f. 307–311; Weemes, Portraiture of the Image of God, Th. Epist. f. [Aa6v], f. [Aa7v–Aa8r].
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thertum im Vergleich zur antikatholischen Position weit weniger Gewicht haben.142
4.5.4 Transkonfessionelle Aspekte: Toleranz gegenüber dem Judentum im christlichen Gemeinwesen John Weemes zeigt insgesamt in seinen Schriften die Spannungen im Verhältnis zum Judentum, die typisch waren für christliche Autoren seiner Zeit, die einerseits darum bemüht waren, ein jüdisch-hebräisches Erbe positiv zu integrieren, und dabei an Werke jüdischer Gelehrter anschlossen, auf der anderen Seite aber – und teilweise umso mehr – die christliche Seite demgegenüber zu profilieren suchten. So können Juden und jüdische Gelehrte z. B. auf der einen Seite für ihre Schrifttreue und Gelehrtheit im Gesetz Gottes gelobt,143 andererseits aber auch für ihr falsches Bibel- und Gesetzesverständnis – im Vergleich zum christlichen Glauben! – gerügt und beschimpft werden.144 Von diesen Spannungen, die in vielen Fällen zumindest indirekt Rückschlüsse auf Weemes’ Verhältnis zum Judentum zulassen, heben sich noch einmal zwei Passagen in seinem gesamten Œuvre ab, in denen Stellung dazu genommen wird, ob Juden in einem christlichen Gemeinwesen toleriert werden sollten oder nicht: zunächst in Kapitel 15 der Exposition of the Iudiciall Lawes of Moses und dann im siebten Abschnitt des vierten Teils seines letzten Werkes A Treatise of the Foure Degenerate Sonnes.145 Schon die fast identischen Titel zu diesen Abschnitten deuten auf inhaltliche Nähen hin, doch sind auch Unterschiede festzustellen: Im 15. Kapitel der Exposition of the Iudiciall Lawes geht Weemes von einem Vers aus dem paulinischen Ölbaumgleichnis (Röm 11,23: „Jene aber, sofern sie nicht in Unglauben bleiben, werden eingepfropft werden; denn Gott kann sie wieder einpfropfen“) aus.146 Er unterscheidet dabei zunächst zwischen religiösen 142 Gegen die Täufer richtet sich u. a. Weemes, Exposition of the Ceremoniall Lawes, 153; Weemes, Christian Synagogue, 261. Der lutherischen Kirche hält Weemes z. B. eine falsche Zählung der Zehn Gebote vor (aaO., 278), andererseits geht er aber z. B. im Fall bedeutenderer Kontroversen in der Abendmahlslehre nicht auf Unterschiede zum Luthertum ein (vgl. Weemes, Exercitations Divine, 180–182). 143 Juden verbrächten laut Weemes idealerweise zwei Drittel ihres Lebens mit dem Studium des Talmuds und ein Drittel mit der Heiligen Schrift, um zu guten Auslegern des Gesetzes Gottes zu werden (vgl. aaO., 87). 144 Vgl. u. a. Weemes, Christian Synagogue, 6–8 (zum Judaismus). 91; Weemes, Exposition of the Ceremoniall Lawes, 250. 145 Weemes, Exposition of the Iudiciall Lawes, 57–61: „Chap[ter] XV. Whether the Iewes should be tolerated in a Christian Common-wealth or not?“; Weemes, Treatise of the Foure Degenerate Sonnes, 337–343: „Sect. 6 [i. e. 7]. Whether the Jewes are to be suffered in a Christian common wealth or not?“ 146 Vgl. Weemes, Exposition of the Iudiciall Lawes, 57.
382 Die politischen Gesetze Moses als Modell in der calvinistisch-reformierten Theologie Gründen und zivilen Gründen (Zivilverträge, Handel), die gegen eine Duldung von Juden in einem christlichen Gemeinwesen sprächen. Sowohl in der Aufzählung von acht religiösen wie den weiteren zivilen Gründen werden in der Folge anti-jüdische Klischees bedient: Juden verabscheuten Christen, hassten die Jungfrau Maria, machten sich über Christi königliches Amt lustig, hätten Jesu Kreuzestod ins Lächerliche gezogen, machten gemeinsame Sache gegen die Christen im Handel, zögerten nicht, Christen zu vergiften, usw.147 Diesen Gründen, die gegen eine Tolerierung von Juden in einem Gemeinwesen sprechen, hält Weemes fünf entgegen, die alle theologisch motiviert sind. Im Hintergrund steht hierbei die Unterscheidung zwischen solchen Juden, die Christus schmähten und so Blasphemie begingen, und solchen, die immer noch in Blindheit lebten und man eher bemitleiden sollte („we should pitie“).148 Weemes schlägt sich nun nirgendwo in diesem Kapitel klar auf die Seite der Toleranz gegenüber Juden, sondern nennt erst einmal nur fünf Gründe für eine „Bemitleidung“ dieser Juden.149 Am Ende der Erörterungen in diesem Kapitel spricht sich Weemes zwar nicht klar und direkt für eine Toleranz der Juden aus, sagt aber doch, dass „some Christian Common-wealths“ die Juden zugelassen hätten – allerdings unter fünf Auflagen150: Unterordnung der Juden unter die positiven Gesetze eines Landes, ein Unterlassen von Schmähungen und Beleidigungen gegenüber Christen, keine Verführung von Christen und Heirat zwischen Juden und Christen, keine Erlaubnis zur Ausbeutung von Christen durch Wucher und schließlich Verweigerung öffentlicher Ämter und stattdessen Kennzeichnung der Jüdinnen und Juden durch ein bestimmtes Abzeichen oder Kleidungsstück. Diese fünf Auflagen beschreiben damit eine gesetzmäßige Segregation von Juden im Gemeinwesen und eine Einschränkung von Freiheiten bis in das private Äußere. Dennoch muss beachtet werden, dass Weemes diese Auflagen am Ende des betreffenden Kapitels unkommentiert lässt, sich also nirgendwo für oder gegen sie ausspricht. Dies kann nun so gedeutet werden, dass Weemes wenigstens exemplarisch Möglichkeiten aufzeigen will, wie Juden bisher auf Grundlage des Gesetzes mit Christen in einem Gemeinwesen zusammenleben konnten. Im Mittelpunkt seines Interesses liegt aber letztlich nicht die rechtliche Sicht der Toleranzfrage, sondern die theologische, wobei die biblische Bundesvorstellung hervorsticht. Dies zeigt sich noch deutlicher im Treatise of the Foure Degenerate Sonnes. 147 Vgl. ausführlich aaO., 57–59. 148 AaO., 60. 149 Vgl. ebd. Hierbei wird unter anderem noch einmal auf die eigenen jüdischen Wurzeln Jesu hingewiesen und im Sinne des Bundesgedankens betont, dass die Heiden vor Christus nicht zum Bund des Gottesvolkes gehört, damals aber die Juden auch schon für die Heiden gebetet hätten. Dieser Gedanke wird dann im Treatise of the Foure Degenerate Sonnes weitergeführt. 150 Vgl. die Liste aaO., 60f.
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Hier spricht sich Weemes klarer als in der Exposition of the Iudiciall Lawes für die Toleranz von Juden in einem christlichen Gemeinwesen aus.151 Das bereits in der Exposition explizierte Argument, das die einstige gerechte Behandlung der Heiden durch das unter dem Bund mit Gott stehende jüdische Volk zum Maßstab für die gegenwärtige Behandlung der Juden durch Christen machte, wird nun breiter entfaltet und zum eigentlichen Hauptargument. Weemes unterscheidet systematischer als in der Exposition drei jüdische Gruppen: erstens solche Juden, die nicht nur nach der Geburt Juden sind, sondern dies auch mit solcher Hingabe seien, dass sie sich Christus gegenüber blasphemisch verhielten. Hier gelte, dass eine solche Gotteslästerung genauso geahndet werden muss wie die Blasphemie bei Christen, nämlich mit der Todesstrafe.152 Toleranz gegenüber dieser Gruppe von Juden ist also für Weemes ausgeschlossen. Einer zweiten Gruppe von Juden, die von Geburt an ihre Religion auslebt und dabei nicht in Konflikt mit der christlichen Religion kommt, kann und sollte dagegen Toleranz in einem christlichen Gemeinwesen zukommen.153 Weemes deutet diese Gruppe letztlich so, dass sie aus Unwissenheit nicht den wahren Gott anbete, aber letztlich auch noch Hoffnung auf ihre Konversion zum christlichen Glauben bestehe. Diese Juden sollen für Weemes zugleich aber gewisse Freiheiten genießen: Glaubensfreiheit (denn sie könnten nicht zum rechten Glauben gezwungen werden), Freiheit der Religionsausübung (genauer: Zugeständnis der Beschneidung) und Versammlungsfreiheit in Synagogen. Mit Bezug auf das kanonische Recht wird allerdings eine Ehe zwischen Juden und Christen ausgeschlossen. Schließlich bezieht sich eine dritte Gruppe auf solche Juden, die bereits zum christlichen Glauben konvertiert sind und die die christliche Kirche bereicherten.154 Will man das Toleranzverständnis Weemes’ gegenüber dem Judentum auf den Punkt bringen, so wäre letztlich von einem eingeschränkten Zugeständnis von Freiheiten (Glaubens-, Religions- und Versammlungsfreiheit) zu sprechen, das das Zusammenleben von Juden und Christen ermöglichen will, solange keine religiösen Konfliktsituationen für Christen entstehen. Hinter diesem Zugeständnis steckt aber bei Weemes aus theologischer Sicht stets die Hoffnung auf eine mögliche Bekehrung einzelner Jüdinnen und Juden.155 Dies ist bereits als ein 151 „The Iewes are to be tollerated amongst Christians now, when they are out of the Covenant, as they did tolerate us Gentiles when wee were out of the covenant“ (Weemes, Treatise of the Foure Degenerate Sonnes, 337). 152 Vgl. aaO., 338. 153 Vgl. zu dieser Gruppe weiter aaO., 338–342. 154 Vgl. aaO., 342f. Weemes nennt für diese Gruppe exemplarisch eine geschichtliche Reihe, die von Hieronymus bis zum jüdischen Konvertiten und späteren reformierten Theologen und Bibelübersetzer Immanuel Tremellius (1510–1580) reicht. 155 Der Titel von „Sect. 10. The reasons why the Christians should be so earnest for the conversion of the Jewes.“ (aaO., 378–380) im vierten Teil spricht bereits für sich. Bezeichnenderweise schließt Weemes den Treatise mit einem Gebet für die Konversion der Juden zum Chris-
384 Die politischen Gesetze Moses als Modell in der calvinistisch-reformierten Theologie möglicher positiver Beitrag zur Wiederzulassung von Jüdinnen und Juden in England 1656 gedeutet und mit philosemitischen Tendenzen unter puritanischen Theologen Englands verglichen worden.156 Doch warum beschäftigt sich Weemes überhaupt mit Toleranzfragen gegenüber Jüdinnen und Juden in einer Zeit in Schottland, für die sich keine jüdischen Bevölkerungsgruppen und überhaupt schwerlich die Existenz einzelner Jüdinnen und Juden nachweisen lässt?157 Auch hier wäre am ehesten an die nachgewiesenen Verbindungen zum kontinentaleuropäischen christlichen Hebraismus und z. B. die Bedingungen in den Niederlanden, wo ähnliche Haltungen in Fragen der Duldung von Jüdinnen und Juden bereits existierten, zu denken.158
tentum von Théodore de Bèze ab (vgl. aaO., f. [Cccccccccc1r]. Vgl. zur Bundesthematik auch aaO., 363–380. 156 Vgl. Shim, Biblical Hermeneutics, 201–205. 157 Vgl. Levy, Origins of Scottish Jewry. 158 Vgl. Huussen, Legal Position, bes. 30–34.
5.
Transformationen: das mosaische Gemeinwesen als politisches Programm für das 17. Jahrhundert
Mit dem Werk De republica Hebraeorum libri III (1617) des Petrus Cunaeus (van der Cun, 1586–1638) erreichte das Schrifttum über das Rechtsvorbild des mosaisch-jüdischen Gemeinwesens seinen eigentlichen Höhepunkt zu Beginn des 17. Jahrhunderts und zugleich eine neue Ausrichtung: Cunaeus’ Traktat ist das wirkungsreichste Werk in der frühneuzeitlichen Literatur de politia judaica. Dies belegen die vielen Neuauflagen und die Verbreitung von Cunaeus’ Hauptwerk in unterschiedlichen Übersetzungen: So erlebte das Werk allein bis zum Ende des 18. Jahrhunderts 15 Neuauflagen und erschien 1653 zunächst in englischer, seit 1682 auch in niederländischer und seit 1705 in französischer Sprache.1 Hinzukommt, dass Cunaeus in juristischen und politischen Diskursen im 17. Jahrhundert ausführlich zitiert, exzerpiert und diskutiert wurde. Umso mehr lohnt es sich deswegen – auch angesichts der bereits vorliegenden verschiedenen Forschungsarbeiten2 –, noch einmal grundsätzlich danach zu fragen, in welcher Weise sich Cunaeus’ De republica Hebraeorum libri III von den VorgängerWerken unterschied und wie die breite Resonanz, die das Werk im Laufe des 17. Jahrhunderts und darüber hinaus hervorrief, zu erklären ist. Dies soll im
1 Cunaeus, De Republica Hebraeorum Libri III […], Leiden 1617; weitere Aufl.: ebd. 1631; ebd. 1632; Hof 1665; Amsterdam 1666; Saumur 1674; in Sammelwerken oder neuen Editionen: Cambridge 1660; Leipzig 1696; Cambridge 1698; Leiden 1703; ebd. 1732; Venedig 1745; Übers. in englischer (London 1653), niederländischer (Amsterdam 1682; 1683; 1684, 1685; 1700, 1704) und französischer Sprache (1705; 1713). 2 Grundlegend für die Forschung zu De republica Hebraeorum libri III von Cunaeus waren die Arbeiten von Lea Campos Boralevi, die 1996 das Werk mit einer Einleitung neu herausgab (dies., Introduzione; vgl. auch dies, Per una storia della Respublica Hebraeorum, bes. 24–33 u. zum Kontext genauer: dies., Classical Foundational Myths). Vgl. außerdem aber zuvor bereits Ziskind, Petrus Cunaeus; Katchen, Christian Hebraists, 38–55 u. später Rauschenbach, Geschichtsschreibung, 16–19 u. Sutcliffe, Philosemitic Moment, 71–76. Eine ausführliche Einführung und Interpretation aus dem Jahr 2006 liegt vor mit Eyffinger, Introduction u. Wyetzner, Preface in der engl. Übersetzung der Erstausgabe von 1617. Bei Hammill, Mosaic Constitution kommt die Bedeutung von Cunaeus, auch angesichts der von ihm behandelten Autoren, viel zu kurz.
386
Transformationen: das mosaische Gemeinwesen als politisches Programm
Folgenden in einem Vergleich mit den bis hierhin untersuchten Schriften geschehen. Cunaeus schrieb De republica Hebraeorum libri III an der Universität Leiden, die in den Jahrzehnten um 1600 zu einem Zentrum der Gelehrtenkultur christlicher Hebraisten in Europa wurde und deren Ausstrahlungskraft schon im vorherigen Kapitel unter anderem an der Person Franciscus Junius deutlich geworden ist. Mark Somos hat angesichts dieser Gelehrtenkultur von einem „Leidener Kreis“ („Leiden circle“) gesprochen und angeführt, dass Gelehrte angesichts der politischen und kirchenpolitischen Konstellationen ihrer Zeit säkularisierende Tendenzen in unterschiedlichen Werken zum Ausdruck brachten.3 Die Verbindungen, die zur humanistischen Jurisprudenz Frankreichs bestanden haben dürften, sind dabei ebenfalls in Betracht zu ziehen. Mit dem ausgehenden 16. Jahrhundert wurde der aus Frankreich stammende Joseph Justus Scaliger (1540–1609) zur zentralen Gelehrtengestalt der Universität Leiden. Mit Akribie vertiefte er seine Studien antiker Quellen und hatte unter anderem auch eine Abschrift der antiken Collatio legum Mosaicarum et Romanarum in seiner eigenen Sammlung,4 die 1573 in einer Edition durch Pierre Pithou, der selbst in Briefen auch von einer Collatio Legis Judaicae sprach,5 der Gelehrtenwelt zugänglich gemacht wurde. Scaliger brachte seine Fähigkeiten als christlicher Hebraist in den „Leidener Kreis“ ein, wie es neben weiteren Gelehrten auch der Theologe und Jurist Hugo Grotius (Huig de Groot, 1583–1645) tat, der in Frankreich seine juristische Doktorwürde erhielt. Bereits Jahre vor der Veröffentlichung von Cunaeus’ Hauptwerk De republica Hebraeorum libri III verfasste Grotius im Umfeld der Leidener Universität eine skizzenhafte Abhandlung über die politia judaica, in der sein humanistischer und juristischer Hintergrund zum Tragen kommen. Dieser Traktat sollte allerdings nie in Buchform veröffentlicht werden.
5.1
Hugo Grotius’ unveröffentlichter Traktat De republica emendanda
Der Traktat De republica emendanda ist die erste, heute noch bekannte politische Schrift des „Vaters des Völkerrechts“,6 Hugo Grotius. Sie wurde wahrscheinlich in den Jahren 1598–1600 verfasst7 und ist nur noch in einem Manuskript aus 3 Vgl. Somos, Secularisation, bes. 9–12; vgl. zu Hugo Grotius, der in diesem Abschnitt nur kurz behandelt wird, außerdem: ders., Secularization in De Iure Praedae. 4 Vgl. Grafton, Scaliger et l’histoire du judaïsme hellénistique u. Somos, Secularisation, 271, der fälschlicherweise 1574 für die Edition Pithous angibt. 5 Siehe dazu oben, Abschn. 3.1.2. 6 Zu den wenigen biographischen Hinweisen im Folgenden, vgl. ausführlich Nellen, Hugo
Hugo Grotius’ unveröffentlichter Traktat De republica emendanda
387
zweiter Hand überliefert.8 Trotz der schlechten Überlieferungslage und Spannungen zu seinem sonstigen Œuvre sprechen viele Indizien für die Verfasserschaft Grotius’, der den knappen Traktat vielleicht noch während seiner Studienzeit verfasst hat. Bereits als Elfjähriger begann Grotius sein Studium in Leiden und widmete sich den humanistischen Studien, der Theologie und den Rechten. 1598 erhielt Grotius in Orléans die juristische Doktorwürde. Auch in De republica emendanda spielt diese juristische Sichtweise, die wahrscheinlich auch beeinflusst ist durch die humanistische Jurisprudenz Frankreichs, eine wichtige Rolle. Wie jene verbindet Grotius die Ursprünge des Rechts mit der mosaischen Gesetzgebung und stellt unter allen Völkern das Gemeinwesen der Hebräer als das vollkommenste heraus. Auch die Vorstellung einer prisca sapientia, die auf Mose und die Hebräer zurückgeht, klingt in Hugo Grotius’ Frühwerk durch, ist bei ihm dazu eng verbunden mit dem respublica-Gedanken.9 Grotius musste Carlo Sigonios Werk gekannt haben10 und auch eine Verbindung mit Corneille Bertrams Arbeiten ist anzunehmen. Er geht aber anders als diese beiden Autoren einen entscheidenden Schritt weiter im Hinblick auf die politische Nutzbarmachung seiner Darstellung: Die Frage nach der Anwendung der politischen bzw. zivilen
7 8 9
10
Grotius; zur Rezeption von Grotius’ Hauptwerk De iure belli ac pacis (1625) und seine Bedeutung für das Völkerrecht insgesamt knapp Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, 278–280 u. Ottmann, Geschichte, 121–130. 135f (mit weiterer Lit.). Ottmann wertet die Bezeichnung „Vater des Völkerrechts“ für Grotius auch kritisch (vgl. aaO., 121f). Vgl. zu allen Aspekten dieser Schrift bereits ausführlich Eyffinger, De Republica Emendanda, hier: 56 mit der angeführten zeitlichen Einordnung; außerdem Besselink, The Place of De Republica Emendanda. Die handschriftliche Kopie stammt aus der Sammlung des venezianischen Diplomaten und Sammlers Marco Foscarini (1695–1763) und wurde in der Wiener Nationalbibliothek („Vienna Copy“) wiederentdeckt (vgl. Eyffinger, De Republica Emendanda, 7–16). Grotius nutzt den Begriff prisca sapientia/theologia nicht, lässt aber Motive anklingen und konzentriert sich dann auf den respublica-Gedanken und die mosaische Gesetzgebung. Den Ausgangspunkt in seinem Werk bildet aber die antike Philosophie, die schon wie die alten Poeten auf der Suche nach letztgültigen Vorbildern in die Irre gegangen seien. Das wahre Vorbild für das Gemeinwesen sei aber nicht in ägyptischen Heiligtümern oder Sekten griechischer Philosophie zu suchen, sondern in den heiligen Annalen, die Gott als Gründer der respublica beschreiben: „Nec tantum fallebantur, etiam fallebant; quippe cum vana deorum nomina humanis repertis praescriberent: Numa Egeriam, Lycurgus Apollinem, Minos Iovem. Quod si qua inveniri possit respublica quae verum Deum vere auctorem praeferret, dubium non est quin eam omnes sibi imitandam et quam proxime exprimendam debeant proponere. Quaerenda autem haec est non in Aegypti adytis, non in Graeciae scholis inter anxiam fabulositatem et docta mendacia, sed in sacro Divinorum Annalium tabulario, quorum antiquissima antiquitas et verissima est veritas“ (Grotius, De republica emendanda, 66,2f, Z. 14– 24). Grotius spricht auf der anderen Seite an einer Stelle auch von sapientia naturalis (aaO., 82,17, Z. 5). Vgl. die Nachweise bei Bartolucci, Influence of Carlo Sigonio’s ‚De Respublica Hebraeorum‘, 200–210, wobei Bartolucci auch ausführt, dass Sigonio von Grotius nicht direkt genannt wird.
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Transformationen: das mosaische Gemeinwesen als politisches Programm
Gesetze der respublica Hebraeorum auf die gegenwärtige holländische Republik steht im Mittelpunkt. So gliedert sich das unveröffentlichte Frühwerk Grotius’ in vier Teile. In Teil I (1–5)11 führt Grotius in die Einzigartigkeit des Gemeinwesens der Hebräer ein und bezieht sich dabei explizit auf Josephus und andere außerbiblische MoseTraditionen, namentlich auf Strabo und Diodorus Siculus als Beispiele „profaner“ antiker Autoren, die sich von den Gesetzen der Juden unter Mose beeindruckt gezeigt hätten.12 Josephus habe die einzigartige Gestalt des hebräischen Gemeinwesens in dem Wort ‚Theokratie‘ zusammengefasst.13 In Teil II (6–27) geht es erst einmal um einen äußeren Vergleich der Gemeinwesen der Hebräer und Holländer, wobei auch hier die Gesetzeslehre (7–13) zunächst am Anfang steht und dann die Regierungsform (14–19) in den Blick kommt. Grotius widmet dem Königtum besondere Ausführlichkeit. Dessen Verfall gehe mit dem Abweichen vom Gesetz Gottes einher. Gottes Willen entspreche die aristokratische Regierungsform der respublica Hebraeorum in Übereinstimmung mit den Gesetzen des Mose (15–17). In Teil III (28–42) wählt Grotius den methodischen Gang vom Partikularen zum Allgemeinen und verfolgt die hierarchische Struktur der respublica Hebraeorum weiter. Sie unterteile sich auf unterer Ebene in Städte (civitates), auf mittlerer Ebene in Stämme (tribus) und auf höchster Ebene in die Gemeinschaft des Reiches (imperii Israelitici communitas).14 Über allem aber steht für Grotius die höchste Gewalt des Gesetzes und der Gerichte. Nach der Beschreibung der drei Ebenen mit ihren Rechtsinstitutionen und Amtsträgern widmet sich Grotius eingehender dem Ältestenrat (senatus), der (einschließlich 11 Die Zählung folgt den Paragraphen in: Grotius, De republica emendanda ed. Eyffinger. Ergänzt werden bei Zitaten im Folgenden in den Fußnoten auch Seiten- und Zeilenangaben. 12 „Nefas enim sit piis hominibus hodie id non videre, quod et profanis olim ignorare non omnino licuit. Legum Iudaicarum non ignobilem mentionem Diodorus Siculus facit, quas Moses scripserit. Deum quoque ipsum eo nomine quod apud Hebraeos sanctissimum est IAO appellat. Celebrat Mosis imperium Strabo additque successores, quamdiu intra eadem instituta mansere, vere religiosos iurisque observantes fuisse. Quod et Iustinus verbis idem significantibus testatur“ (aaO., 68,3, Z. 2–9). Grotius bezieht sich hier zum Schluss auf Pseudo-Justins Cohortatio ad Graecos (vgl. aaO., 68 mit Anm. 6). 13 „Hebraicum igitur imperium cuius fuisse generis dicemus? Nam quot sint apud philosophos regendi differentiae et quae illis imposita nomina minime ignoratur. An forte istis parum credemus, ut qui in omni civili doctrina nec verum principium nec finem attigerint, quasi quispiam ubi carcer, ubi meta sit ignarus in stadio velit decurrere? Quid enim faciunt aliud, qui loco divinae providentiae humanam statuunt prudentiam et ad usum referunt operis, quod ad gloriam debuissent auctoris? Puto igitur in re veteribus istis incognita voce utendum nova, quam commodissimam invenit Iosephus, vir et patriae antiquitatis scientissimus et extemae elegantiae non rudis, qui illam / reipublicae formam theocratiam ausus est dicere, significans nimirum summum solumque in ea imperium Dei fuisse, cuius cultui omnia famularentur; ita ut non absurde idem dixerit alias apud gentes religionem partem esse virtutis, istic virtutes omnes partes religionis censeri“ (aaO., 68/70,5). 14 Vgl. aaO., 92,29.
Hugo Grotius’ unveröffentlichter Traktat De republica emendanda
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Priestern) aus 70 Ältesten bestanden und später den griechischen Namen Synedrium erhalten habe. Wie schon Sigonio und Bertram vor ihm, geht Grotius auch darauf ein, dass Anführer der Stämme und Familien aus den unteren Ebenen im Ältestenrat vertreten waren und der Anführer des Volkes den Vorsitz hatte. Dass Grotius schließlich noch einmal betont, der senatus habe, abgesehen von der Königszeit, aber sonst immer die höchste Gewalt zur Verwaltung des Gemeinwesens gehabt15 und verkörpere die respublica Hebraeorum gottgewollt im vollsten Sinn,16 hat natürlich auch seinen politischen Hintergrund. Dies wird im letzten Teil des Traktats (43–64) offensichtlich. Hier erfolgt die eigentliche vergleichende Übertragung auf die Vereinigten Provinzen der Niederlande, in denen Grotius allerdings – trotz Parallelen wie vor allem eine entsprechende dreigliedrige hierarchische Form – urteilt, dass die Vereinigten Provinzen in Wahrheit keine respublica im eigentlichen Sinne wie die respublica Hebraeorum seien, sondern eher eine lose Militärallianz, der es von oben her an Rechtsdurchsetzung fehle.17 Dies hält ihn jedoch nicht davon ab, Empfehlungen auszusprechen: Eine Zentralisierung und Einigung im Sinne der respublica könne vor allem durch eine Anpassung des obersten Vertretungsorgans der Provinzen an das Organ des senatus der Hebräer geschehen.18 Darin sollten die vornehmsten weltlichen und geistlichen Männer aus den Provinzen vertreten sein mit einem Anführer, der zugleich oberster militärischer Befehlshaber sein sollte. Grotius nutzt also die respublica Hebraeorum sehr direkt als ein politisches Argument für die Aristokratie, die zugleich auch religiöse Einheit für ihn stiften sollte. In mehrfacher Hinsicht ist die hier nur kurz zusammengefasste Frühschrift Grotius’ mit der Entstehung von Cunaeus’ De republica Hebraeorum in Verbindung zu bringen. Auch wenn bisher nicht sicher nachgewiesen werden konnte, dass Cunaeus das Manuskript De republica emendanda zur Hand hatte, als er seine De republica Hebraeorum libri III verfasste, so bestand zwischen beiden Gelehrten doch ein reger Austausch in Form eines Briefverkehrs, und zwar besonders zu der Thematik, die Grotius’ Manuskript und Cunaeus’ 15 Vgl. aaO., 102/104,41. 16 „Sequitur ergo senatum suprema reipublicae administrandae potestate fuisse praeditum caeterasque omnes potestates huic subditas et ab hac quodammodo derivatas“ (aaO., 104,42, Z. 12–14). 17 Vgl. aaO., 112/114,55. 18 Grotius benennt auch die konkreten Aufgabenbereiche: „Senatum igitur, cui praesideat summus praefectus idemque belli imperator, ex optimis omnium provincialium constituendum arbitror (locoque sacerdotum Hebraicorum sumendos viros religiosissimos et in ecclesia quoque regenda exercitatos), cui leges de re quavis ferendi, iubendique omnibus potestas sit, qui de bello, pace, federibus statuat, ita tamen ut in his maioribus tutissimum credat concilium ordinum advocari, ut rationes si quae sunt contradicentium bene examinentur. In eum senatum praefectis provinciarum aditus sit“ (aaO., 116,59).
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Transformationen: das mosaische Gemeinwesen als politisches Programm
Hauptwerk gemeinsam haben: die mosaische Gesetzgebung und die respublica Hebraeorum. Gerade in den Jahren vor der Veröffentlichung von De republica Hebraeorum libri III wandte sich Cunaeus mit Fragen zu der Thematik des geplanten Buches an Grotius.19 Grotius nutzte bereits vor der Veröffentlichung von Cunaeus’ Hauptwerk den Theokratie-Begriff von Josephus, um damit eine Herrschaft von Gesetz und Gerichten in einem aristokratischen Modell zu beschreiben, aber sein Werk blieb ja unveröffentlicht.20 Es war Petrus Cunaeus, der fast zwanzig Jahre später mit der Veröffentlichung seines Hauptwerkes De republica Hebraeorum libri III Argumente aus Grotius’ Entwurf samt dem Theokratie-Begriff wieder aufnehmen sollte und die politia-judaica-Literatur in entscheidender Weise zugleich veränderte.
5.2
Petrus Cunaeus, De republica Hebraeorum libri III (1617)
In dem Werk De republica Hebraeorum libri III von Petrus Cunaeus,21 das Cunaeus den Ständen Hollands und Westfrieslands widmete,22 kommen historiographische, theologische, politische, rechtliche, philologische Sichtweisen eines Universalgelehrten zum Tragen, die seine Ausbildung und akademischen Werdegang widerspiegeln. 1586 in Vlissingen in den Niederlanden geboren, verbrachte Cunaeus wichtige Jahre seines Wirkens an der Universität Leiden. Nach dem Erlernen der lateinischen Sprache war Cunaeus zunächst im Alter von 14 Jahren von Ambrosius Regemorter, einem Verwandten, in Griechisch und Hebräisch an der Leidener Universität unterrichtet worden. Über den klassischen Kanon der drei Sprachen hinaus ermöglichte Cunaeus ein Wechsel an die Universität in Franeker im Jahr 1606 ein Studium in Chaldäisch, Syrisch und im rabbinischem Schrifttum unter Johannes Drusius.23 Wiederum in Leiden trat Cunaeus dann im Jahr 1612 eine Professur für lateinische Sprache an und hielt auch Vorlesungen über Horaz und Juvenal, deren Satiren von je her im Interesse 19 Die Briefverkehr ist in Auszügen wiedergegeben in: Eyffinger, Introduction, xxx–xxxvii, bes. xxxiii–xxxvi. 20 In seiner gegen Fausto Sozzini gerichteten Defensio fidei Catholicae de satisfactione Christi (1617) schließlich wird Grotius selbst in Anschluss an Cunaeus den Theokratie-Begriff von Flavius Josephus in einem publizierten Werk übernehmen (vgl. Hübener, Dossier: Texte zur Theokratie, 80). 21 Zu den folgenden biographischen Angaben vgl. Steffenhagen, Art.: Cunaeus u. Eyffinger, Introduction, xvii–xxvii, bei dem aaO., liv Anm. 26 weitere Lit. zusammengetragen ist, bes. als Quelle: Vorstius, Oratio Funebris. 22 Vgl. Cunaeus, De republica, Praef. f. *2r. 23 Zum Hebraisten Johannes Drusius, der zuerst in Leiden und dann in Franeker unterrichtete, vgl. die Angaben bei Slee, Art.: Drusius.
