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JOHANN AMOS COMENIUS
Pforte der Dinge Januarerum Eingeleitet, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von
ERWIN SCHADEL
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
INHALT
Einleitung. Von Erwin Sehadel ................... . I. Allgemeines ................................. . II. Hinführung zur ]anua rerum ................. . 1. Überblick über die einzelnen pansophischen Studien des Comenius ..................... . 2. Zur ]anua rerum von 1681 insbesondere .... . 3. Kritische Würdigung der pansophischen Triadik des Comenius ..................... .
IX IX XVI XVII XLVIII LX
Zur Übersetzung ................................. LXXXIV Literaturverzeichnis .............................. LXXXVI
JOHANN AMOS COMENIUS Pforte der Dinge VORWORT AN DIE AKADEMIEN EUROPAS . . . . . . • . . . . . . • . . .
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ZUGANG ZUR PFORTE DER DINGE. . . . . . . . . . . . • . . . . . . • . . .
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. Was die Pforte der Dinge ist, woraus sie gebaut wurde und wie sie durchschritten wird . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel II. Was die Weisheit ist, woher sie erworben wird und auf welche Weise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel III. Was die erste Weisheit oder das Licht des Geistes ist, woher sie kommt und wie sie zu betrachten ist . . .
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DER ERSTEN WEISHEIT ERSTER TEIL . . . • . . . . . . • . . . . . • . . . .
45
Kapitel IV. Über den äußeren Umfang des Intelligiblen, seine innere Ordnung und innersten Verbindungen . . . . . .
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VI
Inhalt
Kapitel V. Der Umfang unserer Erkenntnis wird durch seine Termini abgeschlossen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel VI. Die äußeren Termini des Erkennens: Alles, Etwas, Nichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel VII. ALLES wird in Grenzen eingeschlossen, so daß der Betrachtung des Geistes nichts entgehen kann . . . . . . .
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Kapitel VIII. Welche Klassen das ETWAS hat, so daß alles was ist seinen eigentümlichen Platz finden kann . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel IX. Das NICHTS mischt sich überall den Dingen bei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel X. Die inneren Strukturen der Dinge bestehen aus Untergliederung, Gestaltung und Gleichläufigkeit, wie sie allenthalben zu sehen sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel XI. Was das Denkbare ist, woher es kommt und wie es in SEIENDES, NICHT-SEIENDES und HALBSEIENDES unterteilt wird . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel XII. Was SEIENDES ist, seine Prinzipien, seine Einteilung in Dingliches, Gedankliches und Sprachliches . . . .
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Kapitel XIII. Über das real Seiende, dreifach betrachtet und zu betrachten: als urgeprägtes, als vereinigtes und als zusammengeballtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
Kapitel XIV. Über das einzelne Seiende und seine Prinzipien, das EINE, WAHRE und GUTE, sowie über die Einteilung in Erstes, Abkünftiges und Verfehltes...................
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Kapitel XV. Über das erste Seiende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel XVI. Vom abkünftigen Seienden, seinem Wesen und seinen Prinzipien sowie von der Einteilung in Substanz, Akzidenz und Mangel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel XVII. Was die Substanz ist, woher sie ist und wie vielfältig sie ist. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
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Kapitel XVIII. Was ein Akzidenz ist und woher es kommt. Wie es als dreimal Dreifaches aus der dreifachen Quelle herausfließt und zwar zusammen mit der sich aus allem ergebenden Vollendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel XIX. Über das ANDAUERN der Dinge bzw. die Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel XX. Über das wo der Dinge bzw. den Raum. . . . .
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Kapitel XXI. Über die QUANTITÄT der Dinge . . . . . . . . . . . .
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Kapitel XXII. Über die QUALITÄT der Dinge . . . . . . . . . . . .
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Kapitel XXIII. Über die TÄTIGKEITEN der Dinge . . . . . . . . . 100 Kapitel XXIV. Über das ERLEIDEN der Dinge . . . . . . . . . . . . 103 Kapitel XXV. Über die ORDNUNG der Dinge . . . . . . . . . . . . 104 Kapitel XXVI. Über den NUTZEN der Dinge . . . . . . . . . . . . . 107 Kapitel XXVII. Über die LIEBE der Dinge bzw. die Annehmlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Kapitel XXVIII. Über die Vollendung der Dinge . . . . . . . . 108 Kapitel XXIX. Über die Mängel der Dinge ............. 109 Kapitel XXX. Über das Vergehen der Dinge und die Mißgestalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Kapitel XXXI. Über das Verbundene................... 110 Kapitel XXXII. Über das Vereinigte .................... 119 Kapitel XXXIII. Über das Nicht-Seiende . . . . . . . . . . . . . . . 129 Kapitel XXXIV. Über das Halb-Seiende ................ 131 Philosophische Bibliothek< aufzunehmen, wird daher für viele den ersten Zugang zu einer terra incognita bedeuten. Drei deutsche Erstausgaben Comenianischer Schriften sind zunächst vorgesehen: die der ]anua rerum, der Via lucis und des Triertium catholicum. Es handelt sich hierbei um drei Einzelwerke, in welchen zentrale philosophische Motive des Comenianischen Denkansatzes zum Ausdruck kommen. Die Via lucis verfaßte Comenius während seines Englandaufenthaltes im Winter 1641/42 als Präliminare für ein zu gründendes universales Forschungskollegium, durch welches die Bedingungen für die Verbesserung der menschlichen Dinge gesichtet und ausgearbeitet werden sollten. Comenius nahm sich diese Schrift im hohen Alter nochmals vor und veröffentlichte sie unter Hinzufügung eines Vorwortes 1668 in Amsterdam. Die beiden anderen der genannten Schriften brachte er zwar selbst nicht mehr bis zur Veröffentlichung; doch enthalten sie konzeptionell dasjenige, womit er sich jahrzehntelang beschäftigte, um seine in praxi erfolgreiche Pädagogik ins Metaphysische einzugründen. So entfaltet etwa das (1681 posthum erschienene) Triertium catholicum die distinkte Kohärenz von >TunDenken< und >Sprechen< und versucht vermittels der darin ausgedrückten dreieinigen Kreisbewegung eine sinngemäße Aufschlüsselung im Insgesamt von Wirklichkeit zu erreichen. (Eine genauere Interpretation dieses sprachontologischen Ansatzes würde wichtige Impulse für die derzeitig betriebene triadische Semiotik abgeben.) Die ]anua rerum, deren kommentierte Ausgabe hier unternommen wird, stellt das »Schmerzenskind« unter den Comenianischen Schriften dar. Comenius arbeitete etwa die letzten 40 Jahre seines Lebens daran, ohne dabei letzte Hand an sie legen zu können. Was 1681 schließlich als seine ]anua rerum erschien, stellt zwar die vollständigste, keineswegs aber vollendete Fassung seines Vorhabens dar, für die »pansophische« Reform, die er anstrebte, eine allgemeinverbindliche »Metaphysik« auszuarbeiten.
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Erwin Sehadel
Daß die Kommentierung der janua rerum von daher viefältigen Schwierigkeiten ausgesetzt war, braucht nicht eigens hervorgehoben zu werden. Es mußte darum gehen, in der Sprödigkeit des überlieferten Textes den lebendigen Nerv des universalen Reformkonzepts des Comenius sichtbar zu machen; es mußte aus den fragmentarischen Äußerungen des Comenius, indem diese als solche erkannt wurden, das intendierte Ganze rekonstruiert werden. Eine solchermaßen aufgefaßte fanua rerum kann dann aber, obwohl sie äußerlich selbst ein Stückwerk blieb, als Argument gegen jene (von Karl Popper propagierten) »Stückwerk-Techniker« gewendet werden, welche derzeitig das Feld beherrschen (oder richtiger gesagt: weil sie bloß herrschen wollen, nicht mehr zu beherrschen vermögen). In der >EinleitungTextanmerkungen< und >Exkursen< dieser Ausgabe wird in vielschichtigen Detailuntersuchungen die Verflochtenheit des f anua rerum-Textes sowohl in die anderen pansophischen Entwürfe des Comenius untersucht (und damit gewissermaßen auch schon die Edition der Via lucis und des Triertium catholicum vorbereitet) als auch der größere philosophiegeschichtliche Zusammenhang aufzuweisen versucht. Bei letzterem stellt sich - was hinsichtlich der Genese des neuzeitlichen Selbst- und Weltverständnisses höchst aufschlußreich ist eine Art Zwischenstellung der f anua rerum heraus: janusköpfig blickt sie sowohl ins Mittelalter (und die Antike) »zurück« als auch »nach vorn« in die Epoche des rationalistisch-konstruktiven Idealismus. Das angespannte lneinanderdringen der damit implizierten Denk-richtungen (kurz gesagt: der seinstheoretischen und der bewußtseinsphilosophischen) macht den streckenweise aporetischen Charakter der Comenianischen Darlegungen aus. Comenius wird sich z.B. bewußt, daß der in seiner Zeit aufkommenden partialwissenschaftlichen Denkungsart vermittels harmonikaler und zahlensymbolischer Überlegungen entgegnet werden könne. Er nimmt die entsprechende, bis zu Pythagoras zurückreichende Tradition auf, fehlinterpretiert sie jedoch (wie Exkurs 6 zeigt) aufgrund rationalistischer Prämissen. Comenius ist somit des öfteren als ein in sich zwiespältiger
Einleitung
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Autor zu charakterisieren: Er rezipiert die das Einzelne hypostasierende neuzeitliche Auffassungsweise, obwohl diese seinem pansophischen Anliegen zuinnerst widerspricht. Er steht zwar im Banne einer triadisch-trinitarischen Wirklichkeitsdeutung, doch fehlt ihm (wie in den Exkursen 1-4 angedeutet) eine intimere Kenntnis der entsprechenden mittelalterlichen und patristischen Überlieferungen. Comenius lehnt m. a. W. einerseits den Bewußtseinsimmanentismus des Cartesianischen >Cogito ergo sum< ab. Er wittert in der darin vorgenommenen, wenn auch nur »methodisch«-vorläufigen Ausklammerung einzelner Wirklichkeitsbereiche eine Gefährdung und künftige Störung der von ihm erstrebten Universalreform, weswegen er das ateleologische Philosophieren des Descartes als »maßlose Bescheidenheit« kritisiert (vgl. Exkurs 5). Als Theologe sieht Comenius in dem im 17. Jahrhundert entstehenden autonomistischen Selbstverständnis den Atheismus als wesentliches Element des neuzeitlichen Bewußtseins heraufkommen (vgl. Anm. 205); er erkennt auch, daß darin künftige Disharmonien angelegt sind. Nichtsdestoweniger ist er ein »Sohn« seiner Zeit, insofern er sich von deren nominalistischen Tendenzen nicht ganz frei zu machen vermag. Das >actus prior potentia< hat daher keine besondere Bedeutung für ihn. D. h., daß er bisweilen dazu neigt, die >potentiellen< Bedingungen apriorischer Begrifflichkeit als den genuin-metaphysischen Bezirk seiner Pansophie anzusehen. Er partizipiert damit (freilich nur sehr unvollkommen) an dem, was Martin Heidegger bei seiner Sichtung des Denkansatzes der neuzeitlichen Philosophie als >Seinsvergessenheit< bezeichnet hat. In Comenius' »Rückblick« auf die mittelalterliche und speziell Augustinische Philosophie liegt es andrerseits begründet, daß er dieser >Seinsvergessenheit< entgegenwirkte und sie vor allem nicht zur >Trinitätsvergessenheit< werden ließ. (Diese ist kennzeichnend für das neuzeitliche Selbstverständnis, welches sich aus dem historisch-positivistischen Ansatz der sog. Sozinianer, deren Trinitätskritik der greise Comenius mit Vehemenz kritisiert hat, entwickelte.) Comenius stellt sich quer zu dem in seiner Zeit sich ausbildenden subjektozentrischen Rationalis-
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Erwin Sehadel
mus, weil dieser seiner transzendenzoffenen Wirklichkeitserfahrung widerspricht. Er sucht von daher auch den Rückbezug zur originären metaphysischen Tradition. Wie es scheint, ahnt er zwar noch deren inneren Reichtum; er spürt, daß durch sie eine Bestätigung seiner triadischen Pansophie zu erreichen wäre. Doch vermag er es, aus welchen Gründen auch immer, offensichtlich nicht mehr, sie in tieferdringender Weise zu rezipieren. Der von ihm ins Zentrum seiner pansophischen Entwürfe gerückte »heilige Ternar« bleibt von Beliebigkeiten betroffen, weil Comenius keinen direkten und problemsichtigen Zugang zu den für sein Vorhaben wichtigen trinitätsmetaphysischen Schriften eines Augustinus, eines Bonaventura, ja nicht einmal eines ihm zeitlich noch naheliegenden Cusanus gefunden hat. (Wie wichtig und wertvoll ihm diese Überlieferungen waren, zeigt sich insbesondere darin, daß er sie im Verlauf der antisozinianischen Kontroverse wenigstens »aus zweiter Hand« aufzunehmen versuchte: Er scheute keine Mühen und Anstrengungen, um die daraus kompilierte Theologia naturalis des Raymundus de Sabunde, den er als einen »author mellitus« hochschätzt, stilistisch zu überarbeiten und 1661 als Oculus fidei herauszugeben.) Betrachtet man die]anua rerum nun im Hinblick auf die geschilderten Bedingungen, so läßt sie sich als philosophie- und geistesgeschichtlich bedeutsames Dokument verstehen. Ihre konzeptionelle Gebrochenheit widerspiegelt den Auf-bruch und die Gebrochenheit einer ganzen Epoche, in welcher die Letztorientierung des Menschen deswegen verlorengeht, weil man das Sein als solches nicht mehr als integren Selbstvollzug und als Inbegriff von Wesenheiten, sondern (wegen seines nicht-empirischen Charakters) als Inhaltsloses und Nichtiges aufzufassen beginnt. Comenius steht mitten in diesen elementaren Umwälzuungen des Wirklichkeitsverständnisses. Er setzt sich ihnen aus, er »experimentiert« mit ihnen, ohne sich allerdings darin zu verlieren. So versucht Comenius den Zeittendenzen zu entsprechen und seine Pansophie vermittels konstruktivistischer Momente auszuarbeiten. Er gelangt dabei jedoch nie zu einem zufriedenstellenden Abschluß, weil er sich im letzten scheut, ein verbindliches
Einleitung
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»System« damit auszubilden. Aufgrund eines sensiblen Wirklichkeitsgewissens distanziert sich Comenius immer wieder von »methodisch«-rigiden Systemkonstruktionen. Im Abbruch und Unvollendetlassen derselben »widerlegt« er (wenigstens für sich selbst und auf seine Weise) den entontologisierten Subjektivismus seiner Zeit - eben darin aber ist er seiner Zeit weit voraus. Er nimmt vom Ergebnis her dasjenige vorweg, was die im 17. Jahrhundert initiierten Bewußtseinsphilosophien erst nach 300 Jahren - erst nach dem Hindurchgang durch den nihilistischen Existentialismus - allmählich einzugestehen bereit sind. Man kann Comenius' fortwährendes, durch zeitgenössische Vorgaben nicht zu beschwichtigendes Durchschreiten des Vordergründigen und Vorletzten somit als einen lebens-, nicht selten aber auch leidvoll gelieferten »Beweis« für die letzthinnige Unumgänglichkeit von Metaphysik als der >Wissenschaft vom Seienden, insofern es seiend istJanua rerum
Spuren Gottes< an den Dingen waren zu tilgen.« 3 Damit aber wurde Comenius' Schrifttum in seiner tiefsten Aussageabsicht verkannt. Und man hat mit Klaus Schaller von einer >verkehrenden Inanspruchnahme der Pädagogik des Comenius< 4 zu sprechen. Comenius versuchte es immer wieder, seine theoretische und praktische Pädagogik in einen metaphysischen Fundierungszusammenhang zu stellen. In diesem und aus diesem heraus sollte sich dann die von ihm erstrebte Allreform der menschlichen Dinge zu realisieren vermögen. Was Comenius bei diesen seinen metaphysischen Studien ausarbeitete, stellt einen vielschichtigen Schriftenkomplex dar. Der hier vorgelegtenfanua rerum kommt dabei zwar eine zentrale Bedeutung zu. Doch steht dieses Werk auch in genetischer Beziehung zu den anderen pansophischen und metaphysischen Schriften bzw. Systemfragmenten des Comenius. Diese Beziehung ist im ersten Abschnitt dieser Einleitung zu skizzieren, im zweiten wird auf die Janua rerum selbst eingegangen und im dritten schließlich eine kritische Würdigung dieser Schrift und der Comenianischen Metaphysik insgesamt versucht.
1. Überblick über die einzelnen pansophischen Studien des Comenius Mit »schier unüberwindbare[ n] Schwierigkeiten« 5 hat derjenige zu rechnen, der den Versuch unternimmt, Comenius' pansophisch-metaphysische Schriften zu sichten und zu ordnen, ohne dabei die durchgängigen Sach- und Problemkonturen aus dem Auge zu verlieren. Denn wie für kaum einen anderen Autor gilt 3
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K. Schaller (1962), S. 430. Vgl. hierzu die detaillierten Ausführungen ebd., S. 373-454. J. Ludvikovsky (1962), S. 246.
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Erwin Sehadel
für Comenius das >scribendo proficiscimusErgänzungen< oder schildert in eindringlichen und warmherzigen Paränesen die Bedingungen, unter denen die Allreform einzutreten hätte. Während Comenius seine lebenslangen pädagogischen Bemühungen mit der Veröffentlichung der Opera didactica omnia (T. 1-IV, Amsterdami 1657) zu einem gewissen Abschluß gebracht hat, war es ihm - nicht zuletzt wegen seines unausgesetzten Zögerns und Zagens bei der Schlußredaktion der pansophischen Entwürfe - versagt, die entsprechenden >Opera pansophica omnia< herauszugeben. In dieser Sammelausgabe, von deren Ausmaß und Grundgestalt die (erst Pragae 1966 veröffentlichten) beiden Folianten De rerum humanarum emendatione Consultatio catholica einen gewissen Eindruck vermitteln können, wäre auf konzentrierte Weise dasjenige zutage getreten, was Comenius sonst nur sporadisch in seine mehr handwerklich-didaktischen Darlegungen eingeflochten hat. Eine wichtige Vorstufe zu Comenius' pansophisch-metaphysischen Entwürfen (oder, wie man so sagen will, eine Zwischenstufe zwischen diesen und seinen didaktischen Werken) stellt die Schrift janua linguarum dar. Comenius hat sie im polnischen Exil Lesnae 1631 erstmals veröffentlicht. Im Titel schließt sich diese Schrift an ein gleichnamiges von spanischen Jesuiten abgefaßtes lateinisches Sprachlehrbuch an, das er drei Jahre zuvor kennengelernt hat. 6 Mit seiner Version der janua linguarum will Comenius zunächst auch das Erlernen der lateinischen Sprache verkürzen und rationalisieren. Seine Intention hierzu kennzeichnet er im Vorwort der Lesnenser Ausgabe durch einen Vergleich: »Wie ein unterscheidendes Kennenlernen aller Tiere bei der Durchsicht der Arche Noahs, die von jeder Gattung je zwei ausgewählte 6
Vgl. hierzu die Anmerkung 46 zum Text.
Einleitung
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Exemplare enthält, viel leichter wäre, als wenn man den gesamten Erdkreis durchwanderte, bis man zufälligerweise auf irgendein Tier gestoßen ist, so ist es auf nämliche Weise viel leichter, alle Wörter vermittels einer SPRACH-EPITOME, in welcher die Grundzüge von allem dargeboten werden, zu erlernen, als wenn man hörte, spräche und läse, bis man zufälligerweise auf all diese Wörter gestoßen ist.« 7 Doch verfolgt Comenius mit seiner ]anua linguarum zugleich auch eine universale und systematisch-pädagogische Zielsetzung. Er will die ,fundamenta totius eruditionis< 8 darbieten, eine >nomenclatura naturae et artisSyntagma rerum< 10 , eine »historiola rerum quasi universalis« 11 , eine »encyclopaedia pansophica«12. In der letztgenannten Bezeichnung deutet sich an, daß Comenius seine ]anua linguarum gemäß dem neuplatonischen Egreß-Regreß-Schema konzipiert hat. 13 Wegen der zugrundegelegten neuplatonischen Ontologie, welche die Kreisfigur als ein apriorisches Vollkommenheitssymbol impliziert14 (ein Symbol, das sich auch im Ablauf der Dinge, im Tages- und Jahreszyklus usw. widerspiegelt), hat Comenius' ]anua linguarum didaktische Übersichtlichkeit, aber zugleich auch lebensvolle Natürlichkeit gewonnen. Von daher erklärt es sich, daß sie gegenüber anderen zeitgenössischen Polymathien bzw. Enzyklopädien herausragte 15 und ihren Verfasser - über J.A. Comenius,fan. LL. S. 4. Der Arche-Noah-Vergleich stammt von Isaac Habrecht, einem »Argentoratensium medicus«, der die jesuitische Janua linguarum zusammen mit einer deutschen Übersetzung herausgegeben hat (vgl. ODO II, Sp. 82). 8 Jan. LL., S. 14. 9 Ebd. 10 Ebd., S. 112. 11 Ebd., S. 116. 12 Ebd. 13 Vgl. Anmerkung 68 zum Text. 14 Vgl. hierzu den 2. Hauptteil in W. Beierwaltes (1979); ferner die Anmerkungen 140 und 301 zum Text sowie die Zeichnung in Exkurs 7
2.
