Die philosophische Bedeutung der Relativitätstheorie


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German Pages 47 [24] Year 1921

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Die philosophische Bedeutung der Relativitätstheorie

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Die philosophische Bedeutung der

Relativitätstheorie o'

. Vortrag . gehalten im I. Zyklus gemeinverständlicher Einzelvorträge, ' veranstaltet von der Universität München .

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Von

Mo ritz ·Geiger I I I

Profes·sor der Philosophie

Halie (Saale}

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Verlag von Max Niemeyei' 1921

Vorwort.

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In dem Zyklus gemeinverständlicher Einzelvorträge, den die Universität München im Sommersemester 1921 veranstaltet hat, behandelten zwei Vorträge die Relativitätstheorie: Der Vortrag des Herrn Geheimrat Prof. Dr. Sommerfeld hatte "Die physikalischen Tatsachen und ihre Prüfung in der Erfahrung" zum Thema, während der zweite - der hier im Druck vorliegende - die philosophische Bedeutung der Relativitätstheorie untersuchte: es wird in den folgenden Ausführungen auf diese Arbeitsteilung stets ausdrücklich Rücksicht genommen. Der gemeinverständliche Zweck des Vortrags erklärt esfernerhin, daß weder die philosophischen Grundlagen der Relativitätstheorie in die Tiefe verfolgt, noch auch die verschiedenen philosophischen Richtungen erschöpfend gekennzeichnet werden. Es ist dem Verfasser wohlbekannt, daß es auch Positivisten gibt, die Gegner der Relativitätstheorie sind, daß es Kantianer gibt, die von ganz anderen als den hier aufgewiesenen Gesichtspunkten her an die Relativitätstheorie .herangehen, daß tiefgründigere Auffassungen Kants existieren, als die ist, die hier um der Popularität der Darstellung willen gewählt wurde. Aber es schien dem Verfasser- gegenüber der haarsträubenden Verwirrung, die gerade in der philosophischen Ausdeutung der Relativitätstheorie herrscht - wichtig.er, in einigen wenigen klaren Linien, dem Laien verständlich, die Hauptpunkte herauszustellen, als durch all die "Wenns" und ;,Abers", die eine tieferbohrende philosophische Ausarbeitung mit sich gebracht hätte, das Verständnis zu verschütten. München, Juni 1921.

Moritz Geiger.

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Die philosophische Bedeutung der Relativitätstheorie.

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Man muß bis auf die Tage des Streites um den Darwinismus zurückgehen, bis man wieder in eine Epoche gelangt, in der eine zunächst wissenschaftlich gedachte Theorie ,so sehr die Gemüter philosophisch erregte, so sehr über di~ Grenzen der Wissenschaft hinausgriff, wie es heute mit der Einsteinsehen Relativitätstheorieder Fall ist. Und heute, wie damals, pflegt der Laie - im Salon und am Biertisch, in der Zeitung wie in der Volksversammlung - weit mehr über die umstrittene Theorie zu wissen als der Fachmann, und weittragende .Konsequenzen zu ziehen, von denen der Fachmann nichts ahnt. Die Relativitätstheorie, so wird uns von solchen Wissenden verkündet, habe unser ganzes Denken umgestürzt, von jetzt ab seien die alten Kategorien des Denkens nicht mehr brauchbar, neue müßten an deren Stelle treten. Die abenteuerlichsten Vorstellungen über die Welt und ihren Aufbau werden als gesicherte Folgerungen aus der Relativitätstheorie hingestellt. Und gerade, wie einst der Darwinismus, wird heute die Relativitätstheorie weniger beurteilt nach den rein wissenschaftlichen Tatsachen, als danach, wie sie zu der Weltanschauung des einzelnen steht. So ist sie dem einen der Ausfluß jenes unseligen Relativismus; der in Kunst und Lebensführung·, in Moral und Politik unsere ganze heutige Welt durchziehe und deshalb auch wissenschaftlich von vornherein zu verwerfen sei. Sie ist dem anderen ein letzter, höchster Sieg des. Gedankens der Relativität alles Seienden, der tiefste Erkenntnis bedeute, und deshalb müssen alle, die sich wissenschaftlich geg·en die Relativitätstheorie stemmen, Dunkelmänner und Rückständige sein. Solche sögenannte philosophische Erörterung, ·die aus allgemeinen Weltanschauungsgründen zu

