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German Pages 350 Year 2015
Alexander Wolters Die Politik der Peripherie
herausgegeben von Markus Kaiser | Band 9
2015-06-01 14-20-30 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 017b399560637582|(S.
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Alexander Wolters (Dr. phil.), geb. 1976, ist seit 2013 DAAD-Dozent an der OSZE-Akademie in Bischkek und lehrt dort unter anderem politische Soziologie und Sozialtheorie. Der Kulturwissenschaftler promovierte an der Europa-Universität Viadrina (Frankfurt/Oder) und forscht seit Jahren zu politischem Wandel in Zentralasien und den Staaten der ehemaligen Sowjetunion.
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Alexander Wolters
Die Politik der Peripherie Protest und Öffentlichkeit in der Republik Kyrgyzstan
2015-06-01 14-20-30 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 017b399560637582|(S.
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Dissertation an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Betreuerin: PD Barbara Christophe.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
Vorwort | 7 Einleitung | 9
THEORIE Zum Begriff des Politischen | 21 2.1 Der Begriff des ‚Politischen in Zentralasien‘ in der Politikwissenschaft | 21 2.2 Der Begriff des Politischen in der Theorie sozialer Systeme | 42 2.3 Der Begriff der öffentlichen Meinung und ihre Beobachtung | 64 2.
EMPIRIE Die Entstehung der öffentlichen Meinung | 87 3.1 Vom kritischen Zirkel zur Protestorganisation: Die Nationale Koalition Demokratischer Kräfte | 90 3.2 Politischer Konflikt als Überforderung: Eine neue öffentliche Meinung in Kyrgyzstan | 102 3.3 Zwischen politischem Anspruch und öffentlicher Wahrnehmung: Für Reformen und die Agenda der ‚zehn Schritte‘ | 108 3.4 Politischer Konflikt als öffentliche Veranstaltung im postrevolutionären Kyrgyzstan | 127 3.
4.
Die Dominanz der öffentlichen Meinung | 135
4.1 Skandale und eine Lehrstunde in der Kompromisssuche: ‚Matrjoschkagate‘ und das legendäre ‚Novembermiting‘ | 135 4.2 Politischer Konflikt als eine moderne Veranstaltung | 158 5.
Die Krise der öffentlichen Meinung | 165
5.1 Opposition oder Renegat?: Die Vereinigte Front für eine würdige Zukunft Kyrgyzstans und ihr politischer Kampf | 165 5.2 Konflikt als Risiko des Funktionsverlusts der Politik | 186 5.3 Protest als leere Veranstaltung: Die Demonstrationen im April und die Zerschlagung der Vereinigten Front | 191 5.4 Die Entstehung ‚negativer Politik‘: Konflikt in neuer Funktion | 217
ANALYSE Die Dynamik der ‚Politik der Peripherie‘ | 225 6.1 Die Bewegungen Für Reformen und Vereinigte Front im Vergleich | 226 6.2 Über die Wirkung unterschiedlicher politischer Ordnungslogiken | 234 6.3 Kooptation als besondere Form politischer Kommunikation | 242 6.4 Über die Funktion der ‚negativen Politik‘ | 250 6.
7.
Schlussbemerkungen | 259
7.1 Öffentliche Meinung als neuer Gegenstand für die Regimeforschung | 260 7.2 Öffentliche Meinung als Herausforderung an die Politik in Kyrgyzstan | 269 Anhänge | 277
Anhang A | 277 Anhang B – Glossar | 278 Literatur - und Quellenverzeichnis | 285
Vorwort
Das vorliegende Buch ist ein Ergebnis meiner jahrelangen Auseinandersetzung mit Politik und Konflikten in Kyrgyzstan. Seit meinem ersten Besuch in Bischkek im Frühjahr 2003 ist erstaunlich viel passiert und die Verhältnisse im Land haben sich stark verändert. Diesen Verwandlungen bin ich in den letzten Jahren immer wieder gefolgt. Auf meinem vielen Wegen hin nach Kyrgyzstan und zurück nach Berlin sind mir dabei unzählige Menschen begegnet, die in der einen oder anderen Form zum Gelingen meiner Forschungen beigetragen haben. An der ‚American University of Central Asia‘ in Bischkek fand ich nicht nur eine zweite akademische Heimat, sondern lernte auch neue Kollegen kennen, die mir immer wieder die Fallstricke kyrgyzischer Politik erklärten. Das ‚Social Research Center‘ unter Leitung von Aida Alymbaeva bot mir eine erste Anlaufstelle, während das ICP Department und später die Soziologie an der AUCA den Austausch mit interessierten Wissenschaftlern aus aller Welt ermöglichte. Besonders verpflichtet bin ich meinen Freunden und Kollegen Emil Juraev, Gulnara Ibraeva, Shairbek Juraev, Claudia Attucci, Johan Engvall sowie Cholpon Duisheeva, Aimeerim Tursalieva und Aikokul Arzieva. Meine Forschungen in Kyrgyzstan haben mich in die Kleinstädte der Republik geführt, wo ich lokalpolitischen Konflikten nachspürte und sie ließen mich bei einem Abgeordneten im Nationalparlament Korrespondenzakten studieren. Ich wohnte Talkshows zwischen Regierung und Opposition im Fernsehen bei und war regelmäßiger Besucher der Stadtbibliothek in Karabalta. In Zeiten permanenter Proteste folgte ich den Ereignissen auf dem Platz Ala-Too und ich floh aus dem Zentrum Bischkeks, als sich im April 2007 und im April 2010 die Zusammenstöße ins Tragische wandten. Alle diese besonderen Eindrücke hätte ich nicht sammeln können, hätten mir nicht ständig Freunde und Bekannte in Kyrgyzstan zur Seite gestanden. Zu tiefem Dank verpflichtet bin ich Tilek sowie Aziza-eje und meiner Gastfamilie Beishenalieva, die mir Schutz boten, als die Situation auf dem Ala-Too eskalierte.
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Auch zu Hause in Berlin und Deutschland habe ich unschätzbare Unterstützung und Förderung genossen. Meine Arbeit überhaupt erst möglich gemacht hat meine Doktormutter Barbara Christophe. Ihre wunderbare Fähigkeit, mich auch in schwierigen Momenten zu motivieren, und unsere unzähligen Diskussion in Berlin und Bischkek haben dazu beigetragen, meine Forschungen zu einem fantastischen Abenteuer werden zu lassen. Dafür bin ich ihr zutiefst dankbar! Förderung erhielt ich auch von der ‚Robert Bosch Stiftung‘, die mir im Rahmen eines Promotionskollegs den Austausch mit anderen Doktoranden ermöglichte, sowie vom DAAD, der mir einen weiteren Forschungsaufenthalt finanzierte. Mein Dank geht auch an meine Zweitbetreuerin Ingeborg Baldauf von der Humboldt Universität, die mich mit ihren kritischen Kommentaren noch einmal auf eine neue Auseinandersetzung mit der Quellenlage verpflichtete. Ich möchte meinen Freunden danken, die mir in all den Jahren mit Rat und Tat zur Seite gestanden haben. Ohne Dirk Christensen, Tanya Babanova, Agneta Schablow, Christian Timm, Jyldyz Beishenalieva, Jule Böhmer, Philipp und Elina Schröder, Andrea Schmitz, Anke Draude und Martin Hagemeier wäre dieses Buch wohl nie vollendet worden. Schließlich danke ich meiner Partnerin Asel Doolotkeldieva und ganz besonders meiner Familie, meinen Geschwistern Sonja, Eva und Roland und meiner Mutter Doris Hörster. Ihr Rückhalt gerade auch in schweren Zeiten hat mir geholfen, diese Arbeit schließlich fertig zu stellen. Dafür danke ich Euch!
1. Einleitung
Der Gegenstand des vorliegenden Buches ist die Politik in der Republik Kyrgyzstan. In diesem Staat in Zentralasien mündeten politische Prozesse in den Jahren seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion in zwei gewaltsamen Umstürzen, in Experimenten mit parlamentarischer Demokratie, in unzähligen Protesterscheinungen sowie Wahlveranstaltungen, welche die OSZE als die freiesten und fairsten in der Region feierte. Politik in Kyrgyzstan ist mit diesen einmaligen Erfahrungen ein besonderes Phänomen in Zentralasien, welches unsere erhöhte Aufmerksamkeit verdient. Diesen Ruf nach einer intensiven Beschäftigung mit politischen Prozessen in Kyrgyzstan möchte ich im Folgenden weiter begründen. Dabei führe ich auch in einige Hintergründe meines Gegenstands ein. Mein primäres Anliegen ist es, mit Hilfe meiner Forschungen zu politischen Konflikten in der Republik allgemeine Aussagen über die ‚Politik der Peripherie‘ zu treffen. Mit diesem Begriff ziele ich ab auf jene Politik, die abseits der globalen Zentren der Macht stattfindet, die aber auch zunehmend dem Zugriff globaler Verflechtungen unterliegt. Wie gestaltet sich Politik an diesen Orten, wo historische Erfahrungen von politischer Entscheidungsfindung immer stärker dem Druck moderner Systemzwänge ausgesetzt sind? Kyrgyzstan soll als Fallbeispiel dienen, um den möglichen dynamischen Prozessen von Adaption oder Adoption, von Übernahme, Annahme oder Widerstand, auf die Spur zu kommen. Mit meiner Untersuchung möchte ich beitragen zu einer vielseitigen Beschreibung dieser ‚Politik der Peripherie‘. In Bezug auf meinen Gegenstand, die Politik in der Republik Kyrgyzstan, und in Bezug auf politische Entwicklungen in Zentralasien und im post-sowjetischen Raum im Allgemeinen geht es mir dabei um die Problematisierung von drei Annahmen. Erstens wende ich mich gegen die häufig anzutreffende Erwartung, Politik in der Region Zentralasien und eben auch in Kyrgyzstan stehe für die Präsenz und Permanenz ‚traditioneller‘ Strukturen. ‚Tradition‘ kann dabei als Begriff für viele Vorstellungen stehen,
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vom ‚Orient‘ mit seinen ‚fatalistischen‘ Politikeinstellungen über den „Osten“, der eine „besondere Angelegenheit“ (Isajew 2006) ist, bis hin zu neueren Beobachtungen von ‚informellen Institutionen‘ und ihren mitunter allumfassenden Kräften. Was in diesen Beschreibungen nur unzureichend in Rechnung gestellt wird, ist die Anwesenheit moderner gesellschaftlicher Differenzierungsvorgaben. Damit meine ich die offensichtliche Tatsache, dass die Globalisierung und die zunehmende Vernetzung der Welt mit dazu beitragen, dass auch in der Peripherie Anpassungszwänge der Moderne entstehen, auf die örtliche Gegebenheiten irgendwie reagieren müssen. Aus Gründen, die ich in meinen theoretischen Überlegungen noch ausführe, werden diese Anpassungszwänge der Moderne in den meisten Beschreibungen der ‚Politik der Peripherie‘ negiert. In meiner Untersuchung rücke ich das Zusammenspiel zwischen den ‚örtlichen Gegebenheiten‘ und den ‚Anpassungszwängen der Moderne‘ in den Mittelpunkt. Meine These ist, dass moderne Formen der Differenzierung heute eine unhintergehbare Bedingung für die Ausformung politischer Prozesse darstellen. In unseren Beschreibungen politischer Entwicklungen in Zentralasien müssen wir dieser neuen Bedingung gerecht werden. Zweitens setze ich mich in meiner Untersuchung mit Vorstellungen auseinander, in denen diese ‚traditionellen Strukturen‘ qualifiziert werden. Im Vordergrund steht hier die Idee, diese Strukturen seien stabil und bildeten die Grundlage für die beeindruckende Dauer der in dieser Region existierenden politischen Regime. In der Forschung zu Politik in Kyrgyzstan sind verschiedene Konzepte getestet worden. Prominenz erlangt haben in den letzten Jahren Begriffe wie „Klane“, „Landsmannschaften“, „Regionalismen“ oder „erweiterte Familienverbände“ und „lokale Netzwerke“. Ihnen inhärent ist die gemeinsame Annahme, dass sie zur Ausbildung von mehr oder weniger stabilen politischen Loyalitäten beitragen und diese Loyalitäten sich wiederum in stabile Regimestrukturen übersetzen. Diese Begriffe und die ihnen eigenen Annahmen sind jüngst in die Kritik gekommen für ihre oft unzureichende Erklärung historischer Voraussetzungen und für ihre unscharfe Formulierung jener Bedingungen, die spezifische Loyalitäten bewahren helfen. Darüber hinaus hat gerade das Beispiel Kyrgyzstans empirische Irritationsware erster Güte geliefert, mit allein zwei Regimeumstürzen in fünf Jahren und einer inzwischen beeindruckenden Geschichte selektiver Mobilisierungen. Ich werde in meiner Diskussion gegenwärtiger Ansätze in der ‚vergleichenden Regimeforschung‘ und in den ‚Zentralasienstudien‘ diese Kritik und Irritation eingehend reflektieren. An dieser Stelle frage ich vorläufig nach den Reproduktionsbedingungen für die traditionellen Strukturen. Ich behaupte, dass „Klane“ und „Regionalismen“ wie auch alle anderen auf ‚Tradition‘ aufbauenden Begriffe einem Stresstest ihrer eigenen Bewährungsbedingun-
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gen unterzogen werden müssen. Voraussetzung dafür ist die Entwicklung eines angemessenen theoretischen Rahmens, der ‚Tradition‘ radikal als eine soziale Praxis versteht, welche immer in der Gegenwart stattfindet. Drittens möchte ich jenen Annahmen begegnen, mit denen Politik in Kyrgyzstan und der weiteren Region als Ausdruck eines besonderen Spiels geschickt kalkulierender Akteure skizziert wird. Die Idee hinter dieser Annahme ist, dass Akteure in der ‚Politik der Peripherie‘ mit einer ganz eigenen Umsicht ausgestattet sind, dass sie eine ganz spezielle Rationalität besitzen, die sie auch im scheinbar allumfassenden Chaos, wie jenes in Kyrgyzstan während der Tulpenrevolution im März 2005, sicher operieren und handeln lässt. Ich werde in meiner Analyse zeigen, wie sehr diese Vorstellung auch das Produkt einer besonderen Form politischen Streits ist. Die im Hintergrund dieser Ansicht formulierte Annahme lässt vorab bereits den etwaigen Einzug der Moderne wie auch stabile oder instabile politische Loyalitäten zur reinen Fassade werden, hinter der Akteure in einer für äußere Beobachter kaum zugänglichen Wirklichkeit agieren. Der Eindruck mangelnder Reflexion oder das Aufkommen von Handlungsunfähigkeiten widerspricht dieser Auffassung und wird, falls beobachtet, häufig als Teil der Fassade beschrieben. Meine Untersuchung richtet sich nun auf die Funktionsweise von Fassaden und problematisiert sie. Wie können Akteure überhaupt Rationalität bewahren, wenn sie mit modernen Bedingungen der Produktion und mit modernen Bedingungen der Beobachtung politischer Repräsentationen konfrontiert werden? Und was passiert, zugespitzt gefragt, wenn Akteure ihre Geschicklichkeit verlieren und die Entscheidungen in der Politik immer mehr Kontingenz bewältigen müssen? Meine These für dieses Problem lautet, dass Rationalität an anderem Ort, genauer gesagt: in der ‚öffentlichen Meinung‘ als der modernen Bedingung für politische Reflexion, gesucht werden muss. In der öffentlichen Meinung bildet sich die Kapazität aus, auf politische Ereignisse zu reflektieren und an sie rational anzuknüpfen. Um meine hier aufgestellten Thesen zu überprüfen treffe ich zwei für die vorliegende Untersuchung bedeutende Entscheidungen. Zum einen ziehe ich die Theorie sozialer Systeme heran, um meine Idee von der Verflechtung ‚örtlicher Gegebenheiten‘ mit den ‚Anpassungszwängen der Moderne‘ genauso auf einen tragfähigen Begriff zu bringen wie auch die radikalisierte Vorstellung von sozialer Praxis und von öffentlicher Meinung als Reflexionsinstanz der Politik. Zum anderen entscheide ich mich bei dem Zugang zur Empirie dafür, ‚Konflikte‘ als Methode der Materialanordnung wie auch der Analyse und Bewertung zu nutzen. Ich werde beide Entscheidungen etwas ausführlicher begründen, möchte aber vorab den Gegenstand dieses Buches, die Politik in Kyrgyzstan, vorstellen.
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Der historische Kontext ist schnell erzählt: Die politischen Verhältnisse in Kyrgyzstan waren nach der Unabhängigkeit 1991 einem steten Wandel ausgesetzt. Ein erster Schritt in Richtung Reformen und die Öffnung des politischen Systems erfolgte bereits Anfang der 90er Jahre. Askar Akajew, ein Gelehrter aus der Akademie der Wissenschaften, erklomm im Herbst 1990 überraschend das höchste Staatsamt und brach das Monopol der Kommunistischen Partei. In den ersten Jahren seiner Amtszeit präsentierte sich Akajew als liberal gesinnt und weltoffen, frei von den Zwängen alter Parteiseilschaften. Sein Programm versprach den Anschluss an die globale Welt, die Einbindung in internationale Organisationen und die Einleitung mitunter radikaler Reformen. Parallel zum Aufstieg Akajews wuchs die Demokratiebewegung, die in der Folge den Grundstein für eine stark fragmentierte aber dennoch vorhandene Parteienlandschaft und eine äußerst lebendige NGO Gemeinschaft bildete. 1 Diese Entwicklung fand mit der Annahme einer neuen Verfassung im Mai 1993 ihren Höhepunkt. Sie sah einen starken Präsidenten vor, der von einem machtvollen Parlament in seinen Entscheidungen kontrolliert werden konnte. Ein kyrgyzischer Sonderweg in enger Nachbarschaft mit entstehenden Präsidialregimen in Zentralasien. Die politische Entwicklung nahm eine erste Wende, als Akajew in Folge von Skandalen im staatlichen Goldabbau von seinem Recht Gebrauch machte und das Parlament auflöste und Neuwahlen für das Frühjahr 1995 ansetzte. Das Parlament blieb in der Folge zwar der Ort, an dem präsidiale Politik kritisch kommentiert wurde, es musste aber hilflos mit zusehen, wie die demokratischen Errungenschaften in der Verfassung sukzessive abgebaut wurden. Mit Hilfe von Referenden in den Jahren 1994, 1996, 1998 und 2003 ließ sich der Präsident mit immer neuen Vollmachten ausstatten, während er die Kompetenzen konkurrierender Organe reduzierte. Schützenhilfe bei diesem Vorgehen erfuhr der Präsident verstärkt aus seiner engeren familiären Umgebung und von ausgewählten Regimeanhängern. Zentral war die Entscheidung des Verfassungsgerichts von 1998, Akajew eine dritte Amtszeit zu erlauben, was einen Bruch mit der Verfassung bedeutete. 2 Die oberste Richterin Tscholpon Bajekowa, so wurde anschließend kolportiert, habe sich von Akajew mit Zusagen kaufen lassen. Gleiches berichtete man in der Folge auch über solch ambitionierte Politiker wie den Bisch-
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Vgl. zu den frühen politischen Entwicklungen in Kyrgyzstan Anderson (1999); zu Akajews Werdegang vgl. Spector (2004).
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Begründet wurde diese Entscheidung mit Verweis auf die unterschiedliche Legitimität der vorangegangenen Amtszeiten. Dem Urteilsspruch zufolge gehörte die erste Amtszeit nicht in die Zählung miteinbezogen, da sie nicht auf Basis der erst 1993 angenommenen Verfassung zustande gekommen war (vgl. Huskey 2002).
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keker Bürgermeister Feliks Kulow oder den Premierminister Kurmanbek Bakijew, der später Akajew im Amt des Präsidenten nachfolgen sollte. Wo Schützenhilfe und Zusagen nicht ausreichten, bewies das Regime unter Akajew auch vermehrt die Fähigkeit, repressiv gegen politische Gegner vorzugehen. Während bei den Präsidentschaftswahlen 1995 der Sieg noch mit mittelschwerem Wahlbetrug gesichert werden konnte, wurden im Jahr 2000 potentielle Mitbewerber per Gerichtsbescheid ins Gefängnis verbannt. Feliks Kulow wurde im März 2000 verhaftet und des Amtsmissbrauchs angeklagt und verurteilt. Zeitgleich mit dem Beginn dieser Repressionen organisierte die Umgebung des Präsidenten die Übernahme wichtiger Wirtschaftsbetriebe im Land. Insbesondere Präsidentensohn Aidar und der Schwiegersohn Akajews, Adil Toiganbajew, schafften in kurzer Zeit die Filetstücke der unterentwickelten Wirtschaft des Landes auf ihre Habenseite. 3 Im Frühjahr 2002 kam es schließlich bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei in dem Kreis Aksy zu mehreren Toten. Auslöser der Proteste war die Verhaftung des Parlamentariers Asimbek Beknasarow gewesen, der sich gegen den Verkauf von Land an die Volksrepublik China ausgesprochen hatte. Im Anschluss an diese Tragödie erhoben sich überall im Land Proteste gegen Präsident und Regierungsvertreter, die das Regime mit der selektiven Absetzung bestimmter Kader zu beruhigen versuchte. Akajew stimmte der Einberufung einer Verfassungskommission zu, die Vorschläge für eine Reform erarbeiten sollte. Das Resultat dieser Gruppe fiel indes mager aus, nachdem der Präsident nach einer Phase des Zögerns plötzlich die Abschaffung der Kommission und die Einrichtung einer Expertenversammlung verfügte, welche regierungsgenehme Vorschläge unterbreitete. Das Referendum im Februar 2003 besiegelte diesen letzten Coup des Präsidenten. Im Vorfeld der Parlamentswahlen 2005 entstanden im Land mehrere Oppositionsbewegungen, die im Widerstand gegen das Regime Akajews vereint waren. Bedeutenden Einfluss gewannen die Volksbewegung Kyrgyzstan unter Führung des ehemaligen Premierministers Bakijew und die Organisation Ata-Schurt mit der ehemaligen Außenministerin Rosa Otunbajewa an der Spitze. Diese Organisationen forderten Reformen und versuchten, den Repressionen Einhalt zu gebie-
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Kurz vor der Jahrtausendwende erhöhte die politische Ratingagentur Freedomhouse in ihrer jährlichen Bewertung politischer Freiheiten die Werte für Kyrgyzstan. Sowohl für „Politische Rechte“ als auch für „Bürgerliche Freiheiten“ stiegen die Werte von 4 auf 5 für das Jahr 1998. Nachdem für das Jahr 2000 der Wert für Politische Rechte auf 6 stieg, verlor Kyrgyzstan seinen Status als „teilweise frei“ und wurde als „nicht-frei“ eingestuft (vgl. Freedomhouse 2009).
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ten. Am Ende brachte die Opposition vereinigt genug Schlagkraft auf, um die Herrschaft Akajews im März 2005 zu beenden. Diese Ereignisse wurden als ‚Tulpenrevolution‘ weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt und sie standen in einer Reihe mit anderen sogenannten ‚Bunten Revolutionen‘ im postsowjetischen Raum. Nachdem Akajew aus Amt und Land gejagt worden war, brach sich eine Vielzahl neuer politischer Kräfte Bahn. Der aus der Haft befreite Feliks Kulow kümmerte sich kurzfristig um die Sicherheit in Bischkek, während Ex-Premier Bakijew zum geschäftsführenden Präsidenten ernannt wurde. Das neue Parlament begann unter Leitung des Sprechers Omurbek Tekebajew seine Arbeit, derweil überall im Land Bewegungen, NGOs und soziale Protestgruppen ihren Anliegen Gehör zu verschaffen suchten. Unter dem Vorsitz von Tekebajew entwarf eine Kommission einen international anerkannten Verfassungsvorschlag, während Bakijew mit überwältigender Mehrheit im Juli 2005 die Präsidentschaftswahlen gewann. Die OSZE bezeichnete die Wahlen als einen Meilenstein in der Demokratisierung in Zentralasien. Selbst als der neue Präsident seine eigene Idee für eine Verfassung der Kommission aufdrückte, blieb die Tendenz hin zu mehr politischer Pluralität bestehen. Ab dem Frühjahr 2006 trat die Zivilgesellschaft mit Forderungen nach Rechtsstaatlichkeit und weiteren demokratischen Reformen an die Öffentlichkeit. Mit der Gründung der Bewegung Für Reformen stand schließlich eine neue Opposition, die lautstark Reformschritte einforderte. Im November 2006 gipfelte der Streit in der Annahme einer neuen Verfassung, die die Einrichtung einer parlamentarischen Republik vorsah. Im Anschluss an die Rücknahme dieser November-Verfassung durch den Präsidenten im Dezember 2006 formierte sich umgehend eine neue Oppositionsbewegung. Andauernde Proteste der Vereinigten Front im April 2007 wurden schließlich durch Sicherheitskräfte aufgelöst und mit Repressionen beantwortet. Viele Führungsfiguren der Opposition wurden anschließend vom Regime kooptiert und erhielten Posten im Machtapparat. In der vorliegenden Untersuchung ist es die Entwicklung in den Auseinandersetzungen zwischen Für Reformen und dem postrevolutionären Regime von Präsident Bakijew, welche die erste Fallstudie bildet. Die zweite Fallstudie behandelt den Konflikt zwischen der Bewegung Vereinigte Front und dem Regime. 4 Die Entwicklungen im Anschluss an die Zerschlagung der Vereinigten Front sahen die erneute Einrichtung eines autoritären Regimes in Kyrgyzstan. Mit Hilfe eines weiteren Referendums im Oktober 2007 schuf sich Bakijew erst eine genehme Verfassung und mit Parlamentswahlen im folgenden Dezember
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Vgl zu Personen und politischen Bewegungen die Angaben im Anhang B.
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schließlich ein höriges Parlament. Ab dem Frühjahr 2008 war jegliche Opposition isoliert und Repressionen setzen sowohl den Medien sowie vereinzelten Opponenten in den Jahren bis 2010 zu. Bei den Präsidentschaftswahlen im Sommer 2009 bot das Ergebnis von über 90% der Stimmen für Amtsinhaber Bakijew bereits keine Überraschung mehr. Die Opposition konnte trotz der Kritik an massiver Wahlfälschung keine Proteste organisieren. Sie blieb auch in den folgenden Monaten erfolglos, als Bakijews Familie begann, sich formal alle lukrativen Zweige der Wirtschaft unter den Nagel zu reißen, insbesondere durch die Vergabe von Schlüsselstellen an seinen Sohn Maksim Bakijew. Ab 2009 begann so die systematische Ausbeutung vorhandener Ressourcen mit der fingierten Privatisierung des Energiesektors, der Übernahme rentabler Telekommunikationsbetriebe und schließlich die massive Erhöhung aller Sozialabgaben im Winter 2009/2010. 5 Im April 2010 explodierte die Lage plötzlich. Am 7. April kam es in Bischkek zu Protesten, die im Sturm auf das Weiße Haus, den Regierungssitz im Zentrum der Hauptstadt, mündeten, bei dem mehr als 80 Menschen ums Leben kamen. Seit diesen Ereignissen hat sich die Politik in Kyrgyzstan wieder auf ein unbekanntes, offenes Terrain begeben. Eine neue Verfassung, angenommen in einem Referendum im Juni 2010, brachte demokratischen Fortschritt. Gleichzeitig gewannen die politischen Herausforderungen in Kyrgyzstan mit den ethnischen Auseinandersetzungen zwischen Kyrgyzen und Usbeken im Juni 2010 in Osch im Süden der Republik, bei denen hunderte Menschen starben, auch eine internationale Dimension. Weitere Schritte hin zu demokratischen Reformen hängen seitdem immer davon ab, ob parallel zum Aufbau eines neuen politischen Systems auch das Gewaltrisiko unter Kontrolle gehalten werden kann. Ich konzentriere mich in meiner Analyse der Politik in Kyrgyzstan auf den kurzen Zeitabschnitt zwischen der ‚Tulpenrevolution‘ und den Wahlen zum Parlament im Dezember 2007. Genauer formuliert geht es mir um die Entstehung der beiden Oppositionsbewegungen Für Reformen und Vereinigte Front und die Dynamik ihrer Auseinandersetzung mit dem Regime um Präsident Bakijew. Am Beispiel dieser Konflikte werde ich zeigen, wie sehr politische Prozesse durch moderne Differenzierungsvorgaben geprägt werden, wie sehr traditionelle Strukturen unter dem Eindruck täglich neuer Konfliktanforderungen die Grenzen ihrer Reproduzierbarkeit erfahren, und wie schließlich über die öffentliche Meinung vermittelte politische Repräsentationen dem Risiko des Geltungsverlusts ausgesetzt sind.
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Einen Eindruck von diesen Entwicklungen vermitteln die Berichte der US Amerikanischen Botschaft in Bischkek (vgl. Wikileaks, 29.12.2010).
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Für die Zwecke meiner Untersuchung mache ich Gebrauch von der Theorie sozialer Systeme, wie sie von Niklas Luhmann und seinen Schülern in den letzten Jahrzehnten entworfen worden ist. Diesen Schritt möchte ich kurz erklären. Schließlich hat Luhmanns Systemtheorie die laufenden Debatten in den Sozialwissenschaften nachhaltig beeinflusst, ihre Anwendbarkeit für empirische Untersuchungen ist allerdings umstritten geblieben. Die Vorwürfe lauten: zu abstrakt, im Prinzip bereits aus sich selbst heraus erklärbar, und schließlich ohne eine entwickelte Methodik. Ich werde in meinem Theoriekapitel noch genauer auf diese Vorwürfe eingehen. Hier möchte ich nur festhalten, dass mein Rückgriff auf die Systemtheorie mit der Hoffnung verbunden ist, die oben festgehaltenen Annahmen begrifflich besser fassen zu können. Besonders der Fokus in der Systemtheorie auf Kommunikation und auf die Bedingungen kommunikativer Anschlussfähigkeit erlaubt, Vorstellungen wie ‚örtliche Gegebenheiten‘ und ‚Anpassungszwänge der Moderne‘ als gleichförmige Begriffe zu konzipieren, um sie anschließend in einen Bezug zueinander zu setzen. Er ermöglicht es auch, traditionelle Strukturen als Praxis zu rekonstruieren und sie so genauer auf ihre Relevanz im politischen Streit hin zu untersuchen. Schließlich stellt die systemtheoretische Annahme von modernen ‚Funktionssystemen‘ das passende Rüstzeug bereit, um die in dieser Arbeit zentral behandelte Rolle von der öffentlichen Meinung begrifflich auf sichere Füße zu stellen. Die Entscheidung, ‚Konflikt‘ als Methode anzuwenden, folgt dem Anspruch, politische Entwicklungsdynamiken nachzuzeichnen. Es geht in der vorliegenden Untersuchung primär um Veränderungen in der Politik in Kyrgyzstan. Und meine These lautet, dass diese Veränderungen zentral mit den Formen der Auseinandersetzung um Macht zu tun haben. Konflikt als Mittel, um den Fokus meiner empirischen Beobachtungen zu schärfen, rührt somit zum einen aus der Annahme, dass Politik immer die Form von Konflikten annimmt, Politik anders letztlich gar nicht möglich ist; zum anderen gehe ich davon aus, dass in den politischen Konflikten in Kyrgyzstan, in den Auseinandersetzungen zwischen den Oppositionsbewegungen und dem Regime von Präsident Bakijew, die Effekte der unterschiedlichen Differenzierungsvorgaben sowohl sichtbar werden wie auch ihre Transformation – in welcher Form auch immer – stattfindet. Konflikte sind, anders formuliert, das Medium, in dem Politik prozessiert wird. Und so wie sich aus diesem Grund die Anordnung empirischen Materials in Form von Konflikterzählungen empfiehlt, so eröffnet auch die Analyse der Eigenschaften von Konflikt im Anschluss die Chance, mehr über die Dynamik der ‚Politik der Peripherie‘ zu erfahren. Die Herausforderungen an ein solches Konfliktmodell diskutiere ich am Ende meines zweiten Kapitels, welches mit der Theoriediskussion im Anschluss an
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diese Einleitung einsetzt. In dieser Diskussion wende ich mich zuerst den weiter oben skizzierten Annahmen in herkömmlichen Beschreibungen von Politik in Zentralasien zu, um die Anforderungen an mein eigenes theoretisches Konzept genauer formulieren zu können. Daran knüpft eine kurze Diskussion systemtheoretischer Prämissen an, auf die ich für die Entwicklung der von mir benutzten Begriffe zurückgreife. Die Überlegungen zu Konflikt und die Aufstellung erweiterter Thesen schließen das Theoriekapitel ab. Es folgen drei Kapitel (3, 4, 5), in denen ich meine Fallstudien in Form von Konflikterzählungen vortrage und dabei an passender Stelle Reflexionsabschnitte einschiebe. Im Analysekapitel (6) widme ich mich der weiterführenden Interpretation meiner primären Fragen, insbesondere dem Einfluss der Moderne und der Frage nach Stabilität in einem politischen System in der Peripherie. Abschließend diskutiere ich in zwei Schlussbemerkungen (7) Möglichkeiten für eine Weiterentwicklung meines Konzepts sowie die Bedeutung meiner Forschung für unser Verständnis gegenwärtiger und zukünftiger Entwicklungen der Politik in Kyrgyzstan und Zentralasien.
THEORIE
2. Zum Begriff des Politischen
Das Theoriekapitel gliedert sich in drei Abschnitte. In jedem Abschnitt werden spezifische Probleme bearbeitet, um abschließend sowohl eine genaue Vorstellung von der ‚Politik der Peripherie‘ zu gewinnen als auch einen Zugang zum empirischen Material aufzubauen. Im ersten Abschnitt konzentriere ich mich auf die Diskussion gegenwärtiger Ansätze zur Erklärung von Politik in Zentralasien, um Konzeptentscheidungen zu problematisieren und theoretische Annahmen zu hinterfragen. Im zweiten Abschnitt entwickle ich mit Hilfe systemtheoretischer Überlegungen ein Konzept von Politik, in dem der Begriff der politischen Funktionslogik neu definiert wird und dem Medium der ‚öffentlichen Meinung‘ eine zentrale Stelle als Reflexionsinstanz zukommt. Im dritten Abschnitt baue ich meine Thesen über die politischen Prozesse in Kyrgyzstan aus und entwickle eine Methode für ihre empirische Überprüfung. Die Arbeit in allen drei Abschnitten erfolgt vor dem Hintergrund der Annahme, dass die Politik der Peripherie ein Phänomen ist, welches sich nicht auf die Unterscheidungen zwischen Ost und West oder Moderne und Tradition reduzieren lässt. Im Gegenteil: Die Politik der Peripherie ist komplex, sie ruht auf ihren ganz eigenen Strukturen und sie besteht auf der Autonomie ihrer Prozesse. Folgt man dieser Annahme, dann muss man die Politik der Peripherie als Überraschung verstehen, als Ereignis oder Phänomen, dessen Genese unwahrscheinlich ist und die mit vorgefertigten Schablonen immer nur unzureichend beschrieben und erklärt werden kann.
2.1 D ER B EGRIFF DES ‚P OLITISCHEN IN Z ENTRALASIEN ‘ IN DER P OLITIKWISSENSCHAFT Die Politikwissenschaft hat in den vergangenen Jahren mehrere Ansätze entwickelt, um Politik in der ehemaligen Sowjetunion und in Zentralasien auf einen Begriff zu bringen. Bedeutende Beiträge wurden in den Zentralasienstudien und
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in der vergleichenden Regimeforschung geleistet. Mit Blick auf meinen Forschungsgegenstand diskutiere ich im Folgenden einige dieser Beiträge. Dabei sind die Unterschiede zwischen den beiden Disziplinen von Beginn an klar. Deutlich ist die Aufmerksamkeit, welche die Zentralasienstudien als ‚area studies‘ den regionalen Spezifika von Politik zuteilwerden lassen. In Untersuchungen mit nur wenigen Vergleichsobjekten oder in detaillierten Fallstudien werden die politischen Prozesse rekonstruiert und analysiert. In den Vordergrund rücken Phänomene, die mit üblichen Vorstellungen vom modernen Staat und mit entsprechenden Konzepten nur schwer zu fassen sind. Hier wird gefordert, die Unterscheidungen zwischen Moderne und Tradition, zwischen Formalität und Informalität, zwischen Öffentlichkeit und Privatem, neu zu ziehen. Ganz anders die vergleichende Regimeforschung, die sich bemüht, möglichst viele Regimeausprägungen miteinander zu kontrastieren. Regionale oder lokale Spezifika stören die Analyse, wenn das Ziel ist, Typologien und Kategorien aufzustellen, mit denen die Performance vieler unterschiedlicher Fälle in Beziehung zueinander gesetzt und bewertet werden kann. Gerade die ‚Bunten Revolutionen‘ haben in den vergangen Jahren die Suche nach neuen Kriterien für die Feststellung von Demokratie und Demokratisierung neu beflügelt. Die Herausforderung ist für beide Disziplinen, eine angemessene Beschreibung des häufig nur unscharf umrissenen Gegenstands, also jene ‚Politik der Peripherie‘, anzufertigen und ihn widerspruchsfrei erklären zu können. Der Versuch, diese Herausforderung zu meistern, hat zu ganz unterschiedlichen Annäherungen an den Gegenstand geführt, auch innerhalb der Disziplinen. Die Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft ist dabei jene Annahme, mit der sich alle Versuche in irgendeiner Form auseinandersetzen. In der folgenden Diskussion reflektiere ich auf diese Auseinandersetzungen, um den Begriff der Politik und des Politischen stärker zu problematisieren. Welches Konzept von Politik wird der Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft zugrunde gelegt und wie bestimmt diese Beziehung die Beobachtung und Untersuchung des Gegenstands? Meine These lautet im Anschluss an die Diskussion, dass ein genauer Begriff von der ‚Funktionslogik‘ von Politik dabei hilft, diese Beziehung auf ein sicheres theoretisches Fundament zu stellen. Und das wiederum ermöglicht es, neue Konzepte für das Verhältnis von ‚örtlichen Gegebenheiten‘ zu ‚globalen Anpassungszwängen‘ zu entwickeln.
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Politische Vorstellungen und Ideen von der Gesellschaft in Kyrgyzstan In Kyrgyzstan eröffnen bereits wenige Gespräche die Fülle an Formationen, mit denen Alltagsleben und Herrschaftsverhältnisse im Land sortiert werden. Die Bandbreite reicht dabei von Familien über Klane und Stämme bis hin zu ganzen Regionen, die antreten, um strittige Angelegenheiten zu ihren Gunsten zu entscheiden. Zum Beispiel erzählte mir Estera, eine Angestellte in einer Stadtverwaltung, dass sie ihren Job nur mit Hilfe von Beziehungen in ihr Heimatdorf bekommen hatte (Interview #9). Entscheidend sei eben, wessen ‚Semljak‘ oder wessen ‚Semljatschka‘ 1 man ist, also wessen ‚Landsmann‘ oder ‚Landsmännin‘. Solche Beziehungen, meinte Estera, würden die Strukturen traditioneller Klannetzwerke aufbrechen und es würde keine Rolle spielen, aus welchem ‚rod‘ 2, welchem ‚Klan‘, man stammt. Ganz anders Esenbek, der stellvertretende Leiter einer Regionalverwaltung, der sich als Vertreter des Klans der ‚Sajak‘ vorstellte und mir die Zusammensetzung der Klane in der Gegend erklärte, in der auch noch ‚Monoldor‘ und ‚Solto‘ leben (Interview #10). Besonders stolz war Esenbek auf die Abstammung mütterlicherseits von ‚Dschajyl Batyr‘, dem Helden des Tschuj Tals, der die Region im 18. Jh. lange Zeit gegen äußere Feinde verteidigte. 3 Tilek schließlich beschwerte sich mir gegenüber über die ‚Südler‘, die er überall in den Norden strömen sieht (Interview #11 u. #12). Er verdächtigte Bakijew einer bewussten Steuerung dieses Prozesses, um bei anstehenden Wahlen auch im Norden eine Mehrheit sichern zu können. Davon abgesehen seien die wichtigsten Staatsposten bereits in Händen der ‚Südler‘: Usen Sydykow, Schanysch Bakijew, Taschtemir Ajtbajew seien doch alles ‚Oschskije‘. 4 Und die brächten ihre Leute mit und besetzten alle Posten. Die regionale Herkunft sei eben entscheidend, das ‚rod‘ hingegen bei solch einem Vertrauensbeweis unerheblich.
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„Земляк“ und „землячка“ bedeutet im Deutschen „Landsmann“ und „Lansmännin“. „Род“ bedeutet im Deutschen „Sippe“, „Geschlecht“, „Klan“ oder auch „Stamm“. Im Englischen „clan“ oder „kin“. Häufig auch benutzt im Begriff „родоплеменная структура“ der im Deutschen annäherungsweise vielleicht mit „Sippen- und Stammesstruktur“ übersetzt werden kann. Ich benutze im Folgenden den Begriff „Klan“.
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In der Enciklopedia (1994: 559) heißt es zu Dschajyl Batyr „Dschayjl, Kornubaj uulu, Dschajyl baatyr (Geburtsjahr unbekannt – ca. 1770, westl. Teil des Tschuj Tals), Manap aus dem rod Solto, Enkel von Talkan bija.“ (Ebd.)
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Vgl. zu den Personen die Angaben in den folgenden Fallstudien und im Anhang B.
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Bei ihrem Auftritt scheinen alle Formationen, ob nun Familien oder ganze Regionen, die Eigenschaft zu teilen, keine formalen Befugnisse zu besitzen. Sie scheuen die Öffentlichkeit und agieren informell. Gleichzeitig unterstellen ihnen viele Beobachter einen bedeutenden Einfluss auf das soziale und politische Leben im Land, auch wenn, das deuten die Beispiele an, Unklarheit über ihre relative Stärke besteht. Den Spekulationen über die Relevanz der Formationen tut diese Unklarheit allerdings keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil, seit einigen Jahren setzt sich sowohl die Öffentlichkeit in Kyrgyzstan als auch die Wissenschaft mit ihnen verstärkt auseinander. Im Folgenden rekonstruiere ich diese Debatte einleitend mit der Auswahl einiger Ansätze. Dabei sind für mein Vorhaben weniger erschöpfende Diskussionen der Auseinandersetzungen entscheidend, sondern erste Hinweise auf die Rahmen, innerhalb derer das Verhältnis von Gesellschaft und Politik beschrieben wird. Ein erster Ansatz zeichnet sich durch die Konzentration auf die Gesellschaft und ihre Zusammensetzung aus. Baimatov (2006) beispielsweise gibt ein irritierendes Bild existierender Beziehungsnetzwerke in Kyrgyzstan: „The Kyrgyz society is characterized by deeply rooted clan identities and kinship reciprocities [ . . . ] Clan-based ‚patron-client‘ relations and ethno-regional solidarity groups exert a substantial impact on building and sustaining local identities and elite loyalties. These include segmental loyalties such as kinship-based networks, ethnic identities, clans, regional elites, clientele and tribal cleavages interwoven into social fabric of the society.“ (Baimatov 2006: 20)
Die kritiklose Aufzählung verschiedener Formationen schließt hier mit der Bezeichnung von Gruppen, denen die Macht über politische Entscheidungsfindungsprozesse zugesprochen wird: „Domestic political and economic decision making is successively controlled by two Northern and two Southern clans. [ . . . ] the North is represented by Chui-Kemin and Talas-Naryn clans. The Southern clans are recruited from two most powerful kin groups inhabitating Aalay and Osh provinces, namely, Ichkilik and Otuz Uul.“ (2006: 20 f.) Andere Autoren setzen diesem Mix aus regionaler Verwurzelung (Tschuj-Kemin / Talas-Naryn) mit traditioneller Klanzugehörigkeit (Itschkilik / Otus Uul) eine historisch informierte und in der Debatte häufiger anzutreffende Beschreibung entgegen. Danach setzte sich das Volk der ‚Kyrgyzen‘ aus 40 Stämmen zusammen, die in drei Stammesföderationen vereint waren: ‚Rechter Flügel‘ (‚on kanat‘), ‚Linker Flügel‘ (‚sol kanat‘) und ‚Mitte / Innen‘ (‚itschkilik‘) (Temirkoulov 2004: 94; Berdikeeva 2007: 9; Israilova-Chariechuzen 1999). Vereinzelt wird auch nur von zwei Föderationen ausgegangen, die dann ‚Kyrgyzen‘ und ‚Otus Uul‘ genannt
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werden (Mokeev 2006). Viele weitere Beschreibungen mit unterschiedlichen Konstellationen von Formationen existieren (vgl. Diskussion bei Gullette 2010: 36 f.; 50 ff.), die zusammen verdeutlichen, dass ein Konsens in dieser Frage in weiter Ferne liegt. Gleich bleibt allen die Annahme, dass ausgewählte Gruppen in Kyrgyzstan die Politik und den Staat im Griff haben und Prozesse steuern. Kritik an dieser Debatte wird in geschichtswissenschaftlichen Arbeiten geäußert. Hier wird zum einen hervorgehoben, wie ungenügend die Quellenlage noch immer ist um überhaupt Formationen bestimmen zu können (Džunušaliev / Ploskich 2000; Turdalieva 2005; Asanov 2005) und zum anderen betont, dass die Vorstellungen über soziale Praktiken für die Ausbildung von Identitäten in solchen Formationen einer konstruktivistischen Überprüfung kaum standhalten (Gullette 2002: 36 ff.; 2010). Die Frage nach der ‚richtigen‘ Formation mündet in diese erste Auseinandersetzung um die Verfassung der Gesellschaft. Eine zweite wird meiner Beobachtung nach um die angemessene Einschätzung historischer Transformationen geführt. Einige Autoren sehen die sowjetische Modernisierung kritisch (Berdikeeva 2007: 9 f.; Mokeev 2006). Der Vorwurf an sie lautet, die kulturellen Werte des Nomadenvolks der ‚Kyrgyzen‘ abgelehnt und so das Erbe einer auf Gleichheit und Kollektivismus aufbauenden Sozialstruktur zerstört zu haben. Damit, so das Argument, ist auch die hier nahe gelegte Demokratieaffinität der Kyrgyzen in Mitleidenschaft gezogen worden. Der postsowjetische Staat kann diese Fehlentwicklung nur korrigieren, wenn er sich darauf einlässt, kulturelle Spezifika zu berücksichtigen und in sein System zu integrieren. Umgekehrt steht für andere Experten das nomadische Erbe für die Langlebigkeit überkommener paternalistischer Strukturen (Nogojbaeva 2007: 107; Chanin 2000; auch Džunušaliev / Ploskich 2000). Die Sowjetunion brachte die erlösende Modernisierung, administrative Kontrolle, wirtschaftlichen Wohlstand und schließlich auch ein zeitgemäßes Kaderwesen. Heute ist der Staat aufgerufen, diesen Weg konsequent weiter zu gehen und die Gesellschaft stärker zu transformieren. Die methodischen Mängel und unzulässigen Parteilichkeiten in dieser unterschiedlichen Vereinnahmung von Geschichte für politische Agenden sind hinlänglich bekannt (Gullette 2010). Ich möchte an dieser Stelle auf den Widerspruch aufmerksam machen, der sich bei der Umkehrung des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft einstellt. Ist in der ersten Debatte noch Gesellschaft als unabhängige Variable eingeführt, mit welcher der abhängige Staat erklärt wird, so endet die zweite Debatte in Aufrufen an einen nun unabhängigen Staat, die seinen Reformen ausgesetzte Gesellschaft zu verändern. Im Ergebnis leiden Beschreibungen und Erklärungen nicht nur an dem häufig noch kritiklosen Rück-
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griff auf historische Quellen, sondern auch an einer theoretisch nicht ausreichenden Klärung der Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft. Ein zweiter Ansatz, der den Staat zum Ausgangspunkt weiterer Überlegungen nimmt, hilft über diesen Widerspruch nicht hinweg. Angesichts der Erfahrung präsidialer Willkürherrschaft dominiert hier die Frage, wie der Staat beschaffen sein muss, um exekutive Effektivität zu erzeugen: „The presidential system functions according to the principle of ‚the winner takes it all‘. [ . . . ] Concentration of power does not encourage coalitions or compromises. Any person elected to his high post by popular vote is elated; he tends toward authoritarian methods of rule and nepotism, creates favourites, etc. [ . . . ] The presidential system does not lead to public compromises and agreements, two indispensable democratic elements; by contrast, the collegiate nature of parliamentary democracy is perfectly adjusted to them.“ (Kurmanov 2006: 57 f.)
Problematisch ist dieses Konzept von Staat, da es wenig darüber aussagt, mit was für einer gesellschaftlichen Umwelt der Staat es bei seinen Aktionen in Kyrgyzstan zu tun bekommt. In diesem Ansatz ist der Begriff von der Gesellschaft nur unzureichend formuliert und ihre Beziehung zum Staat bleibt letztlich unklar. Greift der (autoritäre oder präsidiale) Staat in die Gesellschaft ein, so kann das zu „ethnic, clan, regional, etc. symbol of domination and subjugation“ (Kurmanov 2006) führen, zu „Klanen“ oder „regionalen Symbolen“ für die Gesellschaftsdifferenzierung (Kurmanov 2006: 58), schließlich auch zu „PatronKlient Beziehungen“ (Shukuralieva 2007), und zu „Regionalismus“, „Trajbalismus“ und einer „patriarchalisch-unterwürfigen politischen Kultur“ (Mamytova 2000). Vor dem Hintergrund dieser Vorstellung von einer Gesellschaft, bestehend aus anti-modernen Elementen, gerät auch in diesem Ansatz der Aufruf zu mehr Demokratie in einen Widerspruch. Auf die Feststellung einer oberflächlichen Demokratie: „Democracy in Kyrgyzstan is superfluous — the society remains devoted to the pre-Soviet (clan system) and socialist (collectivist) norms and principles. The democratization process is slowed down by the mounting informal relationships (the clan system and tribalism being the most typical of them)“ (Elebaeva 2007: 77), folgt die Empfehlung, die Demokratie mit Hilfe staatlicher Entscheidungen zu stärken: „the state should abandon the legal norm of off-term presidential elections and create mechanisms of power transfer to finally achieve a balance of power and social stability. The system of institutions should be improved to be able to promptly respond to mounting conflicts.“ (Ebd.) Der Widerspruch liegt jetzt in der verdrängten Frage nach der Legitimität einer die Demokratie stärkenden politischen (staatlichen) Entscheidung. Im vor-
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liegenden Text mündet der unterschwellige Konflikt im Versuch, die Nation als einendes Band, als Einheit der Unterscheidung 5 von Staat und Gesellschaft, zu platzieren: „In fact the country needs a national idea as an instrument of social consolidation [ . . . ] modernization should be rooted in the country’s national and cultural specifics. All ethnic and regional groups should curb their special interests to reach a consensus. Traditional culture is a collectivist culture. We should always bear in mind that tribalism may undermine the state’s stability and integrity.“ (Ebd.)
Dass dieser Forderung nach neuer sozialer Konsolidierung mit Hilfe der Nation nur schwerlich nachgekommen werden kann, legt die ambivalente Nutzung des Begriffs des Kollektivismus im vorliegenden Beispiel nahe. Das demokratiehemmende Erbe des sozialistischen Kollektivismus steht quer zum traditionellen Kollektivismus, der als Ressource für eine soziale Konsolidierung angesehen wird. Der Funktionsunterschied zwischen beiden Formen bietet sicherlich Spielraum für weitere Interpretationen. Entscheidend ist aber für die vorliegende Diskussion über das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft, dass auch einende Ideen wie Nation, oder auch Volk, selbst widersprüchlich angelegt sind und in der Folge weitere Abhängigkeiten produzieren (z.B. von Kollektivismus oder Tradition oder Ethnie). Zusammenfassend ist auch für den zweiten Ansatz zu konstatieren, dass die Beschreibung von Staat und die daran anschließende Erklärung unter der einseitigen Festlegung auf eine Seite in der Unterscheidung leiden. Der Versuch, auf eine allumfassende Einheit wie ‚Nation‘ auszuweichen, führt die Problematik nur fort, hilft aber nicht über die anfangs widersprüchlich formulierten Annahmen hinweg. Die Schwierigkeiten, das zeigen die folgenden Diskussionen, liegen anscheinend in einer genauen Bestimmung des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft. Gesellschaftliche Formationen und politische Identitäten in Zentralasien Auch in politikwissenschaftlichen Ansätzen in den Zentralasienstudien hat man seit geraumer Zeit versucht, die Identität von exklusiven gesellschaftlichen Gruppenakteuren genauer zu bestimmen, um so die politische Dynamik in der Region besser erklären zu können (Jones Luong 2002; Collins 2006; Schatz
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Vgl. hierzu die Diskussion über die Formen des Unterscheidens und Bezeichnens bei Luhmann (1997: 60 ff.).
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2004). Diese Bemühungen haben unsere Erkenntnisse über die politischen Entwicklungen in Zentralasien in der Zeit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion enorm erweitert. Informelle Institutionen und ihr politisches Wirken sind erstmals beschrieben worden, darüber hinaus wurden in ausgewählten Fallstudien die unterschiedlichen Transformationspfade Kasachstans, Usbekistans, Tadschikistans und Kyrgyzstans rekonstruiert. Ich möchte mich im folgenden Abschnitt weniger dem Vergleich zwischen den Republiken widmen, sondern, im Rahmen meiner Suche nach einem angemessenen Begriff für Politik und ihrem Verhältnis zur Gesellschaft, auf die Annahmen konzentrieren, auf welche diese Untersuchungen aufbauen. Die Frage nach der Identität in Zentralasien wird in diesen Arbeiten verknüpft mit der Frage nach den Effekten von siebzig Jahren sozialistischer Planwirtschaft und sowjetischem Staatsaufbau. Für Jones-Luong (2002) sind diese Effekte einschneidend. Ihrer Untersuchung zufolge sind die Identitäten von Gruppenakteuren in der Region Ausdruck klientelistischer Verteilungspraktiken, die am formalen Aufbau der sowjetischen staatlichen Administration aufgehängt waren (2002: 55 ff.). Politische Verwaltung und sozialistische Planwirtschaft zwangen die Menschen in regionale Verteilungsnetzwerke, über die Ressourcen ausgeschüttet wurden. In Kyrgyzstan kam es so zur Entstehung der Konkurrenz zwischen Norden und Süden und mit Hilfe einer hierarchisch aufgebauten Verwaltung und der Institutionalisierung der Abhängigkeiten auch zur Ausbildung regionaler Identitäten. Traditionelle Klanformationen hingegen wurden marginalisiert (2002: 64). Als Gruppenakteure rangen Eliten aus Nord und Süd in Kyrgyzstan ab Anfang der 90er Jahre um politischen Einfluss. Nach JonesLuong bestimmten regionale Identitäten die Wahrnehmung der Akteure, gleichzeitig bedeuteten Veränderungen in den Machtverhältnissen im Verlauf andauernder Konflikte auch eine Veränderung dieser relativen, weil historisch bedingten Wahrnehmung (2002: 2 f.). Dieser Ansatz erklärt, warum sich in Zentralasien in den 90er Jahren unterschiedliche Machtarrangements ausbildeten. Anders als im stark zentralisierten Usbekistan dominierten in Kyrgyzstan die starken Regionen, die nur ein schwaches Zentrum zuließen. Erst später änderten sich die Wahrnehmungsmuster mit besonderen Ereignissen wie den Referenden 1994 und 1996. Jetzt konnte Präsident Akajew in immer neuen Verhandlungsrunden seine Macht sukzessive ausbauen (2002: 275). Anders als Jones-Luong sehen Collins (2006) und Schatz (2004) die Gestaltungskapazitäten sowjetischer Institutionen kritisch. Sie betonen in ihren Untersuchungen vielmehr die Anpassungsfähigkeit ehemals traditioneller Institutionen wie Klane: „In spite of Moscow’s intense efforts to create socialism from scratch, the very social and economic institutions created by the communist re-
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gime instead fostered social, economic, and consequently political subversion.“ (Collins 2006: 84) Selbst die offizielle Antitribalpolitik Moskaus förderte traditionale Klanidentitäten, indem sie allein bewirkte, dass diese in den Bereich des Informalen abtauchten, ins Private, wo sich der Austausch genealogischer Informationen der staatlichen Kontrolle entzog (Schatz 2004: 74). Am Ende trug auch die Schattenwirtschaft zur weiteren Nutzung verwandtschaftlicher Beziehungsnetzwerke bei, da diese die Transaktionskosten senkte (Collins 2006: 47 ff. u. 87 ff.; Schatz 2004: 16 ff.). Dieser Ansatz beschreibt die heutigen Klanformationen als „informal organization[s] comprising a network of individuals linked by kin and fictive kin identities.“(Collins 2006: 17) Die Identitäten wiederum wurzeln in affektiven Bindungen zwischen den Individuen, die ihrerseits in extensiven Familienorganisationen verankert sind (2006: 17 u. 26 f.). In rekursiven Verhältnissen fördern schließlich soziale Einbettung, Vertrauen, Reziprozität und konstitutive Normen die Ausbildung starker Identitäten, welche die Mitgliedschaft in einem auch politisch agierenden Gruppenakteur bestimmen (2006: 27). Entscheidend ist, dass diese Mitgliedschaft Eliten und Fußvolk bindet: „Elites need the support of their networks to maintain their social status, protect the group, and make gains within an overarching political and economic system. Nonelites need clan elders and patrons to assist them in finding jobs [ . . . ] obtaining goods in an economy of shortages, and obtaining social or political advancement“ (2006: 29). Eine zweite Lesart fasst die Definition von Klanidentität technischer und hebt den Charakter der Instrumentalisierbarkeit hervor: „clan divisions are those that exist within an ethnic group and in which demonstrable common kinship is understood to underlie membership. This understanding of clan begins with segmentary lineage theory. [ . . . ] The higher one moves in the model of segmentary lineage, the more an assumption of descent prevails over a need to actually demonstrate genealogical ties.“ (2006: 26)
Klane sind jetzt als Formationen dergestalt beschrieben und bestimmt, dass sie als politische Spieler ihre Stellung einnehmen können. ‚Bugu‘, ‚Solto‘, ‚Bagyssh‘ oder ‚Adygine‘ sind jene Gruppenakteure, die in Kyrgyzstan der Logik dieses Ansatzes gemäß die politischen Entwicklungen bestimmen (2006: 72). In Kasachstan erfüllen Schatz (2004: 111) zufolge die bekannten ‚Horden‘ eine ähnliche Funktion. Ob ‚rody‘ oder ‚Horden‘, sie alle informalisieren den Staat und zwingen ihn unter die Logik ihrer Verteilungskonflikte. In der inzwischen geläufigen Kritik an diesen Ansätzen ist insbesondere auf die unangemessene Übertragung von an anderen Orten entwickelten Theorien über Identitätsbildung auf Zentralasien und die mangelhafte Arbeit am Begriff
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der Praxis eingegangen worden. Bevor ich diese Kritik rezipiere, möchte ich noch zwei Aspekte in diesen Ansätzen hervorheben. Erstens ist das Verhältnis zwischen Definitionen von Gruppenakteuren und empirischer Beobachtung nicht immer stichhaltig. Jones-Luong (2002) situiert besondere Ereignisse wie die Referenden von 1994 und 1996 plötzlich außerhalb der Arena von Verteilungskonflikten. Damit gelingt ihr zwar die Erklärung von Verschiebungen in den relativen Wahrnehmungsverhältnissen, gleichzeitig stürzt aber das Bild von der zuvor noch alle Konflikte umfassenden Logik regional verankerter Wahrnehmungsmuster in sich zusammen. Die Frage steht wieder offen, wie die Dynamik politischer Konflikte zu verstehen ist, wenn man Ereignisse wie die Referenden nicht ohne Angabe weiterer Gründe außerhalb der Konfliktlogik ansiedeln möchte. Collins (2006) entzieht sich diesem Dilemma mit der These einer schleichenden Aushöhlung formaler Staatlichkeit durch die Klane. Diese These ist theoretisch schlüssig, allerdings bleiben Collins und Schatz den empirischen Nachweis schuldig. Gezeigt wird einzig, dass es Konflikte gibt und den Teilnehmern immer eine Klanidentität zugeschrieben werden kann. 6 Nicht geklärt wird hingegen weder, wie die Identität dieser Klane Verteilungskonflikte bestimmt, noch warum später Bezeichnungen für diese Formationen zwischen örtlichen Bezugnahmen (‚Talaskij‘, ‚Narynskij‘) und traditionellen (‚Sary-Bagysch‘, ‚Solto‘) wechseln. Für meine Arbeit entscheidend ist die in diesen Ansätzen zu Tage tretende Schwierigkeit einer theoretischen Bestimmung der Beziehung zwischen Vergesellschaftungsform und der Logik politischer Konflikte. Vereinfacht formuliert wird in diesen Arbeiten den beschriebenen politischen Konflikten unterstellt, Klankonflikte zu sein, weil vorab festgelegt wurde, dass Klane die relevanten politischen Spieler sind; im Anschluss orientieren sich die Beschreibungen einfach an dieser Prämisse. Diese Festlegung ist aber weder empirisch noch theoretisch auf Dauer haltbar. Der zweite Aspekt, auf den ich kurz hinweisen möchte, ist die in diesen Arbeiten herangezogene Annahme von der Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft. Die Gesellschaft ist eine Ansammlung traditioneller Institutionen und der Staat hängt von ihr ab (Collins 2006: 175 u. 210 ff.; Schatz 2004: 167 ff.). Die Institutionen sind politisch relevante Klane (oder Regionen) und bestimmen die Geschicke des Staates. Folge ich diesem Gedanken, löst sich die Differenz zwischen Staat und Gesellschaft auf. Der (moderne) Staat tritt zu Gunsten einer Gesellschaft ab, die politisch ihr Schicksal immer schon selbst bestimmt hat. Daran schließt aber die Frage an: Wie lassen sich jetzt mögliche Wechselwirkungen
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Vgl. zu dieser Kritik an Schatz auch Eschment (2007).
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zwischen gesellschaftlicher Einflussnahme und politischer Steuerung fassen; und wie bringt man diese auf einen differenzierten Begriff? Oder anders formuliert: Was ist mit der Geschichte des Staates in Zentralasien, wenn Gesellschaft bereits allen verfügbaren Raum historischer Relevanz besetzt hält? Zur Kritik an Begriffen von politischer Identität in Zentralasien In diesem Abschnitt gehe ich auf die Kritik ein, die insbesondere in kultur- und sozialanthropologischen aber auch in neueren politikwissenschaftlichen Arbeiten an den bisherigen Versuchen zur Beschreibung politischer Identitäten in Zentralasien formuliert worden ist. Meine These, die ich hier entwickle, lautet, dass diese Kritik die Diskussion von unnötigem Ballast befreit, bislang aber kaum zu einer neuen Begrifflichkeit für eine Bezeichnung des Verhältnisse von Staat (oder Politik) und Gesellschaft geführt hat. Vorbereitet wird die Auseinandersetzung mit älteren Konzepten durch eine Radikalisierung der konstruktivistischen Prämisse. Autoren wie Rasuly-Paleczek (2005; 2006) fordern die Untersuchung der Konstruktion von Identitäten als gegenwärtig ablaufende Prozesse. Sie kritisieren eine fraglose Übernahme der Thesen eines Evans-Prichards über feste tribale Organisationen: „Although Western anthropology has deeply criticized this concept [of segmentary lineage organization] more recently, nevertheless Western political scientists employ it widely in their studies of leadership, factionalism, and alignment structures in Central Asia.“ (Rasuly-Paleczek 2005: 8; vgl. auch Kritik bei Gullette 2010: 62ff.). Rasuly-Paleczek plädiert stattdessen für mehr ethnologische Forschungen, die mit einer vorschnellen Festlegung auf Formationsbegriffe wie Klane oder regionale Gruppen eher behindert als gefördert wird (2006: 9 ff.). Zwei Ansätze, in denen diese Herausforderung angenommen wird, möchte ich diskutieren. Im ersten Ansatz wird Identität in Zentralasien und in Kyrgyzstan theoretisch in dem Konzept der genealogischen Imagination neu fundiert (Gullette 2006, 2010; Feaux de la Croix 2010: 124 ff.). Spezifische soziale Kontexte motivieren jetzt Teilnehmer in bestimmten Situationen, Vorfahren oder historische Ereignisse gemeinsam zu erinnern, um so geteilte Identität und schließlich Solidarität herstellen zu können. Umgekehrt wird Identität zu einer Methode, um verwandtschaftliche Bezüge zu schaffen, die wiederum je nach Situation unterschiedlichen Bestimmungen zugeführt werden können. Empirisch wird dann im Anschluss zum einen festgehalten, dass der Großteil alltäglicher Aktivitäten auch ohne diese Solidaritätsgemeinschaft auskommt. Und zum anderen kann nicht automatisch auf eine politische Relevanz von Identitäten geschlossen werden. Ganz im Gegenteil, die bezeichnete Solidarität bewährt sich im unpoliti-
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schen Raum und entfaltet hier ihre besondere Kraft. Wie unwahrscheinlich eine Übertragung der Methode der genealogischen Imagination in die politische Arena ist, zeigt Gullette (2010: 48-54) am Beispiel des gescheiterten Versuchs des „Kohle-Königs“ Nurlan Motujew, in Kyrgyzstan eine Bewegung des Klans der ‚Sajak‘ ins Leben zu rufen. Politisch, so schlussfolgert dieser Ansatz, sind die Bezeichnungen „Klan“ oder „Tribalismus“ ein Instrument zur Diskreditierung: „[A]ccusations of traibalizm in the period before and during the ‚Revolution‘ were not a description of the struggle between ‚clans‘, but instead narratives of overlapping conceptions of ‚corrupt‘ factions based on various forms of favouritism. These narratives highlight the strategic manipulation of identities in order to gain political and economic power.“ (Gullette 2006: 199)
Mit dieser Auffassung richtet sich der Ansatz am Ende auch gegen Ideen, mit Hilfe öffentlicher Auseinandersetzungen Klankonflikte zu lösen, wie es beispielsweise für die kasachischen ‚Horden‘ empfohlen worden ist (vgl. Schatz 2004: 109 ff. u. 114 ff.). Hier wird immer noch der Annahme aufgesessen, dass geteilte Identität und politischer Gruppenakteur deckungsgleich sind. Beide haben aber, das zeigen diese Untersuchungen, wenig miteinander zu tun. Vielmehr lassen sich politische Gruppierungen als Netzwerke beschreiben wie sie Ledeneva für das postsozialistische Russland mit Bezug auf ‚blat‘ Beziehungen dargestellt hat (Gullette 2006: 64; Ledeneva 1998). Der zweite Ansatz knüpft an diese Feststellung an. Er formuliert einen neuen Begriff von Staat und experimentiert anschließend mit Konzepten wie „Klientelismus“ (Eschment 2007; Cummings 2005), „Strategische Gruppen“ (Carmel 2005) oder „Neopatrimonialismus“ (Ishiyama 2002; Nourzhanov 2006; Ilkhamov 2007; Kunysz 2012; Laruelle 2012; Lewis 2012). Für ihre Thesen betonen die Autorinnen zu Beginn die zersetzende Kraft der sowjetischen Modernisierung. 7 Der sozialistische Wohlfahrtsstaat und die zentral gelenkte Planung transformierten die Relevanz existierender Identitäten (Carmel 2005: 586 f.; Eschment 2007: 183 f.). Das Resultat sind amorphe und fluide Gruppenidentitäten in der postsowjetischen Wirklichkeit, welche den Manipulationsversuchen des Staates viel stärker ausgesetzt sind, als in den vorherigen Erklärungen angenommen (Carmel 2005: 581 f.; Eschment 2007: 192). Im Anschluss an dieses Argument richtet sich der Blick auf die Steuerungsfähigkeit staatlicher Akteure und entsprechender Mechanismen für die Regulierung politischer Konflikte.
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Für eine generelle Kritik an der Vereinnahmung sowjetischer Geschichte als Erklärung für Prozesse der Identitätsbildung vgl. Edgar (2002: 183).
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„Strategische Gruppen“ beispielsweise bieten die Möglichkeit, Bezüge auf Herkunftsregionen in Usbekistan als taktisches Einsatzkapital zu fassen (Carmel 2005: 596 ff. u. 604 f.), „Klientelismus“ hingegen erlaubt die Beobachtung einer flexiblen Nutzung vormals traditioneller Identitäten in Kasachstan (Cummings 2005; Eschment 2007). Beide ‚kritischen‘ Ansätze nehmen die konstruktivistische Auflage ernst. In den Vordergrund der Analysen rückt jetzt die Organisation von Reproduktionsprozessen von Identitäten und erst im Anschluss wird die Frage nach der politischen Relevanz gestellt. Damit wird eine klare Differenzierung zwischen Staat und Gesellschaft hergestellt. Ich baue in meiner Arbeit auf diese Erkenntnisse auf, sehe aber nach wie vor Probleme in einer unzureichenden Integration von Staat und Gesellschaft im Anschluss an diese Unterscheidung. Am Ende entsteht der Eindruck, dass Gesellschaft sich um Gesellschaft kümmert und Staat um Staat und beide unabhängig voneinander ihr Dasein fristen. Der Aufgabe, ‚örtliche Gegebenheiten‘ und ‚moderne Anpassungszwänge‘ in Beziehung zueinander zu setzen, wird hier nicht in letzter Konsequenz nachgekommen. So wird im zweiten Ansatz kaum noch der Versuch unternommen, Gesellschaft auf den Begriff zu bringen; ganz gleich, ob man diese Aufgabe von Beginn an für undurchführbar hält (Eschment 2007: 192 f.), oder aber Gesellschaft zu einer dumpfen Masse degradiert, die dem Virtuosen an den Schaltpulten der Macht ausgeliefert ist, (Carmel 2005: 600). Auf der anderen Seite erklären die Ansätze aus der Kultur- und Sozialanthropologie kollektive Identitäten generell für unpolitisch. Was in der Gesellschaft passiert und was in der Politik, realisiert sich in Form unterschiedlicher diskursiver Praktiken, die für einander irrelevant sind. ‚Imagined communities‘, so die Schlussfolgerung, erfüllen ihre Funktion in lokalen Kontexten und bleiben dort apolitisch. Übrig bleiben in diesen Ansätzen ‚Leerstellen‘: der Staatsdiskurs auf der nationalen Ebene und die Identitätsdiskurse in der Lokalen; der Staatsdiskurs und die politischen Konflikte; die Identitätsdiskurse in der Lokalen und die alltäglichen Belange der Menschen vor Ort. Es sind aber diese Leerstellen, die begrifflich erfasst werden müssen, wenn man die Dynamik politischer Konflikte in Kyrgyzstan angemessen beschreiben und widerspruchsfrei erklären möchte. Einen ersten Hinweis in diese Richtung bietet Radnitz, der die politische Mobilisierung im Zuge der Aksy Ereignisse 2002 untersucht und im Anschluss das Konzept des „Lokalismus“ entwirft (Radnitz 2005: 415 u. 417). Radnitz stellt fest, dass auf dörflicher Ebene in Kyrgyzstan Gemeinschaft auf horizontal organisierte Solidaritätsbeziehungen aufbaut, die in Alltagspraktiken des sozialen Austauschs verankert sind. Diese noch vollständig unpolitischen Beziehungen, so der Autor, können über die Verknüpfung mit vertikal angelegten Mobili-
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sierungsmechanismen politische Relevanz erfahren (2005: 420 ff.). Radnitz ersetzt hier die Vorstellungen historischer Pfade von Vergesellschaftung und isolierter politischer Herrschaft durch dichte Beschreibungen sozialer Praktiken, um politische Relevanz aufzuzeigen. Sein Hinweis auf die geringen Chancen eines echten politischen Wandels in Kyrgyzstan auf Grund eines allumfassenden „Lokalismus“ (Radnitz 2006: 133 u 137 ff.) ist meiner Meinung nach aber verfrüht und verdeutlicht das Problem des Arguments. In der Übertragung lokaler Dynamiken auf die nationale Ebene verliert das Konzept an Komplexität, die Beschreibung wird unzureichend, und es bleibt somit unklar, welche politischen Potentiale sich jenseits der lokalen Arena verbergen. Die Kritik an ‚clan politics‘ in Zentralasien hat die Debatte auf eine neue Ebene gestellt, indem der Forderung nach einer angemessenen Problematisierung von Identität genüge getan wurde. Ungeachtet dessen fehlt nach wie vor ein Begriff für die Bezeichnung der Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft, um politische Konflikte besser erklären zu können. Es kann nicht mehr darum gehen, ‚wirklichere‘ Wirklichkeiten, beispielsweise historische, hinter den Konstrukten zu entdecken. Vielmehr muss die Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft neu gezogen werden. Ich möchte im nächsten Abschnitt das Beispiel der vergleichenden Regimeforschung diskutieren, in der versucht wird, dieses Ziel über eine genauere Bestimmung von Regimetypen zu erreichen. Hybride Regime in Zentralasien und der ehemaligen Sowjetunion In der Einleitung zu dem Kapitel habe ich die vergleichende Regimeforschung als einen Ansatz eingeführt, in dem Regimetypologien entwickelt werden um später generalisierbare Aussagen über die Dynamik politischen Wandels aufzustellen. Theoretisch wird in dieser Forschung mit bestimmten Begriffen von der Form und Funktion des Staates gearbeitet, und analytisch konzentriert man sich auf Definitionsmerkmale für verschiedene Regimetypen. Fragen der Operationalisierbarkeit haben schließlich dazu geführt, das methodische Instrumentarium für die Beobachtung zu schärfen und passende Beschreibungen des Gegenstands anzufertigen. Mich interessiert im Folgenden wieder, wie die Beziehung des Staates zu seiner Gesellschaft bestimmt wird und welche Annahme über Politik diese Bestimmung anleitet. Ich konzentriere mich in meiner Diskussion auf einige ausgewählte Texte aus der vergleichenden Regimeforschung, in denen vorrangig Thesen über politische Entwicklungen in Zentralasien und Kyrgyzstan entwickelt worden sind.
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Die Forschung zu politischen Regimen hat mit der neuen Formenvielfalt seit dem Ende des Kalten Krieges enorm an Fahrt gewonnen. Viele Regime entziehen sich augenscheinlich den herkömmlichen Kategorien von Demokratie, Autoritarismus und Totalitarismus, sie entwickeln sich in einer Grauzone und scheinen zwischen entgegengesetzten Transformationspfaden zu oszillieren. Die Aufgabe lautet, erstens, diese neue Formenvielfalt typologisch zu erfassen und, zweitens, nach den Faktoren zu suchen, welche die Dynamik des Wandels dieser ‚hybriden Regime‘ erklären (vgl. Munck 2001). Die Diskussion in Deutschland hat sich besonders auf die Frage nach einer angemessenen Typologisierung konzentriert. Ich ziehe hier das Konzept der „defekten Demokratie“ von Merkel (2004) und das des „hybriden Regimes“ von Rüb (2002) als Beispiele für diese Arbeit heran. Mit dem Konzept der „defekten Demokratie“ werden Mängel an einer demokratischen Ordnung bestimmt (Merkel 2004; Croissant 2002; Thiery 2002; Croissant 2002a). Zu diesem Zweck werden dem klassischen Modell der Polyarchie von Robert Dahl mit seinen beiden Dimensionen „Wettbewerb“ und „Partizipation“ die Dimensionen „Agendakontrolle“, „horizontale Verantwortlichkeit“ und „bürgerliche Freiheitsrechte“ hinzugefügt. In einem zweiten Schritt werden Defekte für jede Dimension bestimmt und anschließend über Konstellationen von Defekten die vier Typen „exklusive“, „illiberale“, „delegative“ und „Enklavendemokratie“ entwickelt (Übersicht bei Thiery 2002: 74 u. 79 ff.). Einen anderen theoretischen Ansatz verfolgt Rüb (2002), der mit Hilfe einer Kombination von Definitionsmerkmalen von Demokratie und Autoritarismus eine neue Klasse für „hybride Regime“ aufstellt. Rüb isoliert zuerst ‚konstitutive‘ und sogenannte ‚konnotative Merkmale‘ und verknüpft die ersteren anschließend zu hybriden Herrschaftselementen, beispielsweise freie Wahlen bei Dominanz einer plebeszitären politischen Repräsentation. In einem dritten Schritt differenziert er die konnotativen Merkmale stärker aus, um Indikationen vornehmen zu können. Beispielsweise wird das konnotative Merkmal „Rechtsstaatlichkeit“ in die Indikatoren „Unabhängigkeit der Gerichte“, „Stand der Strafrechtsreform“ und „Ausmaß von Klientelismus/Neopatrimonialismus“ aufgeteilt. Das Ziel ist, mit dieser Feinjustierung der Indikatoren Entwicklungsprozesse in hybriden Regimen rekonstruieren zu können (vgl. auch Ottaway 2003: 134 u. 139 ff.). Beide theoretischen Ansätze münden in äußerst komplexen Modellen, die es dem Beobachter erlauben, anhand multipler Indikatoren Demokratiedefekte oder Prozesse der Hybridisierung zu beobachten. Stärker noch rückt die Entwicklung von unterschiedlichen Regimetypen, die zweite offene Frage in der Regimeforschung - in Ansätzen in den Vordergrund, die sich auf ausgewählte Struktur- oder Akteurskonstellationen konzentrieren. Für die Suche nach relevanten Struktur- oder Kontextfaktoren für Re-
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gimewandel steht die Arbeit von Levitsky & Way mit dem Konzept des „kompetitiven Autoritarismus“ Pate (Levitsky / Way 2002; Levitsky / Way 2003). Nach diesem Konzept bestimmt das Zusammenspiel der drei Faktoren „Kapazität der Machthaber“, „Organisationskapazität der Opposition“ und „Verbindungen zum Westen“, ob ein revolutionäres Ereignis einen Prozess der Demokratisierung anstößt oder umgekehrt das autoritäre Moment stärkt. Ähnlich argumentiert Beissinger (2007) mit seinem Konzept der „modularen Phänomene“, in dem die Möglichkeit, erfolgreiche Vorbilder zu erfahren, entscheidend für den Ausgang einer ‚Bunten Revolution‘ ist. Die Proteste in Kyrgyzstan im März 2005 waren nach dieser Lesart nur möglich, weil ungünstige Kontextfaktoren durch die Erfahrung der Umstürze in Georgien 2003 und in der Ukraine 2004 kompensiert werden konnten (Beissinger 2007: 261; vgl. auch Bunce / Wolchik 2006). Mit Blick auf Kyrgyzstan behauptet auch Fuhrmann (2006), dass erst die Einbettung von traditionellem Sozialkapital in globale, moderne Formen von Sozialkapital die erfolgreiche Mobilisierung von Protest ermöglichte. Den Blick auf Strukturen weiten schließlich Ansätze aus, die auf historische Pfadabhängigkeit pochen und Unterschiede im Grad nationaler Homogenität und der gesellschaftlichen Erfahrung von Stalinisierung in Osteuropa herausstreichen (Bunce 2003). Demokratie hat dort eine Chance, so das Argument, wo ein integrierender Nationalismus und eine offene Gesellschaft Reformprogramme ermöglicht, die eine öffentliche Meinung kontrolliert. In der ehemaligen Sowjetunion verhinderte das Erbe der Kaderpolitik Breschnews allerdings die Entstehung einer starken Öffentlichkeit und ein nur schwach ausgeprägter Nationalismus lässt das einende Band in der Gesellschaft vermissen (Bunce 2003: 179 ff. u. 187 f.). Wie in den Ansätzen von Lewitsky & Way oder Beissinger wird auch hier der Idee gefolgt, in Strukturen nach den Ursachen für die Dynamik von Wandel zu suchen. Einen anderen Ansatz verfolgen nun Autoren wie Hale (2003), welche die Rolle von Eliten hervorheben. In Hales Konzept des „patronalen Präsidentialismus“ beispielsweise stehen die Kalkulationen der Elitenmitglieder unter Beobachtung. In Zeiten eines Machtwechsels bestimmen ihre Einschätzungen möglicher Handlungsspielräume für das Verfolgen von Strategieoptionen, ob ein Patt der Kräfte eintritt oder ein designierter Nachfolger gewinnt (Hale 2005, 2005a u. 2006). Ob ein Machtwechsel überhaupt eine Regimekrise auslöst, hängt dabei vom weiteren Kontext ab wie z.B. einem wirtschaftlichen Niedergang oder einem plötzlichen Popularitätsverlusts des Amtsinhabers. Das Spiel der Eliten kann nach Hale dazu führen, dass eine organisierte Opposition eine ‚Bunte Revolution‘ in Gang setzt. Über ihren Ausgang ist damit freilich noch nichts gesagt. Das Konzept des patronalen Präsidentialismus erlaubt, Regimewandel mit Elitenkonstellationen zu verknüpfen: das Patt zwischen ‚Blauen‘ und ‚Orangen‘
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in der Ukraine birgt eine Chance für Demokratie, in Georgien bedeutet der Sieg Saakaschwilis hingegen die Entwicklung hin zu einem Hyperpräsidentialismus. Kyrgyzstan schließlich erscheint als Kandidat in der Schwebe: „Kyrgyzstan thus looks a lot more like an ‚unstable Georgia‘ than a Ukraine right now [ . . . ] But if Bakiev does follow through on constitutional reforms that institutionalize a wellbalanced division of power, Kyrgyzstan’s longer-run democratic fortunes could brighten.“ (Hale 2006: 316). Andere Autoren in diesem Ansatz ziehen den Kreis der Eliten weiter und ziehen die Bürgerschaft mit ein (Schedler 2002); oder sie ziehen ihn enger und konzentrieren sich auf Geheimdienste und Innenministerien (D’Anieri 2006). Die Intentionen von Akteuren sind gleichfalls Gegenstand der Forschung geworden. Die These lautet hier, dass Demokratie von Demokraten abhängt: „If powerful democrats draft the rules, it does not matter what electoral system is adopted or whether a parliamentary or presidential system is established.“ (McFaul 2002). Mit Blick auf Kyrgyzstan in den 90er Jahren charakterisiert McFaul Präsident Akajew als unwilligen Reformer, der sich später zum Autoritarismus bekannte (McFaul 2002: 232). Die Arbeiten in der Demokratiemessung und in der Ursachenforschung haben unser Verständnis über Formen und Dynamiken politischen Wandels erheblich erweitert und uns geholfen, wieder ein wenig Orientierung in einer immer komplexer werdenden globalen politischen Landschaft zu gewinnen. Ungeachtet dieser Leistungen sehe ich theoretisch das Problem ungelöst, die Beziehung zwischen Gesellschaft und Staat auf einen Begriff zu bringen. Mit Hilfe von Demokratieidealen, Definitionsmerkmalen, Machtpotentialen, mit Sozialkapital, Elitenverhalten oder Intentionen werden häufig ganz unterschiedliche Phänomene beschrieben. Die an sie anknüpfenden Erklärungen lassen sich nur schwerlich miteinander in Einklang bringen und produzieren mitunter auch entgegengesetzte Erwartungen für zukünftige Entwicklungen, wie die folgende Diskussion zeigt. Über Staatsvorstellungen und politische Funktionslogiken in der vergleichenden Regimeforschung Die Folgen der unzureichenden theoretischen Ausarbeitung der Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft zeigen sich besonders in aussageschwachen Typologien und einem willkürlichen Zugriff auf die Empirie. Die Beschreibungen, die hier über die Ereignisse angefertigt werden, stehen nicht nur im Kontrast mit den Beschreibungen in den Zentralasienstudien, sie weisen auch untereinander Widersprüche auf. Ein Beispiel ist die Bewertung der kyrgyzischen Regimegeschichte in einigen Ansätzen: im patronalen Präsidentialismus wird Akajew als
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Demokratisierer identifiziert (Hale 2006: 312), während er beim Blick auf Intentionen als Reformblockierer fungiert (McFaul 2002: 232). Bakijew muss sich beiden Ansätzen zufolge erst noch bewähren, ohne dass geklärt ist, wie sich politische Agenden und ihre normativen Grundlagen stichhaltig überprüfen lassen. Ähnliche Irritationen stellen sich ein, wenn man auf Strukturerklärungen schaut. Fuhrmann (2006) verweist auf traditionelles Sozialkapital, das gemeinsam mit global organisiertem Sozialkapital Proteste in Kyrgyzstan möglich gemacht hat, während bei Beissinger (2007) gerade dieses traditionelle Sozialkapital blockierte und mit der Erfahrung erfolgreicher Vorbilder kompensiert werden musste. Deutlich wird in beiden Beispielen, dass kaum gültige Standards existieren, um politische Ereignisse in Zentralasien korrekt beobachten und angemessen beschreiben zu können. Theoretisch sehe ich diese Unsicherheit vorbereitet mit der Schwierigkeit, zu bestimmen, was die Funktion eines politischen Regimes oder eine seiner besonderen Formen ist. Die Demokratiemessung operiert mit einem Ideal von Demokratie und nähert sich der Grauzone mit dem Ziel, Abstände zu diesem Ideal zu fixieren. Nicht anders verfahren jene Ansätze wie der von Rüb, bei denen Ideale von Demokratie und Autoritarismus kombiniert werden, oder Levitsky & Ways Konzept des kompetitiven Autoritarismus, das mit einer Idealvorstellung von Autoritarismus arbeitet. Die Nutzung dieser Idealbegriffe führt unweigerlich zur Formulierung von Defizitbeschreibungen hybrider Regime. Das wirft einerseits die Frage auf, was das Anlegen idealer Kategorien für einen Erkenntnisgewinn bringt; andererseits führt es zu dem Problem, Funktionslogiken immer nur negativ bestimmen zu können. Die Kritik am Konzept der ‚defekten Demokratie‘ lautet, dass unerkannt bleibt, was noch für Demokratie steht, wenn multiple Defekte selbst die minimalen Anforderungen des Dahlschen Modells unerfüllt lassen (Krennerich 2002). Was sagt beispielsweise der Typ ‚illiberale Demokratie‘ noch aus, wenn hier davon ausgegangen wird, dass „der Funktionscode [geknackt wird], der in liberalen, rechtsstaatlich verfassten Demokratien die Herrschaftsorganisation anleitet.“ (Thiery 2002: 83; vgl. auch Schedler 2002: 43) Bezüge auf Autoritarismus wiederum verlieren an Originalität, wenn Definitionsmerkmale wie „eingeschränkter Pluralismus“ oder „schwache horizontale Kontrolle“ verdeutlichen, dass hier nur mit Defizitvarianten von Demokratie gearbeitet wird. Der Fokus auf Mängel, Defizite und Defekte leistet schließlich einem Verständnis von Funktionslogik in hybriden Regimen Vorschub, die als gebrochen, zerstückelt, instabil angenommen wird (Christophe 2006; Timm 2008). Die Frage lautet dann, wie sich etwas stets Defizitäres aus eigener Kraft als Überschuss bereitstellen kann. Kyrgyzstan überrascht deshalb, weil sich das hybride Regime hier selbst reproduziert und aus eigener Kraft den Fliehkräften von
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Demokratie und Autoritarismus widersteht. Wie lässt sich diese Fähigkeit in einen Begriff von einer positiven Funktionslogik übersetzen? Ich möchte das Problem einer unzureichenden Fundierung des Begriffs der Funktionslogik auch noch mal an den Schwierigkeiten verdeutlichen, die mit einer angemessenen Vorstellung von der Gesellschaft zusammenhängen. Die Demokratiemessung zum Beispiel startet mit einer Vorstellung vom idealen Staat und möchte verstehen, welche Ergebnisse seine Performance in der Gesellschaft aus welchen Gründen liefert. Da theoretisch die Beziehung zur Gesellschaft aber unbestimmt bleibt, wird das Problem in die Formulierung von Indikatoren verlagert. Immer stärker differenzierte Indikatoren sollen messen und schließlich erklären, was das Konzept nicht zu adressieren weiß. Gesellschaft, so lautet die Kritik, wird so zergliedert und die situierende und damit auch erklärende Funktion von Kontexten ausgeblendet (Krennerich 2002: 64). Ein Indikator wie „Klientelismus / Neopatrimonialismus“ in Rübs Konzept des hybriden Regimes sagt wenig aus über das konnotative Merkmal „Rechtsstaatlichkeit“, wenn nicht geklärt wird, wofür er in der Gesellschaft steht. Gewöhnlich wird „Neopatrimonialismus“ als übergreifendes Konzept aufgefasst, das eine besondere Ausprägung staatlicher Herrschaft beschreibt (Bratton & Walle 1994; Erdmann & Engel 2007; Stewart & al 2012). Angewandt als selektiver Indikator ist gerade diese Dynamik übergreifender Herrschaftsstrukturen aber nicht mehr beobachtbar. Die Forschung nach Ursachen für Regimewandel kämpft mit einer ganz anders gelagerten Schwierigkeit. Sie flexibilisiert die Anwendung von erklärenden Faktoren bis hin zu einem Punkt, an dem empirischen Belegen die Verantwortung zufällt, lineare Kausalitäten plausibel zu machen (Christophe 2006). Beispielsweise werden im Konzept des ‚kompetitiven Autoritarismus‘ die Faktoren „Kapazität der Machthaber“ und „Organisationskapazität der Opposition“ als feste Größen eingeführt, ohne ihre Wechselbeziehung zu bestimmen. Warum welcher Faktor anschließend so wirkt, wie er es tut, muss, da die Beziehung gesellschaftlicher Einbettung nicht diskutiert wird, der Empirie überlassen werden. Die Kritik lautet im Anschluss, dass in unangemessener Weise die Vielfalt empirischer Phänomene genutzt wird, um Fallstudienerzählungen anzuordnen, welche die Anschlussfähigkeit der Erklärungen garantieren (Christophe 2006). Stärker noch rückt dieses Problem im Konzept des patronalen Präsidentialismus ins Zentrum. Hier ist der Faktor „Popularitätsverlust“ entscheidend, um Krisen empirisch zu markieren. Allerdings bleibt der Begriff selbst sehr unscharf: manchmal wird der Begriff mit öffentlicher Meinung gleichgesetzt, manchmal ist er eine Größe, dann wieder eine besondere Form für Krisenprozesse. Unklar ist auch, wie Popularität (oder öffentliche Meinung) sich in den Kalkülen der Eliten widerspiegelt oder Gegenstand präsidialer Manipulationen ist. Mein Eindruck ist,
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dass Popularität in diesem Konzept als Residualkategorie bewahrt wird, die schließlich über Gebühr, das heißt in Form unzureichender Beschreibungen, für die Erklärung politischer Entwicklungen herangezogen wird. Eine konstitutive Position besetzt öffentliche Meinung hingegen in jenen Ansätzen, die nicht auf Akteure oder ihre Intentionen, sondern auf Strukturen Bezug nehmen. Bunce starke öffentliche Meinung reduziert allerdings die Rolle möglicher Oppositionsorganisationen oder Regimeanhänger, nimmt dem Staat letztlich seine Fähigkeiten, mit ganz eigenen politischen Mitteln die Dynamik von Wandlung oder Anpassung zu bestimmen. Es bestimmt nur noch der äußere Kontext, die historische Erfahrung, Sozialkapital oder eben öffentliche Meinung. Mein Anliegen ist nicht, die Leistungen der hier besprochenen Arbeiten in Frage zu stellen, sondern auf die Konsequenzen hinzuweisen, die mit theoretischen Entscheidungen verbunden sind. Ob Residualkategorie oder konstitutive Position, die Wahl entscheidet darüber, ob man anschließend für das postrevolutionäre Kyrgyzstan hofft, in offenen Elitenkonflikten zur Demokratie zu finden, oder auf Grund des fehlenden Erbes eines zivilgesellschaftlichen Unterbaus eine ‚prekäre Demokratie‘ erwartet. Problematisch ist diese Wahl insofern, als dass ihr kein angemessener Begriff von der politischen Funktionslogik zugrunde liegt und mit ihr in Form von vorschnellen Selektionen der Ausweg gesucht wird. Ich möchte in einem letzten Beispiel aus der vergleichenden Regimeforschung noch einmal meinen Blick auf die Bestimmung der Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft richten, um mehr über die Möglichkeiten ihrer Differenzierung und Reintegration zu erfahren. In ihrer Arbeit zu hybriden Regimen in Kyrgyzstan und Russland verfolgt McMann (2006) den Ansatz, diese Beziehung mit Hilfe einer Unterscheidung zwischen einer „strukturellen ökonomischen Autonomie“ und einer „akteursbezogenen ökonomischen Autonomie“ neu zu fassen (2006: 42 f.). Während „strukturelle ökonomische Autonomie“ Handlungsspielräume schafft, beispielsweise in Form einer stärker diversifizierten Wirtschaft, bestimmt die „akteursbezogene (oder persönliche) ökonomische Autonomie“ die Freiheit individuellen Handelns, beispielsweise eine starke Unabhängigkeit bei Ärzten als unersetzlichen Fachkräften. McMann gelingt es so, das statistisch gesehen häufigere Vorkommen von Protest im Gebiet Osch im Vergleich zum Gebiet Naryn in Zeiten der Präsidentschaft Akajews durch eine in Osch stärker diversifizierte Wirtschaft mit alternativen Einkommensquellen zu erklären; gleichzeitig ermöglichen besondere persönliche ökonomische Autonomien vereinzelten Protest auch in Naryn, wo die strukturellen Voraussetzungen hierfür eher ungünstig sind, und schaffen Möglichkeiten für politischen Wandel. McMann rechnet politisches Handeln auf strukturelle Bedingungen zurück, macht es aber zeitgleich auch zur Bedingung für Wandel. Die Unterscheidung
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zwischen Gesellschaft und Politik tritt hier in den Hintergrund und wird abgelöst von der Unterscheidung zwischen Struktur und Akteur. Der Ansatz erklärt die Varianz von Protestvorkommen und Demokratisierungsgrad in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum (1995-1998), scheitert aber dort, wo Struktur und Akteur nicht mehr in Beziehung zueinander gesetzt werden können. Es ist beispielsweise nicht nachvollziehbar, warum ‚Privatisierung‘ automatisch gleich gesetzt werden soll mit ‚ökonomischer Diversifizierung‘, wenn alle verfügbaren Informationen über entsprechende Maßnahmen in Kyrgyzstan auf die permanente Manipulierung durch Eliten verweisen (2006: 182 f; vgl. als Beispiel CentrAsia, 5.3.2002); warum politische Dezentralisierung automatisch der Sicherung präsidialer Macht gedient haben soll, wenn viele Analysen das Gegenteil besagen. Und es ist unbefriedigend, wenn die Tulpenrevolution von 2005 als „extralegale Maßnahme“ charakterisiert wird (2006: 167 f.), obwohl doch ihr Entstehen gerade einer theoretischen Erklärung bedarf. Um dieser Wirklichkeit habhaft zu werden, muss McMann externe Faktoren in ihr Modell einbauen. Politik wird damit aber wieder zu einer abhängigen Variable degradiert und die Chance, umfassender die Dynamik politischer Entwicklungen zu beschreiben, nicht genutzt. Zusammenfassung Das Ziel meiner Diskussion gegenwärtiger Ansätze zur Erklärung politischen Wandels in Kyrgyzstan und Zentralasien ist es gewesen, die zugrundeliegende Annahme von Politik zu problematisieren. Zu diesem Zweck habe ich mich auf die Nutzung der Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft und auf die an diese Unterscheidung anknüpfenden Beschreibungen und Erklärungen des Gegenstands, der ‚Politik der Peripherie‘, konzentriert. Sowohl die Zentralasienstudien als auch die vergleichende Regimeforschung haben zu unserem Verständnis von politischen Phänomenen in der Region, so z.B. informelle Gruppen, Sozialkapital, Proteste, Revolutionen, Elitenhandeln oder Identitäten, beigetragen. Die Diskussion beider Ansätze hat aber auch gezeigt, dass die Beschreibungen häufig willkürlich sind und die Erklärungen im Widerspruch zueinander stehen. Dieser Umstand ist der ungenügenden theoretischen Reflexion auf die Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft geschuldet. 8 In den Zentralasienstudien führt das, in Folge der Kritik an den Vorstellungen von ‚clan politics‘, zu einer heute komplex aufgebauten Theorie über soziale Identitäten, die aber nur schwer
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Vgl. zu einer weiterführenden Diskussion derselben Fragestellung auch Draude (2011).
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auf ihre politische Relevanz hin abgefragt werden können. In der vergleichenden Regimeforschung, ob nun bei der Demokratiemessung oder der Ursachenforschung, stehen komplizierte Indikatorenlisten einer Wirklichkeit gegenüber, die immer selektiver beschrieben wird, die aber kaum noch zusammenhängend erklärt werden kann. Um diese ‚Leerstellen‘ und ‚Defekte‘ durch eine neue, eben ‚positive‘ Beschreibung zu ersetzen, muss meiner Meinung nach der Begriff des Politischen neu bestimmt werden. Der Zugang zu einer solchen Beschreibung erfolgt über die Bestimmung einer politischen Funktionslogik, mit der die Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft neu gezogen werden kann. Im folgenden Kapitel unternehme ich diesen Versuch zu einer Bestimmung einer Funktionslogik der Politik mit Rückgriff auf Elemente aus der Systemtheorie, wie sie von Niklas Luhmann entwickelt worden ist. Da sich diese Theorie durch einen recht eigenwilligen Gebrauch üblicher Termini bei einem mitunter sehr hohen Abstraktionsniveau auszeichnet, bemühe ich mich anfangs um eine kurze Einführung in ihre Grundlagen.
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Meine Entscheidung, die Theorie sozialer Systeme für eine Bearbeitung der Politik der Peripherie heranzuziehen, möchte ich einleitend kurz erläutern. In der Politikwissenschaft hat diese Theorie bislang wenig Resonanz gefunden und eine Übertragung ihrer Prämissen auf politikwissenschaftliche Untersuchungen wird als schwierig empfunden (Schröder 2003). In jüngster Zeit wird im deutschsprachigen Raum vermehrt mit einigen Elementen der politischen Soziologie Luhmanns experimentiert. Das Kontingenzproblem in politischen Entscheidungen (Rüb 2012; Geis 2012), Komplexitätsreduktion als Herausforderung (Schneider 2008; Korte 2010; Czerwick 2008), oder der Wandel politischer Organisationen (Jarren / Steiner 2009) sind Themen, für deren Bearbeitung heute auf die Theorie sozialer Systeme zurückgegriffen wird. Allerdings stehen diesen Experimenten kaum vergleichbare Versuche in der englischsprachigen Forschung gegenüber. 9
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Das mag nicht zuletzt damit zu tun haben, dass große Teile des Werks von Luhmann bislang nicht übersetzt worden sind. Insbesondere die Arbeiten zum politischen System, also „Die Politik der Gesellschaft“ (Luhmann 2002), „Politische Soziologie“ (Luhmann 2010), „Politische Planung“ (Luhmann 2007 / 1971) und der vierte Band der „Soziologischen Aufklärung“ (Luhmann 2005 / 1987) liegen bislang nur auf Deutsch vor.
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In der vergleichenden Regimeforschung oder den ‚Central Asian Studies‘ haben Luhmanns Thesen die Debatten entsprechend wenig beeinflusst (vgl. aber Schedler 2013). Dieses allgemeine Zögern hat auch etwas mit theoretischen Vorbehalten zu tun. Problematisch ist der Anspruch der Systemtheorie, explizit moderne Gesellschaft zu erklären. Sie tritt an, dem westlichen Gesellschaftsideal begrifflich habhaft zu werden. Mit ihr will Luhmann erschöpfend veranschaulichen, wie sich Politik und Wirtschaft, Wissenschaft und Recht, Kunst und Liebe selbst erzeugen und selbst organisieren und dabei kontinuieren, was als sehr unwahrscheinliches Projekt der Moderne im 18. Jahrhundert seinen Anfang nahm. Kritisch werden hingegen die Möglichkeiten eingeschätzt, mit der Systemtheorie ein Verständnis für die Peripherie einer globalisierten Welt zu entwickeln. 10 Mit der Konzentration auf westeuropäische Normalität lässt sich jener Teil der Welt nicht fassen, der nur in langen aber regelmäßigen Abständen durch Regimekrisen und Katastrophen das Interesse der Weltöffentlichkeit findet. Die feine Kategorisierung von ‚Systemcodes‘ und ‚operativen Geschlossenheiten‘ scheitert in der Peripherie an den Widersprüchen einer ‚gleichzeitigen Ungleichzeitigkeit‘ und dem konfusen Mix aus gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen. Dieser Skepsis begegne ich hier einleitend mit dem Hinweis in Luhmanns Ausführungen, moderne Gesellschaft immer auch als Weltgesellschaft verstehen zu müssen (Luhmann 1997: 145-171, bes. 160 ff. u. 168). Die globale Welt der Gegenwart formt einen umfassenden (kommunikativen) Verweisungszusammenhang, in dem der Eindruck der Moderne sich bis in die entferntesten Winkel der Erde fortsetzt. Widersprüche und jener konfuse Mix, so das Argument, müssen wir verstehen als Ausdruck dieses besonderen modernen Eindrucks; und anschließend können wir fragen, wie periphere Bedingungszusammenhänge entstehen und welche Folgen sie haben. 11 Mit Bezug auf die Politik in der globalen Peripherie lautet die Frage: Wie wirkt sich der Eindruck der Moderne, in Form ‚globaler Anpassungszwänge‘ für politische Prozesse, auf die ‚Gegebenheiten vor Ort‘ aus? Um diese Frage zu beantworten stütze ich mich in der Analyse auf weitere Annahmen, mit denen die Systemtheorie operiert und mit denen sich meiner Ansicht nach die im Kapitel zuvor erwähnten Problemstellungen neu formulieren lassen.
10 Vgl. hierzu die Diskussion zwischen Dirk Baecker und Herfried Münkler in Hagen (2009), insbesondere Münklers Abheben auf den bundesrepublikanischen Geist in Luhmanns Theorie (2009: 140 ff.). 11 Vgl. ausführlicher zu diesem Argument als Folge der Annahme einer Weltgesellschaft Stichweh (2000: 13 f. u. 17 ff.).
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Die Beziehung zwischen Staat / Politik und Gesellschaft, meine zentrale beobachtungsanleitende Unterscheidung, wird in der Systemtheorie konzipiert als funktionales Bedingungsverhältnis. Politik ist ein Funktionssystem neben anderen Funktionssystemen und trägt mit seiner ganz spezifischen Differenz zu seiner Umwelt zur Reproduktion von (Welt-)Gesellschaft bei. Es ist diese Differenz, die jetzt in den Fokus der Aufmerksamkeit rückt und eben jene Bedingungen, unter denen sie aufrechterhalten werden kann (oder gerade nicht). Diese theoretische Entscheidung hat zwei weitreichende Folgen. Erstens wird das Problem der sozialen Identität neu gefasst. Die Differenz zwischen System und Umwelt bestimmt jetzt, welche Identität politisch ist und inwiefern sie eine Bedingung für die Aufrechterhaltung der Systemdifferenz ist. Verweise auf Traditionsbande oder auf moderne Institutionen markieren nun weniger die Anwesenheit exklusiver Identitäten, sondern sie indizieren stattdessen besondere Bedingungen für das Operieren im politischen System. Zweitens – und für die vorliegende Arbeit sehr bedeutend – wird der Begriff der Funktionslogik neu formuliert. Die Theorie sozialer Systeme arbeitet mit der Annahme, dass die Politik in der modernen Gesellschaft die Kapazität bereithält, kollektiv bindend zu entscheiden. In den kommenden Abschnitten versuche ich, diese Vorstellung von einem funktionalen Bedingungsverhältnis zu einem Begriff der ‚Politik der Peripherie‘ weiter zu entwickeln, um so politische Entwicklungen in Kyrgyzstan angemessener beschreiben und auch erklären zu können. Dabei arbeite ich mich über grundlegende Vorstellungen gesellschaftlicher Differenzierung in der Systemtheorie vor zum Begriff des Politischen und zur Rolle der öffentlichen Meinung. Im Hintergrund dieser Arbeit steht die Annahme, dass nur mit einem äußerst voraussetzungsvollen Begriff von moderner Politik die Analyse der ‚peripheren Zusammenhänge‘ geleistet werden kann. Das Interessante an der Theorie Luhmanns ist gerade die Idee, dass die moderne Gesellschaft in ihrer Form der „funktionalen Differenzierung“ letztlich etwas sehr unwahrscheinliches ist. Viel wahrscheinlicher ist immer die Evolution und Reproduktion anderer, eben ‚nicht-moderner‘ gesellschaftlicher Verhältnisse. Sind die Voraussetzungen für das Entstehen moderner Politik erkannt, lässt sich fragen, welche ‚örtlichen Gegebenheiten‘ diesen Voraussetzungen nicht entsprechen, sie so vielleicht unterminieren, abändern, blockieren oder ignorieren. Die Perspektive wird in dieser Annäherung an die politischen Verhältnisse in Kyrgyzstan und Zentralasien vom Kopf auf die Füße gestellt. Demokratische Politik nach westlichem Stil ist nicht mehr die sich selbst erfüllende Prophezeiung, deren Scheitern mit Erstaunen festgestellt wird, sondern im Grunde genommen ein sehr unwahrscheinliches Phänomen. Im Anschluss lässt sich fragen, welche anderen, vielleicht stabileren
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Reproduktionsbedingungen für politische Prozesse sich etablieren können, wenn ‚örtliche Gegebenheiten‘ dem globalen Eindruck der Moderne nicht mehr entfliehen können, aber durchaus eigene Voraussetzungen in die Schaffung neuer gesellschaftlicher Verhältnisse, auch politische, einbringen. Die Gesellschaft als Differenz Welche Bruchlinien zeichnen die moderne Gesellschaft aus und wie vermag sie es, an diesen Brüchen nicht zugrunde zu gehen? Diese beiden Fragen treiben das soziologische Denken über Gesellschaft seit den Klassikern vor sich her. Luhmanns Soziologie bewegt sich hier in gewohnten Bahnen, wo sie versucht, Gesellschaft auf einen angemessenen Begriff der Differenz zu bringen. Und wo Durkheim einst Arbeitsteilung in den Vordergrund schob und Marx Gesellschaft in Schichten vorfand, erkennt Luhmann heute die Differenzierung der modernen Gesellschaft in Funktionssysteme. Dabei unterscheidet er diese moderne Differenzierung von anderen, eben ‚vor-‘ oder ‚nicht-modernen‘ Formen gesellschaftlicher Differenzierung. Ich stelle im folgenden Abschnitt verschiedene Formen gesellschaftlicher Differenzierung vor und konzentriere mich dabei besonders auf die Voraussetzungen für ihre Genese. ‚Segmentäre Gesellschaft‘ meint mit Luhmann die soziale Differenzierung in gleiche Teile (vgl. Luhmann 1997: 634-662). Sie sind gleich, da sie sich an denselben Prinzipien zur Teilung orientieren, nämlich ‚Verwandtschaft‘ und ‚territoriale Zugehörigkeit‘. Segmentär differenzierte Gesellschaften werden als relativ voraussetzungslos angesehen. Sie können sich beliebig ausdehnen und sie können nach Katastrophen schnell wieder neu entstehen. Der Umgang mit Konflikten wird als reserviert eingeschätzt. Gesellschaftsteile können sich in Zeiten der Bedrohung zu größeren Einheiten zusammenfinden. Aus Familienverbänden wird ein Stamm, aus Stämmen eine Stammesföderation. Allerdings, so vermutet Luhmann, resultiert eine Wechselbeziehung zwischen fehlenden Ressourcen für die Ausbildung spezifischer Normen und einer multifunktionalen Inanspruchnahme von Institutionen, die als Konfliktschlichter zur Verfügung stehen, in der generellen Meidung von Auseinandersetzungen (Luhmann 1997: 640). Darüber hinaus macht das fragile Gleichgewicht zwischen Anforderungen an einen stabilen Austausch mit fremden Segmenten einerseits und Mobilisierungschancen in Zeiten der Gefahr andererseits Konfliktunterdrückung wahrscheinlicher. Soziale Beziehungen in segmentären Gesellschaften erfahren über reziproken Austausch eine Temporalisierung: Asymmetrien werden geschaffen, die in die Zukunft gesetzte Re-Symmetrisierungen erfordern. Geleistete Gaben können unter den Bedingungen limitierter Speichermöglichkeiten für Vergangenes nicht genau zu-
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rückgerechnet werden, was in einer stabilen Reproduktion immer neuer Asymmetrien resultiert. Damit ermöglichen reziproke Austauschverhältnisse auch die flexible Anpassung sozialer Beziehungen an unterschiedliche Situationen und damit ihre generelle Festigung: „Insofern ist Reziprozität eine Gegeninstitution zu Knappheit und ein funktionales Äquivalent zu Kredit.“ (Luhmann 1997: 652) Unter den Bedingungen genereller Konfliktvermeidung und stabiler Reproduktion reziproker Austauschverhältnisse werden die Chancen auf Evolution in segmentären Gesellschaften als gering eingeschätzt. Die weitere Entwicklung, so vermutet Luhmann, verläuft wohl eher per Zufall entlang einer Zentrumsbildung; oder aber Endogamie befähigt zur Ausdifferenzierung einer stratifizierten Gesellschaft. 12 Diese Ausführungen sollen an dieser Stelle genügen, um einen ersten Bezug zu gängigen Beschreibungen von Politik in Kyrgyzstan herzustellen. Immer wieder wird betont, dass in Zentralasien von ihrem Aufbau und ihrer Funktion her gleiche Gruppen von Personen existieren, die um Macht im Staat und um materielle Ressourcen konkurrieren. Und sie werden verantwortlich gemacht für die politische Dynamik, für die von vielen Beobachtern so stark betonten „regime divergencies“ und „regime convergencies“ (Collins 2006). Sowohl der Beobachtung von Klanen wie ‚Sary-Bagysch‘ und ‚Solto‘ oder von Regionen wie ‚Nord‘ und ‚Süd‘ liegt die Annahme zugrunde, dass Gesellschaft in Zentralasien immer nur mit der Differenzierung in Segmente zutreffend beschrieben werden kann. Diese Annahme möchte ich mit Luhmanns Hinweis auf den vormodernen Charakter dieser Differenzierungsform problematisieren. Zu fragen ist doch, wie segmentäre Differenzierung sich erfolgreich reproduzieren kann, wenn sie unter veränderten Bedingungen operieren muss. Wie werden Konflikte geregelt, Mobilisierungen organisiert, Reziprozität gepflegt und Evolution verhindert, wenn heute normative Konfliktregelungen ihre Dienste anbieten, neue Identitäten neue Loyalitäten produzieren, Geld den Warenaustausch bis auf den ‚Som‘ genau quantifiziert 13 und alles zusammen als Aufforderung einer modernen Umwelt, spezifische Strukturen zu entwickeln, erfahren wird? Die systemtheoretische Neufassung bekannter Prämissen schärft den Blick für diese Widersprüche und bietet ihnen einen ersten konzeptionellen Rahmen.
12 Die Wahrscheinlichkeit einer direkten Evolution hin zu einer funktional differenzierten Gesellschaft hält Luhmann hingegen für gering (vgl. Luhmann 1997: 615). 13 Vgl. Dudwick / Kuehnast (2004) für eine interessante Fallstudie über die Verschiebung der Bedeutung verwandtschaftlicher Beziehungsnetzwerke im postsowjetischen Kyrgyzstan als Resultat der Einführung von Geld.
