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German Pages 381 [383] Year 2014
Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 299 Herausgegeben vom
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren:
Jürgen Basedow, Holger Fleischer und Reinhard Zimmermann
Anna-Luisa Lemmerz
Die Patientenverfügung Autonomie und Anknüpfungsgerechtigkeit
Mohr Siebeck
Anna-Luisa Lemmerz, geboren 1982; Studium der Rechtswissenschaften an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und der Humboldt-Universität zu Berlin; 2013 Promotion; wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Bucerius Law School, Hamburg.
e-ISBN PDF 978-3-16-152852-1 ISBN 978-3-16-152849-1 ISSN 0720-1141 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb. dnb.de abrufbar. © 2014 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer tung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elek tronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck papier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Jahr 2012 von der Bucerius Law School in Hamburg – Hochschule für Rechtswissenschaft – als Dissertation angenommen. Die mündliche Prüfung fand am 6. Februar 2013 statt. Für die Drucklegung wurden Rechtsprechung und Literatur auf den Stand von April 2013 gebracht. Entstanden ist die Arbeit während meiner Tätigkeit am Lehrstuhl meiner akademischen Lehrerin, Prof. Dr. Anne Röthel. Ihr danke ich herzlich für die Betreuung der Dissertation und die äußerst zügige Erstellung des Erstgutachtens. Ihre stete Gesprächsbereitschaft und ihre kritischen Anmerkungen waren von unschätzbarem Wert für das Gelingen der Dissertation. Bedanken möchte ich mich bei ihr außerdem für die mir zuteil gewordene Förderung und Unterstützung während meiner Tätigkeit an ihrem Lehrstuhl. Sie hat mich von Beginn an in interessante Projekte einbezogen und mir auf diese Weise lehrreiche Einblicke in ihre Forschungstätigkeit gewährt. Bedanken möchte ich mich überdies bei Herrn Prof. Dr. Christian Bumke für die Übernahme und die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Ferner danke ich den Direktoren des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht für die Aufnahme der Arbeit in diese Schriftenreihe. Meinem Mann danke ich von ganzem Herzen für seinen bedingungslosen Rückhalt, seinen geduldigen Zuspruch und seine liebevolle Fürsorge in allen Lebenslagen der vergangenen Jahre. Hamburg im Oktober 2013
Anna-Luisa Lemmerz
Inhaltsübersicht Vorwort ................................................................................................... V Inhaltsverzeichnis ................................................................................... IX Abkürzungsverzeichnis ....................................................................... XVII
Einleitung .................................................................................. 1 Kapitel 1: Die Patientenverfügung im Sachrecht ausgewählter europäischer Rechtsordnungen ............................. 5 § 1 Weichenstellungen für die Anerkennung der Patientenverfügung ........ 5 A. Staatlicher Erwachsenenschutz und private Vorsorge in Europa ........... 6 B. Die Anerkennung der Patientenautonomie .......................................... 15 C. Fazit zu § 1 ......................................................................................... 28 § 2 Die Patientenverfügung im Sachrecht ............................................... 28 A. Ausgewählte europäische Rechtsordnungen im Überblick .................. 29 B. Die Patientenverfügung im deutschen Sachrecht ................................. 66 C. Zusammenführungen ........................................................................ 117
Kapitel 2: Die Patientenverfügung mit Auslandsberührung ................................................................. 121 § 1 Bestandsaufnahme: Internationalisierung und Europäisierung ....... 121 A. Internationalisierung der Lebensläufe ............................................... 121 B. Internationalisierung des Erwachsenenschutzes ................................ 122 C. Internationalisierung und Europäisierung der medizinischen Behandlung ...................................................................................... 155 D. Fazit zu § 1 ....................................................................................... 166
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Inhaltsübersicht
§ 2 Die isolierte Patientenverfügung im europäischen und deutschen Kollisionsrecht ..................................................................... 167 A. Meinungsspektrum aus dem Ausland und dem Inland ....................... 168 B. Ordnungsversuche ............................................................................ 176 C. Kollisionsrechtliche Anknüpfung ..................................................... 209 D. Zusammenführungen ........................................................................ 301
Kapitel 3: Ausblick ................................................................. 304 § 1 Vereinheitlichung oder Angleichung des Sachrechts der Patientenverfügung? ....................................................................... 304 A. Einheitliches europäisches Sachrecht für die Patientenverfügung? .... 304 B. Optionale Patientenverfügung? ......................................................... 305 C. (Bilaterale) Harmonisierung durch völkerrechtliche Verträge? ......... 308 D. Ausarbeitung allgemeiner Prinzipien ................................................ 308 E. Zukunftsaufgaben der nationalen Gesetzgeber .................................. 309 § 2 Vereinheitlichung des Kollisionsrechts der Patientenverfügung? .... 310 A. Harmonisierung des Kollisionsrechts der Patientenverfügung? ......... 310 B. Anerkennung statt Verweisung? ....................................................... 312
Kapitel 4: Zusammenfassung in Thesen .................................. 319 Literaturverzeichnis .............................................................................. 325 Register ................................................................................................ 357
Inhaltsverzeichnis Vorwort ................................................................................................... V Inhaltsübersicht ...................................................................................... VII Abkürzungsverzeichnis ....................................................................... XVII
Einleitung .................................................................................. 1 Kapitel 1: Die Patientenverfügung im Sachrecht ausgewählter europäischer Rechtsordnungen ............................. 5 § 1 Weichenstellungen für die Anerkennung der Patientenverfügung ........ 5 A. Staatlicher Erwachsenenschutz und private Vorsorge in Europa ........... 6 I. Von der Entmündigung zum flexibilisierten Erwachsenenschutz ....... 6 II. Private Vorsorge durch Betreuungsverfügung und Vorsorgevollmacht ....................................................................... 10 1. Betreuungsverfügung ............................................................... 11 2. Vorsorgevollmacht .................................................................. 12 III. Fazit ............................................................................................. 15 B. Die Anerkennung der Patientenautonomie .......................................... 15 I. Selbstbestimmung des Einzelnen in der Medizin ............................. 16 1. Der lange Schatten des Hippokratischen Eides ......................... 16 2. Die asymmetrische Arzt-Patienten-Beziehung ......................... 18 3. Die Verrechtlichung der Medizin ............................................. 19 4. Die partnerschaftliche Arzt-Patienten-Beziehung ..................... 22 II. Patientenautonomie im interkulturellen Kontext ............................. 26 III. Fazit ............................................................................................. 28 C. Fazit zu § 1 ......................................................................................... 28 § 2 Die Patientenverfügung im Sachrecht ............................................... 28 A. Ausgewählte europäische Rechtsordnungen im Überblick .................. 29 I. Die Benelux-Staaten und die Schweiz ............................................. 30 1. Regelungsstandort ................................................................... 31
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Inhaltsverzeichnis
2. 3. 4. 5.
Regelungsgegenstand .............................................................. 32 Errichtung................................................................................ 33 Umsetzung und Verbindlichkeit ............................................... 34 Patientenverfügung und Sterbehilfe ......................................... 36 a) Benelux-Staaten .................................................................. 36 b) Schweiz ............................................................................... 42 II. Frankreich und Österreich .............................................................. 43 1. Regelungsstandort ................................................................... 43 2. Regelungsgegenstand und Errichtung ...................................... 44 3. Umsetzung und Verbindlichkeit ............................................... 46 4. Patientenverfügung und Sterbehilfe ......................................... 49 III. Spanien und England/Wales.......................................................... 53 1. Regelungsstandort ................................................................... 54 2. Regelungsgegenstand und Errichtung ...................................... 56 3. Umsetzung und Verbindlichkeit ............................................... 58 4. Patientenverfügung und Sterbehilfe ......................................... 58 IV. Jüngste Rechtsentwicklungen in Europa ....................................... 63 V. Fazit zur Patientenverfügung im Sachrecht europäischer Rechtsordnungen ......................................................................... 66 B. Die Patientenverfügung im deutschen Sachrecht ................................. 66 I. Der lange Weg zur (zivilrechtlichen) Regelung der Patientenverfügung ................................................................ 66 1. Verfassungs-, zivil- und strafrechtliche Grundlagen ................. 67 a) Verfassungsrechtliche Grundlagen ...................................... 67 b) Zivil- und strafrechtliche Grundlagen .................................. 73 2. Impulse aus dem Schrifttum .................................................... 75 3. Der Kemptener Fall ................................................................. 77 4. Zivilrechtliche Diskussion ....................................................... 78 5. Das Gesetzgebungsverfahren ................................................... 81 II. Die gesetzliche Regelung der Patientenverfügung .......................... 83 1. Legaldefinition ........................................................................ 83 2. Errichtung................................................................................ 83 a) Einwilligungsfähigkeit und Volljährigkeit ........................... 83 b) Schriftform der Patientenverfügung ..................................... 85 c) Verzicht auf weitere Errichtungsvoraussetzungen................ 86 aa) Notarielle Beurkundung ................................................ 86 bb) Ärztliche Aufklärung und Beratung .............................. 87 cc) Aktualisierungspflicht................................................... 90 dd) Registrierungspflicht .................................................... 91 3. Widerruf .................................................................................. 92 4. Inhalt ....................................................................................... 93 a) Bestimmtheitserfordernis .................................................... 93
Inhaltsverzeichnis
XI
b) Inhaltliche Grenzen ............................................................. 94 aa) Das Strafrecht als objektive Grenze der Patientenautonomie ................................................. 95 (1) Alte Kategorien ....................................................... 96 (2) Neue Kategorie: Der Behandlungsabbruch ............ 100 (3) Zwischenergebnis .................................................. 101 bb) § 1901a Abs. 4 BGB ................................................... 102 5. Umsetzung und Verbindlichkeit ............................................. 103 a) Keine Reichweitenbegrenzung .......................................... 104 b) Einbindung von Betreuer und Bevollmächtigtem ............... 105 c) Wirkung im Arzt-Patienten-Verhältnis .............................. 106 d) Genehmigung des Betreuungsgerichts ............................... 109 6. Andere Formen der Willensbekundung (§ 1901a Abs. 2 BGB) ........................................................... 113 III. Zusammenfassende Bewertung ................................................... 115 C. Zusammenführungen ........................................................................ 117
Kapitel 2: Die Patientenverfügung mit Auslandsberührung ................................................................. 121 § 1 Bestandsaufnahme: Internationalisierung und Europäisierung ....... 121 A. Internationalisierung der Lebensläufe ............................................... 121 B. Internationalisierung des Erwachsenenschutzes ................................ 122 I. Tatsächliche Veränderungen.......................................................... 123 II. Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen durch das Haager Erwachsenenschutzübereinkommen (ESÜ) .............. 123 1. Entstehungsgeschichte und Ratifikationsprozess .................... 123 2. Anwendungsbereich .............................................................. 125 a) Persönlicher Anwendungsbereich ...................................... 125 b) Sachlicher Anwendungsbereich ......................................... 126 c) Räumlicher und zeitlicher Anwendungsbereich ................. 128 3. Internationale Zuständigkeit .................................................. 128 4. Anwendbares Recht ............................................................... 130 a) Vorsorgevollmacht (Art. 15 f. ESÜ) .................................. 130 aa) Begriff der Vorsorgevollmacht ................................... 131 bb) Bestehen, Umfang, Änderung und Beendigung der Vollmacht (Art. 15 Abs. 1, 2 ESÜ) ...................... 132 cc) Art und Weise der Ausübung der Vollmacht (Art. 15 Abs. 3 ESÜ) .................................................. 136 dd) Behördliche Aufhebungs- und Änderungsbefugnis (Art. 16 ESÜ) ............................................................. 139
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Inhaltsverzeichnis
b) Isolierte Patientenverfügung .............................................. 140 aa) Anwendbarkeit des Art. 15 ESÜ? ............................... 140 bb) Anwendbarkeit der Art. 13 f. ESÜ? ............................ 140 c) Allgemeine Vorschriften (Art. 17 ff. ESÜ) ........................ 145 aa) Verkehrsschutz (Art. 17) ............................................. 145 bb) Zwingende Vorschriften (Art. 20) ............................... 146 cc) Ordre public (Art. 21)................................................. 147 5. Auswirkungen auf das deutsche Internationale Erwachsenenschutzrecht ........................................................ 148 a) Autonomes Kollisionsrecht der Betreuung ........................ 148 b) Autonomes Kollisionsrecht der Vorsorgevollmacht ........... 151 C. Internationalisierung und Europäisierung der medizinischen Behandlung ...................................................................................... 155 I. Tatsächliche Veränderungen.......................................................... 155 II. Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen ....................... 157 1. Rom I-VO und Rom II-VO .................................................... 157 a) Rom I-VO ......................................................................... 157 b) Rom II-VO ........................................................................ 159 aa) Internationales Privatrecht der Geschäftsführung ohne Auftrag ............................................................... 160 bb) Internationales Deliktsrecht ........................................ 160 cc) Allgemeine Vorschriften ............................................. 163 2. Richtlinie über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung ................ 164 D. Fazit zu § 1 ....................................................................................... 166 § 2 Die isolierte Patientenverfügung im europäischen und deutschen Kollisionsrecht ..................................................................... 167 A. Meinungsspektrum aus dem Ausland und dem Inland ....................... 168 I. Ausländische Stellungnahmen ....................................................... 168 1. Österreich .............................................................................. 168 2. Liechtenstein ......................................................................... 170 3. Schweiz ................................................................................. 171 4. Griechenland ......................................................................... 173 5. Fazit ...................................................................................... 173 II. Inländische Stellungnahmen ......................................................... 174 B. Ordnungsversuche ............................................................................ 176 I. Materielles Recht .......................................................................... 177 1. Unterteilung der Rechtsordnung in Rechtsgebiete, Verflechtungen ...................................................................... 177 2. Patientenverfügung ................................................................ 181 3. Fazit ...................................................................................... 183
Inhaltsverzeichnis
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II. Grenzrecht ................................................................................... 184 1. Unterteilung der Rechtsordnung in Rechtsgebiete, Verflechtungen ...................................................................... 184 a) Unterteilung der Rechtsordnung in Rechtsgebiete ............. 184 aa) Internationales Privatrecht .......................................... 184 bb) Internationales öffentliches Recht, Internationales Strafrecht .................................................................... 187 b) Verflechtungen .................................................................. 189 aa) Internationales Privatrecht und Eingriffsnormen ......... 190 bb) Internationales Strafrecht und Fremdrechtsanwendung .............................................. 195 2. Patientenverfügung in Fällen mit Auslandsberührung ............ 196 a) Patientenverfügung und Internationales Privatrecht ........... 197 aa) Kollisionsrechtliche Verweisungsnorm ....................... 197 bb) Eingriffsnormen und Patientenverfügung .................... 198 (1) Definition .............................................................. 198 (2) Anknüpfung .......................................................... 202 cc) Zwischenergebnis ....................................................... 203 b) Patientenverfügung und Internationales Strafrecht ............. 204 aa) Beispiel 1 ................................................................... 204 bb) Beispiel 2 ................................................................... 207 cc) Zwischenergebnis ....................................................... 208 III. Fazit ........................................................................................... 208 C. Kollisionsrechtliche Anknüpfung ..................................................... 209 I. Anknüpfungsgerechtigkeit ............................................................. 209 1. Grundsätzliches ..................................................................... 210 a) Internationalprivatrechtliche Interessen ............................. 211 b) Materiellprivatrechtliche Interessen ................................... 213 2. Internationalprivatrechtliche Interessen bei Patientenverfügungen ............................................................ 216 a) Parteiinteresse im engeren Sinne ....................................... 216 aa) Objektive Anknüpfung: Staatsangehörigkeit oder Aufenthalt? ................................................................. 217 (1) Staatsangehörigkeit und gewöhnlicher Aufenthalt ............................................................. 218 (2) Patientenverfügung ................................................ 220 bb) Subjektive Anknüpfung .............................................. 224 b) Verkehrsinteressen ............................................................ 225 c) Internationaler Entscheidungseinklang .............................. 227 d) Interner Entscheidungseinklang ......................................... 229 e) Rechtssicherheit, Voraussehbarkeit, Einfachheit der Rechtsanwendung ........................................................ 231
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Inhaltsverzeichnis
f) Ausschluss der Gesetzesumgehung (fraus legis) ................ 234 g) Heimwärtsstreben .............................................................. 236 3. Materiellprivatrechtliche Interessen bei Patientenverfügungen ............................................................ 237 4. Fazit ...................................................................................... 238 II. Qualifikation der Patientenverfügung ........................................... 240 1. Grundsätzliches ..................................................................... 240 2. Qualifikationsmöglichkeiten .................................................. 242 a) Qualifikation als vertragliches Schuldverhältnis (Rom I-VO)....................................................................... 243 aa) Bindung ...................................................................... 244 bb) Vermögen ................................................................... 244 cc) Rechtsfolgen ............................................................... 246 b) Qualifikation als Einwilligung ........................................... 247 c) Qualifikation als Rechts- und Geschäftsfähigkeit (Art. 7 EGBGB) ................................................................ 250 d) Qualifikation als Betreuung (Art. 24 EGBGB) .................. 250 3. Fazit ...................................................................................... 253 III. Ausgestaltung einer eigenen Anknüpfung der Patientenverfügung .............................................................. 254 1. Objektive Anknüpfung .......................................................... 255 a) Personale Anknüpfung oder Anknüpfung an den Behandlungsort? ......................................................... 255 aa) Personale Anknüpfung ................................................ 255 bb) Anknüpfung an den Behandlungsort ........................... 260 cc) Vermittelnde Vorschläge ............................................ 261 (1) Errichtungsstatut nach Vorbild des Art. 26 Abs. 5 S. 1 EGBGB ................................... 261 (2) Differenzierte Anknüpfung nach Sachfragen ......... 264 dd) Zwischenergebnis ....................................................... 266 b) Sonderfragen ..................................................................... 267 aa) Form der Patientenverfügung ...................................... 267 (1) Allgemeine Formkollisionsregel (Art. 11 Abs. 1 EGBGB) ....................................... 268 (2) Weitergehende Anknüpfung der Form für die Patientenverfügung? ........................................ 270 bb) Einwilligungsfähigkeit ................................................ 272 cc) Volljährigkeit ............................................................. 274 c) Renvoi oder Sachnormverweisung? ................................... 275 d) Zwischenergebnis .............................................................. 276 2. Subjektive Anknüpfung: Patientenverfügung und Rechtswahl? .......................................................................... 277
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a) Dogmatische Herleitung der Parteiautonomie .................... 278 b) Interessenlage und Patientenverfügung .............................. 281 aa) Interessen des Betroffenen .......................................... 281 bb) Sonstige Interessen ..................................................... 284 c) Ausgestaltung der Rechtswahl ........................................... 288 3. Ordre public und Patientenverfügung .................................... 289 a) Grundsätze ........................................................................ 290 aa) Voraussetzungen ......................................................... 291 bb) Rechtsfolgen ............................................................... 292 b) Ordre public und Patientenverfügung ................................ 293 aa) Beispiel 1 ................................................................... 293 bb) Beispiel 2 ................................................................... 294 cc) Beispiel 3 ................................................................... 296 dd) Beispiel 4 ................................................................... 296 c) Spezieller oder allgemeiner ordre public? ......................... 299 4. Regelungsvorschlag ............................................................... 300 D. Zusammenführungen ........................................................................ 301
Kapitel 3: Ausblick ................................................................. 304 § 1 Vereinheitlichung oder Angleichung des Sachrechts der Patientenverfügung? ....................................................................... 304 A. Einheitliches europäisches Sachrecht für die Patientenverfügung? .... 304 B. Optionale Patientenverfügung? ......................................................... 305 C. (Bilaterale) Harmonisierung durch völkerrechtliche Verträge? ......... 308 D. Ausarbeitung allgemeiner Prinzipien ................................................ 308 E. Zukunftsaufgaben der nationalen Gesetzgeber .................................. 309 § 2 Vereinheitlichung des Kollisionsrechts der Patientenverfügung? .... 310 A. Harmonisierung des Kollisionsrechts der Patientenverfügung? ......... 310 B. Anerkennung statt Verweisung? ....................................................... 312
Kapitel 4: Zusammenfassung in Thesen .................................. 319 Literaturverzeichnis .............................................................................. 325 Register ................................................................................................ 357
Abkürzungsverzeichnis a.A. ABGB ABl. EG ABl. EU Abs. AcP a.E. AEUV a.F. allg. Anh. AöR Art. Aufl. BayObLG Bd. BGB BGBl. BGE BGH BGHSt BGHZ BK BNotK BNotO BOE BtÄndG BT-Drs. BtG BtPrax
Bull. crim. Bull. Soc. Sci. Méd. BVerfG B.W. bzw.
andere Ansicht Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Archiv für die civilistische Praxis am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung allgemeine/r Anhang Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Auflage Bayerisches Oberstes Landesgericht Band Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtsentscheid (Amtliche Sammlung des Schweizerischen Bundesgerichts) Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bonner Kommentar zum Grundgesetz Bundesnotarkammer Bundesnotarordnung Boletín Oficial del Estado Betreuungsrechtsänderungsgesetz Bundestags-Drucksache Betreuungsgesetz Betreuungsrechtliche Praxis Zeitschrift für soziale Arbeit, gutachterliche Tätigkeit und Rechtsanwendung in der Betreuung Bulletin des arrêts de la Cour de cassation (Chambre criminelle) Bulletin de la Société des sciences médicales du GrandDuché de Luxembourg Bundesverfassungsgericht Burgerlijk Wetboek beziehungsweise
XVIII Cass. crim. C.c. C. dr. int. pr. C.s.p. Comm. L. World Rev. DÄBl. DCFR ders. d.h. dies. Diss. DJT DNotI DNotI-Report DNotZ DÖV DVBl. DZWir EG EGBGB EGMR Einl. Elder L.J. EMRK EschG ESÜ EuGH EuGVO
Eur. J. Health L. EVÜ f. FamFG FamFR FamRZ FamZ ff. FL-IPRG Fn. FPR FS
Abkürzungsverzeichnis Cour de Cassation (Chambre criminelle) Code civil; Codice Civile; Código Civil Code de droit international privé Code de la santé publique Common Law World Review Deutsches Ärzteblatt Draft Common Frame of Reference derselbe das heißt dieselbe Dissertation Deutscher Juristentag; Verhandlungen des Deutschen Juristentages Deutsches Notarinstitut Informationsdienst des Deutschen Notarinstituts Deutsche Notar-Zeitschrift Die öffentliche Verwaltung Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einleitung Elder Law Journal Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten v. 4.11.1950 Gesetz zum Schutz von Embryonen Haager Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen v. 13.1.2000 Europäischer Gerichtshof Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates v. 22.10.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen European Journal of Health Law Übereinkommen von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht v. 19.6.1980 folgende Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Familienrecht und Familienverfahrensrecht Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Fachzeitschrift für Familienrecht (bis Heft 2/2007; danach iFamZ) fortfolgende Liechtensteinisches Gesetz über das internationale Privatrecht Fußnote Familie/Partnerschaft/Recht Festschrift
Abkürzungsverzeichnis GA gem. GG ggf. GPR gr. ZGB Habil. HGB h.L. h.M. Hrsg. iFamZ insb. IPR IPRax IPRG i.S. i.V. IZPR Jb. JBl JöR JORF JR jurisPK JuS JW JZ KAG KAKuG KritV KSÜ
LG lit. LPartG Ls. LugÜ
MCA 2005 MedR MittBayNot
XIX
Goltdammer’s Archiv für Strafrecht gemäß Grundgesetz gegebenenfalls Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht griechisches Zivilgesetzbuch Habilitation Handelsgesetzbuch herrschende Lehre herrschende Meinung Herausgeber Interdisziplinäre Zeitschrift für Familienrecht (bis 2/2007 FamZ) insbesondere Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Gesetz über das Internationale Privatrecht im Sinne in Verbindung Internationales Zivilprozessrecht Jahrbuch Juristische Blätter; Justizblatt Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Journal officiel de la République française Juristische Rundschau juris Praxiskommentar BGB Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Krankenanstaltengesetz Bundesgesetz über Krankenanstalten und Kuranstalten Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern v. 19.10.1996 Landgericht litera Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft Leitsatz Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 16.9.1988 Mental Capacity Act 2005 Medizinrecht Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins, der Notarkasse und der Landesnotarkammer Bayern
XX MSA
m.w.N. n.F. N. Ir. Legal Q. NJ NJW NJW-RR Nottingham L.J. Nr. Nrn. NStZ núm. ÖAnwBl öIPRG öStGB OGH OLG OR p. PatVG RabelsZ RdC Rev Esp Salud Publica RG RGSt RGZ RIW Rn. Rom I-VO
Rom II-VO
Rs. Rspr. s. S. schweizer. IPRG schweizer. ZGB sec. SJZ sog. Stb. StGB
Abkürzungsverzeichnis Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen v. 5.10.1961 mit weiteren Nachweisen neue Fassung Northern Ireland Legal Quarterly Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungs-Report Nottingham Law Journal Nummer Nummern Neue Zeitschrift für Strafrecht número Österreichisches Anwaltsblatt Österreichisches Bundesgesetz über das internationale Privatrecht Österreichisches Strafgesetzbuch Oberster Gerichtshof Oberlandesgericht Obligationenrecht page Patientenverfügungs-Gesetz Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Recueil des Cours Revista Española de Salud Pública Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der Internationalen Wirtschaft Randnummer Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Rechtssache Rechtsprechung (ggf. st. ~ = ständige ~) siehe Satz, Seite Schweizerisches Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht Schweizerisches Zivilgesetzbuch section (Gesetzesabschnitt) Schweizerische Juristen-Zeitung sogenannte/r Staatsblad van het Koninkrijk der Nederlanden Strafgesetzbuch
Abkürzungsverzeichnis SWRÄG SZIER Tab. u.a. u.U. v. VersR vgl. VO Vorbem. VorE VRegV Wien Klin Wochenschr WZGA
YbPIL z.B. ZErb ZEuP ZEV ZGB Ziff. ZNotP ZöffR ZRP ZSR ZStW ZVW
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Sachwalterrechtsänderungsgesetz Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht Tabelle unter anderem unter Umständen vom Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht vergleiche Verordnung Vorbemerkung Vorentwurf Verordnung über das Zentrale Vorsorgeregister Wiener Klinische Wochenschrift Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über den Güterstand der WahlZugewinngemeinschaft Yearbook of Private International Law zum Beispiel Zeitschrift für die Steuer- und Erbrechtspraxis Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Zivilgesetzbuch Ziffer Zeitschrift für die Notarpraxis Zeitschrift für öffentliches Recht Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Schweizerisches Recht Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zeitschrift für Vormundschaftswesen
Einleitung Patientenverfügungen gewinnen in vielen europäischen Staaten als Lebensund als Rechtsphänomen an Bedeutung. Ursächlich dafür sind neben tiefgreifenden gesellschaftlichen Transformationsprozessen, die aus dem demographischen Wandel 1 und der kontinuierlichen Lockerung der familiären Strukturen resultieren, Erkenntnisgewinne der Medizin und Medizintechnik.2 Immer mehr Krankheiten sind heute in den westlichen Wohlstandsgesellschaften heilbar, und immer öfter kann der Tod selbst bei schweren Krankheiten und trotz Bewusstlosigkeit des Patienten hinausgezögert werden. Und auch die Pflege kranker Menschen hat einen Entwicklungsstand erreicht, der ermöglicht, dass sogar irreversibel bewusstlose P atienten, bei denen der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt hat, etwa Wachkomapatienten, über Jahrzehnte in einem vegetativen Zustand erhalten werden können, ohne dass sie zur Kommunikation fähig sind. 3 Folge dieser medizinischen Entwicklungen ist, dass immer mehr Menschen aus Angst vor einem Kontrollverlust den Wunsch verspüren, im Voraus für den Zustand der eigenen Handlungsunfähigkeit Festlegungen zu treffen, die in der medizinischen Behandlungssituation genauso Beachtung finden sollen wie ihr aktuell geäußerter Wille. 4 Viele europäische Rechtsordnungen haben diesem Wunsch zwischenzeitlich entsprochen und die Patientenverfügung gesetzlich geregelt. Mit der rechtlichen Anerkennung der Patientenverfügung stellt sich die Frage nach dem Umgang mit Patientenverfügungen, die einen Auslandsbezug aufweisen. Trotz ihrer praktischen Re-
1 Nach Prognosen des Statistischen Bundesamtes werden im Jahr 2060 ca. 30 % der deutschen Bevölkerung älter als 65 Jahre sein (Statistisches Bundesamt [Hrsg.], Statistisches Jahrbuch 2011, Tab. 2.35 [S. 63]; ebenso Statistisches Jahrbuch 2012, Tab. 2.5.1 [S. 50]). 2 Otto, NJW 2006, 2217 (2218); Riha, in: Duttge (Hrsg.), Ärztliche Behandlung am Lebensende, S. 23 f. 3 Heyers, Passive Sterbehilfe, S. 18. 4 In den letzten Jahrzehnten stand infolge des medizinischen Fortschritts mit der Sterbehilfe nicht nur das Ende des menschlichen Lebens, sondern mit den Themen Embryonenforschung und jüngst der Präimplantationsdiagnostik auch der Anfang des mensch lichen Lebens im Fokus des öffentlichen Interesses.
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Einleitung
levanz hat diese Fragestellung in Praxis und akademischem Schrifttum 5 bislang nur in Ansätzen Beachtung gefunden. Die nachstehende Untersuchung versucht, Lösungen für den Umgang mit grenzüberschreitenden Patientenverfügungen zu entwickeln. Der erste Teil der Arbeit widmet sich der Ausgestaltung der Patientenverfügung in ausgewählten europäischen Sachrechten. Zunächst wird auf die Weichenstellungen für die Anerkennung der Patientenverfügung eingegangen (§ 1). Rechtliche Anerkennung haben Patientenverfügungen erfahren, weil sie sich in bestehende rechtliche Strukturen des Erwachsenenschutzrechts und des Medizinrechts einfügen ließen. Beide Teildisziplinen sind in vielen europäischen Rechtsordnungen seit einigen Jahrzehnten durch eine Stärkung des Selbstbestimmungsrechts geprägt. Im Erwachsenenschutzrecht äußert sich dies in einer Abschaffung oder Ergänzung des Rechtsinstituts der Entmündigung durch flexible und personalisierte Instrumente hoheitlichen Erwachsenenschutzes sowie in der Anerkennung privater Vorsorgeinstrumente (A.). Im Medizinrecht manifestiert sich die Stärkung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten in der Anerkennung des informed consent als Voraussetzung für jede medizinische Behandlung (B.). Im Anschluss an die Darstellung der Weichenstellungen werden verschiedene Regelungskonzepte der Patientenverfügung in ausgewählten europäischen Rechtsordnungen beleuchtet (§ 2). Dabei wird sich zeigen, dass die Rechtsordnungen das Spannungsverhältnis zwischen Selbstbestimmung und Fürsorge bei der Patientenverfügung unterschiedlich aufgelöst haben: Mal senkt sich die Waagschale zugunsten der Freiheit, mal zugunsten der Fürsorge. Differenzen werden insbesondere mit Blick auf den zulässigen Inhalt von Patientenverfügungen sichtbar. Während in einigen Rechtsordnungen auch Anordnungen zu aktiver Sterbehilfe Gegenstand von Patientenverfügungen sein können, halten andere Rechtsordnungen nach wie vor am Verbot der aktiven Sterbehilfe fest. Schließen wird die Untersuchung mit einer Zusammenführung der gewonnenen Erkenntnisse (C.). Im zweiten Teil der Arbeit wird untersucht, wie mit Patientenverfügungen umzugehen ist, die eine Auslandsberührung aufweisen. Zunächst wird im Rahmen einer Bestandsaufnahme (§ 1) der Blick auf den Internationalisierungsprozess des Erwachsenenschutzes gelegt. Dabei wird sich zeigen, dass das Haager Erwachsenenschutzübereinkommen (Haager ESÜ) zwar eine Kollisionsregel für Vorsorgevollmachten, nicht aber für isolierte Patientenverfügungen kennt. Auf Grundlage der sich anschließenden Darstellung der Internationalisierung und Europäisierung der medizinischen Be5
Siehe etwa: Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, §§ 19 ff.; Heggen, ZNotP 2008, 184 (195); ders., FPR 2010, 272; Ga. Müller, in: dies./Renner, Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen, Rn. 908 ff.; DNotI, DNotI-Report 2007, 107 (110).
Einleitung
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handlung wird sodann versucht, die Patientenverfügung in das geltende europäische und deutsche Kollisionsrecht einzuordnen (§ 2). Dazu wird zunächst das in- und ausländische Meinungsspektrum beleuchtet (A.). Im Anschluss daran werden eigene Ordnungsversuche unternommen (B.). Ausgangspunkt dieser Überlegungen wird die im deutschen Schrifttum aufgeworfene Frage sein, ob im Kontext der Patientenverfügungen das Internationale Privatrecht oder das Internationale Strafrecht das anwendbare Recht bestimmt. Ergebnis der Ordnungsversuche wird sein, dass die Patientenverfügung überwiegend in die Regeln des Internationalen Privatrechts einzuordnen ist. Wegweiser für ein kollisionsrechtliches Lösungsmodell (C.) werden die Ermittlung der für die internationalprivatrechtliche Behandlung der Patientenverfügung maßgeblichen internationalprivatrechtlichen und materiellprivatrechtlichen Interessen (I.) und die Qualifikation der Patientenverfügung (II.) sein. Weil eine vollumfängliche Einordnung der Patientenverfügung in bestehende Kollisionsregeln abgelehnt werden wird, wird sodann ein Anknüpfungsgefüge für die Patientenverfügung entwickelt und ein Regelungsvorschlag formuliert werden (III.). Schließen wird die Arbeit mit einem Ausblick (Kapitel 3) und einer Zusammenfassung in Thesen (Kapitel 4).
Kapitel 1
Die Patientenverfügung im Sachrecht ausgewählter europäischer Rechtsordnungen Kapitel 1: Sachrecht ausgewählter europäischer Rechtsordnungen
Am Beginn der Untersuchung sollen diejenigen Entwicklungen nachgezeichnet werden, die die Anerkennung von Patientenverfügungen in den europäischen Rechtsordnungen ermöglicht und begünstigt haben (§ 1), nämlich die Stärkung der Selbstbestimmung des Einzelnen im Recht der staatlichen Fürsorge für schutzbedürftige Erwachsene (A.) und im Recht der medizinischen Heilbehandlung (B.). Die sich anschließende Untersuchung der gesetzlichen Regelungen der Patientenverfügung (§ 2) soll begonnen werden mit einer Darstellung ausgewählter ausländischer Regelungskonzepte der Patientenverfügung (A.). Diese Darstellung fungiert zugleich als Ansatzpunkt und Folie für eine Betrachtung der Entwicklung und Ausgestaltung der deutschen Regelung der Patientenverfügung (B.). Die gewonnenen Erkenntnisse (C.) sind Grundlage für die in Kapitel 2 folgende Untersuchung der Patientenverfügung im internationalen Rechtsverkehr.
§ 1 Weichenstellungen für die Anerkennung der Patientenverfügung § 1 Weichenstellungen für die Anerkennung der Patientenverfügung
Weichenstellungen für die Anerkennung der Patientenverfügung waren die Stärkung der Selbstbestimmung1 des Einzelnen im Recht der staatlichen Fürsorge für schutzbedürftige Erwachsene und im Recht der medizinischen Heilbehandlung. Gemeinsame Wurzel dieser Entwicklungen ist die in vielen europäischen Staaten im 20. Jahrhundert u.a. durch verfassungsrechtli1 Nach Hollerbach (Selbstbestimmung im Recht, S. 6) lässt sich das deutsche Wort „Selbstbestimmung“ erstmals für die Weimarer Klassik belegen, in der es zur Umschre ibung der „Prägung der individuellen Persönlichkeit als Vernunftwesen“ verwendet wu rde. Hollerbach verweist auf Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 10, Teil 1, Sp. 461, wo unter dem Stichwort „Selbstbestimmung“ eine Äußerung Goethes über Schiller zitiert wird: „er, im höchsten gefühl der freiheit und selbstbestimmung, war undankbar gegen die grosze Mutter (natur)“. Schiller wird zitiert: „reine selbstbestimmung überhaupt ist form der praktischen vernunft. handelt also ein vernunftwesen, so musz es aus reiner ve rnunft handeln, wenn es reine selbstbestimmung zeigen soll“.
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Kapitel 1: Sachrecht ausgewählter europäischer Rechtsordnungen
che und menschenrechtliche 2 Absicherungen erfolgte Stärkung der Selbstbestimmung in personalen Angelegenheiten. 3 A. Staatlicher Erwachsenenschutz und private Vorsorge in Europa Das Erwachsenenschutzrecht unterliegt in den europäischen Rechtsordnungen seit drei Jahrzehnten einem stetigen Reformprozess 4, an dem sich deutlich ablesen lässt, wie stark sich der Blick der Gesellschaft und der Blick des Rechts auf hilfsbedürftige Menschen und ihr Bedürfnis nach Selbstbestimmung in den vergangenen Jahrzehnten in der westlichen Welt verändert hat. Neben flexibilisierte Instrumente des staatlichen Erwachsenenschutzes (I.) sind autonomiesichernde Instrumente privater Vorsorge (II.) getreten. I. Von der Entmündigung zum flexibilisierten Erwachsenenschutz Das Erwachsenenschutzrecht war in den europäischen Staaten 5 über Jahrzehnte durch das paternalistische 6 Rechtsinstitut der Entmündigung ge2
Der EGMR leitet das Selbstbestimmungsrecht aus den Grundrechten auf Leben, Schutz vor unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, auf Freiheit und auf Schutz des Privatlebens (Art. 2, 3, 5, 8 EMRK) ab (Ganner, Selbstbestimmung im Alter, S. 49 m.w.N.). 3 Ganner, Selbstbestimmung im Alter, S. 49; Aigner, in: Körtner/Kopetzki/KletečkaPulker (Hrsg.), Das österreichische Patientenverfügungsgesetz, S. 74 f. 4 So auch die Beobachtung von Röthel, FamRZ 2004, 999. 5 Rechtsvergleichende Übersichten bei: BT-Drs. 11/4528, S. 48; Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, §§ 19-32; dies., FamRZ 2004, 999; Oelkers, Internat. Betreuungsrecht, S. 112 ff.; Guttenberger, Haager ESÜ, S. 7 ff.; Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 1 ff.; Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 3 ff.; aus jüngster Zeit: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa. 6 Paternalismus wird prägnant definiert als „ein Handeln zum Wohl des Betroffenen, und zwar auch gegen seinen Willen“ (Eidenmüller, JZ 2011, 814 [815 m.w.N.]). Ausführlicher fällt die Definition von Enderlein aus: Er definiert als paternalistisch „begründungsbedürftige Beeinträchtigungen der Freiheit einer Person dazu (…), Handlungsalternativen wählen zu können, deren Wahl – jedenfalls nach Auffassung des Eingreifenden – dem Wohl der Person abträglich wäre oder dieses nicht maximierte, sofern diese Fre iheitsbeeinträchtigung zumindest auch dem Zweck dient, die mögliche Selbstschädigung durch die Wahl der betreffenden Handlungsalternative zu verhindern“ ( Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 8). Rechtspaternalistische Akte sind rechtliche Akte, die diese Merkmale aufweisen (Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 8; ähnlich die Definition von Kirste, JZ 2011, 805 [806]). Unterschieden werden regelmäßig zwei Formen des Paternalismus: Während es beim harten Paternalismus um die Korrektur frei gewählter, individueller Präferenzen geht, ist Ziel des insbesondere aus verhaltensökonomischer Perspektive diskutierten weichen Paternalismus die Kompens ation bzw. Korrektur von Rationalitätsdefiziten im menschlichen Entscheidungsverhalten
§ 1 Weichenstellungen für die Anerkennung der Patientenverfügung
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prägt. Durch die Entmündigung wurde ein „einmal erlangter Geschäftsfähigkeitsgrad vollständig oder teilweise zurückgenommen oder dessen Eintreten verhindert“.7 Erst in den letzten Jahrzehnten haben viele europäische Staaten ihr Erwachsenenschutzrecht grundlegend reformiert. Dies geschah in dem Bestreben, die Rechtsstellung psychisch kranker und körperlich, geistig oder seelisch behinderter Menschen zu verbessern und ihnen Hilfe statt Bevormundung zu gewähren. 8 Am Anfang der Entwicklung stand Österreich im Jahr 1983 mit der Einführung der Sachwalterschaft (§§ 268 ff. ABGB)9, die an die Stelle der Entmündigung und die Vormundschaft getreten ist.10 Deutschland folgte mit dem im Jahre 1990 erlassenen und am 1.1.1992 in Kraft getretenen Betreuungsgesetz (BtG) 11 mit dem der Gesetzgeber auf eine lange geäußerte Kritik am geltenden Pflegschafts- und Vormundschaftsrecht, das alle tiefgreifenden Reformen des Familienrechts seit Inkrafttreten des BGB unbeschadet überlebt hatte, reagierte. 12 Während das BGB bereits bei Inkrafttreten im Vermögensrecht stark am Grundsatz der Privatautonomie orientiert und auf dieser Grundlage weitgehend liberal ausgerichtet war, trug es im Personen- und Familienrecht eher paternalistische Züge. Seine vormundschaftsrechtlichen Bestimmungen waren geprägt durch die seit dem Mittelalter vorherrschende Tendenz, dem unter Vormundschaft gestellten Erwachsenen die rechtliche Handlungsfähigkeit abzusprechen. 13 Schon recht bald nach seinem Inkrafttreten (Eidenmüller, JZ 2011, 814 [815]; Kirste, JZ 2011, 805 [806]; zu weiteren Formen des Paternalismus: Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 15 ff.). 7 Oelkers, Internat. Betreuungsrecht, S. 49; siehe auch Röthel, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europ. Privatrechts, Stichwort Betreuung, S. 200. 8 So die Begründung in BT-Drs. 11/4528, S. 1, 52 ff.; Oelkers, Internat. Betreuungsrecht, S. 45; Röthel, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europ. Privatrechts, Stichwort Betreuung, S. 200 f.; Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 164; Preisner, FamRZ 2011, 89 (90). 9 Bundesgesetz v. 2.2.1983 über die Sachwalterschaft für behinderte Personen, BGBl. I Nr. 136/1983. 10 Röthel, FamRZ 2004, 999 (1001); Oelkers, Internat. Betreuungsrecht, S. 149–158. 11 Gesetz zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige (Betreuungsgesetz – BtG) v. 12.9.1990, BGBl. 1990 I 2002, in Kraft getreten am 1.1.1992. 12 BT-Drs. 11/4528, S. 46; Oelkers, Internat. Betreuungsrecht, S. 48; v. Sachsen Gessaphe, Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter, S. 12; Überblick über die vereinzelt gebliebenen Reformen des Vormundschaftsrechts bei MünchKommBGB/Schwab, Vor § 1773 Rn. 7 ff. 13 Von der aus dem römischen Recht stammenden gemeinrechtlichen Lehre der Maßgeblichkeit von lucida intervalla hatte sich bereits die Sächsische Vormundschaftsordnung aus dem Jahre 1782 gelöst (Holzhauer, Gutachten 57. DJT, B14 ff., B111). In dieser Tradition kannte das BGB seit seinem Inkrafttreten als Rechtsinstitut für schutzb edürftige Volljährige die Vormundschaft (§§ 1896–1908 BGB a.F.), die eine Entmündigung i.S. des § 6 BGB a.F. durch das Prozessgericht und damit die konstitutive Festste l-
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Kapitel 1: Sachrecht ausgewählter europäischer Rechtsordnungen
stieß das Vormundschaftsrecht des BGB auf Akzeptanzprobleme in Praxis und Wissenschaft.14 Kritik entzündete sich insbesondere an den starren Rechtsfolgen der Entmündigung, dass nämlich der Geschäftsfähigkeitsgrad des Betroffenen mit konstitutiver Wirkung ohne Rücksicht auf verbliebene Handlungs- und Einsichtsfähigkeiten herabgesetzt wurde. 15 Auch die automatische Gleichstellung des schutzbedürftigen Volljährigen mit einem unter sieben Jahre alten Kind wurde als unverhältnismäßiger Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit angesehen. 16 Diese und weitere17 Bedenken führten dazu, dass die Praxis, um dem Selbstbestimmungsrecht des Fürsorgebedürftigen gerecht zu werden, schon vor der Reform anstelle der Entmündigung zunehmend die Zwangspflegschaft anordnete. 18 Ausgehend davon, dass die Entmündigung ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte bzw. in rechtsstaatliche Prinzipien sei 19, hob der Gesetzgeber das starre Vormundschafts- und Pflegschaftsrecht für Volljährige im Jahr 1990 auf und ersetzte es durch das Rechtsinstitut der Betreuung. 20 Dies bedeutete zugleich eine Loslösung der Fürsorge für Erwachsene von der
lung der fehlenden oder beschränkten Geschäftsfähigkeit des Betroffenen voraussetzte (v. Sachsen Gessaphe, Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter, S. 11). Daneben regelte das BGB die Pflegschaft, insbesondere die nur für Volljährige geltende Gebrechlic hkeitspflegschaft des § 1910 BGB a.F., die ausschließlich für körperlich und geistig gebrechliche Personen in Betracht kam, die nicht entmündigt waren (Oelkers, Internat. Betreuungsrecht, S. 49). Die Pflegschaft hing in ihrer Reichweite „von der gerichtlichen Übertragung im Einzelfall ab“ und „ihre Anordnung setzte entweder die Zustimmung des Betroffenen oder die deklaratorische Feststellung seiner (partiellen) natürlichen G eschäftsunfähigkeit voraus“, ohne aber selbst unmittelbare Auswirkungen auf die G eschäftsfähigkeit des Betroffenen zu haben (so v. Sachsen Gessaphe, Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter, S. 12; Oelkers, Internat. Betreuungsrecht, S. 49). Die Zweiteilung in Vormundschaft und Pflegschaft wurzelte im römischen Recht, das die tutela für die Unmündigen bis zur Geschlechtsreife und Frauen sowie die cura für die Minderjährigen bis zum 25. Lebensjahr sowie für prodigi (Verschwender), furiosi (Geisteskranke), dementes und außerdem für körperlich Gebrechliche kannte (Holzhauer, Gutachten 57. DJT, B14 f.; ausführlich zu den Fürsorgeinstituten des römischen Rechts v. Sachsen Gessaphe, Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter, S. 82 ff.; Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, §§ 62-64). 14 Holzhauer, Gutachten 57. DJT, B29; v. Sachsen Gessaphe, Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter, S. 12. 15 Holzhauer, Gutachten 57. DJT, B29 ff.; Oelkers, Internat. Betreuungsrecht, S. 54. 16 Oelkers, Internat. Betreuungsrecht, S. 54. 17 Ausführlich die Darstellung bei v. Sachsen Gessaphe, Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter, S. 12 ff. 18 BT-Drs. 11/4528, S. 46. 19 BT-Drs. 11/4528, S. 49 ff. 20 Eisenbart, Patienten-Testament, S. 187.
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Vormundschaft für Minderjährige. 21 Im Ansatz zeichnen sich Betreuung und Vormundschaft über Minderjährige aber bis heute durch funktionale Identität aus: Beide Rechtsinstitute eröffnen dem Betroffenen eine Integration in den Rechts- und Wirtschaftsverkehr und dienen seinem Schutz. 22 Im Gegensatz zum deutschen und österreichischen Recht kennen andere Rechtsordnungen nicht nur ein, sondern mehrere Erwachsenenschutzinstitute unterschiedlicher Reichweite, unter denen im konkreten Einzelfall auszuwählen ist.23 Abgestuften staatlichen Erwachsenenschutz kennen etwa das französische Recht (sauvegarde de justice, curatelle, tutelle)24, das belgische Recht (administration provisoire, minorité prolongé, assistance du conseil judiciaire, interdiction judiciaire)25, das niederländische Recht (curatele, onderbewindstellig, mentorschap)26, das griechische Recht (verschiedene Typen der gerichtlichen Beistandschaft)27 und das italienische Recht (amministrazione di sostegno, interdizione, inabilitazione)28. Zu der stetig sinkenden Zahl der europäischen Staaten, die ihr Erwachsenenschutzrecht noch nicht umfassend reformiert haben und nach wie vor dem traditionellen System der Vormundschaft und Entmündigung folgen, 21
Röthel, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europ. Privatrechts, Stichwort Betreuung, S. 200; v. Sachsen Gessaphe, Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter, S. 22. 22 Röthel, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europ. Privatrechts, Stichwort Betreuung, S. 200. 23 Guttenberger, Haager ESÜ, S. 9; Überblick über den Stand der Gesetzgebung in anderen europäischen Rechtsordnungen im Jahr 1999 bei Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 16, Fn. 32. 24 Jüngste Reform durch Loi nº2007-308 du 5 mars 2007 portant réforme de la protection juridique des majeurs, JORF nº56 du 7 mars 2007, p. 4325, in Kraft getreten am 1.1.2009; Ferrand, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 223 (226 ff.); Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 24 Rn. 9 ff.; dies., FamRZ 2004, 999. 25 Art. 487bis-515 C.c.; Pintens, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 263 (264 ff.). 26 Art. 1-378 ff., 1-431 ff., 1-450 ff. Burgerlijk Wetboek; Breemhaar, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 183 (184 f.); Röthel, FamRZ 2004, 999 (1002). 27 Gesetz Nr. 2447/1996; Koutsouradis, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 161 (164 ff.). 28 Jüngste Reform (Einführung der Betreuung) durch Legge 9.1.2004, N. 6 Introduzione nel libro primo, titolo XII, del codice civile del capo I, relativo all’istituzione dell’amministrazione di sostegno e modifica degli articoli 388, 414, 417, 418, 424, 426, 427 e 429 del codice civile in materia di interdizioni e di inabilitazione, nonche‘ relative norme di attuazione, di coordinamento e finali, Gazzetta Ufficiale n. 14 del 19.1.2004; dazu: Patti, FamRZ 2006, 987; ders., in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 281 (285 ff.); Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 27 Rn. 1.
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gehören heute insbesondere osteuropäische Staaten, etwa Polen29 und Slowenien30. Es bleibt abzuwarten, ob auch sie in naher Zukunft dem Vorbild ihrer europäischen Nachbarn und der bereits im Jahr 1999 vom Ministerkomitee des Europarates ausgesprochenen, allerdings nicht rechtsverbindlichen Empfehlung über die Grundsätze des Rechtsschutzes für nicht entscheidungsfähige Erwachsene 31 folgend ihr Erwachsenenschutzrecht modernisieren. II. Private Vorsorge durch Betreuungsverfügung und Vorsorgevollmacht Auch ein flexibel ausgestaltetes Erwachsenenschutzrecht bedeutet für den schutzbedürftigen Betroffenen eine Einbuße an Selbstbestimmung, weil er regelmäßig kein oder nur ein geringes Mitspracherecht im Rahmen der Auswahl der Fürsorgeperson hat. 32 Diese Fremdbestimmung lässt sich vermeiden, jedenfalls aber minimieren, wenn der Betroffene Vorsorge für den Eintritt der eigenen Fürsorgebedürftigkeit trifft. 33 Weil dies zugleich auch der Achtung des Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen entspricht, haben viele europäische Staaten entweder zeitgleich mit der Reform des Erwachsenenschutzrechts oder einige Jahre später Vorsorgeverfügungen rechtliche Anerkennung verliehen. 34 In Deutschland stehen seit den 1990er Jahren die Betreuungsverfügung (1.) und die Vorsorgevollmacht (2.) als Instrumente privater Vorsorge zur Verfügung. Sie entsprechen dem dem Privatrecht zugrunde liegenden Ordnungsprinzip der Privatautonomie. Die Vorsorgevollmacht ist zugleich Ausdruck des Subsidiaritätsgedankens: Der Staat als größere soziale Ge29 Art. 13, 16 Kodeks cywilny v. 23.4.1964; zum polnischen Erwachsenenschutzrecht ausführlich Bugajski, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 96 (98 ff.). 30 Art. 44 ff. des Gesetzes über das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, Uradni list SRS Nr. 69/2004; zum slowenischen Erwachsenenschutzrecht ausführlich: Novak, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S.121 ff. 31 Council of Europe, Recommendation No. R (99) 4 of the Committee of Ministers to Member States on Principles concerning the legal protection of incapable adults; erwähnt etwa auch bei Breemhaar, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 183 (184 und Fn. 4). 32 Guttenberger, Haager ESÜ, S. 17. 33 Guttenberger, Haager ESÜ, S. 17. 34 Röthel, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europ. Privatrechts, Stichwort Betreuung, S. 201; Preisner, FamRZ 2011, 89 (90); rechtsvergleichende Übersichten etwa bei: Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, §§ 19-32; dies., FamRZ 2004, 999; dies., FPR 2007, 79; Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 3 ff. (insb. zur Vorsorgevollmacht und zu vergleichbaren ausländischen Rechtsinstituten); Guttenberger, Haager ESÜ, S. 17 ff.; Kalchschmid, FamZ 2006, 90 (zur Patientenverfügung); aus jüngster Zeit: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa.
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meinschaft muss dort nicht mehr tätig werden, wo die kleinere soziale Einheit (Einzelperson, Familie) sachgerecht Verantwortung übernehmen kann.35 Anders als etwa im österreichischen Recht (§ 284b ABGB)36 konnten sich aber Pläne zur Einführung der gesetzlichen Vertretungsmacht für nahe Angehörige, die eine Stärkung der familiären Solidarität bedeuten würde, in Deutschland bislang nicht durchsetzen. 37 1. Betreuungsverfügung Durch Betreuungsverfügung kann der Betroffene für den Fall seiner späteren Betreuungsbedürftigkeit Vorschläge zur Person des Betreuers machen (§ 1897 Abs. 4 S. 3 BGB) und seine Vorstellungen und Wünsche hinsichtlich der Lebensführung nach Eintritt des Betreuungsfalles (§ 1901 Abs. 3 S. 2 BGB) zur Wahrnehmung durch den Betreuer äußern und festlegen (§ 1901c S. 1 BGB).38 Die nicht formgebundene 39 Betreuungsverfügung macht eine staatliche Fürsorgeanordnung also nicht entbehrlich, sondern wirkt betreuungsgestaltend. 40 Betreuer und Betreuungsgericht sind an die Festlegungen der Betreuungsverfügung grundsätzlich gebunden. Einschränkungen der Verbindlichkeit ergeben sich aber aus dem betreuungsrechtlichen Wohl-Vorbehalt: Betreuer und Betreuungsgericht haben den in der Betreuungsverfügung niedergelegten Wünschen des Betreuten (nur) zu entsprechen, soweit dies dessen Wohl nicht zuwiderläuft und dem Betreuer 35
Zu den Grundprinzipien und Aufgaben des Privatrechts: Larenz/Wolf, BGB AT, § 1
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Nun ebenso die Schweiz (Art. 374 ff. ZGB). In Norwegen wurde mit dem am 26.3.2010 erlassenen neuen Gesetz über die Vormundschaft (Lov om vergemål [ve rgemålsloven], 26.3., Nr. 9, 2010) eine gesetzliche Vertretung der nächsten Angehörigen bei Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen eingeführt. Allerdings beschränkt sic h die Vertretungsbefugnis auf die Vermögenssorge (§ 94), dazu Frantzen, FamRZ 2010, 1497 (1498). Zur gesetzlichen Vertretungsmacht naher Angehöriger siehe auch Preisner, FamRZ 2011, 89 (90). 37 Eine vom Bundesrat beabsichtigte Änderung des Betreuungsrechts sah vor, dass ein Ehegatte für den entscheidungsunfähigen Ehegatten bzw. ein volljähriges Kind für seinen entscheidungsunfähigen Elternteil Erklärungen im Bereich der Gesundheitssorge abgeben darf (§§ 1358a, 1618b BGB-E; BR-Drs. 865/03). Die entsprechenden Pläne sind während des Gesetzgebungsverfahrens im Rechtsausschuss des Bundestages unter Hinweis auf die bestehende Gefahr des Missbrauchs der gesetzlichen Vertretungsmacht verworfen wo rden (BT-Drs. 15/4874, S. 26). Ausführlich Staudinger/Bienwald, § 1904 Rn. 5. 38 Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 20 Rn. 11; Guttenberger, Haager ESÜ, S. 18. 39 Mit der Einführung der Ablieferungspflicht für Betreuungsverfügungen in § 1901a S. 1 BGB a.F. (jetzt § 1901c S. 1 BGB) sollte auch nicht mittelbar ein Formzwang für Betreuungsverfügungen eingeführt werden (Staudinger/Bienwald, § 1901a Rn. 1 mit Verweis auf BT-Drs. 11/4528, S. 208). 40 Röthel, in: Hausmann/Hohloch (Hrsg.), Handbuch des Erbrechts, S. 1093.
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zuzumuten ist (§§ 1897 Abs. 4 S. 1, 3, 1901 Abs. 3 S. 1, 2 BGB).41 Diese Verbindlichkeitsgrenze steht nicht nur im Spannungsverhältnis zur Selbstbestimmung des Betreuten, sondern bewirkt auch, dass die Einwirkungsmöglichkeiten der Betreuungsverfügung deutlich hinter der der Vorsorgevollmacht zurückbleiben. 42 Die Bindungswirkung der Betreuungsverfügung erlischt, wenn der Betroffene an seinen in der Betreuungsverfügung genannten Wünschen erkennbar nicht festhalten will (§§ 1901a Abs. 3 S. 2, 1897 Abs. 4 S. 3 BGB).43 Der Betreuungsverfügung vergleichbare Rechtsinstrumente kennen auch andere europäische Rechtsordnungen, etwa das gesamtspanische Recht (autotutela, Art. 223 C.c.)44. 2. Vorsorgevollmacht Als Vorsorgevollmachten werden Vollmachten bezeichnet, mit denen der Betroffene eine von ihm ausgewählte Person seines Vertrauens nach §§ 164 ff. BGB dazu bevollmächtigt, im Namen und mit Wirkung für ihn Erklärungen gegenüber Dritten abzugeben, zu denen er selbst infolge eines alters- oder krankheitsbedingten Verlusts der Geschäftsfähigkeit nicht mehr in der Lage ist oder die er nicht mehr eigenständig durchsetzen möchte.45 Die Vorsorgevollmacht war im BGB von Beginn an angelegt, denn eine einmal wirksam erteilte Vollmacht überdauert wegen §§ 168 S. 1, 672 S. 1 BGB nicht nur den Tod, sondern auch den Verlust der Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers.46 Rechtlich verselbständigt wurde die Vorsorgevollmacht in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Während Vorsorgevollmachten in Vermögensangelegenheiten rasch Zustimmung im deutschen Schrifttum fanden, stießen Vorsorgevollmachten in personalen Angelegenheiten zunächst auf Kritik. 47 Stark umstritten war insbesondere, ob einem Bevollmächtigten auch die Entscheidung über die Vornahme oder Nicht-
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Lipp, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 4 Rn. 12. v. Sachsen Gessaphe, Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter, S. 255. 43 Röthel, in: Hausmann/Hohloch (Hrsg.), Handbuch des Erbrechts, S. 1095. 44 Eingefügt durch Ley 41/2003, de 18 noviembre, de protección patrimonial de las personas con discapacidad y de modificación del Código Civil, de la Ley de Enju iciamiento Civil y de la Normativa Tributaria con esta finalidad, B.O.E. núm. 277, de 19.11.2003, 40852 ff.; dazu und zum katalanischen Recht: Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 6 f., 31 ff.; Ferrer i Riba, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 245 (248 ff.) 45 Keilbach, FamRZ 2003, 969 (970); Lipp, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 4 Rn. 14 ff. 46 Röthel/Woitge, IPRax 2010, 494; Röthel, in: Hausmann/Hohloch (Hrsg.), Handbuch des Erbrechts, S. 1085. 47 Röthel, AcP 211 (2011), 196 (197 f.); Röthel/Woitge, IPRax 2010, 494. 42
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vornahme einer medizinischen Behandlung übertragen werden kann. 48 Die teilweise Ablehnung dessen unter Verweis auf die Höchstpersönlichkeit von medizinischen Entscheidungen 49 belegt, dass die Selbstbestimmung im Bereich personaler Güter und Interessen lange Zeit im Schatten der klassischen, überwiegend den Bereich des Vermögensrechts betreffenden Ausprägungen der Privatautonomie 50 stand.51 Die Anerkennung von Vorsorgevollmachten in medizinischen Angelegenheiten wurde mit Inkrafttreten des 1. BtÄndG52 im Jahr 1999 gesetzlich verankert. Heute ist anerkannt, dass die Vollmacht sich auf einzelne Geschäfte oder umfassend auf alle persönlichen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten erstrecken kann, soweit sie nicht vertretungsfeindlich sind.53 Die wirksame Errichtung der Vorsorgevollmacht setzt die Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers im Zeitpunkt der Erteilung der Vollmacht voraus. 54 Die Errichtung ist grundsätzlich formlos möglich (§ 167 Abs. 2 BGB).55 Allerdings müssen Vorsorgevollmachten für bestimmte, lebensbedrohliche medizinische Entscheidungen besondere formelle Anforderungen erfüllen, nämlich diese Entscheidungen ausdrücklich umfassen und schriftlich erteilt sein (§ 1904 Abs. 5 S. 2 BGB). Dieses besondere Formerfordernis dient der Warnung des Vollmachtgebers, der nicht voreilig entscheiden, sondern sich darüber bewusst sein soll, dass er dem Bevollmächtigten existenzielle Entscheidungsbefugnisse über seine körperliche Integrität überträgt. 56 Während die Vollmacht allein die Kompetenz des Bevollmächtigten, für den Vollmachtgeber im Rechtsverkehr zu handeln, begründet, ergibt sich die Befugnis dazu nicht aus der Vollmacht, sondern aus dem ihr zugrunde lie48
Röthel, AcP 211 (2011), 196 (198); Keilbach, FamRZ 2003, 969 (979). So etwa: Schwab, FamRZ 1992, 493 (495 f.); ders., in: FS für Gernhuber, S. 815 (820 f.); befürwortend aber: U. Walter, Vorsorgevollmacht, S. 201 ff., insb. S. 212; Uhlenbruck, in: FS für Deutsch (1999), S. 849 (852 f.). 50 Zu den klassischen Ausprägungen der Privatautonomie zählen die Vertrags-, Vereinigungs- und Testierfreiheit (Berger, JZ 2000, 797). 51 Vgl. Röthel, AcP 211 (2011), 196 (199). 52 § 1904 Abs. 2 BGB eingefügt durch Art. 1 Nr. 14 des Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts sowie weiterer Vorschriften (Betreuungsrechtsänderungsgesetz, BtÄndG) v. 25.6.1998, BGBl. 1998 I 1580, in Kraft getreten am 1.7.1998. § 1901a S. 2 und 3 eingefügt durch Art. 1 Nr. 11 lit. a, b des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts (Zweites Betreuungsrechtsänderungsgesetz, 2. BtÄndG) v. 21.4.2005, BGBl. 2005 I 1073, in Kraft getreten am 1.7.2005. 53 Palandt/Götz, Einf. v. § 1896 Rn. 5; Röthel, in: Hausmann/Hohloch (Hrsg.), Handbuch des Erbrechts, S. 1085. 54 Palandt/Götz, Einf. v. § 1896 Rn. 5; Röthel, in: Hausmann/Hohloch (Hrsg.), Handbuch des Erbrechts, S. 1085; Keilbach, FamRZ 2003, 969 (979). 55 Röthel, in: Hausmann/Hohloch (Hrsg.), Handbuch des Erbrechts, S. 1087; Keilbach, FamRZ 2003, 969 (979). 56 BT-Drs. 13/7158, S. 34. 49
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genden Rechtsverhältnis zwischen Geschäftsherrn und Bevollmächtigtem (vgl. § 168 S. 1 BGB).57 Weil die staatliche Betreuung in Achtung und zum Schutz des Selbstbestimmungsrechts unter dem Postulat der Subsidiarität (§ 1896 Abs. 2 BGB) steht, lässt eine Bevollmächtigung durch Vorsorgevollmacht die Notwendigkeit der staatlichen Betreuung entfallen.58 Auch die meisten europäischen Rechtsordnungen haben zwischenzeitlich mit der Vorsorgevollmacht vergleichbare Rechtsinstitute geschaffen. 59 In England und Wales bestand bereits seit dem Jahr 1986 mit dem Inkrafttreten des Enduring Powers of Attorney Act 60 die Möglichkeit zur Erteilung einer Vollmacht in finanziellen Angelegenheiten (enduring power of attorney), die auch nach Eintritt der Entscheidungsunfähigkeit des Vollmachtgebers Wirkungen entfaltet. 61 Der im Jahr 2007 in Kraft getretene Mental Capacity Act 200562 schuf mit der lasting power of attorney zusätzlich die Möglichkeit zur Erteilung einer Vollmacht, die sich auf die Personensorge im Fall der Entscheidungsunfähigkeit des Vollmachtgebers erstreckt. 63 Nachdem in Österreich zunächst die allgemeinen Vertretungsregeln Anwendung fanden, ist die Vorsorgevollmacht dort seit dem Jahr 2007 gesetzlich geregelt (§§ 284 f–h ABGB).64 Der deutschen Vorsorgevollmacht
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Der Treuhandvertrag ist ausgestaltet als unentgeltlicher Auftrag (§ 662 BGB), entgeltlicher Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 677 BGB) oder Dienstvertrag (§ 661 BGB), (Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 194; ders., in: FS für Schapp, S. 383 [395]; ausführlich Löhnig, in: ders. et al [Hrsg.], Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 15 [16 ff.]). 58 v. Sachsen Gessaphe, Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter, S. 255; Saliger, in: Albers (Hrsg.), Patientenverfügungen, S. 157 (162 f.). 59 Rechtsvergleichende Übersichten bei Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, §§ 22-31; dies., FamRZ 2004, 999 (1002 ff.); dies., FPR 2007, 79; Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 165 ff.; Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 3 ff., 34 ff. (zum spanischen Recht); Ga. Müller, in: dies./Renner, Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen, Rn. 911 ff.; aus jüngster Zeit: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa; Überblick auch bei Röthel, AcP 211 (2011), 196 (198, Fn. 8). 60 Enduring Powers of Attorney Act 1985, in Kraft getreten am 10.3.1986, abrufbar unter: . 61 Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 29 Rn. 1. 62 Mental Capacity Act 2005, in Kraft getreten am 1.10.2007, abrufbar unter: ; dazu: Röthel/Heßeler, FamRZ 2006, 529 ff. 63 Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 3. 64 Eingefügt durch Bundesgesetz mit dem das Sachwalterrecht im Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch und das Ehegesetz, das Außerstreitgesetz, das Konsumente nschutzgesetz, das Vereinssachwalter- und Patientenanwaltsgesetz, die Notariatsordnung, das Gerichtsorganisationsgesetz und das Berufsrechts-Änderungsgesetz 2006 geändert werden (Sachwalterrechts-Änderungsgesetz 2006 – SWRÄG 2006), BGBl. I Nr. 92/2006;
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verwandte Rechtsinstitute kennen außerdem – nicht abschließend – das französische Recht (mandat de protection future, Art. 477-497 C.c.65) und das finnische Recht (intressebevakningsfullmakt, §§ 38-40)66. Auch in der Schweiz ist jüngst eine gesetzliche Regelung des Vorsorgeauftrages in Kraft getreten (Art. 360 ZGB).67 Die europäischen Regelungen divergieren in Bezug auf Begrifflichkeiten und auf die Errichtungsvoraussetzungen, den Wirkungszeitpunkt, die Übertragung von Pflichten auf den Bevollmächtigten und die Kontrollbedürftigkeit des Bevollmächtigten.68 III. Fazit Viele europäische Staaten haben im Zuge der Reform ihres Erwachsenenschutzrechts das Selbstbestimmungsrecht hilfsbedürftiger Personen deutlich gestärkt. Dies manifestiert sich in der Abschaffung bzw. Schwächung des Rechtsinstituts der Entmündigung und der Schaffung neuer Rechtsinstrumente privater Vorsorge. B. Die Anerkennung der Patientenautonomie Patientenverfügungen enthalten Anordnungen für medizinische Maßnahmen und berühren damit den Grenzbereich zwischen Leben und Tod und das Verhältnis von Autonomie und Lebensschutz. Insbesondere für Ärzte geht es bei der Frage, ob der Einzelne über das eigene Leben und Sterben (bindend) entscheiden kann, auch um das Verhältnis von Patientenautonomie und ärztlicher Fürsorge und damit zugleich um Fragen des ärztlichen Selbstverständnisses, das, wie nun zu zeigen sein wird, in den europäischen Staaten bis in die jüngere Vergangenheit paternalistisch geprägt war. Die Anerkennung des Patientenwillens als Grundlage der ärztlichen Behandlung ist, auch wenn sie uns heute selbstverständlich erscheint, eine verhältnismäßig junge Erscheinung und Errungenschaft, die in den europäischen Staaten zu einem fundamentalen Wandel der Arzt-Patientendazu etwa: Ferrari, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 139 (148 ff.); Jud, ÖAnwBl 2007, 11. 65 Eingefügt durch Loi nº2007-308 du 5 mars 2007 portant réforme de la protection juridique des majeurs, JORF nº56 du 7 mars 2007, p. 4325, in Kraft getreten am 1.1.2009; Ferrand, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 223 (228 ff.). 66 Lag om intressebevakningsfullmakt v. 25.5.2007/648, abrufbar unter: ; auch erwähnt bei Röthel/Woitge, IPRax 2010, 494. 67 Aebi-Müller/Bienz, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 57 (69 ff.); Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 5 f. 68 Ausführlich Preisner, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 327 (338 ff.).
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Beziehung beigetragen hat.69 Gemeinsam mit der Anerkennung der Selbstbestimmung des Hilfsbedürftigen im staatlichen Erwachsenenschutzrecht war die Anerkennung und Stärkung des Patientenselbstbestimmungsrechts Voraussetzung und Wegbereiterin für die Akzeptanz der Patientenverfügung. I. Selbstbestimmung des Einzelnen in der Medizin Oberstes Gebot der Medizin war lange Zeit nicht der Wille, sondern das Wohl des Kranken.70 1. Der lange Schatten des Hippokratischen Eides Schon in der Antike wurden aber Grenzen und Möglichkeiten des ärztlichen Handelns thematisiert. 71 Besondere Bedeutung erlangte der Corpus hippocraticum, insbesondere der Hippokratische Eid72. Der Corpus hippocraticum war nicht nur die wichtigste medizinische Textsammlung der Antike, sondern ist auch der älteste überlieferte Ansatz einer Normierung moralischer Standards für das ärztliche Handeln im europäischen Kulturkreis.73 Der Hippokratische Eid maß der Verpflichtung des Arztes auf das Wohl des Patienten und dem Gebot der Schadensvermeidung, das sich in der Haltung primum nil nocere niedergeschlagen hat 74, zentrale Bedeutung zu: „Ich will diätetische Maßnahmen zum Vorteil der Kranken anwenden und nach meinem Können und Urteil; ich will sie vor Schaden und Unrecht bewahren“. Der Eid verbietet die Tötung auf Verlangen und die Beihilfe zum Selbstmord: „Nie werde ich, auch nicht auf eine Bitte hin, ein tödli69
Ähnlich Damm, MedR 2002, 375 (377). Vgl. Geißendörfer, Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen, S. 60. 71 Zu weiteren geschichtlichen Epochen: Katzenmeier, Arzthaftung, S. 6 f. 72 Der Hippokratische Eid lautet (nach der Übersetzung bei Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1730) auszugsweise: „Ich schwöre bei Apollon, dem Arzte, und Asklepios und Hygieia und Panakeia und allen Göttern und Göttinnen als Zeugen, dass ich nach meinem besten Vermögen und Urteil diesen Eid und diese Verpflichtung erfüllen werde: (…) Meine Verordnungen werde ich treffen zu Nutz und Frommen der Kranken nach meinem besten Vermögen und Urteil, sie schützen vor allem, was ihnen Schaden und U nrecht zufügen könnte. Nie werde ich, auch nicht auf eine Bitte hin, ein tödliches wirkendes Gift verabreichen oder auch nur einen Rat dazu erteilen; gleicherweise werde ich niemals einer Frau ein fruchtabtreibendes Zäpfchen geben. (…)“; in abweichender Übersetzung abgedruckt bei Wiesing, in: ders. (Hrsg.), Ethik in der Medizin, S. 40 ff.; Laufs, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 4 Rn. 13. 73 Marckmann/Bormuth/Wiesing, in: Wiesing (Hrsg.), Ethik in der Medizin, S. 29, die auch darauf hinweisen, dass die Wurzeln medizinischer Theorie und Praxis weit vor der Zeit des Hippokrates von Kos (460-375 v. Chr.) liegen. 74 Peintinger, Ethische Grundfragen in der Medizin, S. 59; Wiesing, in: ders. (Hrsg.), Ethik in der Medizin, S. 37. 70
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ches wirkendes Gift verabreichen oder auch nur einen Rat dazu erteilen.“75 Ein hippokratischer Aphorismus lautet: „Nicht allein der Arzt muss in seinem Tun diese Bedingungen 76 einsehen, auch der Patient, seine Angehörigen und die Umwelt müssen sich an diese Wahrheiten halten.“ 77 Diese Grundsätze galten über Jahrhunderte als von den jeweiligen Zeitumständen unabhängiges „Grundgesetz ärztlicher Sittlichkeit“ 78 oder aber – zurückhaltender formuliert – als „vereinigender Bezugspunkt des ärztlichen Selbstverständnisses“79, das von Juden, Christen, Muslimen und Atheisten, von den Ärzten der Renaissance, des Barocks und der Aufklärung als Botschaft ärztlicher Ethik begriffen wurde.80 Die im Hippokratischen Eid verankerten moralischen und philosophischen Wertvorstellungen haben, obwohl sie mit Respekt vor der Selbstbestimmung des Patienten noch nichts zu tun hatten, bis heute in Europa wie auch international für die ärztliche Berufsausübung, das ärztliche Selbstverständnis und die medizinethische Diskussion herausragende Bedeutung. 81 Insbesondere die Verpflichtung auf das Wohl des Patienten, die Schadensvermeidung und das Verbot, die Situation des Kranken zum eigenen Vorteil auszunutzen, gelten als Garanten für ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Arzt und Patient, weil sie die moralische Redlichkeit der Ärzte sichern. 82 So steht auch das heute noch der (Muster-)Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte 83 leicht modifiziert vorangestellte Genfer Gelöbnis des Weltärztebundes aus dem Jahre 194884 in unmittelbarer Tradition des Hippokratischen Eids und gilt als dessen modernisierte Version. 85 75 Dazu: Laufs, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 6 Rn. 10; zur historischen Entwicklung ärztlicher Sterbehilfe: E. Schumann, Dignitas Voluntas Vita, S. 9 ff. 76 Zu verstehen als die Bedingungen der ärztlichen Heilkunst (Nitschmann, ArztPatienten-Verhältnis, S. 29). 77 Nitschmann, Arzt-Patienten-Verhältnis, S. 29 m.w.N. 78 Duttge, in: ders. (Hrsg.), Perspektiven des Medizinrechts, S. 1 (4). 79 Wiesing, in: ders. (Hrsg.), Ethik in der Medizin, S. 39. 80 Laufs, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 4 Rn. 14; Wiesing, in: ders. (Hrsg.), Ethik in der Medizin, S. 38, weist darauf hin, dass der Hippokratische Eid in der Antike weithin unbekannt war und erst in der christlichen und islamischen Kultur des Mittelalters an Bedeutung gewann. 81 Nitschmann, Arzt-Patienten-Verhältnis, S. 27; Wiesing, in: ders. (Hrsg.), Ethik in der Medizin, S. 39. 82 Wiesing, in: ders. (Hrsg.), Ethik in der Medizin, S. 38 f. 83 (Muster-)Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte – MBO-Ä 1997 – in der Fassung der Beschlüsse des 114. Deutschen Ärztetages 2011 in Kiel. 84 Deutsche Fassung abrufbar unter: ; in englischer Fassung abgedruckt bei Laufs, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 4 Rn. 16. 85 Wiesing, in: ders. (Hrsg.), Ethik in der Medizin, S. 39 f., der darauf hinweist, dass die unmittelbare Tradition auch sichtbar wird am französischen Untertitel des Gelöbnisses: „Serment d’Hippocrate, formule de Genève“.
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2. Die asymmetrische Arzt-Patienten-Beziehung Die Arzt-Patienten-Beziehung wird bis in die Gegenwart als asymmetrisch beschrieben. Die Asymmetrie wird zurückgeführt auf die krankheitsbedingte Schwäche und die Wissensdefizite des Patienten: Während der Patient typischerweise durch seine Krankheit in seinen gewöhnlichen Handlungs- und Entscheidungsspielräumen eingeschränkt und vielfach von existenziellen Sorgen geplagt ist, begegnet der Arzt der Krankheit überlegen, nämlich mit Fachwissen, Sachlichkeit, Rationalität und Routine.86 Ein Blick in die Geschichte zeigt aber, dass die Asymmetrie trotz dieser schon immer bestehenden Charakteristika in Europa lange Zeit nicht zugunsten der Ärzte bestand.87 Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts erfolgte die ärztliche Behandlung insbesondere in den Wohnräumen des Arztes oder des wohlhabenden Patienten bei unmittelbarer Bezahlung des Arztes, wodurch die Arzt-Patienten-Beziehung Züge einer egalitären Tauschbeziehung trug.88 Eine echte Dominanz der Ärzte im Verhältnis zu ihren Patienten entwickelte sich erst mit der Entstehung von Krankenhäusern und der laborzentrierten (Krankenhaus-)Medizin sowie dem Einsatz operativer Techniken.89 Die auf dieser Entwicklung beruhenden strukturellen Ungleichheiten im Arzt-Patienten-Verhältnis wuchsen mit dem Autoritätsgewinn der „wissenschaftlichen“ Medizin, deren Konzepte von den westlichen Gesundheitssystemen aufgegriffen wurden. 90 Durch die Einführung und den stetigen Bedeutungszuwachs der Sozialversicherung 91 behandelten Ärzte zunehmend Patienten aus nichtbürgerlichen Gesellschaftsschichten, die den Ärzten wegen der sozialen Distanz und der verbreiteten autoritär strukturierten Denk- und Verhaltensweisen mit Respekt begegneten. 92 86
Panagopoulou-Koutnatzi, Selbstbestimmung des Patienten, S. 25 f.; Baumann, S. 81; Marckmann/Bormuth, in: Wiesing (Hrsg.), Ethik in der Medizin, S. 91 f.; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 9; Peintinger, Ethische Grundfragen in der Medizin, S. 104 ff.; Härle, FPR 2007, 47. 87 Peintinger, Ethische Grundfragen in der Medizin, S. 105. 88 Noack/Fangerau, in: Schulz/Steigleder/Fangerau/Paul (Hrsg.), Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, S. 80. 89 Noack/Fangerau, in: Schulz/Steigleder/Fangerau/Paul (Hrsg.), Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, S. 79, 83; Peintinger, Ethische Grundfragen in der Medizin, S. 105; Wedlich, Konflikt oder Synthese, S. 10 f.; zur Verwissenschaftlichung der Medizin im 19. Jahrhundert und den Folgen auch Katzenmeier, Arzthaftung, S. 11 ff. 90 Noack/Fangerau, in: Schulz/Steigleder/Fangerau/Paul (Hrsg.), Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, S. 79. 91 In Deutschland wurde die Sozialversicherung schrittweise seit dem Jahr 1883 au fgebaut. In Österreich kam es zu ersten gesetzlichen Regelungen der Krankenversicherung im Jahr 1889. Zur Bedeutung dieser Entwicklung für die Arzt-Patienten-Beziehung: Katzenmeier, Arzthaftung, S. 17 ff. 92 Noack/Fangerau, in: Schulz/Steigleder/Fangerau/Paul (Hrsg.), Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, S. 81; Wedlich, Konflikt oder Synthese, S. 11 f.
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Auch in der medizinischen Vademecum-Literatur der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert kam ein aus diesen Strukturen gewachsenes paternalistisch geprägtes ärztliches Berufsverständnis zum Ausdruck: „Der Arzt sei bestimmt und sicher in seinen Anordnungen, er befehle, und je kürzer der Befehl, desto pünktlicher kann er befolgt werden, desto mehr Vertrauen wird der Arzt dem Patienten einflößen.“93 3. Die Verrechtlichung der Medizin Bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert, also schon kurze Zeit nach der Etablierung der „modernen“ Krankenhausmedizin, erfuhr die Rolle des Patienten Stärkung durch die Rechtsprechung, auf die der in der westlichen Welt bis heute andauernde Prozess der Verrechtlichung der Arzt-PatientenBeziehung zurückgeht. 94 Eine bedeutende Rolle nahm das Reichsgericht ein. Während Wilhelm Kahl in seiner Schrift „Der Arzt im Strafrecht“95 noch im Jahr 1909 ausführte, der ärztlichen Operation fehle „jede innere Korrelation zur Körperverletzung“, „der positive Grund und Titel ihrer Berechtigung“ liege nicht in der Einwilligung des Patienten, sondern „in dem staatlich anerkannten Berufsrecht, in der im öffentlichen Interesse der Gesundheitspflege geübten Tätigkeit des Arztes“ 96, hatte der Lüneburger Richter Richard Keßler in einer Abhandlung97 aus dem Jahr 1884 zur strafrechtlichen Bedeutung der Einwilligung des Verletzten dargelegt, dass die medizinische Behandlungsmaßnahme eine Körperverletzung sei, die zur Legitimation einer ausdrücklichen Zustimmung des Patienten bedürfe. Das Reichsgericht übernahm diese Auffassung Keßlers in einer strafrechtlichen Entscheidung aus dem Jahr 1894: Jeder Kranke sei befugt, der Anwendung jedes einzelnen Heilmittels rechtswirksam Weigerung entgegenzusetzen, mit der auch die Befugnis des Arztes zur Behandlung oder Misshandlung einer bestimmten Person für Heilzwecke erlösche. 98 Weitere Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivil-und Strafsachen stärkten die Selbstbestimmung des Patienten im Rahmen der medizinischen Heilbehandlung. Das Reichsgericht unterstrich wiederholt 99, die Berechtigung des Arztes hänge 93
J. Wolff, Der praktische Arzt und sein Beruf, S. 112; zitiert nach Laufs, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 6 Rn. 29. 94 Dazu auch Katzenmeier, Arzthaftung, S. 30 ff. 95 Kahl, ZStW 29 (1909), 351 (370). 96 Laufs, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 6 Rn. 26 97 Keßler, Die Einwilligung des Verletzten in ihrer strafrechtlichen Bedeutung; auch erwähnt bei Noack/Fangerau, in: Schulz/Steigleder/Fangerau/Paul (Hrsg.), Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, S. 83. 98 RGSt 25, 375 (382); siehe auch Noack/Fangerau, in: Schulz/Steigleder/Fangerau/ Paul (Hrsg.), Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, S. 84. 99 RG JW 1907, 505; 1932, 3328 (3329); RGZ 68, 431 (433 f.) – „erklärte oder doch mutmaßliche Einwilligung“; RGZ 151, 349 (352 ff.); 163, 129; 168, 206 (210); RGSt 38,
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im Rahmen des Zivilrechts und des Strafrechts von einer „zustimmenden Willenserklärung“ des Kranken ab. 100 Außerdem entwickelte die Rechtsprechung Kriterien dafür, unter welchen Umständen der mutmaßliche Patientenwille Berücksichtigung finden kann: Bereits im Jahr 1908 entschied das Reichsgericht in Zivilsachen101, dass bei Fehlen einer Einwilligung des Patienten eine Rechtfertigung durch mutmaßliche Einwilligung in Ausnahmefällen in Betracht komme. Auch die von der reichsgerichtlichen Rechtsprechung nach und nach entwickelten Aufklärungspflichten 102 bedeuteten eine Aufwertung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten. 103 Für die internationale Anerkennung des Patientenselbstbestimmungsrechts von besonderer Bedeutung war die im Jahr 1914 geprägte Formel des US-amerikanischen Richters Cardozo: „Every human being of adult years and sound mind has a right to determine what shall be done with his own body; and a surgeon who performs an operation without his patient’s consent commits an assault, for which he is liable in damages.” 104 Außerdem lenkten der Nürnberger Ärzteprozess 1946/47, in dem die Notwendigkeit der Probandeneinwilligung bei Humanexperimenten dargelegt wurde105, sowie der auf den Erfahrungen des Missbrauchs ärztlichen Handelns im Nationalsozialismus beruhende Nürnberger Kodex von 1947106 über die Grenzen Deutschlands hinaus den Blick auf die Rechte von Patienten. Schon bald bestand in den demokratischen Rechtsordnungen Einigkeit darüber, dass eine ärztliche Maßnahme der Einwilligung des aufgeklärten Patienten bedarf.107 Der österreichische OGH 108 stellte dies in Urteilen aus den Jahren 1954/1955 klar. Ebenso entschieden u.a. belgische 109, französi-
34; 61, 242 (252); seit BGHSt 11, 111 (112); 12, 379 (382) auch st. Rspr. des BGH in Strafsachen. 100 Ohly, Einwilligung im Privatrecht, S. 239; Geißendörfer, Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen, S. 100 f. 101 RGZ 68, 431 (433 f.). 102 RG JW 1932, 3328 (3329); RGZ 78, 432 (433 f.); 163, 129 (137). 103 Zum vorstehenden Absatz siehe Ohly, Einwilligung im Privatrecht, S. 238 f. 104 Schloendorff v Society of New York Hospital 105 N.E. 92 (NY 1914); zitiert auch von: Damm, MedR 2002, 375 (377); ders., in: Liber Amicorum Eike Schmidt, S. 73 (84). 105 Marckmann/Bormuth, in: Wiesing (Hrsg.), Ethik in der Medizin, S. 93. 106 Abgedruckt bei Wille, NJW 1949, 377. 107 Damm, MedR 2002, 375 (377); ders., in: Liber Amicorum Eike Schmidt, S. 73 (84); Marckmann/Bormuth/Wiesing, in: Wiesing (Hrsg.), Ethik in der Medizin, S. 29. 108 OGH v. 20.1.1954, 1 Ob 5/54; OGH v. 16.2.1955, 2 Ob 84/55; Ganner, Selbstbestimmung im Alter, S. 421, Fn. 2153. 109 Etwa Cour de Cassation v. 23.4.1969, Pasicrisie belge 1969, 751; Cour de Cassation v. 4.10.1973, Arresten Cassatie 1974, 132.
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sche110 und schweizerische 111Gerichte. Auch der BGH112 führte die reichsgerichtliche Rechtsprechung fort. Nachdem die Arzt-Patienten-Beziehung und insbesondere die Stärkung der Position des Patienten im 19. und 20. Jahrhundert weniger im Mittelpunkt ethischer oder soziologischer als vielmehr juristischer Erörterungen stand, etablierte sich die Selbstbestimmung des Patienten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch als medizinethisches Prinzip, da Ärzte nun die Achtung der Selbstbestimmung zunehmend als rechtliche und moralische Pflicht interpretierten. 113 Dieser Mentalitätswandel gilt zugleich als der Entstehungszeitpunkt der Medizinethik, die definiert wird als Bereichsethik „für ein Handeln in einem besonderen Bereich, in dem allgemeingültige moralische Prinzipien unter Berücksichtigung der spezifischen Sachgegebenheiten zur Anwendung kommen“ 114. Besonders geprägt hat das Selbstverständnis der Medizin und Medizinethik der im Jahr 1978 ver-
110
Etwa Cass. crim. v. 3.1.1973, Bull. crim. 1973 No. 2 (zitiert nach: Fischer, in: ders./Kluth/Lilie, Rechtsgutachten, S. 89, Fn. 339). 111 Eine ärztliche Maßnahme, die ohne Einwilligung des Patienten und ohne ausreichende Aufklärung vorgenommen wird, erfüllt nach der Rechtsprechung des schweizer ischen Bundesgerichts strafrechtlich den Tatbestand der Körperverletzung (etwa BGE 99 IV 208; 108 II 59; 117 Ib 197; 124 IV 258; Steffen/Guillod, in: Taupitz, Rn. CH39; Kuhn, MedR 1999, 248 [250 f.]). Auch lege artis und zum Wohle des Patienten vorgenommene Behandlungen bedürfen des Rechtfertigungsgrundes der Einwilligung des informierten, urteilsfähigen Patienten (consentement éclairé) bzw. seiner mutmaßlichen Einwilligung (BGE 105 II 284; Gerth/Mona, ZSR 2009, 157 [159]). Dies ist Bestandteil der verfassungsrechtlich garantierten Menschenwürde und des im Grundrecht des Persönlichkeit sschutzes verankerten Anspruchs auf körperliche Unversehrtheit und auf individuelle Selbstbestimmung über den eigenen Körper (Art. 7, 10 Abs. 2 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft v. 18.4.1999) sowie der zivilrechtlich geschützten Persönlichkeitsrechte (Art. 27 ff. ZGB); zum verfassungsrechtlichen Schutz des Patientenselbstbestimmungsrechts: BGE 127 I 6 (17 f.); Gerth/Mona, ZSR 2009, 157 (158 f. m.w.N.); Steffen/Guillod, in: Taupitz, Rn. CH11; zum zivilrechtlichen Schutz: Steffen/ Guillod, in: Taupitz, Rn. CH1 ff. 112 Im Jahr 1957 formulierte der BGH in Strafsachen in seiner Myom-Entscheidung (BGHSt 11, 111), dass ein einwilligungsfähiger Patient in Bezug auf medizinische Ma ßnahmen ein Vetorecht habe, das der Arzt auch bei einem Patienten berücksichtigen müsse, der es ablehne, seine körperliche Unversehrtheit selbst dann preiszugeben, wenn er dadurch von einem lebensgefährlichen Leiden befreit werde (BGHSt 11, 111 [114]): „Denn ein selbst lebensgefährlich Kranker kann triftige und sowohl menschlich wie sit tlich achtenswerte Gründe haben, eine Operation abzulehnen, auch wenn er durch sie und nur durch sie von seinem Leiden befreit werden könnte“; später dann: BGH NJW 1977, 337 (338). 113 Wedlich, Konflikt oder Synthese, S. 14; Noack/Fangerau, in: Schulz/Steigleder/ Fangerau/Paul (Hrsg.), Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, S. 81. 114 Marckmann/Bormuth/Wiesing, in: Wiesing (Hrsg.), Ethik in der Medizin, S. 30.
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öffentlichte US-amerikanische Belmont Report115, aus dem sich rasch die sog. Four Principles116 der Medizinethik entwickelten – autonomy (Selbstbestimmung), non-maleficence (Nichtschadensprinzip), beneficence (Fürsorge) und justice (Gerechtigkeit). Auch wenn Recht und Ethik aus unterschiedlichen Erkenntnisquellen erwachsen und sich auch in ihren Inhalten unterscheiden117, sind diese ethischen Prinzipien über die Zeit zu festen Größen in der Gesetzgebung und Rechtsprechung rund um die medizinische Heilbehandlung geworden: Die Vorsitzende Richterin am BGH a.D. Gerda Müller118 hat jüngst für das deutsche Verhältnis von Recht und Medizinethik formuliert, dass die „klassischen Leitprinzipien des ärztlichen Handelns – nämlich Beachtung des Patientenwohls, des Patientenwillens und des Verbots zu schaden – durch die Rechtsprechung aufgenommen und präzisiert worden sind“. 4. Die partnerschaftliche Arzt-Patienten-Beziehung Ergebnis des Prozesses der Verrechtlichung der Medizin ist, dass mittlerweile in den europäischen Rechtsordnungen Einigkeit darüber besteht, dass eine ärztliche Behandlung zu ihrer Legitimation der aufgeklärten Einwilligung des Patienten bedarf. 119 Dies ist in vielen Rechtsordnungen anders als in Deutschland auch gesetzlich geregelt. In Österreich ist bereits zum 1.1.1975 zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten die Vor115 Ethical Principles and Guidelines for the Protection of Human Subjects of R esearch, veröffentlicht von der National Commission for the Protection of Human Subjects in Research in Biomedical and Behavioral Research (1978); zitiert auch von BT-Drs. 14/9020, S. 20 f. 116 Die von den US-Amerikanern Tom L. Beauchamp und James F. Childress in den Four Principles zusammengefassten Prinzipien werden auch als mittlere medizinethische Prinzipien bezeichnet, s. Peintinger, Ethische Grundfragen in der Medizin, S. 58 ff. 117 Kirchhof, in: FS für Laufs, S. 931 f. Prägnant auch Kirchhofs weitere Unterscheidungen: Er führt aus, dass die Ethik die Verantwortlichkeit des freien Menschen definiere und aus Gewissen und Lebenserfahrung erwachse, innere Verbindlichkeiten und Veran twortungen begründe und die Gesamtheit der gesellschaftlichen, aus Religion, Philosophie und Lebensdeutung entstandenen sittlichen Verhaltenserwartungen definiere. Das Recht definiere demgegenüber die verbindlichen Regeln zur Entfaltung und Begrenzung der Freiheit und begründe äußere, in der Autorität des staatlichen Rechtsetzers verbindl iche Regeln, die in einen allgemeinen, veröffentlichten Text überbracht werden. Zum Verhältnis von Recht und Medizinethik auch Katzenmeier, Arzthaftung, S. 67 ff. 118 Ge. Müller, MedR 2009, 309 (313); ihr folgend Damm, MedR 2010, 451; ähnlich wie Ge. Müller auch Giesen, JZ 1990, 929 (930). Dass die Rezeption der medizinischen und medizinethischen Leitprinzipien in das Recht aber nicht immer selbstverständlich war, zeigt der Missbrauch der Medizin im Nationalsozialismus (Nitschmann, ArztPatienten-Verhältnis, S. 75; zur Medizin im Nationalsozialismus: Wiesing [Hrsg.], Ethik in der Medizin, S. 43 ff.). 119 Fischer, in: ders./Kluth/Lilie, Rechtsgutachten, S. 88.
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schrift des § 110 öStGB in Kraft getreten, nach deren Abs. 1 strafbar ist, wer einen anderen ohne dessen Einwilligung, wenn auch nach den Regeln der medizinischen Wissenschaft, behandelt. Durch diese Pönalisierung der „eigenmächtigen Heilbehandlung“ stand der Grundsatz, dass jede, also auch die medizinisch indizierte und lege artis durchgeführte körperliche oder sonstige Behandlung der gültigen Einwilligung des aufgeklärten Patienten, also des informed consent, bedarf, im österreichischen Recht schon früh außer Zweifel.120 In den Niederlanden121 ist das Selbstbestimmungsrecht des Patienten in medizinischen Angelegenheiten demgegenüber in verschiedenen zivilrechtlichen Gesetzen verankert, wobei wichtige Bedeutung das Gesetz über medizinische Verträge122 aus dem Jahr 1994 hat, das in das siebte Buch des Zivilgesetzbuchs (Burgerlijk Wetboek) eingefügt wurde und für jede medizinische Behandlung mit Ausnahme von Notfallsituationen die vorherige Einwilligung des Patienten vorschreibt (Art. 7-450, 448 BW).123 Auch das spanische und französische Recht schützen die Patientenautonomie u.a. über die Anerkennung des informed consent. Das spanische Recht regelt dies in Ausprägung verfassungsrechtlicher Vorgaben 124 120
Kopetzki, in: Taupitz, Rn. A2; ders., iFamZ 2007, 197 f. Verfassungsrechtliche Grundlage des Patientenselbstbestimmungsrechts ist Art. 11 der niederländischen Verfassung (Grondwet – Grondwet voor het Koninkrijk der Nederlanden van 24 augustus 1815), der die Unverletzlichkeit der Person schützt ( Vezzoni, The Legal Status and Social Practice, S. 69). 122 Wet van 17 november 1994 ob de geneeskundige behandelingsovereenkomst (WGBO), Stb. 1994, 837; dazu im Überblick Vezzoni, The Legal Status and Social Practice, S. 69; Ladebeck, FamZ 2006, 93. 123 Einwilligungsfähig sind Patienten bereits ab dem 16. Lebensjahr. Bei 12- bis 15jährigen Patienten besteht die Vermutung der Einwilligungsfähigkeit, allerdings muss bei bestehender Einwilligungsfähigkeit zusätzlich zu der Einwilligung des Minderjährigen auch die der Eltern vorliegen (Art. 7-450 Abs. 2 BW). Ausführlich Markenstein, in: Taupitz, Rn. NL27 ff. 124 Die spanische Verfassung (Constitución Española – CE) schützt das Recht auf Gesundheitsschutz (Art. 43 Abs. 1), das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 15), die freie Entwicklung der Persönlichkeit (Art. 10 Abs. 1) und die Freiheit des Einzelnen (Art. 1.1), siehe: Romeo-Casabona/Emaldi-Cirión, in: Taupitz, Rn. E11 ff.; Cancio Mélia, in: FS für Roxin, Bd. 1, S. 507 (508); zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen der Verfügbarkeit des eigenen Lebens: Leistner, Sterbehilfe im deutsch-span. Rechtsvergleich, S. 185 ff. Das spanische Verfassungsgericht, das Tribunal Constitucional, hat das Selbstbestimmungsrecht in Bezug auf medizinische Behandlungen mehrfach bestätigt, etwa jüngst auch unter Berufung auf die Menschenrechte in einer Entscheidung v. 28.3.2011: „Se trata de una facultad de autodeterminación que legitima al paciente, en uso de su autonomía de la voluntad, para decidir libremente sobre las medidas terapéut icas y tratamientos que puedan afectar a su integridad, escogiendo entre las distintas pos ibilidades, consientiendo su práctica o rechazándolas. Ésta es precisamente la manifes tación más importante de los derechos fundamentales que pueden resultar afectados por una intervención médica: la de decidir libremente entre consentir el tratamiento o r e121
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im Gesetz über das Selbstbestimmungsrecht des Patienten vom 14.11.2002125 (Art. 5, 8, 10).126 In Frankreich wurden im Jahr 1994 im Zuge der Bioethik-Gesetzgebung127 die Vorschriften der Art. 16-1 bis 16-9, die u.a. die Einwilligung als Voraussetzung für medizinische Eingriffe in den Körper vorsehen, in den Code civil eingefügt.128 Mit dem Gesetz zu den Rechten der Kranken und der Qualität im Gesundheitssystem vom 4.3.2002129, dem sog. Loi Kouchner, wurde der „consentement libre et éclairé“ außerdem in den Code de la santé publique (Art. L1111-4 S. 3 C.s.p.) eingefügt. Nicht übersehen werden darf aber, dass trotz der verbreiteten Anerkennung des informed consent in den europäischen Rechtsordnungen durchaus Unterschiede im Hinblick darauf bestehen, was informed und was consent im Einzelnen bedeutet. 130 Unterschiede bestehen auch mit Blick auf die Wirkungen des informed consent: So ist die Einwilligung im französischen Recht im Unterschied zu vielen anderen Rechtsordnungen aufgrund der ordre public-Anbindung des Strafrechts bis heute nicht als autonomer Rechtfertigungsgrund anerkannt, sondern es bedarf zusätzlich des weiteren Rechtfertigungselementes der sog. „autorisation de la loi“.131 Folge der rechtlichen und medizinethischen Anerkennung des individual informed consent als verbindliche Voraussetzung ärztlichen Handelns ist ein Perspektivwechsel vom Arzt als fürsorgendem Heiler hin zu einer partnerschaftlichen Arzt-Patienten-Beziehung und eine Abschwächung der faktischen Asymmetrie. Damit geht eine Akzentverlagerung vom Patientenwohl (salus aegroti suprema lex – das Wohl des Patienten als oberstes Gebot) zum Patientenwillen (voluntas aegroti suprema lex – der Wille des Patienten als oberstes Gebot) einher.132 Diese Akzentverlagerung lässt sich husarlo …“. STC 37/2011, de 28 de marzo de 2011 (BOE núm. 101, de 26 de abril de 2011). 125 Ley 41/2002, de 14 de noviembre, básica reguladora de la autonomía del paciente y de derechos y obligaciones en materia de información y documentación clínica, BOE núm. 274, Viernes 15 noviembre 2002, S. 40126 ff. Zuvor bereits Ley 14/1986, de 25 de abril, General de Sanidad, BOE núm. 102 de 29.4.1986, S. 15207 ff. 126 Romeo-Casabona/Emaldi-Cirión, in: Taupitz, Rn. E1 ff.; Muñoz Conde, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 870. 127 Loi nº94-653 du 29 juillet 1994 relative au respect du corps humain, JORF nº175 du 30 juillet 1994, p. 11056. 128 Dazu Nitschmann, MedR 2008, 133 (136). 129 Loi nº2002-303 du 4 mars 2002 relative aux droits des malades et à la qualité du système de santé, JORF nº54 du 5 mars 2002, p. 4118. 130 Fateh-Moghadam, Einwilligung in die Lebendorganspende, S. 16 (für den Kontext der Lebendorganspende); Fischer, in: ders./Kluth/Lilie, Rechtsgutachten, S. 89 ff. 131 Nitschmann, Arzt-Patienten-Verhältnis, S. 167 ff.; dies., MedR 2008, 133 (136). 132 Geißendörfer, Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen, S. 60; in diese Richtung auch Keilbach, FamRZ 2003, 969 (971). Während die vier medizinethischen Prinzipien von Beauchamp und Childress zunächst grundsätzlich gleich gewichtet wur-
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deutlich an der (Muster-) Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte133 ablesen: Während das der Berufsordnung vorangestellte Genfer Gelöbnis des Weltärztebundes aus dem Jahre 1948 „die Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit“ als oberstes Gebot ärztlichen Handelns nennt und zur Achtung des Patientenselbstbestimmungsrechts schweigt, erwähnt die geltende (Muster-)Berufsordnung die Pflicht zur Achtung des Selbstbestimmungsrechts und das Erfordernis des informed consent gleich mehrfach (§§ 7 Abs. 1, 8).134 Auch das Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarats aus dem Jahr 1996, auch bekannt als Oviedo Convention135, nennt das Prinzip des informed consent des Patienten an zentraler Stelle (Art. 5).136 Das Modell der partnerschaftlichen Arzt-Patienten-Beziehung erfährt aber nicht nur Zustimmung. Es mag nicht überraschen, dass gerade Ärzte die Partnerschaftlichkeit, insbesondere die Verrechtlichung, als Spannungsverhältnis beschreiben.137 Sie konstatieren eine Veränderung der Arzt-Patienten-Beziehung vom Vertrauensverhältnis hin zu einem „Dienstleister-Kunden“-Verhältnis, über dem das „Damoklesschwert des Vorwurfs eines Versäumnisses und der unterlassenen Hilfeleistung“ schwebt.138 Im medizinethischen und medizinrechtlichen Diskurs wird seit einigen Jahren verstärkt angemahnt, dass mit dem Bedeutungsverlust des Prinzips der Fürsorge und der kontinuierlichen Steigerung von Entscheidungsfreiheit den, dominiert heute das Prinzip der Selbstbestimmung, das durch die anderen Prinzipien in sozial kompatibler Weise durchgesetzt wird (Peintinger, Ethische Grundfragen in der Medizin, S. 60; Damm, MedR 2002, 375 [378]). 133 Das in den Berufsordnungen der Landesärztekammern zusammengefasste ärztliche Standesrecht ergänzt das Medizinrecht und regelt die Rechtsfragen, die sich aus dem Status des Arztes als Mitglied eines freien Berufs ergeben (Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 2, 11). 134 Wiesing, in: ders. (Hrsg.), Ethik in der Medizin, S. 74 f. 135 Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin: Übereinkommen über Me nschenrechte und Biomedizin des Europarats v. 4.4.1997, abrufbar unter: , in Auszügen abgedruckt bei: Wiesing (Hrsg.), Ethik in der Medizin, S. 142 ff. 136 Art. 5: „Eine Intervention im Gesundheitsbereich darf erst dann erfolgen, nachdem die betroffene Person über sie aufgeklärt worden ist und frei eingewilligt hat. Die b etroffene Person ist zuvor angemessen über Zweck und Art der Intervention sowie über deren Folgen und Risiken aufzuklären. Die betroffene Person kann ihre Einwilligung jederzeit frei widerrufen.“ 137 So etwa berichtet von: Katzenmeier, in: ders./Bergdolt (Hrsg.), Das Bild des Arztes im 21. Jahrhundert, S. 45 ff. („‘Kalter Krieg‘ zwischen Medizinern und Juristen“); Damm, MedR 2010, 451 (452). 138 So etwa die Formulierung von Riha, in: Duttge (Hrsg.), Ärztliche Behandlung am Lebensende, S. 23 (27). Tatsächlich sind die Zahlen staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsverfahren gegen Ärzte gestiegen (Nachweise bei Höfling, Stellungnahme, S. 2).
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auch Entscheidungs- und Verantwortungslasten einhergehen, die den Einzelnen in der konkreten Behandlungssituation überfordern und zu Freiheitsverlusten führen können. 139 In der deutschen Diskussion rund um die gesetzliche Regelung der Patientenverfügung wurden die Schwierigkeiten der Realisierung von Patientenautonomie weitgehend ausgeblendet. 140 Zu wirkmächtig war offenbar die Angst vor einer Wiederbelebung des Paternalismus traditioneller Prägung 141, um die es aber in der internationalen Diskussion über die Funktionsvoraussetzungen der Patientenautonomie kaum geht. II. Patientenautonomie im interkulturellen Kontext Mit der Stärkung der Patientenautonomie konnte sich der Blick in Deutschland für neue Problemfelder öffnen. Dazu gehört insbesondere der Stellenwert der Patientenautonomie in interkulturellen Arzt-PatientenVerhältnissen. Konkret geht es um die Berücksichtigung kultureller Bedürfnisse ausländischer Patienten und ihrer Angehörigen im Rahmen medizinischer Behandlungen. Besondere Aufmerksamkeit erfährt die Berücksichtigung und Respektierung der Wünsche und Bedürfnisse muslimischer Patienten. Kommunikative Schwierigkeiten wegen sprachlicher Barrieren und die kulturspezifische Betrachtung und Wahrnehmung bestimmter Begriffe (etwa „Krebs“ als Todesurteil) werden aufmerksamer wahrgenommen. Außerdem wird überlegt, wie Besonderheiten im Rahmen der Entscheidungsfindung muslimischer Patienten, etwa der starken Einflussnahme durch religiöse Autoritäten (Imâm) oder durch Familienangehörige (Entscheidungsmacht des ältesten Sohnes), begegnet werden kann. 142 Dieser Prozess der Öffnung für kulturelle Vielfalt im Kontext medizinischer Entscheidungen offenbart weitgehende Unterschiede im Verständnis des informed consent. Nicht nur in islamisch geprägten Staaten, sondern in vielen außereuropäischen Kulturen haben sich in der Vergangenheit andere 139 Splett, in: Schildmann/Fahr/Vollmann (Hrsg.), Entscheidungen am Lebensende in der modernen Medizin, S. 19 (36); Damm, in: Liber Amicorum Eike Schmidt, S. 73 (85); ders., MedR 2002, 375 (378 ff.); ders., MedR 2010, 451 (453); kritisch zum Begriff der Patientenautonomie Härle, FPR 2007, 47 ff. 140 Dies erstaunt umso mehr, als immerhin die Gefahr besteht, dass die Ressourcenknappheit und eine zunehmende Expertendominanz im Gesundheitssystem zu einer neuerlichen Stärkung der faktischen Asymmetrie führen können (Damm, in: Liber Amicorum Eike Schmidt, S. 73 [83]). 141 Röthel, AcP 211 (2011), 196 (200). 142 Vorstehende Informationen entnommen dem Wissensportal Kultur Gesundheit der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, abrufbar unter (Beiträge Medizin- & Bioethische Themen – Arzt-Patienten-Verhältnis: Informed consent, Religiöse Ratgebung (Fatwa) und Patientenentscheidung, Stellvertretende En tscheidungen am Lebensende und Patientenverfügung).
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Ausprägungen des informed consent, nämlich der family consent und der community consent, durchgesetzt.143 Die unterschiedlichen Ausprägungen des informed consent stehen in engem Zusammenhang und auch in Wechselwirkung mit der Stellung des Individuums und dem Stellenwert des Individualismus in den verschiedenen Kulturräumen. 144 So ist es kein Zufall, dass die wesentlichen Impulse für die Anerkennung des individual informed consent aus den stark individualistisch geprägten nordamerikanischen Staaten, allen voran den USA, und den gleichermaßen geprägten westeuropäischen Staaten herrühren. All diese Gesellschaften unterliegen seit Jahrzehnten Individualisierungsschüben, die zu einer Befreiung aus geschlechtsspezifischen Rollenmustern und familiären Zwängen geführt, aber auch das Postulat des Lebens nach individuellen Wünschen und in Selbstsorge geprägt und an vordere Stelle gerückt haben. 145 Demgegenüber hat sich in Gesellschaften, die die Rolle der Familie besonders betonen und traditionell kollektivistisch orientiert sind, der family consent durchgesetzt. Folge dieses abweichenden Autonomieverständnisses ist, dass in kollektivistisch geprägten Kulturräumen auch Patientenverfügungen unbekannt sind bzw. kein Bedarf für sie gesehen wird. 146 Auch lässt sich beobachten, dass über Patientenverfügungen vornehmlich in Wohlstandsgesellschaften diskutiert wird. Neben der Praxis beschäftigt sich auch das akademische Schrifttum in der jüngeren Vergangenheit verstärkt mit den Voraussetzungen für eine von kultureller Sensibilität geprägte partnerschaftliche Arzt-PatientenBeziehung und mit der Fragestellung nach den Funktionsvoraussetzungen für eine universale Bioethik. 147 Patientenverfügungen werden als ein „excellent test case“ für den interkulturellen Austausch über die Frage „Who has a say in whose decisions, and why?“ angesehen.148
143 Braune/Wiesemann/Biller-Andorno, in: Biller-Andorno/Schaber/Schulz-Baldes (Hrsg.), Universale Bioethik, S. 135. 144 Braune/Wiesemann/Biller-Andorno, in: Biller-Andorno/Schaber/Schulz-Baldes (Hrsg.), Universale Bioethik, S. 135. 145 Aus Sicht der Familiensoziologie: Huinink/Konietzka, Familiensoziologie, S. 101 ff. 146 Etwa beschrieben von Beširević, Bioethics Vol. 24 No. 3 2010, 105 (106); für die Türkei etwa beschrieben von Guven/Sert, Bioethics Vol. 24 No. 3 2010, 127 ff., die nicht nur auf die Bedeutung der Familie in medizinischen Angelegenheiten, sondern auch auf die (noch) paternalistische Prägung der Arzt-Patienten-Beziehung in der Türkei hinweisen. 147 Dazu etwa: Braune/Wiesemann/Biller-Andorno, in: Biller-Andorno/Schaber/ Schulz-Baldes (Hrsg.), Universale Bioethik, S. 135. 148 So Biller-Andorno/Brauer, Bioethics Vol. 24 No. 3 2010, ii (iii).
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III. Fazit Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, dass das Recht der ärztlichen Heilbehandlung heute in den europäischen Staaten unter dem Postulat der Selbstbestimmung des Patienten steht. Zugleich wurde deutlich, dass dieser rechtliche Status des Patienten überwiegend auf die Rechtsprechung zurückzuführen ist. Exemplarisch erläutert wurde dies anhand der deutschen Entwicklung. Nachdem das Reichsgericht die maßgeblichen Weichen für die Wahrnehmung von Patientenrechten gestellt hatte, hat der Bundesgerichtshof die dem Arzt-Patienten-Verhältnis immanente Asymmetrie zugunsten des Patienten durch eine konstante und konsequente Weiterentwicklung der reichsgerichtlichen Rechtsprechung zur (mutmaßlichen) Einwilligung nach und nach relativiert. Während sich in den europäischen und nordamerikanischen Staaten aufgrund des individualistischen Selbstbildes der individual informed consent durchgesetzt hat, ist in anderen Kulturräumen analog zu dem dort vorherrschenden kollektivistischen Selbstbild der family consent vorherrschend. C. Fazit zu § 1 Fragen rund um krankheitsbedingte Zustände der Hilfsbedürftigkeit stellen sich in allen medizinisch hoch entwickelten Gesellschaften gleichermaßen. Die Antworten auf diese Fragen fallen unterschiedlich aus. Dass u.a. gesellschaftliche Vorprägungen ursächlich für diese Divergenzen sind, wurde in der vorangegangenen Untersuchung erläutert. Auf der europäischen Landkarte zeigt sich mittlerweile weitgehend Übereinstimmung im Autonomieverständnis, wenn es um die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts im staatlichen Erwachsenenschutzrecht und die Anerkennung des informed consent geht.
§ 2 Die Patientenverfügung im Sachrecht § 2 Die Patientenverfügung im Sachrecht
Wie nun zu zeigen sein wird, beurteilen die europäischen Staaten die antizipierte Ausübung der Patientenautonomie bislang noch unterschiedlich. Während einige Rechtsordnungen bereits gesetzliche Regelungen für die Patientenverfügung verabschiedet haben, haben in anderen Staaten entsprechende Diskussionen noch nicht einmal im Ansatz begonnen. In den Staaten, in denen Patientenverfügungen gesetzlich geregelt wurden, geschah dies aus unterschiedlichen Gründen: Während die gesetzlichen Regelungen in einigen Staaten, insbesondere im deutschsprachigen Raum, Resultat einer breit geführten gesellschaftlichen Debatte sind, wurde die Patientenverfügung in anderen Staaten, etwa in Belgien und Frankreich,
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ohne bürgerschaftlichen Druck in Gesetzesform gegossen.149 Ein Vergleich der bereits existenten gesetzlichen Regelungen offenbart Divergenzen im Verständnis der Patientenautonomie und ihrer Grenzen sowie in der Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen objektivem Patientenwohl (salus aegroti) und subjektivem Patientenwillen (voluntas aegroti). Erste Einigungen auf einen gemeinsamen Nenner enthalten freilich die Oviedo Convention und der Draft Common Frame of Reference (DCFR), die beide eine kulturübergreifende, minimale Regelung der Patientenverfügung vorsehen. Art. 9 der Oviedo Convention lautet: Kann ein Patient im Zeitpunkt der medizinischen Intervention seinen Willen nicht äußern, so sind die Wünsche zu berücksichtigen, die er früher im Hinblick auf eine solche Intervention geäußert hat.150 Auch Art. IV.C.-8:108 Abs. 4 DCFR151 spricht Patientenverfügungen keine Verbindlichkeit zu: „In the situation described in paragraph (3), the treatment provider must not carry out treatment without considering, so far as possible, the opinion of the incapable patient with regard to the treatment and any such opinion expressed by the patient before becoming incapable.” A. Ausgewählte europäische Rechtsordnungen im Überblick Die im weiteren Verlauf getroffene Länderauswahl 152 beruht auf dem Bestreben, einen Eindruck von der Bandbreite der unterschiedlichen Regelungsmodelle der Patientenverfügung in Europa zu geben. Während die Benelux-Staaten und die Schweiz ein autonomiebetontes Regelungskonzept für die Patientenverfügung entwickelt haben (I.), trägt das französische und das österreichische Regelungsmodell eine vergleichsweise paternalistische Handschrift (II.). Das spanische und das englische Regelungskonzept nehmen eine Mittelstellung ein (III.). Auch wenn die nachfolgende Untersuchung über eine Kontrastierung des positiven Rechts hinausgehen soll, wird auch eine systematische Betrachtung die ausländischen Regelungsmodelle nicht vollständig analysieren können, denn inhaltliche Grenzen entstehen dadurch, dass die rechtliche Anerkennung der Patientenver149
Gillen, Bull. Soc. Sci. Méd. 2008, 259 (260). Dazu ausführlich: Pascalev/Vidalis, Bioethics Vol. 24 No. 3 2010, 145 ff.; Beširević, Bioethics Vol. 24 No. 3 2010, 105 ff.; siehe zu vereinheitlichten Grundsätzen nun auch die Resolution 1859 (2012) Protecting human rights and dignity by taking into account previously expressed wishes of patients des Europarates v. 25.1.2012. 151 Dazu und zum Arzthaftungsrecht im DCFR: G. Wagner, in: FS für Ge. Müller, S. 335 ff. 152 Rechtsvergleichende Übersichten etwa auch bei Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, §§ 19–32; dies., FPR 2007, 79; Kalchschmid, FamZ 2006, 90; aus jüngster Zeit: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa. 150
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fügung in historisch gewachsenen Rechts- und Verfassungsordnungen erfolgt und dadurch individuell vorgeprägt ist. 153 I. Die Benelux-Staaten und die Schweiz Den Rechtsordnungen der Benelux-Staaten ist gemein, dass sie sich infolge ihrer liberalen Einstellung zu Fragen der Selbstbestimmung in der Vergangenheit für eine gesetzliche Regelung der Patientenverfügung entschieden haben. Auch die Schweiz hat in der jüngeren Vergangenheit im Zuge der Revision des Erwachsenenschutzrechts eine nationale gesetzliche Regelung der Patientenverfügung auf den Weg gebracht, die am 1.1.2013 in Kraft getreten ist.154 Zuvor war die Patientenverfügung bereits in der Praxis verbreitet155 und von der Rechtsprechung 156 anerkannt. Gesetzlich ver153 Für die Patientenautonomie: Fateh-Moghadam, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 894. 154 Seit Juni 2003 lag ein Vorentwurf für eine Revision des Zivilgesetzbuchs im B ereich des Erwachsenenschutzrechts, Personenrechts und Kindesrechts (VorE ZGB 2003) mit Geltung für die gesamte Schweiz vor (abrufbar unter: ; dazu Röthel, FamRZ 2004, 999 [1003]). Dieser VorE sieht als letzte Etappe der in den 1960er Jahren begonnenen Überarbeitung des gesamten Familienrechts eine Totalrevision des bisherigen Vormundschaftsrechts vor: Erklärtes Anliegen ist die Förderung der Selbstbestimmung durch private Vorsorge (Biderbost, SJZ 2010, 309). Zu diesem Zweck sieht der VorE u.a. die Einfügung dreier neuer Rechtsinstitute ins ZGB vor: den Vorsorgeauftrag (Art. 360–369), den Vorsorgeauftrag für medizinische Maßnahmen (Art. 370– 373) und die Patientenverfügung (Art. 373). Der Schweizerische Bundesrat hat am 28.6.2006 eine während des Vernehmlassungsverfahrens stark diskutierte und letztlich abgeänderte Vorlage angenommen (ZGB-E , BBl. 2006, S. 7139; siehe dazu vertiefend: Röthel, in: Lipp [Hrsg.], Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 22 Rn. 25 ff.; Schnyder, FamRZ 2006, 1569), die eine Streichung des Vorsorgeauftrags in medizinischen Angelegenheiten vorsieht. Die beiden parlamentarischen Kammern, National- und Ständerat, haben diesen Entwurf am 19.12.2008 mit nur zwei Gegenstimmen verabschiedet (BBl. 2009, S. 141 ff.; neue Bestimmungen im AS 2011, S. 725; zum Gesetzgebungsverfahren: Vogel/Wider, ZVW 2009, 73). Eine Referendumsfrist ist ungenutzt abgelaufen. Mit einem Inkrafttreten der Reform wurde zunächst für das Jahr 2010 gerechnet (Schnyder, FamRZ 2006, 1569 [157]). Der Bundesrat hat wegen der zeitintensiven Umsetzung des neuen Rechts insbesondere auf Ebene der Kantone, denen die Behördenorganisation obliegt, später ein Inkrafttreten auf den 1.1.2013 festgesetzt (ausführlich zu den erforde rlichen Umsetzungsarbeiten: Biderbost, SJZ 2010, 309 [311]; Vogel/Wider, ZVW 2009, 73 [79]). 155 Steffen/Guillod, in: Taupitz, Rn. CH33. 156 Das schweizerische Bundesgericht hat im Jahr 2001 (BGE 127 I 6, 26 f.) ausgeführt: „Eine urteilsfähige Person kann sich durch eine entsprechende Willensäusserung unmittelbar vor der geplanten Intervention oder in einem früheren Zeitpunkt (etwa mittels einer so genannten Patientenverfügung) dagegen zur Wehr setzen und auf eine B ehandlung verzichten. Diesfalls ist von einer Behandlung abzusehen und der freie Wille des Betroffenen zu respektieren.“ Die Entscheidung zitieren auch Gerth/Mona, ZSR 2009, 157 (164, Fn. 50).
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ankert wurde die Patientenverfügung aufgrund von Art. 6 ZGB157 in der Vergangenheit auch in einem Teil der kantonalen Gesundheitsgesetze 158. Die Regelungskonzepte der Benelux-Staaten und der Schweiz weisen auf der Makro- und Mikroebene sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede auf. 1. Regelungsstandort Unterschiede bestehen zunächst hinsichtlich des Regelungsstandorts der Patientenverfügung. Das niederländische und das schweizerische Recht regeln die wilsbeshikking bzw. die Patientenverfügung in ihren Zivilgesetzbüchern (Art. 7-450 Abs. 3 Burgerlijk Wetboek 159 bzw. Art. 370–373 schweizer. ZGB), wobei die Patientenverfügung im schweizerischen Recht abweichend vom niederländischen Recht nicht im Vertragsrecht, sondern im Erwachsenenschutzrecht, also im Familienrecht, geregelt ist. 160 Die Gesetzgeber Belgiens und Luxemburgs haben die Patientenverfügung demgegenüber in speziell geschaffene Patientenrechtegesetze eingefügt. Die Patientenverfügung ist in Belgien seit dem Jahr 2002 in Art. 8 § 4 Loi relative aux droits du patient161 und in Luxemburg seit dem Jahr 2009 in Art. 5 Loi 157 Gemäß Art. 6 Abs. 1 ZGB werden die Kantone in ihren öffentlich-rechtlichen Befugnissen durch das Bundeszivilrecht nicht beschränkt. Allerdings gilt dies unter der B edingung, dass das Problem auf Bundesebene nicht abschließend geregelt wurde und dass die kantonalen Bestimmungen der Gesetzgebung auf Bundesebene nicht widersprechen (Steffen/Guillod, in: Taupitz, Rn. CH4). 158 Das geltende Kantonsrecht enthält unterschiedliche materielle Voraussetzungen für Patientenverfügungen. Soweit ersichtlich ist übereinstimmendes Erfordernis die Schrif tform der Patientenverfügung und die Urteilsfähigkeit des Verfügenden (Steffen/Guillod, in: Taupitz, Rn. CH45). Im Übrigen weisen die kantonalen Regelungen große Unterschiede auf, insbesondere in Bezug auf die Bindungswirkung der Patientenverfügung (Lack/Salathé, Schweizerische Ärztezeitung 2008, 2164, Fn. 1). Nachweise zu den kantonalen Bestimmungen bei Arter, Der Schweizer Treuhänder 2007, 657, Fn. 6. 159 Aus der Rechtsprechung ist ebenfalls ein Fall zur Patientenverfügung bekannt: TvGR 1990/63 und 1993/63 (zitiert nach Vezzoni, The Legal Status and Social Practice, S. 72, Fn. 11). Seit dem Jahr 2010 wird als „neues notarielles Produkt“ (so die Umschreibung von Breemhaar, in: Löhnig et al [Hrsg.], Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 183 [186]) außerdem das notariell beurkundete Lebenstestament (levenstestament) diskutiert, das neben einer allgemeinen Vollmacht auch Wünsche bezüglich gerichtlicher Schutzmaßnahmen und medizinischer Behandlungen beinhalten kann (Breemhaar, in: Löhnig et al [Hrsg.], Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in E uropa, S. 183 [192 ff.]). 160 Vgl. Biderbost, SJZ 2010, 309 (310). 161 Loi relative aux droits du patient, Moniteur Belge v. 26.9.2002, p. 43719, in Kraft getreten am 6.10.2002. Vor der gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung waren P atientenverfügungen in der belgischen Praxis zwar nicht gänzlich unbekannt, aber wegen bestehender Rechtsunsicherheiten etwa mit Blick auf Bindungswirkung und Authentizität von nur untergeordneter Bedeutung (Nys, in: Taupitz, Rn. B35). Inzwischen wird die Pa-
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relative aux soins palliatifs, à la directive anticipée et à l’accompagnement en fin de vie162 geregelt. 2. Regelungsgegenstand Unterschiede bestehen auch mit Blick auf den Regelungsgegenstand von Patientenverfügungen. Während nach niederländischem und belgischem Recht Gegenstand einer Patientenverfügung nur die antizipierte Ablehnung medizinischer Behandlungen ist 163, ist nach schweizerischem (Art. 370 Abs. 1 ZGB) und luxemburgischem Recht (Art. 5 Abs. 1) auch die antizipierte Zustimmung zur Vornahme medizinischer Maßnahmen Gegenstand einer Patientenverfügung. Anders als das niederländische Recht regelt das schweizerische Recht überdies zwei Arten von Patientenverfügungen: Zum einen kann der Betroffene unmittelbar festlegen, für welche medizinische Maßnahmen er seine Zustimmung erteilt und welche Maßnahmen er antizipiert ablehnt. Zum anderen besteht – nachdem sich der schweizerische Gesetzgeber gegen die Schaffung des Rechtsinstituts „Vorsorgeauftrag für medizinische Angelegenheiten“ entschieden hat – für den Verfasser einer Patientenverfügung die Möglichkeit, in seiner Patientenverfügung eine natürliche Person zu bezeichnen, die im Fall seiner Urteilsunfähigkeit mit dem behandelnden Arzt die medizinischen Maßnahmen besprechen und in seinem Namen – u.U. nach entsprechenden Weisungen – entscheiden soll (Art. 370 Abs. 2). Weil die als Vertreter eingesetzte Person entscheidungsberechtigt wird, handelt es sich bei einer solchen Patientenverfügung aber nicht um eine antizipierte Einwilligung oder Ablehnung einer medizinischen Maßnahme. Auch das belgische Recht ermöglicht volljährigen Betroffenen, einen Bevollmächtigten zu benennen, der die Rechte des Patienten wahrnimmt, sofern und solange dieser nicht selbst dazu in der Lage ist (Art. 14 § 1). Die Bevollmächtigung erfolgt durch spezifische schriftliche Vollmacht, die datiert und vom Patienten und dem Bevollmächtigten unterzeichnet wird (Art. 14 § 1 Abs. 2). Anordnungen des Bevollmächtigten sind für den behandelnden Arzt bindend, es sei denn, der Bevollmächtigte kann sich nicht auf den ausdrücklichen Willen des Patienten berufen (Art. 15 § 2). Hat der Patient keinen Bevollmächtigten benannt, obliegt die tientenverfügung stark propagiert, unterstützt durch eine starke gesellschaftliche Bewegung gegen eine Lebensverlängerung um jeden Preis, siehe etwa Ethikkommission für Senioren, Grundüberlegungen, S. 5 ff. 162 Loi du 16 mars 2009 relative aux soins palliatifs, à la directive anticipée et à l’accompagnement en fin de vie, Memorial A - Nº46/16 mars 2009, S. 609. Mit diesem Gesetz wurde nicht nur das Recht auf Ablehnung unangemessener Behandlungen und e iner künstlichen Lebensverlängerung gestärkt, sondern auch ein Recht auf Palliativpflege und antizipierte Willensäußerung geschaffen. 163 Vezzoni, The Legal Status and Social Practice, S. 69.
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Umsetzung der Patientenverfügung seinem gesetzlichen Vertreter (Art. 14 § 2).164 Nach belgischem (Art. 7 § 2, Art. 9 § 2) und luxemburgischem (Art. 5 Abs. 2) Recht besteht außerdem die Möglichkeit, eine Vertrauensperson zu benennen, die den Patientenwillen gegenüber dem Arzt durchsetzt. 3. Errichtung Gemein ist den verwirklichten Regelungskonzepten die gesetzgeberische Entscheidung für geringe Errichtungsvoraussetzungen. Nach niederländischem Recht können Personen eine wilsbeshikking errichten, die das 16. Lebensjahr vollendet haben und im Zeitpunkt der Errichtung einsichtsund urteilsfähig sind. Auch nach belgischem Recht steht Minderjährigen, von denen angenommen werden kann, dass sie zu einer vernünftigen Entscheidung ihrer Interessen in der Lage sind, die Errichtung einer Patientenverfügung offen (Art. 12 § 2 S. 2). Auch der Verfasser einer schweizerischen Patientenverfügung muss lediglich urteilsfähig sein (Art. 370 Abs. 1). Urteilsfähig ist, wem nicht wegen seines Kindesalters oder infolge von Geisteskrankheit, Geistesschwäche, Trunkenheit oder ähnlicher Zustände die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäß zu handeln (Art. 16 ZGB). Minderjährige oder unter Beistandschaft stehende Personen können also eine Patientenverfügung errichten, wenn sie die übrigen Voraussetzungen des Art. 16 erfüllen.165 Das luxemburgische Recht schweigt demgegenüber zu den persönlichen Errichtungsvoraussetzungen. So bleibt unklar, ob der Betroffene einwilligungsfähig oder sogar in Abweichung zum niederländischen, belgischen und schweizerischen Recht einwilligungsfähig und volljährig sein muss. Ähnlichkeiten zwischen den Regelungskonzepten bestehen jedoch wieder mit Blick auf die formellen Errichtungsvoraussetzungen. In formeller Hinsicht bedarf die Errichtung der Patientenverfügung im niederländischen, schweizerischen und luxemburgischen Recht der Schriftform mit entsprechender Datierung und eigenhändiger Unterzeichnung (Art. 7-450 Abs. 3 B.W; Art. 371 Abs. 1 ZGB i.V. mit Art. 13 OR; Art. 5 Abs. 4 Loi relative aux soins palliatifs, à la directive anticipée et à l’accompagnement
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Namentlich in entsprechender Rangfolge dem mit dem Patienten zusammenwo hnenden Ehepartner, gesetzlich bzw. tatsächlich zusammenwohnenden Partner, dem volljährigen Kind, volljährigen Elternteil, den volljährigen Geschwistern (Art. 14 § 2 Abs. 1, 2). Der gesetzliche Vertreter muss die Aufgabe nicht wahrnehmen; erklärt sich keine der in Frage kommenden Personen bereit, entscheidet das behandelnde medizinische Fac hpersonal im Interesse des Patienten (Art. 14 § 2 Abs. 3). 165 Schnyder, FamRZ 2006, 1569 (1572); Aebi-Müller/Bienz, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 57 (78).
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en fin de vie).166 Das luxemburgische Recht kennt außerdem formelle Erleichterungen für Personen, die nicht mehr zur schriftlichen Errichtung in der Lage sind. Für sie besteht die Möglichkeit, die Patientenverfügung vor zwei Zeugen zu errichten (Art. 5 Abs. 2). Das niederländische und das schweizerische Recht treffen außerdem Vorkehrungen dafür, dass die behandelnden Ärzte auch tatsächlich Kenntnis von der Patientenverfügung erlangen: Während nach schweizerischem Recht die Möglichkeit besteht, die Existenz der Patientenverfügung einschließlich ihres Hinterlegungsortes auf der Versichertenkarte eintragen zu lassen (Art. 371 Abs. 2 S. 1), kann der Patient seine wilsbeshikking nach niederländischem Recht in die für ihn vom Hausarzt geführte Patientenakte aufnehmen lassen (Art. 7: 454 Abs. 2 B.W.). 4. Umsetzung und Verbindlichkeit Auch hinsichtlich der Rechtsfolgen von Patientenverfügungen verfolgen die Benelux-Staaten und die Schweiz ein vergleichbares Autonomiekonzept. Die wirksam errichtete wilsbeshikking ist nach niederländischem Recht für den behandelnden Arzt grundsätzlich bindend. Allerdings kann sich der behandelnde Arzt den in der wilsbeshikking genannten Wünschen des Patienten aufgrund gewichtiger Gründe (gegronde redenen) verweigern. Ein gewichtiger Grund kann etwa darin liegen, dass der behandelnde Arzt vernünftige Zweifel an der Urheberschaft des Patienten oder seiner Entscheidungskompetenz im Zeitpunkt der Errichtung der wilsbeshikking hegt, die wilsbeshikking ungenau formuliert ist oder aber neue Behandlungsmethoden zur Verfügung stehen, die eine adäquate medizinische Behandlung ermöglichen. 167 Nach belgischem Recht ist die in einer Patientenverfügung erklärte Verweigerung zu berücksichtigen, solange sie der Patient zu einem Zeitpunkt, in dem er noch in der Lage ist, seine Rechte selbst auszuüben, nicht widerrufen hat (Art. 8 § 4 Abs. 4 Loi relative aux droits du patient). Jenseits dieser strikten Bindungswirkung der Patientenverfügung behält der behandelnde Arzt allerdings einen Entscheidungsspielraum, wenn die Patientenverfügung nicht hinreichend präzise formuliert ist oder aber die Er-
166 Weitergehende formelle Wirksamkeitsvoraussetzungen (etwa notarielle Beurkundung, Anwesenheit von Zeugen, ärztliche Aufklärung und Unterstützung bei der Errichtung) für das niederländische Recht aber diskutiert bei Vezzoni, The Legal Status and Social Practice, S. 71 f. 167 Markenstein, in: Taupitz, Rn. NL21 ff.; Vezzoni, The Legal Status and Social Practice, S. 71; Breemhaar, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 183 (195).
