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German Pages 292 [300] Year 1921
DIE PHILOSOPHIE DES
REINEN IDEALISMUS EINE WELTANSCHAUUNGSLEHRE VON
OTTO KRÖGER
BONN
1921
A. MARCUS UND E. W E B E R S VERLAG DK J U R . A L B E R T
AHN
Alle Rechte, besonders das der Übersetzung- in fremde Sprachen, vorbehalten. Copyright 1921 by A. Marcus & E. Webers Verlag- in Bonn.
Vorwort. Das vorliegende Buch ist nicht nur für fachgelehrte Philosophen, sondern für Alle geschrieben, die nach Weltanschauung streben und fähig sind, wissenschaftlich zu denken. Eine Reihe von Abhandlungen, die im „Archiv für systematische Philosophie" (Bd. 19—22) und in der „Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik" (Bd. 142) veröffentlicht wurde, ist al6 Vorarbeit anzusehen. Einige dieser Abhandlungen sind ziemlich unverändert übernommen worden. Eine noch weiter zurückliegende Veröffentlichung war schon durch die angeführten Abhandlungen überholt. Einer Kritik meiner Philosophie bitte ich nur dieses Buch, nicht die früheren Veröffentlichungen zugrunde zu legen. — Ich bin nicht Berufsgelehrter, sondern stehe im wirtschaftlichen Leben; erst das persönliche Bedürfnis nach Weltanschauung führte mich zur wissenschaftlichen Philosophie. Dabei wiesen mich die Verhältnisse mehr auf den Weg eigenen Denkens als auf den des Studiums der Gedanken anderer. Diese Umstände mögen vielleicht Eigenheiten des Buches erklären. Die letzte Überarbeitung der Handschrift war Anfang des Jahres 1919 beendet. Die Hoffnung auf Besserung der in Betracht kommenden ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland verzögerte die Drucklegung. Haale
in H o l s t e i n
i m J a n u a r 1921. Otto Kröger.
Inhalt. Erster Abschnitt: Ueber die Wesenseinheit des Seins
Seite
1. K a p i t e l . Einführung in den Gedanken des reinen Idealis mus l 2. K a p i t e l . Die Wesenseinheit der Bewusstseinserscheinungei 15 53 3. K a p i t e l . Über Wirklichkeit und Wahrheit 4. K a p i t e l . Über die empirische Weltansicht . . . . . . 84 I. Das körperliche Ich und das körperliche Nichtich 85 II. Der reine Materialismus als Grundlage der Naturwissenschaft % III. Die Unbegreiflichkeit des Seins im Lichte empirischer Auffassung 109 IV. Das Gefühl als Weserisseite materieller Dinge . . 1 1 3 V. Die Weltordnung 122 Schlusswort zum ersten Abschnitt 130
Zweiter Abschnitt.
Ueber Ethik und Religion.
5. K a p i t e l . Die Freiheit als Prinzip der praktischen Philosophie. — Freiheit und Naturgesetz 6. K a p i t e l . Über das Wesen des moralischen Gewissens . . 7. K a p i t e l . Die ethische Bedeutung des Mitgefühls. . . . 8. K a p i t e l . Über Religion Einleitung I. Wissen und Glaube. Die Wesenseinheit des Fürwahrhaltens II. Theismus und Idealismus III. Empirische Weltansichten (Theologie und Naturwissenschaft) und Religion . . . . * 9. K a p i t e l . Die Unsterblichkeitsfrage Zusammenfassung 10. K a p i t e l . I. Über die Ungerechtigkeit des Weltgeschehens II. Die niedere Kultur der menschlichen Gesellschaft als Hindernis für die Glückseligkeit des einzelnen Menschen 11. K a p i t e l . Der Weg zur Glückseligkeit Sachregister
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Erster
Abschnitt.
Über die Wesenseinheit des Seins. 1. Kapitel.
Einführung in den Gedanken des reinen Idealismus. „Das Sein ist eine Vielheit an und für sich selbstständiger Dinge, die nur infolge ihres Zusammenseins im Raum in ihren Beschaffenheiten voneinander abhängig sind. Mein Ich, mein Bewußtsein ist eins von diesen Dingen." Das ist die gewöhnliche, die e m p i r i s c h e Auffassung des Seins. Daß sie „wahr" ist, wollen wir nicht bestreiten oder auch nur bezweifeln. Wir stellen aber im folgernden der empirischen eine andere Auffassung gegenüber, die ebenso sicher „wahr" ist wie jene. Ich sehe, taste, höre usw. die Dinge der Außenwelt, sagt der gemeine. Verstand. Aber, was ich sehe, taste, höre usw., das sind doch Erscheinungen in meinem Bewußtsein. Wenn ich einen Baum sehe, so ist der Tatbestand, philosophisch betrachtet, dieser: In meinem Bewußtsein ist eine bestimmte Erscheinung; diesen Zustand meines Bewußtseins bezeichne ich durch die Worte „Ich sehe einen Baum". Die sinnliche Wahrnehmung des Baumes ist ebensowohl eine Erscheinung meines Bewußtseins wie die gedachte Vorstellung eines Baumes eine Erscheinung meines Bewußtseins ist. Von einem Etwas außerhalb des Bewußtseins kann doch gar nicht die .Rede sein. Alle sinnlichen Wahrnehmungen K r ü g e r , Die Philosophie des reinen Idealismus.
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Erster
Abschnitt:
Über die Wesenseinheit des Seins.
eind nicht Dinge außerhalb meines Bewußtseins, sondern es sind Zustände, Erscheinungen meines Bewußtseins, meines Ichs. Der gemeine Verstand erwidert: „Es ist wohl richtig, daß die sinnliche Wahrnehmung an sich lediglich Erscheinung meines Bewußtseins ist, aber aus dieser Erscheinung in meinem Bewußtsein schließe ich auf ein Ding außer mir." Ob ein solches „Schließen" tatsächlich stattfindet, mag unerörtert bleiben, auf jeden Fall ist dieses „Ich schließe auf ein Ding außer mir" auch wieder nichts anderes als eben ein Zustand, eine Erscheinung meines Bewußtseins, meines Ichs. Die Außenwelt ist nicht ein Sein außerhalb meines Bewußtseins, sondern sie ist eine Erscheinung in meinem Bewußtsein, in meinem Ich. Es macht der gemeine Verstand den Einwand: „Das ist alles recht, eigentlich ja selbstverständlich; alles was ist, das ist in meinem Bewußtsein, die Außenwelt ist eine Vorstellung in mir, aber das, was in meinem Bewußtsein vorgestellt wird, das existiert doch außerdem noch in .Wirklichkeit' außerhalb meines Bewußtseins." Wenn wir diesen Einwand philosophisch betrachten, so müssen wir wieder erwidern: Der Gedanke, daß das, was in meinem Bewußtsein als Außenwelt vorgestellt wird, auch noch in Wirklichkeit außer mir existiert, ist eben ein Gedanke, also eine Erscheinung meines Bewußtseins; er ist aber nicht etwas außerhalb meines Bewußtseins, nicht etwas anderes als mein Bewußtsein. Oder wir können diesem Einwand folgendes entgegenstellen. Wenn ich von den Dingen der Außenwelt sage, sie existieren nicht nur in meinem Bewußtsein, wie manche andere Erscheinungen meines Bewußtseins, sondern sie existieren auch „in Wirklichkeit", so sage ich damit nur, daß die Dinge der Außenwelt eine Gruppe von Erscheinungen meines Bewußtseins bilden, der irgend ein Etwas anhaftet, das bei andern Erscheinungen meines Bewußtseins fehlt. Es bleiben aber doch immer die Dinge der Außenwelt lediglich Erscheinungen meines Bewußtseins, meines Ichs! — Die Erkenntnis, daß alles Sein Erscheinung meines Bewußtseins, meines Ichs ist, wollen wir r e i n e n I d e a l i s m u s nennen. Nun mag der Gegner einwenden, es sei zuzugeben, daß
1. K a p i t e l : Einführung in den Gedanken des reinen Idealismus.
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die bisherige Philosophie den reinen Idealismus nicht widerlegen könne, aber vielleicht werde noch der Philosoph kommen, der den Beweis führt, daß Dinge außerhalb des Bewußtseins existieren. Darauf antworten wir: Wenn man uns eine philosophische Auseinandersetzung vorführt, die klar beweist, es gebe ein Sein außer dem Ich, so behaupten wir, ohne daß wir nötig haben, die Gedankenfolge im einzelnen zu prüfen: Alles was hier vorgebracht wird, das sind doch Gedanken, also Erscheinungen im Ich, es können niemals Dinge außer dem Ich sein; ich denke nicht ein Sein außerhalb der Wesenheit meines Ichs, sondern ich denke meine Gedanken. Meint der Gegner nun schließlich, man müsse doch die Möglichkeit zugeben, daß es ein Sein außerhalb der Wesenheit des Ichs gebe, so sagen wir wieder: Der Gedanke, „Möglicherweise gibt es Dinge außer dem Ich", mag er mit der Eigenschaft „wahr" oder „unwahr" in meinem Bewußtsein distehen, ist auf jeden Fall ein Gedanke im Ich. Wenn wir sagen, die Außenwelt ist nicht eine Erscheimng außer dem Ich, sondern in dem Ich, so wollen wir dairit ausdrücken, die Außenwelt ist dieselbe Wesenheit wie dis Ich, sie ist nicht etwas anderes als das Ich. Wir haben aser durch unsere Erkenntnis nicht eine Art Ortsverändermg der Dinge der Außenwelt vorgenommen, nicht eine Verschiebung der Beziehungen der Einzeldinge zueinander. Ob ich die Welt vom Standpunkte des gemeinen Verstandes oler von dem des reinen Idealismus aus betrachte, die Dinge d;r Außenwelt sind als Einzelerscheinungen für mich in biiden Fällen ganz dieselben. Die Sonne scheint vom Standpinkte des reinen Idealismus aus betrachtet gerade so wie vtm Standpunkte der gewöhnlichen Auffassung. Die Sonne iä auch als Erscheinung des Ichs gerade ebenso 10 Millionin Meilen entfernt wie sie es in der Betrachtungsweise des Astronomen ist, denn der reine Idealismus nimmt die Sonne ncht heraus aus dem unendlichen Raum des Weltalls und 6
2. Kapitel.
Die Wesenseinheit der Bewusstseinserscheinungen. I. Wenn wir Klarheit über die Erkenntnis, daß alles Sein Bewußtseinserscheinung ist, gewinnen wollen, wird es unsere nächste Aufgabe sein, Einsicht in die Wesenheit des Bewußtseins zu erlangen, namentlich auch festzustellen, daß zwischen den verschiedenen Arten von Bewußtseinserscheinungen, die wir unterscheiden, keine Wesensverschiedenheit besteht. Der reine Idealismus kann hierbei ganz außer Betracht bleiben; unsere Aufgabe ist eine reine psychologische. Wir werden in diesem Kapitel die Grundzüge eines Systems analytischer Psychologie vorführen. Die Bewußtseinserscheinungen unterscheiden wir zunächst in zwei Arten, in Sinneserscheinungen und NichtSinneserscheinungen. Die Sinneserscheinungen werden nach der gewöhnlichen Auffassung dem Bewußtsein von außen durch die Sinne zugeführt. Für unsere Untersuchung muß dieser Umstand jedoch außer Betracht bleiben. Wir sehen diese Erscheinungen lediglich als Erscheinungen des Bewußtseins an, und indem wir sie als Sinneserscheinungen bezeichnen, wollen wir nur ihre Zusammengehörigkeit ausdrücken, nicht aber irgend etwas über den Sinnesapparat des Leibes als Veranstalter dieser Erscheinungen aussagen. Da wir also mit dem Worte „Sinn" nicht den Begriff eines Organs verbinden, das Bewußtseinserscheinungen erzeugt, können wir ohne Bedenken auch die zweite Art der Bewußtseinserscheinungen Erscheinungen eines „Sinnes" nennen. Wir kommen dann zu den beiden, in der neueren Philosophie außer Gebrauch gekommenen Bezeichnungen E r s c h e i n u n g e n d e s ä u ß e r e n u n d d e s i n n e r e n S i n n e s . Für die Erscheinungen des äußeren Sinnes haben wir auch den Namen E m p f i n d u n g e n . Die Erscheinungen des inneren Sinnes können wir kurzweg als G e d a n k e n bezeichnen, denn es
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Erster
Abschnitt:
Über die Wesenseinheit des Seins.
ist nichts anderes als Gedanke in diesem Gebiete des Bewußtseins enthalten. Freilich unterscheidet die gewöhnliche Auffassung hier neben Gedanken noch andere Arten von Erscheinungen, nämlich Gefühle und Willenserscheinungen. Daß diese Erscheinungen nicht besondere Arten sind neben Gedanken und Empfindungen, muß einer späteren Klarlegung vorbehalten bleiben. Die Erscheinungen des äußeren Sinnes oder die Empfindungen unterscheiden wir im gewöhnlichen Leben in fünf Arten, indem wir von den fünf Sinnen reden. Mit dem einen dieser Sinne, dem Gefühlssinne, hat es aber eine besondere Bewandtnis. Werden zu diesem Sinnesgebiet alle Empfindungen gerechnet, die den vier anderen Sinnen nicht angehören, so umfaßt es sehr verschiedene Arten von Erscheinungen, von denen mindestens eine Art als besonderer Sinn (Tastsinn) abgesondert werden kann. Wird aber Gefühlssinn in der Bedeutung von Tastsinn oder auch von Hautsinn verstanden, so bleibt noch eine Menge Empfindungen außerhalb der fünf Sinnesgebiete. Abgesehen von diesem sachlichen Bedenken gegen die Aufstellung der herkömmlichen fünf Sinnesgebiete führt es leicht zu Mißverständnissen, wenn wir in einer psychologischen Untersuchung von einem Gefühlssinn reden, weil das Wort „Gefühl'ijn der Psychologie etwas anderes bezeichnet als eine Empfindungsart. Aus den angeführten Gründen lassen wir bei Einteilung der Empfindungen den Gefühlssinn ganz ausfallen und unterscheiden folgende sechs Arten von Empfindungen: Erscheinungen des Gesichts-, Tast-, Gehörs-, Geruchs-, Geschmackssinnes — da6 sind die fünf besonderen Sinne — und des allgemeinen Sinnes. Das Gebiet des allgemeinen Sinnes zeigt nicht in dem Grade eine einheitliche Beschaffenheit wie die Gebiete der fünf besonderen Sinne, sondern wir verweisen in dieses Gebiet alle Empfindungen, die wir bei den anderen Sinnen nicht unterbringen können. Die Teilung des allgemeinen Sinnes in verschiedene Sinne ist durchaus berechtigt, hat aber für die Zwecke unserer Untersuchung keine Bedeutung. Nicht zu verwechseln mit den Sinneserscheinungen oder Empfindungen sind die sinnlichen Wahrnehmungen. Diese bestehen in einer Verbindung von Sinneserscheinungen und Gedanken. Wenn wir im gewöhnlichen Leben davon reden, daß wir etwas durch* die Sinne wahrnehmen, so ißt in
2. K a p i t e l : Die Wesenseinheit der Bewußtseinserscheinungen.
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der zur Rede stehenden Bewußtseinserscheinung in der Regel der Teil, der tatsächlich durch die Sinne wahrgenommen wird, also Empfindung ist, gering im Verhältnis zu dem, der in Hinzugedachtem besteht. Ich „sehe" nicht den Baum vor meinem Fenster, sondern ich 6ehe nur farbige Flächen. Was sonst noch in dieser gesichtssinnlichen Wahrnehmung enthalten ist, und was die Bewußtseinserscheinung erst zur Wahrnehmung macht, die Vorstellung, daß mein Zimmer, das Fenster, der Baum a\is festem Stoffe bestehende Körper sind, die sich in verschiedener Entfernung von mir befinden, das alles „sehe" (empfinde) ich nicht, sondern das denke ich. In die beiden Gruppen, Erscheinungen des äußeren und Erscheinungen des inneren Sinnes oder Empfindungen und Gedanken, fassen wir die ganze Mannigfaltigkeit der Bewußtseinserscheinungen. Was diese beiden Gruppen und die verschiedenen Arten von Empfindungen von einander scheidet, und ob die hier zugrunde liegenden Verschiedenheiten Wesensversqhiedenheiten sind, v/ollen wir vorläufig nicht untersuchen. Wir wollen vielmehr zunächst betrachten, was allen Erscheinungen, den Empfindungen und den Gedanken, gemeinsam ist. Wir finden als Gemeinsames zunächst Raum und Zeit. Raum ist Vielheit des Seins, Zeit ist Veränderung des Seins. Raum ist das Nebeneinander des Seins, Zeit ist das Nacheinander des Seins. R a u m u n d Z e i t s i n d W e s e n s seiten der B e w u ß t s e i n s e r s c h e i n u n g e n . Es sind nicht zwei voneinander unabhängige Eigenschäften der Erscheinungen, sondern Raum ist nichts ohne Zeit, und Zeit ist nichts ohne Raum. Beide sind eine Einheit, die uns, in allem Bewußtsein entgegentritt, die sich im Grunde gar nicht begrifflich festlegen und beweisen läßt, sondern die schlechthin als bestehend erkannt wird, sobald die richtige Auffassung von der philosophischen Bedeutung beider Begriffe vorhanden ist. Wollen wir die philosophischen Begriffe Raum und Zeit erfassen, so müssen wir von dem, was wir uns im gewöhnlichen Leben bei diesen Worten denken, Verschiedenes abstreifen. Bei dem Worte Raum denken wir gewöhnlich an ein unabhängig von den Erscheinungen existierendes Sein, an eine Art Behälter, in den die Erscheinungen eingeordnet K r ö g e r , D i e Philo-opliio des r e i n e n M e i l i s i i u t s .
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Erster
Abschnitt:
Über die Weeenseinheit des Seins.
ßind, in dem sie ihren „Ort" haben. Derartige Vorstellungen dürfen mit dem philosophischen Begriff Raum nicht verknüpft werden. Daß die Erscheinungen einen Ort im Raum haben und einen gewissen Raum einnehmen, darüber sagt der philosophische Raumbegriff nichts aus. Er sagt auch nichts aus über die Unterscheidung verschiedener Dimensionen. Der dreidimensionale Raum ist nicht unmittelbar im Bewußtsein gegeben, sondern ein durch Überlegung entstandenes Gedankensystem. Erschwert wird die richtige Auffassung des philosophischen Begriffs Raum ferner dadurch, daß wir gewohnt sind, als Raum die Raumqualität gesichtssinnlicher Erscheinungen zu denken, weil der Gesichtssinn der wichtigste Sinn ist. Der philosophisohe Begriff Raum sagt weiter nichts au6 als: Es ist zu gleicher Zeit eine Vielheit, ein Ausgedehntes in der Erscheinung. — Wie der philosophische Begriff Raum nichts aussagt über einen Ort der Dinge im Raum, so sagt der philosophische Begriff Zeit nichts aus über einen Ort in der Zeit. Die Auffassung, daß die Zeit ein von den Erscheinungen unabhängiges Sein sei, in dem die Erscheinungen eingeordnet sind, ist nicht in dem philosophischen Begriff Zeit enthalten. Für gewöhnlich fassen wir die Zeit auf als einen Hintergrund, auf dem sich die Veränderung des Seins, das Geschehen, abspielt, wir meinen, wenn auch alles Geschehen stillstände, so bliebe doch der Fluß der Zeit. Mit dieser Auffassung hat der philosophische Begriff Zeit nichts zu tun, denn Veränderung des Seins (Geschehen) und Zeit im philosophischen Sinne sind ein und dasselbe. Wenn alles Geschehen „still steht", so steht auch die Zeit still. Das heißt allerdings mit anderen Worten: Das Geschehen steht überhaupt nicht still; denn von einem Stillstand des Geschehens kann doch nur geredet werden, wenn der Fluß der Zeit bestehen bleibt. Der philosophische Begriff Zeit sagt nichts weiter als: Es ist ein Nacheinander, ein Sichverändern, ein Geschehen im Sein. — Wir sagen nicht: Alle Bewußtseinserscheinungen sind i m Raum und i n der Zeit — diese Worte drücken eine Wahrheit aus, die uns hier nicht beschäftigt — sondern wir sagen: Alle Bewußtseinserscheinungen s i n d Raum und Zeit. In allen Bewußtseinserscheinungen ist aber noch etwas,
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Die Wesenseinheit der Bewußteeinserscheinungen.
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das durch die Begriffe Raum und Zeit noch nicht, oder doch nicht genügend klar, ausgedrückt wird. Es ist., dies Übereinstimmung und Gegensatz. Alle Bewußtseinserscheinung ist Raum, ist eine Vielheit; darin ist schon der Begriff „Gegensatz" enthalten, denn um eine Vielheit sein zu können, muß das Sein etwas Gegensätzliches sein. Die Vielheit der Bewußtseinserscheinung ist aber auch eine Einheit; darin liegt der Begriff Übereinstimmung. Ohne die Begriffe Übereinstimmung und Gegensatz ist der Begriff Raum nicht denkbar. Ebenso verhält es sich mit dem Begriff Zeit. Das Bewußtsein ist in jedem folgenden Zeitpunkt etwas anderes, darin erblicken wir den Begriff Gegensatz. Es muß aber auch etwas Gemeinsames bestehen zwischen dem gegenwärtigen Zeitpunkt und dem vergangenen, denn es ist doch Ein Bewußtsein; darin erkennen wir den Begriff Übereinstimmung. Übereinstimmung und Gegensatz sind nicht zwei für sich bestehende Eigenschaften des Bewußtseins, sondern wir haben es mit Einer Eigenschaft, mit einem Prinzig zu tun. Es ist daher auch zweckmäßig, die in Übereinstimmung und Gegensatz bestehende Eigentümlichkeit des Bewußtseins durch Ein Wort zu bezeichnen. Wir wählen das Wort Freiheit. F r e i h e i t i s t e i n e W e s e n s s e i t e d e s B e w u ß t s e i n s , e b e n s o w i e R a u m u n d Z e i t . Alle Bewußtseinserscheinungen sind Grade von Freiheit. Sofern wir bei der Betrachtung des Bewußtseins unsere Aufmerksamkeit auf die Eigenschaft Freiheit richten, nennen wir das Bewußtsein „Gefühl". Wir können die zur Rede stehende Wesensseite des Bewußtseins daher auch „Gefühl von Freiheit" oder kurzweg „Gefühl" nennen. R a u m , Z e i t , F r e i h e i t ( G e f ü h l ) .sind n i c h t E i g e n s c h a f t e n im g e w ö h n l i c h e n S i n n e , s o n d e r n es s i n d di« Weßensseiten (Attribute) des Bewußts e i n s , d. h. e s i s t k e i n e B e w u ß t s e i n s e r s c h e i n u n g d e n k b a r , in d e r a u c h n u r e i n e s v o n ihnenfehlt,essindaberauchnichtBewußtß e in s e r s c h e i n u n g en d e n k b a r , d i e n o c h e t was a n d e r e s m i t e i n a n d e r g e m e i n h a b e n , als Raum, Z e i t und F r e i h e i t (Gefühl), sie sind a b e r n i c h t g e t r e n n t e * E i g e n s c h a f t e n des B e w u ß t s e i n s , s o n d e r n in den B e g r i f f e n
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Erster
Abschnitt:
Über die Wesenseinheit des Seins.
Raum, Zeit, F r e i h e i t (Gefühl) haben wir im G r ü n d e g e n o m m e n E i n e n B e g r i f f v o r uns, n ä m l i c h den des B e w u ß t s e i n s , e i n z e l n sind diese Begriffe streng genommen gar n i c h t d e n k b a r . Die Attribute sind nicht etwas, das nur zusammenhängt mit der Wesenheit des Bewußtseins, sondern sie sind diese Wesenheit selbst. Daß wir die Wesenheit Bewußtsein durch die Aufstellung dreier Attribute ausdrücken, hat nur sprachliche Bedeutung. Das Bewußtsein ist vollkommene Wesenseinheit; es ist nichts von einer Dreiteilung in dem Wesen des Bewußtseins enthalten. Indem wir das Wesen des Bewußtseins durch Nennung dreier Attribute ausdrücken, sind wir bestrebt, mit einer möglichst geringen Zahl von Wortzeichen das ganze einheitliche Wesen des Bewußtseins klarzulegen. Daß wir nun gerade zu der Zahl von drei und gerade zu den angeführten drei Attributen gekommen sind, ist begründet in der Beschaffenheit unserer Sprache, die uns die Zeichen für unser Denken liefert, und in dem Stande unserer philosophischen Erkenntnis. Die Formulierung der Attribute ist also etwas Äußerliches, das das innere Wesen der Erkenntnis von der Wesenseinheit aller Bewußtseinserscheinungen, die wir vorführen wollen, nicht berührt, sondern das nur ein Hilfsmittel ist, diese Erkenntnis zum Erwachen zu bringen. Obgleich die Attribute Raum, Zeit und Freiheit (Gefühl) streng genommen einzeln gar nicht denkbar sind, wird es sich bei der Betrachtung eines Attributs nicht vermeiden lassen, so zu tun, als ob die anderen beiden Attribute nicht vorhanden wären. Wir verfahren dann so, als wäre das zu untersuchende Attribut nicht Bestandteil einer Wesenheit, sondern selbst eine Wesenheit. Im Rahmen einer derartigen Untersuchung mag es denn auch erlaubt sein von Raum, Zeit und Freiheit (Gefühl) als von Wesenheiten zu reden, um so mehr als hier noch ein anderer Umstand ins Gewicht fällt. Die Betrachtung der einzelnen Attribute zeigt uns nämlich, daß bei mindestens zweien (Raum und Freiheit) wiederum gewisse Wesensseiten unterschieden werden können. Wesensseiten des Attributs Raum sind Gestalt, Größe und Inhalt (Qualität) , Wesensseiten des Attributs Freiheit sind Übereinstimmung und Gegensatz. Bei der Betrachtung dieser
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Wesensseiten zweiter Ordnung erleichtert es natürlich die Darstellung, wenn wir die Wesensseiten erster Ordnung, die Attribute Raum, Zeit und Freiheit (Gefühl), als Wesenheiten bezeichnen. Wir dürfen jedoch niemals vergessen, daß dieses Verfahren nur berechtigt ist als Mittel zur Erleichterung der Untersuchung, daß Raum, Zeit und Freiheit nicht Wesenheiten, sondern Wesensseiten sind, daß sie streng genommen einzeln gar nicht in Erscheinung treten, sondern nur vereinigt, und daß eine jede Bewußtseinserscheinung eine Vereinigung a l l e r Wesensseiten (Attribute) und a l l e r Wesensseiten dieser Wesensseiten ist, daß auch nicht e i n e s der Attribute oder auch nur e i n e der Wesensseiten der Attribute fehlen kann. II. Im Vorstehenden haben wir das Schema entworfen, das uns dazu dienen soll, alle Bewußtseinserscheinungen als Formen (Modi) Einer Wesenheit Sein aufzuweisen. Unsere nächste Aufgabe ist jetzt, zu zeigen, daß tatsächlich Raum-, Zeit- und Freiheit-Bewußtsein (Gefühl) in allen Bewußtseinserscheinungen enthalten sind; die fernere Aufgabe, klarzulegen, daß es außer diesen Wesensseiten nichts Wesenhaftes in den Bewußtseinserscheinungen gibt, stellen wir vorläufig zurück. Daß in allen Bewußtseinserscheinungen, sowohl in den Empfindungen als auch in den Gedanken, Zeit-Bewußtsein, Bewußtsein eines Sichveränderns, eines Geschehens, enthalten ist, ist ohne Schwierigkeit einzusehen. Zwar faßt der gemeine Verstand die Sache so auf, daß er wohl die beständige Veränderung des Bewußtseinszustandes zugibt — andernfalls müßte er ja behaupten, die Zeit stände eine Weile still —, aber meint, einzelne Erscheinungen blieben unverändert in dem Flusse des Bewußtseins bestehen. Im Lichte philosophischer Betrachtung ist aber der ganze in einem Zeitmoment vorhandene Bewußtseinsinhalt eine Einheit, und indem sich an dem Bewußtseinsinhalt etwas ändert, ändert sich der ganze Inhalt. Abgesehen von dieser Überlegung kann auch die Auffassung, daß der Gedanke „Kölner Dom", wenn ich drei Sekunden über den Kölner Dom nachdenke, während dieser Zeit unverändert im Bewußtsein bestehen
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Erster
Abschnitt:
Über die Wesenseinheit des Seins.
bleibt, streng genommen ebensowenig aufrecht erhalten wer den, wie die naturwissenschaftliche Meinung, daß der Gregenstand Kölner Dom während dieser drei Sekunden unverändert geblieben ist. Die Klarlegung, daß in allen Bewußtseinserscheinungen Raum-Bewußtsein enthalten ist, erfordert eine längere Aus einandersetzung. Ohne weiteres einzusehen ist, daß den Gesichtsempfindungen Raum-Bewußtsein innewohnt. Auch bei den Tastempfindungen wird man es nicht bezweifeln — man müßte dann schon die Grenze dieses Sinnes gegen den allgemeinen Sinn sehr weit ziehen. Unsere Bereitschaft den Gesichts- und Tastempfindungen ohne weiteres Raum-Bewußtsein zuzusprechen, ist darin begründet, daß diese Empfindungen die Grundlage des Gedankensystems liefern, das wir im gewöhnlichen Leben Raum nennen. Weil wir daher gewohnt sind bei dem Worte „Raum" immer an die Raumquaiitäten des Gesichts- und Tastsinnes zu denken, sind wir nicht sofort bereit, auch in den Empfindungen der anderen Sinne Raum-Bewußtsein zu erkennen. Wenn wir jedoch überlegen, daß der philosophische Begriff Raum weiter nichts aussagt als ein Nebeneinander, ein Ausgedehntes, so sehen wir ein, daß auch in den nicht zum Gebiete des Gesichts- und Tastsinnes gehörigen Empfindungen Raum-Bewußtsein enthalten sein muß. Denn es kann doch nicht eine der hier in Frage kommenden Empfindungsqualitäten als ausdehnungslose Einheit im Bewußtsein erscheinen, es muß vielmehr jede Empfindungsqualität des Gehörs-, Geruchs-, Geschmacks- oder des allgemeinen Sinnes als ein Nebeneinander von Teilen dastehen. Zunächst scheint freilich in dem Raum-Bewußtsein der Gesichtsempfindungen (und eines Teiles der Tastempfindungen), auch nachdem wir die Vorstellung von der örtlichkeit der Erscheinungen im Raum abgestreift haben, noch etwas enthalten zu sein, das bei dem Raum-Bewußtsein der andern Sinne fehlt. Das ist die Gestalt, die Begrenzung des Ausgedehnten. Indem ich „Rot" empfinde, empfinde ich ein ausgedehntes Rot, einen roten Raum; indem ich „Süß" empfinde, empfinde ich einen süßen Raum; indem ich Magenweh empfinde, empfinde ich einen Raum, dessen Qualität wir Magenweh nennen. Aber das rote Ausgedehnte hat — so ist die gewöhnliche Auffassung
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— eine bestimmte Gestalt, dagegen erscheint das Ausgedehnte, dessen Qualität den Namen Süß oder Magenweh führt, chne bestimmte Gestalt, als ein Gebilde mit verschwommener Begrenzung. Bei näherer Überlegung finden wir jedoch, daß ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Raum der Gesichtsempfindungen (und eines Teils der Tastempfindungen) und dem Raum der andern Empfindungen nicht besteht. Zunächst ist zu beachten, daß manche Gesichtsempfindungen von eben so unklarer Gestalt sind wie die für gestaltlos erklärten Empfindungen der andern Sinne. Weiter zeigt 6ich, daß die bestimmte Gestalt, die scharfe Begrenzung, etwas ist, das nicht in den betreffenden Empfindungen selbst sich vorfindet, sondern das wir zu den Empfindungen hinzudenken, gerade so wie wir die örtlichkeit hinzudenken. Wenn wir bei schlechter Beleuchtung oder mit kurzsichtigem Auge entfernte Gegenstände sehen, so „sehen" wir die Begrenzung verschwommen, wir verbessern aber im Denken das, was wir sehen, und denken die Gegenstände mit scharfem Umriß. Sind wir aufmerksamer als gewöhnlich auf das, was wir „sehen", so finden wir, daß wir streng genommen niemals scharfe Umrisse sehen, sondern sie immer nur denken. Eigentlich müssen wir sagen, wir denken ,.in Worten", daß die gesehenen Dinge scharfe Umrisse haben, denn die Umrisse der tatsächlich gedachten gesichtssinnlichen Erscheinungen sind ebenso unklar, wie die der entsprechenden gesichtssinnlichen Empfindungen. Aber dieser Umstand kann vorläufig außer Betracht bleiben. Es kommt hier nur darauf an, darüber klar zu sein, daß wir in keinem Fall die Grenze zwischen einem Gegenstande und seiner Umgebung als Linie, sondern immer als ein Band sehen, das nach ihnen unmerklich in die Raumqualität (Farbe) des Gegenstandes, nach außen unmerklich in die der Umgebung übergeht. Haben wir eingesehen, daß auch in den Empfindungen, die wir für gewöhnlich als solche von scharf umgrenzter Gestalt auffassen, tatsächlich die Umgrenzung unklar ist, so werden wir nicht mehr davon reden, daß sich Empfindungen durch das Vorhandensein oder Fehlen von Gestalt unterscheiden, sondern wir werden sagen, daß bei einigen Empfindungen die Gestalt klarer, bei andern unklarer ist. Wäre unser Gesichtssinn nicht der bei weitem
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Erster
Abschnitt:
Über die Wesenseinheit des Seins.
„schärfste" Sinn, stände er auf derselben Entwicklungsstufe wie die niederen Sinne, so würden unsere Gesichtsempfindungen von ebenso unbestimmter Gestalt sein, wie die Empfindungen dieser niederen Sinne. Bei einem in gewisser Weise erkrankten menschlichen Auge sind die Gesichtsempfindungen tatsächlich auch von ebenso verschwommener Geetalt, wie die der anderen Sinne, und ein Gesichtssinn, der nur noch Hell und Dunkel unterscheiden kann, hat Empfindungen, die gewiß mit demselben Rechte als gestaltlos bezeichnet werden könnten, wie irgend welche andere Empfindungen, wenn man diese Bezeichnung überhaupt gelten lassen wollte. Die Unterscheidung des in den Empfindungen angetroffenen Raum-Bewußtseins in ein solches mit- und ein solches ohne Gestalt, kann nach diesen Ausführungen nicht aufrecht erhalten werden. Es ist ein und dasselbe RaumBewußtsein in allen Empfindungen. Daß auch den Gedanken Raum-Bewußtsein innewohnt, ist bei solchen Gedanken leicht einzusehen, die wir als gedachte Empfindungen erkennen. Wenn in der Empfindung „Rot" Raum-Bewußtsein ist, so muß solches auch in dem Gedanken „Rot" enthalten sein. Ob die Raum-Qualität Rot des Gedankens eine andere Raumqualität ist, als die Raumqualität Rot der Empfindung, oder ob die Raumqualität des Gedankens dieselbe ist, wie die der Empfindung — dann müßte nachgewiesen werden, durch was sich die Empfindung Rot unterscheidet von dem Gedanken Rot — brauchen wir an dieser Stelle nicht zu entscheiden. Denn wenn die Raumqualität des Gedankens als eine andere aufgefaßt werden müßte als die der Empfindung, so hätte dieser Umstand keine andere Bedeutung, als die Tatsache, daß die Raumqualitäten der einzelnen Sinne sich auch von einander unterscheiden. Das Denken wäre dann eben als innerer Sinn ein siebenter Sinn neben den sechs äußeren Sinnen; das Raum-Bewußtsein dieser sieben Gebiete wäre ein und dasselbe, nur von verschiedener Qualität. Durch verschiedene Qualitäten von Raum unterscheiden sich aber nicht nur die verschiedenen Sinnesgebiete, sondern auch die Erscheinungen desselben Sinnesgebietes. Die Feststellung verschiedener Qualitäten von Raum ändert daher nichts an der Auffassung, daß in den Empfindungen und in den Gedanken, die gedachte Emp-
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findungen pind, eine und dieselbe Wesensseite Raum enthalten ist. In unserem Bewußtsein erscheint die Empfindung in der Regel derartig verknüpft mit Gedanken, daß erst die wissenschaftliche Überlegung dazu führt, dieses als „Wahrnehmung" bezeichnete Bewußtseinsgebilde in Empfindung und Gedanken zu zerlegen. Es ist ohne weiteres klar, daß die Gedanken, welche zusammen mit der Empfindung die Wahrnehmung ausmachen, gedachte Empfindungen sind, denn sonst würde das Gedachte nicht mit dem Empfundenen sich so zur Wahrnehmung verschmelzen können, daß wir für gewöhnlich das Vorhandensein von Gedachtem in diesem Bewußtseinsgebilde nicht erkennen, vielmehr die Wahrnehmung für eine Sinneserscheinung (Empfindung) halten. Wahrnehmung ist demnach eine Verbindung von Empfindungen und „gedachten Empfindungen". Daß nun wieder viele Gedanken gedachte Wahrnehmungen sind, ist eine offen zu Tage liegende Wahrheit. Die tiefer gehende Untersuchung zeigt, daß der Kreis dieser Art von Gedanken viel größer ist, als er für gewöhnlich gefaßt wird. Zwar scheint es viele Gedanken zu geben, die nichts mit sinnlicher Wahrnehmung zu tun haben. Sind etwa Gedanken wie Ursache, Wirkung, Ehrlichkeit, Zufriedenheit usw. gedachte Empfindungen? Das scheint nicht der Fall zu sein, und doch ist dem so! Zunächst sind derartige Gedanken beim gewöhnlichen Denken in den meisten Fällen weiter nichts als Vorstellungen gesprochener, gedruckter oder geschriebener Worte. Der Hauptteil alles Denkens besteht in Vorstellungen optischer und akustischer Worterscheinungen und der Muskelempfindungen, die mit dem Sprechen oder Schreiben der betreffenden Worte verknüpft sind. Die „Begriffe", die diese Worte bezeichnen sollen, kommen beim gewöhnlichen Denken gar nicht oder nur ganz unklar zur Vorstellung. Wenn wir uns aber unter Gedanken, deren Inhalt außerhalb der Sinnlichkeit zu liegen scheint, etwas anderes vorstellen wollen, als Worte, so kommen wir eben zu Vorstellungen sinnlicher Wahrnehmungen, also zu gedachten Empfindungen. Die Behauptung, daß Gedanken ohne Ausnahme gedachte Empfindungen sind, ist schwer zu widerlegen. Erkennt man sie an, so ist damit auch zugegeben, daß in allen Gedanken
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Erster
Abschnitt:
Über die Wesenseinheit des Seins.
Raum-Bewußtsein enthalten ist. Will man aber jene Auffassung nicht gelten lassen, so erklärt man damit nur, daß es Gedanken gibt, für deren Raumqualität ein entsprechendes Gegenstück im Gebiete der Empfindungen nicht angetroffen wird. Man spricht aber diesen Gedanken damit noch nicht Raum-Bewußtsein ab. Vielmehr ergibt eine ernste Überlegung, daß die Seinsqualität dieser Gedanken doch unter allen Umständen als ein Nebeneinander im Bewußtsein dastehen muß, daß m. a. W. Raum-Bewußtsein in diesen Geda,nken sein muß. Es besteht auch kein Grund, die Verschiedenheit der Raumqualität dieser Gedanken von der irgendwelcher Empfindungen oder gedachter Empfindungen anders zu bewerten, als die zwischen den Raumqualitäten der einzelnen Sinnesgebiete vorhandene. — Die Klarlegung, daß in allen Gedanken Raum-Bewußtsein enthalten ist, daß — wie man m. a. W. sich auszudrücken pflegt — alles Denken eiji „anschauliches" Denken ist, werden wir später fortsetzen. Vorläufig brechen wir diese Erörterung ab und wenden unsere Betrachtung der dritten Wesensseite des Bewußtseins, dem Gefühl, zu. III. Sowohl der gemeine Verstand, als auch Psychologen vertreten die Ansicht, daß Gefühle selbständige Erscheinungen sind neben Empfindungen und G'edanken, daß es daher Empfindungen, Wahrnehmungen und Gedanken gibt, in denen Gefühl nicht eingeschlossen ist, und Gefühlserscheinungen, die weder Empfindung, noch Wahrnehmung, noch Gedanken enthalten. Daß in jeglicher Bewußtseinserscheinung Gefühl enthalten sein muß, wird sofort klar, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß das Gefühl nichts anderes ist, als Übereinstimmungs- und Gegensatz-Bewußtsein. Jegliche Bewußtseinserscheinung, mag sie nun als Empfindung, Wahrnehmung oder Gedanke angesprochen werden, besteht aus Teilen. Und das Zusammensein dieser Teile, mag es ein Nebeneinander oder ein Nacheinander 6ein, ist in jedem Fall ein Bewußtsein von Übereinstimmung und Gegensatz. Ohne das Band „Übereinstimmung und Gegensatz", ohne Beziehung der Teile zueinander, kann ein Neben- und Nacheinander im Bewußtsein gar nicht bestehen. Das Überein-
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stimmungs- und Gegensatz-Bewußtsein, das Gefühl, ist untrennbar verbunden mit dem Neben- und Nacheinander, als welches alle Empfindungen und Gedanken erscheinen. Daß das Gefühl nur als Wesensseite von Empfindungen und Gedanken, niemals als selbständige Erscheinung im Bewußtsein auftritt, wird uns klar, wenn wir bedenken, daß unser philosophischer Begriff Gefühl ein qualitätsloses Sein bedeutet, indem Gefühlserscheinungen sich durch Verschiedenheit der Intensität, nicht der Qualität unterscheiden. Verbunden dagegen mit der Auffassung, daß Gefühle selbständige Erscheinungen neben Empfindungen und Gedanken 6ind, ist die Unterscheidung verschiedener Qualitäten von Gefühl. Das Sein aber, das hier als Qualität des Gefühls angesehen wird, gehört nicht dem Gefühl an, sondern ist eine Qualität des Raum-Bewußtseins, desselben Raumbewußtseins, das auch in den, den Gefühlen gegenüber gestellten Empfindungen und Gedanken angetroffen wird. Es sind m. a. W. die als Gefühle bezeichneten Bewußtseinserscheinungen Empfindungen oder Gedanken (oder auch Wahrnehmungen) , bei denen die Wesensseite G.efühl unsere besondere Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt; und die im Gegensatz zu den Gefühlen als Empfindungen oder Gedanken benannten Bewußtseinserscheinungen sind solche, bei denen nicht die (auch vorhandene) Wesensseite Gefühl, sondern die Wesensseite Raum-Bewußtsein wichtig ist für unsern Gedankengang. Unsere Auffassung, daß alle Gefühle Grade Einer Wesenheit Gefühl, des Freiheitsgefühls, sind, bedarf noch weiterer Erörterung gegenüber der Ansicht, daß es verschiedene Arten von Gefühl gibt, denn wir haben den Umstand, daß der gemeine Verstand zunächst eine grundsätzliche Unterscheidung aller Gefühle in Lust- und Unlustgegefühle vornimmt, noch nicht berücksichtigt. Daß der gemeine Verstand zu der Unterscheidung verschiedener Arten von Lust- und Unlustgefühlen dadurch kommt, daß er in der Regel die Lust- bezw. Unlustgefühle nicht trennt von den Empfindungen oder Gedanken (oder Wahrnehmungen), zu denen sie gehören, ist nach dem, was wir oben ausgeführt haben, klar. Die Bewußtseinserscheinung „Zahnschmerz" ist eine Empfindung, eben-
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Über die Wesenseinheit des Seins.
80 wie die rote Farbe, die ich sehe, eine Empfindung ist. Die Empfindung Rot kann Lust- und auch Unlustgefühl sein, das hängt ganz von dem besonderen Fall ab. Es fällt mir daher nicht ein, eine solche Empfindung als Lust -oder Schmerz (Unlust) zu bezeichnen. Die Empfindung Zahnschmerz aber ist immer ein Unlustgefühl, eben daß sie ein Unlustgefühl ist, erscheint mir als das Wichtigste an ihr, und daher bezeichne ich solche Empfindung- schlechthin als Schmerz. So kommt der gemeine Verstand zu der Auffassung, daß Zahnschmerz, Kopfweh, Ärger, Furcht usw. verschiedene Arten von Unlust sind, während die philosophische Überlegung lehrt, daß hier nur verschiedene Empfindungen bezw. Gedanken zu Grunde liegen, daß das eigentliche Unlustgefühl aber in allen Fällen dem Wesen nach Eins ist. Ebenso verhält es sich mit den verschiedenen Arten von Lustgefühlen, die der gemeine Verstand unterscheidet. Unterschiede bestehen Zwischen verschiedenen Lustgefühlen und zwischen verschiedenen Unlustgefühlen nur dem Grade nach, nicht der Wesenheit nach. Alle Lust ist der Wesenheit nach Eine und alle Unlust ist der Wesenheit nach Eine. Die entgegengesetzte Ansicht läßt sich auch nicht ernstlich vertreten. Denn wenn die verschiedenen Arten von Lust- und Unlustgefühlen, die der gemeine Verstand unterscheidet, wirklich verschiedene Wesenheiten von Lust und Unlust wären, so wäre es nicht zu verstehen, wie wir dazu kommen, die verschiedenen Lustgefühle bezw. Unlustgefühle hinsichtlich ihrer Stärke zu vergleichen, was wir doch fortwährend im Leben tun bei Regulierung unserer Willenstätigkeit. Indem wir einen Zahnschmerz hinsichtlich seiner Stärke vergleichen mit einem Kopfschmerz, den Wohlgeschmack eines Apfels mit dem Wohlgeruch einer Rose oder dem Lustgefühl beim Lesen eines Buches, erkennen wir doch an, daß zwischen den verschiedenen Lustgefühlen und ebenso zwischen den verschiedenen Unlustgefühlen etwas Gemeinsames besteht, das in den verschiedenen Lust- bezw. Unlustgefühlen nur dem Grade nach verschieden ist. Dieses Gemeinsame, das in allen Lust- bezw. Unlustgefühlen ist, wollen wir eben durch die Begriffe Lust und Unlust ausdrücken. DajS, was die einzelnen Lust- und Unlustgefühle noch außer diesem Gemeinsamen enthalteh, ist nicht Gefühl
2. K a p i t e l : Die Wesenseinheit der Bewußtseinserscheinungen.
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im philosophischen Sinne, sondern Empfindung oder Gedanke (bezw. Wahrnehmung). Mit diesen Ausführungen ist die Wesensverschiedenheit, d,ie der gemeine Verstand innerhalb der Lustgefühle und innerhalb der Unlustgefühle unterscheidet, beseitigt, es bleibt aber noch der Gegensatz von Lust und Unlust bestehen. Was sind nun Lust und Unlust? Was bedeutet der Gegensatz, der doch zweifellos durch Lust und Unlust ausgedrückt wird, für die Wesenseinheit des Gefühls? Vergegenwärtigen wir uns zunächst, wie der gemeine Verstand über die Sache denkt. Er hält Lust und Unlust nicht für zwei schlechthin verschiedene Wesenheiten von Gefühl, sondern für zwei entgegengesetzte „Richtungen" der Wesenheit Gefühl. Wenn Lust und Unlust in der Auffassung des gemeinen Verstandes zwei schlechthin verschiedene Dinge wären, so könnten wir beide nicht mit gleichem Maß messen, was wir doch tun, indem wir feststellen, ob in einem Verbände von Gefühlen die Lu6t größer oder kleiner ist als die Unlust. Daß der gemeine Verstand Lust und Unlust für zwei entgegengesetzte Richtungen der Wesenheit Gefühl hält, geht auch daraus hervor, daß nach seiner Auffassung Lust und Unlust sich gegenseitig aufheben. Aus dieser Auffassung über das Wesen von Lust und Unlust entsteht die Frage, ob im menschlichen Leben bezw. im Sein überhaupt die Summe der Lust größer oder kleiner ist als die Summe der Unlust. Die philosophische Untersuchung ergibt, daß mit Lust bezw. Unlust zwei verschiedene Begriffe ausgedrückt werden können. Einmal kann man mit Lu6t und Unlust die beiden Seiten des Attributs Freiheit bezeichnen. Es ißt dann Lust die Übereinstimmung, Unlust der Gegensatz innerhalb der Vielheit eines Bewußtseinszustandes. So aufgefaßt sind Lust und Unlust in allem Gefühl stets miteinander verbunden. Kein Gefühl ist nur Lust und keines nur Unlust; Lust ist niemals ohne Unlust, und Unlu6t ist niemals ohne Lust; sie gehören zusammen und sind vereinigt im Wesen des Freiheitsgefühls. Lust und Unlust sind nach dieser Begriffsbestimmung nicht Bestandteile des Gefühls, die sich trennen lassen und einander gegenüber gestellt werden können, sondern es sind Wesensseiten des Gefühls, gleich
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wie Gefühl, Raum und Zeit Wesensseiten des Bewußtseins sind. Lust und Unlust sind im Wesen des Gefühls ähnlich vereinigt wie Ausdehnung und Begrenzung im Wesen des Körpers. Wie es unsinnig ist zu fragen, ob bei einem Körper die Ausdehnung größer oder kleiner ist als die Begrenzung, so ist es auch — wenn wir unter Lust und Unlust die beiden Wesensseiten des Gefühls verstehen — unsinnig zu fragen, ob in einem Gefühl oder in einem Verbände von Gefühlen die Lust größer oder kleiner ist als die Unlust. In der hier ausgeführten Bedeutung werden die Wörter Lust und Unlust aber für gewöhnlich nicht gebraucht. Wenn wir untersuchen, wa6 zugrunde liegt, wenn wir von Lust und Unlust als von zwei gegensätzlichen'Dingen reden, so kommen wir zu dem Ergebnis: L u s t i s t Z u n a h m e ( S t e i gerung) des F r e i h e i t s g e f ü h l s , U n l u s t ist Abnahme (Minderung) des Freiheitsgef ü h l s . Das Bewußtsein ist, wie wir gesehen haben, nicht eine Kette von Einzelerscheinungen, als deren Glieder nacheinander ^Empfindungen, Gedanken und Gefühle auftreten, sondern die Aufeinanderfolge der Empfindungen und Gedanken ist verknüpft mit einem ununterbrochenen Bande von Gefühlen; das Gefühl gehört zu den Empfindungen und Gedanken, es ist ein Wesensbestandteil von ihnen. Und wie im Flusse des Bewußtseins die Raumqualität der Empfindungen und Gedanken ständig wechselt, so wechselt auch ständig der Grad des Freiheitsgefühls. Das zunehmende Freiheitsgefühl nennen wir Lust, das abnehmende Unlust. — Es spricht auf den ersten Blick ein Umstand gegen diese Begriffsbestimmungen. Wir fassen für gewöhnlich gewisse Fälle von Zunahme des Freiheitsgefühls nicht als Lust auf, sondern als verminderte Unlust, und ebenso gibt es Fälle, wo wir eine Abnahme des Freiheitsgefühls nicht als Unlust betrachten, sondern als verminderte Lu6t. Diese Sachlage scheint der Auffassung recht zu geben, nach der es eine im Wesen des Gefühls begründete Grenze zwischen Lust und Unlust gibt, gleich wie Null die Grenze zwischen positiver und negativer Zahlenreihe ist. Oberhalb dieses Nullpunktes bleibt dann alles Gefühl Lust, mag es zunehmendes oder abnehmendes Freiheitsgefühl sein, und unterhalb dieses Nullpunktes bleibt, alles Gefühl Unlust, ganz gleich, ob es abneh-
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Die Weseneeinheit der Bewußtseinserscheinungen.