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In ‚Reichen‘, einer zweiten historischen Differenzierungsform, ist es die Unterscheidung zwischen Zentrum und Peripherie, die die Gesellschaft strukturiert (vgl. Luhmann 1997: 663-677). Im Zentrum bündelt sich die Reflexionsleistung und hier wird das Interesse an der Kontrolle der Peripherie formuliert. Der Träger dieses Interesses ist eine Herrschaftsbürokratie, die sich einer religiösen und politischen Semantik bedient, um das Reich zu steuern. Sie nutzt für ihre Zwecke Schrift als einen neuen Kontrollmechanismus und bindet die Peripherie durch Tributzahlungen an sich. Die Zunahme von Kommunikation in der Reichszentrale ermöglicht die Ausdifferenzierung sozialer Unterschiede und schließlich die Entstehung von Adel, der sich einen privilegierten Zugang zu Amtsressourcen aufbaut und so seine Reproduktion sichert. Luhmann betont allerdings, dass in Reichen diese Ausdifferenzierung nie formbildend wird für die Gesamtgesellschaft, sondern die Selbstbeschreibung der Gesellschaft in der Bürokratie angesiedelt bleibt (Luhmann 1997: 674f.). Angenommen wird ferner, dass Reiche evolutionsresistent sind. Sie neigen zu Selbstzerstörung und Untergang genauso wie zu Neuaufbau und Wiedergeburt. In ihrer Instabilität sind sie relativ stabil. ‚Stratifizierung‘ ist eine weitere historische Form gesellschaftlicher Differenzierung (vgl. Luhmann 1997: 678-706). Es sind hier Schichten und Stände, mit denen sich die Mitglieder einer Gesellschaft voneinander unterscheiden. Per Endogamie bildet sich ein Adel heraus, der intern weitere Hierarchien ausdifferenziert und das Zentrum der Gesellschaft bildet, während die Masse der Bevölkerung als Bauern feudal beherrscht wird. Nach Luhmann ist die Stratifikation einer Gesellschaft bereits eine sehr unwahrscheinliche Entwicklung (Luhmann 1997: 680 f.). Das spätmittelalterliche Europa bildete eine Ausnahme, da hier die Versuche zur Bildung von Reichen mit religiösen Wurzeln am Widerstand der Kirche scheiterten. Die Auffassung, die Politik in Kyrgyzstan bestimme sich über die Unterscheidung zwischen Zentrum und Peripherie oder vielleicht über ein Schichtensystem, ist eher selten anzutreffen. In Erzählungen über die Sowjetunion stößt man auf das Zentrum Moskau, welches versucht, planwirtschaftend die Peripherie namens Zentralasien unter Kontrolle zu bringen. Ähnlich lassen sich Jowitts ‚Berufsrevolutionäre‘ oder Ledenevas ‚blatmeister‘ als eine besondere Schicht verstehen, die ihre Pfründe einem Adel gleich vor dem einfachen Sowjetbürger zu schützen versuchte (Jowitt 1992; Ledeneva 1998). In Kyrgyzstan wird heute eher anekdotenhaft mit diesen Unterscheidungen gespielt. Bischkek beispielsweise wird zum modernen Zentrum, welches sich von der rückständigen Provinz abhebt. Umgekehrt wird von „denen da unten“ gegen „die da oben“ polemisiert, die sich in der Aura der Unantastbarkeit als postsozialistische Beamte, als soge-
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nannte „tschinowniki“, am Raub an der Bevölkerung beteiligen. In die wissenschaftliche Auseinandersetzung haben diese Unterscheidungen allerdings kaum Eingang gefunden. Dieser bescheidenen Relevanz für meinen Gegenstand ungeachtet möchte ich ein weiteres Mal demonstrieren, wie die systemtheoretische Perspektive den Blick schärft. Setzt man die These von der Weltgesellschaft voraus, dann muss man fragen, wie sich die Differenzierung von Gesellschaft in Zentrum und Peripherie halten kann, wenn Schriftgebrauch im ganzen Land verankert ist, wenn ein nationales Steuersystem mit regelmäßigen Abgaben territorial blind agiert und schließlich auch Kommunikation nicht mehr nur im Rahmen einer engen Herrschaftsbürokratie expandiert, sondern fortschreitend alle Räume in die Gesellschaft inkludiert? Auch muss man fragen, wie sich die selbstherrliche InStand-Setzung einer Beamtenschaft heute legitimiert, wenn Verdienst und Leistung gefordert werden und eine öffentliche Meinung alternative Beschreibungen der Gesellschaft anfertigt. Der Hinweis auf den historischen Kontext, das möchte ich hier verdeutlichen, verlangt sich anzuschauen, wie unter den Bedingungen der Gegenwart historische Differenzierungsformen Gültigkeit beanspruchen können. 14 In der Gegenwart der Weltgesellschaft, soviel hatte ich bereits vorweggenommen, ist die Differenzierung ‚funktional‘. Wirtschaft, Recht, Politik, Wissenschaft, Erziehung, Massenmedien oder Öffentlichkeit, Kunst oder Religion kümmern sich autonom um die Bearbeitung spezifischer gesellschaftlicher Problemstellungen. Gemeint ist damit, in Luhmanns Verständnis, nicht die Abschottung von einzelnen Gesellschaftsteilen, sondern die gesamtgesellschaftliche Inklusion unter das Vorzeichen einer ganz spezifischen Funktion (vgl. Luhmann 1997: 743-775). Verdeutlichen lässt sich dieser Umstand vielleicht am Beispiel der Entstehung des Funktionssystems Wirtschaft. Dieses entstand mit der Ausweitung von Märkten über lokale Grenzen hinweg und mit einer sich an diese Entwicklung anknüpfenden Orientierung wirtschaftlicher Aktivitäten am Selbstregulativum Preis. Die Gesamtbevölkerung wurde über den Konsum inkludiert, in der Produktion wurden spezialisierte Berufe geschaffen. Mit dem Bedarf an neuen Finanzinstrumenten wurde schließlich die Herausbildung eines Funktionssystems der Weltwirtschaft wahrscheinlich. In dieser Entwicklung taucht der Adel in den Hintergrund ab und das Individuum erscheint. Heute ist das zu erwartende komplementäre Rollenverhalten anderer in den Funktionssystemen, zum Beispiel unsere wechselseitige Beobachtung als Konsumenten, entschei-
14 Vgl. auch Luhmanns Diskussion von „Klasse“ als die moderne Form der Gesellschaftsschichtung (Luhmann 2008a).
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dend. Weniger wichtig sind unsere anderen eigenen Rollen wie die Differenzierung in Stände und entsprechende soziale Positionen (Luhmann 1997: 739). Die Vorstellung einer Differenzierung von Gesellschaft in Funktionsbereiche, wenn auch nicht notwendigerweise in Form systemtheoretischer Termini, liegt vielen Beschreibungen über die politischen Verhältnisse in Kyrgyzstan und Zentralasien zugrunde. Allein die vielen Berichte von Organisationen wie Freedomhouse oder der ‚Bertelsmann Transformation Index‘ können hier als Beispiele dienen. Im Vordergrund steht die Beobachtung bestimmter gesellschaftlicher Eigenlogiken, häufig denen von Wirtschaft und Politik, mitunter auch von Recht und Medien oder Zivilgesellschaft und Kultur. Politik wird dabei regelmäßig als Anstaltsstaat definiert und dient in der Politikwissenschaft als Maßgabe für alle möglichen Beschreibungen. 15 Luhmanns These von der globalen Relevanz funktionaler Differenzierung macht solche Beschreibungen plausibel. Sie haben einen hohen Erklärungswert, wenn sie die Effekte der Finanzkrisen von 1998 und 2008 für Zentralasien auf den Punkt bringen, die Auswirkungen der Verfassungsreformen in Kyrgyzstan rekonstruieren oder die Einbindung der neuen Republiken in das internationale Rechtssystem kommentieren. Spätestens mit Kyrgyzstans Teilnahme an den PISA Studien drängt sich der Eindruck auf, dass auch in der postsowjetischen Peripherie in globalen Erwartungszusammenhängen gehandelt wird. In die Kritik an solchen Beschreibungen habe ich bereits in der Einleitung eingeführt. Es wird der Vorwurf erhoben, man sitze hier einer abstrakten Vorstellung auf, jener säuberlichen und säubernden Schablone, die all das in den Hintergrund drängt, was sich nicht ordentlich einfügt. Untermauert werden diese Vorwürfe mit detaillierten Berichten über das Dauerversagen der genannten Funktionsbereiche. Ich will diese Kritik nicht abstreiten, ziehe allerdings aus der Diskussion alternativer Konzepte den Schluss, dass der Begriff von Gesellschaft und von ihrer Differenzierung komplexer angelegt sein muss, möchte man nicht in die Sackgasse geraten, eine Differenzierungsvorstellung gegen eine andere abwägen zu müssen. Im Folgenden ist es mein Ziel, diese Komplexität mit einer Verknüpfung der Vorstellung von der funktionalen Differenzierung mit der Idee einer segmentären Differenzierung herzustellen. Meine Frage lautet, wie sich segmentäre Gesellschaft politisch äußert und vielleicht etabliert und wie das möglich ist wenn diese Gesellschaft gleichzeitig mit der Forderung konfrontiert
15 Vgl. zu Staat als Selbstbeschreibungsformel des politischen Systems jetzt auch Luhmann (2005: 77-107).
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ist, weltweiten Vorgaben funktionaler Differenzierung zu entsprechen. 16 Wo immer auch andere gesellschaftliche Logiken an ihrer Entfaltung arbeiten, müssen sie sich mit dem Problem auseinandersetzen, in globale Verweisungszusammenhänge integriert zu sein. 17
16 Mit dieser Frage wende ich mich auch gegen Stimmen, die die Annahme des „Primats funktionaler Differenzierung“ verwerfen und die fehlende Berücksichtigung von Entwicklungsunterschieden in der Weltgesellschaft in der Systemtheorie kritisieren (Fuhse 2005: 111; Schimank 2007: 182; Lange 2002). Luhmann selbst sieht solche Unterschiede als Resultat dieses Primats: „[G]erade das dominante Muster funktionaler Differenzierung scheint [regionalen Unterschieden] den Ansatzpunkt für ein Bewirken von Unterschieden zu bieten. [ . . . ] Der Ausgangspunkt liegt in der evolutionären Unwahrscheinlichkeit funktionaler Differenzierung. Regionale Besonderheiten können dann sowohl fördernd als auch verhindernd eingreifen.“ (Luhmann 1997: 810) 17 Zu diesem Sachverhalt noch einmal abschließend Luhmann „Es wäre jedenfalls ganz unrealistisch, den Primat funktionaler Differenzierung als eine durch das Prinzip gesicherte Selbstrealisation zu begreifen. Auch eine Deutung nach dem Muster hierarchischer Dominanz würde den Verhältnissen nicht gerecht werden, so als ob es um mehr oder weniger erfolgreiche Formen gesellschaftlicher Selbststeuerung ginge. Eher dürfte die Annahme zutreffen, daß die auf der Ebene der Weltgesellschaft durchgesetzte funktionale Differenzierung die Strukturen vorzeichnet, welche die Bedingungen für regionale Konditionierungen vorgeben. Es geht, anders gesagt, um eine komplexe und labile Konditionierung von Konditionierungen, um Inhibierungen und Disinhibierungen, um eine von zahllosen weiteren Bedingungen abhängige Kombination von Beschränkungen und Gelegenheiten. Funktionale Differenzierung ist, so gesehen, nicht die Bedingung der Möglichkeit von Systemoperationen, sondern eher die Möglichkeit ihrer Konditionierung. Daraus ergibt sich zugleich eine Systemdynamik, die zu extrem ungleichen Entwicklungen innerhalb der Weltgesellschaft führt. Die Regionen finden sich selbst deshalb fernab von einem gesamtgesellschaftlichen Gleichgewicht und haben gerade darin die Chancen eines eigenen Schicksals, das nicht als eine Art Mikroausgabe des Formprinzips funktionaler Differenzierung gesehen werden kann. Nur: wenn es den Primat dieses Prinzips auf weltgesellschaftlicher Ebene nicht gäbe, wäre alles anders, und diesem Gesetz kann sich keine Region entziehen.“ (Luhmann 1997: 811 [Herv. d. Autor]) Vergleiche einleitend auch Stichweh (2000: 7-30).
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Soziale Systeme Um meinem Ziel einer komplexeren Vorstellung peripherer Bedingungsverhältnisse einen Schritt näher zu kommen, sind weitere klärende Hinweise auf das systemtheoretische Verständnis von Systemen angebracht. Soziale Systeme unterscheiden sich nach Luhmann von anderen Systemarten, beispielsweise psychische oder lebende Systeme, durch die spezifische Form ihrer Operation: Kommunikation. Luhmann treibt mit dieser einfachen Definition die kommunikationstheoretische Wende im soziologischen Denken auf die Spitze. Gesellschaft, in Systemen organisiert, realisiert sich ausschließlich in Kommunikation – was nicht Kommunikation ist, ist nicht Gesellschaft, ist also nicht sozial. Die Welt wird soziale Wirklichkeit immer nur dann, wenn über sie kommuniziert wird. Dabei kann dieses Kommunizieren unterschiedlich koordiniert sein: es kann als Interaktion auftreten, als Organisation oder als Gesellschaft. Diese drei Systemtypen bietet Luhmann an, um die soziale Wirklichkeit auf den Systembegriff zu bringen. Die Gesellschaft führt dabei in sich selbst immer bestimmte Unterscheidungen ein, um so eine Ordnung aufzubauen. In der Gegenwart ist dies die Unterscheidung von Funktionen. 18 Die Funktionssysteme der Gesellschaft greifen dabei fast durchgehend auf ein gleiches Set von Systemeigenschaften zurück, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Diese Eigenschaften lassen sich anhand der Begriffe ‚Code‘, ‚Medium‘, und schließlich ‚Beobachtung zweiter Ordnung‘ erläutern. Zu diesen Kernbegriffen treten das Konzept der ‚Autopoiesis‘ sowie das Attribut der Selbstreferenz hinzu 19. Da diese Begriffe für meine folgende Arbeit an einem Begriff der ‚Politik der Peripherie‘ bedeutend sind, will ich sie an dieser Stelle kurz erläutern. In den 80er Jahren führt Luhmann den Begriff der ‚Autopoiesis‘ von Maturana in die Theorie sozialer Systeme ein (Luhmann 1984). Mit diesem altgriechischen Kunstwort, zu übersetzen mit „Selbsterzeugung“, bezeichnet er das Bedingungsgefüge sozialer Systeme. Die Elemente eines Systems, so das Argument, reproduzieren in ihren Operationen sowohl sich selbst als auch das System. Operativ und im System und durch die Elemente selbst wird beides, Ursache sowie Wirkung ihrer Existenz, hergestellt. Mit dieser theoretischen Fassung zielt Luhmann keinesfalls auf Autarkie ab. Im Gegenteil, Systeme stehen mit ihrer Umwelt im ständigen Kontakt, sie sind in vielerlei Beziehungen abhängig
18 In dieser Arbeit geht es um das Kommunizieren in der Gesellschaft, also in Funktionssystemen, nicht in Organisationen und nur bedingt in Interaktionen. Vgl. hierzu die Anmerkungen zur Analyse sozialer Operationen bei Kühl (2005). 19 Vgl. Begriffe in Baraldi / Corsi / Esposito (1997: 29; 33; 123; 154; 163).
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von ihr und würden ohne die Umwelt überhaupt nicht existieren (vgl. Luhmann 1997: 65 ff.). Allein die Autonomie der Operationen wird mit diesem Konzept hervorgehoben. Was immer an ein System als Anspruch herangetragen wird, findet Verarbeitung immer nur nach den Regeln für systemeigene Operationen und ist im Moment seiner Verarbeitung Teil der Selbsterzeugung des Systems. Die Bedingungen der Beziehung eines Systems zu seiner Umwelt verdeutlicht der Begriff der ‚Selbstreferenz‘. Ein System bestimmt sich über seine Differenz zur Umwelt. Das System ist überhaupt nur System als eine Differenz zu einer Umwelt, von deren ungeordneter Unendlichkeit es sich abhebt. Und es muss daher in seinen Operationen immer auch wieder für eine Reproduktion dieser Differenz sorgen. Um diese Aufgabe zu meistern, um also zwischen eigenen Operationen und fremden Operationen unterscheiden zu können, muss das System einen Bezug zu sich selbst herstellen können. Luhmann identifiziert drei verschiedene Formen dieser Selbstreferenz: einmal auf der Ebene der Elemente die ‚Selbstbezüglichkeit‘, zum zweiten auf der Ebene der Prozesse die ‚Reflexivität‘ und schließlich auf der Ebene der Systemdifferenz die ‚Reflexion‘. Der Selbstbezug eines Elements realisiert sich in der Relation zu anderen Elementen. In seinem Verweis auf andere Elemente verweist das Element gleichzeitig auf sich selbst. In Prozessen realisiert sich der Selbstbezug als Verweis auf vorherige Ereignisse. Reflexiv wird auf ein Vorher zugegriffen und damit ein Ereignis zeitlich konditioniert. Von Reflexion spricht Luhmann, wenn innerhalb des Systems auf die Differenz zur Umwelt Bezug genommen wird. Diese Selbstreferenz realisiert sich, anders formuliert, als eine spezifische Bearbeitung der systemkonstituierenden Differenz im System 20. Mit ‚Code‘ bezeichnet Luhmann jenen binären Schematismus, mit dem in Funktionssystemen Informationen verarbeitet werden. Er führt den Erfolg der Moderne auf die Ausbildung dieser relativ einfach gebauten Schemata zurück, bei denen immer nur mit Rekurs auf eine von zwei möglichen Codeseiten über die Fortsetzung von Kommunikation entschieden werden muss. Das erhöht die Effektivität in der Verarbeitung von Informationen und lässt überhaupt erst einen Bedarf für mehr Informationen entstehen. Im Recht beispielsweise wird nach
20 Mit Spencer Brown (1979) bezeichnet Luhmann diese Operation als einen „re-entry“, als den Eintritt einer Unterscheidung in eine ihrer beiden Seiten. Wichtig ist: Auch der „re-entry“ ist immer eine systemeigene Operation neben anderen und bildet einen Ausschnitt der laufenden Systemreproduktion, fasst aber nie alle Operationen in Gänze. Dennoch produziert der „re-entry“ ein Bild vom System, welches nun von weiteren Operationen als eine Orientierung für die Reproduktion der systemkonstituierenden Differenz benutzt werden kann.
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den Codewerten ‚recht‘ und ‚unrecht‘, beziehungsweise ‚legal‘ und ‚illegal‘, entschieden. Noch in vormodernen Zeiten war Recht an Besitz, an Stand, an Glaubensvorstellungen und politische Macht gekoppelt. Vereinfacht gesagt bedeutete das, dass jener im Recht war, der mehr besaß, und jener im Unrecht, der nur wenig besaß. In der Gegenwart stehen äußere Referenten, wie politische Macht oder Besitztum, nicht mehr zur Verfügung. Recht erarbeitet nun systemintern, positiv, Bedingungen für die Entscheidung über Recht und Unrecht. Die Eigenkomplexität wird ausgebaut, es wird eine Instanzenkette eingerichtet und den Verfahrensfragen besondere Aufmerksamkeit zuteil (Luhmann 1969). Der Code wird hier überall wieder auf sich selbst angewandt. Um nicht von Reflexionsanforderungen überfordert zu werden, lagert das Rechtssystem eine letzte Überprüfbarkeit aus. Über die Verfassung ist geregelt, dass das politische System dem Rechtssystem per Rechtssetzung Vorgaben macht. Gleichzeitig entscheidet das Rechtssystem anhand seines Codes, ob die Ausübung des Rechts auf Rechtssetzung durch das politische System legal ist. Den Begriff des ‚Mediums‘ nutzt Luhmann, um die Wahrscheinlichkeit der Annahme einer Kommunikationsofferte in einem Funktionssystem zu erklären. Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien dienen in Funktionssystemen dazu, die eigentlich sehr voraussetzungsvolle Weiterführung von Kommunikation wahrscheinlich zu machen. Beispiele für solche Medien sind Macht im politischen System und Geld im Wirtschaftssystem. Geld ermöglicht den Austausch von Waren über zeitliche, räumliche und soziale Grenzen hinweg, bei Ausblenden jener Einflüsse, die in geldlosen Gesellschaften Güteraustausch konditionieren können. Weder interessiert, woher das Geld stammt, noch spielt es eine Rolle, was mit dem Geld passiert, hat es einmal seinen Besitzer gewechselt. Die Wahrscheinlichkeit für eine Kommunikationsofferte in der Wirtschaft, in Form eines Verkaufs- oder Kaufangebots, richtet sich einzig und allein nach dem Preis. Und damit kann der Austausch von Waren ohne besondere Voraussetzungen abgewickelt werden. Luhmann zufolge bedeutet der Eintritt in die Moderne das Abschütteln ontologischer Gewissheiten. Das bedeutet, dass der Rückgriff auf eine feststehende Kosmologie, auf naturrechtliche Auffassungen für die Rechtsprechung beispielsweise oder auf Gottes Fügung für politische Herrschaft, in der Gegenwart ersetzt werden muss. Luhmann zufolge erfüllt die ‚Beobachtung zweiter Ordnung‘ diese Funktion. Sie ermöglicht die permanente Neukonstituierung der Welt durch das Beobachten anderer Beobachter. In der Wirtschaft beispielsweise beobachten sich nun Beobachter einander anhand des Marktgeschehens und der Preisbildung und gewinnen so eine Orientierung. Diese Orientierung ist allerdings prekär, da sie immer nur für den Moment gilt und verlangt, für den folgen-
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den Moment eine neue Orientierung durch weitere Beobachtungen herzustellen. Die Beobachtung zweiter Ordnung wird zur Chiffre für eine Welt, in der Orientierung immer nur in der Form eines prekären Zustands erzeugt werden kann. Für soziale Systeme ist daher die Fähigkeit entscheidend, diese Erzeugung garantieren zu können. Am Begriff der ‚Beobachtung zweiter Ordnung‘ wird noch einmal die radikal-konstruktivistische Perspektive der Systemtheorie deutlich: Orientierung in der Gegenwart ist nur als Praxis des Beobachtens herstellbar (vgl. auch Nassehi 2009: 359 ff.). Meine Frage ist, wie das in der Politik geschieht und ob und wie es in der Politik in Kyrgyzstan möglich ist. Was sind die systemtheoretischen Annahmen in Bezug auf die Möglichkeiten der Politik, mit Hilfe der Beobachtung anderer Beobachter eine Vorstellung von der Welt zu entwickeln? Und wie ist es um diese Möglichkeiten in Kyrgyzstan bestellt? Einige meiner Annahmen lassen sich jetzt zumindest schärfer formulieren: Die Differenz zwischen einem Funktionssystem und seiner Umwelt wird immer nur für den Moment operativ hergestellt und diese Herstellung ist für das Verhältnis der Politik zur Gesellschaft in den Fokus der Untersuchung zu rücken. Das bedeutet, dass an die Diskussion über angemessene Begriffe vom modernen Staat und traditioneller Gesellschaft, über den richtigen Exkurs in die Historie und den optimalen Grad von Institutionalisierung, über das passende Geflecht zwischen Formalität und Informalität, jetzt die Aufgabe anschließt, die Bedingungen der Praxis zur Herstellung einer Differenz zwischen System und Umwelt zu analysieren. Der Gegenwartsbezug der Praxis unterstreicht dabei noch einmal die Notwendigkeit, an den Praktiken selbst diese Bedingungen zu studieren, nicht, wie bisher versucht, in einem dieser Praktiken vorgelagerten Kontext. 21 Des Weiteren ist der Einsatz sozialer Identitäten in der Politik jetzt auf sein Vermögen hin abzuklopfen, für den Moment und in einer gegebenen Situation Orientierung zu bieten. Die Zuschreibungen auf Identitäten zu untersuchen erfordert, aus der Position eines Beobachters zweiter Ordnung heraus Operationen zu identifizieren, mit denen über diese Form von Zuschreibung die Anschlussfähigkeit für weitere Operationen
21 Vgl. zur Diskussion über Moderne und Tradition als erschöpfte Annahme über die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen Stichweh: „In einer kommunikations- und ereignisbasierten Gesellschaft lässt sich für moderne wie für traditionelle Arrangements behaupten, daß sie von Moment zu Moment zerfallen drohen und daß sie deshalb durch unablässige Akte der Reproduktion gegen Zerfall geschützt werden müssen. In dieser Hinsicht sind also traditionelle wie moderne institutionelle Arrangements prinzipiell gleich, d. h. sie unterscheiden sich in der sie bestimmten Form der Zeitlichkeit nicht“ (2000: 212f.).
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garantiert wird. Schließlich ist für die Bestimmung der Funktionslogik mit den Formbegriffen der Theorie sozialer Systeme das Instrumentarium zur Hand, um die Funktion und Aufgabenerfüllung der Politik in Kyrgyzstan neu zu konzipieren. ‚Code‘, ‚Selbstreferenz‘, ‚Medium‘ und die Bestimmung von Kommunikation als Operation erlauben mir, die Funktionslogik der ‚Politik der Peripherie‘ einer systematischen Beschreibung zuzuführen. Politik systemtheoretisch Die politische Soziologie Luhmanns baut ganz auf den Vorarbeiten zur allgemeinen Theorie sozialer Systeme auf. In ihr findet sich auf den ersten Blick wenig, dass sich auf unser gängiges Verständnis über den Staat, über politische Entscheider und ihre möglichen Legitimationen übertragen ließe. 22 Ich wähle vor diesem Hintergrund als Ausgangspunkt für meine weitere Arbeit an einem Begriff des Politischen die bekannte Funktionsbestimmung Luhmanns, der zufolge Politik die Kapazität bewahrt, kollektiv bindend zu entscheiden (Luhmann 2000: 84). Um diese Arbeit durchzuführen, möchte ich eingangs die systemtheoretischen Annahmen zum Funktionssystem der Politik darstellen. Wie andere Funktionssysteme auch nutzt Politik zur Erfüllung ihrer Funktion ein besonderes Medium, um die Anschlussfähigkeit ihrer Operationen zu steigern. Dieses symbolisch generalisierte Kommunikationsmedium ist ‚Macht‘ (Luhmann 2000: 18 ff.; Baraldi 1997: 189 ff.). Macht konditioniert kommunikative Anschlüsse, indem sie Sanktionen anzeigt und so bestimmte Reaktionen hervorruft. Entscheidend ist dabei das Anzeigen eines Horizonts möglicher Sanktionen, nicht jedoch die tatsächliche Anwendung von Zwang. Wird beispielsweise Gewalt ausgeübt, um Folgebereitschaft herzustellen, so hat Macht als Kommunikationsmedium im Vorfeld versagt. Der Nutzen der Macht in der Politik ruht also auf dem Vermögen, in einer jeweiligen Kommunikation plausibel zu machen, dass die Ablehnung einer Offerte die schlechtere Wahl darstellt. Macht als dem symbolisch generalisierten Kommunikationsmedium korrespondiert im politischen System ein Code mit der Unterscheidung zwischen ‚überlegen‘ und ‚unterlegen‘ (Luhmann 2000: 88 ff.). ‚Überlegenheit‘ hat einen positi-
22 Vgl. die Beiträge zum Sammelband „Das System der Politik: Niklas Luhmanns Politische Theorie“ (Hellmann / Fischer / Bluhm 2003), die vorwiegend Theorievergleiche leisten oder aber strukturelle Kopplungen, also Verknüpfungen des Systems mit seiner Umwelt, ins Auge fassen, hingegen weniger in Fallstudien Fragen bearbeiten, die in der Politikwissenschaft regelmäßig gestellt werden (bspw. nach Demokratie, Herrschaft, Staatsaufbau, Rechstsstaatlichkeit, Wahlsysteme, etc.).
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ven Wert. Mit ihr wird der Verweis auf Macht als Mittel zur Konditionierung von Annahmebereitschaften vollzogen. ‚Unterlegenheit‘ hingegen fungiert als Reflexionsinstanz, von der aus immer wieder neu bewertet wird, inwiefern die Annahme einer Machtkommunikation sinnvoll ist oder nicht. Mit der flexiblen Anwendung dieser Unterscheidung hat sich die moderne Politik heute aus jener Starre befreit, welche die in eine kosmologische Ordnung eingefügte Beziehung zwischen Adel und Bauer in der Vergangenheit auszeichnete. Moderne Politik erlaubt mehr Kontingenz in der Selektion von Anschlussoperationen, idealerweise in der Form von ‚Regierung‘ und ‚Opposition‘. Luhmann fasst diese Unterscheidung begrifflich als „Metacodierung“ (Luhmann 2000: 100). Der Ausbau der Kontingenz erfolgt dabei durch den Effekt der Technisierung des Wechsels von einer Seite des Codes auf die andere. In Form von Wahlen kann die ‚überlegene‘ Regierung aus ihrem Amt befördert werden und gleichzeitig die ‚unterlegene‘ Opposition in die Machtposition vorrücken. Mit dieser neuen Technik steigt die Reflexion im System stark an. In vollständiger Abkehr vom vormodernen Prinzip einer in Hierarchie gegossenen Präsentation der Welt arbeitet sich das moderne politische System an der permanenten Produktion einer doppelten Wirklichkeit ab. Was immer die Regierung als Standpunkt formuliert, findet in einer Reaktion der Opposition seine Alternative. Diese Zunahme an Kontingenz als erweiterter Entscheidungsspielraum hat den rekursiven Effekt verstärkter Macht. Politische Kommunikationsofferten in Form von Entscheidungen werden angenommen, da sie eingebettet erscheinen in vorhergehende und nachfolgende Entscheidungen, mit denen gegenwärtige Verhältnisse revidiert werden können. Die Regierung erreicht Gefolgschaft heute, weil sie morgen abgewählt werden kann. Die spezifische Operation des politischen Systems ist die ‚Entscheidung‘. Alles Kommunizieren, alle Präsentation und politische Überzeugungsarbeit, erfolgt im Schatten möglicher Entscheidungen. Einzig über diesen Modus lässt sich das autonome Operieren des Funktionssystems bestimmen. Würde die Politik keine Entscheidungen treffen, ließe sich überhaupt nicht mehr beobachten, am welchen Ort in der Gesellschaft die Kapazität für solche Entscheidungen bewahrt würde. Nur in politischen Entscheidungen realisiert sich Politik operativ und erlaubt es so der modernen Gesellschaft, Probleme kollektiver Bindung zu behandeln. In meinen Fallstudien werde ich von politischen Meinungen, von Darstellungen, Protesten und anderen Formen politischer Kommunikation erzählen. Hier zeige ich, wie sich die Dynamik von Politik in Kyrgyzstan entwickelt. Plausibilität erreichen meine Erzählungen allerdings nur mit Blick auf die Entscheidungen, die im politischen System schließlich getroffen werden und kollektiv bindend sind.
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Die Aufgabe, sich in der Gegenwart Orientierung durch die Beobachtung anderer Beobachter zu verschaffen, erfüllt die Politik mit Hilfe der ‚öffentlichen Meinung‘. Öffentliche Meinung lässt sich auf das Paradox zurückführen, dass auch über Entscheidungen irgendwie entschieden werden muss. Luhmanns Ausführungen zufolge übernahm in frühen Zeiten die Religion diese Rolle, später wurde es der absolute Monarch, für die revolutionären Massen sollte es die ‚volonté général‘ sein (Luhmann 2000: 274-282). Diese Repräsentation Aller durch Alle war allerdings nicht realisierbar, und die verkürzte Version, die Repräsentierung Aller durch einige ausgewählte Wenige, bedeutete historisch die Beförderung der öffentlichen Meinung zum neuen Generator politischer Vernunft, an dem sich von nun an Entscheidungen im politischen System zu orientieren hatten. Heute wirkt öffentliche Meinung wie ein Spiegel, der die Blicke der Politik zurückwirft und in seiner Intransparenz die Unsichtbarkeit der unsichtbaren Hand des Entscheiders bewahrt, das Paradox mithin erfolgreich versteckt. Luhmann weist der öffentlichen Meinung in seinem Theoriegebäude den Ort einer strukturellen Kopplung zu, also einer spezifischen Beziehung des Funktionssystems der Politik zu seiner Umwelt. 23 In diesem besonderen Fall geht es um die Beziehung zum Funktionssystem der Massenmedien, bzw. dem Funktionssystem der Öffentlichkeit. Luhmann legt sich auf Massenmedien fest und beschreibt ihren Code mit der Unterscheidung zwischen informativ und nichtinformativ. Entlang dieser Unterscheidung bestimmen die Massenmedien, was als Neuigkeit Thema und Beitrag in einer laufenden Weltbeschreibung wird. Ich folge an dieser Stelle allerdings dem Vorschlag Görkes (2004), Öffentlichkeit an die Stelle von Massenmedien zu setzen. Das Medium des Funktionssystems der Öffentlichkeit ist ‚Aktualität‘ und die Code-Unterscheidung lautet ‚aktuell‘ / ‚nicht-aktuell‘ (Görke 2004: 121ff.). Diesem Ansatz folgt auch Hagen (2003), der im Medium der Aktualität die besondere Funktion der Gegenwartskonstruktion mit Bezug auf einen anderweitig nicht erreichbaren Horizont der Gesamtgesellschaft erkennt. 24 Für meine Arbeit bringt diese theoretische Entscheidung den
23 Vgl. zum Begriff der strukturellen Kopplung einführend Luhmann (1997: 776 ff.) und Baraldi / Corsi / Esposito (1997: 186-189). 24 Der Kreis schließt sich, wenn Luhmann mit Bezug auf Baecker von der Öffentlichkeit als „generalisierte andere Seite aller innergesellschaftlichen Sozialsysteme“ spricht (Luhmann 2000: 285). Ferner legen jüngere Medienanalysen den Wechsel auf Aktualität als Medium im Gegensatz zu Information nahe. Die Verwendung von Konzepten wie ‚öffentliche Aufmerksamkeit‘ und ‚Imitation‘ streicht hier den Unterschied zwischen ‚Aktuellem‘ und ‚Informativem‘ heraus, vgl. Leskovec / Backstrom / Kleinberg (2009).
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Vorteil, jenseits massenmedialer Leistungen auch die Kommunikationen untersuchen zu können, die im Zeitalter des Internets als öffentlich gehandelt werden müssen, aber eben nicht von den Leistungsträgern traditioneller Massenmedien produziert werden. Davon abgesehen bleiben die Annahmen Luhmanns bestehen: Wenn Öffentlichkeit Aktualität prozessiert, dann schafft sie hierfür neue Themen und immer wieder neue Beiträge. In der öffentlichen Meinung werden die Resultate der Anwendungen des Codes in beiden Systemen verknüpft: Die Öffentlichkeit produziert unablässig mit neuen Themen und Beiträgen Möglichkeiten für das politische System, kollektiv bindende Entscheidungen zu treffen; umgekehrt lässt die Unterscheidung in Regierungs- und Oppositionsmeinung Möglichkeiten für das öffentliche System entstehen, auf ‚Neues‘ und ‚Aktuelles‘ zur Beschreibung der Welt zurückzugreifen. Die öffentliche Meinung koordiniert beide Erfordernisse in Eigenregie. Aus Sicht der Politik hängt das Erfordernis politischen Entscheidens in Bezug auf aktuelle Themen nun davon ab, ob Anschlussfähigkeit vorhanden ist. Die öffentliche Meinung realisiert sowohl die Politisierung eines Themas als auch die Präferenz für eine mögliche Entscheidung. Äußere Referenten stehen nicht mehr zur Verfügung: „In der öffentlichen Meinung zählt nur, was in ihr selbst diskutiert worden ist. Sie lässt keine von außen qua Autorität oder Tradition eingeführten Meinungen zu.“ (Luhmann 2000: 279). Öffentliche Meinung organisiert ihr Meinen autonom und sie wird von der Öffentlichkeit insofern dabei konditioniert, als dass diese ohne Unterbrechung neue Themenhorizonte aufspannt, an die politische Fragen anknüpfen können, über deren mögliche Lösung dann entschieden werden muss. Die Politik hingegen konditioniert das öffentliche Meinen, indem sie unablässig konträre Positionen zu jedem Thema produziert, über deren Aktualität immer wieder neu entschieden werden muss. Die öffentliche Meinung ist der Mechanismus, der es der Politik erlaubt, in der Form einer ‚Beobachtung zweiter Ordnung‘ jene oben angefragte prekäre Orientierung in der Gegenwart herzustellen. In der öffentlichen Meinung beobachten sich meinende Beobachter wechselseitig und produzieren so für den Moment die Möglichkeit, Anschlüsse herzustellen. Entscheidend ist, ganz im Einklang mit der radikalkonstruktivistischen Prämisse, die Praxis des Beobachtens, die jede Orientierung immer nur zeitlich fixiert und relativ werden lässt: „Die öffentliche Meinung desavouiert unter diesen Bedingungen einer Beobachtung zweiter Ordnung die klassische Beobachtungsschemata Sein/Nichtsein und Bestand/Wandel – und dies ohne irgendeinen Zweifel an ihrer eigenen Realität. Die alte Unterscheidung res/verba kollabiert und wird durch eine konstruierend konstruierte Wirklichkeit ersetzt. [ . . . ] Die operative Schließung des Systems auf der Ebene der Beobachtung eigener Be-
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obachtungen im Medium der öffentlichen Meinung wird bezahlt mit Systemrelativität, mit Inkonstanz aller Festlegungen und mit Indifferenz als Voraussetzung aller Differenzen, die operativ erzeugt und als Unterscheidung dem Beobachten zugrunde gelegt werden. [ . . . ] Innerhalb der öffentlichen Meinung wird dieser Effekt mit dem Schema des ‚Orientierungsverlustes‘ erfaßt. Er wird aber auf diese Weise nur registriert und nicht reflektiert und mit der Aufforderung beantwortet, etwas dagegen zu tun.“ (Luhmann 2000: 297)
Das wechselseitige Beobachten in der öffentlichen Meinung verläuft nicht nur nicht unkoordiniert, sondern bewegt sich im Spannungsfeld mehrerer, teils widersprüchlicher Unterscheidungen, mit denen das Beobachten diszipliniert wird. Ich möchte einige dieser Unterscheidungen hier vorstellen, um noch einmal zu verdeutlichen, wie komplex und anspruchsvoll und somit letztlich auch voraussetzungsvoll erfolgreiches (also anschlussfähiges) öffentliches Meinen ist. Bei den Unterscheidungen handelt es sich um jene zwischen ‚Sachlichkeit und Motiv‘, um die Frage nach ‚Inszenierung oder Authentizität‘ und um die Unterscheidung zwischen einer ‚Anspruchswirklichkeit und möglicher Übertreibung‘ (Luhmann 2000: 290 ff.). Zusammen tragen sie mit zur Möglichkeit bei, ausgewählte Beiträge zu Themen in der öffentlichen Meinung auf ihre Anschlussfähigkeit hin einzuschätzen. Jede einzelne von ihnen eruiert das Spannungsfeld zwischen einer möglichen Akzeptanz oder einer möglichen Ablehnung eines Kommunikationsangebots. Im Falle der Unterscheidung zwischen Sachlichkeit und Motiv wird dem Umstand Rechnung getragen, dass in der öffentlichen Meinung politisches Handeln immer beobachtet wird als Vertretung bestimmter Motive oder Interessen. Vermeintlich akute Entscheidungserfordernisse einer gegebenen Situation werden in der Beobachtung zweiter Ordnung so zu einer Wirklichkeit, in der die Partei die Reaktionsrichtung vorgibt, oder Verbandsinteressen, oder Regierungskalküle. Sachliche Einschätzungen werden dem Verdacht ausgesetzt, nicht sachlich, sondern in Motiven jeglicher Art verankert zu sein. Das Anlegen dieser Unterscheidung beim öffentlichen Beobachten hat zur Folge, dass politische Repräsentation sich umso stärker um sachliche Argumentation bemüht. Mit dem heute kuriosen Nebeneffekt, dass allzu sachliche Begründungen nicht als glaubhaft beobachtet werden und automatisch eine öffentliche Motivunterstellung nach sich ziehen (denn irgendein Motiv muss es geben!). Umgekehrt ist das deutliche Anzeigen von Interessen verpönt und wird in der öffentlichen Meinung als skandalös abgelehnt. Erfolgreiches politisches Repräsentieren verlangt daher, nicht über Gebühr den Verdacht auf Motive zu wecken. Ganz ohne Motive geht es allerdings nicht mehr, denn öffentliche Meinung bedeutet auch immer die Abkehr von der einen Wahrheit und die Hinwendung zur Vielfalt der Meinungen.
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In der öffentlichen Meinung sind Beiträge immer Mitteilungen von abwesenden Beobachtern für abwesende Beobachter (Luhmann 2000: 295 f.). Sie nehmen daher die Form einer Inszenierung an. Ein politischer Appell setzt sich in Szene, um als Ausdruck allgemeiner Vernunft verstanden zu werden. Das allerdings erfordert, dass ein bestimmtes Tempo bei der Inszenierung eingehalten wird. Denn weilt das Auge des öffentlichen Betrachters zu lange auf der Inszenierung, tritt unweigerlich ihr Charakter hervor und erlaubt die Kritik an der Authentizität der Mitteilung (die man zu inszenieren versucht). Authentischer wird das politische Kommunizieren dadurch allerdings nicht, denn die Bedingungen fürs Inszenieren gelten auch für die Kritik. Und aus dieser Bedingung heraus folgt die Aufforderung an die Teilnehmer des politischen Spiels, möglichst bedacht ihre Angebote zu inszenieren, um so den öffentlichen Eindruck der Authentizität zu wahren. Demokratie führt Luhmann zufolge schließlich dazu, dass die Erschaffung neuer Themen in der öffentlichen Meinung begrüßt wird. Sie werden geradezu herbeigesehnt als Möglichkeit, sich vom politischen Gegner abzugrenzen. Es reicht aus, eine Frage öffentlich zu formulieren und anschließend zu fordern, jemand anderes möge sie beantworten. Der ständige Hunger nach neuen Fragen mündet aber auch in ihrem beschleunigten Verbrauch. Als Ergebnis stellt sich eine allgemeine Unzufriedenheit ein, da eine jede Frage immer nur unzureichend behandelt und gelöst wird, bevor wieder die nächste aktuell ist. Zum Zeitpunkt seiner Entscheidung ist dann ein Problem längst an den öffentlichen Rand gedrängt und wird mit vermindertem Ressourcenaufwand bearbeitet. Ein Beobachter zweiter Ordnung kann dieses Dilemma sehen und darauf reagieren. Er kann jetzt Übertreibungen in seine Meinung einbauen, in Antizipation einer „Vorwegdiskontierung aller Anregungen und Vorschläge“ (Luhmann 2000: 294). Der Inhalt einer Mitteilung wird aufgebauscht da man ja weiß, dass später in den Parlamentsausschüssen nichts so heiß gegessen wird wie es zuvor in der öffentlichen Meinung gekocht wurde. Die drei Unterscheidungen und ihre Spannungsfelder möchte ich zu einem Bild widersprüchlicher Anforderungen an öffentliches Meinen verdichten: Das Beobachten in der öffentlichen Meinung neigt zur Motivunterstellung, doch das Gebot, Sachlichkeit zu inszenieren, tritt dieser entgegen. Dem widerspricht allerdings die Antizipation der öffentlichen ‚Vorwegdiskontierung‘, welche stets in der Forderung nach ‚etwas mehr‘ mündet. Demokratie ist aber auch immer der öffentliche Nachweis über regierungsfähiges Handeln, was überzogenes Fordern wiederum bremst. Das erschwert aber schließlich die Abgrenzung vom politischen Gegner, der mit öffentlicher Profilierung unter Druck gesetzt werden soll. Dieses Bild beschreibt meiner Ansicht nach eindrucksvoll, unter welch prekären
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Verhältnissen öffentliches Meinen abläuft. Politiker müssen mehrdimensional kalkulieren, wenn sie öffentlich agieren. Nicht zu kalkulieren ist keine Option, da an öffentlicher Meinung als Teil des modernen Funktionssystems der Politik kein Weg vorbei führt. Es gibt aber auch keine Gewähr für erfolgreiches Kalkulieren, da sich Anschlüsse in der öffentlichen Meinung nicht erzwingen lassen. Mit diesen Ausführungen zu öffentlicher Meinung schließe ich einen entscheidenden Teil meiner theoretischen Vorarbeit ab. Inzwischen ist deutlich geworden, unter welchen Bedingungen moderne Politik funktioniert und welchen Ansprüchen politisches Kommunizieren genügen muss, um anschlussfähig zu sein. In der strukturellen Kopplung mit dem Funktionssystem der Öffentlichkeit bildet Politik die ‚moderne‘ Fähigkeit aus, Orientierung herzustellen. Mit Bezug auf die Weltgesellschaft kann angenommen werden, dass diese strukturelle Kopplung global existiert (als Irritation des jeweils einen Funktionssystems durch das andere). Eine zweite Frage ist aber, ob die jeweiligen Anforderungen bewältigt werden können. Die Darstellung der widersprüchlichen Anforderungen an öffentliches Beobachten hat den Raum geöffnet für Spekulationen darüber, wo im System Störungen auftreten können. Für meine Arbeit entscheidend wird sein zu bestimmen, an welcher Stelle verschiedene Differenzierungsformen, besonders segmentäre und funktionale Differenzierung, in Konflikt treten können; und somit zu Störungen des Systems führen oder auch nicht. Bevor ich mit Blick auf diese Frage Thesen formuliere, möchte ich dieses Kapitel schließen, indem ich in einem letzten Schritt den Begriff des Politischen genauer bestimme. Erst dann lassen sich Vermutungen darüber anstellen, welche Störungen im System welche (politischen) Wirkungen hervorrufen. Struktur und Operation des Bereithaltens der Kapazität zum kollektiv bindenden Entscheiden Die Funktionsbestimmung Luhmanns für Politik erörtere ich im Folgenden vor dem Hintergrund meiner Kenntnisse über die öffentliche Meinung als moderner Generator für kommunikative Anschlussfähigkeit. Meine These lautet, dass öffentliche Meinung in ihrem operativen Vollzug die doppelte Erfahrung von Kontingenzsteigerung und Kontingenzreduktion realisiert. Beide Aspekte leistet sie zugleich und sie muss so verfahren, da ansonsten die Möglichkeit zur Orientierung in einer überkomplexen Welt nicht mehr hergestellt werden kann. Diese doppelte Erfahrung lässt sich nun zurückführen auf die Funktion des Politischen als der Bewahrung jener Kapazität, mit der kollektiv bindende Entscheidungen gefällt werden können. Ich behaupte, erstens, dass Beobachter die Reduktion von Kontingenz als zeitlich fixierte Festlegung auf eine der öffentlich gehandel-
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ten Meinungen erleben. Im Moment der Entscheidung kondensiert die Realität der Welt zur Version der Regierung. Die Opposition und ihre Realität sind ins Abseits gedrängt, wo auf die veränderte Welt reflektiert werden muss. Wenigstens für den aktuellen Moment der Entscheidung sind Beobachter darauf verpflichtet, der Regierung zu folgen und die gegebene Welt und ihre ausgewählten Anschlussmöglichkeiten für weitere Entscheidungen zu akzeptieren. Ohne solche Entscheidungen und ohne ihre Beobachtung würde Anschlussfähigkeit überhaupt entfallen. Erfahren wird in diesem Prozess also die Möglichkeit, generell politisch entscheiden zu können. Die Reduktion von Kontingenz durch politisches Entscheiden, noch einmal anders formuliert, bietet die Chance zu beobachten, dass die Gegenwart operativ bewältigt werden kann. Ich behaupte, zweitens, dass Beobachter jede Entscheidung als Entscheidung zwischen konkurrierenden Meinungen und als Entscheidung nach vergangenen und vor vorherigen Entscheidungen erleben. Eine Entscheidung verweist also in ihrem Vollzug auch auf sachliche und zeitliche Kontingenzen. Beobachter können also erwarten, sowohl generell mit Alternativen rechnen zu dürfen, als auch zukünftige Gegenwarten mit weiteren Entscheidungen bewältigen zu können. Ich behaupte, drittens, dass die Eigenschaft, politisches Entscheiden als Anpassung an Veränderungen erwarten zu können, zentral ist für ein besseres Verständnis für die operative Erfüllung der politischen Funktion, eine spezifische Kapazität (zum kollektiv bindenden Entscheiden) zu bewahren. Moderne Politik baut auf die Möglichkeit, ihre Entscheidungen öffentlich erfahrbar zu machen und gelangt so zum Aufbau von Strukturen (systemtheoretisch: ‚Erwartungen‘), die das System offen und geschlossen zugleich werden lassen. Das System ist auf den Abbau eigener Komplexität verpflichtet und doch einer prinzipiell grenzenlosen Umweltkomplexität gegenüber rezeptiv eingestellt. Ich stelle mir das so vor, dass in einer jeden gegenwärtigen Entscheidung Teilnehmer des öffentlichen Diskurses sich wechselseitig in ihren Erwartungen beobachten, erstens unter anderen Umständen anders (sachlich) und zweitens in unbekannter Zukunft anders (zeitlich) entscheiden zu können. Die Erwartungen Einzelner werden so im Medium der öffentlichen Meinung allgemein und stabilisieren sich hier. Entscheidend für diese Stabilisierung ist dabei weniger die Rückversicherung für eigene Entscheidungen zur Ausformulierung bestimmter Erwartungen; vielmehr ist es die Erfahrung der eigenen Erwartung als erwartbar durch andere Beobachter in der öffentlichen Meinung. Für diese besondere Erwartung von Erwartungen nutzt Luhmann den Begriff der „Erwartungserwartung“. Ich behaupte abschließend, dass diese Erwartungserwartung jene Struktur ist, in der die politische Kapazität bewahrt wird, nämlich die im Medium der öffentlichen Meinung geäußerte Erwartung an alle, bestimmte eigene Erwartungen zu formulieren, oh-
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ne dabei sich selbst als Auftraggeber mit einer eindeutigen Adresse zu versehen. Der Spiegel bleibt nach wie vor intransparent. 25 Für meine folgende Arbeit möchte ich noch einmal das operative Moment in der Funktionserfüllung hervorheben. 26 Das Bereithalten der Kapazität, Entscheidungen zu treffen, die Kollektive binden, realisiert sich in der Gegenwart in Entscheidungen und ihren Beobachtungen. Es muss immer heute entschieden werden, wie an eine gerade getroffene Entscheidung angeschlossen wird. Und diese Entscheidung, einen Anschluss zu wagen, muss sich dabei immer wieder rekursiv im Medium der öffentlichen Meinung ihrer eigenen Anschlussfähigkeit versichern. Erst in dieser Praxis realisieren sich auch die oben genannten Strukturen als Erfahrungswerte. Jenseits gegenwärtig ablaufender Systemoperationen nach ihnen zu suchen ist ein Vorhaben, das jetzt keinen Gewinn mehr verspricht. Dieser Bestimmung des Begriffs der Politik entnehme ich für meine folgenden Untersuchungen den Hinweis, in politischen Ereignissen und Entwicklungen in Kyrgyzstan verstärkt auf die Möglichkeiten zu schauen, Anschlussfähigkeit öffentlich zu erfahren und herzustellen. Eine Operation im Funktionssystem der Politik muss es ermöglichen, bestimmte Erfahrungswerte als öffentliches Gemeingut verbuchen zu können, um sich selbst für die Zukunft Anschlussoptionen offen zu halten. Die öffentliche Meinung wird zum entscheidenden Medium des Transports dieser Erfahrung. Mich interessieren daher die Bedingungen, unter denen in Kyrgyzstan Politik als öffentliche Veranstaltung beobachtet wird, wie sich an diesen Beobachtungen Erfahrungswerte kristallisieren und schließlich, wie sich in ihr Kontingenz in Form eines spezifischen Anschlusses reduziert. Mein besonderes Augenmerk gilt dabei jenen Faktoren, die das sauber gezeichnete Bild des operativ geschlossenen Politikbetriebs beschmutzen können. Meine bereits geäußerte Vermutung ist, dass solche Faktoren in der parallelen Anwesenheit verschiedener gesellschaftlicher Differenzierungsvorgaben (funktional und segmentär) gründen. Im folgenden Kapitel entwickle ich diese Vermutung weiter und stelle einige Thesen über die Wirkungsweise dieser parallelen Anwesenheit vor.
25 Luhmann selbst bleibt in seinen Erläuterungen zum Begriff des Bereithaltens der Kapazität dürftig und spricht vom ‚Rechnen‘ anderer Systeme mit Entscheidungen aus der Politik (Luhmann 2000: 84 f.). Dieses Verständnis ließe sich auch mit der Formulierung von Erwartungen übersetzen. 26 Ich folge hier Nassehi und seiner Kritik der operativen Vernunft (vgl. Nassehi 2009: 292 ff.).
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Zusammenfassung Die Entscheidung, die Systemtheorie zur Bestimmung des Begriffs der Politik der Peripherie heranzuziehen, ruht auf der Annahme, mit ihr das konzeptionelle Rüstzeug für eine genaue Fassung der Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft finden zu können. In einem ersten Schritt habe ich die verschiedenen Formen gesellschaftlicher Differenzierung diskutiert und so meine Vermutung über eine konfliktbehaftete Anordnung ‚globaler Anpassungszwänge‘ und ‚örtlicher Gegebenheiten‘ in Kyrgyzstan konkretisiert. In einem zweiten Schritt habe ich die theoretischen Bausteine sozialer Systeme vorgestellt, um die Bedingungen für die Existenz moderner Funktionssysteme beschreiben zu können. Anschließend konzentrierte ich mich bei meiner Diskussion des Funktionssystems der Politik auf die öffentliche Meinung als Modus der Beobachtung zweiter Ordnung, um Orientierung in einer „polykontexturalen Welt“ (Marius / Jahraus 1997: 13 ff.) herzustellen. In einem letzten Schritt habe ich eine Formel für das Kontingenzmanagement aus der systemtheoretischen Fassung der politischen Funktionslogik entwickelt und so das Anforderungsprofil für moderne Politik geschärft. Nach diesen Überlegungen stehen Politik und Gesellschaft jetzt in einer Beziehung, die für jeden neuen Moment operativ hergestellt werden muss. Entscheidungen produzieren eine Differenz zu einer Gesellschaft und markieren damit den Bereich des Politischen; in ihnen treten Identitäten hervor, die sich von anderen Identitäten unterscheiden und so Orientierung bieten; sie werden als anschlussfähig erfahren und erfüllen so die Funktion, die spezifische Kapazität zum kollektiv bindendem Entscheiden zu bewahren. Ich gehe im Folgenden davon aus, dass sich Politik nur unter diesen Bedingungen wappnen kann für Herausforderungen, über die sie heute noch nichts wissen kann, denen sie morgen aber vielleicht begegnen muss. Mit dieser Schlussfolgerung steht die Vorstellung von moderner Politik als einer extrem voraussetzungsvollen sozialen Praxis, die in ihrem Versuch, sich operativ zu realisieren, unzähligen Limitierungen ausgesetzt sein kann. Die folgenden Ausführungen dienen der Entwicklung erster Thesen über mögliche Limitierungen in politischen Konflikten in Kyrgyzstan.
2.3 D ER B EGRIFF DER ÖFFENTLICHEN M EINUNG IHRE B EOBACHTUNG
UND
In diesem Kapitel lasse ich meine Überlegungen zum Begriff des Politischen, über die Bestimmung der politischen Funktionslogik und zur Politik der Peripherie in Thesen über die Dynamik politischer Konflikte in Kyrgyzstan münden. Im
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Anschluss dreht sich alles um das Problem, wie diese Thesen und die ihnen zugrunde liegende Theorie operationalisiert werden können. Wie sortiere ich meine Beobachtungen und entlang welcher Kriterien richte ich meinen analytischen Blick auf das empirische Material aus? Für die Formulierung der Thesen bereitet die Vermutung, in Kyrgyzstan wirken unterschiedliche gesellschaftliche Differenzierungen, den Boden. Ich nehme weiter an, dass diese Differenzierungen ihre Wirkung in der öffentlichen Meinung als der entscheidenden Instanz für die Herstellung von Orientierung entfalten. Die Frage lautet anschließend, wie das operativ geschehen kann. Vorausgesetzt, unterschiedliche gesellschaftliche Differenzierungsvorgaben entfalten als widersprüchliche ‚politische Ordnungslogiken‘ ihre Logik in der öffentlichen Meinung – was können mögliche Folgen einer solchen Entfaltung sein? Bevor ich mich an die Beantwortung dieser Frage mache, möchte ich vorab kurz auf zwei Einwände eingehen, die häufig im Zusammenhang mit Erklärungen über Öffentlichkeit und öffentliche Räume in Zentralasien erhoben werden. Der erste und häufiger erhobene Einwand lautet, dass Öffentlichkeit in Zentralasien faktisch nicht existiert, da die politischen Regime in der Region jeden öffentlichen Raum extrem beschneiden. Der zweite Einwand ist technischer Natur und lautet, dass Öffentlichkeit in Zentralasien gar nicht erst möglich ist, da die notwendige Kommunikationsinfrastruktur nicht vorhanden ist. Ich beginne mit letzterem. Dieser Einwand impliziert, dass der Umstand basaler Selbstversorgung in weiten Teilen der Länder moderne Kommunikationsmittel unverfügbar werden lässt. Es ist nicht nur Armut, die neue Technologien unerschwinglich macht, es ist auch die fehlende Informations- und Kommunikationsinfrastruktur, die öffentliches Kommunizieren verhindert. Wo kein Strom, da auch keine moderne Kommunikation, um die Kritik einmal zu bündeln. Ich möchte zwei Argumente gegen diesen Einwand vorbringen: Erstens hat sich das periphere Zentralasien sowohl mit den Resten sowjetischer Kommunikationsinfrastruktur als auch durch die Verbreitung neuer Kommunikationsmedien einen komfortablen Anschluss an Öffentlichkeit bewahrt und aufgebaut. Daten neueren Ursprungs verdeutlichen die rasante Ausbreitung von Internet über mobile Geräte selbst in entlegene Regionen in Kyrgyzstan (The Atlantic, 22.6.2011). Für meinen Beobachtungszeitraum der Jahre 2005-2008 sind die bedeutende Rolle des Fernsehens, von Printmedien und von Radio und eine wachsende Internetnutzung ebenfalls belegt (Wolters 2011). Zweitens möchte ich an dieser Stelle betonen, dass sich Öffentlichkeit dadurch auszeichnet, dass sie Erreichbarkeit erwartbar werden lässt. Entscheidend ist die einmal gemachte Erfahrung, erreichbar zu sein, also Teilnehmer des öffentlichen Diskurses gewesen zu sein (als Sprecher oder
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erwarteter Beobachter). 27 Diese Erfahrung verändert alles, denn die neue Erwartung, erreichbar zu sein, kann im Anschluss erfüllt oder enttäuscht werden. In jedem Fall aber strukturiert sie die Kommunikation insofern, als dass sie im Medium der öffentlichen Meinung beobachtbar wird. Der erste Einwand ist etwas komplizierter und startet mit der Irritation, dass Medien und Menschenrechtsorganisationen in einem fort die Beschneidung grundlegender Rechte wie Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit und Freiheit der Person durch die repressiven Regime in Zentralasien beklagen. Wie sollen unter diesen Bedingungen, so lautet dann die Frage, öffentliche Diskurse entstehen, in denen frei über das Für und Wider politischer Meinungen debattiert werden kann? Dieser vielleicht Habermas’schen Sicht auf die öffentliche Debatte begegne ich mit dem Hinweis aus der Systemtheorie, dass auch Repression verstanden werden muss als Resultat einer Einbettung der örtlichen Politik in weltgesellschaftliche Kommunikationszusammenhänge. Das Funktionssystem der Öffentlichkeit operiert global und lässt nur noch in extremen Fällen die Exklusion sozialer Räume zu. Kommunikation wird strukturiert als Prozess, bei dem die Teilnehmer abwesend füreinander sind und sie diese Abwesenheit berücksichtigen müssen. Hinter diese Funktionszusammenhänge kann auch Zentralasien nicht mehr zurück. Hier haben Massenmedien die Gesellschaft längst auf die neuen Formen wechselseitiger Erreichbarkeit verpflichtet. Das trifft auch auf eine so bizarre Welt wie das Turkmenistan unter Saparmurjat Nijasow zu und wird belegt in den unglaublichen Inszenierungen des ‚Vaters aller Turkmenen‘. Zweifellos ist die Meinung in einem solchen Regime gleichgeschaltet. Aber auch diese gleichgeschaltete Meinung operiert öffentlich, unterliegt den Bedingungen der öffentlichen Repräsentation und wird eingeschränkt durch die oben diskutierten Unterscheidungen für die Organisation öffentlicher Diskurse.
27 Ähnlich spricht Stichweh (2000: 17) von „Telekommunikation als dem anderen relevanten Mechanismus des Eröffnens von Zugangschancen zu weltweiten Kontakten [neben Organisation].“ Dieser Hinweis verdeutlicht noch einmal meine in dieser Arbeit eingenommene Perspektive auf Kommunikationen in Funktionssystemen, nicht primär in Organisationen, obwohl auch diese als „Mechanism[us] der Herstellung weltweiter Zusammenhänge“ (Stichweh 2000: 17) aufgefasst werden können. Vergleiche meinen Abschnitt zu sozialen Systemen in Kapitel 2.2.
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‚Politische Ordnungslogiken‘ und ihre Wirkung in der öffentlichen Meinung in Kyrgyzstan Die beiden oben genannten Einwände verweisen auf besondere Umstände, die Debatten in der öffentlichen Meinung in Zentralasien sicherlich beeinflussen. Sie sind allerdings keine Argumente gegen meine theoretischen Annahmen über die Funktionsweise öffentlichen Meinens. In Kyrgyzstan gab und gibt es eine Öffentlichkeit. Und anders als in anderen Staaten der Region war und ist in Kyrgyzstan, wenn auch nur für ausgewählte Zeiträume, die Repression der öffentlichen Meinung ausgeblieben. Mein Interesse richtet sich auf die Dynamik öffentlicher Diskurse in diesen repressionsfreien Zeiten, weniger auf die Organisation ihrer autoritären Beschneidung. Gleichzeitig erwarte ich, wie in der Einleitung formuliert, dass meine Untersuchung auch Aufschluss darüber gibt, wie sich Zugänge zu öffentlichen Diskursen öffnen und schließen, mithin autoritäre Verhältnisse eintreten können. Entscheidend ist, und damit kehre ich zu meiner Ausgangshypothese zurück, das Zusammenspiel unterschiedlicher oder gar widersprüchlicher gesellschaftlicher Differenzierungsvorgaben, die in der öffentlichen Meinung als das was ich im Folgenden ‚politische Ordnungslogiken‘ nennen möchte das Beobachten anleiten. Wie genau aber muss man sich diesen besonderen Einfluss vorstellen, in welcher Form tritt er auf? Meine Arbeit am Begriff des Politischen hat einige Möglichkeiten, sich die Wirkungsweise unterschiedlicher gesellschaftlicher Differenzierungsformen auf die Politik vorzustellen, verworfen. Die Analyse historischer Identitäten wie auch der Vergleich regime-typischer Institutionenarrangements sind, zumindest in den von mir besprochenen Analysen von Politik in Zentralasien, nicht komplex genug, um die Dynamik in politischen Konflikten zu erfassen. Sie produzieren widersprüchliche Erklärungen, die ihrerseits auf unzureichenden Beschreibungen des Gegenstands beruhen. Mit der systemtheoretischen Perspektive wird hingegen nach Kommunikationsprozessen geschaut und nach jenen Unterscheidungen, die sie strukturieren. Ich schlage daher vor, die verschiedenen politischen Ordnungslogiken als Unterscheidungen zu konzipieren. Als Unterscheidungen, mit denen in der öffentlichen Meinung in Kyrgyzstan die politische Auseinandersetzung beobachtet und sortiert wird, mit denen also versucht wird, öffentlich an das politische Geschehen anzuschließen. Konkret möchte ich im Folgenden untersuchen, wie in der öffentlichen Meinung die ‚moderne‘ Funktionslogik von Politik als Unterscheidung zwischen Regierung und Opposition
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und die ‚traditionelle‘ Funktionslogik von Politik als Unterscheidung zwischen Segmenten öffentliche Debatten organisieren und koordinieren. 28 Moderne Politik verweist dabei auf jenes Spiel, bei dem Regierung und Opposition darum wetteifern, öffentliche Gefolgschaft zu mobilisieren, um so am Tag der Entscheidung, dem Wahltag, entweder Macht weiterhin ausüben zu können oder aber dieses Privileg für sich zu gewinnen. Politische Ereignisse werden mit dieser Unterscheidung öffentlich beobachtet als Teil einer Veranstaltung, die grundsätzlich Gewinnen und Verlieren in der Erwartung vereint, dass der heutige Verlierer morgen der Gewinner sein kann. Damit wird Konflikten in der Politik ein wenig ihre Spannung genommen; gleichzeitig müssen sie permanent anschlussfähig sein und das macht sie voraussetzungsvoll. Ganz anders die Unterscheidung in Segmente. Um sie voneinander zu trennen dienen die beiden Merkmale ‚Verwandtschaft‘ und ‚territoriale Herkunft‘. In der öffentlichen Meinung konzentrieren sich Beobachter entsprechend auf einzelne Segmente, um an politische Ereignisse anschließen zu können. Wichtig sind die Zugehörigkeit einzelner Politiker zu ausgewählten Segmenten und die Bildung möglicher Allianzen und Feindschaften. Vorausgesetzt wird hier, dass die Ergebnisse von Konflikten nicht revidiert werden können. Politische Konflikte, anders formuliert, werden als Nullsummenspiele beobachtet. Bei der Analyse meines empirischen Materials halte ich entsprechend dieser Definitionen Ausschau nach Meinungen in der Öffentlichkeit, die ihre Anschlussfähigkeit mit Rekurs auf eine der Unterscheidungen herzustellen versuchen. Ich recherchiere nach öffentlichen Beobachtern, die politische Ereignisse entweder als Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition erzählen, oder als Resultat des Kampfes zwischen Klanen, Stämmen, regionalen Gruppen, Landsmannschaften oder anderen Formen von Segmenten. 29 Mit dieser abschließenden Bestimmung von Bedingungen für die Politik der Peripherie, ihre Voraussetzungen, wie ich sie in dieser Arbeit untersuchen möchte, lässt sich meine ursprüngliche Frage neu formulieren: Was geschieht, wenn in der öffentlichen Meinung in Kyrgyzstan Beobachter versuchen, nach unterschiedlichen Maßgaben Erzählungen über politische Ereignisse anzufertigen?
28 Ich nutze hier die Begriffe „modern“ und „traditionell“ als reine Beobachtungskategorien, vgl. zur Beobachterabhängigkeit der Unterscheidung modern/traditionell Stichweh (2000: 213). 29 Um einen ersten Eindruck davon zu bekommen, was hier gemeint ist vgl. die beiden Erzählungen von Marat (2006a) und Khamidov (2006): während Marat in ihrem Beitrag von dem Sieg einer Opposition spricht, hebt Khamidov auf ‚semljatschestwo‘ (Landsmannschaft) als dem entscheidenden Faktor ab.
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Mein in der Einleitung formuliertes Interesse war es, herauszufinden, wie in Kyrgyzstan in der postrevolutionären Zeit das Zusammenspiel ‚moderner Anpassungszwänge‘ und ‚örtlicher Gegebenheiten‘ die Möglichkeiten für die politische Orientierung erweitert oder begrenzt und welche Folgen dieser Einfluss auf die Reflexionsfähigkeit der öffentlichen Meinung in Bezug auf politische Reformprogramme hat. An dieser Stelle möchte ich meine These erweitern um einige Hypothesen über die Dynamik jener Entwicklung, die eintritt, wenn Beobachter mit ihren widersprüchlichen Unterscheidungen in der öffentlichen Meinung in Kyrgyzstan beginnen, politische Ereignisse zu sortieren. Das erste Moment ist eine ‚Irritation‘. Ich gehe davon aus, dass die öffentliche Meinung Bedingungen herstellt, die es Beobachtern erlauben, sich wechselseitig bei ihren Versuchen zu beobachten, Politik in unterschiedlicher Weise zu deuten. Diese Erfahrung einer irritierenden Formulierung widersprüchlicher Deutungen ist eine grundlegende Folge der gleichzeitigen Anwesenheit unterschiedlicher Ordnungslogiken. Entscheidend ist die Frage, was im Anschluss an diese Erfahrung in der öffentlichen Meinung folgt. Rein logisch betrachtet lassen sich mehrere Entwicklungen vorstellen, die sich alle auf einem Kontinuum befinden, welches mit der erfolgreichen Integration der Ordnungslogiken beginnt, über folgenlose Akzeptanz der Irritation führt und mit der Einstellung der Orientierungsleistung der öffentlichen Meinung, ihrem Funktionsverlust, endet. Ich vermute allerdings, dass die erste Irritation spezifische Herausforderungen bereithält, welche die mögliche Akzeptanz oder gar Integration verschiedener Ordnungslogiken in einen stabilen Systemzustand erschweren. Die Irritation hat zur Folge, dass die Erfahrung gemacht wird, immer nur eingeschränkt über politische Ereignisse Auskunft geben zu können. Einmal erzählt, liegen unterschiedliche Deutungen von Geschehnissen vor, die ohne weitere Bemühungen, sie zu versöhnen, als Widerspruch beobachtet werden. Die Existenz unterschiedlicher Erzählungen wiederum kann in der Forderung resultieren, permanent stärker in die eigene Deutung der Ereignisse zu investieren, um widersprechende Erzählungen zu kontern. Ohne Anstrengungen, diese Tendenz abzuschwächen oder ohne klare Dominanz einer Ordnungslogik droht ein neuer Zustand in Form der Erfahrung, nie vollständig erzählen zu können, was für ein politisches Spiel stattfindet. Damit verbunden ist die Gefahr, in einen Zustand der Desorientierung der öffentlichen Meinung einzutreten. Erzählungen über politische Ereignisse, so lehrt jetzt die Erfahrung, produzieren in einem fort Widersprüche, bieten jedoch keine Orientierung. Daraus resultiert meiner Ansicht nach, als eine letzte Herausforderung, eine gewisse Enthaltsamkeit beim öffentlichen Meinen. Ohne Angebote, die Widersprüche zu vereinen oder aber einer Ordnungslogik den Vorrang zu geben, wird die eigene Meinung in der Öffentlichkeit jetzt zum Risiko. Es kann bei lau-
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fender Erfahrung mangelnder Orientierung davon ausgegangen werden, dass jede eigene Meinung den existierenden Widerspruch immer nur weiter ausbaut und verstärkt. Damit steigt der Anreiz, sich seiner Meinung zu enthalten. Umgekehrt bedeutet das aber, dass jetzt der Versuch erschwert wird, authentisch zu repräsentieren, was politisch geschehen ist. Wie aber, und das ist meine Frage an die folgenden empirischen Fallstudien, ist dann politisches Meinen in der Öffentlichkeit möglich und wie entwickelt sich die Dynamik weiter? Diese Frage möchte ich noch stärker differenzieren, in ein theoretisches und in ein empirisches Erkenntnisinteresse. Theoretisch geht es mir darum, Hinweise auf mögliche Stabilisierungstendenzen in der Auseinandersetzung der widersprüchlichen Ordnungslogiken zu bekommen. Die hier aufgezählten Herausforderungen stehen bislang im Schatten der Dichotomie von völliger Integration oder vollständiger Desorientierung. Sie sind in einer Hierarchie von logisch aufeinander folgenden Eskalationsstufen angeordnet, an die nur noch die Dominanz einer Ordnungslogik oder aber der Zusammenbruch des Systems anschließen können. Zu fragen aber ist doch, ob sich jenseits dieser hypothetischen Zuspitzung eine Dynamik in der öffentlichen Meinung ausbilden kann, welche die Herausforderungen stabil hält, ohne in die offensichtlichen Folgen von Integration oder eben Zerrüttung abzurutschen. Damit wiederhole ich die Aufforderung aus der Diskussion von Ansätzen in der vergleichenden Regimeforschung, jenseits idealer Konzepte von Demokratie und Autoritarismus das stabile Funktionieren des grauen Zwischenraumes, eben das hybride Element, theoretisch beschreiben zu können. Selbst wenn für mein Konzept einer öffentlichen Verhandlung widersprüchlicher Ordnungslogiken unterstellt werden kann, dass sich die öffentliche Meinung an die Anwesenheit des Widerspruchsverhältnisses gewöhnt, kann man fragen: Wie wird diese Gewöhnung, die oben genannte folgenlose Akzeptanz der Irritation, hergestellt und wie werden die skizzierten Herausforderungen ihres Störpotentials entledigt? Mein empirisches Erkenntnisinteresse schließt an das theoretische an. Auch für die öffentliche Meinung im postrevolutionären Kyrgyzstan gehe ich von einem unkoordinierten Gemenge, einer Gleichzeitigkeit aller nur möglichen Entwicklungstendenzen aus. An die vielen Auseinandersetzungen in der Politik und an die unzähligen Kommentare und Debatten in der öffentlichen Meinung schließen permanent Prozesse der Integration, der Zerrüttung und des Akzeptierens an und sie meistern auf unterschiedlichem Niveau die vielen Herausforderungen, welche in der Konfusion unterschiedlicher Sortierungen ihren Ursprung haben. Dieses chaotischen Zustands ungeachtet interessiert mich, ob und wann in der Abfolge politischer Auseinandersetzungen in der Periode nach der Tulpenrevolution bestimmte Entwicklungstendenzen dominant wurden. Ich möchte
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die empirischen Verhältnisse rekonstruieren und jene Momente hervorheben, an denen sich ablesen lässt, wie und zu welchem Zeitpunkt die politische Entwicklung in Kyrgyzstan qualitative Veränderungen durchlief. Mit der Formulierung meiner Thesen und der genauen Bestimmung meines Erkenntnisinteresses habe ich den Gegenstand meiner Untersuchung bezeichnet. Im folgenden Abschnitt geht es darum zu klären, wie ich an diesen Gegenstand herantrete und mit welchen Methoden ich mein empirisches Material erheben und analysieren möchte. Meine Wahl, die Systemtheorie als theoretischen Rahmen für die Analyse zu nutzen, scheint dabei den Zugang zum empirischen Material zu erschweren. Erstens wird häufig die Kritik geäußert, die Systemtheorie biete keine Anknüpfungspunkte für empirische Analysen. In ihrem Anspruch alles erklären zu können und in ihrem Aufbau in Form einer rekursiven Geschlossenheit diene sie höchstens als heuristisches Instrument, biete hingegen keine Kontrastmomente, um die empirische Wirklichkeit sinnvoll befragen und prüfen zu können (vgl. Esser 2007). Mit der Systemtheorie Luhmanns ist immer schon alles erklärt und bislang Ungeklärtes führt nur zu der Forderung, im Rahmen der Theorie weiter zu deduzieren (2007: 352f). Diese Kritik ist berechtigt und ich will im Folgenden versuchen, eine Methode zu entwickeln, die mir über das gleichwohl sehr wichtige heuristische Moment hinaus erlaubt, empirische Analysen durchzuführen. Eine zweite Kritik richtet sich gegen den Gesellschaftsbegriff der Systemtheorie. Dieser impliziert, so die These, einen Fokus der Untersuchung auf Verhältnisse auf der Makroebene, sowohl in zeitlicher als auch in räumlicher Hinsicht. Er ermöglicht aber kaum einen Blick auf soziale Entwicklungen auf der Meso- oder Mikroebene. Schimanck (2007) beispielsweise schreibt: „Wenn man sich nicht mehr so sehr für die – zweifellos wichtige – Frage interessiert, was die gesellschaftliche Situation der Moderne von vormodernen Gesellschaften unterscheidet, sondern sich verstärkt der Frage zuwendet, wie die heutige gesellschaftliche Situation sich fortwährend wandelt und wie unterschiedlich sie in verschiedenen Ländern beschaffen ist, kommt man um die institutionelle Dimension nicht herum.“ (Schimanck 2007: 182). Mit der Systemtheorie ist die Analyse von „kurzfristige[n] historische[n] Variabilitäten“ und „internationale[n] Varianzen in der modernen ‚Weltgesellschaft‘“ (Schimanck 2007: 182) nicht durchführbar. Es bedarf hier unbedingt der Integration von institutionen- und akteurstheoretischen Elementen in das analytische Konzept. 30 Nur so lassen sich nach Meinungen der Kritiker auch Veränderungen jenseits jahrhundertelanger Differenzierungsprozesse untersuchen. Ich habe nun in meiner Untersuchung einen Beobachtungszeitraum von gerade einmal drei Jahren und kon-
30 Vgl. zu dem Problem auch Lange (2002).
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zentriere mich auf die politischen Konflikte zwischen kurzlebigen Bewegungen und Organisationen und sicherlich nicht auf den Konflikt zwischen gesellschaftlichen Schichten oder Klassen, Völkern oder Nationen. Nichtsdestotrotz glaube ich, auch ohne den Einbau von Institutionenkategorien oder Akteurskonzepten einen Zugang zur Empirie aufbauen zu können, der eine klare Analyse ermöglicht. Meine Diskussion der Systemtheorie, in der ich insbesondere den Gegenwartsbezug aller sozialen Prozesse und die praxistheoretischen Implikationen der Annahme weltgesellschaftlicher Funktionszusammenhänge für die Untersuchung einer Politik der Peripherie herausgestellt habe, verweist auf Formen einer Analyse, die am Beispiel ausgewählter Kommunikationen die Dynamik gesellschaftlicher Veränderungen beschreibt. 31 Dabei ist nicht zu erkennen, dass an irgendeinem Punkt Einschränkungen vorgenommen und zeitliche oder sachliche oder soziale Limitierungen eingeführt werden müssten. Damit wird auch ein weiteres Charaktermerkmal meiner Analyse deutlich: Es ist nicht ihr Ziel, kausale Bezüge für Entwicklungsprozesse in der Politik in Kyrgyzstan herzustellen. Vielmehr geht es darum, die rekursiven Verhältnisse von Strukturbedingungen im System der Politik hervorzuheben, um so zu einer besseren Beschreibung und widerspruchsfreien Erklärung der politischen Dynamik vorzustoßen. Mich interessiert weniger, ob öffentliche Meinung bestimmte politische Entscheidungen provoziert hat oder nicht, sondern ich gehe der Frage nach, wie Politik überhaupt in Kyrgyzstan möglich ist, wenn öffentliche Meinung zu einer unhintergehbaren Bedingung für politische Entscheidungsfindung wird. Meine Methode, mit der ich mich diesem Ziel nähere, setzt sich aus zwei Bausteinen zusammen: ein Modell von Konflikt und eine besondere Form der Diskursanalyse. Gemeinsam versetzen sie mich in die Lage, die Fallstudienerzählungen mit ausreichend Plausibilität auszustatten. Das Modell von Konflikt dient mir dabei vorrangig der Auswahl und Anordnung empirischer Belege und soll garantieren, dass bei der unüberschaubaren Menge an möglichen Ereignissen und öffentlichen Kommentaren meine Analyse nicht der Willkür zum Opfer fällt. Die Diskursanalyse dient anschließend der Herausarbeitung von Tendenzen und Richtungen in der Entwicklung politischer und öffentlicher Kommunikationsprozesse und soll sicherstellen, dass jenseits modelleigener Bezüge die „Formationsregeln“ (Foucault 1981: 58) für politisches Meinen in Kyrgyzstan sichtbar werden.
31 Zur Arbeit an den Begriffen tritt das Erstaunen hinzu, wie trotz der Einteilung in die Systemtypen Gesellschaft, Organisation und Interaktion manche Kritiker nicht genügend Spielraum für die Analyse auch kleinteiliger Kommunikationsprozesse sehen.
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Konflikt als Methode: Zur Konstruktion empirischer Belege Der Konflikt steht in verschiedenen prominenten Sozialtheorien an zentraler Stelle. Simmels Konzentration auf die Formen der Vergesellschaftung hat den Weg bereitet für Cosers berühmte Studie über die sozialen Funktionen von Konflikt (Coser 1957). In der Soziologie Dahrendorfs ist Konflikt der zentrale Mechanismus für gesellschaftliche Integration und sozialen Wandel (Lamla 2005). In der Systemtheorie nimmt Konflikt ebenfalls eine wichtige Stellung ein, sowohl als besonderer Mechanismus für die allgemeine gesellschaftliche Evolution wie auch als Form für die innersystemische Differenzierung. Ich werde im Folgenden auf Ansätze in der Soziologie des Konflikts zurückgreifen und insbesondere systemtheoretische Elemente für die Entwicklung meines Modells heranziehen. Zuvor möchte ich aber noch einmal verdeutlichen, welches Ziel ich mit dem Modell verfolge. Entscheidend bei der Suche nach der Empirie der öffentlichen Meinung sind zwei Aspekte: Kommunikationen müssen erstens die Frage nach der politischen Macht stellen und sie müssen zweitens öffentliche Aufmerksamkeit binden. Sind diese beiden Bedingungen erfüllt, kann angenommen werden, dass die entsprechenden Kommunikationen dem Druck unterliegen, die von mir ausgeführten Herausforderungen an erfolgreiches öffentliches Meinen zu meistern. Mein Modell soll mir dabei helfen, diese beiden Kriterien bei der Auswahl meiner empirischen Belege anzulegen. Gleichzeitig soll das Modell aber auch erlauben, Phänomene zu identifizieren, die einen politischen Konflikt als solchen kennzeichnen, also jenseits einzelner Kommunikationen den Konfliktprozess markieren. Ich glaube, mit meinen Ausführungen zur Theorie sozialer Systeme bereits einige Elemente skizziert zu haben, die sich für ein solches Modell nutzen lassen. Generell gilt in der Soziologie die Annahme, dass Gesellschaften von Konflikten gezeichnet sind, Konflikte also ein unteilbarer Bestandteil menschlichen Zusammenlebens darstellen. In der Theorie wird im Anschluss an diese Annahme diskutiert, welche Funktion man Konflikten zuschreiben kann, während die praktische Konfliktforschung damit beschäftigt ist, die Ursachen und Wirkungen unterschiedlicher Typen von Konflikten zu benennen. 32 Strittig ist die Frage nach der Wirkungsweise von Konflikten: ‚destruktiv‘ oder ‚integrativ‘. So wird beispielsweise Jürgen Habermas’ intersubjektives Verständigungsprinzip eher der ersten Kategorie zugesprochen: „Für Jürgen Habermas sind soziale Konflikte
32 Ich will an dieser Stelle nur exemplarisch die Grundlinien der Debatte skizzieren. Vgl. für eine ausführliche Diskussion über die Rolle von Konflikten in der soziologischen Theoriebildung Bonacker (2005).
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entweder die Folge strittiger Geltungsansprüche, die im kommunikativen Handeln auftreten und diskursiv-konsensuell gelöst werden müssen, oder sie sind das Ergebnis des Aufeinandertreffens unterschiedlicher und unvereinbarer Handlungsorientierungen. [ . . . ] Habermas [sieht] in Konflikten eindeutige Anzeichen mißlungener Verständigung und eines gestörten normativen Einverständnisses.“ (Bonacker 2007: 104) Ein Vertreter der zweiten Richtung ist sicherlich Ralf Dahrendorf, der anfangs noch der Vorstellung folgt, in Konflikten strukturelle Unvereinbarkeiten zu sehen, dann aber die These aufstellt, dass Konflikte auch in diesem Fall die Funktion eines Vergesellschafters einnehmen (vgl. Lamla 2005). Konflikt integriert und trägt bei zur Verhandlung von „an Herrschaft orientierten Strukturarrangements“ (Messmer 2003: 23). Konflikttheorie wird damit bei Dahrendorf „im Kern eine Strukturtheorie des gesellschaftlichen Wandels durch sozialen Konflikt.“ (Lamla 2005: 210) Einen ganz eigenen und für meine Arbeit wegweisenden Ansatz verfolgt in dieser Debatte Lewis Coser, den über die Frage nach der destruktiven oder vergesellschaftenden Wirkung hinausgehend interessiert, welchen Formprinzipien Konflikte unterliegen, wenn sie entstehen. Cosers Überlegungen über die Struktureffekte von Konflikt auf die an ihm beteiligten Parteien legen einen Begriff von Konflikt nah, der kontextunabhängig angewandt werden kann. Außerdem wird die Frage nach der Funktion von Konflikt von normativen Implikationen entlastet. Konflikt vergesellschaftet, er schafft bestimmte Strukturen in der Gesellschaft, und er muss mit dieser Funktion weder notwendig verurteilt noch begrüßt werden. Vielmehr schiebt sich jetzt die Frage in den Vordergrund, wie genau der Prozess der Vergesellschaftung abläuft. Damit tritt die Diskussion nah an Ideen heran, die in der Systemtheorie in Bezug auf Konflikt entwickelt worden sind. In der Theorie sozialer Systeme wird die ‚Funktion‘ von Konflikt wie folgt bestimmt: Konflikt steigert die Kontingenz des aktuell als möglich Gehandelten: „der Konflikt [versetzt] das System gleichsam in seinen Urzustand zurück: Die reduzierte Komplexität bricht – als Eigenkomplexität – wieder auf.“ (Bonacker 2005: 273) Die Funktion von Konflikt als Vergesellschaftung rückt hier von der integrativen Formel ab. Konflikte hindern soziale Systeme, sich in der Invarianz ihrer eigenen Strukturen zu verlieren und steigern so die Chance, auf Störungen aus der Umwelt angemessen zu reagieren. Ob die Systemanpassung letztendlich gelingt oder nicht, ist allerdings offen. Vergesellschaftung bedeutet hier allein die generelle Möglichkeit, etwas anderes auszuprobieren und damit vielleicht mehr Erfolg zu haben. Formuliert man es positiv, so besitzt Konflikt die wunderbare Eigenschaft, die Komplexität in einer gegebenen Situation schlagartig zu erhöhen. Der Horizont öffnet sich und ein System ist gefordert, sich verstärkt um die Auswahl eines passenden Anschlusses zu bemühen.
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Die ‚Operation‘ von Konflikt hat nach systemtheoretischer Lesart die Form eines doppelten Widerspruchs: ‚Alter‘ widerspricht ‚Ego‘ und ‚Ego‘ widerspricht dem Widerspruch ‚Alters‘. Stehen sich dergestalt zwei Erwartungshaltungen gegenüber, handelt es sich um einen Konflikt. 33 Dabei ist sekundär, ob es sich um einen Streit in der Familie oder unter Freunden handelt, zwischen Parteien oder um kriegerische Auseinandersetzung zwischen Staaten. Besteht das, was auch als die Negativversion der doppelten Kontingenzerfahrung bezeichnet wird (‚Ich tue nicht, was du willst, wenn du nicht tust, was ich will‘), hat man es mit einem Konflikt zu tun (vgl. Messmer 2003: 124). Entscheidend für die Entstehung eines Konflikts ist dabei, dass der Widerspruch fortgesetzt wird. Stattgeben, unkommentiertes Registrieren oder einmaliges Zurückweisen lassen den Konflikt zum Versiegen kommen. Umgekehrt führt die Fortsetzung von Widerspruch zur Ausbildung von Systemstrukturen. Im Rahmen der Theorie sozialer Systeme spricht man hier von der Absorption der Energie des ‚gastgebenden‘ Systems. Dabei sehen die Strukturen des gastgebenden Systems zunehmend von der Ermöglichung ursprünglicher Systemkommunikation ab und können sich schließlich ganz auf die Ermöglichung von Konfliktkommunikation umstellen. Der Widerspruch infiziert geradezu alle Sinnbezüge und unterstellt sie seiner Logik. 34 Soziale Bezüge werden zunehmend nach dem Schema Freund/Feind angeordnet und so die Vielfältigkeit der Stimmen reduziert. Sachliche Bezüge behandeln immer mehr Themen nach dem Schema des Für und Wider, während zeitliche Bezüge die Gegnerschaft immer weiter in die Vergangenheit und die Zukunft projizieren. Der ‚Prozess‘ eines Konflikts schließlich wird in der Systemtheorie mit Rückgriff auf evolutionstheoretische Elemente, auf die Begriffe von ‚Varianz‘, ‚Selektion‘, und ‚Restabilisierung‘, vorgestellt. Ein Konflikt setzt ein mit einer Varianz, prozessiert Selektionen und kommt zu einem Ende mit der Stabilisierung der Systemstrukturen (Luhmann 1997: 451 ff.; Patzke 2007: 54 ff.). Die ‚Varianz‘ zeigt die Möglichkeit eines Veränderungsbedarfs an, sie markiert aber auch das Risiko des Konflikts für ein System. Ein Widerspruch weist nie nur ein spezifisches Sinnangebot zurück, er hinterfragt auch die Regeln für die Annahme einer Erwartung. „Alle Variation tritt mithin als Widerspruch auf – nicht im logischen, aber im ursprünglicheren dialogischen Sinne. Sie kann gar nicht anders
33 Vgl. hierzu auch Messmer (2003: 119) „Konflikt [muss] einen wie auch immer gearteten Gegensatz aufweisen [ . . . ], der sich als Unvereinbarkeit zweier Erwartungen kommunikativ realisiert.“ [Herv. i. Orig.] 34 Vgl. zu Sinn und den drei Dimensionen „sozial“, „sachlich“ und „zeitlich“ Luhmann (2008: 12 ff.) und Baraldi / Corsi / Esposito (1997: 173).
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vorkommen denn als Selbstwiderspruch des Systems.“ (Luhmann 1997: 461) Anders formuliert bedeutet es, dass mit der Ablehnung eines Sinnangebots nicht nur die Frage nach dem ‚Wie‘ einer Fortführung einer Kommunikation im Raum steht, sondern auch die Frage des ‚Ob‘. Ein System ist somit immer dem Risiko ausgesetzt, die mit der Varianz eingeführte Infragestellung seiner Strukturen im Anschluss nicht mehr meistern zu können. Während die Varianz auf der Ebene der Elemente (Kommunikationen) eines Systems angesiedelt ist, liegt die ‚Selektion‘ auf der Ebene der Strukturen (Erwartungen). Erwartungen müssen sich im Angesicht der Varianz behaupten oder aber ändern. Die Varianz muss abgelehnt oder auf sie eingegangen werden. Der Anschluss an die Varianz ist die Unterscheidung, mit der das System aktuell und operativ die Herausforderung des Konflikts annimmt. Die ‚Restabilisierung‘ definiert Luhmann hingegen durch ihre Abgrenzung von der Selektion: „Die Restabilisierung betrifft den Zustand des evoluierenden Systems nach einer erfolgten, sei es positiven, sei es negativen Selektion. Dabei wird es zunächst um das Gesellschaftssystem selbst im Verhältnis zu seiner Umwelt gehen.“ (Luhmann 1997: 454, [Herv. i. Orig.]). Das System reagiert auf die erfolgte Selektion mit einer Anpassung seines Strukturzusammenhangs an die veränderte Erwartung im System. Die entscheidende Bezugsebene ist hierbei die Differenz zur Umwelt. Das System, so könnte man sagen, prüft auf diese Differenz hin, ob die Neuerung für seine Reproduktionsbedingungen verträglich ist. Dabei kann nach dieser Eigenprüfung die zuvor erfolgte Selektion abgelehnt, oder sie kann in das Gesamtgefüge der Strukturen eingebaut werden. Ganz gleich, ob Erwartungen nun angesichts einer Enttäuschung normativ gestärkt werden oder ob sich Erwartungen ändern, in jedem Fall ist die Entscheidung dazu eine systeminterne Operation und immer nur auf der Basis von Selbstbeobachtungen möglich. Das System, anders formuliert, fertigt Beschreibungen über sich und sein Verhältnis zur Umwelt an, die dann sozusagen hausintern zu Überlegungen für notwendige Strukturänderungen benutzt werden können. Diese evolutionstheoretische Begründung der Konfliktkonzeption in der Systemtheorie muss für eine Anwendung auf politische Prozesse noch spezifiziert werden. Denn die Frage, die sich mit dem Wissen um die Absorptionskraft sozialer Konflikte auftut, ist die nach der Fähigkeit der Politik, Konflikte nicht nur nicht Energie absorbieren zu lassen, sondern sie zur gängigen Form des politischen Betriebs zu machen. Wie gelingt es dem politischen System, dem Risiko einer parasitären Ausnutzung oder gar Zerstörung durch Konflikt zu entgehen? Und welche Form der Einbettung von Konflikten in das politische System muss man sich vorstellen? Für eine Antwort auf diese Frage greife ich auf die systemtheoretische Konflikttypologie von Messmer (2003) zurück. Messmer unter-
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scheidet zwischen ‚Konfliktepisode‘, ‚Beziehungskonflikt‘, ‚Sachkonflikt‘ und ‚Machtkonflikt‘. Er weist jedem Typ eine besondere Widerspruchskommunikation zu, dem Sachkonflikt dabei das Argumentieren und dem Machtkonflikt das Drohen. Für mein Konzept von Modell ist sein Hinweis bedeutsam, der Politik komme die Aufgabe zu, Machtkonflikte zu „versachlichen“. Politik muss Drohungen in sachliche Argumente übersetzen und so die Gefahr minimieren, dass Ansprüche auf Macht in Zwangsmaßnahmen umschlagen. Übertragen auf die Frage nach einer Gefahr der Systemzerrüttung durch Konflikte hat die Versachlichung die Funktion, den Zugriff auf die systemkonstituierende Unterscheidung von ‚überlegen‘ und ‚unterlegen‘ zu beschränken. Konflikte können sich beliebig ausweiten, immer mehr Personal beanspruchen, immer mehr Themen identifizieren und sich gar ihre eigenen Traditionen schaffen. Wichtig bleibt für eine Kontinuierung von Politik, dass mögliche Drohungen nicht in Versuche ausarten, den politischen Gegner physisch zu attackieren. Versachlichung ist also nicht die Selbstrealisierung eines rein sachlich orientierten Widerspruchs, denn das wäre reine Wissenschaft. Es geht vielmehr um die Notwendigkeit, politische Streitfragen immer auch mit einer sachlichen Begründung auszustatten. Anschuldigungen an die Person des politischen Gegners, Drohungen gegen den Opponenten müssen immer wieder eingeholt werden von Verweisen auf sachliche Fragestellungen. Die neue Leitunterscheidung für diese Aufgabe, so vielleicht abschließend, ist die zwischen Argumentation und Drohung, zwischen der Versachlichung und der primären Systemkodierung von Politik. Für die Fertigstellung meines Modells von Konflikt für eine Analyse politischer Entwicklungen in Kyrgyzstan müssen die evolutionstheoretischen Aussagen und die konflikttypologischen Überlegungen noch zusammengeführt werden. Die Fragen, die jetzt noch beantwortet werden müssen, sind zum einen die nach der Form der Versachlichung im Konfliktverlauf und zum anderen die nach dem empirischen Vorkommen dieser Versachlichung. Die Antwort auf die erste Frage ist relativ einfach abzuleiten. In politischen Konflikten ist für ‚Varianzen‘ entscheidend, ob sie die Frage nach der Macht explizieren oder nicht. ‚Selektionen‘ hingegen zeichnen sich aus durch die geleistete oder verhinderte Ausweitung sachlicher Argumente zur Einbettung politischer Machtansprüche. Und ‚Restabilisierungen‘ entscheiden über die Festigung oder Schwächung der die Versachlichung von Konflikten koordinierenden Leitunterscheidung im System. Die zweite Frage ist ungemein komplizierter, da hier Entscheidungen getroffen werden müssen über die Zuweisung empirischer Phänomene zu bestimmten analytischen Ereigniskategorien. Ich will an dieser Stelle eine grobe Einteilung vorschlagen: Varianzen äußern sich in der Politik in Form von ‚Protest‘; in Protesten muss entsprechend nach den Ansprüchen gesucht werden, die hier an die
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Macht herangetragen werden. Selektionen sind die an den Protest anschließenden (oder nicht anschließenden) ‚Debatten‘, in denen über die Richtung des Anspruchs (auf Macht / auf die Sache) verhandelt wird. Es geht um das politische ‚Hin und Her‘ des ‚Für und Wider‘ in einem einmal geäußerten Anspruch. Restabilisierungen schließlich realisieren sich in Form von ‚Bewertungen‘ und ultimativ auch in ‚Entscheidungen‘ im politischen System. Sie informieren darüber, inwieweit Machtansprüche (Proteste) und ihre Folgen Tendenzen der Versachlichung folgen oder nicht, und welche Statusveränderungen das politische System im Laufe des Konflikts erlebt. Mit dieser Einteilung, die ich im folgenden Abschnitt noch weiter ausbaue, ist die Möglichkeit gegeben, Kenntnisse über die Dynamik von Konflikten und so auch über die Dynamik von Politik zu sammeln. Zu jedem Zeitpunkt eines Konflikts erlaubt das Modell, Prozesse der Versachlichungen, eben aktuell ablaufende Anschlüsse und Tendenzen, zu beschreiben. Jedes Ereignis lässt sich danach befragen, ob es politische Relevanz besitzt und öffentliche Aufmerksamkeit erfährt. Damit lässt sich die Dynamik eines Konflikts relativ gut rekonstruieren. Gleichzeitig ist so auch die Möglichkeit gegeben, über den Prozess von Konflikten zu schauen, ob und vielleicht wie Konflikte in ihrem Verlauf die Bedingungen für politisches Kommunizieren ändern. Sind die Fähigkeiten zur Versachlichung von Drohungen des politischen Systems am Ende eines Konflikts geschwächt oder gestärkt? Diese Frage lässt sich jetzt mit Bezug auf die im Modell genannten Evolutionsphasen von Konflikten beantworten. Die dichte Beschreibung von Konflikten als Analyseform Mit der Operationsform von Konflikten und ihrem Prozesscharakter habe ich meinen analytischen Fokus definiert. In den Fallstudien werde ich schauen, wo ‚Varianzen‘ die Entstehung von Konflikten ankündigen, wo ‚Selektionen‘ Verlaufstendenzen markieren und ‚Restabilisierungen‘ die Effekte von Konflikten anzeigen. Relevante Ereignisse für diese Prozessanalyse sind Proteste, Debatten und politischer Schlagabtausch wie schließlich auch Bewertungen, die gemacht, und Entscheidungen, die getroffen werden. Proteste beobachte ich dort, wo Kundgebungen, Deklarationen und Aufrufe die Aufmerksamkeit aller Beobachter beanspruchen. Hier drängt mit einem Mal Kontingenz in das System und die Frage wird gestellt, ob es Alternativen zur gegenwärtigen politischen Entwicklung gibt. Debatten finden an vielen verschiedenen Orten statt. Es sind Diskussionen im Parlament, öffentliche Anfragen, Streitgespräche, Interviews und viele weitere Aussageformate, in denen Teilnehmer am politischen Spiel ihre Meinung zu einem bestimmten Thema kundtun. Sie reagieren damit auf den einmal
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ins politische System eingeführten Widerspruch und arbeiten sich an ihm ab. Bewertungen und Entscheidungen haben einen zusammenfassenden Charakter. Sie äußern sich in Expertenanalysen, ausführlichen Kommentaren, in Entscheidungen gegossenen, abschließenden Urteilen. Hier wird versucht zu verstehen, was passiert ist und wofür es in der Zukunft steht. Das Modell von Konflikt und die Entscheidung für bestimmte Typen politischer Kommunikationen veranschaulichen auch noch mal, was von meiner Beobachtung politischer Entwicklungen in Kyrgyzstan weitestgehend ausgespart bleibt. Es ist nicht das Ziel, Handlungen zu rekonstruieren oder die Kalküle von Akteuren einzuschätzen. Fragen der Legitimation stehen genauso wenig im Vordergrund wie Entscheidungen oder Verordnungen der staatlichen Verwaltung. Beim Prozess von Konflikten versuche ich nicht, Ideologien oder Parteiprogramme zu identifizieren, und auch institutionelle Arrangements sind für meine Analyse weniger von Belang. Gleiches trifft auf kulturelle Werte, kollektive Identitäten oder Glaubenssysteme zu. Vielmehr sind diese Sachverhalte mögliche Themen, über die gestritten werden kann; oder aber sie binden bestimmte Personen, die über Konflikte und in ihnen in Kontakt miteinander treten; schließlich bieten sie auch Verweise in die Vergangenheit und die Zukunft von Konflikten. So betrachtet ermöglichen sie mir, etwas über die Tendenz zur Versachlichung von Konflikten zu erfahren. Wie ich meine Beschreibungen von Konflikten anfertige, ist die Frage, der ich mich an dieser Stelle abschließend zuwende. Die Aufgabe ist, in Form einer Diskursanalyse Erzählungen zu rekonstruieren, Erzählungen, welche in der öffentlichen Meinung in Kyrgyzstan über politische Konflikte kursieren. Mit der Identifizierung von Erzählungen ziele ich dabei auf die permanente Herausforderung in der Beobachtung von Konflikten ab, die in ihnen auftauchenden Differenzen, Widersprüche und Inkonsistenzen in eine kohärente Geschichte zu packen. Anschlussfähigkeit, so mein Argument, verlangt, dass man einen Konflikt kohärent erzählt. Für das öffentliche Meinen in Kyrgyzstan und die hier vermutete Herausforderung unterschiedlicher Ordnungslogiken muss die Schwierigkeit dann in der Aufgabe liegen, widersprüchliche Vorgaben für das Beobachten von Protesten, Debatten und Bewertungen und das Anschließen an sie zu vermitteln. Mit einer Anleihe bei Foucault lässt sich vielleicht auch sagen, dass Erzählungen über politische Konflikte in Kyrgyzstan in ihrer Gesamtheit das „Wissen“ speichern, welches von der Politik aktuell verhandelt wird und dass das Erzählen selbst zu einer Praxis wird, in der das Wissen sich überhaupt erst bildet. 35 Damit
35 Hier in Anlehnung an den Begriff von Foucault (1981: 258 ff.); der Begriff besetzt bei Foucault eine andere Stelle in der Theorie und bezeichnet das einer „Archäologie“ zu-
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meine ich die Produktion von Ansichten und Ideen über politische Verhältnisse und politische Zielvorgaben, die Produktion von Kritik gegenüber den existierenden Prozessen, und die Produktion von Einstellungen gegenüber spezifischen politischen Fragestellungen. An Erzählungen und dem in ihnen zum Vorschein kommenden Wissen, so die Vermutung, lassen sich die Probleme der öffentlichen Meinung in Kyrgyzstan, wenn sie versucht politische Ereignisse zu sortieren, studieren. Die „Formationsregeln“ für diese Erzählungen, also die Regeln, nach denen die Erzählungen aufgebaut und strukturiert und ihre Inhalte angeordnet werden, analysiere ich anhand der Vorgaben meines Konfliktmodells. Ich suche nach Sprecherpositionen (1), ich verfolge die Themen der Auseinandersetzung (2) und ich schaue nach Visionen für die Zukunft und Interpretationen der Vergangenheit (3). Schließlich muss auch geschaut werden, nach welchen Mustern verschiedene Erzählungen im Verhältnis zueinander angeordnet werden (4). Die Logik der Konflikte wird sichtbar in der Art und Weise, in der sich Teilnehmer und Beobachter im politischen Konflikt identifizieren und feststellen, wofür sie einander stehen: als Repräsentanten einer ‚modernen‘ politischen Ordnung, oder als Vertreter einer ‚traditionellen‘ Politik. Vertritt ein Politiker den Süden oder steht er für die Opposition, ist er Regimeanhänger oder streitet er für die Interessen seines Klans? Welche Bindungen hat ein Politiker, mit wem gemeinsam tritt er auf, gibt es institutionellen Rückhalt, und wen sieht er als Gegner? Wandelt sich die Position eines solchen Sprechers im Verlaufe des Konflikts, wird er auf verschiedene Weise identifiziert, steht er am Ende als Gewinner oder als Verlierer des Konflikts im Rampenlicht oder gar jenseits der Aufmerksamkeit? Schließlich: wie beschreibt sich der Sprecher selbst, wo verortet er sich, mit welcher Identität versucht er sich an das Publikum zu richten? Wie Ordnungslogiken verhandelt werden, lässt sich auch am Streit über die Themen ablesen, die öffentliche Aufmerksamkeit binden: Stehen allein Verteilungsfragen im Vorder-
gängliche System von Praktiken als Diskurse konstituierende Elemente (1981: 259). An dieser Stelle muss auch erwähnt werden, dass die Vorstellung von „Wissen“ die zentrale Übernahme aus der Theorie Foucaults bildet. Den Überlegungen zur „Aussage“ als dem Schlüsselkonzept für die Bezeichnung der elementaren Einheit eines Diskurses wird in dieser Arbeit nicht gefolgt. Stattdessen wird das in der Systemtheorie benutzte Konzept der „Kommunikation“ genutzt. Foucault verwendet viel Energie auf eine mögliche Abgrenzung der „Aussage“ von anderen Sprachkonzepten („Satz“, „Proposition“, „illokutionäre Akt“; vgl. Foucault 1981: 115 ff.), um Probleme zu besprechen, die meines Erachtens in der Systemtheorie weitaus angemessener mit dem Konzept der „Kommunikation“ gelöst worden sind.
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grund oder geht es um institutionelle Veränderungen im Staatswesen? Dreht sich die Aufmerksamkeit um Personalien und um Vorwürfe der Korruption und des ‚Trajbalismus‘, oder werden Reformagenden diskutiert und spezifische Fragen verschiedener Sachgebiete verhandelt? Außerdem: Welche Themen und Fragen werden miteinander verknüpft und welche politischen Positionen lassen sich ihnen gegenüber einnehmen? Sind thematische Agenden über den Zeitraum des Konflikts konstant oder verändern sie sich, weiten sie sich aus oder, im Gegenteil, konzentrieren sich auf einzelne Fragestellungen? Wie entstehen Themen überhaupt, wie greifen Politiker auf sie zurück, wann verschwinden sie in der Versenkung? Wie schließlich wird der Konflikt selbst thematisiert, wie ist diese Frage eingebettet und welche Positionen lässt sie zu? Eine dritte Möglichkeit, mehr über die Auseinandersetzung der Ordnungslogiken zu erfahren, ist, Erinnerungen und Visionen im Konflikt zu rekonstruieren: Wieder steht am Anfang die Frage, ob die laufende Auseinandersetzung ein statisches Nullsummenspiel ist, oder als Entwicklung aufgefasst wird. Ist der Konflikt ein einmaliges Ereignis ohne ein Vorher und ein Nachher oder wird er als Prozess beschrieben? Tragen die Protagonisten den Konflikt in die Vergangenheit und Zukunft oder wird er als ewige Wiederkehr des Gleichen aufgefasst? Gibt es Visionen für die Zeit nach dem Konflikt und werden diese Visionen mit konkreten Plänen angereichert? Oder steht das Beharren auf dem Status Quo im Vordergrund? Schließlich: Welche Zeit dauert der Konflikt an und ist sein Zeitverbrauch dynamisch oder statisch, kommt es zu Eskalationen oder zu Entspannungen? Abschließend muss man fragen, auf welcher Ebene und wo in der Debatte über den Konflikt reflektiert wird. Wie wird der Konflikt bewertet und durch wen und wann im Verlaufe des Konflikts? Wird unterschieden zwischen dem Konflikt als Prozess und seinen Wirkungen und Effekten im System der Politik? Und wie werden diese Reflexionen wiederum im System der Politik aufgenommen und verarbeitet? Welche Reflexionen auf den Konflikt oder Erzählungen über ihn sind anschlussfähig, welche unterminieren laufende politische Entscheidungsfindungsprozesse? Die in dieser Form durchgeführte Analyse unterscheidet sich deutlich in ihrem Zugang und ihren Kategorien von anderen Ansätzen. Es handelt sich weder um eine ‚dichte Beschreibung‘, in der mit Hilfe emischer Perspektiven die Lebenswelten von Akteuren aufgeschlüsselt werden, noch geht es um eine Konfliktursachenanalyse, in der Faktoren und Eskalationsstufen mit empirischem Material gefüttert werden. Es ist auch keine klassische Diskursanalyse, da nicht jede mögliche Äußerung aufgenommen wird, um diskursive Formationen in ihrer Gänze zu beschreiben. Gleichwohl nutzt mein Zugang viele der in diesen Methoden erprobten Mittel, so zum Beispiel die Verdichtung relevanter Ver-
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weise auf spezifische Konfliktlagen, die Erfassung und Fokussierung auf Eskalationsstufen oder die Suche nach bestimmten Verteilungsschemata von Aussagentypen. Im Vordergrund stehen in meinem Fall aber immer ausgewählte Formen öffentlicher Kommunikation, die sich in einem politischen Konflikt aufeinander beziehen. Mit diesem Konfliktmodell, also der Suche nach Protesten, Debatten und Bewertungen, und mit der Diskursanalyse relevanter sozialer, thematischer und zeitlicher Verweisungszusammenhänge, widme ich mich der Untersuchung von Tendenzen zur Versachlichung von Konflikt in diesen ausgewählten Formen. Und im Anschluss daran, um den Bogen wieder zu schließen, gehe ich der Frage nach, was sich anhand der Versachlichungstendenzen über die Gültigkeit meiner Thesen und die Dynamik eines politischen Systems aussagen lässt, das den Imperativen zweier unterschiedlicher politischer Ordnungslogiken gehorcht (vgl. Kapitel 6.2). Am Ende möchte ich die Funktion der Politik, jene Bewahrung der Kapazität zum kollektiv bindenden Entscheiden in ihrer Form einer gleichzeitigen Steigerung und Reduzierung von Kontingenz, bewerten und so zu einem abschließenden Urteil über die Bedingungen der Politik der Peripherie gelangen (vgl. Kapitel 6.4). Zusammenfassung Für die Dynamik politischer Entwicklungen in Kyrgyzstan nahm ich anfangs an, dass die Anwesenheit unterschiedlicher gesellschaftlicher Differenzierungsformen zu einem Orientierungsverlust der öffentlichen Meinung und so zu einer De-differenzierung von Politik beiträgt. Um diese These konzeptionell besser zu fassen habe ich in diesem Kapitel die Anwesenheit von politischen Ordnungslogiken in einem ersten Schritt als beobachtungsanleitende Unterscheidungen in der Öffentlichkeit bestimmt und in einem zweiten Schritt Herausforderungen an erfolgreiches öffentliches Meinen formuliert. In den folgenden Abschnitten habe ich eine Methode für den Zugang zu meinem empirischen Material entwickelt. Ein aus systemtheoretischen Ideen abgeleitetes Modell von Konflikt dient der Anordnung empirischer Belege entlang der Konfliktevolutionsstufen Varianz, Selektion und Restabilisierung, die ich empirisch als Protest, Debatte und Bewertung identifiziere. Meine folgende Analyse öffentlicher Erzählungen schaut auf die Dynamik sozialer, thematischer und zeitlicher Verweise und leitet daraus Erklärungen für den Prozessverlauf, für die Effekte politischer Ordnungslogiken und für Versachlichungstendenzen von und in Konflikten ab. Der Unterschied zu vielen anderen Untersuchungen zu Politik in Kyrgyzstan und Zentralasien ist hier der besondere Fokus auf politische Repräsentation und ihre öffentlichen Anschlüsse, mithin Umstände, die häufig als negierbare Manipulationsmasse in-
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formeller Verteilungskonflikte unbehandelt bleiben. Mit den folgenden Fallstudien will ich nun zeigen, dass aus einer Analyse der öffentlichen Meinung sehr wohl Schlüsse über die politische Dynamik in Kyrgyzstan gezogen werden können.
EMPIRIE
3. Die Entstehung der öffentlichen Meinung
Einleitung In meiner ersten Fallstudie über politische Konflikte in der postrevolutionären Phase in Kyrgyzstan geht es um die Entstehung einer neuen Protestbewegung mit dem Namen Für Reformen, die ab dem Frühjahr 2006 zunehmend gegen das Regime um Präsident Kurmanbek Bakijew mobilisiert. Ich werde den Werdegang dieser Protestbewegung, die sich anfangs noch Volkskoalition nennt, bis zum Sommer 2006 rekonstruieren und dabei untersuchen, wie sich Politiker und Kommentatoren in der öffentlichen Meinung wechselseitig in ihren Äußerungen beobachten und auf sie reflektieren. Hier wie auch in den folgenden Fallstudien folge ich dem Schema, an die in kleinere Abschnitte unterteilte Verlaufsdarstellung des Geschehens mit einer kurzen Interpretation anzuknüpfen, um besondere Merkmale der Konfliktdynamik hervorzuheben. Ich möchte mit einer kurzen Geschichte über einen Protest in meine Fallstudien einleiten. Dieser Protest ereignet sich am 9. Februar 2006 in der Kleinstadt Basar-Korgon, dem Zentrum des gleichnamigen Kreises im Gebiet DschalalAbad im Süden Kyrgyzstans. Hier versammeln sich Hunderte von Demonstranten vor dem Gebäude der Kreisverwaltung, um ihren Unmut über das Verhalten des Sprechers des Nationalparlaments Omurbek Tekebajew zu äußern. Von mitgebrachten Schildern hinab fordert die Menge, hauptsächlich bestehend aus Frauen und älteren Personen, von Tekebajew, weniger eigene Interessen zu verfolgen, sondern wahrhaftig das Volk zu vertreten. Außerdem wird erklärt, dass man in der Region das Vertrauen in den Sprecher verloren hat. Redner fordern Tekebajews Rücktritt, da er die Arbeit des Präsidenten Kurmanbek Bakijew störe. Als Unterstützer Tekebajews zu der Menge hinzutreten, kommt es fast zu Handgreiflichkeiten. Im Anschluss an die knapp einstündige Protestkundgebung marschieren die Parteigänger Tekebajews in das Gebäude der Kreisverwaltung
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und übergeben ihrem Leiter, dem örtlichen Akim 1, eine Erklärung an den Präsidenten. In dieser verurteilen sie die Diskreditierung des Parlamentssprechers und fordern die sofortige Einstellung aller weiteren Verfolgungsmaßnahmen ihm gegenüber. Die Informationen über diesen Protest entstammen den Berichten des ‚Early Warning for Violence Prevention‘ Projekts (EWVP), dessen Mitarbeiter das Ereignis beobachtet hatten und in ihrem wöchentlichen Bericht darüber Auskunft gaben (EWVP, 15.2.2006: 2). Vergleicht man diese Beschreibung mit weiteren EWVP Berichten über Proteste in dieser Zeit, neigt man schnell dazu, dem Demonstrationszug jede Besonderheit abzusprechen. Knapp ein Jahr nach der Tulpenrevolution wird Kyrgyzstan fast täglich von ähnlichen Protestaufmärschen heimgesucht. Menschenmengen demonstrieren vor Gebäuden der Kreis- und Gebietsverwaltungen oder besetzen gleich wichtige Zufahrtsstraßen, wie die strategische Nord-Süd-Trasse zum Beispiel. Mitunter kommt es bei diesen Aktionen auch zum Ausbruch von Gewalt, insbesondere dann, wenn die Anhänger konkurrierender Politiker aufeinander treffen. In der Regel gehen solche Auseinandersetzungen nicht über kleine Handgreiflichkeiten hinaus. Unter den von EWVP aufgelisteten 32 Fällen öffentlichen Protests für den Januar 2006 werden nur vereinzelt Aktionen politischer Gewalt notiert. Die Mehrzahl bilden friedliche Demonstrationen (18), flankiert von Gebäudebesetzungen (3) und von schriftlichen Deklarationen (3). Das Ereignis in Basar-Korgon steht mit seiner Banalität allerdings für mehr als nur eine generelle Protestbereitschaft im Land. An ihm lassen sich exemplarisch allgemeine Bedingungen für den politischen Streit in Kyrgyzstan studieren. Drei Momente möchte ich an dieser Stelle kurz erläutern: erstens der öffentliche Charakter der Auseinandersetzung; zweitens die Grenzen des Diskurses; und drittens die Annahme eines falschen Spiels. Der öffentliche Auftritt, der Aufmarsch von Demonstranten, ist zweifellos erstaunlich. Ungeachtet möglicher Manipulationsvorwürfe – dazu später mehr – findet die politische Auseinandersetzung offensichtlich nicht (nur) in versteckten Hinterzimmern des Parlaments oder auf den unzugänglichen Korridoren der Präsidialverwaltung statt, sondern auf der Straße, auf öffentlichen Plätzen. In den großen Konfrontationen in der Hauptstadt werden der Platz ‚Ala-Too‘ im Zentrum Bischkeks oder der ‚Alte Platz‘ vor dem Parlament zu öffentlichen Bühnen für den politischen Streit. Un-
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‚Akim‘ bezeichnet den Leiter einer Kreisverwaltung. Die kyrgyzische Republik setzt sich aus 40 Kreisen zusammen. Über den Kreisen gibt es die Ebene der Gebiete, von denen es sieben gibt. Hinzu kommen noch die direkt der Republiksebene unterstellten Städte Bischkek und Osch.
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ter Beobachtung der öffentlichen Meinung werden an diesen und anderen Orten Proteste organisiert; und die Organisatoren und Teilnehmer müssen sich im Konfliktverlauf zunehmend fragen, ob ihr Spektakel den öffentlichen Zuschauer auch noch überzeugt. Wie ich später zeigen werde, führt genau dieser Umstand, also die Frage nach der Geltung, im Fortschreiten der Auseinandersetzung zu einem weiteren Konflikt, dem berüchtigten Streit um die Zahlen, welcher den thematischen Streit überlagert. Die Grenzen des Diskurses wiederum deuten sich in den Vorwürfen an, welche die beiden Protestgruppen in Basar-Korgon einander vortragen. Dem Sprecher Tekebajew wird vorgehalten, ein Störenfried zu sein. Präsident Bakijew wiederum wird für seine Verfolgungen gescholten. In den Auseinandersetzungen in der Hauptstadt wird später die Opposition dafür kritisiert, die Situation zu destabilisieren und das Regime wird angeklagt, autoritär zu herrschen. Irritierend ist bei diesen wechselseitigen Anschuldigungen, welcher Aufwand betrieben wird, um sie öffentlich darzustellen und sie als politische Standpunkte zu verteidigen. Entgegen der Erwartung, hier würden rein ideologische Floskeln produziert, entwickeln die Kontrahenten neue Argumente zur Untermauerung der Anschuldigungen, sie setzen Strategien ein (beispielsweise eine Petition), und suchen nach immer neuen Möglichkeiten (wie Märsche oder Streiks), das öffentliche Publikum mit ihrer Botschaft zu erreichen. Ich werde zeigen, wie sich so mit steigendem Einsatz der Konflikt von einer bloßen Rhetorik zur Auseinandersetzung um ein angemessenes Verständnis von Politik wandelt. Wie viel Konflikt darf sein, welche Ordnung ist stabil und wie sollen anschließend politische Entscheidungen getroffen werden? Mit der zunehmenden Eskalation des Konflikts, das zeigen die Fallstudien, wird im politischen Diskurs grundlegend nach den Grenzen und nach den Möglichkeiten politischer Entscheidungsfindung gefragt. Der politische Diskurs in Kyrgyzstan entwickelt schließlich eine Dynamik in seiner Reflexion auf die Ereignisse, welche die kommenden Auseinandersetzungen erst ihre revolutionäre Bedeutung gewinnen lässt. Das falsche Spiel, das dritte Moment, deutet sich in der Geschichte über den Protest in Basar-Korgon in den Hinweisen an, es habe sich bei den Demonstranten überwiegend um Frauen und alte Männer gehandelt. Der hier latent formulierte Verdacht lautet, die Protestaktion sei von Dritten bestellt. Merkwürdig scheint, dass kaum junge Menschen, also mehr oder minder professionelle Aktivisten, an dem Protest teilnahmen und dass er in der Heimatregion des Sprechers Tekebajew stattfand, wo man doch unter der Annahme einer besonderen lokalen Verbundenheit eher eine ausgeprägte Anhängerschaft erwartet hätte. Dieser Verdacht droht in dem Urteil zu münden, dass die Aktion gezielt organisiert und von oben gesteuert worden ist und eben keinen Ausdruck einer echten
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Volkswut darstellt. 2 Mit dieser Unterstellung, diesem Verdacht gegenüber öffentlichen politischen Ereignissen, steht die besondere Form, in der in den kommenden Wochen und Monaten in Kyrgyzstan der sich fortsetzende Konflikt zwischen Präsident Bakijew und der Opposition beobachtet und hinterfragt wird. Ich werde in meinen Fallstudien zeigen, wie eine kritische öffentliche Meinung in ihrem Versuch, authentische Interessenvertretung von perfider Orchestrierung versteckter Mächte zu trennen, vor immer größere Herausforderungen gestellt wird. Am Ende, im Frühjahr 2007, droht die öffentliche Meinung mit ihrem eigenen Misstrauen in eine Sackgasse zu geraten. Sie ist nicht mehr in der Lage, zu bestimmen, was noch als authentische Politik gelten kann.
3.1 V OM
KRITISCHEN Z IRKEL ZUR P ROTEST ORGANISATION : D IE N ATIONALE K OALITION D EMOKRATISCHER K RÄFTE
Der Konflikt meiner ersten Erzählung setzt ein mit einer fulminanten Rede von Präsident Bakijew vor dem kyrgyzischen Parlament Anfang Februar 2006. Bei seinem Auftritt zeigt sich das Staatsoberhaupt extrem verärgert über die Arbeit des Parlaments und kritisiert es scharf für seine Unprofessionalität, es bezichtigt das Haus der Reformverschleppung und es droht am Ende unter der Hand, das Parlament per Dekret aufzulösen. Diese Rede des Präsidenten zeigt enorme Wirkung. Insbesondere heizt sie die öffentliche Spekulation darüber an, wer der eigentliche Adressat dieser Attacke sein könnte. In diesem Zusammenhang rückt ein Ereignis in den Fokus der Aufmerksamkeit, das sich bereits einen knappen Monat zuvor zugetragen hatte, bislang aber öffentlich kaum beachtet worden war. Am 6. Januar berichtete die kyrgyzische Nachrichtenagentur Akipress über die Gründung eines politischen Blocks mit der Bezeichnung Volkskoalition Demokratischer Kräfte (NKDS) (Akipress, 6.1.2006). Laut den Angaben in ihrem Gründungsmemorandum hatte sich die neue politische Bewegung zum Ziel gesetzt „in den kommenden zehn Jahren Kyrgyzstan in ein modernes Land zu verwandeln, mit einer parlamentarischen Regierungsform.“ (Akipress, 6.1.2006) Weitere Forderungen waren die Ausarbeitung und Annahme einer neuen Verfassung; die Garantie der Bürger- und Freiheitsrechte; optimale Regierungsführung und die Unabhängigkeit der Gerichte; und unternehmerische Freiheit und Mei-
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Einen Eindruck von diesem Verdacht vermittelt die Durchsicht von Leserkommentaren anlässlich einer ähnlichen Protestveranstaltung in Basar-Korgon einen Tag zuvor auf Akipress (vgl. Akipress Kommentare 2006).