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richtung bereits einige Jahre zurückliegt. 168 In der Praxis wird versucht, diesen ärztlichen Entscheidungsspielraum möglichst klein zu halten, und zu diesem Zweck in Musterformularen eine Erneuerung der Patientenverfügung etwa alle ein bis zwei Jahre vorgeschlagen, ohne dass dies aber Wirksamkeitsvoraussetzung wäre. 169 Auch nach luxemburgischem Recht ist die wirksam errichtete Patientenverfügung für den behandelnden Arzt verbindlich, wenn die Patientenverfügung nicht zwischenzeitlich widerrufen (Art. 5 Abs. 4) wurde. Widerspricht der in der Patientenverfügung niedergelegte Patientenwille den Überzeugungen des behandelnden Arztes, ist dieser nach luxemburgischem Recht verpflichtet, den Patienten nach Absprache mit der Vertrauensperson oder der Familie des Patienten in die Obhut eines anderen Arztes zu geben, der die Wünsche des Patienten respektiert (Art. 6 Abs. 5). Rechtliche Verbindlichkeit spricht auch das schweizerische Recht Patientenverfügungen zu (Art. 372 Abs. 2 ZGB). Die Patientenverfügung entfaltet dieselben Rechtswirkungen wie der aktuell geäußerte Patientenwille, es sei denn, die Patientenverfügung wurde durch den Betroffenen zwischenzeitlich schriftlich widerrufen (Art. 371 Abs. 3, 362).170 Entspricht der Arzt einer wirksamen und nicht widerrufenen Patientenverfügung nicht, ist er verpflichtet, die Gründe im Patientendossier festzulegen (Art. 372 Abs. 3). Ausnahmen von der strikten Verbindlichkeit der Patientenverfügung bestehen aber u.a., wenn begründete Zweifel daran bestehen, dass die Patientenverfügung auf freiem Willen beruht oder noch dem mutmaßlichen Willen der Patientin oder des Patienten entspricht (Art. 372 Abs. 2).171 Im schweizerischen Schrifttum wird kritisiert, dass mit der Formulierung „oder noch dem mutmasslichen Willen der Patientin oder 168 Keine Verbindlichkeit haben auch positive Behandlungsanweisungen des Patie nten: Sie sind nur ein Indiz für den Willen des Patienten (Pintens, in: Löhnig et al [Hrsg.], Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 263 [275]). 169 Ethikkommission für Senioren, Grundüberlegungen, S. 6. 170 Schriftformerfordernis für den Widerruf etwa kritisiert von Gerth/Mona, ZSR 2009, 157 (168 ff.). 171 Fehlt es an der Errichtung einer Patientenverfügung oder enthält diese keine Weisungen, entscheidet die vertretungsberechtigte Person über medizinisch indizierte Ma ßnahmen nach dem mutmaßlichen Willen und den Interessen der urteilsunfähigen Person (Art. 378 Abs. 3 ZGB). Vertretungsberechtigt sind die in Art. 378 Abs. 1 genannten Personen, insbesondere die in einer Patientenverfügung oder einem Vorsorgeauftrag b ezeichnete Person (Nr. 1), subsidiär der von Gesetzes wegen zu bestellende Beistand (Nr. 2) oder der Ehegatte/eingetragene Partner wie auch andere nahestehende Personen (Nrn. 3–7). Der behandelnde Arzt ist zur Erstellung eines Behandlungsplans unter Beizug der zur Vertretung bei medizinischen Maßnahmen berechtigten Personen verpflichte t (Art. 377 Abs. 1). In dringlichen Fällen ergreift er allerdings von sich aus medizinische Maßnahmen nach dem mutmaßlichen Willen und den Interessen der urteilsunfähigen Person (Art. 379).
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des Patienten entspricht“ das eigentlich angestrebte hierarchische Verhältnis zwischen Patientenverfügung und bloßer mutmaßlicher Einwilligung verwischt werde, dies zu Verunsicherung in der Ärzteschaft führen werde und deswegen zu erwarten sei, dass regelmäßig auf das Institut des mutmaßlichen Willens zurückgegriffen werde und die Patientenverfügung auf diese Weise zu einem bloßen Indiz degradiert werde.172 Weil sich die Patientenverfügung in erster Linie an den behandelnden Arzt richtet, hat die Patientenverfügung in den Benelux-Staaten und der Schweiz keine Berührungspunkte zum hoheitlichen Erwachsenenschutz. 173 Gemäß Art. 373 schweizer. ZGB kann aber jede dem Patienten nahestehende Person schriftlich die Erwachsenenschutzbehörde anrufen und geltend machen, dass erstens der Patientenverfügung nicht entsprochen wird, zweitens die Interessen der urteilsunfähigen Person gefährdet oder nicht mehr gewahrt sind, drittens die Patientenverfügung nicht auf freiem Willen beruht. Die Vorschrift wurde damit begründet, dass auch bei Patientenverfügungen „unter bestimmten Umständen eine behördliche Intervention möglich sein“174 muss. 5. Patientenverfügung und Sterbehilfe Größere Unterschiede bestehen zwischen den Benelux-Staaten und der Schweiz mit Blick auf die Grenzen der Patientenautonomie. a) Benelux-Staaten Die Benelux-Staaten zeichnen sich im Grenzbereich zwischen Leben und Tod durch Liberalität aus, die sich insbesondere in der partiellen Legalisierung aktiver Sterbehilfe manifestiert und trotz mancher Unterschiede im Detail zugleich der gemeinsame legislatorische Nenner dieser drei Rechtsordnungen ist. An der Rechtsprechung 175 lässt sich ablesen, dass die grundsätzlich tolerante Einstellung zur aktiven Sterbehilfe in den BeneluxStaaten über Jahrzehnte gewachsen ist. Dies illustriert etwa der niederlän-
172 Gerth/Mona, ZSR 2009, 157 (158, 165 ff.); Aebi-Müller/Bienz, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 57 (84 f.). 173 Für die Schweiz: Aebi-Müller/Bienz, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 57 (86). 174 Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Erwachsene nschutz, Personenrecht und Kindesrecht) v. 28.6.2006, BBl. 2006, S. 7012; auch zitiert bei Gerth/Mona, ZSR 2009, 157 (178). 175 Etwa aus den Niederlanden: Bezirksgericht Utrecht, Urteil v. 11.3.1952, Nederlandse Jurisprudentie 1953 (Nr. 275), S. 580; etwa aus Belgien: Hof van Assisen te Luik, Urteile v.10.11.1962, 13.4.1972 und 28.5.1975 (jeweils nicht veröffentlicht); Entscheidungen zitiert nach Khorrami, MedR 2003, 19 (21, Fn. 18; 23, Fn. 41, 44, 45 m.w.N.).
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dische Fall aus dem Jahr 1971 um die Ärztin Geertruuida Postma176, die ihre unheilbar kranke Mutter aus Mitleid mit einer Morphiumspritze getötet hatte, aber trotz des Verbots der aktiven Sterbehilfe im niederländischen Strafrecht177 (Art. 293, 294) lediglich zu einer symbolischen einwöchigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Dieser Fall wird als Impulsgeber einer weltweiten Diskussion über Fragen der Sterbehilfe angesehen. 178 Der niederländische Gesetzgeber hat die Duldungspolitik 179 in Sachen Sterbehilfe zur Jahrtausendwende zum Anlass genommen, ein Gesetz über die Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe bei der Selbsttötung180 zu verabschieden. Seit dessen Inkrafttreten im Jahr 2002 enthalten Art. 293, 294 des niederländischen Strafgesetzbuchs in ihrem zweiten Absatz einen Strafausschließungsgrund: Der Euthanasie leistende Arzt macht sich nicht strafbar, falls bestimmte Sorgfaltskriterien, die in Art. 2 Abs. 1 lit. a–f des Gesetzes über die Kontrolle der Lebensbeendigung geregelt sind, von ihm während der Tat eingehalten wurden. 181 Nach dem Tod des Patienten muss ein gesetzlich geregeltes Überprüfungsverfahren eingehalten werden.182 Alle anderen Formen der Tötung auf Verlangen 176 Bezirksgericht Leeuwarden, Urteil v. 21.2.1973, Nederlandse Jurisprudentie 1973 (Nr. 183), S. 556; Entscheidung zitiert nach Khorrami, MedR 2003, 19 (21, Fn. 19). 177 Wetboek van Strafrecht. 178 Baumann, S. 58. 179 Zu dieser Duldungspolitik und ihrem historischen Hintergrund ausführlich: Gordijn, KritV 2001, 457 ff.; kurze Nachzeichnung bei Scholten, BtPrax 2001, 231 f. 180 Wet van 12 April 2001 toetsing levensbeëndiging op verzoek en hulp bij zelfdoding, Stb. 2001, 194; zum Gesetzgebungsverfahren Gordijn, KritV 2001, 457 ff. 181 Erstens muss der Patient den Wunsch zu sterben freiwillig und gut überlegt äußern; zweitens muss der Arzt prüfen und positiv erklären, dass der Patient unerträglich und dauerhaft leidet und überdies unheilbar erkrankt ist; drittens muss sich der behandelnde Arzt wenigstens mit einem anderen unabhängigen Arzt, der den Patienten selbst begutachtet hat, verständigen; viertens muss der Arzt den Tod nach medizinischen Sorgfaltskriterien vornehmen; fünftens muss der Arzt den Patienten zuvor über dessen Situation und die daraus resultierenden Perspektiven aufklären und zusammen mit dem Patie nten zu dem Ergebnis gekommen sein, dass für die Situation, in der der Patient ist, keine akzeptable Alternative mehr existiert. Mit der letztgenannten Voraussetzung, die ein e nges Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient voraussetzt, sollen Kurzschlusshan dlungen und ein Sterbehilfetourismus ausländischer Patienten in die Niederlande vermi eden werden. Zum Vorstehenden: Khorrami, MedR 2003, 19 (20); Ladebeck, FamZ 2006, 93; Finger, MedR 2004, 379; Knopp, MedR 2003, 379 (380); Breemhaar, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 183 (196); Gordijn, KritV 2001, 457 (461 f.). 182 Der Tod muss einer der fünf eingerichteten Regionalkommissionen mitgete ilt werden, die aus einem Mediziner, einem Juristen und einem Ethiker besteht. Die Kommiss ion überprüft die Rechtmäßigkeit der Euthanasie und beendet den Vorgang nach einem positiven Urteil eigenständig; bei Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Euthanasie sc haltet die Kommission die Staatsanwaltschaft ein (Art. 3, 8, 9). Dazu auch: Finger, MedR 2004, 379; Breemhaar, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwach-
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bzw. der Hilfe zur Selbsttötung, insbesondere Euthanasie durch andere Personen als Ärzte, sind weiterhin nach dem niederländischen Strafgesetzbuch strafbar.183 Nur kurze Zeit nach dem Tätigwerden des niederländischen Gesetzgebers hat auch der belgische Gesetzgeber das Gesetz betreffend die Euthanasie v. 28.5.2002 (Loi relative à l’euthanasie184) verabschiedet. Anders als im niederländischen Recht dürfen nach belgischem Recht in einer Willenserklärung nur Wünsche nach aktiver Sterbehilfe, nicht aber auch Wünsche nach ärztlich assistiertem Suizid wirksam formuliert werden. Einen Zwang oder eine Verpflichtung dazu, aktive Sterbehilfe zu leisten, besteht für die Ärzte nicht (Art. 14 § 2 Loi relative à l’euthanasie). Auch hat die partielle Legalisierung der aktiven Sterbehilfe an der im belgischen Strafgesetzbuch (Code pénal) grundsätzlich geregelten Strafbarkeit der Tötung (meurtre, Art. 393) und des Mordes (assassinat, Art. 394) nichts geändert.185 Wie das niederländische Recht stellt auch das belgische Recht enge Voraussetzungen für eine straflose aktive Sterbehilfe auf. Anders als in den Niederlanden kann aktive Sterbehilfe aber auch bei psychischen Krankheiten in engen Grenzen straflos geleistet werden.186 Der Patient muss sein Verlangen nach Sterbehilfe eigenhändig schriftlich verfassen, datieren und unterschreiben; sollte er dazu nicht in der Lage sein, kann eine von ihm ausgewählte, volljährige Person, die kein materielles Interesse an seinem Tod hat, dies schriftlich festhalten (Art. 3 § 4 Loi relative à l’euthanasie). Auch in Luxemburg können Betroffene seit dem Jahr 2009 unter bestimmten Voraussetzungen den Wunsch äußern, dass der behandelnde Arzt
senenschutz in Europa, S. 183 (197); Khorrami, MedR 2003, 19 (20); Ladebeck, FamZ 2006, 93. 183 Janssen, ZRP 2001, 179 (181); Breemhaar, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 183 (196). 184 Loi relative à l’euthanasie, Moniteur Belge v. 22.6.2002, p. 28515 ff., in Kraft getreten am 22.9.2002. 185 Zum Rechtszustand vor Erlass des Loi relative à l’euthanasie: Nys, in: Taupitz, Rn. B42 ff. 186 Entschließt sich ein Arzt dazu, aktive Sterbehilfe zu leisten, begeht er keine Stra ftat, wenn er sich von folgenden vier Voraussetzungen vergewissert hat: Erstens, dass der Patient volljährig oder ein für mündig erklärter Minderjähriger ist, handlungsfähig und im Moment seines Verlangens bei Bewusstsein ist; zweitens, dass die Bitte nach Euthanasie freiwillig, überlegt, wiederholt und ohne äußeren Druck formuliert und zustande gekommen ist; drittens, dass sich der Patient in einer medizinisch ausweglosen Situation befindet und sich auf eine anhaltende, unerträgliche körperliche oder psychische Qual b eruft, die nicht gelindert werden kann und die Folge eines schlimmen und unheilbaren, unfall- oder krankheitsbedingten Leidens ist; viertens, dass der Arzt die weiteren, im Gesetz vorgesehenen Verhaltensweisen beachtet (Art. 3 § 1 Loi relative à l’euthanasie).
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ihnen aktive Sterbehilfe oder Hilfe beim Suizid 187 gewährt (Art. 2 Loi sur l’euthanasie et l’assistance au suicide188).189 Zugleich wurde in Art. 397 des luxemburgischen Code pénal ein Absatz eingefügt, der die Straflosigkeit der ärztlichen aktiven Sterbehilfe sowie des assistierten Suizids durch einen Arzt klarstellt. Der Weg zu dieser gesetzlichen Regelung verlief aber steiniger als in den Niederlanden und Belgien. Bereits im Jahr 2002 hatten Abgeordnete einen Gesetzesvorschlag zur aktiven Sterbehilfe vorgelegt, über den in Parlament und Gesellschaft lange Jahre debattiert wurde. 190 Wegen des Widerstands des Grand Duc gegen eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe wurde während des Gesetzgebungsverfahrens sogar die luxemburgische Verfassung geändert, konkret die Beteiligungsrechte des Grand Duc im Gesetzgebungsverfahren eingeschränkt. 191 Neben der Patientenverfügung kennen die Benelux-Staaten seit der Euthanasiegesetzgebung Vorausverfügungen, in denen der Wunsch nach Euthanasie für den Fall formuliert werden kann, dass der Betroffene bewusstlos ist und medizinisch festgestellt ist, dass der Betroffene zu einem späteren Zeitpunkt an einer schweren, nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft ausweglosen Krankheit leidet und sich im Zustand der unumkehrbaren Bewusstlosigkeit befindet (so etwa Art. 4 Abs. 1 des luxemburgischen Loi sur l’euthanasie et l’assistance au suicide192). In den Nieder187 Aktive Sterbehilfe und assistierter Suizid definiert in Art. 1 Loi sur l’euthanasie et l’assistance au suicide. 188 Loi sur l’euthanasie et l’assistance au suicide, Memorial A - Nº46/16 mars 2009, S. 609. 189 Das Recht, Sterbehilfe oder Hilfe zum Suizid zu beantragen, hat jedermann, der im Zeitpunkt der Willensbekundung volljährig, handlungsfähig und bei Bewusstsein ist, b ezüglich des Wunsches zu Sterben freiwillig und überlegt handelt, an einer unerträglichen, dauerhaften physischen oder psychischen Krankheit ohne jede Aussicht auf Besserung und Heilung leidet. Mit Blick auf das Volljährigkeitserfordernis hat der luxemburgische Gesetzgeber sich bewusst von den liberal orientierten niederländischen und belgischen Regelungskonzepten abgesetzt. Die demande d’euthanasie muss vom Betroffenen schriftlich errichtet, datiert und unterschrieben werden (Art. 2 Abs. 2). Formelle Erleichterungen bestehen für Personen, die dauerhaft physisch nicht in der Lage sind, ihr Anliegen zu verfassen und zu unterzeichnen (Art. 2 Abs. 2). Folgt der behandelnde Arzt der demande d’euthanasie haftet er weder zivilrechtlich noch macht er sich strafbar, wenn er das g esetzlich detailliert vorgeschriebene Verfahren, zu dem auch die Konsultation der Commission nationale de contrôle et d’évaluation gehört, einhält (Art. 2). Möchte er der demande d’euthanasie nicht Folge leisten, muss er den Fall einem anderen Arzt binnen 24 Stunden vorlegen (Art. 15). 190 Proposition de loi nº 4909 sur le droit de mourir en dignité der Abgeordneten Lydie Err und Jean Huss v. 5.2.2002, dossier parlementaire v. 19.2.2002; Knopp, MedR 2003, 379 (382). 191 Loi du 12 mars 2009 portant revision de l’article 34 de la Constitution, Memorial A - Nº 43/12 mars 2009, p. 585. 192 Ähnlich die Formulierung in Art. 4 des belgischen Loi relative à l’euthanasie.
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landen heißt diese Art der Vorausverfügung euthanasieverklaring, in Belgien demande anticipée d´euthanasie 193 und in Luxemburg disposition de fin de vie. Sie treten jeweils neben die reguläre Patientenverfügung und sind von ihr strikt zu unterscheiden. Allerdings wird aus den Niederlanden berichtet, dass der Wunsch nach aktiver Sterbehilfe oft in eine wilsbeshikking aufgenommen wird und es dann praktisch so gut wie unmöglich ist, zwischen den beiden Arten von Vorausverfügungen zu unterscheiden.194 Die Benelux-Staaten haben bei der Regelung der Vorausverfügung betreffend die Sterbehilfe das Verhältnis zwischen Selbstbestimmung und Lebensschutz unterschiedlich aufgelöst. Dies belegt bereits ein Blick auf die persönlichen Errichtungsvoraussetzungen. Während das niederländische195 und das belgische Recht 196 auch Minderjährigen die Möglichkeit eröffnet, antizipiert nach aktiver Sterbehilfe und Hilfe zum Suizid (nur Niederlande) zu verlangen, gewährt das luxemburgische Loi sur l’euthanasie et l’assistance au suicide nur volljährigen und handlungsfähigen Betroffenen die Möglichkeit der Errichtung einer disposition de fin de vie. Anders als in den Niederlanden besteht in Belgien und in Luxemburg auch für psychisch kranke Menschen die Möglichkeit, nach aktiver Sterbehilfe und Hilfe zum Suizid (nur Luxemburg) zu verlangen. Interessant ist, dass die Euthanasiegesetze ihren persönlichen Anwendungsbereich nicht auf Staatsangehörige der jeweiligen Staaten oder aber Personen mit Wohnsitz in diesen Staaten beschränken, also einen Sterbetourismus grundsätzlich ermöglichen. Unterschiede ergeben sich auch mit Blick auf die formellen Errichtungsvoraussetzungen. Nach niederländischem Recht bedarf die eutha193
Vor Erlass des Loi relative à l’euthanasie waren entsprechende antizipierte Erklärungen in Belgien unwirksam (Nys, in: Taupitz, Rn. B43). 194 Vezzoni, The Legal Status and Social Practice, S. 75. 195 Im niederländischen Recht kann jeder Patient ab 16 Jahren in einer euthanasieverklaring für den Zustand der Einsichts- und Urteilsunfähigkeit nach Euthanasie verlangen (Art. 2 Abs. 2). Voraussetzung ist aber, dass Patienten zwischen 16 und 18 Jahren, bevor sie in den ausweglosen Zustand geraten sind, als in der Lage betrachtet we rden können, ihre Interessen in Sachen Lebensbeendigung rational zu vertreten. Die Genehmigung der Eltern oder des Vormundes benötigen 16–18-jährige Personen nicht; die Eltern bzw. der jeweilige Vormund sind aber vom Arzt vor der Lebensbeendigung zu konsul tieren (Art. 2 Abs. 3). Weil nach niederländischem Recht auch Kinder ab 12 Jahren in Gesundheitsa ngelegenheiten unter bestimmten Bedingungen selbständig entscheiden dürfen, berüc ksichtigt auch das Gesetz über die Kontrolle der Lebensbeendigung ihre Rechte: 12- bis 16-jährige Patienten benötigen die Zustimmung ihrer Eltern (Art. 2 Abs. 4). So auch Gordijn, KritV 2001, 457 (462); anders aber Khorrami, MedR 2003, 19 (21), die ausführt, dass eine Regelung für Kinder ab 12 Jahren im Gesetzgebungsverfahren verwor fen wurde. 196 Zur Errichtung einer Demande anticipée d´euthanasie befugt ist jeder handlungsfähige Volljährige oder für mündig erklärte Minderjährige (Art. 4 § 1 Abs. 1).
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nasieverklaring der Schriftform (Art. 2 Abs. 2). Das luxemburgische Recht knüpft die formelle Wirksamkeit der disposition de fin de vie demgegenüber an die Schriftform, die Datierung, die Unterschrift des Betroffenen sowie die Registrierung (Art. 4 Abs. 1).197 Auch wenn das Gesetz keine Gültigkeitsdauer für die disposition de vie festlegt, verpflichtet es die Commission nationale de contrôle et d’évaluation, alle fünf Jahre ab dem Datum der Registrierung der Patientenverfügung den Verfasser zwecks Bestätigung des in der disposition de fin de vie niedergelegten Willens zu kontaktieren. Noch höhere formelle Wirksamkeitsvoraussetzung stellt das belgische Recht auf. Der Sterbewunsch muss schriftlich und vor zwei volljährigen Zeugen, von denen wenigstens einer kein materielles Interesse am Tod des Erklärenden hat, erklärt werden; außerdem müssen Verfasser und Zeugen sowie die ggf. in der demande anticipée d´euthanasie benannte Vertrauensperson die Erklärung datieren und unterschreiben (Art. 4 § 1 Abs. 1, 3, 6). Ist der Patient selbst auf Dauer nicht mehr in der Lage, die Erklärung zu errichten oder zu unterzeichnen, bestehen abweichende formelle Wirksamkeitsvoraussetzungen (Art. 4 § 1 Abs. 4, 5). Die demande anticipée d´euthanasie ist jederzeit formfrei widerruflich (Art. 4 § 1 Abs. 7). Auch besteht eine fakultative Registrierungsmöglichkeit 198. Anders als im niederländischen und luxemburgischen Recht kann eine demande anticipée d´euthanasie nur berücksichtigt werden, wenn sie weniger als fünf Jahre vor Beginn der Unmöglichkeit des Patienten, seinen Willen zu äußern, erstellt oder bestätigt worden ist (Art. 4 § 1 Abs. 6). Aber auch dann hat die demande anticipée d´euthanasie keinen zwingenden Charakter (Art. 14). Voraussetzung für Sterbehilfe aufgrund einer demande anticipée d´euthanasie ist, dass sich der Arzt vergewissert hat, dass der Patient unheilbar schwerstkrank ist und sich nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft in irreversibler Bewusstlosigkeit befindet und der Arzt vor und nach Ausübung der aktiven Sterbehilfe verfahrensrechtliche Vorgaben einhält (Art. 4 § 2).199 Anders als im niederländischen und luxemburgischen Recht kann im belgischen Recht die Bitte nach assistiertem Suizid nicht 197
Erneut bestehen formelle Erleichterungen für Personen, die dauerhaft physisch nicht in der Lage sind, ihr Anliegen zu verfassen und zu unterzeichnen (Art. 4 Abs. 2). 198 Arrêté royal réglant la façon dont la déclaration anticipée en matière d’euthanasie est enregistrée et est communiquée via les services du Registre national aux médecins concernés, Moniteur belge v. 7.6.2007, p. 30952; Pintens, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 263 (279). 199 Vor Ausübung der aktiven Sterbehilfe muss insbesondere ein weiterer, dem behandelnden Arzt gegenüber unabhängiger und fachkundiger Arzt die Unheilbarkeit der Krankheit des Patienten bestätigen und eine vom Patienten benannte Vertrauensperson konsultiert werden (Art. 4 § 2). Nach Ausübung der aktiven Sterbehilfe müssen die Ärzte die erfolgte aktive Sterbehilfe insbesondere an die Föderale Kontroll- und Bewertungskommission melden (Art. 5 ff.).
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Gegenstand einer demande anticipée d´euthanasie sein, weil assistierter Suizid nach wie vor strafbar ist. Legalisierungsvorhaben 200 blieben bislang ohne Erfolg. b) Schweiz In der Schweiz ist aktive Sterbehilfe bislang verboten. Dies hat zugleich Auswirkungen auf den zulässigen Inhalt einer Patientenverfügung. Patientenverfügungen sind unverbindlich, wenn sie gegen gesetzliche Verbote verstoßen (Art. 372 Abs. 2 ZGB). Gesetzlich verboten sind in der Schweiz vorsätzliche Tötung (Art. 111 StGB), Mord (Art. 112 StGB), Totschlag (Art. 113 StGB) und die Tötung auf Verlangen (Art. 114 StGB).201 Weil direkte aktive Sterbehilfe, selbst wenn sie auf ausdrücklichen Wunsch einer todkranken Person zur Verkürzung ihres Leidens erfolgt, als Fremdtötung i.S. der Art. 111 ff. StGB strafbar ist 202, wäre eine Patientenverfügung gemäß Art. 20 OR nichtig, wenn sie einen Auftrag für direkte aktive Sterbehilfe enthielte. Rechtlich erlaubt ist die indirekte aktive Sterbehilfe, also das Verabreichen schmerzlindernder Mittel, die als unerwünschte Nebenwirkung einer palliativen Behandlung die Lebensdauer verkürzen können.203 Rechtlich erlaubt ist außerdem passive Sterbehilfe, also der Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen oder der Abbruch solcher Maßnahmen auf Wunsch des Patienten. 204 Als vergleichsweise liberal lässt sich das schweizerische Strafrecht aber wegen der Legalisierung organisierter Beihilfe zur Selbsttötung charakterisieren, die in den vergangenen Jahren zu einer Etablierung diverser Sterbehilfeorganisationen in der Schweiz und zu einem Sterbehilfetourismus in die Schweiz geführt hat. Wegen Beihilfe zum Selbstmord wird gemäß Art. 115 StGB nur bestraft, „wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, (…), wenn der Selbstmord ausgeführt oder versucht wurde“. Die von den Organisationen „Dignitas“ und „Exit“ in der Schweiz auch für Personen aus dem Ausland angebotene Suizidhilfe ist, weil sie nicht aus selbstsüchtigen Motiven erfolgt, regelmäßig straflos. Der schweizerische Bundesrat hat im Juni 2011 Bestrebungen, organisierte Sterbehilfe gesetzlich zu regeln, fallen gelassen. 205 Und auch ein Verbot des Sterbetourismus wurde mit großer Mehrheit im Mai 2011 in einer Volksabstim-
200 Etwa Proposition de loi modifiant la loi du 28 mai 2002 relative à l’euthanasie v. 7.7.2004; zu den Vorhaben: Nys, Eur. J. Health L. 12 (2005), 39. 201 Kieser, ZErb 2008, 99 (101). 202 EJPD, Sterbehilfe und Palliativmedizin, S. 7 f. 203 EJPD, Sterbehilfe und Palliativmedizin, S. 8. 204 EJPD, Sterbehilfe und Palliativmedizin, S. 8. 205 Medienmitteilung des Bundesrates v. 29.6.2011.
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mung im Kanton Zürich abgelehnt. 206 Infolge der Vorbehalte gegen aktive Sterbehilfe unterscheidet das schweizerische Recht anders als die BeneluxStaaten nicht zwischen verschiedenen Formen der Patientenverfügung. Gleichwohl bedeutet die Revision des schweizerischen Erwachsenenschutzrechts eine deutliche Abkehr vom paternalistischen Denken, das das seit Inkrafttreten des ZGB im Jahr 1912 fast unveränderte schweizerische Vormundschaftsrecht bislang kennzeichnet.207 II. Frankreich und Österreich Den gesetzlichen Regelungen der Patientenverfügung in Frankreich und Österreich liegt ein gegenüber den Benelux-Staaten und der Schweiz deutlich zurückhaltenderes Autonomiekonzept zugrunde. 1. Regelungsstandort Bis zu Beginn der 1990er Jahre wurde über das Thema Patientenverfügung – möglicherweise aufgrund des positivrechtlichen Hintergrunds 208 des § 110 öStGB – in Österreich nicht diskutiert: Erst nachdem in einem Wiener Pflegeheim Hilfskräfte zahlreiche Pflegeheimbewohner getötet hatten, nahm sich das österreichische Gesundheitsministerium einer Regelung der Patientenverfügung an. 209 Ergebnis war die rechtliche Anerkennung eines Patientenrechts auf ein würdevolles Sterben und die Pflicht der Spitalsträger, in der Krankenakte auch sog. Patientenverfügungen zu dokumentieren, um darauf nach Eintritt der Entscheidungsunfähigkeit des Patienten „Bedacht nehmen zu können“ (§ 10 Abs. 1 Nr. 7 KAG a.F. und gleichlautende Ausführungen der Länder). 210 Aufgenommen wurde dieses Recht später auch in Art. 18 der im Sommer 1999 zwischen dem Bund und dem Land Kärnten abgeschlossenen vertraglichen Vereinbarung über die Sicherstellung der Patientenrechte (Patientencharta) 211. Da die Regelungen sich auf Fragen der Dokumentation beschränkten, blieb die Verbindlichkeitsfrage 206
Spiegel Online, Artikel v. 16.5.2011 „Schweizer lehnen Verbot des Sterbetourismus ab“. 207 So auch die Einschätzung von Biderbost, SJZ 2010, 309 (320). 208 Kopetzki in: Taupitz, Rn. A2. 209 Aigner, in: Körtner/Kopetzki/Kletečka-Pulker (Hrsg.), Das österreichische Patientenverfügungsgesetz, S. 74 (76). 210 Aigner, in: Körtner/Kopetzki/Kletečka-Pulker (Hrsg.), Das österreichische Patientenverfügungsgesetz, S. 74 (76); Ganner, Selbstbestimmung im Alter, Fn. 2022 mit Übersicht der Landesausführungsgesetze. 211 BGBl. I Nr. 195/1999. Bei der Patientencharta handelt es sich um einen sog. Gliedstaatsvertrag zwischen Bund und Land, aus dem sich Rechte und Pflichten lediglich für die beteiligten Gebietskörperschaften, nicht aber für Patienten und Ärzte ergeben, näher: Kopetzki, in: Taupitz, Rn. A15.
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antizipierter Patientenverfügungen zunächst offen. 212 Erneut in das Blickfeld der Politik geriet die Patientenverfügung aufgrund verbliebener Unsicherheit der Rechtsanwendung im Zuge einer Diskussion über den Umgang mit Schwerstkranken und Sterbenden Anfang der Jahrtausendwende.213 Am Ende einer fachübergreifenden, mit Blick auf die aktive Sterbehilfe geführten Diskussion stand die gesetzliche Regelung der Patientenverfügung im Patientenverfügung-Gesetz (PatVG) 214, das am 1.6.2006 in Kraft getreten ist.215 Gemäß § 18 S. 2 PatVG findet das PatVG auch auf solche Patientenverfügungen Anwendung, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes bereits errichtet waren. Im Vergleich zum österreichischen Recht hat sich das französische Recht mit der Anerkennung von Patientenverfügungen schwer getan. Die Wirksamkeit und Verbindlichkeit einer antizipierten Erklärung über den gewünschten Inhalt und den möglichen Umfang später eventuell erforderlich werdender medizinischer Behandlung (testament de vie) war lange Zeit ungesichert und Patientenverfügungen in der Praxis nur wenig verbreitet.216 Dies änderte sich erst mit dem Gesetz über die Rechte der Kranken und die Rechte am Lebensende v. 22.4.2005 217, dem sog. Loi Leonetti, das Patientenverfügungen (directives anticipées) in Art. L1111-11 C.s.p. eingefügt hat. Neuere Zahlen belegen, dass die Akzeptanz von Patientenverfügungen aber nach wie vor vergleichsweise gering ist. 218 2. Regelungsgegenstand und Errichtung Unter directives anticipées versteht das französische Recht Anweisungen für den Fall der Äußerungsunfähigkeit (Art. L1111-11 Abs. 1 S. 1 C.s.p.). Anders als in den Benelux-Staaten und der Schweiz muss der Betroffene im Zeitpunkt der Errichtung der directive anticipée volljährig sein. Als weitere Voraussetzung schreibt Art. L1111-11 die Schriftform vor. 219 Mit212
Kopetzki in: Taupitz, Rn. A84; Ganner, Selbstbestimmung im Alter, S. 393 f. Aigner, in: Körtner/Kopetzki/Kletečka-Pulker (Hrsg.), Das österreichische Patientenverfügungsgesetz, S. 74 (77). 214 BGBl. I Nr. 55/2006. 215 Aigner, in: Körtner/Kopetzki/Kletečka-Pulker (Hrsg.), Das österreichische Patientenverfügungsgesetz, S. 74 (77). 216 Pradel, Recueil Dalloz 2005, 2106 (2112); Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 24 Rn. 38. 217 Loi nº2005-370 du 22 avril 2005 relative aux droits des malades et la fin de vie, JORF n°95 du 23 avril 2005, p. 7089. 218 Siehe dazu: Commission de réflexion sur la fin de vie en France, Penser solidairement la fin de vie, Rapport à François Hollande, Président de la République française, 18.12.2012, S. 46. 219 Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift: „rédiger”, Seifert, FamRZ 2006, 11 (14, Fn. 27). 213
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tels eines auf Grundlage von Art. L1111 Abs. 3 verabschiedeten Dekrets 220 wurden im Jahr 2006 weitere Wirksamkeitsvoraussetzungen in Art. R111117 ff. C.s.p. integriert. Danach ist die directive anticipée von dem Betroffenen schriftlich zu verfassen, zu datieren und unter Angabe des Namens, Vornamens, des Geburtsdatums und des Geburtsortes zu unterschreiben (Art. R1111-17 Abs. 1). Für Personen, die dazu nicht mehr in der Lage sind, sieht Art. R1111-17 Abs. 2 formelle Erleichterungen vor. Auf Verlangen des Betroffenen kann der Arzt bei Aufnahme der directive anticipée in die Patientenakte im Anhang zu dieser bestätigen, dass der Betroffene in der Lage ist, seinen Willen frei zu äußern, und dass er alle relevanten Informationen erhalten hat (Art. R1111-17 Abs. 3). Wie auch das niederländische und das schweizerische Recht trägt Art. R1111-19 dem praktischen Bedürfnis nach einem schnellen Zugriff auf die directive anticipée in der Behandlungssituation Rechnung. Patientenverfügungen sind in der Patientenakte des niedergelassenen Arztes, im Falle des Krankenhausaufenthaltes im dossier médical i.S. des Art. R1112-2 oder aber bei der personne de confiance221 des Betroffenen, bei einem Familienmitglied oder einer dem Betroffenen sonst nahestehenden Person aufzubewahren. Directives anticipées sind jederzeit formlos widerruflich (Art. L1111-11 Abs. 1 S. 3, Art. R1111-18 Abs. 1). Das PatVG lässt sich zunächst dadurch charakterisieren, dass es – anders als das französische Recht, aber ebenso wie das niederländische und das belgische Recht – von einem engen Patientenverfügungsbegriff ausgeht und nur die für den Fall einer späteren Selbstbestimmungsunfähigkeit antizipierte Ablehnung ärztlicher Maßnahmen regelt (§ 2 Abs. 1). Allerdings stehen weitere Anmerkungen des Patienten, etwa bezüglich der Vornahme einer medizinischen Maßnahme, der Wirksamkeit der Patientenverfügung nicht entgegen (§ 11). Solche Wünsche werden allerdings nicht nach dem PatVG, sondern nach den allgemeinen Regeln des Zivil- und Strafrechts beurteilt. 222 Zur höchstpersönlichen Errichtung einer Patientenverfügung ist jede einsichts- und urteilsfähige Person befugt, gleichgültig, ob sie im Zeitpunkt der Errichtung erkrankt ist oder nicht (§§ 2 Abs. 2, 3 S. 1, 2). Wie im schweizerischen Recht können also auch Minderjährige und Personen unter Sachwalterschaft eine Patientenverfügung errichten, wenn sie im Errichtungszeitpunkt einsichts- und urteilsfähig sind. 223 Eine 220
Décret nº2006-119 du 6 février 2006 relatif aux directives anticipées prévues par la loi nº2005-370 du 22 avril 2005 relative aux droits des malades et à la fin de vie et modifiant le code de la santé publique (dispositions réglementaires), JORF du 7 février 2006. 221 Ausführlich zum Rechtsinstrument der personne de confiance: Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 24 Rn. 40 ff. 222 Memmer, FamZ 2006, 69. 223 Die Einsichts- und Urteilsfähigkeit wird bei mündigen Minderjährigen vermutet (§ 146c Abs. 1 ABGB; Ferrari, in: Löhnig et al [Hrsg.], Vorsorgevollmacht und Erwach-
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Patientenverfügung wird unwirksam, wenn der Betroffene sie selbst widerruft oder zu erkennen gibt, dass sie nicht mehr wirksam sein soll (§ 10 Abs. 2). Einsichts- und Urteilsfähigkeit ist für den Widerruf nicht erforderlich, sondern nur eine gewisse Restvernunft bzw. eingeschränkte Fähigkeit zur Willensbildung.224 3. Umsetzung und Verbindlichkeit Anders als in den Benelux-Staaten und in der Schweiz ist auch eine wirksam errichtete, nicht widerrufene directive anticipée lediglich ein Indiz für die Behandlungswünsche des Patienten (Art. L1111-11 Abs. 1 S. 2 C.s.p.).225 Beachtlich sind außerdem nur solche directives anticipées, die drei Jahre vor Eintritt der Bewusstlosigkeit verfasst wurden (Art. L1111-11 Abs. 2 S. 1). Nach Ablauf dieses Zeitraums erlischt die Verpflichtung des Arztes, die directive anticipée bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen.226 Die französische Regelung der directive anticipée erweist sich angesichts der fehlenden Verbindlichkeit der Patientenverfügung, infolge derer Ärzte nach wie vor einen großen Entscheidungsspielraum haben, und der Befristung ihrer Wirkungsdauer nur als zögerlicher Schritt zur Stärkung der Patientenautonomie. 227 Charakteristisch für das PatVG ist die Unterscheidung zwischen verbindlicher (§§ 4–7) und beachtlicher (§§ 8, 9) Patientenverfügung, die sich in anderen europäischen Regelungskonzepten der Patientenverfügung – soweit ersichtlich – dergestalt nicht wiederfindet. Im Unterschied zum französischen Recht kennt das österreichische Recht zwar verbindliche Patientenverfügungen, knüpft diese aber – anders als die Benelux-Staaten und die Schweiz – an vergleichsweise strenge Errichtungs- und Wirksamkeitsvoraussetzungen. Erforderlich sind eine umfassende ärztliche Aufklärung und eine Belehrung durch einen Rechtsanwalt, Notar oder rechtskundigen Mitarbeiter der Patientenvertretung sowie eine Dokumentation dieser senenschutz in Europa, S. 139 [155]). Christian Kopetzki (iFamZ 2007, 197 [199]) beschreibt die Einsichts- und Urteilsfähigkeit als „Demarkationslinie zwischen der autonomen Selbstbestimmung des Patienten und der Fremdbestimmung durch den Willen Dri tter“. 224 Ferrari, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 139 (158). 225 Bailleul, La semaine juridique 2005, 1055 (1057); Seifert, FamRZ 2006, 11 (14); Sériaux, Recueil Dalloz 2012, 1195 ff. 226 Seifert, FamRZ 2006, 11 (14). Eine Verlängerung der dreijährigen Gültigkeitsdauer ist durch einfachen schriftlichen und unterzeichneten Bestätigungsvermerk auf der directive anticipée durch den Betroffenen möglich, wobei erneut formelle Erleichterungen für Personen gelten, die zum Schreiben nicht in der Lage sind (Art. R1111-18 Abs. 2). 227 Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 24 Rn. 39 mit Verweis auf Seifert, FamRZ 2006, 11 (14).
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Belehrung.228 Die verbindliche Patientenverfügung verliert spätestens nach Ablauf von fünf Jahren ihre Verbindlichkeit, soweit der Patient nicht eine kürzere Frist bestimmt hat (§ 7 Abs. 1 S. 1).229 Das deutsche Schrifttum kritisiert die verbindliche Patientenverfügung des österreichischen Rechts überwiegend als bürokratisch und belehrungsschwer. 230 Auch im österreichischen Schrifttum werden die hohen Errichtungsvoraussetzungen, das Fehlen einer zentralen Registrierung und die unscharf formulierte Widerrufsmöglichkeit in § 10 Abs. 2 PatVG kritisiert; bemängelt wurde außerdem, dass wegen der Begrenzung des PatVG auf die Ablehnung einer medizinischen Behandlung positive Vorstellungen über das Sterben übersetzt werden müssen in die Ablehnung medizinischer Maßnahmen. 231 Inzwischen liegt auch eine Evaluation des PatVG vor. Die erste Phase der Evaluation, die sich mit der Nutzungsstruktur von Patientenseite befasst hat 232, endet mit einem überwiegend positiven Fazit: Insbesondere die hohen inhaltlichen und formellen Anforderungen an verbindliche Patientenverfügungen werden als gerechtfertigt angesehen. 233 Auf Kritik stoßen aber das Fehlen einer zentralen und rechtlich geordneten Registrierung, die erhebli228
Im Einzelnen: Der Errichtung einer verbindlichen Patientenverfügung muss eine umfassende ärztliche Aufklärung einschließlich einer Information über Wesen und Folgen der Patientenverfügung für die medizinische Behandlung (§ 5 S. 1) vorangehen; der aufklärende Arzt muss diese Aufklärung sowie das Vorliegen der Einsichts- und Urteilsfähigkeit umfassend dokumentieren und darlegen, dass und aus welchen Gründen der Patient die Folgen der Patientenverfügung zutreffend einschätzt (§ 5 S. 2). In der verbindlichen Patientenverfügung selbst müssen die medizinischen Behandlungen, die Gegenstand der Ablehnung sind, konkret beschrieben sein oder eindeutig aus dem Gesamtzusammenhang der Verfügung hervorgehen (§ 4 S. 1). Aus der Patientenverfügung muss sich außerdem ergeben, dass der Patient die Folgen der verbindlichen Patientenverfügung z utreffend einschätzt (§ 4 S. 2). Schließlich ist nach § 6 Abs. 1 nur die schriftlich unter Angabe des Datums vor einem Rechtsanwalt, einem Notar oder einem rechtskundigen Mi tarbeiter der Patientenvertretungen (§ 11e Kranken- und Kuranstaltengesetz) errichtete Patientenverfügung verbindlich. Der Rechtsanwalt, Notar oder rechtskundige Mitarbeiter der Patientenvertretung muss den Patienten im Rahmen der Errichtung über die Folgen der Patientenverfügung und die Möglichkeit des jederzeitigen Widerrufs belehren und diese Belehrung gemäß § 6 Abs. 2 unter Angabe seines Namens, seiner Anschrift und eigenhändigen Unterschrift dokumentieren. 229 Die verbindliche Patientenverfügung kann aber entsprechend § 7 Abs. 1 S. 2 PatVG erneuert werden. 230 Heggen, FPR 2010, 272 (274 f.); Roglmeier/Lenz, ZErb 2008, 335 (345); Geißendörfer, Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen, S. 467 ff.; aus dem österreichischen Schrifttum bezogen auf die Form: Kalchschmid, FamZ 2006, 90 (91). 231 Zu den mannigfachen Kritikpunkten aus dem Schrifttum ausführlich BMG, Evaluationsbericht PatVG, S. 29 ff.; Ferrari, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 139 (158 f.). 232 Zu der Methodik der Evaluation: Inthorn, Bull. Soc. Sci. Méd. 2008, 429 (430 f.). 233 BMG, Evaluationsbericht PatVG, S. 67 ff.
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chen Unklarheiten bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, Unsicherheiten bezüglich der Voraussetzungen eines gültigen Widerrufs sowie die Bedeutung von Kopien und mehrfachen Ausfertigungen. 234 Weil die verbindliche Patientenverfügung den Arzt in gleicher Weise unmittelbar bindet wie eine aktuelle Behandlungsentscheidung des Patienten, kommt eine Haftung des behandelnden Arztes in Betracht, wenn er einer verbindlichen Patientenverfügung zuwider handelt, also den Patienten gegen seinen Willen behandelt: Dann macht er sich nicht nur wegen eigenmächtiger Heilbehandlung (§ 110 öStGB) strafbar, sondern haftet auch zivilrechtlich für die durch die Nichteinhaltung der Patientenverfügung entstandenen Schäden, wie Schmerzensgeld und Behandlungskosten. 235 Ausdruck des favor vitae236 ist, dass das PatVG die medizinische Notfallversorgung unberührt lässt, sofern der mit der Suche nach einer Patientenverfügung verbundene Zeitaufwand das Leben oder die Gesundheit des Patienten ernstlich gefährdet (§ 12). Eine wirksame verbindliche Patientenverfügung macht die Bestellung eines Sachwalters – wie auch im schweizerischen Recht – entbehrlich (§ 268 Abs. 2 S. 2 ABGB). Ist für den Betroffenen bereits ein Sachwalter bestellt, zu dessen Aufgabenbereich auch die Zustimmung zu medizinischen Maßnahmen gehört, ist der Sachwalter an die verbindliche Patientenverfügung des Betroffenen gebunden. 237 Eine gerichtliche Kontrolle der Wirksamkeit der verbindlichen Patientenverfügung sieht das österreichische Recht entgegen einem Vorentwurf zum PatVG nicht vor. 238 Eine Patientenverfügung, die nicht alle Voraussetzungen der §§ 4–7 PatVG erfüllt, ist als sog. beachtliche Patientenverfügung bei der Ermittlung des Patientenwillens zu berücksichtigen (§ 8); dies umso mehr, je eher sie die Voraussetzungen einer verbindlichen Patientenverfügung erfüllt (§ 9 S. 1).239 Das österreichische Schrifttum 240 unterscheidet darüber
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BMG, Evaluationsbericht PatVG, S. 69. Palzer, Patientenverfügung Österreich – England, S. 56; Ferrari, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 139 (157); Barth, FamZ 2006, 72 (73). 236 Begriff nach Aigner, in: Körtner/Kopetzki/Kletečka-Pulker (Hrsg.), Das österreichische Patientenverfügungsgesetz, S. 74 (79). 237 Palzer, Patientenverfügung Österreich – England, S. 57 f.; Ferrari, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 139 (156). 238 Kopetzki, in: Körtner/Kopetzki/Kletečka-Pulker (Hrsg.), Das österreichische Patientenverfügungsgesetz, S. 127 (134 m.w.N.). 239 Bei dem Vergleich der beachtlichen mit der verbindlichen Patientenverfügung ist insbesondere zu berücksichtigen, inwieweit der Patient die Krankheitssituation, auf die sich die Patientenverfügung bezieht, sowie deren Folgen im Errichtungszeitpunkt ei nschätzen konnte, wie konkret die medizinischen Behandlungen, die Gegenstand der A blehnung sind, beschrieben sind, wie umfassend eine der Errichtung vorangegangene ärztliche Aufklärung war, inwieweit die Verfügung von den Formvorschriften für eine ve r235
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hinaus zwischen beachtlichen und qualifiziert beachtlichen Patientenverfügungen und knüpft an diese Differenzierung unterschiedliche Rechtsfolgen mit Blick auf die Verbindlichkeit gegenüber dem behandelnden Arzt und die Erforderlichkeit einer Sachwalterbestellung. Eine qualifiziert verbindliche Patientenverfügung soll etwa vorliegen, wenn die Errichtungsvoraussetzungen der §§ 4–6 PatVG eingehalten wurden und die Patientenverfügung nur wenige Tage nach Ablauf der 5-Jahresfrist des § 7 PatVG zum Tragen kommt.241 Dann und in ähnlichen Fallkonstellationen soll eine Sachwalterbestellung entbehrlich sein und der Arzt an den antizipiert geäußerten Patientenwillen gebunden sein. 242 Anders als die verbindliche und die qualifiziert beachtliche Patientenverfügung macht die beachtliche Patientenverfügung die Bestellung eines Sachwalters nicht entbehrlich. Der bestellte Sachwalter hat in Vertretung des Patienten der medizinischen Behandlung zuzustimmen oder sie abzulehnen, wobei über den Entscheidungsspielraum des Sachwalters im österreichischen Schrifttum diskutiert wird.243 Handelt es sich um eine schwerwiegende Behandlung, die gewöhnlich mit einer schweren oder nachhaltigen Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Persönlichkeit verbunden ist, hängt die Wirksamkeit der Zustimmung des Sachwalters von der zusätzlichen Voraussetzung ab, dass die Zustimmung entweder pflegschaftsgerichtlich genehmigt wird oder ein von dem behandelnden Arzt unabhängiger Arzt in einem ärztlichen Zeugnis das Fehlen der Einsichts- und Urteilsfähigkeit und die Erforderlichkeit der Behandlung zur Wahrung des Wohls des Betroffenen bestätigt (§ 283 Abs. 2 ABGB).244 4. Patientenverfügung und Sterbehilfe Ihre Grenze finden die französische directive anticipée und die österreichische Patientenverfügung u.a. 245 im Strafrecht, weil die gesetzliche Regebindliche Patientenverfügung abweicht, wie häufig die Patientenverfügung erneuert wu rde und wie lange die letzte Erneuerung zurückliegt (§ 9 S. 2). 240 Etwa Barth, FamZ 2006, 72 (75); Kopetzki, iFamZ 2007, 197 (199). 241 Barth, FamZ 2006, 72 (75) auch zu weiteren Fallkonstellationen. 242 Barth, FamZ 2006, 72 (75); Kopetzki, iFamZ 2007, 197 (200). 243 Kopetzki, in: Körtner/Kopetzki/Kletečka-Pulker (Hrsg.), Das österreichische Patientenverfügungsgesetz, S. 127 (135); ders., ifamZ 2007, 197 (202); Ferrari, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 139 (158). 244 Kopetzki, iFamZ 2007, 197 (202 f.). 245 Von Anfang an unwirksam ist die Patientenverfügung gemäß § 10 Abs. 1 PatVG, wenn sie nicht frei und ernstlich erklärt oder durch Irrtum, List, Täuschung oder phys ischen oder psychischen Zwang veranlasst wurde (Nr. 1), wenn der Stand der medizinischen Wissenschaft sich im Hinblick auf den Inhalt der Patientenverfügung seit ihrer Errichtung wesentlich geändert hat (Nr. 3) oder wenn ihr Inhalt strafrechtlich nicht zulässig ist (Nr. 2).
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lung der Patientenverfügung die strafrechtlichen Grenzen der Patientenautonomie in beiden Rechtsordnungen nicht berührt hat. Nach österreichischem Recht ist auch weiterhin aktive direkte Sterbehilfe, also das Setzen von Handlungen, die vorsätzlich den Eintritt oder die Beschleunigung des Todes herbeiführen, verboten. 246 Ein solches Handeln erfüllt den Tatbestand der Tötungsdelikte gemäß §§ 75 ff. öStGB, also im konkreten Einzelfall Mord (§ 75), Totschlag (§ 76) oder Tötung auf Verlangen (§ 77).247 Legt ein Patient einen Wunsch nach aktiver Sterbehilfe in einer Patientenverfügung fest, ist dieser für den behandelnden Arzt nicht bindend. 248 Eigentlich liegt in solch einem Fall schon gar keine Patientenverfügung vor, weil Patientenverfügungen i.S. des PatVG ausschließlich auf die Ablehnung, d.h. das Unterlassen bestimmter medizinischer Maßnahmen, gerichtet sein können.249 Darüber hinaus wäre ein Tötungsverlangen in einer Patientenverfügung schon nach der allgemeinen Regel des § 879 ABGB als nichtig zu qualifizieren. 250 Gegenstand einer Patientenverfügung können aber Anordnungen sein, die auf indirekte oder passive Sterbehilfe zielen. Unter indirekter Sterbehilfe wird im österreichischen Recht eine bewusst in Kauf genommene Lebensverkürzung eines Patienten im Rahmen der Schmerzlinderung in Form von medizinisch indizierter Medikamentengabe verstanden; unter passiver Sterbehilfe wird das Unterlassen lebenserhaltender Maßnahmen verstanden, sei es, dass solche gar nicht begonnen oder nicht fortgesetzt werden, sei es, dass das Unterlassen direkt zum Zweck der Tötung oder indirekt zur lebenshemmenden Schmerzbekämpfung erfolgt.251 Das PatVG sichert die durch § 110 öStGB gewährleistete, straflose passive Sterbehilfe weiter rechtlich ab.252 Ähnliche strafrechtliche Grenzen wie das österreichische Recht zieht auch das französische Recht. Die Tötung eines anderen Menschen ist auch nach dem französischen Code pénal je nach Fallkonstellation als Totschlag 246 Bruckmüller/Schumann, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 858; Albrecht-Balić, Das PatVG 2006, S. 88. 247 Im österreichischen Recht ist außerdem die Mitwirkung am Selbstmord (§ 78 öStGB) unter Strafe gestellt. 248 Palzer, Patientenverfügung Österreich – England, S. 29; Bruckmüller/Schumann, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 858. 249 Kopetzki, in: Körtner/Kopetzki/Kletečka-Pulker (Hrsg.), Das österreichische Patientenverfügungsgesetz, S. 127 (136); BMG, Evaluationsbericht PatVG, S. 61. 250 BMG, Evaluationsbericht PatVG, S. 60; Kopetzki, in: Körtner/Kopetzki/KletečkaPulker (Hrsg.), Das österreichische Patientenverfügungsgesetz, S. 127 (136). 251 OGH JBl. 2009, 100 (105); Palzer, Patientenverfügung Österreich – England, S. 30; Bruckmüller/Schumann, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 857. 252 Kopetzki, in: Körtner/Kopetzki/Kletečka-Pulker (Hrsg.), Das österreichische Patientenverfügungsgesetz, S. 127 (136); zur passiven Sterbehilfe siehe auch OGH JBl. 2009, 100 (105 f.).
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oder Mord strafbar (Art. 221-1, 221-3).253 Ein ausdrückliches Verbot der aktiven Sterbehilfe enthält Art. 38 der ärztlichen Berufsordnung (Code de déontologie médicale).254 Die passive Sterbehilfe als die Beendigung einer lebensverlängernden Behandlung, die zwar den Todeseintritt verzögern, nicht aber verhindern kann, unterfiel in Frankreich rechtsdogmatisch den Delikten der non assistance à personne en péril (Art. 223-6 Code pénal).255 Französische Gerichte haben in der Vergangenheit immer wieder Nachsicht im Umgang mit der Sterbehilfe geübt256, was u.a. die Fälle Bourayne und Humbert257 belegen. Auch wegen der daraus resultierenden Unsicherheiten im Umgang mit Sterbehilfe war die Sterbehilfe in den vergangenen Jahren in Frankreich anders als in Österreich wiederholt Gegenstand legislatorischer Bemühungen. Liberalisierungen sah – u.a. als Reaktion auf die Fälle Bourayne und Humbert – der erste Entwurf eines Gesetzes zur Patientenverfügung, zum ärztlich assistierten Suizid und zur Euthanasie aus dem Jahr 2004 258 vor. Wie in den Niederlanden sollte sowohl Euthanasie als auch der ärztlich assistierte Suizid (Art. 8) straffrei sein, al253
Moret-Bailly, in: Taupitz, Rn. F4 ff.; Nitschmann, Arzt-Patienten-Verhältnis, S. 199 f. 254 „Le médecin doit accompagner le mourant jusqu‘à ses derniers moments, assurer par des soins et mesures appropriés la qualité d’une vie qui prend fin, sauvegarder la d ignité du malade et réconforter son entourage. Il n’a pas le droit de provoquer délibérément la mort.” Dazu sowie allgemein zur aktiven Sterbehilfe: Moret-Bailly, in: Taupitz, Rn. F1; Pradel, Recueil Dalloz 2005, 2106 (2108); Nitschmann, Arzt-Patienten-Verhältnis, S. 200. 255 Nitschmann, Arzt-Patienten-Verhältnis, S. 201. 256 Nitschmann, Arzt-Patienten-Verhältnis, S. 203 m.w.N.; dies., MedR 2008, 133 (137). 257 Gegenstand des Falles Bourayne war im Jahr 2000 eine Anklage wegen neunfachen Mordes gegen den Mediziner Bourayne, weil er Patienten Mittel zur Schmerzlinderung mit lebensverkürzender Nebenwirkung verabreicht hatte. Da eine Tötungsabsicht nicht bewiesen werden konnte, wurde Bourayne am 15.2.2005 vom Tribunal de grande instance d’Evry freigesprochen (Nitschmann, Arzt-Patienten-Verhältnis, S. 198, Fn. 705). Der 20-jährige Vincent Humbert befand sich infolge eines schweren Verkehrsunfalls im Jahr 2000 neun Monate im Koma. Infolge des Unfalls war er umfassend gelähmt, musste künstlich ernährt werden und war nicht mehr in der Lage, zu sprechen. Seinen Wunsch zu sterben, den er durch Bewegen des Kopfes und des Daumens äußerte, lehnten die b ehandelnden Ärzte ab. Nachdem seine Mutter ihm ein Schlafmittel injiziert hatte, fiel er erneut ins Koma. Kurz darauf wurden die lebenserhaltenden Geräte abgeschaltet. Seine Mutter und der behandelnde Arzt wurden zunächst verhaftet, aber das gegen sie eingele itete Ermittlungsverfahren im Jahr 2006 eingestellt. Zu den Fällen: Zimmermann-Acklin, Aus Politik und Zeitgeschichte B 23-24/2004, S. 31 (34 f.); Nitschmann, Arzt-PatientenVerhältnis, S. 198, Fn. 705; Sachverhalt Humbert geschildert bei: Pradel, Recueil Dalloz 2005, 2106. 258 Proposition de loi relative à l’autonomie de la personne, au testament de vie, à l‘assistence médicalisée au suicide et à l’euthanasie volontaire, texte nº89, abrufbar unter: .
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Kapitel 1: Sachrecht ausgewählter europäischer Rechtsordnungen
so weder als Mord, Totschlag, Vergiftung noch als unterlassene Hilfeleistung strafbar sein und dem natürlichen Tod gleichgestellt werden (Art. 13 ff.).259 Diese sehr weitreichenden Änderungen, die auch eine Änderung des Code pénal bewirkt hätten, sind allerdings nicht Gesetz geworden.260 Das im April 2005 verabschiedete Loi Leonetti enthielt keine Vorschriften zur Änderung des Code pénal mehr, sondern sah nur noch Änderungen der bereits im Jahr 2002 durch das Loi Kouchner in den C.s.p eingeführten Vorschriften vor: Zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Sterbens wurde das Tatbestandsmerkmal der obstination déraisonnable eingefügt (Art. L1110-5 Abs. 2 C.s.p.), das zuvor bereits als ärztliche Berufspflicht im Code de Déontologie Médicale geregelt war.261 Eine Behandlung darf nun bei Nutzlosigkeit, Unverhältnismäßigkeit sowie bei bloßer künstlicher Lebenserhaltung durch einen Arzt abgebrochen oder schon gar nicht vorgenommen werden; erforderlich ist die Information des Patienten, der Vertrauensperson sowie der Familie bzw. einer nahestehenden Person. Zudem ist das Verfahren in den Krankenunterlagen zu dokumentieren (Art. L1111-13 C.s.p.). Überdies eröffnet Art. L1110-5 Abs. 5 C.s.p. einen verfahrensrechtlichen Rahmen für indirekte Sterbehilfe: Der behandelnde Arzt muss den Patienten, die Vertrauensperson, die Familie bzw. eine sonst nahestehende Person informieren und das Verfahren in den Krankenunterlagen dokumentieren; ist der Patient selbst nicht mehr einwilligungsfähig, ist eine procédure collegiale durchzuführen.262 Diese gesundheitsrechtlichen Regelungen erlangen strafrechtliche Wirkung im Rahmen der Rechtfertigung als fait justificatif, so dass ein Arzt unter den gesetzlich genannten Voraussetzungen im Fall des Behandlungsabbruchs und im Fall der schmerzlindernden Behandlung mit lebensverkürzender Wirkung nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden kann (Art. 122-4 Code pénal).263 Nach einem weiteren tragischen Einzelfall um die schwer kranke Chantal Sébire, die im Jahr 2008 in einem offenen Brief an den früheren Präsidenten Nicolas Sarkozy um ärztliche Hilfe zum Suizid gebeten hatte, sind in der französischen Politik erneut Diskussionen um eine Neujustierung der Sterbehilfe entbrannt. Seit dem Jahr 2009 wurden mehrere Gesetzesentwürfe zur Legalisierung der aktiven Sterbehilfe und der Beihilfe zum Selbstmord eingebracht, die aber allesamt, zuletzt im Januar 259
Nitschmann, Arzt-Patienten-Verhältnis, S. 208; dies., MedR 2008, 133 (137). Nitschmann, Arzt-Patienten-Verhältnis, S. 209. 261 Dazu ausführlich: Pradel, Recueil Dalloz 2005, 2106 (2107 f.); Bailleul, La semaine juridique 2005, 1055 ff.; Nitschmann, MedR 2008, 133 (137); Seifert, FamRZ 2006, 11 (12). 262 Seifert, FamRZ 2006, 11 (13); Nitschmann, Arzt-Patienten-Verhältnis, S. 210 f. 263 Pradel, Recueil Dalloz 2005, 2106 (2113); Nitschmann, MedR 2008, 133 (137); dies., Arzt-Patienten-Verhältnis, S. 211. 260
§ 2 Die Patientenverfügung im Sachrecht
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2011, im französischen Senat gescheitert sind. 264 Bis auf weiteres bleibt es also dabei, dass sowohl nach österreichischem als auch nach französischem Recht in einer Patientenverfügung der Wunsch nach aktiver Sterbehilfe nicht wirksam formuliert werden kann. Allerdings zeichnen sich in Frankreich bereits neue Entwicklungen ab, nachdem Präsident François Hollande im Dezember 2012 als Reaktion auf den Bericht der von ihm eingesetzten Ethikkommission (Commission de réflexion sur la fin de vie en France)265 angekündigt hat, im Juni 2013 einen Entwurf für eine Revision des Loi Leonetti vorzulegen, der Neuerungen bezüglich des Rechts der Patientenverfügung und der Sterbehilfe, insbesondere der Hilfe zur Selbsttötung, zum Gegenstand haben soll 266. III. Spanien und England/Wales Auch im spanischen und im englischen Recht sind Patientenverfügungen bereits seit einigen Jahren gesetzlich geregelt. Beide Rechtsordnungen verfolgen mit Blick auf die Patientenverfügung aber ein anderes Autonomiekonzept als die bereits dargestellten Rechtsordnungen. Sie nehmen mit weich paternalistischen, autonomieorientierten Vorschriften eine Mittelstellung zwischen den autonomiebetonten Regelungen der Benelux-Staaten und der Schweiz einerseits und den eher paternalistisch geprägten Regelungen des französischen und österreichischen Rechts andererseits ein.
264 Proposition de loi nº65 (2008-2009) relative à l’aide active à mourir dans le respect des consciences et des volontés; Proposition de loi nº659 (2009-2010) relative à l‘aide active à mourir; Proposition de loi nº31 (2010-2011) relative à l’euthanasie volontaire; Übersicht der Gesetzesentwürfe im Rapport fait par M. Jean-Pierre Godefroy, texte nº228. 265 Commission de réflexion sur la fin de vie en France, Penser solidairement la fin de vie, Rapport à François Hollande, Président de la République française, 18.12.2012. 266 Pressemitteilung v. 18.12.2012 „Remise du rapport du Professeur SICARD sur la fin die vie“, abrufbar unter: . Die Commission de réflexion sur la fin de vie en France hatte in ihrem Bericht (S. 89 f.) u.a. empfohlen, künftig zwischen zwei Arten von Patientenverfügungen zu unterscheiden, nämlich zwischen einer normalen Patientenverfügung, deren Errichtung unabhängig vom Gesundheitszustand allen E rwachsenen offensteht, und einer Patientenverfügung, deren Errichtung von dem beha ndelnden Arzt zusätzlich im Falle einer diagnostizierten schweren Erkrankung oder einem operativen Eingriff größeren Risikos vorgeschlagen werden kann.
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Kapitel 1: Sachrecht ausgewählter europäischer Rechtsordnungen
1. Regelungsstandort In Spanien existiert auf nationaler Ebene bereits seit dem Jahr 2002 durch das Ley 41/2002 eine gesetzliche Regelung der Patientenverfügung, die an einem entsprechenden Gesetz der Provinz Katalonien orientiert ist. 267 Das englische Medizinrecht unterscheidet sich in seiner Prägung durch den common law-Grundsatz der Unverfügbarkeit der körperlichen Integrität und das Prinzip der Heiligkeit des Lebens 268 deutlich von den kontinentaleuropäischen Rechten. Trotz einer eher paternalistisch geprägten Einwilligungsdogmatik269 ist die Patientenverfügung in England und Wales aber 267
Ley 21/2000, de 29 de diciembre, sobre los derechos de información concernientes a la salud y la autonomía del paciente, y la documentación clínica, DOGC núm. 3.303, de 11 de enero de 2001; Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 28 Rn. 27. Weil Spanien in einzelnen Sachgebieten ein Mehrrechtsstaat ist – Art. 149 der spanischen Verfassung überträgt den autonomen Teilrechtsgebieten Spaniens (Comunidades Autónomas) Gesetzgebungskompetenzen, soweit es die Erhaltung, die Änderung und die Entwicklung ihrer foralen und autonomen Rechte betrifft – sind regelmäßig neben dem gemeinspanischen Recht auch die Rechtsentwicklungen in den Comunidades Autónomas zu berücksichtigen. Die Zuständigkeit im Bereich des Gesundheitswesens fällt grundsätzlich in ihre Zuständigkeit (Art. 148 Abs. 1 Nr. 21); das gesamtstaatliche Ley 41/2002 ist lediglich ein Grundlagengesetz (ley básica), das dem Zentralstaat gegenüber den Comunidades Autónomas die Regelung der Grundelemente vorbehält (Cancio Mélia, in: FS für Roxin, Bd. 1, S. 507 [508, Fn. 1]). Auf der Ebene der Comunidades Autónomas existieren mehrere Gesetze, die die nationalen Regelungen des Ley 41/2002 insbesondere mit Verfahrens- und Formvorschriften ergänzen und präzisieren (Überblick bei: Röthel, in: Lipp [Hrsg.], Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 28 Rn. 29). 268 Dazu näher: Fateh-Moghadam, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 917. 269 Näher: Fateh-Moghadam, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 902; ebenso Banakas, in: Taupitz, Rn. GB124. Das englische Recht schützt die Patientenautonomie insbesondere in ihrer negativen Abwehrfunktion: Geschützt wird die Ablehnung eines medizinisch indizierten Eingriffs einschließlich der Ablehnung leben serhaltender Maßnahmen (Fateh-Moghadam, in: Roxin/Schroth [Hrsg.], Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 900, 917; Banakas, in: Taupitz, Rn. GB26 ff.). Der behandelnde Arzt macht sich bei Fehlen der Einwilligung oder bei deren Unwirksamkeit wegen Kö rperverletzung strafbar (criminal battery) und haftet zivilrechtlich (tort of battery), (Fateh-Moghadam, in: Roxin/Schroth [Hrsg.], Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 907). Anders als in anderen Rechtsordnungen ist die Einwilligung des Patienten aber für die Legitimation eines ärztlichen Eingriffs im englischen Recht nicht hinreichend ( FatehMoghadam, in: Roxin/Schroth [Hrsg.], Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 900). Die Einwilligung fungiert lediglich als Rechtfertigungsschranke – Legitimation erfahren ärztliche Eingriffe in die körperliche Integrität über die Wahrung der ärztlichen Standards (Fateh-Moghadam, in: Roxin/Schroth [Hrsg.], Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 899 f). Die limitierte Bedeutung der Einwilligung ist Folge des von der Rechtsprechung geprägten Grundsatzes der Unwirksamkeit der Einwilligung in tatsächliche Kö rperverletzungen: Danach können Verletzungshandlungen, die über den Schweregrad eines common assault hinausgehen und auf das Bewirken von actual bodily harm (sec. 47
§ 2 Die Patientenverfügung im Sachrecht
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bereits lange Jahre verbreitet.270 Sie war im common law anerkannt271 und Gegenstand zahlreicher Gerichtsentscheidungen, etwa der Entscheidung Re T272. In dieser Entscheidung führte Lord Donaldson aus, dass eine antizipiert geäußerte, eindeutige und auf die konkrete Behandlungssituation passende Behandlungsablehnung für den behandelnden Arzt verbindlich ist, wenn der Betroffene im Zeitpunkt der Behandlungsablehnung handlungsfähig und nicht ungebührlich beeinflusst war und die Konsequenzen seiner Entscheidung überblickt hat. 273 Diese Rechtsprechung wurde später bestätigt, etwa in der Entscheidung in HE v Hospital NHS Trust A and AE.274 Gesetzlich geregelt wurde die Patientenverfügung (advance decision to refuse treatment) nach zehnjähriger Diskussionsphase 275 in sec. 24–26 OAP Act 1861) gerichtet sind, nicht durch die Einwilligung des Verletzten gerechtfertigt werden (Fateh-Moghadam, in: Roxin/Schroth [Hrsg.], Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 901). Als Ausnahmekategorie, in der die Einwilligung des Verletzten gleichwohl wir ksam ist, hat die Rechtsprechung aber u.a. Eingriffe anerkannt, die im Rahmen vernünft iger und ordnungsgemäßer medizinischer Heilbehandlungen erfolgen (reasonable and proper treatment), (ausführlich Fateh-Moghadam, in: Roxin/Schroth [Hrsg.], Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 904 ff.). 270 Explanatory Notes to Mental Capacity Act Nr. 84, abrufbar unter: . 271 Grubb, Principles of Medical Law, Rn. 4.110 ff.; Fateh-Moghadam, in: Roxin/ Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 919; Palzer, Patientenverfügung Österreich – England, S. 77 ff. 272 [1992] 3 WLR 782 (CA). 273 Banakas, in: Taupitz, Rn. GB34. 274 In dieser Entscheidung ging es um eine 24-jährige, unter einem angeborenen Herzfehler leidende Zeugin Jehovas, die in ihrer advance directive Bluttransfusionen für den Fall späterer Behandlungsbedürftigkeit abgelehnt hatte. Der High Court bestätigte die generelle Zulässigkeit von advance directives. Weil die Zeugin Jehovas aber, als sie mit akuten Herzproblemen in ein Krankenhaus eingeliefert wurde, erklärt hatte, nicht sterben zu wollen, hielt der High Court die advance directive im konkreten Fall für nicht anwendbar, da diese von der Patientin wirksam widerrufen worden sei. Das Gericht führte zu Form und Widerrufbarkeit von advance directives aus: „There are no formal requirements for a valid advance directive. An advance directive need not be either in or evidenced by writing. An advance directive may be oral or in writing. There are no formal requirements for the revocation of an advance directive. An advance directive, whether oral or in writing, may be revoked either orally or in writing. A written advance directive or an advance directive executed under seal can be revoked orally.” HE v Hospital NHS Trust A and AE (2003) EWHC 1017 (Fam); dazu: Oates, 36 Comm. L. World Rev. 2007, 1 (13); Röthel/Heßeler, FamRZ 2006, 529 (530, Fn. 23); Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 29 Rn. 31; zur bisherigen Rechtsprechung: Mental Capacity Act 2005 Code of Practice, Issued by the Lord Chancellor on 23 April 2007 in a ccordance with sections 42 and 43 of the Act, S. 159 f., abrufbar unter: . 275 Die gesetzliche Regelung der Patientenverfügung war die umstrittenste Neuerung des Mental Capacity Act (Röthel/Heßeler, FamRZ 2006, 529 [530] mit Verweis auf Ward, 56 N. Ir. Legal Q. 2005, 275 [278]).
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Kapitel 1: Sachrecht ausgewählter europäischer Rechtsordnungen
des am 1.10.2007 in Kraft getretenen Mental Capacity Act 2005 (MCA 2005)276. 2. Regelungsgegenstand und Errichtung Im spanischen Recht kann in einer Patientenverfügung jeder Volljährige, der die nötige Einsichtsfähigkeit hat, antizipiert seinen Willen zu Art und Ausmaß der medizinischen Behandlung sowie des Schicksals des eigenen Körpers und der Organe nach dem Tod für den Fall formulieren, dass er seinen Willen nicht mehr selbst ausdrücken kann (Art. 11 Abs. 1 Ley 41/2002). Anders als in den Benelux-Staaten und in der Schweiz bleibt Minderjährigen die Errichtung einer Patientenverfügung also verwehrt. In der Patientenverfügung kann außerdem eine Person als Vertreter bestellt werden, die als Ansprechpartner des behandelnden Arztes für die Wahrung des Patientenwillens Sorge tragen soll (Art. 11 Abs. 1 S. 2). In formeller Hinsicht unterliegt die Patientenverfügung nur der Schriftform (Art. 11 Abs. 2). Seit dem Jahr 2007 existiert in Spanien außerdem ein beim Ministerium für Gesundheit und Verbraucherschutz eingerichtetes nationales Register für Patientenverfügungen (Registro nacional de instrucciones previas).277 Durch die Einrichtung des Registers soll sichergestellt werden, dass die behandelnden Ärzte Kenntnis von der Patientenverfügung erlangen können.278 Die Patientenverfügung unterliegt keinen zeitlichen Beschränkungen oder Aufklärungspflichten und ist – wie im schweizerischen Recht – jederzeit schriftlich widerruflich (Art. 11 Abs. 4). Das spanische Recht zeichnet sich also – anders als das französische und österreichische Recht – durch niedrige Errichtungsvoraussetzungen aus. Dass der englische Gesetzgeber bei Patientenverfügungen nur die Ablehnung einer medizinischen Maßnahme zulässt (sec. 24 sub. 1 MCA 2005), fügt sich zwar in das Bild der gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung in anderen europäischen Rechtsordnungen ein. Anders als in den Benelux-Staaten und in Österreich wurzelt der Ausschluss positiver Anordnungen aber in der paternalistisch geprägten Einwilligungsdogmatik: Folge dessen ist, dass in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtspre-
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Auf Grundlage von sec. 42 wurde ein Code of Practice erlassen. Rechtsgrundlage für die Errichtung des Registers ist das Real Decreto 124/2007, de 2 de febrero, por el que se regula el Registro nacional de instrucciones previas y el correspondiente fichero automatizado de datos de carácter personal, BOE núm. 40, Jueves 15 febrero 2007, p. 6591 ff. 278 Vorher existierten bereits auf Ebene der Comunidades Autónomas zentrale Register, dazu ausführlich: Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 28 Rn. 27 f. 277
§ 2 Die Patientenverfügung im Sachrecht
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chung im Fall Burke279 lebenserhaltende Maßnahmen medizinisch indiziert sein und dem besten Interesse (best interest) des Patienten entsprechen müssen.280 Im Übrigen besteht die Möglichkeit, ein advance statement zu verfassen, in dem Wünsche oder Vorlieben festgehalten werden können, die zur Ermittlung des best interest zu berücksichtigen sind, wenn es nicht im Widerspruch zum Patientenwohl steht. 281 Zur Wirksamkeit einer advance decision ist – wie im spanischen Recht – erforderlich, dass sie von einer Person, die das 18. Lebensjahr vollendet hat und einwilligungsfähig ist, errichtet wurde (sec. 24 sub. 1). Ihre Wirksamkeit verliert die advance decision durch Widerruf oder durch eine nachfolgende Vorsorgevollmacht mit Bevollmächtigung in medizinischen Angelegenheiten (sec. 25 sub. 2 lit. a, b). Gleiches gilt, wenn sich aus dem späteren Verhalten des Verfassers eine Willensänderung ergibt (sec. 25 sub. 2 lit. c). Anders als in vielen anderen Rechtsordnungen, aber in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Entscheidung HE v Hospital NHS Trust A and AE sind Begründung und Widerruf der advance decision grundsätzlich formfrei möglich (sec. 24 sub. 4). Im Einklang mit dem bisherigen case law hat der Gesetzgeber auch auf weitere Wirksamkeitsvoraussetzungen, etwa eine vorherige medizinische oder juristische Beratung 282 oder eine Registrierung der advance decision, verzichtet. Eine Registrierung könnte wegen der formlosen Widerruflichkeit ohnehin nur limitierte Publizitätserwartungen erfüllen. 283 Weitergehende Wirksamkeitsvoraussetzungen enthält der MCA 2005 aber für die antizipierte Ablehnung lebenserhaltender Maßnahmen (lifesustaining treatment, sec. 25 sub. 5, 6). Begründung und Widerruf unterliegen der Schriftform, und die advance decision ist von dem Verfasser sowie einem Zeugen in gegenseitigem Beisein persönlich zu unterschreiben (sec. 25 sub. 6). Zusätzlich muss der advance decision eine schriftliche und unter den eben genannten Voraussetzungen unterschriebene Erklärung beigefügt sein, dass die advance decision auch dann gelten soll, wenn es um Leben oder Tod geht (sec. 25 sub. 5 lit. a284).
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R Burke v General Medical Council & Ors [2005] EWCA Civ 1003; dazu etwa Oates, 36 Comm. L. World Rev. 2007, 1 (7 f.). 280 Fateh-Moghadam, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 919. 281 Palzer, Patientenverfügung Österreich – England, S. 105; Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 29 Rn. 29. 282 Allerdings wird den Verfassern einer advance decision eine vorherige medizinische oder juristische Beratung empfohlen, s. Mental Capacity Act 2005 Code of Practice, S. 163. 283 Röthel/Heßeler, FamRZ 2006, 529 (530); Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 29 Rn. 32. 284 „(…) even if life is at risk (…)“
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Kapitel 1: Sachrecht ausgewählter europäischer Rechtsordnungen
3. Umsetzung und Verbindlichkeit Die Anwendbarkeit einer advance decision in einer konkreten Behandlungssituation setzt voraus, dass der Patient nicht mehr einsichts- und urteilsfähig ist (sec. 25 sub. 3). Voraussetzung ist außerdem, dass es sich bei der in Rede stehenden Behandlung um die in der advance decision genannte ärztliche Maßnahme handelt, alle dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind und kein vernünftiger Anlass zu der Annahme besteht, dass Umstände eingetreten sind, die der Erklärende nicht vorhergesehen hat, die seine Entscheidung aber voraussichtlich beeinflusst hätten, wenn er sie vorhergesehen hätte (sec. 25 sub. 4). Die wirksame und anwendbare advance decision ist anders als die französische directive anticipée verbindlich (sec. 26 sub. 1), also von Ärzten und medizinischem Pflegepersonal ebenso zu beachten wie der aktuell geäußerte Wille. Bei Zweifeln über die Existenz, die Wirksamkeit und die Anwendbarkeit einer advance decision ist es möglich, eine Stellungnahme (declaration) des Court of Protection zu erwirken (sec. 26 sub. 4). Bis zur gerichtlichen Entscheidung steht die advance decision lebenserhaltenden und den Gesundheitszustand des Patienten stabilisierenden Maßnahmen nicht entgegen (sec. 26 sub. 5). Ist eine advance decision nicht gültig und/oder in der konkreten Behandlungssituation nicht anwendbar, so ist sie von dem behandelnden Arzt als unverbindliche Äußerung des Patienten über seine Wünsche im Rahmen der Ermittlung des best interest zu berücksichtigen. 285 Auch nach spanischem Recht sind Patientenverfügungen für den behandelnden Arzt grundsätzlich strikt zu beachten. Unbeachtlich ist die Patientenverfügung aber, wenn die medizinische Situation nicht der in der Patientenverfügung beschriebenen entspricht, sowie bei Verstoß der Patientenverfügung gegen Gesetze oder gegen den Stand der Wissenschaft und Praxis1 (lex artis), Art. 11 Abs. 3. Wie im englischen Recht kommt ein Gesetzesverstoß etwa in Betracht, wenn die Patientenverfügung das Verlangen nach verbotenen Formen der Sterbehilfe enthält. 286 4. Patientenverfügung und Sterbehilfe Sowohl das Ley 41/2002 als auch der MCA 2005 (s. sec. 62) lassen das geltende Strafrecht unberührt, was zugleich bedeutet, dass Patientenverfügungen sich in den durch das geltende Strafrecht für die Patientenautonomie vorgegebenen Rahmen einfügen müssen.
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Alonzi, 17 Nottingham L.J. 2008, 44 (50); Palzer, Patientenverfügung Österreich – England, S. 110. 286 García Ortega/Cózar Murillo/Almenara Barrios, Rev Esp Salud Pública 2004, 469 (475).
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In Spanien ist die Sterbehilfe (eutanasia) seit der Reform des Código penal im Jahr 1995 durch den Strafmilderungsgrund des Art. 143.4 Código penal eigenständig geregelt. 287 Unterschieden wird zwischen aktiver (eutanasia activa) und passiver (eutanasia pasiva) Sterbehilfe und zwischen direkter (eutanasia directa) und indirekter (eutanasia indirecta) Sterbehilfe.288 Eutanasia activa ist verboten und strafbar, unterfällt aber unter gewissen Voraussetzungen dem Strafmilderungsgrund des Art. 143 Abs. 4 Código penal.289 Ob auch die Patientenverfügung Grundlage für eine Strafmilderung nach Art. 143 Abs. 4 sein kann, ist gesetzlich nicht geregelt und im spanischen Schrifttum umstritten. 290 Weil Art. 143 Abs. 4 die aktive Sterbehilfe nicht straffrei stellt, verstößt der Inhalt einer Patientenverfügung, in der der Wunsch nach aktiver Sterbehilfe geäußert wird, aber gegen ein gesetzliches Verbot und ist deswegen unbeachtlich. Im Umkehrschluss zu Art. 143 Abs. 4, der nur die direkte Sterbehilfe durch aktives Handeln erfasst, sind die indirekte und die passive Sterbehilfe auf Verlangen des Patienten straffrei. 291 Deswegen können in einer Patientenverfügung sowohl Anordnungen für eine indirekte Sterbehilfe als auch für passive Sterbehilfe wirksam festgehalten werden. Auch das englische Recht unterscheidet zwischen active euthanasia und passive euthanasia.292 Die aktive Tötung auf Verlangen ist strafbar – ein Arzt, der den Patienten auf sein Verlangen tötet, macht sich wegen Mordes (murder) schuldig.293 Ein Strafmilderungsgrund für mercy killings kennt das englische Recht nicht. 294 Aktive Sterbehilfe kann also auch mittels einer Patientenverfügung nicht verlangt werden. Seit dem Fall des Wachkomapatienten Anthony Bland295 ist aber passive Sterbehilfe grundsätzlich erlaubt. In diesem Fall hatte das House of Lords entschieden, dass keine absolute Pflicht zur Lebensverlängerung bestehe, sondern maßgeblich sei, ob die Weiterbehandlung des Patienten noch seinem besten Interesse entspreche; nach Auffassung der Richter war nicht die Lebenserhaltung, sondern der zum Tode führende Abbruch der künstlichen Ernährung, also das Un-
287
Leistner, Sterbehilfe im deutsch-span. Rechtsvergleich, S. 185. Leistner, Sterbehilfe im deutsch-span. Rechtsvergleich, S. 236. 289 Romeo-Casabona/Emaldi-Cirión, in: Taupitz, Rn. E19 ff. 290 Ausführlich Leistner, Sterbehilfe im deutsch-span. Rechtsvergleich, S. 246 ff. 291 Leistner, Sterbehilfe im deutsch-span. Rechtsvergleich, S. 238 ff., 256. 292 Grubb, Principles of Medical Law, Rn. 18.05 ff. 293 Barnakas, in: Taupitz, Rn. GB107; Grubb, Principles of Medical Law, Rn. 18.10; Fateh-Moghadam, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 922 f. 294 Fateh-Moghadam, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 923. 295 Airedale NHS Trust v Bland [1993] 2 WLR 316. 288
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Kapitel 1: Sachrecht ausgewählter europäischer Rechtsordnungen
terlassen einer Weiterbehandlung, im besten Interesse von Bland.296 Seit der Entscheidung Adams297 ist außerdem die Doctrine of Double Effects anerkannt, nach der ein Arzt straffrei ist, der das Ziel einer medizinisch gebotenen Schmerzlinderung nach den Regeln der ärztlichen Kunst verfolgt und dabei gleichzeitig als unerwünschte, aber unvermeidbare Nebenfolge in Kauf nimmt, dass das Patientenleben verkürzt wird. 298 Das Thema Sterbehilfe ist in den letzten Jahren sowohl in Spanien als auch in England und Wales bedingt durch tragische Einzelfälle in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. In Spanien haben u.a. die Fälle Ramón Sampedro und Inmaculada Echevarría299 weniger das geltende Sterbehilferecht selbst als Teile der spanischen Gesellschaft, insbesondere Kirchenvertreter und streng katholische Bürger, auf eine Belastungsprobe gestellt und zu einer Diskussion in Gesellschaft und Politik über ein Sterben in Würde geführt, die in einen neuen Gesetzgebungsvorschlag zum Gesundheitsrecht gemündet ist. Der Congreso de los disputados hat am 17.6.2011 das Proyecto de Ley reguladora de los derechos de la persona ante el proceso final de la vida300 verabschiedet. Im Zentrum des Gesetzesentwurfs stehen die Patientenrechte, insbesondere die Achtung des Patientenwillens und das Sterben in Würde durch palliativmedizinische Behandlung und palliative Sedierung (derechos de las personas en el proceso final de su vida, Art. 4 ff.), sowie die Rechte und Pflichten der behandelnden Ärzte (Art. 14 ff.) und der Gesundheitsbehörden (Art. 19 ff.) im Umgang mit sterbenskranken Menschen. Das Gesetz sieht außerdem eine Ergänzung 296
Oates, 36 Comm. L. World Rev. 2007, 1 (7); Fateh-Moghadam, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 922; zu den Schwierigkeiten der Abgrenzung zwischen einem act of commission und einer ommission: Grubb, Principles of Medical Law, Rn. 18-19 ff. 297 R v Adams [1957] Crim LR 365. 298 Fateh-Moghadam, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 924; Grubb, Principles of Medical Law, Rn. 18.15. 299 Nachdem der seit einem Badeunfall in jungen Jahren Querschnittsgelähmte Ramón Sampedro zunächst erfolglos und unter großem Protest der spanischen Öffentlichkeit versucht hatte, gerichtlich feststellen zu lassen, dass eine ihm beim Selbstmord behilfliche Person straflos bleibt, starb er im Jahr 1998 durch die Einnahme von Gift, das ihm seine Freundin bereit gestellt hatte (zum Fall: Leistner, Sterbehilfe im deutsch-span. Rechtsvergleich, S. 185). Die an unheilbarem Muskelschwund leidende Inmaculada Echevarría starb im Jahr 2007 durch das ärztliche Einstellen der künstlichen Beatmung. Aufmerksamkeit erreichte dieser Fall nicht nur durch den auf das Recht auf Ablehnung einer medizinischen Behandlung (Art. 2 Abs. 4 Ley 41/2002) öffentlich geäußerten Wunsch von Inmaculada Echevarría sterben zu wollen, sondern insbesondere dadurch, dass die Regierung von Andalusien trotz massiven Protests von Kirchenvertretern ohne größere rechtliche Diskussion den Ärzten die Erlaubnis erteilt hatte, die Beatmungsgeräte abz ustellen (Cancio Mélia, in: FS für Roxin, Bd. 1, S. 507 [508]). 300 Boletín Oficial de las cortes generales núm. 132-1, 17 de junio de 2011.
§ 2 Die Patientenverfügung im Sachrecht
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des Art. 11 Ley 41/2002 über Patientenverfügungen vor: Künftig sollen Verfahrensregelungen sicherstellen, dass die Patientenverfügung in der Behandlungssituation auch tatsächlich aufgefunden wird und Beachtung finden kann. Eine Legalisierung aktiver Sterbehilfe sieht das Gesetz nicht vor. Auch Andalusien hat im Jahr 2010 ein Gesetz zu Recht und Gewähr der Menschenwürde im Sterbeprozess 301 verabschiedet. In England und Wales stand in den vergangenen Jahren die gemäß sec. 2 sub. 1 Suicide Act strafbare Beihilfe zur Selbsttötung im Fokus von Öffentlichkeit und Justiz.302 Gerungen wird um den Grenzverlauf zwischen zulässiger und unzulässiger Ausübung von Patientenautonomie. Weltweite Aufmerksamkeit hat das Urteil des EGMR in Sachen Dianne Pretty v. The United Kingdom303 aus dem Jahr 2002 zur Beihilfe zum Suizid erregt. Dianne Pretty litt an einer unheilbaren Nervenerkrankung, aufgrund derer sie vom Hals abwärts gelähmt und außerstande war, verständlich zu sprechen. Sie hatte nur noch eine geringe Lebenserwartung und musste mit einem leidvollen Tod rechnen. Weil sie ihren Wunsch zu sterben wegen ihres Krankheitszustandes nicht mehr alleine umsetzen konnte, bat Dianne Pretty den Director of Public Prosecutions, also den Generalstaatsanwalt, um die Abgabe der Erklärung, dass er ihren Ehemann nicht wegen Beihilfe zum Selbstmord strafrechtlich verfolgen werde. Dem Director of Public Prosecutions, dem grundsätzlich bei der Beurteilung dessen, ob ein öffentliches Interesse an Strafverfolgung im Einzelfall gegeben ist, ein weiter Ermessensspielraum zusteht 304, lehnte das Ersuchen ab.305 Der EGMR entschied, dass aus Art. 2 EMRK nicht das Recht abgeleitet werden kann, mit Hilfe anderer zu sterben. Auch wenn bislang noch nicht entschieden worden sei, ob das Recht auf Achtung des Privatlebens in Art. 8 EMRK auch ein Recht auf Selbstbestimmung beinhaltet, sei grundsätzlich denkbar, dass die Strafbarkeit der Beihilfe zum Selbstmord ein Eingriff in das von Art. 8 Abs. 1 EMRK garantierte Recht auf Privatleben sein könne. Jedenfalls sei dieser Eingriff aber nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt. Aufsehen erregte außerdem der Fall Debbie Purdy306. Debbie Purdy war an Multipler Sklerose erkrankt und begehrte Auskunft darüber, welche Kriterien der Director of Public Prosecutions seiner Entscheidung darüber, ob er eine 301
Ley 2/2010, de 8 de abril, de Derechos y Garantías de la Dignidad de la Persona en el Proceso de la Muerte, Boletín Oficial de la Junta de Andalucía núm. 88 de 7.5.2010. 302 Suizid ist seit dem Inkrafttreten des Suicide Act 1961 aber straflos (Grubb, Principles of Medical Law, Rn. 18.55). 303 Pretty v. The United Kingdom, Judgment 29.4.2002 – 2346/02. 304 Fateh-Moghadam, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 925. 305 Zu den Vorinstanzen: Grubb, Principles of Medical Law, Rn. 18.51 ff. 306 R (on the application of Purdy) v Director of Public Prosecutions [2009] UKHL 45.
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Strafverfolgung wegen Beihilfe zum Suizid aufnimmt, zugrunde legt, wenn ein Angehöriger einen Schwerkranken mit Sterbewunsch zum Zwecke der Vollziehung der Beihilfe zur Selbsttötung in die Schweiz begleitet, wo Beihilfe zur Selbsttötung straffrei ist. 307 Debbie Purdy machte geltend, dass sie wegen der unklaren Ermessensausübung dazu gezwungen werde, die Selbsttötung in einem Zeitpunkt zu vollziehen, in dem sie noch selbständig ins Ausland reisen könne. Dies schränke ihr Selbstbestimmungsrecht ein. Das House of Lords gelangte abweichend vom Fall Dianne Pretty und abweichend vom EGMR zu der Überzeugung, dass Art. 8 Abs. 1 EMRK im Grundsatz ein Selbstbestimmungsrecht garantiert, das auch die Entscheidung über Art und Weise der Beendigung des eigenen Lebens beinhaltet.308 Auch genüge die mangelnde Vorhersehbarkeit der in die Ermessensausübung einbezogenen Kriterien den Maßstäben des Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht.309 Das Gericht forderte daher vom Director of Public Prosecutions, dass er konkretisierende Leitlinien veröffentlicht, die offenlegen, welche Kriterien er bei der Entscheidung darüber beachtet, ob er einer Strafverfolgung wegen Beihilfe zur Selbsttötung zustimmt oder nicht.310 Lord Hope of Craighead unterstrich: „It must be emphasised at the outset that it is no part of our function to change the law in order to decriminalise assisted suicide.“311 Tatsächlich sind aber Reformversuche in den letzten Jahren regelmäßig im Parlament gescheitert. Zunächst scheiterte der von Lord Joel Joffe im Jahr 2004 vorgelegte Reformentwurf „Assisted Dying for the Terminally Ill Bill“312, der eine Legalisierung des assisted dying durch Ärzte vorsah. Und auch ein von Lord Falconer of Thoroton vorgelegter kleinerer Reformentwurf 313, der es ermöglichen sollte, einem lebensbedrohlich Kranken straffrei dabei zu helfen, in ein Land zu reisen, das Beihilfe zum Selbstmord straffrei stellt, scheiterte im Jahr 307
R (on the application of Purdy) v Director of Public Prosecutions [2009] UKHL 45, Rn. 17, 30 (Lord Hope of Craighead). 308 R (on the application of Purdy) v Director of Public Prosecutions [2009] UKHL 45, Rn. 39 (Lord Hope of Craighead). 309 R (on the application of Purdy) v Director of Public Prosecutions [2009] UKHL 45, Rn. 40 ff. (Lord Hope of Craighead). 310 R (on the application of Purdy) v Director of Public Prosecutions [2009] UKHL 45, Rn. 1 (Lord Phillips of Worth Matravers), Rn. 56 (Lord Hope of Craighead), Rn. 87 (Lord Brown of Eaton-Under-Heywood), Rn. 101, 106 (Lord Neuberger of Abbotsbury). 311 R (on the application of Purdy) v Director of Public Prosecutions [2009] UKHL 45, Rn. 26; auch aufgegriffen von Fateh-Moghadam, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 928. 312 Abrufbar unter: . 313 Lords Publications, Lords Hansard by Date (7.7.2009: Column 595), Amendment 173 zu Coroners and Justice Bill, Clause 49: Encouraging or assisting suicide (England and Wales).
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2009 mit 194 zu 141 Stimmen im Parlament. 314 Im September 2009 wurden aber mit sec. 59 Coroners and Justice Act 2009 minimale Änderungen des sec. 2 Suicide Act 1961 durchgesetzt, die die Strafbarkeit der Beihilfe zur Selbsttötung allerdings nicht berühren. Im Februar 2010 hat der Director of Public Prosecutions eine Policy for Prosecutors in Respect of Cases of Encouraging or Assisting Suicide 315 veröffentlicht, in die eine Liste von public interest factors tending in favour of prosecution and tending against prosecution aufgenommen wurde. Keir Starmer, der Director of Public Prosecutions, machte deutlich: „The policy is now more focused on the motivation of the suspect rather than the characteristics of the victim. The policy does not change the law on assisted suicide. It does not open the door for euthanasia.”316 Das die Patientenautonomie begrenzende Verbot der aktiven Sterbehilfe und der Beihilfe zur Selbsttötung bleibt im englischen Rechtsraum also nach wie vor erhalten. 317 IV. Jüngste Rechtsentwicklungen in Europa Abgesehen von den dargestellten europäischen Rechtsordnungen, die die Patientenverfügung bereits gesetzlich geregelt haben, wurde in anderen europäischen Staaten erst in der jüngsten Vergangenheit eine gesetzliche Regelung der Patientenverfügung auf den Weg gebracht. In Italien wurde lange Zeit um eine gesetzliche Regelung der Patientenverfügung gerungen. Nachdem zunächst im Jahr 2010 ein Gesetz zur Palliativmedizin 318 verabschiedet wurde, hat der Senat im März 2011 ein weiteres Gesetz angenommen, das die Patientenverfügung (testamento biologico) regelt (Art. 4). Die Regelung sieht trotz Verzicht auf eine Verbindlichkeit in der Behandlungssituation verhältnismäßig strenge Wirksamkeitsvoraussetzungen (Geschäftsfähigkeit, ärztliche Aufklärung, Schriftform einschließlich Datierung und eigenhändiger Unterschrift, Annahme durch Allgemeinarzt und anschließende Unterschrift durch Allgemeinarzt, 5-jährige Gültig-
314
Erwähnt auch bei R (on the application of Purdy) v Director of Public Prosecutions [2009] UKHL 45, Rn. 57 f. (Baroness Hale of Richmond); auch aufgegriffen von: Fateh-Moghadam, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 929. 315 Abrufbar unter: . 316 Pressemitteilung v. 25.2.2010 „DPP publishes assisted suicide policy“ abrufbar unter: . 317 Siehe auch jüngst das Urteil in R (on the application of Nicklinson) v Ministry of Justice and R (on the application of AM) v Director of Public Prosecutions, the Solicitors Regulation Authority, the General Medical Council [2012] EWHC 2381 (Admin). 318 Legge 15.3.2010, N. 38 Disposizioni per garantire l’accesso alle cure palliative e alla terapia del dolore, Gazzetta Ufficiale n. 65 del 19.3.2010, S. 1; Patti, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 281 (290).
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keitsdauer) für die Patientenverfügung vor. 319 Zudem schließt das Gesetz die Anwendbarkeit der Patientenverfügung für Situationen aus, in denen sich der Patient in akuter Lebensgefahr befindet (Art. 4 Abs. 6).320 Bereits in der Vergangenheit hat weniger der Gesetzgeber als die italienische Rechtsprechung das auch verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht des Patienten gestärkt. 321 In Liechtenstein ist am 1.1.2012 ein Patientenverfügungsgesetz (PatVG 322) in Kraft getreten, das – wie in anderen Fällen auch – stark an das österreichische Recht angelehnt ist. In anderen europäischen Staaten wird entweder noch nicht oder erst in Ansätzen über Patientenverfügungen debattiert. Zurückhaltend gegenüber Patientenverfügungen zeigen sich bislang einige nordische Staaten. Während Finnland323 und Dänemark (livstestamenter)324 die Patientenverfügung inzwischen gesetzlich geregelt haben, ist dies in Norwegen und Schweden noch nicht der Fall. So hat Norwegen zwar im Jahr 2010 eine Reform des Vormundschaftsrechts auf den Weg gebracht, Patientenverfügungen dabei aber ausgespart. Dies mag damit zusammenhängen, dass das norwegische Gesundheitsrecht325 noch paternalistisch geprägt ist. Ist der Patient nicht 319 Gesetzentwurf Disposizioni in materia di alleanza terapeutica, di consenso info rmato e di dichiarazioni anticipate di trattamento; dazu Patti, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 281 (291 f.); ders., FamRZ 2011, 1453 ff.; Castelli, ZEV 2009, 186. 320 Siehe auch Patti, FamRZ 2011, 1453 (1454). 321 Patti, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 281 (282 ff.), der u.a. auf den Fall Eluara Englaro hinweist, in dem der Kassationshof unter Heranziehung des Verfassungsrechts entschieden hat, dass die Unterbr echung der künstlichen Ernährung unter gewissen Voraussetzungen zulässig ist (dazu auch Castelli, ZEV 2009, 186). 322 Zunächst lag ein Vernehmlassungsbericht der Regierung betreffend die Schaffung eines Gesetzes über Patientenverfügungen (Patientenverfügungsgesetz – PatVG) vor, abrufbar unter: . Nach Ablauf der Vernehmlassungsfrist hat die liechtensteinische Regierung einen Bericht und Antrag betreffend die Schaffung eines Gesetzes über Patientenverfügungen (P atientenverfügungsgesetz – PatVG), Nr. 130/2010, S. 113, 133 (abrufbar unter: ) an den liechtensteinischen Landtag adressiert, der am 15.12.2010 über die Schaffung eines Gesetzes für Patientenverfügungen (Nr. 130/2010) in 1. Lesung beraten hat (Landtagsprotokoll abrufbar unter: ). Die Regierung hat daraufhin eine Stellungnahme an den Landtag zu den anlässlich der ersten Lesung aufgeworfenen Fragen abgegeben (abrufbar unter: ). Am 13.4.2011 wurde das PatVG in zweiter Lesung vom Landtag verabschiedet und ist am 1.1.2012 in Kraft getreten (LGBl. 2011 Nr. 209). 323 Laki potilaan asemasta ja oikeuksista v. 17.8.1992/785; abrufbar unter: . 324 Lov om patienters retsstilling, Lov nr. 482 v. 1.7.1998; abrufbar unter: . 325 Lov om pasientrettigheter av 2. Juli nr. 63 1999.
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einwilligungsfähig, ist bei kleineren ärztlichen Eingriffen der behandelnde Arzt und andernfalls sind seine Verwandten zur Entscheidung berufen (Art. 4–6).326 Keine oder nur wenig Beachtung hat das Thema private Vorsorge durch Patientenverfügung bislang auch in einigen osteuropäischen Staaten gefunden. Ursächlich dafür mag die historische und soziokulturelle Prägung sein. Im Sozialismus war die Arzt-Patienten-Beziehung paternalistisch geprägt. Erst in den vergangenen Jahren hat sich mit der Anerkennung des informed consent das Modell der partnerschaftlichen Arzt-Patienten-Beziehung etabliert. 327 Wie rasch die antizipierte Ausübung des Patientenselbstbestimmungsrechts durch Patientenverfügung Beachtung finden wird, bleibt vor diesem Hintergrund abzuwarten. Als Katalysator wirken möglicherweise die am 9.12.2009 vom Ministerkomitee des Europarates angenommene, von einer Arbeitsgruppe ausgearbeitete Empfehlung bezüglich der Grundsätze über die Vorsorgevollmacht und die Patientenverfügung 328 und die Resolution 1859 (2012) des Europarates vom 25.1.2012 329. Eine gewisse Vorbildfunktion übernehmen ggf. auch osteuropäische Staaten, die die Patientenverfügung bereits gesetzlich geregelt haben. So gibt es etwa in Slowenien seit dem Jahr 2008 eine gesetzliche Regelung der Patientenverfügung in Art. 34 des Gesetzes über Patientenrechte. 330 Erste Diskussionen über Patientenverfügungen gibt es auch in Polen, wo das Oberste Gericht 331 im Jahr 2005 Vorausverfügungen für medizinische Maßnahmen für wirksam erklärt hat.332
326
Frantzen, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 87 (92); Preisner, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 327 (334); dies., FamRZ 2011, 89 (91). 327 Siehe etwa die entsprechenden Länderberichte in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa. 328 Recommendation CM/Rec(2009)11 of the Committee of Ministers to member states on principles concerning continuing powers of attorney and advance directives for Incapacity. 329 Resolution 1859 (2012) Protecting human rights and dignity by taking into account previously expressed wishes of patients. 330 Uradni list RS – Amtsblatt der Republik Slowenien Nr. 15/2008; Novak, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 121 (132 ff.) 331 OG Entscheidung v. 27.10.2005, OSNC 2006, Nr. 7-8, Pos. 137, zitiert nach Bugajski, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 96 (117). 332 Bugajski, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 96 (117 f.).
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V. Fazit zur Patientenverfügung im Sachrecht europäischer Rechtsordnungen Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, dass in Europa mindestens drei Regelungsmodelle für die Patientenverfügung existieren, die von autonomiegeprägt auf der einen Seite bis zu paternalistisch geprägt auf der anderen Seite reichen. Umso wichtiger ist es für die betroffenen Patienten und Ärzte, dass verlässliche Regeln für grenzüberschreitende Sachverhaltskonstellationen existieren. Auf der Suche nach einer solchen Regelung bedarf es aufgrund der „Brille“, durch die diese Arbeit blickt – nämlich die des deutschen Rechts –, einer Kartographierung des deutschen Regelungsmodells für die Patientenverfügung. B. Die Patientenverfügung im deutschen Sachrecht Eine Nachzeichnung des langen Weges zu einer gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung333 (I.) und eine Auseinandersetzung mit den geltenden gesetzlichen Bestimmungen (II.) zeigen, dass das deutsche Recht ein viertes Regelungsmodell für die Patientenverfügung verwirklicht hat. I. Der lange Weg zur (zivilrechtlichen) Regelung der Patientenverfügung Der gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung gingen in der Bundesrepublik Deutschland zwei Jahrzehnte voraus, in denen disziplinübergreifend über die rechtliche Anerkennung der Patientenverfügung diskutiert wurde. Ursächlich für den steinigen Weg zu einer gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung war auch deren enge Verzahnung mit dem in Deutschland historisch bedingt zu den umstrittensten rechtlichen Materien gehörenden Recht der Sterbehilfe, das die verfassungsrechtlich garantierte Patientenautonomie objektiv begrenzt. Erst jüngst hat der BGH im Fall Putz334 die Grenzen zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe neu austariert. Die im Rahmen der weiteren Untersuchung aufzuzeigende Strafrechtslastigkeit der deutschen Diskussion rund um die gesetzliche Regelung der Patientenverfügung 335 reicht weiter in die deutsche Debatte über die kollisionsrechtliche Behandlung der Patientenverfügung 336.
333
Siehe auch die Überschrift „Der lange Weg zu einem Patientenverfügungsgesetz“ bei Verrel/Simon/Verrel, Patientenverfügungen, S. 15. 334 BGHSt 55, 191. 335 Die deutsche Konzentration auf Fragen der Sterbehilfe merkte auch schon Uhlenbruck, NJW 1978, 566 (568) an. 336 Dazu unten Kapitel 2 § 2 A. II.
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1. Verfassungs-, zivil- und strafrechtliche Grundlagen Patientenverfügungen sind Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts des Patienten. Bereits an anderer Stelle 337 wurde erläutert, dass die Patientenautonomie und die Patientenrechte in Deutschland insbesondere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch die Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte gestärkt wurden.338 Seit der Verabschiedung des Bonner Grundgesetzes im Jahr 1949 wird die Patientenautonomie vorrangig verfassungsrechtlich abgesichert. Insbesondere im Rechtsvergleich fällt auf, dass verfassungsrechtliche Argumentationen in der deutschen Diskussion über die rechtliche Behandlung der Patientenverfügung einen vergleichsweise breiten Raum beansprucht haben, wenngleich die genaue verfassungsrechtliche Verortung des Patientenselbstbestimmungsrechts bis heute strittig 339 ist. a) Verfassungsrechtliche Grundlagen Die Patientenselbstbestimmung ist ein Kern der in Art. 1 Abs. 1 GG verbürgten Menschenwürde. 340 Die Würde des Menschen gebietet es, ihn als autonom entscheidende Rechtsperson anzuerkennen, und dem widerspräche es, wenn ein Patient gegen seinen Willen eine medizinische Behandlung ertragen muss, die mit seinen Vorstellungen nicht in Einklang steht. 341 Dass die Menschenwürde die Achtung der Würde des Menschen in jeder Phase des Lebens gebietet und einen Kern körperlicher und geistiger Integrität schützt342, bedeutet aber nicht, dass Art. 1 Abs. 1 GG in jeder Situati-
337
Oben Kapitel 1 § 1 B. I. 3. 4. Siehe nun aber aus der jüngeren Vergangenheit: Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesministeriums für Gesundheit. Entwurf eines Gese tzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten (Patientenrechtegesetz); dazu etwa: Spickhoff, ZRP 2012, 65 ff. 339 Ausführlich zum Meinungsstand Panagopoulou-Koutnatzi, Selbstbestimmung des Patienten, S. 26 ff., 194 ff. Überblick über den Meinungsstand etwa bei Hufen, S. 29; Höfling, Stellungnahme, S. 3 ff.; ders., JuS 2000, 111 (114); Albers, in: dies. (Hrsg.), Patientenverfügungen, S. 9 (18). 340 BK/Lorenz, Art. 2 Abs. 1 GG Rn. 301; Hufen, ZRP 2003, 248 (249); Storr, MedR 2002, 436 (437); Röthel, AcP 211 (2011), 196 (210). 341 Maunz/Dürig/Herdegen, Art. 1 Abs. 1 GG Rn. 89; Hufen, S. 29; ähnlich auch: Olzen, JR 2009, 354 (355); BK/Zippelius, Art. 1 Abs. 1 u. 2 GG Rn. 96; allgemein zur „Würde als Anlage und Fähigkeit, Personalität zu entwickeln“: Nettesheim, in: Asada/ Assmann/Kitagawa/Murakami/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht vor den Herausforderungen neuer Technologien, S. 201 (222 ff.); zu den „Menschenbildern des Rechts“: Bumke, JöR 57 (2009), 125 ff. 342 Maunz/Dürig/Herdegen, Art. 1 Abs. 1 GG Rn. 95. 338
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Kapitel 1: Sachrecht ausgewählter europäischer Rechtsordnungen
on berührt ist, denn die Menschenwürdegarantie kennzeichnet eine partielle Spezialität und Subsidiarität gegenüber den übrigen Grundrechten. 343 Unabhängig von Art. 1 Abs. 1 GG besteht in Rechtsprechung und Schrifttum Einigkeit darüber, dass das Patientenselbstbestimmungsrecht auch durch Art. 2 GG verbürgt wird. 344 Das BVerfG ging in einem Beschluss aus dem Jahr 1979 mehrheitlich345 davon aus, dass das Patientenselbstbestimmungsrecht über das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG geschützt wird. Dem folgt ein Teil des Schrifttums. 346 Ein anderer Teil des Schrifttums 347 folgt dem Minderheitsvotum der Richter Hirsch, Niebler und Steinberger348, nach dem Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit) die „freie Selbstbestimmung des Patienten“ verbürgt. Die Verortung des Patientenselbstbestimmungsrechts in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG hat das BVerfG 349 in nachfolgenden Entscheidungen bestätigt. Mitunter wird das Patientenselbstbestimmungsrecht auch beiden Grundrechten zugeordnet. 350 Weil aus der unterschiedlichen Zuordnung grundsätzlich keine anderen Auslegungsergebnisse resultieren, dürfte eine exakte Zuordnung des Patientenselbstbestimmungsrechts nicht notwendig sein.351 Dass das Patientenselbstbestimmungsrecht verfas343 Höfling, JuS 2000, 111 (114); Maunz/Dürig/Herdegen, Art. 1 Abs. 1 GG Rn. 95; Albers, in: dies. (Hrsg.), Patientenverfügungen, S. 9 (19); ausführlich Knopp, MedR 2003, 379 (383 f.). 344 Hufen, ZRP 2003, 248 (250). 345 BVerfGE 52, 131 (168). 346 Maunz/Dürig/di Fabio, Art. 2 Abs. 1 GG Rn. 204 f.; Hufen, NJW 2001, 849 (851); Knopp, MedR 2003, 379 (384). 347 Höfling, JuS 2000, 111 (114); Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 2 Abs. 2 GG Rn. 73; Sternberg-Lieben, Jb. für Recht und Ethik 15 (2007), 307 (309 f.). 348 BVerfGE 52, 131 (171). Die Richter führen weiter (S. 173 f.) aus: „Das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schützt die Unversehrtheit des Menschen nicht lediglich nach Maßgabe seines jeweiligen Gesundheits- oder Krankheitszustands; es gewährleistet zuvörderst Freiheitsschutz im Bereich der leiblich-seelischen Integrität des Menschen, nicht aber beschränkt es sich auf speziellen Gesundheitsschutz. Auch der Kranke oder Versehrte hat das volle Selbstbestimmungsrecht über seine leiblich-seelische Integrität.“ 349 BVerfGE 89, 120 (130): „Die Entscheidung über einen ärztlichen Eingriff steht grundsätzlich dem betroffenen Patienten zu. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistet das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit als Freiheitsrecht, macht deshalb den ärztlichen Heilversuch vom Willen des Patienten abhängig.“; BVerfGE 128, 282 (300): „Die medizinische Behandlung eines Untergebrachten gegen seinen natürlichen Willen (kurz: Zwangsbehandlung) greift in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ein (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Dieses Grundrecht schützt die körperliche Integrität des Grundrechtsträgers und damit auch das diesbezügliche Selbstbestimmungsrecht.“ 350 Taupitz, Gutachten 63. DJT, A12; Will, vorgänge 2006, 43 (44). 351 Hufen, NJW 2001, 849 (851); Albers, in: dies. (Hrsg.), Patientenverfügungen, S. 9 (18, Fn. 43).
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sungsrechtlich verbürgt ist, wird heute jedenfalls nicht mehr in Zweifel gezogen.352 Im Kontext der Patientenverfügung kommt hinzu, dass wegen der unterschiedlichen Inhalte von Patientenverfügungen ohnehin beide Grundrechte von Bedeutung sind. 353 Zum Schutzumfang des Patientenselbstbestimmungsrechts wird das Recht jedes Patienten gezählt, selbst über seinen Körper zu entscheiden und medizinische Maßnahmen abzulehnen, auch wenn diese zum Zwecke der Wiederherstellung der Gesundheit oder der Lebenserhaltung vorgenommen werden sollen. 354 Dazu wird auch das Recht gezählt, bei erheblichem Leiden und körperlicher oder geistiger Degeneration über das eigene Sterben zu entscheiden.355 In den Worten Friedhelm Hufens356: „Der Patient ist nicht Objekt der ärztlichen Heilkunst, sondern selbstbestimmter und selbst bestimmender Partner des Arztes.“ Zum Schutzumfang des Patientenselbstbestimmungsrechts gehört des Weiteren die Beachtung eines konkludent geäußerten Patientenwillens: Die fehlende tatsächliche Fähigkeit zur Selbstbestimmung357 lässt das Recht des Patienten zur Selbstbestimmung nicht entfallen, weil dem Patienten Menschenwürde und Grundrechte unabhängig von seinem Zustand zustehen.358 Der mutmaßliche Wille physisch und psychisch Kranker ist als Ausprägung des Selbstbestimmungsrechts verfassungsrechtlich geschützt. 359 Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts ist außerdem das Recht, antizipiert, also vor Eintritt der Entscheidungsunfähigkeit, über die zulässigen Eingriffe in die körperliche Integrität etwa durch die Errichtung einer Patientenverfügung zu entschei352
Höfling, JuS 2000, 111 (114); Ohly, Einwilligung im Privatrecht, S. 96. Albers, in: dies. (Hrsg.), Patientenverfügungen, S. 9 (18 f.). 354 Hufen, S. 30 (allerdings bezogen auf das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit); ders., NJW 2001, 849 (851). 355 Hufen, NJW 2001, 849 (851); Knopp, MedR 2003, 379 (384); Maunz/Dürig/Herdegen, Art. 1 Abs. 1 GG Rn. 89. 356 Hufen, NJW 2001, 849 (851). 357 Einem Patienten kann die Möglichkeit fehlen, sein Selbstbestimmungsrecht ausz uüben. So ist denkbar, dass sein tatsächlicher Wille wegen eines komatösen Zustands oder einer geistigen Behinderung nicht oder nicht hinreichend deutlich festgestellt werden kann und auch sein Vertreter nicht erreichbar ist, oder dass trotz Äußerungsfähigk eit Zweifel an der Einwilligungsfähigkeit des Patienten, etwa aufgrund bewusstseinsbeei nträchtigender Medikamente oder einer psychischen Krankheit, insbesondere einer Alter sdemenz, bestehen (Geißendörfer, Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen, S. 139; v. Sachsen Gessaphe, Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter, S. 37 ff.). Als besonders problematisch hat sich in den vergangenen Jahren der Umgang mit Patienten, die sich in einem Wachkoma (apallisches Syndrom) befinden, erwiesen. 358 BVerfGE 52, 131 (171, Minderheitenvotum); Hufen, NJW 2001, 849 (852); Holzhauer, FamRZ 2006, 518 (525); Lipp, FamRZ 2004, 317 (320); ders., in: FS für Schapp, S. 383 (398). 359 Hufen, NJW 2001, 849 (852); Knopp, MedR 2003, 379 (384). 353
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den und den eigenen Sterbeprozess auch für den Fall indizierter lebenserhaltender Maßnahmen zu gestalten.360 Verfassungsrechtlich garantiert ist zudem das Recht, die antizipiert getroffenen Verfügungen jederzeit zu widerrufen oder zu ändern. 361 Jede Nichtbeachtung eines erklärten Patientenwillens ist – auch wenn sie in einem objektiven medizinischen Interesse geschieht – ein Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Patienten. 362 Deswegen bedarf jede Fortsetzung einer medizinischen Behandlung der verfassungsrechtlichen Legitimation.363 Verfassungsrechtlich legitimiert ist die ärztliche Heilbehandlung durch die wirkliche oder mutmaßliche Einwilligung des Patienten. 364 Überdies ist jeder Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 GG.365 Abweichendes gilt lediglich für die medizinische Grundversorgung, Pflege einschließlich Körperpflege, die Schmerzlinderung und das natürliche Stillen von Hunger und Durst. 366 Das verfassungsrechtlich geschützte Recht des Patienten zu (antizipierter) Selbstbestimmung gilt nicht schrankenlos. 367 Beschränkt wird es u.a. durch staatliche Schutzpflichten. 368 Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG369 kommt den Grundrechten eine Doppelfunktion zu: Zum einen sind sie subjektive Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat, zum anderen sind sie Verkörperungen einer objektiven Wertentscheidung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt und Richtlinien und Impulse für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung gibt. Aus Letzterem folgen gesetzgeberische Schutzpflichten für die Rechtsgüter der Bürger. 370 Die Frage, ob sich die aus den Grundrechten folgenden staatlichen Schutzpflichten auch auf den Schutz des Menschen vor sich selbst erstrecken, gehört zu den strittigen verfassungsrechtlichen Fragen. Die staatliche Schutzpflicht greift jedenfalls dann ein, wenn ein 360 BGHZ 154, 205 (217); Panagopoulou-Koutnatzi, Selbstbestimmung des Patienten, S. 137, 194; Höfling, JuS 2000, 111 (115); ders., Stellungnahme, S. 3; ders., NJW 2009, 2849 (2852); Albers, in: dies. (Hrsg.), Patientenverfügungen, S. 9 (19); Knopp, MedR 2003, 379 (384); Verrel/Simon/Verrel, Patientenverfügungen, S. 23. 361 BGHZ 163, 195 (199); Albers, in: dies. (Hrsg.), Patientenverfügungen, S. 9 (19 f.). 362 BGHZ 90, 103 (105 f.); BGHSt 37, 376 (378 f.); Hufen, NJW 2001, 849 (854). 363 Hufen, NJW 2001, 849 (854). 364 Hufen, ZRP 2003, 248 (251). 365 Hufen, NJW 2001, 849 (853); bereits den Grundrechtseingriff ablehnend: Jarass/ Pieroth/Jarass, Art. 2 GG Rn. 89; Maunz/Dürig/di Fabio, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Rn. 69. 366 Hufen, NJW 2001, 849 (853). 367 Hufen, NJW 2001, 849 (855 f.). 368 Hufen, NJW 2001, 849 (855 f.). 369 BVerfGE 7, 198 (Ls. 1, 204 f.); 39, 1 (41); 53, 30 (57). 370 Sternberg-Lieben/Reichmann, NJW 2012, 257 (260); ausführlich zur Schutzpflichtenfunktion der Grundrechte: Klein, DVBl. 1994, 489 ff.; Stern, DÖV 2010, 241 ff.
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Mensch nicht in der Lage ist, seine grundrechtlich geschützten Interessen selbstbestimmt wahrzunehmen. 371 Ist ein Mensch zur Wahrnehmung seiner Interessen in der Lage, empfiehlt sich ein Eingreifen staatlicher Schutzpflichten weniger eindeutig. Das verfassungsrechtliche Schrifttum betont, dass sich der Schutz des Menschen vor sich selbst nicht in das freiheitliche Konzept der Grundrechte einfüge und der grundrechtlichen Freiheit auch die Möglichkeit immanent sei, die eigene Person Gefahren auszusetzen, soweit davon nicht Dritte oder die Allgemeinheit gefährdet werden. 372 Im Kontext der Patientenverfügung wurde im Schrifttum darüber diskutiert, ob gesetzliche Vorkehrungen geschaffen werden sollen, die eine freie Selbstbestimmung des Patienten gewährleisten und ihm bei der Verwirklichung seiner eigenen Wertvorstellungen dienen. Mit Blick auf den grundrechtlichen Schutz des Rechtsguts Lebens wurde es als verfassungsrechtlich zulässig betrachtet, die verbindliche antizipierte Ausübung des Selbstbestimmungsrechts durch Patientenverfügung an besondere formelle und verfahrensrechtliche Voraussetzungen zu knüpfen. 373 Überzeugender dürfte indes sein, die formellen und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen auf den Schutz des Selbstbestimmungsrechts zu stützen. Denn letztlich geht es darum, im Rahmen verhältnismäßiger Eingriffe eine Basis für selbstbestimmte Entscheidungen zu schaffen, also um die Stärkung der individuellen Selbstbestimmung. 374 Von welchen formellen und verfahrensrechtlichen Vorkehrungen die Wirksamkeit von Patientenverfügungen abhängig gemacht wird, liegt grundsätzlich im Spielraum des Gesetzgebers. 375 Allerdings dürfen die Vorkehrungen zum Schutz des Menschen vor sich selbst das Patientenselbstbestimmungsrecht nicht aushöhlen. 376 So wäre eine Reichweitenbeschränkung der Patientenverfügung ein nicht zu rechtfertigender Eingriff in das Patientenselbstbestimmungsrecht gewesen, weil sie dazu geführt hätte, dass Vorausverfügungen, die einen reversibel tödlichen Verlauf eines Grundleidens betreffen, keine Bindungswirkung entfalten würden und äußerungsunfähige Patienten entgegen ihrem vorab geäußerten Willen belastende Behandlungsmaßnahmen erdulden müssten.377 371
Sternberg-Lieben/Reichmann, NJW 2012, 257 (260); Antoine, Aktive Sterbehilfe, S. 202 f. 372 Hillgruber, Der Schutz des Menschen, S. 111 ff.; Gutmann, NJW 1999, 3387 (3388); kritisch auch Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 2 GG Rn. 100. 373 Verrel/Simon/Verrel, Patientenverfügungen, S. 23 f.; Sternberg-Lieben, Jb. für Recht und Ethik 15 (2007), 307 (326 f.); mit Blick auf die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen: Will, vorgänge 2006, 43 (46). 374 Sternberg-Lieben, Jb. für Recht und Ethik 15 (2007), 307 (326 f.). 375 Verrel/Simon/Verrel, Patientenverfügungen, S. 24 m.w.N. 376 Verrel/Simon/Verrel, Patientenverfügungen, S. 23 m.w.N. 377 Verrel/Simon/Verrel, Patientenverfügungen, S. 24; Albers, in: dies. (Hrsg.), Patientenverfügungen, S. 9 (28).
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Das Problem der Reichweite staatlicher Schutzpflichten stellt sich überdies mit Blick auf selbstbestimmte Verfügungen, in denen der Wunsch nach einer gezielten Lebensverkürzung festgehalten wird. Einer Legalisierung aktiver Sterbehilfe wurde in der Vergangenheit unter Hinweis auf das Verfassungsrecht entgegengetreten. 378 Tatsächlich folgt aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i.V. mit Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG eine staatliche Schutzpflicht für das Leben und die Achtung des Lebens als Wert der Gemeinschaft. 379 Diese staatliche Schutzpflicht ist umfassend und gebietet neben unmittelbaren staatlichen Eingriffen in das Leben auch, dass der Staat sich schützend und fördernd vor das Leben stellt. 380 Selbstgefährdung und Selbstaufgabe können verhindert werden, wenn Rechte Dritter oder Rechtsgüter der Allgemeinheit, zu denen auch die staatliche Schutzpflicht für das Leben zählt, betroffen sind.381 Aus diesem Grund ist auch das strafrechtliche Verbot der Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Es findet seine verfassungsrechtliche Rechtfertigung in der Schutzpflicht des Staates für das Leben und die Achtung des Lebens als Wert der Gemeinschaft, dem Argument des Dammbruchs, also der Sorge davor, dass eine weitere Einschränkung des Tötungsverbots den Lebensschutz beschädigt382, der Vorbeugung gegen Missbrauchsgefahren und der Verhinderung von (sozialem) Druck auf Patienten und Ärzte. 383 Allerdings darf das Recht zur Selbstbestimmung nicht unter Verweis darauf, dass Art. 2 Abs. 2 GG das Leben als „Höchstwert“ 384 innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung schützt, unterlaufen werden. Ein absoluter, das Selbstbestimmungsrecht des Patienten ausschaltender Lebensschutz lässt sich wegen des verfassungsrechtlichen Auftrages zur praktischen Konkordanz 385 nicht rechtfertigen.386 Verfassungsrechtlich rechtfertigen ließe sich aber in engen Grenzen eine Legalisierung aktiver Sterbehilfe. In Einklang mit der Verfassung stünde eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe, wenn ein unheilbar Kranker dies bei voller geistiger Zurechnungsfähigkeit verlangt und ver378
Dazu auch: Will, vorgänge 2006, 43 (45). BVerfGE 39, 1 (41 f.); 46, 160 (164); 49, 24 (53); 53, 30 (57); 115, 118 (152); Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 219 ff.; SternbergLieben/Reichmann, NJW 2012, 257 (260); Knopp, MedR 2003, 379 (386); Hufen, NJW 2001, 849 (855). 380 BVerfGE 39, 1 (42); 46, 160 (164); 49, 24 (53). 381 Hufen, NJW 2001, 849 (855). 382 Zum Dammbruchargument etwa: Scholten, BtPRax 2001, 231 (235 m.w.N.). 383 Hufen, NJW 2001, 849 (855, 857); Knopp, MedR 2003, 379 (385); Dreier/SchulzeFielitz, Art. 2 Abs. 2 GG Rn. 64; ausführlich zur aktiven Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung: Antoine, Aktive Sterbehilfe. 384 BVerfGE 39, 1 (42); 46, 160 (164); 49, 24 (53); Hufen, NJW 2001, 849 (852). 385 Dazu Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 28, 142 f. 386 Hufen, NJW 2001, 849 (855). 379
§ 2 Die Patientenverfügung im Sachrecht
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fahrensrechtliche Absicherungen gegen Fremdbestimmung existieren. 387 Dem Gesetzgeber steht bezüglich des Schutzes des Rechtsguts Leben also ein gewisser Gestaltungsspielraum zu. 388 b) Zivil- und strafrechtliche Grundlagen Bei näherem Hinsehen erweist sich, dass Selbstbestimmung im Bereich medizinischer Heilbehandlungen nicht so sehr zwischen Privaten und staatlichen Stellen, sondern hauptsächlich zwischen Privaten Bedeutung erlangt.389 Wenngleich das Patientenselbstbestimmungsrecht heute vorrangig durch die Grundrechte, die subjektive Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat sind, gewährleistet wird und im Zivilrecht bislang nicht ausdrücklich geregelt wurde, haben es auch Private zu beachten. 390 Denn die Grundrechte wirken auch im Privatrecht. Diese Erkenntnis lag bereits der zwischenzeitlich weiter ausdifferenzierten Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte 391 zugrunde.392 Heute wird zur Begründung der Privatrechtswirkung der Grundrechte an die grundrechtliche Schutzpflichtendimension angeknüpft. 393 Die §§ 823 ff. BGB sind Ausdruck der aus den grundrechtlichen Schutzpflichten folgenden gesetzgeberischen Verpflichtung dazu, Abwehr- und Ausgleichsinstrumente bei tatsächlichen Eingriffen Privater in grundrechtliche Schutzgüter zur Verfügung zu stel387
Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 2 GG Rn. 100; Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 2 Abs. 2 GG Rn. 64; Will, vorgänge 2006, 43 (45); Hufen, NJW 2001, 849 (855 f.); Knopp, MedR 2003, 379 (386); BK/Zippelius, Art. 1 Abs. 1 u. 2 GG Rn. 96; vorsichtig Kutzer, ZRP 2003, 209 (211 f.); a.A. Leisner, Das Recht auf Leben, S. 39 f.; Lorenz, JZ 2009, 57 (62); Maunz/Dürig/di Fabio, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Rn. 39; kritisch auch: E. Schumann, Dignitas Voluntas Vita, S. 59; offengelassen von BVerfGE 76, 248 (252). 388 BVerfGE 46, 160 (164); 77, 170 (214 f.); Hufen, NJW 2001, 849 (855); Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 2 GG Rn. 92; zum „Gestaltungsspielraum des schutzverpflichteten Gesetzgebers“ siehe auch Maunz/Dürig/di Fabio, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Rn. 50. 389 Albers, in: dies. (Hrsg.), Patientenverfügungen, S. 9 (19). 390 Heyers, Passive Sterbehilfe, S. 33, Fn. 92. 391 Grundlegend: Dürig, in: FS für Nawiasky, S. 157 ff.; zur Abgrenzung von unmittelbarer und mittelbarer Drittwirkung: Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 156 ff.; Canaris, AcP 184 (1984), 201 (202 ff.); Medicus, AcP 192 (1992), 35 (43); Hager, JZ 1994, 373 f. 392 Ruffert, JZ 2009, 389; Röthel, Normkonkretisierung, S. 68. 393 Auf die Bedeutung der staatlichen Schutzpflichten für das Privatrecht hat erstmalig Claus-Wilhelm Canaris (AcP 184 [1984], 201 ff.) hingewiesen. Aus dem nachfolgenden Schrifttum siehe etwa: Hager, JZ 1994, 373 (378 ff.); Hillgruber, AcP 191 (1991), 69 (73 ff.); Jarass, AöR 120 (1995), 345 (352 f.). Bedeutung für die Heranziehung der grundrechtlichen Schutzpflichten im Privatrecht erlangte auch die Rechtsprechung des BVerfG, etwa: BVerfGE 81, 242 (254 ff.); 89, 214 (229 ff.); 90, 27 (33 ff.); 97, 169 (176 ff.). Zum gesamten Vorstehenden: Ruffert, JZ 2009, 389 f.; Röthel, Normkonkretisierung, S. 67 f.
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len.394 Nach diesem Verständnis erlangt das Patientenselbstbestimmungsrecht zivilrechtlich Bedeutung über § 823 Abs. 1 BGB395 und über § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit den entsprechenden strafrechtlichen Normen. 396 Daneben erlangt das Patientenselbstbestimmungsrecht zivilrechtlich Bedeutung, wenn der Patient durch den Abschluss des Behandlungsvertrages (§ 630a BGB)397 Autonomie ausübt und der Arzt sich durch den Vertragsschluss an den privatautonomen Willen des Patienten als seinen Vertragspartner bindet.398 Allerdings bildet der Behandlungsvertrag nur die notwendige Grundlage für eine ärztliche Behandlung, kann diese aber nicht legitimieren.399 Legitimationsgrundlage für die ärztliche Behandlung sind die ärztliche Indikation, die Durchführung lege artis und die Einwilligung des aufgeklärten Patienten (§§ 630a Abs. 2, 630d, 630e BGB).400 Das Erfordernis ärztlicher Aufklärung im Kontext der Einwilligung (§§ 630d Abs. 2, 630e BGB) wirkt als Garant für bedachte Patientenentscheidungen.401 Als Ausprägung des informationellen Selbstbestimmungsrechts, zu dem auch ein „Recht auf Nichtwissen“ gehört, steht es dem Patienten aber frei, auf eine Aufklärung zu verzichten (§ 630e Abs. 3 BGB), ohne dass dies Auswirkungen auf die Wirksamkeit behandlungsabwehrender Entscheidungen hätte.402 Damit der Patient aber überhaupt weiß, worauf er verzichtet, muss er nach der Rechtsprechung mindestens Art und Erforderlichkeit des medizinischen Eingriffs und die Möglichkeit eines gewissen Risikos kennen.403 Fehlt es am informed consent, ist die Behandlung 394 Hager, JZ 1994, 373 (378); Canaris, AcP 184 (1984), 201 (229 ff.); Röthel, Normkonkretisierung, S. 68; Ohly, Einwilligung im Privatrecht, S. 86. 395 In der zivilrechtlichen Rechtsprechung und Lehre ist die Verortung einer eigenmächtigen Heilbehandlung im Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB umstritten. Vertreten wird sowohl eine Einordnung in den Körperverletzungstatbestand als auch eine Einordnung als „sonstiges Recht“. Zu dem Streit sogleich noch und ausführlich m.w.N. Taupitz, Gutachten 63. DJT, A15 f. 396 Taupitz, Gutachten 63. DJT, A13; Heyers, Passive Sterbehilfe, S. 33, Fn. 92; Geißendörfer, Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen, S. 64 f. 397 Vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten v. 20.2.2013 am 26.2.2013 (BGBl. 2013 I 277 ff.) war der Behandlungsbzw. Arztvertrag gesetzlich nicht eigenständig geregelt. 398 BGHZ 100, 363 (367); Taupitz, Gutachten 63. DJT, A14; Heyers, Passive Sterbehilfe, S. 33, Fn. 92; Geißendörfer, Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen, S. 65. 399 Lipp, Stellungnahme, S. 5; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A14. 400 Lipp, Stellungnahme, S. 5. 401 Zu den unterschiedlichen Arten der Aufklärung (therapeutische Aufklärung und Selbstbestimmungsaufklärung): Geißendörfer, Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen, S. 104 f. 402 Taupitz, Gutachten 63. DJT, A28, A32 f.; Geißendörfer, Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen, S. 107 f. 403 BGH NJW 1973, 556 (557); Geißendörfer, Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen, S. 108; Heyers, Passive Sterbehilfe, S. 48 f.