Petrus Cunaeus, De republica Hebraeorum libri III (1617)
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von Humanisten lagen und eine wichtige Quelle seines Hauptwerkes De republica Hebraeorum libri III darstellen. 1614 folgte eine Professur für Politik. Cunaeus’ spätere Hauptbeschäftigung galt aber der Jurisprudenz, nachdem er 1615 vom prominenten Rechtsgelehrten Cornelius Paulinus Swanenburg (1574– 1630)24 zum doctor iuris utriusque promoviert worden war. Dessen Lehrstuhl für römisches Recht (Codex) in Leiden übernahm Cunaeus, nachdem er juristisch kurz in Den Haag gearbeitet und dann länger als Professor für Pandekten tätig gewesen war. Er arbeitete außerdem als Universitätsrat und gegen Ende seines Lebens als Historiograph der Staaten von Zeeland. Obwohl Cunaeus’ akademischer Werdegang damit in Bahnen verlief, der vergleichbar mit denen vieler bis hierhin behandelter Autoren ist, zeigt sein Hauptwerk doch auch viele Unterschiede zu den Literaturtiteln de politia judaica aus vorhergehender Zeit. Wie für die früheren Autoren der politia-judaica-Literatur und auch Grotius war zunächst die juristische Perspektive der eigentliche Ausgangspunkt. Hier unterschied sich Cunaeus also nicht so sehr von seinen Vorgängern: Aufschlussreich sind Hinweise in seinen Briefen, dass er sich 1615 selbst von einer früheren Veröffentlichung abgehalten habe, nachdem er gemerkt habe, dass es noch das wichtigste Element(!), nämlich die eigentliche Auseinandersetzung mit dem jüdischen Recht (ius judaico), ausgelassen habe.25 Er plante dann noch im selben Jahr 1615, in dem er zum juristischen Doktor promoviert wurde, einen Vergleich des römischen mit dem jüdischen Recht für seine Schrift.26 Dieser Zugang erinnert natürlich stark an den rechtskomparativen Ansatz der humanistischen Jurisprudenz. Doch Cunaeus gehört eigentlich in den rechtsgeschichtlich orientierten Zweig der politia-judaica-Literatur,27 der mehr als drei Jahrzehnte vor Cunaeus in Corneille Bertram und Carlo Sigonio die wichtigsten Repräsentanten gefunden hatte. Cunaeus knüpfte auch ganz bewusst, wie er selbst sagt, an diese beiden Vorgänger an, aber er legte keinen geschlossenen systematischen Entwurf mehr vor wie noch Bertram und Sigonio. Er habe nicht wiederholen wollen, was die beiden sehr gelehrten Männer ohnehin
24 Vgl. Näheres zu seiner Person bei Aa, Art.: Swanenburgius; Kuyk, Art.: Swanenburg. 25 „Libros nostros des Republica Judaica ob hanc causam non publicamus, quia cum iam pridem a nobis summa manus operi esset imposita, novissime nunc sensimus tandem id a nobis omissum esse, quod erat in hac re praecipuum. Etenim quoniam omnem operam in iuris pervestigatione ponimus, haud recte atque ordine fecisse videbamur, qui nihil dixeramus de Jure Judaico. Itaque hic restat actus, in hoc eloborandum est“ (Cunaeus, Brief Nr. 10 [an Apollonius Schotte, 24. 2. 1615], in: Petri Cunaei, et doctorum virorum ad eumdem epistolae: quibus accedit Oratio in obitum Bonaventurae Vulcanii, hg. v. Peter Burman, Leiden 1725, zit. nach Eyffinger, Introduction, lxvi Anm. 163). 26 Vgl. aaO., xxxiv. 27 Siehe bereits oben, Abschn. 3.3.
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Transformationen: das mosaische Gemeinwesen als politisches Programm
schon in aller Länge beschrieben hätten.28 Dies ist ein erster, genereller Unterschied zu den früheren Titeln der politia-judaica-Literatur. Cunaeus’ Traktat De republica Hebraeorum enthält lediglich lose Kapitel-Zusammenstellungen in drei Büchern, ist teilweise kommentarartig gestaltet und lässt es auch nicht an einigen ironischen und scharfen Spitzen fehlen, die wahrscheinlich ebenfalls zum Erfolg des Werkes beigetragen haben. Im Vergleich mit seinen literarischen Vorgängern ging Cunaeus einen entscheidenden Schritt weiter im Hinblick auf eine politische Indienstnahme der von ihm geschichtlich untersuchten respublica Hebraeorum. Er sprach gleichwohl doch nicht durchgehend so direkt von einer Übertragung auf die niederländischen Stände, wie es noch Grotius in seinem unveröffentlichten Traktat De republica emendanda getan hatte. Noch weitere inhaltliche Unterschiede zu den vergleichbaren früheren Entwürfen können genannt werden: Die zweite wichtige Neuerung innerhalb der politia-judaica-Literatur, für die sich Cunaeus verantwortlich zeigte, betraf seinen Gebrauch mittelalterlicher rabbinischer Quellen. Hier ist insbesondere sein umfangreicher Bezug auf den großen jüdischen Gelehrten des Mittelalters Maimonides (gest. 1204) hervorzuheben, an dessen großes Werk Mischne Tora er durch den christlichen Hebraisten Johann(es) Boreel (Borelius, 1577–1629) gekommen war.29 Boreel hatte Cunaeus die venezianische Edition der Mischne Tora aus dem Jahr 1574 wahrscheinlich schon drei Jahre vor dem Erscheinen von De republica Hebraeorum vermittelt.30 Cunaeus’ Arbeit zeugt von einem akribischen Studium in der Schrift des Maimonides, die noch weitaus öfter als Josephus oder Philo von ihm zitiert wird.31 So hat Cunaeus das Schrifttum de politia judaica ganz wesentlich dadurch erweitert, dass er über die gängigen antiken jüdischen Bezugsquellen Josephus 28 Vgl. Cunaeus, De republica, f. [*7v] u. ebenfalls die Hinweise auf Bertram und Sigonio aaO., 242f. 29 Nachdem er auf den großen Anteil von Bertram und Sigonio für seine Arbeit eingegangen ist, hat Cunaeus in seinem dem Werk vorangestellten Gruß an diese Leser nur höchstes Lob für Boreel übrig. Seine Worte sind auch Zeugnis für die Zusammenarbeit christlicher Hebraisten in ihrem aufstrebenden Fach: „Bonam autem partem eorum nobis suggessit Rabbi Moses Ben Maimon Aegyptius, cuius industria sagacitasque omni praedicatione est major. Eum luculentum autorem transmisit ad nos vir amplissimus, Johannes Borelius, qui potentissimis Zelandiae Ordinibus a secretis est. Utique quantumcunque est illud, quod nobis monumenta maximi Rabbini perlustrantibus mirifice placuit, id omne acceptum ferri eius viri humanitati debet, a quo eximium illum rerum Judaicarum scriptorem accepimus. Nos neminem scimus, in quo nunc plus praesidij Hebraismus, quam in Borelio, habeat. Adeo ille ingentem thesaurum ex Oriente eorum voluminum comportavit, quae nunquam aut raro vidit noster orbis. Vos, qui harum rerum studio tenemini, summam eius viri eruditionem, propensamque ad literas ornandas voluntatem diligite, colite: & ex locuplete ejus Bibliotheca quondam omnia praeclara atque incomparabilia exspectate“ (aaO., f. [*7v–*8r]). 30 Vgl. zu dieser zeitlichen Einordnung genauer Somos, Secularisation, 203f mit Anm. 4. 31 Vgl. die Nachweise in: Cunaeus, Hebrew Republic ed. Eyffinger/Wyetzner, 283f u. 288f.
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und Philo hinaus auch auf die mittelalterliche rabbinische Literatur zurückgegriffen hat, die bis dahin nur vereinzelt, wie z. B. von Corneille Bertram, genutzt worden war.32 Drittens führte nicht zuletzt seine humanistische Orientierung zu einer gesteigerten Verwendung der klassisch-antiken Literatur. Dies fällt z. B. auf, wenn man die Bezüge auf antike christliche Autoren bei Sigonio mit denen bei Cunaeus vergleicht. Wie für Sigonio so gilt auch für Cunaeus neben dem Kirchenvater Augustin vor allem Hieronymus als zuverlässige Quelle.33 Beide beziehen sich auf die historischen Werke des Euseb von Caesarea.34 Aber bei Sigonio überwiegen die Kirchenväter-Zitate, insbesondere die Bezüge auf Augustin,35 gegenüber Cunaeus. Auf der anderen Seite zitiert Cunaeus viel häufiger Werke nichtchristlicher antike Autoren. Während sich Sigonio hier auf Aristoteles, Cicero und Plinius d.Ä.36 beschränkte, geht das Zitieren von Cunaeus weit darüber hinaus. Neben den drei genannten Autoren kommen vor allem Plutarch, der römische Satirendichter Juvenal, Tacitus und Seneca, aber auch Horaz, der griechische Komödiendichter Aristophanes, die Geschichtsschreiber Dio Cassius, Diogenes Laertius, Titus Livius, Strabo, Herodot und Sueton, die Dichter Homer, Quintus Ennius, Lucanus, Martial, Theokritos, Vergil sowie Marcus Terentius Varro und Xenophon hinzu.37 Dies musste in der Konsequenz auch dazu führen, dass sich die Rezeption der Mose-Traditionen bei Cunaeus gegenüber seinen Vorgängern der politia-judaica-Literatur veränderte. Cunaeus verarbeitet viertens also in seiner Schrift die außerbiblischen und nicht-jüdischen Traditionen über Mose und das jüdische Volk in einer umfassenderen Weise als Autoren der politia-judaica-Literatur vor ihm. Dies betrifft besonders die antiken, tendenziell antijudaistischen Quellen, die am Anfang dieser Arbeit vorgestellt wurden. Das Vorgehen von Cunaeus – nimmt man auch das beschriebene Zitieren nicht-christlicher antiker Autoren insgesamt hinzu – ähnelt damit wiederum dem der Renaissancehumanisten wie Marsilio Ficino und Pico della Mirandola am Ende des 15. Jahrhunderts. Wie Pico della Mirandola vertritt Cunaeus außerdem die Vorstellung einer christlichen Kabbala. Er entfaltet in seinem Hauptwerk aber ein eigenes Konzept der 32 Josephus spielt im gesamten Werk De republica Hebraeorum libri III eine weit größere Rolle als Philo. 33 Vgl. bereits Eyffinger, Introduction, xlv mit Sigonio, Hebrew Republic ed. Bartolucci/ Wyetzner, 45. 71. 148. 166. 183. 34 Vgl. die Nachweise in: aaO., 414 mit Cunaeus, Hebrew Republic ed. Eyffinger/Wyetzner, 286. Cunaeus bezieht sich auch an einer Stelle auf den Biografen des Martin von Tours, Sulpicius Severus (geb. 363 n. Chr.), zu dem Sigonio einen Kommentar verfasst hatte (vgl. ebd.). 35 Siehe schon oben, Abschn. 3.3.2.2; vgl. auch die Nachweise in: Sigonio, Hebrew Republic ed. Bartolucci/Wyetzner, 406. 36 Vgl. ebd. 37 Vgl. die Nachweise in: Cunaeus, Hebrew Republic ed. Eyffinger/Wyetzner, 281–283.
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christlichen Kabbala, das sich von Pico della Mirandolas Konzept unterscheidet, zugleich aber ohne dessen Anfänge in dieser Hinsicht gar nicht möglich gewesen wäre.38 All dies musste sich aber im Vorgehen dann andererseits genauso von Bertram oder Sigonio unterscheiden, weil diese beide Autoren noch enger am Bibeltext für ihre Untersuchung entlanggingen. Fünftens kommt der juristische Hintergrund, den Cunaeus selbst hatte, im mehrfachen Bezug auf das römische Recht zur Geltung. Allerdings fallen die römisch-rechtlichen Argumentationen weit weniger ins Gewicht als bei anderen vorgestellten Juristen. Er bezieht sich mehrfach auf das Corpus Iuris Civilis, genauer auf den Codex Iustinianus und die Digesten,39 aber im Gegensatz zu den Autoren vor ihm, die einen rechtskomparativen Ansatz innerhalb der politiajudaica-Literatur wählten, geht es Cunaeus nun nicht mehr in erster Linie darum, einen Gleichklang von mosaischem und römischen Recht zu zeigen. Dieser Aspekt wird nur nebenher in De republica Hebraeorum aufgegriffen. Dies lässt darauf schließen, dass Cunaeus den Vergleich zwischen römischem und jüdischem Recht, den er selbst für die Schrift De republica Hebraeorum – wie im Briefverkehr deutlich wurde – plante, nicht mehr ausführlich verwirklichte oder verwirklichen konnte. Vielleicht wollte er solch einen Vergleich, der an manchen Stellen noch am Rande auftaucht, aber auch nur auf bestimmte Themen zuspitzen. Hier sind schließlich sechstens auch die thematischen Neuerungen in Cunaeus’ Schrift gegenüber der älteren politia-judaica-Literatur zu beachten: Aus der losen und kommentarartigen Zusammenstellung mancher Kapitel und aus seinem Briefverkehr wird deutlich, dass Cunaeus an seinem Hauptwerk über mehrere Jahre und nicht „aus einem Guss“ arbeitete. Die Arbeiten am letzten der drei Bücher, das sich der „jüdischen Kirche“ bzw. dem „heiligen Volk“ (sacer populus)40 zuwandte, hatte er zuerst beendet und manche der Themen, die hier angeschnitten werden, kommen dann auch in den späteren ersten beiden Büchern zur Sprache. Das letzte Buch erscheint auch dadurch etwas losgelöst von den übrigen beiden Büchern, weil eigene Prolegomena mit Widmung vorgeschaltet sind.41 Buch I beginnt bei den Ursprüngen des Rechts und damit automatisch bei der Gesetzgebung des Mose. Unter den Gesetzen des Mose widmet sich Cunaeus in De republica Hebraeorum, anders als die bisher untersuchten Schriften, zunächst ausführlich und ausgehend von antiken Quellen dem Agrarrecht Israels und zieht Vergleiche zu anderen antiken Völkern. Cunaeus’ Beschreibungen sind hier 38 39 40 41
Siehe nächsten Abschn. 5.2.1. Vgl. die Nachweise in: Cunaeus, Hebrew Republic ed. Eyffinger/Wyetzner, 281. Cunaeus, De republica, 354f. Gewidmet ist Buch III dem ersten Konsul von Leiden, Franck van Dyck (vgl. aaO., 353).
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neben den ständigen Auseinandersetzungen mit Maimonides stark geprägt von außerbiblischen Mose-Traditionen, am Anfang von Buch I beispielsweise von Hekataios von Abderas fragmentarischen Überlieferungen über Mose und die „Hebräer“.42 Dabei hebt Cunaeus, ähnlich wie Grotius, das „wahre“ Gemeinwesen der Hebräer (respublica Hebraeorum) hervor, das in Übereinstimmung mit den Gesetzen des Mose war und von Josephus die Bezeichnung ‚Theokratie‘ erhielt. Von der übrigen jüdischen Geschichte gibt Buch I insgesamt dann noch einen Abriss wieder. Schon in Buch I kommt hierbei immer wieder die theologische Ausrichtung in De republica Hebraeorum zum Vorschein, die stark von einem christlichen Messianismus geprägt ist.43 In Buch II stehen zwei große Themenbereiche im Zentrum: zum einen das jüdische Priestertum und Hohepriestertum mit der Geschichte des Tempels und jüdischer Sekten und zum anderen das Kriegswesen des jüdischen Volkes. Das Thema „jüdische Kirche“ wird dann in Buch III noch einmal auf andere Weise aufgegriffen, indem wiederum ein kleiner historischer Abriss über mehrere Kapitel erkennbar wird. Dabei werden aber einzelnen Personen (Noah, Abraham, Melchisedek) und Themen (Sklaventum in Ägypten, Beschneidung, jüdische Gottesverehrung und Prophetentum) ganze Kapitel gewidmet. Das letzte Buch endet wieder beim Thema Messias-Glauben der Christen, nachdem zuvor die Kabbala in einem eigenständigen Kapitel behandelt wurde. Die christliche Kabbala und der Messianismus bilden einen roten Faden, der sich argumentativ durch das gesamte Werk zieht und deswegen nun ausführlicher zu besprechen ist.
5.2.1 Moses lex scripta, christliche Kabbala und Messianismus Am Anfang von Cunaeus’ Werk De republica Hebraeorum steht ganz im wörtlichen Sinne der Gesetzgeber Mose, der als „göttlicher und bedeutendster Mann“ (divinus, maximusque virus) die respublica Hebraeorum gegründet habe.44 Cunaeus stellt sich damit in eine Reihe mit seinen Vorgängern wie Corneille Bertram und Carlo Sigonio – mit einigen wesentlichen Unterschieden: Wie zu sehen war, begann Bertram ganz im calvinistisch-reformierten Sinne seine Darstellung der politia judaica mit einer beim Schöpfungsbericht ansetzenden Gesetzeslehre und Erkenntnisfähigkeit des Menschen. Sigonio war auch noch daran gelegen, dass das Alter der Hebräer auf Grundlage der Bibel erwiesen wird. Auch für Cunaeus ist die Bibel wichtig. Er betont die Bedeutung, die das Bibelstudium für ihn hat, so 42 Vgl. v. a. die Bezüge in Kapitel II von Buch I (aaO., 9–15). 43 Siehe weiter unten, Abschn. 5.2.1 u. Abschn. 5.2.2. 44 „Condita Hebraeorum respublica a divino maximoque viro Mose est, qui primus rem in terris est aggressus omnium pulcherrimam“ (Cunaeus, De republica, 1f).
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wie es eben auch für jeden guten Mann und nicht nur Theologen(!) sein sollte.45 Dabei stand für ihn besonders das Erlernen der Sprache im Vordergrund, die Gott selbst einmal mit den alten Lenkern seiner Kirche (prisci ecclesiae rectores) gesprochen habe.46 Doch zugleich kommt Cunaeus einführend doch auch das ganze erste Kapitel in seiner Schrift ohne jegliche Bibelzitate aus.47 Dagegen rückt Mose als Gesetzgeber im Bild der hellenistischen Antike in den Vordergrund. Primärer Zeuge und Gewährsmann für das Alter ist Josephus mit seiner Schrift Contra Apionem, der einst selbst dafür gesorgt habe, dass die Griechen ihren Stolz schlucken mussten: Nicht Lykurg, Drakon, Solon oder Zaleukos von Lokroi seien die ältesten Gesetzgeber gewesen, wie die Griechen meinten, sondern Mose, der als erster Gesetze schriftlich niedergelegt und öffentlich verkündigt habe.48 Cunaeus folgt Josephus, dass die schriftliche Form von Gesetzgebung auf Mose zurückgehe, denn es habe davor noch kein Recht auf öffentlichen Tafeln oder anderen geweihten Denkmälern (monumenta) gegeben.49 Wie viele der bis hierhin behandelten Autoren vertritt Cunaeus somit ebenfalls den Gedanken, dass die Gesetze und Gemeinwesen anderer Völker sich mit dem Vorbild der göttlichen mosaischen Verfassung (divina Mosis politia) vergleichen ließen, obwohl sie eigentlich doch gleichzeitig so unvergleichlich sei.50 Doch Cunaeus geht es dabei nicht nur um die weltlich-zivile Seite des Rechts, sondern auch um die Religion: Mose sei derjenige gewesen, der alle gelehrt habe, dass Gott sehe, was jeder Mensch im Leben tue – ob gut oder schlecht, nichts sei unwichtig! Nichts habe das Gemeinwesen des Mose mehr zusammengehalten als die religiöse Lehre (religionum doctrina).51 Hier trifft sich Cunaeus mit Grotius. Aber Cunaeus geht noch weiter als Grotius in De republica emendanda. Sein Religionsbegriff hat eine klare äußerliche Seite, die sich in 45 Vgl. aaO., 361f. 46 Vgl. aaO., 362. Dies ist auch ein Punkt, in dem er sich – wie schon in seinem Briefwechsel – in De republica Hebraeorum von Carlo Sigonios Unkenntnis des Hebräischen abgrenzt (vgl. aaO., 201f; zur Äußerung im Briefwechsel bereits Eyffinger, Introduction, xxxiv). 47 Vgl. Cunaeus, De republica, 1–8. 48 „Sane Graeci quidem, dum ambitiose beneficia sua cunctis nationibus imputant, legum lationem inter prima ponunt. Lycurgos enim, Dracones, Solonos, Zaleucos Locros loquuntur, aut si quae alia sunt vetustiora nomina. Sed vana est ea omnis gloriatio. Gentem enim ventosissimam conticescere Iudaeus iussit, Flavius Iosephus, cujus apologia usque ad miraculum erudita est, quae extat adversus Apionem, hominem Iudaeis inimicum quidem, sed tanta nominis celebritate, atque tanto doctrinae strepitu viventem […]“ (aaO., 2f). 49 „Ante Mosis tempestatem scripta jura non agnovit orbis. etsi enim antea profecto haud plane sine legibus gens hominum agitaverat; tamen neque publicis tabulis eae, neq[ue] ullis monumentis erant consecratae“ (aaO., 4). 50 „[C]aeterae gentes quam recte constitutas respublicas aut secus habuerint, quibusque legibus eas aut institutis rexerint, haud traditum hic a nobis est, propterea, quod divina Mosis politia exemplo caret, atque omnino incomparabilis est. Sane quidem caeterorum legislatorum, quos tantopere admirata omnis vetustas est, sanctiones multae Mosaicis similes fuere“ (aaO., 355). 51 Vgl. aaO., 356f.
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tugendhaftem Handeln zeigt. Zugleich hat sie aber auch eine verinnerlichte Seite, die sich nur im Geist erfassen lässt. An dieser Stelle dann greift Cunaeus auf die Vorstellung einer christlichen Kabbala zurück. Wie zu sehen war, war durch Pico della Mirandola diese Vorstellung zum ersten Mal systematisch der christlichen Tradition vermittelt und danach immer wieder von christlichen Gelehrten aufgegriffen worden. Cunaeus differenziert zwischen dem Gesetz (lex) Gottes, das schriftlich (auf den Gesetzestafeln) überliefert ist, und der Lehre (doctrina), die vormals (antea) nicht schriftlich, sondern verbal von Gott vermittelt wurde, der Kabbala (Cabala).52 Damit ist auch eine terminologische Differenz gesetzt, bei der die lex im engeren Sinne die lex scripta Mosaica meinen kann, die von der Cabala als doctrina abgegrenzt wird. Andererseits wird aber zugleich von einem doppelten Gesetz (duplex lex) der Juden gesprochen. Der doctrina-Begriff erfüllt in etwa die Vorstellung einer prisca sapientia/theologia, die gerade nicht in einem wörtlichen Verständnis der alttestamentlichen Schriften aufgeht. So wird die Kabbala von Cunaeus auch sehr weit als „mystisches Verständnis der verborgenen Geheimnisse in den Heiligen Schriften“ oder auch einfach nur als „Empfang“ (acceptio) durch heilige Männer aufgefasst.53 Die letztere Gleichsetzung von Kabbala mit dem lateinischen acceptio trifft dabei zwar die ursprüngliche hebräische Bedeutung des Wortes und das Grundverständnis eines auf Gottes Offenbarung zurückgehenden Traditionszusammenhangs im Judentum. Doch Cunaeus bleibt eben ganz in der Vorstellungswelt einer christlichen Kabbala. Mose wird zur wichtigsten Gestalt der Gottesoffenbarung, die nur noch durch Christus überboten wird, weil nur Mose in der Geschichte der Hebräer sowohl das Gesetz Gottes als auch eine zugehörige Geheimlehre offenbart wurden. In der Geschichte der Hebräer, des ältesten Volkes der Menschheit, war es Mose, der in eine Unterredung mit Gott bei der Offenbarung für das Volk Israel am Berg Horeb trat – Cunaeus folgt hier der Fassung in Dtn 5 und nicht Ex 20 – und eine mystische Interpretation des Gesetzes erlernte.54 Danach seien diese Interpretationen auch Weiteren durch den Heiligen Geist zugänglich geworden.55 Dieses rechte mystische Verständnis 52 „Legem Judaei duplicem habent. quarum altera scriptis mandata, altera autem verbis duntaxat edita quondam est. Et de ea quidem quae scripta est, pauca quaedam, quae offerebant sese nobis antea, retulimus. Superest Lex altera, hoc est, Cabala, sive ea doctrina, quae licet a summo numine tradita sit, tamen in tabulas relata non est […]“ (aaO., 496f). 53 „Ego veram Cabalam appello, mysticum intellectum earum rerum, quae in sacris libris latent. […] Itaque Cabalam, non cum vulgo eam dico, quam alij alijs tradidere, sed quam coelitus acceperunt viri sancti. est enim קבלהacceptio“ (aaO., 497f). Cunaeus scheint damit explizit eine auf Tradierung rekurrierende Definition der Kabbala, wie sie Maimonides vertrat, abzulehnen (vgl. Cunaeus, Hebrew Republic ed. Eyffinger/Wyetzner, 273 Anm. 309), um demgegenüber die offenbarungsgemäße vera Cabala abzuheben. 54 Cunaeus, De republica, 497. 55 Vgl. ebd.
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lag unter den Hebräern in den Händen der Propheten (vates), die es aber vor der Welt verborgen halten mussten, bis die Apostel und Evangelisten durch göttliche Schenkung dieses Verborgene offenlegen durften.56 Cunaeus begründet dieses Vorenthalten der Kabbala vor der Welt dann mit einer Form von Erziehungsgedanken, beim dem es auf eine Schenkung himmlischer Kraft (vis coelestis) für eine einsichtige Vernunft und das Herz ankomme.57 Im Endeffekt verfährt die rechtliche Argumentation von Cunaeus zweigleisig. Zum einen wird die mosaische Gesetzgebung bei ihm als Vorbild herausgehoben, zum anderen aber doch auch ganz auf die christliche Aneignung zugespitzt. Dies wird dadurch forciert, dass eine „deliriöse“ und „unsinnige“ Kabbala jüdischer Lehrer von einer rechten Kabbala (vera Cabala), die auf den Messias Jesus Christus zielt, unterschieden wird.58 In diesem Messias Jesus Christus ist für Cunaeus das Heil der Welt begründet.59 Und alles immanent-rationale Vorgehen und ein kritisches Studium der Quellen, das Cunaeus in seiner Schrift einfordert,60 hat hier doch auch eine Grenze für ihn: Wenn wir volles Vertrauen in die Wahrheit erreichen wollten, reiche ein einträchtiges Urteil oder die Mehrheitsmeinung nicht aus; die Rätsel des biblischen Textes würden erst wirklich durch die Inspiration des Messias als besten Ausleger der Schrift eröffnet.61 Im übernächsten Abschnitt wird deutlich werden, dass diese zweigleisige Argumentation, die Cunaeus wählt, sich auch transkonfessionell in seinem spannungsreichen Verhältnis zum Judentum niederschlägt. Zunächst sind aber auch noch einmal wichtige politische und konfessionspolitische Aspekte seines Werkes zu bedenken.
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Vgl. aaO., 498. 507f. Vgl. aaO., 496f. 507f. Vgl. aaO., 497f. 536f. „Vetus opinio est, eaque omnium eruditorum firmata consensu, Messiam humani generis Servatorem promitti primis parentibus nostris […]“ (aaO., 290). Vgl. auch aaO., 74 („[…] diu ante e terris excesserat rerum salus Messias, […]“); 83 („servator hominum Messias“); 125 (Weg des himmlischen Messias und der himmlischen Wohltaten zu den Menschen im Glauben); 362 („[…] eaque re significari Messiam, salutis auspicem, existumant, […]“); 366 („servator hominum Messias“) u. ö. 60 Vgl. schon Eyffinger, Introduction, xlvii–xlviii. 61 „Enimvero ad veritatis plenam fidem haud satis est concors judicium, & opinio multorum. Nulla mysteria ex verbis contextus Biblici eruenda sunt, nisi quae alibi spiritus Messiae, optimus sui interpres, digito monstrat. Clausus enim, obsignatusque est sacrae scripturae liber, cujus signacula solvit leo ille ex tribu Judae“ (Cunaeus, De republica, 376). Im letzten Abschnitt bezieht sich Cunaeus wieder auf die biblische Verheißung für den Stamm Juda, wie zu sehen ist.
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5.2.2 Das mosaische Gemeinwesen (politia Mosis) als Theokratie: politische und religiöse Einheitsstiftung Wie zu sehen war, stellen die mosaischen Gesetze für Cunaeus die ersten schriftlichen Gesetze dar, die zugleich auch den Kern der Religion enthalten. Allerdings gab es für ihn auch schon davor das Recht an sich. Cunaeus gehört an dieser Stelle zu den Autoren, die sich auf die Tradition der noachidischen Gebote aus dem Talmud beziehen. Nach dieser rabbinischen Tradition wurden durch Mose Gebote an die Menschheit vermittelt, die für alle Geltung beanspruchen könnten. Christliche Gelehrte wie z. B. der christliche Hebraist und Universalgelehrten John Selden62 werden sich zeitlich nach Cunaeus noch ausführlicher damit beschäftigen. Für Cunaeus sind diese sieben Gebote (septem praecepta), wie die „Talmudisten“ sagten, den Söhnen Noahs gegeben worden; sie stellen gewisse Regeln von Gerechtigkeit (iustitiae regulae) dar, ohne die kein Menschenleben bewahrt werden könne.63 Deswegen hätten bis hin zu Krieg und Ausschluss aus der Gemeinschaft die Juden auch immer darauf beharrt, sich an sie zu halten.64 Eigentlich erwähnt Cunaeus diese Tradition aus dem Talmud zunächst, um die allgemeine Bedeutung des Rechts für jede Gemeinschaft hervorzuheben. Bei den zweiten Ausführungen zu den noachidischen Gebote geht er inhaltlich genauer auf sie ein und verbindet sie mit der mündlichen Rechtstradition (Kabbala).65 Das Recht habe dann aber seinen vollkommenen Ausdruck in schriftlicher Form in der mosaischen Gesetzgebung und als Gemeinwesen in der Form einer Theokratie zur Zeit des Mose gefunden. Cunaeus folgt den verschiedenen Bedeutungsebenen der Theokratie bei Josephus. Zum einen geht es dabei um die einzigartige Herrschaft Gottes in Übereinstimmung mit dessen Gesetzen zur Zeit des Mose. Zum anderen bezieht sich Cunaeus aber auch auf die Deutung der Theokratie als Priesterherrschaft (regnum sacerdotale).66 Damit kann dann auch der schon angesprochene Gedanke der Religionsstiftung in der respublica Hebraeorum durch Mose verbunden werden. In konfessioneller Hinsicht lassen Formulierungen hier eine Nähe zu calvinistisch-reformierten Theologen vermuten. Cunaeus redet in 62 63 64 65
Siehe das Kap. Ergebnisse und Ausblick, S. 413f mit einigen Hinweisen zu Selden. Vgl. Cunaeus, De republica, 4. Vgl. aaO., 3f. Dies geschieht in Kapitel XIX von Buch II, in dem die Themen Krieg und Friedenschluss abgehandelt werden (vgl. aaO., 290–298). Cunaeus gibt die noachidischen Gebote zuerst nur knapp wieder und bezieht sich dann auf Maimonides, der die sieben Gebote in folgender Reihenfolge aufzählt: Verbote der Idolatrie, der Gotteslästerung, des Blutvergießens, der sexuellen Unmoral, des Diebstahls und schließlich Anordnungen für Gerichte und den richtigen Umgang beim Töten von Tieren (vgl. aaO., 295 mit Bezug auf Maimonides, Mischne Tora: Halacha Melachim, IX,1). 66 Vgl. Cunaeus, De republica, 371.
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ähnlicher Weise, wie es Theodor Beza und Franciscus Junius getan hatten, von einem Vorbild oder Beispiel (exemplum) der divina Mosis politia.67 Er streift in diesem Zusammenhang auch die Lehre der custodia utriusque tabulae, die sich in der Nachfolge Philipp Melanchthons später in Calvins Institutio wiederfand.68 Ähnlich wie dieser formuliert Cunaeus, dass die weltliche Obrigkeit bzw. der Magistrat Bewahrer (custos) und Diener (minister) der Gesetze des Mose sei.69 Cunaeus’ Haltung läuft in dieser Hinsicht, ganz wie bei Grotius, auf eine Oberhoheit des Staates in kirchlichen Angelegenheiten hinaus (sog. Erastianismus).70 So kann der Theokratiebegriff, den Cunaeus nutzt, letztlich so verstanden werden, dass er religiöse Einheit in einer Zeit der konfessionellen Auseinandersetzungen der Niederlande stiften sollte. In der reformierten Theologie stand eine abschließende Klärung des anhaltenden Streites über die Prädestinationslehre mit der Dordrechter Synode (1618/19) ein Jahr nach Erscheinen von Cunaeus’ De republica Hebraeorum libri III erst noch aus. In dieser Phase muss es Cunaeus wichtig gewesen sein, die staatliche Gewalt in kirchlichen Angelegenheiten zu stärken und er tut dies, ähnlich wie schon Grotius, mit republikanischen Akzenten. Diese bleiben bei ihm im Gegensatz zu Grotius’ unveröffentlichtem Traktat De republica emendanda aber meistens indirekt und verlangen nach Deutungen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Cunaeus das jüdische Synedrium als Bestandteil der respublica Hebraeorum behandelt. Er zieht, anders als Grotius, nirgendwo einen direkten Vergleich zwischen den niederländischen Ständen und dem jüdischen Synedrium zu politischen Zwecken. Betont wird aber nicht nur, dass dieser Höchste Rat, der aus 70 Beisitzern (assessores) bzw. Ältesten (senatores) bestand, darunter zwei in höhergestellten Führungsämtern,71 über Rechtsangelegenheiten entschied, die sowohl Gott als auch die Menschen betrafen.72 Das Synedrium habe außerdem auch politische Entscheidungen getroffen, nämlich bei der Einsetzung von Magistraten in den Städten, der Be67 Vgl. aaO., 276. 68 Siehe genauer oben, Abschn. 2.2.3 u. Abschn. 2.5.1. 69 Über Mose, der alles in der respublica im Einklang mit Gott tat und anordnete, schreibt Cunaeus: „Iam vero, quo firmior respublica foret, ita sanxit edixitque, omnia uti ex legibus fierent. Legum autem non dominos, sed custodes & ministros, esse magistratus voluit“ (Cunaeus, De republica, 7). 70 Bis hierhin wurde der Begriff ‚Erastianismus‘ eher gemieden, weil sich auch bei Cunaeus keine eindeutigen Hinweise auf den Schweizer Thomas Erastus finden, der dem sog. Erastianismus (Oberhoheit der Staatsgewalt in kirchlichen Angelegenheiten, die sich an der Frage der Exkommunikation entzündet hatte) seinen Namen gab. 71 Vgl. Cunaeus, De republica, 100–102. Cunaeus schließt bei den Führungsämtern im Synedrium an eine Auslegung aus dem Talmud an, nach der in dem Fall zwischen einem Haupt (caput) bzw. dem princeps in omni loco (hebr.: )מקום בכל נשיאund noch einmal dem darunter stehenden pater iudicii (hebr.: )הדין בית אבunterschieden wird (vgl. aaO., 102). 72 Vgl. aaO., 101.