Von den zeitgenössischen Enzyklopädien sagt Comenius, Gelehrtenpedanterie aufs Korn nehmend, sie seien »einem mit großer Sorg15
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Europa hinaus - zu einem berühmten Mann werden ließ. 16 Der unerwartet große Erfolg der ]anua linguarum, der sich sogleich bei ihrem ersten Erscheinen einstellte 17 , stimulierte Comenius zu einer weiteren Schrift, die daran anschließen sollte. Er ging daran, eine ]anua rerum abzufassen 18 , hinsichtlich derer die Darlegungen der freundlich aufgenommenen ]anua linguarum als bloße >lusus philologici< bzw. >praelusiones< 19 erscheinen sollte. Doch hat dieser Blütentraum, wie noch zu sehen sein wird, während seiner Ausreifung nicht unerhebliche Schwierigkeiten gezeitigt. In der Konzeption der ]anua linguarum läßt sich zweierlei beobachten: der Impuls zu ökonomischer Spracherlernung und
falt ... aufgebautem Haufen von Hölzern ähnlicher als einem Baum, der aus eigenen Wurzeln emporwächst, durch die Kraft des ihm eingeborenen Lebens sich zu Zweigen und Laub entfaltet und Früchte hervorbringt« (Prodromus, § 34). 16 Comenius schätzt seine Jan. LL. als eine »lenis ... et blanda ingeniorum manducatio« ein (S. 117) und hebt in der Praefatio zur Ausgabe von 1666 (ebd.) nicht ohne Stolz die verschiedenen Übersetzungen in europäische Sprachen, die polyglotten Ausgaben, die arabische Übersetzung sowie die Übersetzungsprojekte bei den Türken, Persern, Mongolen, Armeniern und Abessiniern hervor. Vgl. auch Continuatio, §§ 58 u. 61.
Vgl. M. Blekastad (1969), S. 200-203. So schreibt Comenius in dem um 1634 abgefaßten und 1637 erstmals erschienenen Prodromus (§ 98): »Cum linguas docendi compendium tentassem, & sub titulo Janua Linguarum rerserata in publicam lucem, censurae causa, emisissem, accidit, ut cum applausu excepta & unanimi quodammodo eruditorum consensu approbata esset ut tanquam verum & genuinum linguas docendi medium. Unde[!] mihi novam subminstrandi ansam vidi, RERUM quoque ipsarum IANUAM tentandi; aut, si malis, lntellectus humani clavem, ad omnia universaliter sensus reserantem.« Ähnliches auch in Dilucidatio, Praef. I, § 4 (ODO I, Sp. 475 f. ); vgl. dazu auch J. Cervenka in Jan. LL., S. V. 19 Vgl.Jan LL., S. 118; dazu Comenius' ironisch-kokettierende Frage an den Lübecker Patrizier Leonard Elvert (dessen Söhne, die Latein nach der Comenianischen Methode gelernt hatten, Lobreden auf ihren Lehrer hielten): »Itane puerile opusculum, Ianua LL., Comenium fabulam mundi fecit?« (Continuatio, § 62). 17 18
Einleitung
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der Versuch einer enzyklopädischen Um-schreibung von Wirklichkeit. Beides ist in Comenius' intellektueller Entwicklung bereits angelegt, bevor er 1628 die jesuitische ]anua linguarum kennenlernte. »Das Verlangen und der Ansporn, Abhilfe für die Schwierigkeit des wissenschaftlichen Arbeitens zu schaffen«, ergriff ihn, wie er selbst berichtet, zum ersten Mal kurz vor seiner 1616 vollzogenen Ordination zum Priester. 20 Die Umstände waren etwa folgende: Als 23- bzw. 24jähriger hatte er nach Abschluß seiner Universitätsstudien in der Bruderunität zu Pferov den Anfängerunterricht im Lateinischen zu geben21 , womit einer Zeiterfordernis entsprochen wurde. Denn vertiefte Kenntnisse im Lateinischen stellten im 17. Jahrhundert eine unerläßliche Zulassungsvoraussetzung zur Universitätsausbildung dar. Comenius selbst, seit frühem Knabenalter Vollwaise, wurde »aufgrund der Saumseligkeit« seiner Vormünder jedoch erst im 16. Lebensjahr an das Lateinische herangeführt. 22 Er machte also spezielle und, wie man annehmen kann, bewußte Erfahrungen mit dem zum Verbalismus neigenden zeitraubenden Lateinunterricht seiner Zeit. 23 Die Überlegung, wie man »methodo faciliore« 24 die Ausbildung verkürzen könne, war ihm daher nichts Fernliegendes. Aber auch noch eine andere Erfahrung war hierbei für ihn wichtig: Durch den >Durst seines natürlichen Verlangens< wurde es ihm möglich, »die Schäden der verlorenen Lebenszeit« wieder gutzumachen. 25 Mit diesem >natürlichen Verlangen< (>desiderium naturalealle< >alles< >auf allseitige Weise< erlernen sollen. 27 Denn diese Lehr- und Lernmethode findet ihren Ansatz gerade darin, daß man im Sinne des Aristotelischen rccini:c; ävSpomot wG dMvm ÖpEyonm cpucri:t 28 das Wissen-Wollen als »natürliche« Äußerung des allgemeinen Menschenwesens herausarbeitet. 29 Das Enzyklopädische, womit Comenius die Vorgabe der jesuitischen f anua linguarum durchformte, hat zwar Wurzeln im antiken und mittelalterlichen Schulsystem. Es erstarkte jedoch besonders im Umkreis der neuzeitlichen Wissenschaften, wo es wie die Eniwicklung über die französischen Enzyklopädisten bis hin zu Hegel und dessen Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften zeigt - als »säkularisierte« Form oder, wenn man so sagen will, als »Ersatz« für die mittelalterlichen Summen zu gelten hat. Comenius selbst wurde durch seinen Herborner Lehrer Johann Heinrich Alsted in den Enzyklopädismus der sog. Artes liberales eingeführt. 30 Er empfing hierbei einen Impuls zu eigenen enzyklopädischen Arbeiten und ging daran, sein Theatrum universitatis rerum auszuarbeiten. Dieses Werk schrieb er allerdings nicht auf lateinisch (für die europäische Gelehrtenwelt), sondern - da er ein volkspädagogisches Interesse verfolgte - auf Tschechisch, um in seinem Vaterland die Pflege der Wissenschaft zu fördern. 31 (Ähnliches bezweckte er auch mit dem schon 1612 begonnenen Thesaurus Linguae Bohemicae. 32 ) Im lateinischen Vorwort zur Theatrum-Schrift (»Ad eruditos gentis meae«) schildert Comenius Methode und Ziel seiner ersten enzyklopädischen Ausarbeitungen folgendermaßen: »Alles, was zum menschlichen Wissen gehört, versuchte ich in einer Vgl. Scholae pans. delineatio, § 4 (ODO II, Sp. 11; Doppelpaginierung!); hierzu K. Schaller (1958) und (1962), S. 16-203. 2s Metaph. 1,1; 980 a. 21; Comenius bezieht sich in Pans. sem„ c. LXXX (DJAK 14, S. 42) ausdrücklich auf diese Stelle. 2 9 Vgl. hierzu die aporetisierenden Darlegungen zur »Seinssituiertheit« der menschlichen Natur bei W. Schrader (1983). 30 Vgl. hierzu Anmerkung 34 zum Text. 31 Vgl. Prodromus, § 97. 3 2 Vgl. Epist. ad Mont„ § 31(DJAK1, S. 18). 27
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Epitome darzustellen, so daß alles, was diese Welt beinhaltet und was in allen Büchern aller Bibliotheken auch an Weisheit verborgen liegt, auf bündige Weise dem Geist der Einheimischen zum Betrachten dargeboten werden kann.« 33 Comenius' erster enzyklopädischer Sammelversuch »wuchs sich ... zu einem riesigen Amphitheatrum aus«. 34 Im Brief an Petrus Montanus (vom Dez. 1661) nennt er dieses Werk sein »Opus principale« 35 ; er betrieb jahrzehntelang dessen Ausarbeitung, bis im Jahr 1656 beim Brand von Leszno das meiste der noch ungedruckten 28 Bücher ein Raub der Flammen wurde. 36 Kennzeichnend für die Differenz, die zwischen Comenius' Planen und seinem Ausführen des Geplanten liegt, ist die Novaks-Beobachtung, daß er das Theatrum universi eigentlich »nur kurz« auszuführen gedachte, um dann »bald zum Theatrum scripturae eilen« zu können.37 Für dieses zweite Werk, das ihm, wie er selbst sagt, wegen seines geistlichen Amtes eher entsprochen hätte, hatte er zwar schon die Notizzettel beisammen 38 ; doch ist es selbst nicht zur Fertigstellung gelangt. Die beiden genannten Bereiche von universum (bzw. mundus) und scriptura (bzw. deus) spielen - durch die subjektive Dimension der conscientia bzw. des animus vermehrt und ergänzt - in Comenius' pansophischen Konzeptionen zwar weiterhin eine Rolle, so daß man bei ihm von einer Drei-Theater- bzw. Drei-
DJAK 1, S. 116. Eine ausführliche Inhaltsangabe der Vorrede und der 19 Kapitel des Theatrum universitatis rerum (neuerdings herausgegeben in DJAK 1, S. 95-181) findet sich bei]. V. Novak (1895). 34 M. Blekastad (1969), S. 75; eine Ausgabe der dürftigen Fragmente in: DJAK 1, S. 183-200. 3s Epist. ad Mont., § 2 (DJAK 1, S. 18). 36 Ebd.,; vgl. dazu auch Korr. ed.]. Kvacala I, CLXII, S. 206. 37 J. V. Novak (1895), S. 245. 38 Vgl. M. Blekastad (1969), S. 75. Als »Kostprobe« seines nicht ausgearbeiteten Theatrum scriptuae können zahlreiche systematisch geordnete Bibelstellen gelten, welche er in Aphorismus XXIV, XXIX u. XXX seiner antisozinianischen Schrift De christ. uno Deo (AS, S. 46-48; 66-75) anführt. 33
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Bücher-Vorstellung sprechen kann. 39 Doch ist sein Projekt der Theatrum-Schriften als solcher als unvollendet und abgebrochen zu betrachten. Comenius erstrebte in diesem Projekt einen Aufstieg »per omnia visibilia et externa ad invisibilia et aeterna«. 40 Ihm schwebte hierbei, so läßt sich vermuten, Ähnliches vor, wie es Bonaventura in seinem Itinerarium mentis ad Deum vermittels des reflektierten Aufstiegs vom >extra nos< über das >intra nos< zum >supra nos< zum Ausdruck gebracht hat. (Man kann von daher das Unvollendetbleiben des Comenianischen Projektes der Theatrum-Schriften als ein Indiz für den das 17. J ahrhundert kennzeichnenden Schwund analogisch-integralistischer Seinserkenntnis auffassen.) Von 1618 an verlebte Comenius zwei kurze glückliche Jahre auf seiner Pfarrstelle im mährischen Fulnek. Die Schlacht am Weißen Berg bei Prag brachte es dann mit sich, daß er, indem die Kräfte der Gegenreformation sich allmählich durchsetzten, Verfolgungen erleiden mußte und aus seiner Heimat vertrieben wurde, um für das nächste halbe Jahrhundert (für den Rest seines Lebens) als Exulant durch ganz Europa zu wandern. Dazu kamen noch schwere persönliche Schicksalsschläge. 1622 wurde seine gesamte Familie (seine junge Frau, sein neu geborener Sohn und, kurz darauf, dessen älteres Brüderchen) von Pest und Seuche dahingerafft. 41 Comenius befand sich in puncto desperationis. »Wegen persönlicher Verfolgung« in Verstecken und Schlupfwinkeln sich aufhaltend, ging er daran, »für sich selbst und für andere zum Trost« eine kleine Schrift, die er, wenngleich in tschechischer Sprache geschrieben, Centrum securitatis beti-
39 Vgl.Jan. RR., c. II,§§ 14-18; dazu die Anmerkungen 103 u. 104 zum Text sowie Dilucidatio I, § 6 (ODO 1, Sp. 458): »Scopus ... fuit ... conficere epitomen librorum Dei, Naturae, Scripturae Conscientiaeque humanae«; De cond. pans. l. cons„ § 38 (CC 1, Sp. 186). 40 Prodromus, § 112; vgl. dazu De christ. uno Deo, Aph. XIV (AS, S. 31 ): »per visibilia ... ad invisibilia penetrare volumus«; ferner Jan LL., Praef. Amst. (S. 117. 41 Vgl. M. Blekastad (1969), S. 97f.; Epist. ad Mont., § 8 (DJAK l, s. 20).
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telte42, abzufassen. Sie war 1625 bereits fertiggestellt und wurde erstmals 1633 im polnischen Leszno veröffendicht. 43 Nach Jan Kvacala gehören die »Zwei ersten Capitel« (dieser Schrift) »Zu dem Gehaltreichsten, was Comenius auf dem Gebiete der Philosophie geschaffen« hat; sie »weisen ... die Grundzüge seiner Weltanschauung auf«. 44 Die Konzeption des Centrum securitatis wird vor allem durch zwei Metaphern bestimmt: durch die des Kreises und die des Baumes. Zur Kreissymbolik, d. h. zur Auffassung, daß sich die bewegte Welt - in ähnlicher Weise wie das Rad um seine feststehende Achse - um das unbewegte göttliche Zentrum drehe45 , wurde er von Cusanus bzw. vom Speculum intellectuale, einer 1510 erschienenen CusanusAnthologie des Nürnberger Arztes Ulrich Pinder, angeregt. 46 Die Baummetapher, welche andeuten will, daß das Sichtbare die-
Vgl. ebd., § 6 (DJAK 1, S. 20). 43 Ausgaben sind in Centrum sec. genannt. 44 J. Kvacsala (1892), S. 82. 45 Vgl. Centrum sec., c. I: »Wenn sich das Rad drehet, so drehet es sich um sein Centrum, welches unbeweglich in der Mitte stehen bleibet. Und also drehet sich das Rad der Welt beständig und ohne aufzuhören; GOtt aber, als sein centrum, bleibet unbeweglich in seinem Wesen« (ed. Macher-Schaller, S. 56; tschech. Orig. DJAK 3, S. 486). 46 Bereits um 1618 hat Comenius dieses Speculum intellectuale kennengelernt (vgl. K. Schaller (1969), S. 43). In Frage kommt hier Pinder (1510), Fol. XXX b-d (Enigma sensibile docens nos quomodo aeternum est omnia simul & in nunc eternitatis tota): Vermittels eines Kinderspielzeuges (eines kreisförmig geschleuderten Gegenstandes, dessen Bewegung bei bestimmter Drehgeschwindigkeit zu »Stehen« scheint) wird die Koinzidenz von Ruhe und Bewegung dargestellt. Die entsprechende Figur in Fol. XXX c findet sich auch in Cusanus' Trialogus de possest (ed. Gabriel (1964-67), Bd. 2, S. 290). Comenius legt sie - leicht variiert, aber mit ausdrücklichem Bezug auf Cusanus und Pinder-in De iter. Soc. irenico, S. 117-119 (AS 937-939) dar. Vgl. dazu auch J.E. Hofmann (1970), bes. 386f.; ferner G. von Bredow (1972 b). Das absolutelneinander von Ruhe und Bewegung ist bereits auch bei Augustinus ausformuliert (En in psalm. 92, 1: »Deus cum quiete operatur, et semper operatur et semper quietus est« ); bei Platon wird es vermittels eines in der Bewegung stehenden Kreisels versinnbildlicht (vgl. Politeia 436a-437a). 42
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ser Welt aus unsichtbaren »Wurzeln« herauswächst47 , und welche einen »organischen« Aspekt in Comenius' enzyklopädische Vorstellungen hineinbringt, hat er von Jakob Böhme her rezipiert, der im ersten Kapitel seiner Aurora vom »Quellbaum der Welt« spricht. 48 Indem Comenius im Centrum securitatis die Doppelmetaphorik des Kreises und des aus den drei Transzendentalien-»Wurzeln« >MachtWeisheit< und >Güte< emporwachsenden Baumes verwendet, beweist er gutes pädagogisches Gespür für die ins Metaphysische einführende Übergangsproblematik. Er läßt die beiden Seinsmetaphern allerdings unverbunden nebeneinander stehen, so daß ihm - wie unten noch deutlicher herauszustellen sein wird - die systematische »Frucht« seiner anschaulichen Erörterungen entgehen muß. Man könnte von daher das Spröde und Unfertige in Comenius' Denken gerade darin charakterisieren, daß es den Kreis und die Transzendentalien-Triade spekulativ nicht als ein elementarisch-distinktes Durchdringungsverhältnis aufweist. Dies zeigt sich auch in seinen anderen Schriften, z.B. in der schon erwähnten]anua linguarum, in welcher er den (ohne deutlich triadische Durchfortnung) geschilderten Kreislauf der Dinge mit einem »Trinitati sit honor in secula seculorum« 49 abschließt. Beim Orbis sensualium pictus, einer 1658 erstmals erschienenen bebilderten JS_inderfibel, die im Anschluß an die enzyklopädische Konzeption der janua linguarum ausgearbeitet wurde, ist es gerade umgekehrt. Hier ist gleich zu Beginn vom »DEUS ... Potentia Maximus, Bonitate Optimus, Sapientia Immensus« die Rede 50 (der Kreislauf selbst endet hier mit dem Jüngsten Gericht). In der bereits 1623 (in Tschechisch) fertiggestellten Schrift Labyrinth Centrum sec„ c. I (ed. Macher-Schaller, S. 50f.; tschech. Orig. DJAK 3, 483). 48 Dieser Hinweis bei J. Cervenka in Jan. LL„ S. XIII. Vgl. auch die baumartigen Zeichnungen für die Transzendentalien Potentia, Sapientia und Amor in: Th. Campanella, Metaph„ Pars II (1638), S. 256, 258, 260. 49 Jan LL„ S. 344. so Orbis sens. pictus, S. 6 f. 47
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der Welt und Paradies des Herzens schildert Comenius, durch das Schrifttum des von ihm hochgeschätzten Johann Valentin Andreae angeregt51 , in reicher und freisinnig-dramatischer Ausgestaltung einen ent-täuschenden Rundgang durch die Nichtigkeiten der menschlichen Gesellschaft. Ausgesprochen trinitarische Bezüge scheinen in dieser Schrift allerdings noch zu fehlen. Lediglich zu Kapitel XI, § 7 findet sich die Marginalie: »Metaphysik. Unum verum bonum«. Das Jahr 1628, das Comenius dazu zwang, zusammen mit den Mitgliedern der Brudergemeinde ins polnische Exil nach Leszno zu ziehen, stellt nicht bloß eine äußerliche Zäsur in seinen Lebensumständen dar. Auf dieses Jahr datiert Comenius selbst den eigentlichen Beginn seiner pansophischen Arbeiten. In der »Amsterdami ldibus Aprilis 1668« abgeschlossenen Vorrede zur Via lucis sagt er: »Etwa 40 Jahre ist es nun her, daß Gott in meinem Herzen Wünsche aufkommen ließ, welche denen des David ähnlich waren, so daß ich ausrief: Sende dein LICHT und deine WAHRHEIT, o Gott, damit sie mich leiten, mich zu deinem heiligen Berg und deiner Wohnung führen (Ps. 43,3). Anlaß hierfür war der Untergang meines Vaterlands, der Kirchen und der Schulen. Als die Kriegsflamme bald jedoch auch die benachbarten Reiche und von da aus Europa erfaßt hatte und als die gesamte Christenheit sich zu verwüsten drohte, da bereitete nichts anderes mehr Trost als die alten Weissagungen Gottes, daß ein letztes Licht die Finsternis endlich besiegen werde. Wenn hierfür menschliche Mitarbeit erforderlich wäre - so dachte ich damals-, konnte dies nichts anders sein, als daß man die Jugend, die aus den Labyrinthen der Welt herauszuführen war, auf bessere Weise in allem ... unterrichtete. Und ich glaubte, daß zu diesem Zweck ein universales Buch abzufassen sei, durch das der Geist der Menschen aus der Finsternis allmählich ans Licht geführt und von den Vgl. G. Beisswänger (1904 ), S. 6 f. In einem an Magnus Hessenthaler gerichteten Brief vom Sept. 1656 beklagt sich Comenius darüber, daß beim Brand von Lesno alle Werke des J. V. Andreae, die in seinem Besitz waren und aus welchen er die »primordia pansophicarum cogitationum« geschöpft habe, vernichtet worden sind (Korr ed. A. Patera, S. 189). 51
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vagen Auffassungsweisen, die sich eingeschlichen haben, auf den einen einfachen Weg der ewigen Wahrheit gebracht werden könnte.« 52 Zu dem einen >universalen Buchruhmreichen Erneuerern der Philosophiechristiana« beigegeben hat. Es handelt sich hierbei aber keineswegs um ein bloß äußerliches Etikett. Denn Comenius konzipiert sein universales Reformwerk »in gloriam Triunius Dei«.7 9 Diesen Deus Triunus sieht er als Wesensgrund des »Christlichen« an (weswegen er sich mit Vehemenz gegen die antitrinitarischen Sozinianer seiner Zeit zur Wehr setzt). so Was den Aufbau der Praecognita pansophica angeht, hat Turnbull in den beiden genannten Fragmenten eine Dreigliederung rekonstruiert, die Comenius in den§§ 7 und 8 des Introitus zum Pansophiae seminarium selbst andeutet: Bevor er zur eigentlichen Pansophie kommt, will er präliminarisch (»ante omnia«) deren necessitas, possibilitas und facilitas umreißen 81 , wobei er im ersten Begriff den finis des Menschen, im zweiten dessen media und im dritten den modus des Einsatzes der zur Verfügung stehenden Mittel zu untersuchen gedenkt. Gemäß dieser GliedeTriert. cath., c. XVIII,§ 11 (DJAK 18, S. 343). Vgl. hierzu meine >Einleitung< in AS, S. 7+_72+. 81 Mit dieser Triade hat sich Comenius also auf das Feld der Modalanalyse begeben, von welcher Nicolai Hartmann sagt, daß ihr eine »Schlüsselstellung innerhalb der weitverzweigten Problematik des >Seienden als Seienden«< zukomme (Möglichkeit und Wirklichkeit. 3. Aufl. Berlin 1966, S. V) und daß »am Grade ihrer Bewältigung in weitem Maße das Schicksal der systematischen Philosophie« hänge (ebd., S. 97). Comenius hat, wie man annehmen darf, diese Bedeutsamkeit des Modalitätenproblems wohl geahnt, jedoch nicht ontologisch-systematisch weitergetrieben. Damit aber vergibt er sich die Möglichkeit einer tieferen Begründung seines pansophischen Konzepts. Vgl. hierzu etwa die Ausführungen bei H. Beck (1961) und E. Sehadel (1982). 79
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rung wird im ersten Praecognita-Fragment De hominis fine (§§ 9-40) und De concessis homini ad finem suum obtinendum mediis (§§ 41-86) gehandelt; dann aber bricht der Text ab. Das Fehlende wird im zweiten Praecognita-Fragment, im Pansophiae christianae liber III dargeboten. Dieser trägt den Untertitel De mediis homini ad fines suos concessis utendi modo sive De pansophiae methodo, so daß die beiden Hauptteile des ersten Fragmentes nachträglich als >Pansophiae christianae liber l< bzw. ,Jiber II< zu bezeichnen wären. Indes vollzieht sich der Übergang zwischen den beiden Praecognita-Fragmenten nicht so nahtlos, wie es scheinen möchte. Denn den Ausführungen des liber III ist eine neue Triade zugrundegelegt. Es wird zunächst der pansophische Gehalt der Begriffe universalitas (§§ 3-16) und veritas (§§ 17-40) erläutert; auf die vom ersten Fragment her zu erwartende facilitas wird erst in den §§ 41 ff. eingegangen. Auch in der Datierung liegt der liber III anders als das Pansophiae seminarium. Denn das 7teilige Konzept, das in § 61 des liber III vorgegeben wird, ist Comenius erst seit seiner Dilucidatio von 1638/39 geläufig. Daraus und aus anderen Indizien 82 ergibt sich 1639 oder 1640 als Abfassungszeit für den liber III. Was hingegen die Abfassung des Pansophaie seminarium angeht, sind folgende Umstände zu berücksichtigen: 1633 hat sich Comenius des größeren Wirkungsgrades seiner Schriften wegen entschlossen, nicht mehr tschechisch, sondern lateinisch zu veröffentlichen. Er nimmt sich vor, seine Böhmische Didaktik ins Lateinische zu übersetzen und - wie er im gleichen Jahr an S. Hartlib schreibt - seine Pansophie fertigzustellen (»Pansophiam absolvere«). 83 Er hat beide Vorhaben, so gut es ging, miteinander verbunden, d. h. anläßlich der Durchsicht und Latinisierung seiner Böhmischen Didaktik das Pansophaie seminarium verfaßt. Von daher aber werden die auffallenden inhaltlichen Übereinstimmungen zwischen dieser Schrift und den s2 Vgl. im einzelnen DJAK 14, S. 89-92. 83 »Cupio admodum posse me in hoc exilio saltem Didacticam magnam ... et Pansophiam absolvere« (Korr. ed. A. Patera, S. 20).