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grundsätzlich rechtswidrig und zwar auch dann, wenn der Eingriff selbst medizinisch indiziert ist und lege artis durchgeführt worden ist. 404 Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist – auch in der Diskussion um die Patientenverfügung – wiederholt darauf hingewiesen worden, dass sich nicht die Frage nach der Zulässigkeit eines Behandlungsabbruchs, sondern immer nur die Frage nach der Zulässigkeit einer Behandlungsaufnahme und Weiterbehandlung stellt.405 Auch strafrechtlich wird das Selbstbestimmungsrecht des Patienten hinsichtlich seiner Behandlung gegen mangelnde Einwilligung oder Aufklärung geschützt.406 Nach ständiger Rechtsprechung ist der medizinisch indizierte Eingriff tatbestandsmäßig eine Körperverletzung oder Gesundheitsbeschädigung (§ 223 StGB) und der tatbestandsmäßige Erfolg nur durch eine wirksame Einwilligung oder mutmaßliche Einwilligung des Patienten gerechtfertigt.407 2. Impulse aus dem Schrifttum Auf dem geschilderten Rechtsboden befasste man sich in Deutschland seit Ende der 1970er Jahre mit der Frage, wie der Wille des Patienten in einer
404
Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht, V. A. Rn. 5. Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 165; Höfling, JuS 2000, 111 (116); Taupitz, Gutachten 63. DJT, A18. 406 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 480. 407 RGSt 25, 375; BGHSt 11, 111; 12, 379; 16, 309; 43, 306; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 480; Geißendörfer, Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen, S. 65. Die rechtssystematische Verortung der eigenmächtigen Heilbehandlung im Körperverle tzungstatbestand ist im zivilrechtlichen und strafrechtlichen Schrifttum nicht unumstritten geblieben, führt sie doch dazu, dass nicht nur die contra legem artis, sondern auch die indizierte und lege artis durchgeführte Heilbehandlung bei fehlender Einwilligung als Körperverletzung qualifiziert wird (Taupitz, Gutachten 63. DJT, A15; MünchKommBGB/G. Wagner, § 823 Rn. 725; Heyers, Passive Sterbehilfe, S. 34.). Im strafrechtlichen Schrifttum wird argumentiert, dass einem solchen Eingriff die Tatbestandsmäßigkeit fe hle, weil ein indizierter und lege artis durchgeführter ärztlicher Eingriff zum Wohle des Patienten erfolge und weder auf die physische noch die psychische Integrität des Opfers ziele. Die Rechtsprechung stelle den Arzt tatbestandlich einem Messerstecher gleich. Der Gesetzgeber müsse einen Tatbestand des eigenmächtigen Heileingriffs in das StGB einfügen. Im zivilrechtlichen Schrifttum wird ausgeführt, die Qualifikation des ärztlichen Heileingriffs als Körperverletzung sei mit dem Wortlaut des § 823 Abs. 1 BGB nur schwer zu vereinbaren. Die lege artis, aber ohne Einwilligung vorgenommene Heilbehandlung stelle keine Körperverletzung dar, sondern verletze nur das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, das Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sei. Vorstehendes entnommen aus: Ohly, Einwilligung im Privatrecht, S. 190 f., 240 ff. m.w.N.; MünchKommBGB/G. Wagner, § 823 Rn. 725 ff. 405
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Kapitel 1: Sachrecht ausgewählter europäischer Rechtsordnungen
für den Arzt verbindlichen Form a priori festzulegen ist.408 Wegweisend war ein Zeitschriftenbeitrag des Kölner Richters Wilhelm Uhlenbruck aus dem Jahr 1978, in dem er ein Muster für eine damals noch als „Patientenbrief“409 und „Patiententestament“ 410 bezeichnete Patientenverfügung veröffentlichte. Das übrige Schrifttum zeigte sich weitgehend skeptisch gegenüber Patientenverfügungen: Vorab geäußerte Patientenwünsche galten als wenig beachtlich und sollten allenfalls eines von mehreren Indizien bei der Feststellung des mutmaßlichen Patientenwillens darstellen.411 Die „klassische“ Begründung für diese Zurückhaltung war, dass eine antizipierte Patientenerklärung jederzeit widerrufen werden könne, sie nichts über den tatsächlichen Willen des Patienten in der Stunde seines Todes aussage und sogar generell davon auszugehen sei, dass die Mehrzahl der Patienten in Todesnähe einen einmal gefassten Entschluss zu Sterben ändern wollen würde, wenn sie es denn könnte. 412 Dass auch Mediziner der Patientenverfügung skeptisch gegenüber standen, belegen die Richtlinien der Bundesärztekammer für die ärztliche Sterbebegleitung aus dem Jahre 1993: „Solche Patiententestamente mögen im Einzelfall juristisch einfache Problemlösungen bedeuten; ethisch und ärztlich sind sie keine nennenswerte Erleichterung.“ 413
408 In den Vereinigten Staaten von Amerika wurde die Diskussion über Patientenve rfügungen demgegenüber schon seit den 1960er Jahren geführt (Uhlenbruck, NJW 1978, 566; ausführliche Darstellung bei Eisenbart, Patienten-Testament, S. 29 ff.). 409 Uhlenbruck, NJW 1978, 566 (567 f.). 410 Uhlenbruck, NJW 1978, 566 (567 f.). Die Begriffswahl „Patiententestament“ wurde aber später kritisiert, da sie nicht nur abschreckende Wirkung habe, sondern auch A nlass zu Missverständnissen gebe, treffe der Patient doch mitnichten eine Regelung für die Zeit nach seinem Tode (so Verrel, MedR 1999, 547). 411 Eser, in: Auer/Menzel/Eser, Zwischen Heilauftrag und Sterbehilfe, S. 114; Spann, MedR 1983, 13 (14 ff.); Laufs, NJW 1997, 1609 (1616); ders., NJW 1998, 3399 (3340); zurückhaltend auch noch Spickhoff, NJW 2000, 2297 (2301); für Verbindlichkeit aber schon Uhlenbruck, NJW 1978, 566 (569); Sternberg-Lieben, NJW 1985, 2734 ff.; Berger, JZ 2000, 797 (800 f.); später dann auch BGHZ 154, 205 (217 f.) unter Berufung auf Taupitz, Gutachten 63. DJT, A41; siehe auch: Ohly, Einwilligung im Privatrecht, S. 246 f. 412 Etwa Eser, in: Auer/Menzel/Eser, Zwischen Heilauftrag und Sterbehilfe, S. 113 f.; Spann, MedR 1983, 13 (14); dazu die Erwiderung von Uhlenbruck, MedR 1983, 16. 413 DÄBl. 90 (1993), A-2404. Demgegenüber galten Patientenverfügungen nach den „Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung“ v. 11.9.1998 als „…eine wesentliche Hilfe des Arztes. Patientenverfügungen sind verbindlich, sofern sie sich auf die konkrete Behandlungssituation beziehen und keine Umstände erkennbar sind, dass der Patient sie nicht mehr gelten lassen würde“, siehe NJW 1998, 3406 (3407).
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3. Der Kemptener Fall Einen wichtigen Anstoß für eine größer geführte, interdisziplinäre Diskussion über die Reichweite der Patientenautonomie und die rechtliche Anerkennung von Patientenverfügungen bedeutete die Entscheidung des BGH in Strafsachen im Kemptener Fall414 aus dem Jahr 1994. Der BGH gelangte in dieser Entscheidung zu der Überzeugung, dass die mutmaßliche Einwilligung auch den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen bei einem einwilligungsunfähigen Patienten, bei dem der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt hat, rechtfertigt. 415 Wegen des „Interesses am Schutz menschlichen Lebens“ und der „Gefahr, dass Arzt, Angehörige oder Betreuer unabhängig vom Willen des entscheidungsunfähigen Kranken, nach eigenen Maßstäben und Vorstellungen das von ihnen als sinnlos, lebensunwert oder unnütz angesehene Dasein des Patienten beenden“, seien an die „Annahme des mutmaßlichen Willens erhöhte Anforderungen (zu) stellen“ 416. Bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens müsse eine „sorgfältige Prüfung“ erfolgen.417 In eine „sorgfältige Abwägung aller Umstände“ seien als Kriterien „frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen des Patienten 418, seine religiöse Überzeugung, seine sonstigen persönlichen Wertvorstellungen, seine altersbedingte Lebenserwartung oder das Erleiden von Schmerzen“ einzubeziehen.419 Damit hat der BGH Patientenverfügungen erstmals Relevanz als „Erkenntnisquelle für die Erforschung mutmaßlicher Patientenwillen“420 zugesprochen. Zu Recht als „innovativste Aussage“ hat Torsten Verrel421 aber die Feststellung im Kemptener Urteil422 bezeichnet, die Zustimmung des angeklagten Sohnes und Betreuers der Patientin zur Ernährungseinstellung sei schon deshalb unwirksam gewesen, weil dieser nicht die nach § 1904 BGB analog erforderliche Genehmigung des Vormundschaftsgerichts eingeholt habe. Damit lenkte das Urteil den Blick nicht nur auf die Frage der prozeduralen Legitimierung der Sterbehilfe und die betreuungsrechtliche Di414
BGHSt 40, 257. BGHSt 40, 257 (262); Legitimationsgrundlage seien grundrechtliche Positionen. Der mutmaßliche Wille sei „Ausdruck (der) allgemeinen Entscheidungsfreiheit und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG)“. Auch im Fall des Behandlungsabbruchs sei „das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu achten, gegen de ssen Willen eine ärztliche Behandlung grundsätzlich weder eingeleitet noch fortgesetzt werden“ dürfe. 416 BGHSt 40, 257 (260 f.). 417 BGHSt 40, 257 (263). 418 Hervorhebung durch Verfasserin. 419 BGHSt 40, 257 (Ls. 2, 3; 263). 420 Saliger, KritV 1998, 118 (137). 421 Verrel, Gutachten 66. DJT, C28. 422 BGHSt 40, 257 (261 f.). 415
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mension von Behandlungseinstellungen bei entscheidungsunfähigen Patienten423, sondern bereitete – was zunächst gar nicht wahrgenommen wurde – den Weg für eine zivilrechtliche Diskussion rund um die rechtliche Anerkennung des Patientenwillens. 424 4. Zivilrechtliche Diskussion Die Zivilgerichte haben sich erstmals im Jahr 1998 mit der Patientenverfügung befasst. Das OLG Frankfurt/Main 425 erwähnte in einem Beschluss das „Patiententestament“. Von elementarer Bedeutung für den weiteren Diskussionsverlauf über Patientenautonomie und Patientenverfügung waren die Ausführungen des Gerichts zur zivilrechtlichen Umsetzung der prozeduralen Vorgaben der Kemptener Entscheidung. Das Gericht entschied, die Einwilligung des Betreuers zum Abbruch der Magensondenernährung einer irreversibel hirngeschädigten Patientin, bei der der Sterbeprozess noch nicht eingesetzt hatte, könne und müsse Gegenstand einer – bis dahin gesetzlich nicht vorgesehenen – vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung sein. Die Bestätigung der analogen Anwendung von § 1904 BGB durch ein Zivilgericht löste Kritik aus, lenkte aber zugleich den Blick von der strafrechtlichen hin zu einer zivilrechtlichen Diskussion über Patientenautonomie. Bereits zwei Jahre nach der Entscheidung des OLG Frankfurt/Main, im Jahr 2000, befasste sich der 63. DJT mit der Frage „Empfehlen sich zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie am Ende des Lebens?“.426 Jochen Taupitz legte in seinem Gutachten dar, dass das in den Vordergrund gerückte Zivilrecht zu einem nicht unerheblichen Perspektivwechsel gegenüber der seinerzeitigen strafrechtlichen Betrachtungsweise der Selbstbestimmung am Lebensende führe, weil die zivilrechtliche Perspektive den Blick darauf freilege, dass nicht erst der Behandlungsabbruch, sondern schon die Behandlungsaufnahme und die Weiterbehandlung ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in grundrechtliche Positionen sei.427 Diese Aussage war entscheidend dafür, dass sich die Diskussion der nachfolgenden Jahre primär mit der Frage beschäftigte, wie Patientenautonomie mit den Mitteln des Privatrechts gewährleistet werden kann, und das zuvor dominierende Verharren in den Kategorien des retro-
423
Zuvor schon AG Neukölln NJW 1987, 2933; Verrel, Gutachten 66. DJT, C28. Verrel, Gutachten 66. DJT, C28, C34. 425 OLG Frankfurt/Main NJW 1998, 2747. 426 Die Patientenautonomie war auch Gegenstand des 56. DJT und 66. DJT, jeweils in der strafrechtlichen Abteilung. 427 Taupitz, Gutachten 63. DJT, A11, A18 ff. 424
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spektiv ausgerichteten Strafrechts in den Hintergrund trat. 428 In ihrer Beschlussfassung sprach sich die zivilrechtliche Abteilung des DJT mehrheitlich für eine Stärkung des Patientenwillens durch eine gesetzliche Regelung der Verbindlichkeit der Patientenverfügung und eine prozedurale Absicherung des Patientenwillens durch das Erfordernis vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung aus. 429 Diese Impulse des DJT fanden in der Rechtsprechung zunächst keinen Widerhall: Es ergingen mehrere gerichtliche Entscheidungen, die erneut Anlass zur Spekulation über die Bedeutung des Patientenwillens und die Reichweite des Patientenselbstbestimmungsrechts gaben. 430 Am Anfang stand der sog. Bluttransfusionsfall431, in dem es um eine Zeugin Jehovas ging, die – obwohl sie in einer schriftlichen Patientenverfügung und ausdrücklich unmittelbar vor dem medizinischen Eingriff Bluttransfusionen abgelehnt hatte – eine Bluttransfusion erhalten hatte, weil ihr vom Vormundschaftsgericht als Betreuer bestellter Ehemann, der nicht Zeuge Jehovas war, in diese Bluttransfusion einwilligte. Die aufgrund der Bluttransfusion am Leben gebliebene Zeugin Jehovas legte gegen die amtsgerichtliche Anordnung einer befristeten vorläufigen Betreuung im Zusammenhang mit der Bluttransfusion erfolglos Beschwerde ein und rief schließlich das BVerfG an. Das BVerfG führte in seinem Nichtzulassungsbeschluss aus, dass verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei, dass das Vormundschaftsgericht trotz Kenntnis des Patientenwillens Zweifel daran gehegt habe, ob die Zeugin Jehovas auch im Bewusstsein der bei ihr zwischenzeitlich eingetretenen Lebensgefahr weiterhin ihre Ablehnung zu derartigen lebenserhaltenden Maßnahmen aufrechterhalte, denn schließlich habe das Vormundschaftsgericht auch das ebenfalls in Art. 2 Abs. 2 GG verankerte Recht auf Leben in seine Erwägungen mit einbeziehen müssen. 432 Im sog. Fall Peter K. billigte das OLG München 433 im Jahr 2003 dem Pflegepersonal ein auf Art. 1, 2, 4 GG gestütztes Verweigerungsrecht in Bezug auf die Mitwirkung an einer sowohl vom Betreuer des irreversibel bewusstlosen Patienten als auch vom behandelnden Arzt unterstützten Sterbehilfe zu. Aus einem Heimvertrag ergäben sich keine vertraglichen Ansprüche auf Mitwirkung an der Herbeiführung des Todes durch Einstellung der künstlichen Ernährung nach Maßgabe einer ärztlichen Verordnung. 428 In diese Richtung ebenfalls Verrel, Gutachten 66. DJT, C37 f.; Geißendörfer, Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen, S. 242 f. 429 Beschluss III. 1., 3.; VI. 1.1b), 1.2c), 2. 430 Verrel, Gutachten 66. DJT, C38 ff. 431 BVerfG NJW 2002, 206. 432 BVerfG NJW 2002, 206 (207). 433 OLG München NJW 2003, 1743.
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Erst die ebenfalls im Jahr 2003 ergangene Entscheidung des XII. Zivilsenats des BGH im Lübecker Fall führte zu einer Aufwertung des Patientenselbstbestimmungsrechts, insbesondere zu einer Aufwertung der Patientenverfügung vom widerleglichen Indiz für den mutmaßlichen Patientenwillen zur eigenständigen Legitimationsgrundlage für Behandlungsbegrenzungen. 434 In dem Leitsatz der Entscheidung verdeutlichte der BGH, dass die Würde des Menschen es gebiete, sein in einwilligungsfähigem Zustand ausgeübtes Selbstbestimmungsrecht auch dann noch zu respektieren, wenn er zu eigenverantwortlichen Entscheidungen nicht mehr in der Lage ist.435 Der BGH führte unter Verweis auf den Rechtsgedanken des § 130 Abs. 2 BGB aus, dass vor Eintritt der Einwilligungsunfähigkeit erklärte oder verweigerte Einwilligungen als Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts fortwirken und den Betreuer binden, sofern der Patient seine Willensäußerung nicht widerrufen hat und die Festlegungen mit der Krankheitssituation übereinstimmen. 436 Wegweisend waren auch die Ausführungen des BGH zur Legitimationsbedürftigkeit medizinischer Maßnahmen: Auch die Beibehaltung einer PEG-Sonde sei ein fortdauernder, einwilligungsbedürftiger Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten. 437 Zugleich stärkte der Senat die prozedurale Absicherung der Patientenautonomie, indem er die Frage nach der Entscheidungszuständigkeit der Vormundschaftsgerichte begrenzt auf Konfliktfälle bejahte. 438 Jenseits dessen bot die Entscheidung ob unglücklicher Formulierungen Anlass für Diskussionen im Schrifttum. Auf Grundlage der Formulierung des Gerichts „Ist ein Patient einwilligungsunfähig und hat sein Grundleiden einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen 439, so müssen lebenserhaltende oder -verlängernde Maßnahmen unterbleiben, wenn dies einem zuvor – etwa in Form einer sogenannten Patientenverfügung – geäußerten Willen entspricht“440 entspann sich eine Diskussion 441 über eine Reichweitenbeschränkung der Patientenverfügung und die Grenzen der straflosen passiven Sterbehilfe. Plötzlich bestanden Unsicherheiten darüber, ob die zivilrechtliche und die durch den Kemptener Fall geprägte strafrechtliche
434
Verrel, Gutachten 66. DJT, C44. BGHZ 154, 205 Ls. a) sowie 217. 436 BGHZ 154, 205 (210 f. und Ls. a). 437 BGHZ 154, 205 (210). 438 Verrel, Gutachten 66. DJT, C44, C46 m.w.N. 439 Hervorhebung durch Verfasserin. 440 BGHZ 154, 205 Ls. a). 441 Kritisch etwa: Höfling/Rixen, JZ 2003, 884 ff.; Spickhoff, AcP 208 (2008), 345 (405 ff.); Lipp, FamRZ 2003, 756; Holzhauer, FamRZ 2006, 518 (520 ff.); Hufen, ZRP 2003, 248. 435
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Rechtsprechung des BGH die Frage der Zulässigkeit der passiven Sterbehilfe unterschiedlich beurteilt. 442 Auch der nachfolgende Beschluss des XII. Zivilsenats des BGH im bereits erwähnten Fall Peter K. aus dem Jahr 2005 443 konnte die intensiv geführte Diskussion zunächst nicht in ruhigere Bahnen lenken. Der BGH unterstrich, dass eine mit einer Magensonde durchgeführte künstliche Ernährung ein einwilligungsbedürftiger Eingriff in die körperliche Integrität des Betroffenen sei.444 Eine gegen den erklärten Willen des Patienten durchgeführte künstliche Ernährung sei eine rechtswidrige Handlung, deren Unterlassen der Patient analog § 1004 Abs. 1 S. 2 i.V. mit § 823 Abs. 1 BGB – auch wenn dies zum Tode des Patienten führe – verlangen könne.445 In Abkehr zum OLG München entschied der BGH, dass ein Heimvertrag den Heimbetreiber nicht dazu berechtige, eine künstliche Ernährung gegen den verbindlich geäußerten Patientenwillen fortzusetzen. 446 Auch die Gewissensfreiheit des Pflegepersonals rechtfertige die Fortsetzung der künstlichen Ernährung für sich nicht. 447 Das Erfordernis einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung entfalle, wenn Betreuer und Arzt sich übereinstimmend gegen eine weitere künstliche Ernährung entscheiden. 448 5. Das Gesetzgebungsverfahren Schon die nach der BGH-Entscheidung im Lübecker Fall auftretenden Unsicherheiten in der Rechtsanwendung 449 und der medizinischen Praxis waren offenbar Anlass dafür, dass die mehrheitlich ablehnende Haltung zu einer gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung in der Politik aufgegeben wurde. Bereits im September 2003 berief die damalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries eine Arbeitsgruppe „Patientenautonomie am Lebensende“ unter Vorsitz des ehemaligen BGH-Richters Klaus Kutzer, die im Juni 2004 der Öffentlichkeit ihre Ergebnisse 450 vorstellte. Im November 2004 schlug die Bundesjustizministerin einen mit den Vorschlägen 442
Verrel, Gutachten 66. DJT, C43, C45 f. BGHZ 163, 195. 444 BGHZ 163, 195 (197). 445 BGHZ 163, 195 (197 f.). 446 BGHZ 163, 195 (199 sowie Ls. 1). 447 BGHZ 163, 195 (199 f. sowie Ls. 1). 448 BGHZ 163, 195 (198 f.). 449 Die Zahl widersprüchlicher Judikate (etwa AG Gelsenkirchen-Buer v. 10.4.2007, Az. 35 XVII B 986; LG Essen v. 29.11.2007, Az. 7 T 385/07 [Nachweise nach Höfling, Stellungnahme, S. 2]) im Zusammenhang mit der Endphase des menschlichen Lebens ist auch noch in den letzten Jahren gestiegen. 450 Bericht der Arbeitsgruppe „Patientenautonomie am Lebensende“ v. 10.6.2004; abrufbar unter: . 443
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dieser Arbeitsgruppe überwiegend deckungsgleichen Referentenentwurf451 vor. Am 30.8.2004 verabschiedete eine parallel zur Arbeitsgruppe „Patientenautonomie am Lebensende“ tätige Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ des Deutschen Bundestags einen Zwischenbericht „Patientenverfügung“452. Die Bundesjustizministerin nahm ihren Referentenentwurf noch vor dem Ende der 15. Legislaturperiode zurück. 453 Die breit gefächerten politischen Vorstellungen mündeten im Jahr 2007 in drei fraktionsübergreifenden Gesetzesentwürfen, die allesamt eine Verortung der Patientenverfügung im Betreuungsrecht vorsahen. Es standen sich der sog. Stünker-Entwurf,454 der sog. Bosbach-Entwurf455 und der Gesetzentwurf der Abgeordneten Zöller/Faust456 gegenüber, in denen unterschiedliche Haltungen zu den Verfassungswerten Selbstbestimmung und Lebensschutz zum Ausdruck kamen457. Während der Bosbach-Entwurf eher paternalistisch-geprägt war, betonten die anderen Anträge stärker das Individuum und sein Selbstbestimmungsrecht als Ausfluss der Menschenwürde. 458 Der Deutsche Bundestag hat unter ausdrücklicher Lockerung des Fraktionszwangs am 18.6.2009 mit 317 Stimmen in dritter Lesung den überarbeiteten Vorschlag des Abgeordneten Stünker in Gestalt des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts 459 verabschiedet. Dem vorausgegangen waren eine anhaltend kontroverse Diskussion, eine Überarbeitung der Gesetzesentwürfe, eine Beratung und eine öffentliche Anhörung im Rechtsausschuss sowie die anschließende Vorlage einer Beschlussempfehlung und eines Berichts des Rechtsausschusses 460. Am 10.7.2009 erteilte auch der Bundesrat seine Zustimmung. 461
451
Entwurf eines 3. Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts. Zwischenbericht der Enquete-Kommission Ethik und Recht der modernen Medizin Patientenverfügungen, BT-Drs. 15/3700; abrufbar unter: . 453 Dies erfolgte aus Rücksichtnahme auf parlamentarische Gesetzesinitiativen ( Verrel, Gutachten 66. DJT, C10). 454 BT-Drs. 16/8442; zur Schlussfassung s. BT-Drs. 16/13314, S. 9 ff. 455 BT-Drs. 16/11360. 456 BT-Drs. 16/11493. 457 Holzhauer, FamRZ 2006, 518. 458 Olzen, JR 2009, 354 (356); zu den Entwürfen Ga. Müller, ZEV 2008, 583 (584 ff.); zu den Entwürfen Stünker und Bosbach Kübler/Kübler, ZRP 2008, 236 ff. 459 Drittes Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts v. 29.7.2009, BGBl. 2009 I 2286 ff. 460 BT-Drs. 16/13314. 461 Zur Historie des Gesetzgebungsverfahrens etwa auch: Bamberger/Roth/Ga. Müller, § 1901a Rn. 4 f.; Verrel/Simon/Verrel, Patientenverfügungen, S. 15 ff. 452
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II. Die gesetzliche Regelung der Patientenverfügung Das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts vom 18.6.2009 enthält in Art. 1 Änderungen des Bürgerlichen Gesetzbuches. In Art. 1 Nr. 2 fügt das Gesetz die Patientenverfügung in einen neuen § 1901a BGB in die betreuungsrechtlichen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs ein und regelt deren Inhalt und Wirksamkeitsvoraussetzungen. Verfahrensrechtliche Fragen regelt Art. 2 mittels Ergänzungen des FamFG 462. 1. Legaldefinition § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB definiert eine Patientenverfügung als schriftliche Erklärung, in der ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit festlegt, „ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Patientenverfügung)“. 2. Errichtung Die Errichtung von Patientenverfügungen wurde mit § 1901a BGB lediglich an drei Voraussetzungen geknüpft: Erforderlich ist die schriftliche Erklärung eines einwilligungsfähigen Volljährigen (§ 1901a Abs. 1 S. 1 BGB). a) Einwilligungsfähigkeit und Volljährigkeit § 1901a Abs. 1 BGB definiert die Patientenverfügung als Erklärung eines einwilligungsfähigen Volljährigen. Der Gesetzgeber hat sich also in Übereinstimmung mit der überwiegenden Ansicht in der Literatur 463 gegen die Geschäftsfähigkeit als Wirksamkeitsvoraussetzung entschieden und ebenso wie bei der aktuell erklärten Einwilligung in eine ärztliche Heilbehandlung die Einwilligungsfähigkeit, also die Einsichts- und Urteilsfähigkeit, genügen lassen. Einwilligungsfähig ist, wer Art, Bedeutung, Tragweite und
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Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit v. 17.12.2008, BGBl. 2008 I 2586 ff. 463 Berger, JZ 2000, 797 (802); Spickhoff, NJW 2000, 2297 (2302); Höfling, MedR 2006, 25 (28); Höfling/Schäfer, Leben und Sterben in Richterhand?, S. 24; für Geschäftsfähigkeit (§§ 104 ff. BGB) im Zeitpunkt der Errichtung aber: Eisenbart, Patienten-Testament, S. 172; Baltz, Lebenserhaltung als Haftungsgrund, S. 48; Taupitz, Gutachten 63. DJT, A117. Heute ist Geschäftsfähigkeit i.S. der §§ 104 ff. BGB noch für den Abschluss des zivilrechtlichen Behandlungsvertrages (§ 630a BGB) erforderlich.
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auch die Risiken der konkreten Maßnahme zu erfassen und seinen Willen hiernach zu bestimmen vermag. 464 Anders als etwa der belgische und niederländische Gesetzgeber hat der deutsche Gesetzgeber eine wirksame Errichtung zusätzlich an die Volljährigkeit des Betroffenen geknüpft. Dass damit einsichts- und urteilsfähigen Minderjährigen die Errichtung einer Patientenverfügung versagt bleibt, wird im Schrifttum465 kritisiert. In der Tat hat der Gesetzgeber für die Patientenverfügung anders entschieden als Rechtsprechung und h.L. für aktuelle Erklärungen zu medizinischen Behandlungen. Denn bislang war im deutschen Recht für Heilbehandlungen lediglich umstritten, ob die Einwilligung des einwilligungsfähigen Minderjährigen ausreicht oder zusätzlich die Co-Einwilligung der gesetzlichen Vertreter vorliegen muss. 466 Nachdem der BGH in einer Entscheidung aus dem Jahr 1958 467 die Einwilligung eines Minderjährigen – der allerdings kurz vor der Vollendung seines 21. Lebensjahres, also dem Eintritt der Volljährigkeit, stand – hatte genügen lassen, hat er in der Folge mehrfach die Einwilligung, jedenfalls aber die Aufklärung des gesetzlichen Vertreters zusätzlich zu der des noch minderjährigen, aber einsichtsfähigen Jugendlichen verlangt. 468 Dieser Auffassung folgt auch ein Teil des Schrifttums 469. Die Gegenauffassung470 plädiert für ein Alleinentscheidungsrecht des Minderjährigen: Seine Einwilligungsfähigkeit sei im Einzelfall positiv festzustellen.471 Was sprach nun aus Sicht des Gesetzgebers gegen eine Übertragung dieser Grundsätze auf die Patientenverfügung? Da der Gesetzgeber eine Begründung für seine Entscheidung vermissen lässt und soweit ersichtlich in den Beratungen 464 BT-Drs. 16/8442 (Stünker-E), S. 9; seit BGHZ 29, 33 (36) st. Rspr. Früher wurde die fehlende Einwilligungsunfähigkeit aus der objektiven Unvernünftigkeit einer En tscheidung abgeleitet – mit unserem heutigen Verständnis von Selbstbestimmung ist dies nicht mehr vereinbar (Taupitz, Gutachten 63. DJT, A56 f. m.w.N.). 465 Taupitz, Jb. f. Wissenschaft u. Ethik 2010, 155 (159 ff.); Spickhoff, FamRZ 2009, 1949 (1950 f.); Sternberg-Lieben/Reichmann, NJW 2012, 257 ff.; Bamberger/Roth/Ga. Müller, § 1901a Rn. 11. 466 Darstellung der Diskussion und der auch im Folgenden aufgeführten Nachweise bei Taupitz, Gutachten 63. DJT, A54 ff.; Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 30 ff. 467 BGHZ 29, 33. 468 BGH NJW 1970, 510 (512 f.); NJW 1972, 335 (337 f.); NJW 1974, 1947 (1950); NJW 1991, 2344 (2345); NJW 2007, 217; außerdem: OLG Düsseldorf FamRZ 1984, 1221 (1222); BayObLG FamRZ 1987, 87 (89); OLG Hamm NJW 1998, 3424 f. 469 Siehe etwa Lüderitz, AcP 178 (1978), 263 (276 f.); Pawlowski, in: FS für Hagen, S. 5 (17 ff.); Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 34. 470 OLG Karlsruhe FamRZ 1983, 742 (743); LG München NJW 1980, 646; Deutsch, AcP 192 (1992), 161 (175); Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 57 VII 4. 471 Die Kriterien für die Feststellung der Einwilligungsfähigkeit sind umstritten, insbesondere beim Alter gehen die Meinungen auseinander (zum Meinungsstand siehe Taupitz, Gutachten 63. DJT, A55, A60 ff. m.w.N.).
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auch gar nicht thematisiert wurde, warum der Betroffene volljährig sein muss, muss über die Beweggründe gemutmaßt werden. Ausschlaggebend wird wohl gewesen sein, dass die Patientenverfügung – anders als die aktuell erklärte Einwilligung – eine antizipierte Erklärung über die Vornahme oder Ablehnung medizinischer Maßnahmen ist, die eine gewisse Fähigkeit zur Reflexion über zukunftsbezogene Entwicklungen erfordert. Dass der antizipiert geäußerte Wille minderjähriger Patienten nur bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens Berücksichtigung findet, ist verfassungsrechtlich aber nicht unbedenklich: Denkbar sind eine Verletzung der Patientenautonomie und des Gleichheitssatzes. 472 Bei Verzicht auf das Volljährigkeitserfordernis hätte sich eine starre Altersgrenze, etwa nach Vorbild des § 2229 BGB (Errichtung von letztwilligen Verfügungen ab einer Altersgrenze von 16 Jahren) 473, wegen des Eingriffscharakters der ärztlichen Maßnahmen in persönliche Rechtsgüter und der fehlenden Aussagekraft über den tatsächlichen Reifegrad nicht empfohlen; stattdessen wäre – wie bei der aktuell erklärten Einwilligung – lediglich auf das Vorliegen natürlicher Einsichts- und Handlungsfähigkeit abzustellen gewesen, um zu garantieren, dass die Patientenverfügung eines Minderjährigen tatsächlich Ausdruck einer selbstbestimmten Entscheidung ist. 474 b) Schriftform der Patientenverfügung In Übereinstimmung mit der schon vor Erlass des 3. BtÄndG üblichen Praxis der Schriftlichkeit 475 unterliegt die Patientenverfügung der Schriftform (§ 1901a Abs. 1 S. 1 BGB i.V. mit § 126 BGB). Anders als beim eigenhändigen Testament (§ 2247 BGB) genügt es, wenn der Betroffene die Patientenverfügung handschriftlich mit eigenem Namen unterzeichnet. 476 Das Schriftformerfordernis ist wichtiges Abgrenzungskriterium gegenüber anderen Willensbekundungen oder Behandlungswünschen des Patienten, die im Rahmen des § 1901a Abs. 2 BGB Bedeutung erlangen können. 477 Es soll den Betroffenen vor nicht hinreichend bedachten Entscheidungen schützen und eine hinreichend beweissichere Verkörperung seiner Ent472
Taupitz, Jb. f. Wissenschaft u. Ethik 2010, 155 (161); Ga. Müller, DNotZ 2010, 169 (182); Spickhoff, FamRZ 2009, 1949 (1950 f.); Sternberg-Lieben/Reichmann, NJW 2012, 257 (258 ff.); Bamberger/Roth/Ga. Müller, § 1901a Rn. 11. 473 Erwogen von Lange, ZEV 2009, 537 (539); Spickhoff, FamRZ 2009, 1949 (1950 f.); Ga. Müller, DNotZ 2010, 169 (182). 474 Ga. Müller, DNotZ 2010, 169 (182). 475 Lipp, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 17 Rn. 133. Etwas anderes hatte aber der Zöller-E (BT-Drs. 16/11493, S. 11) vorgesehen: Da die Schriftform in § 1901c BGB-E als bloße Soll-Vorschrift formuliert war, konnten auch mündliche Erklärungen Bindungswirkung entfalten. 476 Taupitz, in: Jb f. Wissenschaft u. Ethik 2010, 155 (159). 477 Höfling, NJW 2009, 2849 (2850); Bamberger/Roth/Ga. Müller, § 1901a Rn. 8.
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scheidung garantieren gerade auch, weil der Betroffene in dem Zeitpunkt, in dem die Patientenverfügung relevant wird, nicht mehr zu seinem Willen befragt werden kann.478 Angaben zu Ort und Datum der Errichtung der Patientenverfügung sind keine Gültigkeitsvoraussetzung.479 c) Verzicht auf weitere Errichtungsvoraussetzungen Weitere Voraussetzungen für die Errichtung bestehen – anders als etwa im österreichischen Recht – nicht. Der deutsche Gesetzgeber hat auf gesteigerte Formerfordernisse und Beratungs-, Aktualisierungs- und Registrierungspflichten verzichtet. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, wurde im Schrifttum zu Recht angemahnt, dass insbesondere der Verzicht auf eine ärztliche Aufklärungspflicht im Widerspruch zum medizinrechtlichen und medizinethischen Leitbild des „informierten Patienten“ steht. aa) Notarielle Beurkundung Der Gesetzgeber hat sich gegen das Erfordernis einer notariellen Beurkundung (§ 128 BGB) oder Beglaubigung (§ 129 BGB) entschieden. Eine notarielle Beurkundung vorgesehen hatte der Bosbach-Entwurf480 zunächst für „qualifizierte“ Patientenverfügungen. Nach der Sachverständigendebatte im März 2009 wurde das Beurkundungserfordernis aber aus dem Entwurf entfernt, um „keine zu hohen Hürden für die Wirksamkeit einer Patientenverfügung und damit für die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts aufzustellen“481. Zu Recht wurde kritisiert, dass der Gesetzgeber dabei offenbar aus dem Auge verloren hat, dass neben dem abwehrrechtlichen Aspekt der Patientenautonomie auch staatliche Schutzpflichten bestehen482 und Formerfordernisse nicht nur freiheitsbeschränkende Wirkung haben können, sondern auch Freiheitsgarant und Funktionsvoraussetzung von Privatautonomie sein können 483. Überzeugend wurde aber auch darauf hingewiesen, dass das Erfordernis einer notariellen Beurkundung im Kon478
BT-Drs. 16/8442 (Stünker-E), S. 13; Albers, MedR 2009, 138 (142); BeckerSchwarze, in: Albers (Hrsg.), Patientenverfügungen, S. 133 (145 f.); Verrel, Gutachten 66. DJT, C82: „Mindestmaß an Missbrauchs- und Ernsthaftigkeitskontrolle“ (bezogen auf das Schriftformerfordernis im Rahmen einer strafrechtlichen Regelung der Patientenverfügung); kritisch zum Schriftformerfordernis Lipp, Stellungnahme, S. 27 f.; Heßler, Stellungnahme, S. 13. 479 Palandt/Götz, § 1901a Rn. 11. 480 BT-Drs. 16/11360, S. 4, 13 f. 481 BT-Drs. 16/13314, S. 19; ähnlich BT-Drs. 16/11493 (Zöller-E), S. 8. 482 Höfling, NJW 2009, 2849 (2852). 483 Röthel, AcP 211 (2011), 196 (203); di Fabio, DNotZ 2006, 342; Hagen, DNotZ 2010, 644; zu Formerfordernissen als Funktionsvoraussetzung für Privatautonomie: Häsemeyer, Die gesetzliche Form der Rechtsgeschäfte.
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text der Patientenverfügung nicht stärker als die Schriftform freie und bedachte Entscheidungen ermöglicht und fremdbestimmte Entscheidungen verhindert hätte. Sicherlich hätte eine notarielle Beurkundung das Fälschungsrisiko minimieren und Anzeichen für Fremdbestimmungsversuche durch äußeren Druck offenbaren können, denen der Notar im Rahmen der notariellen Beurkundung nachgehen muss und die er in der Urkunde vermerken muss. Auch die Einwilligungsfähigkeit würde im Rahmen der notariellen Beurkundung einer Prüfung durch den Notar unterliegen (§ 11 BeurkG), was angesichts der stetig steigenden Anzahl von Demenzerkrankungen nicht unbedeutend wäre. Auch wenn eine notarielle Beurkundung grundsätzlich Warnfunktion hat, wurde aber zu Recht bezweifelt, dass sie den Betroffenen tatsächlich veranlasst, noch mehr als bei der eigenhändigen Errichtung einer Patientenverfügung über deren Risiken nachzudenken, zumal dem Notar als medizinischem Laien die Befähigung zu einer hinreichenden Aufklärung und Beratung des Betroffenen im Hinblick auf den Inhalt und die medizinischen Folgen der Patientenverfügung fehlt. 484 Überzeugend wurde auf die Gefahr hingewiesen, dass sich potentielle Verfasser von der Errichtung einer Patientenverfügung abschrecken lassen, wenn diese mit zu hohen Mühen und Kosten verbunden ist. 485 bb) Ärztliche Aufklärung und Beratung Der Verzicht des Gesetzgebers auf eine ärztliche Aufklärung und Beratung wiegt nach zutreffender Ansicht deutlich schwerer. Denn es steht zu befürchten, dass viele Verfasser einer Patientenverfügung mangels medizinischen Fachwissens nicht dazu in der Lage sein werden, eine hinreichend bestimmte, vollständige und unmissverständliche Patientenverfügung zu formulieren.486 Das Schrifttum487 hat überzeugend darauf hingewiesen, dass sich Schwierigkeiten insbesondere für gesunde Menschen ergeben, die eine Vielzahl jeweils höchst komplexer Krankheitsverläufe sowie deren (aktuelle wie auch künftige) Therapiemöglichkeit berücksichtigen müssen. Entscheiden sie sich gegen eine ärztliche Beratung, riskieren sie, dass nicht hinreichend bestimmte Formulierungen nicht als Patientenver484 Zum Vorstehenden: Röthel, AcP 211 (2011), 196 (213); Baumann/Hartmann, DNotZ 2000, 594 (612); Sternberg-Lieben, Jb. für Recht und Ethik 15 (2007), 307 (329); Heßler, Stellungnahme, S. 13 f.; ausführlich auch: Wassem, In dubio pro vita?, S. 93 ff.; die Vorteile der notariellen Beurkundung benennt etwa Keilbach, FamRZ 2003, 969 (976). 485 Heßler, Stellungnahme, S. 13 f. 486 Röthel, in: Hausmann/Hohloch (Hrsg.), Handbuch des Erbrechts, S. 1098; Bamberger/Roth/Ga. Müller, § 1901a Rn. 12; ausführlich zu der besonderen, aus der aufgeschobenen Wirkungserfahrung resultierenden „Gefährlichkeit“ von Patientenverfügu ngen: Röthel, AcP 211 (2011), 196 (204 ff.). 487 Albrecht/Albrecht, MittbayNot 2009, 426 (428).
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fügung, sondern lediglich als Indiz bei der Ermittlung des mutmaßlichen Patientenwillens (§ 1901a Abs. 2 BGB) Berücksichtigung finden. 488 Angemahnt wurde auch, dass nur die wenigsten medizinischen Laien überblicken, welche medizinischen Maßnahmen im Grenzbereich zwischen Leben und Tod überhaupt medizinisch indiziert sind und welche Möglichkeiten die moderne Palliativmedizin bietet. 489 Das daraus resultierende Risiko eklatanter Kompetenzdefizite hinsichtlich der Ausübung von Selbstbestimmung hat der Gesetzgeber, der selbst außer Zweifel stellt, dass sich eine ärztliche Beratung vor Erstellung der Patientenverfügung nicht nur empfehle, sondern eine solche sogar „wichtig und sinnvoll“ sei490, offenbar bewusst in Kauf genommen. Zu Recht wurde darauf hingewiesen, dass dies umso fragwürdiger ist als es zu den Grundannahmen des Medizinrechts und der Medizinethik gehört, dass die individuelle Aufklärung des Patienten durch den Arzt essentiell für den Autonomieschutz und die Autonomiesicherung des Patienten ist. 491 Aus diesem Grund erfahren ärztliche Aufklärungs- und Beratungspflichten in vielen Rechtsordnungen eine kontinuierliche Aufwertung. 492 Dass einer fachkundigen Beratung nicht nur in der aktuellen Behandlungssituation, sondern gerade auch für die wesentlich gefahrgeneigtere Errichtung von überwiegend existenziellen Patientenverfügungen wesentliche Bedeutung zukommt, steht denn auch weder im medizinischen und medizinethischen noch im rechtlichen Diskurs ernstlich in Frage. 493 Obwohl auch im letztlich Gesetz gewordenen Stünker-Entwurf494 eine Übertragung der Grundsätze 488
So auch BT-Drs. 16/8442 (Stünker-E), S. 14. Höfling, NJW 2009, 2849 (2852). 490 BT-Drs. 16/8442 (Stünker-E), S. 14: „sehr zu empfehlen“; BT-Drs. 16/13314, S. 19 f.: „Allerdings wird es im Regelfall wichtig und sinnvoll sein, sich vor Erstellung einer Patientenverfügung ärztlich beraten zu lassen…Eine Beratung vor Erstellung einer Patientenverfügung wird für den Patienten vielfach hilfreich sein, seine Entscheidungen zu treffen. Sie kann auch dazu beitragen, dass die ärztlichen Maßnahmen, in die eing ewilligt wird oder die untersagt werden, hinreichend genau beschrieben werden und die Patientenverfügung damit für den Arzt und den Betreuer Aufschluss über den Patiente nwillen in der anstehenden Behandlungssituation gibt.“ Eine vorherige ärztliche Beratung empfehlen auch: Albrecht/Albrecht, MittBayNot 2009, 426 (433); Höfling, NJW 2009, 2849 (2852); Lange, ZEV 2009, 537 (543). 491 Höfling, Stellungnahme, S. 7; ders., NJW 2009, 2849 (2852); zu der Bedeutung verhaltensökonomischer Konzepte im Zusammenhang mit ärztlichen Aufklärungspflic hten: Joost, in: Fateh-Moghadam/Sellmaier/Vossenkuhl (Hrsg.), Grenzen des Paternalismus, S. 126 ff.; zu verhaltensökonomischen Einsichten im Kontext der Patientenverfügung: Röthel, AcP 211 (2011), 196 (204 ff.). 492 Dazu ausführlich Damm, in: Liber Amicorum Eike Schmidt, S. 73 ff. 493 Taupitz, Gutachten 63. DJT, A111 ff.; Höfling, NJW 2009, 2849 (2852). 494 BT-Drs. 16/8442 (Stünker-E), S. 14: „Dagegen bedarf die Einwilligung in eine ärztliche Maßnahme immer der ärztlichen Aufklärung um wirksam zu sein, es sei denn, 489
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zum informed consent auf die Patientenverfügung angesprochen wurde – also eine antizipierte Einwilligung in eine ärztliche Heilbehandlung der ärztlichen Aufklärungspflicht unterlegen hätte, ein Behandlungsveto hingegen nicht –, hat auch dieser Entwurf auf den Vorschlag einer entsprechenden Regelung verzichtet.495 Das gegen das Erfordernis ärztlicher Aufklärung vorgebrachte Argument einer „Überbürokratisierung des Sterbens“ überzeugt nach zutreffender Ansicht nicht, weil in existenziellen Entscheidungssituationen Praktikabilitätsargumente nur dann durchschlagen, wenn Gewähr für eine bedachte Ausübung von Freiheit besteht. 496 Dass die in § 1901a Abs. 1 BGB aufgestellten Wirksamkeitskriterien diese Gewähr bieten, wurde zu Recht in Zweifel gezogen.497 Überzeugend wurde überdies belegt, dass sich auch nicht unter Verweis auf den liberalen Ansatz des BGB argumentieren lässt, dass Informations- oder Aufklärungsdefizite auch in anderen (rechtsgeschäftlichen) Bereichen in der Regel allenfalls dazu führen, dass der Betroffene seine Erklärung wegen Irrtums oder Täuschung nachträglich durch Anfechtung aus der Welt schaffen kann. 498 Denn schließlich befürwortet das deutsche Zivilrecht auch in anderen, wesentlich weniger gefahrgeneigten und existenziellen Bereichen ausgefeilte Informationsmodelle, etwa im Verbraucherrecht, Grundstücksrecht und auch im Erbrecht 499.500 Für Patientenverfügungen sollte nichts anderes gelten. Allerdings wurde zu Recht vorgeschlagen, die Grundsätze des informed consent dahingehend zu modifizieren, dass auch behandlungsablehnende Entscheidungen, bezüglich derer die begründete Gefahr besteht, dass der Betroffene bei ihrer Befolgung stirbt oder einen erheblichen gesundheitlichen Schaden erleidet, dem Wirksamkeitserfordernis einer hinreichend fachkundigen Beratung unterliegen.501
dass der Patient darauf ausdrücklich verzichtet hat. Auch das muss für Festlegungen in einer Patientenverfügung gelten.“ 495 Kritisch zur fehlenden Konsistenz auch Duttge, in: ders. (Hrsg.), Perspektiven des Medizinrechts, S. 1 (13 f.); E. Schumann, Dignitas Voluntas Vita, S. 66 ff. 496 Höfling, Stellungnahme, S. 8; ders., NJW 2009, 2849 (2852). 497 Höfling, Stellungnahme, S. 8. 498 So im Kontext der Aufklärungspflicht bei der aktuell erklärten Einwilligung darg estellt bei Taupitz, in: ders., Rn. D30. 499 Für das Erbrecht wird in jüngster Zeit zunehmend für bedachte Erblasserentsche idungen plädiert, wegweisend Röthel, Gutachten 68. DJT, A27 ff., A62 ff., A81 ff. 500 Röthel, AcP 211 (2011), 196 (204 f., 215). 501 Mit jeweils unterschiedlichen Nuancierungen: Taupitz, Gutachten 63. DJT, A111 ff.; E. Schumann, Dignitas Voluntas Vita, S. 66 ff.; Höfling, Stellungnahme, S. 8; Jäger, Stellungnahme, S. 7; Lipp, Stellungnahme, S. 35 f.; Bamberger/Roth/Ga. Müller, § 1901a Rn. 13.
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cc) Aktualisierungspflicht Überdies hat sich der deutsche Gesetzgeber gegen eine Pflicht zur Aktualisierung der Patientenverfügung entschieden. Ausweislich der Gesetzesmaterialien ist auch dies dem Bemühen geschuldet, keine zu hohen Hürden für das Selbstbestimmungsrecht des Patienten aufzustellen.502 Für den Betroffenen ist mit der Stärkung des Selbstbestimmungsrechts ein Zuwachs an Eigenverantwortung verbunden: Selbstbestimmung ist ohne Selbstverantwortung nicht denkbar 503. Der Betroffene muss dafür Sorge tragen, dass die Patientenverfügung seine aktuellen Einstellungen zu Leben und Tod widerspiegelt.504 Andere Rechtsordnungen, etwa die österreichische und die französische Rechtsordnung, haben zurückhaltender entschieden. Auch im deutschen Schrifttum wurde eine Pflicht zur regelmäßigen Aktualisierung unter Verweis auf die rasante Fortentwicklung der medizinischen Wissenschaft und der Medizintechnik, die bei einer Bestätigung in regelmäßigen Abständen problemlos berücksichtigt werden könnte, befürwortet.505 Zu Recht wurde aber auch darauf hingewiesen, dass sich der medizinische Fortschritt über die ohnehin erforderliche Auslegung der Patientenverfügung (§ 1901a Abs. 1 S. 1 BGB) berücksichtigen lässt. 506 Gegen ein „automatisches Ablaufdatum“ der Patientenverfügung sprach auch, dass zu bezweifeln ist, dass sich Grundüberzeugungen über den Grenzbereich zwischen Leben und Tod innerhalb kürzerer Zeiträume grundlegend verändern.507 Überdies wurde überzeugend auf die Folgen eines „automatischen Ablaufdatums“ hingewiesen: Es hätte zur Folge, dass die Patientenverfügung eines kurz vor Ablauf der gesetzlich festgelegten Gültigkeitsdauer einwilligungsunfähig gewordenen Betroffenen auch dann ihre Verbindlichkeit verlöre, wenn die in der Patientenverfügung getroffenen Festlegungen noch dem tatsächlichen Willen des Betroffenen entsprechen. 508 Da ein Einwilligungsunfähiger nicht mehr zukunftsbezogen vorsorgen kann,
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BT-Drs. 16/8442 (Stünker-E), S. 14; BT-Drs. 16/13314, S. 19 f.; für eine Aktualisierungspflicht sprechen sich u.a. aus Höfling, Stellungnahme, S. 8; E. Schumann, Dignitas Voluntas Vita, S. 186. 503 Panagopoulou-Koutnatzi, Selbstbestimmung des Patienten, S. 203; Ohly, Einwilligung im Privatrecht, S. 77; vgl. auch Lipp, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 17 Rn. 99. 504 Albrecht/Albrecht, MittBayNot 2009, 426 (433); Röthel, in: Hausmann/Hohloch (Hrsg.), Handbuch des Erbrechts, S. 1098. 505 Taupitz, Gutachten 63. DJT, A115 f. 506 Taupitz, Gutachten 63. DJT, A115 f. 507 Sternberg-Lieben, Jb. für Recht und Ethik 15 (2007), 307 (329). 508 Taupitz, Gutachten 63. DJT, A119.
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würde die beschränkte Gültigkeit der Patientenverfügung die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts beeinträchtigen. 509 dd) Registrierungspflicht Auf der Grundlage von § 78a BNotO510 existiert bereits seit dem Jahr 2004 sowohl für Vorsorgevollmachten als auch für Betreuungsverfügungen ein von der Bundesnotarkammer zentral geführtes elektronisches Vorsorgeregister (Zentrales Vorsorgeregister 511). In das Vorsorgeregister werden Angaben über Bevollmächtigte, Vollmachtgeber, die Vollmacht, deren Inhalt sowie Vorschläge zur Auswahl eines Betreuers, Wünsche zur Wahrnehmung der Betreuung und den Vorschlagenden aufgenommen (§ 78a Abs. 1 S. 2 BNotO sowie VRegV 512). Auf ihr Ersuchen wird den Betreuungsgerichten Auskunft aus dem Register erteilt (§ 6 VRegV). Auf eine Registrierungspflicht für Patientenverfügungen hat der Gesetzgeber ebenso wie andere europäische Gesetzgeber verzichtet. Damit trifft allein den Betroffenen die Verantwortung, den Bevollmächtigten oder Angehörige oder Bekannte über den Aufbewahrungsort der Patientenverfügung in Kenntnis zu setzen.513 Ob dies im Einzelfall auch tatsächlich geschieht, ist zweifelhaft. Aus der Praxis wird berichtet, dass nicht wenige Betroffene ihre Patientenverfügung im Bankschließfach aufbewahren, was offenbar einem Bedürfnis nach sicherer Aufbewahrung geschuldet ist. 514 Auch wenn ein solches Verhalten eine Nichtbeachtung der Patientenverfügung, also faktisch eine Beeinträchtigung des Selbstbestimmungsrechts, zur Folge haben kann, wurde zu Recht in Zweifel gezogen, dass dies gesetzgeberische Handlungspflichten auslöst, da die Patientenverfügung eine Handlungsoption des Patienten darstellt: Ihm ist es zumutbar, nächste Angehörige oder andere Vertraute in Kenntnis der Errichtung und den Aufbewahrungsort der Patientenverfügung zu setzen. 515 Im Übrigen wurde überzeugend dargelegt, dass gegen eine obligatorische Registrierung der Patientenverfügung auch
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Taupitz, Gutachten 63. DJT, A116; Sternberg-Lieben, Jb. für Recht und Ethik 15 (2007), 307 (330). 510 Eingefügt durch Art. 2b des Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Anfechtung der Vaterschaft und das Umgangsrecht von Bezugspersonen des Kindes, zur Registrierung von Vorsorgeverfügungen und zur Einführung von Vordrucken für die Vergütung von Berufsbetreuern v. 23.4.2004, BGBl. 2004 I 598, in Kraft getreten am 31.7.2004. 511 . 512 Verordnung über das Zentrale Vorsorgeregister (Vorsorgeregister-Verordnung – VRegV) v. 21.2.2005, BGBl. 2005 I 318, in Kraft getreten am 1.3.2005. 513 Röthel, in: Hausmann/Hohloch (Hrsg.), Handbuch des Erbrechts, S. 1098. 514 Meyer-Götz, FPR 2010, 270 (271). 515 Taupitz, Gutachten 63. DJT, A119.
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der damit verbundene Verlust an Privatheit spricht. 516 Für den Verkehr, insbesondere für die medizinische Praxis, wäre ein Patientenverfügungsregister gleichwohl ein Gewinn und wurde deswegen auch auf dem 113. Deutschen Ärztetag vorgeschlagen. 517 3. Widerruf Das Selbstbestimmungsrecht und der Schutz des Patienten gebieten die jederzeitige Widerrufbarkeit der Patientenverfügung durch ihren Verfasser.518 Dem entspricht § 1901a Abs. 1 S. 3 BGB, wonach der Verfasser519 die Patientenverfügung jederzeit formlos, also mündlich oder sogar konkludent, widerrufen kann. Dies korrespondiert mit der Rechtslage in England und Wales. Ebenso wie die Behandlungsverweigerung muss auch der Widerruf nicht begründet werden. 520 Zum Schutz vor spekulativer Unterwanderung des Patientenwillens ist aber nötig, dass die Willensänderung hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt, was zur Folge hat, dass bloß unwillkürliche, rein körperliche Reflexe nicht als Widerruf ausgelegt werden können.521 Darüber hinaus wird nicht nur für die Errichtung, sondern auch für den Widerruf verlangt, dass der Betroffene einwilligungsfähig ist: Zur Begründung wird ausgeführt, dass es sich in Fällen, in denen in einer Patientenverfügung medizinische Maßnahmen untersagt werden, die der Betroffene nun doch durchgeführt haben will, um einen Eingriff in die körperliche Integrität handelt, die der Einwilligung bedarf. 522 Dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten dürfte indes eher entsprechen, wenn er auch noch in einwilligungsunfähigem, aber noch äußerungsfähigem Zustand aufgrund deutlich erkennbaren Willens seine entgegenstehende frü516
Röthel/Woitge, IPRax 2010, 494 (498); zum Verlust an Privatheit durch das Erfordernis ärztlicher Aufklärung Röthel, AcP 211 (2011), 196 (216 f.). 517 Beschlussprotokoll des 113. Deutschen Ärztetages v. 11.–14.5.2010 in Dresden, S. 64, abrufbar unter: . 518 Keilbach, FamRZ 2003, 969 (977); vgl. Sternberg-Lieben, Jb. für Recht und Ethik 15 (2007), 307 (322). 519 Der Betreuer kann eine in einwilligungsfähigem Zustand errichtete Patientenverf ügung des Betreuten nicht widerrufen, auch nicht deswegen, weil ihre Befolgung dem „Wohl“ des Betreuten widerspricht (Taupitz, Gutachten 63. DJT, A113; Palandt/Götz, § 1901a Rn. 25). Der Bevollmächtigte ist nur bei entsprechender Ermächtigung widerrufsbefugt (Palandt/Götz, § 1901a Rn. 25). 520 BT-Drs. 16/8442 (Stünker-E), S. 9. 521 BT-Drs. 16/8442 (Stünker-E), S. 15; Olzen, JR 2009, 354 (357); Taupitz, Jb. f. Wissenschaft u. Ethik 2010, 155 (173); Röthel, in: Hausmann/Hohloch (Hrsg.), Handbuch des Erbrechts, S. 1101. 522 Spickhoff, FamRZ 2009, 1949 (1955); Palandt/Götz, § 1901a Rn. 25; Erman/ A. Roth, § 1901a Rn. 6; Röthel, in: Hausmann/Hohloch (Hrsg.), Handbuch des Erbrechts, S. 1101; im Ergebnis ebenso: MünchKommBGB/Schwab, § 1901a Rn. 35; kritisch aber: Beermann, FPR 2010, 252 (254).
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her verbindliche Entscheidung aufheben kann: Denn ansonsten würde die eigene Erklärung zum tödlichen Verhängnis. 523 Weil abermals die Gefahr kaschierter Fremdbestimmungen besteht, wird aber nur eine schlüssig kundgetane Willensänderung die Rechtsverbindlichkeit der Patientenverfügung beseitigen können. 524 4. Inhalt a) Bestimmtheitserfordernis Gegenstand von Patientenverfügungen ist die antizipierte Einwilligung oder Untersagung medizinischer Maßnahmen: Das Gesetz verlangt vom Betroffenen Angaben über „bestimmte (…) Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe“ (§ 1901a Abs. 1 S. 1 BGB). Dies entspricht der Rechtslage in der Schweiz.525 Welcher Grad an Bestimmtheit tatsächlich zu fordern ist, ist bislang noch umstritten – besonders strenge Anforderungen stellen Elisabeth und Andreas Albrecht, die einen Grad an Bestimmtheit fordern, der dem entspricht, wenn ein Einwilligungsfähiger in einer konkreten Situation die ihm vom Arzt vorgeschlagene Maßnahme akzeptiert oder ablehnt. 526 Tatsächlich dürften Formulierungen wie „Apparatemedizin“, „qualvolles Leiden“ oder „menschenunwürdiges Leben“ mit dem Bestimmtheitserfordernis nicht vereinbar sein.527 Als ausreichend dürften sich aber detailliertere Beschreibungen der Behandlungssituation (etwa die Sterbephase, das Wachkoma oder die Krankheit, die bereits beim Betroffenen diagnostiziert wurde) erweisen.528 Denn bereits dieser Grad an Konkretisierung gewährleistet, dass der Betroffene Anordnungen trifft, die auch tatsächlich seinem Willen entsprechen. Zusätzlich zur Behandlungssituation muss auch die Lebenssituation, in der die Patientenverfügung Wirkung entfalten soll, hinreichend be-
523 Sternberg-Lieben, Jb. für Recht und Ethik 15 (2007), 307 (322); Taupitz, Gutachten 63. DJT, A117 f.; im Ergebnis ebenso: Olzen, JR 2009, 354 (358). 524 Sternberg-Lieben, Jb. für Recht und Ethik 15 (2007), 307 (322). 525 Wenn auch nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt, müssen in der Schweiz die in der Patientenverfügung getroffenen Anordnungen aber hinreichend bestimmt formuliert sein, weil das schweizerische Recht Generaleinwilligungen in medizinische Maßnahmen keine rechtfertigende Wirkung zuspricht (Aebi-Müller/Bienz, in: Löhnig et al [Hrsg.], Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 57 [79]). 526 Albrecht/Albrecht, MittBayNot 2009, 426 (428). 527 Roglmeier/Lenz, S. 21. 528 Lange, ZEV 2009, 537 (542); für eine weite Auslegung des Bestimmtheitsgebots: Bamberger/Roth/Ga. Müller, § 1901a Rn. 7; in diese Richtung auch Röthel, in: Hausmann/Hohloch (Hrsg.), Handbuch des Erbrechts, S. 1099; zu dem Streit über das Bestimmtheitsgebot Taupitz, Jb. f. Wissenschaft u. Ethik 2010, 155 (162).
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stimmt beschrieben werden. 529 Wenngleich es Betroffenen schwer fallen wird, eine Patientenverfügung möglicherweise ohne ärztliche Hilfe hinreichend bestimmt zu formulieren 530, erfüllt das Bestimmtheitserfordernis – wie die Schriftform – Hinweis- und Warnfunktion und ist damit Garant für bedachte Entscheidungen, weil der Betroffene gezwungen wird, sich ausreichend mit der in der Patientenverfügung festgelegten Krankheitssituation auseinanderzusetzen.531 Entscheidungen eines einwilligungsfähigen Betroffenen, die sich auf unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen – etwa Operationen – beziehen, sind vom Regelungsbereich des § 1901a Abs. 1 BGB ausgenommen.532 Maßgeblich ist dann vielmehr die unmittelbar vor der Behandlungssituation geäußerte Eigenentscheidung des Betroffenen.533 Nicht umfasst sind auch allgemeine Richtlinien für eine künftige Behandlung und alle Wünsche, die nicht den Charakter einer antizipierten Entscheidung über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in eine medizinische Maßnahme haben. 534 b) Inhaltliche Grenzen Auch für die Patientenverfügung gelten die allgemeinen Grenzen der Patientenautonomie.535 Die Patientenverfügung findet dort ihre Grenzen, wo die Allgemeinheit oder Dritte betroffen sind: Inhalt einer Patientenverfügung kann daher nur sein, was nicht gesetzlich verboten ist (§ 134 BGB) oder gegen die guten Sitten verstößt (§ 138 BGB).536 Im Übrigen gilt dasselbe wie für die aktuell erklärte Einwilligung: Während die auf Täuschung oder Zwang beruhende Erklärung kraft Gesetzes unwirksam ist und deswegen nicht gesondert angefochten werden muss, berührt ein einfacher Irrtum die Wirksamkeit der Patientenverfügung ebenso wenig wie die der Einwilligung.537 529 Zu unbestimmt ist etwa folgende von Höfling, NJW 2009, 2849 (2850) übernommene Formulierung: „Wenn keine Aussicht auf Besserung im Sinne eines für mich erträglichen und umweltbezogenen Lebens besteht, möchte ich keine lebensverlängernden Maßnahmen …“; weitere Beispiele in BT-Drs. 16/8442 (Stünker-E), S. 13 f. 530 Röthel, in: Hausmann/Hohloch (Hrsg.), Handbuch des Erbrechts, S. 1099. 531 Geißendörfer, Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen, S. 377. 532 BT-Drs. 16/8442 (Stünker-E), S. 13; Höfling, NJW 2009, 2849 (2850). 533 Höfling, NJW 2009, 2849 (2850); Lange, ZEV 2009, 537 (538). 534 BT-Drs. 16/8442 (Stünker-E), S. 13. 535 Lipp, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 17 Rn. 147; Röthel, in: Hausmann/Hohloch (Hrsg.), Handbuch des Erbrechts, S. 1100. 536 Hufen, NJW 2001, 849 (855); Geißendörfer, Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen, S. 129; Lipp, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 17 Rn. 147; vgl. auch Keilbach, FamRZ 2003, 969 (978). 537 Zur Einwilligung: BGH NJW 1964, 1177 (1178); für die Patientenverfügung: Lipp, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 17 Rn. 131.
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aa) Das Strafrecht als objektive Grenze der Patientenautonomie Dass das 3. BtÄndG keine Klarstellung in der Frage bringt, wo die Grenzen zwischen zulässiger Wahrnehmung der Patientenautonomie und unzulässiger Sterbehilfe verlaufen, hat der BGH in der causa Putz klargestellt: „Diese Neuregelung entfaltet auch für das Strafrecht Wirkung. Allerdings bleiben die Regelungen der §§ 212, 216 StGB von den Vorschriften des Betreuungsrechts unberührt, welche schon nach ihrem Wortlaut eine Vielzahl weit darüber hinaus reichender Fallgestaltungen betreffen und auch nach dem Willen des Gesetzgebers nicht etwa strafrechtsspezifische Regeln für die Abgrenzung von erlaubter Sterbehilfe und verbotener Tötung enthalten.“538 Die Haltung gegenüber der Sterbehilfe ist in Deutschland, wie auch in vielen anderen westlichen Staaten, geprägt von der christlichabendländischen Tradition der Achtung vor dem menschlichen Leben. 539 Die deutsche Debatte wird darüber hinaus durch die Verbrechen der NSEuthanasie bestimmt.540 Nach wie vor bestehen unter Juristen, Medizinern, Medizinethikern, Theologen und der Öffentlichkeit über den Ausgleich von Selbstbestimmungsrecht und Lebensschutz tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten, die bisher wohl auch einer gesetzlichen Regelung der Sterbehilfe entgegenstanden. 541 An Vorschlägen aus der Wissenschaft mangelte es in den letzten Jahren nicht: Während Harro Otto in seinem Gutachten für den 56. DJT für den Bereich der Sterbehilfe noch keine „gravierende(n) Regelungslücken“542 ausmachen konnte, forderte etwa Torsten Verrel in seinem Gutachten für den 66. DJT eine gesetzliche Regelung der Sterbehilfe.543 Zuvor war bereits ein Alternativ-Entwurf Sterbebegleitung 544 vorgelegt worden, der vom Gesetzgeber aber bislang nicht aufgegriffen wurde. Mangels spezieller strafrechtlicher Bestimmungen gelten in Deutschland bis heute die allgemeinen Regelungen über Körperverletzungs- und Tötungsdelikte des Strafgesetzbuchs. Typologisch wurden bislang – ebenso wie in vielen ausländischen Rechtsordnungen – die aktive Sterbehilfe, die indirekte Sterbehilfe, die passive Sterbehilfe und die Beihilfe zur Selbsttötung unterschieden (1). Schon lange mehrten sich die Stimmen 545, die diese in der juristischen und medizinischen Praxis Unsicherheiten und Missver-
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BGHSt 55, 191 (199). Lorenz, JZ 2009, 57 (58). 540 Zur Sterbehilfe aus rechtshistorischer Sicht: E. Schumann, Dignitas Voluntas Vita. 541 Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 84. 542 Otto, Gutachten 56. DJT, D90. 543 Verrel, Gutachten 66. DJT, C53 ff. (m.w.N. in Fn. 222), C118 These 1. 544 Schöch/Verrel, GA 2005, 553 ff. 545 Etwa Verrel, Gutachten 66. DJT, C56 f., C60 ff. 539
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ständnisse546 auslösende Terminologie zugunsten neu zu bildender Fallgruppen aufgeben wollten. Der BGH hat im Jahr 2010 im Fall Putz547 andere Begrifflichkeiten geprägt, die sich voraussichtlich in Rechtsprechung und Literatur in den nächsten Jahren durchsetzen werden (2). (1) Alte Kategorien Unter aktiver Sterbehilfe wurde die gezielte Tötung oder gezielte Beschleunigung des Todeseintritts durch aktives Tun verstanden; sie ist strafbar und erfüllt den Straftatbestand der Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) auch dann, wenn sie auf Wunsch eines schwerstkranken Patienten erfolgt, dessen Leiden irreversibel ist und der die Tötung selbstbestimmt verlangt.548 Das Verbot der Tötung auf Verlangen wurde auch im Rahmen der Reformüberlegungen der vergangenen Jahre nicht nachhaltig in Frage gestellt.549 Es findet seine verfassungsrechtliche Rechtfertigung in der Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Tötungstabus, der Schutzpflicht des Staates für das Leben und die Achtung des Lebens als Wert der Gemeinschaft, der Vorbeugung gegen Missbrauchsgefahren und der Verhinderung von (sozialem) Druck auf Patienten und Ärzte, den die Zulassung der aktiven Sterbehilfe voraussichtlich mit sich bringen würde.550 Die Anerkennung der Straflosigkeit der passiven und der indirekten Sterbehilfe bedeutete eine Einschränkung des Verbots der Tötung auf Verlangen. Ansatzpunkt für diese Ausnahmen war die Achtung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten. 551 Die Straflosigkeit der indirekten Sterbehilfe war seit der sog. Dolantin-Entscheidung552 des BGH aus dem Jahr 1996 anerkannt. Indirekte Sterbehilfe setzt nach dem BGH voraus, dass der natürliche Sterbeprozess beim Patienten bereits begonnen hat, die Medikamentengabe medizinisch indiziert ist und dem ausdrücklichen oder
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Unsicherheiten unter Vormundschaftsrichtern im Umgang mit medizinischen En tscheidungen und Maßnahmen am Lebensende offenbart etwa die Untersuchung von Simon/Lipp/Tietze/Nickel/v. Oorschot, MedR 2004, 303 (305 f.). Unsicherheiten unter Ärzten belegen Weber/Stiehl/Reiter/Rittner, DÄBl. 2001, A3184 ff. Ausführlich Choi, Patientenverfügung, S. 50 ff. 547 BGHSt 55, 191. 548 Baltz, Lebenserhaltung als Haftungsgrund, S. 7; Choi, Patientenverfügung, S. 132. 549 Beschluss der strafrechtlichen Abteilung des 66. DJT, V.1.; Kutzer, FPR 2004, 683 (684); Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 111 ff. (auch zu abweichenden Vorschlägen aus der Literatur). 550 Hufen, NJW 2001, 849 (855); Knopp, MedR 2003, 379 (385); Dreier/SchulzeFielitz, Art. 2 Abs. 2 GG Rn. 64; ausführlich zur aktiven Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung: Antoine, Aktive Sterbehilfe. 551 Choi, Patientenverfügung, S. 57. 552 BGHSt 42, 301.
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mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht. 553 Im Unterschied zur aktiven Sterbehilfe ist der Tod nicht primär angestrebtes Ziel, er wird nur als „Nebenwirkung“ in Kauf genommen. 554 Die dogmatische Begründung der Straflosigkeit der indirekten Sterbehilfe ist bis heute umstritten. 555 Die Anerkennung der Ausnahmekategorie passive Sterbehilfe war Reaktion auf die Fortschritte der Medizin und Medizintechnik: In der medizinischen Praxis stellte sich in den vergangenen Jahrzehnten immer häufiger das Problem, dass eine lebensverlängernde Behandlung zwar medizinischtechnisch möglich wäre, aber der Patient nicht mehr behandelt werden möchte.556 Bis zur Entscheidung des BGH im Fall Putz gingen Rechtsprechung und Literatur davon aus, dass von strafloser passiver Sterbehilfe (nur) gesprochen werden könne, wenn auf Wunsch des Patienten auf den weiteren Einsatz lebenserhaltender oder lebensrettender ärztlicher Maßnahmen verzichtet und dem Sterbeprozess sein natürlicher, der Würde des Menschen gemäßer Lauf gelassen werde. 557 Eine zulässige passive Sterbehilfe setzte nach diesem Verständnis stets ein Unterlassen im Rechtssinn (§ 13 StGB) voraus; aktives Handeln im natürlichen Sinne sollte dagegen stets als rechtswidriges Tötungsdelikt (§§ 212, 216 StGB) strafbar sein. 558 Die bis zu der Entscheidung im Fall Putz „bedeutendste Rechtsfortbildung auf dem Gebiet der Sterbehilfe“ 559 hatte der BGH mit seiner Kemptener Entscheidung560 aus dem Jahr 1994 unternommen, in der er die Verbindlichkeit des mutmaßlichen Patientenwillens und die Straflosigkeit der mutmaßlich gewünschten Behandlungseinstellung vor Beginn der Sterbephase (sog. Hilfe zum Sterben) vorsichtig anerkannt hat: „daß angesichts der besonderen Umstände des hier gegebenen Grenzfalls ausnahmsweise ein zulässiges Sterbenlassen durch Abbruch einer ärztlichen Behandlung oder Maßnahme nicht von vornherein ausgeschlossen (sei), sofern der Patient mit dem Abbruch mutmaßlich einverstanden ist. Denn auch in dieser Situation ist das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu achten (…), ge553 BGHSt 42, 301 (305); 46, 279 (284 f.); E. Schumann, Dignitas Voluntas Vita, S. 32; Lipp, Stellungnahme, S. 7; Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 86. 554 Antoine, Aktive Sterbehilfe, S. 30; Schönke/Schröder/Eser, Vorbem zu den §§ 211 ff. StGB Rn. 26; Schreiber, NStZ 2006, 473 (474). 555 Schönke/Schröder/Eser, Vorbem zu den §§ 211 ff. StGB Rn. 26 m.w.N.; Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 87; ausführlich Baltz, Lebenserhaltung als Haftungsgrund, S. 7 ff. 556 Choi, Patientenverfügung, S. 117. 557 BGHSt 37, 376; Schönke/Schröder/Eser, Vorbem zu den §§ 211 ff. StGB Rn. 27 f. 558 Holzhauer, FamRZ 2006, 518 (524); Schönke/Schröder/Eser, Vorbem zu den §§ 211 ff. StGB Rn. 27 f.; Helgerth, JR 1995, 338 (339). 559 So u.a. Verrel, Gutachten 66. DJT, C20. 560 BGHSt 40, 257 ff.
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gen dessen Willen eine ärztliche Behandlung grundsätzlich weder eingeleitet noch fortgesetzt werden darf“ 561. Bis zu dieser Entscheidung war die Zulässigkeit der passiven Sterbehilfe nach den Kriterien der damaligen „Richtlinien für die Sterbehilfe“ der Deutschen Ärztekammer 562 auf Hilfe beim Sterben, also den Behandlungsverzicht bei unmittelbar bevorstehendem Tod, begrenzt.563 Auch das LG Ravensburg 564 hatte die Straflosigkeit des ausdrücklich gewünschten Behandlungsabbruchs für das Endstadium einer unheilbaren Krankheit festgestellt. Die Kemptener Entscheidung offenbar missverstanden hat, wie bereits ausgeführt, der XII. Zivilsenat des BGH in seinem Beschluss im Lübecker Fall aus dem Jahr 2003565. Dass ein Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung zulässig ist, wurde durch den mit dem 3. BtÄndG eingeführten § 1901a Abs. 3 BGB gesetzlich verdeutlicht. Von der Frage der Sterbehilfe überlagert ist die in Deutschland – anders als etwa im englischen Recht – straflose566 Beihilfe zur Selbsttötung. Die Straflosigkeit folgt aus dem in § 27 StGB geregelten, von der Strafrechtsdogmatik entwickelten Grundsatz der limitierten Akzessorietät, wonach strafbare Beihilfe eine rechtswidrige Haupttat eines Täters voraussetzt, an der es wegen der Tatbestandslosigkeit der Selbsttötung mangelt. 567 Probleme bereitet die Abgrenzung zu strafbarem Verhalten: Wann geht die Förderung einer freiverantwortlichen Selbsttötung in täterschaftliche Fremdtötung über, und wann ist die unterlassene Rettung eines handlungsunfähig gewordenen Suizidenten als unterlassene Hilfeleistung gemäß § 323c StGB anzusehen? 568 Während Einigkeit darüber herrscht, dass die 561
BGHSt 40, 257 (262). DÄBl. 90 (1993), A-2404 (A-2406). 563 Verrel, Gutachten 66. DJT, C20. In diesem Fall fehlt es schon an einer ärztlichen Indikation für die Weiterbehandlung und damit an einer der Legitimationsvoraussetzu ngen für einen ärztlichen Eingriff (Lipp/Brauer, in: Höfling [Hrsg.], Das neue Patientenverfügungsgesetz in der Praxis, S. 17 [23]). 564 LG Ravensburg NStZ 1987, 229. 565 BGHZ 154, 205; dazu auch Verrel, Gutachten 66. DJT, C43 ff.; Baltz, Lebenserhaltung als Haftungsgrund, S. 10, 52 ff. 566 Eine Ausnahme von der Straflosigkeit sieht der im Jahr 2012 vom Bund esjustizministerium vorgelegte „Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Fö rderung der Selbsttötung“ vor, der die Schaffung des neuen Straftatbestands „Gewerb smäßige Förderung der Selbsttötung“ vorschlägt. Der neu zu schaffende § 217 StGB soll lauten: „Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines Menschen zu fördern, diesem hierzu gewerbsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheit sstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ 567 Holzhauer, FamRZ 2006, 518 (523); Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 105; Schreiber, NStZ 2006, 473 (478); Verrel, Gutachten 66. DJT, C19. 568 Schreiber, NStZ 2006, 473 (478); Choi, Patientenverfügung, S. 128 ff. 562
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Straflosigkeit des Außenstehenden nur bei einer freiverantwortlichen Selbsttötung eintritt und sich ein hilfeleistender Außenstehender im Fall eines nicht freiverantwortlichen Suizids nach §§ 211 ff., 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB strafbar macht, besteht Streit darüber, unter welchen Voraussetzungen ein Selbstmord freiverantwortlich ist. 569 Es stehen sich die sog. Exkulpationslösung und die sog. Einwilligungslösung gegenüber. 570 Demgegenüber soll sich die Abgrenzung von Beihilfe zur Selbsttötung und Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) nach h.M. danach richten, wer die Herrschaft über den letzten, unwiderruflich zum Tod führenden Akt hat. 571 Verliert der Suizident die Möglichkeit der Einflussnahme auf das Geschehen, geht die Tatherrschaft und damit die Täterschaft auf den Außenstehenden über.572 Ein Arzt, der bei einem bereits bewusstlosen Suizidenten nicht zur Lebensrettung einschreitet, macht sich ungeachtet des früher geäußerten Sterbewunsches des Suizidenten infolge des mit der Bewusstlosigkeit eintretenden Tatherrschaftswechsels und wegen seiner Garantenstellung wegen Tötung auf Verlangen durch Unterlassen (§§ 216, 13 StGB) und im Übrigen wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323c StGB) strafbar.573 Zu Recht wird kritisiert, dass diese Rechtsprechung die Straffreistellung der Hilfe zur Selbsttötung auf problematische Weise reduziert.574 Im Fall Hackethal575 hat sich das OLG München entgegen dem BGH im Fall Wittig576 denn auch für eine Gleichbehandlung zwischen sterbewilligen Normalpatienten und einem freiverantwortlich handelnden Suizidenten ausgesprochen und ausgeführt, dass die ärztliche Garantenpflicht durch den freiverantwortlich gefassten Selbsttötungswillen eingeschränkt werde. 577 Der Selbsttötungswille sei wie der Sterbewunsch des Normalpatienten Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts. 578 Dem hat sich im Juli 2011 die Staatsanwaltschaft München I in einem Einstellungsbeschluss betreffend ein Ermittlungsverfahren gegen Angehörige einer Suizidentin angeschlossen. 579 Der 114. Deutsche Ärztetag hat im Mai/Juni 2011 mit der Verabschiedung ei569
Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 105; Baltz, Lebenserhaltung als Haftungsgrund, S. 11 f. 570 Näher Baltz, Lebenserhaltung als Haftungsgrund, S. 11 ff. 571 Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 106; Baltz, Lebenserhaltung als Haftungsgrund, S. 13. 572 Holzhauer, FamRZ 2006, 518 (523); Schreiber, NStZ 2006, 473 (478). 573 BGHSt 6, 147 (149 ff.); 13, 162; 19, 135; 32, 367 (Straflosigkeit nur wegen Vorliegens einer „äußersten Grenzlage“). 574 Schreiber, NStZ 2006, 473 (478); Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 108; vgl. auch Kutzer, FPR 2004, 683 (689). 575 OLG München NJW 1987, 2940. 576 BGHSt 32, 367. 577 OLG München NJW 1987, 2940 (2943 f.). 578 OLG München NJW 1987, 2940 (2943 f.). 579 Staatsanwaltschaft München I, Verf. 125 Js 11736/09, NStZ 2011, 345 (346).
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ner Novellierung der (Muster-)Berufsordnung aber das standesrechtliche Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung bekräftigt. 580 (2) Neue Kategorie: Der Behandlungsabbruch Der BGH hat in dem o.g. Fall Putz bekräftigt, dass gezielte Eingriffe in das Leben eines Menschen, die nicht in Zusammenhang mit einer medizinischen Behandlung oder Erkrankung stehen, einer Rechtfertigung durch Einwilligung nicht zugänglich sind (Ls. 3). Solche Eingriffe sind weiterhin nach deutschem Recht unabhängig vom Patientenwillen strafbar. Aufgegeben hat der BGH aber die bislang übliche, an den äußeren Erscheinungsformen von Tun und Unterlassen orientierte Abgrenzung von strafloser und strafbarer Herbeiführung des Todes. Zur Begründung hat der BGH u.a. ausgeführt, dass ein Behandlungsabbruch sich nach seinem natürlichen und sozialen Sinngehalt nicht in bloßer Untätigkeit erschöpfe, sondern fast regelmäßig eine Vielzahl von aktiven und passiven Handlungen umfasse, deren Einordnung nach Maßgabe der Dogmatik und den von der Rechtsprechung zu den Unterlassungstaten des § 13 StGB entwickelten Kriterien problematisch sei und teilweise von bloßen Zufällen abhänge. 581 Für die Grenzziehung zwischen erlaubtem Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen und strafbarer Tötung soll daher entscheidend sein, ob die Handlung im Zusammenhang der medizinischen Behandlung des Betroffenen erfolgt oder ob dessen Leben gezielt und unabhängig von seiner Krankheit und seiner medizinischen Behandlung beendet wird. 582 Statt von passiver Sterbehilfe spricht der BGH nun von Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer begonnenen Maßnahme und fasst diese Begriffe, die Unterlassen und aktives Tun (Begrenzen und Beenden) beinhalten, unter der Bezeichnung Behandlungsabbruch zusammen.583 Sterbehilfe durch Behandlungsabbruch soll gerechtfertigt sein, wenn dies dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entspricht (§ 1901a BGB) und dazu dient, einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen.584 Mit dem Kriterium „dazu dient, einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen“ wird keine Beschränkung auf irreversibel tödlich verlaufende Erkrankungen oder die 580 § 16 der (Muster-)Berufsordnung lautet nun: Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen ke ine Hilfe zur Selbsttötung leisten. 581 BGHSt 55, 191 (202 f.); schon lange im Schrifttum kritisiert etwa bei Roxin, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 94 f. 582 BGHSt 55, 191 (Ls. 1, 3; 204). 583 BGHSt 55, 191 (Ls. 1; 203). 584 BGHSt 55, 191 (Ls. 1; 204 f.).
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unmittelbare Sterbephase vorgenommen – einer solchen Reichweitenbeschränkung stünde ohnehin § 1901a Abs. 3 BGB entgegen –, sondern lediglich ein subjektives Rechtfertigungselement umschrieben. 585 Weil die Ermittlung des Patientenwillens in der Praxis mit Schwierigkeiten verbunden sein kann, betont der BGH die Bedeutung der betreuungsrechtlichen Verfahrensregeln der §§ 1901a ff. BGB für die Feststellung des Patientenwillens: „Für die Feststellung des behandlungsbezogenen Patientenwillens gelten beweismäßig strenge Maßstäbe, die der hohen Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter Rechnung zu tragen haben (…). Dies hat insbesondere zu gelten, wenn es beim Fehlen einer schriftlichen Patientenverfügung um die Feststellung eines in der Vergangenheit mündlich geäußerten Patientenwillens geht. Die Verfahrensregeln der §§ 1901a ff. BGB, insbesondere das zwingend erforderliche Zusammenwirken von Betreuer oder Bevollmächtigtem und Arzt sowie gegebenenfalls die Mitwirkung des Betreuungsgerichts, sichern die Beachtung und Einhaltung dieser Maßstäbe.“ 586 Der BGH begrenzt die Grundsätze einer Rechtfertigung des Behandlungsabbruchs zwar nicht „auf das Handeln der den Patienten behandelnden Ärzte sowie der Betreuer und Bevollmächtigten“, das Handeln Dritter soll aber nur erfasst sein, „soweit sie als von dem Arzt, dem Betreuer oder dem Bevollmächtigten für die Behandlung und Betreuung hinzugezogene Hilfspersonen tätig werden.“ 587 Als Hilfsperson sieht der BGH, das belegt der Freispruch des verurteilten Rechtsanwaltes Putz, auch Rechtsanwälte an. (3) Zwischenergebnis Nach wie vor sind die in § 216 StGB ausdrücklich normierten Schranken des Selbstbestimmungsrechts zu respektieren. 588 Betroffene können einen anderen nicht mittels einer Patientenverfügung rechtswirksam von dem strafrechtlichen Verbot der Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) freistellen; gegenläufige Patientenverfügungen verstoßen gegen ein gesetzliches Verbot und sind gemäß § 134 BGB für den behandelnden Arzt und das medizinische Personal sowie den Betreuer oder Bevollmächtigten unbeachtlich.589
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Verrel, NStZ 2010, 671 (673). BGHSt 55, 191 (205). 587 BGHSt 55, 191 (205 f.). 588 Ohly, Einwilligung im Privatrecht, S. 397. 589 Lipp, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 17 Rn. 146 f.; Ohly, Einwilligung im Privatrecht, S. 246; Keilbach, FamRZ 2003, 969 (978); Wagenitz, FamRZ 2005, 669 (677). 586
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bb) § 1901a Abs. 4 BGB Gemäß § 1901a Abs. 4 BGB kann niemand zur Errichtung einer Patientenverfügung verpflichtet werden (S. 1). Zudem darf die Errichtung oder Vorlage einer Patientenverfügung nicht zur Bedingung eines Vertragsschlusses gemacht werden (S. 2). Sinn und Zweck dieser auf die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags zurückgehenden 590 Regelungen ist zu verhindern, dass individueller und gesellschaftlicher Druck auf die Errichtung einer (bestimmten) Patientenverfügung ausgeübt wird.591 Der Gesetzgeber dachte insbesondere an die naheliegende Gefahr, dass Träger von Krankenversicherungen und Pflegeheimen versuchen werden, eine Patientenverfügung zur Bedingung eines Vertragsschlusses zu machen.592 Allerdings lauert die Gefahr, dass Betroffene unter Druck gesetzt werden, auch aus einer anderen Richtung: dem nächsten Umfeld des Betroffenen.593 Da die finanziellen Auswirkungen von Verlängerungen des menschlichen Lebens künftig nicht nur von der Allgemeinheit, sondern zunehmend auch von den Patienten selbst zu tragen sein werden, erspart ein die Lebensverlängerung ablehnender Patient nicht nur seiner Kranken- und Pflegeversicherung hohe Kosten, sondern hält auch sein eigenes Vermögen zusammen, woran insbesondere manch künftiger Erbe Interesse haben wird.594 Hinzu kommt, dass vielen Menschen mittleren Alters der Gedanke, einen hilfsbedürftigen Angehörigen pflegen zu müssen, Angst macht: Befürchtet werden nicht nur die mit der Pflege verbundenen Einbußen an Freizeit und selbstbestimmter Lebensgestaltung, sondern auch die damit einhergehenden psychischen Anstrengungen, die es oftmals neben der eigenen Berufstätigkeit zu schultern gilt. 595 Die Gefahr, dass auch Angehörige den Wunsch verspüren, Einfluss auf die Errichtung einer Patientenverfügung und deren Gestaltung zu nehmen, und diesen Wusch durch die Ausübung offenen oder versteckten Drucks auf den Betroffenen in die Tat umsetzen, ist also nicht von der Hand zu weisen. 596 Die naheliegende Schlussfolgerung, dass schon die generelle Zulässigkeit von Patientenverfügungen Druck erzeuge und Patientenverfügungen daher nicht mit letzter 590
BT-Drs. 16/13314, S. 11. BT-Drs. 16/13314, S. 20. 592 BT-Drs. 16/13314, S. 20. Die Patientenautonomie ist grundsätzlich – also auch jenseits von Patientenverfügungen – durch Sparzwänge der Gefahr von Beeinträchtigungen und Beeinflussungen ausgesetzt, wenn es etwa um den Zugang zu neuen Therapie und Diagnosemöglichkeiten geht. Ob es ein verfassungsrechtliches Individualgrundrecht auf Zugang zu bestimmten verfügbaren Diagnose- und Heilmethoden gibt, wird unterschiedlich beurteilt (zum Vorstehenden Damm, MedR 2002, 375 [378]). 593 Röthel, Min-sho-ho zasshi vol. 142, no. 4.5, 393 ff. 594 Röthel, Min-sho-ho zasshi vol. 142, no. 4.5, 393 ff. 595 Röthel, Min-sho-ho zasshi vol. 142, no. 4.5, 393 ff. 596 Röthel, Min-sho-ho zasshi vol. 142, no. 4.5, 393 ff. 591
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Verbindlichkeit anzuerkennen seien, hat der Gesetzgeber, das zeigt die Regelung des § 1901a BGB, zu Recht nicht gezogen: Denn zunächst kann und sollte das Recht dem Betroffenen zumuten, einem gewissen Maß an Druck standzuhalten.597 Andererseits würde es aber der verfassungsrechtlichen Bedeutung der Patientenautonomie nicht gerecht, wenn faktische Beeinträchtigungen unterhalb der Schwelle der rechtswidrigen Drohung nicht sanktioniert würden: Korrigierendes Eingreifen der Zivilrechtsordnung ist deswegen immer dann geboten, wenn die Erklärung des Betroffenen nicht Ausdruck von Selbstbestimmung, sondern von Fremdbestimmung ist. 598 Geht es um die Wirksamkeit von Verträgen, wird dies durch richterliche Inhaltskontrolle bewirkt. 599 Gerade weil aufgrund des nicht hinreichend präzise formulierten Wortlauts des § 1901a Abs. 4 BGB bereits ungewiss bleibt, welche Rechtsfolgen der Gesetzgeber an eine unzulässige Beeinflussung und Koppelung knüpfen wollte, wird auch für Patientenverfügungen zu überlegen sein, wie mit (kaschierter) Fremdbestimmung umzugehen ist.600 5. Umsetzung und Verbindlichkeit Die Umsetzung der Patientenverfügung hat Rechtsprechung und Literatur lange Zeit intensiv beschäftigt601, gerade auch weil das deutsche Privatrecht eine gesetzliche Vertretung naher Angehöriger nicht kennt. 602 Befürworter einer Bindungswirkung der Patientenverfügung waren zumeist der Auffassung, dass bei Vorliegen einer Patientenverfügung die Beteiligung eines gesetzlichen Vertreters jedenfalls solange nicht i.S. des § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB erforderlich sei, wie kein Auslegungsbedarf besteht und der Arzt sich an die wirksam errichtete und hinreichend konkrete Patien-
597 Sternberg-Lieben, Jb. für Recht und Ethik 15 (2007), 307 (320); vgl. auch Geißendörfer, Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen, S. 375 f. 598 Panagopoulou-Koutnatzi, Selbstbestimmung des Patienten, S. 135; Röthel, Minsho-ho zasshi vol. 142, no. 4.5, 393 ff.; für die Testierfreiheit: Röthel, Gutachten 68. DJT, A22 f., A81 ff.; zum korrigierenden Eingreifen der Zivilrechtsordnung vgl. auch Duttge, in: Albers (Hrsg.), Patientenverfügungen, S. 185 (189). 599 BVerfGE 89, 214 (231 ff.); 103, 89 (100 ff.). 600 Olzen, JR 2009, 354 (358); Röthel, Min-sho-ho zasshi vol. 142, no. 4.5, 393 ff. 601 Dazu Baltz, Lebenserhaltung als Haftungsgrund, S. 80 ff. 602 Anders etwa Österreich (§ 284b ABGB) und nun auch die Schweiz (Art. 374 ff. ZGB). In Norwegen wird mit dem am 26.3.2010 erlassenen neuen Gesetz über die Vo rmundschaft (Lov om vergemål [vergemålsloven], 26.3., Nr. 9, 2010) eine gesetzliche Vertretung der nächsten Angehörigen bei Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen eing eführt. Allerdings beschränkt sich die Vertretungsbefugnis auf die Vermögenssorge (§ 94), dazu Frantzen, FamRZ 2010, 1497 (1498). Zur gesetzlichen Vertretungsmacht naher Angehöriger siehe auch Preisner, FamRZ 2011, 89 (90).
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tenverfügung halten möchte.603 Andere sprachen der Patientenverfügung eine unmittelbare Außenwirkung ab und folgerten, dass zur Umsetzung der Patientenverfügung zwingend eine dritte Person eingeschaltet werden müsse, die die erforderliche Einwilligung in die Maßnahme erteile. 604 Seit der Entscheidung des BGH im Fall Kempten war außerdem umstritten, inwieweit auch die Einwilligung des Betreuers in den Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme einer Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bedarf.605 a) Keine Reichweitenbegrenzung Von Beginn an diskutiert wurden Fragen der Bindungswirkung von Patientenverfügungen. Im Schrifttum herrschten im Wesentlichen zwei Meinungen vor: Nach der früher h.M. 606 war eine Patientenverfügung nicht unmittelbar bindend, sondern allenfalls ein Anhaltspunkt für die Ermittlung des mutmaßlichen Willens. 607 Nach und nach setzte sich aber die Ansicht durch, dass Patientenverfügungen – solange sie nicht widerrufen sind – rechtlich verbindliche Erklärungen sind. 608 Der XII. Zivilsenat des BGH hat im Lübecker Fall609, wie bereits ausgeführt, eine behandlungsablehnende Patientenverfügung beschränkt auf ein Grundleiden, das einen irreversibel tödlichen Verlauf angenommen hat, als bindend angesehen. 610 Der 603 Taupitz, Gutachten 63. DJT, A113, A120; Keilbach, FamRZ 2003, 969 (977 f.); Holzhauer, FamRZ 2006, 518 (526); Lipp, FamRZ 2004, 317 (321); Schöllhammer, Rechtsverbindlichkeit des Patiententestaments, S. 137; Geißendörfer, Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen, S. 372; MünchKommBGB/Schwab, § 1901a Rn. 27 ff., § 1904 Rn. 19; Olzen/Metzmacher, FPR 2010, 249 (250). 604 Helgerth, JR 1995, 338 (340); Spickhoff, AcP 208 (2008), 345 (364); für die Notwendigkeit der Betreuerbestellung auch: Saliger, KritV 1998, 118 (132). 605 Dafür etwa: OLG Frankfurt/Main NJW 1998, 2747; LG Duisburg NJW 1999, 2744; dagegen etwa: OLG Brandenburg NJW 2000, 2361; LG Augsburg NJW 2000, 2363. 606 Spann, MedR 1983, 13 ff.; Dölling, MedR 1987, 6 (9); differenzierend Spickhoff, NJW 2000, 2297 (2301 f.); ders., JZ 2003, 739 (740 f.); ders., AcP 208 (2008), 345 (404 ff.); differenzierend ebenfalls Verrel, MedR 1999, 547 (549). 607 Baltz, Lebenserhaltung als Haftungsgrund, S. 49. 608 Berger, JZ 2000, 797 (800 f.); Höfling, JuS 2000, 111 (115 f.); Lipp, FamRZ 2004, 317 (320); Taupitz, Gutachten 63. DJT, A109; Eisenbart, Patienten-Testament, S. 47 ff.; Keilbach, FamRZ 2003, 969 (977 f.); so schon im Jahr 1978: Uhlenbruck, NJW 1978, 566 (569). 609 BGHZ 154, 205; dazu Höfling/Rixen, JZ 2003, 884; Hufen, ZRP 2003, 248; Lipp, FamRZ 2004, 317 f.; Spickhoff, JZ 2003, 739; ders., AcP 208 (2008), 345 (405). 610 Die Beschränkung der rechtlichen Verbindlichkeit von Patientenverfügungen auf irreversibel tödlich verlaufende Grundleiden haben weite Teile der Literatur (statt Vieler Verrel, Gutachten 66. DJT, C43 m.w.N. in Fn. 175; Saliger, MedR 2004, 237 [240 f.]; Becker-Schwarze, FPR 2007, 52 [53 f.]) stark kritisiert und auf ein Missverständnis der Kempten-Entscheidung des BGH in Strafsachen (BGHSt 40, 257) zurückgeführt.
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Gesetzgeber hat sich im 3. BtÄndG gegen entsprechende Einschränkungen der Verbindlichkeit entschieden: § 1901a Abs. 3 BGB erlaubt unabhängig von Art und Stadium einer Krankheit die Ablehnung bzw. Untersagung der Fortführung ärztlicher Maßnahmen durch Patientenverfügung. Der gesetzgeberische Verzicht auf eine Reichweitenbegrenzung bedeutet eine Stärkung der Patientenautonomie, weil der Gesetzgeber die antizipierte Erteilung oder Versagung einer Einwilligung in ärztliche Behandlungen einer aktuellen Erklärung gleichgestellt hat, so dass auch für bislang strittige und ethisch schwierige Fälle, wie das Wachkoma oder die Demenz, verbindlich durch antizipierte Erklärung über Art und Ausmaß medizinisch indizierter Heilbehandlung entschieden werden kann. 611 Zugleich hat der Verzicht auf eine Reichweitenbeschränkung Auswirkungen auf die zulässigen Grenzen der Sterbehilfe, weil nun zweifellos auch Therapiebegrenzungen vor der Sterbephase Bindungswirkung entfalten können. b) Einbindung von Betreuer und Bevollmächtigtem Die Patientenverfügung wird praktisch erst relevant, wenn der Erklärende in der aktuellen Krankheitssituation entscheidungs- und äußerungsunfähig geworden ist. § 1901a Abs. 1, 5 BGB sieht für diesen Zustand die Mitwirkung eines Vertreters – eines Betreuers oder eines Bevollmächtigten612 – vor. Dies unterscheidet das deutsche Regelungskonzept deutlich von ausländischen Regelungskonzepten. Die in § 1901a Abs. 1, 5 BGB vorgesehene Prüfung erfolgt in zwei Schritten: Zunächst prüft der Vertreter, ob es sich bei der ihm vorliegenden Verfügung überhaupt um eine genügend bestimmte antizipierte Einwilligung oder Untersagung in die anstehende medizinische Maßnahme handelt. Anschließend entscheidet er, ob die Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutrifft, also noch dem Willen des Patienten entspricht. Das Erfordernis dieser Prüfung ergibt sich daraus, dass eine Patientenverfügung immer zukunftsbezogene Erklärungen enthält und Diskrepanzen zwischen tatsächlicher und vorgestellter Entwicklung eintreten können, die es zu beachten gilt. 613 Die 611
Höfling, NJW 2009, 2849 (2850); Taupitz, Jb. f. Wissenschaft u. Ethik 2010, 155 (164); Palandt/Götz, § 1901a Rn. 29; Röthel, in: Hausmann/Hohloch (Hrsg.), Handbuch des Erbrechts, S. 1100. 612 Der Vorsorgebevollmächtigte wird dem Betreuer gemäß § 1901a Abs. 5 BGB gleichgestellt: Für ihn gelten die Abs. 1–3 entsprechend, sofern in der Vollmacht nichts Abweichendes bestimmt ist. Enthält die Vollmacht Anordnungen, die sich auf eine Pat ientenverfügung oder die Gesundheitssorge beziehen, sind diese zu berücksichtigen, b evor § 1901a Abs. 1–3 BGB angewendet werden kann (Roglmeier/Lenz, S. 29; Palandt/ Götz, § 1901a Rn. 31; Röthel, in: Hausmann/Hohloch (Hrsg.), Handbuch des Erbrechts, S. 1101). 613 Lipp/Brauer, in: Höfling (Hrsg.), Das neue Patientenverfügungsgesetz in der Praxis, S. 17 (42 f.).
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Prüfung umfasst alle Gesichtspunkte, die sich aus der aktuellen Lebensund Behandlungssituation des Betroffenen ergeben, insbesondere, ob das aktuelle Verhalten des nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten konkrete Anhaltspunkte dafür zeigt, dass er den zuvor schriftlich geäußerten Willen unter den gegebenen Umständen nicht mehr gelten lassen will, und ob der Betroffene bei der Errichtung der Patientenverfügung die aktuelle Lebenssituation überhaupt mitbedacht hat. 614 Ähnlich wie im Rahmen der Auslegung von Testamenten entscheidet nicht der objektive Empfängerhorizont, sondern der ermittelbare wirkliche Wille des Erklärenden.615 Hat die Überprüfung des Vertreters ergeben, dass die wirksamen Festlegungen des Betroffenen auf seine aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen, hat er „dem Willen des Patienten Ausdruck und Geltung zu verschaffen“ (§ 1901a Abs. 1 S. 2 BGB). Die in der Patientenverfügung niedergelegten Anweisungen sind dann in der gleichen Weise zu beachten wie die von einer einwilligungsfähigen Person erklärte Zustimmung zu einer Behandlung bzw. deren Verweigerung, und für eine zusätzliche Einwilligung durch den Vertreter ist kein Raum. 616 Die Übertragung einer Prüfungspflicht auf Betreuer und Bevollmächtigte ist im Schrifttum 617 kritisiert worden. Tatsächlich haben die Vertreter des Hilfsbedürftigen eine schwierige Aufgabe zu erfüllen, da sie die Patientenverfügung nach allgemeinen Grundsätzen ergänzend auslegen und ihre Relevanz einschätzen müssen, ohne aber den Willen des Verfassers zu missdeuten.618 Insbesondere für Ärzte wirkt die Einbindung des Patientenvertreters aber verantwortungsentlastend. c) Wirkung im Arzt-Patienten-Verhältnis Das 3. BtÄndG hat die Wirkung der Patientenverfügung im ArztPatienten-Verhältnis bewusst nicht geregelt, sondern die allgemeinen Grundsätze des Arzt-Patienten-Verhältnisses nur ausschnittweise in der durch das 3. BtÄndG eingefügten Vorschrift des § 1901b Abs. 1 BGB be-
614
Albrecht/Albrecht, MittBayNot 2009, 426 (427); Höfling, NJW 2009, 2849 (2850). Olzen, JR 2009, 354 (358). 616 BT-Drs. 16/8442 (Stünker-E), S. 14; Olzen, JR 2009, 354 (358); Palandt/Götz, § 1901a Rn. 22–24; Lipp/Brauer, in: Höfling (Hrsg.), Das neue Patientenverfügungsgesetz in der Praxis, S. 17 (31 f.); Bamberger/Roth/Ga. Müller, § 1901a Rn. 17; MünchKommBGB/Schwab, § 1901a Rn. 27 ff.; a.A. aber etwa Erman/A. Roth, § 1901a Rn. 8. 617 Lange, ZEV 2009, 537 (541): „überflüssig und darüber hinaus auch missverständlich“. 618 Lipp, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 17 Rn. 109; Höfling, NJW 2009, 2849 (2851); Röthel, in: Hausmann/Hohloch (Hrsg.), Handbuch des Erbrechts, S. 1102. 615
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nannt.619 Danach prüft der behandelnde Arzt, welche ärztlichen Maßnahmen im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose des Patienten indiziert sind (§ 1901b Abs. 1 S. 1 BGB).620 Ist eine medizinische Maßnahme nicht indiziert, darf die Behandlung nicht durchgeführt werden; eines Rückgriffs auf den Patientenwillen bedarf es dann nicht. 621 Sofern ein Bevollmächtigter vorhanden oder ein Betreuer bestellt ist, erörtert der Arzt die indizierte Maßnahme „unter Berücksichtigung des Patientenwillens“ sodann mit dem Vertreter des Betroffenen (§ 1901b Abs. 1 S. 2 BGB ggf. i.V. mit § 1901b Abs. 3 BGB). Im Schrifttum 622 wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass die Vorschrift des § 1901b Abs. 1 S. 2 BGB unglücklich formuliert ist, weil sie nicht zwischen der Rechtslage bei wirksamer Patientenverfügung (§ 1901a Abs. 1 BGB) und der bei deren Fehlen (§ 1901a Abs. 2 BGB) unterscheidet, obwohl anders als im letztgenannten Fall der Patientenwille im ersteren Fall nicht nur zu berücksichtigen, sondern wegen der strikten Bindungswirkung der Patientenverfügung zwingend zu befolgen ist. Als Ergebnis der Erörterung mit dem behandelnden Arzt handelt der Vertreter entsprechend dem festgestellten Patientenwillen. 623 Kann im Gespräch zur Feststellung des Patientenwillens kein Einvernehmen erzielt werden, muss der Vertreter gemäß § 1904 Abs. 1, 2 BGB die Genehmigung des Betreuungsgerichts einholen. Unklar ist, wie in Fällen zu verfahren ist, in denen weder eine Vollmacht vorhanden noch ein Betreuer bestellt ist: Darf der behandelnde Arzt die Patientenverfügung – wie im ausländischen Recht üblich – in diesen Fällen alleine befolgen oder muss für die Umsetzung einer Patientenverfügung immer ein Betreuer oder Bevollmächtigter beteiligt sein? 624 Gegen ein Erfordernis zur Mitwirkung eines Vertreters bei der Umsetzung der Patientenverfügung spricht, dass der Gesetzgeber bereits seit den Vorarbeiten zu dem 2005 in Kraft getretenen 2. BtÄndG das Ziel der Betreuungsvermeidung verfolgt.625 Auch die Begründung des Stünker-Entwurfes erwähnt
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BT-Drs. 16/8442 (Stünker-E), S. 15; Lipp, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 17 Rn. 136. 620 So auch schon BGHZ 154, 205 (225); Palandt/Götz, § 1901b Rn. 1. 621 Taupitz, Jb. f. Wissenschaft u. Ethik 2010, 155 (167); Geißendörfer, Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen, S. 55. 622 Olzen, JR 2009, 354 (358). 623 BT-Drs. 16/13314, S. 20. 624 Bis zur gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung war unstreitig, dass jede nfalls für alle nicht in der Patientenverfügung antizipierten Erklärungen und Entscheidu ngen, insbesondere die vermögensrechtlichen Aspekte ärztlicher Behandlung, ein Betreuer bestellt werden muss (Lipp, FamRZ 2004, 317 [321]). 625 Holzhauer, FamRZ 2006, 518 (526); Taupitz, Jb. f. Wissenschaft u. Ethik 2010, 155 (166).
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die Adressatenstellung des Arztes ausdrücklich. 626 Gleichwohl dürfte eine Betreuerbestellung prinzipiell erforderlich sein. Zunächst legt der Wortlaut des § 1901a Abs. 1 BGB nahe, dass auch die wirksame Patientenverfügung der Umsetzung durch einen Vertreter bedarf. 627 Auch die Gesetzessystematik deutet in diese Richtung: Zum einen ergänzt § 1901a BGB die in § 1901 BGB normierten Pflichten des Betreuers, zum anderen sieht § 1904 Abs. 4 BGB die Entscheidung des Betreuungsgerichts vor, wenn Meinungsverschiedenheiten über den Patientenwillen zwischen Vertreter und Arzt bestehen.628 Dieses gerichtliche Genehmigungserfordernis ginge aber weitgehend ins Leere, wenn die Bestellung eines Betreuers nicht zwingend erforderlich wäre.629 Damit entfiele auch die mit der Genehmigungspflicht bezweckte verfahrensrechtliche Absicherung. 630 Dass eine Betreuerbestellung auch bei Vorliegen einer Patientenverfügung notwendig ist, darf aber nicht dahingehend interpretiert werden, dass „die jeweils erforderliche Einwilligung in die konkrete Maßnahme – wie in den Fällen des § 1901a II BGB – vom Betreuer/Vorsorgebevollmächtigten erteilt“ 631 wird. Eine solche Lesart wäre nicht nur eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts, sondern bedeutete überdies eine weitgehende Abkehr von der bisherigen Rechtslage.632 Der Vertreter erfüllt bei der Ermittlung und Durchsetzung des Patientenwillens eine verfahrensrechtliche Aufgabe, indem er die Entscheidung des Betroffenen lediglich umsetzt.633 Zweifelhaft ist, ob der behandelnde Arzt bis zur Bestellung eines Betreuers zur Willensermittlung und Willensumsetzung befugt ist. Wäre er verpflichtet, das Verfahren nach §§ 1901a, b BGB einzuhalten, bedeutete dies zugleich eine Pflicht zur Weiterbehandlung, die aber bei entgegenste-
626 BT-Drs. 16/8442 (Stünker-E), S. 15; gegen das Erfordernis der Betreuerbestellung auch Palandt/Götz, § 1901a Rn. 15. 627 Olzen, JR 2009, 354 (358); Taupitz, Jb. f. Wissenschaft u. Ethik 2010, 155 (166 f.). 628 Olzen/Schneider, MedR 2010, 745 (746); auf die Gesetzessystematik weist auch Bamberger/Roth/Ga. Müller, § 1901a Rn. 19 hin. 629 Olzen/Schneider, MedR 2010, 745 (746); Taupitz, Jb. f. Wissenschaft u. Ethik 2010, 155 (168); Erman/A. Roth, § 1901a Rn. 8; gegen das Erfordernis der Betreuerbestellung aber weitgehend: MünchKommBGB/Schwab, § 1901a Rn. 33. 630 Taupitz, Jb. f. Wissenschaft u. Ethik 2010, 155 (168). 631 So aber Diehn/Rebhan, NJW 2010, 326 (327); ebenso Albrecht/Albrecht, MittBayNot 2009, 426 (432 f.); Erman/A. Roth, § 1901a Rn. 8; Roglmeier, FPR 2010, 282 (284): „Die (Nicht-)Einwilligung in die konkrete medizinische Maßnahme wird dann stellvertretend vom Betreuer/Bevollmächtigten erteilt und hat konstitutive Wirkung.“ 632 Bamberger/Roth/Ga. Müller, § 1901a Rn. 17 ff.; MünchKommBGB/Schwab, § 1901a Rn. 29, 33. 633 Ga. Müller, DNotZ 2010, 169 (175 ff.); Lipp/Brauer, in: Höfling (Hrsg.), Das neue Patientenverfügungsgesetz in der Praxis, S. 17 (32); Bamberger/Roth/Ga. Müller, § 1901a Rn. 19.
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hendem Patientenwillen eine nicht gerechtfertigte Körperverletzung ist. 634 Die allgemeinen Grundsätze des Arzt-Patienten-Verhältnisses sprechen also dafür, den Anwendungsbereich der §§ 1901a ff. BGB erst mit Bestellung oder Erreichbarkeit des Betreuers zu eröffnen. 635 Sieht man den Anwendungsbereich der §§ 1901a ff. BGB demgegenüber schon vor der Bestellung eines Betreuers eröffnet, geht der behandelnde Arzt Straf- und Haftungsrisiken ein, wenn er durch die Vornahme oder das Unterlassen von Behandlungsmaßnahmen unumkehrbare Zustände schafft. 636 Hier wird die Rechtsprechung für die Praxis Klarstellung bringen müssen. d) Genehmigung des Betreuungsgerichts Nach dem Wortlaut des § 1904 BGB a.F. bedurfte die Einwilligung des Betreuers/Bevollmächtigten in eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, wenn die begründete Gefahr bestand, dass der Betreute/Vollmachtgeber aufgrund der Maßnahme stirbt oder einen schweren oder länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. Nach der Kemptener Entscheidung des BGH in Strafsachen aus dem Jahr 1994 war analog § 1904 BGB a.F. auch die Einwilligung des Betreuers in einen Behandlungsabbruch vormundschaftsgerichtlich zu genehmigen, sofern der Sterbevorgang beim Betroffenen noch nicht unmittelbar eingesetzt hatte. Zur Begründung führte der BGH aus, wenn der Betreuer gemäß § 1904 Abs. 1 BGB schon über bestimmte Heileingriffe wegen ihrer Gefährlichkeit für den Betreuten nicht ohne vormundschaftsgerichtliche Genehmigung entscheiden könne, müsse dies erst recht für Maßnahmen gelten, die eine ärztliche Behandlung beenden sollen und mit Sicherheit binnen kurzer Zeit zum Tod des Patienten führen. 637 Dem schloss sich das OLG Frankfurt/Main im Jahr 1998 ausdrücklich an. 638 Das durch die Rechtsprechung entwickelte Erfordernis der betreuungsgerichtlichen Genehmigung blieb nicht unkritisiert. Wolfram Müller-Freienfels639 hat dazu bemerkt, es liege wohl im Zuge der allgemeinen deutschen Tendenz, in schwierigen familiären Angelegenheiten auf den Staat und seine Bürokratie als Unparteiische zurückzugreifen und damit staatlichen Organen Ver634
Olzen/Schneider, MedR 2010, 745 (746). Lipp/Brauer, in: Höfling (Hrsg.), Das neue Patientenverfügungsgesetz in der Praxis, S. 17 (32); kritisch Palandt/Götz, § 1901a Rn. 15, 24. 636 Olzen/Schneider, MedR 2010, 745 (746 f.). 637 BGHSt 40, 257 (262). 638 OLG Frankfurt/Main NJW 1998, 2747: „Der Senat, der in Übereinstimmung mit der Entscheidung des BGH (NJW 1995, 2204) erkennen will…ist der Auffassung, dass § 1904 BGB hier entsprechend anwendbar ist.“ 639 Müller-Freienfels, JZ 1998, 1123 (1125 m.w.N.). 635
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antwortung aufzubürden. Ergebnisse einer bundesweit durchgeführten Befragung von Vormundschaftsrichtern erster Instanz 640 riefen Zweifel daran hervor, dass Richter für Entscheidungen „zwischen Leben und Tod“ ausreichend ausgebildet sind.641 Auch wurde auf die Gefahr der Verzögerung in der Entscheidungsfindung hingewiesen, weil während eines sich – möglicherweise über mehrere Instanzen hinziehenden – gerichtlichen Verfahrens die medizinische Behandlung, also ein rechtfertigungsbedürftiger Grundrechtseingriff, fortzusetzen wäre. 642 Dass diese Gefahr tatsächlich besteht, zeigt anschaulich der Sachverhalt, der einem Beschwerdebeschluss des LG Kleve 643 aus dem Jahr 2010 zugrunde lag: Das zuständige Amtsgericht hatte einen ersten Antrag des Betreuers auf „Einstellung der Einnahme von Nahrung und Flüssigkeit“ für eine Patientin in irreversiblem, aber restituierbarem Zustand erst ein halbes Jahr nach Antragstellung abgelehnt. Einen erneuten Antrag des Betreuers auf vormundschaftsgerichtliche Genehmigung des Behandlungsabbruchs hatte das Amtsgericht erst weitere dreizehn Monate später zurückgewiesen. 644 Im Lübecker Fall grenzte der BGH das Erfordernis vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung mittels des Konfliktmodells erheblich ein. 645 Das im Schrifttum überwiegend auf Zustimmung stoßende Konfliktmodell 646 bestätigte der BGH im Fall Peter K.647 Auch der Gesetzgeber hat im
640
Ergebnisse der Befragung erläutert bei Höfling/Schäfer, Leben und Sterben in Richterhand?; Höfling, FPR 2007, 67 ff. 641 Müller-Freienfels, JZ 1998, 1123 (1125); Sternberg-Lieben, Jb. für Recht und Ethik 15 (2007), 307 (330 f.). 642 Sternberg-Lieben, Jb. für Recht und Ethik 15 (2007), 307 (332). 643 LG Kleve NJW 2010, 2666. 644 Doering-Striening, FamFR 2010, 341. 645 Der BGH führte zunächst aus, dass der für einen Patienten bestellte Betreuer für seine Verweigerung einer ärztlicherseits angebotenen lebenserhaltenden/lebensverlän gernden Behandlung auch im Falle einer Patientenverfügung die Genehmigung des Vo rmundschaftsgerichts benötige. Der Senat begründete diese Auffassung indes nicht mit einer analogen Anwendung des § 1904 BGB, sondern führte aus, dass sich das Erfordernis vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung aus einer Gesamtschau des Betreuungsrechts und dem unabweisbaren Bedürfnis ergebe, mit den Instrumenten dieses Rechts auch auf Fragen im Grenzbereich menschlichen Lebens und Sterbens für alle Beteiligten rechtlich verantwortbare Antworten zu finden. Für eine Entscheidung des Betreuers und auch des Vormundschaftsgerichts sei aber „kein Raum, wenn ärztlicherseits eine solche Behandlung nicht angeboten wird – sei es, daß sie von vornherein medizinisch nicht indiziert, nicht mehr sinnvoll oder aus sonstigen Gründen nicht möglich ist.“, BGHZ 154, 205 (Ls. b, 211 ff.). 646 Zustimmend etwa Verrel, Gutachten 66. DJT, C121; Lipp, FamRZ 2004, 317 (323 f.); kritisch: Saliger, in: Albers (Hrsg.), Patientenverfügungen, S. 157 (169). 647 Der BGH führte aus, dass eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung nur e rforderlich sei, wenn über die Nicht-Weiterbehandlung zwischen dem Vertreter des Pati-
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3. BtÄndG das Konfliktmodell 648 übernommen. Eine Genehmigung des Betreuungsgerichts649 ist entbehrlich, wenn zwischen Betreuer oder Bevollmächtigtem (§ 1904 Abs. 5 BGB) und behandelndem Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1901a BGB festgestellten Willen des Betreuten entspricht (§ 1904 Abs. 4 BGB). Kann zwischen behandelndem Arzt und Vertreter kein Einvernehmen darüber hergestellt werden, dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem Patientenwillen entspricht, ist die Genehmigung des Betreuungsgerichts einzuholen (arg. e contrario zu § 1904 Abs. 4 BGB).650 Hält man sich strikt an den Wortlaut des § 1904 Abs. 1, 2 BGB („des Betreuers“), ist der Anwendungsbereich der Norm bei Vorliegen einer wirksamen Patientenverfügung gar nicht erfüllt, weil der Betroffene in diesem Fall bereits eine eigene Entscheidung – Einwilligung oder Nichteinwilligung in eine medizinische Maßnahme – getroffen hat, die nur noch umzusetzen ist und eine Entscheidung des Vertreters entbehrlich macht. 651 Dem lässt sich aber entgegenhalten, dass nach dem Sinn des Genehmigungsverfahrens und der bisherigen Rechtsprechung auch bei Vorliegen einer Patientenverfügung die Möglichkeit bestehen muss, in Konfliktfällen das Betreuungsgericht anzurufen.652 Dies legt auch der Wortlaut des § 1904 Abs. 4 BGB nahe, der vollumfänglich auf § 1901a BGB verweist, also auch § 1901a Abs. 1 BGB über Patientenverfügungen einbezieht. 653 Insgesamt ist die Übernahme des enten (Betreuer oder Bevollmächtigter) und dem behandelnden Arzt kein Konsens erzielt werden könne (BGHZ 163, 195 [198 f.]). 648 Im Stünker-E, BT-Drs. 16/8442, S. 19 wurde darauf hingewiesen, dass ein generalisierender Missbrauchsverdacht gegen den behandelnden Arzt und den Betreuer jeder Grundlage entbehre. 649
Durch Art. 50 Nr. 47 des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz – FGGRG) v. 17.12.2008, BGBl. 2008 I 2586, in Kraft getreten am 1.9.2009, wurde in den materiellrechtlichen Vorschriften des BGB das Wort „Vormundschaftsgericht“ durch das Wort „Betreuungsgericht“ ersetzt. Wegen des Inkrafttretens des Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts zum 1.9.2009 wurde die neue Gerichtsbezeichnung in § 1904 BGB n.F. übernommen. 650 a.A. aber Palandt/Diederichsen, 71. Aufl., § 1904 Rn. 4, der ausführt, dass Patientenverfügungen generell nicht genehmigungspflichtig i.S. des § 1904 BGB seien; ebenso nun Palandt/Götz, § 1904 Rn. 4. 651 Lipp, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 16 Rn. 51. 652 Lipp, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 16 Rn. 51, § 17 Rn. 206; Lipp/Brauer, in: Höfling (Hrsg.), Das neue Patientenverfügungsgesetz in der Praxis, S. 17 (33). 653 Lipp, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 16 Rn. 51, § 17 Rn. 206; Lipp/Brauer, in: Höfling (Hrsg.), Das neue Patientenverfügungsgesetz in der Praxis, S. 17 (33).
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Konfliktmodells zu begrüßen, weil damit ein Kompromiss zwischen Missbrauchskontrolle und Absicherungsbedürfnis einerseits und Autonomieschutz und Praktikabilität andererseits hergestellt wird. 654 Für Fälle des Einvernehmens wird einer Verzögerung der Durchsetzung des Patientenwillens durch ein sich ggf. über mehrere Instanzen hinziehendes gerichtliches Verfahren vorgebeugt. 655 Bei Uneinigkeit über den Patientenwillen ist eine Verzögerung in der Umsetzung des Patientenwillens gerechtfertigt, weil die gerichtliche Feststellung des Patientenwillens zum Schutz des Patienten vor Fremdbestimmung erforderlich ist. 656 Im Schrifttum wurde zu Recht angemerkt, dass angesichts der weiterhin bestehenden Unsicherheiten im Umgang mit dem Grenzbereich zwischen Leben und Tod damit zu rechnen ist, dass Patientenvertreter und behandelnde Ärzte das Gespräch zur Feststellung des Patientenwillens auf einen Dissens hinauslaufen lassen, um zur Absicherung vor strafrechtlichen und haftungsrechtlichen Konsequenzen die Genehmigung des Betreuungsgerichts einholen zu können. 657 Wenngleich ein solches Verhalten – auch angesichts der nach wie vor bestehenden Unsicherheiten im Umgang mit Sterbehilfe – menschlich nachzuvollziehen sein mag, wäre es ein Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Noch weitergehende Entwicklungen im Umgang mit dem Konfliktmodell belegt der bereits oben genannte Beschluss des LG Kleve 658 aus dem Jahr 2010: Im Ausgangspunkt richtig hat das Gericht entschieden, dass in einem Fall, in dem Einvernehmen zwischen Arzt und Betreuer besteht und der Betreuer gleichwohl das Betreuungsgericht anruft, dieses lediglich auszusprechen hat, dass wegen § 1904 Abs. 4 BGB keine Genehmigungsbedürftigkeit besteht (sog. Negativattest). Bedenken rufen aber die weiteren Ausführungen des Gerichts hervor: Das Betreuungsgericht habe vor Erteilung des Negativattests zur Vermeidung eines Missbrauchs zu prüfen, ob zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass bei dem Betroffenen ein irreversibles Grundleiden mit tödlichem Verlauf – sei es auch ohne Todesnähe – besteht, und die Auslegung der Patientenverfügung in dem vom Betreuer und dem behandelnden Arzt verstandenen Sinne jedenfalls vertretbar erscheint. Das widerspricht dem geltenden Recht (keine Reichweitenbeschränkung der Patientenverfügung und Konfliktmodell). 654 Zur gerichtlichen Überprüfungszuständigkeit ausführlich Verrel, Gutachten 66. DJT, C96 ff.; zur Reichweite gerichtlicher Überprüfung: Lipp, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 17 Rn. 207 ff. 655 So auch: Lange, ZEV 2009, 537 (541); Spickhoff, FamRZ 2009, 1949 (1956). 656 Lipp, in: FS für Schapp, S. 383 (399 f.). 657 Saliger, MedR 2004, 237 (244); Beckmann, MedR 2009, 582 (586); Spickhoff, FamRZ 2009, 1949 (1953); im Anschluss daran auch Röthel, in: Hausmann/Hohloch (Hrsg.), Handbuch des Erbrechts, S. 1103. 658 LG Kleve NJW 2010, 2666.
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Auf ein weiteres praktisches Problem hat Andreas Spickhoff659 hingewiesen: Wie ist das Einvernehmen herzustellen, sobald mehrere Ärzte arbeitsteilig und disziplinübergreifend zusammenarbeiten? Erforderlich wird wohl ein Einvernehmen zwischen allen behandelnden Ärzten und dem Vertreter des Patienten sein. 660 Konsequent gelöst ist, dass die gesetzliche Regelung den Bevollmächtigten in gleicher Weise wie den Betreuer unter betreuungsgerichtliche Kontrolle stellt, denn allein die stärkere Patientenlegitimation des Bevollmächtigten hätte keine Einschränkung des Kontrollniveaus gerechtfertigt. 661 6. Andere Formen der Willensbekundung (§ 1901a Abs. 2 BGB) Als weitere Formen der Willensbekundung kennt § 1901a Abs. 2 BGB den Behandlungswunsch und den mutmaßlichen Willen. Mit der Vorschrift schafft der Gesetzgeber einen Auffangtatbestand und trägt der verfassungsrechtlichen Vorgabe Rechnung, dass Arzt und Vertreter den Willen des Patienten unabhängig davon zu beachten haben, wie er geäußert wurde. 662 Unklar ist die Abgrenzung von Behandlungswunsch und mutmaßlichem Willen.663 Den bisherigen Kategorien des Medizinrechts entspricht nur die Figur des mutmaßlichen Willens. 664 Schon die reichsgerichtliche Rechtsprechung665 ging davon aus, dass auch der mutmaßliche Patientenwille taugliche Legitimationsgrundlage für ärztliche Eingriffe sein kann. Der BGH setzte diese Rechtsprechung fort, entschied im Jahr 1988666 etwa, dass eine mutmaßliche Einwilligung nicht nur Anwendungsfall des rechtfertigenden Notstands (§ 34 StGB), sondern eigenständiger Rechtfertigungsgrund sei. Im zivilrechtlichen Schrifttum wird demgegenüber vertreten, dass die mutmaßliche Einwilligung kein eigenständiger Rechtfertigungsgrund ist, sondern das ärztliche Handeln nur gerechtfertigt ist, wenn es in den Grenzen berechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677, 683 BGB) erfolgt.667
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Spickhoff, FamRZ 2009, 1949 (1957). Spickhoff, FamRZ 2009, 1949 (1957); im Anschluss daran auch Röthel, in: Hausmann/Hohloch (Hrsg.), Handbuch des Erbrechts, S. 1103. 661 Saliger, in: Albers (Hrsg.), Patientenverfügungen, S. 157 (171). 662 Lipp, in: FS für Schapp, S. 383 (399). 663 Taupitz, Jb. f. Wissenschaft u. Ethik 2010, 155 (172); Lipp, in: FS für Schapp, S. 383 (398). 664 Taupitz, Jb. f. Wissenschaft u. Ethik 2010, 155 (172). 665 RGZ 68, 431 (433 f.). 666 BGHSt 35, 246 (249 ff.). 667 Deutsch, AcP 192 (1992), 161 (168 m.w.N.); Geißendörfer, Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen, S. 145; Fischer, in: FS für Deutsch (1999), S. 545 (546); weitere Nachweise bei Taupitz, Gutachten 63. DJT, A37. 660
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Umstritten war lange Zeit, wie der mutmaßliche Wille zu ermitteln ist. Der BGH in Strafsachen führte im Kemptener Fall aus, für die Annahme des mutmaßlichen Willens komme es „vor allem auf frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen des Patienten, seine religiöse Überzeugung, seine sonstigen persönlichen Wertvorstellungen, seine altersbedingte Lebenserwartung oder das Erleiden von Schmerzen an. Lassen sich auch bei der gebotenen sorgfältigen Prüfung konkrete Umstände für die Feststellung des individuellen mutmaßlichen Willens des Kranken nicht finden, so kann und muß auf Kriterien zurückgegriffen werden, die allgemeinen668 Wertvorstellungen entsprechen.“ 669 Nach § 1901a Abs. 2 S. 2 BGB ist der mutmaßliche Wille aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln. Zu berücksichtigen sind insbesondere frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten (§ 1901a Abs. 2 S. 3 BGB). Ausgehend davon, dass die Rechtsfigur des mutmaßlichen Willens das Selbstbestimmungsrecht des Individuums stärken soll, spricht viel dafür, ebenso wie bei der aktuell erklärten Einwilligung ausschließlich subjektive Faktoren zu berücksichtigen, also anders als die Rechtsprechung nicht auf überindividuelle Interessen, wie „allgemeine Wertvorstellungen“, „altersbedingte Lebenserwartung“ und das „Erleiden von Schmerzen“, zurückzugreifen. 670 Ansonsten besteht die Gefahr, dass der Rückgriff auf die mutmaßliche Einwilligung zu einem Vehikel für Fremdbestimmung wird.671 Deswegen ist auch im Rahmen des § 1901a Abs. 2 BGB über die in der Vorschrift genannten Anhaltspunkte hinaus, primär auf individuelle, konkrete Kriterien zurückzugreifen.672 Erst wenn die Ermittlung eines individuellmutmaßlichen Willens im Einzelfall nicht möglich ist, ist auf objektive Kriterien zurückzugreifen.673 Bei der Ermittlung des mutmaßlichen Patientenwillens bzw. der Behandlungswünsche soll auch nahen Angehörigen 674 und sonstigen Vertrauenspersonen 675 des Betroffenen Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden, sofern dies ohne Zeitverzögerung möglich ist 668
Hervorhebung durch Verfasserin. BGHSt 40, 257 (Ls. 2, 3). 670 Verrel, Gutachten 66. DJT, C22. 671 Höfling/Rixen, JZ 2003, 884 (892). 672 Höfling, NJW 2009, 2849 (2851). 673 Geißendörfer, Selbstbestimmung des Entscheidungsunfähigen, S. 159; ausführlich zu Zweifelsfragen der im Schrifttum stark umstrittenen Figur der mutmaßlichen Einwill igung Taupitz, Gutachten 63. DJT, A36 ff. 674 Die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/13314, S. 20) nennt beispielhaft den Ehegatten, den Lebenspartner, Eltern, Geschwister und Kinder. 675 In Betracht kommen neben Pflegekindern, Pflegeeltern und Lebensgefährten auch Pflegekräfte und Seelsorger, vgl. BT-Drs. 16/13314, S. 20; BT-Drs. 16/8442 (Stünker-E), S. 16. 669
§ 2 Die Patientenverfügung im Sachrecht
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(§ 1901b Abs. 2 BGB). Zu Recht wurde darauf hingewiesen, dass die SollVorschrift außer in Eil- und anderen begründeten Ausnahmefällen als Muss-Vorschrift zu verstehen ist, da nahe Angehörige und Vertrauenspersonen, wenn sie nicht als Vertrauensperson bevollmächtigt wurden, keine andere Gelegenheit zur Stellungnahme haben. 676 Die Ermittlung des mutmaßlichen Patientenwillens obliegt dem Patientenvertreter. Ist ein Betreuer bestellt, so hat er zu prüfen, ob eine wirksame und auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffende Patientenverfügung vorliegt, und, falls dies nicht der Fall ist, den mutmaßlichen Willen des Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme einwilligt oder sie untersagt (§ 1901a Abs. 2 S. 1 BGB). Für Bevollmächtigte gilt dies entsprechend (§ 1901a Abs. 5 BGB). Ist kein Vertreter vorhanden, muss ein Betreuer in den Fällen des § 1901a Abs. 2 BGB notfalls im Eilverfahren ernannt werden.677 Anschließend ist das Verfahren der §§ 1901b, 1904 BGB einzuhalten. III. Zusammenfassende Bewertung Mit der gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung in § 1901a Abs. 1 BGB ist die Herauslösung der Patientenverfügung aus der Rechtsfigur mutmaßliche Einwilligung vollendet. Dies stärkt das Selbstbestimmungsrecht in medizinischen Angelegenheiten deutlich. Auch die Verortung der Patientenverfügung im Bürgerlichen Gesetzbuch überzeugt. Angesichts dessen, dass die Patientenverfügung mehrere Teildisziplinen des Rechts, auch das Strafrecht, berührt, wäre eine Verortung der Patientenverfügung im Strafrecht zwar möglich gewesen, hätte aber bedeutet, dass sie erneut durch die für das Strafrecht charakteristische retrospektive Brille betrachtet worden wäre. Damit wäre der Blick darauf verstellt worden, dass die deutsche Rechtsordnung das Selbstbestimmungsrecht nicht im Strafrecht als ultima ratio mit Sanktionsfunktion, sondern im Zivilrecht, dessen tragendes Prinzip die Autonomie ist, verankert. 678 Auch die Verortung innerhalb des BGB im Betreuungsrecht überzeugt. Denkbar war zwar auch eine Regelung im Allgemeinen Teil des BGB, wie sie vereinzelt vorgeschlagen wurde. Allerdings hat das Persönlichkeitsrecht, in dem die Patientenverfügung gründet, im BGB keinen fest zugeordneten systematischen Ort.679 Die Regelung im Betreuungsrecht überzeugt auch deswegen, weil das Betreuungsrecht ebenso wie die Patientenverfügung eine „intradisziplinäre Mit676
Im Ergebnis so auch Beckmann, MedR 2009, 582 (584). Olzen, JR 2009, 354 (358). 678 Albers, MedR 2009, 138 (141, 144); für eine strafrechtliche Regelung aber: Ga. Müller, ZEV 2008, 583 (586). 679 Holzhauer, FamRZ 2006, 518 (528). 677
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Kapitel 1: Sachrecht ausgewählter europäischer Rechtsordnungen
telstellung“ zwischen Strafrecht und Zivilrecht einnimmt: Denn zu beiden Teildisziplinen bestehen im Betreuungsrecht Schnittmengen. 680 Bindet man anders als in anderen Rechtsordnungen, aber entsprechend der zivil- und strafrechtlichen Rechtsprechung des BGH den Betreuer in den Kontext der Patientenverfügung ein, beeinflussen die zivilrechtlichen Fragen der Patientenverfügung (Begriff, Inhalt, Form und Wirkung) die Entscheidungsmacht des Betreuers und die strafrechtlichen Aspekte der Patientenverfügung (zulässiger Inhalt) seine Entscheidungsmöglichkeiten. 681 Hinzu kommt, dass eine Sachnähe zwischen Betreuungsrecht und Patientenverfügung besteht, weil Regelungsgegenstand des Betreuungsrechts die staatliche Fürsorge für Personen in hilfsbedürftigem Zustand ist und in Patientenverfügungen für genau diesen Zustand bzw. einen diesen betreffenden Teilbereich, nämlich die Gesundheitssorge, Vorsorge getroffen wird. 682 Jenseits der Makroebene gibt es aber auch Anlass zur Kritik. Denn das durch das 3. BtÄndG in die §§ 1901a ff. BGB eingefügte Regelungskonzept hat zwar in Teilbereichen Rechtssicherheit gebracht, hat aber an anderer Stelle neue Unsicherheiten und Kontroversen im Schrifttum ausgelöst, etwa mit Blick auf den Verzicht auf das Wirksamkeitserfordernis „ärztliche Aufklärung“, insbesondere aber mit Blick auf die im Gesetzgebungsverfahren nicht näher spezifizierte Rolle des Patientenvertreters. Die Einzelabstimmungen zwischen Betreuungsrecht und Patientenverfügung bleiben schwierig. Auch nach der gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung bleibt unklar, wie in Fällen zu verfahren ist, in denen der Patient eine Patientenverfügung errichtet hat, dann einwilligungsunfähig wird, aber kein Patientenvertreter existiert. Mit dieser Frage unmittelbar verbunden ist die ganz grundsätzliche Frage danach, welche Funktionen das deutsche Recht Patientenverfügungen zuweist: Sind sie verbindliche Behandlungsanweisung an den Arzt oder aber an den Vertreter? Haben sie unmittelbar rechtfertigende Wirkung oder hat rechtfertigende Wirkung nur die Kombination aus Patientenverfügung und ordnungsgemäß durchgeführtem Verfahren gemäß der §§ 1901a, b, 1904 BGB? Dass diesbezüglich für die Praxis nur durch die Rechtsprechung verbindliche Lösungen entwickelt werden können, bedeutet für die Praxis, dass sie Entscheidungen auf unsicherem Boden fällen muss. Dass diese Entscheidungen im Zweifel Beschränkungen des Patientenselbstbestimmungsrechts bedeuten, steht zu befürchten. Wie es nach der gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung mit ihrer tatsächlichen Akzeptanz steht, lässt sich mangels einer obligatorischen Registrierung der Patientenverfügung nur schwer beantworten. Nach einer 680
Saliger, in: Albers (Hrsg.), Patientenverfügungen, S. 157 f. Saliger, in: Albers (Hrsg.), Patientenverfügungen, S. 157. 682 Saliger, in: Albers (Hrsg.), Patientenverfügungen, S. 157 (158). 681
§ 2 Die Patientenverfügung im Sachrecht
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vielzitierten Schätzung der Deutschen Hospiz-Stiftung683 existierten im Jahr 2005 schätzungsweise 8,6 Millionen Patientenverfügungen in Deutschland. C. Zusammenführungen Die voranstehende Untersuchung leitet zunächst zu der Erkenntnis, dass viele europäische Staaten in den letzten Jahren zur Stärkung des zumeist auch verfassungsrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrechts antizipierten Verfügungen für möglichst alle Lebenssituationen rechtliche Anerkennung verliehen haben. Dies hat zumeist dazu geführt, dass Patientenverfügungen gesetzlich geregelt wurden. Gemeinsames Regelungsanliegen ist – ebenso wie bei der Vorsorgevollmacht und der Betreuungsverfügung – die Verwirklichung von Selbstorganisation für den Fall der Hilfsbedürftigkeit.684 Zweite Erkenntnis ist, dass trotz vieler Gemeinsamkeiten die Regelungen in ihrer Grundkonzeption wie auch im Detail differieren. Auf der Makroebene fällt auf, dass die Patientenverfügung divergierende Standorte im System der Gesamtrechtsordnung gefunden hat. Einen Standort im Zivilgesetzbuch haben die Niederlande, die Schweiz und Deutschland gewählt. Überwiegend wurde die Patientenverfügung aber in neu geschaffene Gesundheitsgesetze eingefügt. Dies steht in Einklang damit, dass die Patientenverfügung Berührungspunkte zum Zivil-, Straf- und zum Teil auch zum Verwaltungsrecht aufweist und sich der Gesetzgeber bei der Schaffung neuer Rechtsinstitute vielfach nicht an traditionelle systematische Fächergrenzen gebunden fühlt. 685 Verharrt man in der nationalen Rechtsordnung, ist es meist von nur untergeordneter Bedeutung, ob ein Rechtsinstrument zivil-, straf- oder öffentlich-rechtlich zu qualifizieren ist; anders verhält sich dies aber mit Blick auf grenzüberschreitende Sachverhaltskonstellationen686, wie im Rahmen der weiteren Untersuchung zu zeigen sein wird.