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nungs- und Wahlfreiheit. Schließlich verfolgte die NKDS die Absicht, bis zum Herbst 2006 auf der Grundlage einer neuen Verfassung weitere Parlamentsmandate per Nachwahlen zu vergeben und die Anzahl der Abgeordneten so zu erhöhen, ohne das bestehende Parlament auflösen zu müssen. Zur Unterstützung des Memorandums war eine bunte Truppe politischer und zivilgesellschaftlicher Kräfte zusammengekommen. Den Abgeordneten Kubatbek Bajbolow ernannte man zum Koordinator an der Spitze der Bewegung. Seine Partei, die Union Demokratischer Kräfte, führte die Liste der Unterzeichner des Aufrufs an, gefolgt von sechs weiteren politischen Parteien. Darunter die Partei der Sozialdemokraten, vertreten durch den Abgeordnete Melis Eschimkanow, die sozialistische Partei Ata-Meken mit ihrem Vorsitzenden Omurbek Tekebajew, die Partei des gegenwärtigen Premierministers Feliks Kulow, ArNamys, und auch die Kommunisten mit ihrem Vorsitzenden Ischak Masalijew. Zu den Unterzeichnern zählten auch Vertreter der Zivilgesellschaft wie Edil Bajsalow, der Vorsitzende der Koalition Für Demokratie und Bürgergesellschaft, Asija Sasykbajewa vom Zentrum Interbilim oder auch Alischer Mamasalijew, Vorsitzender von Kel-Kel, der bekannten Jugendorganisation aus den Tagen der Tulpenrevolution. Die Liste vervollständigten Organisationen wie die Union der Unternehmer unter Vorsitz von Omurbek Abdrachmanow und die Union der Steuerzahler. Anfang des Jahres 2006 hatten es die Medien in Kyrgyzstan schwer, ein Urteil über diese neue Vereinigung, die politisch eher einem Flickenteppich als einer Volkskoalition glich, abzugeben. Parteien hatten sich hier zusammengetan, von denen einige in der Regierung saßen, andere hingegen Kritik an ihr übten. Und NGOs und Lobbyisten kooperierten plötzlich mit Berufspolitikern vom Schlage eines Bajbolow oder Masalijew. Koalitionsmitglied Tekebajew brachte kurz nach der Gründung der Volkskoalition das Problem auf den Punkt, als er bekundete, dass kein Anlass bestünde, in der Volkskoalition eine Oppositionsbewegung zu sehen, da ja auch Regierungsparteien an ihr teilnehmen (Kyrgyzstan Development Gateway, 6.1.2006). 3 Ihrer politischen Brisanz auf diese Weise beraubt, entschieden sich etablierte Medien wie die Tageszeitungen ‚Wetschernij Bischkek‘ und ‚Moja Stolica Nowosti‘ (MSN) 4, die Gründung der
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Gemeint sind die Parteien Ar-Namys von Premierminister Feliks Kulow und die Sozialdemokraten unter Industrieminister Almasbek Atmabajew. Beide Politiker lassen auf Grund ihrer Kabinettsposten ihre Parteimitgliedschaften ruhen, gelten aber nach wie vor als unumstrittene Parteiführer.
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Frei aus dem Russischen übersetzt „Bischkeker Abendblatt“ und „Nachrichten aus meiner Hauptstadt“ respektive.
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Volkskoalition nur am Rande zu behandeln. Kommentare im Internet fielen ebenfalls unspektakulär aus. Für einen Moment wurde spekuliert, ob sich hier nicht der Zerfall der Opposition in eine moderate NKDS und eine radikale Volksbewegung Kyrgyzstan 5 andeutet und welche Rolle der Strippenzieher Bajbolow spielt (Validov 2006) und ob hier nicht der Anfang vom Ende des ‚Tandems‘ von Präsident Bakijew mit Premier Kulow sichtbar würde (Satpaev 2006). Anfang Januar blieb es bei diesen vorläufigen Mutmaßungen. Es dauert mehrere Wochen, bevor die NKDS wieder von sich reden macht. Am 1. Februar verbreitet sie eine Erklärung, in der sie die Sorge von Premier Kulow über eine schleichende Kriminalisierung von Staat und Gesellschaft teilt (Akipress, 1.2.2006). Die Volkskoalition fordert den Schutz der Meinungsfreiheit und empört sich über die Untätigkeit der Rechtsorgane angesichts ausschweifender krimineller Umtriebe. Hart ins Gericht geht sie auch mit der Verfolgung politisch Andersdenkender: „Die Organe der Prokuratura (Staatsanwaltschaft) arbeiten im Geiste des Jahres ‛37 – ein Kampf wird geführt gegen Andersdenkende, gegen die Meinungsfreiheit“ (Akipress, 1.2.2006) Jetzt wendet sich die Volkskoalition direkt an den Präsidenten und verlangt von ihm, eine geplante Sitzung des Sicherheitsrats öffentlich abzuhalten. Sie soll im Fernsehen ausgestrahlt und Vertreter verschiedener politischer und zivilgesellschaftlicher Kräfte sollen dazu eingeladen werden. Die Forderungen der Volkskoalition sind nicht aus der Luft gegriffen. Sowohl die Kriminalisierung der Gesellschaft als auch die Unterdrückung der Meinungsfreiheit werden in jenen Tagen öffentlich in Kyrgyzstan debattiert. Seit Mitte Januar läuft ein Prozess gegen den berüchtigten Unterweltboss Ryspek Akmatbajew, der sich zur Farce entwickelt, als dieser selbsternannte ‚Robin Hood Kyrgyzstans‘ erklärt, in den Nachwahlen zum Parlament in der Stadt Balyktschy im Gebiet Issyk-Kul antreten zu wollen. 6 Niemand zweifelt an einem Sieg ‚Ryspeks‘ und seinem Einzug in die Institutionen politischer Macht, viele allerdings fürchten den wachsenden Mafiastaat im Land. Auf der anderen Seite entrüsten sich NGOs über die Beschneidung der Meinungsfreiheit im Land. Die Reform der ‚Staatlichen Fernseh- und Radiosendeanstalt‘ (GTRK), der Aufbau eines öffentlichen Senders, droht zu scheitern, wenn nicht ein unabhängiger Auf-
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Die Volksbewegung Kyrgyzstan war eine kurzlebige Bewegung unter Führung des im Sommer zuvor geschassten Generalstaatsanwalts Asimbek Beknasarow und der ehemaligen Außenministerin Rosa Otunbajewa. Bereits im Sommer 2006 war diese Bewegung wieder in der Versenkung verschwunden (vgl. Akipress, 26.1.2006, 8.2.2006).
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Für mehr Informationen zu Ryspek Akmatbajew vgl. Marat (2008).
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sichtsrat eingesetzt wird. Organisationen wie Kel-Kel und Internews protestieren vor dem Parlament deswegen und verurteilen die „Usurpation des einzigen nationalen Senders“ (Akipress, 2.2.2006). Das EWVP Projekt nimmt von diesem Aufmarsch keine Notiz, dafür aber lobt die als regierungsnah eingestufte Zeitung MSN die Aktion für ihr kreatives Potential (EWVP, 8.2.2006; MSN, 3.2.2006). Die Volkskoalition nimmt in ihrem Aufruf vom 1. Februar nicht direkt Bezug auf diese Ereignisse, aber ihre Forderungen schließen an diese öffentlichen Debatten zweifellos an. Mit der Rede des Präsidenten vor dem Parlament erhalten diese Ereignisse, sowohl die Gründung der NKDS als auch ihr neuer Aufruf, nun eine ganz neue Bedeutung. Wie einleitend erwähnt, tritt Bakijew den Forderungen im Memorandum mit Vehemenz entgegen. Einige Beispiele veranschaulichen den konfrontativen Kurs des Präsidenten: Eine schnelle Entscheidung der Verfassungsfrage lehnt er kategorisch ab. Entsprechende Forderungen kritisiert er als übereilt und „abstrakte theoretische Debatte“ (Akipress, 3.2.2006). Für die Durchführung eines entsprechenden Referendums, so das Staatsoberhaupt, braucht es Zeit zur Vorbereitung und zur Aufklärung der Bevölkerung. Bakijew will die Fehler seines Vorgängers Akajew nicht wiederholen: „Referenden wurden [ . . . ] plötzlich angekündigt, damit die Leute sich nicht vorbereiten konnten, nicht verstanden, [ . . . ] was für Änderungen in die Verfassung eingeführt werden sollten. Und mit Druck auf die Organe der lokalen Selbstverwaltung wurde dann das produziert, was man brauchte.“ (Akipress, 3.2.2006) Der Präsident erklärt, sein Kurs führe hin zur „Abwendung von Autoritarismus, Korruption und der Verfolgung der Meinungsfreiheit“ (Akipress, 3.2.2006). Er behauptet, die Rolle des Premiers sei inzwischen gestärkt und die Gründung einer neuen Sendeanstalt auf dem Weg. Andersdenkende würden nicht mehr verfolgt, diese Praxis aus der Zeit Akajews sei endlich abgeschafft. Eine richtige Attacke reitet der Präsident im zweiten Teil seiner Rede. Erst bemängelt Bakijew unbearbeitete Gesetzesvorschläge und fehlende Motivation auf Seiten der Abgeordneten. Dann kritisiert er die Einmischung des Parlaments in die Arbeit der Exekutive äußerst scharf: „Alle diese [operativen] Fragen befinden sich in der Zuständigkeit des Präsidenten, des Premierministers oder anderer Organe. Nicht hingegen beim Schogorku Kenesch [(kyrg. Parlament] Wollen Sie etwa die Macht an sich reißen?“ (Akipress, 3.2.2006) Er sinniert öffentlich über „ein zeitliches Moratorium auf die außerordentliche Einberufung von Regierungsvertretern“ ins Parlament und spitzt seine Kritik schließlich zu: „[ . . . ] befremdlich war und bleibt bis heute die Position eines kleinen Teils des Parlaments, den Sprecher [Tekebajew] eingeschlossen, der einen Kurs der Konfrontation mit dem exekutiven Zweig der Macht und mit dem Präsidenten eingeschla-
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gen hat.“ (Akipress, 3.2.2006) Anschließend spricht Bakijew davon, das Parlament unbedingt bewahren zu wollen. Er behauptet, nicht gewillt zu sein, etwaigen Forderungen, das Parlament doch noch aufzulösen, nachzugeben. Seinen Auftritt beendet der Präsident mit einem Appell an alle Anwesenden, gemeinsam an den drängenden Problemen im Land zu arbeiten. Ich räume dieser Rede Bakijews vor dem Parlament an dieser Stelle so viel Platz ein, weil sie den Ausgangspunkt für den folgenden Konflikt darstellt. Ich werde später noch genauer auf die Dynamik dieses besonderen ersten ‚Angriffs‘ eingehen, möchte an diesem Punkt jedoch verdeutlichen, wie die öffentliche Meinung in seiner Folge ihre Beobachtungen schärft. In allen großen Medien des Landes wird der Auftritt kommentiert. Die meisten Nachrichtenagenturen drucken die Rede Bakijews in voller Länge nach. Regierungsnahe Zeitungen wie MSN publizieren Kommentare, in denen die Bedeutung der präsidialen Worte unterstrichen wird: „Ohne Übertreibung lässt sich sagen, dass der Auftritt K. Bakijews am vergangenen Freitag das Ereignis der Woche war. Nicht nur unterstützten den Präsidenten seine Anhänger und solche, die [ . . . ] einen harten Regierungsstil bevorzugen; Respekt zollten ihm sogar Vertreter aus jenem Lager unversöhnlicher Gegner, die von seinem vorzeitigen Rücktritt träumen.“ (МSN, 7.2.2006). Die Zeitung entdeckt überall Unterstützung für den Kurs Bakijews und bereitet mit ihren Artikeln zugleich den Boden für eine Schmierenkampagne gegen einzelne Abgeordnete. Dabei konzentriert sie sich besonders auf den Parlamentssprecher Tekebajew (vgl. für Unterstützung, МSN, 8.2.2006; vgl. zu Tekebajew, MSN, 7.2.2006a). Aber auch andere Abgeordnete wie Kubatbek Bajbolow, der NKDS Vorsitzende, oder Melis Eschimkanow und der junge Geschäftsmann und Parlamentarier Omurbek Babanow bekommen ihr Fett weg. Sie werden von MSN und anderen Medien in den folgenden Wochen Verdächtigungen ausgesetzt, unrechtmäßige Geschäfte zu betreiben und ihre Wählerstimmen gekauft zu haben (MSN, 8.2.2006a). Dabei greifen die Medien hier nur eine Meinung auf, die mal mehr, mal weniger seit der Tulpenrevolution in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Die meisten Abgeordneten, da sind sich viele Menschen einig, haben bei den letzten Parlamentswahlen im Februar und März 2005 ihren Geschäftsreichtum zu Zwecken illegaler Wählermobilisierung genutzt. Von einer Unterstützungswelle für den Präsidenten berichtet MSN nicht ohne Grund. Zeitungen in allen Gebieten bringen in der Folge in Artikeln ihre Bewunderung für Bakijews Auftritt zum Ausdruck. Besonders Blätter, deren Redaktionen lokalen oder regionalen staatlichen Administrationen unterstellt sind, zeichnen sich aus, wie ich auch bei meinen Forschungen in Karabalta feststellen durfte (Nowoje Wremja, 11.2.2006). Das Muster dieser Bewunderung hat noch sowjetischen Anklang: es sind vorwiegend Leserbriefe, besonders von Arbeits-
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kollektiven und Organisationen, in denen Solidarität mit dem Präsident geäußert wird und Aufrufe für Stabilität, fürs gemeinsame Schaffen und Arbeiten erfolgen (Kyrgyzstan Development Gateway, 8.2.2006). Die neue mediale Aufmerksamkeit erlaubt es den Gegnern Bakijews, ihrerseits die Attacke öffentlich abzuwehren. Sehr deutlich wird der NKDS Koordinator Bajbolow. Er ist der Ansicht, die Rede sei eine direkte Drohung gewesen und Bakijew wolle einige Abgeordnete physisch ausschalten (Akipress, 3.2.2006a). Parlamentssprecher Tekebajew verurteilt den Versuch, das Parlament einzuschüchtern (Akipress, 3.2.2006b). Andere Parlamentarier reagieren ebenfalls empört und sehen den Auftritt Bakijews als eine Beleidigung, während moderate Stimmen eine falsche Informationslage des Präsidenten vermuten und dafür die Präsidialadministration kritisieren (Akipress, 3.2.2006a). Die Auseinandersetzung soll offiziell Weihen erhalten mit einer parlamentarischen Debatte über die Kritik Bakijews, welche für den 10. Februar anberaumt wird. Was als geregelter Schlagabtausch geplant ist, wird schließlich skandalös, als im Vorfeld der Debatte der Parlamentssprecher Tekebajew in einem Interview den Präsidenten in deftigen kyrgyzischen Worten anfährt. Dessen Verhalten sei schändlich und „wenn er noch ein Mann ist, dann soll er sich aufhängen.“ 7 Das Interview gibt Tekebajew am 7. Februar, aber erst am nächsten Tag nimmt die Öffentlichkeit Notiz von der Beleidigung. Noch bevor es zur großen Debatte kommt, überstürzen sich die Ereignisse. Tekebajew erklärt am Morgen des 8. Februar, vom Posten des Parlamentssprechers zurücktreten zu wollen. Die Ankündigung dieses Gesuchs verhindert allerdings nicht, dass eine für diesen Tag anberaumte Sitzung des Sicherheitsrats 8 zum Politikum wird, da sich Präsident Bakijew weigert, mit Tekebajew, der als Sprecher formal dieser Runde angehört, noch an einem Tisch zu sitzen. Tekebajew erklärt vor dem Parlament, freiwillig der Sitzung fernbleiben zu wollen, was ihm aber die Abgeordneten verweigern, die ihn auf seine Amtspflichten als amtierender Sprecher ausdrücklich hinweisen. Sogar öffentlich wird Tekebajew aufgefordert. Beispielsweise drängen ihn Edil Bajsalow von der Koalition Für Demokratie und Bürgergesellschaft und Omurbek
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Kirgisisch: „Уят болду, ит болду, эркек болсо асынып өлуп алсын “ („Es ist schändlich, es ist erniedrigend [(oder: wie ein Hund)]; wenn er noch ein Mann ist, soll er sich aufhängen.“) (vgl. Ferghana, 8.2.2006).
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Der Sicherheitsrat ist ein Gremium, dem der Sekretär des Rats, der Präsident, der Premierminister, die Minister der sogenannten Machtministerien und einige ausgewählte Staatsbeamte, bspw. der Chef der Präsidialadministration, angehören und in dem sicherheitsrelevante Fragen diskutiert werden.
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Abdrachmanow von der Unternehmerunion, zur Teilnahme an der Sitzung (Akipress, 9.2.2006, 9.2.2006a). Tekebajew kommt zur Sicherheitsratssitzung. Diese kann aber nicht beginnen, da der Präsident sich weigert im Sitzungssaal zu erscheinen. Es kommt zu Diskussionen und Tekebajew muss sich Belehrungen gefallen lassen. Die Getreuen des Präsidenten, vorweg der Chef der Präsidialadministration Usen Sydykow, klagen ihn für seinen beleidigenden Ausspruch an. Am Ende resigniert Tekebajew und verlässt den Saal. Der Präsident erscheint daraufhin und die Sitzung kann doch noch abgehalten werden. 9 Am Ende des Sicherheitsratstreffens verliest Bakijew eine Abschlusserklärung, in welcher er erneut die Verfassungsfrage berührt. Er plädiert für „eine Regierungsform, in der es ein verantwortliches Staatsoberhaupt gibt. Die Leute, das zeigen Umfragen, sind ebenfalls dafür. Das darf nicht verwechselt werden mit einer Stärkung des Autoritarismus. [ . . . ] Eine präsidentielle Republik – das bedeutet einen starken Präsidenten mit einem nicht weniger starken Parlament.“ (Akipress, 9.2.2006b) Nach Angaben Bakijews soll eine Kommission eine Verfassung ausarbeiten und er will den Vorsitzenden der NKDS, den Abgeordneten Bajbolow, gebeten haben, dieser Kommission vorzustehen. An diesem Punkt des Konfliktverlaufs wird meiner Meinung nach die steigende Relevanz öffentlicher Aufmerksamkeit in Kyrgyzstan sehr deutlich sichtbar, insbesondere auch ihr in dieser Phase noch höchst selektiver und damit die Eskalation beschleunigender Zugang. Bakijews offensichtlicher Versuch, mit seiner Rede die Auseinandersetzung inhaltlich neu auszurichten und gleichzeitig ausgewählte Mitglieder aus dem gegnerischen Lager zu kooptieren, fruchtet kaum. Ohne Zweifel, die Worte des Präsidenten vor dem Sicherheitsrat werden registriert, auch in der Öffentlichkeit. Die Koalition für Demokratie und Bürgergesellschaft beispielsweise kritisiert in einer Stellungnahme heftig Bakijews Ansicht, die öffentliche Angst vor einer Kriminalisierung in der Gesellschaft sei hysterisch (MSN, 10.2.2006). Im Zentrum der Aufmerksamkeit bleiben allerdings die Person und das Schicksal des Parlamentssprechers Tekebajew. Und unter dieser Aufmerksamkeit spitzen sich die wechselseitigen Anschuldigungen im rasanten Tempo zu und nehmen zunehmend die Form von Drohungen an. So verurteilt Tekebajews Pressesprecher den Leiter der Präsidialadministration für
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Es muss überraschen, wie gut wir über diese Ereignisse hinter verschlossenen Türen informiert sind. Meiner Meinung nach ein Indiz für die Reichweite und Relevanz öffentlichen Interesses für politische Prozesse in dieser Phase im postrevolutionären Kyrgyzstan. Eine solche Situation ist für die Zeit autoritärer Herrschaft unter Bakijew in den Jahren 2008 und 2009 undenkbar (vgl. Akipress, 9.2.2006a).
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seine Provokationen während der Sicherheitsratssitzung; Sydykow aber, der Beschuldigte, lädt später alle Schuld an der verzwickten Situation dem Parlamentssprecher auf (Akipress, 28.2.2006). Bei der am 10. Februar ablaufenden parlamentarischen Aussprache rücken Reformpläne ins Abseits und alle Beteiligten konzentrieren sich auf die Auseinandersetzung zwischen Präsident und Sprecher. Der Repräsentant des Präsidenten im Parlament beginnt die Konfrontation mit seiner Bitte, die Frage eines Misstrauensvotums gegen Tekebajew auf die Tagesordnung zu setzen (Akipress, 10.2.2006). Der Bitte wird nicht entsprochen, dafür aber werden der Präsident und seine Getreuen schwerer Kritik unterzogen. Wieder steht der Leiter der Präsidialadministration, Usen Sydykow, im Vordergrund. Ihm wird jetzt vorgeworfen, für die vielen lokalen Proteste gegen den Parlamentssprecher verantwortlich zu sein, indem er im Geheimen spezielle Frauenbrigaden organisiert, deren Bezeichnung – das an das Polizeieinheitskürzel ‚OMON‘ angelehnte Akronym ‚OBON‘ 10 – in diesen Tagen zum geflügelten Wort in der öffentliche Debatte wird (Akipress, 10.2.2006a; Akipress, 10.2.2006b; Akipress, 10.2.2006c; zu OBON vgl. Akipress Kommentare, 2006a). Sprecher Tekebajew nutzt die Chance der öffentlichen Bühne und holt zum Rundumschlag gegen den politischen Gegner aus. Er kritisiert den Vorsitzenden des berüchtigten ‚Goskomimuschtschestwo‘, der für ihre korrupten Geschäftspraktiken bekannten Agentur für Staatsbesitz, für die mangelnde Erfüllung seiner Rechenschaftspflicht vor dem Parlament. Und er nennt den Generalstaatsanwalt Kambaraly Kongantijew einen kadavergehorsamen Befehlsempfänger des Weißen Hauses (Akipress, 10.2.2006d). Seine Ankündigung, zurückzutreten, lässt der Sprecher allerdings bestehen. Es folgt eine parlamentarische Debatte über das weitere Vorgehen in dieser Angelegenheit (Ferghana, 8.2.2006). In einer Abschlusserklärung verweist Omurbek Tekebajew noch einmal auf frühere Versuche des Weißen Hauses, ihn abzusetzen. Er entlarvt den Neid der Mächtigen auf das Parlament, welches eine singuläre revolutionäre Legitimität besitzt. Nach Meinung Tekebajews ist der ‚Schogorku Kenesch‘ das einzige Organ, das von der ersten Stunde der Revolution an funktioniert hat und für Ordnung in jenen schweren Tagen sorgte. Gegen diese Reputation arbeite nun das Weiße Haus und versuche ihn, Tekebajew, abzusetzen: „es [ist] kein Geheimnis, das seit Beginn meiner Tätigkeit [ . . . ] die Administration Bakijews [ . . . ] unermüdlich Versuche unternahm, mich mit Hilfe der Abgeordneten vom Pos-
10 OBON („Otr’ad Bab Osobennogo Značenie“) steht abfällig für „Abteilung für Weiber zur besonderen Verwendung“.
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ten des Sprechers zu entfernen. Man hat versucht, die Volksvertreter zu kaufen, man drohte ihnen – am Ende hat das alles nicht funktioniert.“ (Akipress, 13.2.2006)
Tekebajew greift auch das Tandem Bakijew / Kulow scharf an. Er wirft beiden Politikern vor, ihr Wort gebrochen zu haben und den Demokratisierungsprozess zu verzögern. Im Anschluss an Tekebajews Auftritt entscheidet sich das Parlament zu einer Aufnahme des Rücktrittgesuchs in die Tagesordnung und setzt vorschriftsmäßig die Abstimmung darüber für den 20. Februar fest. Der weitere Konfliktverlauf ist instruktiv für die Suche nach den Bedingungen für öffentliches Meinen im postrevolutionären Kyrgyzstan. Tekebajews Fall beherrscht die Schlagzeilen und die öffentlichen Spekulationen über sein weiteres Schicksal nehmen an Fahrt auf. Ein Konsens darüber, was als nächstes passiert, scheint allerdings in weiter Ferne. Potentielle Nachfolger werden bereits gehandelt und Folgen für den Fall eines möglichen Rücktritts Tekebajew entworfen. Das Analyseportal IWPR ist überzeugt, dass das Rücktrittsgesuch des Sprechers angenommen wird (IWPR, 20.6.2006). Andere Medien jedoch, unter ihnen auch MSN, sind skeptischer und sehen sich zu keiner Prognose fähig: „wie sich die Situation entwickelt, das weiß heute niemand. Gewiss ist zurzeit nur: das Korpus der Abgeordneten ist [ . . . ] unvorhersagbar“ (MSN, 14.2.2006). In Kommentaren lässt die Zeitung Abgeordnete zu Wort kommen. Und auch die gehen mit ihren Einschätzungen der Situation weit auseinander. Kommunistenchef Masalijew vermutet, dass seine Kollegen das Gesuch akzeptieren werden, andere hingegen, wie Melis Eschimkanow oder der NKDS Vorsitzende Bajbolow, werben kräftig für eine Ablehnung. Inmitten dieser aufbrausenden Personaldiskussion versucht nun der stellvertretende Parlamentssprecher Erkin Alymbekow, mit einem Reformvorschlag die Diskussion in neues Fahrwasser zu lenken. Er lässt am 13. Februar ein Positionspapier verteilen, dass eine bemerkenswerte Analyse der Situation enthält: „es ist absurd [ . . . ], wenn es in unserem Land zwei Regierungen gibt, einmal die Regierung Feliks Kulows mit dem ganzen sozialen Block und zweitens die Organe der Präsidialadministration unter [ . . . ] Usen Sydykow, mit der Verantwortung für alle Finanz- und Strukturabteilungen. Die Republik ist klein und beim Fehlen eines Systems der ‚checks and balances‘ wird schnell allen klar, wer [ . . . ] sich auf Kosten des Volks bereichert. [Kyrgyzstan braucht] eine [ . . . ] Reform der Regierungsstruktur inklusive der Übergabe echter Entscheidungsbefugnisse und einer Begrenzung doppelter Funktionsausübungen in der Präsidialadministration. Außerdem müssen die Reform der territorial-administrativen Aufteilung und die Reform der lokalen Selbstverwaltung beschleunigt werden. Es braucht
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jetzt eine Stärkung der lokalen Selbstverwaltung, die volle Entscheidungsbefugnisse und eine Garantie finanzieller Unabhängigkeit erhält.“ (abgedruckt in MSN, 14.2.2006)
So bemerkenswert Alymbekows systematische und aufgeklärte Analyse auch ist, noch mehr beeindruckt, wie sie öffentlich unbeachtet bleibt. Es geht in diesem Moment um den Machtkampf zweier Lager, zweier Politiker, zweier persönlicher Feinde, nicht aber um Strukturreformen oder Rechtsstaatlichkeit. MSN bringt die Dynamik wieder auf den Punkt, wenn das Blatt festhält, dass alle anderen politischen Ereignisse angesichts dieser Krise in den Hintergrund treten (MSN, 14.2.2006). Der Hinweis ist berechtigt. Kyrgyzstan erlebt in jenen Tagen ernsthafte Auseinandersetzungen zwischen ethnischen Gruppen im Dorf Iskra im Gebiet Tschuj; im Süden im Gebiet Batken streiten sich Tadschiken und Kyrgysen um Wasser und Weidegründe an der Grenze; und im ganzen Land machen steigende Zuckerpreise der Bevölkerung zu schaffen (EWVP, 15.2.2006: 1 ff.). Diese Themen werden öffentlich nur marginal behandelt, da alle Aufmerksamkeit auf Tekebajew und sein Rücktrittsgesuch konzentriert ist. Mit jedem neuen Tag schießen sich die propräsidentiellen Medien gegen den Parlamentssprecher ein. Tekebajews dunkle Vergangenheit wird ausgegraben und mit ihm zusammen wird das ganze Parlament zur Wurzel allen Übels erklärt (MSN, 14.2.2006). Auch der Präsident selbst legt nach. Er wirft dem Parlament vor, die Spannungen zwischen den Regionen Nord und Süd anzuheizen und darüber hinaus an seiner Absetzung zu arbeiten (Kommersant-b, 15.2.2006). Bakijew warnt jetzt vor einer möglichen Auflösung des Parlaments als letztes Mittel, um die Krise beizulegen. Er geht aber auch davon aus, dass dieser Schritt nicht nötig sein wird, wenn die Abgeordneten erst einmal Tekebajews Rücktrittsgesuch angenommen haben. Die heute in der Rückschau auf diesen Konflikt gepflegte Meinung, die Absetzung Tekebajews sei eine absehbare Manipulation seitens der Regierung gewesen, hält einer genaueren Rekonstruktion der öffentlichen Debatte in jener Zeit nicht stand. Keine Partei in diesem Konflikt, das zeigen die öffentlichen Mutmaßungen, kann sich über den Ausgang sicher sein; und schwieriger tut sich die öffentliche Meinung in einer realistischen Folgenabschätzung. Die unabhängige Zeitung ‚Belyj Parus‘ (‚Weißer Dampfer‘) befürchtet zumindest, dass die Absetzung Tekebajews ein Parlament hervorbringt, das zum Anhängsel der Präsidialadministration mutiert (Belyj Parus, 8.2.2006). Allein ein neuer Sprecher Bajbolow, also der Vorsitzende der Volkskoalition, wäre ein adäquater Ersatz, der die Reformanstrengungen sichern würde, so das Blatt. Andere Beobachter spekulieren über Temir Sarijew, welcher in den Tagen der Tulpenrevolution durch sein Krisenmanagement Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, als neuen Sprecher, während Kreise, die dem Präsidentenlager nahestehen, als Pendant
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zum jungen Sarijew den ehemaligen Nationalbankchef und Finanzminister unter Akajew, Marat Sultanow, ins Gespräch bringen (MSN, 14.2.2006). In die Spekulationen mischen sich neue Anschuldigungen an die einzelnen Konfliktparteien. Der unabhängige Fernsehsender ‚Piramida‘ zeigt eine Reportage über die Verdienste Tekebajews, was die Zeitung MSN zum Anlass nimmt, in der fernen Vergangenheit des Parlamentssprechers nach Fehltritten zu stöbern (MSN, 10.2.2006b). In einem Interview geht der NKDS Koordinator Bajbolow so weit, angesichts der Anschuldigungen von einer geplanten Schmierenkampagne zu reden, die zum Ziel habe, ihn und Gleichgesinnte aus der politischen Arena zu drängen (MSN, 17.2.2006). Die Folgenabschätzung wird komplizierter, als zwei Stellvertreter Tekebajews, der mit seinen Reformvorschlägen bekannt gewordene Erkin Alymbekow und der den staatlichen Sicherheitsstrukturen entstammende Bolot Schernijasow, erklären, im Falle einer Abwahl des Sprechers ebenfalls ihre Ämter niederlegen zu wollen. Der Streit im Parlament greift auf die Straße über. In Basar-Korgon kommt es am 17. Februar zu einem neuerlichen Protestzug, dieses Mal aber angeführt von Anhängern Tekebajews. Kritisiert wird hier Usen Sydykow, der Leiter der Präsidialadministration, den man beschuldigt, den Konflikt um Tekebajew initiiert zu haben. Die Demonstranten fordern die Absetzung des Chefs des Nationalen Sicherheitsdiensts, Taschtemir Ajtbajew, und des Generalstaatsanwalts Kambaraly Kongantijew, die sie für weitere Mitläufer des Präsidenten halten (Akipress, 18.2.2006; EWVP, 22.2.2006: 1). Gegen öffentliche Vorwürfe, an der Staatsspitze würde die Vetternwirtschaft blühen, wehrt sich schließlich auch die Familie des Präsidenten in Gestalt von Schanysch Bakijew, Bruder des Präsidenten. Eine besondere Begünstigung gäbe es nicht (Agym, 17.2.2006). Am 20. Februar kommt es im Parlament zur Abstimmung. Tekebajew nutzt in einer letzten Rede noch einmal die öffentliche Bühne für eine letzte Abrechnung. Er beschuldigt insbesondere Usen Sydykow, den jungen Vizepremier Adachan Madumarow und den Minister für Katastrophenschutz, Schanysch Rustenbekow, an alten Denktraditionen festzuhalten und Reformen zu blockieren. Nach dieser Abrechnung des Sprechers schreiten die Abgeordneten schließlich zur Wahl. Die Abstimmung verläuft geheim und endet – zur Überraschung vieler Beobachter – mit einer Ablehnung des Rücktrittgesuchs (Akipress, 20.2.2006). Nur 34 Abgeordnete stimmen für Tekebajews Rücktritt, laut Geschäftsordnung vier Stimmen zu wenig für die einfache Mehrheit aus 75. In den Nachrichten wird berichtet, dass Tekebajew über den Ausgang der Abstimmung hoch erfreut ist. Der Abgeordnete Temir Sarijew hingegen mahnt zur Besonnenheit angesichts der 34 Ja-Stimmen, wohingegen Melis Eschimkanow die Wahl als Bestätigung der Demokratie deutet: „Drei Tage lang hat sich die Administration des
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Präsidenten mit jedem Abgeordneten getroffen. Sie haben eingeschüchtert, sie haben betrogen und sie haben verhandelt. Das hier – das ist ein Sieg der Demokratie.“ (Akipress, 20.2.2006a) Viel Zeit für ausgelassenes Feiern bleibt den Anhängern des Parlamentssprechers nicht. Bereits am Tag nach der Abstimmung melden sich Abgeordnete zu Wort, die eine Unregelmäßigkeit im Wahlgang festgestellt haben wollen. Die Parlamentarier Sijadin Schamaldinow und Achmatbek Keldibekow machen sich für eine Wiederholung der Abstimmung stark. Unterstützt wird diese Forderung von einer systematischen Kampagne präsidententreuer Medien, in der das Verhalten Tekebajews und des gesamten Parlaments als Schande dargestellt wird (MSN, 24.2.2006). Es wird auf die Selbstüberschätzung der Parlamentarier abgehoben und ihnen ein verzerrter Bezug zur Realität unterstellt. Das Volk, so heißt es, habe sich längst vom Intrigenspiel im Parlament abgewandt. Sogar ein neues Argument wird entwickelt, als Kommentare die Nord/Süd-Spaltung des Landes bemühen: Tekebajew sei ein Vertreter südlicher Klane, der sich mit destruktiven „tribalistischen“ Kräften aus dem Norden eingelassen hat, hinter denen die Fratze von Ex-Präsident Akajew hervorlugt (MSN, 24.2.2006a). 11 Solchen Ansichten widerspricht die Zeitung ‚Obschtschestvennyj Rejting‘ (OR), welche die Abstimmung als klare Niederlage des Weißen Hauses sieht. Für die Zukunft erwartet das Blatt einen Konflikt, in dem ein gestärktes Parlament mit Tekebajew an der Spitze mit einer in die Defensive gedrängten Präsidentenmannschaft darum streitet, den Parlamentarismus in Kyrgyzstan zu etablieren (OR, 24.2.2006). Dass die öffentliche Beobachtung und Einschätzung politischer Ereignisse in diesen Tagen eine höchst spekulative Angelegenheit ist, wird offenbar, als am 27. Februar, also eine Woche nach der Wahl, Tekebajew sein Amt als Sprecher mit Verweis auf Arbeitsrechtsbestimmungen ablegt. Er begründet seinen Schritt, der keiner weiteren Abstimmung im Parlament bedarf, mit zweitägigen Konsul-
11 Hier wird in geradezu idealer Weise das Argument Gullettes von einer Instrumentalisierung des „Tribalismus“ oder „traibalizm“ Diskurses für die politische Diskreditierung in Kyrgyzstan sichtbar (Gullette 2010). Ich folge diesem Argument, möchte aber hinzufügen, dass diese Form der Diskreditierung nur dann Erfolg hat, wenn Beobachter dem Vorwurf auch immer noch eine gewisse Gültigkeit unterstellen können. Andernfalls, und diese Entwicklung verfolge ich in meinen Fallstudien, läuft eine entsprechende Anklage nicht auf eine Diskreditierung des politischen Gegners, sondern auf die Diskreditierung der öffentlichen Meinung hinaus, die bei offensichtlicher Überspitzung der Anklage ihren Fokus verliert und nicht mehr ernsthaft unterstellen kann.
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tationen mit Komitee- und Fraktionsvertretern. 12 Öffentlich und unter den Abgeordneten gehen die Meinungen über diesen Schritt weit auseinander. Der Volkskoalition Vorsitzende Bajbolow bezeichnet ihn als eine persönliche Entscheidung. Der streitbare Melis Eschimkanow vermutet eine Drohung des Weißen Hauses, das Parlament aufzulösen (Akipress, 27.2.2006). MSN wiederum begrüßt die Abdankung Tekebajews und wertet die ganze Auseinandersetzung als Bagatelle ab (MSN, 3.3.2006). Das aktuelle Thema in der öffentlichen Meinung ist jetzt die Wahl eines neuen Parlamentssprechers, die das Parlament umgehend vornimmt. Unter den Kandidaten kann sich Kubatbek Bajbolow in der zweiten Runde gegen Temir Sarijew durchsetzen, verfehlt aber in der dritten Runde die einfache Mehrheit von 38 Stimmen (Akipress, 28.2.2006a). Eine zweite Abstimmung soll am 2. März stattfinden. In der Zwischenzeit schlägt der Abgeordnete Askar Salymbekow, bekannt auch als schwerreicher Vorsitzender des Handelsimperiums Dordoi, vor, einen Vertreter aus dem Norden zu wählen, um so das regionale Gleichgewicht im Land zu wahren. Er erntet harsche Kritik über die verfeindeten Lager hinweg, von Abgeordneten wie Keldibekow, Eschimkanow oder auch Beknasarow. Anfang März wählen die Abgeordneten schließlich Marat Sultanow zum neuen Sprecher des Parlaments. In seiner ersten Rede vor dem Haus erklärt der junge ‚Toraga‘ (‚Sprecher‘) seinen Auftrag. Er versteht das Parlament als Opponent des Weißen Hauses, er möchte aber Konfrontationen vermeiden (Akipress, 2.3.2006). Er wehrt sich gegen den Eindruck, ein Erfüllungsgehilfe des Weißen Hauses zu sein. Als Beweis erzählt er von einem persönlichen Gespräch mit Usen Sydykow, in dem er den Chef der Präsidialadministration aufforderte, Distanz zum Parlament zu wahren (Akipress, 2.3.2006a). Mit der Wahl eines neuen Sprechers kommt die öffentliche Auseinandersetzung zur Ruhe und es bleibt allein Generalstaatsanwalt Kongantijew überlassen, am Folgetag über die Medien bekannt zu geben, nun doch kein Untersuchungsverfahren gegen Tekebajew anstrengen zu wollen (MSN, 3.3.2006).
3.2 P OLITISCHER K ONFLIKT ALS Ü BERFORDERUNG : E INE NEUE ÖFFENTLICHE M EINUNG IN K YRGYZSTAN Mit dem Amtsantritt von Marat Sultanow beende ich meine erste Geschichte über politische Konflikte in Kyrgyzstan. An ihr lässt sich hervorragend studieren, wie eine öffentliche Meinung im postrevolutionären Kyrgyzstan erstmals
12 Die Prozedur wird öffentlich nicht genauer erläutert (vgl. Akipress, 27.2.2006a).
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versucht, auf einen politischen Konflikt zu reflektieren. In diesem besonderen Fall führt der Prozess bei allen Beteiligten schnell zu einer Überforderung, was im abrupten Abbruch des öffentlichen Streits mündet. Die neuen öffentlichen Räume werden willkürlich von Politikern und Medien besetzt, andauernde Überraschungen und Skandale sowie persönliche Affronts verraten, dass stabile Erwartungen nicht auf das Geschehen hin formuliert werden (können). Am Ende sind das Unverständnis und die Unsicherheit bei allen Zuschauern so groß, dass der Konflikt möglichst schnell dem Vergessen anheim gegeben wird. Der Streit ist beigelegt, bevor auch nur eine einzige sachliche Entscheidung getroffen wurde. Vier Aspekte in dieser Episode möchte ich kurz anreißen: Der Konflikt verläuft, erstens, entgegen der zu erwartenden stärkeren Ausdifferenzierung und gleichzeitigen Verknüpfung von Themen, Sprechern und zeitlichen Projektionen. Vielmehr lösen sich diese Dimensionen voneinander ab und stehen am Ende unverbunden nebeneinander. Zweitens zeigt der Konflikt die hilflosen Versuche der öffentlichen Meinung, das Geschehen kohärent zu erzählen. Die wahllose Aneinanderreihung von Kriterien und Lesarten zeugt von ihrer Unfähigkeit, als Medium für den politischen Streit zu fungieren. Drittens trägt dieser Konflikt, rein empirisch betrachtet, zu keiner Entwicklung der Politik bei. Anfang und Ende der Auseinandersetzung geschehen ad-hoc und tragen weder zur Einführung einer neuen Varianz in Form eines Reformvorschlags noch zu einer reflektierten Ablehnung oder Annahme bei. Schließlich ist viertens eine Versachlichung nach der Definition Messmers nicht zu entdecken. Vielmehr bildet sich ein Beziehungskonflikt heraus, der später Züge von Drohkommunikation aufweist. 1. Mit der Frage nach den Sprechern, den Themen und nach den zeitlichen Horizonten will ich die Dynamik der Konfliktentfaltung erfassen. In dieser Episode wird schnell deutlich, dass von klaren Repräsentationen, von Agendaentwicklung oder von einer zeitlichen Einbettung kaum die Rede sein kann. Überhaupt zeichnet sich dieser Konflikt um den Parlamentsvorsitzenden durch das aus, was er alles nicht ist. Er ist kein Lehrstück über die Verknüpfung von Sprecherpositionen, Themen und Visionen für eine andere Zukunft. Er bietet keinen Raum für die Entfaltung von politischen Positionen, von Reformvorschlägen oder von Konfliktstrukturen über die Zeit hinweg. Schließlich fehlt ihm auch jegliche Reflexion auf seine Wirkung für die Politik; Diskussionen, die an ihn anschießen, bleiben aus. Auf der anderen Seite beeindruckt, wie schnell in dieser Konfliktepisode der Wechsel von Positionen und Themen stattfindet. Aus einer konturlosen Masse reformwilliger politischer Kräfte in der NKDS werden, plötzlich und Anfang Februar 2006 erstmals für die öffentliche Meinung in
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Kyrgyzstan sichtbar, ausgewählte ‚Oppositionery‘ 13 und repressive Staatsdiener. Die öffentliche Meinung spielt begeistert mit und gewährt der Fehde zwischen Bakijew und Tekebajew kritiklos ihre höchste Aufmerksamkeit. Anstatt eine Debatte über Verfassungsänderungen zu führen wird über Loyalitäten spekuliert: Bakijew, Sydykow, Ajtbajew und Kongantijew hier, Tekebajew, Bajbolow, Sarijew und Eschimkanow dort. Das neue Lagerdenken lässt auch jene in den Vordergrund treten, die unentschlossen bleiben, beispielsweise Premier Kulow und Kommunistenführer Masalijew. Um möglichen Einwänden gegen diese Beobachtung an dieser Stelle gleich entgegenzutreten: die Loyalitäten bleiben auch in den folgenden Konflikten gültig. Der Unterschied liegt meiner Ansicht nach aber in der Form, in der diese politischen Positionen später sukzessive mit Themen und Reformansichten angereichert werden. In der vorliegenden Konfliktepisode fehlt dieser Schritt: Initiativen, die sich um eine Fokussierung auf Reformthemen wie die Verfassungsänderung bemühen, so zum Beispiel Bakijews Kommissionsbildung oder Alymbekows Reformaufruf, verpuffen ohne öffentliche Reaktion. Gleiches trifft auf Versuche zu, den Konflikt in Vergangenheit und Zukunft zu transportieren: Die ursprüngliche Reformagenda der NKDS, eine temporäre Verbindung der Erwartungen an die Tulpenrevolution mit Nachwahlen für das Parlament, geplant für das Ende des Jahres 2006, reduziert sich im Verlaufe des Konflikts zur Spekulation von Belyj Parus, dass nur Bajbolow die Chance fürs Überleben des Parlamentarismus in Kyrgyzstan wird wahren können. Für wie lange, in welcher Form, mit welchem Ziel, ist zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr Gegenstand der Debatte. Der Konflikt hat, zusammengefasst, in seinem Verlauf die Potentiale für Verknüpfungen zwischen Sprechern, Themen und zeitlichen Projektionen nicht nur nicht angezapft, sondern auch die bestehenden Verbindungen systematisch abgebaut. 2. Das Fehlen klarer politischer Positionen, von Reformvorschlägen und von Zukunftsvorstellungen, resultiert in dieser Episode in der Unfähigkeit der öffentlichen Meinung in Kyrgyzstan, erzählen zu können, was vorgefallen ist und zu bestimmen, wofür das Geschehen steht. Das Problem ist dabei weniger, wie dann später in den Auseinandersetzungen um die Vereinigte Front im Frühjahr 2007, nicht entscheiden zu können, ob nun der Süden mit dem Norden, oder doch die Opposition mit der Regierung im Streit liegt. Der Eindruck in diesem
13 Der Ausdruck ‚oppositionery‘ (auf Deutsch ‚Oppositionsangehöriger‘) taucht in dieser Zeit in den Medien in Kyrgyzstan und im Internet auf und dient zur Bezeichnung verschiedener Regimegegner. Ein Sammelbegriff für Oppositionspolitiker, denen der Titel ‚Opposition‘ nicht angeheftet werden soll. Entsprechend findet sich der Begriff auch häufig in regierungstreuen Medien wie MSN.
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Konflikt ist vielmehr, dass diese Positionen kaum hinreichend bestimmt werden können. Um was gestritten wird, wer eigentlich streitet und warum, bleibt öffentlich ungeklärt. Zweifellos, Präsident Bakijew und Parlamentssprecher Tekebajew attackieren sich wechselseitig und ihr jeweiliges Gefolge springt ihnen zur Seite. Aus dieser Situation lassen sich jedoch weder Konfliktursachen oder politische Positionen ableiten noch mögliche Konsequenzen abschätzen. 14 Die Begriffe, um Konfliktfronten zu bezeichnen und um politische Loyalitäten jenseits individueller Akklamationen auszuweisen, bleiben vage. Zwei Ereignisse möchte ich hier als Beispiele in Erinnerung rufen: Zum einen ist da Tekebajews anfängliche Weigerung, der NKDS den Titel einer Opposition zukommen zu lassen. Die öffentliche Meinung folgt dieser zögerlichen Haltung und kann sich während des gesamten Konfliktverlaufs auf keine angemessene Bezeichnung für die ‚Gegner‘ einigen. 15 Zum anderen der Vorwurf der Zeitung MSN, „trajbalistische“ Aktivitäten stünden hinter der gegenwärtigen Auseinandersetzung. In einem Artikel einige Tage später unternimmt die Zeitung den einmaligen Versuch, beide Deutungen zusammenzuführen: „Bei uns hängt von Bakijew ebenfalls sehr viel ab, es gibt aber auch andere einflussreiche Spieler – das Parlament, den Premierminister, das Gerichtswesen, welches sich zwischen den beiden Machtzweigen hin- und herwirft, das reformierte Wahlsystem, eine starke Opposition in Form der nördlichen Klane“ (MSN, 3.3.2006b, [Herv. d. Autor]). Dieser Ansatz wird später aber nicht mehr weiter verfolgt, eine Reflexion auf die mögliche Identifizierung von Norden und starker Opposition, also die Idee einer regionalen Verankerung einer modernen, institutionell eingebundenen Opposition, findet nicht statt. Im Gegenteil, der Vorschlag einer Zuteilung von Ämtern nach regionaler Herkunft wird brüsk zurückgewiesen und die Diskreditierungsmaschinerie, also der Vorwurf ‚trajbalistischer‘ Aktivitäten, läuft an. Es ist in dieser Episode die plötzliche Verschiebung politischer Markierungen (Positionen, Themen, Projektionen), welche die öffentliche Meinung ihrer Chance beraubt, Anhaltspunkte zu entwickeln, um eine kohärente Erzählung über die Auseinandersetzung anzufertigen. Wie passt es zusammen, wenn politische Positionen gegen Persönlichkeiten ausgetauscht werden, Reformagenden formuliert werden,
14 In Gesprächen erzählen mir Abgeordnete des Parlaments, Bakijew neide Tekebajew seine hohe Popularität und seinen Ruf als ‚zweiter Präsident‘ (vgl. Interviews #1 und #2; zum Ausdruck „zweiter Präsident“ vgl. Interview #3). 15 Eine Analyse von 20 in jenen Tagen von MSN veröffentlichten Kommentaren zum Konflikt zeigt, dass nur in fünf Beiträgen der Begriff „Opposition“ oder verwandte Wortformen benutzt werden. Häufiger wird von „oppositionell eingestellten Politikern“ gesprochen oder schlicht „Gegnern“ (vgl. z.B. MSN, 7.2.2006a, 17.2.2006).
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sie dann aber in der Versenkung verschwinden, schließlich erst Änderungen für die Zukunft gepredigt werden, plötzlich aber das Schicksal des Landes an einem Tag in der Abwahl Tekebajews kulminiert? 3. Die Auseinandersetzung zwischen dem Regime und seinen Gegnern mündet in einer Entscheidung über eine Personalie. Ob darüber hinaus politisch Reformen, oder weniger kritisch formuliert: Veränderungen, angestoßen werden, ist nach Meinung der Öffentlichkeit sehr zweifelhaft. Auf den Punkt bringt das abschließende Urteil Danijar Narymbajew, der Vertreter des Präsidenten im Parlament, den MSN zitiert: „Auf die Frage der Medienvertreter auf eine Krise zwischen dem ‚Weißen Haus‘ und dem Parlament antwortete Danijar Narymbajew, ‚es gibt keine Krise und es ist falsch, überhaupt von einer Krise in irgendeinem Zweig der Macht zu reden – es gab einen Vorfall, der jetzt vorüber ist‘.“ (MSN, 28.2.2006) Narymbajew kann sich bei seinem Urteil darauf stützen, dass dieser Vorfall, von dem er spricht, kaum richtig angemeldet wurde. Damit meine ich den irritierenden Umstand, dass der Konflikt in dieser Episode nicht über Protest, also nicht über Demonstrationen, über Aufrufe oder Kundgebungen mit klaren Forderungen eingeleitet wird, sondern höchstens retrospektiv in ihm eine ‚Varianz‘ entdeckt werden kann. Die Gründung der NKDS präsentiert sich am ehesten als Gedankensammlung oder als Strategiesitzung, in der grobe Weichen für zukünftige Entwicklungen gestellt werden. Nicht hingegen als Markierung eines Widerspruchs, der klar definiert, welche Veränderungen in welcher Form und gegen welche Positionen („Strukturen“) angestrebt werden. Ich hebe auf diesen Umstand ab, weil er zwei Besonderheiten in den Vordergrund rückt, die in ihrer Beziehung zueinander leicht irritieren, uns aber zugleich über die politische Dynamik in Kyrgyzstan informieren: Einerseits wird in dieser Episode mit verzerrtem Konfliktbeginn und abruptem Konfliktende deutlich, wie hoch die Hürden für erfolgreiches, über öffentliche Meinung gesteuertes politisches Streiten liegen. Ein Jahr nach der Tulpenrevolution existieren kaum angemessene und allseits akzeptierte Formen, weder politische noch öffentliche, um einen Konflikt zu einer Auseinandersetzung über Strukturveränderungen werden zu lassen. Andererseits treten vor diesem Hintergrund die Entwicklungen hervor, die in den kommenden Monaten im Konflikt zwischen dem Regime und der Bewegung Für Reformen münden und in einer Verfassungsreform resultieren. Mit Blick auf die hier vorgestellte Episode einer verfehlten Varianzeinfuhr und der geradezu sorgenvollen Weigerung, sich, systemtheoretisch gesprochen, im politischen System auf das Risiko einer Regelveränderung fürs politische Streiten einzulassen, müssen die Auseinandersetzungen ab April 2006 beeindrucken. 4. Nach Messmer (2003) leistet das System der Politik die Versachlichung jener Konflikte, die mit Rückgriff auf Drohungen permanent der Tendenz unter-
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liegen, als Auseinandersetzungen um Macht schließlich die physische Vernichtung des Gegners zu suchen. Legt man diese Definition zugrunde, dann steht die vorliegende Episode für den Fall eines Scheiterns des politischen Systems, für das Versagen von Politik schlechthin. Damit ist nicht gesagt, dass die physische Vernichtung der Gegner in diesem Konflikt herbeigeführt wurde. Deutlich wird aber meiner Ansicht nach das Unvermögen der Politik in Kyrgyzstan, den Konflikt in einer Verknüpfung sachlicher Argumente mit persönlichen Beziehungen und mit auf Macht abzielenden Strategien immer wieder auf die öffentlich zugängliche Ebene thematischer Diskussionen herunter zu holen. Vielmehr laufen in diesem Konflikt sachliche Forderungen nur als Hintergrundgeräusch mit, ohne jemals ihre argumentative Kraft entfalten zu können. Der Forderungskatalog der NKDS, Alymbekows Reformvorschlag und sogar Bakijews Angebot für ein Verfassungsreferendum (vgl. MSN, 10.2.2006) sind Initiativen, die im Konflikt völlig ausgeblendet werden. Auf der anderen Seite eskaliert die Auseinandersetzung zum persönlichen Streit zweier Politiker, Präsident Bakijew und Sprecher Tekebajew, in dem Beleidigungen, persönliche Verletzungen, Stolz und Arroganz die Zutaten für eine Fehde liefern, die der öffentlichen Unterhaltung dient. Bis zu dem Moment, an dem der Gesprächsfaden abreißt, die Kompromisssuche aufgegeben wird und mit Hilfe von Drohungen und Einschüchterungen Vergeltung geübt werden soll. 16 Anders als in der späten Phase des Regimes Bakijew ab 2008, als die physische Ausschaltung politischer Gegner Hand in Hand ging mit einer mundtoten öffentlichen Meinung, und auch anders als in den kommenden Monaten, in denen sachliche Argumente den Streit immer wieder in die Form thematischer Debatten zwingen, einigen sich die Politiker in dieser Episode unter dem Eindruck einer ereignishungrigen Öffentlichkeit auf den vorzeitigen Abbruch der Auseinandersetzung. Dass nichtsdestotrotz mit dem Feuer der Eskalation in einen offenen Machtkonflikt gespielt wurde, stellt zusammenfassend ein Kommentar in der Zeitung MSN fest: „Die Seiten sind in Stellung gegangen. Wegen ‚unüberwindbarer Widersprüche‘, über welche [Generalstaatsanwalt] Kongantijew sprach, reift der Konflikt heran. Möge er sich nicht in etwas noch Unüberwindbareres ergießen, stehen doch hinter jeder der streitenden Seiten lebende Menschen.“ (MSN, 10.2.2006c) 17
16 In einem Gespräch erzählt ein Abgeordneter des Parlaments von Drohbriefen, die der Sprecher in diesen Tagen erhielt (vgl. Interview #1). 17 Mit dem Begriff der „unüberwindbare Widersprüche“ verweist die Autorin auf Artikel 63, Punkt 2 der zu diesem Zeitpunkt gültigen Verfassung von 2003, welcher bei Anwesenheit „unüberwindbarer Widersprüche“ zwischen dem Parlament und anderen
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3.3 Z WISCHEN
POLITISCHEM A NSPRUCH UND ÖFFENTLICHER W AHRNEHMUNG : F ÜR R EFORMEN UND DIE A GENDA DER ‚Z EHN S CHRITTE ‘
Die zweite Erzählung meiner ersten Fallstudie handelt von der Transformation der NKDS in die Oppositionsbewegung Für Reformen und die verstärkt öffentlich geführte Auseinandersetzung um politische Reformen in Kyrgyzstan im Frühjahr 2006. In einer radikalen Abkehr von der Dynamik des Streits um den Parlamentsvorsitz im Februar entsteht ein Konflikt zwischen Regierung und Opposition, der zuvorderst alle Beteiligten und Zuschauer mit seiner Friedfertigkeit und Sachlichkeit beeindruckt. In diesem Konflikt kündigen sich die Möglichkeiten für Veränderungen an, die später eingeleitet werden sollen und anschließend in der Selbstblockade öffentlichen Meinens im Frühjahr 2007 wieder zunichte gemacht werden. Dessen ungeachtet ist die Geschichte der Bewegung Für Reformen in dieser Periode ein Lehrstück über die Kontingenz politischer Entwicklungen und für das revolutionäre Moment im politischen System in Kyrgyzstan im Anschluss an die Ereignisse vom März 2005. Mein Anliegen in diesem Abschnitt ist es auch, Kontingenz und revolutionäres Moment dem deterministischen Urteil überschlagender Beobachtungen aus späterer Zeit zu entziehen. Ich beginne mit einer kurzen Episode über eine Debatte, die sich Anfang April 2006 im Stadtrat von Bischkek, der in diesen Tagen ob seiner landesweiten Bedeutung gemeinhin auch als das ‚Zweite Parlament‘ bezeichnet wird, zutrug. In einer außerordentlichen Sitzung am 6. April diskutierten die Abgeordneten eine neue Verordnung 18, mit der Demonstrationen und Proteste in der Hauptstadt unter die strikte Kontrolle der örtlichen Behörden gestellt werden sollten (Akipress, 6.4.2006). Vorgesehen war, Sicherheitsabstände in der Nähe strategischer Gebäude zu wahren und besondere Protestaktionen wie das Aufstellen von Jurten genehmigungspflichtig zu machen. Manche Abgeordnete wie Abdygul Tschotbajew und Wladimir Rumjanzew stellten die Initiative mit Verweis auf eine erst zwei Monate zuvor getroffene Entscheidung über die Aufhebung ähnli-
„Zweigen der Macht“ dem Präsidenten das Recht zur Auflösung des Parlaments einräumt (vgl. Konstitucija 2003). 18 Die Initiative hatte die lange Bezeichnung „Über die Ordnung der Durchführung von Mahnwachen, Mitingi, Demonstrationen, Straßenveranstaltungen, und anderen Protestformen auf dem Territorium der Stadt Bischkek“. „Mitingi“ (auf Russisch ‚митинг‘) wird als russifizierte Version des englischen Begriffs „meeting“ benutzt, bedeutet aber weniger ein Treffen von Menschen im Sinne eines unpolitischen Zusammenkommens, als vielmehr eine öffentliche Protestaktion.
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cher Vorschriften aus dem Jahr 2005 in Frage. Sie spekulierten öffentlich über das Ansinnen der Stadtoberen, die Meinungsfreiheit zu beschneiden. Unterstützt wurden sie in ihrer Kritik vom Ombudsmann Tursunbaj Bakir uulu, der die Verordnung für verfassungswidrig erklärte. Ins gleiche Horn stießen Asija Sasykbajewa von der NGO Interbilim und Asisa Abdirasulowa von der NGO Kylym Schamy. Schließlich wurde während der Debatte der Verdacht laut, die Verordnung verfolge das Ziel, einen für den 8. April geplanten Demonstrationszug zivilgesellschaftlicher Kräfte in Bischkek zu verhindern. Die Stadtverwaltung, allen voran Bürgermeister Arstanbek Nogojew und der Akim des Stadtkreises Lenin, Nikolaj Bajlo, verwiesen hingegen auf das dringende Erfordernis, Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zu ergreifen. Die Mehrheit der Abgeordneten war am Ende der Sitzung von diesem Argument nicht überzeugt und lehnte eine formale Abstimmung über die Verordnung ab. Zwei Punkte möchte ich in dieser Auseinandersetzung hervorheben, die auch für die folgende Erzählung instruktiv sind. Erstens wird hier eine neue Sachlichkeit im Konflikt greifbar. Verdacht gegenüber schlechten Motiven wird geäußert, aber auch stets eingebettet in sachliche Verweise auf Verfassungswidrigkeit und unlogische, weil zu spontane und somit nicht nachvollziehbare Entscheidungsrevisionen. Für Reformen und die Regierung unter Präsident Bakijew entwickeln in den kommenden Wochen ebenfalls diesen neuen Umgang mit Widerspruch. Argumente werden sachlich und systematisch aufgebaut, persönliche Anschuldigungen in ihrer Intensität zurückgefahren. Zweitens greift der Konflikt aus auf andere Teilnehmer und besetzt neue Räume. So wie der Stadtrat von Bischkek Nebenschauplatz der nationalen Auseinandersetzung wird, so werden auch andere Orte und andere Akteure Arenen und Teilnehmer im Kampf um politische Veränderungen, je länger der Konflikt andauert. Meine Erzählung beginnt mit dem geplanten Demonstrationszug, der auch Gegenstand der Auseinandersetzung im Stadtrat gewesen war. Für denselben Tag, den 8. April, plant die Stadt Bischkek eine öffentliche Sportveranstaltung. Zu Ehren des Weltgesundheitstages soll ein Wettlauf abgehalten werden, an dem neben dem Gesundheitsminister auch der Bürgermeister Nogojew sowie Angestellte medizinischer Einrichtungen teilnehmen (Akipress, 7.4.2006a). Laut Pressedienst des Gesundheitsministeriums verläuft die Route für den Wettlauf am Alten Platz vor dem Parlamentsgebäude vorbei und führt um das Historische Museum herum und damit auch auf den Zentralplatz Ala-Too. Die Ankündigung über den Wettlauf stößt in der öffentlichen Meinung auf gemischte Gefühle. Für viele Beobachter steht fest, dass es die wahre Absicht der Organisatoren ist, die Demonstration zivilgesellschaftlicher Kräfte, die ebenfalls auf dem Ala-Too zu ihrem Abschluss kommen soll, zu stören (Akipress, 7.4.2006). Unter dem Motto
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‚Friedlicher Bürgerumzug für Gesetz und Ordnung‘ haben sich auf Initiative der NGO Koalition für Demokratie und Bürgergesellschaft unter ihrem umtriebigen Vorsitzenden Edil Bajsalow mehr als 20 NGOs und Parteien zusammengefunden, um für Reformen zu protestieren (Akipress, 4.4.2006). Geplant ist, am Samstagmorgen vom Park des Sieges über die Straße Sowetskaja (Abdrachmanowa) Richtung Zentrum zu laufen und schließlich auf dem Platz Ala-Too eine kurze Veranstaltung abzuhalten. Zu den Unterzeichnern eines öffentlichen Aufrufs zur Unterstützung der Aktion zählen NGOs wie Interbilim oder Kel-Kel, genauso wie politische Parteien, beispielsweise Bajbolows Union Demokratischer Kräfte oder Tekebajews Partei Ata-Meken (Akipress, 6.4.2006, 6.4.2006a). Schließlich meldet sich auch die NKDS zu Wort und verkündete ihre offizielle Unterstützung des Protestmarsches (Akipress, 7.4.2006b). Den allgemeinen Unmut der Aktivisten bringt Asija Sasykbajewa (Interbilim) auf den Punkt, die während einer Pressekonferenz vor einem Leben ‚po ponjatijam‘ in Kyrgyzstan warnt, einer Gesellschaft, die nach informellen und kriminellen Regeln funktioniert (Akipress, 6.4.2006a). Der Friedensmarsch soll gegen diesen Trend ein Zeichen setzen. Am Samstagmorgen setzt sich ab 10 Uhr Ortszeit eine Kolonne von knapp 1000 Teilnehmern in Richtung Stadtzentrum in Bewegung. Vom Balkon einer Wohnung an der Sowetskaja Straße aus sieht man eine bunte Gruppe Menschen, ausgestattet mit Luftballons und Plakaten, die bei ihrem Marsch vorne und hinten von der Polizei eskortiert wird. Sie macht mit Sprechchören auf sich aufmerksam und Losungen wie ‚Kriminelle im Schogorku Kenesch – Schande der Nation‘ oder ‚Vertreibt die Banditen aus dem Parlament‘ (vgl. Reportage in MSN, 11.4.2006). Es ist nach eigenem Bekunden das Anliegen der Veranstalter, der Sorge vor dem Einmarsch der organisierten Kriminalität in die Institutionen öffentlicher Macht Ausdruck zu verleihen. 19 Auf dem Platz angekommen fordert man zu diesem Zweck auch Präsident Bakijew auf, vor den Demonstranten, deren Anzahl auf 5000 angewachsen ist, zu erscheinen. Es kommt schließlich Staatssekretär Dastan Sarygulow, der im Namen des Präsidenten sprechen will, dem man den Auftritt auf der Bühne allerdings verweigert (Akipress, 11.4.2006). Einmal abgesehen von einem verärgerten Staatssekretär endet die Protestaktion friedlich, ohne dass es zu Komplikationen mit dem zeitgleich durchgeführten Wettkampf der Stadtverwaltung kommt. Ein Nachspiel hat der Protest dennoch. Während einer Ergebnissammlung einigen sich die Veranstalter des Um-
19 Es droht zu diesem Zeitpunkt der Parlamentseinzug ‚Ryspeks‘, der in Nachwahlen im Wahlkreis der Stadt Balyktschy 79% der Stimmen erhalten hat und kurz davor steht, sein Mandat anzutreten (EurasiaNet, 10.4. 2006).
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zugs auf sieben Forderungen, die sie in einer Deklaration an den Präsidenten richten (Akipress, 10.4.2006): 1) Es braucht umgehend eine Verfassungsreform; 2) Die organisierte Kriminalität muss bekämpft werden; 3) Die Rechtsschutzorgane müssen reformiert werden; 4) Die staatliche Sendeanstalt GTRK soll ein öffentlichen Sender werden; 5) Alle Wirtschaftsfragen gehören in die Kompetenz der Regierung, nicht in den Verantwortungsbereich der Präsidialadministration; 6) Die Korruption muss entschieden bekämpft werden und die Einstellung von Verwandten und ‚semljaki‘ unterbunden; 7) Der Einsatz administrativer Ressourcen, besonders die Verpflichtung von Studierenden und Staatsdienern für politische Zwecke, muss aufhören. Der letzte Punkt klingt in der Öffentlichkeit besonders nach, wo die Erinnerung an die Verpflichtung von Angestellten medizinischer Einrichtungen für den Wettlauf am 8. April noch frisch ist. Man beginnt in der öffentlichen Meinung in diesen Tagen, so eine erste Erkenntnis, politische Ereignisse auf ihre mögliche Bestellung hin zu hinterfragen (vgl. Akipress, 7.4.2006). Auf den Umzug der Zivilgesellschaft folgt die Volkskoalition mit einer eigenen Protestinitiative. Bereits am 7. April hatte die Bewegung auf Vorschlag des Chefs der Sozialdemokraten, Wirtschaftsminister Almasbek Atambajew, angekündigt, ein ‚Miting‘ für den 29. April zu organisieren (Akipress, 7.4.2006b). Auf einer Pressekonferenz am 17. April, also eine Woche nach der Präsentation des Forderungskatalogs der NGOs, erklärt die NKDS die Einsetzung eines Organisationsstabs für den Protest mit Omurbek Tekebajew als dem Vorsitzenden (Akipress, 17.4.2006). Tekebajew hat mit den Abgeordneten Bajbolow, Eschimkanow und Sarijew und der Interbilim Chefin Sasykbajewa sowie dem ‚Volksgouverneur‘ von Osch, Anwar Artykow 20, fünf Stellvertreter. Insgesamt besteht der Stab aus 18 Mitgliedern. Der Stab tritt umgehend mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit heran, in der er die gegenwärtige Situation im Land kommentiert: „Die Ereignisse vom 24. März 2005 sind nicht der Verdienst einiger Führungsfiguren. Sie sind das Ergebnis einer Vertrauenskrise in der Gesellschaft gegenüber der damaligen Macht. Die demokratische Bewegung des Volkes richtete sich gegen ein rechtloses Regime, gegen Korruption, Vetternwirtschaft und doppelte Standards in der staatlichen Verwaltung. Die Menschen im Land, die Bewohner in allen Ecken Kyrgyzstans verfolgten mit stockendem Herzen die Geschehnisse auf dem zentralen Platz des Landes. Für die einfachen Bürger war das der Aufstand gegen Ungesetzlichkeit und Ausweglosigkeit, gegen ein Leben ohne Glauben und ohne Licht am Ende des Tunnels. In den Präsidentschafts-
20 Artykow wurde während der Ereignisse im März 2005 in Osch von Demonstranten per Akklamation als neuer Gouverneur eingesetzt.
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wahlen im Juli 2005 kam die Mehrheit der Menschen in die Wahlbüros, um für ihre Zukunft, für Wohlstand und Ordnung zu stimmen. Die Kyrgyzstani gaben ihre Stimme für nachhaltige Reformen, für die Vereinigung demokratischer Kräfte in der Gesellschaf [ . . . ] Hoffnung, Glaube und Enthusiasmus besaßen die Menschen wie nie zuvor. Umso härter war die Enttäuschung. Ein Jahr ist vergangen, aber die Macht hat ihr Streben hin zu Änderungen, hin zur Zerstörung jenes Systems, das Gesellschaft und Staat zerteilt, bisher nicht unter Beweis gestellt.“ (Akipress, 18.4.2006)
Die Deklaration fährt fort, Vorwürfe an die neue Macht zu richten. Die Initiativlosigkeit, die Rechtsbrüche und die permanente Manipulierung der öffentlichen Meinung hätten die Bevölkerung in einen Schockzustand versetzt. Das reformresistente Verhalten der neuen Machthaber sei ein tragischerer Schlag für die Gesellschaft als die 15 Jahre Regime unter Akajew. Ihre Erklärung lässt die Volkskoalition in neuen Forderungen gipfeln: 1) Der Präsident soll allein Arbitragefunktionen wahrnehmen dürfen; 2) Die Regierung soll durch eine Parlamentsmehrheit eingesetzt werden; 3) Einführung des Mehrheitswahlrechts auf Basis von Parteilisten 4) Die Unabhängigkeit des Gerichtswesens muss garantiert werden; 5) Reform der territorial-administrativen Aufteilung der Republik; 6) Reform der Sicherheitskräfte und des Justizwesens; 7) Einrichtung einer öffentlichen Rundfunkanstalt auf Basis der GTRK 8) Abschaffung des Familienbusiness an der Spitze des Staates und Garantie der Wirtschaftsfreiheit. Auf der Pressekonferenz, auf der insgesamt 13 Mitglieder des neuen Organisationsstabs auftreten, werden auch Details über die Pläne für das ‚Miting‘ am 29. April bekannt. In Anlehnung an die Demonstrationen in der Ukraine während der Orangenen Revolution deklariert die NKDS die Veranstaltung als kyrgyzischen ‚Majdan‘. Bereits im Vorfeld sollen Proteste in den Provinzen organisiert werden, um auch jenseits der Hauptstadt den Menschen eine Plattform für ihren Ärger zu bieten. Der Abgeordnete Eschimkanow erklärt, man habe aus Osch und Batken bereits Anfragen für die Durchführung von Protestaktionen erhalten. Außerdem wird überlegt, über Wirtschaftsminister Atambajew dem Präsidenten einen Forderungskatalog zu übergeben. Im Anschluss an ihre Pressekonferenz verbreiten die Aktivisten diesen Katalog, den sie die ‚Zehn Schritte‘ nennen und den sie auf dem ‚Miting‘ Ende April proklamieren möchten (Akipress, 18.4.2006a). Erster Schritt: Entschlossener Kampf gegen die organisierte Kriminalität 21; Zweiter Schritt: Echte Bekämpfung
21 Die Dominanz des Themas kommt nicht von ungefähr. Ins Licht der Öffentlichkeit katapultiert wird das Problem mit einem Anschlag auf Edil Bajsalow, den jungen Vorsitzenden der Koalition für Demokratie und Zivilgesellschaft am 12. April (Eurasianet,
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der Korruption 22; Dritter Schritt: Verfassungsreform 23; Vierter Schritt: Entlassung folgender Kader: Usen Sydykow, Chef der Präsidialadministration; Taschtemir Ajtbajew, Chef des Geheimdienstes; Kambaraly Kongantijew, Generalstaatsanwalt; Dastan Sarygulow, Staatssekretär; außerdem die Absetzung aller Kabinettsmitglieder, die einige Tage zuvor vom Parlament das Misstrauen ausgesprochen bekommen hatten. 24 Fünfter Schritt: Einstellung des Familienbusi-
11.4.2006). Bajsalow hatte sich in den Wochen zuvor als einer der schärfsten Kritiker Ryspeks profiliert. Die Attacke auf ihn erfährt eine weite Resonanz in der Öffentlichkeit (MSN, 18.4.2006). Parlamentsabgeordnete und Premierminister Kulow besuchen das Opfer, während der Präsident die Untersuchungen persönlich verfolgt. Den Anschlag stuft Bakijew als Versuch verantwortungsloser politischer Kräfte ein, die Situation im Land zu destabilisieren (MSN, 14.4.2006; 14.4.2006a). Die öffentliche Meinung teilt diese Einschätzung nicht, sondern sieht umgehend in Ryspek und in der organisierten Kriminalität die Urheber (Akipress, 13.4.2006; und Versuch einer alternativen Interpretation in МSN, 18.4.2006). Im Parlament kommt es zur Debatte über die Attacke, während in den folgenden Tagen Solidaritätsbotschaften von verschiedenen NGOs und Parteien publik werden (Akipress, 13.4.2006a, 13.4.2006b, 13.4.2006c). Die Bereitschaft für verstärkten Widerstand gegen die schleichende Kriminalisierung wächst, wie auch der wöchentliche Bericht des Early Warning for Violence Prevention Project festhält (EWVP, 19.4.2006: 5). Selbst die Botschafterin der USA in der Kyrgyzischen Republik sieht sich zu einem Kommentar anlässlich des Überfalls auf Bajsalow genötigt (Akipress, 14.4.2006). 22 Die „oppositionellen Kräfte“, wie Akipress die Stabsmitglieder inzwischen nennt, antworten mit dieser Forderung auf eine Rede Bakijews vor dem ‚Nationalen Rat der Kyrgyzischen Republik zum Kampf gegen Korruption‘. Der Präsident hatte hier von den Erfolgen seiner Administration berichtet (Akipress, 14.4.2006a). Auf niederen Verwaltungsebenen möge es noch Korruption geben, aber in den oberen Etagen sei sie, so Bakijew, besiegt. Der Präsident wandte sich explizit gegen Kritiken, die insbesondere den Bildungsbetrieb und die Wirtschaft im Land als Brutstätten für die Korruption identifiziert und massives staatliches Regelungsversagen festgestellt hatten (Akipress, 4.4.2006a, 11.4.2006a). 23 Bezug genommen wird hier auf die Forderungen, wie sie in der Pressekonferenz formuliert worden waren. 24 In der öffentlichen Meinung besitzen alle genannten Politiker einen zweifelhaften Ruf. Sydykows Rolle als ‚Grauer Kardinal‘, als Strippenzieher hinter den Kulissen, ist weitläufig bekannt (vgl. als Beispiel folgenden Leserkommentar: „US [Usen Sydykow] lenkt das Land. Alles, was im Land passiert – passiert mit dem Segen und der Unterstützung von US. Baks [Bakijew, Kurmanbek Salijewitsch] entscheidet nichts,
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ness; Sechster Schritt: Übergabe aller staatlichen Budgetkompetenz in die Hände der Regierung 25; Siebter Schritt: Umwandlung von GTRK in eine öffentliche Rundfunkanstalt; Achter Schritt: Schadensersatz für den privaten Fernsehsender ‚Piramida‘ 26; Neunter Schritt: Regelung der Aufsicht über den heimischen Markt für Baumaterialien 27; Zehnter Schritt: Schutz der Meinungsfreiheit. Im Anschluss an diese, für das postrevolutionäre Kyrgyzstan wie auch wohl für ganz Zentralasien bis dato einmalige Form einer öffentlichen und direkten Anmeldung politischer Reformanliegen bemühen sich alle Parteien noch einmal um einen Konsens. Einen ersten Anlauf wagen „Macht und Opposition“ (Akipress, 19.4.2006a) in einem im Fernsehen übertragenen ‚Runden Tisch‘, an dem Präsident Bakijew und Regierungsvertreter sowie NKDS Repräsentanten und NGO Mitglieder teilnehmen. Der Präsident widersetzt sich laut Volkskoalition einer Live-Übertragung und so bekommen die Zuschauer die Sendung ‚Macht und Gesellschaft für Stabilität und gegen Korruption und Kriminalität‘ am 19. April als Aufzeichnung zugestellt (Akipress, 19.4.2006b; MSN, 21.4.2006). Bakijew nutzt das Forum, um jegliche Kritik an seinem Regierungsstil abzuwehren. Der Präsident betont die Erfolge im Kampf gegen die Korruption, Vorwürfe über das Einsickern der Kriminalität in den Staat hingegen weist er entschieden zurück. Für die Verfassungsreform plant Bakijew ein Referendum im vierten Quartal in 2006, bei dem mehrere Vorschläge zur Wahl gestellt wer-
alles entscheidet US. Baks ist ein General ohne Truppen, US ist der graue Kardinal. Damit ist alles gesagt.“ (Akipress, 19.4.2006)). An Geheimdienstchef Ajtbajew stören verwandtschaftliche Beziehungen zum Präsidenten. An Kongantijew missfällt die freundschaftliche Nähe zu Bakijew und ihre gemeinsame regionale Herkunft (Shukenov, 2006; Centrazia, 8.9.2005). Sarygulow wird als Chefideologe Bakijews abgelehnt und als ehemaliger Chef des staatlichen Goldbaubetriebs Kyrgyzaltyn mit Korruptionsvorwürfen überhäuft. Außerdem irritiert er als geistiger Führer einer als quasireligiösen Erweckungsideologie verkleideten Spielart des Tengrismus (zu Kyrgyzaltyn vgl. CEEBankwatchNetwork 2000; vgl. als Kritik an Sarygulovs Vorstellungen MSN, 12.5.2006; zu Tengrismus vgl. Laruelle 2007: 206 ff.). 25 Hintergrund ist hier der öffentliche Eindruck, dass bei gegenwärtig ablaufenden Reprivatisierungen die Präsidialadministration die Fäden in der Hand hält, während die Regierung zum Zuschauen verdammt ist. 26 Der mit kritischen Berichten bekannt gewordene Sender war einige Tage zuvor von staatlichen Sicherheitskräften durchsucht worden. Bei dieser Suche gingen Teile der Ausrüstung zu Bruch. 27 Steigende Preise für Baumaterialien, besonders für Zement, sorgen in dieser Zeit für Unzufriedenheit bei der Bevölkerung.
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den sollen (Akipress, 19.4.2006c, 20.4.2006, 20.4.2006a). Der Präsident erinnert die Zuschauer, dass eine Arbeitsgruppe unter Leitung des ehemaligen Generalstaatsanwalts Asimbek Beknasarow sich seit Ende März der Ausarbeitung verschiedener Varianten widmet. 28 Er werde in dieser Frage nicht nachgeben, so der Präsident, mögen andere doch demonstrieren, soviel sie wollen (Akipress, 20.4.2006). Wichtiger sei jetzt das Bedürfnis der Wirtschaft nach Stabilität und Ordnung. Und mit Protesten sei dem nicht gedient (MSN, 21.4.2006). Im Anschluss an Bakijew spricht Premier Kulow. Er erklärt sich mit den Kritikpunkten der NKDS einverstanden, hält sie aber für überspitzt (Akipress, 19.4.2006d). Kulow sieht Chancen für einen Kompromiss, die Agenden seien nicht so unterschiedlich, es handele sich ja nicht einmal, so die Meinung des Premiers, um eine ‚Opposition‘ am anderen Tischende, höchstens um ‚Opponenten‘. Diese ‚Opponenten‘ allerdings, stellvertretend der NKDS Vorsitzende Bajbolow und der Chef des neuen Organisationsstabs Tekebajew, bezeichnen die Reden von Präsident und Premier als Versuche dumpfer Rechtfertigung (Akipress, 20.4.2006b). Beide verweisen auf Fälle von Korruption und wiederholen am Runden Tisch ihre Forderungen nach Reformen (Akipress, 19.4.2006e). Es bleibt schließlich in diesem Forum bei der Feststellung gegensätzlicher Standpunkte. Die NKDS erklärt umgehend, dass sie den Dialog für gescheitert hält und sich weiter auf den kommenden ‚Majdan‘ am 29. April vorbereitet. Das Forum charakterisiert sie rückblickend als „organisiert in den besten Traditionen der Osmonakun’schen Periode“ (Akipress, 19.4.2006f). Damit bezieht sich die Volkskoalition auf den ehemaligen Staatssekretär Osmonakun Ibraimow, der in der öffentlichen Meinung als die personifizierte Verlogenheit des alten Regimes erinnert wird. Nach dem Scheitern des Dialogs beziehen die Streitparteien Position. Die Regimegegner machen den Anfang: Der Chef der Sozialdemokraten, Industrieminister Atambajew, kritisiert den Regierungsstil Bakijews als unzulänglich und tritt überraschend zurück. Er bekommt, für die öffentliche Meinung weniger überraschend, umgehend eine Führungsposition im Organisationsstab der NKDS zugesprochen, als Co-Vorsitzender neben Tekebajew (Akipress, 21.4.2006). Dem Widerstand gegen Bakijew schließt sich auch die Partei Die Grünen Kyrgyzstans unter dem Vorsitz Erkin Bulekbajews an, die erklärt, die Forderungen der Volkskoalition zu unterstützen (24.kg, 22.4.2006). Solidaritätsbotschaften folgen von der Vereinigung der Unternehmer, die in der Revolutionsnacht vom 25. März 2005 Opfer von Plünderungen geworden waren, von der Partei Moja Strana (Mein Land) und von der Partei Unabhängiges Leben (Akipress,
28 Bakijew hatte die Arbeitsgruppe per Dekret eingesetzt (Akipress, 27.3.2006).
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28.4.2006; PR.kg, 28.4.2006). Schließlich unterstützt eine Gruppe von NGOs auf einer außerordentlichen Versammlung die ‚Zehn Schritte‘; gefordert wird auf diesem Treffen aber auch eine stärkere Fokussierung auf Freiheitsrechte, außerdem will sich die Zivilgesellschaft auf das große ‚Miting‘ mit einem eigenen Organisationskomitee vorbereiten (Akipress, 22.4.2006). Es bleibt nicht bei verbalen Bekundungen. Im Vorfeld des geplanten Protests am 29. April kommt es in Teilen des Landes zu Solidaritätsaktionen. In Naryn kommen am 22. April knapp 100 Demonstranten zu einem Protest gegen das Regime von Präsident Bakijew zusammen (EWVP, 26.4.2006: 1). In Osch versuchen Aktivisten um Anwar Artykow eine ähnliche Aktion, während in Dschalal-Abad die lokalen Zweige von Ata-Meken und Ar-Namys erklären, am 29. April ebenfalls demonstrieren zu gehen (Akipress, 24.4.2006; Akipress, 28.4.2006a). In Talas versammeln sich bei einem Treffen mit Mitgliedern des Organisationsstabs mehrere tausend Menschen. Hier wird proklamiert, den nun mit dem Titel ‚Demokratische Reformen für ein prosperierendes Kyrgyzstan‘ getauften Protest am 29. April zu unterstützen (vgl. EWVP, 26.4.2006: 2 ff). Auf die Aufrufe der Opposition folgen die Reaktionen des Regimes. Zuerst kommentiert das präsidiale Presseamt den Rücktritt Atambajews mit klaren Worten: „Die Abdankung A. Atambajews bedeutet nichts anderes als die Anerkennung seiner Unfähigkeit, die ihm aufgetragenen gewaltigen und konkreten Aufgaben zu meistern.“ (Akipress, 21.4.2006a) Es folgen Solidaritätsbotschaften politischer Parteien und Gruppen: Am 25. April schließen die Kommunisten unter Führung von Ischak Masalijew eine Teilnahme an dem geplanten Protest aus (Akipress, 25.4.2006). Bislang standen die Kommunisten als Mitbegründer der Volkskoalition noch hinter allen Aktionen. Auch das studentische Flaggschiff der Tulpenrevolution, die Studentenorganisation Kel-Kel, erklärt zwei Tage später die Ablehnung der Forderungen der NKDS (Akipress, 27.4.2006). Gleiches verkündet die neue Partei Sodruschestwo (Gemeinschaft), die politische Heimat der ethnischen Russen im Land. Sie zweifelt generell den Sinn öffentlicher Massenveranstaltungen an und lehnt ultimative Forderungen ab (Akipress, 24.4.2006a). So wie die Volkskoalition erfährt auch das Regime Zuspruch in Demonstrationen (Akipress, 26.4.2006). 29 Dabei sind die Reaktionen in der öffentlichen Meinung auf diese Veranstaltungen mitunter gespalten. Ein Protest in Osch am 21. April zum Beispiel, bei dem gegen ‚Mitingi‘ demonstriert wird, lädt auf Grund seines offensichtlichen Widerspruchs zur Häme ein (Akipress, 21.4.2006b). Im Netz verdächtigen Kommentatoren die Aktion umgehend als
29 Vgl. zu weiteren Protesten EWVP, 26.4.2006: 1 f.; Berichte über den Stadtrat von Balyktschy in MSN, 25.4.2006.
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bestellt: „[I]ch schlage vor, Mitingi gegen Mitingi gegen Mitingi durchzuführen:)“; „In den besten Traditionen A[skar] A[kajewitsch] A[kajews] Mitingi gegen Mitingi. Die administrativen Ressourcen Bakijews arbeiten gegen die Koalition. Diensthabende [i.S.v. ‚bestellte‘] Aksakaly und professionelle Frauen ...“; „Ist Osmonakun Ibraimow denn tatsächlich zurück?“, sind einige von vielen entlarvenden Meinungen über solche Aktionen (vgl. Akipress Kommentare, 4.2006). Als Artykows Protest für die Volkskoalition in Osch am 26. April, bei der nur 25 Teilnehmer zusammenkommen, von einer Gruppe wütender Frauen gestört wird und schließlich durch junge ‚sportsmeny‘ rabiat aufgelöst wird, greift der ehemalige Volksgouverneur den öffentlichen Verdacht auf (Akipress, 26.4.2006a). Seiner Meinung nach steckt der Chef der Präsidialadministration, Usen Sydykow, hinter der Aktion der ‚OBON‘. Und die ‚Antimitingi‘ in den Tagen zuvor seien von ‚deschurnije partii‘, also ‚diensthabenden Parteien‘ organisiert worden, unter anderem von Emgek schana Birimdik (Arbeit und Einheit), Sodruschestwo (Gemeinschaft) und Schany Kyrgyzstan (Neues Kyrgyzstan), die alle Sydykow und Bakijew gehorchten (Akipress, 26.4.2006b). Im Netz findet Artykows Ansicht Zuspruch: „Sydykow und Sakirow haben sich angestrengt. U[sen] S[ydykow] ist doch der berühmte Kommandeur der OBON – der Abteilung Weiber für Besondere Aufgaben. So war es doch auch während des Mitings am 23. März 2005 beim Denkmal für Salijewa in Bischkek. Das Szenario ist doch dasselbe. Ich hab den Eindruck, dass die damaligen osmonakuni, segisbajewi und schanusakowi heimlich US beraten haben ...“ (Akipress Kommentare, 4.2006a)
Der in diesem Kommentar ebenfalls als Strippenzieher verdächtigte Adam Sakirow ist Nachfolger Artykows im Amt des Gouverneurs des Gebiets Osch. In einem öffentlichen Aufruf bittet er seine Untergebenen um Aufsicht über das Volk und auf einer Pressekonferenz fordert er, vermehrt sportliche Veranstaltungen durchzuführen, um die Volkseinheit zu fördern (Akipress, 24.4.2006c). Wieder reagieren Kommentatoren im Netz zynisch und verstehen den Aufruf als Versuch, die Proteste zu blockieren: „Zu den Frühjahrslandarbeiten, den Aussaaten, herbstlichen Aufräumarbeiten und Subbotniki usw. usf., werden jetzt noch ‚Veranstaltungen im Bereich Massensport‘ hinzugefügt. Wir sehen, es wird geplant, alle Veranstaltungen auf jeden Fall am 29. April durchzuführen.“ (Akipress Kommentare, 4.2006b). In propräsidentiellen Medien hingegen, allen voran wieder MSN und ‚Wetschernij Bischkek‘, werden die Vorschläge aufgegriffen und mit dem Aufruf verknüpft, sich nicht an dem „Anti-Volksmiting“ zu beteiligen. Diese Aufrufe gehen zunehmend einher mit einer harschen Kritik an den Oppo-
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sitionspolitikern, die mitunter auch in offene Verunglimpfung ausartet (vgl. MSN, 25.4.2006, 26.4.2006). Wenige Tage vor dem ‚Miting‘ verschärft sich die öffentliche Auseinandersetzung. MSN fasst die Position der Präsidentengetreuen zusammen: „Jetzt treten eben diese Personen, die höchstens Zuschauer der [Märzrevolution] waren oder gegen sie eingestellt, und vielleicht sogar treue Diener der Macht Akajews, in den vordersten Reihen auf und trompeten lauter als alle, dass die zentralen Forderungen der Revolution nicht erfüllt sind. Das betrifft Tekebajew, Eschimkanow, Sarijew, Bajbolow und sogar auch Edil Bajsalow und Asija Sasykbajewa. Niemand wird sie je als Motoren der Märzereignisse auffassen. Warum also schreien jetzt diese Herrschaften lauter als alle anderen und sind gewillt, einen neuen Majdan zu wiederholen [ . . . ]?“ (MSN, 21.4.2006a)
Es folgen die ersten Warnungen. Die Zeitung ist beispielsweise überzeugt davon, dass der Süden eine Wiederholung der Ereignisse vom März 2005 nicht zulassen wird. Mit solchen Thesen rückt unweigerlich die Frage nach der öffentlichen Sicherheit in den Fokus der Aufmerksamkeit (MSN, 21.4.2006b). Erst schieben sich Stadtadministration und Organisationsstab die Verantwortung für eine mögliche Eskalation zu (Akipress, 25.4.2006a), bevor Präsident Bakijew in einem Interview warnt, im Falle eines Sturms auf das Weiße Haus härteste Gegenmaßnahmen zu ergreifen (Akipress, 26.4.2006b). Vertreter der Zivilgesellschaft sind empört und bezeichnen solche Warnungen des Staatsoberhaupts als unverantwortliche Kriegstreiberei (Akipress, 27.4.2006a). 30 Auf der anderen Seite hoffen die Mitglieder der Volkskoalition auf die Loyalität der Sicherheitsorgane. Sie rufen zur Unterstützung der eigenen Ziele auf und weisen nochmals den Vorwurf zurück, für Ausschreitungen automatisch die Verantwortung tragen zu müssen (Akipress, 24.4.2006d, 27.4.2006b). Die Macht reagiert zweigleisig auf dieses Vorgehen der ‚Opponenten‘: die Generalstaatsanwalt droht, mit Blick auf die geplanten Losungen für den Protest am 29. April ein Verfahren wegen Beleidigung zu eröffnen (Akipress, 27.4.2006c). Das Innenministerium hingegen überrascht mit dem Plan, hunderte weibliche Polizeiangehörige auf den Platz AlaToo, den Ort des ‚Mitings‘, abkommandieren zu wollen. Schließlich setzen sich Vertreter des Innenministeriums und des Organisationsstabs zusammen, um ihre
30 Auch in dieser Episode wird der Unterschied zu den Ereignissen vom April 2010 deutlich. Der ‚Aprilrevolution‘ ging weder eine Warnung voraus, noch eine öffentliche Diskussion über diese Warnung. Die Ereignisse geschahen plötzlich, ohne dass sich Beobachter an der öffentlichen Meinung hätten rechtzeitig orientieren können.
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Aktionen zu koordinieren und verkünden ihre Pläne gar am Ende gemeinsam auf einer Pressekonferenz (Akipress, 28.4.2006b). Die Zusammenarbeit in Organisationsfragen kann nicht alle Beobachter überzeugen. Am letzten Tag vor der großen Demonstration bemüht sich das Präsidentenlager, die Öffentlichkeit über die Gefahren zu informieren, es zweifelt öffentlich an der Lauterkeit der Protestorganisatoren und bezichtigt sie eines Umsturzversuchs (MSN, 26.4.2006a, 28.4.2006, 28.4.2006a). In der öffentlichen Meinung kursiert anschließend der Verdacht, besondere Kräfte arbeiteten gezielt an einer Konfrontation. Gegen diese Meinung arbeiten die Vertreter des Stabes, welche die Friedfertigkeit des Protests beschwören. Ein enttäuschendes letztes Treffen mit dem Präsidenten nutzen sie, um ihre Agenda noch einmal vorzutragen, während sie die Scharfmacher der Gegenseite in ihre Schranken zu weisen versuchen (Akipress, 28.4.2006c, 28.4.2006d, 28.4.2006e). Am 29. April ist es schließlich so weit. Es kommt zum lang erwarteten großen ‚Miting‘ im Zentrum Bischkeks, auf dem Platz Ala-Too. Bei teilweise strömendem Regen versammeln sich Tausende von Demonstranten und lauschen den Redebeiträgen der versammelten Oppositionsprominenz. 31 Die Teilnehmer halten Plakate in die Höhe, von denen herab Reformen verlangt, die Überbleibsel der Akajewschen Beamtenschaft zum Gehen aufgefordert und strengere Maßnahmen gegen die Kriminalität gefordert werden (EWVP, 3.5.2006: 2). Es tauchen schließlich auch Präsident Bakijew und Premier Kulow vor den Demonstranten auf. Der Präsident hält eine kurze Rede, die nach Meinung von Beobachtern sehr emotional gerät. Beide, sowohl Präsident als auch Premier, bringen in ihren Beiträgen ihre grundlegende Solidarität mit den Protesten zum Ausdruck (MSN, 3.5.2006). Offen verhandelt werden die Forderungen der Opposition in diesem Moment auf der Bühne allerdings nicht. Gegen ein Uhr mittags löst sich die Demonstration auf, das ‚Miting‘ ist beendet, ohne dass es zu Zwischenfällen gekommen ist. Die folgenden Ereignisse in diesem Konflikt zeichnen sich durch das Bemühen aller Teilnehmer am politischen Spiel aus, das Beste aus einer Situation zu machen, die offensichtlich zu keiner Entscheidung führt, sondern in der öffentlichen Schwebe bleibt, also verschiedene Anschlussmöglichkeiten bietet. Erst einmal widmen sich alle der Interpretation des ‚Mitings‘. Die Opposition verbucht einen klaren Erfolg dort, wo regierungstreue Medien ein Zeichen für aus-
31 Verschiedene Beobachter nennen unterschiedliche Angaben: EWVP zählt zwischen 5000-7000 Teilnehmer, Akipress nennt ungefähr 10.000. Die Organisatoren zählen mehr als 20.000 Demonstranten, das Innenministeriums 15.000 bis 17.000 (vgl. EWVP, 3.5.2006: 2; Akipress, 29.4.2006, 29.4.2006a, 29.4.2006b).
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bleibende öffentliche Unterstützung erkennen (MSN, 3.5.2006a). Alle zusammen beeindruckt der friedfertige Charakter der Veranstaltung, den selbst MSN als Fortschritt auffasst (ebd.). Der Organisationsstab der NKDS, die jetzt auch von einigen Beobachtern als Für Reformen bezeichnet wird, sieht den 29. April als Wendepunkt. Nicht nur will man weiter für die eigene Agenda kämpfen, man erweitert sie sogar: gefordert wird nun auch, die Probleme rund um die Goldlagerstätte Dscheruij im Gebiet Talas im Westen des Landes zu lösen und die in der Revolutionsnacht zu Schaden gekommenen Unternehmer für ihre Verluste zu kompensieren (Akipress, 3.5.2006). Offensichtlich dient diese Aufstockung des Forderungskatalogs dem Versuch, Zugeständnisse an politisch eher unbeteiligte Gruppen zu machen, um bei ihnen für das große Ganze zu werben (EWVP, 26.4.2006:2 f). Weitaus bedeutender noch ist die Ankündigung, am 27. Mai einen weiteren Protest abhalten zu wollen. Bis dahin sollen der Präsident und die Regierung Zeit bekommen, die Forderungen umzusetzen. Am Stichtag soll anschließend über die Aktionen der Machthaber Gericht gehalten und notfalls der Rücktritt des Tandems gefordert werden (Akipress, 3.5.2006a). Die regierungstreuen Medien laufen gegen diese Protestwelle Sturm und gehen nun dazu über, die Opposition offen zu diskreditieren. MSN bezeichnet die Organisatoren des Protests, namentlich Sarijew, Bajbolow, Eschimkanow und Schernijasow als „Trajbalisten“ und „Regionalisten“, denen es allein um die Schwächung des Präsidenten bestellt sei, der eben aus dem Süden des Landes kommt (vgl. z.B. MSN, 3.5.2006b, 7.5.2006). Diese Neuauflage wechselseitiger Vorwürfe wird unterbrochen durch ein plötzliches Rücktrittsgesuch der Regierung an den Präsidenten Anfang Mai. Als Auslöser für diesen Schritt dienen Misstrauensvoten des Parlaments über einzelne Minister, die noch Ende April geäußert wurden. Formal nicht verpflichtet, ist die Regierung dennoch der Meinung, angesichts solcher ‚unüberwindbaren Widersprüche‘ zwischen Legislative und Exekutive ihre Verantwortung abgeben zu müssen (Akipress, 2.5.2006). Der Schlag verfehlt sein Ziel, als Bakijew das Gesuch ablehnt, auch wenn er nach eigenem Bekunden gewillt ist, im äußersten Notfall diesen Schritt zu gehen (Akipress, 2.5.2006a). 32 Die Opposition zeigt sich nach der Blamage der Regierung allerdings wenig eingeschüchtert und mutmaßt nun öffentlich über die Paralyse der Macht und ihre Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen. 33 Die Antwort der NKDS auf das misslungene Stühlerü-
32 Zur Bedeutung des Begriffs „Unüberwindbare Widersprüche“ vgl. Fußnote 17 in diesem Kapitel. 33 Vgl. Akipress, 3.5.2006b; sogar MSN bezeichnet den Schritt der Minister als Politintrige (МSN, 7.5.2006a).
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cken im Kabinett ist die Neugründung als Bewegung ‚Für Reformen‘. Der ‚Stab‘ wird der neue ‚Rat‘ der Bewegung, dem Tekebajew und Atambajew weiterhin vorstehen (Akipress, 8.5.2006). Diesen Schritt – den Beobachter längst erwartet hatten – begründen die Mitglieder mit längerfristigen Plänen und der Suche nach einer neuen Basis. Mit der neuen Organisation geht auch der Austausch der Argumente in eine neue Runde: Bakijew verlangt jetzt von der Opposition, der Arbeitsgruppe unter Leitung des Parlamentariers Asimbek Beknasarow Zeit bis Anfang Sommer für die Ausarbeitung von Verfassungsentwürfen zu geben. In einer Rede zum Tag der Verfassung am 5. Mai bekräftigt der Präsident seine Ansicht, dass eine vorschnelle Reform in wirtschaftlich instabilen Zeiten kontraproduktiv sei. Er plädiert daher für Mäßigung und Geduld (Akipress, 3.5.2006c, 4.5.2006). Die Zeitung MSN unterstützt diesen Kurs: „Ist unser Land, unsere Gesellschaft ökonomisch, technologisch, psychologisch, sozial, mental, kulturell, moralisch usw. tatsächlich bereit für alle diese Forderungen und Reformen? Es ist doch wohl nicht notwendig zu erklären, dass die Macht umfallen kann in ihrem Bestreben, ihr Volk gutherzig, dankbar, wohlbehalten und glücklich zu machen, sie kann ja wahrhaftig wünschen, aus dem Leben ihrer Untergebenen alle Boshaftigkeit und allen Hass, Dummheit und Wildheit, Neid und Habgier, Bestechlichkeit und Kriminalität auszutreiben, nur wenn die Gesellschaft dazu noch nicht bereit ist, oder noch schlimmer, dem widersteht, dann sind alle Anstrengungen der Macht und Forderungen von Philanthropen sinnlos.“ (MSN, 7.5.2006b)
Diesem diffusen Essentialismus begegnet die Partei Union Demokratischer Kräfte mit ihrem Vorsitzenden Bajbolow. Sie legt einen Vorschlag für eine neue Verfassung vor, der ein präsidentielles Regierungssystem vorsieht, und reicht ihn an Bakijew weiter. 34 Darauf wiederum antwortet Generalstaatsanwalt Kongantijew mit seiner Idee, das Staatssystem komplett umzubauen und die Rolle des Parlaments stark zu reduzieren (MSN, 12.5.2006a). Der immer noch als Vizesprecher des Parlaments tätige Erkin Alymbekow kontert mit einer kurzen Rede vor Abgesandten des russischen Parlaments, in der er von Bakijew verlangt, endlich eine konkrete Reformstrategie vorzulegen (Akipress, 8.5.2006a). Öffentliche Rückendeckung erhält er dabei von Freedomhouse. Die Organisation kritisiert, dass Bakijew sein Versprechen, den Medienbereich zu reformieren, nicht wahr gemacht hat und zählt einige Versäumnisse auf, wie zum Beispiel die Verzöge-
34 Vgl. Akipress, 4.5.2006a; Für den Text des Verfassungsentwurfs vgl. Konstitution, 5.2006.
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rung beim Umbau der staatlichen Rundfunkanstalten (Akipress, 8.5.2006b). In einer von dem Sender NTS, der Nachrichtenagentur Akipress und von den Zeitungen MSN und Agym begleiteten Reihe von Streitgesprächen treten schließlich ein Mitglied von Für Reformen, Temir Sarijew, und der Justizminister Marat Kajypow auf. Sie liefern sich eine harte Auseinandersetzung und streiten um die richtige Einschätzung der bisherigen Regierungsperformance (MSN, 10.5.2006). Wie sehr sich zu diesem Zeitpunkt die politische Auseinandersetzung im Land über das übliche Geschacher um Posten, wie es für ähnliche Konflikte in der Vergangenheit der Fall war und wie es für folgende Konflikte wieder der Fall sein wird, hinweggesetzt hat und einer eigenen Dynamik gehorcht, belegen die dramatischen Entwicklungen am 10. Mai. An diesem Mittwoch entlässt zuerst Präsident Bakijew auf einen Schlag seine Getreuen, den Leiter seiner Präsidialadministration Usen Sydykow, Staatssekretär Dastan Sarygulow, Geheimdienstchef Taschtemir Ajtbajew und Generalstaatsanwalt Kambaraly Kongantijew (Akipress, 10.5.2006; vgl. auch MSN, 12.5.2006b). Dann kommt es in den späten Abendstunden zu einem Anschlag auf Ryspek Akmatbajew. Der selbsternannte ‚Robin Hood Kyrgyzstans‘ stirbt im Kugelhagel seiner Angreifer beim Verlassen einer Moschee in der Nähe Bischkeks (Akipress, 10.5.2006a). Mit diesem mehr als dubiosen Vorfall sind drückende Forderungen der Opposition erfüllt: die Personalfrage, die sich an Figuren wie Sydykow oder Ajtbajew, oder eben auch an Ryspek, entzündete, scheint zu den Akten gelegt. Die Besonderheit in diesem Fall ist nun, dass die Debatte mit diesen Entwicklungen nicht abkühlt. Bereits die Ernennung von Danijar Usenow, dem Vorsitzenden der Ineksimbank, zum neuen Ersten Vizepremier, erregt den Unmut des Parlaments. Der Bakijewvertraute war bereits im Oktober 2005 vom Parlament abgelehnt worden. Und die ‚Verschiebung‘ Sydykows auf den Posten des Staatlichen Beraters des Präsidenten scheint gleichsam verdächtig (MSN, 16.5.2006). Die politische Auseinandersetzung im Land geht in eine weitere Runde. Den Druck auf Für Reformen erhöht der ehemalige Menschenrechtler Toptschubek Turgunalijew und seine neu gegründete Bewegung Kuttuu Kyrgyzstan – Eine Verfassungsreform für das Volk, die ein präsidentielles Regierungssystem im Land einführen wollen. Tekebajew sieht sich in seinem Heimatkreis Basar-Korgon neuen Gruppen gegenüber, die für einen Mandatsentzug des Für Reformen Vorsitzenden oder gleich für die Auflösung des Parlaments streiten (Akipress, 12.5.2006). Am 20. Mai münden diese verschiedenen Initiativen in einen ‚Republikskurultaj‘ im Gebiet Dschalal-Abad (Akipress, 17.5.2006, 19.5.2006), der mit neuen politischen Forderungen in Form von ‚Sechs Schritten‘ – allein drei davon berühren die Frage der Parlamentsauflösung – seinen Höhepunkt findet (Akipress, 22.5.2006, 22.6.2006a). Die Opposition wehrt Tur-
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gunalijews Initiative und den Kurultaj als ‚bestellte‘ Aktionen ab und verweigert eine Auseinandersetzung mit ihnen (Akipress, 19.5.2006a). EWVP hingegen berichtet von Zustimmung zu diesen Aktionen, besonders im Süden der Republik, und stößt darüber hinaus unter den Demonstranten auf deutliche Kritik an den Forderungen von Für Reformen (EWVP, 17.5.2006: 9). Anonyme Kommentatoren im Internet folgen überwiegend der Meinung von Für Reformen. Die Aktionen im Süden werden als ‚bestellt‘ entlarvt: „Widerwärtig ist das alles, wir haben das bereits unter A[kajew] A[skar] A[kajewitsch] gehabt; und Bakijew und U. Sydykow nutzen dieselben Methoden. Basar-Korgoncy, verhaltet euch nicht wie Vieh, ihr werdet – entschuldigt – wie eine Herde Hammel benutzt. Bewahrt euch Euren Stolz.“ (Akipress Kommentare, 5.2006)
Ein Kommentator, der sich „Basarkorgon“ nennt, schreibt: „Mhh ja, soweit haben wir es schon gebracht, können denn einige nicht sehen, dass das Parlament im Namen des Volkes arbeitet, dass die Leute, die dort sitzen, wollen, dass das Volk würdig lebt und sozial gesichert?“ (Akipress Kommentare, 5.2006a) Ein dritter erörtert die Möglichkeiten des freien Informationszugangs in der Region: „Das Volk in Basarkorgon schaut KTR 35, leider. und bekommt kein echtes Bild davon, was B[akijew,] K[urmanbek] S[alijewitsch] so treibt. Leute, wenn ihr Verwandte habt, erklärt ihnen, wer BKS und seine Leute wirklich sind. Das Parlament ist das Organ, das die Volksinteressen schützt. Bravo Tekebajew! Vorwärts Bewegung ‚Für Reformen‘!“ (Ebd.)
Das Internet baut in dieser Zeit seine Rolle als Ort unkontrollierter öffentlicher Meinungsbildung aus. Zu Dutzenden und schließlich Hunderten posten Leser ihre Meinung auf Seiten wie Akipress oder PR.kg. Dabei diskutieren Nutzer besonders die Rolle und Person Tekebajews mit ganzer Leidenschaft: „Der übliche Versuch der Macht den verehrten Omurbek Tschirkeschewitsch zu diskreditieren, ich hoffe, es wirkt das Gesetz des Bumerangs und es leidet der Urheber dieser niederträchtigen Provokation und zu Recht schlagen einige Leute vor, dass es Zeit ist, einen Stab zum Schutze Tekebajews einzurichten.“ (Ebd.)
Ganz anders aber der folgende Leser, der über die Unterstützungsbekundungen für den ehemaligen Parlamentssprecher nur müde lächeln kann: „Ich sehe, dass keiner von euch versteht, wie es um seine Autorität in B-Korgon bestellt ist.
35 Der erste Fernsehkanal der Staatlichen Sendeanstalten (GTRK).
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Nichts mehr ist ihm geblieben, außer der Vergangenheit. Ich denke, er wird sein Mandat bald verlieren, ich seh das doch alles hier mit meinen eigenen Augen – in B-Korgon.“ (Akipress Kommentare, 5.2006b). Die Debatte dreht sich ohne Pause weiter und die Ereigniskette wandert von den Beobachtern in der öffentlichen Meinung zu den Politikern und zurück. Tekebajew beispielsweise teilt die Ansicht, die Aktionen im Süden seien ‚bestellt‘. Nachdem allerdings die Diskussion über eine Parlamentsauflösung das Parlament erreicht hat (MSN, 23.5.2006), sieht sich der ehemalige Vorsitzende gezwungen, den Anschuldigungen bei einer Pressekonferenz im Detail zu begegnen: „Die Rede von vorgezogenen Neuwahlen geht bereits lange, seit einem Jahr werfen einige Politiker ständig diese Frage auf, sammeln Stimmen für eine Auflösung und nutzen dabei administrative Ressourcen. [ . . . ] Heute haben einige Parteien sich zu einem Tandem zusammengefunden – die ‚REBP‘ [kyrg. Abk. f.: ‚Politische Partei für Arbeit und Einheit‘] unter Leitung Bakijew nahestehender Personen, ‚Schany Kyrgyzstan‘ von Usen Sydykow und Nur uulu Dosbol, die Partei ‚Erkindik‘ unter Toptschubek Turgunalijew und andere, die in den Regionen Massenveranstaltungen durchführen unter Heranziehung administrativer Ressourcen, um das Parlament vorzeitig aufzulösen.“ (Akipress, 22.5.2006b)
Für Tekebajew ist die Lage am Ende eindeutig: die Entscheidungen des ‚Kurultaj‘ haben „weder eine politische noch eine juristische Grundlage“ (ebenda) und damit für das Parlament keine Relevanz. Dieses Wechselspiel zwischen Anfeindung, Nichtbeachtung und Annäherung geht bis zum zweiten ‚Miting‘ ununterbrochen weiter. Versöhnung übt der Präsident, als er vorschlägt, eine weitere Gesprächsrunde nach dem Format des ‚Runden Tisch‘ zu organisieren. Für Reformen begrüßt das Angebot und verkündet, die Forderung nach der Absetzung des Tandems auf dem Protest fallen zu lassen. Gleichzeitig bleibt man bei dem Vorhaben, eine öffentliche Erklärung mit weiteren Forderungen verlesen zu wollen. Der Dissens steigt dann wieder mit der Entscheidung des Verteidigungsministeriums, am selben Tag Feierveranstaltungen auf dem Zentralplatz Ala-Too zu organisieren. Gleichzeitig zweifelt Tekebajew ein weiteres Mal öffentlich Rechtmäßigkeit und Legitimität des Tandems an (PR.kg, 22.5.2006; Akipress, 26.5.2006c). In der öffentlichen Meinung werden am Vorabend der Protestveranstaltung Mutmaßungen und Diskreditierungen in Hülle und Fülle lanciert. MSN beispielsweise hinterfragt die Motive Temir Sarijews in ungewohnter Schärfe und behauptet, der junge Abgeordnete aus der Region Sokuluk nahe Bischkek hätte in den Tagen der Märzrevolution die Plünderer organisiert und Güter in sein
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Heimatdorf schleppen lassen (MSN, 26.5.2006; Akipress, 25.5.2006b). Auch kommt der Verdacht auf, die Proteste von Für Reformen seien ebenfalls ‚bestellt‘ und die Teilnehmer bekämen hundert oder mehr Som bezahlt (PR.kg Kommentare, 5.2006). Schließlich wird spekuliert, dass die Aktionen der Opposition vom ehemaligen Präsidenten Akajew aus seinem Exil in Moskau finanziert werden. Dieser wolle die Lage destabilisieren, um seinem autoritären Regime die Rückkehr zu ermöglichen (MSN, 26.5.2006a). Es fehlt dann nur noch die Sorge, dass die Aktionen von Für Reformen Nord und Süd unweigerlich in einen Konflikt führen werden (MSN, 26.5.2006b). Alle diese Gerüchte und Verdächtigungen werden öffentlich diskutiert. In den Foren im Netz entsteht darüber die Debatte, inwieweit eine Teilnahme am Protest noch sinnvoll ist. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Reaktionen auf die plötzliche Ernennung des Für Reformen Mitglieds Schantoro Satybaldijew zum neuen Gouverneur des Gebiets Osch am 24. Mai (Akipress, 24.5.2006). In Antizipation des öffentlichen Vorwurfs der Käuflichkeit beeilt sich Für Reformen, diese Ernennung durch Bakijew als gemeinsam abgesprochene Aktion darzustellen. Ganz abstreifen kann die Opposition diesen Verdacht allerdings nicht, auch wenn der neue Gouverneur schnell Schlagzeilen macht mit seiner Entscheidung, laufende Initiativen im Süden für eine Parlamentsauflösung einzustellen (Akipress, 24.5.2006a, 25.5.2006a). 36 Das zweite große ‚Miting‘ am 27. Mai zeichnet sich im Anschluss wieder durch seine Friedfertigkeit aus und dadurch, dass es den politischen Konflikt weder löst, noch erstickt. Die Angaben über die Teilnehmerzahlen variieren, aber selbst die Polizei zählt 10.000-15.000 Demonstranten. 37 Präsident Bakijew und Premier Kulow werden dieses Mal nicht auf die Bühne geladen. Stattdessen verliest man die Neufassung der ‚Zehn Schritte‘ (Akipress, 27.5.2006a). Erster Schritt: Reform der Verfassung; Zweiter Schritt: Aufarbeitung der AksyEreignisse 38; Dritter Schritt: Einstellung des Familienbusiness; Vierter Schritt:
36 Ein Internetnutzer schreibt beispielsweise: „So ist’s bei denen um die Moral bestellt. Amt bekommen und schon sind einem die Reformen egal. Bajbolow ist genau so. Wenn die Macht sein Business auch nur ein wenig in die Zange nimmt, wedelt er mit der weißen Fahne. Wegen solcher Politiker haben die Leute eben kein Vertrauen mehr in die Politiker.“ (Akipress Kommentare, 5.2006d) 37 Für Reformen zählt ca 30.000 Teilnehmer (vgl. Akipress, 27.5.2006). 38 Die Aufnahme der ‚Aksy‘ Frage in die Forderungen wird verstanden als Ausdruck eines Zusammenschlusses zwischen Für Reformen und Asimbek Beknasarow. Der Abgeordnete ist die Galionsfigur im Kampf für eine gerechte Verurteilung jener, die für die tragischen Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstranten in Aksy im Früh-
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Umbau von GTRK in eine öffentliche Sendeanstalt; Fünfter Schritt: Übertragung der Wirtschaftskompetenzen auf die Regierung; Sechster Schritt: Kampf gegen die Kriminalität; Siebter Schritt: Abstellen der Verfolgung politischer Opponenten durch Massenmedien und administrative Ressourcen; Achter Schritt: Landzuteilung an die junge Bevölkerung 39; Neunter Schritt: Kompensationen für die Opfer von Plünderungen in der Revolutionsnacht; Zehnter Schritt: Schutz des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Diesen zehn Schritten, die inhaltlich nicht überraschen, wird nun eine deutliche und an Verweisen reiche Erklärung voran gestellt: „[I]m vergangenen Frühling standen die Menschen auf gegen Ungerechtigkeit und Hoffnungslosigkeit. Gegen doppelte Standards und die Verlogenheit der Macht. Gegen Verantwortungslosigkeit und Zynismus, der die Gesellschaft zersetzt. Gegen jene Dunkelheit, welche die Gegenwart und die Zukunft des Landes bedeckte. [ . . . ] Der 24. März – das ist ein Tag, an dem die Bürger Kyrgyzstans die Fesseln abstreiften und den Weg in eine Zukunft öffneten, hin zu Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Ein Tag, an dem unser Volk sein klares ‚Nein‘ der Herrschaft der Bürokratie und den Opportunisten entgegenschleuderte. Ein Tag, an dem die Bürger Änderungen forderten. Ein Tag, an dem sie Reformen forderten. Die Bewegung, die am 24. März begann, muss zu Ende geführt werden. [ . . . ] Kyrgyzstan braucht systemische Veränderungen. Die Bewahrung der Ordnung des vergangenen Regimes ist eine Gefahr für die Gegenwart und Zukunft Kyrgyzstans. Deswegen ist eine weitere Verschiebung von Reformen inakzeptabel.“ (Fergana, 27.5.2006)
Dieser durchaus revolutionären Botschaft verleiht eine Reihe von Rednern auf der Bühne Nachdruck. Dabei ergießen sie sich auch in Vorwürfen an die Macht. Zwischenzeitlich weisen der Für Reformen Vorsitzende Atambajew und Temir Sarijew die Anschuldigungen der Zeitung MSN über die angebliche Teilnahme an den Plünderungen in der Revolutionsnacht vor einem Jahr zurück (Akipress, 27.5.2006b, 8.6.2006). Am Ende erklärt man, Bakijew und Premier Kulow den Sommer über Zeit geben zu wollen, um Reformen im Land anzupacken und die ‚Zehn Schritte‘ durchzuführen. Im Herbst sollen dann die Taten bewertet und notfalls radikalere Forderungen aufgestellt werden. Anschließend gehen die Demonstranten so friedlich auseinander, wie sie zusammengekommen waren. Die-
jahr 2002 verantwortlich sind. Den Bewohnern wird nachgesagt, im politischen Kampf geschult zu sein und man vermutet, dass Für Reformen sich diese Schlagkraft zunutze machen möchte (vgl. zu den Ereignissen von Aksy, Wolters 2009). 39 Diese Forderung nimmt Bezug auf das Problem illegaler Landbesetzungen rund um Bischkek und in anderen Regionen des Landes im Anschluss an die Tulpenrevolution.