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stimmung des Königs (die summa potestas des Synedriums), über Krieg und über das Vorgehen gegen Feinde und zu Erweiterungen des Reiches.73 Nach Cunaeus hatte das Synedrium aristokratische Züge und schloss Priester und Leviten mit ein.74 Wie schon mit den noachidischen Geboten, so verknüpft Cunaeus die mündliche Gesetzestradition (Kabbala) auch mit dem Synedrium. Die Kabbala und die Interpretation dieser Geheimlehre (mysteriorum doctrina) sei in den Händen der Ältesten des Synedriums gewesen.75 Voraussetzung war das Handauflegen von Mose bei den Ältesten als eine Art Geistbegabung.76 Im Gegensatz zu den Königen und später den Priestern und Leviten steht das Synedrium für eine gewisse Kontinuität in der Darstellung des Cunaeus und gewinnt indirekt politischen Modellcharakter. Dazu dienen auch die Verweise auf die Kabbala, die dann weiterführend zeigen sollen, dass die „wahre“ Lehre von den Gesetzen und der gottgewollten respublica Hebraeorum schließlich nicht mehr bei den Juden, sondern den Christen liege. Das christliche Gemeinwesen bleibt dabei für Cunaeus ständiger Referenzpunkt, auf den sich die Erörterungen in De republica Hebraeorum libri III bis in das letzte Kapitel zubewegen. Dies führt zu den transkonfessionellen Aspekten des Werkes.
5.2.3 Transkonfessionelle Aspekte: Ambivalenzen im Verhältnis von Judentum und Christentum Das Verhältnis zum Judentum, das in Cunaeus’ De republica Hebraeorum direkt und indirekt greifbar wird, ist insgesamt deutlich von Ambivalenzen geprägt. Auch hier bietet das Spannungsfeld von christlichem Humanismus und politischem Hebraismus wichtige Erklärungs- und Deutungsmöglichkeiten. Zunächst lassen sich auch bei Cunaeus bis in die einzelnen Begrifflichkeiten die herkömmlichen Vorurteile ergründen, die bei vielen seiner gelehrten Zeitgenossen gängig waren. Das betrifft z. B. die Glaubwürdigkeit von Juden bei Rechnungen77 oder ihren alles bestimmenden Umgang mit Geld.78 Dabei erfolgen stereotypische Zuschreibungen, die „die Juden“ zu einem monolithischen Block machen. Entweder verbleibt dies auf der Ebene eines allgemeinen Einwurfs oder 73 74 75 76
Vgl. aaO., 107. 109. Vgl. aaO., 101f. 106. Vgl. wieder im Rückgriff auf Maimonides aaO., 107f. Vgl. aaO., 102f. 111f. Die Vorstellung der Handauflegung (χειροθεσία) und Geistbegabung der 70 Ältesten wird später von James Harrington aufgegriffen und noch ausführlicher erörtert werden. Siehe unten, das Kap. Ergebnisse und Ausblick u. Sutcliffe, Judaism, 53f; Nelson, Hebrew Republic, 117–122. 77 Bei Cunaeus’ Äußerungen zur Größe von Gemeinwesen heißt es kurz und knapp: „Sed non est tam anxie haec ratio cum Iudaeo putanda“ (Cunaeus, De republica, 88). 78 Vgl. aaO., 395.
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anhand eines konkreten Falls wird auf „die Juden“ als Ganze geschlossen (oder ein solcher Schluss impliziert) und vice versa. Einige harte Negativäußerungen gegen das Judentum als Ganzes fallen geradezu en passant.79 Von solchen Äußerungen lassen sich noch einmal diejenigen abheben, die systematischer das religiöse Leben der Juden und ihren Glauben zum einen und die Spitzfindigkeiten jüdischer Gelehrter zum anderen betreffen. Sie bilden die dominanten Stoßrichtungen im Gesamtwerk. Im ersten Fall spricht Cunaeus oftmals von der superstitio der Hebräer bzw. Juden: „Lächerlich ist der Aberglaube (superstitio) der Beschnittenen (verporum) heute“, so Cunaeus, bei dem männliche Säuglinge, die noch in der ersten Woche nach der Geburt verstarben, vor ihrer Beerdigung beschnitten würden.80 Mit seinem humanistischen Hintergrund wusste Cunaeus, dass die Bezeichnung „Beschnittene“ (verpi) in antiken Satiren oft gegen Juden gerichtet war und greift mehrfach darauf zurück.81 Wie in diesem Zitat erfolgen solche Vorwürfe dabei freilich ohne weitere Belege. Cunaeus’ Begriff der superstitio ist vielmehr eingezeichnet in eine geschichtliche Entwicklung, die ihr Gegenüber in rechter Gottesfrömmigkeit (pietas) hat. Aberglaube wie Gottesfrömmigkeit haben, wie bereits dargelegt, ihren Anteil in der Geschichte von Häresie und Idolatrie, die ihre Schatten seit den Anfängen der Menschheit voraus werfen. Damit bezeichnet superstitio auch allgemein jeglichen Aberglauben wie z. B. den Götterkult der Ägypter82 oder das Orakel von Delphi.83 Die Geschichte der Israeliten ist aber ihrerseits von superstitio durchtränkt.84 Dies führt zur zweiten dominanten Stoßrichtung gegen das Judentum bei Cunaeus: seine kritische und bisweilen überspitzt spöttische Haltung gegenüber jüdischen Gelehrten, die auch vor dem von ihm so hoch geschätzten Maimonides nicht halt macht.85 Cunaeus kritisiert die „Talmudisten“ oder „Rabbis“ in Einzelfällen der Bibelauslegung und spricht dann hart von einer „ausgesprochenen
79 „En acumen Iudaicum. Equidem ego sic semper existimavi, pleraque Hebraeorum adagia insulfa esse & frigida“ (aaO., 338). „Ego, non quid fecerit olim vesana gens verporum, sed quam recte fecerit, id vero exquirendum arbitror“ (aaO., 379). 80 „Quapropter ridicula est verporum hodie superstitio, qui pueros sic extinctos, circumcidunt tamen apud sepulcrum“ (aaO., 360). 81 Vgl. außer im vorhergehenden Zitat auch aaO., 85. 328. 379; dazu Wyetzner, Preface, lxxiv. 82 Vgl. Cunaeus, De republica, 267. Unter den Einfluss der superstitio der Ägypter fiel auch das Volk Israel (aaO., 333f). 83 Vgl. aaO., 376. 84 Ein Beispiel für die oben erwähnten Pauschalurteile, die Cunaeus in konkreten Fällen trifft, ist sein Kommentar zur Observanz des Sabbats bei den Juden: „At Iudaei, quorum mos est onmia sanctissima instituta pervertere, multa ad Legis edictum adjecere, de quibus Moses nihil diffinivit. Itaque sacratissimae diei celebratio in anxiam superstitionem abiit, & interdum illis exitio fuit“ (aaO., 261f). Der Ausdruck superstitio wird auch verwendet für „res insana“ des Talmud (aaO., 198) und einzelne jüdische Sekten (aaO., 210–212. 213ff). 85 Vgl. aaO., 33.
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jüdischen Dummheit“86, aber solche scharfen Aburteilungen fallen auch gegen nicht-jüdische Gelehrte, ja im Grunde genommen bleibt kaum eine Gelehrtenautorität in Cunaeus’ Werk vor Kritik verschont.87 Die Kritik an jüdischen Gelehrten unterscheidet sich aber noch einmal von den vergleichbar scharfen Zurechtweisungen und Ablehnungen nicht-jüdischer Gelehrtenautoritäten, weil sie im gesamten Werk vielerorts auftaucht, erneute Pauschalisierungen gegen das Judentum erfolgen und im Hintergrund ein tiefer theologischer Dissens in der Schriftauslegung zu Tage tritt. Zwei Motive tauchen hierbei immer wieder auf: zum einen eine Art übertriebene jüdische Gelehrtheit, die vor nichts halt macht und sich schließlich selbst ad absurdum führt. In diesem Fall, in dem „das Essentielle zum Trivialen und das Triviale zum Essentiellen“ gemacht würde und den Juden nicht einmal ihr kindliches Vorgehen auffalle, steht für Cunaeus ihre Unkenntnis des Gesetzes Gottes fest.88 In Anlehnung an den antiken Dichter Horaz findet Cunaeus dazu nur noch spöttische Worte über die Juden.89 Das zweite Motiv steht hiermit im engen Zusammenhang. Cunaeus redet mehrfach von einer Art Verblendung (hallucinatio, deliria u. a.) der Juden bzw. jüdischer Gelehrter, wenn es um das rechte Schriftverständnis geht. Dies führt wieder zurück zu dem bereits erläuterten Messianismus bei Cunaeus, denn diese Verblendung betrifft insbesondere die ablehnende Haltung gegenüber Christus als den Messias.90 In der Konsequenz ergibt sich nun aber auch ein theologisch 86 Der Pleonasmus „Iudeaorum asininus stupor“ (aaO., 86, Kasus geändert, MT) lässt sich nur schwer im Deutschen nachahmen. Vgl. u. a. auch aaO., 298f. 87 Arthur Eyffinger kommt nach der Betrachtung der zeitgenössischen Einschätzungen über Cunaeus zu dem Urteil: „From that perspective, Petrus Cunaeus was, most definitely, a hotheaded, passionate man, readily enraged and agitated, but as readily inclined to beg pardon afterwards“ (Eyffinger, Introduction, xxvi). Aus der Perspektive dürfte die scharfe Gelehrtenkritik Cunaeus’ nicht verwundern. Sie hängt aber ebenso mit seiner an Rationalität und Beweisen orientierten Methode zusammen, die vor keinen gelehrten Autoritäten halt machen will (vgl. insgesamt die Nachweise xliv–xlviii) 88 „Apices enim, literasque, & libros versant, sed versant tantum. Sacros verosque sensus nec inspiciunt, nec quaerunt. Itaque quadrat hoc in illos, quod ipsi vernacula lingua sua ajunt רקע לפטהו לפט רקעה ושע, Quod fundamentum rei est, accessionem faciunt: quod accessio est, fundamentum. Atque hoc est pessimum infantiam ipsi suam inscitiamque non sentiunt. Etenim, cum infelicitas eorum omnis posita in divine legis ignoratione sit […]“ (Cunaeus, De republica, 134). Spöttisch wirkt diese Passage gerade deswegen auch, weil Cunaeus hier aus der Mischna Num Rabba 22.9 zitiert (vgl. dazu Cunaeus, Hebrew Republic ed. Eyffinger/ Wyetzner, 234 Anm. 250). 89 So in Anlehnung an Horaz’ De arte poetica, 10: „Pictoribus poëtisque quidlibet audendi potestatem esse, Flaccus dixit. Recte hercle. Sed Iudaeos addi volo, qui non ex decoro, neque pudenter, sed sola animi libidine mentiuntur quae dissona & ridicula sunt, hanc unam ob causam, ut mentiantur“ (Cunaeus, De republica, 263; vgl. dazu Cunaeus, Hebrew Republic ed. Eyffinger/Wyetzner, 254 Anm. 383). 90 Cunaeus kann relativ neutral von einem „error“ der Talmudisten (vgl. Cunaeus, De republica, 39) in diesem Fall sprechen. Vgl. dagegen aber aaO., 123 („hallucinatio“). 125 („Tanta vecordiae vis eos pervaserat. Caeci erant oculi cum animus alias res ageret, & videre illa
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begründeter Antijudaismus: Juden heutzutage seien nicht länger Kinder Gottes, lebten nicht mehr unter Gottes Fürsorge und könnten so nicht mehr an seinen Gütern Anteil haben.91 Sie seien von Gott „enterbt und verachtet worden“.92 Die Gefahr, die sich aus so einer Argumentation hervortut ist letztlich ein Zirkelschluss: Die „real schlechte“ Situation der Juden, wie sie sich vielleicht auch in Cunaeus’ Umfeld darstellte, wird letztlich theologisch begründet und die Juden dafür selbst verantwortlich gemacht. Dieser Fatalismus des theologischen Antijudaismus lässt sich auch an einigen Stellen in De republica Hebraeorum aufspüren. Andererseits bleiben die Passagen, in denen Cunaeus das gegenwärtige Zusammenleben mit Juden anschneidet, doch eher marginal. Zudem spricht er sich an keiner Stelle wider die Toleranz von Juden im gegenwärtigen Gemeinwesen aus, sondern macht vielmehr historische Argumente geltend, die dafür sprechen. Dies führt bereits zur Erläuterung der anderen Seite von Cunaeus’ Haltung gegenüber dem Judentum. Seine Haltung kann nämlich nicht nur, wie bisher geschehen, auf den Ebenen herkömmlicher Vorurteile, eines theologisch begründeten Antijudaismus und anti-jüdischer Gelehrtenpolemik beschrieben werden. Dem steht diametral entgegen, dass Cunaeus in De republica Hebraeorum auch zu einem lobenden Verteidiger der Hebräer bzw. Juden werden kann. Wird auf der einen Seite, wie gesehen, die superstitio der Juden und ihre Blindheit angesichts des Messiasglaubens getadelt, so kann Cunaeus auf der anderen Seite gerade die Frömmigkeit (pietas) der Juden hervorheben. Hier fließen christlicher Bibelhumanismus und politischer Hebraismus zusammen. Es ist für Cunaeus das jüdische Volk, das durch seine hervorragenden tugendhaften Männer besticht93 – die Geschichtsvorstellung der boni viri im Humanismus wird so auf das Judentum zugespitzt. Cunaeus’ Haltung wird allzu ambivalent, ja paradox: Hatte er zunächst noch die übertriebene jüdische Gelehrtheit kritisiert, so wird sie für ihn dennoch zum Grund des Lobes, denn es seien schließlich die Juden gewesen, die selbst in einer Zeit vollkommener Barbarei den Text der Bibel ohne Fehl und Tadel tradierten94 – eine besondere Facette des
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recusaret, quae posita in medio erant.“). 194 („heac deliria“). 317 („Haud dubium est, quin Iudaeos […] genius aliquis male advocatus in eum detruserit errorem, […]“). „Quare, qui hodie supersunt Iudaei, non amplius pueri sunt, nec sub paedagogo vivunt. Atque adeo, non pertinent nunc ad eos illa beneficia, quae olim rudi infantique plebi propter majores dari potuisse diximus. Venit enim ille dies, qui virile quiddam atque consummatum ab illis requirit“ (aaO., 404). „Hinc [Iudaei] abdicati spretique a numine sunt […]“ (aaO., 125). „Tot patriarchas, vatesque, & reges in avis proavisque [Iudaei] numerant, denique tot excelsos & divina virtute viros, quorum sunt nomina coelo consecrata (aaO., 127). So heißt es in Bezug auf die biblische Textarbeit der Masoreten bei Cunaeus: „Erat igitur illa tempestate penes Iudaeos arbitrium & vis ac norma emendandi Biblicum contextum. Profecto, quam facile illis fuisset, interpolare ea loca, quae redarguere eorum deliria videbantur,
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Bibelhumanismus nimmt hier Gestalt an. Die Sorge für die heiligen Schriften und pietas stehen miteinander im Einklang und die für den Humanismus so typische Idee einer Verfallsgeschichte seit der Antike bekommt durch Cunaeus’ Hebraismus seine eigene Tönung: „Wer, wenn nicht die Juden haben für uns die biblischen Schriften sicher und gut imstande gehalten?“95 Hätte man sich nur auf Kirchenväter und frühchristliche Schriftsteller wie Laktanz, Augustin, Gregor den Großen und Chrysostomos verlassen, wäre es dagegen zu Fehlern gekommen. Dieses Lob jüdischer Gelehrtheit wird dann auch genauso verallgemeinert wie zuvor die Kritik und der Spott.96 Eine deutliche Aufwertung des Judentums erfolgt außerdem, wenn die Haltung der antiken Gesellschaft gegenüber den Juden Cunaeus zu positiven Stellungnahmen bringt. Dies ist zu beobachten, wenn er insgesamt auf die „Verknechtung“ von Juden und schlechte Behandlung durch die römische Obrigkeit zu sprechen kommt. Es führt Cunaeus nämlich wiederum zu der positiven Äußerung, dass solche Taten gegen Juden von heidnischen Herrschern vollbracht worden seien, die nie eine solche enge Bindung zum Judentum haben könnten wie „wir“ (die Christen?). Auch Cunaeus’ Kritik am paganen antiken Schrifttum hinsichtlich offensichtlich fehlender und falscher Kenntnisse über das Judentum führt letztlich in diese Richtung. Wenn Lügen und Gerüchte über sie von griechischen und anderen Schriftstellern verbreitet worden seien, so habe dies eben ganz grundsätzlich damit zu tun, dass man überhaupt wenig über sie gewusst habe.97 So wichtig Aristoteles auch für Cunaeus’ politisches Denken ist, er wird genauso für seine Ignoranz gegenüber Juden gerügt98 wie die für den Humanismus vorbildlichen Plutarch, Tacitus und Livius.99 Letztere zeigten nur noch einmal, wie ingeniös falsch die jüdische Religion unter ihresgleichen verhandelt
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cum vix tria verba Hebraice intelligerent Christiani? sed obstabat pietas, vetabatque moveri, quae sacra essent. […] Observatum ab illis est, non modo quot commata & verba, sed etiam quot literas continerent libri singuli. Quare, quod postea, cum summa barbaries orbi incubuisset, nullus apex de praestantissimo illo scripto perierit, illorum beneficium est“ (aaO., 132f). „Quinam sunt enim illi, qui nobis Biblica volumina sarta tecta servavere, nisi Iudaei? Quot menda scriptionis in sacrum codicem irrepsissent, si illius custodia solis Lactantiis, Augustinis, Gregoriis, Chrysostomis, viris sanctissimis, sed imperitis Hebraismi, mandata fuisset? Inter Graecos omnes Latinosque, qui veterem Ecclesiam rexere, unus Origenes cum Hieronymo Hebraice scivit. & ferme nimium dixi. caeteri nec elementa quidem didicerant. Quare, si quid collapsum incuria librariorum esset, non tali auxilio, nec defensoribus istis tempora tunc egebant. At Iudaeis unum studium, unaque omnibus cura fuit, libros Mosis, vatumque, & ea, quae Hagiographa appellantur, a temporum injuriis vindicare. Haec laus eorum propria est. Nulla alia gens in illius gloriae societatem se offert“ (aaO., 130). Vgl. z. B. die positiven Kommentare über Rabbiner und Talmudgelehrte aaO., 153. 202. 204. 280. Vgl. aaO., 20f. Vgl. aaO., 21. Vgl. aaO., 271–273.
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worden sei.100 Der Hass, der dem Volk Israel unter Griechen und Römern entgegentrat, sei alltäglich gewesen.101 Tatsächlich findet damit noch einmal eine grundsätzliche Dreiteilung zwischen Heiden, Juden und Christen Ausdruck, auf die Cunaeus’ Haltung gegenüber Juden trotz aller Ambivalenzen hinausläuft. Diese Dreiteilung betont paradoxerweise die Nähe zwischen Juden und Christen unter den genannten antijudaistischen Vorzeichen. Obwohl Cunaeus in einigen Passagen hart mit Juden ins Gericht geht und ihnen in ihrer „Verblendung“ Gottes Fürsorge absprechen kann, redet er doch von einer Art Erwartungshaltung bzw. Hoffnung auf sie. In dem dominanten Dualismus von obscuritas und claritas bei Cunaeus heißt dies, wie gesehen: Die Sonne ist noch nicht zum letzten Mal untergegangen und ihr Licht wird noch einmal scheinen, auch auf sie [die Juden]. Und obwohl sie gefallen sind, sind sie doch nicht zugrunde gegangen.102
In der Konsequenz für die Gesellschaft heißt dies, dass Juden in einem Gemeinwesen toleriert werden sollten und eine Unterdrückung, wie sie antike Quellen schildern, abzulehnen ist.103 Das Judentum wird also so gesehen theologisch begründet zu einem status quo in einem Gemeinwesen gemacht. Cunaeus schrieb sein Werk aus der Perspektive eines christlichen Gelehrten mit dem Blick eines Humanisten und Hebraisten und politischem Interesse. Die Haltung gegenüber dem Judentum, die in dem Werk De republica Hebraeorum libri III nachvollzogen wurde, war ambivalent bis paradox. Mehrere Gründe kommen hierfür in Betracht. Einerseits spielt natürlich der weite Kontext des gesellschaftlichen Antisemitismus bzw. Antijudaismus eine bedeutende Rolle. Dies wird dann besonders augenscheinlich, wenn Cunaeus in einigen Fällen klischeebelastete Äußerungen gegen Juden in Nebenbemerkungen einfließen lässt und damit zeigt, dass er solche Äußerungen für vielleicht allgemein konsensfähig hält. Zu berücksichtigen sind bei Cunaeus z. B. aber auch die engeren Kontexte an der Leidener Universität als mögliche Gründe.104
100 „Nos eam summatim retulimus, non quo confutaremus operose singula, sed uti palam esset, quam ingeniose pagani Iudaïcam traduxerint religionem“ (272). 101 Vgl. aaO., 336f. 102 „Nondum omnium dierum soles occiderunt. Fulgebit illis quoque iterum sua lux. Cecidisse eos, non excidisse, certum est“ (aaO., 126). 103 „Res heac, de qua loquimur, magna est, & plane ejusmodi, uti merito non possimus in posterum Iudaeos, velut victimas publici odij, penitus aversari, cum adhuc illis tantarum rerum supersit spes“ (aaO., 127). 104 Vgl. Lebram, Hebraïsche Studien, 317–357, der in seiner Studie über die frühneuzeitliche Hebraistik an der Universität Leiden, wo Cunaeus tätig war, zeigt, dass z. B. antijudaistische Formulierungen in Antrittsreden gängig waren.
Ergebnisse und Ausblick: Moses Gesetz und Gemeinwesen als politisches Konzept am Beginn der Moderne
In der Einleitung zu dieser Arbeit ist danach gefragt worden, auf welche Weise heute Moses Gesetze noch politische Relevanz haben. Nach der zurückliegenden Untersuchung kann man zu dem Ergebnis kommen, dass sich eine solche Frage für die untersuchten Autoren der Frühen Neuzeit erst gar nicht gestellt hätte. Zu umfassend waren die Debatten in der damaligen Zeit darüber gewesen. Das breite Literaturfeld und die vielfältigen politischen Deutungen der Bibel in der Frühen Neuzeit lassen die Unterschiede in den Ansätzen und Methoden, die die frühneuzeitlichen Autoren wählten, schnell verschwimmen. Dennoch ist es möglich gewesen, ein Schrifttum zu rekonstruieren, das sich durch ein bevorzugtes Interesse an den Rechtstexten der Bibel (vor allem des Alten Testaments) und jüdischen Geschichte auszeichnete. Die historische Genese dieses Schrifttums kann abschließend folgendermaßen beschrieben werden: Seit dem letzten Drittel des 16. Jahrhunderts entwickelte sich ein eigenes juristisches und theologisches Schrifttum, das sich am Rechtsvorbild des mosaisch-jüdischen Gemeinwesens orientierte.1 Diese Schriften werden seit dem Ende des 17. Jahrhunderts in Bibliographien und Lexika unter den Schlagworten politia judaica, respublica hebraica/Hebraeorum und ähnlichen Lemmata eingeordnet. Trotz Überschneidungen und diverser Untergruppierungen der Literatur de politia judaica2 ließ sich doch die Genese dieses Schrifttums für das 16. Jahrhundert in drei einschneidende Entwicklungen nachzeichnen und kontextuell einordnen: Ein erster Einfluss bei der Entstehung bzw. eine entscheidende Entwicklung erfolgte bereits in den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts mit dem Beginn der Druckgeschichte antiker Werke, die außerbiblische Traditionen über Mose und die Geschichte des jüdischen Volkes beinhalteten. Die Vorstellung von einem Vorbild des mosaischen Gemeinwesens (politia Mosis/Mosaica) war keine Konzeption, die christliche Gelehrte des 16. und 17. Jahrhunderts so ursprünglich in der Bibel vorfanden. Sie entstammte viel1 Siehe Abschn. 1.2. 2 Siehe Abschn. 1.1.
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Ergebnisse und Ausblick: Moses Gesetz und Gemeinwesen als politisches Konzept
mehr entscheidend antiken Quellen, in denen, ganz allgemein gesprochen, Mose als Gesetzgeber und das Gemeinwesen der Juden mit der Geschichte der paganen antiken Umwelt vermittelt und in Alter und Weisheit verteidigt wurden. Josephus war in den meisten frühneuzeitlichen Werken de politia judaica der am häufigsten zitierte Autor. Daneben traten später die Werke Philos, dessen philosophisch-weisheitliche Beschreibung von Mose und den mosaischen Gesetzen noch über Josephus hinausging. Die Schriften dieser beiden jüdisch-hellenistischen Autoren waren für die frühneuzeitlichen Autoren mit den ebenfalls apologetisch ausgerichteten Mose-Überlieferungen der christlichen Kirchenväter, die zum Teil selbst schon auf Philo und Josephus verwiesen, vermittelbar. Die erste Druckausgabe von Eusebs Praeparatio evangelica (1470) stellte den frühneuzeitlichen Gelehrten einen Fundus der antiken jüdisch-christlichen und paganen Mose-Überlieferungen zur Verfügung. Die in dieselben Jahre fallende Erstauflage der Editio latina des Flavius Josephus (1470/71) ermöglichte erst eine weite Verbreitung seiner Schriften im 16. Jahrhundert.3 Bereits im Florentiner Renaissance-Humanismus, wie für Marsilio Ficino und Giovanni Pico della Mirandola gezeigt werden konnte,4 wurden diese außerbiblischen Mose-Überlieferungen in Vorstellungen von uralter Theologie und Weisheit (prisca-theologia/ sapientia-Konzeptionen) dienstbar gemacht. Durch beide Autoren veränderte sich das Schreiben über Mose und die mosaischen Gesetze in der Frühen Neuzeit: Eine mündliche Gesetzestradition (christliche Kabbala) schien nun einigen Gelehrten ebenso vertretbar zu sein wie auch Hermes Trismegistos als altägyptische Weisheits- und Mittlergestalt in Überlieferungen (hermetische Tradition, Corpus Hermeticum) neu entdeckt, interpretiert und Mose gegenübergestellt werden konnte. Eine Reihe der Gelehrten, die sich in Schriften dem Vorbild der mosaischen Gesetzgebung widmeten, diskutierten Vorstellungen von christlicher Kabbala und hermetischen Traditionen als Nebenschauplatz in ihren Schriften und kamen zu Abgrenzungen gegenüber diesen Lehren. Konzeptionen der prisca theologia/sapientia, die christliche Kabbala und hermetische Traditionen bildeten damit zum Teil wichtige Subtexte der untersuchten Literatur. Einzelne Autoren gingen in kreativer Form damit um. So spitzte Petrus Cunaeus z. B. die Vorstellung einer christlichen Kabbala auf die Geschichte der respublica Hebraeorum mit ihrer Rechtsordnung zu. Dieses Anliegen stand bei allen untersuchten Autoren, die eigene Schriften de politia judaica verfassten, im Mittelpunkt: Die antiken außerbiblischen Überlieferungen über Mose wurden als Beweis für die besondere Würde des jüdisch-mosaischen Gemeinwesens mit seiner Rechtsordnung eingesetzt.
3 Siehe Abschn. 1.3.2. 4 Siehe Abschn. 1.3.3.
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Eine zweite entscheidende Entwicklung hin zum Schrifttum der politia judaica (Mosaica/Mosis) erfolgte mit den Debatten über die politische Relevanz der mosaischen Gesetze im 16. Jahrhundert. Insgesamt stellten diese Debatten eine zentrale Auseinandersetzung über das Recht unter Gelehrten, insbesondere Theologen und Juristen, im 16. Jahrhundert dar, die sich maßgeblich auf das 17. Jahrhundert auswirkte. Welche Teile der mosaischen Gesetze sollten im weltlich-zivilen Bereich weiterhin Geltung beanspruchen? Besonders im protestantischen Lager gingen die Meinungen auseinander und die Reformatoren fanden unterschiedliche Antworten: Die eine reformatorische Ansicht über die politische Relevanz der mosaischen Gesetze gab es somit nicht. Abweichende Haltungen bestanden selbst unter den wichtigsten Reformatoren, auch wenn man in der Sache um Einigung bemüht war. Zwei Faktoren waren hier entscheidend: Zum einen wurden zum Teil in den Auseinandersetzungen frühe Vorentscheidungen getroffen, die später noch durch Lehrformulierungen untermauert wurden. Unter den Wittenberger Reformatoren (Luther, Melanchthon) war so eine Orientierung an der politia Mosis/Mosaica als Rechtsvorbild für das christliche Gemeinwesen spätestens seit 1525 keine mögliche Alternative mehr.5 Melanchthon betonte später immer wieder in Reden und Schriften den Vorzug des gegebenen römischen Rechts gegenüber dem mosaischen Recht. Zum anderen ließ sich zumindest bei zwei Reformatoren (Bullinger, Bucer) feststellen, dass sich Einflüsse des Florentiner (Neu-)Platonismus auf die Haltung zum mosaischen Gesetz auswirkten. Mit Blick auf die späteren Entwicklungen ist die Bedeutung Heinrich Bullingers für die theologische Gesetzeslehre im reformierten Bereich besonders zu gewichten. Mit Calvins später Kommentierung der Mosebücher und der „Harmonie“ der mosaischen Gesetze (1559–1562/63) gewann dann auch die Genfer reformierte Theologie ein eigenes Auslegungsmodell.6 Dieses war dadurch gekennzeichnet, dass die im Pentateuch verstreuten gesetzlichen Kultvorschriften und Rechtssatzungen als Anhang des Dekalogs zusammengestellt und ausgelegt werden sollten. Calvin selbst ging aber in der Bewertung der politischen Relevanz der mosaischen Gesetze nicht so weit wie Bucer und Bullinger. Der Streit mit Michael Servet und Sebastian Castellio führte ihn dazu, das Alter und die Würde der mosaischen Gesetzgebung und der lex scripta Mosaica noch mehr herauszustellen.7 Der Schritt auf eine offene Auslegung der mosaischen Gesetze (bzw. der Judizialgesetze) als politische Gesetze erfolgte aber erst mit seinem Nachfolger Theodor Beza.8
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Siehe Abschn. 2.2.2. Siehe Abschn. 2.5.3. Siehe Abschn. 2.5.2. Siehe Abschn. 2.5.4.
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Eine dritte Entwicklung, die für die politia-judaica-Literatur entscheidend war, ist mit den Anliegen und Methoden verbunden, die in der humanistischen Jurisprudenz und einer dieser verbundenen Geschichtsschreibung Ausdruck fanden.9 Hier sind auch die ersten Schriften im 16. Jahrhundert vorzufinden, die ganz dem Vorbild der mosaischen Gesetzgebung gewidmet waren. Die untersuchten Autoren, die sich auf unterschiedliche Weise dem Bereich der humanistischen Jurisprudenz zuordnen ließen, hatten ein Interesse daran, die mosaische Gesetzgebung als Ideal und Ursprung anderer Überlieferungen des Rechts der Völker herauszuarbeiten. Grundsätzlich ließ sich hier seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein eher rechtsvergleichender Zugang in den Schriften (Rechtskompilationswerke von François Ragueau, William Welwood, Henri Estienne und Johann Kahl)10 von einem rechtsgeschichtlichen Zugang (Corneille Bertram, Carlo Sigonio, Joachim Stephani)11 unterscheiden. Alle untersuchten Autoren, die in ihren juristischen Werken einen rechtsvergleichenden Ansatz wählten, ließen sich dem calvinistisch-reformierten Bereich zuordnen. Sie nutzten nicht nur die aus Genf stammenden Bibelausgaben und -übersetzungen, sondern wählten zum Teil auch die Auslegungsmethodik für die mosaischen Gesetze, die von Calvin und insbesondere Beza vorgegeben war. Im Unterschied zu Calvin und Beza wandten sie diese Auslegungsmethodik nun auch auf andere Rechtsquellen als das biblische Recht an. Dazu wurde auch konsequent das frühe, vorjustinianische römische Recht wie die Edition der Collatio legum Mosaicarum et Romanarum genutzt.12 Für die rechtsgeschichtliche Literatur de politia judaica sind die verschiedenen politischen Kontexte der Werke für die Entstehung zu berücksichtigen. Normalerweise wird in der Forschung mit den Werken Corneille Bertrams und Carlo Sigonios in diesem Bereich, wie in der Einleitung zu dieser Arbeit beschrieben, der Anfang der Literatur der Respublica-Hebraeorum-Literatur gesehen und dies mit dem Phänomen des christlichen Hebraismus verbunden. Wie zu sehen war, spielte in der rechtsvergleichenden und -geschichtlichen Literatur über die mosaische Gesetzgebung als Rechtsvorbild die Ausbreitung des christlichen Hebraismus im 16. Jahrhundert zunächst eher noch eine untergeordnete, bei einigen Autoren gar keine Rolle. Eine prominente Ausnahme bildet beispielsweise Corneille Bertram. Die dahingehend entscheidenden Veränderungen für die Respublica-Hebraeorum-Literatur traten aber erst am Anfang des 17. Jahrhunderts – vor allem mit Petrus Cunaeus’ De republica Hebraeorum libri III – ein.13 An zwei Beispielen (Petrus Cunaeus, John Weemes)14 konnte hierbei 9 10 11 12 13
Siehe Kap. 3. Siehe Abschn. 3.2. Siehe Abschn. 3.3. Siehe Abschn. 3.1.2. Siehe Kap. 5.