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mendes oder zunehmendes Freiheitsgefühl ist. Eine gründlichere Prüfung führt aber zu dem Ergebnis, daß jener Nullpunkt nicht im Wesen des Gefühls begründet ist, sondern eine willkürliche Schöpfung unseres Denkens ist, und daß die hier vorgenommene Scheidung der Gefühle in Lust und Unlust daher keine andere Bedeutung hat, als die Scheidung der Menschen in große und kleine. Indem ich große und kleine Menschen unterscheide, lege ich nicht eine im Wesen der Menschen liegende Grenze zwischen groß und klein zugrunde, sondern eine Grenze, die ich mir nach Umständen einrichte, die mit der Wesenheit der Menschen nichts zu tun haben. So ist es auch mit der Scheidung der Gefühle in Lust und Unlust. Indem wir ein Erlebnis als Lust bezw. Unlust auffassen, besteht im Bewußtsein, wenn auch in unklarer Form, die Vorstellung eines Zustandes, zu dem wir das gegenwärtige Erlebnis in Vergleich stellen. Erreicht das Freiheitsgefühl des Erlebnisses nicht das Freiheitsgefühl des vorgestellten Zustandes, so sagen wir, wir fühlen Unlust; überschreitet das Freiheitßgefühl des Erlebnisses aber jene Höhe, so nennen wir es Lust. Die bei diesem Verfahren als Norm dienende Vorstellung eines Bewußtseinszustandes ist aber nicht nur nach bloßem Gutdünken gewählt, sondern auch nicht immer eine und dieselbe, vielmehr bildet bald dieser, bald jener Bewußtseinszustand, bald dieser, bald jener Grad des Freiheitsgefühls die Scheide zwischen Lust und Unlust. Es ist klar, daß diese Unterscheidung von Lustund Unlustgefühlen ohne philosophische Bedeutung ist. Der Streit, ob im menschlichen Leben mehr Lust oder mehr Unlust dieser Art vorhanden ist, hat dieselbe Bedeutung, wie die Frage, ob es in der Welt mehr große oder mehr kleine, mehr kluge oder mehr dumme Menschen, gibt! Sollen die Begriffe Lust und Unlust einen philosophischen Wert haben, so müssen wir ihnen .den oben angegebenen Inhalt geben: Lust ist Zunahme, Unlust Abnahme des Freiheitsgefühls. Der Grad des Freiheitsgefühls, da6 einem Bewußtseinszustand innewohnt, macht den „Wert" dieses Bewußtseinszustandes aus. Der Grad der Lust oder Unlust aber, der in einem Bewußtseinszustand enthalten ist, bildet keinen Ausweis über den Wert dieses Bewußtseinszustandes. Ein Unlustgefühl kann ein höheres, und ein Lustgefühl kann
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Über die Wesenseinheit des Seins.
ein niedrigeres Freiheitsgefühl sein. Daß Verhältnis der Summe der Lust zur Summe der Unlust im menschlichen Leben oder in der Welt sagt an und für sich nichts aus über den Wert des menschlichen Lebens oder der Welt. Die Daseinsform des Freiheitsgefühls ist die Stärke, der Grad. E s g i b t n i c h t z w e i R i c h t u n g e n d i e s e r S t ä r k e , n i c h t p o s i t i v e und n e g a t i v e G r a d e des F r e i h e i t s g e f ü h l s , s o n d e r n der G r a d des F r e i h e i t s g e f ü h l s ist immer ein p o s i t i v e r , a u c h d a n n , w e n n es a l s U n l u s t a u f t r i t t . Auf der Tatsache, daß zuweilen Menschen den Tod dem Leben vorziehen, kann sich eine Widerlegung unserer Auffassung nicht gründen. Für gewöhnlich wird behauptet, jene Tatsache zeige, daß das Bewußtsein schlechter sei als das Nichtbewußtsein, und beweise damit — da das Freiheitsgefühl des Nichtbewußtseins gleich Null gesetzt werden müsse —, daß das Freiheitsgefühl des Bewußtseins in diesem Falle eine negative Größe sei. Diese Auslegung trifft aber nicht zu. Der Mensch, der sich den Tod wünscht, stellt nicht das Bewußtsein in Vergleich zum Nichtbewußtsein, sondern er stellt eine Erscheinung seines Bewußtseins, den Gedanken weiter zu leben, in Vergleich zu einer anderen Erscheinung seines Bewußtseins, zu dem Gedanken tot zu sein. Mag er sich das Totsein als ein dunkles, in endloser Gleichförmigkeit sich ausdehnendes Sein vorstellen, in dem alle Widerwärtigkeiten des Lebens ausgelöscht sind, oder mag er sich irgend etwas anderes denken, auf jeden Fall denkt er sich ein Etwas, nicht aber ein „Nichts". Und selbst wenn wir es als ein „Nichts" gelten lassen wollten, so wäre dieses gedachte „Nichts" doch immer noch Gedanke, also ein Etwas, das vorgestellte Nichtbewußtsein wäre immer noch Vorstellung, also Bewußtsein. Nicht das Nichtbewußtsein wird hier dem Bewußtsein vorgezogen, sondern ein Bewußtseinszustand wird einem anderen Bewußtseinszustand vorgezogen; der Freiheitsgrad des Gedankens weiter zu leben, ist nicht niedriger als Null, sondern er ist nur niedriger, als der Freiheitsgrad eines andern Gedankens. Außer dem Grade des Freiheitsgefühls beobachten wir beim Gefühl noch eine andere Art von Stärke. Das Gefühl
2. Kapitel- Die Wesenseinheit der Bewußtseineerscheinungen. 3S des von körperlichem Schmerz gepeinigten Menschen ist ein schwächeres Freiheitsgefühl als das Gefühl des Landmanns, der sich am Gedeihen seiner Saat erfreut, aber in anderem Sinne ist jenes doch das stärkere Gefühl. Ein Gefühl kann einen geringen Grad von Freiheit aufweisen und doch ein sehr starkes Gefühl sein, und ein Gefühl kann einen sehr hohen Grad von Freiheit haben und dabei als ein schwaches Gefühl erscheinen. Die Untersuchung lehrt uns, daß diese neben dem Freiheitsgrade bestehende Stärke, die Heftigkeit des Gefühls, ihre Wurzel nicht im Wesen des Gefühls, sondern in äußeren Umständen hat. Heftigkeit ist der Ausdruck für die Veränderung im gewohnten Verlauf des Bewußtseins, die mit einem Gefühl verbunden ist. Ein Gefühl erscheint um so stärker, um so heftiger, je größer die Umwälzung ist, die es anrichtet im Reiche unserer Empfindungen und Gedanken, namentlich solcher Empfindungen und, Gedanken, die sich auf den Zustand des eigenen Körpers beziehen. Die Heftigkeit ist streng genommen gar nicht eine Eigenschaft des einzelnen Gefühls, d. h. der einzelnen Bewußtseinserscheinung (Empfindung oder Gedanke), die wir als Gefühl bezeichnen, weil die Wesensseite Gefühl uns als die wichtigste erscheint, sondern die Heftigkeit ist eine Eigenschaft, die. nur in Erscheinung treten kann bei einem Verbände von Bewußtseinserscheinungen, den der gemeine Verstand zu Unrecht als Eine Gefühlserscheinung auffaßt. Die Heftigkeit des Gefühls ist nicht eine zweite Art von Stärke der Wesensseite der Bewußtseinserscheinungen, die wir Gefühl'nennen, sondern die Heftigkeit des Gefühls hat mit dieser Wesensseite überhaupt nichts zu tun. Das Wesen des Gefühls ist das Freiheitsgefühl, und die einzige Art von Stärke, von Erscheinungsform, in die die Wesenheit Gefühl auftritt, ist der Grad des Freiheitsgefühls. Dieser macht den „Wert" des betreffenden Bewußtseinszustandes aus; die Heftigkeit des Gefühls ist ohne Beziehung zu diesem Werte. — Durch die unklaren und schwankenden Begriffe Lust und Unlust und Stärke des Gefühls, sowie durch die1 ungenaue Scheidung der Gefühle von den Empfindungen und Gedanken, verdunkelt das gewöhnliche Denken die Wahrheit, daß die Wesenheit aller Gefühle eine und dieselbe ist, nämlich das Freiheitsgefühl, und daß diese Wesenheit Gefühl enthalten ist K r ö g e r , Die Philosophie des reinen Idealismus.
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in allen Bewußtseinserscheinungen, daß m. a. W. das Freiheitsgefühl eine Wegensseite des. Bewußtseins ist. IV. Wir haben erkannt, daß alle Empfindungen und Gedanken ein Raum-, Zeit- und Freiheit-Bewußtsein enthalten. Es bleibt aber noch die Frage, ob der g a n z e Inhalt der Empfindungen und Gedanken getroffen wird, wenn wir sie als Formen des Raum-, Zeit- und Freiheit-Bewußtseins auffassen, oder ob vielleicht noch sonst etwas Wesennaftes in ihnen ist. Daß Erscheinungen, die sich durch nichts anderes unterscheiden als durch verschiedene Größe, Formen einer Wesenheit sind, ist vollkommen klar; bei den Daseins formen, die wir Größen nennen, tritt uns das Merkmal der Daseinsformen, nämlich, daß Übergänge zwischen ihnen möglich sind, am deutlichsten entgegen. Nun sind die Daseinsformen der Attribute Zeit und Freiheit nichts als Größen, sie sind ohne Gestalt und ohne Qualität; es besteht daher auch kein Zweifel, daß sie reine Daseinsformen sind. Bei dem Attribut Raum ist es anders. Zwar treten uns auch hier als Daseinsformen Größen entgegen, aber in Verbindung mit Gestalten und Qualitäten. Soweit sich Daseinsformen des Attributs Raum allein durch Größe unterscheiden, werden wir sie ohne weiteres als reine Daseinsformen gelten lassen. Etwas unklarer ist die Sache schon, wenn eine Verschiedenheit der Gestalt besteht. Die Verschiedenheit zwischen einem Dreieck, einem Viereck, einem Kreise scheint eine solche zu sein, die Übergänge ausschließt. Wenn wir jedoch weiter überlegen, so finden wir, daß es diese mathematischen Figuren in unsern Empfindungen, Wahrnehmungen und Gedanken gar nicht gibt, daß sie nur als „Wortvorstellungen" existieren. Eine Gestalt, die wir Dreieck nennen, ist tatsächlich eine dreiecksähnliche Gestalt — weder sind die drei Seiten grade Linien, noch die drei Ecken Punkte —, und diese Dreiecksähnlichkeit kann sich durch allmähliche Veränderung in eine Vierecksähnlichkeit und diese durch weitere allmähliche Veränderung in eine Kreisähnlichkeit verwandeln. Die Gestalten sind reine Daseinsformen des Atrributs Raum. Wie verhält es sich aber mit den Raumquali-
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täten, zunächst der Empfindungen? Daß die Raumquali täten desselben Sinnesgebietes reine Daseinsformen sind, wird nicht bestritten werden. Denn zwischen Rot und Gelb, Hell und Dunkel ist ein allmählicher Übergang denkbar; und wie bei den Raumqualitäten der Gesichtsempfindungen ist es auch bei den Raumqualitäten der andern Sinnesgebiete. Anders dagegen scheint es zu sein bei den Raumqualitäten verschiedener Sinnesgebiete. Es scheint keine Brücke zu führen von einem Sinnesgebiet zu einem andern. Ob die Abgeschlossenheit der Gebiete des Tast-, Geschmacks- und Geruchsinns gegen das Gebiet des allgemeinen Sinnes wirklich eine vollkommene ist, können wir unerörtert lassen. Wir wollen es so ansehen, als ob die Abgeschlossenheit bei allen Sinnesgebieten ebenso zweifellos feststehe wie bei denen des Gesichts- und Gehörs• sinnes. Woher rührt nun diese Abgeschlossenheit? Bei näherer Überlegung finden wir, daß hier nicht ein® 'im Wesen des Bewußtseins liegende Unmöglichkeit für die Existenz von Übergängen besteht, sondern nur eine in der zufälligen Organisation unseres Körpers begründete Schwierigkeit beim Denken dieser Übergänge vorliegt. Rot und Gelb sind für sich allein betrachtet zwei scharf von einander geschiedene Farben; Rot ist schlechtweg Rot, und Gelb ist schlechtweg Gelb, es führt kein Übergang von der einen Farbe zur anderen. Wenn wir aber andere Farben, die wir kennen, in gewisser Ordnung zwischen Rot und Gelb einstellen, so entsteht ein Farbenband, das durch unmerkliche Übergänge von Rot zu Gelb führt. Denken wir uns nun einen Menschen, der in einer Welt lebt, in der es keine anderen Farben außer Rot und Gelb gibt — ob infolge besonderer Beschaffenheit dieser Welt oder dieses Menschen ist gleichgültig. Dieser Mensch kann nicht ein Farbenband herstellen, das unmerklich von Rot zu Gelb führt. Empfinden kann er den Übergang von Rot zu Gelb nicht. Und das Denken eines solchen Übergangs wird bei ihm auf dieselbe < Schwierigkeit «tossen, die sich uns entgegenstellt, wenn wir, die wir unter gewöhnlichen Verhältnissen leben, einen Übergang von einem Sinnesgebiet zu einem anderen denken wollen. Es muß in jbeiden Fällen eine Raumqualität gedacht (vorgestellt) werden, die als Empfindung niemals im Bewußtsein gewesen ist. Unmöglich ist dieses nicht, aber es ist schwierig. Und unser
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Denken erhält selten einen Antrieb, diese Schwierigkeit zu überwinden, denn das gewöhnliche Denkgeschäft besteht darin, den Inhalt der Empfindungen zu ordnen. Wenn man nun aber auch diese Unfähigkeit unseres Denkens als eine Unmöglichkeit auffaßt, so ist doch im Falle des nur Rot und Gelb empfindenden Menschen klar, daß die Unmöglichkeit ihren Grund nieht im Wesen von Rot und Gelb hat, sondern in der zufälligen Beschaffenheit des menschlichen Körpers oder seiner Umgebung. Klar ist dieses uns aber nur darum, weil der Gedanke an den normalen Menschen, der unzählig viele Farben empfindet, uns gleich zur Hand ist. In dem Falle, wo es sich um einen Übergang zwischen zwei Sinnesgebieten handelt, ist es anders. Das Beispiel eines Menschen, der mit mehr Sinnen empfindet als wir, steht uns nicht zur Verfügung, und erst recht nicht das eines Menschen mit unzähligen Sinnen. Es muß aber doch zugegeben werden, daß philosophisch die Sachlage in beiden Fällen dieselbe ist. Nicht im Wesen des Bewußtseins liegt es, daß wir unfähig sind, zwischen den Sinnesgebieten Übergänge zu denken, sondern in der zufälligen Organisation unseres Körpers. Es sind demnach auch die Raumqualitäten verschiedener Sinnesgebiete als reine Daseinsformen anzusehen. — Haben wir somit jetzt die Verschiedenheit der Raumqualität in Empfindungen; mögen sie demselben oder verschiedenen Sinnen angehören, als eine Verschiedenheit der Daseinsformen, nicht der Wesenheit erkannt, so werden wir ohne weiteres auch die verschiedenen Raumqualitäten der Gedanken als reine Daseinsformen gelten lassen, weil Gedanken nichts weiter sind als gedachte Empfindungen. Wie ist es nun aber mit der Verschiedenheit zwischen Empfindung und Gedanken, ist sie eine bloße Verschiedenheit der Daseinsform oder liegt hier eine Wesensverschiedenheit zugrunde? Nach der gewöhnlichen Auffassung ist die gedachte (vorgestellte) Empfindung — als solche sind alle Gedanken anzusehen — gleichsam als eine in einem anderen Material ausgeführte Nachbildung der Empfindung zu betrachten. Das Material, aus dem die Empfindungen bestehen, ist Empfindung; das Material, aus dem die gedachten Empfindungen bestehen, ist nicht Empfindung, sondern Gedanke. Das empfundene Rot und das gedachte Rot sind
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nicht eine und dieselbe Raumqualität, sondern es sind zwei Arten von Raum-Bewußtsein. Wir werden nachher eine andere Ansicht über die Verschiedenheit von Empfindung und Gedanke darlegen, aber zunächst untersuchen, ob beim Bestehen der angeführten gewöhnlichen Auffassung diese Verschiedenheit als eine solche der Daseinsform oder der Wesenheit angesehen werden muß. Es fragt sich, ob ein Übergang möglich ist von einer Empfindung zu dem Gedankenbild dieser Empfindung. Wir werden diese Frage bejahen müssen, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß wir manchmal gar nicht in der Lage sind, zu sagen, ob eine Erscheinung Empfindung oder Gedanke ist, auch nicht selten, wie eine spätere Erkenntnis ergibt, Empfindung und Gedanken verwechseln. Wären Empfindung und Gedanke Erscheinungen, zwischen denen Übergänge nicht denkbar sind, so wäre nicht einzusehen, wie bei der Beurteilung eine Unentschiedenheit oder eine Verwechslung möglich sein könnte. Denn Dinge, die wesensverschieden sind, können nicht miteinander verwechselt werden. Halluzination und Traum sind die augenfälligsten Beispiele einer Verwechslung von Empfindung (bezw. Wahrnehmung) und Gedanken. Aber auch im gewöhnlichen wachen Bewußtsein wird Gedachtes häufig für Empfundenes gehalten. Das tritt bei allen sinnlichen Wahrnehmungen zutage, indem wir 6ie im gewöhnlichen Leben für Empfindungen halten, obgleich sie aus Empfindungen und Gedanken zusammengesetzt sind 1 ). Ferner« beobachten wir eine Verwechslung yon Empfindung und Gedanken vielfach, wenn wir den Eintritt einer Empfindung erwarten; wir glauben dann nicht selten die erwartete Erscheinung zu empfinden, während wir sie tatsächlich nur denken (vorstellen). Besonders deutlich 1) Das umgekehrte Verhältnis besteht wahrscheinlich bei. manchen Gedanken. Indem wir uns Empfindungen vorstellen, werden wir es nicht immer mit reinen Gedankenbildern zu tun haben, sondern es ist anzunehmen, daß in manchen, vielleicht sogar in den meisten Fällen, die vorgestellte Empfindung nicht bloß Vorstellung (Gedanke), sondern auch Wirklich Empfindung ist. Es wird sich dabei um Erscheinungen ähnlich den Nachempfindungen handeln, jedoch ohne die bei diesen vorhanden« enge zeitliche Verknüpfung mit vorhergegangenen Empfindungen gewöhnlicher Art.
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Erster
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Über die Wesenseinheit des Seins.
tritt uns die fließende Grenze zwischen Empfindung und Gedanken vor Augen bei den Nachempfindungen. Richten wir unsere Augen auf einen roten Gegenstand, so haben wir die Empfindung Rot; schließen wir nun die Augen, so verschwindet die Empfindung Rot nicht sofort, sondern im Bewußtsein bleibt eine Nachwirkung der ursprünglichen Empfindung, das positive Nachbild. Dieses ist zweifellos eine Empfindung. Allmählich verschwindet diese Empfindung, und an ihre Stelle tritt, wenn der gesehene Gegenstand nicht überhaupt aus dem Bewußtsein ausscheidet, der Gedanke Rot. Einen Zeitpunkt aber, in dem Rot im Bewußtsein aufhört Empfindung zu sein und anfängt, Gedanke zu werden, gibt es nicht. Wir haben es hier mit einem Übergang von empfundenem Rot zu gedachtem Rot zu tun. Den positiven Nachbildern beim Gesichtssinn entsprechende Nachempfindungen bestehen auch bei den anderen Sinnen. Es kann daher bei allen Sinnesgebieten ein in der angegebenen Weise sich vollziehender Übergang von Empfindung z.um Gedankenbild dieser Empfindung beobachtet werden. Diesen Übergang können wir auch ohne Berücksichtigung von Nachempfindungen feststellen bei Empfindungen, die an Stärke stetig abnehmen. Diese Abnahme führt schließlich zu einem Zustand, in dem wir nicht wissen, ob wir die Empfindung noch wirklich empfinden oder ob wir sie. nur noch vorstelleil (denken). — Also auch wenn wir die Auffassung, daß Empfindung und Gedanke aus verschiedenem Material bestehen, gelten lassen wollten, könnten wir nicht zugeben, daß eine Verschiedenheit in der Wesenheit des Raum-Bewußtseins zugrunde liegt, wir müßten vielmehr anerkennen, daß die Verschiedenheit des Materials der Empfindungen und Gedanken nicht von anderer Art ist als die Verschiedenheit des Materials der einzelnen Sinnesgebiete. Wir müßten die Verschiedenheit zwischen Empfindungen und Gedanken als eine solche der Daseinsform, nicht der Wesenheit betrachten. Wenn wir jedoch die Sache näher untersuchen, gelangen wir zu der Ansicht, daß das Material der Empfindungen kein anderes ist als das der Gedanken, und daß die Unterscheidung der beiden Arten von Erscheinungen auf einem anderen Umstände beruht. In unserm Bewußtsein ist ständig ein Gedankensystem enthalten, das wir die W e l t v o r s t e l -
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Die Wcser.seinhcit der Bewußtseinserscheinungen.
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1 u n g nennen wollen. Sie besteht darin, daß eine gewisse bleibende Ordnung von Dingen vorgestellt wird. Die Weltvorstellung steht im Bewußtsein nicht als eine Erscheinung für sich neben den neu hinzutretenden Empfindungen und Gedanken, sondern diese werden in die Weltvorstellung hineingeordnet, sie werden mit der Weltvorstellung zu einem Gebilde verwoben. Woher die Weltvorstellung rührt, wie sie im Bewußtsein durch allmähliche Erfahrung zustande gekommen ist, das brauchen wir hier nicht zu untersuchen;es genügt uns die Tatsache, daß sie, wie nun einmal unser Bewußtsein sich entwickelt hat, ein unabtrennbarer Beetandteil unseres Bewußtseins ist. Nur darüber müssen wir uns klar sein, daß die Weltvorstellung ein zusammengeidachtes Gebilde ist, nicht aber eine Sinneserscheinung oder das Gedankenbild einer Sinneserscheinung. Der gemeine Verstand meint freilich, er sehe die Welt mit den Augen, aber nicht einmal den eigenen Körper (als Ganzes) hat ein Mensch jemals „gesehen". Ob nun eine Erscheinung als Empfindung oder als Gedanke zu bezeichnen ist, richtet sich nach dem Platze, der ihm in der Weltvorstellung angewiesen wird. Weise ich der Bewußtseinserscheinung Rot ihren Platz ah im Raum außerhalb meines Kopfes, so nenne ich sie Empfindung, erhält sie aber ihren Platz im Innern meines Kopfes, so nenne ich sie Gedanke. Ähnlich ist es bei den anderen Sinnesgebieten. Erhalten die Erscheinungen in der Weltyorstellung ihren Platz im Innern des Kopfes, im „geistigen" Ich, so sind es Gedanken, finden sie ihren Platz im Raum außerhalb dieser Gedankenwohnung, so sind es Empfindungen. Nun wird man veilleicht meinen, dadurch, daß einer Erscheinung ein Platz hier oder dort in der Weltvorstellung angewiesen wird, werde nicht ihre Natur als Empfindung oder Gedanke ausgemacht, sondern diese Anweisung der Plätze sei eine Folge ihrer Beschaffenheit als Empfindung oder Gedanke. Diese Auffassung ist zu verwerfen. Zunächst ist nicht zu erkennen, worin die Verschiedenheit des Materials der Empfindung und des Gedankens denn eigentlich besteht. Und dann ist auch schwer zu verstehen, wie eine Verwechslung zwischen Empfindung und Gedanken zustande kommen sollte, wenn ihre Natur als Empfindung oder Gedanke nicht durch einen Denkvorgang
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Erster
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bestimmt würde, 6ondern von vornherein in der Beschaffenheit des Materials der Erscheinung gegeben wäre. Denn es, müßte doch die Verschiedenheit zwischen dem Material der Empfindung Rot und dem des Gedankens Rot als eine größere angesehen werden als die Verschiedenheit im Material zwischen der Empfindung Rot und der Empfindung Hart. Dann müßte eine Verwechslung der Empfindungen Rot und Hart doch leichter möglich sein, als eine solche der Empfindung Rot und des Gedankens Rot. E6 kommt aber nur die letztgenannte Verwechslung vor. Wenn wir davon ausgehen, daß der Gegensatz von Empfindung und Gedanken gar nicht eine in den Erscheinungen an und für sich liegende Verschiedenheit bezeichnet, sondern erst durch einen besonderen an die Erscheinungen anknüpfenden Denkvorgang zustande kommt, so ist die Tatsache, daß Empfindung und Gedanke (nämlich Vorstellung dieser Empfindung) vielfach verwechselt oder unsicher beurteilt werden, in einfacher Weise erklärt. Es ist freilich noch die Frage zu erörtern, welche Merkmale denn unser Denken veranlassen, einer Bewußtseinserscheinung das eine Mal ihren Ort außerhalb, das andere Mal innerhalb des geistigen Ichs anzuweisen. So lange diese Frage nicht klargelegt ist, könnte es scheinen, daß diese Merkmale eben in einer Verschiedenheit des Materials beständen, daß wir also doch wieder zu der gewöhnlichen Auffassung geführt würden. Beständigkeit und Lebhaftigkeit der Erscheinung können nicht als die gesuchten Merkmale der Empfindung, Flüchtigkeit und Mattigkeit nicht als die des Gedankens gelten. Denn einmal treffen diese Merkmale gar nicht in allen Fällen zu, und dann liegt es auch in ihrer Natur, daß sie nicht eine philosophische Bestimmtheit ausdrücken können. Ebensowenig kann bei der Erscheinung eines Sinnesgebietes Vorhandensein oder Fehlen des Zusammenhanges mit Erscheinungen anderer Sinnesgebiete als überall anwendbares Unterscheidungsmittel zwischen Empfindung und Gedanken angesehen werden, wenngleich diese Kontrolle der Sinne untereinander von großer Bedeutung ist. Es gibt überhaupt kein bestimmtes Merkmal, das uns veranlaßt, die eine Erscheinung auf den Platz der Empfindungen, die andere auf den Platz der Gedanken zu verweisen, vielmehr kommen hier in der Ragel
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viele verschiedene Umstände in Betracht, deren Zusammenwirken die Entscheidung bringt, ob eine Erscheinung für eine Empfindung oder für einen Gedanken (vorgestellte Empfindung) gehalten wird. Unsere Untersuchung hat zu dem Ergebnis geführt, daß die Unterscheidung der Bewußtseinserscheinungen in Sinnesgebiete und in Empfindungen und Gedanken nicht auf Wesensverschiedenheiten beruht. Es ist in allen Empfindungen und Gedanken das Raum-, Zeit- und Freiheit-Bewußtsein, und weiter ist nichts Wesenhaftes in ihnen. Jetzt bleibt noch die Frage zu erörtern, ob Empfindungen und Gedanken den ganzen Inhalt des Bewußtseins ausmachen, oder ob es vielleicht noch Bewußtseinserscheinungen anderer Art gibt, durch welche dann die erkannte Wesenseinheit des Bewußtseins möglicherweise wieder aufgehoben würde. V. Neben Empfindung und Gedanken unterscheidet die gewöhnliche Auffassung noch zwei andere Arten von Bewußtseinserscheinungen, Gefühl und Wille (Streben). Daß das Gefühl nicht als selbständige Art gelten kann, sondern als eine Wesen6seite der Empfindungen und Gedanken aufgefaßt werden muß, haben wir bereits erörtert. Es bleibt also nur noch zu untersuchen, ob der Wille eine besondere Art von Bewußtseinserscheinung neben Empfindungen und Gedanken darstellt, oder ob er vielleicht als eine neue Wesensseite der Bewußtseinserscheinungen neben den von uns . erkannten Wesensseiten anzusehen ist. Zunächst ist zu beachten, daß beim gewöhnlichen Gebrauch des Wortes Wille oft gar nicht der eigentliche Wille, sondern die Erkenntnis, daß unter gewissen Umständen'ein Wille im Bewußtsein entstehen wird, oezeichnet wird. Der eigentliche Wille ist stets verbunden mit der Ausführung. Im gewöhnlichen Leben aber bezeichnen wir häufig als Willen etwas, das nichts anderes ist als die Erkenntnis, daß unser Ich dieses oder jenes ausführen wird. Das „Ich will in einer Minute aufhören zu schreiben" ist nicht der eigentliche Wille, sondern die Erkenntnis, daß mein Ich zu einem Willen kommen wird. Ebenso enthalten die Gedanken des Gefesselten „Ich will meine Fesseln zer-
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reißen; weil ich aber weiß, daß ich es nicht vermag, führe ich meinen Willen nicht aus" nicht den eigentlichen Willen, sondern die Erkenntnis, daß im Bewußtsein ein Wille bestehen würde, wenn gewisse Umstände anders wären. In allen Fällen, wo der Wille mit dem Anhängsel der Erfüllung oder Nichterfüllung behaftet erscheint, wo man statt Wille auch Absicht oder Wunsch oder Sehnsucht sagen kann, drückt der Begriff Wille nicht etwas Wesenhaftes im Bewußtsein aus, sondern ein zusammengesetztes Gedankengebilde. Dieser Begriff Wille ist nicht scharf umgrenzt, er sagt nicht etwas philosophisch Bestimmtes aus, sondern es ist häufig unklar, ob ein Bewußtseinszustand Wille ist oder nicht ist. Als ein grundlegender Bestandteil des Bewußtseins kann Wille in dieser Bedeutung auch darum nicht gelten, weil er nur bei dem höheren Bewußtsein angetroffen wird. Soll Wille etwas Wesenhaftes im Bewußtsein, etwas philosophisch Bestimmtes bezeichnen, so kommen wir zu folgender Begriffsbestimmung. W i l l e ( S t r e b e n ) i s t e i n G e s c h e h e n im B e w u ß t s e i n (auf dem G e b i e t e der E m p f i n d u n g e n o d e r der G e d a n ken), das e i n e Z u n a h m e der F r e i h e i t dars t e l l t . Es scheint einiges dafür zu sprechen, daß diese Auffassung vom Wesen des Willens doch nicht ganz zutrifft. Zwar muß i der Einwand,' daß Wille nicht immer ein Geschehen mit zunehmender Freiheit, also Lust sei, abgewiesen werden. Denn die Meinung, daß z. B. der Mensch, der mit seinem Kopf die Mauer durchstoßen will, nicht Lust, sondern Unlust fühle, ist nicht zutreffend. Soweit das Bewußtsein dieses Menschen Wille ist, ist es auch Lustgefühl; das Unlustgefühl, das mit der Handlung verbunden ist, ge hört nicht zum Willen, sondern ist eine neue Erscheinung Zweifelhaft aber scheint es, daß ein Geschehen, das eine Zu nähme der Freiheit darstellt, in allen Fällen Wille ist. Nehmen wir folgenden Fall: Es kommt mir ganz ungesucht ein Gedanke, der mir große Freude macht. Wir haben es hier mit einem Geschehen im Reiche der Gedanken zu tun, das eine Zunahme der Freiheit ist. Es scheint aber doch nicht berechtigt, diese Bewußtseinserscheinung Wille zu nennen, denn es ist doch im gewissen Sinne ein fremdes Geschehen, während Wille ein eigenes Sein ausdrückt. Diese
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Sachlage finden wir auf dem Gebiete der Empfindungen in allen Fällen vor, denn die Empfindung gilt grundsätzlich als ein Fremdes. Es kann daher nach der gewöhnlichen Auffassung ein Geschehen mit zunehmender Freiheit im Gebiete der Empfindungen niemals als Wille gelten. Zwar können wir dem entgegenhalten, daß dieses Fremde in der Erscheinung — nämlich, daß sie nicht als Portsetzung des bisherigen Bewußtseinsverlaufes, sondern als „fremde" Erscheinung auftritt —, welches wir nicht als Wille anerkennen können, auch nicht ein Geschehen mit zunehmender Freiheit ist, sondern eine Beschränkung der Freiheit darstellt, und daß dasjenige in der Erscheinung, an dem eigentlich allein die Zunahme der Freiheit geknüpft ist, auch ein eigenes Sein ist und mit Recht Anspruch hat auf die Bezeichnung Wille. Es bleibt aber trotzdem eine gewisse Berechtigung bestehen für die Auffassung, daß ein Bewußtseinsgeschehen nur dann als Wille bezeichnet werden darf, wenn es seinen Ausgangspunkt im „eigenen" Sein hat. Legen wir diese Begriffsfassung zugrunde, so haben wir einen Begriff vor uns, der philosophisch ebenso unbrauchbar ist wie der Begriff Wille des gewöhnlichen Lebens, den wir auch durch die 'Worte Absicht oder Wunsch oder Sehnsucht ausdrücken können. Denn zwischen den Bestandteilen des Bewußtseins, die ein Eigenes, und denen, die ein Fremdes sind, besteht keine scharfe Grenze. In gewissem Maße ist in allen Gedanken und Empfindungen etwas Eigenes, d. h. etwas, das sie als Fortsetzung des bisherigen' Bewußtseinsverlaufs erscheinen läßt, und in gewissem Maße ist auch in allen Gedanken und Empfindungen etwas Fremdßs, d. h. etwas, das nicht in dem bisherigen Bewußtseinsbestande wurzelt. Ein Begriff Wille nach diesem Muster bezeichnet nichts philosophisch Bestimmtes im Bewußtsein, sondern ist ein bloßes Hilfsmittel beim gewöhnlichen Denken. Soll Wille etwas philosophisch Bestimmtes bezeichnen, so müssen wir jedes Bewußtseinsgeschehen mit zunehmender Freiheit Wille nennen. Ist nun Wille in dieser Bedeutung eine neue Art von Bewußtseinserscheinung oder eine neue Wesensseite des Bewußtseins? Gewiß nicht. Wille in dieser Bedeutung ist eine Verbindung der beiden Wesensseiten Zeit (Geschehen) und Freiheit (Gefühl). Wille ist ein Bewußtseinsgeschehen
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(Ein Gedanken- oder Empfindungsgeschehen) mit zunehmender Freiheit, wir können auch sagen: W i l l e i s t ein B e w u ß t s e i n s g e s c h e h e n , dem ein L u s t g e f ü h l i n n e w o h n t . — Unsere Untersuchung hat zu dem Ergebnis geführt, daß Wille in keinem Falle eine besondere Art von Bewußtseinserscheinung neben Gedanken und Empfindungen ist und auch nicht als eine neue Wesensseite des Bewußtseins gelten kann, daß vielmehr Wille, wenn etwas Wesenhaftes darunter verstanden werden soll, eingeschlossen ist in den von uns erkannten Wesensseiten des Bewußtseins, und daß, wenn man diesen Begriff Wille nicht gelten lassen will, Wille nichts Einfaches und Wesenhaftes, sondern ein Zusammengesetztes bezeichnet und dabei ein verschwommbner unklarer Begriff ist, der wohl seine Berechtigung hat für manche Zwecke des gewöhnlichen Denkens, der sich aber der philosophischen Festlegung entzieht. VI. Wir haben die Auffassung vertreten, daß alles Denken ein anschauliches Denken ist. Im folgenden wollen wir sie weiter klar legen und verschiedene Einwände erörtern. Zunächst stellen wir fest, was wir mit dieser Auffassung eigentlich aussagen wollen. Wenn ich mir einen Menschen, den ich gestern gesehen habe, vorstelle, so ist dieser Gedanke eine gedachte Wahrnehmung. Die gedachte Wahrnehmung ist in diesem Falle eine erinnerte Wahrnehmung. Damit einem Gedanken die Bezeichnung gedachte Wahrnehmung zukommt, ist es jedoch nicht nötig, daß er eine erinnerte Wahrnehmung ist. Wir nennen einen Gedanken schon eine gedachte Wahrnehmung, wenn seine Raumqualitäten dieselben sind, wie die von Wahrnehmungen, also letzten Endes von Empfindungen, nur mit dem Unterschiede, daß diese Raumqualitäten in dem einen Falle gedachte, in dem andern Fall wahrgenommene bezw. empfundene sind; daß die Raumqualitäten in dem Gedanken in derselben Ordnung und Gestalt 0 vorhanden sind, wie in vorhergegangenen Wahr1) Man könnte meinen, daß es heißen müßte Ordnung, Gestalt und Größe. Aber Größe fällt hier mit unter Gestalt. Wenn ich das eine
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nehmungen, was bei den erinnerten Wahrnehmungen der Fall ist, ist nicht erforderlich. Nötig, damit ein Gedanke als gedachte Wahrnehmung bezw. Empfindung gelten kann, ist es aber auch noch nicht, daß seine Raumqualitäten, wenn auch in anderer Ordnung und Gestalt, angetroffen werden als wahrgenommene bezw. empfundene Raumqualitäten im Gebiete der Wahrnehmungen bezw. Empfindungen. Wir nennen einen Gedanken auch dann schon eine gedachte Wahrnehmung bezw. Empfindung, wenn seine Raumqualitäten im Gebiete der Wahrnehmungen bezw. Empfindungen zwar nicht vertreten sind, wenn aber die Raumqualität des Gedankens in einem solchen Verhältnis zu gedachten, im Gebiete der Wahrnehmungen bezw. Empfindungen vorhandenen Raumqualitäten steht, daß sie mit diesen als verschiedene Qualitäten desselben Raum-Bewußtseins aufgefaßt werden müssen. Anders ausgedrückt: Wir nennen einen Gedanken auch dann gedachte Wahrnehmung bezw. Empfindung, wenn zwischen seinen Raumqualitäten und den Raumqualitäten gedachter Empfindungen im engeren Sinne kein andersartiger Unterschied besteht, als zwischen den Raumqualitäten verschiedener Empfindungen desselben Sinnesgebietes und den Raumqualitäten verschiedener Sinnesgebiete. Die Frage, ob tatsächlich im menschlichen Bewußtsein Gedanken mit einer Raumqualität, deren Gegenstück im Gebiete der Empfindungen fehlt, angetroffen werden, lassen wir offen. Die Raumquali,täten der allermeisten Gedanken haben jedenfalls Gegenstücke im Gebiete der Empfindungen. Jene Frage ist für unsere Untersuchung ohne Bedeutung. Es ist auch nicht aasgeschlossen, daß sie bei gewissen menschlichen Bewußtseinen zu bejahen, bei anderen zu verneinen ist; wird doch auch von manchen Menschen versichert, daß sie von gewissen Empfindungen keine Vorstellungen bilden können, während andere behaupten, hierzu befähigt zu sein. Für uns kommt es Mal einen großen Baum, das andere Mal einen kleinen Baum wahrnehme oder denke, so wahrnehme oder denke ich den Baum groß bezw. klein im Virhältnis zu andern Diagen, die ich mit wahrnehme oder denke. Das, wis ich wahrnehme oder denke, hat also in beiden Fällen eine verschiedeie Gestalt, denn das Größenverhältnis desjenigen Teils der WahrnAmung bezw. des Gedankens, den ich Baum nenne, .zu dem Ganzen der Wahrnehmung bezw. des Gedankens ist ein verschiedenes.
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nur auf die Feststellung an, daß die Gedanken ein Raum-Bewußtsein enthalten von derselben Wesenheit wie die Empfindungen; dann eben nennen wir die Gedanken vorgestellte oder gedachte Empfindungen bezw. Wahrnehmungen. Dasselbe sagen wir aus, wenn wir sie als „anschauliche" Gedanken bezeichnen. Denn indem wir die Gedanken anschaulich nennen, wollen wir ausdrücken, daß in ihnen dieselbe Gegenständlichkeit, d. i. Räumlichkeit, enthalten ist wie in der sinnlichen Anschauung, d. i. Wahrnehmung. Dabei dürfen wir bei dem Worte „Anschauung" freilich nicht nur an die in der Regel verhältnismäßig „klare" gesichtssinnliche Anschauung denken — wozu wir wegen der überragenden Bedeutung dieses Sines geneigt sind —, sondern wir müssen auch die Empfindungen und Wahrnehmungen der andern Sinnesgebiete, bei denen die Anschaulichkeit (Räumlichkeit) „unklarer" ist, berücksichtigen. Wir wollen uns nun mit einigen Einwänden gegen die Auffassung, daß alles Denken ein anschauliches Denken ist, auseinandersetzen. Nehmen wir zunächst folgenden,Einwand: „Die Sinneswahrnehmung Haus ist immer die Wahrnehmung eines in seinen Einzelheiten bestimmten Hauses. Der Gedanke Haus aber ist nicht immer die Vorstellung eines bestimmten Hauses, sondern sein Inhalt kann auch ein Haus im allgemeinen, m. a. W. der Begriff Haus sein. Es scheint, daß in diesem Falle der Gedanke Haus nicht Vorstellung sinnlicher Wahrnehmung sein kann, eben weil es in der sinnlichen Wahrnehmung nur bestimmte Häuser, nicht aber Häuser im allgemeinen gibt." Wir setzen uns folgendermaßen mit diesem Einwand auseinander. Die Gemeinvorstellungen und Begriffe bestehen wohl vielfach darin, daß in schneller Folge verschiedene Einzeldinge vorgestellt werden und so der Umfang des Begriffs bestimmt wird. Beim gewöhnlichen Denken machen wir allerdings in der Regel weniger Umstände, wir denken, wenn auch flüchtig und unklar, ein Haus von bestimmter Beschaffenheit auch dann, wenn wir eigentlich den Begriff Haus denken wollen, und berichtigen erst diese Vorstellung, wenn der Verlauf des Denkprozesses zu Unstimmigkeiten führt. — Die Unterscheidung zwischen Gemeinvovsnellungen und Begriffen, die die neuere Fachpsychologie vornimmt, ist für die Weltanschauungiphiloscphie ohne Bedeutung, denn
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die Mcri-male, die den Begriff von der Gemeinvorstellung waterscheiden — Klarheit und Deutlichkeit, Konstanz und Allgemeingültigkeit — sind bei näherer Betrachtung fließend. Ein anderer Einwand ist folgender: „Wenn alle unsere Gedanken Vorstellungen sinnlicher Wahrnehmung wären, so müßte das Verstehen gehörter oder gelesener Sätze darin bestehen, daß bei jeder gehörs- oder gesichtssinnlichen Wahrnehmung eines Wortes ein entsprechendes sinnlich-anschauliches Bild im Bewußtsein entsteht. So ist der Vorgang des Verstehens einer Rede oder einer Schrift aber zweifellos nicht, das lehrt die einfache Selbstbeobachtung. — Eö erscheint auch zweifelhaft, ob überhaupt die den Wörtern entsprechenden sinnlich-anschaulichen Gedankenbilder so schnell aufeinander folgen können, wie es der Fluß der verstandenen Wörter erfordert." Wir entgegnen: Klare, auch in den Einzelheiten ausgeprägte sinnlich-anschauliche Bilder im Bewußtsein begleiten zweifellos den Fluß der verstandenen Wörter meistens nicht, es sind vielmehr in der Regel verschwommene, unklare Vorstellungen sinnlichen Inhalts, die blitzschnell auftauchen und wieder verschwinden. Nicht selten besteht die Vorstellung sinnlicher Wahrnehmung, die das Verstehen eines Wortes darstellt, zur Hauptsache auch darin, daß die sinnliche Wahrnehmung (das Hören oder Sehen) des Wortes im Bewußtsein solche Wortvorstellungen hervorruft, die gewohnheitsgemäß als zu dem Worte passend aufgefaßt werden. Es kommen in diesem Falle keine andern Vorstellungen als eben Wortvorstellungen zum Vorschein. Dabei müssen wir immer in Betracht ziehen, daß unter Wortvorstellungen nicht nur optische und akustische, sondern auch sogen. Sprech- und schreib-motorische Wortvorstellungen — das sind Vorstellungen von Empfindungen, die mit dem Sprechen und Schreiben der Worte verbunden sind — zu verstehen sind. Die Vorstellungen sinnlicher Wahrnehmung, die das Verstehen des gehörten oder gesehenen Wortes ausmachen, sind in den meisten Fällen so flüchtiger Natur, daß man sagen möchte: Wenn das wahrgenommene Wort im Bewußtsein nur die Fähigkeit (Bereitschaft) vorfindet zur Erzeugung anpassender, zugehöriger Wortvorstellungen oder bezw. und
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anderer anschaulicher Vorstellungen, so genügt das in der Regel 6chon um das Wort als „verstanden" passieren zu lassen. Die Flüchtigkeit und Undeutlichkeit, die wir vielfach bei den Erscheinungen des Denkens (den Vorstellungen sinnlicher Wahrnehmung) antreffen, ist übrigens nicht eine Eigentümlichkeit, die nur der Gedankenwelt anhaftet, der Welt der sinnlichen Wahrnehmung aber fehlt. Auch in dieser ist das meiste undeutlich und flüchtig, die eigentlichen ausgeprägten sinnlichen Anschauungen sind nur einzelne Wahrnehmungen, die sich aus der Masse des Unklaren, Nebelhaften und daher sich der oberflächlichen Selbstbeobachtung Entziehendem, hervorheben. Welch eine Unmasse gesichts-, gehörs-, tast- und vor allem allgemeinsinnlicher Empfindungen und Wahrnehmungen ist nicht in jedem Augenblick in unserm Bewußtsein! Es ist aber für die*Selbstbeobachtung ebenso schwer Rechenschaft darüber zu geben, wie es im einzelnen mit diesen Empfindungen und Wahrnehmungen bestellt ist, wie der entsprechenden Forderung bei den Gedankenerscheinungen zu genügen. Hinsichtlich der Unklarheit der Einzelheiten gleicht der Denkprozeß vollkommen dem Empfindungs- und Wahrnehmungsprozesse. — Der Einwand, daß die Vorstellungen sinnlicher Wahrnehmung im Bewußtsein nicht so schnell folgen können als die gesprochenen oder gelesenen Wörter einer verstandenen Rede, und daß daher die den Wörtern folgenden Gedanken etwas anderes sein müßten als Vorstellungen sinnlicher Wahrnehmung, dieser Einwand fällt vollkommen zusammen, sobald man sich darüber klar geworden ist, daß es sich in der Regel nicht um Vorstellungen sinnlicher Wahrnehmung handelt, die scharf umrissen, wie etwa deutliche gesichtssinnliche Wahrnehmungen, vor uns stehen, sondern um ein flüchtiges Spiel größtenteils ganz unklarer Vorstellungen aller Arten sinnlicher Wahrnehmung, die sich ebenso der Zählung entziehen wie die Wolken des wolkenbedeckten Himmels. Man kann wohl die Durchschnitts- oder Höchstzahl der Wörter bestimmen, die eine Person in der Zeiteinheit zu verstehen imstande ist, wie aber will man die Zahl der Vorstellungen sinnlicher Wahrnehmung feststellen, die in der Zeiteinheit das Bewußtsein durchlaufen? Wo sind die Einheiten, die gezählt werden sollen? Ist die Vorstellung
2. K a p i t e l : Die Wesenseinheit der Bewußteeinserseheinungen. 49 Baum eine Vorstellung, oder sind in diesem Vorstellungsgebilde mehrere Vorstellungen enthalten, vielleicht die Vorstellungen Stamm, Krone, Erdreich, Himmel? Bei einiger Überlegung ist es klar, daß es gar keine einfachen Vorstellungen gibt, sondern, daß alle Vorstellungsgebilde Vorstellungsgruppen sind. Wenn durch das Experiment erwiesen würde, daß die Höchstzahl der Wörter, die man iii der Sekunde verstehen kann, größer 6ei als die Höchstzahl der Vorstellungen sinnlichen Inhalts, die man in der Sekunde sich bewußt werden kann, so würden wir dadurch nicht zu der Überzeugung geführt, daß die Gedanken etwas anderes sein müssen als Vorstellungen sinnlicher Wahrnehmung, sondern wir würden das Experiment dahin deuten, es sei erwiesen, daß die Vorstellungen sinnlicher Wahrnehmung, die den Inhalt der Gedanken ausmachen, noch einfacherer Natur sein müssen als die, die der Experimentator als einfache Vorstellungen gezählt hat. Noch ein anderer Umstand macht diesen experimentellen Weg ungeeignet. Es wäre zweifellos ein Fehler, wenn man die Anzahl der Vorstellungen gleich der Anzahl der Wörter setzen wollte, nachdem man selbstverständlich Wörter, die nicht Begriffe, sondern nur Äußerlichkeiten der Sprache sind, ausgeschaltet hat. Beim Verstehen sprachlicher Darstellungen kommen in der Regel die einzelnen Wörter ebensowenig zur Geltung wie beim fließenden Lesen eines Wortes die einzelnen Buchstaben. Aber auch für die Anzahl der Wörter, deren Bedeutung wirklich im Bewußtsein erscheint, kann nicht ohne weiteres die gleiche Anzahl von Vorstellungen gerechnet werden. „Drei Häuser" sind zwei Wörter, aber diesen entsprechen doch wohl mindestens drei Vorstellungen. Frühling ist ein Wort, aber zweifellos ist der Gedanke Frühling eine Mehrzahl von Vorstellungen. Andernfalls müßte man auch häufig eine Mehrzahl von Wörtern, ja nicht selten einen ganzen Satz, als eine Vorstellung zählen, — falls man sich überhaupt auf das Zählen von Vorstellungen einlassen wollte. Es besteht aber keine Regel, nach der das Zahlenverhältnis zwischen Wort und Vorstellung bestimmt werden könnte. Die Gedanken sind im Denkprozeß nicht so als klar umgrenzte Einheiten aneinander gefügt wie die Wörter in der Rede, sondern das, was wir als einen einzelnen Gedanken K r ö g e r , Die Philosophie des reiner: Idealismus.
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auffassen, wofür wir e i n Wort haben, ist meistens ein sehr zusammengesetzter Vorgang im Bewußtsein. Vorstellungen von gesichts-, tast- und gehörssinnlich wahrgenommenen äußeren Gegenständen und Vorgängen und von optischen, akustischen, Sprech- und schreibmotorischen Worterscheinungen folgen blitzschnell auf- und durcheinander; dieses verwickelte Durch- und Beieinander macht dann den Gedanken aus, der in der Regel als e i n Wort erscheint. Zweifellos denken bei einem und demselben Wort verschiedene Menschen niemals dasselbe, und auch bei einem und demselben Menschen sind die mit einem bestimmten Worte verknüpften Gedanken zu verschiedenen Zeiten niemals die gleichen Bewußtseinserscheinungen. Für den Fortgang des Denkprozesses und für die Verständigung mit andern Menschen genügt es auch, daß die Bewußtseinserscheinungen, die zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Köpfen sich an ein Wortzeichen knüpfen, einen gewissen Grad von Übereinstimmung aufweisen, nämlich einen solchen, daß der praktische Nutzen des Denkens dabei gewahrt bleibt. Zieht man alles dieses in Betracht, so scheint es schon nicht mehr so unverständlich, daß wir häufig in Verlegenheit geraten, wenn man eine Schilderung der Vorstellung sinnlicher Wahrnehmung von uns verlangt, die einem durch ein bestimmtes Wort bezeichneten Gedanken entspricht. Es ist aber noch ein anderer Umstand in dieser Beziehung von Bedeutung. Die Gedanken sind nicht bloß Raum-Bewußtsein, sondern in ihnen sind auch die beiden anderen Wesensseiten, Zeit- und Freiheit-Bewußtsein (Geschehen und Gefühl) vertreten. Bei manchen Gedanken ist die eine, bei manchen eine andere Wesensseite die wichtigere. In solchen Gedanken nun, bei denen die Wesensseite Zeit (Geschehen) oder die Wesensseite Freiheit (Gefühl) diejenige ist, auf die es ankommt für den Verlauf des Denkprozesses, wechselt die Daseinsform des Raum-Bewußtseins von Fall zu Fall beständig. Mit dem Gedanken Schnelligkeit ist z. B. keine in einer g e w i s s e n Gleichartigkeit in allen Fällen wiederkehrende Raumvorstellung verbunden, wie etwa mit den Gedanken Tisch oder Pferd. Weil zu dem betreffenden Gedanken gar keine in gewissen Grenzen bestimmte Raumvorstellung gehört, rechnet der gemeine Verstand
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Raumvorstellung nicht mit zu den Bestandteilen des Gedankens. Zwar kann er nicht leugnen, daß mit solchen Gedanken stets Kaumvorstellungen verknüpft sind, aber er betrachtet diese Raumvorstellungen als etwas, das nicht eigentlich zu den Gedanken gehört, sondern nur äußerlich mit ihnen verbunden ist. Diese Auffassung muß aber verworfen werden; ob ich bei dem Gedanken Schnelligkeit an die Bewegung eines Rennpferdes, einer Granate, eines Planeten denke, oder ob ich etwas Räumliches denke, welches ich überhaupt nicht durch Worte bezeichnen kann, das kann für den Denkprozeß gleichgültig sein, daß ich aber irgend etwas Räumliches denke, ist notwendig, um den Gedanken Schnelligkeit überhaupt denken zu können. — Ähnlich wie in dem eben angeführten Beispiel verhält es sich auch, mit den im engsten Sinne abstrakten Begriffen — in gewissem Sinne abstrakt sind ja alle Begriffe —, von denen man zu behaupten pflegt, daß sie völlig Unanschauliches, nämlich Verhältnisse und Beziehungen zum Inhalt haben. Der Gedanke eines solchen Begriffs ist nicht ohne anschaulichen Inhalt, er ist nur nicht mit einem relativ bestimmten anschaulichen Inhalt versehen, sondern mit einem von Fall zu Fall wechselnden. Der anschauliche Inhalt kann auch wechseln, ohne daß das Ergebnis des Denkprozesses dadurch verändert wird. Beim gewöhnlichen Denken besteht der anechauliche Inhalt gedachter abstrakter Begriffe dieser Art übrigens selten in etwas anderem als Wortvorstellungen. Es verknüpft sich die Vorstellung des Wortes, das in der Sprache den betreffenden Begriff bezeichnet, mit anpassenden anderen Wortvorstellungen, darin besteht für gewöhnlich das Denken und Verstehen abstrakter Begriffe. Nun mag man vielleicht einwenden, wenn man auch zugäbe, daß alle Gedanken vorgestellte Sinneserscheinungen seien, so sei damit noch nicht ausgemacht, daß das Denken nichts anderes sei als eine Aufeinanderfolge solcher Vorstellungen. Denn eine Aufeinanderfolge von Vorstellungen im Bewußtsein sei nur ein Denken in der Bedeutung' eben von Vorstellen, d. h. in der Bedeutung eines Gegensatzes zum Empfinden, es sei aber kein Denken im Sinne von logischem Denken. Damit aus der Aufeinanderfolge von Vorstellungen ein Denken werde, müsse sie noch begleitet sein
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Abiehnitt:
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von etwas Anderem, und dieses sei eben das eigentliche Denken. Darauf ist zu erwidern, daß dieses Andere, das die Aufeinanderfolge der Vorstellungen begleitet und sie erst zum eigentlichen Denken macht, nichts anderes ist als die Wesensseite des Bewußtseins, die wir Übereinstimmungsund Gegensatz-Bewußtsein oder Gefühl genannt haben. Die Gedanken sind nicht bloß Raum-Bewußtsein, obgleich wir an diese Wesensseite allein denken, wenn wir die anschauliche Natur der Gedanken feststellen, sondern es wohnt ihnen auch die Wesensseite Gefühl inne. Und diese Wesensseite, das Bewußtsein von Übereinstimmung und Gegensatz, ist eben das Band, das die Aufeinanderfolge anschaulicher Vorstellungen verknüpft zum logischen Denken. Das Bewußtsein von Übereinstimmung und Gegensatz nennen wir in gewissen Fällen Fürwahrhalten, in anderen Fällen sinnliches Gefühl, in noch anderen Fällen haben wir noch andere Namen, immer aber handelt es sich um eine und dieselbe Wesensseite des Bewußtseins, um das Attribut Freiheit oder Gefühl. So sind die Gedanken, auch die im engeren Sinne abstrakten, nicht Erscheinungen anderer Wesenheit als die Empfindungen, sie schweben nicht wie Erscheinungen aus einer andern Welt über den Empfindungen, über der Wirklichkeit — wie der gemeine Verstand meint —, sondern sie stehen in einer Reihe mit den Empfindungen, mit der Wirklichkeit. Die Gedanken sind nicht bloße Bilder von Dingen, sondern sie sind selbst Dinge, sie sind Dinge gerade so wie die Dinge (Erscheinungen), die wir sehen, tasten, hören usw. Die Bedeutung dieser Erkenntnis für das Verständnis des reinen Idealismus wird sich im nächsten Kapitel zeigen. Wir haben in diesem Kapitel über das Wesen des Bewußtseins ein System von Begriffen entwickelt und versucht mittels dieses Systems eine Art empirischen Nachweis zu führen, daß alle Bewußtseinserscheinungen Einer Wesenheit angehören. Es muß jedoch betont werden, daß unsere Ausführungen nicht als ein Beweis für die Wesenseinheit des Bewußtseins in dem Sinne aufgefaßt werden dürfen, daß eine Nichtanerkennung unserer Ausführungen einen Zweifel an der Wesenseinheit des Bewußtseins und damit an der vom
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reinen Idealismus erklärten Wesenseinheit des Seins rechtfertigt. Die Wesenseinheit des Bewußtseins zeigt sich der tieferen philosophischen Betrachtung von selbst, es bedarf dazu keiner Nachweise für die einzelnen Erscheinungen und Erscheinungsarten. Unsere hierauf bezüglichen Ausführungen können über ihren rein psychologischen Wert hinaus nichts anderes bedeuten als ein Hilfsmittel, das Denken auf den rechten Weg zu führen, auf den Weg, der über die Erkenntnis der Wesenseinheit des Bewußtseins zur Anerkennung des reinen Idealismus führt. Nachdem wir uns über die Wesenheit des Bewußtseins unterrichtet haben, kehren wir jetzt zum reinen Idealismus zurück, und damit werden die von uns erkannten Wesensseiten des Bewußtseins zu Wesensseiten des Seins. E s sind also Raum, Zeit und F r e i h e i t (Gefühl) die A t t r i b u t e oder W e s e n s s e i t e n der Einen W e s e n h e i t Sein.
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Kapitel.
Über Wirklichkeit und Wahrheit. I. Der gemeine Verstand meint, daß der Gegensatz zwischen seiner Auffassung und der des reinen Idealismus darin bestehe, daß er etwas für „wirklich" (real) halte, dessen „Wirklichkeit" (Realität) der reine Idealismus leugne. Diese Meinung ist unzutreffend. Nicht über die Wirklichkeit der Dinge besteht eine Meinungsverschiedenheit, sondern über die philosophische Bedeutung des Fürwahrhaltens, daß die Dinge wirklich sind. Was bedeutet nun das Fürwahrhalten, die Überzeugung, daß ein Ding wirklich ist, daß ein Ding eine Existenz außerhalb meines Denkens, meines Ichs hat?
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Erster
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Über die Wesenseinheit de8 Seins.