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ser Eindruck verfestigt sich selbst bei propräsidentiellen Medien wie MSN, die diese Friedfertigkeit als Manifestation einer Entwicklung hin zur Demokratie lobt (MSN, 30.5.2006, 30.5.2006a). Mit dem zweiten ‚Miting‘ geht die politische Auseinandersetzung in Kyrgyzstan in die Sommerpause. Aus dem zuvor angekündigten ‚Runden Tisch‘ wird eine uninteressante Debatte, nachdem Für Reformen erklärt, dem Treffen fernzubleiben, da eine Live-Übertragung verweigert wird (Akipress, 6.6.2006, 6.6.2006a). Tekebajew kanzelt die Veranstaltung, die am 7. Juni ausgestrahlt wird, kurzerhand als „Forum für inhaltslose Statements“ ab (Akipress, 8.6.2006a). Auch der für den 2. Juli geplante ‚Kurultaj‘ in der Gegend um Aksy fällt aus, nachdem der Cheforganisator Beknasarow die Versammlung in den Herbst verlegt (Akipress, 26.6.2006). Am 30. Juni verkündet Akipress schließlich, dass das Parlament seine zweite Sitzungsperiode beendet hat. Politiker und Journalisten verabschieden sich in den Urlaub und mit ihnen die öffentliche Meinung (Akipress, 30.6.2006).
3.4 P OLITISCHER K ONFLIKT ALS ÖFFENTLICHE V ERANSTALTUNG IM POSTREVOLUTIONÄREN K YRGYZSTAN Ich unterbreche meine Erzählung über die politische Auseinandersetzung an dieser Stelle, um die Entwicklung öffentlichen Meinens und politischen Streitens in Kyrgyzstan in einen Kontrast zu setzen. Was in den Wochen bis zum Sommer geschieht ist der überraschende Aufbau klarer politischer Identitäten, die eingebettet sind in einen Prozess wechselseitiger Beobachtung zwischen Politikern und der Öffentlichkeit, und die in Abhängigkeit stehen von einem Konflikt, der in seinem Fortschreiten immer mehr (System)Struktur ausbildet. In politischen Kategorien gesprochen lässt sich vielleicht die These aufstellen, dass Kyrgyzstan in den Monaten April und Mai in 2006 die Fortführung, beziehungsweise den Vollzug der Tulpenrevolution erlebt. Zu Beginn der Sommerpause steht eine gefestigte, in ihrer Organisation gut aufgestellte und mit ihrer politischen Agenda klar zu identifizierende Opposition einer Regierung gegenüber, die sich verstärkt auf neue Formen politischen Streitens einlassen muss; und die dabei gleichzeitig mit allen anderen Beobachtern erlebt, wie dieses Streiten erstens friedlich, und zweitens nicht als Nullsummenspiel erfolgt. Für Politik in Kyrgyzstan (und Zentralasien) sind das (r)evolutionäre Neuerungen. Ich möchte dieser Evolution im Folgenden kurz nachgehen, indem ich vier Aspekte herausgreife: Erstens zeichnen sich Sprecherpositionen deutlich ab, ge-
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rade auch durch ihre zunehmende Verknüpfung mit Themen und zeitlichen Projektionen. Die neue ‚Opposition‘ kämpft für Reformen und sieht sich am Ende als Verfechter revolutionärer Hoffnungen, die in den März 2005 zurückreichen. Zweitens entwickelt die öffentliche Meinung kohärente Erzählungen darüber, was geschieht. Es findet eine moderne politische Auseinandersetzung in Kyrgyzstan statt, die konkurrierenden Perspektiven, beispielsweise auf regionale Unterschiede oder Klane, immer weniger Raum bietet. Drittens ist diese Konfliktepisode gekennzeichnet durch klassische Muster einer öffentlichen Anmeldung von Widerspruch. Es verändert sich tatsächlich die Form des politischen Streitens, mit friedlichen Massenprotesten, Organisationsaufbau, öffentlichen Debattenrunden, formalen Absprachen, und neuen Gesetzesinitiativen. Viertens bedeutet der Streit um die ‚Zehn Schritte‘ auch einen stetigen Abbau von Ekalationspotentialen. Nicht Drohgebärden oder persönliche Affronts, sondern der zunehmende Austausch von Argumenten zieht die – öffentlich geführte – Auseinandersetzung immer stärker in seinen Bann und versachlicht sie. 1. Sprecherpositionen und Themen sind genauso wie zeitliche Projektionen in dieser Konfliktepisode relativ einfach zu identifizieren, ebenso die Verbindungen zwischen ihnen. Ganz anders als in der Auseinandersetzung zwei Monate zuvor gruppieren sich politische Sprecher jetzt um Themen und Reformagenden, weniger um einzelne Politiker. Und dieser Prozess setzt sich mit dem Konfliktverlauf fort. Stand in der Episode im Februar eine konturlose NKDS der persönlichen Fehde zwischen Bakijew und Parlamentssprecher Tekebajew wortlos gegenüber, fügen sich ab April Politiker jeglichen Gewichts und jeder Couleur den neuen Reformthemen, die schließlich in den ‚Zehn Schritten‘ deutlich als Streitpunkte markiert werden. Und wo MSN als Sprachrohr des Regimes noch im April versucht, mit der Aufzählung der einzelnen Oppositionspolitiker Persönlichkeiten in den Vordergrund des Konflikts zu schieben, ist die Dynamik in der Auseinandersetzung längst dazu übergegangen, Organisationen, Parteien, Verbände, und schließlich die neue Bewegung Für Reformen als politische Identitäten zu behandeln, immer weniger einzelne Politiker. Im Vorfeld der ‚Mitingi‘ positionieren sich immer mehr politische Kräfte nach dem Muster der Lagerbildung. Eine weitere Verknüpfung, die sich in dieser Konfliktepisode immer stärker abzeichnet, ist die Einbindung von Reformvorhaben und -kräften in Erinnerungen an zurückliegende Revolutionsereignisse und Visionen für eine bessere Zukunft. Die Erklärung anlässlich der Veröffentlichung der ‚Zehn Schritte‘ zieht die Linie zurück zur Tulpenrevolution, während auf dem zweiten ‚Miting‘ schließlich direkt das Reformerbe angetreten wird: „Die Bewegung, die am 24. März begann, muss zu Ende geführt werden.“ (Ebd.) Bezeichnend ist für diese Dynamik neuer Verknüpfungen, der Anpassung der Sprecherpositionen an die
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Reformagenden und die Einpassung in zeitliche Horizonte, auch, dass die Gegner der Opposition in ihrem Bemühen, einzelne Personen aus der Bewegung herauszubrechen, scheitern. Sowohl die Absetzung der ‚Grauen Eminenzen‘ wie Usen Sydykow als auch der selektive Einkauf einiger Oppositionspolitiker wie Satybaldijew misslingen und sie deuten die Grenze rein manipulativer Mechanismen ab, die im Februar noch effektiv wirkten. Schließlich ist auch das Schicksal jener instruktiv, die unentschlossen zwischen den Lagern verharren. Premier Kulow verweigert sich in diesem Konflikt der Reformagenda und auch der harten Linie des Regimes (was ein Jahr später für ihn zum Problem wird). Seine Position bleibt ungebunden, was ihn in der Auseinandersetzung zunehmend marginalisiert. Beispielhaft eine Szene, die der Abgeordnete Sarijew erinnert, ein Gespräch zwischen Oppositionsvertretern und Präsident Bakijew und Gefolge. Als sich Kulow in die Debatte einschalten möchte, wird er von Sarijew äußerst brüsk in die Schranken gewiesen: „Feliks Scharschenbajewitsch! Ihnen hat eigentlich niemand das Wort erteilt. Sie schweigen bereits seit einem Jahr, dann schweigen Sie auch jetzt. Niemanden von uns interessiert, was Sie meinen.“ (Sariev, 2008: 50). Die Verknüpfung von Sprechern, von Reformagenden und von Erinnerungen und Zukunftsvorstellungen wird ein Beobachter normaler demokratischer Verhältnisse kaum beachten. Ich behaupte, sie wird schlicht vorausgesetzt. In Kyrgyzstan im Frühling 2006 ist diese Dynamik hingegen ein absolutes Novum. In einer Zeit, wo kriminelle Bosse ‚abserviert‘ werden, wo die Kooptation politischer Gegner System hat und allein informelle Netzwerke, Bekanntschaften, Klane oder regionale Verbände politischen Streit organisieren, ist die Entstehung moderner Opposition eine gesellschaftliche Innovation par excellence. 2. Auf diese Innovation reagiert auch die öffentliche Meinung. Der Konflikt zwischen dem Regime und Für Reformen ist auch die Geschichte der Einführung alternativer „Beschreibungen“ der politischen Auseinandersetzungen in Kyrgyzstan. Ich möchte auf einige neue Begriffe hinweisen und auf die Schemata, welche die Öffentlichkeit bei ihrer Beobachtung der politischen Auseinandersetzung benutzt. Zwei Begriffstypen stechen besonders hervor. Zum einen geht es um neue Konzepte, die helfen, Oppositionstätigkeiten zu beschreiben. „Für Reformen“ ist genauso eine semantische Erfindung wie die Übernahme des englischen „Miting“, oder „Kyrgyzischer Majdan“ als ein Vergleich mit der ukrainischen Oppositionsbewegung. Sie alle sind Teil des Experiments, neue Formen von Protest und Widerspruch im öffentlichen Diskurs zu verankern. Anders noch als bei der alle Positionen vereinnahmenden „Volkskoalition Demokratischer Kräfte“ markiert „Für Reformen“ deutlich die Differenz zur Macht, während der Hinweis auf den „Majdan“ zum Ausdruck bringt, dass revolutionär gegen das
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politische Regime vorgegangen wird. Zum anderen gibt es Begriffe, in denen Zweifel und Verdacht gegenüber manipulativen Mechanismen und möglichem politischen Ausverkauf formuliert werden. Beispiele sind hier „OBON“, „Deschurnyje Partii“, oder der Vergleich mit einer „Osmonakun’schen Periode“. Während zu Beginn der ersten Konfliktepisode noch vorsichtig spekuliert wurde, ob die Proteste in Basar-Korgon manipuliert waren, werden im April und Mai alle politischen Ereignisse auf diese Möglichkeit hin erschöpfend geprüft. Dabei ist nicht nur das Regime Opfer solcher Beschreibungen; auch die Opposition muss sich permanent den Vorwurf gefallen lassen, Protestler ‚bestellt‘ zu haben. Die Anwesenheit einer öffentlichen Debatte produziert ganz eigene Formen für die Beobachtung politischer Manipulation. Auf diese Formen muss die Politik wiederum reagieren, was in Kyrgyzstan anfangs noch progressive, später, im Frühjahr 2007, aber auch stark destruktive Entwicklungen hervorrufen wird. Unter den Schemata, welche die Öffentlichkeit anlegt, ist in dieser Episode die Unterscheidung zwischen Regierung und Opposition dominant. Die Zweifel eines Tekebajews sind inzwischen ausgeräumt. Für Reformen ist die neue Opposition und sie streitet gegen eine Regierung, die in den meisten Kommentaren immer noch als ‚Macht‘ angesprochen wird. 40 Andere Lesarten, besonders die Unterscheidung in Nord und Süd werden immer noch benutzt, aber immer stärker ins Abseits gedrängt. Beachtung finden sie noch im Zusammenhang mit den Aktionen von Toptschubek Turgunalijew. Hier beobachten Kommentatoren im Internet ‚Südler‘ – und gleiten schnell in Biologismen und in rassistische Vorurteile ab (Akipress Kommentare, 5.2006c). Umgekehrt bemühen MSN und andere staatlich kontrollierte Medien die Herkunftsregionen politischer Repräsentanten, um ihr Feindbild von den ‚trajbalistischen‘ Verbänden im Norden zu bewahren. Ein anderes Schema, nämlich die Unterscheidung zwischen Regierung und Parlament, noch äußerst populär im Februar, verschwindet in der Versenkung. Am Ende dieser Konfliktepisode wird es krönend als Auslaufmodell verabschiedet, als die geplante Dialogveranstaltung zwischen Präsident und Parlament unspektakulär und ungehört in der öffentlichen Meinung verpufft (MSN, 9.6.2006). Die alternativen Schemata laufen permanent in der öffentlichen Beobachtung des Konflikts mit, aber es spricht für das Neue in der Praxis politischen Streitens in Kyrgyzstan im Frühjahr 2006, dass sie zunehmend marginalisiert werden und
40 Eine Indexsuche auf Akipress bestätigt den neuen Trend: Während das Stichwort „NKDS“ bis zur Umbenennung weniger als zehn Mal auftaucht, findet sich der Begriff „Für Reformen!“ allein im Mai mehr als 20 Mal (das Ausrufezeichen am Ende des Namens der Bewegung vermeidet bei der Suche die Berücksichtigung der Wortfolge „für Reformen“ als Teil einer einfachen Satzkonstruktion).
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der Hegemonie einer modernen Auffassung weichen. Diese muss dabei nicht notwendigerweise repressiv sein. Temir Sarijew erinnert an die Überlegungen innerhalb der Bewegung Für Reformen über einen möglichen Spitzenkandidaten und die Diskussion über die Vor- und Nachteile der Nordherkunft Atambajews und der Südherkunft Tekebajews. Neu ist hier, dass strategisch abgewogen wird vor dem Hintergrund der Frage, wie der eigene, moderne Anspruch auf Repräsentation von Opposition angemessen inszeniert werden kann. Im Auftritt bleiben solche Kalküle im Hintergrund, Für Reformen scheint nicht einmal das Bedürfnis zu verspüren, sich gegen die anderswo kursierenden Schemata abzugrenzen. Diesen Umstand möchte ich hier betonen, da er besonders im Vergleich zum zweiten großen Konflikt im April 2007 von Bedeutung ist. 3. Die Episode bietet ausreichend Beispiele für eine klassische Anmeldung von Widerspruch: Vom Volksumzug Anfang April über Unterschriftenlisten gegen Parlamentssprecher Tekebajew bis hin zum zweiten ‚Miting‘ Ende Mai. Diese Proteste sind meiner Ansicht nach die größte Überraschung in der politischen Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition und – zusammen mit dem Aufbau von Organisation in Form der neuen Bewegung Für Reformen – auch die größte politische Innovation in der postrevolutionären Phase in Kyrgyzstan. Das innovative Moment in den Protesten machen dabei die Friedfertigkeit, das offene Ende, und der authentische Anspruch aus. Üblicherweise werden politische Aktionen in Kyrgyzstan danach bewertet, wie viele ‚sportsmeny‘ an ihnen teilgenommen haben, und ob ein Sturm auf das Weiße Haus oder andere staatliche Einrichtungen droht. Im Frühjahr 2006 sind Teilnehmer wie auch öffentliche Meinung hingegen irritiert, als sie friedliche politische Kundgebungen erleben. Und genauso wie Gewalt schnell das Ende einer politischen Aktion herbeiführt, erwarten Beobachter von Protesten im Allgemeinen selten mehr als ein ad-hoc Ereignis. In dieser Episode allerdings verpflichtet die Beständigkeit und Nachhaltigkeit der Protestaktionen alle Beteiligten auf eine neue Offenheit im politischen Konflikt (der selektive Einkauf von Opponenten reicht jetzt nicht mehr aus). Die Authentizität ist schließlich jene Eigenschaft, die Protesten in Kyrgyzstan seit Beginn an abgesprochen wird. Jedoch in der Auseinandersetzung im April und Mai können Politiker und öffentliche Zuschauer aneinander beobachten, wie die Botschaften von Für Reformen bei ihnen verfangen und Anhängerschaft herstellen und Gefolgschaft mobilisieren. Eine weitere Neuerung in der postrevolutionären Phase. Das zweite innovative Moment mache ich am Organisationsaufbau von Für Reformen fest. Ein Bericht des EWVP Projekt erhellt, wie die Gründung der Bewegung eher nachholend, als Reaktion auf den laufenden Konflikt, erfolgt:
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„At the final preparation for the action (last ten days of April), the project staff noted a distinct transformation of the core of NKDS without an official announcement of its break-up into a relatively autonomous, but nonetheless representative public movement ‚For Reforms‘.[ . . . ] It is noteworthy that: a) the meeting on April 27th of this group with President Bakiev was held not by NKDS, but as the public movement ‚For Reforms‘; b) Criticism taking the form of the ‚Ten steps‘[ . . . ] during the same meeting on April 27th was given by the same camp on behalf of public movement.“ (EWVP, 3.5.2006, S. 3)
Irgendwann ist Für Reformen präsent und agiert. Entscheidend ist der verzögerte und für die Öffentlichkeit nur schwer nachzuvollziehende Wandel von der NKDS zur neuen Bewegung. Die Auseinandersetzung zwischen Opposition und Macht verlangt, ganz nach Coser, einen neuen Akteur auf Seiten der Opposition, der mit den stetigen Strukturen auf Seiten der Regierung mithalten kann. Organisationskommittee, Stab, Repräsentanten, Vorsitzende und neue Agenden sollen dieser neuen Rolle gerecht werden. Die Episode zeigt, wie der Aufbau von Organisation sich als Ergebnis des Wechselspiels zwischen streitenden Politikern und kommentierender Öffentlichkeit einstellt. Diese Entwicklung ist sehr unwahrscheinlich für Politik in Kyrgyzstan. Der Vergleich mit dem Konflikt um die Vereinigte Front wird diese Unwahrscheinlichkeit hervorheben. 4. Die politische Auseinandersetzung im April und Mai 2006 erfährt in ihrem Verlauf eine stetige Versachlichung. Hier reicht bereits der Vergleich mit der vorangegangenen Episode, um diese Tendenz zu markieren. Wo zuvor der Konflikt auf der Ebene persönlicher Beziehungen ausgetragen wurde, steht in dieser Episode die andauernde Arbeit an sachlichen politischen Forderungen an erster Stelle. Selbst Drohungen, die im Februar noch das ganze Parlament in Schach zu halten vermochten, dienen jetzt nur noch der Belustigung oder werden als Anlass genommen, Empörung öffentlich darzustellen. Politik in Kyrgyzstan in diesen Wochen durchbricht den Teufelskreis hochkochender Emotionen und die Eitelkeiten eines chauvinistischen Politikbetriebs und verpflichtet alle Teilnehmer auf die Auseinandersetzung mit sachlichen Forderungen. Am Ende wissen selbst die regierungstreuen Medien nicht mehr, wie sie den Forderungen begegnen sollen: „Bekam etwa solch ein Erbe Akajew als er im Oktober 1990 erster Präsident der Kyrgyzischen SSR wurde? Und in was hat er in diesen ganzen 15 Jahren seiner Herrschaft Kyrgyzstan verwandelt, wenn man sich ehrlich und unvoreingenommen fragt. Und das trotz einer Weltgemeinschaft, die der souveränen Republik und ihrem ersten Präsidenten äußerst wohlgesonnen war und absolut nicht mit Krediten und Investitionen geizte. Was erwarten wir dann, was fordern wir dann von der heutigen Macht, wo sie das Land doch erst seit einem Jahr regiert?“ (MSN, 18.4.2006)
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Solche Akte der Verzweiflung werden jetzt sekundiert mit Hinweisen auf Reformen, wie zum Beispiel die Erhöhung der Pensionen und Gehälter, die höheren Einnahmen des Staates und den fast ausgeglichenen Haushalt seit dem Machtwechsel (MSN, 21.4.2006b, 21.4.2006; Akipress 26.4.2006b). Daran knüpft dann Für Reformen an und verweist auf fehlende Strukturreformen, die Gängelung der Wirtschaft oder die undurchsichtigen Reprivatisierungen. Die Tatsache, dass am Ende eben die Antwort auf die Personalfrage nicht mehr ausreicht, um den Konflikt zu ändern, sondern er unvermittelt weitergeht, belegt die Anwesenheit einer modernen Politikdynamik. Zusammenfassung In diesem Kapitel habe ich in zwei Episoden die Auseinandersetzung zwischen dem Regime von Präsident Bakijew und seinen politischen Gegnern im Frühjahr 2006 rekonstruiert. In der ersten Episode wurde deutlich, wie das politische System zuerst dabei versagt, einen Konflikt zwischen Personen auf die Ebene sachlichen Streits zu heben und anschließend, vor dem Hintergrund eines offenen Machtkonflikts, in Manipulation und Repression eine Lösung herbeiführt. In der zweiten Episode wird dagegen ein Konflikt zum Selbstläufer für einen modernen politischen Streit, der alle Teilnehmer und Beobachter vor neue Herausforderungen stellt; angefangen bei den Oppositionspolitikern, die sich neu erfinden müssen, bis hin zur Regierung, die nach neuen Formen des Austauschs suchen muss. Für mein Interesse an der öffentlichen Meinung in Kyrgyzstan ist die Beobachtung entscheidend, dass aus einer anfangs nur leicht irritierten, ereignishungrigen Öffentlichkeit am Ende der zweiten Episode eine öffentliche Meinung erwächst, die in ihrem Meinen von den Politikern berücksichtigt wird. Damit gehen öffentliche Meinung und politisches Entscheiden jene Verbindung ein, die in der Systemtheorie unter dem Stichwort der „Beobachtung zweiter Ordnung“ behandelt wird und die ich in meinem Theoriekapitel als Bedingung für moderne Politik bezeichnet habe. Damit behaupte ich nicht, dass in der Republik jetzt Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vorherrscht. Ich konstatiere lediglich die Möglichkeit, aneinander beim Streiten zu beobachten und die faktische Nutzbarmachung dieser Möglichkeit im Frühjahr 2006. Dass damit die Verhältnisse weitaus komplizierter werden, die Beobachtung zweiter Ordnung viele Untiefen bereit hält und dass diese Untiefen auch noch schwer zu erkennen sind, veranschaulicht abschließend vielleicht die Erinnerung an die laufende Verfassungsreform. So verweist das EWVP Projekt noch im Mai 2006 auf die Untätigkeit der vom Präsidenten eingesetzten und vom Für Reformen Mitglied Bajbolow geleiteten Verfassungskommission, um den Kooperationswillen der Opposition kritisch zu hin-
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terfragen (EWVP, 3.5.2006: 3). Was das Projekt meiner Meinung nach in seiner Kritik übersieht ist das Risiko, welches forcierten Kompromisssuchen in dieser Zeit anhaftet. Die öffentliche Meinung in Kyrgyzstan ist ‚hyperkritisch‘ und misstraut vorschnellen Einigungen. Selbst wenn diese mit guten Absichten verfolgt würden. Politik in Kyrgyzstan, so meine Schlussfolgerung, stellt sich in diesen Wochen tatsächlich auf moderne Verhältnisse ein, allerdings bedeutet das für die von Korruption und politischem Ausverkauf geplagte Gesellschaft, bei ihrer Beobachtung und Prüfung ein weitaus strengeres Maß anzulegen. Die folgenden Geschichten werden zeigen, wie komplex die Herausforderungen sind, unter solchen Verhältnissen einer ‚Politik der Peripherie‘ kollektiv bindende Entscheidungen herbeizuführen.
4. Die Dominanz der öffentlichen Meinung
4.1 S KANDALE UND EINE L EHRSTUNDE IN DER K OMPROMISSSUCHE : ‚M ATRJOSCHKAGATE ‘ DAS LEGENDÄRE ‚N OVEMBERMITING ‘
UND
Die folgende Geschichte über den Konflikt zwischen dem Regime um Präsident Bakijew und der Opposition in Gestalt der Bewegung Für Reformen bildet einen zentralen Abschnitt in meiner Arbeit. Ich möchte mit dieser Geschichte zeigen, welche Distanz politische Entwicklungen in Kyrgyzstan in der postrevolutionären Periode zu herkömmlichen Erklärungen von Politik in der Republik aufbauten. Die Ereignisse im Oktober und November 2006 stehen in einem starken Kontrast zu oft wiederholten Argumenten über die erstickende Korruption, Diskreditierung oder permanente Kooptation und über den ständigen Elitenklüngel. Darüber hinaus ermöglicht es nur eine ‚dichte Erzählung‘ über die politischen Ereignisse und ihre öffentliche Beobachtung im Herbst 2006, den daran anschließenden Konflikt im Frühjahr 2007 in seiner ganzen Dramatik zu verstehen. Ich möchte auch in diese Geschichte mit einer kurzen Episode einleiten. Sie handelt von der Prognose des Politikexperten Toktogul Katschkejew über die Ereignisse in den kommenden Wochen: „‚Ich neige der Meinung zu, dass [der Herbst] vergleichsweise ruhig wird. Die entscheidenden politischen Kräfte – die legitime Macht auf der einen Seite, und der konstruktive Teil der Opposition, repräsentiert durch die Bewegung ‚Für Reformen‘, auf der anderen – sind zur Zeit nicht an einer direkten Konfrontation und einer Verschärfung der gesellschaftspolitischen Lage in der Republik interessiert. Ich denke, die Mannschaft Bakijews (genauer: das Tandem) befriedigt mit Hilfe von Verhandlungen und dem Angebot von Staats- und Businesspositionen oder Wirtschaftsprojekten die Ambitionen der Opposition.‘ Nach Meinung des Experten bewahrt sich Konfliktpotential eher in den unteren Schichten – zwischen lokaler Staatsverwaltung und der Bevölkerung. ‚Die Bevölkerung ist unzufrieden darüber, dass trotz Verkündung des Kampfes gegen die Korruption keine
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wirklichen Maßnahmen ergriffen werden. Die Arbeitslosenzahlen bleiben sehr hoch – nach offiziellen Angaben liegen sie bei 45-50%, nach unabhängigen Angaben bei 70-75%. Kurz vor Wintereinbruch steigt die soziale Anspannung, erwartet wird ein Kostenanstieg bei Energieträgern, besonders im Falle von Gas. Das ist der entscheidende destabilisierende Faktor‘.“ (Akipress, 30.8.2006)
Katschkejews Einschätzung liegt auf einer Linie mit den erwähnten konventionellen Ansichten über Politik in Kyrgyzstan. Es wird davon ausgegangen, dass die Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition eine Angelegenheit von Teilen der Elite ist und daher mit Hilfe von Manipulationen gelöst wird. Außerdem wird das ‚echte‘ Protestpotential in den vernachlässigten Schichten gesehen, eben bei denen, die sozial marginalisiert sind. Mit dieser Prognose macht Katschkejew im Grunde genommen deutlich, wie voraussetzungsvoll die Geschehnisse im Herbst 2006 sind. Unwahrscheinlich ist danach eine Verknüpfung von Themen und Agenden der Opposition mit den Interessen des vom Machtkampf ausgeschlossenen Teils der Bevölkerung. Politik in Kyrgyzstan ist allzu diskreditiert und ohne Raum für eine authentische Anwaltschaft des Volkes! In der folgenden Erzählung geht es mir nicht darum herauszufinden, welche potentiellen ‚grievances‘ der Bevölkerung in die politische Auseinandersetzung Einzug erhalten haben, sondern vielmehr um die stetig wachsende Inklusion der öffentlichen Meinung in den politischen Streit. Politiker fangen an, mit Rücksicht auf ihr öffentliches Wirken Forderungen zu stellen, Skandale zu produzieren oder Verhandlungen einzuleiten und müssen dabei mit der Schwierigkeit klarkommen, nicht genau vorhersagen zu können, wie die öffentliche Meinung reagiert. Dieser Umstand wiederum bietet der ‚unsichtbaren Hand‘ der Öffentlichkeit ganz neue Möglichkeiten, Druck in Form von Kritik auszuüben. Ich beginne meine Erzählung mit einem kurzen Überblick über die Ereignisse in der Sommerpause im Jahr 2006. Die Ankündigung der Gründung einer ‚Partei der Macht‘ mit dem Namen Idealistische Demokratische Politische Partei Kyrgyzstans verlief Anfang August im medialen Sande (PR.kg, 1.8.2006). Diese Partei verschwand so leise, wie sie gekommen war. 1 Proteste für und gegen den ehemaligen Parlamentssprecher Tekebajew bewegten ebenso wenig die öffentlichen Gemüter wie die vielfach publizierten Berichte von Organisationen wie Freedomhouse oder von der Weltbank und der EBRD über die ausufernde Korruption im Land (zu Tekebajew vgl. Akipress, 1.7.2006, 3.7.2006; zu Berich-
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Ein Beleg dafür, dass die Zeit für eine solche Machttechnik noch nicht gekommen war. Erst ein Jahr später, im Sommer 2007, nach der Ausschaltung der Opposition, wagte sich Bakijew an den Aufbau seiner Partei Ak-Schol.
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ten vgl. PR.kg, 27.7.2006, 4.8.2006; Akipress, 15.8.2006). Mehr Aufmerksamkeit erregten gegen Ende des Sommerlochs noch zwei kleine Skandale im kyrgyzischen Medienbetrieb. Erst verlor der kritische Sender Piramida über einen Streit um Eigentumsrechte seine Ausrüstung. Dann musste die unabhängige Sendeanstalt NTS mit ansehen, wie ein Großteil ihrer Mitarbeiter unter Führung der Programmdirektorin Oksana Malewannaja zum neu gegründeten ‚5. Kanal‘ wechselte (PR.kg, 26.8.2006, 5.9.2006). Die Empörung über den Niedergang der freien Presse befeuerte schließlich Bakijew, indem er das Gesetz zum Umbau der staatlichen Sendeanstalt GTRK ablehnte (Akipress, 4.9.2006, 5.9.2006). Mehr Aufmerksamkeit wurde in diesen Wochen der Verfassungsfrage gewidmet. Die noch im März eingesetzte Kommission unter Leitung des ehemaligen Staatsanwalts Asimbek Beknasarow hatte drei Entwürfe vorgelegt, die nun kommentiert wurden (Akipress, 12.7.2006, 15.7.2006, 19.7.2006, 19.7.2006a). Der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs Kurmanbek Osmonow warf der Kommission Dilettantismus vor und lehnte die Ergebnisse ab (Akipress, 6.7.2006). Der neue Präsidentenberater Sydykow argumentierte, die Mehrheit in Kyrgyzstan wünsche sich ein präsidentielles Regierungssystem, während das Forum Junger Politiker indes die Möglichkeit eines Referendums verwarf (Akipress, 6.7.2006a, 6.7.2006b). Die Sommerpause bot offensichtlich all jenen Gelegenheit sich zu profilieren, die im üblichen Gefecht zwischen Regierung und Für Reformen von den Medien ignoriert worden waren. Es ist schließlich der Präsident, der die Sommerpause mit einer Klage über diese „schädliche Verfassungsdebatte“ (Akipress, 31.8.2006) beendet und dabei erklärt, im vierten Quartal des Jahres ein Referendum über die Verfassungsfrage organisieren zu wollen. Damit ist endlich ein Zeitpunkt festgelegt, über den gestritten werden kann. Die Opposition reagiert äußerst skeptisch auf diesen Vorschlag und befürchtet Volksbefragungen wie unter Akajew, der mit Hilfe ‚administrativer Ressourcen‘ in den Jahren 1996, 1998 und 2003 die Annahme zweifelhafter Verfassungsänderungen durch den Wähler herbeigeführt hatte (Akipress, 6.9.2006, 6.9.2006a). Schützenhilfe für Präsident Bakijew leistet hingegen wie gewohnt MSN. Die Zeitung informiert unter anderem in einem Interview mit einer NGO Aktivistin über die Aufklärungskampagne zu den drei Kommissionsvorschlägen und macht sich für ein Referendum stark (MSN, 6.9.2006). Das Parlament widmet sich anschließend in seiner Eröffnungssitzung der Verfassungsfrage und verleiht dem Thema damit seine offiziellen Weihen (vgl. zur Eröffnungssitzung MSN, 5.9.2006a). Der Beginn der politischen Herbstsaison in Kyrgyzstan verlangt von der Bewegung Für Reformen, sich noch einmal gegen die üblichen Verdachtsmomente in der Öffentlichkeit abzugrenzen. Der Sommer hat die Erfolge der Opposition
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in weite Ferne gerückt und es kursieren Gerüchte, Für Reformen leide unter Spaltungstendenzen. Unterstützt wird diese Sicht vom russischen Zentralasienexperten Arkadij Dubnow, der das Potential der Opposition, die präsidiale Macht herauszufordern, anzweifelt (Akipress, 31.8.2006a, 31.8.2006b). Die Bewegung reagiert mit der Ankündigung, an dem von Beknasarow geplanten ‚Achten Volkskurultaj‘ teilzunehmen (Akipress, 1.9.2006). Die Agentur Akipress nutzt die Chance und klärt in ihrer Nachricht zu dieser Ankündigung auch noch mal über die Ziele und den Aufbau von Für Reformen auf. Schließlich bestätigt der Abgeordnete Melis Eschimkanow Hinweise darauf, dass die Macht versucht habe, Oppositionsmitglieder einzukaufen. Er versichert der Öffentlichkeit aber im gleichen Atemzug, dass Für Reformen standhaft bleibt (PR.kg, 1.9.2006). Diese Abgrenzung der Opposition vom Verdacht auf Kooptation gelingt allerdings nur teilweise. Im Internet tauschen Leser Skepsis und Zuspruch aus. Milde Kritik lautet noch so: „Die können doch eh nur labern und rumkritisieren. Wenn die sich sicher wären, dass sie was Konkretes ändern können, hätten sie das Angebot doch angenommen“. Für die Opposition hingegen spricht die weite Ablehnung der Regierung: „Eschimkanow – sie haben die richtige Richtung eingeschlagen. Geben sie der jungen Generation ein Beispiel. Treten sie auf, decken sie die Fehler der Macht auf. Das muss getan werden“. Schließlich wird auf einer Metaebene das Kommentieren selbst kommentiert und Diskreditierung und Korrumpierung so zum Thema gemacht: „Ja, die Bakijew’sche Internetkampagne läuft an. Alle Nachrichtenseiten sind okkupiert. Das ist dumm, denn es ist ihre PRKampagne, die bis Jahresanfang dahinsiechen wird.“ (vgl. für alle Kommentare PR.kg Kommentare, 9.2006). Am 7. September kommt es zu einem Ereignis, dass der laufenden Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition einen besonderen Schub gibt: „Omurbek Tekebajew in Warschau verhaftet“ meldet Akipress am späten Abend (Akipress, 7.9.2006). Diesen später als ‚Matrjoschkagate‘ bekannt gewordenen Skandal um den angeblichen Drogenschmuggel des ehemaligen Parlamentspräsidenten Tekebajew möchte ich hier etwas genauer beschreiben, denn er ist ein schöner Beleg für die in diesem Konflikt inzwischen wirksame Dynamik. Herkömmliche Sichtweisen finden sich mit diesem Vorfall in ihrem Verdacht bestätigt, dass Politik in Kyrgyzstan das Geschäft manipulierender Eliten ist. Und die Geschichte von ‚Matrjoschkagate‘ bietet sicherlich Material für eine solche Lesart. Allerdings ist bezeichnend, dass der Konflikt, im Unterschied zum Streit im Februar, als Tekebajew den Präsidenten beleidigte, sich nicht in Absetzungen und Amtseinsetzungen auflöst, sondern Teil der Auseinandersetzung wird, in der die Politiker inzwischen öffentlich Rechenschaft ablegen müssen.
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Dieses Ereignis ist also auch ein Hinweis auf die Grenzen, an die Manipulationsinstrumente in diesen Wochen im Herbst 2006 stoßen. Tekebajews Verhaftung wird umgehend zum ausgewachsenen Skandal. Die Anklage wegen Drogenschmuggels wird öffentlich schnell als Intrige abgetan. 2 Selbst die Gegner des ehemaligen ‚Toraga‘ verkünden öffentlich Unterstützung, während die Opposition Vorwürfe an die ‚Macht‘ adressiert (Akipress, 7.9.2006a, 7.9.2006b). Bereits am nächsten Tag beschäftigt sich das Parlament in einer Sondersitzung mit dem Vorfall und setzt zwei Kommissionen ein. Eine soll zur Unterstützung Tekebajews nach Warschau reisen, eine andere soll unter Leitung des Abgeordneten Tajyrbek Sarpaschew den Vorfall aufarbeiten (Akipress, 8.9.2006c). In Tekebajews Heimatregion Basar-Korgon im Süden des Landes drohen Demonstranten mit der Blockade der Nord-Süd-Trasse und der Abgeordnete Eschimkanow verspricht, einen spontanen Protest auf dem Alten Platz in Bischkek zu organisieren (Akipress, 8.9.2006d, 8.9.2006e). Die Affäre zieht sogar internationale Kreise, als sich Abgeordnete mit der Bitte an ihre Kollegen im Europäischen Parlament wenden, Tekebajew Beistand zu leisten (Akipress, 7.9.2006c). Am Ende greift Präsident Bakijew nach der Initiative und beauftragt Innenministerium und Generalstaatsanwaltschaft mit einer umfassenden Untersuchung (Akipress, 8.9.2006f). Am Morgen des 8. September kommt es im Süden zu ersten Protesten. Das Parlament arbeitet derweil an einer Erklärung. Jetzt wird auch bekannt, dass bei der Abfertigung Tekebajews am Flughafen Manas manipuliert wurde. Für die öffentliche Meinung ist die Angelegenheit damit geklärt (PR.kg, 8.9.2006). In den folgenden Tagen steigt der Verdacht, der Nationale Sicherheitsdienst (SNB) habe seine Finger im Spiel gehabt. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht dabei weniger der bedeckt agierende Vorsitzende Busurmankul Tabaldijew, sondern Schanysch Bakijew, Bruder des Präsidenten und seit März 2006 Tabaldijews Stellvertreter (PR.kg, 12.9.2006). Die Sarpaschew-Kommission bestätigt den Verdacht in ihren vorläufigen Ergebnissen. Ein Mitarbeiter des Flughafenpersonals will Schanysch Bakijew als Auftraggeber identifiziert haben (Akipress, 12.9.2006, 12.9.2006a). Die öffentliche Spekulation erklimmt in Folge dieser Nachricht neue Höhen. Ich ziehe ein weiteres Mal das Internet heran, um Bei-
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Tekebajew wurde am 6. September bei der Einreise nach Polen verhaftet. In seinem Gepäck hatte man Heroin gefunden, versteckt in einer Matrjoschka. Tekebajew leugnete den Besitz der Matrjoschka, wurde aber vorläufig von den polnischen Behörden festgenommen. Zwei Tage später sprach ihn ein polnisches Gericht vom Vorwurf des Heroinschmuggels frei und bezeichnete die Tat als von dritter Seite fingiert und wahrscheinlich politisch motiviert (vgl. Akipress, 8.9.2006, 9.9.2006).
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spiele für die öffentliche Interpretation zu geben. Bei den Nutzern überwiegt, wenig überraschend, die Empörung: „Das ist zu viel, wie lange wollen wir denn noch so ein Verhalten seitens der Macht tolerieren. Das ist ein von langer Hand geplanter Akt unserer Spezialdienste, denkt doch mal selber, warum sollte Tekebajew Drogen aus KR nach Europa schiffen – das ist doch Selbstmord, ja, da haben die Herren Tabald-w und Sydyk-w und der ganze Apparat des Präsidenten gut gearbeitet.“ (PR.kg Kommentare, 9.2006a)
Ein anderer Leser sekundiert: „es beginnt der ‚Kalte Herbst‘ 2006 in Kyrgyzstan. Die Staatsmaschine beginnt sich zu drehen und als erstes unter ihre Räder fiel Tekebajew.“ In der Kurzform lautet das Urteil: „100% fingiert“ (ebd.). Allein die Schuldfrage scheint umstritten: „ich glaube nicht, dass der SNB unter Tabaldijew was damit zu tun hat, natürlich ist das die Handschrift Usen Sydykows, dieses ..... aus Bakijews Richtung natürlich, schließlich ist sein Sohn B[akyt] Sydykow Vizepräsident von Manas.“ (PR.kg Kommentare, 9.2006b) Überhaupt wird des Präsidenten Verantwortung offen angezweifelt: „DAS VORGEFALLENE mit Tekebajew – ist eindeutig fingiert. ABER, unwahrscheinlich, dass dahinter die Mannschaft Bakijews steht, das hätten die nicht gewagt. [ . . . ] Hier wurde weniger Tekebajew als vielmehr Bakijew reingelegt. [ . . . ] das hat eine dritte Kraft gemacht, die den Konflikt zwischen Bakijew und der Oppositionsbewegung Für Reformen auf die Spitze treiben will [ . . . ] Und die dritte Kraft – das ist ’ne Handvoll eifriger Revolutionäre, die nicht genügend Dividenden aus der Revolution ziehen konnten (sydykow, dosbol, andere).“ (Ebd.) 3
Typisch für die auf Korruption und Manipulation trainierte öffentliche Meinung in Kyrgyzstan ist die Umkehrung des Verdachts: „Reingelegt wurde nicht Tekebajew. Der ist schlau wie ein Fuchs und wahrscheinlich ist das seine Idee mit der Imitation einer Provokation. Und unser Volk liebt doch Märtyrer und als solcher wird Tekebajew jetzt erscheinen.“ (PR.kg Kommentare, 9.2006c) Ein weiterer Nutzer teilt diese Einschätzung: „meine lieben, wollt ihr euch das nicht mal von der Seite anschauen? [ . . . ] Scheint es euch nicht, dass das alles eine speziell geplante Operation der Opposition zur Destabilisierung der Lage im Land ist, mit dem Ziel, neue Positionen in den staatlichen Strukturen zu erlangen?“ (PR.kg Kommentare, 9.2006d)
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Mit „dosbol“ ist der amtierende Bildungsminister Nur uulu Dosbol gemeint, gemäß den Einschätzungen mancher Beobachter ein loyaler Gefolgsmann Bakijews.
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Die Spekulationen im Internet werden von anderen Medien aufgegriffen. MSN rückt aus, den Präsidenten zu verteidigen. Die Zeitung entdeckt in dem Skandal eine Intrige der Opposition, unterstützt von Ex-Präsident Askar Akajew: „Nun, wer hat denn nun das Spektakel organisiert? Wer hat Tekebajew in die Schusslinie gebracht? Die Antwort ist klar: jene, die davon profitieren, das sowieso schon zerbrechliche Boot der Stabilität weiter zu ruinieren. Jene, die allein der schönen Worte willen, angeregt von ihren Ambitionen und ihrem Durst nach der Macht, weder Namen oder Reputation ihres Kollegen im politischen Feld noch den Staat, der wieder in den Strudel der Mitingi und Streiks stürzt, schonen würden. Wieder wird ja auch über angebliche dritte Kräfte gesprochen. Aber woher der Wind weht, ist klar. Der 17. September steht vor der Tür. Die Opposition plant einen weiteren Kurultaj. Nur gibt es dafür eigentlich keinen würdigen Grund. Alle denkbaren Forderungen hat die Macht erfüllt, noch mehr dem Weißen Haus abringen scheint unmöglich.“ (MSN, 12.9.2006)
Im Netz wird dieser Einschätzung entschieden widersprochen. Nutzerin ‚Ajnura‘ beispielsweise schreibt: „der arrest Tekebajews ist eine klare provokation, die handschrift usen sydykows. Ich glaube absolut nicht an die schuld Tekebajews, das ist organisiert durch unseren SNB. Volk, ich rufe dich auf zur Einsicht und zum schutz Tekebajews. wenn die macht mit dieser nummer mit Tekebajew durchkommt, dann werden sie auch fortfahren, auf dieselbe art und weise andere oppositionäre aus dem weg zu räumen. die Macht findet gefallen und ruckzuck ist unser rechtsstaat am ende. Wähler Tekebajews, wo seid ihr, die macht schaffte es nicht mit der organisation von stimmen gegen ihn, also haben sie sich nun zu diesem schritt entschlossen.“ (PR.kg Kommentare, 9.2006b)
Nachdem das Urteil der Öffentlichkeit über den SNB gefällt ist, gerät auch Präsident Bakijew zunehmend unter Druck: „Kurmanbek Salijewitsch [Bakijew]! Das ist doch eine Schande! Seien Sie ein Mann und treten Sie zurück! Ihre Ehre wurde verletzt! Wie werden Sie jetzt noch den Leuten ins Gesicht sehen können? Und der Weltöffentlichkeit? Was für eine Schande! Es rettet Sie nur noch der Rücktritt!“ (PR.kg Kommentare, 9.2006d) Die Wetten auf neue Proteste laufen: „dieses mal wird es wirklich ein großes miting“. Und Nutzer ‚Vuk‘ erinnert den Präsidenten an das Schicksal seines Vorgängers: „baks, bereite dein exil vor oder kauf dir immobilien bei moskau“ (vgl. zu beiden Kommentaren PR.kg Kommen-
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tare, 9.2006e). 4 Das Netz wird zur Meinungsmaschinerie, zu hunderten stellen Leser ihre Kommentare ins Internet und diskutieren ‚Matrjoschkagate‘. 5 Am Dienstagmorgen, dem 12. September, reagiert der Präsident. Er setzt seinen Bruder Schanysch als stellvertretenden Sicherheitschef ab. Zeitgleich erklärt der SNB Vorsitzende Tabaldijew vor dem Parlament seinen Rücktritt (Akipress, 12.9.2006b, 12.9.2006c). Selbst regierungstreue Medien wie MSN schwenken jetzt um und verurteilen den Präsidentenbruder (Akipress, 13.9.2006). Das Parlament geht einen Schritt weiter und verhandelt den Text für eine Resolution. Mangelndes Quorum verhindert später ihre Annahme; die Öffentlichkeit erfährt dennoch von dem Text (Akipress, 12.9.2006d). Die in ihm enthaltenden Forderungen lesen sich streckenweise wie ein politisches Todesurteil: 1. Das Tandem soll für ungesetzlich erklärt werden; 2. Die Regierung soll zurücktreten; 3. Schanysh Bakijews Abgang soll die Entlassung von Innenminister Sutalinow und Generalstaatsanwalt Kongantijew folgen 6; 4. Weitere Brüder Bakijews sollen von ihren Posten in den kyrgyzischen Auslandsmissionen abberufen werden; 5. Die Generalstaatsanwaltschaft soll ein Verfahren gegen Schanysch Bakijew anstrengen; 6. Die Parlamentskommission soll weitere Vollmachten erhalten und auch laufende Reprivatisierungen untersuchen dürfen, in die der Präsidentensohn Maksim verwickelt zu sein scheint (Akipress, 12.9.2006e). Der Text endet mit einem Ultimatum: entweder Erfüllung der Forderungen bis zum 15. September und Verfassungsreform bis zum 1. November, oder anschließend der Aufruf zu einem nationalen Tag des zivilen Ungehorsams. Mit dem Scheitern der Resolution stößt auch das einseitige Anklagen erstmals auf Widerstand. Noch am Abend des 12. September leugnen Schanysh Bakijew und der stellvertretende Direktor des Flughafens Manas, Nadyrbek Mamyrow, jegliche Teilnahme an der Intrige. Das wiederum steht im Widerspruch zum Schreiben, in welchem Mamyrow noch Schanysch Bakijew belastet und welches in Kopie der Sarpaschew-Kommission vorliegt (Akipress, 12.9.2006f). Gleichzeitig mobilisieren die regierungstreuen Parteien Republikanische Partei für Arbeit und Einheit, Schany Kyrgyzstan, Erkindik und die Bewegung zum Schutz der Volksrevolution ihre Anhänger und attackieren Für Reformen (vgl. Akipress, 13.9.2006, 13.9.2006a, 13.9.2006b; MSN, 15.9.2006). Der Verdacht wird hier
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Die Empfehlung für den Kauf von Immobilien bei Moskau verweist auf den Wohnsitz der Familie des Ex-Präsidenten Akajew in der russischen Hauptstadt.
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Allein für den 8. September registriert die Nachrichtenagentur Akipress mehr als 500 Leserkommentare in ihrer Rubrik ‚Politik‘.
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Generalstaatsanwalt Kongantijew blieb trotz Ankündigung seiner Absetzung am 10. Mai 2006 im Amt, das er bis zum Frühling 2007 bekleidete.
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geäußert, dass der Vorfall von der Opposition selbst inszeniert worden ist, um den eigenen Anliegen Auftrieb zu geben und die Lage im Land zu destabilisieren. Am 14. September gibt der Präsident eine Erklärung vor dem Parlament ab, die landesweit übertragen wird. Bakijew warnt vor einer vorschnellen Verurteilung des Tandems und pocht auf die Ergebnisse der Kommissionen (Akipress, 14.9.2006). Der Auftritt zeigt Wirkung. Eine Resolution vermag das Parlament auch in den folgenden Tagen nicht anzunehmen. Unter dem Eindruck wechselseitiger Beschuldigungen beruhigt sich die öffentliche Debatte vorerst. Man ist der Meinung, dass die Schuldigen wohl nie gefunden werden (Interview, #4). Ein wenig Aufmerksamkeit erfährt noch die Meldung, dass der Präsident überlegt, Für Reformen Mitglied Kubatbek Bajbolow die Stelle des SNB Chefs anzutragen (PR.kg, 16.9.2006). Der lang geplante ‚Volkskurultaj‘ hingegen wird ein Reinfall. Am 17. September kommen ungefähr 700 Delegierte in der Nähe von Aksy zusammen. Mit Adachan Madumarow und dem Sekretär des Sicherheitsrats Miroslaw Nijasow wohnen gar Regierungsvertreter den Diskussionen bei. In einer Resolution fordern die Delegierten die Erfüllung der Maiforderungen von Für Reformen. Ein weiterer Punkt ist jetzt die Forderung, alle Bakijewverwandten aus Staatspositionen zu entfernen. 7 Öffentliche Reaktionen motiviert diese Versammlung allerdings kaum; die Zeitung MSN nutzt die Chance und erklärt den ‚Achten Volkskurultaj‘ denn auch umgehend für gescheitert (MSN, 22.9.2006). Der Volkskurultaj entzieht sich herkömmlichen Interpretationen politischer Prozesse in Kyrgyzstan. Mit einer großen Zahl von Abgeordneten, gar der Einbeziehung von politischen Gegnern, mit einem Resolutionsbeschluss und der Formierung neuer Oppositionsallianzen hätte sich das Ereignis einfügen sollen in die Reihe von ‚Mitingi‘, wie sie das Frühjahr über abgehalten worden waren. Die Hinweise auf Fehler der organisierenden Eliten oder Manipulationen zwischen Regierung und Opposition greifen allerdings zu kurz. Weder waren ungenügend Ressourcen aufgebracht worden, noch diente das Spektakel einer Versöhnung zwischen Regierung und Opposition durch Kooptation. Vielmehr liefen die Organisatoren der öffentlichen Meinung hinterher (und das in der Provinz). Mit ‚Matrjoschkagate‘ war die Auseinandersetzung fortgeschritten und suchte nach neuen, schärferen Formen der Kritik und des Streits. Ein Kurultaj, also ein unter Manipulationsverdacht stehendes Forum zum Zelebrieren nationaler Ein-
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In den Erinnerungen des Abgeordneten Temir Sarijews kommt dem Kurultaj im Konflikt zwischen dem Regime und Opposition eine größere Rolle zu, ‚Matrjoschkagate‘ hingegen findet dort keinerlei Erwähnung, ebenso spart der Autor die Resolution des Parlaments aus (vgl. Sariev, 2008: 66 ff).
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heit, erwies sich als ausrangiertes Instrument der Opposition in ihrem Kampf mit Bakijews Regime. Der Konfliktdynamik angemessen erscheint der öffentlichen Meinung einige Tage später die Resolution des Parlaments (Akipress, 22.9.2006; vgl. Diskussion PR.kg Kommentare, 9.2006f.). Die Abgeordneten stimmen einzeln über jede Forderung ab. Einige wichtige Punkte bekommen eine Mehrheit: die Verfassungsreform sowie die Bildung einer Regierung des Volksvertrauens wird gefordert und das Tandem wird für verfassungswidrig erklärt; schließlich soll der SNB in die Regierungsstruktur überführt werden. Die Forderungen nach Personalwechsel jedoch finden keine Unterstützung. Dafür aber wird mit großer Mehrheit für eine Ausweitung der Kommissionsbefugnisse gestimmt. Im Anschluss an diese nicht bindende Resolution erwarten die Für Reformen Mitglieder Tekebajew und Vizeparlamentssprecher Alymbekow vom Präsidenten, den Reformvorschlag der ersten Verfassungsversammlung vom 17. Juli 2005 ins Parlament einzubringen (Akipress, 22.9.2006a, 22.9.2006b). Radikaler als die Resolution im Parlament ist die Ankündigung der Opposition, ein neues ‚Miting‘ organisieren zu wollen. Am 29. September erklärt Melis Eschimkanow, für den 2. November mehr als 15.000 Anhänger von Für Reformen zu mobilisieren (PR.kg, 29.9.2006). Drei Tage später folgt die Bewegung mit einer offiziellen Verlautbarung (Akipress, 2.10.2006). In sechs Punkten formuliert Für Reformen ihre aktuellen Forderungen. Erstens: die Umsetzung der Forderungen der ‚Zehn Schritte‘, der Parlamentsresolution und des Volkskurultajs; Zweitens: das Ende der Familienherrschaft; Drittens: ein Ende der Familiengeschäfte; Viertens: Rückgabe der illegal übernommenen Besitztümer der ehemaligen Präsidentenfamilie; Fünftens: Reform der Verfassung und Schutz der Pressefreiheit; Sechstens: Maßnahmen gegen international gesuchte Personen auf dem Gebiet der Republik. 8 Der siebte Punkt verurteilt das ‚Tandem‘ als Schuldigen für die laufende Krise. Am 2. November will Für Reformen mit einem Dauerprotest daher die Absetzung des politischen Duos aus Präsident und Premier fordern. Die folgenden Wochen bis zu diesem neuen, später „legendär“ getauften ‚Miting‘ zeichnen sich durch unermüdliche Kompromisssuchen und stetige Abgrenzungsbewegungen aus. Das Internet liefert mir ein weiteres Mal die Beispiele, um den Raum möglicher Standpunkte in der öffentlichen Meinung auszuweisen. Eschimkanows Ankündigung stößt mitunter auf wenig Gegenliebe: „warum
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Diese Forderung nimmt Bezug auf Gerüchte über ein Treffen der Bakijews mit dem russischen Oligarchen Beresowski auf dem Flughafen Manas nahe Bischkek (Akipress, 12.9.2006g).
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zur hölle regt er die menschen auf! der würde das eigene volk der macht wegen verkaufen, der eschek 9. wir leben doch eigentlich normal, alles ist stabil. nur diesen idioten reicht es nicht an reichtum und macht“ (vgl. hierzu und im Folgenden, Pr.kg Kommentare, 9.2006g). Andere hingegen sind entschlossen, am Protest teilzunehmen: „Ich gehe zum Miting, und Freunde bringe ich gleich mit. Alle haben an der eigenen Haut zu spüren bekommen, wie abscheulich und niederträchtig diese Macht ist. Haben die Besitztümer Akajews aufgeteilt und fahren fort, das Land zu plündern [ . . . ]. Ich gehe zum Miting und wenn’s sein muss, bleibe ich bis zum bitteren Ende. Ich bin gegen diese Macht.“ (Ebd.)
Angesichts des permanenten politischen Konflikts scheinen die Sorgen ernster zu werden: „Eschke will Macht. Und dass es zum Bürgerkrieg kommen kann, ist ihm egal. Nun, liebe Leute, ich gratuliere, bereitet euch darauf vor das nächste Tadschikistan zu werden.“, was andere allerdings als gezielte Panikmache abtun: „hab den eindruck, dass einige bezahlt wurden und anweisungen erhielten, zu sagen, lasst uns in ruhe leben… oder, wann werden wir endlich friedlich arbeiten ...oder wollte ihr krieg? nun, dann kommen wir zu euch... kurzum, die haben alle den gleichen auftraggeber.“ (Ebd.) Die Sorge ebbt mit dem Verdacht der Manipulation jedoch nicht ab. Es wird die Idee formuliert, ein Bürgerforum abzuhalten, auf dem ein Kompromiss herbeigeführt werden soll. Die Gastgeber aus den Reihen der Zivilgesellschaft richten ihre Einladungen auch an Präsident und Premier und hoffen so auf einen Dialog (Akipress, 5.10.2006). Die Politiker allerdings sind erst einmal damit beschäftigt, ihre Positionen zu markieren. Zuerst kündigt Kulows Partei Ar-Namys ihre Mitarbeit bei Für Reformen endgültig auf, da sie die Absetzungsforderung nicht mittragen kann (Akipress, 6.10.2006). Das Forum Junger Politiker hingegen erklärt jetzt seine Teilnahme an dem Protest. Die Opposition beginnt damit, in den Regionen für die eigene Sache zu werben und der Vorsitzende der Sozialdemokraten Atambajew spekuliert schließlich, einige Ar-Namys Mitglieder würden doch am ‚Miting‘ teilnehmen, was in der Premierspartei interne Streitigkeiten auslöst (Akipress 9.10.2006, 9.10.2006a, 9.10.2006b; vgl. auch Sariev 2008:
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Das Wort „eschek“ wird hier als Wortspiel benutzt. Auf kyrgyzisch „эшек“ (ėšek) bedeutet „Esel“ und wird in Internetforen auf Grund der Ähnlichkeit zum Nachnamen des Abgeordneten Melis Eschimkanows zur Verunglimpfung benutzt. Gleiches gilt für den Nachnamen Omurbek Tekebajews, in dem das Wort „teke“ (kyrg.: „теке“), zu deutsch „Ziegenbock“, versteckt ist.
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69). Auf der anderen Seite fordert die Republikanische Partei der Arbeit und Einheit in einer öffentlichen Erklärung die Strafverfolgung der ‚Oppositionäre‘ und äußert den Wunsch nach Ruhe und Stabilität (PR.kg, 11.10.2006). Es folgt allerdings ein öffentlicher Schock, als bekannt wird, dass das Für Reformen Mitglied Alymbekow überfallen und zusammengeschlagen wurde. Die Auseinandersetzung zwischen den politischen Kräften gewinnt in den Augen der öffentlichen Meinung jetzt eine neue, brutalere Qualität (Akipress, 11.10.2006a). Das Bürgerforum am 12. Oktober ist eine ‚echte‘ politische Veranstaltung. Mit ‚echt‘ beziehe ich mich auf den hier offen ausgetragenen politischen Streit, der sich grundlegend von der Auseinandersetzung in der Fernsehrunde Ende Juni 2006 unterscheidet und von noch kommenden Dialogforen in der späteren Bakijewära. Die Diskussion ist noch weit vom Habermas’schen Ideal entfernt, sie deswegen aber ins Reich des üblichen Manipulationszirkus abzuschieben, ist verfrüht. In den Gesprächen wird mit Rücksicht auf die öffentliche Debatte an einem neuen Forderungskatalog gebastelt. Am Ende stehen die Verfassungsreform ein weiteres Mal im Vordergrund und der Auftrag an den Präsidenten, innerhalb von zehn Tagen den Entwurf vom Juli 2005 ins Parlament einzubringen (Akipress, 12.10.2006). Andere Forderungen berühren das Schicksal der Fernsehstation Piramida, die Reform von GTRK, das Problem der Kaderauslese oder die Aufklärung von ‚Matrjoschkagate‘. Authentisch macht die Veranstaltung auch, dass der Konflikt nicht gelöst ist, sondern die Diskussion unvermittelt weiter geht. Die Teilnehmer von Für Reformen sind enttäuscht, da Bakijew gar nicht erst erschien und Premier Kulow sich in Ausflüchten verlor. Oppositionsmitglied und Teilnehmer Bolot Schernijasow kommentiert: „Feliks Kulow sagt, wir würden keine Vorschläge machen, dabei schlagen wir doch das Projekt der ersten Verfassunggebenden Versammlung vor. Wir haben erwartet, dass er seine Position bezüglich aller Forderungen der Opposition klar zum Ausdruck bringt. Aber das ist nicht geschehen. Unsere Erwartungen an das Forum haben sich nicht erfüllt.“ (Akipress 12.10.2006a; vgl. auch Erinnerungen Sarijews, Sariev 2008: 71 ff.)
Anders auch als in der späteren Phase der Herrschaft Bakijews knüpfen regierungstreue Medien an das Ereignis an. MSN kritisiert das Forum als Schau selbsternannter Demokratisierer und nennt die Oppositionäre Anhänger des ehemaligen Präsidenten Akajew, welche die alten, eben autoritären Zustände wieder herstellen wollen (MSN, 13.10.2006a, 17.10.2006). Verhindert wird mit dieser Diskreditierung allerdings nicht, dass die öffentliche Meinung weiter die Verfassungsfrage diskutiert. In einer neuen Debatte im Fernsehen kursiert am
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Ende das Gerücht, inzwischen lägen 15 verschiedene Vorschläge vor (Akipress, 17.10.2006). Genauso wirklich wie die Konsenssuche in diesen Tagen ist jedoch auch die parallel stattfindende Verschärfung des Konflikts. Am 18. Oktober schreiten erstmals Sicherheitsorgane ein und verhaften Mitglieder des Forums Junger Politiker während einer Flugblattaktion (Akipress, 18.10.2006). Es folgt eine offizielle Verwarnung der Generalstaatsanwaltschaft gegen Atambajew wegen Beleidigung. Staatliche Behörden weisen ihre Mitarbeiter an, nicht an etwaigen Protesten teilzunehmen, während der Präsident öffentlich beteuert, am 2. November keinerlei Destabilisierung zuzulassen. Für Reformen legt daraufhin vorbeugend alle Schuld für mögliche Plünderungen der Macht zu Last (Akipress, 19.10.2006, 19.10.2006a, 19.10.2006b). Dieser Schlagabtausch wird begleitet von Warnungen in der Presse. MSN beispielsweise fragt nun nach der Legitimität des Parlaments und erklärt die Aktionen von Für Reformen für illegal (MSN, 20.10.2006). Den Konflikt versucht die regierungstreue Zeitung in bekannte Schemata zu drücken: „Süd und Nord werden nie gegeneinander kämpfen, das erklären gegenwärtig viele der heutigen Oppositionsanhänger und Politiker. Dabei vergessen sie, dass in den letzten vier Jahren mindestens zweimal Südler Opfer von Gewalt in Bischkek und Umgebung wurden.“ (MSN, 27.10.2006) MSN behauptet ebenfalls, Für Reformen kaufe seine Anhänger für 200 Som; außerdem arbeite Eschimkanow für Ex-Präsident Akajew und Temir Sarijew sei in unrechtmäßige Landnahmen im Großraum Bischkek verwickelt (MSN, 27.10.2006a, 27.10.2006b). In den verbleibenden Tagen bis zum angekündigten ‚Miting‘ am 2. November wird die Auseinandersetzung immer hitziger und die öffentliche Sorge immer größer. In Anlehnung an sowjetische Traditionen, also im Duktus freiwilliger Selbstverpflichtung, lancieren gesellschaftliche Verbände nun Aufrufe zu Frieden und Kompromiss (Akipress, 19.10.2006c; MSN, 27.10.2006d, 31.10.2006). 10 Schließlich schaltet sich auch Landesvater Tschingis Aitmatow in die Debatte ein und beschwört seine Landsleute: „Nur Einheit und Geschlossenheit werden es uns erlauben, einen mächtigen Ruck durchzuführen und uns zu befreien von der Last der vergangenen Jahre, überzugehen in eine gerechtere und bessere Zukunft.“ (MSN, 24.10.2006). Im Unterschied zu früheren und späteren politischen Auseinandersetzungen greift die Diskussion im Jahr 2006 dabei grundsätzlich auf alle Bereiche der politischen Sphäre über. Im Parlament knüpfen Abgeordnete an die Sorgen in der öffentlichen Meinung an. Der junge Ge-
10 Auch in den Regionen, vgl. die Zeitung Nowoje Wremja im Kreis Schajyl (Novoe Vremja, 28.10.2006).
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schäftsmann Omurbek Babanow und der ehemalige Chef der Promstrojbank, Muratbek Mukaschew, rufen zu Gesprächen zwischen Für Reformen und Präsident auf (Akipress, 20.10.2006, 20.10.2006a). Eine Rede des Abgeordneten Tagajew gerät emotional, als dieser vor dem Funken warnt, der das Feuer entzünden könnte. MSN fragt anschließend, ob Kyrgyzstan vor dem Abgrund steht (MSN, 25.10.2006). In der Auseinandersetzung beeindruckt, wie Eskalation und Kompromisssuche parallel ablaufen und zeitgleich von den Akteuren angetrieben werden. Wenige Tage vor dem ‚Miting‘ starten noch einmal mehrere Schlichtungsinitiativen. Der erste Versuch scheitert bereits am 21. Oktober. Die Opposition sagt ein Treffen mit dem Präsidenten kurzfristig ab und wirft ihm vor, einseitig das besprochene Dialogformat geändert zu haben (Akipress, 21.10.2006). Zwei Tage später willigt sie aber in Gespräche für Ende Oktober ein (Akipress, 23.10.2006). Dessen ungeachtet droht Präsident Bakijew bei einem Auftritt im Süden des Landes, im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen eine Volksabstimmung anzuberaumen. Zur Disposition stünde dann die Annahme einer neuen Verfassung und die Auflösung des Parlaments. Für Reformen hebt den Fehdehandschuh des Präsidenten auf: die Bewegung erklärt, sie sei für kommende Wahlen gut aufgestellt (Akipress, 26.10.2006, 26.10.2006a). Dieser Konfrontation begegnen nun Vertreter der Zivilgesellschaft, die am 27. Oktober beide Seiten zu Gesprächen zusammenrufen. Der Präsident kommt und erklärt sich bereit, bis zum 20. November einen Verfassungsentwurf ins Parlament einzubringen; er verlangt allerdings auch eine parlamentarische Anhörung der drei Vorschläge der Beknasarow-Kommission zum 1. November (Akipress, 27.10.2006). Die Forderung bleibt allerdings unbeantwortet, da Für Reformen keinen offiziellen Vertreter zum Treffen schickt. Die Opposition, so die Schlussfolgerung in der öffentlichen Meinung, ist sich ihrer Position sicher und wartet auf direkte Verhandlungen mit der Regierung und mit dem Präsidenten (Akipress, 27.10.2006a). Eine abschließende Positionierung der Partei Ar-Namys unter Führung von Premier Kulow erhellt noch einmal sehr deutlich die Dynamik im laufenden Konflikt und seine Beobachtung in der Öffentlichkeit. Die Partei sagt ihre Teilnahme am ‚Miting‘ ab und erntet dafür Häme von allen Seiten. Dabei hebt die öffentliche Meinung besonders auf den politischen Ausverkauf ab, der sich eben von den klaren Positionen der Streitparteien unterscheidet; ein deutlicher Kontrast zu der öffentlichen Resignation im Frühjahr 2007, die mit dem Ausverkauf aller politischen Kräfte steigt. Ich ziehe ein weiteres Mal das Internet als Quelle heran. Ein Nutzer beispielsweise schreibt auf der Seite der Agentur PR.kg:
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„Falls es während des Mitings zu Provokationen kommt, sollte man zuerst ‚Arnamys‘ zur Rechenschaft ziehen. So kommen die immer mit heiler Haut davon und besitzen auch noch Autorität beim Volk. Billig erkaufte künstliche Autorität. Inzwischen aber weiß man, dass arnamys [(Würde)] eigentlich kurnamys [(billiger Populismus)] heißt.“ (PR.kg Kommentare, 10.2006c)
Ein weiterer Kommentar ist pure Anklage: „kulow Verkauft jeden!!!! Jetzt gerade hat er die Bewegung ‚für reformen‘ und die wahrhaften arnamyscover verkauft. Danach verkauft er Baks! Dann Tekebajew und Atambajew! Kulow hat kein ‚Namys‘!!!“ Die Selbstdiskreditierung Kulows zeigt allen Beobachtern, wie explizit die Positionen der beiden Streitparteien formuliert sind. Die Forderung nach einem Referendum steht jener nach parlamentarischer Verfassungsreform gegenüber. Die eine Seite droht mit Dauerprotest, die andere will Unordnung mit harter Hand unterdrücken. Der Präsident unternimmt angesichts der angespannten Lage einen letzten Anlauf und bittet am 30. Oktober vor dem Parlament Für Reformen zum Gespräch am folgenden Tag (Akipress, 30.10.2006). Es ist für viele eine Überraschung, dass kurz nach Zusammentreffen der Kontrahenten am 31. Oktober die Nachricht verlesen wird, dass beide Seiten an einer Kompromissvariante arbeiten. Eine Einigung scheint plötzlich möglich (Akipress, 31.10.2006). Die öffentliche Meinung hindert diese Meldung allerdings nicht an der Erörterung des Konflikts. Im Netz rufen unzählige Nutzer zum Protest auf oder verurteilen das ‚Miting‘, sie werfen Bakijew Reformblockade vor oder unterstellen Für Reformen Interessenvertretung für das alte Regime (PR.kg Kommentare, 10.2006, 10.2006a). Am Vorabend des Protests starrt die Öffentlichkeit gebannt auf den Fortgang der laufenden Verhandlungen zwischen Für Reformen und dem Präsidenten. Die Gespräche sind für viele Beobachter ein Hoffnungszeichen: „Na Endlich! Es laufen doch schon Gerüchte, dass BAKS alle Polizeikräfte aus dem Süden nach Bischkek beordert hat und plant einen Zusammenstoß zu provozieren. Sollte das passieren, dann gute Nacht diesem Land.“ (PR.kg Kommentare, 10.2006b). Sollte das ‚Miting‘ beginnen, so fürchten viele, droht der Ausbruch von Gewalt. Die öffentliche Debatte startet in den November mit Erklärungen internationaler Organisationen, welche die Streitparteien aufrufen, eine Eskalation unter allen Umständen zu vermeiden und den Dialog zu suchen. Ausländische Botschaften warnen darüber hinaus ihre Bürger vor einem Besuch öffentlicher Plätze und empfehlen, den Protesten fernzubleiben (Akipress, 1.11.2006, 1.11.2006a). Mehr Zuversicht verbreiten dagegen Nachrichten über den Erfolg der Verhandlungen. Angeblich ist ein Kompromiss in der Verfassungsfrage er-
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reicht. Das Parlament soll am 1. November die Vorschläge der BeknasarowKommission diskutieren und Bakijew am folgenden Tag einen neuen Vorschlag einreichen, welcher auf den Entwurf vom Juli 2005 aufbaut (Akipress, 1.11.2006b). Damit scheint auch die Einführung eines gemischten Wahlsystems mit 70 Listenmandaten und 35 Direktmandaten besiegelt. Außerdem will Bakijew sein Veto gegen die Umwandlung der staatlichen Sendeanstalt GTRK zurücknehmen. Ganz traut die Opposition dem Frieden aber noch nicht. Das ‚Miting‘ soll wie geplant stattfinden und Für Reformen will so lange auf dem Platz ausharren, bis alle Forderungen erfüllt sind. Es gehe schließlich um eine Systemänderung: „Wir wollen das System ändern, eines schaffen, das selbst im Falle der Ankunft eines Schuftes mehr oder weniger leidlich funktioniert. Ein politisches System sollte nicht geschaffen werden mit Rücksicht auf ehrliche, ordentliche und kompetente Personen. Es sollte vielmehr mit mittleren und sogar schlechteren Varianten rechnen und daher selbstregulierend sein.“ (Akipress, 1.11.2006b)
Mit dieser Erklärung ist der Spielraum für Kompromisse wieder ausgereizt. Im Parlament bleibt die Debatte über die Kommissionsentwürfe belanglos, dafür kommt es aber zur Lagerbildung unter den Abgeordneten. 28 Oppositionspolitiker publizieren eine Erklärung, in der sie zu Reformen aufrufen. Sie stoßen auf den Widerstand von 32 Volksvertretern, die Einheit und Stabilität proklamieren und dem Präsidenten den Rücken stärken (Akipress, 1.11.2006c, 1.11.2006d). Allerdings verlangt auch die zweite Gruppe einen neuen Verfassungsentwurf, für den 6. November, und sie fordert ebenfalls den Umbau von GTRK. Der 2. November, ein Donnerstag, startet mit der Meldung, dass Internetseiten mit der Domain .kg im Ausland nicht geöffnet werden können, während in Kyrgyzstan Seiten auf Servern, die außerhalb des Landes stehen, blockiert sind (Akipress, 2.11.2006). Unbeeindruckt von diesen ersten Anzeichen eines Informationskriegs schreitet das Parlament am Morgen zur Debatte. Die Opposition erwartet nach wie vor die Vorlage eines neuen Verfassungsentwurfs durch den Präsidenten (Akipress, 2.11.2006a). Bakijew jedoch verweist in seiner Rede vor dem Haus auf die Proklamation der 32 Abgeordneten vom Vortag und erklärt, erst am 6. November, dem kommenden Montag, einen Vorschlag für eine neue Verfassung vorlegen zu wollen. Und sollte, so droht der Präsident jetzt, der Reformprozess dann immer noch verzögert werden, würde er für Ende Dezember ein Referendum dekretieren (Akipress, 2.11.2006c). Die Opposition ist empört und bezeichnet Bakijews Auftritt als Farce (Akipress, 2.11.2006d). Für Refor-
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men fasst den Entschluss, auf dem ‚Miting‘ nun endgültig den Rücktritt des Präsidenten zu fordern (Akipress, 2.11.2006e). Der Protest startet am Nachmittag des 2. November mit dem Auflauf von mehreren tausend Demonstranten auf dem Platz Ala-Too. 11 Ich werde auf den folgenden Seiten etwas detaillierter über dieses ‚Miting‘ berichten. Mir geht es zum einen, wie in der Einleitung zu diesem Kapitel erwähnt, um die Dynamik öffentlichen Streitens, die in den herkömmlichen Beschreibungen über ‚informelle Politik‘ in Zentralasien häufig missachtet wird. Eine Darstellung der jüngsten Geschichte Kyrgyzstans sollte stattdessen versuchen, möglichst viele Facetten politischer Prozesse zu berücksichtigen. Zum anderen vertrete ich hier auch die These, dass nur eine Mikrostudie über diese höchst unwahrscheinliche Entwicklung die Möglichkeit bietet, mehr über die Chancen und Grenzen von politischen Reformen in Transformationsgesellschaften zu erfahren. Die Ereignisse in der ehemaligen Sowjetunion seit den ‚Bunten Revolutionen‘ und die Umwälzungen in anderen Teilen der Welt mit Hilfe von Massenprotesten erfordert, den Fokus stärker auf die besonderen Umständen der sich hier immer wieder schnell öffnenden und schließenden ‚windows of opportunity‘ zu legen. Auf dem Platz Ala-Too verlaufen die Demonstrationen friedlich. Rund um den Platz ist die Polizei in Alarmbereitschaft und überwacht gemeinsam mit Einheiten des Verteidigungsministeriums das Weiße Haus. Für Reformen nutzt die Bühne, um ihre Forderungen zu wiederholen. Am Abend fasst Oppositionsmitglied Erkin Alymbekow die Agenda leicht abstrakt zusammen: „Wenn am 24. März, wie sie selber gesagt haben, verehrter Präsident, eine Revolution stattfand, dann geschah diese Revolution nicht, um einen schlechten Akajew gegen einen guten Bakijew einzutauschen. Eine Revolution will doch umfassende, systemische Veränderungen, die Umwälzung einer sich abgewirtschafteten und veralteten Ordnung. Stattdessen hören wir ständig Rechtfertigungen, dass Sie ein Guter sind, nur einige Abgeordnete Böse, Strippenzieher, dass die Opposition nicht konstruktiv ist und ähnliches. Die Nutzung verzerrter, veralteter Machtmechanismen führt in eine systemische Krise, und das Fehlen der Möglichkeit, Fragen mit politischen Methoden zu entscheiden, führt in eine Situation unentscheidbarer Konfrontation mit anschließender Radikalisierung und [ . . . ] dem Herbeiführen von Entscheidungen mit Rückgriff auf Gewalt.“ (Akipress, 2.11.2006f)
Der friedliche Auftakt des Protests und Bakijews schwankende Haltung gibt der Opposition im Meinungsbild der Öffentlichkeit Aufwind. Gesprochen wird jetzt
11 Für einen Bericht über die Geschehnisse auf dem Platz Ala-Too und Proteste andernorts im Land, vgl. die Beobachtungen des EWVP Projekts (EWVP, 8.11.2006: 1 ff.).
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von der „Fortsetzung der Tulpenrevolution“ (Akipress, 2.11.2006g). Selbst russische Medien deuten die Haltung des Präsidenten als Vertrauensbruch (Akipress, 3.11.2006). Der ‚Kommersant‘ beispielsweise schreibt: „Zwanzigtausend Menschen kamen hinaus auf die Straßen, nachdem Kurmanbek Bakijew sein Versprechen nicht eingehalten und gestern keinen neuen Verfassungsentwurf ins Parlament eingereicht hatte. Nun fordern die Demonstranten den unverzüglichen Rücktritt des Staatsoberhaupts. Beobachter schließen dabei eine Wiederholung des Szenariums vom vergangenen Jahr mit einem Machtwechsel in Kyrgyzstan nicht mehr aus.“ (Kommersant, 3.11.2006)
Am Ende zweifelt gar die Zeitung MSN am Kurs Bakijews. Auch hier hatte man für den heutigen Tag den Beginn des Verfassungsreformprozesses erwartet. Nun sorgt man sich vor möglichen Ausschreitungen: „Praktisch jeder Redner äußerte seine Sorge vor einer möglichen Spaltung Kyrgyzstans in Nord und Süd. Und je mehr sie darüber sprachen, desto offensichtlicher wurde diese Abgrenzung. Heute teilen doch nicht nur Deputierte und Beamte in Nord und Süd, sondern auch einfache Leute, die ihren alltäglichen Geschäften nachgehen, weit entfernt von der Politik. Heute richtet man doch auf Märkten und Basaren, schlimmer noch, in Schulen, seine Aufmerksamkeit auf die regionale Herkunft eines Menschen.“ (MSN, 3.11.2006)
Die „Polarisierung“ (ebd.) schreitet weiter fort, doch zum Ausbruch von Gewalt kommt es nicht. Vielmehr konzentriert sich die Auseinandersetzung stärker auf die Frage, wie Informationen verbreitet werden und wer den Zugang zu Informationen kontrolliert. Eine Kassette mit Aufnahmen von internen Strategiediskussionen von Für Reformen beispielsweise ruft aufgrund des kompromittierenden Inhalts Empörung hervor. Allerdings bleibt diese Empörung verhalten und wird schnell abgelöst von der Frage, ob die Opposition wirklich Pläne für einen gewaltsamen Umsturz geschmiedet hat, oder ob der staatliche Sicherheitsdienst mithilfe redaktioneller Nachbearbeitung eben diesen Eindruck erwecken wollte (Akipress, 3.11.2006b, 3.11.2006d). Welche Frage in der Debatte im Vordergrund steht entscheidet dabei zunehmend die politische Gesinnung des Mediums. Der Fernsehsender NTS wandelt sich jetzt zum Sprachrohr der Opposition, während der Kanal KTR der staatlichen Sendeanstalt GTRK anfangs kaum oder gar nicht über die Demonstrationen informiert (Akipress, 2.11.2006h, 5.11.2006). Um die landesweite Berichterstattung über die Proteste sicherzustellen, unternimmt Für Reformen in der Folge einige Versuche, um Zugang zu GTRK zu bekommen. Es muss gewährleistet sein, dass die Menschen in den Re-
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gionen über die Ereignisse in der Hauptstadt informiert werden; außerdem müssen Nachrichten über die Entwicklungen in den Provinzen für Beobachter im ganzen Land zugänglich gemacht werden (vgl. zur Berichterstattung EWPR, 8.11.2006: 1 ff.). Einige Tage nach dem Beginn der Proteste ist offensichtlich: auch über das, was in den Regionen passiert, hat sich ein Informationskrieg entwickelt. Je nach politischer Nähe berichten die Medien über gut besuchte Proteste in den Regionen oder über das völlige Fehlen jeglicher Unterstützung für die Opposition (Akipress, 3.11.2006e, 3.11.2006f). Die Auseinandersetzung über die Informationshoheit nimmt zum Wochenende hin zu (Akipress, 5.11.2006). Die Angaben sind widersprüchlich und Gerüchte und Falschmeldungen machen verstärkt die Runde. Es heißt, in Talas im Westen des Landes hätten Demonstranten ebenfalls Jurten aufgestellt und sich Für Reformen angeschlossen (Akipress, 4.11.2006a). Angeblich besucht auch der deutsche Außenminister Steinmeier während seines Aufenthalts in der Republik das Protestlager im Stadtzentrum (Akipress, 4.11.2006b). Oppositionsmitglied Eschimkanow verspricht sogar den baldigen Anschluss weiterer Teile des Landes an die Bewegung (Akipress, 5.11.2006a). Dem widersprechen Meldungen, dass Gegendemonstranten auf dem Weg in die Hauptstadt sind (EWVP, 8.11.2006: 3 f.). Es wird auch kolportiert, dass führende Mitglieder der Opposition vom SNB vorgeladen worden sind (Akipress, 4.11.2006c). Das zweite große Thema neben dem Informationskrieg ist die Verfassungsreform. Diskutiert wird inzwischen, wie die Frage der Annahme einer komplett neuen Verfassung operativ gelöst werden kann. Denn rechtlich geregelt ist allein die Einführung von Änderungen in die bestehende Konstitution; die Ablösung einer Verfassung durch eine andere ist hingegen juristisches Neuland (Akipress, 3.11.2006g). Man hofft, so erklärt Tekebajew am Wochenende, der Vorschlag Bakijews am kommenden Montag, den 6. November, weise den Ausweg aus dieser Sackgasse (Akipress, 4.11.2006d). Tekebajews Hoffnungen werden zerschlagen. Für Reformen Mitglieder nehmen an der Parlamentssitzung gar nicht erst teil und die übrigen Abgeordneten sind mit Bakijews Idee einer Verfassungsreform höchst unzufrieden (Akipress, 6.11.2006, 6.11.2006a, 6.11.2006b, 6.11.2006c). Man ist empört, dass der Entwurf die Unterschrift Akajews trägt, nicht die des amtierenden Präsidenten (Akipress, 6.11.2006d). Ein Fauxpas, der die Fronten nur weiter verhärtet. Gespräche zwischen den Lagern führen zu keinem Ergebnis. Für Reformen verlangt, direkt mit dem Präsidenten zu verhandeln (Akipress, 6.11.2006f); außerdem wird die Forderung laut, die Führung von GTRK auszuwechseln (Akipress, 6.11.2006h). Den ganzen Tag über werden Anschuldigungen ausgetauscht und Gesprächsini-
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tiativen gestartet (vgl. z.B. Akipress, 6.11.2006g). Der Erfolg bleibt jedoch aus und der Streit droht jetzt, in eine Sackgasse zu münden. Am Abend dieses 6. November beschließt Für Reformen, über die Mitglieder der Bewegung mit einem Mandat eine außerordentliche Sitzung des Parlaments einzuberufen. Das Ziel ist es, so die Opposition, 38 Stimmen bei mehr als 50 anwesenden Abgeordneten zu bekommen um anschließend eigenmächtig eine neue Verfassung verabschieden zu können (Akipress, 6.11.2006i). Mit diesem recht ungewöhnlichen Ausbruch aus der drohenden Sackgasse nimmt der Konflikt eine ganz neue Dynamik an. Erstens wird jetzt wieder das Parlament zur Bühne eines politischen Streits, der seit dem 2. November überwiegend auf der Straße ausgetragen worden war. Es wird mithin nicht auf dem Ala-Too mit Gewalt die Konfrontation gesucht. Zweitens verlassen die Verhandlungen den eher informellen Rahmen und werden ins Scheinwerferlicht öffentlicher Begutachtung gerückt und in das Format einer Gesetzesinitiative. Vermieden wird somit eine Lösung, bei der in den Hinterzimmern des Weißen Hauses mithilfe von Kooptation und Einschüchterung ein Elitenkonsens erzwungen wird. Drittens nimmt das Tempo der Auseinandersetzung zu, wenn jetzt in einer stundenlangen Aufführung im ‚Schogorku Kenesch‘ der öffentlichen Meinung höchste Konzentration abverlangt wird. Der Konflikt läuft mithin nicht Gefahr, gegenüber einer immer stärker resignierenden Öffentlichkeit irgendwann seine Anschlussfähigkeit zu verlieren und komplett zu stagnieren. Das Gegenteil ist der Fall: eine halbe Stunde vor Mitternacht, mit dem Eintreffen der ersten Abgeordneten, hebt sich der Vorhang für diese wohl einmalige Szene der politischen Geschichte des unabhängigen Kyrgyzstans. Ich beschränke mich in ihrer Darstellung auf eine Auswahl von Meldungen der Nachrichtenagentur Akipress, deren Redaktion den Geschehnissen im Minutentakt zu folgen versucht: 23:35 Uhr: „32 Abgeordnete für die Sitzung des Parlaments registriert (erneuert: 42 Abgeordnete registriert)“; 23:46 Uhr: „O. Tekebajew: Mehr als 20 Abgeordnete haben sich im Haus des Deputierten Popow versammelt und weigern sich ins Parlament zu kommen.“; 00:05 Uhr: „[Parlamentssprecher] M. Sultanow: Wenn wir es schaffen, die Unterschriften von 38 Abgeordneten zu sammeln, haben wir das Recht, eine Verfassung anzunehmen“; 00:24 Uhr: „Auf der Sitzung des Parlaments trifft die Vorsitzende des Verfassungsgerichts Tsch. Bajekowa ein“; 01:24 Uhr: „T. Sarijew: Entweder die 20 Abgeordneten erscheinen [ . . . ] oder wir schaffen eine Gründungsversammlung aus 38 Abgeordneten.“; 02:23 Uhr: „Abgeordnete rufen Gründungsversammlung ins Leben“; 03:40 Uhr: „Im Parlament hat die Abstimmung über die Verordnung zur Annahme der Verfassung begonnen“; 04:48 Uhr: „34 Deputierte haben die Verfassung unterschrieben“; 05:07 Uhr: „Die Abgeordneten - Mitglieder der Gründungsversammlung übernachten im Parlaments-
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gebäude“; 11:11 Uhr: „[Abgeordneter] O. Babanow: der Präsident wird heute zurücktreten“; 12:06 Uhr: „Neben dem Gebäude des Parlaments wird ein Anti-Miting zur Unterstützung Präsident Bakijews abgehalten“; 12:12 Uhr: „[Verteidigungsminister] Ismail Isakow: Gestern kam es im Parlament zu einem Verfassungsumsturz. Die Regierung hat beschlossen, ‚bestimmte Maßnahmen‘ zu ergreifen“; 12:25 Uhr: „[ . . . ] Inzwischen haben 38 Abgeordnete ihre Unterschrift unter die Verfassung gesetzt.“; 12:36 Uhr: „Der Sprecher der Kammer hat das Parlament verlassen, erklärend, dass er sich weigert, an der Arbeit der Gründungsversammlung teilzunehmen“; 12:51 Uhr: „Antimiting-Teilnehmer gewillt, eigene Gründungsversammlung einzusetzen“; 12:51 Uhr: „M. Eschimkanow: Die Neue Konstitution ist faktisch verabschiedet [ . . . ].“; 13:50 Uhr: „Kurmanbek Bakijew: Die Aktionen der Opposition sind illegal“; 14:04 Uhr: „K. Bajbolow: Die Abgeordneten haben eine neue Verfassung verabschiedet“; 15:04 Uhr: „Der neue Verfassungsentwurf, unterschrieben von 39 Abgeordneten.“; 15:08 Uhr: „Teilnehmer des Anti-Miting stellen Jurten auf“; 15:24 Uhr: „O. Tekebajew: ‚Für Reformen‘ möchte die Legitimierung der neuen Verfassung mit Hilfe der öffentlichen Meinung erreichen.“; 16:48 Uhr: „Eine Kolonne von Demonstranten am Weißen Haus bewegt sich in Richtung Parlament.“; 16:54 Uhr: „Die zwei Mitingi haben sich praktisch vermengt [ . . . ] es kam zu Zusammenstößen“; 16:59 Uhr: „Die Miliz vertreibt alle Demonstranten mit Hilfe von Platzpatronen.“ 12
Im Anschluss an diese Eskalation auf dem Alten Platz vor dem Parlamentsgebäude herrscht eine unsichere Ruhe (vgl. Darstellung der Ereignisse bei EWVP, 8.11.2006: 6 ff.). Trotz anderslautender Bekundungen der Streitparteien bleiben weitere gewaltsame Zusammenstöße aus. Es wird bekannt, dass Anhänger beider Lager in Krankenhäuser eingeliefert wurden. Am späten Abend meldet Akipress schließlich: „[Abgeordneter] K. Imanalijew: Morgen kommt es zur Sitzung im Parlament. Ein Schlichtungsentwurf für eine Verfassung wird dann eingereicht.“ (Akipress, 7.11.2006) Tatsächlich kommt es am 8. November morgens zu einer neuen Sitzung. Die Abgeordneten bemühen sich erst einmal um eine neue Geschäftsordnung, um anschließend legal eine neue Verfassung annehmen zu können (Akipress, 8.11.2006). Bereits in den Mittagsstunden ist diese Hürde genommen und die Arbeit an einem Schlichtungsentwurf kann beginnen (Akipress, 8.11.2006a). Vizeparlamentssprecher Tajyrbek Sarpaschew informiert die Öffentlichkeit über die Vorgehensweise: Zugrunde liegt dem Schlichtungsentwurf die Version der Gründungsversammlung vom Juli 2005, mit einigen Änderungen aus Forderungen regierungstreuer Abgeordneter. Die Verfassung soll in zwei Lesungen angenommen werden, mit jeweils mindestens 52 Stimmen. Zum jetzigen Zeitpunkt
12 Alle Schlagzeilen bei „Akipress“ in der Rubrik „Politik“, 6. und 7. November 2006.
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fehlen allein die Forderungen des Präsidenten. Sarpaschew macht auch deutlich, dass man für den Fall weiterer Verzögerungen den ursprünglichen Entwurf der Gründungsversammlung zu verabschieden gedenkt. Inzwischen haben 41 Abgeordnete ihre Unterschrift unter dieses Dokument gesetzt (Akipress, 8.11.2006b). Abseits des Geschehens im Parlament füllen Meldungen über Demonstrationen zur Unterstützung Bakijews den öffentlichen Äther (Akipress, 8.11.2006c). Es ist dabei nicht ohne Ironie, dass eine Abordnung von Studierenden bei ihrer Ankunft im Stadtzentrum die Seiten wechselt und sich Für Reformen anschließt (Akipress, 8.11.2006d). Die Macht und ihr Rückgriff auf administrative Ressourcen wird so öffentlichkeitswirksam bloßgestellt und gleichzeitig wird deutlich, wie wenig Handlungsspielraum die Regierung zu diesem Zeitpunkt besitzt. Allerdings sind diese Missgeschicke des Manipulationsapparats inzwischen nur noch sekundär. Die Musik spielt im Parlament, wo gegen vier Uhr nachmittags die Emissäre Bakijews eintreffen (Akipress, 8.11.2006e). Staatssekretär Adachan Madumarow und Justizminister Marat Kajypow streiten für das präsidiale Recht, die Regierung bestätigen und lokale Richter ernennen zu dürfen (Akipress, 8.11.2006f). Kurz darauf wird der Text der neuen Verfassung ‚geleakt‘, bevor dann die Parlamentskommission eine Streitschlichtung verkündet (Akipress, 8.11.2006g, 8.11.2006h). Es folgt, überraschend für alle Beobachter, um acht Uhr abends das Veto Bakijews gegen die Änderung der parlamentarischen Geschäftsordnung (Akipress, 8.11.2006i). Für Reformen Mitglied Temir Sarijew droht nun mit der eigenmächtigen Annahme des Entwurfs der Gründungsversammlung, den zu diesem Zeitpunkt 64 Abgeordnete unterschrieben haben. Madumarow und Parlamentssprecher Sultanow übermitteln Bakijews Forderungen nach einem veränderten Amtsenthebungsverfahren und nach dem Recht, die Vorsitzenden der Zentralen Wahlkommission, der Generalstaatsanwaltschaft und der Nationalbank ohne Zustimmung des Parlaments entlassen zu können (Akipress, 8.11.2006k). Das Parlament ist kompromissbereit. Kurz nach Mitternacht, am 9. November, verkünden die Medien das Einverständnis des Präsidenten zur Änderung der Geschäftsordnung (Akipress, 9.11.2006). Einige Minuten später wird bekannt, dass der vom Präsidenten unterschriebene Verfassungsentwurf bereits dem Parlament vorliegt (Akipress, 9.11.2006a). Alles Weitere geht Schlag auf Schlag. Der Entwurf wird dem entsprechenden Komitee überwiesen. Dieses billigt den Text, was wiederum von Parlamentssprecher Sultanow verkündet wird (Akipress, 9.11.2006b). Die Abgeordneten schreiten umgehend zur Abstimmung. Sie nehmen den Vorschlag in erster Lesung mit 67 und in zweiter Lesung mit 65 von 69 Stimmen an. Um 0:46 Uhr gibt Akipress bekannt: „Neue Verfassung in Kyrgyzstan angenommen“ (Akipress, 9.11.2006k). Die Abgeordneten im Parla-
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ment brechen in Jubel aus. In den folgenden Stunden überschlagen sich die Kommentare, wobei Erleichterung der dominante Tenor ist. Der junge Abgeordnete Babanow spricht von der „Geburt des neuen Kyrgyzstans“, während Tekebajew mit dem Hinweis auf die Amtsweiterführung von Bakijew und Kulow die Kosten des Kompromisses beziffert (Akipress, 9.11.2006c, 9.11.2006d). Für Reformen erklärt das Ende aller Proteste und selbst die enttäuschten Gegendemonstranten räumen die Plätze, nachdem auch Bakijew öffentlich versichert, dass die neue Verfassung die beste aller Verfassungen ist (Akipress, 9.11.2006e). Bei Tageseinbruch setzt eine breite öffentliche Erörterung der vergangenen Geschehnisse ein. Politbeobachter, Rechtsexperten und Politiker aus Kyrgyzstan, Russland und aus dem Westen liefern detaillierte Analysen der neuen Konstitution (vgl. z.B. Akipress, 9.11.2006g, 9.11.2006h, 9.11.2006i). Die International Crisis Group steht mit ihrer Warnung vor einem drohenden Bürgerkrieg etwas isoliert (Akipress, 11.11.2006); die überwiegende Mehrheit der Beobachter sehen einen politischen Neuanfang und betonen Kyrgyzstans Beispiel für Zentralasien (z.B. Akipress, 10.11.2006, 10.11.2006a, 10.11.2006b). Ein Kommentar des Experten Marat Tasabekow fasst die öffentliche Meinung schön zusammen: „Eine langfristige und nachhaltige Balance zwischen den grundlegenden Kräften in Kyrgyzstan zu finden ist eines der wichtigsten Ziele der Verfassung, und meiner Meinung nach ist dieser Prozess nicht beendet, sondern hat gerade erst angefangen. Die angenommene Verfassung ist an mancher Stelle gut, an anderen schwach und an noch anderer Stelle ist sie wie die alte. Noch gibt es viele Fragen in Bezug auf die neue Verfassung. Aber eines ist wohl unzweifelhaft – dank ihr hat eine neue Phase in der Entwicklung unserer Kyrgyzischen Republik begonnen: weg von den Mitingi und dem Chaos – hin zu normalen politischen Prozessen.“ (Akipress, 10.11.2006d)
Mancher Beobachter bleibt der neuen Verfassung gegenüber skeptisch, aber den Konflikt zwischen Opposition und Regierung berührt das nicht mehr (Akipress, 10.11.2006e). Mit einer großen Feier auf dem Ala-Too besiegelt Für Reformen den kyrgyzischen ‚Majdan‘. Anschließend werden die Zelte und Jurten abgebaut, der Platz gesäubert und der Heimweg angetreten. Etwaige Kritik an der neuen Verfassung wird in den Folgetagen immer leiser. Nach Meinung der meisten Beobachter soll es jetzt darum gehen, diese „progressive und demokratische Verfassung“ (Akipress, 10.11.2006f) in der Praxis zu testen (Akipress, 13.11.2006, 14.11.2006).
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4.2 P OLITISCHER K ONFLIKT ALS MODERNE V ERANSTALTUNG
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Das Für Reformen Mitglied Temir Sarijew betitelt in seinen Erinnerungen das Kapitel über die hier von mir geschilderten Ereignisse mit „Das Legendäre Novembermiting“ (Sariev 2008). Ich folge seiner impliziten Einschätzung und sehe die Geschehnisse ebenfalls als eine einmalige Veranstaltung in der jüngeren politischen Geschichte Zentralasiens. Nach Monaten der Erfahrung mit friedlichen Straßenprotesten produziert der kyrgyzische ‚Majdan‘ am Ende eine Schlichtung zwischen den Streitparteien in Form einer neuen Verfassung, welche den Weg für den Aufbau einer parlamentarischen Republik ebnet (vgl. Kommentar der Venedig Kommission, European Commission for Democracy Through Law, 15.12.2007: 3). Prozess und Ergebnis beeindrucken dabei aus zwei Perspektiven. Zum einen verdient die Gewaltlosigkeit Aufmerksamkeit, geschehen die Auseinandersetzungen doch vor dem Hintergrund einer frischen öffentlichen Erinnerung an revolutionäre Sturmkommandos und nächtliche Plünderungen. Mit Ausnahme des kurzen Zusammenstoßes auf dem Alten Platz sind alle Aktionen von Für Reformen friedlich. Zum anderen entfaltet die Politik im Herbst 2006 ihr ganzes Potential als jenes System, welches Machtkonflikte zu versachlichen vermag. Es entwickelt sich ein Konflikt wie im ‚Messmer’schen‘ Lehrbuch, der integrativ wirkt, neue Spielregeln produziert und schließlich neue Horizonte in Form politischer Programme öffnet. Mit dieser Entwicklung enttäuscht der Konflikt Erwartungen, die häufig an politische Auseinandersetzungen in Zentralasien herangetragen werden. Wo beispielsweise die Zentralasienstudien die Bedeutung traditioneller politischer Identitäten betonen und die vergleichende Regimeforschung Politik in der Region nur in Form von Macht- oder Dynastiewechseln versteht oder die Dynamik informell organisierter ‚elite struggles‘ hervorhebt, steht plötzlich das Beispiel eines Konflikts, der als öffentlicher und friedlicher Streit am Ende Regimewechsel als Alternative zum puren Machtwechsel vorstellbar und erwartbar werden lässt. Ganz so, als ob Andersons „Insel der Demokratie“ (Anderson 1999) doch existiert und anstelle von Despotie nun parlamentarische Regierungsform, Verhältniswahlrecht und öffentliche Sendeanstalten hervorbringt. Im Sinne dieser Besonderheit möchte ich die Novemberereignisse aus dem Schatten der Tulpenrevolution heraustreten und ihnen mehr Würdigung zuteilwerden lassen. Ohne Zweifel, die Tulpenrevolution hat Beobachter im In- und Ausland mit der Vertreibung der Herrscherfamilie beeindruckt; ich behaupte aber, dass erst die Geschehnisse im Herbst 2006 die Realisierung revolutionärer Potentiale bedeuteten.
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Ich möchte in meiner Analyse wieder vier Punkte hervorheben, die meine These untermauern. Erstens differenzieren sich Sprecher und Themen und auch die zeitlichen Projektionen stärker aus. In dieser Episode wird das Parlament vom Streit der Lager eingeholt, hier werden die ‚Zehn Schritte‘ in legale Initiativen übersetzt, und hier wird schließlich auch der Faden zu den revolutionären Ereignissen des Jahres 2005 geknüpft und gleichzeitig die „Geburt des neuen Kyrgyzstans“ proklamiert. Zweitens werden in dieser Episode alle alternativen Narrative über das Geschehen vollständig marginalisiert und die moderne Erzählung über den politischen Streit zwischen Regierung und Opposition dominiert – für den Moment – konkurrenzlos. Drittens geschieht in dieser Episode die Einführung von neuen Regeln für die politische Entscheidungsfindung. Evolutionstheoretisch gesprochen erfolgt in der hier geschilderten Auseinandersetzung die Beendigung des Konflikts durch die Aufnahme eines Widerspruchs in das System als neues Element. Viertens zeigt diese Episode wie keine zuvor (und keine danach) die Kraft der Versachlichung in der Politik als öffentlich beobachtbare Veranstaltung, wenn an mehreren Punkten die Auseinandersetzung nicht in Gewalt abgleitet, sondern in der Antizipation einer öffentlichen Meinung alle Beteiligten den Weg zurück zum Verhandlungstisch antreten. 1. Die dichotomische Anordnung von Sprecherpositionen lässt sich am besten am Beispiel der Parlamentariergruppen und an den Problemen der Partei ArNamys erläutern. Im ‚Schogorku Kenesch‘ hatten sich bis zu diesem Konflikt Abgeordnete in relativ instabilen ‚Gruppen‘ zusammengefunden. Weder waren diese Gruppen mit besonderen Parlamentsrechten ausgestattet, noch waren sie politisch irgendwie sortiert. Vielmehr spielten prekäre Loyalitätsbande eine Rolle, die zu häufigen Wechseln von Abgeordneten zwischen den einzelnen Gruppen führten. 13 Der Konflikt im Herbst erforderte von den Mitgliedern des Parlaments nun eine klare Bekundung für eine der beiden Seiten des Konflikts, welche erstmals mit den Stimmen für Für Reformen oder für den Präsidenten am 2. November geäußert wurde. Anschließend setzte sich diese Positionierung fort in den namentlichen Nennungen derjenigen Abgeordneten, die ihre Unterschrift unter die neue Verfassung gesetzt hatten und derjenigen, die es vorgezogen hatten, sich im Hause des Abgeordneten Sergej Popow zu verschanzen. Dabei besteht
13 Beispielsweise fanden sich in der Abgeordnetengruppe ‚El Menen‘ einige Anhänger des Präsidenten, genauso wie in den Gruppen ‚Keletschek‘ oder ‚Birimdik‘, wohingegen oppositionell gestimmte Abgeordnete in der Gruppe ‚El birimdigi‘ saßen oder als Unabhängige firmierten. Usbekische Abgeordnete hatten sich seit dem 20. November in der Gruppe ‚Kyrgyzstan‘ zusammengefunden. Insgesamt existierten Ende November 2006 acht Gruppen und eine Reihe unabhängiger Parlamentarier.
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der Unterschied zu den Abstimmungen im Februar, als Tekebajews Absetzung zur Debatte stand, in der öffentlichen Aussage, die ein jeder Parlamentarier jetzt machen musste. Im Herbst 2006, sensibilisiert durch ‚Matrjoschkagate‘ und die Debatte über manipulierte Informationen, reduziert, so meine Schlussfolgerung, die öffentliche Erwartung den Raum für informelle Absprachen. Das schlägt sich unter anderem in der völligen Bedeutungslosigkeit der Zugehörigkeit der Volksvertreter zu Abgeordnetengruppen in dieser Phase der Auseinandersetzung nieder. Und es erklärt auch die schnelle Marginalisierung der Partei Ar-Namys von Premierminister Feliks Kulow. Die von mir angeführten Kommentare von Internetnutzern verweisen auf den verengten Spielraum für politisches Manövrieren, wenn eine öffentliche Meinung das politische Feld auf zwei streitende Parteien aufteilt. Die einzigen ‚neutralen‘ Positionen in dieser Auseinandersetzung sind dann entweder zivile Kräfte wie NGOs oder Stimmen, die eines jeden Zweifel an ihrer Unparteilichkeit erhaben sind, wie die von Tschingis Aitmatow. Auch die Themen werden in dieser Episode ausdifferenziert wie selten zuvor. Die Debatte über die Geschäftsordnung und über die richtige Form für die Annahme einer neuen Verfassung gibt ein besonderes Beispiel. Die Überlegungen über Möglichkeiten, die neue Verfassung mit genügend Legitimation auszustatten, fanden ihren Niederschlag in der Diskussion über die Vor- und Nachteile einer revolutionären Legitimierung einer neuen Verfassung und die daraus resultierenden Bemühungen, über die Änderung der Geschäftsordnung doch noch eine Legitimierung per Reform zu suchen. Die ‚Venedig Kommission‘ wird das Ergebnis dieser Anstrengungen später indirekt anpreisen, wenn sie der Verfassung vom Oktober 2007 vorwirft, das Dilemma der Legitimation vergangener politischer Entscheidungen nur unzureichend gelöst zu haben (European Commission for Democracy Through Law, 15.12.2007: 4). Ein weiterer Beleg für die Ausdifferenzierung der Themen sind die in den Direktverhandlungen zu Tage tretenden Streitpunkte bezüglich der Verteilung von Kompetenzen zwischen Parlament und Präsident. Anstatt vertieft in die Diskussionen über die Verteilung von Posten einzusteigen, wie es für Auseinandersetzungen in Kyrgyzstan so häufig erwartet wird und in der Zukunft auch wieder verstärkt der Fall ist, drehen sich hier alle Fragen um mögliche Entscheidungsbefugnisse in einem zukünftigen parlamentarischen System. Verknüpft wiederum sind diese Themen und die auf sie abzielenden Fragen mit jenen Vorlagen, die in dem Verfassungsentwurf vom Juli 2005, also dem ersten Versuch zur Änderung des politischen Systems nach der Tulpenrevolution, ausgearbeitet worden waren. Damit sind abschließend auch die Sprecher in diesem Konflikt über ihre politischen Agenden eingebunden in einen zeitlichen Zusammenhang, der die Episode noch stärker mit den
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revolutionären Ereignissen verbindet, als dies noch im Frühjahr 2006 der Fall gewesen war. 2. Der am Vorabend des Konflikts geäußerte Kommentar eines Internetnutzers, dass Gerüchte über die Stationierung südlicher Sicherheitskräfte in Bischkek die Runde machten, stellt in meiner Erzählung eine Ausnahme dar; ebenso Katschkejews einleitender Kommentar, die Eliten würden mithilfe von Postengeschacher den Konflikt lösen und das Volk weiter seine Protestpotentiale sammeln. Beide Meinungen, also das Verständnis von Politik als Auseinandersetzung zwischen Nord und Süd und die Auffassung, in Kyrgyzstan kapsele sich eine Elite vom Volke ab, werden im Verlauf des Konflikts bis zu einem Grad an den Rand gedrängt, der von den meisten Beobachtern nicht ausreichend reflektiert wird. Zwei Punkte möchte ich diesbezüglich hervorheben. Erstens greift die öffentliche Meinung in dieser Episode für ihre Bewertung der Geschehnisse in einem unbekannten Maße auf die Unterscheidung zwischen Regierung und Opposition zurück und lässt schlicht wenig Raum für Alternativen. Bereits die Berichterstattung von Akipress macht diese Entwicklung sichtbar, wo die Benutzung des Begriffs „Opposition“ mit den Werten 25 für Oktober und 38 für November hochschnellt. 14 Zweitens sind die Rechtfertigungen regierungstreuer Medien bezeichnend, die in ihrer Diskreditierung des politischen Gegners versuchen, öffentliche Sortierungen mit alternativen Formaten zu konfrontieren. MSN liefert hierfür ein anschauliches Beispiel. Die Zeitung schreibt: „Das [Anti]Miting auf dem Alten Platz hätte man lange vorher anfangen sollen. So aber verbreitete das Oppositionskontingent, auf welches sich die Kameramassen fokussierten, doch weiterhin eine unwahre Meinung über unser Land und unsere Leute verbreitet. Und so hielt die ganze Welt die Versuche der Oppositionsmitglieder, die Titularnation in zwei Flügel – in südliche Kyrgyzen und nördliche Kyrgyzen – zu unterteilen, für irgendeine objektive Realität“ (MSN, 17.11.2006),
und macht so ihr Bestreben deutlich, der Öffentlichkeit Schemata, hier Nord versus Süd, als Alternative anzutragen. Gleichzeitig tritt aber auch das Unbehagen über eine öffentliche Meinung hervor, der man zwar unterstellt, manipulierbar zu sein, der man zum anderen aber auch die Unabhängigkeit ihrer Kameramassen zugesteht. Ich behaupte also nicht, dass die Unterscheidung zwischen Nord und Süd im Herbst 2006 nicht benutzt wird. Sie findet nur kaum noch Anschluss in der öffentlichen Debatte. Es geht in dieser Auseinandersetzung um Mehrheits-
14 Vgl. Archivsuche zu Stichwort „Opposition“ für die Monate Oktober 2006 und November 2006 bei Akipress.
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oder Verhältniswahlrecht, um Prozessfragen und um die Regeln für die Ernennung lokaler Richter. Es geht aber eben nicht mehr um Nordkyrgyzen unter der Führung von Für Reformen und Südkyrgyzen unter der Führung von Toptschubek Turgunalijew. Auf den Punkt bringt diesen Umstand das EWVP Projekt, wenn es für die Situation Anfang November festhält: „Risks are related to the following: [ . . . ] b) due to the amount of ‚local‘ participants, they may be perceived as the main force of the rally, which may bring to the rethoric of southnorth division“ (EWVP, 1.11.2006: 4). Das Projekt identifiziert hier das Potential für Formate, schätzt ein ‚framen‘ des Konflikts entlang einer Unterscheidung in Nord und Süd ein, stellt mit dieser Form der Einschätzung aber auch gleich ihre Bezüglichkeit in den Vordergrund. Regionalismen müssen im Herbst 2006 als Erklärung in einen Kontext gestellt werden; als unabhängige Sortierungskategorien haben sie zu diesem Zeitpunkt ihr Potential verloren. 3. Der Konflikt im Herbst 2006 beeindruckt wahrscheinlich am stärksten mit seinem Durchbruch hin zu parlamentarischen Formen der Entscheidungsfindung. Darüber hinaus entwickelt die Öffentlichkeit eine differenzierte Beobachtung und kritische Kommentierung manipulativer Praktiken wie Diskreditierung und Kooptation. Das erste Moment sehe ich verstärkt in der Transformation des politischen Konflikts von einer Auseinandersetzung auf der Straße hin zu einem Streit, der parallel abläuft zwischen Volksvertretern im Parlament und Gruppen auf den öffentlichen Plätzen. Das zweite Moment identifiziere ich in der Entwicklung eines ausgeklügelten Systems von Merkmalen in der öffentlichen Meinung zur Identifizierung falscher politischer Aktion. Die Verlagerung der politischen Auseinandersetzung im Herbst 2006 lässt sich an zwei Beispielen aufzeigen. Zum einen unterstreicht das Scheitern des Kurultaj am 17. September die Notwendigkeit für modernere Formen des politischen Streitens. Das Parlament und seine Komitees und Resolutionen sowie seine andauernden Beratungen und rekursiven Konfliktbearbeitungsmechanismen sind einem Kurultaj und seiner momentanen und unterkomplexen Bestandsaufnahme einer politischen Situation und dem Zwang zur Repräsentation der Volkseinheit überlegen. Zum anderen zeugt der Aufruf zu einer außerordentlichen Parlamentssitzung am 6. November von der Bedeutung, die in diesem Konflikt institutionalisierten Formen der politischen Entscheidungsfindung beigemessen wird. Weder in Zeiten der Tulpenrevolution noch später in den Krisen der Jahre 2007 oder 2010 gewinnt das Parlament diesen Status. Während des ‚Novembermitings‘ ist Kyrgyzstan, wenn auch nur für eine kurze Zeit, eine parlamentarische Republik, in der die wichtigsten politischen Fragen gestellt und entschieden werden.
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Diese Bedeutung ist nur erklärbar mit dem Verweis auf die kontrollierende Kapazität der öffentlichen Meinung in diesen Wochen. Wenn EWVP in seiner Beobachtung über die ‚Anti-Mitingi‘ auf dem Alten Platz am 6. November festhält: „Apparently among contra-opposition [sic!] participants there were many people from the law enforcement agencies in civilian clothes (from the prosecutor’s office, National Security Council), sportsmen, state employees, students of junior courses, and intelligentia“ (EWVP, 8.11.2006: 8), dann entlarvt das Projekt Methoden der politischen Manipulation durch die Identifizierung von administrativen Ressourcen. Die Öffentlichkeit ist längst über den Punkt hinaus, an dem sie Manipulationen blind folgt und übt sich aufklärerisch an der Reflexion auf Formatangebote. Am Ende ist selbst MSN gezwungen, sich der kritischen Beobachtung zu beugen und zu beteuern, dass man trotz der Vorwürfe von Seiten einiger Leser, „wir hätten uns komplett geändert, wären eine propräsidentielle, pro-Regierungszeitung geworden“ (MSN, 27.11.2006e) sich immer noch um eine objektive Berichterstattung bemühe. Die öffentliche Meinung ist an diesem Punkt in der politischen Auseinandersetzung sehr wohl in der Lage, Medien nach ihrer politischen Affiliation zu unterteilen, Kooptationsversuche wie Kurultaj-Veranstaltungen zu erkennen und die Organisation von Massenaufläufen von authentischem Protest zu unterscheiden. 4. Dieses Zusammenspiel zwischen Institutionalisierung des politischen Streits und der gehobenen Prüfung durch eine kritische öffentliche Meinung ist meiner Ansicht nach auch das Erfolgsrezept für die Friedfertigkeit in diesem Konflikt. Ich führe noch mal eine Beobachtung aus einem EWVP Bericht an, der das Ausmaß der Versachlichung dieses Machtkonflikts hervorhebt: „Among participants of the demonstrations there was an awareness of the need to stay within the legal framework, to avoid violence and to present a ‚civilized‘ image to the rest of the world.“ (EWVP, 8.11.2006: 9) Die Notwendigkeit „to present a ‚civilized‘ image“ ist der Hinweis darauf, wie öffentliche Meinung als unsichtbare Hand die Dynamik der Geschehnisse im Herbst 2006 bestimmt und die politischen Akteure auf bestimmte, eben zivile und friedliche Formen der Streitaustragung verpflichtet. Trotz grandioser Skandale wie ‚Matrjoschkagate‘, verschärfter Drohungen wie der Parlamentsauflösung und dem Auflaufen verfeindeter Demonstrantengruppen steht permanent bei allen Akteuren die praktische Suche nach Verhandlung und Kompromiss im Vordergrund. Die andere Seite, das mögliche Abrutschen in einen reinen Machtkonflikt, wird immer im Streit mitgeführt, letztlich aber in unzähligen Initiativen für Foren, Kommissionen, Komitees, und Parlamentsauftritten eingefangen und so die Gefahr absorbiert. Abschließend möchte ich hier noch mal auf den Ausweg aus der Sackgasse am 6. November hinweisen. Bedeutend ist hier die Entscheidung, eine Parlamentssit-
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zung einzuberufen, also den Versuch zu unternehmen, mit einer legalen Initiative zum einen die öffentliche Beobachtung der politischen Aktion zu garantieren, des Weiteren die Chancen informeller Absprachen zu minimieren und gleichzeitig möglichen Druck seitens der Straße zu kompensieren. Versachlichung erfolgt hier in Gestalt eines Konflitkformats, welches es erlaubt, den politischen Streit, erstens, ergebnisoffen zu führen, ihn, zweitens, der direkten Prüfung durch die unsichtbare Hand der öffentlichen Meinung auszusetzen und ihn, drittens, einzubetten in ein Netz etablierter Normen für weitere Streitfälle (so zum Beispiel die Geschäftsordnung). Zusammenfassung Ich habe in dieser Konfliktepisode die Geschehnisse im Herbst 2006 als Realisierung moderner Politikprinzipien dargestellt und das Ergebnis einer neuen Verfassung als Ausdruck evolutionärer Neuerungen im politischen System in Kyrgyzstan. Meine Erzählung zielte darauf ab zu zeigen, wie eine selbstbewusste und kritische öffentliche Meinung Politiker, die bislang öffentlicher Akklamation hinterherjagten, zu Gejagten machte, welche in permanenter Antizipation variabler Erwartungshorizonte ihre politischen Strategien zunehmend revidierten und diversifizierten. Dabei habe ich auch im Detail einige Reformen im politischen System und neue Reflexionskapazitäten in der öffentlichen Meinung empirisch nachgezeichnet, um so die Umstellung auf andere Entscheidungsfindungsmethoden in der Politik in Kyrgyzstan verständlich zu machen. Den ‚Showdown‘ Anfang November 2006 habe ich schließlich als Fortführung und Einlösung des revolutionären Moments der Ereignisse vom März 2005 historisch neu verortet. Die Absicht war, den in diesen Wochen ablaufenden politischen Entwicklungen einen neuen Stellenwert zukommen zu lassen, der ihnen in den meisten Beschreibungen der neueren politischen Geschichte Kyrgyzstans und Zentralasiens verwehrt wird. Und das, obwohl die in ihnen stattfindenden Prozesse in ihrer überwiegenden Mehrheit bis zu diesem Zeitpunkt einmalig sind. Der dauernde Hinweis auf die Neuerungen, auf die revolutionären und evolutionären Anpassungen der ‚Politik in der Peripherie‘ an neue Verhältnisse, dient in der weiteren Erzählung politischer Entwicklungen in Kyrgyzstan nun vor allem der Frage, wie das Pendel so schnell kippen und die Politik ihre Fähigkeit zur friedlichen Lösung von Machtkonflikten so schlagartig verlieren konnte.