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ersten sechs Kapiteln der Didactica magna, worauf Ludvfkovsky hinweist 84 , erklärlich. Die Abfassung des Pansophiae seminarium läßt sich somit auf die Zeit vor Comenius' Anzeige im Leipziger Bücherkatalog, d. h. auf die Jahre 1634 oder auch noch 1635 verlegen. Man kann davon ausgehen, daß von der Triade necessitas, possibilitas und f acilitas der letztgenannte Begriff in der von Comenius ausgearbeiteten Form des Pansophiae seminarium nicht behandelt wurde 85 , ferner aber auch davon, daß Hardib und Hübner den Pansophiae christianae liber III in den Jahren 1636/ 37 noch nicht in Händen hatten. 86 Damit aber kann man begründetermaßen annehmen, daß der Druck der metaphysischen Schriften des Comenius, den seine englischen Freunde im Sommer 1634 empfahlen und auf den sich wohl auch die Leipziger Vorankündigung der ]anua rerum sive Pansophia christiana bezogen haben dürfte, eben deswegen nicht zustande kam, weil der dritte Teil, der aufgrund der vorgegebenen Gliederung die facilitas zu behandeln gehabt hätte, - aus welchen Gründen auch immer - nicht rechtzeitig vorgelegen hat (oder von Comenius zurückgehalten wurde, weil er die Gesamtkonzeption semer Pansophie noch weiter überdenken wollte). 87
J. Ludvfkovsky (1962), S. 245. Am 19. Mai 1638 schreibt Comenius an Hartlib, daß seine Didactica die »fontes« enthalte, »unde J anua linguarum, Pansophia similesque rivuli« hervorströmen (0. Odlozilik (1928), s. 170). 85 DJAK 14, S. 91: »De pansophiae facilitate, ut e Fundani epistulis ... certo scitur, in Pansophiae seminario non agebatur«. Fundanius ist die im englischen Freundeskreis gebräuchliche Bezeichnung für Joachim Hübner; vgl. M. Blekastad (1969), S. 250. 86 Vgl. G. H. Turnbull in Dva spisy, S. 21. s7 Diese Auffassung legt sich nahe, wenn man sich vergegenwärtigt, daß Comenius Hartlib gegenüber eine resolute Stellungnahme abgibt, als dieser - in wohlmeinender Freundestat, allerdings ohne sein Einverständnis - 163 7 seine Praeludia veröffentlicht hatte. Im Jan. 163 8 schreibt er an ihn: »Nunquam ... permisissem (Praeludia) ea forma prodire sine firmiore adversus praejudicia munimine« (0. Odlozilfk (1928), S. 165). Noch im Mai 1638 teilt er dem nämlichen Hartlib mit: »Exemplar non est 84
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Die Beobachtung, daß sich menschliches Sprechen häufig ohne klare Sachkenntnis vollzieht 88 , führte Comenius zu dem Entschluß, als Ergänzung zur bereits erschienenenjanua linguarum eine >JANUA RERUM (seu verioris SAPIENTIAE PORTA) 89 abzufassen. Diese Schrift sollte als »universales Gegenmittel gegen Torheit, Verwirrungen, Einbildungen und Irrtümer« 90 gelten können. Comenius wollte sie >in seinen Mußestunden< ausarbeiten und sein Vorhaben zunächst keinem mitteilen, >bis ihm dies möglich erschien oder bis er die hierfür gesuchte (sichere und unveränderbare) Methode entdeckt hättewahren Methode< daran gehindert, das »seit 18 Jahren« 138 (also: seit 1628) gesammelte reichhaltige pansophische Material zufriedenstellend auszugliedern. Des öfteren versuchte er »vergeblich, die Pforte der Dinge aufzurichten« 139 • »Nun aber« - so sagt er, den Einsicht gewährenden Gott, den >Pater luminum< ansprechend - »ist es so weit gekommen, daß wir in deiner Gunst alles unbehindert erhoffen können. Wir sind nicht mehr im Unwissen darüber, worauf alles und einzelnes bezogen werden müsse.« 140 Fernab von der lyristisch-»erbaulichen« Septenarisierung der Dilucidatio und der Diatyposis-Schriften geht Comenius in der Folgezeit daran, das intuitiv geahnte >Syntagma triunum< systematisch auszuarbeiten. Schon im Sept. 1650 kündigt er das Erscheinen seines (später so genannten) Triertium catholicum an 141; im Herbst 1670 verfaßt er ein Vorwort hierzu 142 und gibt auch selbst noch ein paar Blätter dieses Werkes in Druck. 143 Wie
Diarium, S. 86; vgl. dazu auch Korr. ed. A. Patera, CV, S. 123-125. 136 Pans. sem„ c. XIX (DJAK 14, S. 17); dazu 0. Odlozilfk (1928), s. 175. m Pans. sem„ c. XV (DJAK 14, S. 16); eine Anregung zu dieser Dreiheit hat Comenius bei Girolamo Cardano erhalten (vgl. CC II, S. 24 und ODO II, Sp. 18). 138 Diarium, S. 86. 139 Ebd.: »Toties ... illam Januam rerum frustra tentavimus«. 140 Ebd„ 141 Korr. ed. A. Patera, CXLIII, S. 168. 142 DJAK 18, S. 243f. 14 3 Korr. ed.j. Kvacala II, CXXXIII, S. 161. 135
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die Langfassung der]anua rerum, so ist auch das ganze Triertium catholicum allerdings erst posthum Lugduni 1681 erschienen.144 Comenius' Freunde hatten bereits 1648 befürchtet, daß dessen >Thesaurus pansophicusPansophica< und die seit mehr als 20 Jahren mit großer Sorgfalt ausgearbeitete Sylva pansophica definitionum .146 Indes war Comenius durch diesen schweren Schicksalsschlag nicht von seinem pansophischen Lebensziel abzubringen. Unverdrossen sammelte er die »Scherben« der zerbrochenen Gefäße auf, um sie irgendwie wieder zusammenzuleimen. 14 7 (Bei dieser Arbeit hatte er »fragmenta quaedam« zur Verfügung, die er näherhin als >maculaturae< umschreibt. 148 ) In einem Brief vom 31. Juli 1656 berichtet Figulus, daß Comenius sich z. Zt. in Hamburg aufhalte und seine >Pansophica< zum Druck vorbereite, um sie bald darauf in Holland herausbringen zu können. 149 Doch ist es Comenius während des Amsterdamer Exils, bis hin zu seinem Tod am 15. November 1670, nicht mehr vergönnt gewesen, die ersehnte Pansophiola ans Licht der Welt zu bringen. Er konnte seine pansophischen Bemühungen nicht in ähnlicher Weise abschließen, wie er es hinsichtlich seiner diDie letzte Ausgabe findet sich in DJAK 18, S. 237-365. Vgl. Analecta comeniana, S. 107. 14 6 Vgl. Korr. ed. A. Patera, CLXIII, S. 189; dazu Korr. ed. ]. Kvacala 1, CLXII, S. 206; Continuatio, § 117; Vita Gyrus, § 6 (ODO IV, Sp. 6). Noch am 8. Jan. 1656, also wenige Wochen vor dem Brand, hatte Comenius an seinen Schwiegersohn Peter Figulus geschrieben: »Mox redibo cum Deo ad Pansophica mea quam primum potero absolvenda« (Korr. ed.]. Kvacala 1, CLVIII, S. 204). 147 Korr. ed. A. Patera, CLXII, S. 188. 148 Ebd., CLXII, S. 188; CLXIII, S. 189. 149 Ebd„ CLX, S. 187. 144 145
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daktischen Studien mit den 1657 erschienenen Opera didactica omnia noch vermocht hat. In Amsterdam verwickelte er sich 1659-62 in eine Auseinandersetzung mit den Sozinianern, welche so zeitraubend war, daß sich seine Freunde (berechtigtermaßen) um den Fortgang der pansophischen Studien Sorgen machten. 15 0 Die anti-sozinianische Polemik prolongierte sich in die Konzeption der unvollendet gebliebenen (erst 1977 durch Julie Novakova edierten) Schrift Clamores Eliae. 1668 gab Comenius noch die (bereits erwähnte) Via lucis sowie sein melancholisches Alterswerk Unum necessarium 151 heraus. In dieser Schrift schildert er besonders - wohl nicht ohne einen Seitenblick auf seine unvollendeten pansophischen Entwürfe - das Labyrinthische und Sisypheische des menschlichen Daseins.
2. Zur >]anua rerum< von 1681 insbesondere
»Nun wird die Pforte der Dinge (welche man Erste Weisheit und Geisteslicht, im allgemeinen aber Metaphysik nennt) zum Druck vorbereitet« 152 -mit diesen Worten teilt der fast 70jährige Comenius, der die Kontroverse mit dem aufdringlichen Daniel Zwikker noch nicht beendet hat und sich dabei schon als einen >senex brevi moriturus< 153 einschätzte, im Dezember 1661 dem befreundeten Amsterdamer Drucker Peter van der Berge sein Herzensanliegen mit. Was ist von dieser Absichtserklärung zu halten? Wie und in welchem Umfang hat Comenius die Ausarbeitungen der janua rerum von 1643 an bis hin zu seinem Tod weitergeführt? Einen energischen Vorstoß zur Fertigstellung der Pforte der Dinge scheint er 1644 unternommen zu haben. Obwohl er sonst
Ebd., CXCIX, S. 221. 151 Neuerdings in DJAK 18, S. 69-145. 152 Epist. ad Mont. (DJAK 1, S. 30): »Nunc luci paratur }anua rerum (quam sapientiam primam et lucem mentium, vulgo metaphysicam vo150
cant).« 153
Iren. irenic., S. 188 (AS, S. 336).
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noch von Vielerlei in Anspruch genommen wird 154 , versucht er diesem >principalis scopus< 155 seine anderen Tätigkeiten unterund beizuordnen. Er weiß, daß man die Herausgabe der >Janua rerum sive Metaphysica pansophica< dringend erwartet. 15 6Er hat viele lobende Bewunderer für das Projekt dieses »Opus praegrande«, jedoch keinen einzigen Mitarbeiter. 157 Nichtsdestoweniger hofft er im folgenden Jahr (also 1645) die]anua rerum als »solides Fundament der ganzen Pansophie und liebenswürdige Zusammenfassung derselben« erscheinen lassen zu können.158 Um ohne Verzögerung bei der Ausarbeitung der ]anua rerum bleiben zu können, trägt er die angefertigten Entwürfe seinen Elbinger Schülern vor und läßt die von ihnen (wohl durch Diktat) hergestellten Manuskripte bei den Interessierten kursieren, um noch vor der Drucklegung deren Kritik einzuholen.159 Die geplante Ausgabe hat sich jedoch noch weiter verschoben. Wie oben, beim Eingehen auf das Diarium, angedeutet, arbeitet Comenius seit Ende 1646 an einem triadischen Konzept seiner Pansophie, von dem er (in einem Brief vom Jan. 1647) seinem Freund Hartlib gegenüber als dem »Syntagma eruditionis scholasticae tri-unum harmonicum« spricht. 160 Von diesem Konzept her ergaben sich auch neue prinzipielle Aspekte für die Bearbeitung des Janua rerum-Projekts. 161 (Doch haben diese in der Folgezeit, soweit sich dies rekonstruieren läßt, zu keiner grundlegenden Umgestaltung des ]anua rerum-Textes geführt, ob-
Korr. ed. A. Patera, LXXIII, S. 82: »Mu!titudine agendorum distrahimur«. 155 Vgl. ebd„ S. 83. 156 Ebd„ S. 82: »Sumpsi ... mihi proponendam Januam Rerum sive Metaphysicam pansophicam ... (urgetur enim editio ejus a pluribus).« 157 Ebd„ LXXIX (Ad Patronum, 19./29. Nov. 1644), S. 91. 158 Ebd.: »Spero et prodituram eodem hoc sequenti anno ]anuam Rerum, totius Pansophiae et fundamentum solidum et compendium amabile.« 159 Vgl. ebd„ S. 82 f. u. 91. 160 Ebd„ CVII, S. 128. 161 Vgl. hierzu insbes. Korr. ed. A. Patera, CV (Ad G. Ritschelium, 27. Dez.1646), S.123f. 154
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wohl sie dies eigentlich impliziert hätten. Detailliertes hierzu im folgenden Abschnitt 3.) Wie sich ermitteln läßt, ist ein 5 Folia umfassender Teil- bzw. Probedruck der]anua rerum imJahr 1649 in Leszno erschienen. Mit diesem aber kann die aus dem Jahr 1650 stammende Information zusammengebracht werden, daß Comenius »die ]anua rerum dem Herzog Sigismund gesendet habe«. 162 C. H. Turnbull vermutet, daß dem Druck von 1649 das von ihm edierte ]anua rerum-Fragment zugrunde gelegen haben könnte. 163 Doch ist anderes wahrscheinlicher, da wir den Druck von 1649 durch die Verwendung ungewöhnlicher Termini wie >combinatumconglobatio< und vor allem >Semiens< charakterisieren können. 164 Diese Termini finden sich nicht im Bruchstück von 1643 165 , wohl aber in der Ausgabe von 1681: >Semiens< in den Kapiteln XI und XXIV, >combinatum< und >conglobatio< in den beiden relativ umfangreichen Kapiteln XXXI und XXXII (und ev. auch XIII). Von daher kann man es mitJan Patocka als »äußerst wahrscheinlich« annehmen, daß der Leszno-Druck der janua rerum textmäßig in die Ausgabe von 1681 aufgenommen und eingearbeitet wurde. 166 Diese Annahme wird noch deutlicher, wenn man die äußeren Umstände bei der Ausgabe der nachgelassenen Schriften des Comenius etwas näher betrachtet: Kurz nach dem Tod seines Vaters (wohl noch im Jahr 1670) schreibt Daniel Komensky an Christian Nigrin einen Brief, in dem er diesen daran erinnert, daß sein Vater große Hoffnungen, besonders hinsichtlich der pansophischen Dinge, auf ihn gesetzt habe. Er möge deshalb zu ihm, dem Sohn des Verstorbenen, und den Hinterbliebenen kommen, um mit ihnen zusammen die zahlreichen Nachlaß-Papiere zu sichten 162
J. Kvacsala (1892), (Bel. u. Erkl.), S. 78; dazu auch Korr.
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Patera, CXXXVIII, S. 165; CXLIII, S. 168. 163 Dva spisy, S. 148. 164 Korr. ed.]. Kvacala II, CXXII u. CXXIV, S. 157f.
Hier werden zum Ausdruck der Verbundenheit von Seiendem die Termini >nexusligamentum< bzw. >complicatio< verwendet [DJAK 14, 165
s. 163]. 166
J. Patocka, Epilogus (CC II, S. 597f.).
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und, so gut es geht, zur Veröffentlichung zu bringen. Es sei ihnen dann der Segen des Herrn über Zeit und Ewigkeit gewiß. Falls sie aber die Aufgabe verweigerten, würde sie der Verstorbene vor den Richterstuhl Gottes zitieren. 167 Die Redaktionsarbeiten gingen indessen nur schleppend voranl68 (so schleppend, daß die umfangreichen Manuskripte der Consultatio catholica gar nicht mehr ediert wurden und, bis 1935, in Vergessenheit gerieten). Wie es scheint, hat sich Nigrin jedoch nach Kräften bemüht, Comenius' literarische Hinterlassenschaft in Ordnung zu bringen und zu vervollständigen. So schreibt er u. a. auch (am 16. Mai 1678) an den deutschen Historiker Magnus Hessenthaler (»den Comenius wie einen Sohn angenommen hatte« 169 ), daß er insbesondere noch die >metaphysica< und die Leszno-Ausgabe von 1649 mit den (erwähnten) ausgefallenen Termini recherchiere. Hierauf antwortete Hessenthaler bereits am 24. Mai von Stuttgart aus: Wegen der 38 Jahre währenden freundschaftlichen Verbundenheit mit Comenius habe er, nachdem er Nigrins Brief erhalten hatte, sofort beschlossen, im nächsten Monat nach Amsterdam zu fahren, um die Comenianischen Manuskripte auf Publikationswürdiges hin durchzusehen. Dabei wolle er, wie erwünscht, von sich aus noch einiges beisteuern; wörtlich sagt er: »Was aber insbesondere die Metaphysica angeht, gedenke ich, nicht bloß jene speziell gesuchten fünf Phyluren ... auszuhändigen, sondern auch andere diesbezügliche Überlegungen, welcher er einstmals, als ich ihn in Elbing, Leszno und Amsterdam ... besuchte, mit mir ausgetauscht hat, werden Dir keinesfalls unbekannt bleiben.«170 Nigrin mag in Hessenthaler somit einen kundigen und hilfsbereiten Mitarbeiter für seine Redaktionsarbeiten gewonnen haben. Um das Zustandekommen der Textvorlage für die ]anua rerum-Ausgabe von 1681 genauer rekonstruieren zu können, haben wir abschließend noch zweierlei zu berücksichtigen: Erstens 167 168 169
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Vgl. Korr. ed. A. Patera, CCXXXIX, S. 276. Einzelheiten bei M. Blekastad (1969), S. 680f. Korr. ed.j. Kvacala II, CXXII, S. 157. Ebd„ CXXII, S. 158.