683 Studie von TNS Infratest im Auftrag der Deutschen Hospiz Stiftung, Titel: „Wie denken die Deutschen über Patientenverfügungen?“ Stand November 200 5, abrufbar unter: . Im Rahmen einer Emnid-Umfrage aus dem Jahr 2000 gaben 81 % der Befragten an, für den Fall ihrer Entscheidungsu nfähigkeit vorsorgen zu wollen. Die Zahl von 8 Mio. Patientenverfügungen wird auch genannt bei Ga. Müller, ZEV 2008, 583. 684 Für die Vorsorgevollmacht: Röthel/Woitge, IPRax 2010, 494. 685 Kopetzki, in: Körtner/Kopetzki/Kletečka-Pulker (Hrsg.), Das österreichische Patientenverfügungsgesetz, S. 127, Fn. 1. 686 Ähnlich Kopetzki, in: Körtner/Kopetzki/Kletečka-Pulker (Hrsg.), Das österreichische Patientenverfügungsgesetz, S. 127, Fn. 1.
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Kapitel 1: Sachrecht ausgewählter europäischer Rechtsordnungen
Unterschiede zeigen sich außerdem auf der Mikroebene. 687 Während in Deutschland in Fällen, in denen keine Patientenverfügung errichtet wurde und der Patient einwilligungsunfähig geworden ist, für diesen ein Betreuer bestellt werden muss, greift in vielen europäischen Staaten, etwa Belgien und der Schweiz, die gesetzliche Vertretungsmacht naher Angehöriger. Und auch bei der gesetzlichen Ausgestaltung der Patientenverfügung zeigen sich trotz vieler Gemeinsamkeiten Divergenzen im Detail, die auf Unterschiede im Autonomieverständnis hindeuten. Während etwa in Deutschland, Spanien und Frankreich nur Volljährige eine Patientenverfügung errichten können, haben andere europäische Rechtsordnungen, etwa die Niederlande und die Schweiz sowie Belgien und Österreich, es für richtig gehalten, auch Minderjährigen die Errichtung einer Patientenverfügung zu ermöglichen. Während in manchen Ländern zur Schriftform auch die Datierung gehört (Schweiz), reicht es in anderen Ländern, etwa in Deutschland und Belgien, aus, dass sich durch Auslegung ermitteln lässt, wann die Patientenverfügung errichtet wurde. 688 Auch bezüglich der Bindungswirkung der Patientenverfügung – strikte Verbindlichkeit oder nur Indiz für den mutmaßlichen Patientenwillen – haben die Gesetzgeber unterschiedliche Antworten gefunden. 689 Das österreichische PatVG unterscheidet zwischen der nur beachtlichen und der verbindlichen Patientenverfügung, die wesentlich höheren Wirksamkeitsanforderungen unterliegt. In anderen Ländern, etwa in Belgien, den Niederlanden und England/Wales, wird danach differenziert, ob die Patientenverfügung positive oder negative Anordnungen enthält: Während das Verlangen nach einer bestimmten Behandlungsmethode dem Arzt einen Entscheidungsspielraum belassen soll, löst die Ablehnung einer ärztlichen Heilbehandlung zumeist eine strikte Bindung aus. Die schweizerische Regelung kennt eine Art Regel-Ausnahme-Verhältnis. In allen Rechtsordnungen sind Patientenverfügungen als Ausprägung des Selbstbestimmungsrechts widerruflich. Als österreichische Besonderheit erweist sich die Einräumung eines „Vetorechts“ zugunsten des bereits geistig unzurechnungsfähigen Patienten. In Deutschland wird über diese Frage noch diskutiert. Divergenzen zeigen sich außerdem mit Blick auf die Wirkungsdauer der Patientenverfügung: Das französische Recht kennt eine dreijährige Wirkungsdauer, das österreichische Recht für die verbindliche Patientenverfü687 Vergleich der Voraussetzungen bestehender Instrumente privater Vorsorge bei: Preisner, FamRZ 2011, 89 (90 ff.); dies., in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 327 (336 ff.). 688 Zu den unterschiedlichen Errichtungsvoraussetzungen auch: Preisner, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 327 (345 ff.). 689 Dazu auch: Preisner, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 327 (347 ff.).
§ 2 Die Patientenverfügung im Sachrecht
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gung eine fünfjährige Wirkungsdauer. Andere Rechtsordnungen (etwa Deutschland, Schweiz, Spanien, Niederlande, Belgien) haben auf Aktualisierungspflichten verzichtet. Die Frage des Adressaten des Kommunikationsmittels Patientenverfügung wird von der Mehrzahl der europäischen Staaten dahingehend beantwortet, dass Adressat der behandelnde Arzt ist. Lediglich die deutsche Regelung690 sieht als Adressaten auch den Betreuer und statuiert damit ein komplexes Dreiecksverhältnis zwischen Patient, Betreuer und Arzt. Die verfahrensrechtliche Komponente der Einbindung des Betreuers wird im deutschen Recht ergänzt durch die Einbindung des Betreuungsgerichts 691 – auch dies ein Alleinstellungsmerkmal: Soweit ersichtlich sieht mit Ausnahme des englischen Rechts, das eine deklaratorische Genehmigung des High Court kennt, keine der untersuchten Rechtsordnungen ähnliche verfahrensrechtliche Regelungen für verbindliche Patientenverfügungen vor. Divergenzen bestehen außerdem mit Blick auf den zulässigen Inhalt einer Patientenverfügung. 692 Während etwa das österreichische, das niederländische und das englische Recht als Gegenstand einer Patientenverfügung nur die Ablehnung einer medizinischen Maßnahme akzeptieren, eröffnen andere Rechtsordnungen weitergehenden Gestaltungsspielraum. Die bedeutendsten Unterschiede zeigen sich aber in Bezug auf die Grenzen des Selbstbestimmungsrechts, insbesondere mit Blick auf die Anerkennung aktiver Sterbehilfe. Hier lässt sich von einem „europäischen Flickenteppich“ sprechen: Während in den meisten europäischen Staaten aktive Sterbehilfe verboten ist, ist sie in den Benelux-Staaten partiell legalisiert. In diesen Staaten wurden außerdem Instrumente geschaffen, mit denen bereits im Voraus der Wunsch nach aktiver Sterbehilfe sowie – in den Niederlanden und Luxemburg – der Wunsch nach Hilfe zum Suizid festgehalten werden kann. Diese Instrumente sind in Euthanasiegesetzen geregelt und von der allgemeinen Patientenverfügung strikt zu trennen. Als gemeinsamer Nenner der europäischen Regelungen zur Sterbehilfe ist derzeit allenfalls eine Tendenz zur Liberalisierung auszumachen, die sich auch in spanischen, französischen und deutschen Diskussionen der letzten Jahre ablesen lässt. Dass darüber hinaus schon seit geraumer Zeit keine Einigkeit in den Fragen rund um den Grenzbereich zwischen Leben und Tod zu erreichen ist, illustrieren u.a. die Arbeiten im Europarat. Während im Jahr 1999 im Europarat noch eine Einigung auf eine Empfehlung zum Schutz der Menschenrechte und der Würde der Todkranken und Ster690
So auch: Jayme, in: FS für Spellenberg, S. 203 (206) Schmoeckel, in: FS für S. Zimmermann, S. 291 (297 f.) spricht diesbezüglich von „Verwaltungsprivatrecht“. 692 Dazu auch Preisner, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 327 (344 f.). 691
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Kapitel 1: Sachrecht ausgewählter europäischer Rechtsordnungen
benden693 möglich war, in der u.a. ein Recht auf Palliativpflege (9.a), aber auch die Aufrechterhaltung des Verbots der vorsätzlichen Tötung von Todkranken und Sterbenden (9.c) verankert wurde, schlugen spätere Vorstöße zu gemeinsamen Grundsätzen fehl. Als Impulsgeber für eine gemeinsame europäische Haltung zu Fragen der Sterbehilfe hat sich in der Vergangenheit auch der EGMR nicht erwiesen. So hat der EGMR in der Entscheidung Haas c. Suisse694 aus dem Jahr 2011 in Übereinstimmung mit seiner Rechtsprechung im Fall Dianne Pretty entschieden, dass ein Staat nicht auf Grundlage von Art. 8 EMRK verpflichtet sei, Beihilfe zur Selbsttötung zu leisten. Ob der EGMR künftig für Fragen der Sterbehilfe ein menschenrechtliches Instrumentarium entwickeln wird, bleibt abzuwarten.695 Bis zu einer Annäherung der Rechtsordnungen in Fragen der Sterbehilfe begrenzt die Heterogenität der Einstellungen zu zulässiger Sterbehilfe in Europa die Verkehrsfähigkeit von Patientenverfügungen jedenfalls dann, wenn ethische und rechtliche Vorstellungen nicht in andere Staaten importiert werden können, was nun im zweiten Teil der Arbeit zu untersuchen sein wird.
693
Recommendation No 1418 (1999), Protection of the Human Rights and Dignity of the Terminally Ill and the Dying. 694 Affaire Haas c. Suisse, Arrêt 20.1.2011 – 31322/07. 695 Vgl. Fateh-Moghadam, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 927. In der Rechtssache Koch v. Germany, Judgment 19.7.2012 – 497/09 hat der EGMR nur zu verfahrensrechtlichen Fragen entschieden.
Kapitel 2
Die Patientenverfügung mit Auslandsberührung Kapitel 2: Die Patientenverfügung mit Auslandsberührung
Auf der Grundlage der rechtsvergleichenden Darstellung soll nun untersucht werden, wie mit Patientenverfügungen umzugehen ist, die eine Auslandsberührung aufweisen. Dabei wird zwischen isolierten Patientenverfügungen und Patientenverfügungen, die mit einer Vorsorgevollmacht kombiniert werden, zu unterscheiden sein. Nach einer Bestandsaufnahme (§ 1) werden Lösungsansätze aus Sicht des europäischen und des deutschen Rechts beleuchtet (§ 2).
§ 1 Bestandsaufnahme: Internationalisierung und Europäisierung § 1 Bestandsaufnahme: Internationalisierung und Europäisierung
Im Rahmen der Bestandsaufnahme soll der Blick auf Veränderungen der tatsächlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen gerichtet werden. Zu den bedeutendsten Veränderungen gehört die Internationalisierung der Lebensläufe (A.). Nachfolgend wird korrespondierend zur materiellrechtlichen Untersuchung im ersten Teil dieser Arbeit auf die Veränderungen eingegangen werden, denen die beiden Referenzpunkte der Patientenverfügung, der Erwachsenenschutz und die medizinische Heilbehandlung, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht derzeit unterliegen bzw. in der jüngeren Vergangenheit unterlagen (B., C.). A. Internationalisierung der Lebensläufe In Europa hat in den letzten Jahrzehnten nicht nur die Akzeptanz von Vorsorgeverfügungen, sondern auch der Anteil der ausländischen Bevölkerung und die Mobilität der Menschen zugenommen. 1 Am 1.1.2010 lebten 32,5 Millionen Ausländer in den 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, dies entspricht 6,5 % der EU-Bevölkerung. Von diesen 32,5 Millionen Ausländern lebten mehr als 75 % in den fünf Mitgliedstaaten Deutschland, Spanien, Vereinigtes Königreich, Italien und Frankreich. Etwas mehr als ein Drittel der in der EU lebenden Ausländer sind Staatsangehörige eines 1
Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 7.
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Kapitel 2: Die Patientenverfügung mit Auslandsberührung
anderen EU-Mitgliedstaates. Der übrige Anteil stammt aus Drittstaaten, insbesondere der Türkei, Marokko und Albanien. 2 In der Bundesrepublik Deutschland ist der Zuzug von Ausländern in den letzten Jahren auf verhältnismäßig hohem Niveau stagniert; nach wie vor übersteigt der Zuzug von Ausländern den Wegzug von Deutschen. 3 Am 31.12.2011 lebten etwa 6,9 Millionen Ausländer in der Bundesrepublik, was einem Anteil von rund 8,5 % der deutschen Wohnbevölkerung entspricht.4 Der Anteil von Ausländern aus Europa beträgt rund 6,8 % an der deutschen Wohnbevölkerung; schaut man auf einzelne Staaten, sind die zahlenmäßig stärksten Bevölkerungsgruppen in dieser Reihenfolge türkische, italienische, polnische und griechische Staatsangehörige. 5 Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der in Deutschland lebenden Ausländer europäischer Herkunft beträgt mittlerweile 20,9 Jahre und für einzelne Bevölkerungsgruppen liegt die durchschnittliche Aufenthaltsdauer sogar noch höher, etwa für die zahlenmäßig starken ausländischen Bevölkerungsgruppen, nämlich italienische Staatsbürger mit einer durchschnittlichen Aufenthaltsdauer von 28,4 Jahren und türkische Staatsangehörige mit 24,8 Jahren durchschnittlicher Aufenthaltsdauer.6 Etwa 571.000 der in Deutschland lebenden Ausländer sind heute älter als 65 Jahre. 7 B. Internationalisierung des Erwachsenenschutzes Internationalisierung hat in den vergangenen Jahren auch der Erwachsenenschutz erfahren. Tatsächlichen Veränderungen (I.) folgten Veränderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen durch die Ausarbeitung und Ratifizierung des Haager Erwachsenenschutzübereinkommens (Haager ESÜ, II.).
2
Vorstehende Daten entnommen aus: Vasileva, in: eurostat Statistics in focus 34/2011, S. 1. 3 Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 2012, Tab. 2.4.4 (S. 48): Während im Jahr 2010 nach Deutschland 683.530 Ausländer zugezogen sind, sind im gleichen Zeitraum 141.000 Deutsche aus Deutschland weggezogen. 4 Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 2012, Tab. 2.3.2 (S. 42); ähnliche Zahlen nennt Vasileva, in: eurostat Statistics in focus 34/2011, S. 2: Danach lebten im Jahr 2010 etwa 7,13 Millionen Ausländer in Deutschland, was einem Anteil von 8,7 % an der deutschen Wohnbevölkerung entspricht. 5 Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 2012, Tab. 2.3.2 (S. 42). Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes und Vasileva, in: eurostat Statistics in focus 34/2011, S. 2, betrug der Anteil der EU-Ausländer an der deutschen Wohnbevölkerung 3,1 %. 6 Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 2012, Tab. 2.3.2 (S. 42). 7 Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 2011, Tab. 2.18 (S. 48).
§ 1 Bestandsaufnahme: Internationalisierung und Europäisierung
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I. Tatsächliche Veränderungen Dass der Zuwachs an Migration und Mobilität bei gleichzeitiger Alterung der Gesellschaft auch einen Anstieg der Betreuungsverfahren mit Auslandsbezug bedeutet, ist zu vermuten. 8 Einen stetigen Anstieg der Zahlen pflegebedürftiger Menschen mit Migrationshintergrund legt auch der derzeitige Boom interkultureller Pflegedienste nahe. II. Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen durch das Haager Erwachsenenschutzübereinkommen (ESÜ) 1. Entstehungsgeschichte und Ratifikationsprozess In Vorgriff auf den sich abzeichnenden demographischen Wandel und den damit verbundenen Anstieg von Fürsorgefällen mit Auslandsberührung reiften auf Ebene der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht zu Beginn der 1990er Jahre Pläne für eine Revision 9 des Internationalen Erwachsenenschutzrechts. 10 Im Jahr 1999 wurde der Endentwurf des Haager Übereinkommens über den internationalen Schutz von Erwachsenen 8
Rausch, BtPrax 2004, 137. Mit dem Internationalen Erwachsenenschutz beschäftigte sich die Haager Konferenz für Internationales Privatrecht erstmals vor mehr als 100 Jahren: Am 17.7.1905 verabschiedete sie das Übereinkommen über die Entmündigung und gleichartige Fürsorgemaßregeln (Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 6). Das Übereinkommen wurde wegen der Abschaffung der Entmündigung von Deutschland mit Wirkung zum 23.8.1992 gekündigt (BGBl. 1992 II 272). Zur Anwendung kommt das Übereinkommen noch im Verhältnis zwischen Italien, Polen, Portugal und Rumänien (Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 3). 10 Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 3. Im Jahr 1993 beschloss die Haager Konferenz, auf der nächsten Session der Haager Konferenz im Jahr 1996 das Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen v. 5.10.1961 (MSA, BGBl. 1971 II 217, abgedruckt unter Nr. 52 in Jayme/Hausmann) zu überarbeiten und dessen Anwendungsbereich auf den Schutz geschäftsunfähiger Personen zu erstrecken. Im Jahr 1996 erfolgte die Ausarbeitung des neuen Haager Übereinkommens über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterl ichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern v. 19.10.1996 (KSÜ, BGBl. 2009 II 603, abgedruckt unter Nr. 53 in Jayme/Hausmann). Aus Zeitgründen unterblieb eine Erweiterung des Minderjährigenschutzes auf schutzbedürftige Erwachsene. Beschlossen wurde allerdings, dass sich eine Spezialkommission der Ausarbeitung einer den Erwachsenenschutz betreffenden Konvention annehmen solle (gesamtes Vorstehende aus: Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 1). Diesem Beschluss lag auch die zwischenzeitlich gewonnene Überzeugung zugrunde, dass die ursprünglich geplante Verzahnung mit dem Minderjährigenschutz den abweichenden Bedürfnissen des Erwachsenenschutzes nicht ausreichend Rechnung trage. Zur Entstehungsgeschichte des ESÜ: Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 1 ff.; Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 6 ff.; Guttenberger, Haager ESÜ, S. 3 ff.; Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 49 ff. 9
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Kapitel 2: Die Patientenverfügung mit Auslandsberührung
(ESÜ)11 einstimmig angenommen. Da die EG ihre im Rahmen der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen gemäß Art. 61 lit. c) i.V. mit Art. 65 lit. b) EG bestehende konkurrierende Kompetenz zur Angleichung des Kollisionsrechts12 auf dem Gebiet des Erwachsenenschutzes noch nicht ausgeübt hatte, waren die Mitgliedstaaten frei, dem Haager ESÜ beizutreten.13 Das Vereinigte Königreich hat das ESÜ mit alleiniger Wirkung für Schottland am 5.11.2003 14 ratifiziert, am 3.4.2007 15 folgte die Bundesrepublik Deutschland. Die gemäß Art. 57 ESÜ für dessen Inkrafttreten erforderliche dritte Ratifikation erfolgte am 18.9.2008 durch Frankreich.16 Infolge dessen ist das ESÜ am 1.1.2009 im Verhältnis zu Frankreich und dem Vereinigten Königreich (Schottland) in Kraft getreten. In Kraft getreten ist das ESÜ zwischenzeitlich außerdem in der Schweiz (1.7.2009), in Finnland (1.3.2011), in Estland (1.11.2011) und in Tschechien (1.8.2012). Da zahlreiche weitere Staaten 17 das ESÜ bereits gezeichnet haben, ist mit einer zügigen Erweiterung des Kreises der Vertragsstaaten 18 zu rechnen. Das ESÜ ist eine multilaterale Antwort auf einen bedeutenden Ausschnitt der kollisionsrechtlichen Fragen, denen sich viele westliche Gesellschaften aufgrund des rasch voranschreitenden demographischen Wandels und der sich parallel vollziehenden Internationalisierung stellen müssen. 19 Ziel des ESÜ, das in seiner Struktur und im Detail immer noch stark an das KSÜ angelehnt ist20, ist die internationale Vereinheitlichung der Regelungen der direkten Zuständigkeit, des anwendbaren Rechts, der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung der Schutzmaßnahmen sowie der internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Erwachsenenschutzrechts (Art. 1 11 Haager Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen (ESÜ) v. 13.1.2000 (abgedruckt bei Jayme/Hausmann unter Nr. 20); dazu Clive, YbPIL 2 (2000), 1; Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes; Guttenberger, Haager ESÜ; ders., BtPrax 2006, 83; Siehr, RabelsZ 64 (2000), 715; Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 5, 12 ff. 12 Seit 1.12.2009 geregelt in Art. 81 Abs. 1, 2 lit. c) AEUV. 13 Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 1; R. Wagner, IPRax 2007, 11. 14 Adults with Incapacity (Scotland) Act 2000 (asp 4), Schedule 3. 15 Gesetz zu dem Haager Übereinkommen v. 13.1.2000 über den internationalen Schutz von Erwachsenen v. 17.3.2007, BGBl. 2007 II 323 ff.; abgedruckt unter Nr. 20a in Jayme/Hausmann. 16 Loi n◦2008-737 du 28 juillet 2008 autorisant la ratification de la convention de La Haye du 13 janvier 2000 sur la protection internationale des adultes, JORF n◦0176 du 30 juillet 2008, p. 12202 texte n◦2. 17 Gezeichnet haben: Griechenland (18.9.2008), Irland (18.9.2008), Italien (31.10.2008), Luxemburg (18.9.2008), die Niederlande (13.1.2000), Polen (18.9.2008), Zypern (1.4.2009). 18 Status table abrufbar unter . 19 Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 13. 20 Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 4.
§ 1 Bestandsaufnahme: Internationalisierung und Europäisierung
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Abs. 2). Ausweislich der Präambel waren Ausgangspunkt und leitende Parameter für die Ausgestaltung des ESÜ das Wohl des Erwachsenen einerseits und die Achtung seiner Würde und Selbstbestimmung andererseits. Ebenso wie in den modernen materiellen Erwachsenenschutzrechten waren diese sich bisweilen widersprechenden Prinzipien auch bei der Ausarbeitung des ESÜ in Ausgleich zu bringen21, was sich insbesondere an den Kollisionsregeln für die Vorsorgevollmacht (Art. 15 f. ESÜ)22 ablesen lässt. 2. Anwendungsbereich a) Persönlicher Anwendungsbereich In personeller Hinsicht ist das ESÜ anwendbar auf Erwachsene, die „aufgrund einer Beeinträchtigung oder Unzulänglichkeit ihrer persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage sind, ihre Interessen zu schützen“ (Art. 1 Abs. 1 ESÜ). Erfasst sind nach der Definition des Art. 1 Abs. 1 ESÜ in erster Linie Erwachsene, die an geistigen Behinderungen und psychischen Krankheiten leiden und nicht mehr in der Lage sind, ihre Interessen selbst zu schützen, etwa Alzheimerpatienten; unerheblich ist, ob die Unzulänglichkeit bzw. Beeinträchtigung des Betroffenen dauerhaft oder zeitweiliger Natur ist.23 Da das Übereinkommen bewusst auf den Ausdruck „urteilsunfähiger Erwachsener“ (incapacitated or incapable adult, incapable majeur ou adulte24) verzichtet, muss der Erwachsene weder entmündigt noch urteilsunfähig sein.25 Die schutzbedürftigen Interessen des Erwachsenen sind weit zu verstehen: Erfasst sind die Wahrnehmung vermögensrechtlicher In-
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Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 7. Dazu unten Kapitel 2 § 1 B. II. 4. a). 23 Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 9. Nicht unter Art. 1 Abs. 1 zu subsumieren sind ausschließlich körperliche Behinderungen, die nicht dazu führen, dass der Erwachsene nicht mehr in der Lage ist, seine Interessen selbst zu schützen, sowie die in einigen Rechtsordnungen zum Eintritt der Geschäftsunfähigkeit führende Verschwendungs- und Trunksucht, sofern sie nicht den Grad einer psychischen Krankheit erreicht ( Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 9; Guttenberger, Haager ESÜ, S. 61; ders., BtPrax 2006, 83 [84]; Ludwig, DNotZ 2009, 251 [262]; MünchKommBGB/Klinkhardt, ESÜ, ESÜAG Rn. 1, Fn. 5). 24 Art. 1 Abs. 1 lautet in den Originalsprachen: „La présente Convention s’applique, dans les situations à caractère international, à la protection des adultes qui, en raison d’une altération ou d’une insuffisance de leurs faculté personelles, ne sont pas en état de pourvoir à leurs intérêts“; „This convention applies to the protection in international situations of adults who, by reason of an impairment or insufficiency of their personal faculties, are not in a position to protect their interests.” ; Hervorhebungen durch Verfasserin. 25 Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 9; Siehr, RabelsZ 64 (2000), 715 (721). 22
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teressen und die Pflege des persönlichen und gesundheitlichen Wohls. 26 Erwachsen ist eine Person, die das 18. Lebensjahr vollendet hat (Art. 2 Abs. 1).27 b) Sachlicher Anwendungsbereich In sachlicher Hinsicht ist der Anwendungsbereich des ESÜ eröffnet, wenn ein internationaler Sachverhalt vorliegt, der den Schutz eines Erwachsenen betrifft (Art. 1 Abs. 1).28 Ein internationaler Sachverhalt dürfte, auch wenn das ESÜ sich diesbezüglich nicht verhält, vorliegen, sobald ein Sachverhalt mehr als einen Staat betrifft; wann dies der Fall ist, ist eine Frage des Einzelfalls, die die zuständigen Behörden und Gerichte entscheiden müssen, wobei sie aber zu beachten haben, dass rein innerstaatliche Fallkonstellationen ausgeschlossen sind. 29 Das Übereinkommen gilt für Maßnahmen zum Schutz Erwachsener. Bereits aus der Formulierung des Art. 1 Abs. 1 i.V. mit Art. 1 Abs. 2 wird deutlich, dass der staatsvertragsautonome Begriff der Schutzmaßnahme wie bereits im MSA und im KSÜ weit zu verstehen ist. 30 Darunter sollen sämtliche Maßnahmen fallen, die den Schutz eines Erwachsenen bezwecken, der gerade aufgrund einer Beeinträchtigung oder Unzulänglichkeit seiner persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage ist, seine Interessen zu schützen.31 Ob eine Schutzmaßnahme nach nationalem Recht dem öffentlichen Recht oder dem Privatrecht zugeordnet wird, ist irrelevant. 32 Art. 3 enthält nach seinem Wortlaut „können insbesondere Folgendes umfassen“ (may deal in particular with, peuvent porter notamment sur) eine nicht abschließende Aufzählung erfasster Materien; aus Sicht der deutschen 26 Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 10; Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 58. 27 Die eigenständige Festlegung der Altersgrenze für die Zwecke des ESÜ dient der einheitlichen Rechtsanwendung in allen Vertragsstaaten und entlastet die Praxis, da eine Ermittlung der jeweiligen nationalen Volljährigkeitsschwelle entbehrlich wird (Staudi nger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 33). Für die Betroffenen hat die Regelung den Vorteil der leichteren Vorhersehbarkeit der einschlägigen Regelungen ( Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 55). 28 Diese Limitierung beruht auf einem Vorschlag der Delegationen Chinas, Italiens und des Vereinigten Königreichs, siehe aber Art. 44 ESÜ (Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 10 mit Verweis auf Arbeitsdokument Nr. 95). 29 Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 10; Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 48 f.; Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 59 f.; Beispiele bei: R. Wagner, IPRax 2007, 11 (12 f.). 30 Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 18; Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 50. 31 Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 8 f. 32 Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 24; Traar, iFamZ 2009, 113 (114).
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Rechtsordnung werden etwa die Bestellung eines Betreuers (Art. 3 lit. a-d) und die Vorsorgevollmacht (Art. 3 lit. d, Art. 15) erfasst. Begrenzt wird der sachliche Anwendungsbereich durch Art. 4, der abschließend die Rechtsbereiche aufzählt, die nicht vom ESÜ erfasst sind, so auch öffentliche Maßnahmen allgemeiner Art in Angelegenheiten der Gesundheit (Art. 4 Abs. 1 lit. f). Darüber, inwieweit medizinische und gesundheitliche Angelegenheiten in den Anwendungsbereich des ESÜ fallen sollen, wurde in der Ausarbeitung des ESÜ diskutiert. 33 Befürchtet wurde insbesondere, dass durch einen Einbezug der Materie eine Verpflichtung zur Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung von individuellen Anordnungen medizinischer Maßnahmen, etwa Sterilisationen behinderter Erwachsener oder Abtreibungen, bei hilfsbedürftigen Erwachsenen entgegen ihren Überzeugungen entstünde. Außerdem sahen die Gegner eines Einbezugs die Handlungsmöglichkeiten der Ärzte stark eingeschränkt, wenn diese auch außerhalb von Notfällen vor der Anordnung oder der Durchführung einer medizinischen Behandlung die Genehmigung der zuständigen Behörde in einem anderen Staat einholen müssten, um nicht haftbar gemacht zu werden. Befürworter eines Einbezugs wandten ein, dass sich das ESÜ bei Ausschluss medizinischer Angelegenheiten weitgehend auf den Vermögensschutz beschränke und das Ziel eines umfassenden Schutzes hilfsbedürftiger Erwachsener verfehlt werde. Erst am letzten Sitzungstag konnte eine Einigung folgenden Inhalts erzielt werden: Ärztliche sowie allgemein medizinische und pflegerische Behandlungen selbst sind aus dem Anwendungsbereich des ESÜ ebenso ausgeschlossen wie von Behörden angeordnete sicherheits- und gesundheitspolitische Maßnahmen, die generell oder aus allgemeinen Überlegungen heraus angeordnet werden und eine Mehrheit von Personen erfassen. 34 In den Anwendungsbereich des ESÜ fallen aber die behördliche oder rechtsgeschäftliche Bestellung einer Fürsorgeperson, die den hilfsbedürftigen Erwachsenen bei medizinischen Maßnahmen vertritt bzw. für diesen einwilligt (Art. 4 Abs. 2). Den Bedenken der Gegner einer Einbeziehung medizinischer Maßnahmen in den Anwendungsbereich des ESÜ wurde mit den unter gewissen Voraussetzungen eröffneten direkten Zuständigkeiten im Anwesenheitsstaat des Erwachsenen (Art. 10, 11) sowie dem ordre public-Vorbehalt (Art. 21) und den Bestimmungen über zwingende Vorschriften (Art. 20) Rechnung getragen.35
33 Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 41; Clive, YbPIL 2 (2000), 1 (5, 19 f.); Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 71 f. 34 Vorstehendes aus: Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 41 f. u.a. mit Verweis auf Arbeitsdokument Nr. 114, das von 20 Delegationen vorgelegt wurde. 35 Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 42.
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c) Räumlicher und zeitlicher Anwendungsbereich Bezüglich seines räumlichen Anwendungsbereichs enthält das ESÜ keine allgemeingültigen Regeln. Jeder anzuwendenden Norm des ESÜ muss also ihr eigener Anwendungsbereich entnommen werden. 36 In zeitlicher Hinsicht ist das ESÜ in Bezug auf die Zuständigkeit und das anwendbare Recht erst ab dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens im betreffenden Staat anzuwenden (Art. 50 Abs. 1).37 Abweichendes, nämlich eine Rückwirkung des Übereinkommens ordnet Art. 50 Abs. 3 aber für Vorsorgevollmachten an: Danach ist das ESÜ auf Vorsorgevollmachten ab dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens auch in den Fällen anzuwenden, in denen die Vollmacht zwar vor dem Inkrafttreten des Übereinkommens erteilt worden ist, aber den Anforderungen des Art. 15 ESÜ entspricht. Infolge des Inkrafttretens des Übereinkommens ist also der Eintritt eines Statutenwechsels denkbar.38 3. Internationale Zuständigkeit Die internationale, nicht aber auch die örtliche und die sachliche Zuständigkeit von Behörden der Vertragsstaaten bei der Anordnung von staatlichen Fürsorgemaßnahmen regelt Kapitel II des ESÜ. Vorrangig und regelmäßig alleinzuständig sind die Behörden am gewöhnlichen Aufenthalt
36 Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 17; Siehr, RabelsZ 64 (2000), 715 (722); Ludwig, DNotZ 2009, 251 (260); Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 80. 37 Früher angeordnete Schutzmaßnahmen bleiben also auch dann weiterhin gültig, wenn die damals zuständigen Behörden aufgrund der Zuständigkeitsregelungen des ESÜ nicht mehr zuständig wären oder ein Recht angewendet würde, das seinerseits nicht mehr anwendbar wäre (Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 166; Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 76). Auch die zeitliche Anwendung des ESÜ auf die Anerkennung und Vollstreckung von Maßnahmen beschränkt Art. 50 Abs. 2 auf die nach Inkrafttreten des Übereinkommens sowohl im Herkunftsstaat der Maßnahmen als auch im e rsuchten Staat getroffenen Maßnahmen. 38 Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 61. Erfüllt eine bereits vor Inkrafttreten des ESÜ errichtete Vorsorgevollmacht die nach dem gemäß Art. 15 Abs. 1, 2 berufenen Recht erforderlichen Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Vorsorg evollmacht nicht, ist diese ex nunc zum 1.1.2009 erloschen, wobei aber zuvor aufgrund der Vorsorgevollmacht abgeschlossene Rechtsgeschäfte unberührt bleiben (Staudinger/ v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 172; Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 61). Eine vor Inkrafttreten des ESÜ unwirksame Vorsorgevollmacht wird rechtlich verbindlich, wenn alle Wirksamkeitsvoraussetzungen des durch Art. 15 Abs. 1, 2 ESÜ berufenen Rechts erfüllt sind – eine Verpflichtung zur Anerkennung der mit Hilfe der unwirksamen Vorsorgevollmacht abgeschlossenen Rechtsgeschäfte besteht nicht (Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 168; Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 172; Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 61).
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des Betroffenen (Art. 5 Abs. 1, Art. 6).39 Zur Vermeidung des Eindrucks, der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts sei im Anwendungsbereich des ESÜ im Vergleich zu den übrigen Haager Übereinkommen unterschiedlich zu verstehen, und zur Aufrechterhaltung der Möglichkeit einer zeitgemäßen Auslegung des Begriffs enthält auch das ESÜ in Fortführung der seit 1896 üblichen Praxis der Haager Konferenz bewusst keine Definition für den Terminus „gewöhnlicher Aufenthalt“ (habitual residence, résidence habituelle).40 In abkommensautonomer Auslegung ist darunter der tatsächliche Mittelpunkt der Lebensführung (centre of living, centre effectif de la vie) zu verstehen.41 Die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des schutzbedürftigen Betroffenen soll zur Zuständigkeit am Ort des sozialen Umfelds führen, also an dem Ort liegen, an dem der Betroffene gesellschaftlich integriert ist. 42 Um den vom Kindesschutz abweichenden Interessen des Erwachsenenschutzes hinreichend Rechnung zu tragen, wurden außerdem subsidiäre Zuständigkeiten (Art. 7, 9) sowie ergänzende, der Zustimmung der Behörden des Aufenthaltsstaates unterliegende Zuständigkeiten (Art. 8) errichtet.43 Die Behörden des Staates, in dem der Schutzbedürftige seinen schlichten Aufenthalt hat, sind zuständig in allen dringenden Fällen (Art. 10) sowie in Bezug auf vorübergehende Maßnahmen, die auf das Hoheitsgebiet dieses Staates beschränkt sind (Art. 11). Praktische Relevanz erlangen diese Zuständigkeiten wohl insbesondere in Zusammenhang mit medizinischen Behandlungen und Unterbringungen. 44 39 jurisPK/Röthel, Art. 24 EGBGB Rn. 26. Unter den Begriff „Behörden“ fallen je nach Ausgestaltung der diesbezüglichen Zuständigkeiten des nationalen Erwachsene nschutzrechts Gerichte oder Verwaltungsbehörden (Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 12). 40 Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 49; Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 84 f. m.w.N. 41 BGHZ 78, 293 (295); BGH FamRZ 1997, 1070; Baetge, Der gewöhnliche Aufenthalt im IPR, S. 107 ff.; Traar, iFamZ 2009, 113 (115). 42 Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 85. Zu Recht wurde darauf hingewiesen, dass bei Erwachsenen eher als bei Minderjährigen mehrere gewöhnliche Aufenthalte bestehen können, wenn etwa der Sommer an der See und der Winter in den Bergen verbracht wird oder für einige Monate im Jahr eine ursprünglich nur für Urlaube genutzte Unterkunft zum weiteren Lebensmittelpunkt wird (Siehr, RabelsZ 64 [2000], 715 [729 f.]; jurisPK/Röthel, Art. 24 EGBGB Rn. 26). 43 Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 47 ff. Ist etwa für einen schweizerischen Staatsbürger, der Vermögen in mehreren Staaten besitzt und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, eine Fürsorgeperson zu bestellen, so wären die deutschen Gerichte diesbezüglich zuständig (Art. 5) und würden deutsches Recht anwenden (Art. 13). Den schweizerischen Gerichten käme die subsidiäre Zuständigkeit des Heimatstaates gemäß Art. 7 zu. Sie könnten aber nach Art. 8 auch die deutschen Gerichte um Übertragung der Zuständigkeit ersuchen (zu einem ähnlichen Beispiel: Traar, iFamZ 2009, 113 [117]). 44 So auch: Traar, iFamZ 2009, 113 (115). Die konkurrierende Zuständigkeit des Art. 10 greift etwa ein bei einer Vertretung des nicht am Ort seines gewöhnlichen Auf-
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4. Anwendbares Recht Kapitel III des ESÜ (Art. 13 ff.) enthält die materiellen Kollisionsnormen auf dem Gebiet des Erwachsenenschutzes. Die im Einzelfall zuständige Behörde wendet grundsätzlich das eigene Sachrecht an (Art. 13 Abs. 1, 19 ESÜ).45 Dies führt wegen Art. 5 Abs. 1 im Fürsorgefall regelmäßig zur Berufung der lex fori in foro proprio, also zu einem Gleichlauf von forum und ius, wie er auch im MSA (Art. 4 Abs. 1) und KSÜ (Art. 15 Abs. 1) verwirklicht ist.46 Anders als das KSÜ kennt das ESÜ aber keine Kollisionsnorm betreffend die gesetzliche Vertretung durch nahe Angehörige, sondern regelt das anwendbare Recht im Grundsatz nur im Zusammenhang mit der staatlichen Anordnung von Schutzmaßnahmen (Art. 13, 14).47 Abweichend von diesem Grundsatz enthalten Art. 15 f. Kollisionsnormen für die Vorsorgevollmacht (a). Eine ausdrückliche Kollisionsnorm für die Patientenverfügung besteht demgegenüber nicht. Möglicherweise lässt sich die Patientenverfügung aber in die Kollisionsnormen der Art. 13 ff. einordnen (b). a) Vorsorgevollmacht (Art. 15 f. ESÜ) Art. 15 enthält mit Abs. 1 (Bestehen, Umfang, Änderung und Beendigung) und Abs. 3 (Art und Weise der Ausübung) zwei Kollisionsnormen. Diese Kollisionsnormen werden ergänzt durch Art. 16, der eine behördliche Aufhebungs- und Änderungsbefugnis der durch Vorsorgevollmacht eingeräumten Vertretungsmacht regelt und einen Ausgleich zwischen den Prinzipien Freiheit und Fürsorge bezweckt. 48 Bis zum Inkrafttreten dieser Vorschriften fehlte es für die in den vergangenen zwei Jahrzehnten praktisch enthalts befindlichen, schutzbedürftigen Erwachsenen, bei dem ein chirurgischer Eingriff dringend erforderlich ist (Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 78). Dringlichkeit ist in der Regel nur gegeben, wenn der Zustand des Betroffenen bei Einhaltung der Zuständigkeitsregeln der Art. 5–9 möglicherweise zu einem nicht zu ersetzenden Schaden zu Lasten des Betroffenen führen würde (Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 78). Auch die Zuständigkeit des Art. 11 beschränkt sich insbesondere im medizinischen Bereich auf Ausnahmefälle: So werden schwerwiegende und endgültige medizinische Maßnahmen sowie Entsche idungen über Behandlungsabbrüche regelmäßig keine „vorübergehende Maßnahme“ i.S. des Art. 11 sein (Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 84; Ballarino, YbPIL 8 [2006], 5 [20]). 45 Dies gilt aber ausweislich des Wortlauts des Art. 13 Abs. 1 ESÜ („Bei der Ausübung ihrer Zuständigkeit nach Kapitel II“) nur, wenn die Behörde eines Vertragsstaates im Einzelfall auch aufgrund von Kapitel II des ESÜ tätig wird, nicht a ber, wenn sie aufgrund autonomer Zuständigkeitsvorschriften handelt, denn dann bestimmt sich das a nwendbare Recht nach dem autonomen Kollisionsrecht (Guttenberger, Haager ESÜ, S. 142). 46 Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 150 f. 47 Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 90; Traar, iFamZ 2009, 113 (115). 48 Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 108.
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immer bedeutsamer werdenden Vorsorgevollmachten nicht nur an nationalen, sondern auch an international abgestimmten Kollisionsnormen. Seit Inkrafttreten des ESÜ ist in allen Vertragsstaaten bei grenzüberschreitenden Sachverhalten das von Art. 15 ESÜ berufene Recht auf Vorsorgevollmachten anzuwenden.49 Dies schafft Rechtssicherheit in dem immer bedeutsamer werdenden Bereich „Selbstbestimmung im Alter“ und ist ein eigener Beitrag zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts in grenzüberschreitenden Konstellationen. 50 aa) Begriff der Vorsorgevollmacht Zur Vermeidung von Qualifikationsproblemen durch unterschiedliche Bezeichnungen in den nationalen Rechtsordnungen verzichtet das ESÜ auf die Verwendung des Begriffs „Vorsorgevollmacht“ oder anderer national gefärbter Begriffe und stellt eine staatsvertragsautonome Umschreibung der von Art. 15 f. erfassten Rechtsinstitute auf 51: „von einem Erwachsenen entweder durch eine Vereinbarung oder ein einseitiges Rechtsgeschäft eingeräumte Vertretungsmacht, die ausgeübt werden soll, wenn dieser Erwachsene nicht in der Lage ist, seine Interessen zu schützen“. Als Vollmachtgeber kommt ausschließlich der Erwachsene selbst in Betracht, so dass Vollmachten von Eltern zugunsten anderer Erwachsener betreffend die Sorge über ein hilfsbedürftiges Kind auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres dieses Kindes nicht dem ESÜ unterfallen. 52 Die durch Vorsorgevollmacht eingeräumte Vertretungsmacht kann sich sowohl auf die Verwaltung des Vermögens des Erwachsenen als auch die Sorge um seine Person erstrecken. 53 Ob die Vorsorgevollmacht die Vertretung des Vollmachtgebers vollumfänglich in allen persönlichen oder vermögensrechtlichen Belangen regelt oder nur Ausschnitte dieser Belange erfasst, ist unerheblich. 54 Da Art. 4 Abs. 1 lit. f – wie bereits dargestellt55 – keine generelle Bereichsausnahme für medizinische Fragen enthält, gilt auch die Vertretung des hilfsbedürftigen Erwachsenen in medizinischen Angelegenheiten als entsprechender Teilbereich, so dass auch die Erteilung der Vertretungsmacht mit konkreten Weisungen betreffend medizinische 49
Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 91. Guttenberger, Haager ESÜ, S. 294. 51 Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 164 f. 52 Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 15 Abs. 1 ESÜ („von einem Erwachsenen“) und aus der Systematik, weil für Vorsorgevollmachten keine Art. 2 Abs. 2 ESÜ entsprechende Regelung besteht (Guttenberger, Haager ESÜ, S. 152). 53 Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 96. 54 Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 177; Guttenberger, Haager ESÜ, S. 152; Wedemann, FamRZ 2010, 785 (786). 55 Oben Kapitel 2 § 1 B. II. 2. b). 50
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Maßnahmen, also die mit einer Patientenverfügung kombinierte Vorsorgevollmacht, von Art. 15 erfasst ist.56 Dies ergibt sich nicht nur aus Art. 4 Abs. 2, sondern entspricht auch dem Zweck des ESÜ, das Kollisionsrecht der Vorsorgevollmacht international zu vereinheitlichen. 57 Erfasst werden außerdem Vollmachten, in denen der Vollmachtgeber lediglich festlegt, wer ihn in Gesundheitsangelegenheiten vertreten darf, dieser Person aber im Übrigen mit Blick auf die medizinische Maßnahme freie Hand lässt.58 Nicht vom ESÜ erfasst werden die medizinischen und pflegerischen Behandlungen selbst.59 Gleiches gilt für übliche Vollmachten, die ein Erwachsener im Vollbesitz seiner Fähigkeiten einer Person erteilt, um seine Interessen wahrzunehmen: Diese Vollmachten unterfallen dem Anwendungsbereich des Haager Übereinkommens über das auf die Vertretung anzuwendende Recht60 bzw. dem autonomen Kollisionsrecht. 61 Für eine Vollmacht, die im Fall der Hilfsbedürftigkeit weiterwirken soll – etwa die Lasting Power of Attorney des englischen Rechts –, ist die kollisionsrechtliche Anknüpfung je nach Wirkung gesondert vorzunehmen. 62 Gleiches gilt für die in Deutschland verbreitete Form der Vorsorgevollmacht, bei der die Vertretungsmacht vor Eintritt der Hilfsbedürftigkeit besteht, der Bevollmächtigte aber im Innenverhältnis angewiesen wird, von seinen Befugnissen erst mit Eintritt der Hilfsbedürftigkeit Gebrauch zu machen. 63 bb) Bestehen, Umfang, Änderung und Beendigung der Vollmacht (Art. 15 Abs. 1, 2 ESÜ) Unter den Begriff „Bestehen der Vollmacht“ fallen ihr Zustandekommen, ihre formelle64 und materielle Wirksamkeit sowie die Frage, ob die Vo56
Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 178; Helms, FamRZ 2008, 1995 (1999) unter Hinweis auf Guttenberger, Haager ESÜ, S. 152; Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 167. 57 Wedemann, FamRZ 2010, 785 (786). 58 Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 178. 59 Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 76. 60 Haager Übereinkommen v. 14.3.1978 über das auf die Vertretung anzuwendende Recht (abgedruckt in: RabelsZ 43 [1979], 176 ff.). Deutschland hat das Übereinkommen nicht ratifiziert. 61 Ludwig, DNotZ 2009, 251 (270); Guttenberger, Haager ESÜ, S. 152. 62 Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 97; kritisch zu dem daraus folgenden „kollisionsrechtlichen Auseinanderreißen eines einheitlichen Rechtsgeschäfts“ und für eine Erstr eckung des Anwendungsbereichs des ESÜ auf Vorsorgevollmachten im Sinne „fortwi rkender Vollmachten“: Ludwig, DNotZ 2009, 251 (272 f.). 63 Kritisch abermals: Ludwig, DNotZ 2009, 251 (273). 64 Der erläuternde Bericht von Lagarde nimmt zu der Frage, ob auch die Form der Errichtung der Vorsorgevollmacht zum Begriff des „Bestehens“ i.S. des Art. 15 Abs. 1 ESÜ gehört, keine Stellung. Guttenberger, Haager ESÜ, S. 156, Ludwig, DNotZ 2009, 251 (275) und Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 104 f. bejahen die Frage
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raussetzung vorliegt, dass der Erwachsene nicht mehr in der Lage ist, seine Interessen zu schützen, und die dem vorgeschaltete Frage, ob eine Vorsorgevollmacht überhaupt zulässig ist.65 Werden in einem Vertragsstaat nach dem internen Recht Vorsorgevollmachten nicht anerkannt, sind sie in diesem Staat als gleichwohl wirksam anzuerkennen, wenn das nach Art. 15 Abs. 1, 2 anwendbare Recht eine solche Vollmacht kennt. 66 Kennt umgekehrt das nach Art. 15 Abs. 1, 2 anwendbare Recht das Instrument der Vorsorgevollmacht nicht, hilft die Anknüpfung nicht weiter, auch wenn sich die Frage in einem Staat stellt, in dem die Vorsorgevollmacht rechtlich anerkannt ist.67 Wenngleich sich der Umfang der Vorsorgevollmacht regelmäßig aus der Vollmacht selbst ergibt 68, folgt aus dem nach Art. 15 Abs. 1, 2 berufenen Recht, was zulässigerweise Regelungsgegenstand einer Vorsorgevollmacht (regelmäßig Vermögens- und/oder Personensorge) ist.69 Schließt das anwendbare Recht die Erteilung einer Vertretungsmacht in persönlichen Angelegenheiten aus, so ist eine für diesen Bereich erteilte Vorsorgevollmacht unwirksam. 70 Das nach Art. 15 Abs. 1, 2 berufene Recht entscheidet schließlich über die Modalitäten der Änderung (Erweiterung oder Beschränkung des Aufgabenbereichs des Bevollmächtigten, Austausch des Bevollmächtigten) und Beendigung einer Vorsorgevollmacht (Erlöschen).71 Für das Bestehen, den Umfang, die Änderung und die Beendigung einer Vorsorgevollmacht ist das Sachrecht 72 des Staates maßgeblich, in dem der Erwachsene im Zeitpunkt der Bevollmächtigung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 15 Abs. 1). Auch für die Vorsorgevollmacht folgt das ESÜ also der international stetig an Bedeutung gewinnenden Anknüpfung aber zu Recht mit Verweis auf das Erfordernis einer einheitlichen Bewertung der Vorso rgevollmacht in allen Vertragsstaaten, das zugleich gegen eine Sonderanknüpfung nach dem autonomen Kollisionsrecht (also nach dem sonst üblichen Grundsatz der alternativen Anknüpfung der Form an das Geschäftsrecht und das Ortsrecht, favor negotii) spricht. 65 Guttenberger, Haager ESÜ, S. 154 ff.; Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 180. 66 Guttenberger, Haager ESÜ, S. 155; Ludwig, DNotZ 2009, 251 (274). 67 Guttenberger, Haager ESÜ, S. 154; Ludwig, DNotZ 2009, 251 (274); Staudinger/ v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 180. 68 So können etwa konkrete Weisungen betreffend medizinische Maßnahmen den U mfang der Vollmacht modifizieren (Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 178). 69 Guttenberger, Haager ESÜ, S. 156. 70 Guttenberger, Haager ESÜ, S. 156. 71 Guttenberger, Haager ESÜ, S. 157. 72 Der in den Haager Übereinkommen übliche, die Herstellung internationalen Entscheidungseinklangs bezweckende Ausschluss der Rück- und Weiterverweisung ergibt sich für das ESÜ aus Art. 19, siehe ausführlicher R. Wagner, IPRax 2007, 11 (13) und Ludwig, DNotZ 2009, 251 (282).
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an den gewöhnlichen Aufenthalt, die die im autonomen Kollisionsrecht in persönlichen Angelegenheiten zumeist vorgesehene Heimatrechtsberufung nach und nach verdrängt. 73 Die Wahl des gewöhnlichen Aufenthalts als Anknüpfungspunkt ist zu begrüßen, auch wenn nicht jeder Vollmachtgeber tatsächlich die engste Beziehung zu diesem Ort haben wird: So mag für manchen Betroffenen gerade im Bereich der Personensorge eine Berufung des Heimatrechts interessengerechter sein, weil sie eher seinem Kontinuitätsinteresse entspricht; eine Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit hätte außerdem den Vorteil der leichteren Feststellbarkeit und der geringeren Manipulationsgefahr. 74 Insbesondere aus Sicht integrationswilliger Migranten, bei denen das Anpassungsinteresse überwiegt, ist eine Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt aber interessengerecht. 75 Durch die zeitliche Fixierung des Anknüpfungskriteriums ist das Vorsorgevollmachtstatut unwandelbar, so dass ein Statutenwechsel auch dann ausgeschlossen bleibt, wenn der Vollmachtgeber seinen gewöhnlichen Aufenthalt später in einen anderen Staat verlegt oder seine Staatsangehörigkeit wechselt. 76 Umgekehrt führt die spätere Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts weder zur Heilung noch zur Nichtigkeit einer im ursprünglichen Aufenthaltsstaat nichtigen bzw. wirksamen Vollmacht. 77 Mit der Entscheidung für eine unwandelbare Anknüpfung stellt das ESÜ die Kontinuität der Gültigkeit der Vorsorgevollmacht sicher, was zugleich der Planungssicherheit des Betroffenen dient.78 Die unwandelbare Anknüpfung hat außerdem eine kollisionsrechtlich bedingte, indirekte Einführung der Vorsorgevollmacht in den Vertragsstaaten des ESÜ zur Folge.79 Vorrangig gegenüber der objektiven Anknüpfung des Art. 15 Abs. 1 an den gewöhnlichen Aufenthalt ist eine wirksame schriftliche Rechtswahl (Art. 15 Abs. 2). Die Gewährung einer Rechtswahlmöglichkeit mildert das oben angedeutete Problem, dass die objektive Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt nicht immer den Bedürfnissen des Einzelfalls gerecht wird; außerdem bedeutet die Rechtswahlmöglichkeit Planungssicherheit und materielles Gestaltungspotential für den Betroffenen und dient damit 73
In der Schweiz, in Belgien, in den Niederlanden und in den Staaten des common law wird an den gewöhnlichen Aufenthalt angeknüpft. Das Heimatrecht berufen aber z.B. immer noch die IPR-Gesetze von Österreich, Italien, Portugal und Spanien. Jeweils m.w.N.: Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 20 Rn. 16 f.; Röthel/Woitge, IPRax 2010, 494 (495). 74 Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 114 ff. 75 Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 118. 76 Ludwig, DNotZ 2009, 251 (277); Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 169; Röthel/Woitge, IPRax 2010, 494 (495). 77 Traar, iFamZ 2009, 113 (116). 78 Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 115. 79 Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 175.
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seinem Selbstbestimmungsrecht.80 Die Ausgestaltung der Rechtswahl, namentlich das Erfordernis der Schriftlichkeit 81 und das Verbot einer stillschweigenden, konkludenten Rechtswahl, dient sowohl dem Interesse des im Wirkungszeitpunkt schutzbedürftigen Vollmachtgebers als auch den Interessen des Vertreters und Dritter daran, die getroffene Rechtswahl zu erkennen.82 Vertreter und Dritte hätten aber auch noch weitergehend geschützt werden können. 83 Das Recht, das gewählt werden kann, ist abschließend84 das Heimatrecht oder ein früheres Aufenthaltsrecht des Vollmachtgebers sowie das Recht des Staates, in dem sich Vermögen des Erwachsenen befindet, jedoch nur hinsichtlich dieses Vermögens. Der Kreis der wählbaren Rechtsordnungen wurde also auf solche Staaten beschränkt, mit denen der Vollmachtgeber eng verbunden ist. Weitere Rechtswahlmöglichkeiten, etwa die Wahl des Rechts eines zukünftigen gewöhnlichen Aufenthalts, konnten sich im Laufe der Ausarbeitung nicht durchsetzen. 85 Wählt der Betroffene ein in Art. 15 Abs. 2 lit. a–c nicht genanntes Recht, ist seine Rechtswahl unwirksam und es gilt die objektive Anknüpfung nach Art. 15 Abs. 1.86 Die Beschränkung der Rechtswahlmöglichkeit überzeugt, denn wenngleich eine weitergehende Rechtswahl dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen noch in weitaus größerem Maße Rechnung getragen hätte, sprachen doch gewichtige Gründe für eine Limitierung: Zum einen wird durch sie verhindert, dass der Vollmachtgeber zur Wahl eines Rechts gedrängt wird, das ihm nur wenige Schutzmechanismen einräumt und zu dem er keine Beziehungen aufweist. 87 Zum anderen sprach für eine Limitierung, dass eine unbeschränkte Rechtswahl dem Vollmachtgeber auch in Fällen, in denen keine rechtlich relevanten Beziehungen zum gewählten Recht bestehen, eine leichte Umgehung eines Verbots der Vorsorgevollmacht im nationalen Recht ermöglicht hätte, was den Interessen der Staa-
80
Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 122; Guttenberger, Haager ESÜ, S. 157; Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 175. 81 Das ESÜ definiert nicht, was unter „Schriftlichkeit“ (in writing, par écrit) zu verstehen ist; im Sinne eines internationalen Entscheidungseinklangs sollte der Begriff übe reinkommensautonom ausgelegt werden (Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 186). 82 Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 175 f. 83 Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 122 f. 84 Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 102. 85 Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 102. 86 Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 192. 87 Clive, YbPIL 2 (2000), 1 (11); Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 178.
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ten, die die Vorsorgevollmacht bislang noch nicht geregelt haben, zu stark widersprochen hätte.88 Wegen Art. 18 können sowohl die objektive Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt als auch die Rechtswahl zum Recht eines Nichtvertragsstaates führen. In beiden Fällen ist ein renvoi wegen Art. 19 ausgeschlossen. cc) Art und Weise der Ausübung der Vollmacht (Art. 15 Abs. 3 ESÜ) Die Art und Weise der Ausübung der Vollmacht wird von dem Recht des Staates bestimmt, in dem sie ausgeübt wird (Art. 15 Abs. 3). Die Anknüpfung an den Gebrauchsort entspricht den Interessen des Vertreters und des Rechtsverkehrs sowie den Interessen des Staates, in dem die Vollmacht ausgeübt wird.89 Aus Sicht des Vollmachtgebers ist die Anknüpfung an den Gebrauchsort demgegenüber kritisch zu bewerten, weil es dem Vertreter überlassen bleibt, wo er seine Vertretungsmacht ausübt, und beim Ausübungsort weder ein personen- noch ein sachbezogenes Bindungselement zum Vollmachtgeber besteht. 90 Die Reichweite der Kollisionsnorm des Art. 15 Abs. 3, insbesondere ihr Verhältnis zu Art. 15 Abs. 1, 2 (Umfang), ist im Schrifttum umstritten. Konkret geht es um die Frage, ob staatliche Genehmigungserfordernisse dem Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen im Errichtungszeitpunkt bzw. dem von ihm gewählten Recht (Art. 15 Abs. 1, 2) oder dem Recht des Ausübungsstaates (Art. 15 Abs. 3) unterliegen.91 Auf der Suche nach einer Antwort wird immer wieder auf die Ähnlichkeit der Art. 15 Abs. 3 und Art. 1492 verwiesen. Bei näherem Hinsehen ergeben sich aber 88
Zum Vorstehenden: Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 168 ff., 174 ff.; Guttenberger, Haager ESÜ, S. 193 f.; Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 121 ff. 89 Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 118. 90 Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 119. 91 Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 107. 92 Art. 14 ist eine Ausnahmebestimmung zur grundsätzlichen Anwendung der lex fori (Art. 13 Abs. 1) für den Fall, dass eine in einem Vertragsstaat getroffene Maßnahme in einem anderen Vertragsstaat durchgeführt wird; dann bestimmt das Recht dieses anderen Vertragsstaates, die Bedingungen unter denen sie durchgeführt wird. Die Haager Konf erenz hatte zwei unterschiedliche Sachverhalte vor Augen: Erstens den des Statutenwechsels, etwa den Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Betroffenen zwischen der Anordnung der Schutzmaßnahme und ihrer Anwendung, und zweitens die Ausübung der (gesetzlichen) Vertretungsmacht in einem anderen Staat als dem, aufgrund dessen Recht sie erteilt wurde (Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 93; Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 158). Der Begriff „Bedingungen, unter denen sie durchgeführt wird“ soll weit zu verstehen sein (Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 94: „recht weit auszulegen“; Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 157). Erfasst sind spezielle Anforderungen, die der Durchführungsstaat an einzelne Fragen der Fürsorge stellt, wie etwa
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bedeutende Unterschiede zwischen den Vorschriften, etwa bezüglich des räumlichen Anwendungsbereichs. Während Art. 14 nur auf Maßnahmen Anwendung findet, die in einem Vertragsstaat getroffen wurden und in einem anderen Vertragsstaat durchgeführt werden sollen, enthält Art. 15 Abs. 3 keine diesbezüglichen Beschränkungen. Außerdem fallen Unterschiede im Wortlaut der Vorschriften auf – „Art und Weise der Ausführung“ (manner of exercise, modalités d’exercise) in Art. 15 Abs. 3 und „Durchführung“ (implemented, est mise en œuvre) in Art. 14. Diese sprachlichen Unterschiede sind Ergebnis kontroverser Debatten im Zuge der Beratungen des Übereinkommens: Einige Delegierte hatten sich für eine weite Fassung des Art. 15 Abs. 3 ausgesprochen aufgrund ihrer Sorge, dass ausländische Bevollmächtigte ihre Vertretungsmacht gegenüber dem örtlichen Recht geltend machen, um Bluttransfusionen oder Organtransplantationen durchführen zu lassen, was von der Mehrheit der Delegierten unter Hinweis auf den ordre public-Vorbehalt als unbegründet zurückgewiesen wurde.93 Rechtfertigen lässt sich die im Verhältnis zu Art. 14 engere Fassung des Art. 15 Abs. 3 mit Blick auf die Natur der Vorsorgevollmacht. Im Unterschied zu behördlichen Schutzmaßnahmen dient die Vorsorgevollmacht zuvorderst der antizipierten Ausübung des Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen sowie dessen Durchsetzung. Das Selbstbestimmungsrecht würde aber durch eine weitreichende Durchsetzung des Rechts des Ausführungsstaates beschränkt, weil der Betroffene im Zeitpunkt der Errichtung mit Blick auf eine künftige Hilfsbedürftigkeit nicht nur eine Person auswählt, die ihn vertreten soll, sondern diese Auswahl auch mit Blick auf eine bestimmte Rechtsordnung vornimmt, indes im Zeitpunkt der Errichtung regelmäßig noch nicht feststehen wird, an welchem Ort die Vollmacht ausgeübt wird. 94 Aufgrund dessen und aufgrund der Tatsache, dass die Interessen der Vertragsstaaten durch den „mehrfach gestaffelten kollisionsrechtlichen Schutzwall gegen anstößige Vorsorgevollmachten“95 der Art. 16, 20, 21 ausreichend geschützt werden,96 ist es Erfordernisse und Voraussetzungen behördlicher Genehmigungen für bestimmte Fürsorgehandlungen mit Bezug zum Territorium des durchführenden Staates, nicht aber Ei ngriffe, die zu tiefgreifenden Veränderungen der Schutzmaßnahme führen ( Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 158; weiter: Guttenberger, Haager ESÜ, S. 147). In erster Linie ist an die Frage der Notwendigkeit behördlicher und gerichtlicher Genehmigungen zu denken (Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 159; Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 158). 93 Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 106; Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 201. 94 Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 106 f.; Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 91; Guttenberger, Haager ESÜ, S. 161 f.; Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 184. 95 Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 203.
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gerechtfertigt, dem Recht am Ausübungsort der Vollmacht einen nur eingeschränkten Anwendungsbereich einzuräumen und Fragen, die das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen wesentlich berühren, nicht Art. 15 Abs. 3 zu unterstellen.97 Weil zu diesen Fragen auch die Reichweite der Vertretungsmacht gehört, ist mit Paul Lagarde98 im Hinblick auf staatliche Genehmigungserfordernisse, etwa im Hinblick auf die im Rahmen dieser Untersuchung relevante Frage, ob der Bevollmächtigte zur (Nicht-)Einwilligung in eine medizinische Behandlung einer gerichtlichen Genehmigung bedarf, wie folgt zu differenzieren: Während die Frage des Genehmigungserfordernisses zum Umfang der Vollmacht i.S. des Art. 15 Abs. 1 zu zählen ist, ist das Genehmigungsverfahren als „Art und Weise der Ausübung der Vollmacht“ zu qualifizieren (Art. 15 Abs. 3).99 Für die mit einer Vorsorgevollmacht kombinierte Patientenverfügung wird im Schrifttum vereinzelt vorgetragen, dass zwingende Gründe dafür bestehen, diese Art der Vorsorgevollmacht vollumfänglich dem Anwendungsbereich des Art. 15 Abs. 3 zuzuordnen. Hierzu wird ausgeführt, dass sich andernfalls für die behandelnden Ärzte untragbare Konsequenzen ergäben, weil sie gezwungen wären, die Wirksamkeit dieses Vorsorgeinstruments nach jeder weltweit existierenden Rechtsordnung zu beurteilen. Außerdem sei ein Gleichlauf mit dem Internationalen Strafrecht geboten, um die Ärzte vor Pflichtenkollisionen zu bewahren. 100 Wenngleich zuzugeben ist, dass es Ärzte vor praktische Herausforderungen stellen wird, die Wirksamkeit von ausländischen kombinierten Vorsorgevollmachten anhand ausländischen Rechts zu überprüfen, überzeugen die vorgenannten Argumente nicht. Denn für eine Ausgliederung kombinierter Vorsorgevollmachten aus dem Anwendungsbereich des Art. 15 Abs. 1, 2 finden sich weder im Wortlaut der Norm noch in den Arbeitsdokumenten Anhaltspunkte. Auch eine Abwägung der Interessen des Vollmachtgebers und der behandelnden Ärzte legt eine entsprechende Ausgliederung nicht nahe. Zum einen würde eine solche Ausgliederung das Selbstbestimmungsrecht und die Interessen des Vollmachtgebers unverhältnismäßig beschränken, weil er das anwendbare Recht weder wählen könnte noch sichergestellt werden könnte, dass ein Recht berufen wird, mit dem er eng verbunden ist. Zum anderen können die Interessen der behandelnden Ärzte auch durch die 96
Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 203; Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 92. 97 Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 109; Wedemann, FamRZ 2010, 785 (789). 98 Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 99, 107. 99 Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 109; Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 205; a.A. Guttenberger, Haager ESÜ, S. 161 f. 100 Wedemann, FamRZ 2010, 785 (789).
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Vorschriften der Art. 16, 20 f. ESÜ hinreichend geschützt werden. 101 Auch im Kontext der in der Praxis verbreiteten Kombination von Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung richten sich zunächst nur die Modalitäten des Genehmigungsverfahrens nach dem durch Art. 15 Abs. 3 berufenen Recht am Ausübungsort der Vollmacht. dd) Behördliche Aufhebungs- und Änderungsbefugnis (Art. 16 ESÜ) Die Vorsorgevollmacht kann unabhängig von dem anwendbaren Recht durch Maßnahmen einer nach dem ESÜ zuständigen Behörde aufgehoben oder abgeändert werden (Art. 16).102 Die Zuständigkeit der Behörden ergibt sich aus Art. 5–11, weil die Abänderung und Aufhebung einer Vorsorgevollmacht eine Schutzmaßnahme i.S. der Art. 1 Abs. 1, Art. 3 lit. d, g ist und Art. 16 eine Zuständigkeit nicht begründet. 103 Die an Art. 18 angelehnte Vorschrift, die als Kollisions- und Sachnorm ausgestaltet ist, bewirkt einen Ausgleich zwischen dem im Zeitpunkt der Errichtung der Vorsorgevollmacht wahrgenommenen Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen und seiner Schutzbedürftigkeit im Zeitpunkt des Eintritts des Fürsorgefalls.104 Die Gefahr, dass die Behörden am gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen den von ihm gewollten Schutz durch einen Schutz nach ihrem Recht ersetzen, wird dadurch ausgeschaltet, dass das behördliche Einschreiten an die Voraussetzung geknüpft wird, dass die Vertretungsmacht in einer Weise ausgeübt wird, die den Schutz der Person oder des Vermögens des Erwachsenen nicht ausreichend sicherstellt. 105 Die im Einzelfall zuständige Behörde wendet bei Aufhebung oder Änderung der durch die Vorsorgevollmacht eingeräumten Vertretungsmacht grundsätzlich ihr eigenes Recht (Art. 13 Abs. 1) an, muss aber wegen Art. 16 S. 2 zugleich das nach Art. 15 maßgebliche Recht so weit wie möglich berücksichtigen. Ist der lex fori das Rechtsinstrument der Vorsorgevollmacht unbekannt, existieren regelmäßig auch keine Vorschriften über die Aufhebung oder Abänderung einer Vorsorgevollmacht, so dass auch dann die zuständige Behörde zum Schutz des Betroffenen das nach Art. 15 anwendbare Recht zu berücksichtigen hat.106 101 Dazu unten Kapitel 2 § 1 B. II. 4. c) sowie ausführlich unter Kapitel 2 § 2 C. I. 2. b) und Kapitel 2 § 2 C. III. 102 Guttenberger, Haager ESÜ, S. 163 ff.; ders., BtPrax 2006, 83 (86); Staudinger/ v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 183. Der deutsche Gesetzgeber hat von einer Umsetzungsnorm zu Art. 16 ESÜ abgesehen, weil nach § 1896 Abs. 3 BGB Betreuungsgerichte einen Überwachungsbetreuer bestellen können (BT -Drs. 16/3251, S. 10). 103 Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 192. 104 Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 108; Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 191; Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 208. 105 Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 108. 106 Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 214.
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b) Isolierte Patientenverfügung Bislang wurde lediglich festgestellt, dass Vorsorgevollmachten einschließlich solcher Vorsorgevollmachten, in denen der schutzbedürftige Erwachsene eine andere Person zur Vertretung in medizinischen Angelegenheiten bevollmächtigt, vom Anwendungsbereich des ESÜ erfasst sind. Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass keine ausdrückliche Kollisionsregel für isolierte Patientenverfügungen existiert. Möglicherweise kann die Patientenverfügung aber in die Vorschriften der Art. 13 ff. ESÜ eingeordnet werden. aa) Anwendbarkeit des Art. 15 ESÜ? Vereinzelt wird eine Anwendung des Art. 15 auf isolierte Patientenverfügungen erwogen. 107 Dies überzeugt ebenso wenig wie für die Betreuungsverfügung. Denn ausweislich des Wortlauts der Originalfassungen des Übereinkommens (powers of representation, pouvoir de représentation) ist für die Anwendbarkeit der Art. 15 f. zwingende Voraussetzung, dass einer Person entweder durch eine Vereinbarung oder ein einseitiges Rechtsgeschäft Vertretungsmacht zur Vornahme einer Vertretungshandlung eingeräumt wird, was bei isolierten Patientenverfügungen regelmäßig nicht der Fall ist.108 Gleiches gilt für Betreuungsverfügungen, die nur Wünsche einer Person über Details der Führung einer behördlichen Fürsorgemaßnahme enthalten, bzw. entsprechende Institute ausländischen Rechts. Gegen eine Einbeziehung der isolierten Patientenverfügung in den Anwendungsbereich des Art. 15 spricht zudem, dass während der Vorarbeiten zwar hitzige Debatten über medizinische Behandlungen geführt wurden, aber zu keinem Zeitpunkt über Patientenverfügungen diskutiert wurde. 109 Dies spricht zugleich für eine bewusste Regelungslücke und damit gegen eine analoge Anwendung des Art. 15 auf isolierte Patientenverfügungen. bb) Anwendbarkeit der Art. 13 f. ESÜ? Dass Patientenverfügungen während der Ausarbeitung des ESÜ keine Erwähnung gefunden haben, spricht auch gegen eine vollständige Einbezie107 Botschaft zur Umsetzung der Übereinkommen über internationale Kindesentführung sowie zur Genehmigung und Umsetzung der Haager Übereinkommen über den Schutz von Kindern und Erwachsenen v. 28.2.2007, S. 2614 Fn. 41; Fagan, Elder L. J. 2002, 329 (347 ff.). 108 Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 20 Rn. 26; Staudinger/v. Hein, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rn. 179; Helms, FamRZ 2008, 1995 (1999); Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 167; Ballarino, YbPIL 8 (2006), 5 (21). 109 Ballarino, YbPIL 8 (2006), 5 (21).
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hung der isolierten Patientenverfügung in den Anwendungsbereich der Art. 13 f. für Schutzmaßnahmen. Überdies verdeutlicht der nicht abschließende Katalog von Angelegenheiten, auf die sich Maßnahmen zum Schutze des Erwachsenen beziehen können (Art. 3), dass es sich bei einer Schutzmaßnahme – wie auch beim MSA und KSÜ – immer um eine individuell-konkrete, hoheitliche Anordnung einer staatlichen Behörde handelt.110 Die Patientenverfügung, die eine eigene Erklärung des Betroffenen für den Fall des Eintritts seiner Hilfsbedürftigkeit enthält, ist aber selbst keine hoheitliche Anordnung einer Behörde und daher ebenso wenig wie die Vorsorgevollmacht vom Begriff der Schutzmaßnahme erfasst. 111 Auch medizinische und pflegerische Behandlungen des schutzbedürftigen Erwachsenen sind keine Schutzmaßnahmen einer Behörde i.S. des ESÜ. Eine Einbeziehung der isolierten Patientenverfügung in den Anwendungsbereich der Art. 13 f. lässt sich auch nicht mit Verweis auf die Einbindung der Betreuungsverfügung in den Anwendungsbereich dieser Vorschriften112 rechtfertigen. Denn anders als die Betreuungsverfügung ist die Patientenverfügung ihrem Inhalt nach nicht ausschließlich auf eine staatliche Fürsorgeorganisation ausgerichtet. Allerdings macht die Patientenverfügung die Anordnung von Schutzmaßnahmen nicht in allen Rechtsordnungen entbehrlich. Wie dargestellt, ist nach deutschem Recht trotz Vorliegens einer wirksamen Patientenverfügung nach Eintritt der Einsichts- und Urteilsunfähigkeit zwingend ein Betreuer für den Betroffenen zu bestellen, dessen Aufgabe es ist, dem in der Patientenverfügung festgehaltenen Willen „Ausdruck und Geltung zu verschaffen“ (§ 1901a Abs. 1 S. 2 BGB). Zudem sieht das deutsche Recht mit der Regelung des § 1904 BGB ein ge110
Das ESÜ ist anwendbar auf Rechtsinstitute, die funktional vergleichbar mit Vo rmundschaft und Pflegschaft eine Handlungsorganisation zum Schutz des hilfsbedürftigen Erwachsenen begründen, wie z.B. die österreichische Sachwalterschaft (§§ 286 ff. AGBGB) und die Betreuung des deutschen Rechts (§§ 1896 ff. BGB), (jurisPK/Röthel, Art. 24 EGBGB Rn. 25). 111 Anders aber offenbar Helms, FamRZ 2008, 1995 (1999): „ob und in welchem Umfang Patientenverfügungen zu berücksichtigen sind, wird sich in der Regel gemäß Art. 14 ESÜ nach dem Recht am Behandlungsort bestimmen.“ 112 Für Betreuungsverfügungen bestimmt sich das anwendbare Recht nach den für behördliche Schutzmaßnahmen geltenden Vorschriften: Die für die Betreuerbestellung z uständige Behörde ermittelt also grundsätzlich nach ihrer lex fori (Art. 13 Abs. 1), ob und wie eine Betreuungsverfügung zu beachten ist bzw. in welcher Form entsprechende Ä ußerungen von Wünschen zu erfolgen haben. Siehe: Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 20 Rn. 13; Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 177; Guttenberger, Haager ESÜ, S. 152 f.; Ludwig, DNotZ 2009, 251 (269 f.); Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 168; a.A. Siehr, RabelsZ 64 (2000), 715 (738), der § 1897 Abs. 4 S. 3 BGB als Anwendungsbeispiel für Art. 15 ESÜ nennt; Schaal, BWNotZ 2008, 202 (204): „Nicht anwendbar ist das ESÜ auch auf Patientenoder reine Betreuungsverfügungen.“
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richtliches Genehmigungserfordernis in medizinischen Angelegenheiten vor. Solche im Zeitpunkt des Eintritts der Schutzbedürftigkeit erforderlich werdenden behördlichen Maßnahmen sind nach Art. 13 f. ESÜ anzuknüpfen.113 Für die isolierte Patientenverfügung ist Art. 13 Abs. 1114 anzuwenden hinsichtlich der Frage der Notwendigkeit der Bestellung einer Fürsorgeperson, hinsichtlich deren Bestellung sowie hinsichtlich der Änderung und dem Ende der Fürsorgeeinrichtung; Fragen der Zulässigkeit, der Wirksamkeit sowie der Bindungswirkung einer Patientenverfügung wären demgegenüber Vorfragen, für die noch ein Statut zu entwickeln ist, weil, wie bereits ausgeführt, isolierte Patientenverfügungen gerade keine Schutzmaßnahmen sind und nicht im Anwendungsbereich des ESÜ liegen. 115 Für einen hilfsbedürftigen spanischen Staatsangehörigen mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland, der eine Patientenverfügung errichtet hat, wären also über Art. 13 Abs. 1 ESÜ die §§ 1896 ff. BGB für die Frage anwendbar, ob ein Betreuer zu bestellen ist, wobei aber die Fragen der Zulässigkeit und der Wirksamkeit der Patientenverfügung sowie deren Bindungswirkung isoliert zu behandeln wären. Die gegenteilige Auffassung, die auf die Frage, ob und in welchem Umfang eine Fürsorgeperson an die Patientenverfügung gebunden ist, Art. 14 ESÜ anwenden möchte116, über-
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Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 20 Rn. 26. Mit Blick auf die staatliche Anordnung von Schutzmaßnahmen bestimmt das nach Art. 13 Abs. 1 anwendbare Recht nicht nur über die Entstehung, die Änderung und das Ende der Fürsorgeeinrichtung, sondern zudem über die jeweiligen Rechtsfolgen sowie über die Eignung, die Auswahl, die Bestellung und das Ablehnungsrecht der Fürsorg eperson (Guttenberger, Haager ESÜ, S. 142; Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 151). Die Anordnungsbehörde hat sich auch bei späterem Tätigwerden im Rahmen der Führung des Fürsorgeverhältnisses nach der lex fori zu richten und auch bei staatlichen Genehmigungen richten sich sowohl die Frage der Erforderlichkeit als auch die Voraussetzungen der Erteilung und das einzuhaltende Verfahren nach der lex fori (Guttenberger, Haager ESÜ, S. 142; Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 151 f.). 115 Ähnlich: Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 20 Rn. 26; Jayme, in: FS für Spellenberg, S. 203 (207). 116 So offenbar Helms, FamRZ 2008, 1995 (1999): „ob und in welchem Umfang Patientenverfügungen zu berücksichtigen sind, wird sich in der Regel gemäß Art. 14 ESÜ nach dem Recht am Behandlungsort bestimmen“; Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 179: „Ob und in welchem Umfang ein Betreuer in einem solchen Fall an eine Patientenverfügung des Erwachsenen gebunden ist (vgl. § 1904 BGB idF des 3. BtRÄndG-E), ist als eine Frage der Ausübung der aufgrund einer behördlich angeordneten Schutzmaßnahme entstandenen Vertretungsmacht zu qualifizieren, die folglich nach Art. 14 anzuknüpfen ist“; Wedemann, FamRZ 2010, 785 (786): „Ob und in welchem Umfang ein Betreuer in einem solchen Fall an eine Patientenverfügung gebunden ist, ist eine Frage der Ausübung der Vertretungsmacht und richtet sich – entsprechend den oben im 114
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zeugt für die isolierte Patientenverfügung ebenso wenig wie für die Betreuungsverfügung117. Denn Art. 14 ESÜ ist lediglich eine Ausnahmevorschrift zur grundsätzlichen Anwendung der lex fori, die zwingend voraussetzt, dass die Schutzmaßnahme außerhalb des Anordnungsstaates durchgeführt wird. Liegt diese Voraussetzung vor, wird Art. 14 im Kontext der isolierten Patientenverfügung in erster Linie für die Frage der Notwendigkeit behördlicher und gerichtlicher Genehmigungen relevant. 118 So wird in Fällen, in denen der Durchführungsstaat eine Genehmigungspflicht einer Erwachsenenschutzbehörde z.B. für den Behandlungsabbruch vorsieht, diese Genehmigung auch dann erforderlich, wenn der Anordnungsstaat eine solche Genehmigungspflicht nicht kennt. 119 Als problematisch erweist sich, wenn das Recht des durchführenden Staates keine oder weniger strenge Genehmigungserfordernisse kennt als der anordnende Staat, dieser Staat etwa die (antizipierte) Einwilligung in lebensgefährdende medizinische Maßnahmen nicht unter gerichtlichen Genehmigungsvorbehalt stellt. Nach dem Wortlaut des Art. 14 ESÜ wäre in dieser Konstellation keine gerichtliche Genehmigung erforderlich, was allerdings in Widerspruch zum Schutzgedanken des ESÜ steht, da die Fürsorgeperson einseitig die Genehmigungserfordernisse des anordnenden Staates durch Verlegung der Durchführung ins Ausland umgehen könnte. Zu denken ist etwa an einen deutschen Betreuer, der die medizinische Behandlung des ausländischen Betroffenen in die Schweiz verlegt, um die bei fehlendem Einvernehmen mit dem behandelndem Arzt erforderlich werdende Genehmigung des Betreuungsgerichts (§ 1904 BGB) zu umgehen. Zum Schutz des Hilfsbedürftigen muss es in diesen Fällen beim Grundsatz der Anwendung der lex fori bleiben120, wobei aber die Frage der Zulässigkeit und Wirksamkeit der Patientenverfügung sowie deren Bindungswirkung eine selbständig anzuknüpfende Vorfrage wäre. Auch die Vorschrift des Art. 13 Abs. 2121 kann bei der isolierten Patientenverfügung mit Blick auf staatliche Genehmigungen für medizinische Zusammenhang mit der Betreuungsverfügung dargelegten Richtlinien – gemäß Art. 14 ESÜ nach dem Recht des Behandlungsorts.“ 117 Nach Wedemann, FamRZ 2010, 785 (786) soll Art. 13 Abs. 1 nur für die Relevanz der Betreuungsverfügung, für die Beachtlichkeit der in der Betreuungsverfügung niede rgelegten Wünsche demgegenüber Art. 14 einschlägig sein. 118 Vgl. Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 159; Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 158. 119 Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 158. 120 Guttenberger, Haager ESÜ, S. 150 f.; Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 161; in diese Richtung zudem Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 94; a.A. Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 161. 121 Während Art. 13 Abs. 1 den zuständigen Behörden im Sinne eines effektiven und zügigen Erwachsenenschutzes Fremdrechtsanwendungen erspart, berücksichtigt die
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Kapitel 2: Die Patientenverfügung mit Auslandsberührung
Heilbehandlungen relevant werden, wobei aber praktische Anwendungsfälle nur schwer denkbar sind. Soll eine medizinische Behandlung im Ausland vorgenommen werden und stellt die bestellte Fürsorgeperson einen diesbezüglichen Genehmigungsantrag bei der gemäß Art. 5 zuständigen Behörde des Aufenthaltsstaates, so handelt es sich um einen Anwendungsfall von Art. 14 ESÜ mit der Folge, dass das Recht des Durchführungsstaates Anwendung findet. Eine Anwendung von Art. 13 Abs. 2 ließe sich alleine damit begründen, dass die Vornahme einer medizinischen Behandlung im Ausland bei einem Fürsorgebedürftigen keine Durchführung einer Schutzmaßnahme ist. Bei Anwendung von Art. 13 Abs. 2 stünde es der Behörde des Anordnungsstaates bei der Entscheidung über die Erforderlichkeit und die Voraussetzungen der Erteilung der Genehmigung demgegenüber offen, ob sie das eigene Recht oder das Recht des Staates anwendet/in Betracht zieht, in dem die medizinische Behandlung vorgenommen werden Ausweichklausel des Art. 13 Abs. 2 das Interesse an der im Erwachsenenschutz mitunter erforderlichen Flexibilität (Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 152). Hiernach können die zuständigen Behörden ausnahmsweise ausländisches Recht anwe nden und berücksichtigen, wenn zu dem Recht des anderen Staates eine enge Verbindung besteht und der Schutz der betroffenen Person oder ihres Vermögens dies erfordert. Aus Letzterem wird deutlich, dass es nicht um die Verwirklichung des kollisionsrechtlichen Grundsatzes der räumlich engsten Verbindung, sondern um die Verwirklichung eines materiellrechtlichen Ziels – dem Wohl des Erwachsenen – geht, weswegen auch die geforderte enge Verbindung nicht im Sinne einer räumlichen Beziehung bestehen muss (Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 92; Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 152; Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 149). Aus dem Wortlaut der Vorschrift (the law of another State, la loi d’un autre Etat) und aus Art. 18 folgt außerdem, dass anders als bei Art. 13 Abs. 1 auch das Recht eines Nichtvertragsstaates anwendbar ist bzw. berücksichtigt werden kann (Guttenberger, Haager ESÜ, S. 143; Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 149). Die Berücksichtigung ist im Vergleich zur Anwendung ein Weniger, denn das fremde Recht wird nur als ein faktisches Element (local oder moral data) für die Entscheidungsfindung herangezogen: So ist denkbar, dass die zuständigen Behörden nur einzelne Voraussetzungen oder Leitprinz ipien des ausländischen Rechts in die eigene Entscheidung einfließen lassen ( Guttenberger, Haager ESÜ, S. 145; Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 151). Als Konstellationen, in denen Art. 13 Abs. 2 relevant werden kann, weil das Wohl des Erwachsenen die Anwendung eines anderen Rechts als des der lex fori erfordert, werden Fälle genannt, in denen im Zeitpunkt der Anordnung der Schutzmaßnahme bereits Planungen für einen zeitnahen Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts in einen anderen Staat bestehen, weil es dann wie bei Art. 15 Abs. 2, 3 KSÜ ratsam sein kann, die anzuordnende Schutzmaßnahme dem Recht des künftigen Aufenthaltsstaates zu unterwerfen (Guttenberger, Haager ESÜ, S. 144; Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 150; Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 152 f.). Auch in Fällen, in denen eine Fürsorgeperson bestellt wird und ein Grundstück im Ausland zu verwalten ist, wird die Anwendung der ausländischen lex rei sitae regelmäßig dem Wohl des Erwachsenen entsprechen (Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 92; Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 153).
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soll.122 Probleme ergeben sich, wenn das dortige Recht strengere Voraussetzungen für die Genehmigung vorsieht als der Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Betroffenen oder aber der Aufenthaltsstaat gar keine Genehmigungspflicht kennt, weil dann die Gefahr besteht, dass am Behandlungsort die Behandlung unter Verweis auf die fehlende oder unzureichende Genehmigung verweigert wird. 123 Dass isolierte Patientenverfügungen nur hinsichtlich der im Zeitpunkt des Eintritts der Schutzbedürftigkeit möglicherweise erforderlich werdenden Schutzmaßnahmen vom ESÜ erfasst werden, ist zu bedauern. Insoweit sie aber vom ESÜ erfasst werden, überzeugt das gewählte Anknüpfungsgefüge: Der durch die Ausgestaltung von Art. 13 Abs. 1 ESÜ sichergestellte Gleichlauf von forum und ius ermöglicht den zuständigen Behörden die Anwendung des ihnen vertrauten Rechts, was schnelle und effektive Entscheidungen erwarten lässt. 124 Die im Erwachsenenschutz notwendige Flexibilität und Konzentration auf das Wohl des Erwachsenen garantiert Art. 13 Abs. 2. Art. 14 berücksichtigt die Interessen des Durchführungsstaates an der Anwendung des eigenen Rechts. c) Allgemeine Vorschriften (Art. 17 ff. ESÜ) Die im ESÜ enthaltenen Kollisionsnormen werden in den Art. 17–21 durch allgemeine Grundsätze des Internationalen Privatrechts ergänzt, auf die im Rahmen der Untersuchung des europäischen und deutschen Kollisionsrechts125 noch ausführlich einzugehen sein wird. aa) Verkehrsschutz (Art. 17) Weil sowohl die aufgrund einer behördlich angeordneten Schutzmaßnahme als auch die aufgrund einer Vorsorgevollmacht entstehende Vertretungsmacht in einem anderen Staat als demjenigen ausgeübt werden kann, in dem die Vertretungsmacht begründet wurde, besteht ein Bedürfnis für den Schutz gutgläubiger Dritter, die mit dem Vertreter des hilfsbedürftigen Erwachsenen rechtsgeschäftlich in Berührung kommen. 126 Die Haager Konferenz hat den Schutz gutgläubiger Dritter nach Vorbild der Art. 19 KSÜ und Art. 11 EVÜ in Art. 17 ESÜ gelöst. 127 Gemäß Art. 17 Abs. 1 kann die Gültigkeit eines Rechtsgeschäfts zwischen einem Dritten und ei122
Guttenberger, Haager ESÜ, S. 144 f. Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 153 f.; Guttenberger, Haager ESÜ, S. 144 f. 124 Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 151. 125 Dazu unten Kapitel 2 § 2. 126 Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 215. 127 Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 215. 123
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ner anderen Person, die nach dem Recht des Staates, in dem das Rechtsgeschäft abgeschlossen wurde, als Vertreter des Erwachsenen zu handeln befugt wäre, nicht allein deswegen bestritten und der Dritte nicht nur deswegen verantwortlich gemacht werden, weil die andere Person nach dem nach Art. 13 ff. bestimmten Recht nicht als Vertreter des Erwachsenen zu handeln befugt wäre, es sei denn, der Dritte wusste oder hätte wissen müssen, dass sich die Vertretungsmacht nach diesem Recht bestimmt. Dies gilt ausweislich der Begleitmaterialien auch für medizinische Eingriffe und Behandlungsmaßnahmen, die auf Wunsch des scheinbaren Vertreters durchgeführt werden.128 Art. 17 Abs. 1 ist aber nur anzuwenden, wenn das Rechtsgeschäft unter Anwesenden im Hoheitsgebiet desselben Staates geschlossen wurde (Abs. 2). bb) Zwingende Vorschriften (Art. 20) Gemäß Art. 20 stehen die Bestimmungen über das anzuwendende Recht den Bestimmungen des Rechts des Staates, in dem der Erwachsene zu schützen ist, nicht entgegen, deren Anwendung unabhängig vom sonst maßgebenden Recht zwingend ist. Aus der Formulierung „Bestimmungen […], deren Anwendung unabhängig vom sonst maßgebenden Recht zwingend ist“ ergibt sich, dass allein international zwingende, nicht aber intern zwingende Vorschriften erfasst sind. 129 International zwingende Vorschriften sind Vorschriften, die der Durchsetzung staatlicher Interessen dienen und den Sachverhalt ohne Rücksicht auf das anwendbare Recht zwingend regeln.130 Die Vorschrift des Art. 20 ESÜ dürfte insbesondere Auswirkungen auf staatliche Erwachsenenschutzmaßnahmen in Gesundheitsangelegenheiten sowie Vorsorgevollmachten in Gesundheitsangelegenheiten haben. Ausweislich der Arbeitsdokumente wurde der Vorbehalt des Art. 20 nämlich insbesondere mit Blick auf medizinische Maßnahmen und als Ausgleich zu der Möglichkeit einer Rechtswahl betreffend die Vertretungsmacht eingeführt.131 Die niederländische Delegation hatte während der Beratungen auf ein niederländisches Gesetz hingewiesen, das besondere, von den allgemeinen Rechtsvorschriften über Vormundschaft und Pflegschaft abweichende Formen der Vertretung des Erwachsenem auf medizinischem Gebiet vorsieht und zwingenden Charakter hat: Konkret ging es um eine Regelung, nach der der Vertreter vor jeder Unterbringungsmaßnahme eine 128
Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 109. Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 233. 130 Kropholler, IPR, § 3 II., II.1.; Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 129 f. Ausführlich dazu unter Kapitel 2 § 2 B. II. 1. b) aa) und Kapitel 2 § 2 B. II. 2. a) bb). 131 Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 113. 129
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Genehmigung einholen muss. 132 Die Kommission wollte Staaten mit solchen Vorschriften erlauben, diese in ihrem Hoheitsgebiet auch dann zur Anwendung zu bringen, wenn die Kollisionsnormen des ESÜ ein anderes Recht zur Anwendung berufen. 133 Der Vorschlag einer Delegation, dass jeder Vertragsstaat eine Liste derjenigen Bestimmungen aufstellt, die er als zwingend ansieht, um auf diese Weise die Rechtsanwendung aller Vertragsstaaten zu erleichtern, wurde zu Recht als unpraktikabel verworfen. 134 Ausweislich der Arbeitsdokumente sind zwingende Vorschriften im Bereich des Erwachsenenschutzes jedenfalls Genehmigungserfordernisse einer Erwachsenenschutzbehörde zu bedeutenden medizinischen Behandlungen an schutzbedürftigen Erwachsenen oder zu deren Unterbringung. 135 Aus deutscher Sicht sollen als zwingende Vorschriften die betreuungsgerichtlichen Genehmigungserfordernisse aus §§ 1904, 1905 BGB qualifiziert werden, so dass diese Genehmigungserfordernisse bei Tätigwerden auf deutschem Territorium auch dann einzuhalten sind, wenn das auf den Umfang der Vorsorgevollmacht anwendbare Recht eine alleinige Einwilligungsbefugnis des gesetzlichen oder rechtsgeschäftlichen Vertreters kennt.136 Anders als bei einer Vorsorgevollmacht kommen die deutschen Genehmigungserfordernisse bei Durchführung einer im Ausland angeordneten staatlichen Schutzmaßnahme wegen Art. 14 ESÜ aber ohnehin zur Anwendung.137 cc) Ordre public (Art. 21) Die in Art. 21 vorgesehene ordre public-Klausel ermächtigt Behörden und Gerichte, die Anwendung des nach Kapitel III anzuwendenden Rechts zu versagen, wenn sie der öffentlichen Ordnung offensichtlich widerspricht. Das mit Hilfe der Art. 13 ff. im Einzelfall gefundene Ergebnis ist also stets auf seine Vereinbarkeit mit dem ordre public des Entscheidungsstaates zu kontrollieren.138 Gestrichen wurde der noch im Vorentwurf enthaltene, an Art. 22 KSÜ angelehnte Verweis auf das Wohl des Erwachsenen. 139 Ein Verstoß gegen den deutschen ordre public wäre etwa bezüglich besonders 132
Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 113. Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 113. 134 Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 113. 135 Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 113; Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 215; Guttenberger, Haager ESÜ, S. 177; Ludwig, DNotZ 2009, 251 (284). 136 Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 234; Ludwig, DNotZ 2009, 251 (278 f.); für das schweizerische Recht: Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 216. 137 Helms, FamRZ 2008, 1995 (2000). 138 Guttenberger, Haager ESÜ, S. 176. 139 Lagarde, Rapport explicatif, Nr. 114. 133
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extensiv ausgeformter Vertretungsrechte denkbar. 140 Zu beachten ist aber, dass die zuständigen Behörden bei staatlichen Erwachsenenschutzmaßnahmen infolge der Berufung der lex fori (Art. 13 Abs. 1) regelmäßig kein ausländisches Recht anwenden. 141 Regelmäßig wird man aber bei Vorsorgevollmachten wegen Art. 15 Abs. 1, 2 zur Anwendung ausländischen Rechts und damit zur Anwendung des Art. 21 kommen.142 Dabei wird die Abgrenzung der Anwendungsbereiche der Art. 20 und Art. 21 ESÜ nicht immer leicht fallen. Die ordre public-Klausel kann aber etwa für die Frage greifen, ob die Bestellung einer Fürsorgeperson im Falle einer Vorsorgevollmacht entbehrlich ist. 143 5. Auswirkungen auf das deutsche Internationale Erwachsenenschutzrecht In seinem Anwendungsbereich verdrängt das ESÜ das deutsche Internationale Erwachsenenschutzrecht. a) Autonomes Kollisionsrecht der Betreuung Ist die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte gegeben, wenden deutsche Gerichte ihr eigenes Internationales Privatrecht an. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für Betreuungs- und Unterbringungssachen und die Pflegschaft für Erwachsene regelt § 104 FamFG. § 104 FamFG erfasst u.a. Betreuungssachen i.S. des § 271 FamFG, also Verfahren zur Bestellung eines Betreuers und zur Aufhebung einer Betreuung (Ziff. 1), Verfahren zur Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts (Ziff. 2) sowie sonstige Verfahren, die die rechtliche Betreuung eines Volljährigen (§§ 1896–1908i BGB) betreffen, soweit es sich nicht um eine Unterbringungssache handelt. International zuständig sind die deutschen Gerichte gemäß § 104 Abs. 1 FamFG, wenn der Betroffene Deutscher ist (Ziff. 1)144, soweit der Betroffene der Fürsorge durch ein deutsches Gericht bedarf (Ziff. 3), was insbesondere bei schlichtem oder nicht existierendem Inlandsaufenthalt des Betroffenen relevant wird 145, oder, wenn der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat (Ziff. 2). Insbesondere Ziff. 2 hat ihren praktischen Anwendungsbereich durch Inkrafttreten des ESÜ weitestgehend verloren: Art. 5 ff. ESÜ haben gegenüber § 104 140
Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 217. Guttenberger, Haager ESÜ, S. 176; Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 217. 142 Guttenberger, Haager ESÜ, S. 176. 143 Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 131 f. 144 § 104 Abs. 1 Ziff. 1 FamFG gilt auch bei Bestehen einer weiteren Staatsangehörigkeit unter der Voraussetzung, dass der gewöhnliche Aufenthalt außerhalb des Anwe ndungsbereichs des ESÜ liegt (Althammer, IPRax 2009, 381 [385]). 145 Althammer, IPRax 2009, 381 (385). 141
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FamFG Vorrang, soweit der gewöhnliche Aufenthalt der schützenswerten Person in einem Vertragsstaat des ESÜ liegt, wobei bei gewöhnlichem Aufenthalt in einem Drittstaat die Art. 10, 11 ESÜ zu beachten sind. 146 Das in Art. 24 EGBGB geregelte autonome deutsche Kollisionsrecht des Erwachsenenschutzes, das staatliche Fürsorgemaßnahmen – nämlich Vormundschaft, Betreuung und Pflegschaft – erfasst, kommt seit Inkrafttreten des ESÜ für Deutschland also nur 147 noch zur Anwendung, wenn der schutzbedürftige Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Nichtvertragsstaat hat, was deutsche Gerichte und Behörden weitgehend von der Last der Fremdrechtsanwendung entbindet. 148 Betreuung i.S. des Art. 24 EGBGB sind alle Fälle privatrechtlicher Fürsorge für Erwachsene durch Gerichte und sonstige Stellen, also nicht nur die rechtliche Betreuung i.S. der §§ 1896 ff. BGB, sondern auch funktional vergleichbare Rechtsinstitute des ausländischen Rechts, ungeachtet dessen, ob sie an eine Entmündigung des Betroffenen geknüpft sind. 149 Art. 24 EGBGB enthält unterschiedliche Anknüpfungen für die Entstehung, die Änderung und das Ende der Betreuung (Abs. 1) einerseits und den Inhalt der Betreuung sowie vorläufige Maßregeln (Abs. 3) andererseits. Die Abgrenzung der Anwendungsbereiche des Abs. 1 und Abs. 3 ist bis heute insbesondere mit Blick auf die Zuordnung der Wirkungen einer fürsorgerischen Maßnahme sowie die Zuordnung der Wirkungen des Einwilligungsvorbehalts umstritten. Die h.M. 150 ordnet diese Fragen dem Inhalt einer angeordneten Betreuung zu, was gemäß Abs. 3 zu einer Anwendung der lex fori führt. Überzeugender ist indes, mit Blick auf den Zweck des Art. 24 EGBGB unter den Begriff des Inhalts der Betreuung die Rechtsfragen zu fassen, die das Verfahren der Anordnung und die Durchführung des Fürsorgeverhältnisses betreffen.151 Denn der Gesetzgeber hat für Vormundschaft und Pflegschaft in den Gesetzgebungsmaterialien zum Ausdruck gebracht, dass diejenigen Tatbestände dem Personalstatut zu unterstellen 146
Althammer, IPRax 2009, 381 (385). Vorrangig zu beachten ist das Deutsch-iranische Niederlassungsabkommen v. 17.2.1929, dazu etwa Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 8. 148 R. Wagner/Beyer, BtPrax 2007, 231 (233); jurisPK/Röthel, Art. 24 EGBGB Rn. 28; Kropholler, IPR, § 50 I. 4.; Traar, iFamZ 2009, 113 (115); Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 5. 149 jurisPK/Röthel, Art. 24 EGBGB Rn. 8; Nitzinger, Betreuungsrecht im IPR, S. 27, 38 f.; Oelkers, Internat. Betreuungsrecht, S. 216 ff.; Guttenberger, Haager ESÜ, S. 25 f.; Staudinger/v. Hein, Art. 24 EGBGB Rn. 12. 150 Staudinger/v. Hein, Art. 24 EGBGB Rn. 42; Staudinger/Hausmann, Art. 7 EGBGB Rn. 127; MünchKommBGB/Klinkhardt, Art. 24 EGBGB Rn. 25; Oelkers, Internat. Betreuungsrecht, S. 247 ff., 250. 151 jurisPK/Röthel, Art. 24 EGBGB Rn. 37; weiter: Nitzinger, Betreuungsrecht im IPR, S. 53 ff. 147
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sind, die in die personale Rechtsstellung des Betroffenen eingreifen, für die Durchführung einer Maßnahme demgegenüber eine Anknüpfung an das Recht des anordnenden Staates zweckmäßig ist, weil sie auch dem Interesse der Fürsorgeperson eher entspricht. 152 Zum Inhalt der angeordneten Betreuung gehören in Abgrenzung zu Abs. 1 deswegen Auswahl und Bestellung der Fürsorgeperson, ihre Rechte und Pflichten, ihre Haftung wegen Verletzung einer Fürsorgepflicht und ihre Entlassung. 153 Weil auch sie in erster Linie die Rechtsstellung der Fürsorgeperson betrifft, ist die Erforderlichkeit einer betreuungsgerichtlichen Genehmigung (Genehmigungsbedürftigkeit) ebenfalls als Maßnahme der Durchführung nach der lex fori anzuknüpfen.154 Ist in Deutschland eine Betreuung (§§ 1896 ff. BGB) angeordnet worden, sind also grundsätzlich die Genehmigungstatbestände des deutschen Rechts (§§ 1904–1908, § 1908i i.V. mit §§ 1821, 1822 Nr. 1–4, 6–13 BGB) zu beachten; sind deutsche Gerichte international zuständig, gilt Gleiches für eine im Ausland nach dem Heimatrecht des Betroffenen bestellte Fürsorgeperson. 155 Auch die verfahrens- und materiellrechtlichen Voraussetzungen der Genehmigungsfähigkeit des vorgenommenen oder beabsichtigten Rechtsgeschäfts gehören – mit Ausnahme der Vorfrage der Wirksamkeit des betreffenden Rechtsgeschäfts, die selbständig anhand des jeweiligen Geschäftsstatuts anzuknüpfen ist – zum Inhalt der Betreuung und unterliegen deshalb ebenfalls der lex fori.156 Während die Bestellung der Fürsorgeperson als Betreuer also dem Inhalt der Betreuung zuzuordnen ist und der lex fori unterliegt, fallen unter den Begriff der Entstehung der Betreuung i.S. des Art. 24 Abs. 1 EGBGB Eingriffe in die personale Rechtsstellung des Betroffenen – etwa die Voraussetzungen für die Anordnung und den Umfang einer Fürsorgemaßnahme sowie die Bestimmung der Vertretungsbefugnisse und die Bestimmung des Aufgabenkreises der Fürsorgeperson. 157 Zum Begriff der Änderung der Betreuung gehören demgegenüber Veränderungen im Umfang der Fürsorgemaßnahme.158 Dem Begriff Ende der Betreuung unterfallen die Voraussetzungen, unter denen eine Betreuung aufzuheben ist. 159 Im Gegensatz zu Art. 24 Abs. 3 EGBGB und zum ESÜ beruft Art. 24 Abs. 1 EGBGB im Grundsatz das Heimatrecht: Die Betreuung unterliegt zwin152
BT-Drs. 10/504, S. 73; jurisPK/Röthel, Art. 24 EGBGB Rn. 37, 60 ff. jurisPK/Röthel, Art. 24 EGBGB Rn. 59 ff. 154 jurisPK/Röthel, Art. 24 EGBGB Rn. 66. 155 MünchKommBGB/Klinkhardt, Art. 24 EGBGB Rn. 27; Staudinger/v. Hein, Art. 24 EGBGB Rn. 43; jurisPK/Röthel, Art. 24 EGBGB Rn. 66; Nitzinger, Betreuungsrecht im IPR, S. 85; Rausch, BtPrax 2004, 137 (140). 156 Rausch, BtPrax 2004, 137 (140). 157 jurisPK/Röthel, Art. 24 EGBGB Rn. 38 ff. 158 jurisPK/Röthel, Art. 24 EGBGB Rn. 43. 159 jurisPK/Röthel, Art. 24 EGBGB Rn. 44. 153
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gend dem Heimatrecht des Betroffenen 160 (Abs. 1 S. 1), soweit nicht aus Abs. 1 S. 2 oder Abs. 3 eine andere Anknüpfung folgt. 161 Nach Abs. 1 S. 2 kann für einen Ausländer mit gewöhnlichem Aufenthalt oder mangels eines solchen mit schlichtem Aufenthalt im Inland ein Betreuer nach §§ 1896 ff. BGB bestellt werden, wobei dann auch bezüglich der Änderung und der Beendigung der Betreuung deutsches Recht anzuwenden ist.162 Während also für Deutsche eine Betreuung nur unter den Voraussetzungen des §§ 1896 ff. BGB angeordnet werden kann, besteht für deutsche Gerichte mit Blick auf Ausländer mit Aufenthalt im Inland ein echtes Wahlrecht, infolge dessen sie eine Betreuung wahlweise nach dem Heimatrecht des fürsorgebedürftigen Ausländers oder nach deutschem Recht anordnen können und dadurch aufwändige Fremdrechtsanwendungen und eine wegen Art. 6 EGBGB mitunter als problematisch erachtete Entmündigung nach ausländischem Heimatrecht umgehen können. 163 Fremdes Recht ist in der Praxis also regelmäßig immer nur dann zu prüfen, wenn der Betroffene nicht die deutsche Staatsangehörigkeit und auch keinen Aufenthalt in Deutschland hat.164 b) Autonomes Kollisionsrecht der Vorsorgevollmacht Darüber hinaus verdrängt das ESÜ in seinem Anwendungsbereich auch das autonome Kollisionsrecht der Vorsorgevollmacht, was zugleich bedeutet, dass außerhalb des Anwendungsbereichs des ESÜ das autonome Kollisionsrecht der Vorsorgevollmacht anwendbar ist. 165
160 Bei Mehrrechtsstaatern, Staatenlosen und Flüchtlingen sind Art. 5 Abs. 1, 2 EGBGB zu beachten; werden Rück- und Weiterverweisungen von dem durch Art. 24 Abs. 1 EGBGB zur Anwendung berufenen Heimatrecht ausgesprochen, sind sie nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB zu beachten (MünchKommBGB/Klinkhardt, Art. 24 EGBGB Rn. 4, 6; jurisPK/Röthel, Art. 24 EGBGB Rn. 34 f.). 161 jurisPK/Röthel, Art. 24 EGBGB Rn. 32. 162 MünchKommBGB/Klinkhardt, Art. 24 EGBGB Rn. 19, 33; jurisPK/Röthel, Art. 24 EGBGB Rn. 47 f.; Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 20 Rn. 20. 163 Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 20 Rn. 19; jurisPK/Röthel, Art. 24 EGBGB Rn. 47; Staudinger/v. Hein, Art. 24 EGBGB Rn. 31; Staudinger/Hausmann, Art. 7 EGBGB Rn. 126; MünchKommBGB/Klinkhardt, Art. 24 EGBGB Rn. 19; zu einem Regel-Ausnahme-Verhältnis: Nitzinger, Betreuungsrecht im IPR, S. 99 ff., 106; Oelkers, Internat. Betreuungsrecht, S. 238; für „Muss-Vorschrift“: Erman/ Hohloch, Art. 24 EGBGB Rn. 15. 164 Rausch, BtPrax 2004, 137 (140). 165 jurisPK/Röthel, Art. 24 EGBGB Rn. 73; Ga. Müller, in: dies./Renner, Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen, Rn. 902; a.A. ist aber offenbar Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 170, wonach für die Anknüpfung der Vorsorgevollmacht stets Art. 15 ESÜ gelten soll.
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Das EGBGB kennt bislang keine ausdrückliche Kollisionsregel für Vorsorgevollmachten. Erste Stellungnahmen aus dem Schrifttum stimmen aber darin überein, dass Art. 24 EGBGB auf Vorsorgevollmachten nicht anwendbar ist, weil die Norm nur staatlich angeordnete Fürsorgemaßnahmen erfasst.166 Kritisch wird mitunter auch die Berufung des Heimatrechts über Art. 24 Abs. 1 S. 1 EGBGB betrachtet. 167 Im Übrigen werden unterschiedliche Lösungsansätze vertreten. Befürwortet wird zum einen die Vorsorgevollmacht, die im Kern eine normale rechtsgeschäftliche Vollmacht darstelle, kollisionsrechtlich – wie jede andere Vollmacht auch – dem allgemeinen Vollmachtsstatut zu unterstellen. 168 Die Zulässigkeit und Wirkungen einer Vorsorgevollmacht bestimmen sich dann mangels spezieller Regelung169 in Übereinstimmung mit der h.M. nach dem Recht des Wirkungslandes, also nach dem Recht des Staates, in dem die Wirkungen der Vollmacht eintreten oder eintreten sollen. 170 Dies ist im Grundsatz der Ort, an dem der Vertreter bestimmungsgemäß von seiner Vollmacht Gebrauch macht; macht er abredewidrig von der Vollmacht an einem anderen Ort Gebrauch, gilt aus Gründen des Verkehrsschutzes nach h.M. das Recht des realen Gebrauchsortes.171 Dies dient dem Schutz des Vertragspartners, weil er sich bei der Prüfung der Wirksamkeit der Vollmacht und des Umfangs 166
Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 20 Rn. 8; jurisPK/Röthel, Art. 24 EGBGB Rn. 73; Röthel/Woitge, IPRax 2010, 494 (496); Staudinger/v. Hein, Art. 24 EGBGB Rn. 12; Guttenberger, Haager ESÜ, S. 37; Ludwig, DNotZ 2009, 251 (253); Ga. Müller, in: dies./Renner, Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen, Rn. 902. 167 Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 20 Rn. 8. 168 Röthel/Woitge, IPRax 2010, 494 (496); zuvor schon Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 20 Rn. 8; dies., BtPrax 2006, 90 (94); Guttenberger, Haager ESÜ, S. 37; Heggen, ZNotP 2008, 184 (193); Ga. Müller, in: dies./Renner, Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen, Rn. 903. 169 Der deutsche Gesetzgeber hat das Haager Übereinkommen v. 14.3.1978 über das auf die Vertretung anzuwendende Recht (abgedruckt in: RabelsZ 43 [1979], 176 ff.) bislang nicht ratifiziert. Auch das in der Rom I-VO geregelte Internationale Vertragsrecht enthält in seiner Endfassung entgegen des zunächst von der Kommission vorgelegten Vorschlags für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) v. 15.12.2005 (KOM [2005] 650 endg.) keine Kollisionsnorm für Vertreterverträge mehr (siehe Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom I-VO). Ausführlich zum vorgenannten Verordnungsvorschlag etwa Hausmann, in: Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rn. 5421 ff. und Heinz, Vollmachtsstatut, S. 84 ff. 170 BGHZ 64, 183 (191 ff.); 128, 41 (47); BayObLGZ 1987, 364 (367); BGH NJW 1990, 3088; Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 20 Rn. 8. Die Verweisung auf das Recht des Wirkungslandes ist Sachnormverweisung ( Hausmann, in: Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rn. 5452; Ga. Müller, in: dies./ Renner, Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen, Rn. 903). 171 Ludwig, DNotZ 2009, 251 (254); Röthel/Woitge, IPRax 2010, 494 (497).
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der Vertretungsmacht an dem Recht orientieren kann, von dessen Anwendung er regelmäßig ausgehen muss. 172 Diese Anknüpfung ist mangels gesetzlicher Regelungen aber nicht zwingend: Denkbar ist auch eine Anknüpfung an den Wohnsitz des Vollmachtgebers, an seine Staatsangehörigkeit und an seinen gewöhnlichen Aufenthalt.173 Eine solche personale Anknüpfung würde der besonderen Nähe der Vorsorgevollmacht zur Person des Fürsorgebedürftigen Ausdruck verleihen.174 Die Anknüpfung an den Wohnsitz des Vollmachtgebers lässt sich allein deswegen begründen, weil die Vorsorgevollmacht regelmäßig als Generalvollmacht erteilt wird und im deutschen Schrifttum – nachdem der BGH175 bei einer Dauervollmacht unter Ehegatten den Anknüpfungspunkt im Wohnsitz des Vollmachtgebers gesehen hat – vertreten wird, dass General- und Dauervollmachten dem Wohnsitz zu unterstellen sind.176 Weil der Anknüpfungszeitpunkt nicht auf den Zeitpunkt der Erteilung der Generalvollmacht festgelegt ist, bedeutet die Anknüpfung an den Wohnsitz des Vollmachtgebers zunächst ein gesteigertes Maß an Unsicherheit. Bei der Vorsorgevollmacht würde sich wegen ihrer noch verhältnismäßig geringen Verbreitung ein Statutenwechsel für den Vollmachtgeber als nachteilig auswirken, wenn der Wohnsitz in eine Rechtsordnung verlegt wird, die die Vorsorgevollmacht (noch) nicht kennt.177 Noch weniger Rechtssicherheit, weil weniger Planbarkeit bedeutet für den Vollmachtgeber bei der Vorsorgevollmacht aber eine Anknüpfung an das Recht des Wirkungsoder Gebrauchslandes.178 Bereits in der vorangehenden Untersuchung des Art. 15 ESÜ wurde erläutert, dass eine Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt insbesondere dann dem Interesse des Vollmachtgebers entspricht, wenn dieser sich in die Gesellschaft und Kultur des Aufenthaltsstaates integriert hat. Auch eine Berufung des Heimatrechts ließe sich mit Blick auf die Interessen des Vollmachtgebers begründen: Bei anhaltend starker Verbundenheit zu Gesellschaft und Kultur des Heimatlandes dürfte die engste Verbindung zum Heimatrecht bestehen. Schlussendlich lässt sich wohl nicht verallgemeinernd sagen, ob die engste Verbindung im Einzelfall zur Heimatrechtsordnung oder zur Aufenthaltsrechtsordnung besteht.179 Aus Sicht des Vertreters dürfte es nur von untergeordneter Rele172
Ludwig, DNotZ 2009, 251 (254). Röthel/Woitge, IPRax 2010, 494 (497 ff.); Guttenberger, Haager ESÜ, S. 38 (Anknüpfung an gewöhnlichen Aufenthalt). 174 Röthel/Woitge, IPRax 2010, 494 (497). 175 BGH NJW-RR 1990, 248 (250). 176 Ludwig, DNotZ 2009, 251 (254); Röthel/Woitge, IPRax 2010, 494 (497); Hausmann, in: Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rn. 5471. 177 Röthel/Woitge, IPRax 2010, 494 (497). 178 Röthel/Woitge, IPRax 2010, 494 (497). 179 Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 117. 173
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Kapitel 2: Die Patientenverfügung mit Auslandsberührung
vanz sein, ob das Heimatrecht oder das Aufenthaltsrecht berufen wird. 180 Unabhängig davon, welches Recht zur Anwendung berufen wird, empfiehlt sich auch für das autonome Kollisionsrecht eine unwandelbare Anknüpfung im Zeitpunkt der Errichtung der Vorsorgevollmacht: Insofern überwiegt das Bedürfnis des Vollmachtgebers nach Planungssicherheit die Interessen des Rechtsverkehrs.181 Zum Schutz des Rechtsverkehrs wäre aber zu überlegen, nach Vorbild des Art. 15 Abs. 3 ESÜ Fragen der Ausübung der Vorsorgevollmacht dem Recht des Ausübungsstaates zu unterstellen. Für das Vollmachtsstatut wird im deutschen Internationalen Privatrecht überwiegend die Wählbarkeit des anwendbaren Rechts befürwortet. 182 Bedenken ergeben sich insbesondere im Hinblick auf die Interessen späterer Vertragspartner, weil der Vollmachtgeber durch die Rechtswahl einseitig auch solche Festlegungen treffen kann, von denen die Vertragspartner überrascht werden (können). 183 Die wohl h.M. lässt eine Rechtswahl deswegen nur zu, wenn sie dem Dritten erkennbar ist und ihm rechtzeitig vor Abschluss des Rechtsgeschäfts zur Kenntnis gebracht wird, etwa durch ausdrücklichen Vermerk in der Vollmachtsurkunde. 184 Für die Vorsorgevollmacht sollten diese Grundsätze übernommen werden und eine Rechtswahl des Vollmachtgebers zugelassen werden, weil sie der Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts des Erwachsenen auch kollisionsrechtlich Ausdruck verleiht.185 Das Erfordernis einer Rechtswahlvereinbarung ist demgegenüber als unpraktikabel abzulehnen. Gesondert anzuknüpfen sind die Form und die Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers im Zeitpunkt der Erteilung der Vorsorgevollmacht. Über die Form entscheidet gemäß Art. 11 Abs. 1 EGBGB alternativ das Vollmachtsstatut oder das Recht des Ortes, an dem die Vollmacht erteilt worden ist, wobei Letzteres aber voraussetzt, dass die Vorsorgevollmacht am Erteilungsort überhaupt bekannt ist. 186 Über die Geschäftsfähigkeit ent180
Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 117. Röthel/Woitge, IPRax 2010, 494 (498). 182 Rabel, RabelsZ 3 (1929), 807 (835); Hausmann, in: Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rn. 5445; MünchKommBGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 91 f.; Röthel/Woitge, IPRax 2010, 494 (498); Ga. Müller, in: dies./Renner, Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen, Rn. 906. 183 Guttenberger, Haager ESÜ, S. 38. 184 Hausmann, in: Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rn. 5446 f.; MünchKommBGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 91 f.; Palandt/Thorn, Anh zu Art. 10 EGBGB Rn. 1; Kropholler, IPR, § 41 I. 2.e). 185 Guttenberger, Haager ESÜ, S. 38; Röthel/Woitge, IPRax 2010, 494 (498); Ludwig, DNotZ 2009, 251 (255); skeptisch: Ga. Müller, in: dies./Renner, Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen, Rn. 906. 186 Röthel/Woitge, IPRax 2010, 494 (499); Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 20 Rn. 9; Ga. Müller, in: dies./Renner, Betreuungsrecht und 181
§ 1 Bestandsaufnahme: Internationalisierung und Europäisierung
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scheidet gemäß Art. 7 Abs. 1 S. 1 EGBGB das Heimatrecht des Vollmachtgebers: Eine wirksame Vorsorgevollmacht kann also nur errichten, wer im Errichtungszeitpunkt nach seinem Heimatrecht unbeschränkt geschäftsfähig ist.187 Nach dem nach Art. 24 EGBGB anwendbaren Recht bestimmt sich, ob die wirksame Vorsorgevollmacht Maßnahmen hoheitlichen Erwachsenenschutzes entbehrlich macht. 188 Das Betreuungsstatut, wegen Art. 24 Abs. 3 EGBGB konkret die lex fori, entscheidet auch darüber, in welchen Fällen der Bevollmächtigte einer gerichtlichen Genehmigung bedarf. Wird die Bevollmächtigung in Deutschland ausgeübt, sind folglich immer die Genehmigungspflichten nach §§ 1904 Abs. 5 S. 1, 1906 Abs. 5 S. 2 BGB zu beachten, was insbesondere für mit einer Patientenverfügung kombinierte Vorsorgevollmachten von Relevanz ist. C. Internationalisierung und Europäisierung der medizinischen Behandlung Neben der ersten Referenzmaterie der Patientenverfügung, dem Erwachsenenschutz, unterliegt auch die zweite Referenzmaterie der Patientenverfügung, die medizinische Behandlung, einem Internationalisierungsprozess. Tatsächlichen Veränderungen (I.) folgten Veränderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen auf Gemeinschaftsebene durch die Ausarbeitung der Verordnungen Rom I und Rom II (II.1.) und der Patientenmobilitätsrichtlinie (II.2.). I. Tatsächliche Veränderungen In einer zusammenwachsenden Welt werden ärztliche Dienste auch außerhalb des Heimatlandes in Anspruch genommen. Die zunehmende berufliche Freizügigkeit und die verstärkte Pensions- und Urlaubsmobilität bedingt zuvorderst einen stetigen Anstieg der Fallzahlen der unfreiwilligen Inanspruchnahme auswärtiger ärztlicher Leistungen – zu denken ist insbesondere an die sich in der Urlaubssaison in großer Anzahl ereignenden Ski- und Badeunfälle, bei denen eine Behandlung meist unaufschiebbar
Vorsorgeverfügungen, Rn. 905; Ludwig, DNotZ 2009, 251 (257); Guttenberger, Haager ESÜ, S. 39; Heggen, ZNotP 2008, 184 (193). 187 Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 20 Rn. 10; Röthel/ Woitge, IPRax 2010, 494 (499); allgemein für Vollmachten: Hausmann, in: Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rn. 5492. 188 Röthel/Woitge, IPRax 2010, 494 (499); Ludwig, DNotZ 2009, 251 (257); Ga. Müller, in: dies./Renner, Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen, Rn. 907; a.A. aber offenbar Guttenberger, Haager ESÜ, S. 39 f., der diese Frage dem Vorsorgevollmachtsstatut unterstellt.
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Kapitel 2: Die Patientenverfügung mit Auslandsberührung
oder eine Rückbeförderung ins Heimatland zu kostspielig ist. 189 Demgegenüber ist die Zahl derer, die nicht notfallbedingte ärztliche Hilfe im Ausland in Anspruch nehmen, bislang noch vergleichsweise gering: Patienten präferieren derzeit offenbar noch eine wohnortnahe Behandlung in der gewohnten Atmosphäre und dem gewohnten Sprachraum – Schönheitsoperationen, Zahnbehandlungen und orthopädische Eingriffe bilden hier eine Ausnahme.190 Für die nächsten Jahre ist aber wegen der zunehmenden Ressourcenknappheit in den staatlichen Gesundheitssystemen, der günstigeren Preise insbesondere in den osteuropäischen Mitgliedstaaten und dem durch das Internet verbesserten Informationsstand damit zu rechnen, dass sich immer mehr deutsche Patienten bewusst für eine medizinische Behandlung im Ausland entscheiden. 191 Umgekehrt suchen schon heute insbesondere vermögende Patienten aus arabischen Staaten und aus Russland deutsche Kliniken und Kuranstalten auf, um sich hierzulande meist komplizierten Operationen zu unterziehen. Nicht nur Krankenhäuser, sondern auch moderne Begriffsbildungen – „Medizintourismus“192 und „mobiler Patient“193 – tragen diesen Entwicklungen Rechnung. Schließlich gewinnen auch telemedizinische Eingriffe unter Beteiligung von Ärzteteams, die sich während der medizinischen Maßnahme in unterschiedlichen Ländern aufhalten, stetig an Bedeutung.194 Dass im Nachgang zu grenzüberschreitender medizinischer Versorgung nur allzu oft Streit über die Kostenübernahme durch die Sozialversicherungsträger des Versicherungsmitgliedstaates entbrannt, belegen die EuGH-Judikate in Sachen Decker, Kohll, GeraetsSmits/Peerbooms, Vanbraekel, Watts und Stamatelaki.195
189
Deutsch, VersR 2009, 1. Neumayr, in: FS für Koziol, S. 313. 191 Deutsch, VersR 2009, 1 f.; ders., in: FS für Ferid, S. 117 (118); Spickhoff, in: FS für Ge. Müller, S. 287; für Österreich: Neumayr, in: FS für Koziol, S. 313. Auch die Europäische Kommission rechnet mit einem Anstieg der Anzahl der cross-bordertreatments im Laufe der nächsten Jahre, siehe Commission Staff Working Document, Accompanying document to the Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council on the application of Patient’s Rights in Cross-Border Healthcare, SEC(2008) 2164. 192 Siehe etwa: Deutsch, VersR 2009, 1. 193 Neumayr, in: FS für Koziol, S. 313 ff. 194 Zum rechtlichen Rahmen: Schädlich, Grenzüberschreitende Telemedizin-Anwendungen. 195 EuGH v. 28.4.1998 – Rs. C-120/95, Slg. 1998, I-01831 – Decker; EuGH v. 28.4.1998 – Rs. C158/96, Slg. 1998, I-01931 – Kohll; EuGH v. 12.7.2001 – Rs. C157/99, Slg. 2001, I-5473 – Geraets-Smits/Peerbooms; EuGH v. 12.7.2001 – Rs. C368/98, Slg. 2001, I-5363 – Vanbraekel; EuGH v. 16.5.2006 – Rs. C-372/04, Slg. 2006, I-04325 – Watts; EuGH v. 19.4.2007 – Rs. C-444/05, Slg. 2007, I-3185 – Stametalaki. 190
§ 1 Bestandsaufnahme: Internationalisierung und Europäisierung
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II. Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen Die Europäische Kommission hat auf die Zunahme grenzüberschreitender medizinischer Behandlungen und auf die EuGH-Judikate in den Rechtssachen Decker und Kohll mittlerweile reagiert und die Europäisierung der medizinischen Behandlung in der jüngeren Vergangenheit vorangetrieben. 1. Rom I-VO und Rom II-VO Europäische Kollisionsrechtsvereinheitlichung wird seit dem Jahr 2009 durch die Rom I-VO und die Rom II-VO erreicht. a) Rom I-VO Die Rom I-VO über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 17.6.2008 196 ist für Verträge einschlägig, die nach dem 17.12.2009 geschlossen wurden (Art. 28).197 Über das Merkmal Dienstleistungsverträge (Art. 4 Abs. 1 lit. b) werden auch Behandlungsverträge von der Rom I-VO erfasst und unterliegen vorbehaltlich einer offensichtlich engeren Verbindung (Art. 4 Abs. 3) grundsätzlich dem Recht des Staates, in dem der Dienstleister seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 4 Abs. 1 lit. b). Für die Zwecke der Rom I-VO ist dies der Ort der Hauptniederlassung (Art. 19 Abs. 1). In Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtslage ist also das Recht am Praxisort des Arztes berufen.198 Bei Krankenhausverträgen ist das Recht des Ortes der Niederlassung des Krankenhausträgers zur Anwendung berufen.199 Der Arzt- oder Krankenhausvertrag ist in der Regel Verbrauchervertrag i.S. des Art. 6, weil Vertragsgegenstand die Erbringung einer Dienstleistung ist, die nicht zur beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit des Patienten gehört, und der Arzt als Unternehmer tätig wird. 200 Gemäß Art. 6 Abs. 1 unterliegt der 196
Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), ABl. EU 2008 Nr. L 177, S. 6. 197 Zuvor war das auf Schuldverträge anzuwendende Recht in den Art. 27–37 EGBGB geregelt. Danach galt grundsätzlich das Prinzip der Parteiautonomie, d.h. die Vertrag sparteien konnten das für ihre Vertragsbeziehung maßgebliche Recht zunächst selbst wä hlen. Machten die Parteien von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch, so war das auf den Vertrag anzuwendende Recht regelmäßig nach Art. 28 EGBGB durch objektive Anknüpfung zu bestimmen. 198 Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 235 m.w.N. in Fn. 817. 199 Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 235 f. m.w.N. in Fn. 822, 823. 200 Spickhoff, in: FS für Ge. Müller, S. 287 (298). Insbesondere über die Verbrauchereigenschaft des Patienten lässt sich trefflich streiten. So ließe sich argumentieren, dass
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Verbrauchervertrag dem Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern der Unternehmer seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit in diesem Staat ausübt, oder eine solche Tätigkeit auf irgend einer Weise auf diesen Staat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Staates, ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt. Bei Art. 4 verbleibt es aber, wenn die dem Verbraucher geschuldeten Dienstleistungen ausschließlich in einem anderen als dem Staat erbracht werden müssen, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 6 Abs. 4 lit. a). Diese Voraussetzungen sind bei medizinischen Heilbehandlungen oftmals erfüllt – zu denken ist etwa an Operationen im Ausland.201 Nach Art. 3 Abs. 1 unterliegt der Behandlungsvertrag zwischen Klinik/Arzt und Patient dem einvernehmlich gewählten Recht, falls eine entsprechende Rechtswahl entweder individualvertraglich oder in vorformulierten Vertragsbedingungen erfolgt ist. Tatsächlich dürfte eine ausdrückliche Rechtswahl bei Abschluss eines einfachen Behandlungsvertrages aber selten getroffen werden, weil die aus dem Krankheitszustand und der Behandlungssituation resultierenden physischen und psychischen Belastungen auf Patientenseite regelmäßig keinen Raum für rechtliche Überlegungen lassen.202 Insbesondere akute Notsituationen werden den Abschluss eines schriftlichen Behandlungsvertrages nur selten erlauben. 203 Häufiger wird von der Möglichkeit der Rechtswahl aber bei längeren Krankenhausnicht der Patient, sondern der Arzt die schwächere Partei ist, weil er die berufstypische Leistung erbringt und existenziell stärker betroffen ist (allgemein: Kropholler,RabelsZ 42 [1978], 634 [639]; für das Arzt-Patienten-Verhältnis: Könning-Feil, Internat. Arzthaftungsrecht, S. 184). Die besseren Argumente sprechen aber dafür, den Patienten als die schwächere Partei anzusehen. Seine besondere Schutzbedürftigkeit ergibt sich daraus, dass der Patient – jedenfalls bei medizinisch notwendigen Behandlungen – nicht nur körperlich schwach, sondern auch dringend und zwingend auf ärztliche Hilfe angewiesen ist, weil er sich mangels medizinischer Sachkenntnis nicht selbst helfen kann. Wegen seiner Wissens- und Erfahrungsdefizite wird er die medizinische Leistung weder in allen Details nachvollziehen geschweige denn vollumfänglich beurteilen können. Der Patient ist daher gezwungen, dem behandelnden Arzt einen Vertrauensvorschuss zu gewähren, ohne zu wissen, ob der Arzt diesem gerecht werden wird. Zum Vorstehenden: Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 101 ff.; zu Ausnahmekonstellationen, insbesondere Fällen, in denen es um eine Behandlung im Rahmen kosmetischer Operationen geht und die kosmetische Operation dem beruflichen For tkommen des Patienten dient: Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 110 ff. 201 Spickhoff, in: FS für Ge. Müller, S. 287 (298). 202 Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 68; Könning-Feil, Internat. Arzthaftungsrecht, S. 194; Spickhoff, in: FS für Ge. Müller, S. 287 (297); Stumpf, MedR 1998, 546 (547). 203 Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 68.
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aufenthalten Gebrauch gemacht werden. 204 Neben dem ausdrücklichen Abschluss eines Rechtswahlvertrages kann eine Rechtswahl auch stillschweigend erfolgen. Sie muss sich dann eindeutig aus den Bestimmungen des Vertrags oder aus den Umständen des Falles ergeben (Art. 3 Abs. 1 S. 1). Die Rechtswahl ist auch gegenüber einem Verbraucher im Grundsatz wirksam (Art. 6 Abs. 2 S. 1). Einschränkungen erfährt eine Rechtswahl, die dazu führt, dass dem Verbraucher der Schutz entzogen wird, der ihm durch diejenigen Bestimmungen gewährt wird, von denen nach dem Recht, das nach Art. 6 Abs. 1 mangels einer Rechtswahl anzuwenden wäre, nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf (Art. 6 Abs. 2 S. 2). Der Umfang der vertraglichen Anknüpfung ergibt sich aus Art. 12, der zusammen mit Art. 10 das Prinzip der einheitlichen Anknüpfung von Voraussetzungen und Wirkungen eines Rechtsgeschäfts verwirklicht. 205 Vom Vertragsstatut erfasst sind gemäß der nicht abschließenden Aufzählung des Art. 12 die Auslegung, die Erfüllung, Fragen der Leistungsstörungen, das Erlöschen der vertraglichen Verpflichtungen und die Nichtigkeit. Das Vertragsstatut erfasst mithin auch die Frage, welche Verpflichtungen durch den Vertrag begründet werden, also an wen, was, wann und wo zu leisten ist.206 Übertragen auf den Behandlungsvertrag bedeutet dies, dass das Vertragsstatut darüber bestimmt, welche Vertragspflichten zwischen Patient und Klinik bzw. Arzt bestehen. 207 Wenngleich die Einwilligung des Patienten von der vertraglichen Grundlage der medizinischen Behandlung grundsätzlich zu unterscheiden ist, soll auch sie dem objektiv oder subjektiv zu ermittelnden Vertragsstatut unterfallen, weil sie mit dem Vertragsstatut so eng verbunden ist, dass eine Sonderanknüpfung nicht zu rechtfertigen wäre.208 b) Rom II-VO Auch das Kollisionsrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse ist inzwischen europäisiert. Seit dem 11.1.2009 bestimmt die Rom II-VO209 das Recht, das die Gerichte der EU mit Ausnahme Dänemarks auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwenden haben. 204
Deutsch, VersR 2009, 1 (2); Stumpf, MedR 1998, 546 (547). MünchKommBGB/Spellenberg, Art. 12 Rom I-VO Rn. 3. 206 MünchKommBGB/Spellenberg, Art. 12 Rom I-VO Rn. 50; Staudinger/Magnus, Art. 12 Rom I-VO Rn. 34. 207 Zu Art. 32 EGBGB a.F.: Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 165. 208 Neumayr, in: FS für Koziol, S. 313 (318); Könning-Feil, Internat. Arzthaftungsrecht, S. 297; Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 166. 209 Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II), ABl. EU 2007 Nr. L 199, S. 40. 205
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Kapitel 2: Die Patientenverfügung mit Auslandsberührung
aa) Internationales Privatrecht der Geschäftsführung ohne Auftrag Weil in Nothilfesituationen oftmals allein aufgrund der gesundheitlichen Verfassung des Patienten ein wirksamer Vertragsschluss nicht möglich ist, ist in Behandlungsfällen mit Auslandsbezug auch an das Internationale Privatrecht der Geschäftsführung ohne Auftrag zu denken. 210 Das Kollisionsrecht der Geschäftsführung ohne Auftrag war im medizinrechtlichen Zusammenhang bislang noch nicht Gegenstand deutscher Gerichtsentscheidungen.211 Allerdings hatte das LG Görlitz in einem Fall zu entscheiden, in dem es bereits an der Bereitschaft zur Übernahme der Geschäftsführung fehlte: Das LG verurteilte einen Notarzt, der es im Rettungsdienst abgelehnt hatte, die Grenze nach Polen zu passieren, nicht wegen unterlassener Hilfeleistung, weil es sich insoweit um eine hoheitliche Tätigkeit gehandelt habe, die der völkerrechtlichen Regelung bedürfe.212 Wie im Rahmen des Deliktsstatuts haben die Parteien bei der Geschäftsführung ohne Auftrag die Möglichkeit, das anwendbare Recht durch Rechtswahlvereinbarung frei zu bestimmen. Dies ergibt sich aus einer berichtigenden Auslegung des Art. 14, in dem der Begriff „schadensbegründendes Ereignis“ begegnet, was eigentlich nur für deliktische Ansprüche passt.213 Ausgeübt werden kann die Rechtswahl nach Wiedererlangung des Bewusstseins bzw. der Geschäftsfähigkeit. 214 Mangels Rechtswahl ist vorrangig an ein zwischen den Parteien bestehendes Schuldverhältnis anzuknüpfen, das eine enge Verbindung mit der Geschäftsführung ohne Auftrag aufweist (Art. 11 Abs. 1). Diese Anknüpfung wird bei medizinischen Behandlungen aber aus den eingangs genannten Gründen nicht relevant werden.215 Hilfsweise gilt das Recht des Staates, in dem die Parteien zum Zeitpunkt des schadensbegründenden Ereignisses ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten (Art. 11 Abs. 2). Ansonsten ist das Recht des Staates anzuwenden, in dem die Geschäftsführung erfolgt ist (Art. 11 Abs. 3), was regelmäßig dem Recht am Behandlungsort entspricht. 216 bb) Internationales Deliktsrecht Regelungsgegenstand der Rom II-VO ist außerdem das Internationale Deliktsrecht. Auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter 210 Wagner, Einflüsse Dienstleistungsfreiheit, S. 230; Spickhoff, in: FS für Ge. Müller, S. 287 (299). 211 Spickhoff, in: FS für Ge. Müller, S. 287 (299). 212 LG Görlitz MedR 2005, 172; Spickhoff, in: FS für Ge. Müller, S. 287 (299). 213 G. Wagner, IPRax 2008, 1 (14); im Ergebnis ebenso: Neumayr, in: FS für Koziol, S. 313 (320). 214 Spickhoff, in: FS für Ge. Müller, S. 287 (300). 215 Spickhoff, in: FS für Ge. Müller, S. 287 (300). 216 Neumayr, in: FS für Koziol, S. 313 (320).