Zunächst ist zu beachten, daß uns die Wirklichkeit einer Erscheinung niemals in anderer Form entgegentritt und entgegentreten kann, als daß wir die Erscheinung für wirklich halten. Die Wirklichkeit einer Erscheinung und die Überzeugung, daß die Erscheinung wirklich ist, sind ein und dasselbe. — Was bedeutet es nun, daß ich für wahr halte, dieser Tisch (den ich vor mir sehe) ist wirklich? Es bedeutet: Ich bin überzeugt, daß der Tisch in Beziehung zu meinem Sehorgan steht, in der Weise, daß die Erscheinung beim Schließen der Augen aus meinem Bewußtsein verschwinden wird; daß ein Buch, das ich in geeigneter Beziehung zu dem Tisch setze, nicht zur Erde fällen, sondern auf dem Tische ruhen wird; daß ein Mensch, der nach einem Tische verlangt, meiner Aufforderung, den Tisch zu benutzen, folgen wird und nicht antworten wird, er sehe keinen Tisch; daß ich bei geeigneter Nachforschung feststellen kann, auf welche Weise der Tisch in mein Zimmer gekommen ist, wer ihn verfertigt hat, wo der Baum gewachsen ist, dem das Holz des Tisches angehörte. In diesen und ähnlichen Überzeugungen besteht die Bedeutung des Fürwahrhaltens, daß der Tisch wirklich ist. — In dem eben betrachteten Beispiel handelt es sich um das Fürwahrhalten der Wirklichkeit einer Erscheinung, die als Sinneswahrnehmung im Bewußtsein besteht. Ich halte aber auch für wahr, daß der Tisch als wirkliches Ding existiert, nachdem ich das Zimmer verlassen habe, ihn nicht mehr wahrnehme, sondern nur denke. Hier bedeutet das Fürwahrhalten der Wirklichkeit des Tisches, daß der gedachte Tisch in dem Zusammenhang meiner Bewußtseinserscheinungen dieselbe Rolle spielt wi® der wahrgenommene Tisch. •— Ich halte aber auch für wahr, daß der Tisch, den ich vor einer Stunde im Zimmer wahrgenommen habe, und an den ich jetzt denke, auch während der Zwischenzeit, in der ich ihn weder wahrgenommen, noch gedacht habe, wirklich gewesen ist. Hier bedeutet das Fürwahrhalten der Wirklichkeit des Tisches, daß ich für wahr halte, der Zusammenhang, das Zueinanderstimmen der Erscheinungen werde aufgehoben durch das Fehlen des Tisches. Es bedeutet, daß ich z. B. überzeugt bin, von einem Menschen, der während der Zwischenzeit in meinem Zimmer gewesen ist, auf meine Frage, ob er dort einen Tisch angetroffen
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habe, eine bejahende Antwort zu erhalten. — Ich halte nicht nur die Wirklichkeit von Gegenständen, sondern auch die von Bewußtseinen für wahr. Was bedeutet es, wenn ich für wahr halte, daß in jenem menschlichen Körper ein Bewußtsein wirklich ist? Es bedeutet, daß ich überzeugt bin, daß der betreffende menschliche Körper sich unter gewissen Umständen nicht so verhält wie eine Wachspuppe oder eina menschliche Leiche, sondern ähnlich wie mein eigener Körper; es bedeutet, daß ich für wahr halte, daß, wenn man ionem menschlichen Körper den Kopf abschlagen würde, in meinem Bewußtsein ein anderer Gefühlszustand eintreten würde, als wenn man einer Wachspuppe den Kopf abschlägt. Die Bedeutung des Fürwahrhaltens der Wirklichkeit fremder Bewußtseine besteht in einem Fürwahrhalten des Eintritts gewisser Erscheinungen im eigenen Bewußtsein. — Das Fürwahrhalten der Wirklichkeit einer Erscheinung besteht in allen Fällen in einem Fürwahrhalten des Eintritts gewisser anderer Erscheinungen (Wahrnehmungen oder Gedanken) . Immer aber handelt es sich, sowohl bei der Erscheinung, deren Wirklichkeit für wahr gehalten wird, als auch bei den Erscheinungen, die die Bedeutung dieses Fürwahrhaltens ausmachen, um Erscheinungen meines Bewußtseins. Auf Erscheinungen außerhalb des Bewußtseins stoßen wir in keinem Fall, wenn wir die Bedeutung des Fürwahrhaltens der Wirklichkeit einer Erscheinung fest stellen. Die Bedeutung des Fürwahrhaltens der Wirklichkeit einer Erscheinung besteht in dem Fürwahrhalten, daß die Erscheinung hineinpaßt in einen gewissen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang von Bewußtseinserscheinungen. Nun mag der gemeine Verstand gegen unsere Ausführungen einwenden, es sei wohl zuzugeben, daß die Bedeutung der Überzeugung von der Wirklichkeit einer Erscheinung für unser Denken darin liege, daß die Erscheinung als Bewußtseinserscheinung in gewisser Beziehung zu andern Bewußtseinserscheinungen stehe, und hierbei ein Sein außerhalb des Bewußtseins nicht in Frage komme, es sei aber mit dieser Erkenntnis gar nicht das festgestellt, was die Überzeugung von der Wirklichkeit einer Erscheinung an sich bedeutet, sondern nur der Einfluß aufgeklärt, den diese Über-
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zeugung auf den Verlauf unseres Denkens ausübt. An und für sich bedeute die Überzeugung von der Wirklichkeit einer Erscheinung etwas anderes, nämlich, daß die Erscheinung sich außerhalb meines Ichs im Raum befinde, und dieso eigentliche Bedeutung weise eben auf ein Sein außerhalb des Bewußtseins hin. Wir wollen uns im folgenden mit diesem Einwand auseinandersetzen. Gewiß ist der Tisch, den ich vor mir sehe, von dem ich überzeugt bin, daß er Wirklichkeit ist, im Raum. Er ist im Raum derjenigen Bewußtseinserscheinung, die wir Weltvorstellung genannt haben. Er hat einen Ort in diesem Raum. Aber er ist nicht im Raum außerhalb des Bewußtseins. Man mag vom Standpunkte naturwissenschaftlicher Erkenntnis aus entgegnen, der Tisch, den ich 6ehe, sei freilich im Raum des Bewußtseins, er habe seinen Ort irgendwo innerhalb meines Kopfes, aber außerdem existiere der Tisch auch noch im Raum außerhalb meines Kopfes. Durch diese doppelte Existenz unterscheide sich eben der wahrgenommene oder gedachte wirkliche Tisch von dem bloß gedachten Tisch, und die Überzeugung, daß der Tisch außer als Wahrnehmung oder Gedanke in meinem Kopf, auch noch außerhalb meines Kopfes existiert, 6ei eben die Überzeugung von einem Sein außerhalb des Bewußtseins. Denn das Bewußtsein habe seinen Ort im Kopfe, und was außerhalb des Kopfes sei, sei außerhalb des Bewußtseins. Darauf ist das Folgende zu erwidern: Indem wir dem Tisch zv,'ei Orte anweisen, einmal als Gehirner6cheinung einen Ort im Kopfe, und dann als Erscheinung der Wirklichkeit einen Ort außerhalb des Kopfes, weisen wir ihm zwei Orte an innerhalb des Raumes der Bewußtseinserscheinung, die wir Weltvorstellung nennen. -Innerhalb des Raumes der Weltvorstellung hat mein Kopf seinen Ort; der Raum meines Kopfes ist ein Teil des Raumes der Weltvorstellung. Und innerhalb des Raumes meines Kopfes hat nach meiner naturwissenschaftlichen Überzeugung mein Bewußtsein seinen Ort. Nicht alles, was innerhalb des Kopfes ist, ist im Bewußtsein, aber alles, was außerhalb meines Kopfes ist, ist außerhalb meines Bewußtseins. Es ist außerhalb meines empirischen Bewußtseins, meines Gehirn-Bewußtseins, d. h. desjenigen Dinges im Raum der Weltvorstellung, das ich Bewußtsein nénne. Die Dinge außerhalb • meines Kopfes
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sind aber nicht außerhalb meines Bewußtseins im philosophischen Sinne, vielmehr sind die Dinge äußerhalb meines Kopfes, mein Kopf, mein (empirisches) Bewußtsein innerhalb meines Kopfes, in dem sich die äußeren Dinge spiegeln, — mag es nun als kleines Raumding oder als „raumloser Punkt" aufgefaßt werden — alles Teile derjenigen Erscheinung meines metaphysischen Bewußtseins, die wir Weltvorstellung genannt haben. Wollte man nun noch entgegnen, die Weltvorstellung mit ihren Abteilungen Gehirn-Bewußtsein, Kopf, Dinge außerhalb des Kopfes sei allerdings innerhalb des Raumes des Bewußtseins, aber die wirklichen Dinge seien eben außerhalb dieser Weltvorstellung und daher auch außerhalb des Bewußtseins, so ist ohne Schwierigkeit zu erkennen, daß hier eine bloße Irreführung' durch Worte vorliegt. Es wird nämlich ein Teil der Weltvorstellung für sich als Weltvorstellung betrachtet, weil er den übrigen Teil der Weltvorstellung abbildet; dann sind natürlich die wirklichen Dinge außerhalb dieser „Weltvorstellung", aber diese „Weltvorstellung" und die wirklichen Dinge außer ihr sind doch wieder innerhalb einer Bewußtseinserscheinung, der erst im philosophischen Sinne der Name Weltvorstellung zukommt. Die naturwissenschaftliche Erkenntnis von dem doppelten Sein der wahrgenommenen oder gedachten wirklichen Dinge ändert nichts an unserer philosophischen Auffassung, daß die wirklichen Dinge nicht außerhalb, sondern innerhalb des Bewußtseins sind. Ein Sein außerhalb des Bewußtseins tritt uns auch bei dieser naturwissenschaftlichen Überlegung nicht entgegen. I n d e m ich f e s t s t e l l e , daß ein D i n g wirkl i c h i s t , d a ß es im R a u m a u ß e r h a l b m e i n e s Kopfes, meines Gehirns, meines Ichs sich b e f i n d e t , s t e l l e i c h f e s t , d a ß es s i c h i n n e r h a l b m e i n e r W e 11 v o r s t e 11 u n g i n d e m R a u m * a u ß e r h a l b der T e i l e d i e s e r W e l t v o r s t e l lung befindet, die ich Kopf, Gehirn, Ich nenne. In der A u s s a g e , daß eine E r s c h e i n u n g sich an einem O r t b e f i n d e t , b e d e u t e t Ort s t e t s einen P l a t z i n n e r h a l b meiner W e l t v o r s t e l l u n g . Von einem Orte außerhalb meiner Weltvorstellung, meines Bewußtseins zu sprechen, ist sinn-
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los — sofern man nicht unter Weltvorstellung und Bewußtsein den Teil einer größeren Weltvorstellung, eines größeren Bewußtseins versteht. Der philosophisch ungebildete Verstand mag einwenden, wenn die Wirklichkeit der Dinge nur darin bestehe, daß sie einen Ort in einem gewissen Raumbezirk der Weltvorstellung haben, so müsse es ja unserm Denken möglich sein, einem Dinge seine Wirklichkeit zu nehmen, indem man es wegdenke aus der Weltvorstellung, oder auch wirkliche Dinge zu schaffen, indem man sie hineindenke in die Weltvorstellung. Aber so ist die Sache doch nicht. Indem ich den Tisch aus meinem Zimmer wegdenke, d. h. mein Zimmer ohne Tisch vorstelle, verschwindet nicht der Tisch aus dem Zusammenhange der Bewußtseinserscheinungen, die sich in meiner Weltvorstellung im Räume außerhalb meines Kopfes, meines Ichs befinden, denn die Bewußtseinserscheinung „Zimmer ohne Tisch" hat in der Weltvorstellung ihren Ort nicht außerhalb, gondern innerhalb meines Kopfes, meines Ichs. Ich kann wohl „nach Willkür" aus meinem Zimmer den Tisch wegdenken oder auch einen zweiten Tisch hineindenken, ich kann aber nicht „nach Willkür" überzeugt sein, daß sich in meinem Zimmer ein Tisch, kein Tisch oder zwei Tische befinden. Solange ich überzeugt bin, daß in meinem Zimmer ein Tisch, und nur dieser eine Tisch ist, verschwindet in meiner Weltvorstellung der Tisch nicht aus dem Raum außerhalb meines Kopfes, und es erscheint in diesem Raum auch kein zweiter Tisch, ich mag mich mit dem Wegdenken oder dem Hinzudenken eines Tisches bemühen, so viel ich will. — Man mag vielleicht einwenden, indem ich den Tisch wegdenke, denke ich ihn weg aus dem Raum außerhalb meines Kopfes, denn ich denke nicht ein in meinem Kopfe befindliches Zimmer, sondern ein Zimmer außerhalb meines Kopfes. Darauf ist zu erwidern, daß ich das Zimmer zwar nicht als innerhalb meines Kopfes befindlich denke, sondern als ein Zimmer außerhalb meines Kopfes, daß aber, sobald die Frage nach dem Ort des Zimmers mir klar zum Bewußtsein kommt, sich eine Weltvorstellung einstellt, in der das gedachte Zimmer sich außerhalb meines gedachten Kopfes, aber zusammen mit dem gedachten Kopf innerhalb des Teils der Weltvorstellung befindet, den ich meinen
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„wirklichen Kopf" nenne. Beim gewöhnlichen Denken kommt freilich diese Weltvorstellung nicht klar zum Ausdruck, sondern die Scheidung des Unwirklichen vom Wirklichen vollzieht sich in einer etwas anderen Weise. Es bestehen zwei Seinszusammenhänge in unserem Denken, und je nachdem eine Erscheinung hineinpaßt in den einen oder den anderen dieser Zusammenhänge, wird sie als Wirkliches oder Unwirkliches in den Denkverlauf eingestellt. Daß der Zusammenhang des Unwirklichen seinen Ort im Kopfe hat, kommt dabei vielfach gar nicht oder doch nur unklar zur Vorstellung; es besteht zur Hauptsache nur die Erkenntnis, daß das Unwirkliche im Denkprozeß nicht so zu verwenden ist als das Wirkliche. Sobald aber in klarer Weise die Frage nach dem Wesen des Wirklichen und Unwirklichen, und damit die nach dem Ort der Erscheinungen vor unserm Denken steht, erscheint die angegebene Weltvorstellung. Die Weltvorstellung kann außer einer räumlichen Ordnung von Dingen auch noch eine zeitliche Ordnung aufweisen. Die Erscheinungen, die in der Vergangenheit wirklich waren — es können Dinge der Außenwelt oder auch Zustände meines Ichs sein — haben einen Ort in der zeitlichen Weltvorstellung außerhalb des Teils dieser Weltvorstellung, den wir bei nicht philosophischer Betrachtung Gegenwartswelt nennen. Das Sein der vergangenen Wirklichkeit liegt aber bei philosophischer Betrachtung weder zeitlich noch räumlich außerhalb des Bewußtseins. Dieselbe Unkenntnis über die Bedeutung der Aussage, daß etwas wirklich ist, die den gemeinen Verstand veranlaßt, zu behaupten, der reine Idealismus verneine die Wirk lichkeit der äußeren Dinge, kann auch zu der Auffassung führen, der reine Idealismus verneine die Wirklichkeit des eigenen Ichs. Mein Ich ist wirklich, bedeutet nicht, daß es einen Ort hat im Raum außerhalb meines (metaphysischen) Bewußtseins, es bedeutet auch nicht, daß das Sein meines Ichs sich erstreckt in die Zeit außerhalb meines (metaphysischen) Gegenwartsbewußtseins, sondern es bedeutet, daß mein Ich einen Ort hat sowohl in der räumlichen, als auch in der zeitlichen Ordnung der Bewußtseinserscheinung, die wir Weltvorstellung nennen. Es ist niemals eine Erscheinung Gegenstand meines Den-
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kens, ohne daß sie eingeschlossen ist in eine Weltvorstellung. Aber es besteht nicht immer dieselbe Weltvorstellung in meinem Bewußtsein. Wenn ich als Forstmann oder Botaniker einen Baum betrachte, so ist in meinem Bewußtsein eine Weltvorstellung, in der der grüne Baum seinen Ort hat im Raum außerhalb meines Kopfes. Ich bin überzeugt, daß der grüne Baum wirklich ist. Ein doppeltes Sein des Baumes, außerhalb und innerhalb meines Kopfes (Ichs) ist in dieser Weltvorstellung nicht gegeben. Betrachte ich den Baum aber gelegentlich des Nachdenkens über Gehirnfunktion, so ist in meinem Bewußtsein eine andere Weltvorstellung. Es sind in ihr zwei grüne Bäume vorhanden, der eine hat seinen Ort im Gehirn — das ist der Wahrgenommene oder gedachte Baum —, und der andere hat seinen Ort außerhalb des Gehirns — das ist der wirkliche Baum. Ist mein Denken auf naturwissenschaftliche Erkenntniskritik gerichtet, so ist eine Weltvorstellung in meinem Bewußtsein, in der nur der Baum im Gehirn grün, dagegen der im Raum außerhalb des Kopfes befindliche, der wirkliche Baum „farblos" ist. Betrachte ich den Baum als Anhänger der naturwissenschaftlichen Atomistik, so ist in meiner Weltvorstellung im Raum außerhalb meines Kopfes überhaupt nicht ein zusammenhängender Körper, sondern ein Schwärm sich bewegender *Körperchen. Der gemeine Verstand meint, von diesen verschiedenen für wahr gehaltenen Wirklichkeiten könne nur höchstens eine echt sein; es könne nur eine von den verschiedenen Überzeugungen die „wahre" sein. Und die „wahre" Überzeugung ist nach der Auffassung des gemeinen Verstandes eben die mit der „Wirklichkeit" übereinstimmende, die die Wirklichkeit abbildende. Im Lichte philosophischer Betrachtung aber ist gar keine Wirklichkeit vorhanden, mit der die Überzeugung von der Wirklichkeit übereinstimmen oder nicht übereinstimmen kann, es ist ja die Wirklichkeit einer Erscheinung und die Überzeugung von der Wirklichkeit dieser Erscheinung ein und dasselbe. Wir werden in diese Sache erst die rechte Einsicht gewinnen, wenn wir größere Klarheit über das Wesen der Wahrheit erlangt haben. , Das Ergebnis unserer Betrachtungen über die Wirklichkeit der Dinge ist: Die Aussage, daß eine Erscheinung wirk-
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lieh ist, bezeichnet die Beziehung einer Bewußtseinserscheinung zu andern Bewußtseinserscheinungen, sie sagt nichts aus über ein Sein außerhalb de.s Bewußtseins. Der gemeine Verstand ist geneigt, einzuwenden, wenn auch das, was man gewöhnlich Wirklichkeit nenne, innerhalb des Bewußtseins liege, so könne es darum doch noch „wahr" sein, daß es ein Sein außerhalb des Bewußtseins gebe. Die Nichtigkeit dieses Einwandes wird sich ebenfalls erst in voller Klarheit ergeben aus den folgenden Ausführungen über das Wesen der Wahrheit.' II. Das Wahrsein bezw. Unwahrsein ist eine Eigenshaft, die bei der einen Gruppe von Bewußtseinserscheinungen, den Gedanken, angetroffen wird, bei der andern Gruppe, den Empfindungen, aber fehlt. Bei sinnlichen Wahrnehmungen können wir nur insoweit von einem Wahrsein oder Unwahrsein reden als ihr Inhalt nicht Empfindung, sondern Gedanke ist. Es ist nicht eine Eigenschaft, die zu einem Gedankengebilde notwendig gehört; es gibt auch Gedanken (Vorstellungen) , bei denen von einem Wahrsein bezw. Unwahreein ebensowenig geredet werden kann wie bei den Empfindungen. Überhaupt ist die einzelne Vorstellung weder wahr noch unwahr; erst bei einem Gedankengebilde, das eine Mehrheit von Vorstellungen umfaßt, kann die Eigenschaft des Wahrseins oder Unwahrseins auftreten. Worin besteht nun das Wahrsein eines Gedankens, was ist m. a. W. das Wesen der Wahrheit, der Erkenntnis? Nach der Auffassung des gemeinen Verstandes ist ein Gedanke wahr, wenn er übereinstimmt mit der Wirklichkeit. In vielen Fällen ist klar zu sehen, daß das Übereinstimmen mit der Wirklichkeit ein Abbilden der Wirklichkeit ist, und wo eine Wahrheit nicht ohne weiteres als das Bild einer Wirklichkeit zu erkennen ist, ist sie doch ein Hilfsmittel zum Abbilden der Wirklichkeit. Unter Bild ist hierbei natürlich nicht die Wiedergabe räumlicher Dinge auf einer Fläche zu verstehen, sondern der wahre Gedanke ist ein Bild der Wirklichkeit in dem Sinne, daß er eine Wiedergabe wirklicher Dinge in einem andern Material ist. Das „Material" der Dinge ist Wirklichkeit, das „Material" der
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Wahrheit über diese Dinge ist Gedanke. Die wirklichen Dinge sind in der Auffassung des gemeinen Verstandes außerhalb des Bewußtseins überhaupt, oder doch — falls der Gegenstand des Fürwahrhaltens ein Zustand des eigenen Bewußtseins ist — außerhalb des Gegenwartsbewußtseins. Die wahren bzw. unwahren Gedanken über diese Dinge sind Erscheinungen im (Gegenwarts-) Bewußtsein. Das Wahrsein eines Gedankens besteht also nach der Auffassung des gemeinen Verstandes in einer Beziehung dieses Gedankens, also eines Dinges im Bewußtsein, zu einem Dinge außerhalb des Bewußtseins. Daß wir es tatsächlich mit einer Wahrheit zu tun haben, läßt sich naeh der Auffassung des gemeinen Verstandes letzten Endes nur feststellen, indem zwei Dinge miteinander verglichen werden: der Gedanke, der für wahr gehalten wird, und das Ding außerhalb des Bewußtseins, das Ding der Wirklichkeit, über das der Gedanke die Wahrheit sein soll. Wie sollen wir aber jemals in die Lage kommen, eine Wirklichkeit außerhalb des Bewußtseins zu vergleichen mit einem Gedanken? Es gibt ja, wie wir gesehen haben, nirgends im Gebiete des Seins eine solche Wirklichkeit. Tatsächlich ist es auch nicht die Wirklichkeit, mit der der gemeine Verstand den Gedanken vergleicht behufs Feststellung seiner Wahrheit, sondern es ist die sinnliche Wahrnehmung. Der gemeine Verstand hat nämlich nun einmal die Meinung, daß ihm in dem, wa6 er klar und deutlich wahrnimmt, ein außerhalb des Bewußtseins stehendes Sein, die Wirklichkeit, entgegentritt. Für ein großes Gebiet von Wahrheiten kann daher der Grundsatz „Wahr ist, was mit der Wirklichkeit übereinstimmt", auch ausgedrückt werden „Wahr ist, was durch Wahrnehmung bestätigt werden kann". Der für wahr gehaltene Gedanke, daß unter diesem Blatt Papier ein Geldstück liegt, wird durch Wahrnehmung bestätigt, wenn ich das Blatt aufhebe und ein Geldstück sehe. Auf solche unmittelbare Weise kann die Bestätigung durch Wahrnehmung nun freilich nicht immer erfolgen. Aus äußeren Gründen können wir Wahrheiten über das Innere der Erde, über die Temperatur des Mondes nicht der Bestätigung durch Wahrnehmung unterwerfen. Es ist auch nicht gut denkbar, wie ein Gedanke über das Vorhandensein und
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die Beschaffenheit des Lichtäthers der Bestätigung durch Wahrnehmung unterworfen werden kann. Hier scheint sogar eine innere Unmöglichkeit vorzuliegen. Aber in allen diesen Fällen kann doch wohl noch von einer mittelbaren Bestätigung durch Wahrnehmung geredet werden, so daß der Grundsatz „Wahr ist, was durch Wahrnehmung bestätigt wird" höchstens etwas in seiner Formulierung zurecht görückt zu werden braucht, um seine Gültigkeit zu behalten. Es gibt jedoch auch Fälle, in denen dieser Grundsatz schlechterdings nicht anwendbar ist. Wenn ich für wahr halte, daß der Baum, den ich sehe, nur in meiner Wahrnehmung grün, aber als Ding der Wirklichkeit „farblos" ist, oder wenn iöh für wahr halte, daß es ein Sein außerhalb des Bewußtseins überhaupt nicht gibt, so kann von einer Bestätigung durch Wahrnehmung nicht geredet werden. Obgleich also der Grundsatz ,;Wahr ist, was durch Wahrnehmung bestätigt werden kann", zweifellos für ein großes Gebiet des menschlichen Wahrheitssuchens ein brauchbares Wahrheitskriterium ist, kann er doch nicht als Ausdruck der eigentlichen Wesenheit der Wahrheit gelten, eben weil er nicht für alle Fälle zutrifft. Außerdem besteht noch ein anderer Umstand, der die philosophische Bedeutung dieses Grundsatzes herabdrückt. Wahr ist nämlich nur das, was durch klare und deutliche Wahrnehmung bestätigt wird, es besteht aber bei den Wahrnehmungen keine scharfe Grenze zwischen Klarheit und Unklarheit, Deutlichkeit und Undeutlichkeit. Manchmal wird aber auch die klare und deutliche Wahrnehmung nicht als Bestätigung der Wahrheit anerkannt, sondern für die Wahrnehmung selbst wird eine Bestätigung ihrer Wahrheit durch andere Wahrnehmungen verlangt. Und nicht selten erweist sich eine klare und deutliche Wahrnehmung als unwahr. Aber auch wenn alle diese Einwände gegen den Grundsatz „Wahr ist, was durch Wahrnehmung bestätigt werden kann" nicht beständen, und er allgemeine Gültigkeit hätte, könnten wir ihn doch nicht anerkennen als Bestätigung der Auffassung des gemeinen Verstandes, daß die Wahrheit eines Gedankens in seiner Übereinstimmung mit einem Sein außerhalb des Bewußtseins, der Wirklichkeit, bestehe. Denn die Wahrnehmung ist nicht ein Sein außerhalb des Bewußt-
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seins, sondern eine Erscheinung im Bewußtsein. Indem also ein Gedanke behufs Feststellung seines Wahrseins verglichen wird mit einer Wahrnehmung, wird er gar nicht verglichen mit der Wirklichkeit, über die er nach der Auffassung des gemeinen Verstandes die Wahrheit sein soll Eine außerhalb des Bewußtseins liegende Wirklichkeit tritt uns niemals entgegen; wir kommen niemals in die Lage, die Wahrheit eines Gedankens feststellen zu können, wenn diese darin besteht, daß der Gedanke ein Abbild der Wirklichkeit ist. Es ist aber doch unsinnig zu sagen, die Wahrheit eines Gedankens bestehe in der Beziehung des Gedankens zu einem Dinge, das 'nirgends ist. Die Auffassung des gemeinen Verstandes, daß die Wahrheit eines Gedankens in der Übereinstimmung dieses Gedankens mit einer außerhalb des Bewußtseins liegenden Wirklichkeit besteht, ist für das philosophische Denken ganz zu verwerfen. Sie konnte überhaupt nur entstehen, indem Wahrnehmung für ein Sein außerhalb des Bewußtseins, für Wirklichkeit gehalten wurde; philosophisch ist sie ohne Wert und Sinn. Im Lichte philosophischer Betrachtung ist die Wahrheit (der für wahr gehaltene Gedanke) nicht eine Erscheinung von anderer Seinsart als die der Dinge, nicht eine Erscheinung, die gleichsam über den Dingen schwebend diese abbildet, sondern sie ist selbst ein Ding, geradeso wie die Dinge, über die sie die Wahrheit sein soll. Das, was ich über den Baum, der vor mir steht, denke, für wahr halte, meine Erkenntnis, ist ein Ding von derselben Wesensart, derselben Substanz wie der Baum. Will man die Substanz des Baumes Wirklichkeit oder Materie nennen, so gebührt der Substanz, aus der die Erkenntnis besteht, auch dieser Name. Will man die Substanz der Erkenntnis (des für wahr gehaltenen Gedankens) Bewußtsein nennen, so kommt der Substanz, aus dem die Erscheinung Baum besteht, auch kein anderer Name zu. Sagt man vom Baum, er sei ein räumliches Ding, so sage ich dasselbe von der Erkenntnis, denn auch die Gedanken sind räumlich, wie wir gesehen haben. Behauptet man vom Baum, er sei ein Ding, das seinen Ort habe im Raum, so kann ich auch von der Erkenntnis behaupten, sie sei ein Ding, das sich an einem Ort im Raum befindet, nämlich im Raum meines Gehirns. Sagt man vom Baum, er sei ein Ding,
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das ich wahrnehme, nämlich durch den Gesichtssinn, so sage ich von der Erkenntnis, es sei ein Ding, das ich wahrnehme durch den Denksinn. Die philosophische Bedeutung dieser Aussagen kann dabei unerörtert bleiben. Das Sein besteht nicht aus Dingen und aus Gedanken, die andern Wesens als die Dinge sind und gleichsam über den Dingen schwebend sie abbilden, sie erkennen, sondern das Sein besteht nur aus Dingen; die für wahr gehaltenen Gedanken sind Dinge wie die andern, sie schweben nicht gleichsam über ihnen, wie Erscheinungen aus einer anderen Welt, sondern sie stehen neben den Dingen in derselben Weltarena. Und das Wahreein ist eine Eigenschaft, die zu den Dingen, die wir Erkenntnisse (für wahr gehaltene Gedanken) nennen, gehört, gleich wie andere Eigenschaften zu andern Dingen gehören.' Kehren wir von der vorstehenden mehr bildlichen Ausführung über das Wesen der Erkenntnis zurück zur rein philosophischen Darstellung! Mein Bewußtsein ist die Welt, nirgends und niemals ist etwas außerhalb meines Bewußtseins. Als ein Nacheinander von Zuständen meines Bewußtseins steht die Welt, steht das Sein vor mir. Alle diese Zustände meines Bewußtseins enthalten die Wesensseiten des Seins, Raum, Zeit, Freiheit. Mag ich den ^Zustand meines Bewußtseins „Ich empfinde die Wärme des, Sonnenscheins" oder den „Ich sehe Felder und Wälder im Schmucke des Frühlings" oder den „Ich erkenne das Wesen der Welt" der Betrachtung unterziehen, alle diese Zustände sind Dinge gleicher Wesenheit; ihre Substanz ist Bewußtsein, ihre Wesensseiten sind Räumlichkeit (ein Nebeneinander von Teilen), Zeitlichkeit und Gefühl (Freiheit). Das Gefühl nenne ich in den drei genannten Fällen das eine Mal sinnliche Lust, das andere Mal Schönsein, und das dritte Mal Wahrsein. Es ist aber in allen Fällen dieselbe Wesenheit Gefühl, das Freiheitsgefühl. Die Gefühle sinnliche Lust und Schönsein bestehen nicht in einer Beziehung der betreffenden Bewußtseinszustände zu anderen Dingen, sondern sie sind Eigenschaften, die den Bewußtseinszuständen selbst inne wohnen. Und so besteht auch das Gefühl Wahrsein, das mit dem Bewußtseinszustande, den ich als Erkenntnis des Wesens der Welt bezeichne, verbunden ist, nicht in einer Beziehung dieses Bewußtseinszustandes (des für wahr geK r B g e r , Die Philosophie des reinen Idealismus.
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haltenen Gedankens) zu etwas anderem, zu einer wirklichen Welt, sondern es ist eine Eigenschaft, die dem Bewußtseinszustande selbst innewohnt. Der Botaniker hält den Gedanken, daß der Baum, den er vor sich sieht, grün ist, nicht darum für wahr, weil er übereinstimmt mit einem Dinge außerhalb des Bewußtseins, sondern weil ihm eine Steigerung des Frei heitsgefühls innewohnt, weil er das Denken des Botanikers fördert. Der naturwissenshaftliche Erkenntnistheoretiker hält den Gedanken, daß der Baum bloß in seiner Wahrnehmung grün, als wirklicher Baum aber „farblos" ist, nicht darum für wahr, weil' der Gedanke übereinstimmt mit einem Sein außerhalb des Bewußtseins, sondern weil er den Lauf der hier vorliegenden Gedanken fördert, weil er das Freiheitsgefühl erhöht. Und den Gedanken, daß es Dinge außerhalb des Bewußtseins gibt, hält der Philosoph nicht für unwahr, weil er nicht übereinstimmt mit einem Zustande außerhalb des, Bewußtseins, sondern weil er den Verlauf des philosophischen Denkens hemmt, weil er das Freiheitsgefühl mindert. Das Wahrsein einer Weltanschauung, mag sie nun in Gestalt eines philosophischen oder naturwissenschaftlichen Systems oder einer religiösen Überzeugung erscheinen, besteht nicht in der Übereinstimmung mit einem außerhalb des Bewußtseins befindlichen Modell, sondern es besteht darin, daß sie ein Gedankensystem ist, das allen andern Gedanken und den Wahrnehmungen angepaßt ist, indem es durch keine Gedanken und Wahrnehmungen in seinem Bestände gestört wird, dagegen jeden andern Gedanken fördert. Gedanken wie „Es gibt Dinge außerhalb des Bewußtseins" oder „Möglicherweise gibt es Dinge außerhalb des Bewußtseins" sind Erscheinungen im Bewußtsein, und ihr Wahrsein bzw. Unwahrsein ist eine Eigenschaft, die zu ihnen, als Erscheinungen des Bewußtseins gehört. Diese Eigenschaft fällt ganz innerhalb des Bewußtseins, sie hat nichts zu tun mit einem Sein außerhalb des (metaphysischen) Bewußtseins, außerhalb der Einheit des Seins, der meine Gedanken, Empfindungen und Wahrnehmungen angehören. Alles Nachdenken über ein Sein außerhalb des Bewußtseins greift nur „in Worten" über das Bewußtsein hinaus. Was wir gegen die Auffassung, die Wahrheit sei das Bild eines andern Seins, angeführt haben, wird nicht berührt
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durch den Umstand, daß in unserer Weltvorstellung die Wahrheit das in unserm Gehirn (empirischen Bewußtsein) befindliche Bild eines außerhalb des Kopfes befindlichen Seins ist, und ebensowenig bestreitet unsere philosophische Auffassung von der Wahrheit das Wahrsein jener Weltvorstellung. Die Weltvorstellung ist ja selbst eine Erkenntnis, sie ist ganz und gar eine Erscheinung des Bewußtseins, alles was in ihr ißt, das Bild im Gehirn und das Sein außerhalb des Gehirns, ist innerhalb des Bewußtseins. Einen Gegensatz zu unserer philosophischen Erkenntnis würde erst die Auffassung darstellen, die ganze Weltvorstellung, das Bild im Gehirn und das Modell außerhalb des Gehirns, 6ei wieder das Bild eines außerhalb des Bewußtseins vorhandenen Modells. Die Feststellung der Wahrheit eines Gedankens kann auf Grund jener Weltvorstellung auch gar nicht erfolgen, denn in der Weltvorstellung stimmen Bild (der für wahr gehaltene Gedanke) und Modell (das Sein außerhalb des Gehirns, über das der Gedanke die Wahrheit sein soll) immer überein. Die empirische Bildtheorie, die sich aus unserer Weltvorstellung ergibt, sagt nichts aus gegen die philosophische Auffassung, daß das Wahrsein eines Gedankens nicht in einer Beziehung zu einem Sein außerhalb des Bewußtseins besteht. Und diese philosophische Auffassung sagt auch nichts aus gegen das Wahrsein jener Weltvorstellung. Wahr ist jene Weltvorstellung, wenn sie die Freiheit des Denkens fördert, mit einem Sein außerhalb des Bewußtseins hat sie nichts zu tun. Der auf dem Boden der Bildtheorie stehende gemeine Verstand unterscheidet bei einem für wahr gehaltenen Gedanken den Grad des Wahrseins von dem Grade des Fürwahrhaltens, der Gewißheit. Der Gra'd des Wahrseins besteht in dem Grade der Übereinstimmung mit der Wirklichkeit, der Grad der Gewißheit besteht in der Stärke der Uberzeugung, mit der der Gedanke für wahr gehalten wird. Nach unserer philosophischen Auffassung macht nicht die Übereinstimmung mit der Wirklichkeit, sondern die Über* einstimmung mit andern Bewußtseinserscheinungen das Wahrsein eines Gedankens aus. Demnach ist der Grad des Wahrseins eines Gedankens der Grad, in dem er den Denkprozeß fördert. Was ist nun im Rahmen dieser philosophi-
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sehen 'Auffassung die Gewißheit, ist sie eine besondere Eigenschaft der Erkenntnis neben dem Wahrsein? Untersuchen wir zunächst, w7ie das Fürgewiß- und das Fürunge^ wißhalten im Bewußtsein zustande kommt. Ich halte einen Gedanken für wahr, wenn er übereinstimmt mit dem im Bewußtsein vorhandenen Bestände wahrer Gedanken. Nun ist dieser Bestand wahrer Gedanken kein vollkommenes System, kein Zusammenhang, in dem sich alle einzelnen Gedanken in vollkommener Übereinstimmung miteinander befinden, sondern er besteht aus Gedankengruppen, zwischen denen Gegensätze vorhanden sind. Es kann daher vorkommen, daß 6ich ein Gedanke in Übereinstimmung befindet mit der Gedankengruppe, mit der er zunächst zusammentrifft, aber dann in Beziehung tritt zu einer andern Gruppe, und zu dieser nicht stimmt; darauf mag wieder ein Stimmen des Gedankens folgen, und so fort in buntem Wechsel ein Stimmen und Nichtstimmen. Je mehr das Stimmen das NichtStimmen überwiegt, desto gewisser erscheint mir der Gedanke. E» heben nicht einzelne Fälle des Nichtstimmens das Fürwahrhalten des Gedankens auf, sondern 6ie mindern nur die G© wißheit des Gedankens. Findet überhaupt kein Wechsel von Stimmen und Nichtstimmen statt, besteht Übereinstimmung mit allen Gedankengruppen, mit denen der Gedanke zusammentrifft, so besteht vollkommene Gewißheit, Gewißheit mit dem Werte 1. Zu den hier in Betracht kommenden Gedankengruppen gehört für das fortgeschrittene Denken allerdings auch die Erfahrung, daß zuweilen ein früher für gewiß gehaltener Gedanke später für ungewiß oder gar für unwahr gehalten wird. Aus dieser Darstellung geht hervor, daß das Gewißhalten mit dem Werte unter 1 aus einer Mischung von Führwahrhalten und Fürunwahrhalten besteht, und daß der Grad der Gewißheit kein besonderer Wahrheitsgrad ist neben dem von uns klargelegten. Denn eine Erkenntnis, die nicht vollkommen gewiß ist, ist nicht vollkommen wahr im Sinne unseres philosophischen Wahrheitskriteriums; si« stimmt ja nicht überein mit allen Gedanken. Ob eine spätere Erkenntnis das Unwahre in dem Gedanken, dessen Wahroder Unwahrsein in Frage steht, findet, oder bei dem Gedankenbestande, mit dem jener Gedanke übereinstimmen sollte, behufts Erweisung seines Wahrseins, das ist neben-
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sächlich. Denn der Bestand wahrer Gedanken (die Weltvorstellung in weiterem Sinne) und der hinzutretende Gedanke, der erst sein Wahrsein erweisen soll, bilden zusammen das Gedankengebilde, zu dem das Gefühl des Wahrseins oder Unwahrseins gehört. Was meiner Erkenntnis an Gewißheit mangelt, drückt auch das ihr innewohnende Freiheitsgefühl herab, das geht auch ab von ihrem Wahrheitsgrade. Der Wahrheitsgrad, der durch den Grad der Gewißheit ausgedrückt wird, ist also in dem von uns erkannten Wahrheitsgrade, dem Grade des Freiheitsgefühls schon enthalten. Der Fortschritt der Erkenntnis besteht in einer Zunahme des Freiheitsgefühls. Zwar erhöht die Erkenntnis, daß ich morgen sterben werde, nicht mein Freiheitsgefühl, sondern sie drückt es herab. Es ist aber leicht einzusehen, daß die Minderung des Freiheitsgefühls hier eine Folge der Erkenntnis ist, nicht aber ein zugehöriger Bestandteil der Erkenntnis selbst. Indem der Gedanke, daß ich morgen sterben werde, als wahr erkannt wird, fördert er die Freiheit des Gedankenganges; der Gedanke, daß ich nicht sterben werde, mindert das dem Denkprozeß innewohnende Freiheitsgefühl. Wäre das Denken über die Frage, ob ich ieben oder sterben werde, getrennt von allem andern Denken im Bewußtsein, so würde der Gedanke, daß ich sterben werde, wenn er mit der Eigenschaft des Wahrseins auftritt, mein Freiheitsgefühl erhöhen, er würde für mich gerade ebenso Lust sein, wie das Finden der Lösung einer Rechenaufgabe "für mich Lust ist; und der Gedanke, daß ich leben werde, würde, wenn er mit der Eigenschaft des Unwahrseins behaftet wäre, mein Freiheitsgefühl -mindern, er würde für mich Unlust sein, gerade so wie das Nichtstimmen einer Rechenoperation für mich Unlust ist. Tatsächlich läßt sich aber der Gedanke, ob ich leben oder sterben werde, im Bewußtsein nicht trennen von andern Gedanken, und so kommt i ' das mit dem Wahr sein des Gedankens, daß ich morgen sterben werde, verbundene Freiheitsgefühl nicht zur Geltung. Und ähnlich ist es bei allen Einzelerkenntnissen — d. h. Erkenntnissen, die ein beschränktes Gebiet des Seins betreffen. Das der Einzelerkenntnis innewohnende Freiheitsgefühl, das ihr Wahrsein ausmacht, kann sich nicht immer behaupten gegen Grade des Freiheitsgefühls, di»
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andern Bewußtseinserscheinungen angehören, weil eben die Einzelerkenntnis sich nur in Übereinstimmung befindet mit einer beschränkten Gruppe von Gedanken und Wahrnehmungen. Anders ist es mit der philosophischen Welterkenntnis, mit der Erkenntnis vom Wesen des Seins. Diese stellt einen Gedanken dar, dessen Wahrsein in der Übereinstimmung mit allen Bewußtseinserscheinungen besteht. Wir werden das Wesen der philosophischen Welterkenntnis im folgenden näher betrachten. III. Nach der gewöhnlichen Auffassung hat der Wille nach Erkenntnis nichts zu tun mit dem Willen nach Glückseligkeit (Freiheit). Es ist die Aufgabe des Philosophen, der die Wahrheit über das Wesen der Welt sucht, ein Bild zu entwerfen von dem außerhalb des Bewußtseins vorhandenen, aber im Dunkel gehüllten Modell der Wahrheit, von der Wirklichkeit. Die größere oder geringere Wahrheit der gefundenen Welterkenntnis besteht nach dieser Auffassung dann in der größeren und geringeren Übereinstimmung mit dem Modell. Ob die gefundene Welterkenntnis das Glücksgefühl des Philosophen steigert oder mindert, das berührt ihren Wahrheitswert nicht. Wenn die außerhalb des Bewußtseins bestehende Welt „gut" ist, so wird die Wahrheit über diese Welt das Glücksgefühl des Philosophen steigern, ist sie aber „schlecht", so wird der Philosoph sich um ao unglücklicher fühlen, je mehr seine Welterkenntnis fortschreitet. Wenn ein Philosoph sich tief unglücklich (unfrei) fühlt, wenn er „in Weltschmerz vergeht", so kann er doch Großes geleistet haben im Erkennen de6 Wesens der Welt, und wenn ein Philosoph den höchsten Grad der Glückseligkeit (des Freiheitsgefühls) erreicht hat, so kann seine Welterkenntnis doch auf unterster Stufe stehen. Denn das Erkennen des Wesens der Welt hat nichts zu tun mit dem Streben nach Glückseligkeit, sondern es ist das Abbilden eines vorhandenen Modells. So ist die gewöhnliche Auffassung vom Wesen der philosophischen Welterkenntnis. Der reine Idealismus faßt die Sache anders auf. Das Erkennen der Welt hat nichts mit einem Modell zu schaffen, es ist eine Form des Sichfreifühlens. Wäre das Freiheits-
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gefühl des Philosophen ein vollkommenes, 60 hätte für ihn die Frage nach dem Wesen der Welt gar keinen Sinn. Die Erkenntnis vom Wesen des Seins, die der Philosoph sucht, ist nicht ein Gedanke, der ein vorhandenes Modell richtig abbildet, sondern sie ist ein Gedanke, der sich in Übereinstimmung mit allen Bewußtseinserscheinungen befindet. Dabei ist zu beachten, daß eine Erkenntnis, die durch keine Bewußtseinserscheinung in ihrem Bestände gestört wird, sich damit noch nicht in Übereinstimmung mit allen Bewußtseinsersheinungen befindet. Damit ein Gedanke Anspruch hat auf die Bezeichnung Welterkenntnis muß er nicht nur durch keine Bewußtseinserscheinung in seinem Bestände gestört werden, er muß auch bei jederBewußtseinserscheinung eine Steigerung des Freiheitsgefühls herbeiführen, denn erst dann befindet er sich in Übereinstimmung mit allen Bewußtseinserscheinungen. Das Erkennen des Wesens der Welt besteht in dem Sichfreifühlen gegenüber allen Erscheinungen des Seins. Der Wahrheitswert einer Welterkenntnis besteht nicht in der größeren oder geringeren Übereinstimmung mit einem Modell, sondern er besteht ganz allein in dem größeren oder geringeren Freiheitsgefühl, das mit der Erkenntnis verbunden ist. Es ist ein Widerspruch zu sagen: Dieser Mensch ist ein großer Philosoph, aber er fühlt sich infolg« seiner Philosophie unglücklich (unfrei). Wenn seine Philosophie ihn unglücklich macht, 60 ist sie eben nichts wert, sie hat keinen Wahrheitswert, sie ist nicht wahr. Pessimistische Philosophen, die an der Auffassung, daß die wahre Welterkemitnis ein Bild der Welt sei, festhalten, meinen, der Mensch sei um so unglücklicher ( unfreier) je wahrer seine Welterkenntnis sei, weil eben die wirkliche Welt nicht» tauge. Aber diese Meinung ist auch vom Standpunkte der Bildtheorie unzutreffend. Eine Abnahme des Freiheitsgefühls kommt bei einem Dinge stets von außen, denn es liegt im Wesen des Seins, daß jede Veränderung aus sich selbst in der Richtung zunehmender Freiheit geschieht. Das Weltgeschehen als Ganzes kann daher nicht anders verlaufen als in der Richtung zunehmender Freiheit, denn es ist ja nichts außerhalb der Welt, das störend eingreifen kann. Das Weltgeschehen ist ständige Lust. Wenn die Weiterkennt' Iiis der Pessimisten es darstellt als ständige Unlust (Ab-
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nähme der Freiheit), 60 kann sie eben nicht das rechte Bild der Welt sein; entweder das Bild stimmt nicht überein mit dem Modell, oder das Modell, das es abbildet, ist nur ein Teil, nicht das Ganze der Welt. Auch vom Standpunkte der Bildtheorie muß die wahre Welterkenntnis mit Freiheitsgefühl verbunden sein. Dieses Freiheitsgefühl kann aber kein absolutes sein, denn das Attribut des Seins, das wir Freiheit nennen, hat zwei Wesensseiten, Übereinstimmung und Gegensatz, Freiheit und Unfreiheit, m. a. W . alles Freiheitsgefühl jst ein Grad von Freiheit. Nennen wir das Freiheitsgefühl, das dem Dinge Erkenntnis innewohnt, Wahrheit, so ist alle Wahrheit ein Grad von Wahrheit, in jeder Wahrheit sind zwei Wesensseiten, Übereinstimmung und Widerspruch, Wahrheit und Unwahrheit. Weil diese Gegensätzlichkeit im Freiheitsgefühl, im Wahrsein, zum Wesen des Freiheitsgefühls, des Wahrseins, gehört, kann es keine Erkenntnis geben, der nicht eine Gegensätzlichkeit, ein Nebeneinander von Wahrheit und Unwahrheit innewohnt. Zwar betrachten wir im gewöhnlichen Leben jede für gewiß gehaltene Erkenntnis als absolute Wahrheit. Aber zu dieser Auffassung kommen wir nicht, weil in dem betreffenden Denkprozesse alles stimmt, sondern die Auffassung der Erkenntnis als absolute Wahrheit drückt unsere Überzeugung aus, daß uns die Erkenntnis niemals in anderer Form als der vorliegenden als wahr erscheinen wird. Die Erkenntnis, daß die Winkelsumme des ebenen Dreiecks gleich zwei rechten Winkeln ist, ist absolute Wahrheit in dem Sinne, daß ich niemals in die Lage kommen werde, eine andere Winkelsumme als zwei rechte Winkel als wahr hinzustellen. Die Erkenntnis ist aber nicht absoute Wahrheit in dem Sinne, daß in ihr nichts Gegensätzliches, Unaufgeklärtes, Unwahres enthalten ist. Denn die vermeintliche Klarheit dieser Erkenntnis erweist sich schon als trügerisch, wenn wir nur philosophisch brauchbare Antworten auf die sich unmittelbar ergebenden Fragon verlangen, was eine Ebene ist, was eine gerade Linie ist, was ein Punkt ist, was ein rechter Winkel ist. Und weitere Schwierigkeiten ergeben sich für das Wahrsein dieser Erkenntnis, wenn wir in Betracht ziehen, daß absolut ebene Flächen, absolut gerade Linien, absolute Punkte, absolut
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rechte Winkel weder in der „Wirklichkeit" noch in der Vorstellung existieren. Und_ so ist es bei allen als absolute Wahrheit geltenden Erkenntnissen; im Licht? philosophischer Betrachtung zeigen sich auch bei ihnen Unstimmigkeiten, erweisen auch sie sich als ein Nebeneinander von Wahrheit und Unwahrheit. Es muß alle Erkenntnis, auch die wahrste, einen Widerspruch, der zu ihrem Wesen gehört, ein Unbegreifliches enthalten. Bei den Einzelerkenntnissen macht sich dieses Unbegreifliche im gewöhnlichen Ycflauf des Denkens wenig bemerkbar, weil für die Anforderung, die wir an das Wahrseirt dieser Erkenntnisse stellen, nämlich; daß sie uns auf einem bestimmten Gebiete des Denkens vorwärts helfen, das ihnen anhaftende Unbegreifliche kein Hindernis ist. Bei der Welterkenntnis aber ist es nicht zu übersehen. Wie dieses Unbegreifliche bei dem philosophischen Problem Ich-Nichtich (Bewußtsein-Wirklichkeit) . das die Grundlage aller philosophischen Welterkenntnis bildet, in Erscheinung tritt, wollen wir im folgenden betrachten. Auf die Frage „Was ist das Sein außer mir, und was ist mein Ich inmitten dieses äußeren Seins?" antwortet der reine Idealismus: „Das Ich und das Nichtich sind untrennbar in Eins verschlungen, sie sind eine unbegreifliche Wesenseinheit." Der reine Idealismus erklärt, nicht das Nichtich für ein Nichts, und das Ich für das allein Wirkliche, sondern er sagt nur, daß nirgends eine Grenze ist, die Ich und Nichtich scheidet. „Alles Sein ist Einheit, ist Eine Wesenheit" bedeutet nichts anderes als „Alle Einzeldinge sind ihrer Begrenzung nach fließend, ihrer Bestimmtheit nach unklar". Den Gegnern, die die Ansicht vertreten, Ich und Nichtich seien zwei Wesenheiten, kann der Verfechter des reinen Idealismus m,it Recht vorhalten: „Zeigt doch diese beiden Wesenheiten; wo, in welcher Erscheinung, ist das Nichtich, die Außenwelt, und wo ist das Ich?!" . Wenn ich meine Gedanken als Erscheinungen des Ichs ansehe, so sind zweifellos auch Wahrnehmungen und Empfindungen Erscheinungen des Ichs; wo ist dann aber ein Sein, das außer mir ist? Ich denke nicht ein fremdes Sein, sondern ich denke meine Gedanken, und ich nehme durch die äußeren Sinne nicht ein fremdes Sein wahr, sondern was ich wahrnehme
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und empfinde sind Erscheinungen (Zustände) meines Bewußtseins, meines Ichs. Ein fremdes S,ein, ein Nichtich i=t schlechterdings nirgends aufzufinden und wird auch niemals aufgefunden werden, sofern wir daran festhalten, daß ala Ich die Wesenheit bezeichnet werden soll, der meine Gedanken angehören. Gehen wir aber davon aus, daß die äußeren Dinge, die ich wahrnehme, als Erscheinungen außer dem Ich, als Erscheinungen des Nichtichs gelten sollen, so können wir wohl ein Nichtich aufweisen, unauffindbar ist dann aber wieder das Ich. Denn wenn die Dinge, die ich durch die äußeren Sinne wahrnehme, Erscheinungen außer mir sind, so sind auch die Dinge, die ich durch den inner 3n Sinn wahrnehme (die ich für gewöhnlich als in mir befindlich betrachte), meine Gedanken, Dinge außer mir. Das Ich ist dann ein Punkt, ein „Nichts", denn alles was ist, ist „außer" diesem Punkt! — Entweder alles Sein ist Ich, oder alles Sein ist Nichtich, als zwei Wesenheiten können Ich und Nichtich unter keinen Umständen gelten, das ist vollkommen klar. Was gegen diese klare Erkenntnis angeführt wird, entspringt fast immer einem ganz unphilosophischen Grunde, nämlich der Furcht vor der vermeintlichen Nichtübereinstimmung dieser Erkenntnis mit der Weltmeinung des unphilosophischen gemeinen Verstandes. Der Gegner unserer Auffassung, daß Ich und Nichtich Eine Wesenheit sind, kann auf die Frage, wo im Gebiete des Seins die von ihm angenommenen beiden getrennten Wesenheiten Ich und Nichtich nebeneinander sind, nicht antworten, er kann aber eine Gegenfrage stellen, die sich aus folgender Überlegung ergibt. Wenn ich die Dinge der Außenwelt wahrnehme, so nehme ich nicht Dinge „außer mir", d. h. außer meiner Wesenheit stehend, wahr, sondern ich nehme Zustände meines eigenen Ichs, meiner eigenen Wesenheit wahr, und wenn ich Dinge der Außwelt denke, so denke ich auch nicht Dinge einer fremden Wesenheit, sondern ich denke meine Gedanken. Es ist zweifellos' die Außenwelt, mag ich sie wahrnehmen oder denken, nicht eine Erscheinung außerhalb der Wesenheit meines Ichs. Ebenso zweifellos aber ist doch auch in dem Zustande meines Ichs, den ich als Wahrnehmung der Außenwelt bezeichne, etwas mein Ich Beschränkendes, etwas meinem Ich Gegensätzliches,