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ein paar gedruckte Einzelblätter der ]anua rerum, die Comenius (wohl in seiner Amsterdamer Zeit) in Auftrag gegeben hat. 171 Es spricht eigentlich nichts gegen die Auffassung, daß Nigrin diese Einzelblätter kannte und in den]anua rerum-Text eingefügt hat. Das Zweite ist die >Vorrede< der ]anua rerum, welche als »Ad academias Europae Praefatio« 172 überschrieben ist. Sie stimmt streckenweise ad verbum mit der >Praefatio< der Janua rerum von 1643 173 überein. Doch liegt zwischen 1643 und 1681 noch »der Saros-Pataker bzw. Nürnberger Druck« dieser >PraefatioPraefatioPraefatio< zur janua rerum ist nur indirekt, d. h. durch zwei Jahresangaben innerhalb des Textes bestimmbar. In§(= Absatz) 25 sagt Comenius, daß er »seit 40 Jahren« die Weisheitsstudien betreibe.175 Diese Angabe kongruiert mit dem, was in§ 2 der >Praefatio< zur Via lucis gesagt wird, nämlich daß vor 40 Jahren der kriegsbedingte Ruin seines Vaterlandes, der Kirchen und der Schulen die Weisheitssehnsucht in ihm ausgelöst habe. 176 (Comenius spielt hier also auf das Jahr 1628 an, in welchem er ins polnische Exil gehen mußte.) Die Ebd., CXXXIII, S. 161. Dieser (nach der Ausgabe von 1649) zweite Versuch, diejanua rerum wenigstens teilweise zu drucken, kann im Zusammenhang mit der (zu Beginn dieses Abschnittes genannten) Nachricht an Peter van der Berge vom Dez. 1661 zusammenhängen. In auffallender zeitlicher Übereinstimmung hierzu befindet sich J. Kvacsalas Mitteilung, daß sich der philosophische »Schriftsteller P6sahizy ... in seinen Thesen (1661) auf die S. 16 der Metaphysik des Comenius« beruft (Kvacsala (1892), (Bel. u. Erkl.), S. 78). Vgl. dazu auch J. Ludvfkovsky (1962), S. 250, Anm. 13. m Vgl. DJAK 18, S. 151-162. 173 DJAK 14, S. 155-158. 174 Vgl. hierzu J. Ludvfkovsky (1962), S. 242; dazu G. H. Turnbull, Hartlib, Dury and Comenius, London 1947, S. 442. 17s DJAK 18, S. 156. 176 DJAK 14, S. 285. 171
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>Praefatio< der Via lucis hat ein >Comenius senexPraefatio< der ]anua rerum stehen. Damit aber läßt sich auch die zweite Angabe in § 36 der >Praefatio< zur ]anua rerum bestimmen. Comenius sagt hier, daß er »das gesamte Werk seit mehr als 30 Jahren mehr als zwanzigmal « umgeändert habe".17 8 Er verweist hier also auf die Zeit vor 1638 und möchte mit diesem Hinweis vor allem auf sein jahrelanges intensives Ringen um das durchtragende Prinzip seiner pansophischen Wirklichkeitsdeutung aufmerksam machen. Indes meintJ. Ludvfkovsky (im Anschluß anJ. Henrich), daß in der hiermit erwähnten doppelten Datierung der >Praefatio< besondere Modifikationen im]anua rerum-Titel angezeigt seien. Seiner Auffassung nach hat »die Bezeichnung >Janua Rerum< ursprünglich, in den 30er Jahren des 17. Jh., bei Comenius vielfach ein Synonymum ... für die von ihm bearbeitete ... >Pansophia christianaJanua Rerum< gegen Ende des Jahres 1640 auf das zweite von sieben Teilstücken der Pansophie beschränkt hat, die er im wesentlichen in der Dilucidatio vom Ende des Jahres 1638 und in der Diatyposis vom Jahre 1639 festgelegt hatte«. 180 Diese Differenzierung läßt sich jedoch nicht aufrechterhalten. Wenn nämlich Ludvfkovsky den Einschnitt in der Begriffsverwendung auf 1638 oder gar 1640 verlegen möchte, so hat er das >plus< im »ab annis plus quam 30« (Praef., § 36) nicht genau wahrgenommen, da dieses auf die Zeit vor 1638 hinweist. Zu beachten wäre in diesem Zusammenhang auch, daß Comenius den zweiten Teil seines (wie wir sahen, nicht durchgeführten) Septenarisierungsversuches nicht mit >Janua rerumSapientiae Porta< 181 , >Porta scientiam DJAK 14, S. 292. 178
179 180 181
DJAK 18, S. 159. Ludvfkovsky (1962), S. 240. Ebd. ODO 1, Sp. 479 (rectius: 480).
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rum< 182 oder >Pansophiae Porta< 183 kennzeichnet. Gegen Ludvfkovskys These spricht schließlich noch der Textbefund, daß Comenius im Jahr 1644 (also nach 1640)-ohne daß ein septenarer Kontext genannt wäre - von der janua rerum als dem »fundamentum solidum« der ganzen Pansophie spricht184 oder daß er den Text, der als f anua rerum 1681 veröffentlicht wurde, »als Probestück« für das große pansophische Opus, das eine neue Metaphysik darbieten sollte, auffaßt. iss Man kann Ludvfkovskj allerdings zustimmen, wenn er cum grano salis bei Comenius eine »überaus schwankende Anwendung des Titels Janua Rerum« anmerkt. 186 Dieses Schwanken rührt von den von Comenius nie völlig überwundenen konzeptionellen Unklarheiten her. Wir werden also Comenius, der von seinen >philosophica< in bemerkenswerter Selbstkritik sagt, daß sie »tentamina verius quam libri« seien 187 , nicht ungerecht einschätzen, wenn wir behaupten, daß er - wie in seinen Bezeichnungen >Prima philosophiaPansophiaPansophia christianametaphysica nova< 18 8, >metaphysica pansophica< 18 9 , >Sapientia primaLux mentium< 191 u. a. - so auch in der Benennung >Janua rerum< nicht etwas fest Umrissenes, sondern vielmehr einen Arbeits- und Suchbegriff darbietet. (Wir werden im folgenden Abschnitt herauszubringen versuchen, was er während dieses Suchens - während seines unausgesetzten Suchens nach einer integral-harmonischen Wirklichkeitsauffassung oder wenigstens, wie das >J anua< im Titel>J anua rerum< andeutet,
DJAK 14, S. 245. DJAK 14, S. 247. 184 Vgl. oben Fußnote 158. 18s Jan. RR., Praef., § 41(DJAK18, S. 181). 186 J. Ludvikovsky (1962), S. 246. 187 Epist. ad Mont. (DJAK 1, S. 30); vgl. dazu das »tentavimus« in Jan. RR„ Praef„ § 25 (DJAK 18, S. 157). 18s Ebd., § 41(DJAK18, S. 161). 189 Vgl. Fußnote 156. 190 Vgl. Fußnote 152. 191 Vgl. ebd.; dazu Jan. RR., XXVII,4 (DJAK 18, S. 221). 182
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nach einem ersten Zugang zu dieser- an konsistenten Einsichten zu erlangen vermocht hat.) Der Such- und Versuchscharakter der Comenianischen Metaphysikstudien spiegelt sich auch in der vorliegenden Textgestalt der Janua rerum wieder. Eine genauere philologische Analyse würde auf verschiedene Bearbeitungsstadien und strukturale Unebenheiten hinzuweisen haben. Neben der relativ gut ausgearbeiteten Praefatio z.B. erwecken die Kapitel XXXV und XXXVI den Eindruck einer noch vorläufigen stichpunktartigen »Stoffsammlung«. Inhaltliche Verdoppelungen (vgl. etwa Kapitel XI mit den Kapiteln XXXIII und XXXIV, Kapitel XIII mit den Kapiteln XXXI und XXXII), der in Praefatio, § 43, angekündigte, aber nicht beigefügte >Index rerum et verborum< u. a. sind deutliche Anzeichen dafür, daß der janua rerum-Text keine ausgleichende Schlußredaktion erfahren hat. Ähnliches gilt auch in stilistischer Hinsicht. Die Methode der dialogischen Darlegung wird z.B. nur in den Kapiteln I-IV einigermaßen konsequent angewendet. Sie klingt nochmals kurz zu Beginn des Schlußkapitels XXXVII an; dazwischen aber liegen nicht-dialogische lehrbuchartige Erörterungen. Das dialogische Element kommt deswegen in den Text der janua rerum hinein, weil Comenius diese Schrift anfänglich als Pendant zu seiner erfolgreichen]anua linguarum auszuarbeiten versuchte. 192 Doch ist dieser Versuch wegen konzeptioneller Schwierigkeiten, wie noch zu sehen sein wird, in der Durchführung steckengeblieben. Vom Inhaltlichen her hat der janua rerum-Text eine gewisse Vielschichtigkeit aufzuweisen, in welcher sich Gedankenkomplexe aus verschiedenen Ausarbeitungsphasen repräsentieren. So findet sich in den Kapiteln XIX-XXVII die spezifisch Comenianische Modifikation der Aristotelischen Akzidenzien-Tafel wieVgl. hierzu die Synopse der >Introitus< von Jan. LL. (1631) und Jan. RR. (1643 bzw. 1681) bei]. Ludvfkovsky (1962), S. 244. Zu dieser 192
Synopse könnte auch noch die stilistische Ähnlichkeit mit den >Introitus< aufweisende >Invitatio< des Orbis sens. pictus von 1658 beigezogen werden.
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der, wie sie bereits in der Prima philosophia von 1628-30 vorliegt. Aufgrund verschiedener Triadisierungsversuche 19 3 ist der ]anua rerum-Text in das Gesamtwerk des Comenius eingeflochten. Die Trias reale, mentale, verbale von Kapitel XII, das, wie es scheint, in der Spätzeit eigens ausgearbeitete Schlußkapitel XXXVII sowie einzelne Hinweise (Praefatio, § 41; Kapitel I, § 15) zeigen an, daß auch das Konzept des >Syntagma triunumPansophie< andrerseits. Zur Aufklärung der Grundstruktur, welche Comenius für seine ]anua rerum zuletzt ins Auge gefaßt hat, ist vor allem der Bezug zum Mundus possibilis wichtig, wo in den Kapiteln IV-VI nacheinander die >Intelligibilia< (Notiones communes), >Eligibilia< (Instinctus communes) und die >Agibilia< (Facultates communes) behandelt werden. 194 Diese Dreiheit stimmt inhaltlich mit der Aufteilung in >Orbis cogitabiliumOrbis optabilium< und >Orbis possibilium< von ]anua rerum, Kapitel III, § 30 überein 195 , woraus Comenius dann (ebd., § 38) 196 die dreifache Disposition der nachfolgenden Erörterungen seiner ]anua rerum entwikkelt. Im Hinblick auf die Dispositionsangabe in Kapitel III, § 38 kann angenommen werden, daß Comenius seine]anua rerum im Hauptteil des Letztentwurfes (d. h. in den Kapiteln VI-XXXVI) triadisch durchgegliedert hat197 und diese Gliederung freilich Vgl. hierzu bes. die Exkurse 1-3 sowie die Anmerkungen 196 u. 300 zum Text. 194 Vgl. CC I, Sp. 295-301. 19s Vgl. DJAK 18, S. 172. 196 DJAK 18, S. 173. 197 Vgl. Anmerkung 136 zum Text. 193
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nur unproportioniert zur Ausführung brachte. Der Hauptteil der ]anua rerum, der von >Praefatio< und >Introitus< (Kapitel I-III) sowie von der >Clausula< des Schlußkapitels XXXVII gewissermaßen »eingerahmt« wird, soll demgemäß im >Ersten Teil der Ersten Weisheit< (Kapitel IV-XXXIV) den >Orbis cogitabilium< darstellen, im >Zweiten Teil der Ersten Weisheit< (nur umrißhaft in Kapitel XXXV angedeutet) den >Orbis optabilium< und im >Dritten Teil der Ersten Weisheit< (in Kapitel XXXVI nicht weiter ausgeführt) den >Orbis possibiliumkonstitutiven< Trias) als >explikativ< einschätzt, weist er jenem bei näherem Hinsehen selbst eine bloß »sekundäre« Bedeutung zu. Denn um die septenarische Entfaltung als solche erkennen zu können, ist die Einsicht in die innere Genese derselben und damit der Rückgang auf das »Primär«-Konstitutive, auf das Triadische, vonnöten. Wie Comenius' Amsterdamer pansophische Arbeiten (die Herausgabe der Via lucis, die Wiederaufnahme des ]anua rerum-Projekts und insbesondere die Ausführungen des Triertium catholicum) zu zeigen vermögen, hat er im hohen Alter tatsächlich diese Konsequenzen gezogen (und damit längerfristig die Umdisposition vorbereitet, die durch den genannten Hessenthaler-Brief auf September 1670 datiert ist). Nach diesen Ausführungen können wir- auf der Suche nach dem »entscheidende[n] Schlußstein« 219 der pansophischen Metaphysik- die septenarischen Entwürfe als Nebenlinie zunächst unberücksichtigt lassen und uns nun ausschließlich der ternarischtriadischen Ausgliederung des Comenius zuwenden. Diese Strukturform ist ihm bereits im ersten Kapitel des Centrum secu219
Vgl. K. Schaller in Jan. RR„ ed. Schaller (1968), S. V.
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ritatis, also spätestens seit 1625 geläufig. In den hierbei rezipierten »Standard«-Triaden posse-scire-velle, potentia-sapientiaamor, unitas-veritas-bonitas gibt Comenius zu erkennen, daß er den Bezug zur trinitarischen Metaphysik (zu der des Thomas Campanella, zur weitverzweigten mittelalterlichen und damit letztlich sogar zur Augustinischen) aufgenommen hat. Comenius verdeutlicht sich bei diesem seinen Rückbezug allerdings nicht deutlich genug, daß in den genannten Triaden und insbesondere in der Reihenfolge ihrer Einzelglieder eine Konstitutionsordnung von Seiendem überhaupt ausgedrückt sein will. Diese konzeptionelle Unschärfe hat jedoch nicht unerhebliche Folgen für die Ausgestaltung seiner eigenen Triadologie. Sobald sich diese nämlich von dem aus klaren »Quellen« Geschöpften entfernt, wird sie in sich orientierungslos und inkohärent. Sie verfällt, wie die in Exkurs 1 durchgeführte terminologische Analyse vor Augen stellt, einer veräußerlichten Denkungsart und damit der Beliebigkeit. (Dies gilt vor allem auch für das in Comenius' Schriften häufig gebrauchte Stilmittel der trichotomischen Einteilungen.) Trotz der im einzelnen bisweilen dürftigen Ausarbeitungen steht Comenius mit dem Projekt einer triadischen Pansophie in einem durchaus akzeptablen und wohl auch respektablen Allgemeinhorizont. Hinsichtlich der bei ihm häufig verwendeten soziologischen Dreiheit Politik-Wissenschaft-Religion 220 läßt sich in aus- und abgrenzender Weise sagen, daß ihr Konstitutionsbereich jenseits des chauvinistischen Eigendünkels, jenseits der »methodisch« sich abkapselnden Einzelwissenschaften und jenseits kleinlicher Konfessionsschranken liegt. Die von Comenius erstrebte triadische Metaphysik will, wie das Adjektiv >katholischallgemein< im Sinne von allgemeinverbindlich sein. Diese Allgemeinverbindlichkeit sieht er im Wesenskern der christlichen Religion, d. h. in deren trinitarischem
220
Vgl. Anmerkung 5 zum Text.
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Gottesverständnis angelegt. 221 Er will mithelfen, dieses zur Entfaltung zu bringen und kündigt (wie in Abschn. 1 zu sehen war) seine ]anua rerum im Leipziger Bücherkatalog zugleich als Pansophia christiana an. Nicht zufälligerweise ist daher auch sein Triertium catholicum »in gloriam Triunius Dei« 222 abgefaßt. Hinsichtlich dieser Widmung kann daran erinnert werden, daß Comenius eine Art »Initialerlebnis« hatte, in welchem ihm in intuitiver Prägnanz die universale Bedeutsamkeit des TriadischTrinitarischen aufgegangen ist. Nicht ohne spürbare Emphase berichtet er in Prodromus (§ 107) von dieser Innenerfahrung, welche ihn schließlich zu dem programmatischen Entschluß brachte, die »christliche Pansophie, welche die Mysterien der Dreiheit darbietet, dem ewigen, dreieinigen Jehova, dem einzig mächtigen, weisen, guten und auf ewig zu verehrenden Gott« zu weihen. Comenianische Pansophie und Christlich-Trinitarisches sind also aufs innigste miteinander verbunden - so sehr, daß Comenius zu der Auffassung gelangen konnte, daß Daniel Zwicker, sein Hauptgegner in der antisozinianischen Kontroverse, »mit der Behauptung, daß das Fundament der Pansophie zerstört sei, die Trinität geschmäht habe«. 223 Comenius beschwört seinen antitrinitarisch eingestellten Kontrahenten, er möge »das ewige Einheitsband der ewigen Dreieinigkeit« 224 doch unverletzt lassen; und er beschwichtigt, indem er sich in bischöflicher Sorge zum zweiten Elias stilisiert, das durch den zeitgenössischen Antitrinitarianismus verunsicherte Christenvolk, daß es >Zur Heils-
Vgl. hierzu etwa auch Leo Scheffczyk, Trinität: das specificum christianum. In: Scheffczyk, Schwerpunkte des Glaubens. Einsiedeln 1977, S. 165-173; Thomas F. Torrance, Toward an Ecumenical Consensus an the Trinity. In: Theolog. Zeitschr. 31 (1975), 337-350; Rayrnond Panikkar, The Trinity and world religions. Madras 1970; ferner Bibliotheca trinitariorum, ed. E. Sehadel (1984/86). 222 Triert. cath„ XVIII, 11(DJAK18, S. 343.36f.). 223 Clamores Eliae, S. 141. 224 Iter. Soc„ S. 205 (AS, S. 1025). 221
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hoffnung mit dem Siegel der hochheiligen Dreifaltigkeit bezeichnet seinomenclator catholicus rerum et conceptuum altissimorumerkennen< (besser wäre: wahrnehmen), >daß etwas ist, ohne einzusehen, was es istObjekt< des geistigen Lichtes (des erkennenden Subjektes) spricht24 1 und (im nachfolgenden Abschnitt) der Janua rerum das Ausgliedern und Differenzieren (das >Unum diducere in omniaÜmnia reducere in unum< 242 ). Comenius hat damit (unter deutlicher Beeinflussung durch das neuplatonische Kreisdenken) zu erkennen gegeben, daß er Sein überhaupt als einen sich durchgliedernden Prozeß, als sich ausproportionierende Aktualität verstanden wissen möchte. Allerdings sind in den drei Büchern, die er darin zusammenschließt, so gut wie keine oder nur sporadische theoretische Äußerungen hierzu gemacht, so daß die Differenz zwischen Inhalt und gestaltender Form in seiner literarischen Hinterlassenschaft, die hier betrachtet wird, unüberwunden bleibt. Der oben schon als schwierig gekennzeichnete Übergang von der ]anua linguarum zur janua rerum birgt jedoch noch weitere Problemansätze von systematisch weitreichenden Konsequenzen. Genau besehen, wurde dieser Übergang bei der Ausarbeitung der ]anua rerum so gut wie gar nicht vollzogen! Ein Relikt von Comenius' anfänglich naivem Unterfangen, parallel zur >verbalen< ]anua auch eine >reale< janua abzufassen, findet sich 240 Triert. cath., XVIII, 11 (DJAK 18, S. 343). 24 1 Jan. RR., XXXVII, 4 (DJAK 18, S. 221). 2 4 2 Ebd., § 5 (DJAK 18, S. 221).
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lediglich im >Introitus< der beiden überlieferten ]anua rerumFassungen. 243 Ansonsten ist J. Ludvfkovskys philologischer Befund zu berücksichtigen; dieser lautet: »In den weiteren Kapiteln der erhaltenen Fassungen der Janua Rerum finden sich ... keine Spuren des Textes der J anua Linguarum. Der Versuch des Comenius, die Janua Rerum nach der Janua Linguarum aufzubauen, scheiterte offenbar schon bei der Einleitung.«244 Was ist in diesem >Scheitern< impliziert? Die]anua linguarum ist gemäß dem neuplatonischen Egreß-Regreß-Schema am Leitfaden der »Stammreihe der Dinge« (der >rerum seriesSeiendes, insofern es seiend istPraefatio< zur ]anua rerum - die »Wissenschaft des Seienden, insofern es seiend ist«.246 Man hat von daher aber zu sagen, daß die enzyklopädische ]anua linguarum unter einem noch zu weiten und zu vagen Metaphysik-Begriff ausgearbeitet wurde. Beim Nicht-Gelingen des Übergangs von der ]anua linguarum zur ]anua rerum gerät dieser noch zu ungenaue Metaphysik-Begriff des Comenius in die m Vgl. DJAK 14, S. 159f. undDJAK 18, S. 163f.; dazu Jan. LL., s. 14f. 244 J. Ludvfkovsky (1962), S. 245. 245 Jan. RR., Praef., § 40 (DJAK 18, S. 160). In methodologischer Entsprechung zur >series rerum< ist auch Comenius' Rede von der >COhaerentia perpetua< (Diatyposis II, c. XVIII (DJAK 14, S. 205)), von der >rerum et conceptuum concatenatio< (ebd., c. XX (DJAK 14, S. 205)), von der >catena perpetua< (De cond. pans. l. cons., § 19 (CC I, S. 181)) u. a. aufzufassen. Vgl. auch Anmerkung 68 zum Text. 246 Jan. RR., Praef., § 28 (DJAK 18, S. 157).