§ 1 Bestandsaufnahme: Internationalisierung und Europäisierung
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Handlung ist abweichend von dem vorher im deutschen Internationalen Deliktsrecht verwirklichten Ubiquitätsprinzip 217 das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind (Art. 4 Abs. 1). Unter Schadensort ist der Erfolgsort zu verstehen.218 Bei Vorliegen eines Behandlungsfehlers ist Schadensort dasjenige Land, in dem die ärztliche Fehlbehandlung in eine Gesundheitsschädigung, eine Körperverletzung oder in den Tod des Patienten umschlägt; im Falle des Unterlassens ist Schadensort das Land, in dem das Rechtsgut verletzt worden ist, zu dessen Schutz eine Pflicht zur Erfolgsabwendung bestand.219 Ist Anknüpfungspunkt für die ärztliche Fehlleistung die mangelhafte Patientenaufklärung, ließe sich vertreten, dass der Schaden nicht in der gesundheitlichen Beeinträchtigung, sondern in der Verletzung des Patientenselbstbestimmungsrechts, also in einer Persönlichkeitsverletzung, liegt.220 Mit der Frage, ob eine solche Einordnung des Haftungsgrundes der unzureichenden Aufklärung des Patienten als Persönlichkeitsrechtsverletzung kollisionsrechtlich Auswirkungen hat, hat der BGH221 sich im Jahr 2008 in einem Fall auseinandergesetzt, in dem es um das Distanzdelikt der unzureichenden Aufklärung über Nebenwirkungen eines ärztlicherseits empfohlenen Medikaments in der Schweiz und der nachfolgend absprachegemäßen Medikamenteneinnahme in Deutschland ging.222 Nach Auffassung des BGH ist eine unzulässige Aufklärung des Patienten eine Gesundheitsverletzung, nicht aber ein Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Der „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ i.S. des Art. 5 Nr. 3 LugÜ sei der Wohnort des Klägers als der Erfolgsort, weil das Medikament dort erstmals eingenommen worden sei und dort erstmals Nebenwirkungen eingetreten seien. Sieht man dies anders, ergeben sich Probleme aus Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II-VO. Danach sind außervertragliche Schuldverhältnisse aus der Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte, einschließlich der Verleumdung, vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen. Diese Regelung geht auf Diskussionen und Kritik vornehmlich von Presse- und Medienun-
217
Art. 40 Abs. 1 EGBGB; dazu etwa: Kropholler, IPR, § 53 IV 2. Erwägungsgrund Nr. 17; v. Hein, ZEuP 2009, 6 (16 m.w.N.); Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 241. 219 Könning-Feil, Internat. Arzthaftungsrecht, S. 260 f.; Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 247. 220 OLG Jena VersR 1998, 586; Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 248 f. 221 BGHZ 176, 342. 222 Spickhoff, in: FS für Ge. Müller, S. 287 (301). 218
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Kapitel 2: Die Patientenverfügung mit Auslandsberührung
ternehmen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zurück. 223 Solange eine nachträgliche Einbeziehung der Persönlichkeitsrechtsverletzungen in den Anwendungsbereich der Rom II-VO (Art. 30 Abs. 2) nicht erfolgt ist, ist der Persönlichkeitsschutz also auch weiterhin im Wesentlichen vom autonomen Internationalen Privatrecht als Teil des Internationalen Deliktsrechts erfasst. Übertragen auf die medizinische Behandlung bedeutete eine Anwendung des Art. 1 Abs. 2 lit. g, dass die Rom II-VO zwar auf Behandlungsfehler, nicht aber auf den Haftungsgrund der unzureichenden Aufklärung Anwendung fände – dieses Ergebnis überzeugt nicht, weil es mit dem effet utile unvereinbar wäre und die Rom II-VO ohnehin nach ihrem eigenen Zweck autonom auszulegen ist. 224 Abweichungen vom Erfolgsort sind denkbar bei nachträglicher Rechtswahl (Art. 14) oder bei Anknüpfung an einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt zur Zeit des Haftungsfalles (Art. 4 Abs. 2). Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, die Regelanknüpfungen des Art. 4 Abs. 1 und 2 aufgrund einer bestehenden offensichtlich engeren Verbindung mit dem Recht eines anderen Staates zu durchbrechen, etwa bei einem bereits bestehenden Rechtsverhältnis zwischen den Parteien, wie einem Vertrag (Art. 4 Abs. 3).225 Sinn und Zweck der vertragsakzessorischen Anknüpfung ist es, Rechtsfragen, die zunächst voneinander abweichend qualifiziert werden, einem einheitlichen Recht zu unterwerfen. 226 Vom Geltungsbereich des Deliktsstatuts werden im deutschen Internationalen Deliktsrecht auch die Rechtswidrigkeit und die Rechtfertigungsgründe umfasst.227 Für die Rom II-VO wird zwar eine Sonderanknüpfung von Rechtfertigungsgründen, nicht aber eine Sonderanknüpfung der Einwilligung vertreten, weil sich das Vorliegen einer Einwilligung nicht abstrakt, sondern nur für eine bestimmte Handlung feststellen lässt und daher 223
Rauscher/Unberath/Cziupka, Art. 1 Rom II-VO Rn. 44 ff.; MünchKommBGB/ Junker, Vor Art. 1 Rom II-VO Rn. 12, 15, 17; Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 15. 224 Spickhoff, in: FS für Ge. Müller, S. 287 (301). 225 Siehe auch Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 241 f. 226 Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 253 f. 227 Auch in der Vergangenheit wurde aber eine Sonderanknüpfung für im Familie nrecht begründete Rechtfertigungsgründe anerkannt. Zur Anknüpfung von Rechtfert igungsgründen: BGHZ 14, 286 (291 f.); MünchKommBGB/Junker, Art. 40 EGBGB Rn. 100; Staudinger/v. Hoffmann, Vorbem. zu Art. 40 EGBGB Rn. 2; Soergel/Lüderitz, 12. Aufl., Art. 38 EGBGB Rn. 94; Brandt, Sonderanknüpfung im Internat. DeliktsR, S. 23, 30; Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 85; Könning-Feil, Internat. Arzthaftungsrecht, S. 297. Eine noch weitergehende Ausklammerung der Rechtfertigungsgründe aus dem Deliktsstatut schlägt vor: Böhmer, Rechtfertigungsgründe bei den unerlaubten Handlungen im deutschen IPR, S. 18 ff.
§ 1 Bestandsaufnahme: Internationalisierung und Europäisierung
163
nicht unabhängig vom konkreten, der Hauptfrage zugrunde liegenden Sachverhalt beurteilt werden kann (Teilfrage). 228 Die danach maßgebliche Anknüpfung an den Erfolgsort der deliktischen Handlung 229 überzeugt für die aktuell erklärte Einwilligung, weil sie im Gegensatz zu einer personalen Anknüpfung eine einseitige Bevorzugung des Betroffenen und ein Auseinanderfallen von aufeinander abgestimmten Haftungsregimen vermeidet.230 cc) Allgemeine Vorschriften Eine besondere Problematik insbesondere des Internationalen Deliktsrechts ist die kollisionsrechtliche Behandlung von Sicherheits- und Verhaltensregeln.231 Im Internationalen Arzt(haftungs)recht bewirkt das zunehmende Tätigwerden ausländischer Ärzte einen Bedeutungszuwachs dieser Vorschriften.232 Gemäß Art. 17 Rom II-VO sind für alle außervertraglichen Schuldverhältnisse bei der Beurteilung des Verhaltens der Person, deren Haftung geltend gemacht wird, faktisch und soweit angemessen die Sicherheits- und Verhaltensregeln zu berücksichtigen, die an dem Ort und in dem Zeitpunkt des haftungsbegründenden Ereignisses in Kraft sind. Dieser Regelungsgehalt entspricht allgemein anerkannter Praxis im Internationalen Privatrecht.233 Im Kontext einer medizinischen Behandlung gelten vorbehaltlich einer Rechtswahl die Sicherheitsregeln am Sitz des behandelnden Arztes bzw. Krankenhauses bzw. das Tatortrecht. 234 Ein Patient, der sich für eine medizinische Behandlung ins Ausland begibt, muss sich also auf die dortigen Sicherheits- und Verhaltensregeln und ein im Inland tätiger ausländischer Arzt auf die inländischen Sicherheits- und Verhaltensregeln einstellen.235 Sicherheits- und Verhaltensregeln sind regelmäßig ver228
Bernitt, Anknüpfung von Vorfragen im europ. Kollisionsrecht, S. 163 f., die zu Recht darauf hinweist, dass auch die Kommission davon ausgegangen ist, dass die allg emeinen Rechtfertigungsgründe gemäß Art. 15 lit. b Rom II-VO in den Anwendungsbereich des nach der Verordnung bestimmten Deliktsstatuts fallen (KOM[2003] 427 endg., S. 26). 229 Ob der Patient einwilligungsfähig ist, bestimmt sich nach bestrittener Auffassung aber nach Art. 7 EGBGB. So: Nitzinger, Betreuungsrecht im IPR, S. 77; Könning-Feil, Internat. Arzthaftungsrecht, S. 297; für Anknüpfung an das Deliktsstatut: Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 100 ff.; Spickhoff, in: FS für Deutsch, S. 907 (919); ausführlich dazu unter Kapitel 2 § 2 C. III. 1. b) bb). 230 Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 83 ff., 101. 231 Könning-Feil, Internat. Arzthaftungsrecht, S. 300. 232 Spickhoff, in: FS für Ge. Müller, S. 287 (302). 233 Spickhoff, in: FS für Ge. Müller, S. 287 (302). 234 Spickhoff, in: FS für Ge. Müller, S. 287 (302). 235 Spickhoff, in: FS für Ge. Müller, S. 287 (302) mit weitergehenden Ausführungen zu Ausnahmen und telemedizinischen Behandlungen.
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Kapitel 2: Die Patientenverfügung mit Auslandsberührung
haltensleitende Normen, unabhängig davon, ob sie ein Verhalten vorschreiben, erlauben oder verbieten. 236 2. Richtlinie über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung Die Europäische Kommission hat am 2.7.2008 einen Richtlinienentwurf über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung237 vorgelegt. Ein Jahr zuvor waren das Gesundheitswesen (Erwägungsgrund Nr. 22) und Gesundheitsdienstleistungen (Art. 2 Abs. 2 f) noch vom Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie 238 (entgegen der Ursprungsversion) herausgenommen worden. 239 Das Europäische Parlament hat zu dem Richtlinienentwurf der Kommission am 23.4.2009 in erster Lesung Stellung genommen und zahlreiche Veränderungen vorgeschlagen.240 Mittlerweile hat das Europäische Parlament in zweiter Lesung über einen konsolidierten Text abgestimmt, zu dem die Kommission eine befürwortende Stellungnahme abgegeben hat. 241 Die Richtlinie242 ist am 24.4.2011 in Kraft getreten. Die Richtlinie gliedert sich in die Bereiche Allgemeine Bestimmungen (I.), Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten in Bezug auf die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung (II.), Erstattung von Kosten für grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung (III.), Zusammenarbeit bei der Ge236
Rauscher/Jakob/Picht, Art. 17 Rom II-VO Rn. 4. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung v. 2.7.2008, KOM(2008) 414 endg.; dazu etwa Krajewski, EuR 2010, 165 ff.; Neumayr, in: FS für Koziol, S. 313 (327); Schulte Westenberg, NZS 2009, 135 ff. 238 Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. EU 2006 Nr. L 376, S. 36. 239 Ausführlich: Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 53 ff.; Schulte Westenberg, NZS 2009, 135 (136). 240 Europäisches Parlament, Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, P6_TA(2009)0286, abrufbar unter: . 241 Stellungnahme der Kommission gemäß Artikel 294 Abs. 7 Buchstabe c des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union zu den Abänderungen des Europä ischen Parlaments am Standpunkt des Rates in erster Lesung zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung v. 24.2.2011, KOM(2011) 90 endg. 242 Richtlinie 2011/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 9.3.2011 über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesun dheitsversorgung, ABl. EU 2011 Nr. L 88, S. 45. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die Richtlinie bis zum 25.10.2013 umzusetzen (Art. 21). 237
§ 1 Bestandsaufnahme: Internationalisierung und Europäisierung
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sundheitsversorgung (IV.) und Durchführungs- und Schlussbestimmungen (V.). Ziel der Richtlinie ist nach Erwägungsgrund 64 die Aufstellung von Regeln zur Erleichterung des Zugangs zu einer sicheren und hochwertigen grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung in der Union. Weil die Richtlinie auf Art. 114 AEUV beruht, zielt sie neben der Sicherstellung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus (Art. 168 AEUV) auf das Funktionieren des Binnenmarktes.243 Die Richtlinie soll für diejenigen Patienten gelten, die sich dafür entscheiden, die Gesundheitsversorgung in einem anderen als ihrem Versicherungsmitgliedstaat in Anspruch zu nehmen (Erwägungsgrund 11). Als Gesundheitsversorgung definiert die Richtlinie Gesundheitsdienstleistungen, die von Angehörigen der Gesundheitsberufe gegenüber Patienten erbracht werden, um deren Gesundheitszustand zu beurteilen, zu erhalten oder wiederherzustellen, einschließlich der Verschreibung, Abgabe und Bereitstellung von Arzneimitteln und Medizinprodukten (Art. 3a). Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung wird definiert als die Gesundheitsversorgung, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Versicherungsmitgliedstaat erbracht oder verschrieben wird (Art. 3e). Vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen sind Dienstleistungen im Bereich der Lanzeitpflege, deren primäres Ziel darin besteht, Personen zu unterstützen, die auf Hilfe bei routinemäßigen alltäglichen Verrichtungen angewiesen sind und die als notwendig erachtet werden, um dem Pflegebedürftigen ein möglichst erfülltes und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen (Art. 1 Abs. 3 lit. a, Erwägungsgrund Nr. 14). Daneben legt die Richtlinie die Zuständigkeiten des Behandlungsmitgliedstaates fest und konkretisiert den Verantwortungsbereich des Behandlungsmitgliedstaates, etwa die Pflicht zur Einrichtung nationaler Kontaktstellen, die Etablierung transparenter Beschwerdeverfahren und schriftlicher oder elektronischer Patientenakten sowie die Etablierung einer einheitlichen Gebührenordnung für ausländische und inländische Patienten und die Pflicht zum Schutz der Privatsphäre der Patienten bei der Verarbeitung personenbezogener Daten (Art. 4). Geregelt werden außerdem die Zuständigkeiten des Versicherungsmitgliedstaates, insbesondere die Erstattung der aus der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung entstehenden Kosten, die Gewährleistung von Nachbehandlungen im Versicherungsmitgliedstaat und die Gewährleistung des Zugriffs auf die Patientenakte (Art. 5). Die Umsetzung der Richtlinie führt aber weder zu einem vereinheitlichten Arzthaftungsrecht in der Europäischen Union noch enthält die Richtlinie Kollisionsnormen zugunsten des Rechts des Mitgliedstaates des Patienten oder
243
Krajewski, EuR 2010, 165 (185).
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Kapitel 2: Die Patientenverfügung mit Auslandsberührung
des Arztes244, denn ausweislich Art. 2q lässt die Richtlinie die Vorschriften der Verordnungen Rom I und Rom II unberührt. D. Fazit zu § 1 In den vergangenen Jahrzehnten ist die Mobilität der Menschen weltweit gestiegen. Infolgedessen sind auch die europäischen Gesellschaften bunter geworden und enger zusammengerückt. Wie zum Leben eines jeden Menschen gehören auch zum Leben derjenigen Menschen, die außerhalb ihres Heimatstaates leben, Krankheit und Alter. Gerade für diese Situationen der Hilfsbedürftigkeit erwarten die Menschen bewusst oder unbewusst, dass das Recht verlässliche Regelungen bereithält. In den letzten Jahren wurde diesen Erwartungen sowohl auf internationaler als auch auf europäischer Ebene Rechnung getragen. Seit Inkrafttreten des Haager ESÜ bestehen für Fürsorgefälle und Vorsorgevollmachten mit grenzüberschreitendem Bezug verlässliche Kollisionsregeln, die eine erhebliche Erleichterung für den Betroffenen und den Rechtsverkehr bedeuten. Die Vereinheitlichung des Kollisionsrechts für vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse durch die Verordnungen Rom I und Rom II hat dazu geführt, dass auch für medizinische Behandlungssituationen mit Auslandsberührung EU-weit einheitliche Kollisionsregeln bestehen. Für die Zukunft ist – auch infolge des Inkrafttretens der Richtlinie über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung – mit einem Zuwachs an grenzüberschreitenden Behandlungsfällen zu rechnen. Wegen der ständig steigenden Bedeutung von Patientenverfügungen in den europäischen Rechtsordnungen ist außerdem damit zu rechnen, dass auch Patientenverfügungen vermehrt im Ausland vorgelegt werden. Die vorangehende Untersuchung hat gezeigt, dass für grenzüberschreitende Patientenverfügungen bislang noch keine staatsvertragliche Kollisionsnorm geschaffen wurde. Auch gab es bislang noch keine internationalen Bemühungen zur Vereinheitlichung des Kollisionsrechts der Patientenverfügung. In den Beratungen zum ESÜ wurde zu keinem Zeitpunkt über das Kollisionsrecht der Patientenverfügung diskutiert. Dies steht in gewissem Widerspruch zu dem Bedürfnis der Betroffenen und des Rechtsverkehrs, insbesondere der Rechtsberatung und der behandelnden Ärzte, nach Rechtssicherheit. Die Betroffenen möchten und müssen, gerade weil sie im Zustand der Einsichts- und Urteilsunfähigkeit nicht mehr auf nicht gewollte Rechtsfolgen reagieren können, bereits im Zeitpunkt der Errichtung ihrer Patientenverfügung sichergestellt wissen, dass diese im Rahmen einer medizinischen Heilbehandlung auch tatsächlich und, wenn möglich, über244
S. 65.
Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses,
§ 2 Isolierte Patientenverfügung im europ. u. deutschen Kollisionsrecht
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all Beachtung findet. Dass die in der Patientenverfügung erfasste Willensbekundung strukturell höhere Risiken als die tatsächliche Willensäußerung in sich trägt245, schlägt bei grenzüberschreitenden Sachverhalten gleich doppelt zu Buche, weil regelmäßig zu der Ungewissheit über die gesundheitliche Entwicklung auch noch eine Ungewissheit über den Behandlungsort tritt. Dies erschwert die Beratungstätigkeit von Rechtsanwälten und Notaren, die bei der Beratung ihrer Mandanten verlässlich Auskunft darüber geben müssen, nach welchem Recht die Patientenverfügung zu errichten ist, und, ob die Patientenverfügung in der Behandlungssituation Beachtung finden wird. Nach Eintritt der Hilfsbedürftigkeit müssen Antworten auf die Frage gefunden werden, ob trotz Vorliegens einer Patientenverfügung für den Betroffenen eine Fürsorgeperson zu bestellen ist. Auch Ärzte müssen in der Behandlungssituation verlässlich wissen, ob sie die von einem Ausländer verfasste Patientenverfügung zu beachten haben oder nicht. Nachdem aufgezeigt wurde, dass im staatsvertraglichen Kollisionsrecht bislang für die Patientenverfügung keine vereinheitlichten Kollisionsregeln bestehen, kommt als Rechtsgrundlage für kollisionsrechtliche Regelungen noch europäisches und nationales Recht in Betracht, das es nun zu untersuchen gilt. Dabei wird die folgende Untersuchung im Wesentlichen davon geprägt sein, die Vielzahl der Bezüge, so etwa zum Vertrags- und Deliktsrecht, zum Betreuungsrecht, zum Strafrecht und zum öffentlichen Recht, zu einer konsistenten und tragfähigen Lösung zusammenzuführen. Es steht zu befürchten, dass gerade diese mannigfachen Bezüge eine staatsvertragliche Vereinheitlichung des Kollisionsrechts in Zukunft erschweren werden.
§ 2 Die isolierte Patientenverfügung im europäischen und deutschen Kollisionsrecht § 2 Isolierte Patientenverfügung im europ. u. deutschen Kollisionsrecht
Auf der Suche nach einer Kollisionsregel für die isolierte Patientenverfügung können zwei Aspekte Bedeutung erlangen. Zum einen kann das für die Vorsorgevollmacht gewählte Anknüpfungsgefüge des Art. 15 ESÜ möglicherweise in Teilbereichen als Vorbild für die kollisionsrechtliche Behandlung der isolierten Patientenverfügung dienen. Zum anderen ist zu erwägen, ob die Kollisionsnormen für medizinische Behandlungen als Rahmen für die kollisionsrechtliche Behandlung der isolierten Patientenverfügung dienen können.
245
So auch: Choi, Patientenverfügung, S. 96 f.
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Kapitel 2: Die Patientenverfügung mit Auslandsberührung
A. Meinungsspektrum aus dem Ausland und dem Inland Beginnen soll die Untersuchung mit einer Darstellung in- und ausländischer Stellungnahmen zum Kollisionsrecht der isolierten Patientenverfügung. I. Ausländische Stellungnahmen Bevor die Rechtswirkungen ausländischer Patientenverfügungen in Deutschland untersucht werden, soll ein Blick auf die umgekehrte Konstellation der Rechtswirkungen deutscher Patientenverfügungen im Ausland geworfen werden. Auch wenn für das deutsche Recht insoweit kein Regelungsbedarf besteht, weil dies eine Frage des jeweiligen ausländischen Kollisionsrechts ist, können aus ausländischen Regelungen oder Stellungnahmen aus Wissenschaft und Praxis möglicherweise Erkenntnisse für das deutsche Recht gewonnen werden, die für die weitere Untersuchung fruchtbar gemacht werden können. Im Folgenden werden erste Stellungnahmen zum Kollisionsrecht der Patientenverfügung aus Österreich, Liechtenstein, der Schweiz und Griechenland referiert. 1. Österreich Ausdrückliche Kollisionsregeln zur Patientenverfügung existieren in Österreich bislang nicht. Allerdings liegen Stellungnahmen aus dem Schrifttum vor. Die Wirksamkeit von ausländischen Patientenverfügungen wird von Teilen des Schrifttums mangels ausdrücklicher Verweisungsnorm nach dem Grundsatz der stärksten Beziehung (§ 1 öIPRG246) beurteilt. Nach Ansicht von Helmut Ofner247 besteht die stärkste Beziehung zum Sachwalterrecht, da bei Fehlen einer Patientenverfügung das anstehende Rechtsproblem der Behandlungsentscheidung in der Regel über das Sachwalterrecht gelöst werden müsse und die Patientenverfügung daher einen substituierenden Charakter in Bezug auf die Sachwalterschaft habe. Gemäß §§ 15, 24, 25 und 27 öIPRG maßgeblich sei das Personalstatut, das sich gemäß § 9 öIPRG nach dem Recht des Staates, dem eine Person als Staatsbürger angehört, bestimmt. Gleiches soll gemäß § 12 öIPRG für die Einsichtsund Urteilsfähigkeit gelten. Die Anknüpfung der Formfrage soll sich nach § 8 öIPRG richten: Danach ist die Form nach dem Recht des zugrunde lie246 § 1 öIPRG lautet: „(1) Sachverhalte mit Auslandsberührung sind in privatrechtlicher Hinsicht nach der Rechtsordnung zu beurteilen, zu der die stärkste Beziehung b esteht. (2) Die in diesem Bundesgesetz enthaltenen besonderen Regelungen über die anzuwendende Rechtsordnung (Verweisungsnormen) sind als Ausdruck dieses Grundsatzes anzusehen.“ 247 Ofner, in: Körtner/Kopetzki/Kletečka-Pulker (Hrsg.), Das österreichische Patientenverfügungsgesetz, S. 185 ff.
§ 2 Isolierte Patientenverfügung im europ. u. deutschen Kollisionsrecht
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genden Geschäftes (lex causae) zu beurteilen, alternativ genügt auch die Einhaltung der Ortsform (lex loci actus als Sachnormverweisung). Auch Heinz Barta und Gertrud Kalchschmid248 erachten unter Hinweis darauf, dass die Patientenverfügung Fragen des Persönlichkeitsschutzes und der Ausübung der Selbstbestimmung berühre, eine Anknüpfung an das Personalstatut als sachgerecht. Unter Verweis auf die allgemeinen Grundsätze des Personenrechts im IPRG vertreten zudem Andreas Pollak und Matthias Potyka249 die Maßgeblichkeit des Personalstatuts. Eine Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt lehnen sie mit der Begründung ab, dass der gewöhnliche Aufenthalt im öIPRG grundsätzlich nur als subsidiäres Anknüpfungskriterium herangezogen werde (§§ 9 Abs. 2, 18 Abs. 1 Nr. 2). Ulrich Pesendorfer und Thomas Traar möchten demgegenüber das für die personenrechtliche Wirkung einer Patientenverfügung anzuwendende Recht unter Heranziehung der Wertung des § 49 Abs. 3 öIPRG (gewillkürte Stellvertretung) ermitteln. Da sich der einwilligungsfähige Verfasser einer Patientenverfügung mittels derselben selbst für den Fall des Eintritts seiner Einwilligungsunfähigkeit vertrete, sei das Regelungsziel der Patientenverfügung mit jenem der gewillkürten Stellvertretung vergleichbar. Für die gewillkürte Stellvertretung werde das Recht des Handlungsortes berufen. Wie die Vollmacht nur im tatsächlichen oder ursprünglich gedachten Handlungsstaat greife, werde die Patientenverfügung nur im Behandlungsstaat schlagend.250 Maßgeblich durch Christian Kopetzki251 sowie die Evaluationsstudie zum PatVG252 wurde die Frage aufgeworfen, ob die im soeben dargestellten Schrifttum bejahte Qualifikation der Patientenverfügung als rein privatrechtliche Willenserklärung und damit die Verortung der Problematik im Internationalen Privatrecht in dieser Allgemeinheit überhaupt zutrifft. Das Thema Einwilligung bzw. Behandlungsverweigerung sei in Gestalt einer Patientenverfügung auch und in Krankenanstalten primär Gegenstand des Verwaltungsrechts (§ 8 Abs. 3 KAKuG) sowie des Strafrechts (§ 110 StGB), und diese Rechtsgebiete seien im Grundsatz vom Territorialitätsprinzip beherrscht. Jedenfalls für den stationären Bereich, in dem sich die Frage nach der Wirkung von Patientenverfügungen typischerweise stellen werde, könne man auch die Auffassung vertreten, dass die krankenanstaltenrechtlichen Regelungen über die Notwendigkeit einer Einwilligung und die Bindung an ablehnende Patientenverfügungen (§ 8 Abs. 3 KAKuG) für 248
Barta/Kalchschmid, Wien Klin Wochenschr 2004, 442 (444). Pollak/Potyka, in: Barth/Ganner (Hrsg.), Handbuch des Sachwalterrechts, S. 601 ff. 250 Pesendorfer/Traar, iFamZ 2008, 367 (369 ff.). 251 Kopetzki, in: FS für Metzler, S. 38 (47). 252 BMG, Evaluationsbericht PatVG, S. 44. 249
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Kapitel 2: Die Patientenverfügung mit Auslandsberührung
alle Anstaltspatienten unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft und der „Herkunft“ einer (sofern hinreichend bestimmten) Patientenverfügung anwendbar seien.253 2. Liechtenstein Die liechtensteinische Regierung hat sich in ihrem Vernehmlassungsbericht betreffend die Schaffung eines Gesetzes über Patientenverfügungen (Patientenverfügungsgesetz – PatVG)254 auch zum Internationalen Privatrecht der Patientenverfügung geäußert und dabei stark auf die Stimmen im österreichischen Schrifttum Bezug genommen, die eine personale Anknüpfung präferieren. Eine Orientierung am Grundsatz der stärksten Beziehung (Art. 1 Abs. 2 FL-IPRG255) würde in Liechtenstein zu einer kollisionsrechtlichen Orientierung am Sachwalterrecht führen mit dem Ergebnis, dass stets liechtensteinisches Recht anzuwenden wäre, weil Art. 16 FL-IPRG a.F.256 hinsichtlich des Sachwalterrechts immer auf liechtensteinisches Recht verweist. Dies sollte der im Gesetzgebungsverfahren vorgeschlagene Art. 16 Abs. 2 FL-IPRG künftig klarstellen, der wie folgt lauten sollte: „Für die Voraussetzungen der Errichtung und für die Wirkungen von Patientenverfügungen ist liechtensteinisches Recht massgebend. Art. 8 bleibt unberührt.“257 Am 1.1.2012 ist die Vorschrift dergestalt in Kraft getreten.258 Die Beurteilung ausländischer Patientenverfügungen nach liechtensteinischem Recht erachtet die liechtensteinische Regierung aus denselben Gründen, die den liechtensteinischen Gesetzgeber dazu bewogen haben, im Sachwalterrecht nicht auf das Personalstatut, sondern auf liechtensteinisches Recht abzustellen als sinnvoll und zweckmäßig. Genannt werden die 253
Kopetzki, in: FS für Metzler, S. 38 (47); BMG, Evaluationsbericht PatVG, S. 44; im Anschluss daran auch: Adamer, Rechtliche Fragen Intensivmedizin, S. 117 f. 254 Abrufbar unter: . 255 Art. 1 Abs. 2 FL-IPRG (Grundsatz des Internationalen Privatrechts) lautet: „Mangels einer Verweisungsnorm ist die Rechtsordnung massgebend, zu der der Sachverhalt die stärkste Beziehung hat.“ 256 Art. 16 FL-IPRG a.F. (Bestellung eines Sachwalters für behinderte Personen), nun Art. 16 Abs. 1 FL-IPRG lautet: „Für die Bestellung eines Sachwalters für eine psychisch kranke oder geistig behinderte Person durch ein liechtensteinisches Gericht und deren Wirkungen ist liechtensteinisches Recht massgebend.“ 257 Siehe Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liec htenstein betreffend die Schaffung eines Gesetzes über Patientenverfügungen (Patiente nverfügungsgesetz – PatVG), Nr. 130/2010, S. 113, 133 (abrufbar unter: ). 258 Eingefügt durch Gesetz v. 13.4.2011 betreffend die Abänderung des Gesetzes über das internationale Privatrecht, LGBl. 2011 Nr. 210.
§ 2 Isolierte Patientenverfügung im europ. u. deutschen Kollisionsrecht
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erwartungsgemäß hohe Anzahl an Fällen mit Auslandsberührung, die schwierige Feststellung des anzuwendenden ausländischen Rechts in meist dringenden Situationen und die mögliche Gefahr des „Imports“ von Unklarheiten und Streitfragen zum Recht der Patientenverfügung aus den Nachbarrechtsordnungen nach Liechtenstein. 259 3. Schweiz Charakteristisch für das schweizerische Arztrecht ist, dass die Ausgestaltung des Arzt-Patienten-Verhältnisses wesentlich davon abhängt, ob der Patient in öffentlich-rechtlich organisierten Spitälern oder in Privatspitälern behandelt wird. Im ersten Fall ist das Arzt-Patienten-Verhältnis öffentlich-rechtlich, im zweiten Fall ist es privatrechtlich ausgestaltet 260, wobei Lehre und Praxis darin übereinstimmen, dass das privatrechtliche Vertragsverhältnis zwischen Arzt und Patient ein einfacher Auftrag i.S. der Art. 394 ff. OR ist.261 Abzuwarten bleibt, ob sich im schweizerischen Recht wegen dieses stark ausgeprägten Dualismus von öffentlichem und privatem Recht in der Arzt-Patienten-Beziehung262 künftig Schwierigkeiten bei der kollisionsrechtlichen Behandlung der Patientenverfügung ergeben, wie sie auch im österreichischen Evaluationsbericht zum PatVG sowie von Christian Kopetzki ausgemacht werden. Der Dualismus von öffentlichem und privatem Recht führt bislang dazu, dass das schweizer. IPRG nur bei Behandlung in einer ärztlichen Privatpraxis oder einem Privatspital zur Anwendung kommt.263 Bei einer Behandlung in einem öffentlichen Spital ist das Rechtsverhältnis zwischen Arzt und Patient demgegenüber stets nach schweizerischem Recht zu beurteilen. 264 Ob diese Spezifika des ArztPatienten-Verhältnisses Auswirkungen auf das Kollisionsrecht der Patientenverfügung haben werden, wird maßgeblich davon abhängen, ob die Patientenverfügung als eigenständiges Rechtsinstrument wahrgenommen oder in bestehende Strukturen, etwa den Gesamtkontext der ArztPatienten-Beziehung oder des Erwachsenenschutzrechts, eingeordnet werden wird. Im ersten Fall wird die Schaffung eines Patientenverfügungsstatuts zu erwägen sein. Bei einer Einordnung in den Gesamtkontext der Arzt259 Siehe die ausführliche Begründung in: Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein betreffend die Schaffung eines Gesetzes über P atientenverfügungen (Patientenverfügungsgesetz – PatVG), Nr. 130/2010, S. 110 ff. 260 Steiner, ZBJV 142 (2006), 101; Kuhn, MedR 1999, 248. 261 BGE 116 II 519; 127 III 421; Kuhn, MedR 1999, 248; Steffen/Guillod, in: Taupitz, Rn. CH35. 262 Steiner, ZBJV 142 (2006), 101 ff.; Wassem, In dubio pro vita?, S. 166 f.; Schädlich, Grenzüberschreitende Telemedizin-Anwendungen, S. 110. 263 Steiner, ZBJV 142 (2006), 101 ff.; Wassem, In dubio pro vita?, S. 166 f.; Schädlich, Grenzüberschreitende Telemedizin-Anwendungen, S. 110. 264 Steiner, ZBJV 142 (2006), 101 (102).
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Kapitel 2: Die Patientenverfügung mit Auslandsberührung
Patienten-Beziehung, wie sie etwa von Carmen Ladina Widmer Blum265 befürwortet wird, hängt die internationalprivatrechtliche Anknüpfung der Patientenverfügung davon ab, ob ein Behandlungsvertrag zwischen Arzt und später einwilligungsunfähigem Patient geschlossen wurde.266 Bei einer Behandlung in der Schweiz auf Grundlage eines Behandlungsvertrages würde die Anknüpfung an das Vertragsstatut zur Anwendung schweizerischen Rechts führen, weil der Behandlungsort der Ort ist, an dem die vertragstypische Leistung erbracht wird und der behandelnde Arzt dort regelmäßig seine Niederlassung hat (Art. 117 Abs. 1, 2, 3 lit. c schweizer. IPRG).267 Vorrangig ist aber eine Rechtswahl (Art. 116 Abs. 1 IPRG).268 Über Art. 133 Abs. 2 IPRG käme außerdem eine Anknüpfung an den Begehungsort einer deliktischen Handlung in Betracht; außerdem kennt Art. 133 Abs. 3 IPRG eine akzessorische Anknüpfung an das Vertragsstatut.269 Bei einer Behandlung in der Schweiz ohne Abschluss eines Behandlungsvertrages wäre die Patientenverfügung in das Statut der Geschäftsführung ohne Auftrag einzuordnen, das im schweizerischen IPRG bislang nicht ausdrücklich geregelt und im Schrifttum umstritten ist. 270 Angesichts dessen, dass die Schweizerische Botschaft zum ESÜ die Patientenverfügung als Vorsorgevollmacht qualifiziert hat, ist außerdem eine Anwendung des Art. 85 IPRG auf Patientenverfügungen denkbar. Die Vorschrift wurde im Zuge der Umsetzungsgesetzgebung zum ESÜ und KSÜ 271 zum 1.7.2009 reformiert. Infolge einer nationalrechtlichen Erweiterung des Anwendungsbereichs des ESÜ ist das autonome Kollisionsrecht des Erwachsenenschutzes nun weitgehend kongruent mit dem ESÜ geregelt. 272 Art. 85 Abs. 2 IPRG verweist „für den Schutz von Erwachsenen in Bezug auf die Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte und Behörden, auf das anwendbare Recht sowie auf die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen oder Massnahmen“ auf das ESÜ, dessen Regelungen infolge der Verweisung ihren staatsvertraglichen Charakter verlieren.273 Abs. 3 erklärt die schweizerischen Gerichte und Behörden „ausser265
Widmer Blum, Urteilsunfähigkeit, S. 142 ff. Widmer Blum, Urteilsunfähigkeit, S. 142. 267 Widmer Blum, Urteilsunfähigkeit, S. 146; Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 22 Rn. 18. 268 Widmer Blum, Urteilsunfähigkeit, S. 145. 269 Widmer Blum, Urteilsunfähigkeit, S. 146; Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 22 Rn. 18. 270 Näher Widmer Blum, Urteilsunfähigkeit, S. 150 ff. 271 Art. 15 des Bundesgesetzes über internationale Kindesentführung und die Haager Übereinkommen zum Schutz von Kindern und Erwachsenen (BG-KKE) v. 21.12.2007, in Kraft getreten am 1.7.2009 (AS 2009 3077; BBl. 2007 2635). 272 Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 272, 283. 273 Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 272, 283. 266
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dem“ für zuständig, „wenn es für den Schutz einer Person oder von deren Vermögen unerlässlich ist“. Carmen Ladina Widmer Blum wendet gegen eine Zuordnung zum Internationalen Erwachsenenschutzrecht ein, dass auch die Einordnung der Patientenverfügung in das neue schweizerische materielle Erwachsenenschutzrecht keineswegs zwingend gewesen sei, weil eigene Anordnungen des Patienten immer zuvorderst in Verbindung mit medizinischen Behandlungen Bedeutung erlangen. 274 4. Griechenland Auch das griechische Recht kennt bislang keine ausdrückliche Kollisionsregel für Patientenverfügungen. Achilles G. Koutsouradis275 geht aber davon aus, dass für die Patientenverfügung das Personalstatut der natürlichen Personen, also die lex patriae (Art. 5 gr. ZGB), entscheidend sei. Allerdings sei im Anwendungsbereich dieser kollisionsrechtlichen Norm die Vorbehaltsklausel des Art. 33 gr. ZGB (ordre public) ernst zu nehmen, weil es in Patientenverfügungen unter Umständen, wenn auch nicht hauptsächlich, um die Kernfrage der Sterbehilfe gehe und diese im weitesten Sinne des Wortes im griechischen Recht (Art. 29 Abs. 3 MedVerG) verboten sei. 5. Fazit Der Blick auf ausgewählte Rechtsordnungen hat gezeigt, dass bislang noch kein Trend für den Umgang mit grenzüberschreitenden Patientenverfügungen auszumachen ist. Diskutiert wird sowohl eine Einordnung in die für das Arzt-Patienten-Verhältnis maßgeblichen Kollisionsregeln als auch eine Einordnung in das Personalstatut bzw. die erwachsenenschutzrechtlichen Vorschriften. Auffällig ist, dass, obwohl die Patientenverfügung nach österreichischem und liechtensteinischem Recht eine Sachwalterbestellung entbehrlich macht, diese Rechtsordnungen auf kollisionsrechtlicher Ebene bislang eher eine Nähe zum Sachwalterrecht als zum Recht der ärztlichen Heilbehandlung sehen. In anderen Rechtsordnungen fehlen bislang – soweit ersichtlich – ausdrückliche gesetzliche Regelungen zum Kollisionsrecht der Patientenverfügung. Ursache dafür, dass bislang – soweit ersichtlich – auch Stellungnahmen aus Literatur und Praxis fehlen, mag sein, dass die Rechtsordnungen schon die Schaffung materiellrechtlicher Regelungen vor große Herausforderungen gestellt hat. Hinzu kommt, dass einige der europäischen Rechtsordnungen überhaupt keine geschlossene Kodifikation des Internati274
Widmer Blum, Urteilsunfähigkeit, S. 142. Koutsouradis, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 161 (179 m.w.N.). 275
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onalen Privatrechts kennen, sondern die Beantwortung kollisionsrechtlicher Fragestellungen der Rechtsprechung und dem Schrifttum überlassen.276 Es ist zu erwarten, dass Staaten, die die Patientenverfügung in öffentlich-rechtlichen Gesundheitsgesetzen verortet haben, bei der Suche nach einer Lösung für den Umgang mit Patientenverfügungen mit Auslandsberührung zu ganz anderen Ergebnissen gelangen werden als Staaten, die die Patientenverfügung in ihr Zivilgesetzbuch eingefügt haben. Dort, wo die Patientenverfügung in öffentlich-rechtlichen Gesundheitsgesetzen geregelt ist, liegt eine Anwendung des Territorialitätsprinzips nahe. 277 Was bedeutet dies für die Verkehrsfähigkeit deutscher Patientenverfügungen? Viel wird davon abhängen, ob die ausländische Rechtsordnung Patientenverfügungen überhaupt kennt. Ist dies der Fall, stellen sich neben der rechtlichen Frage des anwendbaren Rechts auch praktische Fragen nach dem Zugang zu der Patientenverfügung und nach sprachlichen Barrieren, die insbesondere dann zum Problem werden können, wenn kurzfristige Behandlungsentscheidungen zu treffen sind. 278 II. Inländische Stellungnahmen Der deutsche Gesetzgeber hat mit dem 3. BtÄndG nur die materiellrechtlichen Voraussetzungen und Wirkungen von Patientenverfügungen geregelt. Erste Stellungnahmen zum Kollisionsrecht der Patientenverfügung liegen aber aus dem Schrifttum vor. Soweit ersichtlich hat sich erstmals Anne Röthel mit der Behandlung der Patientenverfügung in grenzüberschreitenden Sachverhaltskonstellationen beschäftigt. In einem Aufsatz aus dem Jahr 2007 hat sie ausgeführt, die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen sei in der Behandlungssituation nicht nur bei Eilbedürftigkeit dem Aufenthaltsrecht als dem Recht des Behandlungs- und damit des Vertragsortes zugewiesen.279 Auch später hat sie darauf hingewiesen, dass bei Ermittlung einer geeigneten Anknüpfungsregel in erster Linie zu berücksichtigen sei, dass ein dringendes praktisches Bedürfnis insbesondere der behandelnden Ärzte nach einer Anwendung des Rechts am Behandlungsort bestehe.280 Die Maßgeblichkeit des Rechts am Behandlungsort lasse sich 276
Dörner, in: FS für Jayme, Bd. I, S. 143. Aus Sicht des deutschen Kollisionsrechts können sich aus der öffentlichrechtlichen Ausgestaltung der Patientenverfügung im ausländischen Recht Schwierigkeiten ergeben, wenn es darum geht, ein Qualifikationsstatut für die notwendige Abgre nzung des privatrechtlichen Handelns zum hoheitlichen Handeln festzulegen. So für das Recht der medizinischen Behandlung: Schädlich, Grenzüberschreitende TelemedizinAnwendungen, S. 110. 278 Aus österreichischer Perspektive: Adamer, Rechtliche Fragen Intensivmedizin, S. 116. 279 Röthel, FPR 2007, 79 (81). 280 Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 20 Rn. 27. 277
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nicht nur vertragsrechtlich (Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO) begründen, sondern auch damit erklären, dass es sich bei dem Recht am Behandlungsort um international zwingendes Recht handeln dürfte: Insbesondere, wenn es um medizinische Entscheidungen am Lebensende gehe, habe der Umgang mit Patientenverfügungen zugleich eine öffentlich-rechtliche, insbesondere strafrechtliche Seite, mit starkem ordre public-Bezug.281 Alternativ sei denkbar, Patientenverfügungen dem Personalstatut zu unterstellen und das Heimatrecht zu berufen, wofür sprechen möge, dass die Entscheidung über die Durchführung oder den Abbruch von medizinischen Behandlungen in engster Weise mit der Person verknüpft und somit höchstpersönlicher Natur sei.282 Zugleich hat sie darauf aufmerksam gemacht, dass die Berufung des Heimatrechts aber die Ermittlung der Staatsangehörigkeit und ggf. ausländischen Rechts in der Behandlungssituation erfordere, was auch mit Blick auf die behandelnden Ärzte als kaum praktikabel und wegen der damit verbundenen Rechtsunsicherheiten vielfach unzumutbar erscheinen dürfe.283 Im Grundsatz ähnliches gelte für die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen, auch wenn dies häufiger zur Anwendung des Rechts am Behandlungsort führen dürfe. 284 Nachfolgende Stellungnahmen aus der deutschen Literatur waren – anders als in Liechtenstein, Griechenland und zunächst auch in Österreich – maßgeblich von der Grundfrage geprägt, ob die Frage des auf die Patientenverfügung anwendbaren Rechts überhaupt eine Aufgabe des Internationalen Privatrechts ist, was abermals als Ausdruck einer gewissen Strafrechtslastigkeit der deutschen Debatte über die Patientenverfügung gewertet werden mag. Insbesondere Marc Heggen285 ordnet – auch nach der Regelung der Patientenverfügung im BGB – die Frage des auf die Patientenverfügung anwendbaren Rechts nicht als Aufgabe des Internationalen Privatrechts im engeren Sinne, sondern als Aufgabe des Internationalen öffentlichen Rechts im weitesten Sinne, genauer des Internationalen Strafrechts, ein. Zur Begründung führt er aus, die Patientenverfügung könne nur im Kontext der entsprechenden strafrechtlichen Vorschriften am Behandlungsort gesehen werden. Zwar stelle das Zivilrecht Voraussetzungen für die Wirksamkeit der Patientenverfügung auf, die grundlegenden Fragen und Wirkungsweisen der Patientenverfügung ließen sich aber nur im Zusammenspiel mit den strafrechtlichen und rechtsethischen Vorstellungen 281
Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 20 Rn. 27. Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 20 Rn. 28. 283 Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 20 Rn. 28. 284 Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 20 Rn. 28. 285 Heggen, ZNotP 2008, 184 (195); ders., FPR 2010, 272; zuvor schon: DNotI, DNotI-Report 2007, 107 (110); ebenso Ga. Müller, in: dies./Renner, Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen, Rn. 908. 282
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im Behandlungsland verstehen. Denn diese gäben an, inwieweit der Patient von seinen Ärzten den Abbruch lebenserhaltender oder gar lebensbeendender Maßnahmen verlangen könne. Lediglich Erik Jayme286 geht offenbar uneingeschränkt davon aus, dass das Internationale Privatrecht zur Antwort berufen ist und mahnt das Erfordernis eines Errichtungsstatuts nach dem Vorbild von Art. 26 Abs. 5 EGBGB an. Demgegenüber stellt Horst Klinkhardt in aller Kürze fest: „eine Patientenverfügung (…) ist nach den sonst maßgebenden Regeln zu beurteilen“287. In diesen Äußerungen erschöpfen sich die Stellungnahmen bislang. B. Ordnungsversuche Ob eine ausschließliche Zuordnung der Thematik Patientenverfügung zum Zivilrecht und damit zugleich zum Internationalen Privatrecht, wie sie derzeit für das liechtensteinische, das griechische und das schweizerische Recht und zum Teil auch für das österreichische Recht vertreten wird, auch für das deutsche Recht zutrifft, ist aufgrund der immer wieder beschriebenen Janusköpfigkeit der Patientenverfügung zumindest auf den ersten Blick zweifelhaft. Andererseits weckt auch die u.a. von Marc Heggen offenbar befürwortete überwiegende Regelungszuständigkeit des Internationalen Strafrechts bereits auf den ersten Blick Zweifel, weil zu befürchten steht, dass sie der privatrechtlichen Seite der Patientenverfügung nicht gerecht wird. Diese Befürchtungen speisen sich auch daraus, dass Heggen in seinen Stellungnahmen offenlässt, wie die aus der parallelen Regelungszuständigkeit von Internationalem Strafrecht einerseits und Internationalem Privatrecht andererseits entstehende Gemengelage aufzulösen ist. Die Auflösung dieser Gemengelage setzt eine Vergewisserung darüber voraus, wie die Grenze zwischen Internationalem Privatrecht, Internationalem Strafrecht und Internationalem öffentlichen Recht verläuft und was die Aufgaben dieser Rechtsgebiete sind (II.). Die Unterscheidung dieser Rechtsgebiete speist sich aus der Grenzziehung zwischen Privatrecht, Strafrecht und öffentlichem Recht auf der Ebene des materiellen Rechts (I.). Diese Grenzziehung ist nicht mehr so kategorisch wie früher. Die Teilrechtsordnungen sind vielfältig miteinander verflochten (1.), wie auch das Beispiel der Patientenverfügung zeigt (2.). Dies hat Auswirkungen auf das Grenzrecht und grenzüberschreitende Sachverhaltskonstellationen (II.). Weil die Unterscheidung zwischen den Rechtsgebieten ihre Trennschärfe verloren hat, werden auch in grenzüberschreitenden Sachverhaltskonstellationen Privatrecht und öffentliches Recht heute stärker aufeinander bezo286 287
Jayme, in: FS für Spellenberg, S. 203 (205 ff.). MünchKommBGB/Klinkhardt, Anhang zu Art. 24 EGBGB Rn. 9 Fn. 8.
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gen (1.). So hält das Internationale Privatrecht mit der Kategorie der Eingriffsnormen ein Instrument für die Verflechtung von Privatrecht und öffentlichem Recht bereit (b) aa). Das Internationale Strafrecht trägt der Verflechtung der Teilrechtsordnungen mit der Kategorie der Fremdrechtsanwendung Rechnung (b) bb). Da die Patientenverfügung Berührungspunkte zu unterschiedlichen Rechtsgebieten aufweist, erlangen diese Kategorien auch bei der Patientenverfügung Bedeutung (2.). I. Materielles Recht 1. Unterteilung der Rechtsordnung in Rechtsgebiete, Verflechtungen In Deutschland entwickelte sich die rechtssystematische Einteilung der Rechtsordnung in Privatrecht und öffentliches Recht um 1800 als der Gedanke eines weitgehend staatsfreien Privatrechts als Begleitumstand zu der Etablierung eines modernen Staates an Bedeutung gewann. 288 Mit der Etablierung einer bürgerlichen Gesellschaft, die sich vom Staat abgrenzt und wirtschaftliche Handlungsfreiheit beansprucht, untergliederte sich die bislang als Einheit verstandene Rechtsordnung entsprechend der Bereiche Staat und Gesellschaft.289 Im Verlaufe des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Vorstellung von einer durchgehenden Zweiteilung der Rechtsordnung durch den politischen Gegensatz von Staat und Gesellschaft und philosophische Einflüsse des deutschen Idealismus zum inneren Gegensatz.290 Die Unterscheidung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht prägt das deutsche Recht bis heute. Nach wie vor geht das positive Recht von 288 J. Schröder, in: FS für Gernhuber, S. 961 m.w.N. zum rechtshistorischen Schrifttum; ausführlich zur Entwicklung der Unterscheidung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht auch: Stolleis, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentl. Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, S. 41 (55 ff., 60). 289 Stolleis, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentl. Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, S. 41 (55 ff., 60). Friedrich Carl von Savigny (System I, S. 22) formulierte im Jahr 1840 etwa, dass man „im gesamten Recht“ zwischen zwei Gebieten, Staatsrecht und Privatrecht, unterscheide: „Das erste hat zum Gegenstand den Staat, das heißt die organische Erscheinung des Volks: das zweyte die Gesammtheit der Rechtsverhältnisse, welche den einzelnen Menschen umgeben, damit er in ihnen sein inneres Leben führe und zu einer bestimmten Gestalt bilde.“ Nachdem das Strafrecht in der älteren Naturrechtslehre zunächst dem vorstaatlichen Recht, also dem privaten Recht, zugerechnet worden war, wurde es bereits seit Immanuel Kant dem staatlichen Bereich zugeordnet (J. Schröder, in: FS für Gernhuber, S. 961 [964 f., 969]). 290 Bullinger, Öffentl. Recht und Privatrecht, S. 54; Stolleis, in: HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentl. Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, S. 41 (60). Damit in Einklang stand die Überzeugung, dass sowohl das Privatrecht wesensmäßig eigenartig gegenüber dem öffentlichen Recht als auch das ö ffentliche Recht wesensmäßig eigenartig gegenüber dem Privatrecht sei (ausführlich: Bullinger, Öffentl. Recht und Privatrecht, S. 54).
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Teilrechtsordnungen mit je unterschiedlichen Grundprinzipien und Instrumenten aus.291 Grundlage, wesentliches Ordnungsprinzip und Regelungsanliegen des gesamten Privatrechts ist das aus der verfassungsrechtlich garantierten Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) abgeleitete Selbstbestimmungsrecht.292 Die klassischen Ausprägungen der Privatautonomie, nämlich die Vertrags-, Vereinigungs- und Testierfreiheit, betreffen zwar überwiegend den Bereich des Vermögensrechts, die Privatautonomie umfasst daneben aber auch die Selbstbestimmung in personalen Angelegenheiten.293 Ausgehend von der Privatautonomie und der Gleichberechtigung stellt das Privatrecht Regelungen für den rechtsgeschäftlichen Verkehr und für die Bereinigung aktueller oder potentieller Interessenkonflikte zwischen Privatpersonen bereit, die ihre Individualinteressen grundsätzlich eigenverantwortlich wahrnehmen.294 Der Rahmencharakter des Privatrechts zeigt sich in der Dispositivität vieler privatrechtlicher Regelungen. 295 Unter öffentlichem Recht wird demgegenüber derjenige Teil der Rechtsordnung verstanden, der die Beziehungen des Staates und anderer mit hoheitlichen Aufgaben ausgestatteter Institutionen regelt.296 Kennzeichnend für öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnisse ist die Beteiligung wenigstens eines Hoheitsträgers, dem ein Allgemeininteresse zur Wahrnehmung zugewiesen ist und von ihm gegenüber Individualinteressen oder gegenüber von anderen Hoheitsträgern wahrgenommenen Allgemeininteressen durchzusetzen ist, wobei Hoheitsträger nicht in Ausübung von Freiheitsrechten, sondern in Wahrnehmung von ihnen zugewiesenen Kompetenzen han-
291 So ist die Unterscheidung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht für den Rechtsweg (Art. 95 GG) entscheidend. Praktischen Schwierigkeiten unterliegt bis heute die – im Zusammenhang mit der Patientenverfügung nicht relevante – Abgrenzung von Verwaltungsrecht und Privatrecht. Auf die Interessenrichtung der einzelnen Rechtssätze rekurriert die Interessentheorie: Danach sind öffentliches Recht die dem öffentlichen I nteresse, Privatrecht die dem Individualinteresse dienenden Rechtssätze. Die Subo rdinationstheorie, die das Verhältnis der Beteiligten als maßgebend erachtet, geht von einem Über- und Unterordnungsverhältnis der Beteiligten im öffentlichen Recht einerseits und von einer Gleichrangigkeit im Privatrecht andererseits aus. Die Zuordnungsth eorie sieht die Zuordnungssubjekte der einzelnen Rechtssätze als maßgeblich an: Dem öffentlichen Recht zugehörig sind die Rechtssätze, die nur den Staat oder einen sonstigen Träger h oheitlicher Gewalt zum Zuordnungssubjekt haben, dem Privatrecht zugehörig sind hingegen die für jedermann geltenden Rechtssätze (gesamtes Vorstehende aus: Maurer, Allg. VerwR, § 3 II. 2.; Larenz/Wolf, BGB AT, § 1 I. 3). 292 Larenz/Wolf, BGB AT, § 1 I. 1. a). 293 Berger, JZ 2000, 797. 294 Maurer, Allg. VerwR, § 3 II. 1.; Larenz/Wolf, BGB AT, § 1 I. 1. d). 295 Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentl. Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, S. 7 (17). 296 Larenz/Wolf, BGB AT, § 1 I.; Maurer, Allg. VerwR, § 3 II. 1.
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deln.297 Als Amtsrecht ist das öffentliche Recht zum einen Organisationsrecht, zum anderen das außenwirksame Handeln der Exekutive programmierende Recht, das aufgrund verfassungsrechtlicher Vorgaben anders als das Privatrecht nicht auf Rahmensteuerung beschränkt ist. 298 Das Strafrecht ist ein Hilfsmittel zur Absicherung der Funktionsfähigkeit der anderen Teilrechtsgebiete, insbesondere des Privatrechts. 299 Denn das Strafrecht erfüllt die Aufgabe, das Gemeinschaftsleben vor Störungen zu schützen.300 Mit den Mitteln der Androhung und Durchführung von öffentlichem Zwang sollen die als Grundwerte unserer Sozialordnung klassifizierten Rechtsgüter (etwa Leben und Eigentum) geschützt werden.301 Zu öffentlich-rechtlichen Normen werden Strafnormen durch die Rechtsfolge Geldoder Freiheitsstrafe.302 Das akademische Schrifttum beschäftigte immer wieder die Frage, ob die positivrechtlich verankerte Unterscheidung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht eine Fehlentwicklung ist. 303 Insbesondere seit den 1960er Jahren wurde die Unterscheidung zwischen den Teilrechtsgebieten nicht mehr als apriorisch vorgegeben, sondern als ein „zeitbedingt wechselnder Ausdruck verschiedener, begrenzter Sachanliegen“ verstanden.304 Rechtshistorische Untersuchungen belegen, dass sich die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gezogenen Grenzen zwischen den Teilrechtsordnungen bereits im Interventionsstaat des späten 19. Jahrhunderts verschoben hatten.305 Auch das Kriegsverwaltungsrecht des Ersten Weltkriegs verzahnte das Privat- und das Verwaltungsrecht mannigfaltig und ließ ein Gemeinrecht entstehen, das Staat und Gesellschaft wieder enger aneinander band.306 Noch stärker relativierte sich der Gegensatz von Staat und Gesellschaft in der Weimarer Republik. 307 Durch die Begrenzung gesell297
Larenz/Wolf, BGB AT, § 1 I. 1. a), c); Maurer, Allg. VerwR, § 3 II. 1, 2. Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentl. Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, S. 7 (21 f.). 299 Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentl. Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, S. 261 (272). 300 Cornils, Fremdrechtsanwendung im Strafrecht, S. 7 m.w.N. 301 Cornils, Fremdrechtsanwendung im Strafrecht, S. 7. 302 v. Bar/Mankowski, IPR, § 4 III. 1. 303 K. Schmidt, in: ders. (Hrsg.), Vielfalt des Rechts – Einheit der Rechtsordnung, S. 9 (11 f.). 304 Bullinger, Öffentl. Recht und Privatrecht, S. 75. 305 Rehbinder, JZ 1973, 151 (153); Stolleis, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentl. Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, S. 41 (58). 306 Stolleis, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentl. Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, S. 41 (58). 307 Diese Verzahnung resultierte daraus, dass die Gesellschaft den Staat nun üb er Parteien und Parlamente gestaltete und die Parlamente die Gesellschaft mittels des Zivi lrechts, des öffentlichen Rechts oder einer Mischung aus diesen Rechtsgebieten lenken 298
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schaftlicher Freiheitssphären nach und nach eingeebnet wurde die Trennung von Staat und Gesellschaft im Nationalsozialismus, was einen Zuwachs an öffentlich-rechtlichen Vorschriften und an privatrechtlichen Vorschriften mit öffentlich-rechtlichem Einschlag zur Folge hatte. 308 Die Bundesrepublik verwirklichte zwar im Verfassungsrecht und auf Ebene des Rechtsschutzes das Modell einer bürgerlichen Gesellschaft, hob aber die Verflechtung von öffentlichem Recht und Privatrecht nicht auf. 309 Im Gegenteil wurde die Verflechtung der Teilrechtsordnungen auch durch die Entstehung des Europarechts verfestigt.310 Heute werden das öffentliche Recht und das Privatrecht als sich ergänzende und sich stützende, funktional „wechselseitig nutzbare Auffangordnungen“ verstanden.311 So hat privatrechtliches Denken Einzug in das öffentliche Recht beim privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt und in das öffentlich-rechtliche Vertragsrecht gehalten.312 Umgekehrt durchdringt öffentlich-rechtliches Denken mittlerweile das Privatrecht dort, wo das Privatrecht soziale Gerechtigkeit und ein Gleichgewicht zwischen den Vertragspartnern verwirklichen soll, etwa im Verbraucherrecht und im Mietrecht. 313 Besonders enge Verzahnungen von öffentlichem Recht und Privatrecht finden sich im Nachbarrecht: Öffentlich-rechtliches und zivilrechtliches Nachbarrecht greifen wechselseitig aufeinander zurück.314 Die deutsche Rechtsordnung nähert sich auf diese Weise Rechtsordnungen an, die der dogmatischen Abgrenzung von Privatrecht und öffentlichem Recht nicht die gleiche Bedeutung beimessen – sei es, dass sie die Abgrenzung anders akzentuieren oder aber die Abgrenzung gar nicht kennen.315 konnten (Stolleis, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann [Hrsg.], Öffentl. Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, S. 41 [58]). 308 Stolleis, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentl. Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, S. 41 (58 f., 61). 309 Stolleis, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentl. Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, S. 41 (59, 61). 310 Rehbinder, JZ 1973, 151 (153); K. F. Röhl/H. C. Röhl, Allg. Rechtslehre, § 52 II.; Stolleis, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentl. Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, S. 41 (59, 61). 311 Hoffmann-Riem, DVBl. 1994, 1381 (1386); Trute, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann (Hrsg.), Öffentl. Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, S. 167 (171). 312 Hoffmann-Riem, DVBl. 1994, 1381 (1387). 313 Hoffmann-Riem, DVBl. 1994, 1381 (1387). 314 Hoffmann-Riem, DVBl. 1994, 1381 (1387); Trute, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann (Hrsg.), Öffentl. Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, S. 167 (183 ff.); K. F. Röhl/H. C. Röhl, Allg. Rechtslehre, § 52 II. 2. 315 Die strenge Unterteilung der Rechtsordnung in Privatrecht und öffentliches Recht ist verbreitet im modernen römisch-germanischen Rechtskreis, nicht aber im angloamerikanischen Rechtskreis. Zum gesamten Vorstehenden: MünchKommBGB/Sonnen-
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2. Patientenverfügung Die Patientenverfügung erweist sich – ähnlich wie etwa das Nachbarrecht – als Beispiel für die Verflechtung der Teilrechtsordnungen. Allerdings äußert sich die Verflechtung bei der Patientenverfügung anders als im Nachbarrecht. Mit Blick auf das Nachbarrecht hält die Rechtsordnung „parallele Konfliktschlichtungsprogramme“ im Privatrecht und im öffentlichen Recht vor, woraus sich die Frage nach dem Verhältnis dieser Konfliktschlichtungsprogramme zueinander ergibt. 316 Bei der Patientenverfügung ergeben sich – wie nun zu zeigen sein wird – demgegenüber Verbindungen, weil die zivilrechtliche Wirksamkeit der Patientenverfügung über § 134 BGB an strafrechtliche Normen und die Rechtmäßigkeit ärztlichen Handelns aus strafrechtlicher Sicht an zivilrechtliche Normen geknüpft wird. Die Patientenverfügung dient in ihrer gesetzlichen Ausgestaltung in §§ 1901a ff. BGB der antizipierten Ausübung und Verwirklichung des verfassungsrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrechts in medizinischen Angelegenheiten. Dieses Selbstbestimmungsrecht hat auf einfachgesetzlicher Grundlage zwar noch keinen klar definierten Regelungsstandort, lässt sich aber als Erscheinung der im Zivilrecht verankerten Privatautonomie einordnen.317 Auch Patientenverfügungen sind als antizipierte Willensbekundungen betreffend medizinische Angelegenheiten – unabhängig davon, ob in ihnen der Wunsch nach Sterbehilfe oder der Wunsch nach Maximaltherapie festgehalten wird – also privatautonome Entscheidungen des Betroffenen.318 Typisch zivilrechtliche Fragestellungen und Elemente sind auch die Wirksamkeitsvoraussetzungen, der Widerruf und die Auslegung der Patientenverfügung. 319 Weil Freiheitsgewährung aber nur so weit reicht, wie die Verfassung dies gebietet und wie staatliche Interessen an einem bestehenden Ordnungsgefüge nicht Vorrang beanspruchen 320, ist die freiheitsgewährende berger, Einl. IPR Rn. 5 Fn. 4, 36; Sonnenberger, IPRax 2003, 104 (104); HoffmannRiem, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentl. Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, S. 261 (264); v. Bar/Mankowski, IPR, § 4 III. 1. mit Verweis auf BAG NJW 1978, 1766 (1767) – italienisches Arbeitsrecht als öffentliches Recht. In Deutschland konnten sich totz der Verflechtung der Teilrechtsordnungen B estrebungen für ein Gemeinrecht (dafür etwa: Bullinger, Öffentl. Recht und Privatrecht, S. 80 ff.) bislang nicht durchsetzen. 316 Trute, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentl. Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, S. 167 (183). 317 Holzhauer, FamRZ 2006, 518 (519); Roth, JZ 2004, 494 (495). 318 Diederichsen, in: FS für Schreiber, S. 635 (649); Verrel/Simon/Verrel, Patientenverfügungen, S. 21. 319 Verrel/Simon/Verrel, Patientenverfügungen, S. 21 f. 320 Larenz/Wolf, BGB AT, § 40 Rn. 1 ff.
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Funktion der Patientenverfügung nicht grenzenlos. Die Grenzen des zulässigen Inhalts von Patientenverfügungen und die Grenzen ihrer Umsetzbarkeit ergeben sich aus dem geltenden Spektrum unzulässiger Formen der Sterbehilfe, das seinen Ausgangspunkt in den verfassungsrechtlichen Vorgaben und den auf diesen beruhenden §§ 211 ff. StGB hat.321 Das Zivilrecht ermöglicht den Einbruch dieser strafrechtlichen Verbote über die die Privatautonomie begrenzende Generalklausel des § 134 BGB, die der Einheit der Rechtsordnung 322 dient. Insofern wurde im Rahmen der Diskussion über Patientenverfügungen immer wieder betont, dass das Zivilrecht nicht verbieten kann, was das Strafrecht erlaubt. 323 Dies beschreibt aber nur eine Seite der Medaille, denn auch das Zivilrecht beeinflusst das Strafrecht, das als sekundäres Recht immer nur Strafe androhen kann, wenn ein Verhalten auch im Zivilrecht oder öffentlichen Recht verboten ist. 324 Die §§ 1901a ff. BGB definieren daher als den strafrechtlichen Sanktionsnormen vorgelagerte Verhaltensnormen – insbesondere durch den Verzicht auf eine Reichweitenbeschränkung – ihrerseits zulässige Einwirkungen auf das Rechtsgut Leben. 325 Dass die Rechtsgebiete vielfältig aufeinander einwirken, berührt die Einordnung von Rechtsfragen in die einzelnen Rechtsgebiete regelmäßig nicht. Auch die Einordnung eines Rechtsgeschäfts oder Rechtsinstituts als zivilrechtlich wird durch den Verstoß gegen öffentlichrechtliche Verbotsnormen nicht tangiert, denn auch die Folgen eines solchen Verstoßes für den Bestand eines zivilrechtlichen Anspruchs oder Rechtsinstituts ergeben sich aus dem Zivilrecht, nämlich aus § 134 BGB.326 Deswegen spricht die Tatsache, dass der zulässige Inhalt einer Patientenverfügung wegen § 134 BGB durch strafrechtliche Vorschriften, insbesondere § 216 StGB, begrenzt wird, auch nicht gegen den privatrechtlichen Charakter der Patientenverfügung. Eine Verengung der Patientenverfügung auf die strafrechtlichen Grenzen des § 216 StGB wäre angesichts dessen, dass Gegenstand von Patientenverfügungen auch positive Behandlungsanordnungen sein können, ohnehin nur begrenzt überzeugend.327 Jenseits seiner begrenzenden Wirkung hinsichtlich des zulässigen Inhalts der Patientenverfügung spielt das Strafrecht dort eine Rolle, wo es um die strafrechtliche Verantwortlichkeit des handelnden medizinischen 321
Verrel/Simon/Verrel, Patientenverfügungen, S. 20. Dazu grundlegend: Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung; aus jüngerer Zeit: Felix, Einheit der Rechtsordnung; Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, S. 37 ff. 323 Etwa BGHZ 154, 205 (215). 324 Walter, ZIS 2011, 76 (80); siehe auch Verrel/Simon/Verrel, Patientenverfügungen, S. 21 f. 325 BT-Drs. 16/11360 (Bosbach-E), S. 15. 326 v. Bar/Mankowski, IPR, § 4 III. 1. 327 Barta/Kalchschmid, Wien Klin Wochenschr (2004), 442 (446). 322
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Personals wegen ärztlicher Eigenmacht geht. Der BGH hat im Fall Putz entschieden, dass die Patientenverfügung allein eine (ärztliche) Handlung nicht zu rechtfertigen geeignet ist, sondern weitere Voraussetzungen für die Rechtfertigung vorliegen müssen, weil ansonsten eine Aufweichung des strafrechtlichen Verbots der Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) droht.328 Die Patientenverfügung dient auf strafrechtlicher Ebene also zur Feststellung des Patientenwillens im Rahmen des Rechtfertigungsgrundes „Behandlungsabbruch“. 329 Außerdem kommt nach dem Urteil des BGH im Kölner Fall im Kontext der Patientenverfügung eine strafrechtliche Sanktionierung in Betracht, wenn die prozeduralen Vorschriften der §§ 1901a ff. BGB nicht eingehalten wurden. 330 Neben den Bezügen zum Strafrecht bestehen bei der Patientenverfügung auch vereinzelt Bezüge zum öffentlichen Recht. Die Betreuung ist zwar zivilrechtlich ausgestaltet und das Betreuungsrecht jedenfalls seinem Regelungsstandort nach im Grundsatz ein Teilgebiet des Zivilrechts. 331 Die Betreuung hätte aber mit Blick auf ihren Regelungsgehalt auch öffentlichrechtlich ausgestaltet werden können. 332 Für eine Regelung im Zivilrecht sprach die Sachnähe der Betreuung zum Personenrecht. Verfahrensschutz mit öffentlich-rechtlichem Einschlag zugunsten des körperlichen Wohls und der Selbstbestimmung des Betreuten wird durch die gerichtliche Genehmigungspflicht des § 1904 BGB gewährt.333 3. Fazit Fazit der vorangegangenen Überlegungen ist, dass die deutsche Rechtsordnung nach wie vor eine Unterteilung in Rechtsgebiete kennt. Anders als im 19. Jahrhundert wird diese Unterteilung aber nicht mehr als apriorisch vorgegeben angesehen, sondern werden die Rechtsgebiete vielfältig miteinander verflochten. Klassisches Beispiel ist das Nachbarrecht. Auch die Patientenverfügung nimmt, so wie sie im deutschen materiellen Recht ausgestaltet ist, eine Zwitterstellung in der Rechtsordnung ein. Bei der Patientenverfügung greifen aus privatrechtlicher Sicht Privatrecht und Strafrecht über die privatrechtliche Sanktionsnorm des § 134 BGB ineinander, weil das Privatrecht nicht erlauben kann, was das Strafrecht verbietet. Aus strafrechtlicher Sicht besteht eine Mélange mit dem Privatrecht, weil das
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BGHSt 55, 191 (198 ff.); Albrecht, DNotZ 2011, 40 (41). Vgl. Schneider, MittBayNot 2011, 102 (105); Verrel, NStZ 2010, 671 (674). 330 Dazu unten Kapitel 2 § 2 B. II. 2. b). 331 Staudinger/Bienwald, § 1896 Rn. 5. 332 MünchKommBGB/Schwab, § 1896 Rn. 2: „öffentlichrechtlicher Anspruch auf Betreuung“. 333 Saliger, KritV 1998, 118 (125). 329
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Strafrecht nicht verbieten kann, was das Privatrecht erlaubt. 334 Dass Privatrecht und Strafrecht sich auf diese Weise inhaltlich folgen, dient der Widerspruchsfreiheit und damit der Einheit der Rechtsordnung. II. Grenzrecht Die Unterscheidung von Privatrecht, öffentlichem Recht und Strafrecht setzt sich fort in der nicht akzessorischen 335 Unterscheidung zwischen Internationalem Privatrecht, Internationalem öffentlichen Recht und Internationalem Strafrecht (1. a). Wie auf Ebene des materiellen Rechts gibt es auch im Grenzrecht Überschneidungen, denen das Internationale Privatrecht, das Internationale öffentliche Recht und das Internationale Strafrecht mit je eigenen Instrumenten begegnen, wobei im vorliegenden Kontext insbesondere der Blick auf das Internationale Privatrecht und das Internationale Strafrecht interessiert (1. b). Das Internationale Privatrecht berücksichtigt die Verflechtung der Teilrechtsordnungen mit der Kategorie der Eingriffsnormen (aa). Das Internationale Strafrecht würdigt die Verflechtung unter dem Stichwort Fremdrechtsanwendung im Strafrecht (bb). Wegen der Janusköpfigkeit der Patientenverfügung erlangen diese Kategorien auch bei Patientenverfügungen mit Auslandsbezug Bedeutung (2.). Dies wurde im deutschen Schrifttum bislang noch nicht thematisiert. 1. Unterteilung der Rechtsordnung in Rechtsgebiete, Verflechtungen a) Unterteilung der Rechtsordnung in Rechtsgebiete Bis heute sind das Internationale Privatrecht, das Internationale öffentliche Recht und das Internationale Strafrecht weitgehend wesensverschieden. Sie unterscheiden sich sowohl hinsichtlich des Regelungsgegenstandes als auch hinsichtlich der Art der Konfliktregelung. 336 aa) Internationales Privatrecht Aufgabe des Internationalen Privatrechts ist die Regelung der Rechtsbeziehungen Privater in Fällen mit Auslandsberührung. Das in Deutschland vorherrschende Verständnis des Internationalen Privatrechts wird bis heute wesentlich von Friedrich Carl von Savigny geprägt.337 Anders als die Statutenlehre, die seit dem Hochmittelalter vertreten wurde und die Reichwei334
Kritisch zu dem daraus entstehenden Zirkelschluss: Albers, MedR 2009, 138 (141). Schurig, Kollisionsnorm, S. 139. 336 Erman/Hohloch, Einl Art. 3–47 EGBGB Rn. 6. 337 Joerges, Zum Funktionswandel des Kollisionsrechts, S. 4; näher zu den diversen theoretischen Erklärungen des Internationalen Privatrechts: Rühl, Statut und Effizienz, S. 178 ff. 335
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te einer Rechtsnorm, konkret ihren räumlichen Anwendungsbereich, aus ihrem Inhalt (Unterscheidung zwischen statuta personalia, statuta realia, statuta mixta) herleitete338, forderte Savigny339 ein Internationales Privatrecht, das die unterschiedlichen nationalen Rechtsordnungen prinzipiell gleich behandelt.340 Für Savigny beruhte die Gleichbehandlung der nationalen Rechtsordnungen auf dem Postulat der völkerrechtlichen Gemeinschaft unabhängiger Staaten, aus dem ein „Bestreben nach Annäherung, Ausgleichung, Verständigung“ und das Bemühen, Einheimische und Fremde gleich zu behandeln, folgt. 341 Zur Aufgabe des Internationalen Privatrechts führte Savigny aus: „… und nach welcher die gesamte Aufgabe dahin geht, daß bei jedem Rechtsverhältnis dasjenige Rechtsgebiet ausgesucht werde, welchem dieses Rechtsverhältnis seiner eigenthümlichen Natur nach angehört oder unterworfen ist (worin dasselbe seinen Sitz).“ 342 Anders als der Statutenlehre ging es Savigny also nicht um die Klassifizierung des Anwendungsbereichs von inländischen Sachnormen, sondern um die Lokalisierung eines Rechtsverhältnisses in einer Rechtsordnung. 343 Ausgehend von der Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen berief er das räumlich beste Recht durch allseitige Verweisungsnormen, die für die Auswahl des maßgeblichen Rechts abstrakte Anknüpfungspunkte verwenden.344 Innerer Grund für die gedankliche Abkehr Savignys von der Statutenlehre war die beschriebene Trennung von öffentlichem Recht und Privatrecht im 19. Jahrhundert.345 Das Privatrecht wurde nun verstanden als eine vorstaatliche Rechtsordnung der autonomen bürgerlichen Gesellschaft, der abstrakt-formale und mit ausländischen Privatrechtsordnungen äquivalente Leitgedanken (Freiheit, Gleichheit, Eigentum) zugrunde liegen.346 Die Vorstellung von der Verwirklichung äquivalenter Leitgedanken drängte das Bedürfnis nach der Sicherung staatlicher Eigeninteressen in
338 Ausführlich zur Statutenlehre etwa: v. Bar/Mankowski, IPR, § 6 I., II.; Kegel/ Schurig, IPR, § 3; Kropholler, IPR, § 2 II.; v. Hoffmann/Thorn, IPR, § 2 C. 339 Bereits vor Savigny hat Carl Georg von Wächter (AcP 24 [1841], 230 ff.; AcP 25 [1842], 1 ff., 161 ff., 361 ff.) die Statutenlehre stark kritisiert. 340 Zimmer, in: Mélanges Sturm, S. 1709 (1713). 341 v. Savigny, System VIII, S. 28 ff., Vorrede S. VI, VIII; Sturm, in: IUS COMMUNE Bd. VIII, S. 92 (106). 342 v. Savigny, System VIII, S. 28, 108. 343 Rauscher, IPR, § 1 C. IV. 3. 344 MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 23; Rauscher, IPR, § 1 C. IV., D. 345 K. Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich, S. 215 ff., 225; Joerges, Zum Funktionswandel des Kollisionsrechts, S. 8; Zimmer, in: Mélanges Sturm, S. 1709 (1713); Basedow, RabelsZ 52 (1988), 8 (13 ff.). 346 Rehbinder, JZ 1973, 151 (153).
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den Hintergrund und ließ die Wertungen des eigenen und des ausländischen Rechts als grundsätzlich gleichwertig erscheinen.347 Nachdem Savignys System der Lokalisierung eines Rechtsverhältnisses nach dem Kriterium seines „Sitzes“ zunächst weiter verfeinert worden war348, geriet es seit den 1950er Jahren im deutschen Schrifttum in die Kritik und ist seitdem weiterentwickelt worden. In den 1950er Jahren begann im deutschen Schrifttum eine verdeckte Auseinandersetzung mit Fragen der Materialisierung des Kollisionsrechts im Zusammenhang mit der Diskussion über die Geltung des verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes im internationalen Ehe- und Familienrecht, die das BVerfG mit dem Spanier-Beschluss349 beendete.350 Lebhaftes Interesse erfuhren auch Ansätze aus dem US-amerikanischen Kollisionsrecht, die insbesondere auf David F. Cavers, Brainerd Currie und Robert A. Leflar zurückgingen.351 Diese Ansätze lehnten starre Kollisionsnormen ab und befürworteten eine Aufwertung des materiellen Rechts. 352 Die deutsche Methodendiskussion griff nicht nur diese Ansätze auf, sondern folgerte die Notwendigkeit eines Wandels der Aufgabenstellung des Internationalen Privatrechts zusätzlich aus dem bereits beschriebenen Strukturwandel des deutschen Privatrechts im 20. Jahrhundert. Große Aufmerksamkeit erfuhr die Feststellung von Klaus Vogel, dass die für das deutsche Recht charakteristisch strikte Trennung von öffentlichem Recht und Privatrecht auf einer historisch bedingten und daher zufälligen Spaltung von Staat und Gesellschaft beruht.353 Christian Joerges folgerte im Anschluss an Ernst Steindorff 354 347 Rehbinder, JZ 1973, 151 (153); Joerges, Zum Funktionswandel des Kollisionsrechts, S. 10 f. 348 Kühne, in: FS für Heldrich, S. 815. 349 BVerfGE 31, 58. 350 Kühne, in: FS für Heldrich, S. 815 (817); näher zur Entwicklung der klassischen Theorie in Europa: Rühl, Statut und Effizienz, S. 182 ff. 351 Nach dem von Currie entwickelten Modell der government interest analysis ist für die kollisionsrechtliche Rechtsfindung das Rechtsanwendungsinteresse der Staaten, die von der Lösung des Falles unmittelbar oder mittelbar beeinflusst werden, im Wege der Auslegung des materiellen Rechts zu ermitteln. Nach dem Modell von Cavers müssen „auf der Suche nach einer möglichst gerechten Lösung des Einzelfalls (…) die sich aus den betroffenen Rechten ergebenden widerstreitenden Lösungen (results) gegenübergestellt und die Gesetzeszwecke (policies)“ der Sachnormen „unter Berücksichtigung der internationalen Komponente abgewogen werden“. Nach dem better-law-approach besteht in Abweichung zu den Vorstellungen Savignys die Aufgabe des Kollisionsrechts darin, das sachlich beste Recht zu berufen. Vorstehendes aus und ausführlicher dazu: Staudinger/Sturm/Sturm, Einl zum IPR Rn. 68 ff.; ausführlich auch: v. Bar/Mankowski, IPR, § 6 V. 352 Schack, in: Liber amicorum Kegel, S. 179 (192). 353 K. Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich, S. 215 ff., 225; zuvor bereits Steindorff, Sachnormen im IPR, S. 42 ff., 258; Zusammenfassung übernommen von: MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 25.
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daraus, dass das Internationale Privatrecht entsprechend dem Internationalen öffentlichen Recht die Rechtsanwendungsfrage ausgehend vom Gesetz stellen solle; dies gewährleiste eine Orientierung an den rechts- und sozialpolitischen Zielen der beteiligten Staaten. 355 Infolge der Sozialisierung des materiellen Privatrechts wurde dem Internationalen Privatrecht Savignyscher Prägung eine „Armut an sozialen Werten“ 356 bescheinigt. Vorgeschlagen wurde, den Schutz des Schwächeren im Internationalen Privatrecht zu stärken 357 und die lex fori verstärkt anzuwenden358. Erst im Zuge der Reform des deutschen Internationalen Privatrechts im Jahr 1986 hat der Gesetzgeber diese Kritik zum Teil aufgegriffen. Seit dem Jahr 1986 wurden Ausweichklauseln (etwa Art. 28 Abs. 5, 41, 46 EGBGB), Günstigkeitsregeln (etwa Art. 19 Abs. 1, 20 Abs. 1, 43 Abs. 3 EGBGB) und Kappungsvorschriften (Art. 17b Abs. 4 EGBGB) eingeführt.359 Verstärkt wurde auch die lex fori berufen (etwa Art. 13 Abs. 2, 18 Abs. 2 EGBGB).360 In Bereichen des Verbraucherschutzes und des Arbeitsrechts wurden Normen eingeführt, die den Schutz der schwächeren Partei bezwecken (Art. 29, 30 EGBGB a.F.). Diese Entwicklungen haben bewirkt, dass das deutsche Internationale Privatrecht heute stärker als nach den Vorstellungen Savignys an der Erzielung bestimmter im deutschen materiellen Recht angelegter Ziele orientiert ist, ohne aber den klassischen verweisungsrechtlichen Ansatz aufzugeben.361 bb) Internationales öffentliches Recht, Internationales Strafrecht Das Internationale öffentliche Recht und das Internationale Strafrecht sind von anderen Grundüberlegungen geprägt als das Internationale Privatrecht. Der Begriff „Internationales öffentliches Recht“ dient als Oberbegriff für das Internationale Verfassungsrecht und das Internationale Verwaltungs354
Steindorff, Sachnormen im IPR, S. 262 ff. Joerges, Zum Funktionswandel des Kollisionsrechts, S. 156 ff. 356 Zweigert, RabelsZ 37 (1973), 435 ff. 357 v. Hoffmann, RabelsZ 38 (1974), 396 ff.; Kropholler, RabelsZ 42 (1978), 634 ff. 358 Flessner, RabelsZ 34 (1970), 547 ff.; Zweigert, RabelsZ 37 (1973), 435 (445 f.). 359 Staudinger/Sturm/Sturm, Einl zum IPR Rn. 122, 170 ff.; Zimmer, in: Mélanges Sturm, S. 1709 (1716 f.). 360 Zimmer, in: Mélanges Sturm, S. 1709 (1716 f.). 361 Zimmer, in: Mélanges Sturm, S. 1709 (1717, 1721 f.); Kühne, in: FS für Heldrich, S. 815 (817); bezogen auf die Entwicklung des kontinentalen Kollisionsrechts ausführlich: Staudinger/Sturm/Sturm, Einl zum IPR Rn. 121 ff.; Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit. Siehr (RabelsZ 37 [1973], 466 ff.) belegte freilich, dass die Wechselwirkung von Kollisionsrecht und Sachrecht bereits im Jahr 1973 ausgeprägt war. Dass eine gesetzgeberische Neuordnung des deutschen Internationalen Privatrechts nicht in Betracht ko mme, hat der Reformgesetzgeber in den Gesetzgebungsmaterialien deutlich zum Ausdruck gebracht (BT-Drs. 10/504, S. 26). 355
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recht362, wobei sich das akademische Schrifttum in der Vergangenheit weniger mit dem Internationalen Verfassungsrecht als mit dem Internationalen Verwaltungsrecht beschäftigt hat. 363 Das Schrifttum stellte lange Zeit in Frage, dass es ein Internationales öffentliches Recht überhaupt gibt. 364 Ausgehend von der Überlegung, dass die Zweiteilung der Rechtsordnung in öffentliches Recht und Privatrecht verfehlt sei 365, entwickelte sich der Wunsch danach, die Unterscheidung zwischen Internationalem öffentlichen Recht und Internationalem Privatrecht aufzugeben und in grenzüberschreitenden Sachverhaltskonstellationen unterschiedslos darauf abzustellen, welche Rechtsordnung einem Sachverhalt am nächsten steht und daher grundsätzlich auf ihn angewendet werden sollte. 366 Letztlich durchgesetzt hat sich aber die Auffassung, dass die Unterscheidung zwischen privatem und öffentlichem Kollisionsrecht durch die Wesensverschiedenheit der Materien legitimiert wird. 367 Bislang ist die Geltungskraft des Verwaltungshandelns im Internationalen öffentlichen Recht, insbesondere im Internationalen Verwaltungsrecht, territorial noch weitgehend auf das Hoheitsgebiet des Staates des Verwaltungsorganes beschränkt. 368 Die Anwendung inländischer öffentlich-rechtlicher Normen ergibt sich regelmäßig automatisch aus der Umschreibung der Tatbestände, in denen mitunter versteckte einseitige Kollisionsnormen gesehen werden.369 Anders als im In362
Menzel, Internationales Öffentl. Recht, S. 7. Menzel, Internationales Öffentl. Recht, S. 16. So beschäftigten sich bereits Lorenz von Stein, Otto Mayer und am ausführlichsten Karl Neumeyer mit Fragestellungen des Internationalen Verwaltungsrechts (Menzel, Internationales Öffentl. Recht, S. 16 f.). In den vergangenen Jahren sind das Internationale öffentliche Recht und insbesondere das Internationale Verwaltungsrecht infolge der voranschreitenden Globalisierung auf reges Interesse im Schrifttum gestoßen, siehe etwa: Ohler, Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts; Menzel, Internationales Öffentl. Recht; Ruffert, Die Globalisierung als Herausforderung an das öffentliche Recht; Schmidt-Aßmann, Der Staat 45 (2006), 315 ff. 364 Zur Entwicklung des Internationalen öffentlichen Rechts ausführlich: Menzel, Internationales Öffentl. Recht, S. 43 ff. 365 Dazu bereits oben Kapitel 2 § 2 B. I. 1. 366 Sog. Einheitstheorie, etwa vertreten von: Bullinger, Öffentl. Recht und Privatrecht, S. 104 ff. m.w.N. 367 Ohler, Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 113; Ficker, Grundfragen des deutschen interlokalen Rechts, S. 65 ff.; Kegel/Seidl-Hohenveldern, in: FS für Ferid, S. 233 (245); Drobnig, in: FS für Neumayer, S. 159 (176); Kopp, DVBl. 1967, 469; kritisch v. Bar/Mankowski (IPR, § 4 III.), die letztlich zwischen einem öffentlich-rechtlichen Internationalen öffentlichen Recht und einem privatrechtlichen Internationalen öffentlichen Recht unterscheiden. 368 Erman/Hohloch, Einl Art. 3–47 EGBGB Rn. 6; MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 388 ff.; grundlegend zum Anwendungsbereich öffentlich-rechtlicher Normen: K. Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich, S. 89 ff., 194 ff. 369 MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 389. 363
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ternationalen Privatrecht geht es im Internationalen öffentlichen Recht also nicht um Fragen der Wahl zwischen verschiedenen Rechtsordnungen, sondern um die Frage, wann das eigene öffentliche Recht Anwendung beansprucht.370 Das Internationale Strafrecht ist rechtssystematisch ein integrales Teilrechtsgebiet des Internationalen öffentlichen Rechts. 371 Anders als das deutsche Internationale öffentliche Recht ist das deutsche Internationale Strafrecht bereits seit dem 19. Jahrhundert kodifiziert.372 Es umfasst Regeln für die Anwendung inländischen Strafrechts auf Taten mit transnationalem Einschlag und legt die Grenzen der deutschen Strafgewalt in den §§ 3 ff. StGB einseitig fest. 373 Den §§ 3 ff. StGB liegt ein partiell erweitertes Territorialitätsprinzip zugrunde. 374 Denn als primären Anwendungsbereich des deutschen Strafrechts bestimmt § 3 StGB das inländische Territorium.375 Auslandstaten bezieht das StGB nur bei Bestehen bestimmter Anknüpfungspunkte in seinen Anwendungsbereich ein (§§ 5 ff. StGB).376 b) Verflechtungen Der Unterteilung der Rechtsordnung in Rechtsgebiete und der Verflechtung der Teilrechtsordnungen auf der Ebene des materiellen Rechts tragen 370
Schmidt-Aßmann, Der Staat 45 (2006), 315 (336); v. Bar/Mankowski, IPR, § 4 III. 2. a), b). 371 Menzel, Internationales Öffentl. Recht, S. 24. 372 Zur Geschichte des Internationalen Strafrechts etwa: C. L. v. Bar, Das int. Privatund Strafrecht, S. 504 ff.; Oehler, Int. Strafrecht, Kap. 1, 2. 373 Schönke/Schröder/Eser, Vorbem zu §§ 3–9 StGB Rn. 1; Erman/Hohloch, Einl Art. 3–47 EGBGB Rn. 6. 374 Satzger, Int. und Europ. Strafrecht, § 5 Rn. 4. 375 Schönke/Schröder/Eser, Vorbem zu §§ 3–9 StGB Rn. 6. Gemäß § 9 StGB ist Tatort sowohl der Handlungsort als auch der Erfolgsort. Erweiterung erfährt das Territorialitätsprinzip durch das in § 4 StGB verwirklichte Flaggenprinzip: Danach ist deutsches Strafrecht anzuwenden bei einer Tat, die auf einem in Deutschland registrierten Schiff oder Flugzeug begangen wird (Satzger, Int. und Europ. Strafrecht, § 5 Rn. 10, 60). 376 Schönke/Schröder/Eser, Vorbem zu §§ 3–9 StGB Rn. 1. Soweit das Territorialitätsprinzip den Schutz bedeutender Rechtsgüter der Allgemeinheit oder einzelner Staat sbürger nach Auffassung des Gesetzgebers nicht ausreichend sicherstellt oder eine missbräuchliche Verlegung des Tatorts in das Ausland zu unterbinden ist, findet das deutsche Strafrecht über § 5 StGB auf Auslandstaten Anwendung (Satzger, Int. und Europ. Strafrecht, § 5 Rn. 64). § 6 StGB erfasst in den Nrn. 2–8 einen Katalog von Straftaten, die unabhängig von der Nationalität des Täters und der des Opfers dem deutschen Strafrecht unterfallen (Weltrechtsprinzip): Legitimierender Anknüpfungspunkt ist die Natur des g efährdeten oder verletzten Rechtsguts, wobei es sich um einen Rechtswert handeln muss, den die Völkergemeinschaft übereinstimmend schützen möchte (Satzger, Int. und Europ. Strafrecht, § 5 Rn. 73 f.). § 7 StGB verwirklicht das aktive und passive Personalitätsprinzip und verknüpft dieses mit der Strafbarkeit der Tat am Tatort (Satzger, Int. und Europ. Strafrecht, § 5 Rn. 79 f.).
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das im vorliegenden Kontext im Mittelpunkt stehende Internationale Privatrecht und Internationale Strafrecht unterschiedlich Rechnung. Das Internationale Privatrecht berücksichtigt die Verflechtung der Teilrechtsordnungen mit der Kategorie der Eingriffsnormen (aa). Das Internationale Strafrecht würdigt die Verflechtung mit der Kategorie der Fremdrechtsanwendung im Strafrecht (bb). aa) Internationales Privatrecht und Eingriffsnormen Das Internationale Privatrecht integriert die Beachtung von Normen öffentlich-rechtlicher Herkunft und Normen öffentlich-rechtlicher Prägung über die Rechtsfigur Eingriffsnormen und verbindet auf diese Weise das Internationale Privatrecht mit dem öffentlichen Recht. 377 Methodisch hat sich die Rechtsfigur Eingriffsnormen aus Savignys Kategorie der „Gesetze von streng positiver zwingender Natur“ entwickelt. 378 Seit Savigny ist das kollisionsrechtliche System durch eine Zweipoligkeit gekennzeichnet: Im Kernbereich des Internationalen Privatrechts geht es um die Fragestellung vom Sachverhalt her nach dem anwendbaren Recht, im Geltungsbereich der Eingriffsnormen geht die Fragestellung vom Gesetz zu dessen Anwendungsbereich.379 Savigny beschrieb die Grenzen seines verweisungsrechtlichen Ansatzes, indem er auf die Existenz „manche(r) Arten von Gesetzen, deren besondere Natur einer so freien Handhabung der Rechtsgemeinschaft unter verschiedenen Staaten widerstrebt“ 380 aufmerksam machte. Vom Verweisungsrecht sollten ausgenommen sein „Gesetze von streng positiver, zwingender Natur, die eben wegen dieser Natur zu jener freien Behandlung, unabhängig von den Gränzen verschiedener Staaten nicht geeignet sind.“381 Nach Savigny können diese Gesetze beruhen „auf sittlichen Gründen“ und „auf Gründen des öffentlichen Wohls (publica utilitas), mögen diese nun mehr einen politischen, einen polizeilichen, oder einen volkswirtschaftlichen Charakter an sich tragen.“ 382 Während Savigny noch davon ausgegangen war, dass diese Gesetze „Ausnahmefälle“ seien, die „in Folge der natürlichen Rechtsentwicklung der Völker, sich fortwährend
377
Remien, in: FS für v. Hoffmann, S. 334; Buschbaum, Privatrechtsgestaltende Anspruchspräklusion, S. 131. 378 Sonnenberger, ZVglRWiss 100 (2001), 107 (112 f.). 379 Kropholler, IPR, § 3 II. 4. 380 v. Savigny, System VIII, S. 32; auch aufgegriffen von: Kropholler, IPR, § 3 II. 381 v. Savigny, System VIII, S. 33. Schon zuvor (S. 32) führt Savigny aus: „Bei solchen Gesetzen wird der Richter das einheimische Recht ausschließender anzuwenden haben, als es jener Grundsatz gestattet, das fremde Rechte dagegen unangewendet lassen müssen, auch wo jener Grundsatz die Anwendung rechtfertigen würde.“ 382 v. Savigny, System VIII, S. 36.
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vermindern werden“383, war infolge der Sozialisierung des Privatrechts bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts das Gegenteil der Fall. 384 Savignys Kategorie der „Gesetze von streng positiver zwingender Natur“ stieß rasch auf Interesse des akademischen Schrifttums. Anders als Savigny betrachtete die romanische Lehre im Anschluss an Pasquale Stanislao Mancini die mit den „Gesetzen von streng positiver zwingender Natur“ korrespondierenden lois d’application immédiate nicht als Ausnahmekategorie, sondern als zweite Säule des Kollisionsrechts und verankerte sie in Anlehnung an Art. 3, 6 des im Jahr 1804 entstandenen Code civil im ordre public.385 In Deutschland flossen Savignys Gedanken zunächst in die Lehre von den Prohibitivgesetzen ein. 386 Anders als in der romanischen Lehre stieß die Kategorie der „Gesetze von streng positiver, zwingender Natur“ als Sonderklasse im Kollisionsrecht aber auch auf vehemente Kritik. Insbesondere Carl Ludwig von Bar und Franz Kahn387 lehnten sie ab, was dazu führte, dass sich das deutsche Schrifttum anders als die romanische Lehre verstärkt der negativen Funktion des ordre public zuwandte.388 Dies bedeutete aber nicht, dass die Durchsetzung inländischer Sachnormen in Fällen mit Auslandsberührung aufgegeben wurde. So beeinflusste Savignys Lehre von den „Gesetzen von streng positiver zwingender Natur“ die Rechtsprechung.389 Auch das wissenschaftliche Schrifttum setzte die Durchsetzung inländischen Sachrechts voraus. Wilhelm Wengler ging in einem Beitrag aus den 1940er Jahren selbstverständlich davon aus, dass es inländische Sachnormen gibt, die unabhängig vom berufenen Recht anzuwenden sind.390 Intensiver beschäftigte er sich in diesem Beitrag aber mit der bis dahin unbeleuchteten Frage, wie mit zwingenden Vorschriften aus383
v. Savigny, System VIII, S. 38. Sonnenberger, ZVglRWiss 100 (2001), 107 (112 f.). 385 Ausführlich zu diesem Ansatz: Neumayer, in: FS für Dölle, Bd. II, S. 179 (182 f.); Schurig, Kollisionsnorm, S. 35 f. Ob auch Savigny diese Normen im ordre public verorten wollte, wird unterschiedlich beurteilt (befürwortend: Sturm, in: IUS COMMUNE, Bd. VIII, S. 92 [101]). Tatsächlich hat Savigny seine Ausführungen zu den „Gesetzen von streng positiver zwingender Natur“ aber nicht in Bezug zur öffentlichen Ordnung g esetzt (ebenso: Neumayer, in: FS für Dölle, Bd. II, S. 179 [181]). 386 Schwander, Lois d’application immédiate, S. 137; zu den Prohibitivgesetzen etwa: Niemeyer, Vorschläge und Materialien, S. 62 ff. 387 C. L. v. Bar, Theorie und Praxis, Bd. 1, S. 89 f.; Kahn, Die Lehre vom ordre public, S. 161 (167 ff.). Auch Ernst Zitelmann (IPR I, S. 317 ff.) formulierte lediglich eine negative ordre public-Klausel. Anders aber Niemeyer, Vorschläge und Materialien, S. 66 ff.: „Eine generelle Bestimmung über die Exklusivität gewisser Vorschriften des BGB ist nicht zu entbehren.“ 388 Schurig, Kollisionsnorm, S. 36. 389 RGZ 12, 309 (311); 21, 136 (141); 36, 331 (332 ff.); Gutzwiller, Der Einfluß Savignys, S. 89; Schwander, Lois d’application immédiate, S. 137. 390 Wengler, ZVglRWiss 54 (1941), 168 ff. 384
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ländischen Schuldrechts umzugehen ist. Ausländische Sachnormen dieser Art wollte er aus dem Schuldvertragsstatut auslösen und nach eigenen Regeln, nämlich nach ihrem eigenen örtlichen Geltungswillen, anwenden, wenn der fremde Staat eine genügend enge Beziehung zu dem Rechtsverhältnis aufweist (Lehre von der Sonderanknüpfung). 391 Bis heute ist die Frage nach dem Umgang mit ausländischem international zwingendem Recht strittig.392 Nachdem also recht früh feststand, dass es inländische Sachnormen gibt, die unabhängig vom berufenen Recht anzuwenden sind, konzentrierte sich die wissenschaftliche Diskussion dem Schwerpunkt nach auf die bis heute umstrittene sachlich-inhaltliche Definition dieser Normen. 393 Merkmal dieser Normen sollte sein, dass sie dem öffentlichen Interesse statt den Interessen des Einzelnen dienen. 394 Gerhard Kegel schrieb die Wahrung von Gemeininteressen dem öffentlichen Recht zu und ging von der Existenz einer besonderen Kategorie des öffentlichen Rechts im Internationalen Privatrecht aus.395 Diese Kategorie stieß aber zu Recht auf Kritik. So wurde darauf hingewiesen, dass die Kategorie des öffentlichen Rechts im Internationalen Privatrecht wenig hilfreich sei, weil die Abgrenzung von öffentlichem Recht und Privatrecht angesichts der rechtskulturell unterschiedlichen Beurteilung immer nur als innerstaatlicher Vorgang möglich sei.396 Hinzu komme, dass auch bei der Gestaltung der Rechtsbeziehungen Privater die Gemeininteressen bisweilen so starkes Gewicht haben, dass eine Grenzziehung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht verschwimme, so etwa im Wettbewerbs- und Kapitalmarktrecht. 397 Gerade mit Blick auf die infolge des Strukturwandels des Privatrechts stetig an Bedeutung gewinnenden „privatöffentlichrechtlichen juristischen Hybridgewächse“ führe die Kategorie Kegels nicht weiter.398 Im deutschen Internationalen Privatrecht letztlich durchgesetzt hat sich der von Paul Heinrich Neuhaus399 geprägte Begriff „Eingriffsnormen“. 400 Darunter versteht er Normen, die im öffentlichen (staats- oder wirtschaftspolitischen) Interesse auf 391
Wengler, ZVglRWiss 54 (1941), 168 ff. Kurz darauf beschäftigte sich Konrad Zweigert (RabelsZ 14 [1942], 283 ff.) mit der Wirkung ausländischer Leistungsverbote. 392 Dazu unten Kapitel 2 § 2 C. III. 3. b) dd). 393 Diskussion nachgezeichnet bei: Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (226 ff.). 394 Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (227). 395 Kegel, IPR, 7. Aufl., § 2 IV.; entnommen aus und zitiert nach: MünchKommBGB/ Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 36. 396 v. Bar/Mankowski, IPR, § 4 III. 3. a). 397 MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 36. 398 Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (228). 399 Neuhaus, Grundbegriffe, § 4 II. 400 MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 36 f.; Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217 (226 ff.).
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private Rechtsverhältnisse einwirken oder die sonstwie die persönliche Freiheit beschränken.401 Gesetzlich wurde das Eingriffsrecht erstmals in Art. 7 EVÜ geregelt, allerdings beschränkt auf das Internationale Schuldvertragsrecht. 402 Der deutsche Gesetzgeber hat Art. 7 EVÜ in Art. 34 EGBGB umgesetzt. Die gesetzliche Regelung der Eingriffsnormen in Art. 7 EVÜ/Art. 34 EGBGB wurde als „methodischer Quantensprung“ in der Diskussion der Eingriffsnormen bezeichnet.403 Der deutsche Gesetzgeber hat mit der Umsetzung des Art. 7 der Zweipoligkeit des Internationalen Privatrechts im deutschen Kollisionsrecht erstmals gesetzlich Ausdruck verliehen und damit auch den das materielle Recht schon lange Zeit prägenden Prozess der Verflechtung der Teilrechtsordnungen für das Kollisionsrecht aufgegriffen. Art. 7 EVÜ wurde in Art. 34 EGBGB a.F. für das Internationale Schuldvertragsrecht begrenzt auf deutsche Eingriffsnormen übernommen. Dadurch ist der falsche Eindruck entstanden, dass es sich bei den Eingriffsnormen ausschließlich um eine Thematik des Schuldvertragsrechts handelt: Tatsächlich taucht – auch wenn sich keine allgemeine Vorschrift über Eingriffsnormen im deutschen Kollisionsrecht findet – Eingriffsrecht in allen Rechtsbereichen des Internationalen Privatrechts auf. 404 Positivierungen dieser ungeschriebenen allgemeinen Regel sind nun Art. 9 Rom I-VO für vertragliche Schuldverhältnisse und Art. 16 Rom II-VO für außervertragliche Schuldverhältnisse.405 Auch nach Inkrafttreten des Art. 34 EGBGB ebbte die Diskussion um die Eingriffsnormen nicht ab. Erneut ging es um die sachlich-inhaltliche Definition, zu der sowohl Art. 7 EVÜ als auch Art. 34 EGBGB schwieg. Infolge der Sozialisierung des Privatrechts stellte sich immer drängender die Frage, wie mit Normgeflechten umzugehen ist, in denen die Beachtung privater Interessen auch zum Gegenstand des öffentlichen Interesses wird. Das Vordringen der Eingriffsnormen in Normbereiche, die der Gewährleistung des Gleichgewichts zwischen privaten Vertragspartnern dienen, ins-
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Neuhaus, Grundbegriffe, § 4 II. MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 38. 403 Kühne, in: FS für Heldrich, S. 815 (829). 404 Sonnenberger, IPRax 2003, 104; MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 38; Bamberger/Roth/Spickhoff, 2. Aufl., Art. 34 EGBGB Rn. 6; Spickhoff, Ordre public im IPR, S. 131. Anders als das EGBGB enthält u.a. das schweizer. IPRG in Art. 18 einen Generalvorbehalt für Bestimmungen des schweizerischen Rechts, die wegen ihres Zweckes zwingend anzuwenden sind (dazu etwa: Staudinger/Sturm/Sturm, Einl zum IPR Rn. 18). 405 MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 38; Spickhoff, in: FS für Deutsch, S. 907 (916). 402
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besondere in das Verbraucherrecht, wurde im Schrifttum 406 mehrheitlich kritisiert und von der Rechtsprechung überwiegend 407 abgelehnt.408 Die wesentlichen Maßstäbe für die Qualifikation liefert nun Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO, der im Anschluss an die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Arblade/Leloup409 die Einordnung als Eingriffsnorm auf Vorschriften beschränkt, die „entscheidend für die Wahrung der politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation eines Staates“ sind. Diese Definition deckt sich im Wesentlichen mit der Rechtsprechung des EuGH, des BGH und des BAG sowie dem überwiegenden Teil des Schrifttums. 410 Sie dürfte die Diskussion, ob und in welchem Maße rein Privatinteressen dienende Normen als Eingriffsnormen qualifiziert werden können, dahingehend beenden, dass diese Normen keine Eingriffsnormen sind. 411 Den verweisungsrechtlichen Ansatz des klassischen Kollisionsrechts hat der Bedeutungszuwachs der Eingriffsnormen nur partiell verdrängt. Es ist immer noch Aufgabe des Internationalen Privatrechts, „den privaten Interessenausgleich insoweit mittels allseitiger Kollisionsnormen zu regeln, wie er mit den klassischen Mitteln des Privatrechts erreicht werden kann“.412 Allerdings berücksichtigt das moderne Internationale Privatrecht, dass infolge des Strukturwandels des Privatrechts weite Bereiche gesellschaftlichen Handelns nicht mehr als „rein“ privat angesehen werden kön-
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Etwa: Mankowski, DZWir 1996, 273 ff.; W.-H. Roth, RIW 1994, 275 ff.; Sonnenberger, in: FS für Rebmann, S. 819 (822 f.). In Richtung Qualifikation als Eingriffsnormen: BR-Drs. 224/83, S. 28. 407 Ob auch verbraucherschützende Vorschriften Eingriffsnormen sind, hat der BGH zunächst offen gelassen: BGHZ 123, 380 (390 f.); 135, 124 (135 f.). In BGHZ 165, 248 (Ls. b), 257) hat der BGH dann im Kontext des VerbrKrG ausgeführt, dass Normen, die dem Ausgleich privater Interessen dienen, nur dann als Eingriffsnormen qualifiziert werden können, wenn sie zumindest auch öffentliche Gemeinwohlinteressen verfolgen, und eine Qualifikation der Normen des VerbrKrG als Eingriffsnormen abgelehnt. Für Behandlung des § 138 BGB als Eingriffsnorm etwa: LG Detmold NJW 1994, 3301 (3302). 408 Sonnenberger, in: FS für Fikentscher, S. 283 (291); MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 40; zum alten Streit: Sonnenberger, IPRax 2003, 104 (105 f.). 409 EuGH v. 23.11.1999 – Rs. C-369/96 und C-376/96, Slg. 1999, I-8453 Rn. 30 – Arblade/Leloup: „Was die zweite Frage in beiden Rechtssachen bezüglich der im belgischen Recht vorgenommenen Qualifizierung der streitigen Vorschriften als Polizei - und Sicherheitsgesetze betrifft, so sind unter diesem Begriff nationale Vorschriften zu verstehen, deren Einhaltung als so entscheidend für die Wahrung der politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation des betreffenden Mitgliedstaats angesehen wird, daß ihre Beachtung für alle Personen, die sich im nationalen Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats befinden, und für jedes dort lokalisierte Rechtsverhältnis vorgeschrieben ist.“ 410 MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 40 f. 411 MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 44; Remien, in: FS für v. Hoffmann, S. 334 (335). 412 Basedow, RabelsZ 52 (1988), 8 (9).
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nen, sondern durch ordnungspolitische Interessen geprägt sind.413 Letzteres kann als „geistige Rückkehr zur Statutentheorie“ bezeichnet werden. 414 Abzuwarten bleibt, ob Eingriffsnormen auch künftig weiter auf Kosten des verweisungsrechtlichen Ansatzes an Bedeutung gewinnen werden. Es ist nicht auszuschließen, dass die Mitgliedstaaten das Eingriffsrecht im Zuge der fortschreitenden Vereinheitlichung des Kollisionsrechts in Tradition eines better-law-approach als Mittel zur Durchsetzung nationaler Interessen entdecken.415 Es ist Aufgabe der Rechtsprechung, die strikte Beachtung der Definition des Art. 9 Rom I-VO zu gewährleisten. 416 bb) Internationales Strafrecht und Fremdrechtsanwendung Infolge der Verzahnung der Rechtsgebiete stellt sich auch bei strafrechtlichen Sachverhalten mit grenzüberschreitendem Bezug die Frage nach dem Umgang mit rechtsgebietsübergreifenden Normgeflechten. Das strafrechtliche Schrifttum diskutiert diese Frage unter dem Stichwort „Fremdrechtsanwendung im Strafrecht“. Das Problem der Fremdrechtsanwendung umschreibt Konstellationen, in denen im Rahmen der strafrechtlichen Sachverhaltsprüfung Berührungspunkte zu anderen Rechtsgebieten auftreten, also zivil- oder verwaltungsrechtliche Inzidentfragen zu prüfen sind. 417 Dies ist vorrangig bei Blanketttatbeständen418 und bei normativen Tatbestandsmerkmalen 419 der Fall.420 Die Bezugnahme des Strafrechts auf das Privatrecht bewirkt eine Abhängigkeit des Strafrechts vom Privatrecht. 421 Augenfällig ist die Zivilrechtsakzessorietät des Strafrechts außerdem bei im Zivilrecht normierten Rechtfertigungsgründen, etwa §§ 228 f., 904 BGB. 422 Eine „mittelbare Abhängigkeit“ besteht gegenüber privatrechtlichen Bestimmungen, die nicht 413
Rehbinder, JZ 1973, 151 (154). Basedow, RabelsZ 52 (1988), 8 (9). 415 MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 45. 416 MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 45. 417 Cornils, Fremdrechtsanwendung im Strafrecht, S. 6. Die Anwendung fremden Strafrechts lassen die §§ 3 ff. StGB grundsätzlich nicht zu, jedoch ist ausländisches Strafrecht im Rahmen des § 7 StGB zu prüfen (Schönke/Schröder/Eser, Vorbem zu §§ 3–9 StGB Rn. 40 m.w.N.). 418 Blankettmerkmal ist etwa die in § 283b StGB (Verletzung der Buchführungspflicht) genannte Buchführungspflicht. Dieses Blankettmerkmal wird ausgefüllt durch §§ 283 ff. HGB. 419 Normatives Tatbestandsmerkmal ist etwa der Eheschluss in § 172 StGB (Verbot der Doppelehe). 420 Walter, JuS 2006, 870; Cornils, Fremdrechtsanwendung im Strafrecht, S. 10 ff.; Mankowski/Bock, ZStW 120 (2008), 704. 421 Vgl. Mankowski/Bock, ZStW 120 (2008), 704 ff. 422 Cornils, Fremdrechtsanwendung im Strafrecht, S. 41. 414
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als Erlaubnissätze normiert wurden, im Zusammenhang mit allgemeinen Rechtfertigungsgründen aber zum Ausschluss der Rechtswidrigkeit führen können.423 Während in reinen Inlandsfällen deutsches Zivilrecht zur Anwendung kommt, stellt sich in Fällen mit Auslandsberührung die Frage, welches Zivilrecht anzuwenden ist: Eine Antwort liefert grundsätzlich das inländische Internationale Privatrecht. 424 Zweifel an der Anwendbarkeit des Internationalen Privatrechts im Strafrecht weckt freilich Art. 103 Abs. 2 GG, der die gesetzliche Bestimmtheit von Straftatbeständen vorschreibt: Daraus folgt nach ständiger Rechtsprechung, dass jedermann vorhersehen können soll, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist.425 Das BVerfG hat mehrfach entschieden, dass die akzessorische Verweisung im Strafrecht als solche jedenfalls nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstößt, weil das Bestimmtheitsgebot nicht dazu zwinge, „im Strafrecht auf die Verwendung auslegungsfähiger Begriffe ganz zu verzichten. Ohne sie wäre der Gesetzgeber nicht in der Lage, der Vielgestaltigkeit des Lebens Herr zu werden.“426 Für die Verweisung auf ausländische Rechtssätze aufgrund strafrechtlicher Akzessorietät ließe sich überlegen, dass sich aus dem erschwerten Zugang zur fremden Rechtsordnung ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG ergibt.427 Auch wenn das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot höhere Voraussetzungen als das allgemeine rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot aufstellt, genügen dem die objektiven Anknüpfungen des deutschen Internationalen Privatrechts aber ebenso wie die Rechtswahltatbestände, weil sie Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit garantieren.428 2. Patientenverfügung in Fällen mit Auslandsberührung In der vorangegangenen Untersuchung 429 wurde bereits deutlich, dass die Patientenverfügung, so wie sie im deutschen materiellen Recht ausgestaltet ist, enge Bezüge zum Zivilrecht und zum Strafrecht aufweist. Es wird sich 423
Cornils, Fremdrechtsanwendung im Strafrecht, S. 41 f. Mankowski/Bock, ZStW 120 (2008), 704 (706); Liebelt, GA 1994, 20 (22 ff.); Cornils, Fremdrechtsanwendung im Strafrecht, S. 98 f.; Nowakowski, JZ 1971, 633 (634 f.); aus der Rechtsprechung: LG Hamburg NStZ 1990, 280 f.; RGSt 33, 256 (258 ff.); OLG Hamm MDR 1982, 1040; OLG Schleswig NJW 1989, 3105 f.; anders aber: RGSt 27, 135 (136 f.). 425 Etwa BVerfGE 14, 245 (252); 25, 269 (285); 28, 175 (183); 41, 314 (319); 45, 346 (351); 47, 109 (120); 48, 48 (56); 64, 389 (393 f.); 73, 206 (234); 75, 329 (341); Mankowski/Bock, ZStW 120 (2008), 704 (709); zum „Grundgedanken des „nulla-poenaSatzes“: Cornils, Fremdrechtsanwendung im Strafrecht, S. 114 ff. 426 BVerfGE 32, 346 (364); zuvor schon BVerfGE 4, 352 (358); 11, 234 (237); 28, 175 (183); Cornils, Fremdrechtsanwendung im Strafrecht, S. 116 f. 427 Mankowski/Bock, ZStW 120 (2008), 704 (710). 428 Mankowski/Bock, ZStW 120 (2008), 704 (710 f.). 429 Dazu oben Kapitel 2 § 2 B. I. 2. 424
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zeigen, dass für die Patientenverfügung wegen ihres privatautonomen Charakters – entgegen der Auffassung Heggens – eine Verweisungsnorm zu suchen ist, aber zugleich auch Teile der §§ 1901a ff. BGB als Eingriffsnormen zu qualifizieren sind (a). Außerdem wird deutlich werden, dass sich bei der Patientenverfügung das Problem der Fremdrechtsanwendung im Strafrecht stellt, wenn die Strafbarkeit eines behandelnden Arztes wegen eigenmächtiger Heilbehandlung oder wegen eines Tötungsdelikts zu beurteilen ist und ein Auslandsbezug besteht (b). a) Patientenverfügung und Internationales Privatrecht aa) Kollisionsrechtliche Verweisungsnorm Die Patientenverfügung ist trotz ihrer Bezüge zum öffentlichen Recht, insbesondere zum Strafrecht, in der deutschen Rechtsordnung dem Schwerpunkt nach im Zivilrecht zu verorten, weil das faktische Handeln des Betroffenen in Form der Willensbekundung Patientenverfügung privatautonomes Handeln ist, das an zivilrechtliche Wirksamkeitsvoraussetzungen geknüpft wird. Daraus folgt, dass auch für Fälle mit Auslandsberührung zunächst einmal das Internationale Privatrecht regelungszuständig ist, weil es das materielle Privatrecht in seinem gesamten Anwendungsbereich mit seinen Kollisionsnormen „begleitet“. 430 Geebnet ist der Weg zu einer kollisionsrechtlichen Verweisungsnorm damit aber noch nicht. Wegen der beschriebenen Mélange von Zivilrecht und Strafrecht bleibt zu überlegen, ob es sich bei den §§ 1901a ff. BGB insgesamt oder bei einzelnen dieser Normen um Eingriffsnormen handelt. Folge einer Qualifikation der §§ 1901a ff. BGB als Eingriffsnormen wäre, dass das normale Anknüpfungsgefüge des Internationalen Privatrechts nicht zum Zuge käme, sondern diese Normen Gegenstand eines eigenen Anknüpfungsgefüges wären, das separat neben dem Internationalen Privatrecht steht.431 Infolge der Qualifikation als Eingriffsnormen würden sich die §§ 1901a ff. BGB bzw. Teile dieser Normen im Grundsatz auch gegen zur Anwendung berufenes ausländisches Recht durchsetzen, wobei hier zunächst nicht näher festgelegt werden muss, aufgrund welcher Verweisungsnorm dieses Recht berufen würde.
430 Vgl. Erman/Hohloch, Einl Art 3–47 EGBGB Rn. 1; MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 35. Das Internationale Privatrecht selbst ist nicht öffentliches Recht, sondern Privatrecht, weil die Normen des EGBGB beliebige Zuordnungssubjekte haben, sie nicht zum Amtsrecht der Hoheitsträger zählen und keine Über - und Unterordnungsverhältnisse gestalten (v. Bar/Mankowski, IPR, § 4 III. 1., Fn. 242). 431 Allgemein: v. Bar/Mankowski, IPR, § 4 III. 3. d); Sonnenberger, IPRax 2003, 104 (105); Mankowski, FamRZ 1999, 1313.
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bb) Eingriffsnormen und Patientenverfügung Ob es sich auch bei den im Zusammenhang mit der Patientenverfügung relevant werdenden Normen (§§ 1901a ff., 134 BGB, §§ 211 ff. StGB) um Eingriffsnormen handelt, ist eine Qualifikationsfrage, an deren Anfang die Frage steht, wie man Eingriffsnormen überhaupt als solche erkennt (1). 432 Daran schließt sich die Folgefrage an, nach welchen Kriterien die als solche identifizierten Eingriffsnormen anzuknüpfen sind (2). 433 (1) Definition In der Vergangenheit hat der deutsche Gesetzgeber bei bestimmten Gesetzen in deren Wortlaut und den Gesetzgebungsmaterialien zum Ausdruck gebracht, dass er diese als Eingriffsnormen ansieht, etwa in § 449 Abs. 3 HGB und § 466 Abs. 4 HGB.434 Enthält eine Norm hingegen keinen ausdrücklichen kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl, gestaltet sich die Qualifikation als Eingriffsnorm schwierig und ihr Geltungswille ist gegenüber dem fremden Recht im Wege der Auslegung zu ermitteln. 435 Dabei müssen die konkreten Normzwecke und Normaussagen bestimmt und analysiert werden.436 Besonders schwer fällt die Qualifikationsentscheidung, wenn einer Norm sowohl Gemeininteressen als auch Privatinteressen zugrunde liegen.437 Die wesentlichen Maßstäbe für die Qualifikation liefert nun, wie bereits geschildert 438, Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO, der die Einordnung als Eingriffsnorm auf Vorschriften beschränkt, die „entscheidend für die Wahrung der politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation eines Staates“ sind. Weil sich der deutsche Gesetzgeber nicht zu einem internationalen Geltungsanspruch der §§ 1901a ff. BGB geäußert hat, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob ein solcher Geltungsanspruch besteht. Auf den ersten Blick dienen die Vorschriften über die Errichtung der Patientenverfügung in § 1901a Abs. 1 BGB keinen Allgemeinwohlbelangen. Die entgegengesetzte Auffassung439, die den international zwingenden Charakter mit der grundgesetzlich geschützten Würde des Betroffenen begründet, überzeugt 432 Vgl. Kuckein, Die ‚Berücksichtigung‘ von Eingriffsnormen, S. 12; MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 39; v. Bar/Mankowski, IPR, § 4 III. 3. c) (4). 433 Kuckein, Die ‚Berücksichtigung‘ von Eingriffsnormen, S. 12. 434 v. Bar/Mankowski, IPR, § 4 III. 3. c) (5). 435 Staudinger/Blumenwitz, Art. 6 EGBGB Rn. 25; Bamberger/Roth/S. Lorenz, Einl IPR Rn. 49. 436 v. Bar/Mankowski, IPR, § 4 III. 3. c) (4); MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 45. 437 Sonnenberger, IPRax 2003, 104 (109). 438 Dazu bereits oben Kapitel 2 § 2 B. II. 1. b) aa). 439 Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 234.
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nicht. Denn ansonsten müssten alle Vorschriften, die Ausprägung grundrechtlich geschützter Positionen sind, als Eingriffsnormen qualifiziert werden. Dies entspricht dem US-amerikanischen Kollisionsrecht und wäre gleichbedeutend mit einer Absage an das kollisionsrechtliche Verweisungsrecht, weil etwa auch die Vertrags- und die Testierfreiheit Ausprägungen der Menschenwürde sind. Überdies berührt die Vorschrift des § 1901a Abs. 1 BGB weder Gemeininteressen bevölkerungspolitischer Art noch wahrt sie gesundheitspolitische Interessen. § 1901a Abs. 1 BGB dient in erster Linie der Förderung des Interesses des Betroffenen an der Wahrnehmung und Durchsetzung seines Patientenselbstbestimmungsrechts sowie der Förderung des Interesses der Ärzte an Rechtssicherheit.440 Bei beiden Interessen handelt es sich um Individualinteressen. Auch die Formvorschrift des § 1901a Abs. 1 EGBGB kann nicht als Eingriffsnorm qualifiziert werden. Denn obwohl das Schriftformerfordernis auch dem Schutz von Allgemeininteressen dient, nämlich dem Interesse an der Sicherheit des Rechtsverkehrs, ist Primärzweck, den Betroffenen vor unüberlegten Entscheidungen zu schützen. 441 Die Widerrufsmöglichkeit des § 1901a Abs. 1 S. 3 BGB schützt ebenfalls Individualinteressen, nämlich das individuelle Interesse des Betroffenen daran, durch die einmal errichtete Patientenverfügung nicht auf immer und ewig gebunden zu sein, sich also durch die Errichtung einer Patientenverfügung nicht selbst zu entmündigen. Und auch § 1901a Abs. 4 BGB kann nicht als Eingriffsnorm qualifiziert werden, weil die Vorschrift ebenso wie § 138 BGB lediglich einen zivilrechtlichen Grundsatz ausdrückt, der allein das Verhältnis des Betroffenen zu Dritten betrifft. 442 Ohnehin verfolgt nicht jede Vorschrift, die den Schutz eines Schwächeren bezweckt und die zur Bewertung eines Verhaltens auf sozialethische Erkenntnisse zurückgreift, Gemeininteressen.443 Die strafrechtlichen Verbote der §§ 211 ff. StGB, insbesondere § 216 StGB, berühren, wie bereits gezeigt, die Patientenverfügung nicht direkt, 440
In den Gesetzgebungsmaterialien heißt es diesbezüglich: „Ziel des Gesetzentwurfs ist es, durch eine gesetzliche Regelung der Patientenverfügung mehr Rechtssicherheit zu schaffen. Es soll sichergestellt werden, dass der das Betreuungsrecht prägende Grundsa tz der Achtung des Selbstbestimmungsrechts entscheidungsunfähiger Menschen auch bei medizinischen Behandlungen beachtet wird“. Siehe BT-Drs. 16/8442 (Stünker-E), S. 3; wiedergegeben in: BT-Drs. 16/13314, S. 4. 441 BT-Drs. 16/8442 (Stünker-E), S. 13; für das österreichische PatVG: Pesendorfer/ Traar, iFamZ 2008, 367 (370 f.). 442 Für § 138 BGB: Bamberger/Roth/Spickhoff, 2. Aufl., Art. 34 EGBGB Rn. 23; MünchKommBGB/Martiny, Art. 9 Rom I-VO Rn. 59 f.; Sonnenberger, IPRax 2003, 104 (110); Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 146; anders aber etwa: LG Detmold NJW 1994, 3301 (3302). 443 Sonnenberger, IPRax 2003, 104 (110 m.w.N.).
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können aber über § 134 BGB Bedeutung für sie erlangen und insoweit können sie auch Eingriffscharakter haben. Für die zivilrechtliche Generalklausel des § 134 BGB kommt grundsätzlich keine Sonderanknüpfung in Betracht, es sei denn, über sie werden Gemeininteressen geschützt oder aber die angeordnete Nichtigkeitsfolge liegt im Staatsinteresse. 444 In diesem Fall setzt sich das öffentlich-rechtliche Einseitigkeitsprinzip vor dem Hintergrund der Einheit der Rechtsordnung auch im privatrechtlichen Kollisionsrecht durch.445 Für die international zwingende Geltung der §§ 211 ff. StGB sprechen ihre Strafbewehrung 446 und die internationale Strafbarkeit, denn immerhin hat der deutsche Gesetzgeber für das deutsche Strafrecht in den §§ 3–7 StGB einen internationalen Gestaltungswillen dokumentiert.447 Einschränkend ließe sich aber erwägen, das für den Eingriffscharakter erforderliche Gemeininteresse nur anzunehmen, wenn das deutsche Strafrecht gemäß §§ 3–7 StGB auch tatsächlich anwendbar ist. 448 Während deutsches Strafrecht auf Inlandstaten gemäß § 3 StGB immer anzuwenden ist, wäre deutsches Strafrecht bei Taten im Ausland wegen § 7 StGB nur bei deutscher Staatsangehörigkeit des Opfers (Abs. 1), bei deutscher Staatsangehörigkeit des Täters (Abs. 2 Nr. 1) oder wenn ein Ausländer im Inland betroffen wird und nicht ausgeliefert werden kann (Abs. 2 Nr. 2) anzuwenden. Dass eine entsprechende Unterscheidung für die Bestimmung von Eingriffsnormen im Internationalen Privatrecht zweckmäßig ist, ist aber deswegen stark zu bezweifeln, weil die Qualifikation als Eingriffsnorm vom Einzelfall abhinge. 449 Auch die Notwendigkeit einer solchen Unterscheidung erscheint in Anbetracht dessen, dass schon aus der Strafbewehrung eines Verhaltens ein gewichtiges Indiz für den internationalen Geltungswillen folgt, zweifelhaft. 450 Zu überlegen bleibt, ob auch § 134 BGB als Eingriffsnorm zu qualifizieren ist. Es ist bereits angeklungen, dass eine Sonderanknüpfung von § 134 BGB ausnahmsweise in Betracht kommt, wenn die angeordnete Nichtigkeitsfolge im Staatsinteresse liegt. Dies ist bei Patientenverfügungen, die ein verfassungsrechtlich gerechtfertigtes Tötungsverbot missachten, zu bejahen. Im Übrigen ist es für das Zivilrecht aus der Perspektive des deutschen Rechts wenig zweckmä-
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Bamberger/Roth/Spickhoff, 2. Aufl., Art. 34 EGBGB Rn. 23; zu § 138 BGB: Erman/Hohloch, 12. Aufl., Art. 34 EGBGB Rn. 13. 445 v. Bar/Mankowski, IPR, § 4 III. 3. b). 446 Zur Strafbewehrung als Indiz für den Eingriffscharakter: MünchKommBGB/Martiny, Art. 9 Rom I-VO Rn. 20 f.; Kropholler, IPR, § 3 II. 3. 447 Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 144 f.; Bamberger/Roth/Spickhoff, 2. Aufl., Art. 34 EGBGB Rn. 23; ähnlich: Spickhoff, in: FS für Deutsch, S. 907 (916). 448 Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 145. 449 Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 145. 450 Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 145.
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ßig, ein strafrechtlich verbotenes Verhalten zu erlauben. 451 Für eine unmittelbare Anwendung von § 134 BGB spricht also die Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, da ein inländisches Tötungsverbot wirkungslos wäre, wenn im Falle des Auslandsbezugs eine wirksame und klagbare Verpflichtung zur Vornahme einer im Inland verbotenen Handlung nur deswegen vorgetragen werden könnte, weil ein ausländisches Geschäftsstatut eine entsprechende Rechtsfolge nicht kennt. 452 Neben den §§ 211 ff. StGB i.V. mit § 134 BGB sind möglicherweise außerdem die in den §§ 1901a Abs. 1, 1901b, 1904 BGB enthaltenen Verfahrensvorschriften, also die Vorschriften zur Erforderlichkeit der Betreuerbestellung und der Erforderlichkeit einer betreuungsgerichtlichen Genehmigung, als Eingriffsnormen zu qualifizieren. Die Vorschriften über die Einbindung des Betreuers und das Gespräch zur Feststellung des Patientenwillens verfolgen keine Interessen, die für die Gestaltung der Gemeinschaftsordnung unentbehrlich sind. 453 Wollte man diesen Vorschriften entsprechende ordnungspolitische Interessen unterstellen, wäre die Gesamtheit der betreuungsrechtlichen Vorschriften als Eingriffsnormen zu qualifizieren, was bislang nicht vertreten wird und angesichts der Verweisungsnorm des Art. 24 EGBGB auch nicht den positivrechtlichen Gegebenheiten entspricht. Dass mit Art. 24 EGBGB eine Verweisungsnorm für das Rechtsinstitut der Betreuung existiert, ist nicht nur Ausdruck und Folge der Entscheidung des Gesetzgebers für eine zivilrechtliche Ausgestaltung der Betreuung454, sondern auch Ausdruck der im Betreuungsverhältnis überwiegenden privaten Interessen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Betreuer ein staatliches Wächteramt ausübt. Nicht zwingend als Eingriffsnorm zu qualifizieren ist auch § 1904 BGB. Die Vorschrift enthält anders als § 1746 Abs. 1 S. 4 BGB weder einen ausdrücklichen internationalen Geltungswillen noch ergibt sich durch Auslegung eine international zwingende Geltung. Auch vor Erlass des 3. BtÄndG wurden Vorschriften zum Erfordernis vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung (etwa §§ 1904, 1905–1908 BGB a.F.) – soweit ersichtlich – nicht als Eingriffs451
v. Bar/Mankowski, IPR, § 4 III. 3. b); Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 144. 452 So auch in anderem Kontext: Wengler, JZ 1979, 175 (176); Backmann, Künstliche Fortpflanzung und IPR, S. 92. 453 Zu diesem Erfordernis: Sonnenberger, IPRax 2003, 104 (110). 454 BT-Drs. 11/4528, S. 100. Zu den Beratungen über eine Kollisionsnorm für die Vormundschaft: Prot. VI, S. 68 ff. Art. 23 EGBGB lautete im Jahr 1899: „(1) Eine Vormundschaft oder eine Pflegschaft kann im Inland auch über einen Ausländer, sofern der Staat, dem er angehört, die Fürsorge nicht übernimmt, angeordnet werden, wenn der Ausländer nach den Gesetzen dieses Staates der Fürsorge bedarf oder im Inland entmündigt ist. (2) Das deutsche Vormundschaftsgericht kann vorläufige Maßregeln treffen, solange eine Vormundschaft oder Pflegschaft nicht angeordnet ist.“
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normen qualifiziert, sondern dem Verweisungstatbestand des Art. 24 Abs. 3 EGBGB zugeordnet.455 Auch die Normzwecke des § 1904 BGB sprechen nicht zwingend für eine Qualifikation als Eingriffsnorm. Denn die Norm wurde im Zuge der Reform des Vormundschaftsrechts in das BGB eingefügt, weil mit schwerwiegenden ärztlichen Eingriffen Risiken für den unter Betreuung stehenden Patienten bestehen. 456 Es ging also nicht um den Schutz öffentlicher Interessen, sondern um den Schutz der Interessen des Betreuten als Privatperson. Auch die Gesetzesentwürfe zum 3. BtÄndG begründen die Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 1904 BGB mit dem Wohl des Betroffenen und dem Schutz seines Selbstbestimmungsrechts. 457 (2) Anknüpfung Nach der Einordnung der §§ 211 ff. StGB i.V. mit § 134 BGB als Eingriffsnormen bleibt zu überlegen, nach welchen Kriterien diese Normen anzuknüpfen sind. Weil kein Richter die im Interesse des eigenen Staates zwingenden Gesetze unberücksichtigt lassen darf, setzen sich als Eingriffsnormen qualifizierte Normen bei Sachverhalten mit Auslandsbezug gegen kraft Rechtswahl oder aufgrund objektiver Anknüpfung zur Anwendung berufenes ausländisches Recht grundsätzlich durch, wenn der Sachverhalt eine enge Verbindung mit dem normsetzenden Staat besitzt. 458 Welche Anforderungen an den Inlandsbezug im Einzelnen zu stellen sind, wird uneinheitlich beantwortet. Für Eingriffsnormen im Kontext des Internationalen Schuldvertragsrechts wird vertreten, eine enge Verbindung setze voraus, dass im Rahmen der Vertragsdurchführung Handlungen auf dem Gebiet des eingreifenden Staates erfolgen, die dort verboten sind. 459 Zugleich wird aber auch auf die Grenzen verallgemeinernder Aussagen aufmerksam gemacht und vorgeschlagen, die Anknüpfung von Eingriffsnormen nach Sinn und Zweck und je nach Sachgebiet festzulegen. 460 Bei strafrechtlichen Verbotsnormen bietet sich ein Rückgriff auf den Topos der engen Beziehung des Sachverhalts zum Inland und eine Koppelung der Inlandsbeziehung an die §§ 3 ff. StGB an. Denn das StGB legt in diesen Normen ausdrücklich fest, unter welchen Voraussetzungen es Sachverhalte mit Auslandsberührung erfassen will. Zu klären bleibt aber die Frage nach 455
Zuordnung zum Inhalt rechtlicher Fürsorge (Art. 24 Abs. 3 Alt. 2 EGBGB): Röthel, BtPrax 2006, 90 (92); Rausch, BtPrax 2004, 137 (140). 456 BT-Drs. 11/4528, S. 140. 457 BT-Drs. 16/8442 (Stünker-E), S. 10 f.; BT-Drs. 16/11493 (Zöller-E), S. 10, 12; BT-Drs. 16/11360 (Bosbach-E), S. 14. 458 MünchKommBGB/Martiny, Art. 9 Rom I-VO Rn. 104, 109, 122. 459 MünchKommBGB/Martiny, Art. 9 Rom I-VO Rn. 123. 460 MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 51.