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was ich eben Nichtich nenne. Unsere philosophische Überlegung führt uns also zu einer Art Widerspruch; einmal erkennen wir klar und bestimmt, es ist Eine Wesenheit Sein, das Ich, es ist nichts außerhalb dieser Wesenheit, und dann erkennen wir ebenso klar und bestimmt, es ist ein meinem Ich gegensätzliches Sein, es ist ein Nichtich. Unser Gegner kann uns also vor die Frage stellen: „Was ist denn nun dieses Nichtich; wenn es auch nicht als ein getrennt von dem Ich dastehendes Sein vorgezeigt werden kann — denn alles was ist, ist ja Erscheinung des Ichs —, so muß es doch irgendwelche Bewandtnis haben mit diesem „fremden" Sein, das, wie wir klar erkennen, nicht ist und doch auch wieder ist?" Dieselbe Frage drängt sich uns in etwas anderer Form auf, wenn wir alles Sein, Außenwelt und Innenwelt, als außer dem Ich stehend betrachten. Das empirische Ich erklären wir dann als einen Punkt, als einen Standpunkt im Raum. Wir nehmen dem empirischen Ich allen Inhalt, denn alles was ist (auch die Gedanken, die wir denken), ist ja außerhalb des Ichs. Indem wir diesem Ichpunkt dann noch jede Beständigkeit der örtlichen Existenz (es ist in jedem Zeitmoment ein anderer Punkt des Raumes mein empirisches Ich) absprechen, indem wir ferner erklären, jeder beliebige andere Punkt des Raumes sei ein eben solches „Ich" wie mein jeweiliger empirischer Ichpunkt, indem wir schließlich uns noch klar sind, daß ein „Punkt" im Grunde genommen nichts anderes ist als ein nützliches Hilfszeichen in der Denkrechnung, da doch ein Punkt weder gedacht (vorgestellt) noch wahrgenommen werden kann, also gar nicht „existiert", nehmen wir dem bereits des Inhalts beraubten empirischen Ich auch noch alles, was ihm möglicherweise einen Schein von Wesenheit verleihen könnte. Wir erkennen klar, das empirische Ich ist ein Nichts. Und doch können wir den Ichpunkt nicht ausschalten aus dem Weltbilde, er 'ist doch in jedem Zeitmoment der Mittelpunkt der Welt-, und ohne diesen Mittelpunkt kann ich die Erscheinungen des Seins gar nicht als „außer" mir stehend denken. Ich sage zwar, daß jeder andere Punkt im unendlichen Raum auch ein solcher Mittelpunkt ist, aber dabei ist doch in diesem bestimmten Zeitmoment gerade dieser und kein anderer Punkt des Raumes m e i n empirisches Ich. Wir haben hier
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wieder denselben Widerspruch, wie vorhin. Das empirische Ich ist nicht eine Wesenheit neben dem Nichtich, es ist auch nicht ein Einzelding, wie andere Einzeldinge (denn alle Einzeldinge sind ja „außer" dem empirischen Ich), es ist nichts und doch ist es etwas! „Der Weltanschauungsgedanke, daß Ich und Außenwelt (Nichtich) Eine Wesenheit sind, enthält" — so kann man uns entgegenhalten — „ebenso wohl in sich etwas Gegensätzliches, Sichwidersprechendes, Unaufgeklärtes wie die gegnerische Ansicht, die das äußere Sein als ein fremdes Sein (oder als von einem fremden Sein verursacht) auffaßt; es ist m. a. W. der Weltanschauungsgedanke des reinen Idealismus ebensowenig wie irgend eine der zahlreichen andern Welttheorien, die seit Jahrhunderten von den Philosophen gesuchte wahre (widerspruchslose) Erkenntnis über das Wesen von Ich und Nichtich." Was auf diese Vorhaltung zu erwidern ist, haben wir schon in vorhergegangenen Ausführungen berührt, die Wichtigkeit der Sache rechtfertigt es aber, sie eingehender zu behandeln, selbst wenn dabei teilweise bereits Gesagtes wiederholt wird. Wenn ein Mensch, dem zum erstenMale die Weltanschauungsfrage „Was ist die Außenwelt?" klar zum Bewußtsein kommt, in der philosophischen Literatur Belehrung sucht und alles studiert, was über dieses Problem geschrieben worden ist, so wird er nach Beendigung seines Studiums sagen müssen: „Ich habe viele tiefsinnige Gedanken erfahren, es haben sich mir, Gesichtspunkte aufgetan, an die ich früher nie gedacht habe, ich habe auch in manchen Nebenfragen, die mit jener Hauptfrage irgendwie zusammenhängen, Klarheit erlangt, aber die Grundfrage selbst, nämlich was die Außenwelt ist, steht noch geradeso ungelöst vor mir wie zu jener Zeit, als sie zum ersten Male in meinem damals noch philosophisch ungelehrten Geiste auftauchte." Es ist tatsächlich so: die „wahre" (widerspruchslose) Erkenntnis in der Frage „Was ist die Außenwelt" haben die Philosophen noch immer nicht gefunden. Und sie wird auch niemals gefunden werden, mag der Menschengeist grübeln so lange er will. Wir brauchen nicht zu befürchten, daß jemals philosophisches Denken den Erfolg haben könnte, den Grundsatz des reinen Idealismus, daß alles Sein Erscheinung des Ich»
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ist, umzustoßen; man mag wohl an der sprachlichen Form dieses Grundsatzes ändern und bessern, aber die philosophische Auffassung selbst, die dieser Grundsatz ausdrückt, kann nicht erschüttert werden. Wir dürfen aber auch nicht hoffen, daß das Sichwidersprechende, Unaufgeklärte, das in diesem Grundsatz, wie wir gesehen haben, eingeschlossen ist, jemals herausphilosophiert werden wird, mögen Philosophen sich auch bemühen bis in alle Ewigkeit. Denn das Sichwidersprechende, Unaufgeklärte, das diese Erkenntnis enthält, ißt nicht etwas, was sich aufklären läßt, sondern es ist das Gegensätzliche, Unbegreifliche, das ein Attribut der Wesenheit des Seins ist. Die Erkenntnis kann sich niemals erheben aus dem Sein heraus als ein Etwas, das über dem Sein schwebt, sondern die Erkenntnis ist eine Erscheinung im Sein, wie andere Erscheinungen. Die Dinge der Außenwelt nehme ich durch die äußeren Sinne wahr als in der Vielheit des Seins eingeordnete (als im Raum befindliche) Erscheinungen des Seins; die Erkenntnis nehme ich durch den Denksinn waiir als eine Erscheinung, die eingeordnet ist in dieselbe Vielheit des Seins, die ein Ding im Raum ist gerade so 'wie die Dinge, über die sie eine „Erkenntnis" sein soll. Die Erkenntnis ist ein Stück Sein gerade so wie das Ding der Außenwelt. Es ist ein unsinniges Bemühen nach einem Standpunkt zu streben, der außerhalb des Seins liegt, nach einer Erkenntnis, die nicht selbst ein Stück Sein, sondern ein Etwas ist, das über dem Sein schwebt. Es ist dieses Bemühen eben so töricht, wie der Versuch, auf ebener Fläche ^einen Kreis zu zeichnen, dessen Umfang kleiner ist als sein Durchmesser. Denn das Ergebnis alles Denkens und Forschens kann doch niemals etwas anderes sein als eine neue Erscheinungsform der Einen Wesenheit Sein. Das ^Erkennen kann niemals zu einem Erfassen der Wesenheit des Seins führen, sondern es kann nur in der Erzeugung immer neuer Erscheinungsformen dieser Wesenheit bestehen. Wir greifen mit unserer Erkenntnis nicht hinein in die Wesenheit des Seins, sondern wir stellen nur immer neue Einzeldinge (unsere Erkenntnisse) neben andere Einzeldinge, und so fort ohne Ende. Wir helfen unserm philosophischen Denken nun dadurch zu einem Abschluß, daß wir dem unbegreiflichen Urgrund des
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Seins einen Namen geben (Substanz, Wesen des Seins, Materie usw.) und dann so verfahren, als hätten wir das Unbegreifliche abgefertigt dadurch, daß wir es beim Namen nennen. Das Unbegreifliche tritt aber überall wieder zu Tage, wenn wir nur ein wenig in die Tiefe graben. Es ist schon in jedem einzelnen der Begriffe, die in einer Weltanschauungsfbrmel zusammengefügt sind, eingeschlossen, bloß verdeckt durch Wortvor6tellungen. Nehmen wir nur als Beispiele Zeit und Raum vor. Wir sagen Zeit und Raum sind unendlich; wir könnten ebenso gut sagen, in Zeit und Raum ist das Unbegreifliche. Zeit ist das Nacheinander des Seins; wie kann aber überhaupt etwas nacheinander sein, die Zeit ist doch immer Gegenwart! Raum ist das Nebeneinander des Seins zu gleicher Zeit; wie kann aber zu gleicher Zeit ein Nebeneinander .in meinem Ich sein, mein Ich ist doch Einheit, und in einem Zeitmoment kann nur Ein Ding darin sein! — Das Wesen des Seins ist Einheit und auch Vielheit, es ist Übereinstimmung und auch Gegensatz, es ist ein Unbegreifliches. Es ist nicht bloß für unser gegenwärtiges Erkennen unbegreiflich, sondern es ist absolut, für ewige Zeiten unbegreiflich. Wie wir Raum, Zeit, Freiheit als Attribute der Wesenheit des Seins bezeichnet haben, so könnten wir auch sagen, die Unbegreiflichkeit 6ei ein Attribut der Wesenheit des Seins. Freilich wäre es nicht zu rechtfertigen neben den von uns formulierten Attributen noch die Unbegreiflichkeit als ein weiteres Attribut aufzustellen, denn durch die Attribute Raum, Zeit, Freiheit (Übereinstimmung und Gegensatz) ist die Unbegreiflichkeit schon ohne weiteres mit ausgedrückt. Nicht das ist ein Mangel unserer Erkenntnis, daß wir den Widerspruch, der uns in dem Problem Ich-Nichtich entgegentritt, nicht entfernen können, sondern ein Mangel unserer Erkenntnis besteht nur, wenn wir nicht erkennen, daß dieser Widerspruch zum Wesen des Seins gehört, daß es daher nicht die Bestimmung unserer Erkenntnis ist, diesen Widerspruch aufzuklären. Die Grundfrage der theoretischen Philosophie „Was ist das Sein außer mir, und was ist mein Ich inmitten dieses äußeren Seins?" wird nicht anders beantwortet werden können — mag der Menschengeist grübeln bis in alle Ewigkeit — als: „Ich und Außenwelt (Nichtich) sind Eine
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unbegreifliche Wesenheit." So lange es ein philosophisches Denken geben wird, wird man nicht aufhören, an der äußeren Formulierung dieser Erkenntnis zu ändern und zu bessern, und die weitere Aufgabe der theoretischen Philosophie, alle einzelnen Begriffe, denen das philosophische und das empirische Denken sich bedienen, einzuordnen in jenen das Wesen des Seins ausdrückenden Grundbegriff, m. a. W.: alle Einzelerscheinungen als Formen e i n e r u n d d e r s e l b e n unbegreiflichen Wesenheit zu erkennen, wird bis in alle Ewigkeit der philosophischen Forschung Arbeit geben — aber eine der Sache nach andere Erkenntnis über das Verhältnis von Ich und Außenwelt als die angeführte, wird kein Philosoph jemals ergrübein. Es ist gar nicht die Aufgabe des Philosophen, die Außenwelt zu „erkennen", d. h. die Unbegreiflichkeit aus dem Problem Ich-Außenwelt zu entfernen, sondern seine Aufgabe ist, sich an der Außenwelt (und Innenwelt) zu erfreuen. Nicht die Frage „Was i s t das Sein, was ist Ich und was ist Außenwelt?" ist die Grundfrage der Philosophie, ist die Weltanschauungsfrage im tiefsten Sinne, sondern das ist die Frage „Was muß ich tun, nach welchen Grundsätzen muß ich leben um frei zu sein?" D i e F r e u d e a n d e n D i n g e n , d a s F r o h sein (Freisein) der Seele g e g e n ü b e r den D i n g e n , d a s i s t im t i e f s t e n G r u n d e d i e r i c h t i g e p h i l o s o p h i s c h e E r k e n n t n i s der Dinge. Die Wissenschaft, die den Menschen lehrt, frei zu sein, die ihn lehrt, sich an allen Dingen zu erfreuen, sich gegenüber allem Geschehen frei zu fühlen, d i e p r a k t i s c h e P h i l o s o p h i e o d e r E t h i k , das ist die eigentliche Königin der Wissenschaften. Wenn wir uns unfrei fühlen gegenüber den Dingen, wenn wir unter den Dingen (dem Nichtich) leiden, so liegt es nicht an den Dingen, sondern es liegt an uns; es liegt daran, daß wir die Dinge nicht richtig „erkannt" haben, denn die Erkenntnis der Dinge und das Sichfreifühlen gegenüber den Dingen (das Sicherfreuen an den Dingen) ist ein und dasselbe. Ein Philosoph, der nicht gelernt hat, sich an den Dingen zu erfreuen, sondern es als seine Aufgabe ansieht, die Widersprüche, das Unbegreifliche, aus der theoretischen Philosophie herauszugrübeln, wandert noch im Dunkel; er kann unter Umständen in tie-
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ferem Dunkel sich befinden als der gemeine Verstand, für den die Probleme der theoretischen Philosophie gar nicht existieren. Die Ausführung, daß der Widerspruch zum Wesen des Seins gehört, ist nur verständlich, wenn wir uns darüber klar sind, daß es gewissermassen zwei Arten von Widerspruch gibt. Es gibt einen Widerspruch, der ein Kennzeichen des falschen Urteils, des Irrtums ist, und es gibt einen Widerspruch, der zum Wesen des Seins gehört, der daher im Lichte philosophischer Betrachtung auch dem wahren Urteil innewohnt. Der Widerspruch als Kennzeichen des Irrtums tritt uns in zwei Formen entgegen, als Widerspruch vor dem Verstände (materieller Widerspruch) und als Widerspruch vor der Vernunft (logischer Widerspruch). Ein Widerspruch vor dem Verstände ist in folgendem Urteil enthalten: „Mein gestern gestorbener Freund geht heute spazieren." Widersprüche vor dem Verstände aufzuklären ist Aufgabe der empirischen Forschung, die Philosophie hat damit nichts zu tun. Philosophisch ist es nicht unmöglich, daß ein Gestorbener am andern Tage wieder lebt, es widerspricht nicht der Vernunft, sondern nur den Verstandesregeln, nach denen ich gewohnt bin, die Dinge zu beurteilen. Als Beispiele des Widerspruchs vor der Vernunft mögen folgende Urteile dienen: „Ein Dreieck hat vier Seiten." „Wenn zwei Dinge einem dritten gleich sind, so sind sie untereinander ungleich." Solche Urteile sind nur als Wortvorstellungen denkbar. Der logische Widerspruch kommt zustande, indem etwas „in Worten" gedacht wird, was nicht vorstellbar, was gegen die Vernunft ist. Diese Art des Widerspruchs spielt nur darum eine so große Rolle in unserm Denken, weil wir ständig uns der Worte als Hilfsmittel beim Denken bedienen. Würden wir mit „reinen Begriffen," d. h. ohne Wortvor6tellungen denken, so würden wir niemals in die Lage kommen, gegen das logische Gesetz, das man als Satz vom Widerspruch zu bezeichnen pflegt, zu verstoßen. Der logische Widerspruch in einem für wahr gehaltenen Gedankengebilde ist im Lichte philosophischer Betrachtung eigentlich kein Widerspruch von Gedanken, sondern eine Nichtübereinstimmung von Worten und Gedanken, er ist sozusagen ein fehlerhaftes Funktionieren der Technik
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des Denkens. Auf der Nichtübereinstimmung von Worten und Gedanken beruht aber eigentlich alle Unklarheit in Fragen der theoretischen Philosophie, und daher ist es die eigenste Aufgabe der theoretischen Philosophie, die logischen Widersprüche aus der Welterkenntnis zu entfernen. Wenn wir ausgeführt haben, daß es nicht Aufgabe der theoretischen Philosophie sei, aus ihren Problemen den Widerspruch herauszudenken, so haben wir selbstverständlich nicht den logischen Widerspruch gemeint. Es wäre ja unsinnig, zu sagen, der logische Widerspruch gehöre zum Wesen des Seins, zum Wesen der Erkenntnis. Es gibt aber eine Art des Widerspruchs, die tatsächlich zum Wesen des Seins und der Erkenntnis gehört, und die sich von dem den Irrtum kennzeichnenden Widerspruch durch ein klares Merkmal unterscheidet. Den Widerspruch, der den Irrtum anzeigt, erkennen wir daran, daß er aus einem Urteil verschwindet, wenn wir es in sein reines Gegenteil umkehren, d. h. wenn wir die in dem Urteil enthaltene Bejahung in Verneinung oder die Verneinung in Bejahung verwandeln. Verwandeln wir das Urteil „Ein Dreieck hat vier Seiten" in sein reines Gegenteil, so haben wir „Ein Dreieck hat nicht vier Seiten"; der logische Widerspruch ist verschwunden. Der Widerspruch, der zum Wesen des Seins gehört, ist daran kenntlich, daß ein mit ihm behaftetes Urteil durch Umkehrung nicht in ein widerspruchsloses verwandelt wird. Das Urteil „die Ausdehnung des Raumes hat keine Grenze" faßt einen Widerspruch in sich, denn wenn ich den hier ausgesprochenen Gedanken ohne Wortbilder vorstellen will, so komme ich nicht damit zurecht. Es träfe nicht das Richtige, wenn ich schlechtweg sagen wollte, ich könne eine entsprechende Vorstellung nicht bilden. Es ist mir das nicht so vollkommen unmöglich, als wenn man die Vorstellung eines mit einem logischen Widerspruch behafteten Begriffs verlangt, aber ich habe bei der Vorstellungsbildung mit einem Widerstand (Widerspruch) zu tun. Nehme ich nun die Umkehrung vor, so lautet es: „Die Ausdehnung des Raumes hat eine Grenze". Ich habe nun aber nicht ein widerspruchslose« Urteil erhalten, sondern in dieser umgekehrten Form enthält das Urteil ganz klar einen logischen Widerspruch, denn daß jenseits der Grenze eines Raumes kein Raum mehr ist, ' K r ö g e r , Die Philosophie des reinen Idealismus.
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kann ich nicht vorstellen, ich kann es nur „in Worten'' denken . 1) Die Vorstellung, daß der Raum unendlich ist, hat für den menschlichen Geist etwas „Unerträgliches" an sich. Statt nun dieser Unerträg•lichkeit ihre Schärfe durch die Erkenntnis zu nehmen, daß dieses Unterträgliche, Unbegreifliche, Sichwidersprechende zum Wesen des Seins gehört, bemühen sich einige Forscher durch die Annahme von mehr als drei Raumdimensionen — die sich nur als Wortbild vorstellen läßt — den Nachweis der Möglichkeit eines endlichen unbegrenzten Raumes zu führen. Sie stützen sich dabei auf folgendem Gedankengang. Ein endliches eindimensionales Raumgebilde (Linie) verliert sein« Begrenztheit durch Krümmung in eine zweite Dimension (z. B. als Kreis), ein endliches zweidimensionales Raumgebilde (Fläche) verliert seine Begrenztheit durch Krümmung in eine dritte Dimension (z. B. als Kugel), demnach wird ein endliches dreidimensionales Raumgebilde seine Begrenztheit verlieren durch Krümmung in eine vierte Dimension. Dieser Gedankengang berücksichtigt aber nicht, daß es einund zweidimensionale Raumgebilde gar nicht gibt, sondern daß die so be i zeichneten Gebilde (Linie, Fläche) dreidimensionale Gebilde sind, bei denen zwei oder eine Dimension sehr klein gedacht sind. Von einem Raum mit weniger als drei Dimensionen kann überhaupt nicht gesprochen werden; zum Wesen des Raumes gehören eben drei Dimensionen, sofern man überhaupt von Dimensionen bei ihm reden will. Die sogen, ein- und zweidimensionalen Raumgebilde krümmen sich in eine zweite oder dritte Dimension hinein, die schon in ihnen selbst enthalten ist. Soll nach dieser Analogie ein dreidimensionales Raumgebilde sich in eine vierte Dimension hineinkrümmend gedacht werden, so muß in dem dreidimensionalen Raumgebilds schon eine sehr kleine vierte Dimension enthalten sein. Das aber ist nicht der Fall, und daher besteht die Analogie, die jener Gedankengang aufstellt, gar nicht. Übrigens wäre ein endlicher vierdimensionaler Raum — und die Welt in ihm — doch wohl nicht weniger unbegreiflich als ein "unendlicher dreidimensionaler. Und welcher Grund besteht zu der Annahme, daß mit der vierten Dimension nun die wahre Zahl der Dimensionen erkannt ist, daß der Raum nicht fünf, sechs, zehn und noch mehr, daß er nicht vielleicht gar unendlich viele Dimensionen h a t ? i s t der Gedanke an das mögliche, ja wahrscheinliche Vorhandensein unbekannter Dimensionen denn erträglicher als der an die unendliche Ausdehnung des Raumes? Solange die empirische Forschung nicht einwandfrei den Beweis erbracht hat, daß die mathematische Formel vom vierdimensionalen Raum unentbehrlich ist bei der Berechnung von Tatsachen des Naturgeschehens, ist die sogen, nichteuklidische Geometrie weiter nichts als, ein Spiel mit mathematischen Formeln. Wäre aber der geforderte Beweis erbracht — im Anschluß an die allgemeine Relativitätstheorie bemüht man sich ja um ihn —, so könnten wir uns mit einer solchen Erklärung des Naturgeschehens dennoch nicht zufrieden geben, sie wäre weiter nichts als ein Hülfsmittel der Forschung, es wäre eine Vielheit unerklärter Tatsachen des Naturgeschehens zurückgeführt auf Eine unerklärte Tatsache. Ein solches Ergebnis der Forschung
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Die Verwechslung des zum Wesen des Seins gehörigen Widerspruchs — welchen man besser nicht Widerspruch, sondern Unbegreiflichkeit nennt — mit dem den Irrtum kennzeichnenden eigentlichen Widerspruch führt notwendig zu unfruchtbarer philosophischer Grübelei. Diese tritt in der Geschichte der Philosophie besonders in Erscheinung bei dem Problem Ich-Außenwelt. In der Stellungnahme des menschlichen Geistes zu diesem Weltanschauungsproblem kann man drei Stufen unterscheiden. Auf der untersten Stufe steht der naive Realismus und Materialismus des sogenannten gesunden Menschenverstandes, der von den philosophischen Rätseln des Seins nichts weiß; auf der zweiten Stufe steht eine Philosophie, die diese Rätsel durch gekünstelte Grübelei zu lösen bestrebt ist; auf der dritten Stufe steht eine Philosophie, die klar erkennt, daß das Rätselhafte, Unbegreifliche zum Wesen des Seins gehört, und daß es daher nicht Aufgabe der Philosophie sein kann, dieses Rätselhafte zu lösen, daß es vielmehr Aufgabe des Philosophen ist, alle Dinge als Formen e i n e s u n d d e s s e l b e n , unbegreiflichen Seins zu erkennen (Theoretische Philosophie oder Methaphysik) und sich inmitten dieses unbegreiflichen Seins frei zu fühlen (Praktische Philosophie oder Ethik). Nur oberflächliche Betrachtung kann unsere Auffassung mit Skeptizismus verwechseln. Der Skeptiker hält die „wahre" Erkenntnis für unerreichbar für den menschlichen Geist, wie die Sterne unerreichbar sind für den Steinwurf des Kindes, das sie herunterwerfen will; hinsichtlich des Wesens der Erkenntnis unterscheidet sich die Auffassung des Skeptizismus nicht von der des gemeinen Verstandes. Der Skeptiker meint, ein Modell der Wahrheit sei da, es sei aber unmöglich für unsere Erkenntnis, es ans Licht zu ziehen, es abzubilden. Nach unserer Auffassung ist überhaupt kein solches Modell da. Die Unbegreiflichkeit des Seins hat nichts zu tun mit einem Unvermögen unserer Erkenntnis in bezug auf ein vorhandenes Modell, in bezug auf würde ungefähr auf derselben Stufe stehen wie die Erklärung der Bewegungen der Himmelskörper durch eine Anziehungskraft, die geisterhaft durch den leeren Baum wirkt.
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ein fremdes Sein, sondern sie ist eingeschlossen in dem Wes.en der Erkenntnis selbst, in dem Wesen des Freiheitsgefühls, daß das Wahrsein der Erkenntnis ausmacht.
4.
Kapitel.
Über die empirische Weltansicht. Der reine Idealismus betrachtet alles Sein als eingeschlossen in die Wesen6einheit des metaphysischen Bewußtseins. Der gemeine Verstand faßt das Sein auf als eine Vielheit an und für sich selbständiger Dinge, die nur dadurch, daß sie sich nebeneinander im Raum (Weltraum) befinden und sich gegenseitig beeinflussen, ein zusammenhängendes Ganzes, die Welt, bilden. Beim reinen Idealismus ist die Einheit das Wesentliche im Sein, das Vielsein ist etwas Äußerliches; bei der Betrachtungsweise des gemeinen Verstandes, bei der empirischen Weltauffassung, ist umgekehrt das Vielsein das Wesentliche und die Einheit etwas Äußerliches. Wir können sagen: Metaphysik (reiner Idealismus) ist Betrachtung des Seins mit der Einheit als Grundansicht, Empirie ist Betrachtung des Seins mit der Vielheit als Grundansicht. Der philosophisch ungebildete Verstand betrachtet die empirische Weltansicht als das Bild einer außerhalb des Bewußtseins befindlichen Wirklichkeit. Diese Auffassung ist nach unserer philosophischen Überlegung unzutreffend, aber darum verwerfen wir die empirische Weltansicht nicht als unwahr. Denn ihr Wahrsein besteht im Lichte philosophischen Denkens nicht darin, daß sie das Bild einer außerhalb des (metaphysischen) Bewußtseins befindlichen Wirklichkeit ist, sondern ihr Wahrsein finden wir in dem Umstand, daß sie als Erscheinung des Bewußtseins sich in Übereinstimmung mit anderen Bewußtseinserscheinungen befindet, daß sie sich bewährt zur Ordnung unserer Einzelerfahrungen. Indem wir für wahr halten, daß die Welt aus einer Vielheit selbständiger Dinge besteht, zerreißen wir nicht die Einheit des Seins, die uns der
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reine Idealismus vor Augen führt. Der reine Idealismus bleibt Wahrheit, auch wenn wir die empirische Weltansicht für wahr halten, er bleibt die größere, die umfassendere Wahrheit. Für die Zwecke des gewöhnlichen Denkens ist es freilich nicht nötig, sich ständig bewußt zu sein, daß die empirische Weltansicht von der Vielheit selbständiger Dinge nur wahr ist im Rahmen der größeren Wahrheit des reinen Idealismus, welche ,die Einheit des Seins ausspricht. Gewisse Probleme, die sich aus der empirischen Weltaneicht ergeben, aber sind nur lösbar, indem wir die empirische Weltansicht unter dem Gesichtspunkte des reinen Idealismus betrachten. Wenn wir im folgenden zunächst die dem empirischen Weltbilde zu Grunde liegende Vielheit der Dinge einer genaueren Prüfung ohne Benutzung idealistischen Rüstzeuges unterwerfen und dann die empirische Weltansicht in das Licht des reinen Idealismus rücken, wird sich zeigen, daß die empirische Vielheit der Dinge zusammenschmilzt zur Einheit des Seins, daß die philosophische, die auf den Grund gehende Betrachtung des empirischen Weltbildes ebenso zur Erkenntnis der Wesenseinheit des Seins führt, wie die Betrachtungsweise des reinen Idealismus. I. Das körperliche Ich and das körperliche Nichtich. Unter den Dingen der Außenwelt nimmt ein Ding eine besondere Stellung ein: mein körperliches Ich, mein Leib. Ob etwas in der Außenwelt mein eigener Körper oder ein fremder Körper ist, das glaubt der gemeine Verstand in allen Fällen unmittelbar und unzweifelhaft entscheiden zu können. Bei näherer Betrachtung aber zeigen sich bald Schwierigkeiten. Das Brot, das ich in der Hand halte, ist unzweifelhaft ein fremder Körper. Wenn ich das Brot nun esse, gehört das in meinem Munde und Magen befindliche Brot jetzt meinem Leibe an? Die Antwort wird Nein lauten müssen. Wenn nun das Brot aber weiter den Weg aller Nahrung geht, so gehört am Ende ein Teil der Materie des Brotes unzweifelhaft zum Leibe. Wo ist hier nun die Grenze, wo die Materie aufhört ein fremder Körper zu sein und anfängt einen Teil des Leibes zu bilden? Ist der Stoff im
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Blute schon Leib? Wenn wir Ja sagen möchten, werden wir wieder zweifelhaft bei dem Gedanken, daß wir offenbare Fremdstoffe, die sich im Blute befinden können, zum Leibe rechnen müßten. Ist die Luft in den Lungen Leib? Wenn Nein, wann fangen ihre Bestandteile an Leib zu sein, da der Leib doch Stoffe der Luft in sich aufnimmt? Wo ist die Grenze, an der abgesonderte Stoffe, die dem Leibe organisch angehört haben, aufhören Leib zu sein? Wo ist die Grenze, an der das im Mutterleibe sich entwickelnde Kind aufhört Körper der Mutter zu sein und anfängt ein eigenes körperliches Ich vorzustellen? Solche Fragen lassen sich in unbegrenzter Zahl aufwerfen, und in allen Fällen mögen sich vielleicht Antworten finden lassen, die dem Bedürfnisse des praktischen Lebens und den Anforderungen empirischer Wissenschaft genügen, aber philosophisch bloibt die Grenze zwischen Leib und Nichtleib unbestimmt. Die Materie meines Leibes wechselt beständig; Materie, die in diesem Augenblick meinem Leibe angehört, war/ vor einiger Zeit etwas anderes und wird nach einiger Zeit wieder etwas anderes sein. Vielleicht gehört nach einer bestimmten Zeit kein Stoffteil von dem gegenwärtigen Bestände noch ^meinem Leibe an, sondern es hat ein vollständiger Wechsel der Materie stattgefunden. Wo ist denn nun hier das Bleibende, das in dem Wechsel der Materie das selbständige Wesen des Leibes ausmacht ? Der gemeine Verstand wird sagen, in diesem Wechsel der Materie bleibe doch im Grunde der Leib immer derselbe, denn wenn auch die Materie wechsele, es bleibe doch die besondere Ordnung der Materie bestehen, die eben das Wesen dieses besonderen Leibes ausmache. Aber auch diese Ansicht läßt sich philosophisch nicht vertreten. Der Leib eines Menschen ist bei der Geburt, im Alter von 40 Jahren, von 80 Jahren keineswegs derselbe, und in allen dazwischen liegenden Zeitpunkten ist er auch niemals derselbe, denn alle Zustände, die der menschliche Körper von der Geburt bis zum Greisenalter durchläuft, treten nicht stoßweise in Erscheinung, sondern bilden einen beständigen Fluß von Veränderungen. Die Ordnung der Materie meines Leibes ist, philosophisch betrachtet, gerade ebenso dem Wechsel unterworfen, wie diese Materie selbst. N i r g e n d s e r b l i c k e n wir eine b e h a r r e n d e Grenz-
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linie, die das k ö r p e r l i c h e ich s c h e i d e t von dem k ö r p e r l i c h e n N i c h t i c h . Wir sind gewohnt, den Leib als ein scharf abgegrenztes Gebiet des Seins zu betrachten, das den Machtbereich des Willens darstellt. Aber wie wenig hat im Grunde genommen mein Wille in diesem seinem angeblichen Reiche zu sagen! Mein Wille hat so wenig mit der Tätigkeit meines Herzens, meiner Verdauungsorgane und der meisten anderen Organe zu tun, wie mit irgend einer Erscheinung außerhalb meines Leibes. Wenn wir etwas gründlicher die Funktionen unseres Leibes beobachten, so wird der Anteil, der zum Gebiet des Willens gehört, noch außerordentlich viel kleiner als er gewöhnlich gedacht wird. Hier herrscht gar nicht „mein" Wille, sondern es herrscht ein anderer Wille, derselbe Wille, der auch außerhalb meines Leibes den Weltprozeß bedingt, der Wille des Weltganzen. Und wie ein fremder Wille hineingreift in mein körperliches Ich, so wirkt auch mein Wille über meinen Leib hinaus auf das körperliche Nichtich. Mein Wille zeigt also nicht die gesuchte Grenze an. Das ist klar, ohne daß wir nötig haben, philosophisch zu untersuchen, was eigentlich „mein Wille" für ein Ding ist. Wir betrachten im gewöhnlichen Leben das körperliche Ich als die unmittelbare Bedingung der Lebenstätigkeit, des geistigen Ichs. Aber eine Grenze zwischen körperlicher' ich und körperlichem Nichtich, die auf philosophische An erkennirag rechnen kann, läßt sich auch hieraus nicht her leiten; denn manche Teile unseres Leibes sind für unser Leben sehr nebensächlich, dagegen gibt es Dinge des körper liehen Nichtichs, mit denen unser Leben auf das Engste verknüpft ist. Entfernt man die atmosphärische Luft aus der Umgebung unseres Leibes, so ist unser Leben in kürzester Zeit vernichtet. Es gibt Menschen, die die Zerstörung wichtiger Leibesorgane überleben, und es hat Menschen gegeben, die gestorben sind infolge des Verlustes eines Mitmenschen, ohne den sie nicht leben konnten. Das gebräuchlichste Kriterium zur Unterscheidung des körperlichen Ichs von dem Nichtich ist das „Gefühl". Nun wohnt Gefühl im gewöhnlichen Sinne wohl kaum der Gesamtheit der Körpermaterie inne, und auch ist Gefühl im Sinne des alltäglichen Wortgebrauchs kein Begriff, der
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ernßter philosophischer Prüfung standhält. Wenn wir aber trotzdem dieses Kriterium anwenden wollen, wo ist dann die Grenze des Ichs? Wenn man meinen Leib schlägt, so fühle ich es; wenn man aber den Leib meines Mitmenschen schlägt, so fühle ich dies auch. Also ist auch der Leib meines Mitmenschen ein Teil meines körperlichen Ichs. Aber, wird der gemeine Verstand einwenden, in diesem letzteren Falle handelt es sich doch um eine andere Art von Gefühl als im ersteren Falle. Das mag wohl sein, aber auch die Gefühle in meinem eigenen Leibe scheinen von verschiedener Art zu sein, je nach der Art des Körperteils, in welchem sie ihren Ursprung haben. Also ißt nichts Besonderes darin zu finden, daß das Mitgefühl sich in etwas zu unterscheiden scheint von Zahnschmerzen und Magenweh, denn der Körper meines Mitmenschen ist eben ein anderes Organ meines körperlichen Ichs als jene Leibesorgane. Nun wird man einwenden, der physiologische Vorgang sei doch eben bei dem körperlichen Gefühl ein anderer als bei dem Mitgefühl; das körperliche Gefühl werde durch Nerven von dem betroffenen Organ dem Gehirn und. dem Bewußtsein übermittelt, zwischen dem Leibe des Mitmenschen und meinem Gehirn aber bestehe doch keine Nervenleitung. Wenn es nun freilich auch keine Nerven sind, die von meinem Mitmenschen nach meinem Gehirn führen, so sind es doch materielle Leitungen anderer Art, vor allem der Weltäther als Träger des Lichts und die Luft als Trägerin gesprochener Worte. Ob nun diese Leitungen, die der Übermittlung des Gefühls dienen, aus Eiweiß und ähnlichen Stoffen bestehen, oder ob sie Luft und Weltäther sind, das berührt nicht das Wesen der Sache. Mein körperliches Ich findet seine Grenze nicht in dem eigenen Leibe, sondern wir müssen die Grenzei weiter stecken. Die menschliche Gesellschaft (Familie, Freundes- und Interessentenkreis, Volk, Menschheit) ist mein körperliches Ich. Als eine wesentliche Verschiedenheit zwischen dem menschlichen Leibe und der Gesellschaft mag der gemeine Verstand den Umstand ansehen, daß von seinem Standpunkte aus der Leib eine zusammenhängende Masse zu sein scheint, dagegen die Gesellschaft eine Vielheit räumlich getrennter Körper ist. Aber naturwissenschaftlich ist auch der Leib eine Vielheit räumlich getrennter Moleküle.
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Auch die menschliche Gesellschaft bezeichnet noch nicht das ganze Gebiet meines körperlichen Ichs. Wie das Mitgefühl mich bindet an meine Mitmenschen, so verknüpft mich das Heimgefühl mit äußeren Dingen, unter deren Einfluß sich mein Leben abgespielt hat. Es schmerzen nicht nur die Abtrennung eines Organs des Leibes und der Verlust eines Mitmenschen, sondern es schmerzt auch die Trennung von der Heimat; der Schmerz z. B., den ein Mensch fühlt beim Abbruch eines Hauses, in dem er ein Lebensalter gelebt und gewirkt hat, ist ebenso „real" wie der Schmerz, den der Mensch bei der Zerstörung eines Organs seines Leibes fühlt. So bilden auch Dinge der Außenwelt, die ganz anderer Art sind als mein Leib, Teile meines körperlichen Ichs. Wo ist nun aber schließlich die Grenze dieses Ichs? Sie verflüchtigt sich bei unserer Betrachtung immer mehr, und a u s dem k ö r p e r l i c h e n Ich wird die körperliche Welt! Diese ganze materielle Welt ist eine Einheit, ein Kontinuum, und nicht eine Vielheit räumlich getrennter Körper. Leere Räume, die Körperliches trennen, gibt es nicht. Der Raum zwischen den materiellen Teilchen eines Körpers ist Weltäther, also Materie in einfacherer Form, und dasselbe ist der Raum zwischen den Einzelkörpern. Außerdem kommt als den Raum zwischen den Einzelkörpern füllend neben festen und flüssigen Stoffen verschiedenster Art namentlich auch gasförmige Materie, auf unserm Planeten vor allem die atmosphärische Luft, in Betracht. So sind alle Einzelkörper, einschließlich meines eigenen Leibes, eingebettet in eine materielle Hülle, die nirgends eine Grenze findet. Und auch die Scheidegrenze zwischen einem Einzelkörper und der ihn einschließenden Umwelt ist in stetem Fluß, indem fortwährend ein Austausch von Materie stattfindet. Nun wird man vielleicht meinen, die Körperatome seien doch scharf abgegrenzt gegen die aus Weltäther bestehend« Umwelt. Aber wenn unter Körperatomen wirkliche Dinge zu verstehen sind, so wird zwischen ihnen und dem Weltäther ein ähnliches Verhältnis bestehen wie zwischen körperlichen Dingen im gewöhnlichen Sinne des Wortes und ihrer Umwelt. Die Körperatome und der Weltäther werden kein wesensverschiedenes Sein bilden, sondern nur verschi®-
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Erster
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dene Zustände desselben materiellen Seins. Die Grenze zwischen Körperatom und Weltäther wird ebenso schwankend und verschwommen sein, wie die zwischen anderen materiellen Körpern und ihrer Umwelt. Die Vorstellung der Körperatome al3 starre unveränderliche Körper findet weder in der empirischen Forschung eine Stütze noch in der philosophischen Überlegung. Wie verhält es sich aber mit den Weltätheratomen? Müssen diese nicht als starre, unveränderliche, durch leere Räume getrennte Körperchen gedacht werden? Wenn die Ätheratome wirkliche Dinge vorstellen sollen, so werden wir eine noch niedrigere Art von Materie denken müssen, die zu ihnen in demselben Verhältnis steht wie der Weltäther zu den Körperatomen. Und' wenn unser naturwissenschaftliches Denken uns schließlich zu den Urteilchen der Materie führt, so werden wir in ihnen nicht wirkliche Körper annehmen dürfen, sondern eine naturwissenschaftliche Umformung desjenigen Attributs des Seins, das wir idealistisch als Raum bezeichnet haben. Die Form des Atomismus, die die Materie bestehen läßt aus sehr kleinen unteilbaren (unveränderlichen) Körperchen, die — sofern sie nicht grade zusammenstoßen — durch den leeren Raum getrennt sind, ist philosophisch unhaltbar. Ob einem Dinge die Eigenschaft „sehr groß" oder „sehr klein" zukommt, ist nicht im Wesen des Dinges, sondern in der Art der Betrachtung begründet. Für unsere gewöhnliche Betrachtungsweise ist ein Weltkörper wie unsere Erde sehr groß, ein Atom dagegen sehr klein; der Weltkörper ist unendlich groß wie wir zu sagen pflegen im Verhältnis zu dem Atom. Könnte der Mensch das Atom mittels eines Mikroskops betrachten, das ungeheuer vergrößert, so würde es ihm so groß wie ein Weltkörper erscheinen. Er würde dann das Atom für einen Körper halten, dessen Materie aus irgend einem Grunde sich zusammenhält, wie wir es auch bei dem Weltkörper sehen. Die Behauptung der Unteilbarkeit (Unveränderlichkeit) im philosophischen Sinne würde ihm beim Atom ebenso unsinnig erscheinen, wie beim Weltkörper. Wenn das Atom unteilbar (unveränderlich) im philosophischen Sinne sein soll, so muß es als ausdehnungsloser Punkt gedacht werden. Ein ausdehnungsloser Punkt kann aber ein materielles Ding nicht sein, denn er erfüllt
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keinen Raum; Materie aber ist das raumerfüllende Sein. Ob räumlich getrennte Atome — es mögen Körperatome oder Ätheratome sein — existieren, hat die empirische Forschung zu entscheiden. Bejaht sie ihre Existenz, so sind diese Atome ausgedehnte Körper, der Raum zwischen diesen Körpern ist nicht leer, sondern ist erfüllt, ist also Materie. Die Atome sind nicht unteilbar und unveränderlich, sondern sie tauschen Materie aus mit der Umgebung, ebenso wie alle andern Körper, die sich der empirischen Forschung darbieten. Die Atome gleicher A r t sind auch nicht von vollkommen gleicher Beschaffenheit, sondern sie sind in derselben Weise von einander verschieden, wie die Exemplare anderer G a t t u n g e n von Dingen. Diese Verschiedenheit kommt allerdings für den Naturforscher nicht in Betracht, da er es bei seinen Forschungen immer mit großen Mengen von Atomen zu tun hat, und bei großen Mengen von Exemplaren immer dieselbe Durchschnittsbeschaffenheit besteht t r o t z Verschiedenheit der einzelnen Exemplare. Die den Raum zwischen den Atomen erfüllende Materie muß entweder als ein Kontinuum gedacht werden, oder ein endlicher Raumteil dieser Materie muß als aus einer unendlichen Menge unendlich kleiner und mit unendlich kleinen Zwischenräumen sich bewegender Körperchen bestehend gedacht werden. Welche von beiden Auffassungen die „wahre" ist, wollen wir hier nicht untersuchen, es genügt für unsere Zwecke, darauf hinzuweisen, daß die unendlich kleinen Zwischenräume nicht das Kontinuum der Welt aufheben, sondern nur ein Ausdruck sind für das Unbegreifliche, das diesem Kontinuum anhaftet. Es würde zu weit führen, hier ausführlicher auf das Wesen der Atomistik einzugehen. Eigentlich ist die vorstehende Erörterung über Körper und Ätheratome auch in bezug auf das Ziel unserer Darstellung unnötig. Denn es ist im Grunde genommen gar nicht unsere Aufgabe, zu beweisen, daß das Kontinuum der Welt nicht aufgehoben wird durch die Gliederung der Materie in Teilchen, die sich in einem leeren Raum bewegen; es müßte vielmehr der Gegner unserer Auffassung den Nachweis führen, das leere Räume und s t a r r e Atome existieren. Denn die empirische Forschung h a t noch nirgends einen leeren Raum und s t a r r e unveränderliche Einzeldinge gefunden. Vielmehr
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ist es eine ausgemachte Sache, daß alle Einzeldinge der sinnlich wahrnehmbaren Wirklichkeit als in stetem Fluß befindliche Zustände der Materie betrachtet werden müssen. Falls man also unter Atomen Dinge der Wirklichkeit verstehen will und nicht ein bloßes Hilfsmittel unseres Denkens, so ist es —• ganz abgesehen von philosophischen Erwägungen — auch rein naturwissenschaftlich nicht einzusehen, warum diese Atomenkörper nun auf einmal etwas ganz anderes sein sollen als andere Körper. Freilich kommt die Bezeichnung Atom nach der Bedeutung des sprachlichen Ausdrucks eigentlich nicht den Atomen der Wirklichkeit, sondern nur dem gedachten Urteilchen, die ein Hilfsmittel unseres naturwissenschaftlichen Denkens sind, zu, denn nur diese sind unteilbar, eben weil sie Punkte im Raum sind. So ist die ganze Außenwelt, einschließlich meines Leibes Ein materielles Wesen. Die Einzeldinge innerhalb dieser materiellen Einheit wechseln ihre Grenzen und ihre Natur beständig. Das Werden und Vergehen jedes Einzeldinges pflanzt sich in irgend einer Form fort durch das ganze Weltall und beeinflußt alle Einzelkörper. Auf diese Weise wirkt jedes Einzelding auf das Ganze, und das Ganze auf jedes Einzelding. So pflanzt sich auch jede Bewegung der Materie in irgend einem Teil des Weltalls fort bis zu meinem Leibe, zu meinem Gehirn, der „Wohnung meines Bewußtseins, meiner Seele", sie wirkt in irgend einer Weise ein auf die Erscheinungen meines Bewußtseins, ich „fühle" sie wie die Veränderung der Materie meines Leibes. So wird aus der Seele meines Leibes eine Seele des Weltganzen. Das materielle Weltganze wird mein körperliches Ich. Ich denke und handle nicht, sondern das Weltganze denkt und handelt in meinem Leibe. In jedem Gedanken meines Hirns, in jeder Bewegung meines Fingers wirkt noch fort jedes Einzelgeschehen, das vor Tausenden, vor Millionen und aber Millionen Jahren an irgend einem Ort des Weltalls sich abgespielt hat, und ebenso wirkt in jedem Ereignis des Weltprozesses, das in ferner Zukunft geschieht, noch fort, was ich in diesem Augenblick denke und tue. So ist nicht nur der materielle Bau der Welt, sondern auch das materielle Geschehen des Weltprozesses Einheit.
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Mein empirisches Ich, meine Seele, erscheint als Mittelpunkt dieses materiellen Weltwesens, als ein Punkt, in dem alle Fäden, die die Vielheit der Dinge zu einer Einheit verbinden, zusammenlaufen. Bei näherer Überlegung erkenne ich aber, daß jeder Punkt in dem unendlichen Raum ganz in derselben Weise einen solchen Mittelpunkt des Weltganzen vorstellt wie mein empirisches Ich. In jedem Punkte der ins Unendliche räumlich ausgedehnten Welt finden die Beziehungen, die aus der Vielheit der Einzeldinge das Weltganze machen, einen Vereinigungspunkt. Jedes kleinste Ding und jeder kleinste Teil eines Dinges ist ein empirisches Ich, oder m. a. W . : D a s e m p i r i s c h e I c h i s t i m G r u n d e g e n o m m e n g a r k e i n w i r k l i c h e s Ding, sond e r n n u r ein St a n d p u n k t in dem u n e n d lichen Raum der Welt. Die Wechselwirkung der Dinge, die aus der Vielheit der Einzeldinge die Einheit des Weltganzen macht, ist nicht eine gelegentliche, nicht eine stoßweise, sondern sie bildet ein zeitlich und räumlich ununterbrochenes Band. Es gibt auch nicht einen Zeitmoment, in dem ein Einzelding, sei es das einfachste Atom oder das höchstentwickelte Einzelwesen, ohne Zusammenhang, ohne Wechselwirkung mit der Umwelt ist, in dem es m. a. W. etwas „an sich" ist. In d i e s e m Sinne ist die Welt und das Weltgeschehen ein Kontinuum, eine weder zeitlich, noch räumlich unterbrochene Einheit. Diesen Gedanken klarzulegen, war keinesfalls unnötig, denn sowohl das Weltbild, das uns im gewöhnlichen Leben vorschwebt, als auch das des atomistischen Materialismus, bilden einen Gegensatz zu unserer Auffassung. Im gewöhnlichen Leben fassen wir den Zusammenhang der Einzeldinge untereinander bei weitem nicht als so innig und ausgebreitet auf, wie er nach unserer Darlegung ist. Die Einzeldinge sind nach der alltäglichen Auffassung wohl mehr oder weniger abhängig voneinander, aber diese Abhängigkeit wird doch als eine gelegentliche und teilweise, nicht als eine ununterbrochene und vollständige gedacht. Die Einzeldinge bleiben doch in ihrem Wesen für sich geschlossene, einander fremd gegenüberstehende Dinge. Der atomistische Materialismus sieht in der Welt eine Vielheit von Einzeldingen (Atomen), die sich vollkommen fremd
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gegenüberstehen und eine Welteinheit nur dadurch zustandebringen, daß sie sich in Einem Räume bewegen und zeitweise durch Zusammenstoß in ihren Bewegungen beeinflussen. Aber zwischen zwei Zusammenstößen eines Atoms mit anderen Atomen befindet sich eine Zeitspanne, in der es vollkommen ein Ding für sich ist. Die Welt der starren Atome ist kein Kontinuum, sondern eine Vielheit selbständiger Dinge, die nur dadurch, daß sie sich zeitweise im Raum begegnen, ein zusammenhängendes Ganzes bilden. Im naturwissenschaftlichen Weltbilde wird nun freilich ein ununterbrochener Wirkungszusammenhang der Dinge dadurch hergestellt, daß die starren Atome mit fernwirkenden Kräften ausgestattet gedacht werden. Es ist aber, wie wir sehen werden, die Annahme von Kräften, die durch den leeren Raum wirken, im Lichte philosophischen Denkens sinnlos. Wir sind bei unsern bisherigen Betrachtungen der materiellen Welt davon ausgegangen, daß die Materie der Einzeldinge, mag sie auch ständig in Austausch stehen mit Materie der Umwelt, doch immerhin während einer längeren Zeit der Hauptmasse nach dieselbe bleibt, und daß die 5ewegung (Ortsveränderung) eines Dinges — diese ist ja ein ständiger Zustand der Dinge — darin besteht, daß die Materie des Dinges sich von Ort zu Ort fortbewegt, indem sie Materie, die vorher an diesen Orten war, verdrängt. Das ist die gewöhnliche Auffassung von den Dingen und ihrer Bewegung. Man kann aber auch die Bewegung von Körpern anders auffassen, nämlich nicht als Portbewegung von Materie, sondern als Fortleitung eines Bewegungszustandes. Die folgenden Ausführungen werden klarlegen, was hierunter verstanden werden soll. Indem sich eine Welle auf dem Wasserspiegel von einem Ufer zum andern bewegt, bewegt sich nicht Materie von einem Ufer zum andern, sondern es pflanzt sich ein Bewegungszustand von einem Ufef zum andern fort. Stellen wir uns auf den Standpunkt des Atomismus, so müssen wir alle Körper als aus gleichartigen Atomen bestehend denken; nur die Ordnung dtr Atome zu verschiedenen Bewegungssystemen macht die Verschiedenheit der Dinge aus. Ein Raumteil Weltäther enthält ganz dieselbe Materie, ganz dieselbe Menge (Ur-) Atome, wie ein gleicher Raumteil Eisen. Nur sind die Atome in dem Raum-
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teil Eisen zu einem anderen Bewegungssystem geordnet als in dem Raumteil Weltäther. Die Bewegung eines Körpers, z. B. eines Geschosses, braucht nun nicht notwendig in der gewöhnlichen Weise gedacht zu werden, daß sich die Atome des Geschosses von Ort zu Ort fortbewegen, sondern sie kann auch so aufgefaßt werden, daß die Atome des Geschosses sich nur in ganz kleinen Bahnen bewegen, nur Schwingungen ausführen, und die Fortbewegung des Geschosses dadurch zustande kommt, daß sieb der Bewegungszustand des den Weltraum erfüllenden Mediums, der eben die Natur des Geschosses ausmacht, von Ort zu Ort fortpflanzt in der Weise, daß dort, wo eben noch der Bewegungszustand war, den wir Geschoß nennen, jetzt der Bewegungszustand eintritt, den wir Luft oder Weltäther oder sonstwie nennen, und daß dort, wo eben noch einer der zuletzt genannten Bewegungszustände war, jetzt der als Geschoß bezeichnete Bewegungszustand eintritt. Die Fortbewegung eines Dinges erfolgt nach dieser Auffassung also gleichsam in der Weise, daß das Ding fortlaufend an einem Orte vergeht und an dem daneben liegenden Orte neu entsteht. Es scheint zunächst, als ob diese Auffassung von der Ortsbewegung der Körper unsere bisherige empirische Weltansicht vollkommen umstürzt, bei näherer Überlegung aber dürfte sich zeigen, daß das unserer Beobachtung zugängliche Verhalten der Dinge ganz dasselbe bleibt, mag ihre Ortsbewegung nun Fortbewegung von Materie oder Fortbewegung eines Bewegungszustandes (Schwingungszustandes) der Materie sein. Ob die theoretische Erklärbarkeit der Natur bei der neuen Auffassung dieselbe bleibt oder eine größere ist als bei der alten, oder ob sich im Einzelnen theoretische Bedenken ergeben gegen die neue Auffassung, soll hier nicht untersucht werden. Legen wir die letztere unserer Betrachtung der materiellen Welt zugrunde, so t r i t t die Unselbständigkeit der Einzeldinge noch klarer hervor als bei der gewöhnlichen Auffassung, sie erweisen sich dann tatsächlich als „flüchtige Wellen in dem wogenden Meer der Weltmaterie". So führt uns die Betrachtung der materiellen Welt zu derselben Weltauffassung, zu der uns die philosophische Untersuchung vorher auf ganz anderem Wege gelangen ließ,
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zu der Erkenntnis, daß alles Sein eine Einheit ist. Nur der Zwiespalt zwischen Materie und Bewußtsein bleibt bei unserer bisherigen Betrachtung des empirischen Weltbildes bestehen, er verschwindet erst, wenn wir das empirische Weltbild im Lichte des reinen Idealismus betrachten. II.