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Krise. Er »verabschiedet« - in gewisser Weise freilich nur und nicht vollständig - das enzyklopädische Konzept seiner Pansophie. Die »hoffnungsvolle Sehnsucht nach der endlich zu entdeckenden unerschütterlichen Ordnung« 247 treibt ihn dazu, sich tiefer (als es etwa seine Zeitgenossen, die ihm ob seiner ]anua linguarum großes Lob zusprechen, tun) in das Geheimnis des Seins einzuwohnen. Comenius' Suche nach dem universalen Sein ist (wie oben in Abschn. 1 zu sehen) von Anfang an mit der Buch-Vorstellung verbunden. Seine Absicht war es, »eine Epitome der Gottesbücher, der Natur, der [Hl.] Schrift und des menschlichen Bewußtseins, herzustellen«. 248 Da die in einer Epitome dargestellten Sachverhalte im deskriptiven »Nebeneinander« bleiben, konnte die Seinsfrage (wie soeben bei der enzyklopädischen Janua linguarum deutlich wurde) auch hier nicht im spezifisch metaphysischen Sinne angegangen werden. Comenius empfand offensichtlich, daß bloßes Epitomieren seinen pansophischen Interessen, die auf das Letzte und Ganze hin ausgerichtet sind, nicht zu entsprechen vermochte. Er hatte also auch seine Buch-Vorstellung noch irgendwie zu modifizieren. Daß er dies tatsächlich getan hat, geht daraus hervor, daß er sich nach dem langwierigen und für seine Zielsetzung wohl auch nutzlosen Umweg über die konstruktivistischen Septenarisierungen gegen Ende seines Lebens (wenn auch nur zaudernd, wie wir oben im Zusammenhang mit dem Hessenthaler-Brief sahen) zu einer Ein-Buch-Konzeption durchgerungen hat (die ihn allerdings auch schon vorher beschäftigte). 249 Die Ein-Buch-Vorstellung liegt in zwei Versionen vor. Die erste davon lautet: »Wie im dreieinigen GOTT alles ist, so werden in seinem dreieinigen Buch alle alles auffinden und in allem übereinkommen können.« 250 Hier deutet sich die Tendenz an, die 247
24s 249 2so
Ebd., § 36 (DJAK 18, S. 159). Dilucidatio 1, § 6 (ODO 1, Sp. 458). Vgl. hierzu Fußnote 214. Mundus possibilis, c. X, App. (CC 1, Sp. 327).
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drei anfänglich noch im »Nebeneinander« geplanten EpitomeBücher auf ein einziges, auf einen >liber triunus< zusammenzubringen. (So wie Comenius, wie wir oben sahen, die ]anua linguarum, die ]anua rerum und das Triertium catholicum in einem >compendium trinum< zusammenzufügen versuchte.) Diese Tendenz verstärkt sich noch in der interessanteren zweiten Version, die Comenius in Form eines »Einfalls« vorträgt; er sagt: »Und es ist vielleicht noch keinem in den Sinn gekommen, daß aus dem dreifachen Gottesbuch ein einziges gemacht werden könne. Wenn solches aber geschehen könnte, wird dieses eine gleichsam etwas Neues sein.« 251 Wir sind damit mit Comenius an einen systematisch entscheidenden Punkt angelangt, was deutlicher wird, wenn wir in dessen Rede von den >drei Büchern< die drei Bereiche der >Metaphysica specialisESSE< in konziser Weise als »fundamentum commune, in quo conveniant omnia« 257 auffaßt, oder in der (wohl erst sehr spät abgefaßten) >Clausula< der ]anua rerum, wo er von den >altissimae entis contemplationesENS< als dem >Objekt< des geistigen Lichtes spricht. 259 (Comenius ist zu diesem onto-logischen MeVgl.Jan. RR., II, 18 (DJAK 18, S. 166). 254 Vgl. Oculus fidei, IX (AS, S. 440). 255 Ebd., XI (AS, S. 441): »Cognito ... ipse Esse, omnia videbuntur manifesta, miro compendio.« 256 Ebd., XII (AS, S. 441 ): » Cogriitio quid rerum Esse sit, janua [!] est ad intrandum omnia.« 257 Pansophia II, c. III (CC I, Sp. 365); vgl. auch Lex. reale pans. CC II, Sp. 958. 258 Jan. RR., XXXVII, 2(DJAK18, S. 220.32f.) [Herv. E.S.] 259 Ebd., § 4 (DJAK 81, S. 221.6f.). 253
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taphysikverständnis vermittels seiner Buch-Vorstellungen vorgedrungen, indem er, wie wir sahen, die damit verbundene bloß sinnliche Auffassungsweise abgearbeitet hat. Dementsprechend heißt es auch in der >Praefatio< der]anua rerum: »Metaphysik ist nicht, was dieser oder jener der Philosophen geschrieben hat, sondern was Gott in die Herzen der Menschen eingeschrieben hat.« 260 Wir werden im folgenden noch weiter auf diesen beim >inneren Menschen< beginnenden Denkansatz einzugehen haben.) Comenius ist es indes nicht leicht gefallen, die transzendentale Weite des Seinsbegriffes, so wie er ihn am Ende seiner Konzeptionen-Irrfahrt, wie wir sahen, als notwendig erkannte, durchtragend gegenwärtig zu haben, geschweige denn seine pansophischen Entwürfe daraufhin zu überarbeiten. Doch zeugen die §§ 27-29 der >Praefatio< zur ]anua rerum davon, daß sich unter Anleitung durch die Aristotelische »scientia entis quatenus ens« eine Abkehr von der deskriptiv-»phänomenologischen« Denkungsart und damit ein tiefgreifender Wandel seines Seins- und Wirklichkeitsverständnisses vollzogen oder wenigstens: angebahnt hat. Comenius kritisiert (wohl zu Unrecht261 ) die Aufteilung der Metaphysik in einen >transzendentalen< und einen >prädikamentalen< Teil und gibt sich bei der Ausarbeitung der ]anua rerum »das Gesetz, darauf zu achten, daß hier nicht etwas Nicht-Transzendentales auftauchte«. 262 Damit hat sich Comenius offensichtlich dem Problembereich der >Metaphysica generalis< zugewandt. Er will dasjenige auffinden, was auf alle Partikularwissenschaften »anwendbar« ist. 263 Näher ausgeführt, heißt dies aber in seiner Auffassungsweise, Metaphysik habe das >abstrakte Gefüge allgemeinster Dinge< 264 ,
Ebd„ Praef., § 42 (DJAK 18, S. 161.24-26). 261 Vgl. hierzu Anmerkung 47 zum Text. 262 Jan. RR., Praef., § 28 (DJAK 18, S. 157.40). 26J Ebd. (DJAK 18, S. 157.43-45). 264 Vgl. ebd., § 27 (DJAK 18, S. 157.27f.); ebd., § 12 (DJAK 18, S. 154.23f.): »lndividua rerum ... summum habeant necesse est, supremos conceptus, sub quibus omnia sint.« 260
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d. h. den »mundus possibilium« 265 darzustellen. Unter modalanalytischem Aspekt bleibt Comenius damit - die von ihm selbst eingeführte Metaphysikdefinition außer acht lassend - einer typisch neuzeitlichen Auffassungsweise verhaftet. Wie diese verwechselt er Metaphysik mit einer abstrakten Possibilienlehre; er befaßt sich »essentialistisch« mit bloßen Möglichkeiten, sucht jedoch nicht tieferdringend nach der Möglichkeit von Möglichkeiten, nach dem Inbegriff von Möglichkeiten, der als solcher keine bloße Möglichkeit mehr sein kann, sondern als Wirklichkeit und Sein schlechthin zu erkennen ist. Von daher aber wird ein dialektischer Grundzug des Comenianischen Denkens sichtbar. Anders als Ludwig Wittgenstein, der vom Apriorischen ins Aposteriorische »umschlug«, geht Comenius nach umfänglichen Beschreibungen des Aposteriorisch- Konkreten unmittelbar zum Apriorisch-Abstrakten über. Wie er zunächst das Konkrete überbetont, so überbetont er, weil ihm das ausgleichend vermittelnde Prinzip der analogia entis nicht als Hilfe erscheint, im zweiten Schritt das Abstrakt-Begriffliche, dem sich das Partikuläre nunmehr ein- und unterzuordnen hat. So weist erz. B. den Transzendentalien-»Begriffen« unum-verum-bonum mehr oder weniger willkürlich die 9 Kategorien zu. Wie jedoch in Exkurs 3 im einzelnen dargelegt wurde, ist er hierbei noch von der wenngleich nur schwachen »Ahnung« eines sich selbst vollziehenden Grundaktes von Wirklichkeit geleitet. Hätte er diesen losgelöst vom kategorialen Bereich im Sinne des oben erwähnten »fundamentum commune, in quo conveniant omnia« (ev. vermittels des unum-verum-bonum) zur Darstellung gebracht, so hätte er auch das Kategoriale wieder in sein Recht und seine Eigenart einsetzen (bzw. darin belassen) können. Die zuletzt gemachten Ausführungen zeigen, daß die ]anua rerum des Comenius und damit auch seine pansophische Metaphysik insgesamt von einem gewissen »Idealismus«, ev. sogar »Konzeptualismus« gefährdet sind. Doch ist im facettenreichen Comenianischen Schrifttum (und insbesondere auch in der ja26s
Ebd., § 29 (DJAK 18, S. 158.4).
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nua rerum) genügend idealismus- bzw. konzeptualismuskritisches »Potential« enthalten, das denjenigen abweist, der Comenius vom bewußtseinsphilosophischen Standpunkt aus zu »vereinnahmen« versuchte. (So behauptet Comenius Descartes gegenüber sehr wohl die Priorität des Seins vor dem Bewußtsein; vgl. Exkurs 5.) Zweifellos erstrebt Comenius für seine Pansophie ein >Syntagma notionum communiumsapientia aeterna< gesehen266 , d. h. es bleibt »eingebettet« in ein (für Comenius freilich nicht immer auf distinkte Weise präsentes) trinitarisches Aktualitätsverständnis. In entsprechender Weise nimmt Comenius seine Überbetonung des begrifflich-abstrakten Charakters von Metaphysik auch selbst wieder zurück. In§ 38 der >Praefatio< zur ]anua rerum relativiert oder besser gesagt: relationalisiert er den Bereich der >notitiaeinstinctus< und >facultates< als menschliche Grundvermögen beigesellt. Diese Dreiheit, von der, wie im Bezug auf die §§ 30 und 38 des dritten Kapitels der ]anua rerum deutlich werden kann, die Gesamtgliederung dieser Schrift abhängt267, wird von Comenius allerdings weniger argumentativ als vielmehr bloß additiv eingeführt. (Dementsprechend macht auch die Dreiteilung der ]anua rerum beim ersten Hinsehen zunächst einen »additiven« Eindruck.) Indes ist die ganze Sache doch in einem tieferen Sinne aufzufassen. D. h. es ist argumentativ dasjenige zu eruieren, was Comenius aufgrund eines ontQlogiefernen Trinitätsverständnisses argumentationslos zur Darstellung bringt. So ist z.B. das »sciunt, volunt, possunt« 268 im Kontext der genannten Stelle, an der die drei menschlichen Grundvermögen eingeführt werden, ein Indiz dafür, daß ein trinitätsmetaphysischer Hintergrund für die Vgl. Korr. ed. A. Patera, ex, s. 133: »NOTIONUM communium Syntagma desiderio desideramus, aeternae sapientiae in imagine sua positas radices aeternas !« 267 Vgl. Anmerkung 136 zum Text. 26s Jan. RR., Praef., § 38 (DJAK 18, S. 160.19). 266
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Comenianischen Darlegungen anzunehmen ist. Werden von diesem her aber (wie in Exkurs 1 unternommen) die immanenten Schwierigkeiten der spezifisch Comenianischen Trinitätsauffassung abgearbeitet, so können wir versichert sein, daß mit der menschlichen »imago Dei«, auf die Comenius deswegen, weil sie die »inneren Tätigkeiten« ihres göttlichen Ursprungs zum Ausdruck bringt, alle Hoffnung setzt269 , näherhin als eine >imago Trinitatis< aufzufassen ist. Comenius läßt hierbei offen, als welche und in welcher Ordnung sich diese »inneren Tätigkeiten«, worin der Mensch als >imago Trinitatis< seinen Ursprung repräsentiert, genauer zu bestimmen seien. Er fordert damit eine Interpretation heraus, welche ev. glücken kann, wenn man im Sinne einer (musicologisch verstandenen) »Engführung« triadologische »Motive« zusammenbringt, welche er sonst unverbunden in seinen Schriften ausgestreut hat. Mit dem Hinweis auf die menschliche Geistinnerlichkeit sagt Comenius im Centrum securitatis: »Stehen wir in Gott, und halten wir uns mit unserem Gedächtnis, Verstand und Willen zu ihm, so haben wir in ihm Frieden und Sicherheit«. 270 Diese Bezugnahme auf den Augustinischen Ternar memoria-intelligentia-voluntas kommt jedoch ohne Rekonstruktion des Augustinischen Problemkontextes zustande. 271 Es werden dessen Schritte, die den metaphysischen »Aufstieg« ausmachen, nicht im einzelnen nachvollzogen. Dies ist aber notwendig, damit der ontologische Gehalt der Geistternare sichtbar werden kann. »Zuerst«, sagt Augustinus, »ist der Mensch sich selbst zurückzugeben, damit er sich, sobald daselbst gleichsam eine Stufe errichtet ist, von daher erhebe und zu Gott gebracht werde.« 2 72 Die erste »Stufe«, welche in der Unsichtbarkeit des unräumlichen >inneren Menschen< zu errichten ist, besteht darin, daß 269 270 271
2n
Ebd„ § 30 (DJAK 18, S. 158, bes. Zeilen 20-22). Centrum sec., c. II (ed. Macher-Schaller), S. 57 (Herv. E.S.). Vgl. hierzu Exkurs 1. Auguscinus, Retract. 1, 8, 3.
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memoria (die Sach- und Welthaftigkeit des Menschen), intelligentia (dessen Distanz- und Erkenntnisvermögen) und voluntas (dessen Verbindungs- und Liebesvermögen) im Sinne einer »inseparabilis distinctio« 273 ein drei-einiges Geistleben ausmachen. In der inneren Durchdrungenheit desselben, in seinem Pulsieren und Zirkulieren, stellt sich eine gewisse Vollkommenheit dar, welche nicht mehr von der Zerstreuung des Räumlichen, wohl aber noch von der der Zeit betroffen ist. Damit nun jedoch die Zeitlichkeit als indifferente Individuationsbedingung des menschlichen Bewußtseins nicht kurzschlüssig (wie es in dialektisch-idealistischen Denksystemen geschieht) als unhintergehbare Ur-sache desselben ausgegeben werden muß, ist nach der Umkehr aus dem Körperlich-Räumlichen noch ein zweiter Schritt vonnöten: »Gradus ad immortalia et semper manentia faciendus«. 274 Dieser Übergang ist aporetischer Natur, d. h. er ist als Entzeitlichungsakt innerhalb des zeitlichen menschlichen Bewußtseins immer nur auf begrenzte, d. h. analogische Weise möglich. Er führt nie zur Identifikation mit dem Ursprung, wohl aber zur Partizipation an ihm. Indem neuzeitliches Bewußtsein diese Distinktion ablehnt, da es das Zeitliche hypostatisiert und die Zeit selbst als den »Horizont alles Seinsverständnisses« 275 ausgibt, hat es die Absurditätserfahrungen des Nihilismus in Kauf zu nehmen. Das menschliche Bewußtsein bleibt anfänglich und unüberwindbar von Indifferenz betroffen, wohingegen in der augustinischen Auffassung, daß in eigentlicher Weise nicht »in animasupra animamKreises< und der >drei WurzelnQuellbaums der Weltmotus circularis< 280 in seinen positiv seienden Konstitutionsverhältnissen aufgelichtet, so wäre einerseits seinem BaumVergleich der Anschein einer willkürlichen Annahme zu nehmen gewesen. (Es könnte dann aber auch der negativistisch-dialektischen Baum-Interpretation, wie sie etwa Nietzsche vorträgt2s1, einsichtigermaßen entgegnet werden.) Vermöge der zirkulär-triadischen Auffassung des unsichtbaren Wurzelbereiches von Welt wäre andererseits aber auch der 277
278
Vgl. hierzu Augustinus' Ausführungen in De Trin. XV, 22,42. Centrum sec., c. I (ed. Macher-Schaller), S. 51; tschech. DJAK 3,
s. 483.
Zu dieser Vorgabe durch Jakob Böhme vgl. Jan. LL„ S. XIII. Vgl. Marius Victorinus, Adv. Arium I, § 60. 281 Vgl. Also sprach Zarathustra, 1. Teil (Vom Baum am Berge): » ... Aber es ist mit dem Menschen wie mit dem Baume. Je mehr er hinauf in die Höhe und Helle will, um so stärker streben seine Wurzeln erdwärts, abwärts, ins Dunkle, Tiefe - ins Böse« (ed. K. Schlechta II, 279
280
s. 307).
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»blinde« Fleck in der im Centrum securitatis verwendeten Kreissymbolik aufzuheben gewesen. Denn in der mehr »pädagogischen« Kreisauffassung, wonach Gott das unbewegte Zentrum darstelle, die raum-zeitliche Welt aber die »radiale« Abtrift hiervon282, bleibt die Frage, was das Centrum, um das sich alles dreht, denn eigentlich sei, ausgeblendet (oder wenigstens unterbelichtet). 283 (Als Folge hiervon könnte -und konnte - leichterdings die Vorstellung sich einstellen, daß das göttliche Centrum als Unbestimmtes zu bestimmen sei, als (noch) nicht seiendes Etwas, das seiner Selbstkonstitution wegen des Hindurchgangs durch die Natur und der menschlichen Geschichte bedürftig sei: -der evolutionistisch-pantheistische Systemansatz dialektischer Philosophien.) Gegenüber einer Überfrachtung des Mittelpunktes, wie sie in der Kreissymbolik des Centrum securitatis vorliegt, aber ebenso auch gegenüber einer Überbetonung der Kreisperipherie, wie sie etwa in Nietzsches nihilistischer Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleichen zum Ausdruck kommt284 , wäre (als Korrektiv für beide Vorstellungsweisen) die vollständige Kreissymbolik in den Blick zu nehmen, durch welche die ontologische Vorgängigkeit des subsistierenden Seinsaktes zum Ausdruck kommt. Eine solche Kreisauffassung hat Comenius wohl im Schema seines >Sapientiae Trigonus< (vgl. Exkurs 2) angestrebt; er deutet eine dynamisch-zirkuläre Wirklichkeitskonzeption auch durch verschiedene Triaden an, durch das pythagoreische >principium-
Vgl. Centrum sec., c. II (ed. Macher-Schaller), S. 56f.; tschech. DJAK 3, S. 486f. 283 Eine triadische Grundkonzeption könnte ev. impliziert sein, wenn Comenius in Centrum sec., c. 1, die Formulierung findet: »Gott ist von sich selbst, für sich selbst und in sich selbst, die in sich selbst stehende Selbständigkeit« (ed. Macher-Schaller), S. 48; nach DJAK 3, S. 482: »Buh jest sam od sehe a pro sehe bytn:i bytnost.« 284 Vgl. etwa Also Sprach Zarathustra, 3. Teil (Der Genesende, 2): »Alles geht, alles kommt zurück; ewig rollt das Rad des Seins ... Die Mitte ist überall. Krumm ist der Pfad der Ewigkeit« (ed. K. Schlechta II, s. 463). 282
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medium-finisfons-effluxus-refluxusex ipso-per ipsum-in ipso< (Röm. 11,36)28 7 sowie durch seine dreifache Fragestellung >unde-quaquoAus-sich-Heraus< und >In-sich-hinein-ZurückPsalterium X chordarum< of Joachim of Fiore and its patristic sources. In: Studia patristica. Vol. X,3. (TU. 94.) Berlin 1966, s. 540-551. Hohlfeld, Christoph/Rauhe, Hermann: Grundlagen der Musiktheorie.Wolfenbüttel-Zürich 1970. Hopper, Grace Murray: The ungenerated Seven as an Index to Pythagoras number theory. In: American mathematical monthly 43 (1936) 409-413. Kayser, Hans: Der hörende Mensch. Elemente eines akustischen Weltbildes. Berlin 1932. -: Abhandlungen zur Ektypik harmonikaler Wertformen. Zürich -: Harmonia plantarum. Basel 1943. [1938. -: Akr6asis. Die Lehre von der Harmonie der Welt. Basel 1946. [3. Aufl. Stuttgart-Basel 1976.] -: Lehrbuch der Hamronik. Zürich 1950. [Heidelberg 1958. -: Paestum. Die Nomoi der drei altgriechischen Tempel zu Paestum. -: Orphikon. Eine harmonikale Symbolik. Aus dem handschr. Nachlaß hrsg. v. Julius Schwabe. Basel-Stuttgart 1973. Kircher, Athanasius: Musurgia universalis. T. 1.2. Romae 1650.