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einer positiven oder negativen Stellung einer wissenschaftlichen Theorie gegenüber gelangt, muß uns fern bleiben. Wir werden deli umgekehrten Weg zu gehen haben. Für uns ist die Relativitätstheorie zunächst eine physikalische Theorie. Über ihre Richtigkeit oder Unrichtigkeit als physikalischer Theorie hat der Physiker die Entscheidung zu fällen - und nicht der Philosoph ~ geschweige denn der Tagesschriftsteller. Wir anderen können nichts tun als hinnehmen, was der Physiker als tatsächlich Erwiesenes uns übermittelt nnd uns unsere Gedanken darüber machen, wie· sich unter Voraussetzung der Richtigkeit der Relativitätstheorie als physikalischer Theorie das Weltbild gestaltet. Aber selten tritt die Relativitätstheorie als rein physikalische Theorie in Erscheinung: Schon ihr Urheber Einstein hat seine gemeinverständliche Darstellung des rein physikalischen Gedankengehalts in philosophische Formen gekleidet, und populäte Darstellungen aller Art verquicken, je nach ihrem Standpunkt, das rein Physikalische so sehr mit philosophischen ~rörterungen, daß es kaum möglich erscheint zu unterscheiden, was in ihr physikalische Theorie und was· philosophische Deutung ist. Allein - so sehr wir dem Physiker den Urteilsspruch über die physikalische Richtigkeit nnd die Tragweite der Theorie überlassen, so wenig brauchen wir .damit irgend eine philosophische Deutung - und sei es auch eine, die von ihrem Urheber stammt, ohne weiteres anzunehmen. Gar zu oft hat die Geschichte der Wissenschaft gezeigt, daß die philosophische Grundlage, aus der heraus der Physiker seine Tatsachen gefunden hat, sehr rasch anderen Platz machen mußte. Die Tatsachen blieben deswegen nicht weniger zu Recht bestehen und fügten sich ebensogut oderbesser anderen philosophischen Grundlagen ein. So hat Kepler seine Planetengesetze aUs einer pythagoreischen Überzeugung von der Harmonie der ~immelssphären heraus gefunden, die heute in dieser Form niemand mehr teilt, eine so feste Stelle auch die Keplerschen Gesetze in unserm Weltbild besitzen. So erschien die Entdeckung des Elektromagnetismus ihrem Entdecker Oersted als eine Bestätigung romantischer Anschauungen über den Zusammenhang der Welt, die heute vergessen sind. Und