5. Die Krise der öffentlichen Meinung
5.1 O PPOSITION ODER R ENEGAT ?: D IE V EREINIGTE F RONT FÜR EINE WÜRDIGE Z UKUNFT K YRGYZSTANS UND IHR POLITISCHER K AMPF Die politischen Auseinandersetzungen im Frühjahr 2007 sind von den meisten Beobachtern zusammen mit den Aktionen von Für Reformen als das übliche Manipulationsgeschäft konkurrierender Elitenfraktionen abgestempelt worden. Ich habe meine Kritik an dieser Bewertung in Bezug auf Für Reformen in den vorangegangenen Kapiteln deutlich gemacht. Auf den folgenden Seiten möchte ich meine These untermauern, dass auch die Geschichte um die Vereinigte Front komplexer ist, als oberflächliche Erklärungen behaupten. Erstens ist der Konflikt um die Vereinigte Front vollständig nur zu verstehen, wenn er im Zusammenhang mit den Ereignissen des Vorjahres studiert wird. Zweitens sind die Resultate dieser Auseinandersetzung entscheidend für ein besseres Verständnis der im Sommer anschließenden Einrichtung eines autoritären politischen Systems unter Präsident Bakijew. Erst der Verlust der Anschlussfähigkeit politischer Aktionen in der öffentlichen Meinung bereitete den Boden, um einen umfassenden Umbau bestehender Strukturen für die Entscheidungsfindung einzuleiten. Ich steige in meine erste Erzählung über den Konflikt um die Vereinigte Front mit einem kurzen Kommentar eines Nutzers des populären Internetforums ‚Diesel‘ aus den Wochen der Auseinandersetzung ein. In seinem Beitrag drückt dieser Besucher sein Unverständnis für den neuerlichen Streit aus: „Ehrlich gesagt verstehe ich Babanow, Bajsalow und einige andere Mitglieder der Bewegung Für Reformen nicht. Sie hatten doch mit so viel Mühe die Novemberkonstitution durchgedrückt, standen Tag und Nacht auf dem Platz, feuerten das Volk an, und vollbrachten diese ohne Übertreibung eigentlich doch großartige Tat. Und als dann nach eineinhalb Monaten die Präsidentenabgeordneten in zehn Tagen diese Novemberkonstitution zunichtemachten und eine Revancheverfassung einsetzten, haben sie den Mund nicht auf-
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gekriegt. Nicht einmal hab ich Babanow in diesen Tagen gehört. Und jetzt erklärt er, dass wir wieder mit einer Verfassungsreform beginnen müssen. Dabei wurde sie doch bereits im November durchgeführt. Und wie endete das alles? Wie oft will man das noch tun? Und warum haben die Oppositionspolitiker sie nicht im Dezember verteidigt? So viele Fragen“ (Diesel Kommentare, 4.2007)
Die hier gestellte Frage nach dem Sinn von Protestaktionen wird zum zentralen Dreh- und Angelpunkt für den folgenden Konflikt um politische Macht in Kyrgyzstan. Im Vordergrund steht dabei die klassische Frage nach der Legitimität einer politischen Aktion, in diesem Fall die Proteste der Vereinigten Front unter Führung von Feliks Kulow. Darüber hinaus deutet dieser Kommentar aber auch an, wie diese Legitimität gestrickt sein muss, um anschlussfähig zu bleiben, nämlich als Fortführung der Geschichte von dem Konflikt um Für Reformen; und als eine öffentliche Veranstaltung, bei der die Motivation für politisches Handeln im Austausch mit einer kritischen öffentlichen Meinung aufgebaut wird – und eben nicht als Bonus für vermeintlich gute Regierungsführung antizipiert werden kann. 1 Das Puzzle, das sich in den Wochen seit dem späten Januar 2007 in Bischkek entfaltet, besteht aus dem steigenden Unbehagen der Öffentlichkeit darüber, dass zwar vor aller Augen ein Konflikt stattfindet, sich dieser aber zunehmend jener öffentlichen Kontrolle zu entziehen scheint, die einige Monate zuvor noch in so beeindruckender Form dem politischen Streit ihren Stempel aufgedrückt hatte. Ein weiterer Bestandteil des Puzzles, auf den ich hier einleitend hinweisen möchte, ist die sehr starke Präsenz öffentlicher Beobachtung, zunehmend auch vollzogen mit Hilfe des Internets. Kyrgyzstan baut in dieser Episode seine exklusive Rolle in Zentralasien aus, mit Politik als einer öffentlichen Angelegenheit, womit es sich den herkömmlichen Erklärungen über Entwicklungen in der Region regelmäßig entzieht. Der Konflikt um die Vereinigte Front für eine würdige Zukunft Kyrgyzstans hat eine Vorgeschichte. Im Dezember 2006, nur wenige Wochen nach der Annahme der Verfassung im Anschluss an das ‚Legendäre Miting‘, erklärte die Re-
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Es geht also auch in dieser Geschichte um die Frage nach einem Typ Legitimität, der in der ‚Governance‘ Forschung mit ‚Input-Legitimität‘ bezeichnet wird; im Unterschied zur ‚Output-Legitimität‘. In den meisten Studien über Politik in Zentralasien wir überwiegend der zweite Legitimitätstyp untersucht, mit dem expliziten Bezug auf mögliche Effektivitätsmängel autoritären Regierens. Meine Analysen weisen hingegen darauf hin, dass im Falle der Anwesenheit einer öffentlichen Meinung InputLegitimität zur gleichberechtigten Bedingung für die Stabilität (oder das Funktionieren von) politischer Entscheidungsfindung wird.
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gierung unter Premier Feliks Kulow ihren Rücktritt. Diesen Schritt begründete sie mit dem Verweis auf Erfordernisse der neuen Verfassung. Erwartet wurde von den meisten Beobachtern in diesem Moment die Auflösung des Parlaments als ein weiterer Schritt zur Anpassung an die neuen Verhältnisse. Bevor es jedoch dazu kam, verabredeten Präsident und Parlament in den Tagen vor den Neujahrsfeiern eine Revision der Verfassung und verabschiedeten am 30. Dezember eine neue Version, genannt die ‚Dezember-Verfassung‘ (vgl. Darstellung bei IWPR, 23.1.2007). Mit diesem unerwarteten Ausgang der Regierungskrise stand nach der Neujahrspause die Wahl zum Regierungschef auf dem Plan. Bakijew nominierte Feliks Kulow, seinen Partner im ‚Tandem‘ zwei Mal, doch beide Male, am 18. und am 25. Januar, musste Kulow herbe Niederlagen einstecken. Der Präsident hatte schließlich die Wahl zwischen seinem Rückhalt für den Ex-Premier und das ‚Tandem‘ – was eine mögliche Parlamentsauflösung bedeutet hätte – und einem alternativen Kandidaten – und damit auch dem Ende der politischen Union mit Kulow. Noch am 25. Januar erklärte Bakijew, er würde Kulow kein drittes Mal nominieren. 2 An diesem Punkt, dem Bruch des Tandems, setzt meine Konflikterzählung ein: Der scheidende Premier dankt dem Staatsoberhaupt offiziell für die Zusammenarbeit und entschwindet anschließend der Öffentlichkeit (Akipress, 25.1.2007). Allein ein kurzer Kommentar Kulows am Folgetag, über Bakijews angeblichen Wortbruch, und seine Ankündigung, sich bald öffentlich erklären zu wollen, sind der öffentlichen Meinung zur Spekulation überlassen. Sie reichen aus, um die Fantasien der Öffentlichkeit zu beflügeln. MSN ist überzeugt: „Naiv wer glaubt, dass Kulow stolz die Politik verlässt und das Schlachtfeld den Widersachern überlässt, wenn man ihn jetzt von den Schalthebeln der Macht entfernt. Die Opposition wird er aber auch nicht anführen. Wozu auch? Das macht keinen Sinn.“ (MSN, 26.1.2007) Gegen die „radikaloppositionelle“ (MSN, 2.2.2007) Zeitung ‚Agym‘ versucht sich MSN in einer Erklärung des plötzlichen Abgangs Kulows:
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Die Hintergründe dieses mehr als sonderbaren Zwischenspiels zwischen den beiden Protestwellen sind bis heute unklar. In der Rückschau unterstellen die meisten Beobachter Bakijew, in einem genialen Schachzug die Opponenten in Parlament und Regierung gegeneinander ausgespielt zu haben. Diese Erzählung lässt allerdings außer Acht, dass andere Akteure zur gleichen Zeit andere Strategien verfolgten und Bakijews Plan sicherlich weniger zielstrebig war, als später angenommen. Fakt ist aber auch, dass diese Episode abseits öffentlicher Kontrolle und als erwartetes Spiel informeller Hinterzimmergespräche stattfand, vgl. dazu Kachkeev (2008).
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„[Agym] beschuldigt hauptsächlich Südler in den Machtstrukturen – [Transportminister] N. Sulajmanow, [Justizminister] M. Kajypow, [Verteidigungsminister] I. Isakow, [Bildungsminister] D. Nur uulu, die, ungeniert, gegen ihren eigenen Chef agierten [ . . . ] Seinen Beitrag zur ‚Regelung des Konflikts‘ lieferte auch der Altpolitiker Apas Dschumagulow [ . . . ]. Dieser Aksakal [ . . . ] unterstützte zuerst den Premierminister, suchte ihn in seinem Büro auf und klopfte ihm auf die Schulter, ging anschließend zum Gespräch zum Präsidenten, wo er [ . . . ] für seine Tschuj Landsmänner D. Usenow, A. Nogojew [Bürgermeister von Bischkek], [Landwirtschaftsminister] A. Isabekow und [Industrieminister] M. Kerimkulow verhandelte.“ (Ebd.)
Laut MSN ist vielmehr das Parlament der Übeltäter dieser Krise. Und während die Zeitung die verpasste Chance zur Auflösung des Parlaments bedauert, spekuliert die öffentliche Meinung weiter über die Bedeutung des Endes der Union zwischen Bakijew und Kulow. Man registriert dass der Ex-Premier auf die Angebote des Präsidenten, einen anderen Posten anzutreten, nicht eingeht (Akipress, 31.1.2007); und man wird kurzzeitig abgelenkt durch die Ernennung eines neuen Premiers in Person des ehemaligen Landwirtschaftsministers Asim Isabekow (Akipress, 29.1.2007). Öffentlich als ein Erfüllungsgehilfe präsidialer Macht bekannt, fällt die Begrüßung des neuen Regierungschefs bescheiden aus. Im Internet ergießen sich Nutzer in Spott und Hohn: „Gratuliere zum neuen, weltweit allerprogressivsten Kolchosentandem“ (PR.kg Kommentare, 1.2007), lauten noch die eher harmloseren Kommentare. 3 Der Eindruck von Isabekows Abhängigkeit wird vom verunglückten Start der Regierungsbildung bestätigt. Das Parlament verweigert anfangs seine Zustimmung (Akipress, 6.2.2007). Die Kommentare fallen entsprechend aus: „Na also, so beginnt unsere SelchosÜberraschung ihre Arbeit im Chaos“ (PR.kg Kommentare, 2.2007a). Es folgt noch für einen Moment ein öffentliches Interesse an der Besetzung der Ministerposten. Allerdings ist auch hier mit dem missglückten Versuch, das Für Reformen Mitglied Sarijew in die Regierungsmannschaft einzubinden, die größte Überraschung schnell verbucht. Anschließend liegt Kulow wieder im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit, wie Umfragen nun unzweifelhaft belegen (Akipress, 2.2.2007, 5.2.2007a). Die Spannung steigt mit der Ankündigung der Partei Ar-Namys über eine baldige
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Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die FAZ in ihrem Kommentar zur Ernennung Asimbekows auf dessen Herkunft aus dem Norden hinwies, und diesen Umstand positiv wertete, da so die regionale Balance wieder hergestellt sei (vgl. FAZ, 30.1.2007). Ein gutes Beispiel für die häufig verkürzte Sicht auf Verhältnisse in der Politik der Peripherie.
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Pressekonferenz (Akipress, 5.2.2007). Wird sich der ehemalige Premier der Opposition anschließen? Das, da sind sich alle Beobachter einig, wäre eine starke Herausforderung für den Präsidenten (Akipress, 13.2.2007, 13.2.2007a). Die öffentliche Erregung dieser Tage fasst der russische Zentralasienexperte Arkadij Dubnow zusammen: „die Erwartung dieses Ereignisses hat sich zum vorherrschenden Thema in der Politik dieser Tage entwickelt, der Name Kulows verschwand nicht von den Seiten der Zeitungen und beschäftigte die Köpfe des gesamten internationalen diplomatischen Korps in der kyrgyzischen Hauptstadt.“ (Akipress, 14.2.2007) Die Spannung entlädt sich am 14. Februar mit einer Erklärung Kulows auf der Pressekonferenz. Ich zitiere an dieser Stelle längere Ausschnitte aus dieser Erklärung, da sie für meine anschließende Diskussion der Varianz und für meine Frage nach dem Beginn von Widerspruch und Protest entscheidend ist: „Nun zum Wichtigsten. Bei all meinen vergangenen Treffen wurde mir immer ein und dieselbe Frage gestellt: was werde ich nun weiter machen, [ . . . ] bleibe ich in der Politik, gehe ich in die Opposition? Ich will offen sprechen, große Lust den Dreck in der Politik aufzuwühlen hatte und habe ich nicht, aber in der gegenwärtigen Situation ist die Frage nicht, ob ich möchte oder nicht, ob ich kann oder nicht. Ich werde schlichtweg gezwungen, bin verpflichtet, gegen die wirklichen Bedrohungen zu kämpfen, die [ . . . ] das Land in eine Katastrophe führen können. [ . . . ] im Land realisiert eine bestimmte Gruppe von Personen die Übernahme fremden, auch staatlichen Eigentums; die Menschen werden bewusst nach regionalen Merkmalen aufgeteilt [по региональным признакам (i. Orig.)], was sich besonders auf der Ebene der politischen Elite zeigt. [ . . . ] Wieder werden Drohungen verbreitet, hat eine Verfolgung von Leuten eingesetzt, die nicht einverstanden sind mit der sogenannten ‚Leitlinie‘. Ich habe bereits Informationen erhalten, denen zu Folge Anschläge auf Personen aus meinem Umfeld vorbereitet werden. Ich möchte noch einmal wiederholen: in solch einer Situation kann und werde ich nicht einfach unbeteiligter Zuschauer bleiben. Deshalb habe ich die Entscheidung getroffen, mich nicht in einer Partei, Ar-Namys, einzuschließen, sondern einzelne aber gleichgesinnte gesellschaftlichpolitische Kräfte zu vereinigen und anzuführen [ . . . ] Mit einem Wort, dies ist nicht bloß eine Eigenpositionierung in den Reihen der Opposition, dies hier ist eine Eigenpositionierung als Gegner dessen, wogegen alle ordentlichen Menschen aufbegehren.“ (Akipress, 14.2.2007a)
Diese Erklärung des Ex-Premiers wird umgehend kommentiert. Dabei ist keine Überraschung, dass Bakijews Presseamt die Anschuldigungen umgehend zurückweist oder dass einige Für Reformen Mitglieder wie Omurbek Tekebajew oder Omurbek Abdrachmanow eine neue politische Ära heraufziehen sehen
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(Kyrgyz Weekly, 18.2.2007; Akipress, 14.2.2007b, 14.2.2007c). Es gibt aber auch Stimmen, die auf den Widerspruch aufmerksam machen, der in Kulows Erklärung liegt. Der NGO Aktivist Edil Bajsalow beispielsweise weist auf Kulows kompromittierte Vergangenheit hin: „Wie können wir einem Menschen vertrauen, der, als zweite Person des Staates und gleichrangiger Partner im Tandem, den Aufbau eines autoritären Regimes im Land nicht hat verhindern können?“ (Akipress, 14.2.2007d). Deutlicher noch wird der Co-Vorsitzende von Für Reformen und Chef der Sozialdemokraten, Almas Atambajew, der Kulows Motivation für die Entscheidung, der Opposition beizutreten, kritisch hinterfragt: „Die Opposition ist [ . . . ] von keinem privatisiert und jeder kann ihr auf Wunsch beitreten. Das verhält sich allerdings anders bei all denen, die, bevor sie die Entscheidung treffen in die Opposition zu gehen, darauf warten, solange man sie nicht von irgendeinem Posten gejagt hat. [ . . . ] Kulows Worte sind natürlich sehr schön. Es stellt sich aber die Frage: wenn Kulow im Parlament bestätigt worden wäre, hätte er dann auch diese Worte gesprochen? Oder einfach ruhig weitergearbeitet? [ . . . ] Wenn er doch nicht diese Spiele mit dem Rücktritt im Dezember gespielt hätte, hätten wir doch die Errungenschaft des Kyrgyzischen Volkes vom November bewahren können – eine Verfassung mit einem parlamentarischen Regierungssystem. [ . . . ] Mir fällt es schwer, ihm zu vertrauen.“ (Akipress, 14.2.2007e)
Das Misstrauen Atambajews ist ein Unbehagen, das im Widerspruch der Ankündigung gründet, sich erst in Zukunft für eine politische Position entscheiden zu wollen. Hier werden meines Erachtens die Herausforderungen deutlich, die Luhmann für das erfolgreiche Kommunizieren im Medium der öffentlichen Meinung genannt hat. Ich werde später im Detail darauf zurückkommen. In Kyrgyzstan nimmt die Debatte erst einmal weiter Fahrt auf, ohne dass einheitliche Erklärungen dominieren. MSN zum Beispiel sammelt Stimmen von Politikern und Experten (MSN, 16.2.2007a, 16.2.2007b), kommentiert die Beiträge anderer Zeitungen und versucht es vorläufig mit einer positiven Deutung: „[I]ch betrachte das Vorgefallene mit Feliks Kulow als eine positive Erscheinung für die moderne kyrgyzische Gesellschaft. [ . . . ] Unter den gegebenen Umständen braucht das Land eine seriöse Opposition. Allerdings keine zänkische, skandalöse und hysterische, die ihre eigenen persönlichen, kleinlichen opportunistischen Interessen verfolgt, sondern eine reife, mit Autorität ausgestattete Opposition.“ (MSN, 16.2.2007)
Den Warnungen der Zeitung zum Trotz bleibt es allerdings bei einer relativ verengten Sicht auf die Erklärung Kulows. Ohne Zweifel bestimmt dessen „Abgang [ . . . ] in die Reihen der Opposition“ (MSN, 16.2.2007a) die öffentliche Debatte in
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diesen Tagen. Es gibt jedoch auch andere Themen, beispielsweise die Reform der Budgetstruktur (Akipress, 15.2.2007), Konflikte um die landeseigenen Goldlagerstätten (Akipress, 19.2.2007), oder auch der von der Schließung bedrohte kritische Sender ‚September‘ im Gebiet Dschalal-Abad (Akipress, 19.2.2007b), denen jetzt nur noch geringe Aufmerksamkeit zuteil. Sie fristen ein eher kümmerliches Dasein im Schatten der großen Frage, wie mit der Kulow’schen Erklärung umgegangen werden soll. Bevor hier einheitliche Positionen entwickelt werden können, prescht Kulow weiter vor. Am 19. Februar initiiert er die Gründung der Vereinigten Front ‚Für eine Würdige Zukunft Kyrgyzstans‘. An der marschiert der ‚Eiserne General‘ 4 selbst, ihm folgen einige Abgeordneten wie Tekebajew, Eschimkanow und Bajbolow, sowie der Präsident des Unternehmerverbands, Omurbek Abdrachmanow. Mit ihrer Unterschrift unter das Gründungsmemorandum bezeugen auch der ehemalige Innenminister Omurbek Suwanalijew und der Vorsitzende der deutschen Minderheit Walerij Dil ihre Treue zur neuen Bewegung (Akipress, 26.2.2007). In ihrer öffentlichen Erklärung geht die Vereinigte Front scharf mit dem Regime Bakijews ins Gericht: „Mit den Ereignissen vom 24. März 2005 verband das Volk Kyrgyzstans seine Hoffnungen auf kardinale Verbesserungen im Leben, vor allem mit Hilfe der Liquidierung solch gesellschaftlicher Leiden in Kyrgyzstan wie Vetternwirtschaft, Klanwesen und Korruption. Heute müssen wir erkennen, dass die Menschen in ihren Erwartungen schwerst betrogen wurden. Wir sehen nicht nur die Wiedererrichtung eines verdorbenen Systems der Familienherrschaft, sondern auch offene Versuche der legislativen Festigung dieser Machtusurpation durch einen engen Kreis von Leuten, verbunden über familiäre und landsmannschaftliche Bande [‚семейными и земляческими узами‘ (i. Orig.)]. [ . . . ] Unter der Bedingung einer negativen Entwicklung unseres Staates [ . . . ] haben die verantwortlichen, patriotisch gesinnten Kräfte die Entscheidung zur Gründung der Vereinigten Front ‚Für eine Würdige Zukunft Kyrgyzstans‘ getroffen.“ (Akipress, 19.2.2007d)
Die Front drängt auf eine erneute Verfassungsreform. Sie sieht in der Trennung der Kompetenzen von Regierung und Präsident und im Verhältniswahlrecht die richtigen Mittel gegen erstarkenden „Regionalismus“ und „Trajbalismus“. Das Memorandum schließt allerdings mit einer sehr weit gehenden Forderung:
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Den Spitznamen erhielt Feliks Kulow für seine vergangenen Aktionen als Polizeigeneral in Zeiten des Augustputsches 1991, sowie für seine Opposition gegen Akajew, die ihn ab 2000 für mehrere Jahre ins Gefängnis brachte.
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„Initiator und Garant solch einer Reform sollen vorgezogenen Wahlen zum Präsidenten der Kyrgyzischen Republik in naher Zukunft werden. Die Vereinigte Front ‚Für eine würdige Zukunft Kyrgyzstans‘ ist organisiert als eine vorübergehende Struktur bis zur Lösung der oben genannten Aufgaben.“ (Ebd.)
Diese plötzliche und offene Kampfansage weist das präsidiale Pressebüro umgehend als ungerechtfertigte Anschuldigung zurück. Und es bezichtigt im Gegenzug die Vereinigte Front des Radikalismus (Akipress, 20.2.2007). Alle anderen Beobachter stehen vor der Aufgabe, einzuschätzen, was jetzt wohl als nächstes kommt und wie man sich dazu am besten positioniert. Schwierig ist diese Aufgabe offensichtlich für die Bewegung Für Reformen. Hier hatte man gerade noch den Fortbestand der Organisation beschlossen und Mitgliedern paralleles Engagement bei der Front erlaubt (Akipress, 15.2.2007b). Nun sucht die Bewegung erneut Anschluss und einigt sich schließlich nur auf die Forderung, dass jede Aktion strikt im Rahmen geltender Gesetze erfolgen soll (Akipress, 19.2.2007e). Für viele Beobachter liegt aber gerade hier das entscheidende Dilemma. So kann Kommunistenführer Ischak Masalijew keinen automatischen Zwang zum Rücktritt Bakijews bei Einsatz ausschließlich legaler Mittel erkennen (Akipress, 20.2.2007a). Tekebajew verweist dagegen auf besonderen moralischen Druck, den er aber nicht näher erläutern will (Akipress, 20.2.2007b). Für die meisten Beobachter sind neue ‚Mitingi‘ nur eine Frage der Zeit. Der Kommersant schreibt: „Die Kyrgyzische Opposition wartet auf Revolutionswetter. [ . . . ] Die Oppositionskräfte [ . . . ] haben entschieden, sich zu vereinigen, um den amtierenden Präsidenten zum Rücktritt zu bewegen. [ . . . ] Beobachter in Bischkek sind überzeugt, dass die neue Organisation zum Frühling hin aktiv wird.“ (Kommersant, 20.2.2007) Ein Internetnutzer sekundiert: „ ... und hiermit erklären wir die nächste Revolutionssaison für eröffnet“ (PR.kg Kommentare, 2.2007). Die geringe Verhandlungsbereitschaft bestärkt den Eindruck, dass politische Aktionen für den Frühling geplant werden. Das Forum Junger Politiker präsentiert beispielsweise die Idee, per Referendum Bakijew seine Macht und seine Verfassung legitimieren zu lassen (Akipress, 22.2.2007); Front-Mitglied Omurbek Abdrachmanow lehnt den Vorschlag allerdings ab und erklärt, am Ruf nach vorgezogenen Präsidentschaftswahlen unbeirrt festhalten zu wollen (Akipress, 22.2.2007a). Selbst die pointierte Kritik von Tolekan Ismailowa, der Vorsitzenden der NGO Bürger gegen Korruption, in der sie erinnert, dass: „[Kulow] nicht gefragt [hat], als er ins Tandem eintrat. Wir haben ihn kritisiert, er hat nicht zugehört. [ . . . ] Er hat sich auch ‚Disketgejt‘ [(Abhörskandal im November)] ausge-
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dacht. Wie können die ‚Reformisten‘ mit ihm anstoßen? Ich verstehe solche Dinge nicht, es sollten doch Prinzipien gelten.“ (Akipress, 22.2.2007b),
stört das weitere Vorgehen der Vereinigten Front nicht. Erst wird am 24. Februar Kulow formell zum Führer der Bewegung gewählt (Akipress, 20.2.2007c); dann folgt die Öffnung eines Büros in Bischkek (Akipress, 24.2.2007), schließlich werden ein ‚Aktionsplan‘ verabschiedet und ‚Aktionsbrigaden‘ aufgebaut (Akipress, 26.2.2007a). Außerdem wird eine Liste mit 32 Namen veröffentlicht, die neben den bekannten Größen einige Gefolgsleute der Partei Ar-Namys und Bewohner Bischkeks als Gründungsmitglieder ausweist (Akipress, 26.2.2007). Die folgenden Initiativen der Bewegung zeichnen sich durch ihren Mangel an Substanz aus und die fehlende Differenzierung einer politischen Agenda. Kulows erste Attacke verläuft sich umgehend im üblichen Spiel doppelter Anschuldigungen und Verdächtigungen. Im Interview mit der Zeitung ‚Delo Nr.‘ behauptet der Front-Vorsteher, bei einer Unterredung mit Präsident Bakijew und Vizepremier Danijar Usenow erfahren zu haben, dass Letzterer für seinen Posten 300.000 USD an Parlamentarier gezahlt hat (Akipress, 28.2.2007). Der Beschuldigte weist erwartungsgemäß die Vorwürfe zurück und will seinerseits nun Kulow verklagen (Akipress, 5.3.2007a), wobei er Unterstützung vom Abgeordneten Taschijew erhält, der Kulows Aktion für niveaulos hält (Akipress, 28.2.2007a). Der Ex-Premier bedauert derweil öffentlich, keinen weiteren Zeugen dieser Unterredung anführen zu können (Akipress, 5.3.2007c), was die Streitparteien nur noch mehr anspornt, sich in der Verunglimpfung des Gegners zu engagieren, nach Rücktritt zu rufen und den Einsatz von Lügendetektoren zu verlangen (vgl. Akipress, 1.3.2007, 1.3.2007, 5.3.2007b). Für einen Moment entsteht jedoch der Eindruck, die Korruptionsaffäre um den Ersten Vizepremier Usenow verknüpft sich mit anderen Themen in der politischen Auseinandersetzung. Oppositionelle Parlamentarier beschuldigen in diesen Tagen die Regierung, das Siliziumwerk ‚Kristall‘ in der Stadt Tasch-Kumyr im Ausgleich für Altschulden an kasachische Investoren verscherbelt zu haben (24.kg, 12.3.2007). Weitere Vorwürfe verweisen auf andere wirtschaftspolitische Versäumnisse wie ungeklärte Eigentümerrechte bei bekannten Goldlagerstätten. Dieser Streit gipfelt schließlich in einer parlamentarischen Resolution am 19. März, mit der die Generalstaatsanwaltschaft, die Regierung und das Innenministerium aufgefordert werden, das Werk ‚Kristall‘ zu retten. Parallel wirbt eine zweite Initiative für ein Misstrauensvotum gegen Usenow, die mit 35 der notwendigen 38 Stimmen am Ende jedoch scheitert (Akipress, 19.3.2007). Damit scheint der Moment auch bereits verflogen. Selbst internationale Kritik am stagnierenden Demokratisierungsprozess durch das State Department
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wird von der Vereinigten Front nicht aufgegriffen (Akipress, 7.3.2007). Stattdessen entbrennt eine neue Schlammschlacht, nachdem Omurbek Abdrachmanow öffentlich über die Möglichkeit sinniert, während des für den Sommer geplanten Treffens der ‚Shanghai Cooperation Organization‘ in Bischkek Proteste zu organisieren (Akipress, 1.3.2007c). Die drohende Gefahr für das Landesimage motiviert propräsidentielle Kräfte, nach einem Moratorium auf ‚Mitingi‘ und Demonstrationen zu rufen (Akipress, 2.3.2007, 5.3.2007d). Kulow muss schließlich persönlich seine Unterstützung für das Treffen bekannt geben, um die Wogen zu glätten (Akipress, 5.3.2007e). Der inhaltslose Streit, die Konzentration auf diskreditierende Maßnahmen und versteckte Drohungen sorgen für Probleme in der öffentlichen Meinung, dem Geschehen Sinn zuzusprechen. Ein Zitat von MSN belegt dabei eindrucksvoll, das Unverständnis nicht vor Panik schützt: „Was bedeutet allein das Wort ‚Front‘? [es] erinnert [ . . . ] sofort daran, dass eine Front ein teilender Streifen ist, auf dessen beiden Seiten sich FEINDE gegenüber stehen. Es wäre interessant zu wissen, wer sich in unserem Land den feind ist, sieht man mal ab von der KonFRONTation zwischen Kulow und Bakijew? Müssen wir jetzt die Aufstellung der Soldaten erwarten? ‚Weiße‘ und ‚rote‘ Abteilungen oder ‚grüne‘ und ‚blaue‘ Brigaden? [ . . . ] die Gesellschaft wird angehalten, ihren Tickets gemäß die Plätze einzunehmen. [. . . ] mehrfach war unser Land am Rande des Bürgerkriegs, konnte ihm aber immer entkommen. Und jetzt wollen wir nicht nur nicht auf dieses Grab treten, sondern es uns unter unseren eigenen Füßen schaufeln. Warum?!“ (MSN, 27.2.2007)
Die öffentliche Meinung vollzieht in diesen Tagen ihre Loslösung von einer kritischen Reflexion auf den laufenden Konflikt und entwickelt eine Haltung, die ich später unter den Begriffen der „Verdachtsunterstellung“ und der „Resignation“ genauer analysiere. Zwei Ereignisse möchte ich an dieser Stelle anführen, die diese Entwicklung verdeutlichen. Das erste Ereignis ist der tragische Tod eines Familienvaters, der sich aus Verzweiflung über Behördenwillkür vor dem Regierungssitz selbst verbrennt (Akipress, 28.2.2007b). Nicht nur wird dieser Vorfall von den Streitparteien nicht kommentiert, auch die öffentliche Meinung schenkt ihm keinerlei Aufmerksamkeit und bleibt apathisch. Das zweite Ereignis ist das vermehrte Auftreten von Kommentaren im Internet, die jetzt auf einen künstlichen Charakter der politischen Verhältnisse abheben und der politischen Auseinandersetzung ihre Authentizität absprechen. Das folgende Zitat verdeutlicht diesen Trend: „Film mit dem Titel ‚Vernichte Kyrgyzstan‘ gestartet. In den Hauptrollen B[akijew] K[urmanbek] S[alijewich], Fil [Feliks Kulow]. Der Film setzt ein bei der Frage, wer wen
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mehr mit Dreck bewirft, über den früher auf Grund persönlicher Umstände geschwiegen wurde. Die Anhänger FILs warten auf den langersehnten FRÜHLING, auf den Platz hinaus gehen die FILower schließlich mit sehr schönen Losungen, denen zu Folge Kyrgyzstan aufblüht, sobald BKS nur gestürzt ist; Geschichte wiederholt sich, früher haben solche Methoden die BKSower benutzt. Wenn sich dann auf dem Feld viel Volk versammelt hat, gerät die Situation auf beiden Seiten außer Kontrolle. Der Film endet damit, dass die Hauptprotagonisten sich weeeeiit jenseits der Grenzen befinden, während das aufs Feld hinauslaufende Volk noch lange in seinem eigenen Saft schmort. 2008 wird der Film schließlich für den Oskar nominiert.“ (PR.kg Kommentare, 2.2007)
Nach der Rekonstruktion inhaltlicher Positionen ist für die öffentliche Meinung die nächste Herausforderung nachzuvollziehen, wie die Vereinigte Front organisatorisch aufgestellt ist. Zum besonderen Problem erweist sich hier die Anwesenheit von Für Reformen. Nachdem die Front Anfang März ihre Pläne für vorgezogene Wahlen präzisiert (Akipress, 5.3.2007f), will Für Reformen nicht nachstehen. Der Abgeordnete Asimbek Beknasarow fordert am 7. März öffentlich die Rücknahme der Dezember-Verfassung durch das Verfassungsgericht, während Kollege und Für Reformen Mitglied Bajbolow allen Repressionsgehilfen mit kyrgyzischen „Nürnbergern Prozessen“ droht (Akipress, 7.3.2007a, 7.3.2007b). Am 9. März geht die Bewegung in die Offensive und richtet ein Ultimatum an den Präsidenten. Bis zum 10. April soll eine Verfassungsreform eingeleitet und Bakijews „Familien- und Klan-basierte Leitung des Staates“ abgebaut werden. Andernfalls, so droht Temir Sarijew auf einer Pressekonferenz, kommt es zu weiteren Massenprotesten (Akipress, 7.3.2009a, 7.3.2009b). Die Meinungsführerschaft behält Für Reformen nur 24 Stunden. Die Vereinigte Front legt sich bei einem Treffen ihrer Stabsmitglieder auf den 11. April als Stichtag für umfassende Protestaktionen fest, ganz ohne Ultimatum (Akipress, 10.3.2007). Front-Mitglied Melis Eschimkanow kündigt an, 10-tausend bis 100-tausend Demonstranten aufmarschieren zu lassen. Er erklärt außerdem, über Anschlagspläne gegen Front-Personal informiert worden zu sein (Akipress, 12.3.2007). Auch Tekebajew meldet sich zu Wort. Dieses Mal sollen kardinale Änderungen durchgesetzt und dem Präsidenten umfassende Vollmachten abgenommen werden. Der ehemalige Parlamentssprecher muss sich aber auch bemühen, das entstandene Chaos mit zwei parallelen Aktionen von Front und Für Reformen zu erläutern. Die Öffentlichkeit ist überrascht und irritiert. Am Ende weist er beiden komplementäre Rollen zu (Akipress, 12.3.2007a). Die so attackierte Seite reagiert zweigleisig, mit Zurückweisung und Gleichgültigkeit. Justizminister Marat Kajypow beteuert die gefestigte Machtbasis des Präsidenten. Bakijew, so lautet die Botschaft, wird nicht abtreten. Auf einer Regierungssit-
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zung unter Leitung des Präsidenten schafft es die Vereinigte Front hingegen nicht mal auf die Tagesordnung (PR.kg, 12.3.2007). Von Alarmstimmung in Regierungskreisen kann keine Rede sein. Die offensichtliche Eskalation auf der einen Seite kontrastiert mit dem ‚business as usual‘ auf der anderen Seite und fordert der öffentlichen Meinung erhöhte Konzentration ab. Pläne der Vereinigten Front, bereits am 9. April mit Aktionen in den Regionen zu beginnen (Akipress, 12.3.2007c), sowie jetzt auch vermehrt auftretende, öffentlich zelebrierte Übertritte politischer Leichtgewichte auf die Seite der Front lösen ob ihrer unklaren politischen Motivation neue Befürchtungen vor gewaltsamen Zusammenstößen aus. 5 Einige Experten beobachten eine Tendenz zur Radikalisierung. Sajnidin Kurmanow beispielsweise kritisiert die neue Zuversicht der Opposition bei gleichzeitigem Mangel an Geschlossenheit: „Über eine vollständige Einheit zu sprechen ist noch zu früh. Und das kann man anhand der Meinungsverschiedenheiten in den Reihen [der Opposition] erkennen. Da gibt es keine gemeinsame [ . . . ] Bewertung der Ereignisse, eine vereinte Stimme, welche die Forderungen und Vorschläge der Opposition ausrufen würde [ . . . ]. Gleichzeitig muss man anerkennen, dass sich die Reihen der Opposition gefüllt haben und sie stärker geworden ist [ . . . ]. In den Kampf haben sich politische Schwergewichte eingemischt, und das gibt der Opposition Hoffnungen auf eine Revanche.“ (Akipress, 13.3.2007a)
Die Sorge vor Konfrontation und Gewalt steigt in diesen Tagen im März und sie veranlasst Für Reformen Mitglied Temir Sarijew, an die politische Vernunft zu appellieren: „Ich glaube, jeder vernünftige Politiker macht sich diesbezüglich Sorgen. Und wir dürfen das nicht zulassen. Allerdings sollte hier auch eine gemeinsame Verantwortung greifen, keine einseitige. Auch die Macht sollte alles unternehmen, um etwaige Konflikte zu unterbinden, auch sie ist in der Verantwortung.“ (Akipress, 14.3.2007a)
Sarijew folgen andere Beobachter. Der Politologe Aleksander Knjasew bringt in einem Bericht des ‚Institute for War and Peace Reporting‘ (IWPR) seine Sorge vor dem Einsatz der Sicherheitskräfte zum Ausdruck: „Die Opposition kann mit gleichen Mitteln antworten, und damit droht ein Zusammenstoß, der unvorhersehbare Züge annehmen kann, bis hin zu einer militärischen Auseinanderset-
5
Beispiele für solche Übertritte sind der stellvertretende Kulturminister Asanbek Sarybajew oder die leitende Staatsanwältin für die Aufsicht über das Strafsystem, Galina Pugatschewa (vgl. MSN, 13.3.2007a, 16.3.2007a).
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zung.“ (Akipress, 14.3.2007b) EWPR erkennt eine gestiegene Gewaltbereitschaft unter potentiellen Protestteilnehmern, die über die verpasste Chance auf die Erstürmung des Weißen Hauses im November enttäuscht sind. Das Projekt sieht ein hohes Risiko, dass: „a) controllability/manageability of the participants in the protest actions would decrease due to diverse political opinions on various questions; b) confrontations between protesters and participants of possible anti-meetings may cause disputes on ‘South-North’ topic with corresponding consequences; c) confrontation of the protesters with representatives of LEAs who keep order near the Government House.“ (EWVP, 15.3.2007: 5)
Die regierungsnahe Zeitung MSN trägt ihrerseits zur öffentlichen Sorge bei: „Ich glaube nicht daran, dass man Bakijew bis zum Ende seiner Amtszeit vom Posten drängen kann. Mehr noch, ich glaube, gerade so eine Entwicklung der Ereignisse wäre die gefährlichste für Kyrgyzstan, weil dann das Land einen so gewaltigen Ausbruch des südlichen Trajbalismus erfahren würde, dass alle Sünden Bakijews nicht nur dem nördlichen Trajbalismus angehängt würden, sondern, noch schlimmer, der Demokratisierung des Landes das Ende bereitet würde.“ (MSN, 16.3.2007b)
Vor dem Hintergrund öffentlicher Drohszenarien diskutieren im Internet Nutzer die Vor- und Nachteile einer Teilnahme an Protesten. Viele äußern in den Foren von ‚Pr.kg‘ oder ‚Diesel‘ ihren Zuspruch zur Front, letztlich überwiegt aber auch hier die Sorge vor Zusammenstößen (vgl. Diesel Kommentare, 4.2007a). Die öffentliche Besorgnis provoziert Reaktionen. Überraschend für viele lädt Bakijew Front-Chef Kulow ein, ihn bei seinem Auftritt anlässlich des fünfjährigen Gedenkens an die Aksy Tragödie zu begleiten (Akipress, 13.3.2007b). Der ‚Eiserne General‘ nennt das Vorhaben eine Politshow und lehnt ab (Akipress, 13.3.2007c). Der Präsident legt nach und formuliert ein Angebot an die Mitglieder von Für Reformen für Verhandlungen. Atambajew, Co-Vorsitzender der Bewegung, informiert die Öffentlichkeit über die Details des Angebots (Akipress, 14.3.2007d). Am 21. März sollen jeweils zwei Vertreter der Parteien AtaMeken, SDPK, Asaba, und der Union Demokratischer Kräfte mit Vertretern der Macht zusammenkommen (ebd.). Oppositionspolitiker wie Asimbek Beknasarow oder Bolot Schernijasow sagen umgehend zu, während eine Antwort Tekebajews auf sich warten lässt (Akipress, 15.3.2007a). In der Vereinigten Front reagiert man skeptisch bis ablehnend auf diese neue Initiative. Erst einmal beharrt Front-Mitglied Omurbek Suwanalijew öffentlich auf der Forderung nach vorgezogenen Präsidentschaftswahlen und beschuldigt
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Bakijew wiederholt der Vetternwirtschaft (Akipress, 14.3.2007e, 14.3.2007f). Anschließend kritisieren Abdrachmanow und Eschimkanow die Dialogschritte Atambajews als unabgesprochenes Vorgehen (Akipress, 14.3.2007g, 15.3.2007b). Die Ablehnung bringt der Sprecher der Front, Asamat Kalman, schließlich in eine offizielle Form: „‚Ich glaube, dass sie erst gar nicht versuchen werden, an uns heranzutreten, da die Vereinigte Front ja eine einzige Forderung stellt – die Durchführung vorgezogener Präsidentschaftswahlen‘[ . . . ] ‚Von der Vereinigten Front wird niemand zu Gesprächen kommen, ob nun mit der Präsadmin oder dem Präsidenten‘.“ (Akipress, 15.3.2007d) Dem Druck für weitere Gespräche kann sich die Front in diesen Tagen jedoch nicht entziehen. Öffentlich mehren sich Stimmen, die für Verständigung werben und Verhandlungen fordern. Almanbet Matubraimow beispielsweise, ein ehemaliger Parlamentssprecher und gegenwärtig Abgeordneter, unterstützt in einem Interview die Forderung nach einer Verfassungsreform, verwehrt sich aber jeder Form von Ultimatum und wird darin vom Oppositionspolitiker Beschimow unterstützt (Akipress, 16.3.2007a, 16.3.2007b). Edil Bajsalow geht noch einen Schritt weiter und verlangt die Erfüllung der Revolutionsversprechen vom März 2005: eine Verfassung auf Basis des Kompromisses vom Juli 2005; eine Koalitionsregierung; und Neuwahlen zum Parlament (Akipress, 16.3.2007c). Das Parlament, so der NGO-Aktivist, hat jedes Vertrauen in der Öffentlichkeit verloren: „Wir müssen endlich realisieren, dass sich die heutigen Mitglieder des Parlaments völlig selbst diskreditiert haben, besonders durch ihr Verhalten im Dezember vergangenen Jahres. Die [ . . . ] dem 24. März folgenden häufigen kardinalen Änderungen der Volksstimmung hätten in jedem demokratischen Staat schon längst zu Neuwahlen geführt.“ (Ebd.)
Es ist erneut der Präsident, der dem öffentlichen Ruf nach Gesprächen folgt. Nachdem Temir Sarijew in einer Rede vor dem Parlament am 19. März Bakijew scharf angreift, lädt jener den jungen Abgeordneten zum Gespräch (Akipress, 19.3.2007a, 19.3.2007b). Kurze Zeit darauf erklärt Sarijew, dass man sich auf die Bildung einer Koalitionsregierung und einen Plan für eine Verfassungsreform geeinigt habe. Als symbolische Geste des Präsidenten wertet man auch die plötzliche Entlassung des unbeliebten Generalstaatsanwalts Kambaraly Kongantijew. Die Initiative für Verhandlungen gewinnt an Schub und wird von der organisierten Jugend unterstützt, die in Gestalt des Forum Junger Politiker, der Liberal-Progressiven Partei, der Partei Die Grünen Kyrgyzstans und Kel-Kel vor einer Spaltung des Landes in Nord und Süd warnt und die Teilnahme an etwaigen ‚Mitingi‘ kategorisch ablehnt (Akipress, 19.3.2007c, 19.3.2007d). Die Front reagiert und verkündet, trotz der Einrichtung von 51 sogenannten Stabsquartie-
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ren in den Provinzen, Kompromissbereitschaft (Akipress, 19.3.2007e, 20.3.2007). Am 19. März erklärt Abdrachmanow, dass nach einem Treffen von Vereinigter Front, Für Reformen und der Partei Ata-Meken beschlossen wurde, Bakijew seine volle Amtszeit zu lassen (19.3.2007f). Der ‚Kommersant‘ kommentiert die neue Lage: „die Initiative [liegt] jetzt in den Händen der Opposition: ‚hochstehende Staatsdiener suchen doch jede Möglichkeit, Feliks Kulow ihre Hochachtung zu bekunden. Heute haben wir kein Defizit an Informationen über die Handlungen der Macht – die bekommen wir von den Mitarbeitern der Präsadmin und von den Sicherheitsorganen‘. Und eine Quelle der Zeitung im Innenministerium Kyrgyzstans äußerte die Meinung, dass die Sicherheitsstrukturen, wahrscheinlich, die heutige Macht nicht schützen würden, ‚da doch durch sie erst der Anteil der ‚Südler‘ auf den Schlüsselstellen in der Polizei gestiegen ist, und das sorgt für nur schwer zu verhehlenden Unmut bei den ‚Nördlern‘‘.[ . . . ] Morgen soll Almasbek Atambajew dem Präsidenten die Liste mit den wichtigsten Forderungen der Opposition übergeben, und am 23.-24. April gibt es Konsultationen zwischen den Mitgliedern der Vereinigten Front und dem Stab von ‚Für Reformen‘ mit dem Ziel der Abstimmung auf eine gemeinsame Plattform, mit der dann beide Oppositionsbewegungen auftreten. Anschließend kann sich der Druck auf den Präsidenten dann sogar noch erhöhen.“ 6
Für Reformen greift jetzt nach der Initiative und erstellt einen Katalog mit Forderungen als Grundlage für weitere Verhandlungen. Erstens: Verfassungsreform bis zum 5. April; Zweitens: Einrichtung einer öffentlichen Sendeanstalt auf Basis von GTRK; Drittens: das Ende des Familienbusiness; Viertens: Wahl eines Kompromisskandidaten für das Amt des Generalstaatsanwalts; Fünftens: Entlassung des Bischkeker Polizeichefs 7; Sechstens: Einrichtung einer Koalitionsregierung (Akipress, 21.3.2007). Sofort anlaufende Gespräche verlaufen trotz Kritik der Zivilgesellschaft hinter verschlossenen Türen ab (Akipress, 20.3.2007c). Es ist wieder der Vorsitzende der Sozialdemokraten Atambajew, der am 21. März, dem Festtag ‚Nooruz‘, über die nahende Einigung informiert (Akipress, 21.3.2007a). Bereits am nächsten Tag legt Für Reformen einen Verfassungsentwurf vor. Anstelle von Protesten erwartet die Öffentlichkeit plötzlich Reformen (Akipress, 22.3.2007, 23.3.2007). EWVP wagt eine Einschätzung der Lage:
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Vgl. Kommersant, 20.3.2007; gemeint sind hier Pläne für Gespräche am 23. und 24.
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Moldomusa Kongantijew, jüngerer Bruder von Kambaraly Kongantijew. Seit Juli
März, nicht April. 2005 Polizeichef von Bischkek.
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„According to Atambaev, the headquarters of the Movement ‘For Reforms’ will wait for the President to outline his steps, expected on March 23 during a direct TV broadcast to the people of Kyrgyzstan. [ . . . ] However, one member of the movement ‘For Reforms’, Omurbek Abdrahmanov, stated that if even one of the demands of the movement is not satisfied, the movement would join with the United Front in demanding early Presidential elections. According to him, the movement is preparing for demonstrations on April 11 [ . . . ] However, another member of the movement ‘For Reforms’, Temir Sariev, [ . . . ] reported that president Bakiev intends to declare early Presidential elections. [ . . . ] According to monitoring activities the United Front (1) did not initiate any activities to start negotiations with Bakiev and (2) did not publicly express such an intention. [ . . . ] The meeting and negotiation with the President increase the possibility of peaceful resolution of the confrontation between the government and the movement ‘For Reforms’.“ (EWVP, 22.3.2007)
Angesichts der neuen Dynamik in den Verhandlungen sieht das Projekt die zögerliche Haltung der Front kritisch und die Chancen auf einen erfolgreichen Protest stark reduziert: „The specific nature of the situation related to the preparation of the opposition forces for a demonstration on April 9-11 is characterized by (1) the willingness of politicians from the movement ‘For Reforms’ to negotiate with President Bakiev. Notably this includes those politicians A.Atambajew and T.Sarijew whose constituents are from the opposition in Bishkek and traditionally form the majority of participants in the protest actions. [ . . . ] However, it is well-known that (2) a majority of the members from the movement ‘For Reforms’ are at the same time members (indeed forming the majority) of the United Front [ . . . ] Therefore, (3) if the leaders of the movement ‘For Reforms’ refuse to conduct protest actions on April 9-11 as a result of the planned negotiations with the President, the opportunity for the United Front to involve the desired number of participants in the protest actions on April 9-11 would considerably decrease.“ (Ebd.)
Verweilt man in diesem ‚window of opportunity‘, das sich am Feiertag ‚Nooruz‘ öffnet, erscheinen dem Betrachter die folgenden Geschehnisse wie eine von ‚dritten Kräften‘ inszenierte Eskalation. Tatsächlich aber leidet die Auseinandersetzung immer noch an ihrer Strukturlosigkeit, dem öffentlichen Versagen klarer Positionsbestimmungen und an fehlenden sachlichen Argumenten. Die Front operiert nach wie vor in der Sprache von Ultimaten, während die öffentliche Meinung, ob nun Kommersant oder EWVP, die Spaltung von Nord und Süd diskutiert. Es überrascht im Anschluss an diese Feststellung kaum, wenn weiter in der Ereigniskette die Vereinigte Front radikale Opposition praktiziert.
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Als erstes erklärt der Abgeordnete Melis Eschimkanow am 22. März seinen Austritt aus der Bewegung Für Reformen. Gefolgt von seinem Kollegen Kabaj Karabekow einen Tag später (Akipress, 22.3.2007, 23.3.2007a). Ein weiterer Schlag ist die Mitteilung Abdrachmanows, dass einige Front-Anhänger die Entscheidung getroffen haben, in einen Hungerstreik zu treten (Akipress, 22.3.2007d). Tekebajew wirft währenddessen KTR vor, Stimmungsmache gegen die Opposition zu betreiben (Akipress, 22.3.2007e). Und während die Front die Stadt über die geplanten Demonstrationen formal in Kenntnis setzt, will sich Für Reformen in naher Zukunft treffen, um über eine Teilnahme an den Protesten der Schwesterorganisation zu entscheiden (ebd.; Akipress, 23.3.2007b). Inmitten dieser neuen Spannungen hält der Präsident am 23. März seine Rede vor dem Parlament (Akipress, 23.3.2007c). Bakijew erklärt, in einer neuen Kommission gemeinsam mit der Opposition eine neue Verfassungsreform anstoßen zu wollen. Darüber hinaus versichert er seine Zuhörer, keine Ausschreitungen bei möglichen Demonstrationen zuzulassen (Akipress, 23.3.2007d). Mit seinem Mix aus Angebot und Warnung treibt er die Bewegung Für Reformen noch stärker in die Krise. Wo Sarijew enttäuscht ist über die ausbleibende Entschuldigung des Präsidenten für verschleppte Reformen, verstehen Aktivist Bajsalow und SDPK Chef Atambajew die Rede als Reforminitiative (Akipress, 23.3.2007e, 23.3.2007g, 24.3.2007). Die Hardliner in der Vereinigten Front hingegen betrachten die Verhandlungen nun endgültig für gescheitert: „Das ist der übliche Betrug. Das Wort des Präsidenten über die Absicht die Verfassung zu überprüfen – das ist ebenfalls der übliche Betrug. Vom ersten Tag der Revolution an hat er uns betrogen.“ (Akipress, 23.3.2007f) Symptomatisch ist anschließend der gescheiterte Versuch von Für Reformen, Delegierte für die Verfassungskommission zu ernennen (Akipress, 24.3.2007a). Die Bewegung erstarrt in Handlungsunfähigkeit. Am Ende warnt Abdrachmanow noch Atambajew, Verhandlungen mit dem Präsidenten nur noch als Privatperson, nicht mehr als Repräsentant von Für Reformen durchzuführen (Akipress, 24.3.2007b). Unbeeindruckt vom dem Chaos bei Für Reformen beziehen andere Spieler ihre Stellungen. Bakijew und Kulow beteuern in Interviews ihre Positionen und vertrauen beide auf Rückhalt bei den Sicherheitskräften (MSN, 23.3.2007, 23.3.2007a). Der Stadtrat von Karakol im Osten des Landes erklärt seine Unterstützung für die Vereinigte Front und verurteilt den „Kadertrajbalismus“ des gegenwärtigen Regimes (Akipress, 24.3.2007c). Mit dem stellvertretenden Minister für Transport- und Kommunikationsfragen, Bejschenov, tritt ein weiteres politisches Leichtgewicht aus Protest zurück (MSN, 23.3.2007b). Eine recht ungewöhnliche Allianz aus dem Ombudsmann für Menschenrechte und dem Chef des Nationalen Sicherheitsdienstes ruft jetzt nach Dialog (Akipress, 23.3.2007h).
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Und während erste Mitglieder der Front bei einer Flugblattaktion verhaftet werden (Akipress, 24.3.2007d), treibt die Bewegung ihre Präsenz in der Region Kotschkor mit 12 ‚Abteilungen‘ voran (Akipress, 26.3.2007). Die Rhetorik nimmt an Härte weiter zu, bis auch Für Reformen auf einem kurzfristig einberufenen Bürgerforum unter der Losung ‚Es ist Zeit‘ Stellung bezieht: „Die Rede des Präsidenten hat noch einmal die völlige Entfremdung der Macht vom Volk demonstriert, den Unwillen, umfassende Umstrukturierungen vorzunehmen und das Bestreben gezeigt, [ . . . ] die Vollmachten des herrschenden Klans zu bewahren. [ . . . ] Eingedenk der Perspektivlosigkeit von Verhandlungen [ . . . ] und eingedenk der Notwendigkeit, die Gesetze zu befolgen und ausschließlich friedliche und zivilisierte Protestformen zu nutzen, unterstützen die Teilnehmer des Forums die Initiative der Vereinigten Front ‚Für eine Würdige Zukunft Kyrgyzstans‘ und anderer Vereinigungen: den Beginn von Protestaktionen mit dem Ziel, das politische System zu ändern und umfassende konstitutionelle Reformen durchzuführen.“ (Akipress, 26.3.2007a)
Für Reformen versucht zeitgleich mit dieser nachholenden Positionierung eine Neuaufstellung ihrer Organisation. Die Vorsitzenden Tekebajew und Atambajew werden abgesetzt, prädestiniert für die Führung scheint nun Temir Sarijew (Akipress, 26.3.2007d, 26.3.2007e). Bevor die Bewegung sich festigen kann, eskaliert die Auseinandersetzung ein weiteres Mal. Der Abgeordnete Melis Eschimkanow erklärt seinen Austritt aus der SDKP und seinen Beitritt zur Gruppe der Hungerstreikenden. Atambajew, dem Chef der Sozialdemokraten, wirft er vor, mit der Wiederbelebung der ‚politischen Leiche Bakijew‘ 8 einen kardinalen Fehler zu begehen (Akipress, 26.3.2007b). Der Präsident unterschreibt derweil ein Dekret über den Umbau von GTRK und bemängelt öffentlich den fehlenden Kooperationswillen der Opposition (Akipress, 28.3.2007, 28.3.2007a). Rückendeckung erhält er von der Volksbewegung Kyrgyzstan (VBK), in der unter Führung des ewigen Parlamentsbekämpfers Toptschubek Turgunalijew verschiedene Parteien und Gruppen die Initiative Für politische Stabilität und Einheit gegründet haben. In einer Erklärung profiliert sich diese neue politische Kraft mit Vorwürfen an die Front, Demonstranten zu bezahlen, und mit der Forderung, Plänen für eine Koalitionsregierung eine Absage zu erteilen (Akipress, 27.3.2007, 27.3.2007a; MSN, 27.3.2007). 9 Der Frauenrat des Gebiets Dschalal-Abad
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Der Ausdruck „Politische Leiche“ bezieht sich auf eine Aussage Atambajews über Bakijew im Herbst 2006.
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Die VBK war ursprünglich die Sammlungsbewegung der Opposition in den Tagen der Tulpenrevolution gewesen.
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springt der Initiative bei und erklärt im Namen von 400-tausend Frauen seine Bereitschaft, in Divisionsstärke gegen die Front ankämpfen zu wollen. Mit ihrem martialischen Auftreten riskieren diese Initiativen schnell ihre Glaubwürdigkeit. Sie werden schließlich komplett ins Abseits gedrängt von der Ankündigung der Politiker Atambajew, Asimbek Beknasarow, Rosa Otunbajewa und Edil Bajsalow am 28. März, aus Für Reformen auszutreten. Gemeinsam gründen sie die Bewegung Für Ein Geeintes Kyrgyzstan (Akipress, 28.3.2007b). In ihrer ersten Erklärung zeichnen sie ein düsteres Bild der gegenwärtigen Lage: „Im Land herrscht das organisierte Verbrechen, welches versucht, den politischen Kampf zu beeinflussen [ . . . ] Als Resultat ist das Volk Kyrgyzstans [ . . . ] erstmals in seiner neuen Geschichte mit der realen Gefahr eines Zerfalls nach regionalen, ethnischen und sozialen Unterschieden konfrontiert.“ (Akipress, 28.3.2007c). Die neuen moderaten Oppositionäre klagen Kulow an: „Wo war [Kulow], als in unserem Land Schritt für Schritt die klassische ‚Akajewschtschina‘ unter neuem Deckmantel wieder errichtet wurde? Warum trat er damals nicht auf und empörte sich? Warum soll Kulow nicht Verantwortung tragen dafür, dass er der Dezemberrevanche den Weg bereitet und über die antidemokratische Dezemberkonstitution geschwiegen hat? Warum hat er so wütend den Auftritt der Bewegung ‚Für Reformen‘ im November vergangenen Jahres kritisiert, hat uns des Versuchs beschuldigt, das Feuer einer Bürgerkonfrontation zu schüren, [ . . . ]? Und jetzt ist er es, der Proteste mit weitaus radikaleren Losungen plant, in einer weitaus angespannteren Situation mit einer gesellschaftlichen Spaltung und der Gefahr eines potentiellen Konflikts.“ (Ebd.)
Temir Sarijew, der designierte Chef von Für Reformen, ist von der Erklärung überrascht. Seine Hoffnung auf Einheit wird nun auch offen von der Vereinigten Front enttäuscht: „Noch existiert die Bewegung ‚Für Reformen‘. Faktisch allerdings hat sich die Bewegung in zwei Flügel aufgeteilt: bildlich gesprochen in ‚Bolschewiki‘ und ‚Menschewiki‘ [ . . . ] Die ‚Bolschewiki‘ sind jene Reformer, die die Losungen der Vereinigten Front unterstützen [ . . . ] Die ‚Menschewiki‘ sind nur ein kleiner Teil von Reformern. Sie laufen jetzt ins Weiße Haus [ . . . ], um sich Plätze in der Regierung zu sichern.“ (Akipress, 28.3.2007d)
Der junge Geschäftsmann und Abgeordnete Omurbek Babanow weist diese Behauptungen empört zurück und unterstützt den Ruf der neuen Bewegung, die Einheit in Staat und Gesellschaft zu bewahren (Akipress, 28.3.2007e). Er teilt die jetzt häufig geäußerte Sorge vor einer Spaltung des Landes in Nord und Süd (vgl. z.B. Akipress, 28.3.2007f, 28.3.2007g). Mit seiner Begrüßung von Für ein
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Geeintes Kyrgyzstan kontrastieren Kommentare im Internet, welche die neue Bewegung mit Hohn und Spott überschütten (Akipress Kommentare, 3.2007). 10 Viele Leser sehen hier einen Ausverkauf der Opposition: „Schande der Opposition. Haben sie endlich ihr wahres Gesicht und ihre wahren Absichten gezeigt. Wer wird ihnen jetzt noch glauben? Ich glaube ihnen bereits nicht mehr.“ Andere pflichten bei: „Je näher der Sieg rückt, desto mehr steigt der Appetit. Schaffen es nicht einmal, den noch nicht erlegten Braten zu teilen.“, während ein weiterer Nutzer Atambajew seine eigene Vergangenheit vorhält: „Almas du bist eine hoffnungslose politische Leiche“ (PR.kg Kommentare, 3.2007). Diese erste Erzählung über den Konflikt zwischen der Vereinigten Front und dem Regime von Bakijew schließe ich mit einigen ersten politischen und öffentlichen Reaktionen auf die Gründung der neuen Bewegung ab. Geradezu überstürzt agiert Premierminister Isabekow, der ohne Vorwarnung eine Reihe von Ministern, unter ihnen auch Vizepremier Usenow, entlässt, um so Platz für die Mitglieder von Für Ein Geeintes Kyrgyzstan zu machen (Akipress, 28.3.2007h, 28.3.2007i). Der Präsident pfeift seinen Premier umgehend wegen Kompetenzüberschreitung zurück und setzt die Regierung so dem öffentlichen Spott aus, bevor er am 29. März die gesamte Regierung entlässt und SDPK Chef Atambajew zum neuen Premier ernennt (Akipress, 28.3.2007k, 29.3.2007; zum Spott vgl. PR.kg Kommentare, 3.2007a). Dieser Paukenschlag macht vieles andere in der öffentlichen Meinung vergessen und schiebt die Frage nach der neuen Machtkonstellation in den Vordergrund. Bereits am Tag darauf steht die Wahl Atambajews im Parlament auf der Agenda und der designierte Regierungschef erhält 48 von 54 abgegebenen Stimmen, nachdem er verspricht, die Regierungsstruktur unverändert zu lassen, das Gespräch mit der Opposition zu suchen und die Verfassungsreform für den April anzustreben (Akipress, 29.3.2007a, 30.3.2007, 30.3.2007a, 30.3.2007b, 30.3.2007c). Für Reformen scheitert im Anschluss an Atambajews Ernennung ein weiteres Mal daran, eine einheitliche Position zu formulieren und wird später von der Front vereinnahmt, die durch Abdrachmanow verkünden lässt, dass beide Bewegungen Atambajews Einladung nach einer Koalitionsregierung ausschlagen und nun für den 11. April gemeinsame Proteste planen (Akipress, 29.3.2007b, 29.3.2007c, 29.3.2007d). Die Suche nach einer einheitlichen Deutung setzt sich auch in der öffentlichen Meinung fort, wo Gefolgsleute der neuen Bewegung in Premier Atambajew erwartungsgemäß die Lösung aller Konflikte sehen (Akipress, 29.3.2007e, 29.3.2007f, 29.3.2007g), während Front-
10 Allein die Rubrik ‚Politik‘ von Akipress verzeichnet für den 28. März mehr als 700 Kommentare.
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Anhänger Atambajew des Verrats bezichtigen (Akipress, 29.3.2007h, 29.3.2007i, 29.3.2007j). Experten begrüßen die Ernennung des SDPK Chefs und hoffen auf Reformen (vgl. z.B. Akipress, 29.3.2007k, 29.3.2007l) und finden gar lobende Worte für den Präsidenten, wie beispielsweise Amangeldy Muralijew: „es ist schwer zu sagen inwieweit das die Situation stabilisiert, aber man möchte doch glauben, dass hinter Atambajew progressive Politiker stehen; da gibt es eine bestimmte Masse im Volk, da ist die Partei und [ . . . ] ‚Für Ein Geeintes Kyrgyzstan‘. Meiner Meinung nach war das der erfolgreichste Schritt des Präsidenten zur Lösung der Kaderfrage.“ (Akipress, 29.3.2007m)
Andere Experten eruieren Atambajews Gestaltungsspielraum: „Jetzt ist es wichtig, dass der Präsident die exklusiven Vollmachten für eine Regierungsbildung dem Premierminister übergibt. Und das müssen reale Vollmachten sein, nicht nur formale. Es ist wichtig, dass das eine geschlossen Truppe wird“ (Akipress, 29.3.2007n). Ganz anders der Experte Aleksej Wlasow von der Lomonossow Universität in Moskau, der die Ernennung Atambajews als Akt der Verzweiflung wertet und der davon ausgeht, dass die Front auch so ihr Ziele erreichen wird (Akipress, 29.3.2007o). Wie eine Bestätigung von Wlasows Worten klingt schließlich die offizielle Reaktion der Front auf Atambajews neues Amt: „Der Präsident Kyrgyzstans hat nicht eines seiner dem Volk gegebenen Versprechen gehalten. Lüge und Betrug sind seine grundlegenden Instrumente im Gespräch mit dem Volk. [ . . . ] Zertreten ist die Würde, die Ehre des Staates. Der Teil der Gesellschaft, der dem nicht gleichgültig gegenübersteht, wird von der Macht als Haufen Radikaler hingestellt. [ . . . ] Die Bewegung ‚Für Reformen!‘ und die ‚Vereinigte Front Für eine Würdige Zukunft Kyrgyzstans‘, [ . . . ] treffen folgende Entscheidungen: nicht an der Formierung der Koalitionsregierung, geleitet von Premierminister Atambajew, teilzunehmen; ein gemeinsames Projekt einer neuen Verfassung auszuarbeiten; die Proteste am 11. April gemeinsam zu organisieren und weitere Aktionen zu koordinieren.“ (Akipress, 30.3.2007e)
Die öffentliche Meinung wird zunehmend zwischen den radikalen Positionen aufgerieben. 11 Im Netz beispielsweise verzweifelt Nutzer ‚Maksat‘ an der Lage: „Atambajew hat doch hinausgerufen, dass Baks eine politische Leiche ist und
11 Positiv zur Einsetzung Atambajews vgl. Akipress, 30.3.2007f; ganz anders der Experte Omarow„Es ist sehr wahrscheinlich, dass die [Aktionen der Front] von Erfolg gekrönt sein werden, und der Präsident am Ende doch gezwungen sein wird, sich auf vorgezogene Präsidentschaftswahlen einzulassen.“ (Akipress, 30.3.2007g)
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nun geht er selbst in Verhandlungen?????? Was ein Ergebnis. Mein Gott, Kinder, wem soll man glauben Kulow sagt Danchik hat 300 000$ gezahlt, der sagt, er hat es nicht. Wem soll man glauben, alle sind verwirrt.“ (PR.kg Kommentare, 3.2007b). Andere Leser treiben Sorgen um: „Leute, beruhigt Euch, es riecht fettig, werden wir uns wirklich gegenseitig die Näpfe anknabbern, mir scheint, morgen ist hier bereits Afrika. Die Klane werden sich für ihre eigennützigen Ziele umbringen: Da geht es dann schon nicht mehr um Kulow, Bakijew und dergleichen.“ Einige Kommentatoren drücken ihre Abscheu der gegenwärtigen Ereignisse aus: „Ihr seid alle Schwachköpfe [ . . . ]. Sowohl ihr Bakijewkinder [(‚Баксята‘ i. Orig.)] als auch ihr Kulowkinder [(‚Кулята‘ i. Orig.)]. Ihr seid alle Mankurty. Was man euch steckt, das tut ihr auch. Solche wie ihr führen das Land in den Krieg.“ Ein weiterer Leser sekundiert: „Solange ihr für Bakijew, Kulow usw. seid, ändert sich nichts. So wie wir im Dreck gesessen haben, werden wir auch weiterhin sitzen.“ Am Ende, so scheint es, bleibt als letzter Ausweg nur noch Humor um den Geschehnissen ihren Ernst und ihren Anspruch abzuerkennen: „Krieg ist halt Krieg, aber zum Mittagessen geht’s nach Plan. Trotz militärischer Zusammenstöße – zum Hammelessen treffen wir uns an einem Tisch, und anschließend machen wir weiter – Comedy Club Auf Kyrgyzisch In Kürze Auf Allen Kanälen In Der Ganzen Welt – Verpassen Sie Es Ja Nicht!“ (vgl. für alle Kommentare PR.kg Kommentare, 3.2007c).
5.2 K ONFLIKT ALS R ISIKO DER P OLITIK
DES
F UNKTIONSVERLUSTS
Meine erste Erzählung über den Konflikt zwischen der Vereinigten Front für eine Würdige Zukunft Kyrgyzstans und dem Regime von Präsident Bakijew endet mit einem Personalwechsel an der Spitze der Regierung. Zu diesem Zeitpunkt hat sich bereits jene Dynamik entfaltet, die meiner Meinung nach den Boden für eine besondere Praxis der Kooptation bereitet. Diese Praxis stabilisiert politische Verhältnisse selbst dann, wenn widersprüchliche Ordnungslogiken weder integriert, noch eindeutig hierarchisiert werden können. Ich werde später ausführlicher auf diese Praxis eingehen. An dieser Stelle interessieren die Bedingungen, auf die sie aufbaut. Entscheidend ist, erstens, eine Entkopplung von Sprechern und Themen sowie zeitlichen Horizonten in der Auseinandersetzung; zweitens eine politisch wirkungslose Einführung von Varianz in den Konflikt; drittens die Unfähigkeit von Schemata zur Sortierung des Streits, Anschluss an Konfliktereignisse herzustellen; und viertens die schleichende und nachhaltige Reduzierung der Kapazität, die Auseinandersetzung zu versachlichen. Ich werde alle vier
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Punkte im Folgenden kurz diskutieren, bevor ich abschließend auf erste Konsequenzen dieser Dynamik aufmerksam mache. 1. Ich nehme an, dass die öffentliche Meinung erwartet, Konflikt entlang möglicher sachlicher Verweise in eine Struktur bringen zu können. Eine politische Auseinandersetzung wird nach ihren Themen sortiert, ihnen werden Personen und Parteien zugeordnet, zeitliche Horizonte werden parallel geschaltet. Das ‚Hin und Her‘ erfährt eine Einbettung, bei der sich alle Beteiligten und Beobachter irgendwann darauf verlassen müssen und auch können, dass die Möglichkeit für die Beobachtung untereinander – und somit für Erreichbarkeit und Verknüpfbarkeit – den Fortgang der Ereignisse irgendwie bestimmen wird. Im November 2006 sorgte diese Entwicklung zur Überraschung aller Beteiligten für den Beginn modernen politischen Streitens. Im Fall der Vereinigten Front scheint dieser Prozess in einer Blockade stecken zu bleiben. In der Auseinandersetzung bleiben die einzelnen Initiativen für mehr politischen Streit unverbunden mit thematischen Fragen. Weder sorgt der angepeilte Skandal um Vizepremier Usenow für mehr parlamentarischen Druck, noch erhält der Ausverkauf der Republik Einzug in die Auseinandersetzung zwischen der Front und Präsident Bakijew. Hier der große, alles entscheidende politische Streit um die Macht im Staat, dort die Themen ‚Kristall‘, Goldminen, Budgetdezentralisierung, schließlich sogar ein neuer Verfassungsentwurf von Für Reformen, für die es sich zu streiten lohnen würde, die im Konflikt allerdings nicht verankert werden. Der Mangel an relevanten Themen spiegelt sich in der Entkopplung von Sprecherpositionen. Das Schicksal der Bewegung Für Reformen ist hier bezeichnend. Temir Sarijew erinnert sich: „[ . . . ] auf der einen Seite wäre eine Absage der Teilnahme an den politischen Aktionen [der Front] von meinen Gefolgsleuten als Verrat an jenen Ideen und Forderungen aufgefasst worden [ . . . ]. Auf der anderen Seite, sich mit der Vereinigten Front Kulows zu vereinen hätte bedeutet, dass ich bereit bin auf diese Person zu setzen, obwohl ich doch noch vor kurzem erst selbst gegen ihn opponierte, ihn stark kritisiert hatte für die von ihm zusammen mit Bakijew durchgeführte, unverständliche Politik und für seine persönliche Linie. So stellte sich das Dilemma ...“ (Sariev 2008: 128 f)
Die gerade im sachlichen Austausch groß gewordene Bewegung schafft es nicht mehr, Themen zu setzen und Fragen zu bestimmen und wird am Ende zwischen Positionen aufgerieben, die sich außer ihrer eigenen Gegnerschaft keiner weiteren thematischen oder zeitlichen Relevanz sicher sein können. Für Reformen hatte Bezüge zur Tulpenrevolution aufgebaut, Forderungskataloge entwickelt, und andere Gruppen an sich gebunden, und das im Austausch mit einer öffentli-
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chen Meinung. Die Vereinigte Front hingegen agiert im ‚Hier und Jetzt‘, kennt nur eine ultimative Forderung und sichert Anhängerschaft allein mit Hilfe von Loyalität. Diese Vorgehensweise produziert am Ende eine unsichere politische Position, wie die Frage nach der Varianz im Konflikt weiter verdeutlicht. 2. Was lässt sich beispielsweise erkennen, wenn man nach Protest in dieser Episode sucht? Man stellt fest, dass Protest in Form von Aktionen auffällig unauffällig bleibt. Es gibt keine Demonstrationen, die berühmten spontanen ‚Mitingi‘ bleiben aus, Straßen werden nicht gesperrt und es wird auch kein ‚Kurultaj‘ einberufen. Das einzige, was stattfindet, ist eine Pressekonferenz, auf der sich eine neue Opposition erklärt, die Proteste ankündigt. In einem geradezu aktionsfreien, fast sterilen Raum plant erst Kulow die Vereinigte Front und später die Vereinigte Front ihre Aktion. Die Irritation über dieses Vorgehen wird stärker, wenn man sich vor Augen führt, dass sich Kulow zur Opposition ‚entscheidet‘. Die Öffentlichkeit erwartet diese Entscheidung, sie ist so auf dieses kommende Ereignis fixiert, dass kurz vor ihrer Verkündung laut dem russischen Experten Dubnow alle anderen Fragen irrelevant werden. Gleichzeitig wird in dieser Erwartung auch deutlich, wie ungewiss der Ausgang der Kulow’schen Kalkulation sein wird. Es gibt öffentlich keinerlei Anhaltspunkte, an denen sich Präferenzen beobachten ließen. Kulows Entscheidung wird so in jedem Fall für eine Überraschung sorgen. Alles Weitere im Anschluss an diese Entscheidung von Seiten Kulows und der Front lässt die Überraschung in Irritation umschlagen. Kulow bestimmt seine Opposition – und bestimmt erst dann die Ziele der Bewegung, was als Beliebigkeit ausgelegt werden muss. Kulow formuliert als Ziel die Übernahme der Macht – und muss sich fragen lassen, welche Begründung außer eigener Macht er für diesen Anspruch zur Verfügung stellen kann. Kulow bestimmt sich als Opposition – aber bedient diesen Anspruch mit populistischen Parolen für die Volkseinheit. Das aber lässt die öffentliche Meinung erfolglos nach der Differenz zu Präsident und Regierung suchen. Im Unterschied zum fehlenden Protest im November 2006, als in der Zeit bis zum ‚Legendären Miting‘ keine neue Varianz in den Konflikt eingeführt wurde und auch keine neuen Proteste in Form von Demonstrationen stattfanden, ist das Fehlen von Protest in dieser Episode nicht auf die bereits geleistete Erfahrung der Varianzeinfuhr zurückzuführen, sondern auf die Unbestimmtheit der Varianz. Wofür steht der von Kulow und von der Vereinigten Front geäußerte Widerspruch, der wie kaum ein anderes Ereignis in Kyrgyzstan öffentlich als Widerspruch markiert und aufgefasst wird? Ohne weitere Handreichung, ohne die Demonstrationen, die Plakate, die Straßensperrungen, ohne Parlamentsdebatten zur Sache und Reformideen, ohne vorbereitende Märsche und die Möglichkeit, über den Austausch von Positionen Widerspruch eindeutig zu qualifizieren, wird
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dieser als ein Widerspruch um des Widerspruchs willen beobachtet. Das wiederum reduziert die Chancen für einen Anschluss an diese Beobachtung, wie sich im weiteren Verlauf zeigt. 3. Sucht man nach Bewertungen in dieser Episode, nach den konkurrierenden Auffassungen von Politik, so stößt man erst einmal auf ein großes Ausmaß öffentlicher Selbstbeobachtung. Die öffentliche Meinung produziert unablässig Einschätzungen von den Geschehnissen. Aber diese Einschätzungen fügen sich nicht in eine Erzählung ein, welche der öffentlichen Meinung Orientierung bietet. Ins Auge des Betrachters fällt in dieser Episode das Problem, moderne Chiffren wie Regierung und Opposition anzuwenden. Die Kritik der NGO Aktivistin Ismailowa fragt nach der sachlichen Auszeichnung, mit der sich die Front als moderne Opposition ausweisen dürfte. Es klingt widersprüchlich: gerade weil die neue Opposition sich so stark als Opposition zelebriert, lässt sie sich im öffentlichen Diskurs kaum noch als authentische politische Position nachvollziehen. Allerdings wird diese Leerstelle auch nicht von anderen Schemata ersetzt, beispielsweise über die Identifizierung von regionalen oder anderen traditionellen Unterteilungen. Im Gegenteil, der Eindruck ist vielmehr, dass ganz nach dem Schema des Politologen Baimatov verschiedene Kategorien herangezogen werden, ohne dabei Möglichkeiten der Ausdifferenzierung bereit zu stellen (vgl. Baimatov, 2006: 20). ‚Klan‘ mischt sich mit ‚Landsmannschaft‘, die ‚Herrschaftsfamilie‘ wird genauso vorgeführt wie der eher neutrale Begriff der ‚Vetternwirtschaft‘. Nachhaltig verwendet werden diese Begriffe dann auch nur, um den politischen Gegner zu diffamieren; nicht aber in Form einer integrierten Erzählung, mit der weitere öffentliche Beobachtungen angeleitet werden können. Die Unterteilung in Nord und Süd findet sich schließlich in der Analyse der neuen Bewegung Für Ein Geeintes Kyrgyzstan, welche das Auseinanderfallen des Landes in zwei Hälften als Beobachtungsrichtung vorgibt. Aber auch hier bleiben weitere Differenzierungen aus beziehungsweise nehmen die Gestalt von Diffamierungen an. Am Ende bleiben Begriffshülsen, die zur Erklärung aufrufen, ohne Anweisungen zu geben, wohin genau die öffentliche Meinung schauen soll. 4. Mit Messmer (2003) lautet meine theoretische Annahme, dass Politik im Zusammenspiel mit öffentlicher Meinung zur Versachlichung von Machtkonflikten beiträgt. In der vorliegenden Episode bittet nun der Konflikt die Öffentlichkeit um ihre Aufmerksamkeit, legt auf ihre Meinung allerdings keinen Wert. Daraus entsteht ein Dilemma, welches eine weitere Erinnerung Sarijews veranschaulicht, der in einer Diskussion mit Kulow in jenen Tagen mit überraschender Genauigkeit den Unterschied zwischen sachlicher Debatte und differenzlosen Drohgebärden berührt:
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„Feliks Scharschenbajewitsch! Es wäre besser, Sie distanzierten sich jetzt vom Kampf um die Macht im Land und konzentrierten sich vorrangig auf die Ausarbeitung und Durchführung konstitutioneller Reformen bezüglich des Staatsaufbaus. Dabei sollten Sie aber unbedingt öffentlich erklären, dass sie weder jetzt noch in Zukunft für führende Posten kandidieren werden. Nur dann kommt es zur Einigung der Opposition und nur dann hat sie den Beweggrund, von Bakijew sofortige Reformen einzufordern.“ (Sariev 2008: 136)
Der neue Für Reformen Chef ahnt vielleicht das Unglück einer Abkopplung der politischen Auseinandersetzung von der öffentlichen Meinung. Der stiefmütterlichen Behandlung öffentlicher Präferenzen durch die Front-Vorderen will er modernes politisches Streiten entgegensetzen. Der Plan geht nicht auf. Die Vereinigte Front fährt fort, ihre Entscheidung für Opposition generalstabsmäßig als Plan auszubauen und entsprechend umzusetzen. Die Reaktion des Frauenrats von Dschalal-Abad, die hier zum Ausdruck kommende neue Kriegsrhetorik macht deutlich, wie an öffentlicher Meinung vorbei technisch Opposition praktiziert wird. Die Front braucht Armee, Stäbe, Brigaden, Hauptquartiere, Generäle, Aktionen. Der Sieg ist eine Frage effizienten Planens, des Aufbaus von genug Schlagkraft. Von hier ist es nicht weit zu der Befürchtung von Schlachtfeldern und Feldzügen. Es überragen in den öffentlichen Debatten am Ende militaristische Drohgebärden, Gerüchte über Staatszerfall, ultimative Forderungen und gleichzeitig fehlen Argumente, Verhandlungen und sachliche Diskussionen. Die Versachlichung des Machtkonflikts bleibt aus. Abschließend möchte ich den Akt der Selbstverbrennung des verzweifelten Vaters hervorheben. Dieses Ereignis steht meiner Meinung nach für den Aufbau von parallelen öffentlichen Räumen. Zum einen gibt es politische Aktion und ihre Macher, die in Abhängigkeit von ereignishungrigen Medien verstärkt Anstrengungen unternehmen, um mit noch mehr Inszenierung ihre inhaltsleere Position zu festigen. Zum anderen gibt es Ereignisse, die in ihrer Faktizität eine andere Geltung beanspruchen, jedoch politisch keinen Anschluss mehr finden. Irritierend bis erschreckend ist in dieser Episode, wie die Differenz zwischen beiden öffentlich nicht mehr reflektiert wird. Tragisch wird dieses Verhältnis, wenn sich – wie in der folgenden Episode beobachtet – diese Differenz zugunsten der Inszenierung weiter verschiebt. Zusammenfassung In dieser Episode habe ich den Auftritt der Vereinigten Front auf der politischen Bühne des postrevolutionären Kyrgyzstans rekonstruiert. Ich habe dargestellt, wie der ehemalige Premier Kulow, nach vorheriger Ankündigung, erst seine
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neue oppositionelle Position bestimmte und im Anschluss die neue Bewegung aufbaute. Die Reaktionen in der öffentlichen Meinung auf diese Ereignisse spiegelten das Misstrauen wieder, mit dem die neuen Bewegung von Beginn an zu kämpfen hatte. In der Folge trugen die verstärkte Inszenierung von Opposition, der Mangel an Varianzeinfuhr, ausbleibende sachliche Debatten und das Scheitern bekannter Beobachtungsschemata dazu bei, dass politischer Konflikt in Kyrgyzstan zu einer Veranstaltung mutierte, mit der die öffentliche Meinung nichts mehr anzufangen wusste. Am Ende dieser Geschichte steht der Wechsel in einem Amt, mithin jene Lösungsstrategie, die auch noch im ersten Konflikt um den Parlamentssprecherposten zur Anwendung kam. Ein Ziel meiner Darstellung war es, die besonderen Entstehungsbedingungen hervorzuheben, welche diese Bewegung von der Opposition in Gestalt von Für Reformen unterscheiden. Wie in der Einleitung erwähnt, werden beide Bewegungen noch häufig mit denselben Kategorien von Manipulationspraktiken beschrieben, ohne dass dabei zwischen den Konfliktdynamiken stärker differenziert wird. Ein anderes Ziel war es, zu zeigen, wie der Mangel an Glaubwürdigkeit einer politischen Aktion dafür sorgt, dass öffentliche Anschlussfähigkeit abgebaut wird und am Ende allein Verzweiflung oder Humor als Ausweg bleiben. Mit Blick auf die Verspottung als ‚Comedy Club‘ lässt sich zugespitzt abschließen, dass die Geschehnisse zwischen der Vereinigten Front und Präsident Bakijew in ihrer Bedeutung nicht mehr öffentlich entschlüsselt werden können. Wenn das Ganze ein Konflikt sein soll, so wird es nun zunehmend schwieriger, seine Implikationen für die gleichzeitig ablaufenden politischen Entscheidungsfindungsprozesse bestimmen zu können. Für einen Beobachter „zweiter Ordnung“, wie es bei Luhmann heißt, realisiert sich in dieser Unverbundenheit von politischer Aktion und öffentlicher Beobachtung schließlich auch eine De-funktionalisierung moderner Politik.
5.3 P ROTEST ALS LEERE V ERANSTALTUNG : D IE D EMONSTRATIONEN IM A PRIL UND DIE Z ERSCHLAGUNG DER V EREINIGTEN F RONT Die wenigen Wochen im April 2007, in denen sich die Vereinigte Front selbst abwickelte, bilden den zeitlichen Abschluss einer Entwicklung hin zu einer Politik in Kyrgyzstan, die ich ‚negative Politik‘ nennen möchte. Mit diesem Begriff ziele ich auf den Umstand ab, dass Politik als ein Prozess, in dem Machtansprüche sachlich fundiert einer Entscheidung zugeführt werden, unmöglich geworden war. Ab Sommer 2007 besaß Bakijew alleinige Gestaltungsmacht, die er in den folgenden Jahren bis zum April 2010 weiter ausbaute, auf die er auch, ganz im
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Sinne autoritärer Logik, blind vertraute, ohne den Austausch mit der Gesellschaft zu suchen. Möglich geworden waren Machtausbau wie auch blindes Machtvertrauen durch die neue Blockade für Opposition, authentische Ansprüche an Macht zu formulieren. Nach den Aktionen der Vereinigten Front hatte sich in der öffentlichen Meinung in Kyrgyzstan umfassende Skepsis breit gemacht, die jedem Anspruch auf Macht mit einem Unglauben, mitunter sogar mit dem Glauben an ein falsches Spiel, begegnete. Oppositionelle Politik hatte die Möglichkeit verloren, zu überzeugen, zu motivieren und zu mobilisieren. Ich werde diese Dynamik in meiner anschließenden Analyse eingehend diskutieren. An dieser Stelle leiten diese Überlegungen ein in meine letzte Konflikterzählung, die mit zwei Beobachtungen startet. Die erste Beobachtung entstammt einem Gespräch mit einem Mitglied des Parteirats von Ar-Namys, der politischen Heimat Feliks Kulows (Interview #4). Ich erfahre, dass es die Absicht der Vereinigten Front war, in parallel zu dem ‚Miting‘ verlaufenden Verhandlungen Reformen durchzusetzen und schließlich, am 19. oder 20. April, die Demonstranten über die Ergebnisse zu informieren. Das alles anders kam, erklärt mein Gesprächspartner, lag an der mangelnden Kontrolle über die Massen. Er erzählt von der aggressiven Stimmung auf dem Ala-Too, von den kursierenden Plänen, das Weiße Haus zu stürmen. Er selbst habe die Front-Chefs gedrängt, sich den 30-tausend Demonstranten zuzuwenden, jedoch vergeblich. Die Macht habe das ausgenutzt, ihre Provokateure geschickt, welche schließlich Innenminister Nogojbajew den Stock entrissen. 12 So ganz, gesteht mein Informant am Ende unseres Gesprächs, kann er die Tragödie der Vereinigten Front nicht erklären. Vielleicht sei Kulow einfach das Opfer einer Intrige geworden. Wahrscheinlich habe ihn Eschimkanow zu dem Protest überredet. Der war vor der Gründung der Front mehrfach bei ihm gewesen. Worüber die beiden sprachen, habe man dabei nie erfahren. Und nun bekommt dieser Eschimkanow einen hohen Posten? Das verwundert doch! Meine zweite Beobachtung geht auf eine Unterhaltung mit einem Teilnehmer der Proteste zurück. Auch dieser Gesprächspartner hat Schwierigkeiten, sich einen Reim auf das Scheitern der Vereinigten Front zu machen (Interview #5, #6). Er glaubt, das ‚Weiße Haus‘ hatte hier seine Finger mit im Spiel. Wie anders lässt sich erklären, dass Eschimkanow inzwischen zum Direktor der Nationalen Sendeanstalten ernannt worden ist? Und Suwanalijew, der Koordinator der Front, zum Gouverneur des Gebiets Naryn? Wahrscheinlich war das Ganze eine gemeinsame Aktion von Eschimkanow und Sadyrkulow, dem Chef der Präsi-
12 Allgemein wird dieser Moment als Beginn der gewaltsamen Auseinandersetzungen aufgefasst. Siehe die folgende Darstellung für mehr Informationen.
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dialadministration in diesen Tagen. Sicherlich hat auch Kulow Fehler gemacht. Mein Gesprächspartner wundert sich, ob der Front-Chef wohl immer wusste, was in der Bewegung geschah. Eschimkanow und Suwanalijew waren im Bilde über die Deals mit dem ‚Weißen Haus‘, aber wahrscheinlich nicht Kulow. Der hat sich auf seine Verbindungen nach Russland verlassen. Vielleicht kam von dort ja auch Geld. Von dort und zugleich aus dem ‚Weißen Haus‘? Jedenfalls war die ganze Aktion von dritten Kräften organisiert. In diesen Erinnerungen zweier Augenzeugen der Ereignisse im April 2007 verdichten sich jene Erfahrungen, welche die öffentliche Meinung in Kyrgyzstan letztlich auffordern, ihren Verdacht, Politik sei eine zunehmend irrelevante Veranstaltung, zu einer Gewissheit werden zu lassen. Die Auseinandersetzung zwischen der Vereinigten Front und Präsident Bakijew und seinem Gefolge nimmt Züge an, die es der öffentlichen Meinung zunehmend unmöglich machen, nach sachlichen, zeitlichen oder sozialen Gesichtspunkten politische Positionen zu markieren. Im Gegenteil, immer häufiger müssen Gerüchte und Intrigen als Lückenfüller dienen, um Sinn in das Geschehen zu bringen. Bis zu dem Augenblick, an dem die Logik kippt und die Meinung dominant wird, es handele sich bei dem politischen Streit um ein Bühnenstück, dessen Manuskript dem öffentlichen Auge verborgen ist. In diesem Moment wird politische Opposition unglaubwürdig und zum Scheitern verurteilt, während eine neue Kooptationspraxis ihren Platz einnimmt, in der mit Hilfe der diskreditierenden Nachahmung von Opposition öffentlich der Wettbewerb um Posten im Staatsapparat bestritten wird. In meiner abschließenden Erzählung treten die Probleme der öffentlichen Meinung, an die Ereignisse anzuschließen, bereits mit Atambajews Amtsantritt zu Tage. Hoffnungen auf weitere Kompromisse werden schnell betrogen. Ernennungen auf Ministerposten werden erst wohlwollend aufgenommen, dann wegen mangelnder regionaler Balance kritisiert (Akipress, 2.4.2007, 2.4.2007a). Den Schlüsselposten des Ersten Vizepremiers trägt Atambajew Oppositionsvertretern an, die das Angebot aber zurückweisen (Akipress, 3.4.2007). Es bleiben die Absichtserklärungen des neuen Premiers, den Dialog weiter suchen zu wollen (Akipress, 4.4.2007). Dabei erhält er Unterstützung aus der Öffentlichkeit. Die Assoziation der Nichtregierungsorganisationen ruft dazu auf, umgehend kardinale Verfassungsreformen durchzuführen und Richter für das Verfassungsgericht wählen zu lassen (Akipress, 2.4.2007b). Vergleichsweise unspezifisch sind die Sorgen, welche, ganz in sowjetischer Manier, regierungstreue Verbände vortragen (Akipress, 2.4.2007c, 5.4.2007). Schließlich vertraut aber auch die OSZE öffentlich auf die Dialogkultur des kyrgyzischen Volkes und mahnt gleichzeitig eine Verständigung zwischen Front und Macht an (Akipress, 4.4.2007b). Als die Front erklärt, unter Bedingungen Gespräche führen zu wollen und Kulow in ei-
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nem Interview verkündet, Verhandlungen gegenüber offen zu sein, scheinen diese Sorgen erhört (Akipress, 3.4.2007b; Wremja Nowosti, 2.4.2007). Dann heißt es aber nur wenige Stunden später, es handele sich bei dieser Nachricht um eine Ente (Akipress, 3.4.2007c). Vielmehr sei es die Macht, so erklärt die Vereinigte Front, die Bedarf an Gesprächen hat. Umgehend stehen die Zeichen wieder auf Konfrontation. Selbstbewusst berichtet die Front von einer wachsenden Anhängerschaft, Meldungen über neue Beitritte wechseln sich ab mit Unterstützungsschreiben und Nachrichten über erste Protestaktionen im Land (Akipress, 31.3.2007, 2.4.2007d, 2.4.2007e). Mitunter bleibt unklar, was genau dabei passiert. Die Vereinigte Front beispielsweise beklagt die Behinderung von traditionellen Reiterspielen, ‚Ulak Tartysch‘, im Kreis Issyk-Atyn; die Verwaltung vor Ort weist diese Vorwürfe allerdings zurück (Akipress, 31.3.2007a). Und wo die Front den Auflauf von 700 Demonstranten für die eigene Sache im Kreis Sokuluk feiert, sprechen die staatlichen Stellen von gerade mal 120 Teilnehmern (Akipress, 2.4.2007f, 2.4.2007g). Mit ersten Verhaftungen von Aktivisten der Front und einem ‚AntiMiting‘ der Bewegung Für Politische Stabilität und Einheit nimmt die Konfrontation schließlich Aktionscharakter an (Akipress, 2.4.2007h, 2.4.2007i; MSN, 3.4.2007). Eine Pressekonferenz Kulows am 5. April, auf welcher der Oppositionschef ein angebliches Dialogangebot Bakijews ausschlägt, mit der Forderung nach sofortigem Rücktritt droht und dem Präsidentenbruder Schanysch vorwirft, OBON Einheiten zu organisieren, genügt, um die Situation eskalieren zu lassen (Akipress, 5.4.2007a, 5.4.2007b). Am nächsten Tag kommt es zu ersten Zusammenstößen, als eine Gruppe älterer Frauen die Hungerstreikenden auf dem Platz vor dem Parlament attackiert (Akipress, 5.4.2007c). Die Polizei muss eingreifen, um die Frauen, angeblich Mitglieder der Partei Schany Mesgil (Neue Zeit), zu stoppen. Die Streikenden verkünden im Anschluss, sich bei weiterem Widerstand des Präsidenten selbst verbrennen zu wollen (ebd.). Die Zeichen weisen auf dramatische Entwicklungen hin. So zumindest beobachtet das in diesen Tagen die öffentliche Meinung in Kyrgyzstan. Ein propräsidentielles Medium wie MSN benutzt lauter Superlative, um die Situation angemessen beschreiben zu können: „Die letzten Monate, genauer, die letzten Wochen, waren schärfer als alles vorherige, und sie haben gezeigt, dass die Situation [ . . . ] unerbittlich auf kardinale Veränderungen zuläuft. Unklar ist allein, wie diese Veränderungen ablaufen werden, wie das Land aus dieser langwierigen und von der Anspannung und der inneren Dramatik her noch nie da gewesenen Krise herauskommt. Ordentlich, zivilisiert, ohne persönliche Kosten und Verluste –
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oder plötzlich, mit gefährlichen Eruptionen, mit der Explosion von Gewalt, Anarchie, und dem Kampf Mann gegen Mann?“ (MSN, 6.4.2007)
Eine Expertenrunde erörtert die Lage nüchterner, ist aber ebenfalls hoch besorgt. Man geht hier davon aus, dass sich das Land „im Stadium der Zerstörung des staatlichen Regulierungssystems befindet; es mangelt [ . . . ] an einem professionellen Zugang zu Maßnahmen, die vorgenommen werden müssen, in der Gesellschaft nimmt eine Kriegsrhetorik Gestalt an, und es gibt keine ordentlichen Verwaltungstechniken und Programme.“ (Akipress, 4.4.2007d) Allein der Politologe Walentin Bogatyrew wertet die Ereignisse positiv. Er beobachtet keinen Zerfall, sondern die gesunde Ausdifferenzierung des politischen Meinungsspektrums (Akipress, 5.4.2007d). Er begrüßt den Ausbau von Reformplänen und verurteilt radikale Maßnahmen wie Eschimkanows Hungerstreik. Er glaubt, die Zukunft liege bei Kräften wie der sich unter Tekebajew neu aufstellenden Partei Ata-Meken, nicht bei der Vereinigten Front. Sowohl die dramatischen Einschätzungen wie auch Bogatyrews positive Deutung sind letztlich fehl am Platz. Weder droht Staatszerfall in diesen Tagen, noch kommt es zur Bildung moderner Parteien. 13 Das EWVP Projekt versucht sich in einer realistischen Bewertung der Situation. Es beobachtet eine steigende Aggressivität und eine Konfliktdynamik, in der zunehmend nach regionalen Aspekten zwischen Freund und Feind unterschieden wird: „Trend 1. Active implementation of the following activities in the southern regions (1) meetings in support of President Bakiev and (2) preparation for the conduct of similar (not excluding forced) actions in Bishkek town on April 9-11. [ . . . ] The Project noted that the main organizer of actions was the movement ‘Against Joint Front’ established on March 28 in Jalalabat. [ . . . ] The movement is united by the following facts: a) support of the policy of President Bakiev; b) participation of the members of the movement in the March events of 2005; c) regional composition of leaders and participants. [ . . . ] Sources in Jalalabat oblast informed the Project that a) about 1 500 supporters (youth, sportsmen and women) went in the direction of Bishkek by taxi (‘marshrutka’) with pre-paid one-way travel expenses. [ . . . ] However, the Project (i) has no data about the facts of the departure [ . . . ] Trend 2. The Project noted the following activities in the north regions (1) the active preparation for the actions on April 9-11 by the Joint Front and in some districts (2) the
13 Beides sind Szenarien, die erst 2010 zur Realisierung kommen sollten. Die Tragödien im April und Juni 2010 standen für den zerrütteten Zustand staatlicher Strukturen, während gleichzeitig der Aufbau eines parlamentarischen Systems, unter Federführung von Ata-Meken und der SDPK, Parteien erstmals Mitspracherechte einräumte.
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support of the Joint Front by local Ayil Keneshs. [ . . . ] Risks. The potential for violent protest in April 9-11 is closely related to the fact that a) regional division of the two sides escalates [ . . . ] which may lead to (1) violent confrontation during the protests on April 9-11, based on regional grounds in Bishkek and (2) national inter-ethnic conflict with a huge potential for violence.“ (EWVP, 5.4.2007: 5) 14
Das EWVP Projekt, welches offensichtlich an die Grenzen seiner Beobachtungskapazitäten stößt, sieht allein in Verhandlungen einen Ausweg aus dem Konflikt. Hoffnungen liegen auf dem Verfassungsvorschlag der Für Reformen Mitglieder Bajbolow und Gulnara Iskakowa, einer Juraprofessorin der American University. Dieser Vorschlag war noch am 3. April dem Präsidenten übergeben worden und Bajbolow hatte den vorsichtigen Wunsch geäußert, Premier Atambajew möge sich für das Projekt einsetzen: „Vielleicht schafft es Atambajew Bakijew zu überzeugen, bis zum 5. April die neue Fassung dem Parlament vorzulegen, aber ich zweifle, dass das unser Projekt sein wird. Eher irgendeine Mischmasch-Verfassung – ein bisschen besser als die vom Dezember, aber weitaus schlechter als die vom November.“ (Akipress, 3.4.2007d) Atambajew bestätigt diese Zweifel bereits am folgenden Tag auf einer extra anberaumten Pressekonferenz mit über hundert Pressevertretern. Der Premier lehnt den Vorschlag rundweg ab. Ihn stören die Beschneidungen der Exekutivvollmachten; und er verlangt für die Einführung eines parlamentarischen Systems neue Parlamentswahlen (Akipress, 4.4.2007e, 4.4.2007f). Gleichzeitig ruft er zur Zusammenarbeit in seiner Revisionskommission auf und bedauert, dass sich bisher keine Vertreter der Front zur Mitwirkung bereit erklärt haben (Akipress, 4.4.2007h). Das Bedauern kommentiert aus Sicht der Front Abdrachmanow. Der legitime Reformvorschlag der Opposition sei das Verfassungsprojekt Bajbolows und der Präsident solle diesen berücksichtigen (Akipress, 5.4.2007f). Die Verfassungsdebatte kommt nicht vom Fleck. Premier Atambajew verkündet am 6. April die Liste der Kommissionsmitglieder (Akipress, 6.4.2007). Allerdings fehlen die Vertreter der Vereinigten Front, was Präsident Bakijew zum Anlass nimmt, die Obstruktionspolitik der Opposition zu verurteilen und gleichzeitig sein Gesprächsangebot zu wiederholen. Er fügt hinzu, sich unter keinen Umständen einer Verfassung zu beugen, die ihm von Dritten aufgezwungen wird. Die Kommission solle nun endgültig einen Schlussstrich unter die leidige Verfassungsfrage ziehen (Akipress, 6.4.2007a). Die Opposition entlarvt diese Worte umgehend als Täuschung und Temir Sarijew behauptet, die neue
14 Dieser Report wurde auch über Nachrichtenagenturen in der Öffentlichkeit verbreitet (vgl. Akipress, 5.4.2007e).
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Kommission sei nur eine weitere Manipulation des Volkes (Akipress, 6.4.2007b, 6.4.2007c). Gleichzeitig will man auf Seiten der Vereinigten Front jetzt noch einen weiteren Vorschlag unterbreiten, da Bajbolows Entwurf nicht alle Forderungen der Bewegung enthält. Um was genau es bei diesen Forderungen geht, erfährt die Öffentlichkeit nicht. Kulow erklärt in einem Interview mit der Zeitung ‚Kommersant‘ allein, für den Fall weiterer Blockaden den bedingungslosen Rücktritt des Präsidenten zu fordern. Vor dem Hintergrund der festgefahrenen Reformdebatte konzentrieren sich beide Seiten auf den Aufbau ihrer Schlagkraft. Bakijew gibt die Marschrichtung vor: „Wenn notwendig [ . . . ] werde ich die härtesten Maßnahmen zur Unterbindung von Gesetzesbrüchen ergreifen und die Verfolgung jener einleiten, die solches verüben, worüber man im Land Bescheid weiß. Alle revanchistischen oder kriminellen Versuche werden auf starken Widerstand stoßen.“ (Akipress, 6.4.2007d) Den Worten folgen Taten. Das Innenministerium erklärt, die Aufsicht an öffentlichen Orten wie Basaren, Bahnhöfen und Studentenwohnheimen zu verstärken, um so die Einfuhr von Waffen und Sprengstoff besser unterbinden zu können. Verwaltungsgebäude und Botschaften sollen besser bewacht und zugleich ein operativer Stab für die Organisation der Sicherheit während der Proteste aufgebaut werden (Akipress, 6.4.2007e). Die Bewegung Für Politische Stabilität und Einheit unter Führung von Toptschubek Turgunalijew plant derweil, am 8. April einen Autokorso durchzuführen, um so ein Zeichen des Protests gegen die Aktionen der Front zu setzen (Akipress, 7.4.2007). Die Vereinigte Front lässt sich nicht einschüchtern. Am 8. April ernennt man den ehemaligen Innenminister Omurbek Suwanalijew zum Koordinator für die Proteste. Außerdem wird verabredet, Absprachen mit dem Innenministerium zu treffen. Die Öffentlichkeit will man mit Hilfe des Internets und der Zeitungen ‚Agym‘, ‚Kyrgyz Ruchu‘ und ‚Alas‘ über Treffpunkte und Ablauf informieren. Auch ihre Forderungen bekräftigt die Bewegung noch einmal: Rücktritt des Präsidenten und vorgezogene Präsidentschaftswahlen (Akipress, 8.4.2007a). Später wird verlautet, dass Vertreter der Front in die Regionen unterwegs sind, vorwiegend im Norden des Landes, um am nächsten Tag die Proteste vor Ort anzuführen (Akipress. 8.4.2007b). Außerdem sollen Gespräche mit dem Staatssender GTRK geführt werden, um Sendezeit für die Opposition auszuhandeln. Parallel mit den Maßnahmen der Streitparteien erklingen neue Rufe nach Frieden und Dialog. Neben ‚bestellten‘ öffentlichen Forderungen nach Versöhnung tauchen dabei auch kritische Kommentare über das Vorgehen der Vereinig-
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ten Front auf. 15 Ein Teil der organisierten Jugend in Form des Forums Junger Politiker und des Jugendflügels der Partei Kyrgyz Schery, sowie des Frauenpolitischen Klubs verurteilen die Forderungen Kulows als illegitim: „Ein Politiker von Schlage F. Kulows sollte die politische Lage nicht anheizen mit seinen antigesetzlichen Forderungen. Er weiß doch, dass der Präsident nicht vorzeitig zurücktreten wird [ . . . ] Mit ihren radikalen Forderungen wird die Opposition unsere Gesellschaft spalten. Wir sind gegen Unruhen, Mitingi und Antimitingi.“ (Akipress, 6.4.2007h)
Auf der anderen Seite wird auch Bakijew unterstellt, an der Spaltung des Landes zu arbeiten, und zwar der regionalen Spaltung. Ein Internetnutzer wiederholt ein bekanntes Gerücht in diesen Tagen: „!!! Bakijew hat mit der Macht in der R[epublik] Us[bekistan] vereinbart, Abteilungen der regulären Armee dieser Republik in drei Regionen der KR zu entsenden, falls das MVD bei einem Sturm auf das W[eiße]H[aus] auf die Seiten der Opposition wechselt. [ . . . ] Bakijews Anhänger haben den Plan, im Falle des Sturzes nach Dschalal-Abad zu ziehen und mit Hilfe usbekischer Truppen nach Bischkek zurückzukehren. Usbekistan hat jedoch nur zugesagt, Truppen in die drei Regionen zu entsenden.“ (Akipress Kommentare, 4.2007)
Die Aufrufe verhindern nicht, dass es am nächsten Tag zu Protesten in den Provinzen kommt. Von Beginn an ist dabei höchst umstritten, was genau sich wo abspielt und wie. Die Auseinandersetzung wird jetzt überlagert von einem Streit um die Wahrheit und in diesem Streit nimmt das Spiel um die Zahlen schnell eine dominante Position ein. Es kursieren die unterschiedlichsten Angaben über die Zahl der Teilnehmer (vgl. MSN, 10.4.2007, 10.4.2007a). Die Front berichtet von Tausenden von Demonstranten an Orten wie Karabalta, Karakol oder AtBaschy und von Jurtensiedlungen, die überall errichtet werden (Akipress, 9.4.2007). Ganz anders staatliche Stellen. Die Kreisverwaltung in Kemin reduziert die Oppositionsangabe von 2000 Demonstranten auf 100 und fügt hinzu, den Protestteilnehmern sei es um die dort laufende Wahlkampagne gegangen,
15 Beispiele sind der Aufruf einer Abordnung von Baumeistern zu Geschlossenheit; oder die Forderung von Veteranen des Moskowskij Kreises im Gebiet Tschuj, die Opposition möge endlich Gespräche mit dem kompromissbereiten Präsidenten aufnehmen und ihre Protestaktionen beenden (vgl. Akipress, 6.4.2007f, 6.4.2007g, 8.4.2007).
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weniger um die Anliegen der Front (Akipress, 9.4.2007a). 16 Um dem Zahlenwirrwarr Herr zu werden, bietet Akipress schließlich einen Vergleich an (Akipress, 9.4.2007d). Am Beispiel der Demonstrationen in der Stadt Karakol stellt man die Zahlen beider Seiten gegenüber. Die Front berichtet von 2000 Teilnehmern, die Regierung kommt auf 100 und die Agentur zählt 700 Demonstranten (Akipress, 9.4.2007e). Jenseits des Streits um die Zahlen klagt die Vereinigte Front über Behinderungen bei der Durchführung ihrer Aktionen. In der Stadt Tscholpon-Ata wird den Demonstranten der Strom abgestellt, in den umliegenden Dörfern sind für den 9. April plötzlich Landaufteilungen angesetzt und in Karakol behindert die Polizei den Protestmarsch. Erst mit dem Erscheinen von Vizeparlamentssprecher Alymbekow lösen sich hier die Spannungen und die Demonstranten können schließlich marschieren. Zum Abschluss wählen sie in guter Tradition einen ‚Volksgouverneur‘ und entscheiden, am 11. April in Bischkek am großen ‚Miting‘ teilzunehmen (Akipress, 9.4.2007f). In Bischkek bleibt das Lager der Hungerstreikenden derweil der einzige Protest. Die Demonstranten werden jetzt allerdings häufiger besucht. Auf Premier Atambajew folgt die Vorsitzende des Stadtrats von Bischkek, Nurschamal Bajbolowa (Akipress, 9.4.2007g). OBON Einheiten rufen die Streikenden regelmäßig dazu auf, ihre Aktion abzubrechen. Melis Eschimkanow, der sich den Streikenden angeschlossen hatte, weist in der Zwischenzeit öffentlich Forderungen seiner Front-Kollegen nach einem Ende seines Streiks zurück. Einige Stunden später revidiert er diese Entscheidung und erklärt, sich wieder den Aufgaben in der Bewegung widmen zu wollen (Akipress, 9.4.2007h, 9.4.2007i). 30 weitere Aktivisten folgen ihm, bis schließlich auch bekannt wird, dass die Jurten vom Alten Platz auf den Ala-Too verlegt werden sollen (Akipress, 10.4.2007, 10.4.2007a). Dieses unkoordinierte Vorgehen hinterlässt öffentlich einen schlechten Eindruck. Als eine Reportage des Senders ‚5. Kanal‘ das Gerücht streut, die Hungerstreikenden würden sich abseits des Lagers immer wieder Essen besorgen, fällt dieser Vorwurf auf fruchtbaren Boden. Die Front reagiert, indem sie gegen den Sender, von dem gesagt wird, er gehöre Präsidentensohn Maksim Bakijew, juristisch wegen Verleumdung vorgehen will (Akipress, 10.4.2007b, 10.4.2007c). Inmitten der Vorbereitungen des großen ‚Mitings‘ tauchen noch vereinzelt Nachrichten über die Arbeiten an einer neuen Verfassung auf. Große Fortschritte gibt es keine zu vermelden, außer dass die Kommission ihren Vorschlag Bakijew
16 Zu den Protesten in der Stadt Kant vgl. die Angaben der staatlichen Administration (Akipress, 9.4.2007b). Als Beispiel für den Streit über Zahlen vgl. die Angaben der Kreise Schajyl und At-Baschy (Akipress, 9.4.2007c).
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übergeben hat (Akipress, 10.4.2007d). Besondere Neuerungen sind laut Kommissionsmitglied Masalijew aber nicht zu erwarten, einigen konnte man sich allein auf ein limitiertes Verhältniswahlrecht und auf das Parlamentsprärogativ, den Premier zu ernennen. Nach wie vor jedoch soll die Besetzung der sogenannten Machtministerien das Privileg des Präsidenten bleiben (Akipress, 10.4.2007e, 10.4.2007f). Am 10. April, dem Vorabend der Proteste, verdeutlichen beide Konfliktparteien noch mal ihre Positionen. Präsident Bakijew erklärt in einer Rede: „[ . . . ] je weiter wir auf sie zugehen, je mehr wir verändern, desto weniger gefällt das den Mitgliedern der Opposition, desto härter bestehen sie auf ihren Gesprächsverweigerungen. [ . . . ] Sie wollen ihre eigene Macht, wollen den Rücktritt des rechtmäßigen Präsidenten. [ . . . ] Zu diesem Zweck läuft die Einschüchterung, wird interregionaler Zwist geschürt, werden Aufrufe an die Sicherheitsstrukturen gerichtet, an die Jugend, werden unmenschliche Protestaktionen organisiert. Es wird die Strategie eines Machtwechsels auf illegalem Wege umgesetzt, ein Umsturz. Heute, vor Beginn neuer Proteste, möchte ich allen Kyrgyzstani sagen, dass die Macht und ich als Präsident, alles unternommen haben, um die radikalen Oppositionsmitglieder von ihrem Vorhaben abzubringen. [ . . . ] Deswegen erkläre ich, dass alle Verantwortung für jede ungesetzliche Aktion, für Unordnung, jene tragen, die all das initiiert haben.“ (Akipress, 10.4.2007g)
Nur einige Stunden später antwortet die Vereinigte Front mit einer eigenen Erklärung: „Zwei führende propräsidentielle Fernsehsender schüren bewusst den Streit im Land. Sie versuchen die Kyrgyzstani nach regionalen Merkmalen gegeneinander aufzuhetzen. Nur bei diesen Sendern [ . . . ] wird permanent das Wort vom Bürgerkrieg und vom Zusammenstoß zwischen Nord und Süd genannt. [ . . . ] Das Thema Nord – Süd als politisches Kampfmittel ist nie Bestandteil der Ideologie der Vereinigten Front gewesen, noch war es Teil ihrer praktischen Tätigkeiten. Mit der Forderung, [ . . . ] allgemein-nationale Parteien als ein Element einer Verfassungsreform zu formieren, beharren wir auf dem Prinzip, die Bürger entlang politischer Motive und Ideen zu vereinen, und nicht nach Maßgabe verwandtschaftlicher Nähe zu Vorsitzenden.“ (Akipress, 10.4.2007h)
Den ganzen Tag über bereiten sich Teilnehmer wie Beobachter auf die kommenden Ereignisse vor. Kulow prognostiziert die Zahl von 50.000 Protestteilnehmern (Akipress, 10.4.2007i); und provoziert damit das Versprechen der präsidententreuen Partei Republikanischen Partei der Arbeit und Einheit, ebenfalls 50.000 Teilnehmer für ein ‚Antimiting‘ zu mobilisieren (Akipress, 10.4.2007j).
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Das Forum Junger Politiker fordert die Jugend des Landes auf, den Losungen der Front nicht zu folgen, während die Jugendbewegung Kanschar (Dolch), empfiehlt, Masken zu tragen, um so späteren Repressionen zu entgehen (Akipress, 10.4.2007k, 9.4.2007j). Auf dem Ala-Too werden Biotoiletten aufgestellt und erste Jurten errichtet (Akipress, 10.4.2007l). Gleichzeitig wird gemeldet, dass im Gebiet Talas Gemeindevorsteher aufgetragen bekommen haben, ‚Antimitingi‘ zu organisieren, während Ata-Meken berichtet, dass der Zoll Materialien für die Druckerei von Freedomhouse in Bischkek festhält (Akipress, 10.4.2007m, 10.4.2007n). Diesem unnachgiebigen Frontaufbau auf beiden Seiten entspricht es, wenn der Abgeordnete Kamtschybek Taschijew am Abend verkündet, zusammen mit anderen Deputierten jede Verfassungsreform im Parlament blockieren zu wollen (Akipress, 10.4.2007o). Letzte Warnungen und Appelle vor Beginn des großen ‚Mitings‘ verdeutlichen, wie schwer es der öffentlichen Meinung in diesen Tagen fällt, eine Einschätzungen darüber abzugeben, was gegenwärtig geschieht und was für die nahe Zukunft zu erwarten ist. Verzweiflung überwiegt auf der einen Seite, wenn ein Zusammenschluss von 52 Organisationen und Parteien an die Konfliktparteien appelliert, doch endlich einen Versöhnungsprozess einzuleiten, ansonsten „bürgerkriegsähnliche Zusammenstöße“ drohten (Akipress, 10.4.2007p). Der ‚Kommersant‘ sekundiert mit einem Bericht über die angebliche Dislozierung von Sonderabteilungen des Innenministeriums aus dem Süden, gegen welche die Front wiederum ihre eigenen Reiterabordnungen in Stellung bringen wird (Kommersant, 10.4.2007). Auf der anderen Seite geben sich Vertreter des ‚Bishkek Press Club‘ gelassen, die auf herkömmliche Manipulationspraktiken setzen und nach zwei Tagen Protest den Beginn neuer Verhandlungen prognostizieren (Akipress, 10.4.2007q). Entscheidend scheint für viele Beobachter der Erfolg der versuchten Mobilisierung, also die Frage, ob die generalstabsmäßige Organisation der Vereinigten Front auch greift. Arkadij Dubnow bringt es in der ‚Wremja Nowosti‘ auf den Punkt: „Den Verdacht der ‚Frontler‘ erregt die Ankündigung von Kampfsportveranstaltungen für den heutigen Tag im städtischen Sportpalast. Es heißt, dass sich dort 400 kräftige junge Männer aufhalten. Feliks Kulow, freilich, sagt, dass für diesen Fall die ‚Frontler‘ eine Geheimwaffe haben. Am Vorabend der Proteste haben sich in der Nähe Bischkeks Reiter aus naheliegenden Ortschaften versammelt. [ . . . ] Und doch, all das ist vergeblich, sollte nicht bis zum Beginn der Demonstrationen die wichtigste PR Ressource der Opposition gegriffen haben. Es wird erwartet, dass sich die Mehrheit der Vertreter der Sicherheitsstrukturen für die Unterstützung der VF aussprechen, wenn nicht im ganzen Land, so doch in der Hauptstadt. Das würde Bakijew in eine schwierige Situation bringen, ist die Opposition
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überzeugt, und er müsste Abstriche machen. Politikern in Kyrgyzstan vertraut man erschreckend wenig, und die Oppositionsmitglieder trösten sich damit, dass man Bakijew noch weniger vertraut als Kulow“ (Wremja Nowosti, 11.4.2007)
Dass MSN als Sprachrohr des Präsidenten dieser Sicht der Dinge widerspricht und hohe Zustimmungsraten für den amtierenden Präsidenten registriert, überrascht dabei kaum (MSN, 10.4.2007a). Aber dass im Internet die emotional geführte Diskussion wenig Gutes am Vorgehen der Front lässt, weist auf den zunehmenden Verlust an Glaubwürdigkeit der Opposition in diesem Tagen hin. Nutzer ‚Kanat‘ richtet sich direkt an Kulow: „Feliks Kulow. Das Land braucht dich nicht. Verlasse ganz schnell Kyrgyzstan. Niemand kann deine Reden mehr ertragen.“ (24.kg Kommentare, 4.2007) Auf die Erklärung der Front vom 10. April findet sich folgender Kommentar: „Das bekannte Lied von der Einheit des Volkes, wie oft haben wir das schon gehört, es wird einem schlecht davon. Frontler, beunruhigt es euch nicht, dass alle Protestteilnehmer Repräsentanten des Nordens sein werden[?] Wenn dem nicht so ist, dann sagt bitte, wie viele Leute [ . . . ] aus Osch, Dschalal-Abad, Batken kommen. Beweist, dass es euch um die Einheit des Volkes geht.“ (Ebd.)