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dem für die räumliche Anwendbarkeit relevanten Anknüpfungsmoment: Soll es auf die Errichtung oder die Umsetzung der Patientenverfügung ankommen?461 Weil § 134 BGB den Verstoß eines Rechtsgeschäfts gegen ein gesetzliches Verbot regelt, steht im Zivilrecht – anders als im Strafrecht, das an Tathandlungen eine Sanktion knüpft – ein Rechtsgeschäft zur Beurteilung.462 Dies mag für eine Anknüpfung an die Errichtung sprechen, infolge derer es darauf ankäme, ob die in der Patientenverfügung vorgesehene ärztliche Maßnahme strafrechtlich verboten ist. Dagegen spricht aber, dass im Kontext der Patientenverfügung die Umsetzung der relevante Zeitpunkt ist, weil die Patientenverfügung als einseitige Erklärung bis zur Behandlungsbedürftigkeit und dem Eintritt der Einwilligungsunfähigkeit keine relevanten Wirkungen für den Rechtsverkehr entfaltet. cc) Zwischenergebnis Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass die materiellrechtlichen Regelungen der Patientenverfügung in §§ 1901a ff. BGB überwiegend nicht als Eingriffsnormen qualifiziert werden können und folglich auch nicht sonderanzuknüpfen sind, sondern eine kollisionsrechtliche Verweisungsnorm zu suchen sein wird. Anders verhält es sich aber mit den strafrechtlichen Regelungen der §§ 211 ff. StGB i.V. mit § 134 BGB, die sonderanzuknüpfen sind, sich also bei hinreichendem Inlandsbezug gegen zur Anwendung berufenes ausländisches Recht durchsetzen.463 Daraus folgt zugleich, dass auch mittels einer ausländischen Patientenverfügung der in Deutschland rechtlich zulässige Bereich der privatautonomen Gestaltung in Bezug auf die Sterbehilfe weder erweitert noch modifiziert werden kann.464 Dies schränkt die Verkehrsfähigkeit von Patientenverfügungen, die zum Beispiel im Einklang mit den belgischen, niederländischen oder luxemburgischen Euthanasiegesetzen errichtet wurden, erheblich ein.
461
Ähnlich für das ESchG: Backmann, Künstliche Fortpflanzung und IPR, S. 87 f. Backmann, Künstliche Fortpflanzung und IPR, S. 88. 463 Eine andere Frage ist, ob und unter welchen Umständen ein inländisches Gericht auch ausländische Eingriffsnormen anwenden kann (dazu ausführlich: Kuckein, Die ‚Berücksichtigung‘ von Eingriffsnormen, S. 72 ff.; MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 53 ff.; Staudinger/Blumenwitz, Art. 6 EGBGB Rn. 30 ff.; Staudinger/Sturm/ Sturm, Einl zum IPR Rn. 33 ff. m.w.N.). Bezogen auf die Patientenverfügung ist zu überlegen, wie mit ausländischen Strafvorschriften umzugehen ist. Dazu unten Kapitel 2 § 2 C. III. 3. b) dd). 464 Für das österreichische Recht: Barta/Kalchschmid, Wien Klin Wochenschr 2004, 442 (444). 462
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b) Patientenverfügung und Internationales Strafrecht Bei Patientenverfügungen stellt sich das Problem der Fremdrechtsanwendung im Strafrecht, wenn die Strafbarkeit eines behandelnden Arztes wegen eigenmächtiger Heilbehandlung oder wegen eines Tötungsdelikts zu beurteilen ist und ein Auslandsbezug besteht. Anhand zweier Beispiele soll das Problem der Fremdrechtsanwendung im Strafrecht nun im Kontext der Patientenverfügung beleuchtet werden. aa) Beispiel 1 Ein Arzt türkischer Staatsangehörigkeit durchtrennt in einem deutschen Krankenhaus bei einem schweizerischen Patienten mit apallischem Syndrom auf dessen in einer Patientenverfügung geäußerten Wunsch hin den Schlauch einer Magensonde. Wegen § 3 StGB ist deutsches Strafrecht anwendbar. Da deutsches Strafrecht i.S. von § 3 StGB neben den Deliktstatbeständen auch die Unrechts-, Schuld- und Strafausschließungsgründe des deutschen Rechts sind, würde deutsches Strafrecht im Beispielsfall über § 3 StGB auch für die Frage der Rechtfertigung des ärztlichen Handelns aufgrund Behandlungsabbruchs anzuwenden sein. Damit, dass bei Inlandstaten deutsches Strafrecht Anwendung findet, ist aber noch nicht gesagt, dass deutsches Recht auch für zivilrechtliche Vorfragen Anwendung findet, denn darüber entscheidet allein das Internationale Privatrecht.465 Im Kontext des Rechtfertigungsgrundes Behandlungsabbruch könnte zivilrechtliche Vorfrage etwa sein, ob die Wirksamkeitsvoraussetzungen der Patientenverfügung eingehalten sind oder ob bei Vorliegen einer Patientenverfügung die Einschaltung eines Patientenvertreters nötig ist. Ob im Kontext des Rechtfertigungsgrundes „Behandlungsabbruch“ aber überhaupt eine zivilrechtliche Vorfrage angesprochen ist, ist auch nach der neuesten Rechtsprechung des BGH zur gerechtfertigten Sterbehilfe im Fall Putz und dem Kölner Fall fraglich. Im Fall Putz hat der BGH ausgeführt, dass eine gerechtfertigte Sterbehilfe u.a. voraussetzt, dass die Sterbehilfe „dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entspricht (§ 1901a BGB).“466 In der Urteilsbegründung heißt es mehrdeutig, dass die §§ 1901a ff. BGB „auch für das Strafrecht Wirkung“ entfalten und die verfahrensrechtlichen Vorschriften der §§ 1901a ff. BGB „unter dem Gesichtspunkt der Einheitlichkeit der Rechtsordnung bei der Bestimmung der Grenze einer möglichen Rechtfertigung von kausal lebensbeendenden Handlungen berücksichtigt werden“ müssen. Andererseits führt der BGH aus „dass die Frage einer strafrechtlichen Rechtfertigung von Tötungs465 466
Mankowski/Bock, ZStW 120 (2008), 704 (739). BGHSt 55, 191 (Ls. 1).
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handlungen nicht nur als zivilrechtsakzessorisches Problem behandelt werden kann“ und die Frage, „wo die Grenze einer rechtfertigenden Einwilligung verläuft und der Bereich strafbarer Tötung auf Verlangen beginnt […], eine strafrechtsspezifische Frage [sei], über die im Lichte der Verfassungsordnung und mit Blick auf die Regelungen anderer Rechtsbereiche, jedoch im Grundsatz autonom nach materiell strafrechtlichen Kriterien zu entscheiden“ sei.467 Welche Bedeutung die betreuungsrechtlichen Regelungen für das Strafrecht haben sollen – geht es bei der Bezugnahme auf die §§ 1901a ff. BGB nur um den Beweis des Patientenwillens oder soll sich eine Strafbarkeit wegen eines Tötungsdelikts schon aus einem Verstoß gegen die §§ 1901a ff. BGB ergeben? –, bleibt ungewiss, was auch daran liegen mag, dass die betreuungsrechtlichen Vorgaben im Fall Putz allesamt eingehalten waren.468 Erneut zu dieser Frage Stellung genommen hat der BGH im Kölner Fall469. Dort führt der BGH aus „Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass in Fällen, in denen zukünftig ein rechtfertigender Behandlungsabbruch auf der Grundlage des Patientenwillens nach den Grundsätzen der Senatsentscheidung vom 25. Juni 2010 in Rede stehen […], die Voraussetzungen der §§ 1901a, 1901b BGB […] zu beachten sein werden. Diese Vorschriften enthalten verfahrensrechtliche Absicherungen, die den Beteiligten bei der Ermittlung des Patientenwillens und der Entscheidung über einen Behandlungsabbruch Rechts- und Verhaltenssicherheit bieten sollen […] und bei der Bestimmung der Grenze einer möglichen Rechtfertigung von kausal lebensbeendenden Maßnahmen auch für das Strafrecht Wirkung entfalten.“ 470 Diese Ausführungen legen nahe, dass eine Rechtfertigung ausscheiden soll, wenn die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen der §§ 1901a ff. BGB nicht eingehalten sind. 471 Dann kommt es im Strafrecht nicht nur auf den Patientenwillen an (unabhängig davon, wie er geäußert wurde), sondern dann bewirken die §§ 1901a ff.
467 BGHSt 55, 191 (199 f.); zitiert auch von: Engländer, JZ 2011, 513 (518 f.); Verrel, NStZ 2010, 671 (675). 468 So auch die Einschätzung von: Engländer, JZ 2011, 513 (519); Albrecht, DNotZ 2011, 40 (42); Verrel, NStZ 2010, 671 (674): „Auch wenn der BGH zu Recht die Bedeutung der betreuungsrechtlichen Verfahrensregeln für die Willensermittlung, „in sbesondere das zwingend erforderliche Zusammenwirken von Betreuer oder Bevollmäc htigtem und Arzt sowie gegebenenfalls die Mitwirkung des Betreuungsgerichts“[Fn .] betont, darf dies nicht als Inkorporation von Betreuungsrecht in den Rechtfertigungsgrund der Einwilligung verstanden werden. Ob eine lebensbeendende Behandlungsbegrenzung strafrechtlich gerechtfertigt ist, richtet sich allein danach, ob der Täter objek tiv und subjektiv in Übereinstimmung mit dem Willen des Patienten gehandelt hat.“ 469 BGH NJW 2011, 161. 470 BGH NJW 2011, 161 (162). 471 Engländer, JZ 2011, 513 (519).
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BGB im Kontext der gerechtfertigten Sterbehilfe eine Zivilrechtsakzessorietät des Strafrechts. 472 Für Sachverhalte mit Auslandsberührung folgt daraus, dass bei der Prüfung der Strafbarkeit das Internationale Privatrecht über die Frage bestimmt, ob vor Umsetzung des in der Patientenverfügung niedergelegten Willens ein Patientenvertreter bestellt und eine gerichtliche Genehmigung eingeholt werden muss. Zu beachten ist aber, dass – weil die §§ 1901a ff. BGB im Strafrecht lediglich in Zusammenhang mit weiteren Voraussetzungen zum Ausschluss der Rechtswidrigkeit führen können – wohl nur ein Fall der „mittelbaren Abhängigkeit“ des Strafrechts vom Zivilrecht vorliegt. Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass für diese Fallgruppe bislang anders als für Blanketttatbestände und Tatbestände mit normativen Tatbestandsmerkmalen noch keine umfassende Lösung entwickelt wurde. Karin Cornils ist für die Fälle der indirekten Akzessorietät zu dem Ergebnis gekommen, dass „…es für jede in Betracht kommende Rechtsnorm einer gesonderten Prüfung anhand des jeweils konkreten Sachverhaltes [bedarf], um Möglichkeit und Grenzen der Fremdrechtsanwendung im Einzelfall zu bestimmen“ 473. Hier wird nicht nur die weitere Entwicklung im Internationalen Privatrecht der Patientenverfügung, sondern auch die weitere Entwicklung in der Thematik gerechtfertigte Sterbehilfe abzuwarten sein. Denn im Schrifttum wurde die Auffassung, dass bereits ein bloßer Verstoß gegen betreuungsrechtliche Verfahrensvorschriften eine Strafbarkeit nach §§ 212, 216 StGB begründet, zu Recht stark kritisiert, und darauf hingewiesen, dass für die Frage, ob eine straflose Sterbehilfe oder ein strafbares Tötungsdelikt vorliege, immer nur maßgeblich sein könne, ob der die Behandlung Abbrechende objektiv und subjektiv im Einklang mit dem Willen des Patienten gehandelt hat. 474 Setzte sich diese Auffassung durch, so käme es auf die Voraussetzungen der §§ 1901a ff. BGB möglicherweise gar nicht an, weil im Strafrecht nur der Patientenwille zählte, gleichgültig, wie er geäußert wurde. Eine Patientenverfügung hätte nur noch Beweisfunktion im Strafprozess und das Problem der Fremdrechtsanwendung stellte sich nicht, sondern allein maßgeblich wäre das Tatortrecht. Für den oben gebildeten Beispielsfall bedeutete dies, dass allein deutsches Recht für die Frage maßgeblich wäre, ob der türkische Arzt sich durch das Durchtrennen des Schlauchs der Magensonde strafbar gemacht hat.
472
Engländer, JZ 2011, 513 (519). Cornils, Fremdrechtsanwendung im Strafrecht, S. 122. 474 Engländer, JZ 2011, 513 (519); Hirsch, JR 2011, 37 (39); Verrel, NStZ 2010, 671 (674); Sternberg-Lieben, in: FS für Roxin, Bd. 1, S. 537 (546 ff.). 473
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bb) Beispiel 2 Tötet ein niederländischer Arzt in den Niederlanden einen deutschen Patienten mit apallischem Syndrom auf dessen in einer Patientenverfügung geäußerten Wunsch hin mit einer Giftspritze, so wäre deutsches Strafrecht zur Anwendung berufen, wenn „die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist“ (§ 7 Abs. 1 StGB). Gleiches gilt für die umgekehrte Situation, dass ein deutscher Arzt im Ausland entsprechend bei einem ausländischen Patienten handelt (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB). Um zu erfahren, ob deutsches materielles Strafrecht Anwendung findet oder nicht, ist mithin die Subsumtion unter das Tatortstrafrecht, d.h. die Anwendung ausländischen Rechts, erforderlich, wobei insofern aber nicht nur das ausländische materielle Strafrecht, sondern das gesamte am Tatort geltende Recht maßgebend sein soll.475 Die Tat muss nach dem ausländischen Strafrecht tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft sein. 476 Strittig ist, ob in Fällen, in denen das ausländische Strafrecht das Verhalten zwar tatbestandlich erfasst, aber aufgrund von Rechtfertigungs-, Entschuldigungs- oder sonstigen „Straffreistellungsgründen“ eine Strafbarkeit ausscheidet, diese ausländischen Straffreistellungsgründe vor deutschen Gerichten zu beachten sind oder nicht.477 Der Wortlaut des § 7 StGB („mit Strafe bedroht ist“) ermöglicht eine Argumentation in beide Richtungen: Während diejenigen, die eine generelle Unbeachtlichkeit fordern, darauf verweisen, dass durch das Eingreifen eines Tatbestands die Tat jedenfalls „mit Strafe bedroht ist“, interpretiert die Gegenansicht den Wortlaut dahingehend, dass dem Täter im konkreten Einzelfall im Ergebnis tatsächlich Strafe droht, was bei einem Eingreifen von Straffreistellungsgründen nicht der Fall sei. 478 Allerdings akzeptieren Rechtsprechung und h.M. in der Literatur die straffreistellenden Rechtssätze der lex loci nur unter der Voraussetzung, dass diese nicht gegen den ordre public verstoßen.479 Wiederum umstritten ist aber, ob auf einen nationalen ordre public (vgl. Art. 6 EGBGB) oder aber einen internationalen ordre public abzustellen ist: Nach h.M. bilden jedenfalls an sich universal anerkannte Rechtsgrundsätze die Grenze für die Anerkennung ausländischer Rechtfertigungsgründe. 480 Noch komplizierter wird die 475 Mankowski/Bock, ZStW 120 (2008), 704 (740 m.w.N.); MünchKommStGB/Ambos, § 7 StGB Rn. 9. 476 Mankowski/Bock, ZStW 120 (2008), 704 (741 m.w.N.). 477 Satzger, Int. und Europ. Strafrecht, § 5 Rn. 90; Spickhoff, in: FS für Deutsch, S. 907 (911). 478 MünchKommStGB/Ambos, § 7 StGB Rn. 10 m.w.N.; Satzger, Int. und Europ. Strafrecht, § 5 Rn. 91. 479 Schönke/Schröder/Eser, Vorbem zu §§ 3–9 StGB Rn. 41; MünchKommStGB/Ambos, § 7 StGB Rn. 15; Satzger, Int. und Europ. Strafrecht, § 5 Rn. 93. 480 BGHSt 39, 1 (15 f.); MünchKommStGB/Ambos, § 7 StGB Rn. 15; Spickhoff, in: FS für Deutsch, S. 907 (911 f.); Satzger, Int. und Europ. Strafrecht, § 5 Rn. 94 ff.
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Kapitel 2: Die Patientenverfügung mit Auslandsberührung
Rechtslage, wenn unter den einschlägigen Straftatbestand des ausländischen materiellen Strafrechts nicht ohne die Klärung einer zivilrechtlichen Vorfrage subsumiert werden kann: Während auf dieser Ebene noch zu fragen ist, wie das Strafrecht des Tatortstaates zivilrechtliche Vorfragen behandelt, ist bei der möglicherweise später erforderlich werdenden Anwendung deutschen Strafrechts, wenn man insofern eine Fremdrechtsanwendung befürwortet, vom deutschen Internationalen Privatrecht auszugehen.481 Wie eine internationalprivatrechtliche Lösung für grenzüberschreitende Patientenverfügungen aussehen kann, wird sogleich untersucht werden. cc) Zwischenergebnis Wegen der Verquickung von Zivil- und Strafrecht im Kontext der Patientenverfügung kann sich aus strafrechtlicher Perspektive in Fällen mit Auslandsberührung das Problem der Fremdrechtsanwendung im Strafrecht stellen. Allerdings löst bereits die Frage, ob sich das Problem der Fremdrechtsanwendung im Strafrecht im Kontext der Patientenverfügung überhaupt stellt, Unsicherheiten aus. Insbesondere im Anwendungsbereich des § 3 StGB kommt es maßgeblich darauf an, wie sich ein Verstoß gegen die prozeduralen Vorschriften der §§ 1901a ff. BGB im Strafrecht auswirkt. Diese Frage ist im deutschen Schrifttum und auch in der Rechtsprechung derzeit noch nicht geklärt. III. Fazit Ausgangspunkt der voranstehenden Ausführungen war die Frage, wo Patientenverfügungen mit Auslandsbezug im deutschen Recht zu verorten sind. Hierfür kamen nach den dargestellten Stellungnahmen aus dem deutschen Schrifttum sowohl das Internationale Strafrecht wie auch das Internationale Privatrecht in Betracht. Die Ausführungen haben gezeigt, dass Patientenverfügungen mit Auslandsbezug in weiten Teilen in den Kontext des Internationalen Privatrechts zu setzen sind. Einerseits ist die Patientenverfügung, so wie sie im deutschen Recht ausgestaltet ist, überwiegend privatrechtlich zu qualifizieren. Andererseits kann nach hier vertretener Auffassung eine Einordnung der §§ 1901a ff. BGB als Eingriffsnormen mangels schwerpunktmäßigen Gemeininteresses nicht erfolgen. Nur die zulässige inhaltliche Reichweite einer Patientenverfügung ergibt sich infolge der Qualifikation der §§ 211 ff. StGB i.V. mit § 134 BGB als Eingriffsnormen aus dem über das Internationale Strafrecht zur Anwendung berufenen deutschen Strafrecht, das es zu beachten gilt. Für die übrigen in §§ 1901a ff. BGB normierten Aspekte der Patientenverfügung, zu denen 481
Mankowski/Bock, ZStW 120 (2008), 704 (741).
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insbesondere die persönlichen und formellen Errichtungsvoraussetzungen sowie die Wirkungen der Patientenverfügung im Arzt-Patienten-Verhältnis und ihr Verhältnis zum staatlichen Erwachsenenschutz gehören, wird im Folgenden ein kollisionsrechtliches Anknüpfungsgefüge zu entwickeln sein. C. Kollisionsrechtliche Anknüpfung Bislang ist die Patientenverfügung im Internationalen Privatrecht nicht ausdrücklich geregelt. Weil sich bislang außerdem – soweit ersichtlich – kein deutsches Gericht mit der internationalprivatrechtlichen Behandlung der Patientenverfügung beschäftigt hat, sind auch insoweit noch keine Tendenzen erkennbar. Das Kollisionsrecht der Patientenverfügung ist also zur Rechtsfortbildungsaufgabe geworden. Weil das Internationale Privatrecht der Gerechtigkeit dient 482, muss Ziel sein, eine Kollisionsnorm zu finden, die die im Kontext der Patientenverfügung relevant werdenden Interessen berücksichtigt und in Ausgleich bringt (I.). Nach einer entsprechenden Analyse 483 wird zu untersuchen sein, ob ein vorhandener Verweisungstatbestand des europäischen oder autonomen Kollisionsrechts die Patientenverfügung erfasst (II.). Sollte dies nicht der Fall sein, wird ein Patientenverfügungsstatut zu entwickeln sein (III.).484 I. Anknüpfungsgerechtigkeit Das Internationale Privatrecht soll ebenso wie das materielle Privatrecht Gerechtigkeit zwischen den Einzelnen verwirklichen. 485 Im Internationalen Privatrecht stellt sich die Frage, wann es gerecht ist, ein bestimmtes inoder ausländisches Recht anzuwenden.486 Dass die Antworten auf diese Frage unterschiedlich ausfallen und sich zwei Ansätze gegenüberstehen, 482
Dazu mit Nachweisen sogleich. Die Anknüpfungsinteressen werden hier vor der Qualifikation dargestellt, weil auch die Auslegung der Kollisionsnormen auf einer Interessenbewertung aufb aut (Kegel/Schurig, IPR, § 2 II.; vgl. auch Kegel, in: FS für Beitzke, S. 551 [561]; kritisch aber: MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 96, 498 ff.). 484 Der folgende Aufbau ist angelehnt an: Frucht, PACS im französ. und deutschen IPR, S. 35 ff.; Friedrich, Internat. Persönlichkeitsschutz, S. 5 ff.; Herweg, Vereinheitlichung des Internat. Erbrechts, S. 51 ff.; Dreher, Rechtswahl im internat. Erbrecht, S. 87 ff. 485 Kegel/Schurig, IPR, § 2 I.; zur Bedeutung der Gerechtigkeit für das Privatrechtsystem etwa: Coing, Zur Geschichte des Privatrechtsystems, S. 28: „Letzten Endes ist das Rechtsystem der Versuch, das Ganze der Gerechtigkeit im Hinblick auf eine bestimmte Form des gesellschaftlichen Lebens in einer Summe rationaler Prinzipien zu erfassen.“; Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 13 ff. 486 Ausführlich: Kegel/Schurig, IPR, § 2 I. 483
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würde bereits in der vorstehenden Untersuchung 487 angesprochen. Während nach Vorstellung der kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen im Anschluss an Friedrich Carl von Savigny die Aufgabe des Internationalen Privatrechts darin besteht, das räumlich beste Recht zu berufen, besteht nach dem modernen, aus dem US-amerikanischen Kollisionsrecht stammenden Ansatz die Aufgabe des Kollisionsrechts darin, das sachlich beste Recht zu berufen. Wenngleich das kontinentaleuropäische Internationale Privatrecht bis heute der ersten Methode folgt, ist es auch nicht unbeeinflusst vom modernen Ansatz geblieben. Heute wird das anwendbare Recht im deutschen Internationalen Privatrecht anhand der Kategorien der „internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit“ und nachgeordnet der „materiellprivatrechtlichen Gerechtigkeit“ und den diesbezüglich zu untersuchenden Interessen und Wertungen ermittelt (1.). Auf der Suche nach einer Kollisionsregel für die Patientenverfügung sind daher im Folgenden die internationalprivatrechtlichen (2.) und materiellprivatrechtlichen (3.) Interessen und Wertungen zu ermitteln. 1. Grundsätzliches Das kontinentaleuropäische Internationale Privatrecht ermittelt das für die Koordination von Privatrechtsordnungen maßgebliche Recht anhand des Prinzips der engsten Verbindung. 488 Dieses Prinzip geht auf Friedrich Carl von Savigny zurück, auch wenn er selbst noch nicht von der engsten Verbindung, sondern vom „Sitz“ des Rechtsverhältnisses sprach.489 Otto von Gierke erachtete den „Schwerpunkt“ des Rechtsverhältnisses“ 490 als maßgeblich, und nach Carl Ludwig von Bar sollte die „Natur der Sache“ 491 entscheiden.492
487
Dazu bereits oben Kapitel 2 § 2 B. II. 1. a) aa). Während etwa das öIPRG in § 1 Abs. 1 formuliert: „Sachverhalte mit Auslandsberührung sind in privatrechtlicher Hinsicht nach der Rechtsordnung zu beurteilen, zu der die stärkste Beziehung besteht.“, fehlt es im deutschen Internationalen Privatrecht an e iner entsprechenden geschriebenen Regelung. Allerdings hat der deutsche Gesetzgeber bei der Reform des Internationalen Privatrechts im Jahr 1986 betont, dass sich der Inhalt der Kollisionsnormen als Konkretisierung des Gedankens verstehe, auf einen Sachverhalt mit Auslandsberührung solle das diesem an nächsten stehende Recht angewandt werden (BTDrs. 10/504, S. 29); näher zum Prinzip der engsten Verbindung: Rühl, Statut und Effizienz, S. 353 ff. 489 v. Savigny, System VIII, S. 28, 108; S. Lorenz, in: FS für Geimer, S. 555. 490 v. Gierke, Deutsches Privatrecht I, S. 217; zitiert nach Kegel, in: FS für Lewald, S. 259 (261). 491 C. L. v. Bar, Theorie und Praxis, Bd. 1, S. 106, 113–115, 117 ff. 492 Kegel, in: FS für Lewald, S. 259 (261); Kegel/Schurig, IPR, § 2 I.; Rühl, Statut und Effizienz, S. 354. 488
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In der Mitte des 20. Jahrhunderts wurden diese Ansätze weiterentwickelt. Wegweisend war die Feststellung Gerhard Kegels, dass die Bilder von Savigny, Gierke und Bar nur das kollisionsrechtliche Ergebnis, nicht aber den zu diesem Ergebnis führenden Weg beschreiben.493 Kegel stellte im Anschluss an Wengler, Beitzke und Zweigert494 die Frage nach dem Gerechtigkeitsziel des Kollisionsrechts. Er unterschied zwischen materiellrechtlicher und internationalprivatrechtlicher Gerechtigkeit und den korrespondierenden Interessen 495 und leitete damit zu der Frage nach dem Verhältnis zwischen gerechter Anknüpfung und gerechter Entscheidung: Sind die Aspekte gerechte Anknüpfung und gerechte Entscheidung so voneinander zu trennen, dass bei der Wahl des anwendbaren Rechts durch die Kollisionsnorm nur auf die gerechte Anknüpfung, nicht aber auf das durch die Anknüpfung erzielte materielle Ergebnis geachtet wird, oder sollte die Erzielung einer materiell gerechten Entscheidung im Mittelpunkt stehen. 496 a) Internationalprivatrechtliche Interessen Weil es im Kollisionsrecht zunächst nur um die Frage geht, welches Recht angewendet wird, soll nach Kegel die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit der materiellrechtlichen Gerechtigkeit vorgehen und sollen daraus folgend bei der Bildung und Anwendung von Kollisionsnormen grundsätzlich nur die Interessen internationalprivatrechtlicher Art entscheidend sein.497 Damit führte Kegel die auf von Savigny zurückgehende Emanzipation des Kollisionsrechts vom Sachrecht fort.498 Als relevante internationalprivatrechtliche Interessen benennt Kegel Partei-, Verkehrs- und Ordnungsinteressen.499 Savigny hatte die besondere Gerechtigkeit des Kollisi493
Kegel, in: FS für Lewald, S. 259 (261); Flessner, Interessenjurisprudenz, S. 78 f.; Schack, in: Liber amicorum Kegel, S. 179 (191). 494 Wengler, ZöffR 23 (1944), 473 ff.; Beitzke, in: FS für Smend, S. 1 ff.; Zweigert, in: FS für Raape, S. 35 ff. 495 Obwohl im materiellen Privatrecht die Interessenjurisprudenz bereits seit Philipp Heck bekannt ist und er selbst 1891 angeregt hatte, die Interessenmethode auch im Inte rnationalen Privatrecht anzuwenden (Heck, ZHR 38 [1891], 305 [306 f.]; zum Einfluss der Interessenjurisprudenz im Internationalen Privatrecht: Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, S. 35 ff.), ist die Berücksichtigung von Interessen im Internationalen Privatrecht maßgeblich von Kegel (grundlegend: Kegel, in: FS für Lewald, S. 259 ff.) entwickelt worden (Friedrich, Internat. Persönlichkeitsschutz, S. 7). 496 Schwind, in: Mélanges v. Overbeck, S. 103 (108). 497 Kegel, in: FS für Lewald, S. 259 (271): „Das IPR interessiert sich nicht für die materiellrechtliche Gerechtigkeit, ist für sie nicht verantwortlich oder, wie man auch sagen kann, es behandelt alle materiellen Rechte als gleichwertig.“; Spickhoff, Ordre public im IPR, S. 143; Friedrich, Internat. Persönlichkeitsschutz, S. 7. 498 Kühne, in: Liber amicorum Kegel, S. 65; Hirse, Ausweichklausel im IPR, S. 185. 499 Kegel, in: FS für Lewald, S. 259 (274 ff); ders., in: FS für Beitzke, S. 551 (558); Friedrich, Internat. Persönlichkeitsschutz, S. 7.
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onsrechts demgegenüber noch auf ein einziges Interesse gestützt, nämlich den Entscheidungseinklang. 500 Parteiinteresse ist bei Kegel das Interesse der an einem Rechtsverhältnis konkret beteiligten Personen an der Anwendung einer vertrauten Rechtsordnung. Als Verkehrsinteressen nennt er „Verkehrserleichterungsinteressen“ und das Interesse des Rechtsverkehrs an einem leichten und sicheren Funktionieren. Und unter den Begriff des Ordnungsinteresses ordnen er und in Fortentwicklung seines Ansatzes Schurig das Interesse an einer brauchbaren Ordnung ein, etwa der äußere und der innere Entscheidungseinklang, Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit der anzuwendenden Rechtsordnung, das sog. „Heimwärtsstreben“ der Gerichte und die Gewährleistung „realer“ Entscheidungen.501 Die von Kegel vertretene Unterscheidung von Partei-, Verkehrs- und Ordnungsinteressen ist im deutschen Schrifttum auf Kritik gestoßen. Nach Paul Heinrich Neuhaus ist sie „weder logisch zwingend noch praktisch frei von Überschneidungen“. 502 Auch Neuhaus erkennt aber eine Reihe von „Maximen der Anknüpfung“ an, die sich zum Teil mit den von Kegel genannten Interessen decken. 503 Hans Jürgen Sonnenberger hat zu Recht kritisiert, dass die von Kegel als Ordnungsinteressen bezeichneten Interessen vor allem Interessen der Parteien seien.504 Ohnehin könnten im Internationalen Privatrecht mit Ausnahme der Kategorie der Eingriffsnormen nur t ypisierte private Interessen als legitim anerkannt werden, weil im Internationalen Privatrecht mit Ausnahme der Kategorie der Eingriffsnormen das anwendbare Recht im Interesse von Privatrechtssubjekten zu bestimmen sei.505 Wie Neuhaus hat aber auch Sonnenberger darauf hingewiesen, dass auf die Berücksichtigung von Interessen im Internationalen Privatrecht nicht verzichtet werden könne, weil Rechtsanwendungsnormen nicht ohne Kenntnis und Analyse der für die Anwendung eines bestimmten Rechts sprechenden Interessen aufgestellt werden können. 506 Scharf kritisiert hat die Interessenjurisprudenz Kegels Axel Flessner. Er hat ausgeführt, die Interessenjurisprudenz Kegels sei in der Entwicklung des deutschen Internationalen Privatrechts nicht sichtbar wirksam geworden. 507 Auch im Internationalen Privatrecht, das nur Fortsetzung des Privatrechts im internationa500
v. Savigny, System VIII, S. 27; Zweigert, RabelsZ 37 (1973), 435 (436). Vorstehendes aus: Kegel, in: FS für Lewald, S. 259 (274 ff); Kegel/Schurig, IPR, § 2 II.; MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 83; Frucht, PACS im französ. und deutschen IPR, S. 37; Friedrich, Internat. Persönlichkeitsschutz, S. 7 f. 502 Neuhaus, Grundbegriffe, § 5 II. 1. 503 Neuhaus, Grundbegriffe, § 5 II. 1., § 20; MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 83; Frucht, PACS im französ. und deutschen IPR, S. 38, Fn. 164. 504 MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 86 ff. 505 MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 86. 506 MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 84. 507 Flessner, Interessenjurisprudenz, S. 44. 501
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len Raum sei, müsse Interessenjurisprudenz realistisch sein. 508 Bei der Feststellung und im Rahmen des Bewertungs- und Abwägungsvorgangs der Interessen und insbesondere bei der Normanwendung müssten zu den vorgestellten typischen Interessen der Beteiligten die realen Interessen der konkret Beteiligten treten. 509 Dieser Kritik ist zuzugeben, dass eine abschließende Aufzählung der bei der kollisionsrechtlichen Rechtsfindung und –anwendung zu beachtenden Interessen wenig sinnvoll ist und sich die zu untersuchenden Interessen mit der Rechtswirklichkeit decken müssen, weil die internationalprivatrechtlichen Anknüpfungen ansonsten auf Fiktionen gründen.510 Daraus folgt aber nicht, dass auf eine Typisierung von Interessen im Internationalen Privatrecht verzichtet werden kann, denn ein solcher Verzicht würde eine Einbuße an Rechtssicherheit zur Folge haben.511 Für die weitere Untersuchung heißt dies, dass das Interesse an der Anwendung des Heimatrechts bzw. an schneller Integration in die Lebensund Rechtsumwelt, das Rechtsanwendungsinteresse möglicherweise von einem Vorgang betroffener Dritter, das Interesse an internationalem und internem Entscheidungseinklang, das Interesse an Rechtssicherheit, das Interesse am Ausschluss von Gesetzesumgehungen und unter Umständen auch das Interesse der lex fori am Heimwärtsstreben zu berücksichtigen sind.512 Eine vorgegebene Rangordnung unter diesen Interessen besteht nach zutreffender Ansicht nicht, insbesondere überzeugt ein Vorrang der Parteiautonomie, wie ihn Alexander Lüderitz513 vertritt, nicht, weil ansonsten bei der kollisionsrechtlichen Rechtsfortbildung die Interessen Dritter nicht hinreichend berücksichtigt werden. 514 b) Materiellprivatrechtliche Interessen In der Konzeption Savignys erfolgt die Zuordnung eines grenzüberschreitenden Sachverhalts zu einer Rechtsordnung mit Ausnahme der Kategorie der „Gesetze von streng positiver zwingender Natur“ grundsätzlich losgelöst vom materiellen Recht. Eigenes und fremdes Recht werden grundsätz508
Flessner, Interessenjurisprudenz, S. 51 ff. Flessner, Interessenjurisprudenz, S. 52 ff., 57. 510 MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 94; Friedrich, Internat. Persönlichkeitsschutz, S. 8. 511 MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 31 f., 86; Lüderitz, in: FS für Kegel, S. 31 (40); Friedrich, Internat. Persönlichkeitsschutz, S. 8. Auch der deutsche Reformgesetzgeber hat sein Festhalten am klassischen verweisungsrechtlichen Ansatz u.a. mit dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts begründet (BT-Drs. 10/504, S. 26). 512 MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 88 ff.; Frucht, PACS im französ. und deutschen IPR, S. 38 f.; Friedrich, Internat. Persönlichkeitsschutz, S. 9. 513 Lüderitz, in: FS für Kegel, S. 31 (48 f.). 514 MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 92, 95. 509
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lich gleich behandelt und besseres Recht wird schlechterem Recht außer auf der Ebene des ordre public nicht vorgezogen. 515 Fürsprecher dieser „Emanzipierung des Kollisionsrechts“ vom materiellen Recht war auch Ernst Rabel516. Heute ist die im klassischen Verweisungsrecht und in der daran anknüpfenden Konzeption Kegels517 vom materiellen Recht losgelöste räumliche Zuordnung eines Sachverhalts nicht mehr alleine maßgeblich. 518 Bereits seit den 1950er Jahren wurde es infolge der Sozialisierung des Privatrechts und beeinflusst durch Ansätze aus dem US-amerikanischen Kollisionsrecht trotz der abweichenden Regelungsgegenstände von Kollisionsrecht und Sachrecht zunehmend als unbefriedigend empfunden, wenn Kollisionsnormen ungeachtet der eine Rechtsordnung prägenden materiellrechtlichen Gerechtigkeitsvorstellungen entwickelt werden. 519 So hat Leo Raape die internationalprivatrechtliche Methode, die mit Hilfe einer Kollisionsnorm die anzuwendende Rechtsordnung ermittelt, als „Sprung ins Dunkle“520 bezeichnet.521 Bereits Franz Kahn522 hatte auf den Zusammenhang zwischen Sachrecht und Kollisionsrecht mit dem Satz hingewiesen: „Jede Sachnorm wirft sozusagen ihren privatinternationalen Schatten.“ Seit seiner Reform im Jahr 1986 enthält das deutsche Internationale Privatrecht, wie bereits geschildert 523, verstärkt Kollisionsnormen, die an der Erzielung bestimmter im deutschen materiellen Recht angelegter Ziele orientiert sind. Dem liegt die Überzeugung zugrunde, dass die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit nur ein Aspekt der einen unteilbaren Gerechtigkeit ist.524 Eine Aufgabe der Idee der Berufung des räumlich besten Rechts und der Unterscheidung zwischen internationalprivatrechtlicher und materiell515
Kegel, in: FS für Beitzke, S. 551 (554, 572). Rabel, RabelsZ 5 (1931), 241 (283). 517 Nach Kegel (in: FS für Lewald, S. 259 [268]) kann man den Zweck der Sachnorm streichen. 518 Hirse, Ausweichklausel im IPR, S. 189. 519 MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 77. 520 Raape, IPR, § 13 I. 521 Staudinger/Blumenwitz, Art. 6 EGBGB Rn. 6. 522 Kahn, Über Inhalt, Natur und Methode des internationalen Privatrechts, S. 255 (293). Kahn wird auch zitiert von Schurig, Kollisionsnorm, S. 99. 523 Dazu oben Kapitel 2 § 2 B. II. 1. a) aa). 524 Kegel/Schurig, IPR, § 2 III.; Schack, in: Liber amicorum Kegel, S. 179 (189). Darauf wies Kegel auch bereits in der FS für Lewald, S. 259 (270) hin: „Natürlich gibt es letzten Endes nur eine Gerechtigkeit.“ Ebenso später Kegel, in: FS für Beitzke, S. 551 (572): „Die Ausnahme des ordre public, der die Anwendung fremden Rechts hindert, das untragbar hinter den eigenen Vorstellungen von materiellprivatrechtlicher Gerechtigkeit zurückbleibt, rechtfertigt sich daraus, daß die Gerechtigkeit unteilbar ist: wenn auch grundsätzlich die kollisionsrechtliche Gerechtigkeit vorgeht, muss sie in gravierenden Fällen hinter der materiellrechtlichen zurücktreten.“ 516
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privatrechtlicher Gerechtigkeit und den korrespondierenden Interessen ist damit aber grundsätzlich nicht verbunden. Denn die Berücksichtigung materieller Interessen und Wertungen bedeutet regelmäßig nur kollisionsrechtliche Umsetzung, nicht aber konkrete materielle Verwirklichung eines angestrebten Ergebnisses. 525 Dies unterscheidet das deutsche und auch das kontinentaleuropäische Kollisionsrecht deutlich von US-amerikanischen Theorien des Kollisionsrechts, die das sachlich beste Recht anwenden möchten. Heute erlangt das Sachrecht in verschiedenem Gewand Wirkung für das Kollisionsrecht.526 Relevanz erlangen sachrechtliche Interessen und Wertungen dem Schwerpunkt nach bei der Anwendung des fremden Rechts, im Rahmen derer der Richter das materielle Ergebnis stets überprüfen und notfalls auch korrigieren muss. 527 Spannungen, die durch die gleichzeitige Anwendung verschiedener Rechtsordnungen auf einzelne Teile oder Teilbereiche eines internationalen Sachverhalts auftreten können, sind im Wege der Anpassung bzw. Angleichung auszugleichen. 528 Das Ergebnis ist zu messen am inländischen ordre public, der die Anwendbarkeit ausländischen Rechts im konkreten Einzelfall verhindert, wenn das ausländische Recht zu den Grundvorstellungen des eigenen Rechts, insbesondere den Wertungen des Grundgesetzes, untragbare Widersprüche aufweist. 529 Darüber hinaus beeinflusst das Sachrecht das Kollisionsrecht durch seine Struktur und seine Begriffe. 530 Dies zeigt sich zunächst bei Änderungen des materiellen Rechts, auf die das Kollisionsrecht etwa durch die Schaffung neuer Kollisionsnormen reagiert. 531 Bei der Fort- und Weiterbildung des Kollisionsrechts können materiellrechtliche Tendenzen bei der Ausgestaltung der Anknüpfungen begünstigt werden, etwa durch die Verwendung von Alternativanknüpfungen. 532 Im deutschen Internationalen Privatrecht ist, wie dargestellt 533, die Anzahl der Kollisionsnormen, die materiellrechtliche Tendenzen oder Ergebnisvorstellungen berücksichtigen, in 525
Rauscher, IPR, § 1 D. V. 5.; Kropholler, IPR, § 5 II. 2.; vgl. auch MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 77, 95 f. 526 Schurig, Kollisionsnorm, S. 98 ff.; Friedrich, Internat. Persönlichkeitsschutz, S. 20. 527 Kropholler, IPR, § 4 III. 2. 528 Neuhaus, Grundbegriffe, § 5 II. 2.; Kropholler, IPR, § 4 III. 2.; Schurig, Kollisionsnorm, S. 234 ff.; Siehr, RabelsZ 37 (1973), 466 (473 f.). 529 Kropholler, IPR, § 4 III. 2.; Rauscher, IPR, § 1 D. V. 6.; Kegel/Schurig, IPR, § 2 III., § 16 I.; Siehr, RabelsZ 37 (1973), 466 (467 f.); Frucht, PACS im französ. und deutschen IPR, S. 47. 530 Schurig, Kollisionsnorm, S. 98 ff.; Frucht, PACS im französ. und deutschen IPR, S. 46. 531 Kropholler, IPR, § 5 II. 1. 532 Kegel/Schurig, IPR, § 2 III.; MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 95. 533 Dazu oben Kapitel 2 § 2 B. II. 1. a) aa).
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den vergangenen Jahrzehnten gestiegen. Unmittelbar aus dem Sachrecht gewonnen werden, wie bereits gesehen, Eingriffsnormen. 534 Zentral ist das Sachrecht im Rahmen der Qualifikation, also der Zuordnung eines Lebenssachverhalts535 zu einem Anknüpfungsgegenstand, sind doch die sachrechtlichen Systembegriffe der lex fori trotz der Eigenständigkeit des Internationalen Privatrechts für die internationalprivatrechtliche Qualifikation jedenfalls als Ausgangspunkt zu beachten. 536 Vor diesem Hintergrund verfängt der an das klassische Internationale Privatrecht gerichtete Vorwurf, dass es infolge seiner Ausrichtung auf die Berufung des räumlich besten Rechts gegenüber den Wertungen des materiellen Rechts und materieller Gerechtigkeit blind ist, heute nicht mehr gleichermaßen. 2. Internationalprivatrechtliche Interessen bei Patientenverfügungen Die nachfolgende Untersuchung der internationalprivatrechtlichen Interessen bei der Patientenverfügung wird offenlegen, dass die Interessen in unterschiedliche Richtungen weisen und daher bei der Gestaltung der Anknüpfung der Patientenverfügung nicht alle Interessen in derselben Weise beachtet werden können, sondern ein Ausgleich und eine Abwägung zwischen den ermittelten Interessen nötig sein wird. 537 a) Parteiinteresse im engeren Sinne Bei der Ermittlung der Parteiinteressen ist zu berücksichtigen, dass die Patientenverfügung eine einseitige Erklärung ist. Das Parteiinteresse entspricht also den Interessen der Person, die eine Patientenverfügung errichtet. Sie hat ein Interesse daran, dass das mit der Errichtung der Patientenverfügung ausgeübte Selbstbestimmungsrecht auch in Fällen mit Auslandsberührung respektiert wird. Gerade weil im Kontext der Patientenverfügung das Selbstbestimmungsrecht und die körperliche Integrität berührt 534 Dazu oben Kapitel 2 § 2 B. II. 1. b) aa), 2. a) bb); siehe auch Frucht, PACS im französ. und deutschen IPR, S. 48; Friedrich, Internat. Persönlichkeitsschutz, S. 20. 535 Der Gegenstand der Qualifikation – Lebensverhältnis, Rechtsverhältnis, Anspruch, Sachnorm oder Rechtsfrage – ist umstritten, siehe dazu ausführlich: v. Bar/Mankowski, IPR, § 7 II. 6; m.w.N. auch MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 485 f. 536 Siehr, RabelsZ 37 (1973), 466 (478 ff.); Schurig, Kollisionsnorm, S. 99; Frucht, PACS im französ. und deutschen IPR, S. 47; kritisch aber: MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 96. 537 Dies ist ein typischer Befund für das Internationale Privatrecht, siehe die allgeme ine Darstellung bei: MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 85, 95, 97. Auch Einzeluntersuchungen, wie etwa zum Internationalen Privatrecht des PACS (Frucht, PACS im französ. und deutschen IPR, S. 40, 45 f.) und zum Internationalen Privatrecht des Persönlichkeitsschutzes (Friedrich, Internat. Persönlichkeitsschutz, S. 10, 17), zeigen dies.
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sind, hat der Betroffene außerdem ein starkes Bedürfnis, nach einer Rechtsordnung beurteilt zu werden, mit der er eng verbunden ist. aa) Objektive Anknüpfung: Staatsangehörigkeit oder Aufenthalt? Eine Berufung des Rechts am Behandlungsort dürfte dem Interesse des Betroffenen nur dann entsprechen, wenn er auch jenseits der medizinischen Behandlung mit diesem Recht vertraut ist. Dies ist aber auch bedingt durch den Medizintourismus nicht immer gewährleistet. Im deutschen Kollisionsrecht werden die persönlichen Angelegenheiten und Rechtsverhältnisse eines Menschen, insbesondere Fragen des Personen-, Familien- und Erbrechts, durch einen einheitlichen Anknüpfungspunkt grundsätzlich einer bestimmten Rechtsordnung, dem Personalstatut, unterstellt.538 Auch die Patientenverfügung kann angesichts ihres höchstpersönlichen Charakters zu den persönlichen Angelegenheiten einer Person gezählt werden. Anders als in Österreich 539 fehlt es im EGBGB an einer Hilfsnorm, die das Personalstatut näher umschreibt und den Gedanken eines einheitlichen Personalstatuts zum Ausdruck bringt.540 Allerdings hat der deutsche Gesetzgeber bei Schaffung des EGBGB 541 fast ausschließlich für die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit und im Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts aus dem Jahr 1986542 für eine weit538
v. Hoffmann/Thorn, IPR, § 5 A. I.; Kropholler, IPR, § 37 I. 1.; Kegel/Schurig, IPR, § 13 II. 2.; Rauscher, IPR, § 3 A. I. 1. 539 § 9 des öIPRG lautet: „(1) Das Personalstatut einer natürlichen Person ist das Recht des Staates, dem die Person angehört. Hat eine Person neben einer fremden Staat sangehörigkeit auch die österreichische Staatsbürgerschaft, so ist diese maßgebend. Für andere Mehrstaater ist die Staatsangehörigkeit des Staates maßgebend, zu dem die stärk ste Beziehung besteht. (2) Ist eine Person staatenlos oder kann ihre Staatsangehörigkeit nicht geklärt werden, so ist ihr Personalstatut das Recht des Staates, in dem sie den g ewöhnlichen Aufenthalt hat. (3) Das Personalstatut einer Person, die Flüchtling im Sinn der für Österreich geltenden internationalen Übereinkommen ist oder deren Beziehungen zu ihrem Heimatstaat aus vergleichbar schwerwiegenden Gründen abgebrochen sind, ist das Recht des Staates, in dem sie ihren Wohnsitz hat, mangels eines solchen ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat; eine Verweisung dieses Rechts auf das Recht des Heimatsta ates (§ 5) ist unbeachtlich.“ 540 Kropholler, IPR, § 37 I. 1., der auch darauf hinweist, dass sich Art. 5 EGBGB nur auf die Sonderkonstellation der Anknüpfung bei Mehrstaatern und Staatenlosen bezieht. 541 Prot. VI, S. 6: „Die Vorlage stellt das Prinzip auf, daß als Personalstatut grundsätzlich nicht das durch den Wohnsitz, sondern das durch die Staatsangehörigkeit der Person bestimmte Recht maßgebend sei. Es ergab sich, daß diese Regelung allseits prinzipiell gebilligt wurde. Eine allgemeine Erörterung des Prinzips fand nicht statt.“ Bis zur Schaffung des EGBGB galt in den deutschen Staaten überwiegend das Domizilprinzip, siehe zur Entwicklung in Deutschland: Basedow, IPRax 2011, 109 (110). 542 BT-Drs. 10/504, S. 31: „Das Staatsangehörigkeitsprinzip hat sich in Deutschland grundsätzlich bewährt“.
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gehende Beibehaltung dieser Anknüpfung votiert. 543 Unübersehbar ist aber auch die Zurückdrängung der Staatsangehörigkeit zugunsten anderer Anknüpfungskriterien, insbesondere zugunsten des gewöhnlichen Aufenthalts.544 Bereits im Jahr 1986 konstatierte der deutsche Gesetzgeber, dass sich die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit im Zuge der Reform nur noch „in differenzierter und vielfach einschränkender Weise“ durchsetzen konnte.545 Für die Patientenverfügung ist also zu überlegen, welcher Anknüpfungspunkt – Staatsangehörigkeit oder gewöhnlicher Aufenthalt – dem Interesse an der Anwendung eines vertrauten Rechts am besten Rechnung trägt (2). Dafür ist zunächst auf die Vor- und Nachteile dieser Anknüpfungspunkte einzugehen (1). (1) Staatsangehörigkeit und gewöhnlicher Aufenthalt Zur Rechtfertigung der Berufung des Heimatrechts hat das BVerfG in seinem Spanier-Beschluss aus dem Jahr 1971 bemerkt: „Die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers für das Staatsangehörigkeitsprinzip beruht auf der Annahme, es entspreche dem Interesse der Beteiligten, in persönlichen Angelegenheiten nach dem Recht ihres Heimatstaates beurteilt zu werden, weil bei genereller Betrachtung die Staatsangehörigkeit ihre fortdauernde persönliche Verbundenheit mit diesem Staat dokumentiere und ihnen das vom Gesetzgeber der eigenen Nationalität geschaffene, auf Personen ihrer Nationalität ausgerichtete Recht am vertrautesten sei.“ 546 Befürworter der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit betonen außerdem, dass sie die Berufung derjenigen Normen gewährleiste, die die kulturelle Identität der Angehörigen dieses Staates prägen, die sich in Sprache, Religion, Wertvorstellungen und traditionellen Rechtsüberzeugungen äußere.547 Auch praktische Gründe, nämlich die leichte Feststellbarkeit der Staatsangehörigkeit, die geringen Manipulationsmöglichkeiten und die Förderung des internationalen Entscheidungseinklangs, gelten als Vorteile der Anknüp-
543 Rohe, in: FS für Rothoeft, S. 1; Jakob, Eingetragene Lebenspartnerschaft im IPR, S. 160. 544 Rauscher, IPR, § 3 A. I. 1. d); Kropholler, IPR, § 39 III. 1. 545 BT-Drs. 10/504, S. 30; R. Giesen, Anknüpfung des Personalstatuts, S. 80. 546 BVerfGE 31, 58 (78); auch zitiert bei: Trips-Hebert, IPR und Globalisierung, S. 86. 547 Jayme, in: ders. (Hrsg.), Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, S. 5 (9 ff.); Mansel, in: Jayme (Hrsg.), Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, S. 119 (134 ff.); Rauscher, in: FS für Jayme, Bd. I, S. 719 (730); Jayme, IPRax 1996, 237; ausführlich zur „Kulturellen Dimension des Rechts“ und „ihre Bedeutung für das I nternationale Privatrecht und die Rechtsvergleichung“: Jayme, RabelsZ 67 (2003), 211 ff.
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fung an die Staatsangehörigkeit 548, worauf später noch einzugehen 549 sein wird. In Zeiten zunehmend pluralistischer Gesellschaften bekommt die Kongruenz von Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit und Prinzip der engsten Verbindung für Fragen der Person aber auch Risse. Denn auch wenn Art. 18 AEUV, der eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit verbietet, einer Berufung des Heimatrechts nicht entgegensteht 550, erscheint die Staatsangehörigkeit als Anknüpfungspunkt für Ausländer mit rein formeller Staatsangehörigkeit sowie für assimilierungswillige Ausländer, die zwar ihre Staatsangehörigkeit beibehalten, sich aber bereits einige Zeit im Inland aufhalten und auch eine zeitnahe Rückkehr in ihr Heimatland nicht beabsichtigen, inadäquat. 551 Bedenkt man, dass die in der Bundesrepublik lebenden Ausländer sich im Durchschnitt bereits seit 18,9 Jahren in diesem Land aufhalten 552, ist die unterschiedslose Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit auch gesellschaftspolitisch fragwürdig geworden.553 Auch rechtstechnische Erwägungen wecken Zweifel an der Tragfähigkeit der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit: Im Fall von Doppeloder Mehrstaatern und Flüchtlingen sowie bei Beteiligung von mehr als einer Person macht die Berufung des Heimatrechts Ersatzanknüpfungen nötig, bei Staatenlosen versagt sie völlig. 554 Rechtspolitisch fragwürdig ist, dass die inhaltliche Bestimmung der Anknüpfungsvoraussetzungen, nämlich die Modalitäten von Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit, einem fremden Staat überlassen wird. 555 Auch aus diesen Gründen verliert die Berufung des Heimatrechts seit den 1950er Jahren kontinuierlich an Bedeutung.556 Die Haager Konferenz für Internationales Privatrecht 557 er548
v. Hoffmann/Thorn, IPR, § 5 A. II. 3.–5.; R. Giesen, Anknüpfung des Personalstatuts, S. 86; Rauscher, in: FS für Jayme, Bd. I, S. 719 (730). Als schwierig erachtet die Feststellung der Staatsangehörigkeit aber: Kropholler, IPR, § 38 II. 549 Dazu unten Kapitel 2 § 2 C. I. 2. c), e), f). 550 MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 693; Jud, GPR 2005, 133 (135). 551 Kropholler, IPR, § 38 III.; kritisch auch: Henrich, in: FS für Jayme, Bd. I, S. 321 (322 f.). 552 Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 2011, Tab. 2.20. 553 Auf Grundlage älterer Zahlen: Rohe, in: FS für Rothoeft, S. 1 (13 ff.); Kropholler, IPR, § 38 III. 3. 554 v. Hoffmann/Thorn, IPR, § 5 A. III.; Kropholler, IPR, § 37 II.; v. Bar/Mankowski, IPR, § 7 I. 3. b) (1); MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 713; Rohe, in: FS für Rothoeft, S. 1 (16, 19). 555 Kegel/Schurig, IPR, § 13 II. 3.; Junghardt, Rom IV-VO, S. 104. 556 Rauscher, IPR, § 3 A. I. 1. d. 557 Der gewöhnliche Aufenthalt ist im Bereich der Haager Übereinkommen insbesondere seit dem Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht v. 24.10.1956 (BGBl. 1961 II 1013, abgedruckt bei Jayme/ Hausmann Nr. 40) zunehmend zum primären Anknüpfungskriterium geworden (Rau-
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kennt dem gewöhnlichen Aufenthalt, der den tatsächlichen Schwerpunkt der Lebensverhältnisse der Bezugsperson bezeichnet, einen originären Gerechtigkeitsgehalt zu, der es rechtfertigen soll, den gewöhnlichen Aufenthalt als primären Anknüpfungspunkt einzusetzen. 558 Im deutschen Recht war der gewöhnliche Aufenthalt als primärer (Art. 18 Abs. 1 S. 1 EGBGB a.F.) und ist heute noch als hilfsweiser Anknüpfungspunkt maßgeblich (Art. 14 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB). 559 Im europäischen Kollisionsrecht dürfte sich der gewöhnliche Aufenthalt zum primären Anknüpfungskriterium entwickeln, zumal er sich als akzeptierter Kompromiss zwischen der in vielen Mitgliedstaaten geltenden Staatsangehörigkeitsanknüpfung einerseits und der angelsächsischen domicile-Anknüpfung andererseits darstellt.560 Dies belegen Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO und Art. 4 Abs. 2 Rom IIVO nun bereits für das Internationale Vertrags- und Haftungsrecht.561 (2) Patientenverfügung Bezogen auf die Patientenverfügung besteht zwischen Staatsangehörigkeit und gewöhnlichem Aufenthalt eine gewisse Anknüpfungsverlegenheit, also eine kollisionsrechtliche Lokalisationsschwäche 562, weil sich keine generalisierenden Aussagen darüber treffen lassen, ob der Wunsch nach Kontinuität oder der Wunsch nach Anpassung dominiert. 563 Die Berufung des Heimatrechts entspricht dem Prinzip der engsten Verbindung sicherlich für die stetig steigende Gruppe derjenigen, die sich lediglich für einige Jahre im Ausland aufhalten, etwa weil sie im Ausland studieren, dort für einige Zeit arbeiten oder dort ihren Lebensabend verscher, IPR, § 3 A. I. 1. d). Eines der ersten Abkommen, in denen der gewöhnliche Au fenthalt als Anknüpfungspunkt Berücksichtigung gefunden hat, war das Haager Abko mmen zur Regelung der Vormundschaft über Minderjährige v. 12.6.1902 ( Baetge, Der gewöhnliche Aufenthalt im IPR, S. 6; Trips-Hebert, IPR und Globalisierung, S. 36 f.). 558 Rauscher, IPR, § 3 A. II. 1. a). 559 MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 720; v. Hoffmann/Thorn, IPR, § 5 C. II. 1. 560 Rauscher, IPR, § 3 A. I. 1. d) cc); Kropholler, IPR, § 39 III. Seit mehr als 100 Jahren streiten die Rechtsordnungen, die das Domizil als wesentlichen Anknüpfungspunkt (z.B. England, Irland, USA, Dänemark, Norwegen) erachten, und diejenigen Rechtsor dnungen, die an die Staatsangehörigkeit anknüpfen (die meisten Staaten Kontinentaleuropas), über den für das Personalstatut besseren Anknüpfungspunkt (Kropholler, IPR, § 37 I. 2.; Kegel/Schurig, IPR, § 13 II. 2., 3.). 561 MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 720. Die Berufung des gewöhnlichen Aufenthalts war im Bereich des Internationalen Deliktsrechts zuvor schon in Art. 40 Abs. 2 EGBGB verwirklicht. 562 So die Definition von Kühne, in: FS für Heldrich, S. 815 (817). 563 Auch Herweg (Vereinheitlichung des Internat. Erbrechts, S. 56 f.) und Jud (GPR 2005, 133 [135] ) gelangen im Rahmen ihrer Untersuchungen des für das Internationale Erbrecht geeigneten Anknüpfungspunktes zu diesem Ergebnis.
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bringen.564 Gleiches dürfte mit Blick auf Angehörige stark kontrastierender Kultur- und Religionskreise gelten, weil sie oftmals auch noch nach Jahrzehnten der Abwesenheit deutlich von ihrer Heimatkultur, deren Ordnungsvorstellungen und ihrer Religion geprägt sind. 565 Dass die Religion auch im Kontext der Patientenautonomie und der Patientenverfügung eine gewisse Bedeutung erlangt, lässt sich daran ablesen, dass insbesondere der hohe Stellenwert des katholischen Glaubens in Teilen der polnischen und italienischen Gesellschaft einer Akzeptanz von Patientenverfügungen momentan noch im Wege steht und dass auch islamisch geprägte Gesellschaften eine ganz andere Einstellung zu Fragen der Patientenautonomie und der Sterbehilfe haben.566 Weil zunächst davon auszugehen ist, dass das Heimatrecht diese religiösen Aspekte berücksichtigt, 567 liegt eine Berufung des Heimatrechts im Kontext der Patientenverfügung auf den ersten Blick nahe. Gegen eine Berufung des Heimatrechts spricht indes, dass auch Fälle denkbar sind, in denen die Staatsangehörigkeitsanknüpfung inhaltlich nicht die engste Verbindung zu einer Rechtsordnung widerspiegelt. So trägt die Anwendung des mitunter von religiösen Vorstellungen geprägten Heimatrechts nur den Vorstellungen eines Teils der aus ein und demselben Staat stammenden Migranten Rechnung, nämlich denjenigen Migranten, die sich auch tatsächlich mit dieser Religion verbunden fühlen und nach ihr leben.568 Hinzu kommt, dass eine Kongruenz zwischen Berufung des Heimatrechts und kultureller Identität nur in Fällen besteht, in denen die kulturelle Identität auch tatsächlich im Heimatrecht wurzelt, was insbesondere bei Minderheiten oftmals nicht der Fall ist. 569 Auch mit Blick auf Betroffene, die den größten Teil ihres Lebens bis zur Errichtung der Patientenverfügung außerhalb ihres Heimatstaates verbracht haben, aber aus verwandten Kultur- und Religionskreisen stammen, spricht viel dafür, dass die lange Abwesenheit aus dem Heimatstaat eine gelockerte Heimatbindung und eine Schwächung der Bindung zu Kultur, Ordnungsvorstellungen und zum 564
Rohe, in: FS für Rothoeft, S. 1 (21 f.) hält bezüglich dieser Gruppe auch eine Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt für denkbar und spricht sich für eine „zweckentsprechende Auslegung“ des Begriffs des „gewöhnlichen Aufenthalts“ aus. 565 Mansel, in: Jayme (Hrsg.), Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, S. 119 (133: „de-territorialisierter Nationalstaat“); für den Kontext des Internationalen Erbrechts: Röthel, Gutachten 68. DJT, A100. 566 Siehe dazu die Beiträge auf der Internetseite: . 567 Prägung einzelner Rechtsinstitute durch Religion beschrieben bei: Henrich, in: FS für Jayme, Bd. I, S. 321 (322). 568 Allgemein: Henrich, in: FS für Jayme, Bd. I, S. 321 (322 f.); zur Bikulturalität türkischstämmiger Deutscher und in Deutschland geborener Türken: Mansel, in: Jayme (Hrsg.), Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, S. 119 (133). 569 Henrich, in: FS für Jayme, Bd. I, S. 321 (323).
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Kapitel 2: Die Patientenverfügung mit Auslandsberührung
Heimatrecht bewirkt.570 Ähnliches dürfte für die Kinder und die stetig zunehmende Zahl der Enkel der Gastarbeiter gelten, die weder im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit sind noch im Land ihrer Staatsangehörigkeit bislang für längere Zeit gelebt haben: Ein Großteil von ihnen wird wegen unzureichender Sprachkompetenz und fehlender Vertrautheit mit ihrem Heimatstaat nicht in diesen umziehen. 571 Eine Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit würde für sie bedeuten, nach einem Recht beurteilt zu werden, das ihnen nicht nur gänzlich unvertraut ist, weil sie bislang nicht mit diesem in Kontakt getreten sind, sondern überdies auch nicht ihren Einstellungen entspricht.572 Mit der Aufenthaltsanknüpfung würde demgegenüber eine Integration der in der zweiten oder dritten Generation in Deutschland lebenden Ausländer in das inländische Rechtsleben gelingen.573 Gegen eine starre Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt spricht aber wiederum, dass nicht für alle der in der zweiten oder dritten Generation in Deutschland lebenden Ausländer die engste Verbindung zum Aufenthaltsrecht bestehen muss, denn gerade der bislang nicht erfolgte Wechsel der Staatsangehörigkeit kann auch ein Indiz für eine anhaltende Prägung durch die heimatlichen Traditionen des Elternhauses und eine daraus resultierende Skepsis gegenüber der Kultur des Aufenthaltsstaates sein – ob daraus aber zwingend ein Interesse an der Fortgeltung des Heimatrechtes folgt, lässt sich wiederum nicht zweifelsfrei beantworten. 574 Eine Entscheidung zwischen den Anknüpfungspunkten Staatsangehörigkeit und gewöhnlichem Aufenthalt fällt auch mit Blick auf die Fälle schwer, in denen sich angesichts eines „transnationalen Lebenslaufs“ 575 kaum mehr ermitteln lässt, zu welchem Recht die engste Verbindung besteht, etwa wenn Lebensabschnitte wie Kindheit, Familien- und Berufsleben und Ruhestand in jeweils unterschiedlichen Ländern verbracht werden. Auf den Staat, in dem die Kindheit verbracht wurde, weist zwar möglicherweise die Staatsangehörigkeit hin, aber ebenso wie bezüglich des zweiten Aufenthaltsstaates, in dem die bedeutenden Lebensabschnitte Familienbildung und Berufsleben verbracht wurden, weist der gewöhnliche Aufenthalt nicht auf diesen Staat hin und mit dem dritten Staat verbindet den Betroffenen zwar der
570
Vgl. Rohe, in: FS für Rothoeft, S. 1 (22 f., 27 ff.); ähnlich auch: Henrich, in: FS für Stoll, S. 437 (444); kritisch aber: Rauscher, in: FS für Jayme, Bd. I, S. 719 (733). 571 Dreher, Rechtswahl im internat. Erbrecht, S. 40. 572 Zum Vorstehenden auch unter Einbeziehung von Zahlenmaterial ausführlich: Rohe, in: FS für Rothoeft, S. 1 (27 ff.). 573 Junghardt, Rom IV-VO, S. 111. 574 In diese Richtung: Rauscher, in: FS für Jayme, Bd. I, S. 719 (733); kritisch aber Rohe, in: FS für Rothoeft, S. 1 (15). 575 So die Formulierung von Mansel, in: Jayme (Hrsg.), Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, S. 119 (133).
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Aufenthalt, möglicherweise nicht aber das soziale Umfeld. 576 Auch Praktikabilitätserwägungen sprechen weder eindeutig für die Aufenthaltsanknüpfung noch für die Staatsangehörigkeitsanknüpfung: Einerseits erschwert der wachsende Ausländeranteil an der Bevölkerung die Einhaltung der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit erheblich, andererseits birgt die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt gewisse Unsicherheiten für die Parteien und den Rechtsverkehr, weil der Anknüpfungspunkt des gewöhnlichen Aufenthalts aufgrund der stetig steigenden Mobilität stark wandelbar und damit zufällig ist und auch einer Manipulation durch die Beteiligten zugänglicher ist als die Staatsangehörigkeit. 577 Darauf wird noch einzugehen sein.578 Die soeben beschriebene Heterogenität der Einstellungen und Prägungen sowie Lebenswirklichkeiten unter Ausländern lenkt den Blick auf die Frage, wie belastbar Generalisierungen überhaupt sind. Viel spricht dafür, dass die Einschätzung von Kegel/Schurig579, nach der die meisten Menschen selbst das Recht des Staates vorziehen, dem sie angehören, da es regelmäßig das Recht ist, unter dem sie aufgewachsen sind, ebenso wenig mehr als eine Vermutung sein kann wie die Einschätzung von Alexander Lüderitz580, dass Menschen mitunter auch nicht besser oder schlechter gestellt sein wollen als das rechtliche Umfeld dort, wo sie wohnen oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, oder einfach nicht auffallen wollen, also ein Interesse an Integration in ihre Umwelt haben. Die naheliegende Schlussfolgerung, dass im Internationalen Privatrecht Generalisierungen grundsätzlich fehl am Platz sind, wird zu Recht nicht gezogen, denn die konkrete Interessenlage im Einzelfall kann bei der Normbildung grundsätzlich keine Berücksichtigung finden. 581 Eine Entscheidung zwischen Staatsangehörigkeit und gewöhnlichem Aufenthalt wird also – unter Einbeziehung der im Folgenden zu untersuchenden Interessen – auch mit Blick auf die Patientenverfügung zu treffen sein. Dabei wird zu beachten sein, dass sich ein Kompromiss zwischen Staatsangehörigkeit und Aufenthalt mit einer Anknüpfung nach dem Vorbild des Haager Übereinkommens über das auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendende Recht v. 1.8.1989582 erreichen ließe. Gemäß dessen Art. 3 wird das Recht des 576
Dreher, Rechtswahl im internat. Erbrecht, S. 43. BT-Drs. 10/504, S. 31; Kegel/Schurig, IPR, § 13 II. 3.; v. Hoffmann/Thorn, IPR, § 5 A. II. 3.; Rauscher, IPR, § 3 A. I. 1. d); Junghardt, Rom IV-VO, S. 113 f. 578 Dazu unten Kapitel 2 § 2 C. I. 2. e), f). 579 Kegel/Schurig, IPR, § 2 I., § 13 II. 3. 580 Lüderitz, in: FS für Kegel, S. 31 (34 ff.). 581 Lüderitz, in: FS für Kegel, S. 31 (40); Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 111; zur Notwendigkeit objektiver Kollisionsnormen: MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 31 ff. 582 Von Deutschland bislang nicht ratifiziert. 577
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gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes dann zur Anwendung berufen, wenn er Angehöriger dieses Staates war oder dort vor seinem Tode mindestens fünf Jahre Aufenthalt hatte. Ausnahmsweise ist in letzterem Fall das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts nicht maßgeblich, wenn der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes mit seinem Heimatstaat offensichtlich enger verbunden war. bb) Subjektive Anknüpfung Aus Sicht des Betroffenen könnte mit einer Rechtswahl 583 gewährleistet werden, dass das Recht zur Anwendung gelangt, zu dem im Einzelfall tatsächlich die engste Verbindung besteht. Auf diese Weise könnte die Anknüpfungsverlegenheit zwischen Staatsangehörigkeit und gewöhnlichem Aufenthalt überwunden werden. Die Zulassung der Rechtswahl drängt sich außerdem wegen des in der rechtlichen Anerkennung der Patientenverfügung zum Ausdruck kommenden Stellenwerts der Patientenautonomie im materiellen Recht auf. Auch bei der Vorsorgevollmacht sprach für eine Zulassung der Rechtswahl, dass durch sie der Anerkennung antizipierter Selbstbestimmung Ausdruck verliehen wird. 584 Zudem mutet es widersprüchlich an, dem Betroffenen zwar zu gestatten, in einer Patientenverfügung medizinische Anordnungen für den Fall der eigenen Handlungsunfähigkeit zu treffen, ihm aber die Wahl des anwendbaren Rechts zu verwehren. Mit einer parallelen Argumentation wird auch im Internationalen Erbrecht eine Stärkung der Parteiautonomie befürwortet. 585 Mit Blick auf die Interessen des medizinischen Personals, das die in der Patientenverfügung geäußerten Wünsche umsetzen muss, sowie mit Blick auf die kulturelle und ethische Einbettung der Patientenverfügung in die jeweilige nationale Rechtsordnung586 ist aber jedenfalls eine unbeschränkte Rechtswahlmöglichkeit skeptisch zu betrachten. Weil die Rechtswirkungen der Patientenverfügung neben dem Zivilrecht auch die anderen Teilrechtsordnungen berühren, kann ein staatliches Interesse bestehen, das anwendbare Recht anhand objektiver Kriterien zu ermitteln. 587 Gleichwohl wird aber auf Grund-
583
Dazu ausführlich unter Kapitel 2 § 2 C. III. 2. Guttenberger, Haager ESÜ, S. 38; Röthel/Woitge, IPRax 2010, 494 (498). 585 Röthel, Gutachten 68. DJT, A102 f. 586 Darauf hinweisend auch: Jayme, in: FS für Spellenberg, S. 203 (206, 209). 587 Mit einer entsprechenden Argumentation hat sich Dörner (in: FS für Jayme, Bd. I, S. 143 [146]) gegen eine freie Rechtswahl bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften ausgesprochen. 584
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lage einer objektiven Anknüpfung in der weiteren Untersuchung zu erwägen sein, eine inhaltlich beschränkte Rechtswahl zuzulassen. 588 b) Verkehrsinteressen Zu beachten sind außerdem die Interessen Dritter. Dritte sind im Unterschied zu den Parteien nicht die an rechtlichen Vorgängen aktuell, sondern die potentiell Beteiligten, wie etwa Familienangehörige. 589 Ihrem Interesse ist Genüge getan, wenn „man leicht und sicher geht“ 590. Gewährleistet werden kann dies je nach Situation etwa durch eine handlungs- und erfolgsortbezogene Anknüpfung oder die Berufung des Rechts des Wohnsitz- oder Aufenthaltsstaates. Bei der Patientenverfügung wird man die in der späteren Behandlungssituation tätig werdenden Ärzte sowie die möglicherweise im Fürsorgefall zu bestellende Fürsorgeperson nicht als Träger von Parteiinteressen, sondern als Träger von Verkehrsinteressen ansehen müssen, weil die meisten Patientenverfügungen Anweisungen für lediglich potentiell erforderlich werdende medizinische Behandlungen und für eine lediglich potentiell eintretende Fürsorgebedürftigkeit enthalten. Tatsächlich wird mitunter weder eine Fürsorgebedürftigkeit eintreten noch werden die in der Patientenverfügung konkret beschriebenen medizinischen Maßnahmen erforderlich werden. Eine Beteiligung Dritter ist deswegen hauptsächlich im Rahmen der Rechtswirkungen der Patientenverfügung denkbar. Dies legt nahe, dass die Interessen Dritter insbesondere mit Blick auf die Rechtswirkungen der Patientenverfügung zu berücksichtigen sind. 591 Die behandelnden Ärzte, das involvierte medizinische Personal und die möglicherweise zu bestellende Fürsorgeperson sind daran interessiert, dass sich das anzuwendende Recht leicht ermitteln lässt und es einfach anzuwenden ist.592 Ihre Interessen entsprechen also durchaus den Interessen des Betroffenen, weisen aber in Richtung eines anderen Anknüpfungspunktes, nämlich dem Recht am Behandlungsort bzw. an dem Ort, an dem das Fürsorgebedürfnis eintritt. Das Recht am Behandlungsort ist den behandelnden Ärzten nicht nur leicht zugänglich, sondern in der Regel auch bereits 588
Auch Dörner (in: FS für Jayme, Bd. I, S. 143 [149]) spricht sich im Kontext gleichgeschlechtlicher Partnerschaften nicht gegen die Zulassung einer Rechtswahl aus, sondern schlägt eine inhaltlich limitierte Rechtswahl etwa bezüglich des Güterrechts vor. 589 Kegel/Schurig, IPR, § 2 II. 2. 590 Kegel/Schurig, IPR, § 2 II. 2. 591 Dass die Interessen Dritter insbesondere im Rahmen der Rechtswirkungen eines Rechtsinstituts berücksichtigt werden, ist ein typischer Befund. So spricht sich mit Blick auf den PACS Frucht (PACS im französ. und deutschen IPR, S. 41) dafür aus, Interessen Dritter nur bezüglich der Rechtswirkungen des PACS zu berücksichtigen. 592 Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 20 Rn. 27; für die Interessen des Vertreters und der Geschäftspartner bei der Vorsorgevollmacht: Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 112.
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Kapitel 2: Die Patientenverfügung mit Auslandsberührung
bekannt. Bei Berufung des Heimatrechts des Betroffenen wäre demgegenüber eine Ermittlung der Staatsangehörigkeit und ggf. auch ausländischen Rechts in der Behandlungssituation notwendig, die sich für die behandelnden Ärzte angesichts ihrer zumeist beschränkten rechtlichen Kenntnisse, aber vor allem wegen des in der Behandlungssituation auf ihnen lastenden Entscheidungsdrucks als schwierig und aufwändig darstellen kann. Ist das anwendbare Recht nur schwer zu ermitteln, ist außerdem nicht auszuschließen, dass die medizinische Praxis auch außerhalb von Notfällen dazu neigen wird, eher die Patientenverfügung eines Patienten zu missachten als umfangreiche Prüfungen des anwendbaren Rechts einzuleiten. Es besteht also die Gefahr, dass durch eine undurchschaubare Rechtslage der Sinn und Zweck der Patientenverfügung – die verbindliche Berücksichtigung des Selbstbestimmungsrechts in der Behandlungssituation trotz Einwilligungsunfähigkeit des Betroffenen – konterkariert würde. Aber auch mit einer Berufung des Aufenthaltsrechts erübrigten sich praktische Schwierigkeiten bei der Ermittlung des anwendbaren Rechts nur in Fällen, in denen ein Ausländer seinen gewöhnlichen Aufenthalt auch am Behandlungsort hat oder an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt von Betroffenem und behandelndem Arzt angeknüpft wird. In allen anderen Fällen ließen sich entsprechende Schwierigkeiten nicht vermeiden. Auch die juristischen Folgen des eigenen Handelns ließen sich für die behandelnden Ärzte nur bei einer Berufung des Rechts am Behandlungsort mit letzter Sicherheit abschätzen.593 Angesichts dessen, dass die Verordnungen Rom I und Rom II für die medizinische Behandlung überwiegend das Recht am Behandlungsort berufen, ließe sich mit einer Anknüpfung der Patientenverfügung an das Recht am Behandlungsort weitgehend vermeiden, dass der Lebenssachverhalt medizinische Behandlung in verschiedene Rechtsbeziehungen zersplittert wird, die unterschiedlichen Rechts- und Werteordnungen unterstehen.594 Genüge getan wäre außerdem dem Interesse der behandelnden Ärzte an der Vermeidung eines unkoordinierten Aufeinandertreffens von Anknüpfungsregeln des Internationalen Privatrechts und des Internationalen Strafrechts, denn auch das Internationale Strafrecht ist weitgehend vom Territorialitätsprinzip geprägt. Den behandelnden Ärzten wäre es nicht zumutbar, über die nach dem Internationalen Privatrecht anwendbaren ausländischen Sachvorschriften zu der Vornahme einer medizinischen Be593 Auf die Bedeutung der Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts für die beha ndelnden Ärzte und den Gesichtspunkt der Abschätzbarkeit der juristischen Folgen ärztl ichen Handelns weist auch Nagel (Organtransplantation und IPR, S. 57) im Rahmen seiner Untersuchung des Umfangs der deliktischen Anknüpfung bei der postmortalen O rganentnahme hin. 594 Für das autonome Kollisionsrecht und die aktuell erklärte Einwilligung: Schütt, Deliktstyp und IPR, S. 173.
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handlungsmaßnahme verpflichtet zu werden, wegen derer sie sich nach den durch die Regeln des Internationalen Strafrechts anwendbaren materiellen Strafvorschriften strafbar machen.595 Weitgehend eingeschränkt werden diese Haftungsrisiken freilich durch die Qualifikation der §§ 211 ff. StGB i.V. mit § 134 BGB als international zwingende Normen. In Widerspruch zu den Interessen der Ärzte stünde eine Rechtswahl, weil mit ihr die geschilderten Probleme bei der Ermittlung des ausländischen Rechts verbunden wären. Im Unterschied zum Arztvertrag (Art. 3 Rom I-VO) käme bei der Patientenverfügung nämlich allenfalls eine einseitige Rechtswahl des Betroffenen in Betracht, weil die Patientenverfügung erst relevant wird, wenn der Betroffene nicht mehr selbst in die medizinische Heilbehandlung einwilligen kann, er in diesem Zustand aber auch das anwendbare Recht nicht mehr wirksam wählen kann. Wegen der Probleme bei der Ermittlung des anwendbaren Rechts würde die einseitige Rechtswahl des Betroffenen den Interessen der behandelnden Ärzte wohl selbst dann widersprechen, wenn sie frühzeitig von der Rechtswahl Kenntnis erlangen. Als Fazit bleibt daher festzuhalten, dass dem Interesse des Rechtsverkehrs, insbesondere den Interessen der behandelnden Ärzte, nicht eine personale Anknüpfung, sondern eine Berufung des Rechts am Behandlungsort entspricht. c) Internationaler Entscheidungseinklang Das formale Ideal des internationalen Entscheidungseinklangs hat Friedrich Carl von Savigny mit den Worten umschrieben: „die Rechtsverhältnisse, in Fällen einer Collision der Gesetze, dieselbe Beurtheilung zu erwarten haben, ohne Unterschied, ob in diesem oder jenen Staate das Urtheil gesprochen werde“596. Es geht also um die Vermeidung widersprechender Entscheidungen unserer Rechtsanwendung mit einer ausländischen Rechtsanwendung im selben oder in vergleichbaren Fällen, die als ungerecht empfunden werden könnte. 597 Auch wenn an einem solchen Entscheidungseinklang ein starkes Parteiinteresse besteht, ist zweifelhaft, inwieweit er ohne eine Vereinheitlichung des Kollisionsrechts überhaupt zu erreichen ist.598 Im Rahmen der Reform des Internationalen Privatrechts rechtfertigte der deutsche Gesetzgeber die Beibehaltung der Staatsangehörigkeitsanknüpfung in personalen Angelegenheiten u.a. damit, dass die 595
Spickhoff, in: FS für Deutsch, S. 907 (909 f., 915); ders., in: FS für Ge. Müller, S. 287 (305 f.). 596 v. Savigny, System VIII, S. 27; auch aufgegriffen von Kropholler, IPR, § 6, der auch den Begriff „das formale Ideal“ verwendet. 597 Rauscher, IPR, § 1 D. IV. 1. 598 Kropholler, IPR, § 6 III. 1.; Rauscher, IPR, § 1 D. IV. 3.
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Kapitel 2: Die Patientenverfügung mit Auslandsberührung
Heimatländer vieler der in Deutschland lebenden Ausländer, insbesondere der Gastarbeiter, ebenfalls das Heimatrecht berufen. 599 Tatsächlich ist dem äußeren Entscheidungseinklang mit möglichst vielen Staaten die Wahl international gebräuchlicher Anknüpfungen, etwa die Überweisung der Form des Rechtsgeschäfts an die lex loci actus, dienlich.600 Eine international gebräuchliche Anknüpfung dient auch der Vermeidung hinkender Rechtsverhältnisse, die entstehen können, wenn die betreffende Rechtserscheinung von einem Recht als gültig und von einem anderen als ungültig angesehen wird.601 Bei der Patientenverfügung ist internationale Entscheidungsharmonie derzeit nicht zu erreichen, weil – wie aufgezeigt 602 – bislang in anderen Staaten noch keine kollisionsrechtlichen Regelungen existieren und überwiegend auch noch keine diesbezüglichen Stellungnahmen aus dem Schrifttum vorliegen. Zu diesem Zeitpunkt bleibt also nur, eine kollisionsrechtliche Anknüpfung zu finden, die den Interessen und Wertungen am ehesten entspricht und im Grundsatz international gebräuchlich ist. 603 Hierbei ist zu beachten, dass die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit im Internationalen Personen- und Familienrecht nur noch teilweise Harmonie schafft: Übereinstimmung wird zwar möglicherweise mit den Staaten erreicht, die im Bereich des Erwachsenenschutzes weiterhin auf das Heimatrecht abstellen, Dissonanzen werden aber mit Staaten hervorgerufen, die an den Wohnsitz oder den gewöhnlichen Aufenthalt anknüpfen.604 Auch in europäischen und internationalen Rechtsakten zum Familienrecht605 hat sich die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt zwi599
BT-Drs. 10/504, S. 31; kritisch aber Rohe, in: FS für Rothoeft, S. 1 (17). Kegel/Schurig, IPR, § 2 II. 3. a); Schack, in: Liber amicorum Kegel, S. 179 (186 f.); Frucht, PACS im französ. und deutschen IPR, S. 42. 601 Neuhaus, Grundbegriffe, § 48; Kropholler, IPR, § 6 I., § 35; Frucht, PACS im französ. und deutschen IPR, S. 41. 602 Dazu oben Kapitel 2 § 2 A. I. 603 Dies ist ein typischer Befund für neu geschaffene Rechtsinstitute, wie etwa auch ein Blick auf eine kollisionsrechtliche Untersuchung des PACS ( Frucht, PACS im französ. und deutschen IPR, S. 42) belegt. 604 Allgemein: Kegel/Schurig, IPR, § 2 II. 3. a). Zu den Staaten, die im Bereich des Erwachsenenschutzes das Heimatrecht berufen, gehören etwa Österreich (§ 15 IPRG) und Spanien (Art. 9 Nr. 6 Abs. 1 S. 1 C.c.). Zu den Staaten, die das Aufenthaltsrecht berufen, gehören etwa die Schweiz (Art. 85 IPRG) und Belgien (Art. 35 § 1er Abs. 1 C. dr. int. pr.). Weitere Länderübersicht bei: Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 21 Rn. 12 f., §§ 22–31. 605 Beispiel sind das Haager ESÜ, MSA und KSÜ sowie die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwo rtung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (EuEheVO) v. 27.11.2003, ABl. EU 2003 Nr. L 338, S. 1 ff., zitiert auch bei: Röthel, Gutachten 68. DJT, Fn. 525. 600
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schenzeitlich gegenüber der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit durchgesetzt. Dass sich dieser Trend auch in anderen Gebieten des Internationalen Privatrechts fortsetzen wird, lässt der Verordnungsvorschlag der Kommission vom 14.10.2009 zum Erbrecht606 vermuten, der ebenfalls das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt beruft. Grenzen werden dem internationalen Entscheidungseinklang im Rahmen der Aufenthaltsanknüpfung aber durch die Unbestimmtheit des Begriffes „gewöhnlicher Aufenthalt“ gesetzt.607 d) Interner Entscheidungseinklang Rechtssätze sind innerhalb derselben Rechtsordnung entsprechend dem Gebot der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung regelmäßig aufeinander abgestimmt.608 Indem das Internationale Privatrecht verschiedene Teile eines Sachverhalts verschiedenem Recht unterstellt (dépeçage), kann die Widerspruchsfreiheit von Rechtssätzen durchbrochen werden und ein Normenwiderspruch entweder als Normenhäufung oder als Normenmangel auftreten.609 Vermieden werden kann dies durch eine Berücksichtigung des Interesses am internen Entscheidungseinklang, mit dem eine harmonische Behandlung derselben Rechtsfrage durch alle damit befassten deutschen Gerichte und Behörden erreicht werden soll. 610 Weit gefasste und nicht zu sehr aufgespaltene Kollisionsnormen können dies gewährleisten. 611 Interner Entscheidungseinklang wird außerdem dadurch erreicht, dass Rechtsverhältnisse, deren Bestehen Tatbestandsmerkmal für mehrere Rechtsfragen ist, losgelöst von der jeweiligen Sachfrage beurteilt werden. 612 Einigkeit herrscht darüber, dass sowohl kollisionsrechtliche wie auch materiellrechtliche Vorfragen zur Vermeidung einer Entscheidungsdisharmonie nicht ohne Beachtung des Internationalen Privatrechts nach deutschem ma606 Vorschlag für eine Verordnung über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen und öffentlichen Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses v. 14.10.2009, KOM(2009) 154 endg. 607 Auf die Unbestimmtheit des Begriffes weist auch Kropholler (IPR, § 39 III. 2) hin. Allerdings sei die gerichtliche Praxis mit der Unbestimmtheit bislang im Internationalen Zivilverfahrensrecht wie im Internationalen Privatrecht ohne größere Schwierigkeiten fertig geworden. 608 Kegel/Schurig, IPR, § 2 II. 3. b); Frucht, PACS im französ. und deutschen IPR, S. 42. 609 Kegel/Schurig, IPR, § 2 II. 3. b); Frucht, PACS im französ. und deutschen IPR, S. 42. 610 Kegel/Schurig, IPR, § 2 II. 3. b); Rauscher, IPR, § 1 D. IV. 2. 611 Kegel/Schurig, IPR, § 2 II. 3. b); Frucht, PACS im französ. und deutschen IPR, S. 42. 612 Rauscher, IPR, § 1 D. IV. 3. e).
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teriellem Recht beantwortet werden können. 613 Wie das für die Vorfrage anwendbare Recht kollisionsrechtlich zu bestimmen ist, ist demgegenüber stark umstritten, soweit nicht das Recht des Forumstaates, sondern ausländisches Recht für die Hauptfrage berufen ist.614 Befürwortet wird einerseits, dass das für die Hauptfrage maßgebliche Recht mit seinen internationalprivatrechtlichen Regeln auch die Vorfrage beantwortet („unselbständige Anknüpfung“ nach der lex causae), andererseits wird eine getrennte Behandlung der Vorfrage nach den Kollisionsnormen der lex fori („selbständige Anknüpfung“) vorgeschlagen. Während mit der unselbständigen Anknüpfung der internationale Entscheidungseinklang gefördert wird, wird der interne Entscheidungseinklang nur mit der selbständigen Anknüpfung der Vorfrage gewahrt, weil auf diesem Wege das vorgreifliche Rechtsverhältnis unabhängig davon, bezüglich welcher Hauptfrage es sich stellt, vor deutschen Gerichten und Behörden immer gleichbehandelt wird.615 Dass beide Ansichten jeweils Ausnahmekategorien entwickelt haben, legt den Schluss nahe, dass über die Frage der Anknüpfung von Vorfragen durch Auslegung der für die Hauptfrage einschlägigen Kollisionsnorm zu entscheiden ist.616 Auch die Patientenverfügung kann Vorfrage für andere Entscheidungen (Hauptfrage) sein, etwa wenn es darum geht, ob trotz Vorliegens einer Patientenverfügung eine staatliche Fürsorgeperson zu bestellen ist. 617 Ob die Patientenverfügung gegenüber dem Arztrecht Vor- oder Teilfrage ist, wird noch zu untersuchen sein 618. Das Ergebnis einer unselbständigen Anknüpfung – die Wirksamkeit einer Patientenverfügung hinsichtlich der Erforderlichkeit einer Betreuerbestellung zu bejahen, sie aber aufgrund eines insofern anderen anwendbaren Rechts in Bezug auf die Arzthaftung zu verneinen – wäre auch bei der Patientenverfügung wohl nicht hinnehmbar. Zur Vermeidung von Widersprüchen sollten die Errichtungsvoraussetzungen und Rechtswirkungen der Patientenverfügung einheitlich angeknüpft 613 Rauscher, IPR, § 5 B. I. 1.; Erman/Hohloch, Einl Art. 3–47 EGBGB Rn. 53; Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 187. 614 Ist das Recht des Forumstaates schon für die Hauptfrage berufen, ist eine Entscheidung darüber, ob die Vorfrage selbständig oder unselbständig anzuknüpfen ist, en tbehrlich, weil in beiden Fällen dasselbe Recht berufen wäre, siehe: Kegel/Schurig, IPR, § 9 III. 1.; v. Bar/Mankowski, IPR, § 7 III. 5. a); Kegel/Schurig, IPR, § 9 II.; Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 187. 615 Erman/Hohloch, Einl Art 3–47 EGBGB Rn. 53; Rauscher, IPR, § 5 B. II. 5.; v. Bar/Mankowski, IPR, § 7 III. 5. a); Kegel/Schurig, IPR, § 9 II. 616 MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 549; Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 188; vorsichtig angedacht bei: Kropholler, IPR, § 32 IV; für einzelfallbezogene Entscheidung durch den Richter: Keller/Siehr, Allgem. Lehren des IPR, § 39 III. 3. 617 Jayme, in: FS für Spellenberg, S. 203 (207). 618 Dazu unten Kapitel 2 § 2 C. II. 2. b).
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werden. Grenzen werden diesem Bestreben durch die enge Verflechtung der Patientenverfügung mit dem Strafrecht gesetzt, weil die strafrechtlichen Vorschriften der §§ 211 ff. StGB i. V. mit § 134 BGB sonderanzuknüpfen sind. e) Rechtssicherheit, Voraussehbarkeit, Einfachheit der Rechtsanwendung Aus der Perspektive der Rechtspflege besteht ein Interesse an der Einfachheit der Rechtsanwendung, die mittelbar auch den Parteien und der Allgemeinheit nützt.619 Sie lässt sich gewährleisten, wenn eine Kollisionsregel nur ein einziges Anknüpfungsmoment verwendet, weil dann nicht der Inhalt mehrerer Rechtsordnungen ermittelt werden muss. 620 Zu Recht wurde aber darauf hingewiesen, dass im Sinne der Vermeidung einer übermäßigen Simplifizierung dem Interesse an der Einfachheit der Rechtsanwendung nicht zu viel Gewicht verliehen werden sollte.621 Nicht nur im materiellen Recht, sondern auch im Internationalen Privatrecht besteht zudem ein Interesse an Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit des Inhalts von Gerichtsentscheidungen.622 Die maßgebende Rechtsordnung soll anhand von Kriterien, die auch für die Parteien schon frühzeitig transparent sind und ihnen Planungssicherheit gewährleisten, zu ermitteln sein. 623 Im Vergleich zu Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt ist die Staatsangehörigkeit – außer bei Mehrstaatern und Staatenlosen (Art. 5 Abs. 1, 2 EGBGB) – leichter und mit größerer Sicherheit ermittelbar. 624 Zum einen beurteilt sich die Frage, ob die Staatsangehörigkeit eines bestimmten Staates erworben worden ist, gemäß international einheitlicher Praxis nach dem Recht desjenigen Staates, um dessen Staatsangehörigkeit es geht, zum anderen lässt sich die Staatsangehörigkeit in der Regel durch Vorlage einer Urkunde leicht beweisen. 625 Weil die Berufung des Heimatrechts außerdem Anknüpfungsstabilität gewährleistet, dient sie regelmäßig nicht nur den Interessen des Rechtsverkehrs insgesamt, sondern auch den Parteiinteressen. Demgegenüber erfordert die Anknüpfung an den Wohnsitz oder den gewöhnlichen Aufenthalt regelmäßig umfangreiche Sachverhaltsprüfun619
Neuhaus, Grundbegriffe, § 20 I. 1.; Frucht, PACS im französ. und deutschen IPR,
S. 44. 620 621
Frucht, PACS im französ. und deutschen IPR, S. 44. Neuhaus, Grundbegriffe, § 20 I. 1.; Frucht, PACS im französ. und deutschen IPR,
S. 44. 622
Kegel/Schurig, IPR, § 2 II. 3. c); Frucht, PACS im französ. und deutschen IPR,
S. 43. 623
Neuhaus, Grundbegriffe, § 20 I. 3; Frucht, PACS im französ. und deutschen IPR,
S. 43. 624
Rohe, in: FS für Rothoeft, S. 1 (16): jedenfalls „bei abstrakter Betrachtungsweise“. BT-Drs. 10/504, S. 31; Brandi, Haager Abkommen über das auf die Erbfolge anzuwendende Recht, S. 67. 625
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gen.626 Hinzu kommt, dass der Aufenthaltsbegriff, insbesondere aber der Begriff des Wohnsitzes in den einzelnen Rechtsordnungen unterschiedlich ausgeprägt ist.627 Aus den Spezifika des Vorsorgeinstruments Patientenverfügung folgt, dass der Betroffene ein starkes Interesse an Anknüpfungsstabilität und Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts hat. Ähnlich wie der Erblasser628 und der Verfasser einer Vorsorgevollmacht 629 hat auch der Verfasser einer Patientenverfügung ein Interesse daran, verlässliche Anweisungen zu treffen, die nach Eintritt seiner Entscheidungsunfähigkeit auch tatsächlich Bestand haben und umgesetzt werden. Wie der Erblasser 630 und der Verfasser einer Vorsorgevollmacht wird der Verfasser einer Patientenverfügung nach Eintritt der Entscheidungsunfähigkeit nämlich zumeist nicht mehr in der Lage sein, Korrekturen an seinen Anordnungen vorzunehmen oder auf andere Art und Weise sein Schicksal in die Hand zu nehmen. Vorhersehbar wäre für Personen, die eine Patientenverfügung errichten möchten, – ebenso wie für den Vollmachtgeber bei der Vorsorgevollmacht631 – vor allem die Anwendung des Rechts des Errichtungsortes im Zeitpunkt der Errichtung oder – bei zwingender Registrierung der Patientenverfügung – die Anwendung der lex libri. Für den Betroffenen weniger voraussehbar wäre das anwendbare Recht demgegenüber bei einer flexiblen Anknüpfungsleiter632, wobei dann aber die Zulassung der Rechtswahl Abhilfe schaffen könnte. Im Widerspruch zum Bedürfnis des Betroffenen nach Planungssicherheit stünde demgegenüber eine Berufung des Rechts am Behandlungsort. Denn anders als bei der aktuell erklärten Einwilligung in eine medizinische Maßnahme wird es dem Betroffenen bei einer Vorausverfügung mangels Kenntnis vom Behandlungsort regelmäßig nicht möglich sein, sich auf das dortige Recht einzustellen. Gleiches gilt für eine Anknüpfung an das Recht des Ortes, an dem der Fürsorgefall eintritt. Auch eine Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen und des behandelnden Arztes empfiehlt sich aus der Sicht des Betroffenen nicht, weil im Zeitpunkt der Errichtung der Patientenverfügung der behandelnde Arzt im Regelfall noch nicht feststehen wird. Bei einer Anknüpfung an den ge626
v. Hoffmann/Thorn, IPR, § 5 A. II. 4 (für den gewöhnlichen Aufenthalt). BT-Drs. 10/504, S. 31; Kropholler, IPR, § 39 I. 2. b); v. Bar/Mankowski, IPR, § 7 I. 3. c); Rohe, in: FS für Rothoeft, S. 1 (16). 628 Dazu: Brandi, Haager Abkommen über das auf die Erbfolge anzuwendende Recht, S. 66 ff. 629 Dazu: Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 112, 115. 630 Dazu: Brandi, Haager Abkommen über das auf die Erbfolge anzuwendende Recht, S. 66. 631 Dazu: Röthel/Woitge, IPRax 2010, 494 (498). 632 Vgl. Neuhaus, Grundbegriffe, § 19 II. 6. 627
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wöhnlichen Aufenthalt kann dem Planungsbedürfnis des Betroffenen mit einer unwandelbaren Anknüpfung an den Errichtungszeitpunkt entsprochen werden, die eine leichte Ermittelbarkeit des anwendbaren Rechts ermöglicht. Der Betroffene müsste dann nicht bei jedem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts prüfen, welche Auswirkungen das Recht des neuen Lebensmittelpunktes auf seine Anordnungen hat. Zugleich ließe sich mit Blick auf die Schutzbedürftigkeit des Betroffenen im Hinblick auf Alter und Behinderung und mögliche Fremdbestimmungen vermeiden, dass in Fällen, in denen Angehörige ihren pflegebedürftigen Angehörigen zum Zwecke der Kostenersparnis oder um einer verbesserten Versorgung willen in einen ausländischen Staat verbringen, ein Recht auf die bereits errichtete Patientenverfügung Anwendung findet, zu dem keine anderweitige Verbindung des Betroffenen besteht. Ähnliche Überlegungen wurden für das Internationale Erbrecht 633 angestellt, wo der Schutz des Erblassers vor Fremdbestimmung in Rede steht. Eine unwandelbare Anknüpfung empfiehlt sich insbesondere dann, wenn bei einer Entscheidung für die Berufung des Aufenthaltsrechts auf eine Mindestaufenthaltsdauer verzichtet wird. Allerdings kann eine spätere Verlegung des Aufenthaltsortes auch zu einem Auseinanderfallen von auf die Patientenverfügung anwendbarem Recht und Umgebungsrecht führen, was sich insbesondere dann als problematisch erweisen kann, wenn Verfahrensvorschriften im Umgang mit ausländischen Patientenverfügungen fehlen oder nationale Schutzvorschriften entgegenstehen.634 Außerdem besteht die Gefahr, dass am Wirkungsort der Patientenverfügung nicht eindeutig und ohne Zeitverzögerungen erkennbar ist, welches Recht auf die Patientenverfügung Anwendung findet, was dem Interesse des Betroffenen an einer Durchsetzung seines Selbstbestimmungsrechts widerspräche.635 Aus Sicht der behandelnden Ärzte wäre im Falle der Patientenverfügung die Rechtssicherheit grundsätzlich immer schon dann beeinträchtigt, wenn in deutschen Behandlungsfällen die Wirkungen ausländischer Patientenverfügungen nach ausländischem Recht zu beurteilen wären, gerade auch, weil mitunter mangels Auseinandersetzung mit der Patientenverfügung im ausländischen materiellen Recht die Relevanz der Patientenverfügung entweder gar nicht oder nur nach aufwändigen Ermittlungen eindeutig zu beantworten ist. Daraus resultieren praktische Schwierigkeiten und eine mangelnde Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts, die sich aus Sicht der behandelnden Ärzte wegen der Gefahr von Pflichtenkollisionen aufgrund sich widersprechender Rechtsordnungen als besonders misslich er-
633
Leipold, JZ 2010, 802 (809). So für die Vorsorgevollmacht: Röthel/Woitge, IPRax 2010, 494 (498). 635 So für die Vorsorgevollmacht: Röthel/Woitge, IPRax 2010, 494 (498). 634
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weisen können.636 Demgegenüber ist die Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts aus Sicht der Allgemeinheit weniger bedeutend, weil der Staat an dem einzelnen Privatrechtsverhältnis meist erst dann interessiert ist, wenn es zu einem Rechtsstreit kommt – das staatliche Interesse an der Vorhersehbarkeit besteht eher mit Blick auf die Wahrung des Rechtsfriedens.637 f) Ausschluss der Gesetzesumgehung (fraus legis) Gesetzesumgehung (fraus legis) wird definiert als „die Veränderung eines Sachverhalts mit dem Ziel, diesen dem an sich, d.h. ohne Sachverhaltsänderung, maßgebenden Rechtssatz und damit dessen missliebigen Rechtsfolgen zu entziehen und einem anderen Rechtssatz und damit dessen erwünschten Rechtsfolgen zu unterstellen“ 638. Die Umgehungstheorie beschäftigt sich bereits seit dem römischen Recht 639 mit der Frage, ob die Gesetzesumgehung Gegenstand einer besonderen Anknüpfungsnorm ist und für sie eine Umgehungsabsicht entscheidend ist (subjektive Theorie) oder aber die Behandlung der Gesetzesumgehung Gegenstand der teleologischen Auslegung der umgangenen Norm ist (objektive Theorie) 640.641 Wenngleich die deutsche Rechtswissenschaft grundsätzlich der objektiven Theorie folgt, untersucht sie die Umgehungsfrage aber insbesondere rechtsgebietsbezogen, so auch für das Internationale Privatrecht 642.643 Im Internationalen Privatrecht resultiert die Gefahr einer Gesetzesumgehung aus der Verschiedenheit der Rechtsordnungen. 644 Wie im Sachrecht ist auch im Internationalen Privatrecht das Ziel der Rechtsumgehung die Ausschaltung einer missliebigen Sachnorm. 645 Anders als im Sachrecht wird dieses Ziel regelmäßig durch die Veränderung der kollisionsrechtlichen 636
Allgemein: Neuhaus, Grundbegriffe, § 20 III. 3. b). Neuhaus, Grundbegriffe, § 20 III. 3. b). 638 MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 746. 639 Zur Gesetzesumgehung im römischen Recht etwa: Honsell, in: FS für Kaser, S. 111 ff. 640 Für subjektive Theorie etwa: MünchKommBGB/Mayer-Maly/Armbrüster, 4. Aufl., § 134 Rn. 18; für objektive Theorie etwa: Teichmann, Die Gesetzesumgehung; Enneccerus/Nipperdey, BGB AT, 2. Halbbd., § 190 III.; Flume, BGB AT II, § 17 5., § 20 2. b) cc); Staudinger/Sack/Seibl, § 134 Rn. 145; Überblick bei: Schurig, in: FS für Ferid, S. 375 (384); MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 746. 641 Röthel, AcP 212 (2012), 157 (160). 642 Aus dem kollisionsrechtlichen Schrifttum etwa die Arbeiten von: Schurig, in: FS für Ferid, S. 375 ff.; Benecke, Gesetzesumgehung im Zivilrecht, S. 219 ff.; Römer, Gesetzesumgehung im deutschen IPR. 643 Röthel, AcP 212 (2012), 157 (161 f.). 644 Kegel/Schurig, IPR, § 14 I.; Schurig, in: FS für Ferid, S. 375 (377). 645 MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 747. 637
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Anknüpfungsmomente erreicht. 646 So ist denkbar, dass eine objektive Anknüpfung an leicht veränderbare Anknüpfungspunkte, wie Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt, dem Betroffenen Manipulationsmöglichkeiten bietet, weil es in der Regel ausreicht, den Lebensmittelpunkt in eine andere Rechtsordnung zu verlegen. 647 Die kollisionsrechtliche Behandlung der Gesetzesumgehung ist seit Langem umstritten. Im Anschluss an Wächter648 sahen Teile des deutschen akademischen Schrifttums zunächst kein Bedürfnis für eine kollisionsrechtliche Umgehung.649 Auch Neuhaus führte aus, das bei tatsächlicher, allein zu dem Zweck der Anwendung eines bestimmten Rechts erfolgten Verwirklichung des fraglichen Anknüpfungsmoments regelmäßig kein Bedürfnis für eine Korrektur bestehen solle, es sei denn, die Kollisionsnorm, auf welche sich die Parteien berufen, wolle nach ihrem Sinn und Zweck für einen solchen Fall nicht gelten. 650 In den vergangenen Jahrzehnten wird indes überwiegend für eine Anwendung der fraus legis im Internationalen Privatrecht plädiert 651 und häufiger als im Sachrecht auch auf das Erfordernis subjektiver Elemente hingewiesen, wobei die überwiegende Auffassung auf eine definitorische Verknüpfung von Gesetzesumgehung und Umgehungsabsicht verzichtet 652. Allerdings gehen die Auffassungen darüber auseinander, unter welchen Voraussetzungen es bei Verwirklichung 646 Benecke, Gesetzesumgehung im Zivilrecht, S. 223; MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 747; Schurig, in: FS für Ferid, S. 375 (377, 385). 647 Vgl. v. Hoffmann/Thorn, IPR, § 5 A. II. 3.; Kegel/Schurig, IPR, § 14 IV. 648 v. Wächter, AcP 25 (1842), 361 (412 ff.). Auch C. L. v. Bar, Theorie und Praxis, Bd. 1, S. 350 ff. sah nur wenig Raum für eine kollsionsrechtliche Umgehung: „Nur dann ist ein Handeln in fraudem legis anzunehmen, wenn der betreffende Rechtssatz entweder falsch ausgelegt oder der Thatbestand, auf welchen ersterer Anwendung finden würde, verheimlicht oder entstellt wird.“ Für Zurückhaltung im Umgang mit der fraus legis im Internationalen Privatrecht spricht sich auch Niederer (Gutzwiller/Niederer/Niederer, Beiträge zum Haager Internationalprivatrecht, S. 144 ff.) aus: „M.E. sind die Bedenken gegen die Berücksichtigung der fraus legis im IPR im allgemeinen so gewichtig und zahlreich, daß die größte Zurückhaltung geboten erscheint.“ 649 Kritisch immer noch: v. Bar/Mankowski, IPR, § 7 I. 11. a); Palandt/Thorn, Einl v Art. 3 EGBGB Rn. 25 f. Darstellung der Schrifttumsdeutungen bei: Römer, Gesetzesumgehung im deutschen IPR, S. 64 ff., 72 ff.; Gutzwiller/Niederer/Niederer, Beiträge zum Haager Internationalprivatrecht, S. 143 f.; Bertram, Gesetzesumgehung im IPR, S. 51 ff.; Röthel, AcP 212 (2012), 157 (184). 650 Neuhaus, Grundbegriffe, § 25 I. 2, II. 3. 651 Etwa Benecke, Gesetzesumgehung im Zivilrecht, S. 219 ff.; Schurig, in: FS für Ferid, S. 375 ff.; MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 746 ff.; Kegel/Schurig, IPR, § 14. 652 Benecke, Gesetzesumgehung im Zivilrecht, S. 221, 273 f.; Schurig, in: FS für Ferid, S. 375 (398); bezüglich des Erfordernisses subjektiver Elemente zweifelnd: Keller/ Siehr, Allgem. Lehren des IPR, § 41 II. 3.; das Erfordernis der Umgehungsabsicht ablehnend: Römer, Gesetzesumgehung im deutschen IPR, S. 78, 42 ff.
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der räumlichen Beziehung an der Legitimation kollisionsrechtlicher Rechtsgewinne fehlt, so soll die Legitimation etwa entfallen „wenn die Schaffung oder Veränderung von anknüpfungs- bzw. qualifikationserheblichen Tatsachen in Relation zu dem von den Beteiligten damit verfolgten Zweck verwerflich ist“653 oder bei Schaffung eines Anknüpfungsgrundes auf „arglistige, anstößige Art und Weise“ 654.655 Nach wie vor von nur untergeordneter Bedeutung ist die kollisionsrechtliche Gesetzesumgehung in der Praxis, denn die Staatsangehörigkeit – die Regelanknüpfung im deutschen Kollisionsrecht – kann nur mit großem praktischem Aufwand verändert werden.656 Ein kollisionsrechtliches Interesse an der Vermeidung von Gesetzesumgehungen wurde bislang seitens der Rechtsprechung auch nicht für Rechtsgebiete, die, wie das Personen- und Familienrecht, überwiegend zwingendes Recht enthalten, angenommen. 657 Im Kontext der Patientenverfügung könnte ein wirksamer Ausschluss von Gesetzesumgehungen entweder durch eine unwandelbare Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit des Betroffenen oder aber durch die Schaffung einer Exklusivnorm zugunsten des eigenen Rechts, wie im liechtensteinischen Recht658 für die Patientenverfügung vertreten, erreicht werden. Auch bei der Patientenverfügung besteht angesichts liberalerer Sterbehilferegelungen in anderen Ländern auf den ersten Blick durchaus ein Anreiz zur Umgehung des eigentlich maßgeblichen Rechts, was allerdings an Grenzen stößt, wenn Normen vom Forumstaat als international zwingend qualifiziert werden. g) Heimwärtsstreben Darüber hinaus besteht ein internationalprivatrechtliches Interesse an der Anwendung eines Rechts, das leicht feststellbar ist und deswegen zu schnellen, kostengünstigen und sicheren Entscheidungen führt.659 Die Ermittlung und Anwendung ausländischen Rechts ist für inländische Richter, Behörden, Notare und Rechtsanwälte oft mit erheblichen Schwierigkeiten 653
v. Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 F. I. MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 757, 763; ebenso Raape, IPR, § 18 I. 4.: „arglistige Weise“. Absicht auch angesprochen bei Schurig, Kollisionsnorm, S. 243. 655 Röthel, AcP 212 (2012), 157 (185). 656 MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 749; Kegel/Schurig, IPR, § 14 IV. 657 Rechtsprechungsübersicht bei MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 764 ff. Allerdings weist Neuhaus, Grundbegriffe, § 20 I. 4, darauf hin, dass für diese Rechtsgebiete Anknüpfungen zu bevorzugen sind, die von den Beteiligten nicht willkürlich g esetzt werden können. 658 Dazu oben Kapitel 2 § 2 A. I. 2. 659 Kegel/Schurig, IPR, § 2 II. 3. d); Frucht, PACS im französ. und deutschen IPR, S. 45. 654
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verbunden, insbesondere dann, wenn die zeitaufwändige und bisweilen auch kostenintensive Einholung von Gutachten erforderlich wird. 660 Die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit zwingt die Praxis mehr als alle anderen Anknüpfungen zur Prüfung ausländischen Rechts. 661 Die als Teil der Rechtspflege handelnden Personen haben ein Interesse an der Anwendung der lex fori.662 Weil die Fehlerquote bei der Anwendung der lex fori niedriger sein dürfte, kann die Anwendung der lex fori auch von den Parteien erwünscht sein.663 Weil ansonsten das dem kontinentaleuropäischen Internationalen Privatrecht immer noch schwerpunktmäßig zugrunde liegende Prinzip der Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen untergraben würde, erlangt dieses Interesse aber regelmäßig nur nachrangig Bedeutung.664 3. Materiellprivatrechtliche Interessen bei Patientenverfügungen Nach den internationalprivatrechtlichen Interessen sind nun noch die materiellprivatrechtlichen Interessen zu untersuchen. Wie gesehen665, finden kollisionsrechtlich insbesondere die Begriffe, die Struktur und die Wertungen des Sachrechts Beachtung. Der deutsche Gesetzgeber hat sich für eine Regelung der Patientenverfügung im Familienrecht, konkreter im Betreuungsrecht, entschieden und die Patientenverfügung auch inhaltlich in die Strukturen des Betreuungsrechts eingebettet. Auch die Patientenverfügung selbst lässt sich strukturieren: Zum einen kann zwischen Errichtung und Rechtswirkungen und zwischen Stadien, in denen die Patientenverfügung jeweils relevant wird – das Stadium der Errichtung, das Stadium der Betreuungsbedürftigkeit und das Stadium der Behandlungsbedürftigkeit – untergliedert werden. Dass diese Stadien unter Umständen zeitlich weit auseinander liegen können, ist kollisionsrechtlich möglicherweise ebenso zu beachten wie der Umstand, dass die materiellrechtlichen Regelungen der Patientenverfügung in den §§ 1901a ff. BGB systematisch aufeinander abgestimmt sind. 666 Ob diesem Bestreben Grenzen dadurch gesetzt werden, dass die beiden Bezugspunkte der Patientenverfügung, nämlich das Betreuungsrecht und das Recht der
660
Kropholler, IPR, § 7 I.; Rohe, in: FS für Rothoeft, S. 1 (32). v. Bar/Mankowski, IPR, § 7 I. 3. b); vgl. auch Rohe, in: FS für Rothoeft, S. 1 (18). 662 Kropholler, IPR, § 7 I., II. 663 Kegel/Schurig, IPR, § 2 II. 3. d); Frucht, PACS im französ. und deutschen IPR, S. 45. 664 Kegel/Schurig, IPR, § 2 II. 3. d); Schurig, RabelsZ 59 (1995), 229 (240 ff.); Frucht, PACS im französ. und deutschen IPR, S. 45; a.A. etwa: Flessner, Interessenjurisprudenz, S. 115 ff.; differenzierend: Neuhaus, Grundbegriffe, § 7 III. 665 Dazu oben Kapitel 2 § 2 C. I. 1. b). 666 Ähnlich für den PACS: Frucht, PACS im französ. und deutschen IPR, S. 48. 661
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Kapitel 2: Die Patientenverfügung mit Auslandsberührung
medizinischen Behandlung, kollisionsrechtlich ganz unterschiedlich ausgestaltet sind, wird zu untersuchen sein. Die Patientenverfügung zielt, so wie sie in den §§ 1901a ff. BGB ausgestaltet ist, auf die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts in medizinischen Angelegenheiten und erfüllt damit zunächst einmal das gleiche Anliegen wie die aktuell erklärte Einwilligung in medizinische Maßnahmen. Tatsächlich unterscheidet sich die Patientenverfügung aber strukturell stark von der aktuell erklärten Einwilligung. Zunächst ist der Inhalt der Patientenverfügung nicht auf eine antizipierte Einwilligung in medizinische Maßnahmen beschränkt, sondern Gegenstand einer Patientenverfügung können auch behandlungsablehnende Anordnungen sein. Die Patientenverfügung ist dann das Gegenteil einer Einwilligung. Hinzu kommt, dass die Patientenverfügung eine Vorausverfügung ist, bei der – dies ist das Spezifikum von Vorausverfügungen – im Zeitpunkt der Errichtung zumeist nicht fest steht, ob der Fürsorgefall und das in der Patientenverfügung beschriebene Krankheitsbild überhaupt eintritt, sowie, wann und wo dies der Fall sein wird.667 Schließlich ist die aktuell erklärte Einwilligung – anders als die Patientenverfügung – nicht in das Betreuungsrecht eingebunden, weil sie das Tätigwerden eines Betreuers nicht erforderlich macht, denn Betreuerbestellung, Einwilligung des Betreuers in medizinische Maßnahmen und betreuungsgerichtliche Genehmigung werden erst dann erforderlich, wenn auch eine Betreuungsbedürftigkeit besteht. Angesichts dieser Unterschiede drängt sich der Eindruck auf, dass eine kollisionsrechtliche Gleichbehandlung von Patientenverfügung und aktuell erklärter Einwilligung in medizinische Maßnahmen wohl nicht überzeugen würde. Zu beachten ist überdies, dass die Patientenverfügung Regelungen berührt, an deren Anwendung auch bei Auslandsberührung ein starkes materiellrechtliches Interesse besteht, und die deswegen sonderanzuknüpfen sind. Andererseits darf aber nicht übersehen werden, dass die Patientenverfügung dem Betroffenen weitgehende Gestaltungsfreiheit einräumt, der kollisionsrechtlich durch die Einräumung von Parteiautonomie Rechnung getragen werden kann.668 4. Fazit Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass auf der Suche nach einem Anknüpfungsgefüge für die Patientenverfügung unterschiedliche Interessen zu berücksichtigen sind. Eine Untersuchung dieser Interessen hat ergeben, dass sich die für die internationalprivatrechtliche Anknüpfung der 667
Ofner, in: Körtner/Kopetzki/Kletečka-Pulker (Hrsg.), Das österreichische Patientenverfügungsgesetz, S. 185 (191). 668 Ähnlich für den PACS: Frucht, PACS im französ. und deutschen IPR, S. 49.
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Patientenverfügung zu beachtenden Interessen zum Teil widersprechen und nicht alle gleichermaßen berücksichtigt werden können. 669 In einer zusammenfassenden Würdigung kann aber festgehalten werden, dass dem internationalprivatrechtlichen Interesse des Betroffenen an der Anwendung einer Rechtsordnung, mit der er eng verbunden ist, am ehesten durch eine Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit oder durch eine Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt Genüge getan wird, wobei aber eine Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit die Interessen assimilierungswilliger Migranten zu wenig berücksichtigt. Aus Sicht des Betroffenen empfiehlt sich auch die Möglichkeit der Rechtswahl. Allerdings wird zu untersuchen sein, ob der mit einer Rechtswahl verbundene Autonomiegewinn eine nicht zu rechtfertigende Privilegierung des Betroffenen gegenüber den behandelnden Ärzten bedeuten kann, deren Interesse darauf gerichtet ist, ein Aufeinanderprallen verschiedener Haftungssysteme zu vermeiden. Aus ihrer Sicht empfiehlt sich ohnehin eine Anknüpfung an das Recht am Behandlungsort, die zudem den Vorteil hätte, von ihnen nur schwer zu leistende Fremdrechtsanwendungen entbehrlich zu machen. Die Rechtssicherheit wäre aus Sicht der behandelnden Ärzte immer schon dann beeinträchtigt, wenn in deutschen Behandlungsfällen die Wirkungen ausländischer Patientenverfügungen nach ausländischem Recht zu beurteilen wären. Andererseits wird eine Anknüpfung an den Behandlungsort den Interessen des Betroffenen nicht gerecht. Gegen eine Anknüpfung an den Behandlungsort spricht aus seiner Sicht insbesondere die fehlende Rechtssicherheit, weil im Zeitpunkt der Errichtung der Patientenverfügung im Regelfall noch gar nicht absehbar ist, in welchem Land die Behandlung vorgenommen und die Wirksamkeit der Patientenverfügung hinterfragt werden wird. Dies hat zur Folge, dass der Betroffene bei der inhaltlichen Gestaltung seiner Patientenverfügung nicht ausreichend dafür Sorge tragen kann, dass seine Patientenverfügung alle Wirksamkeitsvoraussetzungen, die das Recht am Behandlungsort aufstellt, auch wirklich erfüllt. Betroffenen, die bereits frühzeitig absehen können, dass eine Behandlungsbedürftigkeit und eine Fürsorgebedürftigkeit sowohl im Inland als auch im Ausland eintreten kann, bliebe bei einer Anknüpfung an den Behandlungsort also gar nichts anderes übrig, als mehrere Patientenverfügungen, die jeweils die unterschiedlichen Anforderungen der unterschiedlichen Rechtsordnungen erfüllen, zu erstellen. 669 Dies ist ein typischer Befund für die Entwicklung von Kollisionsnormen ( Rauscher, IPR, § 1 D. V.). Auch andere Autoren weisen in anderen Sachzusammenhängen (für den PACS: Frucht, PACS im französ. und deutschen IPR, S. 45; für Persönlichkeitsrechtsverletzungen: Friedrich, Internat. Persönlichkeitsschutz, S. 17) auf sich widersprechende international- und materiellprivatrechtliche Interessen hin.
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Kapitel 2: Die Patientenverfügung mit Auslandsberührung
Ob internationaler Entscheidungseinklang mit einer Anknüpfung an den Behandlungsort erzielt werden kann, lässt sich mangels kollisionsrechtlicher Rechtsfortbildung in anderen Staaten derzeit ebenso wenig wie mit Blick auf eine personale Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit oder den gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen absehen. Mit einer unwandelbaren Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit des Betroffenen könnte aber ein wirksamer Ausschluss von Gesetzesumgehungen erreicht werden. Dem kollisionsrechtlichen Interesse am Heimwärtsstreben dient demgegenüber die Anwendung der lex fori. Kollisionsrechtlich umzusetzen sind außerdem die untersuchten materiellrechtlichen Interessen und Wertungen. So wird kollisionsrechtlich zu beachten sein, dass die Patientenverfügung formal und inhaltlich in das Betreuungsrecht eingebunden ist, aber zugleich auch Bezugspunkte zum Recht der medizinischen Behandlung aufweist. Zudem wird zu bedenken sein, dass die Patientenverfügung sich strukturell stark von der aktuell erklärten Einwilligung unterscheidet. Zu berücksichtigen sein wird auch, dass die Patientenverfügung dem Betroffenen weitgehende Gestaltungsmacht einräumt, aber mit den §§ 211 ff. StGB i.V. mit § 134 BGB auch sachrechtliche Regelungen berührt, die international zwingend sind. II. Qualifikation der Patientenverfügung Die Suche nach einer Kollisionsregel für Patientenverfügungen soll ihren Ausgangspunkt im vorhandenen Instrumentarium der geschriebenen Kollisionsnormen haben. Nach der Darstellung der für die kollisionsrechtliche Behandlung der Patientenverfügung maßgeblichen Interessen und Wertungen bietet es sich an, den Anknüpfungsgegenstand vorhandener Kollisionsnormen zu betrachten und den zu beurteilenden Sachverhalt unter den Anknüpfungsgegenstand zu subsumieren. Die Frage nach der für diesen Vorgang passenden Methode gehört zu den klassischen Zweifelsfragen des Internationalen Privatrechts. 1. Grundsätzliches Nach überwiegender Auffassung des deutschen Schrifttums soll im nationalen Internationalen Privatrecht die im Rahmen des Qualifikationsvorgangs erforderliche Auslegung des Anknüpfungsgegenstandes im Grundsatz nach der lex fori erfolgen.670 Weil die deutschen Kollisionsnormen aber auch Rechtserscheinungen erfassen müssen, die das deutsche materielle Recht nicht kennt („relative Systemlücken des eigenen materiellen
670 MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 495; v. Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 A. III. 1.
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Rechts“671), wird eine ausschließliche Qualifikation nach der lex fori672 ebenso wie eine ausschließliche Qualifikation nach der lex causae673 überwiegend abgelehnt. Heute wird in Schrifttum und Rechtsprechung eine internationalprivatrechtliche oder funktionale Methode befürwortet, die eng mit der Qualifikation lege fori und der rechtsvergleichenden Methode Ernst Rabels674 verwandt ist. Nach der funktionalen Methode ist die lex fori Ausgangspunkt der Qualifikation, ausschlaggebend soll aber sein, welche Lebenssachverhalte der von der Kollisionsnorm verwendete Anknüpfungsgegenstand seiner Funktion oder seinem Zweck nach einbeziehen will.675 Die Funktion oder der Zweck des in der Kollisionsnorm festgeschriebenen Anknüpfungsgegenstandes werden mit der Funktion oder dem Zweck der betroffenen sachrechtlichen Normen verglichen.676 Mit Herausforderungen verbunden ist der Qualifikationsvorgang aber nicht nur bei dem inländischen Recht unbekannten Rechtsinstituten. Aufgrund der Lückenhaftigkeit der Kodifikation des Internationalen Privatrechts und angesichts der Vielzahl nicht eindeutig zuzuordnender Rechtsinstitute des eigenen Rechts entstehen auch „hausgemachte“ Qualifikationsprobleme. 677 Besondere Probleme tauchen auf, wenn eine deutsche materielle Norm zwischen zwei deutschen Systembegriffen steht. 678 In diesen Fällen muss ausgehend von den Systembegriffen des deutschen Internationalen Privatrechts der Zweck der materiellen Norm ergründet werden. 679 Bleibt der beschriebene Qualifikationsvorgang erfolglos, ist die bestehende Lücke im Wege der Rechtsfortbildung – entweder im Wege der Analogie oder im Wege der Ausgestaltung neuer Kollisionsnormen – zu schließen.680 Im europäischen Kollisionsrecht kommen die Regeln zur Anwendung, die auch ansonsten für die Auslegung europäischer Normen gelten, also die von Friedrich Carl von Savigny entwickelten Auslegungskriterien (gram671
Kegel/Schurig, IPR, § 7 II. 2. Unter den Befürwortern der Qualifikation lege fori ist umstritten, ob autonom nach dem Internationalen Privatrecht des Forums oder heteronom nach dem Sachrecht der lex fori zu qualifizieren ist: Kegel/Schurig, IPR, § 7 III. 2. a) m.w.N. 673 Verfochten insb. von: M. Wolff, IPR, S. 48 ff. 674 Rabel, RabelsZ 5 (1931), 241 ff.; dazu etwa: MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 497. 675 BGHZ 29, 137 (139); 44, 121 (124 f.); 47, 324 (332); MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 499 ff., 501, 509; v. Bar/Mankowski, IPR, § 7; Kropholler, IPR, § 16 I., § 17; Rauscher, IPR, § 4 B. IV. 1.; v. Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 A. III. 4. 676 Kropholler, IPR, § 17 I.; MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 509. Kegel/Schurig (IPR, § 7 III. 3. b) beziehen darüber hinaus auch die mit der Kollisionsnorm verfolgten internationalprivatrechtlichen Interessen in den Qualifikationsvorgang ein. 677 S. Lorenz, NJW 2000, 3305 (3307). 678 Rauscher, IPR, § 4 A. II. 679 Rauscher, IPR, § 4 C. 2. 680 MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 513 f., 519. 672
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Kapitel 2: Die Patientenverfügung mit Auslandsberührung
matische, systematische, historische und teleologische Auslegung) sowie die Rechtsvergleichung.681 Zentral ist dabei der Grundsatz einheitlicher und autonomer Auslegung. Der EuGH hat in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass die Aufnahme der Art. 61, 65 in den EGV und die Aufnahme des Ziels eines einheitlichen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts den Willen der Mitgliedstaaten belege, die darauf beruhenden Maßnahmen in der Gemeinschaftsrechtsordnung zu verankern und damit den Grundsatz der autonomen Auslegung dieser Maßnahmen festzulegen.682 Auch in den Erwägungsgründen der Rom I- und II-Verordnung wird mehrfach auf diesen Grundsatz verwiesen. 683 Die Rom I-VO enthält mit Art. 12 außerdem eine besondere Qualifikationsnorm, die einen offenen Katalog zur Reichweite des Vertragsstatuts enthält und dem EuGH überlässt, im Rahmen des sachlichen Anwendungsbereichs der Rom I-VO weitere Angelegenheiten dem Vertragsstatut zuzuordnen. 684 Ein entsprechendes Qualifikationsstatut kennt auch die Rom II-VO in Art. 15. Die Entwicklung einheitlicher Qualifikationsmaßstäbe und einer einheitlichen Methode der Qualifikation wird zu den Zukunftsaufgaben der Ausbildung eines einheitlichen europäischen Konzepts für das Kollisionsrecht gehören.685 2. Qualifikationsmöglichkeiten Die Patientenverfügung ist nun anhand der zuvor aufgezeigten Vorgaben zu qualifizieren. Im Rahmen des Qualifikationsvorganges werden auch die untersuchten Interessen und die Rechtsfolgen der Qualifikation zu beachten sein.686 Auf den ersten Blick fehlt es an einem passenden Begriff als Anknüpfungsgegenstand. Hinzu kommt, dass auch nach der gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung in den §§ 1901a ff. BGB Uneinigkeit über die Funktion der Patientenverfügung im Kontext der Betreuung und der medizinischen Behandlung herrscht. Um eine Einordnung in vorhandene Kollisionsnormen vorzunehmen, bedarf es daher einer näheren Beleuchtung des 681
MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 532; Heinze, in: FS für Kropholler, S. 105 (109 f.); Rauscher/v. Hein, Einl. Rom I-VO Rn. 53 ff. 682 EuGH v. 8.11.2005 – Rs. C-443/03, Slg. 2005, I-9611 Rn. 45 – Leffler; Heinze, in: FS für Kropholler, S. 105 (108); Rauscher/v. Hein, Einl. Rom I-VO Rn. 53 ff. 683 Erwägungsgründe 6, 11, 13, 16, 30 Rom II-VO und 6 Rom I-VO; Heinze, in: FS für Kropholler, S. 105 (108). 684 Sonnenberger, in: FS für Kropholler, S. 227 (239). 685 MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 153; Heinze, in: FS für Kropholler, S. 105 (106 ff.). 686 Siehr, RabelsZ 37 (1973), 466 (472); Kropholler (IPR, § 17 I.) weist zu Recht darauf hin, dass die Frage, welche Anknüpfung bei dieser oder jener Qualifikation gilt, wichtiger sein kann als die „Natur“ eines Rechtsinstitutes.