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so werden wir das Recht haben, unbeein:flußt von den Gedanken, die sich die Physiker selbst über die Relativitätstheorie gemacht haben, zu versuchen, sie philosophisch auszuwerten. Und deshalb müssen wir fragen: Wo ist die Stelle innerhalb der zunächst physikalisch orientierten Relativitätstheorie, an der für den Philosophen die Fragen beginnen? Wo stößt die physikalische Theorie an die Grenzen, die empirische Wissenschaft und Weltanschauung scheiden? Es gibt weite · Gebiete im Reich der Relativitätstheorie, in denen ein solcher Zusammenhang nicht vorhanden ist. Gerade bei den empirischen Ergebnissen, die im letzten Vortrag Ihre Aufmerksamkeit fesselten, ist ein solcher Zusammenhang nicht zu spüren. Ob die Perihelbewegung des Merkur durch die Relativitätstheorie erklärt wird oder nicht, ob die Lichtstrahlen in der Nähe der· Sonne abgelenkt werden oder nicht, ist zwar entscheidend für die empirische Bestätigung oder Nichtbestätigung der Theorie und rührt damit an lebenswichtige Punkte der Theorie, aber kreuzt nicht ihre philosophisch belangreichen Gänge. Diese philosophisch ·bedeutsamen Momente liegen an anderer Stelle. Und so wenig es meine Aufgabe sein kann, die Gesamtheit der Tatsachen und Ableitungen der Relativitätstheorie hier nochmals vor Ihnen darzulegen, so wesentlich ist es, diejenigen Punkte, die philosophisch von Interesse sind, gesondert herauszugreifen und dem spezifischen Zwecke dieses Vortrags entsprechend zu formUlieren. Vor allem müssen wir jene Gesichtspunkte und Gedankengänge besonders hervorheben, besonders unterstreichen, die den Anschauungen ins Gesicht schlagen, mit denen der Laie im gewöhnlichen Leben ebenso wie der Physiker innerhalb der bisherigen Physik an die Welt herantritt. Gerade diesen Momenten in ihrer paradoxen Beschaffenheit gegenüber muß die Philosophie sich Klarheit verschaffen über die Stellung, die sie zu ihnen einnehmen will. Der erste Punkt, in dem die Relativitätstheorie von allem abweicht, was -die gewöhnliche Weltanschauung kennt, betrifft die Relativierung der Gleichzeitigkeit und damit der Zeit überhaupt. Die gewöhnliche Anschauung über die Zeit, wie sie der Newtonschen Physik und damit der gesamten bisherigen Physik

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zugrunde liegt, ist in wenigen Worten zu kennzeichnen: Die · Zeit ist ein gleichförmig hinfließendes Medium,· in dem sich die verschiedenartigsten Geschehnisse abspielen: Sie ist der Rahmen für die Ereignisse, in den alles W altgeschehen hinein~ gestellt ist. Sie ist ~Js ein solcher Rahmen etwas, das ebJmSo wirklich ist, wie die Ereignisse, die in ihr verlaufen. Und all die Ereignisse, die sich in ihr abspielen, haben eine be-. stimmte, ob·jektive wirkliche Ordnung und bestimmte objektive Zeit~uer. Während ich hier -diese Werte spreche, fährt etwa unten ·ein Trambahnwagen vorbei. Mein Sprechen· und dies Vorbeifahren ist damit als gleichzeitig charakterisiert; die beiden Ereignisse haben ·diese feste Stelle in der Zeit zu. einander. Und auch wo zwei Ereignisse. nicht gleichzeitig sind, so haben sie doch eine feste Zeitordmi.ng, zeitliche Entfernung voneinander - nach der gewÖhnlichen Meinung. Die ·Zeitordnung, die Zeitlänge sind für die gewöhnliche Weltanschauung feste objektive Größen, die ebenso objektive .Bedeutung haben, wie die Ereignisse selbst, die in der Zeit verlaufen. . Von dieser an sich· objektiven Zeitordnung ist nun nach herkömmlicher Meinung etwas :Zweites zu unterscheiden: - die Auffassung durch einen Beobachter. Wie bei jedem objektiveJ:! Ereignis können auch die Zeitbeziehungen richtig oder falsch~ aufgefaßt werden. So _sind Blitz und Donner gleichzeitig. Aber der Beobachter wird je nach seinem Standort, seiner Entfernung von den Objekten die beiden Ereignisse mehr oder weniger gegeneinander verschieben, den Donner etwa bald 6 Sekunden nach dem Blitz, bald nur 3 Sekunden . später wahrnehmen. Es gibt, wiei man sagen kann, perspektivisclle Zeitverschiebungen gegenüber der wirklichen ·Zeitordnung. Aber - das ist zu · betonen - · diese Verschiebungen stehen. in keinerlei Gegensatz zu der Objektivität der Zeitordnung selbst. Sie sind eine Folge der objektiven Zeit, nicht ein ihr widersprechendes Faktum. Gerade. aus der perspektivischen Zeitverschiebung - unter Kenntnis der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Schalls - läßt sich kon~ struieren, wie die Zeitordnung von Blitz und Donner beschaffen ist. Gerade so wie man aus optis