Der rein« Materialismus als Grundlage der Naturwissenschaft. Der natürliche Ausgangspunkt philosophischer Weltbetrachtung ist das Ich, das Bewußtsein. Sie führt, wie wir gesehen haben, zum reinen Idealismus, zu der Auffassung, daß alles Sein Bewußtseinserscheinung ist. Die natürliche Grundlage der Naturwissenschaft ist das durch die äußeren Sinne wahrnehmbare Sein. Die Außenwelt ist die Welt des Naturforschers. Die Erscheinungen des Gesichts* und Tastsinnes bilden sozusagen das Gerippe dieser Welt, an das sich die Wahrnehmungen der anderen Sinne anfügen. Und demzufolge ist die Substanz der Welt des Naturforschers die Materie, das sichtbare und tastbare Sein. Diese Bestimmung des Begriffs Materie gilt freilich nur für niedere Stufen der Naturerkenntnis. Die fortgeschrittene Naturwissenschaft beschäftigt sich mit Erscheinungsformen der Materie, die sich der unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmung entziehen; sie versteht unter Materie schlechtweg das raumerfüllende Sein, nicht nur das sieht- und tastbare raumerfüllende Sein. Während die philosophische Welterkenntnis sich aufbaut auf der Grundansicht, daß die Substanz aller Dinge Bewußtsein ist, fußt die naturwissenschaftliche Welterkenntnis auf der Grundansicht, daß die Substanz aller Dinge Materie ist. Für den Philosophen ist es unsinnig, neben dem Bewußtsein noch von der Materie als einer Substanz von Dingen zu reden, denn die materiellen Dinge 6ind ja Erscheinungen im Bewußtsein, die Substanz der materiellen Dinge ist ja Bewußtsein. Umgekehrt ist es für den Naturforscher unsinnig, von Bewußtsein zu reden, denn in der sinnlich wahrnehmbaren Welt des Naturfor schers gibt es nur Materie, nicht aber Bewußtsein. Bewußtseinezustände sind nicht Objekte der Naturwissenschaft,
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wohl aber sind es die Bewegungen materieller Dinge in den Gehirnen von Menschen und Tieren. Die Grundlage der Philosophie (Metaphysik) ist der reine Idealismus, die Grundlage der Naturwissenschaft ist der reine Materialismus. Im tiefsten Grunde philosophisch erfaßt besagen beide Weltformeln ein und dasselbe. Nach dem reinen Idelismus ist Raum ein Attribut der Einen Wesenheit Sein, alle Dinge sind daher räumlich. Die räumliche (raumerfüllende) Substanz der Dinge nennt der reine Idealismus Bewußtsein, der reine Materialismus nennt sie Materie. Bewußtsein und Materie sind hier verschiedene Namen für dieselbe Sache, für die räumliche Substanz der Dinge. Zwischen dem reinen Idealismus und dem reinen Materialismus besteht kein Widerspruch, wenn wir beide Weltformeln an und für sich betrachten. Als sich widersprechende Auffassungen erscheinen sie erst, wenn wir aus unserer Denkgewohnheit entspringende Nebengedanken mit ihnen verbinden. Wir sind in unserm alltäglichen Denken gewohnt, Materie und Bewußtsein als zwei verschiedene Wesenheiten von Dingen zu betrachten. Hören wir nun, daß der reine Idealismus alle Dinge als Erscheinungen des Bewußtseins erklärt, so denken wir: „Also verneint er die Existenz der Materie." Umgekehrt verbinden wir mit der Wortformel des reinen Materialismus den Nebengedanken: „Also verneint er die Existenz des Bewußtseins". Aber der reine Idealismus verneint nicht die Existenz der Materie, und der reine Materialismus verneint nicht die Existenz des Bewußtseins, sondern beide Weltauffassungen sagen, philosophisch richtig erfaßt nur aus, daß ein und dieselbe räumliche (raumerfüllende) Substanz besteht in den Erscheinungen, die der gemeine Verstand materielle Dinge nennt, und in den Erscheinungen, die er als Bewußtseinsdinge bezeichnet. Für den Naturforscher sind alle Erscheinungen Bewegungen materieller Dinge. Bewußtsein, Geist muß für die Naturwissenschaft streng genommen ein unbekannter Begriff sein. Ebenso gehört der Begriff Kraft nicht in das Gebiet strenger Naturwissenschaft. Wenn der Naturforscher bei der Erklärung einer Naturerscheinung Begriffe wie Geist und Kraft verwendet und mit Kraft etwas anderes bezeichnet als Bewegung materieller Dinge (Körper), so K r ö g e r , Die Philosophie des reinen Idealismus.
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ißt das ein Beweis, daß er das eigentliche Wesen dieser Erscheinung noch nicht ergründet hat. Eine „Kraft", die durch den leeren Raum wirkt, ist ein naturwissenschaftliches Unding. Ein nicht materielles Ding „Kraft" können wir auch nur in Worten denken; falls wir nicht bloße Worte denken, denken wir immer einen materiellen Vorgang, wenn wir von einer Kraft reden, die durch den leeren Raum wirkt. Die Wirkung eines Körpers auf einen andern besteht immer darin, daß der eine Körper den andern aus dem Räume verdrängt, den er innehat. Dieses Verdrängen aus dem Räume geschieht durch Berührung, durch Stoß. Auch die Fernwirkung eines Körpers muß auf diese Weise erklärt werden. Nicht durch den leeren Raum wirkt der Körper auf einen anderen Körper, sondern durch einen mit Materie erfüllten Raum. Ob dabei der Stoß durch ein materielles Kontinuum übermittelt wird oder sich in einem mit Körpern erfüllten Raum von Körper zu Körper fortpflanzt, ist für den Zweck unserer Untersuchung gleichgültig. Der Naturforscher muß sich klar sein, daß alle Begriffe, mit denen er arbeitet, die •twas anderes besagen als Bewegungen materieller Dinge, nur Notbehelfe einer unvollkommenen Erkenntnis sind, und daß das Ziel der Naturforschung darin besteht, alle Erscheinungen der Natur, sowohl der unorganischen als der organischen, zu erkennen als Bewegungen materieller Dingo. Auch die Erscheinungen des menschlichen Lebens gehören zum Gebiete der Naturforschung; aber für den Naturforscher ist der Mensch ein, allerdings außerordentlich verwickelt zusammengesetztes, materielles Ding, und die menschliche Gesellschaft ist eine Vielheit solcher materiellen Dinge. Alle Vorgänge im Leben des einzelnen Menschen und im Leben der menschlichen Gesellschaft sind für den Naturforscher Bewegungen materieller Dinge, und alle Gesetze, die das Leben des einzelnen Menschen und das der Gesellschaft beherrschen, sind für den Naturforscher Bewegungsgesetze. So ist z. B. für den Naturforscher das Sittengesetz ein Naturgesetz wie andere Naturgesetze, d. h. es ist ein Gesetz, nach dem ein materielles Geschehen, nämlich das menschliche Denken und Tun, sich abspielt, und es ist die Aufgabe des Naturforschers, dieses Naturgesetz ebenso wie andere Naturgesetze zurückzuführen auf einfachere
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Gesetze der Bewegung von Körpern. Wenn der Naturforscher es aber unternimmt, aus Materie und Bewegung die Existenz und die Entstehung des Bewußtseins zu erklären so ist das ein unsinniges Bemühen. Denn die materiellen Dinge sind ja im Bewußtsein, sind ja selbst Bewußtsein; Materie und Bewußtsein sind ja nur verschiedene Namen für dieselbe Sache, für das räumliche Sein. Für den Naturforscher besteht gar nicht die Frage: „Wie entsteht aus unorganischer Materie ein Bewußtsein"?, sondern diese Frage lautet naturwissenschaftlich: „Wie entsteht aus unorganischer Materie mit einfachen Bewegungsgesetzen ein so zusammengesetztes materielles Ding mit so verwickelten Bewegungsgesetzen, wie es das tierische und menschliche Gehirn ist?" Der Zeitpunkt, an dem der praktische Betrieb der Naturwissenschaft — alle empirische Wissenschaft ist ja letzten Endes Naturwissenschaft — ganz und gar auf dem Boden des reinen Materialismus stehen wird, liegt in unabsehbarer Ferne. Daß aber der reine Materialismus allein als philosophisch berechtigte Grundlage der Naturwissenschaft in Betracht kommen kann, ist vollkommen klar. Man mag gegen unsere Darlegungen einwenden, daß viele Naturforscher Materie und Bewegimg nicht als da6 Wesenhafte der Erscheinungen anerkennen, sondern an Stelle des materialistischen Weltbildes das dynamische oder energetische setzen. Nun sind aber Kraft und Energie nur andere Bezeichnungen für Bewegung, ob es zweckmäßigere sind, das mögen die Naturwissenschaftler unter sich abmachen. Aber jedenfalls ist Bewegung ein Grundbegriff; die Ursache von Bewegung ist immer Bewegung, nicht aber etwas anderes als Bewegung. Die Materie geht dem Naturforscher bei den hier in Betracht kommenden Forschungen und mathematischen Operationen freilich nichts an, weil sie bei allen Erscheinungen dieselbe ist, er hat es nur mit Bewegungsgrößen und Bewegungsrichtungen zu tun. Darum darf der Naturforscher es wohl im Drange der Arbeit unbeachtet lassen, daß zu jeder Bewegung ein Bewegtes (Materie) gehört, aber für die Naturforschung bleibt doch letzten Endes immer Materie und, Bewegung die Grundform des Seins, mag si« auch in dön Gewändern der Dynamik und Energetik erscheinen. Wenn der Naturforscher freilich anfängt, 6ich die
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Frage vorzulegen: „Was ist Materie eigentlich?", dann wird aus der Materie ein idealistischer Begriff, dann aber ist auch aus dem Naturforscher ein Philosoph geworden. Die Verdrängung des eigentlichen Materialismus durch Dynamik un4 Energetik ist auch wohl zum Teil darauf zurückzuführen, daß die Naturforscher die philosophische Haltlosigkeit eines Materialismus, der Materie als Gegensatz zum Bewußtsein auffaßt, erkannten, und nun, in dem Bestreben ein sowohl naturwissenschaftlich als auch philosophisch brauchbares Weltprinzip zu finden, den Weg zum philosophischen Idealismus verfehlten und zu einer Art „Vergeistigung" des Materialismus gelangten, wie ihn das dynamische und energetische Weltbild darstellt. Vom Standpunkte wirklicher Philosophie läßt sich aber mit diesen Schwestern des Materialismus ebenso wenig etwas anfangen, wie mit ihm selbst, sofern er nicht als eine Folgerung aus dem reinen Idealismus, sondern als ein Gegensatz zum reinen Idealismus aufgefaßt wird. Der reine Materialismus wird als Grundlage der Naturwissenschaft ebenso wenig jemals verdrängt werden, wie der reine Idealismus als Grundlage der Philosophie (Metaphysik) . Im Lichte de6 reinen Materialismus ist alles Geschehen eine Bewegung materieller Dinge. Nicht nur die Dinge im äußeren Raum sind materiell, sondern auch die Dinge im inneren Raum, im (empirischen) Bewußtsein. Auch diese sind raumerfüllend, darin besteht ihre Materialität, ebenso wie die Materialität der äußeren Dinge darin besteht, daß sie raumerfüllend sind. Die raumerfüllenden Dinge der Innenwelt nehme ich durch den inneren Sinn wahr. Das „Ich" ist dabei ein Punkt; auch der innere Raum, in dem die räum erfüllenden Dinge des Bewußtseins sind, ist außerhalb dieses Punktes. Warum die räumlichen Erscheinungen des Bewußtseins — als solche haben wir alle Bewußtseinserscheinungen anerkannt —, die wir durch den inneren Sinn im Raum des Gehirns wahrnehmen, nicht ebenso materiell sein sollen, wie die Dinge, die wir durch die äußeren Sinne im äußeren Raum wahrnehmen, ist philosophisch nicht einzusehen. Die Tatsache des Materialismus erscheint uns für das Gebiet des Bewußtseins nur unklarer als für die Außenwelt, weil- die gesichtssinnliche Räumlichkeit — an die wir in erster Linie
4. Kapitel: Über die empirische Weltansicht.
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denken, wenn wir von Raum reden — in der Innenwelt nicht eine so herrschende Rolle spielt als in der Außenwelt. Die eigentliche Beschaffenheit der äußeren Dinge ist nach unserer Auffassung die gesichtssinnliche Gestalt; was die andern Sinne an den Dingen wahrnehmen, wird entweder aufgefaßt als nur äußerlich den Dingen anhaftende Eigenschaft oder als etwas, das überhaupt nicht im der Außenwelt, sondern nur in der menschlichen Wahrnehmung existiert. Wenn wir also von dem Materialismus der äußeren Dinge reden, so haben wir es mit Dingen von gesichtssinnlicher Raumqualität zu tun, also mit Erscheinungen, bei denen der Materialismus für unsere Denkgewohnheit am klarsten zutage tritt. Bei den Erscheinungen der Innenwelt aber besteht ein buntes Durcheinander der Raumqualitäten. Denken wir uns einen Menschen, der nur Gesichtssinn hat und der das Hilfsmittel der Wortvorstellungen beim Denken entbehrt, dessen Innenwelt daher nur aus vorgestellten gesichtssinnlichen Erscheinungen besteht. Im Raum seines; Bewußtseins würde der Materialismus, nämlich Bewegung räumlicher Dinge, in ganz derselben Klarheit zum Ausdruck kommen wie in der äußeren Welt. In dem einen Fall bewegen sich die Dinge in dem Raum, den wir durch die äußeren Sinne wahrnehmen, in dem andern Fall bewegen sie sich in einem Raum, den wir durch den inneren Sinn wahrnehmen. Bei dieser Bewegung im innern Raum tritt das Wirkungsprinzip des Materialismus, der Zusammenstoß raumerfüllender Dinge, oft ebenso klar zutage, wie bei der Bewegung der äußeren Dinge. Daß ein Kamel nicht durch ein Nadelöhr kriechen kann, ist Materialismus der äußeren Dinge; daß ein gedachtes Kamel nicht durch ein gedachtes Nadelöhr kriechen kann, ist Materialismus der inneren Dinge, der Bewußtseinserscheinungen. Dadurch, daß unsere Innenwelt nun nicht allein aus Erscheinungen mit klarer gesichtssinnlicher Räumlichkeit besteht, sondern' zu einem großen Teil aus Erscheinungen, deren Räumlichkeit unklarer ist, wird der Materialismus der Innenveit nicht aufgehoben, sondern nur verdunkelt. Denn wie vir im 2. Kapitel näher ausgeführt haben, ist es vollkommen klar, daß alle Bewußtseinserscheinungen Raum-Bewußtsein enthalten, d. h. aber in der Sprache der empirischen Betrachtung: Sie sind raumerfüllend, materiell. Bei tieferem Nach-
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denken wird es auch klar, daß der Bewußtseinszu6tand, den wir als Nichtübereinstimmung zweier Bewußtseinserscheinungen bezeichnen, darin besteht, daß sich zwei Bewußtseinserscheinungen nicht nebeneinander im Raum des Bewußtseins behaupten können, daß sie sich stören, sich verdrängen im Raum. Der Bewußtseinszustand, den wir als Übereinstimmung zweier Bewußtseinserscheinungen bezeichnen, besteht dagegen darin, daß die beiden Bewußtseinserscheinungen nebeneinander im Raum des Bewußtseins sich vertragen, sich nicht stören, sich nicht verdrängen. Die Welt ist Bewegung raumerfüllender Erscheinungen, Bewegung materieller Dinge. Einen Teil dieses materiellen Geschehens nehmen wir durch die äußeren Sinne wahr; einen andern Teil, nämlich den, der sich im Innern unseres Gehirns abspielt, nehmen wir durch den inneren Sinn wahr. Nun sind aber die Bewußtseinserscheinungen in fremden Gehirnen für uns äußere Erscheinungen, ihre Wahrnehmung kann also, falls sie überhaupt möglich ist, nur durch unsere äußeren Sinne erfolgen. Aus dieser Erwägung ergibt sich die Frage, in welcher Weise sich eine Erscheinung der Innenwelt als äußere Erscheinung darstellt. Zu ihrer Klarlegung ist aber zunächst eine Untersuchung erforderlioh, ob überhaupt die Natur der materiellen Dinge, die wir Bewußtseinserscheinungen nennen, eine derartige ist, daß sie die Wahrnehmung durch die äußeren Sinne möglich erscheinen läßt. Sollten wir zu der Auffassung kommen, daß eine Wahrnehmung durch die äußeren Sinne ausgeschlossen ist, so würden wir damit nicht etwa einen Fall feststellen, der sonst in der Welt der materiellen Dinge nirgends angetroffen wird. Vielmehr gibt es solche materiellen Dinge auch sonst noch; als Beispiel sei nur das Ätheratom angeführt. Auch das schärfste Mikroskop wird dieses materielle Ding nicht sichtbar machen, weil die gesichtssinnliche Raumqualität nach naturwissenschaftlicher Auffassung erst durch Bewegung von Atomen zustande kommt, und ebenso bedingt die Natur des Ätheratoms, daß es sich der Wahrnehmung durch die anderen äußeren Sinne entzieht. Es kann nicht gut davon die Rede sein, daß die materiellen Erscheinungen im Gehirn, die wir Bewußtseinserscheinungen nennen, durch den Geschmacks- und Geruchssinn wahrgenommen werden können,
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denn es ist nicht einzusehen, wie sie überhaupt in die erforderliche Beziehung zu diesen Sinnesorganen gebracht werden können. Damit eine Erscheinung geruchs- und geschmackssinnlich wahrgenommen werden kann, muß sie in Berührung mit unsern Geruchs- und Geschmacksorganen treten — wir riechen nicht die Rose, die wir in der Hand halten, sondern wir riechen Rosenmaterie, die sich in unserer Nase befindet—, und aus diesem Grunde ist es nicht gut möglich, daß wir jemals in die Lage kommen können, den Geruch und den Geschmack eines Dinges im denkenden und empfindenden Gehirn, das wir Gedanke oder Empfindung nennen, festzustellen. Denn wenn der Gedanke und die Empfindung aus dem Gehirn herausgenommen und in das erforderliche Verhältnis zum Geruchs- und Geschmacksorgan gebracht werden, dann werden sie aufgehört haben Gedanke und Empfindung zu sein, geradeso wie der Mensch aufhört Mensch zu sein, wenn man ihn von der Erde wegnimmt und auf die Sonne befördert. Ähnlich liegt die Sache bei der tastsinnlichen Wahrnehmung einer Bewußtseinserscheinung; wenn wir den tastenden Finger in die gehörige Beziehung zu den materiellen Erscheinungen in unserem Gehirn, die wir Gedanken und Empfindungen nennen, gebracht haben, wird ihre Existenzbedingung zerstört sein, wird der Gedanke aufgehört haben Gedanke, und die Empfindung aufgehört haben Empfindung zu sein. Damit der gedachte oder empfundene Ton gehörsinnlich wahrgenommen wird, muß er die Luftteilchen in einem solchen Grade in Schwingung setzen, daß eine gewisse Veränderung in unseren Gehörsorganen hervorgerufen wird. Wir hören nicht, wenn eine Schneeflocke zur Erde fällt; selbst mit den vollkommensten Instrumenten, die wir uns denken können, werden wir nicht hören, daß zwei Lichtätheratome zusammenprallen; unter diesen Umständen ist nicht zu erwarten, daß wir in die Lage kommen, die materielle Erscheinung in unserem Gehirn, die wir gedachten oder empfundenen Ton nennen, gehörssinnlich wahrzunehmen. Und erst recht erscheint es ausgeschlossen, daß wir eine andern Sinnesgebieten angehörende Bewußtseinserscheinung gehörssinnlich wahrnehmen. Ganz so ungünstig wie bei den besprochenen vier Sinnen ist die Sachlage für die» Möglichkeit der gesichtssinnlichen Wahrnehmung
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einer Bewußtseineerscheinung vielleicht nicht. Um zu einem abschließenden Urteil zu kommen, müßte man zunächst wissen, welcher Art der materielle Vorgang des Denkens und Empfindens ist, ob er sich abspielt innerhalb der Grenzen eines Atoms, eines Moleküls, einer organischen Zelle oder eines noch größeren materiellen Dinges. Ein Lichtätheratom kann unter keinen Umständen gesichtssinnlich wahrgenommen werden; wenn das materielle Ding, welches wir Bewußtseinserscheinung nennen, eingeschlossen sein sollte in die Organisation eines solchen Atoms — die Auffassung, daß das Wesen des Atoms eine solche Organisation ausschließt, ist philosophisch unhaltbar —, so wäre die Möglichkeit einer gesichtssinnlichen Wahrnehmung von vornherein ausgeschlossen. Ist aber der materielle Vorgang des Empfindens und des Denkens in keine engeren Grenzen eingeschlossen als die der organischen Zelle oder eines noch größeren Organs, so erscheint unter Umständen die geBichtssinnliche Wahrnehmung von Bewußtseinserscheinungen möglich. Nach unserer Untersuchung kann also nur der Gesichtssinn für die Wahrnehmung von Bewußtseinserscheinungen in Betracht kommen. Was würden wir nun sehen, wenn die Umstände es uns erlaubten, in das empfindende und denkende Gehirn hineinzusehen? Gedachte oder empfundene dreieckige, viereckige, kugelförmige Dinge würden in der äußeren Wahrnehmung zweifellos als gesehene dreieckige, viereckige, kugelförmige Dinge erscheinen. Die gedachte oder empfundene kreisförmige Bewegung würde als gesehene kreisförmige Bewegung vor uns stehen. Gedachte oder empfundene gesicht6sinnliche Erscheinungen würden als äußere Erscheinungen dieselbe Raumform (Gestalt) zeigen, die sie als Bewußtseinserscheinungen haben. Es würde auch die Raumform von Bewußtseinserscheinungen, die andere Raum' qualitäten besitzen als die gesichtssinnliche, in der äußeren Wahrnehmung dieselbe bleiben. Es würde z. B. eine geruchssinnliche Empfindung von verschwommener Gestalt in der gesichtssinnlichen Wahrnehmung eine Erscheinung von eben solcher Gestalt sein. Daß die Gestalten der Bewußtseinserscheinungen in der äußeren Wahrnehmung dieselben bleiben, kann nicht zweifelhaft sein, denn es ist nicht einzu-
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sehen, wie es anders sein könnte. W i e verhält es sich nun mit den Raumqualitäten? Daß die g. Kapiteä.
Die Unaterblicükeiiiifrage. Eng verknüpft mit der Religion ist das Problem der Unsterblichkeit der Seele, des Ichs. Der Gedanke, daß mein Tod bevorsteht, ist mein ständiger Begleiter auf dem Wege durchs Leben; und unberührt läßt dieser Gedanke mein religiöses Gefühl nur, wenn in mir die Erkenntnis besteht, daß der Tod nicht die Wesenheit meines Ichs, nicht den Kern meiner Interessen zerstört. — Betrachten wir nun das Unsterblichkeitsproblem im Lichte des reinen Idealismus. Alles, was ist, ist Erscheinung, Form, Zustand des metaphysischen Ichs. Es ist ein ewiges Entstehen und Vergehen der Erscheinungen im Raum des metaphysischen Ichs. Die Wesenheit des metaphysischen Ichs bleibt unberührt von dem Wandel der Erscheinungen.- Das metaphysische Ich ist weder entstanden, noch kann es vergehen; das was entsteht und vergeht, sind immer nur Erscheinungen, Formen des metaphysischen Ichs. Das Sterben ist ebenso eine Erscheinung, ein Vorgang im metaphysischen Ich, wie andere Erscheinungen und Vorgänge. Von einem Aufhören der Wesenheit des metaphysischen Ichs kann nicht die Rede sein. Das metaphysische Ich und die Wesenheit Sein sind ein und dasselbe. Wollte ich behaupten, das metaphysische Ich finde bei meinem Tode sein Ende, so wäre es dasselbe, wie wenn ich die Ansicht vertreten wollte, das Sein überhaupt höre auf bei meinem Tode. Eine solche Ansicht wäre aber sinnlos, sie läßt sich nur „in Worten" vertreten, denn das Sei» hat keinen Anfang und kein Ende. Auch der gemeine Verstand zweifelt nicht im geringsten, daß nach dem Tode die Welt, in der sein empirisches Ich gelebt hat, fortbesteht; er hält dieses fortbestehende Sein nur nicht für sein Sein, sondern für ein fremdes Sein, gradeso wie er auch die im Leben neben dem Ich bestehende Außenwelt als ein fremdes Sein betrachtet. Im Lichte philosophischer Überlegung besteht aber gar kein fremdes Sein, und es wird auch niemals ein solches bestehen. Ich nehme weder durch die äußeren Sinn«
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Über Ethik und Religion.
ein fremdes Sein wahr, noch denke ich ein fremdes Sein; vielmehr ist das, was ich als ein fremdes Sein wahrnehme und denke, und das, was ich mir als mein eigenes Sein bewußt bin, immer ein und dasselbe Sein. Ein fremdes neben meinem Ich bestehendes Sein hat es — philosophisch betrachtet — niemals gegeben, es kann demnach ein solches auch nicht nach meinem Tode fortbestehen. Wenn also nach meinem Tode ein Sein bestehen bleibt, worüber sich Philosophie und gemeiner Verstand ja einig sind, so kann es nur m e i n Sein sein. Es gibt keinen anderen Weg über die Unsterblichkeit des Ichs, der Seele zur Klarheit zu kommen, als den, zu erkennen, daß das empirische Ich nichts Wesenhaftes vorstellt, daß die Gegenüberstellung des Ichs und eines fremden Seins als gegensätzlicher Dinge-an-sich eine bloße Fiktion ist. Im Lichte des reinen Idealismus ist das metaphysische Ich unvergänglich, ewig; das empirische (persönliche) Ich aber ist vergänglich wie alle Einzeldinge. Der gemene -Verstand will nur die persönliche Unsterblichkeit als Unsterblichkeit .des Ichs anerkennen, er ist geneigt, die Unsterblichkeitslehre des reinen Idealismus als eine bloße begriffliche Spielerei zu bewerten. Die persönliche Unsterblichkeit scheint dem gemeinen Verstände eine klare, bestimmte Auffassung zu sein; die philosophische Überlegung zeigt uns die Unsterblichkeit des persönlichen Ichs jedoch in einem anderen Lichte. — Von einer Unsterblichkeit meines persönlichen Ichs kann ich nur reden, wenn mein Ich sich in dem Leben nach dem Tode erinnert an mein gegenwärtiges Leben. Fehlt meinem Ich nach dem Tode diese Erinnerung, so liegt gar keine Unsterblichkeit des persönlichen Ichs vor. Wenn mein Ich sich nach dem Tode nicht erinnert an das Leben vor dem Tode, so ist dieses Ich gar nicht m e i n (persönliches) Ich, sondern es ist im empirischen Sinne ein fremdes Ich, es ist gerade so verschieden von „meinem" Ich, wie dieses vor dem Tode (in der empirischen Auffassung) verschieden ist von den fremden Ichs, mit denen es zusammen lebt. Ein Unsterblichkeitsglaube, der die Erinnerung an das gegenwärtige Leben nicht als notwendigen Bestandteil der persönlichen Unsterblichkeit auffaßt, steht gar nicht im Widerspruch mit der idealistischen Auffassung. Es wird nach meinem Tode Wesen (Ichs) geben, die sich des
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Daseins erfreuen, gerade so wie e6 gegenwärtig mein persönliches Ich t u t — philosophisch betrachtet ist jeder kleinste Teil des Seins, jeder Punkt des Raums ein solches Ich —, und wenn die Erinnerung an mein persönliches Leben vor dem Tode nicht erforderlich ist, um ein nach meinem Tode existierenden Ich als m e i n Ich auszuweisen, so steht es mir frei, jedes beliebige nach meinem Tode existierende Ich- als m e i n Ich zu betrachten. Das ist in der Tat nichts anderes als das, was der reine Idealismus lehrt! Daß die nach dem Tode bestehende Erinnerung an das gegenwärtige Leben das einzige Merkmal einer Fortdauer des empirischen Ichs über den Tod hinaus ist, wird in der Regel bei Erörterung der Unsterblichkeitsfrage übersehen. Ebensowenig findet der Umstand gebührende Beachtung, daß die Fortdauer des empirischen Ichs nach dem Tode im Lichte philosophischer Betrachtung gar nicht eine Unsterblichkeit dieses Ichs gewährleistet, sondern nur eine Verlängerung der Dauer des empirischen Ichs über den leiblichen Tod hinaus vorstellt. Wenn durch das Ereignis, welches wir Tod nennen, mein empirisches Ich nicht vernichtet wird, so ist doch damit nicht der geringste Grund gegeben zu der Annahme der ewigen Dauer dieses Ichs, vielmehr ist zu befürchten, daß noch im Leben nach dem Tode der wirkliche Tod das empirische Ich ereilt. Die Zuversicht, daß mein empirisches Ich unsterblich (d. h. von ewiger Dauer) ist, kann sich mir bei philosophischer Überlegung auch dann noch nicht bilden, wenn ich die Fortdauer nach dem Tode als Tatsache unterstelle. Mein empirisches Ich ,,hat einen Anfang" x ), "•) Philosophisch richtiger müßte es heißen: Das empirische Ich besteht nicht seit Ewigkeit her, es hat eine Zeit gegeben, wo es nicht existierte. Einen „Anfang" hat das empirische Ich im Grunde genommer nicht, denn wo ist der Zeitpunkt, an dem das empirische Ich anfing zu existieren? Die leibliche Geburt kann gewiß nicht als Anfang des empirisehen Ichs gelten, denn sie ist doch nur ein äußerlicher Vorgang im Leben des empirischen Ichs. Es ist ein sonderbares Gebilde, dieses empiriche Ich, das der gemeine Verstand für ein Ding an sich, für ein Wesen von ewiger Dauer hält! Unmerklich ist es entstanden aus einem vergänglichen Ding, denn als ein solches wird der gemeine Verstand doch den Embryo im Mutterleibe unmittelbar nach der Zeugung ansehen; kein Mensch kann sagen, wann die Unsterblichkeit eingetreten ist bei dem sich entwickelnden Embryo. Die Auffassung, das Ich des eine Stunde nach
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daher besteht zu jeder Zeit die Möglichkeit, daß es endet. Mag.das empirische Ich den Tod Hunderte, Tausende oder Millionen Jahre überdauern, es muß immer mit der Möglichkeit rechnen, daß die nächste Minute das Ende bringt. Es besteht aber nicht nur die Möglichkeit, daß meinem empirischen Ich noch im Leben nach dem Tode der wirkliche Tod ereilt, sondern bei philosophischer Überlegung kann kein Zweifel bestehen, daß früher oder später, sei es nun nach einer Minute oder nach Millionen Jahre, das Ende des- empirischen Ichs eintreten muß. Denn alles, was nicht seit Ewigkeit her besteht, wird auch nicht ewig dauern; daß aber daß empirische Ich seit Ewigkeit her besteht, wird der gemeine Verstand nicht behaupten. Die sogen, persönliche Unsterblichkeit führt den Namen „Unsterblichkeit" mit Unrecht, sie ist eine bloße Verlängerung des Lebens über den leiblichen Tod hinaus, eine bloße Hinausschiebung des Todes des empirischen Ichs. Ob nun tatsächlich das empirische Ich den leiblichen Tod überdauert, ist eine Frage, die die empirische Wissenschaft, nicht die Philosophie angeht. Daß mein empirisches Ich den Vorgang, den wir Tod nennen, überdauert, ist philosophisch nicht unmöglich; es ist aber empirisch in so hohem Grade unwahrscheinlich, daß ich praktisch nicht mit der Möglichkeit der Fortdauer des empirischen Ichs über den Tod, hinaus rechnen kann. Die Erfahrung lehrt, daß das empirische Ich häufig schon vor dem Leibe Stirbt. Ist etwa in einem Menschen, dessen Leben und Denken durch eine Veränderung im Gehirn eine tierische Form angenommen hat, das empirische Ich, das in der Zeit geistiger Gesundheit existierte, nicht schon gestorben, während der Leib noch lebt? Ist es nicht'eine allgemein anerkannte Tatsache, daß der Lebensfaden des empirischen Ichs schon bei einer verhältnismäßig geringfügigen Veränderung gewisser Teile des / Gehirns abreißt? Und nun sollte eine solche auf den Grund der Geburt sterbenden Kindes sei unsterblich, das im Mutterleibe sterbend» Kind aber sei in allen Fällen der Unsterblichkeit nicht teilhaftig, läßt sich doch nicht im Ernst vertreten. Der Begriff des empirischen Ichs, als eines von der Allgemeinheit des Seins abgetrennten Dinges-an-sich, zeigt sich «bin bei jeglicher philosophischer Beleuchtung, man mag sie ausführen* wi« man will, als ein philosophisch unhaltbarer Gedankt.
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Die
Unsterbliciikeitsfrage.
gehende Auseinandersprengung meiner leiblichen Organisation, wie sie in und nach meinem Tode stattfindet, das •mpirische Ich unberührt lassen? Daß man mit dem Messer «in gewisses Stück Materie aus meinem Gehirn entfernt, hat den Untergang meines empirischen Ichs zur Folge, indem in meinem Leibe ein neues empirisches Ich, das von dem alten nichts weiß, an dessen Stelle t r i t t ; davon bin ich überzeugt. Denn die Meinung, daß das alte Ich außerhalb des Leibes weiter existiert, während in dem Leibe das neue Ich schaltet, kommt mir nicht in den Sinn. Und nun sollte mein empirisches Ich es überstehen, daß mein Leib „in Staub" zerfällt, mnd. dieser „Staub" in alle Winde zerstreut wird?! Wo bleibt mein empirisches Ich während des traumlosen Schlafes •der bei andern Fällen vorübergehender Bewußtlosigkeit? Für die Unzerstörbarkeit des empirischen Ichs sprechen diese Umstände doch gewiß nicht; denn wenn das empirische Ich für einige Zeit aufhören kann zu existieren, dann muß man auch damit rechnen, daß es einmal endgültig sein Dasein beschließt. Der gemeine Verstand legt Wert auf die Fortdauer des empirischen Ichs nach dem Tode, weil er dieses Ich für •ine Wesenheit, für den Kern des Ichs hält. Im Lichte philosophischer Überlegung ist das empirische Ich nichts anderes als eine flüchtige Form der Wesenheit des Ichs. Das •mpirische Ich, das persönliche Leben ist etwas, das über die ewige Wesenheit unseres Ichs dahin huscht, wie das flüehtige Schattenspiel der Wolken über die Erdfläche. Sobald wir die wahre Natur des empirischen Ichs erkannt haben, werden wir nicht in den Irrtum verfallen — den der gemeine Verstand begeht — die Unsterblichkeit der Seeio zu suchen in einer Fortdauer des empirischen Ichs über den Tod hinaus. Die Frage, ob das empirische Ich den Tod überdauert, wird uns nebensächlich, wird uns als eine Frage der empirischen Weltmeinung erscheinen, die das äußerliche Sehicksal des Ichs angeht, die aber nicht heranreicht an die ewige Wesenheit der Seele. Der Vorgang des Todes ist für mein Ich seinem Wesen nach keine andere Art von Ereignis als dasjenige, das in der Entstehung meines gegenwärtigen Ichs aus dem Zustande vor hundert Jahren besteht. Während aber die Entstehung
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des Ichs aus dem Sein vor der Geburt sich ganz allmählich vollzieht, so daß das Verhältnis dieser früheren Natur des Ichs zu der gegenwärtigen nicht so zwingend als ein Gegensatz zum Bewußtsein kommt, bedeutet der Tod eine verhältnismäßig plötzliche Veränderung, einen Ruck in dem Werdegang des empirischen Ichs, so daß auch der schläfrigste Mensch zum Nachdenken kommt und fragt: „Was geht vor?" Würde sich der Übergang vom Leben zum Sein nach dem Tode ohne einen solchen Ruck vollziehen, würde das Sein nach dem Tode ebenso unmerklich entstehen aus dem gegenwärtigen Zustande meines Ichs, wie dieser entstanden ist aus dem Sein vor der Geburt, vor der Zeugung, wäre m. a. W. nicht das Sterben eingeschlossen in eine Zeitspanne von Minuten und Stunden, sondern auseinandergezogen zu einer Dauer von hundert oder tausend Jahren, so würde der gemeine Verstand über die Unsterblichkeit des Ichs grade so denken wie wir: Das empirische Ich ist gar nicht ein selbständiges Sein, und daher kann von einer ewigen Dauer des empirischen Ichs nicht die Rede sein; aber das ewige Wesen meines Ichs, das vor hundert Jahren war, das wird auch nach hundert Jahren sein. Wenn wir dem gemeinen Verstände vorhalten: „Die Daseinsfreude, das Gefühl von Freiheit, das die Wesenheit deines Ichs bildet, besteht grade so wie an einem Orte deines Gehirns in allen andern Dingen der Welt, es besteht in jedem Punkt des räumlichen Seins, es kann demnach nicht davon die Rede sein, daß dein Tod die Wesenheit deines Ichs auslöscht," so gibt er uns nicht recht, behauptet vielmehr, das nach seinem Tode existierende Sein sei ein fremdes Sein. Den Sohn, den Bruder, den Genossen seines Strebens, seiner Freude und seines Leides, hält der gemeine Verstand für ein fremdes Sein, in dem er nicht die Unsterblichkeit seiner Ichheit erkennen kann. Wenn aber durch den Tod sein Ich versetzt würde in den Zustand bei oder vor der Geburt, so würde der gemeine Verstand in diesem Sein sein Ich anerkennen müssen, denn wenn das Ich während der Veränderung vom Säugling zum Greise dasselbe Ich geblieben ist, so muß es dpch auch bei der umgekehrten Veränderung dasselbe Ich bleiben. Die Auffassung des gemeinen Verstandes ist also diese: „Wenn mein Ich durch den Tod in den Zustand ver-
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setzt wird, der das Sein meines Sohnes, Bruders oder eines andern mir gleichartigen Menschen vorstellt, so kann ich diese Zustandsveränderung nicht als Unsterblichkeit meines Ichs anerkennen; wenn mein Ich sich aber durch den Tod in den Zustand meines Säuglings- oder Embryo-Daseins verwandelt, so erkenne ich das als Unsterblichkeit meines Ichs an, auch wenn die rückläufige Veränderung meines Ichs in dem Leben nach dem Tode sich noch weiter vollzieht." Das ist die logische Folge einer Betrachtungsweise, die das empirische Ich für ein von der Allgemeinheit des Seins abgesondertes, selbständiges Wesen (Ding an sich) hält! Demgegenüber sieht der reine Idealismus die Sache in folgender Weise an. Das Sein der Dinge außer mir ist nicht ein fremdes Sein, sondern es ist mein Sein. Ich fühle nicht (in der Mitfreude und im Mitleid) Lust und Unlust der Dinge (Ichs) außer mir als ein fremdes Gefühl, sondern als mein Gefühl, als meine Wesenheit. Wenn der gemeine Verstand die Auffassung vertreten will, daß durch die räumliche Ausbreitung die Wesenseinheit des Gefühls verloren geht, so muß er auch die zeitliche Ausdehnung des Ichs so auffassen, also annehmen, das Ich verliere in jedem Zeitpunkt seine Wesenheit; dann aber wäre der gemeine Verstand ganz auf den Standpunkt des reinen Idealismus geraten, der doch gerade bestritten werden sollte! Wenn das Sein, das zeitlich „außer" mir liegt, (z. B. mein Sein von gestern, meine Kindheit) als mein Sein gelten soll, so muß auch das Sein, daß räumlich außer mir liegt, als mein Sein angesehen werden. Jedes Ding, jeder kleinste Teil des räumlich ausgedehnten Seins fühlt wie ich, d. h. m. a. W., in jedem Ding, an jedem Ort der Außenwelt ist meine Wesenheit. Zwar ist der Grad des Gefühls in allen Fällen mehr oder weniger verschieden, das ist aber auch der Fall bei den einzelnen Teilen der zeitlichen Ausdehnung meines (empirischen) Ichs. Als Embryo habe ich in einem anderen Grade gefühlt als in meinem gegenwärtigen Zustande, das Tier, der Stein fühlen in einem anderen Grade als ich, aber die Wesenheit des Gefühls, die eins ist mit der Wesenheit meines Ichs, ist in allen Fällen eine und dieselbe. Wenn ich also - erkenne, daß mein Tod die 'Welt außer mir nicht auslöscht, so erkenne ich damit, daß mein leiblicher Tod nicht meine Wesenheit K r ö g e r , Die Philosophie des reinen Idealismus.
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vernichtet, m. a. W.: ich erkenne die Unsterblichkeit meines Ichs. Wenn empirische Gründe mich zwingen, anzunehmen, daß der leibliche Tod die Form meines Ichs, die eine Erinnerung an meinen gegenwärtigen Zustand ist, aufhebt, so ändert das nichts an meiner Erkenntnis von der Unsterblichkeit der Wesenheit meines Ichs. Der gemeine Verstand denkt freilich, wenn nach meinem Tode kein Mensch da sei, der sich erinnere, das Ich, welches ich gegenwärtig bin, gewesen zu sein, so sei mein Ich mit dem Leibe gestorben. Im Lichte dieser Betrachtungsweise müßte ich aber auch das Ich meiner frühesten Kindheit als gestorben betrachten, denn es ist kein Mensch, auf Erden und anderswo, der sich erinnert, früher dieses Ich gewesen zu sein. Für meinen gemeinen Verstand, der das empirische Ich für ein Ding an sich hält und in dem Tode den Untergang dieses Ichs erblickt, ist der Gedanke, daß ich früher oder später einmal sterben muß, wie ein Gewicht, das ständig die Freiheit meines Ichs drückt. Nicht das Ereignis Tod, das vermeintliche Ende meines Ichs, ist es, das diesen Druck auf meine Freiheit ausübt, sondern es ist der Gedanke an den Tod. Das Ende meines Ichs ist etwas, was niemals sein wird, was immer Zukunft bleiben wird. Mag ich die Spanne Zeit, die mich vom Tode trennt, auch noch so kurz schätzen, ich werde das Ende meines Ichs niemals erleben, niemals wird e6 Gegenwart, wird es Wirklichkeit für mich sein. Wirklich ist nur ein Gedanke in mir, nämlich der, daß meinem empirischen Leben dasselbe Schicksal wiederfahren wird, das ich bei anderen Menschen beobachte. Dieser Gedanke ist der Störer meiner Freiheit. Von der Philosophie erwarte ich Befreiung von dem Drucke dieses Gedankens. Ob die Philosophie diese Befreiung dadurch zuwege bringt, daß sie die Frage nach der Unsterblichkeit meines Ichs mit ja beantwortet, oder dadurch, daß sie dem Gedanken an die' Sterblichkeit des Ichs seine die Freiheit des Ichs beschränkende Wirkung nimmt, kann mir gleich sein. Denn sobald dem Gedanken an den Tod seine, die Freiheit meines Ichs beschränkende, Wirkung genommen ist, interessiert, mich die Frage, ob meine Seele sterblich oder unsterblich ist, nicht mehr als irgend ein beliebiges rein theoretisches Problem der philosophischen oder empirischen Wissenschaft. Es ist
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daher auch ein unfruchtbarer Streit, ob eine philosophische Erkenntnis wirklich die Unsterblichkeit des Ichs ausdrückt, oder ob daB, was sie vorführt, gar nicht die richtige Unsterblichkeit ist. Ein solcher Streit ist immer ein Streit um Worte und unklare Begriffe. Das worauf es ankommt ist, daß die philosophische Erkenntnis mich freimacht gegenüber dem Gedanken an den Tod. Befähigt meine Weltanschauung mich, dem Todesgedanken gegenüber mich frei zu fühlen, so habe ich die Unsterblichkeit meines Ichs — in dem von uns gemeinten tieferen Sinne — erkannt; ob meine Weltanschau ungsformel dabei in Worten ein Ja oder ein Nein auf die Unsterblichkeitsfrage hat, ist nebensächlich. Kann ich mich dagegen dem Drucke des Todesgedankens nicht entziehen, kann ich mein leibliches Leben nicht zusammenbrechen sehen, ohne daß meine Ruhe und meine Zuversicht erschüttert wird, 60 habe ich, mag meine Weltanschauungsformel auch ein unbedingtes Ja auf die Unsterblichjceitsfrage erteilen, doch immer noch nicht die Unsterblichkeit des Ichs „richtig" erkannt. Für einen Menschen, dem der reine Idealismus nur eine für wahr gehaltene theoretische Weltanschauungsformel ist, dessen Lebensgenuß aber nicht auf Mitfreude, sondern auf Egoismus eingestellt ist, bleibt die Bfehandlung der Unst*rblichkeitsfrage im idealistischen Sinne ein bloßes Spiel mit Begriffen; vom Drucke des Todesgedankens kann ihn die Erkenntnis, daß das metaphysische Ich unvergänglich ist, nicht befreien. Für ihn und ebenso • für den Menschen, der überhaupt nichts weiß von der Wesenseinheit von Ich und Nichtich, hat nur die persönliche Unsterblichkeit Bedeutung. Die Frage, ob das persönliche Ich den Tod überdauert oder nicht überdauert, ist für viele egoistisch gesinnte Menschen geradezu die Hauptfrage der Welterkenntnis. Demgegenüber erscheint für den idealistisch fühlenden Menschen kaum eine Frage der Welterkenntnis so unwichtig, ja geradezu gleichgültig, wie die nach der persönlichen Unsterblichkeit. Sofern ich noch Pläne habe für die Gestaltung meines Lebens, ist freilich der Todesgedanke, auch wenn ich idealistisch fühle, für mich Unlust. Aber dies« mit - dem Todesgedanken verbundene Unlust wird ebenso wenig berührt von der Unsterblichkeitsfrage, wie di® «inn-
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liehen Schmerzen des Sterbens. Auch das unsterbliche Ich muß die sinnlichen Schmerzen des Sterbens ertragen und muß heraus aus den Beziehungen seines bisherigen Lebens. Die sinnlichen Schmerzen des Sterbens werden im allgemeinen nicht größer sein als die Schmerzen von Krankheiten, die nicht zum Tode führen. Und daß der Tod mich herausreißt aus dem Wirkungszusammenhang mit meiner Umwelt, daß ich meinen Platz in Familie, Beruf. Freundeskreis, Volk, Menschheit aufgeben muß, daß meine Lebensarbeit, die mir vorschwebt, unvollendet bleibt, daß andern Menschen mein Tod schmerzen wird, darüber werde ich. wenn ich in gehörigem Grade idealistisch fühle, mich hinwegsetzen. Es drücken diese Umstände wohl auf mein Freiheitsgefühl, aber doch nicht mehr als manche andere Hindernisse, deinen ich im Leben begegne. Wenn ich in der rechten Weise mit einem größeren Kreis des Öeins mitfühle, wenn namentlich mein Lebensgefühl durchtränkt ist von religiösem Gefühl, dann können diese Begleiterscheinungen des Todes nicht von irgendwie ausschlaggebender Bedeutung sc'n für meine Auffassung vom Leben und Sterben. Auf jeden Fall haben sie nichts zu tun mit dem eigentlichen TJnsterölielikeitsproblem, da sie das unsterbliche T"h ebensowohl treffen wie das sterbliche. Was bedeutet denn nun der Tod sonst noch für mein idealistisch fühlendes Ich? Die Welt ist voller Daseinsfreude, das Mitfühlen dieser Freud^ macht den Inhalt meines Lebens aus. Die Welt mit ihrer Daseinsfreude bleibt bestehen bei meinem Tode, sogar das Mitfühlen dieser Daseinsfreude bleibt bestehen, denn daß es nach meinem Tode Menschen geben wird, die sich ebenso an Welt und Menschen erfreuen werden wie ich, bezweifle ich nicht. Was geht also bei meinem Tode unter von meinem idealistischen Gefühl, von meiner Freude an der Welt? Gar nichts geht unter von diesem Gefühl. Nur das bisherige Anhängsel meiner Freude an der Welt, das in der Erinnerung an meine vergangenen persönlichen Erlebnisse besteht, geht unter. Welchen Wert hat es denn nun für mich, ob dieses Anhängsel meiner Lebensfreude verloren geht oder hinübergerettet wird in das Leben nach dem Tode? Ich werde den rechten Eindruck dieses Wertes erhalten, wenn ich mich in Gedanken in die Lage versetze, daß ich vor die Wahl ge-
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stellt bin, ein Fortleben nach dem Tode mit oder ohne dieses Anhängsel zu wünschen. Die Sachlage wäre dann die folgende. Es ist bestimmt, daß mein Leib vergeht und der Faden meines bisherigen Lebens abreißt, daß ich aber mit dem Tode in eine „andere" Welt versetzt werde, in der das Dasein mit ebenso viel Freude verbunden ist, wie in der gegenwärtigen. Man fragt mich nun, ob ich in die neue Welt die Erinnerung an mein bisheriges Leben mitnehmen will oder ob diese Erinnerung in dem neuen Leben ausgelöscht sein soll. Ich glaube, jeder Mensch, in dem das egoistische Gefühl in die Ecke gedrängt ist durch idealistisches, namentlich religiöses Gefühl, wird es vorziehen, die Erinnerung an das alte Leben, mit dem in dem neuen Leben doch nichts anzufangen ist, auszulöschen. Auf joden Fall aber wird einem solchen Menschen die Entscheidung, die hier zu treffen ist, von sehr nebensächlicher Bedeutung seins Von geringer Wichtigkeit wird für ihn auch der Umstand sein, ob die andere Welt, in die er versetzt wird, eine in allen Teilen andere ist als die gegenwärtige, oder ob sie nur in der Beziehung anders ist als diese, daß seine Person in ihr fehlt. In einer „andern" Welt zu leben verlangt nur der Mensch, der weder die Güte und Schönheit des gegenwärtigen Zustandes der Welt, noch die Eigenschaft der Welt, zu immer größerer Vollkommenheit fortzuschreiten, erkennt, und der übersieht, „daß eine „andere" Welt der gegenwärtigen höchstens um eine Zeitspanne in der Entwickeln^ voraus sein kann, daß im übrigen die Dinge in ihr sich ebenso drängen und stoßen wie in der Welt, die wir erleben, eben weil der Gegensatz der Dinge mit zum Wesen des Seins gehört. Und nach persönlicher Unsterblichkeit verlangt nur der Mensch, dessen Leben erfüllt ist von egoistischen oder den Egoismus wenig über-ragenden Gefühlen. der sich nicht losreißen kann von dem engen Kreis seines Wirkens und seiner Beziehungen, der sich nicht trennen kann von ihm nahestehenden Menschen — mit denen er im gemeinsamen Leben nach dem Tode wieder Beziehungen anknüpfen will; es verlangt nur ein Mensch nach Unsterblichkeit des persönlichen Ichs, in dessen Gefühlsleben das religiöse Gefühl nicht zur Geltung kommt. Der gemeine Verstand meint, indem der Zeitspanne bis
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Abschnitt:
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zum Lebensende eine lange oder gar ewige Dauer zugesprochen werde, erhalte das Leben einen hohen Wert; indem das Lebensende als unmittelbar bevorstehend angesehen werde, verliere das Leben seinen Wert. Aber das Leben, das ich erlebe, hat immer die gleiche Länge, nämlich die des gegenwärtigen Augenblicks, mag es nur noch Sekunden oder ein Jahrhundert oder eine Ewigkeit 6ein bis zum Lebeasende. Denn da6 Leben ist immer Gegenwart; das, was ich Vergangenheit, und was ich Zukunft nenne, liegt innerhalb des Gegenwart'sbewußtseins. Mein Freiheitegefühl hat nichts zu schaffen mit der außerhalb des Gegenwartsbewußtsems liegenden Länge meines Lebens, es beruht allein auf Gedanken und Empfindungen, die enthalten sind in dem Gegenwartsaugenblick meines Bewußtseins. Das Frohsein meiner Seele kann, wenn ich den Tod in Sekunden erwarte, ebenso hochgradig sein, als wenn ich meine, das Leben liege noch in unabsehbarer Länge vor mir. Und warum soll ich mir. nachdem ich mich mit dem Kleinkram meiner persönlichen Beziehungen zu den Dingen abgefunden habe, durch die Aussicht auf den nahen Tod das Frohsein der Seele, das im Mitgefühl mit dem unbegreiflichen Getriebe der Welt besteht, verkümmern lassen? Die unbegreifliche Wesenheit Sein bleibt ja bestehen, an der Daseinsfreude der Welt, an dein Streben des Weltprozesses nach dem Höheren wird durch meinen Tod -nichts geändert; mein metaphysisches Ich ist durch den Tod nicht bedroht. Und das Ende des persönlichen Lebens werde ich niemals erleben; es liegt, wenn mich nur noch Sekunden vom Tode trennen, noch ebenso unerreichbar vor mir, wie wenn ich noch hundert Jahre oder ewig zu leben hätte. Es wird niemale für mich Wirklichkeit werden; warum also sollte es das Frohsein meiner Seele, die sich geborgen fühlt im unbegreiflichen Wesen des Seins, trüben? — Freier als der idealistisch denkende und fühlende Mensch, der sich mit seinem persönlichen Ich in unbegreiflicher Weise verwoben fühlt in der Einheit alles Seins, dem Lebensende gegenübersteht, kann auch der die persönliche Unsterblichkeit erwartende Egoist dem Tode nicht ins Gesicht sehen. An und für sich aber ist es ein Merkmal niederer Gesinnung und des Mangels an religiösem Gefühl, also geringen ethischen Wertes, wenn ein Mensch des Gla;i: i.
Zmatamenfaeeung.
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bens an die persönliche Unsterblichkeit bedarf, um den Druck des Todesgedankens auf sein Freiheitsgefühl zu heben.
Znsammenfassung. Unsere Antwort auf die Grundfrage der Ethik: „Was muß ich tun, um frei zu sein (um einen möglichst hohen G r a d von Freiheit zu fühlen)"? lautet: „Fühle idealistisch." Alle Unfreiheit, alle Unlust, alles Leid, das wir fühlen, ist darin begründet, d a ß wir nicht in rechter Weise mitfühlen mit den Dingen, d a ß wir die Dinge nicht richtig „erkannt' ; haben. Alles Elend des einzelnen Menschen und der Menschheit liegt nicht im Wesen des Seins begründet, wie die Pessimisten lehren, sondern in-dem unrechten Willen, in der mangelhaften Erkenntnis der Menschen. Der Mensch, welcher den rechten Willen hat, welcher die rechte Erkenntnis vom Wesen der Dinge besitzt, welcher mit einem Wort die rechte seelische Beschaffenheit hat, wird bei allen Geschehnissen des Lebens sich frei fühlen. Er wird, mag ihm das äußerliche Lebensschicksal auch noch so übel mitspielen, doch immer die Schönheit und Güte des Seins fühlen. Als höchste Form des idealistischen Gefühls haben wir das religiöse Gefühl erkannt, es stellt die umfassendste Erkenntnis der Dinge dar. J e n e r e c h t e s e e l i s c h e B e schaffenheit besteht daher letzten End^s in R e l i g i o n , u n d a l l e Z u s t ä n d e d e s m e n s c h lichen B e w u ß t s e i n s , die das D a s e i n als ein Üebel erscheinen lassen, sind l e t z t e n Endes auf einen Mangel an r e l i g i ö s e m G e f ü h l zurückzuführen. Die hier dargelegte Lebensauffassung wollen wir i d e a l i s t i s c h e n O p t i m i s m u s nennen. Ein naheliegender Einwand gegen ihn mag an dieser Stelle gleich richtiggestellt werden. Wenn .ich mich unglücklich (unfrei) fühle, so begutachtet der Pessimismus meinen Zustand dahin: „ D a ß du dich unglücklich fühlst, ist ganz in der Ordnung, es gehört eben zum Wesen des Seins, daß es nichts taugt, daß ea
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Über Ethik und Religion.
ein Gefühl des Elends, des Unglücks ist." Der idealistische Optimismus sagt mir dagegen: „Unglücklich fühlst du dich, weil du nicht in rechter Weise verstehst mitzufühlen mit den Dingen." Man könnte nun einwenden, daß die Unfähigkeit meines Ichs zum Mitfühlen eben eine bestehende, im Zusammenhang der Dinge begründete Tatsache sei, daß diese Unfähigkeit demnach letzten Endes im Wesen des Seins gegeben sei, daß es also im Grunde genommen ganz auf dasselbe hinaus komme, ob ich sage, das Elend meines Daseins sei im Wesen des Seins begründet (Pessimismus). oder ob ich erkläre, es habe seinen Grund in meiner verkehrten seelischen Beschaffenheit, nämlich meiner Unfähigkeit, in der rechten Weise idealistisch zu fühlen (idealistischer Optimismus). Es ist aber doch klar, daß dieser Einwand einen wesentlichen Umstand unbeachtet läßt. Indem ich meine Unfreiheit unter dem Gesichtspunkte des Pessimismus auffasse, erscheint mir das Bestreben, dem Elend des Daseins zu entrinnen, unsinnig; indem ich aber den idealistischen Optimismus vertrete, zeigt sich mir ein Weg zu einem Zustande höherer Freiheit. Denn jede Lebenslage, in der mir das Frohsein der Seele fehlt, ist mir eine Mahnung: Du bist nicht so, wie du sein mußt, du mußt die Beschaffenheit deiner Seele ändern!