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Verhältnisses der Patientenverfügung zum Betreuungsrecht und zum Recht der ärztlichen Heilbehandlung. Es wird zu überlegen sein, ob die Patientenverfügung als vertragliches Schuldverhältnis i.S. der Rom I-VO (a) oder als Einwilligung (b) qualifiziert werden kann. Außerdem kann darüber nachgedacht werden, die Patientenverfügung als Rechts- und Geschäftsfähigkeit (Art. 7 EGBGB) oder wegen ihrer Einbettung in das Betreuungsrecht als Betreuung (Art. 24 EGBGB) zu qualifizieren (c, d). Im Ergebnis wird sich zeigen, dass keine dieser Qualifikationsmöglichkeiten überzeugt. Offensichtlich scheidet auch eine Qualifikation der Patientenverfügung als Verfügung von Todes wegen i.S. der Art. 25 f. EGBGB aus, weil von dem Begriff „Verfügung von Todes wegen“ nur erbrechtliche Verfügungen mit Bezug zum Vermögen, nicht aber personale Angelegenheiten erfasst sind.687 a) Qualifikation als vertragliches Schuldverhältnis (Rom I-VO) Eine vertragliche Qualifikation der Patientenverfügung ist denkbar, weil der EuGH in der Vergangenheit eine weite Auslegung des Begriffs „vertragliches Schuldverhältnis“ geprägt hat. Die Rom I-VO gilt nach Art. 1 Abs. 1 für „vertragliche Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen“. Damit steht die Rom I-VO im Kontext von Art. 1 Abs. 1 EVÜ, Art. 1 Abs. 1 Rom II-VO und Art. 1 Abs. 1 EuGVO.688 Weil die Rom I-VO keine Definition des Begriffs des „vertraglichen Schuldverhältnisses“ enthält, ist der Begriff gemeinschaftsrechtlich-autonom auszulegen. Nach gemeinschaftsrechtlichem Rechtsverständnis beruht ein Vertrag auf der freiwillig eingegangenen Verpflichtung einer Person gegenüber einer anderen Person, die eine rechtsgeschäftliche Sonderverbindung zwischen diesen Personen entstehen lässt.689 Da der Vertragsbegriff nicht auf Fallgestaltungen limitiert sein soll, in denen die Parteien synallagmatische Pflichten eingegangen sind, sollen vom Vertragsbegriff auch einseitige Rechtsgeschäfte, wie etwa die Gewinnzusage und die Auslobung, erfasst sein.690
687
Jayme, in: FS für Spellenberg, S. 203 (206). Staudinger/Magnus, Art. 1 Rom I-VO Rn. 3; MünchKommBGB/Martiny, Art. 1 Rom I-VO Rn. 5. 689 Etwa EuGH v. 17.6.1992 – Rs. C-26/91, Slg. 1992, I-3967 Rn. 15 – Handte; EuGH v. 17.9.2002 – Rs. C-334/00, Slg. 2002, I-7357 Rn. 23 – Tacconi; Staudinger/Magnus, Art. 1 Rom I-VO Rn. 29. 690 Etwa EuGH v. 20.1.2005 – Rs. C-27/02, Slg. 2005, I-481 – Engler; zur strittigen Qualifikation der Gewinnzusage: Staudinger/Magnus, Art. 1 Rom I-VO Rn. 29, 35; MünchKommBGB/Martiny, Art. 1 Rom I-VO Rn. 14. 688
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aa) Bindung Unabhängig von der Frage, ob die Patientenverfügung überhaupt ein Rechtsgeschäft ist, ist schon zweifelhaft, ob Gegenstand der Patientenverfügung eine vom EuGH geforderte autonome Selbstbindung des Betroffenen gegenüber einer anderen Person ist. Wer eine Patientenverfügung errichtet, bindet in erster Linie eine andere Person, nämlich je nach Ausgestaltung im materiellen Recht den behandelnden Arzt oder seinen gesetzlichen Vertreter. Gegenüber sich selbst geht derjenige, der eine Patientenverfügung errichtet, aber keine Bindung ein, weil er die Patientenverfügung jederzeit formlos widerrufen kann.691 Dagegen mag eingewandt werden, dass auch andere rechtsgeschäftliche Erklärungen beseitigt werden können, ohne dass dies Auswirkungen auf den selbstbindenden Charakter dieser Erklärungen hätte: Wesentlicher Unterschied dürfte aber sein, dass die Rechtsordnung die Berufung auf Willensänderungen bei rechtsgeschäftlichen Erklärungen – anders als bei der Patientenverfügung – wenn auch nicht ausschließt, so doch durch gesteigerte Form- oder Zugangserfordernisse erheblich erschwert. 692 Hinzu kommt, dass bei der Patientenverfügung kein schutzwürdiges Vertrauen Dritter auf den Fortbestand der Patientenverfügung besteht. Gegen die Annahme einer Selbstbindung spricht auch, dass die Patientenverfügung jedenfalls anders als die Auslobung regelmäßig nicht auf eine aktuelle Situation gerichtet, sondern auf eine Situation zugeschnitten ist, von der vollkommen unklar ist, ob sie jemals eintritt. bb) Vermögen Doch auch wenn man eine Selbstbindung des Betroffenen bejaht, sprechen gewichtige Gründe gegen eine vertragliche Qualifikation der Patientenverfügung, so auch ihr Gegenstand. Anders als bei der Auslobung und der Gewinnzusage und den in Art. 4 lit. a–h aufgezählten Vertragstypen handelt es sich bei der Patientenverfügung nicht um eine Materie des Vermögensrechts, sondern – anders als bei dem Vorsorgeinstrument Vorsorgevollmacht, das sich auch auf die Vermögenssorge erstrecken kann – ausschließlich um eine Frage der Personensorge: Eine Patientenverfügung wird mit dem Ziel errichtet, das Selbstbestimmungsrecht in medizinischen und damit in höchstpersönlichen Angelegenheiten antizipiert auszuüben. Die dermaßen ausgeübte Privatautonomie weist keinerlei vermögensrechtliche Komponente auf, die aber für Verträge und auch für die Materie der
691 692
Roth, JZ 2004, 494 (496 f.). Roth, JZ 2004, 494 (496).
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Rom I-VO, die „Kernbereiche des grenzüberschreitenden Wirtschaftsrechts vereinheitlicht“693, charakteristisch ist. Weitergehend lässt sich überlegen, dass der gesetzliche Standort der Patientenverfügung gegen eine vertragliche Qualifikation der Patientenverfügung spricht. Die Patientenverfügung wurde durch das 3. BtÄndG in das Vierte Buch des BGB eingefügt, das dem Familienrecht als Teil des Personenrechts gewidmet ist, und nicht in das Zweite Buch über Schuldverhältnisse. Familienrechtliche Fragestellungen sind aber vom Anwendungsbereich der Rom I-VO weitgehend ausgeschlossen. Ausgeschlossen sind zum einen Schuldverhältnisse aus einem Familienverhältnis oder aus Verhältnissen, die nach dem auf diese Verhältnisse anzuwendenden Recht vergleichbare Wirkungen entfalten, einschließlich der Unterhaltspflichten (Art. 1 Abs. 2 lit. b). Weil die Rom I-VO nicht regelt, welche Familienverhältnisse im Einzelnen erfasst sind, ist der Begriff vertragsautonom auszulegen.694 Nach Erwägungsgrund Nr. 8 sollen Familienverhältnisse die Verwandtschaft in gerader Linie, die Ehe, die Schwägerschaft und die Verwandtschaft in der Seitenlinie erfassen. Ob die Formulierung „Familienverhältnis oder aus Verhältnissen, die nach dem auf diese Verhältnisse anzuwendenden Recht vergleichbare Wirkungen entfalten“ darüber hinausgehend auch andere klassischerweise als familienrechtlich qualifizierte Erscheinungen des Rechts, insbesondere erwachsenenschutzrechtliche Institute wie die Betreuung bzw. funktional ähnliche Institute ausländischen Rechts, erfasst, ergibt sich aus den Erwägungsgründen nicht. Ein Ausschluss von Schuldverhältnissen aus dem Erwachsenenschutzrecht ließe sich wegen des engen Regelungszusammenhangs des Betreuungsrechts mit dem Familienrecht im engeren Sinne begründen.695 Andererseits zeigt die Aufzählung in Erwägungsgrund Nr. 8, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber an verwandtschaftliche Verhältnisse sowie Partnerschaftsformen klassischer Natur (heterosexuelle Ehe) und moderner Natur (homosexuelle Lebensgemeinschaften und heterosexuelle Ehe), nicht aber an Fälle gesetzlicher Vertretung hilfsbedürftiger Erwachsener gedacht hat. Allerdings sind vom Anwendungsbereich der Rom I-VO auch der Personenstand sowie die Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit von natürlichen Personen, unbeschadet des Art. 13, der den guten Glauben bezüglich Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit betrifft, ausgenommen (Art. 1 Abs. 2 lit. a). Aus dem Ausschluss des Personenstands ergibt sich der Ausschluss
693
Grabitz/Hilf/Nettesheim/Hess, Art. 81 AEUV Rn. 25. MünchKommBGB/Martiny, Art. 1 Rom I-VO Rn. 23. 695 So im Kontext des Art. 1 Abs. 2 lit. a Rom II-VO: Staudinger/v. Hein, Art. 24 EGBGB Rn. 42. 694
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familienrechtlicher Statussachen. 696 Aus dem Ausschluss der Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit von natürlichen Personen ergibt sich der Ausschluss von Betreuungssachen, der auch wegen der Existenz des ESÜ, zu dessen rascher Ratifikation der Rat der Europäischen Union die Mitgliedstaaten aufgerufen hat, gerechtfertigt ist. 697 Auf Grundlage des Ausschlusses von Betreuungssachen ließe sich argumentieren, dass wegen des engen Bezugs zum Betreuungsrecht auch die Patientenverfügung vom Anwendungsbereich der Rom I-VO ausgeschlossen ist. Aus der Perspektive des Rechtsvergleichs ließe sich dagegen freilich einwenden, dass es sich bei der Einbettung der Patientenverfügung in das Familienrecht um eine deutsche Besonderheit handelt. Andererseits haben sich auch die dargestellten kollisionsrechtlichen Stellungnahmen aus Österreich und Griechenland698 nicht für eine Anwendung der Rom I-VO ausgesprochen, obwohl im österreichischen und griechischen Recht die dem deutschen Sachrecht der Patientenverfügung immanente Sachnähe zum familienrechtlichen Erwachsenenschutzrecht nicht existiert. Schließlich ließe sich erwägen, die Patientenverfügung unter den Begriff der Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit zu fassen und deswegen vom Anwendungsbereich der Rom I-VO auszuschließen. Die Frage, ob und in welcher Form die Errichtung einer Patientenverfügung Rechtswirkungen entfaltet, geht aber über die Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit hinaus. 699 cc) Rechtsfolgen Fragwürdig wäre eine vertragliche Qualifikation der Patientenverfügung auch mit Blick auf die Rechtsfolgen. Dass das anwendbare Recht primär parteiautonom bestimmt wird, wäre zwar aus Sicht des Betroffenen ein Bonus, bedeutete zugleich aber für Dritte mangelnde Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts. Aus Sicht Dritter dürfte es dem Betroffenen jedenfalls nicht unbeschränkt möglich sein, das auf die Folgen einer Patientenverfügung anwendbare Recht durch einseitige Rechtswahl zu bestimmen. Dies gilt jedenfalls für Patientenverfügungen, die an eine bestimmt bezeichnete Person (etwa einen namentlich benannten Arzt) gerichtet sind. In allen anderen Fällen ließe sich einwenden, dass Kehrseite der mangelnden Selbstbindung des Betroffenen gegenüber einer anderen Person ist, dass kein Erklärungsempfänger als primärer Adressat existiert. Allerdings wäre die Auswahl der für die Patientenverfügung maßgeblichen Rechtsordnung auch in objektiver Hinsicht mit Schwierigkeiten verbunden. Das anwend696 Staudinger/Magnus, Art. 1 Rom I-VO Rn. 46; Rauscher/v. Hein, Art. 1 Rom I-VO Rn. 22. 697 Rauscher/v. Hein, Art. 1 Rom I-VO Rn. 23. 698 Dazu oben Kapitel 2 § 2 A. I. 1., 4. 699 Pesendorfer/Traar, iFamZ 2008, 367 (369 f.).
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bare Recht wäre infolge einer vertraglichen Qualifikation der Patientenverfügung aufgrund des Prinzips der engsten Verbindung und insbesondere nach der vertragscharakteristischen Leistung (Art. 4 Abs. 2) zu bestimmen. Es ist aber vollkommen unklar, wie die engste Verbindung oder die vertragscharakteristische Leistung bei der Patientenverfügung, die eine vertragscharakteristische Leistung gar nicht aufweist, bestimmt werden soll. 700 b) Qualifikation als Einwilligung Anders als Patientenverfügungen fallen Behandlungsverträge und auch die aktuell erklärte Einwilligung, wie bereits dargestellt 701, in den sachlichen Anwendungsbereich der Rom I-VO (Art. 12 Abs. 1). Die Einwilligung in eine medizinische Maßnahme (Erforderlichkeit und Wirksamkeit) wurde bislang außerdem in das Deliktsstatut eingeordnet, weil es im deutschen Schrifttum überwiegender Ansicht entsprach, dass eine Sonderanknüpfung von Rechtfertigungsgründen mit der Begründung nicht in Betracht kommt, dass die Rechtswidrigkeit ein Kernelement der Haftung aus unerlaubter Handlung sei.702 Für die Rom II-VO wird zwar eine Sonderanknüpfung von Rechtfertigungsgründen, nicht aber eine Sonderanknüpfung der Einwilligung vertreten, weil sich das Vorliegen einer Einwilligung nicht abstrakt, sondern nur für eine bestimmte Handlung feststellen lässt, und daher nicht unabhängig vom konkreten, der Hauptfrage zugrunde liegenden Sachverhalt beurteilt werden kann. 703 Die infolge dessen maßgebliche Anknüpfung an den Erfolgsort der deliktischen Handlung überzeugt für die aktuell erklärte Einwilligung, weil sie im Gegensatz zu einer personalen Anknüpfung eine einseitige Bevorzugung des Betroffenen vermeidet und den in den nationalen Rechten aufeinander abgestimmten Zusammenhang des Haftungssystems nicht zerreißt.704 Zudem ermöglicht sie jedenfalls in Fallkonstellationen, in denen keine vertragsakzessorische Anknüpfung und keine Anknüpfung an das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts von Schädiger und Geschädigtem in Betracht kommt, auch eine abgestimmte Lösung mit dem Internationalen Strafrecht. Schließlich ist Vorteil der Anknüpfung der Einwilligung nach den Kriterien des Deliktsstatuts nach Inkrafttreten der Rom II-VO die Herstellung internationalen Entscheidungs700
Für die Qualifikation des PACS: Frucht, PACS im französ. und deutschen IPR,
S. 55. 701
Dazu oben Kapitel 2 § 1 C. II. 1. a). Dazu oben Kapitel 2 § 1 C. II. 1. b) (bb). 703 Bernitt, Anknüpfung von Vorfragen im europ. Kollisionsrecht, S. 163 f., die darauf hinweist, dass auch die Kommission davon ausgegangen ist, dass die allgemeinen Rech tfertigungsgründe gemäß Art. 15 lit. b Rom II-VO in den Anwendungsbereich des nach der Verordnung bestimmten Deliktsstatutes fallen, KOM(2003) 427 endg., S. 26. 704 Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 85 f. 702
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einklangs, die nicht nur oberstes Ziel der Rom II-VO war, sondern seit Friedrich Carl von Savigny Leitidee des europäischen Kollisionsrechts ist705. Eine Qualifikation der Patientenverfügung als Einwilligung 706 ließe sich zunächst damit begründen, dass sowohl die Patientenverfügung als auch die Einwilligung in eine medizinische Maßnahme mit Bezug auf eine medizinische Maßnahme und zum Zweck der Durchsetzung des Patientenwillens und der Wahrung des Selbstbestimmungsrechts abgegeben werden. Während Gegenstand einer Einwilligung aber eine positive Erklärung ist, kann Gegenstand einer Patientenverfügung auch die Untersagung einer medizinischen Maßnahme sein. Dann stellt sich die Patientenverfügung nicht als Einwilligung, sondern als ihr Gegenteil dar. Unterschiede bestehen auch mit Blick auf den Äußerungsvorgang. Im Gegensatz zur Einwilligung, die aktuell und mit Blick auf eine konkrete medizinische Maßnahme erklärt wird, wird die Patientenverfügung antizipiert, also in Unkenntnis dessen, welche medizinischen Maßnahmen wo und wann erforderlich werden und wo die Wirksamkeit der Patientenverfügung geprüft werden wird, verfasst.707 Dies hat zur Folge, dass die Anknüpfungsinteressen bei der Patientenverfügung anders liegen als bei der aktuell erklärten Einwilligung in eine medizinische Maßnahme. Zwar entspräche eine Anknüpfung der Patientenverfügung nach dem Vertrags- bzw. Deliktsstatut dem Interesse der Ärzte an der Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts und ihrem Interesse an der einheitlichen Qualifikation des medizinischen Eingriffs. Allerdings wäre sie mit dem Interesse des Betroffenen an Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit der anwendbaren Rechtsordnung sowie mit dem Interesse an der Einfachheit der Rechtsanwendung unvereinbar. Gegen eine Qualifikation als Einwilligung spricht auch, dass Patientenverfügung und Einwilligung in ihrer verfahrensrechtlichen Ausgestaltung nicht deckungsgleich sind. Anders als bei der aktuell erklärten Einwilligung besteht bei der Patientenverfügung jedenfalls nach dem deutschen Regelungskonzept eine starke Sachnähe zu Betreuung und Vorsorgevollmacht, weil anders als bei der Einwilligung zur Umsetzung der Patientenverfügung regelmäßig ein Vertreterhandeln erforderlich ist. Dieser verfahrensrechtliche Rahmen legt auch Unterschiede in der Funktion von Einwilligung und Patientenverfügung nahe. Wenngleich die Auffassung, dass der Vertreter trotz Vorliegens einer Patientenverfügung die Einwilligung in die 705
v. Hein, ZEuP 2009, 6 (9). Für das österreichische Recht angedacht, aber letztlich abgelehnt von: Ofner, in: Körtner/Kopetzki/Kletečka-Pulker (Hrsg.), Das österreichische Patientenverfügungsgesetz, S. 185 (190 f.). 707 Ofner, in: Körtner/Kopetzki/Kletečka-Pulker (Hrsg.), Das österreichische Patientenverfügungsgesetz, S. 185 (190 f.); Spickhoff, in: FS für Deutsch, S. 907 (918). 706
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medizinische Maßnahme erteilt, abzulehnen ist, ist angesichts der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung in den §§ 1901a ff. BGB doch fraglich, ob die Patientenverfügung außerhalb von Notsituationen isoliert ärztliches Handeln rechtfertigen kann.708 Mit einer Qualifikation der Patientenverfügung als Einwilligung würde zudem verkannt, dass es bei der Patientenverfügung in erster Linie um die Ausübung und auch den Inhalt von Persönlichkeitsrechten geht, ohne dass diese aber überhaupt zwingend verletzt werden müssen.709 Schließlich wäre eine Reduktion der Patientenverfügung auf das Vertrags- und das Deliktsrecht irreführend, weil nicht jeder Anwendungsfall der Patientenverfügung notwendig auf einer vertraglichen oder deliktischen Handlung beruht. 710 Gerade weil sich die Frage nach Bestand und Inhalt der Patientenverfügung unabhängig vom Behandlungsvertrag und von der deliktischen Hauptfrage stellen lässt, handelt es sich bei der Patientenverfügung anders als bei der Einwilligung nicht um eine unselbständige Teilfrage des Behandlungsvertrages oder der deliktischen Hauptfrage. Es handelt sich um eine Vorfrage, die ihrem eigenen Statut unterliegt. Denn anders als bei der Einwilligung ist der Behandlungsvertrag und die unerlaubte Handlung bei der Patientenverfügung nicht als der einzige zu ihrem Inhalt gehörende äußere Bezugspunkt anzusehen. 711 Selbst wenn man die Patientenverfügung mit Verweis darauf, dass die Patientenverfügung kein Rechtsverhältnis ist, das in einem anderen Zusammenhang als Hauptfrage auftreten kann, als Teilfrage 712 der vertraglichen bzw. deliktischen Hauptfrage einordnete, wäre aber – ebenso wie bei der Vorsorgevollmacht – eine Sonderanknüpfung der Teilfrage wegen des übergeordneten Interesses des Betroffenen an der Voraussehbarkeit des anwendbaren Rechts geboten. Mit Blick auf den Zweck der Kollisionsrechtsvereinheitlichung ließe sich einwenden, dass es verfehlt wäre, die Patientenverfügung mittels einer Sonderanknüpfung aus dem vereinheitlichten Kollisionsrecht auszugliedern. Damit würde aber übersehen, dass die Patientenverfügung auch von Stimmen aus anderen europäischen Rechtsordnungen nicht dem Anwendungsbereich der Rom I/II-Verordnungen zugeordnet wird.713 708
Dazu oben Kapitel 1 § 2 B. II. 5. c). Ballarino, YbPIL 8 (2006), 5 (11). 710 Ofner, in: Körtner/Kopetzki/Kletečka-Pulker (Hrsg.), Das österreichische Patientenverfügungsgesetz, S. 185 (191). 711 Für die Einwilligung: Böhmer, Rechtfertigungsgründe bei den unerlaubten Handlungen im deutschen IPR, S. 81. 712 Allgemein zur schwierigen Abgrenzung von Vor- und Teilfrage: MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 533 ff. 713 Befürwortet man – entgegen der hier vorgetragenen Einwände – eine Qualifikation der Patientenverfügung als Einwilligung, wäre wegen des engen Bezugs der Patiente nverfügung zu den Persönlichkeitsrechten und dem Ausschlussgrund des Art. 1 Abs. 2 709
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c) Qualifikation als Rechts- und Geschäftsfähigkeit (Art. 7 EGBGB) Auch eine Qualifikation der Patientenverfügung als Rechts- und Geschäftsfähigkeit ist abzulehnen. Nach der Rechts- und Geschäftsfähigkeit bestimmt sich, ob und in welchem Umfang eine Person zu eigenem Handeln fähig ist. Art. 7 EGBGB verweist – soweit nicht Sonderanknüpfungen maßgebend sind – auf das Recht des Staates, dem die Person angehört. Gegen eine Qualifikation als Rechts- und Geschäftsfähigkeit spricht, dass die Patientenverfügung ebenso wie die aktuell erklärte Einwilligung gegenüber der Rechts- und Geschäftsfähigkeit ein aliud ist. Bei der Patientenverfügung geht es um die Frage, ob und in welcher Form das Selbstbestimmungsrecht in medizinischen Angelegenheiten antizipiert ausgeübt werden kann.714 Es geht also nicht um die Rechtsträgerschaft als solche, sondern um das Recht zur Selbstbestimmung als schutzfähiges Rechtsgut und die materiellen Voraussetzungen und Wirkungen der Patientenverfügung als Rechtshandlung. 715 Gegen eine Qualifikation der Patientenverfügung als Rechts- und Geschäftsfähigkeit spricht des Weiteren, dass es für den Betroffenen an der Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts mangeln würde, weil Art. 7 EGBGB als Gesamtnormverweisung ausgestaltet ist. 716 Außerdem wäre eine Ermittlung der Staatsangehörigkeit und ggf. auch des ausländischen Rechts in der Behandlungssituation notwendig, die sich für die behandelnden Ärzte als schwierig und aufwändig darstellt und deswegen zu Zeitverzögerungen führt, die auch im Interesse der Betroffenen nur schwer vertretbar sind. d) Qualifikation als Betreuung (Art. 24 EGBGB) Ausgehend von der funktionalen Methode der Qualifikation kann schließlich auch Art. 24 EGBGB in Betracht gezogen werden. Als Grundlage für eine solche Qualifikation ist zunächst zu bestimmen, was nach deutschem Recht unter Betreuung i.S. des Art. 24 EGBGB zu verstehen ist. Nach heute h.M. umfasst der Begriff der Betreuung alle Fälle der Fürsorge für Erwachsene durch Gerichte und sonstige staatliche Stellen. 717 Dies folgt insbesondere aus der Formulierung „Recht des anordnenden Staates“ in
lit. g Rom II-VO zu überlegen, ob die Patientenverfügung aus diesen Gründen nicht dem Anwendungsbereich der Rom II-VO unterfällt. 714 Ähnlich für die österreichische Patientenverfügung: Pesendorfer/Traar, iFamZ 2008, 367 (370). 715 Ähnlich für die österreichische Patientenverfügung: Pesendorfer/Traar, iFamZ 2008, 367 (369 f.); ähnlich für Todesfeststellung und Todeszeitpunkt: Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 55 f. 716 Im Kontext der Einwilligung: Spickhoff, in: FS für Deutsch, S. 907 (918). 717 Nitzinger, Betreuungsrecht im IPR, S. 38; Guttenberger, Haager ESÜ, S. 25 f.
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Art. 24 Abs. 3 EGBGB a.E. 718 und einem Vergleich zu den weiteren Anknüpfungsgegenständen des Art. 24 EGBGB (Vormundschaft, Pflegschaft). Für eine Qualifikation als Betreuung spricht zunächst der Regelungsstandort der Patientenverfügung (§§ 1901a ff. BGB) im Betreuungsrecht (§§ 1896 ff. BGB). Das deutsche Sachrecht integriert die Patientenverfügung aber nicht nur formell, sondern auch inhaltlich in das Betreuungsrecht, wenn es festlegt, dass der Betreuer nach Eintritt der Einsichts- und Urteilsunfähigkeit die Patientenverfügung auszulegen hat und dem dort niedergelegten Willen des Betroffenen Ausdruck und Geltung zu verschaffen hat (§ 1901a Abs. 1 S. 1, 2 BGB). Diese inhaltliche Integration rechtfertigt sich aus der Sachnähe zwischen Betreuungsrecht und Patientenverfügung, weil Regelungsgegenstand des Betreuungsrechts die staatliche Fürsorge für Personen in hilfsbedürftigem Zustand ist und in Patientenverfügungen für genau diesen Zustand bzw. einen diesen betreffenden Teilbereich, nämlich die Gesundheitssorge, Vorsorge getroffen wird. Zweifel an einer betreuungsrechtlichen Qualifikation der Patientenverfügung bestehen aber mit Blick darauf, dass die Errichtung einer Patientenverfügung keine staatliche Fürsorgeinstitution ist und zunächst einmal auch nicht in Zusammenhang mit einer staatlich angeordneten Fürsorgemaßnahme steht. Ebenso wie andere Vorsorgeverfügungen ist die Patientenverfügung im Zeitpunkt ihrer Errichtung nichts anderes als ein Akt der Selbstbestimmung, nämlich eine antizipierte Ausübung des Selbstbestimmungsrechts. Darin ähnelt die Patientenverfügung den anderen Vorsorgeinstrumenten. Nicht übersehen werden darf aber, dass auch die Betreuungsverfügung trotz ihres Charakters als Vorsorgeinstrument als Betreuung qualifiziert wird. Begründet wird diese Qualifikation damit, dass die Betreuungsverfügung staatliche Fürsorgemaßnahmen nicht entbehrlich macht und sogar inhaltlich vollständig auf entsprechende staatliche Maßnahmen ausgerichtet ist. 719 In Fortführung dessen ließe sich argumentieren, dass, weil die Patientenverfügung eine staatliche Fürsorgemaßnahme regelmäßig nicht entbehrlich macht, auch sie als Betreuung zu qualifizieren ist. Tatsächlich rückt die Patientenverfügung – sieht man sie lediglich als umsetzungsbedürftige Entscheidung ohne unmittelbare Außenwirkung an – nah an eine Betreuungsverfügung. Deckungsgleichheit besteht zwischen Betreuungsverfügung und Patientenverfügung aber auch dann nicht. Dies belegt ein Blick auf den Regelungsgehalt der beiden Vorsorgeinstrumente. Während die Betreuungsverfügung auf die Gestaltung des zweipoligen 718
Guttenberger, Haager ESÜ, S. 34. Guttenberger, Haager ESÜ, S. 40; im Ergebnis ebenso: Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 20 Rn. 24. 719
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Kapitel 2: Die Patientenverfügung mit Auslandsberührung
Rechtsverhältnisses zwischen hilfsbedürftigem Betroffenem und Betreuer ausgerichtet ist, dient die Patientenverfügung als Kommunikations- und Gestaltungsmittel für medizinische Behandlungen und das im Zustand der Einwilligungsunfähigkeit entstehende dreipolige Rechtsverhältnis zwischen dem einwilligungsunfähigen Betroffenen, dem behandelnden Arzt und dem Betreuer. Schon angesichts dieses unterschiedlichen Regelungsgehalts von Betreuungsverfügung und Patientenverfügung empfiehlt sich eine kollisionsrechtliche Gleichbehandlung von Betreuungsverfügung und Patientenverfügung nicht. Ohnehin würde der einseitige Blick auf die betreuungsrechtliche Komponente der Patientenverfügung verdecken, dass die Patientenverfügung – auch wenn man den in ihr enthaltenen Anordnungen eine unmittelbare Bindungswirkung gegenüber dem behandelnden Arzt abspricht – inhaltlich Anordnungen mit Bezug zu einer medizinischen Behandlung enthält. Mit einer Qualifikation der Patientenverfügung als Betreuung würde außerdem verdeckt, dass trotz der Einbindung des Betreuers in die Umsetzung der Patientenverfügung gewichtige Unterschiede gegenüber Fallkonstellationen bestehen, in denen keine Patientenverfügung vorliegt und der Betreuer entsprechend dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen handeln muss. Zum einen setzt der Betreuer bei der Patientenverfügung lediglich eine bereits getroffene Entscheidung um, gibt also keine eigene Erklärung bezüglich einer vorgeschlagenen Behandlungsmaßnahme ab. Zum anderen passt auch das für die kollisionsrechtliche Behandlung der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters in medizinische Heilbehandlungen entwickelte Anknüpfungsgefüge nicht. Insofern hat Elisabeth Nitzinger720 vertreten, dass die Frage der Erforderlichkeit der Einwilligung in eine medizinische Behandlung dem Deliktsstatut untersteht, die Einwilligungsfähigkeit aber nach Art. 7 EGBGB und die gesetzliche Vertretung des einwilligungsunfähigen Patienten nach Art. 24 EGBGB zu bestimmen sind. Für die Patientenverfügung passt dieses Anknüpfungsgefüge schon deswegen nicht, weil es keine Antwort auf die Frage der kollisionsrechtlichen Behandlung der Patientenverfügung zu geben vermag. Welches Recht fände auf die Errichtung und die Wirkungen der Patientenverfügung Anwendung? Weder Art. 24 Abs. 3 EGBGB noch Art. 24 Abs. 1 EGBGB passen hier. Art. 24 Abs. 3 S. 1 EGBGB ist auf die Patientenverfügung schon vom Wortlaut nicht anwendbar, weil die Patientenverfügung nicht von einer „Stelle“ angeordnet, sondern von dem Betroffenen errichtet wird. Art. 24 Abs. 1 EGBGB passt mit Blick auf das infolge der Qualifikation als Betreuung berufene Recht nicht. Eine solche Qualifikation hätte nämlich zur Folge, dass die Patientenverfügung einem Anknüpfungsgefüge unterstellt würde, das der Interessenlage der Beteiligten widerspricht. Denn wenngleich mit der 720
Nitzinger, Betreuungsrecht im IPR, S. 74 ff.
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Berufung des Heimatrechts der höchstpersönliche Charakter der Patientenverfügung betont würde, würde mit einer solchen Berufung all denjenigen Personen die Errichtung einer Patientenverfügung verwehrt, deren Heimatrecht das Rechtsinstitut der Patientenverfügung nicht kennt. Folge wäre, dass es in Deutschland zwei Gruppen von Betroffenen gäbe: Solche, die eine Patientenverfügung errichten können, und solche, denen dies verwehrt bliebe. Dieses Argument ist bekannt aus der Diskussion über die kollisionsrechtliche Behandlung von registrierten homosexuellen und heterosexuellen Partnerschaften sowie von gleichgeschlechtlichen Ehen. 721 Im Kontext der Patientenverfügung schaffte gewisse Abhilfe freilich die Aufenthaltsanknüpfung des Art. 24 Abs. 1 S. 2 EGBGB. Noch schwerer wiegt daher, dass bei einer Anknüpfung an Art. 24 EGBGB für den Betroffenen mangels eines Errichtungsstatuts nicht vorhersehbar wäre, welches Recht auf seine Patientenverfügung Anwendung findet. Überdies widerspräche eine Anknüpfung an das Heimatrecht dem Interesse der behandelnden Ärzte an der leichten Ermittelbarkeit des anwendbaren Rechts. Lehnt man eine Qualifikation der Patientenverfügung als Betreuung – wie hier befürwortet – ab, ist Art. 24 EGBGB für die Frage relevant, ob die Anordnung einer Betreuung wegen einer Patientenverfügung entfallen kann. Die Wirksamkeit der Patientenverfügung wäre eine selbständig anzuknüpfende Vorfrage für die Entstehung der Betreuung, für die noch ein Statut zu entwickeln ist. 722 3. Fazit Am Anfang des voranstehenden Abschnitts stand die Frage, ob die Patientenverfügung in die Systembegriffe des europäischen oder deutschen Kol721 In der Überlegung über die kollisionsrechtliche Behandlung dieser Partnerschaften wurde gegen eine kumulative Anwendung der Heimatrechte der Partner geltend gemacht, dass sie angesichts der geringen Verbreitung von formalisierten Partnerschaften auße rhalb der Ehe zu einer Minimierung subjektiver Rechte führen kann (so etwa Dethloff, ZEuP 2004, 59 [72]; Dörner, in: FS für Jayme, Bd. I, S. 143 [147]; MünchKommBGB/ Coester, Art. 17b EGBGB Rn. 21). Nach dem Inkrafttreten einer Kollisionsregel für eingetragene Lebenspartnerschaften (zunächst Art. 17a, später umnummeriert in Art. 17b EGBGB) im Jahr 2001 wird im deutschen Schrifttum insbesondere noch darüber disk utiert, wie registrierte, nichteheliche heterosexuelle Partnerschaften und gleichgeschlech tliche Ehen anzuknüpfen sind. Zur Auswahl steht eine Anknüpfung nach Art. 13 ff. oder Art. 17b EGBGB (Überblick über den Meinungsstand etwa bei: MünchKommBGB/Coester, Art. 17b EGBGB Rn. 127 ff.; jurisPK/Röthel, Art. 17b EGBGB Rn. 7 ff.). Registrierte, nichteheliche heterosexuelle Partnerschaften kennen die französische, die belgische, die niederländische und die luxemburgische Rechtsordnung, die gleichg eschlechtliche Ehe haben die Niederlande, Belgien, Spanien, Norwegen, Schweden und I sland eingeführt (weitere Nachweise etwa bei: MünchKommBGB/Coester, Art. 17b EGBGB Rn. 127, 143; jurisPK/Röthel, Art. 17b EGBGB Rn. 10 f.). 722 Jayme, in: FS für Spellenberg, S. 203 (207).
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lisionsrechts eingeordnet werden kann. Die Untersuchung hat gezeigt, dass zwar mehrere Qualifikationsmöglichkeiten bestehen, im Lichte der zuvor ermittelten Interessen allerdings keine dieser Möglichkeiten überzeugt. Die Patientenverfügung ist als neue und unbekannte Rechtsfigur einzuordnen, für deren kollisionsrechtliche Behandlung ebenfalls neue und eigene Anknüpfungsregeln, die der kollisionsrechtlichen Interessenlage entsprechen, im Wege der Rechtsfortbildung herausgebildet werden müssen. Rechtfertigung für das Abweichen von dem allgemein üblichen Umgang mit Patientenautonomie im Internationalen Privatrecht ist, dass zwischen den einzelnen Erscheinungsformen der Patientenautonomie strukturelle Unterschiede bestehen. Anders als die aktuell erklärte Einwilligung in eine medizinische Maßnahme ist die Patientenverfügung eine Vorsorgeverfügung, die ein Planungsbedürfnis auf Seiten des Betroffenen hinsichtlich der Ausübung von Patientenautonomie entstehen lässt. Rechtfertigung für die Herausnahme der Patientenverfügung aus den für die Betreuung existierenden Kollisionsnormen ist, dass die Patientenverfügung anders als die Betreuung für den Betroffenen funktional kein Akt der Fremdbestimmung ist. Im Gegenteil: Sie ist offensichtlich ein Akt der Selbstbestimmung. Im Übrigen würde eine Einordnung der Patientenverfügung in die Kollisionsnorm des Art. 24 EGBGB den Interessen des Betroffenen widersprechen, weil für ihn das anwendbare Recht nicht in allen Fällen vorhersehbar wäre. Aus diesen Gründen scheidet auch eine Einordnung der Patientenverfügung in bestehende Kollisionsnormen über eine Gesetzesanalogie aus.723 III. Ausgestaltung einer eigenen Anknüpfung der Patientenverfügung Bevor auf das im Einzelfall anwendbare Recht eingegangen werden kann, ist eine Anknüpfung für die Patientenverfügung zu entwickeln, die die in der vorangegangenen Bearbeitung im Kontext der Patientenverfügung als relevant erachteten Interessen angemessen berücksichtigt und in Ausgleich bringt. Weil die Interessen des Betroffenen und der Fürsorgeperson sowie der behandelnden Ärzte mitunter in unterschiedliche Richtungen weisen, 723
Gegen eine Gesetzesanalogie, die bekanntlich eine planwidrige Regelungslücke und eine grundsätzliche Vergleichbarkeit der Situationen voraussetzt (Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 191 ff., 202 ff.; zur Lückenfeststellung: Canaris, Feststellung von Lücken im Gesetz), spricht die in den vorangegangenen Ausführungen dargelegte fehlende Vergleichbarkeit von bestehenden Rechtsinstrumenten und Patientenverfügungen. Überdies ließe sich angesichts der Regelung der Patientenverfügung im materiellen Recht an dem Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke zweifeln. Das gesetzgeberische Schweigen zum Kollisionsrecht der Patientenverfügung im 3. BtÄndG ließe sich als bewusster Regelungsverzicht deuten, wobei sich dagegen wiederum einwenden ließe, dass der Gesetzgeber sich über die kollisionsrechtliche Behandlung von Vorsorgeinstrumenten – dies belegt die fehlende Kollisionsnorm für Vorsorgevollmachten – offenbar bislang noch gar keine Gedanken gemacht hat.
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wird eine Kompromisslösung zu suchen sein. Diese wird in einer Kombination aus Aufenthaltsanknüpfung und Anknüpfung an den Behandlungsort gesehen (1.). Daneben wird eine beschränkte Rechtswahl vorgeschlagen (2.). Eine spezielle ordre public-Klausel wird demgegenüber abgelehnt (3.). Schließen werden die Überlegungen zur Ausgestaltung einer eigenen Anknüpfung der Patientenverfügung mit einem Regelungsvorschlag (4.). 1. Objektive Anknüpfung Der objektiven Anknüpfung liegen drei Grundentscheidungen zugrunde. Zunächst ist auf Grundlage einer Gewichtung und Abwägung der ermittelten Interessen die Entscheidung zugunsten einer personalen oder ortsbezogenen Anknüpfung zu fällen (a). Zu beleuchten sind außerdem Sonderfragen, nämlich die Form, die Einwilligungsfähigkeit und die Volljährigkeit (b). Schließlich ist über die Ausgestaltung als Gesamt- oder Sachnormverweisung zu befinden (c). a) Personale Anknüpfung oder Anknüpfung an den Behandlungsort? aa) Personale Anknüpfung Im Rahmen der Untersuchung des Parteiinteresses wurde bereits verdeutlicht, dass das Interesse des Betroffenen und der höchstpersönliche Charakter der Patientenverfügung für eine personale Anknüpfung sprechen. Gezeigt wurde auch, dass zwischen Staatsangehörigkeit und gewöhnlichem Aufenthalt eine gewisse Anknüpfungsverlegenheit besteht, weil sich nicht verallgemeinernd feststellen lässt, ob der Wunsch nach Kontinuität oder der Wunsch nach Anpassung überwiegt. Die Vorteile einer Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit liegen daher insbesondere in der Anknüpfungsstabilität und der Vermeidung von Gesetzesumgehungen. Internationaler Entscheidungseinklang ließe sich indes angesichts der noch nicht einmal im Ansatz begonnenen Diskussion über die kollisionsrechtliche Behandlung von Patientenverfügungen auch mit einer Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit derzeit nicht herstellen. Gegen eine Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit spricht das Ermittlungsinteresse des Betroffenen, weil er sich regelmäßig leichter über sein Umgebungsrecht als über sein Heimatrecht informieren können wird. Außerdem spricht gegen eine Berufung des Heimatrechts das Interesse an der Vorhersehbarkeit und Einfachheit der Rechtsanwendung. Trotz dieser Nachteile ist eine Entscheidung zugunsten der Berufung des Heimatrechts aber möglicherweise deswegen geboten, weil die Staatsangehörigkeit trotz mittlerweile erheblicher Kritik bis heute bedeutender Anknüpfungspunkt im deutschen Internationalen Privatrecht ist. Daraus wird gefolgert, dass im Falle einer zu schließenden Gesetzeslücke nicht le-
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diglich auf die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit zurückgegriffen werden kann, sondern sogar muss, sofern nicht aufgrund einer Interessenwertung davon abgewichen werden kann. 724 Eine Abweichung von der Berufung des Heimatrechts zugunsten der Berufung des Aufenthaltsrechts lässt sich im Kontext der Patientenverfügung mit Verkehrsinteressen, namentlich den Interessen des behandelnden medizinischen Personals, begründen. Anders als eine Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit würde die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt nämlich häufig zur Anwendung des Rechts am Behandlungsort führen. Damit ließen sich auch Haftungskollisionen vermeiden. 725 Zugleich diente die Berufung des Aufenthaltsrechts dem Bedürfnis nach einer integrativen Ausländerpolitik und dem Ermittlungsinteresse des Betroffenen, weil sich der Betroffene regelmäßig schneller und kostengünstiger über sein Umgebungsrecht als über ausländisches Recht informieren können wird. Allerdings ist in Anbetracht der inhaltlichen Unbestimmtheit des Anknüpfungspunktes „gewöhnlicher Aufenthalt“ nicht auszuschließen, dass in Einzelfällen die Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts beeinträchtigt ist. Hinzu kommt, dass eine Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt zu „hinkenden Patientenverfügungen“ führen kann, weil die Wirksamkeit der Patientenverfügung auf das Inland und solche Staaten begrenzt bleibt, die eine andernorts errichtete Patientenverfügung anerkennen. 726 Als zwischen Staatsangehörigkeit und Aufenthalt vermittelnder Lösung käme ein Anknüpfungsgefüge nach dem Vorbild des Haager Übereinkommens über das auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendende Recht in Betracht, also das Erfordernis einer bestimmten Mindestaufenthaltsdauer. Ebenso wie im Internationalen Erbrecht 727 bietet sie auch im Kontext der Patientenverfügung eine gewisse Richtigkeitsgewähr, weil sich durch sie zufällige Ergebnisse vermeiden lassen. Denkbar wäre eine Mindestaufenthaltsfrist von drei Jahren vor Eintritt der Hilfsbedürftigkeit des Betroffenen. Sollte diese zeitliche Voraussetzung nicht erfüllt sein, wäre auf die Staatsangehörigkeit des Betroffenen zurückzugreifen, weil dann zu vermuten ist, dass sich der Lebensmittelpunkt noch nicht in dem Staat 724 MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 696; Jakob, Eingetragene Lebenspartnerschaft im IPR, S. 162. 725 Ähnlich: Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 20 Rn. 27. 726 Dörner (in: FS für Jayme, Bd. I, S. 143 [147]) hat dieses Argument gegen eine Anknüpfung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften an den Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt oder an den Registrierungsort vorgebracht, aber auch darauf hingewiesen, dass man sich mit hinkenden Partnerschaften abfinden können wird, weil die Partner g emischtnationaler Partnerschaften um die geringe Verbreitung des Rechtsinstituts wissen und nur sie durch die dadurch auftretenden Beschränkungen betroffen sind. 727 Dazu: Röthel, Gutachten 68. DJT, A101.
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des gewöhnlichen Aufenthalts befunden hat. 728 Andererseits ist aber auch die Festlegung einer Mindestaufenthaltsdauer willkürlich, weil sie weder etwas über die tatsächlich vollzogene Assimilation noch über Assimilationsabsichten aussagt und daher nicht zwingend eine engere Verbundenheit des Betroffenen zum Aufenthaltsstaat ausdrückt. 729 Hinzu kommt, dass eine nach der Aufenthaltsdauer abgestimmte Anknüpfung zwischen Staatsangehörigkeit und gewöhnlichem Aufenthalt Rechtsunsicherheiten auslöst, die zugleich eine Einbuße an Praktikabilität bedeuten: In vielen Fällen wird sich bei einem Aufenthaltswechsel ein genauer Zeitpunkt, ab dem der bisherige gewöhnliche Aufenthalt nicht mehr „gewöhnlich“ ist, entweder gar nicht oder nur unter unverhältnismäßig umfangreichen Nachforschungen feststellen lassen. 730 Schließlich wäre das Erfordernis einer Mindestaufenthaltsdauer auch systemwidrig, weil eine Mindestaufenthaltsdauer auch bei der sonstigen Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt nicht verlangt wird.731 Für die Berufung des Aufenthaltsrechts spricht neben den Verkehrsinteressen, dass sich die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt gegenüber der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit in den nächsten Jahren in den europäischen Rechtsordnungen durchsetzen wird. Für eine Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen spricht außerdem, dass erst wenige potentielle Heimatrechtsordnungen die Patientenverfügung als Rechtsinstrument kennen und dies zur Folge haben kann, dass selbst Ausländer, die bereits lange Zeit im Inland leben, an der Errichtung einer Patientenverfügung gehindert wären. Dieser Grundgedanke hat den Gesetzgeber732 im Rahmen der Ausgestaltung einer Kollisionsregel für die eingetragene Lebenspartnerschaft zu einer Berufung der Sachvorschriften des Register führenden Staates bewogen. Bei dem Erfordernis einer zwingenden Eintragung in ein Vorsorgeregister werden die Anknüpfung an die lex libri und die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt regelmäßig zur Anwendung desselben Rechts führen, weil davon auszugehen ist, dass Betroffene ihre Patientenverfügung am Lebensmittelpunkt registrieren lassen. Derzeit steht einer Anknüpfung an den Registerort (lex libri) entgegen, dass die isolierte Patientenverfügung im deutschen Recht weder registrierungsbedürftig noch registrierungsfähig ist, weil in das Zentrale 728
Für das Erbkollisionsrecht: Denkinger, Europ. Erbkollisionsrecht, S. 369. Jud, GPR 2005, 133 (135); Rauscher, in: FS für Jayme, Bd. I, S. 718 (739); Dörner/Hertel/Lagarde/Riering, IPRax 2005, 1 (4); Dreher, Rechtswahl im internat. Erbrecht, S. 40 f.; Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 117. 730 BT-Drs. 10/504, S. 31; Dörner/Hertel/Lagarde/Riering, IPRax 2005, 1 (4); Dreher, Rechtswahl im internat. Erbrecht, S. 44; Junghardt, Rom IV-VO, S. 114. 731 Darauf weist auch Jud (GPR 2005, 133 [135]) in ihrer Untersuchung des Grünbuchs der Kommission zum Erb- und Testamentsrecht hin. 732 BT-Drs. 14/3751, S. 60. 729
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Vorsorgeregister bei der BNotK isolierte Patientenverfügungen – anders als Vorsorgevollmachten und Betreuungsverfügungen – nicht eingetragen werden können. Vorteil einer Anwendung der lex libri wäre aber, dass mit ihr die aus der geringen Verbreitung der Patientenverfügung resultierenden Schwierigkeiten umgangen werden könnten. Außerdem würde die Gültigkeit der Patientenverfügung im Nachhinein nicht in Frage gestellt werden können. Eine unwandelbare Anknüpfung an die lex libri würde zugleich die Einfachheit der Rechtsanwendung erhöhen, weil das anwendbare Recht einfach und schnell zu ermitteln und zugleich vorhersehbar wäre, was dem Partei- und Verkehrsinteresse entspricht und zugleich der Rechtssicherheit dient. Diese Argumente wurden auch im Kontext der kollisionsrechtlichen Behandlung der eingetragenen Lebenspartnerschaft, der Vorsorgevollmacht und des PACS 733 für eine Anknüpfung an die lex libri ins Feld geführt. Dem Grundsatz der engsten Verbindung entspräche eine Anwendung des Rechts des Registerstaates allerdings – wie auch für die eingetragene Lebenspartnerschaft734 vorgetragen – nur in den Fällen, in denen der Betroffene dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder die Staatsangehörigkeit des Register führenden Staates besitzt, weil ansonsten „Registrierungsparadiese“, die möglicherweise auch einen „Sterbehilfetourismus“ fördern, entstehen, für die angesichts der damit verbundenen Manipulationsgefahr kein Bedürfnis besteht. Ohne die Begrenzung durch eine Regelung, die eine enge Beziehung des Sachverhalts zum Registrierungsort gewährleistet, würde zwar allen Interessierten die Errichtung einer Patientenverfügung ermöglicht, aber zugleich auch eine indirekte Beachtlichkeit des Parteiwillens, die sich sogar auf die materiellen Wirksamkeitsvoraussetzungen erstreckt, geschaffen, die das deutsche Internationale Privatrecht im Internationalen Personen-, Familien- und Erbrecht bislang mit Ausnahme von Art. 17b EGBGB aus Gründen des Verkehrsschutzes nicht kennt.735
733
Für die eingetragene Lebenspartnerschaft: Jakob, Eingetragene Lebenspartnerschaft im IPR, S. 182 f.; für die Vorsorgevollmacht: Röthel/Woitge, IPRax 2010, 494 (498); für den PACS: Frucht, PACS im französ. und deutschen IPR, S. 75. 734 Dethloff, ZEuP 2004, 59 (72); Dörner, in: FS für Jayme, Bd. I, S. 143 (147 f.); Thorn, in: FS für Jayme, Bd. I, S. 955 (960 f.); Jakob, Eingetragene Lebenspartnerschaft im IPR, S. 184. 735 Auf diesen Aspekt im Kontext der eingetragenen Lebenspartnerschaft hinweisend: Thorn, in: FS für Jayme, Bd. I, S. 955 (959 f.). Ähnlich auch Dörner, in: FS für Jayme, Bd. I, S. 143 (147 f.): „Es ist jedoch kein berechtigtes Interesse dafür erkennbar, dass sich ein Paar außerhalb seines Aufenthaltsstaates registrieren lässt, um dann mit dem Recht des Registrierungsstaates im Gepäck in seinen (eine andere Partnerschaftsre gelung bereithaltenden, die Registrierung im Ausland aber anerkennenden) Aufenthaltsstaat z urückzukehren.“
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Entscheidet man sich für eine Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt, bleibt aber das aus dem Charakter der Patientenverfügung als Vorsorgeverfügung resultierende Problem der fehlenden Vorhersehbarkeit des anzuwendenden Rechts. Der Planungssicherheit des Betroffenen wäre mit einer Koppelung des an sich mobilen Anknüpfungspunktes des gewöhnlichen Aufenthalts an ein Zeitmoment gedient, wie es Art. 15 Abs. 1 ESÜ für Bestehen, Umfang, Änderung und Beendigung der Vorsorgevollmacht (vorbehaltlich einer Rechtswahl) vorsieht. Durch die Unwandelbarkeit des Anknüpfungskriteriums wäre – wie bei der Vorsorgevollmacht 736 – sichergestellt, dass der Betroffene nicht bei jedem Wechsel seines gewöhnlichen Aufenthalts kontrollieren muss, welche Konsequenzen sich daraus für seine Patientenverfügung ergeben. Errichtet zum Beispiel ein Österreicher eine Patientenverfügung in Österreich, während er dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und verlegt er diesen dann nach Deutschland, so bliebe auch bei einer Behandlung in Deutschland für die Beurteilung der Patientenverfügung österreichisches Recht anwendbar. Als nachteilig wirkt sich die Unwandelbarkeit aber immer dann aus, wenn das Errichtungsstatut eine Patientenverfügung nicht kennt. Hatte etwa ein türkischer Staatsangehöriger seinen gewöhnlichen Aufenthalt zum Zeitpunkt der Errichtung einer Patientenverfügung in der Türkei, deren Rechtsordnung die Patientenverfügung nicht kennt, und verlegt er anschließend seinen gewöhnlichen Aufenthalt nach Deutschland, würde sich die Frage der Zulässigkeit der Patientenverfügung weiterhin nach türkischem Recht richten, also die Patientenverfügung grundsätzlich keine Rechtswirkungen entfalten. 737 Zugleich liegt es infolge der Unwandelbarkeit des Statuts im Verantwortungsbereich des Betroffenen, sich im Falle eines Wechsels des gewöhnlichen Aufenthalts über die Rechtsentwicklungen im Errichtungsstaat zu informieren und seine Patientenverfügung dem neuen Recht anzupassen. 738 Unsicherheiten bestehen auch im Hinblick auf spätere Änderungswünsche des Betroffenen, weil unklar ist, ob diese als Errichtung einer neuen Patientenverfügung zu bewerten und dem neuen Aufenthaltsrecht zu unterstellen sind oder das ursprüngliche Aufenthaltsrecht maßgeblich bleiben soll. 739 Insbesondere im Regelfall eines dauerhaften Verbleibs am Aufenthaltsort wird
736
Dazu: Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 115. Zu ähnlichen Beispielen bezogen auf die Vorsorgevollmacht: Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 175. Zur Vereinbarkeit mit dem inländischen ordre public unten Kapitel 2 § 2 C. III. 3. b). 738 Auf diese Verpflichtung machen auch Ramser (Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 115, Fn. 387) bezogen auf die Vorsorgevollmacht und Jud (GPR 2005, 133 [136]) bezogen auf die Wahlmöglichkeit des Heimat- oder Aufenthaltsrechts im Zeitpunkt der Rechtswahl im Internationalen Erbrecht aufmerksam. 739 Im Hinblick auf die Rechtswahl: Jud, GPR 2005, 133 (137). 737
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sich die Unwandelbarkeit aber als Gewinn an Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts für den Betroffenen darstellen. bb) Anknüpfung an den Behandlungsort Mit einer Anknüpfung an den Behandlungsort würde dem Charakter der Patientenverfügung als Handlungsanweisung an den behandelnden Arzt Ausdruck verliehen. Dass sich eine Berufung des Rechts am Behandlungsort aus Sicht der behandelnden Ärzte uneingeschränkt empfehlen würde, wurde bereits im Rahmen der Untersuchung der kollisionsrechtlichen Interessen740 aufgezeigt. Eine Anknüpfung an den Behandlungsort wäre aber auch unausgesprochen davon getragen, dass die Interessen der Ärzte höher zu bewerten sind als die des Betroffenen. Begründen ließe sich dies damit, dass Ärzte eine berufstypische Leistung erbringen und härter getroffen würden, wenn ihre Berufstätigkeit einem fremden Recht unterläge, als der Patient getroffen würde, wenn er einen ausländischen Arzt aufsucht und dessen Recht unterworfen wird. 741 Tatsächlich würde den behandelnden Ärzten mit der Berufung des Heimatrechts oder des Aufenthaltsrechts eine Informationspflicht aufgebürdet, die in der Behandlungssituation zu einer Überforderung führen kann. 742 Denn während den behandelnden Ärzten noch zumutbar ist, sich im Detail über die persönlichen Verhältnisse des Patienten zu informieren, ist ihnen jedenfalls nicht ohne Weiteres zumutbar, neben der Behandlung des Patienten auch noch eine kollisions- und sachrechtliche Prüfung anzustrengen. 743 Dies gilt in besonderem Maße in medizinischen Notfällen. Zugleich haben die behandelnden Ärzte aber ein schutzwürdiges Interesse daran, die juristischen Folgen ihres Tuns oder Unterlassens abschätzen zu können, um sich vor Haftungsfolgen zu schützen und gegen Haftungsfolgen zu versichern.744 Dem würde eine Anknüpfung von Inhalt (Anweisungen bezüglich Ablehnung und Vornahme oder nur bezüglich Ablehnung oder nur bezüglich Vornahme zulässig?) und Wirkungen der Patientenverfügung (strikte Verbindlichkeit oder nur Indiz für den Patientenwillen?) an den Behandlungsort dienen. 740
Dazu oben Kapitel 2 § 2 C. I. 2. b). Für das Arzt-Patienten-Verhältnis: Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 235. Auch Kropholler (RabelsZ 42 [1978], 634 [639]) schließt aus der Erwägung, dass die vertragstypische Leistung häufig eine berufsmäßig erbrachte Leistung ist, darauf, dass der berufsmäßig Handelnde die Vertragspartei ist, die kollisionsrechtlich zu schützen ist. 742 Im Kontext der Todesfeststellung: v. Bar, IPR II, § 1 I. 1. e ) (3); Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 54. 743 Zu Todesfeststellung und Todeszeitpunkt: Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 54 ff. m.w.N. 744 Zu Todesfeststellung und Todeszeitpunkt: Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 54 ff. m.w.N. 741
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Während die behandelnden Ärzte also sowohl bei der aktuell erklärten Einwilligung als auch bei der Patientenverfügung an der Anwendung eines Rechts interessiert sind, das ihnen vertraut ist, stellt sich die Interessenlage aus Sicht des Betroffenen bei der aktuell erklärten Einwilligung und der Patientenverfügung unterschiedlich dar. Denn anders als bei der aktuell erklärten Einwilligung, bei der sich der Patient regelmäßig bewusst und zielgerichtet für eine medizinische Behandlung ins Ausland begibt und sich vor diesem Schritt auf die Anwendung eines konkreten fremden Rechts einstellen kann, ist für den Betroffenen bei Errichtung der Patientenverfügung in der Regel noch gar nicht absehbar, wo er medizinisch behandelt werden wird. Das auf die Patientenverfügung anwendbare Recht wäre bei einer Berufung des Rechts am Behandlungsort für ihn also nur dann ermittelbar, wenn bereits bei Errichtung der Patientenverfügung feststeht, wo die Behandlung erfolgen wird. Dass dies der tatsächlichen Situation eines typischen Verfassers einer Patientenverfügung entspricht, ist zu bezweifeln. Im Übrigen widerspräche es dem Anliegen der Patientenverfügung, wenn sich die Frage, ob eine Patientenverfügung überhaupt zulässigerweise errichtet werden kann, nach einem Recht bestimmen würde, mit dem der Betroffene nicht eng verbunden ist. cc) Vermittelnde Vorschläge Soeben wurde festgestellt, dass mit einer Anknüpfung an den Behandlungsort aus Sicht des Betroffenen der Fokus wohl zu stark auf das Stadium der medizinischen Behandlung und die Interessen der behandelnden Ärzte gelegt würde. Außerdem wurde deutlich, dass die behandelnden Ärzte daran interessiert sind, dass jedenfalls auf Inhalt und Wirkungen der Patientenverfügung das Recht am Behandlungsort zur Anwendung gelangt, und es ihnen im Regelfall auch nicht zumutbar ist, ihr Tätigwerden einer Rechtsordnung zu unterstellen, die von dem auf den Behandlungsvertrag und die deliktische Haftung anwendbaren Recht abweicht. Zu suchen ist also nach einer vermittelnden Lösung. Im Folgenden wird sich zeigen, dass eine solche Lösung nicht in einem Errichtungsstatut nach Vorbild des Art. 26 Abs. 5 S. 1 EGBGB liegt (1), sondern in einer nach Sachfragen differenzierenden Anknüpfung zu sehen ist (2). (1) Errichtungsstatut nach Vorbild des Art. 26 Abs. 5 S. 1 EGBGB Lediglich auf den ersten Blick überzeugend wäre ein Errichtungsstatut nach Vorbild des Art. 26 Abs. 5 S. 1 EGBGB745, der eine lex specialis zu
745 Jayme, in: FS für Spellenberg, S. 203 (206) führt mit Blick auf Art. 26 Abs. 5 S. 1 EGBGB aus: „Für die Patientenverfügung vermisst man eine solche Norm schmerzlich.“
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Art. 25 Abs. 1 EGBGB vorsieht.746 Während Art. 25 Abs. 1 EGBGB für die „Rechtsnachfolge von Todes wegen“ das Heimatrecht des Erblassers zum Zeitpunkt seines Todes beruft, beruft Art. 26 Abs. 5 EGBGB für einzelne Rechtsfragen, nämlich für die Gültigkeit der Errichtung einer Verfügung von Todes wegen und die Bindung an sie, das Recht, das im Zeitpunkt der Verfügung auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwenden wäre.747 Der Ausdruck „Gültigkeit der Errichtung“ einer Verfügung von Todes wegen wird im Gesetz nicht präzisiert, meint aber alle Rechtsfragen, die in Zusammenhang mit der wirksamen Vornahme des Rechtsgeschäfts stehen.748 Erfasst werden in Abgrenzung zum Haager Testamentsabkommen und zu Art. 26 Abs. 4 i.V. mit Abs. 1–3 EGBGB alle Fragen zu den materiellen Voraussetzungen einer wirksamen Vornahme, etwa die Frage nach der Zulässigkeit einer Verfügung von Todes wegen, die Testierfähigkeit, die materiellen Wirksamkeitsvoraussetzungen des Errichtungsgeschäftes und die Bindungswirkung. 749 Nicht zur „Gültigkeit“ zählen aber Rechtsfolgen, die mit Inhalt und Wirkungen (Ausnahme Bindungswirkung) der Verfügung von Todes wegen zusammenhängen – insoweit ist das Erbstatut des Art. 25 Abs. 1 EGBGB einschlägig. 750 Ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs soll Art. 26 Abs. 5 EGBGB dem Umstand Rechnung tragen, „daß zwischen der Errichtung einer Verfügung und dem Erbfall häufig längere zeitliche Zwischenräume liegen, in denen sich die für die Anknüpfung maßgebenden Verhältnisse verändern können. Aus Gründen des Vertrauensschutzes und unter Fortentwicklung des im geltenden Artikel 24 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 EGBGB enthaltenen Rechtsgedankens schließt sich der Entwurf […] dem vom Deutschen Rat unterbreiteten Vorschlag […] an, Gültigkeit und Bindungswirkung nach dem Errichtungszeitpunkt zu beurteilen.“ 751 Wie bereits erläutert752, liegen auch zwischen der Errichtung einer Patientenverfügung und dem Eintritt der Einsichts- und Urteilsunfähigkeit und der Behandlungsbedürftigkeit oftmals längere Zeiträume, in denen sich Änderungen der Umstände ergeben können. Ein Errichtungsstatut würde also dem Planungsbedürfnis des Betroffenen Genüge tun und ihm die Errichtung einer wirksamen Patientenverfügung erleichtern, zumal es vielen Betroffenen schon an dem Bewusstsein fehlen wird, dass bei Änderungen der Ver-
746
Staudinger/Dörner, Art. 26 EGBGB Rn. Staudinger/Dörner, Art. 26 EGBGB Rn. 748 Staudinger/Dörner, Art. 26 EGBGB Rn. 749 Staudinger/Dörner, Art. 26 EGBGB Rn. 750 Staudinger/Dörner, Art. 26 EGBGB Rn. 751 BT-Drs. 10/504, S. 76. 752 Oben Kapitel 2 § 2 C. I. 2. e). 747
2. 2. 67–79. 67–79. 73.
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hältnisse mitunter eine Anpassung an das neue Recht notwendig ist.753 Demgegenüber bedeutete ein Errichtungsstatut für Dritte insbesondere eine Einbuße an Rechtssicherheit, weil nicht ohne Weiteres erkennbar sein wird, unter welchem Recht die Verfügung errichtet wurde. Insbesondere ein häufiger Aufenthaltswechsel stellt Dritte vor Herausforderungen, zumal Patientenverfügungen nach dem materiellen Recht vieler Rechtsordnungen – anders als das eigenhändige Testament (§ 2274 Abs. 2 BGB) – nicht mit Zeit- und Ortsangabe niedergeschrieben werden müssen bzw. sollen. Ohnehin löst ein Errichtungsstatut nach dem Vorbild von Art. 26 Abs. 5 S. 1 EGBGB nicht das Problem, dass die Parteiinteressen und die Verkehrsinteressen bei der Patientenverfügung schlichtweg in unterschiedliche Richtungen weisen und deswegen eine Entscheidung, woran das Patientenverfügungsstatut angeknüpft werden soll, schwer fällt. Diese Entscheidung würde durch ein Errichtungsstatut nicht obsolet. Im Gegenteil zwingt gerade ein Errichtungsstatut nach Vorbild des Art. 26 Abs. 5 S. 1 EGBGB zu einer Entscheidung zwischen personaler Anknüpfung und Anknüpfung an das Recht am Behandlungsort. Ebenso wie das hypothetische Erbstatut des Art. 26 Abs. 5 S. 1 EGBGB das Recht beruft, das im Zeitpunkt der Verfügung von Todes wegen auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwenden wäre und damit Bezug auf Art. 25 Abs. 1 EGBGB nimmt, benötigt auch das hypothetische Patientenverfügungsstatut einen Referenzpunkt bzw. eine lex causae. Als Referenzpunkt ist zunächst das Betreuungsstatut des Art. 24 EGBGB denkbar. Probleme ergeben sich aus dem komplexen Anknüpfungsgefüge dieser Vorschrift, die mit Abs. 1 und 3 mehrere Kollisionsnormen enthält. Wählte man als Referenzpunkt die Berufung des Aufenthaltsrechts (Art. 24 Abs. 1 S. 2 EGBGB), stünde dies in Widerspruch zu den Interessen der behandelnden Ärzte daran, dass sich Fragen der inhaltlichen Wirksamkeit und der Wirkungen der Patientenverfügung nach dem Recht am Behandlungsort richten. Wählte man als Referenzpunkt nicht Art. 24 EGBGB, sondern das aufgrund der Verordnungen Rom I und Rom II für die medizinische Behandlung anwendbare Recht, so stünde dies nicht nur in Widerspruch zu dem Parteiinteresse an einer personalen Anknüpfung, sondern bedeutete auch erhebliche Rechtsunsicherheit: Welches Recht wäre gemeint, wenn das Recht berufen würde, das im Zeitpunkt der Errichtung der Patientenverfügung auf diese anzuwenden wäre?
753
gen.
So Staudinger/Dörner, Art. 26 EGBGB Rn. 74 für die Verfügung von Todes we-
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(2) Differenzierte Anknüpfung nach Sachfragen Den Partei- und Verkehrsinteressen entspricht aber ein Anknüpfungsgefüge, das für die Gültigkeit der Patientenverfügung unwandelbar das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen im Zeitpunkt der Errichtung der Patientenverfügung und für den Inhalt und die Bindungswirkung der Patientenverfügung das Recht am Behandlungsort beruft. Dieser Ansatz ist kein Errichtungsstatut nach dem Vorbild von Art. 26 Abs. 5 EGBGB, sondern eher vergleichbar mit der in Art. 15 Abs. 1, 3 ESÜ für die Vorsorgevollmacht gewählten Anknüpfung. Eine solche Anknüpfung berücksichtigt das Interesse der behandelnden Ärzte an der Anwendung einer Rechtsordnung, die vorhersehbar ist und keine unvorhersehbaren Haftungsrisiken hervorruft, ohne aber zugleich das Interesse des Betroffenen an der Anwendung einer ihm nahestehenden Rechtsordnung zu missachten. Insbesondere die Beantwortung der Frage, ob eine Patientenverfügung überhaupt zulässigerweise errichtet werden kann, sollte einem Recht überlassen werden, mit dem der Betroffene eng verbunden ist. Der behandelnde Arzt wird demgegenüber durch die Berufung des Rechts am Behandlungsort für Inhalt und Wirkungen der Patientenverfügung davor geschützt, in der Behandlungssituation nur wegen eines Auslandsbezugs Handlungen vornehmen zu müssen, die sein Umgebungsrecht entweder nicht kennt oder die ihm nach seinem Umgebungsrecht nicht gestattet sind. Im Einzelnen sollte die objektive Anknüpfung wie folgt ausgestaltet werden. Die Errichtung, der Widerruf und die materielle Wirksamkeit des Widerrufs unterliegen dem Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen. Rechtsfragen, die sich auf den Inhalt der Patientenverfügung beziehen, unterliegen demgegenüber dem Recht am Behandlungsort, insbesondere also auch Fragen der Auslegung der Patientenverfügung. Auch die Frage danach, ob der Inhalt der Patientenverfügung gegen gesetzliche Vorschriften oder gegen die guten Sitten verstößt, bestimmt sich nach dem Recht am Behandlungsort. Gleiches gilt im Grundsatz für die Frage, ob und in welcher Ausgestaltung dem Willen des Betroffenen Rechnung getragen werden kann bzw. muss, sowie für die Rechtswirkungen der Patientenverfügung, insbesondere ihre Verbindlichkeit. In Bezug auf die Verbindlichkeit ist aber auch die Notwendigkeit der Einpassung der Patientenverfügung in die Verordnungen Rom I und Rom II und das Kollisionsrecht des Erwachsenenschutzes zu beachten. Im Verhältnis zur Rom I-VO und zur Rom II-VO ist die Wirksamkeit der Patientenverfügung – wie bereits an anderer Stelle erläutert 754 – eine selbständig anzuknüpfende Vorfrage. Außerdem wird es als sinnvoll erachtet, das Patientenverfügungsstatut auch über die Verbindlichkeit der Pati754
Oben Kapitel 2 § 2 C. II. 2. b) (für die Rom II-VO).
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entenverfügung für den behandelnden Arzt entscheiden zu lassen. Dass die Übergänge naturgemäß fließend sind, wurde bei der Ausgestaltung des hier vorgeschlagenen Anknüpfungsgefüges, das sich in diesem Punkt stark an den Interessen der behandelnden Ärzte ausrichtet, beachtet. Sollte ein Behandlungsvertrag zwischen Arzt bzw. Krankenhaus und Patient geschlossen worden sein, so unterliegt er der Rom I-VO. Ergibt sich nach dem autonomen Kollisionsrecht das Bestehen einer wirksamen Patientenverfügung, stellt sich außerdem die Frage nach der Art und Weise ihrer Durchsetzung und ihrer Verdrängungswirkung in Bezug auf hoheitliche Erwachsenenschutzmaßnahmen. Ob zur Durchsetzung der Patientenverfügung eine staatliche Fürsorgeorganisation eingerichtet werden muss, ist – wie bei der Vorsorgevollmacht 755 – nach dem über Art. 13, 14 ESÜ bzw. dem über Art. 24 EGBGB zu bestimmenden Erwachsenenschutzrecht zu ermitteln. Das bedeutet entsprechend der Rechtslage bei der Vorsorgevollmacht 756, dass das Verhältnis von Patientenverfügung und staatlichen Schutzmaßnahmen davon abhängt, wie das Recht des Staates, an dem das Fürsorgebedürfnis eintritt, ausgestaltet ist. Wie bereits an anderer Stelle erläutert 757, verdrängt das ESÜ seit seinem Inkrafttreten das autonome Kollisionsrecht des Erwachsenenschutzes des Art. 24 EGBGB bei gewöhnlichem Aufenthalt der hilfsbedürftigen Person in einem Vertragsstaat des ESÜ.758 Die zuständigen Behörden wenden bei der Ausübung ihrer Zuständigkeit ihr eigenes Recht an (Art. 13 Abs. 1 ESÜ), also auch bei der Prüfung, ob die Bestellung einer Fürsorgeperson notwendig ist. Art. 24 EGBGB ist anwendbar, wenn der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Nichtvertragsstaat hat sowie für vor dem 1.1.2009 angeordnete Schutzmaßnahmen.759 Für einen Ausländer mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland ermöglicht Art. 24 Abs. 1 S. 2 EGBGB die Anwendbarkeit deutschen Betreuungsrechts dem Wortlaut nach für die Bestellung eines Betreuers, allerdings folgt aus der Norm a maiore ad minus die Anwendbarkeit deutschen Betreuungsrechts auch in Bezug auf die Frage, ob hieraus wegen einer wirksamen Patientenverfügung die Entbehrlichkeit einer Betreuerbestellung folgt. Entsprechendes wurde für die Vor755 Dazu: Röthel/Woitge, IPRax 2010, 494 (499); DNotI, Gutachten Dokumentennr. 14193, S. 4. 756 Dazu kritisch Ramser (Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 110), die für die Frage der Verdrängungswirkung einer Vorsorgevollmacht in Bezug auf Schutzmaßna hmen das Vorsorgevollmachtsstatut für einschlägig hält. 757 Dazu oben Kapitel 2 § 1 B. II. 5. a). 758 R. Wagner/Beyer, BtPrax 2007, 231 (233); jurisPK/Röthel, Art. 24 EGBGB Rn. 28; Kropholler, IPR, § 50 I. 4.; Traar, iFamZ 2009, 113 (115); Staudinger/v. Hein, Vorbem zu Art. 24 EGBGB Rn. 5. 759 Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 20 Rn. 7; jurisPK/Röthel, Art. 24 EGBGB Rn. 28.
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sorgevollmacht vorgeschlagen.760 In Fortführung dieses Gedankens ist auch das über Art. 24 Abs. 1 S. 1 EGBGB zur Anwendung berufene Heimatrecht für die Frage maßgeblich, ob hieraus wegen einer wirksamen Patientenverfügung die Entbehrlichkeit einer Betreuerbestellung folgt. Da Art. 24 EGBGB Gesamtnormverweisung ist, ist ausländisches Internationales Privatrecht auf eine Rück- oder Weiterverweisung zu untersuchen. 761 Ist nach dem über Art. 13 ESÜ bzw. Art. 24 Abs. 1 EGBGB berufenen Erwachsenenschutzrecht die Bestellung einer staatlichen Fürsorgeorganisation trotz Vorliegens einer Patientenverfügung nicht entbehrlich, ergibt sich aus dem Patientenverfügungsstatut, ob und wie weit die bestellte Fürsorgeperson an die Patientenverfügung gebunden ist. Für die Berufung des Patientenverfügungsstatuts spricht, dass die Frage der Bindungswirkung der Patientenverfügung, die sowohl das Verhältnis zum behandelnden Arzt als auch zur Fürsorgeperson betrifft, nicht verschiedenen Rechten, sondern nur einem einzigen Recht unterstellt werden sollte. Die übrigen Modalitäten der Schutzmaßnahme, insbesondere Bestellung, Änderung und Ende der Fürsorgeeinrichtung, sollten demgegenüber dem nach Art. 13 f. ESÜ bzw. Art. 24 EGBGB berufenen Recht unterliegen. Zu überlegen bleibt, ob eine Sonderregelung für medizinische Notfälle geschaffen werden sollte. Medizinische Notfallsituationen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie schnelle Entscheidungen des medizinischen Personals erforderlich machen, also regelmäßig noch weniger Raum für rechtliche Prüfungen existiert als bei der stationären Behandlung. Vor diesem Hintergrund sollten das Interesse des Betroffenen an der Anwendung einer Rechtsordnung, mit der er eng verbunden ist, und sein Interesse an der Anwendung eines leicht vorhersehbaren Rechts hinter das Interesse des Rechtsverkehrs an der Anwendung eines leicht zu ermittelnden Rechts zurücktreten und für Gültigkeit, Inhalt und Wirkungen der Patientenverfügung unterschiedslos das Recht am Behandlungsort zur Anwendung berufen werden. dd) Zwischenergebnis Die vorangegangenen Überlegungen haben ergeben, dass die Partei- und die Verkehrsinteressen im Kontext der Patientenverfügung in unterschiedliche Richtungen weisen. Während der Betroffene daran interessiert ist, dass ein Recht Anwendung findet, mit dem er eng verbunden ist und das für ihn vorhersehbar ist, ist der Rechtsverkehr, insbesondere der behandelnde Arzt, daran interessiert, dass das Recht am Behandlungsort Anwen760
Röthel/Woitge, IPRax 2010, 494 (499); jurisPK/Röthel, Art. 24 EGBGB Rn. 75. Bamberger/Roth/Heiderhoff, Art. 24 EGBGB Rn. 11; DNotI, Gutachten Dokumentennr. 14193, S. 4. 761
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dung findet, weil dieses Recht ihm regelmäßig vertraut ist und deswegen für ihn leicht ermittelbar ist und ihn auch keinen Haftungsrisiken aussetzt. Aufgrund dieser gegenläufigen Interessen scheiden sowohl eine personale Anknüpfung als auch eine Anknüpfung an den Behandlungsort aus. Auch ein Errichtungsstatut nach Vorbild des Art. 26 Abs. 5 S. 1 EGBGB eignet sich als vermittelnde Lösung für die Patientenverfügung nicht, weil auf diese Weise die gegenläufige Interessenlage nicht aufgelöst werden kann. Ein Interessenausgleich kann aber erreicht werden über ein Anknüpfungsgefüge, das nach Sachfragen differenziert, nämlich für die Gültigkeit der Patientenverfügung unwandelbar das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen im Zeitpunkt der Errichtung der Patientenverfügung und für die inhaltliche Wirksamkeit und die Wirkungen der Patientenverfügung das Recht am Behandlungsort beruft. Mit einer solchen differenzierten Anknüpfung kann sowohl dem Interesse des Betroffenen an einer personalen unwandelbaren Anknüpfung Genüge getan werden als auch weitgehend dem Interesse der behandelnden Ärzte an der Anwendung einer Rechtsordnung entsprochen werden, die für sie vorhersehbar ist und die sie keinen Haftungsrisiken aussetzt. Zu ergänzen ist dieses Anknüpfungsgefüge durch eine Sonderregel für Notfallsituationen, für die aus Gründen des Verkehrsschutzes nur das Recht am Behandlungsort berufen werden sollte. b) Sonderfragen Das bisher gefundene Ergebnis gebietet die Schaffung eines komplexen Anknüpfungsgefüges. Im Folgenden wird sich zeigen, dass außerdem gewisse Sonderanknüpfungen zu beachten sind. Als Sonderfragen stellen sich die Frage nach der Form der Patientenverfügung (aa) sowie die Fragen nach der Einwilligungsfähigkeit (bb) und der Volljährigkeit (cc). aa) Form der Patientenverfügung Das EGBGB sieht eine Sonderanknüpfung der Form von Rechtsgeschäften in Art. 11 Abs. 1 EGBGB vor. 762 Die Besonderheit dieses Formstatuts liegt darin, dass – zum Zweck der Begünstigung des Handelnden und der Begünstigung der Rechtsgültigkeit des Rechtsgeschäfts – neben der Anknüpfung an das Wirkungsstatut alternativ an den Ort der Vornahme des Rechtsgeschäfts angeknüpft wird763 (1). Es wird zu überlegen sein, ob sich
762 Für schuldrechtliche Verträge geht Art. 11 Rom I-VO (im Anwendungsbereich der Rom I-VO) seit dem 17.12.2009 der autonomen Kollisionsnorm des Art. 11 EGBGB vor, dazu: MünchKommBGB/Spellenberg, Art. 11 EGBGB Rn. 8 f., 22. 763 Staudinger/Winkler v. Mohrenfels, Art. 11 EGBGB Rn. 1; Kropholler, IPR, § 20 II. 2., § 41 III.
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für die Patientenverfügung nicht auch eine gegenüber Art. 11 Abs. 1 EGBGB weitergehende Anknüpfung empfiehlt (2). (1) Allgemeine Formkollisionsregel (Art. 11 Abs. 1 EGBGB) Unter Art. 11 Abs. 1 EGBGB fallen alle Rechtsgeschäfte einschließlich einseitiger Rechtsgeschäfte, die sich nicht auf einen Vertrag beziehen. 764 Anders als sonst üblich soll es nach h.M. aber bei der Auslegung des Rechtsgeschäftsbegriffs nicht auf die Sichtweise der lex fori ankommen, sondern soll der Rechtsgeschäftsbegriff rechtsvergleichend zu qualifizieren sein.765 Zu Recht ist darauf hingewiesen worden, dass diese Vorgabe wegen der gemeinsamen römischrechtlichen Tradition der europäischen Rechtsordnungen keine praktischen Unterschiede bewirkt, also der in der deutschen Rechtsdogmatik gängige Rechtsgeschäftsbegriff zugrunde gelegt werden darf.766 Danach wird Rechtsgeschäft definiert als „ein aus mindestens einer Willenserklärung bestehender Tatbestand, an den die Rechtsordnung bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen den Eintritt des gewollten rechtlichen Erfolges knüpft“ 767. Wegen des kollisionsrechtlichen Interesses an einer weitreichenden Anknüpfung aller mit dem Rechtsgeschäft in Zusammenhang stehenden Rechtsfragen unter ein Statut werden vom kollisionsrechtlichen Rechtsgeschäftsbegriff außerdem geschäftsähnliche Handlungen und Realakte erfasst.768 Auf der Ebene des materiellen Rechts nach wie vor bestehende Unsicherheiten über die Rechtsnatur der Patientenverfügung – Willenserklärung769, lediglich Äußerung eines Willens770 oder wie die Einwilligung rechtsgeschäftsähnliche Handlung771 – stehen einer Qualifikation der Patientenverfügung als Rechtsgeschäft i.S. des Art. 11 Abs. 1 EGBGB also nicht entgegen. Die Qualifikation als Rechtsgeschäft entspricht im Übrigen auch dem Interesse
764
Staudinger/Winkler v. Mohrenfels, Art. 11 EGBGB Rn. 67. Staudinger/Winkler v. Mohrenfels, Art. 11 EGBGB Rn. 68; Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 95; a.A. aber offenbar: Erman/Hohloch, Art. 11 EGBGB Rn. 11. 766 Staudinger/Winkler v. Mohrenfels, Art. 11 EGBGB Rn. 68. 767 Staudinger/Winkler v. Mohrenfels, Art. 11 EGBGB Rn. 68. 768 Staudinger/Winkler v. Mohrenfels, Art. 11 EGBGB Rn. 68; Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 95 f. 769 Diederichsen, in: FS für Schreiber, S. 635 (647 ff.); ohne nähere Einordnung ablehnend: Erman/A. Roth, § 1901a Rn. 8. 770 Roth, JZ 2004, 494 (497). 771 Vossler, ZRP 2002, 295 f.; Spickhoff, ZfRV 2008, 33 (40); ders., in: FS für Deutsch, S. 907 (918). Die ältere Rechtsprechung des RG und des BGH beurteilte die Einwilligung in eine medizinische Heilbehandlung als Willenserklärung, heute qualif iziert die Rechtsprechung (BGHZ 29, 33 [36]; 105, 45 [48]) die Einwilligung al s geschäftsähnliche Handlung (Roth, JZ 2004, 494 [496, Fn. 28]). 765
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des Betroffenen und der behandelnden Ärzte, die in ihrem Vertrauen auf die Gültigkeit der Patientenverfügung geschützt werden müssen. 772 Wendet man Art. 11 Abs. 1 EGBGB analog an, genügt es, wenn die Patientenverfügung die Formerfordernisse des Geschäftsstatuts (lex causae) oder des Errichtungsstaates (lex loci actus) erfüllt. Geschäftsrecht wäre hier das Patientenverfügungsstatut, also das Aufenthaltsrecht des Betroffenen. Mit Blick auf die lex loci actus ist für einseitige Erklärungen umstritten, ob der Abgabeort, also der Aufenthaltsort des Erklärenden, oder der Empfangsort maßgeblicher Erklärungsort i.S. des Art. 11 Abs. 1 Alt. 2 EGBGB ist.773 Das Problem der Lokalisierung des maßgeblichen Erklärungsortes stellt sich bei der Patientenverfügung nicht gleichermaßen, weil die Patientenverfügung nicht einem Dritten gegenüber abzugeben ist und der Betroffene im Zeitpunkt der Errichtung der Patientenverfügung gar nicht wissen kann, nach welchem Ortsrecht er die Patientenverfügung zu errichten hat, so dass allein maßgeblich der Ort ist, an dem die Patientenverfügung errichtet wird. 774 Im Kontext der Patientenverfügung werden also Geschäftsrecht und Ortsrecht immer dann übereinstimmen, wenn der Betroffene die Patientenverfügung am Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts errichtet. Wie bei der Vorsorgevollmacht 775 können sich Konstellationen als problematisch erweisen, in denen das Recht am Errichtungsort die Patientenverfügung als Rechtsinstitut nicht kennt. Formunwirksam ist die Patientenverfügung, wenn sie weder die Formanforderungen der lex causae noch der lex loci actus erfüllt.776 Das Formstatut entscheidet darüber, was Formvorschriften sind und über die Folgen von Formmängeln. 777 In der rechtsvergleichenden Untersuchung hat sich gezeigt, dass einige Staaten für die Patientenverfügung nicht nur die Schriftform oder die notarielle Beurkundung, sondern auch die Registrierung der Patientenverfügung vorsehen. Die Fragestellung, ob die Patientenverfügung zu ihrer Wirksamkeit der Registereintragung bedarf, geht über die Formfrage hinaus und ist deswegen nicht nach dem Formstatut, sondern nach dem Geschäftsstatut zu beantworten.778 Zur Antwort berufen ist also das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen. Das Registerrecht entscheidet 772
Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 96. Kropholler, IPR, § 41 III. 5.; Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 96. 774 Siehe auch die übereinstimmende Argumentation von Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 96 zur Einwilligung in die Organentnahme. 775 Dazu: Röthel/Woitge, IPRax 2010, 494 (499). 776 Vgl. MünchKommBGB/Spellenberg, Art. 11 EGBGB Rn. 72; bezogen auf die Einwilligung in die Organentnahme: Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 192. 777 MünchKommBGB/Spellenberg, Art. 11 EGBGB Rn. 140 ff.; für die Einwilligung in die Organspende: Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 192. 778 MünchKommBGB/Spellenberg, Art. 11 EGBGB Rn. 158; Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 96 f. zur Registereintragung der Einwilligung in die Organentnahme. 773
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demgegenüber darüber, ob die im Register niedergelegte Erklärung wirksam ist und unter welchen Voraussetzungen Dritte darauf vertrauen dürfen, also über die Publizitätswirkung. 779 (2) Weitergehende Anknüpfung der Form für die Patientenverfügung? Da die Rechtsordnungen die formellen Errichtungsvoraussetzungen der Patientenverfügung unterschiedlich ausgestaltet haben, ist nicht auszuschließen, dass eine Vielzahl von Patientenverfügungen unbemerkt formunwirksam ist, weil sie weder die Formanforderungen der lex loci actus noch die der lex causae erfüllen. Zu erwägen ist deswegen eine Formanknüpfung nach dem Vorbild von Art. 26 Abs. 1–3 EGBGB, der eine Vielzahl von Anknüpfungsmomenten aufzählt, um einen möglichst vollständigen favor testamenti zu erzielen.780 Eine alternative Anknüpfung dient der Begünstigung eines materiellen Ergebnisses und steht damit in Widerspruch zum Ansatz des klassischen Kollisionsrechts, das nicht das sachlich beste Recht, sondern wertneutral das räumlich beste Recht zur Anwendung beruft.781 Alternative Anknüpfungen werden als berechtigt erachtet, wenn sie auf einer spezifisch internationalrechtlichen Erwägung beruhen, etwa der Abhilfe besonderer Schwierigkeiten des internationalen Rechtsverkehrs. 782 So dient der favor 779
Vgl. Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 97. Kropholler, IPR, § 20 II. 2. In Art. 26 Abs. 1–3 EGBGB ist das Haager Übereinkommen über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht v. 5.10.1961, BGBl. 1965 II 1145 (abgedruckt in Jayme/Hausmann, Nr. 60) inkorporiert worden; zugleich ist das Abkommen unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht und verdrängt deswegen sogar Art. 26 EGBGB mit Ausnahme des Art. 26 Abs. 4 EGBGB, weil das Abkommen die „anderen Verfügungen von Todes wegen“ nicht erfasst (Sta udinger/Dörner, Art. 26 EGBGB Rn. 12 ff.; Staudinger/Winkler v. Mohrenfels, Art. 11 EGBGB Rn. 251; MünchKommBGB/Spellenberg, Art. 11 EGBGB Rn. 20). Gemäß Art. 26 Abs. 1 EGBGB ist eine letztwillige Verfügung hinsichtlich ihrer Form gültig, wenn sie den Formerfordernissen entspricht des Rechts eines Staates, dem der Erblasser ungeachtet des Art. 5 Abs. 1 im Zeitpunkt, in dem er letztwillig verfügt hat, oder im Zeitpunkt seines Todes angehörte (Ziff. 1), des Rechts des Ortes, an dem der Erblasser letztwillig verfügt hat (Ziff. 2), des Rechts eines Ortes, an dem der Erblasser im Zeitpunkt, in dem er letztwillig verfügt hat, oder im Zeitpunkt seines Todes s einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatte (Ziff. 3), des Rechts des Ortes, an dem sich unbewegliches Vermögen befindet, soweit es sich um dieses handelt (Ziff. 4). Gemäß Art. 26 Abs. 1 S. 1 Ziff. 5 EGBGB ist eine letztwillige Verfügung hinsichtlich ihrer Form außerdem gültig, wenn sie den Formerfordernissen des Rechts entspricht, das auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwenden ist oder im Zeitpunkt der Verfügung anzuwe nden wäre. 781 Staudinger/Sturm/Sturm, Einl zum IPR Rn. 171, 96; Rauscher, IPR, § 3 A. III. 2. a) aa); Neuhaus, Grundbegriffe, § 22 III. 2.; Kropholler, IPR, § 20 II. 1. 782 Kropholler, IPR, § 20 II. 3. 780
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negotii des Art. 11 Abs. 1 EGBGB dem Ausgleich der Schwierigkeiten, die sich stellen, wenn ausländische Formvorschriften erfüllt werden müssen. 783 Mit einer gegenüber Art. 11 Abs. 1 EGBGB noch weitergehenden Anknüpfung könnte die Anzahl der formungültigen Patientenverfügungen verringert werden, also im Sinne des Betroffenen und des Rechtsverkehrs die Rechtssicherheit erhöht werden. Der Betroffene könnte durch eine weitreichende alternative Anknüpfung – wie der Erblasser durch Art. 26 Abs. 1–3 EGBGB784 – vor den Folgen eines Handelns unter falschem Recht geschützt werden. Letztlich würde eine über Art. 11 Abs. 1 EGBGB hinausgehende alternative Anknüpfung auch das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen fördern, weil er verlässlichere Dispositionen treffen könnte. Gegen eine weitreichende alternative Anknüpfung spricht möglicherweise ihre Umgehungsanfälligkeit. So ist der weitreichenden alternativen Anknüpfung des Art. 11 Abs. 1 EGBGB die Gefahr immanent, dass die Parteien mit Hilfe des Kollisionsrechts ihnen unliebsames Sachrecht ausschalten, indem sie sich zum Vertragsschluss ins Ausland begeben, um dort in den Genuss weniger strenger Formerfordernisse zu kommen. 785 Die ganz h.M. lehnt eine Abwehr des Ortsrechts unter dem Gesichtspunkt der Gesetzesumgehung mit dem Argument ab, dass der deutsche Gesetzgeber die alternative Anknüpfung an das Ortsrecht gerade zugelassen hat, weil die Beachtung des Ortsrechts die Parteien entlaste – machten sich die Parteien diese Gestaltungsmöglichkeit zu eigen, so könne ihnen dies nicht zum Vorwurf gemacht werden. 786 Dies bedeutet zugleich, dass sich das Problem der Gesetzesumgehung weniger auf der Ebene der Rechtsbildung als auf der Ebene der Rechtsanwendung stellt. Gegen eine weitreichende alternative Anknüpfung wird aber auch geltend gemacht, dass materielle Formenstrenge dem Schutz der schwächeren Partei diene.787 Dieses Argument greift bei der Patientenverfügung nicht, weil sich anders als bei gegenseitigen Verträgen nicht zwei unter Umständen unterschiedlich geschäftserfahrene und verhandlungsstarke Parteien gegenüberstehen. Hinzu kommt, dass dem Schutz des Verfassers einer Patientenverfügung weniger materielle Formenstrenge als die Gewährleistung dient, dass sein in der Patientenverfügung niedergelegter Wille trotz des Auslandsbezugs in der Behandlungssituation Beachtung findet.
783
Kropholler, IPR, § 20 II. 3. Dazu: v. Bar, IPR II, § 3 III. 1. 785 v. Hoffmann/Thorn, IPR, § 5 D. I. 1. 786 RGZ 62, 379 (381 f.); Bamberger/Roth/Mäsch, Art. 11 EGBGB Rn. 14; Erman/ Hohloch, Art. 11 EGBGB Rn. 25. 787 Bamberger/Roth/Mäsch, Art. 11 EGBGB Rn. 1; kritisch auch: MünchKommBGB/ Spellenberg, Art. 11 EGBGB Rn. 2 f. 784
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Kapitel 2: Die Patientenverfügung mit Auslandsberührung
Als geeignete Anknüpfungspunkte für die Form der Patientenverfügung lassen sich das Heimatrecht des Betroffenen, das Recht des Errichtungsortes der Patientenverfügung und das Aufenthaltsrecht des Betroffenen erwägen. Das Aufenthaltsrecht des Betroffenen und das Recht des Errichtungsortes der Patientenverfügung werden, wie bereits erläutert 788, von Art. 11 Abs. 1 EGBGB zur Anwendung berufen. Bei der Patientenverfügung bleibt daher als über Art. 11 Abs. 1 EGBGB hinausgehender Anknüpfungspunkt allenfalls das Heimatrecht des Betroffenen. Hier sollte aus Gründen der Rechtssicherheit sowohl der Zeitpunkt der Errichtung der Patientenverfügung als auch der Eintritt der Behandlungsbedürftigkeit genügen. Dies hat nämlich zur Folge, dass ein zwischenzeitlicher Statutenwechsel nicht zur Formunwirksamkeit der Patientenverfügung führen kann. bb) Einwilligungsfähigkeit Die Frage, ob es für die Errichtung einer Patientenverfügung auf die Einwilligungsfähigkeit ankommt, unterliegt dem Patientenverfügungsstatut. Davon zu trennen ist die Frage, ob im konkreten Einzelfall Einwilligungsfähigkeit gegeben ist. Das EGBGB enthält keine ausdrückliche Regelung zur Anknüpfung der Einwilligungsfähigkeit. In Betracht kommen eine Einordnung in Art. 7 EGBGB und eine Einordnung in das Wirkungsstatut, wobei die Abgrenzung zwischen der Herrschaft des Personal- und der des Wirkungsstatutes zu den anspruchsvollen Fragen des Internationalen Privatrechts gezählt wird 789. Das deutsche Internationale Privatrecht unterscheidet zwischen der allgemeinen Geschäftsfähigkeit und den besonderen Geschäftsfähigkeiten. 790 Die von Art. 7 EGBGB erfasste allgemeine Geschäftsfähigkeit erfasst solche rechtlichen Fähigkeiten, deren Innehabung von der Urteilsfähigkeit und der Verstandesreife einer Person abhängt. 791 Das geltende Internationale Privatrecht kennt aber auch Ausnahmen von diesem Grundsatz. Denn obwohl auch die Testierfähigkeit eine Fähigkeit ist, die in Wechselwirkung zum altersbedingten Reifeprozess einer Person steht, wird sie in das Erbstatut (Art. 26 Abs. 5 S. 2 EGBGB) und als besondere Geschäftsfähigkeit eingeordnet. Rechtfertigung findet diese Einordnung darin, dass der Geltungsbereich der Testierfähigkeit auf bestimmte Rechtsgeschäfte beschränkt ist.792 Ganz allgemein werden als besondere Geschäftsfähigkeiten spezielle Regelungen über die Fähigkeit zur Vornahme von Rechtsgeschäf788
Dazu oben Kapitel 2 § 2 C. III. 1. b) aa) (1). v. Bar, IPR II, § 1 I. 3. c). 790 v. Bar, IPR II, § 1 I. 3. c) (1). 791 v. Bar, IPR II, § 1 I. 3. c) (1). 792 v. Bar, IPR II, § 1 I. 3. c) (1). 789
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ten angesehen, die entweder nicht in Zusammenhang mit dem altersbedingten Reifeprozess stehen oder auf bestimmte Rechtsgeschäfte beschränkt sind.793 Nach Christian von Bar „denkt“ das deutsche Kollisionsrecht „dabei wesentlich in den Kategorien des deutschen Sachrechts“. 794 Ausgehend von der Überlegung, dass es sich bei der Einwilligungsfähigkeit um eine besondere Geschäftsfähigkeit 795 handelt, ließe sich eine Berufung des Statuts der Hauptfrage vertreten. In der Vergangenheit stellte sich die Frage der Anknüpfung der Einwilligungsfähigkeit nur für aktuell erklärte Einwilligungen, für die überwiegend eine einheitliche Anknüpfung an das Deliktsstatut befürwortet wurde. 796 Tatsächlich spricht für eine Berufung des Statuts der Hauptfrage, dass die Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit nicht nur von persönlichen Eigenschaften des Betroffenen, sondern auch von der Art des verletzten Rechtsgutes und dessen Beeinträchtigungsintensität abhängen.797 Hinzu kommt, dass die Einwilligungsfähigkeit im deutschen Sachrecht gegenüber der allgemeinen Geschäftsfähigkeit ein aliud ist.798 Auch die Notwendigkeit eines einheitlichen deliktischen Haftungssystems spricht im Kontext der aktuell erklärten Einwilligung für eine Anknüpfung der Einwilligungsfähigkeit an das Deliktsstatut.799 Seit der rechtlichen Anerkennung von Patientenverfügungen stellt sich die Frage der Einwilligungsfähigkeit in unterschiedlichen Kontexten, für die jeweils eigene Statute mit eigenen Anknüpfungsregimen bestehen. Während im Kontext der Patientenverfügung – nach dem hier vertretenen Anknüpfungsmodell – für die Einwilligungsfähigkeit das Patientenverfügungsstatut, also das Aufenthaltsrecht, maßgeblich wäre, wäre für die Einwilligungsfähigkeit im Kontext der aktuell erklärten Einwilligung in793 Bamberger/Roth/Mäsch, Art. 7 EGBGB Rn. 31; v. Bar, IPR II, § 1 I. 3.c) (1); ähnlich auch: Staudinger/Hausmann, Art. 7 EGBGB Rn. 34. 794 v. Bar, IPR II, § 1 I. 3. c) (1). 795 Näher zur Anknüpfung der besonderen Geschäftsfähigkeiten: Rauscher, IPR, § 7 A. I. 2.; Kropholler, IPR, § 42 I. 1. 796 Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 101; Spickhoff, in: FS für Deutsch, S. 907 (916 f.). 797 Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 101. 798 Unterschiede bestehen zunächst mit Blick auf den Adressatenkreis. Während die Einwilligungsfähigkeit dem Schutz des Betroffenen vor ungewollten Eingriffen durch e inen abgrenzbaren Kreis Dritter dient, dient die Geschäftsfähigkeit seinem Schutz vor im Zusammenhang mit dem Abschluss von Rechtsgeschäften drohenden wirtschaftlichen Gefahren. Auch mit Blick auf den Inhalt ergeben sich Differenzen. Während die Einwilligungsfähigkeit höchstpersönliche Rechtsgüter (Gesundheit und Leben) betrifft, umfasst die Geschäftsfähigkeit die rechtsgeschäftliche Fähigkeit, insbesondere über Vermögenswerte zu verfügen und sich entsprechend zu verpflichten. Vorstehendes aus: Ganner, Selbstbestimmung im Alter, S. 240 f. 799 Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 101.
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Kapitel 2: Die Patientenverfügung mit Auslandsberührung
folge deren Einordnung in das Deliktsstatut regelmäßig das Recht des Erfolgsortes maßgeblich. Mit der Berufung des Statuts der Hauptfrage bestünde also die Gefahr, dass infolge unterschiedlicher Maßstäbe in den Sachrechten ein und derselbe Betroffene mit Bezug auf medizinische Behandlungen einmal einwilligungsfähig wäre und einmal nicht. Dies widerspräche den Interessen des Betroffenen und wäre auch mit dem höchstpersönlichen Charakter der Einwilligungsfähigkeit nicht vereinbar. Der höchstpersönliche Charakter der Einwilligungsfähigkeit spricht für deren unterschiedslos personale Anknüpfung. Im Übrigen hat die Einwilligungsfähigkeit ähnlich der allgemeinen Geschäftsfähigkeit ihren Bezugspunkt in dem Abschluss eines altersbedingten Reifeprozesses. Die Einwilligungsfähigkeit ist daher als ein Element der allgemeinen Rechts- und Geschäftsfähigkeit einer Person anzusehen, die dem Heimatrecht einer Person unterliegt (Art. 7 Abs. 1 S. 1 EGBGB analog).800 Eine wirksame Patientenverfügung kann also nur errichten, wer nach seinem Heimatrecht einwilligungsfähig ist, was etwa zu verneinen wäre, wenn der Betroffene im maßgeblichen Zeitpunkt der Errichtung der Patientenverfügung in seinem Heimatrecht entmündigt ist. 801 Dies entspricht der Rechtslage bei der Vorsorgevollmacht, weil dort infolge der selbständigen Anknüpfung der Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers ebenfalls das Heimatrecht gemäß Art. 7 Abs. 1 S. 1 EGBGB zur Anwendung berufen wird. 802 cc) Volljährigkeit Ob die Errichtung der Patientenverfügung die Volljährigkeit des Betroffenen erfordert und auf welchen Zeitpunkt es ankommt, bestimmt sich nach 800
Könning-Feil, Internat. Arzthaftungsrecht, S. 297; dafür, dass die Einwilligung dem Personalstatut unterliegt: Nitzinger, Betreuungsrecht im IPR, S. 77. 801 Je nach Einordnung der Patientenverfügung käme bei nach dem Heimatrecht fehlender Einwilligungsfähigkeit aber eine analoge Anwendung von Art. 12 EGBGB in Betracht (für die aktuell erklärte Einwilligung: Könning-Feil, Internat. Arzthaftungsrecht, S. 297, Fn. 1835 mit Verweis auf S. 251 f.). Dem Wortlaut nach beschränkt sich Art. 12 EGBGB auf Verträge, wird von der zutreffenden Ansicht aber auf einseitige Rechtsg eschäfte, nicht aber auf geschäftsähnliche Handlungen und Realakte erstreckt ( KönningFeil, Internat. Arzthaftungsrecht, S. 252; Kegel/Schurig, IPR, § 17 I. 1. d); Erman/Hohloch, Art. 12 EGBGB Rn. 8 [Erstreckung auf empfangsbedürftige einseitige Rechtsgeschäfte]; Staudinger/Hausmann, Art. 12 EGBGB Rn. 25; Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 58). Qualifiziert man die Patientenverfügung – wie auch für die Einwilligung vertreten – als geschäftsähnliche Handlung, scheidet eine Anwendung von Art. 12 EGBGB aus. Qualifizierte man die Patientenverfügung als einseitiges Rechtsgeschäft, bliebe zu überlegen, ob Art. 12 S. 2 EGBGB, der u.a. familienrechtliche Rechtsgeschäfte vom Anwendungsbereich der Grundregel des Art. 12 S. 1 EGBGB ausnimmt, einer analogen Anwendung des Art. 12 S. 1 EGBGB auf die Patientenverfügung entgegensteht. 802 Dazu: Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 20 Rn. 10; Röthel/Woitge, IPRax 2010, 494 (499).
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dem Patientenverfügungsstatut. 803 Demgegenüber schwieriger gestaltet sich die Frage, wonach das Volljährigkeitsalter anzuknüpfen ist. Grundsätzlich soll sich die Frage, wann Volljährigkeit erreicht wird, nach Art. 7 Abs. 1 EGBGB richten.804 Aus der Überlegung, dass die Ermittlung des Volljährigkeitsalters bei der Patientenverfügung aber nicht zur Ermittlung der Geschäftsfähigkeit, sondern zur Ermittlung der Einsichtsfähigkeit bezüglich Vorausverfügungen dienen soll, ließe sich auch eine Anknüpfung an das Geschäftsstatut, also das Patientenverfügungsstatut, erwägen. 805 Dagegen spricht freilich, dass auch die Einwilligungsfähigkeit analog Art. 7 EGBGB angeknüpft wird. Eine analoge Anwendung des Art. 7 EGBGB liegt auch deswegen nahe, weil die Feststellung der Volljährigkeit im Kontext der Patientenverfügung ebenso wie im Kontext der Geschäftsfähigkeit sicherstellen soll, dass der Betroffene fähig ist, eigenständig und eigenverantwortlich sein Selbstbestimmungsrecht wahrzunehmen. c) Renvoi oder Sachnormverweisung? Festzulegen ist außerdem die Zweckmäßigkeit eines renvoi. Gemäß Art. 4 Abs. 1 EGBGB enthalten die kollisionsrechtlichen Verweisungen des EGBGB auf das Recht eines anderen Staates grundsätzlich eine Gesamtverweisung, sofern dies nicht dem Sinn der Verweisung widerspricht oder eine Kollisionsnorm nicht ausdrücklich auf die Sachvorschriften einer anderen Rechtsordnung verweist (Art. 3a Abs. 1 EGBGB). Für die Patientenverfügung sollte von Letzterem jedenfalls so lange Gebrauch gemacht werden, wie in vielen ausländischen Rechtsordnungen weder geschriebene noch anderweitig feststehende Kollisionsregeln zur Patientenverfügung bestehen, weil mit der Sachnormverweisung eine aufwändige und zudem mit Rechtsunsicherheit belastete Suche nach der einschlägigen ausländischen Kollisionsregel vermieden würde.806 Gegen diese Argumentation ließe sich zwar einwenden, dass sie sich gegen die Gesamtverweisung als solche wendet und nicht auf den vorliegend zu untersuchenden Fall beschränkt ist.807 Anders als in anderen Rechtsbereichen, etwa bei der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft, gibt es aber auf dem Gebiet der Patientenverfügung bislang noch keine Erkenntnisquellen, die dem inländischen Rich803 Für die Einwilligung in die Organentnahme: Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 189. 804 Staudinger/Hausmann, Art. 7 EGBGB Rn. 35; Rauscher, IPR, § 7 A. I. 4. a) (Altersgrenze für verschiedene Arten der Geschäftsfähigkeit). 805 Für die Einwilligung in die Organentnahme: Nagel, Organtransplantation und IPR, S. 189 f. 806 Ähnlich: BT-Drs. 14/3751, S. 60 (eingetragene Lebenspartnerschaft). 807 So die Kritik von: Thorn, in: FS für Jayme, Bd. I, S. 955 (964) in Bezug auf die Sachnormverweisung des Art. 17b Abs. 4 EGBGB.
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ter zugänglich sind und eine Ermittlung der einschlägigen Kollisionsregel vereinfachen. d) Zwischenergebnis Die vorstehende Untersuchung hat gezeigt, dass angesichts der divergierenden Interessen des Betroffenen und der behandelnden Ärzte weder eine personale Anknüpfung noch eine Berufung des Rechts am Behandlungsort zu einer überzeugenden Lösung führt. Vor diesem Hintergrund wurde ein nach Sachfragen differenzierendes Anknüpfungssystem vorgeschlagen, das grundsätzlich das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen beruft, aber Ausnahmen von diesem Grundsatz bezüglich dem Inhalt und der Bindungswirkungen einer Patientenverfügung zulässt und für diese Fragen das Recht am Behandlungsort beruft. Darüber hinaus wurde die Notwendigkeit einer Sonderregel für Notfallsituationen erläutert, für die aus Gründen des Verkehrsschutzes nur das Recht am Behandlungsort berufen werden sollte. Dargelegt wurde zudem, dass die Einwilligungsfähigkeit und das Volljährigkeitsalter analog Art. 7 Abs. 1 S. 1 EGBGB anzuknüpfen sind und sich eine gegenüber Art. 11 Abs. 1 EGBGB weitergehende Anknüpfung der Form der Patientenverfügung an das Heimatrecht des Betroffenen empfiehlt. Mit diesem Anknüpfungsgefüge gelingt ein überzeugender Interessenausgleich, wenn ein integrationswilliger Migrant seinen im Zeitpunkt der Errichtung der Patientenverfügung bestehenden gewöhnlichen Aufenthalt bis zum Eintritt der Hilfs- und Behandlungsbedürftigkeit aufrechterhält. Dann ist das auf die Patientenverfügung anwendbare Recht einschließlich etwaiger Rechtsänderungen für den Betroffenen mühelos zu ermitteln. Für die behandelnden Ärzte und andere Dritte ist das auf die Patientenverfügung anwendbare Recht vertraut und es werden Haftungskollisionen vermieden. Schließlich entspricht dem Interesse der am gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen tätig werdenden Behörden, dass bei der Einrichtung und für die Dauer einer Erwachsenenschutzmaßnahme aufwändige Fremdrechtsanwendungen entfallen. Entsprechende Erwägungen wurden auch im Rahmen einer Bewertung des Anknüpfungsgefüges des Art. 15 ESÜ für die Vorsorgevollmacht angestellt. 808 Weniger überzeugt das hier vorgeschlagene Anknüpfungsgefüge aber gegenüber einem Betroffenen, der sich nur zu Zwecken einer medizinischen Behandlung ins Ausland begibt, weil dann auf die Errichtung ein anderes Recht Anwendung findet als auf den Inhalt und die Wirkungen der Patientenverfügung. Im Übrigen verdeutlicht diese Fallkonstellation, dass das gefundene Anknüpfungsgefüge mit dem kollisionsrechtlichen Ideal des 808
Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 118 f.
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internen Entscheidungseinklangs und der Einfachheit der Rechtsanwendung nicht gut vereinbar ist, weil auf wesentliche Fragen der Patientenverfügung unterschiedliche Rechtsordnungen Anwendung finden. Diese Situation ist aus dem Internationalen Erbrecht bekannt, insbesondere, wenn es nicht – wie etwa das deutsche Recht – am System der Nachlasseinheit, sondern – wie etwa das französische Recht 809 – am System der Nachlassspaltung ausgerichtet ist. 810 Weitere Einbußen in der Einfachheit der Rechtsanwendung resultieren daraus, dass der gewöhnliche Aufenthalt u.a. mangels Stabilität für den Rechtsverkehr weniger leicht als die Staatsangehörigkeit zu bestimmen ist. Auch ein noch stark heimatverbundener Betroffener und ein Betroffener, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt oft verlegt, wird seine Interessen möglicherweise nicht hinreichend berücksichtigt sehen, weil die hier aufgezeigte objektive Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen von einer vermuteten Integration des Betroffenen in seinen Aufenthaltsstaat ausgeht. Im Interesse dieser Betroffenen erscheint es zweckmäßig, die objektive Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt durch die Einräumung einer Rechtswahlmöglichkeit zu ergänzen. Parallele Erwägungen wurden für die Zulassung einer erbrechtlichen Rechtswahl vorgebracht.811 Als Vorbild für eine Rechtswahl eignet sich Art. 15 Abs. 2 ESÜ, der für Bestehen, Umfang, Änderung und Beendigung der Vorsorgevollmacht die Möglichkeit einer limitierten Rechtswahl vorsieht. 2. Subjektive Anknüpfung: Patientenverfügung und Rechtswahl? Bevor untersucht wird, inwieweit die Interessen des Betroffenen eine Zulassung der Rechtswahl (professio iuris) gebieten und Verkehrsinteressen und staatliche Interessen dem entgegenstehen (b), wird die dogmatische Herleitung der Parteiautonomie im Überblick dargestellt (a).
809
Nach dem Grundsatz mobilia sequuntur personam gilt für die Vererbung von Mobilien das Recht am Wohnsitz des Erblassers und für die Vererbung von Immobilien g emäß Art. 3 Abs. 2 C.c. die lex rei sitae (Süß/Döbereiner, Erbrecht in Europa, S. 613). 810 Ausführlich zu den Vor- und Nachteilen der Systeme Nachlasseinheit und Nachlassspaltung etwa: Jud, GPR 2005, 133 (134 f.). Der Vorschlag für eine Verordnung über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen und öffentlichen Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses v. 14.10.2009 verwirklicht den Grundsatz der Nachlasseinheit (dazu KOM(2009) 154 endg., S. 6). 811 Etwa DNotI, Int. ErbR EU, S. 266 f.
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a) Dogmatische Herleitung der Parteiautonomie Die Parteiautonomie war bereits in der Antike als rechtliches Instrument bekannt.812 Im deutschen Internationalen Privatrecht ist die Parteiautonomie seit Langem Bestandteil des Internationalen Vertragsrechts: Das RG813 und der BGH814 haben die Parteiautonomie richterrechtlich anerkannt. 815 Seit der Reform des Internationalen Privatrechts aus dem Jahr 1986 ist die Anknüpfung an den Parteiwillen darüber hinaus auch im Bereich des Personalstatuts bekannt 816, wird aber im Unterschied zum Internationalen Vertragsrecht, wo sie jedenfalls im Grundsatz 817 frei ist (Art. 3 Rom I-VO), im Internationalen Familienrecht und im Internationalen Erbrecht an enge Voraussetzungen geknüpft, was mit den stärkeren öffentlichen Interessen auf diesen Gebieten begründet wird. 818 Wenngleich die Zulassung der Parteiautonomie jedenfalls im Internationalen Vertragsrecht schon lange Zeit nicht mehr ernsthaft in Streit steht, herrscht doch bis heute Uneinigkeit über die innere Rechtfertigung des Grundsatzes der Parteiautonomie. 819 Die Zulässigkeit der Rechtswahl wird einerseits kollisionsrechtlich andererseits materiellrechtlich hergeleitet, was begründet liegt in Divergenzen, die mit Blick auf das Verhältnis von Kollisionsrecht und Sachrecht bestehen. 820 Wer das Kollisionsrecht als räumliche Verlängerung materiellrechtlicher Wertungen begreift, wird zu einer materiellrechtlichen Rechtfertigung tendieren, wer demgegenüber von einer eigenständigen kollisionsrechtlichen Gerechtigkeit ausgeht, wird die Parteiautonomie kollisionsrechtlich begründen. 821 Die kollisionsrechtliche Perspektive sieht als inneren Grund für die Zulassung der Parteiautonomie das Vorliegen einer kollisionsrechtlichen Anknüpfungsverlegenheit an – so werde den Parteien die Anknüpfung im Internationalen Vertragsrecht nur deswegen übertragen, weil bei grenzüberschreitenden Verträgen ein Ausgleich der Parteiinteressen, die auf eine Vielzahl in Betracht kom-
812
Staudinger/Sturm/Sturm, Einl zum IPR Rn. 135. Etwa RGZ 9, 225 (227); 120, 70 (72). 814 Etwa BGHZ 7, 231 (234). 815 Kühne, in: Liber amicorum Kegel, S. 65 (66). 816 Art. 10 Abs. 2, 3 EGBGB (Art. 17b Abs. 2 S. 1 EGBGB) – Namensrecht; Art. 14 Abs. 2–4, 15 Abs. 2, 3 EGBGB – Eherecht; Art. 25 Abs. 2 EGBGB – Erbrecht. 817 Einschränkungen aber durch den Schutz der schwächeren Partei in Art. 6, 8 Rom IVO. 818 Kropholler, IPR, § 40 IV. 3. b); zur historischen Entwicklung näher: Rühl, Statut und Effizienz, S. 325 ff. 819 Dazu: Kühne, in: Liber amicorum Kegel, S. 65 (66 ff.); Leible, in: FS für Jayme, Bd. I, S. 485 (486 ff.). 820 Kühne, in: Liber amicorum Kegel, S. 65 (67). 821 Kühne, in: Liber amicorum Kegel, S. 65 (67). 813
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mender Anknüpfungspunkte hinweisen, nicht möglich sei. 822 Das Vorliegen einer Anknüpfungsverlegenheit wird damit zu Voraussetzung und Grenze der Rechtswahlmöglichkeit, die zugleich nicht mehr als Verlegenheitslösung ist, denn den Parteien soll die Möglichkeit der Rechtswahl nur eingeräumt werden, wenn verschiedene objektive Anknüpfungen gleichermaßen in Betracht kommen und es mit dem Parteiinteresse nicht in Einklang zu bringen ist, dass der Gesetzgeber sich für eine räumliche Verbindung entscheidet.823 Auch für das Internationale Erbrecht hat Gunther Kühne824 die Rechtswahl insbesondere als Möglichkeit zur Überwindung der Anknüpfungsverlegenheit, die aus dem Gleichgewicht der vorherrschenden erbrechtlichen Anknüpfungspunkte (Staatsangehörigkeit, Wohnsitz und Belegenheit) und Methoden (Nachlasseinheit oder Nachlassspaltung) resultiert, beschrieben. 825 Aus materiellrechtlicher Perspektive wird die Parteiautonomie als Verlängerung der Vertragsfreiheit in das Kollisionsrecht verstanden. 826 Hans Dölle827 hat die Zulässigkeit einer erbrechtlichen Rechtswahl aus dem allgemeinen Prinzip der höchstpersönlichen Freiheit sowie aus der Testierfreiheit als gesetzlicher Ausformung des allgemeinen Prinzips der Privatautonomie hergeleitet.828 Die Situation im Internationalen Erbrecht sei mit derjenigen im Internationalen Vertragsrecht vergleichbar, denn der Erblasser könne ebenso wie die Vertragsparteien am besten beurteilen, welche Rechtsordnung den eigenen Bedürfnissen entspricht. 829 Auch die Zulässigkeit einer Rechtswahl im Kontext der Patientenverfügung ließe sich darauf stützen, dass die Patientenautonomie eine gesetzliche Ausformung des allgemeinen Prinzips der Privatautonomie ist. Gegen die Herleitung Dölles wurde eingewandt, dass das materielle Erbrecht im Gegensatz zum materiellen Schuldvertragsrecht nicht maßgeblich vom Grundsatz der Privatautonomie, sondern von zwingenden Vorschriften geprägt sei. 830 Auch der 822
Kegel/Schurig, IPR, § 18 I 1. c); siehe die zusammenfassende Darstellung bei: Kühne, in: Liber amicorum Kegel, S. 65 (66 f.). 823 Leifeld, Anerkennungsprinzip, S. 15. 824 Kühne, Parteiautonomie im internat. Erbrecht, S. 56 ff.; ders., JZ 1973, 403 (404 ff.). 825 Kühne, Parteiautonomie im internat. Erbrecht, S. 63 ff.; ders., JZ 1973, 403 (404 f.); Staudinger/Dörner, Art. 25 EGBGB Rn. 496; Brandi, Haager Abkommen über das auf die Erbfolge anzuwendende Recht, S. 265. 826 Kühne, in: Liber amicorum Kegel, S. 65 (66 f.). 827 Dölle, RabelsZ 30 (1966), 205 ff. 828 Dölle, RabelsZ 30 (1966), 205 (222). 829 Dölle, RabelsZ 30 (1966), 205 (219); Herweg, Vereinheitlichung des Internat. Erbrechts, S. 85 f.; Dreher, Rechtswahl im internat. Erbrecht, S. 29, 32. 830 Müller, RabelsZ 31 (1967), 337 (339); Brandi, Haager Abkommen über das auf die Erbfolge anzuwendende Recht, S. 263.
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BGH831 hat sich im Jahr 1972 mit entsprechender Begründung gegen die Zulässigkeit der erbrechtlichen Rechtswahl ausgesprochen. Anders hat bekanntlich der Gesetzgeber im Zuge der Reform des Internationalen Privatrechts im Jahr 1986 entschieden, die erbrechtliche Rechtswahl aber in zweifacher Hinsicht beschränkt, nämlich auf in Deutschland belegenes unbewegliches Vermögen und die Wahl deutschen Rechts (Art. 25 Abs. 2 EGBGB). Die Möglichkeit einer gegenüber Art. 25 Abs. 2 EGBGB weitergehenden Rechtswahl sieht nun der am 14.10.2009 vorgestellte Entwurf einer Verordnung über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen und öffentlichen Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses832 vor. Nach Art. 17 Abs. 1 kann eine Person die Rechtsnachfolge in ihren gesamten Nachlass dem Recht des Staates unterwerfen, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt. Ausweislich der Begleitmaterialien ist die Vorschrift Ergebnis einer Abwägung zwischen den Vorteilen einer Rechtswahl, wie Rechtssicherheit und einfachere Nachlassplanung, einerseits und dem Schutz der Interessen der Angehörigen des Erblassers andererseits.833 Heute wird es zu Recht überwiegend als unbefriedigend empfunden, die Parteiautonomie bloß als „Anknüpfungsgehilfen des objektiven Kollisionsrechts“ zu rechtfertigen. 834 Die Parteiautonomie ist vielmehr kollisionsrechtlich und materiellrechtlich fundiert. 835 Parteiautonomie ist im Internationalen Privatrecht geboten, weil die Parteien damit das Recht zur Anwendung bringen können, das ihren Interessen am besten entspricht, womit zugleich ein Gewinn an Rechtssicherheit verbunden ist. 836 Die Parteiautonomie verwirklicht also neben der individuellen Gerechtigkeit auch internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit. 837 Letztlich entscheidend für die Zulassung der Parteiautonomie ist aber der Gedanke des Respekts vor der individuellen Entscheidung, der in der deutschen Rechtsordnung verwur831
BGH NJW 1972, 1001 (1003). KOM(2009) 154 endg.; dazu etwa: Röthel, Gutachten 68. DJT, A97 ff.; MPI, RabelsZ 74 (2010), S. 522 ff.; Dutta, RabelsZ 73 (2009), S. 547 ff.; Kindler, IPRax 2010, 44 ff. 833 KOM(2009) 154 endg., S. 7. 834 Flessner, Interessenjurisprudenz, S. 99; Schack, in: Liber amicorum Kegel, S. 179 (195); Kropholler, IPR, § 40 III. 2.; Basedow, RabelsZ 75 (2011), 32 f.; Staudinger/ Sturm/Sturm, Einl zum IPR Rn. 137; v. Bar/Mankowski, IPR, § 7 I. 6. c); siehe auch: Brandi, Haager Abkommen über das auf die Erbfolge anzuwendende Recht, S. 265; Leifeld, Anerkennungsprinzip, S. 16. 835 Kühne, in: Liber amicorum Kegel, S. 65 (81 f.). 836 Schack, in: Liber amicorum Kegel, S. 179 (195); Staudinger/Sturm/Sturm, Einl zum IPR Rn. 137. 837 Leible, in: FS für Jayme, Bd. I, S. 485 (487). 832
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zelt ist.838 Parteiautonomie ist vor diesem Hintergrund nicht nur Ausfluss nationaler Privatautonomie, sondern unmittelbarer Ausdruck des Respekts der Persönlichkeit des Einzelnen und Ausfluss eines überpositiven Autonomie- und Freiheitsgedankens. 839 Die Parteiautonomie ist damit allgemeines Anknüpfungsprinzip 840 und Beispiel für ein Kollisionsrecht, in dem sich auch materiellrechtliche Wertungen durchsetzen 841. Wenngleich die Gewährleistung von Parteiautonomie nach diesem Verständnis – anders als objektive Anknüpfungen – nicht rechtfertigungsbedürftig ist, erfährt sie Begrenzungen durch andere Interessen, etwa den Schutz von Drittinteressen oder überragenden Allgemeininteressen.842 b) Interessenlage und Patientenverfügung Die Frage nach der Zulässigkeit, dem Umfang und der Art und Weise der Rechtswahl berührt im Kontext der Patientenverfügung die Interessen des Betroffenen sowie Verkehrsinteressen und Ordnungs- und Forumsinteressen. Bereits in der vorangehenden Untersuchung wurde deutlich, dass ein Spannungsverhältnis zwischen den Interessen des Betroffenen und den Interessen der behandelnden Ärzte besteht, was nun auch mit Blick auf Zulassung und Ausgestaltung der Parteiautonomie zu untersuchen sein wird. aa) Interessen des Betroffenen Auch wenn ein anerkennenswertes Interesse der Parteien an der Geltung der gewählten Rechtsordnung nicht erforderlich ist, lohnt eine Untersuchung der Interessen des Betroffenen insbesondere mit Blick auf den Umfang und die Art und Weise der Rechtswahl. Die Einräumung einer Rechtswahlmöglichkeit bedeutet für den Betroffenen zusätzliche Rechts- und Planungssicherheit, weil er bereits vor Eintritt der Hilfsbedürftigkeit das später maßgebende Patientenverfügungsstatut fixieren kann. Dies ist für ihn deswegen so bedeutend, weil anders als im Internationalen Schuldvertragsrecht eine Korrektur des Parteiwillens nach Eintritt der Hilfsbedürftigkeit nicht mehr möglich ist – darin ähneln die Interessen des Betroffenen denen des Erblassers und des Vollmachtge838
Leible, in: FS für Jayme, Bd. I, S. 485 (488). Jayme, RdC 251 (1995), 9 (147 ff.); Flessner, Interessenjurisprudenz, S. 99 f.; Leible, in: FS für Jayme, Bd. I, S. 485 (488, 503); zustimmend: Kropholler, IPR, § 40 III. 2.; zusammenfassend: Leifeld, Anerkennungsprinzip, S. 16. 840 Leible, in: FS für Jayme, Bd. I, S. 485 (488, 503); v. Bar/Mankowski, IPR, § 7 I. 6. c). 841 Kropholler, IPR, § 40 III. 2. 842 Leible, in: FS für Jayme, Bd. I, S. 485 (503); Schack, in: Liber amicorum Kegel, S. 179 (195 f.); Kropholler, IPR, § 40 III. 2., IV.; v. Bar/Mankowski, IPR, § 7 I. 6. c); Leifeld, Anerkennungsprinzip, S. 16. 839
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bers bei der Vorsorgevollmacht 843. Daneben können durch eine Rechtswahl Rechtsermittlungskosten gespart werden, weil ein vertrautes Recht zur Anwendung gebracht werden kann. 844 Außerdem bedeutet die Rechtswahl eine Stärkung des Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen, weil sie ihm Freiheit zur Gestaltung eröffnet. 845 So kann mit einer Rechtswahl dem aus dem Auslandsbezug resultierenden kollisionsrechtlichen Interesse an der Wahl einer bestimmten Rechtsordnung entsprochen werden, das losgelöst von der genauen Kenntnis des materiellen Rechts aus einem allgemeinen Vertrauen in eine bestimmte Rechtsordnung oder aus einer engen Verbindung mit einer bestimmten Rechtsordnung resultieren kann. 846 Zurückzuführen ist ein solches Interesse auch darauf, dass die mit Generalisierungen arbeitende objektive Anknüpfung nicht gewährleisten kann, dass im Einzelfall ein Recht berufen wird, das den Identitätsinteressen des Betroffenen tatsächlich entspricht. Zu denken ist etwa an die in Deutschland lebende erste Generation der Gastarbeiter, die trotz besserer Kenntnis des deutschen Aufenthaltsrechts unter Umständen immer noch ein Interesse an der Anwendung des Heimatrechts hat. 847 Voraussetzung dafür wäre aber, dass die Rechtswahl des Betroffenen auch von allen anderen Rechtsordnungen akzeptiert wird.848 Im Kontext der Patientenverfügung sollte auf die Zulassung einer freien Rechtswahl, mit der ohne Rücksicht auf das Bestehen einer engen Verbindung jede der weltweit existenten Rechtsordnungen zur Anwendung gebracht werden könnte, verzichtet werden. Denn der Betroffene würde infolge einer freien Rechtswahl gegenüber Inlandsfällen unangemessen privilegiert, weil ihm nur aufgrund der Auslandsberührung die Wahl eines materiellen Rechts offen stünde, mit dem er seine Vorstellungen von einer angemessenen medizinischen Versorgung im Zustand der Hilfsbedürftigkeit am besten verwirklichen kann. Allein der Auslandsbezug vermag einen solchen Zuwachs an materieller Gestaltungsmacht aber – ebenso wie
843
Für das Internationale Erbrecht: Brandi, Haager Abkommen über das auf die Erbfolge anzuwendende Recht, S. 266 f. m.w.N.; zum Aspekt der Vorhersehbarkeit im Kontext der Vorsorgevollmacht: Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 122. 844 v. Bar/Mankowski, IPR, § 7 I. 6. c). 845 v. Bar/Mankowski, IPR, § 7 I. 6. c); für den Vollmachtgeber: Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 175. 846 Flessner, Interessenjurisprudenz, S. 55; für das Internationale Erbrecht: Brandi, Haager Abkommen über das auf die Erbfolge anzuwendende Recht, S. 267 f.; ähnlich auch: Einsele, RabelsZ 60 (1996), 417 (418). 847 Zur umgekehrten Konstellation der zweiten und dritten Gastarbeitergeneration mit Blick auf das Internationale Erbrecht: Brandi, Haager Abkommen über das auf die Erbfolge anzuwendende Recht, S. 267 f. 848 Für die erbrechtliche Rechtswahl: DNotI, Int. ErbR EU, S. 265.
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im Internationalen Erbrecht 849 – nicht zu rechtfertigen. Dies ergibt sich auch daraus, dass anders als im Internationalen Schuldvertragsrecht, in dem sich die Parteien auf das anwendbare Recht einigen und sie möglicherweise ein Interesse an der Anwendung einer „neutralen“ Rechtsordnung haben, die von der Rechtswahl betroffene Fürsorgeperson und der behandelnde Arzt bei der Patientenverfügung nicht in die Wahl des anwendbaren Rechts einbezogen sind. In Betracht kommt eine Limitierung der Rechtswahl nach dem Vorbild von Art. 15 Abs. 2 ESÜ. Danach kann für die Vorsorgevollmacht das Recht eines Staates, dem der Erwachsene angehört, das Recht des Staates eines früheren gewöhnlichen Aufenthalts des Erwachsenen und das Recht des Staates, in dem sich Vermögen des Erwachsenen befindet, jedoch nur hinsichtlich dieses Vermögens, gewählt werden. Auch im Kontext der Patientenverfügung sollte aus Sicht des Betroffenen jedenfalls sein Heimatrecht wählbar sein, weil er mit diesem unter Umständen immer noch stark verwurzelt ist. Erweitern ließe sich der Kreis der wählbaren Rechtsordnungen um das Recht des Staates eines früheren gewöhnlichen Aufenthalts. Weil mit der Beendigung des Aufenthalts das hinter dem Aufenthaltsrecht stehende Integrationsinteresse nachlässt, empfiehlt sich die Wahl eines früheren Aufenthaltsrechts allerdings weniger eindeutig als die Wahl des Heimatrechts.850 Als maßgeblicher Zeitpunkt zur Bestimmung des anwendbaren Rechts böte sich aus Sicht des Betroffenen sowohl der Zeitpunkt der Rechtswahl als auch der Eintritt der Hilfsbedürftigkeit an. Der Zeitpunkt der Rechtswahl würde die Planungen des Betroffenen erheblich erleichtern und damit seinem Interesse an Rechtssicherheit entsprechen.851 Der Zeitpunkt des Eintritts der Hilfsbedürftigkeit widerspräche demgegenüber der Planungssicherheit, weil Gewissheit über die Wirksamkeit der Rechtswahl dann erst zu einem Zeitpunkt erreicht würde, in dem der Betroffene keine Korrekturen mehr vornehmen kann. 852 Andererseits würde eine Wahl des Aufenthaltsrechts zum Zeitpunkt des Eintritts der Hilfsbedürftigkeit sicherstellen, dass der Betroffene im Vorgriff auf einen bevorstehenden Aufenthaltswechsel das Recht zum Patientenverfügungsstatut machen kann, dessen Regeln erst zu einem späteren Zeitpunkt Geltung beanspruchen werden. 853
849 Dazu: Röthel, Gutachten 68. DJT, A103 f.; in diese Richtung auch: Jud, GPR 2005, 133 (137). 850 Ebenso für die erbrechtliche Rechtswahl: Röthel, Gutachten 68. DJT, A104 f. 851 Für die erbrechtliche Rechtswahl: Jud, GPR 2005, 133 (136). 852 Für die erbrechtliche Rechtswahl ähnlich: Brandi, Haager Abkommen über das auf die Erbfolge anzuwendende Recht, S. 294. 853 Für die erbrechtliche Rechtswahl: DNotI, Int. ErbR EU, S. 266.
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Angesichts der mitunter existenziellen Bedeutung der Patientenverfügung für das Schicksal des einwilligungsunfähigen Betroffenen muss die Rechtswahl Ausdruck einer hinreichend bedachten Entscheidung sein. Gleiches wird unter Hinweis auf die Bedeutung der Rechtswahl für die Nachlassplanung des Erblassers für die erbrechtliche Rechtswahl befürwortet.854 Eine hinreichend bedachte Entscheidung kann gewährleistet werden durch formelle Wirksamkeitsvoraussetzungen, wie sie auch das materielle Recht für die Patientenverfügung vorsieht. Eine Rechtswahl sollte demzufolge dem Erfordernis der Schriftlichkeit unterliegen. Parallel dazu wird im Internationalen Erbrecht vorgeschlagen, die Ausübung der Rechtswahl an dieselben Voraussetzungen zu knüpfen wie die Ausübung erbrechtlicher Privatautonomie. 855 Darüber hinaus bietet sich das Erfordernis einer ausdrücklichen Erklärung an, wie es Art. 15 Abs. 2 ESÜ und nun auch Art. 17 Abs. 2 des Vorschlags für eine Europäische Erbrechtsverordnung vorsehen. Dieses materielle Gültigkeitserfordernis vermeidet nicht nur jegliche Rechtsunsicherheit in Bezug auf die Patientenverfügung, sondern dient, wie auch das Erfordernis der Schriftlichkeit, dem Schutz des Betroffenen vor Übereilung. 856 Ein praktisches Bedürfnis für die Zulassung einer konkludenten Rechtswahl steht dem – anders als im Internationalen Schuldvertragsrecht – nicht entgegen. 857 Eine inhaltliche Beschränkung der Rechtswahl, wie sie auch Art. 15 Abs. 2 ESÜ für die Vorsorgevollmacht (Beschränkung auf den Anwendungsbereich des Art. 15 Abs. 1 ESÜ) vorsieht, widerspräche als Einschränkung des Gestaltungsspielraums dem Parteiinteresse. Zu überlegen ist aber, ob sie nicht aus Verkehrs-, Ordnungs- und Forumsinteressen geboten ist. bb) Sonstige Interessen Grundsätzlich gilt, dass eine professio iuris nicht ernsthaft in Betracht kommt, wenn Interessen der Allgemeinheit oder Interessen Dritter verletzt sind858, diese Interessen aber jedenfalls einer unbegrenzten Rechtswahlfreiheit entgegenstehen können. 859 Für den Rechtsverkehr, insbesondere für die bestellte Fürsorgeperson und für die behandelnden Ärzte, stellt sich praktisch das Problem der Er854
Röthel, Gutachten 68. DJT, A105; allgemein zu Formerfordernissen bei der Rechtswahl: Kropholler, IPR, § 40 IV. 4. 855 Röthel, Gutachten 68. DJT, A105. 856 Für die Vorsorgevollmacht: Füllemann, IPR und IZPR des Erwachsenenschutzes, S. 182. 857 Für die erbrechtliche Rechtswahl: Röthel, Gutachten 68. DJT, A105 f. 858 v. Bar/Mankowski, IPR, § 7 I. 6. c). 859 Leible, in: FS für Jayme, Bd. I, S. 485 (488).