Die Gerüchteküche brodelt derweil munter weiter, wobei besonders die Frage von Provokationen in den Vordergrund rückt. Auch hier richtet sich der Verdacht gegen die Front: „es besteht die Wahrscheinlichkeit, dass es Provokationen der Opposition geben wird, die darauf abzielen, die Macht zum Einsatz von Gewalt zu bewegen, um anschließend den Präsidenten genau darin zu beschuldigen. Zu diesem Zweck haben die Oppositionsführer Kampfgruppen vorbereitet, mit nicht weniger als tausend Mitgliedern, auch mit Schusswaffen.“ (24.kg Kommentare, 4.2007a) 17
Am Ende weitet sich das Misstrauen auf die ganze Politik aus, deren Authentizität in Frage gestellt wird: „Ich denke, dass in diesem politischen Spiel unter keinen Umständen einfache Bürger leiden sollten!“ (24.kg Kommentare, 4.2007b). Das Problem ist für die öffentliche Meinung, nebst den Fragen nach der effektiveren Mobilisierung und den Einschätzungen über mögliche Gewalt den Sinn in den Aktionen zu lesen, für die man sich so angestrengt auf allen Seiten vorberei-
17 Ein Szenario, dass den Ereignissen vom April 2010 eher gerecht wird, auch wenn die hier vermuteten Intentionen nicht überprüft werden können.
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tet. Das Problem par exellence verdeutlicht meiner Ansicht nach folgender, höchst kreativer Kommentar: „Ist er General, bedeutet das Front. Ist es eine Front, braucht man eine Armee. Und wer tritt in die Armee ein? Woher das Kanonenfutter nehmen? Hiermit erkläre ich die Mobilisierung! An die Front oder in die Front? Wie sagt man das richtig? Ich melde mich für die Front oder gehe in die Front? Nicht mal eingeschrieben und schon so viele Fragen. Und gegen wen sind wir eigentlich? Und für wen? Wer wird geschlagen? Wie steht es gerade? ‚Alga‘, ‚Dinamo‘, ‚Spartak‘? Gott, ich komme durcheinander. Wo sind die Linken, wo die Rechten? Wahrscheinlich verstehe ich es falsch. Südler, Nördler, Gott, was macht das schon für einen Unterschied? Erst mal an die Front, dann sehen wir weiter. Der Krieg definiert die Strategie. Erst einmal alles zerstören. Der Rauch verfliegt. Wir zählen die Lebenden, beerdigen die Toten, tauschen die Verwundeten aus. Wie steht es dann? Und ein zweites Mal. Zählen wieder die Lebenden, beerdigen die Toten, tauschen die Verwun... Verwundete gibt es nicht. Und dann noch eine Runde. Keine Verwundeten, keine Lebenden, wir beerdigen die Toten. Der Spielstand? 0-0. So viele Leichen. Und 0-0? Und wo ist die Gerechtigkeit? Verdammte Richter!!!! Wo ist der Richter? Und wer sind die Richter? Und für wen wurde gespielt? Und gegen wen? Bei wem könnte man fragen? Kyrgyzstan, Hallo? Jemand am Leben? Hallo, könnte irgendein Kyrgyzstani vielleicht mal antworten? Nördler, Südler, Östler, Westler, Sajak, Bugu 18, wen gibt es bei Euch noch, hab die Namen der Klane vergessen... bitte, möge doch einer antworten... Tja, so sieht’s aus. Keine Front, keine Etappe. Kein Boden, kein Dach.” (24.kg Kommentare, 4.2007c)
Ich werde in meiner Analyse im Anschluss auf dieses Zitat zurückgreifen, um den Verlust der Orientierungsfähigkeit in der öffentlichen Meinung genauer zu untersuchen. Hier dient es zur Veranschaulichung des Ausmaßes der Irritation, die im Angesicht der Generalmobilmachung der politischen Kontrahenten neue Höhen erklimmt. Es wird immer weniger verstanden, warum überhaupt mobilisiert wird. Und je weniger öffentlich nachvollziehbar ist, was passiert, desto wichtiger erscheint das Treffen von Vorsorgemaßnahmen: Während am Abend noch letzte Arbeiten an der Jurtenstadt vorgenommen werden, verkündet die American University, dass sie die Tore ihrer Gebäude im Zentrum der Stadt für die nächsten drei Tage schließt (Akipress, 10.4.2007r). Der 11. April beginnt mit einer kurzen Aufklärung über die widerstreitenden Positionen. Für ein Geeintes Kyrgyzstan Mitglied Bajsalow spricht Kulow den
18 ‚Sajak‘ und ‚Bugu‘ sind Bezeichnungen für traditionale Klane (‚uruk‘) bei den Kyrgyzen, vgl. zu der Problematik der richtigen Bezeichnung und des Gebrauchs des Konzepts ‚Klan‘ als Beobachtungskategorie Gullette 2006.
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Titel eines Oppositionärs ab, während Front Mitglied Bajbolow beteuert, dass die Lösung allein in einer revolutionären Reform der Verfassung liegt (Akipress, 11.4.2007, 11.4.2007a). Darüber hinaus wächst die Angst vor einem Gewaltausbruch. Die russische Nachrichtenagentur ‚RBK daily‘ titelt „Bakijew bereit zu schießen“ (Akipress, 11.4.2007b) und auch der Kommersant ist der Meinung, dass Bakijew, anders als Akajew, dem Beispiel des usbekischen Präsidenten Karimows folgen wird. Weiter heißt es: „Herr Bakijew besitzt noch einen Trumpf in der Reserve – die Konfrontation zwischen dem Norden und dem Süden Kyrgyzstans. [ . . . ] Während der zweiten kyrgyzischen Revolution im Herbst vergangenen Jahres [ . . . ] wurde auch diese Variante durchgespielt: falls es der Opposition gelingen würde die Macht in Bischkek zu ergreifen, würde sich Bakijew in den Süden zurückziehen und dort die drei südlichen Regionen regieren: Osch, DschalalAbad und Batken. Diese Variante steht ihm vielleicht auch jetzt zur Verfügung. Die Spaltung des Landes allerdings ist ein zu hoher Preis für den Erhalt der Macht, und noch höher ist mögliches Blutvergießen.“ (Kommersant, 11.4.2007)
Auch das IWPR beobachtet die Gefahr möglicher Gewaltausbrüche und diskutiert daher die Frage, wie die Sicherheitskräfte reagieren werden (Akipress, 11.4.2007c). Diese gestiegene öffentliche Sorge bewegt den Staat offensichtlich, mehr Anstrengungen in die Sicherheit zu legen: Scharfschützen werden auf dem Dach des Weißen Hauses postiert und vor den Toren des Regierungssitzes hängen Warnschilder (Akipress, 11.4.2007d, 11.4.2007e); Murat Sutalinow, Chef des GKNB, kündigt den Einsatz von Waffengewalt gegen etwaige Plünderer an und berichtet von zehn operativen Einsatzgruppen (Akipress, 11.4.2007f, 11.4.2007g); gegen Mittag melden Agenturen, in der Nähe Bischkeks seien Schützenpanzer stationiert (Akipress, 11.4.2007h). Offiziell leugnet die Regierung ihre Zuständigkeit, Akipress aber will erfahren haben, dass es sich um Fahrzeuge der Armee handelt, die speziell aus dem Süden in den Norden verlegt worden sind. In dieser angespannten Atmosphäre beginnen schließlich die Proteste. Ich werde wieder, wie im Falle des Protests im November 2006, genauer auf die einzelnen Protestereignisse eingehen und die Beobachtung und Bewertung durch die öffentliche Meinung rekonstruieren. Am Ende entsteht das Bild eines ganz anders ablaufenden ‚Mitings‘, und der Vergleich mit dem November bietet anschließend die Chance, Dynamiken besser voneinander abzugrenzen und nachzuvollziehen. Im April 2007 führen die Vereinigte Front und Für Reformen ihre Anhänger, ähnlich wie im November 2006, in den Mittagsstunden ins Stadtzentrum auf den Platz Ala-Too (Akipress, 11.4.2207i). Unter einer gnadenlosen Ap-
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rilsonne lauscht die Menge der Reden der Front-Führer. Tekebajew, Kulow und Bajbolow attackieren Bakijew scharf und versprechen, Verhandlungen nur öffentlich führen zu wollen (vgl. zu Reden bspw. Akipress, 11.4.2007i, 11.4.2007j, 11.4.2007k). Am späten Nachmittag ehrt Premier Atambajew das ‚Miting‘ mit einem kurzen Auftritt. Er ruft die Menge auf, Kulows Worten keinen Glauben zu schenken und erklärt, dass beide, Bakijew wie Kulow, abgeschafft gehören. Als ihn nach seiner Rede der Abgeordnete Eschimkanow auffordert, hier und jetzt öffentlich sein Amt niederzulegen, greift der Premier ein letzten Mal zum Mikrofon, brüllt „Hurra dem Volk“ hinein und eilt von der Bühne. Kulow weist die Anschuldigungen am Abend auf einer Pressekonferenz zurück (Akipress, 11.4.2007l). Er bekräftigt die Forderungen der Front: das Parlament soll in einer außerordentlichen Sitzung das Verfassungsgericht mit den fehlenden Richtern besetzen und die Dezember-Verfassung außer Kraft gesetzt werden. Außerdem soll das Parlament vorgezogene Präsidentschaftswahlen ansetzen und Bakijew freiwillig von seinem Amt zurücktreten. Übergangsweise soll eine Koalitionsregierung die Geschäfte übernehmen während Kandidaten für das Amt des Präsidenten im Wahlkampf ihre öffentlichen Positionen ruhen lassen (Akipress, 11.4.2007m). Der Präsident vermag es gerade noch, in einem Interview diese Forderungen rundweg abzulehnen, bevor die öffentliche Erörterung der Proteste Fahrt gewinnt (Akipress, 11.4.2007n). Im Zentrum der Debatte stehen weder Richter noch die Verfassung, sondern Zahlen. Von Beginn dieser Proteste an interessiert nur die Anzahl der Protestteilnehmer. Wo die Vereinigte Front von 35.000 bis 50.000 Teilnehmern spricht, kommt das Innenministerium auf gerade mal 3000. Akipress zählt zwischen 7000 und 10.000 Demonstranten. Erkin Alymbekow, Vizeparlamentssprecher, verrechnet öffentlich Quadratmeterzahlen mit Personen und kommt so auf mindestens 20.000 Teilnehmer (Akipress, 12.4.2007). Die Gegner der Front ficht diese Rechenkunst nicht an, ihr Urteil ist vernichtend. Geheimdienstchef Sutalinow spricht von einem organisatorischen Reinfall der Proteste und wertet das Ereignis als Zeichen fehlender öffentlicher Unterstützung (Akipress, 12.4.2007a). Auch Premier Atambajew sieht für das ‚Miting‘ keine Zukunft. Höhnisch wird Toptschubek Turgunalijew, der das ‚Antimiting‘ seiner Bewegung Für Politische Stabilität und Einheit absagt, da er keinen weiteren Bedarf mehr für die Aktion sieht (Akipress, 13.4.2007, 14.4.2007). Temir Sarijews Klagen über diesen Spott klingen im Anschluss hilflos. Auch er will 20.000 Demonstranten gezählt haben; und muss doch hinzufügen, dass man in den nächsten Tagen sich bemühen wird, mehr Anhänger zu mobilisieren (Akipress, 13.4.2007a). Diese Mühen scheinen angebracht, als auch am folgenden Tag nach Einschätzung unabhängiger Beobachter nur knapp 7000 Demons-
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tranten ins Zentrum Bischkeks kommen. Noch am Abend spricht Kulow vom Potential der Bewegung, dass sich erst noch voll entfalten müsse (Akipress, 12.4.2007b). Als aber auch am Freitag wenige dem Ruf der Opposition folgen, beginnen erste Gerüchte zu kursieren, denen zu Folge Suwanalijew von seiner Aufgabe der Koordination entbunden worden sei (zu Zahlen vgl. Akipress, 13.4.2007b, 13.4.2007c; zu Suwanalijew vgl. Akipress, 12.4.2007c, 12.4.2007d). Während die Front nun verzweifelt versucht, den Spott des politischen Gegners zu kontern, baut die öffentliche Meinung ihr Urteil aus. Wo Akipress die Enttäuschung über das ‚Miting‘ bei vielen Beobachtern registriert (Akipress, 12.4.2007e), prognostiziert der Experte Walentin Bogatyrew bereits das Ende der Vereinigten Front: „Wo sind ihre versprochenen 70 Jurten und ihre 100 tausend Menschen? Ich hatte im Prinzip mehr Leute erwartet, ungefähr 25 tausend. Normalerweise teile ich die letzte Ziffer, genannt von der Opposition, durch zwei. Angekündigt waren 50 tausend. Ich habe sie durch zwei geteilt, aber man muss sie durch drei teilen. Anscheinend fehlt bisher jede Unterstützung.“ (Akipress, 11.4.2007o)
Allein der russische Zentralasienexperte Arkadij Dubnow bescheinigt der Front eine gute Organisationsarbeit (Akipress, 11.4.2007p). Der Korrespondent des Kommersant, Michail Sygar, bestätigt diesen Eindruck, allerdings sieht er die Proteste noch weit entfernt von einer möglichen Revolution (Kommersant, 12.4.2007). Damit reiht sich der Reporter ein in die Reihe jener Experten, die am 12. April im Rahmen eines Runden Tischs mit teilweise zerreißender Kritik auftreten. Der Direktor des ‚Instituts für Gesellschaftliche Information und Expertise‘, Wiktor Pafenow, doziert hier über die eindrucksvolle Niederlage der Vereinigten Front. Mit dem Auftritt von Premier Atambajew sieht er gar die ganze politische Auseinandersetzung als künstliches Produkt entlarvt (Akipress, 12.4.2007f). Der Politologe Knjasew konstatiert beschränkte Ressourcen auf Seiten der Opposition und die Unfähigkeit, die notwendige ‚Masse‘ zu produzieren (Akipress, 12.4.2007g). Abgerundet werden diese Expertenmeinungen von Reportagen vor Ort durch MSN, in denen die geringe Teilnehmerzahl, weitschweifiges Desinteresse am Bühnenspektakel und eine Diskrepanz zwischen organisatorischer Potenz und inhaltlicher Apathie vermerkt werden (MSN, 13.4.2007, 13.4.2007a). Auch im Internet entzündet sich die Diskussion. Einig ist man sich, dass die Vereinigte Front den Informationskampf bereits verloren hat. Eine Nutzerin fasst zusammen:
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„Ich glaube, der Fehler der Opposition besteht darin, dass sie keine durchdachte Informationskampagne haben, im November hatten sie [die Sendestation] NTS, die [ . . . ] hat einen gewaltigen Effekt zugunsten der Opposition erzeugt, da auch jene, die nicht zum Protest kamen, sahen, dass sich das Geschehen auf dem Platz nach vorne bewegt, das es dort kocht, dort was los ist, aber heute – da fehlt ihnen das Wichtigste – ein Fernsehkanal.“ (Diesel Kommentare, 4.2007b)
Wie dieser Kommentar belegt, schwenkt der Fokus bei diesem Protest merklich schnell hin zu Fragen der Form; die Opposition hat allerdings auch inhaltlich einen schweren Stand. Die Idee einer außerordentlichen Parlamentssitzung scheitert am mangelnden Quorum (Akipress, 12.4.2007h). Bei der nächsten Sitzung am 16. April soll ein zweiter Anlauf versucht werden. Allerdings hat man von den hierfür nötigen 38 Stimmen erst 20 gesammelt (Akipress, 12.4.2007j, 13.4.2007d). Gleichzeitig ist das Projekt der Atambajew-Kommission auf dem Weg zum Verfassungsgericht. Der Premier hofft, mit der erfolgreichen Besetzung vakanter Richterposten diesen Prozess beschleunigen zu können (Akipress, 12.4.2007k, 13.4.2007e). Solche Hoffnungen trübt erneut der Abgeordnete Taschijew, der auf die anhängenden Verfahren zur Überprüfung von Parlamentsmandaten verweist. Viele Abgeordnete wollen angeblich weder eine solche Überprüfung noch eine Verfassungsreform (Akipress, 12.4.2007l). 19 Auf dem Platz stehen derweil ganz andere Themen im Mittelpunkt der Debatte. Hier empört man sich über die Berichterstattung der staatlichen Medien (Akipress, 14.4.2007a). Märsche zur staatlichen Sendeanstalt GTRK werden organisiert. Dabei kommt es auch zu ersten Zusammenstößen, die schnell unterbunden werden können, allerdings auch die Gerüchteküche anheizen (Akipress, 14.4.2007b, 14.4.2007c). Den Protest gegen die Zensur baut Front-Mitglied Abdrachmanow aus, der alle Medien mit Ausnahme der Blätter ‚Agym‘ und ‚Kyrgyz Rukhu‘ für ihre parteiliche Berichterstattung kritisiert (Akipress, 13.4.2007f; MSN, 13.4.2007b). Die Vorwürfe weist Kyjas Moldokasymow, der Direktor von GTRK, zurück (Akipress, 14.4.2007d). Unterstützung erhält er von MSN, die in einer Retourkutsche die Zeitung Agym für ihre Hetzkampagnen attackiert (MSN, 13.4.2007c).
19 Diese Verfahren beziehen sich noch auf Streitfragen aus den Tagen der Tulpenrevolution. Viele der damals gewonnenen Mandate sind bis zu den Wahlen im Dezember 2007 von unterlegenen Kandidaten angefochten worden. Da Zeit das abschließende Urteil über diese Fragen beim Verfassungsgericht liegt, sind viele ‚Gewinner‘ der Wahlen vom März 2005 daran interessiert, das Gericht in seiner Arbeit zu blockieren.
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Während auf der Straße weitere Protestmärsche zu weiteren Zwischenfällen führen (Akipress, 14.4.2007e, 14.4.2007g) und die Auseinandersetzung vernehmbar an Schärfe zunimmt, räsoniert der Präsident in einem Interview mit der Zeitung Kommersant die ersten Protesttage (Kommersant, 14.4.2007). Er ist nun überzeugt, ganz ohne äußere Einmischung die Konflikte im Land lösen zu können. Andere sehen in der Schwäche der Opposition jedoch nicht nur einen Lösungsansatz, sondern auch eine Gefahr. Eine Gruppe von Experten ist besorgt: „Das Miting der Opposition am 11. April hat [ . . . ] die Möglichkeiten für konstruktive politische Reformen gefährdet. Die Mächtigen fühlen die Schwäche der Opposition, sie haben die Möglichkeit, die Verfassungsvorschläge [ . . . ] auszuschlagen, und sogar den Prozess der Verfassungsänderung im Rahmen der Atambajew-Kommission zu bremsen.“ (Akipress, 14.4.2007h)
In diesem Expertenkollektiv hofft man vorsichtig auf neue Kräfte wie die Parteien Ata-Meken oder Ak-Schumkar, Nachfolger der Union Demokratischer Kräfte; und endlich auf ein Abnehmen des Einflusses von Klan- und Verwandtschaftsnetzwerken. Solche Evaluationen ihrer Performance stören die Vereinigte Front kaum. Kulow gibt am 15. April wieder eine Pressekonferenz, auf der er die oppositionelle Sicht der Dinge darlegt: „Gestern befand sich das Land am Rande eines regionalen Konflikts und kam dicht heran an den Zustand eines Bürgerkriegs. Vor diesem Hintergrund haben die Vereinigte Front und Für Reformen die Entscheidung getroffen, eine neue Forderungen zu stellen: den sofortigen Rücktritt von Präsident Bakijew und den Aufbau einer Regierung der nationalen Eintracht.“ (Akipress, 15.4.2007)
Wann genau die Situation einem Bürgerkrieg nahe kam bleibt genauso unklar wie die Logik hinter der neuen Entscheidung für eine alte Forderung. Der FrontChef erzählt den versammelten Journalisten dafür weiter von Provokationen gegen die Opposition und verspricht ein noch härteres Durchgreifen (Akipress, 15.4.2007a, 15.4.2007b). Es ist erst die Nachricht über den Tod von Bektemir Akunow, eines ehemaligen Hungerstreikenden, der nach seiner Rückkehr nach Naryn verhaftet und später erhängt in seiner Zelle aufgefunden wurde, welche für einen kurzen Moment die Verhältnisse ‚real‘ werden lässt (Akipress, 15.4.2007c). Allerdings sorgt ein Strom unbegründeter politischer Vereinnahmungen für einen umgehenden Einbau dieser Meldung in die Inszenierungen der laufenden Auseinandersetzung.
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Am folgenden Tag, dem 16. April, scheint für einen kurzen Moment der Konflikt durch neue Diskussionen über die Verfassung zu progressieren. Das Parlament schafft es wegen mangelnder Kandidatenvorschläge des Präsidenten zwar nicht, das Verfassungsgericht zu komplettieren (zur Sitzung vgl. MSN, 17.4.2007), aber Für Reformen bietet an, Änderungswünsche der Opposition in den Vorschlag der Atambajew-Kommission einzuarbeiten (Akipress, 16.4.2007). Der Premier reagiert positiv und Politiker aller Couleur sehen eine Einigung plötzlich in greifbarer Nähe (Akipress, 16.4.2007a, 16.4.2007b, 16.4.2007c). Auch der Experte Walentin Bogatyrew spürt den heraufziehenden Konsens: „Den heutigen Erklärungen nach zu urteilen, haben inzwischen alle längst verstanden, dass man einen Kompromiss finden muss. Hätte die Opposition bis zum Beginn der Demonstrationen mit dem Vorschlag Atambajews gearbeitet, hätte sie mehr erreicht, als sie jetzt bekommt.“ (Akipress, 16.4.2007d). Diese Erleichterung hält jedoch nur einen Tag an. Bereits am Folgetag, dem Dienstag, kursieren Gerüchte, die Auseinandersetzung im Parlament hätte sich erneut zugespitzt, es sei gar zu Handgreiflichkeiten gekommen (Akipress, 17.4.2007, 17.4.2007a). Es ist wieder der Vorsitzende der Parlamentariergruppe Ata-Jurt, Kamtschybek Taschijew, der sein Veto zur Verfassungsreform bekräftigt und damit einen möglichen Kompromiss verhindert (Akipress, 17.4.2007b). Die Opposition im Parlament will aus dieser Blockade lernen und plant nun die Gründung einer eigenen Fraktion unter Tekebajews Führung (Akipress, 18.4.2007, 18.4.2007a). 20 Mit diesem letzten Versuch, einen Kompromiss zu finden, verabschiedet sich das politische Geschehen in Kyrgyzstan von jedem gültigen Maß authentischer Repräsentation. Die von Kulow während der Pressekonferenz begonnene Verdrehung von Tatsachen wird nun offizielle Strategie. Radikale Aktionen sowohl in Bischkek vor dem Weißen Haus oder dem Parlament wirken genauso verzweifelt und komisch, wie erfolglose Trassensperrungen im Gebiet Issyk-Kul oder eine gescheiterte Erstürmung der Gebietsverwaltung in Naryn (zu diesen und ähnlichen Aktionen vgl. Akipress, 16.4.2006e, 18.4.2007b, 18.4.2007c, 18.4.2007d, 18.4.2007e, 18.4.2007f, 18.4.2007g). Auf dem Platz gleiten die Forderungen und Erklärungen der Redner derweil ins Absurde. Der Abgeordnete Eschimkanow beispielsweise verspricht vor einer Handvoll Demonstranten die
20 Nach der zu diesem Zeitpunkt gültigen Verfassung können sich Abgeordnete in ‚Gruppen‘ zusammenfinden, um gemeinsame Agenden zu verfolgen. Fraktionen sind schwieriger zu bilden, ermöglichen den Abgeordneten aber mehr Mitspracherechte im Gesetzgebungsverfahren. Das stark fragmentierte Korpus der Abgeordneten hat bis zu diesem Moment keine Fraktionen bilden können, sondern allein Gruppen, deren Mitgliedschaft sehr fluktuiert (vgl. Fußnote 13 in Kapitel 4.2).
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baldige Ankunft von 100-tausend Protestteilnehmern; anschließend erklärt er den 19. April zum Tag der Entscheidung; zum Schluss behauptet er, sein Kollege Omurbek Babanow habe sich der Front angeschlossen (Akipress, 16.4.2007f, 16.4.2007g, 17.4.2007f). Babanow weist diese Behauptung umgehend empört zurück (Akipress, 17.4.2007g). Das hindert die Vereinigte Front nicht, weiter Stimmung zu machen: „Sich an die Macht kettend, hat sich K. Bakijew auf den selbstmörderischen Weg eingelassen, die Bewohner einer Region gegen eine andere aufzuhetzen. [ . . . ] In dieser Situation, um keine Spaltung des Landes in Nord und Süd zuzulassen [ . . . ] bedarf es des sofortigen Rücktritts K. Bakijews und der Einrichtung einer Koalitionsregierung.“ (Akipress, 17.4.2007h) Die Fronten verhärten sich. Die Bewegung Kanschar ruft ihre Anhänger auf, im Kampf für die Zukunft des Landes einen würdigen Tod zu sterben. Moderate Stimmen wie die der Menschenrechtsaktivistin Abdirasulowa sind hingegen geschockt von der Selbstjustiz, mit der die Front angebliche Provokateure öffentlich aburteilt (MSN, 17.4.2007b; Akipress, 16.4.2007i). Die Empörung über dieses Vorgehen mündet in eine strafrechtliche Untersuchung (Akipress, 18.4.2007h), welche die Opposition mit der Forderung kontert, den Mörder des erhängten Akunows zu finden, dessen Körper, so will man wissen, Folterspuren aufweist (Akipress, 16.4.2007j, 17.4.2007i, 17.4.2007j). Inmitten dieser Drohgebärden versucht Omurbek Babanow eine letzte, verzweifelt klingende Initiative für einen Dialog: „Die heutige Situation in Kyrgyzstan ist nah am Bürgerkrieg. [ . . . ] Das Schiff namens Staat schaukelt bereits so stark, dass schon bald die Grenze überschritten ist, nach der eine friedliche Lösung nicht mehr möglich ist. Schon jetzt verprügelt ein Kyrgyze den anderen und das vor den Augen einer tausendfachen Menge [ . . . ] Wir teilen uns nur entlang von Territorien, nach geographischer Herkunft. Jetzt aber wird offensichtlich, dass die Teilung in Nord und Süd einen gewaltigen und gefährlichen Charakter angenommen hat. [ . . . ] Sie wird benutzt um die Massen zu verdummen, um die öffentliche Meinung zu manipulieren und um eigene, partikularistische Klaninteressen zu verfolgen. Das wird zum Staatszerfall führen.“ (Akipress, 18.4.2007j)
Um den Staatszerfall zu verhindern schlägt Babanow Sofortmaßnahmen vor, die er in acht Punkten zusammenfasst. Ganz oben auf der Agenda steht die Verfassungsreform (ebd.). Allerdings findet weder die Forderung nach der Verfassungsreform noch jede weitere Forderung ein Echo in der öffentlichen Debatte. Trotz der Dringlichkeit, mit der alle Teilnehmer eine Lösung für die festgefahrene Situation zu finden versuchen. Der Eindruck ist, wie Nutzer im Internet bestätigen, dass das Ende in der ein oder anderen Form gewaltsam kommen wird und
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es daher für Forderungen längst zu spät ist: „Ich habe auch gehört, das Maks[im] [Bakijew] Geld rausgeschafft hat, ich habe Bekannte am Flughafen. Unglaublich, dass er denkt, dass alles was er tut unbemerkt abläuft. Vielleicht hält er uns einfach für Vieh? Wenn ja, dann halt dich am 19. mit Deiner Familie gut fest, Maks.“ (PR.kg Kommentare, 4.2007). Am 19. April, dem kommenden Donnerstag, so die einhellige Überzeugung in der öffentlichen Meinung, wird sich der Konflikt entscheiden. Dieser Tag beginnt mit der Aussage einer genervten Rosa Otunbajewa, „endlich das Katz-und-Maus Spiel zu beenden.“ (Akipress, 19.4.2007, 19.4.2007a) Parlamentssprecher Sultanow versucht Hoffnung zu geben mit der Absicht, am Freitag offiziell Verhandlungen über die Verfassungsreform einzuleiten (Akipress, 19.4.2007b). Sowohl Ungeduld als auch Hoffnung laufen ins Leere. Seit den Mittagsstunden belagern Demonstranten das Gebäude des ‚Schogorku Kenesch‘. Temir Sarijew kann die Masse später dazu bewegen, die Blockade aufzuheben und auf den Ala-Too zurückzukehren (Akipress, 19.4.2007c, 19.4.2007d). Dort wächst die Menge auf 6000 bis 7000 Teilnehmer an, die nach Auskunft von Beobachtern zunehmend aggressiv werden (Akipress, 19.4.2007e). Tekebajew warnt öffentlich: „Das Miting radikalisiert sich. Es gibt viele junge Leute, die das ‚Weiße Haus‘ im Sturm nehmen wollen. Die Macht sollte darüber informiert sein. Noch können wir die Menge zurückhalten. Unsere Aktivisten beruhigen sie.“ (Akipress, 19.4.2007f). Auch Sarijews Einschätzung nach ist die Geduld der Demonstranten am Ende. Um Schlimmerem vorzubeugen drängt der Ak-Schumkar Vorsitzende auf einschneidende Maßnahmen: Verfassungsreform, Koalitionsregierung und Präsidentschaftswahlen im Herbst 2009. Die Befürchtungen Sarijews sind nicht unbegründet. Gegen 19 Uhr baut sich eine Gruppe von Demonstranten vor dem Weißen Haus auf und skandiert Parolen. Die Front-Anhängerin Asija Sasykbajewa und Sarijew versuchen die Menge zu beruhigen. Melis Eschimkanow kann einen Teil zu einem Protestmarsch durch die Stadt bewegen. Akipress berichtet eine Stunde später von ersten Aufrufen zum Sturm auf das Weiße Haus. Veteranen und ältere Frauen mühen sich, die Menge zu beschwichtigen. Vergeblich, die Situation eskaliert schließlich. Außer Sarijew, so berichtet Akipress noch leicht überrascht, ist kein Führungspersonal der Vereinigten Front zu sehen (Akipress, 19.4.2007g). Die Menge attackiert und lässt Steine auf die Sicherheitskräfte hinabregnen. Die Mannschaften des Innenministeriums bekommen schließlich den Befehl zurück zu schlagen. Mit Gas-, Blend- und Schallgranaten werden die Demonstranten vor dem Weißen Haus auseinandergetrieben, die meisten fliehen zurück auf den Ala-Too. Dort kommt es zu einer weiteren Konfrontation. Knapp 500 Anhänger der Front unter Sarijews Führung stehen nun vorrückenden Sicherheitskräften gegen-
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über. 21 Die Demonstranten müssen am Ende fliehen, verwickeln aber die ganze Nacht über die Sicherheitskräfte in kleinere Straßenschlachten. Auf dem AlaToo lässt Innenminister Nogojbajew derweil das Protestcamp abbauen und den Platz säubern. Bereits am nächsten Tag ist von dem einwöchigen ‚Miting‘ keine Spur mehr zu sehen. 22 Noch in der frühen Nacht setzen die ersten Kommentare ein. Auffällig ist, dass kaum Forderungen im Vordergrund stehen, sondern nur Performances diskutiert werden. Das Spiel mit dem Realitätsverlust wird jetzt offen und öffentlich ausgetragen. Zuerst schieben sich die Streitparteien noch wechselseitig die Schuld zu. Das Presseamt des Präsidenten schreibt: „Alle Verantwortung für die vorgefallenen Ereignisse liegen bei den Führungsfiguren der Front.“ (Akipress, 19.4.2007o) Die Vereinigte Front kontert mit der Meldung: „Alle Verantwortung für die Unruhen liegen bei der Macht.“ (Akipress19.4.2007p) Auf einer Pressekonferenz fügt Kulow dann aber etwas irritierend hinzu, dass mit diesen Ereignissen nun die friedliche Machtübergabe eingesetzt habe (Akipress, 19.4.2007q). Im Internet werden solche Meldungen mit Spott überschüttet: „Nun ja, die wollen halt sagen, ich – bin gar nicht ich.“ Ein anderer Nutzer sekundiert: „Wir wissen doch, was sie sagen... wir sterben für die Demokratie und fürs Volk. Wir geben das letzte Stückchen Brot dem Volk, wir reißen uns das Herz raus fürs Volk usw. Heuchler...“ (vgl. zu Kommentaren PR.kg Kommentare, 4.2007a). Premier Atambajew lädt noch in der Nacht zu einer Pressekonferenz auf den Ala-Too. In der Schuldfrage lässt der Regierungschef keine Zweifel aufkommen: „offiziell haben doch sowohl Kulow als auch andere Front-Vorsteher erklärt, dass der 19. der entscheidende Tag wird, dass es dann zum friedlichen Machtwechsel kommt. Und die Jungs, 14 Jahre alt, haben es ihm geglaubt, [ . . . ] haben sich im Weißen Haus sitzen sehen. So darf man das doch nicht machen. Erst versetzt du alle in Aufregung, führst alle herbei, haust dann aber selber ab, rennst in die Sträucher, wie ein Provokateur.“ (Akipress, 21.4.2007)
Mit Blick auf die Aussagen Eschimkanows spekuliert Atambajew belustigend, ob dieser nicht während seines kürzlich zurück liegenden Tibetaufenthalts in ei-
21 Einige Bilder zu diesen Ereignissen am 19. April finden sich in Sarijews Erinnerungen (vgl. Sariev 2008). 22 Zum Ablauf dieser Ereignisse stehen verschiedene Quellen zur Verfügung. Für Einzelheiten vgl. Akipress (19.4.2007h, 19.4.2007i, 19.4.2007j, 19.4.2007k, 19.4.2007l, 19.4.2007m und 19.4.2007n). Ein zusammenfassender Bericht über die Geschehnisse an diesem Abend auch im EWVP Report (vgl. EWVP, 26.4.2007: 3 ff).
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nen Trancezustand gefallen ist. Die Verfassung sieht der Premier jetzt auf einem guten Weg. Angesprochen auf mögliche Strafverfolgungen verspricht Atambajew, strikt im Rahmen bestehender Gesetze vorgehen zu wollen. Der folgende Tag setzt allerdings mit Meldungen über umfassende Repressionen ein. Mitarbeiter des Innenministeriums und des GKNB durchsuchen die Büros von Ata-Meken und Ar-Namys, Mitglieder der Front werden zum Verhör eingeladen, Computer beschlagnahmt, und schließlich die Auflagen der Zeitungen ‚Agym‘, ‚Kyrgyz Ruchu‘, ‚Apta‘ (Woche) und ‚Ajkyn‘ (Konkret) ohne richterlichen Beschluss konfisziert (zur Konfiszierung vgl. Akipress, 20.4. 2007; zu Durchsuchungen vgl. Akipress, 20.4.2007a, 20.4.2007b und 20.4.2007c; zu Verhören vgl. Akipress, 20.4.2007d). Im Parlament gratuliert eine Mehrheit Innenminister Nogojbajew derweil zu seinem Handeln, der sein Vorgehen mit der brutalen Attacke der Vereinigten Front vom Vortag rechtfertigt (Akipress, 20.4.2007e). Gleichzeitig kritisieren Vertreter der Zivilgesellschaft die Repressionen scharf und bezeichnen sie als klaren Rechtsbruch (Akipress, 20.4.2007f, 20.4.2007g, 20.4.2007h). Die Sicherheitskräfte stört das weniger. Als am 23. April Omurbek Abdrachmanow, der Koordinator der Vereinigten Front Suwanalijew und der Kanschar Vorsitzende Adilet Ajtikejew zum Verhör beim Geheimdienst erscheinen, werden sie umgehend verhaftet (Akipress, 24.4.2007, 24.4.2007a). Alle Repressionen berühren vorläufig nicht das Schicksal des Front-Chefs Feliks Kulow. Der hatte sich in den Tagen nach den Zusammenstößen in seinem Dorf Bajtik in der Nähe von Bischkek verschanzt. Die Bewohner schützen ihn hier vor dem Zugriff staatlicher Sicherheitskräfte, während er vor Journalisten die Macht an der Eskalation beschuldigt und sich besorgt zeigt angesichts neuer radikaler Strömungen. Er erzählt, Jugendliche und Frauen hätten ihn ihrer Bereitschaft versichert, sich zum Zeichen des Protests selbst zu verbrennen. Der ‚Eiserne General‘ zieht aus all dem die Lehre, sich in Zukunft verstärkt der gesellschaftlichen Bewusstseinsbildung widmen zu wollen. Es passt in das Bild des Authentizitätsverlusts der Politik in Kyrgyzstan, wenn Kulow einen späteren Besuch beim GKNB unbeschadet übersteht, obwohl er heldenhaft anbietet, sich im Austausch für die Gefangenen in Haft zu begeben. 23 Das Internet liefert die Belege für das öffentliche ungläubige Staunen über dieses Spiel: „Wenn beim Volk, ist er der Held, verlässt er abends die Menge und flieht, dann versteckt er sich hinter den Röcken von Frauen. Da habt ihr das wahre Gesicht des Schakals.
23 Zum Schicksal Kulows vgl. Meldungen bei Akipress (Akipress, 20.4.2007i, 21.4.2007a, 21.4.2007b, 21.4.2007c, 23.4.2007a, 27.4.2007 u. 27.4.2007a).
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Es heißt er bereitet seine Flucht nach Moskau oder Washington vor.“ (PR.kg Kommentare, 4.2007b) Die öffentliche Musik spielt längst woanders. Vor dem Hintergrund unzähliger Unterstützerschreiben für das Anliegen der Vereinigten Front oder das harte Durchgreifen der Staatsmacht wenden sich in der Hauptstadt immer mehr gegen das repressive Vorgehen. 24 Erste Proteste werden organisiert; zehn Abgeordnete fordern die Freilassung der Gefangenen. Einige Menschenrechtsaktivisten wollen für den verhafteten Kanschar Vorsitzenden Ajtikejew politisches Asyl im Ausland beantragen. Auch sollen Verfahren gegen GKNB und Generalstaatsanwaltschaft angestrengt werden (vgl. Akipress, 25.4.2007, 25.4.2007a, 25.4.2007b, 26.4.2007b, 26.4.2007c und 26.4.2007d). Den Häftlingen zu Hilfe kommt schließlich Tekebajew, der sich beim Chef der Präsidialadministration, Sadyrkulow, und beim Premier für ihre Freilassung einsetzt. Am 27. April werden die Front-Aktivisten aus der Haft entlassen (Akipress, 27.4.2007c, 28.4.2007, 28.4.2007a). Zur selben Zeit unternehmen die Reste der Opposition einen letzten Versuch, sich neu zu positionieren. Den Anfang macht die Bewegung Für Reformen, welche noch am 20. April das Ende aller Protesthandlungen verkündet und sich um Unabhängigkeit bemüht: „Unser Ziel war von Anfang an eine Verfassungsreform. Als wir die gemeinsame Erklärung mit der Vereinigten Front über den Anfang der Proteste machten, trat die VF mit radikalen Forderungen [ . . . ] auf, wir hingegen forderten die Reform der Verfassung. Auf dieser Position stehen wir auch heute.“ (Akipress, 20.4.2007o) Weiter bemühen sich Omurbek Tekebajew und Temir Sarijew mit ihren Parteien Ata-Meken und Ak-Schumkar um einen neuen Aufruf zu Reformen (Akipress, 20.4.2007p, 23.4.2007b, 24.4.2007b, 24.4.2007c, 27.4.2007e, 27.4.2007f). Sarijew baut die Selbstkritik in einem Interview mit der Zeitung ‚Lica‘ aus. Er nennt den Zusammenschluss mit der Front einen kardinalen Fehler. Seiner Meinung ist jetzt eine Neuausrichtung der Opposition notwendig (Akipress, 27.4.2007h). In der Öffentlichkeit treffen die Aufrufe und neuen Orientierungen allerdings auf wenig Wohlwollen; es überwiegt hier breite Enttäuschung, die in Wut und Sarkasmus überschlägt: „Wohin wollt ihr denn noch? Wer wird euch denn noch folgen? Ihr habt die Leute betrogen, kein Geld bezahlt, habt sie auf die Straße geschmissen. Gestern noch ‚Bakijew ketsin‘ [(kyrg.: ‚hau ab‘)], und heute erzählt ihr, dass ihr den Rücktritt des Präsidenten nie gefordert habt. Oder soll man euch eure Auftritte zeigen[?] Ihr
24 Zu Solidarisierungen mit der Front vgl. Akipress, 20.4.2007j, 20.4.2007k; mit der Macht vgl. Akipress, 20.4.2007l, 20.4.2007m, 20.4.2007n; zu Protest vgl Akipress 26.4.2007, 26.4.2007a, 27.4.2007b).
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seid politische Prostituierte! Hängt euch auf.“ (PR.kg Kommentare, 4.2007c) Resigniert befürwortet Leser ‚Machmud‘ gleich die komplette Abschaffung Kyrgyzstans: „Das Land der Stämme verdammt, ein verlorener Staat ohne Existenzrecht. Kein einziger Führer, der im ganzen Land anerkannt wäre. Jeder ‚Führer‘ hat immer nur die Unterstützung seines Klans – Verwandte und die mitdurchgefütterten Stammesgefährten in der kleinen Heimat – von Kulow in Bajtik, bis hin zu Suwanalijew in Karabuur und Beknasarow in Aksy. Ein vollständiger Staat ist bei einer Stammesstruktur in der Gesellschaft nicht real. Also ab nach vorne – ein Teil an Kasachstan, ein zweiter an Usbekistan und einen nicht weiter bestimmbaren nimmt China in Schutz.“ (Ebd.)
Die Beobachtung von Stammesstrukturen wie bei diesen Internetnutzern ist meiner Meinung nach bereits eine Besonderheit. Schließlich zeigten die Proteste, wie schwach die Loyalitätsbande waren, und wie erfolglos die Mobilisierung entlang dieser Identitätsmuster. Und doch legen viele Beobachter diese Schablone an, um die Ereignisse zu sortieren. Dabei ist die öffentliche Meinung in Gestalt dieser Nachrichtenleser kritischer und skeptischer als die meisten Experten in diesen Wochen. In der ‚expert community‘ greift man tiefer und bemüht die Teilung zwischen Nord und Süd. Der Analyst Sergej Michejew beispielsweise sieht Kyrgyzstan bereits als einen ‚failed state‘: „Die ‚Tulpenrevolution‘ hat endgültig alle Bremsen im Prozess der gesellschaftlichen Archaisierung gelöst. Es ist kein Geheimnis, dass während der Revolution die Oppositionsführer umfassend Klanmechanismen zur Mobilisierung der Massen nutzten, und zudem komplett auf den Wettstreit zwischen Nord und Süd spekulierten. [ . . . ] Wenn die Führer der Opposition entschlossen sind, können sie manche Kreise zum Aufstand bewegen und sie aus dem Zugriff Bischkeks entfernen. Und selbst Bischkek kann sich dem vielleicht nicht entziehen. Das fördert die im Zuge der Revolution besonders verschärfte Konfrontation zwischen Nord und Süd.“ (Akipress, 23.4.2007c)
In Kyrgyzstan schließt der Politologe Mars Sarijew an diese Erwartung an: „auf einer alltäglichen Ebene ist die Wahrnehmung der Leute einfach – wir sind Südler, wir haben gewonnen, was wir wollen, das tun wir. Das aber ruft eine harsche Abstoßung hervor. Bischkek ist faktisch Norden, hier wird sich sofort die Stimmung aufbauen, dass die ‚Sieger nur zu Gast sind‘. Das ist gefährlich, da die einfachen Menschen nur in diesen Kategorien denken. Es ist schlimm, dass die Politiker die Bevölkerung in diesen Streit mit
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hinein gezogen haben: unsere / nicht unsere, Nord / Süd. Und jetzt denkt jeder nur noch in diesem Dualismus.“ (Akipress, 24.4.2007e)
Im Unterschied zu diesen Einschätzungen oder abgerückten Meinungen über kommende stärkere Oppositionsproteste (z.B. Sysdykowa von der Lomonossow Universität, vgl. Akipress, 20.4.2007r), ist die öffentliche Meinung in Kyrgyzstan wie zum Beispiel die Agentur Akipress weitaus vorsichtiger in ihrem Urteil über Vergangenes und Zukünftiges: „man gewinnt den Eindruck, dass ja gerade auch die Union mit Kulow alle konstruktiven Ideen und die Autorität, von den Anführern von Für Reformen im November erarbeitet, zunichte gemacht hat.“ (Ebd.) Unterstützung bekommt diese Sicht von Walentin Bogatyrew. Der Experte bedauert die verpasste Chance für eine Modernisierung des politischen Systems und er kritisiert die Vereinnahmung der ‚echten‘ Opposition durch die Vereinigte Front (Akipress, 23.4.2007d). Und dennoch hat er Hoffnungen: „Uns erwartet ein wirklicher Wechsel der politischen Landschaft. [ . . . ] Die Umstrukturierung des Schogorku Kenesch begann bereits im November letzten Jahres und dieser Prozess führt früher oder später zu [ . . . ] Neuwahlen nach Parteilisten. [ . . . ] Man kann sagen, dass wir der Formierung eines dem Präsidenten gegenüber oppositionell eingestellten Parlaments beiwohnen.“ (Ebd.)
Allein der plötzliche Zusammenbruch der Front passt nicht recht ins Bild. Sowohl Kulows neues Märtyrertum als auch die sauber durchgeführte Aktion des MWD irritieren. Bogatyrew konstatiert daher auch leicht verwundert: „Manchmal taucht bei mir der Gedanke auf, ob wir nicht vielleicht die Zuschauer irgendeines heimlichen Spiels sind. Allzu vorsätzlich sah doch alles aus, was die Vereinigte Front sagte und tat.“ (Ebd.) Damit bereitet er den Weg für solche Meinungen, wie sie hier in der Einleitung präsentiert wurden, in welchen diese Skepsis systematisch ausgebaut wird. Ein ‚Runder Tisch‘ am 28. April, auf dem Für Reformen „Die Lehren des April“ diskutieren möchte, bringt die Zweifel auf den Punkt (Akipress, 27.4.2007i, 28.4.2007b). Raja Kadyrowa, die Vorsitzende der Foundation for Tolerance International, hebt zu einer vollständigen Dekonstruktion der FrontAktion an (vgl. Akipress, 28.4.2007c). Sie vermisste bei der Opposition eine nationale Strategie; sie kritisiert die fehlende gesamtgesellschaftliche Unterstützung und beobachtet eine regionale Befangenheit; sie wirft den Vordermännern der Front mangelnde Präsenz vor; sie fragt nach der Strategie für eine Zusammenarbeit mit der Presse; sie wundert sich über die aggressive Symbolik, die doch eher abgeschreckt hatte; sie sucht nach einem Plan für die Zeit danach; sie
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hält den Kampf um die Zahlen für grundlegend falsch; sie identifiziert einen Mangel an Sachargumenten zur Unterstützung der Parolen; sie verurteilt den strategielosen Umgang mit den Massen und die schlechte Performance; und sie bemängelt das Fehlen entwickelter Vermittlungsmechanismen. In dieser pointierten Kritik spiegelt sich der allgemeine öffentliche Eindruck. Das politische Spektakel ist zu Ende, und, so scheint es, die öffentliche Aufmerksamkeitskapazität ist erschöpft. Resignation macht sich breit. Das wird besonders deutlich in der weiteren Behandlung der Verfassungsfrage. Noch am 23. April unterrichtet Kommunistenführer Masalijew die Öffentlichkeit über das laufende Prüfverfahren des Atambajew-Vorschlags. Der Premier allerdings erwähnt kurze Zeit später auf einer Konferenz etwaige Änderungsvorschläge von Für Reformen mit keinem Wort mehr (Akipress, 30.4.2007). Auch Präsident Bakijew geht am 5. Mai, dem Tag der Verfassung, auf die Zusammenarbeit mit der Opposition nicht mehr ein (Akipress, 4.5.2007). Im Juni äußert Atambajew schließlich noch einmal die Hoffnung, im Herbst vielleicht das Gerichtsgutachten zu erhalten (Akipress, 8.6.2007). Am Ende wird auch diese Hoffnung betrogen.
5.4 D IE E NTSTEHUNG ‚ NEGATIVER P OLITIK ‘: K ONFLIKT IN NEUER F UNKTION Im Anschluss an diese letzte Konflikterzählung lautet meine These, dass im April 2007 die öffentliche Meinung in Kyrgyzstan in ihrem Verdacht endgültig bestätigt wird, dass es sich bei der beobachteten politischen Aktion nicht mehr um authentische Machtansprüche handelt. Dieses Erlebnis muss ein Schock sein nach der erst einige Monate zuvor gemachten Erfahrung, öffentlich die Politik vor sich hertreiben zu können. Innerhalb weniger Wochen mutiert die politische Auseinandersetzung in ein Spiel, dass es der öffentlichen Meinung unmöglich macht, an die Deklarationen, die Machtansprüche, die Mobilisierungsaufforderungen, die Anschuldigungen und Rechtfertigungen anzuschließen. In all seiner Absurdität erzwingt der politische Konflikt am Ende die öffentliche Meinung, ihn als Ausdruck einer neuen Form von Politik aufzufassen. Ich nenne diese neue Form im Folgenden ‚negative Politik‘, da hier die moderne Reflexion ausgesetzt ist. Ich möchte diese Entwicklung mit einem letzten Rückgriff auf mein heuristisches Instrumentarium untersuchen. Es lässt sich in dieser Episode erstens beobachten, dass sich Sprecher und Themen und zeitliche Horizonte so stark voneinander abkoppeln, dass der Eindruck von der Anwesenheit von Parallelwelten in der Öffentlichkeit entsteht. Zweitens wird die Nutzlosigkeit von Schemata deutlich, mit denen die öffentliche Meinung versucht, das Geschehen
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auf einen erzählerischen Nenner zu bringen. Der Protest in dieser Episode ist, drittens, vollständig inhaltsleer und ohne Ziel. Es bleibt unklar, welche Änderung in das politische System eingeführt werden soll. Viertens ist jede Versachlichung des politischen Streits unmöglich geworden und Drohkommunikation allein bestimmt die Dynamik der Auseinandersetzung. 1. Diese Episode beeindruckt durch ihre Diskrepanzen in der Dramatik, die das Geschehen auszeichnet. Die Beschreibung der Parallelwelten verdeutlicht dabei viel stärker den Prozess der sachlichen, sozialen und temporären Abkopplung als die Rekonstruktion der kaum noch bestehenden Verbindungen zwischen den einzelnen Akteuren, ihren Agenden und ihren Visionen. Es ist für das öffentliche Auge verwirrend, wenn auf dem Ala-Too die Gemüter zum Überkochen gebracht werden, der Regierungschef sich darüber dann aber lustig macht; wenn Protagonisten marktschreierische Reden halten, für ihre Botschaften aber immer weniger Publikum finden; wenn Bürgerkriegsszenarien Furcht im Land verbreiten, das Parlament aber nicht einmal Wahlen zum Verfassungsgericht organisiert bekommt; wenn am Ende Konfliktteilnehmer Opfer von Gewalt werden und ein Aktivist gar ums Leben kommt, Kulow sich aber später der Bewusstseinsbildung widmen möchte, während Atambajew Eschimkanow als Esoteriker verhöhnt. Weder können im Anschluss an diese Aktionen die Akteure eindeutig in Beziehung zueinander gesetzt werden, noch ist klar, wann welcher Agenda welche Relevanz zukommt. Zeitliche Projektionen treten schließlich vollständig in den Hintergrund, als der 19. April zum Stichtag erhoben wird, an dem sich alles ändern soll, allerdings ohne Klarheit darüber, wie und warum. Die Entkopplung von Sprechern, Themen und Visionen erfährt in dieser Episode insofern eine Radikalisierung, als dass auch die letzte Markierung für eine ‚wirklichere‘ Wirklichkeit ihrer Geltung beraubt wird. Damit ziele ich auf den Tod des achtfachen Familienvaters Akunow in seiner Zelle in Naryn ab. Die Selbstverbrennung aus der vorhergehenden Episode war noch Ausdruck einer unberührten Parallelwelt, hier schien es, als gälte Gewalt und Tod immer noch als Reservoir einer anderen, authentischeren Wirklichkeit. Mit Akunows Tod allerdings wird dieses Reservoir nun in die spielerische Inszenierung unterschiedlicher Dramatiken integriert. Damit wird es mit seiner ursprünglichen Bedeutung ins Gegenteil verkehrt. Es entschwindet auch diese radikalste aller Markierungen, an denen öffentliche Meinung ihre Hoffnungen auf Orientierung noch hätte verankern können. Bildlich gesprochen überschneidet sich nun das Getöse von einem aufziehenden Bürgerkrieg mit dem Geschrei des Abgeordneten Eschimkanows über die angebliche Folterung und Ermordung von Aktivist Akunow. Und so, wie öffentliche Meinung irgendwann keinen authentischen Anspruch mehr hinter dem Säbelrasseln erkennen kann, so verliert auch die Nachricht über den Tod irgendwann die
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Bedeutung, eine ‚wirklichere‘ Wirklichkeit zu markieren. Am Ende, nachdem der Konsens darüber, was da draußen noch ‚authentische‘ Politik ist, zusammenbricht, ist selbst der Einsatz der Sicherheitskräfte mit all den Gas-, Blend- und Schallgranaten nur noch das finale Feuerwerk für eine gelungene Show. 2. In dieser Konfliktepisode rückt das Schema der regionalen Aufteilung des Landes in Nord und Süd in den Vordergrund. Das Besondere an dieser neuen Dominanz ist der rein inflationäre Gebrauch des Schemas und gleichzeitig sein permanentes Versagen, Anschlussfähigkeit in der öffentlichen Meinung herzustellen. Ohne Zweifel, im Vorfeld des 11. April kursieren unzählige Einschätzungen bei Politikern und öffentlichen Beobachtern über Rückhalt, Stärke und Mobilisierungspotential von und in Regionen und ihren Netzwerken. MSN vertraut auf die treue Anhängerschaft Bakijews im Süden, während sich die Front gegen ihre Reduzierung auf den Norden wehrt. Selbst EWVP warnt Anfang April vor einer Dynamisierung der Auseinandersetzung entlang regionaler Merkmale und spricht eben nicht mehr nur vom bloßen „framen“. Allerdings kollabieren diese Beobachtungen entlang der Nord/Süd-Unterteilung dann spätestens mit dem ersten Aufzug des großen ‚Mitings‘. Gerade in Bischkek, im Norden, versagt die Vereinigte Front trotz der vielen Losungen, Anhänger in ihrer eigenen Hochburg zu mobilisieren. Und das hat Folgen: Welche Szenarien der Nord/SüdSpaltung auch immer in der öffentlichen Meinung entwickelt worden waren, nach dem 11. April sind diese Quellen der Orientierung in der politischer Auseinandersetzung plötzlich hinfällig. Weder marschieren ‚Nördler‘ zu zehntausenden in die Hauptstadt ein, noch sind es ‚südliche‘ Einheiten des Innenministeriums oder der Armee, die den Ala-Too Platz in der Nacht zum 20. April zurückerobern. Alles ist viel weniger über regionale Identitäten organisiert, als die Rhetorik Glauben macht. Im Anschluss an diese herbe Enttäuschung, mit Rückgriff auf regionale Merkmale eben alles falsch sortiert zu haben, überrascht dann allenfalls noch die Vehemenz, mit der Beobachter, insbesondere Experten aus dem Ausland, wieder Klane oder Regionen durch die Hintertür einführen wollen. Russische Experten wie Sysdykowa oder Michejew operieren weiterhin mit den gerade diskreditierten Schablonen und auch der Westen pflegt seinen Okzidentalismus. So wird beispielsweise aus den „Sippen- und Stammesstrukturen als Grundlage des sozialen Zusammenhalts in Kyrgyzstan“ 25 bei der russischen Agentur ‚RIA Nowosti‘ eine „clan-dominated nation of 5 million people“ bei ‚Associated Press‘ 26. Diese ‚Klangesellschaft‘ steht aber jetzt im starken Kontrast zu den Aussagen des Experten Bogatyrew. Er staunt über die absurden
25 Vgl. zu dieser Presseschau Akipress 24.4.2007f. 26 AP 2007/04/19
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Spitzen der vergangenen Proteste und räsoniert über wirkliche oder wirklichere Gründe hinter den Entscheidungen für die Aktion. Er kommt zu dem Ergebnis, dort Inszenierungen zu sehen, wo weder mit Hilfe von Unterscheidungen zwischen Regierung und Opposition noch durch die Unterteilung in Regionen Klarheit entsteht. Anders lässt sich die offenkundige Selbstdiskreditierung der FrontMitglieder, so der Experte, nicht mehr erklären. 3. Der Protest in dieser Episode scheint anwesend, als die Massen am 11. April auf den Zentralplatz in Bischkek strömen. Gleichzeitig ist der Protest abwesend, wenn dieses Spektakel als ein Organisationsmoment wahrgenommen und verstanden wird, nicht aber als spontaner Ausdruck eines politischen Widerspruchs. Im Grunde genommen harrt der von Kulow im Februar eingelegte Widerspruch immer noch einer öffentlichen Sanktionierung in Form authentischen Protests. Die Vereinigte Front hofft, dass das ‚Miting‘ diese Sanktionierung endlich leistet. Aber die Veranstaltung im April tut sich bereits im Vorfeld mit dieser Leistungsanforderung schwer. Die ganze Planung und Vorbereitung, das Drohen und Fordern, das Kommandieren und Organisieren, steckt im Teufelskreis der Erwartung, einen kaum nachvollziehbaren Widerspruch deutlich mit Protest auszuweisen. In dieser Situation wird öffentliche gewettet: entweder der Protest beeindruckt, oder aber Kulows Widerspruch verdient den Namen nicht. Damit entsteht aber auch ein gewaltiges Problem für die Vereinigte Front: Denn wie kann ein Protest noch beeindrucken, wenn auf seine Inszenierung bereits Spekulationen laufen, ihm jedes Moment der Überraschung genommen und die Hürde für spontane Botschaft immer höher gelegt wird? Es löst sich schließlich die Möglichkeit für die öffentliche Meinung auf, Protest als eine genuine Varianzeinfuhr zu erfahren. Die Massen auf dem Platz stehen für keine spontane Herausforderung laufender Machtentscheidungen. Sie sind, ganz im Gegenteil, Ausdruck des Unvermögens von Kulow und seiner Front, einen vorläufig eingelegten Widerspruch mit jener Substanz auszustatten, die notwendig ist, um Varianz erkennen zu können. Bestätigung findet diese Interpretation der Beziehung zwischen Widerspruch und Protest in den anschließenden Zahlenspielereien, mit denen sich die Vereinigte Front vollständig dem öffentlichen Verdacht, ihrem Widerspruch mangele es an Geltung, hingibt. Raja Kadyrowas Bemerkung über den falschen Kampf um Zahlen trifft genau diesen entscheidenden Punkt. 4. Was sich in den Debatten und wechselseitigen Anschuldigungen in dieser Episode realisiert, ist ein Machtkonflikt, wie ihn Messmer in seiner Typologie sozialer Konflikte beschreibt. Kommunikation schaltet um auf Drohungen, die sich gegenseitig hochschaukeln. Verspricht Bakijew, Ausschreitungen unter keinen Umständen zuzulassen, folgt die Front mit einer Zuspitzung ihrer Forderung nach sofortigem Rücktritt. Auf erste OBON Attacken auf das Lager der Hunger-
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streikenden reagieren die Demonstranten mit der Warnung, sich selbst zu verbrennen und eben nicht mit einem Gang zum Gericht. Ich ziehe ein weiteres Mal die Erinnerungen von Temir Sarijew heran, welcher in dieser Zeit als prädestinierter Vorsitzender der fragmentierten Bewegung Für Reformen verzweifelte Versuche unternahm, diese Logik zu durchbrechen: „Am Abend [des 9. April] sprach ich noch einmal mit Kulow, das Thema war klar umrissen – die Ziele und Aufgaben des bevorstehenden Protests. Ich sagte ihm: der größte Fehler in diesem gewaltigen Unterfangen kann die Tatsache werden, dass wir, genau betrachtet, bisher nicht geeint sind durch eine Idee und ein Ziel. Obwohl doch schon klar war – das Miting am 11. April wird stattfinden. In den Zeitungen erschien die zweite laute Erklärung Kulows, in ihr hieß es, dass es bald zur friedlichen Machtübergabe kommt; Kommentare tauchten auf, im Sinne von: die Maßnahmen wären entsprechend, und ‚Front‘ bedeute – Stirn an Stirn, usw. Viele ‚Frontowniki‘ fingen an Interviews zu geben, und in diesen trat ein harter, kompromissloser Charakter hervor, die Spannungen in der Gesellschaft wuchsen im wörtlichen Sinne stündlich.“ (Sariev, 2008: 139)
Einige Seiten weiter resümiert der Für Reformen Vorsitzende über die schicksalhafte Rolle fehlender sachlicher Argumente für das Unternehmen der Front: „dem Volk blieb schließlich das endgültige Ziel der Proteste schleierhaft.“ (Sariev 2008: 145) Was bleibt ist die Wiederholung von Drohungen, die von der öffentlichen Meinung am Ende nur noch als Ausdruck eines reinen Kampfes um Macht verstanden werden können. Damit erübrigt sich aber auch, und dieser Unterschied ist bedeutsam, jeder öffentliche Anspruch auf einen gültigen Widerspruch. In seiner fortschreitenden Etablierung als Machtkampf entkleidet sich der politische Konflikt seiner ursprünglichen Absicht, Varianz ins System einzuführen. Wahrscheinlich liegt auch hier begründet, dass die Kampfrhetorik stetig zunimmt und sich dem Muster eines Machtkonflikts fügt: Bürgerkrieg, Panzerfahrzeuge, Schlagstöcke, Generäle, Kommandanten (der Zeltstadt), schließlich Gerüchte über ein Eingreifen der usbekischen Armee und Kanschars Aufruf zur Selbstaufopferung. Vor dem Hintergrund einer anfänglichen Erwartung in der öffentlichen Meinung, im Kleid authentischen Protests genuine Varianz erleben zu dürfen, löst diese Rhetorik schließlich nur noch panische Angst und spöttelndes Gelächter aus. Beides sind Reaktionen, die bereits in der Episode zuvor geübt wurden und jetzt, Ende April 2007, als einzige Alternativen für den fehlenden sachlichen Anschluss an die Ereignisse zur Verfügung stehen. Abschließend möchte ich noch auf die Prognose des Experten Bogatyrew eingehen, der, trotz seines Zweifels gegenüber der Authentizität der politischen Ereignisse, in der Zukunft weitreichende Systemreformen erwartet. Bogatyrews
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Hoffnungen zerschlagen sich bereits in den nächsten Wochen nach dem Ende der Vereinigten Front; und doch ist seine Vorhersage weitaus innovativer als die vieler anderer Beobachter, die in alte Deutungsmuster zurückfallen und Regionen oder Klanen neue Relevanz zukommen lassen. Die Aktionen der Front haben diese Schemata unbrauchbar werden lassen und die öffentliche Meinung ist längst zur Beobachtung von Inszenierungen übergegangen und erstarrt darüber mehr und mehr in Stagnation. Wenn vor diesem Hintergrund Kommentatoren und Experten einen neuen ‚wilden‘ Herbst für das Jahr 2007 heraufziehen sehen, oder weiter versuchen, informelle Beziehungen auf regionale oder traditionelle Identitäten zu reduzieren, dann wiederholen sie ihre ewige Beschreibung manipulierender Eliten oder folgen einem falschen Essentialismus. Missverstanden werden in jedem Fall die Bedeutung politischer Aktionen im öffentlichen Raum und die Relevanz öffentlicher Anschlussfähigkeit für politische Entscheidungsfindungsprozesse. Im April 2007 entsteht ‚negative Politik‘ als neues Unvermögen in der Gesellschaft in Kyrgyzstan, auf Entscheidungen hin mit Hilfe sachlicher Argumente, klar identifizierbaren Akteuren und eindeutigen zeitlichen Horizonten eine Erwartung formulieren zu können. Zusammenfassung In habe in dieser letzten Konfliktepisode die Entwicklung einer vormals modernisierenden Politik in ‚negative Politik‘ als Resultat der Auseinandersetzung zwischen der Vereinigten Front und dem Regime von Bakijew beschrieben. Der in der Episode zuvor von der Front angelegte Weg hin zu einer defunktionalisierten Politik wird in diesem Konflikt weiter beschritten. Die herkömmlichen Schemata wie die Nord/Süd-Unterteilung lassen jegliche Verbindung mit den tatsächlichen politischen Ereignissen vermissen, Protest wird als eine reine Frage der Organisation diskutiert, und politische Diskurse bringen keine modernen politischen Identitäten hervor, sondern produzieren nur noch Drohgebärden. Am Ende macht die öffentliche Meinung, jener Motor politischen Wandels im November 2006, die Erkenntnis, dass die politischen Akteure kein Geheimnis aus der Inszenierung ihrer Schau machen, sondern mit diesem Umstand sogar kokettieren, und das auch noch öffentlich. Daraus folgt der Aufbau einer Verdachtshaltung, in der die Öffentlichkeit die Annahme politischer Botschaften ablehnt und sich stattdessen in Resignation zurückzieht. Dieser finale Prozess, der empirisch an die von mir beschriebenen Entwicklungen anschließt, ist im Folgenden Gegenstand meiner weiteren Analyse. Hier werde ich auch meine bisherigen Interpretationen vor dem Hintergrund der zu erörternden neuen Bedingung einer ‚negativen Politik‘ synthetisieren und weiter entwickeln.
ANALYSE
6. Die Dynamik der ‚Politik der Peripherie‘
In den Erzählungen über Für Reformen und die Vereinigte Front habe ich mein Material mit Hilfe meines Konfliktmodells sortiert und eine meinem theoretischen Konzept angepasste Form der Diskursanalyse vorgenommen. Mein Ziel war es, zu zeigen, wie sich empirisch die Anwesenheit unterschiedlicher, teils widersprüchlicher, politischer Ordnungslogiken in der Gesellschaft an der Peripherie der globalisierten Welt auswirkt. Meine These lautete, dass diese Anwesenheit unterschiedlicher Ordnungslogiken in Kyrgyzstan in einen Zyklus wechselseitiger Irritation zwischen öffentlichen Beobachtern führt, der ultimativ in Resignation umschlägt, wenn nicht mehr kohärent an politische Ereignisse angeschlossen werden kann. Im April 2007 läutet die Auflösung der Front-Aktion auch das Ende authentischer Opposition in Kyrgyzstan ein. Was sich in den folgenden Monaten und Jahren entwickelt ist ein autoritäres Regime unter Führung von Kurmanbek Bakijew, ohne dass eine wie auch immer aufgestellte Opposition dagegen einen neuen Widerspruch einlegen kann. In meinen folgenden Überlegungen möchte ich zum einen die empirischen Prozesse, die zu diesem Punkt geführt haben, noch einmal analysieren und meine These untermauern. Zum anderen möchte ich die Konsequenzen dieser Entwicklung genauer beleuchten und abschließend, mit Bezug auf meine theoretischen Ausführungen, den Begriff der ‚negativen Politik‘ genauer bestimmen und in den Kontext der ‚Politik der Peripherie‘ stellen. Ich gehe dabei wie folgt vor: Erstens vergleiche ich die beiden Protestphänomene mit einem Fokus auf jene Unterschiede, die meiner Ansicht nach gegen eine verallgemeinernde Beschreibung sprechen. Zweitens rekonstruiere ich die Interdependenz der politischen Ordnungslogiken und die Dynamik der wechselseitigen Beobachtungen im Medium der öffentlichen Meinung. Drittens beschreibe ich die Entwicklung hin zu einer neuen politischen Praxis der Kooptation, die funktional an die Stelle eines versachlichenden Streits im politischen System tritt. Viertens und abschließend konzentriere ich mich auf die Implikationen meiner empirischen Beschreibung
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für unser Verständnis von der Erfahrung, dass modernes politisches Entscheiden immer die Aufgabe einer gleichzeitigen Steigerung und Reduktion von Kontingenz leisten muss.
6.1 D IE B EWEGUNGEN F ÜR R EFORMEN V EREINIGTE F RONT IM V ERGLEICH
UND
In seinem Vergleich von Protestbewegungen in Ägypten und in Kyrgyzstan kommt Kupfer (Registan, 7.8.2013) zu dem Schluss, dass zwei Revolutionen in Kyrgyzstan eine neue Gefahr der schnellen Mobilisierung hervorgebracht haben. Seiner Meinung nach hat sich politischer Protest in der Republik zu einem höchst volatilen Instrument entwickelt, welches es jedem Provinzfürsten erlaubt, die Fundamente des Zentralstaats in Höchstgeschwindigkeit zu unterhöhlen. Dieser Ansicht möchte ich mit meinem Vergleich der Bewegungen Für Reformen und Vereinigte Front entgegentreten. Mein Anliegen ist es zu verdeutlichen, wie unterschiedlich politischer Protest ablaufen kann und was man aus diesen Unterschieden für Rückschlüsse über die Bedingungen für Protest in Kyrgyzstan erfährt. Damit richte ich mich auch ein letztes Mal gegen Beschreibungen dieser Ereignisse, welche verallgemeinernd politische Aktionen und öffentliche Beobachtungen auf den irrelevanten Kontext von vermeintlich relevanteren informellen Manipulationspraktiken und informellen Akteuren reduzieren (vgl. z.B. Sengupta 2013: 52 ff.; Ramas 2012: 138). Ich beginne mit Unterschieden, die sich dem Leser meiner Erzählungen umgehend erschließen. Die größte Differenz ist wohl zeitlicher Natur. Während Für Reformen mehrere Monate aktiv war, von April bis November 2006 und formal sogar darüber hinaus, existierte die Vereinigte Front vom Moment ihrer Gründung am 19. Februar bis zum Moment ihrer Auflösung am 19. April genau zwei Monate. Für Reformen stellte über die Zeit hinweg mehrere Aktionen auf die Beine, unter anderen die Demonstrationen im April und Mai, den Kurultaj im September und schließlich das ‚legendäre Miting‘ im November. Die Front plante und organisierte am 10. und 11. April Protestveranstaltungen in den Provinzen und in Bischkek und war, von diesen Aktionen einmal abgesehen, allein durch den Hungerstreik auf dem Alten Platz vor dem Parlament sichtbar. Voneinander unterscheiden lassen sich auch die Methoden und Formen der Mobilisierung. Die Vereinigte Front überraschte und schockte die Öffentlichkeit mit ihrem militaristischen Auftreten. Ihre Anhänger bezeugten ihre Loyalität per Unterschrift unter das Gründungsmanifest der Bewegung. In diesen Aktionen ging es um die persönliche Hingabe für die Sache der Front, der Einsatz nahm die Form eines
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Treueschwurs in einem Schicksalskampf an. Auf der anderen Seite erwuchs Für Reformen aus den Resten einer ursprünglich als Sammelbecken für regierungskritische Bewegungen in Kyrgyzstan gegründeten Organisation. Hier unterzeichneten Parteien und NGOs, Vertreter von sozialen Gruppen, nicht aber Privatpersonen. Das Zusammenfinden war ein evolutionärer Prozess, in dem über Positionen verhandelt wurde und bei dem über den stetigen Umbau der Organisationsstruktur neue, gleichberechtigte Partner wie zum Beispiel Atambajew und die Sozialdemokraten oder die Aksy-Demonstranten unter Führung von Asimbek Beknasarow hinzugewonnen werden konnten. Die Bewegungen mobilisierten auch völlig unterschiedlich: Für Reformen hatte eintägige Protestveranstaltungen, nahm teil am Bürgerumzug und gestaltete ihre Demonstrationen letztlich immer auch als Festveranstaltungen eines öffentlichen Diskussionsprozesses. Die Vereinigte Front hingegen kommandierte und marschierte, dislozierte und attackierte. Dabei blieb allerdings die tatsächliche Mobilisierung im Rahmen von Aktionen minimal; entscheidend war die Rhetorik, wie sich besonders am Beispiel der Aufrufe durch die Jugendbewegung Kanschar erkennen lässt, auf die kein einziges Mal echte Aktion erfolgte. 1 Ein weiterer offensichtlicher Unterschied ist der Ausgang der Aktionen beider Bewegungen. Für Reformen erlangte nach einer Woche ‚kyrgyzischen Majdan‘ im November 2006 schließlich die Annahme einer neuen Verfassung. Un-
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Erwähnenswert ist an dieser Stelle auch der Unterschied, der im Vorhandensein materieller Ressourcen lag. Nicht nur Dubnow (vgl. Kap. 5.3.) ist von der Organisationsarbeit der Vereinigten Front beeindruckt, allgemein bezeugen Experten der Bewegung im April 2007 mehr Kapital als Für Reformen im November. Für das ‚Miting‘ am 11. April wurde unter anderem ein gewaltiger Plasmabildschirm aus Almaty herbeigeholt (vgl. Dubnow), während die Zelt- und Jurtenstadt größere Ausmaße annimmt als die im November. Und trotzdem gelingt es der Front trotz ihrer Ressourcen nicht, auch nur annähernd so viel Rückhalt in der Öffentlichkeit aufzubauen wie das zuvor Für Reformen gelungen war. Ich sehe darin ein weiteres Indiz für die Notwendigkeit, die simplifizierende Vorstellung von der exklusiven Relevanz von Manipulationsressourcen (Zugriff auf Kapital und informelle Netzwerke) in Kyrgyzstan und Zentralasien zu revidieren. Generell ist die Ansicht zu kritisieren, politische Mobilisierung hänge nur von der Verfügbarkeit von Ressourcen ab, ob nun materiell (Kapital, Netzwerke) oder ideell (Ideologie, Charisma) (vgl. zu sozialer und politischer Mobilisierung, u.a. in Zentralasien, Radnitz 2010; Karagiannis 2005; Karagiannis 2010). Entscheidend ist immer auch die Anschlussfähigkeit politischer Positionen in der öffentlichen Meinung, die niemals neutral ist, sondern immer in einer gegebenen Situation bestimmte Anschlussmöglichkeiten bereit stellt und andere blockiert.
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geachtet der späteren Rücknahme dieser Reform war das Ergebnis im November ein Pakt zwischen streitenden politischen Fraktionen, mit dem neue Regeln für das Finden politischer Entscheidungen eingesetzt wurden. Lässt man die revidierende Betrachtung aus der Rückschau beiseite, erkennt man ein Ereignis, dass einmalig in der Geschichte Zentralasiens seit der Unabhängigkeit ist. Unter der Bedingung öffentlicher Kontrolle – Akipress und andere Agenturen sowie das Fernsehen berichteten am Ende minütlich und live – verhandeln die Streitparteien unter Einsatz aller Argumente über einen angemessenen Kompromiss. Bakijew erhält schließlich die Kontrolle über die Richterabsetzungen zurück, das Parlament allerdings bekommt endlich die Vollmachten einer echten Legislative. Eine Demokratisierung wie aus dem Lehrbuch und für die Protagonisten dieser Ereignisse, für die meisten jedenfalls, die finale Einlösung des revolutionären Versprechens vom März 2005. Die Aktion der Vereinigten Front hingegen mündet in einer Gewaltspirale, hier ist Eskalation nicht der Motor für erhöhte Verhandlungsbereitschaft, sondern für physische Konfrontation. Anstelle neuer Gesetze folgen Durchsuchungen in Parteibüros, Anklagen gegen Front-Führer, die Verhaftung ihrer Aktivisten, die Beschlagnahme von Eigentum der Bewegung und die Konfiszierungen von Zeitungsauflagen sowie stürmische Beifallsbekundungen für den hart und letztlich illegal durchgreifenden Innenminister von Seiten der Abgeordneten im Parlament. Ein Vorgeschmack auf das Verhalten der Deputierten im sich einige Monate später neu konstituierenden ‚Schogorku Kenesch‘. Der Unterschied zwischen den Ergebnissen der Aktionen beider Oppositionsbewegungen könnte kaum größer sein. Der letzte offensichtliche Unterschied ist die Themenfindung und die Erstellung von Forderungskatalogen. Was im Falle von Für Reformen als Akt deliberativer Positionsbestimmung eingestuft werden kann, ist im Falle der Vereinigten Front persönliche Befindlichkeit. Die Forderung nach vorgezogenen Präsidentschaftswahlen und einem Rücktritt Bakijews trifft der Front-Vorsteher alleine oder zumindest zurückgezogen in einen engen Zirkel von Beratern. Unklar bleibt, wen diese Forderung repräsentiert, auf was für Argumenten ihr Anspruch beruht und inwiefern sie von Anhängern und öffentlicher Meinung geteilt wird. Die Forderung bleibt unverbunden neben weiteren Themen stehen, es findet kein Austausch statt und somit bleibt auch die Möglichkeit versperrt, Raum für einen Kompromiss auszuloten. Im Vergleich zu diesem Vorgehen stehen die ‚Zehn Schritte‘ von Für Reformen wie ein Lehrstunde demokratischer Entscheidungsfindung. Die ‚Zehn Schritte‘ sind zeitlich verknüpft mit den sieben Forderungen der Teilnehmer vom Bürgerumzug vom 8. April, genauso wie mit den ersten Forderungen der Volkskoalition in den Wochen zuvor. Die spätere Revision dieses Forderungskatalogs, wie auch die Zusammenführung mehrerer Kataloge im
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Herbst (‚Zehn Schritte‘, Kurultaj-Forderungen, Parlamentsresolution), steht für die Verknüpfung mit mehr Themen und neuen Fragen. Das Risiko ist hier am Ende die inflationäre Vereinnahmung von Themen als neue mögliche Streitpunkte. Allerdings lässt auch diese Tendenz keinen Zweifel daran, dass im Unterschied zur eindimensionalen Front-Forderung die Bewegung Für Reformen im steten Austausch mit der öffentlichen Meinung um die Auslotung anschlussfähiger Positionen bemüht ist. Die Vereinigte Front kompensiert diese Notwendigkeit mit einer erhöhten Bereitschaft, Protest als Planspiel aufzufassen. Die Dauer der Aktivitäten beider Bewegungen, die Formen der Mobilisierung, genauso wie die Ergebnisse und die Formulierungen von Forderungen sind Unterschiede, die einem Betrachter der Ereignisse umgehend ins Auge springen müssen. Sie sind meiner Meinung nach bedeutend genug, um vereinheitlichenden Beschreibungen Einhalt zu gebieten. Und sie stellen die Frage, auf was für Umstände sie zurückzuführen sind und was sie für die Entwicklung des politischen Systems in Kyrgyzstan bedeutet haben und vielleicht immer noch bedeuten. Ich werde später, in meiner Diskussion der Begriffe von der ‚Praxis der Kooptation‘ und der ‚negativen Politik‘, genauer darauf zurückkommen. An dieser Stelle hebe ich noch auf weitere Unterschiede ab, die dem Beobachter möglicherweise nicht direkt ins Auge springen, die aber dessen ungeachtet wichtig für ein Verständnis der Dynamik politischer Konflikte sind. Für diesen Vergleich greife ich stärker auf die Analysen in den einzelnen Fallstudien zurück. Die Unterschiede in der Nutzung von Schemata zur Sortierung politischer Positionen fallen empirisch auf. Diese Nutzung unterläuft einen Wandel von einer vorläufigen, plakativen Form hin zu einer Evolution moderner Schemata und mündet in letztlich leeren Versuchen, ‚traditionell‘ zu sortieren. Im Februar 2006 reagiert die erregte Öffentlichkeit mit willkürlichen Bewertungen auf den Streit zwischen zwei Personalien und zieht alle möglichen Kategorien heran: Von der ‚Opposition‘, die Tekebajew allerdings ablehnt, ist genauso die Rede wie von persönlichen Antipathien und den ‚nördlichen Klanen‘, die gegen den ‚südlichen‘ Präsidenten stehen. Im Frühling 2006 entsteht dann unter dem Eindruck der Aktionen von Für Reformen eine neue Bewertung der politischen Auseinandersetzung, welche die Rolle der Opposition in den Vordergrund rückt. Es kommt sogar zu ersten Versuchen, die territoriale Herkunft einzelner Politiker in das Anliegen moderner Reformforderungen zu integrieren, um so die Chancen auf Anschlussfähigkeit der Opposition in der Öffentlichkeit zu erhöhen. Im November 2006 schließlich gewinnt die ‚Opposition‘ einen Sieg für ein ‚neues Kyrgyzstan‘. Von Klanrivalitäten oder der Nord/Süd-Aufteilung spricht mit der Ausnahme von MSN kaum noch jemand. Vielmehr tritt die Chance zur Inszenierung, das Manipulationspotential solcher Schemata, mit der Analyse des EWVP
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über mögliche „framing“ Versuche deutlich in den Vordergrund. Im Frühjahr 2007 hingegen ist die Anwendung des modernen Schemas mit Kulows ‚Entscheidung‘ für die Opposition bereits diskreditiert. Im Folgenden entsteht ein Zirkel, in dem eine substanzlose Auseinandersetzung mit dem Lückenfüller wechselseitiger Diskreditierung bedient wird. Beide Seiten werfen sich vor, die Spaltung des Landes zu betreiben und für jeweils nur eine Region zu sprechen. Angeschlossen wird an diese zunehmend dominante Bewertung der Ereignisse mit weiteren Spekulationen darüber, welche Seite stärker ist und besser aufgestellt, mehr Ressourcen besitzt und entschlossener auf ihr Ziel hinarbeitet. Mit der dann daran anschließenden Weissagung über die mögliche Aufteilung der Republik, Gerüchte über die Verschiebung von Truppen bis hin zu Prognosen über noch stärkere Klanverbände oder regionale Spaltungen in der Zukunft. Das Besondere ist die diskursive Reichweite in dieser Praxis, bei der mithilfe der Anschuldigung, das Land zu spalten, versucht wird sich wechselseitig zu diskreditieren. Kein anderes Schema vermag diese Dominanz zu brechen, obwohl die Logik dieser Praxis klar negativ ist und in der Realität politischer Aktionen keinerlei Niederschlag findet. Was immer auf dem Platz im Zentrum Bischkeks passiert, hat nichts zu tun mit vermuteten regionalen oder traditionellen Bindungen und Netzwerken. Wenn solche Netzwerke bestehen und Menschen in Kyrgyzstan nach ihnen sortieren, dann tun sie das offensichtlich jenseits der politischen Arena. In der öffentlichen Meinung wird das wahrgenommen und mit dem Ende der Vereinigten Front werden dann auch folgerichtig die traditionellen Schemata ad acta gelegt. Ein weiterer Unterschied besteht in dem Ausmaß der Varianz, die in das System eingeführt wird. Die Ergebnisse der beiden Bewegungen lassen sich auch danach beurteilen, inwieweit sie Reformprojekte angestoßen und zu einer Debatte über die weitere Entwicklung der Politik beigetragen haben. Was für politische Entscheidungen sind während oder im Anschluss an die Konflikte jeweils getroffen worden? Hier entwickelte sich im Anschluss an die Personalfrage im Februar 2006 eine Reformagenda, in der Fragen des Prozedere politischer Entscheidungsfindung genauso wie das Verhältnis von Staat und Öffentlichkeit erörtert wurden und das ‚Weiter-so!‘ des herrschenden Regimes auf entschiedenen Widerspruch stieß. Umgekehrt war in den Aktionen der Vereinigten Front kein solcher Widerspruch erkennbar, da nicht geklärt werden konnte, was an die Stelle der laufenden Herrschaftspraxis treten sollte. Im Einzelnen fördert der Vergleich folgende Erkenntnis zu Tage: Im Streit um den Parlamentsvorsitz testete das Parlament erstmals seine Macht in Form koordinierter Stimmabgabe. Im Hintergrund wurde manipuliert, gedroht und schließlich betrogen, aber das Parlament wurde nichtsdestotrotz zu jener Arena, in der man per Stimmabgabe über
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das Schicksal politischer Macht entschied. Am Ende dieser Episode war die öffentliche Erkenntnis vom politischen Widerspruch selbst leicht widersprüchlich: zum einen schien alles nur eine Personalfrage gewesen zu sein, zum anderen konnte diese Personalie – und das ist sehr unüblich für zentralasiatische Verhältnisse – nicht mithilfe eines präsidialen Dekrets geklärt werden. 2 Die Bewegung Für Reformen baute diesen Widerspruch in eine Reformagenda aus, die auf bislang ungekannte Veränderungen in der Struktur des politischen Systems abzielte. Das Parlament sollte das Recht auf die Einsetzung der Regierung bekommen, und das Mehrheitswahlrecht, welches zuvor dem Präsidenten die selektive Förderung von Günstlingen erlaubt hatte, sollte durch ein Verhältniswahlrecht und den Aufbau von Parteien ersetzt werden. Schließlich arbeitete Für Reformen auch an der Trennung von Exekutive und Judikative, indem Richtern mehr Unabhängigkeit im Prozess der Ernennung und Absetzung zugestanden werden sollte. Im Verhältnis zwischen Staat und Öffentlichkeit war die permanente Forderung nach einer öffentlich-rechtlichen Sendestation bedeutsam, mit der die Einflussnahme exekutiver Spitzen auf die Massenmedien reduziert werden sollte. Mit diesen Forderungen und den sie begleitenden Formen des Protests entstand ein Reformdiskurs, der jede Forderung mit Aktion untermauerte und insbesondere auch in Aktionen zum Ausdruck brachte. Um sich diese Beziehung besser vorzustellen, hilft vielleicht die Erinnerung an die Debatte im Bischkeker Stadtrat zu Beginn der Frühjahrsdemonstrationen 3. In dieser Debatte wurde der Kern zukünftiger Forderungen verhandelt, nämlich das Recht, mithilfe von Protest einem Widerspruch zur Geltung zu verhelfen, welcher die Praxis, Protest und seinen Widerspruch zu unterbinden, anprangerte. Das Besondere an dieser „Varianzeinfuhr“ in der Auseinandersetzung zwischen Für Reformen und dem Regime von Bakijew war die permanente Aktualität der Frage nach der politisch angemessene Form, Widerspruch zu äußern.
2
Man vergleiche auch hier die späteren Verhältnisse unter dem Regime von Kurmanbek Bakijew. So zum Beispiel den Skandal um den Parlamentssprecher Adachan Madumarow, der im Mai 2008 wegen des Versuchs der Zweckentfremdung konfiszierten Edelholzes aus den Walnusswäldern in der Gegend um Arslanbob von seinem Amt zurücktritt. Madumarows Rücktrittsgesuch wird mit nur einer Gegenstimme angenommen und er bekommt später einen neuen Posten, was auch von einigen Experten so erwartet worden war (Neweurasia.net, 1.6.2008). Das Parlament ist zu diesem Zeitpunkt längst zum Instrument der Präsidialverwaltung geworden, ohne eigenes Gewicht in der politischen Entscheidungsfindung.
3
Vgl. zu dieser Episode Kapitel 3.3.
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Es ist diese Besonderheit, die in den Aktionen der Vereinigten Front vollständig fehlt. Bis zum Schluss, am 19. April, bleibt unklar, was genau die Front an den Herrschaftsverhältnissen jenseits eines Austauschs des Führungspersonals verändern will. Dieser Umstand wird von Raja Kadyrowa von der NGO Foundation for Tolerance International in ihrem Beitrag zur Diskussion über die ‚Lehren des Aprils‘ heftig kritisiert. An die Stelle einer sich im Austausch mit der öffentlichen Meinung weiter ausdifferenzierenden Reformagenda treten Pressekonferenzen, auf denen Vertreter der Vereinigten Front ihre Entschlossenheit, einen Protest organisieren zu wollen, zum Ausdruck bringen. Und eben keine Begründung dafür liefern, warum eine Unterstützung für diese Sache lohnt. Die Aktionen der Vereinigten Front verlieren sich in Ankündigungen und in der Organisation von Widerspruch, ohne dass mithilfe von Protest Forderungen auf ihre Geltung hin abgetastet werden können. Der politische Konflikt reduziert sich am Ende auf ein simples Machtspiel und die Varianzeinfuhr in das System auf die Frage nach einer neuen Repräsentanz bei bestehenden Strukturen. Theoretisch formuliert verliert der Konflikt im Laufe der Wochen im Frühjahr 2007 seine Relevanz für das politische System. Dieser Punkt der Relevanz berührt auch den letzten Unterschied, nämlich die Differenz in der Tendenz zur Versachlichung des Konflikts. In der Episode über die Aktionen von Für Reformen lässt sich von Aktion zu Aktion und von Diskussion zu Diskussion der Weg nachzeichnen, auf dem die Auseinandersetzung hin zu einer Art der deliberativen Politik fortschreitet. Drohgebärden wie ultimative Forderungen oder Polizeieinsatz werden eingebettet in Absprachen zwischen den Streitparteien und Runde Tische, auf denen man zumindest den Gesprächsfaden wieder aufnimmt. Skandale wie ‚Matrjoschkagate‘ führen nicht in die Gewaltspirale, sondern zur Gründung von Parlamentskommissionen, und die Diskussion um eine neue Verfassung wird nicht an den Rücktritt Bakijews gebunden, sondern sorgt für eine Vervielfältigung von Vorschlägen und eine Ausdifferenzierung der Debatte. Schließlich ist beeindruckend, wie gegen Ende des ‚Legendären Mitings‘ auf beiden Seiten Drohungen nur noch als Druckmittel in laufenden und sehr dynamischen Verhandlungen eingesetzt, jedoch nicht mehr als möglicher Hinweis auf einen Ausstieg aus dem Gespräch verstanden werden. Zu diesem Zeitpunkt ist man auf allen Seiten viel zu weit in der Deliberation fortgeschritten und kann sich einen einfachen Abbruch der Debatte vor dem fokussierten öffentlichen Auge nicht mehr leisten. Es verhält sich genau umgekehrt im Falle der Vereinigten Front. Weder gibt es hier Deliberation noch eine Einbettung von Drohungen. Kulow erklärt bereits in seiner ersten Pressekonferenz, dass Drohungen gegen ihn und ihm nahestehende Personen ausgesprochen worden sind und setzt damit den Ton für alle fol-
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genden Debatten. Es geht anschließend nur noch um Einschüchterungen, Drohgebärden, Ultimaten und militärische Kommandos. Das Ausbleiben der Versachlichung des Machtkonflikts, der sich hier entfaltet, lässt sich paradoxerweise am besten mit all dem beschreiben, was in dieser Episode fehlt. Es gibt keine Runden Tische, es gibt keine gemeinsamem Absprachen zwischen dem Zeltstadtkommandanten und dem Innenministerium (so wie es bei Für Reformen noch der Fall gewesen war), Parlamentskommissionen werden durch Taschijews Ankündigungen genauso verhindert wie Petitionen, mit denen die Abgeordneten hätten Druck aufbauen können. Und statt eines Volksfestes, auf dem an Agenden gefeilt wird, ruft Kanschar zur Selbstaufopferung auf. Entscheidend ist vielleicht der mangelnde Austausch zwischen Straße und Parlament in der Front-Aktion. Die Forderungen der Bewegung finden nicht nur in der öffentlichen Meinung immer weniger Gehör, sondern sie übersetzen sich auch nicht in parlamentarische Initiativen, mit denen der Prozess der Versachlichung seine natürliche Gestalt legislativer Praxis hätte bekommen können. Zusammengefasst sind die Differenzen in der Nutzung von Schemata, in der Einfuhr von Varianz in das politische System und in der Tendenz zur Versachlichung Aspekte, die nicht umgehend einem Beobachter der Geschehnisse ins Auge fallen. Sie geben jedoch den augenscheinlichen Unterschieden wie Zeitspanne oder Ergebnis erst ihre tieferliegende Bedeutung für ein besseres Verständnis der politischen Prozesse in diesen Erzählungen. Mit ihnen lässt sich in den Aktionen der beiden Bewegungen Für Reformen und Vereinigte Front eindeutig ein Qualitätsunterschied feststellen. Die erste Bewegung entpuppt sich am Ende als moderne Opposition, die im sachlichen Streit eine Reformagenda entwickelt, welche am Tag ihrer Durchsetzung auf dem Weg von Verhandlungen den bis dato größten Demokratisierungserfolg in ganz Zentralasien schafft. Die zweite Bewegung zerstört in einem eskalierenden Machtkonflikt alle verbleibenden Möglichkeiten für die Gesellschaft, in neuer Form an Widerspruch und Aktionen des Widerstands anschließen zu können. Damit endet das politische Experiment moderner Politik in Kyrgyzstan vorerst. Im Folgenden möchte ich Rückschlüsse auf meine These von der Anwesenheit zweier politischer Ordnungslogiken ziehen (Kapitel 6.2) und meine Theorie von der Kooptation als einer innovativen politischen Praxis entwickeln (Kapitel 6.3).
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6.2 Ü BER
DIE W IRKUNG UNTERSCHIEDLICHER POLITISCHER O RDNUNGSLOGIKEN
Am Ende meiner theoretischen Erörterungen zum Begriff der Politik der Peripherie habe ich im Anschluss an die Problematisierung des Verhältnisses zwischen ‚örtlichen Gegebenheiten‘ und den ‚Anpassungszwängen der Moderne‘ Thesen über das Zusammenspiel konträrer politischer Ordnungslogiken aufgestellt. 4 Meine Annahme ist, dass auf die gleichzeitige Anwesenheit unterschiedlicher politischer Ordnungslogiken eine Irritation in der öffentlichen Meinung folgt (in der diese gleichzeitige Anwesenheit beobachtet wird). Diese Irritation, so meine Vermutung, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass keine eindeutige Erzählung über politische Geschehnisse angefertigt werden kann. Die Frage, nach welcher politischen Logik Ereignisse eintreten, kann letztlich immer nur unbefriedigt beantwortet werden, da immer auch konkurrierende Deutungen mitgeteilt werden. In diesem Fall besteht die Möglichkeit, dass mehr Ordnungslogiken integriert werden, wenn mehr in die eine oder andere Deutung investiert wird; gleichzeitig besteht die Möglichkeit, dass Desorientierung eintritt, wenn solch eine Integration misslingt und die Existenz verschiedener Interpretation offensichtlich wird. 5 Schließlich kann eine ‚Enthaltsamkeit im Meinen‘ zur Regel werden, wenn die eigene Meinung in der Öffentlichkeit dem Risiko ausgesetzt ist, vor dem Hintergrund der andauernden Erfahrung von Desorientierung nicht mehr als authentisch (man kann auch sagen: nicht mehr als ernst) wahrgenommen wird. Warum versucht jemand, eine Meinung zu vertreten, wenn alle (öffentlichen Beobachter) bereits die Erfahrung gemacht haben, dass ein solcher Versuch nur weiter zur Desorientierung beiträgt? Im folgenden Abschnitt möchte ich mit Rückgriff auf meine Fallstudien den weiteren Verlauf des Zusammenspiels unterschiedlicher politischer Ordnungslogiken rekonstruieren. Inwiefern neigen diese im Rahmen der Auseinandersetzungen zwischen den Oppositionsbewegungen und der Regierung zu Integration oder verschärfter Konkurrenz? Welche Richtung, allgemein gefragt, schlägt die
4
Vgl. Kapitel 2.3.
5
Ich möchte vorbeugend dem Einwand begegnen, Interpretationen lägen immer in verschiedenen Versionen vor. Dass politische Ereignisse unterschiedlich bewertet werden, soll hier nicht bezweifelt werden. Vielmehr geht es um den Rahmen, in den verschiedene Interpretationen eingebettet werden können. Politische Ordnungslogiken bestimmen die Grenzen, innerhalb derer politisches „Wissen“ (Foucault) angehäuft werden kann. Wenn unklar ist, wie Grenzen gezogen werden sollen, dann steht auch die Anhäufung von politischem Wissen zur Disposition.
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politische Entwicklung in Kyrgyzstan nach der Tulpenrevolution ein? Einen ersten Eindruck vermitteln meiner Ansicht nach spezifische Überraschungen, die sich in der öffentliche Meinung einstellen. Mit Überraschung ziele ich dabei auf die einschneidende Erfahrung ab, dass kommunikative Anschlussmöglichkeiten plötzlich eingeschränkt werden können. 6 Im Frühjahr 2006 lag dieses überraschende Moment in der Erfahrung einer plötzlichen Relevanz der öffentlichen Meinung. Tekebajews Beleidigungen waren mit einem Mal genauso öffentliches Theater wie Bakijews persönlichen Empfindlichkeiten. Alle Teilnehmer und Beobachter waren allerdings schnell überfordert von der Dynamik des Spektakels, welches wie eine ‚soap opera‘ mit ihren schnelllebigen Emotionen die öffentliche Meinung fesselte und permanent zur Eskalation drängte. Der zweite Anlauf der Opposition, unter Führung der Volkskoalition und später von Für Reformen, überraschte die öffentliche Meinung mit der Erkenntnis, nicht nur mit vorsichtigeren Politikern zu tun zu haben, sondern mit einer neuen Tendenz hin zur Antizipation. Die zuvor noch als existente aber eben unkontrollierbare unsichtbare Hand der öffentlichen Meinung wurde nun von Seiten der politischen Akteure beobachtet und im Hinblick auf mögliche künftige Reaktionen getestet. Im Ergebnis entwickelte sich die öffentliche Meinung zu einem Hegemon in der Kommentierung und Kontrolle politischer Aktionen. An dem öffentlichen Auge, anders formuliert, führte für politische Ansprüche schließlich kein Weg mehr vorbei. Im Frühjahr 2007 überboten die Aktionen der Vereinigten Front diese Überraschung noch, indem sie – ganz öffentlich – die öffentliche Meinung für irrelevant erklärten. Es folgte jetzt die Degradierung zum reinen Zuschauer, dem auch noch die Möglichkeit geraubt wurde zu entscheiden, ob die Aktionen gut oder schlecht waren und ob sie Zustimmung oder eher Ablehnung verdienten. Das Spektakel gab sich als solches zu erkennen und raubte damit der politischen Aktion ihre Authentizität. Wofür aber, und das war das besondere Moment der „Einschränkung von Anschlussmöglichkeiten“ in dieser Überraschung, brauchte es dann noch eine öffentliche Meinung? Die Erkenntnis aus der ersten und zweiten Überraschung ist die hier zu Tage tretende Tendenz, verschiedene Narrative über die Ereignisse zu kombinieren und so letztlich zu einer Integration der politischen Ordnungslogiken beizutragen. Generell hat es Versuche, die regionale Balance im modernen Politikbetrieb in Kyrgyzstan zu wahren, immer wieder gegeben. In der Regel waren diese Versuche offene Kooptationen, wie im Falle der Berufung Kurmanbek Bakijews auf den Premiersposten durch Präsident Askar Akajew im Jahr 2000. Der Premier
6
Hier greife ich zurück auf ein Konzept von ‚Überraschung‘ von Dirk Baecker (vgl. Baecker 2005: 8).
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aus dem ‚Süden‘ sollte den Eindruck erwecken, der ‚nördliche‘ Präsident bemühe sich um die regionale Balance in der Besetzung von Entscheidungsposten im Staat. In der Auseinandersetzung zwischen der Volkskoalition und Für Reformen mit dem Regime von Präsident Bakijew verläuft die Integration jedoch weniger in Form der direkten Inkorporation politischer Gegner, sondern als Integration von Narrativen in Form einer Hierarchisierung ihrer Beziehung. Die moderne Deutung des politischen Konflikts wird dominant und stellt einen beschränkten Raum für die Anwendung ‚traditioneller‘ Deutungen zur Verfügung. MSN beispielsweise versucht, die neue Opposition mit ‚nördlichen Klanen‘ gleichzusetzen, während Temir Sarijew in seinen Erinnerungen über die Vor- und Nachteile einer Ernennung von entweder Atambajew als Vertreter des Nordens oder Tekebajews als Vertreter des Südens zum neuen Anführer von Für Reformen reflektiert. Der kurze Skandal um den Vorschlag des Abgeordneten Salymbekows Ende Februar 2006, doch einen Vertreter des Nordens zum neuen Parlamentssprecher zu ernennen, markiert dann die Grenzen solcher Versuche. Das politische System hat in der gegenwärtigen Form keine Möglichkeiten, regionale oder andere ‚traditionelle‘ Loyalitäten zu offizialisieren. Am nächsten kommt dem noch das ‚Tandem‘ zwischen Bakijew und Kulow, das zumindest den Anspruch vertrat, beide Landeshälften zu verbinden. Ansonsten zeugen die Überlegungen innerhalb von Für Reformen von Versuchen, innovative Lösungen jenseits formaler Institutionen für eine Repräsentation eben anderer als moderner politischer Loyalitäten zu finden. In der Doppelspitze zwischen Tekebajew und Atambajew etabliert man schließlich eine passende Form, die jedoch auch immer der Gefahr ausgesetzt ist, bei Prozessen der Entscheidungsfindung in einem Patt zu münden. Wichtiger ist aber die Botschaft an die Öffentlichkeit, dass man bei aller Referenz an modernes Opponieren nicht die Gültigkeit regionaler Balancen außer Acht lässt. Von formalen Institutionen regionaler Repräsentation, beispielsweise in Form einer Länderkammer, ist man zu diesem Zeitpunkt der politischen Reflexion immer noch weit entfernt; und dennoch überwiegt inzwischen, anders als noch zu Zeiten direkter Inkorporation, der Eindruck, die öffentliche Meinung erzwinge neue Antizipationen der handelnden Akteure. Der Raffinesse jener in der Manipulation der öffentlichen Meinung tritt diese nun als ebenbürtige Partnerin in der Steuerung politischer Konflikte entgegen. Und das überrascht. Am Ende wird Politik von Politikern und Beobachtern als eine Veranstaltung erlebt, die ihre Fortführung in die Zukunft hinein offen lässt. Der Konflikt mündet nicht in einem Machtwechsel, sondern in der Möglichkeit, mit neuen politischen Spielregeln einen Wechsel von Macht durchzuführen. An diesem Punkt, im November 2006, tritt zu der Erfahrung der Tulpenrevolution als eines Austausches von Personen die Erfahrung, politischen Streit zum Dauerzustand im System werden zu
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lassen. Auf diese Erfahrung zielt der Kommentar des Experten Tasabekow ab, der vor dem Hintergrund vieler Zweifel dann doch einen zweifelsfreien Neuanfang von Politik in Kyrgyzstan feststellt. Ganz anders muss die Erkenntnis aus der dritten Überraschung lauten, also aus der Praxis der Auseinandersetzung zwischen der Vereinigten Front und dem Regime, welche die öffentliche Meinung für irrelevant erklärt. Zusammengefasst handelt es sich um die Tendenz, jeglichen Schemata und Deutungen politischer Konflikte ihre Gültigkeit zu nehmen. Diese Tendenz möchte ich hier in einigen Begriffen festhalten, bevor ich sie am Beispiel des Internetkommentars zum Front-Einsatz 7 noch einmal veranschauliche. Die Entstehung einer ‚Desorientierung‘, die ich als eine mögliche Reaktion in der öffentlichen Meinung auf die Anwesenheit unterschiedlicher politischer Ordnungslogiken konzipiert habe, lässt sich an den Geschehnissen vom Frühjahr 2007 exemplarisch festmachen. Zum Problem wird in diesem Konflikt, dass kein Schema mehr greifbar ist, mit dem die Ereignisse auf der Bühne einem Drehbuch zugeschrieben werden können. Es bleibt der öffentlichen Meinung unbegreiflich, wie die Front moderne Opposition praktizieren möchte, wenn keine politische Positionierung mit Rekurs auf das jeweils andere und bessere Argument stattfindet. Und gleichzeitig schießen die Verweise auf regionale oder andere traditionelle Identitäten ins Leere, wenn sie immer nur herangezogen werden, um den Gegner zu diskreditieren. Die Frage, die sich an dieser Stelle aufdrängt, ist, warum die Vereinigte Front nicht die Flucht nach vorne antritt und sich als ‚echte‘ Vertreterin des Nordens anpreist. Warum erfolgt kein ideologischer Ausbau, warum entsteht kein exklusiver Regionalismus, mit entsprechenden Parolen und einer politischen Agenda? 8 Auf den wiederum eine Vertreterin des Südens, zu denken wäre hier zum Beispiel an Turgunalijews Bewegungen, entsprechend reagieren könnte. Meine Vermutung ist, dass die öffentliche Erinnerung an moderne Opposition und ihre anschließende Diskreditierung jegliche Chancen für ein ‚traditionelles‘ Politikverständnis zunichte gemacht hatten. Der ‚Norden‘ hätte nur dann eine Chance gehabt, wenn er sich gleichzeitig als Opposition hätte in Szene setzen können. Diese Möglichkeit war mit der Selbstabkehr der Vereinigten Front vom modernen politischen Streit allerdings vertan. Mit dieser Interpretation greife ich über die These vom ‚traibalizm‘ als Motiv für die Diskreditierung des politi-
7 8
Vgl. Kapitel 5.3. Semantisches Material gibt es genug, die wechselseitige Diskriminierung des „russifizierten“ Norden und des „traditionellen“ Süden hat in der Gesellschaft in Kyrgyzstan viele Vorurteile mit ihren unzähligen Ausschmückungen produziert. Vgl. zu der Unterscheidung auch Ryabkov 2008.
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schen Gegners hinaus. 9 Denn auch im Fall dieser These bleibt die Frage bestehen, warum die wechselseitigen Vorwürfe, der Gegner handele für nur eine Region oder einen Klan, nicht plötzlich in tatsächlicher Mobilisierung münden. Der Grund liegt in der Struktur der öffentlichen Meinung, die auf die Widersprüchlichkeit zweier politischer Ordnungslogiken eingestellt ist. Erst die öffentliche Erfahrung, Politik könne auch anders betrieben werden, schafft die Bedingungen dafür, dass Politiker in die Praxis der Diskreditierung des Gegners mit Hilfe kaum noch vermittelbarer Schemata investieren können. Am Ende, so lehrt die Geschichte der Front, sind alle Schemata ungültig und es bleibt die Frage, inwiefern sie noch als Mittel der Diskreditierung ausgebeutet werden können. An diesem Punkt wird auch die Enthaltsamkeit sichtbar. Auf Grund der Erfahrung, weder eine Vertreterin des Nordens (im Konflikt mit dem Süden) noch eine Vertreterin der Opposition (im Konflikt mit der Regierung) identifizieren zu können, reagiert die öffentliche Meinung mit der bloßen Beobachtung von immer neuen Vorwürfen und Drohungen, auf die sie immer häufiger mit Schrecken oder eben Humor anschließt. Auf Seiten der Politiker tritt ebenfalls eine Form der Enthaltsamkeit auf, wenn immer weniger in politischen Streit investiert wird, sondern verstärkt in die Planung von politischer Aktion. Das Problem ist, dass die Formulierung eigener Meinungen im Medium einer desorientierten Öffentlichkeit zu unsicher ist und diesem Risiko mit effektiver Organisationsarbeit begegnet werden muss. Die Hoffnung ist es, öffentliche Zweifel an der möglicherweise unzulänglichen eigenen Meinung in den Hintergrund treten zu lassen. Bislang bewege ich mich mit meiner Interpretation noch im Rahmen meiner Thesen von der möglichen Entwicklung des Zusammenspiels unterschiedlicher politischer Ordnungslogiken. 10 Die Enthaltsamkeit hatte ich als möglichen Endpunkt einer solchen Entwicklung konzipiert und anschließend gefragt, wie dann öffentliches Meinen überhaupt noch möglich ist. Empirisch lässt sich an meinen Fallstudien die Tendenz feststellen, dass vermehrt in die Unterstellung falscher Motive investiert wird. Unzählige Kommentare schließen an den Schrecken und den Humor mit Überlegungen an, in denen mögliche unbekannte Motive der handelnden Personen oder Gruppen zum Thema gemacht werden. Von Maksim Bakijew als dem Strippenzieher oder von dem betrogenen Kulow und dem kooptierten Front-Koordinator Suwanalijew, über usbekische Truppenaufmärsche und südkyrgyzische Armeeeinheiten bis hin zum Komplott aller Politiker gegen den Rest der Gesellschaft – es finden sich in dieser Episode vielfältige Spekulationen über die wahren Motive hinter unverstandenen Handlungen. Aufbauend
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Vgl. zu dieser These Gullette (2010) und meine Diskussion in Kapitel 2.1 und 3.1.
10 Vgl. wieder Kapitel 2.3.
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auf diese Beobachtung stelle ich die These auf, dass an die ‚Desorientierung‘ und die ‚Enthaltsamkeit‘ der Aufbau einer ‚Verdachtsunterstellung‘ anschließt. Die Unfähigkeit, mit Meinungen und Erzählungen an politische Ereignisse anzuknüpfen, ist eben öffentlich einsehbar; diese Beobachtung kann nun wechselseitig unterstellt und voneinander erwartet werden. Jeder Versuch, gegen diese Erwartung eine politische Meinung zu vertreten setzt sich dem Verdacht aus, Ausdruck eines versteckten Motivs zu sein. Wie soll, anders formuliert, ein Anspruch auf authentische Repräsentation erhoben werden, wenn inzwischen allgemein immer nur das Scheitern eines solchen Versuchs erwartet wird? Erfolgt der Versuch trotzdem, muss er damit rechnen, mit öffentlichem Verdacht belegt zu werden. Mit der These vom Aufbau der ‚Verdachtsunterstellung‘ ist aber meine ursprüngliche Frage nach den Möglichkeiten für das Formulieren von Meinungen im Medium der Öffentlichkeit nicht beantwortet. Im Gegenteil, die Verdachtsunterstellung zementiert die Sackgasse, welche die Enthaltsamkeit aufgebaut hatte. Denn für Teilnehmer am politischen Spiel bedeutet die öffentlich kommunizierte Erwartung, mit Verdacht gestraft zu werden, auch, dass keine Chance besteht, mit Rekurs auf authentische Repräsentation, ganz gleich ob als ‚Süden‘, ‚SaryBagysch‘, oder als ‚Opposition‘, Gefolgschaft zu mobilisieren. Und gleichzeitig – um das Drama zu perfektionieren – lässt öffentliche Meinung als das Forum für politische Positionierung keine Möglichkeiten für eine Mobilisierung jenseits ihrer wechselseitigen ‚Beobachtung von Beobachtern‘ zu. Empirisch kann man diese Sackgasse vielleicht am Schicksal von Für Reformen festmachen. Die Bewegung versucht sich neu aufzustellen und muss schmerzlich erfahren, dass keinerlei Chancen bestehen, in der öffentlichen Meinung Anschluss zu finden. Dabei ist es in diesem Fall wichtig zu unterscheiden, dass im April und Mai 2007 freies Meinen durchaus möglich ist und politische Ansprüche ungehindert formuliert werden können. Politische Repressionen, wie sie das Regime von Bakijew ab dem Frühjahr 2008 auszeichnen, sind in dieser Periode Seltenheit und werden, das zeigen die Beschwerden der NGOs im Anschluss an die Verhaftung der Front-Aktivisten, entschieden bekämpft. Das Problem von Für Reformen und von jeder andere Initiative die versucht, einen Oppositionsanspruch zu formulieren, liegt in der Ausbildung der Verdachtsunterstellung und der daraus resultierenden Sackgasse. Wenn die Bewegung Für Reformen plötzlich erklärt, immer schon anderes als die Front im Sinn gehabt zu haben, trifft sie nun der Vorwurf, „politische Prostitution“ zu betreiben. Bevor ich in einem weiteren Abschnitt der Frage nachgehe, wie nach der ‚Enthaltsamkeit‘ und der ‚Verdachtsunterstellung‘ als den neuen Merkmalen einer ihrer Schemata verlustig gegangenen öffentlichen Meinung überhaupt noch
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öffentliche Politik betrieben werden kann, möchte ich die bisherigen Thesen noch einmal veranschaulichen, indem ich jenen Kommentar heranziehe, den ein äußerst kreativer Internetnutzer in der Hochphase der Front-Aktion ins Netz stellt. Dieser Leser beschreibt das Geschehen szenisch als eine kriegerische Auseinandersetzung. In dieser Beschreibung finden sich nun exemplarisch jene Charakteristika wieder, die ich für eine öffentliche Meinung formuliert habe, in der politische Ordnungslogiken, um die Deutungshoheit konkurrieren. Der Kommentar beginnt mit einer gelungenen Persiflage der Gründung der Vereinigten Front: „Ist er General, bedeutet das Front. Ist es eine Front, braucht man eine Armee. Und wer tritt in die Armee ein? Woher das Kanonenfutter nehmen? Hiermit erkläre ich die Mobilisierung!“ Kulows misslungener Versuch, sich zur Opposition zu erklären, wird kompensiert mit dem vorauseilenden Aufruf zur Mobilisierung. Die Frage, wie allerdings mobilisiert werden soll, ruft neue Konfusion hervor. Sich einschreiben oder aber „in die Front“ gehen? Der Kämpfer für die gute Sache in diesem Stück ist sich unsicher und hebt so meiner Meinung nach humorvoll auf den Umstand ab, dass eben kein formales Oppositionsbündnis geschlossen wurde, sondern Anhänger ihre persönliche Loyalität bezeugen mussten. Weiter erreicht der Autor in seiner Erzählung den Punkt, an dem sich die ‚Desorientierung‘ einstellt, wenn er, resignierend, nach den gültigen politischen Identitäten für die Auswahl seiner Streitpartei fragt: „Wo sind die Linken, wo die Rechten? Wahrscheinlich verstehe ich es falsch. Südler, Nördler, Gott, was macht das schon für einen Unterschied?“. Besonders schön ist an dieser Stelle, dass der Autor historisch korrekt erst das moderne Schema (‚Linke‘ versus ‚Rechte‘) für ungültig erklärt, sich dann kurz dem Gedanken eines Missverständnisses hingibt, bevor er auch das traditionelle Schema (‚Südler‘ versus ‚Nördler‘) zu den Akten legt. Vor „Gott“ und allen anderen ‚Beobachtern zweiter Ordnung‘ machen diese Unterscheidungen am Ende einfach keinen Unterschied mehr. Anschließend wird in diesem Kommentar auf die ‚Enthaltsamkeit‘ verwiesen. Der orientierungslose Kämpfer will die Frage einer klaren Position erst einmal zurück stellen, um sich ganz dem Aufruf zur Schlacht hinzugeben: „Erst mal an die Front, dann sehen wir weiter. Der Krieg definiert die Strategie.“ Der Bezug auf die Aktionen der Front, die in dem Wortspiel „an die Front“ herrlich zum Ausdruck gebracht wird, fasst das ganze Bemühen der Bewegung zusammen, in guter Planung eine bislang fehlende politische Position für die Zukunft sichern zu können. Irgendwie wird es der Krieg schon richten. Tatsächlich ähnelten die Entscheidungen der Front zunehmend einer Strategie des blinden Aktionismus. Aufrufen zur Mobilisierung folgten weitere Drohungen und Skandalisierungen, ohne dass darüber hinaus an langfristigen Agenden gearbeitet wurde. Der Kommentar hebt auf diesen Umstand ab und nimmt
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schließlich sogar das kommende Zahlenspiel vorweg, wenn der Kämpfer nach jeder „Runde“ Tote und Verwundete zählen möchte. Eine gelungene Allegorie auf das sinnlose Rechnen von Demonstrantenzahlen, welches am Ende nicht beurteilt werden kann, da es keine Richter gibt: „Und dann noch eine Runde. Keine Verwundeten, keine Lebenden, wir beerdigen die Toten. Der Spielstand? 0-0. So viele Leichen. Und 0-0? Und wo ist die Gerechtigkeit? Verdammte Richter!!!! Wo ist der Richter? Und wer sind die Richter?“ Der Richter, so lässt sich diese Stelle interpretieren, hat sich zu diesem Zeitpunkt bereits zurückgezogen. Die öffentliche Meinung, der einzig wahre Richter des Kampfes, kann keine gültige Aussage mehr machen. Das allerdings führt den Kämpfer in die Richtung eines Verdachts: „Und für wen wurde gespielt? Und gegen wen? Bei wem könnte man fragen?“ Tatsächlich wird ein Verdacht an dieser Stelle nur angedeutet, nicht ganz klar formuliert. Entscheidend ist dann aber der Hinweis auf diese leere Stelle, auf den unbesetzten Stuhl des Richters. Der Kämpfer listet abschließend all jene Identitäten auf, denen er eine solche Position nicht mehr zugestehen kann: „Kyrgyzstan, Hallo? Jemand am Leben? Hallo, könnte irgendein Kyrgyzstani vielleicht mal antworten? Nördler, Südler, Östler, Westler, Sajak, Bugu, wen gibt es bei Euch noch, hab die Namen der Klane vergessen, ... bitte, möge doch einer antworten.“ Es fehlt also nicht nur ein Richter, es ist auch unklar, wer diese Funktion überhaupt noch ausführen könnte. Der Hinweis auf die „Kyrgyzstani“ spielt noch mal auf eine moderne, beziehungsweise eher inklusive Identität ab. Anschließend werden exklusive traditionelle Schemata abgehandelt und für ungültig erklärt. Irgendwann dreht sich diese Suche erfolglos im Kreis und es fallen dem Kämpfer nicht einmal mehr die Namen der Klane ein. Der Held ist in einer Sackgasse angekommen. Und die, so scheint es, bietet keinen Ausweg mehr: „Tja, so sieht’s aus. Keine Front, keine Etappe. Kein Boden, kein Dach“. Erst jetzt wird es für den Kämpfer offenbar: Der Krieg war gar kein Krieg, und die Front hat es gar nicht gegeben. Und die Sackgasse bietet sich als Raum ohne Halt, ohne jegliche Orientierung, wo selbst ‚oben‘ und ‚unten‘ keine Markierung mehr bieten. Die Frage, die sich an diesen Zustand des Kämpfers stellen lässt lautet: Was tun? Was passiert in Kyrgyzstan, nachdem die Auseinandersetzungen zwischen zwei Bewegungen und der Regierung unter der Führung des Revolutionspräsidenten Kurmanbek Bakijew in eine Situation münden, in der die öffentliche Meinung im Land unfähig ist, politische Angeboten anzunehmen?