10. Kapitel.
I. Über die Ungerechtigkeit des Weltgeschehens. II. Die niedere Kultur der menschlichen Gesellschaft als Hindernis für die Glückseligkeit des einzelnen Menschen. I. Der Pessimismus lehrt, es ginge in der Welt nicht nach dem Rechten, denn vielfach falle die größere Glückseligkeit
10. K a p i t e l :
I. Über die Ungerechtigkeit des Weltgeschehens.
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nicht dem „besseren", sondern dem „schlechteren" Menschen zu. Der Pessimismus faßt die Ungerechtigkeit des Weltgeschehens als einen Umstand auf, der die Glückseligkeit jedes gutgesinnten Menschen herabdrückt, auch wenn dieser nicht unmittelbar von der Widrigkeit des Weltlaufs betroffen wird. Wie stellt sich nun der idealistische Optimismus zu der Frage nach der Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit des Weltgeschehens und nach der Bedeutung dieser Einschätzung des Weltgeschehens für die menschliche Glückseligkeit? Zunächst ist zu beachten, daß unsere Philosophie nicht die Gerechtigkeit des Weltgeschehens in dem Sinne behauptet, daß in jedem einzelnen Falle der Grad der Glückseligkeit eines Menschen einen Maßstab bildet für den Grad seiner guten Gesinnung. Der idealistische Optimismus sagt aus, daß bei sonst gleichen Umständen der Mensch sich um so glücklicher (freier) fühlt, je besser, je idealistischer seine Gesinnung ist, daß also von zwei Menschen, die in die gleiche Lebenslage versetzt werden, der bessere Mensch der glücklichere sein wird. Daß aber der bessere Mensch in ungünstiger äußerer Lebenslage unter allen Umständen glücklicher sei als der schlechtere Mensch in günstigen äußeren Verhältnissen, wird nicht behauptet. Eine einfache Überlegung spricht auch gegen die Auffassung, daß bei verschiedenen Menschen in verschiedenen Lebenslagen der Grad der Glückseligkeit gleich sei dem Grade der guten Gesinnung. Denken wir uns zwei Menschen von gleich guter Gesinnung, die bisher unter gleichen äußeren Verhältnissen gelebt und daher sich auch in gleichem Grade glücklich gefühlt haben. Nehmen wir an, der eine Mensch hat von einem bestimmten Zeitpunkt an mit Krankheit des Leibes zu kämpfen, während der andere sich ständiger Gesundheit erfreut. Wir zweifeln nicht, daß in diesem Falle der gesunde Mensch sich glücklicher fühlen wird als der kranke. Mag dieser auch weit entfernt sein von pessimistischer Lebensauffassung, mag er sich aucl^ infolge seiner idealistischen Gesinnung noch immer weit glücklicher (freier) fühlen als die meisten gesunden, aber egoistisch gesinnten Menschen, es kann doch nicht gut ein' Zweifel bestehen, daß Gesundheit ein die Glückseligkeit fördernder, und Krankheit ein die Glückseligkeit mindernder Umstand ist. Wir haben es in unserm Beispiel
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Über Ethik und Religion.
also mit einer Ungerechtigkeit des Weltgeschehens zu tun, indem zwei Menschen von gleich guter Gesinnung ein verschiedenes Maß von Glückseligkeit zuteil wird. Es ist klar, daß das Weltgeschehen vielfach ungerecht mit den Menschen verfährt, indem es ohne Rücksicht auf die Gesinnung Glück und Unglück zuteilt. Zwar trifft die Ungerechtigkeit de» Weltgeschehens keineswegs in so vielen Fällen zu, als dia gewöhnliche Meinung es darstellt. Diese verwechselt in der Regel den Schein des äußerlichen Wohlergehens mit der inneren Freiheit, die in Wahrheit die Glückseligkeit des Menschen ausmacht.. Die Zuteilung von Gesundheit und äußerer Lebensstellung an die Menschen ohne Rücksicht auf ihre Gasirtnung wird für gewöhnlich mit in erster Linie als Merkmal der Ungerechtigkeit des Weltgeschehens aufgeführt. Daß Gesundheit besser ist als Krankheit, Reichtum besser als Armut, daß Gesundheit und Reichtum, Krankheit und Ar mut ohne Rücksicht auf die Gesinnung vom Schicksal verteilt werden, daß hier also eine Ungerechtigkeit des Weltgeschehens vorliegt, ist zweifellos. Aber gewöhnlich überschätzt man diese Ungerechtigkeit, indem man sich über di« Bedeutung der vorliegenden Umstände einer Täuschung hingibt. An Einfluß auf den Grad der Glückseligkeit eines Menschen stehen tatsächlich Gesundheit und äußere Lebenslage weit zurück hinter der Gesinnung. Der kranke gutgesinnte, besser ausgedrückt hochgesinnte Mensch wird in der Regel einen höheren Grad von Glückseligkeit (Freiheit) erreichen als der gesunde niedriggesinnte Mensch. Daß uns für gewöhnlich die Gesundheit wichtiger für den Stand unserer Glückseligkeit erscheint als die Gesinnung, rührt daher, daß wir uns wohl einen Wechsel unseres Gesundheitszustandes, nicht aber einen Wechsel unserer Gesinnung vorstellen können, und daß wir uns bewußt sind, unsere Gesundheit, nicht aber unsere Gesinnung gegen unsern Wille» verlieren zu können. Ein Kranker von niederer Gesinnung, dem man die Wahl stellt zwischen Gesundheit un^ der Gesinnung eines Spinoza, wird die Gesundheit wählen, weil er sich wohl eine Y'orstellung machen kjmn von der Steigerung seiner Glückseligkeit durch seine Gesundung, nicht aber von der Gesinnung und der Glückseligkeit eines Spinoza. Und einem gesunden Menschen von der Gesinnung eines Spinoza,
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dem die Aufgabe gestellt wird, die Folgen von Krankheit und niederer Gesinnung für seine Glückseligkeit abzuschätzen, tritt die Herabminderung der Glückseligkeit durch lebenslängliche Krankheit weit mehr vor Augen, als die durch eine niedere Gesinnung, von der er sich keine klare Vorstellung machen kann. Dabei kann kein Zweifel bestehen, daß ein kranker Mensch von der Gesinnung eines Spinoza glücklicher (freier) ist als ein gesunder Mensch von niederer Gesinnung. So wie mit Gesundheit und Krankheit verhält es sich auch mit der günstigen oder ungünstigen gesellschaftlichen Lebenslage. Es ist auch nicht gesagt, daß das Schick« sal ungerecht verfährt, wenn es den tapferen Krieger den Heldentod sterben und den feigen am Leben läßt, denn das Totsein ist kein Leiden, und das Glückseligkeitsgefühl, das immer Gegenwart ist, wird an und für sich nicht größer durch die Länge des Lebens. Die gute Gesinnung ist in den meisten Fällen wichtiger für die Glückseligkeit als die äußeren Güter des Lebens, über deren ungerechte Zuteilung durch das Schicksal man klagt. Dabei darf unter „guter" Gesinnung freilich nicht eine Gesinnung verstanden werden, die wir auch bei einem geistig rückständigen Menschen antreffen, der keinem Menschen etwas zu Leide tut, ja vielleicht instinktmäßig andern Menschen zu Willen ist, sondern unter guter (oder hoher) Gesinnung ist ein Geisteszustand zu verstehen, in dem der Mensch idealistisch, namentlich religiös fühlt, der daher ein gewisses Denkvermögen zur Grundlage hat. Die Ungerechtigkeit im Weltgeschehen, d. h. das Mißverhältnis zwischen dem Maß der guten Gesinnung und dem der Glückseligkeit .ist nicht so groß, als sie der gewöhnlichen Betrachtung erscheint, daß aber eine Ungerechtigkeit in diesem Sinne besteht, und zwa,r eine Ungerechtigkeit, die keineswegs allein auf Mängel in der Ordnung der menschlichen Gesellschaft beruht, müssen wir zugeben. Es ist aber zu betonen, daß diese Ungerechtigkeit darin zum Ausdruck kommt, daß gewisse glückliche und unglückliche Zufälle des Lebens vom Weltlauf wahllos gut- und schlechtgesinnten Menschen zugeteilt werden, nicht aber darin, daß geringere Glückseligkeit als Folge guter Gesinnung auftritt. Wenn der gutgesinnte Mensch die größere Glückseligkeit eines
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schlechtgesinnten Menschen für die Folge seiner schlechten Gesinnung hält, wird ihm seine gute Gesinnung als ein Hindernis für die Erreichung höherer Glückseligkeit erscheinen." Er vermag dieses Hindernis nicht hinweg zu räumen, denn er kann nicht gegen sein Gewissen handeln. Er handelt gut, weil für ihn die gute Handlung mit mehr Glückseligkeit (Freiheit) verbunden ist als die schlechte. Indem er gut handelt, erreicht er die für ihn als gutgesinnten Menschen mögliche größte Glückseligkeit. Aber diese für ihn mögliche größte Glückseligkeit hält er für eine geringere Glückseligkeit als diejenige, die der schlechtgesinnte Mensch erreicht, der auf dem Wege zur Glückseligkeit nicht mit der Stimme des Gewissens belastet ist. Wenn die größere Glückseligkeit eines schlechtgesinnten Menschen tatsächlich die Folge seiner schlechten Gesinnung wäre, so könnte der gutgesinnte Mensch mit Recht klagen über die Ungerechtigkeit des Weltgeschehens. Aber der gutgesinnte Mensch gibt sich einer Täuschung hin, wenn er meint, daß die schlechte Gesinnung größere Glückseligkeit verursachen könne als die gute. Der gutgesinnte Mensch erkennt, daß der Besitz von Reichtum, Gesundheit, äußeren Ehren seine Glückseligkeit erhöhen würde. Er sieht diese Dinge, die er entbehrt, bei andern Menschen als Folgen ihrer schlechten Gesinnung. Er hält diese Menschen, die das besitzen, was er entbehrt, für glücklicher als sich selbst. Darin liegt die Wurzel seiner Auffassung von der Ungerechtigkeit des Weltgeschehens. Der gutgesinnte Mensch denkt sich in den Besitz des Reichtums, der Gesundheit, der äußern Ehre, die er bei andern Menschen als Folgen ihrer schlechten Gesinnung sieht, er denkt sich aber nicht hinein in den Geisteszustand des schlechtgesinnten Merlsehen. Der über die Ungerechtigkeit des Weltgeschehens klagende' gutgesinnte Mensch stellt sich als Folge der schlechten Gesinnung nicht den durch den Besitz von Reichtum, Gesundheit, ä u ß e r n Ansehen erhöhten Glückseligkeitsstand des schlechtgesinnten Menschen vor, sondern er stellt sich den Glückseligkeitsstand vor, der eintreten würde, wenn seine eigene, auf guter Gesinnung beruhende Glückseligkeit durch den Besitz iener Dinge erhöht würde. Er bedenkt nicht, daß gleichsam der Grundstock der Glückseligkeit'bei dem schlechtgesinnten Menschen eine weit ge-
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ringere Höhe hat als bei ihm, dem gutgesinnten Menschen, daß daher eine- als Folge der schlechten Gesinnung eintretende Erhöhung diese Glückseligkeit noch nicht auf die Höhe derjenigen des gutgesinnten Menschen bringt. Der sehlechtgesinnte, der egoistisch denkende Mensch ist wie ein Mensch, dessen Blick in die Welt von einem Bretterzaun eingeengt ist. 'Man mag ihm alle Hilfsmittel der Optik in die Hand geben, sie werden ihm von Nutzen sein innerhalb seines Bretterzauns, ihn aber nicht befähigen, von der Welt so viel zu sehen wie der „gutgesinnte" Mensch, dessen Blick nicht durch den Bretterzaun des Egoismus eingeengt ist, sieht ohne jene optischen Hilfsmittel. Als Folge seiner guten Gesinnung kann wohl der Mensch Schaden leiden an dem Teil seiner Glückseligkeit, der in dem Besitz sogen, äußerer Güter des Lebens besteht, er kann aber niemals Schaden leiden' an dem Gesamtbestande seiner Glückseligkeit. Es ist auch gar nicht nötig, daß wir uns im einzelnen mit der Aufklärung solcher Fälle befassen, bei denen geringere Glückseligkeit die Folge guter Gesinnung zu sein scheint. Denn wenn in einem Falle der Nachweis erbracht wäre, daß die gute Gesinnung eines Menschen die Ursache einer Minderung' seiner Glückseligkeit sei, so würden wir entgegnen, die für ..gut" gehaltene Gesinnung sei in diesem Falle eben keine „gute" gewesen. Die „gute", die ethisch wertvollere Gesinnung ist immer die mit dem größeren Freiheitsgefühl verbundene Gesinnung. Die gute Gesinnung, namentlich die, welche sich auf das Verhalten zu andern Menschen bezieht, ist aber nicht unter allen Verhältnissen eine und dieselbe. Ein gutgesinnter Mensch, der in einer geordneten Gesellschaft lebt, wird nicht stehlen. Wird dieser Mensch aber gezwungen unter lauter unverbesserlichen Dieben zu leben, und bietet sich ihm kein anderes Mittel, den Bestand seiner Güter zu wahren, so wird er unter gewissen Umständen auch stehlen. Wenn er nicht stehlen würde und so in Not geriete und an seiner Glückseligkeit Schaden erlitte, so wäre nicht seine gute Gesinnung — seine Gesinnung wäre keine gute —, sondern seine verkehrte Weltansicht die Ursache seines Unglücks. Das was moralische Pflicht ist, läßt sich nicht durch starre Regeln ausdrücken, sondern es richtet sich nach der Art des Zusammenlebens der Menschen. Wenn
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das Befolgen von Moralvorschriften zu einer Minderung der Glückseligkeit führt, so sind jene Moralvorschriften eben nicht die rechten; sie mögen unter andern Verhältnissen recht gewesen sein. Das Weltgeschehen verfährt niemals „ungerecht" in dem Sinne, daß als Folge der rechten Moral, des rechten Idealismus ein Weniger an Glückseligkeit erscheint. Als Fqlge des rechten Idealismus (d. h. ursächlich verbunden mit ihm) tritt immer ein Mehr an Glückseligkeit zu Tage. Unsere bisherige Betrachtung hat zu der Feststellung geführt, daß im allgemeinen mit der besseren "(höheren) Gesinnung auch die größere Glückseligkeit verbunden ist, daß eine geringere Glückseligkeit niemals als Folge der guten Gesinnung auftritt, daß vielmehr die Ungerechtigkeiten des Weltgeschehens darauf beruhen, daß die glücklichen und unglücklichen Zufälligkeiten des Weltlaufs unterschiedslos auf gut.- und schlechtgesinnte Menschen verteilt sind. Nun kann man vom Standpunkte des Pessimismus diese unsere Feststellungen dahin bewerten, daß sie nichts ändern an dem Urteil über die Ungerechtigkeit des Weltlaufs. Ob dem gutgesinnten Menschen die geringere Glückseligkeit zuteil werde als Folge seiner Gesinnung oder durch den Zufall des Weltlaufs sei für die Frage nach der Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit des Weltgeschehens von nebensächlicher Bedeutung. Streng genommen könne auch gar kein Unterschied gemacht werden zwischen dem, was Folge der Gesinnung, und dem, was Zufall sei, denn im Grunde genommen sei auch die geringere Glückseligkeit des gutgesinnten Menschen, die uns als durch die Zufälligkeit des Weltlauf6 herbeigeführt erscheint, eine Folge seiner guten Gesinnung, weil eben die Gesamtheit aller späteren Geschehnisse die Folge der Gesamtheit aller früheren sei und somit wegen des Zusammenhangs aller gleichzeitigen Geschehnisse jedes einzelne der späteren Geschehnisse in gewissem Sinne als die Folge jedes einzelnen der früheren Geschehnisse angesehen werden müsse. — An und für sich müssen wir diese Ausführungen gelten lassen, aber wir bestreiten, daß sich aus ihnen die Berechtigung der pessimistischen Auffassung von der Ungerechtigkeit des Weltgeschehens ergibt. Ungerecht nennen wir das Weltgeschehen, insofern die
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Zuteilung der Glückseligkeit an die Menschen in einer Weise erfolgt, die das Gefühl des die Welt betrachtenden gutgesinnten Menschen verletzt. Gütgesinnt ist ein Mensch, wenn er idealistisch fühlt, wenn er mitfühlt mit der Außenwelt, in erster Linie mit den andern Menschen: Der Pessimist ist nun der Meinung, der gutgesinnte Mensch müsse sich verletzt fühlen, wenn er sieht, daß häufig den gutgesinnten Menschen niedere, den schlechtgesinnten Menschen höhere Grade von Glückseligkeit.zu teil werden. Die Klage über die Ungerechtigkeit der Welt richtet sich nicht gegen das Maß der Glückseligkeit, das in der Menschheit vorhanden ist, sondern gegen die Verteilung dieser Glückseligkeit unter die gut- und schlechtgesinnten Menschen. Wären die Summen von Glück und Unglück, die in der Welt sind, nur richtig verteilt, das Glück (die höheren Grade der Glück«eligkeit) an -die Gutgesinnten, das Unglück (die niederen Grade der Glückseligkeit) an die Schlechtgesinnten, so wäre der Vorwurf der Ungerechtigkeit gegenüber dem Weltgeschehen nicht berechtigt, es würde der gutgesinnte Mensch sich in seiner Glückseligkeit nicht verletzt fühlen bei der Betrachtung des Weltgeschehens. So ist die gegnerische Auffassung; wir bestreiten ihre Berechtigung. Für den idealistisch fühlenden Menschen ist — wir nehmen an, daß sein Mitgefühl mit der Außenwelt ein vollkommenes ist — jedes Lustgefühl in der Außenwelt Lust, und jedes Unlustgefühl Unlust. Je größer die Glückseligkeit in der Außenwelt ist, desto größer ist auch die Glückseligkeit des idealistisch fühlenden Menschen. Woher die Glückseligkeit in der Außenwelt stammt, ob sie durch gute oder durch schlechte Gesinnung hervorgebracht ist. das ist für den mitfühlenden Menschen an und für sich ohne Bedeutung. Das Mitfühlen der von einem schlechtgesinnten Menschen gefühlten Lust ist ebensowohl Lust, wie das Mitfühlen der Lust eines gutgesinnten Menschen. An und für sich besteht der größere oder geringere Wert des Daseins nicht in der größeren oder geringeren guten Gesinnung, sondern in dem größeren oder geringeren Freiheitsgefühl. Nicht um gute Gesinnung zu betätigen, sondern um sich glücklich (frei) zu fühlen, sind die Menschen auf der Welt. Je glückseliger sich andere Menschen fühlen, desto glückseliger bin ich auch
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bei meinem Mitgefühl mit diesen Menschen. Ob die sich glücklich fühlenden Menschen gut- oder schlechtgesinnt sind, ist dabei gleichgültig. Die Lust des schlechtgesinnten Menschen kann auch nicht bei mir Unlust in Form von Neid hervorrufen. Denn Neid kann doch nur entstehen, wenn ich meine eigene gute Gesinnung als eine Last ansehe, die ich trage in der Erwartung einer Belohnung. In diesem Falle könnte ich den schlechtgesinnten Menschen um seine Glückseligkeit beneiden, könnte ich es ungerecht finden, daß vom Weltlauf dem schlechtgesinnten Menschen der Lohn der Glückseligkeit ohne die Last der guten Gesinnung, die ich zu tragen habe, zugeteilt wird. Aber meine gute Gesinnung hat doch ihren Lohn in sich, sie ist für mich keine Last, sondern freier Wille. Bei dem idealistisch fühlenden Menschen kann bei richtiger Überlegung ein Unlustgefühl in der angeführten Weise gar nicht aufkommen, wenn er sieht, daß die Glückseligkeit nicht nach dem Maße der guten Gesinnung verteilt ist. Für den idealistisch fühlenden Menschen kommt bei richtiger Überlegung nur in Betracht, daß möglichst viel Glückseligkeit in der Menschheit angetroffen wird; die Verteilung der Glückseligkeit unter gut- und schlechtgesinnten Menschen ist für ihn an und für sich gleichgültig. Man wird einwenden, die Verteilung der Glückseligkeit sei insofern von Bedeutung für den mitfühlenden Menschen als das Unglück des Schlechtgesinnten als Vergeltung für seine schlechte Gesinnung betrachtet werden könne und dann für den mitfühlenden Menschen geringere Unlust sei als das Unglück, das den Gutgesinnten unverschuldet trifft. Die hier ausgeführte Unterscheidung von verschuldetem und unverschuldetem Unglück kann jedoch vor einer philosophischen Prüfung nicht bestehen. Wir brauchen uns nicht auf eine philosophische Untersuchung der Begriffe „Strafe" und „Schuld" einzulassen, es ist auf jeden Fall klar, daß das Unglück des schlechtgesinnten Menschen, sogar wenn es eine unmittelbare Folge seiner schlechten Gesinnung ist, im Grunde genommen ebenso „unverschuldet" ist, wie das Unglück, das den gutgesinnten Menschen durch die Zufälligkeit des Weltlaufs trifft. Denn der schlechtgesinnte Mensch kann nichts anderes wollen als seiner Natur entspricht, seine Natur aber
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ist nicht von ihm selbst verursacht, sondern durch den Weltzusammenhang bestimmt. Das Unglück des schlechtgesinnten Menschen verdient ebensowohl unser Mitleid wie das Unglück des gutgesinnten Menschen. Es kommt für den idealistisch fühlenden Menschen bei richtiger Überlegung lediglich auf die Summe der Glückseligkeit an, die er außer sich vorfindet, nicht darauf, ob er die Glückseligkeit bei gutoder bei schlechtgesinnten Menschen antrifft. Daß die Glückseligkeit unter den Menschen nicht immer verteilt ist nach dem Maße ihrer guten Gesinnung, ist keine Ungerechtigkeit, ist kein Umstand, der das Gefühl des gutgesinnten Menschen verletzt. Verletzt es aber nicht das Gefühl des gutgesinnten Menschen schon, wenn er sieht, daß es in der Welt neben vielem Glück so vißl Unglück, so viel unverschuldetes Unglück gibt? Ist das Weltgeschehen nicht in dieser Weise ungerecht? Daß die Welt im einzelnen voller Verkehrtheiten und Ungerechtigkeiten, voller Fälle ist, die für sich allein betrachtet das Gefühl des gutgesinnten Menschen verletzen, ist zweifellos. Wie befreien wir uns vom Drucke dieser Erkenntnis? Durch die tiefere Erkenntnis, daß die Fälle eines „ungerechten", „verkehrten" Weltgeschehens notwendige Bestandteile des Weltganzen sind.. Die Vielheit der Weltereignisse in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bildet ein untrennbares Ganzes; im Zusammenhange der Dinge und Ereignisse ist das „Schlechte" in der Welt notwendig für den Bestand des „Guten", die „ungerechten" Fälle des Weltgeschehens sind notwendig für die Entstehung der „gerechten". Die Welt erreicht niemals das Ziel der Entwicklung, betrachten wir aber einmal einen sehr fernen Zustand der Welt, in der die Summe der Glückseligkeit sehr viel größer ist als in der gegenwärtigen Weilt, als das Ziel des Weltgeschehens, so bewegt sich das Weltgeschehen, das wir erleben, mit allen seinen scheinbaren Verkehrtheiten und Ungerechtigkeiten auf dem geradesten Wege zu diesem Ziele. Es bewegt sich als Ganzes auf dem Wege ßtändiger Lust, ständiger Zunahme der Glückseligkeit zu diesem Ziele. Würde eine Hand von außen in das Weltgetriebe eingreifen und die scheinbaren Verkehrtheiten und Ungerechtigkeiten zu beseitigen suchen, so würde das Weltgeschehen von dem geraden Wege zum Ziele abgedrängt Kröger,
Die Philosophie des reiner. Idealismus.
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werden. Nun ist aber zweifellos das Weltgeschehen „gerecht", das sich auf dem geraden Wege zu seinem Ziele, der großen Glückseligkeit der Welt, bewegt; ungerecht wäre ein Weltgeschehen, das Umwege einschlägt, das länger als nötig die Welt in dem Zustande der geringeren Glückselige keit erhält. . Ob das Weltgeschehen außer, mir gerecht oder ungerecht verfährt, ob außer mir die guten oder die schlechten Menschen glücklicher sind, das bleibt ohne Einfluß auf die Richtung meiner eigenen Gesinnung. Ich weiß, das Wesen der Welt ist so beschaffen, daß für mich, wie für jedes andere wollende Ich, der Weg zur höheren Freiheit immer in der Richtung der höheren Gesinnung liegt. Ob ich, indem ich das Höhere erstrebe, größere Freiheit erreiche als' ein Mensch draußen in der Welt, der niederen Trieben folgt, das mag zweifelhaft sein, das kann mich aber auch nicht schwankend machen in der Erkenntnis, daß für mich, wie für jeden andern, der Wille zum Höheren der richtigo ist. Denn es handelt sich für mich nicht darum, daß ich eine Glückselig-keit erreiche, die größer ist als eine außer mir beobachtete, sondern es handelt sich allein darum, daß ich die größte für mich mögliche Glückseligkeit erlange. Die Erkenntnis der Ungerechtigkeit des Weltgeschehens könnte also meine idealistische Gesinnung nicht umstoßen, sondern nur im allgemeinen meine Glückseligkeit herabmindern. Das Weltgeschehen aber verfährt, wie wir gesehen haben, gar nicht ungerecht. Es ist in jedem Augenblick bestrebt, die Welt auf dem kürzesten Wege zu größerer Freiheit zu führen. Anderes kann aber auch der auf Gerechtigkeit sehende gutgesinnte Mensch vom Weltgeschehen nicht fordern. Wollte er etwa von einem gerechten Weltgeschehen verlangen, daß es ein nicht mehr zu vergrößernder Grad von Glückseligkeit (Freiheit) sei, so wäre eine solche Forderung ebenso sinnlos, wie die nach einem Raum, jenseits dessen Grenze es keinen Raum gibt. Würde der gutgesinnte Mensch, der über die Ungerechtigkeit der Welt klagt, als Leiter des Weltgeschehens bestellt, so würde er — ihm müßte natürlich mit seinem Amte auch die nötige Einsicht in das Weltgetriebe zuteil geworden sein — den Weltlauf sich gerade so abwickeln lassen, wie er sich tatsächlich abwickelt, weil es
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eben keinen geraderen, keinen „gerechteren" Weg zu höherer Glückseligkeit gibt als den, den das Weltgeschehen tatsächlich -geht. Der Gedanke, auf den wir Bezug genommen haben, daß jeder einzelne Teil der Welt und des Weltgeschehens notwendig ist für das Bestehen des Ganzen, daß also die Existenz des Unangenehmen notwendig ist für die Existenz des Angenehmen, wird, freilich von vielen Menschen, die seine Wahrheit nicht bestreiten, für ungeeignet erklärt, den Mensehen über die Widrigkeiten des Lebens hinweg zu helfen. Man pflegt gegen den Gebrauch dieses Gedankens als Stütze des Optimismus einzuwenden, daß ein von Krankheit gepeinigter Mensch sich darum nicht weniger krank fühlen wenn er erkennt, daß seine Krankheit eine notwendige Begleiterscheinung des Guten und Schönen ist, das der Weltlauf (in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft) aufweist. Aber dieser Einwand haftet doch ziemlich an der Oberfläche der Sache. Gewiß wird; körperlicher Schmerz als solcher nicht verändert durch die Erkenntnis, daß er ein notwendiges Glied eines Systeme von Erscheinungen ist, in denen das Angenehme überwiegt. Aber die schließliche Bedeutung dieses Schmerzes für das Freiheitsgefühl, auf die es doch ankommt, wird zweifellos berührt durch jene Erkenntnis, sobald diese nicht nur ein rein theoretisches Fürwahrhalten, ein bloßes Fürwahrhalten einer Wortformel ist. So ist es nicht nur bei physischen, sondern auch bei seelischen Schmerzen. Menschen, denen die Erkenntnis, daß das Gute und Schlechte in der Welt ein untrennbares Ganzes bilden, keine Erleichterung verschafft vom Drucke des Übels, haben jene Erkenntnis nur äußerlich erfaßt, sie ist nicht Bestandteil einer ihr Denken und Wollen durchtränkenden Lebensanschauung, nicht Bestandteil ihrer Religion geworden. Für den religiös fühlenden Menschen ist das Weltgeschehen eine Einheit, aus der nicht einzelne Teile herausgenommen und als gute oder schlechte, gerechte oder ungerechte Dinge und Vorgänge einander gegenübergestellt werden können; für ihn ist das Weltgeschehen eine unbegreifliche Einheit, in der nur der Wille zum Guten, Höheren herrscht, in der ständig „Gerechtigkeit" besteht. Die pessimistische Klage über die Ungerechtigkeit des Weltgeschehens ist für den religiös fühlen-
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den Menschen geradezu sinnlos, denn religiös fühlen und überzeugt sein, daß alles Einzelgeschehen eingeordnet ist in eine unbegreifliche zum Höheren strebende Einheit des Weltgeschehens ist ein und dasselbe. II. Der idealistische Optimismus lehrt, daß der Mensch auch unter den ungünstigsten äußeren Verhältnissen sich frei fühlen kann. Der Mensch mit der rechten idealistischen Gesinnung wird das Elend seines persönlichen Schicksals überwinden durch das Glücksgefühl, das seine idealistischen, namentlich seine religiösen Gedanken ihm gewähren. Hält man uns Fälle vor, wo eine solche Überwindung und damit ein glückseliges Leben unmöglich erscheint, so kann dadurch der Grundsatz des idealistischen Optimismus nicht umgestoßen werden. Der Mensch mit der rechten idealistischen Gesinnung wird eben fröhlich sterben, wenn e6 ihm unmöglich sein sollte, fröhlich zu leben. Das Frohsein (die Freiheit) der Seele, die Glückseligkeit ist immer Gegenwart, sie wird nicht größer, indem sie sich ausdehnt zur Länge des Lebensweges; die Glückseligkeit des vor dem Tode stehenden Menschen braucht nicht geringer zu sein als die Glückseligkeit des weiter lebenden. Nicht, daß der, Mensch unter allen Umständen imstande ist, ein glückseliges Leben zu führen, behauptet der idealistische Optimismus; er behauptet nur, daß der Mensch mit der rechten idealistischen Gesinnung sich in allen Fällen frei, glückselig (glückseliger als der egoistisch gesinnte Mensch in gesicherten Lebensverhältnissen) fühlen wird, mag diese Glückseligkeit nun mit dem Gedanken des Lebenwollens oder dem des Sterbenwollens verknüpft sein. An der grundsätzlichen Wahrheit des idealistischen Optimismus wird also nichts geändert durch den Umstand, daß die Widrigkeiten des Weltlaufs auch dem idealistisch gesinnten Menschen das Leben unmöglich machen können. Es wird auch nichts daran geändert durch die Erwägung, daß bei allzu widrigem Geschick, z. B. wenn die geistigen und körperlichen Kräfte von Jugend an restlos zur Befriedigung der Lebensnotdurft verwandt werden müssen, der Mensch gar nicht zu einem idealistischen Gefühlsleben gelangen kann. Wir (der Verfasser und der
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Leser dieses Buches) haben die Fähigkeit idealistisch zu fühlen, es geht uns hier nichts an, welche äußeren Verhältnisse nötig waren, damit wir zu dieser Fähigkeit kamen, sondern wir haben zu untersuchen, welche Bedeutung diese unsere einmal vorhandene Fähigkeit für unser Streben nach Glückseligkeit hat. Die Erkenntnis, daß der Mensch bei rechter idealistischer Gesinnung auch unter den ungünstigsten äußern Umständen seine Glückseligkeit bewahren kann, sagt nicht aus, daß es dem Menschen, der sie für wahr hält, bei allen Widrigkeiten des Weltlaufs gelingen wird, den Stand seiner Glückseligkeit zu erhalten, sondern diese Erkenntnis sagt aus, daß der Mensch am besten fährt, wenn er der Widrigkeit des Weltlaufs den festen Willen entgegen- 1 setzt, sich die innere Freiheit nicht rauben zu lassen. Es widerspricht daher nicht dem idealistischen Optimismus, wenn wir anerkennen, daß auch der idealistisch fühlende Mensch in günstigen äußern Lebensverhältnissen glücklicher ist als in ungünstigen, und daß ein gewisses Maß äußerer Lebensannehmlichkeit sogar notwendig ist zur Führung eines im höheren Grade glückseligen Lebens. Die Widrigkeiten des Weltlaufs, die der Glückseligkeit des Menschen entgegenstehen, entspringen aber zum größeren Teil nicht der außermenschlichen Welt, sondern andern Menschen. Die Auffassung der Pessimisten, daß die Welt ein Jammertal sei, müßte, wenn man sie überhaupt gelten lassen wollte, richtig ausgedrückt heißen: „Die Menschen machen sich die Welt zum Jammertal." Nicht im Wesen des Seins liegt es, daß der Glückseligkeit des einzelnen Menschen so viel entgegensteht, sondern es ist begründet in der gegenwärtig noch auf sehr niederer Stufe stehenden Natur der großen Mehrheit der Menschen. Lassen wir unkultivierte Völker ganz außer Betracht, richten wir unser Augenmerk nur auf die hochkultivierten. Liegt es etwa im Wesen des Seins begründet, daß es Menschen gibt, die ihr ganzes Streben verwenden müssen zur Befriedigung ihrer Notdurft an . Nahrung, Kleidung und Wohnung, so daß ein höheres geistiges Leben für sie ausgeschlossen ist? Sollte die Kulturmenschheit, die der ganzen Erdoberfläche den Stempel ihrer Macht und ihres Könnens aufdrückt, die die Größe ihrer technischen Fähigkeit gegenüber früheren Zeiten ver-
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tausendfacht' hat, nicht imstande 6ein, ihre Glieder vor der Sorge um des Lebens Notdurft zu schützen? Hätten die Menschen die rechte idealistische Gesinnung, so würde keinem die Befriedigung der Notdurft des Lebens schwer fallen. Es kann kein Zweifel bestehen, das Übel, von dem wir hier reden, hat seine Ursache nicht im Wesen des Seins, sondern in der Natur der Menschen. Man komme nicht mit dem Einwand, daß die Vermehrung der Menschen stärker fortschreite als die Fähigkeit zur Beschaffung von .Nahrungsmitteln, daß daher letzten Endes im Entwicklungsgange des Menschengeschlechts die Sorge um des Lebens Notdurft bestehen bleibe. Von anderm abgesehen "ist dieser Einwand schon allein darum hinfällig, weil der Grad der Vermehrung des Menschengeschlechts doch nicht im Wesen des Seins, sondern im menschlichen Wollen begründet ist. Liegt die Sorge des sterbenden Familienvaters, dessen Schützlinge nach seinem Tode hilfsbedürftig unter egoistisch gesinnten Menschen leben müssen, im Wesen des Seins b&gründet ? , Ist die Minderung der Glückseligkeit, die der idealistisch gesinnte Mensch erfährt durch Falschheit, Eitelkeit und andere auf Egoismus beruhende Untugenden seiner Mitmenschen, begründet im Wesen des Seins? Lebten wir statt unter zur Hauptsache egoistisch denkenden Menschen unter solchen von idealistischer Gesinnung, so würde — unsere eigene idealistische Gesinnung vorausgesetzt — die Widrigkeit der Welt, über die die Pessimisten klagen, für uns zum größeren Teil beseitigt sein. Wenn wir uns das Dasein der Menschen vergegenwärtigen, die vor fünftausend Jahren an der Stelle, wo jetzt Berlin steht, kärglich ihr Leben fristeten, so scheinen diese Menschen berechtigt, über die Schlechtigkeit der Welt zu klagen. Die Welt, in die sie gestellt sind, scheint eine solche zu sein, in der es unmöglich ist, glückselig zu leben, auch wenn unter Glückseligkeit nur die Befriedigung einfacher Lebensbedürfnisse verstanden wird. Denken wir uns aber jene Menschen versetzt in die Zivilisation des heutigen Berlin, so erkennen wir, daß es sich an dieser Stelle der Erde doch gut leben läßt, daß die Klage über die Schlechtigkeit der außermenschlichen Welt unberechtigt war. Denn an der Welt hat sich nichts geändert; Luft, Wasser und Boden haben dieselbe Beschaffen-
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heit wie vor fünftausend Jahren, Sommer und Winter, Hitze und- Kälte, Sturm und Regen treten gerade so in Erscheinung wie früher. Geändert hat sich nur die Beschaffenheit des Menschen, sein Wissen und Können. Nicht die Schlechtigkeit der Welt war schuld an der geringen Glückseligkeit jener früheren Menschen, sondern ihre eigene Unvollkommenheit. Wie nicht die schlechte Beschaffenheit der Welt, sondern der Mangel an Zivilisation die Ursache ist, daß die Menschen vergangener Zeitalter nicht das Maß von egoistischer Glückseligkeit erreichten, das gegenwärtig im allgemeinen den Kulturmenschen zuteil wird, so ist auch nicht die schlechte Beschaffenheit der Welt, sondern der Mangel an Kultur, an Fähigkeit idealistisch zu denken und zu fühlen die Ursache, d a ß die gegenwärtigen Menschen - auch die einzelnen Menschen, die höhere idealistische Gesinnung besitzen — einen geringeren Grad von Glückseligkeit erreichen als unter andern Umständen erreichbar gewesen wäre. Die durchschnittliche Kultur (ethische Vollkommenheit) der gegenwärtigen Menschen — wir sprechen nur von den hochkultivierten Völkern — steht ebenso weit zurück hinter der Kultur einzelner hochstehender Menschen, wie die Zivilisation der an den Ufern der Spree vor fünftausend Jahren lebenden Jäger und Fischer zurücksteht hinter der Zivilisation der heutigen Bewohner Berlins. Und daher steht die Glückseligkeit, die die Menschen gegenwärtig im Durchschnitt erreichen, ebenso weit zurück hinter der Glückseligkeit, die nach der Beschaffenheit der außermenschlichen Welt möglich ist, wie die Lebensannehmlichkeit, die sich jene Fischer und Jäger verschaffen konnten, zurückbleibt hinter den egoistischen Lebensgenüssen, die das heutige Berlin bietet. (Unter „heute" ist hier die Blütezeit Berlins vor dem Kriege zu verstehen.) Wie die Angehörigen wilder Völkerschaften kein Urteil haben über die für das Menschengeschlecht bestehende Möglichkeit der Erringung sinnlicher Lebensgenüsse, so hat auch der auf der Höhe der Zivilisation lebende Durchschnittsmensch kein Urteil über die Steigerung der menschlichen Glückseligkeit, die eintreten würde, wenn alle oder aüch nur die Mehrheit der Menschen mit ihrem idealistischen Denken auf die Stufe gehoben würden, die bisher nur eine geringe Zahl erreicht hat, denn dieser
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Durchschnittsmensch der Zivilisation ist in bezug auf Kultur verglichen mit einzelnen hochstehenden Menschen noch ein Halb- oder Dreiviertelwilder. Sehen wir uns doch die Menschen an, wie wir sie täglich vor Augen haben. Eine große Anzahl von Menschen ist der Ansicht, daß die Welt um des Menschen willen da sei, und daß das Weltgeschehen darauf hinauslaufe, daß in einem „Jenseits" ein kleiner Teil der Menschheit in ewiger Seligkeit, der andere größere Teil in ewiger Verdammnis lebe. Wie weit ist eine solche Weltanschauung von Religion entfernt! Religiöses Gefühl aber bildet die Grundlage aller höheren Glückseligkeit. Wie gering ist die Zahl der Menschen, die höheren idealistischen Genüssen zugänglich sind. Die große Mehrheit erschöpft ihr Leben in dem Streben nach sinnlichen Genüssen, nach Sicherstellung ihrer Familie, nach Geldverdienen, nach Schein vor den Leuten oder in den egoistischen Genüssen ihres Berufslebens. Kleinlich, unaufrichtig, neidisch, ruhmsüchtig, religionslos sind die meisten Menschen — ohne daß sie es selber wissen —, mögen sie nun in den Niederungen oder auf den Höhen der menschlichen Gesellschaft ihr Leben vollbringen. Ein besonders in die Augen fallendes Zeugnis über ihre Kulturhöjie haben die Menschen durch den Weltkrieg, den wir erlebt haben, gegeben. Man denke, Staaten, die in einem Überfluß an materiellen Gütern leben, die sich auch nicht im Wege stehen in dem Streben nach idealistischen Genüssen, verwenden fortdauernd' einen erheblichen Teil ihrer gesamten geistigen und körperlichen Arbeitskraft auf Kriegerüstung, fallen schließlich wie wilde Tiere übereinander her, so daß Millionen Menschen getötet und Millionen in Not und Elend versetzt werden! Und nun höre man noch wie die Menschen ihre eigene Unschuld, und die Schuld anderer am Kriege darlegen, man höre, wie sie reden über die ethische Minderwertigkeit der Gegner und über ihre' eigene Vortrefflichkeit! Dann hat man ein eindrucksvolles Bild von der geringen Höhe der ethischen Bildung, die die gegenwärtigen Kulturmenschen besitzen, und man hat auch den Beweis, daß die Mehrheit der Führer, auch der Führer, deren Ruhm die Gegenwart erfüllt, an ethischer Bildung die breite Masse nicht nennenswert überragt*). 1) Kriegsrüstungen und Kriege deuten zweifellos auf einen Mangel
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Wenn alle oder auch nur die Mehrheit der Meiischen mit ihrem idealistischen Denken auf die' Stufe gehoben würden, auf der gegenwärtig erst eine geringe Anzahl steht, so würde es sich auf unserer Erde in bezug auf äußere vLebensbequemlichkeit wie in einem Paradiese leben, und damit wären viele Widerwärtigkeiten des Weltgeschehens, die gegenwärtig die Glückseligkeit des Menschen auch bei hoher idealistischer Gesinnung bedrücken, hinweg geräumt. Es mag viele Tausende Jahre dauern bis diese Entwicklungshöhe von der Kulturmenschheit erreicht ist — wenn sie auf unserm Planeten überhaupt erreicht wird —, und so lange der idealistisch denkende Mensch unter Menschen lebt, die der Mehrheit nach, was Weltanschauungsdenken anbelangt, Dummköpfe und daher ihrer Gesinnung nach Egoisten sind, muß er die hieraus sich ergebenden Einbußen an seiner Glückseligkeit in Kauf nehmen wie die von der außermenschlichen Welt herrührenden. Es ist aber doch für unsere Glückseligkeit nicht ohne Eindruck, wenn wir erkennen, daß die Übel, mit denen wir zu tun haben, nicht in der allgemeinen Weltkonstruktion, sondern in dem niederen Entwicklungsstadium von Menschen begründet sind, und daher Aussicht vorhanden ist, daß sie in der Zukunft aus der Welt allmählich verschwinden werden. Daß sie bei fortschreitender Entwicklung der Menschheit verschwinden, ist anzunehmen, denn es ist nicht einzusehen, warum nicht die Weltentwicklung einige Hunderte Millionen Menschen mit der ari Kultur. Der ewige Friede aber ist an und für 6ich noch kein sichere» Zeichen größerer ethischer Vollkommenheit, denn der Krieg kann auch bei der Fortdauer der gegenwärtigen niedrigen Denkweise aus dem Zusammenleben der Menschen verschwinden. Es ist sogar wahrscheinlich, daß früher oder später ewiger Friede auch dann eintreten wird, wenn sich an der ethischen Reife der Menschen nichts ändern sollte, weil der Fortschritt ' v der Kriegstechnik schließlich zu einem Zustande führt, in dem ein Krieg auch vom Standpunkt der egoistischen Interessen der einzelnen Staaten unsinnig ist. Krieg und Kriegsrüstung sind etwas Kulturwidriges, aber immerhin wohnt der Entwicklungsstufe des Menschengeschlechts, wo man denkt Kein schönrer Tod ist auf der Welt, Als wer vorm Feind erschlagen, doch ein gewisses Maß von Idealismus inne, und es ist der Fall denkbar, daß in einer Menschheit, in der ewiger Friede besteht, nicht ein Mehr, sondern ein Weniger an Idealismus zu finden ist.
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Zweiter
Abschnitt:
Über Ethik und Religion.
Denkfähigkeit und der Gesinnung etwa eines Spinoza schaffen sollte, da sie doch eine kleine Zahl solcher Menschen hervorgebracht hat. Man mag einwenden, Menscher, wie Spinoza seien für die gewöhnlichen Aufgaben des Lebens, deren Erfüllung doch auch notwendig sei für die Existenz des Menschengeschlechts, ungeeignet, und daher könne eine menschliche Gesellschaft, deren Mehrheit aus Menschen, wie Spinoza bestehe, nicht existieren. Darauf ist zu erwidern, daß kein Grund erkennbar ist, warum Menschen mit der Denkfähigkeit und Gesinnung eines Spinoza notwendig im wirtschaftlichen Leben unbrauchbar sein müssen. Der Name Spinoza dient hier als Bezeichnung für einen Menschen mit hoher philosophischer Erkenntnis und hoher idealistischer Gesinnung, es kommt uns nicht auf die Persönlichkeit des geschichtlichen Spinoza an, ob sie geeignet oder ungeeignet war für das wirtschaftliche Berufsleben; wir verlangen auch nicht eine philosophische Forschertätigkeit wie die Spinozas von der Mehrheit der menschlichen Gesellschaft; wir verlangen nicht die Fähigkeit, eine idealistische Weltanschuung zu erdenken, sondern nur die Fähigkeit, eine von andern Menschen erdachte sich anzueignen — wozu allerdings mehr gehört als ein bloßes theoretisches Verstehen. Unter diesen Umständen besteht kein Grund für die Auffassung, daß das idealistische Denken eines Spinoza und die Fähigkeit, im praktischen Berufsleben etwas zu leisten, unvereinbar seien. Vielfach ist man zwar der Ansicht, tiefere philosophische Bildung sei unvereinbar mit hoher Tatkraft, die Ausbreitung philosophischer Bildung in der Menschheit bringe die tatkräftigen Charaktere zum Verschwinden, diese aber seien es, die das Menschengeschlecht vorwärts brächten. Darauf ist zu entgegnen, daß die r e c h t e philosophische Bildung die Tatkraft nicht herabdrückt. Eine Gesellschaft von Spinozas braucht für die Aufgaben des gewöhnlichen Lebens in keiner Weise schlechter gerüstet zu sein als die heutige menschliche Gesellschaft, es braucht ihr weder an Geschicklichkeit, noch an Tatkraft zur Lösung dieser Aufgaben zu fehlen. Die Meinung, daß sich die heutige Kulturmenschheit durch Belehrung der einzelnen Menschen im Laufe einiger Geschlechtsfolgen in eine Gesellschaft von Menschen verwandeln ließe, deren Mehr-
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heit auf der Stufe Spinozas steht, ist gewiß nicht gerechtfertigt. Aber ebenso muß die Auffassung abgewiesen wer den, daß für einen solchen Fortschritt ein ungefähr ebenso langer Zeitraum angenommen werden müsse wie für die Entwicklung des heutigen Menschen aus einem affenähnlichen Tier. Abgesehen davon, daß die Entwicklungsstufe zwischen einem Durchschnittsmenschen der höchstkultivierten Völker und einem Spinoza doch wohl kleiner ist als die zwischen Affe und Durchschnittsmensch, stehen dem menschlichen Fortschritt auch andere Wege zur Verfügung als dem tierischen. Die Vermehrung der Eigenschaft eines einzelnen Tieres, das sich besonders auszeichnet, d. h. die Übertragung dieser Eigenschaft auf eine Mehrzahl von Individuen, kann zur Hauptsache nur durch Vererbung bei der geschlechtlichen Fortpflanzung erfolgen. Die menschliche Entwicklung aber schreitet auf einem gangbareren Wege, indem bei der Vermehrung der guten Eigenschaften nicht die Vererbung, sondern die Übertragung mittels der Sprache die Hauptrolle spielt. Ein Spinoza kann nur eine kleine Zahl Kinder erzeugen; tau6ende Menschen aber können die Schriften eines Spinoza lesen und dadurch von seinem Geisteszustände weit mehr übernehmen als wenn sie leibliche Kinder des Spinoza wären. So besteht die Aussicht, daß die Kulturmenschheit mit schnelleren Schritten dem von uns gekennzeichneten paradiesischen Zustande zustrebt, als wir sie bei der Entwicklung der Tiergeschlechter und der niederen Menschenrassen beobachten. Freilich, ungewiß ist die Zeitlänge bis zu diesem Entwicklungszustand, ungewiß ist auch, ob gerade die Menschheit hier auf unserm Planeten ihn erreicht Ein Zeichen geringer Denkfähigkeit aber wäre es, zu zweifeln, daß überhaupt die Entwicklung der Lebewesen in der Welt solchem Zustande entgegen geht. Sie geht noch viel größerer Vollkommenheit entgegen. Man denke sich den Entwicklungsschritt vom sogen, leblosen Stoff zum denkenden Geist eines Spinoza über diesen hinaus in gleicher Größe fortgesetzt! Und warum sollte die Weltentwicklung den zweiten Schritt nicht tun, nachdem sie den ersten gemacht h a t ! Für den Himmel der Theologen bedarf es nicht eines „außerhalb der Welt" befindlichen Ortes, er ist auch in der Welt, die wir erleben, möglich. Er wird auch sicher
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Zweiter
Abschnitt:
Uber Ethik und Religion.
kommen; ja, irgendwo in dem weiten Raum des Alls wird er schon jetzt vorhanden sein. Freilich ein Himmel, wo sich die Dinge gar nicht mehr stoßen, wo gar keine Gegensätzlichkeit des Seins besteht, wo die Freiheit (Glückseligkeit) einen nicht mehr zu vergrößernden Grad erreicht hat, wird es nicht sein. Ein solcher ist aber auch der Himmel der Theologen nicht, weil' ein Sein der hier gekennzeichneten Art undenkbar, und daher die Behauptung seiner Existenz ein bloßes Gerede von Worten ist. Der Himmel der Mensehheitsentwicklung liegt nicht außerhalb der Welt, vielleicht nicht einmal außerhalb der Welt unseres Planeten, aber er liegt unermeßlich weit außerhalb unseres persönlichen •Lebens. Wir leben nicht im Himmel der Menscheitsentwicklung, nicht in einer menschlichen Gesellschaft, deren Glieder so hoch über den Geisteszustand eines Spinoza stehen, wie dieser erhaben ist über die Natur des Feldsteins. Wir leben nicht einmal in einer Gesellschaft, wo alle Menschen die Entwicklungshöhe eines Spinoza erreicht haben; auch ein solcher bescheidener ausgestattete Himmel der Menschheitsentwicklung liegt noch weit außerhalb unseres Erlebens. Wir leben in einer Zeit und an einem Ort, wo sich die Menschen das Leben schwer machen. Den Himmel, den Zustand, wo e6 dem Menschen leicht gemacht ist, sich glückselig zu* fühlen, müssen wir entbehren. Wir werden daher auch kaum die himmlische Glückseligkeit erreichen können — es müßte denn schon unser religiöses Gefühl von außerordentlicher Stärke sein. Aber wir können uns doch einen sehr hohen Grad von Glückseligkeit aneignen, indem wir unsere eigene idealistische, namentlich unsere religiöse Gesinnung vervollkommnen. Mögen wir auch die Ursache unserer Unfreiheit in der niederen Gesinnung anderer Menschen erkennen, die eigentliche Schuld, d. h. den Punkt, an dem das Streben nach Verbesserung unserer Lage einzusetzen hat, haben wir doch immer in uns selbst zu suchen, nämlich in einem Mangel an idealistischem Gefühl. Wäre unsere idealistische Gesinnung vollkommen, so brauchten wir nicht einen „Himmel" zur Erlangung höchster Glückseligkeit, sie würde uns auch zuteil inmitten unserer gegenwärtigen Umwelt.
11. K a p i t e l : Der Weg zur Glückseligkeit.
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11. Kapitel.
Der Weg zur Glückseligkeit. In-dem Mitfühlen mit einem Sein außerhalb des (empirischen) Ichs haben wir die Richtung unseres Denkens erkannt, die zu den höheren Graden der Glückseligkeit führt. Das Mitgefühl kann als Mitfreude oder als Mitleid in Erscheinung treten. Mitfreude ist Mitgefühl mit einem Lust fühlenden Dinge, Mitleid ist Mitgefühl mit einem Unlust fühlenden Dinge. Es ist im gegenwärtigen Menschengeschlecht das Mitleid viel verbreiteter als die Mitfreude. Bekannt ist der Spruch: „Zum Mitleid, gehört nur ein Mensch, zur Mitfreude ein Engel" (Jean Paul). Abgesehen von den Fällen, wo das Mitleid gar kein eigentliches Mitleiden, gar kein Unlustgefühl ist, sondern ein Lustgefühl, nämlich das Gefühl, sich in besserer Lage zu befinden als •der Mensch, den man „bemitleidet", abgesehen ferner von dem Umstand, daß auch die Bewußtseinszustände, die mit mehr Recht den Namen Mitleid führen, meistens noch etwas von dem eben gekennzeichneten Lustgefühl enthalten, ist die Unlust, die wir Mitleid nennen, gewöhnlich kein reinidealistisches Gefühl, sondern sie ist verknüpft mit egoistischer Unlust. Der Mitleidfühlende fühlt nicht allein die Unlust der fremden Person, sondern indem er seine eigene Pereon in die Lage der bemitleideten denkt, fühlt er auch egoistische Unlust, er fühlt die Möglichkeit, daß der Weltlauf ihn in dieselbe Lage bringen kann. Daß es beim eigentlichen Mitleid, nicht aber bei der Mitfreude so ist, mag daran liegen, daß das Mitleid mehr mit der menschlichen Natur verwachsen ist als die Mitfreude, weil es eine arterhaltende Wirkung ausübt, indem es die Artgenossen zu gegenseitiger Hilfe antreibt. Die Entstehung rechter Mitfreude wird auf niederen Stufen ethischer Entwicklung auch noch behindert durch das Unlustgefühl des Neides. Auf jeden Fall steht das Mitleid auf der unteren Stufe des Mitgefühls. Daß ein Mitgefühl, welches nur als Mitleid auftritt, an und für sich die Glückseligkeit nicht erhöht, sondern mindert, ist klar. Die Erziehung zur Mitfreude, zur Mitfreude mit andern
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Zweiter
Abschnitt:
Über
Ethik
und
Religion.