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OFFENE PFORTE DER DINGE 1 das heißt Erste Weisheit (welche man gewöhnlich Metaphysik nennt)2 solchermaßen dem menschlichen Geist angepaßt, daß sich durch sie auf den ganzen Umfang der Dinge, auf jede innere Ordnung der Dinge und auf die innersten, den Dingen gleichewigen Wahrheiten, ein allgemeiner Anblick darbietet:
und daß dieselbe zugleich als aller menschlichen GEDANKEN, REDEN und WERKE3 sprudelnde Quelle und maßgebende Form offenkundig wird. VERFASST VON J. A. COMENIUS LEYDEN BEI DEN ERBEN DES JAKOB HEENEMAN IM JAHR 1681
Aus: DJAK 18 (Tabulae phototypicae, s.p.)
VORWORT AN DIE AKADEMIEN EUROPAS
Als ich den Gelehrten vor einigen Jahren Vorschläge zur neuesten Verbesserung der Sprachenmethode unterbreiten wollte, sagte ich im Vorwort", daß die menschlichen Dinge durch alle Ordnungen und Stände hindurch einen traurigen Anblick böten. Ich sagte, daß es drei erstrangige Ordnungen des menschlichen Lebens als Grundpfeiler alles übrigen gebe (nämlich den Stand der Gelehrten, die das Menschengeschlecht mit dem Licht der Weisheit erleuchten, den Stand der Mächtigen, die das Menschengeschlecht in Frieden und Ruhe bewahren, und schließlich den Stand der Religionsdiener, die das Menschengeschlecht von den vergänglichen Dingen zu den Bemühungen um Unsterblichkeit hingeleiten) 5 ; und ich beklagte mich darüber, daß es vornehmlich durch eben diese Anführer, die doch zur Ruhe und Glückseligkeit hinzuführen hätten, zustande käme, daß wir nicht ruhig und glücklich zu leben vermögen. Für den Gelehrtenstand bleibt hierbei freilich der Trost übrig, daß er, wie sehr ihm auch seine Unvollkommenheiten zu schaffen machen und wie sehr er auch an kleinen Intrigen und Zänkereien teilnimmt, trotzdem noch nicht dermaßen heruntergekommen erscheint, daß er mit grausigem Morden das Menschengeschlecht verwüstet, wie es (o ach und wehe!) die beiden anderen Stände tun. 6 Und obwohl auch er in den öffentlichen Niedergang hineingezogen wird, läßt sich bei ihm aber beobachten, daß er mittlerweile, während sich die anderen bekämpfen und sich auch öffentlich in ihren Tätigkeiten behindern, insgeheim seine Waffen herrichtet, um die Barbarei, die sich eingeschlichen hat, nach Erlangung des Friedens 7 leichter überwinden zu können. 2. Da aber im europäischen Umkreis die Hoffnung nach Frieden wechselhaft unsicher ist, wollte ich Euch, erleuchtete Män, ner, die Ihr (nach Senecas Auffassung) die Lehrer des Menschengeschlechts seid 8 , weiterhin Vorschläge unterbreiten. Euer Ruhm besteht darin, daß Eure Kampfplätze Akademien und
Die kriegerischen Unruhen in Europa bieten Gelegenheit zur Verbesserung der Wissenschaft
und auch der Stätten der
Wissenschaft,
der Schulen
4
wie auch zur vordringlichen Wiederherstellung der Quellen der Wissenschaft
Wie nämlich alles, was ist und wird, seine Prinzipien und Grundlagen hat
Vorwort an die Akademien Europas
Schulen des Lichtes wie auch Stätten des Lebens sind, nämlich Leber, Herz und Gehirn, welche dem gesamten Körper der menschlichen Gemeinschaft die naturalen, vitalen und animalen Lebensgeister darbieten. 9 Es muß aber schmerzen, daß Ihr kein Blut aus gleichem Saft, keine Geister von gleicher Lebensstärke darbietet. Daher entstehen verschiedentlich verschiedene Anschwellungen, Schwindsucht, Wassersucht, fiebrige Anfälle usw.; von so vielen, die Besseres verschaffen oder sich doch wenigstens um Besseres bemühen, hört man Klagen, die jener nicht unähnlich sind, welche die Prophetensöhne dem Elischa überbrachten: Siehe, man kann sehr gut in dieser Stadt wohnen, doch das Wasser ist ungesund und das Land unfruchtbar! Der Prophet ließ sich also SALz 10 geben, streute es in die Wasserquelle und machte sie so genießbar. 11 3. 0 daß doch auch das Wasser unseres Jericho genießbar gemacht werden könnte! 0 daß Gott doch einen Elischa schicke, der Euch, ihr Wasserquellen, im Namen des Gottes Israels das Salz der Weisheit eingebe, so daß ihr, wieder zu Kräften gelangt, der Gesundheit allenthalben Wasserströme zuleitet, in welchen weiter kein Tod und keine Unfruchtbarkeit mehr zu finden ist! 0 daß doch auch die Quellen der Religion wiederhergestellt und genießbar gemacht werden! 0 daß der Politik ! Wollen wir hoffen, daß der Kirche das Erbarmen Gottes nicht fehlen werde, wenn nach der Zurechtweisung aller allesamt zu besserer Sinnesart zurückgekehrt sind. Ich aber werde an Euch, ihr Vorsteher der menschlichen Weisheit, ihr Philosophen, meine Rede richten; mit Euch ist über die Erneuerung der Quellen des menschlichen Wissens eine Beratung anzufangen; denn wenn sie wiederhergestellt sind, wird auch das übrige leichter wiederherzustellen sein. 4. Was in den Dingen überhaupt ist, wird und entsteht, hat gewisse Prinzipien, woraus es ist, wird und entsteht. Diese sind der Masse nach meistens klein, der Zahl nach gering und der Erscheinung nach einfach. Aus ihnen entströmen die Dinge zwanglos zu erstaunlicher Größe, Vielheit und Verschiedenheit. Die Flüsse haben gewißlich ihre Quellen, die Bäume ihre Samen und Wurzeln, die Häuser ihre Fundamente, die Welt selbst ihre
Vorwort an die Akademien Europas
5
Elemente. Jede einzelne Kunstfertigkeit hat ebenfalls gewisse Prinzipien in sich, durch deren bloße Umsetzung sie alles ihr Zugehörige ausführen kann. Die Arithmetik z.B. besteht in ihren zehn Ziffern, die Geometrie in ein paar Punkten, Linien und Figuren, die Musik in ihren sieben Tönen und acht Tonarten 12 , die Kunst der Unterredung in vierundzwanzig Buchstaben, die Schreibkunst in ebensovielen Merkzeichen usw. 5. Warum sollte also nicht auch die Wissenschaft selbst (d. h. die ganze Zurüstung des menschlichen Verstandes mit all ihren Tätigkeiten und Wirkungen) ihre ersten Quellen, ihre ersten Samen, Wurzeln, Fundamente und Elemente, ihre ersten Zahlen, Punkte, Linien, Figuren, Klänge und Töne und schließlich ihr erstes Alphabet haben? Wenn sie dies aber hat, wäre es in eins zusammenzubringen und solchermaßen in eine einzige Theorie zu überführen, daß das Gärtlein des menschlichen Geistes mit diesem Samen besät, zu einem liebreizenden Weisheitsparadies aussprossen kann. Wenn nämlich auch dasjenige, was das Äckerchen des menschlichen Geistes hervorbringen kann und hervorbringt, unendlich ist (in der Darlegung sind nämlich die philosophischen, medizinischen, juristischen und theologischen Fragestellungen, über die man sich gewöhnlich entzweit, unendlich, unendliche Spielfelder des Geistes), so gibt es für all dies doch gewisse gemeinsame Wurzeln; wenn diese in Ordnung sind, kann alles in Ordnung sein. Und es gibt gewisse gemeinsame Quellen, aus denen, sofern sie richtig erschlossen sind, unendliche Bächlein von alleine hervorsprudeln. Wir müssen uns also vor allem um die Quellen der menschlichen Weisheit bemühen, wenn wir das übrige in gutem Zustand haben wollen. 6. Die Philosophen erkannten schon längst, daß man ein allgemeines Lehrfach, das für allgemeinste Begriffe offen ist, zu begründen habe, in welchem gemeinsame Bezeichnungen und per se einsichtige Aussagen bzw. die Grundlagen der Gedanken und Handlungen auszufalten seien. Denn keine Einzelwissenschaft behandelt diese oder hat sie zu behandeln, sondern man entnimmt sie nur einer gemeinsamen Erfahrung. Als Aristoteles eine derartige Wissenschaft begründete, nannte er sie ERSTE PHILOSOPHIE13 und auch µeta tO. cpucmca, weil er sie nach der
So auch die wissenschaftlichen Bemühungen.
Metaphysik als Quelle der
Wissenschaf-
ten
6
Mit Lobsprüchen in
den Himmel erhoben bei Aristoteles,
bei Skaliger,
bei Pereira, bei Piccolo-
mini bei Javell
beim Verulamier
Vorwort an die Akademien Europas
Physik aufgefunden hatte. 14 Diese Bezeichnung behält man für gewöhnlich bei und nennt sie METAPHYSIK, eine Wissenschaft, die wegen ihrer Erhabenheit und Feinsinnigkeit von den einen außerordentlich geliebt und mit Lobsprüchen in den Himmel gehoben wird, von den anderen aber wegen ihrer Beschwerlichkeit und wegen der gewöhnlichen Geistern kaum durchdringbaren Schwierigkeiten außerordentlich verachtet wird. 15 7. Die Lobsprüche, welche die Autoren dieser Königin der Wissenschaften (so nannte man sie nämlich auch) sogar übermäßig zuerkannten, sind euch, gelehrten Männern, nicht unbekannt; dennoch dürfte es nicht abwegig sein, auf einige davon kurz einzugehen. Nach Aristoteles gilt, daß nur derjenige etwas weiß, der die obersten Gründe und ersten Prinzipien der Dinge erkannt hat 16 ; diese aber deckt die Metaphysik, die Herrin und Mutter von allen, auf. Nach Skaliger17 befreit die Metaphysik den Geist von der Trägheit des Unwissens, schärft ihn auf anderes zu und erfüllt ihn mit Glanz. Nach Pereira 18 eröffnet die Metaphysik alle Quellen der Wissenschaften. Nach Piccolomini19 ist die Ordnung der Lehrfächer von der Metaphysik her zu erstreben. Nach Javell 20 klärt, stärkt und vollendet die Metaphysik das Erkenntnisvermögen. 8. Der Verulamier21 macht noch die zutreffende Anmerkung, daß die Tätigkeit der Metaphysik ganz besonders wegen zwei Gründen hervorragt. Der erste besteht darin, daß, insofern es Aufgabe aller Wissenschaften ist, Umwege und langwierige Verfahren zu beseitigen (und solchermaßen der alten Klage vom kurzen Leben und der langen Wissenschaft22 ein Heilmittel zu bringen), eben dies bestens durch jene allgemeinen Grundsätze erreicht wird, welche jeder Substanz individueller Dinge zukommen. Die Metaphysik ist offensichtlich jene Wissenschaft, welche den menschlichen Verstand am wenigsten mit der Vielheit belastet, weil sie vorzüglich die einfachen Formen der Dinge u.ä. betrachtet. Das zweite, das die Metaphysik adelt, besteht darin, daß sie die menschlichen Kräfte in besonderem Maße auslöst und freisetzt, sie in weiteste und offenste Tätigkeitsfelder einführt usw. Diese Art der Wissenschaft (fährt der nämliche fort) beschreibt Salomo auf elegante Weise, wenn auch
Vorwort an die Akademien Europas
7
in einem mehr prophetischen Sinn: Deine Schritte werden nicht beengt werden und beim Laufen wirst du nicht straucheln. 23 Er erkannte nämlich, daß die Wege der Weisheit weder von Engen noch von Abriegelungen behindert sind. So weit der Verulam1er. 9. Schließlich wird noch .Campanellas24 Metaphysikbuch, sofern es geziemend abgefaßt wurde, als Bibel der Philosophen bezeichnet, als Weisheit der Wissenschaften, als Burg der göttlichen und menschlichen Dinge. Es bietet eine Auflösung sämtlicher Fragen, welche sich auf alle wirklichen und möglichen Dinge beziehen, so daß man alle Arten von Wissenschaften und alle Verschiedenheiten ihrer Gesetze sowie auch Irrtümer von Grund auf in diesem Buch erforschen kann. Wie sich außerdem die Klugheit zu allen Tüchtigkeiten oder die Dichtkunst zu allen Gedichten verhält, so steht auch die Universalphilosophie bzw. die Metaphysik zu allen Wissenschaften und Künsten, zu den entdeckten und den noch zu entdeckenden; sie ist die Quelle von allem usw. 10. Nicht zu Unrecht wünscht also Caspar Streso25 , daß diese allgemeine Wissenschaft auch in gängigen Sprachen ausgedrückt und der gesamten Schuljugend vorgelegt werde; er sagt: Ich kann nicht umhin zu ermahnen, ja ich werde sogar gleichsam dazu gezwungen, eine große Sache, die für die Welt schon lange notwendig ist und ihrer Reformation größte Dienste erweisen wird, mit lauter Stimme vorzutragen, so daß man rechtschaffen betrachten kann, welchen Wissenschaften diese erste vorzuziehen sei. Bis jetzt waren diese Dinge, wie die Mysterien der Ceres, in exotischen Redensarten und in allgemein unbekannten Begriffen eingehüllt. Sie waren dem Erkennen des Volkes entzogen und lediglich für diejenigen offen, die mit größten Anstrengungen im Erlernen von Sprachen und Begriffen einen Zugang erkaufen wollten; diese waren meines Erachtens nicht gründlich erforscht, sondern nur in streitsüchtiger Weise zur Sprache gebracht. Ich aber rufe es nun aus; und soweit es mir durch Gott und durch richtige Verstandeseinsicht gestattet ist, bitte, ersuche und beschwöre ich (NB.) in würdiger Weise und feierlicher Form alle Vorsteher der Wissenschaft, bei der Einteilung des Lehrstof-
ebenso bei Campanella
bei C. Streso
NB.
8
Von anderen wird sie verachtet und verworfen, z.B. von
Ramus
und Verancius
Deren Irrtum wird wider-
legt
Aristoteles' Metaphysik sei keine Metaphysik
Vorwort an die Akademien Europas
fes eine andere Anordnung als die bisher gepflegte vorzunehmen usw. 11. Viele aber verneinen, daß sie im Metaphysischen so Großartiges erkennen könnten. Andere wiederum sind verlegen und wissen nicht recht, wie sie mit einer Verteidigung ansetzen sollen. Viele lassen sich zu solcher Unduldsamkeit fortreißen, daß sie zur Verwerfung der Metaphysik raten und sie tatsächlich auch verwerfen. Dies tat Ramus 26 mit seinen Gefolgsleuten, dem Amesius 27 und anderen. Auch Faustus Verancius 28 , der Bischof von Csasnad, legte (in seinem 1616 in Venedig gedruckten Werkchen, das er mit >Neue Logik, aus ihren eigenen Mitteln gebildet< betitelte) als Gründe zur Zurückweisung der Metaphysik u. a. folgendes dar: Sie sei ein Gewebe aus gegensätzlichen Aussagen und dermaßen von trüber Finsternis umhüllt, daß nicht einmal ein Daedalus ihre Verfahrensweise aufdecken könnte. Vertreiben wir also (sagt er) diese schlecht begründete wie auch nirgends auffindbare Chimäre aus unserem Geist. 12. Verancius irrt sich hier allerdings in gröblicher Weise. Metaphysik ist keine Chimäre; sie ist die wahrhafteste Wurzel der Wissenschaft oder, wie andere wollen, deren Spitze. Denn wie erstens die Vielheit der Dinge außerhalb des Geistes im UNIVERSUM, das eines ist, zur Einheit zurückgerufen wird, so muß auch die Vielheit der Teile der Philosophie zum Einen, sei es zu einem Gipfel oder sei es zu einem Fundament zurückgerufen werden. Und weil zweitens alle Dinge, die überhaupt sind, - in welcher Verschiedenheit sie auch sein mögen - gewisse Gemeinsamkeiten haben, worin sie allesamt übereinkommen, - warum sollten diese nicht zuerst vorauserkannt werden können, so daß sie später nicht ausführlich wiederholt zu werden brauchen, sondern in zeichenhafter Kürze zu verwenden sind? Die Abstufung der Dinge und die Abstufung des Geistes haben drittens schließlich ein Oberstes und Unterstes nötig. Ein Unterstes haben nun die Einzelheiten der Dinge; sie müssen also auch ein Oberstes haben, oberste Begriffe, denen sie unterstellt sind. 29 13. Thomas Campanella30 legt (in der Vorrede seiner Universalphilosophie) einführend dar, daß Aristoteles in den ersten elf Büchern seiner Metaphysik nichts Metaphysisches darbiete; es
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seien vielmehr nur logische Ausführungen zusammen mit einer Masse grammatischer Spitzfindigkeiten und mit Wiederholungen physikalischer Thesen. Erst das zwölfte Buch 31 sei metaphysisch, doch wimmle es von zahlreichen Absonderlichkeiten. 0 wenn doch aber Campanella selbst nicht in gleicher Weise fast die Hälfte seines achtzehn Bücher umfassenden übergroßen Metaphysikbandes mit physikalischen Betrachtungen über die Welt und theologischen über Gott angefüllt hätte! 14. Der Verulamier32 rechnet die Metaphysik (wie er sie auffaßt) zu den Desiderata und sagt von der landläufigen (von jener dornigen, deren Nutzen selbst die beschlagensten Fachleute kaum mehr einsehen können) folgendes: Sie sei weiter nichts als ein bloßes Gemenge und eine ungeordnete Lehrmasse, die aus natürlicher Theologie, Logik und natürlicher Psychologie zusammengetragen wurde, sich in erhabener Redeweise aufblähe usw. 15. Und weil freilich die meisten Metaphysiker kaum nachvollziehbare Spitzfindigkeiten behandeln und dabei sich selbst und andere mit mühseligen Darlegungen ermüden, scheinen sie auch nicht mehr einsehen zu können, was sie eigentlich tun. Sind denn solchermaßen die Allgemeinbegriffe zu behandeln? Können so die Grundlagen für Einzeldinge gewonnen werden, wo man bloß der Spitzfindigkeit wegen nicht nachgibt? Wer hat jemals schon gesehen, daß das Fundament eines Gebäudes aus Spinngeweben gelegt wird? Wenn das hier Überlieferte wirklich universalen Charakter aufweist, ist es ein Erstes, ein per se Bekanntes; es kann nicht durch Früheres dargelegt werden (denn es hat ja nichts vor sich). Notwendigerweise kann es nur durch Späteres aufgewiesen, d. h., durch der Einsicht dienende Beispiele erläutert werden, wobei sein Licht sogleich bis ins Innerste der Seele vordringen wird. Da die Metaphysiker solchermaßen noch nicht verfahren sind, brauchen wir uns wohl nicht zu wundern, daß die wahre Metaphysik von denen, die nach Besserem streben, erst noch erwartet wird oder daß gelehrte Männer gefunden werden können, welchen die Metaphysik noch unbekannt ist.
Beim Verulamier ist die
bisherige Metaphysik noch keine
Metaphysik.
Allesamt verfehlen näm-
lich die Pforte
10 (nach dem Zeugnis des geistreichen
Bisterfeld)
Alle sind also zurückzurufen.