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ALS EINE BESONDERE POLITISCHER K OMMUNIKATION
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Vorerst muss unentschieden bleiben, wie Politik aus dieser Sackgasse heraus weiter betrieben werden kann. Unmöglich scheint ein plötzlicher moderner Neubeginn genauso wie die umgehende Einrichtung einer Diktatur. Tatsächlich löst sich in den Folgemonaten Für Reformen unbemerkt von der öffentlichen Meinung auf, gleichzeitig bleibt aber auch eine neue Welle von Repressalien gegen die ehemaligen Streiter der Oppositionsbewegungen aus. Der Zeitpunkt für die Einrichtung eines neuen autoritären Regimes ist noch nicht gekommen. Und Raja Kadyrowa, die Leiterin der NGO Foundation for Tolerance International, zerstört alle oppositionellen Hoffnungen über eine Auferstehung aus der Asche mit ihrer gründlichen Dekonstruktion der Front-Aktionen. Sie stellt am Ende fest, dass sich neue mögliche politische Identitäten erst selbst erschaffen müssen. Was in der Vergangenheit an Oppositionserfahrung aufgebaut wurde, ist hoffnungslos entwertet worden, wie eine Expertenrunde des Think Tanks ‚Institute for Public Policy‘ feststellt: „the opposition has failed so far to achieve its declared goals while strongly damaging the opposition movement in general. These demonstrations have exhausted the energy for protest in the public, and strongly discredited such forms of political protest as public demonstrations and hunger strike. ‚It is a tragedy when the hunger strike of 70 people triggers no reaction among the authorities or among ordinary people. This happened because this form of protest was used without a clear and legitimate idea‘, round table participants said.“ (IPP, 12.4.2007)
Das bedeutet für die öffentliche Meinung wiederum, auf das zu hoffen, was sich nicht erwarten lässt. Zumindest im Frühjahr 2007 haben die wenigsten öffentlichen Beobachter eine Idee von einer neuen Politik. Bogatyrews Prognose, es würden neue Parteistrukturen entstehen, stellt hier vielleicht die Ausnahme von der Regel dar. Das, was in den Folgemonaten an die Stelle einer erneuerten Opposition oder einer Diktatur tritt, ist eine Entwicklung hin zu einer politischen Praxis, die ich als „Kooptation“ bezeichnen möchte. Im Folgenden werde ich diese Praxis beschreiben und dabei einige ausgewählte Fallbeispiele heranziehen, sowie theoretisch an die Thesen von der ‚Desorientierung‘ und von der ‚Verdachtsunterstellung‘ anschließen. Zu Beginn jedoch möchte ich meinen Begriff der Kooptation von herkömmlichen Vorstellungen kurz abgrenzen. Üblicherweise wird unter Kooptation die Entscheidung eines Herrschers zur Integration eines politischen
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Gegners in die eigene Klientel oder in den eigenen Machtapparat verstanden. Es handelt sich im Grunde genommen um jene Praxis, die ich weiter oben an dem Beispiel der Premiersberufung Bakijews festgemacht habe. Diese Form der Kooptation ist weithin bekannt und sie ist insbesondere für den postsowjetischen Raum als häufig benutztes Instrument für die Herrschaftssicherung undemokratischer Regime beschrieben worden. Die von mir im Folgenden vorgestellte Praxis schließt weniger an dieses Verständnis einer besonderen Entscheidung an, sondern baut auf die öffentliche Erfahrung von diskreditierten Machtansprüchen auf. Der Unterschied ist dabei, dass diese Praxis unabhängig davon funktioniert, ob ein Herrscher letztlich eine Entscheidung für eine Integration trifft oder nicht. Ich verstehe diese Praxis der Kooptation hier als eine besondere Form der politischen Kommunikation, die sich selbst genügt. Damit meine ich, dass diese Praxis die Fähigkeit besitzt, an ihre eigenen Ergebnisse, also spezifische Kommunikationen, anzuschließen und somit eine Stabilisierung politischer Verhältnisse einzuleiten. Systemtheoretisch lässt sich diese besondere Bedingung auch als Selbsterzeugung, als ‚Autopoiesis‘ bezeichnen, also die Fähigkeit eines Systems, sich mit Rückgriff auf seine eigenen Elemente neu zu erschaffen. Wie genau hat man sich die besondere Form der politischen Kommunikation bei dieser Praxis der Kooptation vorzustellen? Wie sieht die Stabilisierung aus und wie gestaltet sich der Bezug auf die diskreditierten Machtansprüche? Meine These lautet, dass in einem politischen System, in dem sich eine Verdachtsunterstellung in der öffentlichen Meinung ausgebildet hat, Kooptation in Form einer permanenten Bestätigung der in diesem Verdacht zum Ausdruck gebrachten Erwartung erfolgt. Oder anders formuliert: öffentliche Ansprüche an Macht nehmen den Charakter einer offensichtlichen Farce an. Sowohl ‚Opposition‘ als auch ‚Regierung‘, ‚Nord‘ wie ‚Süd‘ – einfach jede politische Position gibt in ihrem öffentlich geäußerten Anspruch zu erkennen, dass sie eine reine Inszenierung ist. Sie versucht nun gar nicht erst zu verbergen, dass an der Authentizität ihres Auftretens etwas nicht stimmen könnte. Ganz im Gegenteil, all jene Faktoren, die ich in den einzelnen Konflikterzählungen als Hindernisse oder Blockaden für öffentliches Beobachten, als misslungene Versuche, öffentlich Anschluss herzustellen, herausgearbeitet habe, werden in dieser Praxis mit einer neuen Funktion ausgestattet. Jetzt dienen sie als die entscheidenden Momente, mit denen sich politische Inszenierungen als solche vor dem öffentlichen Auge sichtbar machen. Sie garantieren jetzt, dass auch noch der letzte öffentliche Beobachter versteht, dass das, was dort auf der Bühne, im Fernsehen, im Radio, in Zeitungsinterviews und im Internet an politischer Identität zu Tage tritt, nicht das ist, was es vorgibt zu sein. Damit erreicht diese Praxis der sich nun selbst diskreditierenden politischen Kommunikation die permanente Bestätigung der öffentlichen
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Verdachtsunterstellung. Mit jeder neuen Inszenierung, die sich selbst entkleidet, findet der Verdacht seine Bestätigung und kann weiter aufrechterhalten werden. Und daran können neue sich selbst diskreditierende Machtansprüche anknüpfen. Politik wird zur reinen Simulation von Ansprüchen an die Macht, und die Diskreditierung von politischen Identitäten mutiert zum Zirkel autonomer Selbsterzeugung. Die Frage, die sich dann im Anschluss an diese These stellt, ist die nach dem passenden Motiv derjenigen, die in diese Form der Politik investieren. Warum stellen sich Politiker ins Rampenlicht der Öffentlichkeit, um deutlich zu machen, dass es ihnen nicht um das geht, was sie als ihre Agenda vortragen? Die Vermutung ist, dass Politiker unter dem bleibenden Eindruck öffentlicher Beobachtung Zuflucht in einer neuen Form des politischen Ausverkaufs suchen. Nicht mehr die Mobilisierung von Gefolgschaft ist das Ziel öffentlicher Botschaften, sondern die öffentliche Deklaration des neuen Anspruchs, in den Herrschaftsapparat integriert zu werden oder auch weiter in ihm aufzusteigen. Ein ganz neues politisches Spiel entsteht, bei dem die öffentliche Beobachtung wieder jene Arena bietet, innerhalb derer konkurrierende Ansprüche an die Macht formuliert werden. Es braucht diese Bedingung von Öffentlichkeit nach wie vor, um überhaupt irgendeine Form von Anspruch lancieren zu können. Allerdings ist in diesem Fall der Kooptation der besondere Unterschied, dass sich die Konkurrenz nun an der Fähigkeit orientiert, effektiver als andere das Moment der Selbstdiskreditierung hervorzuheben und somit die öffentliche Meinung in ihrem Verdacht, es handele sich um ein anderes Spiel, zu bestätigen. 11 Ich möchte mich an dieser Stelle einigen empirischen Beispielen zuwenden, die sich teils aus den Erzählungen herausarbeiten lassen, teils der Periode im Anschluss an das Scheitern der Vereinigten Front entnommen sind. Die Probleme, die bei der Darstellung dieser Praxis der Kooptation auftreten, sind, erstens, die fast immer fehlende Möglichkeit, ‚beweisen‘ zu können, dass diese oder jene öffentliche Botschaft tatsächlich dem hier skizzierten Motiv zugeordnet werden muss; und zweitens die Schwierigkeit, eine öffentliche Reaktion zu beschreiben, die im Grunde genommen im Schweigen besteht. Der bestätigte Verdacht, es handele sich um ein falsches Spiel, wird eben häufig mit resignierendem Schweigen beantwortet. Es bleibt schlicht still, wenn ein Politiker wieder eine
11 Das Kalkül der handelnden Akteure lautet in diesem Fall: Je größer mein Beitrag zu einer nachhaltigen Demobilisierung der öffentlichen Meinung durch das geschickte Anzeigen meiner Kooptationsbereitschaft, desto größer die Chancen, in den Herrschaftsapparat integriert zu werden. Da allerdings jenseits dieses Kalküls keine anderen Strategien zur Herrschaftsteilnahme oder Herrschaftsherausforderung bestehen, bleibt das Kalkül bestehen, selbst wenn die Bereitschaft negativ beschieden wird.
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Aussage gemacht hat, die sich selbst als Ausverkauf anpreist und bei der daher jeder öffentliche Kommentar überflüssig ist. Folgt man dieser Logik, kann man nicht erwarten, dass solche Kooptationen in Form von Anschlüssen durch Beobachter ‚zweiter‘, hier eben ‚öffentlicher Ordnung‘, indiziert werden. Diesem doppelten Problem will ich mit Fällen von ‚Offensichtlichkeit‘ begegnen, die sich schließlich doch noch in einigen ausgewählten Reaktionen öffentlicher Beobachter manifestierten. Die Botschaft der Kooptation ist angekommen und wird mit einer letzten abwertenden und verächtlichen Bewegung verdrängt. Exemplarisches Material für eine Darstellung dieser besonderen Praxis von Kooptation bieten die Aktionen des Politikers Melis Eschimkanow in jenen Wochen, in denen die Vereinigte Front ihre Proteste organisiert. Die Show, die der Abgeordnete in diesen Wochen aufzieht, hinterlassen in der öffentlichen Meinung einen bitteren Nachgeschmack und bereiten den Boden für seine Integration in den Machtapparat in den folgenden Wochen (vgl. z.B. Kommentare im Diesel Forum, Diesel Kommentare, 4.2007d). Dass der Abgeordnete zunehmend das Prinzip einer Bewahrung der Balance in seinen politischen Forderungen verletzt, überrascht sogar die Kollegen. Erinnert sei hier an Atambajews Belustigung, Eschimkanow hätte möglicherweise zu viel spirituellen Input in seinem vergangenen Himalayaurlaub erfahren. Auch das Lachen Atambajews als Antwort auf Eschimkanows Forderung auf der Bühne, er solle vor dem Volk seinen Rücktritt erklären, zeigt an, wie sehr die Inszenierung von Opposition in Eschimkanows Aktionen droht ihren Anspruch auf Authentizität aufzugeben. Der Experte Wiktor Pafenow jedenfalls versteht Atambajews Amüsement als Aufdeckung einer versteckten Dramaturgie. Seiner Meinung nach hat „das ehrliche Lachen Atambajews vor dem Hintergrund der [(man könnte sagen:) Eschimkanow’schen] Losungen ‚Bakijew Ketsin‘[ . . . ] alle von der Übertreibung der Gefahren für die politische Stabilität in der Republik überzeugt.“ (Akipress, 12.4.2007f) Im Internet einigt man sich in Reaktion auf die Auftritte Eschimkanows auf die Ansicht, dass der Politiker zum Schluss nur noch „phantasiert“ hätte (Diesel Kommentare, 4.2007d). Verwundert äußern sich auch Vertreter der Partei Ata-Meken im Anschluss an die Proteste und erklären, die Wahl Eschimkanows zum offiziellen Sprachrohr der Front sei ein Fehler gewesen (Interview #3). Der bereits in dieser Zeit des Protests kursierende Verdacht, Eschimkanow betreibe politischen Ausverkauf (vgl. PR.kg Kommentare, 3.2007), wird mit einem Kommentar des Abgeordneten auf das offizielle Angebot, einen Botschafterposten einzunehmen, bestätigt. Eschimkanow zögert und er trägt dieses Zögern öffentlich zur Schau. Ein Internetnutzer kommentiert diese Aktion:
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„Sie bieten ihm an, sich einzukaufen, und er ‚denkt nach‘. D.h., die Frage der Käuflichkeit wird gar nicht mehr diskutiert, es wird nur noch verhandelt. [ . . . ] Eschimkanow hat nicht entrüstet abgelehnt, nein, er denkt nach. D.h. [er] will sich teurer verkaufen. Nun, da habt ihr das Gesicht dieser Inspiratoren der Protestteilnehmer, Eschimkanow – der Ideologe der V[ereinigten] F[ront] – verkauft sich. Das zeigt doch, das Hauptziel der Frontführer ist es: sich teuer verkaufen!“ (Akipress Kommentare, 5.2007)
Dieser Kommentar bietet sich wunderbar an, die Praxis der Kooptation zu beschreiben, da in ihm der Ausverkauf selbst zum Thema gemacht wird und der Nutzer erklärt, dass sein Verdacht bestätigt worden ist. „Käuflichkeit“ wird „nicht mehr“ diskutiert, sondern „nur noch“ verhandelt. Anderes zu erwarten ist nach dieser Erfahrung unmöglich, allein der Preis des Ausverkaufs kennt keine Grenzen. Diesbezüglich muss immer damit gerechnet werden, dass die Enttäuschung noch größer ausfallen kann und der Verdacht auf den politischen Ausverkauf noch eindrucksvoller bestätigt werden wird. Eschimkanow ist allerdings nicht der einzige Fall, mit dessen Hilfe man die neue Form der politischen Kommunikation veranschaulichen kann. Premier Atambajew sieht sich ebenfalls dem Vorwurf ausgesetzt, erst Bakijew im November zur ‚politischen Leiche‘ erklärt zu haben, nur um einige Monate später dieser ‚Leiche‘ als Regierungschef dienen zu wollen. Deutlicher noch stehen die Aktionen des Front-Chefs Feliks Kulow in der Kritik, die ich hier als zweites Beispiel anbringen möchte. Kulows öffentliche Auftritte lösen Rätselraten und Verachtung aus. Erst erzählt der ‚Eiserne General‘ nach der Vertreibung seiner Anhänger von einer Absprache mit Bakijew über dessen Rückzug vom Präsidentenposten, die offensichtlich nie getroffen worden ist; anschließend räsoniert er öffentlich über einen notwendigen Anschluss Kyrgyzstans an die Russische Föderation, ohne Gründe zu nennen. Kommentare im Internet, die auf diese Aktionen hin gepostet wurden, zeugen von der Anwesenheit der Verdachtsunterstellung und geben zu erkennen, dass sie sich bei vielen Beobachtern bestätigt findet. Eine Teilnehmerin des Forums ‚Diesel‘ beispielsweise mutmaßt, dass der Ex-Premier vielleicht bewusst seinem politischen Ranking Schaden zuführt, während ein anderer Teilnehmer überlegt, ob es nicht doch noch irgendwo ein ganz geheimes politisches Spiel gibt, welches allein Kulow spielt. Ein weiterer Nutzer wundert sich, dass Kulows große Versprechungen über die Aufdeckung korrupter Praktiken seines ehemaligen Tandempartners leere Worte geblieben sind. Ob dieser Heuchelei stell er ihn anschließend auf eine Stufe mit den Parlamentariern Beknasarow, Eschimkanow und Karabekow, denen er gleichfalls politischen Ausverkauf vorwirft (vgl. zu diesen Meinung Diesel Kommentare, 4.2007d). Ich bringe ein weiteres Zitat aus einem Kommentar an, um den kursierenden Verdacht zu veranschaulichen:
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„Wie unschön ist doch jetzt alles gekommen. Veranstalten einen Skandal, der null Resultat hat, und ab in die Büsche. Kulow ist zur Kur nach Karlowy Wary, liegt dort, entschuldigt, mit dem Bauch nach oben, ganz epileptisch. Melis wird jetzt in der Schweiz leben und sich satt fressen und Wohlstand anhäufen. Suwanalijew muss für alle die Zeche bezahlen, weil er einfach ziemlich borniert ist. Ajtikejew – der Junge hat im Untersuchungsgefängnis gesessen, jetzt werden 60 Personen untersucht, die sind nur Bauern in diesem Spiel, die zahlen komplett für das Sumoringen dieser Leute. Und es gibt keinen Zweifel, dass man sie alle für eine kurze Zeit festsetzt. Das ist das Gesicht unserer Oppositionäre. Was aus unseren ehemaligen und gegenwärtigen Oppositonären geworden ist, braucht man wohl kaum erzählen. Ich hätte nie gedacht, dass Madumarow so ein Reaktionär werden würde, und Regionalist. [ . . . ] Über die anderen braucht man erst gar nicht reden. Keine Garantie, dass die, die sich heute ins Zeug legen, die Macht Bakijews verfluchen, sich ganz anders verhalten, sollten sie morgen an die Macht kommen. Alle sind sie Schurken bis aufs Mark, Schurkenpack. Kein Vertrauen zu niemandem, und ihr, Leute, seid bloß nicht naiv.“ (PR.kg Kommentare, 6.2007)
Das besondere Moment in diesem Kommentar findet sich bereits im ersten Satz, in dem Hinweis auf den Skandal, der „null Resultat“ hat. Offensichtlich ging es also um etwas anderes, wenn im Anschluss die Teilnehmer an dem Skandal das Leben genießen, während andere die „Zeche bezahlen“. Kulow und seinen Kollegen von der Opposition wird hier vorgeworfen, sich um andere als echte Oppositionsbelange bemüht zu haben. Schön ist an diesem Kommentar auch, dass er anzeigt, wohin die Erfahrung einer solchen neuen Praxis der Kooptation führt, wenn am Ende die Warnung ausgesprochen wird, unter keinen Umständen weiteren Ansprüchen dieser „Schurken bis aufs Mark“ zu vertrauen, oder, systemtheoretisch gesprochen, an sie anzuschließen. Die Aufforderung, „bloß nicht naiv“ zu sein ist dann der abschätzige Rat, sich resignierend zurückzuziehen und jeglichem „[V]erfluchen“ mit Misstrauen zu begegnen. Ganz unabhängig davon wer flucht und wann in der Zukunft geflucht wird. Mit dem Schluss dieses Kommentars ist auch schließlich die letzte Hoffnung auf politische Opposition dahin. Denn selbst wenn es in der Politik Vertreter echter Oppositionsanliegen gibt, haben sie nun keine Chance mehr, Anschluss zu finden. Resignation ist der öffentlichen Meinung längst als Notrezept verschrieben worden. Mein drittes und letztes Beispiel, um die Praxis der Kooptation zu veranschaulichen, ist die Geschichte der Gründung der ‚Partei der Macht‘ Ak-Schol im Herbst 2007. Der Hintergrund dieser Geschichte ist die Klage der Abgeordneten Eschimkanow und Karabekow gegen die Dezember-Verfassung beim Verfassungsgericht im Sommer 2007. Was die beiden Politiker als kritischen Schritt markieren, mündet in der allseits erwarteten Entscheidung der vorsitzenden
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Richterin Tscholpon Bajekowa, sowohl die Dezember- als auch die NovemberVerfassung für ungültig zu erklären. 12 Präsident Bakijew bekommt damit die Möglichkeit, ein Referendum für eine neue Verfassung auszurufen, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen. Für die Wahlen wird die neue Partei Ak-Schol aus der Taufe gehoben. Und in dieser, es verwundert kaum noch, bekommen die Richterin Bajekowa und der Abgeordnete Karabekow vordere Listenplätze für die anstehenden Wahlen. Im Internet kommentiert ein Nutzer: „Alle erinnern sich noch gut an die Natur des verräterischen Charakters Karabekows, und wie er diese politischen Spiele mit der Abschaffung der Verfassung begann. Bakijew dankte dafür allen Beteiligten, Karabekow und Bajekowa sind Abgeordnete, und Eschimkanow sitzt bei GTRK. Karabekow ist der Judas der kyrgyzischen Politik, verkaufte alle für das Abgeordnetenmandat, jetzt geben ihm nicht mal mehr Freunde und Bekannte die Hand.“ (PR.kg Kommentare, 1.2008)
Mit dem Aufbau von Ak-Schol brechen in Kyrgyzstan alle Dämme für die neue Praxis der Kooptation (vgl. 24.kg, 24.10.2007). In geradezu alltagsgeschäftlicher Manier wird jeder Anspruch an die Kunst der selbst diskreditierenden Inszenierung fallen gelassen und sich auf die knappen Listenplätze gestürzt. Beitritte wie die der Mitglieder der von Schanysch Bakijew, dem Bruder des Präsidenten, angeführten Republikanischen Partei für Arbeit und Einheit sind vielleicht noch für den ein oder anderen Beobachter erwartbar und können nachvollzogen werden (Akipress, 17.10.2007). Mit Häme wird aber bereits die Flucht der Parteiratsmitglieder der aus Russland finanzierten Partei Sodruschestwo (‚Freundschaft‘) kommentiert. Akipress titelt „ Anführer verlassen eigene Partei ‚Sodruschestwo‘“ und erzählt, wie die Führungsspitze während einer Sitzung des Parteirats die Parteimitglieder mit ihrer Entscheidung überrascht (Akipress, 16.10.2007). Sodruschestwo ist mit einem Mal kopflos. Neuer Vorsitzender wird der Abgeordnete Raschid Tagajew. Der neue Parteichef lässt seine Partei dem Präsidenten offiziell für das Referendum danken, legt anschließend sein Mandat nieder und findet sich kurze Zeit später in der Parteiliste von Ak-Schol wieder (Akipress, 21.10.2007, 22.10.2007). 13 Sodruschestwo, über deren Organisationsstruktur und politische Schlagkraft sich der Vertreter einer amerikanischen Parteienstiftung im Frühjahr 2007 noch lobend äußerte, versickert unspektakulär im Sande der
12 Bajekowa hatte zuvor noch beiden Dokumenten ihre Legitimität bezeugt. 13 Tagajew wird auch zukünftig für seine permanenten Positionswechsel öffentlich kritisiert. Seine Aktionen bieten immer wieder Anlass, um über die totale Korruption im Land zu reflektieren (vgl. z.B. KGNews, 2.12.2009).
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Parteiengeschichte Kyrgyzstans (Interview #8). Schließlich, als die Anzahl der verfügbaren Listenplätze für Ak-Schol knapp wird, findet die Kunst der Kooptation als eine besondere politische Kommunikation wieder ihre Anhänger. Ich ziehe hier das Beispiel des zum Zeitpunkt der Parlamentsauflösung als Vizesprecher amtierenden Kubanytschbek Isabekow heran, der bis Mitte Oktober im Rennen um die begehrten Plätze leer ausgegangen ist. Der Abgeordnete gibt schließlich ein Interview: „Anlässlich der Gründung der propräsidentiellen Partei ‚Ak-Schol‘ erklärte K. Isabekow, dass er zur Zeit keiner Partei angehöre. ‚Viele sagen, dass wird wieder eine Taschenpartei, wie ‚Alga-Kyrgyzstan!‘ 14, aber ich glaube das nicht. In die Partei sind Leute aus der Administration des Präsidenten eingetreten, aber ausgeschlossen ist nicht, dass dort auch Meinungsverschiedenheiten auftauchen‘, - sagte der Vizepremier. Wie Isabekow erklärte, erhielt er Angebote von Oppositions- und machttreuen Parteien. ‚Innerhalb von zwei Jahren wurde ich zum Politiker, meine Wähler wollen nicht, dass ich mich aus der Politik zurückziehe. Noch weiß ich aber nicht, wohin ich gehen soll‘, – erklärte er. Isabekow fügte hinzu, dass er in keine Oppositionspartei eintreten werde. ‚Zu den meisten Oppositionären hatte ich keine gute Beziehung. Ich war Zentrist, habe die Macht genauso kritisiert wie die Opposition, und war nicht in kriminelle oder finanzielle Affären verwickelt‘, – sagte er. Nach den Worten des Vizesprechers wird dieser morgen in seinen Wahlkreis fahren und sich dort mit den Wählern beratschlagen und anschließend eine Entscheidung treffen bezüglich des weiteren Vorgehens und den einzuschlagenden Weg. ‚Wenn die Wähler sagen: ‚Tritt in die Partei ‚Ak-Schol‘ ein‘, dann kann es sein, dass ich eintrete, aber die Partei ‚Ak-Schol‘ hat bereits einen Vorsitzenden und einen Politrat gewählt, und sie hat schon festgelegt, wer Deputierter werden wird‘, – sagte Isabekow.“ (Akipress, 16.10.2007a)
Einige Tage später tritt ein, was Isabekow in diesem Interview zwischen den Zeilen ankündigt. Er wird Mitglied der Partei Ak-Schol (Akipress, 23.10.2007). Seine Vorbehalte eines Beitritts zur Partei auf Grund mangelnder Spitzenpositionen bei gleichzeitiger Bereitschaft, den Wählerwillen eins zu eins umsetzen zu wollen, zeigt den öffentlichen Handel an, der hier betrieben wird. Der Vizesprecher nennt seine Bedingungen und bietet im Gegenzug treue Gefolgschaft, welche er in seinem Interview in Form einer Kooptation als eine kommunikative Praxis unter Beweis stellt. Sein Ruf, es wundert niemanden in der öffentlichen Meinung, wird erhört. Isabekow bekommt nicht nur Listenplatz sechs, sondern nach den Wahlen auch seinen alten Job als Vizesprecher zurück (Akipress,
14 Alga-Kyrgyzstan war der kurzlebige Versuch des Regimes Akajew, eine ‚Partei der Macht‘ im Land zu etablieren. Die Partei löste sich nach der Tulpenrevolution auf.
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10.11.2007, 24.12.2007). Kooptation als eine neue Form, Politik zu betreiben, ist zu diesem Zeitpunkt bereits fest als Praxis in der öffentlichen Meinung etabliert. Die Geschichte von Ak-Schol steht symptomatisch für die neue Dominanz dieser Politik, in der weder authentische Opposition noch autoritäre Repression von bedeutender Relevanz sind. In Kyrgyzstan jedenfalls haben die letzten Reste von Opposition in Gestalt von Ata-Meken keine Chancen auf einen Einzug in das Parlament. Und die Repressalien, die für die Kontrolle der Wahlen im Dezember 2007 von Seiten des Regimes eingesetzt werden, stehen in keinem Verhältnis zu den brutalen Maßnahmen, mit denen das Regime in den Jahren 2008 bis 2010 versucht, seine Macht zu sichern. In der Zeit vom Sommer bis zum Winter 2007 ist sich die neue Praxis der Kooptation selbst genug und sie bestätigt in einem Fort die öffentliche Meinung darin, in der Politik keinerlei Hinweise auf politische Identitäten entdecken zu können. Zwei Jahre nach der Tulpenrevolution ist jede politische Position Makulatur geworden.
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DER ‚ NEGATIVEN
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Am Ende meiner Erzählung über die Auseinandersetzung zwischen der Vereinigten Front und dem Regime um Präsident Bakijew behaupte ich, dass die moderne Reflexion im politischen System ausgesetzt ist, da Entscheidungen weder sachlich, noch zeitlich oder sozial antizipiert werden können. Im vergangenen Abschnitt habe ich die Fortführung politischer Kommunikation in diesem einmaligen Systemzustand mit meiner These über die neue Praxis der Kooptation zu erklären versucht. Die Simulation von Machtansprüchen genügt, um die öffentliche Meinung weiterhin im Dunkeln zu lassen über mögliche politische Positionen, die sachlich, zeitlich oder sozial markiert werden können. Damit wird auch eine Stabilisierung des Systemzustands eingeleitet. Dieser Umstand verdient nun besondere Aufmerksamkeit, da er jene Bedingungen beschreibt, unter denen der moderne Rahmen von Politik bei gleichzeitiger Suspendierung ihrer Funktion aufrechterhalten werden kann. Dem Eindruck der ‚Differenzierung der Welt in Funktionssysteme‘ als Markenzeichen der Moderne bleibt diese Konstellation kommunikativer Praktiken treu, während sie gleichzeitig Aufschluss über die Form der Adaption der Weltperipherie an die Globalisierung, also über jene doppelte Kondition aus ‚örtlichen Gegebenheiten‘ und ‚Anpassungszwängen der Moderne‘, gibt. Inhaltliche Anforderungen an moderne Politik werden in Simulationspraktiken übersetzt, die es erlauben, die Form einer Beobachtung der zweiten Ordnung als entscheidendes Charakteristikum der Moderne zu bewahren. Eine einzigartige gesellschaftliche Leistung, wenn man sie vom Standpunkt
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systemtheoretischer Anforderungen an die autonome Selbsterzeugung von Funktionssystemen betrachtet. In Bezug auf die Theorie zu hybriden politischen Regimen ist Kooptation als neue politische Praxis schließlich auch mein Vorschlag für die bislang unbesetzte Stelle einer positiven Beschreibung der Funktionslogik. Im folgenden Abschnitt analysiere ich abschließend die gesellschaftlichen Konsequenzen dieser von mir so bezeichneten ‚negativen Politik‘ der Peripherie. Was bedeutet die Unfähigkeit, politische Entscheidungen antizipieren zu können in Bezug auf die von mir im Theoriekapitel herauskristallisierte Aufgabe der doppelten Kontingenzbearbeitung? Politik, davon wird hier ausgegangen, muss für ihr Bestehen Kontingenz in Entscheidungen gleichzeitig reduzieren und steigern, um Anschlussfähigkeit möglich zu machen, ohne diese Möglichkeit dabei redundant werden zu lassen. Nur so, folgt man Luhmanns Funktionsbestimmung, kann die Kapazität, kollektiv bindend zu entscheiden, bewahrt werden. Das moderne System der Politik besitzt damit die besondere Fähigkeit, in jeder Entscheidung die Möglichkeit mitzuproduzieren, im Falle veränderter Umstände in der Zukunft auch anders entscheiden zu können. Um zu verdeutlichen, wie diese Fähigkeit während des Zustands der ‚negativen Politik‘ außer Kraft gesetzt wird, möchte ich vorab noch einmal die Dynamiken skizzieren, denen die modernen Bedingungen für das Formulieren gültiger öffentlicher Meinungen beim Auftreten der Kooptation ausgesetzt sind. Im Zentrum meiner Aufmerksamkeit steht dabei der zunehmende Verlust der Differenz zwischen ‚Sachlichkeit und Motiv‘, welche maßgeblich hilft, Entscheidungen in moderner Politik zu beobachten und an sie anzuschließen. Die beiden anderen Differenzen, welche ich im Theoriekapitel besprochen habe, waren die Unterscheidung zwischen ‚Anspruchswirklichkeit und Übertreibung‘ und jene zwischen ‚Inszenierung und Authentizität‘. Politiker neigen zur Übertreibung, um sich vom Gegner abgrenzen zu können und erlauben sich dieses Vorgehen in dem Wissen, dass eine mögliche Entscheidung in einem gemäßigten Klima stattfinden wird. Politiker sind sich auch der Inszenierung ihres Auftritts bewusst, da sie immer auch für unbeteiligte und abwesende Zuschauer sprechen müssen, und versuchen daher, diesen Umstand nicht allzu deutlich hervortreten zu lassen, um den Eindruck von Authentizität aufrechtzuerhalten. Im Falle der Entstehung von Kooptation als neue politische Praxis lösen sich diese spannungsgeladenen Differenzen auf und tragen somit bei zum Verlust der notwendigen Unterscheidung zwischen Motiv und Sachlichkeit. In Kyrgyzstan lässt sich für die Auseinandersetzung zwischen der Vereinigten Front und Präsident Bakijew beobachten, wie der Imperativ öffentlicher Aufmerksamkeitsgenerierung den immer prekären Rückgriff auf das Mittel der
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vorläufigen Diskontierung eigener Ansprüche von jeglicher Maßhaltung befreit. Eigene Ansprüche werden überhöht, um so wenigstens der Forderung nach Aktualität zu genügen und öffentliche Beobachtung zu stimulieren. Es wird immer mehr gefordert und schließlich, als Mittel zum Zweck der Selbstdiskreditierung, die Forderung ins Absurde getrieben. Eschimkanows Ankündigung, 100-tausend Anhänger auf den Platz in der Hauptstadt zu führen gehört in diese Kategorie von Absurditäten genauso wie die Prognose des Machtwechsels am 19. April oder die Verklärung von Tod zu Mord und Folter. Kulows Aufruf zum Anschluss an die Russische Föderation Ende April 2007 ist Moment des Zusammenbruchs dieser prekären Balance wie auch seine Warnung, Frauen und junge Menschen hätten sich ihm zugewandt in der Absicht, sich zum Zeichen des Protests selbst verbrennen zu wollen. Nach der wochenlangen Erfahrung von ergebnislosen Hungerstreiks und endlosen Ankündigungen von ähnlichen Aktionen ist diese Warnung mit ihrem besonderen Bezug auf ‚Frauen‘ und ‚junge Menschen‘ nur noch ein unglaubwürdiger Versuch, mit Hilfe von mehr Dramatik mehr Aufmerksamkeit zu erzeugen. Der Versuch misslingt, da mit der Übertreibung zeitgleich auch jeder Anspruch aufgegeben wird, wirkliche Belange zu vertreten. Unter diesem Eindruck kollabiert auch die Differenz zwischen Inszenierung und Authentizität. Kulows Auftritte im Anschluss an das Scheitern der Front, seine Behauptungen über gelungene Absprachen mit Bakijew, beanspruchen einen öffentlichen Raum, der ihnen längst nicht mehr zugestanden wird. Schweigen wäre von allen Beobachtern mit mehr Verständnis aufgenommen worden. Das Sprechen hingegen, das Auftreten und Proklamieren, kann inzwischen nicht mehr als authentisch wahrgenommen werden. Hier wird inszeniert, allerdings mit dem kuriosen Effekt, den Blick auf die Inszenierung gleichzeitig frei zu legen und somit jeglichen Anspruchs zu berauben, wahrhaft zu repräsentieren. Als öffentlicher Beobachter in Kyrgyzstan steht man nun dem Dilemma gegenüber, politischen Inszenierungen ihre Authentizität nicht mehr zugestehen zu können, zugleich aber von sich selbst offenbarenden Inszenierungen von Opposition, und auch von Regierung, umgeben zu sein. Anders formuliert: Authentizität erreicht politisches Meinen in diesem Augenblick nicht mehr durch die Bewahrung einer prekären Balance zwischen einer Inszenierung und der Unsichtbarkeit ihres Bühnenbilds, sondern als authentische Inszenierung, die den Blick auf die Bühne freigibt. Ohne dabei allerdings Einzelheiten über das Drehbuch zu verraten, um einmal bei der Metapher zu bleiben. Ob und wie die etwaigen Inhalte der Position zu der Anzeige der Verkaufsbereitschaft stehen, bleibt für die öffentliche Meinung unergründlich. Der letzte Punkt ist schließlich ausschlaggebend für den Zusammenbruch der Unterscheidung zwischen Motiv und Sachlichkeit. Das Bemühen um eine sach-
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liche Verankerung eigener politischer Ansprüche ist wertlos, wenn sich damit keine Gefolgschaft von ihrer Rechtmäßigkeit überzeugen lässt. Fällt allerdings die Bedingung der Sachlichkeitsanforderung, so muss auch das Motiv aufgegeben werden, auf das hin die sachliche Fundierung immer überprüft wird. Wenn eine Forderung sachlich nicht mehr zu halten ist muss auch vermutet werden, dass das ursprüngliche Motiv, beispielsweise eines oppositionellen Machtanspruchs, nur simuliert wird. Damit rückt das Problem in den Vordergrund, welches die Kooptation als eine neue politische Praxis für das moderne System der Politik darstellt. Es handelt sich jetzt um die Unmöglichkeit, anhand verfügbarer und im Spiegel des öffentlichen Diskurses überprüfbarer sachlicher Argumente auf das im Hintergrund zu vermutende Motiv spekulieren zu können. Mit diesem Verlust sachlicher Verankerung, beispielsweise der Begründung für die plötzliche Notwendigkeit eines Beitritts Kyrgyzstans zur Russischen Föderation, wird die öffentliche Meinung eingeladen, frei über das Motiv zu spekulieren. Dabei lösen sich jedoch auch die Grenzen für diese Spekulation auf, da mit dem Verlust des sachlichen Bezugs auch die Richtung des Motivs verloren geht. Musste vorher die öffentliche Meinung darüber sinnieren, inwieweit eine sachliche Aussage einem möglichen Motiv eines konkurrierenden Machtanspruchs zur Geltung verhalf, fehlt diese Orientierung jetzt. Was kann dann das Motiv von Melis Eschimkanow sein, wenn es eben nicht von jener Art ist, die zur Bedingung macht, dass das Motiv durch sachliche Einbettung überprüfbar wird und somit für die öffentliche Meinung berechenbar? Kooptation als eine neue Praxis in der ‚negativen Politik‘ zeichnet sich mithin dadurch aus, dass sie trotz des in ihr angezeigten offensichtlichen Ausverkaufs einzelner Politiker keinen Aufschluss über die konkrete Motivlage gibt. Man weiß, warum der Politiker das macht, was er macht, oder man hat zumindest eine Vermutung. An diese kann man aber nicht anschließen. Sie bietet bei dem Versuch, eine öffentliche Meinung zu formulieren, keine Orientierung mehr. 15
15 Diese Feststellung ist insofern relevant, als dass sie einen wichtigen Unterschied zur Praxis informeller Kooptationen markiert. Letztere können immer auch die Form stabiler Klientelbeziehungen einnehmen. Als Herrscher integriere ich einen Stammesführer, einen lokalen Patron, einen ‚strong man‘, oder einen Parteigegner, und gleichzeitig sichere ich mir auch so die Loyalität seiner Anhänger, über deren Bindung ich mich über informelle Informationskanäle habe aufklären lassen. Ganz anders im Falle der Kooptation als eine neue Form politischer Kommunikation. Hier ist die Möglichkeit, Informationen einzuholen begrenzt, da sie auf die Inszenierungen trifft, die sich selbst diskreditieren und damit auch die in ihnen enthaltenen Informationen. Etwaige
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Die ganze Tragik dieses Verlusts des Motivs erhellt das weiter oben angebrachte Zitat aus einer Diskussionsrunde des Think Tanks Institute for Public Policy. Die hier beklagte politische Pflichtvergessenheit der Autoritäten im Angesicht von 70 Hungerstreikenden ist durchaus bedauernswert. Schlimmer noch ist das Desinteresse der „ordinary men“, die sich durch diese Aktion nicht mehr berühren lassen. Der Verlust des Motivs wird hier zum Verlust von Dramatik in der Politik, die in der Balance der spannungsgeladenen Beziehung zwischen Sachlichkeit und Motiv aufgehängt ist. Mit der Auflösung dieser Differenz geht auch die Fähigkeit, Dramatik zu erzeugen, verloren und somit ein wichtiger Kristallisationspunkt für öffentliche Aufmerksamkeit, der regelmäßig hilft, politische Auseinandersetzungen zu strukturieren. Damit ist aber auch das Potential reduziert, sich auf zukünftige Krisen in der Gesellschaft mit Hilfe von Politik vorbereiten zu können. Mit der Bemerkung über den Verlust der Dramatik kehre ich zu meiner Besprechung der Notwendigkeit moderner Politik, Kontingenz zu reduzieren und zu steigern, zurück. Dramatik ist an die Balance der Differenz von Motiv und Sachlichkeit gebunden, da nur diese Differenz Möglichkeiten bietet, politische Positionen zu identifizieren. Dort aber, wo die neue Kooptation als eine politische Praxis auftritt, verlieren Repräsentationen von Ansprüchen an Macht ihre Authentizität und ihre Verhaftung in der Wirklichkeit. Jetzt werden politische Positionen, ganz gleich ob es sich um Opposition oder Regierung handelt, repräsentiert um mit Hilfe einer öffentlichen Selbstdiskreditierung Authentizität in der Politik für unmöglich zu erklären. Das Lachen Atambajews wird zum offenen Gelächter, welches fordert, öffentlich nichts mehr erwarten zu dürfen. Im Anschluss bleibt es allein den Mächtigen überlassen zu entscheiden, welche beste Performance mit einer Teilhabe prämiert wird. Die öffentliche Meinung hat zu diesem Zeitpunkt bereits die Fähigkeit verloren, politische Auseinandersetzungen kohärent erzählen zu können. Damit aber ist auch die Kapazität in Gefahr, Alternativen aufzuzeigen (die sich als Positionen in einem Konflikt manifestieren) und Unterschiede zu einem Vorher und Nachher zu erinnern und zu antizipieren. Stellt die öffentliche Meinung ihre Erzählfunktion ein, so die These ab-
Integrationen von solchen ‚kooptativen‘ Ansprüchen in den eigenen Herrschaftsapparat müssen daher auch als weitaus instabiler eingestuft werden. Letztlich ist diese Un terscheidung eine rein konzeptionelle. Sie verdeutlicht aber, wie sehr im Falle dieser neuen Form von Kooptation Herrscher mit einem Dilemma konfrontiert sind, wenn sie versuchen, mit Hilfe der Übernahme gegnerischer Positionen stabile Klientelnetzwerke aufzubauen, vgl. hierzu auch Kapitel 7.2.
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schließend, raubt sie der Politik die Möglichkeit, im Anschluss an ihre eigenen Operationen ihre Funktion zu erfüllen. Die Konsequenz aus diesem Ende öffentlicher Erzählungen über politische Ereignisse fasst die Charakterisierung der Verhältnisse unter dem späten Regime Akajew durch die Bewegung Für Reformen im Mai 2006 anschaulich zusammen. 16 Nach Meinung der Bewegung ging es in der Tulpenrevolution von 2005 vor allem „[g]egen doppelte Standards und die Verlogenheit der Macht. Gegen Verantwortungslosigkeit und Zynismus, der die Gesellschaft zersetzt.“ Bereits mit dieser Aussage lässt sich erahnen, wie sehr die Gesellschaft in Kyrgyzstan auch unter Akajew mit politischen Praktiken konfrontiert war, welche meiner Beschreibung der Kooptation sehr nahe kommen. Ein die „Gesellschaft zersetzender Zynismus“, also eine Politik, welche ein offensichtliches, für die Gesellschaft beobachtbares, doppeltes Spiel treibt. Für Reformen beschreibt schließlich den Zustand des politischen Systems in dieser Zeit an dem Punkt, an dem sie die Zielrichtung der Revolution festhält: „Gegen die Dunkelheit, welche die Gegenwart und die Zukunft des Landes bedeckte.“ Mit dieser Aussage wird bildlich beschrieben, was in einem politischen System passiert, dass die doppelte Kontingenzbearbeitung nicht mehr leistet. In dem Moment, in dem Kooptation als eine neue Form politischer Kommunikation auftritt und politische Auseinandersetzungen nur noch simuliert werden, bricht die für moderne Politik entscheidungsanleitende Unterscheidung zwischen Regierung und Opposition, also der von Luhmann so bezeichneten „Supercode“ des Funktionssystems der Politik, zusammen. Operativ bewältigt Kooptation diese Aufgabe, indem sie einer Repräsentation einer politischen Position den Anspruch auf Authentizität nimmt, wenn sie die Inszenierung als solche im Vollzug markiert. Opposition hört auf, für eine politische Alternative zu stehen und bedeutet damit für die öffentliche Meinung die neue Erfahrung, die Gegenwart immer nur eindimensional bearbeiten zu können. Das politische System produziert keine Alternativen mehr und engt seinen möglichen Entscheidungsspielraum stark ein. Auf der anderen Seite erfährt die öffentliche Meinung in diesem Zusammenbruch des Supercodes die generelle Unfähigkeit, sich an eine Umwelt durch Entscheidungen anpassen zu können. Dass überhaupt revidiert werden kann muss bezweifelt werden, wenn öffentliche Meinung an sich selbst erfährt, als Strukturgeber für politische Entscheidungen nicht mehr notwendig zu sein. In der öffentlichen Resignation liegt die Erkenntnis verborgen, dass politisches System und Umwelt nicht mehr miteinander kommunizieren können. Die eindimensionalen Entscheidungen werden jetzt noch problematischer, da man als
16 Vgl. Zitat in Kap. 3.3.
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ihr Beobachter nur noch wählen kann, ob man ob ihrer mangelnden Effekte verzweifelt oder ob ihrer Irreversibilität. In diesen Entscheidungen bleibt der Effekt der Kontingenzreduktion aus, da für das öffentliche Auge nicht mehr einsichtig ist, inwieweit sie sich einbetten in vorherige und spätere Entscheidungen und in mitlaufende Alternativen. Es besteht Unklarheit darüber, welche Kontingenzspielräume überhaupt zur Disposition stehen. Gleichzeitig bleibt die Kontingenzsteigerung aus, wenn Alternativen nicht mehr formuliert werden können und frühere und zukünftige Entscheidungen nicht mehr in Erzählungen erinnert oder erwartbar gemacht werden können. Problematisch ist dieser Umstand vor allem vor dem Hintergrund einer funktionierenden ‚Öffentlichkeit‘, die fortlaufend Ereignisse produziert und mit Ereignissen verknüpfte gesellschaftliche Fragen aufwirft. Darunter sind dann immer auch Fragen, von denen man erwarten kann, dass sie von der Politik aufgegriffen und behandelt werden sollten. Die mit Kooptation arbeitende ‚negative Politik‘ perpetuiert allerdings ihre Praxis der Simulation und führt die Gesellschaft schließlich in jene Sackgasse, in der „Gegenwart und Zukunft“ in eine Dunkelheit abtauchen und als permanente Bedrohung erscheinen. Es wird die Erfahrung gemacht, dass man weder auf die Herausforderungen der Gegenwart noch auf die noch unbekannten Herausforderungen der Zukunft angemessen reagieren kann. Gleichzeitig bleiben die neuen Herrscher dieser uneinsichtigen Entscheidungsspielräume unerkannt und die Bedingungen ihrer Entscheidungsfindung bleiben verborgen (das fehlende Motiv!). Theoretisch gesprochen, vermag das System der Politik unter diesen Bedingungen seine moderne Form zu reproduzieren, allerdings verliert es seine Funktion, die Kapazität für die Fähigkeit, kollektiv bindend Entscheidungen zu treffen, zu bewahren. Zusammenfassung Mit meiner letzten Feststellung möchte ich abschließend noch mal rekapitulieren, mit welchen Fragen ich in die Untersuchung politischer Prozesse in Kyrgyzstan nach der Tulpenrevolution eingestiegen war. Mein Interesse war es, besser zu verstehen, wie Politik möglich ist, wenn moderne Verhältnisse politischen Auseinandersetzungen ihren Stempel aufdrücken, gleichzeitig aber das ‚periphere Moment‘ die Anwesenheit unterschiedlicher Ordnungslogiken wahrscheinlich macht. Für Kyrgyzstan und Zentralasien im Allgemeinen existiert inzwischen ausreichend Literatur über dieses periphere Moment, das abwechselnd als ‚Klane‘, als ‚Regionalismen‘, als ‚informelle Institutionen‘, ‚Klientelismus‘ oder auch als bestimmte Diskurse beschrieben worden ist. Ich habe in meinem analytischen Konzept für spezifische Unterscheidungen optiert, mit denen die öffent-
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liche Meinung in Form von Erzählschemata operiert. Der Grund für diese Entscheidung lag in meiner Verankerung von Vorstellungen über politische Prozesse in systemtheoretischen Grundannahmen über moderne Politik und Gesellschaft. Meine Analyse zweier äußerst unterschiedlicher politischer Konflikte hat nun ergeben, dass die Anwendung unterschiedlicher Schemata im Fall von Kyrgyzstan mit Problemen behaftet ist und empirisch spätestens mit den Aktionen der Vereinigten Front in eine Sackgasse führt. Dabei besteht diese Sackgasse nicht in der exklusiven Dominanz von einer der beiden Ordnungslogiken, sondern in dem schleichenden Verlust von Gültigkeit eines jeden Schemas und somit auch der Relevanz jeder politischen Ordnungslogik. Meine Untersuchung hat weiterhin ergeben, dass sich das darauf aufbauende hybride Regime durchaus selbst reproduzieren kann, indem es eine neue Praxis ausbildet, die ich als Kooptation in Form einer besonderen politischen Kommunikation bezeichnet habe. Diese neue Praxis ermöglicht die permanente Simulation moderner Politik und somit auch die Produktion politischer Positionen, ohne dass damit für die öffentliche Meinung eine Orientierung in politischen Auseinandersetzungen hergestellt wird. In diesem Zustand setzt das politische System die Gesellschaft der Gefahr aus, auf Veränderungen in der Umwelt nicht mehr angemessen reagieren zu können. Weder Kontingenzreduktion noch Kontingenzsteigerung werden in Entscheidungen geleistet, die in einem von der Praxis der Kooptation durchsetzten politischen System getroffen werden. Die erwähnte „Dunkelheit“ in den Erwartungen an die Gegenwart und an die Zukunft breitet sich weiter aus. Zu fragen ist im Anschluss an diese Analyseergebnisse nur noch, wie sich empirisch die Verhältnisse in Kyrgyzstan weiter entwickelt haben und was meine konzeptionelle Arbeit für die weitere Forschung über hybride Regime und die ‚Politik der Peripherie‘ bedeutet.
7. Schlussbemerkungen
Ich unterteile meine abschließenden Überlegungen über die Politik der Peripherie in zwei Abschnitte. Im ersten Abschnitt präsentiere ich Vorschläge, wie die Analyse der Anwesenheit unterschiedlicher Ordnungslogiken und die Entstehung von Kooptation als eine neue politische Praxis für weitere Forschungen konzeptionell fruchtbar gemacht werden kann. Im Zentrum meiner Aufmerksamkeit steht die Wiederentdeckung der ‚öffentlichen Meinung‘, die bislang in den meisten Studien zu hybriden Regimen und zum großen Teil auch in der klassischen Demokratieforschung immer noch ein stiefmütterliches Dasein fristet. Ich möchte hier auf die Bedingungen der Moderne genauso hinweisen wie zu mehr historischer Forschung über die Entstehung von politischen Ordnungslogiken anregen. Im zweiten Abschnitt geht es mir um die weitere politische Entwicklung in Kyrgyzstan seit 2007. Die sogenannte ‚Aprilrevolution‘ vom April 2010 hat Kyrgyzstan ein weiteres ‚window of opportunity‘ beschert, welches in einem einmaligen Experiment zur Einführung des Parlamentarismus in Zentralasien mündete. Im Sommer 2014 hat dieses Experiment bereits einige turbulente Momente erlebt, und dennoch beginnen erste Akteure, sich auf die für Herbst 2015 geplanten Wahlen vorzubereiten. Ich reflektiere anhand der Vorgeschichte zu den Aprilereignissen über die Entwicklungsprobleme und -chancen einer Politik, die sich auf den Operationsmodus der Kooptation eingestellt hat. In diesem Zusammenhang biete ich abschließend auch einige Überlegungen über die mögliche Unterstützung politischer Prozesse in Kyrgyzstan und Zentralasien an.
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7.1 Ö FFENTLICHE M EINUNG ALS NEUER G EGENSTAND FÜR DIE R EGIMEFORSCHUNG In der vergleichenden Regimeforschung wie auch in den Zentralasienstudien ist der ‚öffentlichen Meinung‘ weder als empirischer Gegenstand noch als theoretischem Konzept viel Aufmerksamkeit geschenkt worden. Zum großen Teil hat das mit der geringen Relevanz von öffentlicher Meinung in den Fragestellungen der politischen Soziologie und der vergleichenden Politikwissenschaft zu tun, eben jenen beiden Disziplinen, aus denen sich die meisten Forschungen über Politik in Zentralasien speisen. Diese reduzierte Rolle macht für viele Ansätze Sinn, gerade wenn sie sich auf die politischen Verhältnisse beziehen, auf die man in etablierten Demokratien stößt. Die meisten Einführungswerke in die politische Soziologie oder die Politikwissenschaften führen „öffentliche Meinung“ als ein Baustein, der wahlweise der Frage nach der „politischen Partizipation“ zugeordnet (van Deth 2009; Roßteutscher 2009; Dobratz et. al. 2011), als Teil des Problems der „Repräsentation“ aufgefasst (Kißler 2007: 107 ff.; Nash 2010) oder als Frage nach der „Rolle der Massenmedien“ thematisiert wird (Schreyer 2005; Kißler 2007: 197 ff.). Andere Studien nähern sich dem Problem der „öffentlichen Meinung“ mit der Frage nach den „politischen Einstellungen“ (Rattinger 2009: 179 ff.) oder nach der „politischen Kultur“ (Faulks 1999; Rattinger 2009: 247 ff.; Dobratz 2011). Diese Fragestellungen verlieren schnell ihren Wert, wenn sie unbearbeitet auf jene politischen Verhältnisse angewendet werden, auf die man in Zentralasien trifft. Die Indikatoren von Human Rights Watch oder Freedomhouse geben schnell zu verstehen, dass Fragen nach Partizipation und Repräsentation in Usbekistan nicht viel Material produzieren werden, während man über die politische Kultur in Zentralasien oder zu politischen Einstellungen häufig noch keine verlässlichen Daten besitzt. Nur an wenigen Stellen bricht die Frage nach der öffentlichen Meinung in der vergleichenden Regimeforschung auf, beispielsweise dort, wo auf den Popularitätsverlust eines Amtsinhabers geschaut wird, oder wo Eliten in ihrer wechselseitigen Beobachtung und in der Beobachtung der Volksmeinung Opportunitätskosten eines Seitenwechsels kalkulieren. In den Zentralasienstudien fehlen solche Konzepte völlig. Hier taucht öffentliche Meinung eher am Horizont einer Frage nach einer möglichen Projektionsfläche für die kruden Selbstdarstellungen ewiger Präsidenten oder in der Forschung über mögliche aber schwer zu taxierende radikale Einstellungen in der Bevölkerung auf. Diese Ansätze bedienen sich meiner Meinung nach immer noch einer Unterscheidung, mit deren Hilfe viele politische Phänomene in Zentralasien der Tradition (im Gegensatz zur Moderne) zugeschlagen werden. Regime in Kyrgyzstan oder Usbekistan greifen auf
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Verwandtschaft und andere Formen informeller Netzwerke zurück und ihnen wird zugestanden, nach einer anderen, eben nicht-modernen Logik ihre Wirkung zu entfalten. Selbst wenn anschließend nur wenig Konkretes über diese Logik berichtet werden kann, genügt es oft, den Nachweis geliefert zu haben, mit Vorstellungen von ‚moderner Politik‘, mit Konzepten wie ‚Gewaltenteilung‘, ‚Staatlichkeit‘, ‚Regierungssystem‘ kaum brauchbare Thesen aufstellen zu können. Ich möchte im Folgenden noch mal eine Lanze für die moderne Bedingung der ‚Politik der Peripherie‘ brechen und am Beispiel der Annahme unterschiedlicher Ordnungslogiken und der Praxis der Kooptation aufzeigen, wie neue Vergleichsperspektiven in der Regimeforschung und in der politikwissenschaftlichen Zentralasienforschung mit Hilfe des Konzepts von der öffentlichen Meinung entwickelt werden können. Politik in Kyrgyzstan und in Zentralasien lässt sich weitaus genauer, weitaus ‚anschlussfähiger‘ beschreiben, wenn man die funktionale Differenzierung der Gesellschaft nicht nur als künstliche Beschaffenheit einstuft, sondern als eine Bedingung ernst nimmt, die allen sozialen Prozessen ihren Stempel aufdrückt. Dass im Anschluss daran nicht automatisch auch jeder Prozess gleich ablaufen muss, hat meine Analyse politischer Konflikte gezeigt. Es geht jetzt darum, Luhmanns Verweis auf die Wahrscheinlichkeit einer Konditionierung von Konditionierungen in der modernen Weltgesellschaft konzeptionell auszubauen. 1 Die Suche und Analyse von politischen Ordnungslogiken baut auf Annahmen über die funktional differenzierte Gesellschaft auf. Erst die Vorstellung von einer Welt, in der Möglichkeiten bestehen, Unterschiede oder gar Widersprüche zwischen Ordnungslogiken zu prozessieren, erlaubt die weiterführende Untersuchung von Ergebnissen und Transformationen dieser Beziehung. Es muss ein Medium bestehen, dass die Prozessierung ermöglicht und dieses Medium ist die öffentliche Meinung. Mit dieser Bestimmung lege ich mich auch fest auf weitergehende Annahmen über die Funktion einer strukturellen Kopplung und somit über die operative Geschlossenheit der Systeme Politik und Öffentlichkeit. Erst diese Ausdifferenzierung in Funktionssysteme macht das Problem akut, wie nun zwischen den Systemen kommuniziert werden kann, wo doch über die Operationen des jeweils anderen Systems nur nach Maßgabe der eigenen Perspektive Spekulationen angefertigt werden. Die von mir beschriebene ‚Praxis der Kooptation‘ ruht ebenfalls auf Annahmen über eine Präsenz der Moderne in der Peripherie der Welt. Die in der Kooptation geleistete Simulation politischen Konflikts bedarf vorab zweier gesellschaftlicher Erfahrungen, um funktionieren zu können. Erstens muss die Erwar-
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Vgl. Luhmann 1997, S. 811.
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tung, enttäuscht werden zu können, auf eine Erwartung folgen, in der auf bessere andere Zukünfte gehofft wurde. Gesellschaft muss einmal als (moderner) Entwicklungsprozess erfahren worden sein, bei der eine offene Zukunft mit einem flexiblen Kontingenzmanagement bearbeitet wurde. Erst dann kann sich Kooptation an ihre Aufgabe machen, Enttäuschungen zu produzieren. Zweitens braucht diese Kooptation die Erfahrung modernen Konflikts in der Gesellschaft. Der Widerstreit zwischen Regierung und Opposition und das in dieser Unterscheidung angelegte Verfahren für ein erfolgreiches Kontingenzmanagement sind Voraussetzung für erfolgreiche Simulationen. Wenn Kooptation als eine besondere Praxis der politischen Kommunikation mit Vorstellungen von Regierung oder Opposition spielt, muss sie in ihrem Vollzug garantieren, dass ein Verweis auf die Erfahrung gültiger Repräsentation mitläuft. Ansonsten handelt es sich um Sinnangebote, an die nicht einmal mit Enttäuschung angeschlossen werden kann. Nur durch den Verweis darauf, dass auch andere Repräsentationen von Regierung und Opposition möglich sind, kann die Simulation ihrem destruktiven Geschäft nachgehen. Kooptation als diese neue Form der Kommunikation bedarf selbstverständlich auch der öffentlichen Meinung, über die die Enttäuschungen erst vermittelbar gemacht werden. Der Kontext der Moderne, der von mir in der Theorie so bezeichnete globale kommunikative Verweisungszusammenhang, schafft die Beobachtung zweiter Ordnung als Orientierungsinstanz global aufgestellter Funktionssysteme. Die Bedingung, sich anhand der Beobachtungen anderer zu orientieren, bedeutet jetzt die Möglichkeit für Kooptation, per Simulation moderner Politik auf ein für alle Beobachter einsichtiges Moment der Diskreditierung zu wetten. Dabei richtet sich diese Wette gegen beide, die öffentliche Kritik wie auch die öffentliche Repräsentation von Herrschaft. Kooptation, anders formuliert, vertraut geradezu darauf, dass sich in ihren Simulationsangeboten die wechselseitige Beobachtung der enttäuschten Beobachter widerspiegelt. In ihrem Kalkül geht diese Praxis davon aus, dass ihre Botschaft im Spiegel der öffentlichen Meinung einen jeden Beobachter, oben wie unten, davon überzeugt, dass hier mit Wissen um den Zustand der öffentlichen Erwartung kommuniziert wird. Nur in diesem Fall kann man auf den Beitrag zur öffentlichen Resignation pochen und damit seinen Anspruch auf Integration in den Machtapparat stellen. Die Moderne in Form der öffentlichen Meinung, die als Medium sowohl den Unterschied zwischen politischen Ordnungslogiken prozessiert als auch der Kooptation ihre Simulationspraktiken ermöglicht, ist jene erste Bedingung, auf die ich mit dieser Arbeit zu politischen Systemen in Zentralasien aufmerksam machen möchte. Sie ermöglicht, so werde ich später zeigen, neue Vergleichsperspektiven. Die zweite Bedingung mündet in die Aufforderung, mehr über die Herkunft und die Formen von politischen Ordnungslogiken in Erfahrung zu
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bringen. Für die Forschungen zu Politik in Kyrgyzstan hat die in der Theorie kurz angerissene Debatte über den Effekt der Sowjetunion bislang gegensätzliche Ergebnisse zu Tage gefördert und in ihrer Folge auch problematische Vorstellungen von der Relevanz ‚traditioneller‘ oder ‚informeller‘ Institutionen. Je nach Deutung des sowjetischen Einflusses werden entweder Klane oder eben Regionalismen zum Träger politischer Identität auserkoren, ohne dass dabei noch weitere Fragen über ihre Form der Verknüpfung mit öffentlichen Formen der Beobachtung gestellt werden; und somit auch wenige Fragen nach der Kapazität ihrer Reproduzierbarkeit. Ich möchte im folgenden Abschnitt kurz eine Problematisierung des Rückgriffs auf die sowjetische Geschichte versuchen, um mit Hilfe einiger Thesen anzudeuten, welche Fragen immer noch empirischer historischer Erforschung bedürfen, damit unsere Vorstellungen von politischen Ordnungslogiken fundierter in die vergleichende Regimeforschung eingebaut werden können. Zum einen legt der für meine Arbeit zentrale Begriff der öffentlichen Meinung es nahe, nach den Bedingungen für Öffentlichkeit in der Sowjetunion zu schauen. Und es kann vermutet werden, dass in der Sowjetunion die Funktion der Öffentlichkeit, für den jeweiligen Moment eine Synchronisation zwischen den einzelnen Funktionssystemen herzustellen, suspendiert wurde. Öffentliche Kommunikation kam auch in der Sowjetunion selbstverständlich vor. Eine gewaltige Propagandamaschine warb um Gefolgschaft für den Aufbau des Kommunismus und drohte zwischen den Zeilen immer wieder all jenen, die von Alternativen träumten. Gleichzeitig blieb in dieser öffentlichen Kommunikation jedoch die Möglichkeit zur Reflexion von Funktionssystemen in einem offenen Spiegel stark beschränkt. Die Frage im Anschluss lautet dann, welches Funktionsäquivalent an die Stelle der öffentlichen Meinung trat. Meine These lautet, dass die Sowjetunion das gewaltige Experiment darstellte, Synchronisation mit Hilfe einer Transformation der Gesamtgesellschaft in eine Organisation zu leisten. Der Zwang zur Differenzierung in Funktionssysteme wurde durch die hierarchische Koordinierung in einer Organisation ersetzt, und ‚Gosplan‘ stand dann als Chiffre für den Anspruch, alle notwendigen Prozesse für den Auf- und Ausbau einer reibungslos funktionierenden sozialistischen Wirtschaft zu kontrollieren. Das Resultat war, wie wir heute wissen, ein enormer bürokratischer Aufwand, dessen Fallstricke man durch Reformen innerhalb der Organisation zu beheben versuchte. Im Hinblick auf die Funktion der Öffentlichkeit bleibt anschließend zu klären, wie der Verlust an Orientierung auf Beobachter wirkte, wenn sie Ereignisse sortieren wollten. In Kyrgyzstan und Zentralasien standen vor der Ankunft der Sowjets nur wenige moderne Institutionen für diese Aufgabe bereit, und höchst-
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wahrscheinlich leisteten vormoderne Strukturen die Sortierung politischer Ereignisse. In der Sowjetunion war, so vermute ich, das Erfordernis zu sortieren geringer; außerdem stand in Organisationsentscheidungen ein alternativer Mechanismus zur Verfügung. Organisation als nun „primäres gesellschaftliches Ordnungssystem“ entlastete jene vormodernen Strukturen, die vormals allein mit Hilfe von Interaktion gesellschaftliche Angelegenheiten zu regeln versuchten. Ich stelle mir das so vor, dass unter dem sowjetischen Versuch, die Gesellschaft als Ganzes in Organisation zu inkludieren, die Notwendigkeit, beispielsweise segmentäre Strukturen wie erweiterte Familienverbände oder territoriale Landsmannschaften zu reproduzieren, an Gewicht verlor. Im Schatten maßgeblicher Organisationsentscheidungen wurde es jetzt solchen Strukturen unmöglich gemacht, sich unverändert fortzusetzen. Die primäre Stellung von Organisation bedeutete für vormoderne Strukturen das permanente Risiko, im Falle neuer Entscheidungen auf der Verliererseite zu stehen. Insbesondere Kaderernennungen dürfen hier ausschlaggebend gewesen sein, an denen sich verwandtschaftliche Zugehörigkeiten ablesen ließen. Hier dauerhaft die Hoffnung aufrecht zu erhalten, dass bei jeder neuen Kaderentscheidung wieder nur der eigene Vertreter bevorzugt wird, muss mit einem zu hohem Aufwand verbunden gewesen sein. Ich vermute aber auch, dass die Defizite des Organisationsalltags die Herausforderung mit sich brachte, alternative Möglichkeiten für die Orientierung bereit zu halten. Hier bot sich die Hintertür für (jetzt vormals) vormoderne Strukturen, in einer primär aus Organisationen bestehenden Welt als Aushilfe in Notsituationen zu dienen. Wichtig ist bei dieser These meines Erachtens, dass bislang keinerlei Hinweis auf die exklusive Reproduktion einer bestimmten Form vormoderner Strukturen in ihr ausgemacht werden kann. Weder in Kolchosen oder Sowchosen, noch in der administrativen Aufteilung in Regionen lassen sich Vorgaben für die Ausbildung einer spezifischen Identität finden. Ganz im Gegenteil: stimmt meine Annahme, dann wurde das Prinzip Verwandtschaft oder die Frage nach der Herkunftsregion flexibel gehandhabt, um im schnell wandelnden Organisationsalltag mit seinen immer neuen Entscheidungen möglichst breit aufgestellt zu sein. Welche Verwandtschaft oder gemeinsame Herkunft schließlich aufgebaut, geradezu ‚entdeckt‘ wurde, bestimmte die jeweilige Situation. Entscheidend für die Analyse politischer Konflikte im heutigen Kyrgyzstan ist die Vermutung, dass die Form der Sortierung nach den Merkmalen Verwandtschaft oder territoriale Zugehörigkeit in der Sowjetunion bewahrt wurde. Der Unterschied zu den klassischen Ansätzen in der Zentralasienforschung liegt in der Betonung der veränderten Bedingungen, unter denen Kommunikationsangebote Anschlussfähigkeit herstellen konnten. Für zukünftige Forschung lässt
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sich aus diesen abschließenden Überlegungen vielleicht der Auftrag ableiten, verstärkt Alltagsleben in Organisationen im sowjetischen Kyrgyzstan in den Mittelpunkt des Interesses zu rücken. Was geschah mit dem kyrgyzischen ‚Kischljak‘, als sich kommunistische Partei und ihre Unterorganisationen, Wirtschaftseinheiten wie Kolchosen und Kombinate bildeten und nun entlang von Mitgliedschaften und mit Hilfe von Entscheidungen eine neue Gesellschaft formten? Zum anderen möchte ich in aller Kürze auf die Form des Wirtschaftens im Sozialismus eingehen. In den meisten Studien zu Politik in Zentralasien ist auch hier eine Bedingung für die Ausbildung einer bestimmten politischen Ordnungslogik ausgemacht worden. Ich vermute hingegen, dass wie im Falle der Organisationsthese sozialistisches Wirtschaften eher der Flexibilisierung der vormodernen politischen Identitäten Vorschub leistete. Sie verloren ihre absolute Notwendigkeit, ohne jedoch vollständig aufgelöst zu werden. Wieder war es ‚Gosplan‘ dass den vormodernen Haushalten in der Sowjetunion die Funktion abnahm, wirtschaftliche Ressourcen aufzubauen. Hier folge ich noch ganz der Vermutung, dass im sozialistischen Wohlfahrtsstaat ein jeder ‚von der Wiege zur Bahre‘ staatliche Fürsorge genoss. Organisationen entschieden, wer wann was bekommt und die Mitgliedschaft in Organisationen band den Einzelnen noch stärker an diese Praxis der Zuteilung von Gütern. Als Mitglied im Komsomol bestand die Möglichkeit, an besonderen Projekten, beispielsweise internationalen Jugendtreffen, teilzunehmen; als Mitglied in einer staatlichen Verwaltung bestand die Aussicht, im Urlaub in eines der Sanatorien am Issyk-Kul abkommandiert zu werden; als Arbeiter in einer der großen Kombinate, wie in Karabalta das KGRK, hatte man Zugang zu besonderen Gütern, die an anderen Orten in der Kyrgyzischen SSR nur schwer zu bekommen waren. Allerdings, und damit entferne ich mich von diesen Ansätzen in den Zentralasienstudien, resultierte die sozialistische Wirtschaftsweise in einem permanenten Mangel an bestimmten Gütern, vorrangig Gebrauchsgegenständen. Diesen Mangel versuchten die Konsumenten in der Sowjetunion durch den Aufbau besonderer informeller Zugänge zu kompensieren. 2 Ich gehe davon aus, dass bei diesen Versuchen eine bestimmte Freiheit des Marktes die Tauschprozesse zu koordinieren half, ich vermute aber auch, dass auf Grund des Fehlens von Geld als einem „symbolisch generalisierten Kommunikationsmedium“ (Luhmann) die Kapazitäten des freien Marktes zur Koordination beschränkt waren. In Zentralasien, so meine zweite These, fanden Verwandtschaft und gemeinsame Herkunft in der Schattenwirtschaft durchaus Raum zur Entfaltung vor. Ihre sozialen Bande konnten Transaktionskosten senken, ohne dass damit ein festes Muster vorgegeben war, welches soziale
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Vgl. zu diesem Thema die Arbeiten von Ledenova (Ledenova 1998, 2006).
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Band in welcher Situation herangezogen werden musste. Wie auch im Falle der Inklusion von Gesellschaft in Organisation bedeutete Wirtschaften im sozialistischen Kyrgyzstan, dass feste Vorgaben für die Fortführung einer Orientierung an vormodernen Strukturen abgebaut wurden, ohne dass damit gleichzeitig diese Form der Orientierung per se ausgeschlossen wurde. Zusammen mit meiner Betonung der öffentlichen Meinung als dem modernen Medium im System der Politik möchte ich diese Thesen über historische Entwicklungen abschließend einfließen lassen in kurze Überlegungen für mögliche neue Vergleichsperspektiven in der Regimeforschung und in den Zentralasienstudien. Zwei Perspektiven sind von Bedeutung: erstens jene auf vergleichbare politische Ordnungslogiken; zweitens und im Anschluss an die erste die auf eine mögliche Sequenzierung von Regimeentwicklungen. In der ersten Vergleichsperspektive geht es um andere politische Ordnungslogiken und andere Kombinationen von politischen Ordnungslogiken sowie die Resultate ihres Zusammenwirkens. In der zweiten Vergleichsperspektive geht es hingegen um eine Periodisierung von Regimeprozessen und die Beschreibung ihrer Dynamik. Für die erste Perspektive möchte ich als Alternative die politischen Ordnungslogiken der ‚Kaste‘, der Unterscheidung ‚Zentrum/Peripherie‘ und des ‚Gewaltkonflikts‘ in den Fokus rücken; und im Falle der Kooptation als erfolgreicher Suspendierung der Reflexionsanforderung moderner Politik diskutiere ich Balzers Beschreibung des ‚gelenkten Pluralismus‘ als ein Beispiel. Die Suche nach alternativen politischen Ordnungslogiken richtet sich auf die möglichen unterschiedlichen Differenzierungsformen und ihren potentiellen Einfluss auf moderne Politik. Das Beispiel der Kasten in Indien eröffnet die Frage nach der Rolle von Schichtendifferenzierung auf moderne Politik (vorausgesetzt man stimmt mit der Annahme überein, dass sich das indische Kastensystem tatsächlich als Schichteneinteilung auffassen lässt). 3 Wie werden nun diese Kasten beobachtet und welche Chancen haben über Kasten vermittelte politische Identitäten, unter den Bedingungen öffentlicher Beobachtung bewahrt zu werden? Meine Vermutung ist, dass die Anwesenheit einer Hierarchie zwischen den Kasten ihre Wiedererkennbarkeit erleichtert und damit auch die Integration in moderne Politik sowohl notwendig als auch einfacher macht. Es existieren klare Merkmale, anders als im Falle der ‚Klane‘ oder ‚Regionalismen‘ in Kyrgyzstan. 4
3
Vgl. zum indischen Kastensystem die Untersuchungen in Randeria 2004.
4
Ich vermute hier den Grund für den Erfolg der Unterscheidung zwischen Nord und Süd in den letzten Jahren. Das Klein-Klein der Familienbande oder der Bezug auf traditionale Klane hält dem Druck öffentlicher Beobachtung auf Dauer nicht stand, während Nord/Süd als Unterscheidung mit zwei Seiten weitaus einfacher zu handhaben
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Der Unterschied zwischen ‚Zentrum und Peripherie‘ kann in einer weiteren politischen Ordnungslogik mit ihren eigenen Identitäten resultieren. Wie wird diese Unterscheidung beobachtet und wie übersetzen sich diese Beobachtungen in politische Praxis? Ich vermute, dass diese als ‚Reichslogik‘ aufzufassende Ordnungsvorgabe besonders unter einer Spannung zwischen Ideologisierung des Zentrums und einer angemessenen Balance von Zentralität und Föderalisierung leidet. Der ewige Ruf nach dem Zaren wird in diesem Fall zur Suspendierung einer Politik, die bei einem anderen Ortsbezug Machtkonflikte ‚modern‘ verhandeln würde. Schließlich ist für solche Fälle wie beispielsweise Georgien oder Tadschikistan zu fragen, ob nicht die Erfahrung von Krieg und die damit einhergehende Zerstörung sozialen Vertrauens Politik von Beginn an mit einer ‚Verdachtsunterstellung‘ belastet. Die Ausbildung sogenannter „Gewaltmärkte“ (Elwert 1997) ist dabei sicherlich die extremste Form politischer Ordnung, bei welcher der physische Zugriff auf andere maßgebend ist. Das Erbe von Gewaltmärkten beschreibt Christophe (2005) am Beispiel Georgiens. Entscheidend ist hier die Ausbildung sehr prekärer politischer Identitäten, welche anschließend politische Praktiken hervorbringen, die meiner Beschreibung der Kooptation sehr nahe kommen. Christophe spricht diesbezüglich vom Erbe einer „komplexe[n] Form der Hybridisierung“ von „drei unterschiedlichen Mustern der Institutionalisierung von Regeln“ (2005: 61), eben Tradition, Klientelismus (Neopatrimonialismus) und Sowjetunion, welche die Ausbildung einer modernen Ordnungslogik durch Integration anderer Logiken verhindert. In diesen drei Beispielen von ‚Kastensystem‘, ‚Zentrum/PeripherieUnterscheidung‘ und ‚Krieg‘ ist immer die Frage entscheidend, welchen Einfluss die mit ihnen vorstellbaren politischen Ordnungslogiken auf die Fähigkeit der öffentlichen Meinung haben, Ereignisse zu sortieren. Darüber hinaus wird auch deutlich, dass historische Erfahrungen eine Rolle spielen und Ordnungslogiken als Erbe anders strukturierter Gesellschaften aufzufassen sind. Annahmen über die verschiedenen Möglichkeiten der „Konditionierung von Konditionierungen“ (Luhmann) lassen sich formulieren für alle Formen von Integration bis Ausschluss, und als Folge kann man sich politische Praktiken der Adaption, der Adoption, des Widerstands oder zum Beispiel auch der Kooptation vorstellen. Im Anschluss daran muss man überlegen, was an die Stelle der von mir beschriebenen Praxis der Kooptation treten kann, wenn unser vorrangiges Interesse jene Praktiken sind, die eine Suspendierung der Reflexionsanforderung bewerk-
ist. Vgl. hierzu auch die jüngsten Probleme eindeutiger Zuordnungen von Spitzenpolitikern in Kyrgyzstan zu Klanen in einem Experiment einer lokalen Zeitung (DeloNr, 4.2.2010, 11.2.2010).
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stelligen. Ein ersten vorläufigen Hinweis bietet hier die Arbeit von Balzer zum „gelenkten Pluralismus“ Putin’scher Prägung (Balzer 2003). Balzer verweist auf die enormen Ressourcen des russischen Staates, und widmet sich der Frage, wie mit ihrer Hilfe öffentliche Meinung effektiv geformt werden kann. Er kommt in seiner Analyse zu dem Schluss, dass im Falle Russlands Pluralismus als eine Grundvoraussetzung von Demokratie das Ziel von Manipulationen ist, nicht mehr die demokratischen Regeln selbst. Der Vergleich mit der Praxis der Kooptation hilft nun, in einem weiteren Schritt danach zu fragen, welche Probleme die andauernde Überfrachtung mit neuen Ereignissen durch das System der Öffentlichkeit produziert; oder inwieweit zum Beispiel Kooptation und gelenkter Pluralismus Vor- oder Nachteile in Bezug auf effektive Entscheidungsfindung oder Opportunitätskosten besitzen. Kooptation als Praxis missachtet die Notwendigkeit effektiver Entscheidungsfindung, ist allerdings in ihrem Vollzug aufgrund freiwilligen Einsatzes in Simulationspraktiken kostengünstig für ein Regime. Gelenkter Pluralismus bewahrt sich die Chance auf effektives Regierungshandeln, droht aber bei größeren gesellschaftlichen Problemen an die Grenzen seiner Ressourcen zur Formung von Problemperspektiven zu stoßen. Hier lohnen sich sicherlich Vergleiche, um mögliche Unterschiede genauer herauszustreichen und Formen der Kombination zu analysieren. Meine Untersuchung von politischen Konflikten in Kyrgyzstan hat gezeigt, wie sich Kooptation als Ergebnis eines Prozesses eingestellt hat, bei dem zuvor unterschiedliche politische Ordnungslogiken auf ihre Integrationskapazität getestet wurden und anschließend an ihren Widersprüchen scheiterten. Letztlich ist einer eindeutigen Einteilung nach „Integrationsphase“, „Widerspruchsphase“, „Kooptationsphase“ und „Autoritarismus“ oder „Protest/Revolution“ eine Absage zu erteilen. Die Konflikterzählungen haben gezeigt, wie groß das Ausmaß an Kontingenz in diesen einzelnen Entwicklungsphasen ist und wie immer wieder auch Möglichkeiten bestanden, an bestimmten Zeitpunkten mit anderen zukünftigen Entwicklungen zu rechnen. Dessen ungeachtet glaube ich, dass eine Entwicklungslogik grob auf Basis meiner empirischen Studien zu Kyrgyzstan skizziert werden kann. Ich werde in der zweiten Schlussbemerkung noch einmal auf die Empirie hinter dieser möglichen Logik zurückkommen und möchte an dieser Stelle erst einmal eine vorläufige These formulieren: Politische Systeme neigen, erstens, bei Anwesenheit von widersprüchlich angelegten politischen Ordnungslogiken zur Herausbildung von Kooptation in der hier von mir beschriebenen Form; und sie neigen, zweitens, im Falle der Ausbildung von Kooptation als dominanter politischer Praxis zu einer Entwicklung hin zu stärker autoritären Formen des Regierens, inklusive der Beschneidung des öffentlichen Raums und der häufig willkürlichen Verfolgung von politischen Gegners. Diese These über
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die Entwicklungslogik eines politischen Regimes lässt sich mit anderen Regimelogiken vergleichen. Wann treten Phasen der Ausbildung autoritärer Herrschaft auf, wann kommt es zu Phasen des Protests und Widerspruchs, wie lange dauern Perioden, in denen Simulationspraktiken dominieren, welche Entwicklungstendenzen erben welche Kombinationen politischer Ordnungslogiken? Der Vorschlag, diese Fragen verstärkt an hybride Regime zu richten, soll neben der Einordnung von Typologien von Regimen und von Demokratisierungsprozessen den Raum öffnen für die Analyse möglicher reversibler oder auch zyklischer Prozesse. Wie ich im Folgenden darstellen werde, lässt sich in Kyrgyzstan zumindest für die beiden Regime unter Akajew und Bakijew eine solche Zyklendynamik rekonstruieren.
7.2 Ö FFENTLICHE M EINUNG ALS H ERAUSFORDERUNG AN DIE P OLITIK IN K YRGYZSTAN Ich beende meine Konflikterzählungen an dem Punkt in der politischen Entwicklung Kyrgyzstans, an dem Konflikte aufhören, für die Entscheidungsfindung im System relevant zu sein. Die Frage, die sich im Anschluss stellt, ist die nach den weiteren Ereignissen, nach den Hintergründen der Revolution vom April 2010 und nach der Bedeutung dieser Entwicklung für unsere Versuche, eine Theorie von Regimelogiken zu entwickeln. Ein erster Blick verrät, wie sich die ‚Aprilrevolution‘ deutlich von der ‚Tulpenrevolution‘ und von allen folgenden politischen Protestereignissen unterscheidet. Zum einen schockt die Anzahl der Toten und das Ausmaß der Gewalt, zum zweiten überrascht die Plötzlichkeit des Protestausbruchs, mit dem wenige im In- und Ausland gerechnet hatten. Beide Momente stehen im Kontrast beispielsweise zu Protesten im November 2006 oder im April 2007, als Demonstrationen angemeldet, angekündigt und die Entscheidung zum Protest vorab auf Pressekonferenzen öffentlich bekannt gemacht wurden. Was also geschah im Vorfeld der Aprilrevolution und wie fügen sich diese Entwicklungen in die bisherigen Überlegungen über öffentliche Meinung und politischen Konflikt? Das Regime um Präsident Bakijew vermochte es, mit Hilfe der Wahlen vom Dezember 2007 ein Parlament aufzustellen, welches jedes Mitspracherecht am politischen Entscheidungsfindungsprozess verloren hatte. Das Instrument für diese Form der Herrschaftssicherung war, ganz am Beispiel von Nur-Otan in Kasachstan, die neu gegründete ‚Partei der Macht‘ Ak-Schol, über die ich im Zusammenhang mit der Kooptationspraxis bereits informiert hatte. Tatsächlich sah Bakijews Ankündigung über den Aufbau einer eigenen Partei einen Ansturm ei-
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ner willigen Mehrheit der verbliebenen politischen Spieler auf die hier zur Verfügung gestellten Positionen. Das Problem der Regimespitze war nun eher das Fehlen ausreichender Posten für all jene, die sich ganz in der Manier des dauerhaften Vizeparlamentssprechers Isabekow um einen Platz bewarben. Viele altgediente Kader fielen durch dieses Netz hindurch, wie beispielsweise der altgediente ‚Graue Kardinal‘ Usen Sydykow, der mit seiner eigenen Partei Schany Kyrgyzstan bei den Wahlen kläglich scheiterte. Neulinge wie der Jungunternehmer Maksat Kunakunow hingegen sicherten sich und einigen Anhängern aus der Jugendpartei Plätze auf der Liste von Ak-Schol. Es entsteht in dieser Zeit der Eindruck, dass Gefolgschaftsbeziehungen im Zuge der Dominanz der Praxis der Kooptation neu austariert werden. Im Anschluss an die Wahlen bietet die Fraktion von Ak-Schol das Bild einer heterogenen Masse, deren Bezugslosigkeit jegliche Steuerungsbemühungen obsolet werden lässt. Am Ende steht die umfassende Reduzierung der bunten Truppe auf einen Klub der Ja-Sager und die Neupositionierung, um eintreffende Integrationswünsche jenseits der Parlamentsbühne verhandeln zu können. Mit der Erschaffung eines ‚rubber stamp parliaments‘ geht auch die Beschneidung der Meinungsfreiheit in Kyrgyzstan einher. Erste Maßnahmen werden im Parlament selbst ergriffen. Allein die Komiteevorsitzenden, die Fraktionsvorsitzenden und die Initiatoren von Gesetzesvorschlägen bekommen das Recht, von der Rednerbühne aus zu sprechen. Für den weitaus größeren Teil der einfachen Parlamentarier bedeutet diese Regelung einen Maulkorb und das Parlament verliert die Dynamik, die es in den letzten zwei Jahren ausgezeichnet hatte. Anschließende Maßnahmen betreffen die Massenmedien. Die Mittel reichen dabei von der Auflage an Fernsehstationen, einen bestimmten Anteil ihres Programms in kyrgyzischer Sprache zu senden (vgl. bspw. Akipress, 22.4.2009), bis hin zu der Verfolgung von Journalisten und Menschenrechtsaktivisten (Akipress, 14.11.2008). In den Jahren 2008 und 2009 sehen sich Vertreter von Zeitungen und Fernsehstationen sowie NGO-Aktivisten steigenden Repressionen gegenüber, die an Schärfe vorherige Angriffswellen bei weitem übertreffen. Die Spitze dieser Entwicklung stellen die Morde an Journalisten dar, zuletzt im Dezember 2009 an dem Reporter Gennadij Pawljuk. Drei Jahre nach dem ‚legendären Novembermiting‘ mit Jurtenstadt, Protestmärschen und parlamentarischen Nachtsitzungen ist die öffentliche Meinung gleichgeschaltet, sind die öffentlichen Plätze in Bischkek Sperrzonen und ist das Parlament irrelevant. Im Sommer 2009 erfolgt im Anschluss an die weitestgehend manipulierten Präsidentschaftswahlen die Einsetzung einer neuen Behörde unter der Leitung des Präsidentensohns Maksim Bakijew, die unter dem vielsagenden Akronym ZARII (Zentrale Agentur für Entwicklung, Investment und Innovation in Kyrgyzstan) sich daran
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macht, die Republik schleichend in ein persönliches Lehen der Präsidentschaftsfamilie zu umzubauen. Die im Winter eingeführten neuen Tarife für Strom, Wasser und Gas führten zu ersten lokalen Protesten und sie sorgten mit tatkräftiger Unterstützung konzertierter Verleumdungskampagnen der Bakijews in russischen Fernsehkanälen schließlich zur Auflehnung Anfang April 2010. Die Umstände dieser Auflehnung, die Frage nach den Waffen, die Rolle der Sicherheitskräfte sind bis heute Gegenstand gerichtlicher Untersuchungen, die allerdings auf Grund ihrer politischen Abhängigkeit kaum zur Aufarbeitung der Tragödie beigetragen haben. Schaut man auf diese Ereignisse mit etwas theoretischem Abstand, so lassen sich meiner Meinung nach einige Dynamikmomente herauskristallisieren, die ich im Folgenden in Form einiger abschließender Thesen darstellen möchte. Die erste These lautet, dass Kooptation auf Dauer ein Problem für Machthaber darstellen kann. Der andauernde Sturm über Kooptation vermittelter Ansprüche, in den Herrschaftsapparat integriert zu werden, macht es zum einen schwer, genügend Posten zur Verfügung zu stellen; zum anderen lässt sich angesichts permanenter Simulation nicht erkennen, ob nicht vielleicht doch an verstecktem Ort politische Innovation und somit Widerspruch entsteht. Kooptation, anders formuliert, kann eine Gefahr darstellen, indem sie bei aller gewonnenen Kontrolle über eine resignierte öffentliche Meinung eben auch einen Kontrollverlust bedeutet. Umgekehrt bedeutet das, dass auch Kooptation bei aller Autonomie ihrer Prozesse nicht gefeit ist vor sozialer Innovation und evolutionärer Neuerung; und das umso mehr, da es eine strukturelle Blindheit besitzt für den Inhalt politischer Botschaften. 5 Die an diese These anschließende Vermutung lautet, dass Machthaber auf dieses Problem reagieren, indem sie die Möglichkeiten für die Nutzung von Kooptation begrenzen. Der erste Schritt ist die Beschneidung öffentlicher Räume, um so die Infrastruktur für Kooptation als kommunikative Praxis zu zerstören. Kooptation braucht öffentliche Meinung, um erfolgreich ihr Simulationsprogramm laufen lassen zu können. Machthaber setzen die Leistungsträger der Öffentlichkeit unter Druck und verpflichten sie, dem hysterischen Geschrei Einhalt zu gebieten und den Ansturm integrationswilliger Politiker zu stoppen. Eine
5
Wie schwer politische Innovation allerdings ist, zeigt ein Blick auf das Kyrgyzstan einige Jahre nach der Aprilrevolution. Die Diskreditierungsmaschine ist so effektiv, dass selbst Radikalismen jeglicher Art, ob Nationalismus oder Islamismus, kaum Chancen haben, glaubwürdig ihre Botschaften zu verbreiten. Alle Radikalität wird Futter wechselseitiger Diskreditierungen; gerade hier zeigt sich das Erbe der Kooptation, die davon lebt, in absurden oder eben radikalen Forderungen höhere Einsätze integrationswilliger Politiker anzuzeigen (vgl. Wolters 2014).
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weitere These lautet, dass sich wirkliche Opposition angesichts der Unmöglichkeit, öffentlich Gefolgschaft zu mobilisieren, an den Aufbau von Organisation macht als einer weiteren unabdingbaren Voraussetzung für politische Mobilisierung. Für erfolgreichen Widerspruch bedarf es am Ende beider Elemente, d.h. öffentliche Botschaften und Organisationsressourcen. Da das erste Element per Kooptation als einer neuen Praxis öffentlicher Kommunikation suspendiert ist, widmen sich Träger oppositioneller Absichten zunehmend dem Aufbau interner Strukturen. Dieser Ansatz ist schließlich auch eine Antwort auf die einsetzende Repression, wenn mit diesem Vorgehen auch versucht wird, unterhalb des Radars der Sicherheitskräfte zu operieren. Meine abschließende These ist, dass ein im Anschluss an Kooptation auf Autoritarismus umstellendes politisches System schließlich keiner internen oder externen Vorhersage zugänglich ist und somit für dieses System relevante Ereignisse immer als Überraschung auftreten. Mit dieser letzten These ziele ich noch einmal auf den oben dargestellten Verlauf der Aprilrevolution ab. Ein jeder rechnete in diesen Tagen mit Aktionen der Opposition, doch niemand hätte wohl vor dem Geschehen an diesem Tag glaubhaft versichern können, dass der Sturz des Bakijew-Regimes kurz bevor steht. Und auch wenn im Nachhinein viele Beobachter das Unausweichliche in der Abfolge der Ereignisse feststellten, so gab es vorab keine Analyse, mit der man sich auf den Sturm auf das Weiße Haus hätte einstellen können. Diese Thesen lassen sich zu der Beschreibung einer Dynamik zyklischer Regimeentwicklung verdichten. Die Ausbildung von Kooptation forciert im Nachhinein die Ausbildung autoritärer Strukturen, die selbst wieder instabil sind, da sie keinerlei Mechanismen der Vorhersage bereitstellen. Protest geschieht in diesem Zustand überraschend und öffnet unter Umständen ein neues ‚window of opportunity‘ für die Gesellschaft, mit ihren politischen Ordnungslogiken zu experimentieren. Je nach Art und Inhalt der politischen Ordnungslogiken und in Abhängigkeit von externen Bedingungen kommt es zu Integration von Ordnungslogiken mit stabilen politischen Identitäten oder aber zu ihrer Zerrüttung und der Ausbildung von Kooptation. Damit aber setzt sich wieder derselbe Zyklus in Gang. Diese Logik lässt sich auch – bei aller Vorsicht – auf das Regime von Akajew übertragen. Auch hier folgte auf eine anfängliche Öffnung des politischen Systems eine Phase verstärkter Kooptationspraktiken ab den späten 90er Jahren, die in dem umstrittenen Verfassungsreferendum von Anfang 2003 mündeten. Im Anschluss baute das Regime Akajew seinen autoritären Zugriff auf die Gesellschaft aus, versuchte zum Schluss gar den Aufbau einer eigenen ‚Partei der Macht‘ Alga-Kyrgyzstan. Das Ende des Regimes war schließlich weniger blutig und eher vorhersehbar (als eine ‚Bunte Revolution‘) als das Ende des Bakijew Regimes. Vielleicht taucht hier eine weitere Tendenz am Horizont auf,
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nämlich die, dass die Zyklen selbst zu einer immer schnelleren Abfolge neigen und dass das Gewaltrisiko mit jedem Zyklus steigt. Meine abschließende Frage lautet, wie externe Akteure der Entwicklungszusammenarbeit und der Demokratiehilfe nun in einem Umfeld tätig werden können, welches mit der Anwesenheit unterschiedlicher Entwicklungslogiken konfrontiert ist und welches vielleicht auch die Ausbildung von Kooptationspraktiken erlebt, wie ich es für den Fall von Kyrgyzstan beschrieben habe. Dabei ist ein großes Problem, dass die Entwicklungszusammenarbeit häufig mit ihren eigenen Systemlogiken genug Schwierigkeiten besitzt und bis heute kein Rezept besteht, das die Anforderungen an Entwicklung und an Anpassung an lokale Zustände in eine angemessene Projektsprache zu übersetzen vermag. Es ist das Problem, welches Rottenburg das „technische Spiel“ nennt (Rottenburg 2001), mit dem die Entwicklungszusammenarbeit heute versucht, die Paradoxie der Postmoderne, nämlich die Anwesenheit nicht nur politischer sondern eben auch gesellschaftlicher Ordnungslogiken und die damit verknüpften Möglichkeiten unterschiedlicher Auffassungen von Entwicklung an sich, auszuklammern. Zusammenarbeit wird auf die Form von Projekten reduziert, die sich endlos wiederholen lassen, technisch evaluieren und verbessern, anpassen und weiterentwickeln lassen, ohne dabei das Gesamtproblem unterschiedlichen sozialen Wissens zu berühren. Dieses Problem existiert auch für die Entwicklungszusammenarbeit in Kyrgyzstan und auch hier für die spezifische Branche der Demokratieförderung. Und es ist davon auszugehen, dass Kooptation diese Förderung noch komplizierteren Anforderungen aussetzt. Da sie mit dem Mittel der Diskreditierung arbeitet, sind ihr die normativen Botschaften der Demokratiehilfe ein gelungenes Fressen. Was also kann unternommen werden, um trotzdem Einfluss zu nehmen? Meine Antwort besteht aus zwei Vorschlägen: Erstens müssen Initiativen gefördert werden, die der Politik helfen Selbstbeschreibungen von sich anzufertigen. Mit diesem Vorschlag weise ich noch einmal auf das von mir in der Empirie geschilderte Problem der öffentlichen Meinung in Kyrgyzstan hin, irgendwann keine Erzählungen über politische Ereignisse anfertigen zu können. Aus der Theorie sozialer Systeme aber wissen wir, dass sich Selbstbeschreibungen als die Anstrengungen eines Systems verstehen lassen, auf sich selbst zu reflektieren. In einer Selbstbeschreibung zeichnet ein System seine Grenze zur Umwelt nach und nutzt diese Zeichnung, um sich zu orientieren. Sollte Veränderungsbedarf entstehen, liefert die Selbstbeschreibung eine erste Orientierung, um mögliche Szenarien auf ihr Risiko hin überprüfen zu können. Noch einmal anders formuliert: Politik muss ein Bild von sich entwerfen können, um zu wissen wo sie steht und in welche Richtung sie sich entwickeln kann. Reformen brau-
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chen Vorstellungen von den bereits geleisteten Anstrengungen und Informationen über den gegenwärtigen Status quo, um effektiv daran anschließen zu können. Dafür aber braucht es die Selbstbeschreibung in Form von Erzählungen über Konflikte als jenen versachlichenden Auseinandersetzungen, in denen Szenarien für weitere Entwicklungen in einer Art Dauerbetrieb ent- und verworfen werden. Initiativen, welche das Anfertigen von Selbstbeschreibungen fördern, sind für den Fall von Kyrgyzstan mit hoher Wahrscheinlichkeit jene, die den öffentlichen Austausch von Vorstellungen politischer (und gesellschaftlicher) Ordnungslogiken vorantreiben. Damit wird auch noch einmal Rottenburgs kritischer Blick auf Organisationen als den falschen Orten für die „Repräsentation von kultureller Heterogenität“ bestätigt (vgl. Rottenburg 2002). Nur öffentliche Aktion betreibt diese „Repräsentation“ oder den vor mir hier geforderten Austausch. 6 Mein zweiter Vorschlag ist, das System der Öffentlichkeit nicht nur verstärkt als Raum für die Verhandlung von „kultureller Heterogenität“ oder eben unterschiedlichen politischen Ordnungslogiken zu nutzen, sondern die Tätigkeiten der Entwicklungszusammenarbeit selbst zum Gegenstand öffentlicher Debatte zu machen. Nur unter dieser Voraussetzung entsteht die Chance, ohne einseitige Festlegung Möglichkeiten für die Entwicklung neuer Formen der Zusammenarbeit zu eruieren. Bisher ist mit Bedauern festzustellen, dass die Programme und Projekte der Demokratiehilfe nur als externe Maßnahme beobachtet werden können und in der öffentlichen Meinung in Kyrgyzstan im besten Fall als ohne Relevanz, im schlimmsten Fall als Zeichen der Unangemessenheit vermeintlich westlicher Politikkonzepte eingestuft werden. Dieser Vorgang mündet fast immer in der Diskreditierung der normativen Botschaften, mit denen die Demokratiehilfe antritt. Abstrakt formuliert kann man nur dann auf Erfolg hoffen, wenn die Entwicklungszusammenarbeit sich selbst der Unsicherheit aussetzt und ihre eigenen Projekte und ihre eigenen Agenden zum Gegenstand öffentlicher Verhandlung macht. Erst dieser Schritt geht über die externe Förderung von Initiativen zur stärkeren Verhandlung von politischen Ordnungslogiken hinaus und verlangt die aktive Teilnahme der Entwicklungszusammenarbeit und der Demokratiehilfe an diesen Verhandlungen. Die Politisierung der eigenen Tätigkeit ist dann das Ergebnis neuer Selbstbeschreibungen der Politik vor Ort und eine wichtige Ressource für all jene, die in der Beobachtung neuer Simulationen von politischen Identitäten auf der Suche nach authentischen Repräsentationen sind. Für die Politik in Kyrgyzstan und an vielen anderen Orten wäre eine solche Res-
6
In diesem Zusammenhnag ist die Einstellung der Förderung für das Early Warning for Violence Prevention Projekt zu bedauern. Dieses Projekt bot mit seiner wöchentlich erstellten ‚Konflitkschau‘ eine hervorragende Fundgrube für politische Erzählungen.
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source von großer Bedeutung in dem Versuch, neue Ideen für die Herausforderungen einer immer komplexeren Zukunft zu produzieren.
Anhänge
A NHANG A Zur Schreibweise von Originalnamen Für die meisten Fälle, insbesondere Eigennamen, nutze ich in der vorliegenden Arbeit eine Transkription, die sich an der für eine bessere Lesbarkeit gültigen Regel für die Überführung kyrillischer Buchstaben ins Lateinische orientiert. So wird beispielsweise das russische „ш“ mit den drei Buchstaben „sch“, und das russische „в“ mit dem Buchstaben „w“ übersetzt, wie in „Eschimkanow“. Im Falle des Republiknamens wird eine Ausnahme gemacht und die Bezeichnung „Kyrgyzstan“ verwendet, da weder das verkürzende „Kirgistan“, noch das offizielle „Kirgisistan“ oder die alte Bezeichnung „Kirgisien“ passend erscheint. Alle Übersetzungen aus dem Russischen in dieser Arbeit habe ich selber angefertigt. Für Übersetzungen aus dem Kyrgyzischen wurde grundsätzlich der Rat mehrerer Muttersprachler herangezogen. Über den Zugang zu elektronischen Ressourcen Einige der in dieser Arbeit benutzten elektronischen Ressourcen sind heute nicht mehr zugänglich. Das trifft besonders auf die Internetkommentare zu, die auf den Websites der Nachrichtenagenturen ‚Akipress‘, ‚PR.kg‘ und ‚24.kg‘ gepostet wurden. Die Agenturen hatten im Zuge der verschärften Kontrolle unter dem Regime Bakijew ab 2008 ihre Kommentarfunktion eingestellt und die entsprechenden Datenbanken später gelöscht. Über Internetarchivfunktionen, wie beispielsweise ‚archive.org‘, lassen sich diese Daten nur bruchstückhaft wiederherstellen. Alle in dieser Arbeit zitierten Kommentare sind in ihrem Original im Besitzt des Autors und können auf Anfrage eingesehen werden. Gleiches trifft auf die Berichte des ‚Early Warning for Violence Prevention‘ Projekts zu, die in den Jahren nach 2008 zeitweilig aus dem Netz genommen wurden. Nach einigen
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Nachfragen durch den Autor wurden die Berichte wieder online gestellt. Allerdings ändert sich hier immer wieder der Pfad zu den englischen und den russischen Versionen, was auch mit ein Grund für die unterschiedliche Nutzung dieses Materials in der vorliegenden Arbeit ist. Generell gilt, dass für alle der hier benutzten Quellen die Originaltexte auch im Besitz des Autors sind und somit auch im Falle ihres Verlusts im Netz immer noch eingesehen werden können.
A NHANG B – G LOSSAR Personen Die Aufzählung berücksichtigt Personen, die in den Konflikterzählungen für die nationale Ebene häufiger als drei Mal auftreten. Nicht genannt sind Personen, auf die nur hingewiesen wird, die selber aber nicht auftreten, beispielsweise Askar Akajew. Tabelle 1: Hauptfiguren Name
Politische Position
Tätigkeit
Atambajew, Almasbek
Für Reformen; Regierung; SDPK
Chef der Sozialdemokraten (SDPK); nach der Tulpenrevolution als Industrieminister im Kabinett Kulow; Rücktritt im April 2006 und CoVorsitzender bei Für Reformen; ab Anfang März 2007 Premierminister bis Nov. 2007
Bakijew, Kurmanbek
Regierung
Nach der Tulpenrevolution Chef der Übergangsregierung; ab Juli 2005 Präsident Kyrgyzstans
Eschimkanow, Melis
Für Reformen; Nach der Tulpenrevolution Abgeordneter Vereinigte Front im Parlament bis Okt. 2007; Mitglied der SDPK bis März 2007; Mitbegründer von Für Reformen und Vereinigte Front
Kulow, Feliks
Regierung; Chef der Partei Ar-Namys; nach der Vereinigte Front; Tulpenrevolution Premier bis Dez. 2006;
A NHÄNGE
Ar-Namys
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Gründer der Vereinigten Front im Febr. 2007
Sarijew, Temir
Nach der Tulpenrevolution Für Reformen; Vereinigte Front; Abgeordneter im Parlament bis Okt. Ak-Schumkar 2007; Mitbegründer von Für Reformen, Chef von Ak-Schumkar seit April 2007
Sydykow, Usen
Regierung
Tekebajew, Omurbek
Für Reformen; Chef von Ata-Meken; nach der Vereinigte Front; Tulpenrevolution Abgeordneter im Ata-Meken Parlament bis Okt. 2007, Sprecher bis Febr. 2006; Mitbegründer von Für Reformen und Vereinigte Front, CoVorsitzender bei Für Reformen
Usenow, Danijar Regierung
Chef von Schany Kyrgyzstan; nach der Tulpenrevolution Chef der Präsidialadministration bis Mai 2006; anschließend Berater des Präsidenten
Nach der Tulpenrevolution im Herbst 2005 geschäftsführender Erster Vizepremier; ab Mai 2006 bis März 2007 Erster Vizepremier in den Regierungen Kulow und Isabekow
Tabelle 2: Nebenfiguren Name
Politische Position
Tätigkeit
Abdrachmanow, Für Reformen; Omurbek Vereinigte Front
Vorsitzender der Unternehmerunion; Mitglied bei Für Reformen, Sprecher der Bewegung; Mitglied bei der Vereinigten Front
Ajtbajew, Taschtemir
Nach der Tulpenrevolution Vorsitzender des Geheimdiensts bis Mai 2006; anschließend Wechsel in die Wirtschaft
Akmatbajew, Ryspek
Regierung
Mafiaboss und Bandenchef aus dem Gebiet Issyk-Kul; im Frühjahr 2006
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Kandidat bei Nachwahlen zum Parlament im Kreis Balyktschy (Gebiet Issyk-Kul); erschossen im Mai 2006 Alymbekow, Erkin
Für Reformen; Vereinigte Front; Ata-Meken
Nach der Tulpenrevolution Abgeordneter im Parlament, Vizesprecher; Mitglied bei Für Reformen und Vereinigte Front; Mitglied der Partei Ata-Meken, stellv. Vorsitzender
Artykow, Anwar
Für Reformen
Während der Tulpenrevolution ‚VolksGouverneur‘ im Gebiet Osch; anschließend Gouverneur von Osch bis Dez. 2005; Mitglied bei Für Reformen
Babanow, Omurbek
Für Reformen
Nach Tulpenrevolution Abgeordneter im Parlament; Mitbegründer von Für Reformen. Einzug ins neue Parlament im Dez. 2007 auf Listenplatz 1 der SDPK (tritt Mandat nicht an)
Bajekowa, Tscholpon
Seit 1993 Vorsitzende des Verfassungsgerichts bis Dez. 2007; Einzug ins neue Parlament im Dez. 2007 auf Listenplatz 1 von Ak-Schol
Bajbolow, Kubatbek
Für Reformen; Vereinigte Front
Nach Tulpenrevolution Abgeordneter im Parlament; Mitbegründer von Für Reformen und Vereinigte Front; Chef der Partei Union Demokratischer Kräfte
Bajsalow, Edil
Für Reformen
Vorsitzender bei der NGO Koalition für Demokratie und Bürgergesellschaft
Bakijew, Schanysch
Regierung
März bis September 2006 Erster Stellv. Geheimdienstchef; informeller Gründer der Partei Republikanische Partei der Arbeit und Einheit
Beknasarow, Asimbek
Für Reformen; Asaba
Nach Tulpenrevolution geschäftsf. Generalstaatsanwalt bis Sept. 2005;; Mitglied bei Für Reformen; Chef der Partei Asaba
A NHÄNGE
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Isabekow, Asim Regierung
Ab Nov. 2005 bis Mai 2006 erster Stellv. Chef der Präsidialadministration; anschließend bis Jan. 2007 Landwirtschaftsminister; von Jan. bis März 2007 Premierminister Kyrgyzstans
Isabekow, Kubanytschbek
Nach Tulpenrevolution Abgeordneter im Parlament, ab Juni 2006 stellv. Sprecher; Einzug ins neue Parlament im Dez. 2007 auf Listenplatz 3 von Ak-Schol
Kongantijew, Kambaraly
Regierung
Nach Tulpenrevolution Abgeordneter im Parlament; ab Okt. 2005 Generalstaatsanwalt bis März 2007
Madumarow, Adachan
Regierung
Nach Tulpenrevolution Vizepremier bis Mai 2006; anschließend bis Nov. 2007 Staatssekretär; im Dez. 2007 Einzug ins neue Parlament auf Listenplatz 2 von Ak-Schol
Masalijew, Ischak
Regierung
Nach Tulpenrevolution Abgeordneter im Parlament; Chef der Partei der Kommunisten Kyrgyzstans; Einzug ins Parlament im Dez. 2007 auf Listenplatz 1 der Partei der Kommunisten
Otunbajewa, Rosa
Für Reformen
Nach Tulpenrevolution geschäftsf. Außenministerin bis Sept. 2005; bis Nov. 2007 Co-Vorsitzende der Partei Asaba; Einzug ins neue Parlament im Dez. 2007 auf Listenplatz 12 der SDPK
Sarygulow, Dastan
Regierung
Nach der Tulpenrevolution bis zum Mai 2006 Staatssekretär
Sasykbajewa, Asija
Für Reformen; Vereinigte Front
Vorsitzende der NGO Interbilim. Mitbegründer von Für Reformen und Vereinigte Front
Schernijasow, Bolot
Für Reformen; Vereinigte Front
Nach Tulpenrevolution Abgeordneter im Parlament, Vizesprecher bis April
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2006; seit 2006 Mitglied der Partei AtaMeken, stellv. Vorsitzender; Mitbegründer von Für Reformen und Vereinigte Front Sultanow, Marat
Nach Tulpenrevolution Abgeordneter im Parlament, ab März 2006 Sprecher
Sutalinow, Murat
Regierung
Von Mai 2005 bis Okt. 2006 Innenminister; anschließend bis April 2010 Geheimdienstchef
Suwanalijew, Omurbek
Vereinigte Front
Von Mai 2005 bis Nov. 2006 Polizeichef von Bischkek und stellv. Innenminister; anschließend bis Febr. 2007 geschäftsführender Innenminister; Stabschef der Vereinigten Front; Sept. 2007 bis Jan. 2008 Leiter der Abteilung für Sicherheitsfragen in der Präsidialadministration; ab Jan. 2008 Gouverneur im Gebiet Naryn
Taschijew, Kamtschybek
Nach Tulpenrevolution Abgeordneter im Parlament; von Dez. 2007 bis Dez. 2009 Minister für Katastrophenschutz
Turgunalijew, Toptschubek
Nach Tulpenrevolution Chef mehrerer Bewegungen und Initiativen für die vorzeitige Auflösung des Parlaments
Bewegungen und Parteien In der Liste sind Parteien und politische Bewegungen aufgezählt, die sich durch eine Teilnahme an der politischen Auseinandersetzung auszeichnen. Tabelle 3: Politische Bewegungen und Parteien Name
Politische Ausrichtung, Tätigkeit
Ak-Schumkar (Weißer Falke)
Partei, gegründet im April 2007 auf Basis der Union Demokratischer Kräfte; Vorsitzender Temir Sarijew
A NHÄNGE
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Ak-Schol (Guter / Richtiger Weg)
Partei, ‚Partei der Macht‘, gegründet im Herbst 2007 auf Initiative von Bakijew, gewinnt 71 der 90 Mandate bei Wahlen im Dez. 2007
Ar-Namys (Würde)
Partei unter Führung von Feliks Kulow, gegründet 1999; politische Heimat des Premiers
Asaba (Flagge)
Partei unter Führung von Asimbek Beknasarow, gegründet 2002
Ata-Meken (Vaterland)
Partei unter Führung von Omurbek Tekebajew; trotz ausreichender Stimmen im Dez. 2007 am Einzug ins Parlament gehindert
Bewegung zum Schutz der Märzrevolution
Gegründet im Sommer 2005 von Aktivisten der Tulpenrevolution; stellt sich in der Folge hinter das Regime Kurmanbek Bakijews
Die Grünen
Kleine Partei unter der Leitung von Erkin Bulekbajew
Erkindik (Freiheit)
Eine der ältesten Parteien Kyrgyzstans unter der Leitung von Toptschubek Turgunalijew, hervorgegangen aus der Demokratischen Bewegung Kyrgyzstan Anfang der 90er Jahre
Für Ein Geeintes Kyrgyzstan
Bewegung unter Führung von Almasbek Atambajew; Projekt zur Abspaltung einiger Oppositionsmitglieder von Für Reformen im März 2007
Für politische Kurzlebige Bewegung unter Führung von Toptschubek Stabilität und Einheit Turgunalijew mit dem Ziel, der Vereinigten Front Widerstand zu leisten Für Reformen
Oppositionsbewegung in 2006, hervorgegangen aus der Volkskoalition; löst sich 2007 auf
Kanschar (Dolch)
Kurzlebige Jugendbewegung unter Führung von Adilet Ajtikejew, die in Zeiten der Vereinigten Front aktiv ist
Komitee / Bewegung Kurzlebige Bewegung in 2006, die das Ziel verfolgt, zum Schutz der Stimmen für ein Mandatsentzug Tekebajews Volksrevolution zu sammeln Kuttuu Kyrgyzstan (Gesegnetes
Kurzlebige Bewegung in 2006 unter Führung von Toptschubek Turgunalijew; verfolgt
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Kyrgyzstan)– Eine Verfassungsreform für das Volk
die Idee einer Verfassungsreform
NKDS / Volkskoalition Demokratischer Kräfte
Sammlungsbewegung reformorientierter Kräfte im Frühjahr 2006; aus ihr geht später Für Reformen hervor
Republikanischen Partei unter der informellen Leitung von PräsidentenPartei der Arbeit und bruder Schanysch Bakijew; löst sich im Zuge der Einheit Gründung von Ak-Schol 2007 auf Sodruschestwo (Gemeinschaft)
Partei, Sammlungsbewegung der ethnischen Russen, gegründet 2006; angeblich mit Förderung aus Moskau
Sozialdemokratische Partei Kyrgyzstans (SDPK)
Partei unter Führung von Almasbek Atambajew; gewinnt bei den Wahlen im Dez. 2007 11 Mandate
Union Demokratischer Kräfte
Partei unter Führung Kubatbek Bajbolows, aus der 2007 Ak-Schumkar hervorgeht
Vereinigte Front ‚Für Oppositionsbewegung im Frühjahr 2007 Eine Würdige unter Führung von Feliks Kulow Zukunft Kyrgyzstans‘ Volksbewegung Kyrgyzstan
Sammlungsbewegung regimetreuer Kräfte unter Führung von Toptschubek Turgunalijew im Frühjahr 2007
Schany Kyrgyzstan (Neues Kyrgyzstan)
Partei unter Führung von Usen Sydykow; unterstützt im Süden Kyrgyzstans den Kurs von Präsident Bakijew
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Interviews Tabelle: Interviews Nummer Datum
Respondent (anonymisiert)
1
19.09.2008
Abgeordneter des Schogorku Kenesch – 1
2
23.09.2008
Abgeordneter des Schogorku Kenesch – 2
3
20.09.2008
Mitglied des Parteirats von Ata-Meken
4
01.10.2008
Mitglied des Parteirats von Ar-Namys
5
11.09.2008
Mitglied des Führungszirkels der Vereinigten Front
6
17.09.2008
Mitglied des Führungszirkels der Vereinigten Front
7
30.10.2008
Ehemaliger Abgeordneter des Schogorku Kenesch
8
26.04.2007
Vertreter von IRI
9
19.04.2006
Mitarbeiterin der Stadtverwaltung von Kant
10
05.04.2006
Mitarbeiter der Verwaltung des Kreises Schajyl
11
07.05.2006
Abgeordneter des Stadtrats von Karabalta
12
25.05.2006
Abgeordneter des Stadtrats von Karabalta
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Akipress, 1.2.2006, Narodnaja Koalicija Demokratičeskich Sil: Organy gosudarstvennoj vlasti iščut vragov naroda ne tam, gde nado, . Akipress, 2.2.2006, Molodežnye organizacii ustraivajut akciju po povodu reformirovanija NTRK pered zdaniem parlamenta strany, . Akipress, 3.2.2006, Vystuplenie Prezidenta KR K.Bakieva na zasedanii Žogorku Keneša (polnyj tekst), . Akipress, 3.2.2006a, Otvet deputatov na vystuplenie Prezidenta, . Akipress, 3.2.2006b, O.Tekebaev: Ni u kogo ničego ne polučitsja (kommentarii k vystupleniju Prezidenta KR), . Akipress, 8.2.2006, A.Beknazarov: V tandeme idet raskol, poėtomu i v obščestve – raskol (interv’ju), . Akipress, 9.2.2006, O.Tekebaev nameren podat’ v otstavku s dvumja uslovijami, . Akipress, 9.2.2006a, Press-sekretar’ Toraga: Sovbez ne podderžal predloženie U.Sydykova i M.Nijazova vyskazat’sja po povedeniju O.Tekebaeva, . Akipress, 9.2.2006b, Zaključitel’noe slovo Prezidenta KR K.Bakieva na zasedanii Sovbeza, . Akipress, 10.2.2006, Polpred Prezidenta v ŽK poprosil snova provesti golosovanie po otstavke O.Tekebaeva, . Akipress, 10.2.2006a, K.Imanaliev: Dobrovol’naja otstavka Toraga ne prošla, . Akipress, 10.2.2006b, K.Bajbolov: Na Tekebaeva byla okazana ugroza fizičeskogo vozdejstvija, . Akipress, 10.2.2006c, K.Bajbolov zajavil, čto predloženie Prezidenta ne povlijaet na ego političeskuju poziciju, . Akipress, 10.2.2006d, O.Tekebaev prokommentiroval vystuplenie Prezidenta KR v parlamente, . Akipress, 13.2.2006, Pričiny otstavki Omurbeka Tekebaeva, . Akipress, 13.2.2006a, Zamestitel’ Toraga: Sistemnye reformy - ėto velenie i trebovanie vremeni (zajavlenie), . Akipress, 18.2.2006, V Bazarkorgone prošel miting. Ljudi trebujut otstavki U.Sydykova i drugich predstavitelej vlasti, . Akipress, 20.2.2006, O.Tekebaev ostaetsja na postu spikera, .