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gezeigt werden, dass die Wahrnehmungen christlicher Hebraisten und ihre Aneignung rabbinisch-hebräischer Quellen sich auch noch einmal in transkonfessioneller Perspektive (Ambivalenzen zum Judentum) von den Anfängen der Literatur über das mosaische Gemeinwesen als Rechtsvorbild unterschied. Tendenziell ließ sich an diesen zwei Autoren ebenfalls beobachten: Je stärker die rabbinisch-hebräische Literatur hinzugezogen wurde, die über den Kanon der antiken Quellen des Josephus und Philo von Alexandrien hinausging, umso stärker sah man sich offenbar dazu veranlasst, sie in christlicher Hinsicht zu legitimieren. Dies unterstreicht noch einmal: Die politia judaica wurde als Rechtsvorbild allein für Christen herausgearbeitet, die zugleich universelle Geltung beanspruchte. Mit dem zunehmenden Rückgriff auf rabbinische Quellen gingen die jeweiligen Autoren dann für sie konsequenterweise auch zunehmend dazu über das Verhältnis zwischen Christen und Juden auch selbst zu thematisieren. Neben diesen transkonfessionellen Aspekten bleiben am Ende schließlich im Ergebnis doch auch konfessionelle Eigenarten feststellbar: Bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts, aber auch noch darüber hinaus, ist vor allem ein hoher Anteil protestantischer Autoren für die Schriften, die positiv an die mosaische Gesetzgebung als Rechtsvorbild anschlossen, festzustellen. In konfessioneller Hinsicht ist hier der Einfluss der calvinistisch-reformierten Theologie besonders groß gewesen, weil dieser Einfluss durch das enge Verhältnis zur Jurisprudenz begünstigt wurde. Calvinistisch-reformierte Theologen beeinflussten ihrerseits durch ihre Modelle15 von den politischen Gesetzen des Mose die Rechtsentwicklung und Jurisprudenz. Dieser Einfluss war nachhaltig, insbesondere im Bereich des Zivilrechts. Die calvinistisch-reformierten Auslegungsformen unterstützen die Lesart des gesamten mosaischen Gesetzeskorpus als bürgerliche Gesetze für das Gemeinwesen. Die politia judaica mit ihrer Geschichte wurde als Rechtsvorbild für andere Gemeinwesen hervorgehoben. Es liegt nahe, dass eine solche Feststellung gerade auch Thesen wie die Eric Nelsons, die in der Einleitung zu dieser Arbeit vorgestellt wurden, stützen könnte: Nelson hat die Ausdeutung der politia judaica als politisches Konzept am Beginn der Moderne vor allem als ein Phänomen der Protestanten beschrieben und sich dabei auf die Entwicklungen in den Niederlanden und England konzentriert. Andere Forschungsarbeiten, die in der Einleitung vorgestellt wurden, blieben dahingehend zurückhaltender oder blendeten die Frage nach dem Einfluss der Konfessionen aus. Aus den Ergebnissen dieser Arbeit lässt sich zunächst absehen, dass sich die fruchtbare Zusammenarbeit von Theologen und 14 Siehe Abschn. 4.5.4 u. Abschn. 5.2.3. 15 Siehe auch Kap. 4.
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Juristen im Calvinismus im niederländischen und britischen Kontext besonders auswirken musste, denn hier breitete sich die reformierte Konfession stark aus. So konnte die Vorstellung von der politia judaica als Rechtsvorbild in politischen Debatten genutzt und von reformierten Theologen immer ausführlicher erörtert werden. Insgesamt fällt eine solche Beobachtung konfessioneller Eigenart aber für Juristen, Historiographen und Gelehrte anderer Provenienz für die weitere Entwicklung schwerer. Wer die Frage nach den konfessionellen Einflüssen beantworten will, der steht nicht nur vor der Herausforderung, mögliche Anteile konfessioneller Identität bei einzelnen Autoren z. B. gegenüber einem humanistischen Hintergrund zu gewichten, sondern auch vor der Schwierigkeit, dass mit der Verbreitung von Petrus Cunaeus’ Hauptwerk De republica Hebraeorum libri III vergleichbare Diskurse im 17. Jahrhundert zunehmend unübersichtlicher werden. Während die Anfänge der politia-judaica-Literatur zeitlich im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts lagen, so erlebte diese Literatur im 17. Jahrhundert ihre eigentliche Blütezeit. Dennoch können abschließend einige Entwicklungen skizziert werden: Literarisch kann für das 17. Jahrhundert und sogar darüber hinaus festgehalten werden, dass die politia-judaica-Literatur auch weiterhin sozusagen ihre „Reinform“ rechtskomparativer und rechtsgeschichtlicher Werke behielt. Dies ist in den jeweiligen Unterkapiteln der zurückliegenden Untersuchung bereits dargelegt worden.16 Doch daneben treten weitere Formen oder auch Kompilationen früherer Werke. Stellvertretend sei hier auf Les Moeurs des Israélites (1681) von Abbé Claude Fleury (1640–1723) verwiesen. Fleury stammte aus Frankreich, war römisch-katholischer Kirchenhistorikers und gehörte damit nicht zur protestantischen Mehrheit an Autoren. Sein Werk wurde regelrecht zu einem Klassiker der Geschichtsschreibung über das jüdisch-biblische Gemeinwesen, wie die beeindruckende Zahl von mindestens 60 Neudrucken im Laufe des 18. Jahrhunderts belegt.17 Die Fortschritte in der Hebraistik und Orientalistik machten die frühere politia-judaica-Literatur auch selbst – in allen Konfessionen – zu einem Gegenstand der Untersuchung und des Unterrichts. Doch dieser Aspekt und das Werk eines Claude Fleury deuten bereits auf die langfristigen Entwicklungen voraus. Die Rezeption und die Fortentwicklung der politia-judaica-Literatur wurde dabei im 17. Jahrhundert noch mehr als vorher von der aufblühenden Hebraistik beeinflusst und begünstigt, die bei einigen Autoren im 16. Jahrhundert, wie zu sehen war, noch keine wichtige Rolle spielte. Damit wurden aber auch die Interessen und Werke immer differenzierter: Während die Autoren der politia-judaica-Literatur im 16. Jahrhundert noch ein Hauptinteresse an der gesamten Geschichte und dem Rechtsbestand des alten Gemeinwe16 Siehe Abschn. 3.2.5 u. Abschn. 3.3.4. 17 Vgl. Sutcliffe, Judaism, 56.
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sens der Hebräer als Untersuchungsgegenstand gehabt hatten, entstanden im 17. Jahrhundert mehr Werke, die sich einem Einzelaspekt widmeten. Der Gesetzgebung kam hierbei aber weiterhin ein besonderes Interesse zu. Dies ergab sich ja geradezu zwangsläufig, weil die Gesetzgebung des Mose und ihre weitere institutionelle Ausformung das zentrale Thema der politia-judaica-Literatur waren. Thematisch konnten sich die Autoren im 17. Jahrhundert nun im wahrsten Sinne des Wortes daran weiter „abarbeiten“. Dabei vermehrte sich im 17. Jahrhundert, abgesehen von dem vorrangigen Interesse reformierter (calvinistischer) Theologen, noch die Zahl nicht-theologischer Autoren. Eine solche Entwicklung war aber überhaupt erst in der Breite möglich, weil in der Rechtsund Politiklehre ein hohes Interesse an dem Thema der Gesetzgebung gegeben war. Ganz allgemein setzte sich damit in der Rechts- und Politiklehre die Tendenz des 16. Jahrhunderts fort, nicht mehr an der Rechtsprechung, sondern der Gesetzgebung die wesentlichen Kompetenzen staatlichen Handelns zu messen. Zurückliegend wurde dies beispielsweise schon anhand von Joachim Stephanis Werk De iurisdictione ersichtlich.18 An zwei Gelehrten des 17. Jahrhunderts und ihren Werken, die an verschiedenen Stellen der zurückliegenden Arbeit bereits namentlich aufgetaucht sind, lassen sich diese skizzierten Entwicklungen für die einschlägigen Werke der politia-judaica-Literatur des 17. Jahrhunderts stellvertretend veranschaulichen. John Selden (1584–1654) und Wilhelm Schickard (1592–1635) waren beide christliche Hebraisten und ausgesprochene Universalgelehrte ihrer Zeit. Das, was vorher noch kapitelweise oder kursorisch in der politia-judaica-Literatur des 16. Jahrhunderts erörtert wurde, wird bei beiden zur Grundlage ganzer Werke. John Selden ist deswegen und auf Grund seiner hervorragenden Hebräischkenntnisse auch schon als „Großrabbiner der Englischen Renaissance“19 bezeichnet worden. Die immense Bedeutung, die er als Rechtsgelehrter und Hebraist in der englischen Politik gespielt hatte, ist erst in den letzten Jahren in der Forschung wieder zu Tage getreten.20 Schon sein Geschichtswerk über den Zehnten (History of Tithes, 1618) sorgte in der Politik für Aufsehen. „International“ gewann seine Auseinandersetzung mit Hugo Grotius über die Freiheit der Meere (Mare clausum, 1635) Bedeutung für das Völkerrecht. Seldens Werke bilden ansonsten das ganze Spektrum des Rechtsdiskurses ab, das sich mit der 18 Stephani nutzte den Schlüsselbegriff der iurisdictio nicht mehr nur zur bloßen Erörterung der Rechtsprechung, sondern der umfassenden Rechtskompetenzen weltlicher und geistlicher Obrigkeit. Quelle und Grundlage jeglicher iurisdictio blieb dabei für ihn die mosaisch-jüdische. Siehe insgesamt oben, Abschn. 3.3.3.1. 19 So der gleichnamige Buchtitel der englischsprachigen Monographie von Rosenblatt, Renaissance England’s Chief Rabbi. 20 Zu Selden vgl. bes. die Monographien von Barbour, John Selden; Rosenblatt, Renaissance England’s Chief Rabbi u. Toomer, John Selden.
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politia-judaica-Literatur verband. Er schrieb im Einzelnen ein Werk über das alte Erbrecht der Hebräer (1631/1636), über die Rechtsnachfolge der hebräischen Hohenpriester (1636), über das Natur- und Völkerrecht der Hebräer (1640), ihren Jahreskalender (1644) und ihr Eherecht (1646).21 Dies waren lediglich Einzelaspekte der früheren politia-judaica-Literatur gewesen. Genauso wie das Thema der Schrift Seldens, die am häufigsten gedruckt wurde: seine Untersuchung der Gerichtsbarkeit und der politischen Führung der alten Hebräer mit dem Titel De Synedriis & Praefecturis Iuridicis Veterum Ebraeorum, die in den Jahren 1650–1655 in drei Bänden in London erschien. Seldens Werk musste in Folge des Englischen Bürgerkrieges in der Commonwealth-Zeit auf fruchtbaren Boden stoßen, weil die Gesetzgebung und Rechtskompetenzen im Verhältnis von Kirche und Staat gerade in diesem Zeitraum zur Debatte standen und biblisch legitimiert werden mussten. Alles dies ist zurückliegend bereits exemplarisch anhand der Arbeiten des schottischen Theologen und Hebraisten John Weemes verdeutlicht worden.22 Selden unterscheidet von Weemes sein republikanisches Anliegen, die Rechte des Parlaments gegenüber dem Monarchen zu stärken. In De Synedriis nahm er die jüdischen Gerichte zum Beweis, dass auch geistlich Angelegenheiten durch weltlich-zivile Gerichtsbarkeit zu regeln seien.23 Genauso sah Selden aber auch (bereits seit seiner History of Tithes aus dem Jahr 1618) im Synedrium der 70 Ältesten ein Vorbild für das Parlament in England.24 Der Tübinger Hebraist Wilhelm Schickard (1592–1635) war dagegen ein noch größerer Polyhistor als Selden: Er erfand nicht nur die erste Rechenmaschine und wirkte auch ansonsten als einflussreicher Mathematiker, Geograph und Astronom.25 Bedeutung erlangten daneben auch über viele Jahrzehnte seine Hebräisch-Lehrbücher. Schickard wirkte nicht direkt in die politischen Belange wie Selden hinein und verfasste auch nur ein einzelnes Werk von gerade einmal 190 Seiten, das sich der Rechtsthematik der politia judaica widmete. Auf der anderen Seite wurde dieses Werk mit dem Titel המלך משפט. Jus regium Hebraeorum e 21 Die Werke werden hier nur jeweils mit Angaben der Erstveröffentlichung aufgeführt: Selden, De successionibus in Bona Defuncti, Seu Iure Haereditario, ad Leges Ebraeorum: quae, florente olim eorum Republica, in vsu, Liber Singularis, ex Sacris Literis, vtroque Talmude, & Selectioribus Rabbinis, id est, ex Iuris Ebraici Fontibus, Pandectis, atque consultissimis Magistris, desumtus, London 1631; später auch zusammen abgedruckt mit: ders., De successione in pontificatum Ebraeorum […], London 1636; ders., De Iure Naturali & Gentium, Iuxta Disciplinam Ebraeorum, libri septem, London 1640; ders., De anno civili & calendario Veteris Ecclesiae, seu Reipublicae judaicae, Dissertatio […], London 1646; u. schließlich ders., Uxor Ebraica, Seu De Nuptiis & Divortiis Ex Iure Civili, id est, Divino & Talmudico, Veterum Ebraeorum, Libri Tres […], London 1646. 22 Siehe weiter oben, Abschn. 4.5. 23 Rosenblatt, Renaissance England’s Chief Rabbi, 161. 24 Vgl. aaO., 4 mit Anm. 6. 25 Die Biographie und Werke Schickards sind vorzüglich erschlossen worden durch den Sammelband von Seck, Wilhelm Schickard.
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tenebris rabbinicis erutum & luci donatum (Straßburg, 1625), das erst ein halbes Jahrhundert später (Leipzig, 1674) noch einmal neu aufgelegt wurde, weithin rezipiert. So griffen beispielsweise die Republikaner James Harrington und John Milton in entscheidender Weise darauf zurück26 – und dies, obwohl Schickard darin eine monarchische Position vertrat. Auch der spätere Hugo Grotius lobte nicht nur die Gelehrsamkeit des Werkes, sondern wünschte sich noch ein weiteres Buch von Schickard über das jüdische Synedrium.27 Der schottische Theologe und Hebraist John Weemes28 gehörte ebenso zu den Lesern wie deutsche Gelehrte in der Folgezeit, die sich vor allem dem israelitischen Königsrecht als zentralem Aspekt in Schickards Werk widmeten. Das Werk ist in sechs Kapitel gegliedert und behandelt die Königswahl, die Frömmigkeit (pietas), den Hof, die Untertanen, Krieg, Tod und die Erbfolge des Königs.29 Schlicht im Aufbau, lag die Attraktivität der Schrift vor allem in den wiedergegebenen Exzerpten und der Fülle an langen Zitaten aus der rabbinischen Literatur begründet, die vielfach einfach direkt von anderen Autoren in der Folgezeit übernommen wurden. Die Werke von John Selden und Wilhelm Schickards einschlägige Schrift sind einerseits Ausdruck einer Spezialisierung des Rechtsdiskurses der politia-judaica-Literatur, andererseits zugleich aber auch eines gesteigerten Interesses einer breiten Gelehrtenöffentlichkeit. Sie bildeten mit den früheren Werken einen nährreichen Boden für politische Debatten. Im 17. Jahrhundert vervielfältigten sich die Werke, in denen Argumente aus der politica-judaica-Literatur verwendet und politisch genutzt wurden. Das konnte dann auch nur in Ausschnitten oder kapitelweise geschehen. Wer danach fragt, der verfolgt aber nicht mehr unbedingt die Geschichte der politia-judaica-Literatur selbst, sondern ihre breite Wirkungsgeschichte in politischer Hinsicht weiter, wie es Eric Nelson neben weiteren Forschern getan hat. Die Bezeichnung „politischer Hebraismus“ bzw. „political Hebraism“, der insbesondere in der englischsprachigen Forschung gebräuchlich geworden ist und sich auf diese breite Wirkungsgeschichte stützt, bleibt dabei von terminologischen Ungenauigkeiten behaftet.30 Biblische (vor allem alttestamentliche) Bezüge im frühneuzeitlichen politischen Denken und der christliche Hebraismus, der dabei eine Rolle spielen konnte, sollten nicht mit der engeren Rezeptionsgeschichte der politia-judaica-Literatur gleichgesetzt werden. 26 Vgl. Nelson, Hebrew Republic, 40–43. 50f. 27 Vgl. die Nachweise aus dem Briefwechsel von Grotius in den Jahren 1629 und 1630 bei Müller, Hebräische und chaldäische Studien, 86. 28 Siehe Abschn. 4.5. Weemes bezog sich z. B. bei seiner Behandlung des jüdischen Synedriums auf Schickards Werk Jus regium Hebraeorum (vgl. Weemes, Exposition of the Iudiciall Lawes, 62). 29 Einen guten inhaltlichen Überblick gibt Müller, Hebräische und chaldäische Studien, 83–86. 30 Eine Problemanzeige diesbezüglich findet sich bereits in: Totzeck, Politischer Hebraismus, 215–222.
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Ein Verweis auf die bereits in der Einleitung vorgestellten Forschungsarbeiten genügt an dieser Stelle als Problemanzeige.31 An ihnen wird bereits ablesbar, inwieweit ein „Hebrew revival“32 auch die politischen „Vordenker der Moderne“ im 17. Jahrhundert beeinflusst hat. Meinen eigenen Beobachtungen nach lässt aber die zurückliegende Untersuchung darüber hinaus nun noch weitere Präzisierungen zu: Auch bei den immer wieder zitierten „Vordenkern der Moderne“ wie z. B. Thomas Hobbes, James Harrington und Baruch de Spinoza lässt sich noch nachvollziehen, dass hinter ihren Bezügen auf die Bibel und auf sich inhaltlich überschneidende, außerbiblische Quellen ein Rechtsdiskurs des 16. Jahrhunderts steckt, der in den Hauptteilen dieser Arbeit untersucht wurde. Die Gesetzgebung des Mose und das unter ihm entstandene Gemeinwesen, das im Mittelpunkt der politia-judaica-Literatur stand, wurde auch bei ihnen zu einem zentralen Gegenstand ihres politischen Denkens, nicht ohne dass dabei entscheidende Veränderungen eintraten. Thomas Hobbes (1588–1679) gilt als Begründer der modernen politischen Wissenschaft33 und sein Werk Leviathan als „überragendes Werk der neuzeitlichen Philosophie“ und als „ein Gründungsbuch der politischen Moderne“.34 Sein Ansatz beim Individuum als Ausgangspunkt der politischen Theorie geschieht nicht ohne Vordenker, aber seine Orientierung an den neuen Naturwissenschaften und der Philosophie, die ohne theologische Bevormundungen auskommen sollen, schlägt sich hier doch so radikal nieder, dass zwischen 1650 und 1700 nicht weniger als fast 100 literarische Titel gezählt worden sind, die sich gegen Hobbes aussprachen.35 Hobbes’ Schriften wurden nicht nur zum Kritikpunkt, sondern bald über viele Jahre in England auch verboten und zensiert.36 Sie entstanden in einer Zeit, in der England bewegte politische Zeiten durchmachte, die bereits den angesprochenen Kontext von John Seldens Schriften bildeten: 1642–1649 ein Bürgerkrieg, der von den konfessionellen Auseinandersetzungen der Zeit geprägt war, 1649–1660 die Jahre der Republik, ab 1660 die Erneuerung der Monarchie. Die politische Lage war bestimmt von ständigen Konflikten zwischen König und Parlament und mit seinem heute noch bekanntesten Werk Leviathan (1651) schlug sich Hobbes klar auf die Seite derer, die sich für eine absolute Alleinherrschaft in den Jahren nach dem Bürgerkrieg aussprachen. In konfliktreichen Zeiten sah Hobbes dadurch Recht und Ordnung im Staat gewahrt. Nach vielen modernen und „säkularen“ Interpretationen seines Hauptwerkes Leviathan klingt schon der Titel heute fast ironisch: Der Autor, der für 31 32 33 34 35 36
Siehe oben Einleitung u. Abschn. 2. So die Formulierung bei Nelson, Hebrew Republic, 4ff. Vgl. Ottmann, Geschichte, 265. Kersting, Begründung der politischen Philosophie, 1. Vgl. Mintz, Hunting of Leviathan, 157–160. Vgl. Klenner, Einführung, XXII–XXIV.
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viele die säkulare politische Wissenschaft begründet hat, nutzt eine biblische Bezeichnung37 als Titel für sein Hauptwerk! Wer Hobbes’ Leviathan bis zum Schluss studiert und nicht am Ende des zweiten der vier Bücher halt macht,38 wird auch ansonsten nicht die Beobachtung umgehen können, dass dieses Werk, wie auch schon seine 10 Jahre zuvor erschienene politische Schrift De cive (1641), von Spannungen zwischen Philosophie und Theologie, naturrechtlicher und biblischer Orientierung bestimmt ist. Vor allem das dritte und vierte Buch des Leviathan sind gespickt mit biblischen Zitaten und Diskussionen. Handelt es sich lediglich um biblische Bezüge und Beispiele, die auch in anderen politischen Werken seiner Zeit gängig waren, aber letztlich doch nur ein Beiwerk seiner philosophischen Argumentation darstellen? Hobbes’ Verhältnis zur Theologie und Religion ist als „umstrittenste Frage der Hobbes-Forschung“39 beschrieben worden, aber ohne diese Frage abschließend klären zu müssen, lässt sich doch zumindest festhalten, dass Hobbes’ historische Darstellungen zur Gesetzgebung und Staatengeschichte denen der politia-judaica-Literatur ähneln. Besonders im dritten Buch wird dies deutlich, auch wenn fehlende direkte Verweise eine genauere Einordnung weitestgehend erschweren. Ein Beispiel: In seinem früheren Werk De cive zitiert Hobbes offen Josephus, wenn er auf die Besonderheiten des Königreiches Gottes unter Mose eingeht (er spricht nicht ausdrücklich von Theokratie), im Leviathan fehlt an dieser Stelle aber ein Verweis auf die außerbiblische mosaische Tradition nach Josephus, die für die politia-judaica-Literatur so entscheidend war.40 Übereinstimmend mit der politia-judaica-Literatur ist aber die Orientierung an Mose als Gesetzgeber und dem unter ihm gestifteten Gemeinwesen. Diesen „staatlichen“ Blick auf die politische Geschichte Israels, die das mosaische Gemeinwesen als Vorbild herausstellt, hat Hobbes mit anderen Autoren der politiajudaica-Literatur gemein. Dabei unterscheidet er sich aber doch auch sehr wesentlich von ihnen: Die ganze politische Geschichte Israels wird in Betracht genommen, aber nicht mehr die gesamte Geschichte an sich auf einen rechtlichen Ursprung in der mosaischen Gesetzgebung zurückgeführt. Auch Hobbes geht noch wie z. B. Corneille Bertram, Carlo Sigonio und Petrus Cunaeus und andere Autoren der politia-judaica-Literatur auf den Gedanken ein, dass Gott den 37 Siehe dazu Hi 3,8; 40,25–41,26; vgl. auch Jes 27,1; Ps 74,14 u. 104,26. 38 So z. B. die deutsche Reclam-Ausgabe: Thomas Hobbes, Leviathan. Eine Auswahl. Englisch/ Deutsch, hg. v. Malte Diesselhorst (Nachw.)/Jacob Peter Mayer (Übers.), Stuttgart 1996 (11938), die nur die ersten beiden Bücher umfasst. 39 Vgl. Ottmann, Geschichte, 311. Ottmann führt auch eine knappe Zusammenfassung der Forschungsdiskussionen an (aaO., 311–313), die hier nicht noch einmal ausführlich wiedergegeben werden muss. Vgl. dazu auch Großheim, Religion und Politik, 258f mit weiterer Lit. 40 Vgl. Nelson, Hebrew Republic, 123 mit Anm. 167 u. Hobbes, Leviathan (ed. Schlösser/ Klenner), XXXV, 347f.
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Menschen seit seiner Schöpfung Gebote gegeben habe.41 Dieser Gedanke bleibt aber bei Hobbes unvermittelt, denn es geht ihm an dieser Stelle vor allem um das Verhältnis von Herrscher und Untertanen, das im Kern zum Königreich Gottes gehöre. Für Hobbes ist das Königreich Gottes ein staatliches Königreich gewesen, in dem Gott selbst bis zur Aufgabe unter König Saul geherrscht habe. Nach dem Bund mit Abraham habe dies nur mit der Gesetzgebung durch Mose und die Zustimmung des Volkes geschehen können. Dann habe aber allein Mose die Souveränität unter Gott innegehabt, nicht das Volk, nicht Aaron oder aber eine Aristokratie der Vornehmen.42 Und diese Souveränität kenne keine geistlichweltliche Zweiteilung, denn die [w]eltliche und geistliche Herrschaft sind nur zwei Worte, die in die Welt gebracht worden sind, um die Menschen zu veranlassen, doppelt zu sehen und ihren gesetzlichen Souverän zu verkennen.43
Es gebe „in diesem Leben weder über den Staat noch über die Religion eine andere Herrschaft als die weltliche.“44 Mose wird von Hobbes als Archetyp eines souveränen Gesetzgebers und Herrschers herausgestellt, in dessen Rechtskompetenz auch die Sache der Religion gefallen sei45 und – man kann ergänzen – Gott auch nur so der eigentliche König seines Königreiches bleiben konnte. Aber die von Mose festgehaltenen Gesetze haben für Hobbes doch keinen Mehrwert, der sie von anderen positiven Gesetzen unterscheiden würde. Diese Ansicht Hobbes’ lässt sich verstreut über mehrere verschiedene Kapitel zusammentragen. Die Gesetzgebung, auch die in Sachen der Religion, bleibt gebunden an die souveräne politische Herrschaft. Dies entspricht Hobbes’ naturrechtlichem Ansatz.46 Mose bleibt als souveräner Gesetzgeber für Hobbes ein geschichtliches Vorbild, aber das Königreich Gottes sei ja durch Christus (und nicht Mose) wieder errichtet worden. Dies muss auch Folgen für Hobbes’ Haltung zu den mosaischen Gesetzen haben. Hobbes schließt zwar, dass, „wer immer in einem christlichen Gemeinwesen den Platz Mosis innehat, der einzige Bote Gottes und Interpret seiner Gebote ist.“47 Schon die gängige Dreiteilung der mosaischen Gesetze, die Hobbes verwendet, bleibt bei ihm dabei aber im Grunde genommen folgenlos. Nicht einmal der ganze Dekalog wird von Hobbes mit dem Naturgesetz in Verbindung gebracht, sondern nur die zweite Tafel.48 Die erste Tafel der Zehn Gebote 41 42 43 44 45 46 47 48
Vgl. Hobbes, Leviathan (ed. Schlösser/Klenner), XXXV, 345. Vgl. aaO., XL, 399. AaO., XXXIX, 394f. AaO., XXXIX, 395. Vgl. aaO., XX, 173f; XXXV, 346–350. Vgl. aaO., XIII–XIV, 102–109 mit XXVI, 242–244. AaO., XL, 400. Vgl. aaO., XLII, 437. Die Dreiteilung der mosaischen Gesetze ergibt sich aus der Unterscheidung zwischen Moralgesetz, Judizialgesetz und „levitischen“ Gesetzen. Die gewählte
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steht für Hobbes für eine Reihe der Gesetze Gottes, die eigenes für die Israeliten gemacht waren. So wie die Judizialgesetze und – wie Hobbes sie nennt – „levitischen“ (zeremonialen) Gesetze auch, waren es Gesetze, mit denen sich ein Volk mit eigenem Gehorsamsversprechen an den staatlichen Souverän Mose band.49 Das Interesse Hobbes’ liegt in der vorbildlichen Weise, wie die Regierung unter Mose funktionierte und auch die Beaufsichtigung der Religion einschloss, nicht aber bei der mosaischen Gesetzgebung an sich. Dies merkt man unter anderem auch an einer Allegorie, die Hobbes mit dem Berg Sinai verknüpft und die in der reformierten Tradition eigentlich eine andere Deutung hatte als die Souveränität, die Hobbes damit anspricht: „Denn die Schrift, aus welcher Gott jetzt spricht, ist der Berg Sinai; seine Grenzen sind die Gesetze derer, die Gottes Person auf Erden repräsentieren.“50 Damit unterscheidet sich Hobbes von der politia-judaica-Literatur und auch von einem politisch motivierten Entwurf wie De republica Hebraeorum libri III des Petrus Cunaeus. Als staatlicher Souverän habe Mose positive Gesetze, der Heiligen Schrift gleichwertig, zum Kanon machen können. Dies ist Hobbes wichtig als weltliche Rechtskompetenz in religiösen Angelegenheiten hervorzuheben.51 Auch wenn Mose zumindest den Hauptteil des Gesetzes selbst verfasst habe, so wird aber doch die mosaische Autorschaft der gesamten ersten fünf Bücher der Bibel zugleich bezweifelt.52 Auch von einer mündlichen Gesetzestradition wird Abstand genommen, weil sich dafür schlicht keine Belege im Bibeltext finden ließen.53 Eine christliche Kabbala spielt bei Hobbes ebenso wenig eine Rolle wie die Vermittlung einer mosaischen Tradition mit dem Konzept einer prisca sapientia. Die Ursprünge der Philosophie lagen für Hobbes in Indien, Persien, Chaldäa und Ägypten,54 nicht aber bei den Juden, die die „Schule des
49 50 51
52 53 54
Begrifflichkeit folgt hier nicht ganz der deutschen Edition, vgl. dazu die englische ed. Macpherson, XLII, 545–547 mit ed. Schlösser/Klenner, 436f, dagegen aber auch aaO., XXVI, 242– 244, wo diese Einteilung der göttlichen Gesetze nicht durchdringt. Die Zehn Gebote waren für Hobbes der Teil der Heiligen Schrift, der zuerst Gesetz war und von Gott ebenso wie die Judizialgesetze und „levitischen“ Gesetze allein durch Mose vermittelt wurden (vgl. aaO., XLII, 436f). AaO., XL, 400. Der calvinistische Theologe John Weemes deutet demgegenüber z. B. das SinaiEreignis allegorisch auf die christliche Kirche (vgl. Weemes, Exposition of the Ceremoniall Lawes, Epist. Ded. f. Aaaa3r–v). Hobbes, Leviathan (ed. Schlösser/Klenner), XLII, 437: „Aber Mose und Aaron und die nachfolgenden Hohenpriester waren die staatlichen Souveräne. Deshalb stand bis zu dieser Zeit das Kanonisieren der Heiligen Schrift oder ihre Erhebung zum Gesetz dem staatlichen Souverän zu.“ Vgl. dazu auch aaO., XXXIII, 332: „Der wer immer die rechtmäßige Macht über eine Schrift hat, um sie zum Gesetz zu erheben, hat auch die Macht, die Auslegung derselben zu billigen oder zu mißbilligen.“ Vgl. aaO., XXXIII, 322f. Vgl. aaO., XLII, 437f. Vgl. aaO., XLVI, 559f.