Was und wie
beschaffen die wahre Metaphysik sein
soll
Vorwort an die Akademien Europas
16. Joh. Bisterfeld 33 sagt darüber im Vorwort zu seiner Metaphysik folgendes: Weder im vorangehenden noch in unserem Jahrhundert fehlt es an gelehrten, ernstzunehmenden Männern, welche die Metaphysik mit so großem Haß verfolgen, daß sie sie aus dem Bereich der freien Wissenschaften34 entfernen zu müssen glauben. Vergeblich wird man verneinen, daß dieses ihr Urteil, auch wenn es der Ausgeglichenheit entbehrt, dennoch durch zahlreiche und gewichtige Argumente gestützt werde. Zweifellos stoßen sich diese Männer an den verschiedenartigen Fehlgriffen der Metaphysiker: an der außerordentlichen Knappheit überfrachteter Begriffe, an der vertrackten Unverständlichkeit, an der häufigen Kinderei des Definierens, an der schauderhaften Verwirrung von Grundregeln und an der täppischen Unbeholfenheit in bezug auf eine glückliche Führung des menschlichen Lebens (worauf doch alle Künste, die freien wie auch die unfreien 3 5, auszurichten sind). Doch sollten diese Krankheiten nicht dermaßen scharf aufgespießt, als vielmehr mild und gelinde geheilt werden. Denn nicht nur der unversehrte Verstand, sondern sogar die Erfahrung selbst, die doch auch Lehrerin der Ungläubigen ist, können bezeugen, daß die Jugend, welche mit den festen Grundsätzen dieser göttlichen Wissenschaft vertraut gemacht wurde, während des gleichen Zeitraums vermittels des Allgemeinen glücklichere Fortschritte in der Einzelwissenschaft macht als ohne solche Unterweisung. 17. Was also sollen wir tun? Werden wir jene Auseinandersetzung niemals beilegen? Werden wir diese Nebel nie zerstreuen? Werden wir einsehen, daß ein universales Licht erlangt werden müsse und vielleicht erlangt werden kann, ohne daß wir es jedoch jemals als Besitz haben können? Feme sei die Verzweiflung; und auch die Sorglosigkeit sei ferne! 18. Suchen wir also ohne Hochmut nach einer solchen Metaphysik, welche eine lockende Führerin zu den Erstbegriffen der Dinge und wahrhaftig ein Schlüssel des Geistes ist, der der Vernunft ohne Umschweife zugleich alle Objekte eröffnet. Diese Metaphysik wird nämlich ein streng geordnetes Gefüge allgemeinster Begriffe, idealer Sachstrukturen und überhaupt per se bekannter Prinzipien sein. (Diese bedürfen keiner ausdrück-
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liehen Darlegung, sondern lediglich einer Erläuterung durch Beispiele und von ihnen fließen die Prinzipien bzw. Folgerungen der untergeordneten Wissenschaften von selbst hervor oder lassen sich wenigstens davon ableiten.) Es ist dies eine der Masse nach so winzige Sache wie ein Senfkorn, doch vermag sie mit Gottes Zustimmung zum Baum der menschlichen Allwissenheit emporzuwachsen, in dessen Zweigen die Vögel des Himmels (d. h. die Schüler des himmlischen Geschenks der Weisheit) nisten werden. 36 In jener aber, sofern sie richtig begründet wurde, finden sich die Schlüssel alles göttlichen und menschlichen Wissens, soweit es für alle Fertigkeiten in den Wissenschaften, in den Werken und im Reden vonnöten ist. 19. Eine solche Wissenschaft wird es aber nur geben können, wenn sie auch die allgemeinsten Begriffe, auf die hin alles zusammengeordnet ist, enthält, ferner alle ersten Arten der Zusammenordnungen37, die den Dingen gleichewigen Anfangswahrheiten38 und überhaupt alle Möglichkeitsgründe bzw. Ideen sämtlicher Dinge. Von daher wird dann alles, was im Einzelnen jemals begegnet, auf einen Erstzusammenhang zurückgeführt werden können; was man über irgendeine Sache wahrhaft aussagt, wird in einen ersten Grundsatz aufhebbar sein; und von dem, was vernünftigermaßen geschieht und getan wird, kann vermöge einer ersten und obersten Idee gezeigt werden, daß es solchermaßen mit Recht geschieht. Es wird also schließlich dazu kommen, daß alles, was hierin erreicht wird - mag es auch winzig sein - wie ein Schlüssel, der unzählige Einzelheiten eröffnet, wirkt, wie ein Richtscheit, das die unzähligen Abweichungen, die sich im Einzelnen eingemischt haben, anzeigt und ausbessert, wie eine Hypothese, durch welche allen Fragen hinsichtlich jeder beliebigen Sache Genüge getan werden kann. 20. Aber es wäre zugleich notwendig, daß dies alles leicht aufzufassen und per se völlig einsichtig sei; so wie das Licht durch sich und nicht durch anderes sichtbar ist. 39 Jene Prinzipien der Weisheit werden nämlich für Anfänger, die noch ungeübte Sinne haben, aufbereitet, und zwar zu dem Zweck, daß sie allen (nachfolgenden) Einzelheiten das Licht darbieten. Wenn jene Prinzipien also verdunkelt wären, könnte auf sie mit Recht das
Was ihre Form, ihr Ziel und ihr Nutzen ist.
Lichtvoll und per se einsichtig soll sie sein
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und ein Inbe-
griff der Wahrheit
und aus ihren Beispielen ergeben sich die Prinzipien aller untergeordneter Wissenschaften
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Wort des Heilands angewandt werden: Wenn das Licht in dir finster ist, was soll dann noch Finsternis sein40 ? Einige Interpreten weisen richtig darauf hin, daß diese Worte Christi vom Licht der Natur her und erst recht von den angeborenen Begriffen her (welche die Metaphysik zu entfalten hat) einzusehen sind. 21. Schließlich wird es erforderlich sein, daß alle metaphysischen Grundsätze einen Inbegriff der Wahrheit und Gewißheit darstellen, so daß sie nicht erst geprüft, sondern lediglich durch Beispiele erläutert werden müssen. Wenn sie nämlich erst einer Prüfung bedürfen, wären sie keine Prinzipien, keine unmittelbaren Einsprechungen menschlichen Geistes. 41 Daher könnte auch nichts anderes auf zweckmäßige Weise durch sie bewiesen werden, wenn ihnen das freie und universale Einverständnis abginge. Damit ihre Sinnweite besser aufgehen kann, wird man es jedoch nicht zurückweisen, sie durch Einführung von Beispielen zu erläutern. Man darf jedoch hierbei keine hochstrebenden, der Fassungskraft der Anfänger und des Volkes entfernt liegenden Beispiele verwenden. Viel weniger soll man solche aus umstrittenen theologischen und philosophischen Sachgebieten entnehmen, sondern aus offenkundigen, bekannten und anerkannten Dingen. Hierbei aber wird sich nicht einmal der Verdacht des Falschen, Eitlen und Widersprüchlichen einmischen können; alles wird vielmehr von größter Einfachheit sein - wie ein Binsengeflecht ohne Knoten. Seine anfaßbare Wahrheit wird von sich aus ihre Glaubwürdigkeit verlangen und auch gewinnen, so daß niemand, auch wenn er es möchte, seine Zustimmung versagen könnte. 22. Man wird allerdings auch Mühe darauf zu verwenden haben, daß alles was als Beispiel herangezogen wird, so beschaffen ist, daß es den untergeordneten Wissenschaften als ein Prinzip (aus dem sich partikuläre Sachverhalte ergeben) dienen kann. Wenn dies sein wird, haben wir gesiegt. Denn so wird es nun endlich möglich sein, auf der ganzen Weisheitssubstanz, die mit unerschütterlichen Fundamenten befestigt ist, weiterzubauen. Wenn nämlich die Gesetze der Dinge dermaßen klar hervortreten, können abwegige Verfehlungen im Einzelnen sehr leicht verhindert werden. 42
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23. Weil nun aber diese Dinge sehr wünschenswert sind, ist es Eine dermarecht und billig, daß alle Gelehrten darin konspirieren, so daß ~:;h~~::1!~~e wir diese Prinzipienwerkstatt mit allen Werkzeugen und Instru- Vollendung zu menten gut ausgestattet, diese heilsames Wasser ausgießenden bringen Quellen der Dinge gut eröffnet, diese Pflanzstätte der gesamten Wissenschaft mit ihren Lebenskeimen gut besät43 und diese das ganze beben durchformenden Denk- und Handlungsnormen gut abgesichert haben. 24. Und weil es eine Sache von allgemeinem Belang und Nut- von jedem, zerr ist, - warum sollte es dann nicht jedem, dem zur besseren der es vermag Begründung dieser Dinge etwas eingefallen ist, erlaubt sein, dieses mit dem Ausdruck der Bescheidenheit, dem WAS, WENN und so öffentlich darzulegen? 25. Da wir uns um die Weisheit unbeschwerter wissenschaft- Warum der licher Darstellung (jedenfalls, soweit sie der allesschenkende ~;~;e~7:ser Gott gibt) nunmehr seit 40 Jahren44 bemühen, hielten wir es für versucht, notwendig, uns auch diesem Teil der Wissenschaft, und besonders ihrer Pforte, zu widmen und sie von Dornen zu befreien. Wir haben uns also schon damals der Sache zugewandt und den Versuch unternommen, von den untersten Fundamenten her eine vollkommenere, harmonischere und gediegenere Allheit in genauer Entsprechung mit den Dingen selbst45 zu begründen. Nachdem alles zur Mühelosigkeit gebracht war, sollte es sogar den Kindern (die vorher aber mit einem historischen Begriff des Sinnenhaften vertraut gemacht wurden, wozu unsere Pforte der Sprachen46 dienen kann) vollkommen geläufig sein. Ob wir dieses Ziel erreicht haben, mögen nunmehr diejenigen betrachten und beurteilen, welche dazu in der Lage sind. 26. Deswegen hole ich Euch, ihr Lichtträger des christlichen indem er die Beurteilung Erdkreises, ihr Vorsteher des Bildungswesens, zusammen: der WissenKommt, lest und urteilt. Können wir solchermaßen etwas vor- schaftler heranbringen? Kommt euch dies freilich wie eine Kinderei und ausfordert. wahrhaftig wie das Lallalter und die Wiege unserer Verstandestätigkeiten vor, so verschmäht es, die Ihr in der reifen Weisheit hervorragt, bitte dennoch nicht, zur Durchmusterung dieser Dinge gleichsam wieder zu Kindern zu werden. Ihr werdet es nicht zu Eurem Schaden oder Eurer Belästigung, sondern viel-
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Der Autor legt seine Gedanken dar:
die Metaphysiker betreiben Metaphysik nicht hinreichend metaphysisch
NB.
NB.
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mehr mit einiger Annehmlichkeit für Euch und auch noch mit großem Nutzen für die Jugend betreiben. Denn welcher Greis liebt und bestaunt nicht seine Wiege, sobald sie ihm gezeigt wird? Er erhält dabei aber Gelegenheit, Gott zu danken, der ihn aus nichts zu etwas, aus Kleinstem zu Größtem, aus dem Lallkind zum Greis werden ließ. Aber auch für die Jugend und die Schulen ist es wichtig, wie gut in solcher Weise der Pfad der Weisheit ausgetreten wird, sobald er in der Öffentlichkeit ausgetreten wird; ihr bezeugt dies ja selbst. Denn wenn auch da, wo die Zeugnisse der Dinge zugegen sind, keine Worte mehr gebraucht werden, so ist es dennoch erforderlich, daß diese so beschaffenen Zeugnisse von Euch, die Ihr so zahlreich und einflußreich seid, geprüft werden, damit - sofern sie noch nicht die gewünschte Beschaffenheit haben - vielen, einigen oder doch wenigstens einem eine sichere Gelegenheit zum Verbessern, Ergänzen und Vollenden geboten wird. 27. Damit ihr aber jetzt schon beginnen könnt, euch ein (zuerst allgemeines) Urteil über mein ganzes Vorhaben zu bilden, will ich im voraus schon etwas vollständiger unsere Gedanken, die wir beim Aufbau des abstrakten Gefüges allgemeinster Dinge hatten, darzulegen versuchen. So kann dann auch der Grundgedanke unseres Beratungsvorschlages besser einsichtig werden. 28. Nachdem ich einige Jahre lang verschiedenartig Verschiedenes versucht hatte und sich dabei immer wieder Widrigkeiten einschlichen, kam mir der Gedanke, daß die allgemeine Wissenschaft mangelhaft in einen allgemeinen und in einen besonderen, d. h. in einen transzendentalen und prädikamentalen Teil untergliedert wird (was aber alle Metaphysiker so machen).47 Diese Einteilung der höchsten Wissenschaft ist aber völlig unberechtigt und hat einen Widerspruch mit ihrer auf alles ausgerichteten Definition zu Folge, wonach sie als die Wissenschaft des Seienden, insofern es seiend ist48 , bestimmt ist. Wenn nämlich dieses >insofern es seiend ist< gilt, ist es also nicht metaphysisch, etwas als natürliche Substanz oder Akzidenz zu betrachten (man betrachtet es aber nicht anders). Es handelt sich hier also auch nicht um einen Teil der Metaphysik; folglich ist es eine fremdartige Hinzunahme. Ich gab mir also das Gesetz, darauf zu achten, daß hier
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nicht etwas Nicht-Transzendentales auftauchte. Und ich begann, Substanz, Akzidenz und ähnliches gleichsam Partikuläres bloß abstrakt und im allgemeinsten Verständnis zu behandeln. Was hier als Größtes und Kleinstes 49 behandelt wird, soll nämlich in jedem einzelnen Stoffgebiet (der Physik, der Mathematik, der Mechanik, der Ethik, der Theologie usw.) gleichermaßen auf alles angewandt werden können. Von daher geschah es, daß alle unsere Einteilungen weiter sind als diejenigen, welche die Metaphysiker bisher verwendeten. Dies kann etwa in den einzelnen Abschnitten und den allenthalben angeführten Beispielen beobachtet werden. 29. Von daher ergab sich naheliegend folgende Überlegung: In der allgemeinen Wissenschaft, dem Nährboden aller Wissenschaften, sei nicht so sehr zu beschreiben, was in den Dingen sei, als vielmehr, was sein könne und sein müsse; daher müsse sie die Wissenschaft der Ideen sein und als Welt des Möglichen bezeichnet werden. (NB.) Das also, was bereits in den Dingen ist, sei höchstens im Range von Beispielen einzuordnen, so daß der Sinn des Gesagten offenkundig werde und die bereits bestehenden Dinge selbst ein Zeugnis dafür abgeben, daß von der Wahrheit der Dinge nicht abgewichen werde. Es schien hier also nicht darum zu gehen, eine Analyse der Welt oder des Alls der Dinge, wie es bereits besteht, zu betreiben. Es ging vielmehr darum, zu untersuchen, wie es zuvor von Ewigkeit her, d. h. in seinen Möglichkeitsideen war50 : So als würden wir gleichsam bei der ewigen Weisheit stehen, die noch nicht schöpferisch geworden ist, sondern voraussieht, was hervorgebracht werden kann und muß, und hierfür die Ideen ordnet.5 1 30. Wenn auch dieses Vorhaben beim ersten Anlauf schwierig und kaum ausführbar zu sein schien, so regt doch die Betrachtung des in uns liegenden göttlichen Abbildes zur Hoffnung an. Denn um welche Art von Abbild geht es hier? Durchaus doch nicht um ein totes, stummes und untätiges, wie es einen Menschen auf einem Gemälde oder in einer aus irgendwelchem Material angefertigten Skulptur darstellt. Auf diese Weise zeigen nämlich alle niedrigen Geschöpfe, auch Hölzer und Steine, eine Ähnlichkeit mit ihrem Schöpfer an; sie vergegenwärtigen etwas
NB.
Man muß die Prinzipien der Dinge und der Wissenschaften betrachten
und ob dies den Menschen möglich sei?
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Der allgemeinen, in solcher Weise gegliederten Wissenschaft werden innesein
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von seinem Wesen in den Linienzügen ihres Wesens. Dagegen aber ist der Mensch Abbild Gottes im höchsten Grade, der einer Kreatur zuerkannt werden kann, und zwar dadurch, daß er auch die inneren Tätigkeiten seines Schöpfers in seinen Begabungen zum Ausdruck bringt. Solches vermag auch schon das vom Spiegel aufgefangene Abbild des Menschen, wenn es (auch wenn ihm der eigene Geist fehlt) dessen Bewegungen und Gesten bereitwillig nachahmt. Und da der weise Schöpfer das Werk der Schöpfung im Menschen vollends besiegelt hat, - wäre da nicht etwa zu glauben, daß er auch die Kunst selbst, nach der er alles in Zahl, Maß und Gewicht52 geordnet hat, in diesem besiegelt hat? Die Sache selbst spricht ohne Zweifel dafür, daß der Mensch in seinem Geist die Zahlen, Maße und Gewichte der Dinge herumträgt, welche ihm beim Zählen, Messen und Erwägen aller Dinge (d. h. bei deren geistigen Bewältigung) dienlich sind. Jeder Mensch hat nämlich die feste Zuversicht, daß er von allem, was er sieht, hört, berührt und tut, das Fremde und Eigene, das Wahre oder Falsche, das Gute oder Schlechte zu unterscheiden vermag und er unterscheidet es auch. Wodurch wohl? Er muß in der Tat irgendwelche ihm angeborenen Normen in sich haben. Ich dachte mir also: Wenn wir dies schon hinter den Dingen tun können, indem wir sie als bereits hervorgebrachte betrachten, - warum versuchen wir es dann nicht, sie bei ihrer Hervorbringung zu beobachten? Denn daß dies dem menschlichen Geist sicherlich verstattet ist, zeigen die Erfindungen neuer Dinge. In diesen folgen wir deutlich dem Schöpfer nach: wir denken das Sein der Dinge aus und wir forschen nach Gründen, nach Wegen und nach Regeln, damit das, was nicht ist, zu sein vermag. 31. Eine außerordentliche Hoffnung auf Brauchbarkeit regt sich also in der so entdeckten Methode, nämlich daß sie jedem menschlichen Geist das in ihm ruhende Licht mit helleren Strahlen aufleuchten lasse und gewähre, daß jeder seine Seele als alles durchdringende LEUCHTE Gottes (Spr. 20,27) erkenne, und zwar mit großer Lust, großer Sicherheit in der Universalwissenschaft und großer Brauchbarkeit derselben hinsichtlich einzelner Dinge.
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32. Ich sah voraus, daß sich wunderbare Lust und Liebreiz einstellen würden, wenn es im derartigen Licht der Ideen allenthalben gewährt würde, nicht nur das, was die Dinge sind, zu betrachten, sondern auch das, was sie nicht sind und nicht sein können, ferner, wodurch ist, was ist, wie und warum es durch anderes und anders nicht sein könnte, als es ist, usw. 33. Dann überlegte ich, daß solches Denken, das nichts anderes als der angeborene Zuspruch des angeborenen Lichtes ist, besonders klar und sicher sein würde53 und daß es geeignet sei, uns allesamt leichter zur Übereinkunft in allem Allgemeinen (als der Grundlage des Einzelnen) zu führen. Denn es stützt sich nicht auf ein fremdes Zeugnis, sondern auf den eigenen Innensinn eines jeden, durch welchen niemand in sich eingeengt wird, d. h. niemand sich selbst widersprechen kann. 34. Die Brauchbarkeit der solchermaßen a priori gefundenen Universalwissenschaft54 würde schließlich meiner Überlegung nach eine allgemeine sein. Sie würde im voraus die allgemeinen Spuren kennzeichnen, auf welchem alle Partikularwissenschaften sicher vorangehen können; sie würde Siegelstöcke55 ausformen, welche nachher gleichermaßen allen natürlichen, künstlichen und geistigen Inhalten aufgeprägt werden können oder nach welchen entschieden wird, ob gleiche Dinge gut ausgeprägt sind oder hier, da und dort Andersheiten aufweisen. 35. Solche oder ähnliche Überlegungen erheischten es, zur Sache vorzustoßen und Gott gewährte die Erfahrung eines nicht zu bereuenden Fortschritts. Denn in diesem inneren Licht erblickte ich vieles, was anderwärts vergeblich erspäht worden wäre. Doch ist zugleich einzugestehen, daß uns in dieser Ideensuche überall Schranken begegneten. Zu deren Aufhebung bedurfte es des Schlüssels der Analyse der Dinge, wie sie bereits sind. Somit muß also erkannt und zugestanden werden, daß wir jetzt nicht das Antlitz Gottes, sondern seinen Rücken betrachten und daß die Weisheit des ewigen Geistes aus seinen Werken erkannt wird, wenn auch nicht in besonders guter Weise, so doch sicherer als aus jener uns mitgeteilten, durch den Urfall aber verdunkelten Ähnlichkeit des die Dinge ordnenden Lichts.
(1) wunderbare Lust
(2) höchste Sicherheit
und(3) allgemeine
Brauchbarkeit
Wie der Autor durch die analytische Methode56 unterstützt wurde
18 und durch die synthetische
am meisten aber durch die synkritische
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36. Und zur Analyse war noch die Synthese hinzuzunehmen. Durch sie werden einzelne Formen unermüdlich auf allgemeinere und schließlich auf allgemeinste zurückgeführt. Niemand wird glauben, wie schwer uns in diesem geistigen Prozeß das häufige Ringen mit dem Proteus 57 der Stoffgebiete, der-überaus zerfließend und schlüpfrig - mit dem wahren Netz der wahren Ordnung einzufangen war, gefallen ist. Seit mehr als 30 Jahrenss wurde das gesamte Werk (um nicht von Teilen zu reden) mehr als zwanzigmal durchgearbeitet und wieder verworfen. Dies geschah wegen der ebensooft entdeckten Strukturfehler und wegen der hoffnungsvollen Sehnsucht nach der endlich zu entdeckenden unerschütterlichen Ordnung. 37. Es war eine göttliche Wohltat, daß die späteren Gedanken stets besser waren; und ich sah, daß wir uns den Zielen unserer Sehnsucht annäherten. Dies gilt besonders nach dem gottgeschenkten Auffinden der dritten Methodenart, der Synkritik. Diese hat uns den Parallelismus der Dinge und dank des Parallelismus unzählige harmonische Zusammenhänge (die sonst noch verborgen wären) aufgedeckt 59 ; und sie wurde wahrhaftig als Ariadnefaden, der zu den Eingängen der Labyrinthe 60 hinführt, an die Hand gegeben. Sie eröffnete die Harmonie von allem zu allem. (Sie ist lieblicher als jene pythagoreische zwischen den Himmelssphären, welche nie jemand gehört hat. 61 ) Und wir können nun schon wahrhaft bezeugen, daß die ANALYSIS der Dinge, deren SYNTHESIS und SYNKRISIS die SCHLÜSSEL aller MYSTERIEN sind. Von daher habe ich nämlich gelernt und weiß ich, daß alle Dinge ihre bestimmten Klassen haben, auf welche selbst auch die Einzelheiten zurückgeführt werden können. Die Klassen selbst aber, die kleineren und größeren, werden zum Universum, das nur eines ist, zurückgeführt. Von daher aber kommt es, daß alle Dinge, größte und kleinste, einfachste und zusammengesetzteste, bestimmte Schemata haben bzw. ihre realen, erfaßbaren und entfaltbaren Formen. Alles kann schließlich durch alles erfaßt werden, sofern nur die Ideen oder Strukturen eingesehen sind, auf welche alle Dinge hinstreben. Und darin wird diese Universalwissenschaft, soweit es dem Menschen gegeben wird, tatsächlich eine geöffnete PFORTE zum Erkennen aller Dinge sein.