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Akipress, 20.2.2006a, O. Tekebaev: Ja ne obižen na deputatov, kotorye progolosovali za moju otstavku, . Akipress, 27.2.2006, Deputaty vyskazyvajut svoe mnenie po povodu otstavki O.Tekebaeva, . Akipress, 28.2.2006, U.Sydykov: V žizni nikogda nikakich intrig ne delal - ne takoj ja čelovek, . Akipress, 28.2.2006a, K.Bajbolov ne nabral prostogo bol’šinstva golosov, . Akipress, 2.3.2006, M.Sultanov: My s ispolnitel’noj vlast’ju opponenty, . Akipress, 2.3.2006a, Novoispečennyj Toraga oprovergaet utverždenie, čto on stavlennik «Belogo doma», . Akipress, 27.3.2006, Sozdana rabočaja gruppa dlja podgotovki proektov Konstitucii pri različnych formach pravlenija, . Akipress, 4.4.2006, Koalicija «Za demokratiju...» vystupaet s iniciativoj po provedeniju v Biškeke mirnogo šestvija, . Akipress, 4.4.2006a, Džon Odlin-Smi: Reforma gosudarstvennogo upravlenija – glavnyj prioritet v Kyrgyzstane, . Akipress, 6.4.2006, Biškekskij gorkeneš ne stal rassmatrivat’ predloženie mėra stolicy ob ograničenii mitingov i šestvij, . Akipress, 6.4.2006a, K.Bajbolov o mirnom šestvii: Ljudi obespokoeny kapituljaciej vlasti pered orgprestupnost’ju, . Akipress, 6.4.2006b, Partija «Ata-Meken» prizvala graždan prisoedinit’sja k «Mirnomu šestviju graždan za zakon i porjadok», . Akipress, 7.4.2006, M.Ėšimkanov o popytkach vvedenija moratorija na mitingi i šestvija, . Akipress, 7.4.2006a, 8 aprelja na ploščadi «Ala-Too» sostoitsja zabeg Zdorov’ja, . Akipress, 7.4.2006b, Na zasedanii NKDS obsuždalsja vopros provedenija 29 aprelja širokomasštabnogo mitinga s učastiem regionov, . Akipress, 10.4.2006, Obščestvennost’ napominaet K.Bakievu o ego obeščanijach: Narod trebuet real’nych reform, . Akipress, 11.4.2006, D.Sarygulov ob organizatorach mitinga 8 aprelja: Im nužny nagnetanie političeskoj obstanovki i ee destabilizacija kak orudie v bor’be za vysšuju vlast’, . Akipress, 11.4.2006a, «Zloe pero»: Počemu škola ne učit, a gruzit? Škola kak strategičeskoe predprijatie, .
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Akipress, 13.4.2006, FMP trebuet ot rukovodstva KR žestkich dejstvij v otnošenii lic, predstavljajuščich soboj ugrozu dlja obščestva, . Akipress, 13.4.2006a, Rjad NPO i partij prizvali splotit’sja protiv kriminal’nogo bespredela, . Akipress, 13.4.2006b, NDK potrebovalo ot Prezidenta KR navesti porjadok v strane, a ot ŽK – užestočit’ zakony, . Akipress, 13.4.2006c, Glava Evrokomissii v Biškeke prizval vlasti provesti polnoe rassledovanie incidenta s Ė.Bajsalovym, . Akipress, 14.4.2006, SŠA rešitel’no osuždajut napadenie na Ėdilja Bajsalova, . Akipress, 14.4.2006a, K.Bakiev: Uroven’ korrupcii v Kyrgyzstane zametno snizilsja, . Akipress, 17.4.2006, NKDS stavit pered Prezidentom svoi trebovanija, . Akipress, 18.4.2006, Zajavlenie štaba po provedeniju 29 aprelja mirnogo šestvija «Demokratičeskie reformy dlja procvetanija Kyrgyzstana», . Akipress, 18.4.2006a, Oppozicija predlagaet Prezidentu sdelat’ «10 prostych šagov k narodu», . Akipress, 19.4.2006, Usen Sydykov nameren vstretit’sja s žiteljami Uzgenskogo i Karakul’džinskogo rajonov, (Leserkommentare zu Artikel im Besitz des Autors). Akipress, 19.4.2006a, Bakiev o neobchodimosti vstreči vlastej s obščestvennost’ju, . Akipress, 19.4.2006b, Na KTR prodolžaetsja vstreča «Vlast’ i obščestvo za stabil’nost’» s učastiem Bakieva i oppozicii, . Akipress, 19.4.2006c, Bakiev: Zapugat’ ispolnitel’nuju vlast’ različnymi mitingami ne udastsja, . Akipress, 19.4.2006d, Kulov: Ja ne vižu oppozicii v ėtom zale, . Akipress, 19.4.2006e, Bajbolov: U nas ne polučilos’ dialoga, . Akipress, 19.4.2006f, Tekebaev o kadrovoj politike: Pod lozungom bor’by s korrupciej naznačaetsja korrupcioner, . Akipress, 20.4.2006, Bakiev ne nameren nemedlenno načat’ konstitucionnuju reformu, . Akipress, 20.4.2006a, Bakiev oproverg sluchi o «semejnom biznese», .
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Akipress, 20.4.2006b, NKDS: Dialoga s vlast’ju ne polučilos’. Miting sostoitsja, . Akipress, 21.4.2006, Almazbek Atambaev podal v otstavku, . Akipress, 21.4.2006a, Press-služba prezidenta: Prošenie ob otstavke A.Atambaeva - priznanie svoego bessilija, . Akipress, 21.4.2006b, V Oše prošel miting protiv mitingov, . Akipress, 22.4.2006, Lidery NPO na kruglom stole v Biškeke obsudili organizacionnye voprosy predstojaščego 29 aprelja mitinga, . Akipress, 24.4.2006, Organizatory ošskogo mitinga 26 aprelja trebujut «provedenija konstitucionnoj reformy i bolee širokoj reformy vsego političeskogo ustrojstva strany», . Akipress, 24.4.2006a, Partija «Sodružestvo» - protiv «mitingovoj demokratii» (o zajavlenii oppozicii «10 prostych šagov k narodu»), . Akipress, 24.4.2006b, Organizatory ošskogo mitinga 26 aprelja trebujut «provedenija konstitucionnoj reformy i bolee širokoj reformy vsego političeskogo ustrojstva strany», . Akipress, 24.4.2006c, Gubernator Ošskoj oblasti prizval vsech rukovoditelej ne byt’ ravnodušnymi k skladyvajuščejsja političeskoj situacii, . Akipress, 24.4.2006d, Dviženie «Za reformy»: My verim v našu armiju i našu miliciju, . Akipress, 25.4.2006, I.Masaliev: Partija kommunistov Kyrgyzstana kategoričeski protiv provedenija mitinga 29 aprelja, . Akipress, 25.4.2006a, O.Tekebaev: Mėr stolicy tože neset otvetstvennost’ za dejstvija i bezdejstvija, . Akipress, 26.4.2006, Gruppa talasscev vystupaet s trebovanijami k organizatoram mitinga 29 aprelja, . Akipress, 26.4.2006a, Anvar Artykov smog sobrat’ na mirnyj miting 25 čelovek, . Akipress, 26.4.2006b, K.Bakiev: Deputaty budut nesti otvetstvennost’ v slučae vozmožnogo zachvata «Belogo doma» 29 aprelja, . Akipress, 26.4.2006c, Press-služba ŽK prinosit izvinenija O.Tekebaevu za netočnyj perevod ego slov, . Akipress, 27.4.2006, Molodežnoe dviženie «KelKel» otkazalos’ prinjat’ učastie v mitinge 29 aprelja, .
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Akipress, 27.4.2006a, Liderov NPO razgnevalo vystuplenie K.Bakieva na presskonferencii, . Akipress, 27.4.2006b, Lidery NPO napomnili ob otvetstvennosti silovych struktur za obespečenie bezopasnosti na mitinge 29 aprelja, . Akipress, 27.4.2006c, Genprokuratura trebuet ot členov štaba «Za reformy» izvinenij za oskorblenie i klevetu, . Akipress, 28.4.2006, Partija «Nezavisimaja žizn’» zajavljaet o svoem učastii na mirnom mitinge 29 aprelja, . Akipress, 28.4.2006a, V Žalalabade prinjato rešenie o podderžke mitinga 29 aprelja, . Akipress, 28.4.2006b, Siloviki i štab «Za reformy» soglasovali plan dejstvij po ochrane porjadka vo vremja mitinga, . Akipress, 28.4.2006c, Atambaev rasskazal o svoej vstreče s Bakievym, . Akipress, 28.4.2006d, T.Sariev: Kto-to iz blizkogo okruženija Prezidenta tak i chočet, čtoby narod pošel i vzjal šturmom «Belyj dom», . Akipress, 28.4.2006e, O.Tekebaev: Prezident ne dolžen govorit’ na jazyke ėmocij. Inače nekotorye činovniki vosprimut ich kak signal k napadeniju na miting 29 aprelja (zajavlenie), . Akipress, 29.4.2006, V Biškeke na ploščadi Alatoo načalsja mirnyj miting, . Akipress, 29.4.2006a, Organizatory mitinga zajavljajut, čto na ploščadi Alatoo sobralos’ ne menee 20 tys. Čelovek, . Akipress, 29.4.2006b, MVD: V mitinge prinjali učastie okolo 15-17 tys. Čelovek, . Akipress, 2.5.2006, Zajavlenie členov Pravitel’stva, podavšich v otstavku, . Akipress, 2.5.2006a, Bakiev: V slučae nepreodolimych protivorečij meždu parlamentom i pravitel’stvom, ja pojdu na kardinal’nye mery v otnošenii parlamenta, . Akipress, 3.5.2006, Štab dviženija «Za reformy»: Mirnyj miting 29 aprelja privel k perelomu, . Akipress, 3.5.2006a, Štab «Za reformy» 27 maja budet trebovat’ otstavki tandema v slučae nevypolnenija trebovanij, . Akipress, 3.5.2006b, Lidery dviženija «Za reformy»: Ėta vlast’ ne sposobna na postupki, .
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Akipress, 3.5.2006c, Bakiev poručil podgotovit’ proekty Konstitucii KR do avgusta 2006g., . Akipress, 4.5.2006, Prezident KR: Pospešnoe provedenie radikal’nych konstitucionnych reform možet vyzvat’ social’nuju destabilizaciju, . Akipress, 4.5.2006a, SDS napravil Prezidentu KR proekt Konstitucii s prezidentskoj formoj pravlenija, . Akipress, 8.5.2006, NKDS reorganizovan v Dviženie «Za reformy!», . Akipress, 8.5.2006a, Vice-spiker ŽK Ė.Alymbekov: V politike dejstvujuščego Prezidenta nabljudaetsja množestvo perekosov, . Akipress, 8.5.2006b, Fridom Chauz: Prezident KR ne vypolnil svoich obeščanij otnositel’no reformirovanija gosudarstvennych SMI, . Akipress, 10.5.2006, Bakiev sdelal rjad kadrovych perestanovok, . Akipress, 10.5.2006a, Podrobnosti ubijstva Ryspeka Akmatbaeva, . Akipress, 12.5.2006, V Bazarkorgonskom rajone načalsja sbor podpisej po otzyvu deputata Žogorku Keneša O.Tekebaeva, . Akipress, 17.5.2006, V Bazarkorgonskom rajone projdet kurultaj po voprosu rospuska parlamenta, . Akipress, 19.5.2006, Nacional’nyj forum po podderžke demokratičeskich reform i zakonnosti provodit v regionach kurultai, . Akipress, 19.5.2006a, D.Sadyrbaev: Na predstojaščich kurultajach v regionach budut rassmatrivat’ vopros rospuska parlamenta, . Akipress, 22.5.2006, Delegaty respublikanskogo kurultaja v Žalalabade vystupili za rospusk Žogorku Keneša, . Akipress, 22.5.2006a, Šest’ rešenij žalalabadskogo kurultaja, . Akipress, 22.5.2006b, O.Tekebaev o vozmožnom rospuske parlamenta i iniciative voennych po provedeniju toržestv 27 maja, . Akipress, 24.5.2006, Žantoro Satybaldiev naznačen gubernatorom Ošskoj oblasti i predstavitelem Prezidenta po jugu, . Akipress, 24.5.2006a, T.Sariev o naznačenii Ž.Satybaldieva: To, čto Prezident takim obrazom usilivaet jug - ėto znakovoe rešenie, .
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Akipress, 25.5.2006, Čast’ izbiratelej utverždaet, čto obvinenija v otnošenii T.Sarieva – ėto «akcii nynešnich vlastej v preddverii mitinga 27 maja», . Akipress, 25.5.2006a, Ž.Satybaldiev priostanovil provedenie na juge akcii po rospusku parlamenta, . Akipress, 27.5.2006, Na ploščadi Ala-Too načalsja mirnyj miting, . Akipress, 27.5.2006a, Dviženie «Za reformy!» prinjalo rezoljuciju mitinga 27 maja, . Akipress, 27.5.2006b, Pered mitingujuščimi vystupil A.Atambaev, . Akipress, 6.6.2006, Členy dviženija «Za reformy» otkazalis’ ot vstreči s Prezidentom, . Akipress, 6.6.2006a, Štab «Za reformy!» ne uveren v celesoobraznosti svoego učastija vo vstreče s Prezidentom, . Akipress, 7.6.2006, Deputaty pogovorili s Prezidentom po dušam, . Akipress, 8.6.2006, Temir Sariev o tekuščej obščestvenno-političeskoj i ėkonomičeskoj situacii v Kyrgyzstane, . Akipress, 8.6.2006a, O.Tekebaev o vstreče 7 ijunja: Ne bylo vyskazano ni odnoj konkretnoj mysli, . Akipress, 19.6.2006, O.Tekebaev: Moj giroskop vsegda vyvedet menja na pravil’nyj put’, . Akipress, 26.6.2006, Beknazarov skazal, čto esli ostanetsja živ, to kurultaj sostoitsja v sentjabre, . Akipress, 30.6.2006, Vtoraja sessija deputatov Žogorku Keneša tret’ego sozyva zaveršila svoju rabotu, . Akipress, 1.7.2006, Za otzyv deputata ŽK O.Tekebaeva v Akmanskom okruge sobrano bolee 12 tysjač podpisej, . Akipress, 3.7.2006, Partija «Ata-Meken»: Sbor za otzyv deputata O.Tekebaeva idet s narušenijami, . Akipress, 6.7.2006, Predsedatel’ Verchovnogo suda K.Osmonov: Proekty Konstitucii napisany diletantski, . Akipress, 6.7.2006a, Forum molodych politikov predlagaet utverdit’ Konstituciju čerez parlament, . Akipress, 6.7.2006b, U.Sydykov: Ne dolžnost’ ukrašaet ličnost’, a ličnost’ ukrašaet dolžnost’, . Akipress, 12.7.2006, V Žalalabade podderžali prezidentskuju formu pravlenija, .
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Akipress, 15.7.2006, Učastniki seminara po formam pravlenija sdelali vyvod, čto v trech variantach Konstitucii, predložennych A.Beknazarovym, preobladajut prezidentskie polnomočija, . Akipress, 19.7.2006, Molodežnyj forum prišel k vyvodu, čto izmenenie formy pravlenija ne privedet k razvitiju strany, . Akipress, 19.7.2006a, Ošskij obkom RPET podderžal prezidentskuju formu pravlenija v Kyrgyzstane, . Akipress, 5.8.20006, V Biškeke prošel Kurultaj narodov Kyrgyzstana, . Akipress, 11.8.2006, Baučer: Korrupcija i prestupnost’ predstavljajut soboj ser’eznuju problemu v Kyrgyzstane, . Akipress, 14.8.2006, OO «Graždane protiv korrupcii» v godovščinu inauguracii Prezidenta Bakieva zadaet glave gosudarstva voprosy, . Akipress, 15.8.2006, Džoomart Otorbaev: Bez političeskoj stabil’nosti ne možet byt’ chorošego investicionnogo klimata, . Akipress, 30.8.2006, Politolog Kakčekeev sčitaet, čto predstojaščaja osen’ stanet liš’ repeticiej 2010 goda, . Akipress, 31.8.2006, K.Bakiev: Grjaz’, kotoraja rušitsja na moju sem’ju - ėto proiski politikov, . Akipress, 31.8.2006a, Predstaviteli graždanskogo sektora ocenivajut provodimye v strane reformy za 15 let nezavisimosti, . Akipress. 31.8.2006b, Rossijskij politobozrevatel’ A.Dubnov delitsja svoim videniem gosudarstvennoj nezavisimosti Kyrgyzstana, . Akipress, 1.9.2006, Dviženie «Za reformy!» primet učastie v 8-m narodnom kurultae, . Akipress, 4.9.2006, Koalicija «Za demokratiju…» vyražaet sožalenie tem, čto prezident otklonil Zakon «Ob NTRK», . Akipress, 4.9.2006a, Štab «Za reformy!» i Azimbek Beknazarov dogovorilis’ o sovmestnych dejstvijach, . Akipress, 5.9.2006, Prezident ne vypolnil svoich obeščanij o reformirovanii KTR v Obščestvennoe TV, zajavljaet «Intern’jus», . Akipress, 5.9.2006a, Press-služba prezidenta: Perechod KTR v format Obščestvennogo TV vozmožen v buduščem, poka že est’ ĖlTR, . Akipress, 6.9.2006, Rabočaja gruppa po razrabotke proektov Konstitucii protiv provedenija referenduma, .
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Akipress, 6.9.2006a, Ė.Bajsalov: Konstitucija Kyrgyzstana dolžna byt’ prinjata čerez Žogorku Keneš, . Akipress, 6.9.2006b, Prezident i Žogorku Keneš vstretjatsja dlja obsuždenija processa prinjatija Konstitucii, . Akipress, 6.9.2006c, A.Beknazarov sčitaet, čto proekty Konstitucii nekotorych političeskich sil vvodjat v zabluždenie, . Akipress, 7.9.2006, V Varšave arestovan Omurbek Tekebaev, . Akipress, 7.9.2006a, Ė.Bajsalov: Ėto čudoviščnaja provokacija specslužb protiv ėks-spikera O.Tekebaeva, . Akipress, 7.9.2006b, Partija «Ata Meken»: O.Tekebaev stal žertvoj provokacii vlastej Kyrgyzstana, . Akipress, 7.9.2006c, Deputaty Žogorku Keneš obratilis’ v Evroparlament s pros’boj rassmatrivat’ incident s Tekebaevym v političeskoj ploskosti, . Akipress, 8.9.2006, Omurbek Tekebaev osvobožden, . Akipress, 8.9.2006a, Lidery NPO vyražajut solidarnost’ Omurbeku Tekebaevu, . Akipress, 8.9.2006b, Dviženie «Za reformy»: Arest O.Tekebaeva svjazan s približajuščimsja narodnym kurultaem v Aksy, . Akipress, 8.9.2006c, Sozdany dve parlamentskie komissii v svjazi s arestom O.Tekebaeva, . Akipress, 8.9.2006d, V Žalalabade storonniki O.Tekebaeva namereny provesti akciju protesta, perekryv avtotrassy, . Akipress, 8.9.2006e, Storonniki Omurbeka Tekebaeva perekryli trassu BiškekOš, . Akipress, 8.9.2006f, Prezident poručil sozdat’ komissiju dlja okazanija pomošči Tekebaevu, . Akipress, 9.9.2006, «Ata Meken»: Pol’skie specslužby zajavili, čto Omurbek Tekebaev stal žertvoj političeskich intrig, . Akipress, 12.9.2006, T.Sariev: Komissija ustanovila, organizatorom incidenta s Tekebaevym vystupil 1-j zampredsedatelja SNB Bakiev, . Akipress, 12.9.2006a, Ob’’jasnitel’naja Prezidentu Kyrgyzstana K.Bakievu ob incidente s O.Tekebaevym (obnovleno), . Akipress, 12.9.2006b, Prezident K.Bakiev osvobodil Žanyša Bakieva ot dolžnosti 1-go zampredsedatelja SNB, . Akipress, 12.9.2006c, Glava SNB B.Tabaldiev podal v otstavku, .
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Akipress, 12.9.2006d, Deputaty ne smogli progolosovat’ za prinjatie postanovlenija po složivšejsja situacii v strane (spisok deputatov), . Akipress, 12.9.2006e, Parlament rešaet, otpravljat’ li v otstavku prezidenta i prem’era, . Akipress, 12.9.2006f, Žanyš Bakiev i Nadyr Mamyrov otricajut vse obvinenija protiv sebja, . Akipress, 12.9.2006g, Ėšimkanov soobščil o tajnom priezde Berezovskogo v Biškek (podrobnosti), . Akipress, 13.9.2006, RĖBP: Štab «Za reformy!» staraetsja prorvat’sja k vlasti ljuboj cenoj, . Akipress, 13.9.2006a, Žalalabadskie «zaščitniki narodnoj revoljucii» gotovy borot’sja za rospusk parlamenta, . Akipress, 13.9.2006b, Predstaviteli rjada partij v Žalalabadskoj oblasti nesoglasny s dejstvijami parlamenta, . Akipress, 14.9.2006, Prezident vyskazal deputatam svoe mnenie otnositel’no poslednich sobytij, . Akipress, 19.9.2006, Prezident napravil tri proekta Konstitucii v parlament, . Akipress, 22.9.2006, Parlament priznal tandem Bakiev-Kulov antikonstitucionnym (itogi golosovanija po postanovleniju ŽK o situacii v strane), . Akipress, 22.9.2006a, O.Tekebaev: Parlament sdelal svoj šag, sledujuščij chod za Prezidentom, . Akipress, 22.9.2006b, Vice-spiker Ė.Alymbekov sčitaet, čto dal’nejšee razvitie sobytij zavisit ot togo, kakoj put’ vyberet prezident, . Akipress, 2.10.2006, Zajavlenie dviženija «Za reformy!» o načale bessročnogo mitinga s trebovanijami otstavki prezidenta i prem’er-ministra, . Akipress, 5.10.2006, Lidery dviženija «Za reformy!» provedut Forum po obsuždeniju choda konstitucionnych reform, . Akipress, 6.10.2006, Partija «Ar-Namys» priostanavlivaet svoe učastie v dviženii «Za reformy», . Akipress, 9.10.2006, Forum molodych politikov primet učastie v mitinge dviženija «Za Reformy!», . Akipress, 9.10.2006a, Temir Sariev izbran pervym zamestitelem predsedatelja Social-demokratičeskoj partii, . Akipress, 9.10.2006b, A.Atambaev: Kolonna arnamysovcev primet učastie v mitinge 2 nojabrja, .
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Akipress, 9.10.2006c, V Biškeke projdet piket v podderžku svobody slova, . Akipress, 10.10.2006, Kollektiv TRK «Piramida»: Vlasti zainteresovany v prekraščenii dejatel’nosti našej teleradiokompanii, . Akipress, 10.10.2006a, F.Kulov ratuet za prezidentsko-parlamentskuju formu pravlenija, . Akipress, 11.10.2006, Vozle Doma pravitel’stva prochodit piket v podderžku svobody slova, . Akipress, 11.10.2006a, V Biškeke izbit vice-spiker parlamenta Ėrkin Alymbekov, . Akipress, 12.10.2006, Graždanskij forum postavil pered Prezidentom rjad trebovanij, . Akipress, 12.10.2006a, B.Šernijazov: My ožidali ot Kulova četkogo otveta vlasti na trebovanija oppozicii. Ėtogo ne proizošlo, . Akipress, 17.10.2006, «Zloe pero»: Omurbek Tekebaev i Bektur Zulpiev o konstitucionnoj reforme, . Akipress, 18.10.2006, Milicija zaderžala rasprostranitelej plakatov Foruma molodych politikov «2 nojabrja my ždem peremen», . Akipress, 18.10.2006a, FMP sčitaet, čto zaderžanie ich členov javljaetsja «političeskoj iniciativoj», . Akipress, 18.10.2006b, Dviženie «Za reformy!» vyrazilo vozmuščenie faktom zaderžanija aktivistov FMP, . Akipress, 19.10.2006, MVD zapreščaet svoim byvšim sotrudnikam pojavljat’sja na mitinge 2 nojabrja v milicejskoj forme, . Akipress, 19.10.2006a, Bakiev zajavljaet, čto ne dopustit 2 nojabrja destabilizacii situacii, . Akipress, 19.10.2006b, A.Atambaev polučil prokurorskoe predupreždenie za oskorblenie prezidenta, . Akipress, 19.10.2006c, Demokratičeskoe dviženie Kyrgyzstana prizyvaet Bakieva i liderov «Za reformy!» provesti vstreču, . Akipress, 20.10.2006, Deputat M.Mukašev: Kyrgyzskomu narodu ne vezet na prezidentov, . Akipress, 20.10.2006a, Deputat O.Babanov: Prezident objazan sest’ za stol peregovorov - 2 nojabrja budet pozdno, . Akipress, 20.10.2006b, Mnogie parlamentarii vystupajut za načalo dialoga vlasti i oppozicii, . Akipress, 21.10.2006, Za reformy»: Vmesto peregovorov Prezident chotel ustroit’ koncert, .
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Akipress, 23.10.2006, Segodnja vstreča prezidenta i predstavitelej dviženija «Za reformy!» ne sostoitsja, . Akipress, 26.10.2006, O.Tekebaev o zajavlenii Prezidenta o vozmožnom rospuske parlamenta: Ja odobrjaju, čto on vyskazal svoju poziciju, . Akipress, 26.10.2006a, Dviženie «Za reformy!» zajavilo, čto gotovo k referendumu, . Akipress, 27.10.2006, Vystuplenie Prezidenta K.Bakieva na kruglom stole po konstitucionnoj reforme, . Akipress, 27.10.2006a, Ė.Bajsalov: Prošedšaja vstreča ne otmenjaet neobchodimosti vvedenija peregovorov prezidenta s oppoziciej, . Akipress, 30.10.2006, K.Bakiev priglasil členov dviženija «Za Reformy!» vstretit’sja 31 oktjabrja, . Akipress, 30.10.2006a, M. Ėšimkanov: Silovye struktury gotovjatsja k besporjadkam 2 nojabrja, . Akipress, 30.10.2006b, M.Ėšimkanov o «semejnom biznese prezidenta», . Akipress, 30.10.2006c, Deputat K.Tašiev: Prezident imeet pravo rabotat’ do 2010 goda, a vyskazyvanija o ego smene - antizakonnye zajavlenija, . Akipress, 31.10.2006, V Dome pravitel’stva prochodit povtornaja vstreča prezidenta s členami dviženija «Za reformy», . Akipress, 31.10.2006a, Predstaviteli rjada politpartij i NPO vyrazili v Žalalabade protest po povodu mitinga 2 nojabrja, . Akipress, 1.11.2006, Posol’stvo SŠA prosit svoich graždan izbegat’ mesta provedenija mitinga 2 nojabrja, . Akipress, 1.11.2006a, Predsedatel’ OBSE prizval oppoziciju i vlast’ sochranjat’ samoobladanie vo vremja demonstracii 2 nojabrja, . Akipress, 1.11.2006b, Členy dviženija «Za reformy» ne udovletvoreny rezul’tatami peregovorov s prezidentom, . Akipress, 1.11.2006c, Obraščenie 25 deputatov otnositel’no složivšejsja političeskoj situacii v strane (spisok familij), . Akipress, 1.11.2006d, Parlament podelilsja - vtoraja polovina deputatov Žogorku Keneša KR sdelala svoe obraščenie, . Akipress, 1.11.2006e, Zajavlenie Pravitel’stva po obščestvenno-političeskoj situacii v Kyrgyzstane, . Akipress, 1.11.2006f, Bakiev: Ili my prinimaem Konstituciju čerez parlament, ili v dekabre – referendum, .
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Akipress, 2.11.2006, Zona «kg» nedostupna dlja vnešnego mira, . Akipress, 2.11.2006a, Deputaty rešajut, čto rassmatrivat’ na zasedanii - proekt Konstitucii ili provedenie mitinga, . Akipress, 2.11.2006b, Ischak Masaliev: Dviženie «Za reformy» uzurpiruet Konstituciju, . Akipress, 2.11.2006c, Bakiev: Ja oficial’no vnesu svoj proekt Konstitucii 6 nojabrja, . Akipress, 2.11.2006d, Deputaty iz dviženija «Za reformy!» sčitajut vystuplenie prezidenta v parlamente farsom, . Akipress, 2.11.2006e, Dviženie «Za reformy» sčitaet, čto prezident ich obmanul, . Akipress, 2.11.2006f, Zam. Toraga ŽK Ė. Alymbekov: Prezident dolžen dorabotat’ konstitucionnyj srok do 2010 g. (polnyj tekst), . Akipress, 2.11.2006g, Išenbaj Abdrazakov: Ėto, po suti, prodolženie sobytij 24 marta, . Akipress, 2.11.2006h, Ėšimkanov, Mukašev i Babanov vystupajut po «NTS», a Kulov, Madumarov i Beknazarov po «KTR», . Akipress, 3.11.2006, «Nezavisimaja gazeta»: Kirgiziju snova lichoradit, . Akipress, 3.11.2006a, Zajnidin Kurmanov: zadača oppozicii pomenjat’ političeskij kurs. Tak bylo vsegda i tak budet, . Akipress, 3.11.2006b, Deputaty KR gorjačo obsuždajut zajavlenie F.Kulova ob obnaružennoj diskete s zapis’ju, . Akipress, 3.11.2006c, F.Kulov na zasedanii ŽK soobščil o diskete s provokacionnoj zapis’ju, . Akipress, 3.11.2006d, Audiozapis’ razgovora s diskety s golosami, pochožimi na golosa členov dviženija «Za reformy!» (tekst), . Akipress, 3.11.2006e, V Talase u zdanija oblgosadministracii sobralos’ do 1000 čelovek, . Akipress, 3.11.2006f, Talasskaja obladministracija: V Talase net nikakich mitingujuščich, . Akipress, 3.11.2006g, K.Bajbolov: Kak prochodit procedura prinjatija novoj konstitucii - nigde ne skazano, . Akipress, 4.11.2006, F.Kulov: Oppozicija pytaetsja nivelirovat’ tandem, prikryvajas’ konstitucionnoj reformoj, . Akipress, 4.11.2006a, «Ata-Meken»: V Talase na bessročnyj miting sobralos’ svyše 600 čelovek, .
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Akipress, 4.11.2006b, Press-služba Prezidenta KR: Glava MID FRG ne poseščal palatočnyj gorodok oppozicii na ploščadi Ala-Too, . Akipress, 4.11.2006c, O.Abdrachmanov: Nekotorych oppozicionerov vyzvali v SNB v kačestve svidetelej, . Akipress, 4.11.2006d, O.Tekebaev: Političeskaja obstanovka budet zaviset’ ot proekta Konstitucii, kotoryj vneset prezident, . Akipress, 5.11.2006, Za reformy!» namereno vojti v zdanie GTRK dlja peregovorov, . Akipress, 5.11.2006a, «Za reformy!»: Zavtra-poslezavtra o sebe zajavjat jug, Naryn, Issykkul’, Talas, Čuj, . Akipress, 6.11.2006, Spisok deputatov, zaregistrirovannych na segodnjašnem zasedanii Žogorku Keneša, . Akipress, 6.11.2006a, Prezident K.Bakiev peredal v Žogorku Keneš svoj zakonoproekt o vnesenii izmenenij v Konstituciju, . Akipress, 6.11.2006b, Deputat I.Masaliev: Nikto ne govorit, čto imenno variant Prezidenta budet prinjat, . Akipress, 6.11.2006c, Žogorku Keneš iniciiruet zakonoproekt, al’ternativnyj proektu prezidenta, . Akipress, 6.11.2006d, M.Mukašev: V predstavlennom Bakievym zakonoproekte vmesto podpisi Bakieva stoit podpis’ Akaeva, . Akipress, 6.11.2006e, Žogorku Keneš iniciiruet zakonoproekt, al’ternativnyj proektu prezidenta, . Akipress, 6.11.2006f, 15 deputatov sobirajutsja vstretit’sja s Bakievym, . Akipress, 6.11.2006g, Almaz Atambaev nachoditsja v Belom dome, . Akipress, 6.11.2006h, Dviženie «Za reformy» namereny dogovorit’sja o predostavlenii im ėfira na GTRK, . Akipress, 6.11.2006i, «Za reformy!» namereno sobrat’ vneočerednuju sessiju ŽK dlja prinjatija soglasovannogo proekta Konstitucii (obnovleno), . Akipress, 8.11.2006, K. Imanaliev: Zavtra sostoitsja zasedanie ŽK. Budet vnesen soglasitel’nyj proekt Konstitucii, . Akipress, 8.11.2006, V Žogorku Keneše načalos’ zasedanie parlamenta, . Akipress, 8.11.2006a, Deputaty prinjali zakonoproekt o vnesenii izmenenij v reglament Žogorku Keneša, . Akipress, 8.11.2006b, Vice-spiker prokommentiroval porjadok prinjatija novoj redakcii Konstitucii, .
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Akipress, 8.11.2006c, V trech južnych oblastjach Kyrgyzstana prochodjat mitingi v podderžku Prezidenta KR Bakieva i prem’er-ministra F.Kulova, . Akipress, 8.11.2006d, Studenty, napravljajuščiesja na miting v podderžku prezidenta, perešli na storonu oppozicii, . Akipress, 8.11.2006e, V ŽK dlja soglasovanija vsech processov po prinjatiju Konstitucii pribyli predstaviteli ot vlasti, . Akipress, 8.11.2006f, Prezident vydvinul uslovija, pri kotorych on soglasen podpisat’ novuju redakciju Konstitucii, . Akipress, 8.11.2006g, Proekt novoj redakcii Konstitucii Kyrgyzskoj Respubliki (tekst), . Akipress, 8.11.2006h, Soglasitel’naja komissija zakončila rabotu po vyrabotke edinoj pozicii meždu Prezidentom i Žogorku Kenešem, . Akipress, 8.11.2006i, Prezident ne prinjal zakonoproekt s popravkami v reglament, neobchodimymi dlja prinjatija novoj Konstitucii, . Akipress, 8.11.2006j, Deputaty ždut rezul’tatov vstreči Prezidenta s Maratom Sultanovym i Adachanom Madumarovym, . Akipress, 8.11.2006k, A.Madumarov na zasedanii ŽK o pozicijach prezidenta otnositel’no proekta Konstitucii (podrobnosti), . Akipress, 9.11.2006, Bakiev podpisal Zakon «O vnesenii izmenenij i dopolnenij v reglament ŽK KR», . Akipress, 9.11.2006a, A.Madumarov: Proekt zakona o novoj redakcii Konstitucii KR prošel predvaritel’noe podpisanie prezidentom, . Akipress, 9.11.2006b, Komitet ŽK po Konstitucionnomu zakonodatel’stvu odobril rassmotrenie proekta Konstitucii, . Akipress, 9.11.2006c, O.Babanov: Novyj Kyrgyzstan rodilsja, . Akipress, 9.11.2006d, Tekebaev: Cena kompromissa - prezident i prem’er, kotorye ostanutsja na svoich dolžnostjach do konca sroka, . Akipress, 9.11.2006e, K.Bakiev: Prinjat optimal’nyj variant Konstitucii, und Kurmanbek Bakiev podpisal novuju redakciju Konstitucii, . Akipress, 9.11.2006f, V Žalalabade otmečajut prinjatie parlamentom novoj redakcii Konstitucii Kyrgyzstana, . Akipress, 9.11.2006g, Jurist-ėkspert G.Iskakova: V Konstitucii ne opredeleno, kto neset otvetstvennost’ za rabotu pravitel’stva, .
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Akipress, 9.11.2006h, Kommentarij jurista Sadykova na novuju Konstituciju Kyrgyzstana, . Akipress, 9.11.2006i, Kommersant’’: Kulov o mirnom razrešenii političeskogo krizisa v Kirgizii (interv’ju), . Akipress, 9.11.2006j, Rossijskij ėkspert: Kirgizija ne stanet «vtoroj Ukrainoj», . Akipress, 9.11.2006k, V Kyrgyzstane prinjata novaja Konstitucija, . Akipress, 10.11.2006, Ėkspert A.Bolotbaev: Novaja Konstitucija – ėto kompromissnyj variant, no ona pozvoljaet značitel’no izmenit’ sistemu upravlenija, . Akipress, 10.11.2006a, K.Omuraliev, nezavisimyj ėkspert: V novoj konstitucii lučše obespečeny prava i svobody graždan, . Akipress, 10.11.2006b, Evrokomissar B.F.Valdner privetstvuet podpisanie K.Bakievym novoj Konstitucii, . Akipress, 10.11.2006c, Soedinennye Štaty privetstvujut podpisanie novoj Konstitucii v Kyrgyzstane, . Akipress, 10.11.2006d, Marat Tazabekov: Konstitucija kur’ezov. Prem’er nabral polnomočij, no poterjal šans stat’ i.o. Prezidenta (obnovleno), . Akipress, 10.11.2006e, Press-služba Apparata Prem’er-ministra KR: V Konstitucii est’ protivorečija otnositel’no formirovanija pravitel’stva, . Akipress, 10.11.2006f, A.Džekšenkulov: U nas sformirovalas’ model’ upravlenija, blizkaja k evropejskoj, no s kyrgyzskoj specifikoj, . Akipress, 11.11.2006, Meždunarodnaja Krizisnaja Gruppa: Situacija v Kyrgyzstane vse ešče ostaetsja chrupkoj, . Akipress, 13.11.2006, Prezident K.Bakiev postavil zadaču poėtapno reorganizovat’ strukturu Pravitel’stva, . Akipress, 14.11.2006, Prezident K.Bakiev podpisal Ukaz «O Nabljudatel’nom sovete GTRK», . Akipress, 14.11.2006a, T.Sariev: U prezidenta net prava naznačat’ ukazom glav mestnych samoupravlenij (obnovleno), . Akipress, 19.12.2006, Kulov: Pravitel’stvo podalo v otstavku, čtoby uskorit’ novye parlamentskie vybory, . Akipress, 19.12.2006a, Tekst obraščenija gruppy deputatov Žogorku Keneša k Prezidentu Bakievu i Prem’eru Kulovu, .
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Akipress, 19.12.2006b, Ėdil’ Bajsalov: My prosili otstavku Kulova i my ee polučili, . Akipress, 21.12.2006, Tekst obraščenija 55 deputatov ŽK Prezidentu Kyrgyzstana, . Akipress, 30.12.2006, Žogorku Keneš prinjal novuju Konstituciju Kyrgyzstana, . Akipress, 2007, Partii učastvovavšie v vyborach v Žogorku Keneš Kyrgyzskoj Respubliki. Partii razmeščeny v sootvetstvii s žereb’evkoj v CIKe, (20.12.2010). Akipress, 25.1.2007, Bakiev ne budet v tretij raz vnosit’ kandidaturu Kulova na post Prem’era, . Akipress, 26.1.2007, Feliks Kulov: Čto možno skazat’ o čeloveke, kotoryj narušil svoe slovo?, . Akipress, 29.1.2007, Bakiev podpisal ukaz o naznačenii Isabekova Prem’erministrom, . Akipress, 31.1.2007, Bakiev: Esli Kulov soglasen, ja gotov predložit’ emu ljubuju dolžnost’, ne podotčetnuju parlamentu, . Akipress, 2.2.2007, Bol’šinstvo gorožan ne znaet, kak otnosit’sja k uchodu Kulova s posta prem’era, utverždaet agentstvo SIAR, . Akipress, 5.2.2007, Ėks-prem’er F.Kulov otvetit na voprosy graždan Kyrgyzstana, . Akipress, 5.2.2007a, Bol’šinstvo čitatelej AKIpress sčitaet rabotu pravitel’stva Kulova pozitivnoj, . Akipress, 5.2.2007b, Čitateli AKIpress: Marat Sultanov iz vsech deputatov bliže vsego k prezidentu Bakievu, . Akipress, 6.2.2007, Parlament utverdil novuju strukturu Pravitel’stva, . Akipress, 13.2.2007, Deputat K.Isabekov: Esli Kulov prisoedinitsja k oppozicii, on značitel’no usilit ee pozicii, . Akipress, 13.2.2007a, Omurbek Tekebaev: Zajavlenie Kulova vpolne možet opredelit’ ischodnye pozicii političeskich sil, . Akipress, 13.2.2007b, «Agym» opublikoval dannye po organizovannym prestupnym gruppirovkam v Kyrgyzstane, . Akipress, 14.2.2007, Arkadij Dubnov: Feliks Kulov uchodit v dobrovol’cy. Kirgizskij ėks-prem’er našel svoj put’, . Akipress, 14.2.2007a, Zajavlenie Feliksa Kulova (polnyj tekst), . Akipress, 14.2.2007b, Tekebaev: Vozmožen al’jans meždu partijami «Ata Meken» i «Ar-Namys», .
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Akipress, 14.2.2007c, O.Abdrachmanov: Zajavlenie Kulova - novyj ėtap demokratičeskich reform v istorii Kyrgyzstana, . Akipress, 14.2.2007d, Ė.Bajsalov: Sejčas Kulov očnulsja, no avtomatičeskogo ob’’edinenija oppozicii ne proizojdet, . Akipress, 14.2.2007e, A.Atambaev: Ja protiv sojuza s Kulovym, . Akipress, 15.2.2007, Prem’er-ministr Azim Isabekov prosit deputatov utverdit’ trechurovnevyj bjudžet, . Akipress, 15.2.2007a, Azim Isabekov: Ja pojdu na dvuchurovnevyj bjudžet, . Akipress, 15.2.2007b, Lidery «Za reformy» opredeljat svoju poziciju v svjazi s zajavleniem Kulova ob uchode v oppoziciju, . Akipress, 19.2.2007, Deputat B.Šernijazov vnov’ podnjal vopros o $86 mln. ot prodaži kyrgyzskoj doli akcij «Centerry», . Akipress, 19.2.2007a, Deputaty Mukašev i Sariev o kompanii «Centerra», . Akipress, 19.2.2007b, Deputaty ne podderžali sozdanie komissii po voprosam davlenija na SMI, . Akipress, 19.2.2007c, O.Tekebaev: Ispol’zovanie administrativnogo resursa protiv svobodnych SMI uskorit uchod Bakieva, . Akipress, 19.2.2007d, V rjady «Ob’’edinennogo fronta za dostojnoe buduščee Kyrgyzstana» vstupili ešče 3 obščestvennych dejatelja, . Akipress, 19.2.007e, T.Sariev: Dosročnye prezidentskie vybory mogut byt’ tol’ko v ramkach zakona, . Akipress, 20.2.2007, Press-služba Prezidenta: Zajavlenie «Ob’’edinennogo fronta…» ne imeet pod soboj nikakich moral’nych i političeskich osnovanij, . Akipress, 20.2.2007a, Ischak Masaliev: Poka ne vižu juridičeskich osnovanij dlja dosročnych vyborov prezidenta, . Akipress, 20.2.2007b, Tekebaev: V opredelennych slučajach zdravomysljaščij čelovek možet prinjat’ rešenie – dobrovol’no ujti v otstavku, . Akipress, 20.2.2007c, «Agym»: Kulov izbran političeskim rukovoditelem «Ob’’edinennogo fronta…», . Akipress, 22.2.2007, FMP predlagaet Prezidentu podtverdit’ svoi polnomočija i legitimnost’ Konstitucii čerez referendum, .
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Akipress, 22.2.2007a, O.Abdrachmanov: FMP imeet pravo na iniciativu po provedeniju referenduma dlja razrešenija situacii v KR, . Akipress, 22.2.2007b, T.Ismailova: Ėto ne ob’’edinennyj front, ėto klub liderov oppozicii, . Akipress, 22.2.2007c, «Vedomosti»: Rossijskaja «Renova» vykupila Karabaltinskij gornorudnyj kombinat, . Akipress, 24.2.2007, Ob’’edinennyj front «Za dostojnoe buduščee Kyrgyzstana» otkryvaet svoj ofis, . Akipress, 26.2.2007, Predvaritel’nyj spisok členov Ob’’edinennogo fronta «Za dostojnoe buduščee Kyrgyzstana», . Akipress, 26.2.2007a, Ob’’edinennyj front «Za dostojnoe buduščee Kyrgyzstana» vyrabatyvaet plan dal’nejšich dejstvij, . Akipress, 27.2.2007, Ob’’edinennyj front «Za dostojnoe buduščee Kyrgyzstana» sozdaet agitacionnye brigady, . Akipress, 28.2.2007, F.Kulov: Usenov otdal $300 tys. za post 1-go viceprem’era, . Akipress, 28.2.2007a, K.Tašiev: Dumaju, parlament ne budet podavat’ v sud v svjazi s zajavleniem Kulova. Ėto niže našego dostoinstva, . Akipress, 28.2.2007b, Podrobnosti incidenta s samosožženiem vozle zdanija parlamenta, . Akipress, 1.3.2007, Ėks-gossekretar’ D.Sarygulov: Usenov dolžen byt’ otstranen na vremja provedenija sledstvija, . Akipress, 1.3.2007a, Deputat D.Sadyrbaev: Genprokuratura dolžna vozbudit’ delo protiv Usenova, Kulova ili Žogorku Keneša, . Akipress, 1.3.2007b, MVF chočet, čtoby pravitel’stvo Kyrgyzstana opredelilos’ so svoej strategiej posle otkaza ot HIPC, . Akipress, 1.3.2007c, Omurbek Abdrachmanov ne isključaet, čto vremja provedenija Sammita ŠOS i meroprijatij oppozicii mogut sovpast’, . Akipress, 2.3.2007, A.Mamasaliev: Vyskazyvanie O.Abdrachmanova o vozmožnosti provedenija oppoziciej politakcij vo vremja provedenija sammita ŠOS možet diskreditirovat’ samu oppoziciju, . Akipress, 5.3.2007, Deputaty vyzvali Danijara Usenova v parlament, . Akipress, 5.3.2007a, D.Usenov nazval lož’ju utverždenie Kulova o dače $300 tys. i vynužden podat’ na nego v sud, .
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Akipress, 5.3.2007b, O.Tekebaev predložil svoim kollegam projti čerez detektor lži, čtoby dokazat’ nepričastnost’ k polučeniju vzjatki v $300 tys., . Akipress, 5.3.2007c, F.Kulov: Drugich svidetelej slov Usenova, krome Bakieva, u menja net, . Akipress, 5.3.2007d, D.Usenov o ŠOS: Nekotorye provokacionnye prizyvy ravnosil’ny vreditel’stvu razvitiju Kyrgyzstana, . Akipress, 5.3.2007e, F.Kulov: Ob’’edinennyj front ne imeet namerenij sryvat’ provedenie sammita ŠOS, . Akipress, 5.3.2007f, Kulov: My trebuem dosročnych vyborov Prezidenta, . Akipress, 7.3.2007, Gosdep SŠA otmetil zamedlenie dviženija k demokratii v KR i raskritikoval dekabr’skuju konstituciju, . Akipress, 7.3.2007a, Azimbek Beknazarov budet dobivat’sja otmeny dekabr’skoj konstitucii v Konstitucionnom sude, . Akipress, 7.3.2007b, K.Bajbolov: Kogda-nibud’ i v Kyrgyzstane budet svoj Njurnbergskij process, . Akipress, 9.3.2007, Glavy mestnych gazet i TV kanalov vystupili protiv vojny kompromatov i «grjaznych» technologij v SMI, . Akipress, 9.3.2007a, Za reformy» daet prezidentu mesjac na provedenie sistemnych i konstitucionnych reform, . Akipress, 9.3.2007b, Zajavlenie dviženija «Za reformy!» (tekst), . Akipress, 9.3.2007d, Toplivno-ėnergetičeskij komitet ŽK prinjal zaključenie ne prodavat’ raspredelitel’nye ėnergokompanii, . Akipress, 10.3.2007, Ob’’edinennyj front načinaet bessročnyj miting s 11 aprelja, . Akipress, 12.3.2007, M.Ėšimkanov: Na bessročnye mitingi Front nameren sobrat’ ot 10 do 100 tysjač čelovek, . Akipress, 12.3.2007a, Omurbek Tekebaev o načale massovych akcij protesta oppozicii, . Akipress, 12.3.2007b, Marat Kajypov: Cel’ oppozicii - prijti k vlasti, no ich trebovanija neobosnovanny, . Akipress, 12.3.2007c, Bessročnye mitingi Ob’’edinennogo Fronta načnutsja 9 aprelja v regionach, a 11 aprelja prodolžatsja v Biškeke, . Akipress, 12.3.2007d, «Kazach gold» pokupaet «Talas Gold Majning Kompanii», .
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Akipress, 13.3.2007, «Šervud i MakKenzi»: Parlament Kyrgyzstana prosto sabotiruet meždunarodnye dogovora, zakony KR i sudebnye akty, vstupivšie v silu, . Akipress, 13.3.2007a, Z.Kurmanov: V ser’eznoj bor’be nedoocenka opponentov dorogo stoit (interv’ju), . Akipress, 13.3.2007b, Prezident Bakiev priglasil Feliksa Kulova posetit’ s nim Aksy, . Akipress, 13.3.2007c, Feliks Kulov ne poedet s Prezidentom K.Bakievym v Aksy, . Akipress, 14.3.2007, RĖBP prosit obščestvennost’ priostanovit’ mitingi i skandaly, . Akipress, 14.3.2007a, T.Sariev: My ne dolžny dopustit’ povtorenija smeny vlasti nasil’stvennym putem (interv’ju), . Akipress, 14.3.2007b, IWPR: Oppozicija gotovitsja k aprel’skomu protivostojaniju, . Akipress, 14.3.2007c, V Talase prošel miting s trebovaniem zakryt’ mestoroždenija «Džeruj» i «Andaš», . Akipress, 14.3.2007d, Prezident K.Bakiev vstretitsja s liderami dviženija «Za reformy», . Akipress, 14.3.2007e, O.Suvanaliev: Gosudarstvennye rešenija často prinimajutsja synov’jami i brat’jami K.Bakieva, . Akipress, 14.3.2007f, O.Suvanaliev: Esli Bakiev uveren v podderžke naroda, čego emu opasat’sja provedenija dosročnych vyborov?, . Akipress, 14.3.2007g, V štabe «Za reformy!» «ne dolžno byt’ separatnych peregovorov», zajavljaet koordinator štaba O.Abdrachmanov, . Akipress, 15.3.2007, Usenov sčitaet, čto TĖC dolžna byt’ privatizirovana, . Akipress, 15.3.2007a, A.Atambaev: Neobchodimo sadit’sja za stol peregovorov, . Akipress, 15.3.2007b, Deputat M.Ėšimkanov predlagaet svoim kollegam bojkotirovat’ vstreču s Prezidentom, . Akipress, 15.3.2007c, Usenov vystupaet za peregovory meždu vlast’ju i oppoziciej, . Akipress, 15.3.2007d, A.Kalman: Nikto iz členov Ob’’edinennogo fronta ne pojdet na vstreču s K.Bakievym, . Akipress, 16.3.2007, Oppozicionnye deputaty podnimajut vopros o razryve soglašenija po Kumtoru s kanadskoj kompaniej, .
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Akipress, 16.3.2007a, Almambet Matubraimov: My iščem kompromissa, tol’ko kogda nastupaet apogej (interv’ju), . Akipress, 16.3.2007b, Bakyt Bešimov predskazyvaet dva vozmožnych scenarija razvitija obščestvenno-političeskoj situacii v KR, . Akipress, 16.3.2007c, Ėdil’ Bajsalov vidit kompromiss v novoj Konstitucii, novom Pravitel’stve i novom Parlamente, . Akipress, 16.3.2007d, A.Atambaev: Ja ne verju komandujuščemu Frontom, . Akipress, 19.3.2007, Deputaty požaleli Usenova i ne stali vyražat’ emu nedoverija, . Akipress, 19.3.2007a, T.Sariev: Esli Prezident sam ne napišet zajavlenie ob uchode, to ne budet i ėtoj vlasti, . Akipress, 19.3.2007b, Prezident Bakiev nameren vstretit’sja s deputatom Temirom Sarievym, . Akipress, 19.3.2007c, Predstaviteli molodežnych organizacij prizvali oppoziciju i vlasti prijti k konsensusu, . Akipress, 19.3.2007d, Nekotorye molodežnye organizacii ne vyjdut na bessročnyj miting 11 aprelja 2007 goda, . Akipress, 19.3.2007e, Ob’’edinennyj front «Za dostojnoe buduščee…» sozdal 51 štab po Kyrgyzstanu, . Akipress, 19.3.2007f, Predstaviteli dviženija «Za reformy», Ob’’edinennogo Fronta i partii «Ata-Meken» proveli vstreči v Balykči, . Akipress, 20.3.2007, Kulov rasskazal Mjulleru o planach Ob’’edinennogo Fronta, . Akipress, 20.3.2007a, Uchod K.Kongantieva s dolžnosti Genprokurora ne izmenit planov oppozicii, zajavil O.Suvanaliev, . Akipress, 20.3.2007b, I.Masaliev: Konstitucionnaja reforma pereraspredelit polnomočija prezidenta, prem’era i parlamenta, . Akipress, 20.3.2007c, Nekotorye pravozaščitniki vystupajut za konstitucionnuju reformu – bez dosročnych vyborov Prezidenta, . Akipress, 21.3.2007, Sostavlen spisok iz šesti trebovanij dviženija «Za reformy», kotoryj budet peredan segodnja prezidentu, . Akipress, 21.3.2007a, A.Atambaev: Prezident Bakiev soglasen počti na vse trebovanija dviženija «Za reformy!», . Akipress, 22.3.2007, Proekt Konstitucii ot oppozicii, kotoryj budet predložen Prezidentu Kyrgyzstana, . Akipress, 22.3.2007a, Deputat M.Ėšimkanov oficial’no zajavil o vychode iz dviženija «Za reformy!», .
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Akipress, 22.3.2007b, Deputat K.Bajbolov prokommentiroval zajavlenie M.Ėšimkanova o vychode iz Dviženija "Za reformy", . Akipress, 22.3.2007c, Vice-spiker Alymbekov: U «Za reformy!» bolee umerennaja pozicija, a Ob’’edinennyj Front bolee radikalen, . Akipress, 22.3.2007d, Omurbek Abdrachmanov: Golodovku ob’’javljajut liš’ nekotorye členy Ob’’edinennogo fronta, . Akipress, 22.3.2007e, Politika KTR napravlena protiv imidža parlamenta, sčitaet deputat O.Tekebaev, . Akipress, 23.3.2007, Členy dviženija «Za reformy» Mukašev i Omurkulov segodnja vstretjatsja s Prezidentom, . Akipress, 23.3.2007a, Kabaj Karabekov vyšel iz dviženija «Za reformy», . Akipress, 23.3.2007b, Ob’’edinennyj front uvedomil stoličnye vlasti o planach načat’ mitingi v Biškeke, . Akipress, 23.3.2007c, O.Abdrachmanov: U členov dviženija «Za reformy» nabljudaetsja nastroj na vychod iz sostava dviženija, . Akipress, 23.3.2007d, Obraščenie Prezidenta KR Kurmanbeka Bakieva po slučaju 2-j godovščiny Narodnoj revoljucii 24 marta 2005 goda. Privoditsja polnost’ju, . Akipress, 23.3.2007e, Temir Sariev ob obraščenii Kurmanbeka Bakieva: K sožaleniju, my ne uslyšali togo, čto ožidali, . Akipress, 23.3.2007f, O.Abdrachmanov: Vse členy «Za reformy!» navernoe, ponjali, čto ožidat’ ot Prezidenta čego-to konkretnogo net smysla, . Akipress, 23.3.2007g, Ė.Bajsalov: Garantiej uspešnogo peregovornogo processa Bakieva i oppozicii stanet naznačenie novogo prem’era, . Akipress, 23.3.2007h, Edinstvennoe rešenie obščestvenno-političeskich voprosov - dialog opponentov, sčitajut Ombudsmen i glava GKNB, . Akipress, 24.3.2007, A.Atambaev: Iz vystuplenija Prezidenta vidno, čto on gotov k dialogu, . Akipress, 24.3.2007a, Dviženie «Za reformy» ne opredelilo svoich predstavitelej dlja razrabotki popravok v Konstituciju KR, . Akipress, 24.3.2007b, O.Abdrachmanov: Esli A.Atambaev budet prodolžat’ peregovory s Prezidentom, to tol’ko - v kačestve lidera Social-demokratičeskoj partii, .
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Akipress, 24.3.2007c, Gruppa deputatov Karakol’skogo gorkeneša vyrazila podderžku Ob’’edinennomu frontu, . Akipress, 24.3.2007d, Ob’’edinennyj Front zajavljaet, čto ego členy byli zaderžany milicionerami pri rasprostranenii listovok, . Akipress, 26.3.2007, V Kočkorskom rajone Naryna rabotaet 12 otdelenij Ob’’edinennogo fronta, . Akipress, 26.3.2007a, Forum «Pora! Ne bud’ ravnodušnym k svoej sud’be!» podderživaet iniciativu provedenija v aprele mitingov, . Akipress, 26.3.2007b, M.Ėšimkanov ob’’javil ob učastii v političeskoj golodovke i vychode iz social-demokratov, . Akipress, 26.3.2007c, Ėkspert G.Iskakova: Novaja Konstitucija uveličit polnomočija prem’era, no postavit ego v zavisimost’ ot parlamenta, . Akipress, 26.3.2007d, V štabe «Za reformy!» proizošli izmenenija - Atambaev i Tekebaev vyvedeny iz sopredsedatelej, . Akipress, 26.3.2007e, A.Sasykbaeva: V bližajšee vremja my vyberem koordinatora štaba. Im stanet, skoree vsego, Sariev, . Akipress, 27.3.2007, Narodnoe dviženie Kyrgyzstana, vozobnoviv svoju rabotu, zajavljaet o zaščite celej revoljucii 2005 goda, . Akipress, 27.3.2007a, NDK vystupaet za peregovory vlasti i oppozicii, . Akipress, 27.3.2007b, NDK sčitaet, čto organizatory mitingov budut privlekat’ učastnikov bol’šimi denežnymi voznagraždenijami, . Akipress, 27.3.2007c, T.Turgunaliev ne priemlet sozdanie koalicionnogo pravitel’stva, . Akipress, 28.3.2007, Prezident preobrazoval GTRK v Nacional’nuju teleradioveščatel’nuju korporaciju, . Akipress, 28.3.2007a, K.Bakiev: Gruppa po vneseniju izmenenij v Konstituciju budet sozdana daže bez dviženija «Za reformy», . Akipress, 28.3.2007b, Beknazarov, Sadyrbaev, Otunbaeva, Atambaev, Bajsalov vyšli iz sostava dviženija «Za reformy!», . Akipress, 28.3.2007c, Zajavlenie o sozdanii Obščestvenno-političeskogo Dviženija «Za edinyj Kyrgyzstan!» (tekst), . Akipress, 28.3.2007d, O.Abdrachmanov: Atambaev, Beknazarov, Babanov, Otunbaeva i Bajsalov vytorgovyvajut sebe mesta v pravitel’stve, .
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Akipress, 28.3.2007e, O.Babanov: Kompromiss so storony prezidenta budet, esli mesta v pravitel’stve zajmut professionaly (interv’ju), . Akipress, 28.3.2007f, Atambaev: Oppozicija raskololas’ na 2 kryla: na tech, kto stoit za peregovory, i tech, kto, k sožaleniju, nekonstruktivny, . Akipress, 28.3.2007g, A.Beknazarov: My sozdaem novoe dviženie, čtoby ne dopustit’ razdelenija strany, . Akipress, 28.3.2007h, Otpravleny v otstavku Usenov, Rustenbekov, Nijazov, Moldokulov, Tabyldiev i drugie, . Akipress, 28.3.2007i, Azim Isabekov: Otstavka členov pravitel’stva byla moim ličnym rešeniem, . Akipress, 28.3.2007j, T.Sariev: Prem’er-ministr prevysil svoi polnomočija, otpraviv členov pravitel’stva v otstavku, . Akipress, 28.3.2007k, Prezident ne budet nikogo otpravljat’ v otstavku. Poka, . Akipress, 29.3.2007, Bakiev prinjal otstavku Isabekova i naznačil Almaza Atambaeva i.o. Prem’er-ministra, . Akipress, 29.3.2007a, Bakiev vnes v parlament kandidaturu Atambaeva na post Prem’er-ministra, . Akipress, 29.3.2007b, «Za reformy!» ne opredelilsja so svoej poziciej po naznačeniju Atambaeva i.o. glavy pravitel’stva, . Akipress, 29.3.2007c, Sopredsedatel’ «Za reformy!» Sariev: Govorit’ o slijanii s Ob’’edinennym Frontom preždevremenno, . Akipress, 29.3.2007d, «Za reformy» i Ob’’edinennyj front otkazyvajutsja ot učastija v Pravitel’stve Atambaeva i provedut vmeste miting 11 aprelja, . Akipress, 29.3.2007e, Beknazarov: My trebovali obrazovanija Koalicionnogo Pravitel’stva, Prezident pošel nam navstreču, . Akipress, 29.3.2007f, Roza Otunbaeva: Naznačenie Atambaeva daet vozmožnost’ obščestvu vyjti iz tupika, . Akipress, 29.3.2007g, Ė.Bajsalov: Atambaevym dvižet čuvstvo nastojaščego patriota, . Akipress, 29.3.2007h, Karabekov: Ėto konec političeskoj kar’ery Almaza Atambaeva, . Akipress, 29.3.2007i, Kubanyčbek Isabekov: Ne dumaju, čto naznačenie Atambaeva svidetel’stvuet o kompromisse s oppoziciej, .
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Akipress, 29.3.2007j, Ėmil’ Aliev: Stranno povedenie Almaza Atambaeva, . Akipress, 29.3.2007k, V.Bogatyrev: Naznačenie A.Atambaeva možet povernut’ situaciju v normal’noe političeskoe ruslo, . Akipress, 29.3.2007l, Z.Kurmanov: Atambaev - boec i nikogda ne budet marionetkoj v č’ich-to rukach, . Akipress, 29.3.2007m, A.Muraliev: Naznačenie A.Atambaeva - pervyj ser’eznyj šag so storony K.Bakieva pojti na reformy, . Akipress, 29.3.2007n, Važno, čtoby Atambaevu dali «real’nye» polnomočija na formirovanie pravitel’stva, sčitaet ego soratnik A.Turdukulov, . Akipress, 29.3.2007o, Ėkspert MGU Aleksej Vlasov: Smena prem’era poslednjaja popytka Bakieva uderžat’ vlast’, . Akipress, 30.3.2007, Atambaev uveren, čto do 11 aprelja v Žogorku Keneš postupit proekt novoj redakcii Konstitucii, . Akipress, 30.3.2007a, Struktura pravitel’stva ne budet menjat’sja, obeščaet Atambaev, . Akipress, 30.3.2007b, Atambaev nameren prodolžit’ konsul’tacii s oppoziciej po povodu formirovanija pravitel’stva, . Akipress, 30.3.2007c, Atambaev utveržden na postu prem’era, . Akipress, 30.3.2007d, Babanov: Vystaviv svoju kandidaturu, Atambaev sdelal mužskoj, osoznannyj i otvetstvennyj postupok, . Akipress, 30.3.2007e, Sovmestnoe zajavlenie «Za reformy!» i Ob’’edinennogo Fronta, . Akipress, 30.3.2007f, Rossijskij politolog Belkovskij: Bakiev pokazal, čto on gotov k formirovaniju pravitel’stva vmeste s oppoziciej, . Akipress, 30.3.2007g, N.Omarov: Prezident predprinimaet popytku raskolot’ oppoziciju, . Akipress, 31.3.2007, Nekotorye professory KNU prisoedinilis’ k Frontu «Za dostojnoe buduščee Kyrgyzstana», . Akipress, 31.3.2007, Ob’’edinennyj Front zajavljaet, čto vlasti Issykatinskogo rajona prepjatstvujut provedeniju igry «Ulak-tartyš», . Akipress, 2.4.2007, Ž.Žoldoševa: V naznačenijach Atambaeva net regional’nogo i gendernogo balansa, . Akipress, 2.4.2007a, Deputat I.Omurkulov: Poslednie naznačenija Atambaeva dostojny uvaženija, .
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Akipress, 2.4.2007b, Associacija NPO i NKO prizyvaet storony prijti k kompromissu, čtoby vyjti iz političeskogo krizisa, . Akipress, 2.4.2007c, Izbirateli deputata A.Maripova prosjat oppoziciju i vlast’ sest’ za stol peregovorov, . Akipress, 2.4.2007d, Partija «Ata Meken» prisodinjaetsja k trebovaniju Fronta i trebuet dosročnych vyborov prezidenta, . Akipress, 2.4.2007e, Ob’’edinennyj front soobščaet o svoich novych storonnikach v regionach, . Akipress, 2.4.2007f, Issykkatinskie vlasti zajavili, čto ne prepjatstvovali Ob’’edinennomu frontu igrat’ v ulak-tartyš, . Akipress, 2.4.2007g, Vlasti Sokulukskogo rajona oprovergajut količestvo učastnikov vstreči naselenija s členami Ob’’edinennogo fronta, . Akipress, 2.4.2007h, Ob’’edinennyj front zajavljaet, čto v Čaeke zaderžali ich aktivistov, . Akipress, 2.4.2007i, V vuzach KR rasprostranjaetsja obraščenie Ob’’edinennogo fronta «Za dostojnoe buduščee Kyrgyzstana», . Akipress, 3.4.2007, Rjadu deputatov predložena vakantnaja dolžnost’ 1-go viceprem’era, . Akipress, 3.4.2007a, T.Akun: Za stol peregovorov dolžny sest’ neposredstvenno Bakiev i Kulov, . Akipress, 3.4.2007b, Ob’’edinennyj Front i «Za reformy» gotovy k peregovoram s Prezidentom Bakievym, . Akipress, 3.4.2007c, O pozicii Ob’’edinennogo fronta po peregovoram s Bakievym zajavit Feliks Kulov, . Akipress, 3.4.2007d, Bajbolov: Oppozicija peredala Prezidentu novyj variant Konstitucii, . Akipress, 4.4.2007, Prem’er A.Atambaev nameren prijti na miting 11 aprelja i obeščaet, čto antimitingov ne budet, . Akipress, 4.4.2007a, A.Atambaev: Pervym vice-prem’er-ministrom budet naznačen čelovek iz oppozicii, . Akipress, 4.4.2007b, M.Mjuller: Političeskij process v Kyrgyzstane napominaet nacional’nuju igru «ulak tartyš», . Akipress, 4.4.2007c, Zavtra, 5 aprelja, na akciju golodovki pod devizom «Otstavka Bakieva» vyjdet 101 čelovek, . Akipress, 4.4.2007d, V Biškeke obsudili sobytija marta-aprelja 2007 goda, vozmožnye posledstvija i rekomendacii, .
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Akipress, 4.4.2007e, V press-konferencii A.Atambaeva prinjali učastie okolo 100 žurnalistov iz 60 SMI, . Akipress, 4.4.2007f, A.Atambaev: Ne skažu, čto u nas složilis’ družeskie otnošenija s Kulovym, . Akipress, 4.4.2007g, A.Atambaev: Ja protiv konstitucii Bajbolova, . Akipress, 4.4.2007h, Rabočaja gruppa po razrabotke novogo proekta Konstitucii budet sformirovana segodnja, . Akipress, 5.4.2007, Partija «Taza koom» protiv trebovanija oppozicii o provedenii dosročnych prezidentskich vyborov, . Akipress, 5.4.2007a, Kulov otkazalsja vstretit’sja s Bakievym i ozvučil dopolnitel’nye trebovanija, . Akipress, 5.4.2007b, F.Kulov: Žanyš Bakiev gotovit k predstojaščim mitingam otrjady «bab osobogo naznačenija», . Akipress, 5.4.2007c, Pjat’ učastnikov golodovki gotovy soveršit’ akt samosožženija, . Akipress, 5.4.2007d, Valentin Bogatyrev: Pervyj šag v peregovorach s oppoziciej dolžna sdelat’ prezidentskaja storona, . Akipress, 5.4.2007e, Centr Rannego Predupreždenija dlja predotvraščenija nasilija: Osnovnye tendencii, ožidaemye 9-11 aprelja, . Akipress, 5.4.2007f, V sostave rabočej gruppy po vyrabotke konstitucii net predstavitelej «Za reformy!» i Ob’’edinennogo Fronta, . Akipress, 6.4.2007, Opredelen sostav Rabočej gruppy po razrabotke novoj Konstitucii, . Akipress, 6.4.2007a, Bakiev: Lozungi Ob’’edinennogo Fronta nelegitimny, . Akipress, 6.4.2007b, K.Karabekov: O kakich peregovorach možno govorit’, esli vlast’ ustraivaet antimitingi?, . Akipress, 6.4.2007c, Temir Sariev: Prezident ne gotov k reformam i pojdet svoim putem, vyrabotav opjat’ svoju že Konstituciju, . Akipress, 6.4.2007d, K.Bakiev: Ja sdelal glavnoe: poručil formirovat’ pravitel’stvo čeloveku iz očen’ radikal’noj oppozicii, . Akipress, 6.4.2007e, Rukovodstvom MVD dlja obespečenija obščestvennogo porjadka sozdan operativnyj štab MVD, . Akipress, 6.4.2007f, Stroiteli obraščajutsja k politpartijam «ostanovit’ voznikšij machovik protivostojanija», . Akipress, 6.4.2007g, Veterany Moskovskogo rajona trebujut prekratit’ protivostojanie i načat’ političeskij dialog s vlast’ju, .
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Akipress, 6.4.2007h, Lidery rjada molodežnych organizacij sčitajut trebovanie Kulova o dosročnoj otstavke Bakieva antikonstitucionnym, . Akipress, 7.4.2007, Dviženie «Za političeskuju stabil’nost’ i edinstvo» zavtra provedet avtoprobeg, . Akipress, 7.4.2007a, Ob’’edinennyj front i dviženie «Za reformy» bol’še ne budut davat’ interv’ju Pjatomu kanalu, soobščaet Ėšimkanov, . Akipress, 8.4.2007, Kyrgyzskaja diaspora v Moskve: Politiki dvuch lagerej ne dolžny dopustit’ regional’nogo razmeževanija, . Akipress, 8.4.2007a, Rešenija sovmestnogo zasedanija členov dviženija «Za reformy!» i Ob’’edinennogo fronta ot 8 aprelja, . Akipress, 8.4.2007b, Lidery «Za reformy!» i Ob’’edinennogo fronta raz’’ezžajutsja po rajonam, čtoby s 9 aprelja načat’ mitingi, . Akipress, 9.4.2007, Štab Ob’’edinennogo fronta: Na mitingi v rajonach sobiraetsja vse bol’še ljudej, . Akipress, 9.4.2007a, Keminskaja rajadministracija: Miting OF v Kemine byl ispol’zovan odnim iz oppozicionerov dlja ego izbiratel’noj kampanii, . Akipress, 9.4.2007b, Issykatinskaja rajonnaja gazeta «Znamja pobedy» o količestve mitingujuščich v Kante, . Akipress, 9.4.2007c, Akimy Žajylskogo i Atbašinskogo rajonov o prošedšich mitingach, . Akipress, 9.4.2007d, Čto proischodit v strane. Svodka AKIpress po mitingam v regionach na 16:50., . Akipress, 9.4.2007e, Mitingi na Issykkule: glazami oppozicii i mestnych vlastej, . Akipress, 9.4.2007f, Mitingujuščie v Karakole izbrali Asenbeka Sarbaeva svoim narodnym gubernatorom oblasti, . Akipress, 9.4.2007g, N.Bajbolova i gruppa deputatov Biškekskogo gorkeneša posetili jurtočnyj gorodok na Staroj ploščadi, . Akipress, 9.4.2007h, Deputat M.Ėšimkanov ne nameren prekraščat’ golodovku, . Akipress, 9.4.2007i, M.Ėšimkanov prekratil političeskuju golodovku, . Akipress, 9.4.2007j, «Kanžar» predlagaet studentam, opasajuščimsja byt’ uznannymi, nadet’ maski i podderžat’ mitingi Fronta, .
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Akipress, 10.4.2007, 30 učastnikov političeskoj golodovki zaveršili svoe učastie v akcii, . Akipress, 10.4.2007a, Na ploščadi Alatoo načalas’ ustanovka jurt, . Akipress, 10.4.2007b, Ob’’edinennyj Front nameren podat’ isk v sud na «Pjatyj kanal» za pokaz «provokacionnogo» sjužeta, . Akipress, 10.4.2007c, Iskovoe zajavlenie na Pjatyj kanal ženščiny, učastvujuščie v golodovke, podadut ot svoego imeni, . Akipress, 10.4.2007d, Prezident polučil proekt Konstitucii, razrabotannyj pod rukovodstvom A. Atambaeva, . Akipress, 10.4.2007e, «Revoljucionnogo malo» - I.Masaliev o proekte novoj redakcii Konstitucii, . Akipress, 10.4.2007f, Atambaev predlagaet, čtoby kandidaturu prem’er-ministra vydvigali deputatskie frakcii, . Akipress, 10.4.2007g, Prezident Bakiev obratilsja k narodu (tekst obraščenija), . Akipress, 10.4.2007h, Ob’’edinennyj Front: Regionalizm - poslednee pribežišče merzavcev, . Akipress, 10.4.2007i, Feliks Kulov: Na mitinge 11 aprelja budet učastvovat’ 50 tysjač našich storonnikov, . Akipress, 10.4.2007j, RĖBP zajavljaet o vozmožnosti provedenija al’ternativnych mitingov s učastiem bolee 50 tysjač partijcev, . Akipress, 10.4.2007k, Forum molodych politikov prizyvaet molodež’ ne učastvovat’ v mitingach, organizovannych oppoziciej, . Akipress, 10.4.2007l, Na ploščadi Alatoo načalas’ ustanovka jurt, . Akipress, 10.4.2007m, Glav talasskich ajyl okmotu vynudili sobrat’, po men’šej mere, po 20 čelovek i vyjti na antimitingi v Talase, . Akipress, 10.4.2007n, Partija «Ata Meken» zajavljaet, čto tamožnja paralizovala rabotu Fonda «FreedomHouse», . Akipress, 10.4.2007o, K.Tašiev, partija «Ata-Žurt»: My poka budem smotret’ so storony, . Akipress, 10.4.2007p, Koalicija iz 52 organizacij rešila primirit’ Kulova i Bakieva, . Akipress, 10.4.2007q, Ėksperty sčitajut, čto do konca nedeli budet narastanie mitingovych strastej, a potom budut peregovory, . Akipress, 10.4.2007r, V AUCA na tri dnja otmeneny zanjatija, a v universitete im. Arabaeva budut učit’sja, .
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Akipress, 11.4.2007, Ė.Bajsalov: SŠA, Rossija i drugie partnery Kyrgyzstana dolžny predotvratit’ nasilie i graždanskie stolknovenija, . Akipress, 11.4.2007a, Kubatbek Bajbolov: Dobrovol’no vlast’ ne otdadut, . Akipress, 11.4.2007b, RBK daily: Bakiev gotov streljat’. Prezident Kyrgyzstana boitsja povtorit’ sud’bu svoego predšestvennika, . Akipress, 11.4.2007c, IWPR: Obščestvennost’ Kyrgyzstana opasaetsja nasilija, . Akipress, 11.4.2007d, Snajpery zanjali svoi rabočie mesta. Kak obyčno, . Akipress, 11.4.2007e, Na vorotach Belogo doma visit tablička «Ochranjaemyj ob’’ekt! V slučae nesankcionirovannogo proniknovenija budet primeneno oružie», . Akipress, 11.4.2007f, M.Sutalinov: Dumaju, storonniki F.Kulova ne budut narušat’ zakon, . Akipress, 11.4.2007g, Sutalinov: Protiv maroderov budet primenjat’sja oružie, . Akipress, 11.4.2007h, Bliz Biškeka raspoložena voennaja technika, v tom čisle BTRy, . Akipress, 11.4.2007i, O.Tekebaev: Prezident rastoptal dostoinstvo kyrgyzskogo naroda i poėtomu on dolžen ujti, . Akipress, 11.4.2007j, Kulov: Kto-to rasprostranil sluchi, čto ja pošel na tajnye peregovory. I daže blizkie ljudi stali otnosit’sja ko mne po-drugomu, . Akipress, 11.4.2007k, K. Bajbolov: Posle 2 let obmana i lži my prosto vynuždeny trebovat’ otstavki Bakieva, . Akipress, 11.4.2007l, Kulov: Sut’ našich trebovanij - dosročnye vybory Prezidenta i prinjatie novoj Konstitucii, . Akipress, 11.4.2007m, Trebovanija učastnikov bessročnogo mitinga ot 11 aprelja 2007 goda g.Biškek, . Akipress, 11.4.2007n, Bakiev: Ja by ne stal sravnivat’ nas s Ukrainoj, u nas situacija raznaja, . Akipress, 11.4.2007o, V.Bogatyrev: Vlast’ posle segodnjašnego mitinga podumyvaet, čto vse uže rešeno i ne nado ničego delat’, . Akipress, 11.4.2007p, Arkadij Dubnov: Rešenija i s toj, i drugoj storony budut prinimat’sja po mere prodolženija mitinga i obnaruženija v nem skrytych resursov, .
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Akipress, 12.4.2007, Ė.Alymbekov: Miting udalsja, ja ne ožidal takogo količestva učastnikov, . Akipress, 12.4.2007a, M.Sutalinov, glava GKNB: Esli F. Kulova ne podderžali, ėto ego problemy, . Akipress, 12.4.2007b, Kulov: Glavnaja zadača - sokratit’ polnomočija Prezidenta. Front ešče ne projavil sebja, . Akipress, 12.4.2007c, O.Suvanaliev ne spravilsja s chozjajstvennymi delami Fronta, . Akipress, 12.4.2007d, Predstaviteli Fronta oprovergli informaciju o smeščenii Suvanalieva s rukovodstva Štabom dviženija, . Akipress, 12.4.2007e, Omurbek Babanov: Včera sostojalsja tol’ko pervyj den’ mitingov. Miting budet narastat’, . Akipress, 12.4.2007f, Institut obščestvennoj informacii i ėkspertizy: Front poterpel vnušitel’noe poraženie na media-ploščadkach, . Akipress, 12.4.2007g, IWPR: Miting oppozicii ne opravdal ožidanij, . Akipress, 12.4.2007h, Vneočerednaja sessija Žogorku Keneša sozyvat’sja ne budet, . Akipress, 12.4.2007i, Spiker Sultanov predložil obsudit’ variant Konstitucii ot oppozicii v formate parlamentskich slušanij, . Akipress, 12.4.2007j, Covmestnyj proekt Konstitucii Fronta i «Za reformy» budet vnesen v ŽK kak iniciativa gruppy deputatov, . Akipress, 12.4.2007k, Rabota Žogorku Keneša 16 aprelja načnetsja s procedury izbranija člena Konstitucionnogo suda, . Akipress, 12.4.2007l, K.Tašiev: Bol’šinstvo deputatov parlamenta ne chotjat menjat’ dekabr’skuju konstituciju, . Akipress, 13.4.2007, Atambaev: 11 aprelja pokazalo perspektivy u mitinga net. Chotja imenno on pomogaet Konstitucionnoj reforme, . Akipress, 13.4.2007a, Oppozicija namerena provesti «krupnyj» miting v načale sledujuščej nedeli, . Akipress, 13.4.2007b, Segodnja na mitinge po raznym ocenkam bylo ot 4 do 10 tys.čelovek, . Akipress, 13.4.2007c, Oppozicija namerena provesti «krupnyj» miting v načale sledujuščej nedeli, . Akipress, 13.4.2007d, Oppozicija poka ne vnesla svoj proekt Konstitucii v ŽK, . Akipress, 13.4.2007e, Komitet ŽK vynes zaključenie napravit’ zakonoproekt s izmenenijami v Konstituciju v Konstitucionnyj sud, .
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Akipress, 13.4.2007f, О.Абдрахманов: Митинг будет продолжаться долго, . Akipress, 13.4.2007g, Mitingujuščie s lozungami «Nogojbaev, ketsin!» podošli k zdaniju MVD, . Akipress, 13.4.2007h, A.Sasykbaeva: Na stadione «Spartak» nachodjatsja 300 čelovek, «neponjatno otkuda i kem privezennye». Im dan prikaz vzjat’ šturmom Belyj dom, . Akipress, 13.4.2007i, Lider dviženija «Kanžar»: Milicija zaderžala bolee 100 mitingujuščich, . Akipress, 13.4.2007j, Ministr VD priznaet, čto ne stoilo provodit’ razvod na ploščadi sredi mitingujuščich, . Akipress, 14.4.2007, Topčubek Turgunaliev: Kulov stal političeskim bankrotom, . Akipress, 14.4.2007a, Bolee 3 tysjač mitingujuščich napravilis’ k GTRK, und Mitingujuščie trebujut u GTRK predostavlenija oppozicii ėfirnogo vremja, . Akipress, 14.4.2007b, Okolo zdanija GTRK proizošla draka, . Akipress, 14.4.2007c, Koordinator otdelenija partii «Ar-Namys»: Provokaciju ustroil syn byvšego gubernatora Talasskoj oblasti, . Akipress, 14.4.2007d, Gendirektor NTRK: My uže 5 dnej nazad predlagali oppozicii svoi uslovija, no otveta ne posledovalo, . Akipress, 14.4.2007e, Mitingujuščie podošli k domu pravitel’stva, . Akipress, 14.4.2007f, M.Ėšimkanov: My ne chotim maroderstv, my ne chotim zachvatyvat’ Belyj dom, my za spravedlivost’, . Akipress, 14.4.2007g, T.Sariev: Vlast’ ustraivaet provokacii, čtoby u nee bylo osnovanie dlja primenenija sily (interv’ju), . Akipress, 14.4.2007h, IPP: K oseni deputaty navernjaka iniciirujut rospusk ŽK, . Akipress, 15.4.2007, Ob’’edinennyj front izmenil svoi trebovanija, dobaviv nemedlennuju otstavku prezidenta K.Bakieva, . Akipress, 15.4.2007a, Stenogramma press-konferencii lidera OF Feliksa Kulova, . Akipress, 15.4.2007b, F.Kulov: Na sledujuščej nedele my prinudim K.Bakieva podat’ v otstavku, . Akipress, 15.4.2007c, Umer odin iz učastnikov političeskoj akcii (podrobnosti), .
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Akipress, 16.4.2007, Parlament perenes vybory sudej Konstitucionnogo suda, . Akipress, 16.4.2007a, Oppozicija gotova vnesti svoi predloženija v proekt Konstitucii, vnesennyj v ŽK prezidentom, . Akipress, 16.4.2007b, Toraga ŽK M.Sultanov: Otkrylas’ doroga dlja provedenija peregovorov, . Akipress, 16.4.2007c, A.Atambaev: Bol’še vsego bojus’ uslužlivych durakov, . Akipress, 16.4.2007d, Valentin Bogatyrev: «Vse gotovy k peregovoram, i oni mogut načat’sja vne zavisimosti ot pozicii Kulova», . Akipress, 16.4.2007e, Mitingujuščie perekryli vchody v Parlament, gde nachoditsja prem’er Atambaev, . Akipress, 16.4.2007f, Oppozicija namerena sobrat’ na ploščadi 100 tysjač čelovek, . Akipress, 16.4.2007g, M.Ėšimkanov : Vo vsech regionach projdut mitingi, a 19 aprelja budet rešajuščim dnem, . Akipress, 16.4.2007h, K.Tašiev: Oppozicionnye deputaty dolžny izvinit’sja pered ŽK i narodom za izbienie čeloveka na ploščadi, . Akipress, 16.4.2007i, A.Abdirasulova: Organizatory mitinga prevysili polnomočija, doprosiv podozrevaemogo prjamo na ploščadi pered massoj ljudej, . Akipress, 16.4.2007j, Predstaviteli oppozicii primut učastie v rassledovanii smerti Bektemira Akunova, . Akipress, 16.4.2007k, Ministr VD B.Nogojbaev soobščil ob obstojatel’stvach smerti učastnika mitinga oppozicii B.Akunova, . Akipress, 17.4.2007, Za zakrytymi dverjami parlamenta deputaty podralis’, . Akipress, 17.4.2007a, Ė.Alymbekov: Draki kak takovoj ne bylo, . Akipress, 17.4.2007b, 30 deputatov namereny bojkotirovat’ konstitucionnuju reformu, . Akipress, 17.4.2007c, Ė.Alymbekov: Torpedirovanie konstitucionnoj reformy privedet k ešče bol’šemu protivostojaniju, . Akipress, 17.4.2007d, V parlamente krizisa net, sčitaet deputat Ischak Masaliev, . Akipress, 17.4.2007e, M.Sultanov: Parlament gotov k obsuždeniju edinogo varianta Konstitucii, . Akipress, 17.4.2007f, M.Ėšimkanov: O.Babanov prisoedinilsja k mitingujuščim, .
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Akipress, 17.4.2007g, O.Babanov: Čtoby razrjadit’ situaciju, deputaty budut gotovy pojti na samorospusk parlamenta (interv’ju), . Akipress, 17.4.2007h, Ob’’edinennyj Front, «Za Reformy!» i učastniki mitinga obraščajutsja k žiteljam Biškeka, . Akipress, 17.4.2007i, K.Samakov provel sobstvennoe deputatskoe rassledovanie po smerti Bektemira Akunova, učastnika mitinga OF, . Akipress, 17.4.2007j, M.Ėšimkanov: B.Akunova očen’ sil’no izbili v kamere, ne bylo nikakogo samoubijstva, . Akipress, 18.4.2007, Bajbolov: Prezident rassčityvaet na volokitu konstitucionnoj reformy, čtoby ostat’sja pri polnomočijach (interv’ju), . Akipress, 18.4.2007a, Ė.Alymbekov: My sozdali ob’’edinennuju parlamentskuju frakciju oppozicii vo glave s O.Tekebaevym, . Akipress, 18.4.2007b, Mitingujuščie idut k Nacional’nomu universitetu, a dal’še - k GTRK, . Akipress, 18.4.2007c, Mitingujuščie rešili ne idti k GTRK, . Akipress, 18.4.2007d, OF: Okolo 500 našich storonnikov perekryli dorogu Biškek-Balykčy, . Akipress, 18.4.2007e, V Naryne mitingujuščie pytalis’ zanjat’ zdanie oblgosadministracii, . Akipress, 18.4.2007f, Zdanija oblastnych i rajonnych gosadministracij mitingujuščimi ne zachvatyvalis’, . Akipress, 18.4.2007g, Mitingujuščie Čujskoj oblasti potrebovali ot glavy oblasti prisoedinit’sja k narodu, . Akipress, 18.4.2007h, Omurbek Abdrachmanov: Nam ne privykat’ k vozbuždeniju ugolovnych del, . Akipress, 18.4.2007i, M.Ėšimkanov: Pust’ vozbuždajut ugolovnoe delo, ėto iz serii «disketgejta», . Akipress, 18.4.2007j, Omurbek Babanov: Sejčas ne vremja molčat’ (zajavlenie), . Akipress, 19.4.2007, K.Tašiev i otdel’nye deputaty prodolžajut nastaivat’ na ignorirovanii konstitucionnoj reformy, . Akipress, 19.4.2007a, R.Otunbaeva: Igry v koški-myški pora uže prekraščat’, .
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Akipress, 19.4.2007b, M.Sultanov: Esli ŽK pridet k edinomu mneniju po konstitucii, sledujuščij ėtap - peregovory s prezidentom, . Akipress, 19.4.2007c, Mitingujuščie na Staroj ploščadi zablokirovali puti dlja vyezda služebnych deputatskich mašin, a takže dveri ŽK, . Akipress, 19.4.2007d, T.Sariev poprosil mitingujuščich na Staroj ploščadi ne nagnetat’ obstanovku, . Akipress, 19.4.2007e, Na ploščadi Alatoo načalsja miting oppozicii, . Akipress, 19.4.2007f, O.Tekebaev: My gotovy prodolžat’ mitingi mesjac-poltora, . Akipress, 19.4.2007g, Sredi mitingujuščich net ni odnogo lidera Ob’’edinennogo fronta, krome Sarieva, . Akipress, 19.4.2007h, Gruppa parnej pytalas’ prorvat’sja v Dom pravitel’stva, . Akipress, 19.4.2007i, Mitingujuščie zabrasyvajut milicionerov kamnjami i butylkami, . Akipress, 19.4.2007j, Milicionery streljajut šumovymi i gazovymi granatami i presledujut tolpu, . Akipress, 19.4.2007k, Na Alatoo pribyl ministr VD B.Nogojbaev, milicionery skandirujut «Sariev, ketsin!», . Akipress, 19.4.2007l, Mitingujuščich vytesnili s ploščadi na ulicy Dzeržinskogo, Kievskaja, Čuj, primenjajutsja dymovye šaški, gaz, . Akipress, 19.4.2007m, Na Sovetskuju-Čuj priechali mašiny s miliciej, . Akipress, 19.4.2007n, Milicionery razbirajut jurty na ploščadi Alatoo, . Akipress, 19.4.2007o, Press-služba prezidenta: Vsja otvetstvennost’ za proischodjaščie sobytija ležit na liderach fronta, . Akipress, 19.4.2007p, F.Kulov: Vsja otvetstvennost’ za besporjadki ležit na vlasti, . Akipress, 19.4.2007q, Kulov: Process mirnoj peredači vlasti načalsja, . Akipress, 20.4.2007, Segodnja noč’ju byl arestovan tiraž 4 oppozicionnych gazet, . Akipress, 20.4.2007a, Tekebaev: V ofis партии «Ата Мекен» без санкции пытаются войти сотрудники правоохранительных органов, .
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Akipress, 20.4.2007b, Iz Ofisov Ob’’edinennogo fronta, a takže partii «ArNamys» GKNB vynosit komp’jutery, dokumenty, . Akipress, 20.4.2007c, T.Ismailova: Rebjat iz molodežnogo kryla «Ar-namys» v ofise OF izbili prikladami avtomatov, . Akipress, 20.4.2007d, Členy Fronta, ne obladajuščie deputatskim immunitetom, vyzvany na dopros v GKNB, . Akipress, 20.4.2007e, Vystuplenie ministra vnutrennich del B.Nogojbaeva v Žogorku Keneše o sobytijach 19 aprelja (stenogramma), . Akipress, 20.4.2007f, Deputaty vključili v postanovlenie ŽK punkt o privlečenii k otvetstvennosti organizatorov mitinga, . Akipress, 20.4.2007g, T.Ismailova: Rebjat iz molodežnogo kryla «Ar-namys» v ofise OF izbili prikladami avtomatov, . Akipress, 20.4.2007h, Pravozaščitnica Č.Džakupova: Kyrgyzstan prevraščaetsja vo vtoruju Siciliju, . Akipress, 20.4.2007i, Žiteli Bajtika vosprepjatstvovali sotrudnikam GKNB uvezti F.Kulova na dopros, opasajas’ za ego svobodu, . Akipress, 20.4.2007j, V Talase prošel miting po zaščite nekotorych liderov Ob’’edinennogo fronta, . Akipress, 20.4.2007k, Dviženie molodeži «Žebe» vystupaet za ob’’javlenie impičmenta Prezidentu Kyrgyzstana, . Akipress, 20.4.2007l, Žiteli odnogo iz sel Žalalabadskoj oblasti trebujut privleč’ organizatorov besporjadkov 19 aprelja v Biškeke, . Akipress, 20.4.2007m, Žiteli i predprinimateli Leninskogo rajona stolicy protiv mitingov i ul’timatumov, . Akipress, 20.4.2007n, Covet ženščin Aksyjskogo rajona Žalalabadskoj oblasti prizyvaet oppoziciju sest’ za stol peregovorov, . Akipress, 20.4.2007o, «Za reformy!» rešili priostanovit’ provedenie mitinga, . Akipress, 20.4.2007p, O.Tekebaev: Esli pravoochranitel’nye organy ne najdut ispolnitelej provokacij, značit organizator – vlast’, . Akipress, 20.4.2007q, O.Tekebaev: Možno skazat’, čto segodnjašnee postanovlenie ŽK nosit tendenciozno odnobokij charakter, . Akipress, 20.4.2007r, Politolog MGU Žibek Syzdykova: Političeskij krizis v Kyrgyzstane možet vylit’sja v revoljuciju, . Akipress, 21.4.2007, Vystuplenie A.Atambaeva na press-konferencii 19 aprelja 2007 goda posle mitinga (stenogramma), .
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Akipress, 21.4.2007a, Kulov: My ne imeem otnošenija k besporjadkam, proizošedšim 19 aprelja, k nim imejut otnošenie vlasti, . Akipress, 21.4.2007b, F.Kulov sčitaet svoej pervoočerednoj zadačej rabotu nad obščestvennym soznaniem ljudej, . Akipress, 21.4.2007c, F.Kulov nachoditsja na doprose GKNB, . Akipress, 23.4.2007, O.Suvanalieva na tri dnja vodvorili v SIZO GKNB, . Akipress, 23.4.2007a, F.Kulov: U ljudej pojavilis’ nastroenija šachidskogo charaktera, . Akipress, 23.4.2007b, T. Sariev: Dviženie «Za reformy!» načnet rabotat’ s udvoennoj siloj, . Akipress, 23.4.2007c, PolitCom.ru: Kyrgyzskij Pat, . Akipress, 23.4.2007d, Analitik V.Bogatyrev: Nas ždet ser’eznaja smena političeskogo prostranstva, . Akipress, 24.4.2007, Omurbek Abdrachmanov nachoditsja v SIZO GKNB so včerašnego dnja, . Akipress, 24.4.2007a, Pravozaščitniki predupreždajut vlast’, čto podavlenie oppozicii privedet k uglubleniju raskola v strane, . Akipress, 24.4.2007b, Partija SDS «Ak Šumkar» trebuet načat’ reformu konstitucii i prekratit’ političeskie presledovanija, . Akipress, 24.4.2007c, Partija «Ata Meken» zajavljaet, čto vlasti razvjazali terror v otnošenii sobstvennogo naroda, . Akipress, 24.4.2007d, V Oše sotrudniki GKNB proizveli obysk v oblastnom ofise partii «Ata Meken», . Akipress, 24.4.2007e, Politolog Mars Sariev: Dlja kogo rasčiščajut žiznennoe prostranstvo kyrgyzskie politiki?, . Akipress, 24.4.2007f, Ėlla Taranova: Bylo by ošibkoj brosat’ Kyrgyzstan na proizvol sud’by, . Akipress, 25.4.2007, V Talasskoj oblasti uže vtoroj den’ prochodit miting s trebovaniem osvobodit’ iz-pod straži O.Suvanalieva, . Akipress, 25.4.2007a, U zdanija GKNB pravozaščitniki trebujut osvobodit’ «političeskich uznikov», . Akipress, 25.4.2007b, 10 deputatov podpisali chodatajstvo ob osvoboždenii izpod straži O.Abdrachmanova i O.Suvanalieva, . Akipress, 26.4.2007, V dome glavnogo redaktora gazety «Kyrgyz Ruchu» milicija provela obysk, .
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Akipress, 26.4.2007a, GKNB: Pri obyske ofisov OF i «Ata-Meken» byli iz’’jaty kepki belogo cveta, termosy so spirtom, bronežilety, ščity, flagi, . Akipress, 26.4.2007b, U zdanija GKNB mitingujut okolo 40 čelovek, . Akipress, 26.4.2007c, Pravozaščitniki namereny prosit’ u meždunarodnogo soobščestva političeskoe ubežišče dlja A.Ajtikeeva, . Akipress, 26.4.2007d, Pravozaščitniki namereny iniciirovat’ sudebnyj isk protiv Genprokurotury i GKNB, . Akipress, 27.4.2007, Kulov segodnja pribudet v GKNB i poprosit zaderžat’ ego vmesto troich oppozicionerov, . Akipress, 27.4.2007a, GKNB ne možet vzjat’ pod stražu Kulova v obmen na trech zaderžannych, . Akipress, 27.4.2007b, «Ata Meken» podast v sud na sledovatelja GKNB Kaparova za «lož’» ob iz’’jatii u nich rjada predmetov, . Akipress, 27.4.2007c, Atambaev i Sadyrkulov poobeščali Tekebaevu pomoč’ osvobodit’ Suvanalieva, Abdrachmanova i Ajtikeeva, . Akipress, 27.4.2007d, Osvoboždeny O.Abdrachmanov, O.Suvanaliev i A.Ajtikeev, . Akipress, 27.4.2007e, Obraščenie lidera socialističeskoj partii «Ata Meken» Omurbeka Tekebaeva, . Akipress, 27.4.2007f, Sariev: Esli ne budet sistemnoj reformy i ne budet učityvat’sja real’naja sila oppozicii, to ja ne garantiruju, čto ne budet mitingov, . Akipress, 27.4.2007g, Dviženie «Za reformy»: Vlast’ chočet zapugat’ nas, vselit’ v nas strach (zajavlenie), . Akipress, 27.4.2007h, T.Sariev: Popytka ob’’edinit’ vsju oppoziciju pod lozungom «Otstavka prezidenta» okazalas’, vidimo, bol’šoj ošibkoj, . Akipress, 27.4.2007i, Partija «Ak-Šumkar», Dviženie «Za reformy» i rjad NPO provedut konferenciju «Uroki aprelja», . Akipress, 28.4.2007, M.Sadyrkulov: Rešenie ob izmenenii mery presečenija O.Suvanalievu i O.Abdrachmanovu prinimala Genprokuratura, . Akipress, 28.4.2007a, Troim oppozicioneram mera presečenija «soderžanie pod stražej» zamenena na «podpisku o nevyezde», . Akipress, 28.4.2007b, T.Sariev priznal dva glavnych uroka aprel’skich mitingov, .
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Akipress, 28.4.2007c, Raja Kadyrova o pričinach sniženija uspešnosti aprel’skich mitingov, . Akipress, 30.4.2007, Atambaev: Posle izmenenija Konstitucii Prezident budet naznačat’ ili snimat’ členov Pravitel’stva tol’ko po predstavleniju Prem’erministra, . Akipress, 4.5.2007, Prezident K.Bakiev pozdravil kyrgyzstancev s Dnem konstitucii, . Akipress, 8.6.2007, A.Atambaev polagaet, čto Konstitucionnyj sud dast svoe zaključenie na popravki v Konstituciju k oseni, . Akipress, 16.10.2007, Partiju «Sodružestvo» pokinuli ee lidery, . Akipress, 16.10.2007a, Prezident ne budet raspuskat’ parlament, sčitaet vicespiker Kubanyčbek Isabekov, . Akipress, 17.10.2007, RĖBP: Naše rešenie o slijanii s partiej «Ak Žol» zavisit ot itogov peregovorov, kotorye idut ėtu nedelju, . Akipress, 21.10.2007, Partija «Sodružestvo» blagodarit Prezidenta K.Bakieva za referendum, . Akipress, 22.10.2007, Deputat Rašid Tagaev složil svoi polnomočija deputata, . Akipress, 23.10.2007, V partiju «Ak Žol» vošli ėks-vice-spiker K.Isabekov i ešče 12 byvšich deputatov, . Akipress, 10.11.2007, Predvaritel’nyj spisok kandidatov v deputaty ot partii «Ak Žol», . Akipress, 24.12.2007, Na posty zamestitelej spikera ot partii «Ak Žol» vnosjatsja Č.Baekova, K.Isabekov i A.Tursunbaev, . Akipress, 14.11.2008, Za poslednie 2 goda 9 kyrgyzstancev byli vynuždeny pokinut’ stranu po političeskim motivam, . Akipress Kommentare, 2006, (20.12.2008). Akipress Kommentare, 4.2006, (Im Besitz des Autors). Akipress Kommentare, 4.2006, (Im Besitz des Autors). Akipress Kommentare, 4.2006a, (Im Besitz des Autors). Akipress Kommentare, 5.2006, (Im Besitz des Autors). Akipress Kommentare, 5.2006a, (Im Besitz des Autors). Akipress Kommentare, 5.2006b, (Im Besitz des Autors). Akipress Kommentare, 5.2006c, (Im Besitz des Autors). Akipress Kommentare, 5.2006d, (Im Besitz des Autors).
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Akipress Kommentare, 7.2006, (Im Besitz des Autors). Akipress Kommentare 2006a, (20.12.2008). Akipress Kommentare, 3.2007, (20.12.2008). Akipress Kommentare, 4.2007, (Im Besitz des Autors). Akipress Kommentare, 5.2007, (Im Besitz des Autors). Associated Press, 19.4.2007, Police, demonstrators clash in Kyrgyzstan. Tear gas fired at 7,000 opposition protesters calling for president’s ouster, (20.12.2010). Belyj Parus, 8.2.2006, Otstavka Tekebaeva: Ujti, čtoby vernut’sja?, Belyj Parus, (18.12.2008). CEE Bankwatch Network, 10.4.2000, Kumtor - otravlennoe zoloto, (18.12.2010). Centrasia, 5.3.2002, Političeskaja ėlita sovremennogo Kyrgyzstana. Čast’ 4-ja. Oppozicija,http://www.centrasia.ru/newsA.php?st=1015282980 (20.12.2010). DeloNr, 4.2.2010, Kto est’ Kto, Delo № ..., (20.12.2010). DeloNr, 11.2.2010, Real’naja Kyrgyzskaja politika: čtoby idti vpered, nado... vernut’sja nazad?!, (20.12.2010). Diesel Kommentare, 2006, (20.12.2008). Diesel Kommentare, 4.2007, (20.12.2008). Diesel Kommentare, 4.2007a, (20.12.2008). Diesel Kommentare, 4.2007b, (20.12.2008). Diesel Kommentare, 4.2007c, (20.12.2008). Diesel Kommentare, 4.2007d, (20.12.2008). Eurasia Daily Monitor, 4.1.2007, Parliamentary reelections looming as another new constitution adopted in Kyrgyzstan, (20.12.2008).
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EWVP, 8.11.2006, Eženedel’nyj Vestnik, Early Warning For Violence Prevention, 8.11.2006, Nr. 45, Foundation Tolerance International, (18.12.2010). EWVP, 30.1.2007, Eženedel’nyj Vestnik, Early Warning For Violence Prevention, 30.1.2007, Nr. 56, Foundation Tolerance International, (18.12.2010). EWVP, 15.3.2007, Eženedel’nyj Vestnik, Early Warning For Violence Prevention, 15.3.2007, Nr. 62, Foundation Tolerance International, (18.12.2010). EWVP, 22.3.2007, Eženedel’nyj Vestnik, Early Warning For Violence Prevention, 22.3.2007, Nr. 63, Foundation Tolerance International, (18.12.2010). EWVP, 5.4.2007, Eženedel’nyj Vestnik, Early Warning For Violence Prevention, 5.4.2007, Nr. 65, Foundation Tolerance International, (18.12.2010). EWVP, 26.4.2007, Eženedel’nyj Vestnik, Early Warning For Violence Prevention, 26.4.2007, Nr. 68, Foundation Tolerance International, (18.12.2010). Fergana, 27.5.2006, Massovyj miting kirgizskoj oppozicii prošel mirno, Fergana.News, 27.05.2006, (18.12.2010). Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.1.2007, Neue Regierung in Kirgistan. ‚Tandem‘ der Revolutionstage zerbrochen, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.01.2007, Nr. 25, (20.12.2008). Ferghana.ru, 8.2.2006, Perešli na ličnosti. Spiker kirgizskogo parlamenta uchodit v otstavku iz-za davnej neprijazni k prezidentu strany, Ferghana.ru, 8.2.2006, (18.12.2008). Institute for Public Policy, 12.4.2007, Assessment of Political Situation in Kyrgyzstan. Round table summary (12 April 2007), Institute for Public Policy, 12.4.2007, (20.12.2010). IWPR, 20.2.2006, Kyrgyz Speaker Resigns in Row with President, by Saralaeva, L., Institute for War and Peace Reporting, 20.2.2006, Reporting Central Asia, Nr. 435, (20.12.2008). IWPR, 23.1.2007, Yet Another Constitution for Kyrgyzstan, Institute for War and Peace Reporting, 23.1.2007, Reporting Central Asia, Nr. 478, (20.12.2008).
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MSN, 7.2.2006a, Internet fiksiruet rost doverija k prezidentu, Moja Stolica Novosti, 7.2.2006, (20.12.2010). MSN, 8.2.2006, Prezident skazal to, čto nado, i vovremja, Moja Stolica Novosti, 8.2.2006, (20.12.2010). MSN, 8.2.2006a, Smožet li Žogorku Keneš podnjat’sja vyše prezidenta?, Moja Stolica Novosti, 8.2.2006, (20.12.2010). MSN, 10.2.2006, Davajte rabotat’ tak, čtoby naši ljudi žili v spokojstvii, — skazal včera prezident strany Kurmanbek Bakiev, Moja Stolica Novosti, 10.2.2006, (20.12.2010). MSN, 10.2.2006a, O čem kričat martovskie “koty”?, Moja Stolica Novosti, 10.2.2006, (20.12.2010). MSN, 10.2.2006b, Akcija protesta ili reklamnyj trjuk?, Moja Stolica Novosti, 10.2.2006, (20.12.2010). MSN, 10.2.2006c, V parlamente kipjat strasti: spiker v roli izgoja, Moja Stolica Novosti, 10.2.2006, (20.12.2010). MSN, 14.2.2006, Spiker vnov’ ispytyvaet sud’bu, Moja Stolica Novosti, 14.2.2006, (20.12.2010). MSN, 17.2.2006, Blicturnir s “korolem”, Moja Stolica Novosti, 17.2.2006, (20.12.2010). MSN, 24.2.2006, Čto s nami proischodit?, Moja Stolica Novosti, 24.2.2006, (20.12.2010). MSN, 24.2.2006a, Vostočnye skazki ot Tekebaeva, Moja Stolica Novosti, 24.2.2006, (20.12.2010). MSN, 28.2.2006, Ušel. Po sobstvennomu želaniju, Moja Stolica Novosti, 28.2.2006, (20.12.2010). MSN, 3.3.2006, Ėcho otstavki, Moja Stolica Novosti, 3.3.2006, (20.12.2010). MSN, 3.3.2006a, Osuždenie naroda prevyše sudebnogo verdikta, Moja Stolica Novosti, 3.3.2006, (20.12.2010). MSN, 3.3.2006b, Svet soglasija v konce tonnelja razdora, Moja Stolica Novosti, 3.3.2006, (20.12.2010). MSN, 11.4.2006, Vorovskim ponjatijam — net! Zakonu i porjadku— da!, Moja Stolica Novosti, 11.4.2006, (20.12.2010). MSN, 11.4.2006a, Ponedel’nik! Činovnik — na kover!, Moja Stolica Novosti, 11.4.2006, (18.12.2010). MSN, 14.4.2006, Do “gorjačego” ne došlo, Moja Stolica Novosti, 14.4.2006, (18.12.2010). MSN, 14.4.2006a, Ėdileva rana na tele gosudarstva, Moja Stolica Novosti, 14.4.2006, (18.12.2010).
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MSN, 18.4.2006, Pokoj nam tol’ko snitsja, Moja Stolica Novosti, 18.4.2006, (20.12.2010). MSN, 21.4.2006, Kurmanbek Bakiev: “Revoljucii ne budet”, Moja Stolica Novosti, 21.4.2006, (18.12.2010). MSN, 21.4.2006a, Lož’ kak oružie massovogo poraženija, Moja Stolica Novosti, 21.4.2006, (18.12.2010). MSN, 21.4.2006b, Kto raskačivaet lodku?, Moja Stolica Novosti, 21.4.2006, (18.12.2010). MSN, 25.4.2006, Miting mitingu rozn’. A scenaristy kto?, Moja Stolica Novosti, 25.4.2006, (18.12.2010). MSN, 25.4.2006a, Vlast’, oppozicija, my, Moja Stolica Novosti, 25.4.2006, (18.12.2010). MSN, 26.4.2006, Isterika voinstvujuščich demokratov, Moja Stolica Novosti, 26.4.2006, (18.12.2010). MSN, 28.4.2006, Miting — ne roskoš’, a sanitarnaja obrabotka, Moja Stolica Novosti, 28.4.2006, (18.12.2010). MSN, 28.4.2006a, Idti ili ne idti za popami gaponami na glavnuju ploščad’?, Moja Stolica Novosti, 28. 4.2010, (18.12.2010). MSN, 28.4.2006b, Klon na mitinge, Moja Stolica Novosti, 28.4.2006, (18.12.2010). MSN, 3.5.2006, Promokšaja cel’, ili Prodolženie sleduet?.., Moja Stolica Novosti, 3.5.2006, (18.12.2010). MSN, 3.5.2006a, Čto pokazal miting, Moja Stolica Novosti, 3.5.2006, (18.12.2010). MSN, 3.5.2006b, Kak otorvat’sja ot svoego jakorja?, Moja Stolica Novosti, 3.5.2006, (18.12.2010). MSN, 7.5.2006, Kak vyjti iz mitingovogo tupika?, Moja Stolica Novosti, 7.5.2006, (18.12.2010). MSN, 7.5.2006a, Ministry sobralis’ bylo v otstavku…, Moja Stolica Novosti, 7.5.2006, (18.12.2010). MSN, 7.5.2006b, Zemlja plyvet. Mužajtes’, muži!, Moja Stolica Novosti, 7.5.2006, (18.12.2010). MSN, 10.5.2006, Nepreodolimoe?, Moja Stolica Novosti, 10.5.2006, (18.12.2010). MSN, 12.5.2006, Vlast’ opazdyvaet i ėtim daet foru oppozicii, Moja Stolica Novosti, 12.5.2006, (18.12.2006). MSN, 12.5.2006a, Вношу предложения, Моя Столица Новости, 12.5.2006, (18.12.2010).
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MSN, 12.5.2006b, Vlast’ opazdyvaet i ėtim daet foru oppozicii, Moja Stolica Novosti, 12.5.2006, (18.12.2010). MSN, 16.5.2006, Deputaty obraščajutsja, rešat’ — prezidentu, Moja Stolica Novosti, 16.5.2006, (18.12.2010). MSN, 17.5.2006, Portret korrupcionera, Moja Stolica Novosti, 17.5.2006, (18.12.2010). MSN, 23.5.2006, Tot li povod, čtoby zakryvat’ dveri?, Moja Stolica Novosti, 23.5.2006, (18.12.2010). MSN, 26.5.2006, Političeskaja provokacija ili?.., Moja Stolica Novosti, 26.5.2006, (18.12.2010). MSN, 26.5.2006a, Č’i uši torčat za mirnymi mitingami?, Moja Stolica Novosti, 26.5.2006, (18.12.2010). MSN, 26.5.2006b, Čego ne nado delat’ v ėpochu bol’šich peremen, Moja Stolica Novosti, 26.5.2006, (18.12.2010). MSN, 30.5.2006, Kogda izmenjaet čuvstvo mery, Moja Stolica Novosti, 30.5.2006, (18.12.2010). MSN, 30.5.2006a, Oda v čest’ majskogo mitinga i oppozici, Moja Stolica Novosti, 30.5.2006, (18.12.2010). MSN, 9.6.2006, Kurmanbek Bakiev: Nam nužno naučit’sja uvažat’ drug druga, a takže dumat’, prežde čem govorit’ i delat’ čto–to, Moja Stolica Novosti, 9.6.2006, (18.12.2010). MSN, 5.9.2006, A kak budem žit’ dal’še?, Moja Stolica Novosti, 5.9.2006, (18.12.2010). MSN, 5.9.2006a, Kanikuly kanuli v prošloe, čego ne skažeš’ o problemach, Moja Stolica Novosti, 5.9.2006, (18.12.2010). MSN, 6.9.2006, Ėl’vira Usubekova: Konstituciju dolžen vybirat’ narod, Moja Stolica Novosti, 6.9.2006, (18.12.2010). MSN, 12.9.2006, Suvenir osobogo naznačenija, Moja Stolica Novosti, 12.9.2006, (18.12.2010). MSN, 13.9.2006, S takim bratom i vragov ne nado, Moja Stolica Novosti, 13.9.2006, (18.12.2010). MSN, 15.9.2006, Podderžim zakonnost’ i pravoporjadok!, Moja Stolica Novosti, 15.9.2006, (18.12.2010). MSN, 19.9.2006, Mjač v svoi vorota, Moja Stolica Novosti, 19.9.2006, (18.12.2010). MSN, 22.9.2006, Aksyjcy vnov’ udivili vsech, ili vyvody “proval’nogo” vos’mogo kurultaja, Moja Stolica Novosti, 22.9.2006, (18.12.2010).
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MSN, 24.9.2006, Čingiz Ajtmatov: Kyrgyzstanu neobchodimo priderživat’sja prezidentsko–parlamentskoj formy pravlenija, Moja Stolica Novosti, 24.9.2006, (18.12.2010). MSN, 25.9.2006, Žogorku Keneš na trope vojny i mira, Moja Stolica Novosti, 25.9.2006, (18.12.2010). MSN, 26.9.2006, Skandal’nyj blesk i niščeta oppozicii, Moja Stolica Novosti, 26.9.2006, (18.12.2010). MSN, 13.10.2006, Proobsuždavšiesja, Moja Stolica Novosti, 13.10.2006, (18.12.2010). MSN, 13.10.2006a, …A karavan idet!, Moja Stolica Novosti, 13.10.2006, (18.12.2010). MSN, 17.10.2006, Kogo prezidentu slušat’?, Moja Stolica Novosti, 17.10.2006, (18.12.2010). MSN, 17.10.2006a, Počem nynče “pustyški” dlja naroda?, Moja Stolica Novosti, 17.10.2006, (18.12.2010). MSN, 20.10.2006, Čto kroetsja za blagimi namerenijami?, Moja Stolica Novosti, 20.10.2006, (18.12.2010). MSN, 20.10.2006a, Prezident protjagivaet ruku soglasija, Moja Stolica Novosti, 20.10.2006, (18.12.2010). MSN, 25.10.2006, “Razvod” na sed’moj ėtaž, ili Užimki štabistov, Moja Stolica Novosti, 25.10.2006, (18.12.2010). MSN, 25.10.2006a, Žogorku Keneš na trope vojny i mira, Moja Stolica Novosti, 25.10.2006, (18.12.2010). MSN, 27.10.2006, Prezident, parlament i oppozicija, Moja Stolica Novosti, 27.10.2006, (18.12.2010). MSN, 27.10.2006a, A te kivali na slona, Moja Stolica Novosti, 27.10.2006, (18.12.2010). MSN, 27.10.2006b, Tupik, Moja Stolica Novosti, 27.10.2006, (18.12.2010). MSN, 27.10.2006c, Narod protiv…, Moja Stolica Novosti, 27.10.2006, (18.12.2010). MSN, 27.10.2006d, Za stabil’nost’, edinstvo, soglasie!, Moja Stolica Novosti, 27.10.2006, (18.12.2010). MSN, 27.10.2006e, Kogo slušat’, za kem idti?, Moja Stolica Novosti, 27.10.2006, (18.12.2010). MSN, 31.10.2006, Obraščenie sportivnoj obščestvennosti respubliki k narodu Kyrgyzstana, Moja Stolica Novosti, 31.10.2006, (18.12.2010).
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Christine Hunner-Kreisel Erziehung zum »wahren« Muslim Islamische Bildung in den Institutionen Aserbaidschans 2008, 290 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-89942-839-1
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bibliotheca eurasica Markus Kaiser (Hg.) Auf der Suche nach Eurasien Politik, Religion und Alltagskultur zwischen Russland und Europa 2003, 398 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-89942-131-6
Markus Kaiser, Michael Schönhuth (Hg.) Zuhause? Fremd? Migrations- und Beheimatungsstrategien zwischen Deutschland und Eurasien Januar 2015, 460 Seiten, kart., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-2926-2
Irina Yurkova Der Alltag der Transformation Kleinunternehmerinnen in Usbekistan 2004, 212 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-89942-219-1
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