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kennbarkeit einer Rechtswahl. Sie haben deswegen ein Interesse daran, dass eine getroffene Rechtswahl nach außen manifestiert wird. 860 Dem Informationsbedürfnis hinsichtlich des anwendbaren Rechts könnte möglicherweise durch eine Regelung nach Vorbild des Art. 14 des Haager Stellvertretungsabkommens Genüge getan werden. 861 Art. 14 bestimmt, dass eine Einigung zwischen Vollmachtgeber und Drittem über das auf die Vollmacht anwendbare Recht der schriftlichen Erklärung durch einen Teil und der ausdrücklichen Annahme des anderen Teils bedarf. Das ESÜ hat dieses System für die Vorsorgevollmacht nicht übernommen, sondern sieht eine einseitige Rechtswahl vor (Art. 15 Abs. 2 ESÜ). Grund dafür ist, dass bei Vorsorgevollmachten, die für eine Vertretung in sämtlichen Angelegenheiten erteilt werden, die künftigen Geschäftspartner zunächst nicht feststehen und eine Einigung über das anwendbare Recht daher nur schwer möglich ist.862 Steht nach Eintritt der Hilfsbedürftigkeit die Person des Geschäftspartners fest, ist der Vollmachtgeber mangels Geschäftsfähigkeit regelmäßig nicht mehr imstande, eine Vereinbarung zu schließen. 863 Da die Problematik aus dem Charakter der Vorsorgevollmacht als Vorsorgeverfügung folgt, stellt sie sich gleichermaßen für die Patientenverfügung. Dem Informationsbedürfnis der Fürsorgeperson und der behandelnden Ärzte würde aber durch besondere Wirksamkeitserfordernisse betreffend die Erklärung der Rechtswahl ausreichend Genüge getan. Empfehlen würde sich abermals das Erfordernis einer schriftlichen ausdrücklichen Erklärung. Der Frage nach der Art und Weise der Rechtswahl vorgelagert ist die Frage nach der Zulassung einer Rechtswahl. Zu überlegen ist, ob die Rechtswahl das Interesse der behandelnden Ärzte an der Anwendung einer Rechtsordnung, die sie keinen Haftungsrisiken aussetzt, beeinträchtigen würde. Durch die Zulassung der Rechtswahl könnten sich neben einer Überraschungsgefahr besondere Haftungsrisiken ergeben, etwa aufgrund eines unkoordinierten Nebeneinanders von Internationalem Privatrecht und dem vom Territorialitätsprinzip geprägten Internationalen Strafrecht. Bei der Abwägung dieses Interesse gegen das Planungsbedürfnis des Betroffenen sind zwei Konstellationen voneinander zu unterscheiden. Trifft der Betroffene die Rechtswahl zugunsten eines Rechts, das restriktivere Sterbehilferegelungen als die deutsche Rechtsordnung aufstellt, werden die Schutzinteressen der behandelnden Ärzte durch die Rechtswahl ebenso wenig berührt wie bei identischen Sterbehilferegelungen. Denkbar ist aber auch, dass der Betroffene ein Recht wählt, das wesentlich weitergehende 860
So allgemein zu den Interessen Dritter: Kropholler, IPR, § 40 IV. 2. Für die Vorsorgevollmacht diskutiert von: Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 123 f. 862 Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 123. 863 Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 123 f. 861
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Anordnungen erlaubt als das deutsche Recht, etwa dass ein belgischer Staatsangehöriger mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland sein Heimatrecht wählt. Dann stellt sich die Frage, ob mit dieser Rechtswahl auch die zwingenden Vorschriften der §§ 211 ff. StGB i.V. mit § 134 BGB des objektiv zur Anwendung berufenen deutschen Rechts ausgeschaltet werden können, was auch im Widerspruch zu Forumsinteressen stünde. Das aus dem Internationalen Erbrecht bekannte Problem der Umgehung des verfassungsrechtlich geschützten deutschen Pflichtteilsrechts zum Nachteil der Erben864 ist mit der Situation bei der Patientenverfügung nicht vergleichbar. Denn anders als beim deutschen Pflichtteilsrecht handelt es sich bei den Vorschriften der §§ 211 ff. StGB i.V. mit § 134 BGB nicht um einfach zwingende Vorschriften, sondern um international zwingende Vorschriften. Während einfach zwingende Vorschriften zwar der sachrechtlichen, nicht aber der internationalprivatrechtlichen Parteiautonomie entzogen sind, setzen sich international zwingende Vorschriften auch gegen eine Rechtswahl durch, denn aus dem diesen Vorschriften im Ausgangspunkt zugrunde liegenden Prinzip der Einheit der Rechtsordnung ergibt sich, dass sich das öffentlich-rechtliche Einseitigkeitsprinzip auch im privatrechtlichen Verweisungsrecht durchsetzt. 865 Der in § 134 BGB verankerte Rechtsgedanke kommt bei einem Inlandsbezug also sachlich immer zum Zuge, wenn die Patientenverfügung gegen ein deutsches gesetzliches Verbot verstößt; nach welchem Recht sich die Patientenverfügung im Übrigen richtet und aufgrund welcher Kollisionsnorm sich die Anwendbarkeit dieser Rechtsordnung ergibt, ist demgegenüber unerheblich. 866 Infolge dessen geraten auch die Schutzinteressen der Ärzte nicht in Konflikt zu dem Interesse des Betroffenen an der Anwendung einer ihm nahestehenden Rechtsordnung. Dies verdeutlicht auch das zuvor genannte Beispiel eines belgischen Staatsangehörigen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, der für die Patientenverfügung sein belgisches Heimatrecht wählt. Die inhaltliche Wirksamkeit der Patientenverfügung würde sich auch für das Zivilrecht nicht aus dem belgischen Recht ergeben, sondern unterläge ebenso wie die strafrechtliche Verantwortlichkeit dem deutschen Recht.
864
Der BGH (NJW 1972, 1001 [1003]) hat im Jahr 1972 gegen die Zulässigkeit der erbrechtlichen Rechtswahl ausgeführt: „Sie würde bei sonst anwendbarem deutschen Recht zu einer Ausschaltung der zwingenden Vorschriften des Pflichtteilsrechts führen, ohne daß auf der anderen Seite hinreichende Sachgründe ersichtlich wären, die es als ein dringendes Bedürfnis erschienen ließen, die Rechtswahl im deutschen Erbrecht vo r internationaler Anerkennung dieses Instituts zuzulassen. Die Anerkennung ihrer Zulassung ist nach Ansicht des Senats eine ausschließlich rechtspolitische Frage…“ 865 Basedow, RabelsZ 75 (2011), 32 (45 f.); v. Bar/Mankowski, IPR, § 4 III. 3. b); MünchKommBGB/Martiny, Art. 9 Rom I-VO Rn. 8. 866 Vgl. v. Bar/Mankowski, IPR, § 4 III. 3. b).
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Zu überlegen bleibt aber, ob Fälle denkbar sind, in denen sich die als Eingriffsnormen qualifizierten deutschen Sachnormen wegen fehlenden oder unzureichenden Inlandsbezugs nicht gegen zur Anwendung berufenes ausländisches Recht durchsetzen. Dies ist zu verneinen. Denn durch die Koppelung des Inlandsbezugs an den räumlichen Anwendungsbereich des § 3 StGB wird garantiert, dass sich die international zwingenden Normen der §§ 211 ff. StGB i.V. mit § 134 BGB bei einer Behandlung in Deutschland stets gegen liberaleres ausländisches Sterbehilferecht durchsetzen. Dies gilt auch mit Blick auf die stetig zunehmende Anzahl von Fällen, in denen Ausländer nur für einen medizinischen Eingriff eine deutsche Spezialklinik aufsuchen. Haftungsrisiken sprechen also aus ärztlicher Sicht nicht gegen eine Rechtswahl. Aus ärztlicher Sicht spricht gegen eine einseitige Rechtswahl des Betroffenen aber, dass sie eine zusätzliche Belastung der ärztlichen Tätigkeit bedeutete, weil trotz des in der Behandlungssituation bestehenden Zeitdrucks umfangreiche Prüfungen eines möglicherweise nur schwer zu ermittelnden ausländischen Rechts angestrengt werden müssten. Ein Ausweg könnten Beschränkungen der Rechtswahl sein. Zum einen ist eine auf die Wahl deutschen Rechts begrenzte Wahlmöglichkeit denkbar, wie sie etwa der im Zuge der Reform des Internationalen Privatrechts aus dem Jahre 1986 ins EGBGB eingefügte Art. 25 Abs. 2 vorsieht. Eine auf die Wahl deutschen Rechts begrenzte Rechtswahl erlangte im Kontext der Patientenverfügung allerdings von vorneherein nur in den Fällen praktische Bedeutung, in denen die objektive Anknüpfung nicht ohnehin zur Anwendung deutschen Rechts führt. Überdies spricht gegen eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des deutschen Rechts, dass sie regelwidrig ist.867 Als Alternative bietet sich eine Beschränkung des Anknüpfungsgegenstandes an. Denkbar ist eine auf die Voraussetzungen der Errichtung limitierte Rechtswahl. Auf diese Weise könnte ein Ausgleich zwischen den Interessen des Betroffenen und denen der behandelnden Ärzte erreicht werden. Zum Schutz der behandelnden Ärzte sollte der Kreis der wählbaren Rechtsordnungen außerdem eng gefasst werden und auf solche Rechtsordnungen beschränkt werden, mit denen der Sachverhalt eine enge Verbindung besitzt. Dem Kontinuitätsinteresse des Betroffenen kann, wie bereits erläutert868, im Einzelfall die Wahl des Heimatrechts entsprechen. Ein praktisches Bedürfnis für die Wahl eines früheren Heimatrechts besteht demgegenüber nicht, weil mit der Aufgabe der Staatsangehörigkeit auch das Kontinuitätsinteresse schwindet. Schließlich stellt sich die Frage der Manipulation der Rechtswahlbeschränkung. Dass Betroffene sich im Kontext der Patientenverfügung auch 867 868
Staudinger/Dörner, Art. 25 EGBGB Rn. 500. Dazu oben Kapitel 2 § 2 C. I. 2. a) aa).
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von inhaltlichen Erwägungen leiten lassen werden, sobald eine Wahlmöglichkeit besteht, ist wahrscheinlich. 869 Andererseits eröffnet nicht erst die Rechtswahl Wahlmöglichkeiten, sondern unter Umständen bereits die objektive Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt und an den Behandlungsort. Je nach Ausgestaltung der objektiven Anknüpfung könnte ein Betroffener eine missliebige Regelung immerhin allein dadurch vermeiden, dass er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einen Staat mit wesentlich liberaleren Vorschriften verlegt und diesen Aufenthalt bis zum Eintritt der Hilfs- und Behandlungsbedürftigkeit beibehält. 870 Zum Erfolg führte dies bei ausländischen Staatsangehörigen natürlich nur, wenn auch das dortige Recht die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt kennt. Nicht mit Erfolg gegen die Zulassung der Rechtswahl kann auch eingewandt werden, dass viele Rechtsordnungen die Patientenverfügung (noch) nicht kennen. Eine Beschränkung der Rechtswahlmöglichkeit auf diejenigen Rechtsordnungen, die die Patientenverfügung oder aber vergleichbare Rechtsinstrumente bereits anerkennen 871, erscheint nicht praktikabel, weil dem Betroffenen und dem Rechtsverkehr mit einer solchen Beschränkung erhebliche juristische Prüfungen abverlangt würden. c) Ausgestaltung der Rechtswahl Als Zwischenergebnis bleibt festzuhalten, dass mit einer Rechtswahl dem Interesse des Betroffenen an der Anwendung einer Rechtsordnung, die ihm tatsächlich nahe steht, ebenso Genüge getan werden kann wie seinem Interesse an Rechtssicherheit. Der enge Bezug der Patientenverfügung zum Strafrecht sollte kein Grund für eine Ablehnung der Rechtswahl sein. Zum einen setzen sich die strafrechtlichen Vorschriften am Behandlungsort wegen ihres international zwingenden Charakters ohnehin gegen das zur Anwendung berufene ausländische Recht durch, zum anderen kann dem im Kontext der Patientenverfügung nachvollziehbar starken Interesse der behandelnden Ärzte an der Vermeidung von Haftungsrisiken und an der Anwendung des Rechts am Behandlungsort dadurch ausreichend Genüge getan werden, dass die Rechtswahl inhaltlich beschränkt wird auf die Gültigkeit der Patientenverfügung. Dies hat zwar gewisse Unsicherheiten in der Rechtsanwendung zur Folge, ist aber gegenüber einer völligen Versagung der Rechtswahl das mildere Mittel. Auch sollte der Kreis der wählbaren Rechtsordnungen beschränkt werden auf das Heimatrecht des Betroffenen. Die Wählbarkeit des Heimatrechts genügt dem Kontinuitätsinteresse des Betroffenen, was auch deswe869
Für den Erblasser: Herweg, Vereinheitlichung des Internat. Erbrechts, S. 87. Für die erbrechtliche Rechtswahl: DNotI, Int. ErbR EU, S. 269. 871 Für den PACS angedacht von: Frucht, PACS im französ. und deutschen IPR, S. 89. 870
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gen geboten ist, weil die objektive Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt von einer vermuteten Integration des Betroffenen in seine Rechtsumwelt ausgeht.872 Die Wahl des Heimatrechts entspricht zudem den Interessen derjenigen Betroffenen, die nur vorübergehend im Ausland leben.873 Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte die Wahlmöglichkeit auf den Zeitpunkt der Rechtswahl begrenzt werden. Zur Gewährleistung einer hinreichend bedachten Entscheidung des Betroffenen und zum Schutz des Rechtsverkehrs sollte die Rechtswahl unter das Erfordernis der Schriftlichkeit und Ausdrücklichkeit gestellt werden. Angesichts der kulturellen und ethischen Einbettung der Patientenverfügung in die jeweilige nationale Rechtsordnung ist nicht auszuschließen, dass der nationale ordre public (Art. 6 EGBGB) die Anwendbarkeit des gewählten fremden Rechts im Einzelfall begrenzt.874 Von der Rechtswahl zu unterscheiden ist die inhaltliche Gestaltung der Patientenverfügung nach fremdem Recht. Dem Betroffenen bleibt es auch jenseits der Zulassung der Rechtswahl unbenommen, sich bei der näheren inhaltlichen Ausgestaltung seiner Patientenverfügung der Rechtsinstitute einer mit Blick auf die Patientenverfügung statutfremden Rechtsordnung zu bedienen und für unterschiedliche Staaten abweichende Patientenverfügungen zu errichten.875 3. Ordre public und Patientenverfügung Kommt nach dem für die Patientenverfügung entwickelten Anknüpfungsgefüge auf einen Sachverhalt ausländisches Recht zur Anwendung, hat das deutsche Gericht dies so anzuwenden, wie dies auch ein ausländisches Gericht tun würde.876 Nach Ermittlung des Rechtsanwendungsergebnisses nach den maßgeblichen ausländischen Vorschriften erfolgt im letzten Schritt eine Ergebniskontrolle anhand des ordre public (unten a). Aus deutscher Sicht sind im Zusammenhang mit Patientenverfügungen insbesondere Grundrechtsfragen angesprochen (unten b).
872
Für die erbrechtliche Rechtswahl: Dörner/Hertel/Lagarde/Riering, IPRax 2005, 1
(5).
873
Für die erbrechtliche Rechtswahl: Dörner/Hertel/Lagarde/Riering, IPRax 2005, 1
(5).
874
Darauf weist auch Jayme, in: FS für Spellenberg, S. 203 (206) hin. Für das österreichische Recht: Pesendorfer/Traar, iFamZ 2008, 367 (370); zum Internationalen Erbrecht: MünchKommBGB/Birk, Art. 25 EGBGB Rn. 31; Staudinger/Dörner, Art. 25 EGBGB Rn. 505. 876 BGH NJW 2003, 2685; MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 627; Erman/Hohloch, Einl Art. 3–47 EGBGB Rn. 61. 875
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a) Grundsätze Die internationalprivatrechtliche Methode, die mittels einer Kollisionsnorm das anwendbare Recht bestimmt, hat Leo Raape anschaulich als „Sprung ins Dunkle“877 bezeichnet.878 Die Rechtsordnung federt diesen Sprung durch die ungeschriebenen Instrumente Anpassung bzw. Angleichung879 sowie durch den in Art. 6 EGBGB geregelten ordre public ab und trägt auf diese Weise materiellrechtlichen Wertungen und Gerechtigkeitserwägungen Rechnung. 880 Gemäß Art. 6 EGBGB ist eine Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, insbesondere mit den Grundrechten offensichtlich unvereinbar ist. Die Funktion dieses ordre public besteht also in der Ausschließung eigentlich anwendbarer fremder Normen, wenn ihre Anwendung im konkreten Einzelfall als unerträglich empfunden wird (negative Funktion). 881 Davon zu unterscheiden ist die bereits an anderer Stelle 882 thematisierte positive Funktion des ordre public, die die Anwendung einer nach den Verweisungsnormen des Internationalen Privatrechts nicht zur Anwendung berufenen inländischen Vorschrift im Sinne eines „Verweisungsersatzes“ bewirkt. 883 Der BGH884 hat zum negativen ordre public ausgeführt, das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts müsse zu den Grundgedanken der deutschen Regelung und den darin liegenden Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch stehen, dass es von uns für untragbar gehalten wird. Im Spanier-Beschluss885, der als „wohl wichtigste deutsche Entscheidung zum IPR im 20. Jahrhundert“886 bezeichnet wurde, hat das BVerfG hinzugefügt, der ordre public diene auch und vor allem der Durchsetzung der Grundrechte der deutschen Verfassung – ordre public als „‘Einbruchstelle‘ der Grundrechte in das Internationale Privatrecht“ 887. Diesen Vorgaben hat der Gesetzgeber im Rahmen der Reform des Interna877
Raape, IPR, § 13 I. Staudinger/Blumenwitz, Art. 6 EGBGB Rn. 6. 879 Dazu etwa: Looschelders, Die Anpassung im IPR; v. Bar/Mankowski, IPR, § 7 VII.; Kropholler, IPR, § 34; MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 581 ff. 880 S. Lorenz, in: FS für Geimer, S. 555 (556); Kropholler, IPR, § 4 III. 881 Kropholler, IPR, § 36 I. 882 Dazu bereits oben Kapitel 2 § 2 B. II. 1. b) (aa). 883 Kuckein, Die ‚Berücksichtigung‘ von Eingriffsnormen, S. 55; MünchKommBGB/ Sonnenberger, Art. 6 EGBGB Rn. 3 ff.; Kropholler, IPR, § 36 I.; Kegel/Schurig, IPR, § 16 I.; Schurig, Kollisionsnorm, S. 248 ff.; Rauscher, IPR, § 6 C. I., IV. 884 Noch zu Art. 30 EGBGB a.F.: BGHZ 39, 173 (176); 50, 370 (375 f.); 54, 123 (130); 54, 132 (140); 56, 180 (191). Zu Art. 6 EGBGB etwa: BGHZ 104, 240 (243 f.). 885 BVerfGE 31, 58 (70 ff.). 886 v. Bar/Mankowski, IPR, § 4 II. 2. a). 887 BVerfGE 31, 58 (86) mit Verweis auf BVerfGE 7, 198 (206). 878
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tionalen Privatrechts im Jahr 1986 durch Art. 6 S. 2 EGBGB Genüge getan und im Gesetzgebungsverfahren betont, dass Grundrechte i.S. des Art. 6 S. 2 EGBGB nicht nur die Grundrechte des Grundgesetzes, sondern auch die der Länderverfassungen sowie der EMRK sind. 888 aa) Voraussetzungen Das Eingreifen von Art. 6 EGBGB setzt voraus, dass die Anwendung einer ausländischen Rechtsnorm zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Eine offensichtliche Unvereinbarkeit setzt einen eklatanten Widerspruch des Ergebnisses gegen die genannten Maßstäbe voraus. 889 Nicht jede Rechtsanwendung, die bei einem reinen Inlandsfall grundrechtswidrig wäre, widerspricht der deutschen öffentlichen Ordnung offensichtlich. 890 Das BVerfG hat im Spanier-Beschluss 891 darauf hingewiesen, dass eine differenzierende Anwendung der Grundrechte nötig ist und der Verfassunggeber selbst bei der Ausprägung der Grundrechte zwischen Deutschen und Nichtdeutschen unterschieden hat.892 Erforderlich ist außerdem eine gewisse Inlandsbeziehung des Falles, also eine Mindestbeziehung zum eigenen Rechtsgebiet. Paul Heinrich Neuhaus893 hat formuliert, dass ohne das Erfordernis der Inlandsbeziehung die Nichtanwendung des ausländischen Rechts zu einer abstrakten Beurteilung seines Inhalts würde. An anderer Stelle wurde dargelegt, dass der Respekt vor einer fremden Rechtsordnung und der Gedanke der Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen es verbiete, ausländischen Lebenssachverhalten ungeachtet eines Inlandsbezuges inländische Gerechtigkeitsvorstellungen aufzuoktroyieren.894 Der Grad der erforderlichen Inlandsbeziehung kann nach h.M. nicht absolut bestimmt werden, sondern steht in Abhängigkeit zu der Stärke des Verstoßes gegen inländische Gerechtigkeitsvorstellungen, was bedeutet, dass je stärker die Inlandsbeziehung im konkreten Einzelfall ist, desto weniger werden fremdartige Resultate hingenommen, und je geringer die Beziehung ist, desto befremdender muss das Resultat der Anwendung einer ausländischen Regelung sein, damit Art. 6 EGBGB ein888
BT-Drs. 10/504, S. 42 ff.; Rauscher, IPR, § 6 C. II. 2. b); kritisch: MünchKommBGB/Sonnenberger, Art. 6 EGBGB Rn. 47 m.w.N. 889 Staudinger/Blumenwitz, Art. 6 EGBGB Rn. 151. 890 BT-Drs. 10/504, S. 44; Kropholler, IPR, § 36 IV. 1. 891 BVerfGE 31, 58 (77). 892 Kropholler, IPR, § 36 IV. 1. 893 Neuhaus, Grundbegriffe, § 49 I. 2; im Anschluss daran: Kropholler, IPR, § 36 II. 2. 894 Bamberger/Roth/S. Lorenz, Art. 6 EGBGB Rn. 16; Kropholler, IPR, § 36 II. 3.; Kegel/Schurig, IPR, § 16 I., II.; Rauscher, IPR, § 6 C. II. 3.
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greift.895 Auch wenn die Mindestbeziehung von Fall zu Fall differiert, handelt es sich bei den Bezugspunkten für eine Inlandsbeziehung regelmäßig um Sachverhaltselemente, die auch als Anknüpfungspunkte Anwendung finden.896 Die erforderliche Inlandsbeziehung ist regelmäßig, aber nicht zwingend bei einem inländischen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt sowie bei deutscher Staatsangehörigkeit gegeben. 897 In zeitlicher Hinsicht ist erforderlich, dass die maßgebliche Inlandsbeziehung im Zeitpunkt der gerichtlichen Beurteilung bzw. Entscheidung (noch) besteht. 898 Die Anknüpfung einer Vorfrage mittels einer untragbaren Norm oder die untragbare Lösung einer Vorfrage soll nach h.M. immer noch zu einem tragbaren Ergebnis des Falles führen können – allgemeingültige Lösungen soll es insofern nicht geben.899 bb) Rechtsfolgen Für den Fall, dass der deutsche ordre public die Anwendung ausländischen Rechts abwehrt, ergibt sich aus Art. 6 EGBGB als Rechtsfolge nur die Nichtanwendung der jeweiligen ordre public-widrigen ausländischen Bestimmung. Wie die Lücke konkret auszufüllen ist, sagt das Gesetz – anders als in ausländischen Rechtsordnungen900 – bewusst nicht.901 Dies ist insbesondere problematisch in Konstellationen, in denen sich der Verstoß gegen den ordre public aus dem Fehlen ausländischer Regelungen ergibt. 902 Die dann erforderlich werdende Lückenfüllung soll nach h.M. nach dem Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs vorrangig aus dem anwendbaren Recht selbst (lex causae) vorgenommen werden; nur wenn eine Lückenfüllung in systemkohärenter Weise nicht möglich ist, soll ersatzweise
895
BGHZ 118, 312 (348); angedeutet auch in: BGHZ 120, 29 (34); Kropholler, IPR, § 36 II. 2.; Bamberger/Roth/S. Lorenz, Art. 6 EGBGB Rn. 16; v. Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 G. II.; MünchKommBGB/Sonnenberger, Art. 6 EGBGB Rn. 80. 896 Kegel/Schurig, IPR, § 16 II.; MünchKommBGB/Sonnenberger, Art. 6 EGBGB Rn. 81; Neuhaus, Grundbegriffe, § 49 I. 2.; Kropholler, IPR, § 36 II. 2. 897 MünchKommBGB/Sonnenberger, Art. 6 EGBGB Rn. 81; Kegel/Schurig, IPR, § 16 II. 898 Staudinger/Blumenwitz, Art. 6 EGBGB Rn. 160. 899 Staudinger/Blumenwitz, Art. 6 EGBGB Rn. 163. 900 Etwa § 6 öIPRG: „Eine Bestimmung des fremden Rechtes ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, das mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar ist. An ihrer Stelle ist erforderlichenfalls die entsprechende Bestimmung des österreichischen Rechtes anzuwenden.“ 901 BT-Drs. 10/504, S. 44; Staudinger/Blumenwitz, Art. 6 EGBGB Rn. 164; Staudinger/Dörner, Art. 25 EGBGB Rn. 720. 902 Bamberger/Roth/S. Lorenz, Art. 6 EGBGB Rn. 18; ders., in: FS für Geimer, S. 555 (558).
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auf deutsches Recht als lex fori zurückgegriffen werden.903 Indes besagt dies nichts darüber, welche Kriterien für die Bestimmung der Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit der Lückenfüllung auf Grundlage der lex causae heranzuziehen sind und unter welchen Umständen tatsächlich auf die lex fori zurückgegriffen werden darf.904 b) Ordre public und Patientenverfügung Für die Patientenverfügung ist zu beachten, dass das hier vorgeschlagene Anknüpfungsgefüge für die sensible Thematik des Inhalts und der Wirkungen der Patientenverfügung das Recht am Behandlungsort zur Anwendung beruft, also bei Behandlung im Inland deutsches Recht, das mit Hilfe des Art. 6 EGBGB nicht korrigiert werden kann. 905 Praktisch relevant dürfte die Vorbehaltsklausel aber für Fragen der Errichtung der Patientenverfügung sein, weil insoweit das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt zum Zeitpunkt der Errichtung berufen wird und sogar das Heimatrecht im Zeitpunkt der Rechtswahl gewählt werden kann. Im Folgenden soll anhand von vier Beispielen untersucht werden, inwieweit die Anwendung ausländischen Rechts im Kontext der Patientenverfügung zu einem Ergebnis führen kann, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, insbesondere den Grundrechten, unvereinbar ist. aa) Beispiel 1 Zunächst ergibt sich die Frage, ob ein ordre public-Verstoß vorliegt, wenn das durch das Kollisionsrecht berufene ausländische Recht die Patientenverfügung nicht kennt. Der Rechtsvergleich 906 hat gezeigt, dass dies – soweit ersichtlich – nicht nur in Rechtsordnungen kollektivistisch geprägter Gesellschaften, sondern auch in einigen europäischen Rechtsordnungen der Fall ist. Kommt etwa ein bulgarischer Betroffener mit gewöhnlichem Aufenthalt in Bulgarien zur medizinischen Behandlung nach Deutschland und trägt er eine in Bulgarien errichtete Patientenverfügung bei sich, stellt sich das Problem, dass für die Frage der Zulässigkeit der Errichtung der Patientenverfügung bulgarisches Recht Anwendung findet, das einen antizipiert
903
RGZ 106, 82 (85 f.); BGHZ 28, 375 (387); 120, 29 (37); OLG Hamm IPRax 1994, 49 (54); S. Lorenz, in: FS für Geimer, S. 555 (558); Kropholler, IPR, § 36 V.; a.A.: Kegel/Schurig, IPR, § 16 VI. (für Ausbildung neuer Sachnormen); Überblick über den Meinungsstand etwa bei: MünchKommBGB/Sonnenberger, Art. 6 EGBGB Rn. 88 ff.; Bamberger/Roth/S. Lorenz, Art. 6 EGBGB Rn. 18. 904 So die Kritik von: Pfundstein, Pflichtteil und ordre public, S. 281. 905 Vgl. MünchKommBGB/Sonnenberger, Art. 6 EGBGB Rn. 41. 906 Dazu oben Kapitel 1 § 2 A.
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Kapitel 2: Die Patientenverfügung mit Auslandsberührung
geäußerten Willen von Patienten bislang nicht anerkennt. 907 Die in Bulgarien errichtete Patientenverfügung wäre in Deutschland also nicht zu beachten. Es ist denkbar, dass dieses Rechtsanwendungsergebnis dem Menschenbild des Grundgesetzes widerspricht, insbesondere auch der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG, die die Selbstbestimmung in medizinischen Angelegenheiten auch in Bezug auf antizipierte Willensäußerungen garantiert.908 Ein Verstoß gegen den ordre public liegt mangels hinreichenden Inlandsbezugs in diesem konkreten Einzelfall trotz Fehlens einer aus Sicht der deutschen lex fori unerlässlichen Regelung in der lex causae aber nicht vor. In einem Fall mit hinreichendem Inlandsbezug wäre Folge des Grundrechtsverstoßes, dass das an und für sich für die Frage der Zulässigkeit der Errichtung einer Patientenverfügung anwendbare bulgarische Recht nicht zur Anwendung gelangt.909 In Fällen eines Fehlens einer aus Sicht des deutschen Rechts erwarteten Regelung ist ein anwendbares Ersatzrecht zu suchen. Zu untersuchen wäre also, ob das bulgarische Recht der Patientenverfügung funktional ähnliche Rechtsinstrumente bereithält, was, soweit ersichtlich, zu verneinen ist. Als Ersatzlösung würde wohl ausreichen, dass der in der Patientenverfügung niedergelegte Wille in der Behandlungssituation beachtet wird. Bei Versagen einer Ersatzlösung in der lex causae ist Ersatzrecht die in der lex causae vermisste deutsche Vorschrift, die das fremde Recht im Wege einer Ergänzung modifiziert, ohne dass dessen Normen angepasst werden müssen. 910 Weil der Eingriff in das fremde Recht nach dem Prinzip des geringstmöglichen Eingriffs das Korrekturgebot des Art. 6 EGBGB nicht überschreiten darf, ist aber erforderlichenfalls das deutsche Recht anzupassen. 911 bb) Beispiel 2 Denkbar ist außerdem, dass im Einzelfall ein ausländisches Recht zur Anwendung berufen wird, das strengere Errichtungs- und Wirksamkeitsvoraussetzungen für die Patientenverfügung aufstellt als das deutsche Recht. Als Beispiel mag bei anwendbarem österreichischem Recht das im PatVG für die verbindliche Patientenverfügung geregelte Erfordernis notarieller Beurkundung sowie ärztlicher Aufklärung und die dort geregelte befristete 907 Vgl. Todorova, in: Löhnig et al (Hrsg.), Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutz in Europa, S. 315 ff. 908 BGHZ 154, 205 (217); allgemein zur Patientenautonomie: BVerfGE 52, 131 (173 ff.); Höfling, JuS 2000, 111 (114 ff.); Hufen, ZRP 2003, 248 (249); ders., S. 28 f., 58; Lipp, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 3 Rn. 1. 909 Zu einem ähnlichen Beispiel für das österreichische Recht: Barta/Kalchschmid, Wien Klin Wochenschr 2004, 442 (444 f.). 910 MünchKommBGB/Sonnenberger, Art. 6 EGBGB Rn. 92. 911 MünchKommBGB/Sonnenberger, Art. 6 EGBGB Rn. 92.
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Wirkungsdauer dienen. 912 Ein Verstoß gegen den deutschen ordre public wäre aber zu verneinen, weil es grundrechtskonform wäre, wenn auch der deutsche Gesetzgeber Regelungen, die eine hinreichend fachkundige Aufklärung des Betroffenen zum Wirksamkeitserfordernis erheben, einführt.913 Dies vorausgesetzt, ist aber auch die Anwendung entsprechender ausländischer Regelungen kein „Störfaktor im Regelungsgefüge der deutschen Gesetze von allgemein- oder wirtschaftspolitischem Interesse“ 914. Dass eine ausländische Rechtsordnung eine Rechtsnorm abweichend vom deutschen Recht gestaltet und deswegen die ausländische Rechtslage von der deutschen Rechtslage abweicht, reicht für die Annahme eines Verstoßes gegen den deutschen ordre public nicht aus.915 Entscheidend gegen die Annahme eines ordre public-Verstoßes spricht außerdem, dass das österreichische Recht dem in einer den Errichtungsvoraussetzungen nicht genügenden Patientenverfügung geäußerten Patientenwillen in der Behandlungssituation auf eine andere Art und Weise, nämlich als beachtliche Patientenverfügung, Anerkennung verleiht. Zu überlegen ist aber, ob eine Reichweitenbegrenzung ein „Störfaktor im Regelungsgefüge der deutschen Gesetze von allgemein- oder wirtschaftspolitischem Interesse“ wäre. Eine Reichweitenbegrenzung der Patientenverfügung wird als rechtfertigungsbedürftiger, aber nicht zu rechtfertigender Grundrechtseingriff und eine deutsche Regelung, die dies vorsähe, als verfassungswidrig angesehen. 916 Es ist vor diesem Hintergrund zwar denkbar, eine Reichweitenbegrenzung in Fällen mit Auslandsbezug als Verstoß gegen den ordre public anzusehen. Gegen die Annahme eines solchen Verstoßes spricht aber, dass nicht jede Rechtsanwendung, die bei einem reinen Inlandsfall grundrechtswidrig wäre, der deutschen öffentlichen Ordnung offensichtlich widerspricht und zu einer Korrektur des zunächst auf Grundlage des fremden Rechts gefundenen Rechtsanwendungsergebnisses zwingt.917 912
Dazu oben Kapitel 1 § 2 A. II. Höfling, Stellungnahme, S. 7 f., 13 f., allerdings auf S. 18 zweifelnd bezüglich einer Doppelung von notarieller und ärztlicher Beratung; ebenso hinsichtlich einer Dopp elung zweifelnd: Albers, MedR 2009, 138 (142). 914 MünchKommBGB/Sonnenberger, Art. 6 EGBGB Rn. 78 (auch zu anderen Testfragen zur Feststellung der Erheblichkeit des Verstoßes gegen deutsche Vorstellungen). 915 v. Bar/Mankowski, IPR, § 7 VIII. 1.; s. auch BGHZ 50, 370 (375). 916 Eine Reichweitenbegrenzung der Patientenverfügung wäre ein nicht zu rechtfertigender Eingriff in das Patientenselbstbestimmungsrecht, weil sie dazu führt, dass Vorausverfügungen, die einen reversibel tödlichen Verlauf eines Grundleidens betreffen, keine Bindungswirkung entfalten und äußerungsunfähige Patienten entgegen ihr em vorab geäußerten Willen belastende Behandlungsmaßnahmen erdulden müssen ( Verrel/Simon/ Verrel, Patientenverfügungen, S. 24; Albers, in: dies. [Hrsg.], Patientenverfügungen, S. 9 [28]; Hufen, S. 48 ff.; Albers, MedR 2009, 138 [141 f.]; Heßler, Stellungnahme, S. 11). 917 BT-Drs. 10/504, S. 44; Kropholler, IPR, § 36 IV. 1. 913
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cc) Beispiel 3 Außerdem ist zu überlegen, ob ein ordre public-Verstoß vorliegt, wenn das im Einzelfall auf die Patientenverfügung anwendbare ausländische Recht weitergehenden Gestaltungsspielraum bei der Errichtung einer Patientenverfügung einräumt. Liegt etwa ein ordre public-Verstoß vor, wenn das anwendbare niederländische Recht die Patientenverfügung eines 16Jährigen als wirksam betrachtet? Dies wird zu verneinen sein, weil man nicht nur dem inländischen, sondern auch dem ausländischen Gesetzgeber bei der Bestimmung der Voraussetzungen der Fähigkeit zur Selbstbestimmung einen Einschätzungsspielraum zugestehen muss. 918 Hinzu kommt, dass Minderjährige auch in der deutschen Rechtsordnung ein Recht auf Selbstbestimmung und Selbstgefährdung haben, wenn sie in der Lage dazu sind, autonom über die grundrechtlich geschützten Interessen zu entscheiden.919 Jedenfalls in diesen Grenzen ist ein Verstoß gegen den ordre public abzulehnen. dd) Beispiel 4 Schließlich ist zu überlegen, ob ein ordre public-Verstoß vorliegt, wenn das zur Anwendung berufene ausländische Recht, wie etwa das belgische Recht, die Anordnung von aktiver Sterbehilfe in einer Patientenverfügung ermöglicht. Bei der hier gewählten Anknüpfung stellt sich diese Frage nicht, weil bei einer medizinischen Behandlung in Deutschland für Fragen des Inhalts der Patientenverfügung deutsches Recht zur Anwendung berufen wäre. Aber auch bei der Wahl einer anderen Anknüpfung setzen sich die deutschen strafrechtlichen Vorschriften der §§ 211 ff. StGB über § 134 BGB infolge ihrer Qualifikation als Eingriffsnormen gegen zur Anwendung berufenes ausländisches Recht durch. Eines Rückgriffs auf Art. 6 EGBGB bedarf es dazu infolge der Ablehnung der positiven Funktion des ordre public nicht.920 Während Art. 6 EGBGB in Fällen, in denen es darum geht, fremde Privatrechtsnormen von der Anwendung auszuschließen, zweifelsohne anwendbar ist921, ist strittig, ob dies auch mit Blick auf ausländische Normen öffentlich-rechtlicher Prägung, also ausländisches Eingriffsrecht 922, gilt. Im vorliegenden Kontext geht es um die Frage, ob in Fällen, in denen das 918
Spickhoff, in: FS für Deutsch, S. 907 (922). Panagopoulou-Koutnatzi, Selbstbestimmung des Patienten, S. 43. 920 MünchKommBGB/Sonnenberger, Art. 6 EGBGB Rn. 34. 921 MünchKommBGB/Sonnenberger, Art. 6 EGBGB Rn. 32. 922 Zur Frage der Behandlung ausländischer Eingriffsnormen siehe etwa folgende M onographien: Benzenberg, Die Behandlung ausländischer Eingriffsnormen im IPR; Kuckein, Die ‚Berücksichtigung‘ von Eingriffsnormen, S. 72 ff.; Fetsch, Eingriffsnormen und EG-Vertrag; Anderegg, Ausländische Eingriffsnormen im internationalen Vertragsrecht. 919
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zur Anwendung berufene ausländische Recht seine strafrechtlichen Normen ebenfalls als Eingriffsnormen qualifiziert, diese ausländischen Eingriffsnormen im Forumstaat anzuwenden sind oder nicht. Das geschriebene autonome Kollisionsrecht schweigt dazu. Rechtsprechung und Literatur haben die Frage nach dem Umgang mit ausländischen Eingriffsnormen insbesondere im Kontext des Internationalen Vertragsrechts diskutiert. Vertreter der Einheitsanknüpfung 923 möchten ausländisches Eingriffsrecht nach Maßgabe der internationalprivatrechtlichen Kollisionsnormen anwenden, soweit das ausländische Eingriffsrecht nicht gegen den inländischen ordre public (Art. 6 EGBGB) verstößt. Im Konfliktfall sollen sich aber die international zwingenden Vorschriften des deutschen Rechts gegen ausländische Eingriffsnormen durchsetzen. Für den oben genannten Beispielsfall bedeutet dies, dass, selbst wenn ausländisches Recht zur Anwendung berufen würde, sich die international zwingenden Vorschriften des deutschen Rechts durchsetzen würden. Der BGH924 ist demgegenüber der Auffassung, dass das Savigny’sche System allseitiger Kollisionsnormen nicht auch für die Berufung ausländischen öffentlichen Rechts und insbesondere nicht für öffentlich-rechtlich geprägte ausländische Eingriffsnormen gilt. Solche Normen seien nicht im Rahmen des Internationalen Privatrechts, sondern im Rahmen eines besonderen öffentlich-rechtlichen Kollisionsrechts anzuknüpfen, das vom Territorialitätsprinzip beherrscht sei. Ausländisches öffentliches Recht sei daher grundsätzlich nicht im Inland anzuwenden. Dahinter steckt der zutreffende Gedanke, dass es dem Grundsatz nach keinen Anlass für den Forumstaat gibt, Gemeininteressen eines ausländischen Staates wahrzunehmen. 925 Ausnahmen vom Territorialitätsprinzip hat der BGH 926 aber für Rechtssätze zugelassen, die trotz ihrer öffentlich-rechtlichen Natur hauptsächlich den Interessen Einzelner dienen. Diese Normen sollen unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit, des Wegfalls der Geschäftsgrundlage oder als Leistungshindernis materiellrechtliche Berücksichtigung finden, ohne dass aber auf Art. 6 EGBGB zurückzugreifen ist.927 Weil die Rechtsprechung vorwiegend mit Fällen befasst war, in denen deutsches Recht Vertragsstatut war, blieb offen, ob die entwickelten Grundsätze auch gelten sollen,
923 Palandt/Heldrich, 66. Aufl., Art. 34 EGBGB Rn. 6; Stoll, in: FS für Kegel, S. 623 (628 f.). 924 BGHZ 31, 367 (370 ff.); 43, 162 (164 ff.); 64, 183 (189 ff.). 925 Kegel/Schurig, IPR, § 2 IV.; Kuckein, Die ‚Berücksichtigung‘ von Eingriffsnormen, S. 87; MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 53; Sonnenberger, IPRax 2003, 104 (113). 926 BGHZ 31, 367 (371); 64, 183 (189). 927 RGZ 91, 46; BGHZ 59, 82; 94, 268; BGH NJW 1984, 1746; auch weitere Nachweise bei: Staudinger/Blumenwitz, Art. 6 EGBGB Rn. 31.
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wenn ausländisches Recht als Vertragsstatut berufen ist. 928 Da Sterbehilfevorschriften nicht hauptsächlich den Interessen Einzelner dienen, wären ausländische Strafvorschriften auch nach dem BGH von deutschen Gerichten nicht zu berücksichtigen. Als Alternative zu der materiellrechtlichen Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen wurde im Schrifttum mehrheitlich – in verschiedenen Ausprägungen – eine kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung ausländischer Eingriffsnormen befürwortet. 929 Im Anschluss an Art. 7 Abs. 1 S. 1 EVÜ, den Deutschland nicht umgesetzt hat, wird insbesondere eine Sonderanknüpfung ausländischen Eingriffsrechts aufgrund enger Verbindung des Sachverhalts mit diesem ausländischen Staat vertreten, vorausgesetzt, es besteht ein gewisser Interessen- oder Wertegleichklang des ausländischen Rechts mit dem des Inlands. 930 Dass ausländisches Eingriffsrecht nicht von vorneherein außer Betracht bleiben kann, ergibt sich nun auch aus der Rom I-VO.931 Nach Art. 9 Abs. 3 S. 1 Rom I-VO kann den Eingriffsnormen des Staates, in dem die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind, Wirkung verliehen werden, soweit diese Eingriffsnormen die Erfüllung des Vertrages unrechtmäßig werden lassen. Dabei sind Art und Zweck dieser Normen sowie die Folgen zu berücksichtigen, die sich aus ihrer Anwendung oder Nichtanwendung ergeben würden. Mit gewissen Unsicherheiten verbunden ist – wie schon bei Art. 7 Abs. 1 EVÜ – die Formulierung „Wirkung verleihen“. Nach Sonnenberger ist diese Formulierung zwar grundsätzlich auf die Anwendung der ausländischen Eingriffsnorm bezogen, allerdings könne trotz Verneinung der Anwendbarkeit die Existenz der ausländischen Eingriffsnorm nach Maßgabe der anwendbaren lex causae noch als entscheidungserhebliche Tatsache eine Rolle spielen. Anzuwenden sei eine ausländische Eingriffsnorm im Forumstaat nur, wenn räumliche Anwendbarkeitskriterien erfüllt seien und der Forumstaat an der Anwendung ein eigenes Gemeininteresse habe. Verstoße die Anwendung der ausländischen Eingriffsnormen gegen den inländischen
928
MünchKommBGB/Martiny, Art. 9 Rom I-VO Rn. 45; Kropholler, IPR, § 52 X. 2. Kropholler, IPR, § 52 X. 3.; Palandt/Thorn, 68. Aufl., Art. 34 EGBGB Rn. 6; Sonnenberger, IPRax 2003, 104 (113 ff.). 930 Kropholler, IPR, § 52 X. 3. m.w.N. 931 Art. 16 Rom II-VO erfasst demgegenüber seinem Wortlaut nach nur inländische Eingriffsnormen. Ob ausländische Eingriffsnormen gleichwohl Beachtung finden können oder nicht, wird unterschiedlich beurteilt. Für Beachtung u.a. mit Verweis auf Erwägungsgrund Nr. 32, der keine Anhaltspunkte für eine Beschränkung auf inländisches Eingriffsrecht enthält: MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 49; unter Verweis auf die bewusste Entscheidung des Verordnungsgebers eher gegen einen Einbezug ausländischer Eingriffsnormen aber: Rauscher/Jakob/Picht, Art. 16 Rom II-VO Rn. 9 ff. 929
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ordre public, liege kein Gemeininteresse vor. 932 Bei Berücksichtigung ausländischen Eingriffsrechts als tatsächlicher Sachumstand sei für eine Anwendung von Art. 6 EGBGB kein Raum, weil von den Generalklauseln des deutschen Rechts, insbesondere von § 138 BGB, nur solche Normen erfasst seien, die dem inländischen ordre public nicht widersprechen.933 Auch nach diesem Ansatz wären ausländische Strafvorschriften von deutschen Gerichten also nicht zu berücksichtigen. Auf Art. 6 EGBGB käme es ebenfalls nicht an. c) Spezieller oder allgemeiner ordre public? Das deutsche Internationale Privatrecht kennt nicht nur die allgemeine ordre public-Klausel des Art. 6 EGBGB, sondern auch spezielle ordre public-Klauseln, etwa Art. 17b Abs. 4 EGBGB934. Danach gehen die Wirkungen einer im Ausland eingetragenen Lebenspartnerschaft nicht weiter als nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs und des Lebenspartnerschaftsgesetzes vorgesehen. Diese spezielle Klausel ist im deutschen Schrifttum von Anfang an stark kritisiert worden, weil sie im Ausland registrierte Partnerschaften unterschiedslos auf das deutsche Maß zurückstutzt, was deutlich in Widerspruch zu der dem deutschen Internationalen Privatrecht seit Friedrich Carl von Savigny zugrunde liegenden Vermutung der Gleichwertigkeit ausländischen Privatrechts steht. 935 Überdies hätte ein Verzicht auf eine spezielle Klausel die Bewahrung der Grundwerte des deutschen Rechts nicht gefährdet, weil ausländische Partnerschaften der deutschen Rechtsanschauung jedenfalls seit Verabschiedung des LPartG nicht mehr widersprechen. 936 Allenfalls die seitens des Gesetzgebers mit der Vorschrift intendierte Sicherheit und Leichtigkeit des Rechtsverkehrs im Inland 937 spricht für eine Anwendung der Klausel. 938 Bei der Patientenverfügung sollte auf die Schaffung einer speziellen ordre public-Klausel verzichtet werden. Exklusivnormen zugunsten des eigenen Rechts sollten stets nur als ultima ratio eingesetzt werden, wenn sich bei Anwendung der allgemeinen ordre public-Klausel keine sinnvol932
MünchKommBGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 53 ff.; Art. 6 EGBGB Rn. 36. MünchKommBGB/Sonnenberger, Art. 6 EGBGB Rn. 37. 934 Konkretisierungen der allgemeinen ordre public-Klausel enthält das EGBGB etwa auch in Art. 13 Abs. 2, Abs. 3 S. 1 (Eheschließung) und in Art. 17 Abs. 2 (Scheidung). Zum Verhältnis von Art. 17b Abs. 4 EGBGB zu Art. 6 EGBGB etwa: MünchKommBGB/ Coester, Art. 17b EGBGB Rn. 84 ff., 115 ff.; Frucht, PACS im französ. und deutschen IPR, S. 113 f.; Jakob, Eingetragene Lebenspartnerschaft im IPR, S. 232 ff. 935 Thorn, in: FS für Jayme, Bd. I, S. 955 (965). 936 Jakob, Eingetragene Lebenspartnerschaft im IPR, S. 233. 937 BT-Drs. 14/3751, S. 61. 938 So auch: Frucht, PACS im französ. und deutschen IPR, S. 144 ff.; skeptisch aber: Jakob, Eingetragene Lebenspartnerschaft im IPR, S. 233. 933
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len Ergebnisse erzielen lassen. 939 Patientenverfügungen widersprechen bereits seit den wegweisenden Entscheidungen des BGH und seit der nachfolgenden gesetzlichen Regelung in §§ 1901a ff. BGB der deutschen Rechtsanschauung und Werteordnung nicht mehr. Ebenso wie bei der eingetragenen Lebenspartnerschaft bestünde die Gefahr, dass deutsche Wertanschauungen eingefroren werden.940 Im Übrigen setzen sich im rechtskulturell sensiblen Bereich der Patientenverfügung, dem Verhältnis zwischen Selbstbestimmung und Lebensschutz, die §§ 211 ff. StGB i.V. mit § 134 BGB infolge einer Sonderanknüpfung ohnehin gegen zur Anwendung berufenes ausländisches Recht durch. Für diese Normen besteht nämlich gerade nicht die Vermutung der Gleichwertigkeit in- und ausländischen Rechts. Auch aus diesem Grund besteht im Kontext der Patientenverfügung kein Bedürfnis für eine Kappungsregel nach Vorbild des Art. 17b Abs. 4 EGBGB. 4. Regelungsvorschlag Infolge der Entscheidung, dass die Patientenverfügung überwiegend nicht in bereits bestehende Kollisionsnormen eingeordnet werden kann, wurde in der vorangegangenen Untersuchung ein Anknüpfungsgefüge für die Patientenverfügung entwickelt. Weil die Interessen des Betroffenen und der Fürsorgeperson sowie der behandelnden Ärzte mitunter in unterschiedliche Richtungen weisen, war eine Kompromisslösung zu suchen, die in einer Kombination aus Aufenthaltsanknüpfung und Anknüpfung an den Behandlungsort gesehen wird. Vor diesem Hintergrund ist folgender Regelungsvorschlag zu lesen: (1) Das Bestehen und die Änderung 941 einer Patientenverfügung 942 unterliegen den Sachvorschriften des Staates, in dem der Betroffene im Zeitpunkt der Errichtung der Patie ntenverfügung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. (2) Eine Person kann für das Bestehen und die Änderung einer Patientenverfügung durch schriftliche, ausdrückliche Erklärung das Recht des Staates wählen, dessen Staatsangehörigkeit sie im Zeitpunkt der Rechtswahl besitzt. (3) Inhalt und Bindungswirkung einer Patientenverfügung unterliegen den Sachvorschriften des Staates, in dem die medizinische Behandlung vorgenommen wird. (4) Art. 11 Abs. 1 EGBGB gilt entsprechend. Eine Patientenverfügung ist hinsichtlich i hrer Form außerdem gültig, wenn diese den Formerfordernissen des Rechts des Staates
939 Neuhaus, Grundbegriffe, § 51 I.; Kropholler, IPR, § 36 VIII.; Jakob, Eingetragene Lebenspartnerschaft im IPR, S. 233. 940 Für die eingetragene Lebenspartnerschaft: Jakob, Eingetragene Lebenspartnerschaft im IPR, S. 233. 941 Zu verstehen als Widerruf. 942 Zu verstehen als antizipierte Anordnung oder Ablehnung medizinischer Maßna hmen.
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entspricht, dem der Betroffene im Zeitpunkt, in dem er die Patientenverfügung errichtet hat, oder aber dem Zeitpunkt, in dem er behandlungsbedürftig wird, angehörte. (5) In medizinischen Notfällen unterliegt die Patientenverfügung abwei chend von Abs. 1–3 den Sachvorschriften des Staates, in dem die medizinische Behandlung vorgenommen wird. (6) Unberührt bleibt die Anwendung der Bestimmungen des Staates, in dem die mediz inische Behandlung vorgenommen wird, die ohne Rücksicht auf das auf die Patientenve rfügung anzuwendende Recht den Sachverhalt zwingend regeln.
Gegen diesen Regelungsvorschlag ließe sich einwenden, dass sich der Anwendungsbereich des Patientenverfügungsstatuts nur schwer gegenüber dem Betreuungsstatut und dem Statut für die medizinische Behandlung abgrenzen lässt und der Erkenntnisgewinn beschränkt ist, weil die Sonderanknüpfung der Patientenverfügung nur begrenzt zum Tragen kommt. Tatsächlich tragen die weitreichenden Sonderanknüpfungen von Form, Einwilligungsfähigkeit und Volljährigkeitsalter dazu bei, dass die vorgeschlagene Kollisionsregel für die Patientenverfügung einen recht limitierten Anwendungsbereich hat. Gleichwohl bleibt zu beachten, dass so bedeutende Fragestellungen, wie die Frage danach, ob eine Patientenverfügung überhaupt zulässigerweise errichtet werden kann, vom Patientenverfügungsstatut beantwortet werden. Auch sind die Schwierigkeiten mit Blick auf die Abgrenzung zu anderen Statuten kein spezifisches Problem der Patientenverfügung. Ähnliche Probleme stellen sich etwa auch im Rahmen des kollisionsrechtlichen Umgangs mit Vollmachten. 943 Gegen das gewählte Anknüpfungsgefüge ließe sich schließlich einwenden, dass es die Interessen der behandelnden Ärzte an Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts nicht hinreichend berücksichtigt. Dem ist zuzugeben, dass das Anknüpfungsgefüge den behandelnden Ärzten in der Behandlungssituation umfangreiche rechtliche Prüfungen abverlangt, die auch zu einer Belastung werden können. Diese Beeinträchtigung der ärztlichen Interessen lässt sich aber mit dem Interesse des Betroffenen an Planungssicherheit und seinem Interesse an der Anwendung eines Rechts, mit dem er eng verbunden ist, rechtfertigen. Dass man das Pendel bei der Abwägung dieser Interessen auch anders, also zugunsten der Ärzte, ausschlagen lassen kann, ist mehrfach betont worden und mit der Sonderregel für Notfallsituationen auch berücksichtigt worden. D. Zusammenführungen Am Anfang der vorangehenden Untersuchung der kollisionsrechtlichen Behandlung der Patientenverfügung im europäischen und deutschen Recht stand die Darstellung des in- und ausländischen Meinungsspektrums. Die 943 Ausführlich zu entsprechenden Schwierigkeiten bei der Vollmacht: MünchKommBGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 128 ff., 142 ff.
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Übersicht über Stellungnahmen aus ausgewählten ausländischen Rechtsordnungen hat gezeigt, dass bislang noch kein Trend für den Umgang mit grenzüberschreitenden Patientenverfügungen auszumachen ist. Diskutiert wird sowohl eine Einordnung in die für das Arzt-Patienten-Verhältnis maßgeblichen Kollisionsregeln als auch eine Einordnung in das Personalstatut bzw. die erwachsenenschutzrechtlichen Vorschriften. Ein Blick auf inländische Stellungnahmen hat gezeigt, dass die kollisionsrechtliche Behandlung der Patientenverfügung bislang noch kaum Beachtung im akademischen Schrifttum gefunden hat. Ein Großteil der zumeist kurzen Stellungnahmen ist maßgeblich von der Grundfrage geprägt, ob die Frage des auf die Patientenverfügung anwendbaren Rechts eine Aufgabe des Internationalen Privatrechts oder des Internationalen Strafrechts ist. Diese Fragestellung war der Ausgangspunkt für eigene Ordnungsversuche. Im Rahmen dieser Ordnungsversuche wurde dargelegt, dass sich die Einteilung des Grenzrechts in Internationales Privatrecht, Internationales Strafrecht und Internationales öffentliches Recht aus der nicht akzessorischen Grenzziehung zwischen Privatrecht, Strafrecht und öffentlichem Recht auf der Ebene des materiellen Rechts speist und diese Grenzziehung nicht mehr so kategorisch wie früher ist. Es wurde gezeigt, dass die Teilrechtsordnungen heute vielfältig miteinander verflochten sind und die Patientenverfügung ein Beispiel für diese Entwicklung ist. Sodann wurde dargelegt, dass auch in grenzüberschreitenden Sachverhaltskonstellationen Privatrecht und öffentliches Recht heute stärker aufeinander bezogen sind und das Internationale Privatrecht diese Entwicklung über die Kategorie der Eingriffsnormen berücksichtigt, die den klassischen verweisungsrechtlichen Ansatz des Internationalen Privatrechts partiell zurückdrängt. Die nachfolgenden Ausführungen haben gezeigt, dass die Patientenverfügung mit Auslandsbezug infolge ihrer privatrechtlichen Ausgestaltung in weiten Teilen in den Kontext des Internationalen Privatrechts zu setzen und für sie eine Verweisungsnorm zu suchen ist. Ausgenommen sind lediglich die §§ 211 ff. StGB i.V. mit § 134 BGB, die sich als Eingriffsnormen gegen zur Anwendung berufenes ausländisches Recht durchsetzen. Dargelegt wurde auch, dass das Internationale Strafrecht die Verflechtung der Teilrechtsordnungen mit der Kategorie der Fremdrechtsanwendung im Strafrecht würdigt. Im Kontext der Patientenverfügung kann sich das Problem der Fremdrechtsanwendung im Strafrecht stellen, wenn die Strafbarkeit eines behandelnden Arztes wegen eigenmächtiger Heilbehandlung oder wegen eines Tötungsdelikts zu beurteilen ist und ein Auslandsbezug besteht. Im Rahmen der sich anschließenden Suche nach einer kollisionsrechtlichen Verweisungsnorm für die Patientenverfügung wurden die im Kontext der Patientenverfügung relevant werdenden Interessen analysiert. Im Anschluss wurde versucht, die Patientenverfügung unter Anknüpfungsgegen-
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stände vorhandener Kollisionsnormen zu subsumieren. Die Untersuchung hat gezeigt, dass zwar mehrere Qualifikationsmöglichkeiten bestehen, im Lichte der zuvor ermittelten Interessen allerdings keine dieser Möglichkeiten überzeugt, sondern die Patientenverfügung als neue und unbekannte Rechtsfigur einzuordnen ist, für deren kollisionsrechtliche Behandlung ebenfalls neue, der kollisionsrechtlichen Interessenlage entsprechende Anknüpfungsregeln im Wege der Rechtsfortbildung herausgebildet werden müssen. Im Rahmen der Entwicklung einer Anknüpfungsregel für die Patientenverfügung hat sich gezeigt, dass eine nach Sachfragen differenzierende Anknüpfung geboten ist, weil die Interessen des Betroffenen und der Fürsorgeperson sowie der behandelnden Ärzte in unterschiedliche Richtungen weisen. Vorgeschlagen wurden mit Blick auf die objektive Anknüpfung eine Kombination aus Aufenthaltsanknüpfung und Anknüpfung an den Behandlungsort sowie eine Sonderregelung für medizinische Notfälle und die Form der Patientenverfügung. Außerdem wurde dargelegt, dass sich auch im Kontext der Patientenverfügung eine beschränkte Rechtswahl empfiehlt.
Kapitel 3
Ausblick Kapitel 3: Ausblick
Am Schluss der Untersuchung soll ein Ausblick stehen. Zu Beginn sollen die Chancen einer Vereinheitlichung oder einer Angleichung des Sachrechts der Patientenverfügung beleuchtet werden (§ 1). Anschließend werden die Chancen einer Vereinheitlichung des Kollisionsrechts betrachtet (§ 2). Schließen wird der Ausblick mit einem Blick auf die Frage: Anerkennung statt Verweisung?
§ 1 Vereinheitlichung oder Angleichung des Sachrechts der Patientenverfügung? § 1 Vereinheitlichung oder Angleichung des Sachrechts?
Eine europaweite Vereinheitlichung, wenigstens aber eine Angleichung des Sachrechts der Patientenverfügung wäre wünschenswert, weil damit garantiert werden könnte, dass Patientenverfügungen in der gesamten Europäischen Union Beachtung finden, wenigstens aber die Verkehrsfähigkeit von Patientenverfügungen verbessert würde. A. Einheitliches europäisches Sachrecht für die Patientenverfügung? In der Untersuchung ist deutlich geworden, dass die europäischen Rechtsordnungen unterschiedlich mit Patientenverfügungen umgehen. Während einige Staaten bei der Anerkennung der Patientenautonomie noch am Anfang stehen, haben andere Staaten das Verhältnis zwischen Freiheit und Fürsorge in den vergangenen Jahren neu geordnet und im Zuge dessen mit der Einführung der Patientenverfügung auch die Möglichkeit zur antizipierten Ausübung des Selbstbestimmungsrechts in medizinischen Angelegenheiten geschaffen (etwa die Benelux-Staaten, die Schweiz, Spanien, Frankreich, England und Wales, Österreich, Deutschland). Eine rechtsvergleichende Untersuchung der neu geschaffenen Regelungen hat einen Pluralismus an Regelungskonzepten, insbesondere im Bereich der Grenzen der Patientenautonomie, offenbart. Es ist nicht damit zu rechnen, dass diese individuellen Prägungen in naher Zukunft überwunden werden können, weil sie auch Ausdruck eines individuellen, historisch gewachsenen gesellschaftlichen Wertekanons sind.
§ 1 Vereinheitlichung oder Angleichung des Sachrechts?
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Darin gleicht das Recht der Patientenverfügung dem ebenfalls kulturell und religiös geprägten Erb- und Familienrecht. Im Übrigen ist auch nicht damit zu rechnen, dass all diejenigen Staaten, in denen die Patientenautonomie noch keinen ausgeprägten Stellenwert genießt und die Patientenverfügungen bislang zurückhaltend gegenüberstehen, ihre Überzeugungen rasch ändern werden. Einen gewissen Einfluss mag die bereits erwähnte Empfehlung des Ministerkomitees des Europarates aus dem Jahr 2009 bezüglich der Grundsätze über die Vorsorgevollmacht und die Patientenverfügung haben, die allerdings nicht rechtsverbindlich ist. Abzuwarten bleibt, ob die Tatsache, dass die Patientenverfügung in Art. IV.C.-8:108 Abs. 4 DCFR aufgenommen wurde, in naher Zukunft Einfluss auf die nationalen Gesetzgeber entfalten wird, die die Patientenverfügung bislang noch nicht gesetzlich geregelt haben. Vor diesem Hintergrund ist der Befund, dass es auf europäischer Ebene ohnehin an der Kompetenz für eine Harmonisierung des Sachrechts der Patientenverfügung fehlt, nicht mehr als eine Randnotiz. Auch wenn die Kompetenzen der Europäischen Union in der Zukunft erweitert würden, ist mit kontroversen Debatten über die einschlägige Kompetenzgrundlage zu rechnen, weil die Patientenverfügung, wie dargestellt, erstens zum Teil zivilrechtlich und zum Teil öffentlich-rechtlich und zweitens zum Teil familienrechtlich und zum Teil medizinrechtlich qualifiziert wird.1 B. Optionale Patientenverfügung? Solange eine Harmonisierung des Sachrechts der Patientenverfügung noch in weiter Ferne liegt, kann die Schaffung eines optionalen Einheitsrechts für die Patientenverfügung eine Alternative sein, das in Fällen mit Auslandsbezug gewählt werden kann, etwa in der Rechtsform der Verordnung. Im Gesellschaftsrecht wurden mit der Europäischen Wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV) 2, der Societas Europaea (SE)3 und der
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Bei zivilrechtlicher (familienrechtlicher) Qualifikation scheitert eine Vereinheitl ichung des Sachrechts derzeit daran, dass nach h.M. Art. 81 AEUV ebenso wenig wie die Vorgängerregelung in Art. 65 EG eine Vereinheitlichung des materiellen Zivilrechts ermöglicht, siehe: Calliess/Ruffert/Rossi, Art. 81 AEUV Rn. 15; zu Art. 65 EG: Lurger, in: Studiengesellschaft für Wirtschaft und Recht (Hrsg.), Anerkennungs -/Herkunftslandprinzip, S. 139 (141); Martiny, ZEuP 2011, 577 (579); Dethloff/Hauschild, FPR 2010, 489 (490); a.A. aber Dethloff, AcP 204 (2004), 544 (565). 2 Verordnung (EWG) Nr. 2137/85 des Rates v. 25.7.1985 über die Schaffung einer Europäischen Wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV), ABl. EG 1985 Nr. L 199, S. 1. 3 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates v. 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl. EG 2001 Nr. L 294, S. 1.
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Kapitel 3: Ausblick
Societas Cooperativa Europaea (SCE)4 in der Vergangenheit wählbare Gesellschaftsformen geschaffen, die die mitgliedstaatlichen Gesellschaftsformen unberührt lassen und bislang von der Praxis sehr freundlich angenommen wurden.5 In der jüngeren Vergangenheit haben beginnend mit der Vorlage des Grünbuchs zum europäischen Vertragsrecht für Verbraucher und Unternehmer6 auch Überlegungen zu einem Optionalen Vertragsrecht konkrete Form angenommen. 7 Im Schrifttum wurde in der Vergangenheit die Schaffung optionalen Einheitsrechts außerdem für Bereiche der persönlichen Angelegenheiten einer Person 8, etwa die Entwicklung einer „Europäischen Ehe“9 und einer „Europäischen Verfügung von Todes wegen“ 10, angeregt. Vorgeschlagen wurde zudem die Schaffung einer „Europäischen Vorsorgevollmacht“11. Vorteil optionaler Instrumente ist, dass Betroffene bei Vorliegen eines grenzüberschreitenden Bezugs eine Rechtsform wählen können, die in allen Mitgliedstaaten einheitlichen Regelungen über Voraussetzungen und Wirkungen unterliegt.12 Auch Betroffene, die eine Patientenverfügung errichten möchten, könnten darauf vertrauen, dass ihre Patientenverfügung in allen Mitgliedstaaten denselben rechtlichen Voraussetzungen unterliegt. 13 Überdies sprechen Praktikabilitätserwägungen für die Einführung optionaler Instrumente. Mit der Entscheidung für eine europäische Patientenverfügung würde die zeit- und kostenintensive Ermittlung und Anwendung ausländischen Rechts obsolet. 14 Eine Entwertung des Kollisionsrechts wäre mit der Einführung einer optionalen Patientenverfügung ebenso wenig ver4
Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 des Rates v. 22.7.2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SCE), ABl. EU 2003 Nr. L 207, S. 1. 5 Stürner, JZ 2011, 545 (552). 6 Grünbuch der Kommission, Optionen für die Einführung eines Europäischen Vertragsrechts für Verbraucher und Unternehmen, KOM(2010), 348 endg. v. 1.7.2010. Am 11.10.2011 wurde der Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht, KOM(2011), 635 endg., v eröffentlicht. 7 Dazu etwa: Herresthal, ZIP 2011, 1347. 8 Für die Schaffung optionalen Einheitsrechts im Familien- und Erbrecht: Dethloff, AcP 204 (2004), 544 (564 ff.) (Familienrecht); dies., ZEuP 2007, 992 (1000 f.). 9 Coester-Waltjen, in: FS für Peschel-Gutzeit, S. 35 (36); Dethloff, AcP 204 (2004), 544 (564 ff.). 10 Dethloff, ZEuP 2007, 992 (1000 f.). 11 Dethloff, ZEuP 2007, 992 (1001); Vorschlag aufgegriffen von: Röthel, in: Lipp (Hrsg.), Handbuch der Vorsorgeverfügungen, § 21 Rn. 27; dies., in: Basedow/Hopt/ Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europ. Privatrechts, Stichwort Betreuung, S. 202; Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 140 ff. 12 Für die europäische Ehe: Dethloff, AcP 204 (2004), 544 (564). 13 Für die europäische Ehe: Dethloff, AcP 204 (2004), 544 (564). 14 Für die europäische Ehe: Dethloff, AcP 204 (2004), 544 (565).
§ 1 Vereinheitlichung oder Angleichung des Sachrechts?
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bunden wie mit der Einführung anderer optionaler Instrumente, denn das Kollisionsrecht behielte seine Aufgabe in Fällen, in denen von dem optionalen Instrument kein Gebrauch gemacht wird. 15 Allerdings scheint die Schaffung einer optionalen Patientenverfügung derzeit ebenso wenig aussichtsreich wie eine Harmonisierung des Sachrechts der Patientenverfügung. Angesichts der Vielfalt der jungen Regelungen der Patientenverfügung, der bestehenden Divergenzen mit Blick auf die Qualifikation der Patientenverfügung als privatrechtliches oder öffentlich-rechtliches Rechtsinstrument und der relativ großen Anzahl von Mitgliedstaaten, die die Patientenverfügung bislang noch nicht geregelt haben, scheint eine Einigung auf „einen gemeinsamen Nenner“ in weiter Ferne. Andererseits belegt insbesondere ein Blick auf das ebenfalls religiös und kulturell geprägte Familienrecht, dass sich die europäischen Rechtsordnungen ungeachtet bestehender Differenzen mitunter spontan einander angleichen. So haben sich die europäischen Rechtsordnungen etwa im Bereich gleichgeschlechtlicher Partnerschaften in der jüngeren Vergangenheit vergleichsweise stark aufeinander zubewegt. 16 Motor für die spontane Rechtsangleichung des europäischen Familienrechts waren der EGMR mit seiner dynamischen Auslegung der EMRK, aber auch die Grundfreiheitenrechtsprechung des EuGH.17 Vorteil der spontanen Rechtsangleichung ist, dass sie eine behutsame inhaltliche Annäherung bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung eines eigenen Rechtsbewusstseins ermöglicht. 18 Infolge der spontanen Rechtsangleichung ist für Teilbereiche des Familienrechts überwiegend wahrscheinlich, dass die Unionsbürger entsprechende optionale Instrumente annehmen, auch wenn das Problembewusstsein für die rechtlichen Folgen eines Auslandsbezugs regelmäßig wenig ausgeprägt ist. Inwieweit auch eine optionale Patientenverfügung in der Praxis Anklang finden würde, ist angesichts dessen, dass es sich um ein verhältnismäßig junges Rechtsinstrument handelt, noch ungewiss. Auch die Kompetenz der Europäischen Union für die Schaffung einer optionalen Patientenverfügung weckt Zweifel. Optionale Regelungen wurden bislang 15
Coester-Waltjen, IPRax 2006, 392 (400). Stürner, JZ 2011, 545 (552). 17 Pintens, ZEuP 1998, 670 f. In der jüngeren Vergangenheit hat der EGMR (Case of Görgülü v. Germany, Judgment 26.2.2004 – 74969/01; Brauer v. Germany, Judgment 28.5.2009 –3545/04; Anayo v. Germany, Judgment 21.12.2010 – 20578/07; Schneider v. Germany, Judgment 15.9.2011 – 17080/07) gleich mehrfach entschieden, dass die deutsche Gesetzgebung bzw. Rechtsprechung zum nationalen Sorge- und Umgangsrecht und auch zum Erbrecht im Widerspruch zu dem von der EMRK geschützten Recht auf Ac htung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 Abs. 1) steht (dazu ausführlich: Löhnig/ Preisner, FamRZ 2012, 489 ff.). Die Grundfreiheitenrechtsprechung des EuGH hatte insbesondere Einfluss auf das Internationale Namensrecht, siehe dazu unten Kapitel 3 § 2 B. 18 Martiny, RabelsZ 59 (1995), 419 (451 f.). 16
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Kapitel 3: Ausblick
auf Art. 352 AEUV (vormals Art. 308 EG) gestützt.19 Besondere Schwierigkeiten ergeben sich überdies aus den strafrechtlichen Bezügen der Patientenverfügung. Dass die Patientenverfügung in allen Mitgliedstaaten dieselben rechtlichen Wirkungen erzielt, setzt voraus, dass auch eine Einigung über die strafrechtlichen Grenzen erfolgt, was angesichts der Unterschiede in der Grundsatzbewertung wenig aussichtsreich erscheint. C. (Bilaterale) Harmonisierung durch völkerrechtliche Verträge? Auch der Abschluss von Staatsverträgen nach Vorbild des deutschfranzösischen Wahlgüterstands 20 scheint angesichts des janusköpfigen Charakters der Patientenverfügung derzeit wenig wahrscheinlich, wenngleich mit entsprechenden Verträgen einem Stillstand im Integrationsprozess begegnet werden kann. Das genannte deutsch-französische Abkommen wird als „Initialzündung“21 zur weiteren Harmonisierung des Familienrechts begriffen, was auch durch die Möglichkeit des Beitritts anderer Staaten zu dem Abkommen unterstrichen wird (Art. 21, 22 WZGA).22 Tatsächlich ist der Anreiz zum Beitritt für andere Staaten aber durch den naturgemäß deutsch-französisch geprägten Inhalt verhältnismäßig gering. 23 Ob nun auch in anderen Bereichen des Personenrechts mit bi- oder multilateralen Regelungen zu rechnen ist, ist derzeit ebenso ungewiss wie die Folgen einer solchen Entwicklung – europäischer „Flickenteppich“ 24 oder Harmonisierungsmotor. 25 Für die Patientenverfügung wurden zwischenstaatliche Regelungen auch vom österreichischen Evaluationsbericht zum PatVG vorgeschlagen.26 D. Ausarbeitung allgemeiner Prinzipien Für die Zukunft wünschenswert wäre aber jedenfalls die Ausarbeitung allgemeiner Prinzipien zum Recht der Patientenverfügung, wie sie bereits seit dem Jahr 2001 von der Commission on European Family Law (CEFL)27 für das Familienrecht erarbeitet werden. Die auf diese Weise zu gewinnenden 19
Herresthal, EuZW 2011, 7 (9). Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über den Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft v. 4.2.2010; dazu etwa: Martiny, ZEuP 2011, 577; Stürner, JZ 2011, 545. 21 Presseerklärung Bundesministerium der Justiz v. 13.1.2010. 22 Auch aufgegriffen von: Stürner, JZ 2011, 545 (553). 23 Martiny, ZEuP 2011, 577 (597); Stürner, JZ 2011, 545 (553). 24 Martiny, ZEuP 2011, 577 (597). 25 Martiny, ZEuP 2011, 577 (597). 26 BMG, Evaluationsbericht PatVG, S. 45. 27 Zu Hintergrund, Gründung, Arbeitsmethode und ersten Ergebnissen der CEFL e twa: Pintens, ZEuP 2004, 548 ff. 20
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rechtsvergleichenden Einsichten könnten nicht nur einem besseren Verständnis der nationalen Rechtskulturen und Rechtstraditionen dienen, sondern auch aufdecken, wie groß oder wie klein die Unterschiede zwischen den europäischen Rechtsordnungen tatsächlich noch sind und damit belastbare Grundlage für die Bewältigung der anstehenden Zukunftsaufgaben sein.28 E. Zukunftsaufgaben der nationalen Gesetzgeber Solange eine Vereinheitlichung des Sachrechts der Patientenverfügung noch Zukunftsmusik ist, sind die nationalen Gesetzgeber dazu aufgerufen, ihre bereits in Gesetzesform gegossenen Regelungen der Patientenverfügung zu evaluieren und ggf. weiter zu entwickeln. Dabei wird es auch um eine Vergewisserung über die Verortung und die Grenzen der Patientenautonomie gehen.29 Zugleich wird zu beobachten sein, ob und wie Patientenverfügungen als neuartiges Kommunikationsmittel zu einer neuerlichen Veränderung in der Arzt-Patienten-Beziehung beitragen werden. Dass schon heute in den USA vermehrt von „advance care planning“ statt von „advance directive“ die Rede ist,30 ist möglicherweise ein Hinweis auf einen erneuten Perspektivwechsel von der starken Betonung des Selbstbestimmungsrechts hin zu einer Arzt-Patienten-Beziehung, in der eine am Patientenwillen ausgerichtete, aber dialogisch geprägte umfassende Vor-
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Auf die Bedeutung der Arbeiten der CEFL für die Harmonisierung des Familie nrechts hinweisend: Dethloff, AcP 204 (2004), 544 (568); dies., ZEuP 2007, 992 (1002); für das Erwachsenenschutzrecht: Röthel, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europ. Privatrechts, Stichwort Betreuung, S. 202; Ramser, Vorsorgevollmachten im Haager ESÜ, S. 145. 29 In Deutschland wird es insbesondere um eine Abstimmung zwischen Privatautonomie und Patientenautonomie gehen (Röthel, AcP 211 [2011], 196 [199]). 30 Advance Care Planning besteht aus zwei Komponenten. Zum einen ist Bestandteil des Advance Care Planning ein umfassender und professionell (nicht ärztlicherseits) begleiteter Gesprächsprozess über Verschlechterungen des Gesundheitszustands und das Lebensende, der in einer schriftlichen Patientenverfügung und Bevollmächtigung mündet und an dem sowohl der Betroffene als auch Angehörige und der Bevollmächtigte teilnehmen. Sodann kontrolliert ein Arzt diesen Prozess und bescheinigt die Einwilligung sfähigkeit und das Verständnis der Implikationen der festgehaltenen Entscheidungen. Zum anderen wird durch diverse Vorkehrungen im Gesundheitssystem gewährleistet, dass die auf diese Weise zustande gekommene Vorsorgeplanung den behandelnden Ärzten b ekannt ist. So sind Informationspflichten, einheitliche Formulare und ein Qualitätssich erungsprozess vorgesehen. Vorstehendes aus: i.d. Schmitten/Rothärmel/Rixen/Marckmann, in: Höfling (Hrsg.), Das neue Patientenverfügungsgesetz in der Praxis, S. 81 (103 ff.); Sahm, in: Höfling (Hrsg.), Das neue Patientenverfügungsgesetz in der Praxis, S. 123 (134 ff.).
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sorgeplanung ihren Platz hat. 31 Neben dieser eher theoretisch akademischen Ebene wird auf praktischer Ebene notwendig sein, die Versorgung von schwer- und schwerstkranken Menschen – etwa durch den Ausbau von Palliativstationen – zu verbessern32 und gesellschaftlich ein Klima zu schaffen, in dem Ängsten vor einem krankheitsbedingten Autonomieverlust behutsam und achtsam begegnet wird.
§ 2 Vereinheitlichung des Kollisionsrechts der Patientenverfügung? § 2 Vereinheitlichung des Kollisionsrechts?
A. Harmonisierung des Kollisionsrechts der Patientenverfügung? Solange eine Vereinheitlichung des Sachrechts der Patientenverfügung noch in der Ferne liegt und selbst eine autonome Rechtsangleichung durch Evolution33 nur Zukunftsmusik ist, wird dem Internationalen Privatrecht die Aufgabe zukommen, die divergierenden Sachrechte im Bereich der Patientenverfügung zu koordinieren.34 Wünschenswert wäre eine Vereinheitlichung des Kollisionsrechts der Patientenverfügung, die gewährleisten könnte, dass Fälle mit Auslandsberührung unabhängig von der Zufälligkeit des zuständigen Forums aus demselben jeweils räumlich besten Recht entschieden werden.35 Dies würde der Rechtssicherheit und dem Entscheidungseinklang dienen. Eine Vereinheitlichung des Kollisionsrechts der Patientenverfügung auf europäischer Ebene erscheint derzeit ähnlich schwierig wie eine Vereinheitlichung des Sachrechts und die Schaffung optionalen Rechts. Hintergrund ist nicht nur eine fehlende Auseinandersetzung mit dieser Fragestellung auf nationaler Ebene, sondern abermals eine unterschiedliche Grundeinstellung zum Rechtsinstrument der Patientenverfügung in den 27 Mitgliedstaaten, wie wir sie auch in anderen die persönliche Rechtsstellung des Einzelnen betreffenden Bereichen beobachten können. Beleg dafür, an welche Grenzen das Bestreben einer Kollisionsrechtsvereinheitlichung stoßen kann, ist die Rom III-Verordnung zum Internationalen Scheidungs-
31 Biller-Andorno/Brauer, Bioethics Vol. 24 No. 3 2010, S. ii; auch erwähnt bei Albers, MedR 2009, 138 (144); dies., in: dies. (Hrsg.), Patientenverfügungen, S. 9 (38). 32 Uhlenbruck, in: FS für Deutsch, S. 663 (665) konstatiert: „Deutschland ist im Bereich der Schmerztherapie nach wie vor Entwicklungsland.“ 33 In Anlehnung an die Begriffsbildung „Rechtsvereinheitlichung durch Evolution“ von Dethloff, AcP 204 (2004), 544 (548) zur europäischen Vereinheitlichung des Familienrechts. 34 So für das Betreuungsrecht: Lipp, Freiheit und Fürsorge, S. 231 f. 35 Allgemein: Taupitz, JZ 1993, 533 (538: „sachnächste Rechtsordnung“).
§ 2 Vereinheitlichung des Kollisionsrechts?
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recht36, die als Verordnung für alle Mitgliedstaaten gescheitert ist, was seine Ursache sicherlich auch im Einstimmigkeitserfordernis des Art. 81 Abs. 3 AEUV hat.37 Mittels des Instruments der Verstärkten Zusammenarbeit (Art. 20 EUV i.V. mit Art. 326 ff. AEUV) wurde die Rom IIIVerordnung jedenfalls für einige Mitgliedstaaten geltendes Recht.38 Die dadurch gewonnene partielle Rechtsvereinheitlichung hat den Preis, dass der mit der Harmonisierung intendierte europaweite Entscheidungseinklang und die Rechtssicherheit bei grenzüberschreitenden Sachverhalten nicht für alle Unionsbürger gewährleistet werden.39 Anders als einer Vereinheitlichung des Sachrechts stünde einer Vereinheitlichung des Kollisionsrechts der Patientenverfügung nicht zwangsläufig die fehlende Kompetenz der EU entgegen. Art. 81 Abs. 2 lit. c AEUV ist jedenfalls insoweit taugliche Kompetenzgrundlage als die Patientenverfügung als Zivilsache i.S. des Art. 81 Abs. 1 S. 1 AEUV qualifiziert wird. Freilich dürfte angesichts der unterschiedlichen Einordnung der Patientenverfügung in den nationalen Rechten allein über die Frage nach der einschlägigen Kompetenzgrundlage derzeit nur schwer Einigkeit zu erzielen sein. Manche Mitgliedstaaten werden grenzüberschreitende Patientenverfügungen möglicherweise schon gar nicht als Anwendungsfall des Internationalen Privatrechts ansehen. Erst wenn diese Schwierigkeiten überwunden sind, stellt sich die Frage nach der Ausgestaltung eines europäischen Kollisionsrechts für die Patientenverfügung. Im Sinne einer weltweiten Vereinheitlichung sehr zu begrüßen wäre, wenn sich die Haager Konferenz für Internationales Privatrecht nach der Vorsorgevollmacht auch der Patientenverfügung annähme. Gerade weil auf nationaler Ebene erhebliche Rechtsunterschiede im Umgang mit Patientenverfügungen bestehen, autonome Kollisionsnormen fehlen und auch eine Vereinheitlichung des Kollisionsrechts auf europäischer Bühne in naher Zukunft nicht zu erwarten ist, könnte ein internationales Abkommen nach dem Vorbild des ESÜ zur Behebung der derzeit bestehenden Rechtsunsicherheit beitragen und der steigenden Bedeutung privater Vorsorge durch Patientenverfügung gerecht werden und Ausdruck verleihen. 40 Eine solche 36 Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 im Hinblick auf die Zuständigkeit in Ehesachen und zur Einführung der Vorschriften betreffend das anwendbare Recht in diesem Bereich v. 17.7.2006, KOM (2006) 399 endg., 2006/0135 (CNS). 37 Dethloff/Hauschild, FPR 2010, 489 (490). 38 Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates v. 20.12.2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts, ABl. EU 2010 Nr. L 343, S. 10; dazu ausführlich: Helms, FamRZ 2011, 1765 ff. 39 Dethloff/Hauschild, FPR 2010, 489 (493). 40 So für die Vorsorgevollmacht: Guttenberger, Haager ESÜ, S. 189.
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Lösung hätte auch den Vorteil, dass die in den nationalen Rechten unterschiedlich gelöste Qualifikation der Patientenverfügung – öffentlichrechtlich oder privatrechtlich – keine wesentliche Rolle mehr spielt, weil sich den Haager Übereinkommen regelmäßig keine Beschränkung auf zivilrechtliche Sachverhalte entnehmen lässt 41. Andererseits haben die Diskussionen über medizinische Fragestellungen im Rahmen der Ausarbeitung des ESÜ die Grenzen des Machbaren deutlich aufgezeigt. So bleibt zu diesem Zeitpunkt wohl nur der Ruf an die Wissenschaft und den deutschen Gesetzgeber, die kollisionsrechtlichen Fragen in naher Zukunft zu lösen. Bis zu einer gesetzgeberischen Bewältigung der kollisionsrechtlichen Fragen wird der Beratungspraxis auch wegen der aufgezeigten rechtlichen Komplexität der Patientenverfügung und der erheblichen Unterschiede in den Sachrechten der Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine bedeutende Rolle zukommen. Zu beachten ist aber auch, dass der deutsche Gesetzgeber sich bewusst gegen das Erfordernis einer notariellen Beurkundung der Patientenverfügung und gegen eine Pflicht zur anwaltlichen Beratung entschieden hat. Es ist also nicht auszuschließen, dass den Verfassern einer Patientenverfügung mitunter gar nicht bewusst sein wird, dass ein vorhandener Auslandsbezug rechtliche Konsequenzen hat. Die Beratungspraxis wird, solange es keine gesetzliche Regelung des Internationalen Privatrechts der Patientenverfügung gibt, die Errichtung mehrerer Patientenverfügungen empfehlen müssen. Denkbar wäre, das Bundesamt für Justiz zur Unterstützung der Praxis als Ansprech- und Koordinierungsstelle bei Sachverhalten mit Auslandsbezug in die Begleitung von Fällen betreffend grenzüberschreitende Patientenverfügungen einzubinden.42 B. Anerkennung statt Verweisung? Für die Patientenverfügung könnte eine Alternative zum verweisungsrechtlichen Ansatz eine Lösung anhand des aus den Grundfreiheiten hergeleiteten Anerkennungsprinzips sein. 43 Erik Jayme und Christian Kohler haben dieses Anerkennungsprinzip in einem Aufsatz aus dem Jahr 2001 als neue Entwicklung im europäischen Kollisionsrecht beschrieben: „Die jüngste Entwicklung des europäischen Kollisionsrechts ist dadurch gekennzeich41
Vgl. Dutta, FamRZ 2008, 835 mit Verweis auf Art. 1 des MSA und des KSÜ. Für internationale Nachlassfälle: Röthel, Gutachten 68. DJT, A106. Das Bundesamt der Justiz ist bislang u.a. in Verfahren nach dem ESÜ zuständig (§§ 1–5 ErwSÜAG [Gesetz zur Ausführung des Haager Übereinkommens v. 13.1.2000 über den internationalen Schutz von Erwachsenen, Erwachsenenschutzübereinkommen-Ausführungsgesetz v. 17.3.2007, BGBl. 2007 I 314], abgedruckt unter Nr. 20a bei Jayme/Hausmann, dazu: Röthel/Woitge, IPRax 2010, 409 [411]). 43 Jayme, in: FS für Spellenberg, S. 203 (209); Ballarino, YbPIL 8 (2006), 5 (25). 42
§ 2 Vereinheitlichung des Kollisionsrechts?
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net, daß das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung das Internationale Privatrecht zu verdrängen droht.“ 44 Auslöser war, dass die Kommission den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung als tragenden Grundsatz in das Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen45 aufgenommen hatte.46 Seinen Ursprung hatte der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung im Bereich der Warenverkehrsfreiheit hinsichtlich wirtschaftsverwaltungsrechtlicher Reglementierungen: Mit seiner Hilfe sollten ohne Rechtsangleichung Handelsschranken zwischen den Mitgliedstaaten abgebaut werden.47 Die Aufnahme des Anerkennungsgrundsatzes in das Maßnahmenprogramm bedeutete eine Erstreckung des Grundsatzes auf alle zivilrechtlichen Materien, also auch das nach klassischem Verständnis nicht-binnenmarktbezogene Familien- und Erbrecht, so dass Jayme/Kohler resümierten: „Der Familienstatus wird wie eine Ware behandelt.“ 48 In einer Mitteilung aus dem Jahr 2004 wies die Kommission darauf hin, dass in Bereichen, in denen noch keine „Gemeinschaftsregeln zur gegenseitigen Anerkennung“ bestehen, solche vorrangig geschaffen werden sollen. 49 Heute wird die „schleichende Rezeption eines kollisionsrechtlichen Anerkennungsgrundsatzes“50 maßgeblich mit dem EuGH verbunden, insbesondere seiner Rechtsprechung zum Namensrecht in den Rechtssachen Konstantinidis51, Garcia Avello52 und Grunkin Paul53. Nachdem der EuGH in der Rechtssache Konstantinidis in der durch nationale Rechte erzwungenen unterschiedlichen Namensführung den Namensträger noch in der Niederlassungsfreiheit, also einer wirtschaftlichen Grundfreiheit, verletzt sah, nahm der EuGH sowohl in der Rechtssache Garcia Avello als auch in der Rechtssache Grunkin Paul ausschließlich einen Verstoß gegen das von wirtschaftlicher Betätigung unabhängige Recht auf Freizügigkeit (früher Art. 18 EG, jetzt Art. 21 AEUV) und in der Rechtssache Garcia Avello au44
Jayme/Kohler, IPRax 2001, 501. Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerke nnung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG 2001 Nr. C 12, S. 1. 46 Jayme/Kohler, IPRax 2001, 501. 47 Ausführlich: W. Schroeder, in: Studiengesellschaft für Wirtschaft und Recht (Hrsg.), Anerkennungs-/Herkunftslandprinzip, S. 1 (3 ff., 5); Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651 (664 ff.). 48 Jayme/Kohler, IPRax 2001, 501. 49 Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts: Bilanz des Tampere-Programms und Perspektiven, KOM(2004) 401 endg., S. 11; Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651 (663). 50 Mansel/Thorn/R. Wagner, IPRax 2011, 1 (2). 51 EuGH v. 30.3.1993, Rs. C-168/91, Slg. 1993, I-01191. 52 EuGH v. 2.10.2003, Rs. C-148/02, Slg. 2003, I-11613. 53 EuGH v. 14.10.2008, Rs. C-353/06, Slg. 2008, I-07639. 45
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ßerdem einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot (Art. 12 EG, jetzt Art. 18 AUEV) an.54 Der EuGH folgerte aus der Unionsbürgerschaft und der Beeinträchtigung der Grundfreiheiten, dass die Behörden Belgiens (Garcia Avello) bzw. Deutschlands (Grunkin Paul) zur Anerkennung des nach spanischem bzw. dänischem Recht gebildeten Namens auch dann verpflichtet sind, wenn die eigenen Kollisionsnormen nicht zu diesem Ergebnis führen. Die Verpflichtung zur Anerkennung bedeutete eine Verdrängung der mitgliedstaatlichen Kollisionsnormen und einen substanziellen Methodenwechsel.55 Als Ausfluss dieser Entwicklungen haben wir es heute auf europäischer Bühne mit einem mehrdeutigen Anerkennungsbegriff zu tun. 56 Unterscheiden lassen sich drei Arten der Anerkennung – die klassische verfahrensrechtliche Anerkennung, die Anerkennung durch bloße IPR-Verweisung und die hier interessierende, aus den Grundfreiheiten abgeleitete Anerkennung.57 Letztere folgt den Grundprinzipien der Anerkennung in international verfahrensrechtlichen Fragen, geht aber inhaltlich in eine andere Richtung, weil es statt um die Anerkennung von gerichtlichen Entscheidungen um die Anerkennung von „Rechtslagen“ geht. 58 Im Unterschied zum Herkunftslandprinzip59 wird, so Dagmar Coester-Waltjen, bei der aus den Grundfreiheiten abgeleiteten „kollisionsrechtlichen“ Anerkennung „als kollisionsrechtliche Methode eine im Ausland aufgrund eines privaten oder behördlichen Aktes geschaffene Rechtslage unabhängig von der Anwendung der eigenen Kollisionsnormen des Anerkennungsstaates und unabhängig von der Frage im Ursprungsstaat angewandten Rechts im Anerkennungsstaat als wirksam betrachtet.“ 60 Nach Coester-Waltjen wird als „‘Rechtslage‘ […] dabei nicht eine rein tatsächliche Lage bezeichnet, sondern eine Manifestierung der sich aus bestimmten Tatsachen oder Akten ergebenden rechtlichen Wirkungen“ 61. Als Beispiele für Regelungen, in 54 Lurger, in: Studiengesellschaft für Wirtschaft und Recht (Hrsg.), Anerkennungs-/ Herkunftslandprinzip, S. 139 (146 f.). 55 Kohler/Seyr/Puffer-Mariette, ZEuP 2011, 874 (877). 56 Jayme/Kohler, IPRax 2001, 501 (502); Coester-Waltjen, in: FS für Jayme, Bd. I, S. 121 (122); Sonnenberger, in: FS für Spellenberg, S. 371 (373 ff., 384 ff.). 57 Lurger, in: Studiengesellschaft für Wirtschaft und Recht (Hrsg.), Anerkennungs-/ Herkunftslandprinzip, S. 139 (149 ff.). Sie bezeichnet Letztere als Anerkennung durch Blockverweisung. 58 Coester-Waltjen, IPRax 2006, 392; Spernat, Gleichgeschlechtliche Ehe im IPR, S. 190; zu den unterschiedlichen Definitionen des Anerkennungsprinzips im Schrifttum: Leifeld, Anerkennungsprinzip, S. 163 ff. 59 Dazu ausführlich: W.-H. Roth, IPRax 2006, 338 ff.; W. Schroeder, in: Studiengesellschaft für Wirtschaft und Recht (Hrsg.), Anerkennungs-/Herkunftslandprinzip, S. 1 (18 ff.). 60 Coester-Waltjen, IPRax 2006, 392 (393). 61 Coester-Waltjen, IPRax 2006, 392.
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denen das so verstandene Anerkennungsprinzip Niederschlag gefunden hat, werden immer wieder Übereinkommen der CIEC (Commission Internationale de l’État Civil)62 sowie verschiedene Haager Konventionen, etwa Art. 9 des Haager Eheschließungsübereinkommens von 1978, das Haager Adoptionsübereinkommen von 1993 und das Haager Entführungsübereinkommen, genannt.63 Die Anwendung der aus den Grundfreiheiten abgeleiteten Anerkennungsmethode ist jenseits des Namensrechts bislang nicht geklärt. 64 Die Kommission hat in der jüngeren Vergangenheit das Grünbuch „Weniger Verwaltungsaufwand für EU-Bürger: Den freien Verkehr öffentlicher Urkunden und die Anerkennung der Rechtswirkungen von Personenstandsurkunden erleichtern“65 vorgelegt und darin auch Präferenzen für die Einführung einer „Anerkennung von Rechts wegen“ durchblicken lassen. 66 Auch im akademischen Schrifttum wird seit Längerem eine Erstreckung der dargestellten Anerkennungsmethode auf behördliche oder behördlich registrierte Akte im Bereich des Personenstandsrechts sowie auf familienrechtliche Statusverhältnisse, insbesondere auf registrierte Partnerschaften, diskutiert.67 Überlegen ließe sich, ob mit der Ausübung von Privatautonomie in einer Patientenverfügung ein Status begründet wird. Nach Friedrich Carl von Savigny ist Status „die Stellung oder der Standpunkt, welcher der einzelne Mensch im Verhältnis zu anderen Menschen einnimmt“ 68. Im Anschluss daran wird unter Status heute aus einer relationalen Perspektive 69 die Umschreibung der rechtlichen Eigenschaft einer Person in Bezug auf
62
Etwa Convention sur la reconnaissance des partenariats enregistrés v. 5.9.2007, abrufbar unter: . 63 Lagarde, RabelsZ 68 (2004), 225 (231 f.); Coester-Waltjen, IPRax 2006, 392 (394 f.). Diese Beispiele wurden aber etwa von Spernat, Gleichgeschlechtliche Ehe im IPR, S. 194 ff., in Zweifel gezogen. 64 Jayme, in: FS für Spellenberg, S. 203 (209). 65 KOM(2010) 747 endg. 66 Mansel, IPRax 2011, 341. 67 Lurger, in: Studiengesellschaft für Wirtschaft und Recht (Hrsg.), Anerkennungs-/ Herkunftslandprinzip, S. 139 (157 ff.); Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651 (710 ff.); ablehnend: Spernat, Gleichgeschlechtliche Ehe im IPR, S. 200 ff. 68 v. Savigny, System II, S. 454. Zu dem Statuskonzept des Gemeinen Rechts, das im Anschluss an römisch-rechtliche Konzeptionen zwischen status libertatis, status civitatis und status familiae unterschieden hat und damit eine dreifache Abstufung der Rechtsfähigkeit vorsah: Muscheler, Familienrecht, S. 41 f.; Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel, Familienrechtlicher Status, S. 85 (107). 69 Zu den verschiedenen Statusbegriffen (formal oder material; materialer Ansatz aus personaler, realer oder relationaler Perspektive): Muscheler, Familienrecht, S. 42 ff. m.w.N.; Funken, Anerkennungsprinzip im IPR, S. 10 ff.
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eine oder mehrere andere Personen verstanden. 70 Auch wenn der Betroffene mit der Patientenverfügung antizipiert seine rechtliche Stellung gegenüber dem Arzt bzw. dem Vertreter für den Zustand der eigenen Hilfsbedürftigkeit regelt, darf nicht übersehen werden, dass das akademische Schrifttum als Statusbeziehungen bislang nur die personalen Institutionen des Familienrechts, also insbesondere Ehe, eingetragene Lebenspartnerschaft, Kindschaft, Elternschaft und Verwandtschaft, ansieht. 71 Diesen Institutionen ist gemein, dass sie auf Dauer angelegt sind, dem Verkehr erkennbar gemacht werden, in den verschiedensten Rechtsgebieten Rechtsfolgen auslösen können und der Person einen Inbegriff von subjektiven Rechten und Pflichten vermitteln. 72 Die Patientenverfügung erfüllt diese Kriterien – anders als die Betreuung73 – nicht. Gegen eine Anwendung der dargestellten Anerkennungsmethode auf Patientenverfügungen spricht überdies, dass die Patientenverfügung weder ein behördlicher Akt ist noch zwingend behördlich registriert wird und eine Erstreckung des Anerkennungsprinzips auf private Akte bislang überwiegend abgelehnt wird, weil es an einem „Kristallisationspunkt“ 74 für ein schutzwürdiges Vertrauen der Betroffenen in den Bestand der Rechtslage fehlt und ansonsten sämtliche Fragen der Wirksamkeit von Rechtsgeschäften dem kollisionsrechtlichen Ansatz partiell entzogen würden. 75 Schließlich spricht gegen eine Anwendung, dass im Kontext der Patientenverfügung inländische Eingriffsnormen berührt werden, an deren Anwendung der Staat wegen des Gemeinwohlbezugs dieser Normen ein starkes Interesse hat. Die aus den Grundfreiheiten abgeleitete Anerkennung würde ohnehin nur überzeugen, wenn damit überhaupt ein gegenüber dem klassischen Verweisungsrecht hinausgehender Nutzen verbunden wäre. Jedenfalls auf den ersten Blick liegt der Nutzen des Anerkennungsprinzips in der Gewinnung internationalen Entscheidungseinklangs, in der Stärkung der Rechtssicherheit und einer Vereinfachung der Rechtsanwendung, weil eine Prü70
Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel, Familienrechtlicher Status, S. 85 (107); ähnlich auch: Muscheler, Familienrecht, S. 43. 71 Röthel, in: Lipp/Röthel/Windel, Familienrechtlicher Status, S. 85 (107 m.w.N.). 72 Muscheler, Familienrecht, S. 43. 73 Muscheler, Familienrecht, S. 43 f., 50, 52 ff., der einen personalen Ansatz vertritt, nach dem Status ein Inbegriff personenrechtlicher Eigenschaften ist. Die Qualifikation der Betreuung als Status leitet er daraus ab, dass „die Betreuung im Umfang ihrer Anordnung gesetzliche Vertretungsmacht“ begründet und „damit, wenn der Betreute geschäft sfähig ist, zur Doppelung der Handlungsmacht und zur Ermöglichung von Fremdbesti mmung“ führt (S. 44 f.). 74 Begriff nach: Mayer, in: Mélanges Lagarde, S. 547 (562). 75 Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651 (716); Jayme, in: FS für Spellenberg, S. 203 (209); weitergehend aber: Coester-Waltjen, in: FS für Jayme, Bd. I, S. 121 (128 f.): „Der Weg zur „Anerkennung“ eines notariellen Ehevertrages ist dann aber auch nicht mehr sehr weit.“
§ 2 Vereinheitlichung des Kollisionsrechts?
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fung der verschiedensten, von den jeweiligen Verweisungsnormen berufenen Rechte entbehrlich wird.76 Dieser Nutzen ist aber solange teuer erkauft, wie die Kriterien und Grenzen der anerkennungsrechtlichen Methode unausgereift sind und dies zu neuer Rechtsunsicherheit führt. 77 Zu den Zukunftsaufgaben gehört daher eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen und der Reichweite des Anerkennungsprinzips – Beschränkung auf behördliche und behördlich registrierte Rechtslagen oder Erstreckung auch auf private Rechtslagen?, was sind private Rechtslagen?, Wirkungserstreckung oder Gleichstellung?, Anerkennungshindernisse und/oder ordre public-Vorbehalt?78, Erfordernis einer Verbindung zum Ursprungsstaat?, Grenzen zwischen verfahrensrechtlicher Anerkennung und Anerkennung materiellrechtlicher Rechtslagen? 79 – und eine kritische und realistische Beleuchtung des Machbaren. Schon die zuvor genannten Fragen belegen, dass eine Ablösung des geltenden verweisungsrechtlichen Systems durch ein System der Anerkennung keinesfalls komplexe Regelungen entbehrlich macht. 80 Im Gegenteil dürfte sogar ein Nebeneinander von Kollisions- und Anerkennungsregeln erforderlich sein, weil die Geltung des Anerkennungssystems auf den Zweitstaat beschränkt wäre.81 Überdies erscheint es weder sinnvoll noch aussichtsreich, das System der Anerkennung materiellrechtlicher Rechtslagen auf Themen zu erstrecken, bei denen im Rahmen der Europäischen Union keine Übereinstimmung in der Grundsatzbewertung zu erzielen sein wird. 82 Dies dürfte auf heterosexuelle Partnerschaften 83 ebenso zutreffen wie auf Patientenverfügungen. Denn obschon die Patientenverfügung in den vergangenen Jahren in vielen europäischen Rechtsordnungen gesetzlich geregelt wurde, 76
Coester-Waltjen, in: FS für Jayme, Bd. I, S. 121 (123); dies., IPRax 2006, 392 (393); Spernat, Gleichgeschlechtliche Ehe im IPR, S. 191. 77 Sonnenberger, in: FS für Spellenberg, S. 371; Spernat, Gleichgeschlechtliche Ehe im IPR, S. 200 ff. 78 Die Verweigerung einer Namensanerkennung aufgrund des nationalen ordre public hat der EUGH jüngst in der Rechtssache C-208/09 – Sayn-Wittgenstein/Landeshauptmann von Wien für zulässig erachtet. Die unterbliebene Anerkennung des deutschen Adelstitels der in Deutschland wohnhaften österreichischen Staatsangehörigen durch die österreichischen Behörden stelle eine Beschränkung der Freizügigkeit (Art. 21 AEUV) dar, die aber gerechtfertigt sei durch den Schutz der nationalen öffentlichen Ordnung des Anerkennungsstaates (hier Österreich, Rn. 71, 81 ff.). 79 Lurger, in: Studiengesellschaft für Wirtschaft und Recht (Hrsg.), Anerkennungs-/ Herkunftslandprinzip, S. 139 (152 ff., 157 ff., 168 ff.); Coester-Waltjen, in: FS für Jayme, Bd. I, S. 121 ff.; Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651 (710 ff.); ähnliche und weitere Fragestellungen auch bei: Mansel/Thorn/R. Wagner, IPRax 2011, 1 (3). 80 Mansel/Thorn/R. Wagner, IPRax 2011, 1 (3). 81 Mansel/Thorn/R. Wagner, IPRax 2011, 1 (3). 82 Coester-Waltjen, IPRax 2006, 392 (398). 83 Mansel/Coester-Waltjen/Henrich/Kohler, IPRax 2011, 335 (339).
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Kapitel 3: Ausblick
verbleibt eine große Anzahl von Mitgliedstaaten, die der antizipiert ausgeübten Patientenautonomie skeptisch gegenüberstehen, jedenfalls aber die objektiven Grenzen der Patientenautonomie wesentlich enger ziehen als andere Mitgliedstaaten, so dass eine schrankenlose Anerkennung angesichts der noch einige Jahre verbleibenden ethischen und kulturellen Unterschiede in den Mitgliedstaaten auf wenig Akzeptanz stoßen würde. 84 „Akzeptanz trotz Unterschiedlichkeit“ 85 bleibt mit Blick auf Patientenverfügungen also derzeit nicht mehr als eine Vision und die Entwicklung von Kollisionsnormen – sei es national, sei es europäisch, sei es staatsvertraglich – nach wie vor unausweichlich.
84 85
Jayme, in: FS für Spellenberg, S. 203 (209). Coester-Waltjen, in: FS für Jayme, Bd. I, S. 121 (128).
Kapitel 4
Zusammenfassung in Thesen Kapitel 4: Zusammenfassunng in Thesen
1. Die Patientenverfügung ist als Rechtsinstitut mittlerweile in vielen europäischen Rechtsordnungen anerkannt. Die Anerkennung von Patientenverfügungen wurde in den europäischen Rechtsordnungen durch die Stärkung der Selbstbestimmung des Einzelnen im Recht der staatlichen Fürsorge für schutzbedürftige Erwachsene und im Recht der medizinischen Heilbehandlung ermöglicht und begünstigt. In Europa zeigt sich mittlerweile weitgehend Übereinstimmung im Autonomieverständnis, wenn es um die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts im staatlichen Erwachsenenschutzrecht und die Anerkennung des informed consent geht.1 2. Die antizipierte Ausübung der Patientenautonomie durch Patientenverfügung beurteilen die europäischen Rechtsordnungen bislang noch unterschiedlich. Während einige Rechtsordnungen bereits gesetzliche Regelungen für die Patientenverfügung verabschiedet haben, haben in anderen Staaten entsprechende Diskussionen noch nicht einmal im Ansatz begonnen. Die rechtsvergleichende Untersuchung ausgewählter Rechtsordnungen hat gezeigt, dass in Europa verschiedene Regelungsmodelle für die Patientenverfügung existieren, die von autonomiegeprägt (Benelux-Staaten, Schweiz) auf der einen Seite bis zu paternalistisch geprägt (Frankreich, Österreich) auf der anderen Seite reichen. Einige Rechtsordnungen (Spanien, England und Wales) nehmen auch eine Mittelstellung ein. Die bedeutendsten Unterschiede bestehen mit Blick auf die Beurteilung der Grenzen des Patientenselbstbestimmungsrechts, insbesondere hinsichtlich der Zulassung aktiver Sterbehilfe (nur Benelux-Staaten).2 3. In der Bundesrepublik Deutschland gingen der gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung durch das 3. BtÄndG im Jahr 2009 zwei Jahrzehnte voraus, in denen disziplinübergreifend über die rechtliche Anerkennung von Patientenverfügungen diskutiert wurde. Wichtige Impulse kamen aus der Rechtsprechung. Mit der gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung in § 1901a Abs. 1 BGB ist die Herauslösung der Patientenverfügung aus der Rechtsfigur mutmaßliche Einwilligung vollendet. Dies stärkt das auch verfassungsrechtlich geschützte Patientenselbstbestimmungsrecht 1 2
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Kapitel 4: Zusammenfassunng in Thesen
deutlich. Allerdings hat das Regelungskonzept der §§ 1901a ff. BGB lediglich in Teilbereichen Rechtssicherheit gebracht. Auslöser für Unsicherheiten und Kontroversen im Schrifttum sind der Verzicht auf das Wirksamkeitserfordernis „ärztliche Aufklärung“ und die im Gesetzgebungsverfahren nicht näher spezifizierte Rolle des Patientenvertreters. Die Einzelabstimmungen zwischen Betreuungsrecht und Patientenverfügung bleiben schwierig.3 4. Künftig ist infolge der Internationalisierung der Lebensläufe und des demographischen Wandels sowohl mit einem Anstieg der Fürsorgefälle mit Auslandsbezug als auch mit einem Zuwachs an grenzüberschreitenden Behandlungsfällen zu rechnen. Infolge der Vereinheitlichung des Kollisionsrechts für vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse durch die Verordnungen Rom I und II bestehen auch für medizinische Behandlungssituationen mit Auslandsberührung innerhalb der EU einheitliche Kollisionsregeln. Die Richtlinie über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung enthält demgegenüber keine Kollisionsnormen. Seit Inkrafttreten des Haager ESÜ bestehen für Fürsorgefälle und Vorsorgevollmachten mit grenzüberschreitendem Bezug verlässliche Kollisionsregeln (Art. 13 f., 15 f. ESÜ), die eine erhebliche Erleichterung für den Betroffenen und den Rechtsverkehr bedeuten und das autonome Kollisionsrecht weitgehend verdrängen. Eine Kollisionsregel für isolierte Patientenverfügungen enthält das ESÜ nicht. Die isolierte Patientenverfügung lässt sich nicht in die Kollisionsregel für Vorsorgevollmachten (Art. 15 f. ESÜ) einordnen, weil Gegenstand isolierter Patientenverfügungen nicht die Einräumung von Vertretungsmacht zur Vornahme einer Vertretungshandlung ist. Die Kollisionsregeln für staatliche Schutzmaßnahmen (Art. 13 f. ESÜ) sind im Kontext isolierter Patientenverfügungen nur für Fragen der Durchsetzung der Patientenverfügung anwendbar. 4 5. Ein Blick auf in- und ausländische Stellungnahmen zum Kollisionsrecht der Patientenverfügung belegt, dass die europäischen Staaten bei der Bewältigung der im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Patientenverfügungen auftretenden kollisionsrechtlichen Fragen noch am Anfang stehen. Im ausländischen Schrifttum wird sowohl eine Einordnung der Patientenverfügung in die für das Arzt-Patienten-Verhältnis maßgeblichen Kollisionsregeln (Schweiz) als auch eine Einordnung in das Personalstatut bzw. die erwachsenenschutzrechtlichen Vorschriften (Österreich, Griechenland) diskutiert. Der liechtensteinische Gesetzgeber hat sich für die Schaffung einer Exklusivnorm zugunsten des eigenen Rechts ausgesprochen. Im deutschen Schrifttum herrscht demgegenüber bereits Uneinigkeit
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über die Frage, ob die Patientenverfügung mit Auslandsbezug im Internationalen Strafrecht oder im Internationalen Privatrecht zu verorten ist. 5 6. Die von der Verfasserin mit Blick auf die Verortung der Patientenverfügung mit Auslandsbezug unternommenen Ordnungsversuche haben ihren Ausgangspunkt in der Überlegung, dass eine Zuordnung der Patientenverfügung zum Internationalen Privatrecht oder Internationalen Strafrecht eine Vergewisserung darüber voraussetzt, wie die Grenze zwischen Internationalem Privatrecht, Internationalem Strafrecht und Internationalem öffentlichen Recht verläuft und was die Aufgaben dieser Rechtsgebiete sind.6 a. Eine entsprechende Untersuchung zeigt, dass sich die Einteilung des Grenzrechts aus der nicht akzessorischen Grenzziehung zwischen Privatrecht, Strafrecht und öffentlichem Recht auf der Ebene des materiellen Rechts speist und diese Grenzziehung nicht mehr so kategorisch wie früher ist, was auch das Beispiel der Patientenverfügung belegt. Dass Privatrecht und öffentliches Recht heute stärker aufeinander bezogen sind, spiegelt sich auf der Ebene des Grenzrechts wider. Das Internationale Privatrecht berücksichtigt die Verflechtung von Privatrecht und öffentlichem Recht über die Kategorie der Eingriffsnormen, die den klassischen verweisungsrechtlichen Ansatz des Internationalen Privatrechts partiell zurückdrängt. Das Internationale Strafrecht trägt der Verflechtung der Teilrechtsordnungen mit der Kategorie der Fremdrechtsanwendung im Strafrecht Rechnung. b. Die Patientenverfügung ist trotz ihrer Bezüge zum öffentlichen Recht, insbesondere zum Strafrecht, in der deutschen Rechtsordnung dem Schwerpunkt nach im Zivilrecht zu verorten, weil das faktische Handeln des Betroffenen in Form der Willensbekundung Patientenverfügung privatautonomes Handeln ist, das an zivilrechtliche Wirksamkeitsvoraussetzungen geknüpft wird. Daraus folgt, dass auch für Fälle mit Auslandsberührung das Internationale Privatrecht regelungszuständig ist und für die Patientenverfügung eine internationalprivatrechtliche Verweisungsnorm zu suchen ist. Lediglich die §§ 211 ff. StGB i.V. mit § 134 BGB sind als Eingriffsnormen zu qualifizieren. Infolge der Qualifikation dieser Normen als Eingriffsnormen ergibt sich bei hinreichendem Inlandsbezug die zulässige inhaltliche Reichweite einer Patientenverfügung stets aus dem über das Internationale Strafrecht zur Anwendung berufenen deutschen Strafrecht. Das Problem der Fremdrechtsanwendung im Strafrecht kann sich bei der Patientenverfügung stellen, wenn die Strafbarkeit eines behandelnden Arztes wegen eigenmächtiger Heilbehandlung oder wegen eines Tötungsdelikts zu beurteilen ist und ein Auslandsbezug besteht. Allerdings löst bereits die Frage, ob sich das Problem der Fremdrechtsanwendung im Straf5 6
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recht im Kontext der Patientenverfügung überhaupt stellt, Unsicherheiten aus. Insbesondere im Anwendungsbereich des § 3 StGB kommt es maßgeblich darauf an, wie sich ein Verstoß gegen die prozeduralen Vorschriften der §§ 1901a ff. BGB im Strafrecht auswirkt. 7. Mangels einer ausdrücklichen geschriebenen Kollisionsregel für die Patientenverfügung ist das Internationale Privatrecht der Patientenverfügung zur Rechtsfortbildungsaufgabe geworden. a. Weil das Internationale Privatrecht der Gerechtigkeit dient, muss Ziel sein, eine Kollisionsnorm zu finden, die die im Kontext der Patientenverfügung relevant werdenden Interessen und Wertungen berücksichtigt und in Ausgleich bringt. Infolge der grundsätzlichen Orientierung des kontinentaleuropäischen Kollisionsrechts auf die Anwendung des räumlich besten Rechts sind für die Gerechtigkeitsfindung insbesondere internationalprivatrechtliche Interessen und Wertungen in den Blick zu nehmen. Infolge der Materialisierung des Internationalen Privatrechts werden aber auch verstärkt materiellprivatrechtliche Interessen und Wertungen kollisionsrechtlich umgesetzt. Eine Analyse der im Kontext der Patientenverfügung relevant werdenden Interessen und Wertungen ergibt, dass sich die Interessen zum Teil widersprechen. Das Interesse des Betroffenen und der höchstpersönliche Charakter der Patientenverfügung sprechen für eine personale Anknüpfung, wobei aber zwischen Staatsangehörigkeit und gewöhnlichem Aufenthalt eine gewisse Anknüpfungsverlegenheit besteht, weil sich nicht verallgemeinernd feststellen lässt, ob der Wunsch nach Kontinuität oder der Wunsch nach Anpassung überwiegt. Die Vorteile einer Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit liegen insbesondere in der Anknüpfungsstabilität und der Vermeidung von Gesetzesumgehungen. Für die Berufung des Aufenthaltsrechts spricht, dass sich das Aufenthaltsprinzip gegenüber dem Staatsangehörigkeitsprinzip in den nächsten Jahren in den europäischen Rechtsordnungen durchsetzen wird, und mit dem Aufenthaltsprinzip eine Berücksichtigung von Verkehrsinteressen gelingt, weil oftmals Aufenthalts- und Behandlungsort übereinstimmen werden. Darüber hinaus wird mit einer Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen Ausländern, die bereits lange Zeit im Inland leben, die Errichtung einer Patientenverfügung ermöglicht. Der Planungssicherheit des Betroffenen dient eine unwandelbare Anknüpfung an den Zeitpunkt der Errichtung der Patientenverfügung. Mit einer Anknüpfung an den Behandlungsort würde demgegenüber dem Charakter der Patientenverfügung als Handlungsanweisung an den behandelnden Arzt Ausdruck verliehen und den Interessen der behandelnden Ärzte an der Anwendung eines vertrauten und leicht zu ermittelnden Rechts Genüge getan. Für den Betroffenen wäre das anwendbare Recht bei einer Berufung des Rechts am Behandlungsort
Kapitel 4: Zusammenfassunng in Thesen
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hingegen nur in dem seltenen Fall ermittelbar, dass bereits bei Errichtung der Patientenverfügung feststeht, wo die Behandlung erfolgen wird. 7 b. Eine auf den ermittelten Interessen aufbauende Analyse des vorhandenen Normbestands ergibt, dass die Patientenverfügung nicht in vorhandene Kollisionsnormen des europäischen und deutschen Kollisionsrechts eingeordnet werden kann, sondern ein eigenes Anknüpfungsgefüge für die Patientenverfügung zu entwickeln ist. Weder überzeugt eine Qualifikation der Patientenverfügung als vertragliches Schuldverhältnis (Rom I-VO), noch überzeugt eine Qualifikation der Patientenverfügung als Einwilligung, auch wenn diese Qualifikationen eine Entlastung für die behandelnden Ärzte bedeuteten. Auch eine Qualifikation der Patientenverfügung als Rechts- und Geschäftsfähigkeit i.S. des Art. 7 EGBGB ist ebenso abzulehnen wie eine Qualifikation der Patientenverfügung als Betreuung i.S. des Art. 24 EGBGB.8 c. Aus Sicht der Verfasserin bringt ein Anknüpfungsgefüge, das nach Sachfragen differenziert, nämlich für die Gültigkeit der Patientenverfügung unwandelbar das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen im Zeitpunkt der Errichtung der Patientenverfügung und für die inhaltliche Wirksamkeit und die Wirkungen der Patientenverfügung das Recht am Behandlungsort beruft, die sich widersprechenden Interessen des Betroffenen, der Fürsorgeperson und der behandelnden Ärzte angemessen in Ausgleich. Außerdem empfiehlt sich eine gegenüber Art. 11 Abs. 1 EGBGB weitergehende Anknüpfung der Form der Patientenverfügung an das Heimatrecht des Betroffenen. Sonderanzuknüpfen sind die Einwilligungsfähigkeit und das Volljährigkeitsalter (analog Art. 7 Abs. 1 S. 1 EGBGB). Daneben empfiehlt sich eine auf die Gültigkeit der Patientenverfügung und auf die Wahl des Heimatrechts des Betroffenen beschränkte Rechtswahl. Die inhaltliche Beschränkung auf die Gültigkeit der Patientenverfügung dient dem im Kontext der Patientenverfügung nachvollziehbar starken Interesse der behandelnden Ärzte an der Anwendung des Rechts am Behandlungsort. Die Wählbarkeit des Heimatrechts genügt dem Kontinuitätsinteresse des Betroffenen. Eine spezielle ordre public-Klausel ist abzulehnen.9 8. Eine europaweite Vereinheitlichung, wenigstens aber eine Angleichung des Sachrechts der Patientenverfügung wäre wünschenswert, weil damit garantiert werden könnte, dass Patientenverfügungen in der gesamten Europäischen Union Beachtung finden, wenigstens aber die Verkehrsfähigkeit von Patientenverfügungen verbessert würde. Eine Vereinheitlichung des Sachrechts erscheint wegen der fehlenden Kompetenzgrundlage und der rechtskulturellen Unterschiede in der Beurteilung des Verhältnis7
Kapitel 2 § 2 C. I., III. 1. Kapitel 2 § 2 C. II. 9 Kapitel 2 § 2 C. III. 8
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Kapitel 4: Zusammenfassunng in Thesen
ses von Patientenautonomie und Lebensschutz derzeit wenig aussichtsreich. Die rechtskulturellen Unterschiede stehen auch der Schaffung eines optionalen Einheitsrechts für die Patientenverfügung, das in Fällen mit Auslandsbezug gewählt werden kann, sowie einer bilateralen Harmonisierung durch völkerrechtliche Verträge entgegen. Bis zu einer Vereinheitlichung des Sachrechts sind die nationalen Gesetzgeber dazu aufgerufen, die in den vergangenen Jahren geschaffenen gesetzlichen Regelungen der Patientenverfügung zu evaluieren und ggf. weiter zu entwickeln. Der Rechtssicherheit und dem Entscheidungseinklang würde eine europaweite Vereinheitlichung des Kollisionsrechts der Patientenverfügung dienen. Angesichts der unterschiedlichen Einordnung der Patientenverfügung in den nationalen Rechten dürfte aber allein über die Frage nach der einschlägigen Kompetenzgrundlage derzeit nur schwer Einigkeit zu erzielen sein. Manche Mitgliedstaaten werden grenzüberschreitende Patientenverfügungen möglicherweise schon gar nicht als Anwendungsfall des Internationalen Privatrechts ansehen und deswegen die Patientenverfügung auch nicht als Zivilsache i.S. des Art. 81 Abs. 1 S. 1 AEUV qualifizieren. Ein internationales Abkommen nach dem Vorbild des ESÜ könnte Abhilfe schaffen, weil sich den Haager Übereinkommen regelmäßig keine Beschränkung auf zivilrechtliche Sachverhalte entnehmen lässt. Ein anderer Weg als der der kollisionsrechtlichen Verweisung könnte eine Lösung anhand des aus den Grundfreiheiten hergeleiteten Anerkennungsprinzips sein. Eine entsprechende Anerkennung scheidet für die Patientenverfügung allerdings mangels einer behördlichen Registrierung bzw. eines behördlichen Aktes aus. 10
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Kapitel 3.
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Wengler, Wilhelm: Die Anknüpfung des zwingenden Schuldrechts im internationalen Privatrecht. Eine rechtsvergleichende Studie, in: ZVglRWiss 54 (1941), S. 168–212, zitiert: Wengler, ZVglRWiss 54 (1941) –: Die allgemeinen Rechtsgrundsätze des internationalen Privatrechts und ihre Kollisionen, in: ZöffR 23 (1944), S. 473–509, zitiert: Wengler, ZöffR 23 (1944) –: Sonderanknüpfung, positiver und negativer ordre public, in: JZ 1979, S. 175–177, zitiert: Wengler, JZ 1979 Widmer Blum, Carmen Ladina: Urteilsunfähigkeit, Vertretung und Selbstbestimmung – insbesondere: Patientenverfügung und Vorsorgeauftrag, Diss., Zürich 2010, zitiert: Widmer Blum, Urteilsunfähigkeit Wiesing, Urban (Hrsg.): Ethik in der Medizin. Ein Studienbuch, 3. Aufl. Stuttgart 2008, zitiert: Bearbeiter, in: Wiesing (Hrsg.), Ethik in der Medizin Will, Rosemarie: Das Recht auf einen menschenwürdigen Tod. Sterbehilfe und Patientenverfügung als grundrechtliche Freiheit zur Selbstbestimmung, in: vorgänge 2006, S. 43–71, zitiert: Will, vorgänge 2006 Wille, Siegfried: Grundsätze des Nürnberger Ärzteprozesses, in: NJW 1949, S. 377, zitiert: Wille, NJW 1949 Wolff, Jacob: Der praktische Arzt und sein Beruf: Vademecum für angehende Praktiker, Stuttgart 1896, zitiert: J. Wolff, Der praktische Arzt und sein Beruf Wolff, Martin: Das Internationale Privatrecht Deutschlands, 2. Aufl. Berlin/Göttingen/ Heidelberg 1949, zitiert: M. Wolff, IPR Zimmer, Daniel: Savigny und das Internationale Privatrecht unserer Zeit, in: Gerkens, Jean-François/Peter, Hans-Jörg/Trenk-Hinterberger, Peter/Vigneron, Roger (Hrsg.), Mélanges Fritz Sturm, Bd. II, Liège 1999, S. 1709–1722, zitiert: Zimmer, in: Mélanges Sturm Zimmermann-Acklin, Markus: Der gute Tod. Zur Sterbehilfe in Europa, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 23-24/2004, S. 31–38, abrufbar unter: , zitiert: Zimmermann-Acklin, Aus Politik und Zeitgeschichte B 2324/2004 Zitelmann, Ernst: Internationales Privatrecht, Erster Band, Leipzig 1897, zitiert: Zitelmann, IPR I Zweigert, Konrad: Nichterfüllung auf Grund ausländischer Leistungsverbote, in: RabelsZ 14 (1942), S. 283–307, zitiert: Zweigert, RabelsZ 14 (1942) –: Die dritte Schule im Internationalen Privatrecht. Zur neueren Wissenschaftsgeschichte des Kollisionsrechts, in: Ipsen, Hans-Peter (Hrsg.), Festschrift für Leo Raape zu seinem 70. Geburtstag 14. Juni 1948, Hamburg 1948, S. 35–52, zitiert: Zweigert, in: FS für Raape –: Zur Armut des Internationalen Privatrechts an sozialen Werten, in: RabelsZ 37 (1973), S. 435–452, zitiert: Zweigert, RabelsZ 37 (1973)
Register Anerkennungsprinzip 312 ff. Anknüpfungsgerechtigkeit 209 ff. – internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit 210 ff. – internationalprivatrechtliche Interessen 211 ff., 216 ff. – materiellprivatrechtliche Gerechtigkeit 210 ff. – materiellprivatrechtliche Interessen 213 ff., 237 f. Anknüpfungsverlegenheit 220 ff., 224, 255, 278 f. Arzt-Patienten-Beziehung 16 ff. – Asymmetrie 18 f. – Hippokratischer Eid 16 ff. – Partnerschaftlichkeit 22 ff. – Selbstbestimmungsrecht des Patienten 16 ff. – Verrechtlichung 19 ff. Autonomes Kollisionsrecht der Patientenverfügung 167 ff. – ausländische Stellungnahmen 168 ff. – inländische Stellungnahmen 174 ff. – Interessen 209 ff. – objektive Anknüpfung 255 ff. – ordre public 289 ff. – Qualifikation 240 ff. – Regelungsvorschlag 300 f. – subjektive Anknüpfung 277 ff. Behandlungsvertrag 74 f., 157 ff., 249, 265 Belgien 31 ff., 286, 296 Benelux-Staaten 30 ff. Betreuungsverfügung – Haager Erwachsenenschutzübereinkommen 140 ff. – Sachrecht 11 f. Bulgarien 293 f.
CEFL 308 dépeçage 229 Einfachheit der Rechtsanwendung 231 f. Eingriffsnormen 146 f., 190 ff., 198 ff., 287, 316 – Haager Erwachsenenschutzübereinkommen 146 f. – Internationales Privatrecht und Eingriffsnormen 190 ff. – und ordre public 296 ff. – und Patientenverfügung 198 ff. Einheitliches europäisches Sachrecht für die Patientenverfügung 304 f. Einwilligungsfähigkeit 83 f., 87, 252, 272 ff., 275, 301 England/Wales 14, 53 ff. Entmündigung 6 ff., 149, 151 Entscheidungseinklang – internationaler 227 ff., 255 – interner 229 ff. Erwachsenenschutz – deutsches autonomes Kollisionsrecht 148 ff. – Haager Erwachsenenschutzübereinkommen 123 ff. – Sachrecht 6 ff. Estland 124 Finnland 64, 124 Form 85, 86 f., 168 f., 267 ff., 301 Frankreich 9, 15, 23 f., 43 ff., 124 fraus legis 234 ff. gewöhnlicher Aufenthalt 128 f., 133 ff., 136, 139, 142 ff., 148 ff., 153 f., 157 ff., 160, 162, 169, 175, 218 ff., 220 ff., 224, 226, 228 f., 231 ff., 235,
358 255 ff., 264 f., 269, 272, 283, 286, 289 Grenzrecht 184 ff. – Internationales öffentliches Recht 187 ff. – Internationales Privatrecht 184 ff. – Internationales Strafrecht 187 ff. – Verflechtungen 189 ff. Griechenland 173, 246 Haager Erwachsenenschutzübereinkommen 123 ff. – allgemeine Vorschriften 145 ff. – anwendbares Recht 130 ff. – Auswirkungen auf das deutsche Internationale Erwachsenenschutzrecht 148 ff. – Betreuungsverfügung 140 ff. – Entstehungsgeschichte, Ratifikationsprozess 123 ff. – internationale Zuständigkeit 128 f. – isolierte Patientenverfügung 140 ff. – persönlicher Anwendungsbereich 125 f. – räumlicher Anwendungsbereich 128 – sachlicher Anwendungsbereich 126 f. – Vorsorgevollmacht 130 ff. Heimwärtsstreben 236 f. Internationales öffentliches Recht 187 ff. Internationales Strafrecht 175, 187 ff., 226 f., 247, 285 ff. – Fremdrechtsanwendung 195 f., 204 ff. – und Patientenverfügung 204 ff. Internationalisierung und Europäisierung 121 ff. – Internationalisierung der Lebensläufe 121 f. – Internationalisierung des Erwachsenenschutzes 122 ff. – Internationalisierung und Europäisierung der medizinischen Behandlung 155 ff. internationalprivatrechtliche Interessen – bei Patientenverfügungen 216 ff. – Grundsätze 211 Italien 9, 63 f.
Register lex libri 232, 257 f. Liechtenstein 64, 170 f., 236 Luxemburg 31 ff. materiellprivatrechtliche Interessen – bei Patientenverfügungen 237 f. – Grundsätze 213 ff. Niederlande 23, 31 ff., 207 f., 296 Norwegen 64 objektive Anknüpfung der Patientenverfügung 255 ff. – Anknüpfung an den Behandlungsort 260 f. – personale Anknüpfung 217 ff., 255 ff. – Sonderfragen 267 ff. – vermittelnde Vorschläge 261 ff. Optionale Patientenverfügung 305 ff. Ordnungs- und Forumsinteressen 227 ff., 281 ff. Ordnungsversuche 176 ff. – Grenzrecht 184 ff. – materielles Recht 177 ff. ordre public 147 f., 289 ff. – Grundsätze 290 ff. – Haager Erwachsenenschutzübereinkommen 147 f. – Rechtsfolgen 292 f. – spezieller ordre public 299 f. – und Patientenverfügung 293 ff. – Voraussetzungen 291 f. Österreich 7, 11, 14, 22 f., 43 ff., 168 ff., 217, 246, 308 Parteiinteresse 216 ff., 225, 227, 231 ff., 255 ff., 263, 278 f., 281 ff. Patientenautonomie – Anerkennung 15 ff. – interkultureller Kontext 26 f. – Verfassungsrecht 67 ff. Patientenverfügung – deutsches Sachrecht 66 ff. – europäisches und deutsches Kollisionsrecht 167 ff. – Haager Erwachsenenschutzübereinkommen 140 ff. – Rechtsvergleich 29 ff. – Sachrecht 28 ff. Polen 10, 65
Register Private Vorsorge 10 ff. – Betreuungsverfügung 11 f. – Vorsorgevollmacht 12 ff. Qualifikation der Patientenverfügung 240 ff. – als Betreuung 250 ff. – als Einwilligung 247 ff. – als Rechts- und Geschäftsfähigkeit 250 – als vertragliches Schuldverhältnis 243 ff. – Grundsätzliches 240 ff. Rechtssicherheit 131, 153, 166 f., 199, 231 ff., 248, 258, 263, 271, 280, 283, 288, 289, 301, 310, 316 Rechtsvergleich 29 ff. – Benelux-Staaten 30 ff. – Bulgarien 293 f. – Dänemark 64 – England/Wales 14, 53 ff. – Finnland 15, 64 – Frankreich 9, 15, 23 f., 43 ff. – Griechenland 9, 173, 246 – Italien 9, 63 f. – Liechtenstein 64, 170 f. – Norwegen 64 – Österreich 7, 11, 14, 22 f., 43 ff., 168 ff., 246 – Polen 10, 65 – Schweden 64 – Schweiz 15, 30, 171 ff. – Slowenien 10, 65 – Spanien 12, 23 f., 53 ff. renvoi 136, 275 f. Richtlinie über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung 164 ff. Rom II-VO 159 ff., 193, 220, 242, 247 ff., 264 f. – allgemeine Vorschriften 163 f. – Internationales Deliktsrecht 160 ff. – Internationales Privatrecht der Geschäftsführung ohne Auftrag 160 Rom I-VO 157 ff., 175, 193 ff., 198, 220, 227, 242, 243 ff., 247 ff., 264 f., 278, 298 – Behandlungsvertrag 157 ff.
359 Sachnormverweisung 169, 275 f. Sachrecht der Patientenverfügung 28 ff. – Bestimmtheitsgrundsatz 93 f. – betreuungsgerichtliche Genehmigung 109 ff. – Bluttransfusionsfall 79 – deutsches Sachrecht 66 ff. – Einbindung von Betreuer und Bevollmächtigtem 105 f. – Errichtungsvoraussetzungen 83 ff. – Fall Peter K. 79, 81, 110 – Gesetzgebungsverfahren 81 f. – Impulse aus dem Schrifttum 75 f. – inhaltliche Grenzen 94 ff. – Kemptener Fall 77 f., 80 f., 98, 104, 109, 114 – Legaldefinition 83 – Lübecker Fall 80 f., 98, 104 f., 110 – Rechtsvergleich 29 ff. – Reichweitenbegrenzung 104 f. – Umsetzung und Verbindlichkeit 103 ff. – verfassungsrechtliche Grundlagen 67 ff. – Widerruf 92 f. – Wirkung im Arzt-Patienten-Verhältnis 106 ff. – zivil- und strafrechtliche Grundlagen 73 ff. – zivilrechtliche Diskussion 78 ff. Schottland 124 Schweden 64 Schweiz 15, 30 ff., 124, 171 ff. Slowenien 10, 65 Sonderfragen der Anknüpfung der Patientenverfügung 267 ff. – Einwilligungsfähigkeit 272 ff. – Form 267 ff. – Volljährigkeit 274 f. Spanien 12, 23 f., 53 ff. Staatlicher Erwachsenenschutz – Kollisionsrecht 148 ff. – Sachrecht 6 ff. Staatsangehörigkeit 134, 151, 153 f., 175, 200, 217 ff., 220 ff., 224, 226, 227 ff., 231 f., 236, 237, 250, 255 ff., 277, 279, 287 Statutenwechsel 128, 134, 153, 272 Sterbehilfe – alte Kategorien 96 ff.
360 – – – –
deutsches Recht 95 ff. Dolantin-Entscheidung 96 f. Fall Hackethal 99 Fall Putz 66, 95 ff., 100 f., 183, 204 ff. – Fall Wittig 99 – Kemptener Fall 97 f. – Kölner Fall 183, 204 ff. – neue Kategorien 100 f. – Rechtsvergleich 29 ff. subjektive Anknüpfung der Patientenverfügung 224 f., 277 ff. – Ausgestaltung 288 f. – Interessenlage 281 ff. Tschechien 124 Vereinheitlichung 304 ff. – des Kollisionsrechts der Patientenverfügung 310 ff. – des Sachrechts der Patientenverfügung 304 ff.
Register Verkehrsinteressen 225 ff., 256 f., 263, 264 ff., 277, 281 ff. Volljährigkeit 84 f., 274 f., 301 Vorfrage 204 ff., 208, 229 ff., 249, 253, 264, 292 Vorsorgevollmacht – autonomes Kollisionsrecht 151 ff. – Haager Erwachsenenschutzübereinkommen 130 ff. – Sachrecht 12 ff. Weichenstellungen für die Anerkennung der Patientenverfügung 5 ff. – Anerkennung der Patientenautonomie 15 ff. – Staatlicher Erwachsenenschutz und private Vorsorge 6 ff. Zukunftsaufgaben der nationalen Gesetzgeber 309 f.