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Gesetzes“ des Mose bald mit „falschen Kommentaren und wertlosen Überlieferungen verfälschten“ und dabei auch von der „Scheinphilosophie und Theologie der Griechen“ Gebrauch machten.55 Diese – teils schroffen – Worte Hobbes’ machen neben der Nähe zur politia-judaica-Literatur in seinem Werk Leviathan eben auch die Distanz offensichtlich. Vielleicht ist es wirklich so, wie Henning Ottmann beschreibt: „Hobbes’ politisches Denken säkularisiert die Theologie.“56 Gilt dies aber wirklich „nur“ für die Theologie? Und selbst dann kann dabei doch zugleich nicht von einer „säkularen“ Perspektive gesprochen werden, die Hobbes schon einnimmt. Er rechnet mit einer ewigen Ursache aller Ursachen, die die Menschen Gott nennen würden,57 und legt die Bibel doch prinzipiell für das christliche Gemeinwesen zugrunde.58 Historische Sachlichkeit bei letzterem beanspruchten auch schon die Autoren der politia-judaica-Literatur wie Corneille Bertram und Carlo Sigonio im vorhergehenden Jahrhundert. Doch die Grundausrichtung hat sich bei Hobbes nun verändert. Er treibt zwar eine Auseinandersetzung mit der geschichtlich gewordenen politia judaica voran, aber sieht dahinter doch nicht mehr ein Rechtsvorbild, sondern einen Rahmen für sein politisches Konzept am Beginn der Moderne. Den rechtlichen Voraussetzungen der politia judaica wird von ihm allmählich der Boden entzogen, ohne dass er dabei aber zugleich auf die Diskussion darüber verzichten konnte. Andere politische Vordenker in Hobbes’ Umgebung haben in dieser Hinsicht einen anderen Weg eingeschlagen. Mit dem fünf Jahre nach Hobbes’ Leviathan erschienenen Werk The commonwealth of Oceana (1656) setzte James Harrington (1611–1677) der absoluten Herrschaftsgewalt, die Hobbes befürwortete, einen Republikanismus mit einer Mischverfassung und einem ZweikammerParlament entgegen, der auch folgenreich für die politische Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika werden sollte.59 Die Bedeutung, die dabei die 55 56 57 58
Vgl. aaO., XLVI, 562f. Ottmann, Geschichte, 312. Vgl. Hobbes, Leviathan (ed. Schlösser/Klenner), XI, 87. An die Stelle von Wunder und Propheten tritt für Hobbes die Heilige Schrift: „Da es also jetzt keine Wunder mehr gibt, ist uns kein Zeichen geblieben, wonach wir die angeblichen Offenbarungen oder Inspirationen irgendeiner Privatperson anerkennen können, und auch keine Verpflichtung, irgendeiner Lehre weiter das Ohr zu leihen, als es sich mit der Heiligen Schrift vereinbaren läßt, die seit der Zeit unseres Heilands alle anderen Prophezeiungen ersetzt und ihren Mangel genügend ausgleicht und von der sich durch weise und gelehrte Auslegung und sorgfältige Beweisführung alle Regeln und Vorschriften, die zur Kenntnis unserer Pflicht gegen Gott sowie gegen die Menschen notwendig sind, ohne Verzückung oder übernatürliche Inspiration leicht ableiten lassen. Und dieser Heiligen Schrift will ich die Prinzipien meiner Abhandlung über die Rechte der höchsten irdischen Regenten christlicher Gemeinwesen und die Pflicht christlicher Untertanen gegen ihre Souveräne entnehmen“ (vgl. aaO., XXXIII, 320; vgl. dazu die englische Vorlage, ed. Macpherson, 414). 59 Neue Forschungen zum Republikanismus Harringtons sind zusammengetragen in dem Aufsatzband: Wiemann/Mahlberg, English Revolutionary Republicanism.
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Gesetze und das Gemeinwesen des Mose spielten, sind an anderer Stelle bereits ausführlich untersucht worden.60 Ausgehend von der zurückliegenden Untersuchung kann hier noch einmal hervorgehoben bzw. ergänzt werden: Harringtons Überschneidungen mit der politia-judaica-Literatur in seinem Werk Oceana und anderen Werken sind noch deutlicher als bei Hobbes. Harrington übernimmt z. B. Zitate aus dem Talmud und der rabbinischen Literatur gewöhnlich von John Selden und Hugo Grotius, wie er selbst angibt.61 Aber auch andere Autoren der politia-judaica-Literatur spielen eine wichtige Rolle wie Petrus Cunaeus und Carlo Sigonio, den Harrington zwar nicht nennt, seine Thesen aus dem Werk De republica Hebraeorum libri VII aber referiert.62 Dies alles mischt sich bei ihm mit der großen Fülle an Bezügen auf die klassische antike Literatur, die ihn noch ein Stück weiter an Petrus Cunaeus’ De republica Hebraeorum libri III annähert als das für Hobbes zu beobachten war. Dies gilt insbesondere für Harringtons Werk The Art of Lawgiving (1659). Der Möglichkeit, auf die Agrarrechte im alten Israel als politisches Argument zurückzukommen, die in Harringtons Gedanken zu Eigentumsrechten und einem Gleichgewicht an Besitz („Balance of Property“) eine große Rolle spielen, ist mit Cunaeus’ Werk in der politischen Debatte im gewissen Sinne erst der Boden bereitet worden.63 Im Gegensatz zu Hobbes und zunächst scheinbar auch noch auf einer Linie mit Cunaeus, bezieht sich Harrington auf die Kabbala („Cabala“) als mündliche Tradition der mosaischen Gesetze, übernimmt aber nicht die Vorstellung einer christlichen Kabbala, wie sie noch Cunaeus vertrat. In seinem Werk The Art of Lawgiving wird die Kabbala vielmehr zu einer Negativfolie für den Verfall des alten israelitischen Gemeinwesens. Harrington unterscheidet zwischen „Elohim“, dem „Gemeinwesen Israels“ („Elohim, or the Commonwealth of Israel“), und „Kabbala“, dem „Gemeinwesen der Juden“ („Cabala, or the Commonwealth of the Jews“).64 Bereits nach dem Tod Josuas habe ein Verfall von „Elohim“ eingesetzt und nach der Rückkehr aus dem Babylonischen Exil hätten die „Cabala“ und die Interpretationen jüdischer Priestereliten überhandgenommen.65 Harrington teilt mit Hobbes antijudaistische Spitzen,66 die bei beiden neben einer antikatholischen Haltung vorkommen. Auch wenn grundsätzliche Unterschiede im politischen System zwischen den zwei Autoren bestehen bleiben, so wird bei 60 Vgl. Nelson, Hebrew Republic, 50–52. 78–87. 117–122 gegenüber Hammill, Mosaic Constitution, 208–242. 61 Harrington, The Prerogative of Popular Government (1658), in: Political Works of Harrington (ed. Pocock), 389–566, hier: 520 u. ö. 62 Vgl. dazu die Nachweise bei Somos, Irenic Secularization, 92 mit Anm. 24f. 63 Siehe schon oben, Abschn. 5.2. Vgl. die Ausführungen bei Nelson, Hebrew Republic, 78–87. 64 Vgl. Harrington, The Art of Lawgiving (1658), in: Political Works of Harrington (ed. Pocock), 599–704, hier: 599. 616f; vgl. dazu auch schon Sutcliffe, Judaism, 54. 65 Vgl. Harrington, The Art of Lawgiving (ed. Pocock), 645–649. 66 Vgl. die knappen, aber eingehenden Beobachtungen von Nirenberg, Anti-Judaism, 307–317.
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beiden gemeinsam doch aus der politia judaica mit Mose als Gesetzgeber ein politisches Konzept. Bei Harrington wird dies allerdings politisch über eine Klugheitslehre („Human Prudence“) vermittelt. Schon in The commonwealth of Oceana steht diese und nicht eine direkte rechtliche Ableitung aus der mosaischen Gesetzgebung und der politia judaica im Vordergrund.67 Doch auch dann bleibt noch nachzuvollziehen, dass die Argumente und Zitate, die Harrington auch von anderen Autoren der politia-judaica-Literatur übernahm, fest mit einem ursprünglichen Rechtsdiskurs verwoben waren, in dem das Gesetz und Gemeinwesen des Mose im Mittelpunkt standen. Mose kann als Gesetzgeber nicht nur mit seinem Schwiegervater aus Midian, Jitro, verglichen werden, sondern auch mit anderen alten Gesetzgebern wie Lykurg von Sparta und Solon von Athen.68 Dies muss auch noch dem Aufklärer John Toland (1670– 1722) bewusst gewesen sein, als er 1700 die maßgebliche Ausgabe der Werke James Harringtons herausgab, die die Rezeption von Harringtons republikanischen Ideen im 18. Jahrhundert sicherte. Auf dem Titelblatt wird in Bildern auf die antike Gesetzgeber-Tradition angespielt, die vor allem die außerbiblischen Mose-Traditionen so beeinflusst hatte.69 Mose wird aber nicht nur in eine Reihe mit den alten Gesetzgebern Numa von Rom, Lykurg von Sparta und Solon von Athen gestellt, sondern ihnen wird von Toland auch Konfuzius in die Mitte gestellt.70 Toland setzte mit der Aufnahme der chinesischen Kultur in das Titelblatt einen ganz eigenen Akzent gegenüber Harrington, der bereits auf seine deistischen Schriften vorausdeutet. Er musste so ein großes Interesse an einer weiteren politischen Ausdeutung des mosaischen Gemeinwesens (respublica mosaica) gehabt haben, dass er auch selbst ein eigenes Werk darüber schreiben wollte.71 In seiner späteren Schrift mit dem Titel Origines Judaicae versuchte Toland schließlich wohl als erster Autor eine Darstellung über das Leben und Wirken des Mose allein auf den antiken außerbiblischen Mose-Traditionen zu
67 Mark Somos sieht in meinen Augen in richtiger Weise den „säkularisierenden“ Charakter, den Harringtons Bezüge auf das Recht und Gemeinwesen der Hebräer damit erhalten, der aber zugleich auch gemäß den (konfessions-)politischen Gegebenheiten einen Minimalkonsens enthielt: „[…] Oceana does not rely on any biblical justification that would make it a plaything of warring sects and rival denominations. Not only does the occasional biblical language and references to the divine polity not provide any of the substantial elements of Oceana, Harrington goes out of his way to make it impossible for enthusiasts of any colour to uphold divine legitimacy claims. Parts of Oceana are couched in biblical language to maximize acceptability among all denominations to whom the Hebrew Republic was the lowest acceptable common denominator“ (Somos, Bible Interpretation, 101). 68 Vgl. Harrington, The Art of Lawgiving (ed. Pocock), 629. 69 Vgl. zu den folgenden Beobachtungen bereits: Champion, Mosaica respublica, hier: 165–168. 70 Der Frühaufklärer Pierre Bayle hatte Baruch de Spinoza, auf den Toland sich selbst dann bezog, mit konfuzianischen Ideen in Verbindung gebracht (vgl. aaO., 167f mit Anm. 8). 71 Vgl. die Nachweise aaO., 165 mit Anm. 1; 172f.
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verfassen.72 Mose war für ihn – anders als noch für Hobbes und Harrington – ein Ägypter.73 Tolands Interesse an der respublica mosaica fußte dabei wahrscheinlich nicht nur auf Harringtons Werken, sondern war auch an einem anderen politischen Vordenker des 17. Jahrhunderts orientiert: Baruch de Spinoza. Noch radikaler als Thomas Hobbes und James Harrington steht Baruch de Spinoza mit seinem anonym veröffentlichten Tractatus theologico-politicus (1670) für einen Abbau der rechtlichen Grundannahmen, die in der politiajudaica-Literatur vorausgesetzt waren. Spinoza, der Sohn eines aus Portugal stammenden Händlers, blickt im Tractatus von seiner niederländischen Heimat aus bereits auf die blutigen Versuche zur Zeit von Hobbes und Harrington zurück, in England die Monarchie zu beseitigen, die schließlich aber doch wieder zu ihrer Restauration führten.74 Spinoza selbst befürwortete die Demokratie als natürlichste Staatsform, sah dabei die Staatsgewalt aber zugleich als ein „Kind der Macht“, die auf den Eigeninteressen und Nutzenerwägungen der Einzelnen aufbaut.75 Diesen Erwägungen zur menschlichen Natur und dem natürlichen Recht steht bei Spinoza die Betrachtung des göttlichen Gesetzes in Kapitel IV seines Tractatus gegenüber. Wie Hobbes bezweifelt Spinoza nicht nur die mosaische Autorschaft des Pentateuchs, sondern hinterfragt noch weitergehend als Hobbes, ob Mose auch wirklich als Verfasser der Gesetze in den ersten Büchern der Bibel gelten könne: Das „Buch des Gesetzes Gottes“, von dem in der Bibel die Rede ist, sei heute nicht mehr überliefert76 und vielleicht war es die Versammlung der Ältesten, die Moses’ Anordnungen dem Volk in Schriftform mitteilte und die [ein] Historiker später zusammengestellt und in Moses’ Lebensgeschichte an der gehörigen Stelle eingefügt hat.77
Auch bei Spinoza ist noch ein Zusammenhang mit dem ursprünglichen Rechtsdiskurs, aus dem die politia-judaica-Literatur entstand, vorhanden. Spinoza nimmt die Diskussion über das „Gemeinwesen der Hebräer“ (respublica Hebraeorum) schon in der Vorrede an dem Punkt auf, an dem sich Autoren vor ihm spätestens seit Hugo Grotius und dann Petrus Cunaeus immer wieder abarbeiteten: bei der Vereinigung von weltlicher und geistlicher Rechtskompetenz in der respublica Hebraeorum.78 Er rekurriert wie sie auf den Theokratie-Begriff nach Josephus.79 Mose wird vor allem in einem rechtlichen Kontext wahrge-
72 73 74 75 76 77 78 79
Vgl. Assmann, Moses der Ägypter, 133–138, hier: 134. Vgl. aaO., 136. Vgl. Spinoza, Theologisch-politischer Traktat, XVII,8 (S. 289, Z. 24–290,5 ed. Bartuschat). Vgl. Zippelius, Staatsideen, 104f. Vgl. Spinoza, Theologisch-politischer Traktat, VIII,5 (151,18–32 ed. Bartuschat). AaO., VIII,6 (153,18–21 ed. Bartuschat). Vgl. aaO., Vorrede, 14 (12 ed. Bartuschat). Vgl. aaO., XVII,8–10 (260–263 ed. Bartuschat).
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nommen,80 Verbindungen zur Vorstellung einer prisca sapientia aber schon durch die scharfe Trennlinie zwischen Heiliger Schrift und Philosophie bzw. Vernunft verunmöglicht.81 Ebenso hat sich die Vermutung in der Forschung, die jüdische Kabbala hätte Spinozas philosophisches Denken beeinflusst, nicht als konsensfähig erwiesen.82 Im Ganzen wird die rechtliche Gegenwartsbedeutung der respublica Hebraeorum und der mosaischen Gesetze bereits in der Vorrede zum Tractatus nivelliert, wenn es heißt, dass die Gesetze, die Gott Moses offenbart hat, nur die Rechtsgesetze des Staates der Hebräer waren, daß folglich außer ihnen niemand anders sie hat annehmen müssen und darüber hinaus auch die Hebräer nur für die Dauer ihres Staates an sie gebunden waren.83
Der Unterschied gegenüber der politia-judaica-Literatur ist an dieser Stelle besonders deutlich. Während es hier vorrangig darum ging, inwiefern die politischen Gesetze des Mose noch Geltung beanspruchen konnten, werden bei Spinoza aus allen Gesetzen, die Mose offenbart wurden, politische Gesetze, die zeitlich an das Gemeinwesen der Hebräer gebunden waren und nun keine Geltung mehr beanspruchen könnten. Dies verschärft sich sogar noch dadurch, dass Spinoza auch den Dekalog, der in einer sehr langen Rechtstradition von Theologen, Juristen und anderen Gelehrten immer mit einem allgemein-gültigen Moralgesetz identifiziert wurde, nur noch zu einem „Gesetz für die Hebräer“ deklariert.84 Für Spinoza steht auch fest, dass dann Christus keineswegs das mosaische Gesetz aufgehoben hat, weil er ja nicht neue Gesetze in den Staat einführen wollte, sondern nur darauf bedacht war, moralische Lehren vorzubringen und diese von den Staatsgesetzen zu unterscheiden.85
Diese Morallehre Jesu kann Spinoza dann als das „allgemeingültige Gesetze“ bezeichnen. Der Unterschied zum geschriebenem göttlichen Recht bzw. der lex scripta Mosaica wird von Spinoza so untermauert, ohne dass an der Bedeutung, die dabei Christus – im Übrigen auch in seinem posthum veröffentlichten Werk Ethica, ordine geometrico demonstrata (1677) – spielt,86 gezweifelt werden kann. 80 Vgl. aaO., IV,9 (75,10–27 ed. Bartuschat), wo noch einmal betont wird, dass es in den Weisungen des Mose lediglich um das Zusammenleben in einem bestimmten Landstrich unter bestem Gehorsam gehe. Mose habe selbst nicht begriffen oder offenbart bekommen, dass diese Weisungen die besten seien. 81 Vgl. aaO., Vorrede, 10 (10,22–25 ed. Bartuschat). 82 Vgl. Senn, Spinoza und die christliche Mystik, 243 mit Anm. 4. 83 Vgl. Spinoza, Theologisch-politischer Traktat, Vorrede, 10 (10,1–5 ed. Bartuschat). 84 Vgl. aaO., IV,9 (74,35–37 ed. Bartuschat). 85 AaO., V,3 (84,18–22 ed. Bartuschat), Hervorhebungen durch den Autor, MT. 86 Vgl. Senn, Spinoza und die christliche Mystik, 248f. Senns Verdienst ist es, noch einmal zu hinterfragen, auf welche Weise überhaupt ein Säkularisierungsbegriff für Spinoza zutreffend ist (vgl. bes. aaO., 248–260). Wie bereits bei Hobbes, so würde ich von einer „Säkularisierung“ in dem von mir in diesem Ausblick beschriebenen engeren Zusammenhang insofern spre-
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Die Bedeutung des mosaischen Gemeinwesens als Rechtsvorbild, die im Kern die politia-judaica-Literatur ausmachte, geht aber verloren. So diskutiert Spinoza vor allem in Kapitel XXVII und Kapitel XXVIII des Tractatus die Geschichte der respublica Hebraeorum nur noch unter dem Aspekt politischer Lehren. Wie bei Hobbes und Harrington werden die Gesetzgebung des Mose und die respublica Hebraeorum zu einem politischen Modell. Die respublica Hebraeorum zeichnete sich in der ersten Phase durch den Sinai-Bund als eine Theokratie aus, in der Gott durch seine Gesetze ( jura & mandata Dei) selbst in seinem Königreich (Regnum Dei) geherrscht habe.87 Die Demokratie sei hierfür Voraussetzung gewesen, denn das ganze Volk habe gleichmäßig sein Recht aufgegeben für den Pakt mit Gott.88 Die Erfahrung, die allerdings damit verbunden war, führte dazu, dass Mose als „göttliches Orakel“ zwischen Volk und Gott eingesetzt worden sei und selbst souverän geherrscht habe. Die Herrschaftsgewalt sei gegenüber sonstigen Monarchien noch einmal dadurch gesteigert gewesen, dass Mose direkten Zugang zu Gottes Ratschluss gehabt habe.89 In der Nachfolge des Mose erfolgte für Spinoza die Aufteilung der Macht auf den Hohepriester, die Priester und Leviten einerseits sowie die Stammesfürsten und den Oberbefehlshaber im Krieg andererseits. Der Beginn des Untergangs der respublica Hebraeorum war damit eigentlich schon mit Moses Tod vorprogrammiert und wurde in der Folge durch die Wahl eines sterblichen Königs im Bruch mit dem göttlichen Recht endgültig.90 Einen wesentlichen Beitrag beim Verfall der respublica Hebraeorum spielten dabei für Spinoza die Leviten.91 Am Ende dieser geschichtlichen Betrachtungen Spinozas bleiben schließlich und endlich nur noch zwei Hauptpunkte bestehen, aus denen wiederum mehrere politische Lehren gezogen werden, die alle mit den beiden Hauptpunkten zu tun haben: Erstens, so hält Spinoza fest, widerspreche es nicht dem Reich Gottes, dass es eine höchste Majestät gebe, in der das höchste Recht des Staates vereinigt sei. Bei den Hebräern sei dies Mose gewesen, der im Namen Gottes die volle Befugnis gehabt habe, „Gesetze zu erlassen und aufzuheben, Religionsverwalter zu ernennen, zu richten, zu lehren und zu bestrafen, kurz gesagt das Recht, allen alles
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chen, als dass Spinoza im Tractatus die rechtlichen Grundlagen der politia judaica bzw. respublica Hebraeorum, die ihr Fundament im Altersbeweis und/oder der Schöpfungstheologie hatte, auflöst oder eben „säkularisiert“. Gleichzeitig hält Spinoza aber an der Bedeutung von Gottes Offenbarung für die politia judaica bzw. respublica Hebraeorum fest und will politische Lehren daraus ziehen. Vgl. Spinoza, Theologisch-politischer Traktat, XVII,8 (260f ed. Bartuschat); vgl. auch XVII,10 (263,11–21 ed. Bartuschat). Vgl. aaO., XVII,9 (261f ed. Bartuschat) mit lt. ed. Künraht [i. e. Jan Rieuwertsz], 192. Vgl. Spinoza, Theologisch-politischer Traktat, XVII,10 (262,19–263,11 ed. Bartuschat). Vgl. aaO., XVII,28ff (278,30ff ed. Bartuschat). Vgl. dazu die Interpretation von Melamed, Spinoza’s Respublica divina, 205f.
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zu befehlen.“92 Im anderen Hauptpunkt kommt Spinoza zu dem Schluss, dass die religiösen Amtsträger nie das Recht gehabt hätten, zu richten oder aus der Gemeinschaft auszuschließen, sondern diese Aufgabe in Händen der Richter gelegen habe.93 Insgesamt ist der politische Rekurs auf die respublica Hebraeorum bei Spinoza nicht frei von Spannungen: Negative und positive Hinweise wechseln sich ab und er weicht an manchen Stellen auffällig von der biblischen Überlieferung ab.94 Durchgehend erhält das Priestertum bei ihm keine guten Wertungen und es fällt nicht schwer, hier die konfessionellen bzw. religiösen Auseinandersetzungen seiner Zeit im niederländischen Kontext im Hintergrund zu sehen. Zum einen wird für die Gegenwart im christlichen Gemeinwesen die Rolle der religiöskirchlichen Instanzen eingeschränkt. Für den Staat könne es nichts Sichereres geben, „als die Frömmigkeit und den religiösen Kult allein in den Werken bestehen zu lassen,“ und das heißt für Spinoza: „in der Ausübung von Nächstenliebe und Gerechtigkeit“, sonst aber „alles andere dem freien Urteil des einzelnen zu überlassen.“95 Zum anderen stellt Spinoza heraus, dass es in Holland nie eine souveräne Macht wie die des Mose gegeben habe, sondern die Herrschaft immer zwischen Ständen und Grafen aufgeteilt und die souveräne Macht bei den Ständen gewesen sei.96 In dieser dargestellten politischen Konstellation und mit der Forderung nach Gedankenfreiheit, gerade in der Sache der Religion, muss Spinoza, der selbst 1656 auf Grund seiner Ansichten aus der jüdischen Gemeinde in Amsterdam ausgeschlossen wurde, auch die Bedingungen dafür gesehen haben, sein Leben in Zurückgezogenheit und eigener Freiheiten leben zu können.97 Bisher ist in diesem abschließenden Ausblick vor allem der englische und niederländische Kontext für das politische Denken am Beginn der Moderne kursorisch in den Blick genommen worden. Mancher Vordenker wie z. B. John Locke (1632–1704)98 und viele mehr können an dieser Stelle natürlich nicht ausreichend berücksichtigt werden. Abschließend soll der Blick aber noch einmal in eine anderen Richtung gehen: Ließen sich ähnliche Tendenzen auch für den deutschen Bereich nachzeichnen, wo die politischen Entwicklungen in anderen Bahnen verliefen? Da die deutsche politia-judaica-Literatur bisher nicht ausreichend erforscht wurde, wird mit dem deutschen Rechtsgelehrten und Philo92 Spinoza, Theologisch-politischer Traktat, XVIII,2 (282,33–283,1 ed. Bartuschat). 93 Vgl. ebd. (283,1–6 ed. Bartuschat) mit Verweis auf Jos 6,26; Ri 21,18 u. 1Sam 14,24. 94 Vgl. Melamed, Spinoza’s Respublica divina, hier: 202–205. 209f. In dem Aufsatzband von Höffe, Baruch de Spinoza: Theologisch-politischer Traktat sind weitere Arbeiten zu diesem Thema versammelt. 95 Spinoza, Theologisch-politischer Traktat, XVIII,6 (288,1–6 ed. Bartuschat). 96 Vgl. aaO., XVIII,10 (290f ed. Bartuschat). 97 Vgl. Hampe, Baruch de Spinoza, 298–300. 98 Vgl. dazu nun neuerdings die Arbeit von Leiter, Locke’s Political Philosophy.
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sophen Christian Thomasius (1655–1728) lediglich ein abschließendes, wenn auch vielsagendes Beispiel erbracht werden können. Thomasius nahm bereits entscheidend die Werke von Thomas Hobbes und Baruch de Spinoza mit in seine Überlegungen auf. Auch konnte er auf weitere Werke des 17. Jahrhunderts von deutschen Gelehrten zurückgreifen, die sich den Schriften de politia judaica zuordnen lassen, heute aber größtenteils nur noch wenig bekannt sind. Er teilt mit ihnen und den bisher behandelten Autoren ein Interesse am Ideal des alten jüdisch-mosaischen Gemeinwesens und seiner Gesetze, was sich etwa dann zeigt, wenn es wie in seinen Cautelen zur Erlernung der Rechtsgelehrtheit (1713) heißt, daß alle Gesetze und Ordnungen des Lycurgi, Solonis, Romuli, derer duodecim tabularum des Justiniani u.s.w. an kluger Einrichtung denen Gesetzen der Juedischen Republique gar nicht gleich komme.99
Wie auch bei den anderen politischen Denkern schlage ich vor, dass solche Formulierungen aus der Feder Thomasius’ letztlich in einen Zusammenhang mit den Texten und Diskursen gehören, die zurückliegend in den Hauptteilen untersucht wurden. Thomasius selbst ist zwar als „der Begründer der deutschen Aufklärung“ (Michael Albrecht) bezeichnet worden. Zunächst kann aber überhaupt danach gefragt werden, ob es wirklich sinnvoll ist, Thomasius in diesem Abschnitt in eine Reihe mit radikalen Frühaufklärern wie Thomas Hobbes oder Baruch de Spinoza zu stellen, denn ob Thomasius selbst eine begründende Funktion für die deutsche Aufklärung hatte, ist zuletzt mehrfach historisch hinterfragt worden. Als Sohn des bekannten Leipziger Philosophieprofessors Jacob Thomasius war Christian Thomasius nach einsetzenden Kontroversen mit orthodoxen Theologen und sogar erfolgtem Lehr- und Publikationsverbot von Leipzig nach Halle an der Saale gewechselt, um dort zu einem wichtigen Gründungsvater der Universität zu werden. Schon in Leipzig proklamierte er seine „erste deutsche Vorlesung“ 1687 als eine Art Aufbruch und gab bald darauf als Erster eine deutschsprachige Ethik und Logik heraus.100 Seine frühe Einleitung zur Vernunftlehre (1691) erinnert in vielem an den späteren emanzipatorischen Aufruf Immanuel Kants zur Befreiung aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit, der zur Programmschrift der deutschen Aufklärung wurde.101 Der Begriff der Aufklärung spielt in Thomasius’ Schriften allerdings noch keine wesentliche Rolle.102 Auch tritt seine philosophische Lehre wahrscheinlich schon in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhun99 Thomasius, Cautelen zur Erlernung der Rechtsgelehrtheit (1713), TAW 20, 51,§61. 100 Vgl. Schneiders, Aufklärung in Deutschland; die immer noch ausführlichsten biographischen Informationen finden sich bei Fleischmann, Christian Thomasius. 101 Vgl. Schneiders, Aufklärung in Deutschland, 9. 102 Vgl. aber zur Lichtmetapher bei Thomasius Vollhardt, Aufklärung im Werk von Christian Thomasius, 3 mit Anm. 1.
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derts in seiner Bedeutung hinter das wirkungsreichere rationale Philosophiesystem eines Christian Wolff zurück.103 Will man in den sog. „Monatsgesprächen“ Thomasius’ – einer anonym erscheinenden monatlichen Individualzeitschrift, die noch seiner Leipziger Zeit entstammte – einen möglichen Beginn aufklärerischer deutscher Gelehrten- und Gesellschaftskritik sehen, so wäre hier ebenso auf bereits vorhandene Vorgänger zu verweisen104 wie im Falle von Thomasius’ Rolle bei der Abschaffung von Folter und Hexenprozessen im Preußen des 18. Jahrhunderts.105 Alle diese Facetten des Wirkens zusammengenommen, lassen es dann allerdings doch als schwierig erscheinen, die Bedeutung von Thomasius im Übergang zur deutschen Aufklärung zu leugnen. Jedenfalls wurde Thomasius schließlich auch zu einem wichtigen Wegbereiter der Aufklärung, weil seine Schüler ein solches Bild von ihm noch einmal befördert haben.106 Ich widme mich allerdings im Folgenden in aller Kürze einem Aspekt, der angesichts der hier nur kurz skizzierten Spannungen im Bild des Frühaufklärers Thomasius doch als ein weitgehender Konsens der Rechts- und Politikgeschichte angesehen werden kann: nämlich den „säkularisierenden“ Tendenzen in der Rechtslehre,107 die sich zeitlich zwischen der Veröffentlichung seiner juristischen Hauptwerke, den Institutiones jurisprudentiae divinae (1688) und seinen Fundamenta juris naturae et gentium (1705) vollziehen. Spezifischer geht vor allem darum, dass in den Fundamenta eine Loslösung von einer theologischbiblischen Begründung des Naturrechts erfolgt und hier das göttliche Gesetz ausgeklammert wird, ohne dass Bezüge zum biblischen Recht vollkommen 103 Vgl. Schröder, Christian Thomasius, 154. 104 Vgl. Düffel, Nachwort, 195–197. 105 Vgl. Schwerhoff, Aufgeklärter Traditionalismus, der insgesamt Thomasius’ Vorreiterrolle in der Abschaffung von Hexenprozessen und Folter kritisch beurteilt. Zunächst betont Schwerhoff, dass Thomasius’ ablehnende Haltung gegenüber dem traditionellen Teufelsund Magieglauben (z. B. Bestreitung der Existenz eines Teufelspaktes) nicht so weit gegangen sei wie z. B. die des niederländischen Theologen Balthasar Bekker (1634–1698), der anders als Thomasius die Existenz des Teufels und seiner Wirkung auf den Menschen leugnete und das Hexenwesen konsequent historisch-kritisch betrachtete (aaO., 248–252). Thomasius kennt noch Möglichkeiten einer Strafverfolgung von Zauberei. Auch konnte er seinen Schüler Martin Bernhardi in der Dissertation De Tortura ex foris Christianorum proscribenda dessen Thesen für die Abschaffung der Folter vorbringen lassen und billigen, aber gleichzeitig eine völlige Abschaffung skeptischer betrachten (Schwerhoff, Aufgeklärter Traditionalismus, 254–257). Insgesamt plädiert Schwerhoff dafür, die politischen und rechtspraktischen Aspekte stärker zu berücksichtigen und Thomasius nicht als alleinigen Urheber der Abschaffung von Hexenprozessen und der Folter in Preußen unter Friedrich II. zu stilisieren (aaO., 257–260). 106 Vgl. Vollhardt, Aufklärung im Werk von Christian Thomasius, 3–5. 107 Diese Ansicht ist in letzter Zeit insbesondere von Peter Schröder (vgl. Schröder, Christian Thomasius, 80–98, bes. 97f) und Horst Dreitzel, der auch von einer „Destruktion des frühneuzeitlichen Konfessionsstaates“ durch Thomasius spricht (vgl. Dreitzel, Christliche Aufklärung), hervorgehoben worden.
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aufgegeben werden. Umso erstaunlicher ist es, dass Thomasius parallel zu diesen säkularisierenden Tendenzen zu den Autoren gehört, die ihre besondere Wertschätzung für die mosaische Gesetzgebung zum Ausdruck bringen. Wie ist diese Spannung zu erklären? Im Folgenden wird eine Antwort geboten, die Thomasius’ Würdigung der mosaischen Gesetze als älteste schriftliche und weiseste Gesetzgebung ebenso berücksichtigt wie die dahinter stehenden Geltungsfragen. Wie für die Rechtslehre und Philosophie Thomasius’ insgesamt, so lassen sich auch in seiner Auffassung zum mosaischen Recht einzelne Entwicklungen ausmachen. Die ganze Konzeption einer „göttlichen Rechtsgelehrtheit“, die noch seinen Institutiones jurisprudentiae divinae (1688) zugrunde lag, zielte letztlich auf die Explikation und Applikation einer auf die göttlichen Gesetze bezogenen Gelehrtheit bzw. Klugheit (prudentia) für die diesseitige Glückseligkeit.108 Vorausgesetzt werden dabei ein theologisch-voluntaristisches Gesetzesverständnis, bei dem Gott bzw. der göttliche Wille (voluntas divina) der Urheber sowohl des natürlichen wie des positiven göttlichen Gesetzes ist,109 und ein geschichts- bzw. schöpfungstheologischer Rahmen.110 In den Fundamenta juris naturae et gentium (1705) verändert sich der gesamte Begründungszusammenhang, da nun die diesseitige Glückseligkeit selbst (ein möglichst langes und erfülltes Leben) zur letzten konsensfähigen und allgemeinen Richtschnur allen Handels wird und damit auch zum Grundsatz des Natur- und Völkerrechts.111 Auf dieser Richtschnur kann Thomasius eine Ethik und zugleich Rechtslehre aufbauen, der seine bekannte Unterscheidung von Gerechtem (iustum), Ehrbarem (honestum) und Anständigem (decorum) zugrunde liegt, die bereits auf Kants Kategorischen Imperativ vorausdeutet und als Loslösung von Recht und Moral interpretiert wurde.112 Nun können diese Veränderungen einerseits als eine Abwendung vom 108 Thomasius, Institutiones jurisprudentiae divinae (1688), [lib. I], cap. 2, 47,§1: „Jurisprudentia divina est prudentia leges divinas, salutem hominis in hac vita concernentes explicandi & applicandi ad actiones hominum.“ Vgl. auch ders., Göttliche Rechtsgelahrtheit (1709), TAW 4, I,2,46,§1. 109 Vgl. bes. Thomasius, Institutiones jurisprudentiae divinae (1688), I,2,48,§§6f. 110 Vgl. z. B. die Darlegungen über den Stand der Unschuld und Stand nach dem Sündenfall (vgl. aaO., I,2,49ff,§§10ff), die einerseits von klassischen theologischen Denkmustern ausgehen und in denen sich Thomasius noch deutlich – anders als später – von einer Konzeption des Naturzustandes eines Thomas Hobbes abgrenzt (vgl. aaO. 56,§32; 61f,§49). Zu beachten ist hier, dass eine explizit christliche Rechtsgelehrtheit (Christiana Jurisprudentia) in den Mittelpunkt rückt, die aber andererseits von der Theologie deutlich unterschieden bleiben soll (vgl. bes. aaO. 50–52,§§15–17). Letztlich seien ja sowohl die historia sacra wie die historia profana ein Werkzeug (instrumentum) aller vier Fakultäten, also des gesamten universitären Fächerkanons (aaO. 52,§18). 111 Vgl. Thomasius, Fundamenta juris naturae et gentium, lib. I, cap. 6, 120–135, bes. 124f,§§21– 24. 112 Vgl. dazu u. a. Thomasius, Grundlehren des Natur- und Völkerrechts (1709), TAW 18,108– 124.