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38. Die menschliche Weisheit muß, um vollständig zu sein, nicht nur alles richtig erkennen, sondern auch das Gute klug auswählen und das Festgelegte geschickt ausführen können. Deswegen ist der menschliche Geist von seinem Schöpfer nicht nur mit angeborenen Ideen, sondern auch mit angeborenen Instinkten und angeborenen Fähigkeiten62 ausgestattet worden. Die Kandidaten der Weisheit müssen also beachten, daß das LICHT DES GEISTES nicht nur an der Stelle, wo es dem Verstand, sondern auch da, wo es dem Willen und den Fähigkeiten vorausleuchtet, zu betrachten ist. Denn darin könnte sich die erste Weisheit endlich erneuern, daß sie in den Blick rückt, was die Menschen anfänglich und natürlicherweise wissen, wollen und können. 63 Es erregt Erstaunen, daß dieser Weg bisher noch nicht versucht wurde (d. h. daß alle angeborenen Begriffe, alle angeborenen Instinkte und alle natürlichen Fähigkeiten bisher noch von keinem zahlenmäßig zusammengefaßt, in eine Ordnung gebracht und den menschlichen Gedanken, Sehnsüchten und Handlungen als Fundament zugrunde gelegt wurden). Und weil wir dies als erste versuchen, bitten wir aufzumerken, ob es dem Geist einen besonderen Nutzen bringen wird. Wenn wir eines Fehlers überführt werden, bitten wir um Nachsicht. Wir wünschen dann aber, daß auch dies eine Gelegenheit bilde, Besseres in dieser Art zu untersuchen. 39. So viel über das Ermitteln der Ordnung der Dinge. Was den klaren Ausdruck des Sinngehaltes angeht, hatten wir beschlossen, alles in einem einfachen, gewissermaßen historischen Stil zu schreiben, damit es der gewöhnlichen Auffassung keinesfalls entgehen könne. Und wir hoffen, daß hiervon auch etwas verwirklicht wurde. Sooft wir aber irgendwo, als die Dinge in ihrem Innersten zerlegt wurden, einen Mangel an Worten64 feststellen mußten, war es erforderlich, entweder neue zu erfinden oder von bereits aufgenommenen, gleichwohl aber rohen Termini technici, wie Seiendes, Seiendheit, Washeit usw. nicht zurückzuschrecken, solange sie nur hinreichend aussagekräftig erschienen. Wo nämlich die Fülle der Dinge zu entfalten ist, dürfen keine Lücken in der Sprache und der künftigen Auffassungsweise übriggelassen werden. Es dürfen also, auch in philo-
Und warum er hier nicht
bloß angeborene Instinkte
und Fähigkeiten erklären wollte
Dies sei im einfachsten Stil geschrieben, wobei aber die Begriffe der
Metaphysiker nicht ausgeschlossen wurden.
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Warum die Bezeichnung Pforte der Dinge eingeführt wurde.
Warum keine Autoritäten namhaft gemacht werden.
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sophischer Sprache, die Sirenen nicht den Musen vorgezogen werden. 40. Es schien nun aber besser, diese ideale Wissenschaft PFORTE DER DINGE als Metaphysik zu nennen; besonders auch deswegen, weil das Wort Metaphysik (das >nach< der Naturerkenntnis bedeutet) der auszudrückenden Absicht zu wenig entspricht65 und deswegen manchen bereits verhaßt geworden ist. 66 Die Bezeichnung rforte der Dinge aber deutet das Gewünschte direkt an (nämlich daß wir einen Zugang zur Fundamentalerkenntnis aller Dinge aufweisen). Sie zeigt dann auch eine Nachahmung eines früheren Werkchens an, das PFORTE DER SPRACHEN bezeichnet wurde. 67 Beide verhalten sich nämlich parallel: Dort werden Wörter, aus denen jede vollständige Sprache besteht, hier werden Begriffe, aus welchen die Kunstfertigkeit der menschlichen Vernunft besteht, auf die Stammreihe der Dinge68 zurückgeführt. Sie unterscheiden sich nicht inhaltlich, sondern formal. Denn jedes der beiden Werke behandelt Dinge und Wörter, jenes jedoch vorrangig die Wörter, dieses vorrangig die Dinge. Während jenes unter Anleitung der Dinge nach der wahren Einsicht die Wörter sucht, erforscht dieses vermittels der bereits eingesehenen Wörter noch eingehender - bis sogar das Innere der Dinge bloßliegt - die Dinge selbst. 69 41. Man muß nämlich sagen, daß wir uns deswegen so lange und auf so mühselige Weise mit der Hervorbringung einer neuen Metaphysik abgemüht haben, damit sie uns bei der Errichtung eines großen pansophischen Werkes als universale Norm dienen könne. Ob dies mit Erfolg geschieht, wird die Sache selbst lehren, wenn jenes größere Werk endlich erscheint, was, wie wir hoffen, noch eintreten wird. Als Probestück geben wir jetzt dieses kleinere Werk zusammen mit der Dreikunst 70 heraus, worin offenkundig werden wird, wie die vorzüglichen Künste (deren Nutzen das ganze Menschenleben durchzieht), die Logik zusammen mit der Grammatik und Pragmatik, unter metaphysischer Führung in neuem Licht erscheinen. 42. Niemand aber möge sich wundern, daß hier (und zwar im ganzen Werk) keine Autoritäten namhaft gemacht werden.7 1 Dies geschah absichtlich, um für Deutlichkeit zu sorgen und
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damit wir der Einsicht keine Hindernisse in den Weg stellen. Wie ich mich erinnere, bereitete es viel Verdruß, in metaphysischen Büchern so häufig in die Klippen der Verweisungen hineinzugeraten: Siehe diesen, siehe den da, siehe jenen. Was also? Du hast versprochen, die Dinge und nicht deren Umschweifung aufzuweisen. Wenn dir aber dieser, der da oder jener etwas von einer goldenen 72 Beobachtung der Dinge darbietet, warum tust du mir hinwiederum nicht den Gefallen, es dann in einer Abschrift mitzuteilen. Meinst du denn, daß jedermann deine Bibliothek besitzt? Oder meinst du, daß er nichts zu tun habe, als das, was du gelesen hast, wiederzulesen? Doch ist auch dies zu beachten: Metaphysik ist nicht, was dieser oder jener der Philosophen geschrieben hat, sondern was Gott in die Herzen aller Menschen eingeschrieben hat73 ; und dafür braucht niemand einen anderen Zeugen als sich selbst. Wer Zeugen braucht, scheint per se nicht des Glaubens wert zu sein. Von dieser Wurzel der Wissenschaften sollen also auswärtige Zeugen fernbleiben; denn sie sind unnütz und sogar schädlich, weil sie verzögern und den Zusammenhang stören. Weil sie die per se einsichtigen Prinzipien des Wißbaren darbietet, soll die Erste Philosophie der durch sich selbst leuchtenden Sonne74 ähnlich sein. Diese leuchtet in der Tat nur wenig für denjenigen, dem du nur Abbildungen der Sonne zeigst oder dem du vorträgst, was dieser oder jener von der Sonne meint. Sie wird aber, auch wenn du keine Hilfsfackeln angezündet hast, ganz und gar für denjenigen aufstrahlen, den du ans Tageslicht führst. 43. Wir nehmen uns vor, nur die Dinge selbst darzulegen, wobei wir als Zeugen nur den Gemeinsinn, der bei allen zu finden ist, heranziehen wollen. Wer diesen nicht verloren hat, der komme und betrachte die Gesetze der Dinge. Und er wende seine Aufmerksamkeit darauf, ob alles hinreichend vollständig, hinreichend geordnet und hinreichend wahr in den Blickgenommen wird. Denn ob hier alles aufgenommen ist, wird ein beigefügtes Verzeichnis der Dinge und der Wörter75 aufweisen. Ob es klar ist, dafür wird jeder Zeugnis abgeben, dem dieses (als einem in der Philosophie Ungebildeten, in der populären Historie der Dinge nicht Unwissenden) in die Hände gegeben wird. Er wird
Wie die Beurteilung hierüber, die allen anvertraut ist,
zu bewerkstelligen sei.
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und schließlieh zu welchem Endzweck.
Vorwort an die Akademien Europas
bezeugen, daß es hier keine Dunkelheit gibt, indem er das, was er liest, auch einsieht. Ob dies schließlich in allgemeiner Weise wahr ist, werdet Ihr, weise Männer, selbst beurteilen. Damit diese Beurteilung ungehindert sei, versuchen wir die Gründe für dasjenige, was neuartig erscheint, in nachträglich (oder zu Einzelkapiteln) beigefügten Anmerkungen darzulegen. 44. Doch bringen wir dies alles nach so vielen Überlegungen, nun endlich nicht nur der äußeren Einschätzung wegen als bloßen Grundriß oder als Votum ans Licht, sondern bereits als ein Werkchen, das auf Nutzen abzielt. Denn wenn man beginnt, dies alles der Schuljugend76 vorzulegen und in praktischen Übungen zu betreiben 77 , wird somit auch über die ganze Sache besser geurteilt werden können. 45. Wenn dies alles noch nicht so ausgefallen ist, wie es beabsichtigt wird, so kann es wenigstens die Gelegenheit dafür bieten, daß jeder, der es vermag, Besseres schaffe, bis wir endlich das Wunschziel erreichen.78 Wie es aber auch immer kommen möge; ich meine, daß ich tun mußte, was die Quellen tun: Was sie in sich an Wasser empfangen können, das ergießen sie nach draußen, damit sie den anderen Geschöpfen dienen und hierbei ihren Ursprung, das Meer, wieder aufsuchen. Lebet wohl.
ZUGANG ZUR PFORTE DER DINGE
allem< verstehst. Nicht nur die allgemeinen Begriffe, sondern auch die allgemeinen Anreize und Vermögen müssen, meine ich, zutreffend durchschaut werden, damit (soweit es möglich ist) auch nicht ein einziges unerkannt bleibt. [Mehr Kerzen, mehr Licht, sagt man. Ist es doch Gottes Wille, daß am Firmament nicht nur seine Sonne, sondern auch der Mond, die Sterne und alle Sternchen glänzen. Und in täglicher Himmelsumdrehung führt er allesamt vor Augen. Warum sollten wir dann wollen, daß irgendetwas am Himmel unseres Geistes verdunkelt oder versteckt bleibe, daß nicht alles klar aufleuchte?] 24. Möchten wir dies nur schaffen! Oder möchte doch die Zeit und die Mühe eines einzigen Büchleins dazu ausreichen! Antw.: Wir werden nicht auf alle Kleinigkeiten eingehen können, jedoch bemüht sein, daß nichts von dem, was zu den Drehpunkten der Weisheit gehört, außer acht gelassen wird. 25. Gut. Was aber wird es heißen, dies alles ordnungsgemäß aufzuhellen? Antw.: Wir werden eine dreifache Ordnung beobachten: Erstens, daß vor allem die allgemeinen Begriffe erwogen werden, danach die allgemeinen Anreize und schließlich die allgemeinen Vermögen. [So gehen sie nämlich voneinander in sich selbst hervor; so ist es auch in der Praxis. Kein Handlungsvermögen regt sich, außer es wird von einem Wunsche hervorgerufen. Und es gibt keinen
Kapitel III
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Wunsch, außer er wird von der WahrnehmU1Jg einer angenehmen oder unangenehmen Sache erregt. Dies aber leitet sich vom Begriff her. Denn es gibt kein Begehren nach einem unbekannten Gut wie auch keine Furcht und keine Flucht vor einem unbekannten Übel1 30 , wie wir in§ 19 sahen.] 26. Als zweites wird in vernünftiger Ordnung zu beobachten sein, daß alles in allgemeinsten Begriffen ausgedrückt und in sinnfälligsten Beispielen erläutert wird. [Ich rede mit metaphysischen Begriffen, mit Transzendentalien 131, die auf alles zutreffen, jedoch mit Beispielen überall vorkommender Sachverhalte, natürlicher sowohl als auch künstlicher, moralischer usw.] 27. Drittens ist zu beobachten, daß wir mit den Ausdrucksnormen übereinkommen; wir bieten dann 1. die allgemeinen Begriffe indikativisch in der dritten Person, z.B.: Das Ganze ist mehr als sein Teil; II. die Anreize indikativisch in der ersten Person, z.B.: Ich liebe das Gute; Ich hasse das Böse; Ich ertrage das Unentschiedene; Ich wähle das Bessere usw.; III. die Vermögen imperativisch in der zweiten Person, z.B.: Erfülle die mögliche Pflicht! Unterlasse das Pflichtlose! Spanne deine Kräfte für eine schwierige Pflicht an! Enthalte dich des Pflichtlosen! usw. [Siehst du, wie solchermaßen alles prägnant und flüssig würde? Ich seh's.] 28. Bleibt noch übrig deine Darlegung über das Aufmerksamsein. Was heißt es, aufmerksam dies alles durchmustern? Antw.: Nicht bloß nebenbei ein Auge darauf werfen, sondern sich einer jeden Sache so lange und so beständig widmen, bis alles richtig erfaßt ist. [Dann nämlich wird erst ganz und gar das volle Licht des Geistes aufleuchten, wenn alle seine entsandten Strahlen sich selbst in klarer Weise durchdringen und die ganze Region des Geistes überall erfüllen. Ansonsten wird jemand, wenn er nicht aufmerksam ist, sogar noch bei der äußeren Betrachtung der Dinge als Sehender nichts sehen. Wie dies uns allen immer wieder zustößt, wenn wir tagtäglich unbekümmert mit den Dingen
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Zugang zur Fforte der Dinge
umgehen, jedoch empfindungslos für das Schauspiel ihres Geistes sind.] 29. Raubt uns nicht jenes Wort des Evangelisten: Dieses Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis begreift nicht Goh. 1,5) die Hoffnung, dieses Licht je auszuschöpfen? Auf jeden Fall, wenn wir es, von der Lichtregion abgewandt, mit geschlossenen Augen durchwandern wollten (wie es das törichte Volk macht). Wir haben aber den Vorsatz, uns davor in acht zu nehmen; und wir bemühen uns, dieses Licht in aller Finsternis (d. h. im Chaos aller fremden und eigenen Angelegenheiten, Reden und Gedanken 132 ) zu ergreifen. [Man hat zu gewärtigen, daß jene Gottesklage nicht bloß von jenen Menschen, die sehr stumpfsinnig, starr und träge sind, sondern auch von den sehr geistreichen, aufgeweckten und handlungsfreudigen gilt, insofern diese ihr inneres Licht nicht hinreichend ergreifen. Denn alle Menschen haben in der Tat die fundamentalen Sachgründe; sie begreifen indes nicht, daß sie sie haben. Alle lieben in der Tat das höchste Gut; sie gewahren aber nicht, daß sie es lieben und daß es in partikulären Gütern auseinandergleitet. Alles Notwendige ist in der Tat für alle möglich; die meisten jedoch, in verschiedene Verfremdungen verwickelt, wissen nicht, daß sie zu allem Notwendigen befähigt sind. Sie haben sich also zu entwickeln, so daß allesamt einsehen, daß sie alles Wahre in seinem Fundament erkennen, alles Gute darin wollen und zu allem Notwendigen (deswegen, weil Gott und Natur im Notwendigen beständig sind) befähigt sind. 133 ] 30. Komm, wir wollen in diese Lichtregion hineinschreiten. Ich zeige dir darin 1. deinen GEIST und in ihm den ganzen Kreis des Denkbaren, II. deinen WILLEN und in ihm den ganzen Kreis des Wünschbaren, III. deine FÄHIGKEITEN und in ihnen den ganzen Kreis des Möglichen 134, so daß du beginnen kannst, die Reichweite deines Wissens, Wollens und Könnens135 klar zu durchschauen. 31. Es wird mich freuen, wenn du mir dies so distinkt gezeigt
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hast. Wie aber wirst du mir meinen Geist zeigen, den nur ich selbst sehe, nicht du. Antw.: Ich verbessere mich, wenn ich etwas unpassend geredet habe: Ich werde dir meinen Geist zeigen, so daß du durch diese Anregung auch den deinigen sehen kannst. Du wirst schon erkennen, daß alles seine Ordnung hat. 32. Damit wir aber zu den Schauspielen dieses inneren Lichtes wacher herangehen, wollen wir, bitte, Christi Worte, Lukas 11, V. 33 und folgende erwägen. Es wird der Sache nämlich nützen, diese richtig einzusehen. Damit du dies erkennst, werde ich im einzelnen darlegen, was sich daraus zu unserer Belehrung ergibt. 33. Niemand zündet eine Lampe an und stellt sie in einen versteckten Winkel oder unter den Scheffel, sondern auf den Leuchter, damit die Eintretenden das Licht sehen (V. 33). Von daher können wir hinsichtlich unseres Vorhabens herausstellen, daß es für alle überhaupt, die ins Haus der Weisheit eintreten, nötig ist, das Licht des Geistes oben an der Fforte hängen zu haben und nicht hernach irgendwo in einem Winkel; so wie auch der Schöpfer die körperlichen Augen an die Stirnseite gesetzt hat, nicht an den Hinterkopf oder auf den Rücken oder gar an die Ferse. 34. Das Auge ist die Leuchte des Körpers. Wenn dein Auge einfach ist, wird auch der ganze Körper hell sein, wenn es aber krank ist, wird der ganze Körper finster sein (V. 34 ), d. h. die Leuchte der Weisheit ist die erste Weisheit, das Licht des Geistes. Wenn es gut voranleuchtet, wird der Körper deiner Weisheit hell sein; wenn aber nicht, finster. 35. Achte also darauf, daß das Licht in dir nicht Finsternis ist (V. 35). Man muß also acht geben, daß das Licht des Geistes nicht etwas Dunkles oder Verwirrtes an sich habe. 36. Wenn dein Körper also hell ist und nicht irgendeinen dunklen Teil an sich hat, wird alles hell sein, wie wenn die Lampe dich mit ihrem Schein beleuchtet (V. 36). D. h„ wenn der ganze Körper deiner Weisheit solchermaßen von diesem Licht durchströmt wird, daß keiner seiner Teile etwas Dunkles behält, wirst du eine gewaltige Ausstrahlung haben. 37. Matthäus fügt aus dem nämlichen Munde, aus dem des
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Christus, hinzu: Wenn nun das Licht, das in dir ist, Finsternis ist, wie groß muß dann die Finsternis selbst sein! (Kap. 6,23); d.h., wenn die an der Schwelle aufgehängte Leuchte, das Licht des Geistes, krank oder dunkel ist, was ist dann noch vom Körper deiner Weisheit zu erwarten? Chaos. Man hat sich also in acht zu nehmen. 38. Was werden wir also tun, damit es nicht verwirrt sein wird? Antw.: Wir werden vor allem in bestimmter Ordnung die angeborenen Begriffe, d. h. den Umfang des Denkvermögens durchmustern, danach die allgemeinen Anreize, um den Umfang des Wünschbaren zu betrachten, und schließlich die allgemeinen Vermögen, um den Umfang dessen, was wir mit allgemeinen Instrumenten und Kräften ausführen können, zu erkennen. 136 39. Was werden wir aber tun, damit alles klar und dem Verstande zugänglich ist? Antw.: Wir werden keine schwerfälligen und dunklen Termini verwenden, von welchen andere ähnliche Büchlein (die metaphysischen) voll sind; wir werden vielmehr versuchen, alles mit deutlichen Worten auszudrücken. Damit es aber nicht scheinen kann, als ob jene noch unüberwundene Schwierigkeiten in sich trügen, werden wir sie am Schluß anfügen.137 40. jeden Lobspruch erhielt, wer Niitzliches mischte mit ßem.138 Antw.: Was verbietet, es zu versuchen. Versuchen wir's!
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DER ERSTEN WEISHEIT ERSTER TEIL13 9
KAPITEL IV
Über den äußeren Umfang des Intelligiblen (1 ), seine innere Ordnung (5) und innersten Verbindungen (7) Beginnen wir zu überlegen, wie groß das Fassungsvermögen unseres Geistes ist. D. h„ versuchen wir die letzten Termini der Dinge aufzufinden, über die hinaus man nicht einmal etwas zu denken vermag. 2. Kann dies geschehen? Es ist zu versuchen. Wenn wir es wirklich vermocht haben, werden wir hoffen, den Kreis der Dinge von seinem Umfang so umschlossen gefunden zu haben, daß außerhalb von ihm nichts sein und gedacht werden kann, innerhalb von ihm aber alles zu finden ist; dies dürfte so augenscheinlich sein, daß man nicht daran zweifeln kann. Betrachte diesen Kreis!
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Siehst du wie außerhalb des Kreises nichts vom Kreis ist, innerhalb von ihm aber alles von ihm 140? 3. Welches >alles