Menschen und mit der außermenschlichen Welt ist der Grundstock aller Erziehung zur Glückseligkeit. In dem Mitgefühl ist, sofern es sich nur auf ein genügend großes Gebiet des Seins erstreckt und genügend eindringt in die eigentliche Natur der Erscheinungen, sofern es also ein „rechtes" Mitgefühl ist, immer mehr Mitfreude als Mitleid enthalten, weil im Weltganzen ständig die Lust überwiegt. Der Fortschritt im Mitgefühl führt daher, obleich er nicht nur. in erhöhter Mitfreude, sondern auch in erhöhtem Mitleid besteht, von selbst zu einem Mehr an Mitfreude und somit zu einem Mehr an Glückseligkeit. Es wäre auch töricht, die Meinung zu vertreten, es sei die Aufgabe der Erziehung zur Glückseligkeit, die menschliche Seele fähig zur Mitfreute, aber unfähig zum Mitleid zu machen. Das Mitfühlen mit den Dingen beruht, wie wir früher gesehen haben, auf einem Erkennen der Natur der Dinge; eine Erkenntnis, die auf dem Wege des Erkennens ohne inneren Grund halt macht, die mit Absicht die Augen verschließt vor gewissen Dingen, nämlich vor den Mitleid erzeugenden, ist keine für wahr gehaltene Erkenntnis, ist überhaupt keine Erkenntnis. Die Mitleid erzeugenden Dinge lassen sich vor "dem fortschreitenden Mitgefühl noch weniger verstecken als die Mitfreude erzeugenden, das lehrt der Entwicklungsgang des menschlichen Mitgefühls. Mit einer Fälschung des Weltbildes ist der menschlichen Glückseligkeit nicht gedient; eine Fälschung ist auch nicht nötig, denn die wahre Erkenntnis der Welt" bewirkt aus sich selbst, daß in dem Mitgefühl die Mitfreude größer ist als das Mitleid. Auf dem Fortschritt des Mitgefühls, nicht nur des Mitgefühls mit andern Menschen, sondern mit der Außenwelt überhaupt, beruht zur Hauptsache der Fortschritt der menschlichen Glückseligkeit und damit der Fortschritt der Menschheit schlechthin, denn das Wertmaß für den Menschen wie für alle Dinge ist der Grad der Freiheit, Freiheit und Glückseligkeit aber sind ein und dasselbe. Nun könnte man meinen, wenn es sich so verhalte, müsse als Ideal menschlicher Entwicklung ein Bewußtsein angesehen werden, in dem alle egoistischen Strebungen ausgelöscht sind, es müsse das menschliche Zusammenleben schließlich die Form annehmen, daß keiner etwas für sich, sondern jeder
11. K a p i t e l : Der Weg zur Glückseligkeit.
alles für andere erstrebt. Es wäre aber eine „verkehrte Welt", wenn in bezug auf die gewöhnlichen Lebensgenüsse jeder nur für andei e sorgen wollte, und keiner für sich selbst — die Genüsse der Familie mögen dabei noch als eigene angesehen werden. Bei solchem Idealismus würden die Menschen sich schlechter stehen als beim Egoismus, es wäre diese Verdrängung egoistischer Strebung durch idealistische überhaupt kein ethischer Fortschritt. Ähnlich liegen die Verhältnisse auf dem Gebiete des wirtschaftlichen Lebens; es ist nicht wahrscheinlich, daß für absehbare Zeit die völlige Ausschaltung des Egoismus in der Richtung des ethischen Fortschritts liegen wird. Ein gesunder Egoismus wird also 'auch auf hoher Stufe ethischer Entwicklung in der menschlichen Seele nicht fehlen. Gesund nennen wir einen Egoismus, der unser idealistisches Gefühl nicht verletzt. Das Vorhandensein dieser Art von Egoismus bewirkt, daß der menschlichen Gesellschaft als Ganzes ein größeres Maß der gewöhnlichen Lebensgenüsse zuteil wird, als wenn allein idealistische Strebungen wirksam wären. Freilich, bei idealistischer Strebung würde die Verteilung dieser Genüsse unter die einzelnen Menschen vielleicht eine gleichmäßigere sein als beim Egoismus. Aber was schadet, sobald nur ein Mindestmaß an Lebensannehmlichkeit vorhanden ist, eine ungleichmäßige Verteilung viel für die Glückseligkeit ethisch hochstehender Menschen, die doch zur Hauptsache auf idealistischen Gefühlen beruht! Wer wird gleichNeid fühlen, wenn er einen Menschen sieht, dem es in bezug auf äußere Lebensannehmlichkeit etwas besser geht als ihm selbst, und wer wird gleich in Mitleid aufgehen bei dem Gedanken, daß es Menschen gibt, deren Lebenslage ungünstiger ist als seine eigene! Die kleinen Unebenheiten in der Verteilung der äußeren Lebensgüter, ob man vom Schicksal angewiesen wird, mehr als Herr oder mehr als Diener zu leben, als berühmter oder unberühmter, als gesunder oder gebrechlicher Mensch, ßie sind nicht ausschlaggebend für unsere Glückseligkeit, sofern nur jenes Mindestmaß äußerer Lebensannehmlichkeit — das nicht so groß ist, als die meisten Menschen glauben — nicht berührt wird. Und noch weniger der Rede wert sind die kleinen Widerwärtigkeiten, die uns alltäglich im Leben begegnen. Es spielt keine Rolle, wenn wir in diesen
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Zweiter
Abschnitt:
Über Ethik und Religion.
Äußerlichkeiten des Lebens etwas zu kurz kommen gegenüber andern Menschen. Es gehört sich so, daß die ihre große Aufgabe gut erfüllende Weltmaschine in diesen Nebensächlichkeiten nicht so nach der Schnür arbeitet. Hat der Mensch nur die rechte seelische Beschaffenheit, so bewirken diese Unebenheiten des Weltlaufs für ihn kaum Unlustgefühle. Die für diese Verhältnisse rechte seelische Beschaffenheit ist der Humor. Man kann sagen: Humor ist die Fähigkeit,, den Widerwärtigkeiten des Lebens gegenüber sich so zu verhalten, als seien sie nur Schattenspiele der eigentlichen, streng auf Güte und Gerechtigkeit eingestellten Welt, die nicht verdienen ernst genommen zu werden . Wie es unverständig wäre, wollte ich bei den kleinen Übeln, statt sie mit Humor zu ertragen, Neid fühlen gegenüber Menschen, mit denen das Schicksal besser verfährt, so wäre es auch unverständig, wollte ich den kleinen egoistischen Freuden, die mir das Leben anbietet, den Zutritt zu meiner Seele verlegen durch Mitleid mit Menschen, denen — wenigstens augenblicklich — diese Freuden fehlen. Zur Glückseligkeit des idealistisch gesinnten Menschen gehören auch egoistische Gefühle, an und für sich freilich sind sie von geringer Bedeutung, ihre Bedeutung aber steigt, wenn sie sich einer idealistischen Grundstimmung des Gemüts einfügen, wenn sie gleichsam eingefaßt werden von idealistischem, namentlich religiösem Gefühl. Das Menschengeschlecht ginge zugrunde, wenn die Menschen an nichts anderes dächten als an Philosophie und Religion. Auch der einzelne Mensch kann nicht ständig sich mit philosophischen und religiösen Problemen beschäftigen. Möglich aber ist es, daß er in jedem Augenblick seines Lebens, in dem er überhaupt zu sich selbst ist, in jedem Augenblick also, der überhaupt mitzählt, wenn wir von einem glückseligen oder unglückseligen Leben sprechen, in großem 1) Im Humor (nicht im Witz und im Scherz) spüren wir eine Verwandtschaft mit der Religion (Religiosität). Der Humor kann auch für manche, namentlich für kleine Verhältnisse, bis zu einem gewissen Grade die Religion ersetzen, freilich niemals ganz; bei den groben Schlägen des Leben» versagt er meistens völlig — es sei denn, daß man den Begriff „Humor" in einer Weise faßt, daß er sich von dem der Religiosität nicht mehr unter-
scheidet.
11. K a p i t e l : Der Weg zur Glückseligkeit.
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Umriß sich seiner idealistischen Weltanschauung bewußt ist und dadurch seinem Gemüte eine religiöse Grundstimmung verleiht. I n d i e s e r r e l i g i ö s e n G r u n d s t i m mung sehen wir das w i c h t i g s t e M i t t e l zur F ü h r u n g eines glückseligen Lebens. Sie strahlt ihr Licht aus auf alle Lustgefühle anderer Art, die uns das Leben zuteilt; sie erhöht diese Lustgefühle, während sie die Unlustgefühle, die egoistischen und die niederen idealistischen, mildert. Die Meinung, es könne der Weltanschauungsgedanke nicht jederzeit im Bewußtsein vorhanden sein, kann nicht aufrecht erhalten werden. Es ist doch auch in meinem Bewußtsein jederzeit eine Vorstellung von der Lage meines Leibes im Raum, von den Beziehungen meines Leibes zur Umwelt, von den Verhältnissen meines persönlichen körperlichen und geistigen Lebens, es ist mit einem Wort, sobald ich überhaupt zu mich selbst bin, immer •eine Vorstellung von meiner Persönlichkeit in meinem Denken; in diese Gedanken von meiner Persönlichkeit ordne ich alle andern Gedanken hinein, dadurch kommt ja erst ein verständiges Denken über die alltäglichen Geschehnisse des Lebens zustande. Wie also alles menschliche Denken durchtränkt ist von einem Wissen über die eigene Person, warum sollte es da nicht ebenso gut durchtränkt sein können von einem Wissen über das Wesen der Dinge, von einer Weltanschauung, von Religion. Der Weltanschauungsgedanke, von dem wir hier reden, braucht nicht die Form einer in Worten ausgedrückten philosophischen Erkenntnis zu haben. Ee wird in der Regel mit diesem Weltanschauungsgedanken so stehen, wie mit dem Wissen von unserer Person, von dem wir eben gesprochen haben; auch dieses ist nicht eine klar in Worten ausgedrückte oder aus deutlichen Vorstellungen bestehende Erkenntnis, als solche tritt es uns erst entgegen, wenn wir es der besonderen Betrachtung unterziehen. Es muß auch beachtet werden, daß wir den Weltanschauungsgedanken nicht fordern für jede Sekunde, die wir nicht schlafend verbringen, sondern nur für die Zeitspannen, die für «in glückseliges oder unglückseliges Leben in Betracht kommen. Es kommt nämlich nicht die ganze Länge der Zeit in Frage", die der Mensch wachend verbringt; viele Augenblicke gibt es — und zusammen machen sie eine ganze Strecke des Kröger,
Die Philosophie des reinen Idealismus.
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Zweiter
Abiehnitt:
Über Ethik und Religion.
Lebens aus — wo wir gar nicht eigentlich zu uns selbst sind, ron denen wir gar keine Rechenschaft ablegen können, ob wir uns glücklich oder unglücklich fühlen, von denen wir eine solche Rechenschaft auch gar nicht fordern, wenn wir urteilen wollen über den Grad unserer Glückseligkeit. Für unsere Glückseligkeit und damit für unsere Forderung nach Anwesenheit des Weltanschauungsgedankens im Bewußtsein kommen immer nur Zeitspannen unseres Lebens in Betracht, die durch „leere" Zeiten getrennt sind. Was ist nun der Weltanschauungsgedanke, den wir als Grundstimmung unseres Gemüts fordern? Wenn wir ihn von seinem Platze in unserm Gemüte fortnehmen, müssen wir ihn in Worten ausdrücken. Dadurch verliert er freilich etwas von der Reinheit seiner Natur, denn jeder Formulierung in' Worten haftet eine gewisse Kampfstellung gegen andere Gedanken an, die dem Weltanschauungsgedanken in unserm Gemüte fehlt. Ungefähr so mag er sich ausdrücken lassen: Ich bin eins mit dem All. Es ist nicht das Ich, und es ist nicht die Welt, es ist nur das unbegreifliche All, dessen Seinselement die Freude ist. Alle Freude, die irgend ein. Ding fühlt in der Welt, ist Freude des Alls, ist meine Freude. Und indem ich mich freue, freut sich nicht ein kleines Ding „Ich", sondern es freut sich das All. Es ist jede Freude, die ich in meine Seele sammle, ein Beitrag zur Freude des Seinsganzen, ein Beitrag zur Bestimmung des unbegreiflichen Alls. — Indem dieser Weltanschauungsgedanke mein Bewußtsein erfüllt, wird alle Freude der Welt zu meiner Freude, und in jeder meiner Freuden,klingt mit die Freude des Alls. So erscheinen meine egoistischen Freuden, die andern Menschen weder schaden noch nützen, umgeben vom Lichtschein idealistischen Gefühls. Sie erscheinen als Bausteine im Tempel des unbegreiflichen Alls. Haben wir diese religiöse Grundstimmung des Gemüts, so bieten sich uns viele Gelegenheiten zur Bereicherung der Glückseligkeit, die sich dem gewöhnlichen Menschen verschließen. Die Glückseligkeit liegt dann sozusagen allenthalben am Wege, wir brauchen unsere Seele nur für sie zu öffnen. Schon das bloße Gefühl körperlicher Gesundheit, ja schon das einfache Daseinsbewußtsein wird zu einer Quelle hoher Glückseligkeit, wenn jene religiöse Grundstimmung
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unseres Gemüts vorhanden ist. So viele Menschen verfehlen die Glückseligkeit, weil sie nicht die Zuversicht besitzen, sie gewinnen zu können, und daher auch nicht den ernsten Willen haben, sich glücklich zu fühlen. Nicht bloß in den großen Dingen des Lebens müssen wir höhere Glückseligkeit suchen, sondern auch in den kleinen und alltäglichen, die für gewöhnlich nur Quellen oberflächlicher Lebensfreud» sind oder ganz unbeachtet bleiben. Die religiöse Grund»timmung des Gemüts gibt un6 gerade die Fähigkeit, uns an kleinen Dingen zu erfreuen, die der gewöhnliche Mensch als für die Glückseligkeit nicht in Betracht kommend ansieht. Unsere bisherigen Betrachtungen haben 'sich vorzugsweise auf die Ausnutzung egoistischer Gefühle für die Glückseligkeit bezogen, wir wenden unser Augenmerk jetzt den idealistischen Gefühlen, den Mitgefühlen mit einem Sein außerhalb unseres Leibes, zu. Ein Teil der idealistischen Gefühle muß als ein über den eigenen Leib hinaus erweiterter Egoismus angesehen werden. Es sind das solche Mitgefühle, die sich auf einen begrenzten Kreis von Menschen beziehen, unter ausdrücklicher Ausschließung der außerhalb dieses Kreises stehenden. Man könnte nun meinen, die unterschiedliche Zuteilung des Mitgefühls an die Menschen — von den Dingen außerhalb der Menschheit mag abgesehen werden — sei ein Zeichen niederer Gesinnung und werde daher bei fortschreitender ethischer Entwicklung des Menschengeschlechts verschwinden. Hiergegen läßt sich das•elbe sagen, waB wir gegen die restlose Aufhebung der egoistischen Gefühle angeführt haben. Ein Mitgefühl, das »ich auf alle Menschen in gleichem Maße bezieht, wür/le einen Zustand der Menschheit herbeiführen, in dem die menschliche Willenskraft unzweckmäßigere Verwendung fände als in dem gegenwärtigen. Eine solche Entwicklung des Mitgefühls liegt daher nicht -in der Richtung des ethischen Fortschritts. Der Mensch wird, wenn sein Mitgefühl auch keinen überhaupt erreichbaren Menschen ausschließt, doch immer mit gewissen Gruppen von Menschen mehr Mitgefühl haben als mit andern, er wird immer in irgend einer Weise seine „Nächsten" haben. Es wird die Menschheit immer aus mehr oder weniger geschlossenen Ge-
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Zweiter
Abschnitt:
Über Ethik und Religion.
sellschaften bestehen. Die für die gegenwärtige Kultur bedeutungsvollste dieser Gesellschaften ist die Familie. Wenn auch eine auf der höchsten Stufe ethischer Entwicklung stehende menschliche Gesellschaft ohne jegliches Familien leben denkbar ist, so ist doch anzunehmen, daß in der Kulturmenschheit unserer Erde, so lange sie sich überhaupt auf dem Wege des ethischen Fortschritts befindet, für alle absehbare Zeiten die Familie als Zelle des gesellschaftlichen Organismus bestehen bleiben wird. Und so lange ein Familienleben überhaupt besteht, wird seine Beschaffenheit auch immer von großer Bedeutung sein für die menschliche Glückseligkeit. In einer Zeit, in der die Menschen noch mit ihrer Unkeuschheit großtun, in der ein großer Teil der Ehen geschlossen wird zur Hauptsache aus äußern Gründen, nicht selten sogar bei gegenseitiger Abneigung, in der ein anderer großer Teil der Ehen allein durch den tierischen Geschlechtstrieb des Menschen oder im flüchtigen Liebestaumel zustande kommt, da ist freilich im allgemeinen nicht viel für die menschliche Glückseligkeit vom Familienleben zu erwarten, selbst wenn es nicht geradezu unglücklich verläuft. Für den ethisch höher stehenden Menschen aber ergibt sich aus einem glücklichen Familienleben ein erheblicher Beitrag zu seiner Glückseligkeit. Auf unsicherem Grunde baut freilich der Mensch seine Glückseligkeit, wenn er das Familienglück als die Grundlage seiner Glückseligkeit ansieht. Will der Mensch die höchsten Grade der Glückseligkeit erreichen, so muß die Grundlage seiner Glückseligkeit immer das religiöse Gefühl sein, mehr als mit Gatten und Kindern, mehr als mit dem Yaterlande, mehr als mit der "Menschheit überhaupt muß er sich eins fühlen mit dem unbegreiflichen Urgrund alles Seins. Neben der Familie kommt innerhalb der Menschheit als Gesellschaft, die sich an Geschlossenheit und Bedeutung für das Kulturleben mit der Familie vergleichen läßt, nur das Vaterland in Betracht. Die Liebe zum Yaterlande hat für die ethische Entwicklung des Menschengeschlechts eine ähnliche Bedeutung wie die Liebe\zur Familie. Es besteht aber doch ein wesentlicher Unterschied. Es ist anzunehmen, daß der Begriff der Familie, soweit wir in die Zukunft blicken können, im Denken der Kulturmenschen so bestehen
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bleibt wie er jetzt ist, wenigstens ist nicht einzusehen, daß er eine Änderung erfahren müßte um den ethischen Fortschritt zu ermöglichen; der Begriff des Vaterlandes und der Vaterlandsliebe aber erfährt im Laufe der Menschheitsentwicklung eine Veränderung. Wenn wir in bezug auf Vergangenheit und Gegenwart von der Vaterlandsliebe sprechen, so denken wir nicht nur an eine Zusammengehörigkeit von Menschen, sondern auch an eine Gegnerschaft zu andern Menschen. Sobald die Gegnerschaft zwischen meinem Vaterlande und andern Ländern aufhört, und die Verhältnisse sich so entwickeln, daß für den Eintritt einer Gegnerschaft überhaupt keine Möglichkeit besteht, hört mein Vaterland auf für mich Vaterland im bisherigen Sinne zu sein, es ist dann nur noch meine Heimat. Das Land Dithmarschen in Schleswig-Holstein ist die Heimat der Dithmarscher, vor einigen Jahrhunderten war es das Vaterland der Dithmarscher; es starben die Dithmarscher und ihre Erbfeinde, dio Holsten, mit derselben Begeisterung den Tod für ihr Vaterland, wie in späteren Zeiten Deutsche, Franzosen und Engländer. Es kann beim Fortschreiten der Menschheitsentwicklung nicht gut anders. sein, daß Deutsche, Franzosen, Engländer, überhaupt alle Kulturvölker ihr Gegeneinanderstreben einmal ebenso aufgeben werden wie Dithmarscher und Holsten, wie überhaupt die zahlreichen früher einander feindlichen Volksstämme innerhalb der jetzigen Länder, die für ihre Einwohner Vaterland sind. Haben doch schon jetzt die ethisch hochstehenden Angehörigen der verschiedenen Kulturvölker untereinander viel mehr Seelenverwandtschaft als mit den ethisch niedriger stehenden Angehörigen ihres eigenen Vaterlandes. Die Verschiedenheit der Sprachen kann auch nicht allein ein Hindernis sein für die Vereinigung der Kulturvölker zu einer Gemeinschaft. Es wird also einmal die Zeit kommen, wo Deutschland, Frankreich, England für ihre Bewohner nicht mehr Vaterland, sondern nur Heimat sind. Und wenn alle Kulturvölker der Welt sich zu einer Gemeinschaft zusammengeschlossen haben, wird der Begriff Vaterland in dem alten Sinne im Denken der Menschen kaum mehr eine Bedeutung haben. Die Menschen werden ihre Heimatländer lieben als diejenigen Teile der Kulturmenschheit (und der Natur), mit denen sie am unmittel-
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Zweiter
Abschnitt:
Über Ethik und Religion.
barsten zusammenhängen, sie werden aber in ihren Heimatländern nichts anderes sehen als Glieder der Kulturmenschheit. Nicht Gegnerschaft gegen fremde Länder liegt dieser Art Vaterlandsliebe zugrunde, sondern der Umstand, daß das Mitgefühl sich naturgemäß in stärkerem Grade auf einen näher,en als auf einen entfernteren Gegenstand erstreckt. Es kann kein Zweifel bestehen, daß die Vaterlandsliebe auch in der niederen Form an ethischem Werte erhaben ist über den Egoismus. Die Helden früherer Zeiten kannten nur diese Form der Vaterlandsliebe, sie wollten ihr Vaterland groß, mächtig, ruhmreich, glücklich sehen; wenn der ¡Widerstand fremder Völker dem entgegenstand, mußte er niedergerungen werden. Gewiß ist auch in solcher Vaterlandsliebe wahrer Idealismus; wer in sich die Kraft fühlt, sein persönliches Wohl, sein Leben, sein Familienglück einzusetzen für die Macht und Größe des Vaterlandes fühlt größere Freiheit als der Mensch, der sein Glück im Egoismus und in der Enge des Familienlebens sucht. Es ist wahrer Idealismus, der in solcher Vaterlandsliebe liegt, aber es ist doch ein beschränkter Idealismus, er beruht auf einem Denken, das wohl hinausreicht über die Grenze det Ichs und der Familie, nicht aber über die Grenze de6 eigenen Volkes. Die Vaterlandsliebe wird für unsere Glückseligkeit eine um so größere Bedeutung haben, je mehr sie sich der gekonnzeichneten höheren Form nähert, je mehr sie verschmilzt mit der Liebe zur Kulturmenschheit. In Zeiten freilich, in denen die Völker blind für alle höhere Kultur — trotz alles Geredes über Kultur — wild gegeneinanderstreben, wird sich häufig dem einzelnen Menschen kein anderes Feld idealistischer Tätigkeit bieten, als daß er alle Kraft einsetzt für s e i n Vaterland. Ethisch hochstehende Menschen werden immer ihr Vaterland lieben, sie werden in der Not Gesundheit, Leben und Familienglück dem Vaterlande opfern, es wird Glück und Unglück des Vaterlandes von erheblicher Bedeutung 6ein für ihre Glückseligkeit; zur Grundlage ihrer Glückseligkeit aber werden sie die Liebt zum Vaterlande nicht machen. Eine Glückseligkeit, die eich allein auf der Vaterlandsliebe gründete, müßte nicht nur auf den unteren Stufen stehen bleiben, weil das Vaterland nur ein Teil der Außenwelt ist, auf die eich unser Mitgefühl zu
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erstrecken hat, wenn wir höchste Glückseligkeit erreichen wollen, sie wäre auch nicht viel sicherer in ihrem Bestände als die aus dem Familien- oder Berufsleben sich ergebende Glückseligkeit. Nicht nur ist das Schicksal des Vaterlandes immer ungewiß, es kann auch das Vaterland sich unserer Liebe unwürdig zeigen. Höhere Glückseligkeit wird der Mensch erreichen, wenn er sich nicht nur als Glied der Familie, des Berufskreises, des Vaterlandes, sondern als Glied der Kulturmenschheit fühlt. Eine Glückseligkeit, die sich statt auf Mitgefühl mit den angeführten kleineren Kreisen von Kulturmenschen auf Mitgefühl mit der Kulturmenschheit gründet, wird nicht nur darum eine höhere sein, weil 6ie auf einem weniger beschränkten Denken beruht, sondern auch weil der Gedanke der Unsicherheit viel weniger auf sie drückt. Denn im Verhältnis zu dem der Familie, des Berufskreises, des Vaterlandes erscheint das Schicksal der Kulturmenschheit viel gesicherter. Im Spiel der Ereignisse erleidet das Vaterland — und erst recht die kleineren Kreise, mit denen wir mitfühlen — häufig Schaden, erst indem wir die Kulturmenschheit als Ganzes zum Gegenstand unseres Mitgefühls machen, können wir glauben, daß das Durcheinander und Gegeneinander menschlicher Strebungen, das in Kriegen und Revolutionen, im Entstehen und Vergehen von Staaten, im Aufstieg und Niedergang von Völkern zum Ausdruck kommt, trotz aller Zerstörungen im einzelnen doch schließlich immer als ein Fortschritt auf dem Wege zur Höherentwicklung des Seins angesehen werden muß. Die Liebe zur Kulturmenschheit ist von größerem ethischen Werte als die Liebe zum Vaterlande. Wir sagen Kulturmenschheit, nicht Menschheit, weil wir es dahingestellt sein lassen, ob die Menschheit als ein Ganzes angesehen werden kann, oder ob Rassen und Völker, weil sie unfähig sind zum ethischen Fortschritt, abseits- stehen und für unser Mitgefühl eine ähnliche Stellung einnehmen wie die Tiere. Der Umstand, daß die Grenz« zwischen der Kulturmenschheit und der übrigen Menschheit unklar ist, hat für unsere Aueführungen keine Bedeutung. Es kommt allein darauf an, daß der Mensch sich als Glied eines Zusammenhanges von Menschen fühlt, der größer ist als das Vaterland und dem in der Menschheit keine gleich-
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Z w e i t e r A b s c h n i t t : Über Ethik und Religion.
artigen Zusammenhänge gegenüberstehen. Man mag gegen unsere Darlegungen einwenden, der Mensch käme kaum jemals in die Lage, aus Liebe zur Kulturmen§chheit etwas zu tun, was er nicht auph aus Liebe zum Yaterlande oder zu einem noch kleineren Kreise von Menschen getan hätte, überhaupt sei das Wohl der Kulturmenschheit dem Menschen viel zu unklar, um als Richtschnur für 6ein Tun dienen zu können, und daher seien unsere Ausführungen über die Liebe zur Kulturmenschheit für das praktische Leben von keiner Bedeutung. Darauf ist zu erwidern, daß die Glückseligkeit des Menschen nur zum kleinen Teil von seinem Tun abhängt, zum größeren Teil aber von Erlebnissen, die von außen zu ihm kommen, und daß es für die Wirkung, die diese Erlebnisse auf 6eine Glückseligkeit ausüben, in vielen Fällen von ausschlaggebender Bedeutung ist, ob er sich als Glied der Kulturmenschheit oder eines kleineren Kreises von Menschen'fühlt. Freilich, ungewiß ist schließlich auch das Schicksal der Kulturmenschheit. Mag der Mensch auch seine Glückseligkeit, indem er sich eins fühlt mit der Kulturmenschheit, auf eine sicherere Grundlage gestellt haben al& sie die Liebe zur Familie, zum Vaterlande oder zu einem andern kleineren Kreise von Menschen abgibt, sie steht doch immer noch auf schwankendem Boden. Und sie kann auch nicht die größte mögliche Höhe erreichen, weil das Mitfühlen mit der Kulturmenschheit doch immer nur ein Mitfühlen mit einem Teil des Seins ist. Die Liebe zur Kulturmenschheit kann niemals das religiöse Gefühl ersetzen, aber nach diesem ist sie eine der Hauptquellen der Glückseligkeit. Eine andere Hauptquelle der Glückseligkeit ist die Liebe zur Natur, das Gefühl für die Schönheit und Erhabenheit der Natur. Die rechte Liebe zur Natur ist immer schon mehr oder weniger vermischt mit religiösem Gefühl. An der Liebe zur Natur bildet sich das religiöse Gefühl. In der Schönheit der Natur haben wir eine unerschöpfliche Fundgrübe für so hohe Grade der Glückseligkeit, wie sie kaum anderswo, die Religiosität abgerechnet, erreicht werden. Und dabei findet der Mensch diese hohe Glückseligkeit ohne jegliches Bemühen. Wie arbeiten die Menschen doch im Schweiße ihres Angesichts, wie grübeln sie Tage und Nächte, wie streben sie gegeneinander, einen wie ungeheuren tech-
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nischen Apparat errichten sie, alles um ein wenig Glückseligkeit zu erringen. Und hier in der Natur liegt nicht ein Weniges, sondern ein gewaltiger Reichtum an Glückseligkeit offen zu Tage, er braucht nicht erarbeitet, nicht ergrübelt, nicht mit komplizierten Maschinen hervorgeholt zu werden, die Menschen brauchen nur ihre Augen aufzutun, und er strömt hinein in ihre Seelen — sofern diese bereit sind -zur Aufnahme. Die Seelen der meisten Menschen aber sind wenig bereit zur Aufnahme. Was der Mensch jeden Tag vor sich sieht, macht eben in der Regel keinen tieferen Eindruck auf ihn. Ganz anders würde das Schauen der Natur auf die Seele wirken, wenn es als einmaliges Erlebnis dem Menschen auf seinem Lebenswege entgegentreten würde. Man denke sich Menschen, die von Geburt an ganz abgeschlossen von der freien Natur in einem großen künstlich erleuchteten Raum leben. Der Raum möge eingerichtet sein wie ein Märchenschloß, das seinen Bewohnern an äußern Lebensannehmlichkeiten und an geistiger Anregung alles gewährt, was sie sich wünschen, nur daß niemals Licht oder Schall auch nur die geringste Kunde von der Natur in diese geschlossene Welt bringt, und auch auf keine andere Weise die Bewohner eine Vorstellung gewinnen von den Dingen der Natur, von Erdboden, Himmel, Sonne, Pflanzen usw. Wir werden den so gedachten Menschen — über die technischen Unmöglichkeiten unserer Annahme setzen wir uns hinweg — gerne das Maß von Glückseligkeit zuerkennen können, das die Durchschnittsmenschen der Wirklichkeit besitzen. Nun denke man, daß einer dieser Menschen für einen Tag heraus, geführt würde in die freie Natur. Sein Fuß berühre das Erdreich, sein Auge sehe Himmel und Sonne, Feld und Busch, sehe die Weite der Landschaft, sein Ohr höre das Rauschen des Waldes und den Gesang der Vögel, in der Nacht schaue er die Pracht des Sternenhimmels, und ein Astronom erkläre ihm, daß die Sterne nicht kleine an der Himmelswand befestigte Lichter, sondern ungeheure Welten seien, er erlebe mit einem Wort die Größe und Schönheit der Natur, die der gewöhnliche Mensch alle Tage vor sich sieht! Welche Wirkung würde nun dieses Erlebnis auf den Menschen ausüben? Es würde ihm sein, als hätte er in eine Wunderwelt, in eine himmlische Herrlichkeit geschaut, und es würde die Erinne^
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Über Ethik und Religion.
rung an dieses Erlebnis in seinem späteren Leben von größerer Bedeutung für seine Glückseligkeit sein als irgendein» der Freuden, die ihm sonst das Leben gewährt. Seine Glückseligkeit würde infolge dieses Erlebnisses einen weit höheren Stand erreichen als die seiner Genossen. Menschen, die in der Weise für ihr ganzes Leben von der Natur abgeschlossen 6ind wie die gedachten Menschen unserer Betrachtung, gibt es in der Wirklichkeit nicht. Und doch leben die meisten Menschen wie abgesperrt von dem Genuß, den die Natur für sie bereit hält. Der Umstand, daß einem großen Teil der Kulturmenschheit, nämlich den Bewohnern der Großstädte, durch physische Hindernisse die Verbindung mit der Natur erschwert ist, trägt gewiß dazu bei, daß die Natur als Quelle menschlicher Glückseligkeit so schlecht ausgenutzt wird, aber er ist nicht die eigentliche Grundursache. Die Bewohner des platten Landes genießen im allgemeinen di® Schönheit der Natur nicht viel mehr als die Großstädter. Die meisten Großstädter fühlen, wenn sie vorübergehend ina Freie kommen, wenigstens etwas von der Schönheit der Natur, mag dieses Gefühl auch ohne tiefere seelische Wirkung bleiben; viele Bewohner des platten Landes fühlen aber von der Schönheit der Natur so gut wie nichts, weil ihr seelisches Auge ganz und gar blind ist für das, was das leibliche Auge jeden Tag sieht. Die Unempfänglichkeit der Seele ist der eigentliche Grund der so geringen Ausnutzung der Naturschönheit als Quelle menschlicher Glückseligkeit. In dem rechten Genuß der Naturschönheit, der allein von tieferer Wirkung auf diu Glückseligkeit des Menschen ist, finden wir immer einen religiösen Zug. Es ist immer das Gefühl vorhanden, daß wir in das wunderbare, unbegreifliche Wesen des Seins hineinsehen. Fehlt dieses Gefühl, finden wir die Natur nur echön in der Weise, wie wir ein Kleid, ein Pferd, eine Zimmerausstattung echön finden, so klebt der Genuß der Naturschönheit an der Oberfläche der Seele, er ist nicht von der Bedeutung für die Glückseligkeit, die wir meinen, wenn wir die Schönheit der Natur alB eine der Hauptquellen menschlicher Glückseligkeit bezeichnen. Der rechte Genuß der Naturschönheit ist nicht gebunden an bestimmte Ort« der Erde und an bestimmte Zustände der Natur. Ee mag
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wohl an Orten und bei Dingen, die als besondere NaturSchönheiten gelten, die Schönheit der Natur sich unserer S G C I U mehr aufdrängen als unter gewöhnlichen Verhältnissen. Es ist aber doch so, daß der Genuß der Naturschönheit überall möglich ist, wo der Himmel sich wölbt und Erde oder Meer eich weif,et. — Gewiß kann auch der Genuß des Kunstschönen, auf den das gegenwärtige Kulturleben im allgemeine! mehr eingestellt ist als auf den des Naturschönen, einen erheblichen Beitrag zur Glückseligkeit des Menschen leisten; aber die Kunst kann sich als mögliche Quelle der Glückseligkeit nur messen mit der Natur, wenn sie als Weckerin des Naturgefühls oder anderer idealistischer Gefühle auftritt. Als solche kann sie große Bedeutung gewinnen für die menschliche Glückseligkeit. Das meiste freilich, was die gegenwärtige Kulturmenschheit mit dem Namen Kunst belegt, steht als mögliche Quelle menschlicher Glückseligkeit weit zurück hinter der Natur. In einem früheren Kapitel haben wir die idealistischen Gefühle unterschieden in moralisches Gefühl (Mitgefühl mit andern Bewußtseinen), Naturgefühl und religiöses Gefühl. Wir haben die ersten beiden Arten als mögliche Quellen der Glückseligkeit besprochen und wenden uns jetzt dem religiösen Gefühl zu, in dem wir, wie schon wiederholt betont wurde, die unentbehrliche Grundlage aller höheren Glückseligkeit sehen. In dem rechten Naturgefühl ist, wit schon gesagt, immer etwas vom religiösen Gefühl enthalten. Auch sonst berühren sich Naturgefühl und religiöses Gefühl. Wenn ich darüber nachdenke, daß ich als Einzelding dem Zusammenhange des astronomischen Weltganzen fest eingefügt bin, daß der Boden, auf dem ich stehe, die Oberfläche eines ungeheuren Balles ist, der mit großer Geschwindigkeit durch den Weltraum fliegt, daß unsere Erde aber nur ein Stäubchen ist im Verhältnis zu der Gesamtheit der Weltkörper, die der Sternenhimmel mir zeigt, daß der Raum dieses Weltsystems ein so großer ist, daß das Licht Jahrtausende braucht, um ihn zu durcheilen, wenn ich bedenke, daß die Zahl der Lebewesen, die gleich mir Lust und Unlust fühlen, schon auf unserer Erde eine unermeßliche ist, daß aber Millionen Welten ähnlich unserer Erde bevölkert eein werden, ja daß im Grunde genommen in jedem kleinsten
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Teil des gewaltigen Weltraums sich ein fühlendes Ding befindet, wenn ich mir vergegenwärtige, daß alles Geschehen in diesem ungeheuren Weltorganismus dem Fortschritt des Ganzen dient, wenn ich so die gewaltige Größe der Welt und ihrer Interessen und die Kleinheit meiner Person und meiner persönlichen Interessen auf mich wirken lasse, so ist das, was ich dabei fühle, immer noch Naturgefühl. Wenn ich nun aber weiter denke, daß der Raum nirgends eine Grenze hat, daß das gewaltige astronomische Weltganze nur ein Stäubchen ist in dem unendlichen Raum, nur ein Teilchen ist von der unendlichen Welt, wenn ich weiter denke, daß auch der zeitliche Zusammenhang der Dinge sich in die Unendlichkeit der Vergangenheit und Zukunft dehnt, 60 fängt mein Gefühl an, ein religiöses zu werden, denn ich fühle die Unbegreiflichkeit des Seins. Man mag einwenden, das hier vorliegende Gefühl sei noch kein religiöses, denn es fehle in ihm das Gefühl des Geborgenseins. Aber indem ich sehe, daß meine Person und meine persönlichen Interessen gegenüber der Unendlichkeit der Welt wie ein Nichts sind, fühle ich mein Verlangen schwinden, daß der Weltlauf sich nach meiner Person richte, ich fühle mich einverstanden, daß der Lauf der Welt über mein persönliches Wohl hinweg geht. Ein solcher Geisteszustand ist aber schon eine Art Geborgenfühlen im Wesen des Seins. Freilich, es ist noch unvollkommene Religiosität, die wir hier vor uns haben, sowohl das Gefühl der Unbegreiflichkeit als auch das des Geborgenseins ist noch der Verstärkung fähig. Diese Verstärkung bringt der Gedanke des reinen Idealismus. Wenn ich jenen Gedanken von der räumlich und zeitlich unendlichen Größe der Welt und der Kleinheit des Ichs verbinde mit dem Gedanken des reinen Idealismus, wenn ich die unbegreifliche aber zweifelsfreie Wahrheit bedenke, daß die unendliche Welt in ihrer ganzen Größe in meinem Ich ist, daß ich in der unendlichen von Daseinsfreude erfüllten Welt meine eigene Wesenheit erblicke, daß mein persönliches Ich nur eine flüchtige Erscheinung ist in diesem meinem eigentlichen Ich, dann fühle ich meine persönlichen Interessen aufgehen in den Interessen der unbegreiflichen Wesenheit des Seins, ich fühle mich geborgen, in der unbegreiflichen Wesenheit des Seins, dann fühle ich rechte Religiosität! Wollen
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wir höchste Glückseligkeit gewinnen, so muß unser Leben durchleuchtet sein von Religion, im Lichte der Religion muß sich alles abspielen, was wir im einzelnen für unsere Glückseligkeit unternehmen, sei es nun ein egoistisches oder ein idealistisches Vorhaben. Die Religion ist nicht nur die Bewahrerin unserer Glückseligkeit, wenn auf den besonderen Gebieten des Lebens, auf dem Gebiete des persönlichen Wohls, des Familienglücks, der Liebe zum Beruf, zum Vaterlande, zur Kulturmenschheit das Schicksal gegen uns ist, auch wenn auf diesen Sondergebieten uns die Sonne des Glücks scheint, ist es die Religion, die unsere Glückseligkeit erst auf die höchste erreichbare Stufe bringt. Gewiß kann die Erkenntnis, daß das Streben zum Höheren die Bestimmung des Menschen ist, kann das Bewußtsein, seine Pflicht gegen andere und gegen sich selbst erfüllt zu haben, auch ohne klar bewußte Religion dem Menschen hohe Glückseligkeit bringen, aber die höchste Glückseligkeit bleibt ihm doch verschlossen, weil eben das höchste idealistische Gefühl das religiöse ist. Wollten wir uns die höchste Form des menschlichen Lebens so denken, daß das ganze Leben in nichts anderem bestände, als in religiöser Betrachtung, so würde das die Karrikatur eines Menschenlebens ergeben. Der Mensch muß, wenn er seinem Leben wertvollen Inhalt geben will, sein Denken und Streben richten auf besondere Ziele, auf Teilgebiete des Seins; es werden unter den Gefühlen, die ihm das Leben lebenswert erscheinen lassen, niemals egoistische und beschränkte idealistische fehlen. Aber es ist so, wie wir gesagt haben, an alle besonderen Aufgaben, die wir uns im Leben stellen, müssen wir herantreten mit dem Bewußtsein religiöser Weltanschauung. Wollen wir h ö c h s t e G l ü c k s e l i g k e i t e r r e i c h e n , so m u ß auf a l l e n b e s o n d e r e n F r e u d e n des Lebens, e e i e n es e g o i s t i s c h e oder i d e a l i s t i s c h e , hohe oder niedere, das Licht und die W ä r m e des r e l i g i ö s e n G e f ü h l s ruhen. Die R e l i g i o n muß der Drehpunkt, der G r u n d s t o c k uns e r e s W e s e n s sein. In i h r e m L i c h t e ers c h e i n e n alle F r e u d e n des Lebens g r ö ß e r und heller, alle Übel kleiner unbleichter. Das Bemühen, die menschliche Glückseligkeit zu heben,
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Über Ethik und Religion.
tritt naturgemäß in zweifacher Form in Erscheinung, einmal als Streben, die Quellen menschlicher Freuden möglichst auszunutzen und neue zu entdecken, und dann als Streben, den Übeln des Lebens die Spitzen abzubrechen. Wir haben bisher vielleicht mehr unsere Aufmerksamkeit der ersten Form als der zweiten zugewandt und kommen daher jetzt noch einmal zurück auf die Überwindung der Übel, die uns daa Leben beschert. Daß das Übel, welches darin besteht, daß wir glauben, in einer durch und durch schlechten und ungerechten Welt zu leben, und welches wie ein Druck auf aller menschlichen Lebenstätigkeit lastet, ein Hirngespinst ist, indem es auf verkehrter Weltanschauung beruht, haben wir bereits genügend erörtert. In dem Kapitel über die Uneterblichkeitsfrage haben wir auseinandergesetzt, wie das Übel des Todesgedanken6 zu überwinden ist, wir brauchen daher hier nicht im einzelnen darauf einzugehen. Es liegt ein Mangel an idealistischem Gefühl, namentlich an religiösem Gefühl zugrunde, wenn der Mensch durch den Gedanken an die Kürze und das Ende seines Lebens davon abgehalten wird, eich glückselig zu fühlen. Wie ist es aber mit dem Übel, da« der Tod anderer Menschen für uns bedeutet? Warum fühlen wir überhaupt Trauer bei dem Gedanken an einen uns lieb gewesenen Verstorbenen? Welcher Art ist die Unlust der Trauer? Wenn wir Klarheit gewinnen wollen, müssen wir zunächst bei unserer Betrachtung aus dem Trauergefühl da» egoistische Unlustgefühl ausscheiden. Dieses besteht darin, daß wir eigentlich gar nicht um den Verstorbenen trauern, sondern um den Verlust, den unser eigenes Leben durch den Tod des andern Menschen erlitten hat. Diese Art Trauer ist eigentlich gar nicht an das Totsein des Verstorbenen geknüpft, sie würde ebenso in Erscheinung treten, wenn der Verstorbene nicht tot wäre, Bondern nur die Verbindung mit ihm für immer abgebrochen wäre, etwa durch seine Übersiedlung nach einem andern Planeten. Eine solche Trauer um Verstorbene ist keine andere Art Gefühl als die Trauer um den Verlust lebloser Dinge, die unB ans Herz gewachsen waren. Ein Mangel an idealistischem Gefühl ist die Ursache dieser Art Trauer. Die eigentliche Trauer um Verstorbene, die mit der Schädigung unserer Person nichts zu tun hat, sondern sich wirklich an die Person des Verstörte-
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nen knüpft, ist ein Mitleid mit dem Verstorbenen. Nun gehört freilich nicht viel Nachdenken dazu, zu erkennen, daß ein solches Mitleid vernunftwidrig ist, denn der Verstorbene fühlt ja kein Leid. Aber es ist doch so, die Trauer um den Verstorbenen beruht auf Mitleid, der Vernunftwidrigkeit dieses Mitleids werden wir uns nicht bewußt. Wir denken den Verstorbenen nicht als tot, nicht als nicht mehr existierend, sondern nur als abgeschslossen von den Freuden, die er noch im Leben zu erhoffen hatte. Und mit diesem gedachten Zustand des Verstorbenen fühlen wir Mitleid. Wir wissen ja, wenn wir klar denken, daß die Vorstellung nicht richtig ist; aber indem wir Trauer fühlen um den Verdorbenen, geben wir uns doch dieser Vorstellung hin. Bei den meisten Menschen entsteht die Trauer um Verstorbene, die nicht auf Egoismus beruht, so wie wir es eben ausgeführt haben. Sie kann auch noch auf eine andere, nicht so offengichtlich mit der Vernunft im Widerspruch stehenden Weise austande kommen. Wir können den Tod des Mitmenschen so auffassen, als hätte dieses Ereignis, in der Außenwelt, mit der wir mitfühlen, eine Lücke gerissen, als hätte es dem Gehalt dieser Außenwelt an Glückseligkeit Abbruch getan, als wäre diese Außenwelt ihrer Bestimmung, Glückseligkeit zu erzeugen, nicht nachgekommen. Wir denken, daß Men»chen, die ihr Leben ausgelebt haben, sterben, gehöre zur Ordnung der Welt, es reiße keine Lücke in diese Ordnung, es mindere nicht das Vermögen der Welt, Glückseligkeit zu erzeugen, im Gegenteil, wie sollte die Welt bestehen können, wenn nicht die Menschen schließlich einmal stürben. Darum trauern wir um den Tod eines Greises weniger als um den eines Menschen, der noch viel zu erhoffen hatte im Leben. (Der Grund, daß wir nicht ganz folgerichtig verfahren, indem wir um den Tod eines jungen Kindes weniger trauern als um den eines eben erwachsenen Menschen, mag darin liegen, daß wir das junge Kind noch nicht voll als Mensch ansehen, oder auch darin, daß in der Trauer mehr das vorher besprochene Mitleid zur Geltung kommt, das in diesem Falle nicht so stark ausfallen wird, weil das junge Kind noch keine rechte Vorstellung von den Freuden des Lebens hatte, auf die es verzichten mußte.) In der dargelegten Auffassung vom Tode anderer Menschen und dem damit ver-
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knüpften Gefühl der Trauer liegt Idealiemus, aber ein oberflächlicher, einer, der sich bei tieferem Nachdenken nicht rechtfertigen läßt. Wohl ist es die Bestimmung der Welt, Glückseligkeit zu erzeugen, aber dieser Bestimmung hat sie ebensowohl genügt beim Tode eines Kindes, das eben zum Selbstbewußtsein erwacht war, wie bei dem eines Greises. Ein Leben, das im Kindesalter zu Ende geht, hat auch nicht notwendig einen geringeren Wert als ein solches, das bis ins Greisenalter dauert. Denn der Wert des Lebens liegt nicht in seiner Länge, auch nicht darin, daß es alle Stadien vom Kind bis zum Greise durchläuft, sondern er liegt in der Freude, die das Leben hervorbringt. Ein Leben, das schon im Kindesalter endet, hat den Bestand der Welt an Freude ebensowohl vermehrt wie ein solches, das „ausgelebt" wird, wie wir zu sagen pflegen; mag die Summe der Freude beim Kinde wegen des kürzeren Lebens auch kleiner Bein, dafür hat es auch weniger „Raum" beansprucht im Weltgeschehen. Es geschieht auch nicht wider die Ordnung der Welt, wenn ein Mensch „Vor der Zeit" stirbt- Wir meinen, daß ein Greis stirbt, sei nach der Ordnung, das Getriebe der Welt geriete ja in Unordnung, wenn Greise nicht stürben; daß aber ein Kind stirbt oder ein Mensch, der noch viel im Leben zu tun und zu erhoffen hat, das halten wir für gegen die Ordnung. Und doch, es geschieht alles nach der Ordnung, auch das Sterben des Menschen, der sein Leben noch nicht aus. gelebt hat. Der Mensch mußte weg, er stand dem Gange der Welt im Wege, er war ein Hindernis für das unbegreifliche Weltwesen bei der Erzeugung größter möglicher Daseinsfreude; wäre es anders gewesen, so hätte der Weltlauf diesen Menschen nicht ^sterben, sondern leben lassen. Habe ich das rechte religiöse Gefühl, so erschüttert weder der Gedanke an meinen eigenen Tod, noch der Tod anderer Menschen meine Glückseligkeit. Es kommt nicht darauf an, ob ich lebe oder sterbe, sondern es kommt darauf an, daß ich, so lange ich lebe, mich glückselig fühle. Und es kommt auch nicht darauf an, daß die Menschen, die ich, liebe, leben oder sterben, sondern es kommt darauf an, daß sie, so lange ßie leben, glückselig leben. Sind sie gestorben, so bleibt mir noch die Erinnerung an ihr Leben. Und diese Erinnerung liebe ich, und ich liebe das unbegreifliche Weltwesen, das
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Weg
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mich mit den jetzt Verstorbeneu eine Zeitlang hat zusammen leben lassen. Wollte ich aber sagen, daß ich die Toten liebe, so wäre es dasselbe, als wollte ich sagen, daß ich Menschen liebe, die nicht existieren. Ich kann kein Mitgefühl mit den Toten haben, denn sie haben ja selber kein Gefühl. Hätten sie Gefühl, so würde ich sie weiter lieben, und sie würden mich weiter lieben. Trauern würde ich aber auch dann nicht um sie, denn meine Trauer würde sie betrüben, weil es ihr Wunsch sein würde, mich glückselig, nicht aber mich traurig zu sehen. Der Tod geliebter Menschen — ebenso wie der Gedanke an meinen eigenen Tod — dämpft wohl die Lebensfreude, die an der Oberfläche meiner Seele haftet, meine eigentliche Glückseligkeit aber bleibt unberührt. Eine Trauer um Verstorbene, die mehr ist als eine Dämpfung äußerlicher Freude, beruht auf einem Mangel an religiösem Gefühl. Es ist gut, Menschen zu lieben, noch mehr aber muß man die unbegreifliche Wesenheit des Seins lieben. Gewiß ist es „Wahrheit", daß mein Ich und die Ichs der Menschen, die ich liebe, für sich bestehende Dinge in der Welt sind, daß ich meine Gefühle fühle, und die andern Menschen ihre Gefühle fühlen. Aber ebenso gewiß ist es eine noch höhere „Wahrheit", daß mein Ich und die fremden Ichs, meine Gefühle und die Gefühle der andern nichtß anderes sind als flüchtige Erscheinungen auf der Oberfläche Einer Wesenheit, daß es als Wesenheiten gar kein eigenes Ich und keine fremden Ichs gibt, sondern daß es nur die Eine unbegreifliche Wesenheit des Seins gibt, daß nicht fühlende Wesenheiten entstehen und vergehen, wenn Menschenleben beginnen und enden, sondern daß das Entstehen und Vergehen der Ichs nur ein flüchtiges Spiel von Erscheinungen ist, bei dem die zugrunde liegende fühlende Wesenheit unverändert bestehen bleibt. Für viele Verhältnisse des Lebens kommen wir aus mit der gewöhnlichen, der kleineren „Wahrheit", wenn aber der Gedanke an unsern eigenen Tod oder an den Tod von Menschen, die wir lieben, unsere Glückseligkeit zu erschüttern droht, ist es gut, sich die „größere" Wahrheit zu vergegenwärtigen. Es gibt keinen Weltanschauungsgedanken, der besser geeignet ist, in uns das religiöse Gefühl wachzurufen, als der des reinen Idealismus. Sehe ich die Welt im Lichte des reinen Idealismus, so liebe Krüge: - ,
Die Philosophie
lies r e i ß e n
Idealismus.
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ieh in meinem Ich und in andern Menschen nicht für sich bestehende fühlende Wesenheiten, sondern ich liebe in diesen Erscheinungen die Eine unbegreifliche Wesenheit Sein. Und indem so mein Egoismus und meine Liebe zu andern Menschen eingeschlossen sind von religiösem Gefühl, verlange ich nicht nach persönlicher Unsterblichkeit der menschlichen Seelen. Es ist ein klares Zeichen von Religionslosigkeit, wenn Menschen in dem Glauben an die eigene persönliche Unsterblichkeit und an ein Wiedersehen mit Verstorbenen eine der Hauptstützen ihrer Glückseligkeit sehen. Ein Übel, das viel Verheerung in der menschlichen Glückseligkeit anrichtet, ist der Neid. Er verschwindet; wenn wir unser Gemüt zur Mitfreude mit andern Menschen erziehen, und dieser Erziehung werden wir un6 hingeben, wenn wir erkennen, daß die Mitfreude mit andern.Menschen eine reiche Quelle der Glückseligkeit ist. Auch das Übel des Hasse» verliert seinen Wurzelboden, wenn uns die rechte Weltanschauung gegenwärtig ist. Das Tun eines Menschen, das une Veranlassung zum Haß gibt, ist im Grunde genommen ja kein Tun dieses Menschen, sondern es ist das Wirken des unbegreiflichen Weltwesens, das in allem Wirken auf da« Gute gerichtet ist. Es verdient der Mensch, der schlecht gegen uns oder gegen andere handelt, auch eher Mitleid als Haß, denn bei seiner schlechten Gesinnung ist er ausgeschlossen von höherer Glückseligkeit. Wenn andere Menschen uns hassen oder verachten, obgleich wir nach unserm Gewiseen recht gehandelt haben, so kann dieses Übel nicht an die Wurzel unserer Glückseligkeit dringen, wenn wir die rechte idealistische Weltanschauung haben. Ein Übel, das unsere Glückseligkeit schwer bedrohen kann, ist die Reue. Sie ist gewissermaßen ein Haß gegen das vergangene Ich, der ebensowenig vor unserer idealistischen Weltanschauung bestehen kann, wie der Haß gegen andere Menschen. Inden» ich mein früheres Verhalten bereue, bereue ich das Verhalten eines fremden Ichs, denn mein vergangenes Ich, dessen Verhalten hier in Frage kommt, ist ein anderes Ich als' mein -gegenwärtiges. Hat mein vergangenes Ich nach seinen! besten Wissen und Gewissen recht gehandelt,' so darf mein vergangenes Verhaften mir bei rechter idealistischer Weltanschauung. überhaupt keine Veranlassung zur Reue sein.