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göttlichen Gesetz interpretiert werden. Schließlich war Thomasius’ Konzeption einer „göttlichen Rechtsgelehrtheit“ noch darauf ausgerichtet, die göttlichen Gesetze so zu erklären und eine treffende Einteilung zu finden, dass dadurch die menschliche Glückseligkeit befördert wird – wobei er schon zu diesem Zeitpunkt die gängige Aufteilung in Moral-, Zeremonial- und Judizialgesetze als unbefriedigend empfand!113 Diese Interpretation einer Abwendung vom göttlichen (mosaischen) Gesetz ist aber nur schwer damit in Einklang zu bringen, dass er, wie im obigen Zitat aus dem Jahr 1713, auch darüber hinaus an den Idealvorstellungen der mosaischen Gesetze und der jüdischen Republik festhielt. Insbesondere seine an Juristen adressierten Vorlesungen lassen erkennen, wie differenziert sich Thomasius mit den Fragen nach deren Vergleichbarkeit und Geltung auseinandersetzte. Thomasius hatte seit 1699 zunächst noch in sehr beschränktem privaten Bereich begonnen, Vorlesungen über die Gesetzgebung zu halten,114 wobei entsprechend den „Prudentia“-Lehren dieser Zeit115 vor allem die am Nutzen und der Praxis orientierte „Gesetzgebungsklugheit“ (prudentia legislatoria) im Mittelpunkt stehen sollte. Die Vorlesungen zielten ebenso auf die fachliche wie die allgemeine Ausbildung angehender Juristen; dies lässt sich gut an den noch überlieferten Vorlesungsprogrammen und den daraus entstandenen Werken für den Rechtsunterricht ersehen. Doch ein wesentliches Merkmal blieb dabei für Thomasius der Bezug auf die Rechtsgeschichte. Aus einer erst 1740 gedruckten Mitschrift zu Thomasius’ Vorlesung de prudentia legislatoria aus dem Jahr 1702,116 die in authentischer Weise,117 wenn auch scheinbar mit einigen Nach113 Zum wichtigen Ziel der Aufteilung und Zuordnung der leges divinae vgl. Thomasius, Institutiones jurisprudentiae divinae (1688), I,2,47f,§§2–5; zum Missfallen der gängigen Dreiteilung bes. aaO. 48,§3: „Communiter inculcatur, quod Lex divina sit vel moralis vel ceremonialis vel forensis. Haec divisio cur nobis dipliceat, diximus alibi.“ In der späteren deutschen Edition wird zusätzlich darauf verwiesen, dass die Zweifel an der Richtigkeit dieser Aufteilung schon in der Disputation De crimine bigamiae (Leipzig 11685) angesprochen wurden, wobei hier vor allem zunächst die Identifikation der lex naturalis mit dem göttlichen Moralgesetz und dem Dekalog problematisiert wurde (vgl. Thomasius, Göttliche Rechtsgelahrtheit, TAW 4, I,2,46,§3 Anm. b)). 114 Einen Überblick über Christian Thomasius’ Vorlesungen über die Gesetzgebung, auch im Kontext der preußischen Justizreformen liefert Lieberwirth, Thomasius und die Gesetzgebung, bes. 176–180. 115 Zum weiten Prudentia-Begriff und deren Lehren im 17. und 18. Jahrhundert vgl. Mohnhaupt, „Prudentia“-Lehren. Aufschlussreich und noch weiter zu vertiefen sind vor allem die Verbindungen zum aristotelischen Verständnis von der phronesis. Vgl. auch schon Thomasius, Institutiones jurisprudentiae divinae (1688), I,1,5,§11, wo die prudentia, „die für die Verschiedenheit menschlicher Handlungen unterschiedliche Namen trägt“ („qvae pro diversitate actionum humanarum varia sortitur nomina“), als ein Synonym für den habitus practicus verstanden wird. 116 Vgl. die Angabe in der Vorrede der Druckfassung aus dem Jahr 1740 in: Thomasius/Stolle, Lectiones de prudentia legislatoria, Praef. f. 2v.
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bearbeitungen,118 eine einzigartige Quelle für einen Einblick in das inhaltliche Fortschreiten in der Vorlesung bietet, tritt diese geschichtliche Dimension in der Rechtslehre dann auch besonders hervor, und hier spielt die Idealvorstellung der mosaischen Gesetzgebung eine wesentliche Rolle. Unterschiede gegenüber den Institutiones jurisprudentiae divinae (1688) deuten sich in der Ablehnung an, dass eine Morallehre sich lediglich dem Wort Gottes entnehmen ließe: Da das Wort Gottes Aussagen über das Moral- und die Naturgesetze, die reinen jüdischen Zivilgesetze, die Zeremonialgesetze und eine christliche Lehre über die höchste und vollkommenste Sittlichkeit enthalte und vermischt darbringe, sollten sie einzeln von ihren Ursprüngen her abgeleitet werden: die Moralaussagen oder die Naturgesetze aus der Moralphilosophie, und 117 Lieberwirth, Thomasius und die Gesetzgebung, 180 hat bereits darauf verwiesen, dass die 12 Kapitel, in die die Vorlesungsmitschrift gegliedert ist, von den 58 Kapiteln, die in der Vorlesungsankündigung angegeben sind, abweichen, aber ihrerseits noch einmal stark untergliedert seien. Deswegen kann Lieberwirth im Wesentlichen eine Entsprechung der Gliederung erkennen. Auch sprechen aber noch zwei weitere Indizien für die Authentizität der Mitschrift: zum einen die Betonung des Herausgebers Gottlieb Stolle, dass die gedruckte Mitschrift mit dem Autograph des „Sokrates Deutschlands“, Christian Thomasius, übereinstimme und er trotz vorhandener Meinungsverschiedenheiten auf seine eigenen Kommentare in dem Druckwerk verzichte, sie aber gesondert herausgeben will: „Unicum adhuc addo, me quamvis in multis imo plerisque Auctoris cogitata approbem, in quibusdam tamen ab eo dissentire docebunt hoc, quas molior, in huncce libellum Annotationes aliquando forte in lucem proditurae. In eo tamen omni studio laboravi, ut omnia heic typis expressa cum avtographo Celeberrimi Viri exacte conveniant, non enim meum est hoc, quod tibi, benevole lector trado, Collegium, sed Germaniae Socratis, hoc est, beati Christiani Thomasii“ (Thomasius/Stolle, Lectiones de prudentia legislatoria, Praef. f. [)(4r–v]). Zum anderen deckt sich über die Entsprechungen in der Gliederung hinaus schon der in der Vorlesungsankündigung zu erkennende argumentative Fortgang (vgl. genauer Thomasius, Erinnerung Wegen zweyer Collegiorum ueber den Andern Theil Seiner Grund-Lehren, Auserlesene deutsche Schriften. Zweiter Teil [1714], TAW 24, 306–316,§16f; 340–345,§§16– 18) relativ genau mit der 1740 von Stolle herausgegebenen Vorlesungsmitschrift: Dies reicht vom allgemeinen didaktischen Verlauf bis zu einzelnen genaueren Punkten, die auch schon Thomasius’ veränderte Auffassungen zum mosaischen Recht zeigen. Zudem berücksichtigt Lieberwirth nicht, dass Thomasius selbst rückblickend darauf verweist, dass er sein vorher festgelegtes Programm der Vorlesung nicht bis zum Schluss durchhalten konnte. Vgl. dazu Thomasius, Erinnerung Wegen seiner kuenfftigen Winter-Lectionen (1702), in: Auserlesene deutsche Schriften. Erster Teil (1705), TAW 23, Anhang, 22: „Das Collegium de prudentia Legislatoria gehet auch zum Ende/ und ich hoffe meinen herren Auditoribus dasjenige darinnen geleistet zu haben/ was ich ihnen in dem vorigen programmate dißfals versprochen/ wiewohl ich von dem 14. Numero des programmatis an biß zum Ende mich in discurs nicht so lange auffhalten können/ als in denen vorhergehenden. Denn von dar an gehen die conclusiones an/ in denen vorhergehenden aber waren die principia enthalten/ bey derer Erklaehrung ein treuer Lehrer sich ohnedem etwas laenger aufhalten soll.“ 118 Auffällig ist z. B., dass in der gedruckten Vorlesungsmitschrift im Fortgang und dem Wortlaut Thomasius’ nach auf Werke wie die Fundamenta juris naturae et gentium (1705) aus späteren Jahren verwiesen wird. Dies sind Äußerungen, die also als Nachträge zur Vorlesung aus dem Jahr 1702 gewertet werden müssen (vgl. z. B. die Vorbemerkung „Notandum est […]“, Thomasius/Stolle, Lectiones de prudentia legislatoria, cap. V,17).
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zwar nicht der aristotelisch-scholastischen, sondern der wahrhaft rationalen (vere rationalis); die reinen jüdischen Zivil- und Zeremonialgesetze aus der historia sacra und den jüdischen Altertümern (antiquitates Judaicae) und die christliche Lehre aus dem Evangelium.119 Auf der einen Seite werden diese rechtlichen Herleitungen von den Ursprüngen von Thomasius dadurch vollzogen, dass z. B. Prinzipien des Naturrechts immanent aus der Willens- und Pflichtenlehre erläutert werden,120 andererseits versucht Thomasius aber auch den rechtlichen Schnittmengen Rechnung zu tragen, die sich im klassischen Fall des Dekalogs dann zeigen, wenn dieses mosaische positive Gesetz mit dem Naturgesetz und der christlichen Lehre übereinstimmt.121 Dies wäre noch mit einer melanchthonianisch-lutherischen Auffassung vermittelbar. Zu bedenken ist hier der besondere Stellenwert, den Luther für Thomasius hatte.122 Nicht damit zu vermitteln ist aber die besondere Aufwertung, die der mosaischen Gesetzgebung von Thomasius verliehen wird – und zwar auf zweifache Weise: Erstens will Thomasius in seinem Vorgehen mit vielfältigen Belegen das Alter, die Weisheit und Vollkommenheit der mosaischen Gesetze nachweisen. Überhaupt sei Mose der erste gewesen, der schriftliche Gesetze an die Öffentlichkeit brachte, und das mosaische Gesetz sei mindestens ein Schimmer christlicher Vollendung, wenngleich es doch noch einmal von den Geboten Christi übertroffen wurde.123 In einem eigenen Kapitel, das bezeichnenderweise den Titel Nullas dari Leges sapientiores Mosaicis trägt und an Josephus anlehnt, wird dann an die Geschichte der ältesten Gesetzgeber der Ägypter, Griechen und Römer angeschlossen. Sogleich wird aber auch hier vorausgesetzt, dass deren Gesetze gegenüber den mosaischen von Ruhmsucht (ambitio) und Habgier (avaritia) geprägt gewesen seien und Mängel trugen.124 Zweitens hängt das vorrangige Interesse Thomasius’ an den mosaischen Gesetzen auch mit den Geltungsfragen zusammen. Dies wird dadurch erkennbar, dass vor allem die politische und 119 120 121 122
Vgl. aaO., VII,67,§28. Vgl. bes. aaO., V,22ff,§18ff. Vgl. aaO., V,37f,§92; 40,§99. Auch in der Vorlesungsmitschrift wird beispielsweise die Bibelübersetzung Luthers für die Laien positiv hervorgehoben (vgl. VIII,78,§4). 123 „Ergo primus Moses leges scriptas publicavit […]“ (aaO., VII,57,§1). Gerade angesichts des miserablen Zustands der Statuten und Gesetze christlicher Staaten wird die Respublica Israelitica zum Vergleichspunkt: „Communiter dicimus & recte: Legem Mosaicam saltem esse umbram perfectionis Christianae. Interim si statum Rerumpublicarum Christianarum conferamus cum Respublica Israelitica, deprehendimus, nullam Rempublicam miserioribus statuis & legibus esses instructam, quam Respublicas Christianas. […]“ (aaO., X,122,§1; vgl. IX,95,§1). Zur Überbietung der mosaischen Gesetze durch die Gebote Christi („Praecepta Christi fuisse longe perfectiora Legibus Mosaicis“), wenngleich daran festgehalten wird, dass Christus nicht als neuer Gesetzgeber (novus legislator) verstanden werden könne, vgl. aaO., X,127,§§12f. 124 Vgl. aaO., IX,95f,§2; 99,§8.
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moralische Bedeutung der mosaischen Gesetze in den Mittelpunkt rückt.125 Diesen Gesetzen eine politische Bedeutung abzugewinnen, setze zunächst aber vor allem voraus, sie in eine neue rechte Ordnung zu bringen. Dadurch erklärt sich auch die ausführliche Behandlung der Methoden zur Einteilung der Gesetze des Mose in der Vorlesung. In beiden Fällen, also in den Darlegung zum Alter und zur Weisheit der mosaischen Gesetze und der Einteilungsmethodik, pocht Thomasius darauf, dass er etwas Neues schaffe,126 unverkennbar ist aber, dass er dabei neben den antiken Quellen fast das gesamte, uns mittlerweile vertraute Spektrum der frühneuzeitlichen Literatur zu diesem Thema kritisch unter die Lupe nimmt: So erfolgt Thomasius’ eigener Ansatz in der Disposition der mosaischen Gesetze erst, nachdem vorher die Ansätze jüdischer Gelehrter, der christlichen Theologen und Juristen kritisch gewürdigt wurden. Dabei wird die talmudische Zählung von 613 Geboten und Verboten der Thora, wie sie Josua Arnd, Simon Episcopius oder Johann Heinrich Hottinger der jüdischen Auslegung folgend dargestellt hätten,127 ebenso zurückgewiesen wie die gängige Dreiteilung des Gesetzes Moses in Moral-, Zeremonial- und Judizialgesetze mit ihren Mischformen in der christlichen Theologie. Thomasius zeigt sich auch mit den Ansätzen der humanistischen Jurisprudenz vertraut, die sich auf eine Zusammenstellung der politischen bzw. forensischen Gesetze des Mose konzentrierten und den Vergleich mit dem römischen Recht oder anderen Rechtsquellen suchten: Hier wird zunächst die fehlende Ordnung der antiken Collatio legum Mosaicarum et Romanarum bemängelt, aber auch an die späteren Kollationen des Juristen Johann Kahl (Calvinus) und des Herborner Kirchenmannes Wilhelm Zepper angeschlossen, um letztlich doch an die Unabgeschlossenheit ihrer Ansätze zu erinnern.128 In der 125 Entsprechend lasse sich der Dekalog auch eher noch zu den politischen und gerichtlichen Gesetzen zählen (vgl. aaO., VII,70,§32). Alle Gesetze des Mose könnten gleichfalls als moralische und politische Gesetze verstanden werden (vgl. aaO., VII,73,§37). 126 Dabei können gerade bisherige Versuche der heidnischen Philosophie und „Papisten“ als unzulänglich zurückgewiesen werden: „Qui igitur sapientiam divinam in Lege Mosaica rite scrutari vult, quod hactenus, quantum scio, nemo fecit; eum oportet eas non sparsim singulas considerare, ut communiter Glossatores faciunt in libros Mosaicos, nec exscribere aut colligere sententias aliorum praejudiciis philosophiae gentilis & papismi infectorum, ut quae tantum confundunt, nec comparare statim cum aliis legibus: quomodo enim juste hoc fieri potest, si ipse nondum calleam prudentiam Legum Mosaicarum; sed sepositis glossis, ac rejectis praejudiciis philosophiae gentilis & papisticae, Leges Mosaicas juste disponere, tum earum nexum ac rationes politicas probe considerare“ (aaO., VII,72,§35). Vgl. auch den Anfang zum Kap. VIII. De praestantia Legum Mosaicarum: „Tractarunt hoc argumentum pauci […]“ (aaO., VIII,75,§1), wobei gleichwohl direkt im Anschluss auf neuere Werke zu diesem Thema Bezug genommen wird. Thomasius kann auch zugleich darauf verweisen, dass er in seinem Vorgehen keine Vorgänger habe, er aber angesichts der Schwierigkeit der Sachlage sich doch immerhin als Wegbereiter erweise (vgl. aaO., VIII,78,§5). 127 Vgl. aaO., VII,58f,§5f, wo fälschlicherweise von Joseph Arnd die Rede ist. 128 „[… Jurisconsul]ti nullum ordinem servarunt, ut apparet ex collatione legum Mosaicarum
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Summe ist für Thomasius keiner der drei methodischen Ansätze von Juden, christlichen Theologen und Rechtsgelehrten zur Disposition der mosaischen Gesetze gerechtfertigt, denn man habe es vor allem mit dem Problem zu tun, dass in den Gesetzen Moses selbst keine Ordnung herrsche, die Gebote vermischt seien, teils durch geschichtliche Einstreuungen unterbrochen oder gar wiederholt würden.129 Für Thomasius wird eine solche Unordnung der mosaischen Gesetze letztlich aber doch durch ihre gemeinsame Ausrichtung auf das Politische und die Moral zusammengehalten. Alle Gesetze des Mose seien doch am besten als politisch aufzufassen und dienten einst der sittlichen Besserung des jüdischen Volkes, das in Ägypten in einen vollkommenen Sittenverfall geraten war.130 Vorausgesetzt wird ein zweifaches Gesetz Moses: einmal eine Art Vernunftgesetz, das nur wenige Gebote für die eigentliche Gottesverehrung kannte, und dann ein Kultgesetz, das als Reaktion auf den Götzendienst des jüdischen Volkes in Ägypten entstanden war.131 Diese Ansicht wird nicht etwa biblisch begründet, sondern aus John Spencers Werk De legibus Hebraeorum ritualibus et earum rationibus libri III übernommen. Thomasius’ grundlegende Unterscheidung zwischen gemeinen Ruffini, item ex alia collatione, quae invenitur parte tertia Manualis Arndiani, vel secundum Decalogi ordinem *) Leges etiam Forenses ordinarunt, ut fecit Johannes Calvinus in Themide Hebraeo-Romana, qua in re praeeuntem habuit Wilhelmum Zepperum, Ecclesiasten Herbornensem in LL. Mosaicarum forensium explanatione: vel sequunter ordinem Institutionum ut Paulus Voetius in Comment. ad Inst. vel Pandectarum, & ordinem edicti perpetui, ut Abraham Sauer in legibus politicis divinis. §.32 Jam uti sola haec recensio satis indicat, in hac methodo multa desideranda esse, ita fuit etiam intentio non ordinare omnes leges Mosaicas, sed saltem forenses & politicas, easque comparare cum Legibus Romanis & aliarum gentium […]“ (aaO., VII,69f,§31f). An der mit *) versehenen Stelle verweist Thomasius auf die Orientierung der Theologen am Dekalog für Gebotszusammenstellungen in den betreffenden dogmatischen Loci und vermutet, dass hier Philo mit seinen betreffenden Werken De Decalogo und De specialibus legibus der eigentliche Vorläufer gewesen sei. Darüber hinaus folgt Thomasius offenbar der in seiner Zeit immer noch verbreiteten Meinung, dass Rufinus von Aquileia (um 345–411/12 n. Chr.) der Verfasser der Collatio Legum Mosaicarum et Romanarum gewesen sei (siehe bereits Abschn. 3.1.2). Zu den betreffenden Werken aus dem 16. Jahrhundert von Johann Kahl, Wilhelm Zepper und Abraham Sauer, der die Leges politicae François Ragueaus umarbeitete, siehe bereits Abschn. 3.2. Auf das viel später veröffentlichte Manuale legum mosaicarum (1666) Josua Arnds bezieht sich Thomasius mehrfach in der Vorlesungsmitschrift und mit Paul Voetius (1619–1667) ist der Sohn des bekannteren reformiert-orthodoxen Theologen Gisbert Voetius (1589–1676) gemeint, der als Philosoph und an der Universität Utrecht wirkender Rechtsprofessor vor allem Bedeutung für die Privatrechtsgeschichte erlangte (vgl. Kuyk, Art. Voet; Jöcher 4 [1751], 1689). Ein Jahr vor seinem Tod erschien Paul Voetius, In quatuor libros institutionum imperialium commentarius, ubi Juris Civilis tum Antiqui, tum Novi cum Divino, Forensi, Canonico & Feudali in multis collatio instituitur, 2 Tle., Utrecht 1668, auf das Thomasius hier Bezug nimmt. 129 Vgl. Thomasius/Stolle, Lectiones de prudentia legislatoria, VII,70f,§33. 130 Siehe bereits Anm. 125 in diesem Kapitel. 131 Thomasius/Stolle, Lectiones de prudentia legislatoria, VII,57,§2.
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und partikularen politischen Gesetzen erinnert dabei zunächst noch an die des reformierten Theologen Franciscus Junius.132 Thomasius kommt aber doch zu einer eigenen Einteilung von Gesetzesklassen, die einem Gang vom inneren Geist und Willen des Menschen über sein Äußeres bzw. seinen Körper bis in die äußeren Bereiche von Haus und politischer Gemeinschaft entspricht.133 In einem weiteren Schritt wird die Wahrnehmung der Gesetze Moses als politische Gesetze mit der Vorstellung einer respublica Theocratica, an deren Spitze Gott steht, vermittelt. Eine Diskussion über die Geltung der mosaischen Gesetze scheint also erst wirklich dadurch für Thomasius gerechtfertigt zu sein, dass mit dem mosaischen Gemeinwesen (respublica Mosaica) ein rechtlich-politischer Idealzustand in der Geschichte erreicht wurde, der auch weiterhin zur politischen und moralischen Orientierung dienen kann. Er nimmt damit den Theokratiebegriff des Flavius Josephus auf und versteht ihn wie jener in einem Zusammenhang mit dem Zustand des jüdischen Gemeinwesens unter Mose, das sich unter der Herrschaft Gottes im Einklang mit seinen Gesetzen befand. Ausdrücklich wird hier an die Werke De republica Hebraeorum Carlo Sigonios und Petrus Cunaeus’ angeschlossen, wenn die mit Mose einsetzende Theokratie als einzigartige Staatsform zum Thema wird. Sigonio und Cunaeus werden dabei in eine Reihe mit den späteren Autoren des 17. Jahrhunderts John Selden, Wilhelm Schickard, John Spencer, aber auch dem Jenaer Historiker Johann Andreas Bose (1626–1674) und dem Philosophen Heinrich Kipping (1623–1678) mit dessen widersprechenden Argumenten gestellt.134 Die beiden letzten Autoren hatten auf 132 Siehe dazu oben, Abschn. 4.3. Thomasius teilt mit calvinistisch-reformierten Theologen wie Franciscus Junius oder Wilhelm Zepper zumindest auch das Anliegen, anschließend an Theodor Beza, die ethische Dimension der mosaischen Gesetze in den Mittelpunkt zu stellen und von daher auch die Geltungsfragen zu den politischen Gesetzen Moses neu zu beantworten. 133 Vgl. Thomasius/Stolle, Lectiones de prudentia legislatoria, VII,73f,§38–49. 134 „§.7. Interim nec illud dissitendum est, quamcunque est his Rerumpublicarum formis alteri praeferas, omnibus illis praeferendam esse Theocratiam status Mosaici, cujus praestantiam & stucturam eleganti dissertatione exposuit Spencerus in Tractatu de LL. Ebraeorum ritualibus. Confer Sigonium & Cunaeum de Republica Hebraeorum. Bosium in Introduct. ad notitiam Rerumpubl. c.30.§.51.seq. §.8. Quare quamprimum ab illa structura Reipublicae Israeliticae a Mose instituta abibant Israelitae, & Regem sibi eligebant, multum turbabatur illa connexio Reipubl[icae] Mosaicae, praeprimis cum Ieroboamus cultum Leviticum & Institutum a Salomone jussu divino cultum templi Hierosolymitani abjiceret, & populum Israeliticum a populo Judaico separaret, ac Regnum absolutum meditaretur. §.9. In Populo Israelitico quidem mansit aliquo modo forma Theocratica, cum Rex multis modis adhuc subesset Synedrio & sacerdotibus (vid. Seldenum de Synedrio Hebr. Schickard. de Jure Regio Hebr. Spencerum d. dissert. Ex quibus facile responderi poterit ad argumenta dissentientis Kippingii Instit. Polit. lib. 1 cap. 12.): sed & hic tamen fere perpetuae erant collisiones inter Reges Judae affectantes summam potestatem & sacerdotium“ (aaO., X,125f,§§7–9). Vergleichbar mit dem rechtsgeschichtlichen Ansatz der Werke De republica Hebraeorum Sigonios und Cunaeus’ geht es Thomasius also darum, die weitere Entwicklung
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ihre Weise bereits die Diskurse ihrer Vorgänger gebündelt und deuten auf die bisher wenig wahrgenommenen Auseinandersetzungen unter deutschen Gelehrten hin.135 Auch im Fall von Thomasius’ Rezeption der genannten Schriften ist der spezifisch deutsche Kontext zu beachten. So wird der Theokratiebegriff nach Josephus im Zusammenhang mit dem Idealzustand der respublica Mosaica nach der Vorlesungsmitschrift gerade in Kapitel X. über den „erbärmlichsten Zustand der Gesetzgebungsklugheit in Deutschland“ (Status miserrimus Prudentiae Legislatoriae in Germania) entfaltet. Dies geschieht, nachdem Thomasius am Ende des vorherigen Kapitels im Gang durch die Geschichte der Gesetzgebungen zu dem Urteil gekommen war, dass sich kein Gemeinwesen (respublica) in seinen Sitten und Strukturen der Weisheit Moses jemals mehr angenähert habe als das der alten Germanen.136 Am Ende von diesen Ausführungen stehen aber keine Übertragungsversuche einer mosaischen Verfassung des Staates (status reipublicae Mosaicae) durch einen gegenwärtigen christlichen Fürsten.137 Gerade hier grenzt sich Thomasius vehement von Wilhelm Zepper ab und stellt sich auf die Seite eines Hugo Grotius, der es der Freiheit eines christlichen Fürsten überlassen habe, die Gesetze im Sinne der mosaischen Gesetze zu erlassen.138 Entsprechend wird eine wahre politische Lehre (doctrina verae politices) profiliert, die sich nicht im römischen Recht erschöpft, aber auch keine allgemeinen Ableitungsregeln aus dem mosaischen Recht formuliert.139 Dies deutet damit alles eher auf eine Art indirekte politische Vorbildhaftigkeit der mosaischen Gesetze hin. Die Mitschrift zu Thomasius’ Vorlesung über die prudentia legislatoria gibt in dem reichen Spektrum der von ihm verwendeten Literatur einen Eindruck von
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der respublica Mosaica darzulegen. So folgt dann auch noch ein kurzer Abriss ihrer Geschichte bis zur Ankunft Christi (aaO. 126f,§§10–13). Thomasius bezieht sich hier des Weiteren auf John Seldens Werk De synedriis & praefecturis iuridicis veterum Ebraeorum libri tres (1650–1655), John Spencers Hauptwerk De legibus Hebraeorum ritualibus et earum rationibus libri tres (1685) und Wilhelm Schickards Schrift משפט המלך. Jus regium Hebraeorum e tenebris rabbinicis erutum & luci donatum (1625). Eine breite vergleichende Studie über die Lehren der göttlichen und mosaischen Gesetze im 17. Jahrhundert allein für den deutschen Sprachraum, die auch die Eigenarten juristischer und theologischer Argumentation in den Blick nimmt und nach konfessionellen und transkonfessionellen Aspekten fragt, stellt ein Desiderat der Forschung dar. Hinzuzunehmen sind z. B. die Dissertationen und Dissertationensammlungen, die bisher vernachlässigt wurden. Zu den spezifischen Kontexten des Heiligen Römischen Reiches siehe bereits Abschn. 3.3.3.1. „§.42. Porro si verum fateri volumus, nullam quidem Rempubl[icam] deprehendere licet, cujus mores & structura propius accedat ad Prudentiam Mosaicam, quam veterum Germanorum […]“ (Thomasius/Stolle, Lectiones de prudentia legislatoria, IX,121,§42). Vgl. aaO., XI,155f,§26. Vgl. aaO. 156f,§27f. Vgl. das abschließende Kapitel XII. Regulae prudentiae legislatoriae (aaO., 161–166), wo die Gesetze Moses keine spezifische Berücksichtigung mehr finden.
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den im 17. Jahrhundert andauernden Debatten unter Gelehrten unterschiedlicher Provenienz über die Geltung und politische Relevanz der mosaischen Gesetze. Doch trotz dieser einschlägigen Werke des 17. Jahrhunderts zeugen Thomasius’ eigene Äußerungen und seine Rezeptionen davon, dass diese Debatten über die mosaischen Gesetze im 16. Jahrhundert ihren entscheidenden Anfang genommen haben. Die frühen Autoren der politia-judaica-Literatur wie beispielsweise Carlo Sigonio, Wilhelm Zepper bis hin zu Petrus Cunaeus, der dann am Anfang des 17. Jahrhunderts sein entscheidendes Werk verfasste, sind Thomasius bestens bekannt gewesen und von ihm auch rezipiert worden. Auf der anderen Seite aber verdeutlicht auch Christian Thomasius als Beispiel wiederum die Schwierigkeit einer abschließenden Bilanzierung von konfessionellen Eigenarten für das 17. Jahrhundert. Er fügt sich zwar insgesamt in die mehrheitlich protestantische Reihe von Autoren ein, unter denen die politiajudaica-Literatur ihre Wirkmächtigkeit entfaltete. Auf der anderen Seite hatte aber auch Thomasius keine Schwierigkeiten damit, römisch-katholische Autoren wie Carlo Sigonio zu zitieren oder gar lobend zu erwähnen, wie das Beispiel des katholischen Kirchenhistorikers Abbé Claude Fleury140 zeigt, auf den bereits am Anfang dieses Ausblicks Bezug genommen wurde. Im Vordergrund solcher lobenden Bemerkungen steht dabei auch bei ihm die Gelehrtheit der jeweiligen Autoren. Und diese Gelehrtheit stand vor allem im Zusammenhang mit der humanistischen Jurisprudenz und Historiographie, die für die politia-judaicaLiteratur von Anfang an entscheidend waren. Im 17. Jahrhundert schließlich wurde auch die aufblühende christliche Hebraistik ein zunehmend wichtigerer Einflussfaktor. Die Geschichte der politia-judaica-Literatur begann aber allgemein mit einer außerordentlichen Wertschätzung der mosaischen Gesetzgebung unter humanistischen Gelehrten, die vor allem die außerbiblischen antiken Traditionen über Mose neu miteinbezogen und mit dem Bibeltext zu vermitteln suchten. Mit seiner Arbeit über die Gesetzgebungsklugheit hält Thomasius auch noch Anschluss an diese Tradition, nimmt aber doch zugleich auch mit Vordenkern wie Thomas Hobbes, James Harrington und Baruch de Spinoza zusammen in einem entscheidenden Punkt Abstand davon: Nicht mehr das Gemeinwesen unter Mose mit seinen Gesetzen als Rechtsvorbild, sondern als politische Lehre und Modell wurde für sie entscheidend. Die rechtlichen Grundlagen der politia-judaica-Literatur wurden auf diese Weise sowohl „säkularisiert“ als auch zugleich politisch genutzt.
140 Vgl. aaO., VIII,75f,§1f.
Abkürzungsverzeichnis (mit Quellen, Quelleneditionen, Bibliographien und Lexika)
Titel einzelner Schriften aus den Quelleneditionen, die unten mit Abkürzung aufgeführt sind, werden jeweils nur bei Erstnennung in den Fußnoten angegeben. Abschn.: Abtl.: ADB:
Abschnitt Abteilung Allgemeine Deutsche Biographie. Auf Veranlassung und mit Unterstützung Seiner Majestät des Königs von Bayern Maximilian II. hg. durch die Historische Commission bei der Königl. Akademie der Wissenschaften, 56 Bd. mit Nachträgen u. Generalregister, Leipzig 1875–1912 (Neudr. 1967–1971). Aufl.: Auflage Ausg.: Ausgabe Bd.: Band/Bände BDS: Martini Buceri Opera Omnia, Series I: Deutsche Schriften, hg. v. Robert Stupperich u. a., Bd. 1ff, Gütersloh 1960ff. Bekenntnisse: Bekenntnisse der Kirche. Bekenntnistexte aus zwanzig Jahrhunderten. Hg. v. Hans Steubing in Zusammenarbeit mit J.F. Gerhard Goeters, Heinrich Karpp und Erwin Mühlhaupt, Wuppertal 1985. Beza, Corresp.: Correspondance de Théodore de Bèze, hg. v. Hippolyte Aubert u. a., Bd. 1ff, THR 40ff, Genf 1960ff. bes.: besonders BOL: Martini Buceri Opera Omnia, Series II: Opera Latina, hg. v. François Wendel u. a., Bd. 1ff, Leiden 1982ff; Bd. 15,1–2, Paris/Gütersloh 1955. C.: Corpus Iuris Civilis, Bd. 2: Codex Iustinianus, 151970. CO: Corpus Reformatorum, Bd. 29–87: Ioannis Calvini opera quae supersunt omnia, hg. v. Wilhelm Baum/Eduard Kunitz/Eduard Reuss, Braunschweig 1869–1896. Coll.: Edition der Collatio legum Mosaicarum et Romanarum in: Robert M. Frakes, Compiling the Collatio Legum Mosaicarum et Romanarum in Late Antiquity (Oxford Studies in Roman Society and Law), Oxford 2013 (Neudr. d. Ausg. Oxford 2011), 157–201/241.