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Bin ich aber der Ansicht, daß mein vergangenes Ich nicht nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hat, so ist insofern ein Unlustgefühl berechtigt, als die Gefahr besteht, daß ich auch in Zukunft der Versuchung zum Schlechten wieder unterliegen werde. Fühle ich aber für die Zukunft meinen Willen zum Guten gestärkt, so wird die Reue nicht an der Grundlage meiner Glückseligkeit rütteln, denn das Verhalten meines früheren Ichs, das ich bereue, ist im Grunde genommen ja gar nicht das schlechte Tun eines Einzeldinges, sondern das gute Tun des unbegreiflichen Weltwesens. Wenn mir meine idealistische Weltanschauung sagt, daß gegen den Menschen, der schlecht an mir handelt, eher Mitleid als Haß angebracht ist, wie soll ich dann dazu kommen, gegen mein vergangenes Ich, daß mir ein fremdes Ich ist wie die andern Menschen, Haß zu fühlen? Wir brauchen nicht im einzelnen weiter auf Übel von der Art wie Neid, Haß, Reue einzugehen, es ist klar, daß wir bei rechter idealistischer Gesinnung dieser Übel Herr werden können. Schwieriger scheint es schon den Übeln zu wehren, die in physischer Behinderung der normalen Lebenstätigkeit bestehen — wir nehmen zunächst an, daß sie nicht mit erheblichen sinnlichen Schmerzen verknüpft sind. Man denke an dauernde Bettlägerigkeit infolge körperlicher Schwäche, schwere Verkrüppelung, Blindheit, verschuldete oder unverschuldete Gefangenschaft. Keine Weltanschauung kann bewirken, daß uns diese Übel nicht mehr als Übel erscheinen. Da sie wichtige Quellen der Glückseligkeit verschließen, können wir unsere Glückseligkeit nur behaupten, wenn wir andere Quellen um so stärker ausnutzen. Im Grunde genommen können diese Übel uns nur ausschließen von gewissen sinnlichen Genüssen und Tätigkeitsgefühlen, die Erlangung gewisser idealistischer Genüsse können sie uns erschweren, indem sie gewisse sinnliche Wahrnehmungen verhindern, aber ganz und gar unmöglich machen können sie uns eigentlich keine einzige Mitfreude, sofern unser Denkvermögen nicht behindert ist. Dieses kann trotz aller physischen Hindernisse Vorstellungen von den Dingen der Außenwelt gewinnen, und mit diesen Vorstellungen kann ebenso hohe Miti^-iide verbunden sein wie mit den Vorstellungen der Außenwelt, die ein Mensch in gewöhnlichen Ver-
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hältnissen hat. Kein physisches Übel kann uns die Freude am Dasein glücklicher Menschen oder an dem wunderbaren Getriebe der Welt oder die Lust wahrer Religiosität rauben. Es erscheinen uns die Hindernisse unserer Lebenstätigkeit, von denen wir sprechen, auch ja nur als Übel, weil wir erkennen, daß sie bei andern Menschen nicht vorhanden sind, daß sie nicht zur Natur der Gattung Mensch gehören. Verbrächten alle Menschen ihr Leben im Bett oder im Gefängnis, oder wären alle . Menschen verkrüppelt oder blind, so würden wir uns dieser Zustände bei uns selbst ebenso wenig als Übel bewußt werden wie wir die Unfähigkeit ,des Menschen nach den Sternen zu fliegen als Übel fühlen. Der Umstand, daß wir unsern Planeten nicht verlassen können, verschließt uns zweifellos reiche Quellen der Glückseligkeit, aber wir denken nicht daran, darum am Leben zu verzweifeln, wir halten uns vielmehr an Quellen der Glückseligkeit, die es außer dem Flug nach den Sternen noch gibt und die uns zur Verfügung stehen. Nutzen wir alle Quellen der Glückseligkeit, die jene Übel uns noch lassen, im höchsten Grade aus, so werden wir auch höchste Glückseligkeit erreichen. Der körperliche (sinnliche) Schmerz verschließt uns, wenn er große Heftigkeit erreicht, nicht nur Quellen der Lebensfreude, wie die eben besprochenen Übel, er drückt auch unmittelbar auf unsere Glückseligkeit. Die Fähigkeit, auch bei körperlichen Schmerzen die Glückseligkeit zu bewahren, ist freilich unter den Menschen eine sehr ungleiche, und daher ist auch die Meinung der Menschen über die Bedeutung des Schmerzes als Übel eine sehr verschiedene. Die Glückseligkeit eines Menschen wird natürlich durch den körperlichen Schmerz um so mehr herabgedrückt, je ausschließlicher sie aus sinnlicher Lust besteht. Für den ethisch höher stehenden Menschen, dessen Glückseligkeit mehr auf idealistischen als auf sinnlichen Genüssen beruht, haben körperliche Schmerzen keine so starke Wirkung auf die Glückseligkeit als bei dem ethisch niedriger stehenden — mag auch der Schmerz an und für sich bei dem höher stehenden Menschen vielleicht stärker gefühlt werden als bei dem niedriger stehenden. Wie die sinnliche Lust für den höher stehenden Menschen zwar auch mit zu seiner
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Glückseligkeit gehört, aber doch nicht zu dem eigentlichen Grundstock derselben, so greift bei dem höher stehenden Menschen der körperliche Schmerz wohl auch die Glückselig keit, und zwar unter Umständen sehr erheblich, an, er dringt aber bei ihm doch nicht an die Wurzel der Glückseligkeit. Dem in sinnlichen Genüssen sein Glück suchenden Menschen ist sein Leib sein Ich. Dem Menschen mit hohem idealistischen Gefühl ist der Leib gleichsam ein dem Ich sehr nahe stehendes, aber doch gewissermaßen fremdes Ding. Der Mensch mit einem in hohem Grade idealistisch, namentlich religiös gestimmten Gemüt fühlt die Qual körperlichen Schmerzes so, als ob es einem ihm sehr nahe stehenden Dinge sehr schlecht erginge. Er fühlt sich dadurch in seiner Glückseligkeit beengt, aber er faßt die Sachlage doch so auf, als ob die leibliche Qual ein Geschehen sei, das ihn wohl bedränge, das aber doch immerhin sich noch draußen auf dem Vorhof seiner Seele abspiele. Der ethisch hochstehende Mensch fühlt in der Qual körperlichen Leidens, sofern er überhaupt zu sich selbst ist, daß der eigentliche Kern seiner Glückseligkeit unerschüttert besteht. Hinzu kommt noch, daß auch das schmerzensreichste Leben niemals ein ununterbrochener heftiger Schmerz sein kann, ferner, daß der Mensch mit vernünftiger Lebensanschauung bestrebt sein wird seinen Körper an das Ertragen von Schmerzen zu gewöhnen. Wir treffen zuweilen bei Menschen ohne irgend welche bewußte philosophische oder religiöse Bildung, die seit langen Jahren Tag für Tag unter heftigen körperlichen Schmerzen leiden und auf keine Besserung ihres Zustandes hoffen, ein Frohsein der Seele, eine so hohe innere Glückseligkeit an, daß wir ganz verwundert sind. Allein infolge natürlicher optimistischer Veranlagung haben .diese Menschen ihre Glückseligkeit bewahrt. Uns fehlt vielleicht diese Gabe der Natur, haben wir dafür aber das Rüstzeug idealistischer Weltanschauung und echter Religiosität, so kann kein Zweifel sein, daß wir in den allermeisten Fällen, die für gewöhnlich als hoffnungslos angesehen werden, mit Erfolg den Kampf gegen das Übel körperlichen Leidens aufnehmen können, so daß wir Uns die Lust zu leben bewahren. Müssen wir die Waffen strecken, so bleibt uns noch immer ein letztes Mittel, unsere Glückseligkeit zu behaupten:
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Abschnitt:
Über Ethik und Religion.
Lassen wir Leib und Leben fahren, zwei Dinge, die uns zwar lieb, die aber für unsere Glückseligkeit entbehrlich sind! Ist rechte Religiosität in uns, so werden wir sterbend noch die Güte und Schönheit des Seins fühlen *)! Die Ausführungen dieses Kapitels, auch die, welche sich auf besondere Verhältnisse des menschlichen Lebens beziehen, zielen nicht auf die Aufstellung einer ins einzelne gehenden Lebenskunst, sie sollen nur klarlegen, daß auf dem Grunde unserer Seele eine idealistische Weltanschauung herrschen muß, wenn wir hohe Glückseligkeit erreichen wollen. Wie sich im einzelnen das Verhalten des von idealistischem Geiste erfüllten Menschen gestalten wird, welches Verhalten im Einzelfalle das „rechte" ist, wollen wir nicht des näheren untersuchen, es richtet sich das auch vielfach nach dem Zustande der menschlichen Gesellschaft, in die der Mensch gestellt ist. Was in der einen menschlichenUmwelt der rechte Idealismus ist, kann in einer andern etwas Niederes sein. Das „rechte" Verhalten läßt sich nicht in starre Gebote kleiden. Auch der Mensch mit idealistischer Grundstimmung des Gemüts kann zweifeln, wo im einzelnen Fall das ethisch Höhere ist, aber er ist sich doch klar über die allgemeine Richtung des Weges zur ethischen Vervollkommnung, zur Glückseligkeit. Der idealistische Optimismus, wie wir ihn den Grundzügen nach dargelegt haben, ist der sicherste Führer auf dem Wege zur Glückseligkeit. 1) Daß den gegenwärtigen Kulturmenschen auch dann, wenn der Tod als Erlösung von unerträglichen und unheilbaren Qualen erscheint, die Scheu innewohnt, das eigene Leben zu beenden und der Bitte eines andern Menschen auf Beendigung seines Lebens zu entsprechen, mag nützlich sein für die menschliche Glückseligkeit. Denn bei der niederen Gesinnung der gegenwärtigen Kulturmenschen im allgemeinen, bei ihrer geringen Willenskraft, sich zu behaupten gegen widrige Geschicke, würden beim Fehlen jener Scheu die Menschen im Kampfe gegen die Qualen körperlicher Leiden oft zu früh die Waffen strecken. Aber nicht im Wesen des Seins, sondern nur in der ethischen UnVollkommenheit de« Menschengeschlechts ist der Zustand begründet, daß Menschen sich zu Tode quälen müssen, während Tiere durch menschliches Mitleid von ihren Leiden erlöst werden.
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In dem vorstehenden Teil dieses Kapitels haben wir untersucht, wie der einzelne Mensch es einzurichten hat um höchste Glückseligkeit zu erlangen. Wir wollen jetzt einen Blick werfen auf den Weg, der die Kulturmenschheit als Ganzes zu höherer Glückseligkeit, zu höherer Kultur führt. Der Satz, daß höhere Glückseligkeit nur möglich ist auf Grund idealistischer Gesinnung, gilt natürlich auch für die Kulturmenschheit. Das technische Können der Kulturmenschheit ist gegenwärtig so weit vorgeschritten, daß beim Vorhandensein der rechten idealistischen Gesinnung allen Menschen das Maß von äußerer Lebensannehmlichkeit gewährt werden kann, das wir für ein glückseliges Leben erforderlich halten. Es fehlt der Menschheit nicht an der Möglichkeit egoistischer ..Genüsse, nicht an Zivilisation; Mangel an idealistischer Gesinnung ist ihr Fehler. Würde das technische Können der Menschheit so weit gesteigert, daß die Möglichkeit egoistischer Genüsse allen Menschen in demselben Maße gewahrt wäre wie sie gegenwärtig nur für den reichsten Bürger besteht, so wäre, wenn das idealistische Denken der Menschen auf dem alten Stande bliebe, die dadurch erreichte Steigerung der menschlichen Glückseligkeit doch nur eine geringe. Von einer Förderung der Technik und des äußerlichen Fortschritts, den wir Zivilisation nennen, ist für die Kulturmenschheit keine erhebliche Steigerung der Glückseligkeit zu erwarten. Ebensowenig ist eine solche zu erhoffen von einer bloßen Änderung der äußeren Ordnung innerhalb der Kulturmenschheit. Ob die Staaten fortfahren gegen einander zu streben, oder ob sie ,sich zu einer Gemeinschaft zusammenschließen, ob ein Staat diese oder jene Regierungsform hat, ob seine Bürger dieses oder jenes Wahlrecht haben, ob die Gütererzeugung auf privatwirtschaftlicher oder genossenschaftlicher Grundlage erfolgt, ob man am Privateigentum festhält oder es abschafft, alle diese und ähnliche Fragen, die die Menschen im allgemeinen für außerordentlich wichtig, die sie für Kulturfragen ersten Ranges halten, treten an und für sich an Bedeutung für die Glückseligkeit der Menschheit weit zurück hinter der idealistischen Gesinnung der einzelnen Menschen. Erfährt die idealistische Gesinnung der einzelnen Menschen keine Steigerung, so kann eine Veränderung in der äußern' Ord-
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Abschnitt:
Über Ethik
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Religion.
nung auf keinen Fall eine erhebliche Erhöhung der Glückseligkeit herbeiführen. Würde aber auf irgend eine Weise die idealistische Gesinnung der einzelnen Menschen auf eine 6ehr viel höhere Stufe gebracht, so würden die Menschen die Dinge der gesellschaftlichen Ordnung, über die sie gegenwärtig leidenschaftlich streiten, als etwas Nebensächliches ansehen und sie ohne viel Aufhebens in die passende Form bringen. Warum ist denn nun die idealistische Gesinnung der Menschen eine so niedere? Weil es der Menschheit an Weltanschauung, an Religion fehlt. Gewiß finden wir bei allen Menschen Spuren idealistischen Strebens und Fühlens. . Aber diese idealistische Gesinnung, die wir' antreffen, hat keinen rechten Wurzelboden. Sie ist entweder eine bloße Geschmacksrichtung, wie auch der Egoismus eine ist, oder sie stützt sich auf blinde Gewohnheit, auf die „Sitte". Sie führt daher ein kümmerliches Dasein, sie wird niedergehalten durch den Egoismus, der fest wurzelt in der menschlichen Natur. Im Denken der heutigen Menschen steht der Egoismus auf festem Boden, er ist „Realismus", der Idealismus dagegen schwebt in der Luft, hat keine Wurzel in der Wirklichkeit. Daß ein solcher Zustand ungünstig ist für den Kulturfortschritt, liegt offen zutage. Die idealistische Gesinnung kann in der Menschheit nur wachsen, wenn sie fest wurzelt in der Weltanschauung, in der Religion. Die Rieligion sagt dem Menschen, daß er mit allen andern Dingen der Welt eingebettet ist in eine unbegreifliche Wesenheit, deren Streben dahin geht, Glückseligkeit zu erzeugen, daß er als Einzelding dieses Streben der unbegreiflichen Wesenheit auf seiner Seite hat, wenn sein Sinn auf das Höhere gerichtet ist, daß er es gegen sich hat, wenn sein Sinn auf das Niedere gerichtet ist. Die Religion sagt dem Menschen, daß er höhere Glückseligkeit nur erreichen kann, wenn er idealistisch gesinnt ist. Die Religion stellt den Menschen in eine Welt, deren Daseinsgrund die Freude ist, in der alles Geschehen darauf hinaus läuft, den Bestand an Freude zu erhöhen. Im Lichte der Religion ist dem Menschen die Welt eine Welt des Frohseins, er braucht nur das Fenster seiner Seele zu öffnen und das Frohsein der Welt strömt herein und überwindet die Trübsal, die dem Egoismus und der Betrachtung des Einzelgeschehens entstammt. Die Religion
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ißt der Wurzelboden der guten Gesinnung und der Glückseligkeit. Die Menschen aber sind religionslos. Was sie mit dem Namen Religion bezeichnen, hat vielfach nichts mit Religion zu tun, ja ist zum Teil Atheismus. Atheismus ist es, wenn Menschen glauben, die Welt sei ihrem Wesen nach derartig beschaffen, daß der eine Teil der Menschen ewige Höllenqual erdulden, der andere ewige Seligkeit genießen werde. In einer solchen atheistisch gesinnten Seele kann keine hohe Glückseligkeit bestehen. Mag diese Seele sich auch die egoistische Unlust der Furcht, daß sie selber in die Hölle kommt, fernhalten — wir wollen nicht untersuchen, in welcher Weise —, eine rechte Glückseligkeit kann nicht aufkommen vor Mitleid mit den in der Hölle schmachtenden Seelen. Im Bewußtsein des theologischen Atheisten mag vielleicht die Unlust eines solchen Mitleids fehlen, aber dann ist seine Denkfähigkeit eine so geringe, daß schon aus diesem Grunde höhere Glückseligkeit ausgeschlossen ist. Denn ein Denkvermögen, das nicht ausreicht, Mitleid mit den in der Hölle schmachtenden Menschen zu fühlen, reicht auch nicht aus, höhere Glückseligkeit zu fühlen. Eine pessimistische Weltanschauung kann niemals als Religion — als Religion in unserem Sinne — auftreten; Religion ist immer Optimismus, nicht Optimismus nur in bezug auf das eigene Ich, sondern in bezug auf die Wesenheit des Seins. Aus dem, was man abweichend von dieser Auffassung als Religion bezeichnet, entspringt nicht religiöses, sondern egoistisches Lustgefühl, wenn überhaupt Lustgefühl daraus entspringt. Egoistisch ist die Lust, die der Mensch fühlt, der überzeugt ist, daß ihm die Freuden des Himmels, andern Menschen die Qualen der Hölle bevorstehen. Warum haben nun die Menschen aber keine Religion? Weil ihre Denkfähigkeit in Weltanschauungsfragen eine zu geringe ist. Die eigentliche Weltanschauungsfrage ist die. ob der Mensch bei guter (hoher) Gesinnung glückseliger ist als bei böser (niederer). Ob ein persönlicher Gott existiert oder nicht existiert, berührt nicht die eigentliche Weltanschauungsfrage, nicht die Religion. Wenn ich Religion habe, wenn ich überzeugt bin, daß ich bei guter (hoher) Gesinnung die unbegreifliche Wesenheit des Seins für mich, bei böser (niederer) Gesinnung gegen mich habe, dann ist die
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Zweiter
Abschnitt:
Uber Ethik und Religion.
Frage nach der Existenz eines persönlichen Gottes nicht mehr eigentliche Weltanschauungsfrage für mich, sondern eine der gewöhnlichen Frägen nach der äußern Konstruktion der Welt. Existiert ein persönlicher Gott, so wird er bestrebt sein, mein Wohl wie das jedes Einzeldinges zu fördern, einerlei, ob ich seine Existenz für wahr oder für unwahr halte, denn es wäre unsinnig zu glauben, Gott habe eine niedrigere Gesinnung als ich selbst, was der Fall wäre, wenn er Menschen in die Hölle schickte. Existiert ein persönlicher Gott nicht, so bleibt meine Gesinnung darum doch die rechte, weil ich ja die unbegreifliche Wesenheit Sein auf meiner Seite habe. Die eigentliche Weltanschauung, auf die es für die menschliche Kultur ankommt, besteht darin, daß der Mensch glaubt an den größeren Wert der guten Gesinnung für seine Glückseligkeit und den Sieg des Guten in der Welt; an der Berechtigung dieser Weltanschauung ändert ein etwaiger Irrtum in bezug auf die Existenz oder Nichtexistenz eines persönlichen Gottes nichts. Erst recht bleibt natürlich die eigentliche Weltanschauung unberührt durch das, worüber die Gottesgläubigen unter sich und die Gottesleugner unter sich verschiedener Meinung sind. Daß die eigentliche Weltanschauungsfrage allein darin besteht, ob die Welt so eingerichtet ist, daß mit der höheren Gesinnung größere Glückseligkeit verbunden ist' als mit der niederen, mit dem Mitgefühl höhere als mit dem Egoismus, das, sollte man meinen, müßte jedem Menschen klar sein. Es isfc aber nicht so. Die Menschen sind so ungeübt im Weltanschauungsdenken, daß sie es nicht einsehen, wenigstens nicht klar einsehen. Eine dunkle Ahnung, daß aller leidenschaftliche Streit der kirchlichen, politischen und wissenschaftlichen Parteien um angebliche Grundlagen der Kultur (der menschlichen Glückseligkeit) ein Streit um Nichtigkeiten oder um Wahrheiten zweiten Ranges ist, mag freilich in dem Bewußtsein der meisten Menschen, die überhaupt über die unmittelbaren Forderungen de6 alltäglichen Lebens hinaus zu denken vermögen, dann und wann auftauchen. Aber nicht einmal alle, die Führer in der Menschheit sein wollen, sehen es klar ein, daß es eine große Wahrheit gibt, nämlich die Religion, die erhaben ist über allen kleitiliehen Streit der Menschen, über alle Ansichten über die äußerliche
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Konstruktion der Welt, die alle Menschen eint; und mit Nachdruck verkünden tut diese Wahrheit fast keiner. Gewiß würde das Gegeneinderstreben der Menschen auch nicht aufhören, wenn alle Menschen nicht nur die Bedeutung der Weltanschauungsfrage erkannt hätten, sondern Auch überzeugt wären von dem größeren Glückseligkeitswert des Guten, nicht bloß theoretisch überzeugt wären, sondern auch nach dieser Überzeugung handelten, denn es würden die Menschen dann eben dadurch in Gegensatz zu einander geraten, daß sie verschiedener Meinung wären über das, was „gut" ist, was dem Wohle des Ganzen entspricht. Aber einmal würde dieses Gegeneinanderstreben ein weit geringeres sein als das gegenwärtige, denn gegenwärtig beruht der größte Teil des Gegeneinderstrebens nicht darauf, daß die Menschen verschiedener Ansicht sind über das, was gut ist, sondern darauf, daß sie nicht den Willen haben, das Gute zu tun. Und dann würde sich das Gegeneinanderstreben, das noch bestehen bleibt, auch in andern Formen abspielen als gegenwärtig. Es würde der eine des andern Meinung achten, jeder würde den Gegner zu überzeugen suchen, die Minderheit sich aber freiwillig der Mehrheit fügen; es würde das Gegeneinanderstreben der Menschen zu einem Kampf mit geistigen Waffen und daher mehr dem Kulturfortschritt dienen als gegenwärtig. So lange die Menschen aber noch keine Klarheit haben über die Weltan echauung des Idealismus, so lange sie noch keine klare Religion haben, ist das Gegeneinanderstreben der Menschen mehr ein wüstes Durcheinander als ein Mittel zum Fortschritt der Kultur, so lange ist nicht nur der Kulturfortschritt der Menschheit, wenn überhaupt ein solcher zustande kommt, ein sehr langsamer, so lange ist auch das Fortbestehen der Kultur überhaupt in Frage gestellt. Wie aber ist den Menschen Idealismus, wie ist ihnen Religion beizubringen? Die idealistische Weltanschauung muß ebenso zur Grundlage der Menschheitserziehung gemacht werden, wie in früheren Zeiten die empirischen Weltansichten der Theologen, die man gewöhnlich als Religionen bezeichnet — die aber nach unserer Auffassung, weil sie nicht auf religiöses, sondern auf egoistisches Gefühl ab-
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Zweiter
Abschnitt:
Uber Ethik und Religion.
zielen, den Namen Religion nicht v e r d i e n e n . Zunächst ist erforderlich, daß die Menschen, die an der Erziehung der Menschheit arbeiten, selber Klarheit in der Weltanschauungsfrage besitzen. Wir denken dabei nicht bloß an Erziehung im engeren Sinne, sondern an jede Art Führerschaft in der Menschheit. Die Zerfahrenheit, die gegenwärtig Theologen, Philosophen, Naturwissenschaftler, Politiker in die Erziehungstätigkeit bringen, muß aufhören. Man mag den Menschen empirische Weltansichten oder philosophische Weltformeln lehren, welche man für wahr -hält, man muß sie aber lehren als Wahrheiten zweiter Ordnung; als Wahrheit erster Ordnung muß immer die Religion hingestellt werden. Das Denken der Menschen muß gleichsam durchtränkt werden von Religion, von der Auffassung, daß der Mensch mit allen andern Dingen der Welt eingeordnet ist in eine unbegreifliche Wesenheit, daß er diese Wesenheit auf seiner Seite hat, wenn sein Wille auf das Höhere gerichtet ist, daß er diese Wesenheit gegen sich hat, wenn sein Wille auf das Niedere gerichtet ist, daß es für den Menschen keinen andern Weg zu höherer Glückseligkeit gibt als den des Strebens nach höherer Gesinnung. Man denke, daß' das ganze öffentliche und private Leben so eingestellt würde auf den Idealismus, wie es früher eingestellt war und zum Teil auch noch jetzt eingestellt ist auf die Theologie. Man denke, daß der Mensch im Leben ebenso häufig auf die Auffassung, der Grad der Glückseligkeit steige mit der Höh& der Gesinnung, gestoßen würde, wie ihm früher die Behauptung vorgehalten wurde, Gott schicke die guten Menschen in den Himmel, die bösen in die Hölle. Wenn so im äußern Leben der Menschheit der Idealismus ebenso Mode würde, i ) Gewiß fühlen auch viele Anhänger theologischer Weltansichten religiös, sie halten dann eben diese Weltansichten nur „in Worten" f ü r wahr, auf dem Grunde ihrer Seele sind sie Anhänger der idealistischen Weltanschauung, hier denken sie: „Wie es sich auch verhalten mag mit der äußerlichen Konstruktion der Welt, auf jeden Fall herrscht in der Welt eine unbegreifliche Macht, die auf unserer Seite steht, wenn wir unsere Gedanken auf das Gute, das Höhere richten." Menschen aber, die nicht bloß äußerlich, sondern innerlich glauben an eine Hölle, haben keine Religion, sondern sind Atheisten. Und wenn sie sich glückselig bei ihrem Glauben fühlen, ist M eine egoistische, eine niedere Glückseligkeit.
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Der W e g zur Glückseligkeit.
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wie es früher die (kirchliche) Theologie war, sollte dann nicht die idealistische Weltanschauung auch eindringen in das Innere mancher Menschenseele? Freilich, hochgespannte Hoffnungen auf schnellen Erfolg einer Erziehung des Menschengeschlechts im Sinne idealistischer Weltanschauung sind nicht gerechtfertigt. Dazu wurzelt der Egoismus zu tief in der Natur der Menschen, dazu ist die Unfähigkeit der heutigen Menschen in höherem Grade idealistisch, vor allem religiös zu fühlen, ist überhaupt ihre Schwerfälligkeit im Weltanschauungsdenken eine zu große. Der Kulturfortschritt der Menschheit wird immer ein langsamer sein. Damit er aber überhaupt im Gange kommt und nach Möglichkeit gefördert wird, ist eine Erziehung der Menschen zu idealistischer Weltanschauung notwendig. Zwar ist vorläufig nicht darauf zu rechnen, daß alle oder auch nur die Mehrheit der Menschen einen Weltanschauungsgedanken wie den des reinen Idealismus verstehen werden, man kann aber auch an der Erziehung der Menschen zum Idealismus arbeiten ohne in die volle Tiefe philosophischer Erkenntnis hinabzusteigen. Eine volkstümliche Lehre idealistischer Weltanschauung muß vielleicht auf jede Berührung philosophischer Erkenntnistheorie verzichten. Es läßt sich aber auch so darstellen, daß der einzelne Mensch eingefügt ist in ein unbegreifliches zum Höheren strebendes Weltwesen. Sogar Kindern kann man idealistische Weltanschauung lehren. Damit eine idealistische Weltanschauung in weiten Volkskreisen wirklich Fuß fassen kann, ist es freilich erstes Erfordernis, daß die allgemeine geistige Bildung der Menschen viel mehr als bisher gefördert wird. Die Meinung, daß das Vorhandensein ungebildeter Volkskreise notwendig sei für den Bestand der menschlichen Gesellschaft, muß aufgegeben werden. Wie die Erziehung der Menschheit im einzelnen zweckmäßig einzurichten ist, wollen wir hier nieht untersuchen. Es wird sich das auch leicht entscheiden, wenn erst die Führer in der Menschheit die Bedeutung der idealistischen Weltanschauung erfaßt haben. Man pflegt im alltäglichen Leben den Idealisten in Gegensatz zu stellen zu dem „Realisten", in der Weise, daß man unter Idealismus eine Willensrichtung versteht, die
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Zweiter
Abschnitt:
Über Ethik und Religion.
nicht die rechte Rücksicht auf die Wirklichkeit nimmt, und unter Realismus eine solche, die der Wirklichkeit angemessen ist. Bei dieser Gegenüberstellung wird dann dem Realismus der größere Wert als Lebensweisheit zugesprochen. Es ist aber der Mensch, den man hier einen Idealisten nennt, nicht ein solcher, wie ihn unsere Weltanschauung fordert. Wenn jemand durch idealistische Gedanken davon abgehalten wird, für die Notwendigkeiten des äußerlichen Lebens zu sorgen, oder in seinem idealistischen Streben nicht die ethische Minderwertigkeit der Mehrheit der heutigen Menschen, ihre Unfähigkeit im Weltanschauungsdenken berücksichtigt, und so in einen Zustand der Unfreiheit gerät, so mag man ihn einen Phantasten nennen, weil er an der Wirklichkeit vorbei sieht. Ein Idealist, wie ihn unsere Weltanschauung verlangt, ist ein Mensch, der in bezug auf die Notdurft des äußerlichen- Lebens gerade eo denkt wie jeder andere verständige Mensch, der überhaupt egoistische Genüsse, so weit sie idealistische nicht ausschließen, keineswegs als wertlos, vielmehr als erstrebenswert ansieht, der sich aber bewußt ist, daß nur idealistische Gefühle dem menschlichen Leben einen höheren Wert verleihen, und daß ein Fortschritt der Menschheitsentwicklung — inag auch eine pessimistische Auffassung über seine Schnelligkeit berechtigt sein — auf dem Wege erfolgen wird, den der Idealismus anzeigt. Ein solcher Idealist ist „Realist", denn er sieht die Wirklichkeit so wie sie ist. Der Egoist aber, der den Wert idealistischer Gefühle nicht erkennt und der sich selbst für einen Realisten hält, hat eine verkehrte Vorstellung von der Wirklichkeit, er ist tatsächlich ein Phantast.
Sachregister. A b b i l d der Wirklichkeit 61 ff. 66 ff. Absolute Freiheit 72. Absolute Wahrheit 72 f. Abstrakte Begriffe 51 f. 198. Allgemeingültigkeit 194. Alls, F r e u d e des 258. Altruistische Gefühle 168 f. Andere Welt 229. r A n f a n g " des Ichs 221 f. Anpassung 122 ff., misslungene A. 125, Angepasstsein gleich Freiheit 127. Anschauliches Denken 26. 44 ff. 197. Ästhetisches Gefühl 176. 180 ff., idealistisches ii. G. 181 ff. Atheismus 186, theologischer A. 281. 2ö4 '). Atome u n d Weltäther 89 ff., Unteilbarkeit der A. 90 f. Atomistischer Materialismus 93 ff. Attribut siehe Wesensseite. Aussenweltll'f., was ist dieA.? 76. Äussere Lebensverh ältnisse 245 ff. Auferstehung der Toten 215. Autoritätsglaube 196. B e g r i f f e , Denken der 46. B e g r ü n d u n g der Moral 133, Notwendigkeit einer B. d, M. 135 ff. Bestätigung der Wahrheit durch W a h r n e h m u n g 62 f. B e w e g u n g der Körper als Fort-
leitung von Bewegungszuständen 94 f. Bewusstlosigkeit 223. Bewusstsein u n d Materie 96 f., B. im naturwissenschaftlichen Weltbilde 119 f. Bewusstseinserscheinungen, Einteilung der 15 ff., sinnliche Wahrnehmbarkeit d e r B . 102 ff. Bibel 213. Bildtheorie 61 ff., 66 f. I>enknotwendiges u n d nichtrfenknotwendiges Fürwahrhalten 191 ff. Dimensionen des Raumes 18. 82 1 ). Durchschnittliche Entwicklung'Shöhe der Dinge 172 f. Dynamisches Weltbild 99 f. .Egoistische Gefühle 168 f., 177 ff., e. Gedankengefühle 178. Egoismus, g e s u n d e r 255, erweiterter E. 259.. Ehe 260. Eigengefühle 168 f. Einheit u n d Vielheit des Sein» 13. 78, Einheit des materiellen Geschehens 92. Einbryoleben und Unsterblichkeit 221 l )- " E m p f i n d u n g 15, Arten der E. 16,
288
Sachregister.
E. unterschieden vomGedanken 36 ff. Empfindungsgefühle 167. Empirische Weltansicht 1. 84 ff., drei Bezirke de6 e. Weltbildes 168 ff., e. Weltansicht und Keligion 206 ff., e. Wahrheiten 5, e. Ich 7. 75. 93. 220. 223 ff., e. Gottesbegriff 198 ff. Energetisches Weltbild 99 f. Entwicklung der Gefühle 179. Erhaltung der Materie und der Energie 148 f. Erinnerung an ein früheres Leben 220 f. Erkenntnis 61 ff., E. selbst ein Ding 64 f. 77, E. und Freiheitsgefühl 69 ff. Erkenntnisgefühl 184. Erziehung zur Mitfreude 253 f., E. der Menschheit 284 f. Ethik, die Königin der Wissenschaften 79, E . . und Moralphilosophie 151, Grundfrage der E. 231. Ewige Gesetze der Natur, Verr neinung derselben 147 ff. Existenz eines persönlichenGottes 207 ff. Existenzdauer 128. Experimenteller Beweis für den höheren Wert des Guten 127 f. Familie 260. Fern wirkende Kräfte 94. 98. Fortdauer über den Tod ist noch nicht Unsterblichkeit 221 f. Freiheit 19, F. und Erkenntnis 69 ff., F. gleich Bewegungsintensität ? 116 f., F. gleich Angepasstsein 127, F. als Wertmass aller Dinge 127 ff. Freude an kleinen Dingen 259. Friede, ewiger 248 Frohsein der Seele 79. 173. Fundamentalste Wahrheit aller Philosophie 6. Fürwahrhalten, Arten des F. 187,
191 ff., Wesen des F. 188 f., Gründe des F. 189 f., Wesenseinheit des F. 194. 197 f. Für wahrscheinlichhalten 187. Geburt 224. Gedanken 15 f., Räumlichkeit der G. 24 ff., G. als gedachte Wahrnehmungen 25, G. nicht blosse Bilder von Dingen, sondern selbst Dinge 52. 64, G. unterschieden von Empfindungen 36 ff., G. als vorgestellte Empfindung und Wahrnehmung44ff. Gedankengefühle 167. Gefühl 19. 26 ff., Quaütätslosigkeit der G. 27, G. als Wesensseite materieller Dinge 113 ff., Sitz des G. 118, Einteilung der G. 167 ff. Gefühllose Dinge 118. Gegeneinanderstreben der Menschen 283. Gegensatz und Übereinstimmung 19. Gegen wartsbewu68tsein9f. 13.230. Geistiges Ich im empirischen Weltbilde 168. Gemein Vorstellungen , Denken der 46 f. Gerechtigkeit desWeltgeschehens 241 ff. Gesetzmässigkeit des eigenen Willens 141 ff., G. alles Geschehens 150., G. des Naturgeschehens 146. Gesichtssinnliche Raumqualität, Bedeutung derselben 101. Gesichts- und gehörssinnlicho Empfindungen, Gefühlsgehalt derselben 167. Gestalt 23 f., G., Grösse, Inhalt als Wesensseiten 20 f., G. al» Daseinsform 34. Gesundheit und Krankheit 234ff. Gewissen 160 ff. Gewissheit 67 ff., 187 f., 192 f. Glaube 187 ff., Wille zum G. 196.
Sachregister. Gleiche Zustände des Seins 149. Glückseligkeit und Erkenntnis 70 ff., Messbarkeit der G. 127, G. und gute Gesinnung 233 ff. 242 f.. G. nicht Folge schlechter Gesinnung 235 ff., Weg zur Glückseligkeit 253 ff. Gott 179 f. 185 f. 202 f., persönlicher G. 203 ff., „theologischer* G. 210, G. als Schöpfer der Welt 205 f., einzeldinglicher G. 207, Existenz eines persönlichen G. 207 ff. 281 f. Siehe auch Gottesbegriffe, Religion. Gottesbegriffe 198. 201 f. Grad des Freiheitsgefühls immer ein positiver 32. Gravitationsgesetz 143. 147 f. Grenze des Ichs, Berichtigung derselben 6 f., G. zwischen den Gefühlsarten unklar 176 f., unklare G. zwischen Verstand und Vernunft 193 f. Grösse als Daseinsform 34. Grundfrage der theoretischen Philosophie 78 f. Grundsatzdes rechten WollenslSl. Gute Gesinnung und Glückseligkeit 233 ff. 242 f. Halluzinationen 37. Hass 274. Heftigkeit des Gefühls 33. Heimat 261. Himmel 216, Himmel der Menschheitsentwicklung 261 f. Höhere und niedere Gefühle 184f. Hölle 216 ff. Humor 256.
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heit 173 f., Abweichungen vom ethischen I. 175. Idealistische Gefühle 168 f., i. Gottesbegriff 199 ff., i. Optimis< mus, siehe Optimismus. Idealismus ebenso Mode wie Theologie 284 f., I. und Realismus 285 f., siehe auch reiner I. Irrtum 192 f. Jammertal, die Welt als 245 ff. Jetzt, ausdehnungsloses J. des Bewusstseins 13. Kausalität 149 f. Kleid der Gottheit 215. Kontinuum der materiellen Welt 89 ff., 92 ff. Körperliches Ich und körperliches Nichtich 85 ff. Kraft 97 f. 99, fern wirkende K. 94. Krieg 248. Kultur, die niedere K. als Hindernis menschlicher Glückseligkeit 246ff., Stand der gegenwärtigen K. 248, Fortschritt der K. 251 f. 285. Kulturmenschheit 263 f. Kunitschöne 181 ff. 267. Länge des Lebens 230. Laplacescher Geist 141 f. Leben und Sterben 228, Länge des L. 230. Leerer Raum 91. 111. 149. Leib 168, Grenze des L. 85 ff. Leibliches Ich 8. Liebe 176. Logisches Denken 51 f. Lust und Unlust 27 ff., L. und U. als Gegensätze 29, als Wesensseiten des Gefühls 29 f., al* Zu- und Abnahme der Freiheit 29 ff.
Ich, eigenes und fremde Ichs 273 f. Ich und Niclitich, unbegreifliche Einheit von 73 ff., verschiedene Stellungen zu dem Problem 83. Ichbegriff 11 f. llachtgefUhle 178. Ichpunkt 75. Ideal, des vollkommenen Lebens . Materialismus, reiner 96 ff., 120f., Unbegreiflichkeit im r. M. 107 ff. 169, I. ethischer VollkommenK r ü g e r , Die Philosophie des reinen
ealismus.
19
290
Sachregister.
Materialität der Bewusstseinserscheinungen 100. Materie 96. Mathematische Gesetze 140 f. Menge der Dinge 111 f. Mensch als Feind der Menschen 245 f. Menschheitsentwicklung 249 f f , Fortschritt der M. 251 ff. Metaphysik 7. 11. 83. Metaphysisches Ich 7. 219,f. Mitfreude 253 f. Mitgefühl 168, M. mit dem Seinsganzen ist ständige Lust 170ff., unterschiedliche Zuteilung des M. 259. Mitleid 253 ff., übertriebenes M. 255 f. Modell der Wahrheit 70 ff. Moral, Begriffsbestimmung 162 f., nicht starre Regeln 237. Moralischer Wille 132 ff., höherer Freiheitsgrad des m. W. 163 f. Moralisches Gefühl 175 ff. Moralphilosophie 151 f. Machempfindung 38. Naturgefühl 176 ff. Naturgesetz 139 ff., das . W e n n " der N. 143 f., nicht mathematisch formulierteN.145f., Schema der Naturgesetzlichkeit 146 f. Naturschöne 181 f. 264 ff. Naturwissenschaft 96 ff., N. u. Theologie 207 ff. Neid 240. 253. 255 f. 274. Nichtich u n d Ich eine unbegreifliche Einheit 73 ff. Notwendigkeit 149 f., N. des Schlechten f ü r die Existenz des Guten 241. 243. Nützlichkeitstheorie 132 ff. O f f e n b a r u n g 211 ff. Optik in Beziehung zum reinen Idealismus 4 f. Optimismus, idealistischer 231 f. 233 ff. 244 ff. 278.
| Ordnung, gesellschaftliche 279 f. ! Ort im Raum 18. 56 ff., 0 . in der Zeit 18. : P a n e n t h e i s m u s 199. Pantheismus 199 f. Paradies, die Erde als 249. !' Persönlicher Gott 203 ff., die Welt als Werk oines p. G. 205 f., Existenz eines p. G. 207 ff. 28lf. ! Pessimismus 71 f. 164. 231 ff. 238, i P. u n d Religion 243 f. Pflicht 151, nicht starre Regeln 237. Physiologie in Beziehung zum reinen Idealismus 4 f. Physische Übel 275 f. Praktische Philosophie 79, siehe auch Ethik. Quellen der Glückseligkeit 258ff ^Rangordnung der Dinge 117. 122 126 ff. Raum 17 f. 22 ff., innerer und äusserer R. 101 f., Unbegreiflichkeit im Raumbegriff 78.82 1 ). Kaumqualitäten der Empfindungen 35 f., der Gedanken 45. Realismus 235 f., naiver R. 83. Realität 53. Rechte seelische Beschaffenheit 231. r. Idealismus 278. Reichtum 236. Reiner Idealismus, Begriffsbestimmung 2, Bedeutung l O f , falsche Auslegung 12 f., Unaufgeklärte im r. I. 77, Verhältnis zur empirischenWeltansicht84f. Religion, Begriff sbestimmung 185, R. des reinen Idealismus 186, Religion u n a b h ä n g i g von Theo logie und Naturwissenschaft 213 ff-, R. g e g r ü n d e t auf reine Vernunft 216 f., auf empirische Erkenntnisse 218. Siehe auch religiöses Gefühl und Religionslosigkeit. Religionslosigkeit der Menschen 281 ff.
Sachregister. Religiöses Gefühl 175. 179 f. 244. 267 ff., r. Grundstimmung des Gemüts 257 ff. Reue 274 f. Richtschnur des rechten Tuns 152 ff. Schmerzen, körperliche 276 ff. Schnelligkeit, wie wird der Ge" danke Sch. vorgestellt? 50 f. Schönheitsgefühl 176. 180 ff. Schöpfer der Welt 205 f. Schuld 240. 252. Schwingungsintensität der Atome 117. Sein, eigenes und fremdes 224ff. 273 f. Seinsganze ständig im L/ustzustand 170 ff. Seligkeit, ewige 216. Sinn 15, fünf S. 16. Sinneserscheinungen 15. Sinnesgefühle 167. 177 f. Sittengesetze 162. Sitz des Gefühls 118. Skeptizismus 83. Solipsismus 8 ff. Spinoza* Gesinnung eines 234 f., 250 ff. Sterben, sinnliche'Schmerzen des St. 228, fröhliches St. 244. Stillstand des Weltgeschehens 18. Stoss materieller Dinge 98. Subjektiv und objektiv zureichendes Fürwahrhalten 188. 191. Symbolische Vorstellung-180. 201. 204. Technisches Können der Kulturmenschheit 279. Theismus 199 ff. * Theologie 206 ff., T. und Naturwissenschaft 207 ff., T. und Vernunft 216. „Theologischer" Gott 210. Tod 214 f. 219. 223 ff., Gedanke an den Tod 226 f., Bedeutung
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für den idealistisch gesinnten Menschen 228, T. kein Erlebnis 230, T. anderer Menschen 270ff., freiwilliger T. 278. Trauer um Verstorbene 270 ff. Trauer 37. Übel 270 ff., physische Ü. 275 ff. Übereinstimmung und Gegensatz . 19. Übernatürliche (übersinnliche) Dinge 186. 197 f. Unbegreiflichkeit 7 f. 14. 73. 83. 91.109.202 f., U. im empirischen Weltbilde 109 ff. Unendlichkeit, Vorstellung der U. 200 extensive und intensive U. des Raumes 148. Ungerechtigkeit des Weltgeschehens 232 ff Unglück nicht Folge guter Gesinnung 235 ff. Unlustgefühl in uns entspricht ein Lustgefühl ausser uns 170 ff. Unsicherheit der Erkenntnisse in Naturwissenschaft und Theologie 212 f. Unsterblichkeit 219ff., persönliche U. 220 ff., Embryoleben und p. U. 2211), Unwahrscheinlichkeit der p. U. 222 f., Hauptfrage der Weltanschauung 227, Unwert der p. U. 229, blosse Verlängerung des Lebens übe den Tod 221 f., Wesen der Unsterblichkeitsfrage 226 f. Ursachen 170. Urteilchen der Materie 90. Vaterland 260 ff. Verkehrtheit der Welt 241. Vernichtung aller Lebewesen 172. Vernunft 191 ff. , Vernunftgesetze 140. 148. Verstand 191 ff. Verstehen von Worten 47 ff. Verteilung der Glückseligke
§92
Sachregister.
239ff, V. der gewöhnlichen ! 14, W. Sein gleich Gott Lebensgenüsse 255 f. 199 ff. VolkstümlicheLehreidealistischer Wesen sein h ei t des Bewusstseins Weltanschauung 285. 52 f. Vorausberechnung der PlanetenWesensseiten, Begriffsbeatim orte 144 f. mung 14, W. des Bewusstseins Voraussage des Naturgeschehens 19 ff., W. zweiter Ordnung 21, 142 f. W. des Seins 53. Vorstellung fremder Lust und Widerspruch, zwei Arten 80 ff., Unlust 155 ff. Satz vom W. 80. Widerwärtigkeiten, kleine 256 f. W a h r h e i t (Wahrsein) 61 ff., selbst Wille 41 ff., W. zum Höheren 132, ein Ding 64 ff. 77, Wahrsein W. immer auf Lust gerichtet als Gefühl 65, W. einer Welt169, Wille zur Bewahrung der anschauung 66, W. und Schöninneren Freiheit 245. heit 183. Willensfreiheit 138 ff. Wahrheitswert 71. Wirklichkeit 2k 53 ff., W. und UnWahrnehmungen, sinnliche 16 f. wirklichkeit 59, W. des Ichs 69, 25. „tatsächliche" W. 183. Weltall als Erscheinung im Ich Wirklichkeitsschöne 181 ff. 3 ff. Wissen 187 f. Weltanschauung, Mangel an280ff. Wohlfahrt Aller als Richtschnur Weltanschauungsfrage 79, eigentdes rechten Tuns 152 ff. liche W. 281 ff. Worten, Verstehen von 47 ff. Weltanschauungsgedanke 258. Wortvorstellungen 25.47.49.197 i. Weltäther und Körperatome 89ff. Wunderglaube 194 f. Weltbild, naturwissenschaftliches Zeit 17 f. 21, Unbegreiflichkeit 110. im Zeitbegriff 78. Weltentwicklung 251 f. Zeitspannen, die für die GlückWeltgeschehen als Ganzes stänseligkeit in Betracht kommen dige Lust 71 f. 257 f. Weltordnung 122 ff. Zivilisation 247 f. 279. Weltvorstellung39.56ff., zeitliche Zufälligkeit des Weltlaufs 235. Ordnung in der W. 59, ver238. schiedene W. 60. Zweckmässiges Handeln 119, die Wertmass für alle Dinge 127, Welt als Erzeugnis einer nach W. des moralischen und unZwecken wirkenden Ursache moralischen Willens 134. 125 f. Wesenheit, Begriffsbestimmung
A. Marcus & E. Webers Verlag; in Bonn.
Prof. Dr. C. Isenkrahe:
Untersuchungen über das Endliche und das Unendliche mit A u s b l i c k e n auf die p h i l o s o p h i s c h e -
••>•
Erstes Drei
Apologetik
Einzelabbandinngen
Heft: Aber
die
Fragen
aus
dem
Grenzgebiet zwischen Mathematik, Natur- und Glaubenslehre. Zweites
Heft,:
Die Lehre des hl. Thomas vom Unendlichen, ihre Auslegung durch Prof. Langenberg
und ihr Verhältnis zur neu-
zeitlichen Mathematik. Drittes Briefwechsel
zwischen
Prof. Dr. Isenkrahe-Trier
Heft:
Prof.
Dr. Sawicki-Pelplin
über eine Unendlichkeitsfrage,
für den apologetischen Entropiebeweis grundlegend ist.
Die Reihe ist damit abgeschlossen. Preis jeden Heftes 16 Mark.
und die
A. Marcus & E. Webers Verlag in Bonn.
Der entropologische Gottesbeweis Die
physikalische
Entwickelung
des
Entropieprinzips
und seine philosophische und apologetische Bedeutung von
Dr. Josef Schnippenkötter Preis 15 Mark Bis in die Gegenwart hinein tobt der Kampf um die Berechtigung des Gottesbeweises auf Grund der Folgerungen des physikalischen Entropieprinzips. Aber immer mehr verbreitet sieh die Erkenntnis, dass das Entropieargument ein apologetischer Irrtum war- Neuestens hat die apologetisch bedeutungsvolle Wandlung in der Auffassung des bekannten Theologen und Philosophen Prof. Dr. Sawicki-Pelplin berechtigtes Aufsehen gemacht. Trotz der vielen Abhandlungen und Aufsätze über hierhergehörige Einzelfragen fehlt es aber bisher an einer einheitlichen Bearbeitung des entropologischen Qottesbeweisproblems. Auf Grund eines umfassenden Materials, das Dr. Schnippenkötter gesammelt, gesichtet und bearbeitet hat, wird in dieser Schrift das apologetische Entropieargument naeh der physikalischen, philosophischen und theologischen Seite zur Darstellung gebracht. Auch die historischen Gesichtspunkte sind berücksichigt. Diese Arbeit wird von naturphilosophisch und apologetisch interessierten Kreisen warm begrüsst werden.
Das lenseits im Mythos der Hellenen Untersuchungen über antiken Jenseitsglauben von
Prof. Dr. L. Badermaoher VIII und 152 Seiten.
1903.
6 Mark
Die Untersuchung beschäftigt sich zunächst mit der Komposition der antiken Nekyien und zeigt, dass das elfte Buch der Odyssee trotz der disparaten Elemente, aus denen es sieh zusammensetzt, dem antiken Leser keinen Anstoss bieten konnte, weil naive Jenseitsdichtung überhaupt mit den verschiedenen Vorstellungen sehr frei schaltete. Das sechste Buch der Äneis ist anders, und es wird versucht, die Gosclilossenheit seiner GrundaDSchauung in einem bestimmten, strittigen Falle zu erweisen. Der zweite Teil verfolgt das Motiv der Fahrt ins Jenseits, und zieht, um den Kern antiker Sagen zu gewinnen, mehrfach moderne Märehen heran. Der dritte Teil wendet sich der Frage zu, inwieweit der immer mehr erstarkende Glaube an einen unterirdischen Hades Elemente aus anderen Vorstellungskreisen an sich riss, und behandelt im Zusammenhang damit »uch einzelne Figuren der Unterweltsdämonologie. Vier Exkurse, Orestes und die Tragödie — Zur alttest.amentlichen Simsonlegonde — Vom Kampf mit dem Tode — Grenzwasser der Unterwelt, machen den Schluss.
A. Marcus und E. Webers Verlag in Bonn
Der Weltheiland Eine Jenaer Rosenvorstellung mit Anmerkungen von
Haus Lietzmann 59 Seiten.
1909.
Preis 2 Mark
Inhalt: Vergils vierte Ekloge. Das goldene Zeitalter in der römischen Lyrik. Horaz u n d Sertorius. Das S ä k u l u m . A l e x a n d e r der Grosse als Weltkönig. Die Diadochen u n d die Sotervorstellung, ihr Gottkönigtum. Cäsar u n d A u g u s t u s als Weltheiland. Vergil u n d H o r a s ü b e r die a u g u s t e i s c h e Zeit. A u g u s t u s u n d die Heilandsidee. Die s p ä t e r e Kaiserzeit. Die orientalische W u r z e l der römischen Heilandsidee: Babylonisches u n d Ägyptisches Gottkönigtum. Ägyptische messianische W e i s s a g u n g e n . Die Messiasidee in Altisrael u n d im j ü d i s c h e n Volke. Das Urchristentum. D e r Chiliasmus. Der Heilandsbegriff des P a u l u s .
Jfidisches und Heidnisches im christlichen Kult Eine Vorlesungvon
G-erhard Loeschcke IV.
36 S.
1.60 Mark
Der Verfasser zeigt, ü b e r alte u n d n e u e F o r s c h u n g e n referierend, wie der christliche Kultus in dem j ü d i s c h e n wurzelt u n d von Seiten des heidnischen beeir.flusst worden ist. Die Geschichte des Kirchenjahrs, die E n t s t e h u n g der T a u f - u n d Messliturgien, das A u f k o m m e n der Heiligen- u n d B i l d e r v e r e h r u n g u n d a n d e r e s werden mehr oder weniger ausführlich skizziert. A n m e r k u n g e n verweisen auf die wichtigsten Quellenstelien u n d die wichtigste L i t e r a t u r u n d dienen zugleich der kritischen A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit der bisherigen Forschung.
A. Marcus & E. W e b e r s Verlag in Bonn.
Die philosophischen Auffassungen des Mitleids Eine historisch-kritische Studie von
Dr. C. v o n Orelli, Pfarrer in Sissach. Preis M. U . Uber das Mitleid gibt es wenige Spezialbehandlungen, obschon dieser Begriff einerseits für die Ethik von grösster Bedeutung ist, andererseits im Weltanschauungskampf der Gegenwart gerade dieser Begriff in den Mittelpunkt des Interesses gerückt ist und von modernen Zeitströmungen — buddhistischer Art und Nietzschetum — völlig entgegengesetzte Auffassungen darüber vertreten werden, von Orelli unternimmt in seinem lehrreichen Buch eine eingehende Darstellung der Auffassung des Mitleids in der Philosophie von der Antike bis zur Gegenwart und behandelt dann den Begriff des Mitleids systematisch nach psychologischer Erklärung, ethischer Wertung, ästhetischer Verwertung und metaphysischer Bedeutung. Geisteskampf der Gegenwart.
Wahrheit und Wirklichkeit Untersuchungen zum realistischen Wahrheitsproblem von Dr. Aloys Müller Preis M. 4.— Der Standpunkt Müllers ist der des ,,Idealrealismus", einer Synthese von Idealismus und strengem Realismus mit empirischer Unterlage. . . . Das Verhältnis dieses Idealrealismus nun zum überkommenen Wahrheitsbegriff zu untersuchen, ist die Aufgabe der vorliegenden Arbeit. Es stellt sich dabei heraus, dass der Zusammenhang des alten Wahrheitsbegriffes mit dem Idealrealismus nicht bloss historischer Natur ist, sondern dass ein sachlicher Konnex vorhanden ist, den Müller in scharfsinniger Weise ans Licht zieht. Philosoph. Jahrb. 1915, Haft 3. Der durch seine Untersuchungen Uber das Problem des absoluten Raumes vorteilhaft bekannte Verfasser gibt in der vorliegenden knappen aber konzentrierten Abhandlung eine neue Wahrheitstheoric des Realismus. Das wichtigste Ergebnis ist die Scheidung von zwei Wahrheitsbegriffen. Der eine, der Wahrheitsbegriff im engeren Sinn, sagt nichts über den Inhalt des in ihm gebrauchten Seinsbegriffes aus, sondern fordert nur, die Inhaltsbestimmung müsse so begriffen werden, dass sie mit dem Gegenstande, von dem sie gelten soll, übereinstimme. Vom Standpunkt dieses Wahrheitsbegriffes aus kann nie entschieden werden, ob ein beliebiges Urteilsbild eine Erkenntnis ist, d. h. mit dem vom Denken und Bewusstsein Unabhängigen Gegenstand übereinstimmt. Von diesem Wahrheitsbegriff der Übereinstimmung zwischen Urteilsinhalt und Urteilsiregenstand ist der Begriff der Wirklichkeitstreue (der auch bisweilen für den der Wahrheit genommen wird) zu trennen, nach welchem etwa die phänomenale Wirklichkeit als ein Bild des transsubjektiven Realitäten-Systems aufzufassen ist. In jeder Erkenntnis-Theorie, die ein vom Denken unabhängiges Sein kennt, kann der Wahrheitsbegriff nur durch Vermittlung des Begriffes der Wirklichkeitstreue Beziehungen zu diesem Sein erhalten.
P ä d a f l o g l i c h t r J a h r t s b e r . ISIS.