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Abkürzungsverzeichnis (mit Quellen, Quelleneditionen, Bibliographien und Lexika)
CR:
Corpus Reformatorum, Bd. 1–28: Philippi Melanthonis opera quae supersunt omnia, hg. v. Karl Gottlieb Bretschneider/Heinrich Ernst Bindseil, Halle a. d. Saale/Braunschweig 1834–1860. Calvin Studienausgabe, hg. v. Eberhard Busch/Alasdair Heron/ Christian Link u. a., Bd. 1ff, Neukirchen-Vluyn 1994ff Corpus Iuris Civilis, Bd. 1: Digesta, 221973. Dissertation editio Enciclopedia Cattolica, 12 Bd., Vatikanstadt 1948–1954. Enciclopedia Italiana, 35 Bd., 1 Bd. Index, 3 Bd. Suppl., Rom 1929–49. erweitert Beschreibendes Verzeichnis der gedruckten Werke von Heinrich Bullinger, bearb. v. Joachim Staedtke, HBW Abtl. 1: Bibliographie, Bd. 1ff, Zürich 1972ff. Heinrich Bullinger. Schriften. Im Auftrag des Zwinglivereins u. in Zusammenarb. mit Hans Ulrich Bächtold, hg. v. Emidio Campi, Bd. 1ff, Zürich 2006ff. Heinrich Bullinger. Werke, hg. v. Joachim Staedtke/Fritz Büsser/ Emidio Campi, 3 Abtl., Bd. 1ff, Zürich 1972ff. insgesamt Johannes Calvin, Institutio Christianae religionis, Genf 1559, in: OS, Bd. III–V. Herbert Jaumann, Bio-bibliographisches Repertorium, Berlin 2004. Christian Gottlieb Jöcher, Allgemeines Gelehrten-Lexicon, Darinne die Gelehrten aller Stände sowohl männ- als weiblichen Geschlechts, welche vom Anfange der Welt bis auf die ietzige Zeit gelebt, und sich der gelehrten Welt bekannt gemacht, Nach ihrer Geburt, Leben, merckwürdigen Geschichten, Absterben und Schrifften aus den glaubwürdigsten Scribenten in alphabetischer Ordnung beschrieben werden, 4 Bd., 7 ErgBd., Hildesheim 1960/61 (unv. Nachdr. d. Ausg. Leipzig 1750–1897). Frank Hieronymus, Griechischer Geist aus Basler Pressen. Katalog der frühen griechischen Drucke aus Basel in Text und Bild, hg. u. für das Internet aufbereitet v. Christoph Schneider u. Benedikt Vögeli unter Mitarb. v. Andres von Arx/Andreas Bigger u. a., Basel 2011. Kritische Gesamtausgabe der Schriften und Briefe Andreas Bodensteins von Karlstadt, hg. v. Thomas Kaufmann u. a., Tl. 1ff, QFRG 90ff, Göttingen 2017ff. Melanchthons Briefwechsel: Kritische und kommentierte Gesamtausgabe im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, hg. u. bearb. v. Heinz Scheible u. a., Bd. 1ff, Stuttgart 1991ff — Texte — Regesten. Melanchthons Werke in Auswahl, hg. v. Robert Stupperich, 7 Bd., Gütersloh 1951–75; teilw. in 2. Aufl. 1978–83. Corpus Iuris Civilis, Bd. 3: Novellae, 101972
CStA: D.: Diss.: ed.: Enc. Cat.: Enc. Ital.: erw.: HBBibl.:
HBS:
HBW: insg.: Inst.: Jaumann: Jöcher:
Katalog GG:
KGK
MBW.T: MBW.R: MWA: N.:
Abkürzungsverzeichnis (mit Quellen, Quelleneditionen, Bibliographien und Lexika)
NDB: NNBW: Nr.: OS: Pol.:
Pol. 1603:
RGG: TAW: teilw.: s.a.: s.l.: sog.: u.: u. a.: übers.: übertr.: unv.: u. ö.: v. a.: WA: WA.BR: WA.DB: WA.TR: Z: zit.:
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Neue Deutsche Biographie, hg. v. der Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 1ff, Berlin 1953ff. Nieuw Nederlandsch Biografisch Woordenboek, hg. v. Philipp Christiaan Molhuysen/Petrus Johannes Blok, 10 Bd., Leiden 1911–1937. Nummer Joannis Calvini opera selecta, hg. v. Peter Barth/Wilhelm Niesel/ Dora Scheuner, 5 Bd., München 1926–1936. Johannes Althusius, Politica methodice digesta atque exemplis sacris et profanis illustrata. Cui in fine adiuncta est Oratio panegyrica de utilitate, necessitate et antiquitate scholarum, Herborn 31614. Johannes Althusius, Politica methodice digesta et exemplis sacris et profanis illustrata. Cui in fine adiuncta est Oratio panegyrica de utilitate, necessitate et antiquitate scholarum, Herborn 1603. Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, 9 Bd., Tübingen 41998–2007. Christian Thomasius. Ausgewählte Werke, hg. v. Werner Schneiders, Neudr. Hildesheim u. a. 1993ff. teilweise sine anno sine loco sogenannte/r und (nur in bibliographischen Angaben und teilw. in Fußnotenverweisen) unter anderem übersetzt übertragen unverändert und öfter vor allem D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Weimar 1883ff. — Schriften Luthers — Briefwechsel — Deutsche Bibel — Tischreden. Corpus Reformatorum, Bd. 88–101: Huldreich Zwinglis Sämtliche Werke […], hg. v. Emil Egli u. a., Berlin/Zürich 1905–1959. zitiert
Literatur
Abgekürzt wird nach Siegfried M. Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete. Zeitschriften, Serien, Lexika, Quellenwerke mit bibliographischen Angaben, Berlin 32014. Weitere Abkürzungen sind oben im Abkürzungsverzeichnis aufgeführt. Das Quellenverzeichnis enthält nur Titel, die in der Arbeit ausführlich behandelt werden, ansonsten erfolgen vollständige Titelangaben in den Fußnoten. Die Schreibweise der Titel der frühneuzeitlichen Druckwerke wurde nur geringfügig angepasst, Kursivschreibung wird nicht beachtet. Bei mehrfachem Verweis auf einen Quellen- oder Sammelband wird eine verkürzte Angabe gemacht.
1.
Antike Quellen
Abkürzungen im Text nach: Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, Stuttgart/ Weimar 1996ff und Thesaurus Linguae Latinae, Leipzig 51990. Apokalypsen. Das 4. Buch Esra, Josef Schreiner (Hg.), JSHRZ, Bd. 5, Lfg. 4, Gütersloh 1981. Augustinus, Aurelius, Aurelii Augustini Opera, Pars 14,1–2: Sancti Aurelii Augustini De Civitate Dei. Libri 11–22. Ad fidem quartae editionis Teubnerianae quam a. MCMXXVIII–MCMXXIX curaverunt Bernardus Dopmbart et Alphonsus Kalb, CChr.SL 47–48, Turnhout 1955. Cicero, Marcus Tullius, De legibus. Paradoxa Stoicorum/Über die Gesetze. Stoische Paradoxien. Lateinisch und deutsch. Hg., übers. u. erläutert v. Rainer Nickel, Sammlung Tusculum, München u. a. 32004. Clemens von Alexandrien, Stromata Buch I–VI, Clemens Alexandrinus, Bd. 2, in dritter Aufl. neu hg. v. Ludwig Früchtel, GCS 52, Berlin 31960. Corpus Iuris. Eine Auswahl der Rechtsgrundsätze der Antike. Übers. u. mit dem Urtext hg. v. Rudolf Düll, München 21960.
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Literatur
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2.
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Sonstige Quellen
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Darneben sind auch bey einem jeden capitel hinzügesetzt allerhand nutzliche notwendige lehren, Herborn 1602–1604. ΤΗΣ ΘΕΙΑΣ ΓΡΑΦΗΣ, ΠΑΛΑΙΑΣ ΔΗΛΑΔΗ ΚΑΙ ΝΕΑΣ ΔΙΑΘΗΚΗΣ, ΑΠΑΝΤΑ. Divinae Scripturae, Veteris ac Novi Testamenti, omnia, innumeris locis nunc demum, & optimorum librorum collatione, & doctorum virorum opera, multo quam unquam antea emendatiora, in lucem edita, Basel 1545. Tremellius, Immanuel/Junius, Franciscus, Testamenti veteris Biblia sacra sive libri canonici priscae Iudaeorum Ecclesiae a Deo traditi, Latini recens ex Hebraeo facti, brevibusque scholiis illustrati ab Immanuele Tremellio & Francisco Iunio: accesserunt libri qui vulgo dicuntur apocryphi, Latine redditi & notis quibusdam aucti a Francisco Junio, multo omnes quam ante emendatius editi, numeris locisque citatis omnibus capitum distinctioni quam haec editio sequitur, exactius respondentibus: quibus etiam adjunximus novi Testamenti libros ex sermone Syriaco ab eodem Tremellio in Latinum conversos, London 1580. Ugolino, Blasio, Thesaurus antiquitatum sacrarum complectens selectissima clarissimorum virorum opuscula, in quibus veterum Hebraeorum mores, leges, instituta, ritus sacri, et civiles illustrantur: Opus Ad illustrationem utriusque Testamenti, & ad Philologicam Sacram, & profanam utilissimum, maximeque necessarium, 34 Bd., Venedig 1744–1769. Vatable, François/Bertram, Bonaventure Corneille, Biblia sacra. Hebraice, Graece, & Latine. Latina interpretatio duplex est, altera vetus, altera noua; cum annotationibus Francisci Vatabli Hebraice linguae Lutetiae quondam professoris Regij. Omnia cum editione Complutensi diligenter collata, additis in margine, quos Vatablus in suis annotationibus nonnun quam omiserat, idiotismis, verborumque difficiliorum radicibus, [Heidelberg] 1586.
3.
Sonstige Quellen
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Literatur
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Register
Namensregister Im Register werden keine Namen von Ländern erfasst. Alle Namen von Personen im Fließtext werden aufgeführt. Namen von Personen in den Fußnoten werden nur insoweit sicher erfasst, wenn die Personen vor dem 18. Jahrhundert gelebt haben. Aaron 284, 326 f, 334, 418 f Abaris 96 Abel 279 Aberdeen 251 f Abidenus 79 Abrabanel, Rabbi Isaak ben Judah 377 Abraham 16, 48, 52, 60, 101 f, 145, 150 f, 183, 190, 232, 286, 295, 326 f, 379, 395, 418, 434 Acusilaus 79 Adam 122, 151 f, 196, 281 f, 293, 295, 317, 379 Africanus s. Iulius Africanus, Sextus Aglaophamos 73, 77, 96 Agricola, Johannes 128 f Albrecht, Michael 427 Alcalá 302 Alciato, Andrea 221, 224 Aldrovandi, Ulisse 299 Alemanno, Johanan 86 Alexandria/Alexandrien 57, 59 f, 62, 280, s. auch Chaeremon von Alexandrien, Clemens von Alexandriner, Philo von Alexandrien Allstedt 115 Alpheus 79
Altdorf 48, 137, 139, 336 Altenburg 335 Althusius, Johannes 38, 349, 357, 359, 363– 368 Ambrogini (gen. Poliziano), Angelo 133 Ambrosius von Mailand 378 Amerbach, Basilius 66 Amram 326 f Amsterdam 48, 185, 385, 426 Angers 221 Antiochus IV. Epiphanes 61, 360 Antiochus VII. 58 f Anton von Bourbon 227 Antwerpen 302, 347 Apamea s. Numenius von Apamea Apion 57, 62, 79 f, 396 Apollon 164 Arcadius (Charisius), Aurelius 259 f Argus 72, 159 Aristaeus 79 Aristides 133 Aristobolus (Aristobulos) 79 f Aristophanes 79, 378, 393 Aristoteles 77, 80, 86, 89, 93, 131, 142, 179, 190 f, 229, 282 f, 307–309, 311–315, 328, 373, 393, 405
478 Arnd (Arndt), Josua 270, 433 f Arnisaeus, Henning 334 Arras 226 Arsakes 58 Artapanus (Artapanos) 59, 78 f, 160 Assmann, Jan 17, 56 Asulanus, Andreas 301 Athen 160, 170, 294, 309 Atlas 72 Augsburg 65, 129, 173 f, 320, 332 Augustin(us), Aurelius 39, 70, 72, 74, 77, 95, 150, 152, 164, 175, 178, 181, 183, 185, 194 f, 262, 293 f, 296 f, 307 f, 313, 315, 328, 350, 378, 393, 405 Bachen, Bartel 111 Backus, Irena 142 Bacon, Francis 27 Bakenrenef (König) 57 Bar Kochba, Simon 57 Barnimus X. (pommerscher Fürst) 323 Bartolucci, Guido 292, 299 f Basel 65 f, 87, 113, 176, 192, 198, 200, 302, 327 f, 332 Baudouin, François 47, 204, 222, 225–231, 234, 293 Baxter, Richard 344 Bayle, Pierre 422 Bechai, Rabbi ben Joseph 377 Becon, Thomas 340 Bellamy, John 369 Bellius, Martin (Pseudonym) 199, 213 Benici, Tommaso 74 Benivieni, Girolamo 87 Bern 168, 187 Bernhard von Clairvaux 164 Bernhardi, Martin 428 Berosus 79 f Bertram(us, Bertrand), Corneille (Cornelius) Bonaventure (Bonaventurus) 24, 27, 30, 46–48, 208, 223 f, 232, 271–290, 293, 296 f, 299, 322, 324, 329, 335 f, 341, 344–346, 387, 389, 391–395, 410, 417, 420 Berwickshire 369 Beyerhaus, Gisbert 186–188
Namensregister
Beza (Bèze), Theodor (von) (Théodore de) 49, 180, 187, 192, 199, 202, 207–218, 220, 234, 238 f, 245, 248–251, 263 f, 266–269, 272–278, 341 f, 345, 347–349, 360, 362, 366, 368, 374, 384, 400, 409 f, 435 Bezold, Friedrich von 236 Blacketer, Raymond 203 f Bodenstein von Karlstadt, Andreas 21, 52, 104 f, 109–113, 115, 121–124, 127, 129, 219, 363 Bodin, Jean 24, 47, 225 f, 230–234, 272, 293, 313, 334, 367 Boer, Erik de 203–205 Bogislaw XIV. (pommerscher Fürst) 321 Bokchoris s. Bakenrenefs (König) Bologna 46 f, 85, 223, 291–293, 315, 319, 327 Bolton Percy (North Yorkshire) 344 Boreel (Borelius), Johann(es) 392 Borrhaus (Cellarius), Martin 198 Bose, Johann Andreas 435 Bossert, Gustav 113 Bourges 180, 207, 221–223, 227, 240 f, 263, 349 Bremen 368 Bremgarten 148 Brenz, Johannes 346 Brixen 113 Brown, Alison 22, 67 f, 106 Bruni, Leonardo 308 Brylinger, Nicolaus 302 f Bubenheimer, Ulrich 111 f Bucer, Martin 134 f, 150, 162 f, 165–182, 187, 190, 198, 219 f, 262, 275, 362, 368, 409 Buchanan, George 252 Budé, Guillaume 221, 226, 230, 272 Bullinger, Heinrich 141 f, 147–162, 177, 181, 190, 198, 206–208, 217–219, 262, 275 f, 339, 362, 374, 409 Bunny, Edmund 341, 343–346 Burgund 207 Buxtorf d.Ä., Johann(es) 45, 377 f Caesarea s. Euseb von Caesarea Cahors 224, 272 f
479
Namensregister
Cairns, John 251, 253 Caligula, Gaius (Kaiser) 60 f Callistratus (röm. Jurist) 259 f Calov, Abraham 48, 334 Calvin, Johannes (Jean) 47, 49, 75, 134, 142, 147, 180–209, 211–213, 217 f, 220, 227, 238 f, 242, 245, 250, 262–264, 272 f, 278, 333, 340–342, 344 f, 347, 349, 356, 360, 362, 365 f, 368, 374, 400, 409 f Calvinus s. Kahl, Johann Cambridge 26, 49, 385 Campanella, Tommaso 27 Campos Boralevi, Lea 22 f, 25 f, 32 f, 35, 385 Canisi(us), Angelo (Angelus) 272 Cano, Melchor 316 Canterbury 177, 340 Capito, Wolfgang 262, 275 f Capp, Bernhard 340 Careell, Henrik Jönsson 244 Carion (eig. Nägelin), Johannes 140 Caroli (Carolus), Philipp(us) 48, 336 Cartwright, Thomas 340 Casaubon, Isaac 76, 377 Casimir (pommerscher Fürst) 321 Cassiodor 65 Cassirer, Ernst 91 Castellio, Sebastian 66, 191 f, 198–202, 212–214, 217, 363, 409 Chaeremon von Alexandrien 56 f Chancy 273 Charles I. s. Karl. I. (König von England und Schottland) Charondas von Katane 159 f, 294 Chemnitz, Martin 333 Chevalier, Antoine 273 f, 299 Chorilus 79 Chrysostomos 164, 378, 405 Cicero, Marcus Tullius 37, 72, 159 f, 164, 166, 179, 190 f, 225, 228, 247, 251, 266, 378, 393 Clemens von Alexandrien 64, 79, 98, 178, 278 Cohen, Boaz 270 Colladon, Nicolas 212 Comon 79
Conring, Hermann 27, 48, 334 Cornazanus, Antonius 65 Courtecuisse, Jean 66 Cowling, David 245 f Cranmer, Thomas 177, 262 Cretensis, Helias s. Delmedigo, Elija Cronicus, Antonius 95 Cujas, Jacques 222 f, 241, 265 Cunaeus (Cun), Petrus (Peter van der) 23 f, 27, 31, 38, 47 f, 66, 335 f, 338, 377, 385 f, 389–406, 408, 410, 412, 417, 419, 421, 423, 435, 437 Curione, Celio Secondo 198 Daktylus 95 Daneau (Danaeus), Lambert(us) 239 David 133, 171, 187 f, 287 f, 295, 313 Deborah 287 Delmedigo (Cretensis), Elija (Helias) 86 Delphi 402 Demetrius Phalerius 79 f Demokrit 101 Den Haag 251, 391 D’Espeville, Charles (Pseudonym) 192 Detmers, Achim 128 Dillenburg 358, 363 f Diodor(us) Siculus 54, 157, 247, 256, 266, 353–355, 388 Diokletian 260, 292 Dionysius Areopagita 77, 79, 93, 95, 101, 378 Doneau (Donellus), Hugues (Hugo) 222, 261, 349 Dordrecht 400 Douaren, François 222, 349 Drechsel, Thomas 108 Driesche (Drusius), Johannes van den 377, 390 Dumoulin, Charles 226 Dünnehaupt, Johannes 334 f Duns (Berwickshire) 369 Duplessis-Mornay, Philippe 187 Durham 369 Dyck, Franck van 394 Eberbach, Philipp
122
480 Ebers, Paul 141 Edinburgh 251 f Edward VI. (König von England) 174 f Eg, Michael 334 Eisenach 113 Eisinger, Walther 143 f Elanicus 79 Elia(s) 102, 133, 193 Elisa 133 Elisabeth I. (Königin von England) 339, 370 Elsass 166 Empedokles 101 Ephesus s. Menander von Ephesus Episcopius, Simon 433 Erasmus von Rotterdam, Desiderius 141 f, 147 f, 166 f, 171, 226, 301 Erastus (eig. Lüber), Thomas 276 f, 400 Ernst Ludwig (pommerscher Fürst) 321 Esra 93–95, 98, 104, 305 Estienne (Étienne/Stephanus), François 203 Estienne (Étienne/Stephanus), Henri I. (Henricus I.) 245 Estienne (Étienne/Stephanus), Henri II. (Henricus II.) 49, 203, 223, 240, 244– 251, 265 f, 269 f, 293, 322 f, 410 Estienne (Étienne/Stephanus), Robert I. (Robertus) 245 Estienne (Étienne/Stephanus), Robert II (Robertus II.) 245 Estieus 79 Euhemerus 79 Eupolemon 79 Euseb(ius) von Caesarea 64 f, 79 f, 101, 152, 156, 160, 178, 377, 393, 408 Eva 122, 282 Ezechielus 79 Faber Stapulensis, Jacobus s. Lefèvre d’Étaples, Jacques Farel, Guillaume 188 Feil, Ernst 80 Ferrara 85, 327 Ficino, Marsilio 70–90, 93, 96, 105 f, 147, 160, 163 f, 167, 178, 202, 230, 393, 408
Namensregister
Fischer, Andreas 128 Fischer, Johannes s. Piscator, Johannes Flacius (gen. Illyricus), Matthias 141, 226 Flaig, Egon 17 f Flandern 245, 253 Fleury, Claude 412, 437 Florenz 37, 66–68, 72, 85, 91, 106, 308 Foscarini, Marco 387 Frakes, Robert M. 235 Franck, Sebastian 75, 163–165, 173 Franeker 377, 390 Frankfurt a.M. 43, 45–47, 50, 66, 135, 223, 241–244, 257, 321, 332–334, 346 Frankfurt (Oder) 137 Franz I. (König von Frankreich) 272 Fras, Johann Christoph 334 Friedrich I. Barbarossa 200 Friedrich II. (preußischer König) 428 Friedrich IV. (pfälzischer Kurfürst) 262 Friedrich (sächsischer Kurfürst) 114 Gaius (röm. Jurist) 235, 269 Galatinus (Galatino), Petrus (Pietro Colonna) 310 Galen von Pergamon 229 Genf 46 f, 49, 108, 163, 180, 191 f, 198 f, 203, 207 f, 212, 220, 223, 227, 239–241, 245 f, 248, 250, 262 f, 272–276, 278, 282, 290, 336, 341–343, 346 f, 374–377, 409 f Gerdes, Hayo 21, 109 f Gerson (Gersonides), Rabbi Levi ben 84, 330 Gerundensis s. Nachman, Rabbi Moses ben Gierke, Otto Friedrich von 366 Gießen 332 Glaidt, Oswald 128 Glasgow 251 f Glykas, Michael 326 f Goddaeus, Johannes 368 Gorski, Philip S. 29 f, 34 Grégoire (Tholosanus), Pierre (Petrus) 367 Gregor der Große (Papst) 405 Gregor von Nyssa 64 Gregor XIII. (Papst) 47, 292, 307, 318 Greifswald 46 f, 223 f, 320 f
Namensregister
Grotius (Groot), Hugo (Huig de) 48, 251, 357, 386–392, 395 f, 400, 413, 415, 421, 423, 436 Grynäus, Simon 181 Guillard, Carolus 157 Gwalther, Rudolf 208, 276 Hall (Tirol) 113 Halle a. d. Saale 427 Hammill, Graham 21 f, 68, 385 Hananias 198 f Hanau 50 Harrington, James 22, 68, 401, 415 f, 420– 423, 425, 437 Heidelberg 17, 50, 137, 139, 166 f, 208, 227, 253, 261, 263, 274–276, 347, 362 Heineccius, Johann Gottlieb 271 Heinrich VIII. (König von England) 148, 154, 177, 339 Hekataios von Abdera 54–57, 62, 79, 395 Heliopolis 56 Helmstedt 48, 66, 334 Herborn 38, 50, 262, 270, 342, 357–359, 362–366, 368, 433 f Herennius 101 Hermes 71, 361 Hermes Trismegistos 59, 70–78, 89, 91, 96, 106, 159 f, 163–165, 229 f, 256, 327, 361, 408 Hermogenes 79 Hermopolis 73 Herodot 151, 282, 353–355, 393 Herwagen, Johannes 302 Hesiod 59, 79 Hessen 242, 261, s. auch Ludwig von Hessen, Moritz von Hessen, Wilhelm Hessen (Landgrafen) Hickes, George 24 Hieronymus (Kirchenvater) 95, 98, 121, 164, 235, 378, 383, 393, 405 Hieronymus (König der Phönizier und Karthager) 79 Hilarius von Poitiers 92 f, 97, 179 Hinkmar von Reims 235 Hinterpommern 320 Hiskia (König Judas) 186
481 Hobbes, Thomas 22, 24, 67 f, 416–421, 423–425, 427, 429, 437 Hof 385 Hoffman, Melchior 128, 171 Holstein 48, 335 Homberg, Johann 45, 66 Homer 59, 229, 393 Honter, Johann 48, 334 Hooper, John 340 Horaz 390, 393, 403 Horeb (Berg) 52, 397 Hotman, François 187, 222, 239, 265 Hottinger, Johann Heinrich 433 Hübener, Wolfgang 31 Hus, Jan 359 Hutton (Berwickshire) 369 Ibn Esra, Rabbi Abraham (ben Meir) 52, 290 Imbonati, Carlo Giuseppe 42 Innozenz VIII. (Papst) 91, 95, 104 Innsbruck 113 Irenaeus von Lyon 196 Isaak 327 Isidor von Sevilla 164 Iuba (König) 79 f Iulius Africanus, Sextus 79 Jakob 326 f Jakob (engl.: James) VI. (König von England und Schottland) 252, 370 Jarchi, Rabbi Solomon (ben Isaak) 377 Jena 136, 139, 334, 435 Jeremia 133, 289, 359 Jerusalem 25, 55–57, 61, 81, 94, 99, 128, 196, 280, 288, 310, 313 Jesaja 133 Jesus 16, 24, 81, 93, 101, 139, 146, 168, 170, 178, 188, 192, 300, 327, 382, 398, 424 Jesus Nave 92 f Jitro 284, 422 Joachim (König) 359 Joachimstal 111, 122 Jochebed 326 Johann Friedrich (sächsischer Herzog) 114
482 Johann VI. von Nassau-Dillenburg (Graf) 358, 363 Johannes der Täufer 84, 193 Johannes (Evangelist) 77, 101, 124, 168 Johannes II. Komnenos (byzantinischer Kaiser) 327 Joris, David 198 Joschafat (König Judas) 288 Josephus, Flavius 18, 23, 30 f, 54, 56–67, 79 f, 84, 156, 172 f, 190, 200 f, 232, 286, 290, 295, 306 f, 310–312, 314 f, 318, 328 f, 331, 335, 379, 388, 390, 392 f, 395 f, 399, 408, 411, 417, 423, 432, 435 f Josia(s) (König von Juda) 186 Josua 87, 93, 154, 160, 209, 232, 250, 279, 287, 313, 361, 421 Junius (du Jon) d.Ä., Franciscus (François) 33, 38, 50, 149, 218, 253 f, 257 f, 263–265, 341–343, 346–358, 361 f, 365, 367 f, 370, 374 f, 377, 386, 400, 435 Justin der Märtyrer 64, 156, 388 Justinian (röm. Kaiser) 226, 235, 259, 292, 354 Juvenal 390, 393 Kahl (Calvus/Calvinus), Johann 26, 50, 223, 240, 261–270, 322 f, 362, 410, 433 f Kant, Immanuel 427, 429 Kappel am Albis 148, 152 Karl der Große (Kaiser) 140 Karl I. (König von England und Schottland) 369 f Karl VIII. (König von Frankreich) 91 Karl IX. (König von Schweden) 244 Karlstadt, Andreas von s. Bodenstein von Karlstadt, Andreas Karthago 378 Katana/Katane s. Charondas von Katane Kehat 326 Kelley, Donald R. 225 f Kennedy, John (Earl von Cassillis) 254 Kimchi (Qimchi), Rabbi David (ben Josef) 377 Kipping, Heinrich 435 Kirchmayer, Georg Kaspar 334 Kisch, Guido 131 Kleinberg, Georg (Pseudonym) 199, 213
Namensregister
Knox, John 187 Koburg 122 Kollmann, Conrad Friedrich 335 Köln 148, 150, 332 Konfuzius 422 Kopenhagen 48, 335 Kreta s. Minos von Kreta Kristeller, Paul Oskar 74 Küng, Hans 16 Küsell, Christian Friedrich 335 Kyrenaika 280 Laertius, Diogenes 393 Laktanz (Lactantius) 70, 72, 74, 159 f, 178, 405 Lang, August 14, 18, 167 f, 177 Laplanche, François 24 f, 32 f Latimer, Hugh 340 Lausanne 207, 273 Le Caron, Louis 234 Lefèvre d’Étaples (Faber Stapulensis), Jacques (Jacobus) 72–75, 230 Leiden 23, 46, 48, 50, 253, 257 f, 270, 290, 328, 336, 339, 342 f, 346 f, 371, 374 f, 377, 385–387, 390 f, 394, 406 Leiden, Jan van 128 Leipzig 43, 334, 385, 415, 427 f, 430 Lelong, Jacques 42 f L’Empereur (van Oppyck), Constantijn 46, 270, 290, 336 Leo IX. (Papst) 360 Leunclavius (Löwenklaw), Johannes 327 Levi 326 f Leydecker, Melchior 48, 337 f L’Hôpital, Michel de 227 Lindsay, John (Lord Lindsay) 254 Lipenius, Martin 43 f Livius, Titus 291, 393, 405 Locke, John 426 London 148, 251, 257 f, 341, 344, 346, 369– 371, 385, 414 Löwen 226, 272 Lowman, Moses 24 Lüber, Thomas s. Erastus, Thomas Lucanus 393 Ludwig von Hessen (Landgraf) 242
Namensregister
Lukas (Evangelist) 101, 168, 359 Lukian 200 Luther, Martin 21, 32, 108–111, 113–118, 122–132, 138 f, 141–144, 148, 155, 159, 162 f, 166 f, 170–172, 175, 182, 194, 215, 217–220, 243, 248, 253, 262, 333 f, 342, 359, 362, 409, 432 Lykurg/Lycurg(us) von Sparta 57, 159 f, 164, 195, 233, 256, 294, 329, 338, 387, 396, 422, 427 Lyon 69, 226 f, 263, 274, 337 Machiavelli, Niccolò 21 f, 68, 106 Maffei, Lorenzo 304 Magus, Simon 196 Mailand 42, s. auch Ambrosius von Mailand Maimonides (Maimon, Moses ben) 84, 98, 105, 195, 377, 392, 395, 397, 399, 401 f Major, John 187 Manasse (König Judas) 79 Manetho 56 f, 62, 79 f Mann, Thomas 16 Manuel, Frank E. 23–26, 33 Manuzio, Aldo 301 Manuzio, Paolo 301 Marburg 242, 261, 332 Marcion 196 Margaritha, Anton(ius) 45, 66 Maria 382 Martial(is), Marcus Valerius 393 Martin von Tours 393 Martinius, Matthias 359, 364 Marx, Steven 68 Mather, Cotton 24 Matthaeus, Anton 363 Matthäus (Evangelist) 101, 168 Matthys, Jan 128 Maximus, Valerius 164 McCuaig, William 316 f Meaux 235 Medici 67, 85 Medici, Cosimo de’ 72 Medici, Lorenzo de’ 91 Megasthenes 79 Mehun-sur-Yèvre 240
483 Meinhard, Christoph 124 Melamed, Abraham 27 Melanchthon, Philipp 18, 108, 110–112, 114–124, 127–136, 138–140, 142 f, 148, 155, 159, 161–163, 165, 167, 170–172, 175, 181 f, 185, 190, 198, 217–220, 232, 243, 253, 260, 262, 302, 327, 333 f, 342, 362, 368, 400, 409 Melon 79 Melville, Andrew 252, 343, 376 Menander von Ephesus 79 f Mendesius 79 f Menochio, Giacomo 337 Menochio, Giovanni Stefano 27, 43, 48, 316, 336–338 Mercier, Jean 272, 274, 299 Mercurius Trismegistus s. Hermes Trismegistos Merkur 72 Midian 422 Milton, John 21 f, 366, 415 Minos von Kreta 57, 159 f, 387 Mirjam 326 Mithridates, Flavius (Raimundo Moncada) 86, 99 Modena 291 Modestinus, Herennius (röm. Jurist) 235, 239 Mohammed 152 Molos 79 Moncada, Raimundo s. Mithridates, Flavius Monfort, Basilius (Pseudonym) 199, 213 f Mongiorgi, Nicolò 319 Moritz von Hessen (Landgraf) 359 f Morus, Thomas 27 Müller, Martin 27 Münch, Paul 140, 358, 363 f Münster 124, 128, 152, 184 Münster, Sebastian 299 Müntzer, Thomas 21, 115, 123 f, 130, 219 Musculus, Wolfgang 149, 262, 362 Nachman (Gerundensis), Rabbi Moses ben 84
484 Nägelin, Johannes s. Carion, Johannes Nassau-Dillenburg (Grafschaft) s. Dillenburg Nebukadnezar II. (König Babyloniens) 280 Nelson, Eric 28–30, 34, 401, 411, 415 Neuenburg (Grafschaft) 187 Neuman, Kalman 25 f Neustadt a. d. Hardt 45, 66 Nicolai, Johann(es) 270, 304 Nikolaos von Damaskos 79 Nimrod 282 f Noah 279, 295, 395, 399 North Yorkshire 344 Numa (Pompilius) von Rom 159 f, 164, 195, 387, 422 Numenius von Apamea 80 Nun 93 Oekolampad, Johannes 262, 275 f Oestreich, Gerhard 221 Oldendorp, Johannes 362 Olevian, Caspar 149, 262, 362 Olévitan, Pierre-Robert 274 Origenes 64, 92 f, 101, 378, 405 Orlamünde 111, 115 Orléans 180, 207, 387 Oromasius 96 Orpheus 59, 73, 77, 91, 96 Osarsiph 56 Osiander, Andreas 365 Ottmann, Henning 420 Otto, Eckart 54 Ovid (Publius Ovidius Naso) 247, 378 Oxford 343 f Padua 85, 291, 327 Pagnini (Pagnino/Pagninus), Sante(s) 274, 299 Paleotti, Gabriele 291, 293 Papinianus (röm. Jurist) 235 Parente, Fausto 316 Paris 42, 48 f, 66, 72, 74, 85, 157, 207, 226 f, 230, 236, 244–246, 272, 336, 343, 376 Parsons, Robert 344 Paulus, Iulius (röm. Jurist) 235, 259 f, 265
Namensregister
Paulus (Apostel) 77, 93, 95, 101, 109, 111, 119, 124, 135, 144 f, 162, 169–171, 176, 178, 182, 194, 196 f, 201, 278, 302 Pavia 291, 337 Pecˇar, Andreas 31 Perkins, William 340 Perna, Petrus 176 Pesch, Otto H. 39 Peteseph 56 Petrarca, Francesco 37, 291 Petris, Adam 65 Petrus (Apostel) 198 Peucer, Kaspar 140 Pezel, Christoph 368 Pfeiffer, Heinrich 124 Philipp II. (pommerscher Fürst) 323 Philipp Julius (pommerscher Fürst) 321 Philo von Alexandrien 54, 59–67, 77, 79, 84, 99, 101, 232, 267, 295, 306 f, 310, 318, 328 f, 392 f, 408, 411, 434 Philolaos 73, 96 Phoroneus von Argos 159 f, 164, 195 Photius I. von Konstantinopel (Patriarch) 360 Pico della Mirandola, Gianfrancesco 87, 104, 156 f Pico della Mirandola, Giovanni 70, 75, 85– 106, 133, 142, 147, 155 f, 160, 167, 178 f, 202, 230, 305, 393 f, 397, 408 Piscator (eigentl. Fischer), Johannes 359, 362, 364–366 Pithou, Pierre 49, 236, 238–240, 244–247, 250 f, 265 f, 386 Pitkin, Barbara 204 f Pius V. (Papst) 292 Platon 55, 59, 62, 64 f, 72 f, 77, 79 f, 89 f, 93, 95 f, 101, 142, 155, 160, 163, 179, 181, 191, 229, 233, 247, 251, 266, 294, 328 f, 373, 378 Plinius d.Ä. (Secundus Maior), Gaius 393 Plotin 77, 90, 101 Plutarch 159, 353–355, 378, 393, 405 Pocock, John G. A. 22, 26, 29, 68, 106 Pohlig, Matthias 140 Poliziano, Angelo s. Ambrogini, Angelo Polybius 282, 285, 378
485
Namensregister
Polykarp 79 Polyklet 355 Pompilius, Numa s. Numa (Pompilius) von Rom Ponte Basso 291 Prodi, Paolo 293 Prometheus 72 Ptolomaeus, Claudius 79 f Pyritz 320 Pythagoras 59, 73, 77, 89, 91, 93, 95 f, 101, 159 f, 163 Quintilian(us, Marcus Fabius) Quintus Ennius 393
378
Ragueau (Raguellus), François (Franciscus) 46, 49, 223, 240–244, 254, 265 f, 269, 323, 410, 434 Rauschenbach, Sina 27 Ravelingens (Raphelengius), Frans van (Franciscus) 253 Rechenberg, Adam 334 Regemorter, Ambrosius 390 Rehm, Philipp Jacob 334 Reimer, Joachim Ludwig 27, 48, 335 f Reims s. Hinkmar von Reims Reinking, Dietrich 332–334 Reiske, Johann 334 Reuchlin, Johannes 104 f, 305 Reventlow, Henning 32 Rhadamanthus 159 f Ricchieri (Rhodiginus), Ludovico (Caelius) 327 f Ricius (Ritius), Paulus 105 Roaldès (Rhoaldus), François (Franciscus) 224, 272–274 Robortello, Francesco 291 Rom 42, 61, 65, 86, 89–91, 96, 127, 226, 291, 380, 422 Romulus 159 f, 164, 226, 427 Roselli, Annibale 75 Rostock 244, 320, 335 Rothmann, Bernhard 128 Rotterdam s. Erasmus von Rotterdam, Desiderius Roussel, Bernard 24 f, 33
Rufinus, Licinius (röm. Jurist) Rufinus von Aquileia 434 Rügenwalder Amt 323
235 f
Saale 111, 427, s. auch Halle a.d. Saale Sachsen 110, s. auch Friedrich (sächsischer Kurfürst), Johann Friedrich (sächsischer Herzog) Sakonien 79 Salmerón, Alfonso 316 Salomo(n) (König Israels) 99, 178, 287 f, 313, 435 Salomon (Rabbi) 328 Salutati, Caluccio 37 Sambucus (Zsàmbok), Johannes 327 Samuel 30, 63, 133, 171, 232, 287 f San Marco 104 Saphira 198 f Sattler, Michael 187 Saul 287 f, 311, 313 f, 418 Saumur 385 Saur, Abraham 242–244, 434 Saur, Conrad 244 Savonarola, Girolamo 67 f, 86, 104, 106 Scaliger, Joseph Justus 377, 386 Schickard, Wilhelm 49, 413–415, 435 f Schipper, Johannes Jakob 185 Schlettstadt (Sélestat) 166 Schmidt-Biggemann, Wilhelm 69, 96, 103 f Schurff (Schürpf), Hieronymus 132 Scotus, Johannes 360 Selden, John 16, 24, 27, 49, 251, 399, 413– 416, 421, 435 f Seneca (d.J., Lucius Annaeus) 159, 179, 378, 393 Servet, Michael 189, 191–200, 202, 217, 409 Severus, Sulpicius 293, 316, 393 Sevilla s. Isidor von Sevilla Sibylla/Sibyllen 79 f, 163 Sigonio (Sigonius), Carlo (Carolus) 24, 27, 33, 35, 46–48, 223 f, 232, 271 f, 291–319, 322, 324, 329, 335–337, 387, 389, 391– 396, 410, 417, 420 f, 435, 437 Simplicius (Philosoph) 229
486 Sinai (Berg) 52, 54, 72, 101, 278 f, 282 f, 286, 288, 326, 419, 425 Sinnprecht (Pseudonym) 173 f Sisto da Siena 316 Sixtus IV. (Papst) 95 Sizilien 86 Sohn, Georg 262 Sokrates 59, 431 Solon von Athen 130, 133, 159 f, 164, 195, 256, 266, 294, 329, 338, 361, 396, 422, 427 Somos, Mark 386, 422 Sozzini, Fausto 390 Sozzini, Lelio 198 Spalatin, Georg 115 Sparta 57, 160, 285, 294, 422 Spencer, John 24, 49, 434–436 Speyer 272 f Spinoza, Baruch de 22, 24, 30, 416, 422– 427, 437 St Andrews 252, 254, 343, 369, 376 St. Brieux 235 Stein, Wolfgang 113 f, 130, 219 Stephani, Joachim 46 f, 223 f, 271 f, 293, 319–332, 335, 410, 413 Stephani, Matthias 321, 324 Stolle, Gottlieb 430 f, 434–436 Storch, Nikolaus 108, 124 Strabo(n) 56 f, 62, 78, 151, 328, 388, 393 Straßburg 49, 108, 128, 135, 150, 156, 163, 165 f, 168, 171 f, 174 f, 180–182, 191, 227, 302, 334, 415 Strauß, Jakob 113 f, 130, 219 Strohm, Christoph 204, 261 f, 325 Stryck, Johann Samuel 270 Sturm, Jakob 174, 262 Sueton (Gaius Suetonius Tranquillus) 393 Susannis, Marquardus de 330 Sutcliffe, Adam 27, 29 Swanenburg(ius), Cornelius Paulinus 391 Tacitus, P. Cornelius 57 f, 378, 393, 405 Terenz (Publius Terentius Afer) 200 Tertullian (Quintus Septimius Florens) 64, 71, 79, 150, 328, 378 Thallus 79 f Themistokles 133
Namensregister
Theodorus 79 Theodosius I. (Kaiser) 235 Theokrit(os) 393 Theophilus 79 Theut 72 Thomae (gen. Stübner), Markus 108 Thomas von Aquin 39, 42, 82, 105, 119, 166, 303 f, 349, 368, 373 Thomasius, Christian 427–437 Thomasius, Jacob 427 Thot 71, 159 f, 361 Thouars 272 Tillet d.Ä., Jean du 236 Tillet d.J., Jean du 235 f Timochares 79 Tirol 113 Tisithen 56 Titus Caesar 314 Toland, John 27, 422 f Toulouse 221, 223, 230, 272 f, 367 Trampedach, Kai 31 Treger, Conrad 171 Tremellius, (Johannes) Immanuel 257 f, 262, 346 f, 365, 383 Trient s. Sachregister: Konzil von Trient Ulpian(us, Domitius) 235, 259 f, 269, 271, 313, 325 Ursinus, Zacharias 149, 262, 362, 368 Utrecht 338, 434 Valence 223, 241 Valentinus 196 Valla, Lorenzo 150, 291 Varel, Edo Hilderich (Hildericus) von 136–139 Varro, Marcus Terentius 159, 296, 378, 393 Vasoli, Cesare 69, 327 Venedig 65, 291, 301, 314, 385 Verdam, Pieter Jacobus 20 f Vergerio, Pietro Paolo 198 Vergil (Vergilius Maro, Publius) 393 Vermigli, Petrus Martyr 187, 232, 262, 275 Vézelay (Burgund) 207 Vincentius, Bartholomaeus 274 Vincenza 327
487
Namensregister
Vlissingen 390 Voetius, Gisbert 434 Voetius, Paul 434 Volmar, Melchior 207 Wartburg 108 Wechel, Andreas 257 Weemes (Wemyss/Weemse/Wimesius), John (Johannes/Iohannes) 38, 50, 206, 218, 342 f, 369–384, 410, 414 f, 419 Weilburg 33 Weimar 19, 113 Welwood, William 50, 223, 240, 251–260, 265 f, 269, 323, 346, 362, 410 Wendeler, Michael 48, 334 Wenner, Wolfgang Christopher 334 Wesenbeck (Wesenbeccius), Matthias (Matthaeus) 253, 260 Whitgift, John 340 Widebram, Friedrich 334 Wien 192, 245, 327, 387 Wilhelm von Hessen (Landgraf) 273 Wilke, Johann Georg 48, 334 Wittenberg 48, 52, 104, 108–110, 113, 115– 117, 121, 123 f, 127–130, 136, 138–141, 143, 148 f, 153, 155, 159, 162 f, 165, 167 f,
170 f, 176 f, 184 f, 217, 219, 242 f, 248, 252 f, 260, 320, 327, 334 f, 409 Wolf, Johann 225 Wolff, Christian 428 Wolle, Christopher 270 Worms 108 Württemberg 346 Wyclif, John 359 Xenophon York
393
343
Zaleukos von Lokroi 338, 396 Zanchi, Girolamo (Hieronymus) 362, 367 Zasius, Ulrich 221, 224 Zeltner, Gustav Georg 136, 334 Zepper, Philipp 270 Zepper, Wilhelm 50, 218, 270, 333, 341 f, 357–364, 368, 433–437 Ziegler, Caspar 321 Zsàmbok, Johannes s. Sambucus, Johannes Zweig, Stefan 192 Zwingli, Huldrych/Ulrich 141–149, 160, 166, 219, 262, 275 f
Sachregister Aberglaube s. Glaube Älteste/Ältestenrat (biblisch) 87, 98, 283– 285, 288 f, 310, 388 f, 400 f, 414, 423 Altes Testament/alttestamentlich 16, 23– 26, 30, 33 f, 41, 51–54, 60, 78, 82 f, 101, 108, 111 f, 116, 118–121, 128, 132–134, 145, 153 f, 169, 175 f, 187–189, 191, 193 f, 199, 217, 257 f, 274, 296, 301, 333, 344, 346 f, 366, 379, 397, 407, 415 Antijudaismus 18, 55–58, 62, 78, 128, 189, 195, 198, 243, 336, 373, 381–384, 393, 401–406, 421 Antikatholizismus 118, 120, 138 f, 152– 154, 171, 217, 246, 261 f, 278, 333 f, 359 f, 362, 380 f, 421, 433 Antisemitismus s. Antijudaismus Aristokratie 30, 47, 63, 183, 187, 232, 283– 285, 287 f, 291, 311 f, 315, 388–390, 401, 418 Bartholomäusnacht (Massaker) 207, 234 Bauernaufstände/Bauernkrieg 115, 123 f Bekenntnis/Bekenntnisschrift 129, 135, 137–139, 152, 168, 176 f, 297, 339 f – Confessio Augustana 129 – Erstes Helvetisches Bekenntnis 152 – Zweites Helvetisches Bekenntnis 339 – Konkordienbuch 129 – Konkordienformel 139 – The First Book of Discipline 252 – The Westminster Confession of Faith 339 f – Thirty-Nine Articles of Faith 339 f – Wittenberger Konkordie 168, 177 Besitz/Besitzrecht s. Eigentum/Eigentumsrecht Bibelkonferenz s. Kongregation Bildungsreformbewegung s. Humanismus Billigkeit/Billigkeitsgedanke (aequitas) 82, 150, 183, 185 f, 189 f, 214, 216–218, 231, 241, 265, 309 f, 323, 339, 344, 367, 373
Bischofskriege 370 Bischofsrecht 321 Blasphemie 134 f, 192, 198, 210, 340, 382 f, 399 Bund 111 f, 119, 145, 149 f, 152, 170, 190, 194, 196, 373, 382 f, 418, 425 Bundestheologie 112, 148–152, 384 Bürgerkrieg 370, 414, 416 Codex Gregorianus 235 Codex Hermogenianus 235, 259 Codex Iustinianus (C.) 46, 155, 161, 210, 241, 259, 324, 391, 394 Codex Theodosianus 259 Collatio legum Mosaicarum et Romanarum 44, 49, 234–240, 244, 247, 250 f, 265 f, 270, 386, 410, 433 f Corpus Iurius Civilis 150, 159, 161, 175, 210, 235, 241, 254, 259, 265, 324, 349, 354, 364, 394, s. auch Codex Iustinianus (C.), Digesten/Digestentitel (D. / Pandekten), Institutiones Iustiniani/Institutionentitel (I.) Custodia utriusque tabulae des Dekalogs 134–136, 184 f, 190, 213, 217 f, 400 Dekalog 16, 19, 83, 105, 109, 116, 118–121, 125–127, 131, 134–136, 138, 146, 150 f, 153, 157–159, 162, 170, 181, 183–186, 190, 193–195, 198, 201, 205 f, 210 f, 213– 215, 217–219, 237–239, 247 f, 250 f, 254, 265 f, 268, 270, 286, 297, 305, 307, 330, 333, 345, 357, 360 f, 365–367, 372, 374, 409, 418, 424, 430, 432–434 Demokratie 17, 63, 283–285, 287 f, 311, 314 f, 423, 425 Diebstahl/Diebstahldelikt 146 f, 186, 196, 200, 202, 216, 237, 248, 255, 266 f, 364 f, 399 Digesten/Digestentitel (D. / Pandekten) 161, 197, 210, 238, 241, 259 f, 269, 313, 324 f, 391, 394
Sachregister
Ehe/Eherecht 175, 255, 309, 374, 383, 414 Eigentum/Eigentumsrecht 28, 197, 237, 255, 345, 421 Einherrschaft s. Monarchie Elterngebot 122, 197, 202, 297 Episkopalismus/Episkopaltheorie 252, 321 Erastianismus 29, 276 f, 400 Erbrecht 237, 329, 414 Esoterik 69 f, 87 f, 90, 93, 99 Ewiges Gesetz s. Lex aeterna Exkommunikation 188, 197 f, 208, 275 f, 281, 400 Freiheit 17, 19 f, 91, 107, 114, 118–120, 134, 161, 175 f, 182, 186, 192 f, 196, 200, 207, 251, 256, 287, 362, 382 f, 413, 426, 436 – Gedankenfreiheit 426 – Gewissensfreiheit 120, 134, 192 – Glaubensfreiheit 120, 134, 192, 383 – Religionsfreiheit 17–19, 207, 383 – Versammlungsfreiheit 383 Gemeines Recht (ius commune) 112, 198, 352, 367, 373 Gesetz des Mose: Dreiteilung 39, 117, 120, 158, 183, 206, 209 f, 213, 237, 264 f, 304, 330, 332 f, 337 f, 342, 345, 356, 361, 372, 418 f, 430, 433 Gesetzgeber 20, 30, 36, 41, 51–64, 66–68, 80, 101, 125 f, 130, 155 f, 159–162, 164, 170, 182 f, 195, 216, 219, 233, 253, 256, 264, 266, 286, 294, 303, 305, 326, 328 f, 331, 334, 338, 353–356, 361, 395 f, 408, 417 f, 422, 432 Gesetz und Evangelium 110, 114, 116, 118, 125, 127, 129, 132, 143 f, 167, 170, 172, 176, 219, 243 Gewissen/Gewissensbegriff 120, 134, 184, 192, 213, 215, 264, 278, s. auch Freiheit – Gewissensfreiheit Glaube 15 f, 19, 42 f, 45, 57 f, 63, 73, 84, 86 f, 93, 95, 97 f, 102–104, 108, 111, 116, 118– 121, 123, 127, 129, 134, 140, 144, 148– 155, 157, 162, 164, 167, 170 f, 174, 177 f, 182–185, 190–192, 194, 197–199, 205,
489 214, 219, 226, 243, 245, 273, 279, 292, 307, 339, 369, 381, 383, 395, 398, 402, 404, 428, s. auch Freiheit – Glaubensfreiheit Aberglaube 57 f, 84, 138 f, 152, 170 f, 278, 286, 340, 402, s. auch Häresie Gottesebenbildlichkeit (imago Dei) 75, 166, 277 Gotteslästerung s. Blasphemie Götzendienst s. Idolatrie/Idololatrie Häresie 52, 90 f, 104, 134, 190 f, 197–200, 202, 213, 217, 340, 402 Hermetismus/Hermetik 59, 69–78, 89, 91, 96, 106, 154, 159 f, 163–165, 191, 202, 229 f, 256, 266, 327, 338, 358, 361, 408, s. auch Namensregister: Hermes Trismegistos – Corpus Hermeticum (CH) 70–72, 74– 76, 89, 160, 202, 230, 361, 408 Humanismus 18, 33 f, 36 f, 47, 51, 65, 67, 69–72, 76, 85 f, 90, 92, 106, 133, 141 f, 148, 150, 156, 160, 162, 166 f, 169, 178– 180, 192, 198, 200, 202, 221–228, 230 f, 234, 244–246, 261, 271 f, 274, 291 f, 301, 319, 327 f, 350, 360, 378 f, 390 f, 393, 401 f, 404–406, 408, 437, s. auch Jurisprudenz, humanistische – zum Begriff 36 f, 69, 221 – studia humanitatis 32, 36 f, 69, 85, 92, 148, 150, 225 f, 230, 387 Idolatrie/Idololatrie 135 f, 138 f, 151, 192, 195, 210, 255, 280, 372, 399, 402, 434 Inzest 197, 362 Inzucht 237 Ius publicum, öffentliches Recht 320 f, 324–326, 331–334 Institutiones Iustiniani/Institutionentitel (I.) 210, 330 Judizialgesetz (lex iudicialis, lex forensis) 38 f, 43, 49 f, 113–115, 117–120, 126 f, 129–131, 138, 146 f, 150 f, 153, 158, 161 f, 170, 183–186, 189, 195–199, 206, 211– 220, 237 f, 248, 263–265, 269 f, 290, 298, 304, 323, 329 f, 333, 337, 339–342, 345–
490 353, 355–357, 359–361, 363–368, 372– 375, 409, 418 f, 430, 433 f Jurisprudenz, humanistische 36 f, 47, 67, 150, 166, 180, 204 f, 207–211, 221–228, 230 f, 235 f, 241, 259, 261 f, 265 f, 269, 271, 274, 293, 321 f, 349, 354, 362, 386 f, 391, 410 f, 433, 437 Kabbala (cabala) 67, 69, 85–100, 103–106, 160, 168, 179, 182, 202, 305, 393–395, 397–399, 401, 408, 419, 421, 424 – zum Begriff 86 f Kirchenrecht 85, 280, 282, 319–322, 324, 331, 357 f Kirchenzucht 275–277 Konfessionalisierung 18, 42, 221, 316 Kongregationen (congrégations) 203 Königsherrschaft s. Monarchie Konzil von Trient 94, 291, 316 f, 319 Lex aeterna 83, 111 f, 231, 146, 177 f, 219, 231, 263 f, 348, 350 f Lex Dei 38 f, 123, 130, 142–145, 147, 167– 169, 172, 177 f, 186, 195, 219 f, 234, 236, 361, s. auch Collatio legum Mosaicarum et Romanarum Magie (magia) 70, 89–91, 96 f, 99, 102, 104, 142, 155, 179, 428 – zum Begriff (magia naturalis) 89 f Monarchie 28, 30, 63, 141, 174 f, 186 f, 189, 231 f, 234, 282 f, 285 f, 288 f, 310–315, 333, 335 f, 414–416, 423, 425 – anti-monarchisch/monarchiekritisch 28, 63, 187, 312 f, 315 Moralgesetz (lex moralis) 39, 49, 81 f, 117– 120, 130 f, 135 f, 138, 158, 162, 183 f, 186, 188 f, 193 f, 209, 211, 213 f, 242, 264 f, 304, 330, 332 f, 337 f, 345, 352 f, 356, 361, 364 f, 367, 370, 372–374, 418, 424, 429– 431, 433–435 Mord 58, 110, 122, 186, 237, 352, s. auch Tötung/Tötungsverbot Mos gallicus 221 f, 225 Mos italicus 221
Sachregister
Naturgesetz/Naturrecht (lex naturalis/ius naturale) 20, 35, 39, 61, 82 f, 101 f, 105, 117, 126, 130 f, 135, 143, 146, 158 f, 162, 164, 181, 184 f, 194, 198, 201 f, 213, 215, 219, 238, 260, 264, 278, 330, 345, 351, 362, 366, 417 f, 428, 430–432 Neues Testament/neutestamentlich 16, 51, 53 f, 78, 81, 109, 118, 122, 124, 126, 132, 150, 162, 170, 176, 183, 188 f, 195, 198–200, 202, 207, 215–217, 243, 273, 293, 295, 301, 330, 339, 346 f, 362, 365 f, 379 Papst/Papsttum 47, 87, 90 f, 95, 104, 118, 138 f, 152–154, 171, 217, 262, 278, 291 f, 307, 317–319, 331, 334, 359 f, 380 Politia-judaica-Literatur 13, 42–50, 332, 334–336, 338, 340 f, 343, 345, 357, 366, 385, 390–394, 407, 410, 412–417, 419– 426, 437 Prisca theologia/sapientia-Konzeption 69 f, 73, 76–78, 85, 88 f, 91, 96 f, 100 f, 103, 106, 147–152, 154–156, 163–165, 168, 178, 182, 202, 265 f, 286, 295, 324, 353 f, 358, 387, 397, 408, 419, 424, – zum Begriff 69 f Rechtsvergleich 21, 46, 49 f, 127, 162, 222, 234, 238, 240 f, 243, 250 f, 253, 256, 265, 269–271, 322 f, 341, 357, 362, 391, 394, 410, 412 Sabbat 19, 88, 100, 111, 128, 280, 282, 402 – Sabbatgebot 19, 28, 111, 127 f, 176, 210, 215, 247, 297 Schwärmer/Schwärmertum (radikaler Flügel der Reformation) 109 f, 243 Spiritualismus 108, 118, 122–124, 128, 144, 147, 164–166, 170, 194, 198 Staatskirchenrecht s. Kirchenrecht Stoa/Stoizismus 33, 39, 56, 117, 181, 278, 348 Synedrium 93–95, 138, 232, 284, 288–290, 310, 323, 328, 331 f, 389, 400 f, 414 f, 435, s. auch Älteste/Ältestenrat (biblisch)
491
Sachregister
Theokratie 18 f, 22, 30–32, 35, 63 f, 66, 172 f, 286, 312, 334–336, 338, 388, 390, 395, 399 f, 417, 423, 425, 435 f – zum Begriff 30–32, 63 f, 66 Tötung/Tötungsverbot 132, 158, 255, 268, 352 f, s. auch Mord – Totschlag 146, 237, 352 Weisheit 41, 67–71, 73, 76 f, 85, 88 f, 91, 94– 96, 99, 102 f, 112, 133, 147, 154, 157, 163, 171, 176–180, 260, 286, 294, 353–355, 360, 378, 408, 432 f, 436, s. auch Prisca theologia/sapientia-Konzeption Zehn Gebote
s. Dekalog
Zeremonialgesetz (lex c(a)eremonialis) 39, 45, 49, 82, 111, 117, 115, 117–120, 125–127, 129–131, 138, 145 f, 150 f, 158, 162, 170 f, 174 f, 183–186, 188 f, 193, 195, 201, 205 f, 209–217, 219, 237, 248, 264, 298, 304, 307 f, 330, 333, 337–339, 345, 348 f, 352 f, 356, 361, 368, 372–375, 419, 430–433 Zivilrecht (lex civilis/ius civile) 46, 110, 112, 115, 123, 129, 145 f, 161, 165, 189, 211, 219, 227, 247, 250, 252, 279, 288, 306, 355, 411 Zwölf-Tafel-Gesetz 127, 131, 159, 164 f, 226 f, 237, 247, 250, 256, 260, 266, 361
Register der Bibelstellen Altes Testament Gen 1,1–27 88 1,2 75 3,15 152 3,19 281 4,14 281 4,16 281 8,20 ff 279 9 122, 132 10,8 f 282 15,14 301 17 150 17,14 281 20,12 175 23 281 24,40 175 29,10–28 175 46,11 326 49,10 326, 336 Ex 2,14 306 4,16 334 4,21 16 5 330 7,1 ff 16 15,25 f 300 16,5 282 16,26 f 282 17,8–16 16 17,35 f 300 18,21 258, 260, 284 18,22 258 18,24 258 18,25 258 18,26 258 19,5 f 301 20 267, 356, 397 20,1–17 209 20,1–21 16 20,2–17 247
20,5 f 195 20,7 254 21 268, 300, 366 21,2 366 21,7 267 21,8 366 21,10 366 21,16 267 21,18 f 238 21,18–36 238 21,20 366 21,20 f 328 21,26 366 21,33 268 21,35 f 268 21,37 248 22,1 250, 267 22,1 ff 267 22,1–4 248 22,1–5 248, 267 22,2 249 22,2 f 267, 301 22,2–3a 250 22,3 250 22,3b–5 250 22,5 249, 268 f 22,6 267 22,7–11 238 22,7–13 238, 268 22,10 268 22,14 f 268 22,21 267 22,21–24 268 22,26 f 268 22,28 255 23,4 f 268 f 23,7 267, 301–303 23,9 268 23,24 f 268 24 356 24,3–8 16 24,12 16, 53 25,40 102
493
Register der Bibelstellen
26 300 31,18 16 32 192, 197 Lev 18,7–18 175 18,8 197 19,9 268 19,10 268 19,11 267 19,13 267 f 19,18 300 19,33 267 f 19,33 f 268 19,35 267 19,35 f 267 24,18 268 24,19–21 238 24,21 268 24,22 301 25,18 300 26,3 300 26,46 301 Num 5,5 f 249 5,5–7 248, 250, 267 5,6 249 15 310 26,1 268 26,56 268 26,59 326 27,1–12 268 27,8–11 268 33,54 f 268 35 255 35,9–34 352 f 35,20 352 35,22 f 352 35,24 f 353 35,25–27 353 36,1–9 268 36,13 301 Dtn 1,1 52
1,3 52 1,5 53 1,13 258 4,5 83, 301 4,14 83, 301 4,44 f 52, 301 5 267, 397 5,1 ff 52 5,1–21 209 5,2–22 247 5,7 170 5,11 254 5,16 242 5,31 83 6,1 39, 301, 361 6,6 300 9,18 ff 16 10,17–19 268 11,22 f 301 12,8 f 311 13 192, 197, 217 13,1–5 199 16,18 258 17 231, 255 17,15–20 258 17,18 f 301 17,18–20 154 18,15 ff 16 18,18 53 19 255 19,1–10 352 f 19,4 f 301 19,14 267 21,15–17 268 21,17 255 21,18ff 242 21,18–21 122 22,1–4 268 f 24,6 268 24,7 267 24,10 ff 268 24,14 268 24,14 f 268 24,16 255 24,17 268 25,1 301
494
Register der Bibelstellen
25,4 268 25,11 238 25,13 ff 267 25,13–16 267 26,16 f 268 30,6 195 31,9–13 52 31,10–12 301 31,24–26 52 33,1 356 34,5 16 34,10 16 34,10–12 53
2Kön 17,13 301 17,15 301 18,4 154 22,11 301 23,1 310 23,3 301 23,4–20 154
Jos 1,7 311 1,7 f 53 1,8 154 1,13 53 1,16 f 311 6,26 426 7,10–26 267 7,11 ff 267 7,24 f 267 23 311 24,25 301
2Chr 17,3–10 154 17,7 301 17,9 301 17,12 154 19,8 301 19,10 301 20,10–12 301 24 301 24,9 53 34,31 301
Ri 2,7 311 6,25 154 21,18 426 1Sam 8 28, 231, 288, 312 8,5 312 8,7 312 8,9 312 10,11 154 14,24 426 30,26 310 1Kön 2,3 53, 301 8,9 53
1Chr 1,10 282 6,34 53 15,15 53
Esr 7 94 7,1 ff 94 7,6 94 7,10 94, 301 7,12–26 94 7,25 94 Neh 1,7 f 53 9,34 301 10,29 301 Ps 2,6–9 311 2,12 189 7,8 301 7,9 298 17,22 301 26,5 310
495
Register der Bibelstellen
48,9 308 74,14 417 77,21 16 82,6 189 84,5 308 99,6 16 103,6 f 53 104,26 417 104,45 301 107,32 310 111,1 310 118,4 f 301 118,14 301 118,16 301 118,24 301 118,27 301 147,19 301 147,19 f 83
26 289 31 31,31 121 31,31 f 171 31,31–34 119, 194 31,33 83 36 289 36,23 359 37 f 289 Ez 18,5 ff 195 20 146 44,24 301 Dan 2,27–49 140 7 140 12,9 189 12,13 189
Spr (Prov) 1 256, 268 3,9–10a 256 3,30 256 8,15 189 17,15 301 20,3 256 20,28a 256 Hi 3,8 417 31,13 366 40,25–41,26 Jes 1 146 5,22 301 27,1 417 42,4 83 49,23 189 60,3 189 Jer 3 193 9 301 15,11 16 19,7 310
Mal 1,10 f
83
Neues Testament
417
Mt 5 188 5,17 177, 300 f, 305 5,17–20 168 5,20 301 5,21 366 7,5 379 7,12 146, 196 11,13 f 193 12,37 301 19,7 f 53 19,16 267 19,17 195 19,24 379 22,39 146 26,52 366
496 Mk 9,22 ff 53 10,3 f 53 Lk Lk 1,6 301 Lk 16,16 193 Joh 1,17 16, 53 4 301 7,51 301 12,47 301 13,43 170 Apg 5,1–11 198 7,22 101, 154, 354 7,35 ff 53
Register der Bibelstellen
2Kor 3 169 3,5–18 16 3,15 16 Gal 2,1 f 116 2,11–5,15 119 3,1 ff 171 3,22 374 5,14 170 Eph 5,9 366 Kol 2,16 ff
171
2Thess 2,4 380
Röm 1,23 182 2,14 146 2,14–16 158 3,21 119 3,28 119 5,20 119 7,6 119 7,12 39 7,14 144 8,1–3 119 8,2 119 8,6–8 194 10,4 119, 146 10,5–9 195 11,17–24 120 11,23 381 12,6–8 154 13 122, 304 13,2 215 13,5 215 13,9 146, 267 16,20 152
Hebr 3,1–6 16, 53 7,11 f 171 7,12 ff 188 8 169 8,8–13 119 9,10 146 9,19 16 10,28 16 11,4 279 11,23–29 53
1Kor 13,3 146
1Joh 4,8 146
1Tim 1,5 146 1,9 119
Jak Jak 2,8 1Petr 2,13–17
372
304
497
Register der Bibelstellen
Deuterokanonische Schriften bzw. Apokryphen Sir 46,1
93
1Makk 1,56 f 360
Außerkanonische Schriften 4Esr 14 94 f 14,23–47 94 14,24 95 14,37–47 94 f